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Copyright-Hinweis Dr. Judd Biasiotto’s „2001 - Odyssee im Sport“ ist als Paperback im Novagenics Verlag erschienen. Der Titel ist mittlerweile vergriffen und wird jetzt online neu aufgelegt. Titel der amerikanischen Originalausgabe: 2001 - A Sports Odyssee, erschienen bei World Class Enterprises Alle Rechte an der deutschen Ausgabe: Novagenics Verlag, 59755 Arnsberg Copyright © Novagenics 1992-2001 Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheber- und Zitatrechts ist ohne Zustimmung des Verlages strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Zusätzlich gelten die Bestimmungen zum Urheberrechtsschutz und Copyright auf dieser Website.
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Hypnose, Kybernetik und Biofeedback im Kraftsport „Ich habe noch keinen Athleten gesehen, der mehr aus sich herausholt, als Biasiotto. Wenn man ihn anschaut, mag man ihn eher für einen Tennisspieler oder einen Golfer halten, nicht aber für einen Powerlifter. Seine Muskelmasse ist minimal; doch seine Kraft ist immens. Seine mentale Kontrolle ist unglaublich, andere Powerlifter sollten sich ebenso darum bemühen.“ (Dwight Chandler in „Powerlifting USA“) „2001 - Odyssee im Sport“ ist ohne Zweifel eine der besten Kraftsport-Stories, die je erzählt worden sind. Wie die „Rocky-Filme“ handelt dieses Buch von einem Athleten, dem - obwohl nur mit durchschnittlichen Fähigkeiten ausgestattet - der Sprung in die Welt-Elite gelingt. Doch im Gegensatz zu „Rocky“ ist diese Geschichte wahr. Sie handelt vom unglaublichen Aufstieg des Powerlifters Dr. Judd Biasiotto in der Welt des Kraftsports. Ähnlich der klassischen Odyssee beschreibt dieses Buch eine Reise durch unwirkliche und groteske Szenarien. Komische Situationen wechseln sich ab mit frappierenden Einblicken in die Abgründe des Kraftsports. Unbezahlbar für jeden Sportler sind Dr. Biasiotto’s leicht nachzuvollziehende Anwendungen revolutionärer psychologischer Methoden im Sport: Der Einsatz von Hypnose, Biofeedback und Verhaltenskontrolle verhalf ihm immer wieder zum Sieg über Athleten mit überlegenen körperlichen Anlagen und gedopte Konkurrenten. Die in diesem Buch beschriebenen Methoden geistiger Kontrolle können von jedem Menschen gewinnbringend eingesetzt werden, egal ob Sportler, Geschäftsmann oder Hausfrau.
Über den Autor Judson L. Biasiotto wurde die Doktorwürde von der University of Georgia verliehen; derzeit ist er Professor für Gesundheits- und Körpererziehung an der Albany State University. Er schreibt für die großen US-Kraftsportzeitschriften, wie POWERLIFTING USA, MUSCLE & FITNESS, NATURAL PHYSIQUE, hat in den vergangenen 24 Jahren 24 Bücher und mehr als 500 Artikel veröffentlicht. Als dynamischer Redner wird er hoch geachtet. Als Sportpsychologe hat Dr. Biasiotto zahlreichen Profi- und Amateursportlern bei der Perfektion ihrer mentalen Fähigkeiten geholfen; er selbst ist ein Powerlifter der Spitzenklasse. Sein letzter Weltrekord: Eine Kniebeuge mit 603 Pfund (274 Kilo) bei einem Körpergewicht von 132 Pfund (60 Kilo). Damit stellte er seinen eigenen Weltrekord von 575 Pfund in dieser Gewichtsklasse ein. Diese Leistung, mehr als das 4,5-fache des eigenen Körpergewichts, ist an sich schon phantastisch. Doch die Tatsache, daß sie ohne Steroide, trotz zwei entfernter Bandscheiben und einer teilweisen halbseitigen Lähmung des Oberkörpers erzielt wurde, beweist die wahre Klasse dieses Ausnahmeathleten. Dr. Biasiotto hat sich vom aktiven Powerlifting-Wettkampfsport zurückgezogen, belegt aber weiterhin den ersten Platz der Weltrangliste der ADFPA (American Drug Free Powerlifting Association) und Platz drei der Weltrangliste der USPF (United States Powerlifting Federation) in der Gewichtsklasse bis 132 Pfund. Nach einigen Jahren Pause (in denen er trotzdem kein Training hat ausfallen lassen) ist Dr. Biasiotto seit zwei Jahren zum Wettkampfsport zurückgekehrt; er tritt jetzt bei Bodybuildingwettkämpfen gegen weitaus jüngere Athleten an - und schlägt sie auch. In der Gewichtsklasse bis 132 Pfund hat er in den letzten Jahren zahlreiche regionale US-Titel gewonnen, zuletzt die US Southern States Bodybuilding Championchips (Sieger in seiner Gewichtsklasse und Most Muscular Athlete). 2
Inhalt Vorwort Kapitel 1 - Die Odyssee beginnt Kapitel 2 - Die Grundlage - ein Bauplan des Gehirns Kapitel 3 - Hodges, Hypnose und wie es weiterging Kapitel 4 - Die Akademie Kapitel 5 - Rein akademisch Kapitel 6 - Der Gipfel des Berges Kapitel 7 - Licht, Farben, Musik - Action Kapitel 8 - Weltklasse Kapitel 9 - Bis auf die Knochen Kapitel 10 - Ein schöner, sonniger Tag
Vorwort Ich kann mich noch genau an meine erste Begegnung mit ihm erinnern. Es war bei den AllStar Powerliftingmeisterschaften in Statesboro, Georgia. Die Vorwettkampfszenerie war typisch für die meisten Powerliftingereignisse. Die Luft roch förmlich nach Unruhe und Nervosität. Die Teilnehmer riefen durcheinander, liefen hin und her und inhalierten Ammonium-Phiolen. Die Gewichte überstiegen bereits die 450 Pfund-Marke, während Biasiotto, der in der 132 Pfund-Klasse starten sollte, weiterhin schlief. Als nur noch fünf Athleten vor ihm waren, wurde er von seinem Betreuer geweckt. Judd stand auf, zog die Träger seines Trikots hoch und begann, sich die Knie zu bandagieren. Ich mußte lachen. Wie konnte ein ernstzunehmender Athlet so verrückt sein und das Aufwärmprogramm vergessen? „Auch einer von diesen Möchtegern-Powerliftern“, dachte ich. Doch als Biasiotto die Plattform für seinen ersten Versuch betrat, wußte ich, daß ich mich getäuscht hatte. In weniger als zehn Sekunden änderte sich seine körperliche Erscheinung in einer Weise, die man nur als bizarr bezeichnen kann. Biasiotto’s Gesicht schien sich vor meinen Augen zu verändern. Die Haare auf seinen Armen und Beinen richteten sich auf und sein Atem wurde tief und gleichmäßig. Seine Muskeln schienen gleichsam an Größe zuzunehmen. Es war unglaublich. Ohne eine einzige Aufwärmbewegung nahm Biasiotto das Gewicht auf, ging hinunter und explodierte förmlich in einen neuen Georgia State-Rekord. Das Ganze sah lächerlich einfach aus. Während acht weiterer Versuche zeigte Biasiotto diese erstaunliche Verwandlung, und achtmal hob er die Gewichte mit scheinbarer Leichtigkeit. Am Ende des Tages hatte er zehn Staatsrekorde gebrochen und gewann den ausgesetzten Preis. Er ließ mich und 500 andere Zuschauer mit der Frage zurück: „Woher nimmt dieser Mensch seine Kraft? Wer ist dieser Mann?“ Leute, die Judd im Wettkampf gesehen haben, bemühen oft Worte wie „erstaunlich“, „unglaublich“ oder „einzigartig“, wenn sie davon erzählen. Dwight Chandler, der Judd Biasiotto bei den Südstaaten-Meisterschaften gesehen hat, beschrieb ihn im „Powerlifting USA“-Magazin folgendermaßen: „Ich habe noch keinen Athleten gesehen, der mehr aus sich herausholt, als Biasiotto. Wenn man ihn anschaut, mag man ihn eher für einen Tennisspieler oder einen Golfer halten, nicht aber für einen Powerlifter. Seine Muskelmasse ist minimal; doch seine Kraft ist immens. Seine mentale Kontrolle ist unglaublich, andere Powerlifter sollten sich ebenso darum bemühen.
