ERNST F. LÖHNDORF F
OLD JAMAICA RUM Historischer Roman
ex libris
KAPTAIN STELZBEIN 2010
L I N G E N V E R L A G - K...
171 downloads
2212 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
ERNST F. LÖHNDORF F
OLD JAMAICA RUM Historischer Roman
ex libris
KAPTAIN STELZBEIN 2010
L I N G E N V E R L A G - KÖL N
Anlage: Schutzumschlag (Doppelklick auf das Buch)
VORWORT In Deutschland war man bisher wenig oder nur unzureichend über die wahren Geschehnisse, die in diesem Buch erzählt werden, informiert. Dabei handelt es sich wirklich um keine alltäglichen Dinge, sondern um Taten, die an die besten Romanzen von R. L. Stevenson erinnern - mit dem Unterschied, daß sie buchstäblich wahr sind. Von einer Reihe kunterbunt zusammengewürfelter Außenseiter: Abenteurer, Bukanier, Piraten, Gelehrter und Seefahrer französischer, holländischer, britischer und dänischer Nation, wurde während eines ganzen, sowieso erstaunlichen Jahrhunderts fast zehn Jahrzehnte lang auf der blauen tropischen »Main« und den edelsteinbunten Inseln des heutigen Westindien richtige, bis in unsere Epoche nachwirkende Weltgeschichte gemacht! Was diese Männer damals leisteten, ist gewiß ebenso großartig wie die Taten der von uns bestaunten spanischen Konquistadoren, die übrigens auch nicht alle nur sanfte Lämmlein waren. Alle in diesem bunten, vom Pulsschlag der blauen See und dem Rascheln der Kokospalmen durchwehten Werk erwähnten Figuren sind keine Geschöpfe der allzu blühenden Phantasie eines Tropendichters, sondern sie haben wirklich gelebt. Gelebt hat zum Beispiel der biedere Pierre Legrand, der auf hoher See mit achtundzwanzig Mann aus seinem Ruderboot heraus eine riesige goldgefüllte spanische Galeone enterte. Gelebt hat der galante Sieur Ravenau de Lussan, der »Versaillespirat«, auch die Gestalt des Laurent, des Levasseur, eines William Dampier, Penn,Venables, Mansfield, Henry Morgan, Rock Brasiliano, Esquemelin und andere sind nicht frei erfunden; ebensowenig wie ihre Taten. Es war ein erstaunliches Kapitel der Weltgeschichte,bunter und abenteuerlicher als die tollste Phantasie. Der Verfasser
HISPANIOLA . . . Aus kobaltblauem, dort wo Riffe und Sandbänke tückisch lauern, smaragdenem oder jadegrünem Ozean stoßen Ketten inund übereinandergeschachtelter, riesiger brauner, violetter, rötlicher Berge in das seidige Türkis des Tropenhimmels. Haiti! - oder mit dem romantischen Namen aus jenen schrecklich schönen Zeiten, als John Silvers Stelzbein über die ausgedörrten Planken klapperte, sein struppiger Papagei unermüdlich »Pieces of eight! Pieces of eight!« kreischte, bezopfte mahagonibraune britische, holländische und französische Tars, die goldenen Ringe in den Ohrläppchen baumeln hatten, zum »Klickklack« des Gangspills heiser das Lied von den »Fünfzehn Mann auf des Toten Kiste und yoho und 'ne Pulle Rum« grölten: die Insel Hispaniola! In der kurzen, traumschnell vom Licht zum Dunkel hinübergleitenden Abenddämmerung plätschern und klatschen die Wogen ihr melancholisches Lied oder brüllen es laut, wenn der Orkan mit seinen schwarzen Wolkentürmen, über die sich das bläuliche Astwerk der Blitze breitet, einherrast. Hispaniola fließt, gleich einem verzerrten Riesenkamm in hitzezitternden, flimmernden Dünsten auf der Kimm schwankend, zusammen und wieder auseinander. Unaufhörlich! Und es ist, als ob die Schatten stolzer dreideckiger Schatzgaleonen, raubvogelartiger Piratensegler und »Flieboots«, menschenbeladener, waffenblitzender Enterboote, und von braunen Indios gepaddelter Piraguas über das verzauberte Meer huschten! Es ist, als ob die Geister der Ermordeten, der im Kampf Gefallenen, am Fieber Krepierten und am Suff Zugrundegegangenen aus kühlen Fluten emportauchten und ihr altes Dasein in sekundenschneller, bunter Phantasmagorie abermals durchlebten! Noch einmal flammt es im Westen auf. Grelle Feuer, blutiges 7
Rot, giftiges Grün und loderndes Gelb, durchtaumeln die sinkende Sonne und stürzen sich dann in den kühlen Ozean. Es wird still und friedlich über den befreit aufseufzenden Wassern. Die zarte köstlichblaue Schale der Nacht wölbt sich über den Horizont. Die Sterne der Tropen bohren sich in den schwarzen Samt, und es ist, als fielen sie herab, blitzend und kreisend, um plötzlich ganz tief hängenzubleiben. Und dahinter zieht's sich gleich Silberstaub und Goldpuder in gewundenen Arabesken durch die Bläue. Des Mondes Barke schwebt über der See. Die Insel Hispaniola und das nördlicher liegende felsige Tortuga verwandeln sich in schwarze, von sprühendem Licht umflossene Scherenschnitte eines Märchenspiels. Während der stille Nachtzauber über der See milde streichelnd sich ergießt und Myriaden Infusorien die dunkle Tiefe in grünleuchtenden Bändern durchgaukeln, schauern die Palmen am Strand in der Brise leise zusammen. Ihre spitzen, harten, befiederten, lackglänzenden Wedel knistern leise, und es ist, als ob längst verklungene Stimmen vorüberwehten. Stimmen, deren Besitzer einst im roten Golde wühlten und weinesschwer im Chor grölten: »Westward ho! And Rum below! At the Don's we'll go! Yoho, blow the Main down!« . . . Und andere Stimmen flüsterten aus dem dunklen Gebirge, den dunklen Wäldern, den vom Silberspeerlichte des Mondscheins durchstochenen Büschen der Gärten. Flüchtige Tritte enteilen, leise Wehrufe zittern, und das grauenvolle Röcheln der großen, auf der Menschenjagd dahintrabenden, längst vermoderten Bluthunde stört gespenstisch die Stille . . . Plötzlich ertönt ein Summen fern überm Meer. Wird zum musikalischen Dröhnen und sieghaften Orgeln, das die Luft in Schwingungen versetzt. Das Flugboot von Jamaika kommt heran, schwebt mit abgedrosselten Motoren im Gleitflug nach 8
unten, wassert - und aller Spuk vergangener Jahrhunderte hat sich, gleich einer schillernden Seifenblase platzend, im Nu verflüchtigt. Ruhig breitet die geheimnisvoll schöne Tropenwelt ihren weich strahlenden Frieden über den einstigen Schauplatz wildromantischer Taten. Taten von gestern! Taten erfüllt von Blut und Tod, aber auch solche, die zart wie poetische Träume waren. Man kann es fast nicht glauben, daß es diese Gegend ist, die »Spanish Main«, wie die alten englischen Seefahrer den westindischen Archipel nannten, über die im Jahre 1604 der damalige venezianische Gesandte in London folgenden Bericht an die Regierung seiner Republik schickte: »In Westindien eroberten die Spanier zwei Schiffe, schnitten den Matrosen die Hände, Füße, Nasen und Ohren ab, schmierten sie mit Sirup ein und fesselten sie an Bäume, um sie von Moskitos und anderem Ungeziefer quälen zu lassen . . .« Welch reicher schriftstellerischer Stoff liegt allein in diesen prosaisch brutalen Worten! Kosend schmiegen sich die kleinen Wellen der Spanischen Main gegen glitzernde, krabbenwimmelnde Sandgürtel. Sprühen in weißschäumenden Brechern gegen nackte, schwarzglänzende, triefende Steilküsten und baden die Wurzeln einzelner kühner Kokospalmen. Im Bananenhain rauscht zärtlich der Wind durch die prächtigen, zerschlissenen Riesenblätter. Millionen Zikaden singen ekstatisch ihr schrill metallisches und doch süßes Naturlied. Schwere Düfte von feuchtem, sattem Erdreich und von unsichtbaren Blumen zittern in der Luft. Über der Stadt untermalt sich der Himmel rosenrot, Lichtpünktchen aus Hütten und Villen an den Hängen winden den Bergen blitzende Diademe und Diamantschnüre um die Stirn. Eine Gitarre klimpert irgendwo zum todestraurigen Negersong. Brünstig schreit ein Esel. Streichelndes Summen naht, und erstirbt wieder mit den fächerförmig aufblitzenden Scheinwerfern eines Autos auf weißer Landstraße. Draußen in der Bucht pustet ein einsamer, abenteuernder Wal, Boniten sausen als grünumloderte Spindeln aus dem Wasser und klatschen ins Meer zurück. 9
Ein großer Dampfer mit drei Reihen übereinanderliegender rötlicher Bullaugen fährt weit draußen vorüber. Gleich dem Drachen einer chinesischen Traumszene auf gemaltem Ozean! Meine Pfeife brennt, und einschläfernd wirkt das Aroma des honigfermentierten Tabaks. Und so sitze ich und rauche. Oben leuchten die Gestirne. Schnuppen fallen in sanften Bogen zur Erde. Hinter mir geht manchmal, von kaum merklichem Windhauch, ein zärtliches Geflüster durch die Haine. Blumenduft und salzigfauler Strandgeruch umklammern mich. Und zu meinen Füßen raunen unermüdlich die Meereswellen. Habe ich nicht schon einmal gelebt unter diesem funkelnden Tropenhimmel? Lang, lang ist's her! Long long ago, als die Piraten das wilde Lied von Rum und gelbem Fieber sangen, als die spanischen Schatzgaleonen, beladen mit Silber und Gold und köstlichen Gewürzen, ihren gefährlichen Kurs über die spanische Main segelten . . . Die Wellen rufen mir's zu, die Wellen erzählen und plaudern davon, die Sterne blitzen es in silberner Schrift, und alle Geräusche, die da in der Nacht verborgen leben, wispern mir's zu. Auf der glatten Fläche der Bucht aber sehe ich im Geiste die Taten früherer Generationen an mir vorüberziehen. Und so will ich euch erzählen, was das Wasser mir zugerauscht, was die Palmen bebten, die Gestirne am Himmel schnörkelten und der Meeresspiegel - gleich der Kristallkugel des Hellsehers mir zeigte: »Yoho, blow the Main down!«
INTERMEZZO » . . . he, das lügst du in deinen dreckigen Bart hinein, sacre goddam!« schrillt es, und ebenso plötzlich dröhnt der antwortende tiefe Baß: »Und ich will dir die Lüge mit zehn Zoll Eisen in die Gurgel zurückjagen, du Sohn eines Haifisches!« Füße scharren, Schemel poltern. Dumpf fällt ein gefüllter Zinnkrug um. Der rotschillernde Inhalt kriecht dickflüssig über den Tisch, tropft langsam und zäh auf den Boden. 10
Alle sind wir aufgesprungen und umdrängen die beiden Streithähne, die friedlich beisammengesessen und jetzt ihre spanischen Raufdegen gezogen haben. Barbassou, Wirt und Händler in einer Person, schiebt sich gewichtig in den Vordergrund. Der Zipfel der rotseidenen Nachtmütze, ohne die er noch nie gesehen wurde, baumelt ihm auf die eckige Schulter. Im dunklen, lederartigen Gesicht glitzern die tiefliegenden Augen, während er böse raspelt: »Schert euch raus, wenn ihr euch umbringen wollt! Denkt an unsere Statuten!« Der mit der Baßstimme reckt seine kleine, breite Gestalt und lüpft sich am Hosenbund. »Das mußt du schon uns überlassen, Bruder Barbassou! - Ich täte dir ja liebend gern den Gefallen, aber draußen ist's wahrhaftig zu finster!« »Und wenn du etwa glaubst, daß ich warte, bis die Sonne aufgeht, so bist du doppelt und dreifach ein Lügner!« keift beinahe hysterisch der andere, ein semmelblonder, stoppelbärtiger Kerl mit blassen Fischaugen, dessen elegantes Rapier seltsam von der Bukaniertracht absticht. »Versöhnt euch im Herrn, meine Lieben!« will der fromme Pierre, der täglich mehrmals betet und auch Predigten vom Stapel läßt, vermitteln. »Laß sie, laß sie, Barbassou, altes Faß! Sie sollen's aber rasch austragen, denn ich möchte weiterwürfeln. Hätte gewiß viermal sechs Augen geworfen, aber da haben die Dummköpfe den Becher umgeschmissen!« grollte einer aus dem Haufen, sekundiert von Beifallsgegrunze. Eine kleine Affäre! Mein Gott, das kommt sehr häufig auf Tortuga vor. An plötzlichen gewaltsamen Tod sind die Männer gewöhnt und sehen ihm als etwas Natürlichem entgegen. Ob an Land oder auf den Wogen der Main - egal - aber wenn möglich, nicht in den Quemaderos der Spanischen Inquisition! »Auf dem Tisch wird's wohl am schnellsten vonstatten gehn! Wir fechten, bis einer genug hat oder wenigstens herunterpurzelt !« dröhnt doppelsinnig die Baßstimme. »Und fair play! Fair play, ihr Männer!« schrillt der Semmelblonde, der nicht sonderlich große Sympathien genießt. 11
Rasch ist die Tischplatte von hindernden Gegenständen geräumt. Beide Kämpfer springen auf die erhöhte Arena. Und kreuzen die Degen. »Barbassou, gib du das Zeichen!« Barbassou nickt gelassen. Es ist lähmend still geworden. Als ob Natur und Kreatur den Atem anhielten, um auf den eigenen pochenden Herzschlag zu lauschen. Eine Stille, die bestimmt nur meine Ohren schlug, denn langsam erst, dann immer rascher und voller lösen sich die Geräusche aus der Luft, und ich höre wieder: das ferne Rauschen der Brandung und noch weiter weg kurzes Rindergebrüll. Dazu das schnelle Atmen der Männer und das Brutzeln saftiger Steaks in Barbassous großer Kupferpfanne. Auch Zischen und Knallen von brennenden Scheiten. Und deutlich gluckst es, als ein Bukanier seinen Humpen leert . . . Und nun Barbassous leidenschaftslose Worte: »Fertig? Eins, zwei - los!« Klirrend gleiten die dünnen Klingen aneinander vorbei. Und Degenkorb schmettert gegen Degenkorb. Der Semmelblonde ist durch den Ruck beinahe vom Tisch gestürzt. Vielleicht wäre es besser für ihn gewesen, denn dann . . . Der Tisch bietet einen engbeschränkten Kampfraum. Und da beide Streiter sichtlich von Punktilios und anderen Finten keine Ahnung haben, sondern einfach wie wütende Bullen aufeinander losstochern, so kann dieser so merkwürdig ausgetragene Ehrenhandel nicht sehr lange dauern. Jeder bietet, da keiner recht ausweichen oder gar zurückspringen kann, dem andern ein zu gutes Ziel. Sie werden sich gegenseitig umbringen! Schade, der Breitschultrige mit dem schwarzen Bart ist ein netter Bursche! denke ich und stopfe vorsichtig die zerbrechliche holländische Tonpfeife. Abermals klirrt es, Keuchen und Schmettern, das auf- und abschwillt, langsam oder rasend schnell, und dann kommt das befreite »Ah!« aus dem Zuschauerkreis. Ich lasse die glühende Holzkohle, die ich eben auf den Tabak legen wollte, fallen. Denn alle haben wir's gesehen! Der Semmelblonde hat den Degen des andern tief in der Kehle sitzen. Er knickt halb zusammen, seine 12
konvulsivisch nach der tückischen Klinge greifenden Hände erhaschen sie, klammern sich darum, nun öffnen sich die kraftlosen Finger wieder. Und er plumpst schwer auf den Boden. Phlegmatisch steigt der Schwarzbart vom Tisch, putzt die Waffe an den Kleidern des andern ab, der reglos und stumm, nach einigen wenigen Zuckungen, in einer immer größer werdenden Blutlache liegt. Stößt die Klinge in die Scheide. Spricht: »Barbassou, einen Rum zur Herzstärkung, if you please!« Der Bann, der über der Scene gelegen hat, ist zerbrochen. Stimmen schwirren fluchend und lachend, staunend, drohend und beglückwünschend durcheinander. Von vielen Seiten wird dem Sieger zugetrunken. Er leert einen ihm entgegengehaltenen Humpen, streckt dann die Hand nach dem Rumglas aus und sagt mit gemütlicher Entschuldigung: »Wißt ihr, ich bin ja ein großer Halunke, wie fast alle von uns, aber mit Absicht habe ich noch nie gelogen!« Eintönig murmelt Pierre, der bei dem Getöteten kniet, Gebete. Barbassous Negersklaven streuen weißen Sand auf die dunkle Lache und schleppen die Leiche hinaus, um sie - »aber ja nicht zu dicht an den Hütten!« schärft Barbassou ihnen ein - zu vergraben. Pierre folgt ihnen. Und das bunte Lebensrad, an dessen Speichen alle Menschen sich krampfhaft festhalten, um dennoch eines Tages unweigerlich ins sogenannte Nichts hinausgeschleudert zu werden, dreht sich weiter. Immer weiter . . . TORTUGA-BILDER »Wir lagen vor Port Royal Und hatten Gelbfieber an Bord! Yoho, blow the Main down!« brüllen nun wieder die Bukanier, verwilderten Pflanzer und ehrlichen Seeräuber in Barbassous toller Kneipe ihren Chor. Zinnhumpen und große grüne Glaspokale wurden von braunen sehnigen Fäusten umklammert, hochgeschwungen, und rot gießt 13
sich der starke Spanierwein in ausgedörrte, immerdurstige Kehlen. Einige Pokale aus getriebenem Silber oder Gold fangen die Lichtstrahlen der von der räucherigen Decke hängenden, einst auf spanischen Schiffen benutzten eisernen plumpen Laternen, in denen dicke Wachskerzen brennen. Goldrotgolden, mit einem darin eingewirkten St. Jago, drapiert ein erobertes Banner seine leuchtende Pracht über dem Kamin. Unwirklich, bizarr, ein buntfarbenes, von harten Schlaglichtern überzacktes und violetten warmen Schatten getöntes Gemälde, wie es keine Phantasie auf die Leinwand zaubern könnte: so sieht's in Barbassous Laden allabendlich und oft auch am Tage aus. Ein bewegliches, leidenschaftliches, Tod und Leben in sich bergendes, schillerndes, jetzt aufflammendes, dann in dunklen, satten Tönen halberlöschendes und abermals in grellen Tinten blitzendes Bild! Das ich nun seit Monaten sehe und in dem ich selber mitspiele und das mich in kaleidoskopischer Fülle wie mit tausend unsichtbaren Fesseln an dieses wunderbar freie, sorglose Dasein schmiedet. Da sitzen wir: die Ausgestoßenen, die kühnen Abenteurer und Glücksritter, die Enttäuschten und in der Zivilisation zu Unrecht Bestraften, untermischt mit einzelnen Berufsmördern, Dieben, Fälschern und sonstigem Gelichter aus fast allen europäischen Nationen, denen sich zugesellten: herkulische Neger, ewig fröhlich das Weiße ihrer Augäpfel rollend, ewig mit tanzender Energie geladen, ewig bereit, die schwerste körperliche Arbeit auszuführen. Und Mulatten, deren Haut einen Stich ins Grünliche hat, goldbraune Indios mit sanften Tieraugen, Sambos und elfenbeinfarbene Quadronen und Oktronen. Da sitzen wir um die schwergezimmerten Tische auf den Bänken und singen oder erzählen, rauchen das köstliche Kraut Tobago und trinken, töten manchmal einander und trinken weiter. Dicken, sämigen Malaga, der als Nachgeschmack teuflisches Kopfweh spendet; herben Xeres und topasgelben sirupsüßen Taragona. Weine, die mit Blut bezahlt, von spanischen Galeonen und Transportern auf tropischer See oder aus den weißen 14
schimmernden Siedlungen der Spanier auf Hispaniola unter Einsatz des Lebens und nur selten im Tauschhandel erworben werden. - Trinken auch schäumend moussierenden Kokostoddy oder den kühlenden Pflanzensaft »Sangaree« und nippen alten, wunderlieblich duftenden oder auch jungen, selbstdestillierten und die Kehle versengenden, penetrant stinkenden Rum. Trinken! - Der eine viel, der andere wenig, ja, es gibt unter uns, die wir wohl die seltsamste Gesellschaft der Welt darstellen, sogar strikte Nichtalkoholiker! Ebenso wie wir Künstler, Gelehrte und sogar abtrünnige Geistliche in unsern Bukanierreihen haben. Doch davon später . . . Die bei der Rinderjagd und dem Fleischtrocknen buchstäblich und absichtlich in Tierblut getauchten und als eine Art Uniform von vielen Küstenbrüdern mit Stolz getragenen Segeltuchhosen und -hemden glänzen stumpf in rostbraunen und schwärzlichen Schattierungen. Sie knistern wie steife Papprüstungen, wenn ihre Träger sich jäh bewegen. Andere, besonders der ständig zur See fahrende Teil von uns, gefallen sich teilweise in hohen, gelben Stulpenstiefeln, spanischen Halskrausen, geschlitzten, bunt mit Seide gefütterten Wämsern mit Puff ärmeln. Andere wieder laufen halbnackt. Von phantastischen Hüten trauern verraufte, geknickte Straußenfedern, an hornigen Fingern schimmern matte breite Reifen, in denen die Schmucksteine gleich roten, grünen, blauen und violetten Augen aufglühn. Blitzend schaukeln große flache oder kleine rundliche Ringe von den Ohren bärtiger Männer. Manch einem hängt an dicker, prahlerischer Goldkette eine Schaumünze um oder die auf Elfenbein gemalte Miniatur einer schönen Frau, die in Ohnmacht fallen würde, wenn sie wüßte, an wessen breite, haarige Brust das Schicksal ihr zartes Konterfei schleuderte . . . Es sind auch wahre Dandys unter uns, parfümiert und geschniegelt; gespornt, mit mächtigen Perücken, stolzieren sie einher. Und Duellanten, stets auf der Lauer nach einem Opfer, wandern gespreizt unter Palmen und zwischen Bananenbüschen, als wären sie an den Taxushecken und regenbogenschimmernden Wasser15
künsten von Versailles. Es gibt auch welche, die aus irgendeinem Grunde sich geschworen haben, nie wieder eine Frau anzurühren! Auch haben wir tieffromme Männer unter uns, und Männer, die den ganzen Tag die Fauna und Flora studieren, oder vor Schiffskarten sitzen, Sternkarten zeichnen oder mit dem Jakobsstab astronomische Berechnungen machen. - Und Poeten haben wir, die unsere Lieder dichten, und Handwerker und Pflanzer - alles Männer, denen entweder daheim etwas schief ging oder die dem Rufe »Westward ho« nicht standhalten konnten. Und alle, alle, auch die größten Puritaner - ich weiß nicht, wie es jeder mit seinem Gewissen abmacht - sind die eisernsten, unverwüstlichsten Kerle der Welt und bilden unter dem Namen Bukanier, Flibustier oder Brüder der Küste einen losen, halb auf See, halb auf dem Land lebenden, ewig den Spaniern Abbruch tuenden Männerstaat. Natürlich gibt's Frauen unter uns, meist Mestizinnen oder Sambomädels, hübsche, aber verlotterte Geschöpfe mit kecken Liedern, provozierenden Tänzen und unersättlichen Gurgeln. Mit goldenen Ketten und Geschmeiden pfauenartig beladen, leisten sie dem, der mag, Gesellschaft. Das ist Tortuga, der Staat, in dem Gesetzlose sich ihre Gesetze schufen, der Staat, dessen bloße Erwähnung bei den Spaniern dazu dient, ihre unartigen Kinder mäuschenstill und brav zu machen . . . »Westward ho! At the Don's we'll go And rum below, yoho! . . .« Draußen, gleichsam von der breiten weitoffenen Tür eingerahmt, stehen schlanke Palmen mit spitzen, gefiederten Wedeln und struppigen Kronen. Tanzt der phosphoreszierende Reigen der Feuerfliegen und Coyucos. Schmeichelt Mondlicht um seidige Blattrispen. Schimmern weiße Blüten gegen tintenblauen Hintergrund. Kämpfen die süßen, betäubenden Düfte der blühenden, leidenschaftlichen Natur mit den aus der Kneipe peitschenden Dünsten von Tabak, Alkohol und Wachslichtern, Ofenbrodem und Patschuli. 16
Welche Trauer- und Lustspiele wären wohl Will' Shakespeare eingefallen, wenn er die tropische Spanische Main, die Inseln Hispaniola, Tortuga, die kühnen Schiffe und deren Männer geschaut hätte . . .?
LE SIEUR ALEXANDRE OLIVIER ESQUEMELIN D'HONFLEUR Im Osten, über gläserner Meeresdünung, wallt es grau, verschwommen an den oberen Rändern, gegen den noch heftig funkelnden Sternenhimmel. Wird heller, färbt sich hellgrün. Gelber und rosiger Schimmer schießt dazwischen. Zauberschnell entwickelt sich alles zu einem karmingoldenen Tumult. Und königlich taucht die nackte, blendende Schulter der Sonne empor, jagt ihre Strahlen über Meer und Inseln, wo eben noch das tiefblaue, silberverzierte Kleid der Nacht geleuchtet und grünliches Fahl geisterte. Und über der Spanischen Main steht in tropischer Schönheit der neue Tag. Indigoblau wogt die See. In den Palmen kreischen Papageien, schwingen sippenweise in bunten Girlanden über grüngefleckte Zuckerrohrfelder, großblättrige Tabakpflanzen, starre Speerbündel der Maisstauden. Fallen tönend zurück, ins aufraschelnde Gefieder der Palmen. Aus Barbassous Laden torkeln singend ein paar Unentwegte, steuern Zickzack nach dem Ufer, wo die schnellen, wendigen, halbgedeckten Longboote, einige holländische, französische, englische Kauffahrer und eine gekaperte, aber nicht mehr segelfähige spanische Galeone ankern. Beiboote gleiten von Bord nach Land. Wie Käfer, die über ein blauseidenes Tuch krabbeln. Aus den Hütten und unter den aus vier Pfählen und einem Dach darüber bestehenden Kochplätzen hervor ringeln Rauchwolken gen Himmel. Versiegen im Goldnetz der Sonne. Es ist heiß, aber der salzige Geschmack des Ozeans und die aufkommende leichte Brise erfrischen. Ah, wie wohl das tut! Wie 17
liebe ich doch den lockenden Ruch der See und den romantischen der Schiffe und den von tausend unerfüllten Träumen vollen, warmen, üppigen Duftatem der Tropen! Drüben liegt Hispaniola: ein abenteuerlich geformter Riesensmaragd, in den einzelne unregelmäßige Facetten aus Saphir, Gold, Karneol und Jaspis eingesprengt sind. Die kleine südliche Vorinsel ruht auf dem Wasser wie ein Amethyst. Aus einer Hütte dringt schon das Getinkel und Schwirren von Gitarrensaiten, eine glockenhelle Frauenstimme singt »La Golondrina«, das alte Lied vom letzten Maurenkönig, als er Granada verlassen mußte . . . Ein schwarzer Sklave hackt einem Huhn, das gewiß zum Frühstück dienen soll, den Kopf ab. Leiser summt nun die Stimme, und plötzlich bleibe ich stehen, denn tiefer, grollender Männerbaß brüllt lauthals los. - Gitarre und Sängerin schweigen. Und Will Forster, der Mann aus Devonshire, der dort in der Hütte wohnt, tobt nach einer fast endlosen Reihe von Flüchen, die selbst bei Tortuga immer wieder Staunen und beinahe Erröten erregen, im Endfurioso: »Und wenn du mich noch einmal mit deinem blutigen Geklimper weckst, so will ich dir das Herz rausgravieren, du verdammte Tochter von einer Negerin und sieben Spaniern!« Schrill lacht die Frau. Eine Kochpfanne klatscht aus der Tür zu Boden. Und ehe die breiten Blätter einer Bananenpflanzung mich umhüllen, höre ich noch die mächtige, wundervolle Stimme Forsters im klagenden Schmelz: »O Darling, du herrliche Frau! O komm in den Garten, dort perlt der Tau! . . .« Forster ist ein toller Bursche. Gewöhnlich sind seine Worte mit unflätigen Flüchen durchsetzt, und auf See, bei Unternehmungen gegen die Dons, wird er - aus dunklen Gründen, über die er sich ausschweigt - zur wütenden verbissenen Bulldogge, die weder Pardon nimmt, noch gibt. Aber - und welcher Zwiespalt in dieser Menschenseele - in geruhsamen Stunden an Land dichtet und 18
komponiert er die zartesten Liebessonette, die ich je gehört habe. . . Seltsam ist dieser Männerstaat Tortuga! Aber was ist eigentlich im Leben preisenswert und schön, wenn nicht das Ausgefallene, Unerhörte? Bin ich doch deswegen hergekommen! Bis ins rauchige, neblige Schottland drang der Nimbus der Tortugamänner, und so lief ich denn dem alten kahlköpfigen Domine davon, dem ich als schlechtbezahlter und noch schlechter gefütterter »Usher« half, dickköpfigen Kindern Lateinisch und des Königs Englisch beizubringen. Lief zur See. Und kam glücklich, nachdem ich zwei Jahre auf einer Fregatte in des »Königs Eigen« gedient, nach mannigfachen Erlebnissen nach Tortuga. Da ich beim Kapern der »Nuestra Señora de las Gracias« - die hernach in Flamman aufging - scheint's leidlich gut dreingeschlagen habe, so darf ich bleiben . . . In einem Zuckerrohrfeld fällen fröhliche Neger unter Aufsicht eines breitschultrigen, mitarbeitenden holländischen Pflanzers mit schweren Messern das rauschend zusammensinkende Caña. Irgendwo grölt jemand nach Rum. »Ho, bring die Buddel, Mercedes!« Ein Musketenschuß knallt dumpf im Gebirg', wo die Jäger hinter verwilderten tückischen Rindern her sind. Stöhnend versiegen die zahllosen Echos. Verwunderlich, wie rasch sich hier unter heißer Sonne alles vermehrt! Wie leidenschaftlich das Leben hier blüht und wächst, und wie leidenschaftlich es stirbt! Da haben die Dons, als sie diese Inseln entdeckten, einige Rinder ausgesetzt, und jetzt sind riesige Herden daraus geworden, die Hunderten und Tausenden Nahrung geben und die Mittel, im Tauschhandel gegen Boucan und Häute die nötige Munition im endlosen Kampf gegen die Spanier zu erwerben. Langsam schreite ich weiter. Bergan. Weiß selber nicht, wohin. Frei, so frei ist der Mensch hier, wie er es in Europa nicht sein kann! Gedanken, denen ich keine rechte Form geben kann, durchkreuzen mein Gehirn. Ob bald wieder eine Fahrt gegen einen spanischen Geleitzug in 19
Aussicht steht? Ich sinne über dickbäuchige Galeonen mit geschnitztem Vorder- und Achterkastell, blutroten, mit Heiligen bemalten Segeln, gewaltigen starren, mit Gold und Silber bestickten Bannern, und denke an Gold- und Silberbarren, goldene Münzen - Acht-Realen-Stücke -, von uns »Pieces of eight« genannt. Grübelnd komme ich auf ein Maniokfeld. Am Rande sitzt auf gefällter Palme ein Mann, der zu den sonderbarsten dieser absonderlichen Küstenbrüder gehört. Schlank, mittelgroß, den sehnigen Leib in schwarzer spanischer Hoftracht, in weißer Halskrause, den schmalen Degen an der Seite. Auf den Knien liegt ihm ein Bündel handlich geschnittener Pergamentblätter. Er schreibt. Neben ihm stehen Tintenkapsel, Streusandbüchse, liegen gespaltene Truthahnkiele. Langsam schaut er hoch. Ein Lächeln überfliegt das gebräunte, spitzbärtige Gesicht, und die grauen Augen leuchten grüßend auf. »Ah, mon vieux Mac, mein Freund! Spaziergang? Poesie treiben oder unglücklich verliebt, wie?« ruft er in dem hauptsächlich spanischen, mit französischen, holländischen und englischen Floskeln verbrämten Idiom, das in der Spanischen Main gangbar ist. »Setz dich!« Eine elegante Handbewegung weist mir einen Platz neben ihm an. Er legt seine Blätter beiseite, nachdem er liebevoll Sand auf die letzten noch feuchten Zeilen gestreut, errät meinen Blick und lacht: »Mais, was willst du? Man muß irgend etwas tun. Zum Plantagenbestellen oder Boucanmachen, tauge ich nicht. Also schreibe ich!« »Hm, was denn nur?« »Ventre Saint gris - wie der gute König Henry, der allen Franzosen nicht nur ein Huhn im Topf gönnte, sondern es ihnen auch verschaffte - in guter Laune zu sagen pflegte. Mordioux! Ich schreibe ein Buch. Das verrückteste und spannendste Buch, das je gedruckt wurde, wenn le Bon Dieu es gestattet, daß ich am Leben bleibe, wieder nach la belle France heimkehre und dort einen Buchhändler finde!« 20
»Ein Buch? Was für ein Buch? Ich verstehe dich nicht, Alexandre Olivier Esquemelin!« »Aus Honfleur! mußt du dazusetzen. Denn dort stand meine Wiege! - Eh bien oder bueno! ein Buch über Hispaniola, Tortuga, Port Royal, über die Bukanier und Piraten oder die Brüder der Küste, wie sie jetzt heißen, und denen wir beide anzugehören die gewiß nicht alltägliche Ehre haben! Ein Werk von dem, was war, was ist und - wie gesagt, wenn es le Bon Dieu erlaubt - von dem, was da kommen wird. Ich habe schon eine ganze Menge geschrieben!« lacht er gut gelaunt. »Oh - das möchte ich auch!« entfährt mir's sehnsüchtig, und ich weiß auf einmal, warum mich so oft halbfertige Gedanken plagen. Schreiben, das ist's . . . Er schlägt sich auf die Knie. »So tue es doch, Confrere! Niemand hindert dich, niemand zensiert dich! Und keiner von den andern wird auf die gleiche Idee kommen, zumal die meisten ja weder lesen noch schreiben können! - Und die Konkurrenz? Meine Person? - Ha, Alexandre Olivier Esquemelin wird es sich leisten können!« »Aber ich verstehe nicht mehr genügend Latein!« »Fichtre, redet der Mann von Latein? Wozu denn, ventre de biche! - Schreib doch, wie dir der Schnabel gewachsen ist, mein Alter!« »Also in des Königs Englisch?« »Vraiment, caramba! Wir sind auf Tortuga und nicht in London, Edinburgh oder an der Sorbonne! Und wenn unsere Bücher jemals beendet werden sollten . . . bis dahin, dünkt mich, wird man vielleicht schon mehr in den Sprachen, die das Volk redet, drucken und weniger in Latein!« »Beim heiligen Dunstan, das will ich tun, das ist vortrefflich!« »Natürlich! - Und nun wollen wir an des Leibes Notdurft denken!« lacht er wieder und greift nach dem neben ihm liegenden Schnappsack. »Maisbrot, gebratene Schweinerippen, Markknochen, Bananen und für jeden eine junge Kokosnuß in dem Stadium, wenn sie mit köstlicher Crème gefüllt ist!« 21
Wir langen zu, und der lebhafte Franzose plaudert dazwischen und unterstreicht seine Worte mit markanten Gesten. »Siehst du das Haus dort oben?« Er deutet nach dem höchsten Felsgipfel der Insel. »Ja. Ich war aber noch nicht droben. Barbassou sagt, es sei halb zerfallen, und die Leitern und Treppen, auf denen es allein erreichbar ist, teilweise weggefault.« »Oui! Der alte Barbassou hat recht. - Ah, der hat was erlebt, wenn er nur nicht so ungallisch mundfaul wäre!« »Was ist's mit jenem Haus?« frage ich und werfe einen abgenagten Knochen ins Gebüsch. »Es hieß früher der >Taubenschlag< und war das Hauptquartier und Château meines Landsmannes aus Saint Kitts, Monsieur Levasseur. Weißt du, als die ersten Küstenbrüder, es waren fast nur Männer aus der Bretagne und Normandie, denen sich wenige Briten, Holländer und entlaufene Sklaven zugesellten, ihre illegalen Rinderjagden nach Boucan auf Hispaniola drüben abhielten, vergaßen sie selbstverständlich nicht, die Spanier zu bekämpfen, nachdem diese den Kampf begonnen hatten. Es hieß, wie auch heute noch: du oder ich! Eines Tages siegte die Übermacht der Dons, und die überlebenden Bukanier zogen sich hierher nach Tortuga zurück, um von neuem der Jagd zu obliegen. Denn auch hier wimmelte es schon von wildem Vieh! Die daheim Bauern gewesen, pflanzten Tabak, Mais, Caña und Maniok, die anderen gingen in Booten zur See und kämpften. Aber die Dons landeten auf Tortuga mit Heeresmacht. Die braven Bukanier wurden abermals totgeschlagen, von Bluthunden zerrissen oder bildeten als gefangene Häretiker das Brennholz eines Scheiterhaufens bei irgendeinem Autodafé. Die flüchten konnten, flüchteten natürlich nach Hispaniola zurück; in den Bergen und Wäldern dieser großen Insel kann man sich besser verstecken. Sie sammelten sich dort racheschnaubend und landeten des Nachts in Booten auf Tortuga. Und ließen die dortigen Dons, wie es bei uns heißt, >aus der großen Tasse< trinken, sandten sie, wie ihr Briten es nennt, zu >Davy Jones' Locker, das heißt, sie schmissen sie ins Wasser . . . 22
Seither betrat kein Spanier - es sei denn als Gefangener oder Renegat - diesen freien Boden, wo wir freien Männer wohnen. Das alles spielte sich in den letzten Jahren ab! Nun, dieser Levasseur - kein Mensch weiß, woher er plötzlich auftauchte war ein sonderbarer Bursche, aber auch ein sehr heller Kopf. Der Mann hatte Verstand, mon vieux! Von Haus aus strenger, unbeugsamer Kalvinist, machte er aus einer Gemeinde gottloser, blutdürstiger, rachebesessener Piraten einen religiösen Staat. Wie er das anfing, möchte ich gerne wissen. - Natürlich wurden die Spanier weiter bekämpft, aber vor und nach dem Gefecht wurde hübsch lange gebetet, fromm gesungen und Gott gedankt. Ventre Saint gris, es muß ergötzlich gewesen sein! Diese Kontraste! Levasseur hatte auch mal die Fortifikationskunst studiert. Die Wälle und Batterien, deren Bronzeschlünde uns heute gegen Überfall schützen, sind nach seinen Entwürfen erbaut! Und wahrhaftig, als eine starke Kriegsflotte der Dons vor Tortuga aufkreuzte und eine tolle Beschießung anfing, mußten sie sehr bald mit langer Nase und verbundenen Köpfen abziehen! Geheimnisvoll wie Levasseur kam, so verschwand er wieder. Man weiß nicht, ob er mit seinen gesammelten Pieces of eight nach Frankreich heimkehrte, oder ob er in der Takelage einer spanischen Galeone mit einem Strick um den Hals an der Sonne dörrte. Vielleicht fiel er im Kampf, oder die Inquisition röstete ihn in den Quemaderos, oder vielleicht ist er auch ins Kloster gegangen. Ein Thema, um darüber zu schreiben, nicht wahr, mon vieux boy aus dem kalten Schottland! O là! Von ihm stammt auch die Einteilung, der Code, unseres Inselreiches. Wie du weißt, wurden die Bauern, die daheim was ausgefressen hatten und in die Spanische Main kamen, Pflanzer; andere, dazu gehören viele entlaufene Sklaven, gehen auf die Boucanjagd, und wir Restlichen, die wir Seebeine haben, treiben, wenn wir's nicht zu kritisch betrachten, ein bißchen ehrlichen Seeraub. Und es ist sonderbar, es hat sich noch viel von den Levasseurschen Bräuchen erhalten, allerdings ist's ja nicht lange her, daß sie eingeführt wurden. 23
Heute, und ich finde es so besser, wie? gibt es keinen Zwangsgottesdienst mehr. Wer aber beten und predigen will, der kann das nach Herzenslust tun. Predigt nicht Pater Hilarius jeden Sonntag von der Kanzel vor leeren Bänken oder höchstens witzemachenden Zuschauern, und verkündet der schwarze Pierre nicht den Untergang der Welt und das Tier mit den vielen Köpfen? - Aber sonst ist eine gewisse Ordnung geblieben. Und die französischen, holländischen und britischen Schiffe, die dort unten ankern, laufen zwar auf hoher See Gefahr, gekapert zu werden, aber im Hafen sind sie heilig. Und da sie gute Geschäfte machen und wir auch - unsere Häute und Dörrfleisch und Rum gegen ihre Munition, Musketen, Handgranaten und Wein - so kommen sie immer wieder. - Eigentlich kann man uns gar nicht Piraten nennen, denn unsere Länder liegen fast immer im Kriege mit den Dons. Und ich sage dir, mon vieux, erinnere dich daran, was dir Alexandre Olivier Esquemelin heute erzählt hat, die Zeit ist ganz nah, wo wir einen französischen Gouverneur hier haben werden und trotzdem unser freies Leben weiterführen. Der liebe Gott will nicht, daß die neuentdeckten Länder nur den Dons verliehen sind, wie diese gerne behaupten! Daß dem Don ausschließlich die Neue Welt gehören soll, diese wunderbaren Inseln, Gestade und herrlichen Meere und niemand anders daran teilhaben soll, ist an und für sich schon Gotteslästerung! El Rey Fernando und la Reina Isabel haben damals, als Kolumbus Zipangu suchte und Amerika fand, ein böses Gesetz erlassen! Das Gesetz dünkelhafter Nimmersatte! Und deswegen stehen Franzosen, Holländer und Briten fast immer im Kampf gegen die Dons, die sich auch der verfluchten Inquisition bedienen und oft unbeschreiblich grausam sind. Mordioux, das soll nicht etwa heißen, daß alle Spaniolen Schufte sind. Im Gegenteil! Aber ihre Gesetze sind schuftig. Man muß ihnen daher Manieren beibringen, über die Verteilung der Neuen Welt! Voilà!« . . . »Ich habe vorhin Forster singen hören!« sage ich nach einer stummen Pause träumerisch. 24
Esquemelin lacht: »Siehst du, der ist auch eine Pflanze, die nur bei uns gedeihen kann! Totschläger und Blutsäufer, er mag schon triftige Gründe haben, denn nichts geschieht ohne Anlaß ! - und gleichzeitig ein Mann, der die sentimentalsten, süßtriefenden Liebessonette macht! Zwei Seelen in einer Brust! Hei, abgesehen von Forster, wir haben Kerle unter uns, wie du weißt, um die uns die größten Königreiche beneiden! Und wir werden stärker! Eines Tages, wer weiß wann? - gehört die Neue Welt nicht nur oder nicht mehr den Dons, wenn sie so weitermachen wie jetzt. Gesetze ihrer Könige! Pah! Bei uns auf Tortuga ist jeder ein König, wenn er Lust hat, sich diesen Titel zu verleihen!« Ich zünde meine Pfeife an. Esquemelin atmet auf, dann holt auch er seine Tonpiep aus dem Schnappsack, und gemeinsam rauchen wir das köstlich duftende Kraut, das die Indios Tobago oder Tabaco nennen. »Der Mann, der dies den Indios absah und das Zeug nach Europa brachte, war fürwahr ein grandioser Kerl!« »Eher ihm als irgendwelchen kriegerischen Königen gebühren Denkmäler!« »Walter Raleigh soll's gewesen sein!« »Ja, und statt ihm ein Denkmal zu setzen, haben sie ihm im Tower den Kopf abgehauen!« »Vielleicht hat er zu sehr mit der Queen poussieren gewollt oder war zu ehrgeizig und ließ sich in Verschwörungen ein. Quien sabe?« »Qui, von allzu starkem Poussieren ist schon mancher zu Fall gekommen. Cherchez la femme! sagt man bei uns. Hinter allem steckt eine Frau!« . . . Gitarrenklänge schwebten plötzlich aus der Pflanzung, ertönen voller und kommen rasch heran. Und zwei Boukanier in ihren Blutkleidern, gefolgt von zwei mit Brokat herausgeputzten Mulattinnen, treten auf die Lichtung. »He, Mac, goddam, bist du aber früh aufgestanden!« ruft der eine, ein Mann aus Bristol, der aus England flüchtete, weil er den Liebhaber seiner Frau totschlug. 25
Sein Kumpan, ein breiter, helläugiger Holländer aus Enkhuizen, brummt: »Und Olivier ist ja auch da, sacre verdoomd!« Laut lachen die beiden Mädels. »Wohin, Brüder?« erkundigt sich der Franzose. »Nach Janviers neuer Hütte! Wir wollen ein Picknick machen und seinen neuen Rum ausprobieren. Ein Becher Kokosmilch und ein tüchtiger Schuß Rum drin schmeckt wie Mutterbrust!« »Er hat uns Truthahnbraten, Markknochen, Bananen, mit Zukker bestreut und in Butter gedämpft, versprochen!« sagt der holländische Gourmet und leckt im Vorgeschmack seine Lippen. »Bon, dann seid ihr ja zu beneiden!« »Kommt doch mit, ihr beiden Hübschen!« lockt die junge reizende Pepita und blitzt mich verheißend an. »Wie viele seid ihr denn, Tom?« Der Engländer knallt seiner Schönen gutmütig mit der Hand auf den Achtersteven: »Janvier, seine Inez und hier Piet und Pepita und ich mit der Juana!« »Na, da seid ihr gut verteilt, und Mac und ich würden nur als überflüssige Räder am Karren wirken!« sagt der menschenkluge Olivier. Pepita zieht ein Mäulchen. Ich weiß, seit Tagen hat sie's auf mich abgesehen, und ich bin nicht abgeneigt. Entweder ist sie auf meine Pieces of eight scharf, oder es ist Liebe, man weiß das bei diesen Mädchen nie so recht, auch Liebe währt bei ihnen nie lange . . . Lebhaft denke ich an das Duell auf Barbassous rundem Tisch in einer heißen Nacht. Um Weiber sind hier auf dieser Insel schon viele Männer in ihren Stiefeln gestorben. - Deswegen, um noch mehr Unheil zu verhüten, dürfen sie nie auf die Schiffe und nie an Beratungen teilnehmen. Darin sind unsere Satzungen sehr streng! Warnend stößt Olivier mich in die Rippen. »Vielleicht kommen wir nach!« sage ich beiläufig und blinzle Pepita zu. »All right!« Wieder schwirren und klingen die Gitarren, und die Vier wandern fröhlich weiter, verschwinden dann hinter den Bananenstauden. 26
»Pierre Legrand hat einen Kaperzug vor!« sagt Esquemelin nach einer Weile. »Das wäre!« »Oui, ich denke, in drei Tagen haben manche von uns wieder Planken unter den Füßen. Wir brauchen endlich große Schiffe und wollen uns ein paar von den Dons holen! Machst du mit, mon grand enfant?« »Allemal!« »Bon, ich werd's ihm sagen. Er hat die Auswahl, aber Pierre hört auf mich!« Genießerisch blase ich den Tabacorauch durch die Nase. »Tobago ist Speise der Seele!« Fröhlich lacht er: »Und ein Mann, der solche Worte findet, überlegt sich noch, ob er schreiben soll!« »Beim großen Dunstan! Ich will's wirklich tun!« »Bravo! Pergament kannst du von mir kriegen! Aber jeder schreibt für sich, und verglichen wird nichts, mon vieux!« »In Ordnung, Olivier!« Er schraubt die Tintenkapsel zu, wirft sie nebst Streusandbüchse und Truthahnkielen in den Schnappsack. »Komm, wir wollen zum Hafen. Pierre Legrand sucht sich seine Leute nachher bei Barbassou aus.« Langsam gehen wir nach der Küste. Wo das unendliche Meer bläut und schäumt. Über uns schwirren wie große Edelsteine die Papageien. Im Blattgrün funkelt das Sonnenlicht . . .
DIE ARTIKEL WERDEN VORGELESEN ». . . und du, Jacques! Und du dort, Paul, und auch der Slim! Ferner Joseph mit Bill, Honoré, Xavier, Frédéric, Pepe!« zählt Pierre Legrand die Namen an den Fingern her. Dann wendet er sich an Esquemelin, der pfeiferauchend an Barbassous rundem Tisch sitzt: »Natürlich auch unser gelehrter Historiker. Du gehst doch mit, Olivier?« 27
»Selbstverständlich, mein Alter! Und tu mir den Gefallen, mustere auch Mac hier an!« Legrand blitzt mich aus scharfen Augen an: »Nun?« »Wenn du mich gebrauchen kannst, Käpten?« »Bist schon dabei! Wen Olivier empfiehlt, der ist gut. Olivier, schreib die Namen auf!« Esquemelin legt die Pfeife weg. Seine Truthahnfeder kratzt über Pergament. Bald sind wir aufgeschrieben. Achtundzwanzig Mann, jeder zwischen zweiundzwanzig und dreißig. Kühne, abgehärtete Feuerfresser, Kerle, die den Satan an den Hörnern zupfen würden. Kerle, die stets guter Laune sind! Achtundzwanzig Mann wollen im halboffenen Longboot in die Spanische Main schiffen und den plötzlichen Orkanen trotzen. Und eine große spanische Galeone, gegen die das Boot wirklich nur eine Nußschale ist und die zwischen sechzig und dreihundert bewaffnete, gedrillte, kriegsgewohnte, tapfere Soldaten - außer der Mannschaft - an Bord hat, angreifen, nehmen und behalten. Aber die Bukanier haben schon ganz andere Dinge geleistet. In dieser Beziehung schreiten sie würdig in den Fußstapfen des großen Francis Drake! Keiner von uns denkt über den tollkühnen Plan nach. Tortuga braucht größere Schiffe, um Handel mit Europa treiben, und um die spanischen Flotten in der Spanischen Main erfolgreich im Großen bekämpfen zu können. Und deshalb werden wir uns diese Schiffe holen, die außerdem den Holzbauch voller Barren aus Nombre de Dios, Pieces of eight, Perlen von Santa Maria und Munition und Wein haben. - Westward ho! Barbassou und seine Gehilfen haben alle Hände voll zu tun. Rum und Spanierwein verschwinden zauberschnell in durstigen Kehlen. Gitarren fangen an zu klimpern. Würfel klappern, Ochsenrippen prasseln über offenem Feuer. La petite Marmite, Markknochen, das Leibgericht der französischen Tortugamänner, und andere gute Sachen riechen köstlich aus brodelnden Töpfen. Aber Legrand ruft nach einem tüchtigen Trunk: »Olivier, lies nach altem Brauch die Artikel vor!« 28
Esquemelin holt aus der Blechbüchse ein abgegriffenes Büchlein, räuspert sich. »Herhören, Messieurs! Nachher könnt ihr Markknochen aussaugen und weitersaufen!« Der Lärm versiegt rasch. Draußen gackert eine Henne aufgeregt triumphierend. Und Esquemelin beginnt eintönig: »1. Wenn eine Gemeinschaft freier Brüder der Küste sich zu einem Unternehmen zusammengetan hat, so soll jeder, solange die Fahrt dauert, den Befehlen ohne Mucks gehorchen. 2. Von der Prise erhält - falls nicht anders beschlossen - der Kapitän und Anführer einundeinenhalben Anteil. Der Pilot, der Bootsmann, der Böttcher und jeder Kanonier einundeinenviertel Anteil. Der Rest wird, entsprechend der Kopfzahl, ehrlich verteilt. 3. Falls ein Kerl entläuft, oder falls er ein nützliches Geheimnis erkundet und dies für sich allein behalten will, so soll er mit einem gefüllten Pulverhorn, einer Muskete, einem Beutel voll Schießschrot und einer Pulle Wasser auf einsamer Insel maroniert, das heißt ausgesetzt werden. 4. Wenn ein Kerl einen andern grundlos arg prügelt, so soll dies nach Mosis Gesetzen gesühnt werden; er soll daher vierzig weniger einen schwere Hiebe auf den bloßen Buckel kriegen. 5. Wenn ein Kerl etwas stiehlt, das allen gehört, so soll er entweder erschossen oder auch maroniert werden. 6. Der Kerl, der im Schiffsraum spaßeshalber seine Feuerwaffe abschießt oder eine Pfeife raucht, die keinen Deckel hat, oder der unter Deck ein offenes Licht trägt oder sich nach zwei Glasen - neun Uhr abends - noch an Deck besäuft, soll maroniert oder erschossen werden. 7. Der Kerl, dessen Waffen unsauber und nicht gebrauchsfähig sind, und der seinen Dienst schlecht versieht, soll nach gemeinsamer Beratung zwischen Kapitän und Mannschaft entsprechend bestraft, oder falls keine Einigung erzielt wird, gekielholt, das ist mittels zweier Taue unter dem Kielschwein des in voller Fahrt laufenden Schiffes von vorne nach achtern entlanggezogen werden. Wenn er nach dreimaligem Verfahren noch lebt, so soll man ihn für unschuldig halten. 29
8. Der Kerl, der einer anständigen Frau gegenüber, sollte eine solche vorhanden sein, ohne deren Erlaubnis üble Mätzchen macht, soll sofort erschossen werden. 9. Wer im Kampf den rechten Arm verliert, soll 800 Pieces of eight erhalten und außerdem für die Dauer seines Krankenlagers täglich einundeinenhalben Pieces of eight. 10. Wer den linken Arm verliert, soll 600 Pieces of eight erhalten, nebst einundeinenhalben Piece of eight für die Krankheitsdauer. 11. Wem irgendein Körperglied infolge Verwundung dauernd gelähmt bleibt, der soll 400 Pieces of eight erhalten. 12. Verliert einer das rechte Bein, so erhält er 500 Pieces of eight sowie einundeinenhalben Piece of eight tägliches Genesungsgeld. 13. Verliert er das linke Bein, so erhält er 400 Pieces of eight und einundeinenhalben Piece of eight tägliches Genesungsgeld. 14. Verliert er ein Hauptlicht, das heißt ein Auge, so erhält er 100 Pieces of eight und ein Piece of eight tägliches Genesungsgeld, bis er wieder aus den Händen des Wundarztes entlassen ist. 15. Verliert er beide Hauptlichter, so soll er das übliche Genesungsgeld und eine von Kapitän und Mannschaft festzusetzende Summe nicht unter 1000 Pieces of eight erhalten. 16. Verliert er einen Finger, so soll er 100 Pieces of eight und ein Piece of eight tägliches Genesungsgeld erhalten. Jeder weitere Finger wird mit 100 Pieces of eight vergütet. 17. Der Verlust einer Hand wird genau wie der eines Armes vergütet. 18. Verliert ein Kerl beide Arme oder beide Beine und sollte er am Leben bleiben, so soll er die Summe nicht unter 15 00 Pieces of eight und das übliche Genesungsgeld erhalten.« Esquemelin macht eine kurze Pause, spricht dann weiter: »Allons vamonos, Messieurs, Gentlemen, Mynheers und Señores. Unterschreibt nun ein jeder noch die Musterrolle, wenn ich bitten darf. Mich dürstet!« 30
Der Reihe nach treten wir an den Tisch und nehmen die Truthahnfeder zur Hand. Fast alle malen nur ein Kreuz an die Stelle, die Oliviers Finger weist. Er flüstert noch einige Minuten mit dem knebelbärtigen Legrand. Der nickt, und Olivier verkündet: »Die Artikel treten in Kraft zehn Stunden vor dem Anbordgehen. Haltet euch also am dritten Tage ab heute nüchtern. Heut' und morgen könnt ihr euch noch besaufen. Die Küstenwache ist bereits verstärkt, weder Schiff noch Boot darf ab heute die Insel verlassen. Niemand soll den Spaniern drüben auf Hispaniola zutragen, was wir vorhaben. Bon!« Musterrolle und Artikel verschwinden in Legrands Blechbüchse. Barbassou und sein Neger schleppen eine ungeheure Terrine Rumpunsch herbei. Ein langer Bursche tritt in den Türrahmen und pfeift gellend auf zwei Fingern. Fernes Gekreisch, Lachen und Juchhe branden auf, kommen rasch näher. Und die Mädels von Tortuga in ihrem besten Samtund Atlasstaat drängen bunt herein in die geräumige Schankstube. Gitarren klimpern. Gesang und Würfelgeklapper. Leise und laute Gespräche, Scherze und Prahlereien. Küssen und Humpengeklirr, Parfüm und Blumenduft und Patschuli und Fettbrodem vermischen sich zum bunten, herrlichen Gewoge, das ich, so Gott will, noch oft erleben werde. Denn sattsehen und satthören kann ich mich daran nie . . . Esquemelin schwingt mir seinen Humpen entgegen: »Auf Pieces of eight und dicke Prisen! Fortuna sei hold!« Lauter tönen die Instrumente der Fröhlichkeit, schrillen und dröhnen Stimmen, und nun singt der Chor. Singen die Franzosen, Holländer und Engländer das alte Lied der jungen Küstenbrüder: »Westward ho! And Rum below! At the Dons we'll go! Yoho! Yoho, yohoiho!« . . . 31
LA BRUNA . . . ein Tag und eine Nacht sind verstrichen. Mir tut der Kopf mächtig weh. Sangaree, Toddy, Rum und schwere spanische Weine hinterlassen ihre Spuren! Eine halbe Stunde Schwimmen im Hafen würde guttun! Aber die Haie sind zu frech und unberechenbar. Unsere Neger fürchten sich zwar mitnichten vor diesen bösen Bestien, doch ist der schwarze Pompey, einer der Kühnsten und Lustigsten, erst vorige Woche als »Ragout fin noir« in einen Haifischmagen gewandert. Aber Spazierengehen, das kann man. Das wird mein Gehirn auslüften und die guten Vorsätze zurückbringen. Oh, meine Mutter, wo bist du und was tust du jetzt? Denkst du an deinen ungeratenen Sohn? Wo der Bergpfad in die Plantagen mündet, begegnet mir eine Bukaniergemeinschaft. Blutbekrustet, aber singend und tanzend während des Marsches, treiben sie eine Eselsherde, schwer mit Häuten und gleich im Gebirge getrocknetem und gesalzenem Boucan beladen, vor sich her. »He, Mac, sind Barbassous Fässer schon leer?« »Keine Sorge, Petit Jean! Barbassou hat noch Stoff genug für eure durstigen Schlünde!« »Vive Barbassou! Vive le bon vin et vivent les femmes!« Fröhlich ziehen sie weiter. Auf der schattigen Veranda eines Häuschens sitzt einer am plumpen Tisch und markiert eine große Seekarte. »Die Fahrt des Magelhaes um das böse Kap! Tierra del Fuego! Sieh nur, Mac, wäre das nicht was für uns? Kommt Zeit, kommt Rat!« lacht der graubärtige Mann behaglich, und dann trinken wir einen kühlenden Becher Toddy. Nachher schlage ich ihm freundschaftlich auf die Schulter und wandere weiter. Eine leuchtende, sonneumflossene Gestalt kommt aus der Ferne näher. Grellrote Pluderhosen, nackte Fußknöchel, gelbe weiche Schuhe, ein blaues Jäckchen mit weißer Schärpe, in der ein 32
kleines Arsenal steckt. Das braune, falkenscharfe Gesicht halb vom weißen Turbantuch umrahmt. Ali er Rachman, der Algerier! Seine Vorväter waren weise Männer an der Medresse in Granada und wurden von »los Reyes catolicos« vertrieben. Flüchteten in die wüste Berberei. Ihre Enkel und Söhne leben der Rache. Als Mittelmeerpirat begann Ali seine reifere Laufbahn, und das Schicksal schleuderte ihn nach Tortuga. Es wundert mich jetzt, daß Pierre Legrand ihn nicht angemustert hat. Ali er Rachman, ein unversöhnlicher Feind der Dons, ist tapfer und ritterlich und ein vorzüglicher Seemann. Jetzt steht er vor mir. Seine großen Löwenaugen sind heute blutiggeflammt, haben stieren Glanz. Aschfahl die Lippen. Ich weiß Bescheid, weiß nur nicht, wo er es herhat, was er da für Zauberzeug geraucht oder geschluckt hat! Haschisch? Er starrt mich an, seine Hand zuckt nach dem waffenschweren Gürtel, zuckt leer zurück. Ein Lächeln überfliegt das braune Gesicht, und langsam, wie ein Mondsüchtiger, ohne mich mehr zu sehen, schreitet Ali an mir vorbei. Ist in einer anderen Welt. Im Lande seiner Väter. Andalusien! Und ich höre ihn deutlich die spanischen Worte in einer Art Singsang sprechen: »Oh, sie ist schön wie der Mond in der Nacht des Ramadan! Ihr Wuchs gleicht der Dattelpalme! Ihre Brüste sind Moscheenkuppeln, ihre Zähne Perlen, ihre Lippen bittersüße Frucht. Ihr Gang ist der der Gazelle, und schwer wie Sandsäcke ist ihr köstlich Gesäß!« . . . Noch ein seltsames Liedchen in der kehltönig weinenden Fistelstimme der Kabylensprache! - Dann verstummt er. Leuchtend taucht Ali er Rachman in dem grünen Glanz der Pflanzung unter. Kopfschüttelnd gehe ich weiter und trete bald in Francesco Bellinis gemütliche, von einer Veranda und Tabakpflanzen umgebenen Hütte. Bellini aus dem schönen Florenz wurde vom hochlöblichen, weisen Rat jener Stadt eingesperrt, gestäupt und mit üblem Brandmal auf der Schulter gezeichnet. Bellini ist Maler. Seine 33
Frauen sind natürlich, grazil, sind fröhlich bacchantisch und nicht büßende Magdalenen. Susanna im Bade und dergleichen. Sondern singende und liebende Frauen, denen die blanke Sinnenlust aus den Augen flammt! Deren winkende Hände und lachende Lippen deutlich den Gesang des Blutes verkünden. Das darf man nicht malen dort im alten Europa! Nicht öffentlich. Wer nackte Frauen auf die Leinwand zaubert, hat ihnen ein unsichtbares und dennoch unverkennbares frommes mythisches Mäntelchen auf den schönen Leib zu klecksen. Das wissen alle großen Künstler in Holland, Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien. Und halten sich daran. Sind zwar arme Genies mit beschnittenen Flügeln, aber Hunger tut weh, und jeder will leben. Bellini ist ein Rebell! Er pinselt, was sein Genius ihm vorschreibt, und wurde deshalb wegen Ketzerei, teuflischer Unzucht und anderer aus der Luft gegriffener Verbrechen bestraft. Als er wieder freikam, sprach er seinen Fluch über die Alte Welt aus, schnitt dem übelsten seiner Richter den Hals ab und kam nach vielen Irrfahrten nach Tortuga. War zuerst Pirat, dann Bukanier und ist jetzt Pflanzer, aber in der Hauptsache Maler. Die Schiffe bringen ihm Leinwand, Pinsel und Farben. Ein Indiomädel kocht ihm und reibt seine Farben an. - Manchmal, wenn er das Brandmal auf der Schulter zu arg spürt, betrinkt er sich und macht dann eine Expedition der Raubboote mit. Wütet wie Simson unter den Dons. Meist aber sitzt er zufrieden vor seiner Staffelei. Malt die lustigen Pepitas, Juanas und wie sie alle heißen! Verdient schwere Pieces of eight damit und verschenkt diese wieder. Die Kapitäne und die modellsitzenden Mädels selber kaufen gerne seine köstlichen Gemälde. Er ist glücklich, denn er hat's erreicht. Für europäische Prüderie kam er einige Jahrhunderte zu früh in die Welt der Farben und Pinsel, aber wie es so oft der Fall ist, die Ausgestoßenen, die Piraten, Bukanier und Kurtisanen bringen ihm Verständnis entgegen . . . »Salve Francesco!« ist mein Gruß, als ich in das luftige, helle Atelier eintrete. 34
Der glattrasierte hagere Mann sitzt vor einer Staffelei. Auf dem Podium dehnt sich »La Bruna«, die schönste Mestizin von Tortuga und vielleicht der ganzen Spanischen Main! La Bruna, deren Blick die Sinne verwirrt! La Bruna, um deretwillen schon viele Männer auf Tortuga das Leben ließen . . . In goldbrauner samtweicher Nacktheit sitzt sie auf einem mit rotem Brokat bedeckten Schemel und raucht ein Cigaro - eine Hülse zusammengerollter Tobagoblätter, wie's die Indios machen. Sie lächelt mir zu. »Du kommst ungelegen, Fratello Mac!« brummt der Maestro und klatscht einen Pinsel Farbe an die Leinwand. »Ungelegen! Sonst könnten wir einen trinken und La Bruna würde vielleicht tanzen!« »Ich gehe gleich wieder, Francesco. Morgen stechen wir in See unter Legrand. Eine Galeone holen!« »Pieces of eight! Bringt Pieces of eight für mich mit!« tönt es gierig von den roten Lippen der wunderschönen Frau. Bellini schüttelt den Kopf: »Blödsinniger Goldhunger! Tiere! Doch sag, wenn ihr Glück habt - man kann ja nie wissen, vielleicht findet ihr Leinwand, Farben und dergleichen an Bord. Das bringst du mir mit. Ich male dir ein Bild dafür!« »Und Pieces of eight sollst du mitbringen! Und Schmuck und seidene Kleider und Stoffe und Schuhe. Ich würde mich erkenntlich zeigen, Muchacho mio!« tönt lockend die weiche Stimme der Bruna. »Tiere! Tiere sind's alle!« murmelt der Italiener und pinselt weiter. »Sieh mal her, Mac, was fällt dir an dem Bilde auf, soweit es fertig ist?« Ich betrachte das Gemälde. »Du hast sie von der Hinterseite gemalt. Man sieht nur das über die Schulter zurücklächelnde Gesicht - und keine Brüste und . . .« »Ebbene, ebbene! Warum immerzu Brüste! Tiere! Mierda! Die Weiber haben auch andere Rundungen. Und deswegen ist der Hauptpunkt meines Bildes der - per bacco, wie sagt ihr Seeleute noch?, ja, also der Achtersteven der schönen Bruna. - Ein 35
goldbraunes, rosig angehauchtes Gedicht. Ich habe diese Ansicht schon in der Malschule zu Florenz vertreten, daß das Schönste am Weibe das Gesäß ist. Und wegen dieser mit Künstleraugen betrachteten Perspektive haben sie mich eingesperrt. Nur weil ich hübsche Frauen von hinten male. Aber ich sage euch beiden, es wird eine Zeit kommen, wo die Menschen hinter Schönheit nicht immer gleich Gemeinheit suchen. Maledetto. Feigenblättchen ! Pah! Weg mit den Feigenblättchen!« Gurgelnd lacht la Bruna. Dann nippt sie an einem funkelnden Glaspokal. Mir fällt die Begegnung mit Ali er Rachman ein, und rasch wiederhole ich Wort für Wort. Der Maestro springt auf die Füße. »Was, der Ali? Santo Dio, das habe ich hinter dem Mauren nicht vermutet, daß er kunstsinnig ist. Wo steckt er?« »Auf dem Wege nach der Siedlung. Hatte scheint's Haschisch geraucht!« »Bei der Madonna!« schreit Bellini. Der Pinsel fliegt in die Ecke, die Palette klatscht zu Boden, und schon ist er hinaus, rennt den Pfad hinab. Wir hören ihn rufen: »Ali! Ali!« Stille. La Bruna lacht, schlüpft dann in das Brokatkleid, und ich muß ihr helfen, es zuzuknöpfen. »Der kommt nicht wieder. Wenn er nicht so herrlich malte und wenn ich nicht das Bild haben möchte, so wäre ich nicht hier. Launen hat er wie ein Maultier. Und von Galanterie keine Ahnung! Wenn eine Frau schön ist, so malt er, und sonst kümmert er sich nicht um die Schönheit. Nur malen, malen. Er ist verrückt!« sprudelt es über die roten Lippen. »Er ist ein großer Künstler!« »Bueno! Unzweifelhaft! Und ich bin eine schöne Frau! Oder?« »Ich habe noch nie eine schönere gesehen!« antworte ich und brauche nicht zu lügen. Und denke an Pepita, die . . . Wenn Pepita mit einem Vogel zu vergleichen wäre, so würde ich sagen, sie ist ein Buchfink. Und La Bruna? Ein prächtiger, schillernder Colibri! 36
Sie springt wieder auf die Füße, der Brokat rauscht, und nun schmiegt sie sich fest an mich, ihre Augen sind dicht vor den meinen. Es sind herrliche Augen! Dunkle, große Augen, in denen goldene Lichter huschen wie im tiefen Brunnenschacht, in den Sonnenstrahlen fallen. »Gibt's solche Frauen, wie ich es bin, in deiner Heimat? Wie heißt sie doch noch?« »Schottland! Dort gibt's viele schöne Frauen, aber anders als du, Bruna! Blond und rosig!« »Scotlanda? - Ein kaltes Land, sicherlich. Blond und rosig? Ich bin golden, bin lebendes Gold, und unter dem Golde schimmern Rosenblätter, sagte Bellini nicht zu mir, sondern zu dem, was er gemalt hatte, und statt einer Liebeserklärung mischte er Farben. Caramba!« Ich muß sehr lachen. Ihre Arme - wie kam es nur? - liegen auf einmal um meinen Nacken. Ihr Mund ist eine Blume. Und duftet . . . »Morgen muß ich zur See!« sage ich. Denke an wilde Gefahren, die mich bedrohen und vielleicht, es ist sogar möglich, töten werden. Und diese Frau? Verzogen, gewöhnt, alle Wünsche erfüllt zu sehen. Aus einer Laune heraus liebt sie mich nun. Wie lange? Vielleicht nur eine Stunde . . . »Morgen geht's in See!« »Morgen! Heut ist heut! Komm, Querido, komm! - Was andere mit Koffern voller Pieces of eight und einer halben Schiffsladung Häute bezahlen und es nicht immer bekommen, denn ich tue nur, was ich will - das ist nun dein. Umsonst. Muchacho mio!« Und während draußen die Papageien kreischen, fern die Brandung orgelt, sich das Sonnenlicht in den Raum stiehlt und der Besitzer des Hauses den haschischtrunkenen Ali sucht, umfängt mich der Taumel der Sinne. Schlägt wie ein bunter, duftender Blumenregen in den Armen der wunderschönen Frau über mir zusammen. Ganz ferne orgelt das Meer. - Und schweigt. Ist ausgeschaltet von der Sehnsucht zweier armer Menschen nach dem unfaßbar Göttlichen. Nur Atemzüge zittern durch das Gemach. Sonst 37
ist's ganz still, und grüngoldene Kringel wirft die Sonne gegen die hellen Wände. Über uns um uns, in uns ist Schicksal, ist ein Gott, der alles, was wir taten und tun müssen, im voraus aufgezeichnet hat. Tausend unsichtbare Blüten duften auf Tortuga. Tausend Nachtigallen schlagen in unseren Herzen. Welten versinken. »Bruna, oh, Bruna . . .« FLIEBOOT Auf der Spanischen Main, über das von scharfer Brise gepeitschte Ultramarin und die schneeweißen Schaumkämme schaukelt ein langes, schmales Fahrzeug. Ein starkgekieltes Boot, dessen leicht erhöhter, überdeckter Bug die zischenden Wogen durchschneidet. Dessen winziger Klüver prall wie ein Brett schräg gegen den Wind steht, während das große, vom niedern, umlegbaren Mast bis an das ebenfalls überdachte Heck reichende Segel sich weit über die Leeseite bauscht. Um zu verhüten, daß die Steuerbordseite unter Wasser gedrückt wird, sitzen wir in Luv auf den Ruderbänken. Achtern führt Pierre Legrand die Steuerpinne. Achtundzwanzig Männer sind wir, und Pierre, der steuert, hält gleichzeitig scharfen Auges Ausguck. Die Hälfte von uns schläft, zusammengekauert, im Sitzen. Ihre Köpfe wackeln grotesk hin und her. Manchmal verliert einer das Gleichgewicht und erwacht im letzten Moment. Blinzelt umher, setzt sich zurecht und schnarcht weiter. Esquemelin summt ein Lied von schwarzäugigen Mädchen in Honfleur. Xavier pfeift den Refrain. Sanft schlingernd stampft das Boot rhythmisch, gleich einer Schaukel, hinab in die stillen Täler und wieder nach oben auf die glitzernden Hügel der Spanischen Main. Das dunkle Segel brummt und vibriert. Und es zischt, gurgelt, murmelt, schnalzt und braust hohl das Wasser. Regenbogenschimmernde Schaumfetzen, die der Bug zerschnitt und der Luftzug zerriß, prasseln 38
achteraus. Nässen mit harten Schlägen unsere in der Tropenhitze jedesmal rasch wieder trocknenden, mit heller Salzkruste bedeckten Gesichter. Vier Tage liegen hinter uns. Zuerst begleitete uns die violette, prächtige Silhouette des fernen Hispaniola an Backbord, dann verloren wir es aus der Sicht. Gestern kam die Insel wieder steuerbords über die dunstige Kimm. Versank abermals im weißen Kielwasserstreif, als wir zweimal über Stag gegangen. Achtundzwanzig Männer auf der Suche nach einer spanischen Galeone oder Karavelle mit Hunderten Soldaten an Bord. Achtundzwanzig »Teufel«, wie die Dons uns nennen, in einem dreivierteloffenen Boot, das sie, ihre Waffen, die zehn Eschenriemen, zwei Wasserfäßchen und Boucanproviant kaum faßt. So schaukeln wir über den Ozean, Gier im Herzen, Flüche oder Gesang auf den Lippen. Wir grübeln fieberhaft: kommt der verdammte Geleitzug, von dem Spione Kunde nach Tortuga gebracht? Kommt er bald in Sicht? Oder fahren wir, was ja so leicht geschehen kann, aneinander vorbei? Trotz des sprühenden Schaums, der uns fortwährend übergießt, ist es drückend heiß. Die Duchten sind kaum anzufassen, und der Zoll Wassers, der am Boden steht, ist warm. Kühlt dennoch unsere nackten hornigen Füße. Schuhe hat keiner weder mit noch an. Die feinen Wämser, Samthosen, malerischen Stiefel, Seidenstrümpfe und Sonstiges sind auf Tortuga geblieben. Wir haben Arbeitskleider an. Weite, kaum bis zur halben Wade reichende geteerte Segeltuchhosen, an der Brust weit offene Hemden mit aufgekrempelten oder abgeschnittenen Ärmeln. Sonst nichts. Um die Hüften den breiten Gürtel mit dem schweren Entersäbel, oder wie der Engländer es neckisch nennt, dem »schneidenden Mädel« (Cutlaß). Zwei Pistolen, Dolch und Enterbeil. Auf den Köpfen die roten Zipfelmützen à la Père Barbassou. Oder lebhaft bunte turbanartige Tücher. Die pompöse künstliche Lockenpracht, die weißgepuderten Perücken sind ebenfalls zu Hause geblieben. Wer jetzt noch eine Frisur hat, trägt das eigene geteerte, hinten mit einem Schiemannsgarn39
bändel schweineschwanzartig zusammengebundene Haar auf den Rücken baumelnd. Pierre Legrand verachtet alle Mode, sei es Zopf oder Perücke. Er hat das Haar kurz geschoren und ein gelbrotes Seidentuch darumgewunden. Mit der braunen kräftigen Rechten steuert er, und seine blinzelnden ruhelosen Augen wandern ununterbrochen über den Horizont. Esquemelin ist verstummt. Dann plötzlich: Mac mon vieux, hast du angefangen, die Pergamentblätter, die ich dir neulich gab, zu bekritzeln?« »Nein, Olivier! Erst zurückkommen von dieser Fahrt, dann will ich . . .« »Auch ein Modus operandi! Aber du scheinst beinahe nicht zu glauben, daß wir zurückkommen, he?« lacht er gutmütig. Eben fuhr das Boot sausend in die Tiefe eines Kessels. Hier unten herrscht Windstille, das Segel klatscht. Bläschen prickeln und gurgeln. Empor geht's wieder, und wuchtig drückt die Brise gegen das Tuch. Schwabb! ein Brecher kam über. Fluchend schöpft jemand das Wasser aus. Ein Schläfer kollert uns zwischen die Füße, bleibt dort zusammengekrümmt in der Pfütze liegen. Und schnarcht behaglich weiter. Ich bin Olivier die Antwort schuldig geblieben. Wir müssen auf die bisherige Leeseite rutschen, die zur Luv wurde, weil Legrand das Steuer umlegte. Möwen kreischen eleganten Flugs. Der Himmel ist fleckenlos, hellblau. Die Sonne fast weiß, schmerzhaft strahlend. Und so fahren wir dahin. Achtundzwanzig Männer - über die Spanische Main.
EL SANTO NIÑO Fünfter Tag. Die Brise flaut ab, füllt aber immer noch kräftig das Segel. Wir haben eben gegessen: Boucan, Kokosnüsse, nebst Rum mit Wasser. 40
Unsere Stimmung ist gedrückt, denn man muß annehmen, daß der Geleitzug, den die Spione von Puerto del Principe gemeldet, in dunkler Nacht an uns vorbeigefahren ist . . . Zur Enttäuschung kommt noch die Erschöpfung. Fünf Tage und Nächte kauernd sitzen, ohne jemals richtig die verkrampften Glieder ausstrecken zu können, ist, wie Esquemelin sich ausdrückt: »Ein cauchemar! Eine cochonnerie!« Und wenn Flaute käme, so müßten wir rudern. Schwächer wurde die Brise. Jean kratzt am Mast, um sie wieder hervorzulocken. Im Westen glänzt der Himmel grün, schweflig und violett. Dazwischen huschen alle möglichen Farbschattierungen, in deren Zentrum die sinkende Sonne grell verblutet. Über der See flammt es wie gemünztes Gold. Schaum wird zu Rosengirlanden. Möwen, goldumrandete Märchenvögel, unwahrscheinlich weiß. Die braunen Gesichter der Männer kupfrig. Da schreit am Steuer der lange François wildjauchzend: »Segel ho ! Eins, zwei, drei Segel ! - Vier ! - Und noch mehr !« Wie ein Schlag durchzuckt es uns. Die Schlafenden sind plötzlich hellwach. Und schon kommandiert Legrand: »Schmeiß die Schoot los, Jean! Los das Fall, du, Olivier! Klüver runter, Mac!« Rauschend sinkt das Großsegel, seufzend der kleine Klüver. Zupackende Hände bergen das Tuch noch im Herabfallen. Das Flieboot schwankt stark. Gierig starren sie gen Westen, - wo die Sonnenscheibe gleich einer Blutorange langsam ins Meer sinkt. Und dort, vor dieser glänzenden versickernden Lichtquelle, ziehen Schiffe dahin ! Wir erblicken nur ihre Spieren und oberen Segel. Legrand klettert affengeschickt den stumpfen Mast hoch, hält sich oben mit der eisernen Kraft seiner das Rundholz umklammernden Schenkel, späht durch das auseinandergezogene Teleskop. Rutscht wieder herab, flucht kurz über einen Splitter in der Hand und verkündet : »Sie sind's ! Sieben große Kasten . . . !« Sieben Galeonen und Karavellen mit zusammen mehr als tausend bewaffneten Männern und Dutzenden von Bronzeschlünden, 41
Hunderten Musketen hinter festungsartig hoch auf dem Wasser schwankenden hölzernen Mauern. Und ein kleines, schmales Flieboot mit achtundzwanzig halbnackten Männern. Heißt das nicht, Gott und den Teufel versuchen? Unser Gott ist das rote Gold, das weiße Silber und die blanken Pieces of eight. Um diese zu holen und ein Schiff dazu, sind wir ausgefahren. Ließen uns von der unbarmherzigen Sonne anbraten, vom Fieber schütteln, vom Tau durchnässen. Fünf Tage und fünf Nächte hintereinander. Und nur des Goldes wegen? Vielleicht auch aus überschäumender Lebenslust und aus Romantik . . . Und gleich ist's soweit! Die Brise starb, wie so oft des Nachts in diesen Breiten. »In zwei, drei Stunden sind sie mit uns auf gleicher Höhe!« sagt Legrand. Die Sonne verschwindet. Die Nacht breitet sich köstlich aus. Blau und Silber. Das Wasser glitzert. Grünflammende Schatten schießen unheimlich in der Tiefe hin und her. Haie! Eine Schule Delphine stürmt gleich einer auf- und niedertauchenden, hörbar schnaubenden Dragonerschwadron in Kabellänge an uns vorbei, verschwindet in dunstiger, tiefer, unendlicher Ferne. Gelbe, unruhige Pünktchen blinzeln im Westen. Die Lichter der Flotte! »Macht euch langsam fertig, mes enfants!« Entersäbel werden geprüft, ob sie leicht aus der Scheide gleiten, Pulver auf die Pfannen geschüttet und neue Zündhütchen gesetzt, die Hosen umgekrempelt. Einige werfen die Hemden ab, bieten die nackten, muskelstrotzenden Oberkörper dem Sternenlicht dar. Jean spuckt in die schwieligen Hände. »Herhören!« Wieder spricht Legrand: »Mes enfants, wir werden eines der Schiffe - das letzte in der Reihe - überraschen. Ihr wißt, was das heißt! Siegen oder sterben! Meine Braven, damit wir besser kämpfen können und müssen, wollen wir, ehe wir an Bord klettern, das Boot unter unseren Füßen absaufen lassen. Hat jemand was dagegen?«*) *) Historisch
42
Stumm schauen wir uns an. Sternenschein liegt auf den dunklen Gesichtern. Und dann peitscht ein Schrei über das eintönige Sausen der See. »Pieces of eight! Pieces of eight! Wir holen sie uns! Und den Kasten dazu!« »Brav!« nickt Legrand. Ich habe eine sonderbare Leere im Magen. Sind wir verrückt? . . . Pepe, der Proviantmeister, verteilt Rum mit Wasser. Das Sausen des Meeres verstärkt sich. Die Nachtbrise frischt auf, und hohl klatschen die Wogen. Der Klüver wird gehißt, langsam taumelt das krängelnde Boot in Fahrt. Steuerbords schäumt es blendend weiß auf, breitet sich über die Kimm, und plötzlich schiebt sich der Mond aus den Fluten. Legt eine herrliche Silberstraße darüber. Eine Straße, der ich folgen möchte, friedlich schaukelnd, pfeiferauchend, übers Meer, bis in alle Ewigkeit . . . Weit weg blinzeln die Augen der Schiffe. Blinzeln bösartig rotunterlaufen. Ein Schiff, zwei und mehr. Das siebente ist am entferntesten. Und dieses soll unser werden! Ob die Dons scharfen Ausguck halten? Eine Stunde verstreicht. Qualvoll langsam. Über uns gleißt das Wunder der Milchstraße. Auch eine Straße der Romantik, der ich . . . Der Mond schwebt wie ein riesiger Opal über dem Ozean und seine Lichtbahn wird länger und mächtiger. Die Schiffe kommen näher. Zeitweilig blinken die Segelpyramiden, und es ist, als ob stille Schwäne übers Meer strichen. Einer, zwei, sechs. Und hinten, weit hinten, der siebente. Auf den halten wir zu. »Wir müssen rudern! Sacré!« knurrt Legrand. Sechs lange wippende Eschenriemen, jeder von vier kräftigen Armen bewegt, stoßen nun das Boot durch flüssiges Silber. Es tropft, gleitet und schäumt von den Ruderblättern, und dort, wo sie ein- und austauchen, breiten sich wirbelnde, langsam vergehende Kreise. Nach einer halben Stunde ziehen wir die Riemen ein. Dwars ab 43
gleiten die dunklen Rümpfe mit hellschimmernden Segeln und winkenden Lichtern vorbei. Einer, drei und mehr. Und weit, weit hinten der siebente. Eine weitere halbe Stunde höchstens, und wir werden entern und . . . Pepe verteilt abermals Rum mit Wasser. Schweiß läuft mir den Rücken hinab, beizt in meinen Augen und schmeckt salzig auf den Lippen. Meine Hose klebt an der Ducht. »Klüver runter! Mast umlegen!« befiehlt Legrand. Das Boot schwankt direkt im Kurs des anpeilenden Dons. Die anderen sind längst vorbei, werden wieder Zauberschwäne, die uns das schmale, hohe Hinterteil zukehren. Mächtig wächst der siebente uns entgegen. Hoch - wie wollen wir da hinauf? - ragt sein Bord. Die Wasser gleißen und schillern, aber wir liegen nicht mehr in der grellen Mondbahn. Ob die Dons guten Ausguck halten? Wir flüstern nur noch. Haben die Enterbeile in der Rechten, ziehen die Gürtel strammer. Jean klemmt probeweise seinen Dolch quer zwischen die Zähne. Minuten nur noch. Dekaden! Jahrhunderte! Äonen! Unsäglich quälend langsam. Dunkel drohend ist die Silhouette des großen Schiffes, das schräg auf uns zukommt. Etliche helle Mondkleckse liegen in der Takelage. Grell leuchten die Lampen, und am Vordersteven schäumt eine Silbermähne. Ob die Dons wohl scharfen Ausguck halten? Oder verdauen sie gerade das Abendbrot? Hohl stöhnt die See. - Jetzt! Legrand und noch einer ziehen die Propfen aus den Bodenplanken. Langsam strömt das Wasser ein, netzt bald unsere Fußknöchel, schmatzt und klatscht beim Schwanken des Fahrzeugs, steigt. Wasser, Wasser, steige, steige. Wir werden dich dennoch narren! Gemächlich torkelt das Schiff heran. Mächtig und düster, wie ein drohender Turm, neigt es sich uns entgegen. Und ich möchte laut schreien, schreien und . . . Minuten werden Welten, die im Wogenklang vergehen. Über uns wirbeln die Sterne. 44
Oh! . . . Eine hohe Wand, gegen die das Wasser brandet, und in deren Gebälk es ächzt und laut knarrt, wuchtet vor uns. Dann über uns. Legrand läßt keine Sekunde die Pinne los. Hart an uns streicht es rauschend vorbei, ein Luftzug fächelt, der Sog zieht uns an, stößt uns wieder zurück. Doch dann hängt das Boot, wird mitgerissen! Klebt wie das Waljunge am Busen der Mutterkuh an der schwarzen Plankenwand. Der dumpfe Schlag des eindringenden Enterbeils, das uns am Schiff festhält, geht unter im Rauschen und Rascheln der Wogen, Knarren und Poltern des hölzernen Schiffsleibes. Unser Boot ist dreiviertel voll Wasser, jeden Augenblick kann es absacken. Schon klettern wir an den breiten, ausladenden Erkern, Kanten und Schnitzereien - kaum daß wir die Enterbeile als Halt benützen müssen - das Vorderkastell hoch. Gurgelnd versinkt das Boot in der Tiefe. Achtundzwanzig barfüßige, schwerbewaffnete Männer, die ihr Leben in den Händen tragen, schwingen sich gespensterhaft an Deck. Ein Ausguck, der friedlich auf der Taurolle schlief, stöhnt kurz auf, als ein Messer in sein Herz fährt. Mittschiffs ist leiser Gesang. Gitarrenakkorde und Plaudern. Das Deck ist fast leer, nur eine Gruppe Matrosen vergnügt sich dort. Nirgends ein Posten. Die Dons wähnen sich so sicher wie in der Hosentasche des lieben Gottes. Nochmals raunt Legrand seine Befehle, die wir auswendig wissen. Zwei Mann klappen die Vorderkasteiluke zu, schlagen leise die Keile ein. Bleiben als Wachen stehen. Wir andern huschen in lautlosen Sprüngen die Treppe nach unten aufs Mitteldeck. Entsetzt fahren die spanischen Matrosen auseinander. Enterbeil und Säbel wüten schnell und tödlich unter ihnen. Ein paar halberstickte Schreie, Keuchen und Poltern. Einige entkommen, purzeln wimmernd die Leitern in den Raum hinab, und gleich knallen die Lukendeckel hinter ihnen zu, werden die Keile festgetrieben. Der Rest ist tot und ergibt sich mit schreckstarrenden Gesichtern. Rasch werden Fesseln angelegt. 45
Wie Höllenspuk sind wir aus dem Meere tauchend an Bord gefallen, wie entsetzliche Dämonen müssen wir den armen Kerlen erscheinen. Die Angst hat ihnen die Sprache verschlagen. Wir legen sie nebeneinander an Deck, stellen die Wachen neben sie und an die Luken. Man raunt den Gefangenen zu, ja keinen Laut von sich zu geben, denn sonst . . . Auf dem Hinterkastell lacht jemand gedämpft. Dann knallt ein Schuß und eine Stimme stöhnt: »Ayuda! Los diablos son aqui! Ai, Mama!« Ich bin unter denen, die mit Legrand und Esquemelin das Achterdeck emporstürmen. Dunkle Gestalten taumeln uns entgegen. Scharf schmettert Stahl gegen Stahl. Einige entsetzte Schreie. Noch ein Pistolenschuß. Dumpf fallen Körper auf die Planken und im Meer klatscht es mehrmals vernehmlich auf. - Stille. Dann das Knarren der Rahen, Ächzen der Balken, Summen der Leinwand, Wogenschnalzen und Windsausen, durch die Mondnacht wehend, ein Ganzes, eine Symphonie von tiefer, unaussprechlicher Traurigkeit. Lachend steht Jean am Ruder, bindet es fest. Ist alles ein Traum? Nein! Denn wir sind Herren des Schiffes, was die Decks anbetrifft. - Die in der Kajüte müssen taub oder betrunken sein! Halblaut ruft Legrand über Deck: »Laßt die Kerls unten nur klopfen. Und sollten sie die Luken wirklich aufkriegen, so gebt's ihnen auf die Köpfe!« Dumpfes Geschrei und Gepolter unter Deck verkündeten, daß die Eingeschlossenen sich ihrer Lage bewußt wurden und nun versuchten, die Freiheit zu erringen. Das wird ihnen nie gelingen! Selbst wenn sie die Lukendeckel zerbrächen, könnte nur immer einer auf der schmalen Leitertreppe an Deck kommen, und diesem eins auf den Kopf zu geben, wäre Kinderspiel. Vollständig haben wir aber das Schiff noch nicht. Es ist eine große Karavelle mit drei Masten, und sicher sind Hunderte von Soldaten unter Deck eingesperrt . . . Alles ging so rasch, viel, viel schneller, als ich es hier beschreiben kann. 46
Noch zählen wir ein Dutzend - die andern halten Wache an den Luken. Und das gespenstische Schattenspiel der Tropennacht, das wilde Tun der Männer, die aus dem Meere tauchten oder, wie die Spaniolen denken müssen, vom Himmel fielen, geht weiter. Die Fortsetzung wird sich bei Licht abwickeln. Pistolen schußbereit in den Fäusten, Dolchmesser zwischen den Zähnen, so laufen wir hinter Legrand in die Kajüte hinab. Ein uns entgegenkommender Aufwärter schreit, fällt dann jammernd auf die Knie. »Misericordia! Misericordia!« Ein Entersäbelhieb läßt ihn verstummen, er rollt vornüber aufs Gesicht. Ach, Pepe, war das nötig? . . . Krachend fliegt die Tür auf, und hinter Legrand drängen wir hinein. Fünf von uns fassen in den Gängen Posto; eine in den Schiffsbauch führende Luke wird eilends zugemacht. Bei feenhafter Kerzenbeleuchtung sitzen sie in der Kajüte am runden Tisch. Vier knebelbärtige, in Samt und Seide gehüllte Caballeros und ein weißgekleideter Mönch, der in seinem Sessel eingenickt ist, spielen Karten und nippen Wein. Sind halb angetrunken. Der Mönch zuckt hoch. Und alle starren sie uns an, als ob wir Gespenster wären! Der Mönch schlägt Kreuz nach Kreuz. Legrand stürzt auf den einen los, dem an goldener Kette ein goldenes Schaf oder ein Widder auf die Brust baumelt und der am reichsten gekleidet ist. Leise murmelt der Padre Gebete, läßt die Perlen seines Rosenkranzes durch die zitternden Finger rollen. Einer der anderen greift mechanisch nach dem gefüllten Pokal, läßt ihn fallen, und dunkelrot ergießt sich der Wein über das kostbare Damasttischtuch. »In manus tuas!« flüstert der Priester bebend. »Señor, rindese Usted, mi jente tiene el barco! Somos muchos! Rindese, ó la muerte!« brüllt Legrand und setzt dem Goldgeschmückten die Pistole auf die Halskrause. Der Spanier erhebt sich halb, sinkt zurück. Die andern, von unseren Waffen bedroht, rühren sich nicht, glotzen uns alle an. Stumm, ohne Seufzer. Endlich kommt es über die blassen Lippen des ernüchterten 47
Kommandanten: »Que nos salva Jesuchristo! - Son diablos estos ó quienes son?« Breit lachte Legrand: »Nein, Señor, wir sind keine Teufel. Nur ehrliche Tortugamänner! Ihr Schiff ist mit großer Übermacht von uns genommen. Jeder Widerstand ist Selbstmord. Die Luken sind verkeilt, und alle Ihre Soldaten unter Deck eingeschlossen. Ergeben Sie sich, Señor!« Leben kommt in die Dons. »Caracho!« flucht einer und langt nach einer Pistole, die auf einem Tischchen liegt. Ein Hieb mit der flachen Säbelklinge läßt den Mann ächzend zurücksinken. Er hält sich den Arm, beißt die Zähne zusammen. »Rindese, Caballero«, fordert Legrand wieder ernst und drohend diesmal. Der Kommandant beißt sich die Lippen blutig. »Ist das Schiff wirklich genommen? Ehrenwort, Señor?« Legrand nickt: »Auf Ehrenwort eines französischen Tortugakavaliers, Señor Commandante!« Mannigfache Gedanken spiegeln sich in dem stolzen, blassen Gesicht des Spaniers. Scharf zieht er den Atem ein. Im Gebälk rumort es. Ein Heimchen singt, die Kakerlaken rennen. An Deck wimmert jemand leise. Und wieder kommt es über die Lippen des Mannes, der seinem König eben ein Schiff verlor: »A buena querra, Señor. Wenn es so steht, übergebe ich mich und appelliere an die französische Menschlichkeit. - Was haben sie mit meinen Leuten vor, Caballero?« Legrand läßt die Pistole sinken. Er verbeugt sich. »Wir werden euch alle wohlbehalten auf Hispaniola an Land setzen!« »Parola de honor?« »Mein Wort! - Bitte, legen Sie den Degen ab, die übrigen Herren auch. Der Padre kann seine geistlichen Waffen behalten. Und dann bitte ich Sie, Señor, mir an Deck zu folgen!« Olivier flüstert mir zu: »Mordioux, was sagst du dazu, Mac? Wirst du das aufschreiben?« »Und ob!« antworte ich leise, und meine Augen verschlingen das unwirkliche und doch so wahre Bild vor mir: die blassen Spanier, die halbnackten Bukanier . . . 48
»Jean und Xavier! Ihr bewacht die übrigen Herren hier. Sammelt die Degen ein! »Señor Commandante, bitte folgen sie mir!« Der Don verbeugt sich leicht. Legrand verbeugt sich ebenfalls, und einander bekomplimentierend gehen sie hinaus: der geschniegelte, stolze Spanier und der halbnackte, schweißbedeckte Freibeuter. Gefolgt von uns. Einer nach dem andern steigen wir über den armen Teufel weg, der in einer Blutlache im Korridor liegt. - Pepe, ach Pepe, war das denn nötig? . . . Wir treten in die mondhelle Tropennacht. »Bill, ans Ruder! Kurs: Osten zu Norden! Aber laß den Kasten nicht durchgehen und aus dem Winde fallen!« »Osten zu Norden, allright!« wiederholt Bill. Dem Spanier entringt sich ein Seufzer. Schmerzlich tief. Er überblickt das Deck, sieht deutlich die im hellen Mondlicht sich abzeichnenden stillen Gestalten seiner gefallenen Leute, sieht die paar Gefesselten und die wenigen schwerbewaffneten Brüder der Küste, die Wache stehen. »Señor! Um der Madonna willen! Wie viele seid ihr denn?« Legrand lacht: »Achtundzwanzig, Señor!« »Madre de Dios, ich habe meine Ehre verloren! - Wissen Sie, daß ich über hundert Musketiere und Arkebusiere habe, und viele Seeleute dazu?!« »Unter Deck, Señor. Und hilflos!« »Caballero, Sie sind ein - ihr seid Teufelskerle!« ertönt ein widerwilliges Lob von den Lippen des Spaniers. Legrand verbeugt sich: »Ich warne Sie aber, Señor. Machen Sie keine Torheiten, und rufen Sie Ihre Leute ja nicht zum Widerstand auf. Es wäre nutzlos, und um Sie sollte es mir leid tun!« Sein Pistolenhahn knackt. Der Don richtet sich auf. Unsäglich verächtlich spricht er langsam : »Señor, Sie haben mir durch eine Lüge die Ehre gestohlen, aber ich habe Ihnen mein Wort gegeben!« »Bueno! Dann kommen Sie!« Hinter den beiden her gehen wir an die erste Luke. Dumpf poltert es unten. Der eine Wachthabende lacht: »Hörst du, Pierre, wie sie singen?« 49
Der Kommandant bückt sich, klopft mit der Faust auf die Deckel. »Silencio! El Commandante Don Alonzo de Guzman habla! Hört!« Unten wird es still. Und nun spricht der Spanier, während seine Augen uns tödliche Blitze zuschleudern, Wort für Wort nach, was Legrand ihm vorsagt: »Legt eure Waffen in die Kammer und geht schlafen. Bei Sonnenaufgang wird einer nach dem anderen an Deck gelassen. Man hat uns ehrenwörtlich versprochen - und ich hege keinen Zweifel, daß dies Versprechen gilt - uns auf Hispaniola an Land zu setzen!« Dumpfe Gegenfrage ertönt, und geduldig erklärt der Don nochmals das gleiche. Endlich haben sie verstanden und es wird ruhig unter Deck. Nur noch ein leises Summen, wie von einem eingeschlossenen Bienenschwarm. An den anderen Luken wiederholt sich alles. Erklärung. Frage und Antwort. Stille. Don Alonzo wird in die Kajüte zurückgeführt. Er sinkt in seinen Sessel, faßt sich wiederholt an die Stirn. »Señores, es ist unglaublich!« »Aber wahr!« sagt Olivier leise und wie mitfühlend. »Ich werde Sie und Ihre Offiziere sowie den Padre in der Kajüte bewachen lassen. Sie mögen schlafen oder Karten spielen oder trinken. Es soll Ihnen an nichts fehlen. - Pepe?« »Mon Capitaine?« »Mit Xavier und Francois bewachst du die Señores. Beleidigt sie nicht, aber laßt sie auch nicht aus den Augen, ja?« »Bon! - Bon! - Bon!« Legrand, Esquemelin und wir anderen gehen an Deck. Ich sehe noch, zurückblickend, wie der Kommandant brütend, mit zerquältem, schweißbedecktem Gesicht am Tisch sitzt. Sehe seine Hände sich krampfhaft schließen und öffnen. Armer Teufel! Und stehe an Deck. Schwitzend, staunend, von herrlichem Triumph erfüllt, vor Freude wie betrunken, stehe ich mit den anderen im Mondlicht. Plötzlich bricht Legrand in donnerndes Gelächter aus. Und wir 50
lachen mit. Und Rudersmann und die Posten überall - alles lacht. Das frohe, unbekümmerte Gelächter der Tortugamänner, die den Einsatz gewonnen haben, brandet über die Karavelle, deren Segel klatschen und deren Rahen ächzen. Legrand wischt sich die Tränen aus den Augen. »Kinder, das ist einfach toll! Dieser Kasten, wie heißt er noch?« Sein Blick fällt auf die reich geschnitzte, bunte Figur an der Kampanjetreppe: »Ah, El Santo Niño! - Dieses Heilige Kind gehört uns! Uns! Und keiner der Unsern hat nur einen Kratzer abbekommen. Nom de Dieu, ist so was schon dagewesen?« Jean ruft: »Vive Legrand!« Und »Vive Legrand!« schreien wir alle. »Und nun, mes enfants, haltet gute Wacht, ich werde für Wein und Essen sorgen. Aber besauft euch nicht. - Ich will den Kommandanten fragen, was das Heilige Kind geladen hat. Hoffentlich Gold und Silber!« »Hei, Pieces of eight! Pieces of eight! Goldene Eskudos! Goldene Achtrealenstücke!« brüllte Jean, und abermals dröhnt Legrands gutmütiges Lachen übers Deck. Das Heilige Kind steuerte seinen neuen Kurs, der es von den anderen Schiffen, die außer Sicht sind, entfernt. Lustig klatschen die Wellen, tief brummen die Segel, der Sog murmelt geschäftig. Überm Meer gleißt der Mond, funkeln die Gestirne der Tropen. Heiliger Dunstan! Ist's Wahrheit, oder träume ich in den Armen der Bruna auf Tortuga? . . . Der Rudermann singt: »En avant mes bons amis! Tititumtata, tatatumtata!« Ein spanischer Bedienter - sie haben ihn sicher in der Anrichte oder sonstwo versteckt aufgefunden - kommt aus der Kajüte. Er bebt am ganzen Leibe vor Angst, trägt in den zitternden Händen volle Schüsseln und Flaschen und - oh, sagte ich nicht einmal, daß Tabak die Speise der Seele sei? Und mußten wir nicht unsere Pfeifen entbehren während der langen Bootsfahrt? 51
Jener Bediente hat auch ein Körbchen mit krausem Tabak und langen holländischen Tonpfeifen. Das verdanke ich sicher Esquemelin, der mit Legrand in der Kajüte steckt. »Her damit, Muchacho!« Der Mann blickt mich aus großen Augen an. Ich wähle eine Pulle Wein, etwas Gebäck und eine Pfeife nebst Tabak. Der Mann eilt in die Kajüte und kommt mit einer brennenden Kerze zurück. »Brauchst keine Angst zu haben. Wir tun euch nichts, wenn ihr vernünftig seid. Werden euch bald an Land setzen!« »Der Heiligen Jungfrau sei gedankt!« murmelt der Muchacho, und geht dann weiter an die Verteilung. Ich nehme einen tiefen Schluck. Zünde dann die Pfeife an. Ah! Ah! Der Rudermann hinter mir trinkt aus einer Flasche. »Alicante!« sagt er vergnügt aufstöhnend. »Alicante!« Vorne tinkelt eine Gitarre, und einer singt ein süßes Provenceliedchen. Die Wellen klatschen, die Rahen stöhnen, und das Mondlicht wühlt wie besessen in einer tiefen, ungeheuren Gruft voll gemünzten Silbers . . .
PIECES OF EIGHT! . . . Hispaniola liegt seit sechs Stunden an Steuerbord. Voraus prangt purpurschattig die Felsbastionen von Tortuga. Unsere Gig hält, einen Schaumstreifen wie frischgefallenen Schnee in der Kielbahn, tief unter prallem Segeldruck auf die Bukanierinsel zu. Die kleine Nußschale hat schwere Ladung. Säcke, Kisten mit Delikatessen und Wein von El Santo Niño. Dazu starke Segeltuchbündel voller Pieces of eight, Gold- und Silberbarren und sogar einige Rollen Malerleinwand, die ich für Bellini mitgenommen habe. Ich schnitt sie an Bord einfach aus dem Rahmen; der Mann aus dem heiteren Florenz mag die Heiligen überpinseln oder die Rückseite bemalen. Die Gig ist so voll, daß Esquemelin und ich kaum Platz haben. 52
Zwischen uns beiden türmt sich die Ladung. Gute Brise weht, und nach zwei Stunden werden wir wohl in den Hafen laufen. Der Franzose hockt im Bug und raucht Pfeife. Ich, im Heck, steuere und rauche Pfeife. Von Zeit zu Zeit prosten wir uns lächelnd aus den Flaschen zu, deren jeder eine neben sich hat. Auch wechseln wir miteinander zuweilen über die Kisten hinweg Scherzreden. »Du, die werden Augen machen, sacre Dieu!« brüllt er, heute schon zum zwanzigsten Male. Ich muß immer wieder lachen. Und singe dann anzüglich: »Westward ho! Yoho!« Olivier feixt: »Von wegen! Eastward ho! fährt die ganze lustige Bande auf El Santo Niño. Nach Osten, nicht nach Westen!« »Bereust du's?« »Ach wo! Meine Zeit in der Spanischen Main ist noch nicht abgelaufen. Und es gibt Fische - Fische - verflucht! Wie heißt euer englisches Sprichwort doch?« »Es sind noch ebenso viele Fische in der See, wie herausgenommen wurden. Das hieße in unserem Fall, daß noch viele spanische Schatzschiffe und Abenteuer die schwere Menge auf uns warten!« »Ja, so ist's! Und ich wünsche den Burschen Glück und guten Wind und gute Ankunft!« Er stopfte die Pfeife, lehnte sich aus dem Wind, um Feuer zu schlagen. Und so fahren wir auf das ragende Tortuga zu. Eine kleine Gig voller Leckerbissen und Gold und Silber. Der französische Historiker Alexandre Olivier Esquemelin aus Honfleur und ich. - Die andern? Heiliger Dunstan! Hei, das ist eine kostbare Geschichte! Und heute noch, beim Niederschreiben, muß ich schmunzeln, und meine Feder hüpft mutwillig übers Pergament . . . Doch hört nur: Tag. Beigedreht schwankte das knarrende Heilige Kind in unserer guten Obhut auf gläsernblauer Dünung. Der Himmel war ein helles, mit dichten Weißgoldfäden durchwobenes Netz. Und die Luft heiß, so heiß, daß der Teer zwischen den Planken hervorkochte. 53
Einer der Unsern saß mürrisch neben dem festgebundenen Steuerrad. Ein anderer hockte ebenso mißmutig auf Ausguck im Mastkorb. Sonst waren die Decks und Kastelle des El Santo Niño gespenstisch leer. Die Dons: Kommandant, Offiziere, Padre, Wundarzt, Soldaten, Kanoniere und Matrosen und was sie sonst noch sein mochten, waren kunterbunt unter Deck eingesperrt, nachdem die Entwaffnung und Sicherstellung aller tödlichen Geräte beim ersten Morgengrauen stattgefunden. - Ich denke immer noch an die Gesichter der Kerle, als sie unsere geringe Zahl sahen. - Schade, daß Bellini nur Frauen malt, sonst müßte er mir das Bild anfertigen! Und wir übrigen sechsundzwanzig - denn zwei weilten ja an Deck - wühlten im Golde! Tauchten unsere nackten teerbeschmierten Arme bis an die Achseln in Fässer, die randvoll blitzender Pieces of eight waren! Griffen Hände voll heraus, ließen sie, dabei kindlich lachend, als Goldregen zurückklirren. Betrachteten staunend die Stapel unscheinbarer matter Goldbarren und die Stapel grauer zinnartiger Silberingots. Bogen spaßeshalber das weiche Metall aus der Fassung. Sangen, jubelten, schrien, knallten einander die Fäuste auf die Schultern und tanzten umher. Es war märchenhaft. Noch nie hatte einer von uns soviel Gold und Silber auf einmal gesehen! Denkt doch nur: achthunderttausend blanke Pieces of eight! Wir zählten sie zwar nicht gleich, aber die Aussagen des Kommandanten und seine Bücher logen nicht. Dazu fast zweitausend schimmernde Perlen - worunter recht ansehnliche - von Santa Margarita! Und viele Dutzende Arrobas (Maultierladungen) Gold- und Silberbarren. War es denn möglich? . . . Oh, mich hat die Freiheit und der süße Zauber der tropischen Palmengestade in die Spanische Main gelockt, wird mich immer und ewig gefangenhalten. Die verbissene, blutvergießende Jagd der Menschen nach Gold kann ich dagegen nur teilweise verstehen. Jedoch hier an Bord dieser auf so unwirkliche Art ein54
genommenen Prise, wo ich das gleißende Metall fässervoll und stapelweise vor mir sehe und das tollmachende, goldene Klirren und Klingeln in den Ohren habe, da packt auch mich die unheilvolle Magie dieses seltsamen Menschheitsfluches. Gold! Gold! Pieces of eight ! Hei ! wie das kungelte und tönte ! Und blitzte und glänzte ! Und wie gewichtig und erregend es sich anfaßte! Oro y Plata, del mundo nuevo . . . Jean und drei andere hatten trotz der nicht ernstgemeinten Flüche Legrands eine der Tonnen umgeworfen. Klingend und rotaufglühend rollte es nach allen Seiten, schäumte an den engen niedern Wänden empor, rauschte hell zurück und dann - wälzten sich die vier Burschen wie spielfrohe Kinder im Golde. Badeten in Goldstücken. Und Legrand, dessen Hand schon an der Pistole zuckte, ließ sie wieder sinken und er grinste, als er die kindlichfrohen Gesichter der Männer sah. »Nom de Dieu ! Nom de Dieu !« frohlockte Esquemelin eintönig und merkte gar nicht, daß er dabei mechanisch an der erkalteten Pfeife sog. »Für meinen Anteil kauf ich mir ein Schloß in Devonshire!« schrie Bill laut. Ein anderer : »Nach Paris ! Nach Paris !« François : »Im Haag zwischen den Tulpenfeldern lebt sich's auch nicht schlecht! Verdoomd, wenn ich's nicht tue!« Ein dritter, mit verzückten, in weite Fernen blickenden Augen : »Samt und Seide und Perlen und Geschmeide sollst du tragen und mich dafür nicht mehr verlassen. Ah, du, du!« . . . Der vierte: »Mutter, liebe Mutter, nun kann ich dir's schön machen, und du verzeihst mir« . . . Goldstücke sangen und tönten die ganze Zeit unter den schweren Körpern der Männer, die sich darin wälzten. Das Schiff stöhnte, schwankte hin und her, und es war heiß, heiß - und die Kugellampen strahlten gelbes Licht über das rotaufglühende Gold. Verwandelten alles in eine phantastische, schimmernde Hölle. Ich seufzte, denn auf einmal beschlichen mich merkwürdige Ge55
danken. Ich war weder traurig noch froh und spürte, wie eine dumpfe Gleichgültigkeit gegen das Gold in mich einzog und wie etwas anderes, Schöneres, immer leuchtender von meiner Seele Besitz ergriff. Und wußte plötzlich : was ist alles Gold der Erde gegen die Schönheit des ewig wechselnden Meeres der Tropen? Und gegen ein Glas Wein in lustiger Gesellschaft, eine Pfeife Tabak bei einem guten Buch, oder ein lachendes, blitzäugiges Frauenantlitz? Könnt ihr mir das sagen? . . . Ich stopfe meine Pfeife, und meine Hände zittern nicht beim Feuerschlagen. Und beginne zu qualmen. Und schreite langsam der Schwelle zu, mich zieht's hinauf in die frische Luft, in den Glanz des Naturgoldes am heitern Himmel. Ich will die Möwen sehen und das Meer. - Das Geld in der Schatzkammer ist unser, das läuft ja nicht mehr weg. Aber ununterbrochen wechselt das Zauberkleid der Natur, und schade um jeden Augenblick, den man dabei versäumt. »He, Mac, das bißchen Oro scheint dich ja nicht sonderlich aufzuregen?« staunt Legrand; seine Augen glitzern wie im Fieber. »Es sieht sich sehr hübsch an, soviel auf einem Haufen ! Und klingelt lustig! Aber nun habe ich's gesehen und schätze, daß man zwar gegen Gold alles geeigneten Orts zu kaufen vermag. Aber essen oder trinken kann's keiner!« »Kaltblütiger junger Teufel!« schmunzelt Esquemelin, bückt sich dann und wühlt wie behext in Pieces of eight. »Geht denn keiner mit nach oben? Die beiden an Deck wollen gewiß auch den Schatz sehen !« Ich steige über die Schwelle, und da niemand antwortet, gehe ich weiter durch den engen Korridor und klettere die Leitertreppe hoch an Deck. Das ganze war unheimlich ! Dieses Schiff, außer jenen Männern die wie Meeresphantome die Dons überrumpelt hatten und die jetzt der Goldrausch in seinen Klauen hielt, schien ausgestorben zu sein. Bis auf die zwei Wachehaltenden und mich! Und dennoch steckten fast zweihundert Menschen im untersten Raum. Ohne Waffen zwar, aber voll Haß und Zorn gegen uns, schmiedeten sie gewiß Pläne, wie sie die Schmach abwenden könnten. Und wenn es ihnen gelänge, sich zu befreien? Die Eroberer er56
götzten sich ja zeitvergessen am teuflischen Golde ! - Und wenn jene uns dann durch ihre Übermacht einfach erdrückten? Oder wenn es einem Fanatiker gelänge, zur Pulverkammer vorzudringen, das Schiff und alle in die Luft zu jagen ! Don Alonzo de Guzman, dessen goldenes Schaf - es ist der hohe Orden des Goldenen Vlieses - jetzt an Legrands Brust baumelt, traute ich's zu. Und es wäre nicht das erste Mal, daß solches auf hoher See geschähe . . . Der Mann neben dem Ruder blickt erwartungsvoll empor. »Nun?« knurrt er und Gier flammt lichterloh in seinen Augen. »Geh nur runter und schau dir's selber an. Pieces of eight und Barren. Gold und Silber, genug, sich darin zu wälzen !« Ein Schrei! Wilde Freude, noch durchzittert von Unglauben. Und dann stürzt er mehr, als daß er klettert, die Lukentreppe hinab. Der Ausguck kommt aus dem Mastkorb an Deck. Er hat etwas gemerkt. »Was gibt's Mac, hat die Kuh goldene Zitzen?« »Eine ganze Kammer voll!« brüllte ich zurück. Er schleudert seine rote Zipfelmütze in die Luft, tanzt wie ein Verrückter umher. Ich warne: »Warte lieber, bis du abgelöst wirst, das Gold läuft ja nicht davon. Denke an unsere Statuten. Legrand versteht keinen Spaß in solchen Sachen. Bleib an Deck !« Er stößt den Musketenkolben wütend gegen die Planken: »So soll der Hurensohn, der mich ablöst, sich beeilen. Verdammter Dreck !« Fortan spähte er, statt übers Meer, unverwandt nach der Luke, die zum Schatzgewölbe hinabführte. Ich holte mir eine Pulle Claret aus der Kajüte und schlug ihr den Hals ab. Damit und mit meiner qualmenden Pfeife setzte ich mich behaglich neben das Steuer. Prachtvoll war's, derart zu sitzen, zu rauchen, träumen und trinken, während El Santo Niño sanft schlingerte und die Musik des hölzernen Schiffsleibes, der Segel und des Meeres einen einlullte. Ungefähr jede dritte Minute brüllte der empörte Ausguck: »Kommt denn noch keiner von dem faulen Pack? He?« 57
Am Heck flatterte und knallte an Stelle des niedergeholten mächtigen gelbrotgoldenen Banners von Castilia und Leon die kindliche, aber von düsterer Tradition gezeichnete Flagge der freien Brüder der Küste. Weißer Totenkopf und gekreuzte Knochen auf schwarzem Grunde. Wenn ich könnte, so würde ich meine eigenen Farben in der Spanischen Main hissen: auf weißem Grunde eine vielfarbene, seltsam schöne Blüte. Die Blume der Romantik, die alle Poeten und die Bücher blau nennen, während sie doch in Wirklichkeit - für den, der sie fand ! - in allen bunten Tönungen glüht und funkelt . . . Bumm! - Joseph, dem die Zeit zu lang wurde, hatte vor Ungeduld und Wut seine Muskete losgeknallt. Grinste nun nach mir zurück. Und richtig: wie Figuren eines Puppenspiels auf St. Bartholemew's Fair zu London schnellten hintereinander Legrand, Esquemelin und Jean aus der Luke. »Versuchen die Dons Unsinn?« »Nein, nein, Pierre!« beruhigte ich, und Joseph brüllte dazu: »He, Pierre, mir ist mal aus Versehen - weißt du, ich stampfte den Kolben zu sehr auf - die Kanone losgegangen. Ich halte nämlich Wache. Dienst ist Dienst, Gold ist Gold und Rum ist Rum !« »Das kannst du deiner Großmutter erzählen, alter Filou! Aber marsch, schau, daß du runterkommst, Gierschlund. Sieh dich unten satt!« erwiderte Legrand. Joseph sauste wie der Blitz die Treppe hinab, rannte über Deck, dann die Kampanjetreppe hoch und tauchte ins Luk. Kopfüber schien es mir. »Prost! A votre santé, messieurs!« Ich nahm einen Schluck, qualmte weiter. Hellauf lachte Esquemelin. Legrand schaute mich belustigt an, warf einen Blick über die See und nach den oberen Segeln. »Bist der Jüngste von uns und doch der Vernünftigste. Macht dir denn das Gold nichts aus, Mann? Wirst du nicht verrückt dabei?« »Ein bißchen, Käpten, ein bißchen. Ich bin eben noch zu jung. Wenn ich älter werde, wird's wohl ärger kommen!« 58
»Wer? Was?« »Der Golddurst. Vorerst bin ich zufriedener mit Palmen, Blumen, Früchten, einem Kuß roter Lippen nebst einem guten Schluck und viel Freiheit. Freiheit wie auf Tortuga.« Die drei setzten sich. Ich reichte die Pulle, und sie ging reihum. Jean sprang auf, eilte in die Kajüte und kehrte mit Tonpfeifen und dem Kraut Tobago zurück. Alle stopften sie und schlugen Feuer. Rauchten vergnügt. Und das Heilige Kind schaukelte mit leichter Backbordschlagseite beigedreht in der sterbenden Brise. »Feines Schiff!« brummte Legrand nachdenklich. »Prachtvoll!« stimmte Jean bei. »Auf Tortuga werden sie uns festlich empfangen!« meinte Olivier. Legrand: »Tortuga? Hm, ja, hm!« Jean: »Jaaa! Hm!« Esquemelin: »Was ist mit euch los?« Wieder ging die Pulle herum und kehrte leer zu mir zurück. Da brummte Legrand : »Der Kasten hat genügend Schätze an Bord, um uns alle zu wohlhabenden, sogar reichen Männern zu machen. Bar Gold und Silber sind rar in Frankreich!« Jean: »Vraiment, mon Capitaine?« Olivier nahm die Pfeife aus den Lippen: »Ich verstehe euch nicht ganz !« »Comment donc !« »Mais oui ! Bin ich denn ein Rätselrater und Sterndeuter?« »Wir wollen erst mal die Dons loswerden, dann halten wir Schiffsrat. - Übrigens, bei den Gefangenen sind etliche gepreßte holländische und französische Seeleute. Tüchtige Burschen, die liebend gerne mitmachen würden, schätze ich!« »Aber bis Tortuga können wir diese Wanne doch allein bedienen! Wir sind doch Seeleute. Und könnten im Notfalle unter Reffs segeln ! - Das Schiff ist ein vorzüglicher Segler, wie ihr alle schon gemerkt habt. Don Alonzo sagte mir, daß ein Sturm während der letzten Woche die sieben auseinanderbrachte, und erst gestern hat er den Konvoi wieder eingeholt und sei glatt an ihm vorbeigesegelt !« 59
»Was hältst du von dem Don?« »Nun, der übliche Schlag. Spanischer Aristokrat, für den Mindergeborene zwar leutselig behandelt werden können, aber im Grunde genommen doch Dreck sind. Blaues Blut. Ich möchte ihm mal in die Kaldaunen pieken, ob es wirklich blau herauskommt. Stolz wie ein Eisblock. Wir haben ihn überrascht, sonst . . .« »Komischerweise meint er, ich sei ein Lügner, weil ich ihm erzählte, daß wir das Schiff mit Übermacht gekapert hatten. Verrückt wäre es gewesen, ihm zu sagen, daß wir nur achtundzwanzig tüchtige Tortugamänner sind!« »Mordioux ! und als er die Übermacht sah, hätte er uns am liebsten massakriert, wenn's noch geklappt hätte!« »Und falls er an die Pulverkammer könnte . . .«, mischte ich mich ein. Herzhaft lachte Legrand: »Und Schiff und Mannschaft samt Ratten, Heimchen und Kakerlaken in die Luft sprengte? - Er würde es fertigkriegen, aber die Pulverkammer liegt achtern unter uns, und die Zwischengänge und Schotten sind zu gut verbarrikadiert. Außerdem halten jetzt drei Mann unten Wache, die ich mit Mühe und Not von den Goldhaufen fortlotste !« »Was willst du eigentlich mit den Dons beginnen? An Land setzen, sagtest du schon. Aber wo?« Legrand angelte ein Kreidestück aus der Hosentasche, malte mit wenigen Strichen die Konturen der Insel Hispaniola auf die Planken. Dazu die Windrose. »Seht her, Maaten, das ist Nord, dort Süd. Und wir schwimmen jetzt ungefähr hier, wo ich den Punkt mache. Eben auf dem Kurs, den die Konvois von Puerto del Principe auf Kuba nach Europa segeln. Nun denke ich, wenn wir die Kerle an der Westküste der Insel auskippen, so können sie sich nicht beklagen. In wenigen Tagen haben sie ihre Siedlungen erreicht, und wir liegen inzwischen auf anderem Bug eastward ho !« »Nach Tortuga !« bestätigte Esquemelin. »Tortuga? Hm, sagte ich nicht eastward ho?« . . . Langsam zerbrach die Spannung, denn eben stiegen die anderen, 60
mit Ausnahme der untengebliebenen Wachen, an Deck. Zweiundzwanzig halbnackte, barfüßige Kerle, deren Augen noch irr leuchteten, deren Hände zuckten und die schwer keuchten. Sie waren an Deck gekommen, denn unter uns herrschte eine zwanglos schöne Disziplin, die fast jeden Befehl überflüssig machte. François, der Quartiermeister, hielt einen gewaltigen Schlüssel in der Rechten. - »Hier, Pierre, ich habe die Bude unten abgeschlossen. Man wird sonst noch verrückt von dem Gefunkel!« brummte er. »Recht so, mein Alter. Es soll keiner zu kurz kommen. Ehrlich, gemäß den Statuten, geteilt! Aber jetzt müssen wir dieses Heilige Kind wieder vor den Wind bringen. Jean, du gehst ans Ruder. Halte direkt Nord!« Jean trat ans Steuer. Wir andern gingen zu den Brassen und Schoten. Legrand kommandierte : »Hart backbord, Jean!« Die oberen Segel begannen zu flappen, stellenweise bauschte sich das Tuch. »Ree! Ree! Ree!« brüllte Legrand. Und mit Macht legten wir uns in die Falle, holten die Schothalsen herein. Knarrend schwangen die ungefügen Rahen herum. Und nun noch die Klüver, Spanker und Stagsegel übergeworfen angeholt. Nach einer halben Stunde fieberhafter Arbeit, die bei vollzähliger Mannschaft nur fünfzehn Minuten gedauert hätte, furchte El Santo Niño durch die plätschernden Wogen. Nordkurs. Bill ließ den Aufwärter, der solange in der Anrichte eingesperrt war, wieder frei. Er mußte leichten Wein austeilen. Nachher wurde er in die Kombüse geschickt zum Kochen. Die Dons im Raum unten hatten ein Fäßchen Wasser und einige Säcke Hartbrot bekommen. Damit mußten sie sich begnügen. Diät würde dem Kommandanten und seiner Kajütenclique nur gut tun. Legrand und François nahmen den Proviantbestand auf. Das Schiff war ja für Hunderte Menschen auf lange Fahrt ausgerüstet. Waffen und Munition fanden sich im Überfluß. Und unter Deck dräuten auf jeder Seite hinter den verschlossenen Stückpforten zwölf Bronzekanonen ansehnlichen Kalibers. Auf dem Hinterkastell stand eine Drehbasse, mit der man alle Decks 61
bestreichen konnte. Wir luden sie voll Traubenschuß, und Xavier, unser Meisterkanonier, setzte sich mit brennender Lunte daneben. Rauchte seine Pfeife und klatschte sich des öfteren vergnügt auf die nackten Schenkel. Jetzt sollten die Dons nur mal versuchen, auszubrechen . . . Und die Minuten, Stunden, Tage, Nächte der Spanischen Main versanken hinter uns in der unsichtbaren Sanduhr der Weltgezeiten. Eines Nachmittags liefen wir eine niedliche Bucht der Insel an. Sämtliche Dons wurden an Deck gelassen. Die Drehbasse und unsere Musketen drohten vom Vorder- und Achterkastell. Die Spaniolen mußten sich selber an Land rudern. Zwei Langboote fuhren so oft hin und her, bis sie alle drüben auf dem Sandstreifen standen. Proviant bekamen sie mit, auch zehn Musketen nebst Munition, um auf die Jagd zu gehen. Don Alonzo durfte sogar seinen Toledanerdegen behalten. Das goldene Schaf gab ihm Legrand allerdings nicht zurück, sondern lachte ihn aus, als er es verlangte. Der dicke Padre - der ein gemütlicher Mann war, obwohl ich ihm bei einem Inquisitionsgericht nicht in die Hände geraten möchte - segnete uns. Und viele der Dons, die bis zum letzten Augenblick gedacht hatten, wir würden sie alle abschlachten, riefen uns ihren Dank zu und schmetterten ein »Viva!« nach dem andern in die warme Luft. Etliche fluchten aber und schalten uns Häretiker und Zauberer und Mordbande, obwohl die meisten von uns als Franzosen getaufte Katholiken waren. - Laß sie schimpfen, an ihrer Stelle würde ich wohl auch so handeln! dachte ich und blickte weiter über Bord. Und fand es mitnichten hübsch von Don Alonzo de Guzman, daß er, wenige Ruderschläge von der Karavelle entfernt, eine Muskete ergriff und rasend vor Wut und Scham versuchte, unseren guten Papa Legrand abzuknallen, der pfeifend und schmunzelnd über die geschnitzte Reling lehnte. Die Kugel sauste über seinen Kopf weg. Wir schrien vor Wut und machten Miene, ein Rottenfeuer auf das Boot zu eröffnen, und einige der darin sitzenden Dons wollten ihrem Kommandanten zu Leibe. Aber Legrand schmetterte 62
sein gesundes, unbekümmertes Lachen, schwenkte den Hut - er hatte sich nämlich aus dem Kleidervorrat der Kajüte herrlich elegant herausgeputzt - und machte eine spöttische Verbeugung. Darauf vergaßen wir das Schießen, weil wir so lachen mußten. Das Boot fuhr der Küste zu, und dann sahen wir, wie Don Alonzo sich hoch aufrichtete, ins Wams griff, eine kleine Pistole zog - wo hatte er sie nur her? - und sie rasch an die Stirn setzte. Mit dem Knall klatschte er über Bord. Die Dons hielten an, schauten gestikulierend und schnatternd ins Wasser. Aber er mußte wohl wie ein Stein gesunken sein. Auch hier an der Küste gab es Haie! Jene ruderten weiter, und wir waren sie los. »Idiot! Half das ihm oder seinem König?« brummte Esquemelin an meiner Seite. Mit Hilfe der zehn Franzosen und Hollandmänner, die von den Dons mit Freuden zu uns übergewechselt waren - aber trotzdem noch gut im Auge behalten wurden - brachten wir El Santo Niño wieder vor den Wind. Und hielten in die offene See hinaus. Es war ein balsamischer Abend. Da wurde der Schatz an Deck gehievt und unseren Statuten gemäß - die Esquemelin nochmals vorlas - geteilt. Es war ein fieberhaftes Vergnügen. Etliche der Männer weinten vor Freude. Andere fluchten vor sich hin. Das Teilen dauerte bei Lampenlicht die ganze Nacht. Legrand war gewissenhaft und keiner meckerte. Wie ich denn früher oder später nie eine Schiffsmannschaft gesehen habe, die so schön harmonierte! Meine Pieces of eight, die Gold- und Silberingots, hätte ich nur mit einigen Mauleseln forttransportieren können. Und die neuen Matrosen bekamen jeder einige Händevoll Pieces of eight und das Versprechen weiterer. Und dann geschah das Tollste! Ich sehe es noch heute vor mir. Die Sonne war gerade aufgegangen, küßte die einzelnen Goldhaufen, die einem jeden vor den Füßen lagen, leuchtete auf den muskelkauenden, leidenschaftlichen Gesichtern unter den roten Nachtmützen. Und Legrand, in spanischer Tracht, den Federnhut auf seinem 63
kurzgeschorenen Haar - nur war er barfuß - wie er plötzlich ganz gemütlich sagt: »Mes enfants, wir haben jeder genügend Gold, um bis ans Ende unserer Tage in Freuden zu leben! Mich dünkt daher, wir steuern weiter nach Osten. Oder will einer von euch nach Tortuga zurückfahren und dort mit den andern, die in diesem Unternehmen nicht ihr Fell zu Markte getragen haben, teilen? - Ich für meine Person bin geneigt, heimzufahren. Nach la belle France. Was meint ihr dazu, he?« Verblüfft schauten wir einander an. Esquemelin fiel in lautes, lustiges Gelächter, zerbrach dabei seine Pfeife an der Reling. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Die ganze Zeit schmunzelte Pierre Legrand und ließ spielend etliche Pieces of eight durch seine Finger klingeln. Und ich merkte, wie er diese rauhen, blutschuldbeladenen Männer, die auf ihre Art gute Kerle waren, bezaubert hatte. Durch das Wörtchen Heimat. Und konnte es nicht verstehen, denn meine Heimat ist dort, wo es mir gefällt und wo man mich anständig behandelt, sei es unter Weißen oder Schwarzen. Die Hautfarbe macht keinen Unterschied. Einige stießen verzückte, unartikulierte Laute aus, andere fluchten freudig. Ihre Augen blitzten, Köpfe nickten eifrig, Seufzer verwehten. Der riesige François trat vor, grinste wie ein Lateinschüler, der eine gute Note anstatt des Lineals auf den Achtersteven empfing, und sagte: »Käpten, wir wollen, wie es der Brauch erheischt, als freie Brüder der Küste darüber abstimmen!« »Bon! Tut das, meine Freunde! Aber beeilt euch. Vielleicht kriegen wir was auf die Mütze, vielleicht auch nicht. Seht ihr dort die geschwänzten Wolken vor die Sonne streichen? Die gefallen mir nicht!« . . . François patschte auf seinen nackten Sohlen in die Kajüte und kam mit einem silberbestickten Hut Don Alonzos zurück. Sprach vergnügt: »Jeder Mutter Sohn, der mit dem Käpten nach Frankreich segeln und dort ein lustiges Kavaliersleben führen will, der schmeiße ein Goldstück in den Deckel des Dons! Wer nach Tortuga zurück will und dort ein lustiges Leben führen möchte, der schmeiße keines. En avant! Go ahead!« 64
Als erster warf er selber ein Piece of eight in den Hut. Ging dann von einem zum anderen. Achtundzwanzigmal. Auch zu Pierre Legrand. Die neuen Matrosen schauten zu, als ob sie die Maulsperre hätten. François beendete seine Runde, zählte bedächtig und warf einzeln die Goldstücke auf des Käptens Haufen. »Sechsundzwanzig sind dafür. Zwei dagegen!« verkündete er. Legrand lachte: »Brav. Und die zwei? Der eine ist sicher Mac, und ich kann ihn verstehen, denn er will noch was hier draußen erleben, und an seiner Stelle würde ich's ebenso machen. Die Santo Niño ist nicht das letzte Schiff, das von Tortugamännern gekapert wurde. - Aber sagt an, wer ist der zweite?« Esquemelin stieß wieder sein fröhliches Gelächter aus: »C'est moi, mon vieux!« »Du, Olivier?« »Oui! Warum auch nicht? Es fällt mir zwar verflucht schwer, nicht jetzt schon die Chance beim Wickel zu nehmen, weil sie vielleicht nicht wiederkommt und ich eines Tages in der Takelage eines Dons wie ein Räucherhering dörre. Aber ich will noch eine Weile hier draußen bleiben. Geschichte erleben, und sei es auch nur das, diesen von Romantik besoffenen Mac zu hüten! Doch glaubt mir's: hier draußen in der Spanischen Main wird jetzt europäische Geschichte gemacht und die künftige Welteinteilung gestaltet. Und das soll ich mir entgehen lassen?« »Alexandre Olivier Esquemelin, du bist verrückt oder schon am frühen Morgen besoffen !« schrie Jean. »Das heißt das Glück mit einem Fußtritt beiseite zu stoßen!« murmelte ein anderer. »Laß ihn, jeder muß wissen, was er tut!« meinte Bill. Legrand: »Schade, jammerschade! Wir hätten euch so gerne bei uns gehabt. Aber jeder ist seines Schicksals unwillkürlicher Schmied. - Wir werden Tortuga so dicht ansteuern, daß ihr beide die Insel in der kleinen Gig gefahrlos erreichen könnt. Und unsere guten Wünsche begleiten euch, und so bald wird 65
keiner von uns die alten Kameraden, mit denen wir die Santo Niño genommen haben, vergessen!« »Sacré, du bist ein Mann, Pierre!« sagte Olivier gerührt, und der Normanne lachte : »Natürlich bin ich kein Frauenzimmer, altes, gutes, dämliches Tintenfaß!« Er verbarg seine eigene weiche Stimmung, indem er rief: »Mes enfants, der Ernst des Lebens geht weiter. Verstaut jetzt eure goldenen und silbernen Klamotten. Wir haben eine lange und nicht ungefährliche Fahrt vor uns. Aber eine alte Negermammie hat mir erst vor zwei Wochen dreimal hintereinander aus einem Hühnerfedernfetisch geweissagt, daß ich als reicher Mann in meine Heimat zurückkehren werde. Und nun ist die Chance da. - Olivier und Mac werden die aufgeregten, empörten Gemüter auf Tortuga beschwichtigen. Sehen möchte ich's - ja, was die für Gesichter schneiden. La la! - Der Schiffsrat hebt hiermit die Sitzung auf. An die Arbeit, Freunde! Eastward ho!« . . . Und so ist es geschehen. Und nie wieder hatte ich bessere Kumpane als jene eisernen Tortugamänner, die ein Mischmasch von Franzosen, Holländern und einigen Engländern bildeten und mit denen wir die Santo Niño genommen haben. Und um es vorauszuschicken, die Santo Niño hat Frankreich erreicht. Was dort aus den anderen wurde, weiß ich nicht. Ob sie ihr Geld lustig und schnell vertaten oder weise einteilten. Pierre Legrand aber lebt als zufriedener, angesehener, wohlhabender Mann in seiner Normandie. Die letzten Stunden an Bord der Karavelle versuchten Pierre und die anderen ununterbrochen, uns umzustimmen. Vergeblich. In blendender Mondnacht, mit Hispaniola schwarzgezackt am Horizont, halfen sie uns, die Gig flottzumachen und unsere Schätze darin zu verstauen. Füllten das Boot mit Wein und anderen Leckerbissen, soviel nur hineinging. Und schlugen uns abwechselnd auf die Schultern, schüttelten uns die Hände, küßten uns umschichtig schmatzend auf die Wangen, soweit es Franzosen waren - denn die Holländer und Briten kennen nicht diesen Brauch unter Männern - und wünschten uns ein übers andere Mal bonne chance und Good luck! 66
Als ich in die Gig hinabturnte, wollte es mir fast leidtun, und beinahe wäre ich wieder umgekehrt. Esquemelin war in gleicher Stimmung. Er sprach kein Wort. Wir setzten das Segel und sahen dann, wie das Heilige Kind hinter uns langsam über Stag ging; hörten noch die Abschiedsrufe, bis die Entfernung zu groß wurde. Sahen aber noch geraume Zeit die mächtige Karavelle mit ihren Segeln wie einen schwarzen Vogel über das silberschäumende Meer dahinziehen und endlich ganz klein verschwinden. Und blieben noch lange stumm, in Gedanken versunken. Das Meer rauschte, plauderte und flüsterte, und es war mir manchmal, als ob die Wasser ununterbrochen »Dummkopf! Dummkopf!« raunten. Und manchmal spritzte es erschauernd empor . . . Drüben lag Hispanolia mit seinen dunkelblauen und schwarzen Bergmassiven. Plötzlich stimmte Olivier das alte Lied an: »Nur der erste und der zweite zurückefuhr! Von achtundzwanzig diese einzigen nur ! Yoho, blow the Main down !« »Hör auf, alte Unke ! Du tust grad, als ob die andern sechsundzwanzig ertrunken oder umgebracht worden wären. Dabei segeln sie heim. Heim !« Die Brise frischte auf und mächtig rauschte das Meer.