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Judd scheint seine Verfassung in Sekundenschnelle wechseln zu können. Ich muß dabei stets an eine sehr populäre TV-Serie denken, an den Moment, in dem sich David Banner in den Hulk verwandelt. Vielleicht erklärt das, warum der Hulk und Biasiotto so stark sind. Um ehrlich zu sein, hat mich das Gewicht, das Biasiotto gehoben hatte - es reicht aus, um vier Staatsrekorde zu brechen - nicht halb so beeindruckt wie seine mentale Kontrolle.“ Ich habe mich oft gewundert, wie Biasiotto sich dermaßen verwandeln konnte. War es Hypnose oder handelte es sich um eine neue Art von autogenem Training? Ich wollte es genau wissen, und ich wollte es selber einsetzen können. Also nahm ich Kontakt zu Judd auf. Ich stellte fest, daß es auf eine intellektuelle Art sehr stimulierend war, sich mit Judd zu unterhalten, und er war sehr hilfsbereit. Wir wurden gute Freunde und ich lernte ein paar Dinge von ihm, die ich nur als erstaunlich bezeichnen kann. Judd Biasiotto hat einen Hochschulabschluß in Trainingsphysiologie und einen Doktortitel in Sportpsychologie. Er hat mit professionellen Baseballteams ebenso gearbeitet wie mit zahlreichen anderen Weltklasseathleten aus den unterschiedlichsten Sportarten. Dutzende von Artikeln und mehrere hundert Vorträge (z.B. vor der International Athletes Association und dem U.S. Sports Committee), machten ihn zu einem der bekanntesten Sportpsychologen und Hypnotiseure in den USA. Sein Wissen über die Individualsportarten, insbesondere das Gewichtheben, übersteigt das der meisten anderen Sportpsychologen. Er ist nicht nur ein weiterer Psychologe, der sich seine Lorbeeren mit dem Studium der Mannschaftssportarten verdient hat. Dr. Biasiotto kennt und versteht die Gefühle, die unterschiedlichen psychologischen Bedürfnisse und den Druck, der auf jenen Athleten lastet, die in Individualsportarten Wettkämpfe bestreiten. Im Laufe seiner Untersuchungen hat er gelernt, Herzfrequenz, Gehirnwellen und, am wichtigsten, seine Gedanken zu kontrollieren. Das Geheimnis von Biasiotto’s Stärke liegt in diesen Fähigkeiten. Durch wissenschaftliche Methoden hat er es zur Weltklasse gebracht, und das mit einem Körper, der eigentlich nicht für den Kraftsport geschaffen ist. Das an sich ist schon sensationell. Judd Biasiotto brachte Licht in die dunkle Welt des Powerliftings. Er brachte die Psychologie in einen Sport, der diese Wissenschaft bis dato nicht kannte und nicht nutzte. Durch wissenschaftliche Untersuchungen und harte Arbeit erreichte er ein Leistungsniveau, das diesen Sport und sein Training revolutionierte. Lange Jahre haben viele Powerlifter, darunter ich selbst, erfolglos versucht, Judd zu bewegen, seine Gedanken zu Papier zu bringen, damit andere daran teilhaben konnten. Im Frühjahr 1983 wurde Judd von Tim McClellan aufgesucht, dem Kraftsport-Trainer der Arizona State Universität. McClellan überzeugte Biasiotto davon, daß seine esoterischen Informationen in der Welt des Kraftsports dringend benötigt wurden. McClellan hatte schließlich dort Erfolg, wo alle anderen gescheitert waren. Den Anfang machte dann ein Artikel über das Comeback des Judd Biasiotto nach einer schweren Rückenverletzung, erschienen im „Powerlifting USA“-Magazin - ein Comeback, das ihm 1982 und 1983 den ersten Platz in der Rangliste der American Drug Free Powerlifting Association einbrachte. Am Ende stand das Verlangen, sein umfangreiches Wissen und seine Erfahrung in dieses Buch zu fassen - nach meiner Auffassung das beste Sportbuch, das jemals geschrieben wurde. (George Herring, Weltklasse-Powerlifter im Mittelgewicht)
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Kapitel 1 - Die Odyssee beginnt „Ein Gott - das bin ich!“ Ich bin ein Gott. Genau das bin ich. Ein höheres Wesen, der Schöpfer von...? Quatsch. Ich bin kein Gott. Vielleicht bin ich ein Dämon. Ja richtig, ein Dämon. Meine Mutter wird das bestätigen können. Nein, ich glaube, ich sehe mich doch nicht so. Aber was bin ich dann? Was gibt mir die Kraft, meine Freunde zu veranlassen, sich wie Hunde, Katzen oder gar Hühner aufzuführen, wenn mir danach ist? Und was ist mit meiner Fähigkeit, meine älteren Geschwister dahin zu bringen, daß sie sabbeln wie Kleinkinder? Und wie steht es damit, daß ich plötzlich verschwinden kann oder meine Freunde Dinge sehen lasse, die nicht existieren? Ich muß einfach etwas Besonderes sein. Ich muß übernatürliche Kräfte besitzen. Wie sonst könnte ein Zwölfjähriger solche Wunder vollbringen?
Der Anfang Alles begann, als ich 12 Jahre alt war. Ich war wie jeder andere normale amerikanische Junge - neugierig, ehrgeizig, und ich hatte meine Geheimnisse. Ich hatte eigentlich nur ein Problem: Ich konnte nachts nicht schlafen. Ich zählte Schafe, ließ das Licht an, trank heiße Milch, trainierte ausgiebig und hörte beruhigende Musik. Ich nahm sogar alle Bilder von den Wänden. Nichts half. Ich litt schließlich mehrere Monate unter Schlaflosigkeit. Es mußte etwas geschehen. Kurz bevor mich die letzte Hoffnung verließ, traf ich einen Priester namens Nick Dracola. Am Anfang war unsere Bekanntschaft eher flüchtig. Wir unterhielten uns im Treppenflur der St. James Grundschule, ein anderes Mal trafen wir uns beim Mittagessen in der Cafeteria. Schließlich entdeckten wir unser gemeinsames Interesse für Sport. Später spielten wir Basketball und Handball zusammen, und Pater Nick nahm mich an den Wochenenden zu einer Reihe von Footballspielen mit. Eines Abends, auf dem Heimweg von einem anstrengenden Basketballmatch, fragte ich Nick nach seinem liebsten Hobby. „Hypnotisieren, glaube ich“, sagte er. „Was?" fragte ich überrascht. „Hypnose. Ich bin ein professioneller Hypnotiseur“, grinste Nick. „Ich arbeite schon ein paar Jahre damit und habe bei meinen Sitzungen große Erfolge erzielt." Hypnose! Ich hatte es in Fernsehfilmen einige Male gesehen, aber hier, direkt vor mir - einer dieser Menschen, die andere dazu bringen konnten, Bankraub, Mord oder sogar Selbstmord zu begehen. Ich fühlte mich plötzlich nicht mehr besonders wohl in meiner Haut. „Kannst Du wirklich Leute hypnotisieren?“ fragte ich ungläubig. „Sicher. Es ist gar nichts dabei.“ „Und warum hypnotisierst Du Leute?“ Er lachte. „Ich versuche sie zu motivieren oder ihre Konzentration zu verbessern. Manchmal helfe ich ihnen einfach, sich zu entspannen.“ „Wenn Du ihnen beim Entspannen helfen kannst, könntest Du dann auch jemandem beim Einschlafen helfen?“ bohrte ich weiter. „Ja. Das habe ich bereits getan“, antwortete Nick. Schlaf. Wunderbarer Schlaf. Ich konnte mich noch schwach erinnern, wie es war. Kein Hinund Herwerfen, kein Herumwälzen - nur friedliche, entspannende Stille. Hier war sie, meine Chance, endlich wieder tief zu schlafen. Hypnose! Wie ein Blitz aus heiterem Himmel, eine Nachricht von Gott! Es mußte die Lösung sein.
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„Glaubst Du, Du könntest mir zu Schlaf verhelfen?“ Ich hatte seit Monaten keine Nacht mehr ordentlich geschlafen. „Ich werde es gern versuchen, aber ich kann nichts versprechen“, sagte Nick. „Als erstes mußt Du ein paar Dinge über Hypnose lernen, damit Du weißt, was dabei vorgeht. Danach wäre es ganz gut, wenn Du dabei wärst, wenn ich jemanden hypnotisiere. Das würde Dir eventuelle Ängste nehmen.“ „Ich bin bereit“, antwortete ich gefaßt. „Sag mir nur wann.“ Wenige Tage später schon lud Nick mich ein, bei einer Hypnosesitzung anwesend zu sein. Die Person, die hypnotisiert werden sollte, war Pater Peter Rogers, ein Glaubensbruder von Nick. Pater Pete, wie er genannt wurde, war etwa 12 oder 15 Jahre älter als Nick. Er nahm seit einem Jahr an einer Hypnosetherapie bei Nick teil. Laut Nick war er ein Mondsüchtiger, was den Effekt hatte, daß er die tiefsten Stufen der Hypnose erreichen konnte. Kurz gesagt, Pater Pete war das ideale Demonstrationsobjekt. „Hör mir gut zu“, sagte Nick zu Pete. „Du merkst, daß Du zu mir sprechen kannst, gerade so, wie jemand, der im Schlaf spricht. Deine Augen bleiben geschlossen, deine Arme und Beine bewegen sich nicht. Aber Du wirst zu mir sprechen, so als würdest Du im Schlaf sprechen. Nun, wie heißt Du?" „Peter James Rogers“, kam prompt die Antwort. Leise klangen die Worte im Raum, doch Pater Pete schien in Ordnung zu sein. „Wie fühlst Du Dich?" fragte Nick. „Entspannt, wunderbar entspannt", antwortete Pete. Ich lehnte mich erleichtert in meinem Stuhl zurück, aber die Demonstration war noch nicht vorbei. „Hör mir genau zu", verlangte Nick jetzt. „In ein paar Sekunden wirst Du Deine Augen öffnen. Du wirst feststellen, daß nur wir beide in diesem Raum sind. Niemand sonst ist hier. In ein paar Minuten wird uns dann der Fernsehstar Steve Allen besuchen. Kennst Du Steve Allen?" „Klar. Er ist einer meiner Lieblingsschauspieler“, kam die leise Antwort. „Okay. Öffne jetzt Deine Augen“, sagte Nick. Anfangs schien es, als hätte Pater Pete Probleme, seine Augen zu öffnen, doch nach ein paar Sekunden öffneten sie sich weit. „Kannst Du mich sehen?" fragte Nick. „Ja." „Kannst Du die Kerze in meiner Hand sehen?" „Ja, ihre Flamme ist groß“, antwortete Pete. Es war nicht zu fassen. Da war keine Kerze im Raum, aber er sah tatsächlich eine. „Kannst Du sie für mich ausblasen?" fragte Nick. „Sicher“, sagte Pete und blies in die Luft. „Danke“, schmunzelte Nick. „Nun schau Dich genau um." Pater Petes Augen waren glasig, und sein starrer Blick ließ mir Schauer über den Rücken laufen. Ich war mir sicher, daß er mich gesehen hatte, weil sein Blick bei der Untersuchung des Zimmers einige Male auf mir ruhte. „Wen siehst Du in diesem Zimmer?" fragte Nick. „Nur Dich", kam prompt die Antwort. Nick zog sich einen Schuh aus und hielt ihn Pete vor die Augen. „Siehst Du diesen Schuh?" fragte er. „Ja." „Schau ihn Dir genau an. Folge ihm mit Deinen Augen, egal wohin er geht." Mit diesen Worten warf Nick den Schuh über die Liege hinweg, genau in meine Hände. Ich schnappte ihn und hielt ihn so, daß Pater Pete ihn sehen konnte. Mit einem schockierten Ausdruck in der Stimme stammelte dieser: „Mein Gott! Der Schuh - er schwebt mitten in der Luft! Nick, was geht hier vor?" Ich geriet nun beinahe in Panik. Er konnte mich offensichtlich nicht sehen, obwohl ich direkt vor ihm saß! Geistesgegenwärtig verbarg ich den Schuh, damit Pater Pete sich nicht länger ängstigte. „Nick, der Schuh ist gerade einfach so verschwunden“, sagte Pete. „Mach Dir darum keine Sorgen“, beruhigte ihn Nick. „Schau einfach zu mir und entspanne Dich. Sag mal, hat es nicht gerade an der Tür geklopft?“ „Doch, klar“, bestätigte Pete. „Warum rufst Du unseren Gast nicht herein?“ Pater Pete nickte und stand auf. Langsam ging er zur Tür. „Oh mein Gott! Schau mal wer hier ist - Steve Allen!“ rief Pater Pete. „Führe ihn doch herein.“ Nick’s Stimme klang freundlich, aber bestimmt. Ich fühlte förmlich, wie die mentale Energie von 6
den Wänden zurückgeworfen wurde. Das kann alles nur ein Traum sein, sagte ich zu mir selbst. Das kann gar nicht wahr sein. Glücklicherweise konnte Steve Allen nur zwei Songs lang bleiben. Er begleitete sich selbst auf einem imaginären Piano, das er extra für diese Gelegenheit mitgebracht hatte. Ich dachte, ich hätte nun alles gesehen und das Ende der Sitzung wäre gekommen, doch wieder lag ich falsch. „Höre mir genau zu“, wandte sich Nick an Pater Pete. „Du legst Dich jetzt wieder hin und schließt die Augen. In ein paar Sekunden werde ich Dich wecken. Du wirst Dich an nichts von dem erinnern, was passiert ist, während du geschlafen hast. Je mehr Du Dich anstrengst, desto weniger kannst Du Dich erinnern. Ich werde jetzt in die Hände klatschen und Du wirst aufwachen." Nick klatschte in die Hände. Pater Pete setzte sich aufrecht hin und schlug die Augen auf. „Wie fühlst Du Dich?" fragte Nick. „Entspannt. Wie nach einem schönen Mittagsschlaf“, antwortete Pater Pete. „Woran kannst Du Dich erinnern?" war Nick’s nächste Frage. „Laß mich nachdenken. An nichts. Ich glaube, ich erinnere mich an nichts." Pater Pete schien nicht das Geringste dabei zu finden, daß ihm die letzten eineinhalb Stunden entfallen waren. Die Sitzung war vorbei. Ich verließ die beiden mit dem Gefühl, daß Hypnose eine der größten Kraftquellen ist, die der Mensch besitzt.
Kneifen gilt nicht In den nächsten Tagen konnte ich an nichts anderes als Hypnose denken. Ich erinnerte mich nur zu genau an Pater Petes erschrockenen Gesichtsausdruck, als dieser den Schuh scheinbar in der Luft schweben sah. Ebenso gut erinnerte ich mich an seine vergeblichen Versuche, den Arm zu beugen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger schrecklich kam es mir vor, jede Nacht ein paar Stunden weniger zu schlafen als andere Menschen. Dieses neue Gefühl lud mich förmlich ein, zu kneifen. Und genau das tat ich. Trotz meiner Angst vor der Hypnose war ich aber von einer brennenden Neugier erfaßt. Ich wollte mehr über diese unglaubliche Kraft wissen. Ich stellte mir vor, daß, falls ich mehr über diese Kraft wissen würde, ich sie für mich nutzen könnte, ohne meinen freien Willen aufzugeben. So machte ich mich auf die Suche. Ich las einfach alles, was ich zum Thema finden konnte, von den Grundlagen in Melvin Power’s Werken bis zu den komplizierten Büchern von Walberg. Ich las sie alle. In sieben langen Monaten erwarb ich so die magischen Kräfte der Hypnose. Ein „Gott" war geboren.
Der Werdegang eines Hypnotiseurs Während meiner Suche nach Literatur stolperte ich über ein Buch mit dem Titel „HypnoseTechniken". Das Buch schien wie für mich geschrieben. Es war im Stil einem Grundschulaufsatz nicht unähnlich und hielt sich mit solch trivialen Dingen wie Theorie, Natur und Gefahren der Hypnose gar nicht erst auf. Es beschrieb exakt das, was ich wissen wollte - wie man Leute in Hypnose versetzt. In nur eineinhalb Stunden hatte ich das Buch verschlungen. Es überraschte mich sehr, wie einfach hypnotisieren sein sollte - man brauchte nur zu den Leuten sprechen! Es muß einfach mehr dahinterstecken, dachte ich. Sicherlich lag es an der Reihenfolge der Worte, etwa wie in einem Zauberspruch. Vielleicht mußte ich die Worte auch wie einen Fluch aussprechen. Sicher war es irgendwie so. Was auch immer es sein mochte, 7
ich war bereit, es auszuprobieren. Ich benötigte nur noch eine Versuchsperson, und das konnte so schwer nicht sein - die Richtige lebte direkt bei uns im Haus: Meine Schwester Mary Jean. Im zarten Alter von neun Jahren war meine kleine Schwester ausgestattet mit allen Sehnsüchten der kleinen Meerjungfrau und dem Mut eines Evil Knievel. Diese Qualitäten, gekoppelt mit einer gewissen intellektuellen Unbedarftheit, machten sie zur idealen Versuchsperson. Mit viel Überredungskunst und einem „Geschenk" von zwei Dollar (ich wäre bis drei Dollar hochgegangen) gewann ich ihre Zustimmung, obwohl ihr die ganze Idee anfangs nicht gut gefiel. Vielleicht lag es daran, daß ich sie zwei Jahre zuvor in einem selbstgebauten Sarg im Garten vergraben hatte, um zu beweisen, daß man unter der Erde atmen kann (man kann, aber nicht sehr lange - ich grub sie gerade noch rechtzeitig aus). Doch ihr „Honorar" schwemmte diese Bedenken hinweg. Damals waren zwei Dollar eine Menge Geld für mich, mein erstes „Experiment" hatte nur 50 Cent gekostet! Als an diesem Abend alle vor dem Fernseher saßen, gingen wir auf mein Zimmer. Mary Jean mußte sich auf das Bett legen und die Augen schließen. Dies war die beste Ausgangsposition für eine Technik, die „freies Schweben" genannt wird. Ich wählte diese Methode, weil ich nicht sicher war, all die für andere Hypnosetechniken erforderlichen Worte behalten zu können. Wenn meine Schwester die Augen geschlossen hielt, konnte sie zudem nicht sehen, daß ich aus dem Buch vorlas. Und genau das tat ich. Mary Jean hatte ihre Augen gerade geschlossen, als ich schon unter das Bett griff und das Buch hervorholte. Ich schlug Seite sechs auf und begann zu lesen: „Entspanne die Muskeln in Deinem Gesicht. Löse die Anspannung in Deinem Gesicht und entspanne Dich. Befreie Deinen Geist und laß ihn durch den Raum gleiten..." Als ich mit der Einführung halb durch war, schaute ich auf. Ich traute meinen Augen kaum. Mary Jeans Hand hatte sich von der Brust erhoben und bewegte sich auf ihr Gesicht zu, genauso wie ich es bei Pater Pete gesehen hatte. Ich wußte nicht, ob ich mehr Angst oder Triumph empfinden sollte. Mein Herz schlug schneller und der Raum schien zu schrumpfen. Ich las weiter, etwas schneller und nicht mehr so betont wie zuvor - mit Erfolg. Als ich am Ende der Seite acht angelangt war, schien sie tief zu schlafen. Schweiß rann mir von der Stirn und von den Händen, aber ich war auf dem richtigen Weg, und das war alles, was in diesem Moment zählte. Blitzartig schossen mir die Vorteile dieser neuen Macht durch den Sinn lauter Einsen in der Schule, nie wieder mein Zimmer aufräumen müssen und die zwei Dollar von meiner Schwester zurückbekommen! Aber es war noch nicht an der Zeit, all diese Träume wahr zu machen. Es lag noch viel Arbeit vor mir. Ich blätterte um und begann mit den Formeln, die Mary Jeans Arm steif machen sollten. „Dein Arm wird steif, sehr steif, so als wäre er ein Brett..." Während ich las, bewegte sich ihr Arm in die Höhe, bis er ganz gestreckt war. Er war tatsächlich steif wie ein Brett. „Versuche jetzt, Deinen Arm zu beugen“, ordnete ich an. Sie versuchte es, zitterte vor Anstrengung, aber der Arm ließ sich nicht beugen. Es war wie bei Pater Pete - je mehr sie sich anstrengte, desto steifer wurde der Arm. Dann, aus heiterem Himmel, kam plötzlich Panik auf. Meine Schwester atmete schneller und schneller. Schweiß trat auf ihre Stirn. Ihre Versuche, den Arm zu beugen, wurden zusehends hektischer und verkrampfter. Um es kurz zu sagen, sie wurde fast verrückt vor Angst. Ich blätterte wie wild in meinem Buch, um die Seite zu finden, auf der sich ein Ausweg aus dieser Situation finden ließ. Nach einer kleinen Ewigkeit fand ich die Lösung auf Seite 36. Nervös las ich ihr vor: „Wenn ich bis drei gezählt habe, wachst Du auf. Eins, zwei, drei. Du bist jetzt wach." Mary Jeans Augen öffneten sich und sie wurde ruhiger. Sie schien wirklich über den Berg zu sein. „Alles O.K.? Wie fühlst Du Dich?" fragte ich erleichtert. „Judd, Du 8
Idiot, “ schrie sie, „Ich kann meinen Arm nicht bewegen!“ Oh, mein Gott! Ich hatte sie aufgeweckt, ohne die Suggestion des steifen Arms von ihr zu nehmen. Ihr Arm war noch immer stocksteif. Wie der Blitz war ich wieder bei meinem Buch und überflog die Kapitel über Fantasien, Altersrückgang und Gedächtnisschwund, in verzweifelter Suche nach einem Kapitel über Fehlerkorrektur. Ich fand es auf Seite 8. Laut las ich ihr die Suggestion für die Aufhebung der Armlähmung vor. Doch nichts geschah. Der Arm blieb, wie er war. An ihrem wütenden Gesichtsausdruck und den Tränen erkannte ich, daß sie das Vertrauen in mich verlor. Endlich kam mir die Erkenntnis: Ich würde sie erst wieder hypnotisieren müssen, um die Blockade von ihrem Arm nehmen zu können. Es war wirklich nicht einfach, Mary Jean davon zu überzeugen, doch das Versprechen, ihr weitere zwei Dollar zu zahlen, gab schließlich den Ausschlag. Ich hypnotisierte sie erneut, erlöste ihren Arm und weckte sie auf. Wir waren beide sehr erleichtert.