JAHRE VERGINGEN Heute ertönt Mestizen- und Sambogesang. Musik dazu: klappernd, weinend und wehmütig, unsägliches, längst vergangenes Leid schwarzer Menschen verkündend. Dann wieder voll rasender Lebenslust, klagende, gedehnte, keck heischende Schreie dazwischen und eintönig rhythmisches Händeklatschen. Im Hintergrund dumpfes Rasseln steinchengefüllter Kalebassen. Flötengequiek: Beitrag von uns befreiter, afrikanischer Sklaven, Töne aus der geheimnisvollen Wildnis des schwarzen Erdteils, wo 67
mächtige Ströme lautlos durch den Urwald ziehen, und wo schwarze Zauberer in Vollmondnächten die unsagbaren Zeremonien des »Dschu-Dschu« ausüben . . . Auf der Bühne singen sie jetzt spanisch: »Cuando viene el pagaré, pagaré? Mujer de malos sentimientos!« . . . Eintöniger Negersong löst die melancholische Frage ab: »Dschella boum o babio! Dschella boum o babio Helele! Helele! Helele! Lululu! Lululu! Lululu!« Und wieder folgt eine spanische Seguidilla: »Tus ojos son estrellas, Tu boca es una rosa! Querida de mi alma Tu eres mi hermosa!« Und plötzlich ein flotter französischer Bukaniermarsch: »En avant, mes bons amis! Tititumtata, tatatumtata!« Und nun ein süßes vierstimmiges Frauenquartett: »Shun the hustle of the bay Haste, virgins, come away! Haste to the mountains brow, Leave oh leave Tortugas below! Haste, oh breathe a purer air, Virgins fair and pure as fair!« . . . Die das singen, sind zwar keine »Virgins«, sondern das krasse Gegenteil, aber das Lied streichelt die Erinnerung der anwesenden Briten, und mancher denkt wohl an seine Mutter und drängt eine Träne zurück. Und greift in die Tasche. Blitzend und klirrend regnen Pieces of eight auf die Bühne. 68
Braune, olivgelbe und von der Tropensonne kupferrote, einst weiße Gesichter, die vergnügt, begeistert und hingerissen, je nach Temperament, zum Podium emporstarren. Wo la Bruna, la Juanita, la Pepita und andere sich mit vorgeschobenen Leibern winden und wunderbar geschmeidig tanzen, Tamburine schlagen und uns spöttisch anlachen oder anlocken. Wo Sambos ihre Instrumente schütteln, daran zupfen, darauf donnern und darüberstreichen. Theater. Vaudeville unter den Brüdern der Küste auf Tortuga vor Hispaniola! - Warum auch nicht! Weshalb sollen wir kein Theater haben? Wenn mehr Engländer hier wären, so würden wir sicher Shakespeare aufführen! Denn wir haben die Lust und die Künstler dazu. Zwar Dillettanten, aber sie sind begeistert, und mancher gewiß auch begnadet! Und wir haben die Kulissen, von kunstsinnigen Händen, die zwischendurch auf der Spanischen Main Cutlaß, Dolch und Pistole führen, gemalt. Wir haben die Musikanten, die sich an ihrer eigenen, von Afrikas Zauber seltsam durchhauchten Melodie berauschen, und Komponisten, die neben der Jagd auf die Dons auch Zeit für ihre Notenhefte finden. Phantastisch? Weshalb? Kommen nicht viele, denen die alte Welt zu eng geworden, zu uns in die Spanische freie, wilde Main? Und nicht immer die Schlechtesten. Langsam hat sich das Leben hier draußen geändert. Es sind größtenteils keine Hütten mehr, die Tortugas Felsenstrand umsäumen, sondern reizende, weißgetünchte Häuser spanischen Stils. Ein Gouverneurspalast, Warenschuppen sind da, der Handel blüht neben der Piraterei. Und, um bei der Wahrheit zu bleiben: Mord und Totschlag, Eifersucht, Raub, Duelle und ähnliche Schreckensdinge, die den Menschen, wo immer er auch hinflüchtet, unweigerlich begleiten, gedeihen ebenfalls auf Tortuga. Es sind gute Kerle unter uns, aber auch unsäglich blutdürstige Schurken. Tortuga ist ein Staat, eine »Nation« derer, die ihre eigenen Gesetze schufen, die der persönlichen Freiheit nicht im Wege stehen. Wir wollen Menschen sein und keine Nummern. Und 69
wenn wir andere Menschen umbringen und berauben sollen, dann machen wir das für uns und nicht auf sanktionierten Befehl größenwahnsinniger Herrscher. Solche Freiheit zog naturgemäß viel Gesindel aus aller Herren Länder in die Spanische Main. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, lautet das alte Sprichwort. Aber Pack bringt auch einander um. Die Schlimmsten leben nie lange, denn man muß an die Zukunft denken. Und wer das nicht tut, den preßt das unabwendbare, vorgezeichnete Schicksal in die ihm vorgeschriebenen Bahnen. Nicht nur um Pieces of eight, um Weiber, die von einem Kerl zum andern taumeln, dem Goldglanz nach, um Eroberungen und Kanonengeknall geht es hier draußen. Die paar Üblen vielleicht wären sie gar nicht übel, wenn man sie nur richtig behandelt hätte? - sterben und töten einander ohne Sang und Klang. Es treten neue Schufte auf die Szene, oft zehn für einen, aber auch sie gehen. Und eines Tages und nach Jahrzehnten, vielleicht werden es Jahrhunderte und Jahrtausende sein - falls die Menschheit sich nicht vorher selber ausrottet - ist der stille, beschauliche Frieden da, der jeden Sterblichen an den ihm gebührenden Platz stellt. So denke ich unklar und unfertig, während auf dem Podium dort die Mädels tanzen. Unklar sind meine Gedanken und irgendwie prahlerisch, empfinde ich. Denn ich, ach, ich bin ja einer der Tollsten, die nur dem Augenblick, nur dem Heute und nicht dem Morgen leben. Nach mir die Sintflut! denke ich und weiß doch, daß es nicht recht ist. Aber wer kann seine Natur umkrempeln? - Träume ich, oder? Donnerndes Beifallklatschen, Pfiffe und Getrampel lohnen den Tanzenden. Sogar Pistolenschüsse schmettern gegen die Decke des großen Schuppens. Und warum nicht? Sie sind ja nicht gezielt, sondern drücken ungebundene Freude aus. Jahre sind verstrichen, seit ich zu jenen Unsterblichen gehörte denn unsterblich sind sie bereits durch die Fama geworden und werden es durch Esquemelins Feder und vielleicht die meine 70
noch mehr werden, die unter Legrand »El Santo Niño« eroberten. Als wir damals mit der Gig landeten, haben die anderen entsetzlich geflucht, weil sich auf Schiff und Beute warteten, die unseren Gesetzen gemäß geteilt werden mußten. Beinahe hätte man uns trotz unseres Anerbietens, die Schätze zu teilen, den Hals abgeschnitten und totgeschlagen. Doch die geschmeidige Zunge Oliviers wußte der in und vor Barbassous Kneipe stattfindenden Versammlung der Küstenbrüder die Episode des Heiligen Kindes so geistreich humoristisch vorzutragen, daß sie schließlich Gott sei Dank alle in ein ungeheures Gelächter und Beifallsgebrüll ausbrachen, uns auf die Schultern hoben und hochleben ließen. Trinksprüche auf Legrand und seine achtundzwanzig wurden ausgebracht und Sonette an Ort und Stelle gedichtet. Wir durften unsere Prisengelder behalten. Und ein Gelage hub an, das vier Nächte und Tage ohne Unterbrechung dauerte, es wurden viele Markknochen ausgesaugt, Ochsen und Schweine verzehrt, und der Wein floß in allen Farben und in Strömen. Das alles bezahlten Esquemelin und ich, wie es sich schickte. Den Rest bekamen die lustigen Mädels in den Schoß geworfen, und zum Schluß hatten wir alle einen Kater, dessen letzte Nachwehen bei mir erst nach tagelangem Kopfweh vergingen . . . Ja, seither sind Jahre vergangen. Schiffe haben wir uns geholt, andere kamen freiwillig aus England, Frankreich und den niederländischen Staaten. Auch Pieces of eight und andere Dinge wurden von uns geholt. Viele Männer, an die wir gewöhnt waren, starben auf hoher See, zierten die Rahen der Dons, verfaulten in den unterirdischen Kerkern der Inquisition, oder manche fuhren auch nach Hause. Neue sind aus allen Ecken Europas gekommen. Die Juanas, Pepitas und wie sie alle sich nennen, heißen immer noch mit den gleichen Namen, aber es sind meist andere. Ihre Vorgängerinnen sind längst verstorben und verdorben, oder günstigenfalls streichen sie in der Finsternis als häßliche Hafenhuren um die Wasserfrontkneipen, oder kochen für Junggesellen oder sind fromme Betschwestern geworden, mit denen sich der 71
Padre begnügt, denn er hat wenig Zuspruch in seiner winzigen Kapelle. Der fromme Pierre wurde von den Dons gefangengenommen, und jener andere, der immer von dem »kommenden Tier mit den vier oder fünf Köpfen« - ich weiß die Zahl nicht genau - prophezeite, fiel in einem Duell am Strande. Nur la Bruna ist noch da. Sie ist immer noch sehr schön. Mich hat sie damals, als wir zurückkehrten, kaum eines Blickes gewürdigt, und da ich es seit jener Stunde in Bellinis Hütte nicht anders erwartet habe, mache ich mir verdammt wenig daraus. Und handle, wenn das Blut in mir den Sang der Leidenschaft singt, ketzerisch nach dem Sprichwort von den vielen Fischen, die noch in der See sind, trotzdem so viele schon herausgenommen wurden und werden. Ich bin jung und leichtsinnig. Es gibt, beim heiligen Dunstan! wirklich einige anständige Damen auf Tortuga! Pflanzerfrauen, die aus Frankreich kamen. Und selbst der größte Rowdy macht einen Kratzfuß und zieht den Hut vor ihnen, denn unter uns gilt immer noch der Paragraph aus den »Artikeln«, der das sagt: Wenn ein Kerl einer anständigen Frau gegenüber - falls eine solche vorhanden ist ohne ihre Erlaubnis Mätzchen macht, so soll er erschossen werden. - Und es wurden einige erschossen, und seither rührt niemand mehr diese Damen auch nur in Gedanken an. Frankreich streckt die Hand nach Hispaniola aus. Frankreich hat auch uns Schutz zugesagt und sogar einen »Gouverneur« nach Tortuga entsandt. Monsieur de la Place, ein geschickter, abenteuerlicher Versailleskavalier, der die Handelsinteressen seines Landes vertritt und sich sonst in nichts einmischt. Er muß nicht nur sehr oft ein Auge, sondern sogar beide zudrücken. Das Lilienbanner weht über Tortuga, aber wenn die Brüder der Küste in Kaperschiffen und ganzen Flotten auslaufen (Flieboots haben wir nicht mehr nötig) -, so weht der Jolly Roger, das schwarze Tuch mit dem Totenkopf und Gebein, am Heck. Frankreich hat auch versucht, seine im letzten Jahrhundert von den Dons auf grausamste Weise ausgerottete Kolonie auf der Halbinsel Florida wieder zu errichten, kam aber davon ab und landete in der Mündung des Riesenstromes, den die amerika72
nischen Indios Mississippi nennen, und dort entsteht Le nouvel Orleans . . . John Bull setzte sich in Virginien fest. Die große Insel St. Kitts wurde zwischen England und Frankreich brüderlich geteilt. Penn und Venables eroberten jene andere große Insel, die sie Jamaika tauften, und riefen, da sie von den Dons arg bedrängt wurden und die neue Kolonie nicht halten konnten, die Tortugaleute und die Freibeuter der Spanischen Main zu Hilfe. Flugs folgten diese dem Ruf, setzten sich in Port Royal, einem Hafen, der bald unserem Tortuga den Rang abgelaufen haben wird, fest und fuhren von dort aus in Flotten oder einzeln gegen die Dons. Geschichte wurde gemacht und ununterbrochen geschrieben. Zeitweilig herrscht beschworener Friede zwischen Spanien einerseits und Frankreich und England andererseits. Aber die Brüder von der Küste und die Piraten von Port Royal kümmern sich den Teufel darum, scheren sich nicht um die Protestnoten, die in Paris und London auf den grünen Tisch hageln - und auch nicht um die milden diplomatischen Vorwürfe von Monsieur de la Place und seinem britischen Kollegen in Port Royal. Der Friede dauert ja auch nie lange. Und das Motto ist: Gott hat die Neue Welt nicht nur den Dons geschenkt, sondern andere sollen auch teilhaben! In Europa werden jeden Tag von privater Hand Schiffe ausgerüstet, die in die Spanische Main fahren, und die Leute werden angemustert unter dem Slogan: »No prey no pay« - keine Beute, keine Heuer - und sie wissen's genau und heuern doch an . . . »Ai Ai! Ai! Caray, caray! Margarita no quiere bailar Conmigo, solamente contigo! Ai! Ai! Ai! Que caray!« singt der Chor auf der Bühne in Spanisch, der Lingua franca der Spanish Main. Die Instrumente klingen, rasseln, dröhnen und weinen. Und malerisch gekleidete Küstenbrüder klatschen Beifall, trin73
ken zwischendurch aus ungeheuren Humpen den spanischen, mit Blut bezahlten Wein. Unter den Lustigsten sitzt Esquemelin und patscht den Takt auf seinen Schenkeln. Blauer Tabaksqualm unterwölkt den Plafond. Draußen rauscht das Meer. Zwei Pflanzer gerieten in Streit - Gott weiß warum -, versöhnen sich wieder und küssen einander die Wangen. Ein degenklirrender Dandy, von Beruf Zuhälter, Duellant und Spieler, streicht durch die Sitzreihen und wartet, daß er über ein unwillkürlich vorgeschobenes Bein stolperte, um dann den Eigentümer besagten Gliedes zum tödlichen Waffengang aufzufordern, ihn am nächsten Morgen umzubringen oder, wenn er an den Unrechten kam, selber abgeschlachtet zu werden . . . Ein französischer Bukanier, dessen Augen wie festgeleimt nach den Personen auf der Bühne starren, lutscht dabei laut schmatzend seinen geliebten, überm Feuer gerösteten Ochsenmarkknochen. Ein paar andere langen unbekümmert in eine große mitgebrachte Schüssel scharfgewürzten Salmagundy-Ragoûts. Und ununterbrochen klagt und tost die Musik, die Mädels tanzen, locken oder verweigern sich in pantomimischer Geste. Sporen klirren an Klappstiefeln, die nie die schwitzende Seite eines Pferdes umklammert haben. Einige Piraten lieben es nämlich, an Land in Sporen einherzustolzieren. Und wer sich einen Ring durch die Nase ziehen will, kann es auch tun . . . Pause in der Vorstellung. Und eine tiefe Stimme brüllt mir zu: »He, Schoolmaster and Santo-Niño-Boy, come and see me to morrow! I've finished some verse, damned fine stuff. Bloody damned beautiful! I want you to write them down on some bleeding paper !« Das war William Forster, der finstere und unergründliche Mann, dessen Mund abwechselnd Unflat trieft, oder süße Sonette lispelt und wundervoll singt. »Allright, I'll be coming, Bill !« Ich nehme mir bei diesen Worten vor, auch Bellini zu besuchen. Bellini hat sich vorläufig von Gesäßen, die schwer wie Sandsäcke sind, abgewandt und malt 74
Seestücke, Küstenlandschaften mit einsamen Palmen, die von der Meeresbrandung bespült werden, Flieboote und buntgekleidete, mit Dolchen in den Zähnen an spanischen Schiffen hochkletternde Piraten. Alles das malt er, und es ist schade, daß das Klima die Bilder so rasch mit Schimmel bedeckt. Man kann ihn abwischen, aber er kommt immer wieder. Und manchmal Ameisen, die Rahmen und Leinwand über Nacht samt und sonders auffressen. Auch will ich William Dampier besuchen, denn er gedenkt bald Tortuga mit Port Royal zu vertauschen, wo er mehr Freunde hat. Dampier sammelt Schmetterlinge und Käfer, stopft bunte Vögel aus, trocknet und preßt Pflanzen und beschreibt alles auf seine Art, die himmelweit von den trockenen und komischen Darstellungen der spärlichen, in Europa über die Naturwissenschaften vorhandenen Bücher absticht. - Und Dampier wird sich einen Namen machen ! Ali er Rachman wird mir morgen auf dem Wege durch das goldumschäumte Plantagengrün nicht mehr begegnen. Ich nehme an, daß er schon in Allahs siebentem Himmel weilt, von sternäugigen Huris bedient und . . . lebendig bei einem Auto da Fe, mit spitzer, teufelsbemalter Mütze und im San-Benito-Kittel verbrannt wurde . . . Er und etliche andere wollten das Stück, das wir uns mit Pierre Legrand geleistet, nachmachen. Aber die Dons auf der Galeone waren wachsam, und Alis Leute, die aus dem sinkenden Boot enterten, wurden im erbitterten Kampf entweder erschlagen oder gefangen nach Puerto Bello gebracht. Und so erging es schon vielen und wird es noch mehreren ergehen, bis . . . Ach, ich möchte in einigen hundert Jahren wiederkommen, um zu sehen, wie es in der Spanischen Main dann zugeht . . .
75
SEHNSUCHT NACH EINEM HUND ». . . sie halten untereinander auf beste Ordnung. Jedem ist strengstens untersagt, von den Prisen auch nur das Geringste eigenmächtig zu behalten. Die Beute wird gleichmäßig nach den Artikeln verteilt, und die Brüder leisten einen Eid, von allem, was sie finden mögen, nichts zu unterschlagen. Wird jemand dabei ertappt, daß er diesem Gelübde nicht gehorcht, so wird er sofort aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Untereinander sind die Brüder höflich und hilfsbereit, und wenn einer etwas braucht, so wird ihm mit größter Freigebigkeit von den anderen gegeben. Wenn die Brüder ein Fahrzeug oder Boot gekapert haben, werden zuerst die Gefangenen an Land gesetzt und nur etliche zur Bedienung und Hilfeleistung zurückbehalten. Aber auch diese werden nach zwei Jahren entlassen!« . . . »Stop it, hör auf, hör auf !« rufe ich. Esquemelin, der, entgegen seiner Absicht, mir dies eben aus seinem Manuskript vorlas, klappte beleidigt die Pergamentblätter zusammen. »Schwindel, alles blutiger Schwindel! Sonntagsschullehren!« bekräftige ich erbittert und denke an das, was gewesen ist und nicht wiederkommt. »So behauptest du, daß ich lüge? Soll ich dir mal«, Esquemelin faßt an den Degen. »Nein, alter Freund! Verzeih, daß ich mich ungeschickt ausgedrückt! Ich wollte sagen, daß es mal so war, wie du da aufgeschrieben hast, aber heute . . .« »Ja, seit der gute lustige Pierre Legrand mit der Santo Niño nach Dieppe segelte, hat sich draußen bei uns allerlei verändert und nicht immer zum Besten. Da hast du vollkommen recht, mein Alter!« »Gestern haben sie die Karavelle >La virgen de las siete espadas< eingebracht. Und was geschah unterwegs mit der überlebenden Mannschaft?« »Jeder Mutter Sohn mußte über die Planke laufen. Abgemurkst! - Hm, das hätten wir nicht getan! Denn Lustmörder sind wir 76
mitnichten. Pah, es ist viel Gesindel hier auf Tortuga. Ärgeres Gesindel als unsereins !« »Ho, Olivier, sie bringen aber rasch einander um!« Er lacht. »Viel zu langsam, wenn du den Nachschub bedenkst. Tortuga ist zum Müllhaufen Europas geworden! - Sag, möchtest du nicht wieder mal eine lustige Fahrt mitmachen?« »Unter wem?« »Bartholomew Portuguez oder Rock Brasiliano!« »Zuviel Blut! Es riecht zu sehr nach Blut auf ihren Schiffen. Mir genügt die kurze Fahrt, die ich vor einem halben Jahr mit Portuguez machte. Unsere Speigatten sprudelten damals Blut, nachdem wir die Galeone >Jesuchristo< genommen hatten.« »Hm, aber der Holländer Rock ist doch kein unebener Bursche! Ein bißchen verdüstert, gewiß, aber Gott weiß, was an ihm verbrochen wurde und was er zu rächen hat! Glück hat er ja nie sonderlich bei all seiner Verwegenheit!« »Schlechtwetterrock und Jonas nennen ihn seine Freunde, weil er bei jedem Unternehmen Stürme und Orkane hat!« »Oui, merkwürdig, aber wahr. - Also hast du keine Lust?« »Olivier, weißt du, manchmal kommt mir die ganze Spanische Main - die ich doch so sehr liebe - wie ein Blutteich vor!« »Ja, es wird viel von dem Stoff hier draußen vergossen. Zu Recht oder Unrecht. Mordioux!« . . . Dies Gespräch fand in Esquemelins bequemer Hütte statt. Unsere Pfeifen qualmten lieblich, und Alicante schillerte in prächtigen Glaspokalen. Nach einer Weile schob er mir ein dickleibiges Buch hin. »Da! Etwas ganz Kostbares! Ist 1605 in Barcelona erschienen. Also noch nicht allzulange her. Bald darauf kam die französische Übersetzung in Paris heraus. Lies es, mon vieux, dann kommst du auf andere Gedanken.« Neugierig schlug ich den Deckel zurück und buchstabierte : »Las aventuras del ingenioso hidalgo de la figura triste, Don Quijote de la Mancha. De Miguel Cervantes de Saavedra!« Olivier lenkte ab: »Montbars wird bald mit seiner Crew zurückerwartet. Würdest du bei dem an Bord gehen?« 77
»Weiß nicht. Erst neulich hat er eines seiner Schiffe verloren, und die ganze Mannschaft hängt im Hafen von Cartagena mit Stricken um die Hälse in der Sonne!« »Oder bei Greaves, den die Jungen Redlegs nennen?« »Schon eher! Aber der ist ja noch auf See!« »Oder bei dem ehrenwerten, höchst noblen Kavalier aus Versailles, dem abenteuerlichen galanten Sieur Ravenau de Lussan?« »Du machst mir die Wahl schwer, Olivier. Irgendwann und sicher recht bald muß ich doch wieder für eine Weile auf See und See und Salzbrise aus erster Hand riechen. Denn wer nicht Pflanzer oder deren Assistent werden will, der muß sich die Pieces of eight woanders holen. - Einer hilft dem andern, hast du vorhin vorgelesen, alter Schönfärber. Wie schön war doch das Leben hier, als noch Legrand von Tortuga ausfuhr!« »Krächzrabe, wo ist deine Zuversicht geblieben? Und wenn du keine Pieces of eight mehr hast, so habe ich noch eine Menge davon.« »So schlimm ist's noch nicht, aber bald!« »Ho, weißt du noch, wie du damals Legrand gesagt hast, daß der Golddurst bei dir erst später kommen würde, wenn du älter seist? - Eh bien, jetzt bist du ein Mann mit Haaren auf der Brust und . . .« »Dieses Buch, das du mir da eben gegeben hast, ist mir mehr wert als manche Kiste voll Dublonen!« »Ich glaub dir's beinahe! Wein, Weib, ein Lied, eine Pfeife Tabak sind deine Viereinigkeit. - Doch sag mal, ist die schöne Isabella noch bei dir, mein Alter?« »Seit acht Tagen wohnt sie bei deinem großmäuligen Landsmann, dem Venard. Oder ist er Flame?« »Aus Antwerpen! Und du hast ihn noch nicht über den Haufen geschossen?« »Wozu denn? Würde das die Sache ändern? Isabella ist ein freier Mensch und kann gehen und kommen, zu wem sie will!« »Mordioux, du bist ein merkwürdiger Bursche. Manchmal kann ich dich nicht verstehen, Mac!« »Und ich mich selber nicht !« 78
Unverwandt schaute er mich an. Die Pfeifen qualmten. Es war still zwischen uns geworden . . . Vor wenigen Tagen fand dieses Gespräch zwischen Olivier und mir statt. Ich verabschiedete mich dann und ging den Weg hinab zur Wasserfront; wo es heute, will mich dünken, fast ebenso viel Kneipen gibt wie zu Bristol am Kai. Tortuga ist - ich meine die Siedlungen - seit damals gewachsen. Im Eiltempo. Und allerlei ist geschehen. Zum Beispiel versuchten die Dons, denen wir ein Dorn im Auge sind, weil wir ihnen unermeßlichen Schaden zufügen, die Insel zu erobern und uns auszurotten. Was ihnen beinahe gelungen wäre! Wir flüchteten schon vor der in dunkler Nacht gelandeten Übermacht in die Boote und Fahrzeuge. Häuser gingen in Flammen auf, zwei große ankernde Schiffe brannten wie Fackeln und erleuchteten die Wasserfrontstraße, so daß wir deutlich sehen konnten, wie die Dons brüllend in die Kneipen stürmten und unsere Mädels mit Hussah und Hollah jagten. Aber noch in derselben Nacht kehrten wir zurück. Die Dons zechten oder schliefen, und wir kamen wie die wütenden leibhaftigen Teufel und richteten unter den sich geistesgegenwärtig aufrappelnden und rasch ernüchterten, zähe kämpfenden Spaniern ein grausiges Blutbad an. Kein einziger von ihnen blieb am Leben, obwohl etliche Offiziere Lösegeld boten. Kein einziger kehrte nach Hispaniola heim! Mehrmals noch versuchten sie im Laufe der Zeit die Insel wieder zu nehmen, aber wir waren auf der Hut. Belagerungen und Beschießungen nützten ihnen nicht viel. Einmal nahmen wir in dunkler Nacht zwei der belagernden Galeonen, und da wir sie nicht halten konnten, steckten wir sie in Brand. An alles dies dachte ich, als ich von Esquemelins Hütte nach der Wasserfront schritt. Ich machte einen Umweg, denn gerade diese Ecke der Insel ist so wunderschön. Ich kam an einen schmalen Sandstreifen, zwischen den felsigen Ufern. Eine lauschige kleine Bucht, deren Wellen zärtlich lispelnd den Strand küssen. Unter Büschen und Palmen und - wie mir schien - sämtlichen Blumen der Welt steht dort eine Hütte. 79
Mitten in und unter Blumen. Jasmin duftet in Hunderttausenden Blüten, und andere Blumen verströmen ebenfalls ihren zarten Hauch. Gelächter, Becherklang und Liedfetzen ertönten, und zu spät fiel mir ein, daß er ja dort wohnte. Er, zu dem Isabella gegangen! Ganz so kaltblütig, wie ich mich Olivier gegenüber ausgab, bin ich doch nicht. Die Sache wurmte mich gewaltig, aber trotzdem sagte mir die Vernunft, die ich in Schottlands Nebeln samt der Muttermilch eingesogen, daß es am besten sei, den Unbeteiligten zu spielen. Mich um eine Hafendirne mit tödlichen Waffen in einem sogenannten Duell zu schlagen - Schauspiele, die man auf Tortuga jeden Tag mindestens einmal genießen kann - fiel mir nicht ein. Wenn eine Frau grundlos, ohne vorherige Aussprache, nur der Abwechslung halber, über einen »andern Bug geht«, dann soll man sich nicht darüber aufregen und sagen »good riddance«, gut daß sie fort ist! Aber Mann bleibt Mann, und die Episode war doch nicht ganz spurlos an mir vorübergegangen, da ich kein Talent zum Zyniker habe. Mädels von Isabellas Sorte gibt es ja genügend auf unserer Insel. Rasch wollte ich den Pfad zurückeilen, aber schon hatte mich die zechende Gesellschaft in der Jasminlaube erspäht. »Hallo, Mac! Komm, lege dich breitseits, laß fallen Anker und Leinen und trinke einen mit uns. Isabella ist auch hier!« schrie Venard, und die übrigen lachten aus vollem Halse. Ruhig ging ich hin. Setzte mich auf die Bank, die ein Negerboy mir unterschob. Griff nach dem Kelch, den er gefüllt vor mich stellte. Und betrachtete Venard, Isabella und die vier andern. Begegnete ruhig, mit leichtem Lächeln, ihren teils höhnischen Blicken. Alle waren sie schon angetrunken, was in diesem Klima rasch geht. Isabella - noch war es nicht lange her, daß sie mir unter Küssen zugeflüstert, ich sei der einzige Mann in der Welt! sah mich herausfordernd an. Lehnte sich dann vornüber, dem riesigen Venard zu und wühlte in seinen brandroten dichten Haaren. Und bot ihm ihren lachenden Mund. Schmatzend erwiderte er die Liebkosung, und dabei schauten mich vier Augenpaare abwägend an. 80
»Sie küßt recht gut, Venard, nicht wahr?« sagte ich und nahm einen Schluck Sangaree. Verblüfft ließ der ungeschlachte Kerl die Frau los und antwortete wie ein Schuljunge dem Lehrer: »Vortrefflich, ja!« Isabella warf mir einen bösen Blick zu; die Vier lachten lautlos. Und Isabella forderte den Rotköpfigen auf: »Komm!« Fluchend küßte er sie wieder und wieder, während die Vier sich erst gegenseitig beschauten, dann mich, und schließlich stumm orakelhaft die Köpfe schüttelten. Jetzt rief der Riese: »Isabella bleibt bei mir, merke dir das, kleiner Federfuchser Mac!« »Ja, das sehe ich! Bin nicht blind geworden vom Schreiben! Aber sie kocht miserabel. Neulich machte sie mir ein Salmagundy, daß ich hinterher fast vor Bauchgrimmen krepiert bin!« sagte ich brutal und fühlte dabei, daß die Atmosphäre sich verdichtete. Ganz plötzlich. Wie vor einem Gewitter. »Tag und Nacht! Die ganze Nacht bleibt sie bei mir!« knurrte er mit der Hartnäckigkeit der Trunkenen. »Mögt ihr viel Spaß aneinander haben!« antwortete ich und mußte dazu, gegen meinen Willen - denn es war gefährlich mutwillig lachen. »He, bist du gar nicht eifersüchtig?« brüllte Venard halb erstaunt, halb drohend. »Warum denn?« Wieder warf mir Isabella einen Blick zu. Häßlich und giftig! Laut lachte er, und da fauchte sie wie eine Katze, zeigte die weißen, ebenmäßigen Zähne und krümmte die Krallen. »Läßt du dir das bieten, Venard?« Ich stopfte meine Pfeife. »Reich mir einer Feuer!« Der Negerboy brachte mir eine glühende Kohle und ich fing an zu qualmen. »Wieso?« staunte Venard, der wie alle überlebensgroßen Muskelmenschen nicht sonderlich viel Verstand besaß. Und ich fühlte innerlich, was Isabella beabsichtigte, und wünschte mich tausend Meilen nach Lee oder Luv. Eine verachtete und scheinbar nicht beachtete Frau ist gefährlich! 81
Besonders auf Tortuga. Und Isabella sann auf meinen Tod! Auf Tortuga ist's so. Leidenschaft und Haß regieren schrankenlos, und einen Mittelweg gibt es ebensowenig wie in den Tropen eine Morgen- oder Abenddämmerung. Und der Tod geht um unter den Küstenbrüdern auf Tortuga. Fast täglich fällt einer im Duell, wird in der Trunkenheit erschlagen, niedergeknallt, erdolcht oder wegen seines Goldes beraubt und ermordet. Dagegen haben wir noch keine Gesetze, die wirklich respektiert werden, trotz Anwesenheit von Monsieur de la Place und des Lilienbanners. Unsere Gesetze treten erst in Kraft, wenn wir an Bord sind, und sind dann allerdings sehr streng. »Entweder legst du ihn um, oder du bist kein Mann!« forderte die wunderschöne Megäre jetzt. Und als er die Augen aufriß und ein hilfloses Gesicht schnitt, da umarmte sie ihn heiß. Drängte ihren herrlichen Leib eng an den seinen und flüsterte ihm anfeuernde Worte ins Ohr. Trieb Evas Spiel, das seit Erschaffung der Welt bisher noch jeden Mann zu Falle brachte . . . »Mac, verdufte lieber!« raunt mir einer der Vier zu, und seine Freunde nickten heftig, während die bärtigen Lippen Rauchwolken ausstießen. Isabella aber hatte ihr Ziel erreicht. Venard entwand sich ihren Armen, schleuderte sie zur Seite und ragte drohend über den Tisch. Seine Augen loderten. Ich habe solche Augen, seit ich in der Spanischen Main weile, schon oft gesehen und werde es noch öfter tun. An Land, auf dem Wasser und auf schwankenden Schiffen und in winzigen Booten. Aber nie waren sie solcherart auf mich gerichtet. Blanker, erbarmungsloser Mord flackerte in den Augen des Flamen. Angetrunken, unzurechnungsfähig, blutdürstig und liebestoll durch die alten Künste einer schönen Kokotte. - Nein, so wie Venard hat mich in meinem Leben noch niemand angeschaut, denn das, was sie einen »Ehrenhandel« nennen und was meiner Meinung nach einfach konzessionierter Mord ist, bei dem der Stärkere siegen muß, ist eine Erfahrung, die meinem bunten Leben bisher fehlte. 82
»Du hast eine Dame beleidigt, dreckiger Schuft!« brüllte er und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Dame? Wo ist eine solche?« mußte ich Tor antworten und sprach damit mein Todesurteil aus. Denn ich bin kein Held, sondern eher ein bißchen feige oder vorsichtig. Isabellas Gesicht war verzerrt, daraus bleckte mir haßvoller Triumph entgegen. Und falls ich vorher vielleicht noch, wenn ich geschickt gewesen wäre, Gnade hätte von ihr erwarten können, jetzt nicht mehr! Und in allen Büchern habe ich gelesen und es auch oft selbst erlebt: prügle, liebe, schelte und streichle Frauen. Alles kannst du mit ihnen tun, aber verachte sie nie. Denn das vergessen sie nicht, und eines Tages, du denkst gar nicht mehr dran, legen sie dir die Rechnung vor, und sie wird bitter sein . . . Venard war aufgepeitscht und bedurfte keines weiteren Antriebs. Er zog das Messer, wog es auf der flachen Hand. Und er konnte, wie ich wußte, auf diese Weise ein dreißig Meter entferntes Ziel treffen. Samuel, einer der Vier, ein bärtiger Kerl, der früher Bukanier war und, seit dieses Handwerk auf Tortuga fast nicht mehr ausgeübt wird, zu den Piraten überging, stellte sich unvermutet zwischen uns. »Fair play, Venard! Sonst kriegst du's mit uns Vieren zu tun!« warnte er, und seine Freunde nickten. Und knackten mit den Pistolenhähnen. Und selten habe ich solch köstliche Musik gehört wie dieses prosaische, harte Metallgeräusch ! »Gut, dann wollen wir fechten. Kavaliersmäßig!« knurrte das Ungetüm, und Isabellas Gelächter klang wie eine geborstene Schiffsglocke. Mir war sehr flau zumute. Mit Spaniern kämpfen und aus fremdem Mutwillen zum Duell aufgefordert werden, sind zwei verschiedene Dinge! Und ich las in den Augen der Vier, daß sie glaubten, ich würde keine Chance haben. Fühlte aber auch, daß sie für ehrlich Spiel einstanden. »Gut. Dann am besten gleich!« Ich klopfte vorsichtig meine 83
Pfeife aus und hoffte inständig, daß keiner das Zittern meiner Hand sähe. Und lachte dröhnend. Auch Venard lachte. Trat hin und her, reckte den breiten, gewölbten Brustkasten, und ich mußte plötzlich an jene ungeheuren afrikanischen Menschenaffen denken, von denen uns befreite Neger schaurige Geschichten erzählen. Wie diese Ungeheuer bei Vollmond aus dem Urwald hervorbrechen auf die Lichtungen, wo die goldschimmernden Ströme ziehen - und wie sie sich mit den Fäusten laut dröhnend auf den mächtigen Brustkasten trommeln . . . »Pistolen?« fragte einer der Vier. »Bah, das ist zu langweilig und geht zu rasch. Fechten wollen wir!« lachte der Riese. Rannte ins Haus und kam mit seinem Raufdegen zurück. Bei der langen Reichweite Venards und meiner Unkenntnis des à-la-mode-Fechtens, das ein Stoßen und Punktieren ist, standen meine Aussichten gleich Null. »Ich wette jeweils zwanzig Pieces of eight gegen eines, daß Mac heute zu Davy Jones' Locker geht!« sagte Samuel kaltblütig. Er wollte mir damit keinen Tort antun, mich auch nicht entmutigen - es war nur so seine Art. Ehrlich bereit, dafür zu sorgen, daß Venard keine Tricks vom Stapel ließ, aber ebenfalls bereit, auf meinen mutmaßlich in Bälde stattfindenden Tod zu wetten und daran zu verdienen. Auf Tortuga ist man so. Samuels Freund Carmand hielt gegen ihn und setzte auf mich! Nicht weil er dachte, ich würde gewinnen, sondern aus sauberem Sportsgeist setzte er je zwei Goldstücke gegen Samuels vierzig. »Darf ich meinen Entersäbel nehmen?« Venard spottete: »Natürlich, meinetwegen kannst du einen Mastbaum verwenden. Nützen würde es dir doch nichts!« Seine Blicke suchten prahlerisch Isabella, während ich den halblangen, schweren, breiten, unmerklich gekrümmten Cutlaß, der in der Spanischen Main solch große Rolle spielt, aus der Lederscheide zog. Carmand, ein Tabakpflanzer, nickte mir unmerklich zu. Ahnte er, was ich tun wollte? - Da es unmöglich war, 84
gegen die große Reichweite des rothaarigen Ungetüms, das Isabella mit meiner Ermordung eine Augenweide darbringen wollte, anzukommen, hatte ich beschlossen, ihn beim ersten Streich zu unterlaufen, also alles auf eine Karte zu setzen. Ehe er richtig zustechen konnte - schlagen kann man mit einem Stoßrapier nicht - würde ich ihm die schwere Klinge an einer guten Stelle zu kosten geben. Oder auch nicht . . . »Mach dein Testament, geiziger Schotte !« schrillte die Frau. »Für dich hinterlasse ich nichts, Fer-de-Lance-Schlange!« »Los jetzt, meine Herzchen! Wir wollen nachher weiterzechen, also macht die Sache ab!« drängte der unmenschlich kalte Samuel. Und schritt voraus, jenem Sandstreifen zu, der die romantische Bucht umgürtet. Das Meer zischte zärtlich und in der Ferne donnerte die Brandung. Ach, noch nie ist die Natur so wunderschön gewesen wie heute. Noch nie war das Dasein so herrlich süß. Wie ein Dürstender nahm ich alles auf: Meer und Sonne, Palmen, die bunten Papageien und den Duft der Blumen. Denn bald würde es dunkel sein. Ewige Nacht. Für Venard oder für mich . . . Samuel zog mit dem Pistolenkolben zwei Striche durch den Sand. Innerhalb dieser mußten wir fechten. Venard stand bereit. Den langen, spitzen Stoßdegen in der Rechten. Er wippte auf den Fußballen. Seine Augen waren jetzt tödlich kalt. Wie merkwürdig! Er hatte mir nichts getan und ich ihm auch nichts, und trotzdem wollten wir einander umbringen. Wie sagte doch Olivier damals? Cherchez la femme . . . Ich zog das Hemd aus und war froh, daß ich nur leichtes Schuhwerk trug. Ich ließ den Cutlaß probeweise durch die Luft pfeifen. Er hatte einige Scharten im sogenannten ehrlichen Kampf erhalten. Aber heute . . . Das angstvolle Gesicht des Negerjungen starrte aus der Jasminlaube, und dann sah ich, innerlich schmunzelnd, wie er verstohlen den Pokal seines Herrn austrank. Isabella stand neben Carmand. Ihre Augen waren weit offen, das ganze Gesicht verzerrt. Was hatte ich eigentlich dieser Frau getan? Nichts anderes, 85
als daß ich ihr ungefähr zweihundert Pieces of eight und eine Menge kostbarer Kleider, Schühchen und Schmuck geschenkt. Und dafür ließ sie mich jetzt umbringen! Nutzlos waren alle diese Gedanken. Von den sechs Menschen hier wollten fünf meinen Tod. Drei davon nur aus Wettgier. Der Sechste, jener Carmand, war ein echter Sportsmann, er gönnte mir eine Chance. Leb wohl, du Insel mit deiner herrlichen Natur ! Farewell, Spanische Main. Mutter, Mutter, weine nicht, wenn ich nicht wiederkomme . . . »Fertig ! - Eins und zwei und - loooos !« hatte Samuel gesprochen, und beim letzten Wort sprang ich. Venards mir entgegenblitzendes Rapier fuhr mir zwischen Arm und Hüfte entlang, ich spürte einen leichten Schmerz. Ehe er die Waffe zurückziehen konnte, schmetterte ihm mein mit verzweifelter Wucht geführter Hieb schräg übers Gesicht. Aufheulend taumelte er. Und während ich noch erstaunt - die Waffe war mir entfallen - auf das über mir schwebende, plötzlich so blutige Gesicht starrte, drehte er sich im Kreise herum. Ein paarmal. Es sah schrecklich aus! Wankte immer mehr und krachte dann förmlich auf den Sand. Seine Beine zuckten merkwürdig, wie gebannt mußte ich hinsehen. Die Fersen trommelten. Und sein Gesicht war ein einziger roter, verschwommener Fleck. Immer noch trommelten seine Fersen auf den Sand. Endlich hörte diese mich faszinierende Bewegung auf. Ich schüttelte die widerliche Benommenheit von mir und sah staunend, daß er wirklich tot war. In die ewige Dunkelheit eingegangen war, die er mir zugedacht hatte. Samuel erhob sich eben von den Knien, wischte seine Hand ab . . . »Tot wie 'ne Fischschuppe ! Der Schädel regelrecht gespalten ! Hätte dir das nicht zugetraut, Mac. Gratuliere, trotzdem es mich 'ne schandbare Summe kostet. Vierzig Pieces of eight! Zahle sie aber gerne. Und ich kalkuliere, daß du jetzt die schöne Isabella wieder entern kannst? - Lehr mich einer die Weiber kennen, hoho!« Ich starrte umher. Ach, wie schön waren das Meer, die Küste, 86
die Palmen und Blumen! So schön und frisch und bunt und duftend wie noch nie! Und es ist nicht dunkel um mich geworden. Keine Nacht. Ich lebte, lebte! - Mutter, hörst du es in deinen Ohren summen? . . . Zusammenzuckend, spürte ich eine leichte Hand auf der Schulter, sog einen Duft ein, der nicht von Blüten stammte, und hörte eine weiche, süße Stimme : »Mac! Ich habe dich auf die Probe gestellt und du hast bestanden! Ah, Mac, ich hab dich so lieb, nur dich! Komm!« Samuel stieß einen halblauten Pfiff aus. Carmand lachte und Jaquy fluchte unflätig : »Je m'en fous« . . . Ich schaute in die braunen, goldgesprenkelten Augen der Mestizin. Und hob die Faust, wollte sie in das lockende, falsche Gesicht schlagen. Samuel hielt eisern meinen Arm fest, brummte mir ins Ohr: »Ist nicht englische Art, Weiber zu schlagen, old boy. Laß sie sausen!« Aufatmend ließ ich die Faust sinken. »Hast recht, oldtimer! Danke dir!« und betrachtete die Isabella von oben bis unten. Sie hielt meinen Blick aus. Hatte die Hände in die Hüften gestützt wie ein Fischweib vom Markte zu Billingsgate. »Pah!« lachte ich befreit und drehte auf den Fersen um. Schritt wie ein Mondsüchtiger nach der Laube. Stopfte die Pfeife, ließ sie vom Negerboy anzünden, klemmte sie zwischen die Zähne, das Buch von Cervantes unter den Arm, den blutigen Cutlaß noch in der Hand, und ging meines Weges. Hörte einen Aufschrei hinter mir und dann ein Rascheln und Reißen von Kleidern, ein Stampfen und Keuchen und dann wütendes Fluchen - wie wenn jemand von anderen festgehalten wird. Drehte mich aber mitnichten um. Und erst als ich tief in den Büschen war, setzte ich mich, warf Buch, Pfeife und Waffe ins Gras. Und mußte mich jämmerlich übergeben. Nachher saß ich lange und hatte große Sehnsucht nach einem Lebewesen, das Liebe mit Liebe vergilt und uneigennützig ist. Und beschloß, mir einen Hund anzuschaffen. Denn: gibt es etwas Treueres auf der Welt als einen Hund ? . . . 87
ROTBEIN Horch, wie die Wellen der Spanischen Main heute brausen! Sieh, wie sie gleich Kriegerhorden, von denen nichts sichtbar ist als die hochgehaltenen weißen und silbernen Schilde, in langen Wogen donnernd gegen das ächzende Schiff anrennen! Und wie dann diese Schilde an den hölzernen Wänden machtlos zerschellen, auseinanderstieben. Während langanrollend schon neue mit unermüdlicher Gewalt heranstürmen . . . Und wie es höhnisch in den tiefen blauen Tälern und den weißmarmorierten Grüften der See schnalzt und gluckst und zischelt! Wie der Wind den Schaum durch die Lüfte streut; gleich Händen voll Perlen . . . Frei, scheinbar ziellos, hin und her oder in grazilen Bogen auf und nieder wippend, schweben Möwen. Sturm pfeift, Wogen brausen, Schiffsplanken knarren, straff gespannte Wanten »singen«, die prallen, tiefgebauchten Segel brummen, und alles ist ein Konzertstück, das dem Manne, der breitbeinig auf der hohen Puup steht, baß behagt. Laut schmettert sein Lachen, er zerrt am braunen Bart, und dann stapft er mit den in hohen, weichen, auffallend roten Stiefeln steckenden Beinen breit hin und her. Das ist Greaves, genannt »Redlegs«, das Rotbein, unter dem ich als Quartiermeister seit acht Monaten segle. Auf dem Schnellsegler »Golden Main«, auf dem ich viel erlebt habe; Dinge, die mir nachdenkliche Stunden und sogar schlaflose Nächte und immerwährendes inneres Kopfschütteln verursachen. Denn ich bin kein Jüngling mehr. Seit Jahren bin ich hier draußen und lebe noch, während viele, viele andere in die dunkle Nacht hinaustraten. Vom scharfen Rum versengt, vom gelben Fieber geschüttelt, von spitzer Klinge oder schmetternder Kugel getroffen oder von würgender Schlinge beengt - so starben sie. Ich bereue es nicht, auf der »Golden Main« zu segeln. Lieber bei diesem wunderlichen, aber ehrlichen Rotbein als bei Bartholomew Portuguez oder dem rätselhaften, ständig von schlecht Wetter und anderen Naturkatastrophen verfolgten Niederländer. 88
Dem finsteren, unergründlichen Rock Brasiliano, dessen Lebensziel es ist, auf jede erlaubte oder unerlaubte Art die Dons zu bekämpfen, weder Mutter noch Kind, weder Vater noch Sohn zu verschonen. Sichtbare und unsichtbare Blutströme ergießen sich von den Inseln, dem Festland und von den Schiffen - wo immer nur Männer leben und handeln - in das blaue Wasser der Spanischen Main. Überall Blut. Und muß das so sein? Redlegs ist ein angenehmer Käpten. Seine Geschichte ist bekannt. Engländer von Geburt, geriet er schon als Kind nebst den Eltern in die Gefangenschaft der Dons. Da die Eltern katholisch waren, verschonte die Inquisition sie, und sie kamen als Plantagensklaven nach Barbados. Und gerne erzählt Rotbein, daß er einen guten Herrn gehabt - wie es deren unzählige unter den Dons gibt -, der seine Sklaven nie mißhandelte und ihm, dem kleinen Benny, eine sorgfältige Erziehung angedeihen ließ. Redlegs kann fließend spanisch und englisch und lateinisch, sogar etwas griechisch, kann lesen und schreiben, eine seltene Kunst unter den Küstenbrüdern im allgemeinen. Er dichtet sogar. Er ist mir sympathisch und ich ihm. Mehr kann man auf einem Schiff und von Menschen nicht verlangen . . . »Weißt du, Mac, wie's dann weiterging? - Don Eusebio, mein Patron und Wohltäter, starb plötzlich am gelben Fieber. Und da er vergessen hatte, mich dokumentarisch in Freiheit zu setzen, so nutzte das ganze Testament mir, dem Universalerben, einen Dreck. Ich war und blieb Sklave nach dem Gesetz. Und wurde mit dem anderen toten und lebenden Inventar auf einer Auktion unter dem Hammer angeboten und verschachert. Mein neuer Meister war ein Schinder ersten Ranges ! He, Billy, mein Söhnchen, fülle den Krug und die Humpen!« . . . Der Aufwärter rannte, und nachdem Redlegs mir zugetrunken und ich ihm, und wir dann beide Pokale wieder auf den Tisch gestellt, fuhr er fort: »Ich mußte, statt Gitarre zu klimpern, zwölf Stunden täglich hintereinander Zuckerrohr fällen! Und an Stelle gebratener Hühnchen bekam ich saures Manikobrot 89
und nüchternen Maisbrei und von beidem nicht genug. Und noch heute trägt mein Rücken die grauen Narben von den Aufseherpeitschen. Ausrücken war verflucht schwer oder unmöglich. Denn weißt du, Freund Mac, Barbados ist keine sonderlich große Insel, und die Dons haben dort 'ne Menge Bluthunde. Und diese kälbergroßen Bestien, gegen die du ohne Waffe wehrlos bist, stellen nicht etwa den Mann, auf dessen Spur sie gesetzt werden, sondern zerreißen ihn in Fetzen . . . Prosit, Mac! Sollst leben und mögen wir noch fette Prisen miteinander kapern! Bist ein guter Kerl, und deine Verse und Geschichten gefallen mir. Die Affäre mit El Santo Niño kann ich gar nicht oft genug hören. - Übrigens, Legrand lebt herrlich und in Freuden zu Dieppe. »Zum Wohle! Bibite, bibamus ex! He, Billy, nachfüllen!« Redlegs lachte wohlwollend, und ich sog an der Pfeife. Schließlich fuhr er fort: »Nun, manchmal kamen ja Schiffe binnen, aber natürlich waren es immer Spaniolen, und da war nichts zu machen. Bis eines Tages die Bark >Windrider< unter Käpten Harkins - merke dir den Namen, schreib ihn in deine Chronik, Mac, mein Junge! - Anker warf. Englisches Schiff und fast jeder Mutter Sohn darauf Brite. Prächtige Kerle mit mahagonibraunen Gesichtern und goldenen Ringen im Ohrläppchen und Meerweibchen tätowiert. - A propos, tätowieren, ich habe 'nen ganzen Palmenwald auf dem Rücken, 'ne Schlange um den Bauch und etliche andere nette Sachen eintätowiert. Mußt dir auch so was machen lassen, Mac, mein Junge! - Nun, der spanische Gouverneur fluchte nicht schlecht und sprühte vor Wut über die Frechheit des Englishmannes. Aber da gerade keine Kriegsschiffe in der Nähe waren, die Küstenbatterien sehr schwach und überdies drei Viertel der Soldatos del Rey catolico am Yellow Jack, dem gelben Fieber, darniederlagen, was wollte der dicke Don machen? Harkins traute der Sache übrigens auch nicht sehr, und anstatt zu landen und das ganze Nest auszuplündern, schickte er nur einen Parlamentär und bat um Frischfleisch, Früchte, Gemüse, 90
Medikamente und Wasser. Ansonsten er ganz Barbados in Klumpen schießen würde! Der Gouverneur seinerseits wußte nicht, daß auf der >Windrider< die halbe Crew, vom Gelben Jakob geschüttelt, stöhnend und kotzend in den Kojen und Hängematten lag. Und er erfüllte Harkins' Verlangen. Und in einem Doppelsack voll Mehl - ich bin fast erstickt, und als ich an Bord den Sack von innen mit dem Messer aufschlitzte und an Deck purzelte, muß ich wie ein Müllerknappe ausgesehen haben - well, in jenem Doppelsack feinsten spanischen Weizenmehls fiel ich auf die >Windrider<. - He, Billy, sunny Boy, füll die Kelche, mein Sohn, fülle sie quick! - Na, dann prosit, Mac!« Wir tranken. Rotbein zündete eine der umherliegenden fertiggestopften Pfeifen an der Kerze an, tat einige tiefe Züge und erzählte weiter : »Käpten Harkins war ein Pirat der schlimmsten Sorte und ein feiger Hund und Schuft dazu. Natürlich reihte er mich unter seine Mannschaft ein, und ich war zufrieden. Die Narben auf meinem Rücken brannten, und ich wollte mich rächen. Harkins stellte mich vor die Wahl, als ich ihn bat, mich gelegentlich auf Tortuga abzusetzen: entweder auf einer öden Insel maroniert zu werden oder auf zwei Jahre bei ihm anzumustern. Ich tat letzteres und dachte mir dabei allerlei . . . Da ich auf dem Kasten der einzige war, der eine Erziehung genossen, aber dank meiner letzten Sklavenjahre eisenhart an Leib und Muskeln geworden, so gewann ich bald einen Anhang auf der >Windrider<. Es waren rauhe, aber teils gute Burschen an Bord. Nur Harkins war eine Ausnahme. He, Billy, mein Söhnchen, füll die Kelche! Muß einen üblen Geschmack runterspülen! Bibamus, Mac! - Well, nach sechs Monaten war ich schon erster Kanonier. Harkins haßte und fürchtete mich heimlich. Und ich ließ mir nichts von ihm sagen. Lachte ihm oft ins Gesicht, weil ich viele hinter mir wußte. Es war eine gute Schule für einen Piraten, Mac! Vier Männer auf der >Windrider< brachte ich eines Nachmittags innerhalb 91
einer Viertelstunde mit diesen meinen Händen um; erwürgte sie, und zwei andere, die schliefen, schmiß ich über Bord, und als sie erwachten, waren gerade die Haie dabei, kurzen Prozeß zu machen. Und nun erst wurde sich die gesamte Mannschaft klar, aus welcher Ecke der Wind pfiff. Keiner mochte Harkins. Denn er war auch grausam. Und man hatte es gern gesehen, daß ich ihm in den Weg trat, sooft ich konnte, und ihm den Kurs vermasselte. Und ich hatte so langsam den meisten Boys klargemacht, daß es nicht nötig und geradezu feig ist, wenn man zum Beispiel gefangene Dons, denen man erst Pardon versprochen, über die Planke ins Meer laufen läßt oder sie sonstwie abmurkst! Und daß es Weiber und Frauen gibt. Und einen Gott im Himmel! Die Boys waren ja etwas verwildert, sahen es aber bald ein. Und die das nicht wollten, die habe ich in der Folge umgebracht oder auf öder Insel maroniert. An einem schönen Nachmittag trat, ohne den Käpten zu fragen - was ja statutengemäß auch nicht nötig ist - der Mannschaftsrat zusammen. Und einstimmig wurde beschlossen, Harkins habe mit mir auf Leben und Tod zu kämpfen, wenn er weiter den Befehl führen wolle. Besiegte er mich, so blieb er Käpten, unterlag er, so wurde ich Käpten . . . Billy, mein Herzchen, füll nach! Auf deine Gesundheit, Mac, und auf gute Fahrt und reiche Prisen! Nun, der Zweikampf fand statt, und ich spießte Harkins auf meine Klinge. Und wurde Käpten. Und was für eine Mannschaft habe ich heute?« Er lachte, nahm die Pfeife wieder auf, tat ein paar Züge und schaute mich an. Ich klopfte meine Pfeife erst mal aus, ehe ich antwortete : »Eine Mannschaft, die sich vor nichts und niemandem fürchtet. Und anderseits sind's anständige, sittenreine, hilfsbereite, ja, ich möchte fast sagen - so komisch es auch klingt - guterzogene Burschen. - Wie hast du das nur fertiggebracht, Käpten Greaves? Dein Schiff ist ja fast 'ne Sonntagsschule, und wenn man bedenkt, was für eine Vergangenheit die meisten dieser Kerle 92
haben, so ist's ein Rätsel. Ein Wunder. - Sag, hast du von Levasseur gehört?« »Levasseur von Tortuga? Natürlich! Aber ganz so orthodox sind die Meinen nicht, verlange ich's auch nicht. Ich will nur eine gewisse Ordnung an Bord. Je zwangloser, desto besser. Und wenn nicht gerade gekämpft wird, so soll es anständig zugehen an Bord. Zu saufen erhält jeder genug, und wenn sich einer bis an die Augen vollsaufen will, so kann er das auch tun, wenn er unter Deck bleibt. Und der einzige, der offiziell sich auf diesem Schlitten hier zu fluchen erlaubt, ist Mister Greaves, genannt Rotbein. Verflucht und verdammt noch mal!« Er lachte herzlich. Dann: »Billy, fülle die Pokale, mein Kerlchen!« »Und die Zukunft?« fragte ich nach einer Weile. Redlegs sog an der Pfeife. Schickte dann den Jungen hinaus. Lehnte sich über den Tisch und sprach leise: »Dein Gesicht gefällt mir, Mac. Hab Gutes von dir vernommen und weiß, daß du den Mund halten kannst. Was ich dir jetzt erzähle, ahnt keiner und darf keiner vermuten. - Mac, weißt du, was meine Sehnsucht ist und wovon ich Tag und Nacht träume, und was ich tun möchte - wenn ich erst mal aus dieser verfluchten, goldgeschwängerten Spanischen Main heraus bin?« Noch näher neigte er sich und flüsterte noch vorsichtiger: »Bauer, Landmann will ich werden. In merry old England. - Will geruhsam nach getaner Arbeit und Inspektion meiner drei oder zwei Farmhelfer abends am Kamin sitzen und meine Pfeife rauchen und meinen Grog trinken, während die alte Dame eine Hammelkeule auf den gedeckten Tisch stellt. Bauer!« Er tippte mit der Hand auf meinen Arm: »Wenn du aber ein Wort davon vor der Zeit erzählst oder aufschreibst, so laß ich dir Sonnenlicht in den Bauch scheinen, Konfrater!« Drohend schaute er mich an. »Brauchst keine Sorge zu haben!« Behaglich grinste er: »Weiß ich! Wußte ich, Mac, sonst hätte ich's für mich behalten! - He, Billy, wo steckt der Junge? Sollen wir denn verdursten?« . . . Gleichzeitig mit Billy trat der wachhabende Pilot Wonderful ein. 93
»Käpten, drei Strich voraus an Steuerbord ist 'n Schiff zu sehen! Schätze, ein Don! Großer Pott. Mit Kurs aufs Festland. Schätze, daß er nach Neu-Granada macht. Cartagena! Wird 'ne Menge Soldados an Bord haben und Wein und Sonstiges. Scheint aus Spanien zu kommen!« leierte er. Rotbein sprang auf die Füße. »Danke, altes Walroß! Wenn's ein Don ist, so wollen wir ihn wohl nehmen!« . . . Die Mannschaft steht an der Steuerbordreling und späht leewärts. Noch weit weg, läßt sich dennoch ein großer Dreidecker erkennen. Redlegs ruft Befehle. Die Bootsmannpfeife schrillt und trillert. Die Trommel ruft auf Posten. Sechzig verwegene braune Gesichter, in denen seltsam die hellen braunen oder grauen Augen leuchten, starren zu Redlegs auf dem Achterkastell empor. Und ohne sich zu zieren, spricht er: »Jungens, ihr kennt unsere Art. Den Reichen plündern, den Armen verschonen. So halten wir's seit zwei Jahren und haben zusammen allerlei erlebt und unsere Koffer ganz hübsch mit Pieces of eight gefüllt. Kein Blut und Fluch Gemordeter klebt daran. - Seht, da vorne segelt eine dicke Galeone! Vermutlich mit einem Haufen Soldados zur Verstärkung der Landgarnisonen. Also so oder so, auf jeden Fall 'ne schwere Übermacht, wobei es auf fünf mehr oder weniger nicht ankommt. Da der Kasten bestimmt aus Europa kommt, so ist weder Gold noch Silber an Bord. Aber guter Proviant, treffliche Weine und allerlei nette Klamotten. Wollt ihr dafür das Leben einsetzen? Dann stimmt ab, meine Jungen!« Von Mann zu Mann schreitet der dürre Wonderful und einige sagen »Ja«, andere »Nein«, aber die große Mehrzahl ist für Ja. Redlegs nickt: »Allright, Boys. Ich brauche euch nicht zu erinnern: die sich wehren, müßt ihr totschlagen, denn sie gedenken euch das gleiche zu tun. Die um Pardon bitten, denen müßt ihr Pardon gewähren! Und nun lasset uns nach unserer Art beten!« Er nimmt die Zipfelmütze ab. Unten und neben ihm sinkt alles in die Knie. Er kniet selber und spricht mit tiefer Stimme das 94
vor, was ich, seit ich hier an Bord bin, schon oft hörte und von dem ich immer noch nicht weiß, ist's Blasphemie oder nur eine naive Bitte zum Allmächtigen? Hört nur, so beten wir unter Redlegs: »Westward ho, At the Dons we'll go! If the do not yield, The shall be killed, So the Lord it willeth! Amen!« Ich glaube, in der ganzen Welt gibt es solch merkwürdiges Gebet nicht wie dieses, das da heißt: »Nach Westen, auf die Dons wollen wir losgehen, und wenn sie nicht nachgeben, so werden sie umgebracht, falls Gott so will! Amen!« Schrill trillert die Bootsmannspfeife. Hart hämmert die Trommel. Auf einem Piratenschiff ist man immer mehr oder weniger gefechtsklar, und wir sind schnell bereit. Im Zwischendeck stehen die Kanoniere mit brennenden Lunten hinter ihren Kanonen. An Deck lauern Musketenschützen und Enterer. Und die großen Enterhaken, mittels deren sich ein Schiff unlösbar am andern festbeißen kann, sind hochgeklappt und bereit zum Niederfallen. Zusehends holen wir gegen den Fremden auf, sehen schon die Menschen dicht auf den Kastellen und in den Wanten, sehen Waffen blitzen, und vom Heck flattert das breite, goldrotgoldene Banner von Castilia und Leon. Plötzlich blüht dort drüben eine runde weiße Rauchblume auf. Ein Vollgeschoß reißt heulend einen Splitter aus unserem Mizzenmast, und nun dröhnt dumpf der Knall übers Wasser . . . Drei Stunden später. Alles vorbei. Die »Golden Main« hing mit ihren Enterhaken an der Reling der großen Galeone »Merced« verkrampft, deren Segel zerfetzt und deren Masten bedenklich abgesplittert waren. Unter Deck heulten die eingeschlossenen überlebenden Dons, grundlos bangend, um Misericordia. Das Deck war ein Schlachtfeld. 95
Stöhnende Verwundete, denen der »Sawbones«, unser Chirurg, tatkräftige Hilfe leistete, lagen unter dem Sonnensegel. Sawbones ist ein flachsblonder, langbeiniger Schwede, hat zu Upsala studiert und wurde wegen dummer Streiche relegiert; lief zur See und kam in die Spanische Main. Tote lagen umher. Über- und nebeneinander, ineinander verschlungen, in allen möglichen Stellungen. Einige lagen platt auf den Bäuchen, die Ellenbogen angezogen, und es sah aus, als wollten sie die Zähne in die Deckplanken schlagen. Andere reckten steife Arme, die blutgefärbte Waffen hielten, empor. Zerschellte Eisenhauben, zersprungene Kürasse, Degenstücke, schwarzer Pulverschleim, zerrissenes Tauwerk, Blöcke, Fensterglas, Holzsplitter und dazwischen leere Weinpullen. Eben sägte Sawbones einem rasch ohnmächtig werdenden Piraten das linke Bein unterm Knie ab. Stöhnende, keuchende, fluchende, lachende Piraten. Ein paar tranken Wasser aus spanischen Sturmhauben. Andere begannen die Toten über Bord zu werfen. Jedesmal klatschte es unten auf, und Haie schossen erregt hin und her. Stellenweise rötete sich das Wasser, blaute dann wieder nach. Wir haben fünf Tote, acht Schwerblessierte, und irgendwelche Kratzer hatte jeder von uns empfangen. Von den spanischen Soldados in ihren rotgelben Uniformen und leichten Brustpanzern wurden vierzig im Meer bestattet, wo die Haie Totengräber sind. Dazu kamen noch achtunddreißig Matrosen und »Caballeros de la fortuna« - junge Edelleute, die auf gut Glück in die Kolonien fahren. Der lebende Rest, eine erkleckliche Anzahl, die uns immer noch weit überlegen war, wurde unter Deck eingesperrt. Samt ihren Verwundeten und ihrem Chirurgen. Unser eigener hatte genug mit uns zu tun! Die »Merced« war ein schönes Schiff und hatte nach näherer Besichtigung gar nicht so stark gelitten, wie es scheinen konnte. Die meisten Vollkugeln unserer Breitseite waren über der Wasserlinie eingeschlagen. Chips, der Zimmermann, und seine Gehilfen waren am Kalfatern und Dichten. Auf dem Achterkastell der »Golden Main« hielten wir eine Be96
ratung ab. Es wurde beschlossen, die »Merced« nach Tortuga zu bringen und sie dort zu verkaufen. Pieces of eight fanden wir nur zwei Fässer voll. Truppenlöhnung! Aber riesige Mundvorräte und herrliche Weine, Stoff, Samen und Getreide. Unsere Stimmung war gestiegen, als wir die Untersuchung der »Merced« beendet hatten. Gemäß unseren Statuten wurden die Offiziere und Passagiere der »Merced« bis auf die nackte Haut ausgeplündert, während die Mannschaft ihr Eigentum behalten durfte. Es wurde beschlossen, alle Dons auf der nächsten spanischen Besitzung an Land gehen zu lassen. Die paar Boote konnte die »Merced« entbehren . . . Einige Matrosen, die unter Aufsicht standen, mußten uns bei der Arbeit helfen, und sie staunten, als sie uns umschichtig trinken, singen und beten sahen und hörten . . . Und jetzt halten wir Kurs auf Tortuga. Unermüdlich treibt Rotbein zur Arbeit an. Die Decks sind blankgewaschen und keine Blutflecke mehr zu sehen. Trübrote Brühe lief durch die Speigatts ins Meer und die Haie, die unten mitschwammen, gurgelten ihre Rachen damit aus. Fünfzehn spanische Matrosen unter Wonderful und einem halben Dutzend schwerbewaffneter Küstenbrüder sind auf die »Merced« übergesiedelt. Sie soll uns möglichst im Kielwasser bleiben, weswegen wir Segel kürzten. Falls feindliche Übermacht naht und sie nicht mehr entkommen können, so sollen sie die »Merced« anbohren und in Brand stecken und dann zu uns an Bord kommen. Während des Kampfes hat der Wind geschralt, und wir können ihn nun raumen lassen und guten Kurs nach Tortuga ansetzen. Vom Achterdeck ruft Redlegs: »He, Mac, komm in die gute Stube!« In den Lieken knallt die Brise. Unsere Leute sitzen auf den Luken und singen. Wein fließt in Strömen, Rosinen und Datteln und spanisches Backwerk munden. Und Redlegs' Piraten singen nicht mehr das alte Rumlied, sondern stimmen einen tiefen, choralähnlichen Gesang an, als ich die Treppe hinaufsteige. 97
Unter dem Sonnensegel liegen die Verwundeten mit ihren blassen oder fieberroten Gesichtern im Schlaf oder phantasieren. Scheu sind die spanischen Matrosen an der Arbeit. Wachen stehen breitbeinig vor der Luke, die zur Pulverkammer führt. Eine halbe Kabellänge ab schwankt die »Merced« hochbordig, wunderschön unter vollen Segeln, auf den Wellen. Das Banner des Santiago ist niedergeholt, und der Jolly Roger flattert. »He, Mac, komm doch endlich in die Kajüte!« ruft wieder das Rotbein. Er hat seine pulver- und blutbeschmierte Kleidung über Bord geworfen und die Tracht eines Hidalgo aus den Vorräten der »Merced« angelegt. Nur die roten Stiefel, die er fast nie ablegt, trägt er dazu. Sieht ungemein ehrbar aus, wie ein Gentlemanfarmer . . . »Pfeifen und Tabak. Und den leichten roten Wein, Billy, mein Schatz!« befiehlt er dem Jungen. Und nun sitzen wir, trinken einander zu, rauchen aus den weißen Tonpfeifen, strecken die Beine unter den Tisch. Und sprechen immer weniger. Zuletzt schweigen wir ganz. Rauchen und trinken und geben uns voll der wohltuenden Erschlaffung hin, die sich nun einstellt. Das Meer murmelt, das Schiff ächzt, und vor meinen inneren Augen spielen sich viele Geschehnisse ab. Kommen und gehen. Ununterbrochen.
MARGUERITE Gegen die Felsbastionen donnert im wütenden Anprall die Spanische Main. Hochauf spritzt der blendende Schaum. Die Kimm ist ganz nahe gerückt, und die unterm Himmel dahinjagenden Dünste sind so niedrig und dicht, daß stellenweise Land, Meer und Horizont ein Ganzes bilden. Tropischer, warmer, dichter Regen klatscht hernieder. Erdreich dampft würzig süß. Schwere, peitschende Tropfen zerschleißen die breiten Bananenblätter noch ärger. Schlagen Blüten von den Büschen, trommeln auf flache Dächer, nässen die weißen Mauern, daß sie grau werden. 98
Nasse Gestalten huschen in die vollen Kneipen. Auf den Schiffen, deren Spiere kaum sichtbar aus dem Wasserstaub ragen, ist's still. Die Tierwelt schweigt. Papageien und andere Vögel haben sich verkrochen. Nur am Strand, aus weißem Gischt und wirbelndem Nichts heraus, knarren ruhelose Stimmen ruheloser Möwen wie Geisterruf. Dumpf poltern abgerissene Kokosnüsse in den Hainen zu Boden. Seit Wochen bin ich wieder auf der Insel und schreibe oder liege im dämmernden Grün und träume von unwirklichen Paradiesen, wo der Mensch noch gut ist. Redlegs und seine fromme Schlagtotmannschaft sind wieder in See gestochen, nachdem die »Merced« gut verkauft und die Prisengelder verteilt worden waren. Er hat mir sehr zugeredet, wieder mitzufahren, aber ein wütender Fieberanfall packte mich und streckte mich aufs Bett, und Sawbones hat strikt verboten, daß ich an Bord käme. Esquemelin ist mit einer neuen Größe der Küstenbrüder, François L'Ollonois, über den befremdliche Gerüchte im Umlauf sind, auf einer Kaperfahrt. Bellini, der große, wunderliche Maler aus Florenz, ist gestorben, aber er hat schon einen Nachfolger gefunden, der in Pastell arbeitet und liebliche Miniaturen der Pflanzerfrauen macht. Und jener Bärtige, der damals auf der Veranda saß und so begeistert die Karte von des Magelhaes und die von Francis Drakes Weltumseglung zeichnete, schreibt jetzt Geschichte. Als Kommandant von acht Freibeuterschiffen griff er San Augustin auf Florida an, nahm es und segelt bereits wieder irgendwo in der Spanischen Main umher. Vielleicht ist er sogar ums »böse Kap« und an Tierra del Fuego vorbeigefahren, denn dieser Davis ist ein Mann, dem das Abenteuer, verbunden mit der Wissenschaft, mehr gilt als alle Pieces of eight der Welt. Seit einiger Zeit hören wir nichts mehr von ihm. Und William Dampier, Dichter, Naturalist und kühner Seemann, lebt jetzt nicht mehr auf Tortuga, sondern auf Jamaika zu Port Royal. Penn und Venables haben diese Insel für die Briten erobert. Auch auf Barbados, Trinidad mit dem herrlichen 99
Hafen von Port of Spain und anderen kleinen Keys in den Jardinillos, die Florida vorgelagert sind, faßten sie festen Fuß. Eine Massenauswanderung von Tortuga nach Port Royal setzte ein - besonders die Engländer vereinten sich mit ihren Landsleuten, und Port Royal ist jetzt ein ebensolcher Stützpunkt in der Spanischen Main wie unser Tortuga. Wird dieses, allem Anschein nach, überflügeln. Auch ich werde eines Tages dort hingehen. Vorläufig erhält Tortuga noch großen Nachschub an kühnen, guten Abenteurern und auch abgrundtiefen Schurken, Vollpiraten und Mördern. Ich stehe im kräftigen Mannesalter und lebe noch, nachdem ich viele, die ich kannte, sterben sah. Und ich bin immer noch allein. Und Isabella? Verdorben, gestorben! Wo? Quien sabe! Good riddance . . . Ich wollte mir mal einen Hund anschaffen, doch habe ich das vorläufig aufgegeben. Denn da ich inzwischen oft auf See gehe, würde ich es wohl kaum übers Herz bringen, das Tier während meiner Abwesenheit fremden Händen anzuvertrauen.Hunde sind dann so traurig, und haben eine besondere Art, ihren Kummer mittels Blicken auszudrücken, die mir, dem Küstenbruder, Federfuchser und Töter mancher Menschen in tollen Kämpfen, das Herz schwermachen würde. Und an Bord kann man einen guten vierbeinigen Kameraden nicht gut mitnehmen. Ich schreibe. Schreibe manchmal wie besessen. Eine alte, fette Negerin namens Sarah kocht für mich und versieht den Haushalt. Isabella hatte Nachfolgerinnen; Mädels, die meine gute Mutter nicht billigen würde, wie sie vieles oder alles hier draußen nicht billigen würde. Und es ist einsam um mich. Die paar Freunde, die ich hatte, mit Ausnahme Esquemelins, sind tot. Forster, der Dichter und Komponist süßer Sonette, wurde nebst seiner Crew auf See von den Dons besiegt, und da sie sich nicht ergaben, fielen alle schwerverwundet in Gefangenschaft und wurden, da sie sowieso im Sterben lagen, prompt an den Rahen aufgeknüpft. 100
Das Glück ist nicht immer bei den Brüdern der Küste. Aber merkwürdig oft, und das ist sonderbar. Wie es nur möglich ist, daß eine Handvoll Männer so oft gegen Hunderte schwerbewaffneter und kriegsgeschulter Spanier, hinter hohen Schiffsmauern verborgen und verbarrikadiert, den Sieg erringt? Daß unsere kleinen Fahrzeuge die riesigen Galeonen und Karavellen entern und erobern? Und daß wenige Dutzend von uns in weißen Tropenstädten landen, wo hinter befestigten Schanzen Hunderte bewaffneter, ausgebildeter Bürger und aber Hunderte - ja sogar Tausende - Soldaten sich verteidigen und dennoch besiegt werden? Wie kommt das nur, könnt ihr mir das sagen? . . . Vielleicht, weil wir entweder aus Abenteuerlust, aus Goldgier oder aus Rache kämpfen und fast jeder von uns ein Außenseiter ist! Die Dons kämpfen ja auch hier draußen in der Main für ihr Land und ihren König, und das Mutterland wird trotz des fast ewigen Kriegszustandes mit England oder Frankreich kaum angegriffen. Ist's das Klima, das wir besser vertragen als diese abgehärteten Soldados, oder stimmt's wirklich, was einige sagen, daß Männer, die unsere Gründe haben, besser und verbissener fechten als solche, die nur eine Kolonie verteidigen? Oder hat das rätselhafte, unabwendbare Schicksal längst beschlossen, jene Hunderttausende Indios, die von den Dons ausgerottet wurdenman denke an Cortéz, an die Pizarros und an andere - zu rächen? In diesem Fall bedient sich die Vorsehung der Küstenbrüder, Piraten und aus der Zivilisation Vertriebenen . . . Stunden- und tagelang grübele ich oft über dieses Problem und komme doch zu keinem Resultat . . . Horch, wie das draußen gießt! Wahre Wasserfälle stürzen aus den Schleusen des Himmels. Der Weg ist ziemlich weit, und trotz Wetterkleidung wurde ich bis auf die Haut durchnäßt - ansonsten ich nämlich einen Besuch bei Monsieur Flammarion und Familie machen möchte. Sie kamen vor einem Jahr nach Tortuga und haben heut die schönste Pflanzung hier, möchten aber, sobald die Lage reifer und klarer wird, hinüber nach Hispaniola, wo der Franzose langsam beginnt, auf der halben Insel sich festzusetzen. 101
Die Flammarions sind sehr liebenswerte Menschen und haben mit den Küstenbrüdern nichts gemein, sondern gehören jenem Cercle an, den wir spöttisch, aber ohne jede Bosheit »anständige Leute« nennen. Pflanzer und Beamte des Gouverneurs, der oft lachend sagt, daß die Eigenheiten der Küstenbrüder und Freibeuter ihm graue Haare machen! Ja, bei Flammarions ist's schön. Auch Esquemelin gehört zu den paar Bevorzugten, die dort Besuche abstatten dürfen und immer gern gesehen sind. Eine wunderbare, weiche Atmosphäre umfängt einen in dem gepflegten Pflanzerheim. Die Dame des Hauses hat ihren Salon, die Tochter klimpert auf dem Spinett oder der Harfe und singt dazu, eine Bibliothek ist vorhanden, und man steht mit Frankreich in Postverbindung. Marguerite Flammarion ist ein süßes, berückendes, schwarzäugiges, zierliches Geschöpf voll Esprit und Eleganz. Ob sie es weiß, daß ich mir einbilde, sie zu lieben? Ich denke ja, denn neulich lachte sie so frauenhaft weise, und Mama drohte mir nachher mit dem Finger und sagte mit unter vier Augen : »Monsieur Mac, Sie sind ein Ehrenmann und deswegen haben wir Sie gerne. Aber, oh, man spricht allerlei über eine gewisse Bruna, eine Pepita, Isabella und andere. Mein Mann und ich sind großzügig, sonst kann man nicht hier draußen leben, Monsieur! Enttäuschen Sie uns bitte nicht, es würde uns leid tun! Marguerite ist mit einem Officier du Roy verlobt!« . . . Das war sehr deutlich. Ich gehe nach wie vor hin, und die Freundschaft, die man mir entgegenbringt, ist die alte geblieben, aber . . . Nein, kleine Marguerite, brauchst keine Angst vor mir zu haben. Wenn du nicht von selber zu mir kommst. Aber das wird Gott sei Dank nie der Fall sein. Gott sei Dank, sage ich, auch mir würde es leid tun. Papa und Mama Flammarion sind so liebenswürdig, und es wäre eine schuftige Vergeltung ihrer uneingeschränkten Gastfreundschaft, wenn ich . . . Eine andere Pflanzerstochter, ein abenteuerliches schönes Geschöpf, ist ja schon mit einem Piraten ihren Eltern davonge102
laufen. Und einem Piraten übelster Sorte, der an Land einherging wie der Wolf im Lammfell. Er setzte sich einfach über die »Artikel«, die jede Frau an Bord streng verbieten, hinweg. Und rasch geschah, was vorauszusehen war. Bedenkt: fünfzig oder sechzig wilde, zusammengewürfelte Seeräuber auf einem Schiff, und der Anführer hat eine junge kecke und kokettierende Doña bei sich, und die andern haben keine. »He, Käpten, in den Artikeln steht, daß kein Weibsbild, falls es sich nicht um eine Gefangene gegen Lösegeld handelt, an Bord sein darf. Wir wollen aber ein Auge zudrücken, falls wir auch ein bißchen von deinem Kätzchen abkriegen!« so tobte fluchend und lachend der Mannschaftsrat auf hoher See. Der Käpten hat dazwischengeknallt; und binnen Sekunden entwickelte sich ein blutiger, wahnsinniger Kampf, an dem alles teilnahm. Die Kajütsgasten wurden überwältigt, und das »hübsche Kätzchen« wanderte von Hand zu Hand, bis sie in einem unbewachten Augenblick, geistig umnachtet, über Bord, den Haien sozusagen in den Rachen sprang. So geschehen an Bord des »Rover«. Die arme Kleine hieß Blanche Brissac, und ihre Eltern nahmen sich die Tragödie so zu Herzen, daß sie nach Frankreich heimfuhren. Und die Mannschaft des »Rover« holte der Teufel, nahm sie hinab in seine große Salzwasserkiste oder bewahrte sie für ein noch schlimmeres Los auf. Sie hatten nämlich keinen Piloten, keinen Navigator mehr und schwabbelten ziellos in der Main umher; die »Rover« wurde von einem französischen Kriegsschiff aufgegriffen, genommen, und jeder Mutter Sohn, der noch lebte, zierte alsbald die Rahen . . . Nein, brauchst nichts zu fürchten, Marguerite! Verfluchter Regen da draußen! Verdammtes, langweiliges Buch! - »He, Sarah, bring Wein!« Sie rollt herein wie eine schwarze holländische Treckschuit, wackelt mit Kopf und Achtersteven und glotzt possierlich. »Nix, Massah! Massah alles aussaufen! Dies schwarze Kind muß neuen Wein holen. Massah geben Geld!« »'s ist gut, Sarah. Hol welchen bei Barbassou. Hier ist Gold und 103
den Rest kannst du behalten!« Ich werfe ihr einige Pieces of eight hin. »Stell die Rumpulle auf den Tisch. Und die Kerze und neue Pfeifen und Fidibusse !« Die Alte beeilt sich, und ich stürze ein Gläschen des alten Jamaikarums hinunter. »Lauf rüber, sag der Josita, sie soll mir Gesellschaft leisten, ihre schönsten Klamotten anziehen und ihre Gitarre nicht vergessen!« »Oh, Massah, Josita jetzt nicht daheim! Heut' großer Tanz in allen Kneipen. Prisenschiffe gestern eingelaufen!« »Ach ja. Nun, dann eben nicht. Kannst schlafen gehen, wenn du Lust hast, Sarah!« Ich schlüpfe in den blautuchenen, mit Seesalz bekrusteten Wachtmantel, stülpe den alten Dreimaster auf den Schädel, stopfe den Zopf unter den Mantelkragen und steuere, gegen den Sturm Balance haltend, hinaus in den klatschenden Regen. Bin in der richtigen Stimmung! Zur Wasserfront habe ich nicht weit. Und in sämtlichen Kneipen, wo Tag und Nacht der Teufel los ist, solange noch ein Goldstück in den Taschen zechender Burschen klingelt, ist heut der Extrateufel los! Rote und gelbe Lichte zucken hinter den Butzenscheiben, leere Fässer liegen vor den Häusern. Ein Betrunkener, den eben der kräftige Fußtritt eines beleibten Wirtes an die Luft beförderte, saust aus »La ville d'Or« wie aus der Kanone geschossen an mir vorbei. Landet mit mächtigem Platsch in einer tiefen Pfütze. Rappelt sich fluchend auf, zieht die Pistole und knallt ein Loch in den Regen. Setzt sich dann wieder hin und streckt sich aus, der Länge nach. Schnarcht hörbar mitten in der Wasserlache. Morgen wird er das Fieber haben! Im tollen Rhythmus klimpern Gitarren, zirpen Mandolinen, rasseln Kalebassen, hämmern Trommeln. Spanische und französische, niederländische und englische Texte zu Melodien, die von Negern im dunklen Afrika geboren wurden. Drohend und eintönig oder grell aufreizend und wunderbar rhythmisch dazu. Eine Musik, die es in Europa noch nicht gibt! Vom Hafenbecken her laufen ein paar triefende Männer, tau104
chen in die Türen der Kneipen, die beim Öffnen goldene Schlaglichter auf die Nässe draußen schleudern. Bei Barbassou herrscht buntes Gewimmel. Alle Stühle und Bänke sind dicht besetzt. Manch einer hat seine Schöne auf den Knien. Die Musik klingt verwischt, ist sekundenlang gegen den übrigen Lärm unhörbar. Stimmengetöse, Gelächter und Fluchen. Tabaksqualm wogt hin und her wie Pulverschwaden auf einer eben genommenen Karavelle. Barbassou, älter, faltiger und weißhaarig geworden, die traditionelle rotseidene Nachtmütze auf dem Schädel, die kurze Lederschürze vor dem Bauch, erspäht mich und kommt mir händereibend entgegen. Er schafft mir Platz, denn bei ihm gehöre ich seit der Affäre Santo Niño zu den Ehrengästen, und es kommt ihm nicht darauf an, dafür einen andern vor die Tür zu werfen. Rasch steht ein Humpen Claret vor mir, eine Schale mit Tabak, eine neue Tonpfeife und ein Teller voll delikater Markknochen, deren Enden mit rotem Pfeffer bestreut sind. Ringsum brandet Getöse. Lachende, gerötete Gesichter unter Nachtmützen oder Federhüten tauchen ab und zu aus den Rauchwolken; Hände, die den Würfelbecher schütteln, verkrampfte Finger, die Spielkarten auf den nassen, weinbesudelten Tisch schmettern. Pieces of eight blitzen. Blasse junge Kerle lehnen über die Spieler, halten Augenzwiesprache mit aufgedonnerten Weibern, deren Zuhälter sie sind und für die sie menschliche Beute aussuchen. Mit einemmal sitzt eine junge bildhübsche Quadrone auf meinen Knien, lacht mich an und trinkt mit dem roten Schnabel aus meinem Humpen. Und bettelt mich an. Ich kenne sie und wundere mich, denn vor zwei Wochen war sie noch Zofe bei einer Pflanzersfrau, die allerdings im Rufe steht, ihre Sklaven mit Nadeln zu stechen und furchtbar zu prügeln. Und jetzt segelt die Kleine direkten Kurs vor die Hunde! Tortugabilder . . . »Verdammtes Aas, du mogelst! Deine Würfel haben Bleieinlagen!« heult eine kaum mehr menschliche Stimme, und eine andere schreit frohlockend: »Gagné! Gagné! Viermal sechs 105
Augen! Der höchste Wurf! Die hundert Goldstücke sind mein!« »Schenk mir ein Goldstück!« bettelt die Kleine und wippt auf meinen Knien, zerrt mich am Zopf, der mein eigener ist. »Für einen Kuß sollst du dreie kriegen, Marguerite!« »Ei, wie galant! Aber ich heiße Cécile! Da, nimm! Auf Kredit, weil ich dir traue!« und küßt mich, und ich fühle ihre frischen Lippen. In mir singt das Blut, und der alte Leichtsinn und der Drang nach Vergessenheit sind stärker als je. Heia, das Leben ist schön! . .. Ein donnernder Pistolenschuß! Geschrei, Tumult, und durch die minutenlange lähmende Stille - ehe das Getöse wieder losbricht - ein rauhes Stöhnen. Wie von einem, der stirbt. Dann schreit jemand: »Schmeißt den Betrüger vor die Tür. Kopfschuß, und verdient hat er ihn. Sagte ich nicht, die Würfel seien falsch? Da seht her! Blei darin!« Durch Qualm und Dunst sehe ich Barbassous Neger etwas hinausschleppen. Etwas Langes, Schlaffes. Ein anderer Sklave streut Sand auf die Stelle, wo . . . Die Gitarren setzen mit einem Marsch ein, die Stimmen brausen auf, die Würfel klappern von neuem, und harte Hände schmettern auf Tische. Qualm wogt, Gold blinkt tückisch, es riecht nach Menschen, nach Parfüms und Gebratenem, und darunter mischt sich der langsam abziehende scharfe Geruch des Schießpulvers. »Hast du Pieces of eight in der Tasche?« »Nein, aber komm mit, sollst noch mehr kriegen als nur drei. Und ein paar Pullen Wein nehmen wir längsseits!« »Ei wie fein, Macky!« jauchzt sie und umhalst mich wieder. Der junge Körper ist warm und fest unter der steifen Brokatschneppentaille. Und vor meinen Augen dreht sich alles, tanzt einen rötlichen Reigen. »Komm!« Ich nehme sie auf den Arm, trage sie durch das johlende Gewimmel. Einige trinken mir zu. Viele kenne ich. »Vive Mac! Und die Achtundzwanzig des Pierre Legrand!« Barbassou folgt mir. »Schon wieder fort?« »Mein Alter, du weißt, ich halte Wort! Hab' kein Geld mitge106
nommen. Gib mir einen deiner schwarzen Jungen und einen Korb Wein mit. Sarah kann ihn dann gleich bezahlen!« »Aber ja, aber ja, mein Freund! Kenne dich. Betrügst nicht, gehörst zum alten Tortugaschlag!« nickte er und geht nach der Küche, hinter der ein Keller in die Erde führt. Ich trage das vergnügt aufkreischende Geschöpf im Laufschritt durch den Regen nach meinem Haus und über die Schwelle. Auf dem Tisch brennt noch die Kerze. Sarah ist noch auf. »Sarah, hör, gleich kommt ein Boy von Barbassou mit Wein. Er bringt die Rechnung mit und du bezahlst ihn. Und deckst dann den Tisch!« »Gut, gut, Massah. Massah tun recht, nicht allein bleiben in solcher Nacht. Junges Blut wärmt!« Cécile schlüpft aus dem schweren klatschnassen Brokat, wobei ich die Nestel und Ösen auf ihrem Rücken aufmachen muß. Steht, eine lachende hellgoldene Statue, vor dem Tisch. Um den Hals schließt sich eng eine blutrote Korallenschnur. Wie schön sie ist, und wie bald ist sie beim Teufel! denke ich und hole einen Pudermantel, der, glaube ich, von der Karavelle »Los Reyes catolicos« stammt. Und zünde, während sie in das weite Kleidungsstück kriecht, das fertig gehäufte Holz im Kamin an. An die Heimat denkend, ließ ich mir von einem geschickten Maurermeister, der unter den Küstenbrüdern ist, diese Heizgelegenheit bauen. Und benütze sie an solchen Regenabenden wie heute, denn lange schon bin ich in der Spanischen Main, und mein Blut wird dünn, vom Schüttelfieber, das immer wiederkommt, verdorben. - Ich ziehe trockene Kleider an. Draußen höre ich Sarah mit Barbassous Jungen schwatzen. Mit übereinandergeschlagenen Beinen, - an einer Fußspitze baumelt ein nasser, zierlicher Pantoffel, - setzt sich die Kleine vor das flackernde Feuer. An den Wänden huschen gigantische Schatten auf und nieder. Der Wind heult im Schlot. Noch sechs lange Wachslichter zünde ich in den schönen Silberleuchtern an, die von einer Prise stammen. Wie auch das weiße Damasttischtuch und die prächtigen Pokale und das Silbergeschirr, mit dem Sarah nun den Tisch schmückt, einst auf einer 107
stolzen Galeone, die »El Santo Niño« hieß, durch die Meere fuhren. Ich hätte damals an Stelle des Tischgeschirrs auch Altargeräte aus purem Golde, mit Edelsteinen besetzt, haben können, doch hielt ich solches Tun für Sünde. »Wunderschön ist's bei dir, Macky. Hier möchte ich für immer bleiben!« »Na, so bleib, bis dich ein Jüngerer mir ausspannt! Brauchst dann aber nicht heimlich wegzuschleichen, denn ich bin ein Philosoph, weißt du.« Roter Wein funkelt in gläsernen Pokalen. Ich habe zwar Silberund Goldbecher, aber den Wein muß man sehen, wie er flüssig funkelt. Außerdem schmeckt er besser aus Gläsern. »A tu Salud, Hermosa!« sage ich scherzhaft. »A la tuya, Hombre!« Wir trinken einander zu, und es ist wie Feuer und Leben, das da in meine Kehle hinabrinnt. Schade, daß man nicht Wein trinken, küssen und Pfeife rauchen auf einmal kann! Die Frauen mögen das nicht so sehr . . . Der Kamin strahlt eine behagliche milde Wärme aus. Auf dem Dach trommelt der Regen, und weit weg murrt die Brandung. Ich gehe an die Truhe, krame darin und werfe dem Mädchen eine Handvoll Pieces of eight in den Schoß. Nach allen Seiten hüpfen und rollen die glänzenden Scheiben. »Oh, du bist ein Kavalier, und ich will dich die ganze Nacht dafür küssen!« Sie kniet auf den Boden und rafft gierig das Gold auf. Seltsam, daß alle hinter dem gelben Metall so her sind! Auri sacra fames - verfluchter Goldhunger! »Komm her, steh auf, Marguerite, und trink!« »Ich heiße doch Cécile!« »Ach ja!« Sie schaukelt wieder auf meinen Knien. Und die Kerzen leuchten feierlich schön, duften nach Bienenstöcken. Das Tischtuch schimmert wie Schnee auf dem Ben Nevis, an dessen Fuß ich geboren wurde. Die Gestalten auf Bellinis Bildern leben, treten aus satten Tönen rosig hervor. Und das Feuer knistert. 108
Ihre jungen Brüste sind goldbraun, sammetkühl und steil und liegen wie zwei Früchte in den Schalen meiner andächtigen Hände. Sehnsüchtig schauen mich die schwarzen Augen an, die roten Lippen nähern sich den meinen und . . . »Marguerite!« sagt nicht mein Mund, sondern meine Seele. Denn wozu braucht diese kleine Hure zu wissen, daß . . . Bumm! Bumm! Bumm! hallen drei dumpfe Kanonenschüsse. Und nun schrilles, gedämpftes, hysterisch unaufhörliches Gebimmel sämtlicher Schiffsglocken im Hafen. Dünn tönt es durch das Toben der Natur. Mit einem Satz bin ich auf den Füßen, fege das Mädel von meinen Knien. Dort sitzt sie verdutzt auf dem Boden und spricht halb zornig, halb lockend: »Mac, Mac, je te prie! Restez chez moi, mon Chou-Chou! Mac!« Alarm! Ich reiße die Muskete von der Wand, hänge das Bandolier mit der Munitionstasche um. Den Cutlaß an die Hüfte, Pistolen und Dolchmesser in den Gürtel. Wild gellen dort draußen die Glocken, nun knallen Musketen dazwischen, und endlich dröhnt, das Haus zum Erzittern bringend, eine Salve der Strandbatterie. Die Dons kommen! Haben sich wahrhaftig eine Nacht dazu ausgesucht! Eine Nacht! Hei! Draußen weht ein halber Orkan, aber die Soldatos und Marineros del Rey sind mitnichten feige. Durch den Orkan kommen sie und wollen uns mal wieder ausräuchern . . . »Paß auf die Kleine gut auf, daß sie nichts maust!« flüstere ich in der zugigen Veranda der schwarzen, aber jetzt im goldenen Lampenlicht grau vor Angst gewordenen dicken Sarah zu. Und renne hinaus in die triefende, peitschende Nacht, durch die fernes Wetterleuchten zuckt. Die Verteidigung von Tortuga ist sehr gut organisiert, und die Dons sollen uns nicht mehr, wie schon einmal, im Schlafe aus den Betten räuchern! Jeder von uns, der nicht grad ausgemustert hat, kennt seinen Platz. Der meine liegt in jener kleinen Bucht, wo das Haus in und unter Blumen steht, duftendem Jasmin, Passionsblüten und grell109
roten Becherwinden. Und wo im Garten, sechs Fuß tief in der Erde, der rotköpfige Venard schläft . . . Meine Genossen sind auch eben eingetroffen. Elf schwerbewaffnete Männer, holen wir keuchend Atem und bohren den Blick durch das Dunkel der Nacht und die Regenvorhänge aufs Meer, das heute wild in die Bucht schäumt. Bananenstauden gewähren einigen Schutz, was sehr wichtig für das Pulver auf unsern Musketen und Pistolenpfannen werden kann. Nichts zu sehen! Vom Hafen her und einem südlichen Punkt der Insel knattern Musketensalven, einzelne Schüsse dazwischen. Die Schiffsglocken sind verstummt. Also am Hafen und dort im Süden versuchen sie zu landen! »Brave Muchachos! Bei diesem Höllenwetter im offenen Boot auf See an einer Leeküste, fürwahr, das ist ein tolles Stück!« schreit neben mir einer durch das Getöse. Und ein anderer: »Ob sie's auch hier versuchen? Ist 'ne komfortable Bucht!« »Ruhig, Jungens! Laßt sie kommen. Seht ihr was?« Immer noch Musketensalven und durch die Pausen das donnernde, kurze Hallen der Batterien. Eine andere Küstenbatterie tritt in Aktion. Die Nacht ist fast schwarz und die Sicht sehr schlecht. Da! täusche ich mich oder sah ich wirklich etwas noch Schwärzeres als die Dunkelheit auf den zeitweilig phosphoreszierend aufleuchtenden Wogen am Eingang der Bucht? Peter, ein Pirat, der eine kleine Tabaksplantage besitzt, preßt meinen Arm. »Zwei Boote!« brüllt er und braucht und kann nicht flüstern, denn die See tobt furchtbar laut. Ich sehe sie nun auch. Manchmal verschwinden sie, dann heben sie sich wieder empor auf den blitzenden Kämmen der Brecher, ehe sie abermals versinken. Sie kommen langsam näher, Seegang und Windrichtung helfen dabei. In einer jener sekundenkurzen Pausen, die den Stürmen der Spanischen Main eigen sind, höre ich Ruderknarren. Am Westrand, wo eine ähnliche Bucht ins Land schneidet, knallen auf einmal Musketen, brüllt ein Neunpfünder, der dort aufgebaut ist. Also auch da versuchen sie's. Im Hafen schweigt die 110
Batterie, aber das Kleingewehrknattern geht weiter, und im Süden schießen sie auch noch. »Sacré, dort kommt ein drittes !« heult mir Jacques ins Ohr, und er hat recht. Meine Augen durchdringen nun die Dunkelheit besser, auch der Regen hindert die Sicht nicht mehr so, obwohl er unvermindert niederrasselt. Aber die Wogen, die jetzt tiefer aufgerührt werden, leuchten stärker, und der Schaum blitzt. Und schwarze Scherenschnitte sind die drei Boote. Vielleicht noch sechzig Längen entfernt. Und eines ist den andern voraus. Wieder höre ich Ruderknarren. Ob sie uns jetzt bemerken oder nicht, das ist gleich. Da ich der Anführer der Zehn bin, brülle ich so laut ich kann: »Zielt alle in der Reihe, wie wir stehen, auf das erste Boot. Und dann so rasch wie möglich geladen und nochmals losgepfeffert. Und dann auf sie mit Pistole, Dolch und Cutlaß, wenn sie gerade landen. Laßt sie nicht Fuß fassen, sonst geht es uns dreckig!« Im Süden knallt starkes Musketenfeuer. Im Westen auch, und dort brummt in Pausen der Neunpfünder. Am Hafen donnert noch mal eine einzelne Kanone. Welch eine Nacht! Der Orkan schleudert uns Sprühregen und Schaum in die Gesichter, und ich hege Befürchtungen wegen des Pulvers auf den Pfannen unserer Schußwaffen . . . »Jetzt!« brülle ich wieder. Das erste Boot ist ganz nah, ich erkenne die Gestalten darin. Wie eine riesige Schaukel schnellt es auf und nieder, schießt dabei näher und einmal ist's, als schwebte es grad über unsern Köpfen, während ein besonders großer Brecher es hochstemmt und dann im Sog ein Stück zurückreißt. Führwahr, die dort die Ruder führen, halb ersäuft und die Boote voll Wasser, sind Männer! Ich drücke ab. Glaube, nebst dem Rückstoß noch sieben oder acht unregelmäßige Schüsse zu hören, vernehme auch deutlich die saftigen Flüche jener, deren Musketen nicht losgingen. Im Boot schreien sie auf. Ganz dünn durch den Aufruhr des Meeres. Schon arbeite ich fieberhaft und lade wieder, verschütte dabei die Hälfte meines Pulvers. Seht! Es sind nur noch zwei Boote, wovon das eine ganz nahe 111
mit dem zurückziehenden Sog kämpft. Das hinterste ist weg. Umgeschlagen und . . . da! wie ein dunkler, sich überrollender Baumstamm ist es im Schaum zu erkennen; und ich bilde mir ein, Gestalten daran hängen zu sehen. Dann ist es verschwunden. Wieder drücke ich ab. Das Pulver verzischt, mit einem Fluch werfe ich die nutzlose Waffe fort, nehme in die linke eine Pistole, in die Rechte den Cutlaß und das Dolchmesser zwischen die Zähne. So habe ich's für den Nahkampf auf der Spanischen Main gelernt. Um das verschwundene Boot kümmert sich jetzt der liebe Gott. Wir haben keine Zeit dazu, denn mit einem Krach landet soeben das vorderste Boot. Halb flog es durch die Luft, halb balancierte es auf einem Wellenkamm, dessen Spitze uns alle wie mit nassen Armen um die Hüften peitschte, und schon sind wir mitten unter ihnen, haben den Vorteil, auf dem Lande zu stehen, während sie bis an die Knie im reißenden, zurückgurgelnden Wasser umhertaumeln. Pistolenschüsse blitzen auf, Säbel klirren, jemand schreit greulich, als werde er gepfählt . . . Ein Höllenspuk in dunkler Nacht! Und so rasch verflogen wie ein Traum! Dunkle Gestalten liegen plötzlich zu meinen Füßen, mehrere reißt der zurückflutende Sog seewärts in die Bucht. Erledigt . . . Das zweite Boot! Breitseits klatscht es auf den Sand. Die meisten Insassen werden herausgeschleudert, taumeln jetzt auf die Füße. »Santiago!« brüllt einer das spanische Feldgeschrei und schießt eine Pistole vor meinen Augen ab, daß ich halb geblendet zurückfalle. Ich sehe einen Säbel schimmern und erwarte den Hieb, denn ich kann nicht mehr ausweichen. Da knallt neben mir ein einzelner Schuß, und der Don sackt zusammen. Wie ein Wilder schlage und steche ich um mich, höre und sehe, daß die andern dasselbe tun. Wir sind durch unseren Stand im Vorteil gegen die halbersäuften Dons, die, ehe sie recht Fuß fassen können, der Reihe nach abgetan werden. Mit einemmal wird es ruhig um uns. Im Süden knallen noch Schüsse, aber nur vereinzelt. Der Westen ist still. Vom Hafen 112
weht Triumphgeschrei herüber. Dann prallen drei Raketen in die Luft. Ich keuche, die Lungen stechen, und sehe wie im Traum die zwei halbzerschmetterten Boote gleich gestrandeten Tümmlern auf dem Sande, von Gischt umbrandet daneben eine dunkle Gestalt, die sich qualvoll aufbäumt. Und ich höre Jacques stöhnen: »Oh, mon Dieu, mon Dieu! Maman!« Noch ein Gurgeln und Röcheln, das, so schwach es sein mag, dennoch den Aufruhr der Elemente übertönt. Und nun nur noch das Sausen des Sturms, das Brüllen der See draußen, und das unheimliche Zischeln, Prasseln und Rauschen in der Bucht. Dazu stöhnen die Blätter im Dickicht und trommelt der Regen. Noch ein paar Schüsse im Süden. Dann auch dort drei Raketen gespenstisch durch den Dunst leuchtend. Und fast gleichzeitig im Westen dasselbe. »Aufgepaßt, falls sich einer totstellt oder noch welche aus dem dritten Boot angeschwemmt werden!« rufe ich und starre seewärts. Nichts! Auch im kurzen, schwachen Schein der Raketen, die Peter eben zum Himmel hochließ, ist nichts zu sehen. Nur das geisterhafte Wogenschimmern und das Aufblitzen der Schaumkämme. Dann schreie ich auf! Denn eine Hand packt eisern meinen linken Fußknöchel, und gleichzeitig schlagen sich scharfe Zähne in meine Wade. Also einer noch nicht tot! - Ein Cutlaß saust nieder und erlöst mich von meinem Angreifer. Griff und Zähne lassen los. Schwarze Gestalten neben mir bewegen und beugen sich über andere schwarze Figuren, die, halb vom Wasser umspült, mit im Sog grotesk schlenkernden Beinen auf dem sanft geneigten Ufer liegen. Dann sagt eine Stimme: »Alle ausgelöscht!« Ich zähle ab: »François?« »Présent!« »Bill?« »Right here!« »Jean Marie?« »Oui!« »Peter?« 113
»Portverdeiske!« »Maurice?« »Présent!« »Jack?« »Here! And wounded in the thigh!« »Joseph?« »Présent et blessé. Bagatelle!« »Frédéric?« »Présent et blessé. Bagatelle!« Stille . . . »Und Jacques? Und Gaston?« »Gaston ist der halbe Schädel weggeschossen, er ist toter als ein Sargnagel. Und Jacques hat eben die Anker gelichtet. Er ist auf große Fahrt gegangen. Möge er gut Wetter haben und gut ins Port kommen! Aus!« . . . Gedämpft ertönt Triumphgeschrei, begleitet von sämtlichen bimmelnden Schiffsglocken vom Hafen her. Im Süden und Westen ist's ruhig, es ist zu weit weg. Nun brüllen auch wir wie verrückt: »Victoire! Victory!« Der Regen klatscht, das Meer stöhnt und rauscht, der Orkan heult wie tausend Gemarterte in der Hölle. In den Büschen ist ab und zu ein gewaltiges Aufrauschen, dann ein Prasseln. Von den toten Spaniern reißen wir die nassen Hemden ab und verbinden uns die Wunden. Jack flucht vor Schmerz. Ihn hat es am ärgsten erwischt. Die Wunde am Oberschenkel ist ziemlich tief. Dann untersuchen wir die Dons nach Papieren, finden aber nichts. Die einzigen Wertsachen sind einige Heiligenmedaillons und zwei silberne Rosenkränze. Ihre Besitzer sind oder waren Offiziere. Das Meer schwemmt noch zwei Ertrunkene aus dem einen Boot in die Bucht. Auch sie haben nichts bei sich. Im ganzen liegen sechzehn Leichen auf dem Strande. Zwei sind von den Unseren. Und der Rest? Draußen spielt die Spanische Main mit ihnen . . . »Ah, jetzt einen heißen Rum mit Limonadensaft und Zucker!« sagt jemand wollüstig. Da! Ein scheußliches, kurzes, singendes Aufheulen in der Luft 114
über uns, und mit lautem Krach schmettert eine Vollkugel in die Palmen. Dumpf dröhnt der entfernte Knall auf See draußen. »Sacré, diese Dons sind total verrückt! Schieß du mal 'ne Kanone auf 'nem schaukelnden Schiff ab, bei solchem Wetter! Entweder triffst du die Sterne oder die Kugel geht zufällig, wie eben jetzt, an Land oder sonstwohin. Außerdem läuft das Schiff voll, weil die See bei den Stückpforten hereinschlägt, wenn sie nicht mit der Drehbasse ballern. Aber das war grobes Geschütz eben! Na, die Burschen sind wütend, weil ihre Boote zum Teufel sind!« philosophiert Jean Marie laut und bedächtig. Weit draußen blitzt es rötlich auf, abermals weht der dumpfe Knall herüber, aber wo diesmal die Kugel hinsurrte, wissen wir nicht. Unsere eine Batterie, die den Standort der Schiffe ausgemacht hat, fängt an zu knallen. Etliche Male erwidern die Dons das Feuer, dann schweigen sie wie auch die Unseren. Es war nur Munitionsverschwendung. Nun, da die Erregung langsam weicht, fühle ich, vor Kälte schaudernd, daß ich keinen trockenen Faden auf dem Leibe habe. Und daß ich eben wieder Menschen in ein besseres Jenseits beförderte, die mir das gleiche tun wollten. Ah, kein Königreich für ein Pferd, aber beinahe soviel für eine Pfeife Tabak! »Peter, Mann, du wohnst doch in Venards Haus!« sage ich und spreche den Namen des toten Rotkopfs nur leise aus, es ist mir, als könne ich ihn wecken! - »Hol uns eine Pulle Rum! Das wird uns allen bei dem Sauwetter guttun!« Mit einem Jauchzer läuft der Angeredete den Hang hinauf und brüllt überschnappend: »At the Dons we'll go ! And Rum below! Yoohoho!« . . . Wir bugsieren die Toten, wobei uns selber das Wasser um die Hüften schäumt und uns die Füße vom Boden reißen will, zurück ins Meer. Jean Marie wird beinahe fortgespült. Der Sog 115
rollt sie hinaus und hinab in die nächtliche Tiefe. Unsere beiden Genossen erhalten das gleiche rauhe Seemannsbegräbnis, und ich hoffe, daß sie draußen irgendwo auf dem Grunde liegen, unter Korallen und Anemonen, und die Ruhe finden, die ihnen im Leben nicht beschieden war . . . Peter kehrt mit der Pulle zurück. Der Rum wärmt und macht gesprächig. Unsere Posten dürfen wir noch nicht verlassen. Aber der Orkan verstärkt sich von Minute zu Minute. Es ist eines der bösesten Unwetter, die ich je hier draußen erlebt habe. Laut braust und heult das Meer, und der Luftzug, der den dichten Regen waagrecht vor sich herschmettert, wirft uns fast auf den Rücken. Kein Boot kann in solcher See durchhalten, und Gott sei den Schiffen dort draußen gnädig! Da dröhnen, kaum hörbar durch das Toben der Elemente, drei Kanonenschüsse im Hafen, und nun dürfen wir gehen. Im Osten überspannt fast ununterbrochen ein Netz blauer Blitze den Horizont. Und tief murrt Donner überm Meer. Die anderen stapfen nach der Wasserfront, wo der Rest der Nacht - das weiß ich genau - in einer großartigen Zecherei verbracht wird, ehe sie sich tags drauf beim Wundarzt untersuchen und richtig verbinden lassen. So sind die Tortugamänner! Ich gehe heim. Heim, merkwürdiger Ausdruck! Sarah empfängt mich zitternd auf der Veranda. »Böse Dons fort, Massah?« »Ja, die kommen so bald nicht wieder, beruhige dich, Alte!« »O grâce à Dieu! The Lord be praised! Bendito sea Dios!« leiert sie in drei Sprachen und murmelt noch was heidnisch Afrikanisches, schlägt ein Kreuz, küßt ihren Rosenkranz und führt zuletzt einen Fetisch an die Stirn. Eine Kokosnuß knallt auf das Dach. Wie der Orkan tobt! Ich trete in die große Stube, wo noch die silbernen Leuchter mit den feierlichen, halb herabgebrannten Kerzen stehen. Ein Pokal liegt umgefallen auf dem Damast, und rot blutet der vergossene Wein. »Marguerite - Cécile?« 116
»O Massa, schlimme Buckramädel ist fortgelaufen. Hat gesagt, Massah sei kein Kavalier, der schöne Damen allein lassen!« plaudert die Alte, und ihre Augen kullern wie weißumrandete Kugeln. »Ho, also kein Kavalier!« »Oui! Yes, Massah. Caramba maldito Buckramädel nix gut für Massah. Ich holen Josita! Josita sicher jetzt zu Haus!« »Nix, laß nur! Und wenn die Cécile wiederkommt, so jage sie zum Teufel!« Ich muß lachen. Und leere durstig einen Pokal. »Buckramassah allein bleiben wollen?« »Ja, und du kannst eintörnen, geh zur Koje, Sarah!« Murmelnd an den Fetisch fassend, geht sie, und ich lehne die Waffen gegen den mit roter Glut angefüllten Kamin, werfe neues Holz auf. Ziehe die nassen Kleider vom Leibe und frottiere mich trocken. Schlüpfe in einen pompösen spanischen Schlafrock ein Beutestück von der Karavelle »El Cid ruy Diaz« - und es dünkt mich, daß wir Brüder der Küste doch im großen und ganzen recht behaglich leben . . . Die Bißwunde ist nicht schlimm. Ich wasche sie mit purem Rum aus und muß dabei auf einem Bein tanzen, weil es so brennt. So! Und nun eine Pfeife. Ah, Tabak, du bist fürwahr der Tröster der Seele und der Einsamen! Herbei nun, du sinnreicher Junker von der Mancha! Herbei, o Rosinante, und du, holdselige Dulzinea, den herrlich einfältig schlauen Sancho Pansa nicht zu vergessen! Mich gelüstet's, mehr über euch zu lesen! Ich setze mich vor den Kamin, lege den dickleibigen Schweinslederband auf die Knie, ziehe ab und zu an der Pfeife, nippe mal am Pokal vom köstlichen Roten aus des Cervantes leidenschaftlicher Heimat, und vergesse, vergesse, wo ich bin und wer ich bin, über der Lektüre vom Gastmahl des reichen Camacho . . .
117
DREI WUNDER Also schreibe ich wahrheitsgemäß auf meine raschelnden Pergamentblätter über Geschehnisse, die nun jedermann weiß. Und was ist geschehen mit Greaves, dem gemütlichen, trinkfesten Rotbein und Anführer jener so seltsam betenden Schlagtotmannschaft von der »Golden Main?« Drei Wunder haben sich ihm offenbart! Hört nur: die Sehnsucht nach der satten, rauchenden Ackerkrume, den grünen Triften und wiederkäuenden Kühen, den Downs, wo der goldgelbe Ginster die Sandhügel bekleidet, den alten Eichenwäldern - und das Verlangen nach friedlichen Kaminabenden und dem lustigen Lachen pausbäckiger Squires - und der Hunger nach Ye Roastbeef of Old England wurden zu mächtig in dem biederen, samt all seinen guten und bösen Taten so sympathischen Rotbein! Und genau wie damals mir, vertraute er das Geheimnis seiner Absichten einem anderen Schiffsmaaten an und füllte ihm die Kiste mit goldenen Pieces of eight, zum Dank für sein verständnisvolles Zuhören. In einem Hafen der Spanischen Main, wo die Dons eine schimmernde, weiße Ortschaft aus Lehm und Indioschweiß erbaut haben - eine Stadt, über der jetzt die Flagge Englands weht, die sich von Piraten fast aller Herren Länder noch viel sagen lassen muß, aber stillschweigend, wie es manchmal britische Art ist, abwartet, was da komme im Schoße der Zukunft - dort desertierte Rotbein von seinem eigenen Schiff. Und er war willens, die erste beste sich bietende Passage auf einer alten Rumtonne von britischem Kauffahrer nach dem Lande seiner Sehnsucht zu riskieren. Aber jener Schuft, dem er die Seekiste mit Gold gefüllt, verriet und zeigte ihn an. Er wurde in das Calabous gesperrt, das Gericht der Freibeuter trat zusammen und verurteilte ihn nach den Artikeln zum Tode. Am nächsten Morgen sollte er durch Pulver und Blei ins Jenseits geschickt werden, und zwar wohl hauptsächlich deshalb, weil er sich hartnäckig weigerte, das Versteck 118
seines Schatzes anzugeben, ja, die Existenz eines solchen überhaupt ableugnete, sintemalen er immer redlich geteilt und sein eigenes Geld wieder verschleudert habe. Zur Folter, zu der es unter den Brüdern der Küste und den Freibeutern und Piraten nicht selten kommt, griff man zu seinem Glück nicht, weil man ihn trotz allem als tapferen Mann kannte, der den Dons großen Schaden zugefügt hatte. Während der tropischen Nacht zechten seine ungerechten Richter, an deren Händen viel unschuldig und unnötig vergossenes Blut klebt. Gegen den Strand schimmerten die seidig streichelnden Wellen. In den Plantagen tanzten die Arbeitssklaven, und über ihren Köpfen tanzten die Feuerfunken der Coyucokäfer; in den Kneipen tropfte Gitarrenton und brachten wilde Kerle einander um, während bemalte Huren dazu lachten. Und einsam saß Redlegs in seiner Zelle. Da geschah das erste Wunder!*) Ein Erdbeben erschütterte den Boden, so daß viele Häuser wackelten und einstürzten. Panikerfüllte, halbnackte Menschen irrten durch die schwelende Dunkelheit, heulten in den Straßen und kotzten ihre Trunkenheit von sich. Und die Schiffe im Hafen wurden von einer großen Woge erfaßt, die wie eine Springflut kam, und sie gegeneinanderschmetterte, daß alle Glocken kläglich bimmelten. Wie von mächtiger Faust gespalten, klaffte die dicke Mauer der Gefängniszelle weit auseinander, und Redlegs taumelte ins Freie. Eilte, im Wirrwarr und den Staubwolken unerkannt, nach der Wasserfront; fand ein Boot mit Rudern und stieß ab, hinaus auf die Spanische Main, deren blaue, schicksalsträchtige Wogen ihn weit barmherziger dünkten als seine einstigen Kumpane und jetzigen ungerechten Richter, die von dem Auri sacra fames man weiß, daß Redlegs gut lateinisch kann!- dem verdammten Goldhunger, besessen waren. Tagelang trieb er ohne Trinkwasser und Nahrung in seiner erbärmlichen Nußschale auf der blauen, unübersehbaren Weite. Da geschah das zweite Wunder. *) Historisch
119
Fast verhungert, wurde er von einem Walfänger aufgefischt. Das temperamentvolle Rotbein hielt mit seiner Vergangenheit nicht hinter dem Berge, schimpfte wacker auf die Ungerechtigkeit der Welt und wurde an Bord ein allgemein beliebter Matrose, der kräftig mitruderte, wenn sie den mächtigen Leviathan der Tiefe jagten und ihm die Harpune ins Fell stießen. Als das Schiff nach einiger Zeit voll Tran und Barten nach England heimkehrte, wurde Greaves als Pirat ins Gefängnis gesetzt, und abermals machte man ihm den Prozeß. Doch diesmal gab es keine Farce, sondern er wurde vernommen von weisen Männern, die die Seele der Mitmenschen kannten und gütig beurteilten, soweit sie es durften. Redlegs verteidigte sich mit ehrlicher und glänzender Beredsamkeit und setzte die Richter durch seine lateinischen Zitate in helles Erstaunen. Und da geschah das dritte Wunder. Er konnte das Gericht davon überzeugen, daß er als Kaperkäpten nur spanische Schiffe enterte und plünderte, die Gefangenen anständig behandelt und seine Mannschaft wohl im Zaum gehalten hatte. Und da England mit den Dons im Seekrieg lag, wurde Rotbein freigesprochen. Ohne weiteres machte er seinen »Schatz« flüssig, denn schon von der Spanischen Main aus hatte er weise Geschäftsverbindung mit einem jener unbestechlichen britischen Handelshäuser angeknüpft, und nun lebt er zufrieden als Gentlemanfarmer, tut den Armen des Parish viel Gutes, ist hochangesehen, und niemand in seiner näheren Umgebung weiß, daß er einst Pirat gewesen. Im Kamin flackert das Feuer, er sitzt davor, streckt die Beine, raucht aus einer langen Pfeife, schlürft seinen Grog und sieht zu, wie die »Old Lady«, die noch recht nett und knusprig ist, eine mächtige kalte Hammelkeule auf den Tisch setzt. Von den Wandborden glänzt das Zinngeschirr, in den Fenstern nicken Blumen, und draußen flüstern die Hecken, duften Phlox und Rosen, rauschen die Eichen und Obstbäume, zirpen Grillen; an den Downs leuchtet der goldgelbe Ginster, und gegen die Steil120
küste prallt das grüne Wasser des Kanals, und es atmet die gute Mutter Erde . . . Also schrieb ich soeben in diese Chronika und tat kein Wort zuviel noch zu wenig darin, denn die Historie meines alten Freundes Käpten Rotbein, des »Moralpiraten«, ist jedermann bekannt und so wahr, wie daß die Sonne im Osten auf- und im Westen untergeht. Und so schön wie ein stiller, friedlicher Traum, wie ihn viele von uns in schimmernden Wünschen schauen und doch fast nie in Wahrheit umsetzen dürfen oder können. Salve, Rotbein! Von der nun fernen Tortuga und der rollenden Spanischen Main, die wir zusammen befahren haben und auf der auch heute noch viele dunkle, unheimliche und lichte, frohe Taten geschehen, grüße ich dich, dein alter Quartiermeister und Trinkkumpan von der »Golden Main«. Ich, Mac, der Federfuchser, der vom nebligen Schottland und den Schneehängen des Ben Nevis träumt und dennoch der leuchtenden, leidenschaftlich lebenden und tötenden Pracht der Tropen unrettbar mit Leib und Seele verfallen ist, grüße dich! Salve, et bibamus den funkelnden roten Wein! Und küssen wir rote Lippen und rauchen wir das Kraut Tobago, das am besten in Virginien wächst, und auf dessen blauen, geheimnisvollen schönen Wolken unsere guten und bösen Gedanken und Sehnsüchte reiten. - Bibite! . . .
AURI SACRA FAMES Rötlich gelb, nicht in dem in diesen Breiten seltenen Silberton, kommt der Mond. Und so grell auch sein Licht übers Meer schäumt - so lind und umschleiernd, das prangende, farbig orgiastische Farbenspiel des fiebrigen Tages ruhevoll beschwichtigend, breitet er seinen heilenden Zauber über die Spanische Main. Mondnacht kennt nur ein tiefes, wundervoll ruhiges Sammetschwarz: dazu ein zaubrische Geheimnisse kündendes Creme121
weiß wie altes Elfenbein. Und verschiedene Abstufungen weicher Bläue. Das Ganze besprenkelt, lasiert, bekleckst und umflossen von Altgold und schwachen Silbertönen. Diese milden Farben der Nacht lassen milden Gedanken ihren Lauf, und wunschkräftige Wachträume entstehen vor den Augen: formen sehnsüchtige Bilder, die einander ablösen, in taumelnder, langsamer Folge. Oder sich, stundenlang lockend, an des Menschen Seele klammern und ihn seinen Hoffnungen, Sünden und seinem Gott verbinden. So ruhig, feierlich still und doch voll verborgen klingender, heiterer Melodien ist die Tropennacht. Die weißen Frangipaniblüten mit ihren gelben Herzen sind erstaunliche Abkömmlinge von Bäumen, die wie zu Holz gewordene Sünden in knorpeliger, nackter Häßlichkeit diese Blumen als stumme, duftende Sühneopfer dem sternbesetzten Himmel entgegenstrecken. Ihr Duft ist nachts viel stärker als am Tage, und wer je den Frangipanigeruch eingeatmet hat, der weiß, wie herrlich er ist. Die mannigfach grünen Palmen sind nun schwarze, kraftvolle Tintenzeichnungen, sind Silhouetten, zwischen deren graziösen Wedeln und spitzen Blättern es goldrot sprüht. Und auf tiefschwarzem Grunde darunter malt der Mond bebende, sanftblau schimmernde Filigranmuster. Zart atmet der Passatwind von See her, spielt mit unsichtbaren Fingern in den Blättern, daß sie wie hellabgestimmte Kastagnetten rasseln. Die knallrot blühende, hellgrüne Agave zog ein dunkles Kleid über, und die heut nacht zu Tausenden am nickenden Dornenstengel ihre Kelche öffnenden Blumen, die die Spanier »Reina de la noche« (Königin der Nacht) nennen, scheinen wie aus mattiertem Silber gehämmert. In unmerklichem Kontrast schmelzen die Bergkonturen über in den Horizont. Eine glatte Kräuselung winziger, spielender Wellen läuft langsam, fortwährend sterbend und wiedererstehend, lautlos gegen den hellen Sand, über den Landkrabben nach den Kokoshainen 122
stelzen, und von dem der runde Buckel einer Riesenschildkröte sich urzeithaft abhebt. Voll trifft der lange, breite Lichtfächer Lunas auf den Strandgürtel, und gleichzeitig wird es in der Tiefe lebendig! Schimmert empor, wälzt sich; quirlt durcheinander. Ohne Rast und ohne Geräusch. Unendlich viele Goldstücke, Pieces of eight, aus den magischen Schatzkammern der träumenden See! Im Überfluß, wie sie die Gier der Menschen niemals in solcher Menge erobern und wieder verlieren wird! Gold, in dem es von Silber blinkt, von Rubinen, Smaragden, Amethysten und Saphiren funkelt, so verwandeln sich die kleinen spielenden Wellen! Ein Anblick, den ich oft schon erlebte, und immer wieder raubt mir seine Schönheit den Atem. Nichts könnte mich jetzt von meinem Sitz am Fuß der kühn zum Himmel stürmenden und oben mit schwerer Krone demütig sich neigenden Palme vertreiben . . . Königlich strahlt das weiche Blau des Himmels: tiefer getönt an den Rändern seiner Schale und hell wie Türkis und Perlglanz in des Mondes Nähe. Sterne leuchten. Wie ein Orden triumphiert das Südliche Kreuz, und sein Band, an dem es hängt - die Milchstraße - windet sich abwechselnd breit und schmal, aus lauter winzigen, prunkhaften, facettenreichen Diamantsplittern und Gold- und Silberstaub zusammengesetzt, von Horizont zu Horizont. Schattenhaft zirkeln die Fledermäuse auf der Nachtschwärmerjagd. Unter den Palmenkronen und über Kakteen, zwischen Bananenstauden, wo am Tage die lebenden Juwelen der Colibris summend zucken - da taumeln jetzt die geruhsamen Feuerkäfer märchenhaft schön. Im Gebüsch, Gras und von Zweig und Baum klingt das eintönig jauchzende Geigenkonzert der Zikaden. Nachtdüfte streicheln mit kühlenden Strömungen mir wunderbar erfrischend Wangen und Stirn und die nackte Brust. Weich, weich wie Seide und Daunen! Süß wie der Mutter Hand, die ihr Kind behütet . .. Stärker leuchtet der Ozean, wirft seine Pieces of eight an die Oberfläche. Machtvoller schwellen die Gerüche der träumenden 123
Insel, schneller rasseln die Kastagnetten der Palmwedel, und es ist, als ob ein altes, aber ewigjunges, blauschwarzes, goldensilbernes Märchen mich umfinge. Von einer Hütte her klingen leise Gitarrenakkorde, und eine dunkle, sehnsuchtsvolle Männerstimme singt . . . Stunden verstreichen. Langsam, zögernd und doch viel zu rasch für einen Menschen, der den Frieden erhaschte und ihn unrettbar mit dem Verschimmern der Gestirne wieder verlieren muß. Und so tropfen die Stunden der Tropennacht unaufhaltsam in den ewigen Schoß des gleißenden Meeres . . . Schritte knirschen über Sand und Muschelbruch. Zwei Gestalten, dunkelblau gegen das glitzernde Meer, auf das ihre schwarzen Schatten zitternd hinausgreifen, treten ins Blickfeld. Große Filzhüte, die die Freibeuter so gern an Land tragen, verleihen ihnen das Aussehen wandelnder Pilze. »Sind wir hier allein, Alter?« »Klar!« tönt die laute Antwort des Zweiten und: »Mac, der Schreiber, der hier nachts mit seinem romantischen Fimmel so oft herumgeistert, pennt in seiner Koje. Sein Dreimaster lag auf dem Verandatisch, hast du das nicht gesehen, Maat?« »Komisches Ding, dieser Dreimaster! Daß ein Mensch damit herumläuft! Irgendeiner in England soll's erfunden haben. Merkwürdig!« »Laß uns hier vor Anker gehen und die Sache richtig klarieren. - Aber erst einen Schluck Rum, mein Herzchen, ich spüre das verdammte Fieber, das ich mir auf dem Festland drüben geholt, schon wieder in meine Knochen schleichen. Du hast doch die Pulle mitgenommen, Maat?« »Hältst du mich für 'nen Prediger, daß ich's vergessen könnte, Maat?« Sie lassen sich auf einem aus dem Sande ragenden Wrackbalken nieder. Eine Flasche glänzt, wird hochgehoben, und dann höre ich's deutlich glucksen. »Belege, belege und mach Törn, Maat! Hast ja 'nen teuflisch guten Zug, aber laß mir auch was von der Gottesgabe übrig!« brummt der eine. 124
»Ah, Rum, Rum ! Ist doch was anderes als saure oder süße Donweine. Da, Maat, und verschluck aus Verseh'n die Pulle nicht!« Plötzlich merke ich, daß es kühl ist, denn ich habe zu lange hier draußen gesessen. Ein Blick nach den Sternen zeigt die Dämmerung an. Sie schillern schon im verstärkten Glanz, wie immer, wenn sie den Morgen verkünden und ehe sie blasser werden. Das unermüdlich vom Meer gemünzte Gold ist immer noch sichtbar, nur etwas dunkler, satter, und es scheint, als ob es unsäglich langsam versänke. Innerlich muß ich wegen der possierlichen Bemerkungen der Burschen über meine Kopfbedeckung lachen. Allerdings hat sich der Dreimaster noch nicht durchgesetzt, wurde vielleicht zu früh erfunden. Es fröstelt mich, und schon will ich mich bemerkbar machen, um noch einen Schluck Rum zu erhaschen, ehe die beiden Kumpane ihn ganz vertilgen. Aber eine innere Stimme hält mich ab, und so bleibe ich unbeweglich am Palmenstamm sitzen, dessen Schatten mit dem meinen verschmilzt. Gitarre und Sang sind verstummt. Da horche ich auf. »Also ist's ein richtiger Schatz, Maat?« »Wie oft soll ich's dir noch wiederholen ! Und nur weil du mein Freund bist, sollst du mir beim Bergen helfen!« »Auf 'ner Insel liegt er? Hm, das ist 'ne verflucht dumme Sache, wenn die andern keinen Wind davon kriegen sollen! Auf 'nem Eiland also sagtest du und 'ne ganze zugenähte Rindshaut voll Pieces of eight?« »Ja, auf einer Insel. Auf dieser Insel! Tortuga, du Esel!« »He, wenn es das wäre? Und wo?« . . . Sie sprechen nun gedämpfter, aber die stille Nacht läßt jedes Wort an mein Ohr dringen. Die Erwähnung eines Schatzes regt mich nicht sonderlich auf, aber ich habe ein Gefühl nebenbei, als ob etwas passieren würde. Etwas Übles! Wir Schotten von den Bergclans sind nicht umsonst bekannt wegen des »zweiten Gesichts«. »Oben im Taubenschlag! Hast du je von Levasseur gehört?« 125
»Der verrückte Franzose, der aus ehrlichen Bukaniern 'ne salbadernde Betgesellschaft gemacht hat! Und oben in der Ruine auf dem Felsgipfel wohnte?« »Den meine ich. Höre: als ich neulich dort oben herumkroch weiß selber nicht, wie ich darauf kam, denn ich laufe nicht gern stundenlang an Land herum und besonders nicht in 'ner Gegend, wo kein Grogladen ist! - nun, da kam mir ein Gedanke! Weißt du, Maat, man hat gehört, daß Levasseur zwar verschwunden ist, aber niemals wurde etwas über seinen Schatz laut. Er soll ja redlich mit seinen Leuten geteilt haben, wie's in den Artikeln festgelegt ist, aber als Anführer wird er wohl irgendwo 'nen Notgroschen für schlechte Zeiten beiseitegestaut haben, dachte ich!« »Maat, du bist klüger als 'n Rechtsverdreher. Hast einen guten Kopf unter deinem Hut!« »Laß mich weitererzählen! Aber erst reich mal die Pulle! - Ah, verflucht, hast nicht mehr allzuviel drin gelassen!« »Ho, ich hab noch 'ne zweite. Auf einem Bein steht sich's schlecht! Da!« Und wieder gurgelt es. Dann fliegt eine leere Flasche weit ins Meer, versinkt wie ein Goldklumpen. »Ich breche mir fast das Genick dort oben. Denn die Leitern und Treppen, die zum Taubenschlag führen, sind halb verfault. Mehrmals falle ich wieder runter, und das ärgert mich. Schließlich schaffe ich's aber doch und bin oben. Und stöbere in den Räumen umher, in die die Sonne scheint, weil das Dach längst der Teufel geholt hat. Und komme auch in den Keller! Hei, der alte Levasseur wußte, was gut schmeckt! Berge leerer Wein- und Rumpullen und auseinandergefallene Fäßchen liegen da. Erst habe ich Angst wegen der Giftschlangen, aber schließlich stöbere ich eifrig herum und finde - weiß der Böse, warum's noch niemand gefunden hat, denn ein Kind wäre darüber gestolpert, als ich erst mal die Abfälle ein bißchen zur Seite geräumt habe! - Reich mir die Pulle, Maat. Das Fieber schleicht mir ins Gebein!« Mit ungeduldigem Grunzen gibt der andere ihm die neue Flasche. 126
»Hei, das ist wie flüssiges Feuer und wie 'n Tritt von einem Maulesel!« lobt der erste nach einem langen Schluck und fährt dann fort : »Ich entdecke einen Ring, der in eine Steinplatte eingelassen ist. Mit Mühe hebe ich diese hoch und sehe darunter einen Keller, mehr ein Loch, weißt du!« »Voll Gold?« unterbricht der andere gierig. »Unsinn! Aber 'ne Ochsenhaut! Du weißt doch, daß die Bukanier aus solchen Häuten runde Behälter für Proviant nähen! Sind besser als Kisten und wasserdicht! - Na, da unten lag so ein großmächtiges Ding, und verdammt will ich sein - als ich einen Schlitz reinmache -, wenn es nicht voll Pieces of eight ist. Tausende, vielleicht Zehntausende!« »Donnerwetter !« »Ja, und es ist noch dort, ich habe die Steinplatte wieder draufgelegt und alles schön zugedeckt und meine Spuren verwischt. - Und da wir Schiffsmaaten sind und zusammen schon manche Kehle in der Spanischen Main abgeschnitten und manchen Tropfen Rum als Kameraden bei 'nem guten Rundgesang verschluckt haben, und weil ich jemand brauche, der mir hilft, den Schatz woanders zu verstecken - denn übermorgen sollen wir wieder in See stechen, und es könnte in der Zwischenzeit doch jemand die Nase dreinstecken - hab' ich an dich gedacht. Wir wollen's woanders vergraben!« »Hast recht gedacht, Maat, beim Teufel, du bist ein Schlaukopf erster Güte. Und wie steht's mit dem Teilen? Doch halb und halb?!« »Du bist verrückt! Ich hab den Schatz gefunden, und mir gehört er!« »Hm, weißt du noch, was in den Artikeln steht betreffs Teilung? Und betreffs Totschießen, wenn einer dem andern was verheimlicht, wenn es für alle ist?« »Komm mir nicht mit dem Gewäsch. Würdest auch verflucht wenig auf deinen Part kriegen, wenn die paar hundert Mann unserer Flotte sich darin teilten, verstehst du mich?« »Hm, ja. Aber wir sind doch gute Freunde! Also heraus damit, was ist mein Anteil, Maat?« 127
»Gib erst mal die Pulle. Das Fieber, ach das verfluchte Fieber kommt! - Ah, das schmeckt!« »Wieviel?« »Nun, ich habe an einen Viertelanteil gedacht!« »Nur ein Viertel? Und du willst mein Maat und Kumpan sein. Geizkragen, verdammter!« »Ein Viertel wird 'ne hübsche Summe ergeben, Maat. Und sozusagen gefunden! Und 's ist mehr, als du je auf einem Haufen gesehen hast und zu sehen kriegen wirst, und wenn du hundert Jahre auf Fahrt gehst!« »Maat, denk an die schönen Zeiten, die wir miteinander erlebt haben!« spricht der andere beschwörend. »Deswegen sollst du ja auch dein Teil kriegen!« »Gib mir die Hälfte, und die Krabben sollen mich fressen, wenn ich nicht mit dir durch dick und dünn gehe, Maat!« »Blödsinn! Bei einem Viertel bleibt's und basta!« »Sage ein Drittel, und ich will antworten >Topp!<« »Bei einem Viertel bleibt's !« »Maat, du hast ein hartes Herz. Leg wenigstens noch hundert Pieces of eight dazu!« »Rutsch mir den Buckel rauf und wieder runter, alter Haifisch! Ein Viertel kriegst du und kannst damit daheim den reichen Mann spielen!« »Und du den noch reichern!« brummt jener. Der erste lacht: »Finderglück! Reich mir wieder mal die Pulle, das Fieber brennt mir schon in den Adern, und der Schädel dröhnt mir!« »Da, sauf und mögest du dir den Schlund verbrennen!« »Keine Sorge, der ist gut ausgepicht!« Er trinkt, und der andere nimmt auch einen kleinen Schluck. Und spricht dann langsam: »Also ist's dein letztes Wort, Maat?« »Mein allerletztes und damit Punktum. Benimm dich nicht wie ein altes Bettelweib!« »Hm, sollst noch sehen, daß ich kein altes Weib bin!« Und ich sehe deutlich, wie er beim letzten Wort die schwere Pulle beim Halse faßt und dann, seitwärts ausholend, sie auf den 128
Kopf des andern schmettert. Mit einem Stöhnen sinkt der vom Balken, und sein Hut rollt bis an die Wassergrenze. Der Meuchler ist aufgesprungen, beugt sich über den Gefallenen, der gräßlich stöhnt. Die Pulle ist zwar beim Hieb zerschellt, aber der dicke Filzhut hat die Gewalt des im Sitzen ausgeführten Schlages abgemildert. Ich bleibe stille - bin an manches gewöhnt worden auf der Insel und in der Spanischen Main - und starre mit weitgeöffneten Augen nach dem noch nicht beendeten Drama. Jetzt kniet er nieder, ich höre ihn murmeln, sehe, wie er den Arm hebt und niederfahren läßt. Etwas wie ein blauer Blitz leuchtet dabei sekundenlang auf, das Stöhnen wird zum kurzen Geröchel und bricht dann ab. Füße schlagen um sich, der Sand knistert, dann wird alles still. Schwer atmend wischt der Mörder sein Messer am Gewande des Opfers ab, steht langsam auf, und ich höre ihn sprechen: »Warst ein prächtiger Dummkopf, Joseph René! Könntest noch leben und noch manchen Schluck Rum trinken, wenn du mir die Hälfte versprochen hättest. Jetzt kriege ich alles und dich« - er stößt die leblose Gestalt mit dem Fuß weg - »dich kriegen die Fische!« . . . Auf Tortuga geht man immer auf irgendeine Art bewaffnet. Sei es aus Gewohnheit, sei es, um Freudenschüsse abzubrennen, sei es, um gleich zum Duell parat zu sein, sei es, um einen andern am Spieltisch oder hinterrücks zu ermorden oder um sich gegen raschen Tod von falscher Freundeshand zu schützen - je nach Veranlagung und Gesellschaft! Daher habe ich den Cutlaß und eine geladene Pistole am Gürtel. Ziehe diese vorsichtig aus dem Halfter und spanne ebenso unhörbar den Hahn, fühle noch, ob das Zündhütchen sitzt. Dann springe ich mit einem Satz aus dem Schatten ins Licht der Gestirne und des Ozeans. »Nun?« frage ich, und stehe vor dem Halunken und dem, den er umgebracht. Er starrt mich an, als ob ich ein Gespenst wäre. »Mac!« kommt es flüsternd über seine Lippen. Ich dagegen kenne den bärtigen Patron nicht. Was auch unmöglich ist, wenn 129
er nicht gerade zu den Tortugamännem gehört, denn die Insel wird als Schlupfwinkel und günstiger Verkaufsmarkt von vielen Freibeutern angesegelt, die hier ihre Beute veräußern, versaufen und verhuren. Und man kann nicht alle Gesichter im Gedächtnis behalten, wenn es sich um so viele handelt und wenn man, wie ich, zurückgezogen lebt. »Ich habe alles mitangehört!« Er ächzt, hält immer noch das Dolchmesser in der Hand. Ich beobachte ihn scharf - denn es gibt heute Messerwerfer unter den Piraten - und ziele dabei auf seinen Bauch. »Mac! Weißt du, dieser Kerl war ein geiziger Schweinepelz. Und 's ist kein Schade um ihn, das Fieber hätte ihn doch bald umgebracht. Mac, wir wollen teilen, du sollst die Hälfte abkriegen, ich schwöre dir's.« »Hm!« antworte ich und weiß eiskalt, daß ich ihn töten werde. Muß! Sonst bringt er mich nämlich bei erster Gelegenheit um. Es ist nicht Gerechtigkeitssinn, der mich zum Handeln zwingt, sondern purer Selbsterhaltungstrieb. Denn selbst wenn ich die Hälfte annähme oder auf das Gold überhaupt verzichtete, würde dieser Schurke mich nach sich selber einschätzen und vor mir Angst haben; und die ganze Zeit wäre ich auf Tortuga meines Lebens nicht mehr sicher. Und deshalb muß er sterben. Ohne langes Gerede und je eher, desto besser. Das ist ein einfaches Rechenexempel! Er stiert mich an, und es ist, als ob ich seine Gedanken förmlich hören könnte, die sich damit beschäftigen, ob er's mit dem Dolchmesser nochmals probieren solle . . . Leiden soll er nicht. Ich halte daher meine Pistole höher und spreche: »Darüber läßt sich reden, Maat. So!« und drücke ab. »Ach!« seufzt er nur und dreht sich einmal herum und fällt dann schwer neben seinen Kameraden. Das Messer hält er noch in der verkrampften Faust. »Schweinebande, mir so die ganze schöne Stimmung zu versauen mit eurem Auri Sacra fames, dem verfluchten Goldhunger!« . . . Ich werfe die Schnallenschuhe ab, schlüpfe aus der Hose. 130
Strümpfe trage ich bei diesem Klima nie, obwohl's die anderen an Land tun und sich überhaupt in Samt und Seide und Leder kleiden, und sich schier zu Tode schwitzen. Und lüpfe ihn am Bund, wate hinaus ins magische Meeresgold. Schon nach einem Dutzend Yards oder so fällt der Tortugastrand hier jäh in bodenlose Tiefen ab, denn die Insel ist fast überall steiler, ragender Fels. Und lasse ihn los. Langsam versinkt er, und das Meer breitet um ihn, über ihm und unter ihm seine magischen Goldstücke, als wollte es ihn necken. Ich hole den zweiten. Auch er versinkt. Ihre Waffen schleudere ich weit hinaus, wo sie aufklatschend verschwinden. Kleide mich wieder an und gehe an meine Palme zurück, wo ich mich setze. Schlage Feuer für eine sehr nötige Beruhigungspfeife. Konnte der Kerl nicht etwas anderes benutzen als die Pulle, um seinen Freund zu ermorden? Mir würde jetzt nämlich ein Schluck Rum aus dieser Flasche - wenn sie noch ganz wäre vortrefflich munden. Auch ich leide am Fieber. Also oben auf dem Felsgipfel in Levasseurs altem Taubenschlag liegen ein paar tausend Goldstücke in Rindshaut vernäht? Mögen sie liegen. Vielleicht werde ich sie eines Tages holen. Oder auch nicht . . . Weit, weit draußen, wo das Opalisieren dieser ungeheuren Lapis-, Türkis- und Saphirschale, die man prosaisch Himmel nennt, einer anderen ebenso unendlich großen, grünlichen, indigofarbenen, goldenen und silbernen Konvexfläche - dem Meere begegnet, dort drückt eben die Mondnacht ihren ruhigen, kühlen Kuß auf den Mund der scheintoten Sonne. Sie beginnt zu atmen, leise noch. So daß nur der untere Rand der Himmelswölbung sich hellgrau beschlägt und sein milder Perlenglanz, fahler wird. Noch wirbeln und funkeln die vieltausend großen und kleinen Sterne im Zenit, noch immer münzt das geschäftige Meer sein Zaubergeld, und noch liegt die Insel Hispaniola dort drüben wie ein schwarzer, zackenreicher, schlafender Drache, dessen Kamm seltsam glost. Aber rasch erwärmen sich die Lippen der Sonne - und rote, 131
gelbe, hellgrüne und violette Lichter, die viel, viel greller sind als diejenigen im Prismenfächer der sanften Luna, tasten über die See. Und deren Piratengold erblaßt und erlischt ganz. Sekundenlang wird es im Osten fahl, aber so eilig, als wäre der unsichtbare Maler mit dieser schnöden, nicht in die Tropen passenden Farbe unzufrieden, wischt er über den ganzen Himmel. Und hinterläßt ein helles, reines Blau, in dem die letzten Sterne bleich und gehetzt versickern. Der Drache Hispaniola, hinter dem schon längst der Mond zur Ruhe gegangen, reckt und dehnt den erwachenden massigen Gebirgsleib. Seidiggrau und dunkelgrün und orange und zinnobern und sattbraun strahlen ihm Schuppen und Glieder. Die Main wird zur grellblauen Fläche, in die smaragdene Zungen der Untiefen lecken, und über der das Weißgoldfadennetz der Sonne gleißt, die glühend ihrem Bett entrollt und ihren Lauf antritt. In den Mond darfst du schauen, er tut dir nicht weh, aber die Sonne straft für ein Hineinblinzeln mit Weißglut, die dann zu purpurfunkelnder, schwarzdurchpunkteter und sekundenlanger Nacht wird . . . Fanfarengleich springen auf einmal die Farben der üppigen Natur ins Blickfeld. Die Blumen, Bäume und Berge und Sandgürtel und Büsche und Felsen und auch die angespülten Muscheln die, wenn du eine ans Ohr hältst, dir die unruhige Seele des großen Ozeans verkünden. Triefende Farben hetzen in tausend bunten Einzelheiten durcheinander: grelles Licht und grelle Schatten flackern unaufhörlich über Wasser und Land. Wie ein Aufschrei vieler Farben, ein Fiebertraum, den die wache Natur unruhig träumt, durch den die rot und grün funkelnden Blitze der Colibris zucken. Farbenkaskaden, eine immer lebhafter als die andere! Rosig bestrahlte Tropikvögel schweben überm Meer. Pelikanhorden tauchen schimpfend nach Fischen. Die finstere Fregatte segelt in schmerzhaft blendender Höhe. Plump, aber doch irgendwie anmutig, da es Natur ist, strebt die vorsintflutliche Schildkröte, deren Legegeschäft beendet ist, in ihr Element zurück. 132
Ein Teufelsrochen, der von einem Flossensaum zum anderen seine sechs und mehr Yards messen mag, saust aus dem Wasser. Schlägt eine flatternde, höllenschöne Volte und klatscht dann mit der scheibenförmigen Last seines Monsterleibes auf stiebenden Schaum. Und es knallt wie ein Kanonenschuß, als er verschwindet. Schwarzgelbe Wespen umsummen mich neugierig. Fieberhaft, mit allen Pulsen rasend lebt der Tropentag! Und ändert sein Gesicht bisweilen mit Gedankenschnelle. Graue Flächen, vor denen Sonnenstrahlen wie schräge blasse Stäbe stehen, schieben sich über die Kimm. Wachsen ungeheuer rasch, so rasch, daß du ihr Entstehen erst dann bemerkst, wenn sie fertig ins Auge springen! Ihr Grau wird zum drohenden Lila und tiefen Sepia, mit bleimatten Rändern und glosenden Mittelpunkten. Hohl stöhnt das Wasser auf, bedeckt sich mit Silbermähnen und fängt an zu zischen, zu brausen. Palmen rasseln harten Protest! Büsche seufzen müde auf und peitschen ärgerlich. Blätter und Blüten schweben in Spiralen zu Boden. Donner murrt, und Böen jagen am Horizont. Gleich merkwürdigen, scharfabgeschnittenen Gebirgsteilen, so eilen sie hoch und nieder überm Wasser, und auf einmal sind rings um Tortuga, wo ich still in der strahlenden Sonne sitze und einem ungelösten Nachtzauber nachhänge, schwarze und schweflige Wolkenburgen. Ringsum stehen Regenstriche, wie schwach von innen beleuchtetes Gitterwerk. Blitze breiten ihr flackerndes, feuriges Astgewirr gegen dunkle Hintergründe. Und Donner überm Meer. Dumpf drohend! Dies alles geschieht, während ich die ganze Zeit in der über mir fortschreitenden Sonne sitze, und während Tortuga wie ein Blumenstrauß prangt. Hispaniola wurde zum schwarzen, undurchdringlichen Gewölbe, in das der bunte Drache sich verkroch. Und so sitze ich und warte und weiß nicht, auf was ich warte. Unhörbar versickert die Zeit . . .