Meine neue Macht Das Experiment mit Mary Jean war ein Erfolg. Zumindest hatte ich eine Menge daraus gelernt. Ich hatte bewiesen, daß ein Zwölfjähriger hypnotisieren konnte und daß es beileibe nicht ungefährlich war. Ich hatte auch gelernt, daß ich mein Wissen vertiefen mußte, wenn ich ein guter Hypnotiseur werden wollte. Mary Jean allerdings schien am meisten von meinem ersten Experiment profitiert zu haben: Sie bekam zwei Dollar für den Versuch, zwei Dollar für den zweiten Anlauf und forderte darüber hinaus noch fünf Dollar Schweigegeld! Nach dieser erfolgreichen Hypnose stieg mein Selbstvertrauen ungemein. Ich war fest überzeugt, die Macht zu besitzen, anderer Leute Leben kontrollieren zu können und jedes weitere Experiment bestärkte mich in dieser Gewißheit. Bis zu meinem 14. Geburtstag hatte ich jeden in der Nachbarschaft mindestens einmal hypnotisiert. Ich hatte alles ausprobiert, was man mit Hypnose anstellen konnte - Halluzinationen, Betäubung, Altersrückgang, Gedächtnisverlust, Kristallblick und Zeitverdrehung. Ich ließ nichts aus. Ich glaubte mittlerweile nicht nur, daß ich etwas Göttliches an mir hatte, ich war auch völlig sicher, daß Hypnose eine Art Wundermittel war, die jeden gewöhnlichen Menschen in einen Supermann verwandeln konnte.
Fred Glass - der Test Einige Zeit später erhielt ich einen Anruf von Fred Glass, einem Kraftsport-Neuling. Fred hatte von einem gemeinsamen Freund von meinen Hypnose-Eskapaden gehört und erhoffte sich neue Erfolge im Powerlifting durch meine Kräfte. Er hatte erfahren, daß man mit Hypnose den Phantomschmerz, der bisweilen an amputierten Gliedmaßen auftritt, bekämpfen konnte, und daraus schloß er, daß man mit dieser Methode sicher auch körperliche Fähigkeiten steigern könne. Wir verabredeten uns. Das Treffen mit Fred wurde zu einer besonderen Erfahrung für mich. Ebenso wie die Mona Lisa entzog sich Fred jeder Beschreibung. Mit seinen 30 Jahren sah er wesentlich reifer aus. Er schien nur aus Sehnen und Knochen zu bestehen. Wie ein Powerlifter sah er beileibe nicht aus. Aber im Gegensatz zu seiner äußeren Erscheinung hatte Fred mehr Energie als eine ganze Horde Pfadfinder. Er war ein regelrechtes Energiebündel. Wenn es um Enthusiasmus ging, war er unschlagbar. Eine ganze Wagenladung Amphetamine hätte Fred nicht mehr Energie verleihen können, als Gott ihm ohnehin schon mitgegeben hatte. Umgänglich und freundlich in seiner Art, wurde er von Vielen bewundert. Es machte Spaß, in seiner Umgebung zu sein. Freds großes Problem beim Powerlifting war, daß er sich unter Streß nicht 9
entspannen konnte. Er erzählte, daß er bei Wettkämpfen immer sehr nervös wurde und sich nicht mehr auf das Gewicht konzentrieren konnte. So kam es, daß er im Wettkampf mit schöner Regelmäßigkeit entschieden weniger Gewicht bewältigte als zuvor im Training. Ich versuchte also, Fred per Hypnose mehr Ruhe und Selbstvertrauen zu geben, damit er im Wettkampf lockerer sein konnte. Bei unserer ersten Sitzung hypnotisierte ich ihn und spielte ein wenig mit verschiedenen Techniken herum. Dann suggerierte ich ihm einfach, daß er am Tag des Wettkampfs völlig entspannt und kontrolliert sein würde. Fred sprach auf die Hypnose so gut an, daß ich sicher war, daß alles funktionieren würde. Während der nächsten drei Wochen wiederholten wir die gleiche Prozedur dreimal pro Woche. Ich hypnotisierte ihn, rief ein paar hypnotische Phänomene ab und verstärkte die beruhigende Suggestion für den Wettkampf. Wir waren beide sehr zuversichtlich und Fred freute sich auf die beste Leistung seiner Karriere. Leider lief nicht alles wie geplant. Als wir die Halle betraten, war Fred wieder ganz der Alte. Er war hibbelig, nervös und, was am schlimmsten war, er wirkte wie ein Motor auf Hochtouren - allerdings ohne eingelegten Gang. Er war so schlecht, daß er nach dem zweiten Versuch am liebsten seine Nennung zurückgezogen hätte. Für mich war diese Erfahrung ein großer Rückschlag. Zum ersten Mal mußte ich feststellen, daß meine neue Kraft auch Grenzen hatte. Aber ich gab nicht auf. Wie besessen von der Idee, daß es machbar sei, den menschlichen Geist zu kontrollieren, begab ich mich in die Bibliothek und las alles, was ich zum Thema Streßminderung finden konnte. Nach einigen Tagen verbissenen Forschens stieß ich auf eine Technik, die „partielle Entspannung“ genannt wird. Diese Technik, von Edmond Jacobson im Jahre 1943 entwickelt, lehrte, einen Streß zu realisieren und durch gezielte Serien von Anspannung und Entspannung zu vermindern. So sollte der Proband zum Beispiel seine Hand soweit zurückbiegen, wie es ihm möglich war, um dann der Anspannung von Hand und Unterarm bewußt zu werden. Nach ein bis zwei Minuten in dieser Stellung sollte die Person ihre Hand locker hängen lassen und sich auf die Gefühle in der nunmehr entspannten Hand konzentrieren. Jacobson nannte dies „ins Negative gehen“. Sinn der Übung ist es, dem Patienten beizubringen, die Entspannung seiner Muskeln zu spüren. Sobald er die unterschiedlichen Grade der An- und Entspannung unterscheiden kann, bringt man ihm bei, den Muskel zu entspannen, ohne in vorher angespannt zu haben. Er soll sich allein aus der gegebenen Situation heraus entspannen können. Nachdem der Proband sich bewußt entspannen kann, lernt er, diese Entspannung als Waffe gegen Streß einzusetzen. Einem Gewichtheber, dem der Wettkampfstreß zusetzt, mußte man demnach nur suggerieren, er solle seine neuen Fähigkeiten im Wettbewerb so stark wie möglich einsetzen. Da Entspannung der natürliche Feind von Streß ist, wird der Athlet so seiner Unruhe Herr. Das bedeutet aber nicht, daß der Sportler sich während des Wettkampfes hinlegen und Entspannungsübungen praktizieren soll. Vielmehr soll er seine Muskeln durch geistige Kontrolle entspannen. Meine Idee war nun, teilweise Entspannung mit Hypnose zu kombinieren, um eine tiefe körperliche Entspannung hervorzurufen. Während der nächsten drei Monate hypnotisierte ich Fred wiederum dreimal in der Woche und führte mit ihm verschiedene Entspannungstechniken durch. Jede Sitzung dauerte etwa eine Stunde. Während der Sitzungen ließ ich Fred einzelne Muskel anspannen und entspannen. Ich fuhr solange damit fort, bis ihm das Gefühl tiefer Entspannung völlig vertraut wurde. Den Rest der Sitzung verbrachte Fred damit, das Entspannen zu üben oder „ins Negative zu gehen“. Die neue Technik funktionierte hervorragend. Nach jeder Sitzung war Fred entspannt wie ein Krokodil in der Sonne. Kein Zweifel, ich hatte Erfolg mit meinem 10
Lehrgang in Entspannungstechnik. Fred mußte seine neuen Fähigkeiten nur noch im Wettkampf unter Beweis stellen. Doch wieder lief es nicht so wie geplant. Beim nächsten Wettbewerb war Fred so nervös wie immer. Obwohl während unserer Sitzungen immer alles gut funktioniert hatte, konnte Fred seine Fähigkeiten im Scheinwerferlicht der Wettkampfbühne nicht anwenden. Über die Gründe des erneuten Fehlschlags tappte ich völlig im Dunkeln. Es konnte sein, daß er seine Lektionen nicht gut genug gelernt hatte, oder daß er in der Halle grundsätzlich so nervös war, daß er die Techniken nicht perfekt ausführen konnte. Was es auch immer war, das Resultat war katastrophal. Ich hatte wieder versagt. Trotzdem war ich überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. Ich hatte eine Technik zur Entspannung, ich mußte nur noch einen Weg finden, sie für die Wettkampfarena brauchbar zu machen. Ich ging wieder in die Bibliothek und versenkte mich in Bücher über Verhaltensforschung. In einem davon las ich über das berühmte Experiment des russischen Forschers Pawlow. Seine Methoden waren ziemlich rüde. Er nahm einen Hund, ließ ihn halb verhungern und als der Hund richtig ausgehungert war, zeigte Pawlow ihm ein Stück Fleisch. Sofort begann der Hund zu sabbern. Eine solche Reaktion nennt man unbewußte oder unkontrollierte Reaktion. Sie ist angeboren und läßt sich durch den gleichen Reiz immer wieder hervorrufen. Danach kombinierte Pawlow das Hervorzeigen des Fleisches mit dem Klang einer kleinen Glocke. Er klingelte, zeigte dem Hund das Fleisch und diesem lief das Wasser im Maul zusammen. Die Reaktion des Tieres war normal; das Fleisch war ja immer dabei. Später, nachdem Pawlow dieses Spiel über einen längeren Zeitraum wiederholt hatte, ging er anders vor: Er klingelte, hatte aber kein Fleisch dabei. Wieder sabberte der Hund. Er sabberte jetzt jedes Mal, wenn er die Glocke hörte. Der Hund hatte eine Assoziation, eine Verbindung zwischen Klingeln und Fleisch hergestellt. Der Reflex des Speichelflusses reagierte jetzt auf beide Signale. Es sollte mich doch wundern, dachte ich, wenn es mir nicht gelänge, einem Menschen einen ähnlichen Reflex anzutrainieren. Nachdem ich noch weitere Artikel zu ähnlichen Experimenten gelesen hatte, rekrutierte ich wieder meine bevorzugte Versuchsperson, Mary Jean. Ich nahm eine kleine Lampe und leuchtete ihr damit in das rechte Auge. Wie vorauszusehen war, zog sich ihre Pupille sofort zusammen. Dies ist beim Menschen ein angeborener Reflex, ähnlich dem des Speichelflusses bei Hunden. Als nächstes sagte ich jedes Mal mit fester Stimme „kontrahiere", wenn ich ihr ins Auge leuchtete. Wieder und wieder zog sich ihre Pupille zusammen, eine normale Reaktion auf das Licht, das direkt in ihr Auge fiel. Wir wiederholten die Prozedur 15 Minuten am Tag für den Zeitraum einer Woche. Eines Abends dann, beim gemeinsamen Essen, zielte ich plötzlich mit dem Zeigefinger auf Mary Jean, schaute ihr in die Augen und befahl: „Kontrahiere". Die Pupille ihres rechten Auges zog sich sofort zusammen. Einen Augenblick lang dachte ich, meine Eltern würden ausflippen. Natürlich dachten sie, ich würde wieder irgendeinen Hypnose-Hokuspokus treiben, dabei hatte ich ihnen gerade ein Lehrstück in klassischer Konditionierung vorgeführt. Ich hatte das Gleiche vollbracht wie Pavlov mit seinen Hunden, abgesehen von der Tatsache, daß mein Versuchstier ein Mensch war. Freds Problem schien mir nun gelöst. Wenn ich eine Assoziation zwischen einem angeborenen Reflex und einer willkürlichen Körperfunktion herstellen konnte, mußte der Rest einfach sein. Ich kombinierte nun die Zahl „2001" mit der Fähigkeit zur Entspannung. Zwei Monate lang hypnotisierte ich Fred jeden Abend. Wir durchliefen sein Entspannungstraining und ich fixierte ihn auf diese Zahl. Immer wenn er sich nach einer Anspannung langsam lockerte, mußte er sich die Zahl „2001" bildlich vorstellen. So verband ich das Symbol „2001" fest mit 11
dem Gefühl tiefer Entspannung. Nach einigen Wochen regelmäßiger Übung war Fred wirklich in der Lage, sich allein dadurch zu entspannen, daß er „2001" vor seinem geistigen Auge erscheinen ließ. Jedes Mal, wenn er fühlte, wie Nervosität in ihm aufstieg, konzentrierte er sich auf dieses Symbol und füllte es mit Leben. Die darauf folgende Verwandlung war jedes Mal erstaunlich. Nachdem er seine Nervosität so überwinden konnte, erreichte Fred ungeahnte Höhen. Er wurde einer der besten Powerlifter der Welt und stellte eine Reihe nationaler Rekorde und Weltrekorde auf.
Kapitel 2 - Die Grundlage - ein Bauplan des Gehirns Eine Demonstration meiner Fähigkeiten Mit 16 Jahren betrat ich die Welt der höheren Bildung. Ich schrieb mich am Concord College in New York ein. Zu dieser Zeit hatte mein Interesse an Hypnose und Verhaltenskontrolle deutlich abgenommen. Die üblichen Erstsemesteraktivitäten, Partys und Frauen, nahmen mich weit mehr in Anspruch. Abgesehen von diesen wichtigen Dingen beschäftigte mich eigentlich nur noch Basketball. Ich aß, schlief und atmete Basketball. So blieb es nicht aus, daß ich als viel versprechender Neuling in die Erstsemestermannschaft aufgenommen wurde. Doch dann passierten zwei Dinge, die mein Leben von Grund auf ändern sollten. Der erste Zwischenfall ereignete sich mitten im ersten Semester. Die Basketballsaison hatte gerade begonnen und die Halle war bis auf den letzten Platz gefüllt. Es waren mindestens zweitausend Leute zum ersten Spiel gekommen. Weitaus wichtiger, war aber für mich, daß meine Familie und meine Freundin über 300 Kilometer gefahren waren, um bei meinem Debüt anwesend zu sein. Es war der wichtigste Tag meines Lebens. Ich war sehr aufgewühlt; um genau zu sein, ich kann mich bis heute an kein sportliches Ereignis erinnern, das mich emotional so aufgewühlt hat wie dieses Basketballspiel. Rückblickend kann ich ohne Übertreibung behaupten, daß ich damals einfach nicht zu bremsen war. Ich traf praktisch bei jedem Versuch den Korb. Ich machte 34 Punkte, damals ein Hochschulrekord, und verhalf meiner Mannschaft damit zu einem ü erlegenen Sieg. Nach dem Spiel war ich in Hochstimmung. Auf dem Weg zur Umkleidekabine fing mich Bob Lambert ab, der Trainer der ersten Mannschaft. Er teilte mir mit, daß er eines ihrer Trikots in meinen Schrank gelegt habe. Ich solle gleich am Aufwärmprogramm der College-Auswahl, die anschließend spielte, teilnehmen. Ich war so aufgeregt, daß ich meine Umwelt kaum noch wahrnahm. Es war an dieser Hochschule bisher nicht vorgekommen, daß jemand aus der Erstsemestermannschaft direkt in die CollegeAuswahl berufen wurde. Ich ging in die Kabine, wechselte die Trikots und zog den Jogginganzug mit dem Emblem unserer Schule darüber. Fertig umgezogen setzte ich mich kurz vor meinen Spind, um mich etwas zu sammeln. Dann ging ich zurück in die Halle, bereit, zur Auswahlmannschaft zu stoßen. Doch schon während des Aufwärmtrainings war ich völlig daneben. Ich traf nichts, meine Pässe waren ungenau und einmal dribbelte ich mir sogar auf den Fuß. Nervosität hatte mich erfaßt und ließ nicht mehr los. Ich muß wie ein Kleinkind gewirkt haben, das zum ersten Mal einen Basketball in der Hand hält. Ich fühlte mich wie ein Trottel und genauso spielte ich auch. Zum ersten Mal in meinen Leben spürte ich am eigenen Leib, wie es ist, durch 12
Nervosität gelähmt zu werden. Eine scheußliche Erfahrung. Ich war aller Fähigkeiten und Techniken beraubt, für die ich so hart trainiert hatte, und ich konnte nichts gegen dieses Gefühl unternehmen, das mich zerstörte. Ich weiß noch, daß ich mich an das Experiment mit Fred Glass erinnerte und daran, wie schwer es mir seinerzeit gefallen war, zu verstehen, daß Fred von seiner inneren Unruhe im Powerlifting beeinträchtigt wurde. Nun, drei Jahre später, fühlte ich mich wie Fred persönlich. Um offen zu sein, ich war mehr als glücklich, als der Trainer mich zu Beginn des Spiels an das hinterste Ende der Reservebank setzte. Dort fühlte ich mich sicher und geborgen. In der ersten Halbzeit wurde die gegnerische Mannschaft von unserem Team geradezu überrollt. Es dauerte nur knapp sechs Minuten, bis wir den ersten Korb erzielten. Zur Halbzeitpause hatten wir einen komfortablen 20-Punkte Abstand herausgespielt. In der zweiten Spielhälfte ging es genauso weiter. Etwa zehn Minuten vor Spielende hatte sich unser Abstand auf 30 Punkte vergrößert. Jetzt wechselte unser Trainer die Reservespieler einen nach dem anderen ein. Plötzlich hörte ich meinen Namen. Es war Trainer Lambert: "Biasiotto, geh rein und beiß' Dich fest." Blitzartig stieg die Nervosität in mir wieder hoch. Ich kann mich noch schwach daran erinnern, daß ich den Trainer fragte, an wen ich mich festbeißen solle. Ich stieg aus meinem Trainingsanzug und lief aufs Feld. Der Lärm in der Mitte war ohrenbetäubend. Ich warf einen kurzen Blick in die Ränge. Die Zuschauer schienen vor Begeisterung verrückt zu werden. Ich verstand die Welt nicht mehr. War es, weil ich lediglich ein Erstsemester war, oder weil ich im ersten Spiel so überragend gewesen war? Dann sah ich zu meinen Eltern hinauf und bemerkte, daß sie sich die Hände vor die Gesichter hielten. Irgendetwas war ganz und gar nicht in Ordnung! Ich stand da wie versteinert. Es dauerte bestimmt zehn Sekunden, bis ich endlich verstand: Zu meinem größten Entsetzen mußte ich feststellen, daß ich mit der Trainingshose auch meine kurze Basketballhose ausgezogen hatte. Da stand ich nun vor Gott und der Welt in Socken, Trikot und Unterhose. Als ich zur Bank zurücklief, empfing mich der Trainer, im Gesicht blau angelaufen vor Lachen. "Biasiotto“, sagte er kopfschüttelnd, "Du wirst noch so manchem Deinen Hintern zeigen." Um die Sache noch schlimmer zu machen, druckte die lokale Tageszeitung am nächsten Tag die Meldung: "Crusaders schlugen Rams 89:54; Biasiotto brachte gute Showeinlage." Für einen 16-jährigen, bis dato recht erfolgreichen Jungen, der sich immer recht gut unter Kontrolle hatte, war dies eine niederschmetternde Erfahrung. Ich brauchte einige Zeit, um mich davon zu erholen. Selbst heute denke ich nur voller Unbehagen daran zurück. Aber, wie man so schön sagt: Es gibt keine "schlechten" Erfahrungen, man lernt immer nur dazu. Mein erstes Basketballspiel in der College-Auswahl machte mir eines klar: Ebenso wie Fred Glass mußte ich jetzt lernen, meine Emotionen zu kontrollieren. Diese Erfahrung lenkte mein Interesse wieder auf die Sportpsychologie.