133
L E C H E D E ESPANA
» . . . und wie war die Kaperfahrt, mein Freund? Wie segelt es sich unter François L'Ollonois, der ja ein Landsmann von dir ist?« Esquemelin streicht sich über den Bart. Die grauen Augen blikken nachdenklich auf den Tisch. Er hebt den Kristallpokal, in dem die honiggelbe »leche de España« (spanische Milch), wie die Dons selbst ihren herrlichen Xereswein nennen, ölig glüht. Ein Wein, der wie ein bernsteinfarbenes Gedicht schmeckt, wenn man einen Schuß zehnjährigen, wundervoll duftenden Rum hineingießt. Wir tun einander Bescheid. Man darf diesen Trank nicht auf Bukanierart gleich einem schnöden Wasserfall die Gurgel hinabrauschen lassen, sondern soll ihn langsam, schlückchenweise und mit Verstand im Munde mit der Zunge zerdrücken. Dann ist er wahrlich, wenn man die richtige Stimmung hat, die Palme der Getränke! Ich setze den Pokal nieder, während Olivier den seinen ans Licht hält, welches von drei stillen Wachskerzen in Silberleuchtern schimmert und über Bellinis Gemälde streichelt. »Landsmann? Man sagt, er sei zu Ollone im Poitou geboren. Möglich! Hab' noch nie von einem solchen Ort gehört! Aber wenn auch, jetzt ist er kein Franzose mehr, nom de Dieu, sondern der Teufel selber! Der gefallene Engel, der finster einherschreitet und unfaßbare, finstere Taten verübt! Ich will nicht Richter sein, aber alles hat seine Grenzen, und der Ollonois überschreitet sie. Was ich von ihm weiß, das hab' ich ihm stückweise bei wilden Gelagen aus den Zähnen gerissen, und er lachte dazu, wie Luzifer lachte, als der Herr ihn verstieß. Horch und schreib's gelegentlich auf: In seiner Jugend war er Schmuggler auf den gefährlichen Riesenwogen der Biscaya. In einem Scharmützel mit spanischen Zollwächtern wurde sein Bruder getötet, er selbst schwer verletzt, und seine Barke ging in die Brüche. Da schwur er der Menschheit und besonders den Dons blutige Rache! Ah!« 134
Olivier hebt den Pokal wieder an die Lippen, schlürft. Setzt ihn ab, nimmt eine bereitliegende Pfeife und zündet den Tabak mit einem Fidibus an. Tut einige mächtige Züge, legt dann die Pfeife weg und erzählt weiter: »Ein rührender, wunderbar weicher Zug im Gemüt des Ollonois: er liebte seine alte Mutter! Und wie er sie geliebt haben muß! Er liebte sie derart und bezeigte ihr seine Liebe auf eine Weise, wie wenige Menschen es fertigbringen! Sein Boot vernichtet, seine Kameraden getötet oder ertrunken, die alte Mutter hungernd und siech in der Hütte, und er selber noch krank - verkaufte er sich für vierzig Pistolen (französische Münze), um mit dem Gelde der alten, dem Tode nahen Mutter noch die letzten Tage zu versüßen, ehe sie die müden Augen schloß - als Sklave an Montbars, den > Vernichter<, den du ja kennst. Montbars hat den Schwur getan, sämtliche Spanier in der Main für das, was ihre Vorfahren, die Pizarros, Cortez, Almagro und andere und wieder andere auch teils heute noch den armen Indios antaten und antun, auszurotten! Montbars gab ihn nach einigen Gefechten auf der Main frei und Ollonois, der eigentlich >Nau< heißt, schloß sich den Tortugaleuten an. Du hast ihn unter vielen anderen gesehen und nicht beachtet, oder vielleicht sahst du ihn auch nicht, denn meistens ist er auf kühnen Unternehmungen drüben auf Hispaniola, wo die Dons ihn bald kennen und fürchten lernten. Und als er neulich auf seinem ersten Schiff ausfuhr und ich an Bord, da warst du ja selber auf Freibeuterfahrt. - Schenk ein, mein Alter! Bei diesem Tropfen fühlt man sich, um einen deiner Ausdrücke zu gebrauchen, geborgen wie in des lieben Gottes Hosentasche!« Ich fülle nach. Hin und her läßt er nachdenklich spielerisch den Pokal kreisen, daß die »Milch Spaniens« schwappend aufschimmert. Und trinkt mit tastenden Schlucken. Tut wieder einige Züge aus der Pfeife. Leise kommt die dicke Sarah auf die Veranda: »Dies schwarze Kind noch was tun sollen, für Buckrahmassah?« »Nein, Sarah! Das schwarze >Buckrahkind<, das mindestens 135
fünfzig Jahre alt ist, mag zur Koje gehen. Wir haben alles, was wir brauchen!« Sie knickst: »Ave Maria!« »Sin pecado concibida!« antworte ich und lache, dann: »Tu nur nicht so, alte Heidin! Zum Schluß betest du doch zu deinem afrikanischen Fetisch!« Und wahrhaftig, sie greift ans Amulett, das der Voudouzauberdoktor - ein afrikanischer Sklave der Flammarions - ihr aus schwarzen Hühnerfedern und andern Ingredienzien bereitet und eigenhändig um den dicken schwarzen Hals gehängt hat. Sarah geht. Esquemelin schwenkt die Pfeife wie einen Taktstock und knabbert ein paar Rosinen. Und wieder beginnt er: »Wie gesagt, ich bin nicht sein Richter, und außerdem trägt er dazu bei, Frankreichs Macht hier draußen zu festigen. Du weißt, Mac, daß ich eigentlich Arzt bin und erst in zweiter Linie Historiker der Bukanier - hohoho! - na, und weil du ein schweigsamer Mann bist, so will ich dir anvertrauen, daß ich im Auftrag von Versailles hier draußen bin. Frankreich braucht Hispaniola und St. Pierre und Martinigue und andere Stützpunkte! Genau wie die Briten Jamaika, Trinidad, Barbados und andere Plätze nahmen und sich auf Virginien festsetzten. Und ohne die unfreiwillige Hilfe der kühnen, auf Gold erpichten Bukanier, Piraten und Abenteurer wäre das alles nicht gelungen. Wir leben in einer Zeit, worin Diplomatie und Piratentum wunderlich offenbar Hand in Hand arbeiten, alles nur um der Zukunft unserer Länder willen. Du machst ja eine Ausnahme, Mac, ich hörte dich sagen, daß du ein Weltbürger seist - netter, unbekannter, vielsagender Ausdruck übrigens - und daß es dir unter Schwarzen ebensogut gefalle wie unter Weißen, vorausgesetzt, daß du anständig behandelt wirst. Ein sehr unzeitiger Standpunkt, Mac, und in dieser Beziehung bist du viele Jahrhunderte zu früh auf der Welt erschienen. Nom de Dieu, um auf diesen François L'Ollonois aus Ollone im Poitou zurückzukommen - wenn je der Satan, der gefallene Engel jenseits von Gut und Böse, zur See schiffte, dann ist's der 136
Ollonois ! - Ich sage dir, der muß einen Haß in sich tragen und eine Trauer, die tiefer sind als alle Ozeane und Abgründe und Höllen aufeinandergestellt . . . Unsere Speigatts sprudelten Blut! Die geenterten Karavellen und Galeonen waren schlüpfrig von Blut. Kein Gefangener wurde geschont, alle mußten sie über die Planke ins Meer schreiten, und wenn sie sich weigerten, dies freiwillig zu tun, und baten und bettelten und winselten und weinten, schmiß man sie mit Gewalt den Haien in den Rachen. Andere, die aus der Luke krochen, einer hinter dem andern, wurden geköpft. Und jedesmal sprach er düster: >Dies, ihr Spanier, ist mein Dank dafür, daß ihr meinen Bruder umgebracht habt und ich mich, um den Hunger meiner Mutter zu stillen, als Sklave verkaufen mußte!< . . . So sagte er, und ich versichere dir, Mac, mein lieber Freund, mich überliefen Schauer, und mancher rauhe, männertötende Kerl an Bord bekreuzigte sich, wenn der Ollonois vorüberging und lachte, und wenn in seinen abgründigen schwarzen Augen noch abgründigeres Leid und blanke Menschen- und Gottesverachtung schillerten! Und so Furchtbares ich auf diesem Kaperzug erlebte, ich frage: wer wirft den ersten Stein auf diesen Menschen, der dem leibhaftigen Satan gleicht? - Ich nicht, denn es gibt noch Schlimmere, aber die sind hochgeehrt, weil sie heucheln und im Verborgenen wirken. Nein, ich nicht, nein! Und dennoch verachte ich ihn, und für mich ist er ein Scheusal, das die Erde beschmutzt. Aber - aber - ich werde wieder mit ihm segeln. Und du gehst mit, Mac, ja, du gehst mit!« Schwer atmend greift er nach dem Pokal. »Topp!« sage ich, denn was er erzählte, klang so abstoßend und dennoch irgendwie lockend, daß es mich packte. »Wann soll's sein, Olivier?« »Noch lange nicht! Er will den Gouverneur rumkriegen und, falls er das nicht schafft, selber eine Flotte, die er eigentlich von Monsieur de la Place geliehen haben möchte, aufstellen. Aber de 137
la Place kann nicht gut, trotz Kriegszustandes mit Spanien, offiziell einen notorischen Piraten unterstützen! Aber sagte ich nicht bereits, daß Diplomatie und die Gesetzlosen hier draußen in der wilden Main offenbar zusammenarbeiten müssen? Monsieur de la Place wird einen Ausweg finden, und vielleicht begeifert ihn nachher die Geschichtsschreibung der Zukunft und vergißt, daß er für diese Zukunft und Zivilisation geschafft hat!« »Freund, vor dir ziehe ich den Hut!« »Hast ja gar keinen auf. Wo ist denn dein Dreimaster?« Wir lachen und greifen nach den Pokalen. Hell klingt das Kristall. Und wie mildes, gedämpftes Feuer mit Blumenduft und Blütengeschmack schmeichelt die mit kostbarem Rum getaufte »spanische Milch« unseren Kehlen. Esquemelin langt in die weite Hosentasche, holt einen aus der großen Schwimmpfote des Albatros gefertigten wunderlichen Tabaksbeutel heraus. Wirft ihn auf den Tisch. »Stopfe! Echter Virginia! Besser und würziger als jeder andere Tabak der Welt! Und das paßt zu diesem Tropfen!« Während ich die Pfeife fülle, erzähle ich ihm stückweise das Erlebnis jener Nacht am Strande. »Das sieht dir ähnlich, mein Alter. Hast dich noch gar nicht darum gekümmert und weißt also nicht, ob's wahr ist oder nicht? Hei, du bist ein Kauz. Aber es wird schon wahr sein. Hast also nun einen Reservegroschen in Levasseurs altem Taubenschlag liegen! Nicht zu verachten! - Aber schenk ein, da wir nun mal Säufer geworden sind, wollen wir uns einen eleganten Spitz antrinken. Zwischen Suff und Suff und Säufer und Säufern bestehen nämlich Unterschiede. - Ja. Einen Rausch wollen wir uns zulegen von jener Sorte, der einem zuflüstert, wenn man aufpaßt: jetzt halt, keinen Tropfen mehr, sonst ist die Stimmung weg und du wirst zum Vieh! - Aber jeder kann's nicht!« Er summt einige Liedtexte. Die Kerzen brennen still, und unzählige Nachtmotten und ander Getier stürmen in die vermeintlichen Sonnen und klatschen tot oder verstümmelt auf den Tisch. Moskitos summen, und diejenigen, die nicht summen, 138
weil sie sich auf uns niedergelassen haben, stechen schändlich. Cocuyos schwenken wie grüne kleine Laternen, deren jede einen strahlenden Hof hat, unter den Palmen, und die Zikaden geigen so sehnsüchtig toll, und ganz weit weg pulsiert die Brandung an der Steilküste wie Tanztrommelschlag. Topasgelb, duftend ruht die spanische Milch in den Kelchen. Frangipanigeruch mischt sich mit dem des Weins und Rums, des heißen Wachses und der blauen Wolken von den virginischen Tabakplantagen. Und mit dem der vielen unsichtbaren Blumen auf Tortuga. »Vive la vie! Es lebe das Leben!« Klingklang! stoßen wir an . . .
KAHLKOPF ». . . weil du freiwillig sicher nicht angeheuert hättest und ich einen Quartiermeister dringend nötig brauche, so haben wir dich eben gepreßt! - Deine schwarze Hexe hat nichts gemerkt, als vier von uns dich in Decken wickelten, damit du nicht schreien konntest, und dich aus dem Bett holten!« Der diese Worte sprach, ist der in der Spanischen Main unter Freund und Feind gleich übel berüchtigte »Kahlkopf«. Einer der vielen auf eigene Faust operierenden Piraten in diesem freien, wilden und doch so wundervoll schönen Meer. Und wie gesagt, sein Ruf ist der allerschümmste! Und sogar auf Tortuga wird er nicht gerne gesehen, aber wenn er mit Prisen und geraubten Waren binnen kommt, dann findet er natürlich Freunde, denn auf Tortuga ist sogar der Teufel in Persona willkommen, vorausgesetzt, daß er irgend etwas mitbringt, das wir gebrauchen können. Welcher Nation dieser furchtbare Mensch angehört, weiß niemand, er läßt sich nicht darüber aus und spricht die hier übliche Lingua franca. Seine Mannschaft besteht größtenteils aus den blutigsten Halsabschneidern, die je die Häfen von Cardiff, Bristol, Lissabon, die Cinque Ports, Toulon, Brest, Marseille, Ge139
nua, Amsterdam und sogar das ferne Hamburg und die noch ferneren skandinavischen Häfen von sich gegeben haben. Und wie es mir eben Kahlkopf in dürren Worten beschrieb, so ist's geschehen. Ein schöner Rausch oder wie Olivier sagte, »eleganter Spitz« in spanischer Milch mit Rum und Virginiatabak verursachte eine äußerst angenehme Bettschwere, ich schlief ein und - erwachte an Bord eines verfluchten Raubschiffes . . . Und sitze jetzt in der mit himmelblauem Samt ausgeschlagenen mit gestohlenen kostbaren Altargeräten, silbernen Hängelampen und anderen Dingen geschmacklos ausgestatteten Achterkajüte jenem kahlköpfigen Schuft gegenüber und trinke seinen Wein. Ganz abgesehen davon, daß wir Tortugaleute Wasser nur zum Waschen nehmen und gewöhnlich gewaltige Mengen Alkohols verkonsumieren, ist mir nach diesem Transport und dem darauf erfolgten Einsperren - bis der Kasten, wie es nun der Fall ist, mit vollen Segeln auf unendlichem Meere schwamm schlecht geworden, und ein Schluck mag mir guttun. Lieber wäre es mir ja, ich tränke ihn in besserer Gesellschaft! Was mag Esquemelin nur denken und die dicke Sarah? Während sie sicher glaubt, daß ein Fetisch mich entführt habe, wird Olivier wohl zwei und zwei zusammenreimen und genau wissen, an welchem Bord ich unfreiwillig stecke. Aber was nützt mir das? ». . . Und wenn ich keine Lust habe, Käpten?« Er legt die qualmende Pfeife beiseite und grinst über das ganze blaurote, von vielen Pockennarben verunzierte, abscheulich aufgedunsene Säufergesicht: »Dann würden wir dich vielleicht bitten - weil wir unnötige Esser nicht schätzen - ein wenig über die Planken nach außenbords ins kühle Element zu spazieren und den Haifischen das Schreiben beizubringen, Schulmeisterlein!« Das war recht deutlich ausgedrückt, fürwahr! Kurz und süß wie sie bei uns daheim sagen. »Wohin geht die Fahrt, Kahlkopf?« »Hierhin, dorthin! Überall hin, wo Prisen auf dem Meere schwabbeln und auf uns warten! Wir sind wie Schmetterlinge, die den Nektar von Blume zu Blume suchen!« 140
»Feine, allerliebste Schmetterlinge, Donnerwetter! das muß ich wohl sagen; du hast 'ne Art, dich auszudrücken! Und wie lange soll diese süße Schmetterlingsgaukelei über den Blumen der blauen Spanischen Main dauern, if you please?« »Hm, sagen wir mal ein halbes Jahr!« »Und bringst du mich dann nach Tortuga zurück?« »Bei allen Teufeln, ja! Und sollst deinen Anteil an der Beute, unseren Artikeln gemäß, kriegen, als Unteroffizier und Quartiermeister. Hast einen guten Ruf als solcher und als Seemann auch, trotz deiner Federfuchserei. Und deshalb holten wir dich ja aus deinem Paradieslein heraus!« »Bekomme ich eine eigene Kajüte?« »Versteht sich, der Verschlag achtern, wo mein alter Piet hauste dein Vorgänger, weißt du, er starb an einem Stück Stahl, hahaha - ja, diese Unterkunft ist für dich bereit. Mit sämtlichen Klamotten und Waffen, Pfeifen und anderen Dingen, die er hinterließ und die nun dir gehören. Und falls du noch was brauchst, dann sag's, Kahlkopf ist ein großzügiger Mann, und seine Kleiderkammer ist voll!« »Kahlkopf, du hast mich jetzt gezwungen, bei dir anzumustern, aber den Eid leiste ich dir mitnichten und erlaube mir, da ich stets meine Gedanken auszusprechen pflege - wie du vielleicht schon vernommen hast - erlaube ich mir hiermit, dich einen verdammten hinterlistigen Hundesohn zu heißen. Und nun werde ich an Deck gehen und meinen Dienst antreten!« »Danke! Merci! Gracias! Thanks! Manga tak!« grinste er spöttisch in fünf Sprachen hintereinander. Jetzt sprechen zum erstenmal die beiden andern, phantastisch mit gelben Reitstiefeln, Seidenwämsern, Pluderhosen und Goldketten herausgeputzten Gestalten, die neben Kahlkopf sitzen und die ganze Zeit nichts anderes taten, als ihre Gläser auszutrinken und wieder zu füllen. Gleichzeitig sagen sie im rauhen Duett: »Gut, also die Sache ist vom Stapel gelaufen. Wollen nun alle selbander darauf eins trinken!« 141
Mich dünkt, daß der Sprecher doch nun bald genug getrunken haben muß . . . Kahlkopf weist auf die beiden: »Dies ist Raffzahn, mein zweiter Pilot. Der andere da heißt Jack. - Braddon, der erste Pilot, der seinen Dienst verdammt genau nimmt, hat Wache an Deck, wirst ihn ja gesehen haben!« Die beiden schütteln mir nacheinander die Rechte. Raffzahn sieht direkt verboten aus. Ist klein, von ungeheurer Schulterbreite, langatmig und trägt sein eigenes Haar lang wallend, das Gesicht ist verkniffen, aber dennoch vom Suff aufgedunsen wie eine Tomate, die nach zuviel Sonne zuviel Regen erhielt. Über einem Auge trägt er ein schwarzes Pflaster, und aus dem Munde ragen ihm ein paar gelbe Hauer, wie die Nager eines Eichhörnchens oder Bibers. - Ich nehme mir vor, ihn in meinen Aufzeichnungen genau zu beschreiben (was nunmehr geschieht), denn eine Historie bedarf der bunten, grotesken »Lichter«, um die Sache interessant und nicht zu trocken zu gestalten. Jack ist lang und dürr, sein schütterer Bart sieht aus wie Sargassogras, aber die Augen blitzen hell und scharf und beobachtend. Ein Mann, mit dem nicht zu spaßen ist und der richtige Seeaugen hat, demnach auch ein guter Seemann sein muß. Alkohol scheint er unmenschlich viel zu vertragen. Und der andere, der vorhin mit dem langen Messingteleskop über See spähte, als ich nach achtern gebracht wurde? Heißt Braddon und hat keine besonderen Merkmale, ist ein typischer Freibeuter, wie die ganze halbnackte, barfüßige, affengeschickte, braungebrannte, beturbante oder benachtmützte Höllencrew . . . Kahlkopf nimmt eine auf dem Tisch liegende Pistole. Schießt sie zu meinem Erstaunen gemütlich gegen den blauen Samtvorhang ab, und ich sehe jetzt, daß dieser schon eine Menge Löcher an der Stelle hat. Pulverqualm erfüllt die Luft, aber das stört diese Gesellschaft nicht. Der Käpten pflegt auf solch nette, lustige knallende Art seinen Kajütenjungen zu zitieren . . . Der krausköpfige Afrikaner steckt auch rasch den Kopf zur Kajüte rein und murmelt: »Massah!« 142
»Alicante, Rum, englisches Bier, Rosinen, Käse und Gebäck!« Der Neger verschwindet und bringt dann verblüffend schnell das Gewünschte. Und Kahlkopf hängt mir an der geflochtenen Schiemannsschnur die silberne Bootsmannpfeife um den Hals, deren schrille Töne auf manchen Piratenschiffen ebensolche Rolle spielen wie auf den Fahrzeugen von Königs Eigen. Quartiermeister auf einem Freibeuter sein, heißt: nach den Waffen sehen, sie bei Bedarf richtig verteilen, dafür sorgen, daß die Segel von den Meistern immer geflickt werden, dem Proviantmeister auf die Finger schauen, den Mittler zwischen Kajüte und Vordermast spielen und vor allem, sich Respekt und Freundschaft der Mannschaft durch gute Worte, oder wenn's nicht anders geht, Faustschläge und drohende Handspaken verschaffen. Ein netter Posten für einen Exschulmeister aus einer kleinen schottischen Gemeinde . . . Kahlkopf schenkt die hohen Silberbecher voll Wein. Ich greife zu, fülle meinen Magen mit Eßwaren, denn mindestens vierundzwanzig Stunden Fasten liegen hinter mir. »Bist auf einem Prachtschiff, Mac! Und sollst leben! Auf gute Prisen und kingende Goldfüchse!« tut Raffzahn mir Bescheid, und Jack brummt: »Allemal!« Die drei saufen wie Fische. Alles durcheinander: Weine, Bier und Rum. Von draußen ertönt gedämpfter Rundgesang: »At the Dons we'll go And Rum below ! Yoho, blow the Main down!« Auf diesem Kahn wird anscheinend erstaunlich viel getrunken und das macht mich nachdenklich. Mit einer beschwipsten Crew ist es leicht möglich, daß wir einem Don oder einem englischen oder französischen Kriegsfahrzeug vor den Bug scheren - und das wäre sicher das Ende. In Davy Jones' nasser Kiste oder als Schmuck an einer Rahennock! Allerdings, Braddon scheint ein Seemann zu sein, und auch das 143
Schiff ist gut. Wie sie mich vorhin nach der Kajüte führten, hab' ich mich umgesehen und überrascht gemerkt, daß Kahlkopfs »Barrel and tankard« (herrlicher Name für ein Schiff, und nur ein verrückter oder ein sehr humorvoller Mensch konnte ihm diesen englischen Wirtshausnamen »Faß und Humpen« geben) eines der bestgebauten Fahrzeuge ist, die ich je hier draußen gesehen! Schmal gebaut, niedrig auf dem Wasser liegend, scharf gekielt nach der Art, wie es die Wogen durchschneidet, und mit etwas nach hinten geneigten Masten, was wir »rakish« nennen. Unter vollen Segeln, von fern gesehen, muß dies Schiff einem wunderschönen, drohenden Raubvogel gleichen, der über blaue Wogen streicht. Und so was führt den lachhaften Namen »Barrel and tankard«. Übrigens sehr bezeichnend, denn die Mannschaft samt Achtergasten scheint volle Fässer und Humpen sehr zu lieben. Nun, dieses schwimmende Wirtshaus ist ein vorzüglicher Segler durch seine Bauart und macht gewiß zwei Meilen mehr als jede einzelne, die ein plumper Don zurücklegt. Also sind eigentlich nur die ebenso schnell wie wir segelnden französischen und englischen Fregatten zu fürchten, denn Kahlkopfs Ruf ist schlecht, und er bekommt keine Kaperbriefe ausgestellt, die seinem Handwerk eine Art halboffizielles Mäntelchen umhängen würden. Und ich sehe mich schon in Ketten, mit Teer von Kopf bis Fuß gebadet, an einem spanischen Galgen oder an der Nock einer Fregatte von des Königs Eigen baumeln . . . »Iß und trink, Mac, darfst dich heute ausruhen. Dein Dienst fängt um acht Glasen morgen früh, Glock vier an!« brummt der greuliche Kerl, dessen nackter blanker Schädel glänzt, während die dunklen kleinen Augen in dem bläulichen Pockengesicht mir zublinzeln wie die eines vollgefressenen trägen Hispaniola-Aasgeiers. Die beiden anderen sind schweigsame Typen. Um so mehr saufen sie. Der scheue Neger hat schon mehrmals, von Pistolenschüssen gerufen, neuen Stoff gebracht. 144
In der Kajüte ist's erstickend heiß und die Luft noch dazu voll Pulverqualm, der nur langsam am offenen Heckfenster Abzug findet, weil wir raume Brise haben. Und ich sehe durch das geöffnete Fenster das gewundene, schäumende, grellweiße Kielwasser wie eine zischende Schlittenbahn, über der kleine, funkelnde Prismen tanzen, sich durch das leuchtende Meeresblau dahinziehen . . .
ORKAN Das Leben geht seinen Gang oder, wie ich sagen möchte, es segelt seinen Kurs. Jener Nimbus, der mir als einer der Achtundzwanzig des Pierre Legrand anhaftet, verschafft mir die Achtung der wilden Kerle an Bord der »Tonneundhumpen«. Es sind auch ein paar ganz anständige Jungen darunter, die mir in langen, flüsternden Gesprächen während der balsamischen Passatnächte anvertrauten, daß sie mitnichten auf diesem Schiff bleiben wollen. Kahlkopf ist ein schlechter Seemann, und seine Laufbahn wird daher nur kurz sein. Raffzahn taugt auch nicht viel. Jack und Braddon sind Männer der Devonküste, sind Navigatoren, wie es keine besseren gibt, und ohne ihre Seemannskunst wären wir neulich, als der Orkan kam, mit Mann und Maus untergegangen. Diese verfluchten Stürme, die aus dem mexikanischen Golf geboren werden, sind nicht selten auf der Spanischen Main. Man ist ihnen ausgeliefert, denn sie kommen ziemlich schnell, obwohl ihre Anzeichen deutlich genug sind . . . Es war eine jener heißen, stickigschwülen Nächte, und schon am Tage war das Meer ölig, mit riesiger Dünung, und die Kimm war in der Runde nur ein einziger Dunst, und darüber hing der Himmel mit seltsamem bleigrauem Flimmern. Als die Dunkelheit eingetreten, blieb außer dem gelegentlich klumpenweiß grünlich aufleuchtenden Meeresschaum nichts in Sicht. Weder Himmel, noch Sterne und Horizont, nur eine schwarze, drohende, hohlbrausende Dunkelheit. 145
Kahlkopf und Raffzahn becherten in der Kajüte, und schon mancher gedämpfte Pistolenschuß war zu hören . . . Da wehte ein Glutatem übers Meer. Braddon, der heute nüchterne Jack und ich hatten schon längst die Köpfe zusammengesteckt und kamen überein, Tücher zu kürzen, auch Großsegel und Mizzen zu reffen. Meine silberne Pfeife schrillte, und Braddon brüllte seine Befehle. Hurtig wie Affen liefen die Leute ins Want, und dann hörten wir ihren taktmäßigen Gesang von oben in der Nacht zerflattern, wie sie, unsichtbar für uns, die Leinwand beschlugen. Andere, die an Deck geblieben, nahmen Geitaue und Schotfallen zur Hand, und ich setzte mich auf die Luke und sang ein altes, heulendes Chanty: »Sailing, a-sailing the waves, On top of the Spanish Main! After prices and golden treasure, And to fight and to reap and to gain! Yoho, blow the Main down!« Jedesmal, wenn ich »Yoho« brüllte, legten sie sich mächtig in die Taue und langsam, ruckweise stiegen die schweren Segel an ihren Enden, den Schoten, zur Rahennock empor. Und bald hatten wir Großsegel und Mizzen aufgegeit, so daß nur noch ihre Mitte, in die wir aber Reffs steckten, dem Winde die stark verkleinerte Fläche boten. Ein fernes, seltsames Summen kam näher und wuchs zum schrillen Pfeifen an. Und dann aus der schwarzen Nacht noch etwas Schwärzeres, das einen blinkenden Kamm trug und von Backbord bis Steuerbord unendlich breit heranrollte. El Huaracan! »Achtung, ihr Mannen, er kommt, er kommt! - herunter mit euch!« heulte Braddon, und meine Pfeife schrillte kläglich anund abschwellend, und die Männer glitten an Tauen und Webleinen nach unten. Und die Riesenwoge, die mit dem tobenden Aufruhr der ent146
fesselten Winde uns traf, brauste über alle Decks, schlug kurz und klein und nahm mit, was nicht niet- und nagelfest war. Und tauchte das Fahrzeug unter, schmiß es dann wieder hoch. Segel knallten aus den Lieken und flatterten zerfetzt davon. Das brave Schiff hielt stand und ritt nun, nach dem ersten Anprall, die Wogen oder wurde unter ihnen begraben und kam immer wieder herauf. Einmal klatschten Zweige und Astwerk an Deck, von irgendeiner Antilleninsel stammend. Seegang riß das Zeug bald wieder über Bord. Es war nicht mehr so stockdunkel, sondern ein fahles Licht schimmerte, und bengalische Blitze flammten, Donner murrten dumpf. Der Wind schrillte wie tausend Teufelsgeigen. Brecher fluteten krachend über, wir standen oft bis zum Halse im Wasser, das warm und tückisch versuchte, uns die Füße unterm Leibe wegzuspülen. Und wenn ihm das gelungen war, unsere Hände von den Strecktauen, wo wir uns eisern anklammerten, wegzureißen. Zwei Mann standen am Ruder, und Braddon schickte noch zwei dazu, so daß nun ihrer viere das wie ein Pferd nach beiden Seiten ausschlagende Steuer regierten. Die Masten bogen sich, das Focksegel war zerrissen, weggeflogen, aber Klüver, zwei Stagsegel und Mizzen wie Großsegel hielten noch. Braddons Befehle und meine Pfeife jagten beide Wachen nach oben, um festzumachen, was noch ginge, ehe es aus den Lieken riß. Es gelang, und dann hielten uns nur noch ein winziger Klüver und die aufgegeiten Mizzen und Großsegel steuerfähig gegen den Wind. Sowie wir keine Segel mehr hätten, würde der Kasten breitseits rollen oder der See das Heck zukehren und in beiden Fällen wäre das Ende da. Gekentert oder vollgeschlagen . . . Schäumende, brüllende Wassermassen kochten fortwährend über Bord der »Barrel and Tankard«. Und durch das Tosen der entfesselten Elemente klang ab und zu geisterhaft dünn der Gesang der beiden Zecher in der Kajüte. »Versoffene Schweine!« heulte mir Jack ins Ohr. Klatsch! kam der abgerissene Kamm einer Woge breitseits über, zischte dann 147
milchig um uns und schleuderte uns an den Tauen, mit denen wir uns längst festgezurrt, hin und her, ersäufte uns halb. Das Schiff schlingerte und stampfte wie toll, und ich wunderte mich, daß die in der Kajüte überhaupt noch mit der Pulle den Weg zum Munde finden mochten . . . »Ein Mannschaftsrat - wie üblich - würde - den beiden - Idioten die Absetzung - verkünden - es wäre für uns alle besser - wenn wir diesen - Sturm hinter - uns haben!« heulte ich ihm stückweise ins Ohr. Ein Blitz erleuchtete sekundenlang alles. Und ich sah, daß ich einen Fehler begangen hatte, denn Jack sah mich finster an und schüttelte den Kopf. Diese Orkane dauern meist nur einige Stunden, und allmählich besserte sich die Lage. Als der Morgen golden kam, rollte zwar noch mächtiger Seegang, und der Wind pfiff, aber wir konnten es wagen, ein paar Tücher mehr zu setzen, um so das Schiff stetiger zu legen. Auch wurden in stundenlanger schwerer Arbeit die in der Nacht davongeflatterten Segel und das zerrissene Tauwerk durch neues ersetzt, jedoch vorläufig nur aufgetucht. Dann gab's nichts mehr zu tun, und da die unmittelbare Lebensgefahr vorüber war, wurden die Piraten, die überhaupt die Arbeit nicht erfunden haben, sorglos und fingen an zu saufen. Das war so üblich auf Kahlkopfs »Faß und Humpen«, und wie schon gesagt, würde er deshalb nicht allzulange in der Spanischen Main als Schmetterling auf die Blumenjagd gehen.
DAS HEILIGENBUCH Sechster Tag nach dem Orkan. Gutes Wetter. Wir sichten eine Karavelle, deren Leinwand mit bunten Heiligen und Kreuzen durchwirkt ist. Sie regelt erbärmlich schlecht, ragt übers Wasser, wie ein Kastell über die Ebene von Estremadura ragen mag. Wir greifen an. Stundenlang währt der Geschützdonner. Die Dons verhöhnen uns, indem sie einen Mann - wahrscheinlich einen Gefangenen - am Rahennock aufhissen. Wir brüllten vor 148
Wut, während er mit strampelnden Gliedern sein Leben aushaucht. Die Dons schießen schlecht, alle ihre Voll- und Brandkugeln fliegen zu hoch, sie liegen mit ihrer Karavelle zu hoch auf dem Wasser und können die Geschütze nicht richtig auf uns einstellen. Braddons Meisterhand schwenkt die »Barrel and Tankard« in zierlichen Spiralen um den Don, und jedesmal kriegt er eine Breitseite aus zehn Kanonen. Dann wenden wir ihm wieder den Vordersteven zu, um ein kleines Ziel zu bilden. Hinter der hohen Reling lauern musketenbewaffnete Höllenkerle, deren jeder einzelne ein glänzender Scharfschütze ist. Sie putzen weg, was sich drüben zeigt. Endlich entern wir unter dem schrillen Geschrei der Piraten und dem »Santiago!« der Dons. Kahlkopf führt die »Bordpartie« und haust wie der Leibhaftige. Die übriggebliebenen Dons ergeben sich, und Kahlkopf nimmt ihre Parole entgegen, gibt ihnen die seine. Ich ersticke fast vor Zorn und Entsetzen, als alle diese nichtsahnenden Dons, nachdem sie vertrauensvoll die Waffen niedergelegt, wie eine Hammelherde zusammengetrieben und abgeknallt, erdolcht, erschlagen und dann über Bord geworfen werden . . . Unsere Verluste sind beträchtlich. Der Chirurg bekommt zu tun, aber die Burschen saufen schon wieder, so lange, bis ihnen in ankommender Ohnmacht die Pulle aus den Fingern fällt, wenn er ihnen Arme, Beine oder Finger abschneidet . . . Gold ist keines auf der Karavelle. Nur Wein, Geflügel, Trockenproviant und eine Menge Spaten und Schaufeln. Und sogar Pferde. Und wie sehen diese armen Geschöpfe, nach der langen Reise von Palos her, aus! Zum Erbarmen mager, nur wunden- und schwärenbedeckte Haut über Knochen gespannt, mit matten, traurigen Augen, verfilzten Mähnen, so stehen sie bis weit über die Hechsen im eigenen faulenden Unrat. Ratten, von denen es wimmelt, und groß wie Katzen! - rennen quiekend und pfeifend unter den Bäuchen der Rosse hin und her, 149
schnappen nach den mageren Beinen und hüpfen sogar frech auf die Rücken der armen Pferde. Putzen sich dort oben mit den Vorderpfoten ihre Schnurrbärte. Mit der Karavelle »Nombre de Dios« ist nicht viel anzufangen. Sie ist ein alter verrotteter Kahn, hat auch von unseren Geschützen zuviel abgekriegt - alles unter der Wasserlinie! - und beginnt daher zu sinken. Von den Flüchen Kahlkopfs angespornt, arbeiten wir bei der Übernahme der Ladung, soweit sie Wert für uns hat. Die Karavelle neigt sich heftig nach Steuerbord, im Raum schwappt träge das steigende Wasser, spült einzelne Leichen und ein paar Rattenkadaver hin und her. Jack und ich verständigen uns, nehmen unsere Pistolen und knallen drauflos, gutgezielt - und laden und schießen so lange, bis sämtliche vierzehn Pferde erlöst sind und nicht zu ersaufen brauchen. Kahlkopf blickt in den Raum hinab, sieht uns, sagt aber nichts. Was vielleicht sein Glück ist . . . Ich laufe nochmal in die große Donkajüte. Vielleicht finde ich ein paar Bücher, denke ich dabei. Es sieht toll aus: zerschlagene, aufgebrochene Truhen, Glassplitter, ein heruntergerissenes Kruzifix, ein Helm und anderes bilden ein wüstes Durcheinander. In einer Ecke aber, zwischen Truhe und Verschalung gerutscht heureka! - ein dicker Band. Ich hole ihn hervor, staune über die breiten goldenen, edelsteinbesetzten und inkrustierten Schließen des Buches. Heiligenlegenden, die ich mitnehmen werde, denn besser - wenn man so erpicht auf Lektüre ist wie ich - man hat über einen Heiligen zu lesen als gar nichts! Ich nehme daher eine alte, weinbesudelte Samtdecke und wickle den schweren Band darin ein. Eile an Deck. Es ist höchste Zeit, beim großen Dunstan! Unsere Leute haben schon die Enterhaken aus der Reling des Dons gebrochen, damit er uns nicht mit in die Tiefe nimmt. Die beiden Schiffe entfernen sich voneinander, und ich muß einen tüchtigen Sprung tun! Eine Reihe Männer steht auf unserer Reling, wo sie die Ratten, 150
die von der Karavelle zu uns hinüberwollten, totschlugen, denn wir haben dergleichen ekelhaft Geziefer genügend an Bord. »He, Mac, was hast du da in der Samtdecke versteckt?« schreit Kahlkopf von der Pump. »Ein Buch, Käpten!« Er lacht. Ungefähr eine halbe Länge trennt die beiden Fahrzeuge, zwischen denen das Wasser bläut und die spitzen Finnen der Haie Furchen ziehen. Die Brise ist zum Lispeln geworden. Wir stehen und sehen zu, wie die »Nombre de Dios« mit schwerer Schlagseite sinkt. »Schaut nur die Ratten, die Ratten!« schreit jemand, und wir sehen, wie drüben die Tiere zu Hunderten oder gar Tausenden auf die schräge Reling kommen. Deutlich hört man ihr Pfeifen. Und dann, wie auf Kommando, stürzen sie gleich einem breiten, viele Sekunden währenden grauschwarzen Bach über Bord. Und streben mit aus dem Wasser ragenden spitzen Schnauzen schnurgerade auf unser Schiff zu. Aber die Haie, die längst für die über Bord geworfenen blutigen Leichen in großer Zahl erschienen sind, fahren in dem Gewimmel hin und her, und nach einigen Minuten sind keine Ratten mehr da . . . Rauschend schloß sich eben der Ozean über der alten Karavelle. Ein Trichter entsteht, und als dieser sich auffüllt, klatschen einzelne Wrackstücke an die Oberfläche. »Steht bei den Brassen! - Hart Steuerbord das Ruder!« brüllt Braddon. Der Rudermann wiederholt eintönig: »Hart Steuerbord! Hart Steuerbord es ist !« Ich lasse meine Pfeife schrillen und wiederhole dann Braddons Worte. Das Schiff kommt langsam in den Wind. Jemand singt taktmäßig beim Tauziehen. »Recht so. Halt Kurs !« »Recht so. Kurs ist!« Da merke ich, daß ich den schweren Legendenband immer noch unter den Arm geklemmt trage. Und gehe nach achtern, wo ich im Zwischendeck meine kleine Kammer habe, die sehr primitiv 151
und mit Kakerlaken verseucht ist. An Deck hat Raffzahn den Befehl übernommen. Ich kann mich jetzt säubern und umkleiden. Ich wickle den Band aus und bewundere die kunstvollen Schließen, viele gemuggelte rote, grüne und blaue Steine glänzen. »Hei, Mac, da hast du einen guten Fund getan!« ruft neidisch der Koch, der, von der hinteren Proviantkammer kommend, die Nase in meine Kammer steckt. Gierig leuchten seine Augen. »Ein Heiligenbuch !« »Ha, aber mit Diamanten und Rubinen besetzt!« »Bist selber ein Diamant, alter Ragoûtjongleur!« lache ich, betrachte wieder die Steine und fahre mit dem Finger über ihre gerundeten, matten, halbdurchsichtigen Farbenhügel. Als ich mich genugsam erfreut, stecke ich meine Pfeife an und stelle mir einen Becher Wasser mit Wein an das Kopfende der Koje. Denke dabei an das, was ich heut gesehen: die brutale Ermordung der vertrauenden Dons, die armen Pferde und die frechen Ratten. Ich lege mich hin, weil es Abend geworden und ich als Quartiermeister ja keine Seewachen zu gehen brauche, sondern nur von Sonnenaufgang bis -Untergang an Deck sein muß. Zu einem Saufgelage in der Kajüte habe ich nicht die mindeste Lust. Ich hasse diesen verfluchten Kahlkopf und denke sehr oft darüber nach, ob es nicht möglich ist, allmählich die Mannschaft - wie es Redlegs seinerzeit gemacht - auf meine Seite zu bringen. Ich bin nicht für Duelle, aber einen Zweikampf mit Kahlkopf würde ich mit Wonne wagen. Auch weiß ich schon lange, daß ich mit Wohlgefallen und dabei Pfeife rauchend beobachten würde, wie man Kahlkopf und Raffzahn über Bord schmeißt . . . Ich bin zu müde, um den Heiligenband zu durchblättern. Und blase die Kerze aus, nachdem ich die Pfeife weggelegt. Von Deck klingt gedämpfter Chorgesang. Die Piraten ersäufen dort ihren Ärger über die magere Prise. Im Holzwerk knarrt und ächzt es, und gegen die Bordwand draußen höre ich deutlich das Glucksen und Murmeln der Spanischen Main.
152
ARTIKEL FÜNF UND NEUNZEHN Und was ist weiter geschehen? ». . . du elende kahlköpfige Rumtonne von einem Menschenräuber!« stößt mir flackernder Zorn aus dem Munde. Ich keuche und versuche mich zu befreien. Jack und Raffzahn halten mich fest. Zwischen mir und dem höhnisch grinsenden Schiffer blinkt das Messer auf den Decksplanken, das ich ihm eben in den Wanst stechen gewollt. Bedauerlicherweise kam es nicht dazu. Sonst, beim großen Dunstan! ich hätte es liebend gerne getan. Mit Wonne! Und nun halten sie Gericht über mich. Im Halbkreis steht die Mannschaft. Braddon, der Wachthabende, geht unbekümmert an der Luvseite auf und ab, späht zuweilen nach den Segeln. Am Ruder steht ein blauschwarzer Neger mit riesigen Muskelwülsten auf nackten Armen und Leib. Zwei Mann treten auf einen Wink vor und fesseln mir die Hände auf den Rücken. Und Kahlkopf schreit : »Rum! Rum her, Gottverdammich!« Der Kajütenneger fällt fast über seine eigenen Füße, so schnell ist er wieder mit der Pulle da. Kahlkopf setzt sich gemütlich aufs Spill, nimmt einen langen Schluck und grunzt zufrieden. Weise befiehlt dann dieser männerkundige Halunke dem Proviantmeister, eine Blechmugg des feurigen Suffs pro Kopf an die Mannschaft zu verteilen. Raffzahn gibt mir einen Tritt in die Rippen, ehe er sich neben den Käpten setzt. Im Vordergrund, unter den wilden Gesichtern, entdecke ich das blasse, pickelübersäte des Kochs, dem ich dies zu verdanken habe. »Lasset uns nun richten!« hustet Kahlkopf. »Tritt vor, Barnabas, und wiederhole die Anklage gegen Mac. Es soll alles mit Recht und Fug gemäß den Statuten zugehen!« Der widerliche Essenverderber schiebt sich aus dem Halbkreis. Und spricht: »Mac, der Quartiermeister, hat ein Buch, das mit purem Gold und kostbaren Edelsteinen beschlagen ist, aus der 153
Beute für sich behalten. Ich bezichtige ihn des Diebstahls an der Genossenschaft dieses Schiffes!« »Lasset das Corpus delicti herumgehen, damit wir zu einem Modus operandi kommen!« meint salbungsvoll der Käpten, und ich staune darüber, daß dieses Vieh lateinisch kann. Der Heiligenband, den man aus meiner Kammer geholt hat, geht von Hand zu Hand. Matt, der Artilleriemeister, lacht geradezu heraus: »Und das Ding soll 'ne Kostbarkeit sein? Koch, du bist ebenso besoffen wie unser würdiger geschätzter Käpten!« Der nächste ist der Chirurg, ein kleiner, fetter, gelber Bursche, dessen Gesicht immer wie Schmalz glänzt. Auch er betrachtet den Band. Dann: »Ein bißchen Goldblech mit etlichen Dutzend Glassteinen dran! Wert: Vier Realen, gleich einem halben Piece of eight!« »'s sind köstliche wertvolle Edelsteine!« schreit der tückische Koch. Jemand pufft ihm in die Seite: »Halt die Klappe, Pudding!« Von einem zum andern wandert das Buch, und die Meinungen sind sehr verschieden. Einige lachen verächtlich, andere setzen finstere Mienen auf und stellen sich hinter den Kombüsenschurken. Kahlkopf trinkt Rum. Raffzahn glupscht mich böse an. Braddon macht seine Promenade. Ungefähr ein halbes Dutzend Männer sind mir wohlgesinnt. Der Rest haßt mich zwar mitnichten, aber sie glauben wirklich, daß die paar Halbedelsteine einen hohen Wert haben. Außerdem sehe ich ihren rumgeröteten Augen an, daß sie auf blutigen Sport und scheußliche Kurzweil erpicht sind, und ich soll das Opfer sein. Ich denke an Tortuga. An Esquemelin, an Sarah, an das Gold im Taubenschlag, an meine gemütliche Veranda und, heiliger Dunstan, hilf! - an meine Mutter. »Stimmt ab, Maaten!« fordert Kahlkopf, und auf seinen Befehl gießt - bildlich gesprochen - der Proviantmeister noch mehr Öl in das Feuer, das mich verzehren soll, indem er abermals die Muggen der Mannschaft mit jungem Rum füllt. Junger Rum ist 154
das teuflischste Getränk der Welt! Es macht binnen Minuten verrückt, erweckt Mord- und Blutgedanken. »Die für schuldig stimmen, treten nach Backbord. Die anderen bleiben stehen. Und du, Jack, zählst die Stimmen! «befiehlt Kahlkopf und säuft wieder. Murmelnd - etliche fluchen, andere streiten mit Freunden, die sie halten wollen - drängt und schiebt sich eine kompakte Masse barfüßiger, verwegen aussehender Höllenkerle nach Backbord. Jack zählt gewissenhaft, aber ein Mann, der in meiner Lage ist, kann das schneller! Und ehe er fertig ist, weiß ich auf den ersten Blick, daß ich geliefert bin, wenn nicht . . . »Siebenundfünfzig gegen sieben!« meldet Jack und fügt hinzu: »Ich bin für unschuldig!« »Und ich auch !« klingt der Baß Braddons, der seine Promenade keine Sekunde unterbrach. »Na und ich und Raffzahn sind für schuldig. Schuldig ist er also. Was soll mit ihm geschehen, sagt, Maaten!« »Die Artikel! Holt die Artikel und schaut drin nach!« kreischt der häßliche Koch, und einige grollen beifällig. »Pfui Teufel!« brüllt der kleine Chirurg, und ich möchte ihn darum umarmen. »Ihr seid vollkommen verrückt! Die Goldschließen und die paar Steinchen sind zusammen keinen Piece of eight wert!« verteidige ich mich. »Ich will das Buch haben, und das andere, was dran ist, könnt ihr euch meinetwegen an den Hut stecken, ihr habt's ja selber in der Kajüte des Dons liegenlassen!« Höhnisches Gelächter auf der einen Seite, zustimmendes Brummen von der anderen, unterlegenen, vernünftigen. »Sagst du!« meint einer. »Recht hat er!« »Maaten, es wird alles gerecht nach Küstenbrüderart gehandhabt. Schiffsmäßig und glatt. Mac wurde von der großen Mehrheit für schuldig befunden, und nun wollen wir weiter nach schiffsmäßiger Vorschrift handeln!« grinst der Käpten. Jack bringt die Blechbüchse aus der Kajüte, holt die Mannschaftsrolle und die Artikel heraus. 155
»Raffzahn, hier!« fordert der Käpten. Der Pilot mit dem Eichhörnchengebiß nimmt das Heft, blättert darin. Und zum Knarren der Rahen und dem Geplätscher der See liest er laut: »Artikel fünf: Wenn ein Kerl etwas stiehlt, das allen gehört, so soll er entweder erschossen oder maroniert werden! Artikel neunzehn: Wenn ein Kerl sich während des Dienstes an dem von allen gewählten Schiffsführer vergreift und ihm ans Leben will« - er wirft einen bezeichnenden Blick auf das Messer, das noch an Deck liegt - »so soll er entweder erschossen oder die Strafbestimmung dem Schiffsführer überlassen werden. Das ist alles, Maaten!« Er klappt das Heft zu. Sinkenden Mutes sehe ich, daß von dem kleinen Häuflein der mir Wohlgesinnten noch ein paar abbröckeln. Nun stehen nur noch fünf Mann an Steuerbord. Der junge Rum hat gewirkt . . . Kahlkopf wischt sich den Mund mit dem Handrücken, dann brummt er, wobei er abwechselnd die Mannschaft und mich anblinzelt: »Den Gesetzen ehrlicher Küstenbrüder zufolge wurde der Quartiermeister Mac Donald des Beutediebstahls an der Genossenschaft überführt. Und, Maaten, ich schlage vor, den Wortlaut von Artikel fünf an ihm auszuprobieren. Er soll« seine Stimme schwillt, wird triumphierend - »tunlichst bald mit einer Flasche Wasser, Angelzeug, einer Muskete und Schießbedarf auf einer einsamen Insel ausgesetzt, das heißt maroniert werden!« »Heuchler, verfluchter!« Ich spucke vor ihm aus. »Ja, aber Artikel neunzehn hast du vergessen, Käpten! Soll er so billig davonkommen?« schrillt der Koch, und überraschend antwortet Braddons tiefe Stimme: »Du Kombüsenschwein, das noch nicht mal 'ne richtige Suppe kochen kann, dich werde ich bei der nächsten Gelegenheit über Bord schmeißen!« »Belege, Belege, Braddon. Der Mannschaftsrat hat abgestimmt!« »Ein blutiges Theater ist's, das ihr da wegen einer alten Schwarte von Heiligenpostille aufführt!« meldet sich jetzt der brave Devonmann Jack. Aus dem Haufen der Männer, deren blitzende, mordgierige Augen mich schier verschlingen und die schon Angst haben, 156
um ihre Kurzweil zu kommen, tobt es : »Der Mannschaftsrat hat beschlossen und damit Punktum, Basta!« »Recht so, Maaten! Auf diesem Seeschiff geht alles in Ordnung und bester Übereinstimmung vor sich!« nickt Kahlkopf, und Raffzahn reibt sich zufrieden die Hände. Kahlkopf macht eine Kunstpause, steht auf und verkündet: »Ich will nach Artikel neunzehn richten und barmherzig sein: Der des Mordversuchs und Ungehorsams überführte Quartiermeister Mac Donald soll nicht den verdienten Tod erleiden, der ihm billigerweise zustünde. Kahlkopf ist nicht rachsüchtig, Maaten. Und so bestimme ich denn, daß dieser Mac Donald nackt an zwei Tauen, die an seinen Händen befestigt werden, am Bug über Bord gelassen und die ganze Schiffslänge am Kiel entlang bis nach achtern einmal gekielholt, das heißt entlanggezogen, und wenn Gott ihm das Leben lasse, gesundgepflegt werde. Bis eine einsame Insel in Sicht kommt, wo er laut Mannschaftsbeschluß, Artikel fünf, maroniert werde!« »Du Bestie!« kann ich nur knirschen und höre aus einem roten Nebel heraus vielstimmiges Beifallsgeschrei, dazwischen einzelne schwache Pfuirufe. Und dann einen Schuß. Noch einen, dem ein schwerer Fall folgt! Und höre Gebrüll und Stampfen und das Patschen nackter Fußsohlen auf Deck, und schmecke Pulverdampf. Dann murrende Stille, durch die plötzlich Kahlkopfs Worte dringen: »Er hat's heraufbeschworen. Alle habt ihr gesehen, daß er mich abknallen wollte, als er die Pistole zog. Freund Raffzahn kam ihm zuvor. Schmeißt das verreckte Aas über die Seite!« Ich reiße die Augen weit auf, alles dreht sich um mich wild im Kreise - denn ich bin kein Held, bin eher etwas feige, erinnert ihr euch? - und sehe nun die Mannschaft. Vor meinen Füßen liegt, aus einer großen Stirnwunde blutend, der kleine, dicke, fettige Chirurg, der sein Leben für das meine geopfert hat . . . Braddon spaziert finstern Gesichts hin und her. Raffzahn stopfte seine Pfeife. Einer aus der Mannschaft, ein ganz junger Kerl und Sohn guter Eltern aus der Gascogne, wird schneeweiß und beginnt zu kotzen. 157
Vier Fäuste packen den Leichnam, schleppen ihn zur Reling. Ein Schwung - und unten klatscht das Meer. »Kielholen! Kielholen!« schreit die Meute, die nun Blut geleckt hat. Ich habe einmal zugesehen, wie ein Mann dreifach gekielholt wurde. Er kam nach dem ersten Male bewegungslos, ohnmächtig und von den am Kiel in großer Zahl haftenden scharfkantigen Muscheln übel zerfleischt wieder an Deck. Wurde sofort wieder nach dem Bug geschleppt und wieder über Bord gelassen. Beim zweiten Emporkommen war er noch schlaffer und blutete am ganzen Leibe, aber vielleicht stak noch ein Fünkchen Leben in ihm. Doch ehe man Wiederbelebungsversuche anwenden konnte, mußte er zum dritten Male über Bord. Und war dann tot: Herzschlag und zuviel Wasser geschluckt. Ich schätze jenes Entlangschleifen des nackten Körpers unter Wasser am Kielbalken, je nach Größe des Schiffes, nach der Laune der an den Tauen ziehenden Crew und nach der Beschaffenheit der Muscheln, auf fünf Minuten Dauer. Und nach drei solchen Prozeduren ist wohl der ausdauerndste Mann tot. Kommt auch noch die Gefahr etwaiger Haie dazu. Eben hat man den toten Chirurgen über die Seite geworfen. Gewiß lockt er Haie an, denn diese Bestien haben eine wunderbare, meilenweite Blutwitterung. Manchmal bleiben sie dann stunden- und tagelang im Heckwasser . . . »Wann soll die Strafe vollzogen werden?« »Heut' gegen Abend! 'ne Stunde vor Sonnenuntergang!« antwortet Kahlkopf. Dann: »Gebt dem Quartiermeister zu essen und zu trinken, was er verlangt. Wir sind keine Unmenschen!« »Sperrt ihn in seine Kammer. Gefesselt und zwei Mann Wache!« knurrt Raffzahn. Und sie führen mich nach unten . . . Nach einer Weile kommt Jack. Brummt: »Mac, hast du einen Wunsch?« »Schmeiß Kahlkopf und den schurkischen Raffzahn ins Wasser! Aber versprich mir wenigstens, wenn ihr nach Tortuga zurückkommt, alles Esquemelin oder Barbassou zu berichten!« 158
»Mein Wort drauf! - Nimm die Sache nicht zu schwer, Mac, du wirst zwar bös von den Muscheln zugerichtet, aber ich glaube nicht, daß man nach einmaligem Kielholen schon ersäuft!« »Feiner Trost! Wenn nun die Kerle, die an den Tauen ziehen, absichtlich zögern?« »Wir werden die Sache schon richtig drehen. Die Meinung der meisten Leute ist nicht mehr so wild wie vor 'ner Stunde. Der Rumteufel ist aus ihren Köpfen verdunstet, und sie sehen's ein, daß die alte Heiligenpostille nichts wert ist. Der Koch ist an allem schuld!« »Und Kahlkopf und Raffzahn !« »Ja, wie kommt es nur, daß sie dich auf einmal so hassen?« »Weiß nicht. Vielleicht, weil ich ihre langweiligen Saufgelage nicht mehr mitmache. Du solltest auch mal einen Stopper einlegen, Jack, sonst hast du in einem Jahr das Delirium tremens und siehst Ratten und Mäuse dort, wo keine sind!« »Kahlkopf hat's! Neulich knallte er blindlings in die Kajüte, und als wir ihn dann fragten, was ihm fehlte, sagte er, daß 'ne weiße, mächtige Ratte vor ihm auf dem Tisch gesessen und sich den Bart geputzt hätte!« »Jack, wenn nicht bald was geschieht, so überraschen euch eines Tages die Dons oder sonstige Kriegsschiffe! Der Kasten wird schlecht geführt, und die Mannschaft ist fast Tag und Nacht besoffen!« »Ja, der Alte ist kein guter Seemann!« »Kippt den Lumpen über Bord. Und Raffzahn hinterher!« »Sie haben noch zu großen Anhang. Es wäre zu früh! - Schade, daß du maroniert wirst, Mac, eines schönen Tages könnten wir dich gebrauchen!« »Well, müßt eben allein zusehen. Und noch bin ich nicht maroniert! Erst muß ich das Ersäufen überstehen!« »Mut, alter Junge! Möchtest du jetzt was Gutes trinken oder essen? Oder rauchen?« »Stopf mir die Pfeife, Maat. Den Magen möcht' ich nicht gerne überladen, sonst trifft mich nachher unter Wasser der Schlag. Und ehe sie mich an Deck holen, Jack, gibst du mir zur Herz159
Stärkung eine Mugg voll Rum. Aber den guten, alten, zehnjährigen Port-Royal-Tropfen!« »Sollst du haben! Ich muß jetzt wieder nach oben. Einer der Wächter wird dir die Pfeifen stopfen und anzünden. Cheer up, altes Seepferd!« - Er geht, und ich höre ihn draußen ein paar Worte mit den Wachen sprechen. Dann kommt einer in die Kammer, stellt linkisch seine Muskete in die Ecke und setzt sich auf meine Kiste. »Füll mir die Pfeife, mein Junge!« Er blickt mich an. Es ist der kleine, schlanke Gascogner. In seinen Augen sehe ich wahrhaftig Tränen. - »Oh, Mac!« flüstert er halb erstickt. »Wär' ich doch bei Muttern geblieben! möchtest du wohl sagen, wie?« Er nickt. »Mach dir nichts draus, Junge, und bei der ersten Gelegenheit haust du ab von diesem blutigen Pott. Fährst heim, oder wenn du das noch nicht willst, so schau, daß du nach Tortuga kommst, und bestell einen Gruß von mir an Esquemelin oder an Barbassou. Sie sollen was für dich tun! Aber vielleicht bin ich früher bei ihnen als du!« »Comment? Was sagtest du?« »Nun ja! Am einmaligen Kielholen, wenn grad keine Haie in der Nähe sind, werd' ich wohl nicht draufgehen. Und nachher? Von einsamen Inseln in der Spanischen Main wurde heutzutage schon mancher Ausgesetzte wieder abgeholt, wenn ihn seine Freunde nicht vergaßen. Wir leben in Entdeckerzeiten, Junge!« prahle ich, und dabei ist mir so elend und flau in der Seele wie noch nie im Leben . . . »Die Mannschaft zeigt Reue!« »So?« rufe ich voll Hoffnung, doch schüttelt er nur traurig den Krauskopf: »Eine Abordnung von uns war beim Alten, aber er hat sie mit Pistolenschüssen rausgefeuert. Und dann ließ er Rum und Wein verteilen, und jetzt ist's ihnen wieder egal!« »Na ja, siehst du, Jüngelchen, so ist das Leben, und wankelmütig und gut ist der Mensch im allgemeinen. Sei ein netter 160
Kerl jetzt und stopf mir noch mal die Piepe und schlage dann Feuer. Mit gefesselten Händen läßt sich dies nicht gut tun!« Von Deck hallt Gesang. Einmal höre ich einen Schuß und dann die quarrende Stimme Kahlkopfs: »Hannibal, wo steckt der schwarze Schneeball? Hannibal, schaff Rum her, Rum her, du Sohn eines afrikanischen Zauberers, Rum!« Nach zwei Stunden werde ich wissen, ob ich noch lebe . . . Der Junge stiert vor sich hin. Füllt ab und zu meine Pfeife. Ich zähle wider Willen die Minuten. Sie sind mir noch nie so rasch verflossen, und doch so langsam - begreift ihr diesen Widerspruch? - wie heut. Draußen gurgelt das Wasser, das weit, weit weg die Küsten Süd- und Zentralamerikas und die Inseln und dazugehörigen Ozeane bespült und das man zusammenfassend die Spanische Main nennt. An Deck ertönt wieder Rundgesang. Das alte Lied von den Dons und dem Rum . . . Schritte. Jack tritt ein, hat eine Blechmugg in der Hand, der ein starker, wunderbarer Duft entsteigt. Mit den gefesselten Händen führe ich das Gefäß zum Munde, trinke in kleinen Schlucken und denke dabei, daß jeder Schluck mein Leben um soundsoviel Jahre verlängern möge. Und mildes Feuer durchströmt meine Glieder, glüht wohlig im Leibe und stärkt meinen Geist gegen das, was da komme. Der Junge weint. »Bleib hier, brauchst nicht zuzusehen!« sage ich ihm und stehe langsam auf, denn es ist soweit. Er fällt vornüber auf die Koje, beißt in die Decken, und sein Körper bebt und zuckt. Zwischen Jack und dem anderen klettere ich nach oben. Und wieder sehe ich alles mit ganz anderen Augen an: das blaue Meer, die goldene Sonne, Möwen und Rahen, Masten und Stengen, Want und Tauwerk und brummende Segel! So deutlich, so verklärt und so wunderschön . . . Sie warten auf ihr Schauspiel. Alle Mann sind auf dem Vorderkastell versammelt. Nur Braddon und der Rudergänger verblieben achtern. Alle schweigen und schauen mich neugierig an. 161
»Bindet ihn los !« knurrt Kahlkopf, der rauchend auf dem Ankerspill sitzt. Die Enden zweier langer, dünner Taue - sie sind naß, weil man eben die Länge um den Schiffsbauch herum ausmaß - werden an meinen Handgelenken festgebunden. Die anderen Enden nehmen je sechs kräftige Kerle in die harten Fäuste, und befriedigt merke ich, daß unter diesen »Tauziehern« einige mir Gutgesinnte sich befinden. Sie werden also nicht über Deck schreiten, sondern galoppieren! hoffe ich. Und streife, ehe sie mir die Anhängsel befestigen, die Kleider ab, stehe nackend da und fühle den warmen Kuß der Sonne und das laue Streicheln der schwachen Brise. »Raus, aufs Bugsprit!« brummt Kahlkopf, und ich gehorche. Die eine Leine wird mit dem losen Ende unter dem Klüverbaum wieder nach oben geholt, und die Männer greifen wieder zu. Das Schiff liegt stetig und macht langsame Fahrt. »Los, sei ein Mann. Jump!« brummt Jack dicht hinter mir. Noch ein tiefes, schlürfendes, trinkendes Umherblicken! In die Gesamtrunde. Dort ist die Sonne, sind zierliche Schäfchenwolken, deren Vließ vergoldet ist; glänzt das blaue, so blaue Meer. Und unten ist die schäumende, sanfte Bugmähne und davor und darunter die bläschenwerfende, blaue, in goldenen und violettschwarzen und grünen Schichten sich staffelnde Tiefe. Haie sehe ich keine. Ich lasse mich fallen, nachdem ich eine langen Atemzug getan. Und plumpse hinab, fühle, wie ich untersinke, weil man an meinem Fuß im letzten Moment ein Stück Eisen befestigt hat, eine Vorsorge, die mir zustatten kommt, denn der Auftrieb des Wassers, den ich nicht brauchen kann, um nicht schon am Bug hängenzubleiben und zu ersaufen, während sie vergeblich an den Tauen ziehen, wird dadurch ausgeschaltet. Krampfhaft schließe ich Mund und Augen, und das Wasser ist merkwürdig warm, und dann ist ein Ziehen in meinen Armen. Plötzlich ein furchtbar schmerzhafter Anprall. Der Vordersteven hält mich, noch bin ich nicht unterm Kiel. Und sie ziehen, reißen ruckweise, als wollten sie mir die Arme ausreißen! 162
Oh, meine Mutter, denkst du an mich, und klingt es dir jetzt in den Ohren? . . . Plötzlich läßt der Widerstand, der mich an den Steven preßte, nach, ich bin nun wirklich unter dem Schiff, und es reißt mächtig an meinen Händen. Ich rutsche ruckweise am Kiel entlang. Spüre Stiche, Schnitte, Knüffe und Schläge, wie mit einem Hammer. Oh, ich kann nicht mehr. Luft! und brülle auf. . . Wasser quillt schmerzhaft in meine Lunge. Warm und salzig und furchtbare Qual erzeugend. Purpurnes Leuchten um mich, Schmerzen in und am Körper, und dann wird der Purpur zu goldenen, donnernden Flammen. Und wunderbar still wird's auf einmal, und die Schmerzen und die Atemnot lassen nach, ich brauche überhaupt nicht zu atmen, möchte nur schlafen, schlafen und in diese hallende, goldpunktierte und geflammte Nacht, hinter der jetzt schwarze Schatten heranjagen, eingehen. Und dann weiß ich nichts mehr . . . Aber wieder durchschießen mich Schmerzen, und durch die Nacht wogt es dunkelrot und . . . »Sachte, sachte !« höre ich aus weiter Ferne eine dünne Stimme. »Laßt ihn nicht länger Kopfstehen, das Wasser ist nun aus ihm herausgelaufen! Legt ihn hin, sachte, sachte! Und pumpt! Pumpt mit seinen Armen!« klingt's weit und fast tonlos. Ah, wie mein Körper schmerzt! Wenn ich nur die Augen öffnen könnte. Ertrunken bin ich also nicht, das weiß ich jetzt irgendwie. Und auch die Stimme kommt mir bekannt vor. »Ja, Maaten, das Herz schlägt. Das verdankt er dem Rum, den er vorher getrunken! - Beide Arme ausgerenkt. Reich mir einer die Rumpulle!« Feuer sickert durch meine zusammengepreßten Zähne in den Schlund, ich muß furchtbar husten und dabei tut mein ganzer Leib weh. Werde aber wacher und kann endlich die Augen aufmachen. Und sehe verschwommen die Gesichter Jacks und Braddons dicht über mir. Und noch ein paar andere im Hintergrunde, wo die Lampe vom Deckbalken schwingt und sie mit goldenen Medaillons einrahmt. 163
»Trink langsam, Mac!« Abermals fließt Feuer in mich, und wieder quält mich ein Hustenanfall, aber es wärmt, ah, es wärmt, denn auf einmal wird mir bewußt, wie hündisch kalt mir ist. Mein ganzer Körper fliegt im Schüttelfrost, und die Zähne klappern wie Kastagnetten. »Kalt!« ächze ich. »Trink, trink, Maat. Nachher decken wir dich zu, mit 'ner Genèverpulle voll Heißwasser an den Fußsohlen. Mußt aber erst verbunden werden!« Und Braddons schwielige grobe Hände berühren mich wunderbar zart und sanft, wie die einer Mutter. Ich versuche mich aufzurichten, aber es geht nicht. Sehe aber meine Umgebung nun deutlicher und auch die blutenden, klaffenden Schnitte auf Brust und Bauch und Schenkeln. Und meine Arme sind unbeweglich wie Bleiklumpen, und tun dabei höllisch weh. »Beiß die Zähne zusammen, Mac. Wir wollen deine Arme wieder einrenken, ehe die Geschwulst kommt!« Eine Hand packt die meine, eine andere meine Schulter, und dann schlägt wieder schmerzensreiche Dunkelheit über mir zusammen. Jack sitzt am Kopfende der Koje, als ich erwache, und beobachtet mich aufmerksam. »Besser jetzt, alter Maat !« »Hm ja. Bin ich schwer zerschnitten?« »Es geht. Die Arme haben wir dir auch wieder eingekugelt. Es war ein schweres Stück Arbeit, weil du so bewegungslos wie ein Tiefseelot dalagst. Hast ein paar böse Schnitte über Brust und Bauch und auch am Schenkel und viel Blut verloren. Aber Braddon versteht sich drauf und hat dich gut verarztet. Einige Tage weiter und du kannst wieder tanzen. Trink jetzt. Alter Rum ist die beste Medizin und erweckt Tote!« »Mich friert, Jack !« »Dabei ist's heiß wie in der Hölle, und du bist gut eingewickelt. Trink, Rum ist Gottestau und verschafft dir neues Blut!« »Ja, gib« . . . ich kotze auf einmal Seewasser und Rum in langem Würgen heraus. Und muß trotz allem Elend schmunzelnd an 164
den Zaubertrank denken, den Don Quijote in der Schenke braute . . . »Schluck mal wieder einen Tropfen. Jetzt ist der Magen sauber!« Er hält mir einen Pannikin an die Lippen, und willenlos schlürfe ich. Dann: »Was sagt die Mannschaft?« »Die ist jetzt zufrieden und meint, es sei Genüge geschehen, und wenn du gesund bist, so sollst du auf 'ner guten Insel maroniert werden. - Sag, kannst du nicht schlafen?« »Will's versuchen. Mir tut so ziemlich alles weh!« »So probier's! Ich lasse dir den jungen Froschesser, den Gascogner, als Krankenschwester hier. Und alle paar Stunden schaut einer von uns nach dem Rechten. Du mußt das Fieber loswerden!« »Welcher Kurs liegt an?« »Östlich! Werden zwar noch etliche Male umlegen, aber in der Hauptsache soll's östlich bleiben. Richtung Madeira und Salvagesinseln Martin Vas!« Er geht. Die Lampe mit ihren dünngeschabten Hornscheiben leuchtet goldgelb. Das Wasser rauscht und gurgelt. Der junge Franzose sitzt auf meiner Kiste, äugt manchmal nach mir hin und blättert dann weiter in einem großen, schweren Buch. Die goldenen Schließen und Halbedelsteine sind nicht mehr daran. Ich muß sehr lachen, und das Lachen tut meinem Leibe zwar noch weh durch die Erschütterung, aber meiner Seele tut's wohl. Schlecht ist mir auch noch. Denn ich habe einige Pinten der salzigen Spanischen Main verschluckt. Einmal höre ich an Deck die Glocke. Vier Doppelschläge. Und singend ruft die Stimme des Ausgucks: »Acht Glasen und alles wohl!« Später fahre ich jäh aus der Betäubung, die mich umfangen hält. Der Junge sitzt noch da. »Was war das?« Er lächelt : »Der Alte! Er hat eben nach Rum geknallt! Schlaf nur, es ist nichts, Mac!« Wirre Träume umgaukeln mich. Huschen bunt an mir vorbei. 165
Hübsche Bilder, dann wieder Gespenster mit bleckenden Mäulern. Tanzende Skelette, die mit den Knochen klappern. Und dann werfen sie mich hohnlachend ins Meer, und Haie schießen heran, sperren die Rachen mit den fünffachen Reihen gezackter Zähne auf . . . »Hilfe!« Mit einem Schrei komme ich zu mir. Und bin naß am ganzen Leibe. Über mir hängt Braddons Gesicht. »Hast geträumt!« Er hält mir den Rumbecher an den Mund. »Trink!« Ich gehorche. Denn - ich weiß nicht, ob's richtig ist, Esquemelin behauptet das Gegenteil - an den Küsten und auf den Inseln und Gewässern der Spanischen Main, wo immer es Küstenbrüder und Freibeuter gebe, kuriert man jede Krankheit mit Rum und gibt auch den Verwundeten davon. Und einer, der keinen Rum mehr trinken will, der steht dicht vor Davy Jones' großer Kiste. So sind meine Erfahrungen. Und da ich nicht krank sein möchte und noch keine Lust habe, in Davy Jones' Kiste zu kommen, und leben, leben möchte . . . Deshalb trinke ich jetzt den duftenden alten Rum . . .
RAFFZAHN Vier Wochen nach dem Kielholen: Braddons Kunst, meine kräftige Natur und der duftende Rum haben mich wiederhergestellt. Alle Wunden, die mir die Muscheln gerissen, sind vernarbt. Dienst brauche ich keinen zu machen, sondern sitze meist im Arrestlokal unten in der Vorpiek. Es ist heiß und finster darin wie in einem Backofen, aber Braddon und Jack haben mir eine Lampe und eine Matratze gebracht, und über Hunger oder Durst brauche ich nicht zu klagen. Und nun will ich genau erzählen, wie alles kam: Also ich saß in der Vorpiek, hätte auch an Deck Spazierengehen können, doch tat ich's fast nur nachts. Denn ein Teil der Mannschaft betrachtete mich immer noch wie einen Aussätzigen, und nachts war 166
nur die Segelwache an Deck, die anderen soffen, sangen und randalierten. Nach Kahlkopfs und Raffzahns Anblick empfand ich nicht die leiseste Sehnsucht. Und war ihnen sehr verbunden, daß sie mich in Ruhe ließen. Doch muß man zugeben, daß es ein merkwürdig gefährliches und prekäres Dasein für mich war, solange ich an Bord der »Barrel and Tankard« sein mußte. Und wird auch verstehen, daß ich, trotzdem ich mir eigentlich nichts Gutes davon versprach, von Tag zu Tag größeres Verlangen nach jener wüsten, unbekannten Insel im Weltmeer, wo ich maroniert werden sollte, bekam. Ostkurs. Manchmal ging es über Stag und einige Stunden nördlich. Dann wieder Ostkurs. Braddon war überzeugt, daß der Alte die Salvageinseln, eine wüste Felsengruppe einsam im Südatlantik, südlich von Madeira, auf dem Kurs der Schiffe, die Mar-Dulce und Buenos Aires ansteuern, besuchen würde. Er und Jack schwuren auch, daß sie mir ein paar mehr Sachen als nur die obligate Wasserpulle, Muskete, Angelzeug und Schießbedarf verschaffen würden. Machten auch heimlich ein großes Bündel parat, das nicht nur meine Aufzeichnungen, Pergament, Tintenkapsel und Truthahnfedern, sondern auch manche gute Gurgel- und Magenatzung enthielt . . . Und eines Tages war's so weit. Heureka! Tags zuvor hatten wir Regen und warmen Nebel, dann klarte es auf, und die letzte Nacht wurde feenhaft. Jene leuchtende Sternengruppe, die man »Magellanwolken« nennt, stand im Süden, und wenn das Schiff schlingerte, so sah es aus, als ob funkelnde Girlanden zwischen den Masten baumelten. Der neue Tag war etwas diesig anfangs, und träge, lange Dünung rollte lautlos dahin, als man mich an Deck holte. Das erste, was ich sah, waren ungefähr zwei Seemeilen ab drei kleine, nackte, schwarze Felseninseln, gegen die das Meer silbern anschlug. - »Martin Vas!« sagte Jack. Dann: »Dreh dich um, Maat!« 167
Ich tat so und sah in ziemlicher Nähe eine große Insel, gleich einer phantastischen hohen Felsenburg, gegen die der Schwall brüllend und schäumend anrannte. »Trinidad! Aber nicht das Trinidad in den Antillen mit dem schönen Hafen Port of Spain, das die Engländer haben. Hier diese Insel ist . . .«, er schwieg und machte ein ernstes Gesicht. Neugierig umdrängte uns die Crew. Ein paar lachten grimmig, und einer rief: »Da drüben wird dich der Satan holen, Juwelendieb!« Braddon, der die Wache hatte, kam von der Puup, schüttelte mir die Hand und wünschte mir Glück. Dann ging er wieder nach achtern. Kahlkopf schaute durch ein Teleskop nach der Insel. Dann setzte er es ab und rief: »Rasch ins Boot mit ihm. Sonst laufen wir auf, wenn wir hier zu lange herumschwabbeln. - Sind seine Klamotten bereit?« Raffzahn kam angetorkelt, trug eine Wasserpulle, Muskete, zusammengerolltes Angelzeug und eine Jagdtasche. - »Da, nimm! Damit kannst du dir drüben ein Königreich gründen!« lachte er. Er stank nach Rum. Die Gig wurde ausgeschwungen und zu Wasser gelassen. Sie schaukelte auf der mächtigen Dünung, sechs Mann saßen drin, hielten die Ruder hoch, und der siebente, »Mac«, stemmte mit dem Bootshaken ab. »Ich gehe mit. Will sehen, ob unser feiner Quartiermeister auch gute Unterkunft findet!« lachte Raffzahn und schwang sich über die Reling. Rutschte am Tau ins Boot, als der Schwall es gerade gegen die Schiffswand preßte. Ein paar riefen mir nach : »Gut Glück, Mac«, andere : »Zur Hölle wirst du fahren!« Kahlkopf grinste: »Die mag er drüben finden, Maaten, verlaßt euch drauf, ich kenne den Platz und hab' ihn nicht zum Spaß ausgesucht! - He, Jack? Raffzahn?« »Aye, aye!« »Vorsicht beim Landen, sonst werdet ihr in Trümmer geschlagen und ersauft!« 168
»Aye, aye!« Die Ruderblätter tauchten taktmäßig ein, und die Gig schoß, stark schaukelnd, auf hoher Dünung der Insel zu. Laut brüllte die Brandung. Und ich hörte Seevögel, die in dichten Wolken zu Zehntausenden um die Insel flatterten, hell und mißtönend kreischen. Trinidad stieg immer höher aus dem Ozean, in wilden unheimlichen Formen stand es da. In der Mitte ragte ein Zuckerhut; rechts und links andere gezackte drohende Felsriesen, stellenweise senkrecht in den Ozean abstürzend, von Wolken, die hin und her wallten und anscheinend im ewigen Kreislauf um die Gipfel zogen, umspielt. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Schwarz und rot, braun und kupfrig türmten sich da vor mir die bizarren Felsen, und nirgends war ein Fleckchen Grün. An einer Stelle standen viele Reihen mächtiger Basaltsäulen wie gigantische Orgelpfeifen, die einen Steilhang besetzt hielten und bis weit hinaus ins Meer reichten. Und zwischen ihren Korridoren und Säulenkatakomben zischte und hallte und spritzte es. Von einer roten Felsenwand stürzte ein schmaler blinkender Wasserlauf. Also verdursten würde ich nicht. Korallen, die das Wasser grün färbten, und herausragende klotzige Blöcke halfen uns durch ihre Stauung, den kleinen Sandstreifen, der dort inmitten grauenvoller Abstürze klaffte, anzupeilen. Aber es war ein sehr gefährliches Unternehmen. Die Ruderer konnten das nicht sehen, da sie meerwärts und nach dem Schiffe blickten, aber Jack, Raffzahn und ich erblickten alles. Jacks Gesicht war verkniffen, ununterbrochen kauten seine Backenmuskeln, und an den Schläfen traten die Adernstränge hervor. Raffzahn grinste. Und mir war sonderbar zumute. Diese mitten im warmen Ozean und unter einer heißen Sonne liegende Insel strahlte eine fühlbare, drohende Kälte aus! Zehntausende weißer, schwarzer und gescheckter Seevögel saßen auf Felsriegeln über den Abgründen und brüteten, und andere ungezählte Massen schwirrten kreischend hinaus aufs Meer, zir169
kelten im Bogen und kehrten zurück, flogen wieder hinaus . . . Eier und Fleisch würde ich auch haben! Ich schielte nach dem großen Bündel, auf dem Jack saß, und wunderte mich, was wohl alles darin sei und was Raffzahn dazu sagen würde. Nun kamen wir nur sehr langsam vorwärts. Schwall und rasender Sog ruckten das Boot hin und her. Ein paarmal klatschte ein Brecher über, und ich schöpfte mit der Kelle, so rasch ich konnte, das eingedrungene Wasser ins Meer zurück. Jack steuerte mit zusammengepreßten Lippen. Und ich dachte verloren und zusammenhanglos an das Schiff, das da hinten auf der glatten Dünung schaukelte. Der Sandstreifen näherte sich. Aber auch hier rannte das Meer, das draußen so glatt atmete, in donnernden, spritzenden Brechern gegen die Küste an*). »Rudert, Jungens, legt euch in die Riemen, daß sie sich biegen!« gellt Jacks Stimme durch Möwengeschrei, Donnern, Zischen und Grollen. Im Bogen setzt uns der Schwall unsanft aufweichen Grund, und wieder brüllt Jack : »Raus, all hands ; und das Boot raufziehen!« Schon sind wir über die Seite - nur Raffzahn bleibt faul sitzen packen die Duchten, daß unsere Knöchel weiß aus der gebräunten Haut vorspringen und schieben, zerren, während der wütende Sog an unseren Hüften reißt. Und schaffen es! Der nächste Schwall umspülte nur unsere Waden, und dann hatten wir das Fahrzeug auf dem muschelbesäten, mit einigen zappelnden Fischen bedeckten Sand geborgen. Wir wischten uns den Schweiß aus den Augen, während Raffzahn gemütlich aus dem schiefsitzenden Boot kletterte. »Segne meine Seele, hier möcht' ich nicht wohnen!« sagte einer. Und sie schauten die furchtbaren Felsen an, schauten auch mich an und blickten scheu aufs Meer. Dann nickten sie mir zu, und es waren, wie ich jetzt erst sah, alles Leute, die mir wohlwollten. Unbeschreiblich laut toste die Brandung. Draußen tanzte das *) Auszug aus dem jetzigen »South Atlantic Dictionary«: Die Brandung des ungehemmt gegen diese unheimliche Insel anstürmenden Südatlantik schlägt über einzelne, 200 Fuß senkrecht aus dem Meer steigende Klippen mit ihrem Schaum glatt hinweg.
170
Schiff wie ein Korken auf der blauen, ruhigen Dünung, und die drei Felsenbrocken Martin Vas, die in der Ferne so verloren lagen, waren mit stiebendem Silber geschmückt. Unbekümmert schritt Raffzahn an Land, kletterte über Steine und erstarrte Lava von dunkelroter und stumpfschwarzer oder kupfernblinkender Farbe. Watete durch bunte, schillernde Schlacken. - Trinidad ist ein erloschener Vulkan und wahrscheinlich der über Wasser gebliebene Rest des Innenkraters. »Hier, legt das Bündel dort in Luv jener überhängenden Felsen. Raffzahn braucht's nicht zu merken!« sagte Jack, und die Männer nickten verständnisvoll. Und ihrer zwei verstauten das Bündel. »Mich deucht, je eher wir uns in unser Boot machen und ruhig Fahrwasser gewinnen, desto besser. Und je weiter wir dann mit dem Schiff von der Insel weg sind, um so gesünder. Sonst läuft uns allen der Hals voll Wasser!« brummte einer und zeigte nach einer kleinen finsteren Bucht, wo ein altes, muschelbekleidetes Wrack zeitweilig schwappend aus dem Wasser tauchte. Mechanisch stolperte ich ein Stück hinter dem verschwundenen Raffzahn her. Einer der Piraten, ein wilder Kerl, der sich spaßeshalber »Lord Jim« nennen ließ, murmelte ein paar Worte in Jacks Ohr und kam mir dann nach. Eben ging unter lautem Knattern, das Brandungsdonner und Möwenkreischen scharf übertönte, von karmesinroter Steilwand eine Geröllawine nieder. Einzelne Brocken sausten eine halbe Kabellänge von uns singend durch die Luft, mitten zwischen die seltsamen Orgelpfeifen aus Basalt. Und stellenweise flatterte brauner Staub hoch. Unermüdlich kreisten und wogten die dunklen Wolken eng um die unheimlichen Gipfel, während sonst überall blauer, vergoldeter Himmel sich ausspannte. Während meines ganzen langen Aufenthaltes auf dieser verfluchten Insel, die einer erstarrten Hölle mit unheimlichen Bewohnern gleicht, habe ich keinen einzigen Tag erlebt, an dem nicht diese rätselhaften dunklen Wolken - die aber kein Vulkanrauch sind - um die roten und schwarzen Felsenzacken gleich einem ewigen Fluch ihr seltsames wogendes Spiel trieben und 171
an dem nicht tagtäglich und allnächtlich von Zeit zu Zeit kurze Regenschauer herabschütteten! Könnt ihr das verstehen? Ich mitnichten. Die Handbücher für den Seemann erwähnen's zwar, wissen aber auch keine Erklärung . . . Der »Lord« hatte mich eingeholt. Felsblöcke entzogen uns der Sicht der anderen. »Mac, wir drücken alle miteinander beide Augen zu und sagen nachher an Bord, 'ne Steinlawine hätte ihn gekillt. - Da!« wieder knatterten an anderer Stelle Felsbrocken aller Größen zu Tal. »Da, siehst du! Schlag ihm in aller Ruhe, aber doch fix, den Schädel ein. Dort vorne ist er hingegangen!« sagte der Lord. Die Brandung donnerte ihre Zustimmung, und Möwen kreischten häßlich. »Ja! Ja! Hei!« Ich ließ »Lord Jim« auf einem runden Steinbuckel sitzen und stolperte weiter. Kein Gras, keine Blume. Stellenweise giftgrüne, schleimige Kriechflechten, einige runde, ebenfalls giftgrüne, stagnierende Teiche und überall die sonderbarsten Felsformationen in metallisch kupfrigen, roten, sattbraunen und tiefschwarzen Tönen. Dazwischen graue oder schwarze Asche und in allen Farben schillernde Schlacken. Und die Schatten der Gipfelwolken über den sonnenbeschienenen Boden geisternd. Es war sonderbar und furchterregend. Mehrmals watete ich durch Asche und sah vor mir seine Fußstapfen. Dann kam ich wieder an einen der scheußlichen Teiche. Er wurde von einer Wasserader gespeist. Ringsum standen verschiedene karge, flechtenbewachsene, mannshohe, aufrechte Baumreste. Versteinert oder so von Schlacken umkleidet, daß sie wie petrifiert aussahen. Vielleicht waren es aber gar keine Bäume. Dort traf ich Raffzahn. Er blickte genießerisch umher. Ohrenbetäubend hallte die Brandung, kreischten Möwen und tobten Echos. Drüben rollte ein Steinschlag nieder. Düster grelle, unwirkliche Farben bleckten und strahlten in der Runde. »Ho, du Schuft, hier wirst du dich wohlfühlen! Schätze, daß du 172
binnen drei Wochen übergeschnappt bist, wenn dich inzwischen der Teufel nicht geholt hat!« höhnte er brutal. Ich aber dachte an die seltsamen Worte, die mir »Lord Jim« eben gesagt. Und gedachte auch des kleinen Chirurgen von der »Barrel and Tankard«. Und dachte an meine Leiden beim Kielholen und an die Ungerechtigkeit an Bord, deren böser Geist und Spiritus rector dieser verfluchte Höllenhund und Saufkumpan Kahlkopfs war. Ehe er sich's versah, schlug ich ihm mit einem geschwind aufgerafften runden Schlackenstück auf den Schädel. Er wankte und fiel dann mit blutüberströmtem Gesicht ohnmächtig zu Boden. Tot war er nicht. Oh nein, das wollte ich mitnichten. Raffzahn sollte mir auf dieser schrecklichen Insel Gesellschaft leisten! Als Seemann hat man immer die Taschen voller Schiemannsgarnbändel, und ich war genügend damit versehen, um den bewußtlosen schlaffen Schuft in halb aufrechter Stellung an einen der versteinerten Stümpfe binden zu können. Mochte er, wenn er erwachte, brüllen und schreien. Niemand würde ihn hören, denn eine menschliche Stimme trägt auf dieser Insel, wo die Natur so unbeschreiblich tobt und Echos nieversiegend hin- und herjagen, nur wenige Schritte weit. Langsam ging ich zum Anlegeplatz zurück. Die Sieben schauten mir erwartungsvoll entgegen, und »Lord Jim« blinkerte mit einem Auge. »Hast du Raffzahn nicht gesehen, Mac?« »Ja, das, was von ihm übrig ist. Dort hinten liegt der Schuft, vom Steinschlag zermalmt. Ihr könnt ja die Reste mit an Bord nehmen, wenn ihr wollt!« log ich eisern und wußte genau, daß jene wußten, ich lüge. Jack schaute zu Boden, und »Lord Jim« rief, von beistimmendem Nicken der anderen unterstützt: »Wir haben's alle gesehen, stimmt's nicht, Maaten? Nur der Steuermann Jack hier war nicht dabei!« »Aye, aye!« »Also laßt uns machen, daß wir an Bord kommen, wenn das Schiff hier auf den Legerwall gerät, ist's verloren!« 173
Im gleichen Augenblick knallte dumpf ein Kanonenschuß durch das Donnern der Brandung. Wir schauten alle seewärts, und dort an Bord blühte wieder ein weißer Rauchball über Deck. Dann kam der Knall - und nochmals! Am Mizzen stiegen bunte Wimpel empor. »Wir sollen an Bord. So schnell wie möglich!« rief Jack. Er umarmte mich, und ich flüsterte ihm ins Ohr : »Er ist nicht tot, nur gefesselt, will ihn als Diener erziehen!« Alle drückten mir die Rechte, und jeder sagte dazu der Reihe nach: »Wir kommen oder lassen dich holen!« Nun stemmten sie ihr Bot in den Schwall, sprangen hurtig hinein und griffen nach den Rudern. Arbeiteten wie die Wilden, um das Fahrzeug von der Küste freizukriegen, wurden immer wieder zurückgeschwemmt, und mehrmals blieb mir das Herz stehen, als es aussah als sollten sie dort draußen an den im Wasser liegenden Blöcken oder zwischen den Orgelpfeifen zerschellen. Sie kamen aber frei, und nach einer Stunde ungefähr sah ich, wie das Boot hochgehievt wurde. Die »Barrel and Tankard« drehte in den Wind und entfernte sich schaukelnd mit geblähten, schimmernden Segeln. Ich blickte ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen war. Ging dann zu meinem Teerleinenbündel. Öffnete es und freute mich kindlich über den Inhalt. Das waren alles Dinge, die ich gut gebrauchen konnte : Schlafdecken, mehrere große Pullen alten Rums, viel Tabak, etliche Pfeifen, Feuerzeuge, eine kleine Axt, ein Cutlaß, Messer, Pistole. Viel Zwieback und Boucan und eine große, in gesalzene Leinwand eingenähte Speckseite; auch zwei runde, mächtige, in Leinen genähte Goudakäse. Und mein Schreibzeug, ein kleiner Spiegel, Nähzeug und dergleichen. Es war ein ansehnliches Bündel, und Kahlkopf mochte es wohl gesehen haben - auch Raffzahn - aber beide dachten wohl, daß es mir nicht viel nützen würde. Ich entkorkte eine Rumpulle : »Auf gut Glück und baldige Befreiung!« sprach ich zu mir und trank dann einen guten Schluck, und es wurde mir sehr wohl. Zündete auch eine Pfeife mit Virginia an. Als Gewaffen hing ich Beil, Pistole, Messer und Cutlaß an den Gürtel, auch die Jagdtasche, in die ich einige Zwiebäcke, 174
etwas Munition, eine Rumpulle - denn solches kann man immer gebrauchen -, Tabak, Pfeife und Feuerzeug tat. Alles andere rollte ich in das Bündel, band die Schnur darum und ließ es liegen. Es war mir ganz fidel zumute, doch muß ich sagen, daß mir der Kopf brummte und die Ohren hallten, weil die Brandung, die unglaublich hoch fast überall anprallte, diesen furchtbaren Lärm machte. Es war wie zahlreiche, ununterbrochene Gewitter, voll tiefen Donnergedröhns, und dazwischen das laute Zischen und Prasseln an den Basaltsäulen. Vogelgekreisch, ab und zu eine hellknatternde Steinlawine, und von allen Seiten hallende, ruhelose Echos! Die Luft ist feucht auf der Insel und nicht übermäßig heiß. Von der Hitze, die draußen unter der glitzernden Sonne auf dem die Insel umgebenden Tropenmeer herrscht, merkt man hier nicht viel. Vorerst erfüllte mich das wunderbare Gefühl, ganz frei und mein eigener Herr zu sein. Ich pfiff sogar ein Liedchen, während ich mich auf den Weg machte, die nähere Umgebung etwas zu erforschen. Stellen, wo die Steine niedergingen, oder andere, die mit ähnlichem zu drohen schienen, vermied ich. Es ist ein phantastisches Reich, diese Insel Trinidad! Ausgebrannter Vulkan, Überbleibsel von dessen früherem, im Meere verschwundenen oder in die Luft gesprengten Riesenkrater, ragt es auf, in der Grundfarbe schwarz, mit großartig gezackten oder vertikalen Felsen und Abgründen, in denen die See brüllt, und überall sind bunte, grelle Farben in die Grundierung eingesprengt. Grün und rot, blutend und kupfern. So grell, wie kein Maler Farben auf seiner Palette findet. Unzählige, unaufhörlich donnernde, kreischende, heulende, singende, polternde, nie abreißende Echos, die hin und her und dann wild im Zickzack und im Kreise wirbeln . . . Ich erwog den Gedanken, mir die Ohren zu verstopfen, denn bei diesem unaufhörlichen Getöse könnte man vielleicht allmählich verrückt werden. - Fand aber im Laufe der Zeit, daß man den Lärm zwar hört, aber nicht mehr so laut, und zwischen175
durch auch andere Geräusche unterscheiden kann - und daß alles nicht so schlimm ist, wie es die ersten acht Tage aussieht. Denn an die Natur gewöhnt sich des Menschen Ohr, weil er selber von der Natur abstammt. Der Ozean, der draußen in leichten Wellen oder bei Windstille in blauer, schwacher Dünung blaut, rast hier gleich wilden Riesenpferden mit weißglitzernden Mähnen gegen Trinidad und die drei vorgelagerten Inseln Martin Vas. Ohne Pause, denn es ist der Atem des gewaltigen Südatlantik, der durch nichts mehr gehemmt wird, ehe er gegen die Küsten von Santos oder das Flachgestade von Mar Dulce stößt. Allenthalben, wo winzige, unzugängliche Buchten sich kesselartig öffnen, liegen Schiffstrümmer, halbe und viertel Schiffe, uralt, muschel- und tangbedeckt. Dies ist Trinidad, die Insel, die fürwahr dem Thronsessel des Fürsten der Finsternis gleicht, den er sich hier im Meere errichtet hat . . . Ich fand den Bach, dessen Kaskade sich über unerklimmbare dunkelrote Felsenmauern herabstürzt und sich unten in einige Rinnsale teilt, die entweder ins Meer oder in die grünen, flachen Tümpel fließen. Das Wasser ist klar, schmeckt aber leicht nach Schwefel, ist infolgedessen gesund und heilsam. Also hier sollte ich wohnen! Maroniert bleiben, bis man mich vielleicht holen käme. Es könnten dies aber nur Freunde sein, denn jedes andere Schiff, das der Zufall in die Nähe bringt, wird der gefährlichen Gegend schleunigst zu entfliehen trachten. Wasser hatte ich also, Nahrung an Seevögeln und Eiern, solange erstere brüten und letztere nicht überbrütet sind; dazu meinen kostbaren Proviant in der Persenning und genügend Muscheln und sogar Fische, die teils zerschmettert, teils noch zappelnd vom Schwall auf den kleinen Strand geworfen werden. Nur eine Unterkunft mußte ich suchen. Holz zum Feuermachen ist überreichlich vorhanden, denn es scheint, als ob alle Wracks des Südatlantik nach Trinidad geschwemmt und dort angespült würden. Aber irgendeine Höhle mußte ich finden. Denn während draußen 176
auf hoher See ein fleckenloser Himmel strahlt, speien die ewigen Wolken, die wie gebannt Satans bunten, zum Himmel steigenden Thronsitz umwallen, täglich und nächtlich kurze, aber ergiebige Regenschauer aus. Eine Höhle, eine Höhle! Vielleicht fand ich darin sogar einen Schatz, denn wenn Kahlkopf die Insel kennt, so werden auch andere um ihre Existenz wissen. Und einen besseren Platz, um blutbeflecktes Piratengold zu verbergen, gibt es auf allen Meeren nicht. - Aber damals, als ich die Höhle suchte, hätte ich alle Schätze Indiens nicht gegen mein Häuschen auf Tortuga eingetauscht und denke auch heute nicht viel anders*). Raffzahn lehnte, gut angebunden, an seinem Stamm. Wütend schaute er mir entgegen und brüllte: »Was soll das heißen, du Miststück!« Gemächlich setzte ich mich auf einen Lavablock. Eben war ein kurzer Regenschauer niedergestoben. Ich stopfte mir genußreich eine Pfeife, prostete dem Schurken mit der Rumflasche zu. Als die Pfeife richtig brannte, unterbrach ich ihn, der unflätig weitergetobt hatte: »Das Schiff ist abgefahren und längst außer Sicht. An Bord denken sie, der Steinschlag hätte dich zerschmettert. Und nun bleibst du schön gefesselt, bis du vernünftig wirst. Ich suche derweilen eine Höhle. Morgen früh mach' ich dich los, und dann kannst du mit mir den Zweisiedler spielen. Wenn du aber Mätzchen versuchst, dann, mein Junge, verlaß dich drauf, schlage ich dir den Schädel richtig ein. - Ihr habt mich so weit gebracht!« »Hund! Schwein! Sau!« kreischte er. »Deine zoologischen Kenntnisse sind schlecht. Ein Hund ist ein sehr kluges Tier, und auch das Schwein oder die Sau ist nicht so dumm wie viele Menschen, und außerdem nützlich. Also kannst du mich mitnichten beleidigen!« Ich blies die Rauchschwaden aus Mund und Nase und schrie dann weiter - denn man muß auf Trinidad schreien, wenn man auch nur in kurzer *) In unserer Zeit wurden verschiedentlich Privatexpeditionen ausgerüstet, um angeblich auf Trinidad von Piraten vergrabene Schätze zu suchen. Man fand auch Spuren von planmäßig angelegten Grabungen usw., aber sonst nichts. Die Insel, auf der nur mit großer Lebensgefahr zu landen ist, behält ihr Geheimnis.
177
Entfernung gehört werden will: »Eine Nacht ohne Essen und Trinken und ein gelegentliches Regenbad werden dich weich machen. Morgen bringe ich dein Frühstück. Aber ohne Rum. Und dann werden wir weiter reden und sehen!« Sein blutbekrustetes Gesicht verzerrte sich. Er geiferte und bleckte seine absonderlichen Zähne. Ich aber dachte wieder an das Kielholen, an den kleinen Chirurgen und war von eisiger Ruhe und ohne Mitleid. Klopfte die Pfeife aus, zog nochmals seine Fesseln fester an und ging dann, ohne mich umzusehen, davon. Es war hoch am Mittag. Satans Felsenthronsessel ragte blutrot und nachtschwarz aus auf- und niederdippenden Wolken. Für einen Fußgänger ist die Insel sehr groß und in den meisten Teilen unzugänglich. Nach Stunden wußte ich, daß es außer jenen giftgrünen Flechten keinerlei Vegetation gibt. Vielleicht war der Südstrand besser, aber die Erforschung würde Tage dauern, und ich mußte sehr auf der Hut sein vor den ohne Anzeichen willkürlich herabknatternden Steinlawinen, deren Einzelteile Hausgröße haben. Hunger spürte ich noch nicht, als ich endlich, unweit des Teiches, an dem ich Raffzahn gelassen, höher oben eine nette, etwa fünfzehn Yards tiefe, mit feinem Sande bedeckte Höhle entdeckte, die ich sofort als vorläufiges Heim beschlagnahmte. Ich schleppte, schleifte und rollte mit viel Mühe den Inhalt meines Bündels und etliche Wrackplanken hinauf. Inzwischen wurde es rasch dunkel. Bald hatte ich ein trauliches Feuer flackern, lag auf über den Sand gebreiteten Decken im Höhleneingang und paffte. Der Holzrauch beizte in den Augen. Regen rieselte ein Viertelstündchen. Ich trank ein Nösel Rum, beschloß aber, mit dieser Kostbarkeit sehr Haus zu halten. Wilde Tiere oder Eingeborene brauchte ich nicht zu fürchten. Denn diese Insel ist - das fühlte ich - verlassen und verflucht. Die Seevögel waren zur Ruhe gegangen, nur die Brandung tobte und die Echos. Weit draußen schimmerte das ruhige Meer unterm herrlichen Sternenhimmel. 178
Ich wickelte mich in eine Decke und schlief auch wirklich rasch ein. Es herrschte tiefe Nacht, als ich emporschreckte. Über der Insel, so weit ich sie überblicken konnte, lagerten sattblaue und weißschimmernde Schatten. Der Gischt blitzte. Und eine große Unruhe war in mir. Hatte ich nicht im Schlaf einen gräßlichen Schrei gehört? Die Brandung rauschte, donnerte, orgelte. Echos rollten von allen Seiten, einmal knatterten Steine, und flimmernd stieg der Staub hoch. Es war, als ob eine unsichtbare Kraft mich zwänge, aufzustehen. Den blanken Cutlaß in der Rechten, kletterte ich mit wildem Herzpochen hinab, dorthin, wo Raffzahn am Rundteich seine Sünden beschaute, falls er noch ein Gewissen hatte. Von der Höhle bis an jenen Teich ist es nicht weit, aber so viele Felsklötze, Aschengruben, Löcher und andere natürliche Hindernisse liegen dazwischen, daß ich auf halbem Wege innehielt und mich ausruhend hinsetzte. Und lauschte. Nur das Donnern der See und die Echos! Einmal war es allerdings, als hörte ich ein feines, sonderbares Knistern. Aber das war Täuschung. Plötzlich verstärkte sich mein Unbehagen, und ich glaubte, daß ich nicht mehr allein sei, sondern irgend jemand mich in böser Absicht belaure oder beschleiche. In allernächster Nähe. Ich fuhr herum, und mein Herzschlag setzte sekundenlang aus, denn dort saß, kaum zwei Schritte von mir, auf dem Schlackenhügel ein widerliches Geschöpf. Dann erkannte ich es: eine Krabbe von gut einundeinhalb Fuß Breite oder Länge, mit viereckigrundem safrangelbem Panzer, der im Sternenlichte krankhaft schimmerte. Mit riesigen Scheren, die auf- und zuklappten. Die langen Fühler wippten, zitterten tastend, und knopfartige Stielaugen starrten mich wissend, aufmerksam an. Ein unangenehmer, scharfer Geruch drang mir in die Nase. Und jetzt setzte sich das Untier in Marsch, stelzte auf mich los. Ich erwachte aus meiner Erstarrung. Der Cutlaß krachte in die safrangelbe, mit Auswüchsen und Höckern versehene Panzer179
schale. Das widerliche Geschöpf stieß einen hellen, dünnen, seltsamen Laut aus, die Scheren zuckten ein paarmal, während aus der klaffenden Panzerschale die Gallerte quoll. »Pfui Teufel, was für ein Zeitgenosse bist du! Mit deiner Schere könntest du ja einem Mann den Arm glatt abkneifen!« murmelte ich. Und fuhr abermals herum. Da war ja noch eine! Und dort balancierte eine dritte, und drüben saß die vierte und fixierte mich teuflisch. Lauter über einen Fuß lange und breite Riesenkrabben, die mich anstarrten und sich plötzlich, wie auf Geheimbefehl, alle auf mich zu in Bewegung setzten*). Binnen einer Minute hatte ich sie zerschlagen. Aber es kamen noch mehr. Von überall her kamen sie, wie sonderbare, zum Fürchten aussehende Myrmidonen Satans herangestelzt. Das seltsame Knistern, das mit dünnem Klang den Brandungsdonner durchschnitt, rührte von den Steinchen her, die unter ihnen wegrollten, wenn sie sich bewegten. Als sie ihre toten Artgenossen sahen, fielen sie darüber her, balgten sich, und ich sah, wie ihre Kneifzangen mühelos eine dicke Panzerschale zerdrückten. Nein, ich möchte keinen Finger oder Arm zwischen den Waffen dieser Bestien haben! Mir wurde schlecht, und beinahe hätte sich mein Magen umgestülpt, denn ich dachte auf einmal siedendheiß an Raffzahn. Jener Hilfeschrei im Traum, das war er gewesen! Ich eilte nach dem Teich, erlegte unterwegs eine Menge der mich angreifenden, immer zahlreicher werdenden Tiere, und schließlich war es mir nur mittels einiger Sprünge und fortwährenden Tötens möglich, den Teich zu erreichen. Was ich dort sah, war so schrecklich, daß ich fast die Waffe fallen ließ, um erschüttert die Hände vors Gesicht zu schlagen. Ich stand auf einem eckigen, dicken, kurzen Basaltstück, das die Krabben nicht erklimmen konnten, und schaute . . . *) Die großen safrangelben Krabben sind die einzigen Tiere mit Ausnahme der Möwen auf Trinidad und existieren auch heute noch in Mengen, da die Insel unbewohnbar ist und sehr selten von Wissenschaftlern besucht wird. Sonst kümmert sich niemand um diese Portugal gehörende phantastische Insel im Südatlantik. Auch die Schatzsuche hat schon vor dem Kriege ausgesetzt.
180
Raffzahn stand nicht mehr in Fesseln halb aufrecht an den versteinerten Stamm gebunden. Er war überhaupt nicht mehr da. Dort, wo er, nachdem die Schnüre durchgekniffen waren, hingestürzt, da wogten jetzt sich hebende, ruckweise quirlende, knisternde Safranleiber, klickten gewaltige Zangenscheren . . . Nein, von Raffzahn war nichts mehr zu sehen, das, was von seinem sterblichen Leibe übriggeblieben, war bedeckt von Dutzenden und Hunderten von Riesenkrabben. Und es knisterte und stank säuerlich, und das Meer orgelte, und die Echos zuckten hallend nach allen Seiten und kamen und gingen wieder. Sternenlicht erhellte alles, und die Schatten der ruhelosen Wolken dort oben waren tintenschwarz auf dunkelblauem Grunde. »Vergib, Mensch, vergib! Denn das habe ich nicht gewollt!« flüsterte ich, und Tränen rannen aus meinen Augen, als ich wie behext dorthin stierte, wo unter sich balgenden Höllengeschöpfen die Überreste meines Freundes verborgen lagen. Freundes? Gewiß! Sicher hätten wir uns ausgesöhnt, wären in dieser furchtbaren, gigantischen, uns gefangenhaltenden Satanslandschaft Freunde geworden. Zu spät! Ich fing an zu kotzen wie ein Schiffsjunge in der Biscaya. Rings um meinen erhöhten Stand lauerten einige Dutzend Teufelsgeschöpfe unbeweglich, ihre Stielaugen auf mich gerichtet und die Panzerleiber auf den Stelzbeinen hochgereckt, und es schien mir, als könne ich ihre schrecklichen Gelüste, die für sie ganz natürlich waren, spüren . . . Mit einem Satz war ich unten, der Cutlaß krachte durch Panzer, Gallerte spritzte, Scheren flogen abgehauen davon, dünne, unirdische Töne sickerten über das Toben der Elemente, es stank, und einmal durchjagte mich ein starker Schmerz, als eine Zange ein Stück Fleich aus meiner Wade kniff. Ein Hieb, und das Untier war erledigt. Dann war ich durch, traf nur noch einzelne der Krabben, die mich alle annahmen, denen ich aber einfach aus dem Wege ging, denn laufen können sie mitnichten. Noch in innerer Erregung zitternd, saß ich nachher auf den Decken, hatte das Feuer geschürt, daß es purpurne Schlaglichter 181
in den Höhlengrund warf. Und verband mein ziemlich verletztes Bein. Langsam beruhigte ich mich und wußte, die Bestien konnten nicht zu mir vordringen, weil ein für sie unüberbrückbarer glatter Lavariegel eine Sperre bildete. Außerdem schützte gewiß das Feuer. Mit bebenden Händen führte ich die Rumpulle zum Munde und trank lange. Nachher füllte ich die Pfeife. Und lag rauchend am Feuer, starrte hinaus über die wilde, rollende Brandung auf das ruhige, leuchtende Meer und dachte darüber nach, ob er wohl sehr gelitten hatte . . . Fröstelnd erwachte ich, als der Tag längst angebrochen war. Zögernd stieg ich hinab an jenen fürchterlichen Ort. Die Riesenkrabben von Trinidad sind Nachttiere wie ihre Artgenossen, jene kinderkopfgroßen Landkrabben der Antillen, die mit ihren Scheren mühelos Kokosnüsse zertrümmern, um an das süße Innere zu gelangen. Keine einzige war mehr zu sehen, und von denen, die ich getötet, lagen nur einige Panzerreste, Beine und Scherenstücke umher. Und dort am grünen Weiher fand ich, was von Raffzahn übriggeblieben war. Knochen und Knöchelchen, der von eisern kneifender Scherenzange zertrümmerte leere Schädel, etliche Metallknöpfe und Kleiderfetzen, auch die Schuhe. Eine metallene Tabaksdose und die Pfeife, ein Messer, ein silberner Fingerhut und ein winziger Kompaß - alles ziemlich zerstreut auf der schwarzen, starren Lava. Ich wuchtete einen Lavablock aus der Asche und sammelte die Überreste, warf sie dann alle in das entstandene Loch. Kantete den Block wieder drüber. Zog den Hut und sprach ein Gebet für Raffzahn und eines für mich. Im Gebet ist oft Trost. Genau wie im Rum, oder noch mehr. Das spürte ich und ging zwar nachdenklich, aber ohne innere Angst nach der Höhle, wo ich mein Frühstück bereitete und dem Trost Gottes mit einem Schluck alten Jamaikarums frische Brise in die Segel gab. 182
Satans Thronsessel, die Insel Trinidad, an deren Falten ich einsam und insektenklein hauste, ragte buntfarben zum Himmel, und oben wogten Wolken um rote und schwarze zerklüftete, unersteigbare Zinnen. Vögel kreischten, Steinschlag polterte und krachte. Der Ozean brach seine mächtigen Wogen tosend an der schrecklichen Steinküste, und ringsum hallten die ruhelosen Echos . . .
MEERMAID Männer, die, vom Ollonois auf winzigen Sandkeys (Inselchen) in der Jardinillossee vor Florida maroniert, nach wenigen Tagen oder Wochen elend zugrunde gegangen wären, wenn de Lussan und Edward Mansfield von Port Royal sie nicht zufällig entdeckt und gerettet hätten, erzählten mir einst auf Tortuga, daß sie kleine Muscheln in eine Grube legten, um die tägliche Zeitrechnung nicht zu verlieren. Das habe ich mitnichten nötig, denn ich besitze Schreibmaterial und mein Kalender besteht aus einem Tintenstrich auf einem Pergamentbogen. Heute, wo ich die weiße Meermaid aus der tiefen roten Bucht zu mir emporlächeln sah und fast verrückt geworden und hinab in den Tod gesprungen wäre, zählte ich einundneunzig Striche. Drei Monate . . . Hei, ein Meerweibchen? fragt ihr . . . Nun, ja: allmählich hatte ich gewisse Landbeine bekommen. Ich hütete mich nur, nachts woanders als in meiner Höhle zu schlafen, weil man vor den großen Safrankrabben wirklich nicht sicher ist. Ich glaube bestimmt, daß ein eingeschlafener Mann, der von ein oder zwei Dutzend dieser infernalischen Geschöpfe gleichzeitig angegriffen wird, nicht mehr davonkommt, weil der plötzliche Blutverlust zu groß ist . . . Nun, nachdem ich die Landbeine bekommen hatte, ging ich oft dreist auf Erkundung aus. An die Geräusche der Natur hatte ich mich etwas gewöhnt. Und der ich anfangs überhaupt nur den Brandungsdonner, Steinschlag, Seevögelgekreisch und to183
bende Echos vernahm, konnte bald neben diesen Lauten auch das Rollen eines Steinchens, das teuflische Knistern der Krabben und das Geprassel meines Feuers vernehmen. Die Nordseite der Insel, wo ich gelandet, hatte ich erforscht so weit wie möglich, denn der größte Teil ist wegen Steilheit, Steinlawinen oder Abgründen und tiefen Aschenlöchern unerkundbar. Im Süden und Osten ist's auch nicht besser. Nur der Westen ist ein wenig zugänglicher, es gibt dort sogar angeschwemmtes Erdreich, auf dem einige traurige, sehr zerzauste und kaum lebensfähige Büsche zu einer üblen Existenz verurteilt sind. Auch ein Bach ist dort und stellenweise Flachstrand, dem Riffe und Korallen vorgelagert sind. Es wimmelt dort von angeschwemmten Treibgütern : Wrackteilen und dergleichen. Leider keinerlei Proviantfäßchen oder so. - Hier südlich der Insel verläuft der Kurs der Europaschiffe nach dem Kap der Guten Hoffnung und weiter nach dem Goldlande Calicut, Zipangu, den Gewürzinseln und anderen Wunderplätzen, von denen Marco Polo, später Vasco da Gama und etliche andere, darunter auch Francis Drake, erzählt haben. An dieser Westseite von Trinidad ist's also ein wenig netter, obwohl man es mitnichten schön nennen darf, denn diese verfluchte Insel ist ein Wahrheit gewordener Alptraum. Und da ich das Gefühl habe, nur im Norden könnte eventuell ein Schiff in Sicht kommen, blieb ich geruhsam in meiner ersten Höhle wohnen, anstatt im Westen eine neue Wohnung zu suchen. Apropos, dort entdeckte ich unweit vom Strande drei übermannshohe, von Menschenhand errichtete Steinpfeiler und fand auch etwas weiter davon eine Hacke, deren Stil zwar abgefault, aber die gewiß nicht älter als zwei Jahre war. Der Gedanke, daß Piraten oder sonstige Küstenbrüder auf dieser Insel, die, wie ich schon sagte, die allergeeignetste wäre, um einen illegalen Schatz zu verbergen, gelandet und ein Depot von Pieces of eight gebaut haben, liegt nahe. Doch maß ich dem weiter keine Bedeutung bei, man kennt ja meine Einstellung, und ich hätte mit Freuden den größten Schatz gegen ein Tönnlein alten Rum - meine Pullen gingen 184
leider zur Neige - oder eine sonstige Proviantergänzung eingetauscht! Gewiß hungerte ich mitnichten, obwohl die Brutzeit der Fregattvögel und Albatrosse und anderer mächtiger Seevögel beendet war und nur noch wenige Nachzügler an unzugänglichen Stellen hockten. Jedoch hatte ich tüchtig unter den Eiern aufgeräumt und mir probeweise - ich weiß ja nicht, wie es ausschlägt - einige Tausende in verschiedenen, von der Natur geschaffenen Felsentrichtern und Mulden in Kalkbrühe eingelegt . . . Übrigens verteidigen sich die Tiere bis aufs äußerste, wenn man ihre Brut zu rauben versucht. Und ein Flügelschlag von einem Albatros oder einer Fregatte, beides Vögel, die gute dreieinhalb Yards klaftern, wirft einen starken Mann um, als ob's ein Holzkegelchen wäre. Von den Albatrossen hatte ich ungefähr ihrer dreihundert getötet, sie aufgeschnitten und ausgenommen, mit Salz bestreut es gibt Salz in den verdunsteten Seewasserteichen - und über Feuer und Rauch boucaniert. Des feuchten Klimas wegen, da es jeden Tag etliche Male regnet, mußte ich besagtes Dörrfleisch an Schiemannsgarnbändern in eine zweite Höhle hängen, die den Krabben nicht zugänglich ist, und alle paar Tage ein großes Feuer darin anzünden, um den Schimmel abzutöten. Man sieht daraus, daß ich auf meiner Insel nicht müßig ging. Und zum Nutzen und Frommen etwaiger Nachfolger will ich sagen, daß Albatrosse und Fregatten sehr zähe und tranig sind und daß von den also getrockneten am besten die Brustteile schmecken. Wenn man sie mit Speck kocht . . . Muscheln, darunter große und eßbare, wirft das Meer eigentlich ununterbrochen auf den schmalen Sandstreifen. Ich fand genügend, um jeden Tag davon zu leben, falls es nötig gewesen wäre. Doch man muß dieses schmackhafte Strandgut immer rasch ernten, und am frühen Morgen ist nichts mehr da, weil die Krabben kommen und nur zertrümmerte Schalen übriglassen. Ebenso geht es mit den Fischen. Der Schwall wirft wohl jeden Tag allein an der kleinen Sandstelle 185
dreißig Fische aus, die halbtot oder noch springlebendig sind. Lauter fette, gutschmeckende armlange Burschen einer Makrelenart. Im eigenen Fett über langsamem Feuer gebraten, sind diese Fische ein Gericht, nach dem man sich wohl die Finger abschleckt! Ich habe ausgeklügelt, daß die Sache folgendermaßen vorgeht: ganz kleine Fische existieren keine rund um Trinidad, weil der starke Wogenprall auch bei draußen ruhigster See sie einfach totschlägt. Den großen, starken tut es keinen Schaden, aber solchen, wie eben beschrieben, die es in Menge hier in dem südlichen Meere gibt und die ihre Freßgier zu weit in die tobende Gewalt des Schwalls und Sogs treibt, so daß sie unweigerlich an den Klippen zerschellen oder an den Strand geworfen werden. Auch diese Fische muß ich immer rasch sammeln. Am Tage holen die Seevögel sie und des Nachts die großen Krabben. Es gibt - und das ist keine Lüge! - so viele dieser Riesenkrabben auf Trinidad, daß es nachts stellenweise sehr gefährlich ist, spazierenzugehen. Ich habe probiert und erlebt, daß eine Krabbe, der ich eine zolldicke eichene Wrackplanke hinhielt, diese vor Wut, weil sie nicht an mich gelangen konnte, an der Stelle, wo ihre Zangenschere zupackte, zersplitterte. Gewiß schmecken diese Schaltiere gar nicht übel, und an einem vermögen sich zwei Männer zu sättigen. Aber ich brachte es nicht fertig, mal eine zu rösten oder zu sieden, weil ich an Raffzahn denken mußte und mir selber wie ein Kannibale vorkam . . . Aber die Geschichte mit der Meermaid sollt ihr nun hören: auf einer meiner Klettereien hatte ich mich bös verstiegen. Und sah über mir dräuende glatte schwarze und rote Steilwände wie wunderbare, von jähen Klüften gespaltene Mauern. Zu beiden Seiten Abgründe, aus denen knallgrüne, brennendrote und lackschwarze Steinnadeln ragten, Schlackenhalden und erstarrte Lava wie sanftgewellter Meeresschlag. Weiter vorne war die See, und an einer Stelle spritzte kein Schaum, der sonst überall emporrauscht und unglaublich hohe Klippen überrieselt. Dort schien eine Bucht zu sein. 186
Weiter in die Höhe konnte ich nicht mehr, ausbiegen auch nicht, aber vielleicht fand sich dort näher dem Meere zu ein Abstieg. Und wie ich überhaupt da hinauf gekommen bin, ist mir heute noch ein Rätsel. Es sei denn, mich trieb der dunkle Drang, der mich manchmal rätselhaft beherrscht: jene furchtbaren, unnahbaren, etliche tausend Fuß hohen roten und schwarzen, von Dünsten umwallten Zinnen - Satans Thronsitz - zu erklimmen und erkunden . . . Ich rutschte, kroch und sprang, und jede Minute hätte ich in eine Höllenspalte stürzen können. Ich nahm mir fest vor, wenn ich glücklich herabkäme, nie wieder solche Torheit zu begehen, und heureka! das Gelände besserte sich, ich entdeckte wirklich eine Chance, ziemlich ungefährdet über einen kantigen, im Guß geronnenen und erkalteten Schlackenhang nach unten zu kommen. Und da nun meine Retirade ziemlich gesichert schien, klomm ich erst mal näher an den Küstensaum, um hinabzuspähen, ob es dort eine Bucht gäbe. Nach einer Viertelstunde lag ich dicht am Abgrund, nur von einer natürlichen, dreißig Zoll hohen Lavabrüstung, wie in einem Amphitheater, vor dem Absturz in die schauerliche Tiefe gesichert. Schauerliche Tiefe!, obwohl es höchstens hundertundfünfzig Fuß von der senkrecht abstürzenden Wand bis zum Wasserspiegel sein mögen . . . Und ich dankte Gott, daß die Lavabrüstung mich vor dem Abrutsch bewahrte, denn mir wurde schwindlig. Denkt euch eine länglichrunde Bucht. Ein Kessel von vielleicht zweihundert Fuß an der breitesten, respektive längsten Stelle und kaum dreißig an seiner engsten, die einen langen Flaschenhals in Verbindung mit dem Meere bildet. Sonst ragen überall glatte, wie polierte, senkrechte karmoisinfarbene Felsen um diese Kesselbucht in die Höhe. Draußen an beiden Seiten spritzt der donnernde Schwall jäh sinkend und steigend im unendlichen Rhythmus zweihundert Fuß hoch und darüber, schleudert kompakte, vom Winde abgerissene Schaummassen durch die Luft, 187
so daß sie weißblitzend herabstürzen und, unten im Kessel sich auflösend, in blitzendem Regenbogen vergehen. Und denkt euch das tiefe, tiefe Wasser, in diesem Kessel vom Widerschein der roten Wände bestrahlt, als eine rote, von grünlichblauen und goldenen und violetten Lichtern durchzitterte Fläche! Die keine Welle schlägt, sondern, vom draußen wuchtenden Schwall zusammengepreßt, ununterbrochen gleich einer öligen Masse mit saugendem, schmatzendem Geräusch auf- und niederschwappt. Und dort unten, beim großen Dunstan!, winkte und lächelte aus rosigem Kessel herauf, auf- und niedertauchend, eine schwimmende Meermaid*). Tief unten, aber deutlich und scharf sich abzeichnend, sah ich sie ohne Zweifel! Ein weißes, rosigbestrahltes, vollbusiges Weib, die Haare von hellstem Weißgold! Sie schwamm dort unten aufrecht im Wasser, tauchte ab und zu bis an die Hüften heraus, lächelte und lächelte und schien auch zu winken . . . Es überrieselte mich kalt und heiß. Ich lehnte mich über die Lavabrüstung, starrte hinab und wartete darauf, daß das Meerweib nun auch zu singen begänne . . . Und war so durcheinander im Brägen und gleichzeitig voller heißer Sehnsucht nach irgendeinem Wesen, welches menschlich oder menschenähnlich sei, daß nur ein winziges Restchen meiner Vernunft mich davor behütete, mit einem Kopfsprung der Meerfrau an den weißen Busen zu stürzen! Ich legte die Hände trichterförmig vor den Mund und rief sie an. Aber die Brandung donnerte, und im roten Kessel unten schwappte das rotschillernde Wasser, und jenes üppige Meerweib lächelte stumm und wiegte sich auf der gleichen Stelle. Ich weiß nicht, wie lange ich hinabgeschaut und was meine Gedanken waren, was für Unsinn ich ihr zugebrüllt! Gott, der überall ist, bewahrte mich vor dem Schlimmsten. Denn das Wasser unten schwappte einmal besonders hoch und dann naturgemäß wieder zurück, und die weißrosige Frau *) Man bedenke, daß der Erzähler sich im 17. Jahrhundert befindet, einer für die einfachen Menschen „wunderreichen" Zeit!
188
tauchte sekundenlang hoch aus dem sich bildenden Trichter. Ich sah plötzlich, daß sie keine Beine, auch keinen Fischschwanz hatte. Sondern dicht unterm Nabel war eine hölzerne Querleiste, um die ein dunkles Tau sich in die Tiefe spannte . . . Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, und ich wußte nun, daß jene winkende, wunderschöne, vollbusige Meermaid nur die weißgestrichene Gallionsfigur eines Schiffes war. Ob das ganze Wrack durch den engen Eingang in die Bucht geworfen wurde und dort unten in der Tiefe liegt oder ob nur ein Trümmerstück sich unter Wasser am Korallengezack verfing und gleichzeitig das Tau, welches jemand, um vielleicht ein in Seenot ausgesetztes Boot daran zu halten, um das untere Ende der Figur geschlungen hatte? Jedenfalls ist das Tau unter Wasser verankert, und die Holzfigur strebt nach oben und wiegt sich und winkt und lächelt an der Oberfläche und wird durch die Bestrahlung, den seltsamen Ort und des Ausgesetzten Phantasie zum Meerfräulein, dem er sich fast an den tödlichen Busen gestürzt hätte. Glücklich kam ich hinab und suchte meine Wohnhöhle auf, wo ich Erbsensuppe mit Speck und Albatroseinlage aufsetzte. Dann meine Pfeife rauchte, denn Tabak hatte ich noch für viele Monate und brauchte einstweilen mitnichten zu sparen. Und ein Nösel Rum schlürfte, denn nach diesem Abenteuer hatte ich einen heilsamen Schluck der Gottesgabe bitter nötig . . .
LOBLIED Tabak ist Seelenmanna und Ambrosia der Philosophen, Denker und Phantasiereichen! Rum, alter, jahrelang in Tonnen gelagerter und dann in Korbflaschen gefüllter Jamaicarum, ist Nektar und Lethe in der Spanischen Main und sicher bald über die ganze Welt, denn es gibt nichts, das dies Getränk an Köstlichkeit überträfe! Dank dir, Freund Braddon, der du mit deinen klobigen Händen so weich meine Wunden heiltest! Dank dir, Freund Jack, und 189
der Himmel behüte dich davor, daß du einst weiße Ratten und Mäuse siehst, wo keine sind! Dank euch beiden Devonmännern für den alten Rum, den ihr mir hergeschmuggelt . . . Hier auf meiner Insel - denn wer macht sie mir streitig? - in meiner vom Feuer angenehm durchmollten Höhle, umtobt von Echos und vom Lärm der Brandung, Seevogelkreischen und Steinschlagknattern, besucht von den Schemen der Erinnerung, geneckt von den Wunschträumen der Zukunft und bedroht vom Düster der Gegenwart, da sitze ich und schlürfe den dunkelgoldenen, wonnesam duftenden Rum und rauche dazu das Kraut aus Virginien. Und während ich also schlürfe und vorne im Eingang der Höhle das wärmende Feuer karfunkelrot glüht - auf dieser verfluchten Satansinsel im einsamen Meer, die mir trotzdem Nahrung und Leben und Unterkunft schenkt - sehe ich mannigfache Bilder vor wunschkräftigem Auge: Schwarze und weiße Sklaven (englische und französische Staatsverbrecher für die westindischen Plantagen), wie sie das Caña (Zuckerrohr) mit schwertartigen Machetemessern fällen. Die purpurn bereifte Art und die andere hellgrün und golden bereifte Art. Und wie Esel und Maultiere, die so gerne die Schwertblätter und das ausgepreßte hollunderartige Rohr fressen, mit den schweren rauschenden Bündeln zur Mühle ziehen. Und wie ein anderer Esel geduldig mit verbundenen Augen um die Presse im Kreise läuft. Halbnackte Männer füttern die Querzähne der Maschine mit den Zuckerrohrstäben, und dick fließt der Saft aus dem Trichter und lockt Bienen und Wespen herbei, und kleine nackte Bübchen tunken die Finger ein und schlecken sie strahlend ab. Und aus dem süßen Saft wird entweder die Form der Miniaturzuckerhütchen von dunkelbrauner Farbe mit muschelbruchartigem Glanz - oder es destilliert daraus der junge, das Gehirn des unweisen Trinkers versengende, in wahnsinnigen Aufruhr versetzende und nachher seinen Magen umstülpende Rum. Rum! Der, in Eichentönnchen gefüllt, jahrelang lagert und dann duftend und milde wird und wunderbar schmeckt und des Men190
schen Seele und Gemüt heilt und aussieht, als hätte er das Licht und den funkelnden Tau schillernd in sich aufgefangen . . . Rum! Wäre ich ein Dichter wie weiland Forster auf Tortuga, so würde ich viele Loblieder über den Rum schreiben. Schönere und schrecklich süßere als die Ilias. Und auch das Kraut Tobago würde ich besingen, und zwar jenes am meisten, das in Virginiens, von wilden Indios umschlichenen Plantagen mannshoch wächst und mit seinen entzückendschönen rosa Blütendolden, die leise duften, diese Pflanze zu einem wahren Schmuckstück der Natur macht . . . Hoch über mir ragt Satans Thron schwarz und rot aus wirbelnden Dünsten zum blauen Himmel. Die Brandung brüllt, Steinlawinen rasseln manchmal endlos, und draußen ist der Ozean glatt. Und blau und golden und leer. Kein Segel darauf. Ganz leer, leer . . .
SILBERBARREN AUS PERU Wieder habe ich den Westrand besucht. Dort stehen die drei Steinpfeiler. Ihre Kanten sind nach der Windrose ausgerichtet. Nord und Süd und West weisen ins Meer, und Ost zeigt seitwärts, einem Hange zu. Dort liegt auch die alte Hacke. Mühsam stieg ich bergauf und dachte wehmütig, daß meine Schuhe, die durch die Kletterei über die Lavafelder der Insel stark mitgenommen sind, nun bald von den Füßen fallen und ich aufs Barfußlaufen beschränkt werde. Ohne Mühe fand ich eine Höhle, ähnlich der meinen, die in einer Steilwand klafft. Im Innern standen drei riesige Eichenholztruhen, mit schweren Eisenbändern und Schlössern gesichert. Auf jeder lag ein blanker Totenschädel. Auch ein nettes Tönnlein stand in der Ecke, dessen Spund mich bei weitem mehr anlockte als jene großmächtigen Truhen. Weshalb ich ihn vorsichtig herausstemmte und als Inhalt - freudig überrascht - guten spanischen Rotwein entdeckte, 191
meinen Becher füllte und einen Tropfen schluckte. Alles andere mochte warten. Endlich tat ich die Totenköpfe, die ein humorvoller Pirat gewiß draufgelegt, herunter und brach mit der Axt die Schlösser auf. Ich hatte angenommen, daß die Truhen Pieces of eight enthalten würden, es waren aber nur aufeinandergestapelte Ingots; Silberbarren, grauschwärzlich patiniert. Jeder von Spannenlänge, etwa drei Zoll breit und einen dick. Und alle mit dem Prägestempel der San Louis Potosiminen von Peru und Bolivia versehen. Silberbarren! - Ich nahm mir die Mühe, sie zu zählen, doch beileibe nicht gleich. Und fand, daß es genau Viertausendundzwölf sind. Ein beträchtlicher Schatz, um den gewiß mancher arme Indio wie das liebe Vieh verreckte, etliche spanische Kehlen geschlitzt wurden und mancher Mutter Sohn, für den im fernen Europa gebetet wird, aus der blauen unergründlichen Tasse der Spanischen Main trinken gemußt . . . Jene Kerle, die den Hort hier versteckten, werden eines Tages wiederkommen und mich entweder mitnehmen oder, wenn sie entdecken, daß ich die Truhen aufbrach und ihren Wein trank, mich aus Wut umbringen. Ich faßte daher den Entschluß, die Westküste zu meiden, sobald ich das Fäßchen abtransportiert habe. Nahm mir auch vor, künftig mein Feuer abends abzublenden. Denn diejenigen, die mich zu suchen kommen - ich meine die Richtigen! - werden warten, bis es Tag ist. Aber dann fiel mir ein, daß der Schatz dem verhaßten Kahlkopf gehören mag. Er hat doch geprahlt, er kenne die Insel, und hat mich gewiß an der Nordseite ausgesetzt, damit mich die Krabben fressen oder Trübsinn mir den Garaus mache . . . Der Gedanke, daß die Silberbarren des Halunken bluttriefendes, zusammengemordetes Besitztum sind, festigte sich in mir. Und im Laufe mehrerer Wochen schaffte ich den Schatz, der so unscheinbar aussieht, in meine Vorratshöhle. In die leeren Kisten legte ich die Totenköpfe. Und die Zeit verging. Im allgemeinen ein Einzelgänger, sehnte ich mich doch oft nach irgendeiner Gesellschaft. Wenn ich nur 192
einen Hund oder einen Papagei hätte! Derartige Vögel gibt es aber nicht auf Trinidad, und der Versuch, eine junge Fregatte zu zähmen, mißlang aufs kläglichste. Das arme Tier verhungerte mir unter den Händen, weil ich es nicht richtig kröpfen konnte. Mehr als mir lieb, mußte ich zuweilen an La Bruna, Josita, Isabella und andere Schöne denken, und glühende Sinnenträume plagten mich. Auch meiner Bücher gedachte ich wehmütig, und ob Esquemelin noch lebe! Denn es sind ja schließlich nur Monate vergangen, jedoch, wenn man allein auf einer Insel wie dieser maroniert ist, so gleichen die Tage Monaten und ein Monat wird zum Jahr. Daß ich nicht verrückt wurde, verdanke ich gewißlich nur meiner Schreibkunst. Sie nimmt viel Zeit in Anspruch, und dabei vergesse ich alles Bedrückende und erlebe still beschauliche Freude. Gegen Ende des sechsten Monats hatte ich nur noch eine halbe Pulle Rum und zwei Pullen Spanierwein aus dem Fäßchen, die ich für Krankheit aufspare. Mein Tabakvorrat ist zwar noch beträchtlich, aber eines Tages wird die Stunde kommen, da ich das letzte Krümelchen in die Pfeife stopfe. Ersatz gibt es keinen, Seegras wächst mitnichten hier. Speck und Käse und Hülsenfrüchte sind längst alle. Die Pièce de résistance ist boucanisierter, nicht sonderlich mundender Albatros, Muscheln und Fische. Die Eier sind verfault. Üble Zeiten nahen, und Schwermut nebst Verzweiflung beginnen ihre drohenden Häupter im Hintergrunde der Gegenwart zu erheben . . . Neulich wehte der Vater aller Orkane. Auf meiner Insel war es wie die brüllende Hölle. Und zwar durch den schreckenerregenden Aufruhr, den er erzeugte. So fürchterlich hat die hier nie ruhige Brandung noch nicht getobt! Sie knallte und donnerte und zischte schaurigschön durch das matte Leuchten der Nacht, und große kompakte Schaumfetzen flogen wie schwere Tücher bis vor den Eingang meiner Höhle. Unten, wo sonst der Sandstreifen ist und seitlich die natürlichen Wunderkathedralen und Säulengänge der Basaltgebilde stehen, wiegte sich grünlich phosphoreszierendes, aufschäumendes Meer. Von draußen kamen die 193
mächtigen Brecher herangerollt und klatschten gegen die Insel, als wollten sie sie zerreißen. Ein Halbmond schimmerte zeitweilig kläglich durch zerfetzte schwarze Wolken, streute hellgelben matten Schein auf den Aufruhr. Die drei Felseneilande Martin Vas waren fast die ganze Zeit unter Gischt verborgen. Blitze zuckten, aber ich hörte keinen Donner, weil die anderen Elemente jeden Laut durch ihren Lärm verschluckten. Ich saß trocken am Feuer meiner Höhle und war der Güte des Schicksals dankbar. Einmal stand ich auf und eilte hinab. Vor dem Lavariegel, der meine beiden Höhlen gleich einer künstlichen, schwarzpolierten Lavamauer umgibt, staute sich spukhaft häßlich Satans Myrmidonengewimmel! Im Schein der blauen Blitze und dem Fahlgold des zeitweise hervortretenden Mondes leuchtete immer wieder das grausige Bild hell auf, und mein Herz klopfte schneller, und die Rechte stahl sich an den Cutlaß. Dort draußen, dicht vor mir und eng nebeneinander, ihre Stielaugen teils auf mich, teils gegen den jähen, glatten, unerklimmbaren Absturz gerichtet, wimmelten, so dünkte es mir, sämtliche Riesenkrabben der Welt. Belagerten mich und hatten die Absicht, mich lebendig in kleine Happen zu zerreißen und aufzufressen. Es waren nicht Hunderte, sondern wirklich Tausende, und ein ängstlicher Mann, der unüberlegt handelt, wäre diesen Bestien, deren Augen schwach phosphoreszierten, einfach in die Scheren gerannt, weil der Anblick ihn kopflos, verzweifelt und wahnsinnig gemacht hätte. Nun bin ich zwar, wie man sich erinnern mag, etwas ängstlich und feige, aber mitnichten unüberlegt und rasch . . . Nie in meinem Leben möchte ich solchen Anblick nochmals haben. Bedenkt: der höllische Lärm in der Runde, der meine Ohren plagte, und dazu der Anblick der aufgerührten, immer mehr die flachen Stellen der Insel ersäufenden See mit ihren ungeheuren Brechern und das Spritzen und geisterhafte Leuchten, die sekundenlangen blauen und roten Blitze vor tiefschwarzer, 194
dunkler Wolkennacht ! Und vor mir, soweit ich nach rechts und links schauen konnte, bis zur unruhigen Wassergrenze, die langsam näherrückte, hinab, jene gespenstischen safrangelben, unförmlichen Bestien, von denen ich wußte, daß sie Raffzahn erbarmungslos gefressen haben. Auf ihren hohen Spinnenbeinen balancierten sie, und ihre schweren Zangenscheren bewegten, öffneten und schlossen sich taktmäßig. Natürlich hatten sie's in erster Linie nicht auf mich abgesehen, sondern waren von der See, die alles überschwemmte, aus ihren Schlupfwinkeln verjagt worden. Es sind ja Landkrabben, die zwar auch des öfteren ins Wasser gehen, aber nur in stilles. Nun suchten sie andere Plätze, und während sie woanders weiterkamen, die Schräghänge emporkletterten und wahrscheinlich zu Hunderten vom Geröllschlag zerschmettert wurden, führte bei mir kein Weg vorbei. Die senkrechte Wand hielt sie auf. Aber sie witterten gewiß auch die ziemlich stinkenden, getrockneten Albatrosse nebenan - witterten und sahen nun auch mich. Ich sorgte mich, daß sie schließlich aufeinander- und übereinanderklettern und so eine Art Brücke bilden würden, über die dann die andern Tausende sich mühelos auf mich stürzen konnten. Dann wäre ich binnen Minuten zu Boden gerungen und auf gräßliche Art ums Leben gebracht worden, und nur etliche Knöpfe und dergleichen von mir übriggeblieben. Gott sei Dank sind diese bösen Geister von Trinidad nicht so ameisenklug! Stundenlang starrten wir uns im Scheine der Blitze und des zeitweiligen Mondes gegenseitig an, und ich hätte voll grauser Neugierde viel darum gegeben, ob sie wohl daran dachten, wie ich schmecken mochte, und ob ihnen dabei das Wasser im Rachen zusammenlief . . . Da ich stets einen erheblichen Holzvorrat in der Höhle habe, konnte ich sie mit Feuerbränden und auch, indem ich mich über den Wall beugte, mit Cutlaßhieben traktieren. Unterließ es aber bald, denn es war unschön anzusehen, wie die Verwundeten und Toten von ihren Genossen gefressen wurden, so daß nur die Panzer und Scheren übrigblieben. 195
Ich ging in den Hintergrund der Höhle und zündete mir eine mit Deckel versehene, gegen den Luftzug geschützte Schiffspfeife an, setzte mich aber bald wieder trotz des an mir zerrenden Sturmes auf den Lavawall und beobachtete die Teufelstiere. Der kommende Tag war trüb, wolkenverhängt und regensatt, und das wilde Meer sah drohend aus. Aber die Krabben verschwanden, hatten wohl einen Weg gefunden, der sie zu neuen Schlupfwinkeln führte. Am Nachmittag des zweiten Orkantages hellte der Himmel sich auf und greller Sonnenschein glühte über dem Wellenchaos. Doch flaute der Sturm erst während der Nacht ab, und es dauerte noch weitere zwei Tage und Nächte, bis die aufgeregte blaue Fläche draußen wieder zur gläsernen, glattwogenden Dünung wurde. Mein Strand war wieder trocken. Prächtige Fische, Muscheltiere und Treibholz lagen dort wie auf gedecktem Tisch. Ich habe mir während meines Aufenthalts auf der Insel immer wieder ausgemalt und vorgestellt, was ich tun würde, wenn ein rettendes Schiff mich holen käme . . . Ob ich einen tollen Freudentanz aufführen, mich heiser schreien, Freudenfeuer anzünden, Muskete und Pistolen losknallen oder in die Knie sinken und beten würde? Nun schwoite eine Woche nach dem Orkan an einem schönen Mittag draußen, ungefähr an der Stelle, wo seinerzeit die »Barrel and Tankard« beigedreht war, ein ähnliches Schiff mit dunkler Flagge im Mizzentop an der Gaffel aus dem Winde. Ein Kanonenschuß brummte. Dann kam ein Boot über die See gefiert und von taktmäßigem Rudern getrieben nach meinem Strand gesteuert. Und dann, o well . . . Ich rieb mir die Augen, dann stopfte ich meine Pfeife, drittens nahm ich einen guten Schluck Rum, und sodann schlenderte ich nach dem Strande. Und dachte eigentlich nichts Besonderes und Wunderbares, nur hoffte ich, daß es Esquemelin sei, der mich holte, und daß ich baldmöglichst auf Tortuga auf meiner Veranda sitzen und im Cervantes lesen möge . . . Der Bootssteuerer wußte Bescheid mit dem Fahrwasser. Sie 196
brauchten aber eine volle Stunde, bis sie heran waren. Vor Freude warf ich meinen Hut in die Luft, als ich meinen guten Braddon von der »Barrel and Tankard« erkannte und auch noch ein paar andere sah, darunter den jungen, weichherzigen, zum blutigen Piraten so schlecht taugenden Gascogner. Dennoch war das Schiff draußen nicht die »Faßundhumpen«, war nicht Kahlkopfs Kahn, von dem ich hoffte, daß er längst in der Hölle schmore. Ich watete, als ich's ungefährdet tun konnte, ihnen einige Yards entgegen, und als dann auf Braddons Befehl die Männer ihre Ruder ins Boot schmissen, als dieses hoch über mir auf dem Schwall wie eine Schaukel herunterkam und er abermals brüllte: »All Hands über Bord und angepackt!«, da half ich kräftig mit, die Gig außer Gefahr aufs Trockene zu pullen. Dann schüttelten wir uns stumm, einander leuchtenden Auges anschmunzelnd, die Rechte und knallten uns mit der andern Hand gegenseitig auf den Buckel und lachten . . . Auch die andern kamen dran, und die Frenchies, darunter der kleine Gaston, umarmten mich und küßten mir schmatzend die Wangen, nach ihrer merkwürdigen Sitte. Und alle waren wir sichtlich, ohne viel Worte, ein Herz und eine Seele . . . »Wo ist Kahlkopf und die >Barrel and Tankard « fragte ich endlich und suchte meine Pfeife, die bei der Begrüßung auf den Boden gefallen war. »Die Dons haben uns erwischt, als all Hands besoffen waren. In mondloser Nacht auf hoher See, als unsere Burschen sangen oder ihre Räusche ausschliefen, sind die Dons geentert, aus ihren Booten. Kahlkopf kämpfte wie 'n Wilder, aber sie fesselten ihn, und dabei mußte eine erhebliche Anzahl unserer Maaten über die Klinge springen. Der Rest von uns wurde erst verprügelt und nackend ausgezogen und dann in den untern Raum gesperrt. Ein starkes Prisenkommando wurde auf unseren Kahn gesetzt, der dann im Kielwasser der siegreichen Galleone Spanienkurs aufnahm, weil man uns dort aburteilen wollte. Kahlkopf war schwer verwundet, und er konnte irgendwie beweisen, daß er katholisch war, weshalb er nicht für die Kneip197
zangen, Keller und Quemaderes reserviert, sondern, da er überdies nicht lange leben würde, an die Rahennock aufgehißt wurde. Er bettelte um sein dreckiges Leben wie ein Schuljunge . . . »Der Orkan neulich . . .« »Hei, der hat mir fast, so schien es, die ganze Insel unter den Füßen weggerissen!« ». . . brachte die beiden Schiffe auseinander und unsere >Barrel and Tankard< wurde von John Brentys Freibeuterschnellsegler, der dort draußen liegt, gesichtet. Die Prisenmannschaft wehrte sich. Denn Spaniolen sind noch nie Feiglinge gewesen! Und es kam zum erbitterten Feuergefecht. Brenty ließ endlich mit Brandkugeln schießen, und unser Kahn geriet in Brand. Da ergaben sich die übriggebliebenen Dons, ließen uns aus dem raucherfüllten Raum heraus, und gemeinsam gingen wir in die Boote. Das Schiff brannte lichterloh und war nicht mehr zu retten! Kaum hatten wir die Boote angebracht, da flog der Kasten, da das Feuer an die Pulverkammer gekommen, in die Luft, und es regnete Trümmer um und auf uns. Ja, so war's . . . Ich habe dann Brenty von dir erzählt, und da wir die Savageinseln gar nicht so weit abhatten, steuerten wir Trinidad an. Jetzt sind wir hier, holen dich an Bord und dann geht es direkt nach Tortuga. Freust dich, altes Seepferd? . . .« Er wischte mit der Hand über die Stirn und holte nach der langen Rede Atem. »Jack?« »Ist drüben an Bord!« »Und Käpten Brenty? Allright?« »Ein toller Gent, aber kein Vieh, wie weiland Kahlkopf. Brenty oder, wie er auch heißen soll, Bredeley, gehört zur Portroyalfreibeuterflotte unter Edward Mansfield! Aber steig ein, Mac, die Nachbarschaft hier ist gefährlich für ein Seeschiff, und wenn wir Pech haben, so saufen wir sogar noch ab, ehe wir an Bord kommen!« »Na, aber! Und meine nette Höhle? Der Proviant und die selbstboucanierten Albatrosse? Und die riesigen gelben Teufelskrabben, die eine Eichenplanke zerquetschen können und die Raff198
zahn lebendig aufgefressen haben, ehe ich ihn befreien konnte? Brrr? - Und meine Waffen und noch ein Schluck Rum und der Wein und mein Schreibzeug! Wollt ihr das nicht sehen und soll ich ein Teil hierlassen, Maaten?« »Hm, na ja, die Waffen kann man immer gebrauchen, sie haben einen Wert in der Spanischen Main! Und Wein, wo hast du den hergekriegt, he?« rief er fröhlich, und die andern umdrängten uns, machten scheue Gesichter, schauten über die Schultern; seit ich die Krabben erwähnt hatte. »Gefunden an der Westseite, in 'ner Höhle. Und ach ja, bald hätt' ich's vergessen. Das Silber, das Silber!« »Silber?« Die Augen der acht Männer glühten mich plötzlich an, und alle Gedanken an die Krabben waren weggefegt. »Silber hast du gesagt? Viel?« »Na ja, Silberbarren. Seid nicht schwerhörig, ich habe nicht von Blei geredet. Über viertausend Barren!« »He, träumst du, Mac, oder hat das halbe Jahr auf der Teufelsinsel dir den Verstand verwirrt?« forschte Braddon besorgt. »Unsinn! Silber, richtiges Silber, in Ingots mit dem Stempel der Peruminen, meine ich. Über viertausend Barren!« »Viert . . . Damned, ist's denn möglich!« Einer setzte sich mit einem Plumps auf den Strand und schaute mich überrascht an. Die andern schrien durcheinander: »Wo? Mann, sag uns, wo!« Braddon schnaufte schwer, riß sich aber zusammen: »Käpten Brenty hat uns eingeschärft, so rasch wie möglich mit Mac zurückzukommen, weil die Reede hier voller Gefahren ist. Nun wird er aber viertausend Silberbarren mitnichten den Krabben überlassen, schätze ich. Aber auf einmal können wir's doch nicht transportieren, also denk' ich, daß wir erst mal an Bord pullen und Bericht erstatten!« »Bericht? Wozu denn! Bloody hell, erst wollen wir das verdammte nette Silber sehen! - Merde! Fichtre!« usw., brüllten die tollgewordenen Burschen durcheinander. »Na, dann kommt, legt euch hinter mir ins Kielwasser und haltet Kurs bergauf!« sagte ich und stieg, gefolgt von Braddon und 199
der wie Kinder jubelnden Schar, zu meiner Höhle hinauf. Und dann waren wir da. Sie lugten hinein, brummten enttäuscht, während ich Muskete und Pistole nahm und mein Schreibzeug in die Jagdtasche steckte. »Kommt!« sagte ich wieder und wies ihnen die zweite Höhle. Wieder starrten sie erst, traten dann aber ein. Blieben vor den Stapeln geschwärzten Silbers stehen und glotzten enttäuscht. »Das soll Silber sein? Höchstens Zinn!« maulte einer. »Mac ist übergeschnappt. Armer Bursche!« »Schafskopf! Weißt du nicht, daß Silber vom Liegen immer schwarz wird? Hast du noch nie 'ne Silbermünze gehabt, die nicht blank war?« belehrte ein anderer. »Hurra!« jubelten sie erleichtert und griffen dann nach den Barren. Wogen sie bewundernd in den Händen, fluchten gerührt, spukten drauf, um dann zu versuchen, es durch Wetzen an der Hose blank zu kriegen. Kurzum, sie trieben die wunderlichsten Allotria, so daß ich laut lachen mußte. Jedoch eine Ahnung wir Schotten von den Bergclans sind ja bisweilen hellsichtig nahenden, sehr nahen Unheils beschwerte plötzlich mein Gemüt. Ich zog daher Braddon, den am wenigsten Aufgeregten, sachte am Ärmel aus der Höhle. »He, du dreimal verfluchter Schweinebastard! Was hast du eben in die Tasche verschwinden lassen!« brüllte drinnen einer. »Geht dich einen grandiosen Dreck an, Merde ! Zumal du selber was eingesackt hast, heuchlerisches Vieh!« »Maaten, Maaten, solches ist Diebstahl am Gemeingut!« »Quatsch! Wer an der Kuh steht, der melkt sie zuerst! Lustig, Maaten, jeder steckt sich die Taschen voll. Schade, daß es so schwer ist!« »Und Mac, der's gefunden hat?« rief Gaston und schon sah ich ihm an, daß auch er vom Mammonsteufel besessen war. »Soll froh sein, daß wir ihn von der Insel holen, und wenn ihm das nicht paßt, so mag er zu Grase gehen oder hierbleiben. Was kümmert uns Mac? - Da liegt das Silber, Maaten!« »Ho, Zeke, beleg, sei nicht so unverschämt!« »Geht dich Merde an, mon vieux!« . . . 200
Ein Pistolenschuß knallte, dann noch einer, und plötzlich knatterte in der Höhle ein unregelmäßiges kurzes Schnellfeuer. Und verstummte. Eisern hielt ich Braddon fest, der beim ersten Schuß hineinstürzen wollte. Dicker Pulverdampf stand in der Höhle, und wir konnten nichts sehen, hörten nur Gestöhn und ein Wimmern und qualvolles Atemholen. Langsam verzog sich der gelbliche Qualm und wir sahen: Gaston, grünlichen Gesichts, wie er in den letzten Zügen, auf die Hände gestützt, am Boden lag, Blut und Schaum aushustete und wie seine Augen sich verschleierten. Und Zeke lag mausetot auf dem Silberstapel, und aus der zerschossenen Brust floß Blut über das Metall. Ein dritter zuckte eben noch ein paarmal mit den Beinen, ehe er seinen letzten Seufzer tat. Ein großer blonder Bretone hockte zusammengekrümmt auf der Erde und hielt stöhnend seine zerschmetterte Schulter. Und der fünfte, ein kleiner, buntgekleideter Kerl mit großem Kalabreser, rutschte eben mit erstauntem Gesicht, aus dem jedes Quentchen Farbe gewichen war, schräg mit dem Rücken gegen die Höhlenwand nach unten. Seine Hand haschte ein paarmal müde in der Luft herum, riß ein Bündel getrockneter Albatrosse herab. Dann lag er ganz still und rührte sich nicht mehr. Die letzten zwei hatten ihre rauchenden Pistolen in schlaffen Händen, und ihre Gesichter waren schreckerstarrt. Sie schauten drein, als wären sie eben aus einem bösen Traum wieder zu sich gekommen. Öffneten ihre Hände, und dumpf fielen die Waffen auf den Sand . . . »Das ist ja wirklich eine allerliebste Bescherung, beim Donner!« brummte Braddon entgeistert. Wir hatten unsere Pistolen entsichert, aber die armen Burschen dachten gar nicht daran, sich gegen uns zu wehren. Ich sagte ja, sie waren eben aus einem bösen Traum erwacht. Den ich, obwohl es sich in diesem Fall um Silber, viel, viel Silber handelt, den verdammten Goldhunger, »auri sacra fames«, nenne. Der schon manchen ehrlichen Mann zu Falle brachte und schon 201
mancher Mutter wohlerzogene, gottesfürchtige Tochter zur Hure gemacht hat . . . Nun untersuchten wir die stillen Gestalten, die beiden Überlebenden schauten blöde zu. Der Bretone war ohnmächtig vor Schmerz und von dem Blutverlust. Gaston starb uns unter den Händen. Die anderen waren schon tot. Wir legten dem blonden Franzosen einen Notverband an. Die zwei Unverletzten ließen sich von uns ohne Mucksen an Händen und Füßen fesseln, saßen dann auf dem Silberstapel und blickten zu Boden, jammerten aber um Gnade und daß wir sie nicht den Krabben überlassen sollten, als wir uns anschickten, an den Strand zu gehen. Ich beruhigte sie, sagte auch, daß die Krabben nur des Nachts kämen und mitnichten über die Schwelle könnten. Und daß wir erst ihrem Kapitän berichten wollten. Ich versprach, ein gutes Wort für sie einzulegen. Mit Braddon lief ich dann zum Strand. Eben lösten sie drüben einen Kanonenschuß. Wir rannten hin und her und winkten mit den Armen, und schließlich ging eine Reihe bunter Wimpel am Mizzenmast hoch. Ein Boot wurde zu Wasser gelassen, kämpfte sich heran. Bald erkannte ich Jack am Steuer. Glücklich landeten sie und wollten wissen, was geschehen wäre, aber wir antworteten nicht und halfen ihnen nur, indem wir dann selber hineinsprangen, das Boot wieder flott zu machen. Ich betrachtete das schöne Schiff, dem wir uns näherten, und sah die bunte Crew über die Verschanzung der Reling lugen und eine in schwarzer, spanischer Tracht auf der Puup stehende Gestalt uns mit dem langen Messingteleskop anpeilen. Dann sah ich die große Flagge an der Gaffel und wußte erleichtert, daß Käpten John Brenty oder Bredeley kein unebener Bursch sei. Zumindest hatte er Humor. Das sagte seine Flagge deutlich!... Unter den Bukaniern und Freibeutern segelt ein großer Teil unter dem alten »Lustigen Roger«. Das ist das schwarze Tuch mit weißem Totenkopf und Gebein. Andere lieben eine vollkommen schwarze Flagge. Aber John Brentys Tuch, das ich nachher noch viele Male unter Mansfields Geschwadern von Port Royal auslaufen sah - des öfteren war ich selber an Bord 202
ist in der Grundfarbe zwar auch schwarz. In der Mitte jedoch ist ein großes weißes Gerippe, das zierliche Pas schreitet, in der einen Hand den Cutlaß, in der anderen das mächtige Punschglas. Sehr nett und erheiternd fand ich das. »Was ist? Wo sind die anderen?« hallte es uns aus Dutzenden von Kehlen entgegen. Während die Bootscrew die Achseln zuckte, kletterten Braddon und ich an der Jakobsleiter an Deck, gingen, ohne uns aufzuhalten, durch die dichten, malerisch bunten Gruppen nach der Puup und stiegen die geschnitzte Campagnetreppe nach oben. »Dies ist Mac Donald, Käpten Brenty!« sagte Braddon und ich drückte die mir entgegengehaltene sehnige Rechte des schlanken, spitzbärtigen, energisch blickenden eleganten Mannes. »Welcome on board ! - Kahlkopf, das blutige Biest, ist tot und so weiter und so weiter, das wirst du nun gehört haben, Maat. Doch sagt, bei allem was da schwimmt, was ist mit der ersten Bootscrew los? Wo stecken die Kerle?« »Tot, verwundet und so weiter, Käpten! Frag hier Braddon!« sagte ich, und abwechselnd erklärten wir dann das Vorgefallene. Brenty pfiff durch die Zähne, »Viertausend Silberbarren, sagt ihr! Mit dem Stempel von San Louis Potosi? Und die anderen wurden verrückt und killten einander, weil sie soviel Silber noch nie gesehen haben? Vor allem gratuliere ich dir, Mac. Da du nicht zur Crew meines Schiffes gehörst und nur Gast bist, ein gern gesehener Gast, so gehört ein Viertel als Finder dir!« »Ich verzichte, Käpten Brenty. Zugunsten deiner Crew, als Dank für meine Errettung!« Durchdringend schaute er mich erstaunt an. Nickte dann lächelnd: »Hab' von dir gehört!« Er wandte sich gegen die emporstarrenden Männer und rief: »Quartiermeister?« »Aye, aye, Käpten!« Ein vierschrötiger Riese mit meerblauen Augen und kastanienbraunem Haar schob sich gegen die Treppe. »Pfeif all Hands zusammen!« Die silberne Pfeife schrillte, und alles trat näher. Ein See wilder, gebräunter Gesichter mit blonden, braunen, weißen und schwarzen Haaren schaute zu uns empor. Auch die Bootscrew war an 203
Deck gekommen, und sie hatten das Boot etwas aus dem Wasser hochgehißt. »Jungens!« begann Brenty. »Die Sache liegt so. Wir haben Mac, der ein Gentleman ist und zu den alten achtundzwanzig Tortugamännern des Pierre Legrand gehört, von dem jedes Kind weiß, von dieser üblen Insel, auf die ihn ein nun toter versoffener Schuft maroniert hat, wieder befreit. Mac ist ein Gentleman, Maaten. Warum? Nun, er hat einen Schatz auf der Insel gefunden. Viertausend vollwichtige peruanische Silberbarren. Ihm gebührt ein Viertel Finderlohn, aber er verzichtet zu unseren Gunsten, weil er dankbar ist. Ich nenne das verdammt dezent gehandelt, meint ihr nicht auch, Maaten? Drum laßt uns erst mal Mac ein gutes, aufrichtiges Seeheil ausbringen! Alle Mann zusammen! Eins, zwei, drei und los!« »Hurrah for Mac, Cheers ! Bravo!« brüllten die wilden Burschen und nickten mir freundlich zu. Brenty fuhr fort : »Mac hat den Schatz unsern Genossen, die im ersten Boot rüberpullten, gezeigt. Und diese verrückten Schurken ritt der Leibhaftige; sie füllten sich die Taschen mit Ingots, gerieten sich dann in die Haare und veranstalteten ein Gefecht, frei für alle. Und schossen einander über den Haufen. - Nur der Bretone, der schwer verletzt ist und Jim und Frédéric blieben am Leben, alle andern sind tot. Jim und Frédéric liegen gefesselt drüben in Macs Höhle. Was soll nun mit den Burschen geschehen?« . . . »Den Schatz holen und die Kerle nach den Artikeln bestrafen!« schrien sie durcheinander. »Gut!« er nickte befriedigt. »Also erstens: der Schatz wird geholt, und zwar sobald wie möglich. Eine neue Crew und zwei Boote holen die Silberbarren und die leere Gig. Das muß rasch geschehen, denn wenn der Wind schralt, liegen wir hier an einer Leeküste. Eine sehr gefährliche Küste, sage ich, Maaten. Zweitens: die drei Burschen nach den Artikeln verurteilen. Das heißt, sie erschießen oder maronieren. Nun hat Mac hier für die Kerle gebeten. Ich schlage deshalb vor, dem Bretonen genügend Verbandsmittel und dergleichen zu lassen, jedem der drei seine 204
Muskete zu geben und vielleicht, wenn wir ein Auge zudrücken, etwas Proviant, 'ne Gabe Tabak und so weiter. Sie werden nicht verhungern, wie Mac versichert. Und nach Jahresfrist sorgen wir dafür, daß sie entweder von uns oder andern abgeholt werden. - Seid ihr einverstanden, Maaten, dann sagt's schnell, wir haben wenig Zeit, ich sagte euch schon, die Küste da drüben ist ein übler Legerwall, der Späne aus unserem Schiff machen würde, wenn der Wind schralt!« Einstimmig brüllte alles: »Wir sind's zufrieden!« »Gut!« und dann sprangen die Befehle über seine Lippen, die silberne Pfeife schrillte, das Boot wurde wieder zu Wasser gelassen, und noch ein zweites. Und schon strebten sie über die Dünung der brandungsumtobten Satansinsel zu, die ich nie wieder zu sehen hoffe . . . Ich hatte Jack wegen der Krabben Bescheid gesagt, damit er's den mich »ablösenden« armen Kerlen nochmals erkläre . . . Nach vier oder fünf Stunden war der Silberhort an Bord, und während Trinidad und die drei Martin Vas unter der Kimm versanken, teilte Brenty die Silberbarren. Die Musikkapelle, mit der das Schiff wie viele andre Freibeuterfahrzeuge versehen war, blies, fiedelte, dudelte, trommelte und paukte nach Herzenslust. In der knatternden, wehenden Flagge tanzte mit erhobenem Punschglas das Skelett. Unter dem milden, funkelnden Sternenhimmel saß ich still zufrieden auf der Puup. Unten im wundervollen Goldlicht des aufgehenden Vollmondes waren sie noch bei der Teilung, die mit Gelächter und derben Scherzen reibungslos vor sich ging. Die Musik spielte ein wundervolles Stück, das von den Mestizen und Mulatten stammte. Ich rauchte Virginiatabak, schlürfte lächelnd ein Glas »Leche de España« mit altem, duftenden Rum gemischt. Ich dachte an Tortuga. Und die Spanische Main schnalzte und murmelte, der Mond schlug ununterbrochen sein Zaubergold aus in der See und alles war gut und schön . . .
205
JAHRMARKT DES LEBENS Bei strahlendem Wetter und Windstille, mit unseren eigenen Booten als Vorspann, glitten wir langsam, ruckweise über die spiegelnden Wasser des Felsenkanals in den geschützten, ruhigen Tortugahafen. Das tanzende Skelett mit Cutlaß und Punschbowle hing schlaff von der Gaffel. Viele Schiffe ankerten im Becken. Ihre Crews, soweit sie nicht an Land wimmelten, standen auf den Verschanzungen, den Kastellen und in den Toppen und winkten. Die Kneipentüren der Wasserfront spien fortwährend bunte Gruppen aus. Boote voll betrunkener, große Rumgläser und Weinpullen schwenkender Freibeuter und ihre aufgeputzten, auf Gitarren klimpernden Muchachos und Demoiselles umringten das Schiff. Geschrei, Pistolenschüsse und brausende Musik wehten übers seidigblaue Wasser. Weiße Häuser zitterten im Sonnenglast. Dunkles und helles Grün, mit bunten Blütenklecksen, machten die Landschaft zur Malerpalette. Schwarze Flaggen, Flaggen mit Totenkopf und Kreuzbeinen, Phantasiestander in allen Farben und grotesken Wappen wurden geschwungen. Über Monsieur de la Place' Palast baumelte von hoher Stange das weißgoldene Lilienbanner. Rauchwolken kräuselten zum lichten Himmel empor. Vor den Zelten, die rechts am Hafen schimmern und in denen jene Schiffsbesatzungen wohnen, die nicht auf Tortuga seßhaft sind, wimmelten Menschen. Ein bunter Jahrmarkt. Und alles winkte, brüllte, rannte hin und her. Raketen fauchten zur Sonne, zerknallten wie Kartätschenfeuer über unseren Köpfen. Mich, der ich neben dem Rudersmann lehnte, beschlich es wie Rührung. Ich suchte das Dach meines Häuschens im Palmenund Pandanusgrün und hielt Ausschau nach Bekannten: Esquemelin, Barbassou, der dicken Sarah und anderen. Doch woher sollten sie wissen, daß ich an Bord war und mit John Brenty heimkehrte? Heim! klingt das nicht vermessen und übertrieben? 206
Weit von hier, am dunklen Felsenfuß des Ben Nevis mit der Schneeglatze, über tiefe Lochs und Wasserläufe aus zwei Fischblasenfensterchen blinzelnd, steht mein Heim. Ob die rauchige Hütte, vor der die Fische trocknen, wirklich noch existiert, und ob Mutter noch abends und morgens am Herd sitzt und im blanken Kupferkessel über rauchigem Torffeuer Porridge anrührt? Ob die ernsten, wortkargen Männer noch abends, wenn Sturm heult, Flocken wirbeln und die Lochs zu schwarzen Löchern werden, über denen Pixies, Fairies und die Nebelgeister Schottlands tanzen, noch ihren nach Rauch, Torf und Blumen schmekkenden Whisky trinken? Springen die fetten Lachse noch über die Fälle? Und fechten die Clanmänner mit den weißroten und die mit den rotweißgrünen Kilts und nackten Knien noch ihre Fehden aus? Ob wohl Muir Mac Gregor, der beste Pibroachpfeifer, noch mit dem bändergeschmückten Dudelsack auf grünem Rasenfleck oder in Enoch Dubars Kneipe zum Tanz aufspielt? . . . Mutter, Mutter, einst komme ich wieder. Aber jetzt und oh, vielleicht für immer, habe ich meine Seele verloren. An das Blauundgold, das satte Palmengrün und den duftenden Blumenflor der Spanischen Main, wo helle und dunkle Taten geschehen und wo schwarzhaarige Mädels zur Gitarre tanzen. Wo die Luft heiß und grell ist, wo seltsame Märchengewächse auf idyllischen Inseln wuchern. Wo wilde Männer am Palmenstrand und in bunten Kneipen und auf schwankenden Schiffen einander umbringen und tolle schöne Weiber lachend zusehen; Kanonen den Orkan überbrüllen und Blut über rotes Gold, weißes Silber und blitzende Steine fließt. Wo Münzenklang die Seufzer und Flüche Gemordeter übertönt! Tabak dem »Esser« (denn die Indios sagen nicht rauchen, sondern essen) solch schöne Stunden vorzaubert! Alter, wunderbarer Rum, wie ein zu Duft gewordenes Männermärchen den weisen Trinker zum König und Halbgott erhebt und den Säufer zum tobenden Schwein degradiert . . . Mutter, Mutter, denke an mich, damit dein Segen mich schützt . . . Eine mächtige Stimme aus einem der geschmückten Boote übertönte alles: »Ahoi, Brenty, habt ihr gute Prisen gemacht?« 207
Nun wurde es verhältnismäßig still, denn alle dort unten in den Booten wollten die Antwort hören. Brenty lüpfte grüßend den Hut. Der Aufwärter hat ihm eben einen vollen Weinpokal gebracht, und den hebt Brenty an den Mund, trinkt erst und ruft dann gutgelaunt: »Fette Prisen! Und einen Silberschatz von Trinidad, der Hölleninsel im Südatlantik! Auch einen Fahrgast, der ihn gefunden und der Heimweh nach Tortuga bekam, als der böse Kahlkopf ihn erst kielholte und dann maronierte - ehe jenen die Dons selber an die Rahe knüpften!« »Ahoi! Segne meine Seele! Bleß my soul! Nom d'une pipe! Gottverdammich! das ist ja der Mac, neben Brenty. Der verschwundene Mac ist wieder da!« staunt der unten, und ein Holländer, der mit mir eine Fahrt unter Rock Brasiliano mitgemacht, singt laut und lustig: »He, Mac allein ! Zyn naam is klein, Zyn daat is groot, Hey heevt gewonnen de zilvere vloot!« . . . Hallend fiel unsere Musikkapelle ein. Dann plumpste der Anker, und rauchend und sausend fuhr die dicke, vom Zimmermann aus gefüllter Pütz begossene Hanftrosse durch die mit Segeltuch ausgefütterte Klüse. Durch den Lärm tönten die Pfeife des Quartiermeisters und Braddons Kommandos. Und die letzten Segel, die wir noch stehen hatten, wurden unter taktmäßig heulendem Chorgesang aufgetucht. Brenty hob die Hand. »That'll do! Schiffsmannschaft hat Ruh! Wer an Land will, gehe an Land. Bordwachen auslosen, Maaten!« »That'll do!« jauchzten die wilden Burschen und eilten, ihre Seiden- und Samtklamotten und Federhüte und bombastischen Sporenstiefel anzulegen, während in den Booten unten ihre Freunde lärmten und die geschminkten Huren schrillstimmig unverblümte Paradiese denjenigen verhießen, die mit den Silberingots am großzügigsten sein würden . . . Ich nahm vorläufigen Abschied von den neuen Freunden. Das 208
Schiff sollte ja noch eine Woche liegen bleiben, ehe es die Fahrt zur Flotte des Edward Mansfield nach Port Royal antrat . . . Schwang mein Bündel auf den Rücken und kletterte mit brennender Pfeife über die Jakobsleiter ins Boot, das unsere flinken Burschen, die bereits mit Zauberschnelle in ihre »Gladrags« (hübsche Kleider) gestiegen waren, ausgesetzt hatten. Klatschend fielen die Ruderblätter ins Wasser, das unvorschriftsmäßig hoch aufspritzte, und mit lautem Gesang: »From the Dons we're back! And golden treasure in our bag!« pullten die Kerle, in deren Taschen schwere Silberbarren juckten, dem Strande zu. Männer und Frauen torkelten uns entgegen. Volle Becher und Gläser wurden uns hingehalten. Gaukler trieben ihre Possen: einer ging auf den Händen und trank so, gewissermaßen kopfstehend, eine Pulle leer. Ein anderer jonglierte mit vielen blitzenden Messern; ein schwarzhaariges Mädel schmiß ihren geschmeidigen Bauch, im konvulsivischen Tanz der maurischen Barbarenküste, schier bis ans Kinn, Zahme, als spanische Admirale gekleidete Affen schossen kleine Kanonen ab und kratzten sich pfiffig hinter den Ohren. Ein Schuster saß unter buntem Sonnendach und sohlte. Ein Schneider pries sich an und wollte über Nacht jedes Prachtgewand anfertigen. Eine Kuppelmutter schrie die Vorzüge ihrer Mädchen aus, und Falschspieler lockten nach den Zelten. Alles das sah ich flüchtigen Auges, während ich nach Bekannten spähte. Ein Beamter des Gouverneurs nickte mir zu, und ich fragte, ob Esquemelin auf der Insel sei. Bekam eine Verneinung. Der brüllende, anpreisende, lachende und schimpfende Menschenstrom schwemmte mich unwiderstehlich nach Barbassous Kneipe, und aus dem Stimmenorkan klangen ununterbrochen die Fragen: »Habt ihr Silber? War's ein großer Schatz?« Und ein wunderhübsches Mulattenmädel, das im Gegensatz zu 209
den meisten seiner Mitschwestern, die in schwerem Brokat, Taft und Spitzenkrausen und abenteuerlichen Hüten einherstolzierten, nur ein dünnes, enganliegendes, hellgelbes Seidenfähnchen und Schuhe mit hohen roten Absätzen trug, hing plötzlich gleich einer reifen Traubenbeere schwer an meinem Hals. Süße Düfte, rote Lippen, weiße Zähne, blitzende Augen und ein lockender weicher Leib . . . Ich wurde sie erst dann los - aber rasch! - als ich ihr begreiflich machte, daß nicht ich armer heimkehrender Maronierter, sondern jene andern die silberstrotzenden Säckel hatten. Schimpfend ließ sie mich los, und ich bedauerte es fast, denn sie war wirklich schön und ich war lange maroniert gewesen . . . Aber ihre Geldgier erschreckte mich. An der Spitze der tobenden Menschenwoge prallte ich in die große kühle, von traulichem Chiaroscuro erfüllte Schenkstube. Und sah das Zinngeschirr blinken., die Trophäen leuchten, und die großen spanischen Hecklaternen spendeten ihr Licht. Es war schön. Zéphir, Barbassous Junge von einer wilden, schönen Spanierin, die ich nie gekannt habe, denn sie lief dem alten Barbassou bereits weg, als ich noch mit den Nebelgeistern des Ben Nevis stumme Zwiesprache pflog, erwartete uns. Ein bildhübscher Kerl von Fünfundzwanzig, pinienschlank und dabei muskulös wie ein veronesischer Fechter, hielt er mir lachend die braune Hand hin. Und verwundert sah ich, daß er die traditionelle seidene Nachtmütze und die kurze weinfleckige Lederschürze des Alten trug. »Bienvenu, Mac! - Wo warst du? Man hat erzählt, der Kahlkopf hätte dich entführen lassen! Esquemelin erlitt damals einen Wutanfall!« »Es stimmt, Zéphir! Wie geht's, mein Junge? Kahlkopf hat mich auch kielholen lassen und dann auf Trinidad bei den Salvageinseln ausgesetzt. Brenty befreite mich nach sechs Monaten. Doch sag, wo steckt Barbassou, le père, mein alter Freund?« Mit Getöse drängten die anderen an uns vorbei, schmissen sich auf die krachenden Bänke und schrien sofort nach Rum, Wein, 210
Langusten und Markknochen. Schüsse knallten gegen die Decke. Schwarze Aufwärter rannten schon grinsend mit vollen Kannen hin und her, holten das Verlangte aus der Pantry. Zéphir zog mich in das kleine getäfelte, mit alten Seestichen geschmückte Gemach, das für die Kapitänssitzungen oder für gute Freunde des Hauses bestimmt ist. »Vater ist gestorben!« sagte er leise und wischte eine Träne aus dem Auge. »Der Schlag traf ihn. Im Bett. Ein schönes Ende, aber schlimm für mich und die Schwester!« Er goß aus bastumwickelter Flasche das flüssige Gold Old Jamaicas in zwei geschliffene Gläser. »Santé, Mac!« »Santé, Zéphir ! Und wollen dabei auch deines Alten gedenken ! Er war ein richtiger Tortugamann, vom guten Korn und Schlag und ein guter Maat!« Ein schwarzer Boy wischte herein. Goß uns wieder ein, und Zéphir erteilte ihm Orders, schaute mich dabei fragend an. Ich nickte zu allem; denn sechs Monate Trinidadalbatrosfraß, als pièce de résistance, lagen hinter mir und dann der Schiffsproviant, hm. Ich schätzte daher sehr, was der junge Barbassou für mich bestellte: geröstete Langusten, gepfefferte Markknochen, Salmagundy, frisches Weißbrot, Früchte, Stiltonkäse, Nüsse, Maronen und einen leichten süffigen Frascati. Ich bat Zéphir, einen Boten nach Hause zu schicken. Denn bei Sarahs abergläubischem Gemüt hätte sie vor Schreck Schaden nehmen können, wenn sie mich unverhofft erblickte. Lärm aus der großen Schankstube platzte herein. Dort tranken sie Weine und alten und jungen Rum und englisch Bier, das mittels heißer Bolzen gewärmt wurde, bis es schäumte - eine tolle Idee bei dieser Hitze! Manchmal hörte ich den Baß von Brentys erstem Kanonier, dem der Sawbones sekundierte. Sie erzählten, wie man mich auf Trinidad gefunden hatte. »Und verzichtet hat er auf jeden Anteil, obwohl ihm unter den Umständen ein Viertel gebührt. Was sagt ihr dazu!« wiederholte er immer wieder, und Sawbones brummte bewundernd dazu. Weiber lachten schrill und ungläubig. Gitarren klangen, Karten und Würfel 211
klapperten, raschelten, Fäuste dröhnten. Und da! Der erste Schuß, und das erste Todesröcheln . . . »Sie bringen einander um wie die Tiere!« sagte Zéphir gleichmütig. Und da der Boy gerade das Essen brachte, so ließ ich mir den Appetit nicht verderben. Der da eben starb, war sicher nicht viel wert . . . Plötzlich dröhnte im Nebenraum lautes Gelächter. »He Mammy, where to? - Où vas - tu, belle Maman?« und eine fette, keifende Frauenstimme antwortete: »Ihr Nixnutz, Maul halten. Und sagen, wo mein Buckrahmassah stecken!« Nun segelt sie in ihrer schwarzen Glorie herein, meine alte, gute, dicke Sarah! Rollt mit den Augen, und dann umhalst sie mich unvermutet, drückt ihre wulstigen Lippen auf meine Wange. Und ich bin mitnichten ungehalten, denn Sarah ist ein treues Geschöpf. »Oh, Buckrahmassah wieder hier. Bon, 'sta bueno, allright. Bendito sea Dios! - Böse Kahlkopf ganz tot sein, Sarah schon sehr lange wissen. Dies schwarze Kind hat einen Voudouzauber gemacht und Kahlkopf an spanischer Rahe hängen. - Aber hier nicht nett sein am ersten Tag, Massah! Dies schwarze Kind kochen besser und Massah heimkommen. Andermal Freund Barbassou besuchen. - Old Rum und gut Wein, Leche de España daheim sauf und fein Poularde und Ferkel essen!« sprudelte sie und ich klatschte ihr auf die fette Schulter und war irgendwie an diesem Tage schon zum zweitenmal gerührt. »Mac, die alte Dame hat recht. Du bist ja auch am liebsten allein!« lächelt Zéphir. »Allein? Heut aber nicht! Bedenkt: zwei Monate auf des Kahlkopfs schwimmendem Wirtshaus, dann sechs Monate auf der teuflischen Insel und viele Wochen mit Brenty. - Heut will ich Gesellschaft zu Haus haben.« »Die Jungens?« »Nein, mein alter junger Barbassou. Ein Mädel, ein schönes, lustiges Mädel!« Verstehend lächelt er wieder: »Ich will dir die Jaqueline schicken!« 212
Da protestiert die Dicke: »Nix bon, Jaqueline zu frech. Und haben galante Krankheit, ohoh!« »Teufel, das ist mir neu. - Also die Carmen!« »Nix Carmen ! Sein bös Weibsbild. Vier Männer schon totgehen in Duell wegen ihr!« - »Adelita?« »Dies schwarze Kind nix sagen gegen Adelita. Ihr bonne fille, schöne Muchacha. Aber man nie wissen recht Bescheid. Massah vorsichtig sein!« »Allright, Zéphir, dann sei so gut und schick sie heut abend, wenn sie Lust hat. Und die Zeche zahle ich morgen. Bin blank augenblicklich.« »Keine Rede. Du bist Gast des Hauses und so oft du willst! Hast du wirklich auf deinen Anteil der Silberbarren verzichtet?« »Klar!« Lächelnd wiegt er das junge und doch schon so menschenkundige Haupt. »Bist ein Sonderling. Vater hatte dich gerne, und auch ich mag dich leiden. Wenn du mal was brauchst, so weißt du die Adresse!« - wir drückten uns die Hand. Gerade will ich aufstehen, da kommt ein Neger feierlich in seidenen Kniestrümpfen, Schnallenschuhen, violettem Frack, schwarzer Hose und roter Weste herein. Sein Wollkopf ist weißgepudert. Mit einer Verbeugung überreicht er mir einen versiegelten Brief. »Von Monsieur de la Place!« Eine Einladung! Ich möchte baldmöglichst im Gouvernement vorsprechen. Was kann der Mann von mir wollen? . . . »Richte Monsieur mein Kompliment aus, und ich werde nicht ermangeln, ihm binnen zwei Stunden meine Aufwartung zu machen! . . .« Hinter Sarah her steuere ich durch den übervollen Schenkraum. Der Kanonier und Sawbones prosten mir zu, ich muß aus ihren Pokalen trinken, und sie lassen mich erst gehen, als ich heilig verspreche, bald wiederzukommen. Als sie hören, daß ich zum Gouverneur soll, sind sie stolz. Diese wilden Burschen machen sich zwar absolut nichts aus dem machtlosen Vertreter der Krone des Heiligen Ludwig, aber es schmeichelt ihnen, daß ich, einer der Ihren, dort eingeladen wurde. 213
Sarah watschelt wieder voran, und ich folge ihr durch den lauschigen Palmenhain, wo die lichtumflossenen Stämme und Wedel zitternde Mosaiken auf den braunen Boden malen. Da ist die Hütte! Und es ist mir, als ob sie mir einen stummen Willkommen zuströmte, als ich eintrete und alles mit frohen Blicken überfliege. Sarah kramt aus der Truhe mein Festgewand hervor, das ich noch nie getragen habe, weil es mir für dieses Klima zu heiß ist. Unter der Tonne, aus der ich eine Brause gemacht, dusche ich mich, seife mich mit Pariser Seife ein, deren Schaum weich und duftend ist. Und schlüpfe in das schneeweiße Batisthemd, die violetten engen Kniehosen, Seidenstrümpfe und Rosettenstrumpfbänder, die ungewohnten hochhackigen Schuhe mit den breiten Silberschnallen, in die lange, reichverzierte Scharlachtuchweste, den weinroten Frack mit Silberstickerei und Spitzenmanschetten und binde das Spitzenjabot um, setze meinen alten verrückten Dreimaster auf. Und stecke den Zierdegen durch den Taschenschlitz. Parfümiere mich. Stopfe eine Pfeife, zünde sie an und nehme den silberbekrückten Stock in die Hand und komme mir vor wie einer jener kanonenabschießenden zahmen Affen, die ich heut' am Strand gesehen . . . Eigentlich müßte noch ein kleiner livrierter Negerjunge - mancher Pirat auf Tortuga hat einen! - hinter mir herlaufen, der auf einem Samtkissen die Schnupftabaksdose trägt. Sarah schlägt vor Entzücken die Hände über dem Kopf zusammen. Gravitätisch, voll innerer Fröhlichkeit, schreite ich nach der sogenannten Stadt am Wasser. Unter den vielen singenden, zechenden und tanzenden Menschen, die dort in den Kneipen oder unter blauem Himmel Brentys Ankunft feiern, falle ich nicht auf. Viele Piraten sind ähnlich und noch kostbarer gekleidet . . . Im Palast - es ist ein weitläufiges größeres Gebäude am Abhang, empfängt mich der Posten mit präsentierter Muskete. Und wieder lache ich über diese seltsame Neue Welt. Hier wird der Brauch Europas einfach umgestülpt. Der Soldat präsentiert vor mir, dem Küstenbruder . . . 214
Ein prunkender Majordomus nimmt mir die Pfeife ab und führt mich in das Arbeitskabinett Seiner Exzellenz. Der geschmeidige, weltgewandte de la Place empfängt mich mit leutseligem Händedruck und bietet mir sofort eine Prise aus goldener Dose an. Zwanglos sitzen wir einander gegenüber, rauchen aus weißen holländischen Tonpfeifen und trinken einen leicht moussierenden hellen Wein aus der kreidigen Champagne. Und nach etlichen Höflichkeitsfloskeln geht der Gouverneur auf sein Ziel los. Er will genau wissen, ob man aus Trinidad einen bewaffneten Flottenstützpunkt machen könne . . . Anzüglich erwidere ich: »Einen Stützpunkt, der die Schiffsrouten nach Mar Dulce, Buenos Aires, dem Kap Horn und nach dem afrikanischen stürmischen Kap der Guten Hoffnung kontrolliert?« »Sie haben eine leichte Auffassungsgabe, Monsieur!« lächelt der Chevalier. Nun fange ich an zu erzählen. Und beschreibe die Insel, ihre Reede und alles. Erkläre, daß es unmöglich ist, ohne Lebensgefahr in Booten zu landen, daß Schiffe dort keinen Ankergrund finden und zu Kleinholz zerschmettert werden und so weiter. Interessiert hört er zu, brummt »Parbleu!«, als ich Raffzahns Tod schildere. »Schade!« sagt er zum Schluß. »Die Insel wäre sonst ein gutes Bollwerk für Frankreich. Nun, so geht es eben leider nicht!«, und er trinkt mir zu. Wir plaudern noch eine Weile, und als die Sprache auf Esquemelin kommt, der mit dem Ollonois auf Kaperfahrt weilt, macht der Chevalier ein ernstes Gesicht. »Der Ollonois ist kein Mensch, Monsieur. Eine Bestie, ein Teufel und ein Gottesgericht. Aber ohne es zu beabsichtigen, leistet er Frankreich große Dienste. - Gouverneur in der Spanischen Main zu sein, Monsieur, ist kein Vergnügen, sondern ein undankbares Geschäft. Es heißt, mit blutdürstigen Halunken unter der Hand verkehren und so tun, als ob man sie schätze!« Er wechselt das Thema: »Die junge Demoiselle Marguerite 215
Flammarion, die Sie ja kennen, ist nach Frankreich zu ihrer Hochzeit gefahren !« »Das freut mich, Exzellenz !« »Ihr Freund Esquemelin, der einer unserer fähigsten Geheimagenten hier draußen ist, singt hohe Lobeslieder auf Sie, Monsieur Mac Donald. Wollen Sie nicht in unsern Dienst treten?« »Exzellenz, ich bin ein Abenteurer und habe hier draußen die wahre Freiheit gefunden. Lassen Sie mich diese behalten. Ich will ungebunden sein. Gold und Ehren locken mich nicht!« »Ich weiß das. Aber wie wenn es wieder mal zum Krieg zwischen Frankreich und England käme? Was dann? Sie haben doch in Königs Eigen, wie die britische Flotte sich nennt, gedient!« »Dann müßten Sie mich gegebenenfalls einsperren lassen, wenn ich nicht mit Frankreich gemeinsame Sache mache, Monsieur?« Er lacht: »Aber nein, das könnte ich gar nicht, sogar falls ich's wollte! Sie wissen genau, daß ein Gouverneur hier draußen eigentlich keine offizielle Macht hat. Ihr Küstenbrüder seid noch viel zu stark, und man braucht euch ja auch noch. - Außerdem würde ich's nicht wollen. - Man hat unter Kavalieren andere Ansichten und würde - wie heißt es noch? - ein Gentlemen's Agreement schließen!« »Daß ich nicht, um das Kind beim Namen zu nennen, gegen Ihr Land und Ihre Flotte und Ihre westindischen Besitzungen spionieren würde, falls der erwähnte Orloogzustand eintritt?« »Ganz recht, Sie haben's erfaßt, Monsieur Mac Donald!« »Wenn mein Wort genügt, so haben Sie's schon, Exzellenz!« »Bravo! Auf Ihr Wohl!« »Und das Ihre, Exzellenz!« »Sie sind ein Unikum, Monsieur Mac. Erst Lateinlehrer, dann Kriegsschiffmatrose, Bukanier, Pirat, Verehrer der schönen Künste und Historiker. Apropos, schmeckt Ihnen der Wein?« »Abgesehen von ganz altem Rum, bei dem ich einfach zu dichten anfange, ist dieser Champagner wohl das Beste, was ich je getrunken. Die spanischen und italienischen und griechischen Weine und englischen Biere sind in diesem Klima zu schwer und ungesund auf die Dauer!« 216
Er drückt auf die silberne Glocke, die auf dem Tisch steht. Ein Neger kommt hereingedienert. »Sofort ohne Verzug einen Korb Champagner nach Monsieurs Haus schaffen. Allez!« Ich bedanke mich, als der Schwarze gegangen, und de la Place beugt sich vor, tippt mir mit dem Finger auf die Schulter : »Nicht der Rede wert. Sie sind ein Freund Esquemelins und das gilt bei mir als passeport.« Seufzend endet er: »Und nun muß ich mich meinen sogenannten Regierungsgeschäften widmen. Sie bestehen größtenteils darin, entrüstete Protestnoten diverser spanischer Gouverneure und Admirale geschickt zu beantworten. Protestnoten über die bösen Taten der Küstenbrüder. Denn augenblicklich ist Friede zwischen Frankreich und Spanien. Allerdings steht Krieg vor der Tür!« »Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, Exzellenz!« Lachend steht er, mich verabschiedend, auf . . . Unterwegs überholte ich vier halbnackte Neger, die ein afrikanisches Lied sangen und an zwei Bambusstangen, die sie paarweise über die Schultern gelegt hatten, meinen schaukelnden Champagnerkorb schleppten. Und ich dachte, daß es heut abend sehr schön werden müßte. Old Jamaica Rum, Sarahs gute Leckerbissen und dann dieser Champagner!! Um dies richtig zu genießen, waren sechs Monate Maronierung eigentlich nicht zu viel, nun, nachdem sie vorbei waren. Ich gehöre nun einmal zu den Menschen, die sich von der Zeit nicht beeinflussen lassen, weil ich selbst viel Zeit habe. Adelita ! Ein schöner Name. Mit Musik drin! Was wird das für ein Mädel sein! Frech und lebenshungrig, wie alle auf Tortuga. Und gierig auf Pieces of eight. Pah! Nun, ich besitze eine erkleckliche Anzahl in der Truhe unterm Bett. Und auch noch den Schatz in der Ochsenhaut, von dessen Vorhandensein im Keller von Levasseurs Taubenschlag auf dem höchsten Gipfel der Insel ich mich noch gar nicht überzeugt habe . . .
217
NEUN UNTERRÖCKE »Dein Spezielles, alter Junge! Möge es dir gutgehen und dein liebster Wunsch in Erfüllung gehen! Cheerio!« trinke ich mir selber mutterseelenallein zu. Und wüßte gar nicht, was mein Herzenswunsch wäre, denn entweder habe ich wie die meisten Menschen viele, oder bin, wie wenige Menschen, sehr oft glücklich und wunschlos. Man muß sich selber trainieren und kritisieren und nicht zu viel einbilden, dann ist das Leben recht nett . . . Sarah rumort in der Kombüse. Durchs Fliegengazefenster - es gibt viele Moskitos auf Tortuga! - weht zuweilen ein von guten Dingen geschwelltes Wohlgeruchlüftchen und mischt sich mit dem Duft von Old Jamaica Rum und den nach heißen Bienenwaben riechenden honiggelben Wachskerzen. Es ist Abend geworden. Verworren und weit entfernt, wie ungefährlich grollende Traumechos, spielt die Brandung gegen die Steilküste. Und von der Siedlung her ziehen gedämpfte, wunderbar schöne Musikklänge und schwaches Jubelgeschrei durch die Luft. Die schwarzblauen Baumsilhouetten, vom Reigen der Cocuyos angestrahlt, bilden gleichsam eine Theaterkulisse. Der Tisch ist gedeckt. Damast und Silber, Kristall und Porzellan blinken. Blumen sind in kleinen bunten Büscheln auf dem weißen Tuch verstreut. Bellinis Meisterwerke glühen tiefkupfern und fleischfarben von den Wänden. Auf dem Gobelin, der, ich weiß nicht mehr aus welcher spanischen Admiralskajüte stammt - denn ich war bei vielen Plünderungen auf im Kampf genommenen Galleonen dabei - scharmuzieren galante Kavaliere mit zierlichen Damen, und unnatürliche Windspiele hüpfen über einen Rasen, der von Springbrunnen bestäubt wird. - Fürwahr, schon einmal hab' ich's gesagt, wir Küstenbrüder, falls wir das Unsere zusammenhalten, leben nicht schlecht! O nein, Schulmeisterlein, es geht dir verflucht gut hier. Westward ho! Yoho, blow the main down! And Rum below, yoho! . . . Doch eines fehlt dem Haushalt! Und es ist, als höre ich Freund Olivier, der mit dem Ollonois 218
auf Kaperfahrt kreuzt, weise plaudern: »Cherchez la femme, mein Alter! Frauen sind Blumen und Früchte des Lebens. Aber es gibt viele giftige und angefaulte darunter, und vor denen hüte dich. Hüte dich, mein guter Junge!« Schritte draußen. Sarahs Stimme und dann eine andere, angenehm gedämpfte, jedoch klangreiche. Und: klippklapp! - Stökkelschuhchen trippeln über die Veranda. Die Tür springt auf, erregt flackern die Kerzen. Und auf der Schwelle, wie in einem dunklen Rahmen um ein Rembrandtbild, steht eine Gestalt. Adelita! . . . Süß sieht es aus! Das elfenbeinblasse ovale Gesicht mit dem grellroten Herzkirschenmund, glattes schwarzblaues Haar und große dunkle Augen. So gleicht sie einer zarten erblühten Tulpe. Einer Tulpe, die aber nur in den unerfüllten Phantasien der Harleemer Tulpenbörsen geistert und wie es keine »Dulbendblume« in ihrer persischen Heimat gibt. Ich gehe der duftenden Erscheinung entgegen. Ergreife ihre Hand, führe sie an die Lippen, küsse ein schlankes Fingerchen nach dem andern, desgleichen tue ich mit denen der Linken. Und meine Augen funkeln dazu Komplimente. Ihr Mund lacht, und das tönt so schön und ist weder schrill noch künstlich. Klingt nicht nach dem Qualm der Zechbuden oder der Gier nach Gold. Ist so tief und wunderbar melodisch und beruhigend. »Señorita!« Ich geleitete sie an den ausersehenen Platz, zum saffiangepolsterten Ohrensessel, auf dem einst ein stolzer spanischer Bischof von Puerto Bello bis Sevilla die meiste Zeit der langen Fahrt verbringen wollte, aber damals nur bis auf die Höhe von Tortuga und Hispaniola gekommen ist. Auf einer harten Ruderbank fuhr seine Eminenz dann an Land. Und ein lateinkundiger Küstenbruder namens Mac Donald rief ihm noch gutgelaunt nach: »Quo vadis, Domine? . . .« Der Sessel wurde mein, indessen sich die Maaten gottlos lachend, um andere wertvolle Dinge balgten und die Edelsteine aus Monstranzen und Kelchen brachen und ihren gezähmten Affen bunte Westen aus gold- und silberbestickten Stolen schneiderten . . . 219
»Ein Gläschen Old Jamaica gefällig? Oder Leche de España? Alicante und Bordeaux? Frascati, Sangaree? Oder der schäumende, fahlgoldene oder topasklare Trank Lethe aus der kreidereichen Champagne? Mein Freund, der Gouverneur, hat mir soeben einen Korb voll dezidiert! Sie brauchen nur zu befehlen, Allerschönste!« »Und Sie wollen Schulmeister gewesen sein, Señor?« lächelt sie. »Oh, man bleibt nicht immer das, was man war!« »Mac, du fängst an, mir zu gefallen! Bei Santiago!« »Hei, Corazon mio, und du mir auch! Bei St. Dunstan!« verlängere ich den Scherz. Denn Spaß ist's. Oder? Sie betrachtet die Bilder. Und ich bewundere dabei ihre Bewegungen. Ihre ringfunkelnde Linke rafft zierlich das weitgebauschte Kleid aus dunkelblauem, silberbesticktem, rauschendem Atlas. Enthüllt einen feinen Fußknöchel, ein nett beschuhtes Füßchen, und à la mode schimmern und knistern die seidenen, spitzen besetzten Unterröcke im bunten Geriesel. Eine Eva moderna! würde der selige Bellini sagen und nicht eher ruhen, als bis er sie gemalt hätte . . . Bei solcher Eva den Adam zu spielen, ist sicher schön! denke ich frivol entzückt. Und fülle die Kristallbecher, mit des Gouverneurs prickelndem Wein. Sie läßt sich im Ohrensessel nieder, wippt mit der Fußspitze, klappt den bemalten Fächer auf und zu. Rubintropfen an ihren kleinen Ohrläppchen funkeln heiß. »Dios mio! hier ist's wahrhaftig schön. Ein richtiges Heim. Wer das haben könnte!« seufzt sie halb ernst, halb scherzhaft. »Adelita, bitte fühle dich zu Hause. Alles ist dein!« sage ich nach Spanierart. »Das heißt soviel: morgen früh, wenn der Rausch vorbei ist und Señor Mac wieder studieren will, kann Adelita zum Teufel gehen!« lacht sie bitter. »Wenn du mich nicht zu sehr beim Studieren störst - übrigens habe ich mitnichten die Arbeit erfunden und nehme es daher leicht mit dem, was du Studium nennst - so kannst du bleiben bis in alle Ewigkeit!« 220
Hingerissen presse ich einen Kuß auf die Hand der schönen Frau, die so unangekränkelt vom Tortugaleben und aus einer ganz anderen Sphäre scheint. Und hat Sarah, die weise dicke Fetischanbeterin und Voudouhexe, sie nicht gelobt? Wenn auch mit Vorbehalt . . . »Wenn du Pieces of eight haben möchtest?« - ich gehe zur Truhe. »Behalten Sie Ihr verfluchtes Gold, Señor! Trink es, friß es, schlafe damit, bade darin und nimm's mit ins Grab!« kommt ein elementarer Ausbruch voll Haß und Verachtung über die schönen, jetzt verzerrten Lippen. Ich bin verblüfft. Aber noch ungläubig, denn die Tortugamädels verstehen ihr Geschäft. Frauen können ja so überzeugend, so entzückend und gefährlich lügen . . . »Ah, so eine bist du wirklich? Oder spielst du Komödie? Dann sag's lieber, ich will dir wirklich den Schoß voll Gold füllen und morgen früh sagen wir einander fröhlich >Adios< und >Auf Wiedersehn<. Und bleiben, wie man das nennt, gute Freunde bis zum nächsten Mal!« Statt der Antwort saust haarscharf an meiner Schläfe ein Champagnerkelch vorbei. Zersplittert an der Kaminecke. Und die großen dunklen Augen schauen mich furchtlos an. Der rote Mund ist spöttisch gekräuselt. »Wo kommst du eigentlich her? Wie lange bist du auf dieser Insel? Sprich und lüge nicht, sonst . . .« Ich stelle einen neuen vollen Kelch auf die Armlehne ihres Sessels, schenke auch mir selber ein. Und trinke Zug um Zug leer. Stopfe meine Pfeife, biete der Frau eines der hier »Cigaros« genannten Röllchen an, denn in der Spanischen Main rauchen die meisten Frauen. Und solche wie Adelita erst recht. »Wo ich herkomme? Und warum? - Wie alle. Freiwillig oder halb freiwillig. Denn ich war Sklavin, wurde aber als Herrenkind erzogen. Drüben in der Havannah auf Cuba, bei den Spaniern!« - Sie nippt an ihrem Wein, und ich muß dabei denken, daß mein alter biederer Käpten Redlegs in dieser Frau wohl ein Pendant hat . . . 221
»Mein Großvater war ein Biscayer Edelmann, der in die Neue Welt fuhr, um seine derangierte Existenz mit fabelhaften Goldschätzen zu restaurieren. Er nahm, wie üblich, eine Indiosklavin, die Tochter eines Kaziken, zur Konkubine, und aus dieser Verbindung entsproß meine Mutter. Sie blieb natürlich, obwohl sie getauft war und in Samt und Seide und Spitzen gekleidet ging, dem Gesetz nach Sklavin. - Ein spanischer Armeecapitan nahm sie zur Konkubine und beider Kind bin ich. Verwöhnt und verhätschelt wie eine Prinzessin, vom ersten Tage meiner Geburt. Und niemand dachte mehr daran, daß meine Mutter ja nicht freigeschrieben war und daß demnach auch ich unfrei blieb. Der Mann meiner Mutter hatte es vergessen, denn sonst war er der zärtlichste Gatte und Vater, den es gab. Als er im Duell fiel, wurden die alten Tatsachen aufgedeckt. - Mutter, in deren Adern das stolze Kazikenblut und das der Hidalgos floß, stürzte sich aus Verzweiflung von einer Felsenhöhe in den Abgrund. Ich wurde wie eine Ware ausgeboten und wie ein Paket gekauft. Kam auf eine Plantage, deren Mayordomo mich seinem geheimen Harem einverleiben wollte. Da ich um mich biß und kratzte, wurde ich erst einmal mit den andern Sklaven in die Sisalfelder geschickt. Und bekam die Peitsche, weil meine Hände zu zart waren und die rauhen scharfen Pflanzenfasern sie verletzten. Und ich konnte nie mein Pensum auch nur annähernd erfüllen . . . Da tat ich eines Tages so, als ob meine Widerstandskraft gebrochen und ich bereit wäre, dem Ansinnen des Wüstlings zu folgen. Ich wurde gebadet und gesalbt und bekam schöne Kleider. Und in später Nacht kam er schwer bezecht zu mir. Sein weinstinkender Atem versengte mir das Gesicht, die plumpen Hände streiften mein Kleid von der Schulter, und als ich seinen ekelhaften Kuß auf dem Nacken spürte, stieß ich ihm mit fester Hand den bereitgehaltenen Dolch bis zum Heft in den Hals. Sein Blut bespritzte mich, als er sterbend auf mich fiel . . . Ich lief in die Nacht hinaus, nach der Wasserfront. Und hatte Glück. Die Heilige Jungfrau und der Geist meiner Mutter schützten mich. Tortugamänner waren überraschend in der gleichen Nacht ge222
landet und tobten nun durch die Straßen. Häuser brannten, Kugeln pfiffen und klatschten gegen die Mauern, halbnackte Menschen rannten schreiend umher. Die Glocke der Kathedrale wimmerte, und im Hafen brannten einige Caravellen, wie Riesenfackeln . . . Ein Tortugapirat haschte und schleppte mich auf sein Fahrzeug. Und ich gab ihm freiwillig, was ich dem andern tötend verweigerte. Jener Freibeuter, ein roher fürchterlicher Kerl, schalt aber und schrie, ich sei so kalt wie ein Marmorblock und eine Hexe. Und wollte mich unterwegs vor die Haie werfen. Ich hätte mir nichts draus gemacht. Doch schritten seine Freunde ein. Und seither bin ich auf der Tortuga. Über vier Monate schon. Und manchmal denke ich, daß es schön ist, so schrankenlos frei zu sein, und daß Männer einander um meinetwillen töten und daß dies alles Männer sind, die den Spaniern, von deren Blut ich bin und die ich wie Giftschlangen hasse, tödliche Vernichtung geschworen haben! Und manchmal denke ich an meine Mutter und gedenke meiner friedlichen Kindheit, und dann bin ich traurig. Und wenn ich am traurigsten bin, so müßt Ihr Euch vor mir hüten! Denn es lacht dann mein Mund, während meine Seele »Tod allem Mannesvolk« lechzt. Es küssen meine Lippen, schmiegen sich meine Glieder, und ich ruhe nicht eher, als bis wieder einer von euch im Zweikampf um meinen Besitz fiel. Und sehe lachend zu. Ich bin teuer und gefährlich! Und lache den Überlebenden aus und gehe zu einem dritten, damit er den zweiten, den Sieger aus jenem Duell, umbringe. Und wenn einer zuviel Gold hat, so wird es mein. Mein! - Sieh, Mac, dies treibe ich seit über vier Monaten auf der Tortuga, und schon sind elf Männer plötzlichen Todes gestorben. Durch blanken Stahl, den mein heimlicher Wille lenkte.« Sie schweigt. Trinkt ihr Glas leer, während ihre Augen die meinen nicht loslassen. Entsetzen, Verachtung, Wut, Mitleid und Leidenschaft tanzen einen bunten furchtbaren Reigen in meinen Gedanken. 223
Und ich stehe auf, schenke mir einen Rum ein. Schlürfe langsam das Gläschen leer. Stopfe dann die Pfeife, setze den Tabak an der Kerzenflamme in Glut. Und rauche. Aber mit den Augen suchen wir einander die Gedanken zu enträtseln und einer des andern Seele bloßzulegen. Sarah rumort in der Kombüse. »Ehrlich bist du ja, wenn das alles ist. So ehrlich wie schön und gefährlich. Aber hast du schon an das Ende gedacht, Alierschönste?« Eine wegwerfende Bewegung. Ungeduldiges Fußwippen. Dann: »Nein. Das interessiert mich überhaupt nicht!« »Und was hast du im Sinn gehabt, als du zu mir kamst?« »Nichts. Madre de Dios! - Man spricht auf der Insel entweder Gutes von dir oder hält dich für leicht verrückt, weil du meist allein lebst. Und da wurde ich neugierig!« »Und?« »Heut nacht wollen wir feiern! Und schmausen und trinken! Uns wie die Könige berauschen und einander liebhaben! Und morgen - mañana - gehe ich wieder und werde denken, daß es schön war! . . .« »St. Dunstan! Was hält dich denn davon ab, Mädel, immer zu bleiben? Mich störst du nicht. Ich hab' dich bereits lieb, und auch Sarah mag dich. - Bleib! Fang ein neues Leben an!« Ihr Blick wandert über die Gemälde, die brennenden Kerzen, die schimmernde Tafel. Über Blumen und geschnitzte Truhen, die dicken Lederrücken meiner geliebten Bücher. Dann spricht sie: »Zu spät! Vielleicht könnte ich's aushalten, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht nur eine Weile. In mir ist etwas entzweigegangen in jener Nacht, als der Pirat mich nahm und als Castell Moro und la Habana hinter uns an der Kimm im Meer versanken. Entzwei, ganz zerbrochen, begreifst du?« »Bleib, solange du willst, oder komm, solange und sooft du willst. - Auch ich habe eine Mutter, die eine Frau ist. Verstehst du mich?« Sie wirft den schönen gemmengleichen Kopf in den Nacken. Ihre Augen funkeln, der Mund wölbt sich. »Schenk ein, Mac, 224
Sonderling ! Füll die Gläser ! Wir wollen uns betrinken. Betrinken wie Königin und König. Viva la vida. Es lebe das Leben!« Die Tür geht auf, und Sarah bringt die dampfenden Schüsseln. »Buckrahmassah und Missy nun essen. Dann nachher trinken können und lustig sein. Und küssen. Junge Leute muß lieben immerzu. Sarah auch getan, in Afrika!« »He, Sarah, du schwarzes altes Kind, was würdest du sagen, wenn Adelita bei uns bliebe?« »Ihr sagen, daß vielleicht gut sein. Sehr gut das. Vielleicht. Sarah erst Geister fragen, nächste Vollmond. - Massah zuviel allein sein!« - »Hörst du das schwarze Orakel?« Adelita lachte : »Also wollen wir's versuchen. Solange es geht. Caballero, ich bitte um Ihren Arm, da ich Ihnen die Ehre schenke, mich zur Tafel zu führen!« Seiderauschend schreitet sie neben mir zum Tisch, und alles ist friedlich, schön und unwirklich. Auf dieser Insel, wo täglich der gewaltsame Tod ungehindert einhergeht . . . Mitternacht. Draußen tanzen immer noch die leuchtenden Cocuyos. Immer noch orgelt die ferne Brandung. Heftiger, leidenschaftlicher verströmen Zehntausende Frangipaniblumen ihre Duftseelen und versüßen die warme Tropennacht. »Du, du, ich hab dich lieb. Ganz lieb, hörst du? Und immer!« »Ist's wahr, Muchacho? Ai, corazon mío. Küß mich, du!«... Tausendfach geigen die Zikaden von Tortuga, summt der dumpfe Orgelton der See. »Und wirst du immer bei mir bleiben?« - »Immer!« »Küß mich, küß mich doch. Alles zählt nicht mehr. Nur du bist da. Du bist das Leben und die Welt und mein Glaube!« . . . Aus spitzer, weitausgeschnittener Schneppentaille ragt der elfenbeinfarbene matte duftende Frauentorso mit den Ansätzen der runden Brüste. Kerzenschein streichelt über glatte Schultern, glüht in den Rubinen der Ohrgehänge, webt bläuliche und tiefviolette Funken ins schwarze Haar. Friede, Freude und schrankenlos verheißende Leidenschaft. Wie schön dies alles zusammenharmonieren kann! Sanft löst sie sich aus meinen Armen, eilt an die Tafel. 225
»Du, wir wollen uns doch königlich berauschen, Liebster!« und füllt die schäumenden Kelche mit dem Wein des de la Place. »Sind wir's nicht schon?« »Trink! Im Wein ist bittere Wahrheit und süße Torheit! Ist herrliches Leben und wunderklingende Musik! Im Wein sind blühende Paradiese! Ist Vergessen, Vergessen! Trink!« . . . ». . . und nun will ich für dich tanzen, du Einsiedler!« sagt sie nach langer, wundervoller Zeit. Stampft ungeduldig übermütig auf, bis ich die Ösen und Häftel an ihrem Rücken löse und das Kleid wie die Hülle eines fremdartig bunten Vogels von ihr fällt und sie dasteht, mit wunderzierlichen Hüften und kleinem steilen Busen, aus feuerfarbener Seide blühend wie die Griffel einer Wunderblume. Spanisch Blut fließt in dieser Frau. Im spanischen Luxus in der Havannah ist sie aufgewachsen, bis das große Unglück über sie hereinbrach. - Und an spanischer Mode hält sie fest. Denn: eben ragt der lieblich getönte Oberkörper noch aus feuerrotem, steifrauschendem Gebilde! Da knistert diese Hülle wellenartig zu Boden, umwogt ihre Füße, und nun reckt sich der schöne Leib aus glänzendblauem Taft. Und wieder nesteln die feinen Finger an den Hüften, und rauschend fällt die dunkle Welle zusammen und macht einer schwarzleuchtenden Platz. Abermals wiederholt sich das absichtlich zögernde aufpeitschende Spiel, und fliederfarbene Seide glänzt plötzlich auf - rieselt dann nieder, und dunkelgrün mit schillernden Kupferreflexen ist nun das Kleid der Crysalis. Auch diese Hülle sinkt, und staunend sehe ich orangegelbe Seide wallen und dann purpurne und hernach pfirsichzarte, und schließlich schimmern die schlanken hohen seidenbestrumpften Beine durch ein mattbraunes, schäumendes, spinnwebdünnes Spitzengeriesel. - Und Adelita tanzt. Woher hat sie plötzlich die Kastagnetten? Geschmeidig und fließend tanzt sie und werbend und verneinend, die Jota und den Fandango, und tanzt alle Tänze der Welt, von Urzeiten bis heute. Tanzt, und die Kastagnetten klappern, und draußen geigen Millionen Zikaden, und fern, feierlich, orgelt die müde, ewige See. 226
Das, Bellini, müßtest du, wenn du noch lebtest, mir malen! Aber den Duft und die Musik und vieles, vieles andere kann kein Mensch auf die Leinwand zaubern und kann kein Dichter in Druckbuchstaben schreiben. Nur fühlen. Und jetzt flattert die letzte Spitzenhülle wie ein Wölkchen davon, und der nackte Leib dreht sich vor meinen trunkenen Augen . . . Neun Unterröcke! Neunmal, nacheinander, sank eine Hülle, und übrigblieb Eva, das Weib, von dem viele träumen, das aber nur manche sehen, und wenige küssen und halten dürfen. Neun Unterröcke, bei St. Dunstan! . . . Und ich nehme mir vor - alter Schulmeisterpedant, selbst im Schönheitsrausch mußt du an solche Dinge denken! - beschließe, Adelita zur Tracht der Mulattenmädchen zu verführen. Nämlich: ein dünnes, anschmiegendes leuchtendbuntes kniefreies, ärmelloses Seidenfähnchen mit tiefem Brust- und Rückenausschnitt. Eine grelle Blume im schwarzen Haar, die schöngedrechselten Beine nackt und die Füßchen in sandalenartigen Stöckelschuhen. Dies ist die Tracht für dieses Klima, ist das Kleid für Liebende, ist die Hülle für den Kuß der Sonne und der balsamischen Luft; und das sinnenstreichelnde Bild für die Augen des Verliebten. Ein schweres Taft- oder Brokatkleid, Mieder und, o Gott! acht schwere steife knisternde Unterröcke und einer aus Spitzen dazu! Hei, ist es glaublich? Ich weiß ja, daß die reichen Fläminnen und Niederländerinnen und überhaupt alle Modedamen es bis zu sechs Unterröcken, einer immer schwerer und kostbarer als der andere, bringen. Aber neun! Soviel trägt höchstens eine Königin. Aber meine Königin muß anders sein. Meine Inselkönigin! Tortugakönigin! Neun dünne regenbogenfarbene Schleier würden ihr stehen! denke ich, und bezaubert schaut mein Auge auf den tanzenden, sich drehenden, wunderschönen Körper, und mein Blick trinkt Frohsinn und das Glück, das aus den schwarzen großen Augen mir feucht entgegenstrahlt. Neun mondscheindünne, rieselnde, schäumende, zartpastellfarbene Schleier - und wenn ich, um diese zu holen, den spanischen Großalmirante am Barte zupfen und allein aus einem schwanken 227
Kahn seine dreieckige Galone in der weiten Main entern muß . . . Neun wunderschöne Feenschleier für eine wunderschöne Frau. Lauscht ihr den Zikaden? Spürt ihr den Frangipaniduft? Und hört ihr das Pochen meines Herzens durch diese alten vergilbten, raschelnden, seesalzbekrusteten Pergamentblätter läuten? . . . Ach, Adelita, wie lieb und schön warst du. - Kennt ihr das Märchen von der Spanischen Main? Es war einmal ein Pirat, der wurde durch den Genuß köstlichen milden Jamaicarums und prickelnden Champagners und durch Küsse und die Schönheit einer Frau zum lebens- und daseinstrunkenen König der Tortuga. Und wenn er nicht gestorben ist - seine Königin hat ihn längst verlassen, ach - so lebt er heute noch. Und sitzt allein, und die Vergangenheit besucht ihn im Duft des alten Jamaicatranks, dem blauen Virginiatabaksgekräusel und wieder erlebt er die Nacht der Nächte. Ja, es war wirklich einmal ein König auf Tortuga in der wilden, wunderschönen, glühenden, schillernden, prangenden Spanischen Main. Und wenn er nicht gestorben ist, so - Und die Königin? fragt Ihr. Verfluchtes Blendwerk der Hölle . . .
LE SIEUR RAVENAU DE LUSSAN, DER VERSAILLESPIRAT ». . . Also bitten wir Gott, den allmächtigen Herrn, daß er uns vor argen Sünden behüte oder uns solche vergebe, uns keine Grausamkeiten begehen und reiche Beute gewinnen lasse. In Nomine Patris et filii et spiritus sancti. Amen!« Pater Leclerc beschließt seine Predigt, dreht uns das Gesicht zu und malt ein großes Kreuz in die Luft. Ein Aufatmen und Rauschen streicht durch die Reihen. Wir setzen die Hüte oder Nachtmützen - eine alte traditionelle Piratenkopfbedeckung - wieder auf. Die Offiziere, die in ihrem bunten Staat den Kommandanten, Le Sieur Ravenau de Lussan, umringen - jenen galanten, frommen, adeligen Piraten, der aus Versailles kam, um seine Finanzen als Freibeuter in der Spani228
schen Main wieder zu arrangieren, damit er seine Spielschulden begleichen kann, und der auf strengste Manneszucht und tiefe Religiosität hält - treten auseinander. Der Quartiermeister - Mac Donald aus Schottland vom Fuß des unvergeßlichen kühlen Ben Nevis - pfeift auf silberner Flöte, die an geflochtener Schnur um seinen Hals hängt. Einen langen Triller. Sonntagsruh auf den zwei schlanken, dreimastigen, kanonenbestückten Schiffen der Tortugaflotte! Murmelnd gehen die Piraten nach ihren Quartieren im Zwischendeck. Pater Leclerc, Seelsorger der Flotte und gleichzeitig wohlbestallter »Punschmeister« (für beide Eigenschaften ist er auf Prisenanteil gemustert) geht in seine Pantry. Um nun, nachdem er dem seelsorgerischen Geschäft Genüge getan, dem leiblichen zu obliegen und mit großer Geschicklichkeit für die vielen durstigen Kehlen den üblichen starken, sonntäglich extra guten »Pflanzerpunsch« in riesigen Kesseln zu mischen . . . Morgen gibt's Kampf und Tod dort drüben, wo eine weiße Stadt sich hinter dem violetten und grünscheckigen Vorgebirge versteckt. Heut ist Sonntag, und blutige Piraten, die zu sanften Lämmlein wurden - schon mehrmals spielte sich dies Phänomen in der Spanischen Main ab, erinnert euch an Levasseur und an Redlegs! - pflegen der Ruhe und malen sich düster lüstern aus, was das Morgen an preislicher, glitzernder Beute bringen mag. Allzuviel wird's wohl nicht sein! denkt mancher. Denn unser Chef, der auf Versailleszeremoniell auch hier erpichte und es auch faktisch erzwingende de Lussan, hat da eine neue Mode eingeführt. Die sich die vertrackten Dons in ihren Städten rasch zu nutze machten und wodurch der Sieur schon weit und breit als der »galante fromme Freibeuter« bekannt wurde. Bei Todesstrafe hat er nämlich verboten, daß Klöster und Gotteshäuser geplündert werden. Obwohl dort allerlei Herrlichkeiten zu finden sind! Auch leben die Diener des Herrn in der Neuen Welt nur vom Allerbesten und haben Küche wie Keller stets wohlgefüllt. Von Esquemelin weiß ich, daß es dem Sieur gar nicht schwer 229
fiel, seinen Piraten diese sie direkt vor den Kopf stoßenden Regeln einzubläuen. Es ist ja auch Tatsache, daß Menschen, die in Extremen leben und handeln, wunderbar rasch von einem ins andere und oft entgegengesetzte Extrem taumeln. Denn es sind Kinder. Sind zwar Bestien drunter, aber doch Kinder. Unberechenbare, gefährliche Kinder, die eines klugen menschenkundigen Meisters bedürfen. Wie dem auch sei, wenn die Flotte des Sieur naht, die es hauptsächlich auf Plünderung der Städte abgesehen hat, so bergen die reichen Bürger flugs ihre besten Kostbarkeiten in den Kirchen und Klöstern, und dort bleiben sie wirklich unangetastet. Allerdings bleibt noch genügend »Verdienst« für die Brüder der Küste, da die Städte sich ja nicht kampflos übergeben und dann regelrecht ausgeplündert werden - mit Ausnahme der heiligen Orte - und sich dann durch beträchtliche Summen auslösen müssen. Selbstverständlich heimst der Sieur als Abgabe und »Protektionsgeld« von der Kirche jedesmal auch eine nach Prozenten gerechnete nette Summe ein. Und beide Teile sind mehr oder weniger zufrieden dabei. Merkwürdig? Hier draußen in der Main werden die Merkwürdigkeiten, zumal sie von merkwürdigen Menschen erdacht sind, zum Alltag, und ich bin es schon gewöhnt. Vielleicht auch, weil ich das Sonderbare suche, gehe ich für diesen Kreuzzug an Bord der Flotte des Sieur. Die Fahrt kann sechs Wochen oder auch sechs Monate dauern. Oder wir segeln in die Ewigkeit hinein und kommen niemals wieder. Das steht in Gottes Hand . . . Sanft verstreicht der strahlende Tag, und es zieht die herrliche Nacht des Südens empor. Ihre Gestirne flimmern gegen tiefblauen Hintergrund, der Mond rollt bezaubernd schön aus dem Ozean, der sich in eine gleißende Fläche verwandelt. Backbords schwimmen langsam die schwarzen, mit Licht umrandeten Umrisse der Küste näher. Die Ausgucks halten scharf Lug nach spanischen Wachtschiffen. Denn der Indiofischer, der gestern in seinem Kanu aufgebracht wurde, ist vielleicht ein abgefeimter Lügner. Man weiß nie so recht, wie man mit diesen Burschen dran ist. Viele halten es mit den Spaniern, weil nicht 230
alle Spanier, sondern nur der kleinste Teil aus Indioquälern besteht. Er schwur zwar bei der Madonna voller Schmerzen, die an einem Bande als Medaillon um seinen braunen Hals baumelt: die Wachtschiffe wären vor einer Woche nach Maracaibo aufgebrochen! Doch wer weiß, quien sabe, ob er die Wahrheit spricht? Deshalb wurde er unter Deck des Flaggschiffes in Gewahrsam gesetzt und erhält erst seine Freiheit, wenn wir Cartagena, die weiße Stadt, eingenommen haben . . . Zweihundertundvierzig Eisenfresser sind wir an Bord der beiden flinken Segler. Tollkühne Kerle aus Frankreich, Irland, den Niederlanden und England, alles Burschen, die längst keine Heimat mehr haben und gar nicht heimkehren könnten, weil Strick und Gefängnis auf sie warten. Und so haben wir denn diesen Nachmittag gläubig oder ungläubig - wer kennt die Herzen der Menschen? - nach des Sieur strengen Statuten zu Gott gebetet . . . Die Schiffe scheinen zu schlafen wie große müde Schwäne. Nur die Mannschaft zur Segelbedienung ist an Deck, sitzt auf Taurollen und plaudert leise. De Lussan ist mit einigen Favoriten beim Abendtrunk, in der großen Kajüte. Sonderlich will es mir bei ihm nicht gefallen, bin aber des Erlebnisses halber mit Empfehlungen des Tortugagouverneurs an Bord gegangen. Krieg herrscht wieder mal zwischen Frankreich und den Dons. Der Sieur hat Kaperbriefe, und wir sind so quasi Kriegsschiffe. Aber die Dons würden uns trotzdem hängen, wenn sie uns erwischten. Dieser de Lussan gehört zu den kuriosesten der Piraten! Immer geschniegelt und geputzt, hat er seine Offiziere so gut dressiert, daß sie nie mit ihm sprechen, ohne vorher den Hut abzunehmen und einen höflichen Kratzfuß zu machen. Unter der Mannschaft sind natürlich einige unzufrieden mit diesem Zustand und machen sich heimlich darüber lustig, aber de Lussan läßt jeden Widersetzlichen unweigerlich hängen. Gezecht darf an Bord nur unter Deck werden, und auch nur 231
abteilungsweise. Der größte Teil der Crew muß jederzeit nüchtern sein. - Unsere Flagge ist schwarz. Sonntags und an allen Kalenderfeiertagen werden Messen zelebriert. Von leiser stetiger Brise über die spielende See getrieben, nähern sich die Schiffe der Küste, und es riecht nach Moder und Blumen und Schlamm. Gespensterhaft, mit abgeblendeten Lichtern und ohne Laut an Deck, gleiten sie im Schatten der Berge und Urwälder dahin. Munition wurde verteilt, die Hiebwaffen nachgeschliffen. Die »Pulveraffen« - Halbwüchsige, die das Amt haben, während der Gefechte die vollen Pulversäcke und schweren Vollkugeln aus der Kammer nach den Geschützständen zu schleppen - sitzen im Zwischendeck, wo auch die Kanoniere schwitzend und leise murmelnd, mit brennenden Lunten auf den Lafetten, hinter den geschlossenen Pforten kauern und ab und zu einen heimlichen Schluck nehmen. Die Decks wurden mit feinem Küstensand bestreut, damit, falls es zum Bordgefecht käme, niemand auf Blut und Schlamm ausrutschen kann. Die Segel hat man mit einer Lösung begossen, die sie weniger leicht entflammbar macht. Das Schiff ist klar. Ich gehe Pater Leclerc besuchen. Seine gigantischen Punschkessel sind längst leer und er macht nun auf seine Weise Feierabend. »Dominus vobiscum, mein Sohn !« grüßt er fromm und raucht dann seine Pfeife weiter. Denn der Padre ist zwar ein richtiger gläubiger tonsierter Mönch, trotzdem aber teils sehr weltlich, ansonsten er ja auch das sonderbare Amt des Punschmeisters nicht ausüben dürfte, denn so etwas verträgt sich eigentlich schlecht mit der Religion. Aber man ist Mensch und macht Zugeständnisse. Der Sieur ja auch . . . Augurenhaft lächelt er mir zu und gibt dem schwarzen Moses einen Auftrag. Der bringt rasch Gläser, und bald kitzelt der herrliche Duft von Old Jamaica meine Nase. Der gute Pater weiß, was ich liebe! »Prosit, mein Sohn!« »Desgleichen, Padre!« 232
»Trink ruhig noch einen, mein Sohn. Wer weiß, ob du morgen um diese Zeit noch lebst!« »Du bist ein tröstlicher Hirte, das muß man wohl sagen, Padre!« Er nickt behaglich, wischt sich die blanke Stirn mit einem Seidentuch. Deutlich gluckst das Wasser außenbords. Da kommt ein Kajütsmoses die Treppe herab. »Quartiermeister Mac, zum Kommandanten befohlen!« »Der Herr sei mit dir, mein Sohn. Vielleicht sollst du befördert werden. Valet!« ruft mir der gute Padre salbungsvoll nach. Die Kajüte entspricht ganz dem Wesen des einstigen Versaillesbarons. Spiegel glitzern, Skulpturen, bunte Teppiche, Gemälde und zerbrechliche Ziermöbel. Im Kontrast dazu: die Seekarten, Jakobstab, Lineal und dergleichen nautische Dinge. Der Sieur, wie immer in Hoftracht, sitzt mit seinen Herrn am großen Tisch vor dem Mast, der, mit Gobelins kaschiert, durch den Boden führt. Dicke honiggelbe Wachskerzen brennen still in bemalten Windleuchtern. Er nimmt meinen Kratzfuß mit wohlwollender Miene entgegen. »Geruhen Sie Platz zu nehmen, Monsieur le Contremaître!« »Danke, mein Kommandant!« Ich setze mich. Schwupps! stellt der Moses ein volles Glas vor mich. Gravitätisch trinkt man einander zu, dann fängt der Sieur, der noch ein junger Mann ist, an: »Man hat mir erzählt, daß Sie Geschichtsschreiber sind, maître Mac!« »Gewissermaßen zum Privatvergnügen, mein Kommandant! Aber mein Freund Alexandre Olivier Esquemelin, versteht's besser!« »Pfui! Fidonc! Er segelt unter Ollonois. Verstehen Sie? Mit diesem Blutsäufer, der die ganze Küstenbrüderinnung und sein Heimatland durch seine entsetzlichen, zum Himmel stinkenden Taten besudelt!« »Wahrscheinlich will Olivier die Wahrheit darüber schreiben!« »Hm! - Garçon, die Gläser sind leer. Soll ich dich wegen Nachlässigkeit im Dienst zum Pulveraffen degradieren?« Eilig waltet der Junge seines Amtes. »Monsieur Mac, als Quartiermeister haben Sie unter mir ange233
heuert und müssen daher in allen Stücken meinen Befehlen folgen, nein?« »Wenn diese den Artikeln der Küstenbrüder nicht widersprechen, Kommandant!« »Der tausend! Man kritisiert und meckert? Man macht Revolution à la Canaille?« »Kommandant, ich bin gekielholt worden! Wurde maroniert, habe zu den Achtundzwanzig des Pierre Legrand gehört, die das große Schatzschiff eroberten, habe gekämpft, gehungert und gedurstet, habe geliebt und habe gefiebert. - Womit meinen Sie, daß Sie mich noch erschrecken könnten?« »Ti! Quartiermeister! Auf Ihr Wohl. So war das nicht gemeint, ventre bleu!« Wir heben die Gläser. Und dann fährt der Sieur fort: »Ich beschäftige mich, wenn es meine Zeit erlaubt, viel mit den schönen Künsten, und meine französischen, lateinischen, griechischen Sonette leben heute noch am Hof zu Versailles. Leider machte ich zu viele Schulden und Duelle und mußte eine Zeitlang verreisen!« Stumm, innerlich ergötzt, verbeuge ich mich. »Quartiermeister, ich wünsche, daß Sie zuweilen bei mir Schreiberdienste leisten!« »Und Monsieur Madou?« frage ich und deute auf den hagern Kavalier, der neben mir sitzt. »Hat seinen Beruf verfehlt. Leidet zu sehr am Wechselfieber und ist immer krank, wenn ich ihn brauche!« »Und worin bestünden besagte Dienste, Kommandant?« »Im Tagebuchführen. Verstehen Sie, alles, was ich erlebe, und vieles, was ich denke, bringe ich zu Papier. Da ich aber wenig Zeit habe, um es ausführlich zu machen, so sollen Sie hier einspringen. Die vorhandenen Sätze und Gedanken zusammenfassen und weiterspinnen!« »Sehr schmeichelhaft, mein Kommandant. Wenn ich Zeit habe, gerne!« »Also sind wir uns einig? - Garçon, den alten Rum für Monsieur!« Sichtlich taut der eingefrorene Edelmann auf, seine Offiziere merken das sofort, und wie richtige Hofschranzen werden auch 234
sie menschlich, lachen, trinken und stoßen an. Nebenbei bemerkt, bei uns auf den Inseln der Nordsee stößt man nicht vor dem Trinken mit den Gläsern an, es ist dies ein Brauch des Kontinents, den ich aber sehr schätze . . . »Pfeifen und Tabak, Garçon!« Ich schlürfe bedächtig meinen Rum, die anderen halten es mit Champagner. Nun liebe ich dies Getränk auch sehr, seit der Gouverneur mich damit bekannt gemacht, aber ich kann mich schwer hüten, bei der Hitze! Muß klaren Kopf behalten, und den läßt einem der alte Rum, wenn man mäßig bleibt. An Deck machen sie Segelmanöver. Taurollen poltern, ein gedämpfter Befehl schallt. Und das Schiff kielt über, richtet sich dann wieder auf. Nach vorheriger Anmeldung kommt der Nachtpilot, verbeugt sich: »Wir sind über Stag gegangen und halten jetzt mit leichter Fahrt und halber Leinwand die Küste nördlich entlang. Die >Belle Poule< folgt im Kielwasser. An einet Stelle drüben wurden verdächtige Feuer gesichtet, Monsieur!« »Danke, Monsieur! Lassen Sie diesen Kurs beibehalten und möglichst, solange keine starke Brandung steht, eine halbe Meile parallel mit dem Lande. Ununterbrochen loten lassen, und der Zimmermann soll mit seiner Crew bei den Ankern bereit stehen. Die Feuer? Pah, das werden Dschungelindios oder Cimarones sein, die sich einen Affen braten! Nehmen Sie einen Schluck, ehe Sie gehen, Jacques. Und dann wieder an die Pflicht!« »Danke, Kommandant. Auf das Wohl der Herren!« - Er trinkt und verschwindet nach einem Kratzfuß. Und ich mache mir viele Gedanken und finde alles sehr merkwürdig und komisch. »Morgen abend werden wir in den großen Booten einhundertundachtzig Mann ausbringen und die Stadt überraschen. Cartagena! Die Zitadelle ist, wie ich weiß, schwach besetzt. Und deshalb und mit Gottes und unserer guten Waffen Hilfe können wir wohl siegen! Quartiermeister, Sie halten sich an Land dicht bei mir. Damit Ihnen nichts entgeht, das der Überlieferung für die Nachwelt würdig sein mag!« »Sehr wohl, mein Kommandant!« »Hier!« er zieht einen glänzenden Ring vom Finger. »Tragen 235
Sie ihn ! Es klebt kein Blut daran, nur Küsse. Ein Andenken an eine schöne Frau.« Er lacht melodisch. - »Da ich viele derartige Andenken habe, werde ich ihn nicht vermissen. Nehmen Sie ruhig, Mac!« »Liebend gerne! Tausend Dank!« Ich schiebe den dicken Smaragdreif auf meinen kleinen Finger, denke dabei, daß dieser Sieur doch ein großer Schwerenöter sein muß. - Adelita wird Freude an dem Ring haben . . . »Und Monsieur Mac, ehe Sie sich schlafen legen, unterrichten Sie den Proviantmeister und auch den Pater. Morgen in den Spätnachmittagsstunden, ehe wir an Land setzen - so Gott will soll für die Mannschaft nach dem Gebet der Punsch bereit sein. Pro Nase ein Liter! Kräftig gewürzt und kühl. Und nicht zu stark!« - »Zu Ihren Diensten, Kommandant!« »Bon! Und nun wollen wir noch eine Pfeife und einen Umtrunk genießen, ehe wir zur Koje gehen, meine Herren!« Der Junge füllt die Gläser, bringt Nüsse und geröstete, stark gesalzene Maniokkuchen. Der Sieur wird leutselig und macht durchaus kein Geheimnis daraus, daß er, wenn genügend Pieces of eight in seinen Koffern liegen, wieder nach Frankreich zurückkehren will. Draußen kluckert und schwappt die See. Segel knarren. Das Schiff liegt fest auf dem Wasser, nur selten schlingert es sanft. Von der Küste hallt gedämpfte, müde Brandung. Nach einem Umtrunk nehme ich Urlaub und verschwinde aus dieser sonderbaren künstlichen Umgebung. Auf diesem Kahn ist zuviel Mache und das ist Unsinn für ein Piratenschiff. Denn Piraten sind wir, daran ist nichts zu ändern. Der Proviantmeister sitzt noch mit ein paar Freunden, darunter der Padre, beim Wein. Ich richte meinen Auftrag aus, nehme einen Augenblick Platz. Es ist erstickend heiß in der kleinen Kammer, die kein Fenster hat. Tabaksqualm wogt. »Bist du avanciert, Mac?« lacht einer. »Wir greifen die Stadt morgen von der Landseite her an!« verkünde ich. »O lala! Da wird's Tote geben. Und Beute! Leider packen die 236
Kerle sicher wieder das Beste in die Kirche. Merkwürdiger Kauz, unser Chef, der sich Kommandant nennen läßt, statt das alte gemütliche >Käpten< beizubehalten!« »Laß ihn das nicht hören, Brüderchen!« »Fechten und segeln kann er wie nur einer, das muß gesagt sein!« »Und seine Fahrten stehen alle unter einem guten Stern!« »Vive Lussan !« »Wenn er hört, daß du ihn einfach >Lussan< ohne von und zu nennst, läßt er dich kielholen oder entzieht dir den Punsch für drei Wochen!« »Macky, wie ist's? Noch einen Rum?« »Nein, ich habe mein Quantum!« »Du bist klug ! Hast gewiß einen kleinen Teufel oder Succubus engagiert, der dich jedesmal warnt, ehe die grande Besoffenheit kommt!« »Meine lieben Söhne in Christo, ich muß doch dringendst bitten, nicht von Zauberei, Teufelsgunst und -kunst zu sprechen Absolvo te!« brummt der Padre und bekreuzigt sich. »Gute Nacht, Ihr Herren! Unterhaltet euch noch nett!« Mit diesen Worten gehe ich. Muß schlafen. Denn morgen, morgen . .. Ah, ich möchte Adelita wiedersehen. Sie ist schön und klug, fraulich und mütterlich und vielleicht - aber wer kann eine Frau enträtseln, zumal eine, die solches durchgemacht hat? - vielleicht auch gut. Meine Mutter würde es sofort merken. Aber wo ist meine Mutter? . . . Hört ihr die kleinen Wellen draußen gegen den Bord schlagen und den Sog rauschen? Hört ihr das Gekribbel und Knistern der Kakerlaken, die so frech sind, daß sie, weil Trinkwasser immer knapp ist, den Schläfern in den offenstehenden schnarchenden, speichelnassen Mund kriechen . . . ? Vernehmt ihr das leise Ächzen im Gebälk? Ein Helgoländer Pirat, den sein Schicksal zu uns verschlug, hat mir gesagt: »Das ist Klabautermann, der gute Schiffsgeist, der im Raum arbeitet und staut!« . . . Aber haben Raubschiffe denn gute Geister an Bord? . . . 237
G E B E T E U N D PUNSCH
Cartagena ! Du weiße Stadt, am Rande der Spanischen Main, die dich wie ein prächtiger Gürtel aus blauen und grünen Wassern und gelbem Sand schmückend umsäumt! Geheimnisvoll dunkelbunt brütet der Urwald hinter dir, und Berge bewachen ernst und stolz den flammenden Horizont. Cartagena, hüte dich, denn wir kommen und tragen das alte tolle Lied der niegeschlagenen Küstenbrüder von Tortuga in deine engen Gassen! Und statt Gitarrenklang knallen dann Pistolen und Musketen vor den kunstvollen Gitterfenstern, wo jetzt die glutäugigen Schönen spähend herabblicken, den geflüsterten Beteuerungen ihrer Liebhaber lauschen und ihnen die weißen Hände zum Kuß reichen. Wir kommen, wir kommen ganz gewiß! Unsere Schiffe ankern in versteckter winziger Mangrovenbucht, wo das Wasser grün und klar ist. So daß wir auf dem Sandboden unter uns die Seesterne züngeln, Anemonen flattern und märchenhaft bunte Fische hin- und herschießen sehen. Die Kampfgruppe von der »Belle Poule« ist zu uns auf die »Vengeur« gekommen. Hundertachtzig mit Musketen, Pistolen, Cutlaß und Dolch bis an die Zähne bewaffnete, fast nackte Kerle - so stehen wir erwartungsvoll fiebernd an Deck. An der Verschanzung lehnen neidisch jene, die an Bord bleiben müssen. Der Sieur in schwarzbrüniertem Halbküraß, Federnhut, mit hohen Schlappstiefeln, pistolengegürtet, Degen an der Seite, steht auf der Puup. An der Campanjetreppe wurde der Altar aufgebaut mit der Monstranz - wo stammt sie wohl her? - dem Madonnenbild und Kruzifix. Und Leclerc in glitzernder Stola predigt, während ein frommer »Pulveraffe«, im weißen Chorkleid über rotem Kittel, die silberne Weihrauchkapsel schwenkt. Nun knien wir alle, die Kopfbedeckungen in Händen, und machen andächtige Gesichter. Einige - und dies sind die protestantischen Ketzer - grinsen heimlich. Die Predigt dauert nicht lange, was mir und vielen insgeheim 238
recht ist. Denn erst gestern wurde Gottesdienst abgehalten, heute schon wieder, und falls wir die Stadt erobern, nachher in der Kathedrale noch mal. Wie ein »old Hand«, einer der alten Leute, mir zugeflüstert hat. Ist dies ein Piratenschiff, eine Sonntagsschule, oder . . .? Stumm streben wir auseinander, denn nun, nachdem der Padre in seine Kammer gegangen ist, um sich rasch umzuziehen, obliegt er der Punschverteilung, bei der auch die an Bord Bleibenden bedacht werden. Sonst würden sie, trotz des Sieurs, mächtigen Krach schlagen und einfach meutern. Aber der ist ein gewiefter Menschenkenner . . . Der Punsch ist abgekühlt, ist nicht zu süß und nicht zu stark, aber gut gewürzt. Es sind da sogar einige, die sotto voce etwas von »Weibersuff und zahmer Ammenmilch« meckern . . . Zum Trinken bleibt uns eine Viertelstunde, dann geht es gemäß erprobten Manövern reibungslos und rasch in die Boote. Gerade in diesem Augenblick leuchten die Dschungelränder noch einmal wunderbar auf. Und es schweigen die Vogelstimmen. Und wie ein Vorhang fällt die besternte Nacht auf die müde Welt. Der Mond wird erst später kommen. Wenn wir in der Stadt sind, mag er uns leuchten. Vorher nicht! . . .
MISERICORDIA In Kiellinie, die Dollborde umwickelt, damit die Riemen nicht quietschen, steuern menschenvolle, waffenblitzende und leidenschaftsschwere Boote aus der Bucht, gleiten lautlos die Küste entlang. Urwald und Mangroven hängen dunkle Wedel und knorrige Gespenstergestalten ins stille Wasser. Zikaden singen betäubend schrill. Moskitos plagen uns in summenden Schwärmen. Cocuyos funkeln im dunklen Dickicht. Fledermäuse zirkeln, und von den Ruderblättern fließt und tropft es wie grünliches Silbergesträhn und Perlenschnüre. Die Gestirne, die über uns tanzen, 239
brechen sich golden in der Spanischen Main. Und schwere Düfte pressen auf uns. Einmal dröhnen seltsame, furchtbare Stimmen aus dem Dschungel. »Brüllaffen!« flüstert jemand. Die heimliche, herrliche Fahrt dauert nicht lange, es kommt mir vor wie Minuten, und man kann sogar noch die Spieren unserer Schiffe, die den Auftrag haben, uns langsam nach dem Hafen zu folgen, zeitweilig über den schwarzen Waldstreifen ragen sehen. Keine fünfhundert Yards vom Stadtrand steigen wir aus. In jedem Boot bleiben zwei Mann, die einen halben Steinwurf vom Ufer ankern. Vorsichtig ist der Sieur . . . Truppweise hasten wir leise in die blaue, schattenreiche Nacht. Häuser schimmern dort vorne, einzelne Lämpchen glühen. Gitarrenklang! Frauenlachen! Wo die andern Abteilungen geblieben sind, weiß ich nicht. Sie sind verschwunden im blausilbernen Gedämmer. Hinter dem Sieur stolpere ich über Steine, wate durch raschelnden Sand, trete auf spitze Muscheln, und einmal biegen wir scharf links ab, entfernen uns scheinbar von der träumenden Stadt. Trampeln über ein Melonenfeld, dessen Früchte dumpf unter unsern Tritten zerplatzen. Drängen rauschend durch hohes Zuckerrohr. Durchwaten einen sumpfigen Graben, der schrecklich stinkt und violette Dünste aushaucht. Und weiter geht es in immer schnellerem Tempo den weißen Mauern zu. Die Dons halten jetzt ihre Cena, das Abendbrot. Oder verdauen. Eben sah ich oder vermeinte es zu sehen: die zwei Schiffe unter vollen Segeln - da umgeben uns plötzlich Mauern und Häuser. Und es riecht nach Holzrauch und Abfällen und heißem Fett. Still ist's. Der Don pflegt früh schlafen zu gehen, wenn kein Konzert auf der Plaza ist, und die finden nur Donnerstag und Sonntag statt. Das wissen wir alles! Ganz plötzlich geht der Spektakel los! Am andern Stadtende, wo die halbfertige Zitadelle zyklopisch hart am Wasser ragt, knallen Schüsse. Eine Frau steckt den Kopf zur Tür hinaus, entdeckt uns, schreit »Misericordia!« und wirft die Tür wieder zu. Riegel und Schlös240
ser rasseln. Wir lachen alle laut und trampeln weiter der Stadtmitte zu. Der Mond ist eben aufgegangen, und die Nacht schmückt sich mit weichem Goldschein. Einwohner glotzen erstaunt aus den Fenstern, andere rennen schon schreiend vor uns her. »Los diablos de la Tortuga! Die Tortugateufel!« Und »Hussah! Heigho! Vive de Lussan! Vivat Oranje!« brüllen wir, und es knallt nun überall in der Runde, und in den Pausen ist ein lautes Summen wie von aufgestörten Bienenschwärmen. Nur die Zitadelle schweigt. Sind ihre Kanonen eingerostet? Ist die Besatzung besoffen, bei diesen sonst so nüchternen Spaniern! Der Sieur scheint mehr als wir zu wissen, denn er lacht einmal, und ich höre ihn zu Madou sagen : »Pierre wird jetzt mit seiner Abteilung in der Festung sein. Die armen Dons dort haben das Gelbe Fieber und können sich nicht wehren. Und deshalb gehört Cartagena bereits uns!« Eine Trompete schmettert und verstummt wieder, so rasch und abgerissen, als ob dem Bläser eine Hand das Instrument vom Munde weggerissen hätte. Und siehe! Eine rote, eine gelbe und eine grüne Rakete lösen sich von der Zitadelle, schießen im Bogen seewärts zum Himmel. »Jungens, die Festung ist genommen!« brüllt de Lussan, und wir schreien uns heiser vor Begeisterung. Dumpfer Trommelwirbel irgendwo. Nochmals quäkt die Trompete. Schweigt dann endgültig. In den engen Gassen trappeln die Flüchtlinge vor uns her. Huschen Gestalten mit Bündeln und vollen Säcken. Plärren Kinder, fluchen Männer und kreischen Frauen. Donnern Reiter und rollen schwere quietschende Kaleschen. Alles auf der Flucht vor den Tortugateufeln. Auf einmal fängt die Kathedralenglocke dünn zu wimmern an. Ohne Unterlaß! Feuerschein flammt auf, wird immer heller. Starkes Geschieße. Flackernde Glut vor uns wächst blutigrot in die Bläue; untermalt den Himmel rosig. Flammen knistern laut. Dumpf knallen 241
Handgranaten. Und von See her plötzlich eine viele Echos nachziehende, laut rollende Geschützsalve. - Vorläufig, das wissen wir nur, schießen unsere Kanoniere im Bogen über die Stadt weg und wollen den Dons eine große Angreifermacht vortäuschen . . . Bisher war nur unser Trupp noch nicht engagiert, doch da sperrt eine Reihe spanischer Bürgerwehr mit Hellebarden und Pieken die Straße in voller Breite. Lachend, als ginge es zu einem Picknick, stürzen wir auf sie los. Denn im Handgemenge übertrifft niemand die Piraten der Spanischen Main! Stahl schmettert gegen Stahl, Kugeln schrillen, klatschen, und das Brausen der Feuersbrunst wird, da sie Wind erzeugt, immer stärker. Heulend und fauchend flackern die Flammen. »Los, Diabios!« ertönt es wieder, und die Bürgerwehr ist überrannt, zusammengehauen, auseinandergesprengt. Einige stellen sich tot. Und über diese und wirkliche Tote und weggeworfene Waffen und stöhnende Menschen, die am Boden liegen, stürmen wir weiter. Keuchen und schwitzen. La Plaza! In die geöffneten Portale der Kathedrale, der das Licht in breiten Fluten entströmt, eilen Flüchtlinge mit Sack und Pack, Kind und Kegel. Aus einem Hause werden wir lebhaft beschossen und erleiden Verluste. Wütend schlägt eine Anzahl der Unsern gegen die Tür, bricht durch und stürmt ins Innere. Geschrei! Gewinsel und Flüche! Schüsse! Fensterladen prasseln zurück, und wie Fische stürzen ein paar spanische Offiziere in Kopfsprüngen vom flachen Dach auf die Straße. Schlagen dumpf auf. Bleiben still oder stöhnend, sich krümmend liegen. Feuerbrände lodern, schwarzer Qualm, blutigrot bestrahlt, wälzt sich aus einigen Häusern. Zeitweilig ist es taghell um uns, und die Schatten der Rauchbälle winden sich wie schwarze Drachen übers Pflaster vor unsern Füßen. »De Lussan! Tortugas! En avant! Go ahead! Oranje!« Und: »Viva España! Santiago! Mueràn los piratas!« brüllt es antwortend dawider. Der Mann neben mir schlägt hintenüber zu Boden, zappelt verröchelnd, mit einem Armbrustbolzen in der Kehle . . . 242
Abermals eine donnernde rollende Salve von See. Schon ganz dicht am Hafen! »Misericordia!« jammert eine alte Frau und umklammert meine Knie. »Geh nach Hause oder in die Kirche, Madresita. Kein Mensch tut dir was!« beruhige ich sie, aber sie versteht nicht, wälzt sich am Boden und schreit. Dröhnend explodiert ein ganzes Handgranatenbündel vor dem »Palacio municipal« (Stadthaus), wo, wie wir gut wissen, auch die Stadtkasse ist. Der Luftzug der Explosionen zersplittert die schweren Tore, reißt sie aus den Angeln, und mit dem Geschrei: »Pieces of eight! Dublonen!« stürmt eine Schar hinein. Jetzt brennt bereits eine halbe Häuserzeile, denn viele der Bauten sind aus Holz mit täuschendem weißem Kalkbewurf. Aber auch Häuser mit Marmorfassaden und -treppen sind da und ummauerte herrliche Gärten mit Springbrunnen und bunten, jetzt rauchumwirbelten Gewächsen. Katzen und Hunde stieben uns um die Beine. Noch einmal fechten wir einen kurzen harten Strauß gegen etwa hundert Bürgerwehrsoldaten. Aber dem wilden, lachenden Ungestüm der halb- und dreiviertelnackten affenflinken Tortugamänner, die ihre Pistolen und Cutlasse und Beile und Dolche wunderbar zu gebrauchen wissen, halten die überraschten Dons nicht lange stand. Ich fange mir einen am Ohrläppchen heraus - erst muß ich ihm die Pistole aus der Hand schlagen - und frage ihn auf des Sieurs Geheiß nach der Stärke der Besatzung. »O Señor, der Kommandant, die meisten Offiziere und der größte Teil der Soldaten sind am Gelben Fieber gestorben. Die Krankheit sucht unsere Stadt immer schwer heim. Es ist schlimm! Misericordia! Erbarmen, Señores!« . . . Ich gebe ihm einen Schubs, und er rennt davon. Eine Seitengasse verschluckt ihn. Langsam erst, dann plötzlich setzt das Schießen aus. Die überraschten Einwohner, soweit sie nicht in der Kathedrale stecken, sind in Urwald und Ebene geflohen. Immer noch strömen welche in das Gotteshaus, und wir lassen sie, falls es sich um Unbewaff243
nete handelt, ruhig hinein. Jene aber, die dicke Bündel und Kisten schleppen, um auf diese Art in letzter Minute ihre Schätze zu bergen, werden davon erleichtert. Denn, wie ein alter bärtiger Pirat schmunzelt: »Das gibt es nicht! Wir wollen auch leben, Señoras und Señores und Señoritas!« . . . Systematisches Plündern hat längst angefangen, und zwar naturgemäß in den schönsten und vielversprechendsten Häusern und den Lagerschuppen und städtischen Gebäuden. Doch herrscht strenge Manneszucht insofern, als keine Frau belästigt wird, und ununterbrochen marschieren kleine Ordnertrupps durch die Straßen, halten auch gegen den Urwald zu scharfe Wacht. In der Zitadelle werden wirklich nur einige sterbende Soldaten gefunden, die im wörtlichen Sinne ihr Leben an der furchtbaren Plage der Spanischen Main, dem Gelben Fieber, herausvomitieren. Sie werden weggeschafft, und dann wird mit der Festung kurzer Prozeß gemacht, die Kanonen vernagelt und eine Lunte zur vollen Pulverkammer geleitet. Mit Donnergetöse, so daß die Häuser beben und die Echos weit über See und Land brüllen, fliegt das Fort, das erst halbfertig war, teilweise in die Luft. Wir müssen dies tun, da wir nur wenige sind und es nicht riskieren können, daß ein vielleicht im Schutze der Nacht zurückschleichender Donhaufen sich in der Festung festsetzt und uns und unser Schiff bombardiert . . . Rauschend sausen die Ankertrossen aus den Klüsen der »Belle Poule« und der »Vengeur«, die mitten im Hafenbecken liegen. Lustig singen sie an Bord beim Segelbergen, und dann spielt die Musikkapelle des Flaggschiffes einen schmetternden Marsch. Das Triumphgeschrei der Tortugamänner hallt von Land zu Bord und von Bord zu Land und weit hinaus über die See und den stillen Urwald und die Ebene. Von den Einwohnern sind einige Hunderte in der Kirche zurückgeblieben. Dort liegen sie betend auf den Knien. Und vor dem Altar steht der Bischof und fleht Gottes Schutz herab. Ich sah dies, weil ich einen Blick in das Gotteshaus warf. Merkwürdig rasch beruhigen sich übrigens die Dons, als sie hören, wir seien nicht die Crew des von ihnen wie die Hölle ge244
fürchteten Ollonois, sondern des Sieur de Lussan Mannschaften. Auch die ins Freie Geflohenen bekommen Wind von dieser guten Nachricht, und kurz vor Sonnenaufgang nähert sich eine Deputation mit dem Alkalden (Bürgermeister) an der Spitze, der auf blauem Samtkissen die Stadtschlüssel überliefert. Sie bitten um Schonung ihrer Stadt, die ihnen auch von unserm Anführer ohne weiteres zugesagt wird. Und Herolde verkünden sofort, daß es ab Sonnenaufgang bei Todesstrafe verboten sei, zu plündern. Was manchem grimmigen biedern Küstenbruder ein Grinsen entlockt, während er den strotzenden Schnappsack oder die prallen Hosentaschen liebkost. Denn bis die Sonne wirklich aufgeht, ist das Plündern längst beendet. Frauen dürfen ohne ihren Willen nicht belästigt werden! Was wieder ein Grinsen zur Folge hat, weil schon eine Anzahl glutäugiger Doñas und Muchachas mit unsern kräftigen Burschen charmuziert. Anscheinend sind die Damen so erbost, daß ihre Gatten und Beschützer in den Urwald türmten, daß es ihnen eine Wonne ist, jenen hübsche Geweihe aufzusetzen. Daß aber mit de Lussan nicht zu spaßen ist, beweist die sofortige Exekution eines Widersetzlichen. »Monsieur Mac, machen Sie auch Notizen? Werden Sie sich auch alles merken?« fragt mich dieser seltsame Edelkauz wiederholt von Zeit zu Zeit über die Schulter. Wir sitzen nämlich im Stadthause und lassen's uns wohl sein. Dankbare Dons schleppen eine Unmenge Weine und Delikatessen herbei, und zwischendurch verhandelt man kauend, trinkend und rauchend mit dem Bürgermeister, der auch immer einen vollen Humpen hingestellt bekommt, aber anscheinend nicht recht Durst hat, denn er nippt nur. Und verzieht das Gesicht, als das Entsatzgeld für Cartagena auf hunderttausend Pieces of eight festgelegt wird. Verspricht aber, die Summe aufzutreiben, als de Lussan erklärt, daß er es für weniger leider nicht tun könne, da er über zweihundert Leute zu bezahlen habe, daß das Leben teuer sei und dergleichen höflicher Schmus, mit dem der Sieur gut um sich zu werfen versteht. Auch müsse die Stadt unsere Flotte mit bestem Proviant, Früch245
ten, Medikamenten und dreißigtausend Litern Wein in Stückfässern und Oxhöften versehen! Wieder jammert der arme Bürgermeister: »Oh, illustrer Caballero, was sollen wir denn dann trinken? Das Wasser ist schlecht hier und macht krank!« Da lacht de Lussan und tröstet: »Also will ich's bei neunundzwanzigtausend Litern belassen. Dann könnt ihr auskommen, bis der nächste Schub vom Heimatland oder aus Peru kommt, geschätzter Señor Alkalde!« Ich unterdrücke ein Schmunzeln. Eben sagt de Lussan noch: »Und für diesen gelehrten Señor und Historiker, der mein Tagebuch führt, bitte ich um einige Fäßchen alten Jamaica Rums. Den werdet ihr wohl noch haben, obwohl die Flagge Castilias nicht mehr über besagter Insel weht. Was mir insofern leid tut, weil ich sie nun nicht mehr angreifen kann!« »Zugestanden, illustrer Caballero!« verneigt sich der Stadtvater, und ich lache aus vollem Halse und bin hocherfreut über die Rücksicht des Chevaliers auf mich. Da kann ich ja meinen Vorrat daheim hübsch ergänzen und habe auf Jahre hinaus . . . »Señor Alkalde, Sie werden sich bitte mit Seiner Eminenz dem Señor Bischof in Verbindung setzen und das Lösegeld für die unantastbaren Güter der Kirche und diejenigen, die von der Einwohnerschaft dort gelagert wurden, tunlichst bald besprechen. Ich denke, daß wir uns auf weitere hundertzwanzigtausend Pieces of eight einigen könnten. Dazu kommen noch die siebzigtausend Pieces of eight, die wir in der Stadtkasse fanden!«*) »Die drei Karavellen, die im Hafen liegen, sind leider nicht mehr viel wert, aber eine Fahrt bis Tortuga werden sie schon noch aushalten. Also bitte, lassen Sie diese Fahrzeuge mit getrockneten Häuten, Gewürzen und andern netten wertvollen Ausfuhrartikeln randvoll packen!« »Ai, Jesuchristo y Maria! Sie richten uns zugrunde, Caballero!« »Es guerra! Vergessen Sie nicht, daß Krieg ist, werter Señor! *) Man bedenke, daß ein Goldstück in jenen Zeiten ungefähr fünfzehnmal die Kaufkraft besaß, die ein heutiges Goldstück, falls welche im Umlauf sind, hätte.
246
Und haben Sie etwa Anlaß, Klage über meine Leute zu führen?« »Im Gegenteil, die Señores Piratas - Vergebung, ich will sagen : Señores Küstenbrüder, benehmen sich vorbildlich und mit bester Disziplin- Nicht umsonst sind Sie der Anführer. Ah Señor, wenn Sie Ihre Dienste Spanien zur Verfügung stellen würden! Das Goldene Vlies wäre Ihnen sicher! Ich könnte die Sache einleiten!« »Vergessen Sie nicht, daß man gegenüber einem französischen Edelmann diese Sprache nicht führt!« Mit vielen Verbeugungen geht der Alkalde und läßt seinen vollen Humpen stehen, und ich sende ihm ein dröhnendes Gelächter nach. Strafend sieht mich der Sieur an: »Bitte befleißigen Sie sich eines besseren Benehmens, Monsieur Contremaître!« . . . Und am liebsten hätte ich jetzt auch ihn ausgelacht, weil ich alles so grotesk komisch finde, aber dieser auf seinen Versailleston versessene Edelmann würde es gewiß fertigbringen, mich kielholen zu lassen. Weshalb ich schnell meinen Humpen an den Mund setze und meine gefährliche Heiterkeit mit Claret hinabspüle . . . Der Alkalde kehrt in Gesellschaft des beleibten, hochmütig dreinblickenden Bischofs zurück, und der Sieur geht ihnen höflich entgegen, verbeugt sich und küßt dem dicken Kirchenfürsten - bei St. Dunstan will ich's beschwören, wenn ihr's nicht glaubt! - die ringgeschmückte Hand. Und dann schließen sie sich im Amtskabinett des in der Nacht gefallenen Stadtsäckelmeisters ein. Unsere Musikkapelle ist an Land gekommen und konzertiert auf der Plaza, und immer mehr Einwohner kehren aus dem ungastlichen Dschungel zurück und streichen noch ein bißchen scheu durch die Gassen. Die Brände hat man gelöscht. Daß das Gelbe Fieber in Cartagena herrscht, ist uns sehr unlieb, besonders mir, denn ich weiß, wie ansteckend und tödlich es ist. Ich habe schon ganze Schiffscrews, die am frühen Morgen noch fröhlich ihre Rumration tranken, am gleichen Abend vomitierend unter Qualen sich auf den Planken wälzen sehen. Wäh247
rend der Nacht krepierten sie, und ihre Leichen sahen so aus, daß auch die liebevollste Mutter ihren Sprößling nicht mehr erkannt hätte . . . De Lussan, der Alkalde und der Bischof kamen wieder in den großen Saal zurück, und der sauren Miene des hohen Geistlichen nach zu schließen, hatte der höfliche, liebenswürdige, strengfromme Chevalier ihn ganz nett zur Ader gelassen. »Hundertzwanzigtausend Pieces of eight, binnen einer Woche. Während dieser Zeit wollen wir gute Wacht gegen Verrat halten und uns im übrigen trefflich pflegen. Kriegsschiffe sind vorläufig keine zu befürchten!« sagt der Sieur zu uns, als die beiden gegangen sind. Er ruft seinen Adjutanten. Und bald schmettern die Hörner zur Reveille - versteht sich, ohne die Wachen in den Straßen und die Patrouillen am Urwaldrand und auch ohne die Bordkanoniere, die mit glimmenden Lunten hinter den Stückpforten sitzen und auf Ablösung warten. Und nun geschieht wieder ein Stückchen, das mich heut noch an die Stirn greifen läßt. Denn der Sieur läßt uns alle mit Ausnahme der obig Erwähnten antreten, und dann marschieren wir wohlgeordnet, aber blutbespritzt, zerrissen, rauchgeschwärzt und waffenstarrend allesamt in die schöngeschmückte Kathedrale. Wo Seine Eminenz der Bischof von Cartagena eine Messe für uns und für die beiderseitigen Toten zelebriert. Und wir sinken in die Knie und beten fromm oder tun so. Viele beäugen mit heimlichem Weh die prachtvollen Altargeräte und Kostbarkeiten der Kirche. Machtvoll setzt die Orgel ein, und der Chorgesang - denn bei uns an Bord wird er von einer großen Anzahl Küstenbrüdern unter dem Kapellmeister sehr gepflegt - intoniert ein »Gloria in excelsis«, und dann schließt die feierliche Handlung. Die Toten werden begraben. Wir haben deren dreißig und die Dons viel mehr, ich kenne die Zahl nicht genau. Auf der Plaza, vor der Kathedrale, wird das, was in der Nacht von all hands geplündert wurde, auf einen Haufen geschüttet und dann den Artikeln gemäß geteilt. Und großen Jubel löst 248
die Verkündung von der zu erwartenden Höhe des Lösegeldes aus, das, wenn es gekommen, mit den andern Pieces of eight, also der Hauptmasse der Beute, an Bord geteilt werden soll. Auch freut man sich gewaltig über die Ladung der drei Karavellen, denn die Dons haben bereits angefangen zu stauen. Ein armer Halunke von Südfranzose, der eine goldene Kette im Stiefel versteckt hatte und nicht auf den gemeinsamen Haufen werfen wollte, wird ohne Gnade und Barmherzigkeit am Hafenkai aufgeknüpft, als warnendes Beispiel für etwaige andere . . . Jetzt prasseln an Spießen ganze Ochsen, denen man Gänse, Hühner und Ferkel an Stelle der Eingeweide in die Bäuche gestopft, auf dem Marktplatz. Berge von Früchten werden herbeigeschleppt. Markknochen geröstet, denn ohne solche können die französischen Küstenbrüder nicht gut leben . . . Wein fließt in durstige Schlünde, Gitarren schallen. Spanische, holländische, englische und französische Liedchen schmettern und kecke Muchachas - ich finde, die Weiber sind im Kriege und wenn die Sieger kommen, doch überall egal - tanzen mit unseren Burschen, und neidisch warten die Wachen auf Ablösung . . . Ich sitze - der Chevalier ging spazieren, um, wie er sagte, »die schönen Frauen zu besehen«, wobei er mich scheint's als Historiker nicht gebrauchen kann - in einem ledergepolsterten Ohrenstuhl behaglich auf dem Achterdeck der »Vengeur«. Es ist mir sicherer hier als in der Stadt, denn, wie ihr wißt, bin ich eine etwas ängstliche Natur - auch möchte ich nicht das Gelbe Fieber kriegen, das drüben herrscht. Rauche gemächlich Pfeife und trinke schlückchenweise Old Jamaica. Und wem es nicht behagt, daß ich so unermüdlich von dieser Gottesgabe schwärme und mich soviel damit abgebe, der mag diese Historie aus der Hand legen, denn es kommt noch mehr . . . Das blaue Wasser glänzt. Die Reste der Zitadelle sehen uralt und malerisch aus. Häuser schimmern, und drüben tanzen und musizieren die Menschen, und der Dschungel leuchtet grün und braun herüber. Grüne Berge schauen, in Dunst gebadet, stumm auf Cartagena herab . . . 249
ERSTREBENSWERTER ALS . . . Rechts vom Hafen liegt ein breiter, bei jeder Ebbe entblößter Schlickstreifen, mit allerlei Unrat und Abfällen, Skeletten von Hunden und Katzen und Eseln besät, der auch sonst von den Einwohnern als Abfallstätte benützt wird. Ein Paradies der Krabben, ein Brutloch des Gestanks und böser Miasmen. Ich glaube, daß dadurch das Gelbe Fieber so oft in Cartagena wütet. Wunderbarerweise hat mit unserer Ankunft diese furchtbare Krankheit schlagartig aufgehört. Ein herrliches Leben für uns Brüder hat begonnen. Fast alle Einwohner sind zurückgekehrt und sehr zutraulich. Wir werden mit Einladungen und Fiestas überschüttet, aber da wir sehr vorsichtige Leute sind, schlafen wir nachts alle auf unseren Schiffen und gehen überhaupt nur immer drittelweise an Land, die anderen beiden Drittel der Crew bleiben an Bord. Auch sind die Breitseiten stets zum Abfeuern bereit auf das Stadtzentrum gerichtet. Ein kleiner Schnellsegler, den wir im Hafen gefunden, wird von uns bemannt und kreuzt ununterbrochen draußen auf hoher See und an der Küste entlang. Also sind wir gegen unliebsame Überraschungen jeder Art gut vorgesehen. De Lussan verlangt anfangs von mir fertige Manuskriptseiten und ist ungehalten, als er sie nicht bekommt, wird aber wieder freundlich, als ich erkläre, daß ich bei dieser Hitze mit der Arbeit warten wolle, bis wir auf hoher See sind. Pater Leclerc ist der einzige, der nie an Land geht, und wird deswegen weidlich geneckt. Sehnsüchtig schaut er oft hinüber. Ob er sich schämt, weil jedermann weiß, daß er als »Seelsorger und Punschmeister« in unserer wunderbaren Gemeinde fungiert, oder ob er etwas auf dem Kerbholz hat? Quien sabe - wer weiß. Der Bischof will nichts von ihm wissen und hat allen Ernstes de Lussan gebeten, ihm dies »räudige Schaf der Kirche« zur Korrektion und Bußeleistung auszuliefern, aber darauf geht de Lussan trotz aller Frömmigkeit nicht ein. Eine gute Faust führt der Padre, das muß man wohl sagen! Ein vorwitziger Pirat, der ihm neckisch riet, sich doch die Punsch250
sünden von Seiner Eminenz absolvieren zu lassen, bekommt eine derartige ans Kinn, daß er lang auf die Planken schlägt. Und der Padre spricht dann zu dem sich verdutzt Aufrappelnden gütig: »Absolvo te! Ich vergebe dir, mein Sohn. Nun gehe hin und tue Gutes!«, und trinkt behaglich einen großen Humpen Punsch, den er sich in einer Extraterrine für eigenen Gebrauch braut. Oft sitzt er mit dem Chirurgen, der nicht mehr viel zu tun hat, da unsere Wunden schnell heilen, beisammen, und beide philosophieren wunderlich und vertilgen viel Punsch. Eine Menge unserer Burschen hat Liebchen an Land. Der Sieur ist vorbildlich, die Einwohner haben ihn allesamt ins Herz geschlossen. Er wird mit Einladungen und Fiestas überhäuft. Jeden Morgen begibt er sich zur Messe in die Kathedrale, seine Offiziere müssen mit, ob sie wollen oder nicht. Da ich nur Unteroffizier bin, so brauche ich dies nicht zu tun und bin froh deshalb, denn ich finde meinen Glauben weit schöner im Anblick der täglichen Gottesnatur, die über die Spanische Main ihr Füllhorn ausgeschüttet hat. Wir schwelgen in guten Lebensmitteln, die Tage verstreichen wie im Flug. Die drei Karavellen sind bereits bis fast zur Wasserlinie vollgeladen. Auch der Wein wird übernommen und für mich sieben kleine Fäßlein Rum, der die alte Jamaicablume hat. Bis auf das Lösegeld der Stadt, das nur langsam zusammenkommt, denn die Boten müssen weit ins Land reiten, um die Summe von den reichen Plantagenbesitzern des Innern zusammenzutrommeln, sind fast alle Pieces of eight abgeliefert und im Raum der »Vengeur« geborgen. Eines Tages jedoch erhebt sich großes Geschrei an Bord. Man hat schon lange darüber gemunkelt, bis es jetzt zum vollen Ausbruch kam. Es heißt nämlich, daß der Sieur uns seinen Eid brechen und sich mit einer reichen, schönen Dame der höheren Gesellschaft von Cartagena verheiraten und hierbleiben will . . . Hei! da brüllten die guten Bretonen, Normannen, Holländer und Flamen und Iren vor Wut, und einige schweigsame Briten grinsen vielsagend. 251
Eine Deputation, zu deren Führer ich Unglücklicher als Quartiermeister und Mittelsmann zwischen Mannschaft und Kajüte erkoren wurde - weil ich ja auch sein Privatsekretär sei! - wälzt sich nach achtern. De Lussan empfängt uns schnurrbartzwirbelnd. Befiehlt dem Kajütsmoses, die breiten Achterfenster zu öffnen und auch die Tür weit aufzulassen, weil es nach »Schweiß« röche . . . »Was wollt ihr possierlichen Schurken?« ruft er wohlgelaunt. »Mannschaftsrat! Mannschaftsrat, Euer Ehren! Die Statuten sind verletzt!« brüllt es durcheinander. »Ihr seid mir ja eine nette, ungehorsame Hammelherde, meine Herren! Laßt doch einen sprechen, man versteht ja kein Wort, bon Dieu !« »Mac! Mac soll reden!« Er blinzelt mich spöttisch an, hebt langsam einen vollen Champagnerkelch gegen die Sonne, die zum Fenster hereinströmt, ehe er genußreich trinkt. Jetzt fange ich an und beim Heiligen Dunstan! ich mache mechanisch einen Kratzfuß! »Kommandant, die Mannschaft hat mich beauftragt, Ihnen die allgemeine Unzufriedenheit auszudrücken. Man hat gehört, daß Sie die Señora Carmen de los Rios, die Witwe des gefallenen Stadtschatzmeisters, bei der Sie sehr viel verkehren, heiraten und in Cartagena bleiben wollen. Und die Mannschaft, über deren Zucht Sie nicht klagen können, sieht dies als beabsichtigte Desertion, geplanten Eidbruch und grobe Verletzung der Statuten an!« sage ich und denke darüber nach, wann ich wohl gekielholt werde. Hier im Hafen wäre mir's lieber als auf hoher See . . . Durchbohrend betrachtet er uns der Reihe nach. Und einige Burschen treten schon nervös von einem Fuß auf den andern. »So!« spricht er. - »Garçon! Füll mein Glas!« Der Junge gehorcht und wieder trinkt der Sieur, langsam, Schluck für Schluck. »So, also das habt ihr gehört und glaubt's natürlich, ihr plebejischen Hornochsen! Man sollte euch wirklich der Reihe nach kielholen. - Paßt einmal auf, wenn ihr nochmals den Namen der 252
Dame in euren schmutzigen Mäulern herumkaut, so spieße ich jeden einzelnen mit diesem Degen an die Wand. Hört, ihr gehirnlosen Halunken, und merkt gut auf, was euch ein französischer Edelmann, der noch nie sein Wort gebrochen, nun sagt. Wir sind nichts anderes als Piraten, daran mag man drehen und deuteln wie man will. Und ich bin euer Oberpirat und möchte, wie jeder von euch auch, gern auf schnellste und bequemste Art reich werden. Eh bien, ich, hört ihr wohl - ich, le Sieur Ravenau de Lussan, halte die Stellung eines lebendigen Piraten für erstrebenswerter, als die eines toten Schatzmeisters. Denn, glaubt ihr strahlenden Dummköpfe, ihr traurigen Heloten etwa, daß die Spanier mich lange leben ließen, wenn sie mir auch jetzt die schönsten Versprechungen machen? - Die Schiffe wären kaum aus dem Hafen und ich würde schon baumeln! - So, nun habt ihr meinen Standpunkt klipp und klar. Und nun schleunigst raus mit euch. Aber schnell! - Mac bleibt hier, mit ihm habe ich noch zu reden. - Garçon, mein Riechfläschchen, es stinkt hier nach Canaille !« Sie starren ihn an, gucken einer den andern an, dann schreit einer jauchzend: »Hoch unser Kommandant!« Und alle brüllen ihm nach: »Hoch unser Kommandant! Hoch!« »Schon gut! Raus mit euch! Und der Punschmeister soll für all hands einen Extraliter ansetzen und einige Fässer Wein im Kanonenraum aufstellen. Und sagt den andern, daß der Rest des Lösegeldes heut nacht an Bord kommt. - Raus, ihr Brüder!« Sie murmeln und lachen un knuffen sich gegenseitig vor Freude in die Rippen. Und ziehen ab. »Nehmen Sie Platz, Monsieur Mac Donald!« Affektiert öffnet er sein Riechfläschchen, reibt sich die Stirn, besprenkelt sein Seidentuch. »War das richtig, Mac?« »Prachtvoll, Kommandant! Die Kerle fressen Ihnen aus der Hand. Obwohl ich nicht gerne ein >schweißstinkender Plebejer< genannt werde. Bei uns in den Schottenclans stammen viele heute arme und einfache Menschen in direkter Linie, grad wie bei den Iren auch, von alten Königen ab!« 253
Er setzt sich, lacht herzlich, und ich muß sagen, daß ich diesen eingebildeten Versaillesduellisten plötzlich gernhabe. »Garçon, Tür zu. Champagner, Rum, Pfeifen und Tabak. Allez hop!« - Der Junge springt. Und läßt uns dann allein. »Nun, Monsieur le Contremaître und Abkömmling der alten Schottenlairds, was sagen Sie jetzt? Apropos, ehe ich Ihnen etwas zeige, möchte ich ausdrücken, daß ich Sie trotz Ihrer für mich nebelhaften Abkunft, hohoho! für einen Ehrenmann halte, der schweigen kann! - Da!« Er wirft mir ein mit bunten Siegeln behangenes Dokument hin. »Lesen!« . . . Es ist eine in floskelreichem Spanisch abgefaßte Bestallung. Vom Gouverneur der Provinz gesiegelte und unterzeichnete Bestallung für »unsern neuen Stadtsäckelmeister von Cartagena, dem wir wohlgewogen und geneigt sind usw.« Der Name des neuen Beamten steht auch eingefügt und lautet: »El noble SENOR RAVENAU DE LUSSAN, CABALLERO DE LA FRANCIA Y DE LA ESPANA DEL MUNDO NUEVO«. - Ritter von Frankreich und des Spaniens der Neuen Welt . . . Entgeistert lasse ich das Pergament sinken. Er lacht dröhnend. Und ich muß erst einen gehörigen Schluck flüssigen Old-Jamaica-Duft nehmen, um mich zu erholen. Denn ungeheuerlich dünkt mich dieses Dokument . . . »Als Sekretär meiner Privatkorrespondenz muß ich Sie einweihen. Überdies gedenke ich sowieso früher oder später meine Memoiren zu veröffentlichen. - Kennen Sie die Señora Carmen de los Rios?« »Ich habe sie ein- oder zweimal gesehen. Eine wunderschöne und, wie es heißt, steinreiche Señora, deren Gemahl im nächtlichen Kampf gegen uns gefallen ist!« antwortete ich vorsichtig diesem liebenswürdigen und liebenswerten Schwerenöter. »Ganz recht. Reich ist sie, schön wie Helena und eine Dame comme il faut. Nun . . .« Es fällt dem adelsstolzen Mann merklich schwer, weiterzureden. Denn ich bin in seinen Augen nur ein bürgerlicher simpler Quartiermeister und halber Mensch und Abenteurer. Aber er ist 254
eitel wie weiland der schöne Paris und will ja, daß dereinst seine Eroberungen in der Spanischen Main, gleich welcher Art, in europäischen Ländern veröffentlicht werden . . . »Ich bin mit der Dame sehr gut befreundet, und es ist keine Schande, daß sie ihr Herz an mich verloren hat, denn die Lussans sind ein uraltes Geschlecht. Ich gebe Ihnen mein Wort als Edelmann, daß neulich diese Dame zu meinem Erstaunen und nachfolgenden Entsetzen - ohne mein Zutun, verstehen Sie, und wenn Sie voreilig ein Wort davon zur Mannschaft verlauten lassen, so spieße ich Sie wie einen Kapaun auf, Meister Mac! - ohne mein Zutun einen buchstäblichen Fußfall vor mir machte. Eine Dame vor dem Mann! Ist das nicht phantastisch und stellt alle ungeschriebenen Gesetze der Ritterschaft auf den Kopf? Und sie beschwor mich, sie zu heiraten, Geld hätte sie unermeßlich und herrliche Landgüter in der alten und neuen Welt. - Meister Mac, ich war wirklich erschreckt über dieses Vorgehen, das meinen und den üblichen in unseren Kreisen herrschenden Gesellschaftskodex direkt über den Haufen wirft. Und wurde auch sofort mißtrauisch und vorsichtig. Und wenn ich ihr etwa sagen würde, es geht nicht, oder wenn ich direkt sage, daß ich es vorzöge, ein lebender Pirat zu bleiben und so weiter - sie würde sich rächen. Ich kenne diese leidenschaftlichen Spanierinnen! Und ich möchte kein Gift in meine Speisen bekommen. Wäre also, solange wir hier ankern, meines Lebens kaum sicher, es sei denn, daß ich von destilliertem Wasser und rohen Eiern lebte, wozu ich mitnichten Lust habe. Irgendwie würde sie sich rächen! - Ich hielt sie also mit schönen Worten hin. Und sie hat alle Hebel bei ihren mächtigen Freunden und Verwandten in Bewegung gesetzt und erreicht, daß mir dies echte Dokument heute früh zugestellt wurde. - Die Dame ist über jeden Verdacht erhaben, was kleinlichen Verrat anbeträfe, aber kann man der Unterschrift und den Gedanken des Gouverneurs trauen oder seinem eventuellen Nachfolger? Nein! Abgesehen davon, daß mir die Dame nicht unsympathisch sein mag, so wiederhole ich: die Stellung eines lebendigen Piraten 255
halte ich für weit erstrebenswerter als die eines toten Schatzmeisters in Cartagena! Mac, mon ami, heut nacht kommt der Rest der Summe an Bord. Und morgen mittag mit der zweiten Flut und der Brise . . .« »Segeln wir, Kommandant!« »Segeln wir, Monsieur le Contremaítre. - Und vergessen Sie dieses Gespräch nicht in den Aufzeichnungen! - Wissen Sie, was die Dame mir heute früh noch gesagt hat? Damit ich den Klauen meiner Leute entrinnen könne, soll ich mit ihr ins Innere auf eine ihrer Plantagen reiten. Und dann würde man verkünden, daß ein umherstreifendes Spanierpicket oder wilde Indios mich getötet hätten. Dann würde die Flotte absegeln und der neue Schatzmeister von Cartagena sein Amt antreten!« »Und am Galgen zappeln, bis ihm die Luft ausgeht, mit Respekt zu sagen, Chevalier!« »Ja, das dürfte mir wohl früher oder später blühen. Also Strich darunter!« Er seufzt, betrachtet sekundenlang eine an goldener Kette mit Edelsteinen umrandete Frauenminiatur auf seiner Brust. Irgendwie scheint er die Señora Carmen de los Rios doch zu lieben . . . »Quartiermeister Mac Donald, lassen Sie alles vorbereiten für die Abfahrt. Schicken Sie Nachricht auf die >Belle Poule<, und Käpten Greggs soll zu mir kommen. Und Monsieur Roussillon werde ich selber befehlen, die Crews für die drei Karavellen auszusuchen. Auch den Schnellsegler, der ja letzte Nacht binnen kam, nehmen wir mir. - Hei, mit zwei Schiffen zogen wir von Tortuga aus, und mit sechsen kehren wir wieder. Ganz abgesehen von der Ladung und dem Golde. - Auch soll keiner mehr an Land. Und es soll dafür gesorgt werden, daß die letzten Leute, die noch drüben auf Urlaub sind, mit dem Lösegeldtransport unauffällig an Bord kommen. Und - parbleu, wozu sollen wir bis morgen mittag warten? Wir stechen noch mit der Mitternachtsflut oder, genau gesagt, ein Uhr nachts in See. Im Notfall können die Boote uns aus dem windstillen Küstenstreif pullen, falls wider Erwarten der Landwind ausbleibt! Ihr Wohl, Meister Mac!« - Und es trinken sich zu die Auguren. 256
Dann empfehle ich mich, denn nun habe ich alle Hände voll zu tun, ist doch der Posten eines Quartiermeisters keine Sinecure. Kaum bin ich an Deck, als ich schon die silberne Pfeife an die Lippen setze. Schrill auf- und abschwellend klingt das Signal . . . Über den ankernden Schiffen streichen weiße Möwen und braune Geier, und auf den Felsklötzen des Forts, die ins Wasser gestürzt sind, hocken Reihen Pelikane. Eben läutet es von der schönen Kathedrale zum Vespergruß. Cartagena ist eine weiße, goldumflossene Märchenstadt und . . . Adelita, Adelita, ich komme . . .