Der Swami Drei Monate nach meinem Basketballdebüt ereignete sich etwas, das mich endgültig zur Sportpsychologie zurückführen sollte. Es war eine Demonstration geistiger Kontrolle durch einen dieser Hindu-Lehrer aus dem fernen Osten. Der Swami, etwa 60 Jahre alt, trainierte seit seiner Geburt Yoga. Unser Professor erzählte uns, daß der Swami von seinem eigenen Lehrmeister angewiesen worden war, in den Westen zu gehen und dort seine Fähigkeiten zu demonstrieren. Und hier saß er nun, mitten in der Turnhalle, umringt von 450 Studenten. Er sah aus wie jemand, der aus einer Pflegestation für verwahrloste Jugendliche entwichen war. Bekleidet mit einer übergroßen Windel und etwas um den Kopf gewickelt, das aussah wie ein 13
schmutziges Bettlaken, wirkte er wie ein Opfer der Hungersnot in Biafra. Der Swami erschien mir also nicht gerade wie der Inbegriff von Kraft und Stärke, doch er brauchte nicht lange, um mich vom Gegenteil zu überzeugen. Glauben Sie mir, wenn dieser Mann ein Powerlifter gewesen wäre, Lamar Grant und Joe Bradley würden heute noch auf ihre Weltrekorde warten. Zunächst zeigte er uns etwas, das er "Farbwechsel" nannte. Immer noch in der Mitte der Halle sitzend, streckte er beide Arme zu den Seiten aus. Er schloß die Augen und fiel in eine tiefe Trance. Sofort wurde seine rechte Hand krebsrot, seine Linke dagegen kränklich grau. Offensichtlich wußte er den Blutfluß in seinen Gliedmaßen zu kontrollieren. Ich war beeindruckt, aber nicht gerade hingerissen. Meine neun Jahre alte Schwester konnte ihre Pupille auf Kommando zusammenziehen und ich war sicher, daß sie mit etwas Übung auch den Farbwechsel erlernen konnte. Dann aber folgte eine schier unglaubliche Darbietung. Es scheint mir selbst heute noch unfaßbar, obwohl ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Der Swami zog eine etwa 20 Zentimeter lange Nadel aus einem Etui, das er um die Schulter trug. Er hielt die Nadel mit festem Griff an einem Ende. Die Spitze zeigte auf einen Punkt an seinem Unterarm. Ohne Vorwarnung stieß er sich die Nadel durch den Arm. Die rasiermesserscharfe Spitze drang durch das Gewebe, aber zum allgemeinen Erstaunen zeigte sich kein Blut. Aber das war noch nicht alles. Der Swami zog die Nadel aus dem Arm und der Einstich verschwand augenblicklich. Ab diesem Augenblick war ich verraten und verkauft. Während der nächsten halben Stunde lief der Swami über glühende Kohlen, hielt seine Hand über eine Flamme und drückte eine Zigarette auf der Brust aus. Nein, er verbrannte sich nicht. Jede Form von Hitze schien seinem Körper rein gar nichts auszumachen. Sein Fleisch schien aus Asbest zu bestehen. Die abschließende Darbietung nannte der Swami „das Herz einfrieren“. Zunächst schloß er sich an einen Pulsmesser an, damit wir seinen Pulsschlag verfolgen konnten. Dann spielte er etwas mit seinem Herzschlag herum. Er ließ ihn bis auf 150 Schläge pro Minute ansteigen, um ihn dann wieder auf 30 Schläge pro Minute zu senken. Als er dieses Spiels überdrüssig wurde, stellte er seinen Herzschlag auf etwa 70 Schläge ein. Dann passierte es: Als sein Herz stabile 70 Schläge pro Minute machte, ließ er die Frequenz ohne Übergang auf 300 Schläge ansteigen. Ein so hoher Herzschlag führt unweigerlich zu Kammerflimmern, ein Zustand, bei dem das Herz so schnell vibriert, daß sich die Kammern nicht mehr füllen. Die Herzklappen arbeiten nicht mehr richtig und es wird kein Blut transportiert. Einige Leute, die Bekanntschaft mit Herzkammerflimmern gemacht haben, finden ihren Namen nur noch auf der ewigen Bestenliste wieder. Der Swami aber saß einfach da und lächelte. "Wenn Ihr die totale Kontrolle über Euch erlangt habt, verfügt Ihr über ein unschlagbares Werkzeug“, sagte er. Klar, jeder wollte wissen, wie er diese Kontrolle erlangt hatte. "Ich meditiere, zügele meine Emotionen und beruhige alle Körperfunktionen. Wenn ich so zu mir selbst gefunden habe, denke ich einfach an das, was ich von meinem Körper erwarte und er tut es“, erklärte der Swami. "Wie lange dauert es, diese Dinge zu erlernen?" fragte ich. "Nun, vielleicht 15 bis 20 Jahre." 15 bis 20 Jahre! Viele Menschen in der westlichen Hemisphäre können oder wollen sich nicht einmal die Zeit nehmen, täglich 15 Minuten in einem bequemen Sessel zu entspannen. Täglich drei Stunden Meditation, und das sieben Tage in der Woche für einen Zeitraum von 20 Jahren stand da völlig außer Frage. Mir hingegen schien es ein kleiner Preis für diese Kräfte zu sein. Ich wollte zwar nicht lernen, wie man Nadeln unblutig durch den
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Arm treibt oder den Herzschlag abzustellen, aber ich wollte diese totale Kontrolle erlangen, mit der der Swami seine Übungen darbot.