DIES DER LOHN FÜR DEINE MÜHE Mit Kanonensalut und schmetternder Musik laufen wir im Tortugahafen ein. Ich starre mir die Augen aus, aber niemand ist zu sehen, den ich sehen möchte! Niemand! Keine Adelita. Sie wird mich in der Veranda erwarten . . . Und Esquemelin, den ich so lange nicht mehr gesprochen habe? Die Schiffe des Ollonois liegen binnen. Am Strand quirlt das übliche bunte Treiben. Die weißen Zelte stehen da. Boote voll singender Küstenbrüder und deren Zeitliebchen rudern uns entgegen. Zéphir Barbassous Neger haben soeben meine Kiste, Waffen, Bettzeug, Rumfäßchen und einige Ziegenhautbehälter voll Pieces of eight an Land gepullt. Denn wir haben unterwegs noch einen spanischen Konvoi zersprengt und zwei Galeonen nach wildem Kampf geentert, und das Gold in ihren Bäuchen wurde liebend gerne von uns an Bord genommen und eine der Galeonen mit einer Prisenmannschaft besetzt. Die andre war zu zerschossen. - Sieben Schiffe stark kehren wir heim. Die ganze Landbevölkerung und die Bemannung der ankernden Fahrzeuge ist schier aus dem Häuschen geraten, als wir mit großem Getöse und langen Bannern einfahren. Ich nehme mein Felleisen auf die Schulter, das auch voller Silber257
ingots ist, und gehe zum Sieur in die Kajüte. Er ist strahlender Laune, denn die Aufzeichnungen, die ich ihm geschrieben, fanden seinen vollen Beifall. Er setzte auch bereits seit Tagen, als er erfuhr, daß ich an Land wolle, seine ganze Überredungskunst in Szene, um mich zum Bleiben zu bewegen. Der Junge muß Champagner bringen. Und Pfeifen. »Sie wollen also wirklich abmustern? In der Tat? Gefällt es Ihnen bei uns nicht, Mac Donald, König von Altschottland?« »Ich habe nur für eine Fahrt gemustert und die Artikel unterschrieben, Chevalier. Und habe Sehnsucht nach meiner Hütte, meinen Büchern und . . .« »Der Frau! Kann das verstehen. Aber seien Sie klug, Mac, diese Frauen hier draußen taugen gewöhnlich nicht viel!« »Adelita ist eine Ausnahme!« »Will es Ihnen wünschen, Monsieur. Schade, Sie sind wohlgelitten an Bord, und ich dachte nicht, daß wir uns so bald trennen würden. Aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich. - Prosit! Und denken Sie daran, daß Sie stets wieder willkommen sind!« . . . Nach einer Weile nehme ich Abschied vom Sieur. Und um der Geschichte vorauszugreifen: le Sieur Ravenau de Lussan, der galante fromme Versaillespirat, machte noch einige glückliche Fahrten, gab dann das immerhin blutige Handwerk auf, blieb einige Zeit auf dem französischen Teil der Insel Hispaniola, wo die Stadt Port au Prince entsteht. Besuchte auch die anderen Besitzungen des Heiligen Ludwig in der neuen Welt. Und machte gar viel von sich reden durch seine neuen Liebesabenteuer und Duelle, ehe er heim nach Frankreich fuhr, dort seine Schulden bezahlte und ein dickes amüsantes Buch, »Les Mémoires d'un Pirate« herausgab. - Friede sei mit ihm . . . Ich werfe wieder mein schweres Felleisen auf die Schulter und lasse mich an Land pullen. Komme unerkannt durchs Gedränge und schreite langsam durch den herrlichen Kokoshain. Und eine böse Ahnung plagt mich . . . Sonderbar, warum ist denn niemand auf der Veranda? Und das ganze Haus leer? 258
Ich trete ein, und mein Blick schweift über das gewohnte häusliche Bild. Kein Blumenstrauß! Und überhaupt, alles macht den Eindruck, als wäre lange niemand mehr in der Stube gewesen. »Adelita!« Echolos versiegt mein Ruf. Stille. Klirrend fällt mein Bündel auf den Boden. Endlich! Schritte! Und die kenne ich und die möchte ich nicht hören. Nicht zuerst! »Massah, o Massah!« mit diesen Worten stürzt die alte gute Sarah herein. »Oh, Massah wieder daheim! Dies schwarze Kind gleich zu trinken holen und schön gut Essen kochen. O Massah, o Massah!« - das treue Geschöpf ringt die Hände und Tränen kugeln aus ihren Augen. »Was ist denn los, Sarah? Und wo steckt Adelita?« »O Buckrahmassah, dies schwarze Kind hier ganz unschuldig wie kein Pickaninnibaby. Und Massah sich nicht aufregen. Gut Wein und gut Rum trinken!« »Ja, ja! Aber sag doch endlich, was geschehen ist und wo Adelita hinging!« »Ihr fort. Ganz weg, Massah! Ihr bös Weib! Haben Massah und arm Sarah betrogen!« »Fort?« - Ich fühle, wie mir etwas Eisiges ans Herz greift und mit gleichzeitig dunkler Zorn heiß ins Gehirn springt. »Sprich, schnell und ohne Umstände!« herrsche ich die in Tränen zerfließende Schwarze an. »Ihr gehen fort, mit ander Mann. Und machen all Truhen auf, nehmen all Pieces of eight und Goldstücke und blitzende Stein und küssen und trinken und schlafen in Massahs Bett und saufen viel Wein von Massah und hauen arm Sarah, denn niemand hier, der ihr helfen, Massah Esquemelin erst vorgestern zurückkommen. Ich ihm dann alles erzählen und er Kopf schütteln. - Bös Missy stehlen Massah Geld und sagen Sarah, soll Massah sagen, daß Missy viel Dankeschön sagen, für Gold in Taubenschlag!« Erkenntnis und Wut brachen lichterloh in mir aus. Verraten! Kaltblütig verraten von der, die ich wirklich liebte. Um Geld. Auri sacra fames. Verfluchte Hure! 259
»Wo ist sie!« keuche ich. Erschreckt weicht die Schwarze vor meinem Blick zurück. »Mit Handelsschiff fort, letzte Woche nach Europa. Fort! O Massah!« Plötzlich macht sie kehrt und rennt schluchzend hin und her. Krampfhaft umklammert meine Rechte den Knauf des Cutlaß. Dann untersuche ich die Truhen. Geld und Geschmeide, alles weg. Nur die Kleider, Seide und das Tafelgeschirr haben sie zurückgelassen. Wie gütig von ihnen! Vielleicht war es ihnen zu schwer oder zu umständlich . . . Und, verfluchte Hölle! den rosigen Frauen Bellinis hat man mit Holzkohle Schnurrbarte und noch viel schlimmere »Verzierungen« angemalt. »Sarah, Sarah! Kannst du nicht hören? Sarah!« »Massah !« »Rum! Rum her, sag' ich!« Ängstlich bringt sie die bastumwickelte Pulle. Ich stürze ein Glas hinab und noch eines und immer wieder eines. Und rauche eine Pfeife nach der andern und wandere unermüdlich auf und ab. Mein Gehirn steht zwar in Flammen, aber man denkt doch klar und deutlich dabei. Und wenn ich sie jetzt hier hätte, hier zwischen meinen Fingern! . . . Ich Dummkopf, Trottel, Idiot und liebeskranker Schwächling! Gold und Edelsteine sind weg. Und der Schatz im Taubenschlag sicher auch, ich habe ihr ja davon in meiner Gutmütigkeit erzählt. Und sagte es eben nicht auch Sarah? - Pah, auf den Mammon kann ich gerne verzichten, pfeife darauf. Aber mein Herz, mein Herz . . . Ist's wirklich kein Traum? »He, Sarah!« »Massah !« »Decke den Tisch und die Señora soll das blaue Taftkleid anziehn!« »Oh, nun sein Massah geworden verrückt! Heilige Mutter Gottes! Demabbalah Queddoh!« »Ach so, sie ist ja abgefahren. Mit dem andern. Schon gut, Alte, laß nur!« Ich schreite an ihr vorbei, ins Freie. Eile durch grün260
goldene Haine, wo die bunten Papageien ihre funkelnden, lebenden Ketten durch die Luft ziehen. An prangenden, leiseduftenden Tabakstauden und Zuckerrohrfeldern vorbei, und achte nicht der Worte, die einzelne Pflanzer, die mich erkennen, rufen: »Mac, komm auf einen Punsch! Willkommen, alter Mac!« »Laßt mich zufrieden, ihr Menschen!« Bergan steige ich, erklimme den Felsenpfad. Eine Giftschlange windet sich quer vor mir übers Geröll. Zischt warnend und hebt den Kopf mit bösblickenden starren Augen. Ich schreite einfach über sie hinweg. Nein, sie beißt nicht zu. Ist barmherziger als »Eva«! Ich breche durch Dornengestrüpp höher, und vor mir ragt der graue Gipfel mit dem grauen Gemäuer. Verwitterte Treppen, verfaulte Leitern geht's hinan und dann scheinbar nicht mehr weiter. Doch da hängt ja ein Tortugalasso, sechsfach aus grüner roher eingeweichter Ochsenhaut zusammengedreht. Unzerreißbar! Hand über Hand greife ich mich daran an den Knoten, die jemand in Abständen eingefügt, empor, und der Fuß sucht und findet Stützpunkte im Gefels. Und bin oben auf der kleinen Plattform von Levasseurs zur Ruine gewordenem, »Taubenschlag« genanntem Hauptquartier. In der Runde bläut das Meer. Drüben liegt Hispaniola. Wieder zischt eine Giftschlange. Beiß doch, wenn du willst! Aber sie ringelt weiter. Beißt nicht, heute nicht. Mich nicht! Sie weiß vielleicht, daß eine viel bösere Schlange mich in die Seele stach . . . Und ich stolpere in den Keller, dessen Decke halbeingestürzt das Sonnenlicht breit hereinläßt. In einer dunklen Ecke hängen bündelweise festgekrallt die häutigen schlafenden Fledermäuse. Asseln und große Skolopender krabbeln und winden sich am modrigen Boden. Ein Berg verstaubter, teils zerbrochener Flaschen. Verfaulte, auseinandergefallene Fässer. Und die runde Steinplatte mit dem Ring. Sie haben das Loch aufgelassen und daneben steht noch der Stein, liegt der dicke Prügel, der als Hebel gedient. Die Sonne schleudert grelle Pfeile in das kellerartige Loch. Und da unten liegt der mächtige, an261
geschimmelte, gähnend leere Ochsenhautbehälter. Da schimmelt etwas auf im Strahl der Sonne. Ich lasse mich hinab, starre in den Behälter. Zwei, drei Pieces of eight, die ein verschimmeltes, aufgequollenes, mit Schriftzügen bedecktes Pergament beschweren . . . Ich nehme die Goldstücke, stecke sie mechanisch ein. Halte das Pergament vor die Augen, trete unter den Sonnenstrahl. »Dies der Lohn für deine Mühe, du dummer Mac!« steht da in zierlichen, noch lesbaren Buchstaben. »Dummer Mac!« lache ich, und das Echo dröhnt aus dem alten Gemäuer über mir: »Dumm-Mac-Mac!« Ein Traum - er war wunderschön - ist zerplatzt wie eine schillernde Seifenblase . . . »Sarah, he, Sarah! Rum her!« »Rum Rum Rum her her!« höhnt das Echo. Sarah ist ja unten. Ich bin allein. Allein in dieser Welt! Und spüre die erleichternden Tränen aus meinen Augen quellen. Und schwinge mich müde, wie ein alter Mann, aus dem Loch in den Keller zurück. Steige durch den Taubenschlag auf die Plattform. Gleich einer ungeheuren Schüssel dehnt sich die weite Wasserfläche der Spanischen Main. Blau und smaragden, mit purpurnen und Scharlachreflexen und aufblitzendem Schaum. Hispaniola ist eine Kette bunter, unregelmäßiger Edelsteinbrocken. Nadeldünn stechen die Spieren unserer Schiffe aus dem Hafenbecken über das Grün. Und braun und grau winken Dächer aus den Hainen, und wie Schnee stehen die Häuser der Wasserfront. Und über mir, im glitzernden All, schwebt ein einsamer Seeadler. Wie schön das ist! Auf einmal denke ich milde und froh an mein Häuschen, und mein Blick sucht es. Ein kleines Liedchen - meine Mutter hat mich's gelehrt, als ich auf ihren Knien ritt und als Vater aus der Fehde mit den Mac Gregors nicht mehr heimkam. Längst hatte ich Melodie und Text vergessen, aber eben fiel mir beides, wie ein Stein in einen Teich, ins Gedächtnis zurück. Dies kleine Liedchen summe ich und rutsche dann vom Felsengipfel. Gehe langsam nach Hause. 262
Und unterwegs ist mir, als hätte eine freundliche Hand mich in letzter Sekunde vom Galgen abgeschnitten, und deshalb ist alles auf einmal so schön wie noch nie. So leuchtend verklärt sieht jede Blume, jeder Baum und Busch, jeder Schmetterling und Käfer aus! Wenn die Menschen dir Böses getan, so gehe in die Natur und betrachte sie und atme ihre heilende Luft und freue dich an allem, was dich umgibt. Und du wirst geheilt sein! sprach damals die gute Mutter, als der Vater nicht zurückkam. Ihr Inseln und Wasser und Küsten und Pflanzen der Spanischen Main! Ihr leidenschaftlich blühenden Wundergewächse und ihr Sonnenuntergänge und bunten Tage und goldenen Mondnächte! Wie unsäglich schön seid ihr und wie reich ist derjenige, der euch täglich sehen darf . . . Und Adelita? - Good riddance! Mögen sie beide mit dem geraubten Golde das Glück finden. Aber ich fürchte das Gegenteil. Wer weiß, wieviel Blut an den blanken Stücken klebte und wieviel Flüche und Verwünschungen diese umgeisterten, als sie vor Jahren in Levasseurs Geheimkeller versteckt wurden! Und sah ich nicht mit eigenen Augen am nächtlichen Tortugastrand, wie der Finder des Schatzes von seinem Kumpan umgebracht wurde? Habe ich diesen dann selber doch ins Jenseits geschickt! Und weil ich es nicht wegen des Schatzes, sondern aus anderen Gründen tat, ist der Fluch an mir vorübergegangen und fiel nun auf Adelita und ihren Begleiter, die den Fluch von neuem erweckten, indem sie ihn aus seinem Versteck holten . . . Heute abend will ich mit Freund Olivier schmausen und zechen. Den wunderbaren alten Jamaicarum, der das Herz des Zuckerrohrs und die Seele der Blumen und den Glutkuß der Sonne und das Streicheln der betörenden Mondnächte der Tropen in sich birgt. Und wenn Olivier gegangen ist, so will ich im »Ritter von der traurigen Gestalt« lesen und mich schmunzelnd an diesem und den Abenteuern des dicken Sancho ergötzen, während im Kokos- und Bananenhain die Zikaden musizieren. In der Veranda stehen die sieben Fäßchen. Sarah empfängt mich 263
mit scheuen Blicken, und ich klopfe ihr beruhigend auf die Schulter. »Sarah, morgen wäschst du mit schwacher Seifenlösung die Schnurrbarte und anderen Schweinereien von den Gemälden. Oder tu's lieber gleich! Und geh zu Esquemelin, er soll heut zum Nachtessen kommen. Dann kochst und backst und bratest du und übertriffst dich selbst!« »Und Mädchen auch bringen?« lacht die kluge, raschbegreifende Alte. »Untersteh dich!« Da knickst sie und strahlt übers ganze gute, fette Gesicht. Plötzlich greift sie in die Schürzentasche, macht eine geheimnisvolle Miene. »Massah, Sie damit bös Weibsbild plagen, bis ihr schmerzlich totgehen!« flüstert sie, und es ist mir sekundenlang, als wären plötzlich alle Kleider von ihr abgefallen, und vor mir stände ein nacktes, geheimnisvolles, drohendes Dschu-Dschu Voudouweib im tiefsten Afrika am Ufer eines breiten, schillernden, namenlosen, lautlos zwischen dunklen Urwaldmauern dahinfließenden Stroms. Und als ob ich das Klappern der Negertrommeln zum Tanz der Leopardenmenschen beim Menschenopfer hörte und das schreckliche Dröhnen, wenn behaarte Riesenaffen wutentbrannt ihre mächtigen Pranken rhythmisch auf den eigenen Brustkasten schmettern . . . Die Vision ist vorbei. In Sarahs offener Hand liegt ein Figürchen. Ein roh aus Wachs und allerlei Flitter, Hühnerflaum und andern Dingen zusammengeknetetes Frauenfigürchen. Umwunden von einer blauschwarzen, mir bekannten Haarsträhne. Und dort, wo ungefähr das Herz wäre, steckt eine nadelartige Fischgräte. »Starker Voudouzauber, Massah! Die Mamaloi, die Voudouhexe, hat mir's gemacht. Und solange Grätennadeln drinstecken, wird bös Adelitaweib viel Schmerzen haben und langsam mit viel Schmerzen maustot. Voudou!« »Gib!« Ich nehme das Gebilde, betrachte es und denke dabei tief nach. Vom Voudouzauber aus dem alten Afrika, den die schwarzen Sklaven aus ihrer Heimat mitgebracht, hab' ich hier in der Spanischen Main schon manche Dinge gehört und ge264
sehen, die schrecklich sind und über den Verstand des öffentlich darüber lachenden, innerlich aber sich fürchtenden weißen Mannes gehen. Und ich weiß, wenn ich das Figürchen behalte, das Sarah da von der alten Hexe machen ließ, so wird sicher eintreffen, was sie eben sagte. Aber das will ich nicht. Adelita ist genügend damit gestraft, daß sie ins herzlose kalte Europa reiste und den Fluch, der am Golde hängt, mit sich schleppte . . . Ich nehme das Figürchen, gehe damit in die Kombüse. Werfe es ins Feuer, sehe zu, bis es zerschmolzen und von der Flamme zerstört ist. Sarah ist Olivier holen gegangen. Ich dusche und wechsele die Kleider. Zünde eine Pfeife an und warte. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit - längst schafft die Alte in ihrem Küchenreich - kommt der Erwartete. Schlank, geschniegelt wie immer, sonnenverbrannt, nur die Schläfen etwas grauer als das letzte Mal. Wir umarmen uns. »Bruderherz, fang bitte nicht von ihr an. Ihr, weißt du? Das ist vorbei. Wir wollen tafeln und tüchtig zechen, und hoffentlich kommt, während ich dann schlafe, kein Nachfolger des Kahlkopfs, der einen Quartiermeister sucht. Ich werde mir doch einen Hund anschaffen! - Ja, wir wollen zechen und Abenteuer austauschen. - Hast du die Fäßchen auf der Veranda gesehen? Rum, ganz alter Rum, aus den Gewölben von Cartagena!« »Bist du wirklich geheilt, mein Alter? Ventre Saint gris!« »Siehst und fühlst du's nicht? - Sarah, o Sarah, bring uns eine Pulle mit dem Wein, der schäumt. Hoffentlich haben die beiden nicht allen ausgetrunken! - Und Feigen, Rosinen, Orangen und Mandeln. Dann können wir auf deine kulinarischen Künste warten!« . . . Bald sitzen wir einander gegenüber, und langsam, zwanglos kommt die Unterhaltung, wie es unter guten Freunden üblich, in Fluß, und was wir da einander erzählen, wächst vor unserm geistigen Auge wunderbar bunt empor, und viele, viele Bilder, von unsern Lippen geformt, entstehen, verdämmern, machen andern Platz in unaufhörlicher Reihenfolge. 265
Und einmal sage ich gedankenverloren, zum Erstaunen Esquemelins, zu mir selber halblaut: »Dies ist der Lohn für deine Mühe, du kluger Mac!« . . .
FRANÇOIS L'OLLONOIS Wenn die Palmen rauschen und knistern, Frangipanikelche, gelbe und violettrote Hibiskusblüten zu Boden taumeln, grünumhüllte Kokosnüsse dumpf aufprallen, die Brandung tönt und die weiße Zeltstadt am Hafen tobt - so ist das alles zusammen ein fast ewiges rhythmisches Pulsieren. Die Körner in der Sanduhr der Spanischen Main! . . . Es wird wieder schön und friedlich für mich auf der Insel und in meiner, von kosendem Grün beschatteten Hütte. Während sonst überall, keinen Steinwurf von mir entfernt, der plötzliche Tod ununterbrochen umgeht. Tägliche Diebstähle, allnächtliche Morde, dazwischen die üblichen »Duelle« finden statt. Und ich fühle mich trotz allem so sicher geborgen, als ob ich in der Hosentasche des lieben Gottes säße. Olivier hat mir so lange zugesetzt, bis ich - selber gereizt durch das Unfaßbare, ja, Unirdische, was er mir über den Ollonois erzählte - bei diesem angemustert habe. Allerdings ruht der finstere Mann vorläufig von seinen unbeschreiblichen Taten aus. Er wohnt wie ein Neger oder Indio in einer kleinen Flechtwerkhütte. Inmitten eines Gesamtmobiliars von: zwei Bambussesseln, einem Feldbett, einer Kiste, die als Tisch dient, und einer erklecklichen Anzahl Weinpullen, die sein verschüchterter Negerboy stets gefüllt zu halten hat. Als Beleuchtung dient eine halbe Kokosschale, in der auf Palmöl der Docht schwimmt. So haust er, trinkt, grübelt und brütet finstere Pläne aus gegen die Dons und die Welt im allgemeinen. Wir besuchten ihn an einem Nachmittag. Olivier hatte mich bereits angemeldet und jener mir den Posten eines Sekretärs zugesagt. - Auch dieser Pirat ist von der Sucht besessen, seine Taten aufgezeichnet der Nachwelt zu überlassen, doch fürchten 266
Olivier und ich, daß wir nicht viel Gutes aufschreiben können . . . Tief in Gedanken versunken, sitzt er auf dem einen Rohrstuhl, hat eine Karte der Spanischen Main vor sich und eine geöffnete Rosoliopulle. »Hier sind wir, Mac und ich!« spricht Olivier, und der breitschultrige, mittelgroße Mann, der den behaarten Oberkörper nackt trägt, schaut auf uns und - sind es die greulichen Taten, von denen ich gehört und die ihn gleich einer unsichtbaren Aura umgeben? Oder strahlt er noch dazu irgendeine dunkle Macht aus? Jedenfalls, behaglich ist mir nicht zumute, als ich das dunkle, anormal weit auseinanderstehende Augenpaar auf mich gerichtet sehe und fühle. Und, um wieder bildlich zu reden, ich »purzele im gleichen Moment aus der Hosentasche des lieben Gottes heraus« . . . »Setzt euch, Kameraden!« spricht er tief, und Olivier nimmt den zweiten Sessel, während ich mich auf das Pritschenbett hocke. Nein, sympathisch oder angenehm ist dieser von furchtbarem Nimbus umwitterte Mann nicht. Zu den weit auseinanderstehenden Augen kommt eine Geiernase und diese hängt mit ihrer Spitze wie der Schnabel besagten Raubvogels über den Mund. Ein grausamer, lippenloser, eng zusammengepreßter Mund! Wie ein Schlitz, den Winkel nach unten, in das starke Kinn zu verlaufend*). Abstoßend, abgründig und unheimlich! . . . »Also möchtest du anmustern, Mac?« fragt er in der Lingua Franca. »Ja, wenn du nichts dagegen hast, François!« erwidere ich, halte seinem Basiliskenblick stand und denke dabei an den Kontrast zwischen de Lussan und diesem finsteren Kerl, der keine Miene verzieht, und dessen Blicke schmerzen und einem Rätsel aufgeben . . . »Knabe Hektor, zwei neue Gläser!« - und der Boy springt, als ob er Ameisen und roten Pfeffer im Achtersteven hätte . . . »Mac, du kannst mitkommen. In etwa drei Wochen« - seine *) Auf einem altem, zeitgemäßen Stich ist der Ollonois so abgebildet.
267
Stimme sinkt zu drohendem Zischeln - »haltet ja die Mäuler über das, was ich jetzt sage, sonst holt euch der Satan! - Bon, in drei Wochen also will ich einen Zug nach Mexiko unternehmen. Die Küste von Campeche an der Yucatanhalbinsel mal besuchen. Die Dons dort haben neulich einen halben Sieg errungen, und deshalb ist ihnen der Kamm geschwollen. Das soll sich ändern, sacré!« Nun erst schraubt sein Blick sich von dem meinen los. Heimlich atme ich auf. »Bring dein Schreibzeug mit an Bord. Du giltst als Unteroffizier und entsprechend wird dein Prisenanteil. Als Quartiermeister segelt mein alter. - Schenkt euch ein, Kameraden!« Der Wein - Ollonois führt einen guten Keller - spült ein groß Teil meines Unbehagens weg. Aber irgendein Kontakt, sei es im guten oder bösen Sinne, besteht zwischen uns nicht, und so wird es mit allen Menschen sein. Zwischen dem Ollonois und seinen Leuten gähnt eine große Leere, in deren Tiefen man etwas von den unaussprechlichen Schrecken der Hölle merkt . . . »Seht her!« und er fährt mit dem dicken klobigen Bukanierfinger über die Karte, zeigt uns die Route, die er nehmen will. Auf San Domingo, jenem Seeräuberinselchen, das durch einen Kanal von dem schönen Cuba getrennt ist, soll, ehe die Fahrt nach der mexikanischen Küste weitergeht, Trinkwasser und Proviant eingenommen werden. Er flucht in wilden Ausdrücken über den Gouverneur de la Place, weil dieser ihm keine weiteren Schiffe vermieten möchte. Jetzt hat er nur ein kleines Fahrzeug von jener bei den Küstenbrüdern so beliebten Sorte: wendig, schmal und hochmastig. Ein gutsegelndes, manövrierfähiges Schiff. Mit hohem Vorderund Hinterkastell und die »Hüfte«, wie der Teil dazwischen genannt wird, niedrig geschweift. Auf jeder Seite unter Deck neun lange Kanonen. Auf den Aufbauten an Deck vorne und achtern je eine Drehbasse, um, wenn es nötig ist, auch in Kiellinienrichtung schießen oder, falls das Schiff geentert wird, die Decks bestreichen zu können. »Du bekommst rechtzeitig Bescheid, Mac. - Trinkt aus und ver268
schwindet, sacré!« zischelt er wieder, und seine Augen glitzern wie die einer giftigen Schlange. Er starrt wieder auf seine Seekarte, hängt dunklen Plänen nach. Unseren Abschiedsgruß beachtet er nicht . . . Außer Hörweite sage ich zu Esquemelin: »Ob ich wirklich mit diesem Untier fahre?« »Mordioux, es wird interessant. Du wirst Dinge erleben, die der Aufzeichnung wert sind und dich an der Menschheit im allgemeinen zweifeln lassen, Confrater!« »Beim Sieur war's netter!« »Mac, man muß auch das Furchtbare, Unheimliche erleben, um sich selber zu erkennen und um besser zu werden!« »Als ob ich nicht genug Blut gesehen und gerochen hätte. Pfui Teufel, warum sind die Menschen so verrückt schlecht! Der Tiger oder Panther schlägt seine Beute, weil er Hunger hat. Der Mensch quält den andern mit ausgetüftelten Grausamkeiten!« »Jetzt hast du A gesagt und mußt auch B sagen. Der Ollonois würde dich über den Haufen knallen, wenn du wieder absprängst. Was meinst du, wie viele Burschen auf Tortuga sich darum reißen würden, in seine Mannschaft aufgenommen zu werden?« »Mörder und ähnliche Halunken!« »Auch das geht vorbei, mein Alter. Ventre biche, ich kenne dich gar nicht mehr. Hat die Affäre mit dem Weibsbild dich so mitgenommen?« . . . Er geht zu Monsieur de la Place. Stunden und Tage rollen in die Ewigkeit. Weiter dreht sich das Dasein. Ich vollende meine bisherigen Aufzeichnungen, übertrage sie in Reinschrift. Die Truthahnfeder kratzt. Und will nun weiter wahrheitsgetreu berichten, was inzwischen geschah und wie weiter von Ausgestoßenen hier draußen in der Spanischen Main Weltgeschichte gemacht wird . . .
269
CAMPECHE-BAI Durch die Inseln der Spanischen Main, deren eine immer schöner ist als die andere, die wie facettierte bunte Edelsteine auf dem Wasser funkeln, fahren wir nach dem Felseneiland San Domingo. Gegenüber erstreckt sich der vielfarbene Kamm des großen Cuba. Einundsiebenzig Mann, mit Pierre Nau, genannt François L'Ollonois! Und nie hat das blaue Wasser verwegenere und hängenswürdigere Schufte getragen als die meisten dieser Höllencrew, unter Jolly Roger, der schwarzen Flagge mit Totenschädel und Kreuzbein! Und bisher tat mir jede Stunde leid, die ich hier an Bord zubringen mußte. Als höhnisch verlachter Federfuchser des finsteren, schweigsamen, seine Wut gegen Gott, die Welt und speziell die Dons vorläufig in Fluten roten Weins ersäufenden Käptens. Auf San Domingo haust eine See- und Landräuberbande, die sicher zur Auslese ihres Meisters Satanas gehört. Und in Streitfällen, sogenannten Duellen und brutalen öffentlichen Morden holt sich dieser täglich und nächtlich einen oder zwei als Nachschub für seine Schwefelbande ins flammende Höllenreich . . . Und gar nicht weit, von der Insel nur durch einen natürlichen Kanal getrennt, ragt das schöne Cuba. Der Haupttummelplatz des Montbars, dessen innere Berufung, »die armen Indios zu rächen«, ihn zum furchtbaren, unerbittlichen Feind der Dons, wie sie noch keinen hatten, gemacht hat. - Er ist wieder verschwunden, ins Dunkel zurückgetaucht, aus dem er erstanden. Es gelang ihm nicht, während seines, einem blutroten Meteor gleichenden Lebens hier draußen die Spanier, wie er geschworen, auszurotten, nachdem er wahre Hekatomben von ihnen der Unterwelt dargebracht. Sein Name, der »Ausrotter«, hat einem sanfteren menschlicheren, ihm von den Indios verliehenen, Platz gemacht, der auch in die Geschichte der Spanischen Main einging. Montbars, der Pirat aus Menschenliebe . . . Wir segeln gegen das Goldland des Cortez! Es ist die Zeit der Orkane, die aus dem mexikanischen Golf unvermutet voll töd270
licher Wildheit heraustoben, bis nach Hispaniola und weiter ihre unberechenbaren vernichtenden Wirbellüfte senden*). Und zur schweren Gefahr für die Schiffahrt werden. Manch namenloses Fahrzeug mit namenloser mordender und raubender Mannschaft; manches Orlogschiff und mancher Kauffahrer, der den Klauen der Piraten glücklich entronnen, wurden von einem Hurrican verschluckt, und die Menschen wurden vor Gottes Richtstuhl geschickt . . . Monsieur Robert, der erste Pilot, ist ein Mann, der dem Ollonois als würdiger Handlanger zur Seite steht. Geschworener Todfeind der Dons, gehört er zu den gewaltigsten Zechern, die ich kenne. Und das will etwas heißen, denn in der Spanischen Main gibt es Männer, die trinken können. O lalà! sagt Esquemelin dazu . . . Basseterre, der Zweite, ein Mischling von dem gleichnamigen Ort auf Saint Kitts, ist ein dürres Männchen mit einer Baßstimme. Und der Quartiermeister, »der schöne Louis«, der nur noch einen Arm hat, ist sein Busenfreund. Mir schwant Unheil auf dieser Fahrt. Bin aber froh, daß wir schon so weit gekommen sind und schwerlich noch andere Schiffe als die der Dons treffen können. Denn es ist Tatsache, der Ollonois macht, wenn er grad' Laune hat, keinen Unterschied zwischen Handelsschiffen seines eigenen Landes und englischen oder spanischen. Er plündert sie ebenso gern aus und killt die Crew mit dem gleichen Genuß . . . Ein Glück, daß er mich ziemlich ungeschoren läßt und sich um meine Aufzeichnungen mitnichten kümmert. Nur selten muß ich in die bombastisch und à la Kahlkopf »geschmückte« Kajüte zu einer wilden Becherei, wobei tolle Lieder gesungen und schaurige Taten von Folterungen an Mann, Weib und Kind erzählt und Gott und der Satan im gleichen Atem gelästert werden. Die Mannschaft hängt immer grade so an der Kippe zwischen Nüchternheit und Besoffensein . . . Es ist ein kleines, seetüchtiges Schiff, der »Le Mort«, aber ziem*) Damals waren die nautischen Instrumente primitiv, und es gab keinen Wetterdienst und dergleichen.
271
lich alt und angefault. Alle zwei Stunden müssen die Lenzpumpen in Betrieb gesetzt werden. Ratten und Kakerlaken sind Legion. Ich möchte wissen, wovon die Ratten leben. Sicher fressen sie einander auf und vermehren sich dabei reichlich, da sie viele Würfe hecken. Des Nachts, wenn ich in meinem Verschlag splitternackt zu schlafen versuche, huschen sie pfeifend über meinen Leib, und dem schwarzen Sanson haben sie neulich eine Zehe angefressen. Er war so besoffen, daß er es erst merkte, als die Bestien bereits am Knochen nagten. Der Chirurg, ein tüchtiger Kerl, aber ein übermäßiger Zecher, hat dem Sanson nachher zur Verhütung des schwarzen Brandes den halben Fuß in siedendes Ol getunkt und dann einen Teerverband darüber gemacht. Und heute, nach vier Tagen, läuft dieser unverwüstliche Seeräuber schon wieder herum und klettert ins Want. Ich habe schon mehrmals die Beobachtung gemacht, je primitiver der Mann, desto schmerzunempfindlicher ist er! - Jean Benoit z. B. quetschte sich drei Finger ab. Bedächtig zog er sein Messer und säbelte die drei Gliedstumpfen säuberlich zurecht, ging dann pfeifend zum Sawbones und ließ sich Teer auf die Stummel schmieren und nahm dazu einen tiefen Schluck jungen Rum. Bert Barney, der einem Kameraden ein Goldstück gestohlen hat, wurde auf einem winzigen Sandinselchen, auf dem es weder Grünes, noch Wasser, noch Schatten gibt, mit der üblichen Pulle Wasser, Muskete und Munition maroniert. Er brüllte uns die schrecklichsten Flüche nach, und der Ollonois, seine Offiziere und die halbe Crew machten ihre Glossen dazu und grinsten über die Reling. Bis Eiland und Ausgesetzter, dessen sonnenumflossene Gestalt man noch eine Weile hin- und herlaufen sah, unter den Horizont sanken. Der Elende wird nach zwei Tagen krepiert sein, denn ohne genügend Trinkwasser kann der Mensch in den Tropen nicht lange existieren. Diego Ramirez, ein Mischling, wurde, weil er einen Befehl nicht 272
ausgeführt hatte, fünfmal hintereinander gekielholt. Was dann noch von ihm übrigblieb, bekamen die Haie. Ein nettes Schiff, ja. Was fällt Esquemelin eigentlich ein? Dieser blutige Kahn ist übrigens ein regelrechter Saustall! In der Kajüte sieht's oft aus, daß man das Grausen kriegt und seekrank werden möchte! Und wenn der Hitze wegen, damit sie sich nicht wölben und aus den Nahten springen, die Decksplanken, deren Teer in der Sonne Blasen kocht, nicht mehrmals täglich und auch nachts mit Seewasser begossen würden, so wäre der Schweinekoben fertig. Nur die Waffen hält man in Ordnung! Aber wenn bei diesem Schmutz noch das Gelbe Fieber ausbricht, dann ist's aus mit uns. So segeln wir »sorglos« und doch auf dem Quivive südwärts. Machen um den berüchtigten, aus Untiefen, Sandinseln und Bänken bestehenden Schiffsfriedhof der »Campechebank« einen großen Bogen. Und entgehen so auch den spanischen Wachtschiffen. Der Ollonois und seine Bande fürchten sich zwar auch nicht vor dem größten Orlogschiff. Aber ein Kampf würde uns immerhin Verluste bringen und unsere Chance, die große Stadt San Franzisco de Campeche zu plündern, stark verringern. Und so segeln wir denn gegen Westen, in den warmen herrlichen mexikanischen Golf. Ich versüße mir die Zeit mit den herrlichen Liedern des François Villon. Jenes Vagabunden, der in Frankreich im fünfzehnten Jahrhundert abwechselnd Gast und Poet der Herzöge, Könige und Edlen, der Diebe und Hungernden und auch, nicht zu selten, der Henker und Folterknechte war. Seevögel begleiten uns, setzen sich zum Ausruhen auf Spieren und Rahen. Besudeln alles mit weißem Kot. Zeitweilige Windstille fällt über das stinkende, verwahrloste, von Trunk und Hurenliedern hallende Schiff, und es treibt nur so unendlich schneckenlangsam fort, daß wir stillzuliegen scheinen. Der Golfstrom, der uns wieder hinaus in die offene See jagen könnte, wird vermieden. - Er ist vom leuchtenden Blau des übrigen Wassers mit seiner tiefultramarinen Farbe so scharf wie eine Straße abgegrenzt. Auf öligem Schwall schaukeln wir, torkeln hin und her, auf und 273
nieder, und fern ertönt das Prusten der Delphine, die in glänzenden Reihen dahinschwimmen. Treibgut: Bäume, Zweige und Tang, schwabbeln längsseits. Spitze Rückenfinnen mächtiger Haie folgen im glatten stillen Heckwasser. Mit dem Dreizack gelingt es dem flinken, bärenstarken, einarmigen Quartiermeister Louis, nacheinander sieben Golddelphine oder Goldmakrelen zu Speeren. Es sind prachtvolle messinggelbe und kupfergrün schillernde Tiere von fast Manneslänge. Sobald sie an Deck gezogen sind, erlischt ihr wundervoller Glanz, und sie werden stumpfgrau, mit bleifarbenen Bäuchen. Und wandern in die Pfanne, denn ihre Steaks und Filets munden vorzüglich. Eine Riesenschildkröte wird erspäht, wie sie schlafend auf dem Wasser treibt. Diese Tiere haben ein feines Gehör, und es ist nicht immer möglich, sie im Boot zu beschleichen, um die Harpune in ihre Rückenschalen zu werfen . . . Aber unter den Tortugaleuten sind Kundige! Heißt doch »Tortuga«, aus dem Spanischen übersetzt »Schildkröte«. Unsere Gig rudert vorsichtig bis auf wenige Faden an das schlafende, gepanzerte Ungetüm heran. »Slippytippy«, ein herkulischer Bursche, gleitet lautlos ins Wasser. Er hat ein Tau um die Hüften geschlungen, dessen Ende von der Bootscrew gehalten wird. So schwimmt er geschickt wie ein Fisch, ohne Plätschern, auf die Gepanzerte los, schwingt sich plötzlich über sie und umklammert mit Armen und Beinen das erschreckte Tier. Es gehört viel Geschick und Mut dazu, sonst erhält er von dem strampelnden, um sich schnappenden Geschöpf böse Kratzer oder fürchterliche Bisse. Ein Schildkrötenmaul ist hart wie ein eiserner Schnabel und knackt einen menschlichen Finger oder einen Holzknüppel von vier Zoll Dicke ohne weiteres ab . . . Slippytippy versteht sein Geschäft, und jubelnd wird er samt seiner Beute, wobei er mehrmals nahe am Ertrinken ist, mit großer Mühe ins Boot gezogen. Ein Cutlaßhieb schnellt den Kopf der Schildkröte vom Halse. Noch lebt sie und kann ohne Kopf noch vier Tage leben. Die Schildkrötenfischer schlachten, 274
damit ihnen das Fleisch nicht faul wird, eine solche Beute Stück für Stück, das heißt: am ersten Tage säbeln sie ihr lebendigen Leibes Hals und Kopf ab, am zweiten ein Flossenbein, am dritten wieder eines und so weiter. Das Tier ist so zäh, daß es an den fürchterlichen Verletzungen nicht sterben kann. Und endlich, um sich der Mühe zu entheben, die beiden Panzerhälften zu trennen, wird das Tier auf dem Rücken ins Feuer gelegt und lebendig geröstet. Handelt es sich aber um die minder wohlschmeckende Karettschildkröte, die das kostbare Schildpatt für die Kämme und Bürsten der vornehmen Damen liefert, so wird sie lebendig auf einem Gerüst über heißes Feuer gelegt, oder wenn man einen großen Kessel hat, lebend ins siedende Wasser geworfen, damit man nachher die kostbaren Platten unbeschädigt ablösen kann. Ja, der Mensch ist barmherzig und gut . . . Unsere Beute, eine einfache Schildkröte, liefert herrliche Gerichte, und das grüne Fett ist vorzüglich zum Braten . . . »Bonitos! Bonitos, ahoi !« ruft eines Mittags der Ausguck fröhlich von seinem Hochsitz in der Saling. Voraus, rasch näherkommend, sehen wir das blaue Wasser an unzähligen Stellen quirlen und weiß aufblitzen. Und noch näher fegt das Phänomen, umgibt plötzlich milchig kochend das Schiff. Überall sprüht und blitzt es. Fingerlange Fische prickeln zu Millionen im Wasser, sind auf sinnloser Flucht vor den schönen spindelförmigen Bonitos, die hin- und herschießen, manchmal herausspringen und zurückklatschen und sich an der Beute laben. Der Bonito, der ein Yard lang wird, ist ein guter Speisefisch, er beißt blindlings auf die Angel, wenn ein weißes Läppchen daranhängt und man sie entweder hinter dem Schiff in voller Fahrt nachschleifen läßt oder tüchtig umherzieht. All hands sind wir beim Angeln, und die Beute wird groß. Zum Ärger des menschlichen Schmutzlappens, der sich Koch tituliert. Was aber am besten ist, Bonitoschwärme pflegen nie in windstillen Strichen zu jagen! Und siehe, die Brise kommt! Schickt Katzenpfötchen übers Meer, summt in den Segeln und erfrischt uns die Lungen. 275
»Le Mort legt über Stag«, und nach dem Manöver segeln wir mit prallen Tüchern vorm Winde auf Südwestkurs. Am Abend wird der Kompaßstrich ganz auf Süd gelegt. Ollonois ist trefflicher Laune, soweit man das bei ihm so nennen kann. Die Mannschaft hat hündischen Respekt und abergläubische Angst vor ihm, und die meisten glauben, daß er einen Pakt mit dem Höllenfürsten abgeschlossen hat. Möglich ist alles . . . Hei, wie fängt er an zu fluchen, als die Brise wieder schlafen gehen will! Und wieder bewegt sich die See bei Windstille in glatter öliger Dünung. Die Horizonte werden ein dunstiges Geflimmer und der Himmel ein schwelendes, flammende Glut herabschüttendes Gewölbe. Das Glosen und Flimmern wird stärker, die Dünung bleibt zwar ungekräuselt, wächst aber zu langen, auf- und niederschwankenden, in der ganzen Horizontbreite einherrollenden Bergen. Segel schlagen hin und her, alles klappert und rollt, was nicht festgebunden wurde, und das Schiff selbst gleicht einem Betrunkenen. Des Ollonois schüchterner Negerjunge hängt eine Weile halben Leibes über der Reling - kotzt wie ein Reiher. Ich nehme Zuflucht zu einem Gläschen Old Jamaica aus meinem Privatfäßchen, denn bei dieser tollen, völlig direktionslosen Schaukelei werden auch alte Seeleute krank. Ollonois brüllt Ketten phantastischer Flüche. Robert kratzt alle halbe Stunde am Mizzenmast. So ruft man, nach altem Seefahrerglauben, den Wind herbei . . . Sämtliche Vögel, die bisher das Schiff begleitet haben, sind verschwunden. Eine schlechte Vorbedeutung! Irgendwo tobt ein Orkan. Ob er seine zerstörende rotierende Bahn auf uns zu nimmt! Wahrscheinlich. Nicht umsonst haben sich die »Schneider, Dösköppe, Tropikvögel« und andere Luftsegler nach unbekannten Richtungen verzogen . . . Die gebirgige, von dichtem Urwald umsäumte Campecheküste kann nicht mehr weit sein. Dutzende Augenpaare starren in das violette Flimmern und Dunsten, gen Süden. »Schiff ahoi!« meldet am Nachmittag der Ausguck. Und alles peilt wieder südwärts. Viele klettern ins Want. 276
Der Ollonois späht durchs Teleskop. Meine Augen sind scharf, und ich sehe nach einer Weile das Fahrzeug. Es ist wie ein dunkler Strich, dunstumflossen, vor dem es rhythmisch aufblitzt. »Sacré tonnère!« flucht der Kapitän, springt an Deck und schraubt das lange Fernglas zusammen. »Ein Fischerboot mit drei Indios, die nach Süden paddeln! Land ist nah!« . . . Daß die Fischer uns sichteten, kann übel ausschlagen! Wenn es Donfreunde sind, so ist binnen weniger Stunden der ganze Küstenstrich alarmiert, und die Wachtschiffe gehen auf die Jagd . . . Die böse Laune des Anführers überträgt sich deshalb auf die Crew. Überall sehe ich bittere Mienen. Denkt denn keiner mehr an die Gefahren, die im Schoß der Natur auf uns lauern? Doch tat ich dem Ollonois Unrecht, er ist wirklich ein Seemann comme il faut! Jetzt steht er auf der Puup, gekleidet wie wir alle, in weite Segeltuchhosen, mit nacktem Oberkörper, barfuß oder leichte Alpargatas an den Füßen und die traditionelle rote Nachtmütze der Bukanier auf dem Kopf. Scharf äugt er nach Westen, wo es herkommen wird. Seine Befehle dröhnen, und Robert läuft nach vorne, schrill stößt Louis in seine silberne Pfeife. »Alle Mann Segel bergen! Herunter mit den Stagsegeln und Gasketts! - Bramsegel festmachen! - Binnenklüver und Jager herunter! - Gei auf, Groß-, segel, Fock und Mizzen! - Runter mit der Gaffel!« Der Reihe nach dröhnen die Worte, und da wir eine Menge starker hands sind, dauert das Sturmklarmachen des Schiffes nicht lange. Taktmäßiger Heulchor begleitet die Arbeit. Der Koch zurrt seine Töpfe und Kessel fest, verspundet das Wasserfaß. Im Zwischendeck zurren sie die Geschütze fest. Unter Aufsicht eines ergrauten Kanoniers schaffen die »Pulveraffen« zutiefst in der Kammer, um Fässer und schwere Munition festzutauen. Alles fertig! Es gibt Punsch und kaltes Abendessen. 277
»So, jetzt kann's kommen!« knurrt der Käpten zum Ersten. Der nickt, und der schrumplige Zweite kichert: »Und kommen wird's.« Der Knochensäger stellt sich neben mich und erzählt von einer Gehirntrepanierung. Und spricht die nette Hoffnung aus, bald wieder einen solchen Fall unter die Hände zu bekommen, denn das letzte Mal sei der Mann »leider« draufgegangen, obwohl das Gehirn so schön grau und rosig offen gelegen hätte. Louis klettert eben die Campanjetreppe nach oben und meldet: »Im Raum ist alles fest, François!« Die nachtschwarzen Augen des Ollonois schauen wieder südwärts. Dort hinter den Dünsten muß die Küste liegen, aber lange schaut er nicht in die Richtung, sondern späht jetzt nach Westen. So dumm werden die spanischen Wachtschiffe ja nicht sein, einem Hurrican in die Zähne zu segeln. Überdies ist es fraglich, ob das Kanu schon Land gemacht hat. »Vielleicht bricht der Orkan früh genug aus und ersäuft die braunen Burschen!« wünscht Robert fromm . . . Wenn wir nur nicht so dicht an der Küste wären! Längst müßten wir sie sehen, aber es ist zu dunstig. Von allen Seiten rückt die Kimm heran, und »Le Mort« bockt in der zunehmenden Dünung. Vielleicht hat der Sturm sich schon ausgetobt? Kein Lüftchen weht. Schweiß rieselt uns allen in hellen Bächen über die nackten Oberkörper, die von der Sonne kupferrot gebrannt sind. Alles, was man anfaßt, ist so heiß, daß man ohne Pfanne und Feuer Eier braten könnte. Lange auf einem Fleck stehen tut weh, das heiße Deck brennt durch die Sohlen. Windstille immer noch. Keine Möwe mehr zu sehen. Keine Haie mehr, die das Wasser durchfurchen. Das Schiff schwankt, Rahen klappern, im Raum poltert Klabautermann. Aber auf diesem Kahn wird es wohl der Satan sein. Wenn der Orkan überhaupt kommt, so soll er's bald tun. Dieses Warten ist unerträglich . . . Die Sonne verhängt sich immer mehr mit feurig wallenden 278
Schleiern, die vom Himmel sinken und gleichzeitig aus dem Meer steigen. Dämmerlicht. Der Rudersmann schlägt zwei Glasen. Sechs Uhr nachmittags! Ollonois hat eine Seekarte aufgerollt, starrt, mit dem Finger deutend, auf die Zeichnung. Seltsam fällt die Nacht über Natur und Schiff. Ganz plötzlich, und es ist, als rolle die Dunkelheit gleichzeitig von oben, von unten und allen Seiten heran. Es wird so schwarze Nacht, daß man nur wenige Schritte weit sehen kann. Da Dons nicht zu fürchten sind, werden ein paar Lampen aufgehängt. Kleine gelbe und unruhige Kreise fallen aus den Hornscheiben auf Deck. Noch zwei Mann müssen sich als Reserve ans Ruder stellen, für den Fall, daß der Orkan wie ein plötzlich geschleuderter Stein auf uns niederkracht. »Verfluchter Satan, halt uns nicht zum Narren, sondern komm endlich!« kreischt der Ollonois. Und einige Piraten treten aus dem Lichtschimmer, um sich ungesehen in der Dunkelheit zu bekreuzigen. Denn ist der Schiffer nicht mit der Hölle im Bunde? Und als hätten seine Lästerungen die dunklen Mächte geweckt, so kommt es plötzlich über die schwarze See gestrichen! Ein warmer, erstickender Luftzug. Fernes Brausen und ein langer heulender Pfiff dazwischen. »Laternen weg! - Drei Mann am Ruder zugreifen! - Festhalten! - Es kommt! Juchhei!« so jauchzt der Ollonois aus der Finsternis hinter mir. Wie hoher Tubaton schrillt es näher, und eine blitzende Mauer wächst aus der Schwärze heran, und dann ist's wie Weltuntergang. Brüllen und Zischen, Heulen, Schrillen und dumpfes Donnern, und das Schiff kielt halbüber, bleibt bange Augenblicke in dieser Lage. Richtet sich langsam auf und gewaltige Wassermassen klatschen auf die Planken, rollen über die Decks, und es ist mir, als wären wir untergegangen. An kurzen Tauenden, mit denen ich mich an die Nagelbank des Mizzenmasts festlaschte, schwabble ich jetzt unter Wasser. Was279
ser reißt an mir, ich kämpfe nach Luft, wundere mich schwach, daß das Ersaufen so lange dauert, und merke gar nicht, daß ich den Kopf aus Gischt und Schaum herausstecke. Die Dunkelheit ist von grünlichem Sprühregen geisterhaft erhellt. Wogen donnern, wachsen zu unheimlicher Höhe. Hängen gewölbt überm Schiff, blitzen wie Silber, klatschen wie Gebirge nieder. Und jedesmal ist es, als ob es das letzte Mal wäre. Und so vergehen, ich weiß nicht, ob Viertelstunden oder Stunden. Mir kommt's vor wie ein ganzes Leben . . . Tag! Leuchtender Sonnentag ist's, nun, nachdem der Orkan seine Bahn weitergezogen. In einer Bucht, deren Wasser schmutzigbraun und aufgeregt schäumt, auf einer Barre, sitzt schräg mit dem Achtersteven festgekeilt und sich immer tiefer in den Sand bohrend, das Schiff. Und drüben ist der Urwald, sind die bunten Hügel des sonnenbestrahlten Campechelandes. Kaum eine Kabellänge von der Mangrovenküste, die nur an einer Stelle einen schmalen Sandstreifen hat, sitzt »Le Mort«. Der Sturm flaut zwar rasch ab, aber immer noch donnern die Wogen draußen vor und in die Bucht, erschüttern das entmastete Schiff jedesmal, und gelber Gischt spritzt in unsere Gesichter. Lange halten die Planken solche Rammstöße nicht aus. Von den Booten ist nur noch das große Langboot da. Die untern Räume stehen unter Wasser. Von der Crew sind welche unter Deck ertrunken, andere wurden über Bord gespült, als jener furchtbare Stoß uns festsetzte und die Masten über die Seite schlug und ein Wall glitzernden Wassers sich mit betäubendem Donnern auf das verlorene Schiff herabstürzte. Heut vormittag gegen acht Uhr mag's gewesen sein. Einundsiebzig Mann sind wir von Tortuga ausgesegelt und sind heute noch dreiunddreißig. Die anderen hat der von Ollonois »heraufbeschworene« Höllenfürst zu sich geholt . . . Olivier, mein Alter, du hast mich zur größten Dummheit meines Lebens verleitet! Und noch - ich ahne es deutlich - ist nicht alles vorüber. Schlimmes steht uns noch bevor, das spüre ich in meinen Gliedern, ich müßte sonst kein Bergschotte sein . . . 280
Vorerst heißt es so rasch wie nur möglich an Land zu kommen, ehe die zitternden Planken unter unseren Füßen auseinanderfallen. Von den Piloten ist der zweite nachts über Bord gegangen und ertrunken. Der Quartiermeister Louis hat seinen einzigen Arm gebrochen. Im Zwischendeck, bei den Pulveraffen und Kanonieren, ist sicher auch der Chirurg mit diesen umgekommen, denn als der Orkan seinen Höhepunkt erreicht hatte, ging Sawbones unter Deck. Sämtlicher Proviant ist unerreichbar unter zehn Fuß Wasser oder noch tiefer unten im Raum. Desgleichen die Trinkwasserfäßchen. Der Tagesproviant, der an Deck und in der Kombüse war, ist weggespült oder verdorben. Die Musketen und Pistolen und andere Handwaffen, die rund um die Masten in Gestellen hingen, liegen jetzt im Ozean. Ollonois sucht die besten Taucher aus, und ihnen verdanken wir, daß jeder von uns einen Cutlaß und einige auch Dolche und Enterbeile aus den überschwemmten Räumen bekommen. Zwar steht eine schwere See in der flachen Bucht, und deshalb wird das festsitzende Schiff bald zersplittert und auseinandergerissen sein, aber es kann nicht allzu gefährlich sein, im Langboot, auch wenn es übervoll von Menschen steckt, die Küste zu erreichen, an der keine richtige Brandung herrscht, weil die Klippen fehlen. Was sollen wir denn auf dem Schiff, gesetzt den Fall, es hielte noch einen Tag zusammen, anfangen? »Le Mort« ist ein totales Wrack und wird nie wieder in die Spanische Main stechen. Schon peinigt uns der Durst. »Maaten, wir fahren an Land und suchen Wasser. Campeche kann meiner Berechnung nach nicht weit sein. Und wenn wir unseren Durst gelöscht und ein paar Früchte gekaut haben, marschieren wir nach der Stadt. Merde! Wenn wir sie auch nicht einnehmen können, so muß es uns doch gelingen, eine ankernde Karavelle oder einen Schnellsegler zu entern. Und dann fahren wir vorerst mal nach Tortuga zurück. - Und kommen wieder! Beim Satan!« spricht der Ollonois, und ein häßliches Lachen überfliegt sein Gesicht. 281
»Das wollen wir! Du hast recht! Wir fürchten uns vor tausend Dons nicht, nom de Dieu. - He, wo sind sie? Führ uns, François!« schreit die Mannschaft. Und wir machen uns daran, das Boot im Lee, mit dem Schiff zwischen uns und den Brechern, auszusetzen. Es gelingt. »Runter mit euch!« befiehlt er, und hurtig wie Affen rutschen wir hinab in das schwankende, tiefeintauchende Fahrzeug. Zehn Mann nehmen die Riemen zur Hand. Der Quartiermeister wird in einer Schlinge, in die ein guter Pahlsteekknoten geknüpft war, wie ein Bündel hinabgefiert. Ollonois und Robert sind die letzten. »Pullt!« Ruderblätter dippen ins wilde Wasser, und sofort nimmt uns der Kamm des nächsten Brechers auf seinen Rücken. Wasser schlägt ins Boot und einige von uns schöpfen wie besessen. Das Boot ist weit über seine Tragfähigkeit mit Menschen beladen, und es schießt stampfend, mit Windeseile dem glücklicherweise nahen Strand zu. In diesem Boot sitzen und hocken und liegen wie die Heringe in der Pökelsonne fast drei Dutzend wilder, bärtiger Kerle. Jeder trägt nur eine Segeltuchhose und eine Nachtmütze. Am Gürtel hängt der Cutlaß, stecken bei einigen auch Messer und Enterbeile. Das Schicksal will nicht, daß wir ersaufen. Die Piraten lachen und scherzen bei der kurzen gefährlichen Fahrt, als ob es zur Hochzeit ginge. Und der Ollonois steht im Heck, führt das Steuer und macht sein übliches abgründiges Gesicht. So fahren wir durch zischendes Wasser und erreichen den Strand. Springen bis an die Hüften in den Sog und schieben unser Fahrzeug mit lautem »Hoihe ! Hoihe !« weiter hinauf, aus dem Bereich der nachwühlenden Wogen. Einige wollen gleich mit dürrem Holz Feuer anzünden. »Wozu? Seid ihr verrückt? Was wollt ihr braten, ihr blöden Affen?« schreit Ollonois. Andere gedenken planlos ins Dickicht, die grüne, mit scheckigen Lianen festonierte Dschungel zu rennen. Lachend wie Kinder auf dem Ferienausflug. Ein Pfiff ruft sie zurück, und alle versammeln wir uns um den Anführer. 282
»Keiner verläßt ohne Auftrag die andern ! - Du, Pierre, und du, Jean, ihr geht in den Dschungel, lugt nach Wasser und Früchten. Geht aber nur so weit, wie ihr das Meer noch hören könnt, sonst seid ihr in der Wildnis verloren. - Sacré! Du, Baptiste und René, ihr versucht das gleiche Manöver etwas weiter unten an der Küste, und Hieronymus und Jack versuchen dasselbe steuerbords oben an der Küste. Wir anderen warten. Und macht keinen Radau, haltet die dreckigen Schnauzen, sonst stopfe ich sie euch mit Stahl, ihr Kindsköpfe!« Einer mault: »Verdammt, da soll doch . . .« Seine Worte werden zerschnitten von einem wie vom Himmel herabfallenden scharfen spanischen Kommando: »Adelante, muchachos!« . . . Eine Musketensalve kracht. Auf brüllend sinken einige von uns tot oder schwer verletzt auf den Sand. Aus dem Dschungel brechen, von einem Capitan in Halbküraß angeführt, dichte Reihen spanischer Infanterie. In gelben Pumphosen, roten Wämsern, Brustharnischen, Bundschuhen und Wollstrümpfen, und auf dem Kopf Eisenhauben. Spieße und Hellebarden in den Fäusten. »Verflucht! Der Fischer hat uns verraten!« schreit Ollonois. »Standhalten, Maaten! Zusammenbleiben! Gebt's ihnen, den spanischen Hunden! Drescht ihnen auf die Köpfe, mit Beil und Cutlaß. Spießt sie in die Kaldaunen!« »Perros! Hunde! Salvajes! Wilde! Ladrones de Tortugas! Tortugaräuber!« brüllen die Dons und avancieren wie eine furchtbare Maschine. Im Rücken haben wir das Meer. Die Sonne steht über dem Dschungel, blendet uns daher. In weiter Halbmondordnung, die Glieder gestaffelt, marschiert die weltberühmte spanische Infanterie drohend auf uns los. Während hinter ihnen Musketiere aus dem Urwald kommen und ihre piecen laden. Das ist das Ende! Jetzt sind die Dons dicht vor uns, man sieht das Weiße und rötlichgeflammte Gelbe ihrer Augäpfel. Aber wer da glaubt, daß diese aus vielen Kriegen disziplinierte und furchtbare, gelbrot283
gelb gekleidete Kriegsmaschine einfach über uns hinwegmarschieren kann, der kennt nicht die mit jeglicher Waffe und allen Schlichen, Finten und Toccados bekannten, flinken, ausdauernden und ebenfalls furchtbaren Brüder der Küste! Klirrend schlagen Piken gegen Cutlasse. Enterbeile dröhnen auf Brustharnische. Ein Stöhnen und Fluchen, schluchzendes Weinen. Todesschreie und Wutgebrüll und über allem die mächtige Stimme eines riesigen Piraten, der wie ein Berserker wütet. Und wie der Wasserstrahl gegen die starre Klippe braust und zerteilt wird, so fluten die Dons, denen das Meer seitwärts von uns ebenfalls Halt gebietet, von ihrem eigenen Anprall taumelnd, rückwärts. - Stumm liegen die Toten, jammernd krümmen sich die Verwundeten, unflätig lästern die Sterbenden oder rufen nach einem Priester. Unerschüttert, wenn auch zusammengeschmolzen, steht unser kleiner Haufen da. Und wir lachen wild wie Verrückte, lachen wie Männer, die des Todes gewiß sind. Necken die sich verschnaufenden Dons, rufen ihnen zu, sich zu ihren Weibern zu scheren, die derweilen ihnen mit Hilfe von Negersklaven tüchtige Geweihe und Hörner aufsetzen! - Und einige von uns, denen die Segeltuchhosen zerrissen heruntergefallen sind, drehen den Spaniern die Kehrseite zu und klatschen sich jauchzend auf den Achtersteven. Die Augen der spanischen Soldados funkeln wütend, schwarze Schnurrbarte zucken. »Adelante, mis valientes!« und zum zweitenmal schiebt sich die menschliche Kriegswalze heran, um nach wenigen Minuten, die vom Gerassel der Waffen und dem Geschrei der Kämpfenden und Sterbenden erfüllt sind, wieder zurückzufallen. Und der Leichenhaufen zwischen beiden Parteien kann schon als Bastion von uns benützt werden. Gleich vielen anderen habe ich mich hingeworfen, mehrere schwere Körper fallen auf mich, warmes Blut fließt über meinen nackten Rücken und über den Hals. Es ist nicht mein Blut. Und fließt, fließt, plätschert förmlich, wie ich mir einbilde. Warum stehen die Kerle, deren Last so schwer auf mir ruht, nicht 284
wieder auf? St. Dunstan, was ist los, bin ich schon im Himmel? »Santiago !« höre ich eben wieder und dann Klirren und Stampfen. Ein schriller Todesschrei peitscht, und wieder fällt eine schwere Last auf die andern, die mich schon zu Boden quetschen. Bäuchlings liege ich und schnappe nach Luft, höre den Lärm über mir. Und da gibt mir die Verzweiflung einen schlauen Gedanken ein. - Liegenbleiben! Stell dich tot, alter Mac! Und bleibe liegen. Sorge dafür, daß auch mein Gesicht und die Brust etwas von dem jetzt spärlicher fließenden Blutregen über mir abkriegen, reibe noch, so gut ich mich rühren kann, Sand in den Brei. Und lausche. Sie kämpfen noch. Ich höre das Hohngeschrei meiner Kameraden und den Stampfschritt der Soldados. Und dann wird es ziemlich dunkel, ich kann nichts mehr sehen, weil durch erneute Lasten, die auf den Leichenhaufen sinken, mein Gesicht in den blutigen Dreck gepreßt wird. Mein Glück vielleicht! Dann - mich dünkt es Ewigkeiten - wird es still. Lange, lange Stille. Oder träume ich? Ein Stöhnen irgendwo. Und plötzlich spanische Kommandos: »Durchsucht die Hunde! Und alle Verwundeten abtun. Macht schnell, meine Frau wartet mit dem Abendessen auf mich!« »Die Schurken haben wie die Löwen gekämpft. Der Coronel wird fluchen, wenn wir nur dreiviertel der Truppe zurückbringen!« Schritte! Klirren. Wieder ein Stöhnen, das abbricht. »Werft die Piratenwaffen ins Meer. Unseren Gefallenen die Brustpanzer, Helme, Waffen und Lederzeug abnehmen. Soviel als möglich davon mitnehmen.- Caramba, jetzt könnten wir einige Mulas gebrauchen! Caray!« Ein Zerren über mir. Jemand schnauft, und eine spanische Stimme murmelt: »Estos perros son muy pesantes ! Diese Hunde sind sehr schwer!« Sonnenlicht dringt in meine bis auf schmale Spalte zugekniffenen Lider. Das Gewicht auf mir wird geringer. Ich liege auf dem Bauch, rühre mich nicht, bleibe schlaff und halte den Atem an. Meine Seele winselt zu Gott um Gnade. 285
»Dios! Der sieht aus! Lauter Blut!« Eine Hand führt erst in meine linke, dann in die rechte Hosentasche. Enttäuscht brummt dann die Stimme: »Armseliger Picaro! Keinen lumpigen Maravedi in den Taschen. Dreckiges Lausevolk! Sohn von sieben Huren! Hijo de siete putas!« Die Schritte entfernen sich. Andere kommen und gehen. Kommandos. Und ich bleibe still und glücklich liegen. »Der schuftige Olonese soll dabei sein! Pedrillo, du sagtest, daß du ihn kennst? Ist er dabei?« »Si Señor! Jener Riesenkerl dort, mit dem roten Haar ist's, der die vielen Pikenstiche hat!« antwortet der Gefragte, und ich denke dabei, daß Pedrillos Personenkenntnis nicht sehr groß ist. Aber mir hilft seine Dummheit, denn je eher sie den Ollonois gefunden haben, desto schneller werden sie wohl abziehen. »Schneidet dem Teufelsvieh den Kopf ab. Der soll auf der Plaza ausgestellt werden!« befiehlt die erste Stimme wieder. Jemand singt halblaut einen Zweizeiler von den Mädchen Sevillas, und ein anderer flucht über die Hitze. Dann wieder die Meldung eines vermutlichen Unteroffiziers: »Señor Capitan, die toten Schurken haben alle nichts in den Taschen! Sollen wir sie ins Meer schmeißen, Señor?« »Wozu! Mil demonios, sollen unsere braven Burschen auch noch Totengräberarbeit machen? Laßt die Schweinebestien liegen. Caramba, die Uferkrabben und die Aasgeier - dort sitzen sie schon auf den Ästen am Waldrand - machen bald ganze Arbeit!« »Seid ihr fertig, da drüben? Sind die Unsern alle bestattet?« »Si, si, mi teniente! Der Sandboden ist weich, es geht rasch!« »Also laßt antreten, Sargento Miguel! Wir haben einen fünfstündigen Marsch vor uns, und meine Frau würde böse sein, wenn der Braten anbrennt!« »Réunion! Vergatterung!« brüllt die scharfe Stimme. Ein schriller Trompetenstoß. Murmeln. Trampeln und Klirren. Dann Stille. Nur das Brausen des Meeres. »In offenen Gliedern, ohne Tritt marschieren! Marsch!« Trampeln, Klirren, Sandknirschen, Lederzeug quietscht. Leiser und 286
noch leiser. Stille. O herrliche, wundervolle, süße Stille, in die nur das Meer plaudert und singt. Freiheit! Ich bleibe liegen. Fühle, wie die Sonne durch das geronnene Blut auf meinem Rücken brennt. Bin halb oder dreiviertel verschmachtet. Die Zunge klebt mir am Gaumen fest, ist schrumplig, ledrig, und das Schlucken kostet große Mühe. Auch ist mein Mund voll Sand. Fliegen summen und stechen. Wenn ich jetzt Wasser hätte! Wasser, das die meisten von uns Tortugamännern nur zum Waschen nehmen. Doch gibt es auch solche, die sich nie waschen und infolgedessen Wasser höchstens zum Kochen brauchen. Gegen einen Becher voll Wasser würde ich jetzt sämtliche Pieces of eight in der Welt hergeben, ganz abgesehen von Old Jamaica Rum. Das Meer rauscht in der Bucht. Schönere Musik hab' ich nie gehört! Die Fliegen kitzeln in meinen Ohren, eine sticht mich in die linke Hüfte. Liegenbleiben, Mac! Und nicht mit der Wimper zucken! Die Dons müssen zwar schon im Urwald verschwunden sein, doch kann man nie wissen . . . Heiß ist die Luft und stinkt süßlich, wie in einem Schlachthof oder einer Abdeckerei. Ein Sausen nähert sich in der Luft über mir. Tönend fallen Aasgeier herab. Ich höre sie hüpfen, höre, wie sie das Gefieder plustern. Vernehme auch das Wetzen ihrer Schnäbel. Rieche ihre üble Ausdünstung, und dann höre ich auf einmal, wie scharfe Klauen und Schnäbel in pralle Haut und pralles, nun totes Fleisch hacken. Spüre an den schwirrenden Sandkörnchen und am penetranten Gestank, daß einer oder mehrere sich mir nähern. Schiele nach rechts, sehe auch seine Klauen und die federnbehosten Beine. Mehr wage ich nicht zu erblicken, muß unbeweglich liegenbleiben. Denn, traue du den Dons . . . Wieder saust es in den Lüften. Fegend klatscht Sand auf meinen von der Hose noch bedeckten Achtersteven und dann - bäume 287
ich mich fluchend hoch, denn ein scharfer Schnabelhieb hat sich soeben in meinen nackten Rücken gebohrt. Der Geier hüpft von mir hinab, hockt nun neben mir, blinzelt mich an und wartet ungeduldig auf meinen Tod. Solange ich mich bewegen kann, wird er mir nichts mehr tun. Vorsichtig hebe ich den Kopf und spähe nach dem Urwaldrand. Kein Don mehr dort. Gerettet! Blau und silbern blitzt draußen das Meer, während es in der Bucht bräunlich wogt. Blau und golden ist der reine Himmel, und aus dem grünen schweigenden Dschungel stechen grellbunte Farben! Dutzende Aasgeier balgen sich drei Schritt von mir um die Toten, deren Leiber von den Schnäbeln bereits gräßlich zugerichtet sind. Und . . . Blendwerk des Satans! Oder ist er's selber? - Ist's wirklich wahr, hat der Teufel ihn zurückgebracht, damit er sein finsteres, ihm vorbestimmtes Erdenschicksal vollende? Dort unter den Leichen steht, wankend und fast nackt, mit Blut, Dreck und Wunden bedeckt, der Ollonois . . .*) Mit einem Satz bin ich auf den Füßen. Durch das Geräusch schnellt er herum. »Ah, Mac! Sacré, wir sind die einzigen!« knurrt er und torkelt näher. Hoch im Zenit steht die Sonne, und unsere Schatten sind ganz kurze violettgrelle Stumpen auf dem Sande. Unbekümmert halten die Geier ihr Mahl. Einigen hängen blaurote Eingeweide gleich gräßlichen Schnüren schillernd um die Hälse. Und es stinkt entsetzlich, der leere Magen will sich umdrehen. Jedes Rülpsen kostet der ausgetrockneten Kehle unerträgliche Schmerzen. - »Wasser!« krächze ich. »Ja, das will ich auch! Komm!« und hinter ihm her taumele ich ungläubig und halb verzweifelt dem Urwald zu. »Bist du verwundet?« fragt er. »Nein. Ich ließ mich fallen. Bei der ersten Salve, weißt du. Und ein paar andere wurden getroffen und purzelten auf mich. Da blieb ich liegen!« *) Historisch
288
»Ähnlich tat ich, nur stand ich wieder auf und kämpfte bis gegen Schluß. Dann stellte ich mich tot. Denn, beim Satan! Ich habe gegen die Dons noch eine schwere Rechnung stehen. Haha, ich kroch unter den Totenwall, und die spanischen Dummköpfe hielten den großen Cornelius für mich! Merde! Seinen Kopf haben sie mitgenommen. Und bei der Hölle schwör ich's, sie sollen den Ollonois noch besser kennenlernen!« Er wankt, setzt sich dann ausruhend auf den heißen Sand, deutet auf seine Wunden. Ich torkele zurück, wo die Toten liegen, finde noch einige Fetzen, mit denen ich dann zwei der am stärksten blutenden Wunden verbinde. Wir kriechen weiter. Der feuchte duftende Urwald nimmt uns auf, zerkratzt uns böse. Wasser! Wasser! Ich spähe nach Früchten. Da sagt eben der Ollonois : »Hier ist Milch!« »Was?« »Na klar, Fichtre! Herrliche Leche! Bleib, mir ist besser geworden, seit das Blut gestaut ist. Ich hole ein Messer, sonst können wir die Milch nicht melken. Glotz nicht so, du Affensteiß. Ich bin nicht verrückt!« Verwundert sehe ich, wie er kehrt macht und nach dem Strand läuft, ins flache Wasser watet und darin herumkrebst. Plötzlich hat er eine blitzende Klinge in der Hand. Und kommt, den Cutlaß schwingend, im Zickzacklauf zurückgetaumelt. Zeigt auf eine armdicke, dunkelrot und grün gescheckte Liane, die von einem hundertfußhohen, mit roten und gelben Blumen übersponnenen Baume gleich einer Riesenschlange herabringelt. »La liana de la vaca! Die Kuhliane!« sagt er. »Da, sauf, Maat!« und schlägt mit der Klinge die Liane entzwei. Hält mir das herabbaumelnde Ende entgegen, aus dem ein dicker Strahl wie weiße Milch läuft. Und ich trinke und sehe aus freudetränenden Augen, wie er sich eine andere Liane zurichtet. Es schmeckt herrlich. Viel besser als Milch! Süßlich und erfrischend, nur ein bißchen klebrig. 289
»In Costarica gibt's viele von diesen Kuhlianen. Dort habe ich sie kennengelernt!« brummt er nach einer Weile, als wir satt sind. Ich fühle mich wie neugeboren. »Wir brauchen Kleider, Gottverdammuns! Müssen sie den eingebuddelten Dons ausziehen. Schade, es sind Uniformen, obwohl das sich günstig auswirken könnte. Wenn man schlau ist und der Satan uns hilft!« »Wieso?« »Sacré, wir ziehen uns die militaristischen Lumpen an und wandern nach Campeche. Hast ja gehört, wie der Capitan sagte, es wären fünf Stunden. Es ist 'ne ansehnliche Stadt, und in der Dunkelheit fallen wir nicht auf. Werden wohl im Hafen 'ne Barke oder dergleichen finden. Und dann segeln wir zur Abwechslung mal nach Osten. - Aber nicht eher, als bis ich etlichen von diesen Schurken, die uns überfallen haben, die Gurgeln abgeschnitten habe!« Sein Plan ist verwegen. Aber einen anderen Ausweg gibt es nicht. An Land können wir uns nicht lange halten. Entweder kriegen uns die Dons mit ihren Bluthunden oder, falls wir so tief in die weglosen furchtbaren Dschungels kriechen, daß wir aller Beachtung entgehen, holt uns das Fieber oder fressen uns wilde Tiere. Möglicherweise fressen uns auch die Waldindios auf. Wir sind in einem Lande, wo vor nicht zu langer Zeit Cortez im alten Tenochtitlan zusah, wie Menschenbraten an hohen Feiertagen als geschätzte Speise verzehrt wurde. Zuerst mal sehen, ob nicht ein paar Früchte aufzutreiben sind! Wir finden auch halbreife Zwergbananen und den mexikanischen Guyabobaum, dessen kleine, birnenförmige Früchte mit ihrem schwachen Terpentingeschmack köstlich sind. Auch ich hole mir einen Cutlaß aus dem Wasser, wohin die Dons unsere Waffen geschleudert haben. Vereint graben wir den Sandhügel auf und ziehen die toten Spanier bei den Fersen nacheinander an die Sonne. Arme Teufel! Was haben wir ihnen persönlich getan und sie uns? Aber der Mensch ist gut, und die Gesetze der Menschheit, die von Menschen gemacht werden, sind gut, meint ihr nicht auch? 290
Zweien, die gut unsere Statur haben und deren Kleider unlädiert sind, weil die armen Burschen an eingeschlagenen Schädeln starben, ziehen wir die Klamotten aus und schlüpfen hinein. In die gelbrotgelben Uniformen, die rotgelbgestreiften Wollstrümpfe und die derben Bundschuhe, und da ihre Kameraden viel zu faul waren, alles mitzunehmen, was sie sollten, finden wir auch noch zwei Eisenblechhelme. Recht geeignete Kopfbedekkungen in diesem Klima, dessen Sonnenstrahlen das Metall glühendheiß machen. Wir werfen die Cutlasse wieder weg und versehen uns jeder mit einem guten Messer oder Dolch und verstecken diese Waffen am Leibe. Und die Maaten? - Je nun, als wir vorhin im Dschungel die Lianenmilch tranken und auf der Früchtesuche waren, kamen noch eine Menge Aasgeier zu den bereits vorhandenen. Und da es sehr viele waren und diese Tiere Meister im Kröpfen sind nun ja, von unseren Maaten liegen nur noch rein und weiß die blanken Knochen auf dem Sande. Nun marschieren wir ab. Die Truppen haben deutliche Wegspuren hinterlassen. Zwei Stunden lang auf schmalem Urwaldpfad, wo es heiß und feucht und würzig riecht. Dann macht diese üppige Pflanzenwildnis einer Hügellandschaft Platz. Dornbüsche, Yuccas, Zwergpalmen, Agaven und Kakteen stehen verstreut auf rötlichem, trockenem Boden. Regenwasserrinnen, die man hierzulande Arroyos nennt, durchziehen diese grandiose wilde Gegend kreuz und quer. Manchmal sind die Arroyos wie Straßen und man kommt gut vorwärts. Das Meer kommt außer Sicht. Grün und rot und kupfern flammende Kolibris summen, sausen wie Blitze um cremeweiße, wunderbar nach Mandeln duftende Yuccablüten, die zu Hunderten aus den stumpigen Stämmen sprießen. Schade, daß wir die Milch der Kuhlianen nicht mitnehmen konnten. Der Ollonois trägt ein kleines Bündel mit nautischen Instrumenten, Stechzirkel und Parallelogramm bei sich. Das ließen die Dons einfach in unserm Langboot liegen, haben dieses aber so 291
zugerichtet, daß ein Zimmermann Wochen brauchte, um es wieder instand zu setzen. Plötzlich stoßen wir auf eine staubige, rauhe Landstraße. Der kräftige Tang- und Salzwasserduft des Meeres, das noch unsichtbar bleibt, dringt wieder zu uns. Wir umgehen eine große Hacienda, Corrale voll Vieh. Sisalfelder kommen in Sicht, wo Neger unter der Fuchtel peitschenschwingender Aufsehercapatazes verbissen und stumm wie leidende Tiere schuften. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als fortan dem Wege zu folgen. Ausbiegen geht nicht mehr, die Siedlungen und Felder werden zu dicht. Aber da wir spanische Uniformen tragen und die Sprache beherrschen, warum sollte man uns da etwas tun! Wir sind zwei Soldados, die beurlaubt waren und jetzt von einem Besuch der Pflanzung »Gevatter Pedros« heimkehren. Kaum haben wir das verabredet, als ein in Leder gekleideter Caballero um die Biegung hinter uns hergaloppiert. »Wenn er mißtrauisch wird, kriegt er das Messer!« brummt der Ollonois, und schon ist der Don bei uns. »Hola, Señores soldados !« »Muy buenas tardes! Schönen guten Tag!« grüßen wir zurück. »Adonde? Wohin!« »Campeche! Hatten Urlaub, müssen aber heut abend in der Zitadelle sein!« »Diablos! So habt ihr wohl gar nicht gehört, daß die Tortugapiraten an der Küste unten gestrandet und von euren tapfern Kameraden unter Capitan Dominguez vernichtet worden sind? Ein Fischer hat gestern schon das Räuberschiff der Sippschaft erspäht!« Ollonois: »Madre de Dios, welch ein Wunder!« Mac Donald: »Welch ein Glück! Gelobt sei die gute Himmelsmutter und allen Heiligen ein Dankgebet!« Caballero: »Ja, und der furchtbare Ollonois war der Anführer der Bluthunde!« Mac Donald: »Was, dieser entsetzliche unsympathische Schuft?« Ollonois, indem er mir einen furchtbaren Blick zuwirft: »Und hat man das Scheusal getötet?« 292
Caballero : »Und ob! Sein Kopf ist bereits auf dem Marktplatz ausgestellt. Ganz Campeche feiert heut abend. Es gibt Musik und Tanz, freien Wein und zwei Ochsen am Spieß!« Mac Donald: »Todos santos! Da kommen wir ja grad recht!« Ollonois: »Nieder mit den schmutzigen Piraten! Viva España!« Caballero: »Entschuldigt, Señores, ich muß vorausreiten, um mich für die Fiesta vorzubereiten. Ihr kommt nachher an meiner Plantage vorbei. Die mit der blühenden Kakteenhecke hart am Wege ist's. Kehrt ein, Imbiß und Trunk soll für euch bereitstehen. Und trinkt auf die Vernichtung der Küstenbrüder! - Adios!« . . . Düster grinst der Ollonois hinter dem Davongaloppierenden her. »Heut nacht stechen wir in See. Du wirst sehen, das geht alles wie geschmiert!« Staub wirbelt unter unsern Tritten. Die verdammten »Blechtöpfe« auf unsern Schädeln sind ungemütlich heiß. Aus den Kleidern, die ich anhabe, steigt mir der fremde Geruch des toten Besitzers in die Nase. »Die verfluchten Kerle sind vor Freude über meinen Tod so aus dem Häuschen, daß ein paar bestaubte Soldaten gar nicht auffallen werden!« brummt jener wieder. Vorne fällt die Landschaft in sanften braunen und grünen Hügelkämmen ab. In bunten Feldern stehen die mit Lehmmauern umgebenen schneeweißen Haciendas. Weiter unten schimmert mit Türmen und Forts und Campanilen, Schiffsmasten, Häusern, Lagerschuppen und Gärten eine große Stadt. Und das helltürkisfarbene, dann in grelle Bläue, mit dunkelschimmernden Streifen, hinüberwechselnde Meer. San Franzisco de Campeche, ahoi! Ahoi! Wir kommen!
FIESTA . . . Fröhlich wogt die spanische Bevölkerung im Verein mit freigelassenen Negern, Indiosklaven und von ihrer Festung beurlaubten Infanteristen, sporenklirrenden Dragonern und Matrosen von den Schiffen durch die Straßen von Campeche. 293
Heut ist die Luft außergewöhnlich klar, weil der Hurrican alle Dünste wegjagte. Deshalb ragt der Nachthimmel ganz hoch, und die vielen Sterne flimmern an einem tiefschwarzen Gewölbe. Bald jedoch zittert von den riesigen Freudenfeuern, qualmenden Pechfackeln, Laternen und dem Rauch der Bratstätten der Plaza, wo zwei ganze Ochsen und viele Schweine an Spießen unter freiem Himmel bereitet werden, die Atmosphäre über der Stadt rosenrot und himbeerfarben. Wie Heidekraut auf den Bergwiesen des Ben Nevis . . . In den engen Gassen riecht es nach Holzfeuern, Gebratenem und nach den Blumen aus den lauschigen Gärten und Patios der Häuser der Reichen. Die Schritte Tausender, die vergnügt umhertollen, die Stimmen der von Fenster zu Fenster miteinander schwatzenden Alten und Gebrechlichen; Klirren langer Schleppdegen, Gitarrengezirp und Sackpfeifengedudel, Gelächter und Witze der Gaukler: dies alles verschmilzt zu einer einzigen, auf heißen Düften getragenen Symphonie. In den Tavernen und Cantinas am Hafen geht's hoch her. Wettergebräunte Matrosen und ihre kirschenäugigen Liebchen, dazwischen beleibte feiste Handwerker und allerlei Riffraff der Wasserkante feiern hier den Tod des Ollonois und seiner Mannschaft. Ein Ereignis, das der spanischen Seeschiffahrt, die unter den frechen Eingriffen der Tortugabrüder und Port Royalfreibeuter schwer leidet, wieder ein wenig das Rückgrat steifen wird. Ab und zu stolziert ein Alguazil (Polizist) mit Amtsstab vorüber, aber heute ist Freinacht, heute betrinkt sich auch der sonst Nüchternste unter diesen nicht zu alkoholischen Exzessen neigenden Dons. Seit Stunden sind wir beide in Campeche. Auf der letzten Anhöhe, bei dem Caballero, haben wir einen Imbiß bekommen und mit dem Señor Don Rafael de Minas auf unsern eigenen Tod angestoßen. Und haben das schwere Los armer, tapferer spanischer Soldaten so gut geschildert, daß Don Rafael jedem noch ein Achtrealenstück (Piece of eight) schenkte. Friede sei mit ihm, er erwies sich als echter, gastfreundlicher 294
Hidalgo seines schönen Landes. Hidalgo, wie er sein soll, und nicht wie viele andere . . . Wir haben in der Stadt, wo uns die jauchzende, wie im Karneval tollende Menge sofort als »Soldados und Heroicos« freigebigst empfing und von einer Taverne in die andere schleppte - es ist gut, daß wir beide sehr trinkfeste Männer sind! - uns durch geschickte Querfragen nach Regimentern und ihren Kommandeuren erkundigt. Wenn uns mal einer fragt, ob wir dabeigewesen beim Kampf gegen den Erzschelm und Teufelsliebling Ollonois und seine satanische Crew, antworten wir wehmütig: »Gott hat es nicht gewollt! Wir gehören zur Kompanie Don Geronimos und waren auf Urlaub bei einem Vetter!« Dann erlahmt das Interesse der Leute an uns. Wir gehen stets mit den frommen Worten: »Ave Maria purissima!« Und die Frager bekreuzigen sich und antworten: »Sin pecado concibida!« und wir machen uns davon. Der Ollonois grinst und murmelt, und ich sehe seine Finger zucken, und er lacht dumpf, als wir auf der Plaza im Gedränge stehen und den Kopf des Cornelius auf der Pike exhibiert sehen, mit der naiven Unterschrift: »Francois Ollonois, Sohn des Teufels und einer bretonischen Hexe, der seine gerechte irdische Strafe erlitt, zum Nutzen aller Frommen und Gottesfürchtigen unter der Flagge beider Kastilien! Seine Seele ist verdammt in alle Ewigkeit, und böse Teufel kneipen ihn in der Hölle, wo er im glühenden Brei sitzt, mit glühenden Zangen.« Später, als die Nacht fortgeschritten, Ochsen und Säue aufgezehrt sind und die stilleren Elemente der Bürger sich in ihre Häuser und Gärten zurückgezogen haben, geben wir uns dreist als Soldaten des Capitan Dominguez aus. Der den Ollonois besiegte! Den Kampf können wir ja sehr gut beschreiben . . . Und heimsen Beifall, Mädchenküsse, Bewunderung und allerlei schmackhafte Dinge ein. Erfahren durch harmlose Kreuzfragen allerlei, was uns wichtig dünkt. Zuletzt sitzen wir in der Kneipe »La bandera santa« (Zur heiligen Flagge) an der Wasserfront zwischen besoffenem Schiffs295
volk, haben unsere seltsamen Blechtöpfe abgelegt, jeder ein schwarzhaariges Mädel auf den Knien, und trinken vorsichtig, singen, erzählen. Sperren aber Ohren und Augen auf. Im stillen bewundere ich den Ollonois, denn er ist nicht unerheblich verwundet. Und als ob er meine Gedanken läse, grinst er jetzt, trinkt sein Paßglas »Mistelawein« auf einen Zug aus, knallt es auf den Tisch und ruft dem dicken, lederbeschürzten Patron der Kneipe zu: »Caramba, Don José, mich deucht es an der Zeit, da solch schöne zarte Hände meiner warten« - er küßt den schwellenden Mund seiner Seraphina - »euch um etwas Charpie und Wundsalbe zu bitten. Es war ein harter Kampf mit den Teufelspiraten, und ich habe noch keine Zeit gehabt, mich vom Feldscher richtig verarzten zu lassen!« »So seid Ihr blessiert, Señor?« »Kaum der Rede wert. Seht!« Er öffnet das Wams, streift das Hemd von der Achsel, bietet den kräftigen, behaarten, von Beulen, Brauschen und den zwei von mir verbundenen Stichwunden bedeckten Oberkörper allen Blicken dar. Die Muchachas schreien auf, murmelnd drängt sich alles herbei. Ein Alguacil, der schon einen in der Krone sitzen hat, spricht die Meinung aller aus: »Ein Tapferer! Holt Linnen und Balsam, Don José!« Der dicke Wirt läuft fort, kommt mit dem Verlangten zurück, und nun waschen und verbinden die beiden Muchachas den düster schmunzelnden Piraten. Ich wundere mich, daß die andern gar nicht sein finsteres, spöttisch abgründiges Lächeln bemerken. Mir ist nicht sehr wohl zumute, denn ich bin kein Held und Kämpfer und habe Angst, daß der Zufall einen wirklichen Soldado von der wirklichen Kompanie des Domínguez in diese Kneipe schicken könne . . . Ein pompöser Spießbürger von der Sorte, die es auf der ganzen Welt gibt, denn sie leben vom Schweiß und Blut der Armen und lecken den Speichel der Vornehmen, ein Kerl, dessen Dünkel aus jeder fettigen Pore hervorschimmert, befiehlt mit eingebildeter Stimme: daß die Zeche der beiden Tapferen (er meint uns, der Dummkopf) auf seine Kappe gehen soll, und prahlt: »Man 296
kennt mich, den Handels- und Schiffsherrn Don Garcilio Aguilar, und weiß, daß ich reich bin und mein Wort halte!« »Tausend Dank!« spreche ich, und der Ollonois nach spanischer Sitte: »Ich küsse Euer Gnaden Hände und Füße, Caballero! Ihr müßt ein Herzog sein, so wahrhaft vornehm seid Ihr!« Ein dummes Lachen kommt über die Bratwurstlippen des Geldsacks. »Es geschieht gerne. Glaubt nur, ich liebe und schätze die Tapferkeit. Ach, Euch Herren müßte ich auf einem meiner Schiffe haben!« »So besitzt Ihr Schiffe, edler Señor?« stößt der Ollonois raubvogelartig die Frage heraus. Und zieht mit Hilfe der Seraphina wieder Hemd und Wams über den kunstgerecht mit weißen Binden umwickelten Leib. »Aber keine Seeleute!« lacht der angesäuselte Alguacil. Verbeugt sich gegen Señor Aguilar und trinkt ihm respektvollst zu. »Keine Seeleute! Der Heiligen Jungfrau sei's geklagt!« »Oho! Caramba! Was sagt Ihr da? Sind wir nicht gute Salzwassermänner genug, in Campeche? Und wollt Ihr das abstreiten?« protestiert ein Matrose mit beträchtlicher Schlagseite. »Ja, das ist schon wahr. Aber anmustern und in See gehen will keiner von euch gern!« meint der Wirt und schenkt mir Alicante ein. »Wir wollen schon anmustern, aber Don Aguilar und seinesgleichen - sie alle haben herrliche Häuser, Dienerschaft und Glaskutschen - sollen uns etwas mehr Heuer bezahlen. Die Seefahrt ist gefährlich! Denkt an die verfluchten Piraten, die das Meer verseuchen! So dumm sind wir nicht, für einige lausige Maravedis, etwas verschimmeltes Salzfleisch und eine Handvoll Oliven unser Leben auf euren Schiffen zu riskieren!« »Ihr redet hochverräterisch, Señor Marinero! Ich muß Euch verwarnen!« stößt der lachhafte Esel von Alguacil aus und nimmt seinen Amtsstab wie ein Zepter zur Hand. Bedächtig vermittelt der Patron: »Nun, der Ollonois und seine Schwefelbande sind tot. Die See ist frei!« »Denkt Ihr!« schmunzelt der Seemann, und die Goldringe in seinen Ohrläppchen baumeln blitzend hin und her. 297
»Wir wollen schon anmustern, aber bezahlt soll mehr werden!« Ollonois reißt die Rede an sich: »Zu schade, daß ich und mein Gevatter Soldaten sind. Wir würden gleich auf Euer Schiff gehen, Señor Don Aguilar!« Eingebildet nickt der Fettsack: »Ja, Ihr seid echte Spanier!« »Was haben Sie für Schiffe, Caballero?« lockt der Ollonois voll Höflichkeit. »Nur vier Karavellen. Sie sind nach Mar Duke hinab. Im Hafen liegt nur meine kleine Barke, ein Schnellsegler. Und kein Mensch an Bord, noch nicht mal der Meisterpilot!« »Hört mit Geschäft und Seefahrt auf. Heut ist Fiesta! Heut wird geküßt und getrunken. - Küß mich, du Finsterer! Küß mich, du!« tollen die Muchachas. Und da es bisweilen sehr gut ist, mit den Wölfen zu heulen, so heule ich diesmal. Das heißt, ich küsse meine Muchacha Esmeralda. Und wünsche mir, daß alle Wölfe so nett aussähen wie die appetitliche, blitzäugige, mutwillige Kleine! Links, gegenüber der Taverne, dicht am Wasser, steht ein in der Dunkelheit schwarz wirkender Schuppen. Ich habe schon mehrmals verwundert aufgehorcht, denn ich denke, es kämen manchmal seltsame Geräusche von dort drüben. Wie Kettengerassel oder Gesang. Und jetzt ist kein Zweifel mehr! Dumpf, aber laut genug, kommt es aus dem Schuppen: »Westward ho, At the Dons we'll go! And Rum below Yoho blow the Main down!« Beinahe hätte ich mich verraten. Und des Ollonois schwarze Augen blitzen. »Caramba, was ist das? Klingt ja fast wie Ketzerlieder!« Eifrig nickt der Alguacil, und der fette Spießer lächelt ein grausames dünnes Lächeln. »Pobrecitos! Arme Kerle!« murmelt die Muchacha an meiner Seite. 298
»Muchachita, bist du verrückt? Willst du von der Heiligen Inquisition peinlichst befragt werden, weil du gefangene Seeräuber bedauerst!« zischelt der dicke Patron mit der Lederschürze. Das Mädchen schauert zusammen, schmiegt sich enger an mich. Ollonois hat sich wieder in der Gewalt und ruft beiläufig: »Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Dachte nur, die verfluchten Kerle wären schon krepiert!« »Bis jetzt nur zwei davon. Und vier sind Krüppel, durch die Tortur. Man hat ihnen die Schienbeine zerbrochen und die Zehen zermalmt. Sechse brannten als Ketzer mit den papiernen San Benito (Gewand mit Flammen bemalt, das die zum Feuertode Verurteilten anziehen mußten) und der spitzen, teufelsbemalten Mütze beim letzten Autodafé. Doch hofft man, daß es den innigen Gebeten unseres hochwürdigen Herrn Bischofs gelingt, sie aus der Hölle, wo sie jetzt schmoren, ins lichte Paradies zu befördern!« erklärt der fette Handelsherr und bekreuzigt sich fromm, und ich muß mich sehr zusammennehmen, um ihm nicht in die feiste Visage zu spucken. »Die andern fünf sind aber guter Dinge, das heißt, es handelt sich um hartnäckige Schufte!« »Warum hat man eigentlich nicht alle der milden, reinigenden Scheiterhaufenflamme übergeben, um ihren Seelen Aussicht auf Rettung aus ewiger Verdammnis zu bieten? Verzeiht, Señores, ich bin nur ein rauher Soldat und habe mich gar nicht mehr um die Gefangenen gekümmert. Eben erst fielen sie mir wieder ein, als ich sie ihr Mordlied singen hörte«, sage ich unbefangen. »Weil's nicht alle Ketzer sind, sondern auch gläubige, zwar zeitweilig vom reinen Pfade abgebrachte Schäflein. Und weil die letzte hohe Gerichtsinstanz für sie in San Augostin auf Florida ist. Sie gehörten ursprünglich zu den Piraten des Teufelssohnes John Davies, haben mit ihm böse Frevel verübt, als dieser Abkömmling der Finsternis San Augostin ausplünderte! - Später stießen sie allerdings zu jenem Lewes Scott, der unsere Stadt vergeblich belagerte. Dabei habt Ihr Señores Soldados ja die Kerle geschnappt!« 299
»Ja, und bei der Heiligen Jungfrau! dieser, mein Kamerad, hat, wie gestern auch gegen den verfluchten Ollonois, unter den damaligen Schuften gewütet wie weiland Simson unter den Philistern!« grinst der Ollonois. Bewundernd wird mir von allen Seiten zugetrunken. Aber die Muchacha flüstert mir weich ins Ohr: »Und es sind doch Menschen! Und jetzt kannst du mich ja anzeigen!« Tief schaue ich ihr in die Augen, suche ihre verborgensten Gedanken. Beuge mich dann vor und küsse sie auf den warmen Mund. - Von der Kathedrale schlägt es eben Mitternacht. »Heut ist keine Polizeistunde. Freinacht. Und Fiesta! Anläßlich der Siegesbotschaft hat der hohe Stadtrat geruht, es zu genehmigen!« katzbuckelt der Alguacil. Er ist schon so besoffen, daß er seinen lachhaften Amtsstab in eine Weinpfütze legt. »Habt Ihr Urlaub, Ihr Herren?« erkundigt sich der pomphafte Spießer. »Ja!« nickt der Ollonois. »Und da mein Kamerad und ich von der Küste der Biscaya stammen, haben wir diese Hafenschenke aufgesucht!« »Ja, Señor, es riecht nach Schiffen hier!« sagt der spanische Seemann. »Mein herrliches Schiff! Frisch verproviantiert und alles seeklar und weder Pilot noch Mannschaft, die sich getraut, eine Ladung Tabak aus Cuba zu holen!« jammert der Feiste. »Caballero, wenn wir beide nicht Soldaten wären, wir würden Euer Schiff segeln. Heute nacht noch! Wann ist eigentlich die erste Flut?« lacht der Ollonois und blinzelt mir zu, und ich weiß genau, was er will. - »Die ist schon vorbei. Morgen früh um sechs Uhr ist wieder Hochwasser!« sagt der Marinero. Und wieder singt es gedämpft im Schuppen: »Ohé, ohé, les matelots! Ohé, ohé, pére Bruin!« Der Pomphafte steht eben auf. »Ich muß noch einmal nach meinem Schiff sehen. Der pflichtvergessene Wächter zecht in der Stadt!« 300
»Señor, ich will Sie begleiten!« mit diesen Worten wippt der Ollonois empor. »Dableiben!« protestieren die Mädchen. »Mein Amigo bleibt, bis ich wiederkomme!« brummt er. Faßt den Spießer respektvoll am Arm und steuert ihn hinaus in die Nacht. Und ich hoffe, daß jener sein Testament schon gemacht hat, denn sein letztes Stündlein ist wohl angebrochen. Enger rücken die Muchachas an mich heran, und Don José schenkt ein. - Ob ich wohl . . .? Ich habe die Frage schon lange auf der Zunge. Und jetzt läuft sie mir über die Lippen: »Don José, habt Ihr zur Abwechslung nicht mal einen kleinen alten Rum? Von der Insel, die uns die dreimal verfluchten Ketzer gestohlen haben? Jamaica! - Es ist gut für den Magen!« Man lacht. Und der behagliche Patron bringt mir ein Gläschen. Ich rieche schon von weitem, daß es kein Fusel, sondern alter schöner blumenduftender Rum ist. Als ich ihn tropfenweise geschlürft habe, denke ich, daß es eine Kleinigkeit sein wird, eine ganze riesige Galeone, deren viere im Hafen liegen, zu entern. Irgendwo knattern, fauchen und pfeifen Raketen. Ach, ja, heut ist Fiesta ! Fiesta, weil der Ollonois und ich eigentlich schon tot sind. Der Alguacil rafft seinen Amtsstab auf, verbeugt sich und schießt, zweimal »über Stag gehend«, zur Tür hinaus. »Er trinkt sonst nie! Deswegen ist er schon voll!« erklärt weise der Wirt. Seine Ehehälfte, eine Dame, so rund wie der Globus des Martinus Behaimb aus Nürnberg, so fett wie eine neapolitanische in Ol gewälzte Nudel, so gelb wie persischer Safran und so aufgedonnert wie ein Baum beim Richtfest, steckt den Kopf zwischen Tür und Vorhang herein. Zählt uns, nickt und spricht dann mit der Stimme einer quiekenden Sau: »José, wenn es weniger als vier Gäste sind, machst du zu!« »Jawohl, meine Süße! Gewiß doch, meine Liebe!« erwidert er, und ein Heidenrespekt klingt aus seinen Worten. Sie verschwindet wieder. Don José atmet auf. 301
»Resolute Frau! Seele des Hauses! Perle des Herdes und so weiter !« sage ich und stoße mit ihm an. »Oh, Doña Clara ist wirklich ein Engel meiner Tage!« antwortet er und schielt nach dem Vorhang. Die Muchachas lachen laut. Der Seemann grinst, und Don Juan, ein kleiner dürrer Flickschuster, meckert wie ein Ziegenbock. Mit der Hand in der Tasche zähle ich meine Barschaft. Die Bewohner von Campeche haben dem aus der männermordenden Schlacht siegreich heimkehrenden Soldado Mac Donald reichlich gespendet. Vierrealenstücke und goldene Pieces of eight klingeln lieblich in der Hosentasche. »Don José? Alicante für alle Damen und Caballeros. Rasch, wenn ich bitten darf. Und einen Teller voll grüner Oliven!« Der Wirt setzt bald das Verlangte auf den Tisch. Die beiden Muchachas sind nette Hühnchen, ich mag sie gut leiden und wäre fast in lautes Lachen ausgebrochen, weil ich an die alte Sarah daheim auf Tortuga denken muß. Was würde sie sagen? »Buckrahmassah küßküßmachen! Massah gut aufpassen!« . . . Ich trinke im stillen auf das Wohl der guten Schwarzen. Und gebe der Esmeralda, die ein gutes Herz hat, weil sie für die Gefangenen einstand, einen langen Kuß. In der Stadt summt und rauscht es noch. Bisweilen ziehen untergefaßte Menschen singend und klingend vorbei, und jedesmal hoffe ich, daß sie nicht eintreten. Aber es gibt der Kneipen viele an der Wasserfront, auch sind die Vorbeikommenden meist auf dem Heimweg . . . Im Hafenbecken tönen Trompetensignale auf den Galeonen. Im Fort auch. Irgendein Zapfenstreich! »Habt Ihr's gehört, Señor? Jetzt müßt Ihr eilen!« sagt der Wirt. »Pah, wir von der Kompanie des Dominguez haben die ganze Nacht frei. Man schlägt nicht jeden Tag einen Haufen Piraten tot!« prahle ich. - »Alicante, für die Señoras und Señores!« Und schütte jedesmal ein gut Teil meines Weines unter den Tisch, was bei dem traurigen Funzellicht unschwer auszuführen ist. Esmeralda sieht es wohl, aber sie nickt mir zu, preßt meine Hand. 302
Ja, bei den Ausgestoßenen findet man gute Menschen in Menge, und Verständnis. Und Grenzpfähle spielen dabei keine Rolle! Stiller wird es in der Stadt. Der Flickschuster geht nach einer Verbeugung und ehrlichen Dankesworten davon. Dann der Seemann mit den Ohrringen. Er hat Schlagseite und steuert Zickzackkurs. Die beiden Mädchen flüstern miteinander, dann steht die eine auf. Gibt mir die Hand und geht. Ängstlich späht Don José nach dem bunten Vorhang. Denn nun sind wir nur noch zwei Gäste. Esmeralda und ich. Und obwohl ich allerlei Schachzüge versuche - sie hängt an mir wie eine Klette . . . Das Gefühl habe ich - obwohl man ja bei Frauen selten Bescheid weiß! - diese Muchacha wird uns nie verraten, falls sie ahnen sollte, daß wir . . . »Du bist kein Soldado!?« flüstert sie mir ins Ohr und drückt wieder meine Hand. Hei, Kleine, mit Speck fängt man Mäuse! Ich bohre meinen Blick in den ihren, und wenn ihr denkt, daß ich nach dem bißchen Mistela und Alicante angesäuselt war, so wißt ihr nicht, was es heißt, jahrzehntelang ein Bruder der Küste zu sein. Sie hält den Blick aus. Don José verschwindet diskret hinter dem Vorhang. Und sie flüstert: »Ich hab ein Bild von ihm gesehen. Einen Stich oder Holzschnitt. Es gibt deren viele! Und ihr solltet machen, daß ihr fortkommt, denn einer könnte euch erkennen und dann . . . Es ist der Ollonois!« Ich bin ganz ruhig und weiß genau, daß dieses Mädchen dicht hält und uns nicht für dreißig Silberlinge, auch nicht für dreitausend Pieces of eight verschachern würde. »Hast du einen Plan?« »Ihr könntet die gefangenen Piraten aus dem Schuppen holen. Der Wächter ist bei seiner Liebsten in der Stadt. Und könntet eine Barke nehmen und nach Cuba segeln und - « »Und?« »Mich mitnehmen, wenn ihr wollt. Meine Mutter lebt in der Habana. Und wenn ihr nicht wollt, so bleibe ich hier und wünsche euch guten Wind und glatte Fahrt!« »Señor, ich muß nun leider schließen!« mit diesen Worten tritt 303
Don José auf die Bildfläche, und hinter ihm rollt die menschliche Kugel Doña Clara . . . Wir rechnen ab. Er ist ehrlich. Und wünscht uns noch Gute Nacht und daß wir seine Taverne in guter Erinnerung behalten und bald wiederkommen mögen. Hinter uns knallt die schwere Tür zu. Rasseln Sperrbalken und Schlösser. Stille. Ganz schwaches Summen in der Stadt. Über uns der Himmel. Unerreichbar hoch und sammetschwarz, mit vielen Gold- und Silberpunkten. Duftend weht es von der See her und rührt die Luft auf. Ein Mensch, der die Seefahrt nicht liebt, würde sagen »Es stinkt!« Nach Schlamm, toten Algen und Quallen, faulem Holz, Teer und Hafenwasser. Eine Mischung, die für manchen lieblicher als Veilchenduft ist. Wir lehnen im Schatten der Taverne und warten auf den Ollonois. Stehen beisammen. Nicht wie zwei Verliebte, die sich vorher heiße Küsse gaben, sondern wie zwei Menschen, die das Leben in seinen Tiefen und Höhen kennen. Es hassen, es lieben und niemals fürchten! Und die genau wissen, daß sie als Liebende nicht zusammenpassen, wohl aber als Menschen. Und da wir dies wissen, so fühlen wir wie zwei Kameraden, die sich bald wieder aus den Augen verlieren und die immer seltener aneinander denken werden . . . Schwarz hebt der Schuppen sich von der dahinter glänzenden Wasserfläche ab. Auf den Galeonen blinzeln die Ankerlampen, alle anderen Lichter werden gelöscht. Und deutlich höre ich die Schritte eines Wachtmannes über hallende Schiffsplanken rhythmisch hin- und herwandeln. Unermüdlich. Drüben im Schuppen ist's ganz still. Plötzlich steht der Ollonois vor mir. »Wir sind so weit. Eine feine einmastige, teilgedeckte Barke. Verproviantiert und seeklar. Der fette Kerl liegt schon bei den Fischen!« flüstert er. Zuckt plötzlich nach dem Messer, als er das Mädchen sieht. »Stop, François! Die ist in Ordnung!« und erzähle ihm rasch mein Gespräch mit ihr. Furchtlos steht sie dabei. Er zieht sie aus dem Schatten, starrt sie an. Läßt sie dann los. 304
Spricht : »Du kannst mitkommen nach San Domingo ! Von dort ist's nicht weit nach Cuba !« Und ich wundere mich über alles und denke nach, welche menschlichen und unmenschlichen Strömungen in der Seele dieses Mannes kämpfen. »Wie viele sind im Schuppen?« »Neun Mann. Davon vier Krüppel, die aber starke Hände haben. Es sind Engländer, Franzosen und Holländer!« antwortet sie sachgemäß, als ob sie schon jahrelang unter dem Ollonois segelte. »Kannst du pfeifen?« »Ja!« »Bon und sacré ! Also, Mac und ich holen die Burschen heraus, und du stehst Wache. Und wenn jemand den Kai entlangkommen sollte, so pfeifst du dreimal so!« er pfeift leise. »Bueno!« antwortet die Muchacha. Alle drei huschen wir über den Kai, sind an der Tür. François hat eine Stange mitgebracht. Das Schloß, das außen hängt, wird samt Krampen in wenigen Minuten abgestemmt. Und spaltweise öffnet sich die schwere Tür. Esmeralda bleibt draußen. Der Ollonois und ich stehen drin im Dunkeln. Es ist furchtbar heiß, stinkt mephitisch dazu. Schnarchtöne. Stöhnen. Rascheln . . . Dann eine Stimme : »Qui va là?« »Halt's Maul und paßt auf! Ich bin der Ollonois, den die Dons heute nacht schon als tot gefeiert haben. Und bei mir ist Mac von der Tortuga. Und im Hafen liegt ein Schiff. Wir brauchen nur noch die Mannschaft!« »Nom de Dieu!« »Hell and damnation!« »Gottverdommi!« ertönt es verschiedentlich durch die Schwärze. »Leiser, ihr Affensteiße!« knurrt François. Und jemand lacht: »Das ist er wirklich! Also träumen wir nicht!« »Seid ihr alle wach? Einer soll reden!« Murmeln. Dann: »Was sollen wir tun? Angekettet sind wir nicht mehr, aber vier Mann können nicht gehen!« 305
»So tragt sie. Beim Segelhissen können sie ihre Hände gebrauchen. Und steuern tut man auch nicht mit den Füßen! Steht auf, nehmt die Krüppel Huckepack. Und folgt Mac. Und wenn euch jemand begegnet, so singt spanisch. Tut, als ob ihr besoffen wäret und noch Besoffenere trügt. Folgt immer Mac. Ich komme mit dem Mädel gleich nach!« »Mac!« »Francois«. »Wir haben heut abend schon das Schiff betrachtet. Weißt du, es ist das mit dem komischen Ritter als Galionsfigur, das dicht am Kai liegt. Geht vorsichtig an Bord. Holt den Anker auf. Macht die Leinen bis auf eine los. An der Reling liegen lange Riemen. Umwickelt die Dollen mit Lappen. Klart die Segelfalls. Verstanden?« »Aye, aye, Käpten!« »En avant! Go ahead!« Hinter mir her bewegen sich Gestalten, treten leise ins Freie. Vier Mann, die, weil jeder einen Krüppel schleppt, wie seltsame Tiere in der Dunkelheit aussehen. Und ein einzelner. Esmeralda huscht an meine Seite. »Bleib. Wir beide bilden die Nachhut!« zischelt der Ollonois und gehorsam tritt sie zurück. Ich führe den Zug. Wir haben etwa zweihundert Yards zu laufen. Niemand begegnet uns. Und da liegt das Schiff an der kleinen, von Sklaven und Sträflingen erbauten Kaimauer. Kein Fahrzeug, um einen Huaracan darin zu überstehen, aber doch eine nette teilgedeckte Barke. Schlank auf Kiel. Ein Schnellsegler! Eine Planke verbindet es mit dem Land. Einer nach dem andern marschieren sie an mir vorbei; an Bord. Als letzter komme ich. Die Krüppel werden gleich so placiert, daß sie nachher kniend rudern können. Sackwerk liegt in der Schiffshüfte. Das ist gut zum Umwickeln der Dollen. Rasch! Und dann nach vorne. Eine Art Hebelankerspill, für zwei Mann als Bedienung gedacht, steht auf der gedeckten Back. Aber solch Apparat macht unnützen Lärm. - Der Anker sitzt zu fest im 306
Schlick, Hand über Hand können wir ihn nicht an seiner schleimigen Trosse hochkriegen. Kurz entschlossen kappe ich das Tau. »Vordere Leinen los! Die Steuerbordriemen eingelegt, die Krüppel sollen anfassen! Segelzeisinge losschmeißen! Drei Mann mit Rudern nach Backbord sich verteilen! Vorsicht, nicht die Landungsplanke in den Bach fallen lassen!« klingen hintereinander meine Orders. Da kommt eine dunkle Gestalt, ist mit einem Sprung an Bord. »Leine los. - Stoßt ab! - Mann ans Ruder!« ruft der Ollonois gedämpft. »François, wo steckt das Mädel?« Im Sternenschimmer steht er dunkel vor mir, und über uns wölbt sich der unendliche, heut tiefschwarze Himmel. Eine Schnuppe segelt leuchtend ins Meer. In der weißen Stadt bellen einzelne Hunde. Melodisch pfeift ein Sereno (Nachtwächter). Still ist's auf den Galeonen, der ruhelose Schritt des Wachtmannes klingt nicht mehr durch die Nacht. Dunkel und schlafend ruhen die Fischerboote. Häuser schimmern, über Gärten ragen die schwarzen Wedel der Palmen ganz schwach gegen die Dunkelheit. Das Hafenwasser murmelt müde und schillert sacht, klatscht einmal schwappend gegen einen Kahn. Draußen rauscht die See, und ihre Brise rührt die kleinen Wellen der Spanischen Main auf. »Wo ist das Mädel, François?« Seine Augen und Zähne schimmern. Und ich sehe, daß er etwas in der Hand hält. Taste danach. Ein Messer. Naß und klebrig. Blut!»Wo ist das Mädel?« knirsche ich, und stumm stehen und hokken die neun Gestalten back- und steuerbords und vor mir ragt der Satan. »Warum soviel Aufhebens um einen Unterrock! Sacré! Wenn du's durchaus wissen willst, ich gab ihr 'nen guten Stich zwischen die Schulterblätter. Und schmiß sie ins Wasser. - Es ist heut Fiesta!« knurrt er. Brennendrot flammt Wut in mir empor. »Mörder!« und brülle 307
und greife nach seiner Kehle. Dunkel ragt seine Gestalt dicht vor mir. Und plötzlich schmettert ein fürchterlicher Hieb auf meinen Kopf, das ganze Firmament und die ewigen Sterne und Sonnen sausen auf mich nieder. Und dann ist's Nacht . . .
DIES IRAE Dies irae, Tag der Vergeltung, wann kommst du? Die Tortuga hat mich wieder. Der Hieb, mit dem François L'Ollonois mich in dunkler Nacht im Campechehafen niederschlug, war stark. Als ich mit Kopfweh erwachte, waren die weiße Stadt und die bunte Küste des mexikanischen Goldlandes außer Sicht, und vor guter Brise rauschte das eroberte Schiff cubawärts. Der Schuft grinste nur und tat sonst, als wäre nichts zwischen uns vorgefallen. Ich aber spie ihm ins Gesicht . . . hielt dabei, wie ich genau wußte, mein Leben offen in beiden Händen. Und die von uns aus dem Kerker Befreiten: jene vier jammervollen Krüppel und die fünf andern sahen schweigend zu. Und nie habe ich einem Mann unverblümter und bitterer die Wahrheit gesagt als diesem geiernasigen Schuft! Spuckte ihm tatsächlich ins Gesicht und schrie ihm alle vielsprachigen Schimpfnamen, die ich im Laufe der Zeit gehört, entgegen. Lachte ihn aus! Nannte ihn eine Mißgeburt und einen hundertfachen, feigen, blutigen Mordbuben und Schinder! Erwartete jede Sekunde, daß diese meine letzte sein würde. Scheu sahen mich die andern an. - Das schlanke Fahrzeug schoß, tief auf der Seite liegend, über die schäumende Main. Gischt netzte unsere Wangen, Möwen kreischten. Endlich schwieg ich erschöpft und wunderte mich, daß ich noch am Leben war. Die ganze Zeit stand er vor mir und grinste sein abscheuliches Lächeln. Wischte sich dann langsam den Speichel von der Wange und sprach: »Bon! Und was gedenkst du weiter zu tun? Willst du den Mannschaftsrat einberufen?« - »Bestie!« 308
»Wir fahren jetzt nach San Domingo und von dort schön langsam heimwärts zur Tortuga. Und dann kannst du wieder - es würde mich freuen - als Quartiermeister bei mir anmustern, denn ich habe einen Zug gegen die Habana vor. Mittlerweile werde ich stets gut schlafen, denn sacre! ich kenne die Menschen. Und du, Mac, bist keiner, der einen andern im Schlaf oder hinterrücks abmurkst. Bist zu dumm dazu!« Verblüfft starre ich ihn an. Plötzlich kam mir eine Eingebung und ich keuchte: »Allright, ich will wieder bei dir anmustern, du Satan. Und immer wieder, bis . . . Denn ich möchte dabei sein, sicher kommt's eines Tages dazu! Daß sie dich hängen. Dann werde ich dich an Esmeralda erinnern und will lachend zusehen, wie du in der Luft unter der Rahennock strampelst. Und zufrieden dann in die eigene, für mich bestimmte Schlinge steigen!« »Topp! Es gilt. Und vergiß nicht unterdessen, alles aufzuschreiben. Was wirst du wohl über die Esmeralda, die dir's ja angetan hatte, zusammenlügen, alter Federfuchser, he?« Sprach's, drehte sich um und kroch in den Kajütsverschlag, wo volle Weinpullen seiner warteten. Und ich Dummkopf brachte es nicht fertig, diesem Mörder mein Stilett in den Rücken zu rennen. Oh, er kennt die Menschen . . . Auf San Domingo nahmen wir Gemüse und Frischwasser ein, stachen dann wieder in See. Verweilten vier Tage in der wunderbaren, von hohen bewachsenen Bergen, Felsen und einem engen natürlichen Tor beschirmten, palmenbestandenen Bai von Trinidad, im Hafen von Port of Spain. Freibeuterschiffe ankerten. Es gibt einen britischen Gouverneur, aber er ist noch ziemlich machtlos, und oft tanzt sozusagen der Jolly Roger auf seiner Nase herum. Er hörte mich an, als ich ihm alles schilderte und bat, den Ollonois aufhängen zu lassen, da er ja auch unzählige Schandtaten an friedlichen englischen Schiffen begangen hatte. »Die andern sind noch zu stark. Kommt in ein oder zwei Jahren wieder, Mann, und dann will ich sehen. Fraglich bleibt's allerdings, ob der Schuft so lange lebt. - Aber Sie, warum bleiben 309
Sie nicht in Port of Spain? Ich könnte Ihnen eine Existenz verschaffen !« »Weil ich der Schatten und das lebende böse Gewissen des Ollonois bin. Sein Schatten, der ihn erst verläßt, wenn er baumelt. Verstehen Sie mich, Exzellenz?« »Schade um Sie! Sie werden selber dabei umkommen!« Er versuchte mir meine Besessenheit auszureden, bewirtete mich mit gutem Old Jamaica Rum und machte mich mit einem Pflanzer bekannt, der mich anstellen wollte. Doch brennt in mir der Durst nach Vergeltung. Ich schlug das freundliche Anerbieten ab. Der Pflanzer lieh mir ein Pferd, damit ich mir die schöne große Insel besehen konnte, und während der Ollonois mit seinen Piratenfreunden zechte, genoß ich die Natur. Trinidad - welch ein Unterschied zu meinem Felseneiland im Südatlantik! - ist eine der schönsten Antilleninseln, die jedoch der düsteren, unbegreiflichen Gleichnisse nicht mangelt. An einer Stelle zieht sich vom Meer ein ausgedehnter Sumpf ins Innere, in dem es Riesenschlangen und andere furchtbare Geschöpfe gibt. Pfade führen durch diesen Swamp, die nur Eingeweihten bekannt sind, jeder andere würde nach wenigen Schritten rettungslos ertrinken oder im Morast ersticken. In der Mitte liegt ein Stück festes Land, auf dem, wie es heißt, Piraten ihre Schätze vergraben. Am vierten Abend verabschiedet sich der Ollonois von seinen Zechbrüdern und wir gehen in See, erreichen ohne Fährnis die Tortuga. Hier verkauft er den Schnellsegler, zahlt die Mannschaft aus und zieht sich wochenlang in seine Indiohütte zurück, wo er unmenschlich herumhurt und säuft. Olivier ist zu meinem Leidwesen nicht da, er ist drüben auf Hispaniola, wo die Franzosen gelegentlich - mit wechselndem Glück und Unterbrechungen - um die Stadt San Domingo kämpfen. Auch Monsieur de la Place redet mir gut zu, ich soll den Ollonois gehen lassen, er würde seinen Strick auch ohne mich finden. Aber mein Vorsatz steht fest. 310
Die gute alte Sarah schlägt täglich die fetten Hände überm Kopf zusammen, jammert über den veränderten »Massah« und kocht die schönsten Leckerbissen der westindischen Küste. Auf Tortuga hat es sich sehr rasch herumgesprochen, daß dem Ollonois von mir ins Gesicht gespuckt wurde, und man schließt immer höher steigende Wetten ab, wie lange ich noch sein »Schatten« bleibe, bis er mich umbringen würde . . . Er selbst lacht zu allem und lacht auch mich aus, wenn ich komme. Täglich, so regelmäßig wie die Körner der Sanduhr. Stumm, ohne mich erst von seinem schüchternen, verprügelt aussehenden Boy anmelden zu lassen, ob er Besuch hat oder nicht, komme ich. Setze mich in eine Ecke und starre ihn an. »Mac ist mein treuer Leibgardist geworden!« spottet er, und ich antworte jedesmal: »Denk an unser Abkommen! Denk an Campeche und an Esmeralda!« Auf der ganzen Insel wissen sie die Geschichte jenes armen Mädchens. Manche lachten brutal, andere aber sagen außer Hörweite des Ollonois: »Eine schuftige Tat und der Bursche ist ein Lustmörder!« Und wieder wettet man, ob ich mit ihm in See gehen oder vorher den Tod von seiner Hand finden werde. Neulich besuchte er den Gouverneur, um von diesem ein Schiff zu bekommen. De la Place ließ ihn gar nicht vor, und wutbrüllend und grimme Rache schwörend, zog der Pirat ab. Und ich ging hinter ihm, wie es einem Schatten geziemt, und lachte, lachte . . . Er versuchte, Leute für sein Cubaunternehmen anzuwerben. Aber sein Unglück in der Campechebai ist bekannt, und Piraten sind abergläubische Burschen. Der Andrang zu den Artikeln und zur Musterrolle ist daher nur gering, zumal er ja auch noch kein Schiff hat und die Kaufleute und Wucherer, von denen es auf der Insel eine Anzahl gibt, ihm keines anvertrauen wollen. Und so verstreicht die Zeit. Und ich warte auf den dies irae, den Tag der Vergeltung . . .
311
VOUDOU »Massah, o Buckrahmassah, nicht verraten arm Sarah und schwarzen Saul an Gouverneur oder katholische Priester!« sagt Sarah und will eben die von mir gleichgültig ausgelöffelte Salmagundyschlüssel forttragen. »Was ist?« »Dschou - dschou! Voudouzauber machen für Massah! Dies schwarze Kind eine große Mamaloi und schwarzer Mann Saul großer Papaloi. Er arbeiten auf Plantage von Monsieur Dupont!*)« »Was wollt ihr tun?« »Dies schwarze Kind genau wissen, Massah mit bös Ollonois segeln. Und machen Zauber, der Massah schützt und Ollonois umbringt!« antwortete sie geheimnisvoll, und ihre Augen rollen lebhaft. Und wieder ist mir's, als sähe ich visionär den mächtigen namenlosen Strom im finstern Afrika durch die dunkle Urwaldstaffage gleiten. Und die Feuer am Ufer vor den Bienenkorbhütten und die auf der Lokali (Signaltrommel) klappernden nackten Schwarzen. Und während palmenüberragte Dickichte unter der Wucht der Töne stöhnen, der Leopard jault, der Elefant schrill trompetet und riesige Affen mit den Fäusten ihre breiten Brustkästen bearbeiten, macht die hexenhafte DschouDschou-Frau vor den Hütten den großen Zauber, von dessen schrecklicher unbegreiflicher Macht wir hier draußen in der Spanischen Main manche rätselschwere Probe sahen. Hört ihr die Lokalis trommeln? Hört ihr das Katzengeschrei der jungen Krokodile in der Sumpfbucht? Merkt ihr den Ruch der flackernden Feuer? Und seht ihr die Schwarzen, wie sie ihre unheimlichen tödlichen Bräuche ausüben . . .? Vision! Phantasmagorie! *) Mamaloi = Geistermutter, Papaloi = Geisterpapa. Diese Ausdrücke sind ein Patois aus Französisch und der Negersprache und heute noch auf Haiti in Gebrauch, ebenso wie der Geisterglaube dort die seltsamsten rätselhaftesten Resultate zeitigt. Die alten Bräuche des dunklen Afrika, der Dschou-Dschou und Voudouzauber haben sich bis heute auf Haiti erhalten, so daß sie im dortigen Strafgesetzbuch ausführliche und beachtenswerte Paragraphen fanden.
312
Vor mir steht Sarah, das alte, treue, dicke, gemütliche Geschöpf - doch ich muß gestehn, manchmal gibt sie mir Rätsel auf. Sarah, die von mir freigelassene Sklavin, deren Jugendzeit, ehe die Ebenholzflotte (Sklavenjägerschiffe) sie raubte, ins heiße Afrika hineinreicht, wo sie seltsame Dinge sah, lernte und tat. Sie hat ein seidenes Turbantuch um die Kopfwolle drapiert, einen Kattunkittel und eine buntgestreifte Küchenschürze über der Wölbung ihres Leibes. Und ist gemütlich, häuslich und kombüsenartig. Und doch! Kennt ihr die Seele des afrikanischen Negers? Wißt ihr, welche geheimnisvollen, unbegreiflichen Strömungen in ihr leben und weben? . . . »Massah nix verraten. Sonst Priester lassen arme Papaloi Saul prügeln!« »Was habt ihr denn ausgeheckt, ihr beiden?« »Massah mitkommen. Heut nacht Vollmond und all Tortugamann saufen. Wir ganz allein sein. Voudou gegen Ollonois machen, Massah beschützen!« raunte sie. Das Leben ist, seit ich Ollonois' scheußliche Tat aus seinem eigenen Munde hörte, für mich unschön geworden. In mir zerbrach etwas, und etwas anderes flammte auf, brennt lichterloh Tag und Nacht, schwelt im Unterbewußtsein und flackert in meinen eigenen suggestiven Gedanken. Rache nehmen! Ein Gefühl, das ich eigentlich noch nie in solchem erschreckenden Ausmaß gekannt habe. So merkwürdig ist alles! Wie vom Schicksal oder andern dunklen Mächten vorgeschrieben, geht mein Weg. Ob es ein guter ist? Ich könnte ja den prahlerischen Halunken durch Pflanzengift Sarah versteht sich darauf - geschickt um die Ecke bringen lassen. Ich könnte ihn - da er mir im Duell über ist und mir ein solches lachend ausgeschlagen hat, - im Schlaf ermorden. Und müßte eigentlich der letzte sein, der sich über solches Tun Vorwürfe machte. Aber warum tue ich's nicht? Warum warte ich und verhöhne ihn täglich und warte darauf, bis es ihm eines Tages zu bunt wird und er mich . . . 313
Und warum warte ich, daß Gott ihn bestraft? Ist des Menschen Weg wirklich vorgezeichnet? . . . »Sarah, ich bin bereit!« Sie strahlt übers ganze Gesicht. Und knixt. »Massah jetzt Gläschen Old Jamaica Rum trinken, dann nachher Massah mit Sarah gehen!« und trägt ihre leere Schüssel hinaus. Und da sitze ich im Ohrenstuhl, schlürfe den Trank der fernen Insel, rauche dazu das Kraut Virginiens und besehe von weitem die Rücken meiner Bücher. Nichts macht mir Freude. Der Rum schmeckt nicht, der Tabak ist wie Heu und die Bücher - die Bücher! Die habe ich seit meiner Rückkehr noch nicht in der Hand gehabt. Habe auch Zephir Barbassou nicht besucht. Dies irea, Tag der Vergeltung. Rache für die gemordeten, lebendig gerösteten, über die Planke gejagten und sonstwie umgebrachten unzähligen Opfer des Ollonois. Vergeltung für Esmeralda, in deren Augen ich geschaut habe und eine mir verwandte Seele schimmern sah . . . Ja, ich werde es erleben, ich werde dabei sein, diese Gewißheit wurde in mir so stark und wahr wie das über den Palmensilhouetten leuchtende Kreuz des Südens. Sarah, Sarah, wo bist du? Komm, wir wollen gehen! Ist's noch nicht soweit? . . . Zwei Stunden später. Wir stehen auf der kleinen Lichtung im einsamsten Teil der Insel. Sarah, der schwarze, hünenhafte dünnbeinige Saul und ich. Über uns wogen gleich grünen Laternchengirlanden hunderte Cocuyos. Flattern lautlos wie schwarze Schemen die großen Tropenfledermäuse. Senkrecht über einer hohen Palme, am fahlen, von den Gestirnen goldgrundierten Himmel schwebt der orangefarbene Mond. Fern und müde murmelt tief die Brandung. Feines Moskitosummen. Düfte! Und starr stehen die Pflanzen, an denen kein Blatt zittert. Der große Neger ist bis auf die kleine Schambinde nackt. Seine Muskelwülste bewegen sich gleich Schlangenbündeln, und im Mondenschimmer gleißt er wie eine bläuliche, zum Leben er314
wachte Statue. Ein von der grausam rätselvollen Aura der afrikanischen Wildnis umwobener Götze, der sich zu unaussprechlichem Tun vorbereitet. Er hat eine kleine Trommel mitgebracht. Das Teilstück eines ausgehöhlten Baumstammes. Und stellt sie auf einen ausgestorbenen Ameisenhügel. Er wirbelt die zwei langen Schlägel. Klappernde Resonanzen schweben durch das Murmeln und Flüstern der Natur. Unaufhörlich im gleichen langsamen Rhythmus fließt der Trommelschlag und klingt wie mahnend zwingendes: »Komm! Komm! Komm!« Und dichter wird die Atmosphäre. Preßt schwer und duftend auf mich ein. »Komm! Komm! Komm!« . . . Wer soll kommen? Der Ollonois? oder die »Loys«, die Geister des Voudouzaubers? Trotz ihrer gemütlichen Küchentracht sieht Sarah nun gar nicht mehr so behaglich aus. Unter der Schürze holt sie einen schwarzen Hahn hervor. Reißt ihm plötzlich mit wildem Schrei den Kopf ab, wirft ihn über die linke, und den flatternden flügelschlagenden Leib über die rechte Schulter. »Komm komm komm!« klappert die Trommel. »Coyou, Coyou!« kreischt Sarah den uralten Ruf afrikanischer Frauenekstase. Und nun ruft sie die Götter: »O Ogoun Badgris! Damballah Queddoh! Agoné! - Coyou! Coyou!« . . . Und die Trommel : »Komm komm komm!« . . . Dichter, heißer drückt die Luft. Cocuyos, Fledermäuse und Moskitos - alle sind verschwunden. Geflüchtet vor dem Andrang unsichtbarer Mächte, die die Lichtung beleben. Afrikas Dschou Dschou! Afrikas Voudou auf der Tortuga, in der Spanischen Main. In Bächen rieselt Schweiß an mir herab, der ganze Körper juckt fast unerträglich, mein Herz hämmert dumpf, und im Haar knistert's wie winzige Blitzfunken. Und ich kann und will mich nicht rühren, kann mich nicht kratzen, meine Blicke sind wie festgeleimt auf dem Tun der beiden schwarzen Menschen. »Komm komm komm!« dröhnt die Trommel. 315
Still ist nun Sarah. Der Mond ist weitergetrudelt, hängt jetzt schräg über uns. Sarah hantiert am Boden. Und ich sehe, wie sie dem toten Hahn einige Federn ausrupft, sie in das Blut taucht. Mit weitoffenen Augen steht Saul, starrt, als sähe er die Dinge, die ich nur fühle . . . Seine Unterarme bewegen sich samt den Händen zum Trommelrhythmus, dazu rollen die Schultermuskeln, springen hin und her. Geschmeidig, wie dunkle Fische unter dunkler Oberfläche. Sonst ist der ganze Mensch unbeweglich, umsprüht und umflimmert von den Gestirnen der Nacht. Sarah kommt auf mich zu, und auch ihre Augen haben den entrückten Ausdruck. Nun fängt sie zu tanzen an. Tanzt einen Kreis, dessen Mittelpunkt ich bilde. Zuerst langsam, aber plötzlich rasend schnell. Saul trommelt dazu, zu einem dämonischen Geschöpf geworden, wirbelt mit flatternden Kleidern um mich herum, und wenn ihr denkt, daß dieser Anblick lachhaft war, dann irrt ihr sehr. Ich weiß nicht, wie lange diese Zeremonie dauert. Jedenfalls eine große Zeitspanne. Die Macht der »Komm komm« klopfenden Trommel versteinert mich förmlich, während sie Sarah zum verzückten verrückten Tanz zwingt. Dabei berührt sie mich kein einziges Mal, so dicht auch ihr bald enger, bald weiter Kreis wird . . . Es tut förmlich weh und ist, als ob die Natur unter einem boshaften Schlage zusammenzuckte, als die Trommel plötzlich schweigt. Gurgelnd taumelt die Alte zu Boden, bleibt unbeweglich liegen, während ich mich bewegen kann. Unsichtbare Fesseln sind von mir gefallen. Und der Mond steht nicht mehr schräg über uns, sondern ist hinter den schwarzen Palmen verschwunden. Aber sein Licht, das mit goldenen Pfeilen durch Büsche und Blättergewirr schießt, liegt rötlich und einzelne dichte Schlagschatten blau färbend auf der Schneise. Lächelnd kommt Saul auf mich zugeschritten. Murmelt träumerisch: »Du jetzt heimgehen, Massah. Saul und Sarah machen Voudou fertig! Gehen heim, Massah«, und seine sanften Worte 316
klingen wie Befehl, und ich fühle, daß es gut sei, ihnen zu folgen. Und so stolpere ich nach Hause. Lasse die beiden mit den Geistern der Nacht zurück. Und schlafe zum erstenmal seit jener Nacht am Kai von Campeche wieder ruhig. Ruhig und tief . . . Eines Tages stechen wir in See. In zwei kleinen, einmastigen Barken - herrliche Segler, aber keinem Orkan gewachsen. Die Ausfahrt erinnert mich ein bißchen an längst vergangene Zeiten. Und kommt mir wie ein dunkles Omen vor. Weil unsere gesamte Mannschaft aus achtundzwanzig Mann besteht, den Moses nicht gerechnet. Grad wie damals, mit Pierre Legrand. Die Dons haben schnell genug erfahren, daß der Ollonois damals in Campeche-Bai nicht den Tod gefunden. Sein Ruf ist daher bei ihnen gestiegen und wiegt wohl eine Crew von fünfhundert Mann auf. Ich bin sehr gespannt, wie dieser Zug enden wird.
DAS TAGEBUCH »LOS CAYOS« »Mit achtundzwanzig Mann, und wenn jeder einzelne der Leibhaftige wäre, kannst du gegen Habana, so schlecht die Stadt auch befestigt ist, nichts ausrichten. Das weiß jedes Kind. Du hast einen Klaps, Käpten! Das sage ich!« spricht Negrelli, der erste Maat. »Natürlich!« bekräftigt Puck, der Käpten der zweiten Barke. Dumpf lacht der Ollonois. Seine schwarzen Augen verspotten uns. »Und was meinst du, Mac, mein Quartiermeister und guter Talisman? Ja, Talisman für mich bist du! Wißt ihr, eine alte Voudouhexe auf der Tortuga hat mir prophezeit, daß mir nie etwas zustößt, solange du kein Haifischfutter bist, mein Alter!« »Ich würde deinem Plan - soweit ich ihn erraten kann, nur beistimmen, denn um so eher holt dich der Teufel. Denk an Esmeralda!« 317
Die drei Männer grunzen. »Mac ist ehrlich!« »Und ob!« Der Ollonois fährt fort: »Idioten seid ihr alle und Affensteiße. Bildet ihr euch ein, daß ich die Habana erobern möchte? - Landen will ich und einen überraschenden Nachtangriff aufs Stadthaus machen, weil dort Pieces of eight liegen, die wir brauchen können. - Und nachher, hoi, in die offene, blaue Main!« Bewundernd starren sie ihn an. Der Indiomoses (Schiffsjunge) bringt Wein. »Donnerschlag, du hast was los, Ollonois!« murmelt Negrelli. Stürzt den Inhalt seines Bechers hinab. Wischt sich die Augen, kaut am Schnurrbart. Die schielenden Augen, die diesen Burschen zieren oder verunzieren, peilen nach zwei Richtungen. »Und dann?« frage ich trocken. »Haben wir ein Schiff, lieber Talisman, denn daß solche in Habana ankern und wir eines nehmen, ist doch klar. Und wenn wir damit nach der Tortuga kommen, strömen uns die Burschen nur so zu!« »Hm. Wenn du bis dahin noch lebst! Denk mal ein bißchen an Esmeralda !« »Wie lange läßt du dich noch verhöhnen? Schmeiß doch den Vent über Bord !« knurrt Negrelli und schielt mich boshaft an. »Stop! Kümmere dich nicht um ungelegte Eier!« fährt Ollonois den Italiener an. Dieser spült seinen Ärger mit Wein runter. Und Puck lehnt ab: »Vor der Einfahrt in die Habana steht MoroCastle! Dort in der Kalkgrube liegen schon hunderte Skelette braver Küstenbrüder. Möchte nicht dabeisein!« »Quatsch! Wo bleibt wieder mal der Moses? Wein und Rum her!« Ollonois greift die Pistole auf, und mit dem donnernden Knall zerspritzt die leere Flasche in Splitter. Jammernd kommt der Moses hereingestürzt, sinkt in die Knie und bettelt: »Señor, lo ruego que no me hace nada! - Moses nichts getan!« »Hol Wein und Rum, Pavian!« . . . 318
Ich gehe aus der Kajüte, die nur ein primitiver niederer Verschlag unter dem ebenso niedern überdachten Heck der Barke ist. Die Hitze brennt. Kumuluswolken schmücken den Himmel. Mächtig bläst die Brise, und das riesige Segel steht so prall gerundet wie die Unterhose an der Wäscheleine. Die Barke segelt vortrefflich. Krängt stark nach backbord. Vorne, wo ein kleines Verdeck ist, und in der Hüfte des Schiffes auf dem Steinballast räkelt sich faul die Crew. Der einzige, der hellwach aufpaßt und bald einen Blick nach dem obern Segelzipfel, bald auf die Windhose richtet, ist der steuernde Neger an der Ruderpinne. Ein Rad hat die Barke nicht. Schnurgerade und prachtvoll wie Schnee verliert sich der Schaumstreifen hinterm Heck ins Unendliche. Die Kombüse am Mast ist nur eine kleine Kiste, und der »Doktor« (Koch) sitzt auf einem Holzklotz davor. So kocht er. Kein Land in Sicht. Also ein Talisman bin ich für den Ollonois! Mir wird leicht ums Herz, als ich höre, daß der abergläubische Schuft mich derart estimiert. Denn nun wird er mich mitnichten um die Ecke bringen. »Tant mieux!« wie mein alter Olivier zusagen pflegt. Ob er sich noch mit den Dons auf der Hispaniola herumklopft? . . . Sonnenuntergang: ein Farbenrausch! Der »Doktor« schlägt an seine Pfanne, als Zeichen zum Essen. Wir haben einige Boniten erwischt. Dazu gibt es jungen Rum, den ich nicht mag, weil er wie der Blitz ins Gehirn steigt und verrückt macht. Mit Wasser muß gespart werden. Wir haben ja des öfteren eine Regenbö, aber die Piraten sind viel zu faul, um dieses Naß aufzufangen. Eine tolle Horde, Galgenmusterexemplare aller seefahrenden Nationen, hat da angemustert. Auf der zweiten Barke - Puck begibt sich zum Essen zurück auf sein Fahrzeug - ist's auch nicht anders. Sie folgt einige Kabellängen entfernt in unserem Kielwasser. Cuba ist nahe. Machten gestern Jagd auf eine Fischerbarke, die aber entkam. Und ich muß sehr an Campeche denken. Dort waren es auch Fischer, die . . . 319
Der Chirurg ist ein extra verkommenes Subjekt, eine Säufergestalt aus Salamanca. Weh ihm, wenn seine Landsleute ihn erwischen! Er will sich bei mir anbiedern. Sein Atem ist schierer Fusel, und er würde explodieren, falls man ihm eine Lunte unter die Nase hielte. Ohren hat er keine mehr, und die Nase ist ihm geschlitzt. Und da alle guten Dinge drei sind - wie das Sprichwort sagt - auf der linken Schulter hat er das hübsche Tiefrelief eines Galgens, von irgendeinem Scharfrichter eingebrannt. Man erzählt, daß er sehr geschickt im Amputieren sei. Aber wenn ich seine verrosteten Instrumente anschaue, so wird mir übel. Und ich denke an vergangene Zeiten und an Schiffe, auf denen ich segelte, wo es anders war . . . Cuba angepeilt. Diesmal segeln wir nicht nach San Domingo, denn auch dort unter dem Abhub der Spanischen Main gibt es Verräter. Niemand aber soll uns signalisieren. Aber die Fischer, neulich? Sie waren sehr nah . . . Abwarten. Teuflische Hitze! Die Insel, die erst eine blaue Wolkenmasse auf der Kimm bildete, liegt nun deutlich dwarsab: grüne und braune Berge. In der Nacht sahen wir die Lichter drüben. Die Brise ist noch gut. Gestern ging der Indiomoses über Bord. Aus Verzweiflung: er bekam mehr Prügel als zu essen, und einer der Freibeuter, der sich aus Frauen nichts macht, aber junge Burschen schätzt, wollte sich drastisch an ihm vergreifen. Da jumpte der Junge über die Seite, und wir konnten ihn nicht retten, weil er gar nicht gerettet werden wollte und wie ein Bleilot untersank. Armer muchacho! Wieder ein Fischerboot gesichtet. Heut nachmittag gegen drei Glasen war's. Es wendete und machte sich davon, und da wir einen langen Schlag segeln müssen, ehe wir über Stag gehen können, entkam es. Der Ollonois tobte und gab dem Rudersmann, der gar nichts dafür kann, einen Fausthieb, der ihn glatt über Bord kegelte. Ich warf ihm gleich eine ganze Taurolle nach, er hielt sich fest und wurde glücklich an Bord gezogen. Der »Doktor«, dieser blutige Essenverderber, hat sich am Mann320
schaftsrum vergriffen und wurde dabei ertappt. Kielholen ist die Strafe dafür, aber wir brauchen keine Invaliden, haben jeden Mann nötig. Weshalb sein Urteil lautete: drei Pinten Seewasser trinken. Er schnitt jammervolle Gesichter dabei. Die ganze Zeit segeln wir in etwa zehn Seemeilen Abstand die Küste entlang. Man kann das Land riechen. Vögel besuchen uns. Sogar Schmetterlinge und Libellen, die der Wind heraustreibt, fliegen erschöpft an Bord. Kelp (Sargasso) treibt in grünen Wiesen vorbei. Ein spielender Wal hätte uns beinahe überkielt. Cuba in Lee. Wälder, Berge, stellenweise Steilküste mit blitzender Brandung. Keine Schiffe. Wieder ein tumultuarischer Farbenrausch bei Sonnenuntergang. Ich weiß nicht, der wievielte das ist, seit wir das Kap Engaño (Kap der Täuschung) umrundeten. In mir ist es wie Fieber. Ich möchte in die Zukunft schauen . . . Der Chirurg beschrieb mir eine Amputation sämtlicher Gliedmaßen. Verdammtes altes, schauerliches, fachsimpelndes menschliches Schnapsfaß! Nacht. Ganz schwache Brise. Unsere zwei Barken gleiten langsam auf die schwarzragende Insel zu. Einen halben oder dreiviertel Strich voraus blinzeln Lichter an Land. Die Brise stirbt. Schaukelnd liegen die Barken auf dem Wasser. Die Segel werden beschlagen, das heißt herabgelassen und provisorisch mit ein paar Zeisingen umwunden. Der Ollonois fährt mit sechs ausgesuchten Ruderern in dem scharfgebauten Beiboot kurz vor Mitternacht in Richtung Land. Vor Sonnenaufgang kommen sie zurück, haben vier spanisch redende Indios als Gefangene. Es sind Fischer, deren Boot in die Tiefe geschickt wurde. Ich gehe in den Verschlag, lege mich auf die angefaulte Wergmatratze und rauche Pfeife. Der Kakerlaken sind es so viele, daß sie Armeen bilden. Ihr scheinbar planloses Hinundherrennen und Aufundniederhuschen an den Wänden erzeugt ein fortwährendes Knistern. 321
An Deck foltern sie die Indios. Ich höre Schreie, Winseln, abgerissene Worte, Beteurungen. Und die tiefe Stimme des Käptens. Dann wieder schreckliche Schreie. Und später ein Murmeln. Und nehme rasch einen Schluck Old Jamaica aus meinem Privatdemijohn. Wieder Schreie. Dann ein mehrmaliges Aufklatschen der See. »Mac!« brüllt der Ollonois, und verdrossen krieche ich in die traurige »Kajüte«, in der man gebückt stehen muß. Puck ist da und Negrelli. Bitter flucht der Ollonois. Und ich höre, daß man unser Kommen wieder auf Cuba gemeldet hat und eine Fregatte mit zehn Kanonen und neunzig Mann hinter uns her ist! »Lächerlich! - Angst haben sie! - Lausebande! - He, Mac! Voraus liegt die Mündung des Rio Estera, und dort soll die Fregatte liegen und wartet auf Brise oder sonst was.« »Und?« »Mit unsern Barken können wir segeln, und wenn kein Wind weht, so rudern wir. Heute nacht fahren wir in den Fluß und . . . »Well, da ihr euch einig seid, weshalb fragt ihr mich da noch?« »Geliebter Talisman, ich wollte dir nur sagen, daß du mir bei dem Unternehmen nicht von der Seite weichst!« »Würde verdammt schwer sein, an Bord eines Schiffes jemand von der Seite zu gehen. Oder hast du einen Landspaziergang vor?« »Halt deine freche, vorlaute Schnauze! Du weißt jetzt Bescheid und basta!« »Danke, Käpten!« Ich lasse die drei Kerle in dem dumpfigen Loch allein. Die See atmet wie ein schlafendes Lebewesen. Der Himmel bildet eine dunkelblaue Glocke, deren Sterne tief hängen und heftig funkeln. Vierzehn Mann auf jeder Barke, pullen wir mit umwickelten Dollen nach der Flußmündung. Eine harte Arbeit! Im Stehen, tiefgekrümmt, jedesmal im Rhythmus drei Schritte vorwärts, dreie zurück, so stemmen wir die unhandlichen sieben Yards langen, schweren Riemen gegen den Wasserwiderstand. Ruckweise, später stetig fließend, gleiten die Schiffe im tiefen Küsten322
schatten dahin. Der Schweiß kitzelt meinen Rücken. Manchmal teilt der Käpten jedem Mann einen mit Rum versetzten Becher Wasser zu. Vorne brummt müde Brandung. Wir haben Flut, sie hilft und schiebt die Barken in die Flußmündung. Eine Gegenströmung will uns noch im letzten Moment auf einen Riffwall ziehen. Nach einer Viertelstunde angestrengter Arbeit ist diese Gefahr überstanden. Die Mündung nimmt uns auf. Neben jedem lehnen die geladene Muskete, Cutlaß und Enterbeil. Die Bandoliers mit der Munitionstasche haben wir umgehängt, sonst sind wir all hands, der Hitze wegen und weil sich so besser kämpfen läßt, splitternackt. Haben aber unsere roten Nachtmützen auf dem Kopf. Die Nacht ist feucht und klebrig. Durch leises Wellenplätschern tönt der schrille Zikadenchor aus den Büschen. Vorne liegt ein großes Schiff. Mit aufgetuchten Segeln, schlanken Masten und Spieren, offenen Geschützpforten, aus denen es metallisch schimmert, so schwoit die Fregatte still und ruhig an einem Anker in der Strommitte. Drüben an Land stehen Hütten, ein großes Feuer brennt. Fischerboote liegen halb aufs Ufer gezogen. Hunde bellen. Dunkle Gestalten bewegen sich vor dem Feuerschein. Funken stieben, es riecht stark nach fetter Erde, Blumen und Holz. Gitarrenakkorde schwirren in das Zikadenkonzert. Eine Indiooder Negertrommel hämmert eintönig. Das ist Los Cayos, ein Ort, von dem aus gute Straßen ins Innere und nach Habana führen. Auf dem Wasser, deutlich im blutroten Lichtkeil des Feuerscheins, treibt eine große, schwarzaussehende Schildkröte. Fische springen. In Mangroven unken Amphibien. Plötzlich taucht ein Lichtkreis über die Verschanzung der weißen Fregatte. Eine Stimme: »Quien vive? Wer da?« »Pescadores! Fischer!« erwidert der Ollonois halblaut, und wir rudern ruhig weiter. »Habt ihr etwas von den Teufelspiraten gesehen?« »Nichts, Señor!« 323
»Caramba ! - Sagt, könnt ihr uns Fische verkaufen?« »Wir hatten kein Glück, Caballero !« »Dann geht zum Satan und seiner Großmutter, ihr lausigen Barfüßler!« »Morgen vormittag können wir euch sicher besser bedienen, edler Señor! Wie spät haben wir, wenn ich fragen darf?« »Zwei Uhr morgens!« »Buena noche, Señor!« - »Gute Nacht, ihr Burschen!« Die Laterne, die dort jemand über die Reling hielt, verschwindet. Und es ist ganz ruhig an Bord. »Vorwärts!« zischt der Käpten. Wir keuchen schwer. Ein leiser Pfiff ruft die zweite Barke an unsere Seite, und so halten wir nebeneinander auf die Fregatte zu, als wollten wir dicht in ihrem Schutz ankern. Und da nur noch wenige Mann von uns rudern und die andern unter Segeltuch versteckt kauern, sieht es für einen etwaigen Späher wirklich aus, als wären wir auf beiden Barken insgesamt nicht mehr als acht Mann. An Land musizieren sie lustig. Ob der Wachtmann der Fregatte sich wieder aufs Ohr gelegt hat? . . . Sieben Mann stehen parat. Die anderen schwingen sich wie Akrobaten auf deren Schultern und Köpfe, treten mit einem Fuß in die Stückpforten - ein Schwung - und sie sind oben. Der Ollonois ist der erste. Und ich armer, verpflichteter »Talisman« bin der zweite . . . Die übrigen werden heraufgezogen. Zuerst die Waffen. Unsere Musketen lassen wir aber unten, diese ungefügen Schießprügel taugen nicht für den Nahkampf. Achtundzwanzig nackte, aber bewaffnete Männer stehen wie lautlos an der Schanzkleidung. Wollen uns eben ausbreiten, um die Luken zu verkeilen - da wälzen sich schweigend, nur ihre Fußsohlen trappeln und ihre Waffen klirren, vom Achterkastell dichte Haufen Dons über die Treppe auf uns herab. Ihre Zähne blitzen, die Gesichter sind wutverzerrt. Die ersten Pistolenschüsse krachen. Todesschreie gellen auf. Dumpf fallen Körper auf die Planken. 324
»Santiago !« - »Ollonois ! Tortuga !« Und wieder schweigen die Stimmen. Keuchen, Waffenklirren, einzelne Schüsse. Ich habe meine Pistolen abgefeuert, werfe sie weg und nehme Cutlaß und Dolch in die Hände. Freund und Feind sind deutlich zu erkennen, weil wir Küstenbrüder unbekleidet sind. Einer will mich aufspießen. Ich unterlaufe ihn, haue ihn nieder, ziehe ihm flugs die Pelerine aus, die er als Überhang über seine Unterkleider trägt, und werfe sie mir selber um. Biete so eine weniger deutliche Zielscheibe! Erbittert wogt der Kampf hin und her, dann macht sich unser Ungestüm entscheidend geltend. Die andern sind zwar neunzig Mann - falls keiner an Land ist - und wir nur achtundzwanzig - aber wir haben nichts zu verlieren, außer das Leben. Und dafür alles zu gewinnen. An Land tanzen und musizieren sie lustig weiter, obwohl sie das Kampfgetöse eigentlich hören müßten. Ja, sie vergnügen sich! Und noch weiter weg, am Ende der Welt, fahren Equipagen durch die breite Straße, über der auf kühner Klippe Edinburgh Castle ragt. - In London flanieren Stutzer, leichte Damen und der Adel in den erhellten Alleen von Ranelagh. Und hier auf Cuba schlagen wir einander tot! Die Dons weichen langsam zurück. Jeder einzelne der Unsern ist in allen Waffen geübt, ausdauernd und - das haben sie längst verlernt - keiner weiß mehr, was Furcht ist. Und ich? Nun, ich bin ja nur ein Talisman und wehre mich meiner Haut. Lachend und Witze machend, schlagen unsere Burschen drein. Jeder Hieb oder Stich sitzt, und die Dons haben allmählich fühlbare Verluste. Wir drängen sie auf das große Luk zu. Falls Soldaten an Land sind und sie zu Hilfe kommen, kann's uns allerdings schlecht gehen. Aber sie tanzen und jubeln drüben, denken wohl auch, hier an Bord sei eine plötzliche Fiesta. Vom Großluk führt eine Leiter ins Schiffsinnere. Immer mehr Spanier benützen diesen Fluchtweg. Der Ollonois fordert sie lachend auf: »Schneller, Señores!« Und plötzlich sind wir Herren des Decks. Hinter dem letzten Don wird die Luke zugeknallt und festgekeilt. 325
»Rasch! Vier von euch in die Kajüte. Umbringen, was dort ist. Dann den Zwischendecksgang absperren und bewachen!« befiehlt der umsichtige Käpten. Und hetzt uns übrige ins Want, an die Brassen und Fails und nach vorn ans Ankerspill. Fieberhaft schuften wir. Und wahrhaftig, drüben tanzen und singen sie und die Tomtoms grollen. Beinahe falle ich von der Brahmrahe, weil mit Donnerkrachen eine Erschütterung durch das Schiff geht. Rote, breite Blitze zucken aus den Stückpforten außenbords. »Macht euch nichts daraus, Jungens. Die Dons im Zwischendeck schießen ihre Kanonen vor Ärger ab!« lacht unten der Ollonois. Jetzt verstummt die Kurzweil drüben am Feuer zwischen den Häusern. Und eine laute Stimme weht übers Wasser. »Merde! Ich bin der Ollonois. Wenn ihr Schneid habt, so kommt her!« brüllt der Käpten durchs Sprachrohr. Geschrei ist die Antwort von drüben. Das Feuer wird ausgestampft. Ein paar Schüsse knallen matt. Der Ollonois lacht schallend und wir andern - so herzbrechend wir gerade schuften und uns mit Zähnen und Nägeln bemühen, die mit verknoteten Schiemansgarnbändeln und Zensingen festgerollten Segelwülste auszuschütteln - wir lachen mit. »Schneller, Burschen! Ich rieche die Landbrise!« Unten plumpsen Taurollen. Mir hängt vor Erschöpfung die Zunge aus dem Munde. Neben mir flucht einer. Abermals zucken rote Blitze, und eine donnernde Geschützsalve aus zehn Schlünden hallt durch die Nacht. Die Fregatte zittert und torkelt. Klickklackklickklack! höre ich vom Ankerspill her, wo einige der Unsern arbeiten. Ob sie das schwere Eisen hochkriegen? Wir sind nur wenige und jetzt überall auf dem Schiff verteilt, um es so rasch wie möglich flott zu machen, denn die Nachbarschaft von Los Cayos dort drüben ist etwas ungemütlich. »He, Mac? Wo steckst du, Talisman?« »Hier oben an den Rahen. Und steig mir den Buckel rauf!« schreie ich wütend aus der Höhe der Oberbramrahe, auf die ich inzwischen übergesiedelt bin. Unten lacht er. 326
Ganz schwach weht ein Landwind seewärts. Viel zu schwach! »Royals setzen! - Skysails setzen! - Zweite Skysails setzen! Gaskets setzen! - Stagsegel ausschütteln und setzen!« Alle diese schönen Kommandos auszuführen, braucht geraume Zeit. Dann: »Runter von den Royalrahs! - Runter von der Oberbram!« ruft er hintereinander. Ist er verrückt oder bildet er sich ein, wir könnten zaubern? Allmählich entfalten sich Wolken weißer Leinwand, hängen noch schlaff oder flappend im schwachen Luftzug. »Die Klüver hoch! Tummelt euch! Innenklüver hoch! - Jaager hoch! Außenklüver hoch!« bellt er wieder. Raschelnd steigt ein Segel nach dem andern an den Bugstagen empor. Ich kann kaum noch atmen. Langsam wie ein geschundenes Tier krieche ich die Webleinen nach unten. Das ganze Segelsetzen in den Masten ist eine böse Arbeit, aber uns treibt die Sorge gegen Überraschungen von Seiten der Los-Cayos-Garnison (falls eine da ist), und jeder einzelne von uns ist ein erstklassiger Seemann. Und so haben wir diese Arbeit in der Rekordzeit von einer Stunde geleistet! »Los, Mac! Hilf am Ankerspill!« Ich taumele voraus. Stecke eine Handspake ins Spill und laufe mit den andern rundum. Stück für Stück kommt der Anker. Jean, unser Zimmermann, späht über Bord. »Er hängt! - Noch 'nen kleinen Pull! Pullt, ihr traurigen Hunde! Pullt, meine Lieblinge, gottverdammeuch, pullt!« heult er. Dann: »Stopp!« und nach hinten: »Käpten, der Anker hängt trocken!« »Provisorisch festzurren und dann an die Brassen. Schlaft ihr? Wenn die Brise nicht auffrischt, so macht euch bereit, in den Booten die Fregatte zu bugsieren!« Die letzten springen vom Want an Deck. Manche, die verwundet sind und bluten, fallen ohnmächtig hin. Andere, die schon lagen, rappeln sich mühsam auf, hinken an die Arbeit. »Backbordbrassen! - Hol an die Vorbramschoot! - Hol an die Großschoot. - Hol an die Mizzenschoot! - Pullt, Kerle!« Wenn die Brise nur kräftiger wäre, dann hülfe sie, beim Brassen 327
die schweren Rahen in die gewünschte Richtung herumzuschwingen. Ich packe eine Schoot oder Brasse. Vor mir und hinter mir sind dunkle Gestalten, die ebenfalls das dicke Tau umklammern. Nach einem Aufheulen des Zimmermanns laufen wir damit längsdeck, bis das Segel so schwer ist, daß wir nur noch Schritt für Schritt schräg gegen das Tau gestemmt schaffen. Und ziehen, ziehen! »Ohé ohé, les matelots! Ohé, ohé ohé hehoihé . . . »Hand über Hand. Noch einen Ruck! Pullt! Recht so! Macht fest!« »An die Brambrassen! - Tummelt euch, Kinder!« Der Ollonois ist überall gegenwärtig. Faßt überall mit an. Was wir leisten, ist übermenschlich. Aber es muß sein, das weiß ein jeder. Und deshalb leisten wir's. Rummmmmmmms! - Die Dons unter unsern Füßen gaben wieder eine fürchterliche Salve ab. Die Vollkugeln prasseln an beiden Ufern ins Gebüsch. Und da die Soldaten oder Bewohner von Los Cayos sicher meinen, daß wir sie beschießen, bleiben sie fein drüben. Wenn die wüßten. Zikaden musizieren. Hoffentlich zünden die Dons nicht das Schiff an. Allerdings müßten sie dann als erste schmoren. Öfters poltern sie wütend von innen gegen das Luk und rufen uns aus den Geschützpforten Schimpfworte zu. Endlich sind die Segelstellungen beendet. Ein Mann steht am Ruder. Langsam schwoit die Fregatte und stellt die Nase flußabwärts. Leider haben wir gerade Stauwasser, also weder Ebbe noch Flut. Über uns steht wie ein weißes Gebirge die vollständige Leinwand des Schiffes. Mit weniger Lappen hätten wir auch weniger zu arbeiten, würden aber vielleicht einen halben Tag brauchen, um das kurze Stück bis zur Mündung zurückzulegen. Das wissen wir und ärgern uns deshalb nicht arg, weil der Ollonois uns fortwährend kreuzen läßt. Ein erstklassiges Seemannsstück. 328
Manchmal purzelt wieder einer der Verwundeten um, oder ein anderer erhebt sich. - Kreuzen? Das heißt jedesmal etwa dreihundert Yards nach Backbord schräg gegen die Mündung, dann dasselbe umgekehrt. Und das fortwährend, ohne Pause. Mir dreht sich alles vor den Augen. Da geht's schon wieder los: »Steuerbordbrassen! - Hol über die Schoot. - Rüber mit der Gaffel und den Stagsails!« Einmal knirscht der Kiel beängstigend über Schlick, aber wir kommen klar. Ein andermal rennen wir fast vierkant ans Ufer, und erst in letzter Minute dreht der Bug langsam ab. Der Ollonois kratzt am Mast. Die Brise ist so schwach, daß sie nicht in die Segel faßt oder doch nur zeitweilig. Beide Ufer sind zu hoch, und dazwischen auf dem Flußspiegel herrscht Flaute. Aber der Gott der Winde erhört das Kratzen, denn milde, aber spürbar streicht plötzlich über den glitzernden Wasserlauf ein ununterbrochener Luftzug. »Hurra! Jetzt vierkant angebraßt, meine Jungen!« Unten vollführen die Dons einen wahren Höllenspektakel. Alle zehn Minuten donnert eine Salve los, und jedesmal bockt die Fregatte aus dem Kurs. »Bald haben wir's geschafft!« ermuntert der Käpten. Und es ist Zeit! Richtig stehen kann keiner mehr von uns. So erschöpft sind wir. Nur der Wille des Ollonois hält uns aufrecht. Sterbende schreien nach Wasser. Aber noch haben wir keine Zeit für die Opfer des Kampfes, haben selber noch nichts getrunken. Meine Zunge fühlt sich an wie ein Reibeisen, und sehnsüchtig betrachte ich den Fluß. Denn am liebsten möchte ich versuchen, ihn auszusaufen. Endlich geht der Ollonois mit einem weingefüllten Spanierhelm von Mann zu Mann, und jeder schluckt soviel er kann. Der Trunk rieselt wie feurige Kraft augenblicklich durch die Glieder und richtet uns auf! Der Ollonois ist ein Seemann! Ununterbrochen läßt er loten. Tiefer wird das Wasser. Der Zikadengesang verstummt, das Grollen an den Riffen wird dumpf melodisch, und der Landruch gibt feuchtem Salzwasserduft Raum. 329
»Mann am Ruder, halt Kurs Süd halb Osten!« »Aye, aye, Süd einhalb Osten!« Die Landbrise bringt uns ein gutes Stück hinaus. Dann geraten wir in einen Kalmengürtel und treiben, aber später faßt uns die Seebrise. Und es brummen fröhlich die Segel, die Fregatte schäumt wie ein Renner über das sternfunkelnde Meer, das noch einmal aufleuchtet und intensiver schillert. Als Zeichen, daß der Tag nahe ist. Die Dons unter Deck haben sich beruhigt. »Tote über Bord! Verwundete Spanier auch! - Chirurg, mach dich an die Blessierten. - Vier Mann die Wache im Zwischendecksgang ablösen. - Das Blut wegspülen! - Doktor, mach dich achteraus in die Kajüte und such zusammen, was du an Früchten und Gebäck findest. Vorläufig ist deine Kombüse noch im Machtbereich der Dons unten!« schnellen Kommandos. Ich muß zugeben, alles was der Ollonois tut und sagt, soweit es sich um das Segeln eines Schiffes handelt, hat Hand und Fuß. Jetzt beugt er sich über die Schanzkleidung hinaus und ruft, so daß die Eingesperrten es durch die offenen Stückpforten hören können : »Wenn ihr noch mal Krach macht, schmeißen wir euch einen Eimer brennenden Schwefel auf die Köpfe. Ehe das Schiff abbrennt, seid ihr erstickt, und wir haben das Feuer gelöscht!« Lachend zuckt er zurück, als mit dem Knall von außen eine Musketenkugel an der Bordwand entlangschrammt. Der Chirurg säbelt mit rostiger Säge einem brüllenden Piraten, der von drei anderen festgehalten wird, den linken Arm ab. Wirft das Glied hart an meiner Nase vorbei über Bord und knurrt : »Morgen kann er wieder tanzen!« Wunden spült er mit Rum aus, wobei die Betroffenen schmerzhafte Grimassen schneiden, aber dann strahlen, weil sie hinterher einen tüchtigen Schluck tun dürfen. Ich habe Pfeifen und ein Kistchen Rappohonak Virginiatabak gefunden. Leider keinen Old Jamaica Rum. Einer der plötzlich das Wechselfieber bekommt, sieht eine grüne Wiese und will Blumen pflücken. Er muß angebunden werden, denn besagte Wiese ist der unergründliche schäumende Ozean. 330
Wir sind noch zwölf wirklich arbeitsfähige Männer. Immer mehr sind während der letzten Stunde umgefallen, liegen schweratmend und blutend auf den Planken. Sechs sind so stark blessiert, daß sie nicht gehen können. Zehn Mann sind tot. Also zwölf Mann Besatzung für diese hübsche Fregatte. Ein bißchen wenig. Weil der Ollonois, der an alles denkt, die toten Dons und deren Verwundete vorhin gezählt hat, so wissen wir - falls die Mannschaft vollzählig war, als wir an Bord kletterten - daß unter Deck noch siebenundsechzig Feinde stecken. Matrosen, Seesoldaten, Offiziere und Kanoniere. Ein bißchen viel für uns. Waffen haben sie auch genügend unten. Kein angenehmer Zustand für uns! denke ich, während die anderen angesäuselt singen und lachen und die Verwundeten stöhnen. Müde setze ich mich auf eine Taurolle. Dann fallen mir die Augen zu. Irgend etwas muß geschehen. Und mir ahnt Fürchterliches! Während ich schlief, haben sie in der Kajüte Kriegsrat gehalten. Der Doktor teilt wieder Proviant aus: Trockentrauben, Datteln, Orangen, Bananen und Wein. An die große Proviantkammer kommen wir noch nicht heran. Die Wachen im Gang zwischen Kajüte und Zwischendeck haben zweimal Feuer geben müssen, weil die Dons einen Durchbruch wagten. Unsere Verwundeten, von denen es einigen schon besser geht, liegen, von Sawbones betreut, unter einem Sonnensegel auf dem Vorderkastell, im frischen Luftzug. Vier Mann bewachen den Gang Unterdecks. Einer steht am Ruder und einer ist bei der Kanone. Das sind zusammen sieben Unabkömmliche. Bleiben also fünf Gesunde einschließlich des Käptens, um . . . Jeder hat zwei geladene Pistolen am Gürtel, eine dritte in der Linken und den Cutlaß in der Rechten. Gekleidet sind wir in das, was in der Kajüte gefunden wurde: spanische Kniehosen aus Atlas, Seidenstrümpfe und Rosettenstrumpfbänder (keine Schuhe, weil wir's ohne bequemer finden), Atlaswämser, Batistnachthemden und ähnliches. Einer hat sich eine ungeheure Allongeperücke auf die rote Nachtmütze gestülpt. Wenn wir einander betrachten, so müssen wir lachen. 331
Einigen platzen schon die feinen Hosen. Die in Nachthemden sehen aus wie Kirchhofsgespenster. So gehen wir an die Luke, stellen uns daneben. Doch setze ich mich bald auf eine Taurolle am Mast und stopfe meine Pfeife. Mißbilligend schaut mich der Ollonois erst an. Dann lacht er. Wahrscheinlich fällt ihm ein, daß ein Talisman gewisse Rücksichten beanspruchen darf . . . Die Holzkeile werden herausgeschlagen und die Deckel geöffnet. Sofort knallt es unten zweimal, und die Kugeln klatschen in den Mast. Dumpf schreit eine spanische Stimme: »Señores Piratas? - Die eben geschossen haben, tun's kein zweites Mal, wir haben sie entwaffnet. Wir ergeben uns auf guten Glauben hin. A buena querra! Gebt uns Boote, Señores!« »Kommt einer nach dem andern an Deck. Zuerst der Reihe nach die beiden, die eben schossen. Aber immer erst wenn ich pfeife, darf einer kommen. Sabe?« »Si, si, Señor!« Der Käpten gibt dem riesigen Neger namens Hektor einen Wink. Hektor weist die blanken spitzgefeilten Zähne, legt seine Pistole nieder, spuckt dann in die Hände und faßt endlich den Cutlaß mit der Rechten. Tritt dicht ans Luk. Dort führt die Trittleiter senkrecht ins Zwischendeck. Ich sehe einen Kopf über den Lukenrand tauchen. Der übrige Körper schiebt sich nach. Ein schwarzbärtiger blasser, gutaussehender Spanier in halber Uniform und zerrissener Halskrause. Er muß - mit einem Fuß schon an Deck - sich bücken, um über den Lukenrand herauszusteigen. Der ganze übrige Körper ist schon aus der Luke, nur noch ein Bein steckt drin, Fuß auf der Sprosse. Da saust der Cutlaß des schwarzen Ungetüms mit blitzendem Schwirren nieder und - ja, ich übertreibe nicht, der Kopf des Dons schnellt glatt vom Halse. Schwer plumpst der Leib nieder, aus dem Halsstumpf spritzt dunkelrotes Blut. Der Ollonois winkt. Ein paar greifen zu, und gleich darauf klatschen die Überreste des Spaniers aufs Meer. Eine Pütz Wasser schwemmt das Blut in den Rinnstein. 332
Wieder pfeift der Ollonois. Und der Nächste kommt und es wird ihm das gleiche Schicksal zuteil. Hektor versteht das Köpfen, das muß man diesem schwarzen Satan zubilligen! Er ist ein entlaufener Plantagenneger, seit zwei Jahren als Bukanier auf der Tortuga. Sein Rücken bildet eine Art grauweißes, tiefvernarbtes Kreuzgeflechtmuster: die Spuren einer spanischen Aufseherpeitsche*). Jetzt rächt er sich. Wenn das Schauspiel nicht zu schauerlich wäre, so könnte es eintönig werden! Man bedenke, es sind siebenundsechzig Mann abzutun. Ob Hektors mächtige Muskeln diese Anstrengung aushalten? Und wie lange wird das Ganze dauern? Als der Kopf des Siebenten von den Schultern springt und mir vor die Füße rollt, drehe ich der Luke den Rücken zu und sauge krampfhaft an meiner Pfeife. In den Eingeweiden wühlt mir's. Nach etwa zwei Stunden systematischen Abschlachtens weigern sich die Dons unten, weiter an Deck zu kommen. Wahrscheinlich hören sie trotz aller Seegeräusche das Aufklatschen, wenn die Körper ihrer Genossen ins Meer geworfen werden. Der Ollonois droht ihnen wieder mit Schwefeldämpfen. Dann höre ich - scheinbar weit weg, aber langsam näherkommend, weil der Betreffende die Leiter emporsteigt: »Misericordia, Señores, habt Erbarmen, ich habe nicht gekämpft, ich bin Matrose! Señores, um der Heiligen Jungfrau willen, ich habe eine alte Mutter in Sevilla. Gnade! Erbarmen! Hil - « Das Wort wird gleichzeitig mit dem Kopf abgeschnitten. Alle, die nachher einzeln heraufkommen, flehen und schreien. Es ist höllisch . . . Nur wenige fluchen: »Mistpiraten! Blutige Mörder! Haifischgesindel, Teufelsbraten.« Unsäglich langsam vergeht die Zeit. Nach ungefähr sieben Stunden scheinen sie fertig zu sein. Das Fluchen oder Winseln, das Sausen des Säbels, Poltern fallender Körper und Köpfe und das Aufklatschen im Meer setzt aus. *) Die Szene ist historisch.
333
»Es muß noch einer unten sein, François ! Bisher waren's Sechsundsechzig!« sagt Negrelli. »Weiß ich!« Ich sehe, wie er sich über die Luke beugt : »He du dort unten, komm herauf. Ich schenke dir das Leben. Auf Ehrenwort des Ollonois!« Schallend lache ich auf. Er sieht sich wütend um, und es scheint, als wolle er Hektor einen Wink geben, der sich diesmal auf mich bezieht. Aber wieder fällt ihm wohl ein, daß ich ja sein Talisman bin. Der letzte Spanier: ein junger Matrose, kommt herauf. Er wankt, als er sich umsieht und niemand von seinen Kameraden entdeckt. »Habt ihr sie wirklich alle getötet?« stammelt er. »Ja, mein Junge. Aber du brauchst keine Angst zu haben. Sag, wenn ich dir die Gig mit Segel und Mast gebe, getraust du dich, Cuba zu erreichen?« spricht der Ollonois zu meinem Erstaunen. Beinahe fällt mir die Pfeife aus dem Mund. Der Spanier späht über die Schanzkleidung. Seit der Wind geraumt hat, ist unser Fortgang beträchtlich langsamer geworden. Cuba ist immer noch in Sicht. Weit, weit entfernt, als violettes Dunstgebirge. »Mit diesem Wind in acht Stunden, Señor!« Finster nickt unser Käpten. »Warten!« Sieht dann mich und winkt mir, ihm in die Kajüte zu folgen. »Such Schreibzeug!« befiehlt er und läßt sich auf einen Polstersessel sinken. Ich durchstöbere die hübsch ausgestatteten Räume und finde alles, was ich brauche. Setze mich dann an den Tisch und schreibe staunend nach dem Diktat des Piraten: »An den spanischen Gouverneur Don Fulano de Tal Habana-Cuba Niemals mehr werde ich einem Spanier Pardon geben. Ich hoffe eines Tages an Ihnen dieselbe Strafe vollziehen zu können, welche die von Ihnen mir entgegengeschickten Leute erlitten haben. Auf diese Weise erwidere ich die mir und meinen Genossen zugedachte Freundlichkeit. - François Ollonois.« Ich streue Sand drauf, falte, siegle und petschiere (letzteres mit 334
einem Hosenknopf) das Schreiben. Und adressiere es an Seine Exzellenz, den Gouverneur der Habana. Der junge Matrose bekommt den Brief. Die Gig wird ausgeschwungen, Segel, Mast und Riemen, Wasser und etwas Proviant hineingetan, und der Junge stößt ab, setzt sein Segel, und bald ist das kleine Fahrzeug in den Tälern der Wogen verschwunden. Und wie ich später hörte, es hat sein Ziel erreicht . . . Allen Verwundeten geht es besser. Pieces of eight werden keine gefunden, doch ist das Prachtschiff für einen längeren Kreuzzug mit Wein, jungem Rum, Tabak und vielen Lebensmitteln wohl verproviantiert. Widrige Winde und Abtrift bringen uns weit aus dem Kurs. In der Kajüte wird täglich schwer gebechert. Der Ollonois ist so freundlich, mir zu sagen, daß, wenn ich ein Frauenzimmer wäre, er mich heiraten würde, so sehr hängt er an seinem Talisman, notabene: am Leben. Ich entgegne prompt, daß ich gegebenenfalls lieber einen Kannibalen mit spitzgefeilten Zähnen ehelichen möchte. Zäh und langsam verstreicht die Zeit. Sonnentage und leuchtende Sternennächte lösen einander ab. Seit gestern liegen wir bekalmt. Kein Lüftchen regt sich. Das Schiff schwankt regelmäßig wie eine bequeme Schaukel, und die Rahen knarren einlullend. Vier große Haie umspielen das Heck. Der Ollonois flucht, weil wir den Golfstrom, der uns ein Stück mitführen könnte, nicht finden. Flucht und säuft. Mit ihm der schielende Negrelli und Puck, der gnomenhafte Walliser, der einst wegen Falschmünzerei von den Bristolassisen als Sklave nach Barbados deportiert wurde, entlief und nun unser Maat ist. Er versteht das Seemannshandwerk recht gut. Mittag. Die Haie sind noch da. Der Teer schwitzt aus den Fugen der Deckplanken. Die Kakerlakenheere knistern des Nachts unheimlich bei ihren ruhelosen Märschen nach Krumen und Süßwasserfeuchtigkeit, die sie oft im Munde der Schnarcher finden. Vom Sonnenglanz rosig überhauchte Tropikvögel schweben 335
gleich verklärten Märchentieren im blauen Äther, oder sitzen, recht prosaisch und dämlich aussehend, auf den Rahen und rucken mit den Köpfen. Delphine schwingen sich zu Hunderten rhythmisch nordwärts. Vielleicht kommt eine Brise auf, diese Fische sind meist das Vorzeichen dafür. Nacht. Windstille. Blessierte und Gesunde sitzen auf dem Vorderkastell und grölen beim Punsch, der überreichlich fließt. Die Segel stehen ja, und es sind so wenige ausgespannt, daß auch ein Orkan uns kaum etwas anhaben könnte. Also kann man saufen. Ahoi! Die Hitze raubt einem den Appetit, und Schlafen ist ein Kunststück. Wenn man aufwacht, und zwar genauso müde wie zuvor, sind die Augenlider schleimverklebt. Zur Ratten- und Kakerlakenplage gesellen sich dichte Schwärme von Mücken, die an Bord geboren wurden und sich phantastisch vermehren. Wieder ein Tag. Immer noch Flaute. Vereinzelte Regenschauer mit fünfminutenlanger Brise. Aber keine Abkühlung. In der Kajüte: der Ollonois und die beiden Maaten und ich. Und eine ungeheure Punschterrine. Da torkelt Sawbones herein. Er ist besoffen, aber auch noch etwas anderes scheint ihn zu plagen. Sein Gesicht ist grünlich, und in den Augen flackert und irrlichtert helle Angst. »Käpten! François!« flüstert er. »Sitz hin und sauf. Hast wohl einen Geist gesehen?« Jener macht eine hilflose Geste. »Käpten! Zwei Mann von den Blessierten sind krank!« stottert er und setzt sich schwer auf die Truhe. »Bon. Und? Sollen Verwundete etwa gesund sein, Rindvieh?« »Käpten, sie sind extrakrank. Die Dons - die Dons müssen jemand an Bord gehabt haben, der . . .« »Was ist eigentlich los?« fragt der Ollonois scharf. Und der Chirurg wischt mit rotseidenem Tuch über seine schweißbeperlte Glatze. »Ach, Käpten, zwei von uns haben - und Gott steh uns bei! ich glaube und fürchte, beide haben gleichzeitig Gelbes Fieber und die Pocken!« 336
Ungeheuerliches Schweigen erfüllt die Kajüte. Und wir starren einander an. Es ist, als ob der Engel der Vernichtung unsichtbar in der Türöffnung stände*). »Merde!« explodiert der Schiffer. »Bist du dir auch sicher und klar darüber, was du da eben gesagt hast?« »Leider! Die Pocken äußern sich durch kleine Eiterpilze auf Zunge und Gaumen, ehe sie die Brust und das Gesicht überziehen. Und hohes Fieber dazu! Und der Gelbe Jack! Den kennt ihr ja. Die davon Befallenen kotzen blau und schwarz und endlich Blut, und wenn sie nichts mehr im Leibe haben, kotzen sie die Seele aus!« »Und was hast du getan?« »Ich weiß mir nicht zu helfen. Beide Krankheiten sind doch ansteckend!« murmelt der blasse Mann kläglich. »Mensch, soll ich dich siebenmal kielholen lassen? Gib den Kerlen Zitronensaft und wasche sie mit Essig. Und binde dir Tücher vor Mund und Hände. Isoliere die beiden. Alle andern auf Vorderdeck. Keiner darf in die Räume, krank oder gesund. Sonst kriegen wir die Seuchen überhaupt nicht mehr aus dem Schiff. Mac, sorg dafür, daß alles ausgeführt wird, paß aber gut auf, daß du nicht angesteckt wirst!« Nach einer halben Stunde stinkt das Schiff nach Essigdünsten und Schwefel, der, in flachen Pfannen aufgestellt, langsam verflackert. Jeder von uns hat eine in Essig getauchte Binde um den Mund. Ja, die Piraten fürchten nichts, es sei denn den Seuchentod! Ich gäbe viel um eine Korbflasche meines eigenen Old Jamaica Rums. - St. Dunstan, hilf! Fünf Tage später. Windstille. Die zwei ersten sind gestorben, zerfielen förmlich und stanken fürchterlich. Ihre unheimlichen, teils breiigen Leichen wurden ohne Zeremonie so rasch wie möglich über Bord geworfen. Negrelli machte allen Ernstes den entsetzlichen Vorschlag, auch jeden andern, der die ersten Anzeichen der Seuche sichtbar an sich trüge, lebend über Bord zu werfen. Er meint, damit würde die Krankheit erlöschen . . . *) Damals gab es kein Mittel gegen Gelbfieber oder die noch mehr gefürchteten schwarzen Pocken, die in den meisten Fällen tödlich verliefen.
337
Haie umkreisen wieder das Schiff in allen Größen. Sieben weitere Kranke liegen im Isolierzelt auf dem Vorderkastell. Wir andern, vorläufig noch gesund, betrinken uns oft. Vielleicht ist Alkohol eine Arznei. Die ärztliche Wissenschaft des 17. Jahrhunderts tappt in vielen Dingen noch im Dunkel. Siebenter Tag nach Ausbruch beider Seuchen: von den neulich Befallenen wurden fünf im Rachen der Haie bestattet. Ob diese Fische davon die Pocken und den »Yellow Jack« bekommen? - Vier Neuerkrankungen. Darunter der Chirurg. Ich habe noch nie gehört, daß eine Crew beide Krankheiten gleichzeitig gehabt hätte. Aber bei uns steht das außer Zweifel. Unter großer Mühe haben wir in allen Toppen die noch stehenden Segel, mit Ausnahme der Fock, des Großsegels, der Mizzen und zweier Klüver, beschlagen und sehen nun aus, als ob wir bei Orkan um das böse Kap und Feuerland runden wollten. Dabei sind wir in den Tropen, und es herrscht tödliche, dunstige Windstille. Sawbones stirbt. Sein verseuchter Leib bleibt uns beim Aufheben in vier Stücken in den Händen. Negrelli hat es nun auch erwischt. Pocken und Gelbfieber. Seine Schielaugen starren verzweifelt nach verschiedenen Richtungen. Ich habe ihn mehr ins Zelt schleifen als führen müssen. Ich gebe ihm noch vierundzwanzig Stunden. »Guter lieber Mac!« wimmert er. »Mac, kannst du beten? Ich hab's vergessen, weiß nicht, wie man's macht. Ah, diese Schmerzen!« »Sprich mir nach: Herr, habe Mitleid mit mir und vergib mir meine argen Sünden, wie ich denen vergebe, die mir Böses taten!« Er murmelt, von Rülpsern unterbrochen: »Herr - hab Mitleid - vergib mir meine - Sünden!« Fängt wieder von vorne an. Plappert ununterbrochen im Fieber, übergibt sich. Ich rauche fortwährend. Und nehme ab und zu einen Schluck Leche de España. Neunter Tag. Negrelli ist längst tot und noch zwei andere. Windstille. Hitze. Kein Regen. Kreisende Haie, raschelnde Ka338
kerlaken, quietschende Ratten und Möwengekreisch und dazu die gottlosen Lieder der Zecher, das Rülpsen und Jammern der Kranken bilden die Symphonie des Todes, der mit unsichtbaren krausen Schwingen auf dem Schiff hockt. Zehnter Tag. Wieder ein Toter und dafür ein neuer Kranker. Eine Schar prustender Wale dwarsab. Unermüdlich furchen die schwarzen spitzen Rückenfinnen der Haie durch das öligglatte Wasser. Viele bunte Quallen und »portugiesische Kriegsschiffe« treiben vorbei. Kelp mit hübschen Beeren. Die Nächte sind dunstig, und Sterne torkeln wie müde Laternen am Himmel. Elfter Tag. Kommt denn um Himmels willen noch immer keine Brise? - Puck ist im Suff, oder war's Angst vor der Seuche oder war's echtes Delirium tremens?, über Bord gesprungen. Die Haie stritten sich um ihn, doch hat von uns keiner recht hingesehen, denn wir sind viel zu apathisch. Dreizehnter Tag. Eine Regenbö von zehn Minuten Dauer fegt über die Fregatte. Ich nehme ein Duschbad. Herrlich! Der Koch rülpst sich am Gelben Fieber binnen drei Stunden zu Tode. Jetzt muß ich Arzt spielen, Proviant verteilen und mit Desinfektionsmitteln räuchern. Hätte jener Tölpel es nicht weniger eilig haben können, die letzte große Fahrt anzutreten? . . . Der Ollonois, dem ich's am meisten gönne, ist gefeit. Seine finstere Erdenbahn scheint noch nicht beendet zu sein. Stumm schreitet er auf der Puup hin und her, lugt nach Wind. Oder säuft und singt allein in der Kajüte. Siebenzehnter Tag. Chips, der bärtige Zimmermann, tat seinen letzten Seufzer. Ich weiß nicht mehr recht, wer eigentlich krank oder gesund ist. Tue meine Arbeit wie im Trancezustand. Zwanzigster Tag. Windstille. Haie ums Schiff. Große schlafende Schildkröte gesichtet. Habe mühsam das Pestzelt und alles, was drin war, über Bord geworfen und dann die Planken abgespült. Jack Fadden, das heißt, was von ihm übrig war, schmiß ich schon vorher über die Seite. Jack Fadden war der letzte. Nun sind wir allein auf der Fregatte. Francois und Mac Donald, der verworren von Ben Nevis und der Tortuga träumt und zwischendurch Pfeife raucht und Leche de España schluckt. 339
Aber ich muß mal wieder schlafen - schlafen - viel schlafen und wieder schla Die Zeitrechnung geht mir verloren. Seit ich Jack Fadden über Bord gleiten ließ, muß ich ungefähr eine volle Woche im Stupor gelegen haben. Erschöpfung! Der Ollonois läßt mich ungeschoren. Manchmal wache ich auf und sehe ihn vor mir stehen. »Bist du krank, Mac?« »Unsinn! Müde bin ich, schrecklich müde. Laß mich zufrieden!« - Da lacht er und geht, und ich schlafe weiter. Heute bin ich wieder auf den Beinen und habe gegessen wie ein Drescher! Die Haie sind fort. Der Ollonois ist schweigsam, und manchmal bedaure ich ihn in der Seele, und weiß nicht weshalb . . . Brise! Ja, sie weht! Erst war's ein sanftes Gekräusel, es wurden Katzenpfötchen daraus, die über die blaue Main hüpften, und nun sind's richtige Weißmähnen, die übers Meer galoppieren und im Verein mit der Brise uns in guter Richtung weiterschieben. Allzu rasche Fahrt machen wir mit den paar Lappen nicht, aber das läßt sich nicht ändern. Wir steuern abwechselnd jeder zwei Stunden. Neben das Rad haben wir eine Matratze gelegt, auf der wir schlafen. Stagen und Pardunen vibrieren wie dumpfe, unsern Ohren liebliche Musik. Im Großtopp löst sich das schlechtbefestigte Royal aus den Zeisingen und klatscht wie ein Ballon gegen die Spiere, zerrt an der hin- und herschwingenden Rahe. Vielleicht kommt sie samt Spiere von oben gesaust? Mir soll's recht sein. Bin zu schwach und gleichgültig, um aufzuentern. François befahl es zwar, aber ich lachte ihn aus: »Geh doch selber nach oben!« Er tat es nicht. Heut nacht ist das lose Royal mit mächtigem Knall aus den Lieken gerissen und davongeflogen. Good riddance! Tränen schossen mir in die Augen, als wir in der Morgenfrühe die Inseln Hispaniola und Tortuga sichteten! Noch sehr weit ab, aber ihre Konturen sind unverkennbar. Der Wind raumt. Verflucht und zugenäht, muß denn das jetzt sein? Es geht über unsere Kräfte, zu brassen. Oder aus dem Wind drehen oder ganz beizudrehen. Und die stehenden Segel 340
abschneiden wollen wir auch nicht, weil wir sie nie wieder hochkriegen würden. Trotz reichlicher Nahrung sind wir beide merkwürdig schlaff und müde. Jede Bewegung ist eine große Anstrengung. Der raumende Wind stößt die Fregatte vor sich her, oft nimmt sie Wasser über, gleichzeitig treibt sie mit der Strömung ab, langsam entfernen sich die Inseln. Es ist zum Verzweifeln. Ein Boot aussetzen? Bei dem Winde können wir auch mit dem Boot nicht anluven, außerdem sind wir zu schwach, eines auszuschwingen. Unser Zwangskurs ist der Südatlantik und Europa . . . Die Tortuga liegt ungefähr zwanzig Seemeilen backbord. Noch ein paar Stunden weiter, und wir werden sie achteraus haben. »Schmeiß die Klüverfalls los, Mac!« krächzt der Käpten, und ich steige langsam nach vorne. Meine Gelenke fühlen sich an, als ob Sandpapier dazwischengeraten wäre. Langsam werfe ich die Falls von den Belegnägeln, rauschend kommen die dreieckigen Segel an den Stagen herabgeschossen, bauschen sich ballonmäßig auf, knallen und flappen. Ihre Zipfel schwabbeln im Meer. Egal! Ohne Klüver macht das Schiff keine Fahrt. Das heißt, es dreht sich in bald großen, bald kleinen Kreisen, wie wir im Kielwasserstreifen sehen können. Umkielen kann es nicht, weil es zu wenig Winddruck hat. Aber zeitweise schlingert es ganz verrückt. Ein Brecher klatscht mittschiffs einen Wasserberg an Deck, der mir die Beine unterm Leibe wegspült und mich halb ertrunken unters Vorderkastell spült, wo mich das Ankerspill festklemmt. Gleichgültig humple ich nach achtern. Stolpere in die Kajüte und sinke aufs Sofa. Meine Hand tastet nach der Pfeife. Aber ich bin zu müde. Langsam geht die Welt unter. Alles ist so still und schön . . . »Mac? Mac? steh auf!« weckt mich der Ollonois. Ich spüre, daß die Fregatte merkwürdig gut liegt. Sie schlingert zwar, aber es ist Rhythmus darin. »Wir haben Flaute. Die Tortuga ist immer noch quer ab zu sehen. Steh auf!« schreit er. Ich reiße die verklebten Lider auf. Greife nach der Weinpulle, 341
die er mir hinhält. Und schlürfe eingebildete oder echte Kraft. Hätte zwar lieber Wasser oder westindische Schokolade, die die Indios »Atole« nennen, aber wir trinken schon lange kein Wasser mehr, weil es verseucht sein kann. Und ob abkochen nützt? Ich stelle mich auf die Füße. »Mac, komm nach unten, wir wollen die Kanonen laden!« »Bist du verrückt geworden?« »Nein! Bei der Flaute hören sie's bestimmt auf der Insel, wenn wir schießen. Und holen uns dann!« Eine gute Idee! Wir klettern ins Zwischendeck. Schrauben die Stückpforten auf. Holen Pulver und Kartuschen aus der Kammer. Reinigen die verschlammten Bronzeschlünde mit dem Wischer und Essigwasser. Die zehn Geschütze zu laden, dauert zwei Stunden. Weil wir so müde sind . . . Ich denke zwar an die Drehbasse an Deck - mit ihr hätten wir's leichter - aber diese Dinger hier unten sind schwereren Kalibers und werden lauter knallen! Wir zünden Lunten an. Ich peile durch eine Pforte. Ja, dort drüben liegt die Tortuga und dahinter Hispaniola. Die See wird immer glatter. Es ist ein sonniger Morgen, und ich bilde mir ein, daß ich meinen Garten riechen kann . . . »Stopf dir Werg in die Ohren, Mac!« Und dann schießen wir gleichzeitig zwei Rohre ab. Der Doppeldonner hallt erstaunlich hart hier unten. Die beiden Geschütze sausen rückwärts, werden von den Schlingen abgestoppt, wieder nach vorne geschleudert - und stehen still. »Die nächsten! - Fertig? Senkt Lunte! Feuer!« . . . Noch dreimal. Meine Ohren hallen. Pulverdampf wogt und schafft Zwielicht. »Na, wenn sie das nicht hören!« murmelt François. Hier unten ist's nicht auszuhalten. Deshalb schleppen wir Pulversäcke und Kartuschen für die Drehbasse an Deck. Laden diese und schießen so oft damit, daß das Rohr glühheiß wird. Drüben liegt die Tortuga. Ob sie uns hören und sehen? Ja, wie sie uns später erzählten, haben sie uns gehört und gesehen 342
und sich sehr gewundert und schon an eine Finte der Dons gedacht, die Ruderboote anlocken sollte. Bis einer, der einen guten Kieker besitzt, die seltsame Segelstellung und die zwei nackten Männer erspäht, und dann . . . Kurz vor Sonnenuntergang - während einer nötigen Pause in der Kanonade - sahen wir schwarze Punkte über die blitzende Fläche kriechen. Ruderboote von der Tortuga! Drei, vier, acht und mehr. Und als wir sicher waren, daß sie heranpullten, ging ich in die Kajüte und zündete eine Pfeife an. Schlief aber darüber ein. So fanden sie mich, und da ich nicht zu wecken war und weiterschlief, legten sie mich in eine Koje. Ich hörte nicht, wie sie beinahe alle wieder in die Boote gejumpt wären und uns unserm Schicksal überlassen hätten, weil der Ollonois ihnen unklug von Pest und Pocken erzählte! - Hörte auch nicht, wie sie bei aufkommender Brise alle Segel setzten und die Fregatte durch den Kanal ins Hafenbecken knüppelten. Und vernahm auch nicht den Disput und das Geschrei, als der Gouverneur anfänglich die schöne Fregatte wegen Ansteckungsgefahr verbrennen lassen wollte . . . Ich wachte erst auf, als ich auf weicher Matratze lag. Über mich beugte sich das gute alte Gesicht der schwarzen Sarah, und in der Hand hielt sie ein Gefäß. Und ihre Lippen flüsterten: »Noch zwei Reisen Massah machen, dann Ollonois kaputt!« Sah auch über mir die hohen Masten mit den vorschriftsmäßig aufgetuchten Segeln. Sterne blitzten, dunkel ragte seitwärts der Gipfel der Insel. Und mit Entzücken vernahm ich den vertrauten Radau aus den Wasserfrontkneipen und Zelten, atmete die Düfte der Blumen meiner Insel ein. Meiner Insel. »Ist Massah Esquemelin auf der Insel, Sarah?« »Nein, Massah!« Ich sprang auf: »Na, dann wollen wir heimgehen, Sarah.« Dies war der Anfang und das Ende der kubanischen Affäre von Los Cayos. So ist's gewesen, und kein Wort habe ich darüber zu viel oder zu wenig gesagt.
343
EBENHOLZ Der Ollonois setzte seine Fregatte, die er wieder »Le Mort« getauft hat, obwohl alter Seemannsglaube das nicht schätzt, weil es auch dem zweiten Schiff Unglück bringen kann, instand und musterte langsam eine neue Mannschaft an. Da er etwas von einem Großunternehmen verlauten läßt, bekommt er Kredit von den Kaufleuten. Ich mußte Monsieur de la Place das Lo-Cayos-Abenteuer in allen Einzelheiten erzählen. Zum Dank schickte er mir nachher fünfzig Pullen Champagnerwein. Zéphir Barbassou hat mir mit Freuden fünfhundert Pieces of eight geliehen. Mit hundert habe ich den starken Saul seinem Master abgekauft, dann für ihn und Sarah beim Gouverneur Freibriefe ausstellen lassen und endlich die beiden geheimnisvollen, mir aber treu ergebenen schwarzen Menschen miteinander verheiratet. Das heißt, Pater Eustache tat dies. Nun habe ich zwei treue Wächter und Sorger für mein Anwesen, wenn ich auf See bin. Manches bedarf der Erneuerung. Zum Beispiel das Dach, das aus eigens präparierten Pandanusblättern hergestellt ist. Ein solches Dach hält acht Jahre. Einen Hund hätte ich beinahe gekauft, stand jedoch in letzter Minute davon ab, denn das Tier ist so groß wie ein Kalb, und trotz ersichtlicher Gutmütigkeit haben es die Dons, seine früheren Herren, auf Negerjagd trainiert. Zéphir kaufte es schließlich und lernte es an, den Bratspieß zu drehen. Der junge Barbassou hat drei solcher Hunde für diesen Zweck. Sie arbeiten gerne, denn er füttert sie gut und gibt sich auch sonst mit ihnen ab, er ist ihnen mehr Freund als Herr und läßt ihnen viel freie Zeit. Olivier soll in Port Royal sein. Bei dem weit und breit bekannten Freibeuterflottenchef Edward Mansfield, unter dem auch mein alter Freund und Befreier (er holte mich von der Trinidadinsel, erinnert ihr euch?) John Brenty oder Brodeley segelt. Bei den Portroyalbrüdern macht sich auch ein gewisser, unter Mansfield stehender Brite namens Henry Morgan einen Namen . . . Eine große Freude wurde mit zuteil! Vor Jahresfrist habe ich 344
wieder mal eine erhebliche Summe Pieces of eight durch ein englisches Handelshaus meiner guten alten Mutter überwiesen, und jetzt kam Antwort! Sie lebt, die liebe Seele, es geht ihr gut und sie hat keine Sorgen - wie der Domine des Ortes auf lateinisch schreibt, denn meine Mutter kann nicht schreiben und sie betet täglich für ihren Sohn. Für mich. Ich weinte und klomm dann zu Levasseurs Taubenschlag empor. Saß dort rauchend einen halben Tag und schaute unverwandt über die blaue Main gen Osten. Seit Sarah und Sauls nächtlichem Dschou-Dschou damals besuche ich den Ollonois nicht mehr täglich, um ihn an Esmeralda zu mahnen. Ich bin ja sein Talisman, und ohne mich geht er nicht in See! Ich fragte Sarah, ob sie die Voudoufrau kenne, die den Zauber für den Käpten getan, aber sie blinzelte nur schlau und verneinte dann . . . Der Ollonois will eine Flotte zusammenstellen und - ich bin außer ihm der einzige, der es bisher weiß - die große Stadt Maracaibo in der Lagune angreifen und plündern. Ein Schnellsegler traf von Port of Spain ein. Dort herrscht das Gelbe Fieber unter den englischen Soldaten. Schiff und Mannschaft kommen auf vierzehn Tage in Quarantäne, in einer Ecke des Hafenbeckens. Werden Tag und Nacht von zuverlässigen Küstenbrüdern, die den Schrecken des Gelben Jakobs genau kennen, bewacht. Ein anderer Schnellsegler meldet, von Guinea käme ein volles Ebenholzschiff. Ebenholz nennt man das schwarze lebende Negerfleisch. Wir leben in einer Epoche der Sklaverei, in der Gott uns unsere schwarzen Menschenbrüder gegeben hat, damit sie uns umsonst dienen und, wenn sie faul sind, Prügel bekommen. Viele Küstenbrüder, besonders die seßhafteren, haben Arbeitersklaven. Meist behandeln sie aber diese Unglücklichen sehr gut, einige gaben den ihren sogar die Freiheit, aber da die Schwarzen hier draußen nichts damit anfangen können, bleiben sie im alten Dienstverhältnis. Manche vermieten ihre Sklaven. Ohne diese, abgesehen 345
von den spärlichen Indios, wäre Plantagenarbeit in der Hitze der Spanischen Main ganz unmöglich. Manche den Dons entlaufene Schwarze fahren als freie, vollwertige Küstenbrüder auf Beute aus; andere bukanieren oder kämpfen drüben auf Hispaniola. Wieder andere, besonders im Innern des Festlandes, scharen sich zusammen und bilden Banden: eine furchtbare Drohung für die Spanier. Das sind die sogenannten Cimarones, Angehörige einer bestimmten Negerrasse von der Goldküste, Riesen mit spitzgefeilten Vorderzähnen und dunkler, bläulichschwarzer Hautfarbe. Man nennt sie zum Unterschied gegen die bräunlichen - »blaue Neger«, und sie sind als Arbeiter sehr gesucht, ihre Gesundheit ist unverwüstlich. Im Kampf sind sie schreckliche Gegner von blutdürstiger Wildheit, denen es nicht darauf ankommt, einem gefallenen Feinde ein Glied abzuschneiden, es zu rösten und aus Rache als Leckerbissen zu verspeisen. Auf der Tortuga sind viele Schwarze. Und wenn sie die Erlaubnis ihrer Herren haben, so trommeln und tanzen sie die ganzen Vollmondnächte durch, nachdem sie tagsüber schwer geschuftet haben. Es steckt eine unbeschreibliche Daseinsfreude in diesen Menschen. Falls aber einer sich behext glaubt oder wirklich bezaubert wurde - wer kennt die geheimnisvollen Riten und Unterschiede? - so legt er sich einfach hin und stirbt binnen wenigen Tagen. Stirbt an der »großen Krankheit«, wie sie es nennen . . . »Ein Ebenholzschiff von Guinea, zweihundert Seemeilen von der Tortuga gesichtet! Wer geht mit?« wurde vom »Stadtschreiber«, einem martialischen Einbein, ausgetrommelt. Kaufmann Venters stellt die Barke, Anführer ist ein gewisser »Braßbutton« (Messingknopf). Ich bin auch mit von der Partie, will dem Ollonois einen kleinen Possen spielen. Wenn er hört, daß sein »Talisman« sich in Lebensgefahr begab, so kriegt er Zustände, wie eine hysterische Lady . . . Dreißig Mann, wie üblich bis an die Zähne in Waffen, aber sonst wenig am Leibe, tummeln wir uns in die schlanke einmastige Bark. Jemand, der hinter mir sitzt, zupft mich am Zopf (auch so eine Art Vorausmode, die nur schwer Fuß hier draußen faßt), 346
den ich erst heute früh mit frischer Aalhaut umwickelt und mit Bleiklammern versehen. Der Mutwillige ist ein alter Kumpan, der mit mir unter Rock Brasiliano segelte. »Feine Fahrt!« ruft Venters uns nach. Er hat gut reden! Ihm ist's um das Geschäft zu tun, denn ein Ebenholzschiff hat dreihundert Sklaven an Bord, und die bringen eine große Summe ein. Allerdings, die Hälfte oder noch mehr sind sicher schon tot, da die Fahrt lange dauert und die Armen unbeschreiblich scheußlich untergebracht sind. Habt ihr schon mal »Kippers«, wie wir daheim geräucherte Heringe nennen, oder Salzheringe in Kisten und Tonnen eng neben - und aufeinander liegen sehen? So ähnlich sind die Sklaven an Bord der Schiffe untergebracht. Mit dem Unterschied, daß es sich nicht um tote Fische handelt, sondern um, wie der Padre in der Kirche erzählt, unsere schwarzen Brüder und Schwestern in Christo. Trotz enormer Sterblichkeit - man rechnet mit bis zu siebzig Prozent Ausfall während einer Reise von Afrika nach Brasilien oder Cuba - werden Unsummen an diesem Fleisch- und Seelenhandel verdient. »Segel hoch!« kommandiert Braßbutton stentorhaft, als wir die Kanaleinfahrt hinter uns haben. Die Brise faßt, und rauschend halten wir Nordost. Wir kreuzen die ganze Nacht. Den folgenden Tag und noch eine Nacht. Da der Schnellsegler uns eine ziemlich genaue Kursbestimmung gab, da der Wind seit Tagen unverändert weht, nicht mit viel Abtrift und Stromversetzung zu rechnen und Braßbutton ein guter Navigator ist, müßte es merkwürdig zugehen, wenn wir das Schiff verfehlten. Vierundzwanzig Stunden später: dreißig Mann fuhren aus, und jetzt sind wir nur noch neunzehn. Elf Mann wurden in Davy Jones' »großer Salzwasserkiste« versenkt. Und wir übrigen sitzen, teils mit verbundenen Köpfen und geschienten Gliedern, an Bord des Ebenholzfrachters, den wir nach schwerem Kampf im Segeln über viele Seemeilen hat er sich abgespielt - genommen haben. 347
Die Überlebenden des Sklavenfrachters sind in der Segelkoje eingesperrt. Ein bißchen eng haben sie's da ja, aber ihre »Fracht« . . . o du mein Gott! Denkt euch unter Deck einen hohlen Raum, stockdunkel, wenn keine Lampen brennen. Da liegen oder lagen, als das Schiff von der Guineaküste absegelte, etwa hundert kräftige nackte Sklaven. Männer und Frauen, mit schweren Eisenfesseln an Bodenringen befestigt. Sie können sich nicht viel bewegen, müssen stets auf einer Seite liegen - liegen sich wund - eng nebeneinander, wirklich wie die »Kippers«, schräg von den Spanten aus nach der Schiffsmitte zu. Gegen ihre Sohlen stoßen die Köpfe anderer, die in gleicher Anordnung liegen. Über dieser Schicht wurde, genau drei Fuß höher, ein zweiter künstlicher Boden erbaut. Sklavenschiffe haben stets die frischabgepaßten Hölzer dafür an Bord. Auf diesem zweiten Boden liegen in schon beschriebenen Reihen wieder hundert Schwarze. Über ihren Köpfen - drei Fuß höher - kommt der nächste falsche Boden, und da liegen wieder hundert. An den Händen sind sie nicht gefesselt, nur die Füße. Ist das Wetter gut, so dürfen sie - eine Kanone steht bereit, um einen Ausbruch zu verhüten - abteilungsweise an Deck. Käpten und Mannschaft suchen sich dann zum Zeitvertreib ein paar der hübschesten Negerinnen aus, gebrauchen sie unter anderm auch zu Tanzvorführungen. Und wenn sie sich weigern, kriegen sie die Peitsche, daß das Blut spritzt und die Haut fliegt. Bei Schlechtwetter und auch sonst sehr oft müssen sie alle unten bleiben. Für die schwache Crew sind nämlich dreihundert Neger eine heikle Sache, sie meutern oft aus Verzweiflung. Ja, da liegen die Ebenbilder Gottes, schlimmer untergebracht als Vieh, bekommen einmal pro Tag Trinkwasser und eine reichliche Maisbreimahlzeit. Eine Reise dauert bis zu vier Monaten, und wenn ein schlechter Navigator an Bord ist oder man den Kriegsschiffen kämpfender Nationen und den Küstenbrüdern ausweichen muß, dauert sie viel länger. Stellt euch vor und sagt mir dann bitte, ob der Mensch es noch nötig hat, an einer Hölle zu zweifeln, wenn er sie sich doch auf 348
seinen Ebenholzschiffen selber schuf und immer vor Augen hat? Von den dreihundert Negern, die einst auf das nun von uns eroberte Jammerschiff gebracht wurden, sind über die Hälfte unterwegs Haifischfutter geworden. Denkt euch doch: der Gestank unter Deck, die Exkremente, in denen diese Menschen teilweise liegen - der Verwesungsgeruch der Toten, die oft erst nach Tagen entdeckt werden - das Stöhnen und Jammern der Kranken bei Schlechtwetter - die Verzweiflungsschreie und die Not der Frauen, die oft in dieser Lage gebären. Unglücklicherweise haben wir niemand, der ihren Dialekt versteht. Der Käpten des Schiffes, ein spanischer Mestize, der einen ellenlangen Namen von und zu hat, sagt aus, daß er aus den Camerones (Kamerun) käme und nach der Habana bestimmt sei. Jeder von uns hat schon allerlei erlebt und auch schon ähnliche Ebenholzladungen gesehen - ganz zu schweigen von Sklaventortur, Auspeitschen, Branden usw., aber wir alle sind so wütend auf den Käpten, daß er jeden Tag eine Extratracht Prügel erhält, die ihm sein Steuermann verabreichen muß. Und wehe, wenn er nicht gut zuschlägt. Infolgedessen kann der Käpten schon bald weder sitzen, liegen noch stehen . . . Tortugakurs. Haben Gegenwind, müssen kreuzen und lavieren. Der Kahn segelt gut, gehorcht dem Steuer willig, stinkt aber mephistisch . . . Wir brauchen eine Woche bis zum Einlaufen. Venters kommt uns in einer Jolle entgegen und reibt sich die Hände. Er bringt die Sklaven sofort in einem großen luftigen Schuppen unter, und schnell erholen sie sich. Sind ebenso schnell wieder fidel und tanzen, trommeln und singen die halben Nächte. Ein Teil wird von Tortugasiedlern gekauft. Ein Teil ist für Martinique und Basseterre bestimmt. Das Schiff wird versteigert, ein Kaufmann hat es dann dem Ollonois verchartert. Mein Prisengeld ist ein nettes Sümmchen. Der Ollonois hat mich direkt »gebeten« - wenn auch unter Flüchen - nicht mehr mein Leben aufs Spiel zu setzen, wenn er mich nicht beschützen kann . . . Die Abende in meiner Behausung sind behaglich. Meine Bücher 349
machen mir wieder Freude, und kürzlich hat ein recht hübsches leichtfertiges Mulattenmädchen bei mir das Souper eingenommen. Ich schenkte dieser fröhlichen Tochter der Sünde ein altes Beutestück, den herrlichen spanischen Schildpattkamm, mit Gold, Korallen und Bernstein inkrustiert. Vor Freude bot sie sich an, immer bei mir zu bleiben, aber ich dachte an die Vergangenheit und weinte daher keine Träne, als die Kleine am andern Morgen zögernd verschwand. Vollmondnächte, Negertrommeln grollen und klappern in den Palmengrotten. Mein schwarzes Ehepaar zeichnet sich durch häufige Abwesenheit aus. Bald geht's wieder in See. Nach Maracaibo . . .
MARACAIBO Es macht keine Freude, ununterbrochen blutige Ereignisse zu schildern! Da ich aber bei der Wahrheit bleiben möchte, so kann ich vorderhand nichts anderes tun. Schöner wäre es, von der heißen Poesie der Tropen zu reden: von nächtlichen Tänzen mit hübschen Halbblutgirls und vom Wohlgeschmack und anderen Eigenschaften herrlicher Früchte und dem blumigen Old-Jamaica-Rum! Und von Kanufahrten, Fischfang am schaumumtosten Riff und der Musik der Meeresbrandung. Und vom Glanz fremdartiger Vögel und dem Duft jener lieblichen Eilande, deren ich bisher eine Menge betrat. Ja, es dünkt mir sogar, anstatt Mord und Totschlag und Tortur und Plünderung zu schildern, wäre es netter und vielleicht auch für die Nachwelt wissenswerter, die erstaunliche Anzahl der seidenen Unterröcke jener kleinen süßen Teufelin zu beschreiben, welche neulich . . . ahem, ahem - denn in einigen Jahrhunderten tragen die Damen vielleicht gar keine Furbelows mehr. Oder eine bildhafte Darstellung der nutzbringenden, auf vielen Inseln existierenden Walfang- und Transiedereien zu geben. Ein Geschäft, das gefahrvoll ist, aber erst richtig gefährlich wird, 350
wenn, sagen wir in hundert Jahren ab heute, sich die mächtigen Säugetiere des Meeres vermindert haben und weniger zutraulich sind. Und wenn der Fang von Schiffen aus betrieben werden muß, die jahrelang der Heimat fernbleiben und in vielen Fällen nie wiederkehren. Jetzt sind die Wale sehr zahlreich in der Spanischen Main und im übrigen Atlantik. Man fährt des Morgens von der Insel im Walboot ab und kann gewiß sein, mittags schon wieder mit einem oder zwei Walen im Schlepptau zurückzukommen. Walrat, Tran und die spärliche Ambra werden gewonnen, und der Rest, der gewaltige Karkaß, an dem noch viel sitzt, bleibt den Möwen überlassen. - Vielleicht wird man dereinst auch den ganzen Karkaß verarbeiten und keine lieblich duftenden Kerzen aus Bienenwachs und köstlicher Ambra gemischt mehr brennen. Ja, all dies wäre überaus nützlich und erbaulich zu schildern. Aber gleich meinem Freunde Alexandre Olivier Esquemelin aus Honfleur (wo mag der gute Vent nur stecken, zur Zeit?) bin ich vom Schicksal auserkoren, Chronist von Bukaniern, Piraten, Mördern, Dieben und allerlei guten wie schlechten Außenseitern der menschlichen Gesellschaft zu sein. Mit Trompetenschall und Paukenschlag sind wir, weit über dreihundert Mann stark, vom Tortugahafen ausgefahren. Die Fregatte »Le Mort« ist mit Menschen so vollgepfropft, daß ich unwillkürlich Vergleiche ziehe mit einem Ebenholzschiff. Der Glücksstern des Ollonois strahlt in hellem Glanz am Piratenhimmel, denn (und damit scheint er, der einen Bund mit dem Satan hat, gerechnet zu haben!) wir haben unterwegs zwei hübsche spanische Schiffe getroffen, Prachtsegler und keine altmodischen Karavellenmodelle à la Columbus. Unsere Mannschaft wurde darauf verteilt, und auf »Le Mort« ist Platz geworden. Die armen Dons mußten samt und sonders über die Planke schreiten und schlafen nun auf dem Meeresgrund. Und Gott möge ihnen jetzt und dereinst auch uns gnädig sein. Amen! Maracaibo, mit seiner vieltausendköpfigen, größtenteils aus kriegserprobten Männern bestehenden Bevölkerung und einer 351
Extrabesatzung von achthundert Berufssoldaten, liegt am Innenufer einer unübersehbaren schiffbaren Lagune oder Inlandsee. Im Rücken der Stadt dehnt sich ein zweiter großer Binnensee aus, und der schmale natürliche Verbindungskanal zwischen beiden Gewässern wird von zwei Inseln und einer Landzunge, auf der das starke »Fort de la Barra« steht, wohl beschützt. Das wird uns eine harte Nuß zu knacken geben. Jenseits, am andern Ufer des Sees, gegenüber von Maracaibo, liegt eine zweite Stadt und eine große Festung. Die »Fortaleza Gibraltar« mit der gleichnamigen Stadt, die aber auch Granada genannt wird. Sie zählt an die zweitausend Einwohner und hat eine starke Besatzung. Sie ist durch gute Straßen mit dem Gouvernementssitz Merida verbunden. Wer das Fort de la Barra besitzt, hat den Schlüssel zu Maracaibo und Gibraltar. Aber jeder Feldherr, wenn er auch zehntausend Mann hätte, würde sich's zweimal überlegen, ehe er einen Angriff auf Maracaibo versuchte. Das wissen die Dons natürlich und fühlen sich sicher, obwohl sie eigentlich mit dem überraschenden Draufgängertum und sprichwörtlichen Glück der Küstenbrüder von Tortuga rechnen sollten. Eines Nachts segeln wir in die von Haifischen, Schildkröten, meerweibchenartigen Lamantins, vielen Pelikanen und anderen Wasservögeln anmutig belebte Lagune. Spione berichten, daß kein spanisches Kriegsschiff in der Lagune steckt. Ein Glück für sie oder für uns. . .*) Anscheinend fühlen sich die Dons wieder mal so sicher geborgen, als säßen sie in des lieben Gottes Hosentasche. Eine gute Seemeile vor Maracaibo drehen wir bei, zumal auch der Wind zu einem Säuseln erstarb. Zwischen der Stadt und den Schiffen liegt der steile Hügelrücken mit dem Fort. Diese Befestigung ist als Schutz für die Neue Welt außerordentlich stark und zyklopenhaft, und in ihr wartet, wie wir genau wissen, eine Elitetruppe von zweihundertfünfzig Mann unter einem bekann*) Heutzutage ragen vor Maracaibo aus dem Wasser die wie auf Stelzen stehenden Giganten Hunderter von Petroleumbohrtürmen.
352
ten Kommandanten. Und sechzehn Kanonen schwersten Kalibers. Das Freudengebrüll auf unseren Schiffen, die majestätisch unter voller Leinwand auf dem hellen Wasserspiegel ruhen, hallt in peitschenden Echos. Ja, dort, gewissermaßen greifbar vor uns, schimmert Maracaibo, die wunderschöne, palastreiche Stadt! Viele Piraten umarmen einander, andere tanzen vor Freude, und wieder andere prüfen bedächtig die Schärfe ihrer Hiebwaffen an Kinn und Daumennagel. Punsch fließt in Strömen die allzeit durstigen Kehlen hinab. Von »Le Mort« dröhnt ein einzelner Kanonenschuß, als Gruß für die Dons. Und urplötzlich entwickelt sich das Drama: mit affenartiger Geschwindigkeit werden sechzig ausgesuchte Bukanier, vom Ollonois angeführt (weshalb ich armer Talisman auch dabei bin), in Schaluppen eingebootet und rudern auf den Hügel zu. Brüllend donnern die Geschütze von la Barra, scheuchen nach Zehntausenden zählende Wasservögel in die sonnige Luft. Sie bilden weiße und rosige, kreischende und schwirrende Wolken über uns. Ununterbrochen donnern die riesigen Geschütze der Feste. Fortwährend ändern die Schaluppen den Kurs, Zickzacken geschickt hin und her, so daß der grobe Bombenhagel, die Vollkugeln und Karkassen (mit brennendem Schwefel gefüllte Projektile) rundherum ins Wasser platschen und Geiser aufrühren, die uns lediglich benetzen. Die Dons schießen herzlich schlecht. Aber ich fühle mich gar nicht mehr in der Hosentasche des lieben Gottes sitzen, sondern mein Herz scheint in meine eigenen Hosen gerutscht zu sein. Bukanier sind zwar unerreichte Meister im Nahkampf, Mann gegen Mann, aber als Chronist und friedfertiges Individuum kann ich gar keinen rechten Geschmack an dem finden, was da kommen soll. Und ich bewundere unwillkürlich die anderen, die freudig lachen, sich in die Hände spucken, die Musketenzündungen nachsehen und die Handgranaten parat machen. Die Dons schießen toll. Ohne Pause hallen die grandiosen Echos ihrer Salven, klatscht das Wasser unter dem Einschlag. Einige 353
Vollkugeln sausen in unserer Nähe durchs Gestrüpp und schaffen uns »Pfade«, die auch flugs benützt werden. Spanische Plänkler tauchen aus Buschwerk und Lianenranken. Jubelnd rücken ihnen die Küstenbrüder zuleibe, und wunderbar schnell sind die Soldaten der allerchristlichsten Majestät überrannt und getötet. Weit auseinandergezogen und aufgelöst, oft wie wilde Indios auf den Bäuchen kriechend, dringen wir vor. Geschützfeuer wirft wieder ein paar Bäume um. Versteckte Soldaten bepfeffern uns mit Musketenkugeln. Mittels Läufern halten wir unsere Verbindung intakt, und auf einmal habe ich freien Ausblick nach vorne und oben. Was ich sehe, läßt mein Herz pochen wie ein Hammerwerk! Diese klobigen künstlichen Steinblöcke und breiten Erdwälle und Laufgräben sollen wir etwa erstürmen? Wir kriechen, in der bewährten Indiotaktik, den Hügel bergauf. Die Kanonen machen zwar viel Lärm, sind aber sonst nicht sehr furchtbar. Zwei unserer mitgeschleppten Mörser bullern ihre gelblichrauchenden Karkassen in die Festung, über der stolz das goldrotgoldene Banner weht. Aber alles kommt mir ziemlich lachhaft vor: etwa so, wie wenn Schuljungen mit Erbsen gegen Eisenplatten schießen. Sämtliche Schlünde des Forts scheinen auf die unten liegende Inlandsee gerichtet zu sein, speien gehacktes Blei, Kettenkugeln, Vollkugeln, Bomben und gelbe Rauchbahnen aus Schwefel gegen die Schiffe. Sie treffen zwar nicht, doch einige der Schwefeldinger klatschen in unserer Nähe ins Gebüsch, setzen dieses im Nu in Brand. Blaubrennender Schwefel spritzt umher. Ein paar Piraten schreien fürchterlich, weil sie etwas abbekommen haben. Erstickender Rauch wogt um und über uns, sinkt schwer durch die feuchte Tropenluft herab. Immer größer werden die Brandstellen im Gebüsch. Die Musketenkugeln der Verteidiger rasseln wie Graupelwetter. »So kriegen wir sie nicht!« schreit der Ollonois wütend seinem ersten Maat zu. 354
»Hast du daran gedacht, was ich dir geraten habe?« brüllt dieser durch den Lärm. Beide spähen immer wieder nach rückwärts. Und da sehe ich einen Mann bergauf keuchen, der einen schweren Segeltuchsack schleppt. Hinter ihm ein zweiter, der ebenfalls beladen ist. Sie erzählen, daß der Strand nicht mehr unter Beschuß liegt. Ihre Last besteht zusammen aus hundertundfünfzig Pfund Pulver bester Güte und einigen langen Zündschnüren. Alles ist für eine Mine gedacht, die eine Bresche in die starren Mauern schlagen soll. Unsere Scharfschützen liegen auf den Bäuchen und putzen mit bemerkenswerter Sicherheit jeden Spanier weg, der sich in den Einschnitten und Zinnen blicken läßt. Die Festung gleicht einem rauchenden Vulkan. Unsere Schwefeltöpfe platzen zwischen den Bastionen und in den Laufgräben. Sechzehn große Kanonen schießen ihren lächerlichen Eisenhagel über unsere Köpfe hinweg hinab ins Wasser. Viele Bukanier, die schon dicht im Schutz der Mauern liegen, lachen laut, wenn die großen Röhren über ihnen losdonnern. Bisher hat die ganze Affäre, obwohl sie furchtbaren Lärm macht, nichts auf sich. Am meisten Verluste haben die Dons, die sich immer wieder oben auf der Mauer zeigen. Die beiden Pulversackträger sind verschwunden. Ich kauere hinter einem ziemlich dicken Baumstamm und hole Pfeife und Tabak heraus, die ich im Schnappsack auf dem bloßen Leibe trage. Denn ich bin fast nackt, was ich aber schon bereute, denn die Dornen haben ein blutendes Muster durch meine Haut geritzt. Ich setze mich behaglich hin und rauche. Aber da fällt mir die Pfeife aus dem Munde! Aus der Mitte der Bastei steigt mit gewaltigem Luftdruck, der durch die Büsche peitscht, ein brauner Rauch- und Schuttpilz hoch in die Luft. Und viele halberkennbare Dinge wirbeln darüber hinaus: Menschen, Menschenbeine, Helme. Ohrenbetäubend wirkt der Knall! Und dann hageln Steine, Eisen, Kanonenrohre, Lafettenstücke und Menschenglieder auf uns nieder. Ein Stück Mauer killt unweit von mir zwei Bukanier, schlägt sie platt wie Wanzen. 355
Auf des Ollonois wütenden Wink setze ich die Silberpfeife (nicht die Tabakspfeife) an meine Lippen und schrill, dünn, auf und ab, tönt das Signal: »All hands! All hands!« Und schon renne, torkele ich hinter den andern her, denn ich bin - tapfer! Merde! - ist ein guter Ausdruck dafür, denn vor lauter Angst könnte ich kotzen. In der Mauer gähnt ein langes breites Loch hinter einem Schutthaufen. Und der Kampf Mann gegen Mann entwickelt sich im Nu. Cutlaß, Pistolen, Enterbeile und Enterpiken räumen unter den Dons furchtbar auf. Einzelkämpfe in Redouten und halbverschütteten Laufgräben entwickeln sich. Handgranaten fliegen in düstere Kasematten, aus denen Schreie ertönen. Dann wird es still. Fast jeder Fußbreit Boden muß erkämpft werden. Vor der Kommandantur weht die stolze Flagge, und unter ihr versuchen die braven Dons den letzten Widerstand, der aber binnen Minuten zusammengehauen ist. Unter tollem Jubel holt einer die Flagge herunter, hißt an ihrer Stelle den Jolly Roger auf, was von den Schiffen unten mit betäubendem Hurrageschrei begrüßt wird. Die Spanier kämpfen buchstäblich bis zum letzten Mann, und ich glaube kaum, daß einer entronnen ist oder es versuchte. Und dort unten liegt Maracaibo. Jenseits schimmert ein großer heller See. Viele Boote und Schaluppen verlassen die Kais der Stadt, paddeln oder segeln eilends, mit Menschen und Gütern beladen, dem andern, im Hitzedunst unsichtbaren Ufer zu. Auch im Dschungel dahinter und auf einer gelben Straße wimmeln dichte Menschenmassen. Wieder schrillt meine Quartiermeisterpfeife: »All hands in Ruh! All hands in Ruh!« Wir machen eine Pause. Erst am Nachmittag nähern wir uns langsam und tastend, zusammen zweihundert Mann, in Booten der Stadt. Zu unserem Erstaunen ist Maracaibo vollkommen menschenleer. Nur einige magere Esel, scheue Katzen, freudig an uns hochspringende Hunde und viel Krähen und Aasgeier bevölkern die Straßen. 356
Die Menschen: Mann und Frau und Kind und Sklave und Sklavin, alle sind sie unter Mitnahme ihrer besten Habe über den See nach Gibraltar oder in den Urwald, in die Savannen und Berge und zu den weitentfernten Plantagen geflohen. Auf der Plaza de Granada, wo herrliche Paläste, von spanischen Architekten erbaut, in stolzer, vornehmer Marmorpracht stehen, sammeln wir uns. Jedesmal wenn eine neue Abteilung aus einer Straße heraustrampelt, empfängt sie Triumphgeschrei. Maracaibo ist unser! Maracaibo, die Stadt ohne Bewohner, liegt in unserer offenen gierigen Hand! Freinacht! Wachen werden aufgestellt. Der größte Teil der an Bord Verbliebenen hat Landurlaub, und jeder darf nach Herzenslust plündern. Ein paar Gebäude gehen durch Unachtsamkeit in Flammen auf. Da die Haustüren alle offen stehen, brauchen die wilden, lachenden, verdreckten und verschwitzten Burschen sie nicht erst einzuschlagen. Allerlei Reichtümer werden gefunden, denn alles konnten die Geflüchteten ja nicht mitschleppen. Auf der Plaza braten Ochsen am Spieße: Schweine, Hühner und Enten lassen zu Dutzenden ihr Leben. Die Proviantspeicher und die Markthalle sind zum Bersten voll Lebensmittel. Grinsende Bukanier torkeln umher, lutschen an ihren geliebten, überm Feuer gerösteten Markknochen. Ungeheure Weinvorräte werden gefunden. Die anfängliche Enttäuschung schlägt in hellen Jubel um. »Künstlerisch« veranlagte Piraten malen den Heiligen in der Kathedrale große schwarze Schnurrbärte an, malen ihnen Musketen in die segnend geöffneten Hände. Kostbare Möbelstücke fliegen aus den Fenstern, krachen auseinander zu Feuerholz. Doch schon am zweiten Tag macht sich abermals eine Enttäuschung bemerkbar. Erstens weil keine oder fast keine Pieces of eight und Gold- oder Silberingots gefunden werden, und zweitens sind es viele nicht gewöhnt, ohne vorher in den Gassen gekämpft zu haben, nun so einfach und ungehindert umherwandeln zu können. Am übelsten wird der gänzliche Mangel an 357
Sklaven vermerkt. Und niemand ist da, den man »spaßeshalber« oder aus grauser Roheit, damit er verborgene Schätze verrate, lebendig rösten, totprügeln, vierteilen oder in siedendem Öl umbringen kann! Und zu allem: es fehlt die Weiblichkeit, an der die Brüder der Küste sich nach gewonnenem Kampf zu ergötzen pflegen. »Merde! Mist! Langweiliger Quatsch. Und dazu sind wir ausgefahren, um nichts in diesem lausigen Bettlernest vorzufinden!« solche und andere Ausrufe werden laut. Ich wohne in einem Palast, bade täglich in einem Marmorbecken mitten zwischen Zierfischen und füttere einen Papagei, den ich in einem Käfig fand. Rauche guten Tabak und entdecke viele interessante Bücher. Ja, ich lebe gut, denn alles ist da, was man will. Die andern aber murren, denn sie wollen Gold und sie wollen Sklaven, damit sie nicht selber kochen und schlachten müssen. Wein fließt in Strömen. Tausende und aber Tausende Fässer und Schläuche voll liegen in den Gewölben, und jeder nimmt, soviel er will. Dutzende Bukanier liegen zu jeder Tages- und Nachtzeit sternhagelbesoffen in roten Lachen auf der Straße, andere ziehen grölend durch die Straßen. Ein Sängerchor tut sich auf und singt gut und melodisch des Nachts vor des Ollonois Hauptquartier. Aber was sie singen, ist nicht sehr anständig. An Beute wurden einige hundert goldener Ketten, Geschmeide, Schildpattkämme und dergleichen gefunden, viel zu wenig, um nach den Statuten und Artikeln verteilt zu werden. Ollonois und seine Hauptleute machen sich den Spaß, in Badewannen voll kaltem Punsch zu sitzen und zu zechen. Als die Stewards nachher dieses Gebräu als angeblich neuerfundenen Mischtrunk an die Besitzer von Goldketten und Kleinodien verkaufen bzw. vertauschen, lacht der Ollonois und hält sich den Bauch. Aber es kommt heraus, was es mit dem angeblichen Wundertrank eigentlich für eine Bewandtnis hat, und kurz darauf umlagert eine Horde brüllender und in die Luft schießender Piraten den Palast. 358
Ich kann mir nicht helfen, aber ich muß auch lachen über diese erbosten Punschtrinker. Der Käpten beschwichtigt sie, schiebt die Schuld auf die Stewards, und zwei werden von der ergrimmten Menge totgeschlagen, worauf alles im Guten auseinandergeht. Auch verspricht der Anführer den baldigen Aufbruch nach Gibraltar und Granada, wo es Berge von Gold und Geschmeide gäbe. An Aufbruch aber wird erst dann gedacht, als auch der letzte Tropfen der unerschöpflich scheinenden Weinvorräte binnen vierzehn Tagen ausgetrunken ist. Die ganze Zeit gibt es kaum einen unter uns, der nicht Tag und Nacht besoffen ist . . . Nachdem der Wein ausgetrunken ist, gibt es eine zweitägige Katzenjammerpause. Dann ziehen Deputationen vor den Ollonois, fordern erneut Pieces of eight und Sklaven und Weiber. Er stellt Patrouillen von je dreißig Mann zusammen, die in der Umgebung umherstreifen. Die meisten kommen wütend, fiebergelb und mit leeren Händen zurück. Nur eine Horde hat Glück. Jubelnd treiben sie einen ganzen Maultierzug und zwanzig halbnackte, blutende, verprügelte Spanier vor sich her. Die Maultiere sind hochbeladen mit Säcken, die insgesamt zwanzigtausend Pieces of eight enthalten! Auf der Plaza wird alles auf einen glitzernden Haufen geschüttet, und der schlaue Piratenchef zögert nicht, diese Münzen sofort gleichmäßig zu verteilen, was helle Begeisterung auslöst. Auch Geschmeide und sonstiger wertvoller Zierat finden sich unter der Beute. Die armen Teufel von Gefangenen werden gemartert, damit sie weitere Verstecke verraten. Da man sie mit Feuer peinigt, ihnen die Glieder ausrenkt und schließlich diese bei lebendigem Leibe abschneidet, erfinden die Armen in furchtbarer Verzweiflung allerlei nicht existierende Verstecke, und naturgemäß schlägt man sie dann vollends tot. Endlich werden all hands an Bord gepfiffen, und langsam, von Booten bugsiert, fahren unsere Schiffe durch die schmale Einfahrt in die See, um die insgesamt hundertundzwanzig Seemeilen von der Meeresküste entfernt liegende Stadt Gibraltar-Granada zu erobern. 359
Jubel löst die Ankunft von drei weiteren Schaluppen aus, die von der Tortuga her zu uns stießen. Diese Verstärkung von rund achtzig Mann ist uns hochwillkommen, denn vor la Barra haben wir einige Verluste gehabt. Dank des unmäßigen vierzehntägigen Saufens und Bummelns (Diplomaten und große Strategen sind die Bukanier kaum), womit wir die Zeit in Maracaibo vertrödelten, erwartet uns vor Gibraltar ein harter Kampf, bei dem es um Sein oder Nichtsein geht. Der Gouverneur von Merida hat auf die Hilferufe der Einwohner hin sofort vierhundert Soldaten zu den schon vorhandenen nach Gibraltar geschickt, und die dortige Umgebung wurde in fieberhafter Arbeit mit Fallen, verborgenen Batterien, unter Wasser gesetzten Wiesen in Verteidigungszustand gesetzt. Wir können zwar mit unseren Schiffen in den See einfahren, aber der Kampf wird in den Büschen, Wäldern und Sümpfen ausgetragen . . . GIBRALTAR In Kiellinie, wie eine Reihe weißer Schwäne, ziehen die Schiffe unter vollen Segeln langsam über die silbergraue, wie gehämmerte, gleißende Seefläche. Hinter uns liegen die Inseln, die geschleifte Festung, spielt die Sonne über den Dächern und Türmen, grünen Gärten und Baumgruppen der leeren weißen Stadt. Auf dem Flaggschiff schmettert die Musik. Aber die Stimmung ist, obwohl jeder große Beute zu machen hofft, nicht sehr gehoben. Weil Wein und Rum alle sind, d. h. nur für die Mannschaften. Die in der Kajüte haben genug Stoff für ihre Kehlen. Das ist streng genommen ein Verstoß gegen die Statuten der Küstenbrüder, die gleiches Recht und gleiche Teilung für alle fordern. Und mancher gebräunte, verwegen blickende Pirat stößt einen Fluch aus, wenn das Lachen der Zecher von achtern über das Schiff weht. Seit der Ollonois diese verhältnismäßig starke Flotte befehligt, 360
auf der die größten Galgenbrüder der Welt sich zusammenfanden, ist ihm der Kamm geschwollen, und er brütet Pläne aus die ich zu Papier bringen muß -, eine große Bukanierrepublik auf Cuba zu gründen. Er zecht mit seinen Maaten und sonstigen Obertotschlägern, und ich werde, obwohl sein Aberglaube an das Orakel der Voudouhexe mitnichten schwankt, ziemlich in Ruhe gelassen. In einer großen, von tropischer Vegetation üppig umrahmten Bucht, etwa dreißig Meilen von Gibraltar, ankern wir die erste Nacht. Unweit liegt versteckt die kleine, aber jetzt ausgestorbene Siedlung Santa Rosa, und auch die Mündung des Rio Catatumbo ist nicht fern. Aber noch in der Dunkelheit, mit leichter guter Brise, gehen wir wieder unter Segel, haben, um jedes Lüftchen zu fangen, sogar die sogenannten Sturmsegel, die seitwärts an den großen Segeln angebracht werden und auf hohem Meere schon manches Schiff scheitern ließen, wenn es zu stark geknüppelt wurde, angeschlagen. Das Wasser gurgelt geschäftig, und die ganze Szenerie hätte etwas Frohes und Beglückendes, wenn unsere Fahrt nur ein anderes Ziel hätte. Ebbe und Flut machen sich auch hier, so weit vom Meere entfernt, bemerkbar. Die Schaluppen werden mit einhundertundzwanzig ausgesuchten Männern unter dem Befehl eines gewissen Red vorausgeschickt, um womöglich die Festung einzukreisen und das Gelände zu erkunden. Alles zusammen sind wir jetzt an die vierhundert Mann. Die Garnison von Gibraltar hat, mit den vierhundert aus Merida hinzugekommenen, über achthundert ausgebildete Soldaten in ihren Wällen. Dazu kommen noch frische Stadtmilizen. Am Nachmittag langen wir bei Windstille vor Gibraltar an und sehen uns einer starken, von Sumpfgelände, Dschungelpiecen, künstlich überschwemmten Feldern, Pfahlwerk, Laufgräben und einem großen Sumpf umgebenen Festung gegenüber. Ein Überläufer meldet, daß die spanischen Soldaten alle bei der Heiligen Gottesmutter ihrem Kommandanten gelobt hätten, eher zu sterben, als die Flagge zu streichen. 361
Da hält der menschenkundige Ollonois eine Ansprache : »Maaten! Stark müssen wir nun sein und kämpfen. Verlieren wir diese Schlacht, so müssen wir auch unser Leben und unsere Schätze lassen, die uns schon soviel Mühen und Wunden kosteten. Aber wir haben schon weit zahlreichere Feinde besiegt als hier vor Gibraltar. Unermeßliche Reichtümer warten auf uns. Schaut auf die, die euch anführen, und folgt ihrem Beispiel!«*) Diese Rede wirkt Wunder. Lachend und fröhlich fordern ihn die Piraten, die eben noch die Köpfe hängen ließen, auf, den Sturm zu beginnen. Sie würden ihr Bestes tun und wollten zur Nacht in weichen Betten mit glatten Spanierweibchen schlafen! Der Baske Miguel, ein Busenfreund des Ollonois, wird zum zweiten Befehlshaber ernannt. Als Auftakt stürmen die Hundertzwanzig nach alter wilder Art auf das große Ziel los, bleiben aber im Sumpf stecken und erleiden von versteckten Batterien solche Verluste, daß sie sich wieder zurückziehen. Zwei Stunden vor Sonnenuntergang beginnt das Fort eine Kanonade gegen die Schiffe, ohne großen Schaden zu tun. In der Nacht zucken Raketen und werfen hellen Schein auf die stille Wasserfläche. Über der Stadt ruht rosiger Schimmer. Die Vorwerke der Festung sind von rotflackernden Pechfeuern erleuchtet. Unsere Kanonen richten nicht viel aus, und in die Stadt selbst zu schießen, hat der Ollonois untersagt, weil er sie intakt plündern möchte. Kampflärm von sich begegnenden Patrouillen weht übers Wasser. Schüsse und Geschrei. Martialische Blechmusik vom Hauptwerk der Feste, beantwortet durch die Musik von unserem Flaggschiff. Die Hitze ist arg. Feucht und drückend. Moskitos plagen uns. Das Seewasser ist stark brackig. Lamantins, die wie große, plumpe Seeweiber aussehen und klagend »singen«, tauchen auf und nieder. Haie zucken grünumlodert in die Tiefe. Kurz vor zwei Uhr morgens werden die letzten dreihundert Mann ausgeschifft, nur wenige bleiben an Bord zurück. *) Historisch!
362
Der Ollonois setzt alles auf eine Karte. Und ich armseliger Talisman muß wieder dicht hinter ihm herzotteln. Fast hätte er mich erdolcht, als ich mich nicht enthalten konnte, ihm über die Schulter ins Ohr zu flüstern: »Denk an Esmeralda!« Ein wunderbarer Sternschnuppenfall, der eine volle Viertelstunde dauert, entzückt mich. Die See glänzt wie eine Weißmetallfläche. Im Schilf rauscht und knistert es. Auf den Schiffen singen sie. Heftig funkeln die Sterne über uns. Und nun setzen wir uns, zu einzelnen Kolonnen abgeteilt, in Marsch. Vorne knallen die ersten Musketensalven. Das buschige Gelände wird bald sehr sumpfig, und jeder Schritt ist eine Anstrengung. Zu Millionen fallen die Moskitos über uns her, aber die meisten von uns haben sich von Kopf bis zu den Füßen mit Teer beschmiert. Darauf bleiben die Quälgeister hängen, und wir sehen aus wie martialische Fliegenfänger. Oder wie Teufel, die von der Hölle ausgespien wurden. Plötzlich wischt der Tropentag die Nacht von der Palette der Natur. Aus Sumpf und Busch ragt vorne die Festung, die aus zwei Hauptwerken besteht. Starke, zinnenverzierte Bauten. Man sieht auch einen Zipfel der Stadt schimmern. Der felsengekrönte Hügel des Forts ist mit Palisaden und Seitenbatterien gespickt. Allmächtiger, frage ich mich, ist es denn menschenmöglich? Falls wir den Sumpf umgehen oder durchschreiten könnten, so wäre - allerdings müßte man das Fort abschnüren - der Eingang zur Stadt frei. Nur eine Ebene liegt davor. Aber bei näherem Zusehen entpuppt sich diese Ebene als künstlicher Sumpf, neu erstanden in den letzten zwei Wochen, die wir verbummelten. Ein schmaler Knüppelweg führt anscheinend vom Fort aus zur Stadt. Buschwald zieht sich bis an die Seitenmauern der Feste. Dort ist Miguel mit seiner Schar eben verschwunden. Wieder eröffnen die Kanonen von Gibraltar den Tanz. Auf den flachen Dächern der Stadt wimmelt es von Zuschauern, unter denen ich deutlich Frauen erkenne. Die Glocke der Kathedrale bimmelt manchmal dünn und wimmernd durch die Kanonade. Unsere Abteilung zählt dreihundert Mann. Manche haben Mus363
keten mit, wir andern sind nur mit Pistolen, Cutlaß, Dolch und Handgranaten bewaffnet und infolgedessen flink zu Fuß. Auf Indioart pirschen wir gegen den Sumpf an, der am anderen Ende von einer Batterie beschirmt wird. Auch von dort aus scheinen gute Wege zu Stadt und Fort zu führen. Die Sonne flimmert, und langsam legen sich immer dichtere Rauchschwaden auf die Landschaft. Wie verabredet, finden wir die Holzbündel und Stämme, die unsere Patrouillen während der Nacht für uns zurechtgemacht haben. Was alles in der Kajüte besprochen wurde, weiß ich nicht, denn beim großen Kriegsrat war ich nicht dabei. Mittels dieser Faschinen und Reiserbündel wollen wir nicht nur über den Sumpf kommen, sondern gleichzeitig eine Notbrücke bauen. Die Hitze ist furchtbar. Durch die Rauchschwaden bewegen wir uns wie Schemen weiter. Wie Flammen atmet sich die Luft und sticht in die Lungen. Geschütze donnern. Im Gebüsch und Geäst kracht und heult es. Und kaum zeigen sich die ersten unserer Leute am diesseitigen Sumpfrand, als drüben die Batterie einsetzt. Trauben- und Kettenkugeln und gehaktes Blei prasseln, schrillen und summen uns um die Ohren. Aber unentwegt dringen wir weiter vor; ich ducke mich hinter die breite Gestalt des Ollonois, er gibt einen guten Kugelfang. Die ersten von uns stecken schon im Sumpf, sinken bis an die Knie, teils sogar bis an die Bäuche, ein. Wir breiten die Fagotbündel aus, rammen kurze Pfähle ein, umsummt von fliegendem Blei, während unsere Musketenschützen am Buschrand liegen und ein gutgezieltes Feuer auf die Batterie unterhalten. Gleich Besessenen wühlen wir, die wir im Nu von schwarzem Morast überzogen sind, in der Brühe. Um uns spritzt und klatscht das Wasser in Geisern auf. Ein Todesschrei neben mir. Drüben vergurgelt einer sein Leben im trüben Wasser. Einige drohen wütend mit der Faust nach den Spaniern. Aus der Richtung, wo ich Miguel und seine Schar vermute, tönt Kampflärm. Fast alle, mit Ausnahme der Musketenschützen, stecken wir nun 364
im Sumpf und rücken vor. Jeder wirft sein Holzbündel hin, kniet darauf, legt einige Äste neben sich, rammt vielleicht einen Pfahl ein und wirft dann das immer kleiner werdende Bündel weit voraus. Setzt mit einem Sprung nach, hält sein Gleichgewicht und arbeitet weiter. Manche purzeln in den Schlamm, sinken bis an die Hüften und noch tiefer, werden von Kameraden herausgezogen. Und die ganze Zeit pfeffern die Dons auf uns wie auf Schießscheiben. Kaum daß ein kleiner Busch oder eine Haube Sumpfgras uns notdürftige Deckung gewährt. Unser Ponton ist ein lachhaftes Ding, denn wir haben viel zu wenig Material, obwohl uns die Hintermänner immer neue Äste zuwerfen. Ich wollte, ich säße an Bord oder, noch besser, auf der Tortuga, bei Old-Jamaica-Rum und Virginiatabak und einem netten Buch. Langsam oder schnell - man hat kein Zeitgefühl unter solchen Umständen - wächst der dünne Knüppeldamm. Ununterbrochen feuert die Batterie auf uns, aber sie können sich nicht richtig einschießen, weil unsere Scharfschützen jedesmal das Richtpersonal unfehlbar wegputzen. Auch wir haben Verluste. Unheimlich heulen und pfeifen die Geschosse. Die Luft flammt und flimmert, Rauchwolken wallen dicht überm Boden. Verwundete verbinden sich selbst. Andere versinken rettungslos im Sumpf. Der Ollonois ist immer vorneweg, und ich armes Exschulmeisterlein bin hinter ihm. Unbeschreiblich, unfaßbar für mich der tolle Mut dieser Kerle, die immer noch Zeit zum Scherzen und Witzemachen finden. Und was ich nie geglaubt hätte, dieser an die tausend Yards breite Sumpf wird von uns überquert! In Stunden oder Viertelstunden, Gott weiß. Und die Batterie? Wurde einfach überrannt, dann die Geschütze umgedreht, und jetzt schießen sie auf die Dons. In einiger Entfernung vor uns liegt eine schlecht getarnte Querschanze, aus der sie uns mit Kartätschen bedienen. Immer wieder benütze ich die breiten Schultern des Ollonois als Schild. Und sobald er sich umdreht und mich sieht, schmunzelt er. Wenn er nur wüßte! 365
Wir geben den Dons hinter der Schanze einige gute Lagen, dann rennen wir mit geschwungenem Cutlaß auf sie los, und die nicht sterben, laufen davon. Deren aber sind wenige. Miguel hat mit seinen Leuten eins der Außenwerke genommen, dort die Kanonen umgedreht und läßt das Hauptfort mit Karkassen beschießen. Wieder drängt sich mir der Vergleich mit einem flammenden, rauchenden Vulkan auf. Von unbegreiflichen Kräften oder Mächten besessen, dringen wir vor. Wie Menschen sehen wir schon lange nicht mehr aus. Sind außer Schuhen, Mützen und Bandoliers nun allesamt splitternackt, mit brauner und schwarzer Schlammkruste bedeckt. Dort vorne ist ein kleines Wäldchen und weitere Befestigungen. Kundschafter eilen voraus. Man braucht keine Indiotaktik mehr zu verfolgen und auf dem Bauche zu kriechen, denn niemand kann weit sehen. Alles flimmert und ist mit Rauch durchsetzt. Nachricht kommt: Der Wald ist feindfrei, in der Ebene dahinter, das letzte Stück vor der Stadt, steht eine gute Batterie. Aber Gibraltar ist noch nicht eingenommen, und wenn wir jetzt jene Batterie erstürmen, könnten wir in eine Falle geraten. Das sieht auch der Dümmste. Die Verwundeten werden von einigen Leichtblessierten nach hinten und über den schwankenden Knüppelweg, Richtung Seeufer, geschleppt. Ich habe einen Streifschuß, der meinen Morastanzug an einer Stelle rot färbt. Der Ollonois will uns durch das Wäldchen führen, dann scharf steuerbords abbiegen und den Forthügel ersteigen, um oben mit den Leuten Miguels zusammenzukommen. Der Wald brennt teilweise. Man hustet, denn der Rauch beizt. Unfern sehen wir eine Schanze, die aus Steinen, Pfählen und Erde besteht, sogar von kleinen, offenbar frischangelegten Wassergräben rechteckig umgeben ist. Kastiliens Flagge hängt schwer in der dicken Luft von der Stange. Kanonenmündungen schimmern matt. Figuren bewegen sich im Dunst, riesengroß verzerrt in den Umrissen oder plötzlich ganz klein zusammenschrumpfend. 366
Die Batterie beginnt das Feuer, und einige schwere Bäume fallen wie Ährengarben zusammen. Immer düsterer wird die Luft von Brand- und Pulverwolken. Red bekommt Befehl, mit drei Dutzend Mann das Bollwerk zu nehmen. »Und laß dich nicht wieder blicken, wenn es dir nicht gelingt!« Red lacht nur. Ich beneide ihn und seine Schar nicht. Wir andern schlagen uns seitwärts in die Büsche. Der Kampf um die Stadt Granada, deren Bewohner hinter Dunst- und Rauchwolken angstzitternd auf ihren Häuserdächern stehen, löst sich in viele erbitterte Scharmützel auf. Wir sind überall im Vormarsch, aber solange Gibraltar noch steht, ist nicht viel gewonnen. Langsam erklimmen wir den Hügel, der nach drei Seiten abfällt, während die vierte sanft geneigt wie ein Plateau, sich zur nahen Stadt hinzieht. Die Felsen zittern unter der fortwährenden Kanonade. Wir brüllen und verhöhnen die Dons, anstatt unseren Atem zu sparen. Ein keuchender Läufer holt uns ein. Red hat die Batterie stumm gemacht und dann die Geschütze gewendet. Er schießt jetzt auf Gibraltar! Nun brechen wir aus dem Buschwerk, gelangen auf das Plateau. Zwischen uns und der Stadt ragt das qualmende, dröhnende Fort. Die Dons, die vorher weiß Gott wohin geschossen haben, entdecken uns und richten ihr Feuer auf das Gelände. Etwas zu spät. Vorwärts! Leitern haben wir keine, nur einige Stämme mit Astansätzen, aber wir haben starke Schultern und Akrobatengeschick und die unverrückbare Gewißheit, daß wir nie wieder lebend unsere Schiffe erreichen würden, wenn . . . Hinter dem Ollonois klettere ich nach, stehe plötzlich, verblüfft über den Stoß, den einer mir von unten mit dem Musketenkolben gegen die Fußsohlen gab, so daß ich hochsurrte, in einer Zinne. Im gleichen Moment taucht ein rauchgeschwärzter Don vor mir auf, stößt mir mit dem Geschützrohrwischer vor die Brust. Ich purzele wie eine schlaffe Puppe wieder nach unten, 367
auf einen Schutthaufen. Auch die andern sind alle wieder unten, soweit sie noch leben. Und sind wieder alle am Gebüschrand und hei! der Ollonois ist doch ein Stratege! Denn er schreit laut vor Freude: »Die Dons! Laßt sie kommen, bis ihr das Weiße ihrer Augen seht. Dann drauf und rein mit ihnen gleichzeitig in die Festung!« Wahrhaftig: Pforten öffnen sich, Brücken rasseln nieder, und triumphierend stürzen die Spanier in dichten Haufen heraus, zum - wie sie meinen - Endsieg! Haben sie es vergessen, oder gibt es der spanische Stolz nicht zu, daß niemand so gut im Nahkampf ficht wie die flinken, starken Küstenbrüder? Hei, das scheint ja die ganze Besatzung, die da herausquillt. Die Spanier sind uns an Zahl ums Doppelte überlegen. Und nun sind sie da, und Einzelkämpfe in dichten Rauchwolken finden statt, ich höre nur Knallen, Schmettern und Stöhnen, sehe schattenhafte Gestalten im rötlichen Zwielicht der rauchverhängten Sonne überall hin- und herspringen. Wieder bekomme ich einen Streifschuß, und da der Ollonois mich bei dem Durcheinander wirklich nicht sehen kann und ich keine Luft mehr kriege, setze ich mich hinter einen Stein. Und sitze, und in der Runde wogt die Schlacht, und ich komme mir vor wie ein armes geprügeltes Tier, und denke stark an meine Mutter. Es wird ruhiger, und dann merke ich, daß der Kampflärm sich entfernt, dem Fort zu. Die Unseren siegen! Mit einemmal sind wir drin in der Befestigung. Ich sehe den Kommandanten und eine ganze Schar von Offizieren samt und sonders tot vor dem Flaggenmast liegen. Und überall huschen noch Gestalten, knallen noch Schüsse, bröckeln Steine und Erdreich. Die Kanonen sind stumm. Doch in meinen Ohren hallen ihre Echos weiter. Die Spanier ergeben sich wirklich nicht, obwohl ihnen sogar der Ollonois Pardon zusichert und es meinem Empfinden nach sogar ernst meint. Bis auf den letzten Mann werden sie in dunklen Kasematten, Ecken und Laufgräben zusammengehauen. 368
Und wir stürzen sofort weiter gegen das zweite, aber nun offen liegende Bollwerk, das nur kurzen Widerstand bietet, denn die Spanier scheinen keine Soldaten mehr zu haben. Ja, da sind noch einige, die von den verschiedenen Werken und Befestigungen fliehen. Aber die Männer von Gibraltar sterben bis auf den letzten. Getreu der Tradition ihres Landes und dem Eide, den sie ihrem König leisteten. Dem Sonnenstand nach ist's zwei Uhr nachmittags. Um zwei Uhr nachts fing der Kampf an. Noch kribbelt die Aufregung in mir, und ich verspüre keinerlei Müdigkeit mehr, so erledigt ich auch noch vor kurzem war. Rauchwolken ziehen und quirlen einher. Blutdunst, Schweiß und Pulvergeruch verpesten die Luft. Irgendwo tönt ein Summen, ein Klagen und fernes Geschrei und das Läuten von Glocken. Ich stehe auf der Umwallung, an derselben Stelle, von der mich der Geschützwischer hinabbeförderte. Dort unten, ganz nahe, liegt die schimmernde Stadt, aus der jenes Summen und die kläglichen Glockenklänge schweben. Die Menschen sind von den Dächern verschwunden. Dumpf ertönt Lärm in den Gassen, einzelne spitze Schreie dazwischen. Und mit einem kreischenden Aufheulen, das nichts Menschliches mehr hat, nun, nachdem die Schlacht zu Ende und vierhundert Spanier und einhundertzwanzig Küstenbrüder tot in den Sümpfen, vor den Batterien und in den Laufgräben liegen, während Tausende von Geiern in dicken, schwarzen Schwärmen tönend herabsausen - nun ergießt sich plötzlich der ganze bunte furchtbare Schwarm der Tortugaleute in die unglückliche Stadt. Dies war der Tag von Gibraltar . . .
FLAMMEN UND TRÄNEN Eine Woche vergeht. Unendlich langsam tropfen Stunden und Tage in die Ewigkeit. Viele Grausamkeiten werden von Seiten der Ausgestoßenen verübt. Die plantagenreiche Umgebung wird ebenfalls heimgesucht. 369
Deren Eigentümer und ihre Sklaven müssen im Verein mit den verschüchterten Städtern dauernd Lebensmittel herbeischaffen und werden zu allerlei entwürdigenden Arbeiten gezwungen. Denn von den Piraten rührt keiner einen Finger. Deswegen wurden ja viele von ihnen Freibeuter, weil sie nicht arbeiten und auf Kosten anderer schnell reich werden möchten. Tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigt sich der Spanier. Nie hätten sie das Unglaubliche erwartet, daß das starke Gibraltar von unserer Minderzahl genommen würde. Und so hocken sie angstbebend in ihren Häusern und wagen sich kaum in der Dunkelheit ins Freie. Allnächtlich verlassen Scharen heimlich die Stadt und ziehen aufs Geratewohl in die Wildnis oder versuchen, nach Merida zu entkommen. Der dortige Gouverneur hat nicht mehr genügend Militär, um etwas gegen uns unternehmen zu können und erwartet obendrein einen Angriff. In der schönen Kathedrale hat man einige Dutzend der reichsten Bürger von Maracaibo und Granada eingesperrt. Als mir kund wurde, daß man ihnen nur notdürftig Trinkwasser und alle vierundzwanzig Stunden etwas dreiviertel verfaultes madenwimmelndes Mauleselfleisch reicht, ging ich empört in den Palacio Municipal, wo der Ollonois und seine Trabanten ihre Orgien abhalten. Während einiger Tage erlaubte er mir, jenen Gefangenen, die zwecks Lösegeld gehalten werden, bessere Nahrung reichen zu lassen, und später frage ich nicht erst um seine Zustimmung. Beträchtliche Gold- und Silberbeute in Form von Pieces of eight, Ingots und Kleinodien fiel den Piraten in die gierigen Hände. Auch Seide und Wollstoffe und Schuhwerk. Wir kleideten uns neu ein, denn wir waren alle nackt, als wir in die Stadt stürmten. Unsere Kleidung bestand damals aus einem grausigen Überzug von Schlamm, Pulverschleim und Blut. Kein Wunder, daß die Einwohner uns für aus der Hölle losgelassene Teufel hielten! Einzelne Freibeuter machten Privatgefangene und marterten sie auf scheußlichste Weise, um verborgene Schätze zu erpressen. Ich kam dazu, wie in einem Patio am Tamarindenbaum eine 370
Frau an ihren Brüsten aufgehangen wurde. Ich gab dem einen Verbrecher eine Kugel ins Gehirn, und dem zweiten rannte ich einen daliegenden spanischen Degen ins Gekröse. Seither ist in dem schönen Hause, in dem ich wohne, jeder Fußbreit Boden mit spanischen Greisen, Frauen und Kindern belegt, die mich täglich verzweifelt anflehen, sie ja nicht davonzujagen. Der Ollonois hörte von meinen Schützlingen, sagte aber nichts dazu. Er und einige Kumpane treiben es arg mit den Huren, die in der Stadt zurückgeblieben sind. Nun sind wir schon drei Wochen hier und werden sicher bleiben, bis auch der letzte Tropfen der riesigen Weinvorräte ausgetrunken sein wird. Es wird nicht mehr allzulange dauern. Die Brüder der Küste saufen wie Fische. Die Stadt ist wunderschön angelegt und erlitt auch kaum Zerstörungen, wenn man von den eingeschlagenen Türen und den üblichen Sudeleien absieht. Einundzwanzigster Tag. Zwei Honoratioren, die in der Kathedrale ein trübseliges Dasein fristen, werden in die Urwälder geschickt, um allen entflohenen Einwohnern zu verkünden, daß, wenn nicht binnen zwei Tagen zehntausend Pieces of eight aufgebracht werden, ihre Stadt angezündet wird. In den Straßen torkeln besoffene Freibeuter umher. Andere schlafen ihre ewigen Räusche in kühlen Gärten oder auf den gußeisernen Bänken der Plaza aus. Wieder andere duellieren sich oder würfeln. Die Einwohnerzahl vermindert sich stark. Unsere Anführer sind von der Ohnmacht des Gouverneurs so überzeugt, daß noch nicht einmal Wachen aufgestellt werden, und es ist daher sehr leicht, nächtlicherweise zu entkommen. Die Unseren sind erbost, weil die meisten jungen Mädchen und Frauen am andern Ende der Stadt in die Wildnis flohen, während wir von der Gibraltarseite aus einzogen. Es blieben nur viele alte Mütterchen und Kranke und auch leichtfertige Soldatendirnen zurück. Dreiundzwanzigster Tag. Die ausgesandten Boten sind noch nicht zurückgekehrt. 371
Meine Schützlinge sind nicht mehr so zahlreich. Von guten Wünschen begleitet, habe ich sie in den Urwald geschickt. Die Restlichen zu verpflegen, macht mir schwere Mühe. Unter dem Hohngelächter vieler Piraten, die sich aber nicht an mich wagen, weil ich als Günstling des Ollonois gelte, sieht man mich jeden Morgen mit einem beladenen Esel durch die Straßen ziehen. Ich schaffe Bananenbündel und Brot herbei. Die Spanier wollen mir die Hände küssen. St. Dunstan sei gepriesen! Ich fand ein Quantum Rum, der dem Old-Jamaica-Tropfen an Güte, Milde und Blume kaum nachsteht. Auch brachte man mir lateinische und spanische Bücher und guten Tabak, der aber nicht an das Virginiakraut heranreicht. Vierundzwanzigster Tag. Weder Boten noch Lösegeld! Die in der Kathedrale Gefangenen sind in kläglichster Verfassung, weil man sie prügelt. Sie fürchten um ihr Leben. Alle in und um Gibraltar Gefallenen wurden nicht beerdigt. Große Aasgeierschwärme und eine Art Krähen putzten binnen zwei Tagen die Knöchelchen blank. Die überschwemmten Felder und künstlichen Sümpfe, die man zur Verteidigung der Feste schuf und die uns nicht abhielten, brüten üble Gerüche aus. Millionen Moskitos schwirren jede Nacht in die Stadt, und die Einwohner sagen, daß es noch nie so schlimm gewesen sei. Etliche Piraten haben schon das Schüttelfieber, und der Ollonois fürchtet ansteckende Seuchen. Fünfundzwanzigster Tag. Noch immer keine Nachricht von den Ausgesandten! Unsere Kranken wurden an Bord geschafft, ebenso viel Proviant und der Rest des Weins. Ein Küstenbruder, der sich mit jungem Rum füllte, rannte in plötzlicher Geistesverwirrung tobend mit blanker Waffe auf seinen besten Freund los und killte den Überraschten. Den Artikeln gemäß wurde der Missetäter, der, als er zu sich kam, nicht wußte, was er verübt, auf der Plaza erschossen. Sechsundzwanzigster Tag. Einschiffungsorder wurde ausgetrommelt. Beladen mit allem möglichen Plunder, der schon 372
morgen wieder über Bord geworfen wird, pullen die Boote voll singender Halb- und Ganzbesoffener nach den Schiffen. Nur die Hauptleute und eine nüchterne Garde weilen noch in der Stadt. Aber plötzlich befiehlt der Ollonois hundertfünfzig Mann an Land, die Pechfackeln herstellen und Öl in die Häuser gießen sollen. Ich habe meinen letzten Schützlingen dringend geraten, sofort ihr Heil in der Wildnis zu suchen. Siebenundzwanzigster Tag. Vormittag. Während der Nacht kamen die Boten mit zehntausend Pieces of eight zurück. Wäre aber nicht eine Fouragierungsabteilung von uns ausgezogen, die den Maultiertransport traf, so wären die Dons damit wieder umgekehrt, weil sie so wütend waren, daß sie weinten. Denn: die letzte halbe Meile zur Stadt hatten sie grelle Beleuchtung, da um Mitternacht Granada an allen Ecken in Brand gesetzt wurde . . . Es war ein grausiges Schauspiel! Rosig angestrahlte Häuser und Mauern, Dampf und schwarze Rauchwolken, ungeheure Funkenschwärme und züngelnde Flammen. Dazu das Brausen eines vom Feuer erweckten Sturmwindes. Tiefrot waren die Dschungelränder, lila und goldrote Schlagschatten griffen weit hinaus auf die Felder und Sümpfe, und der See schimmerte wie Rosenquarz. Schwarze Schiffsrümpfe und Spieren hoben sich scharf davon ab. Mittags. Die Stadt ist in dichten Qualm gehüllt, der Wind hat nachgelassen. Einzelne Brände flackern immer wieder auf. Die heiße Luft ist voller Ascheflocken. Der Kathedralenturm ragt wie ein geschwärzter, verkrüppelter Finger zum Himmel. Dach und Kirchenschiff brannten aus. Am Kai liegen Einwohnerscharen auf den Knien, beten zu Gott oder drohen zu den Schiffen hinüber. Fettige Ascheschichten säumen das Ufer. Graue und braune Schwaden wallen schwerfällig in der heißen Luft. Manchmal ist die ganze Stadt verhüllt. Jubelnd wurden die Säcke mit den zehntausend Goldstücken an Bord des Flaggschiffes gehievt. Abend. Langsam ziehen die drei Schiffe unter vollen Segeln über 373
die Wasserfläche. Granada glimmt am Horizont wie ein Kohlenmeiler gegen die Dschungelstaffage. Unsere drei Schaluppen schwimmen wie lodernde Fackeln auf dem See. Weil wir allein bei Gibraltar hundertundfünfzig Mann einbüßten, hatten wir keine Besatzung mehr für diese Fahrzeuge und zündeten sie an. Auf den Schiffen wird gezecht und gesungen. Einzelne Kalkulanten sitzen auf den Luken und rechnen im Kopf aus, wieviel Beute auf den Mann kommt. Und sind vom Resultat, mag es stimmen oder nicht, enttäuscht. Großen Beifall findet der Plan des Ollonois, die halbe Mannschaft in Booten vorauszuschicken (es ist fast Windstille) und mit den Schiffen inzwischen bei der Catatumbomündung zu ankern, damit jene Vorsprung bekommen: um Maracaibo, das, wie Spione melden, wieder voller Einwohner sei, vom Rücken her abzuschneiden. Denn, wie man sagt : »Diese Burschen sollen für die Erhaltung ihrer Häuser tüchtig in die Geldkatzen greifen, sonst geht's ihnen wie denen von Granada!« Und so geschah es, daß die entsetzten Maracaibaner sich plötzlich von jeder Verbindung mit dem See und dem Festland abgeschnitten sahen, als unsere drei Schiffe sich in die Einfahrt von la Barra legten und die Landungstruppen von hinten kamen. Ein paar Boote und Pirogen flüchteten in die große, mit dem Meere verbundene Lagune, und man ließ sie unbelästigt. Als ihre Zahl jedoch zunahm, schossen unsere Kanonen Sperrfeuer, und keine Maus konnte mehr entkommen. Maracaibo, diesmal mitsamt seiner Bevölkerung, ist wieder unser! Doch will sich der Ollonois nicht lange aufhalten. Die halbe Crew muß an Bord bleiben. Alkalde und Stadtväter kamen angepullt und baten um Schonung der Gebäude. »Zwanzigtausend Pieces of eight, Señores. Binnen zehn Stunden, oder euer Nest geht in Flammen auf!« Und siehe, in der Stadt, die, als sie ausgestorben war, von findigen Piraten so tüchtig durchgekämmt wurde, mußten doch noch allerhand Schätze verborgen sein. Am gleichen Abend noch, kurz vor dem Neunuhrzapfenstreich, 374
wurden die Säcke und Fäßchen mit der Goldsumme an den kleinen Kai gebracht. Wahrscheinlich ärgerte sich nun der Ollonois, daß er nicht mehr verlangt hatte - aber er wollte keine Zeit mehr verlieren. Zu lange - es sind ja Monate - sitzen wir schon in dieser durch Lagune und See gebildeten Falle, und jeden Augenblick kann das starke Geschwader des Admirals Toledo am Horizont auftauchen. Fünfzigster Tag, gezählt seit der Eroberung Gibraltars. Ein kleiner Orkan gab uns was Tüchtiges um die Ohren und verschlug die anderen Schiffe außer Sicht. Der Ollonois »knüppelte« derartig leichtsinnig oder tollkühn, daß uns Royals, Skysegel und Sturmsegel aus Großtopp und Mizzen samt den Spieren und Rahen um die Köpfe prasselten. Da wir gute Zimmerleute haben und genügend Mannschaft, so schlagen wir binnen einem Tage neue Rundhölzer und Spieren an. Und in diesem, eigentlich leichtverkrüppelten Zustand scheint »Le Mort« noch besser zu segeln! Wir laufen, laut Loggrolle, bei strammer Brise unsere zehn Stundenknoten. Und holen während einer Nacht die andern Schiffe wieder ein. Vor Tagesanbruch schickte der Ollonois seinen Moses nach mir. Und ich war erstaunt, ihn allein in der Kajüte zu finden. Unbeweglichen, verschlossenen Gesichts schaute er mir entgegen. Der Moses setzte eine bastumwickelte Old-Jamaica-Pulle auf den geschnitzten Tisch. Ein Wink scheuchte ihn hinaus: »Ich will von niemand gestört werden, hörst du?« »Setz dich, Mac, und trink einen Schluck!« Ich tat so und wäre beinahe wieder aufgesprungen, als er langsam sprach: »Gibt es einen Gott?« Ich legte erst die Pfeife weg, und schon wieder tönte die Frage: »Ob es einen Gott gibt, will ich wissen!« - »Gewiß!« Seine dunklen Augen durchbohrten mich fast. Die Mundwinkel waren durch verschärfte Falten stark nach unten gezogen und drückten eine hoffnungslose, dumpfe Trauer aus. »Dann wird's mir also dort drüben!« - seine Hand beschrieb eine vage Geste - »schlecht gehen?« 375
»Darauf kannst du Gift nehmen, Käpten! Denk doch nur allein an Esmeralda!« »Schenk ein, Mac, und trink!« Durch die breiten, geschnitzten Heckfenster sah ich das blitzende Kielwasser. »Mutter!« flüsterte eine Stimme, und ich sah, daß der Ollonois in dieser Minute ein Mensch war. Ein armer Mensch! Denn er weinte. Und nun kann die Welt untergehen, wundern würd's mich nicht, dachte ich, und wußte nicht, was tun. Er schien gar nichts mehr von meiner Anwesenheit zu merken. Noch leidvoller wurde sein Mund, und das finstere Gesicht mit den ins Leere blickenden Augen, aus denen im Kerzenlicht schimmernd wie Opale seine Tränen rieselten, war weich geworden. Was mochte er nur denken? Sahen diese Augen, die durch mich durch in weite Fernen starrten, Bilder aus seiner Kindheit, die vielleicht eine friedliche war? Sahen sie die Mutter, die er so unsäglich geliebt hatte, daß er gegen eine Handvoll Goldstücke Leib und Seele verkaufte, nur um ihr einen sicheren Lebensabend zu bescheren? Wurde ihm klar, daß er, durch diese Liebe zu seiner Mutter und den daraus entsprießenden Haß gegen die Menschheit zum blutigen Monstrum geworden, von den eigenen Landsleuten verfemt und ausgestoßen, dazu verdammt war, als furchtbare Geißel die Spanische Main mit düsterflammenden Taten zu erfüllen? Hörte er jetzt die Hilferufe und Flüche der wehrlosen Opfer? Sah er Städte brennen und Schiffe sinken? Erblickte er den grausen Reigen der Haie im blutschäumenden Meer? »François?« Er hörte nicht. Mir wurde unheimlich zumute, und gleichzeitig erfüllte mich tiefes Mitleid. »Mutter, Mutter, bald, ja bald!« murmelte er; und ich schwöre bei St. Dunstan, daß sein Gesicht plötzlich schön war. Ich war ihm nicht mehr böse. Wünschte nur, ich hätte ihn nie gesehen, wäre nie zu ihm an Bord gegangen und säße daheim auf der Tortuga, in meiner Hütte. 376
»François !« Keine Antwort. Auf den Zehenspitzen schlich ich hinaus, schloß die Türe leise hinter mir und schärfte dem Moses ein, ja den Käpten unter keinen Umständen zu stören, niemand einzulassen, ehe er nicht selber riefe. Den ganzen Tag - ich muß ja als Quartiermeister von Sonnenaufgang bis -Untergang Dienst tun - blieb er unsichtbar. Als ich am Abend in meine Kammer ging, meine Aufzeichnungen weiterzuführen, mußte ich oft an ihn denken und fürchtete mich. Trank aber mehr Old Jamaica als gewöhnlich und kam in eine weiche Stimmung, in der ich beschloß, ihn nie mehr an Esmeralda zu erinnern. Was nützte es schließlich dem armen Mädel und was nützte es mir? Was den Ollonois anbetraf, so hatte ich ja eben erfahren, daß er ungeheuer schwer unter seinen Taten litt. Die Rache war nicht mehr meine Sache. Denn Gott allein ist nicht nur die Liebe, sondern auch die Rache. Und bald würde ich wieder daheim sein, auf der Tortuga . . .