Hypnose-Supermann Am Ende meines ersten Semesters in New York hängte ich das Basketballtrikot an den Nagel und wechselte zum Georgia Southern College in Statesboro, Georgia. Zwei gewichtige Gründe hatten mich zu diesem Schritt veranlaßt. Zum einen verlief meine Basketballkarriere im Sande, denn die National Basketball Association war schon damals nicht gerade bekannt dafür, 1,70 Meter großen Spielern Verträge nachzuwerfen, egal, wie gut sie waren. Zum anderen war ich so mit meinen Hypnoseforschungen beschäftigt, daß ich jegliches Interesse an Basketball verloren hatte. Ich wählte das Georgia State College, weil es als wissenschaftlich orientierte Hochschule für meine Pläne sehr gut ausgestattet war. Dieser Wechsel sollte sich als eine der besten Entscheidungen meines Lebens erweisen. An meinem ersten Tag auf dem Campus traf ich Ronny Martin, einen Powerlifter aus Macon, Georgia. Wir verabredeten uns zu einem gemeinsamen Training und bevor ich mich versah, trainierte ich dreimal die Woche an den Gewichten. Es ging mir nicht so sehr um den Sport, aber ich wollte mit Ronny zusammen sein. An Kniebeugen und Kreuzheben war ich damals nicht interessiert, ich machte nur etwas Bankdrücken und ein paar Curls, um für die Mädchen besser auszusehen. Ronny dagegen hatte sich mit Leib und Seele dem Powerlifting verschrieben. Er sprach über nichts anderes. Unglücklicherweise blieben seine Leistungen weit hinter seinen Träumen zurück. Ich wußte nicht, wie viel Gewicht er beim Kreuzheben oder aus der Kniebeuge bewältigte, da er diese Übungen nicht an den Tagen trainierte, an denen ich ihn begleitete. Aber seine Leistungen beim Bankdrücken waren alles andere als beeindruckend. An guten Tagen, bei durchschnittlicher Luftfeuchtigkeit und mit gutem Aufwind, schaffte er 230 amerikanische Pfund. Das war vielleicht nicht schlecht für einen 114-Pfünder, aber Ronnie wog 180 Pfund. Offensichtlich war er bei den anderen Übungen viel besser, denn er beklagte sich oft über diese Schwäche beim Bankdrücken. Sicherlich half ihm diese Einstellung nicht gerade weiter. Er war das exakte Gegenteil von Norman Vincent Peale. Er war so negativ eingestellt, daß ihm jeder im Studio aus dem Weg ging, wenn er Bankdrücken trainierte. Eines Abends kam er sehr aufgeregt ins Studio gestürmt, mit der halben Studentenschaft im Schlepptau. Jemand hatte ihm erzählt, daß ich ein Hypnotiseur sei, und nun bat er mich, ihm mit meinen Kräften zu mehr Erfolg auf der Bank zu verhelfen. Er mußte dem ganzen College erzählt haben, daß ich ihn per Hypnose in einen Supermann verwandeln würde. Innerhalb von zehn Minuten war das Studio bis unter die Oberlichter mit Zuschauern gefüllt. Ich riet ihm, das Ganze zu vergessen. Einerseits war ich nicht sicher, ob ich ihn überhaupt hypnotisieren konnte. Falls es doch klappen sollte, wußte ich nicht, wie gut er auf die Hypnose ansprach. Andererseits hatte ich noch niemandem durch Hypnose mehr Kraft suggeriert. Ich wußte gar nicht, ob das möglich war, geschweige denn, welche Suggestionen dazu erforderlich waren. Und sollte mein Versuch fehlschlagen, hätte ich vor all den Leuten wie ein Idiot dagestanden. Die Chance für einen Mißerfolg war mir einfach zu groß. Schließlich sprachen wir über meßbare Kriterien (nämlich, wie viel Gewicht Ronny bewegen sollte) und nicht über subjektive Empfindungen (wie er sich fühlte). Bei Ronny lag das eigentliche Problem im Kopf. Man brauchte bloß das Wort „Bankdrücken“ in den Mund zu nehmen und das Essen kam ihm hoch. Damit wollte ich wirklich nichts zu tun haben. Aber 15
Ronny ließ nicht locker. Er fing fast an zu weinen, als ich ablehnte, und im Nu hatte er fast jeden im Studio auf seiner Seite. Nach zehn Minuten hatte er mich schließlich überredet. Es war soweit gekommen, daß ich der Dumme gewesen wäre, hätte ich mich weiter geweigert. Ronny ging mit mir in einen Nebenraum. Ich war völlig durcheinander und mußte mich zwingen, meine Gedanken zu ordnen. Als ich ihn hypnotisiert hatte, sagte ich einfach zu ihm: "Ronny, Du wirst stärker und stärker. Du spürst es in jeder Faser Deines Körpers. Du bist jetzt stärker als je zuvor in Deinem Leben." Mehr sagte ich nicht. Zu meiner Überraschung begann er unkontrolliert zu hyperventilieren. Die Muskeln an Ronnies Armen und an seiner Brust kontrahierten; die Haare auf seinen Unterarmen richteten sich auf. Als ich ihn aus seiner Trance aufweckte, wirkte er hysterisch. Sein Gesicht war feuerrot, die Augen standen leicht hervor und bei jedem Atemzug stöhnte er leise. Er sah aus, als hätte eine fremde Macht Besitz von ihm ergriffen. Ronny stürmte zurück in den Kraftraum und drückte vor den Augen seiner Bewunderer erst 230, dann 250 und zu guter Letzt 300 Pfund. Er wäre noch höher gegangen, wenn ich ihn nicht zurückgehalten hätte. Er war völlig außer Rand und Band. Ich habe noch nie jemanden so aufgeputscht gesehen. Nach dieser Vorstellung waren Ronny und ich auf dem Campus bekannt wie bunte Hunde. Für mich war das der Anfang. Ich wollte herausbekommen, ob es wirklich meine Hypnose war, die Ronny zu seiner Stärke verholfen hatte und, wenn ja, ob es bei anderen genauso wirken würde. Im Laufe des folgenden Jahres leitete ich 12 Untersuchungen, die sich mit den Auswirkungen von Hypnose auf die Körperkraft beschäftigten. Während dieser Zeit hypnotisierte ich etwa 250 verschiedene Leute. Die Ergebnisse waren äußerst interessant. Ich stellte fest, daß Hypnose an sich wenig geeignet war, die Körperkraft zu steigern. Wenn Hypnose jedoch mit Suggestion zusammen angewandt wurde, stiegen die Erfolgschancen deutlich. Es bestand natürlich auch die Möglichkeit, daß die Suggestion allein den Versuchspersonen bereits zu mehr Kraft verhalf. Aber diese Möglichkeit interessierte mich damals nicht. Der Grad meiner Bekanntheit stieg sprunghaft an. Mittlerweile stand ich auf dem Campus in dem Ruf, mittels meiner hypnotischen Kräfte, Studenten in Übermenschen verwandeln zu können. Jeder wollte plötzlich von mir hypnotisiert werden. Sogar von den Trainern der Collegemannschaften wurden mir Spieler geschickt, mit denen ich arbeiten sollte. Zu dieser Zeit war ich wahrscheinlich der bestbesuchte Hypnotiseur der Welt. Ich hatte im Schnitt drei bis fünf Sitzungen pro Tag und arbeitete mit den Leuten an den verschiedensten Problemen, wie Schlaflosigkeit, Nervosität, Angstgefühle, Gewichtsabnahme oder Rauchen, um nur einige zu nennen, und ich hatte Erfolg - großen Erfolg. Meine Erfolgsquote überstieg die der meisten Doktoren, die mit herkömmlichen Behandlungsmethoden an diese Probleme herangingen. Sogar unsere Schulpsychologen schickten mir Leute und einige dieser studierten Fachleute nahmen beobachtend an meinen Sitzungen teil. Vielleicht hatte ich soviel Erfolg, weil ich meinen "Patienten" mehr Aufmerksamkeit schenkte, oder es lag an dem engen Verhältnis, das ich zu ihnen entwickelte. Möglicherweise lag es auch einfach an dem guten Ruf, den ich mittlerweile am College genoß. Oder es war die Hypnose selbst. Was es auch war, es funktionierte hervorragend. Dieser Erfolg brachte mich dazu, mehr über menschliches Verhalten zu lernen. Während meines ersten Jahres am Georgia Southern College arbeitete ich mich in das faszinierende Feld der Psychologie ein. Ich las alles zu diesem Thema, was ich in die Finger bekam. Ich las nicht nur, sondern machte auch viele Erfahrungen am eigenen Leibe. Ich 16
wurde hypnotisiert, mesmerisiert, transzendentalisiert, yogaisiert und „gezent“. All diese Experimente schufen eine solide Grundlage für meine spätere Arbeit.
Schöne neue Welt Man muß bedenken, daß zu dieser Zeit die Psychologie noch in den Kinderschuhen steckte. Die Sportpsychologie hatte noch nicht einmal den Sprung zur akademischen Wissenschaft geschafft, zumindest nicht in der westlichen Welt. Sie mögen es glauben oder nicht, aber es gab damals eine Menge Leute, Psychologen und Psychiater eingeschlossen, die die Psychologie für eine Grenzwissenschaft hielten. Um als "richtige" Wissenschaft anerkannt zu werden, mußten ihre Grundlagen wissenschaftlich verifizierbar sein, d.h. sie mußten auf einer wiederholbaren Versuchsreihe, die immer zu dem gleichen Ergebnis führte, basieren. Die meisten Methoden, die damals von Psychologen angewandt wurden, beruhten auf theoretischen Vorgaben, die ihrerseits eher auf Spekulation beruhten als auf wissenschaftlichen Untersuchungen. Die Methoden entsprachen eher der Strategie von „trial and error“ - „Versuch und Irrtum“ - als systematischen Verfahren zur Veränderung menschlichen Verhaltens. Und nicht nur das. Es gab einfach keine Ausbildung, die sich mit der Verhaltensänderung gesunder Menschen beschäftigte. Die komplette Schulung der Fachleute bezog sich auf die Behandlung von Psychosen, Neurosen und ähnlichen seelischen Erkrankungen. Die meisten Psychiater und Psychologen, mit denen ich sprach, konnten sich nicht vorstellen, daß es in ihrer Disziplin Anwendungen geben sollte, die "normalen" Menschen zugute kamen. Unglücklicherweise schlossen sich nur wenige dieser Fachleute meiner Meinung darüber an, was man mit psychologischer Behandlung auf diesem Gebiet erreichen könnte. Es war sogar schwer, in dieser neuen Wissenschaft überhaupt zwei Menschen zu finden, die auch nur in einem Punkt einer Meinung waren. Selbst die Fachsprache, der sie sich ausgiebig bedienten, hatte für jeden eine andere Bedeutung. Das Wort „Ego“ zum Beispiel wurde mir von sieben Psychologen sieben Mal anders definiert. Um es kurz zu machen, ich fand recht schnell heraus, daß in dieser Branche im Prinzip viel versprochen und wenig gehalten wurde. Klare Fakten über Funktion und Beeinflussungsmöglichkeiten des Gehirns waren ebenso schwer zu finden wie ein ungedopter Gewichtheber bei den Weltmeisterschaften von 1981. Obwohl es nicht gerade einfach war, Unterlagen zur Erstellung einer „Karte“ des menschlichen Gehirns zu finden, gelang es mir doch, genügend wissenschaftliches Material zusammenzusuchen, um wenigstens einige Axiome (Grundsätze) definieren zu können.