LAS ISLAS PERTAS Ein Orkan an der Nicaraguaküste raubte uns alle Masten und schmetterte »Le Mort« auf die Riffe der kleinen, vor dem Festland liegenden »Las-Pertas«-Inseln. Elf Mann spülte die Brandung lebend an den Strand. Alle anderen ertranken. Nachdem der Seegang abgeflaut war, schwammen welche nach dem Wrack, dessen Vorderteil noch zwei Tage aus dem Wasser ragte. Elf Mann, darunter Chips, der Zimmerer. Wir haben kaum etwas auf dem Leibe, fristen das Dasein mit Muscheln, Fischen und Kokosnüssen. Trinken Regenwasser, das wir in natürlichen Zisternen fanden. Chips hat, ehe der Wrack ganz vernichtet wurde, bei seiner Schwimmtour ein Beutelchen Nägel und Hammer nebst Säge geholt, und damit machen wir uns ans Werk, aus 377
einem angeschwemmten Balken und spärlichen Trümmern ein Fahrzeug zu bauen, das uns wenigstens bis zur Nicaragua-Küste tragen soll. Frische Palmenstämme sind nicht zu gebrauchen, ihr Holz ist schwer und schwammig, besteht fast bis zum Kern aus zusammengepreßten Fasern. Unsere Stimmung ist gereizt. Kein Rum, kein Wein. Nur Fische, die wir in Blätter gehüllt rösten. Und Muscheln, sowie die spärlichen Früchte der Kokospalme. Glücklicherweise ist ein Bukanier unter uns, der lange in der Wildnis von Hispaniola gelebt hat und sich darauf versteht, nach Indioart, mit einem Holzquirl, Feuer zu machen. Ich habe ausgerechnet, daß, wenn kein erneuter Regen kommt (und eigentlich ist die Zeit vorbei), wir für sechs Wochen Wasser haben. Kokosnüsse für ungefähr den gleichen Zeitraum. Dann wären wir auf Fische und Muscheln angewiesen. Vogeleier gibt's keine, die Brutzeit ist vorbei. Aus dem langen, zersägten Wrackbalken und einigen Brettern ein Boot zu bauen, das uns elf tragen könnte, ist unmöglich. Es wird sogar ein Wunder sein, wenn wir ein backtrogähnliches Ding basteln können, das höchstens fünf Personen zu tragen vermag. Das Festland liegt schätzungsweise acht Stunden entfernt, vorausgesetzt, man hat ein Segel. An Waffen hat jeder sein Dolchmesser, und dazu sind insgesamt vier Cutlasse da. Das Wetter ist bezaubernd schön. Eigentlich bin ich nicht unzufrieden, aber ab und zu ein Fingerhut voll Old Jamaica würde meine Laune verbessern. Tabak und Pfeife vermisse ich ebenso. Zehnter Tag seit der Strandung. Unser »Boot« wurde fertig. Es sieht aus, als ob kleine Jungen es gebaut hätten. Beängstigend schmal - weshalb wir es mit einem Ausleger versehen, wie ein Holländer, der schon in Indien war, es uns zeigte. Zum Kalfatern der Fugen nehmen wir das bastähnliche Gewebe der Palmen. Als Segel dienen drei zusammengesetzte (mit Bast genähte) Hemden. Mehr haben wir alle nicht. Doch ist es sehr warm, und wir sind abgehärtet. 378
Das Boot taugt nichts. Beim ersten Versuch schlug es um. Und als wir die Querstützen des Auslegers verlängerten, schwamm es zwar, zog aber Wasser, so daß wir mit dem Ausschöpfen nicht nachkamen, und schließlich ging es wie ein Stück Mürbeteig auseinander. Aus Enttäuschung sind die meisten dafür, erst mal auszuruhen, zumal ein findiger Kopf aus gegorener Kokosmilch ein alkoholisches Getränk herstellte. Doch treibt uns der Käpten fluchend an die Arbeit. Infolge Materialknappheit hat diese Arbeit nicht viel Zweck. Wir warten auf Treibholz. Eine Planke, die während der Nacht anschwemmte, wird wie ein Kleinod geborgen. Achtunddreißigster Tag. Dank der Tüchtigkeit des »Schnapsfabrikanten« wurden die letzten Kokosnüsse in noch unreifem Zustand abgeschlagen. Jan, der Mann aus Walcheren, fand einen Busch mit roten Früchten. Sie sehen hübsch aus, ich aß aber keine davon, und auch die anderen ließen erst mal Jan ausprobieren. Während der Nacht starb der Niederländer. Ehe er seinen Geist unter Qualen aufgab, schrie er stundenlang, er habe Feuer in den Eingeweiden! Und bat uns, ihn um Gottes willen totzuschlagen. Muscheln und Fisch. Fisch und Muscheln! Fades, immer rarer werdendes Regenwasser. Dann entdeckten wir eine andere Naturzisterne, und der Wassermangel ist in ziemliche Ferne gerückt. Der Bootsbau geht schneckenlangsam. Erst müßte noch mehr Treibholz ankommen. Und das ist fraglich. Der Ollonois ist merkwürdig gütig geworden. Er flucht nicht mehr und klopft ab und zu einem ermunternd auf die Schulter. Mein stachliges Bartgestrüpp macht den Hals wund. Ich versuche es mit dem Dolch, dann dem Cutlaß und endlich mit einer scharfen Muschelschale, mich zu rasieren, indem ich eine blubbrige, brennenden Schmerz verursachende Qualle als Rasiercreme benutze. Gebe es aber als unmöglich auf und greife zum Radikalmittel, indem ich den Bart vorsichtig mit einem brennenden 379
Zweig, mit dem ich mehrmals über Kinn und Wange streiche, absenge. Fühle mich wohler ohne Bart ! Die anderen lachen und nennen mich »Senghuhn«. Strichweise ziehen Böen am Horizont entlang. Dumpfer Donner rollt übers Meer. Der Teil eines Schiffshühnerstalls wurde angetrieben. Vierzigster Tag. Faul liegen wir umher und warten auf Treibholz. Gehen Wetten auf das Für und Gegen ein. Wale tummeln sich draußen. Ihr Spaut blüht wie ein weißer Wunderpilz oder ein ungeheures Silberährenbündel aus den dicken schwarzen Köpfen. Manchmal springt ein solches gewaltiges Tier in purem Übermut ganzen Leibes aus dem Wasser, klatscht dann auf, daß es kracht. Die Kameraden haben sich Würfel geschnitzt und spielen um Pieces of eight. Vorläufig liegen die Goldmünzen noch in den Koffern irgendwelcher Dons. Und selbst beim Spiel um diese imaginären Einsätze erhitzen sich die Gemüter, und ohne die trennenden Faustschläge des Ollonois (die nicht von schlechten Eltern sind) hätten zwei Mann ein blutiges Duell ausgefochten, weil einer betrog. Mit mir spricht er wenig, aber dann in ruhiger, maßvoller Weise. Schon lange hören wir kein »Sacré! Merde! Affensteiß!« mehr. Für uns ist es ein Segen, daß die Muscheln unerschöpflich sind. Allen Fischen kann man nicht trauen. Neulich bekamen wir nach dem Genuß eines besonders bunten, der zur Muränenart gehörte, all hands erbärmliches Leibweh. Siebenzigster Tag. Apathisch liegen die anderen am Strand. Plötzlich geraten sie in große Aufregung, denn draußen, gar nicht sehr weit, zieht ein schimmerndes Segelschiff seine Bahn. Eilig wird unser Feuer zugeschüttet. Der Kasten hat spanische Bauart, und wir schätzen auf eine Zwanzigkanonenfregatte. Sie entschwindet den Blicken. Fieberhaft arbeiten wir am Bootsbau, müssen aber bald aufgeben, weil immer noch Holz fehlt. Wütend machen wir uns daran, die größte Kokospalme zu fällen. Ihr Holz ist stark porös, saugt sich voll wie ein Schwamm 380
und wird dadurch sehr schwer. Wir sägen aber dennoch den dicken Stamm in rauhe Plankenstücke und vollenden das Boot. Es hat einen flachen Boden, flache Seiten, einen kurzen, besenstilartigen, herausnehmbaren Mast und einen indischen Ausleger. Das Ganze sieht zum Lachen aus! Aber es schwimmt! Heureka, es schwimmt! Zehn Mann sind wir noch, fünfe faßt es, und dabei bleiben die obern Ränder kaum eine Handbreit über dem Wasserspiegel. Auf einem Mühlteich wäre es nett zum Spazierenfahren, aber übers Meer? Wir probieren den Mast, setzen das Hemdensegel. Und bei St. Dunstan, der Zwitterbacktrog segelt! Voll Feuereifer machen wir uns Ruderpaddel, haben aber keine Bretter und stellen die breiten, schaufeiförmigen Blätter aus enggeflochtenem Zweigwerk her. Ich möchte eigentlich viel lieber auf Las Pertas bleiben, denn in diesem verrückten unzulänglichen Machwerk in See stechen heißt: den Tod am Kinn kratzen . . . Der Ollonois drängt zum Aufbruch. Fünfundsiebenzigster Tag. Der Ollonois ist selbstverständlich Käpten, mich ernennt er zum Maat. Die andern müssen losen, weil insgesamt nur fünf Mann Platz an »Bord« haben. Diejenigen, die den kurzen Halm ziehen, schimpfen erst, sehen aber bald ein, daß es nicht anders möglich ist. Gerne möchte ich mit einem tauschen und mache einen diesbezüglichen Vorschlag. Der Ollonois wirft mir aber einen wahrhaft furchtbaren Blick zu, und rasch schweige ich. Ich muß natürlich mit. Bin doch sein Talisman. Oder sein Schicksal? Trinkwasser können wir nicht mitnehmen, haben keine Behälter. Und Proviant? Einige geröstete Fische und Muscheln. Schon nach zwei Stunden werden sie verfault sein . . . Noch einmal aßen und tranken wir uns satt. Dann stiegen wir vorsichtig an Bord. »Wir holen euch, verlaßt euch drauf, Maaten!« Wir setzen das Segel, rudern mit den lachhaften Paddeln. Die See ist ziemlich glatt. Langsam entfernt sich das Boot. Die 381
fünf vom Schicksal maronierten stehen unbeweglich am Strand. Und dann sehe ich, wie einer nach dem andern in die Büsche taucht. Der Strand von Las Pertas ist leer. Ich schaue ins Wasser, das so nah und unergründlich und drohend aussieht. Mit einer halben Kokosschale muß ununterbrochen gelenzt werden. Einmal schwappt eine kleine See über, und mein Herz würgt mir wie ein Kloß in der Kehle. Noch solch eine Welle und . . . »Mut, Maaten, wir werden's schaffen. Bewegt euch so wenig wie möglich. Dies Flaggschiff hat seine Launen!« scherzt der Käpten und steuert mit einem Paddel, denn so schmal der Kahn auch ist, und so klein das Hemdensegel - wir machen wirklich Fahrt! Den ganzen Tag lang. Als der Mond aufgeht und Gold- und Silbertraummünzen im Meer prägt, sind die Las Pertas noch nah, und der dunkle Zackenkamm von Nicaragua ist gleich weit weg. Wir rudern. Eine Weile folgt uns ein Hai, der länger als unser Boot ist. Tückisch schielt er. Die Fische und Muscheln haben wir verzehrt. Sie schmeckten faulig. Ein greller Tropentag flammt empor. Furchtbar wird die Hitze. Wir machen uns Kopfbedeckungen aus abgeschnittenen Hosenbeinlingen. Die Las Pertas immer noch in guter Sicht. Das Festland rückt näher. Zwei Mann schlafen zusammengekauert, zwei rudern, und der letzte steuert, weil sonst das verrückte Fahrzeug Miene macht, sich im Kreis zu drehen. An den Gesichtern der andern sehe ich, daß auch sie Durst haben. Wir schwitzen, und das laugt den Körper übermäßig aus. In der Nähe spielen Wale, und wir sind froh, als sie plötzlich davonstreichen. Zweite Nacht auf See. Starker Tau, den wir auflecken. Visionen von gerösteten Markknochen, Schüsseln voll Salmagundy, Gläschen voll Old Jamaica und brennenden Tabakspfeifen gaukeln vor meinen Augen. Ich habe zwar keinen direkten Hunger, fühle mich aber schlaff und teilnahmslos. 382
Zwei fliegende Fische schnellen ins Boot. Ehrlich werden sie geteilt und schmecken erfrischend. Hinterher kommt der Durst verstärkt wieder. Die Las Pertas tauchen unter die dunstige Kimmung. Wir sichten oft Schildkröten, die auf dem Meer schlafen. Pullen auf sie zu, aber sie merken es immer und tauchen weg. Das Festland rückt jetzt merkbar heran. Schätzungsweise dürften wir gegen Abend ankommen. Wir erspähen ein Landfeuer und ändern den Kurs, halten davon ab. Ich schlafe einige Stunden, erwache mit verkrampften Gliedern und geschwollener Zunge. Das Meer ist kaum bewegt und so glatt und ruhig, wie es sein kann - denn ganz still ist der Ozean nie. Wir müssen pullen, und weil die Riemenblätter der Paddel aus Flechtwerk bestehen, machen wir nicht sonderlich viel Fahrt. Wir hoffen nicht an eine Steilküste zu geraten, weil wir in der Brandung alle ersaufen müßten. Jeder lauscht auf das bekannte müde Rollen der Brandung an fernen Riffen. Nichts zu hören. Wir sehen endlich den Urwaldrand und dahinter Bergketten, die mich teils an Cartagena erinnern, doch fehlt hier die großartige eisgepanzerte Spitze der »Horqueta«, die den Hintergrund besagter Stadt bewacht . . . »Pullt, Maaten! Heut abend essen und trinken wir!« ermutigt der Ollonois und rudert selbst, daß seine Muskeln wie Schlangen unter der Haut zucken. In tiefblauer, funkelnder Nacht scharrt unser Kahn gegen einen Flachstrand, den die Wellen kosend emporlecken. Wir ziehen das Fahrzeug hoch aufs Trockene, vertreten uns die Beine. Legen uns nieder, um die Glieder zu dehnen. Welch herrliches Gefühl! Ollonois ermahnt, ja keinen Lärm zu machen und beisammenzubleiben. Trotz der Dunkelheit dringen wir in die feuchte, dampfende, warme Wildnis. Es ist ganz still, nur die Büsche rauschen, wenn wir uns durchwinden. Keine Cocuyos. Dornen kratzen, und 383
Schlingpflanzen umstricken uns. Wir lecken den Tau von breiten Palmenblättern und sogenannten Regenschirmpflanzen. Von Zeit zu Zeit schlägt der Ollonois eine der von oben herabringelnden Lianen mit dem Cutlaß entzwei. Brummt jedesmal enttäuscht. Ich weiß, was er sucht. Kuhlianen! Aber es ist zu dunkel, um sie erkennen zu können. Endlich ein halblauter, froher Ausruf. Dann: »Trinkt, Maaten, füllt euch voll!« Kuhlianen, wahrhaftig! Wir schlürfen und erquicken uns, bis wir nicht mehr können. Und ich spüre, wie mit jeder Minute neue Kraft durch meine Adern pulst. Schwerfällig tapsen wir an den Strand zurück, buddeln uns in den noch sonnenwarmen Sand ein und schlafen wie Dachse. Stechender Sonnenschein weckt uns. Die anderen lachen, weil ich mir nach Negerart mit einem ausgefransten Zweig die Zähne putze. - Jeder von uns ist erquickt, doch macht sich Hunger bemerkbar. Wir gehen daher auf die Früchtesuche. Ich finde einen Guaybobaum, schwer behangen. Und Papayas, kerzengerade Stämme, wie mit Krokodilschuppen besetzt. Oben haben sie eine kleine Zweigkrone. Mit Zitronensaft beträufelt - Lmonen finden wir! - ist diese Frucht etwas Köstliches. Und wir schlingen, bis wir sozusagen zum Platzen voll sind. Halten aber nach Fleisch Ausschau. Affen bombardieren uns mit faulen Guaybos. Bunte Vögel flattern. Wir erwischen eine über mannsschenkeldicke, hübschgefleckte Boa und erlegen sie mit dem Cutlaß. Triumphierend schleifen wir dann die Beute ans Ufer. Unser Feueranmacher sucht und findet einen Hartholzzweig, den er an einem Ende zuspitzt. Aus einem andern Zweig macht er einen Bogen, dessen Sehne eine zähe Liane abgeben muß. In diese wird der erwähnte Hartholzspeer gesteckt. - Nun noch ein Stück trockenes Moderholz. Prometheus schnitzt ein Loch hinein, setzt das stumpfe Ende seines Hartholzbohrers gegen die Brust, die durch ein anderes Holzplättchen geschützt wird, und fängt an zu »sägen« und zu drillen. Der Speer dreht sich wie ein Quirl, das Moderholz beginnt zu glimmen, zu rauchen, und rasch wird etwas zerzupfter 384
Hemdenstoff darangehalten. Nach einer Viertelstunde haben wir ein loderndes Feuer. Die Schlange wird ausgeweidet und stückweise in der eigenen Haut und im eigenen, nicht wenigen Fett gebraten. Es schmeckt sehr gut. Doch sind wir in einer Verfassung, in der wir auch Krokodilsbraten gutheißen würden. Schlangenfleisch ist weiß und fest, und Bob behauptet, es sei besser als die beste Poularde. Nachher beraten wir. Ob der Urwald sehr ausgedehnt wäre und ob es Ansiedlungen in der Nachbarschaft gäbe? Jenes Feuer, das wir in der Nacht gesichtet, läßt daraufschließen. Vielleicht waren es jagende Indios oder Cimarones. Diese könnten wir am besten gebrauchen, sie sind unversöhnliche Gegner der Dons und würden uns helfen. Keiner zweifelt mehr daran, daß wir bald wieder die Planke einer eroberten Schaluppe unter den Füßen spüren werden. Und wir beschließen, da der Marsch durch die Dschungel ein Vabanquespiel wäre, das selbst uns ewigen Spielern etwas zu gefährlich vorkommt, im Boot die Küste entlangzufahren und alles weitere dem Glück zu überlassen. Guten Mutes steigen wir ein und pullen hart am Strande dahin. Die Küste ist flach. Teils von Sand, teils von Mangroven mit ihren schleimigen Luftwurzeln umsäumt. Ein Tag verging. Wir landeten, suchten und fanden eine Quelle, Früchte und Muscheln. Erlegten vom Boot aus im flachen Wasser einen sich in dunkle Wolken hüllenden Tintenfisch. Schade, daß wir kein Kochgeschirr haben. Zweiter Tag. Ein schmaler, stiller Fluß windet sich durch halboffenes Buschgelände. Braune und grüne Hügel flimmern im Hintergrund. Landeten, um uns die Beine zu vertreten und Eßbares zu suchen. Zerstreuen uns zur Schlangenjagd. Auch die giftigen kann man essen, wenn man sie vorher köpft. Geier kreisen, und ihre bläulichen Schatten zeichnen sich auf dem Boden ab. Ich entferne mich nicht weit vom Boot, denn ich habe wieder einmal mein unheilkündendes Gefühl! Und ich könnte schwören, daß ich vorhin Holzrauch schnupperte! 385
Die anderen sind in den Büschen verschwunden. Kolibris summen und schillern. Instinktiv kehre ich zum Boot zurück, schiebe es soweit ins flache Wasser, daß ein mäßiger Stoß genügt, um es flottzumachen. Eintönig quaken Frösche. Drüben steht auf einem Bein ein Reiher. Manchmal zuckt sein Schnabel ins Wasser, holt einen blitzenden Fisch heraus. Etwas, das ich für einen Krokodilrücken halte, furcht sanftkräuselnd flußauf. Das nahe Meer murmelt träumerisch. Moskitos stechen mich. Ein großer, wie Türkis leuchtender, wunderbar schöner geschwänzter Schmetterling gaukelt über riesigen auf dem Wasser schwimmenden Blättern. Schritte, die eilig näherkommen! Und plötzlich - es überrascht mich gar nicht - knallen Musketenschüsse, hallen verworrene Geräusche. Dann ein schrilles Heulen in Fistelstimme. Und ein lauter gellender Todesschrei. Ich ergreife die Paddel. Alle Sinne angespannt, starre ich dorthin, von wo die Schritte eines einzelnen näher rauschen und poltern. Der Ollonois taucht aus dem Buschwerk. Keuchend und außer Atem springt er heran. Schwingt sich über, nachdem er dem Boot einen Stoß gegeben. Und beide paddeln wir dem nahen Meere zu. Ich spüre, es geht wieder einmal ums Leben! In der Ferne hallt ein Todesschrei. Dann viele Stimmen, aus denen sich Kommandos abheben. In spanischer Sprache. Ja, wir paddeln ums Leben! Und gleiten ins Meer, halten vom Lande ab, so rasch wir nur können. Keine Minute zu früh! Am Strande zeigen sich Gestalten: braune, fast nackte Menschen mit Blasrohren in den Händen. Und Spanier. Musketenkugeln zischen, wütendes Geschrei dazu. Endlich lassen wir die Paddel sinken. »Und die andern?« frage ich ihn. Er antwortet mit einer Geste. »Zwei sah ich fallen, der dritte rannte mit einem Haufen Indios hinter sich davon. Es wird wohl er gewesen sein, der zuletzt schrie.« »Und nun?« »Diese Küste dürfte ungesund für uns sein. Wenn sie Indios und Bluthunde auf unsere Spur hetzen, so haben wir keine Chance!« 386
Er kriecht nach vorne, setzt das Hemdensegel. Ich merke, daß das Boot, seit wir nur noch zwei Mann sind, bedeutend besser liegt. »Wir wollen sehen, daß wir irgendwo am Golf von Darien landen. Ich suche die Kuna-Indianer, sie kennen mich und versehen oft Freibeuterschiffe mit Früchten und Frischwasser!« »Allright!« Er steuert. Schwerfällig dümpelt das Boot dahin. Das Hemdensegel steht prall, eine milchigschäumende, gurgelnde Schaumbahn zieht dem Heck nach, aber rasche Fahrt machen wir nicht. »Und die Maaten auf Las Perras?« Er zuckte die Achseln. »Wir haben Gegenwind. Würden sie nie erreichen!« Er hat recht. Gut, daß wir am Vormittag, ehe wir gelandet sind, eine Kleinigkeit gegessen und getrunken haben. Der Küstenstreif mit den Indios und Dons verschmilzt in den Hitzewellen zu einem Flirren und Funkeln. Menschliche Figuren sind dort nicht mehr zu erkennen. Aber wenn sie uns mit Booten und Pirogen hetzen? Die ganze Nacht fahren wir. Das Holzwerk hat sich vollgesogen, und man braucht nicht mehr zu lenzen. Unser Kahn macht ein Kielwasser und einen Lärm dazu, als ob wir mit zehn Stundenknoten dahinbrausten. Es ist aber nur die verrückte Bauart, die im Wasser diesen Radau macht. Einer steuert und bedient das Segel, während der andere langliegt. Gegen Morgen lecken wir den Tau auf. Zweite Nacht. Landeten verstohlen, balancierten auf schleimigen, seltsamen Wurzelbogen der Mangroven über Morast und Sumpf. Fallen mehrmals bis an die Achseln in die warme stinkende Brühe. Greifen in widerliches Gewürm, sind auf der Hut vor Giftschlangen. Gewinnen festen Boden. Orchideen leuchten in bunter Pracht, scheckige Lianen ringeln sich. Entdecken Vanille, sogar Zimt, können aber nichts damit anfangen. Endlich finden wir ein paar Kuhlianen. Während wir trinken, 387
verhöhnen uns Affenhorden. Nachdem wir, soviel in uns hineingeht, Kuhlianensaft geschluckt, kehren wir zum Boot zurück. An den Mangroven, dort, wo sie von reinem Meerwasser bespült werden, sitzen Austernklumpen. Sie schmecken sehr gut. Wir liegen faul im Boot, unentdeckbar für jedes Späherauge, und warten auf die Freundin der Verfolgten, die Nacht. Gegen wütende Moskitos bepflastern wir uns mit Schlamm. Schlafen und dösen, sprechen wenig miteinander. Bei mondloser Nacht stechen wir in See. Das Wetter bleibt gut. Ein fliegender Fisch plumpst mir zwischen die Füße. Das petit morcau wird zwischen uns geteilt. Als blauschwarzer Schattenriß begleitet uns die Küste. Einmal erschreckt uns das müde ferne Rollen einer Brandung, und wir sehen sie seitwärts aufblitzen. Steuern in die offene See. Am nächsten Nachmittag säumt wieder ein flacher undurchdringlicher Dschungelstreifen die Küste. Wir gehen auf Entdeckungstour und finden Proviant: Kuhlianen, etliche Früchte. Versuchen, Feuer zu machen, aber irgendein Trick geht uns ab, denn obwohl wir wie die Besessenen quirlen, können wir nicht den kleinsten Funken entfachen. Eine kleine Schlange - sie ist wunderhübsch schwarz und korallenrot geringelt - weiden wir aus und trocknen das Fleisch an der Sonne. Was in diesem Klima rasch geht! Und ehe wir wieder in See stechen, verzehren wir diese Speise. Schauen uns aber beim Kauen mit langen Gesichtern an. Abermals vergeht eine Nacht und ein Tag, und dann verliere ich das Zeitmaß. Die Küste ist jetzt häufig stark bergig und dürr. Heuschrecken schmecken, wenn man die Wahl zwischen ihnen und dem Hungertod hat, nicht übel. Allerdings haben wir keinen wilden Honig dazu, wie einstmals Johannes in der Wüste . . . Die besten Erfahrungen in kulinarischer Hinsicht machen wir mit Schlangen. Auch gibt es Muscheln in Massen. Das Wetter bleibt gut. Brennender Sonnenschein wechselt regelmäßig ab mit feuchten, taunassen Sternennächten. Des öfteren sind Fliegenfische so gefällig, wenn sie, von größeren Räubern 388
der Tiefe gejagt, sich in die blitzende Luft schwingen, über unser niederes Bord zu klatschen. Sie bilden eine erfrischende Delikatesse. Beim- nächsten Landgang finden wir eine Quelle und Flaschenkürbispflanzen. Diese höhlen wir aus, stellen sie in die glühende Sonne, die sie binnen weniger Stunden beintrocken und hart macht. So gewinnen wir ein Dreivierteldutzend Wasserbehälter und Trinkgefäße. Und kommen uns nun vor wie Lustreisende. Singen, wenn wir auf dem Wasser schaukeln, alle uns bekannten Seemanns-Shanties. Einige Tage darauf litt ich stundenlang an schwerem Schüttelfrost, und der finstere Ollonois betreute mich wie die Mutter ihr Kind. Sein gestählter Körper ist immun gegen alle schädlichen Einflüsse. An Land gibt es fette Riesenfrösche - aber wenn wir auch rohgetrocknetes Schlangenfleisch als Pièce de résistance essen, an jene Speise wagen wir uns ohne Feuer nicht heran. Denn wenn man solch Tier tötet, so zappelt und hüpft es trotzdem noch nach vielen Stunden. Hingegen munden fliegende Fische wirklich köstlich, und man braucht nicht halb verhungert zu sein, um diese Titbits, in Meerwasser gestippt, mit Wonne zu verspeisen. Einmal entdecken wir eine Austernbank und sind daraufhin Feinschmecker geworden; zumal wir eine Ladung Limonen als Ballast haben. Beim Durchwaten eines sumpfigen Teiches bekomme ich von einem greulichen aalartigen Fisch oder Amphibium einen Schlag gegen die Lenden, der wie ein Blitzstrahl wirkt. Ohne den Ollonois wäre ich rettungslos ertrunken. Es war mir hinterher noch zwei volle Tage übel. Endlos währt unsere Odyssee. Tag nach Tag, und noch immer will der Ollonois von einem Marsch über Land nichts wissen. Wie lange soll das noch so weitergehen? Denn wir kommen zwar langsam, aber unaufhaltsam von Kräften.
389
DER GOLF VON DARIEN Der Ollonois zeigt auf einen grünen Urwaldgürtel, hinter dem ziemlich hohe Berge im Dunst verschwimmen. »Ich denke, daß dies die Kuna-Gegend ist. Der spitze Hügel dort kommt mir sehr bekannt vor!« »Also dann ahoi, an Land gepaddelt!« und ich drücke den vierkantigen, plumpen Bug nach der Richtung. »Es wäre nicht ausgeschlossen, daß grad' ein Schiff von der Tortuga oder von Port Royal in der versteckten Bucht ankert. Und wenn nicht, so warten wir auf eines. Die Kunas sind gastfreundlich!« murmelt er. Nach einer Weile: »Also gibt es wirklich einen Gott?« »Ja doch!« »Hm!« Wir paddeln gegen eine konträre See. Gegenströmung will uns vom Lande abtreiben. Wir verschlingen die letzten Stücke trokkenen, schwärzlich zusammengeschmurgelten Schlangenfleisches. Trinken den Rest aus den faulig stinkenden Kalebassen. Nacht sinkt über die Welt. Drüben an Land blitzen zahlreiche Feuer. »Die Kunas!« sagt er wieder. Ich freue mich auf eine Indiohängematte, um darin zu liegen. Auf frisches Geflügel, Früchte und Ruhe, viel Ruhe und Tabak . . . Die ganze Nacht pullen wir und sahen die flackernden Feuer näherkommen. Da es sich um offene Feuer handelt, können es entweder nur kampierende Truppen oder die Kunas sein. Denn in einer spanischen Siedlung kocht man in den Häusern. Heiße Strahlen schleudert die Sonne wieder auf Wasser und Land, als unser Flachboot gegen Sand knirscht. Wir springen heraus, laufen freudig auf die spitzen Hütten zu, und der Ollonois ruft: »Hier bin ich schon gewesen, das sind die Kunas!« Eine ungeheure Müdigkeit befällt mich noch im Laufen. Die Landschaft, die Hütten und jene braunen, schlanken, lendenschurzbekleideten Gestalten, die lange Blasrohre schwingend uns entgegenkommen, tanzen einen tollen Wirbel vor meinen Augen. 390
Verschwommen sehe ich einen großen Indio, der eine Papageienfederkrone auf dem Kopf hat, und höre einen erstaunten Ausruf. Immer mehr Indios kommen uns entgegen. Der Ollonois ruft dem großen Braunen auf Spanisch zu: »Holah, Piache, kennst du mich nicht mehr? Ich bin's ! Der Ollonois!« Das Bild ändert sich. Die Indios weichen einige Schritte zurück. Als der Piache etwas schreit, kommen sie wieder auf uns zu. Dankbar strecke ich dem nächsten meine Hand entgegen, und frohe Gefühle erfüllen mich. Da sehe ich seinen braunen, glänzenden Arm hochzucken. Höre den Ollonois etwas brüllen, dann saust jener Arm, der eine Keule hält, auf mich nieder. Ein dumpfer schmetternder Schmerz, der sich blitzschnell bis in meine Zehenspitzen fortpflanzt, und dann - die lange Nacht. Ich fand mich in einer Hütte liegen, durch deren Flechtwerk goldene Sonnenpfeile stachen, so daß ein weiches Zwielicht entstand. Ich war an Händen und Füßen gefesselt, und alles tat mir weh. Ich vomierte wie ein Fischreiher, der zu viel gefressen hat. Drüben lehnte der Ollonois, ebenfalls gefesselt. Seine schwarzen Augen fixierten mich unablässig, und endlich sprach er: »Hast stundenlang unbeweglich gelegen, Mac! Ich glaubte schon, sie hätten dich totgeschlagen!« »Ich denke, sie sind deine Freunde?« »Das hat sich geändert. Hör gut zu, denn es ist nicht mehr viel Zeit. Mein schlechter Ruf« - er lachte bitter - »ist, scheint's, sogar zu diesen mir sonst freundlich gesinnten Heiden gedrungen, so daß sie sich in den Kopf gesetzt haben, ich wäre ein böser, auf die Erde losgelassener Teufel. Und sacré, sie halten es nun für verdienstvoll, die Erde von solch einem Dämon, der ja auch ihnen Schaden zufügen könnte, rasch zu befreien . . . Paß auf, Mac! Der Piache hat mich gefragt wegen dir, und ich habe ihm erzählt, daß du ein Engländer von einem eroberten Schiff wärst, und von mir gezwungen. Ich denke also - um so mehr, als binnen wenigen Tagen ein Port-Royal-Schiff erwartet wird daß du bald wieder auf der Heimreise sein wirst!« »Und du?« 391
»Ich? Nun, mich werden sie rösten oder braten, aber jedenfalls wollen sie mich umbringen. Heut abend noch! Das steht fest und daran ist nicht zu rütteln. Ich habe alles versucht. Aber den Dickschädeln ist nicht beizukommen.« »Aber das ist doch nicht möglich!« »Sie werden's rasch möglich machen. Und, kurios zu sagen, aber es ist so, es freut mich eigentlich, daß ich meinen Anker slippen soll und auf große Fahrt gehe!« »Aber du wirst - « »Laß mich in Ruhe jetzt, ich muß nachdenken. Damit ich weiß, was der Gott, von dessen Existenz du so überzeugt bist, zu mir sagen wird und was ich antworten soll!« fuhr er mich an und schloß die Augen. Auf alle meine Bitten reagierte er nicht mit einer einzigen Silbe. Draußen war Hinundhergehen. Und Stimmengesumm. Papageien kreischten oder schrien Worte einer mir unbekannten Sprache. Müde raschelte das Meer gegen den Küstensand. Mein Kopf tat nicht schlecht weh, und sicher hatte ich eine riesige Beule. Wenn ich nur mit der Wimper zuckte, empfand ich höllischen Schmerz. Am Abend kam der Piache. Er nickte mir freundlich zu, versprach in gebrochenem Spanisch, daß ich bald frei sein würde. Als ich entgegnete, man solle mich losmachen, nickte er wieder und sagte: »Mas tarde! Später!« Vier Indios trugen den Ollonois, der sich nicht rührte und die Augen geschlossen hielt, aus der Hütte. Ein braunes Mädchen mit scheuen Rehaugen huschte herein, legte mir eine Blätterkompresse auf den Hinterkopf und gab mir Limonensaft zu trinken. Draußen verstärkte sich das Summen. Es war Nacht, und der Schein vieler Feuer erhellte mein offenes Gefängnis mit Flackerlicht und Phantomgestalten. Die plötzlich eintretende Stille wurde durch einen langgezogenen Klageruf unterbrochen. Lautes Lachen und Händeklatschen folgten. Dann prallte Schrei auf Schrei, immer kürzer und gräßlicher werdend. Meine Eingeweide stülpten sich um. Vergeblich versuchte ich meine Fesseln zu sprengen. 392
Der dort draußen so unheimlich schrie und dazwischen so abgrundtief stöhnte, war der Ollonois! Ich rief seinen Namen, brüllte und fluchte, bat und weinte und knirschte mit den Zähnen. Niemand kam. Sie lachten nur draußen, und dann kam wieder dieses entsetzliche Schreien. Wieder zerrte ich an meinen Banden. Das Blut stieg mir bei der Anstrengung in den Kopf, und plötzlich war es, als ob ich ersticken müßte. Abermals schwanden mir die Sinne. Als ich erwachte, brannten draußen noch die Feuer. Magisch schimmerndes Dunkel wogte in meiner Hütte. Rauch und Blumen dufteten, das Meer raschelte, und viele, viele Tausend Zikaden sangen. Niemand schrie mehr. Langsam verebbte diese Nacht, und die ganze Zeit dachte ich darüber nach, was wohl mit dem Ollonois geschehen sei. Bei Tagesanbruch wurde es draußen lebendig. Frauenlachen, Feuerprasseln und Essensgeruch. Eben wollte ich rufen, da trat der Piache ein. Bückte sich und schnitt meine Fesseln durch. Ich schnellte auf die Füße, sank aber sofort wieder um. Die lange Fesselung hatte meine Blutzirkulation unterbunden. Der große Indio rief, das Mädchen mit den Rehaugen kam, lächelte und begann dann meine Gelenke mit ihren schmalen, festen Fingern zu kneten. Der Piache schob eine brennende Tabaksrolle, ein sogenanntes »Puro«, zwischen meine Lippen, und ich tat einige Züge. Fragte aber sofort : »Was habt ihr mit ihm getan?« Ernst wiegte er das Haupt, seine glänzenden schwarzen Augen blickten mich klug an: »Alles bueno jetzt! Kein Teufel mehr da. Teufel zurück, heimgeschickt!« »Habt ihr ihn getötet?« Ich sprang auf, hinkte nach dem Eingang. Trat ins blendende Sonnenlicht. Überall Hütten, geschäftige, nicht häßliche Frauen, zahme Papageien, die in hölzernen Ringen schaukelten, und schlanke braune Männer, rauchend oder dabei, ihre Blasrohre zu polieren. Ich durchsuchte das ganze Lager, von jedem mit freundlichem Kopfnicken oder gutturalen Worten begrüßt. Laut rief ich seinen 393
Namen. Rief immer wieder, wußte aber, daß er schon längst nicht mehr antworten konnte. Nein, es kam keine Antwort. Lächelnd schüttelten die Indios den Kopf. Einer deutete auf die Erde, stampfte auf und sagte etwas. »Ollonois in Hölle!« sprach hinter mir der Piache, der mir gefolgt war. Und wollt ihr wissen, was geschehen war? Die Kunas lebten in dem naiven Glauben, die Welt von ihrem einstigen, zum Teufel gewordenen Freunde befreien zu müssen. Und da sie Indios sind, so taten sie's auf besondere Art, um, wie sie kindlich sagten, »die Stärke seiner Teufelskünste zu erproben«. Sie hatten ihn lebend in Stücke geschnitten, Glied für Glied vom gemarterten Körper abgetrennt, geröstet und aufgefressen, die Knochen verbrannt und ins Meer gestreut*). Mir schwindelte. Und der Piache, der in der Nacht befohlen und dann zugesehen, wie ein Mensch gemartert wurde, faßte mich sanft und gütig am Arm und führte mich in die Hütte zurück. Ein Fieber befiel mich, und im Wahn sah ich oft den Ollonois vor mir stehen. Seine Augen blickten frei, sein Mund war nicht mehr das Symbol von abgründiger Trauer und Zynismus, und er sprach: »Mac, was ich tat in meinem Leben, habe ich zu sühnen versucht, indem ich dir das deine gab. Denn oft stand ich im Begriff, dich über Bord werfen zu lassen.« Dann war wieder das Indiomädchen da und flößte mir kühlende Getränke ein, und einmal kam auch der Zauberer. Ein dunkler Kerl, der über und über mit getrockneten Schlangenbälgen, Vogelköpfen, Eidechsen und Klappern behangen war. Und er rasselte und trommelte und tanzte wild im Kreise um mich herum, bis ich von all dem Lärm und der Aufregung in Ohnmacht fiel. Wochenlang kämpfte ich mit dem Tode. Als das Schiff des Käpten Sunday in die versteckte Bucht einlief, war ich noch so schwach, daß man mich an Bord tragen mußte. Sunday und *) Historisch getreu
394
seine Leute erfuhren von den Indios und mir, wie Ollonois, der Rätselhafteste der Ausgestoßenen und auch einer der Übelsten dieser trotzdem über Gebühr verleumdete Freibeuter und Küstenbruder der Tortuga - sein schlimmes Ende fand, und wie er mich vor gleichem Schicksal gerettet hatte. Gott wird gerecht wägen. Sunday, der einen guten Koch hat, ließ mich aufpäppeln. Die beste Medizin, die je unter solchen Umständen geschluckt wurde: einige Gläschen Old-Jamaica-Rum!, tat Wunder. Als die Segel gesetzt wurden und wir uns aus dem Golf von Darien entfernten, mit Kurs auf Port Royal, konnte ich schon wieder rauchen. Und wenn ein Raucher, der sehr elend dran war, zum ersten Male wieder den Pfeifenstiel seitlich in die Klüsen schiebt, lustige blaue Duftwolken qualmt und dazu Kennerblicke nach den über ihm brummenden Segelpyramiden wirft - so ist er, wie Käpten Sunday schmunzelte, wieder so gesund wie ein Hai in einer Schar fliegender Fische. Oder um meinen Vergleich zu erwähnen: ich saß wohlgeborgen wieder in des lieben Gottes Hosentasche . . . Und so stand ich an der Verschanzung und qualmte und streichelte mit Blicken die auf dem Luk stehende Rumpulle. Als auf einmal etwas von meinem Hals sich löste, abglitt und ins Meer wehte. Das Ouangasäckchen, das mir die gute Sarah mitgegeben und das mir die ganze Zeit an einem Stück Schiemannsgarn um den Hals gehangen hatte! Jetzt brauchte ich es nicht mehr.
PORT ROYAL Das ist Port Royal! Goldgeklirr und Blut, Laster und Frohsinn, Musik und Geschrei sind die zeitgemäße Symphonie dieses wunderschönen Jamaicahafens. Der Satan tanzt hier seine tollsten Steps. Es wird gestohlen und gemordet, gedichtet, gemalt und gehandelt, gesungen und ge395
spielt und geliebt. Freche Huren kreischen; goldgerahmte Spiegel und laszive Gemälde hängen in den Spielzelten. Gaukler locken die Menge an. Man tanzt auf Plattformen beim Windlichterschein Tänze, bei denen der letzte Rest menschlicher Würde und Sitte verlorengeht und nur geile, keuchende Halbtiere übrigbleiben. Auch der Tod geht um. Und das ist gut so. Hunderte bunt und abenteuerlich gekleideter Bukanier wimmeln auf der langen, schmalen, sandigen Landzunge zwischen Zelten und Hütten, über die schlanke Palmen sich neigen. An den Hängen inmitten wundervoller Gärten schimmern weiße Kaufmannsvillen und der Gouverneurspalast. Am Kai liegen Schiffe aller Art, stehen die langen Warenhäuser und Schuppen, in die des Nachts die Arbeitssklaven eingeschlossen werden. Gold klirrt auf Schank- und Spieltischen. Gold von der Insel Santa Catalina und ihrer Siedlung San Louis de Providencia (Old Providence). Dicht vor der Hondurasküste liegt dieser ideale spanische Stützpunkt im blauen Meer. Und doch ist nicht alles Gold jener Insel, die durch den Verrat des abtrünnigen spanischen Paters Bobadillas genommen wurde, ausgegeben, und noch schwatzt, prahlt und flucht man über jenen Zug, den der jetzt tote Mansfield und Henry Morgan mit ihren sechs Schiffen dorthin unternahmen. In finsterer Nacht ließ der abtrünnige, unfromme Padre, der längst mit dem Mansfield ein heimliches Bündnis pflog, die Bukanier in die schlafende, starkbefestigte Ortschaft ein. Pater Bobadillas erhielt dafür in der Freibeuterflotte den Posten eines Zahl- und Punschmeisters und brütet nun weitere dunkle Pläne gegen seine Landsleute aus. Ein geheimnisvoller Mann ich habe ihn gesehen! - mit einem Asketengesicht und brennenden dunklen Augen, so schreitet er bisweilen stumm durchs Zeltgewirr. Ja, Santa Catalina wurde von Morgan und Mansfield eingenommen, wie jedermann weiß. Eine Besatzung blieb auf der Insel zurück, wurde aber von den Dons vernichtet. Inzwischen segelten die beiden weiter, plünderten die Hauptstadt von Nicaragua 396
namens Granada (es gibt hier draußen gar viele Nuevo Granada), versetzten die gesamte Küste von Costa Rica in Höllenangst vor den Port-Royal-Männern. Aber bei »Natä« in Panama steckten sie eine furchtbare Niederlage ein und stachen Hals über Kopf in See, um sich zu salvieren. Fuhren schleunigst nach Jamaica zurück. Worauf sie sich stritten, und dann erlitt der Mansfield auf der Fahrt zwischen Port Royal und der Tortuga sein standesgemäßes Ende. Henry Morgan führt nun den Titel »Chefadmiral aller Bukanierflotten und Generalissimo der Vereinigten Freibeuter von Amerika«. Seine Leute haben ihm diese hochtrabende Bezeichnung verliehen, und er lacht darüber. Wie er mit Sir Thomas Modyford, dem britischen Gouverneur, steht, ist vielen ein Rätsel, aber nicht für Esquemelin und mich. Denn Morgan ist kein Pirat im eigentlichen Sinne des Wortes, er arbeitet für sein Vaterland, und eines Tages, wie Olivier sagt: »Wenn Sir Thomas kräftig genug ist, um sich nicht mehr von frechen Freibeutern auf der Nase herumtanzen zu lassen, wird Henry Morgan eine große Rolle hier draußen spielen, und gar viele Piraten werden im Port-Royal-Hafen an den Rahen und Galgen in der heißen Sonne dörren!« . . . Olivier haßt Henry Morgan. Ich weiß nicht weshalb. Er fährt trotzdem als Schreiber unter Käpten Bradley, einem Unterführer Morgans. Ich selber bin Quartiermeister - weiter zu avancieren, habe ich mitnichten Lust! - auf Morgans Flaggschiff »Ironhead« und muß gestehen, daß mir der Generalissimus, jener kräftige Mann mit den meergrauen Augen, den rötlichen Locken, die ihm auf die Schultern wallen, und dem verschlossenen Munde nicht übel gefällt. Er spricht wenig und scheint Grausamkeiten abhold, obwohl er sie trotz seiner Macht über die Leute nicht immer steuern kann. Bei dem beleibten Sir Thomas geht er ein und aus. Auch die Kaufleute laufen Morgan nach und bieten ihm ihre Schiffe als Charter an. Henry Morgan liebt das Orgelspiel und hat einen eigenen Organisten, den lustigen, verschlagenen Jeff Mershill. Henry ist schweigsam, und keiner kann ihm in die Karten 397
schauen; weshalb man sich die Köpfe zerbricht und allerlei Gerede über ihn in Gang ist. Er stammt aus Llanrhymmy in Glamorganshire, ist Sohn eines Yeoman oder kleinen Landadeligen und nicht, wie Olivier heimlich behauptet, als halbwüchsiger Junge in Bristol entführt und als Sklave nach Barbados verkauft worden. Möchte wirklich wissen, was Olivier, der sonst so gerecht ist, gegen Morgan hat? Ich erholte mich eine Weile auf der Tortuga. Empfahl dann Sarah und Saul und meine Behausung dem Schutz von Mr. de la Place und folgte einem Ruf Esquemelins nach Port Royal. Denn augenblicklich wird wieder Weltgeschichte in der Spanischen Main gemacht, und da muß ich natürlich dabei sein! Ich bewohne eine nette Laube in einem riesigen Blumengarten, an dessen lauschigen Kieswegen weiße Statuen stehen und Springbrunnen flüstern. Er gehört einem britischen Pflanzer, der aber fast immer abwesend ist. Weshalb sein großes Haus auch verschlossen ist. Mir genügt die Laube samt der Bedienung eines possierlichen Kongojungen. Eben wohnte ich einem Hahnenkampf bei. Aus den Zelten und von einigen Schiffen schmettert laute Musik. Buntbewimpelte Boote voll singender Bukanier und ihren Liebchen gleiten, von schwarzen, grinsenden Sklaven gerudert, durchs Hafenbecken. Unendlich fast dehnt sich die große blaue Bucht gegen den Horizont. Die Palmen auf der Landzunge gleichen Schildwachen, und wunderhübsch schmiegen die Villen sich in dunkles Grün, grelles Blumenbunt oder sattbraune Hügelfalten. Britische Kauffahrer laden Rum und Rohrzucker und Zimt und Vanille. Eine schmucke Brigantine aus »Mangrove Harbour« von den Summer-Inseln kreuzt in der Bucht. Kohlköpfe, Orangen und sonst allerlei Abfall wiegt sich im schwappenden Hafenwasser, und jener großmächtige Hai, der zum Hafenbild gehört und den Namen »Longtom« führt, furcht langsam hin und her. Die schwarzen Stauersklaven am Kai arbeiten mit der ihnen eigenen lautjauchzenden, körperverrenkenden und lebensbeja398
henden Fröhlichkeit. Zufrieden stehen die Aufseher mit ihren Peitschen im Schatten der Ballenstapel. Das klotzige Fort und die Küstenbatterien flimmern in der Hitze, fließen in ihren Umrissen fortwährend aus- und ineinander. Möwenpack zankt sich heiser. Pelikane fischen, und über allem kreisen Geier. Eine »Marguerita«, die schon seit zwei Wochen hinter mir her pirscht, weil sie zu gerne den kostbaren Ring, den ich zum Andenken an den guten Sieur Ravenau de Lussan trage, ergattern möchte, streicht schon wieder heran. Wirbt lockend mit den blau untermalten Augen, wiegt die prall aus dem Spenser ragenden Brüste, wippt kokett mit dem rundlichen Achtersteven. Und verspricht mir wieder mal die »Nacht aller Nächte«. »Nix da, Kleine. Den Ring kriegst du nicht, und wenn du dir einen Ring durch die Nase ziehst!« »Zölibatsfatzke«, schimpft sie ergötzlich und erstaunlich gebildet. Ich muß lachen, hasche sie mir plötzlich, drücke ihr einen ganz unzölibatsmäßigen Kuß auf die roten Lippen, und lasse ein Piece of eight in den großzügigen Busenausschnitt gleiten. »Scher dich zum Teufel, schottischer Geizkragen!« keift sie und will mir mit allen zehn Fingernägeln ins Gesicht fahren. Weshalb ich unrühmlich die Flucht ergreife. Eine Zigeunerin (so sieht sie wenigstens aus, und warum soll es auf Port Royal, wo es alles Ausgefallene gibt, keine »Ägypter« geben?) hält mich an und murmelt: »Will der schöne, blanke Kavalier einen Liebestrank kaufen? Garantiert wirksam. Nur zwei Pieces of eight! - Oder ein Amulett gegen Blei und Stahl? Vielleicht auch ein Tränklein, das den Nebenbuhler kalt und stumm macht, hihi?« Ich reiche ihr ein Goldstück : »Künde mir die Zukunft!« Und sie forscht aufmerksam in meinen Handlinien. »Glück in allem, nur nicht in der Liebe, blanker Herr!« »Weiß ich selber, Sibylle!« »Geruhsames Alter, natürlicher Tod in hohen Jahren!« »Na, siehst du, das läßt sich ja hören!« und ich gehe weiter. Unter Palmen, auf Sandboden, fechten zwei mit Cutlassen. Ein 399
Ring wettender Männer umgibt sie. Der eine der auf Leben und Tod Kämpfenden blutet bereits aus der Schulter. Ein übers ganze Gesicht lachender Neger mit spitzgefeilten Vorderzähnen schleppt einen Korb Paw-Paw-Früchte vorbei. Auf dem breiten Wedel einer schönen Maximilianspalme sitzt ein grüner Amazonaspapagei. Gewiß entfloh er seinem Besitzer - und verkündet in hoher Stimmlage derartige Unflätigkeiten, daß ich ihn mit Steinen wegscheuche. Ich suche Olivier, kann ihn nicht finden. Wahrscheinlich zecht er irgendwo mit Landsleuten oder schreibt an einem Manuskript. Sklavengesang schwimmt auf heißer Luft. Melancholisch und doch wild. Zwischen den Stämmen der wenig Schatten spendenden Palmen ruht Sonnenlicht in großen, glühenden, unregelmäßigen Mustern, und die Büsche sind grellviolett umrandet. Alles flimmert: Schmetterlinge, Blumen, Früchte. Und es riecht prächtig. Ich gehe in meine Laube und laß mir von dem Boy einen kalten Toddy aus Kokosmilch und Old-Jamaica-Rum mischen. Rauche dazu Pfeife und finde das Leben interessant, habe aber leises Heimweh nach der Tortuga. Die Kapitäne halten während der Nacht Kriegsrat. Wahrscheinlich steht ein Zug nach Cuba in Aussicht! Morgan soll sich mit Sir Thomas gezankt haben. Man brachte Kunde, daß ein Bristolschiff von den Spaniern aufgebracht und die Mannschaft nebst vier Passagieren in Puerto del Principe den Inquisitionskellern übergeben wurde. Auch heißt es, daß der neue spanische Admiral Don Alfonso Campos y Espinosa zum Befehlshaber aller Kriegsschiffe in der Main ernannt sei, und es soll sich um einen tüchtigen Vent handeln. Morgan plant wirklich eine Fahrt gegen Cuba! In den Zelten singen sie Tag und Nacht: »At the Dons we'll go, And Rum below Through the Main we blow Yoho, Yoho, Yoho!« 400
Vorhin knallte ein dumpfer Pistolenschuß. Dann schleppte man einen Leichnam an den Strand. Auf einige Jahre hier draußen mache ich mich gefaßt, werde aber des öfteren auf Urlaub nach der Tortuga gehen. Ich sitze oft über einer primitiven Karte von Cuba und fand darauf die Stadt Puerto del Principe. Früher lag sie an der Küste, aber da sie andauernd durch Piratenüberfälle litt, wurde sie weit ins Land hinein verlegt. Gute Saumpfade führen von dort nach der Habana und Santiago de Cuba. Ich bin sehr neugierig auf die Zukunft . . .
PUERTO DEL PRINCIPE Alte Bekannte von der Tortugaflotte sind mit ihren Schiffen eingetroffen. Und eines Frühmorgens, mit Flut und Brise, segelt die Flotte von sechs Tortuga- und Port-Royal-Schiffen unter Henry Morgans Kommando ohne Sang und Klang durch die weite Bai hinaus ins offene Meer. Ich bin Quartiermeister an Bord der »Ironhead« und finde erfreut die langentbehrte gewisse Ordnung und zwanglose Disziplin wieder, - wie sie auf den alten, unvergeßlichen, von biedern Männern gesegelten Tortugakähnen herrschten. Morgan ist beliebt, aber er ist mit keinem sehr familiär. Und trotz der vielen lustigen Devonmänner, Bristol- und CinquePortleute an Bord sind, um die Wahrheit zu sagen, auch genügend große Halunken dabei, denen hänfene Halsbänder zur Zierde gereichen würden . . . Ein schwimmendes Rumfaß ist die alte »Ironhead« mitnichten! Es gibt zwar zu trinken, doch in gewissen Grenzen. Bisweilen signalisiere ich mit Olivier, der auf Bradlexs Schnellsegler ist. Einmal kamen sämtliche Kapitäne zur Beratung an Bord, und Olivier und sein Tintenfaß samt Pergament und Truthahnfeder waren auch dabei. Wir halten Kurs nach der Puerto-del-Principe-Bai. Ich schließe 401
mich enger an Ted, den dritten Piloten, einen jungen, stets frohsinnigen Clovellyman aus Devonshire, an. Der Pater Bobadillas ist Punschmixer an Bord. Niemand hat ihn gern, und auch er gibt sich mit keinem ab. Die Tage sind schön. Während einer Gewitternacht schlägt der Blitz in den Großtopp, richtet aber keinen Schaden an. In einer andern Nacht, sehen wir viele blaue Flämmchen an den Spieren und Rahennocken flackern. Es sieht gespenstisch aus, und etliche von den Maaten deuten dies Naturschauspiel als böses Omen. Morgan lacht sie aus. Auf diesem Schiff sind die alten Küstenbrüderartikel teilweise verpönt. Es wird nicht mehr maroniert oder gekielholt. Delinquenten erhalten vom Profossen Prügel auf den nackten Buckel, mit der Neunschwänzigen. Was gerade kein Hochgenuß sein mag, denn das Blut spritzt beim dritten Hieb, und nachher fliegt die Haut. Mein Verschlag, in dem ich hause, samt einem Demijohn Old Jamaica, ist ein Kakerlakenparadies. Im Proviantraum sind viele Limonen. Jedermann muß täglich fünf dieser walnußgroßen Früchte, deren Saft der Zitrone ähnelt, in Wasser zerquetscht essen. Damit es keinen Skorbut gibt, sagt Morgan. - Weil wir ein Ammenschiff sind, flüstern die Unzufriedenen . . . Oft muß das Bettzeug gelüftet werden, und die Räume werden ausgeräuchert. Damit keiner den Gelben Jack kriegt, sagt Morgan. Manche meinen, unter Mansfield sei es gemütlicher gewesen. Aber deshalb, weil es zu gemütlich war, lebt der Mansfield nicht mehr. Vor mir haben sie Respekt, ich brauche nicht erst die Handspake oder einen eisernen Belegnagel zu nehmen, um mich durchzusetzen. Weil alle wissen, daß ich schon unter vielen Kapitänen hier draußen segelte. Manche denken, daß ich ungeheure Schätze verborgen haben muß . . . Ein paar alte Maaten des Ollonois sind an Bord. Abends nach 402
dem Essen sitzt die Crew auf den Luken, man raucht Pfeife, schlürft sein Quantum Rum und erzählt einander haarsträubende Geschichten vom Fliegenden Holländer Vanderdeeken und von den Kerkern der Inquisition und von verborgenen Schätzen auf einsamen Inseln. Puerto-del-Principe-Bai! Wir sind angelangt. Auf jedem Fahrzeug bleiben fünfzehn Mann. Die andern, an zweihundert Bewaffnete, werden an Land gepullt. Viele haben Eisenhelme und Brustpanzer - schwitzen nicht schlecht - aber die meisten von uns halten es mit dem erprobten Küstenbruderbrauch: so leicht wie möglich! Die Musketen sind sowieso verteufelte Lasten. Jeder Mann hat eine Feldflasche und Schiffszwieback, als eiserne Ration. Wir machten Fischersleute zu Gefangenen, aber einer entkam. Eines Morgens liegt die große Ebene vor uns. Wir marschieren in kleinen Haufen, deren jeder einen Befehlshaber hat und die durch Läufer stets mit Morgan in Verbindung stehen. Der entkommene Fischerjunge hat, wie zu erwarten stand, das Land alarmiert, und bald sehen wir den ersten, vom Gouverneur angelegten Hinterhalt. Nämlich quer über die zwei Straßen, auf denen wir uns jetzt vorwärtsbewegen, wurden starke Baumstammbarrikaden gebaut. Dahinter liegt spanische Infanterie. Sie fängt schon an zu schießen, als wir noch eine halbe englische Meile entfernt sind. Morgan lacht, und schließlich lacht unsere ganze kleine Armee über die kindliche Naivität der Dons. Dann schwenken wir in sicherer Entfernung, von Seitenplänklern geschützt, im Bogen um die Barrikaden. Und winken den verblüfften Dons mit unseren Hüten. Atemlos kommt ein Läufer : »Kavallerie! Dragoner vor uns!« Morgan streichelt sein Kinn. Ben raunt mir zu: »That's Morgan's way!« Befehle. Läufer verschwinden. Unsere Macht formiert sich in drei waffenstarrende Blocks, deren jeder vom andern getrennt weitermarschiert. Die Sonne brennt herab, glitzert auf Enterspießen, Musketen 403
und Cutlassen. Handgranatenträger verteilen ihre tödlichen, mit gehacktem Blei gefüllten Töpfe. Lunten glimmen. Ein paar Kolibris zucken buntfarben davon. Blaugolden ist der Himmel und die Ebene grau und braun. Gelbe Staubwolken wallen, viele Aasgeier zirkeln. Vorne, in grüner Einfassung, liegt die Stadt und bietet einen beglückenden Anblick. Die Infanteristen, die uns erst nachzogen, umgehen uns und ziehen der Stadt zu. Ein bärtiger Küstenbruder legt mehrmals das Ohr auf die Erde, hebt jetzt die Hand: »Sie kommen, Käpten!« Alle hören wir das harte Dröhnen der Hufe. Eine breite, schillernde Staubwolke rollt auf uns zu. Lanzenspitzen und Säbel glitzern darin. Eisenhauben wippen auf und nieder, und dann sieht man Pferdeköpfe und gebückte Reiter. »Santiago! Santiago!« »Morgan! Morgan!« schallt es dagegen. Aber sind sich die Dons noch immer nicht darüber klar, daß Bukanier als Nahkämpfer unüberwindlich bleiben? Weil sie längst das Gefühl von Furcht verlernt haben, jedem Strauß mit schmetterndem Gelächter entgegensehen und sich höchstens Kopfzerbrechen über die etwaige Beute machen . . . Oder halten sie uns für Indios, die man à la Cortez und Pizarro durch Pferde erschrecken kann? Donnernd jagt die bunte Staubwolke heran. Jetzt gibt der Käpten mir einen Wink. Ich stoße sofort in die Pfeife und die andern Quartiermeister auch, und schrill tönen die Signale: »All hands, drauf! All hands, drauf!« Und wie ein glattes Manöver - that's Morgan's way! - ziehen unsere drei Haufen sich in dreifacher Linie auseinander. Vorne die Pikeniere, dahinter die zielenden Musketiere und zuletzt die Cutlaß- und Handgranaten-Kämpfer. Donnern und Brausen. Schweiß-, Leder- und Pferdegeruch. Halbdunkel. Schmetterndes Krachen. Stöhnen und Geschrei, dumpfe Knalle und schrilles Wiehern. Staub überall und huschende Schemen. Ein Pferd ragt gigantisch dicht über mir, der Reiter beugt sich vornüber, und sein Säbel kurvt. Doch plötz404
lich ist das Bild verschwunden. Nur ein Luftzug hat mich gestreift. Rasch versiegte der Lärm. Dumpfer Hufschlag donnert allenthalben über die Steppe, entfernt sich dann. Stöhnen wächst aus dem Getümmel. Langsam sinkt der Staub und enthüllt: die draußen fliehenden Dragoner! Sie reiten ventre-à-terre, weit über die Pferdehälse geneigt. »Die kommen nicht wieder!« lacht er. Vor uns zappelt ein Wall halbtoter Rosse, gestürzte, verletzte oder tote Spanier, Bewußtlose. Ein gestürzter Dragoner springt plötzlich auf die Füße, rennt davon. Ein halbnackter, sehniger Bukanier setzt ihm sofort nach, packt ihn am Ohrläppchen und führt den Kreischenden zu Morgan zurück. Der reibt sich das Kinn. Ich nehme einen Schluck aus der Feldflasche, schiebe den Cutlaß in die Scheide und dränge mich vor. »Piedad, Señor! Gnade!« bettelt der Reiter, ein junger brauner Kerl. »Jack! Bill! Schaut nach, ob noch eines der Pferde brauchbar ist!« Sie führen einen an allen Gliedern zitternden Gaul herbei. Und der Generalissimus wendet sich an den Don: »Steig auf, Muchacho. Sag dem Gouverneur eine Empfehlung von Henry Morgan« - er plinkert uns zu und macht plötzlich eine wahre Eisenfressermiene - »sag den Einwohnern, wenn sie sich nicht sofort ergeben, so werden wir die Stadt anstecken und vor den Augen aller Männer ihre Weiber und Picaninnies massakrieren! Los! Trab! - Galopp!« Der Spanier schwingt sich in den Sattel, jagt davon. Morgan lacht Tränen: »Hoffentlich nimmt er's nicht für bare Münze!« Unsere drei Haufen marschieren vorsichtig durch den Kranz der Felder und Gärten auf die weiße Stadt zu. Die Dragoner lassen sich wirklich nicht mehr sehen. Auch von der Infantrie und den Milizen wird keine Nasenspitze sichtbar. »He, Käpten, da vorne kommt einer!« schreit jemand. 405
»Halt!« Wir stoppen, schauen vergnügt nach der Stadt und pusten den Schweiß von der Oberlippe. Ein einzelner »Jinete« trabt heran. Ein alter, aristokratisch aussehender, weißbärtiger Hidalgo! Prächtig sitzt er auf seinem Rappen. Erreicht unsere Vorhut. Sie weisen ihn her, und im Galopp springt er wie ein Jüngling aus dem silberverzierten Sattel. »Bravo!« winkt Morgan. Der Alte verbeugt sich, schwenkt den Hut bis zur Erde. Morgan steht ihm nicht nach. Und so verbeugen sie sich voreinander, und wir weichen etwas zurück, betrachten uns diese gegenseitige Grandezza. »Caballero, ich küsse Euer Gnaden Hände und Füße!« sagt der Alte mit altspanischer, aus schönen Redensarten bestehender Höflichkeit, die ich sehr nett finde. Denn sie kostet nichts und macht Freude. »Seien Sie willkommen, Caballero, und verzeihen Sie, daß ich ihnen keinen Sessel anbieten kann. Darf ich wissen, mit wem ich die Ehre habe?« antwortet Morgan. »Don Geronimo de Ayala, Alkalde der Stadt und Diener Seiner allerchristlichen Majestät, zu dienen, Señor!« »Henry Morgan, Admiral der vereinigten Küstenbrüderflotte und Generalissimus!« antwortete unser Alter, und der Don beißt sich auf die Lippen. »Der Gouverneur ist mit seinen Soldaten abgezogen. Die Stadt hat den Wunsch, ehrenhaft zu kapitulieren, Señor.« Und er fuhr fort: »A buena querra, Señor Almirante Morgan!« »A buena querra, Señor de Ayala. - Ist kein Soldado mehr hinter Ihren Mauern?« »Ein Spanier aus dem Geschlecht, das mit dem Campeador el Cid Ruy Diaz verwandt ist, lügt nicht, Caballero!« »Bueno, Gott ist mein Zeuge, ich wollte Sie nicht beleidigen. Aber kann man allen Einwohnern trauen? Meine Leute sind raue Burschen und würden jeden Verrat streng ahnden!« »Hand aufs Herz, Señor! Und nehmen Sie mich bitte als Geisel!« 406
»Gut! Entschuldigen Sie, Caballero, wenn ich jetzt mit meinen Leuten rede. - Bradley, Johns und ihr andern, habt ihr gehört? Wir marschieren ein. Genau nach dem Plan, den wir im Schiffsrat besprochen haben. Musketen schußbereit, brennende Lunten, Cutlaß gelockert! Laßt antreten, und dann vorwärts!« »Hurra für Morgan! Vive Morgan!« brüllten begeisterte PortRoyal- und Tortuga-Mannen. Der Alkalde geht neben Morgan, beide unterhalten sich lebhaft. Jemand führt den Rappen nach. Und in drei Phalanxen, schwer auf dem Quivive, marschieren wir los. Und mich deucht, wenn das ganze cubanische Abenteuer so weitergeht wie dieser kinderleichte Anfang, daß es wie Pastetenessen ist! Etliche singen. Wir marschieren ein. Ein Teil der Bevölkerung ist mit dem Militär geflohen, der Rest steckt in der Kathedrale, den Kirchen und Klöstern. Was uns sehr lieb ist. Da wir den Einwohnern dieser großen Stadt naturgemäß nicht sehr trauen, können wir sie auf diese Weise besser bewachen. Vorläufig müssen sie also weiter unter den Dächern der heiligen Stätten verweilen. Ein Summen weht ununterbrochen durch Puerto del Principe. Es ist das emsige Geräusch der nach Schätzen suchenden Bukanier. »Die Beute ist bisher ganz nett, aber doch nicht königlich. Man merkt, daß die Originalschätze der Eingeborenen alle futsch sind und nun jedes einzelne Goldkorn aus den Minen gewonnen werden muß. Aber gewiß haben diese spanischen Schlauberger noch allerlei versteckt!« sagt Ben. Wir paffen an den Tabakspfeifen. »Ist mir egal!« »Mir eigentlich auch. - Ach, es ist schön zu leben. Wozu brauchen wir da Gold!« nickt er . . . Allabendlich und jeden Morgen ist großer Appell auf der Plaza. Die üblen Elemente der Mannschaft fluchen und verlangen die Folterung der in den Gotteshäusern steckenden Spanier. »Nein!« sagt jedesmal Morgan. »Oho! Und die Artikel? Sollen die nicht mehr gelten?« schreit 407
es eines Tages aus dem Haufen. - »Glaubst du, daß wir hierher gefahren und marschiert sind, just um einen Spaziergang zu machen? Just ein Glas Wein zu trinken, eine Semmel zu schlukken, die Dons zu streicheln und ihnen zu sagen, daß wir ihre Goldstücke nicht brauchen, he!« - »Mannschaftsrat! Schiffsrat, Maaten. Abstimmung! Die Dons sollen gezwungen werden, uns ihre versteckten Kostbarkeitsklamotten zu geben, sonst wollen wir . . .« Immer mehr Stimmen brüllen durcheinander. Ein Pistolenschuß kracht, und dicht über Morgans Kopf bröckelt ein Stück Mauer aus der Kathedrale. Er zuckt mit keiner Wimper, sagt nur : »Du warst immer ein schlechter Schütze, Bill Jones!« Dann zu den andern: »Ruht euch erst aus, Burschen. Eßt und trinkt, es ist ja alles da. Und das weitere wird sich finden!« Gemütlich und ohne sich weiter um die Tobenden zu kümmern, geht er in die Kathedrale. Auf seinen Wink folgt ihm der Organist Jeff. Und dann hören wir die vollen, süßen Akkorde der Orgel durchs offene Portal in die heiße Luft quellen. Und mancher schaut den andern an und bricht in lustiges Lachen aus. »That's Morgans' way!« »Der Satan soll ihn holen. Was denkt er sich eigentlich?« Und ein flüsternder Haufe rottet sich zusammen. Zieht dann ab. So vergeht die Zeit. Olivier besucht mich. Er schüttelt den Kopf, brummt unverständlich. Da halte ich ihm den vollen Becher hin: »Santé, alter Freund!« Die Nacht sinkt herab, und ganz stark wird der Blumenduft. Neger bringen Windlichter. Auf silbernen Platten liegen gebratene Hühnchen, Früchte. Und Wein schäumt in Kristallkaraffen. Betrunkene gröhlen draußen. Fern knallt ein Schuß. Sanft knarren die Stricke der schaukelnden Sitzhängematten. »Cubanischer Tabak ist ausgezeichnet!« »Tja. Als Puro oder Cigaro, aber nicht in der Pfeife. Es geht nichts über Virginia!« »Sag, mein Alter, wie lange gedenkst du noch in der Main zu bleiben?« 408
»Nicht sehr lange oder für immer. Möchte eigentlich meine Tage auf der Tortuga beschließen. - Was soll ich daheim? Der Dominus schrieb neulich, daß meine gute Mutter sanft entschlafen sei. Höchstens, daß ich mal einen Besuch mache und Pieces of eight ausstreue !« »Mich zieht's nach Paris zurück. Aber erst muß ich noch erleben, was dieser Morgan hier draußen anstellt!« »Olivier, ich fürchte, du wirst ihm in deinem Buch nicht gerecht werden!« Schrill prallt ein Aufschrei über die Mauer. Noch einer! Dann ein Winseln. Kalt rieselt mir's über den Rücken. Donnernd verhallt ein Pistolenschuß. Noch einer. Geschrei. Dann Stille. Moskitos und Nachtfalter surren um die gläsernen Windlichter. Im Zierfischbecken unken ein paar Frösche. »Ich wünsche, ich wäre in Paris!« brummt er. Der Neger füllt unsere Pokale, zieht sich dann in Sichtweite zurück. »Merkwürdig fand ich's, daß die Soldados neulich so flink abzogen, nach der kleinen Schlappe, die sie erlitten haben. Ich glaube, die sinnen auf Rache!« »Morgan ist nicht von gestern!« Schritte hallen über die Granitfließen. Da kommt Ben. Er sinkt in die leere Hängematte, wirft den Hut weg. - »Muchacho, Wein und Gebäck!« Dann: »Teufel, das war nicht gerade schön!« Er zieht seine Pistolen aus dem Halfter, fängt an, sie zu laden. Stürzt den Inhalt seines Bechers hinab. - Habt ihr das Geschrei und dann die Schüsse gehört?« - »Klar!« »Well, es waren ein paar Halunken, die zwei Spanier mit glühenden Kohlen folterten. Ich hab sie abgeknallt! Brrr!« »Die Dons?« »Unsinn! Die ehrbaren Piraten. Viel ist nicht an den beiden verloren, aber Wert hat es keinen. Andere werden es ihnen nachmachen. Hinter Morgans Rücken!« »Wo steckt er?« »Im Stadthaus. Hat der Einwohnerschaft ein Lösegeld von dreißigtausend Pieces of eight aufgebrummt. Eine nette Summe, abgesehen von dem, was wir schon haben!« - »Pah!« 409
»Doch, es reicht! Zuerst sah's ja dürftig aus. Aber ihr kümmert euch ja nicht darum, sonst hättet ihr euch die Kisten mit Goldketten und allerlei Glitzerkram angeschaut, die man inzwischen entdeckte. Kriegsbeute!« »Meinst du, daß die Burschen zufrieden sind?« Er zuckte die Achseln. »Quien sabe?« »Mir gefällt diese Fahrt, die noch nicht beendet ist, mitnichten!« sagt der hartnäckige Olivier. »Ho, 's ist erst der Auftakt!« lacht der junge Devonshirer. »Wie meinst du das, mein Junge?« »Daß Morgan eines Tages ein ganz großer Mann sein wird!« »Ihr beide habt den Morganfimmel. Laßt ihn euch einbalsamieren!« flucht Olivier und schwingt sich aus der Hängematte. »Buena noche! Gute Nacht!« »Was hat er nur?« fragt Ben, als Olivier verschwunden ist. »Gott weiß ! Er ist sonst ein trefflicher Kerl und mein Freund!« Die Entdeckung eines fürchterlichen Inquisitionskellers mit sieben vor Angst und Hunger halbtoter englischer Menschenwracks läßt die Erregung der meisten Bukanier fast bis zur Siedehitze steigen. Man redet laut davon, die reichen Spanier zu killen und die Stadt anzuzünden. Zwölfter Tag. Im Hauptquartier ist große Aufregung. Eben wurde eine Bürgergesandtschaft eingelassen, die um Aufschub wegen des restlichen Lösegeldes bat. Eine bestaubte Patrouille schleppt einen herkulischen Neger schwer gefesselt herein. Er habe sich verdächtig gemacht und unterwegs zweimal versucht zu entspringen! Hemd und Hose werden ihm abgerissen, rauhe Hände durchwühlen seine Kopfwolle. Nichts zu finden. Dem Mann ist anscheinend Unrecht geschehen. »Laßt ihn laufen!« entscheidet Morgan. »Stop!« John Brenty, der gerade hereinkommt, winkt: »Stop! Der schwarze Bengel ist ein Bote des Gouverneurs. Ein Spion, sage ich!« »Misericordia !« wimmert der Neger und sinkt auf die Knie. Ich dränge mich näher. Brenty hält eine kleine, längliche Mes410
singkapsel triumphierend empor. »Als der Schwarze eingebracht wurde, schien er sehr besorgt um seinen Hund - ein possierliches Tier - das einer der Streife an der Leine mitführte. Well, sage ich: wer Hunde nicht liebt, ist selber ein Vieh! und streichle den Pudel und gebe ihm zu fressen. Er mochte aber nichts, rutschte nur andauernd in der Positur, die wir bei uns daheim »Schlittentour« nennen, auf dem Boden. Das machte mich aufmerksam, und seht, Maaten - das verlor der gute Pudel bei seiner journey! Ein Brief ist drin!« . . . Morgan öffnete die Kapsel, holt ein dünnes, zusammengerolltes Schreiben heraus. Die Zornesadern schwellen ihm beim Lesen auf der Stirn. Dann befiehlt er: »Bindet den Neger los und laßt ihn laufen. Er ist ein braver, tapferer Mann!« Der Schwarze fegt zum Saal hinaus. Morgan liest vor, daß in dem Schrieb des Gouverneurs von Santiago die Einwohner von Puerto del Principe aufgefordert wurden, uns »Räuber, Plünderer, Mörder und Heretiker« mit dem Lösegeld noch einige Tage hinzuhalten. Er komme mit einer gutausgerüsteten Macht von fünfzehnhundert Soldaten anmarschiert, und keiner Mutter Sohn von den Unsern würde die Schiffe in der Bai erreichen! Der Kriegsrat tritt sofort zusammen. Und beschließt, mit dem, was wir haben, zur Küste zu marschieren, den Dons aber vorher noch fünfhundert gute, feiste Schlachttiere zum Boucanieren abzuverlangen, die ebenfalls zur Küste getrieben werden sollen. Abzug, Trommeln rollen, und von einigen hundert Sklaven begleitet, die unsere Bagage schleppen und dafür die Freiheit erhalten, marschieren wir langsam nach der Bai zurück. Vor uns wogt eine Staubwolke. Das sind die fünfhundert Stiere, die, von tüchtigen cubanischen Vaqueros getrieben, nach den Schlachtplätzen an der Küste streben. Allnächtlich bilden unsere Biwakfeuer einen Ring, und in weiten Zwischenräumen lauern die Wächter.
411
DIE MARKKNOCHENAFFÄRE*) Nun hätten wir, nachdem die fünfhundert Ochsen von kundigen Bukaniern geschlachtet, zu Streifen zerschnitten, mit Salz bestreut, an der Tropensonne boukaniert und dann an Bord genommen worden waren, ganz zufrieden in See stechen können. Ehe es jedoch soweit kam, geschah noch allerlei. Das Schlachten und Boukanieren war in vollem Gang. Lärm und Ausgelassenheit herrschten. Briten und Niederländer schnitten sich saftige Steaks und rösteten diese in eisernen Pfannen, tranken Wein, der aus der Stadt stammte, denn wir hatten kein Nößel dortgelassen. Die Italiener und Portugiesen und andere Südländer bereiteten sich scharfgepfefferte Chorigo-Würste, und aus den in Stücke geschnittenen, sauber gewaschenen Fettdärmen und Kichererbsen und Pferferschoten ein gar nicht schlecht schmeckendes Suppengericht, das sie »Menudo« nennen. Die Landsleute des Esquemelin rösteten ihre delikaten Markknochen. Es war ein lustiges, geschäftiges Lager am Strande, und jedermann ließ sich's Wohlergehen - als das Unglück geschah! Ich nenne es ein Unglück, denn es entzweite gute Freunde, die einander hier draußen in der Main bitter nötig haben, auf Monate hinaus. Hört: ich schlenderte, meine Pfeife rauchend, von einem Feuer zum andern, scherzte mit den Maaten und antwortete auf ihre Witze in spanisch, französisch, englisch und der lingua franca, auch wohl spaßeshalber in gelehrtem Latein, als an einem Feuer plötzlich wildes Geschrei ertönte. Dort saßen Tortugamänner bei ihren Markknochen und hatten eben noch behaglich laut geschmatzt. Jetzt aber waren sie aufgesprungen, fuchtelten mit Cutlassen und Dolchen, und bösen Schmähreden auf die »Bistecks«, wie sie die Briten scherzhaft nannten, wurden laut. Immer mehr Normannen *) Historisch
412
und Bretagner kamen angelaufen und mischten sich in den Trubel. Ein einzelner Englishman entglitt gerade ihren Fäusten und rannte davon, als ob sein Leben davon abhinge. Es hatte dieser Unbedachtsame nämlich, sei es spaßeshalber oder aus purer Bosheit, einem braven Sankt-Malómann soeben den Markknochen direkt vom Munde weggerissen und ins Feuer geschmissen. Der Beraubte forderte den Dieb sofort zum Zweikampf heraus, doch der Brite, der den Tropenkoller oder »Cafard« bekam, lief davon. Aber nicht, ehe er dem Beleidigten den Dolch in die Kehle gestoßen hatte. »Mörder, Hund!« schallte es hinter ihm drein. »Verfluchte Bistecks, unverschämtes Port-Royal-Gesindel!« Noch andere Schmeichelreden flogen durch die heiße Luft, und die verdutzten Briten an den anderen Feuern, die gar nicht auf den Streit geachtet hatten, sprangen auf, krempelten ihre Hemdärmel um und gaben Wort für Wort zurück: »Froschfresser! Biche-le-merFresser! Halunken . . .!« Auf beiden Seiten mischten sich immer mehr Männer in die Affäre, längst war der in seinem Blute Liegende vergessen, und Engländer und Franzosen droschen aus Leibeskräften aufeinander los. Immer mehr blanke Waffen wurden gezogen. Es sah aus, als ob zur Freude der feixenden spanischen Vaqueros ein blutiger Kampf stattfinden würde. Morgan, Bradley, Esquemelin, ich und andere stürzten mit gespannten Pistolen zwischen die Streithähne und erreichten wenigstens, daß sie die Waffen einsteckten. Man verband auf beiden Seiten blutige Köpfe, und das Geschimpfe wollte sich nicht legen, zumal die Ursache, der Getötete, jetzt deutlich sichtbar am Feuer lag. Man besprach den Fall. Morgan lachte schallend, und die Briten taten desgleichen, weil sie nicht begreifen konnten, daß man wegen eines Markknochens soviel Aufhebens machte, zumal es ja des öfteren vorkam, daß Bukanier sich in Duellen töteten. Aber die Tortugamänner spien Gift und Galle, und beinahe wäre es wieder zum Kampf gekommen. 413
»Männer, wollt ihr den Dons ein Schauspiel bieten?« rief Morgan endlich. »Schämt euch!« »Der Markknochendieb und Mörder muß bestraft werden. Man hat uns in unseren heiligen Traditionen beleidigt!« schrie ein kleiner Franzose, der wegen seines guten Mundwerkes allgemein den Subtitel und nom de guerre »Seeadvokat« führt. »Selbstverständlich. Was soll mit ihm geschehen? Ich bin gerecht!« antwortete der Generalissimus. »Kielholen! - Nein, hundert saftige Streiche mit der Neunschwänzigen! - Maronieren! - Erschießen, hängen!« klang's durcheinander und schließlich brüllte ein ohrenbetäubend lauter Chor ununterbrochen: »Hängen! Hängen!« Der Admiral strich sich übers Kinn. Und im Hinertgrund hielten zwei seiner Landsleute den armen Teufel, der eben aus seinem Cafard erwacht war und gar nicht wußte, was er getan, an den Armen fest. Er zitterte an allen Gliedern und ließ sich willig fesseln. »Mordioux!« mischte sich Esquemelin wieder ein und schrie, von Gelächter unterbrochen, daß jeder einzelne dümmer als die eben boucanierten Ochsen sei, und sie sollten sich mit der Erledigung der Sache gedulden, bis man Jamaica erreicht habe. »Bravo! Vive Esquemelin!« brüllten die Tortugagenossen, und die Port-Royal-Leute standen mit finsteren Mienen dabei. Morgan winkte mir und den anderen Flottenquartiermeistern. Er verkündete erst den anderen: »Nach dem Abkochen schiffen wir uns ein und fahren hinüber nach der kleinen kahlen Insel. Dort wird die Beute ehrlich geteilt, den Artikeln gemäß!« »Vive Morgan!« schrien ein paar Tortugabrüder, doch die meisten schnitten mißtrauische Gesichter. Und jetzt erhielten wir Quartiermeister unsere Orders. Wir setzten die silbernen Pfeifen an die Lippen und pfiffen zum Einbooten. Es sind diese Signale ein großer, von den Kriegsschiffen übernommener Vorteil, denn man braucht sich nicht die Kehlen heiser zu schreien, und in den Flötentönen liegt etwas, das zur Disziplin auffordert. Auf der kleinen, übersichtlichen Insel, die guten Ankergrund hat, ging alles, mit Ausnahme der Wachen, wieder an Land. 414
Weinschläuche, in Häute gepackter Boucan, Berge glitzernder Pieces of eight, Seidenstoffe, Geschmeide, Gewürze, in summa die ganze Beute von Puerto del Principe, wurde auf den Sand gehäuft. Es war ein bunter, lockender Anblick und alles schwieg, stierte hin, leckte sich die Lippen und dachte innerlich, daß es doch ein ganz netter Haufen sei. Der unfromme, unheilige Pater Bobadillas waltete nun, mißtrauisch beäugt, seines langwierigen und schweren Amtes. Er bekam aber Gehilfen, die die Seidenrollen und Ballen öffneten, Gewürze abwogen usw., und die ihm auch Helme voll genau abgezählter Häufchen mit Pieces of eight darreichten. Zurufe feuerten ihn an, und einige klatschten beifällig in die Hände, andere wieder schalten ihn einen spanischen Papisten. Morgan saß auf einem Faß, rauchte Pfeife und sah dem Jahrmarktstreiben zu. Draußen schwoiten die Schiffe, und Wachen suchten unablässig den Horizont mit Kiekern nach etwaigen feindlichen Geschwadern ab. Olivier hatte sich zu mir gesellt. »Riechst du auch Unrat, Confrater?« flüsterte er, und als ich verneinte, raunte er spöttisch : »Und du willst ein Schotte mit dem zweiten Gesicht sein, wie?« Klingeingling! machten die Goldstücke. Ritsch! rauschte die Seide beim Zerschneiden. Glucks! lockte der Wein, wenn die Schläuche hingestellt wurden. Geschmeide klirrte und einer nach dem anderen wurde beim Namen aufgerufen und erhielt seinen Anteil. Manchmal fluchte einer oder lachte. Ein paar, die schon bekommen hatten, setzten sich zum Würfelspiel nieder. Ich rauchte meine Pfeife. Unermüdlich und sehr geschickt machte der Padre seine Arbeit. Und die Gesichter vieler Männer wurden immer länger, denn mancher hatte sich seinen Part größer gedacht. Sie überlegten gar nicht, daß diese Schätze eigentlich ohne große Gefahr gewonnen worden waren. Denn der Zug nach Puerto del Principe war im Vergleich zu Maracaibo und anderen eigentlich ein Spaziergang gewesen. Langsam neigte sich die Sonne gen Westen, und der Horizont 415
begann in Karmin und Zinnober, von Gold und Giftgrün und anderen Farben durchwogt, zu flammen. Rot glänzten die Goldstücke und Schmuckstücke, und die braunen Gesichter der Männer waren mit roten Schlaglichtern bemalt. »Tummle dich!« riefen einige dem Padre zu. Und er tummelte sich wirklich und zählte die Goldstücke mit der Geschwindigkeit eines Taschenspielers. Man bewunderte oder verlachte ihn. Und alles hätte sich in Wohlgefallen und Zufriedenheit aufgelöst, wenn nicht . . . Täuschte ich mich oder? Eben nahm der Padre ein prachtvolles, mit bunten Juwelen besetztes goldenes Kruzifix von dem Haufen, wollte es scheinbar jemand zuteilen. Es wäre laut Namensliste das künftige Eigentum eines gewissen Tortugabruders namens Grande gueule (Großmaul) geworden, und erfreut schmunzelte dieser schon. Aber plötzlich jonglierte der durchtriebene Padre in der anderen Hand einen Silberpokal und steckte dabei geschickt das köstliche Kruzifix in seine Hosentasche*). Ich hatte es gesehn und andere auch. Und im Nu erhob sich ein Heidenlärm, und ein riesiger Bukanier trat vor, riß dem Padre das Schmuckstück aus der Tasche und schmetterte ihn mit einem einzigen Faustschlag, so lang er war, zu Boden. »Verdammter diebischer Papist! Goddam! Schuft, sacré chien! Der Kerl stiehlt den Witwen die Butter vom Brot !« und anderes schrien gemeinsam die entrüsteten Briten und Franzosen. Unaufhörlich prasselten Flüche. Der Padre rappelte sich auf, schlich mit einem tückischen Blick hinter Morgan und schaute von dort - kaltblütig wie mir schien - in die Runde. Und anstatt dem Padre zu Leibe zu rücken, fingen nun die Franzosen von der Tortuga und die Briten von Port Royal obwohl sie sich über die Schuftigkeit des Padres einig waren die alte Markknochengeschichte wieder an, aufzuwärmen. Und blanke Waffen glänzten, und abermals warfen sich Morgan, Bradley und andere zwischen beide Parteien. Es gelang ihnen, *) Historisch
416
ein allgemeines Blutvergießen zu verhindern, durch den Hinweis, daß man sich mit der Teilung beeilen müsse, denn die Nacht sei nicht mehr fern. - Morgan selbst beendete die Teilung des Schatzes, gab auch Grande gueule sein Kruzifix und versprach, den Padre in Port Royal tüchtig ausstäupen zu lassen. Da legten die Franzosen wieder los und sagten, daß es auf der Tortuga solche Schufte wie den Bobadillas nicht gäbe, und daß überhaupt die ganze Geschichte verfahren sei und daß sie keine Lust mehr hätten, künftig mit den Port-Royal-Freibeutern gemeinsame Sache zu machen. Wenn diese einen solch notorischen Halunken wie den Zahl- und Punschmeister in ihrer Mitte duldeten, ohne ihn zu ersäufen, so seien die Tortugamänner mitnichten gewillt, auf fünfhundert Seemeilen in der Runde die gleiche Luft mit ihm zu atmen. Quartiermeisterpfeifen gellten, Tortugakapitäne riefen Befehle, und dann taten sie uns durch einen Sprecher kund, daß sie stehenden Fußes an Bord gehen und nach Hause segeln würden! Sie packten die Beute auf und machten sich eilig daran, diese in den Booten zu verstauen. Vergeblich boten Morgan, Esquemelin und ich unsere ganze Beredsamkeit auf. Die Dickköpfe waren nicht umzustimmen! Dankten uns zwar für unseren guten Willen, wünschten uns höflich Wohlergehen und gute Fahrt und pullten dann in guter Ordnung nach ihren Fahrzeugen. Eben stürzte sich die Sonne in den Farbenaufruhr des Ozeans, alles war rotleuchtend und golden, und die Schiffe sahen schwarz aus, mit feurigen Linien umrandet. Dazu der Gesang: »Ohé, ohé les matelots!« Wir hörten noch lange den Chorgesang, während die stattlichen Schiffe sich von der Insel entfernten. Neben mir stieß Olivier einen Seufzer aus. Und die drohende Stimme Morgans drang durch die Dunkelheit: »Freund Bobadillas, noch ein solches Mätzchen, und du sollst wünschen, nie den Henry Morgan kennengelernt zu haben. Marsch! Scher dich an Bord, trauriger Hund, und brau Punsch für all hands.« Der Padre schlich nach den Booten. Morgan lachte uns übrigen zu: »Schade, aber eines Tages kom417
men sie wieder, denn sie brauchen mich ! Schafft eure Beute an Bord, Jungens. Der Himmel gefällt mir nicht. Seht ihr den Dunst dort um den Mond wallen? Je eher wir von dem Legerwall der Insel wegkommen, desto sicherer fühle ich mich!« Wir taten nach seinem Befehl, pullten an Bord, verstauten unseren Glitzerkram und segelten dann nach Port Royal zurück. Mit Kanonensalut wurden wir empfangen. Und da die meisten Freibeuter kurzlebende und daher kurzdenkende Männer sind, so machte sich bald niemand mehr Kopfzerbrechen über den Bruch zwischen der Tortuga und Jamaica. Morgan aber hielt Wort. Der Mörder des Franzosen und Dieb des Markknochens baumelte von der Großrah der »Ironhead« und blieb drei Tage hängen. Dann wurde er abgeschnitten und stürzte ins Hafenbecken, wo Longtom ihn in Empfang nahm.
PUERTO BELLO Die Goldene Straße (el camino del oro) zieht sich von der pazifischen Panamaküste über Savannen, Sümpfe und Buschwald dahin, durch Urwälder, in denen Jaguare, Giftschlangen und ander unsympathisch Getier hausen, dann wieder über hohe, pfadlose, dornenbewachsene Berge und teils am krokodilreichen Rio Chagres entlang, in dessen Dschungel Indios stecken, die ihre Freiheit mit vergifteten Pfeilen erfolgreich verteidigen. Unter einem Himmel, der tagsüber wie eine glühende Glocke und wie ein goldbestäubtes Zelt nachts diese brutofenheiße Tropenlandschaft überwölbt. Sie endet an der atlantischen Küste, bei der stärksten spanischen Festung und Stadt am Meer, Puerto Bello*). Hier ist der Stapelplatz und Verschiffungshafen fast aller Reichtümer des süd- und zentralamerikanischen Festlandes. Hier häufen sich goldene und silberne Ingots, von Maultierkarawanen die endlosen Wege aus Peru und Bolivia hergebracht. Hier *) Die hier geschilderte Route stimmt fast genau mit dem heutigen technischen Wunderwerk des Panamakanals überein.
418
schimmern in messingbeschlagenen Truhen die Tränen des Meeres, herrliche Perlen von den Bänken Santa Maria, Espiritu Santo, La Paz, Loreto und andern fast sagenhaften Plätzen des Pazific und warten darauf, sortiert nach Europa zu reisen, um dort die weißen gepuderten Nacken und kleinen Ohrläppchen stolzer aristokraticher Damen im Escorial zu schmücken. Hier, hier! . . . Die Hafeneinfahrt ist sehr eng, wird von zwei mächtigen Forts blockiert, in dessen größerem »San Geronimo«, die eben geschilderten Kostbarkeiten in starken Magazinen lagern. Im gleichen Fort ragt auch die Kathedrale auf, stehen die Kasernen. Doppelt geschützt durch zwei von der Landseite vorgeschobene, schwerbestückte, mit Laufgräben und Kasematten versehene Schanzen. Puerto Bello selbst ist nicht groß, besteht eigentlich nur aus jederzeit strotzend vollen Warenschuppen und einigen Dutzend kleinen Palästen und Villen vornehmer Kaufleute und Beamter. Gebäude, die auf kühn aus dem Fluß hervorspringenden, steilen Felsen stehen. Dreihundert Elite-Infanteristen und dreihundert kriegsgeschulte Einwohnermilizen bewachen diesen »Terminus« der Goldenen Straße. Dazu kommen noch indianische, allerdings nicht sehr vertrauenswürdige Hilfsvölker. Das alles ist Tatsache, und auch der dümmste Pulveraffe von Port Royal, von der Tortuga und anderen Schlupfwinkeln der Freibeuter weiß darüber Bescheid. Jeder ist der Meinung, daß diese spanischen Trauben auch für den kühnsten Eroberer etwas zu hoch hängen. Und doch redet, flüstert oder träumt man, wo immer Küstenbrüder beim Trunk sitzen, davon, daß eines Tages die Schatzkammern von Puerto Bello unser sein werden. Müssen! Westward ho! Puerto Bello: der Name hat romantischen Klang! Schöner Hafen! Es hört sich an wie Musik. Ein Engländer, der in Puerto Bello gefangensaß und nach abenteuerlichen Erlebnissen, die einen dicken Band füllen würden, 419
seinen Weg nach Port Royal fand, erzählt Wunderdinge über das, was seine Augen gesehen! In den Zelten auf der Landzunge und in den Kaufmannsgewölben und Villen spricht man von den Schätzen Puerto Bellos und wühlt im Geist bereits in Gold, Silber, Perlen und Edelsteinen. Jack, jener Brite, war in letzter Zeit oft bei Morgan, und da dieser mir immer mehr Vertrauen schenkt und mich antreibt, meine Manuskripte zu schreiben, bin ich ziemlich genau über seine Geheimpläne informiert. Gouverneur Sir Thomas Modyford hat Morgan Kaperbriefe ausgestellt, worin er ermächtigt wird, zum Schutz englischer und neutraler Handelsschiffe einen verteidigenden Seekrieg zu führen. Ihn aber autorisieren, auch Städte anzugreifen, kann er nicht, und ich war selber Zeuge, wie Morgan Seine Exzellenz direkt und unverblümt fragte, ob er denn nicht wisse, welchen Zwiespalt er dadurch herbeiführe? Ob er nicht wisse, daß die Kerker vieler Städte der Main voll zahlreicher, in Ausübung ihrer Pflichten als Handelsschiffer und Kaufleute gefangener britischer Untertanen seien? »Ich habe bereits mehr als einen Rüffel vom Sankt-James-Palast einstecken müssen! Wegen eurer Puerto-del-Principe-Affäre! Der spanische Imperator hat in London scharfen Protest eingelegt!« brummte Sir Thomas. Beide saßen einander gegenüber, rauchten und nahmen manchmal einen kühlen Schluck Sangaree. Bescheiden hockte ich im Hintergrund, spitzte die Ohren wie ein Luchs und wartete darauf, ein schriftliches Protokoll aufzunehmen. »Ich bin in der schwierigsten Lage, in der je ein britischer Beamter sich befand! God's death! Von rechts wegen müßte ich ungefähr die Hälfte eurer Burschen, die dort unten randalieren und sich vollsaufen, als Schelme und Erzpiraten aufknüpfen lassen!« »Wäre kein großer Verlust! Aber warum tun Sie's denn nicht, Sir Thomas?« »Weil ich noch nicht kann. Zu schwach bin! Das wissen Sie ebenso gut wie ich, Henry Morgan!« Dieser lachte, schaute den blauen Wölkchen seiner Pfeife nach. 420
»Ich brauche größere Vollmachten, Sir Thomas!« »Die kann ich Ihnen noch nicht ausfertigen !« »Und wenn es den Dons wirklich einmal einfallen sollte, eine tüchtige Kriegsmacht - und die haben sie, weiß Gott! - einzuschiffen, und wenn dann der Almirante Don Alfonso Campos y Espinosa eines Tages damit angesegelt kommt und Port Royal in Klump und Boden schießt und dann besetzt? Was dann, Eure Exzellenz?« »Ohne die Freibeuter, die den Dons wie stechende Hornissen im Bart sitzen, wäre die Möglichkeit, die Sie da erwähnen, verdammt groß. Und - « »Dann, Sir Thomas?« »Würde Seine Majestät - Gott segne und erhalte Sie! - eine schöne und reiche Kolonie verlieren. Jamaica! Die paar Soldaten, die ich habe, und die Milizen würden im Ernstfall keine große Rolle spielen. Das weiß man. Kaum daß alle Jubeljahre mal 'ne Fregatte von >Königs Eigen< hier ankommt und dann noch dazu allerlei unangenehme Sankt-James-Notionen auspackt!« Der beleibte Herr legte seufzend seine abgenommene Lockenperücke neben sich und fuhr mit einem Seidentuch über die feuchte Glatze. Morgan nahm einen tiefen Schluck. »Wenn es nun wahr wäre - meine Nachrichten sind ziemlich akkurat, ich habe den Expadre Bobadillas auf Kundschaft nach Puerto Bello geschickt! Der Kerl ist zwar ein trauriger Hund, aber in diesen Dingen kann man ihm trauen, weil er einen furchtbaren Haß gegen seine Landsleute und die Kirche hat! Well, Sir Thomas, falls also zu Puerto Bello augenblicklich eine Streitmacht gesammelt wird, die für die Eroberung von Jamaica gedacht ist? - Was würden Sie tun?« »La, la, Morgan, Sie übertreiben! Das wäre ja toll! Es brauchte nur der Fall zu sein, daß die meisten Freibeuter ausgesegelt sind, dann - « »Fällt Jamaica wie eine reife Papaya in die Hände der Dons!« »Sie bringen mich in eine nichtswürdige Zwickmühle, Käpten Morgan! Sind Ihre Informationen denn sicher?« 421
»So ziemlich! Irrtümer vorbehalten!« »Ich müßte erst nach Sankt-James-Court berichten!« »Bis der Hof antwortet, wird ein alter Esel wieder jung und Jamaica spanisch!« Der Gouverneur schwitzte. Gespannt hörte ich zu. »Was verlangen Sie also von mir, Morgan?« »Ausdehnung meiner Kaperbefugnisse auf den Land- und Angriffskrieg, meine persönliche Gleichstellung gegenüber den britischen Seeoffizieren, mit Admiralsrang, um die geplante Versklavung einer Kolonie Seiner Majestät - Gott segne und erhalte Sie! - tatkräftigst zu verhindern. Proviant, Waffen und Pulver und das offizielle Recht - damit alles schiffsmäßig klipp und klar auf dem Papier steht! - Leute für einen Kriegszug zu werben. Und den nötigen Kredit bei den hiesigen Kaufleuten!« Sir Thomas schüttelte den Kopf. »Kann ich nicht, Morgan, so wahr mir Gott helfe! Sankt James würde mir schwer auf den Kopf kommen. Sie selber, Freund Morgan, haben nämlich hier draußen eine Position inne, die ziemlich dunkel scheint. Viele sagen, Sie wären ein blutiger Pirat, und die andern . . .« »Was ich wirklich bin und bezwecke, wissen Sie genau, Sir Thomas!« »Natürlich! Aber vorläufig muß unser Mund darüber versiegelt bleiben. In Sankt James sind Bestrebungen und geheime Versöhnungsversuche mit den Papisten im Gange. Seine Majestät - Gott erhalte und segne Sie! - weiß zwar nichts von diesen Umtrieben. Aber Sie können sich ja vorstellen, wie es bei Hofe zugeht. Meine eigene Stellung hier hat schon mehr als einmal gewackelt, und wie gesagt, jetzt bekam ich wieder die Leviten gelesen. Wegen Puerto del Principe!« »Was gedenken Sie also wirklich zu tun, Sir Thomas?« »Hm. Ich werde einigen vertrauenswürdigen Kaufleuten und Schiffshändlern Winke geben. Betreffs Kredit, usw. Und darf im übrigen nichts gehört, noch gesehen haben. Wenn Sie also in See stechen, um das Geschwader des Espinosa zu suchen und zu bekämpfen, so ist das in vollster Ordnung und geht nicht über meine und Ihre Befugnisse. Und da der Ozean sehr groß 422
ist und der Don nicht immer handlich zu finden, so habt Ihr, wenn Ihr zufällig eine spanische Stadt an der Main einnehmt, weil von dort ein verdammungswürdiger Überfall auf Seiner Majestät Kolonie Jamaica vorbereitet wird, - das sage ich Euch jetzt im Vertrauen - nur Eure verdammte Pflicht und Schuldigkeit getan. Ob's Euch aber gelohnt wird, das kann ich nicht versprechen. Der Sankt-James-Palast ist weit.« »Ich verstehe Sie ausgezeichnet, Sir Thomas. Weiter wollte ich ja nichts. Ich denke, daß die wichtigsten Grundzüge unserer Unterredung nun feststehen, und mein Schreiber Mac Donald mag sie nachher bei mir zu Hause in einer Geheimschrift niederlegen!« »Untersteht Euch, Morgan. Begreift mich recht, ich will und darf von der ganzen Geschichte nichts wissen. Bin hier draußen auf meine eigene Diskretion angewiesen. Sie wissen, daß zwischen England und Spanien zur Zeit Friede herrscht. Obwohl der Escorial seltsamerweise diesen Frieden nicht auf die Kolonien ausdehnt, sondern alle andern Nationen nach wie vor aus Amerika vertreiben möchte. Und - um wie ein >Seemann< zu reden - diese Einstellung des Escorial gibt Ihnen, Morgan, ja genügend Fahrwasser. Und nun Schluß damit!« Er klingelte und befahl dem eintretenden befrackten Neger, die Gläser zu füllen. Der Schwarze ging wieder, und Seine Exzellenz warf mir einen plötzlichen mißtrauischen Blick zu. Morgan lachte: »Mac ist durchaus vertrauenswürdig, Sir Thomas!« Der Gouverneur setzte seine gefüllte Pfeife an der Kerze in Brand. - »Also wollt Ihr wirklich eventuell das uneinnehmbare Puerto Bello angreifen? Dazu braucht Ihr mindestens fünf Schiffe und sechshundert Mann!« Morgan schlug sich auf die Schenkel: »Jetzt fangen Sie ja selbst davon an, Sir Thomas! Aber, um zu antworten: also wenn ein gewisser notorischer Erzpirat und Bluthund besagtes Puerto Bello angreift, so segelt er mit nicht mehr als zwei Schiffen und zweihundert Mann von Port Royal aus!« 423
»Morgan, entschuldigen Sie, aber das wäre verrückt und mehr als tollkühn!« »Ich kenne eine gute Devise, um die Burschen, die ich anmustern würde, unüberwindlich zu machen. Nämlich: je geringer die Zahl der Angreifer, desto größer der Beuteanteil des einzelnen! Auf jeden Fall wird eine Menge ins Gras beißen. Und da ich einen Teil der übelsten, unverbesserlichsten Halunken mitnehme, so wäre damit der Vorarbeit für den später friedlichen Kaufmannswettbewerb der Völker hier draußen erheblich gedient!« »Sie sind klug, Morgan!« »That's Morgan's way!« lachte dieser. »Können aber dabei selber ein vorzeitiges Ende finden!« »Dieses Gefühl habe ich nicht, Sir Thomas. Aber um auf etwas anderes zu kommen: der Wein in dieser Mischung hier ist ausgezeichnet. Wo haben Sie den her?« . . . Sie verabschiedeten sich voneinander. Mir reichte der Gouverneur ein Beutelchen, durch dessen Seidenmaschen es golden schimmerte. Und war sehr verblüfft, als ich das Geschenk höflich und bestimmt ablehnte. »Old Mac ist Romantiker! Geben Sie ihm ein paar vergilbte Schmöker oder den ältesten Rum der Insel oder einen Strauß seltener Blumen - das nimmt er liebend gerne an!« lachte der amüsierte Morgan. Seine Exzellenz betrachtete mich scharf, lachte dann ebenfalls und sagte abschließend: »Ich werde mich Eurer erinnern, Mann!« . . . Morgan ließ kein Gras unter seinen Sohlen wachsen. Während der Nacht wurden, wobei ich als Sekretarius mitging, die Verhandlungen mit den kreditgewährenden Kaufleuten, die sofort ein gutes Geschäft witterten, abgeschlossen. Und schon am nächsten Tag sah man einige aufgeputzte, in Samt und Seide, Perücken und Straußenfederhüten gekleidete Piraten durch die Gassen der Zeltstadt stolzieren. Hinter ihnen her zottelten ein paar Pulveraffen und Trommeljungen, die ihre Schlägel rührten. Und dazu wurde ausgerufen: »Im Trinkzelt des John Peter 424
Bolton wird gemustert für eine Fahrt unter Admiral Henry Morgan. Es geht gegen das spanische Geschwader des Espinoza und sind wir ehrlich willens, diesem Don Saures zu geben! Nur starke, gesunde, in den Waffen geübte Seeleute, die mindestens fünf Schlachten auf Land und See hinter sich haben und dies bezeugen lassen können, dürfen die Artikel unterschreiben! Ahoi, westward ho, at the Dons we'll go! Ahoi, Ahoi!« . . . Natürlich strömte alles in hellen Haufen nach Boltons Zelt. Morgan und Bradley saßen hinter einem Tisch, und vor ihnen lag ein glitzernder, als Handgeld gedachter kleiner Berg Pieces of eight. Und beide klingelten mit den Münzen. Ich saß abseits, hatte Tintenfaß und Musterrolle neben mir und die Truthahnfeder hinterm Ohr. Die Burschen drängten sich zu dem Unternehmen, wie Bienen nach der Siruptonne! Doch siebte Morgan stark. Eine Anzahl wenn auch wilder, aber ehrlicher Maaten, meist von Devon und auch ein paar aus der Normandie darunter, hielten auf der Musterrolle sich die Waage mit einer Horde tollkühner Höllenteufel und blutgieriger Schufte, und ich dachte an das Gespräch meines Alten mit Sir Thomas und wußte, daß diese Kerle gewissermaßen ihre Schandtaten für künftige friedliche Zeiten als Opfer sühnen würden. Denn dafür nahm Morgan sie mit. Dadurch schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe, weil besagte Crew sehr tüchtige Leute enthielt, was Kämpfen anbetrifft. Eine Woche später segelten wir aus. Nur zwei Schiffe! Auf der »Ironhead« war auch der Expater Bobadillas. Auf hoher See wurde beigedreht, und Morgan tat den Mannschaften kund, daß wir, um einem Angriff der Dons auf Jamaica zuvorzukommen, Puerto Bello erobern wollten. Da war kein einziger, der nicht Beifall schrie. Kein einziger dachte an den Tod, der viele vor den Laufgräben und Wällen erwartete, sondern jeder nur an die ungeheure Beute, die in der Stadt am Ende der »Goldenen Karawanenstraße« lagert. Diesmal war ich nicht Quartiermeister, sondern Schiffsschreiber. Hatte deshalb eine Menge Freizeit und einen hübschen Demi425
john Jamaica Rum, den ich der Freigebigkeit Sir Thomas' verdankte. Und las in den Liedern des François Villon. Bobadillas war Punschmixer, und es fiel mir auf, daß er von Morgan als notwendiges Übel behandelt wurde. Denn der Padre kennt Puerto Bello wie seine Hosentasche. Auch jener Jack, der aus Puerto Bello entkommen, war an Bord der »Ironhead«. Die Zeit der Orkane war vorüber, und wir hatten eine glatte Fahrt, auf der sich nichts von Belang zutrug. Im Kriegsrat, dem ich als Sekretarius beiwohnte, gab Morgans Plan den Ausschlag. Nämlich, uns nicht von der See her der Stadt zu nähern, weil dies ziemlich aussichtslos wäre, sondern von Land aus die Dons zu umgehen. Es war eine drückendheiße, sonst aber wunderschöne Sternennacht, als wir in der Mündung des Rio Naos ankerten. Zwischen Puerto Bello und Colon! Die Fischersiedlung Puerto Ponton am Flusse wurde überrascht und all hands gefangengenommen, damit sie uns nicht melden konnten. Eilig, aber in bester Ordnung, von dem Engländer Jack geführt, marschierten wir die achtundzwanzig englischen Meilen auf dem Camino längs der Küste und Berge dahin. Und waren kurz vor Sonnenaufgang plötzlich inmitten der Laufgräben der zwei Schanzen, prügelten uns erbittert mit halbnackten, aus dem Schlaf getaumelten Dons, jagten den Rest in die Kasematten. Es war ein kurzes, aber heftiges Gefecht, und der Rest der in die Kasematten geflüchteten Dons verteidigte sich hartnäckig weiter. Jedoch fand einer der Unsern die Pulverkammer, legte eine Lunte, und plötzlich ging die ganze nähere Umgebung bei fürchterlichem Krach der explodierenden Schießvorräte mit hohen Stichflammen und Qualm hoch in die Luft. Es regnete tatsächlich Kanonenrohre, Schutt und Balken, aber auch Menschen oder Teile von solchen. Und vor uns fiel jeder Mutter Sohn durch den Luftzug auf den Rücken, und gar mancher erlitt Quetschungen. Und falls noch einer der Einwohner von Puerto Bello schlief, so war er wohl nun wach geworden und beeilte sich, seine wertvollen Klamotten zu packen. 426
Und wirklich war die Stadt evakuiert, als wir einzogen! Die Bewohner waren in die große Zitadelle »San Geronimo« geflüchtet, die mit ihren Wällen und Fortalezas und einer Kathedrale und Schuppen und Häusern eine Stadt im kleinen bildet. Wir aßen und tranken erst einmal und warteten auf die Sonne, damit wir bei unseren weiteren Operationen etwas sehen konnten. Die Dons in der Festung jagten ihre Vollkugeln und Traubenschuß und andere üblen Annehmlichkeiten in die Gärten. Und natürlich waren Schuppen und Häuser leer, das heißt, das, was unsere Burschen suchten, fand sich nicht. Man hatte alle Kostbarkeiten in die Zitadelle salviert. In einem Kloster fanden wir jedoch zu unserer Überraschung einige Dutzend Nonnen und Mönche, die sämtlich auf den Knien lagen und eine Messe zelebrierten. Morgan versprach ihnen Schutz, und obwohl wilde Kerle über die sanften Beter ihre Glossen machten und laut davon sprachen, mal mit »Nönnlein zu Bett zu gehen« und der abtrünnige Bobadillas seine einstigen Amtsbrüder und Schwestern umstrich wie ein alter lauernder Kater, genügte Morgans Autorität, und man ließ jene weiterbeten. Die Sonne war aufgegangen und brannte heiß vom blauen Himmel herab. Von San Geronimo knallten und donnerten Musketen und schwere Stücke. Zweimal stürmten wir gegen die blei- und feuerprasselnde Feste und mußten jedesmal zurück. Und wenn ihr euch daran erinnert, daß ich noch nie ein Held oder Parteigänger des Gottes Mars war, sondern eher etwas zur Ängstlichkeit neige, so mag es euch verständlich scheinen, wenn ich beim Sturm zwar einer der ersten war, aber selbstverständlich stets nett gedeckt hinter dem breiten Rücken Henry Morgans herlief. Es sah übel für uns aus. Doch schien dies keiner der andern irgendwie zu fühlen. Wahrscheinlich, weil die Nonnen und Mönche wahrheitsgemäß erzählt hatten, daß sämtliche Kostbarkeiten in den Schuppen und Gewölben von San Geronimo lägen. Und diese goldenen Klamotten hatten eine gewaltige Anziehungskraft! Ich fragte mich, ob ich, falls wir die Feste einnehmen würden - wonach es nicht aussah - wohl einen guten 427
Tropfen Old Jamaica und etwas zu lesen finden mochte, hielt mich tapfer nach wie vor hinter Morgans, Bradleys oder meines Freundes Ben breitem Rücken und ließ die Kugeln sausen. Ein Geplänkel entspann sich. Unsere Scharfschützen pickten unfehlbar jeden Don weg, der sich auf den Wällen sehen ließ, und besonders die ziemlich exponierten spanischen Kanoniere erlitten starke Verluste. Manch einen sah ich, wie er seinen letzten Luftsprung machte. Morgan rief die Unterführer zum Kriegsrat zusammen, während unsere Leute in Deckung lagen und auf das Fort pfefferten. Ununterbrochen knatterte es, und die Rauchwolken wurden immer dichter. Bald war die Sicht diesig wie bei Nebel, obwohl darüber die schönste Tropensonne strahlte. Die Beratung fand im Garten einer Villa statt, und eine Weile hörten wir das Hämmern und Nageln, mit dem einige Dutzend der Unsern Sturmleitern zimmerten. Ziemlich planlos wurde hin- und hergeredet, keiner wußte etwas Ordentliches, und die ganze Zeit prasselten Vollkugeln in die Gärten. Zeitweilig ertönte Hohngeschrei der sich Beschießenden, und man kann wohl sagen, daß in Puerto Bello die Hölle los war. Auf dem Verbandsplatz mehrten sich die Blessierten. Zwischen Reden und Trinken saßen oder standen wir in den schönen Gärten herum, zerbrachen uns die Köpfe, wie wir wohl San Geronimo nehmen könnten, und die ganze Zeit rauschten, heulten und surrten Kugeln und Blei. Von Zeit zu Zeit kam ein pulvergeschwärzter Läufer und meldete das Übliche: »Feuerwaffenkampf und keine Aussicht, den Wall zu berennen!« Morgan schritt wie ein Löwe im Käfig auf und ab. Bradley trank vor Wut mehr, als ihm gut war. Ich saß auf einer Marmorbank, dachte, daß es wohl nett sei, in Zukunft mal eine derartige Bank als Beutestück nach der Tortuga zu transportieren - und ob die Maaten wohl sehr über eine derartige Idee lachen würden. Ich schüttelte die Bordflöhe aus meinem Hemd, in dem sie reichlich ihr Unwesen trieben. Und sah dann meine Pistolen nach. Die Rauchwolken wurden immer dichter. Kugeln klatschten auf, 428
die Abschüsse knatterten oder brüllten laut. Seit einiger Zeit war der Litaneiengesang der Klosterbrüder und Nonnen in der nahen Krypta verstummt. Bumm! krachte eine Vogelkugel und schmiß eine Palme um. Na ja, dachte ich . . . Plötzlich horchten wir alle auf. Freudiges Geschrei ertönte vorne, und es schien bei Gott! als ob unsere Leute eigenmächtig, ohne Anführer und ohne Orders einen neuen Sturm versuchten . . . Hinter Morgan her stürzten wir alle aus dem Garten und sahen, einige hundert Meter voraus, ein Bild, das ich kaum je vergessen werde. Das Fort mit seinen Wällen und Zinnen, die geduckten Dächer der Schuppen, den klotzigen, aber doch wunderbar harmonischen Kathedralenturm! Und dichte Rauchschwaden, durchzuckt von Abschußstrahlen und den schattenhaften Gestalten der Dons in den Batterien. Und davor, in breiter Linie, mit Geschrei und Waffenblitzen rannten unsere Bukanier. Aber ihnen voran, von ihnen gestupst und gepiekt, stolperten im tollen Lauf, schwere Leitern auf den Schultern und durch ihre weibischen Gewänder gehandikapt, mit halbersticktem, schauerlich grabestief klingendem lateinischem Gesang in weißen Kutten und Kapuzen: die Nonnen und Mönche! Wir hielten an wie festgeleimt. Keiner traute seinen Augen recht. Von den Wällen fegte ein Kartätschenregen in die als Kugelfang dienenden Tonsierten. Viele fielen, aber die anderen torkelten singend weiter, getrieben von Piraten, die laut jubelten und immer näher an den Wall rückten. »Gott!« schrie Morgan erstickt und war so weiß wie eine Kalkwand. Mir pochte das Herz wie mit Dreschflegelschlägen. Es ging alles so rasch, eben setzten sie die Leitern an. Die letzten Mönche und Nonnen taumelten bleidurchsiebt zu Boden, und die Bukanier kletterten affenartig jauchzend die Sprossen hinan. »Go ahead!« schrie Morgan, und wir anderen liefen über das 429
unebene Gelände, drängten durch seufzende Büsche, stolperten und keuchten, jumpten über Tote und Sterbende. Eine blutende Nonne kreiselte wie irrsinnig mit gefalteten Händen auf den Knien herum. Projektile sangen, dumpfe Aufschläge, schrillende Metallstücke. Ich setze über einen toten Tonsierten hinweg und klettere unter anderen neben mir Kletternden - aber die meisten waren schon droben und drüben! - die breiten Sprossen aufwärts. Ich hieb nach allen Seiten in das Dämmern hinein, und es war mir egal, wen ich traf, solange nur keiner mich traf, und ich hatte die ganze Zeit noch das furchtbare Bild der laufenden Mönche vor meinem geistigen Auge, hörte ihren längst verstummten lateinischen Todessong wie Echo in meinen Ohren donnern: »In coelis, in coelis! Im Himmel, im Himmel!« und dazwischen die wirklichen Rufe der Dons: »Nos rindemos! Wir ergeben uns!« Das Schießen wurde schwächer. Nur eine einzelne Kanone knallte los, einige Stahlwaffen schlugen noch gegeneinander. Menschen stöhnten, jammerten, jauchzten, fluchten und lachten. Die Sicht war rauchvernebelt, und trotzdem sah ich immer wieder das Bild der laufenden Mönche und Nonnen. Und hörte ihren Song. Ich vernahm auch das Triumphgeschrei der Unsern und wurde vorwärtsgedrängt. Kam auf einen Platz, wo an der Mauer ein weißbärtiger Spanier in Brustpanzer und Stahlhaube lehnte. In der Linken hielt er das goldrotgoldene Banner seines Landes, und die Rechte beschrieb mit einem langen Schwert fortwährend Halbkreise. Es blitzte und funkelte. Vor seinen Füßen war ein Wall - ja, ein Wall! - der von seinem unermüdlichen Schwert Getöteten. Eben kroch einer wie eine halbzertretene Nachtschnecke qualvoll stöhnend davon. »Ergeben Sie sich, Señor Commandante!« rief es von allen Seiten, »Nunca! Nie!« keuchte der weißbärtige Schwertfechter und traf wieder einen Küstenbruder auf den Schädel, daß er mit jachem Schrei umkippte. Abermals wurde jenem »buena querra« angeboten. Vergeblich. 430
Dann krachte ein Pistolenschuß. Bedeckt von seiner Flagge sank der alte Held von San Geronimo tot zu Boden. Lähmende Stille. Dann das rauschende Geschrei der Unsern! Gefangene wurden in die Kasematten getrieben, um sie dort unter Aufsicht zu haben, Wachen ausgelost, Kanonen vernagelt. Die übrigen Bukaniere liefen laut lachend und freudig nach den Schuppen und Lagerhäusern. »Gold! Silber! Perlen!« schrien sie. In einer Wallecke sah ich Morgan, umgeben von einigen der Unteranführer. Schäumenden Mundes hatte er den Bobadillas beim Wickel, schüttelte ihn, daß man seine Knochen rasseln hörte, und keuchte: »Du Schuft, was hast du da mit den Mönchen und Nonnen verbrochen! Und auf wen glaubst du, daß es zurückfällt? Auf mich, Henry Morgan!« Er warf den Wicht gegen die Mauer, trampelte dann auf ihm herum, bis wir ihn wegrissen. Der Paroxismus wich von Morgan, schwer atmend starrte er auf uns, während Bobadillas reglos in dem Winkel lag und sich totstellte. Morgan erspähte mich. »Mac, komm mit mir!« Zu den andern: »Sorgt für eine glatte Abwicklung der Dinge!« Und mit einem furchtbaren Blick: »Daß keine derartigen Schurkenstreiche mehr geschehen, wie dieser dort einen ausgeheckt hat. Sonst könnt ihr ohne Henry Morgan heimsegeln!« Er wies auf den Bewußtlosen. Noch einmal wandte er sich um: »Daß mir alle toten Nonnen und Mönche auf dem Kirchhof begraben werden. Und nach Art der Katholiken sollen Messen gelesen und auch des toten Kommandanten gedacht werden.« Ich folgte ihm auf den Fersen, während das Geschrei der plündernden Bukaniere die Luft erfüllte. Die Beute war unermeßlich, und dennoch erzählten zutrauliche Dons, daß dies noch gar nichts sei, im Vergleich zu den Schatzkammern der Stadt Panama am Stillen Ozean! Übrigens kam ein Parlamentär des Gouverneurs von Panama und 431
ließ staunend unseren Alten fragen, wie wir's gemacht hätten, mit unsern paar Kerlen, diese mächtige Festung und die darin kämpfende Übermacht zu besiegen. Der Parlamentär wurde sehr höflich empfangen, überall herumgeführt, durfte mit seinen Landsleuten sprechen, sooft er wollte. Schließlich übergab ihm Morgan ein paar kostbare, in London hergestellte Pistolen mit dem Auftrag, diese an den Gouverneur zu überbringen, mit den Komplimenten Admiral Morgans. Und bat ihn, diese Waffen, die bei der Einnahme Puerto Bellos tätig gewesen, zu behalten, und zwar solange, bis binnen zwölf Monaten er, Morgan, selber nach Panama kommen und sie wieder abholen werde. Der Gouverneur war ein höflicher, humorvoller Mann. Er behielt die Pistolen und schickte einen kostbaren Ring dafür zurück. Und die schriftliche Botschaft (die ich übersetzen mußte), Morgan möge lieber von Panama fernbleiben, denn er würde dort nicht das gleiche Glück haben wie zu Puerto Bello. Niemand dachte in jenen Tagen daran, daß Henry Morgans Botschaft an den spanischen Gouverneur eine Prophezeiung sein könnte, die sich erfüllte! Denn wir kamen nach Panama, o ja, eines Tages kamen wir hin. Das ist eine Geschichte, die sich in der Welt wohl kein zweitesmal zutragen wird, und die selbst den Taten des Francis Drake würdig zur Seite steht. Noch aber lag alles im Schoß der Zukunft.
ISLE DE VACHE ». . . Damned! Zwanzig Tonnen voll Kälberzähne (Graupen), zehn Quintales Forellchen (Stockfisch), eintausend Pfund Butter (ranzig), fünf Tonnen voll Kleingewehrfeuer (Erbsen), drei voll weißer Bohnen (Eselschüsse), eine voll Erstgeburten (Linsen), zehn Fässer Salzpferd (Salzfleisch), ah und hm, siebenzig Tönnlein mit Rum, hundert voll spanischer Weine, dreitausend Pfund Biskuit (Hartbrot) . . . Gott steh mir bei!« »Ist das die Arbeit eines Sekretarius und alten seebefahrenen 432
Tortugamannes?« fluche ich. Und lege Griffel nebst Tafel aufs Luk. Wische mir den blanken Schweiß ab. Der Proviantmoses, der eben eine Handvoll Rosinen in seine Tasche zauberte und sich einbildet, ich wüßte es nicht, grinst: »Der Küper ist immer noch krank. Hat hohes Fieber!« »So soll Sawbones ihn zur Ader lassen oder Schröpfköpfe ansetzen oder - falls es welche gibt - Meeresblutegel! Ist das alles?« »Das Pulver und die Munition und . . . »Ist Sache des Quartiermeisters und der Oberkanoniere!« und ich gehe nach achtern. Möwen kreisen, lugen mit ihren ruhelosen, starren, blanken Augen herab. Ich gehe in meine kleine Kammer, nehme einen Fingerhut voll Old Jamaica und stopfe dann die Pfeife. Und denke an allerlei: an Henry Morgan, der zur selben Stunde, nur durch einige Korridore und Schotts von mir getrennt, in seiner geräumigen Kajüte sitzt. - An Sir Thomas Modyford, der eine saure Miene nach außen macht, aber herzlich Morgans Hände drückte und dann einen Geheimbericht nach SanktJames-Court aufsetzte. - An die Kaufleute, die uns Kredit gewährt und dafür tausend Prozent Gewinn erhielten. - An die armen Nönnlein und Mönche von Puerto Bello. - An den Jubel, der uns empfing, als wir unter Kanonensalut in Port Royal einfuhren. - An Ben Nevis im rauchigen schönen Schottland, wo der Pfeifer den Dudelsack quetscht und die Mädels tanzen. - An Nell Gwyn, den ich nicht kenne, aber deren neuestes Lied bis nach Westindien klingt. - An mein Haus und an Sarah und Saul auf Tortuga. - Und an Olivier, der schmollend auf besagter Insel sitzt und sicher Leche de España trinkt. - Und an allerlei . . . Auch an unser jetziges Ziel, die Hafenbucht der Isle de Vache (Kuhinsel) südlich von Hispaniola, oder wie der neue (eigentlich uralte) Name lautet, der Insel »Haiti«. Wo wir uns mit den Tortugaleuten treffen und Versöhnung feiern werden und neue Pläne für kühne Taten beraten. Und ich denke an die wunderschöne Fregatte aus Königs Eigen, 433
die »Oxford«, die wenige Tage vor unserer Abfahrt in Port Royal ankerte und Depeschen für seine Exzellenz aus London brachte. Neugierig bin ich, was das Stelldichein vor der Kuhinsel für ein Ergebnis hat. Morgan plant Großes! Hoffentlich überschreitet er nicht seine Befugnisse (weil der Ruhm ihm zu Kopfe stieg). Es wäre schade um den Mann, der so schweigsam und so lustig sein kann und das Orgelgequiek des Jeff Mershill so liebt. Den Donner der Kanonen von Puerto Bello und San Geronime trug das Echo über die ganze zivilisierte Welt. Morgan könnte heute, wenn er wollte, an die zweitausend tüchtiger, weder Gott noch den Teufel fürchtender Küstenbrüder unter seinem Kommando vereinen. Allerdings wären tolle Galgenkandidaten darunter, die in seinem Namen allerlei Scheußlichkeiten verüben würden. Und gebrannt Kind scheut Feuer! sagt das alte Sprichwort. Bobadillas ist auch an Bord. Ist denn die Rolle dieses Oberhalunken noch immer nicht ausgespielt? Sein Punsch schmeckt nicht. Er tut zuviel Wasser hinein. Eines Tages werden die Maaten ihn deswegen totschlagen. Es brist tüchtig auf, und der wachthabende Ben läßt mehr Segel setzen. Gordings, Geitaue und Schooten werden durchgeholt. Die Toppgasten stehen breitbeinig in den unter den Rahen ausgespannten Tauen, die man Pferde nennt, und schlagen ein neues Mizzensegel an, denn das alte ist brüchig. Auf jeder schwankenden untersten Rahennock sitzt rittlings hoch überm schäumenden Ozean ein singender Jungmann und hakt die Schoot ein. Klopft und wuchtet und schraubt mit dem eisernen, spitzkeulenartigen Marlspieker. Und dann braust das Schiff wie ein Renner dahin. Achtern werfen sie das Log aus, um die Geschwindigkeit zu messen. Der »Rumbulle« oder Bottelier steckt den Kopf in meine Kammer. »Mac, dieser verteufelte Bobadillas, hat zehn Maß guten Rum auf die Seite gebracht und verschachert ihn gegen Pieces of eight an die Crew!« »Also deshalb der dünne Punsch! Meldet es dem Käpten, Maat. 434
Oder schmeißt den Vent am besten in dunkler Nacht über Bord!« . . . Er geht. Hei, wie das Kielwasser gurgelt und rauscht! Und die Segel tönen! Ich blättere in der Schrift des Erasmus. Werde aber durch Geschrei an Deck gelockt. Da hat eben einer seinem Freunde mit dem Messer eine Verletzung beigebracht! Sie stritten sich um eine leichte Dame, die augenblicklich gewiß zu Port Royal mit mindestens dreien poussiert. Hornochsen! Cherchez la femme! Na ja, tue ich auch, aber die feinen Damen der Spanischen Main genieße ich seit der Affäre mit Adelita mit großer Vorsicht und kaltem Herzen. Auf dem Fuß folgt die Bestrafung. Genau nach den alten Artikeln, die für solche Fälle Kielholen, Maronieren, Erschießen vorschreiben und sich nach dem mosaischen Gesetz »Auge um Auge« usw. richten. Die Quartiermeisterflöte schrillt. Und all hands treten an. Da die Verletzung nicht schwer und der Missetäter sonst ein wohlgelittener Maat ist, verkündet Morgan von der Kampanjetreppe aus das milde Urteil: »Anderson, du sollst mit derselben Hand, die Übles tat, mittels eines Marlspiekers an den Großmast genagelt werden und so lange daran hängenbleiben, bis du dich selbst befreit hast!« Und ich muß wiederholen: dies ist ein mildes Urteil, wenn man die Verhältnisse in Betracht zieht und an die grausamen Strafen auf andern Schiffen denkt. Der blaß gewordene Delinquent wird an den Mast geführt, die linke Hand ihm auf den Rücken gebunden. Die rechte muß er hochhalten. Jemand nimmt ein paar Törs mit einem Tau um Mast und Handgelenk, damit der Arm nicht herabsinken kann. Das gleiche geschieht mit den Füßen, damit er nicht bei der Exekution zu sehr zapple. Der Quartiermeister - Gott sei Dank bin ich's nicht auf dieser Fahrt! ergreift den fußlangen stählernen, an einem Ende nadelspitzen runden Marlspieker, setzt seine Spitze auf Andersons 435
Handfläche. Drei kraftvolle Hammerschläge - ein gellender Schrei - und die Hand ist an den Mast genagelt. Seltsam krümmen sich die Finger . . . Nun erst wird er losgebunden, und der Delinquent hängt zähneknirschend, schweißbedeckt, zusammengesunken am Mast. Seine Linke ist gefesselt; falls er also mittels Rucken versucht, sich loszureißen, ist seine Rechte erst recht gänzlich futsch und zerfetzt. Also könnte er hängen bis Doomsday, weil der Marlspieker tief im Mast sitzt. Der Unglücksrabe wird ohnmächtig. Da verkündet Morgan: »Genug! Zieht den Marlspieker raus und bringt den armen Sünder ins Lazarett. Sawbones soll ihn kurieren!« . . . Sie schleppen Anderson zum Chirurgen. Der untersucht die Hand. Und brummt: »Magst dich beim Quartiermeister bedanken, mein Sonnenknabe! Er hat so geschickt angesetzt, daß ich dir die Flosse retten kann. Höchstens zwei Finger bleiben steif. Da, trink einen Rum, dann wird dir besser!« Erleichtert seufzt der Verletzte und grinst dann. Sawbones macht den Verband aus Charpie und eingeweichtem Brot. Ich halte von dieser Methode nicht viel, zumal das Brot in den Tropen rasch säuert und schimmelt. Spinnweben - falls sie nicht staubig - tun bessere Dienste. Das habe ich oft gesehen! Doch Sawbones - ein Kerl, so dick wie ein Biertonne, der von Oxford relegiert wurde - hängt am alten Brauch. Ist aber ansonsten ein guter Gliederabschneider und sehr erfahren. Morgan läßt mich in die Kajüte holen. Erkundigt sich nach dem Proviantbefund, den ich an Stelle des fiebernden Küpers aufgenommen habe. »Sind genügend Limonen an Bord, Mac?« »Haufenweise. Auch Sauerkraut. Skorbut kriegen wir keinen, Käpten!« »Fein. Sitz und trink ein Schlückchen. - Was macht Anderson?« »Sawbones gedenkt die Hand so ziemlich zu retten!« Er beugt sich über die neue große Weltkarte mit der zunehmenden Gradeinteilung des Mercator. 436
»Paff ein Pfeifchen, Mac, ich will nur schnell noch eine Berechnung machen!« Er hantiert mit Zirkel, Parallelogramm und Gradbogen. Seemännisch behaglich ist diese Kajüte mit den großen englischen Truhen aus poliertem Palisander, den Mahagonikästchen für die nautischen Instrumente und den geschnitzten schweren Eichenstühlen! Ein paar ostindische Porzellanchinesen sitzen auf dem Bord zwischen blauem Delfter. Und die messingbeschlagene Bibel liegt aufgeschlagen auf dem Tischchen. Morgan führt einen hochanständigen, anmutig zu rauchenden Tabak, und sein Rum hat die richtige Blume . . . Vor mir liegt ein Buch. Ich blättere darin. »Pantagruel« von Rabelais! Nicht übel, nicht übel, wenn auch ein bißchen derb! Aber nett . . . Gedämpft tönen die Schläge eines Holzhammers von Deck. Das ist Chips, der mit Teer und Werg die Fugen kalfatert! Was denkst du über einen neuen Zug ins Panamaische?« »Käpten, nimm's nicht böse auf, aber du hast den Panamafimmel!« »Ich hab's dem spanischen Gouverneur damals >versprochen<, daß ich komme. - Vorläufig wird's ja noch nichts. - Ich habe die Tortugaleute zu einer Aussprache nach der Kuhinsel bestellt. Meinst du, sie kommen?« »Warum sollen sie nicht? Seit du die Berühmtheit von Westindien wurdest, haben die Jungen gewiß jene alte lachhafte Markknochenaffäre vergessen. - Aber den Bobadillas könntest du zum Teufel schicken!« »Bald! Vorläufig brauche ich ihn noch!« »Der Bottelier hat mir gesagt, daß Bodabillas ein Quantum Rum stahl und einen Privathandel damit eröffnete. Unser Punsch wird immer schwächer. Die Leute murren!« »Hat er das? Ich werde ihn mir mal kaufen!« »Und ihn streicheln! Käpten, sei vorsichtig mit dem Vent ! Der verrät noch im Grabe seine Mutter!« »Sag mal, old Mac, getraust du dich, Pilot in der Lagune von Maracaibo zu spielen?« 437
»Glaube schon! Du willst dorthin? Hm, es ist ja reichlich Zeit verstrichen, und die Dons werden alles wieder aufgebaut haben!« »Und bilden Mannschaften aus. Für den Überfall auf Jamaica. Genau, wie sie's zu Puerto Bello taten!« »Dann müssen wir ihnen auf die Finger klopfen !« »Ja. Und in La Guayra, Caracas, Cartagena, Vera Cruz. Deine Freunde, die Franzosen, sitzen jetzt fest auf Hispaniola. Santo Domingo und die halbe Insel sind französisch. Und der Rest kommt noch hinzu, mit Port au Prince!« »Gönne ich ihnen. Da werden die Tortugapflanzer aufatmen. War immer ein merkwürdiges Gefühl für uns, so den Überfällen der Dons ausgesetzt zu sein. Oft genug unternahmen sie den Versuch, und mehr als einmal war es brenzlig. Na, Monsieur de la Place hat die Augen auf!« »Was ist er für einer?« »Ein Gentleman of France, der unter den gleichen Bedingungen arbeitet wie hier Thomas Modyford!« »Sir Thomas hat mir versiegelte Orders mitgegeben, die ich heute öffnen durfte. Du bist mein Sekretär Mac, und sollst deshalb zuerst wissen, was der Inhalt ist!« »Hei, Käpten, sicher was Gutes?« »Wie man's nimmt. Die Fregatte >Oxford< des Königs Eigen wurde mir unterstellt. Für den Seekrieg gegen die Dons!« »St. Dunstan! Das ist mal n'e Nachricht!« »Hm. Ich weiß noch nicht, wie die Offiziere der >Oxford< sich dazu stellen. Sind mächtig stolze Leute, und bei ihnen gelte ich als Pirat. Na, wir wollen sehen. Die >Oxford< kommt zum Rendezvous nach der Kuhinsel. - Mach ein schriftliches Protokoll!« »Liebend gerne. Endlich geht's los, hier draußen. Das Aussieben der Spreu vom Weizen!« »Es dürfte kaum genügend Galgen in ganz Westindien geben, Mac!« »So nimm die Rahen dafür, Käpten!« Ben tritt ein. »Käpten Morgan, ich wurde eben abgelöst; hab Freiwacht zur Koje. Die Brise hat geraumt, ist fast dwars von 438
Backbord. Und vorne liegen zwei Schiffe auf unserm Kurs. Wir holen sie rasch ein!« »Setz dich, Ben, trink eins. Hat Master Ireton klar zum Gefecht pfeifen lassen? Mich dünkt, ich hörte nichts!« »Nicht nötig, Käpten. Der Bauart nach sind's Handelskähne, und ich möchte beinahe auf einen Engländer und einen Franzosen tippen.« Der Moses meldet Ireton an. Breitbeinig tritt der starke Devonshirer ein, faßt an die mit Spucke festgeleimte Stirnlocke. »Sie signalisieren mit uns, Käpten Morgan, 's ist die >Marseille< aus Marseille und die >Flying Gull< von Bristol. Kommen aus Neu Amsterdam oder wie sie's zu nennen anfangen: New York! Sollen die Schiffer an Bord kommen?« »Nein. Keine Zeit dafür. Laß das Gutefahrtsignal setzen, Ireton!« »Aye, aye, Käpten!« Ireton faßt wieder an seine Schmachtlocke und geht. Auch ich verabschiede mich von Morgan, der traumverloren an die kleine, tragbare Orgel tritt. Im Gang treffe ich Jeff Mershill. - »Der Alte liebäugelt bereits mit der Orgel!« ruf ich ihm zu. Ich steige ein paar Meter ins Want und peile nach den zwei Fahrzeugen hinüber. Der Brite ist ein großer apfelbäuchiger Kasten, rund wie eine Tonne. Der Franzose ein schlankes, prächtiges Schiff, ein Windhund der See! Merkwürdig: die Briten, die man doch unleugbar die besten Seeleute der Welt nennen kann, bauen seit einiger Zeit diese plumpen Schiffe, während die Franzosen herrliche Segler auf den Helligen haben. Abend. Unsere Masten, Stengen, Rüste, Stagen und Pardunen glänzen golden im Mondschein. Der Schatten der »Ironhead« liegt blauschwarz auf dem leise schwappenden Wasser. Ein Beiboot dümpelt an der Leine achteraus. Vertraute Gerüche wehen von der Insel her. Moskitos summen. Im Kajütsgang, unter den Planken, zirpen die Heimchen. Eine fette Ratte läuft in den dunklen Winkel hinters Wasserfaß. Auf dem Vorderkastell glühen Pfeifen, eine Flöte musiziert sehnsüchtig. Stimmen murmeln. 439
Morgan ist mit den Steuerleuten in der Kajüte. Der Moses rennt mit Pullen hin und her. Tropennacht, herrliche Nacht! Ob die Negertrommeln jetzt in den Kokoshainen der Tortuga grollen? Die Feuerfliegen tanzen? Die dickleibigen Nachtfalter um duftende Frangipanis schwirren? Olivier Leche de España trinkt und Mr. de la Place am perlenden Wein der kreidigen Champagne nippt? Bald werde ich alles wissen. Denn draußen auf ruhiger See, im Schimmer des Mondes, wie Riesenvögel, die sich auf dem Wasser niederließen, schwanken vier Schiffe näher. Die Tortugaleute! Nachdenklich gehe ich schlafen. Es kommt ein neuer Tag. Ach, und welch unglücklicher Tag! Zuerst läßt sich alles so gut an, aber dann . . . Ja, die Tortugaschiffe sind binnen gesegelt, und Esquemelin und so mancher alte Kumpan drücken mir die Flosse. - Die blitzsaubere, mit sechsunddreißig Kanonen bestückte »Oxford« segelt ein, und zu guter Letzt noch ein prächtig gebauter französischer Schnellsegler mit ebensolcher Bestückung. Schmetternd spielt die Musik, buntbewimpelte Boote fahren von Schiff zu Schiff, und drüben am Strand sind Zelte aufgestellt, wo es Punsch und Bitter-Ale gibt. Die »Oxford« ist nun wirklich Morgans Flaggschiff, und nachdem er mal mit den Offizieren gesprochen, sind die Navyleute gar nicht mehr so. Morgan übersiedelt mit seinem Stab ausgesuchter Leute, an denen auch der mäkligste Marineoffizier nichts auszusetzen findet, auf die »Oxford«. Alle Kapitäne sitzen beratend und trinkend in der großen Achterkajüte der Fregatte. Ich bin gerade auf die alte »Ironhead« übergesetzt, um meine Klamotten zu holen, als das Unglück geschieht, über dessen Ursprung noch heut' keiner Bescheid weiß und das ewig ein Geheimnis bleiben wird. Ich lege gerade meine letzten Sachen - ich erinnere mich, es war ein seidenes Halstuch und ein alter, vom Seesalz gebleichter Wachtmantel aus blauem Tuch - in meine Kiste, als ein Luftzug durch den Gang fegt und gleichzeitig ein dumpfer, 440
aber entsetzlich lauter Knall erfolgt. Und dann ist's sekundenlang still! Bis auf einmal Jammern ertönt und merkwürdige klatschende Geräusche im Meer und Poltern und Krachen an Bord, als ob harte und weiche schwere Gegenstände vom Himmel regneten. Ich laufe an Deck und sehe zuerst eine große, sich schon zerteilende schwarze Qualmwolke - und dann Holztrümmer auf unseren Planken und unten im Wasser schwimmend. Dünne Stimmen jammern. Aber wo die schöne bezaubernde, jedes Seemannsherz erfreuende »Oxford« gelegen, da ist nur noch ihr Achterschiff, die Kajüte, die aus dem Wasser ragt. Sonst ist nichts übriggeblieben . . . Ja, im Wasser, das eine schillernde, fettige Schicht bekommen hat, treiben umgekielte Boote, ertrinkende Menschen, Hühnerkäfige und anderes umher. Von allen Seiten schießen Boote heran, und auf allen Schiffen ist Geschrei und Getümmel. Die »Oxford«, beautiful Oxford, ist mit Ausnahme der Heckkajüte futsch. In die Luft geflogen! Pulver hatte sie als Kriegsschiff ja reichlich an Bord. Erschüttert stehe ich an der Verschanzung und sehe zu, wie Verletzte und Tote in wirren Haufen aufgefischt werden. Und sehe - meinen Augen nicht trauend! - die Beiboote am Heck der Fregatte liegen, und wie dann jeder Mutter Sohn, der in der Kajüte gewesen: Morgan, sein Stab, die französischen, britischen und holländischen Steverleute und Offiziere, ohne Hüte, ohne Perücken, mit zerrauften Haaren und zerfetzten Kleidern ja, einer ist völlig nackt und durch den Luftdruck förmlich aus den Kleidern geblasen! - schneebleich und blinzelnd von dem absackenden Wrack steigen . . . In der Runde herrscht ein großes, nur von dünnen Jammerlauten unterbrochenes Schweigen. Dies ist der Tag der Flottenvereinigung vor der Isle de Vache, der vielen braven Maaten und vielen Schuften gleichzeitig das Leben kostete. Und was bleibt nun noch zu erzählen? Die Toten werden aufgefischt, bestattet und ihr Eigentum, so441
weit es eruierbar ist, nach seemännischem Brauch versteigert. Der Erlös fällt an die Hinterbliebenen, wenn solche vorhanden sind. Dann fährt unsere Flotte die Hispaniolaküste entlang. Wir schlagen uns mit einem großen spanischen Geschwader im laufenden Kampf, immerwährend segelnd, bei halbem Orkan. Machen auch einige Landexpeditionen, und da Unglück nie allein kommt, erhalten wir in allen Unternehmen gelinde, aber doch recht schmerzliche Prügel. Woraus hervorgeht, daß der liebe Gott die Bäume nicht in den Himmel wachsen läßt. Unsere Verluste belaufen sich auf Menschen, Masten, Stengen und einige Boote. Abermals wird Kriegsrat gehalten, und obwohl etliche Tortugaleute nach Hause segeln, sind wir immer noch drei Schiffe. Jenem Kriegsrat wohne auch ich bei, und zwar in zwiefacher Eigenschaft: als Sekretarius der Flotte und als Pilot. Denn wir setzen alle Segel, nehmen direkten Kurs auf die Lagune von Maracaibo und . . .
THAT'S MORGAN'S WAY . . . liegen vor dem schmalen Durchlaß zur Inlandsee vor »La Barra«, das die Dons seit damals wieder tatkräftig und mächtig aufgebaut haben. Auf den Dächern von Maracaibo stehen wie damals wieder die Frauen und Kinder und betrachten - sicherlich innerlich angstbebend und zur Heiligen Jungfrau flehend - das Schauspiel der Kanonade. Über uns rauschen wieder braune, weiße, gescheckte und wundervoll rosenrote Vogelscharen zu Hunderttausenden, fallen strichweise in die Lagune ein, brausen flügelschlagend wieder empor. La Barra beschießt aus schweren Kalibern unsere Schiffe. Karkassen ziehen ihre gelblichen Rauchfahnen im Bogen unterm Himmel. Und wir antworten aus sämtlichen Schlünden, daß die Luft dröhnt. Das geht schon den ganzen Tag! Einige Stengen krachen getroffen über Bord, ins Holz einschla442
gende Vollkugeln spritzen sausende, armlange und größere Holzsplitter in Menschenbäuche. Einem Quartiermeister wird der Kopf glatt vom Rumpf gerissen, am Heck der »Ironhead« bricht Feuer aus, das rasch gelöscht werden kann. Der am Kattrüst hängende Backbordanker wird abgeschossen und plumpst in die Tiefe, dem »Doktor« (Koch) zerschmettert eine Kartätschenkugel die Hüfte zu Brei, ein Pulveraffe schnappt vor Angst über und muß festgebunden werden. Im Raume schuften die Zimmerleute, um die durch unter der Wasserlinie einschlagende Kugeln entstehenden Löcher sofort abzudichten. Bei jeder Breitseite geht ein spürbarer Ruck durch das Schiff. Rauch und Qualm lagern über der Lagune. Schräg fliegende Vollkugeln prallen beim Aufschlag vom Wasser ab und rikoschettieren weit über die glatte Fläche, in der nur die Geiser einplumpsender Projektile aufschießen. Ich war eine Weile im Zwischendeck, und zwar jenem Teil, der »Kanonenraum« heißt. Hier herrscht die Hölle. Im Pulverdampf, der sich beizend auf die Lungen legt, sprangen die Kanoniere und ihre Maaten wie nackte Söhne Vulkans umher. Luden, schossen ab, wischten die Rohre aus, säuberten die Zündlöcher, stopften Kartuschen ein, die Pfropfen darüber und die Kugeln darauf. Visierten und schossen wieder ab, in unaufhörlicher Reihenfolge. Nachher besuchte ich Sawbones. Jedoch das Stöhnen der unter dem Messer Blutenden, der Geruch und die gläsernen Augen Toter jagten mich wieder an Deck in die reinere Luft hinauf. Alle Viertelstunde ändern die Schiffe ihren Standort, damit die Dons sich nicht einschießen können. Aber da kein Wind weht und aufgespannte Segel zudem gefährliches Brandmaterial bilden, sind die Segel an den Rahen aufgetucht, und die Schiffsveränderungen geschehen mittels Bootsvorspann. Gegen Abend wird das Feuer schwächer, und als die Sonne gesunken ist, hört es ganz auf. In der Stadt läuten die Kirchenglocken. - Wir knallen noch ein paar Breitseiten nach La Barra hinüber, und dann pfeifen die Quartiermeister das Signal »That'll do!« 443
Auch wir benötigen eine Ruhepause, denn die Geschützrohre drohen zu zerspringen. Im Schutz der mondlosen Dunkelheit werden die Boote bemannt. Und Heureka! Mac Donald, der Schreiber, braucht nicht mit, sondern kann an Bord bleiben! Morgan führt. Sie verschwinden im Gestrüpp und im Dunkel der schützenden Nacht, und alles bleibt ruhig, bis auf das leise Summen von der Stadt her! Die Kanonen von La Barra, die den ganzen Tag Sperre geschossen haben, damit wir nicht landen können, bleiben stumm. Nach einer Weile tauchen Raketen durch die Nacht. Greller Schein aus Pechkörben flammt auf den Wällen, und schwaches Jubelgeschrei weht herüber. Denn wahrhaftig! Die Unseren sind in der Fortaleza, haben La Barra leer gefunden. Die Verteidiger sind im Schutz der Dunkelheit abgezogen. Aber, wie ich später hörte, waren Morgan und seine nähere Umgebung dort oben hinter den Wällen kaum eine schmale Planke breit vom Tode entfernt! In letzter Minute wurde die glimmende, in den vollen Pulverraum führende Lunte entdeckt. Sie war mit dem sprühenden Ende nur noch wenige Zoll vom Rand eines offenen Pulverfasses entfernt, als Bradley sie mit bloßer Hand ausdrückte. Die Unseren blieben über Nacht hinter den Wällen. Maracaibo lag ruhig und lichtlos am See, und ich dachte an das letzte Mal, als ich hier war. Und richtig! Am nächsten Morgen ist Maracaibo von sämtlichen Einwohnern evakuiert. Ein lebhafter Bootsverkehr zwischen den Kais und den durch die Einfahrt getauten Schiffen entwickelt sich, und es nimmt mich wunder, daß Morgan das Fort räumen, aber weder die Geschütze vernageln noch die Pulver- und Kugelvorräte vernichten läßt. Und so kommt mir wieder in den Sinn, daß die Bukanier der Spanischen Main zwar durchweg imstande sind, mit überraschenden Situationen fertig zu werden und im Kämpfen wahre Wunder verrichten, aber Strategen sind keine unter ihnen. Um so höher muß man ihre persönliche Bravour veran444
schlagen, obwohl mir persönlich andere, friedlichen Zwecken dienende Dinge mehr imponieren. Das mag daher kommen, weil ich im Grunde genommen - wie ihr euch erinnern mögt selber kein großer Held bin. Wein und Lebensmittel gibt es in Hülle und Fülle, und die ersten Unbotmäßigkeiten gegen Morgan werden ruchbar. Streifexpeditionen in die Umgebung bringen Gefangene ein. Eine Halunkenclique, die sich den Gefangenen gegenüber mit ausgesucht teuflischen Quälereien abgibt, um von ihnen Schätze zu erpressen, wird ausgehoben und von Morgans Devon-Cornish- und Walesmänner-Leibgarde zusammengehauen. Jene haben ihren Opfern rohe, d. h. ungegerbte Ochsenhautriemen um die Köpfe geschnürt und sie naß gemacht. Dann die Armen in die Sonne gelegt. Die Riemen trockneten rasch und zogen sich zusammen, zerfleischten die Köpfe und preßten sie derart grausam zusammen, daß die Augen aus den Höhlen quollen. - Und ich denke nachher an Morgans Ausspruch; daß es der Galgen zu wenige in Westindien hätte. Wir segeln weiter, ohne eine Besatzung im Fort zurückzulassen. Ankern die erste Nacht in der Catatumbomündung, wo ein badender Maat von Krokodilen geholt wird. - Ankern die zweite Nacht vor Santa Rosa, das wieder ausgestorben am Urwaldsaum liegt. Und eines ruhigen, heißen, glitzernden Morgens, der alle Farben der Tropen auf seiner bunten Palette hat, sehe ich erstaunt und bewundernd, daß die zähen Dons die in Schutt und Asche gegelegte Stadt Granada wieder aufgebaut haben! Die Festung Gibraltar, mit der sich bei mir Erinnerungen verbinden, an menschenverschlingende Sümpfe, heulende Kettenkugeln, Blei und Schwefel spritzende Karkassen, niederkrachende Palmen und feuernde Batterien, ist zu unserem Glück noch nicht fertig und kaum verteidigungsfähig. Wohl auch zu schwach bemannt. Weshalb sie schon beim ersten Ansturm von Bradleys Scharen fällt. Well, und wieder ziehen Freibeuter in Granada ein, und wieder spielen sich leidvolle Dinge ab, die nicht schön zu nennen sind. 445
Viele Bukanier, die sich in ihren Erwartungen betreffs ungeheurer Schätze schwer getäuscht sehen, geraten außer Rand und Band. Morgan läßt einige füsilieren und hängen und auch auspeitschen, wenn sie bei Grausamkeiten ertappt werden, aber hinter seinem Rücken geschehen noch immer Affären, vor deren Beschreibung ich zurückschrecke und vor denen ich schweigend mein Haupt verhülle. Der Mordanschlag eines Freibeuters auf Morgan mißlingt. Der Bösewicht sagt aus, daß ihm die Beute zu klein sei und er Morgan dafür verantwortlich mache. Natürlich ziert er bald darauf einen waagerechten Baumast. Drei Wochen erholen wir uns in Granada, und gegen Ende haben sich zahlreiche Liebschaften zwischen Doñas und unseren Leuten entsponnen. Und ich muß sagen, ohne der spanischen Nation und der Keuschheit ihrer Frauen nahetreten zu wollen, aber wie auch Freund Esquemelin in seinen Aufzeichnungen bestätigt: im allgemeinen sind die Frauen hier draußen in der Main ziemlich rasch und liebend gerne bei der Hand, ihren in den Busch geflüchteten Ehegesponsen gar zierliche Geweihe und Hörner aufzusetzen. Und wonniggerne gedenke ich der zierlichen mandeläugigen, feurigsüßen und honigzärtlichen Ximena aus Granada am Maracaibosee, denn sie schenkte mir wunderschöne Tage, wie ich sie auf der Tortuga nicht zu schmecken bekommen. Und die Ranken und Girlanden und Arabesken meiner Tage sind grün und blühend in der Erinnerung an Ximena. Sie heißt eigentlich anders, da aber diese Aufzeichnungen dereinst für ein löbliches, geneigtes und meine vielen Charakterfehler und etwaigen geschichtlichen Anachronismen verzeihendes Publiko gedacht sind, und ich Damen gegenüber mitnichten indiskret bin - denn so was tut man nicht, hat mir der gute Sieur de Lussan gepredigt und viel früher (in anderer Form) meine liebe selige Mutter also mag die Schöne für euch ruhig Ximena heißen. . . . »we're homeward bound for Port Royaltown! Yoho, blow the main down!« . . . 446
singen unsere Burschen, als wir von Granada in Kiellinie langsam bei Zephirbrise, unter den schwankenden schimmernden Segelpyramiden das leichtgekräuselte Wasser durchfahren. Und wir sind uns trotz des lustigen Gesangs all hands klar darüber vom Käpten bis zum letzten Pulveraffen hinab: daß Don Alfonso Campos y Espinosa mit drei mächtigen schwerbestückten Linienschiffen der spanischen Westindienflotte uns den Ausgang aus dem See versperrt! Viele fluchen auf Morgan. »Schäbige Beute, Hitze und Fieber und nun noch dies dazu! Wozu ist er unser Admiral und Generalissimo, wenn er solche Dinge nicht vorhersehen und verhüten kann?« Um aber Morgan Gerechtigkeit zu erweisen - jene Meckerer wissen scheinbar nicht mehr, daß einstimmig es für nötig gehalten ward, eine Besatzung in La Barra und eine Schaluppe in der Lagune zurückzulassen, ehe wir nach Granada fuhren. Alle sind sie vom Auri sacre fames besessen, und keiner wollte daher damals zurückbleiben. Genau vor der Binnenseeseite von Maracaibo, den Wasserdurchlaß versperrend, ankern die drei stolzen Linienschiffe, gegen die selbst unsere »Ironhead« ein Zwerg ist. Und ihre Banner und Wimpel hängen bis auf die Wasserfläche und ihre Musik spielt martialische Weisen. Und von La Barra aus schießen die Kanonen uns einen Willkomm, der vier Mann das Leben kostete. Also sitzen wir schön in der Zange. Vorerst ankern wir, indem wir ein Stück außer Schußweite zurückweichen. Auch die Dons bleiben vor Anker, doch sehen wir mit bloßen Augen, daß den ganzen Tag viele Boote zwischen ihnen und dem Fort hin- und herfahren. Gegen Abend kommt unter Parlamentärsflagge ein Boot kriegsschiffsmäßig angepullt mit einem stolzen Don. Alle sehen wir zu, wie der Spanier und Morgan einander bekomplimentieren, als wären sie zeitlebens die besten Amigos gewesen. Dann gehen sie in die Kajüte, und bald kommt ein Moses, mich zu holen. Als ich eintrete, sitzen schon alle rund um den geschnitzten Tisch: Morgan, Bradley, Ben, Jim Boulders, der Don und noch 447
ein paar andere. Und trinken aus hohen Spitzgläsern roten Alicante, knabbern Mandeln und Rosinen dazu und unterhalten sich auf lebhaft fröhliche Art. Ich mache meinen Kratzfuß - wie er bei dem Sieur de Lussan üblich gewesen - und setzte mich »bescheiden« auf die Mastbank. Der Moses gibt auch mir ein Spitzglas voll Wein in die Hand. Die Herren plaudern, machen einander Komplimente über ihre gegenseitige Tapferkeit, und daß der Krieg eigentlich ein großes Unglück sei und dergleichen Redensarten von der Art, wie gebildete Leute einander »Honig auf der Schneide des Schwertes reichen.« Schließlich aber packt der Don ein großes Schreiben aus und spricht höflich: »Wenn die illustren Caballeros nun geneigt wären, so überreiche ich die Botschaft seiner Exzellenz, Don Alfonso Campos y Espinosa. Und wenn diese nicht schön sein sollte, so bitte ich die Herren zu bedenken, daß ich nur der Überbringer bin. Stehe aber nachher jedem einzelnen Caballero mit meiner guten Toledanerklinge zur Verfügung!« »La, la, Caballero! Wer wird daran denken, Sie zu beleidigen! Sie sind unser lieber, ehrenwerter Gast!« lachte Morgan und winkt mir. Ich trete an den Tisch, mache einen Bückling und ergreife das imposante Schreiben mit einer weiteren Verbeugung. Morgan reicht mir seinen eigenen Dolch. Vorsichtig löse ich das große bebänderte Siegel und öffne das raschelnde Pergament, überfliege den Inhalt, um es fehlerfrei übersetzen zu können. Und lese mit, wie ich hoffe, salbungsvoller und eintöniger Stimme. Und es ist so still, daß man das Murmeln der Crew an Deck hört, und das prickelnde Laufen der Kakerlaken in den Gängen und die Musik der Bordheimchen. »Der Admiral und Ritter des allerchristlichen Königs, - Don Alfonso usw. an Henry Morgan, den Erzpiraten, der sich >Admiral und Generalissimo von Amerika< nennen läßt. - Wir laden Euch und Eure Mannschaft hiermit ein, Euch samt und sonders a buena querra zu ergeben und versprechen Euch bei der Ehre Spaniens, daß Ihr in ehrlicher Gefangenschaft nach Cadix trans448
portiert und dort von einem ehrlichen Gericht gehört werden sollt. - Weigert Ihr Euch, so sind wir gesonnen, Eure Schiffe zu nehmen, zu verbrennen und jeden Überlebenden als schnöden Piraten und Landdieb an die Rahen meines Flaggschiffs >Magdalena< aufzuknüpfen« . . . usw. Ich lese sehr langsam, wälze jedes Wort wie einen schmackhaften Bissen auf der Zunge und bin endlich fertig. Morgan und seine Tischrunde brechen in donnerndes Gelächter aus. Der spanische Offizier behält seine höfliche Miene, und ich freue mich über das Gesamtidyll, denn Wohlerzogenheit ist ein schönes Ding und auch im Kriege angebracht. Nur wird es von manchen Nationen vergessen. »Nehmen Sie die Antwort mündlich mit, Caballero. Sie ist sehr kurz und besteht nur in einem Wort!« sagte Morgan. »Das Wort weiß ich im voraus, Señor Morgan! Und würde an Ihrer Stelle genauso antworten!« lächelte der liebenswerte Don. »Meine Antwort lautet: Nein. Ein dreifaches Nein! Und wenn Sie jeden einzelnen meiner Leute fragen - es steht Ihnen dies frei, zu tun - so werden Sie nichts anderes hören!« Der Offizier erhebt sich. »Also werden wir uns mit Kanonen, Musketen und, so Dios will, mit blanken Waffen und Degen gegenüberstehen. Señor, wenn es das Glück will, so würde ich um die Ehre bitten, dann in solchem Fall mit Ihnen persönlich die Klinge zu kreuzen!« »Abgemacht, Caballero! Sie sind ein braver Mann, und ohne Sie zu beleidigen, sage ich: schade, daß Sie nicht auf unserer Seite sind!« Sie leeren ihre Gläser, und alle sind aufgestanden und geleiten den stolzen Spanier hinaus. Als er in sein Boot steigt, spielt ihm zu Ehren unsere Blasmusik die spanische Nationalhymne, und dankend nimmt er wieder den Helm ab und neigt das schmale Gesicht. Dann fallen die zwölf Riemen taktmäßig ins Wasser, und sein langes Königsbanner im Wasser nachschleifend, schießt das Boot davon. »Was ist's? Was wollte er?« schreit es von allen Seiten, und braungebrannte, halbnackte muskelstarke Männer mit blonden, 449
roten und schwarzen Haarmähnen und blitzenden grauen, blauen und dunklen Augen umdrängen den Käpten. »Daß wir uns ergeben und zu Cadix den Prozeß als Seeräuber und Landschelme machen lassen sollen!« schmunzelte Morgan breit. »Verrückt! Der Kerl ist übergeschnappt! Wir hätten ihn kielholen sollen!«, und ein lautes Hohngelächter schallt über den See zu den Linienschiffen hinüber. Dort können sie es wohl hören. Nun kommen die Befehle so rasch über Morgans Lippen wie die Küsse eines Bräutigams für die Erwählte. Die Quartiermeisterpfeifen schrillen, die Piloten und laufendes Gut poltert. Es ist dunkle Nacht über uns. Die Sterne leuchten matt durch aufsteigende Wasserdünste. Von den Linienschiffen blinzeln Lichter herüber. Am Kai von Maracaibo brennen große Feuer, schleudern roten Schein weit aufs Wasser, und die Schatten der Kriegsfahrzeuge sind riesengroß und in die Länge gezogen, so daß die Toppen fast bis zu uns spiegeln. Die »Eagle« ist unser kleinstes und schlechtestes Schiff (aber ein schnittiger Segler, nur schon stark angefault), und er wird von der Mannschaft und ihren Klamotten, Proviant usw. in toller Eile geräumt. Fieberhaft arbeiten all hands, auch Morgan faßt mit an. Und wir stopfen den »Eagle« voll mit Segeln, Werg, Brennholz, leeren Fässern, Pech und Schwefel, Pulver, Kartätschen und Karkassen, daß es, als wir fertig sind, gewiß solch hübschen gefährlichen Brander auch nicht bei den Freiheitskämpfern von Antwerpen gegen die Schiffsbrücke des Herzogs von Alba über die Scheide gegeben haben mag! Doch ich greife schon wieder mal vor. Also schön der Reihe nach: alles ist fertig drüben, und alles steht bei uns mucksmäuschenstill um Morgan. Nur das Knarren der Ruder unserer Patrouillenboote ist hörbar, als der Alte endlich spricht: »Jungens, ich brauche fünfzehn tapfere Maaten, die diesen Brander bis dicht an das spanische Admiralsschiff, die >Magdalena< segeln - die Nachtbrise genügt dafür -, ihn im letzten Moment anzünden, die Enter und Grappelhaken in das 450
Holzwerk des Dons werfen und somit beide Schiffe unlösbar verbinden. - Und dann schleunigst über Bord jumpen. Wir kommen nach und werden euch auffischen, falls welche von euch am Leben bleiben sollten. Wer meldet sich, um den Dons diesen lustigen Streich zu spielen?« Freudengelächter ertönt. Dann überstürzen sich die Leute förmlich, und als alle wieder ruhig stehen, sind es keine zehn Verwundete, Einbeinige und Einarmige und die Pulveraffen, die sich nicht zu Brandmannschaft und Himmelfahrtskommando freiwillig melden. Morgan lacht: »Jetzt trinken wir all hands eine Runde Punsch, den Bobadillas schon fertig hat, und ich denke, daß wir morgen nacht um diese Zeit unsere Grogration auf hoher See schlucken, Jungen!« Er sucht selber die fünfzehn aus. Es sind die Wildesten, Grausamsten und in diesem Falle die Tapfersten. Besser diese unverbesserlichen, unlenkbaren Burschen jetzt im Kampf geopfert, als sie später einmal zu Port Royal an die Rahen hängen zu müssen, mag Morgan denken. Die fünfzehn freiwilligen Todeskandidaten setzen auf die »Eagle« über, manchen mit Hilfe anderer, die dann wieder zu uns zurückkehren - alle Segel los, ziehen Gordings und Geitaue fest. Und das schmale schnittige Fahrzeug entfernt sich rauschend vom Ankerplatz. All hands stehen wir auf unsern Stationen, und es sind bei jedem Segelfall und oben unter den Rahen so viele Mann, daß beim ersten Triller der Silberpfeife die Leinwand wie durch Zauberei sich entfalten würde. Gespannt starren wir der »Eagle« nach. Dumpf hallen jetzt spanische Kommandos über das Wasser. Eben segelt die »Eagle« in den vollen, blutroten Schein der Feuer und ist wie ein nachtschwarzer Fregattvogel anzusehen, über dessen Gefieder zeitweilig goldene und rosige Reflexe huschen. Und sie segelt gut. 451
Einer der Dons beginnt seine Leinwand zu entfalten. Der andere bleibt am Anker und gibt plötzlich eine volle Breitseite ab. Donnernd irren die Echos auf dem See hin und her, werden schwächer und ersterben murmelnd am weiten schwarzen Urwaldsaum. Die »Eagle« nähert sich dem ankernden Linienschiff, der »Magdalena«. Dort knattern jetzt Musketen zu Hunderten. Eine neue Salve kracht. Weißer, rosig bestrahlter Dampf quirlt. Die »Eagle« hält Kurs bei, doch scheint sie etwas in der oberen Takelage abbekommen zu haben. Sie sieht flügellahm aus. Aber die Fünfzehn an Bord halten unbeirrt auf die »Magdalena« zu, und deren Breitseiten gehen, ihrer hohen Bauart wegen, größtenteils über das niedere kleinere Schiff hinweg. Feuerstrahlen zukken aus den Porten, Reflexe laufen mit langen rotgoldenen Spinnenbeinen übers gekräuselte Wasser. Die Echos brummen hin und her. Da! Die »Eagle« fängt Feuer. Vorne sprühen Funken, eine kleine Flamme leckt die Fock empor, läuft ein Stagsegel entlang, hüpft über, auf den Großtop. Aber sie ist schon ganz dicht bei der »Magdalena«, scheint von uns aus gesehen - an ihrer hohen Seite zu kleben. Die Segel flammen lichterloh. Und weit in der Runde ist die See bestrahlt, und wir sehen nun deutlich, daß die »Eagle« sich wirklich an der »Magdalena« verbissen hat. Wir sehen Boote abstoßen, sehen dunkle Figürchen wie Fische haufenweise über Bord springen und das Wasser rot wie Lava aufspritzen und hören Geschrei. Das Schießen aber hat aufgehört. Unsere Quartiermeistersflöten trillern plötzlich schrill und langgezogen. Und unter »Heave ho! Pull up, heave!« entfalten sich unsere Tücher zauberschnell, und die »Ironhead« und Bradleys »Swan« nehmen Kurs und rauschen langsam auf den dritten Don zu, der noch immer mit seinen Segeln zu tun hat. Jetzt können wir wieder ausschauen. Die »Eagle« und die »Magdalena« bilden eine einzige laut fauchende und knatternde dicke Feuersäule. Rauch wogt schwarz und rötlich über ihr. 452
Und mit entsetzlichem, ohrenbetäubendem Krachen explodieren die zwei zusammengeschmolzenen Schiffe! Hoch zuckt die Stichflamme auf, wirft wie ein langer Blitz Tageslicht über den See. Schwarze Gestalten und Gegenstände regnen von oben, und dann ist alles wie von einer ungeheuren Hand weggewischt. Nun sind wir nahe heran, und da ruft es plötzlich wie aus einer anderen Welt kommend lustig aus dem Wasser: »Ahoi, Maaten, laßt einen ehrlichen Bidefordman nicht in diesem papistischen Teich ersaufen!« Und ein anderer : »He, Maaten, ich habe verfluchten Durst. Dies Wasser ist kein Rum und schmeckt schlecht!« Wir drehen bei, was bei der leichten Brise und den vielen geschickten Händen rasch geht. Und holen einen nach dem andern an Bord. Und, bei meiner armen Mutter! versichere ich, wir nehmen alle fünfzehn unverletzt bis auf einige kleine Brandwunden, wieder auf!*) Sie waren auf den Spanier übergejumpt, nachdem sie die Enterhaken festgeworfen hatten und in der Verwirrung auf der andern Bordseite der »Magdalena« wieder ins Wasser gesprungen. Wir legen nun auf das dritte Linienschiff zu und geben ihm Breitseite nach Breitseite, bis seine Kanonen, die ein paarmal geantwortet haben, verstummen und was von der Besatzung noch lebt, in den Booten und durch Schwimmen, nach dem neuen Quai flüchtet. Wir schießen die Masten und die Takelage zusammen, so daß das stolze Linienschiff in kurzer Zeit zum Wrack wird. Das zweite, das gleich beim Nahen des Branders nach dem Landungsplatz von La Barra gesegelt war, sitzt dort schief auf dem Schlick, und die Mannschaft flüchtet in toller Panik nach der Festung, die jetzt mit ihren Rohren zu feuern anfängt, aber nichts trifft und daher bald wieder verstummt. Ein derartiges Triumphgeschrei, wie es jetzt aus unseren Kehlen zum dunstigen Himmel brandet, hat der See von Maracaibo noch nie gehört. *) Historisch getreu!
453
Dem Almirante haben wir's ja nun gegeben, aber deswegen können wir immer noch nicht durch die Einfahrt in die freie Lagune hinaussegeln. Die Kanonen des Forts hätten jedes Schiff, das den Versuch unternähme, auch in dunkelster Nacht mit tödlicher Sicherheit in den Grund gebohrt. Vorerst ruhen wir uns aus und trinken den verdienten, diesmal hübsch starken Rumpunsch. Schicken dem auf dem Schlick sitzenden Linienschiff noch so viele Breitseiten in den Bauch, daß es nachher nicht mehr zu gebrauchen ist. - Drei ihrer schönsten und größten Kriegsschiffe haben die Dons in dieser Nacht verloren. Wir halten die Nacht über gute Wacht. Stumm liegt das Fort La Barra. Und endlich steigt der neue Tropentag mit den lebhaften Fanfarentönen seiner Farben und Geräusche, glorreich über See, Stadt, Fort und den fernen urwaldumsäumten Ufern empor. In der Kajüte beraten sie. An Deck stehen wir andern und lauschen und hören nichts als zeitweise herzhaftes Gelächter vom Heckspiegel aus den weitgeöffneten Fenstern dringen. »Verlaß dich drauf, heut nacht trinken wir unsern Rum auf freier See. Der Alte hat's versprochen. Und das hält er. That's Morgan's way - so ist seine Art!« sagt der einbeinige Proviantmeister zu mir. Einmal ums andere klatscht eine leer zum Heckfenster hinausgeworfene Pulle aufs Wasser. - Ich verziehe mich in meine Kammer, um ein Schlückchen guten alten Old-Jamaica-Rum zu säuseln. Von Maracaibo tönt Glockengeläute. Vorhin, als ich durch das Teleskop peilte, sah ich die Wälle von La Barra voller Soldaten. Ihre Helme glitzerten. Schon sause ich wieder an Deck, weil die Quartiermeisterspfeifen »all hands« rufen. Morgan steht an der Kampanjetreppe. Ein See gebräunter Gesichter und teils verbundener Köpfe starrt gläubig zu ihm empor. »Maaten, habt ihr Vertrauen zu eurem Alten? Zu mir, Henry Morgan?« 454
»Allemal, Henry!« hallt die hundertstimmige Antwort weit über Wasser und Land. »Allright! Dann wundert euch über nichts mehr. Ich habe nachgedacht, und in der Kajüte sind wir zu einem guten Plan gekommen. Und nun tut, was euch befohlen wird, auch wenn's euch merkwürdig vorkommt!« Wieder schrillen die Pfeifen. Morgan sieht mich an und nickt mir zu: »Warst du fleißig, old Mac, und hast viel Pergament bekritzelt, altes Tintenfaß?« »Nee, Käpten, das mache ich auf hoher See!« »So denkst du, daß wir rauskommen?« »Warum nicht, die Dons sind doch schon mehr oder weniger geschlagen!« Schallend lacht er wieder. Unter unseren Füßen poltert es dumpf. Die Kanoniere, ihre Richtcrews und die Pulveraffen sind dort an der Arbeit. Und an Deck laufen die Mannschaften durcheinander, holen ihre Waffen und Munitionstaschen und eilen nach ihren Manöverplätzen. Sämtliche Boote werden ausgeschwungen und zu Wasser gelassen. »Kannst an Bord bleiben, Mac!« sagt mir Ben. Ich sehe gemächlich zu, wie fast ein Drittel der Mannschaften der »Ironhead« und der »Swan« in die Boote springt. Mit Waffen und Rudern. In Maracaibo bimmeln die Glocken unentwegt, und auf der Zinne von La Barra entdecke ich einen einzelnen Don, auf dessen zu uns herüberspähendem Kieker das Sonnenlicht gelb funkelt. Und nun pullen die Boote los, als gelte es eine Regatta auf der Themse oder am Firth of Forth. Sie rudern aber nicht nach dem alten Landungsplatz, wo jetzt der mächtig zerschossene Rumpf des aufgelaufenen Linienschiffes liegt, sondern nach der anderen Seite der schmalen Landzunge. Nun biegen sie um die Ecke und sind verschwunden. Die Kanonen von La Barra fangen an zu feuern, schwer hallen die dumpfen Abschüsse und die Projektile rikoschettieren übers Wasser. Morgan schmunzelt über das ganze Gesicht. Hinter der Land455
zunge knattert Musketenfeuer. Schwaches Geschrei der Unsern dringt herüber, und Morgan grinst wie ein Junge, dem ein Extrastückchen gelungen ist. Die Kanonen von La Barra verstummen wieder, eine nach der andern. Aufgestörte Vögel senken sich beruhigt auf den Wasserspiegel. Morgan peilt durch das Teleskop nach der Festung, lacht dann noch stärker. Und mit bloßem Auge kann ich erkennen, wie sie dort hinter den Wällen und zwischen den Zinnen arbeiten, als ob sie die Kanonen bewegten und umstellten. Was kann das nur bedeuten? Hei! Da kommen ja unsere Boote zurück, fast leer kriechen sie übers Wasser, nur von je vier Mann gerudert. - Na ja, die andern sind drüben und klettern jetzt den Festungsberg hinan! denke ich. Und Henry Morgan lacht. Läßt sich ein Glas Wein bringen, tut, als ob er den Dons zutränke. Lacht weiter. So guter Laune ist unser Alter selten. Jetzt gibt er Jim einen Befehl. Eine Pfeife schrillt. Und ich mache einen Luftsprung, weil fast im gleichen Moment die »Swan« und unter meinen Füßen die »Ironhead« ihre dem Fort zugewandten Breitseiten abfeuern. Pulverdampf quillt grau und weißlich aus den Pforten. »Noch eins, Jungens!« lacht Morgan und wieder schrillt die Pfeife, und abermals krachen die Geschütze und sausen die Kugeln hinüber nach La Barra. Doch warum antworten die Dons nicht mit gleicher Münze? Ich bin verblüfft und denke gar nicht mehr an das Fort, weil eben im dichten Pulverdampf, der langsam aufs Wasser sinkt, unsere Boote anlegen. Unten, zusammengekauert und gut unter Persennings versteckt, lugen jetzt die lachenden Gesichter derer herauf, die ich allesamt drüben an der Bergflanke kletternd vermutete . . . Bei uns an Deck ist große Überraschung, jeder sperrt die Augen auf, und Fragen schallen, aber die unten antworten nicht, sind scheint's gut von Bradley, der das Landungsmanöver führte, instruiert. 456
Abermals krachen Breitseiten der beiden Schiffe, und immer dichter wird der Pulverdampf. Vom Fort aus können sie jetzt mit bestem Willen nicht mehr erkennen, was bei uns vorgeht. Und Morgan lacht. Die unten in den Booten kommen nicht herauf, sondern setzen sich aufrecht, ergreifen ihre Waffen und die Ruder, und auf einen Pfiff stoßen alle Boote wieder ab und fahren den Weg zurück, den sie eben hergekommen . . . Sie biegen um die Landzunge und sind außer Sicht. »Kapierst du das, Mac?« fragt mich Ben. »Nee!« »Ich schon. Darf aber nichts sagen. Weil's vielleicht schief ausgeht!« Langsam setzt sich der Pulverqualm. Hinter den Wällen der Befestigung wimmeln Köpfe und Schultern. Ich sehe deutlich Hebebäume, man scheint dort drüben schwer zu arbeiten, und zwar in einer ganz tollen Hast. Von Land ertönt Geschrei, Musketen knallen des öfteren. Wieder schrillen Kommandos, und alles rennt an seine Plätze, die Segel werden backgebraßt, Stagsegel und Klüver auf die andere Seite geholt, und die »Ironhead« und die »Swan« kriechen langsam der Landspitze zu, umrunden sie und liegen dann gegenüber der anderen Festungsseite. Dort drüben ist der Strand, und da stehen höchstens zehn Mann von uns, die ununterbrochen laden und - wie's mir vorkommt - lachend in die blaue Luft knallen . . . Und die Boote, ja diese! Eben rudern sie, scheinbar leer, langsam zurück, und auf schrille Pfiffe hin krachen Breitseiten abermals los, daß die alte »Ironhead« bockt, und im dichten Pulverqualm legen die Boote an. Und die darin versteckten Leute erheben sich, wechseln die Plätze, und abermals rudern sie los. Die Quartiermeister jagen all hands von Deck in den Raum hinab, und als der Pulverdampf sich verzogen hat, sieht es aus, als ob fast keine Besatzung mehr an Bord wäre. Die Boote kehren noch einmal zurück, und als sie im verhüllen457
den Pulverqualm vollbesetzt wieder abstoßen, da kann, wenn man sich in die Dons hineindenkt, nicht mehr viel Volk auf den zwei Port-Royalschiffen verblieben sein! Im gleichen Augenblick, als mir die Erleuchtung kommt, legen die Kanonen der uns zugewandten Seite, wo vorher nur zwei oder dreie standen, weil sie meistens ja die Einfahrt visieren wieder los und beginnen zu knallen. Wie Gewitter dröhnt's über den See, dessen Vogelscharen protestierend in die Luft schwirren. An den Mündungsstrahlen sehe ich deutlich, daß die braven Soldaten und Marineros des Don Alfonso Campos y Espinosa wahrhaftig die schweren Rohre mühsam in wahnsinniger Eile nach der bedrohten Seite geschleppt haben und sie dort aufstellen. Jetzt kommen unsere Boote zurück, und jeder Mutter Sohn sitzt darin aufrecht und legt sich mit Macht in die Riemen. Und von den Schiffen fliegen die Schleppleinen hinab. Fächerförmig spannen sich die Boote vor die »Swan« und die »Ironhead«. Alles, was unter Deck versteckt war, kommt nach oben, und nun wird jeder Windhauch (es handelt sich nur darum), durch fortwährende Segelmanöver ausgenützt. - Wir sind ja viele an den Tauen und brauchen nur Minuten zu jedem Manöver. Ein richtiger Admiral von »Königs Eigen« hätte seine Freude daran gehabt, wie schnell jedesmal die Rahen herumflogen und die Klüver übergeschmissen wurden! Mit hübscher Fahrt bewegen wir uns auf die Einfahrt zu. Morgan steht auf der Puup und hält sich den Bauch vor Lachen und drüben auf der »Swan« tanzt Bradley eine Art Hornpipe vor Freude über den gelungenen Streich. Auch von uns lacht jeder einzelne fast Tränen, und die Ruderer unten in den Booten johlen trotz ihrer schweren Arbeit. Ein donnerndes Gelächter schallt durch den glühendheißen Tropenmorgen. Und die murmelnde Ebbe hilft, ja sie hilft, Morgan hat den rechten Zeitpunkt abgewartet! Und die Dons? Sie haben natürlich die Finte erkannt, aber etwas spät, und schleppen jetzt wieder ihre schweren Geschütze an die alten 458
Plätze zurück. Doch solches Tun braucht Zeit, auch denke ich, daß die Wut, die sie erfüllen muß, sehr hinderlich bei der Arbeit ist. Die Ebbe murmelt. Unter vollen Segeln, von den Booten im Vorspann geleitet, damit wir in der schmalen Durchfahrt nicht auf Schiet kommen, gleiten wir dahin. Mit wehenden Flaggen und Bannern, und kaum sind wir etwas entfernt, so geben wir denen dort oben noch je eine kräftige Breitseite, daß die auf den Wällen herumzappelnden Figürchen schnell in Deckung purzeln. Und immer noch lachen wir wie toll. Nehmen dann unsere Boote und die Maaten wieder auf. Die müssen sich erst mal an Deck vor lauter Frohsinn wälzen. In der Lagune empfängt uns ein nettes Lüftchen, das stramm unsere Segel baucht. Vor dem Bug schäumt eine kleine weiße Mähne, und geschäftig gurgelt der Sog achteraus. Noch immer lachen wir, umarmen einander und geben uns der größten Fröhlichkeit hin. Manche wälzen sich immer noch, andere müssen sich hinsetzen und halten ihre schmerzenden Seiten. Unsere Musikkapelle, die auf Morgans Geheiß den Dons ein Ständchen bringt, bläst total falsch, weil die Boys sich das Lachen nicht verkneifen können. Bobadillas ist auf einen Wink des Alten nach unten gehuscht und arbeitet an der Füllung seiner Punschkessel. Und als La Barra immer kleiner wird, als man die Menschen auf den Wällen nicht mehr erkennen kann und nur noch eine Weile das goldrotgoldene Banner sichtbar ist, als die Ufer der riesigen Lagune immer weiter zurücktreten und der kräftige Ruch der offenen See angeweht kommt und mich streichelt, gehe ich in meine Kammer. Und schreibe, schreibe dieses und ziehe zwischendurch an der Pfeife oder netze meine Kehle mit einigen Fingerhütchen voll Old-Jamaica-Rum. Ich bin endlich fertig. Und setze über und unter dies Kapitel das Leitmotiv: »That's Morgan's way«.
459
OLD PROVIDENCE Was Morgan prophezeit hatte, traf ein. Spanische Truppen landeten an verschiedenen Stellen auf Jamaica (wohlweislich fern von Port Royal), verbrannten kleine Ortschaften, töteten und schleppten die Einwohner gefangen nach dem Festland. Wo man sie, falls es Angehörige der Church of England sind, nach Strich und Faden in den Kellern der Inquisition mit netten Torturen bekanntgemacht und sie dann, um ihre armen Seelen zu retten, lebendig als Schaustellung bei einem Autodafé verbrennen wird. Rachegeschrei hallt durch Port Royal. Sir Thomas Modyford, dem der Verlust der »Oxford« einige Zeit schwer im Magen lag, trat aus seiner diplomatischen Zurückhaltung hervor und befahl Morgan offiziell, in einem siegelgezierten Patent: »den spanischen Schiffen, Siedlungen und Warenniederlassungen größtmöglichen Schaden als Vergeltung für den Überfall auf Jamaica zuzufügen.« »Na, Mac, jetzt bekommst du zu tun! Spalte deine Truthahnkiele, rühr die Tinte und halte Streusand nebst Pergament trocken. God's death!, wir wollen den Dons zeigen, was es heißt, Seiner Majestät Untertanen - Gott segne und erhalte die Majestät! - zu massakrieren!« sprach Morgan zu mir. Ich bekam viel zu schreiben, und die Werbebriefe und Aufrufe wurden alsdann nach der Tortuga und allen Freibeuterhäfen geschickt. Morgan ging zu Sir Thomas, mit mir im Kielwasser. Und wieder sitze ich in der Ecke und mache mir Notizen für die Protokolle. »Wo gedenken Sie zuerst hinzusegeln, Käpten Morgan?« fragte Sir Thomas und tippt nervös mit der von Mechlerspitzen umrieselten Hand auf die blanke Mahagonitischplatte. »Cartagena? Vera Cruz oder Panama? Letzteres dürfte am schwierigsten sein. Denn erst müßten Sie die vor der Hondurasküste liegende Insel Santa Catalina, die Sie und Mansfield ja schon einmal erobert haben, und die verteufelt starke Festung San Lorenzo, in der Mündung des Rio Chagres, am Isthmus nehmen. Nachher käme der beschwerliche Marsch durch die 460
Dschungel quer über den Isthmus. Ein böses, aber glorreiches Stück Arbeit. Wenn's gelänge!« »Sowie ich austrommeln lasse, daß ein Zug nach dem Goldenen Panama geplant sei, garantiere ich für ein gutes Ende. Kein Freibeuter und Küstenbruder kann dem goldenen Klingeling widerstehen!« erwiderte der Käpten. »Ich wünsche Ihnen Glück! Genügen die Schiffe oder soll ich die Kaufleute veranlassen, Ihnen weitere zu verchartern?« »Genügen, Sir Thomas! Ich glaube, daß alles, was Segel in der Spanischen Main hat, mir zuströmt. Habe als Treffpunkt in einer Geheimschrift, die Mac ausfertigte, Cap Tiburon an der Hispaniolawestküste angegeben. Dort ist guter Ankerplatz. Ich rechne auf ein- bis zweitausend Mann, die ich bald unter der glorreichen Flagge des St. Georg haben werde. Und da bei den Kämpfen zweifelsohne eine Menge Piraten ins Gras beißen müssen, so schlagen wir wieder zwei Fliegen mit einer Klappe!« »Wir besiegen die Dons, und gleichzeitig säubern wir indirekt, aber kräftig die Inselgewässer von einer Anzahl blutdürstiger Teufel!« »So ist es, Sir Thomas!« Der Gouverneur klingelt, der Negerflunkey bringt goldfarbenen Xeres und mir - eine reizende Aufmerksamkeit von Sir Thomas! - ein nettes Quantum Old-Jamaica-Rum, just genügend für einen Augenöffner. Nun plaudern die beiden, rauchen aus ihren langen graden Tonpfeifen, und auch ich erhalte einen Wink, mir eine Piepe »Varinas« anzustecken. Virginiakraut schmeckt mir persönlich ja besser. Sehr bald nach dieser Unterredung segeln die »Ironhead«, die »Swan« und noch drei kleinere Schaluppen, vollgepropft mit lustigen Burschen, über die herrlich blaue Tiefe der Spanischen Main nach dem Rendezvousplatz. Binnen zwei Wochen sammeln sich hier die Ausgestoßenen und Draufgänger englischer, französischer, holländischer und sogar dänischer Nationalität, und eines Tages ragt ein veritabler Mastenwald in der kleinen Bucht hinter Cap Tiburon. Fröhliche 461
Musik und Gesang erschallen. Musketen krachen, weil die Scharfschützen sich üben, indem sie nach einer in spanische Uniform gekleideten Puppe zielen. Und es wird mächtig gebechert. Sechsunddreißig bestückte Schnellsegler, schnittige Schaluppen, Flieboote und ein paar Karavellenungetüme sammeln sich, die Maaten sind eng, gleich Heringen in der Tonne, untergebracht. Wir zählen insgesamt über zweitausend Köpfe, und ich glaube fast, daß kein einziger Freibeuter, der etwas auf sich hält, zurückgeblieben ist, und daß die Handelsschiffe gute Zeiten haben. Morgan nimmt aber nicht alle an, solche, die im Ruf der Feigheit stehen, schickt er von dannen und sagt, sie sollten Steine klopfen gehen, da sie zu ehrlichen Seeleuten zu schade seien. Wir bildeten eine Macht, wie sie seit Menschengedenken - ich meine, seit die Bukanier existieren - unter keinem einzigen Befehlshaber vereint war. Henry Morgan ist der Admiral und Generalissimo, doch läßt er sich von uns »Ironhead«- und »Swan«-Leuten nach wie vor gemütlich »Käpten« titulieren. Kurz vor Weihnachten stechen wir in See. Nachts wird die Flotte von Kanonenschüssen zusammengehalten, und die Schnellsegler müssen reffen, damit sie den andern plumpen Kähnen nicht davonlaufen. Mit Bannern und Wimpeln segeln wir dahin. Das heilige Christfest feiern wir auf der »Ironhead« mit einem guten Trunk und frischem Schweinefleisch. Wir sind zähe und starken Tabak gewöhnt! Santa Catalina fällt ohne beiderseitige Verluste in unsere Hand. Und zwar nach einem Gentleman's Agreement. Nämlich: Bobadillas, der listenreiche Punschmeister und Spion, der mitnichten ein Gentleman ist, aber die Insel gut kennt, weil er ja hier früher amtierte, begibt sich zum spanischen Kommandanten und stellt ihm seine aussichtslose Lage vor. Der Don will aber nicht direkt als Feigling erscheinen und sein »Gesicht« wahren. Weshalb beide Teile übereinkommen - zur Ehrenrettung der Spanier eine kleine lautknallende, aber blindgeladene Kanonade abzufeuern, und dann würde die Fortflagge gestrichen. - So geschah 462
es und der Kommandant erhielt mit seinen Leuten ehrenvolle Gefangenschaft und späteren Austausch oder Freilassung zugesichert. Ich fertigte das Dokument aus. Also marschieren wir in Old Providence mit Musik ein. Fanden guten und viel Dauerproviant und erheblich Munition, die wir gut gebrauchen konnten. Alle Kettensträflinge (Santa Catalina ist ein Verbannungsort) ließen wir frei und reihten die tüchtigsten ein. Es sind ein paar Neger und Halbbluts dabei, die den Weg von der Chagresmündung quer über den Isthmus nach dem Pazifik gut kennen. Denen gewähren wir Extrabehandlung, weil sie uns als Führer dienen sollen. Mit Ben hause ich in einer netten Spaniervilla, deren Besitzer uns vorzüglich verpflegen und zugetan sind. Wie denn auch alle Spanier - manche vielleicht zähneknirschend - ausnehmend friedlich sind und lächeln, wenn unsere Maaten abends bei Gitarrenklang und Flötengetriller mit ihren hübschen Töchtern und jungen Frauen das Tanzbein schwingen. Ich erlebe die große Freude, daß eines Tages auf verspätetem Tortugasegler mein lieber alter Olivier ankam. Wir umarmten uns, küßten einander die Wangen und witzelten über die zahlreichen grauen Haare, mit denen wir gesegnet sind. »Bist ein Wunder, mein Alter ! Du scheinst sämtliche Küstenbrüdergenerationen überleben zu wollen. Mordioux, wenn man bedenkt, wie viele gute Maaten und wie viele üble Schufte schon in Davy Jones' großer Salzwasserkiste gelandet sind, in spanischen Gefängnissen schmachten, die Rahen und Galgen anmutig zierten, oder im Urwald und der Savanne bleichen, seit du auf die Tortuga kamst.« »Na, dann bist du ein gleiches Wunder, denn auch du erfreust dich noch des Daseins. - Was machen Sarah und Saul?« »Lassen grüßen! Sarah hat ein Picanninie bekommen, so schwarz wie Kohle!« Nicht möglich! Bei ihrem Alter? - Und Zephir Barbassou und seine Schwester? Und Monsieur de la Place? Geht's allen gut?« »Ausgezeichnet. Alle schicken dir viele freundliche Grüße, und du sollst die alte Tortuga nicht vergessen!« 463
Wir sitzen: Alexandre Olivier Esquemelin, der junge Ben und ich, im kühlen Patio am lispelnden Springbrunnen, und bunte Falter und fremdartige Vögel umflattern uns. Und wir trinken, da es noch früh am Morgen ist, erst mal den milden Sangaree, in dem ja auch allerlei kräftiges Zeug enthalten ist. »Wenn ich diese bevorstehende Panamaaffäre glücklich überstehe, so will ich heimfahren nach la Belle France und mich auf meinen Lorbeeren ausruhen!« murmelt Olivier gedankenvoll. »Lorbeeren? Pieces of eight, meinst du!« schmunzelt Ben. »Damned, du mußt allerlei gesammelt haben. Bist Jahrzehnte hier draußen!« »Es geht, mein Junge, es geht. Aber man ist zufrieden. Höre, Mac, möchtest du nicht mitkommen, nach Paris, und dann in meinen Heimatort Honfleur? Es ist nett dort, mein Alter. Man riecht das Meer, die Mädels sind bildhübsch und nicht prüde, und man weiß gut zu leben im alten Frankreich.« »Bist ein guter Kerl, Olivier. Vielleicht besuch' ich dich mal später. Möchte mir den Louvre betrachten und Versailles, von dem man Wunderdinge berichtet. Doch ist mein Blut dünn geworden hier in den Tropen, und ich würde frieren, auch liebe ich mit Leib und Seele die Spanische Main, unsere Tortuga. »Sag, Olivier, hast du immer noch die komische Wut auf unsern Alten?« Der Gefragte zuckt die Achseln, macht ein skeptisches Gesicht. »Bibamus, Confrater! Trinkt, der Sangaree ist gut, die Zimtrinden geben dem Stoff 'nen pikanten Geschmack!« »Erinnerst du dich noch an die Nacht auf der Tortuga, als wir Spanische Milch schluckten und - « »Mich der verdammte Kahlkopf auf seine >Barrel and Tankard< jonglieren ließ, ohne daß ich aufwachte!« Beide lachten wir, und der junge Ben lauscht mit Augen, in denen die Sehnsucht nach namenlosen Abenteuern glänzt. »Wißt Ihr, daß unser Alter den Bradley heute früh mit vierhundert ausgesuchten Maaten nach San Lorenzo geschickt hat? Um den Boden vorzubereiten!« »Uns neu! Aber du als Sekretarius hast ja Morgans Vertrauen!« 464
»Morgan ist in Ordnung. Einer, der lebt und leben läßt und des öftern ein Auge zudrückt!« »Mac, denkst du noch manchmal an Pierre Legrand und unsere Achtundzwanzig? Und an Redlegs und den Sieur aus Versailles?« »Ah, das waren noch Männer! Ihr Andenken grünt in meiner Erinnerung!« Wir fangen an zu plaudern über alte Zeiten, und begierig lauscht der junge Ben. Die Kirchenglocke ruft die Gläubigen zur Morgenmesse. »Sagt, ist's wahr, daß Morgan auf der >Ironhead< einen richtigen evangelischen Priester hat?« Ben erwiderte erstaunt: »Na klar, das gehört sich doch!« Der Proviantmeister der »Ironhead« kommt herangehumpelt. Er hat nur noch ein Bein, das andere ist ein Holzstummel. Und ich muß sagen, daß Männer mit Holzbeinen, Einarmige und Einäugige unter den Freibeutern nicht selten sind. Was darauf schließen läßt, daß unsere Chirurgen größtenteils trotz genialer chronischer Besoffenheit ihr Metier verstehen. »Mac, der Alte sucht dich. Du sollst ein Protokoll schreiben!« sagt jener, und seufzend erhebe ich mich. »Dienst ist Dienst!« schmunzelt Olivier. »Ja, und Rum ist Rum!« Mit diesen Worten, die nicht sehr geistreich sind, gehe ich langsam nach dem Hauptquartier.
SAN LORENZO Ich war bei diesem Unternehmen nicht dabei, denn Morgan verblieb ja mit der Hauptmacht in Old Providence. Käpten Bradley ist mit seiner »Swan« zurückgekommen und hat seine Streitmacht in San Lorenzo gelassen. Beim Punsch im Garten des Hauptquartiers, während die Windlichter in ihren Glaskugeln ruhig brannten und nach Ambra rochen und das Getinkel der Gitarren von der Plaza herüberschwebte, erzählt er: »San Lorenzo ist eine starke Festung, Maaten, das dürft ihr mir wohl glauben. Steil stehen die dicken Mauern und Redouten 465
auf einem Felsen, der die Mündung des Chagresflusses beherrscht*). Hinter dem Felsen erstreckt sich ein teuflisch gemeiner, tiefer Sumpf, der das Wasser für den das ganze Fort umgebenden, ebenfalls hübsch tiefen Graben liefert. Die einzige Verbindung ist 'ne Zugbrücke, und ihr könnt euch vorstellen, daß die Dons sie hochgezogen hatten und wir dastanden - vielmehr saßen - wie Farmer Joes alte Sau vor dem neuen Stalltor. Na, an ein Aushungern - abgesehen von der Zeitverschwendung! - war nicht zu denken. Dieses Fort besteht aus dicken soliden Steinen und Mörtelwerk und ist unterhöhlt von bombensicheren Kasematten und Gängen. Es hat auch eine riesige, stets randvolle Trinkwasserzisterne und große Magazine voll Proviant und Schießbedarf. Außerdem zwei schwerbestückte Batterien nach dem Fluß zu. Und vier ebensolcher nach der Sumpfseite. An einer Seite stehen die Mauern auf lotrecht abfallendem Fels, und gegenüber, wo der Hügel sanft zum Lande verläuft, erhebt sich ein mit dem Hauptwerk durch Laufgräben verbundenes Vorwerk, das mit acht schweren Rohren und zwölf kleineren Kanonen bestückt ist, und alle diese Geschütze recken die Mäuler nach dem Flußankerplatz. Glaubt mir, als ich dies alles sah und erkundete, da ward mir doch ein wenig flau unter der Nachtmütze. Zumal noch außer all diesen Verteidigungsanlagen rings um das ganze Anwesen ein doppelter Palisadenkranz dicker, zugespitzter Baumstämme läuft. Ja, da standen oder vielmehr saßen wir in unseren Booten und beschauten die Sache. Von den Wällen herab winkten höhnisch die Dons. Und noch war kein Schuß gefallen. Na, so was muß man gesehen haben! Ich ließ erst mal unsere Schiffe segelfertig und mit wenigen, aber guten Männern besetzt weiter hinaus zur Mündung schaffen. So daß sie, falls es not täte, im Nu in See stechen konnten. Wir andern landeten an der Küste unten, außer Sicht der Spanier. Und marschierten, oder *) Die romantischen, gut erhaltenen Ruinen des Forts stehen heute noch.
466
krochen vielmehr, mitten in die Mangrovendschungel. Neun Stunden lang krochen und balancierten wir durch den verdammten Urwald und über die schleimigen Schlingen der Luftwurzeln, hieben mit den Cutlassen die Lianen und Dornenranken entzwei, wateten bis an den Hals durch schauderhafte Sumpfbrühe und klopften manchem frechen Krokodil, das sich einen von uns zum Frühstück holen wollte, mit dem Enterbeil auf den Schädel. Ein vor Angst wild gewordener Tapir überrannte ein paar von uns, und es gab einen Beinbruch. Wir verloren zwei Mann im Sumpf - mit einemmal waren sie weg, untergegangen - und zwei weitere kamen durch Schlangenbisse um. Ein paar Fieberkranke mußten wir zurückschicken. Kurz vor Morgengrauen waren wir aufgebrochen, und der Sonne nach, die wie ein glühendes Höllenmaul bleckte, schien es zwei Uhr nachmittags zu sein, als wir unbeobachtet jenseits des Sumpfes in guter Deckung haltmachten. Drüben, ganz nah, lag das verdammte San Lorenzo, und über der Bastei hing das spanische Königsbanner schlaff herab. Nun war der Swamp ursprünglich mit Zypressen und Palmettos bestanden, und wir hätten uns wunderbar nett anpirschen können. Aber die Bäume lagen jetzt alle gefällt in der Brühe. Weil die Dons sie umgelegt hatten, um sich freies Schußfeld zu schaffen, falls wir von hinten kämen. Dumm sind die soldados del rey nicht immer, o nein! Und diese San-Lorenzo-Leute schienen es samt ihrem Kommandanten faustdick hinter den Ohren zu haben.« Der Erzähler verleibte sich den Inhalt eines Humpens ein, wischte sich dann den Mund und fuhr fort: »Aber nach Küstenbrüderart, die eine gute, aber nicht jedermanns Sache ist, zogen wir unsere Cutlasse, machten Handgranaten und Brandtöpfe zurecht und stürmten dann vor, wobei wir uns der im Sumpf kreuz und quer liegenden gefällten Bäume als treffliche Sprungbretter bedienten. Natürlich gaben uns die Dons aus sämtlichen Rohren tüchtig Saures, und wir fielen zurück. In der Nacht probierten wir's noch mal. Die Dons hatten mit brennenden Pechkörben, die sie aufs Glacis herabließen, die 467
nähere Umgebung fast taghell erleuchtet. Und wieder kriegten wir was auf die Nachtmütze. Ich dachte schon, daß die ganze Affäre umsonst sei, und malte mir die Gesichter aus, mit denen ihr uns empfangen hättet, falls wir unverrichteter Sache nach Old Providence zurückgesegelt wären. Hoho, paßt auf nun. Ja, es ist der Tom Rafferty, dem wir die Einnahme von San Lorenzo verdanken! Die Dons hatten nämlich indianische Hilfsvölker bei sich, und diese Kavaliere schossen mit Pfeilen. Rafferty, der neben mir kauerte, schrie plötzlich wütend auf. Und ich sah, wie ein Rohrpfeil tief in seiner Schulter zitterte. - Und was tat der gloriose Bursche?*) Fluchend riß er den Pfeil aus seinem Fleisch, steckte das Ding in die Pistolenmündung und schoß es auf's Fort zurück! Durch den Luftzug fing der Rohrschaft Feuer, fiel auf ein Magazin, dessen Dach mit trockenen Palmwedeln bedeckt war. Kein Soldat beachtete, wie sich das Flämmchen weiterfraß, zur Flamme wurde, und als sie endlich löschen wollten, da war's viel zu spät! Feuer loderte von Dach zu Dach, und plötzlich flog mit lautem Getöse eines der Pulvermagazine in die Luft. Wir benützten das Durcheinander und stürmten bis an die Palisade, konnten von hier aus, in guter Deckung gegen spanische Kugeln, unsere Handgranaten und Brandbomben auf ihre Köpfe werfen. So ging es während der ganzen Nacht. Die Dons kämpften brav - das könnt ihr mir glauben!« - Bradley leerte wieder seinen Humpen, nahm mir die Pfeife aus dem Munde, tat ein paar Züge und reichte sie dann zurück. »Wir kletterten endlich über die Wälle, indem wir aus dem Sumpf geholte Baumstämme anlehnten - eine Heidenarbeit, das! -, sprangen auf der Innenseite runter und mußten nun um jeden Meter Boden kämpfen. Ein Gemetzel, das Stunden dauerte. Es war toll! Und wieder war es Tom Rafferty, der eine geladene Muskete aufnahm und dem Kommandanten, der seine Leute immer wieder sammelte und weiterfocht, eine Kugel in die Stirn jagte. *) Historisch
468
Jetzt erst ergaben sich die letzten Dons. San Lorenzo war unser! Von den dreihundertzehn Mann Besatzung fielen genau zweihundertvierundachtzig, und die, die sich ergaben, hatten auch noch zwanzig Schwerblessierte. Wir haben einhundert Tote und siebzig Verletzte. Und es wären mehr, wenn, wie man weiß, die Dons komischerweise nicht solch miserable Schützen wären. Aber eines muß ich noch melden, und du wirst dich nicht drüber ergötzen, Henry! Zuverlässig weiß ich nämlich, daß ein paar Dons entwischten. Nun ist's natürlich mit der weiteren Überraschung aus, und wenn wir nach Panama marschieren, so wird man uns erwarten.« »Mögen sie!« erwidert munter der Alte und sagt noch: »Dem Tom Rafferty sollen sofort fünfhundert Pieces of eight ausbezahlt werden. Und wenn er den Dienst quittieren und mit seinem Gelde, das in Old England eine beträchtliche Kaufkraft hat, heimfahren möchte, so soll der nächste Depeschensegler ihn nach Port Royal bringen. Für die weitere Überfahrt nach Europa auf Henry Morgans Kosten will ich sorgen!« Um es gleich zu sagen: Tom Rafferty, der sehr unter Schüttelfrost litt, machte von dem Anerbieten Gebrauch, und ich hoffe, daß er jetzt zufrieden auf seiner kleinen Farm in Cornwall sitzt.
PANAMA Mit Musik und außerordentlich lustig vom Rum, Wein, Punsch und Bitter-Ale stechen wir von Santa Catalina in See. Die Spanier mögen aufgeatmet haben. Während der Fahrt herrschte Vorsiegesstimmung, und es wurde tüchtig gebechert. Auch Morgan schaute oft tief auf den Grund seines großen Silberhumpens. Da der Wein stark, die Hitze an der Panamaküste aber barbarisch war, wird man sich nicht wundern, daß unsere Flotte und alles, was darauf war, ziemlich besoffen in der Chagresmündung anlangte. Deshalb liefen vier gute Schiffe auf Grund, eines kielte sogar über, und sechzehn Burschen schluckten aus Davy Jones großer Tasse. 469
Staunend betrachten wir das mächtige San Lorenzo und ziehen die Hüte vor John Bradley und seiner Mannschaft, die diesen furchtbaren steinernen Klotz so rasch eroberten. Sechshundertfünfzig Mann müssen als Rückendeckung in der Fortaleza liegen bleiben. Sie werden durchs Los bestimmt, denn freiwillig will keiner die erhofften Schätze Panamas nur aus weiter Ferne betrachten. Bradleys Leute sind vor unserer Ankunft nicht müßig gewesen, haben von den umwohnenden Indios eine große Anzahl Kanus und Paddler angeheuert. Unsere tüchtigen Zimmerer schlagen und fügen auch noch eine Anzahl Flachbodenkähne zusammen, so daß wir eine stattliche Flottille von weit über hundert Flußbooten besitzen. Rund zwölfhundert Mann mit Waffen und etlichen Mörserkanönchen, steigen wir eines Tages ein, und die Besatzung steht auf den Wällen und schaut zu. Von der Feste flattern bunte Fahnen, auch die alten Jolly Rogers mit Totenkopf und Kreuzgebein, das tanzende Skelett mit dem Punschglas und andere. Doch schlägt Morgan mächtigen Radau, und die alten Bukanierflaggen werden widerstrebend niedergeholt und das große Banner St. Georgs dafür gehißt. Die Zurückbleibenden winken neidisch und schreien, die Musik schmettert. Scheu lugen uns die Indioruderer an. Die Hitze ist scheußlich, und ich beneide die Kerle in Halbrüstungen und Eisenhauben nicht. Morgan schießt seine Pistole in die Luft, und sofort dippen Hunderte Paddel, Ruder und Staakstangen ein, ein paar Segel flappen auf ein oder zwei Kähnen. Und wie eine riesige bunte Schlange, deren Windungen glitzern und schimmern, kriechen die hundertundzwanzig Boote den Rio Chagres aufwärts. Nach echter Bukanierart, die nur für das Heute lebt und sich übers Morgen nicht den Kopf zerbricht, haben wir außer einer Tagesration oder so nicht eine Unze Proviant bei uns. Morgan rechnet nämlich bestimmt damit, daß wir, weil wir unterwegs an vielen Plantagen und Dörfern vorbeikommen, aus diesen requirieren können. 470
»Paß auf, er hat sich verrechnet. Das geht schief! « sagt Esquemelin, der als Arzt mitfährt und im dritten Kanu hinter dem meinen sitzt. Heiliger St. Dunstan! Um es kurz zu machen. Olivier behielt mit seiner Prophezeiung in manchem recht, und Morgan erwies sich wieder mal als Nichtstratege. Aber vorläufig, für mich wenigstens, ist es wunderschön und romantisch anzusehen. Stellt euch vor, unter unbeschreiblicher Hitze, die einem fast die Feuchtigkeit aus den Poren quetscht: das Murmeln und Plaudern der Freibeuter, den eintönigen Gesang der Indios, ihr rhythmisches Eindippen der Paddel, Rudergeknarr, die Krokodile, die zu Dutzenden faul am Ufer liegen oder lautlos in tiefes Wasser schießen, Affen- und Papageiengeschnatter, bunte Lianen, dichte Dschungelmauern, mit wunderbaren Blumen garniert, manchmal ein Stück Savanne, Dornenebene, dann wieder Sumpf. Alles das zusammen ergibt ein Bild, das ich liebend gern gemalt hätte. Leider haben wir keinen Farbenkünstler unter uns, nur einen Dichter, der seine Bordcrew amüsiert, indem er ihnen, die es gar nicht verstehen, den Homer in der Ursprache deklamiert oder mit griechischen Zitaten jongliert. Den ersten Tag geht alles gut, aber schon am zweiten Abend, als wir bei einer Siedlung die Kanus ans Ufer schieben und Feuer anstecken, finden wir fast keinen Proviant. Wir müssen uns mit Bananen, vier Stück pro Kopf, begnügen. Die Dons, die aus San Lorenzo entkamen, haben alles alarmiert, und infolgedessen salvieren sich die Plantagenleute unter Mitnahme ihrer Habe und des Proviants in die Büsche. Am dritten Morgen endlich ist der Chagres, der größtenteils als Wasserstraße gedacht war, nicht mehr schiffbar. Wir lassen die Boote unter Bewachung zurück und marschieren auf dem Saumpfad weiter. Es ist Januar, die sogenannte »trockene Jahreszeit«, während der es nicht oder selten regnet. Weshalb der Chagres zu wenig Wasser führt. »Siehst du, mein Alter, jetzt geht's los!« orakelt Olivier und macht mich fast ärgerlich. 471
Trockene Jahreszeit! Ja - dennoch ist die Hitze verteufelt feucht, ähnlich wie in einem Treibhaus, das ich in London einmal betrat. Long long ago, lang lang ist's her! Die Indios desertieren in Massen, und wir müssen unsere Klamotten selber schleppen. Abend. Wir finden keine Pflanzung und auch keine Früchte. Ein paar Schlänglein werden zwar erhascht, aber was ist das schon für zwölfhundert knurrende Mägen! »Hunger! Gib uns zu essen!« meckern ein paar. Ein Streifkorps entdeckt einen großen Schuppen und darin eine Menge leerer Säcke aus Ochsenhäuten. Wir sind all hands mächtig froh, diese Säcke gefunden zu haben. Man kann sie nämlich essen. Und wer von euch mich der Übertreibung bezichtigt, dem kann ich nur sagen, daß er nicht weiß, was richtiger Hunger ist und wie weh er tut, und daß die Leute Henry Morgans zähe Mägen haben. Und ich fahre fort mit den Originalworten des später in Amstelredam (Amsterdam) erschienenen Buches meines guten Freundes Alexandre Olivier Esquemelin, der folgendermaßen schreibt: »Menschen, die noch nie aus der Kombüse ihrer Mama herausgekommen sind, mögen wohl fragen, wie die Bukanier diese harten, trockenen Lederstücke verspeisten, schlucken und verdauen konnten? Ich kann nur sagen: wer einmal erfuhr, was eine Hungersnot ist, würde sehr wahrscheinlich auch das Rezept anwenden, das die Bukanier erfunden haben. Erst schnitten sie das Leder in Stückchen, die zwischen Steinen geklopft und gerieben und öfters in Flußwasser getaucht wurden, um sie geschmeidig zu machen. Endlich wurden die Haare der Häute abgeschabt und die Stücke dann gebraten oder geröstet. Diese zerteilten sie in möglichst kleine Stückchen, die sie mittels großer Schlucke Chagreswasser hinabspülten.« So ist es! So war es! Ein Glück, daß wir diese Säcke fanden, und daß die daraus hergestellte, sonderbare, aber den Magen füllende Mahlzeit, für all hands ausreichte! Am nächsten Morgen marschierten wir weiter, den Rest der Ledersäcke sorgfältig mitschleppend. Während der Nacht sind 472
wieder Indios desertiert. Einer unserer vorgeschobenen Posten ist hinterrücks ermordet und seiner Kleider nebst Waffen beraubt worden. Um den Indios - es sind nur noch ein paar - das Fortlaufen künftig zu versalzen, verpassen wir ihnen Hiebe mit der Neunschwänzigen. Aber nur leicht, daß eben grad die Haut ein bißchen platzt und sie noch laufen können. Es steht fest, daß diese tückischen Indios im Dienst der Dons stehen. Wir halten die Augen auf, aber da sie sich plötzlich krank stellen und ihre Lasten niederlegen, jagen wir sie endgültig zum Teufel. Das heißt, in ihren heimischen Urwald. Frohlockend verschwinden sie. Unser Führer, jene Sträflinge aus Old Providence, sind treu. Bei einer menschenleeren Siedlung finden wir ein Feld reifer Tomaten und ein ebensolches mit Zwiebeln. In den Hütten sind etliche Katzen und alte Hunde aus Anhänglichkeit zurückgeblieben. Diese armen Tiere werden geschlachtet, und bald kochen sie in großen Kesseln samt Zwiebeln, Tomaten und Lederstückchen zu Suppe. Leider sind die Einzelportionen nicht sehr reichlich. Wieder ein neuer Tag. Marschieren, Schwitzen, Fluchen und Hungern. Vorwärts. Das Gold von Panama lockt, treibt an. Abend. Wir lagern in einer ausgestorbenen großen Hacienda. Ich betrachte wehmütig die Kuhfladen und denke, daß es die Visitenkarten der leider abwesenden Rinder sind. Verdammte Dons! Das ganze Land ist leer und ausgestorben, und trotzdem bildet's in normalen Zeiten eine blühende Provinz. Unter Stroh versteckt, finden sich etwa hundert Säcke voll Maismehl und die gleiche Anzahl gefüllter Weinfässer. Feuer flammen, Gitarren zirpen, lustige Lieder klingen. Aus dem Mehl, das wir anrösten, kochen wir dicke Suppen, trinken den Wein aus Helmen, Mützen und Bechern. Die Niederländer, die als starke Esser bekannt sind, jammern halb ernst, halb scherzhaft nach einer richtigen »christlichen Mahlzeit«. Olivier und seine Landsleute singen wehmütig am Feuer ein improvisiertes Lied, das von der Sehnsucht nach guten Markknochen handelt. 473
Die Nacht ist vorbei. Wir marschieren. Auf einmal singen Pfeile aus dem Dickicht, Geschrei ertönt. Es sind Indios, die einen Überfall wagen und sich den Hinterhalt so gut ausgesucht haben, daß einige von uns ins Gras beißen und andere verwundet werden, ehe wir die braune Bande verjagen können. Fortan marschieren wir in guter Seiten-, Vor- und Nachhutdeckung. Wir freuen uns alle auf den größeren Ort Santa Cruz*), weil er sicher nicht verlassen ist und wir da allerlei zu finden hoffen. Der Hunger wühlt in meinen Eingeweiden, aber da ich Raucher bin, gelingt es mir mittels einiger Pfeifen Tabak, dieses üble Gefühl zu dämpfen. Vorne ertönt Jubelgeschrei, die Schritte der Männer werden forscher, elastischer, manche schlagen einen kleinen Trab an. Ich sehe jetzt auch die Mauern und Dächer und, während mein Magen einen behaglichen Satz macht, Rauchwolken aufsteigen. Liebliche Herdfeuer, die auf uns warten. Dann brüllt einer vorne laut »Merde!«, und allerlei andere Flüche verschiedener Sprachen prasseln salvenweise. Es ist eine große Enttäuschung. Es brennen keine Herdfeuer in Santa Cruz, sondern die Häuser, weil ihre Bewohner sie rasch angezündet haben, ehe sie mit Sack und Pack in den Busch gingen. Wir löschen die Flammen und untersuchen das Nest aufs peinlichste, wühlen sogar den hartgestampften Lehmfußboden stellenweise auf. Und richtig, ein großer Vorrat starken peruanischen Weines wird gefunden. Auch ein paar der obligaten Katzen und dürrer Hunde. Jemand, der früher »Kammerjäger«, oder wie man's nennt, war, fängt über zwei Dutzend Maulwürfe und Scheermäuse, und durch einen zufälligen Musketentreffer ins Gebüsch wird eine grüne, sonderbar aussehende Eidechse, über einen Meter lang, zur Strecke gebracht. Die Negerführer lecken sich die Lippen und sagen, daß diese Tiere wahre kulinarische Kostbarkeiten seien! Ihr Name lautet Leguan oder Iguana! *) Heute »Las Cruces«.
474
Also rein damit in den Kessel, zu den Hunden, Katzen, Maulwürfen, Scheermäusen und Lederstückchen. Der peruanische Wein versickert im Handumdrehen, und bald nachher fängt ein fast allgemeines Massenvomitieren an, weil ja die meisten nichts oder fast nichts im Magen hatten und der Wein sehr stark ist. Morgan befürchtete schon, er wäre vergiftet, aber die Ärzte erklärten ihm die wirkliche Ursache der Erkrankung. Hungrig, verkatert und böser Laune, ziehen wir am nächsten Tag weiter. Der Urwald wird zu beiden Seiten des Saumpfades wieder dicht und undurchdringlich. Wir klimmen über Berge, überschreiten tiefe Sümpfe und Wasseradern an Furten. Bisher überfielen uns manchmal die indianischen Verbündeten der Dons, aber nun sind es diese selbst, die aus dem Dschungel wohlgezielte Musketenschüsse auf uns abgeben und sehr oft treffen. »Je mehr sie abmurksen, um so mehr Gold bleibt für uns andere übrig!« spricht einer grausig den furchtbaren Gedanken vieler laut aus. Der Dichter und griechische Zitatenfabrikant bekommt ein Stück spanisches Blei ins Gehirn. Ben erleidet einen leichten Streifschuß. Olivier ist sehr verbittert und stumm geworden, er leidet am Fieber und muß, wie alle Chirurgen, oft noch bis spät in die Nacht am Lagerfeuer Blessierte verbinden und Fiebernde zur Ader lassen. Tausendstimmig zirpen die Zikaden des Nachts, und am Tage hört man nur das Rauschen der Aasgeierschwingen. Neunter Tag. Die letzten Meilen sind nicht mehr so beschwerlich, das Gelände wird offener. Und Gott sei gepriesen! - als wir endlich aufatmend in die Busch- und Savannengegend kommen, erspähen wir eine ansehnliche Rinderherde, umzingeln sie und . . . Beefsteaks, Menudo (aus Eingeweiden), Lendenbraten, Markknochen - in Summa, von den Tieren bleibt außer den Skeletten, Haut und Hörnern kaum etwas übrig. Wir gewinnen neue Kräfte und gute Laune und marschieren noch einige Meilen. Auf ein475
mal peitscht ein gewaltiger Schrei zum Himmel, bricht immer wieder von neuem aus. Denn da vorne, o dort, gar nicht mehr weit, strahlt grell dunkelblau eine endlose Fläche. Der Pazifische Ozean. In geordneten Heersäulen ziehen wir weiter, der untergehenden Sonne und dem Meer entgegen. Und jetzt sinkt der Feuerball ins Tintenrot des Stillen Ozeans, und dort, ja, dort glänzt es auf Dächern, Kuppeln und Türmen, auf Mauern, Gärten, Schiffsmasten, Spieren und kleinen Inselchen. Panama! Panama! Der Stapelplatz sagenhafter Reichtümer, die Stadt mit siebentausend Häusern, mit vielen Palästen und Kasernen. Panama! Da ruht es im Sonnenuntergang wie die Perle in der Muschel, nach der wir nur die Hand auszustrecken brauchen. Auf einem Hügel schlagen wir Lager auf und betrachten immer wieder das herrliche Panorama. Schwenken Hüte, Helme und Mützen, schießen Musketen ab, lachen, umarmen einander und singen laut. Morgan steht im letzten Glanz der sinkenden Sonne, goldumflossen, und weist mit der Hand auf die Stadt. Sinkt dann in die Knie, mit ihm seine zuverlässigen Männer aus Devon, Cornwall und Wales, und danken Gott, daß er unsern Weg geleitet! Etliche Tollköpfe stoßen sich gegenseitig in die Rippen - sie mochten wohl anstatt Gott dem Satan danken -, aber keiner wagt es, laut zu höhnen. Freund Esquemelin zieht sein fiebergelbes, ausgemergeltes Gesicht in finstere Falten. Eine Abteilung steigt vom Hügel und treibt eine der zahlreich ringsum weidenden Ochsenherden herbei. Beim Sternenschimmer werden die Tiere geschlachtet, abermals füllen wir uns die Bäuche mit gutem Fleisch. Flüsternd sitzen die Anführer bei Morgan ums Feuer. Ich liege auf dem Rücken und schaue auf die winkenden goldenen Sterne an der sammetblauen Himmelsdecke. Eine kühle Seebrise fächelt meine Schläfe, raschelt im dürren Gras. Geheimnisvoll zärtlich murmelt der Ozean. Da rufen die Posten Alarm! Und rasch ist alles auf den Beinen, 476
greift zu den Waffen. Wir starren in die goldhelle, blau versponnene, sanfte Nacht, spähen nach einem Reiterhaufen, der donnernd heransprengt und am Fuße des Hügels haltmacht. »Schießt nicht, Maaten, sie sind zu weit weg!« hallt Morgans tiefe Stimme. Unten schmettern Trompetenstöße, dann rufen die Dons deutlich durch die Nacht: »Wartet nur! Malditos perros! Mañana nos veremos! Schlechte Hunde! Morgen sehen wir uns!« und reiten wieder davon, verfolgt von unsern brausenden Lachsalven. Plötzlich donnert ein einzelner Kanonenschuß in der Stadt. Ein zweiter und noch mehr, und dann dröhnen Dutzende Geschütze dort unten in dem schimmernden Häusermeer. Deutlich erkennt man das Aufzucken der Mündungsfeuer. Ohne Pause schießen sie, und die Echos wandern in langen Schwingungen über die Savanne. Wo die Kugeln hinfallen, weiß nur der liebe Gott. Denn in unsere Nähe mitnichten. Die meisten von uns gehen schlafen, den Schnappsack oder die Munitionstasche unter dem Haupt, als Zudecke den Sternenhimmel. Und Kanonengebrüll dröhnt uns das Schlummerlied. Tag. Golden steigt die Sonne empor. Bei uns rollen Trommeln, blasen ein paar verbogene, grünspanige Trompeten. Jeder rüstet sich zum Waffengang. Von der Stadt her klingt die Claironreveille, silberne und goldene Noten, die heranschweben und langsam tönend und wispernd in der Ferne vertropfen. Wie wunderschön diese Stadt gelegen ist! Und wie reich muß sie sein und wie zufrieden die Einwohner! Verwandelt nicht eben der Sonnenschein die Kathedralen und Palastdächer in pures Edelmetall, das winkt und lockt? Piraten spucken sich in die schwieligen Hände. Hier und dort schleift noch einer seinen Cutlaß. Andere examinieren die Primung der Pistolen und Musketen. Die Anführer überzeugen sich, daß die Zündschnüre der Handgranaten trocken sind und daß die Feuerzeuge gute Funken auf Stahl und Stein geben. Unsere Verluste von unterwegs abgerechnet, sind wir immer noch tausend Mann, allerdings viele Entkräftete und Fiebernde dabei. 477
Die Übermacht der Dons wartet. Glitzernde Heerhaufen mit bunten Bannern, Reitermassen, so sind sie vor der Stadt aufmarschiert, und es sieht prachtvoll aus. Wie wir genau wissen: zweitausend Fußsoldaten, etliche Hunderte Indios und vierhundert gut ausgerüstete, berittene Dragoner. Ihre Fahnen und Feldzeichen schimmern in allen Farben, die Piken glitzern. Soeben stellt die Artillerie das nutzlose Feuer auf uns ein. Als wir langsam nähermarschieren, sehen wir seitwärts eine riesige, von Indios und Hunden bewachte, wimmelnde Rinderherde. Ihre Schwänze peitschen durch die Luft, die Hörner zucken hin und her. Ein paar Neger schwingen Lassos. Drei Haufen bilden wir. Und jeder einzelne weiß, wie so oft schon in seinem wilden Bukanierleben: es gilt zu siegen oder zu sterben - wenn man nicht nachher baumeln will. Unsere Scharfschützen schwärmen in langer Linie voraus, halten unten am Fuß des Hügels. Und jetzt setzt sich die funkelnde spanische Kavallerie in Trab. Dann Galopp und ventre-à-terre. »Viva el rey!« schreien sie, und gewitterartig donnern die Hufe. Orangegelbe Staubwolken wirbeln empor. Bedächtig knien unsre Musketiere, nun gibt das erste Hundert Feuer. Es geht kein Schuß fehl! In Haufen stürzen Pferde, und blanke Reiter fliegen aus den hohen Sätteln. Sie weichen, formieren sich in einiger Entfernung von neuem und brausen mit geschwungenen Säbeln heran. Eine neue Salve, und wieder stockt der prachtvolle Angriff der Reiter. Mit den Scharfschützen als Vorhut bewegen wir uns langsam weiter, bis die tapferen Jinetes zum dritten Male angaloppieren, aber plötzlich in einem Sumpf, den sie durchqueren wollen (kennen denn die Dons ihr eigenes Gelände nicht oder sind sie so verrückt siegesbewußt?), größtenteils steckenbleiben, wo sie mühelos von uns abgeknallt werden. Einige Dutzende, die durchbrechen und auf die Musketiere losdonnern, erleben, wie unter Gelächter und Hurrageschrei sich unsere Kette weit öffnet. Auf ihren halbtollen Pferden rasen die Reiter durch die Lücken, geraten in unser Gros. Sie haben Tränen in den Augen, schreien 478
wild »Caracho« und »Perros«, und Trauben von Bukaniern hängen an ihren Zügeln und Sätteln, an ihren Beinen. Andere schwingen sich hinter den Dragonern aufs Pferd, erdolchen sie oder fangen sie lebendig. Die stolze Reitermacht von Panama existiert nicht mehr. Während einer knappen Dreiviertelstunde hat sich ihr Schicksal entschieden. Geschrei, Pfiffe und der bekannte Ruf der Vaqueros »Fuera! Fuera!« ertönen, und allmählich erst, dann aber in kompakter Masse rasen fünfhundert vor Angst und Zorn wilde Stiere auf uns los. Auch sie werden mit lautem Hussa und Lachen empfangen. Unsere Trommeln rollen unablässig, die Trompeter blasen, daß ihre Gesichter blau anlaufen, Handgranaten und Schwefeltöpfe platzen unter der heranstürmenden Phalanx. Ihre Masse verteilt sich, spritzt auseinander, macht kehrt, rennt in die spanischen Reihen. Eine Anzahl der brüllenden Tiere, deren Augen rötlich funkeln, fegt aber dennoch zwischen uns, und Morgans Fähnrich, ein riesenlanger Bursche, der das St. Georgsbanner trägt, kommt fast unter die trampelnden Hufe. Erhebt sich wie durch ein Wunder unverletzt und angelt fluchend nach seiner Fahne, die sekundenlang quer über dem Rücken eines bockenden Ochsen hing. Morgan lacht. Die gefangenen Dragoner reißen hysterisch an den eigenen Schnurrbärten, ballen die Fäuste, andere küssen Reliquien, die sie am Halse tragen. Ein lebhaftes Feuergefecht entwickelt sich, wogt hin und her ohne großen Erfolg für beide kämpfenden Parteien. Verbissen und wütend schlagen sich die Dons. Die Schlacht löst sich in einzelne Scharmützel auf. Viele Aasgeier kreisen über der Savanne. Ochsen rennen in seltsamen Sprüngen hin und her. Kirchenglocken bimmeln dünn und kläglich. Es ist mir klar, daß uns noch allerlei erwartet und Fortunas Würfel noch nicht endgültig gefallen sind. Schon dauert das Feuergefecht drei Stunden, flackert immer 479
wieder auf. Die Verluste der Spanier sind beträchtlich. (Wie ich nachher erfahre, lagen über sechshundert tote Soldaten auf der Walstatt von Panama.) Immer noch sind uns die Verteidiger weit überlegen, und sie ziehen sich erst langsam in die Stadt zurück, als ihnen die Munition ausgeht. Der neuntägige Hungermarsch hat uns körperlich sehr geschwächt, und deshalb nehmen wir die Verfolgung der Spanier, deren Rückzug an vielen Stellen plötzlich in panische Flucht übergeht, noch nicht auf. Wir können nicht mehr, sind erschöpft und ausgepumpt. Viele Bukanier bedecken tot oder verwundet das Feld. Keuchend sitzen oder liegen wir im dürren Grase. Bald beginnen Scherzreden von Mann zu Mann zu fliegen. Die Zähigkeit dieser Leute ist bewundernswert. Nach einer Stunde gellen die Quartiermeisterpfeifen, Trommeln rasseln, Trompeten schmettern, und wieder setzen wir uns in Marsch. Wir werden von den teilweise sich ermannenden Dons mit heißem Feuer empfangen. Die Geschütze krachen wieder pausenlos. Rauchwolken lagern sich auf Vorstadt und Savanne. Und dann sinkt die Nacht herab, und es herrscht Waffenruhe. Nur einige Musketen knattern hartnäckig weiter und die donnernden Kanonen, deren Projektile eine halbe Meile hinter uns in der Savanne die Viehherden erschrecken. Wir lagern und laben uns an frischen Steaks, Rippenstücken und Markknochen. Ich suche Olivier, kann ihn nirgends finden, bis ich höre, daß er auf einem Verbandsplatz tätig ist. Da will ich ihn nicht stören. Ja, wir haben zahlreiche Verluste. Langsam und unruhig verstreicht die Tropennacht. Panama schimmert rosig im Licht der aufgehenden Sonne. Die Stadt ist von einem niederen, nicht sonderlich hindernden Wall umgeben. Morgan führt uns bis an den Saumpfad von Puerto Bello, der hier mündet. An dieser Stelle ist der Wall am niedrigsten. Mit lautem Gebrüll, angeführt von Morgan und dem St. Georgs480
banner, machen wir einen plötzlichen Vorstoß und sind ebenso plötzlich und unerwartet in der Stadt! Straßenkämpfe entwickeln sich. Kartätschen schlagen in unsere Reihen, aus Fensteröffnungen krachen Musketen, von flachen Dächern und Gartenmauern schütten sie uns heißes Wasser, brennenden Schwefel und flackerndes Pech auf die Köpfe. Sie werfen sogar mit Steinen. Der anfangs frohgemute Elan der Unsern verwandelt sich in besessene Wut. Straße nach Straße wird erobert. Rauch wallt. Geschrei, Gelächter, schrilles Kreischen und ununterbrochene Kirchenglockenklänge. Die Cutlasse verrichten furchtbare Arbeit. Langsam schläft das Kampfgetümmel ein, stärker werden Wimmern und Weinen, Gebete und Jubelrufe. Türen schmettern, gehetzte Frauen bitten um Pardon, Fässer, die man auf die Straße holte, poltern und rollen dumpf. Wein fließt aus schäumenden Spunden in untergehaltene Helme und Becher. Die Anführer galoppieren auf requirierten Rossen einher, mahnen zur Ruhe und Besonnenheit. Patrouillen marschieren, Gefangene werden vorbeigetrieben, Gesang schallt aus vollen Kehlen, und einzelne Bukanier, mit Geschmeiden und Goldketten in blutigen Händen, torkeln jubelnd aus den Häusern. Herrenlose Pferde und Esel poltern durch die Straßen, und ununterbrochen läuten die Glocken von Panama den Untergang der Goldenen Stadt ein. Über dem Stadthaus weht das St. Georgsbanner, und die Sonne steht hoch im Zenit. Tote liegen herum, Aasgeier hüpfen schwerfällig im Staub oder sitzen in dunklen, ruckenden Ketten auf den Mauern. Und ganz langsam schwillt das Getöse ab, wird zu einem Summen und Murmeln, durch das der Jubel der Piraten klingt und die ehernen Glockentöne hämmern. Doch kommen wir nicht zur Ruhe. Kaum haben wir uns notdürftig erfrischt, als - es will Abend werden - das Getümmel wieder losgeht. Viele von uns sind schwer enttäuscht. Denn der Königsschatz, dann der weltberühmte, massivgoldene Altar von San José, die unermeßlichen Kirchenschätze und die besten Wertsachen der Vornehmen samt ihren Besitzern und die Klo481
sternonnen und Mönche sind unserm Zugriff entronnen. Gewarnt durch Flüchtlinge von San Lorenzo, hat der Gouverneur alles Ebenerwähnte auf eine Karavelle bringen lassen, die schon am frühen Morgen in See stach, mit Kurs auf Peru. Und dennoch: nicht alles kann geborgen werden, und es bleibt viel in der Stadt liegen, wo es in letzter Minute in schlechten Verstecken untergebracht wurde. Und mit diesen meinen Augen sehe ich Brunnenschächte bis zum Rand voll Goldmünzen! Sehe ganze Stapel Silberbarren, Kisten voll Perlen und Edelsteinen und Häute voll Pieces of eight, ganz zu schweigen von dem massiven Silbergeschirr und Goldpokalen in einzelnen Palästen. Ungeheuer sind die Schätze immer noch, aber daß es, wie der gute Esquemelin später im Fieberwahn schrieb, allein an Pieces of eight über zwölf Millionen seien, stimmt nicht. Bei weitem nicht. Nachher, als die Beute am Rio Chagres ehrlich geteilt wurde, kamen nur zweihundert Pieces of eight auf den Mann, also ein miserabler Anteil für die rund vierzehnhundert Mann, die von uns übrigblieben. Doch davon später! Ich sage, die Beute ist sehr groß auf den ersten Blick. Und noch größer der Suff und der Blutdurst jener Bukanier, die hinter Morgans Rücken die scheußlichsten Teufelsstreiche aushecken. Disziplin herrscht keine mehr, mit wenigen Ausnahmen. Und all dies am ersten Tag, am Nachmittag unseres Einzugs! Wieder kommt die Nacht. Morgan und seine besten Freunde halten Gottesdienst in der Kathedrale. Und die Dons, die draußen vor der Stadt oder auf den ankernden Schiffen Geschütze in Sicherheit gebracht haben mögen, fangen eine kleine Schießerei an. Eine Bombe kracht durch das Dach und platzt im Kirchenschiff. Alles hat sich beim ersten Anzeichen hingeworfen und Deckung gesucht, aber es gibt doch einige Tote und Verletzte. Morgan selbst ist kein Haar gekrümmt worden. Ja, es kommt diese erste Nacht von Panama, der Goldstadt, in der wir der Ruhe pflegen wollen. Plötzlich mehren sich die Rufe: »Feurio, Feurio!«, und immer heller, immer grausiger und röter wird der Schein, der aus verschiedenen Stadtteilen zum Himmel bleckt. Bukanier rennen mit Bündeln und Plunder beladen laut 482
fluchend oder besoffen singend durch die Straßen. Frauen, Kinder und alte Männer folgen. Überall flammt es auf, Rauch senkt sich in dichten Wolken herab, Funken und Asche wirbeln durch die heiße Luft. Spanische Patrioten - es heißt aber auch, entkommene Sklaven, die auf die Dons erzürnt sind, seien es gewesen - haben ihre eigene wunderschöne Stadt an allen Ecken angezündet. Die Seebrise facht den Brand an, alle Löschversuche sind vergeblich. Dichter werden die Funkenschwärme, höher die Flammenzungen, schwärzer der Rauch und lauter das Prasseln und Fauchen. Stürzende Balken krachen, einfallende Dachstühle dröhnen, und dieses ganze Getöse mischt sich mit Kommandorufen, Trommelklang, Trompetenstößen und dem Geschrei der abziehenden Bukanier und Einwohner. Denn in Panama ist keines Bleibens mehr. Diese schöne Stadt bildet ein einziges Rauch- und Flammenmeer, in das die Tauben sich selbstmörderisch stürzen. Von der Savanne aus betrachten wir das grausig-schöne Schauspiel, das die ganze Nacht, den folgenden Tag und noch eine Nacht dauert. Erst dann kann man sich wieder vorsichtig den glühenden, schwelenden, aschebedeckten Resten und Ruinen nähern. Fast siebentausend Häuser, zahlreiche Paläste und Kirchen wurden vernichtet, bilden einen glimmenden, rauchenden Trümmerhaufen, in dem Einwohner und Bukanier nach Schätzen herumstochern. Ein befreiter Negersklave, der früher auf spanischen Schiffen fuhr, läßt sich bei Morgan melden und beschwört ihn, schleunigst eine der vielen im Hafen liegenden Schaluppen zu bemannen. Noch könne man die Karavelle mit dem Königsschatz, dem goldenen Altar und andern fabelhaften Reichtümern bequem einholen, weil sie erst diesen Morgen von einem Inselversteck aus in See gestochen sei. Sofort bemannt Morgan die größte Schaluppe mit sechzig Schlagtotbrüdern und Galgenkandidaten unter dem Befehl von »Einauge.« 483
Nun geschieht folgendes: In der Bucht von Panama liegt eine Anzahl teils recht hübscher Inselchen mit kleinen, versteckten Landhäusern und Lustpavillons. Einauge kreuzt erst zwischen diesen Eilanden und findet in einer kleinen Bucht vor einer der Inseln eine versteckte spanische Schaluppe, auf der ein paar vornehme Dons sind. Die Folterung erpreßt aus ihnen das Geständnis, daß das Schiff mit dem Schatz wirklich erst am Morgen ausgefahren ist. Und ferner: daß auf die Insel sich eine Menge vornehmer Damen und junger Frauen salviert hätten. Alle, die ein Boot rudern konnten oder des Schwimmens kundig waren, hatten ihr Glück in der Bucht versucht, während wir durch das Puerto-Bello-Tor einzogen. Und es waren wirklich sehr hübsche Doñas und Muchachas auf dem Inselchen. Einauge hält Rat mit seinen Kumpanen. Der Durst nach Gold (in diesem Fall dem zweifelhaften Schatz auf dem unendlichen Ozean) hält sich im Leben dieser an Entbehrungen gewöhnten Schufte ungefähr die Waage mit der Gier nach Sprit und last not least: nach Frauen. Anstatt nun Morgans Befehl auszuführen und sich zur Jagd auf das Meer zu begeben, wo sie höchstwahrscheinlich die goldesschwere Karavelle eingeholt hätten, gehen diese Söhne der Finsternis erst mal auf die Insel. Nicht ohne daß sie eine erhebliche Anzahl voller Wein- und Rumfässer ebenfalls an Land transportierten. Und finden die Doñas, ergreifen sie mit Gewalt - die nicht bei allen anzuwenden nötig ist - verlustieren sich an ihnen und mit ihnen, saufen, randalieren und duellieren sich, treiben Sodom und Gomorrha Tag und Nacht, bis ein tapferes Mädchen - als der Wein ausgegangen ist und die Piraten laut schnarchen die Haie riskiert und nach der Stadt hinüberschwimmt, sich vor Morgan führen läßt und die Geschichte berichtet. Bradley fährt sofort mit seinen Leuten hinüber und bringt die Frauen zurück. Was aus Einauge und seinen Genossen wurde, darüber will Bradley sich nicht äußern. Kein Mensch hat sie je wiedergesehen. Und ich vermute, daß ihr verdientes Ende höllisch war. 484
Morgan hat einige im Hafen liegende Schiffe bemannt und hinter dem Schatzschiff hergeschickt. Es ist aber bereits zu spät. Sie kehren unverrichteter Dinge zurück, haben jedoch ein paar hübsche Prisen auf diesem verkehrsreichen Stillen Ozean geentert und bringen eintausend Pieces of eight binnen. Fleißig stochert man in den Trümmern nach Schätzen und findet so manches. Auch bringen Streifzüge in die Umgebung reiche Beute ein. Für die Nahrungsbeschaffung werden die befreiten Sklaven - soweit sie nicht entronnen sind - eingesetzt. Es wimmelt auf den Savannen von Vieh- und Maultierherden, aber Gemüse, Früchte, Mehl usw. werden knapp. Ich bringe jeden Tag viele Stunden bei Esquemelin zu, er hat das Fieber und erkennt mich erst gar nicht. Als der Sawbones ihn gerade zum drittenmal am gleichen Tag zur Ader lassen will, um das Fieber zu senken, und ihn damit wahrscheinlich indirekt ermorden würde, gebe ich dem Medizinmann einen Schlag hinters linke Ohr, daß er umkippt. Und jage ihn, als er sich fluchend aufrappelt, mit blankem Cutlaß aus dem Zelt. Eine alte Indiohexe, die ich aufgetrieben und mir durch eine goldene Halskette geneigt gemacht, braut einen Tee für Olivier, und gleich nachher wird er ruhiger, sinkt in den langen stillen, Schlaf der Genesung. Die paar noch erhaltenen oder nicht ganz zerstörten Häuser werden den spanischen Frauen zur Verfügung gestellt, und da jeder Durchschnittsbukanier von Haus aus ein großer Schürzenjäger ist, erhebt niemand Einspruch. Sie - ich meine die Bukanier - schenken sogar den besonders hübschen und jüngsten der Spanierinnen Geschmeide und Armbänder zurück. Ja, wir sind Kavaliere! Morgan gewährt einer wunderschönen Doña aus vornehmem Geschlecht Schutz und Gastfreundschaft. Es heißt auch, als er sie neulich in Weinlaune küssen wollte, habe sie einen Dolch aus dem Busenlatz gezogen und gedroht, sich zu töten, wenn er nicht die Finger von ihr lasse. Jedenfalls hat diese entzückende, stolze Dame unsern Alten tüchtig am Gängelband und unterm Pantoffel, und ich fürchte, daß er gar nicht viel davon profitiert. 485
Im allgemeinen langweilt's mich in Panama. Denn es gibt ja kein Panama mehr, nur einen wüsten Trümmerhaufen, und anstatt in seidenen Bettüchern zu schlafen, habe ich eine Hängematte zwischen zwei Dattelpalmen gespannt und hause primitiv. Finde auch fast keine Bücher, weil alles verbrannte. Die Lebensmittel werden mittlerweile ziemlich knapp, und die Bevölkerung beginnt Not zu leiden. Es heißt, daß wir sehr bald nach der Chagresmündung zurückmarschieren werden. Hundert Niederländer, die davon hörten, wollen nicht mit. Sie haben den netten Plan gefaßt, eines der im Hafen liegenden leeren spanischen Schiffe zu bemannen und in der Südsee Seeraub zu treiben. Später, wenn sie genügend Gold haben, wollen sie dann durch die Magelhaesstraße ums Kap Horn oder auch über Ostindien ums Kap der Guten Hoffnung heimfahren. Morgan bekommt aber Wind von der Sache, und in der letzten Nacht haben unsere Zimmerleute sämtliche Masten der Schiffe gekappt. Maulesel werden requiriert, Packsättel gesucht oder fabriziert, Riemenwerk geflochten und Lederkoffer für den Gemeinschatz genäht. Alle größeren Gegenstände wie Pokale, Silbergeschirr und dergleichen werden in Stücke geschlagen, damit sie nicht soviel Platz brauchen. 24. Februar Anno Domini 1671. Aufbruch von Panama. Auf hundertfünfundsiebzig Maulesel werden der Proviant und der Schatz verladen. Die Zivilgefangenen werden sämlich entlassen, doch will man die gefangenen Soldaten mitnehmen, um sie von Jamaica aus gegen gefangene Briten auszutauschen. Es sind deren sechshundertunddrei. Damit sie nicht unterwegs entspringen, erhalten sie leichte Fesseln, sind an Sklavenketten aufgereiht wie Zwiebeln an der Schnur. Ihre Frauen und Kinder heulen und schreien entsetzlich, werfen sich vor Morgan auf die Knie und erbitten die Freilassung ihrer Ernährer. Ernst erinnert er sie an die Opfer der Inquisition und sagt, im übrigen werde es den prisonniers gut gehen und sie würden sicher bald heimkommen. Ein paar Frauen und Ninos stolpern noch stundenlang an der 486
Flanke unseres Zuges mit, ehe sie entkräftet zurückfallen. Mir blutet das Herz, und ich möchte um nichts in der Welt ein verantwortlicher Anführer sein. Denn so etwas ist mit Tränen, die sich unvergeßlich ins Gemüt eingraben, verbunden. Morgans Freundin, Herrin oder Schützling (der Kuckuck weiß die Wahrheit), jene schöne, stolze Doña, begleitet uns ein Stück Weges. Dann verabschiedet sie sich von ihm, der ihr die Hand küßt. Mit ihren zwei Beichtvätern im Kielwasser reitet sie auf ihrer weißen Mula nach der Stadt zurück. Am zweiten Tag aber kommen die Padres wieder angeritten und begleiten einen kleinen Maultierzug, der pieces of eight geladen hat. Unsere Burschen schreien vor Freude, als sie von dem Inhalt der Ledersäcke erfahren. Daraufhin läßt Morgan sämtliche spanischen Gefangenen, nachdem sie vor Gott und den Priestern geschworen haben, nie wieder tätig gegen England zu kämpfen, frei. Barbacoas. Ein Ort am Chagres, ehe man nach San Lorenzo kommt. Wir lagern in den leeren Häusern und kochen ab. Nachher schrillen die Quartiermeisterspfeifen, und alles tritt in dichten, ungeordneten Haufen an. In der Mitte steht Morgan auf einem Packsattel und spricht: »Maaten, nach gutem, altem Küstenbruderbrauch, den wir nicht abschaffen wollen, werden wir nun schwören, daß jeder einzelne die gefundenen Wertsachen in den Gesamthort tut und nichts heimlich im Schnappsack oder der Tasche behält. »Wir schwören!« brüllen lustig alle und recken die Finger hoch. Und ich finde es sehr amüsant, daß im gleichen Moment einem der eifrigsten und ernsthaftesten Schreier in der Vorderfront eine dicke Goldkette aus der Hosentasche fällt. Nun fluchen und lachen die andern, und er stottert, daß die Kette ein »Andenken an seine Mutter« sei. Bradley gibt ihm gutgelaunt eine hinters Ohr. »Also wird jeder einzelne von uns sich bis aufs Hemd entkleiden und sein Gepäck öffnen und durchsuchen lassen. Denn ich kenne euch Jungen, ihr seid gute Schläger und Trinker und Seeleute, aber ein falscher Schwur ist für euch nicht unbequemer als eine Ration Rum!« lacht Morgan. 487
»Oho! Nom de Dieu! das leiden wir nicht. Es geht gegen unsere Ehre!« schreien ein paar Franzosen. Und sagen auch, daß solches mitnichten in der »Chassepartie«, wie sie neuerdings die »Artikel« in ihrer Sprachen nennen, stünde. Die Anführer aber und die meisten Briten und Niederländer überstimmen diese Markknochenliebhaber. Also ziehen wir uns aus, stehen splitternackt in der heißen Sonne, die Waffen zur Hand gegen etwaige Überfälle. Eigens ernannte und vereidigte Kommissionen prüfen nun Gepäck und Klamotten. Ja, sogar in Musketen- und Pistolenläufe gucken sie, und ich übertreibe nicht - jedem einzelnen wird in die Nasenlöcher, Ohren und in den Mund gepeilt, ob verborgene Edelsteine oder Perlen drin seien. Laßt mich, liebwertester Leser, schweigen über das weitere, denn es war keiner, ob Brite, Franzose, Niederländer oder Skandinavier, der nicht eine kleine, nette Privatschatzkammer an sich verborgen gehabt hätte. Alles dies wird unter dem Gebrumm der bisherigen Eigentümer, die laut auf Morgan fluchen, zum Gemeinschaftsgut getan. Einer aber brüllt, daß der Generalissimo ja selber eine feine Goldkette um den Hals trüge. Nun weiß aber fast jeder, daß Morgan dieses Schmuckstück schon auf Jamaica besessen hat. Schweigend geht er hin und wirft klingend die Kette auf den Haufen, und es wird still in der Runde . . . San Lorenzo. Musik und Kanonenschüsse empfangen uns. Die Lebensmittel im Fort sind knapp geworden, deshalb haben die Burschen, während wir in Panama waren, eine Fahrt auf das Meer unternommen und verschiedene spanische Prisen eingebracht. Ein Erzählen, Fluchen, Lachen und Prahlen summt durch die Kasematten und über die Wälle. Hoch oben am dunkelblauen Himmel segelt die Mondbarke wunderbar dahin. Olivier bekommt wieder Fieber. Er müßte schleunigst nach der Tortuga in ein besseres Klima. Sawbones ist auch für die Seereise, die den Patienten aufbrassen würde. Ja, es ist keine gesunde Luft auf diesem Isthmus! In San Lorenzo sind schon über dreißig Mann an Schüttelfrost eingegangen, und 488
weitere liegen zähneklappernd in ihren Hängematten. Ich glaube kaum, daß das fortwährende Zur-Ader-Lassen gut ist, es senkt zwar das Fieber, weil man Blut verliert, untergräbt aber die Widerstandskraft. Zweiter Tag seit unserer Rückkehr. Der Schatz aus Pieces of eight, Eskudos, Gold- und Silberbarren, Ketten, Geschmeide und Edelmetallgeschirr glänzt in der Sonne vor der Kommandantur. Es ist ein riesiger Haufen. Aber wir sind gar viele. Und es wird geteilt. Zuerst die Geldsorten, was ziemlich rasch geht. Dann wird gewogen und geschätzt und gerechnet und geflucht und gestritten und oh, immer wieder geflucht. Und wie ich schon geschrieben habe, schließlich wird der Haufen immer kleiner, und endgültig kommen, genau nach den Artikeln geteilt, nachdem die Prozente für die Ausrüster und Kredite beiseitegesetzt, auf den gewöhnlichen Mann, zweihundert Pieces of eight oder Dinge, die den gleichen Wert haben. Verdammt schäbig nach soviel Mühe und Gefahr. Das finden alle und geben ihrer Meinung laut Ausdruck. Ein paar sind schnell zur Hand, indem sie Morgan des Betrugs beschuldigen. Da blitzt er mit den Meeresaugen in die Runde, und beschämt schweigend die Krakeeler. Finster geht er in die Kommandantur. Sie reden hin und her, und schließlich schicken sie ihm eine Abordnung nach. »Nun, boys, was wollt ihr?« fragt er wieder gutgelaunt. »Käpten Henry Morgan, du hast uns betrogen. Du hast mindestens zwei Drittel für dich und deine Offiziere beiseitegeschafft!« sagt der kleine krummbeinige Sprecher dreist. »Go out! Raus mit dir!« brüllt Morgan mit entsetzlicher Stimme, und seine Schläfenadern schwellen zu Strängen. Trotzig bleibt der Krummbeinige stehen und spricht: »Mannschaftsrat, Käpten! Die Mannschaft hat beschlossen, daß du . . .« »Bist du noch nicht draußen? Raus!« donnert Morgan, und seine Rechte spielt mit dem Pistolenkolben. Da saust jener rasch ins Freie und läßt sich nicht mehr blicken. Ein ungeheurer Radau schwillt draußen an. In vier Sprachen 489
schreien die Bukanier durcheinander, gestikulieren, springen umher. Schießen ihre Pistolen ab und zücken die Cutlasse. Viele rufen: »Nieder mit Morgan!« . . . Wir aber stehen und warten, halten unsere Pistolen in Händen und nach alter Art den Dolch zwischen den Zähnen. Die Lage ist verflucht ernst und gänzlich verfahren. Eine neue Abordnung kommt, aber ehe sie das Maul aufsperren können, jagt Morgan sie mit Fußtritten hinaus, schickt dann seine Offiziere hinterher, um mit den Wahnsinnigen zu verhandeln. Jedoch wird keine Einigung erzielt, und den ganzen Tag geht das Geschrei dort draußen auf den Wällen hin und her. Am Abend kommt Bradley, der auf Kundschaft gegangen, zurück. »Henry! Eine blutige Meuterei steht dicht vor dem Ausbruch. Die Kerle sind vom Teufel besessen und behaupten steif und fest, du hättest sie bestohlen.« »Wahrscheinlich habe ich die Sachen durch die Luft nach Port Royal gezaubert«, entgegnet Morgan. »Henry, die Lage ist ernst, und es hat keinen Zweck mehr, den Kerlen Vernunft zu predigen. Und hier halten können wir uns auch nicht. Sie haben die Munitionskammern und die Geschütze besetzt und drehen bereits die Mündungen auf die Kommandantur. Ich schlage vor, daß wir, die wir hier stehen und zu dir halten - es sind immerhin fast zweihundert Mann - heute Nacht behutsam an Bord gehen und nach Port Royal segeln. Mögen diese Idioten, wenn sie zur Vernunft zurückgefunden haben, uns nachkommen oder sich hier gegenseitig die hohlen Köpfe einschlagen. Wenn wir bleiben, erleben wir alle keinen Sonnenaufgang mehr. Gegen die Übermacht können wir keine Stunde durchhalten, zumal sie die Geschütze haben. Flucht ist in diesem Falle keine Flucht, sondern Vernunft«, spricht Bradley eindringlich, und wir alle wissen, daß er recht hat und wir nur noch eine schmale Chance besitzen. Morgan brummt: »Gut! Bereitet alles vor. Die Kerle saufen jetzt gerade, hört nur den Radau, und ehe sie nicht ganz voll sind, greifen sie wohl kaum uns, ihre eigenen Freunde an. Aber es fällt mir schwer.« 490
Und so geschieht es. Heimlich nehme ich Abschied von Olivier, der bereits an Bord eines Tortugaseglers liegt. Auf dem Rückweg will mich ein besoffener Bukanier, der mich hartnäckig beschuldigt, ich hätte ihm einen Scheffel Diamanten gestohlen, umbringen. Ich versetze ihm eins. Doch geht alles glatt und reibungslos ab, denn jeder Mutter Sohn der Aufständischen hat sich so betrunken, daß sie überall schnarchend und bewußtlos herumliegen. Als die Sonne aufgeht, sind die »Ironhead« und die »Swan« auf hoher See. Wollt ihr wissen, was mein Anteil als Sekretarius war? Zweihundertundzwanzig Pieces of eight, nicht einen Maravedi mehr. Das war mein Part von der Beute aus Panama, der reichsten Stadt am Stillen Ozean und Ausgangspunkt der Goldstraße. Die in San Lorenzo zurückblieben, stritten sich noch einige Tage, da aber die Lebensmittel knapp wurden, stiegen sie endlich zu Schiff und fuhren heim, nach der Tortuga, Santo Domingo vor Cuba, Saint Croix und den Floridajardinillos oder wo sie sonst noch hergekommen. Und ganz Westindien spricht von dem Zug des Henry Morgan quer über den Isthmus nach der Goldenen Stadt am Stillen Ozean! Die Echos aber wehen weit übers Meer und Land bis in den Escorial und auch nach Sankt James, und dann eines Tages . . .
LONDON-TOWER ». . . Also bekennt Ihr, Mac Donald, >Bürger< der französischen Insel Tortuga, wie Ihr Euch zu nennen beliebt, und Sekretarius des Freibeuteradmirals Henry Morgan aus Glamorganshire in Wales, letztlich Bewohner der Insel Seiner Majestät - Gott segne und erhalte Sie - Jamaica, Euch der Piraterie für schuldig? Sprecht, Master Mac Donald, und befürchtet nichts, denn dies Gericht ist ein gerechtes und dient der Menschenwürde und der Pflicht, über Böses und Gutes zu entscheiden!« 491
Der Richter in roter Amtsrobe und weißer Perücke beendet seine Rede und greift nach der »Nosegay«, einem Blumensträußchen, das seine Lordschaft gegen die Ansteckung des üblen, oft pestartige Form annehmenden Gefängnisfiebers schützen soll. Und ich sage euch, wenn ihr denkt, daß dies wieder eine Tortuga- oder Port-Royal-Komödie sei: es ist blutiger Ernst, und die Verhandlung findet zu London an der Themse statt. Denn viel Zeit verrieselte in der Sanduhr der Ewigkeit, seit wir damals nach Port Royal zurücksegelten und mit Kanonendonner und Musik als Sieger empfangen wurden. Ich sitze schon drei Wochen in einem Gelaß (es gibt deren verteufelt schlechtere in diesem düstern Riesenkomplex, den man Tower nennt!) als quasi Staatsgefangener. Und antworte dem majestätischen Richter, der mir heut schon seit drei Stunden das Hemd vom Leibe fragt (so ging es jeden Tag), mit großer Ehrerbietung: »Nicht schuldig! Wenn Eure Lordschaft es mir erlauben, mit allem schuldigen Respekt dem Hohen Gerichtshof gegenüber, mich so auszudrücken!« Und mein Verteidiger, den die Krone gestellt, spricht: »Eure Lordschaft wollen bedenken, daß mein Mandant die besten Zeugnisse von Seiner Exzellenz Monsieur de la Place, weiland Gouverneur der Insel Tortuga, und von Sir Thomas Modyford, Gouverneur Seiner Majestät Kolonie Jamaica, vorweist!« »Sir Thomas steht selber unter Anklage und kann daher kein Zeugnis abgeben!« erwiderte mit schwerer Betonung der Richter. »Habt Ihr, Master Mac Donald, jeweils in Eurem bunten Dasein von der Tortuga aus Handelsschiffe Seiner britischen Majestät Gott segne und erhalte sie! - Untertanen gekapert oder genommen? Habt Ihr Siedlungen britischer Subjekte gebrandschatzt, Männer, Kinder ermordet und Frauen vergewaltigt? Habt Ihr solches französischen Schiffen oder Untertanen gegenüber getan? Habt Ihr mutwillig spanische Angehörige gepeinigt, ihre Häuser angezündet und spanische Seeleute über die Planke schreiten lassen? . . .« »Nein, niemals, Eure Lordschaft. Mein Dienst unter französi492
schen oder von ihrem Lande ausgestoßenen Tortugafreibeutern und auch unter Henry Morgan steht wahrheitsgetreu in meinen Tagebüchern zu lesen, die ich zu Nutz und Frommen und zur Abschreckung der Mit- und Nachwelt schrieb und die in Verwahrung des Hohen Gerichsthofs sind. Auch möchte ich mir erlauben zu sagen - halten zu Gnaden, Eure Lordschaft - daß, als Sir Thomas Modyford, der Gouverneur der Insel Jamaica, und mein Kapitän, der Admiral Henry Morgan, sich an Bord der Fregatte >Welcome< begeben mußten, um nach England gebracht zu werden, ich mich Kapitän Henry Morgan aus Anhänglichkeit und Gerechtigkeitssinn freiwillig anschloß!« »Und daß Master Mac Donald, Bürger der Tortuga, aber auch getreuer Untertan Seiner Majestät King Charles II. - Gott segne und erhalte ihn! - zu Unrecht im Tower einbehalten wird. Und daß die Anklage gegen ihn null und nichtig sei, solange er als Zeuge dient!« ruft mein geriebener Verteidiger. Seine Lordschaft begräbt wieder seine ansehnliche Nase - eine feine Galionsfigur, wenn es erlaubt ist, so zu schreiben - in dem Blumensträußlein, niest zweimal, worauf alle Beisitzer mit den Köpfen nicken, und spricht dann mit feinem Lächeln: »Eure sehr interessanten Tagebücher haben wir tunlichst gelesen und daraus den Eindruck gewonnen, daß Ihr ein ehrlicher, frommer, wenn auch zeitweilig unbändiger Mann seid. Auch hat der französische Attaché Marquis de Mantac im Namen Seiner Exzellenz Monsieur de la Place für Euch die allerbesten Gutachten abgegeben. Und wenn wir Euch im Tower Quartier geben - und kein schlechtes, wie ich hoffe! - so geschieht dies nur im Zuge gewisser außergewöhnlicher Vorsichtsmaßnahmen. Doch sprecht weiter und antwortet ehrlich, ohne Bange: ist es wahr, wie Don Pedro de Moraes y Catalante, der Vertreter Seiner spanischen Majestät am Hof von St. James, behauptet: Geschahen die Greueltaten, wie z. B. An-den-Beinen-Aufhängen, Gliederabschneiden, Feuertortur und andere unaussprechliche Schandtaten, die die Bukanier in Maracaibo, Puerto Bello, Panama und anderen Orten verübten, mit Willen und Wissen des Admirals Henry Morgan?« 493
»So wahr mir Gott helfe, Eure Lordschaft, nein! Nein und nein! Es handelte sich, wie Eure Lordschaft wissen mögen, teils um wilde unbotmäßige Burschen, die keinem Befehlshaber der Welt gehorchen würden, solange es nicht um ihren eigenen klingenden Vorteil geht. Und mein Käpten Morgan hat, wenn ihm solche in der Tat verübten Grausamkeiten zu Ohren kamen, stets unnachsichtig gehandelt und die Kulpanten erschießen oder aufknüpfen lassen. Auch war ich mehrmals Zeuge in Sir Thomas' Palast, wie der Gouverneur und Käpten Morgan es bedauerten, daß man noch die Piraten, unter denen aber auch anständige Leute sind, gebrauchen müßte, um Seiner Majestät Kolonien, die viel zu wenig Besatzung haben - und bei den Franzosen ist's ebenso - zu halten! Ohne die Bukanier wäre unter anderem auch Jamaica längst wieder im Besitze der Dons!« »Genug, Master Mac Donald, diese letzten Erklärungen stehen Euch nicht zu. Sagt nochmals kurz und bündig: Geschahen die Scheußlichkeiten mit Henry Morgans Willen?« »Nein, Eure Lordschaft !« »So tretet vor und schwört!« Auf einen Wink gehe ich an das Tischchen, auf dem Bibel und Kerze thronen, küsse das Heilige Buch, recke die Schwurfinger hoch und spreche dann mit lauter Stimme den Eid. »Das genügt. Eure persönliche Sache steht gut, und es wird Euch nichts geschehen. Habt Ihr Klage zu führen über schlechte Behandlung oder mangelnde Ernährung im Tower? Hat man Euch übel behandelt während der Reise auf der Fregatte >Welcome< von Port Royal nach Gravesend?« »Nein, Eure Lordschaft. Es mangelte mir an nichts im Tower, und auf Seiner Majestät Fregatte behandelte man uns drei als wohlgelittene Gäste! - Darf ich mir submissest eine Frage erlauben, Eure Lordschaft?« Ein paar der Beisitzer räuspern sich. Seine Lordschaft ziehen die Stirn in Falten: »Es ist nicht üblich, Fragen in dieser Art an den Gerichtshof zu stellen, doch da Ihr mehr Zeuge als Kulpant seid, so redet immerhin!« »Darf ich wissen, wie es meinem Käpten geht?« 494
»Solches werdet Ihr, Master Mac Donald, zu gegebener Zeit erfahren! Man geleite den Zeugen in sein Quartier!« Zwei Sheriffbeamte mit langen Stäben in den Händen führen mich hinaus. Mich friert. Die Londoner Luft ist kalt und feucht. Und der Tower ist noch feuchter. Unsere Schritte hallen durch die düsteren Gänge. Manchmal steht eine Wache da. Ein Bowstreetrunner kreuzt unseren Weg. Einige Beefeater marschieren vorbei. Es geht durch das »Tor des Verräters« über einen Hof, und mit neugierigem Grauen betrachte ich einen Fleck - er ist durch nichts gekennzeichnet wo schon seit vielen, vielen Jahren und auch zu unserer Zeit noch das Schafott für Staatsverräter aufgebaut wird. Und ich denke an Anne Boleyn, Jane Seymour, Raleigh, Stukeley, Babbington und viele andere, deren Blut hier bei Fackellicht im Morgengrauen spritzte, und deren Köpfe rollten. Mein Quartier ist nicht übel. Ein gutes Bett steht drin, ein Ohrenlehnsessel, Tisch und Truhe, ständig brennt ein Feuer im Kamin. Auch gab man mir mein Schreibzeug. Die Verpflegung ist vorzüglich, und ich bekomme jeden Abend ein Quart Ale, konnte mir auch für teures Geld vom Schließer eine Pulle Old Jamaica Rum echtester Blume besorgen lassen. Aber mich friert andauernd und ich habe eine unbändige Sehnsucht nach blauem Wasser an bunten warmen Gestaden, kurz nach meiner Tortuga. Zur Lektüre gab man mir eine große Bibel. Und es ist schon wahr, es ist das interessanteste Buch der Welt! Schlüssel rasseln. Die Tür geht auf, und Obadiah Temple, mein schlauer Verteidiger, tritt herein. »Hallo!« ruft er, geht händereibend ans Kaminfeuer und läßt seinen Achtersteven bestrahlen. Ich schenke zwei Gläschen voll, denn Obadiah Temple ist wirklich ein Kenner. Und wir zünden unsere Pfeifen an. »Mac, ich denke, daß man Sie in ein paar Tagen freiläßt. Ihre Sache steht gut, glänzend sogar!« »Und Morgan und Sir Thomas? Läßt man die auch frei?« »Sir Thomas und Käpten Henry Morgan wohnen seit ihrer An495
kunft auf britischem Boden in >White Heart's Inn< als freie Männer und machen ihre Aussagen vor Gericht als freie Männer!« »Caramba! Nom d'une pipe! Goddam, Mann, warum hat man mir das nicht gesagt? Ich dachte, sie säßen in einer andern Abteilung dieses netten Tower-Hotels!« Er lachte: »Ich durfte es Ihnen bisher nicht verraten. Aber denken Sie wirklich, daß Old England zwei Untertanen, die sich um die Kolonie so verdient gemacht, einsperren läßt? Pah! Eure Sache steht gut, sage ich. Und darauf wollen wir, wie es unter euch komischen Seeleuten heißt, einen hieven!« Ich fülle die Gläschen von neuem. Und dann plaudern wir noch ein Weilchen, ehe sich Obadiah Temple verabschiedet. Froh setze ich mich an den Kamin, rauche Pfeife und starre in die knisternden, bläulichen und gelben Flämmchen. Und bunte Bilder kommen und vergehen.
SIR HENRY MORGAN Seit zwei Tagen bin ich frei! Wohne auf Käpten Morgans Wunsch auch im »White Heart's Inn«, wo man viel Aufhebens von mir macht, und ich muß gestehen, daß die schweren Biere, kanarischer Sekt und Würzwein es in sich haben. Ein »warmer Tag«, was man hierzulande warm nennt! Ich habe Sir Thomas und den Käpten nach dem Justizpalast begleitet. Seit neun Uhr stehe ich inmitten einer beträchtlichen, über Morgans Taten schwatzenden Menge an den Stufen und warte. Eben schlägt es zwölf von der Westminster-Abtei. Big Ben auf St. Paul läutet, und überall stimmen die Kirchenglocken der Riesenstadt in das feierliche Konzert ein. Oben am Eingang entsteht Bewegung. Beamte rennen, stecken die Köpfe zusammen. Dann ein Schrei! »Die Verhandlung ist abgeschlossen. Glänzender Freispruch. Henry Morgan geadelt, wird vom King empfangen. Zum Leutnant-Gouverneur von Jamaica ernannt!« rufen Stimmen, und einzelne Zuschauer beglückwünschen einander. 496
Nun kommen sie. Eine Anzahl stolzer Herren mit Perücken und Zierdegen und in ihrer Mitte mit seinem alten Lachen, als wollte er sagen: »That's Morgan's way!« mein Käpten und Sir Thomas Modyford. »Cheers for Sir Henry Morgan!« schreit die Menge. Nach allen Seiten kommt er elastisch die Treppe herab, und die Leute gaffen, als er mich einfach gekleideten, braungebrannten Bukanier unterfaßt und schmunzelt: »Na, Mac, bald segeln wir zu deinen geliebten Palmen, Mulattinnen und Papageien zurück. Westward ho!« Alle Glocken läuten. Am Abend holen sie ihn zu einem Festessen bei einem einflußreichen Lord. Bradley, der schon einige Monate vor uns mit der »Ironhead« ankam und sich ins Privatleben zurückgezogen hat, ist auch unter den Gästen. Ich sitze in dem Parlour des »White Heart's Inn« zwischen vornehmen Bürgern und Kaufleuten und muß erzählen. Was mir gar nicht liegt, und ich halte mich wohlweislich, so gut ich's vermag, an meinen gewohnten Old Jamaica. Sir Henry - es fällt mir schwer, ihn nicht mehr einfach »Käpten« zu nennen, was aber der Leute wegen schlecht ginge, trotzdem er selber nichts dagegen hat - wird jeden Tag in irgendeinem Salon gefeiert. Der King hat ihn gnädig in St. James' empfangen. Bukaniertracht auf den Maskenbällen und Umzügen der Adeligen in Ranelagh wird zur Mode. Sir Thomas leidet an der Leber, er hat keine große Lust mehr, nach Westindien zurückzukehren, aber er muß es wohl, bis man einen geeigneten Nachfolger für ihn gefunden hat. Ja, London ist eine schöne, große und interessante Stadt. Eine Metropole voller Wunder! Aber der Lärm der zehntausend übers Pflaster rollenden Karren, das Geschrei und Fluchen der Lastträger, das ganze bunte Durcheinander und vor allem die Kälte behagen mir nicht. Und täglich frage ich Sir Henry, wann wir denn endlich in See stechen. Eines Tages bringt er ein dickes Buch in mein Zimmer, wirft es mit einem Krach auf den Tisch. »Dein Freund!« schimpft er. 497
Und ich sehe, daß es Alexandre Olivier Esquemelins in Amsterdam erschienenes Buch ist. Welche Freude, welche Überraschung, gepaart mit stillem, aber gutmütigem Neid! »Lies es, Mac, lies es, God's death, der Vent beleidigt mich, indem er schreibt, ich sei als obskurer, entlaufener Sklavenbengel in der Main aufgetaucht. Ich, Henry Morgan aus Llanrhimmy in Glamorganshire, wie jedes Kind und eine ganze Sippschaft bezeugen kann. Und noch andere Gemeinheiten schreibt der Nichtsnutz. - Weißt du davon, Mac?« »Nicht genau, Käpten - Sir Henry. Ich fürchte nur, daß er mancherlei im Fieber geschrieben hat!« »Ich habe schon den besten Advokaten beauftragt, ihm und seinem Verleger wegen Ehrabschneidung und Verleumdung den Prozeß zu machen. God's death, Mac, du wirst rüberfahren nach Amsterdam und dich der Sache widmen.« »Ich, Käpten? Um Himmels willen, was versteh' ich von den Rechtsverdrehern und solchen Sachen? !« klage ich betrübt. »Brauchst du nicht. Aber in Amsterdam sollst du meinem Vertreter auf die Finger peilen. Und möchtest du nicht deinen Freund wiedersehen?« »Liebend gerne, Käpten. Aber doch besser unter anderen Umständen.« »Es bleibt dabei, basta. Du fährst. Heute abend. Extrapost ist bereits bestellt, und einen Kreditbrief geb' ich dir mit. Packe dein Felleisen, alter Maat. 's ist nur 'ne kleine Fahrt!« »Ach, Käpten!« »Was fehlt dir, Alter?« »Wann segeln wir nach unseren Inseln?« Lachend klopft er mir auf die Schultern: »Wenn du vom Kontinent zurückkommst, Mac. Los jetzt!« »Zu Befehl, Sir Henry!« »Halt's Maul, alter Freund. Für dich bin ich immer noch Käpten Morgan. Doch ich muß jetzt auf einen Besuch zu Lady Pullworth. - Aber lies das Buch, lies es, sag' ich. Genau!«
498
DOVER-ROAD Und ich setze mich an den Kamin und blättere in Oliviers amüsanter Beschreibung unserer Fahrten und Taten von Bukaniern und Totschlägern, und ich muß sagen, Olivier hat manches verbockt. Ich habe ihn ja oft genug gewarnt, wenn er das Fieber nahen fühlte, keine Chronik zu schreiben. Übel hat er sich vergaloppiert an manchen Stellen, und auf Morgan hat er 'n Piek. Na, ich werde ihm den Kopf zurechtsetzen. Seufzend fange ich an zu packen, denn die Extrapost nach Dover ist bestellt. Finstere Nacht. Die vierspännige Extrapost rattert und rollt wie ein orkangeschütteltes Schiff über die Dover-Road. Die Fensterchen sind naß beschlagen, es ist feuchtkalt, und ich habe die Nase tief im Kragen meines alten Wachmantels vergraben. Beneide die beiden Postillonsjungen, die zu Pferd sitzen, nicht. Und auf jeder Relaisstation, wo die dampfenden Rosse ausgewechselt werden und ein trinkgeldhaschender Hausknecht oder zuweilen der Posthalter und Wirt selbst mit der Mütze in der Hand einen Kratzfuß macht, trinke ich Grog aus heißem, bestem Old Jamaica. Das wärmt und ist Medizin bei solchem Wetter. Auf der einen Station fragt mich der dicke Landlord, ob ich gut bewaffnet sei. Ich deute stumm auf Cutlaß und Pistolenpaar. »Warum?« »Dick Robber ist unterwegs, Euer Ehren! Der berühmteste Highwayman (Straßenräuber) von ganz merry Old England, seit sie den Jack Bowthres gehängt haben!« entgegnete er nicht ohne Stolz. »Wie benimmt sich Dick Robber, der solch bezeichnenden Namen hat?« frage ich den Wirt und habe ihn auf einmal in Verdacht, daß er mit besagtem Straßenritter unter einer Decke steckt. Das kommt oft genug vor, denn irgendwo muß solch ein Brigant ja seine Pieces of eight vertun. »Wie meinen Euer Gnaden?« »Na, ob er zum Beispiel erst schießt und sich dann vorstellt oder umgekehrt!« 499
Er schaut mich groß an. »Das weiß ich nicht, Sir. Aber nehmt Euch in acht, mit Dick ist nicht zu spaßen!« »Mit uns Bukaniern des Henry Morgan noch weniger!« lache ich ein wenig prahlerisch. Verdutzt glotzt er wieder. Ein Schnalzen des Kutschers, ein Ruf des Postillons, die Chaise macht einen Satz und rollt dann aus dem großen Hof auf die Landstraße. Regen. Eine wahre Sintflut. Sausender Wind. Die Räder rattern und rollen dumpf, und die Hufe klappern. Schade, daß es nicht Tag ist, ich würde eine hübsche Gegend sehen. Kleine alte Dörfer, altertümliche Städtchen, Bauernhöfe, Hecken und bunte Blumen, weidendes Vieh und Schlösser mit efeubewachsenen Mauern und Wällen. Und Rehe und Füchse und purzelbaumschießende Hasen. Unwillkürlich denke ich, was Dick Robber wohl für einer sein mag. Man soll, wie ich öfters erfuhr, aber nie den Teufel an die Wand malen, weil er sonst wirklich kommt. Ich nicke ein, fahre durch einen groben Ruck hoch. Die Chaise hält, draußen jammert einer der Postjungen! »Ach, tut mir nichts, Ihr Herren!« Es ist stockdunkel draußen, und es gießt beinahe wie in Westindien. Die Wagenlaternen werfen kleine gelbe, flirrende Kreise auf den nassen Boden. Da klopft es hart an die Tür: »Aufmachen ! Und keine Mätzchen, if you please, sonst raucht's! Ich will nur das Geld und die Wertsachen. Macht zu, es ist ein Sauwetter, und ich habe keine Lust, hier ewig herumzustehen!« sagt eine Stimme. Pferdehufe scharren. »Denkst du!« murmele ich und mache meine Pistolen griffbereit, nachdem ich rasch nach alter, aber hierzulande wohl nicht üblicher guter Sitte den Dolch zwischen die Zähne geklemmt habe. Mit der Fußspitze stoße ich den Riegel nach oben. Die Tür fliegt auf. Eine dunkle, hohe Masse ragt dicht vor mir, und ein Hahn knackt. »Mach zu, alter Pfeffersack, wir haben keine Zeit«, schimpft er lustig. Aus meiner Hand fährt ein Feuerstrahl. Krach! Wild bäumt sich 500
das Pferd auf, und etwas fliegt mit dumpfem Aufprall in die Pfütze. »Dick ! Dick !« ruft es von hinten, und Hufschläge poltern heran. »Hilfe!« schreit nutzlos der Postjunge. Jetzt ist der Reiter heran. Als Bukanier - wenn auch eigentlich Federfuchser und friedliebender Mensch von Beruf - hat man in allerhand Wetter und auch in tiefster Nacht gelernt, seine Hauptlichter, will sagen die Augen, gut zu gebrauchen. Und ich schieße meine zweite Pistole ab, indem ich diesmal auf das Pferd halte. Es steigt hoch auf, wiehert schrill, und ehe es auf den Rücken kracht, ist der Reiter seitwärts aus dem Sattel geglitten, taumelt aber und ringt nach Gleichgewicht. »Ich habe noch ein paar Läufe! Also grapsche nach den Wolken, wenn keine Sterne da sind. Hoch mit den Pfoten, Maat, fix!« Fluchend führt der Mann den Befehl aus. Seitwärts stöhnt einer arg, der in der Pfütze liegt. »Komm ins Laternenlicht und laß dein Bugspriet betrachten, Maat!« Wieder gehorcht er. Ich sehe einen in einen weiten Reitermantel gehüllten Kerl, der eine schwarze Maske und dunkle Perücke trägt. »Mach mit einer Hand den Lappen vom Gesicht. Aber dann gleich wieder rauf mit der Flosse!« »Ach, wäre ich doch lieber auf der verdammten Hölleninsel geblieben !« brummt er zu sich selbst. Ich spitze die Ohren. »Hölleninsel?« »Nun ja, auf Trinidad bei der Salvagegruppe. Aber was wißt Ihr davon?« erwidert er verächtlich. »Sag mal, Maat, laufen des Nachts dort immer noch die großen, safrangelben Krabben herum? Und war noch viel Albatrosfleisch in der Nebenhöhle?« frage ich und hätte den Kerl im ersten Impuls am liebsten zu einem Drink gebeten. »Waaas?« »Hast du keine Ohren, Maat?« »Na, denn los: ich war auf Brentys Kasten; Brenty, der sich auch Bradley nennt und mit der >Ironhead< nach London kam 501
und jetzt den reichen Gent spielt. - Wir holten damals einen maronierten Tortugamann ab, der einen Silberschatz auf der Insel entdeckte. Und wir, die Bootsmannschaft, kriegten uns darum in die Haare. Ich war bei den Überlebenden. Zur Strafe mußten wir auf der Insel bleiben. Brenty holte uns aber nach einem Jahr ab. Unser einer Kamerad, der Franzose, war aber schon verrückt geworden. Nun ja, wie es so kommt, in der Main hatte ich kein Glück und kam heim, um es mal als Teilhaber von Dick Robber zu versuchen!« Mucksstill sitzen die beiden Postillone im strömenden Regen auf ihren Pferden. Da diese angeschirrt sind, bleiben sie, sonst wären die Helden schon längst in der Nacht verschwunden. Auf dem Chaisendach hockt der Kutscher und klappert vor »Kälte« mit den Zähnen. Und der Regen platscht, und dort neben uns liegt einer in der Pfütze und ist ganz still. Rechts ragt ein schwarzer Waldstrich, links liegt ein Hügel. In der Ferne bellen Hunde. »Ist das Dick Robber, der da in der Lache liegt?« - »Ja!« »So untersuch ihn. Mach aber keine Dummheiten mit etwaigen verborgenen Waffen. Ich sag' dir gleich, ich bin ein alter Bukanier und Morgan's Mann und du würdest es bereuen.« »Buk- Buk- Bukanier?« »Quassel nicht. Um's rasch zu machen, denn ich muß nach Dover, um das Postschiff nicht zu versäumen: auf der Trinidadinsel war damals ich, ich heiße Mac Donald und habe die Silberbarren gefunden, und wenn ich mich nicht irre, dir mit Hilfe von Braddon die Hände gefesselt. Und du kannst es dieser alten Bekanntschaft verdanken, Maat, daß ich dich laufen lasse. Ich halte sonst nicht viel von nächtlichem Raubgesindel. Bist verdammt tief gesunken, Maat!« »Ich - ich - ich . . .« »Mach die Klüsen dicht und schau nach Dick Robber. Ich muß weiter!« Er untersucht seinen Kumpan, richtet sich dann auf: »Er hat die Schulter zerschmettert und ist vom Blutverlust oder Schmerz ohnmächtig.« 502
»Na, dann seht zu, wie ihr weiterkommt. Schaff ihn fort oder laß ihn liegen, das geht mich nichts an. Er ist ja dein Freund und nicht meiner.« Ich greife in die Tasche, hole zwei, drei Pieces of eight heraus und gebe sie ihm: »Da, nimm. Hattest kein Talent zum Bukanier, und als Highwayman bist du 'ne Niete, Maat. Geh zu Farmer John und bau Kohl. Los, hau ab, Kutscher, ich habe wenig Zeit!« Ich klettere in den Wagen, und kaum habe ich die Tür zugeworfen, als die Postillone ihre Sporen einsetzen, und im Hui geht's die Road mit Donnergepolter weiter. In dem nächsten Inn machten sie viel Aufhebens und die Postillone erzählten, daß ich einer von Morgans Leuten sei. Aber ich habe wenig Zeit. Und so kommen wir am Morgen nach Dover. Ich sehe die grauen und roten Dächer; als wir den Hügel hinabrollen, sehe ich auch das alte Schloß und an Steuerbord die sattgrünen Wiesen, wie sie plötzlich am Rande der weißen, lotrecht ins Meer stürzenden Kreideklippen abbrechen. Und ich sehe Schiffe im Hafenbecken. Draußen wogt hinter Regenschleiern das graugrüne Wasser . . .
TORTUGA-ABEND »Sarah, sag' deinem Picaninny, er soll nicht so quieken, sonst kannst du bei mir abmustern. Der Radau schickt sich nicht für einen zweijährigen Negerboy, der dich zur Mutter hat. Zünde noch ein paar Kerzen mehr an. Die alten, aus Walrat. Früchte auf den Tisch! Und das Tafeltuch von der > Santo Niño< und das Silber von der >Nuestra Señora< ! Stell auch die Pulle Old Jamaica dazu!« und ich ging ins Bad. Es ist zwar nicht aus Marmor, aber für meine Zwecke genügt's. Was will ein alter Mann mehr! Oho, alter Mann? Mein Haar ist zwar noch dicht, aber silberweiß. Ich fühle mich nicht alt. Nett und friedlich ist's auf der Tortuga geworden. Kaum zum Wiedererkennen. Eine Kompanie französischer Maintruppen 503
führt ein ewiges Dolcefarniente auf der Insel. Verklungen sind Pistolenschüsse, Cutlaßschmettern und Bukaniergebrüll. Und wo sind sie hin, die Küstenbrüder? Wo sind die Tortugaleute, die Port-Royalfreibeuter und ihre Jolly-Rogers-Flaggen? Verschwunden sind sie - haben ihre vom Schicksal vorgezeichnete Aufgabe hier draußen erfüllt und mußten von der Bühne des Lebens abtreten. Es gibt keine Piratenflotten und Vereinigungen mehr in der Main, und die paar Einzelgänger, die noch da sind, müssen verdammt aufpassen, denn von allen Seiten macht man Jagd auf sie. Drüben die Insel Hispaniola oder wie sie wieder zu sagen beginnen: Haiti! ist halb französisch. Plantagen und Handel gedeihen. Viel habe ich erlebt, seit ich damals auf der Dover-Road dem Highwayman Dick Robber die Schulter zerschoß und dann von Dover nach dem bunten, behäbigen, reichen, regsamen, kunstverständigen und handeltreibenden Amsterdam segelte. Ich stritt mich mit Olivier, lachte und schimpfte abwechselnd mit ihm. Wir tranken Leche de España und Amstelbier und aßen rotgesottene Hummer in der wonnigen Schifferkneipe »De groote Aap«. Sir Henry Morgan gewann wahrhaftig seinen Prozeß gegen Esquemelin und dessen Verleger, und sie mußten zweihundert Pfund Sterling Schadenersatz bezahlen*). Aber mich fror unausgesetzt. Ich war noch acht Tage lieber Gast in Oliviers Heimat, wo sie mich pflegten wie den heimgekehrten verlorenen Sohn. Doch eines Abends umarmten und küßten und beklopften wir einander wohl das letzte Mal in diesem Leben. Wehmütig nahmen wir Abschied. Acht Tage später war ich nebst Sir Henry und Sir Thomas auf der Fregatte »Welcome« unterwegs nach den warmen Meeren und köstlichen Inseln. Ich begleitete Sir Henry nach Port Royal, weil er behauptete, er könne nicht ohne mich auskommen, und blieb noch lange bei ihm. Aber die Tortugasehnsucht wurde immer mächtiger in mir. *) Historisch!
504
Sir Thomas Modyford dankte ab, fuhr mit seiner »Leber« nach England und starb daran. Und sein Nachfolger wurde Sir Thomas Lynch. Er ist nicht so nett wie der alte Sir Thomas, aber es läßt sich mit ihm auskommen. Käpten Henry Morgan - Sir Henry Morgan, Leutnant-Gouverneur und Befehlshaber der Jamaicastreitkräfte, machte sich emsig und ohne Rast und Gnade daran, die Piraten, die sich nicht bessern wollten, in ihren Schlupfwinkeln, die er ja alle kennt, aufzusuchen und sie zu jagen und auszurotten. Hunderte wilder Burschen sah ich im Laufe der Zeit unter den Rahen der Kriegsschiffe zu Port Royal (im Hafen kreuzt immer noch der riesige Haifisch Longtom) in der Luft zappeln. Denn es gab - wie mein Käpten mal gesagt hat - nicht genügend Galgen an Land. Und er hat es geschafft. In der Spanischen Main und besonders in den Gewässern um die englischen Kolonien sind die Seeräuber verdammt rar geworden. Wer jetzt noch vereinzelt herumsegelt, spielt keine Rolle, wenn man bedenkt, wie noch vor wenigen Jahren ein Handelsschiff ohne »Salvaguardia« oder Piratenfreipaß überhaupt nicht die Insel anpraien durfte. Handel und Wandel blühen und wachsen. Auch die Dons sind friedlich geworden, weil ihnen nichts anderes übrigbleibt. Sir Henry erwarb große Plantagen und lebte, angesehen und nur manchmal von dunklen Gerüchten und haltlosen Machinationen bedroht, in der Nähe von Port Royal. Bis er friedlich im Bett starb. Er trank gerne einen Tropfen und manchmal auch ein bißchen mehr, aber er war ein Mann. Kein Engel, aber auch kein Teufel, ein Mann! Anno Domini 1688 schloß er die Augen und wurde mit allen Ehren im Dom von Sankt Katharinen zu Port Royal bestattet. Tortuga! Milde Lüfte, Palmenrauschen, Feuerfliegenreigen, die Echos der Brandung und das Rollen der Voudoutrommeln in den Kokoshainen. Im künstlichen Teich, den Saul angelegt und worin die für meine Tafel bestimmten großen Seeschildkröten leben, plätschert es. Zikaden musizieren. Viele Bücher und neue Bilder - die des Bellini sind verwischt 505
und unansehnlich geworden - schmücken meine gute Stube. Alles ist geruhsam und wunderschön, seit Mord und Totschlag von der guten Insel verschwunden sind. Und oft besuche ich Freunde, oder sie kommen zu mir, Zephir Barbassou und andere, oder ich sitze allein und halte Zwiesprache mit den immer wieder auftauchenden Bildern der Vergangenheit. Und bin zufrieden damit, auch mit der Gegenwart und werde es zweifelsohne auch mit der Zukunft sein. Odds fish! um den Leibfluch des King zu gebrauchen. Bin ich nicht auch ein König und sitze ich nicht wohlgeborgen wie in des lieben Gottes Hosentasche? Ein gutes Gewissen, einige Tönnlein Old-Jamaica-Rum und andere nette Flüssigkeiten im Keller, mit der Aussicht auf mehr, den Koffer voll schwerverdienter Pieces of eight und Tabak und Pfeife. Bin ich alt? Selbst in höheren Jahren fühlt sich der Mensch nie alt, darf es nicht, weil er sonst eine angekränkelte Seele hat. Ja, es lebt noch allerlei Volk auf der Tortuga, und da die Insel im regen Verkehr mit Hispaniola steht, so gibt es natürlich auch Muchachas. Reizende, nette, wunderhübsch in den Linien gebaute Fahrzeuge weiblicher Art, mit süßgeschwungenem Vorderbug und Hüfte und Achtersteven. Kleine buntblütige Sambomädels, Mestizinnen, Okteronen und Quadronen. Ob ich wohl wieder mal abends Gesellschaft einlade? Da muß ich wohl Sarah fragen, denn dieser gute Hausdrache tyrannisiert mich auf seine Art, ist aber, wie die schöne Leserin und der geneigte Leser nun schon wissen, in mancher Hinsicht sehr großzügig. - »He, Sarah!« Dicker, älter und weißwollig geworden, prächtig in weiß beschürzter Kombüsenglorie, sanfter, zufriedener, segelt sie herein. »Was wollen Buckrahmassah schon wieder? Früchte und OldJamaica-Rum stehen schon längst auf Tisch in Veranda. Soll dies schwarze Kind auch noch französisch Prickelwasser bringen?« »Klar, Sarah! Und schau zu, daß die Schildkrötensuppe nicht anbrennt, und wenn der Fischer Hannibal ein paar große Langusten gefangen hat, so kauf sie. Und dann geh mal zu Zephir Barbassou in seinen Laden, und wenn gerade niemand drin ist, 506
so ziehst du ihn in eine Ecke, hörst du? . . . und sagst ihm ins Ohr, er möchte mir eine schicken!« »Waas?« »Na, er soll eine schicken. Odds fish! Eine nette Kleine, aber ja keine Krakeelerin!« »Waas?« Sie sperrt den abgrundtiefen Mund schrecklich weit auf. Ihre Augen rollen. »Sarah, sei nicht so dämlich! Zephir soll mir eine schicken, denn mich langweilt's und ich fühle mich heut einsam. Une femme! Lauf zu!« »Nix da, nix da, Massah! Das sein nicht Männerarbeit. Monsieur Zephir das nix verstehn, er nicht Massahs Geschmack kennen. Sarah dies besser tun! Jung und hübsch und schlank und goldbraun und . . . »Na, dann lauf doch schon, alte Kupplerin! Lauf! Bist du noch nicht unterwegs? Raus!« »Esel«, mein Hund, ein kraushaariges seidenweiches Tier mit großen, guten und treuen Augen, schiebt glücklich seufzend seine warme Trüffelnase in meine herabhängende Hand. »Alter, guter Esel, bist du zufrieden? Komm, laß dich streicheln, komm!« . . .
HISPANIOLA Es schillert die Spanische Main wie damals. Auf dem Sand knistern und rascheln kleine Krabben. Süß klingt das Zikadenkonzert im schüttern Gebüsch, wo unter den Palmenkronen die grünen Laternchen der Cocuyos feierlich auf- und abgeisten. Ein Fisch springt und klatscht wieder ins Wasser. Des Mondes Silberbarke segelt einsam auf dem funkelnden Golf der Milchstraße, der quer über den Himmel fließt. Berge ragen, dunkelblau und schwärzlich von goldenen Linien umrandet. Hispaniola! Warme, atmende, flüsternde Tropennacht! Eine Welle schmiegt sich an meinen vorgeschobenen Fuß, fällt lautlos zurück, kommt wieder, immer wieder. 507
Grell durchstechen ein paar Scheinwerferaugen die Büsche, und auf der staubigweißen Straße summt ein Automobil. Leidenschaftlich und erregt funkeln die Sterne gegen den - instinktiv fühlen es Mensch und Natur - nahenden Tag. Weit hinten in den Bergen summt es auf, wandert langsam schwingend, öfters versiegend über Wasser und Land. Kommt näher und orgelt und dröhnt. Hoch über mir ziehen zwei kleine Lichter. Ein grünes und ein rotes. Die Positionslampen des Flugbootes, das via Puerto Rico nach Jamaica fliegt, wo man alten Rum bekommt, der wunderbar duftet und schmeckt. Der Traum - war es wirklich ein Traum? ist aus. Erloschen sind die grellen Farben und dunklen Tinten. Alles ist friedlich und still. Wie das Wasser glänzt! Sind's versunkene Pieces of eight, die da locken und werben? Und segelt nicht eben ein riesiger Schatten mit fliegender, knallender Leinwand und flatterndem Jolly Roger über die weite Bucht nach der Tortuga hin? Und singen da nicht Stimmen aus dem Meeresschoß: »Westward ho! Yoho!«?... Einsam schillert der Ozean. Zehntausend Düfte von zehntausend Blüten mischen sich mit Salzwasser und Tanggeruch. Im Osten wird der Himmel grau, und grau huscht es rasch über den ganzen Horizont. Die Sterne erlöschen, das Mondschiff wird blaß und löst sich in Nichts auf. Der brennende Kuß der Sonne entzündet Himmel, Wasser und Inseln. Langsam segelt ein Fischerboot in die blaue Main. Kurs Tortuga . . .
508