Gehirn-Computer-Analogie Im Jahre 1951 führte ein Neurochirurg namens Wilder Penfield unter örtlicher Narkose eine Schädeloperation an einem seiner Patienten durch. Während dieser Operation stimulierte Penfield den temporalen Kortex, jenen Teil des Gehirns, in dem das Gedächtnis vermutet wird, mit einem schwachen Stromstoß. Der Patient, der während der Operation bei Bewußtsein war, begann augenblicklich, von einem Ereignis aus seinem fünften Lebensjahr zu erzählen.
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Als Penfield diese Gehirnpartie an einer anderen Stelle stimulierte, erinnerte sich der Patient an Erlebnisse aus seinem sechsten Lebensjahr. Aus dieser Beobachtung schloß Penfield, daß man durch Stimulation bestimmter Gehirnteile dort festgelegte Erinnerungen detailgetreu wieder abrufen kann. Durch die elektrische Stimulation wurden nicht nur die Erinnerungen aus den Speichern abgerufen, sondern auch alle mit dem Erlebnis verbundenen Gefühle und Gedanken. Wenn Penfield zum Beispiel bei einem Gewichtheber die Stelle im Gehirn stimulieren würde, an der ein bestimmter Abschnitt seines Trainings gespeichert ist, würde der Athlet sich nicht nur an das Ereignis erinnern, sondern auch an die Gefühle dieses Momentes, den Zug des Gewichtes und alle anderen Wahrnehmungen wie Geruch, Geschmack und Gefühl, die mit diesem Trainingsabschnitt zusammenhingen. Interessanterweise endet die Erinnerung sofort mit dem Stop der elektrischen Stimulation. Wird die Stimulation an der gleichen Stelle fortgesetzt, erscheint aber genau dieselbe Erinnerung wieder. Aus Hunderten ähnlicher Untersuchungen schloß Penfield, daß das Gehirn wie ein hochkomplexer Computer arbeitet, der einmal aufgenommene Daten speichern und immer wieder abrufen kann. Obwohl Penfield’s Gehirn-Computer-Vergleich ein recht einfaches Bild der komplizierten Vorgänge im menschlichen Gehirn ist, schien er mir doch eine geeignete Grundlage für weitere Schlußfolgerungen zu sein. Das Konzept der Gehirn-Computer-Analogie ist überaus faszinierend. Wenn man diese Analogie einmal akzeptiert, muß man auch die Hauptregel der Kybernetik akzeptieren. Sie besagt, daß ein Computer nur soviel wert ist, wie die Daten, mit denen er gefüttert wurde. Wenn also das Gehirn ebenso funktioniert wie ein Computer und durch Wörter, Gedanken und Handlungen programmiert wird, kann demnach auch jedes Wort, jeder Gedanke und jede Handlung eine positive Verstärkung sein. Ich kann diesen Punkt nicht stark genug betonen. Um im Bild zu bleiben: Wir sind die Summe aller Erfahrungen, die wir gemacht haben. Die Umwelt, in der wir leben, die Leute, die uns umgeben und die Gedanken, mit denen wir uns beschäftigen - alles Daten, mit denen wir programmiert werden. Folgerichtig sollte die Umwelt, in der wir leben, anregend und fortschrittlich sein, und die Leute, mit denen wir zu tun haben, sollten lebensbejahende und positiv eingestellte Menschen sein.
Realität oder Einbildung? Als ich diesen Vergleich akzeptiert hatte, paßten plötzlich alle anderen Puzzle. Als nächstes akzeptierte ich Maxwell Maltz’ These, daß Gehirn und Nervensystem nicht zwischen einer echten und einer eingebildeten Erfahrung unterscheiden können. Wenn ein Athlet seine Augen schließt und sich genau vorstellt, wie er eine Kniebeuge ausführt, erfährt sein Gehirn diese Kniebeuge so, als hätte er sie wirklich ausgeführt. Wenn Maltz Recht hat, sollte es einleuchten, daß man durch mentale Programmierung sowohl Erfolg als auch Mißerfolg Tür und Tor öffnen kann. Unglücklicherweise beschäftigen sich die meisten Athleten, die ich kenne, sehr viel mehr damit, über Mißerfolge nachzudenken als über Erfolge. Als ich zum Beispiel mit Spielern der Georgia Southern College Baseball Mannschaft arbeitete, stellte ich fest, daß die Spieler stets eher an einen Mißerfolg glaubten als an einen Erfolg. Wenn ein Spieler nach einem mißlungenen Lauf auf die Bank zurückkehrte, ließ er vor seinem inneren Auge den Fehlschlag wie einen schlechten Film immer wieder ablaufen. Die gleiche Erfahrung machte ich mit Gewichthebern. Diejenigen, die Hunderte erfolgreicher Versuche hinter sich hatten, ließen diese selten, wenn nicht nie, vor ihrem inneren Auge ablaufen. Wenn ihnen aber auch nur ein Versuch mißlang, kreisten ihre Gedanken danach immer wieder um diesen Mißerfolg. Der Grund für die ausschließliche Beschäftigung mit 18
dem Mißerfolg ist wahrscheinlich bei den emotionellen Konsequenzen zu suchen, die damit verbunden sind. Ich fand heraus, daß es für einen Gewichtheber sehr wichtig ist, immer einen gelungenen, mit korrekter Technik ausgeführten Versuch zu visualisieren, also vor dem inneren Auge ablaufen zu lassen. Man kann es so betrachten: Wenn ein Gewichtheber immer wieder an einen erfolgreich verlaufenen Versuch denkt, programmiert er sich quasi auf zukünftige Erfolge. Wenn er aber bei einem Versuch versagt und diesen hundertmal in seinem Kopf nachvollzieht, im Gegensatz zu einem gelungenen Versuch, der nicht rekapituliert wird, ist seine mentale Programmierung von Mißerfolg zu Erfolg 100:1. Machen Sie sich bewußt, daß das Ganze ein simpler Lernprozeß ist. Wenn Sie sich selbst als einen Erfolgsmenschen sehen, lernen Sie so, selbstsicherer, aggressiver und kompetenter in Ihrer Sportart zu werden. Aus diesem Grunde waren Norman Vincent Peale und Claude Bristol mit ihrem Konzept vom positiven Denken so erfolgreich. Sie wußten, daß ein Mensch das ist, was er zu sein glaubt. Bristol hat es in „The Magic of Believing” - „Die Magie des Glaubens” - folgendermaßen ausgedrückt: Du bist, was Du zu sein glaubst; wenn Du an Deinen Erfolg glaubst, wirst Du auch erfolgreich sein. Je mehr Du daran glaubst, desto mehr werden sich Deine Überzeugungen in selbsterfüllende Prophezeiungen verwandeln. So simpel es auch scheinen mag, dieses einfache Prinzip positiven Denkens hat die Existenz unzähliger Menschen von Grund auf verändert. Versuchen Sie es selbst! Bombardieren Sie Ihr Gehirn in der kommenden Woche mit positiven Vorstellungen. Wenn Sie morgens aufwachen, stellen Sie sich vor, Sie seien bärenstark, aufgeweckt und guter Dinge, egal, ob Sie sich wirklich so fühlen oder nicht. Rufen Sie sich diese Gedanken und die damit verbundenen Gefühle mehrmals am Tag ins Gedächtnis zurück. Sollten sich von Zeit zu Zeit negative Gedanken einschleichen, brüten Sie nicht darauf herum, fragen Sie sich vielmehr, worauf diese beruhen und wandeln Sie sie dann in positive Vorstellungen um. Zu Anfang mag Ihnen dieses Konzept unrealistisch erscheinen, doch wenn Sie durchhalten und es in ihrem Geist verankern, werden ihre Vorstellungen Wirklichkeit. Mit der Zeit verwandeln Sie sich von einer müden, pessimistischen Person in einen glücklichen Menschen voller Lebensenergie. Wenn man sich weiteren Grundsatz in Maltz' Buch „Psycho-Cybernetics” vor Augen führt, nimmt die Wichtigkeit und Bedeutung positiven Denkens sogar noch zu. Dieses Axiom besagt, daß es in der Natur des Menschen liegt, das zu tun, was er für richtig hält, egal, ob es richtig oder falsch ist. Maltz führt einige interessante Beispiele dieses Prinzips an. Neben seiner Tätigkeit als Autor ist Maltz ein hervorragender plastischer Chirurg. Bei seiner Arbeit fiel ihm auf, daß Menschen, die unter extremen Verunstaltungen leiden, für gewöhnlich ein sehr niedriges Selbstwertgefühl haben. Sie sind introvertiert, ungesellig und sehr empfindlich, was ihre Verunstaltung angeht. Maltz nahm an, daß diese Persönlichkeitsmerkmale in einem Prozeß, den er „Cooleys Lupe” nannte, festgelegt werden. Das Prinzip dahinter besagt schlicht und einfach, daß wir Urteile über uns selbst fällen, indem wir die Reaktionen anderer Menschen auf unsere Erscheinung beobachten. Viele Leute, die zum ersten Mal mit häßlichen Narben oder anderen Verunstaltungen konfrontiert werden, drehen sich instinktiv weg und meiden den Kontakt mit der betroffenen Person, die so erlebt, daß sie nicht akzeptiert wird. Dieses Gefühl des „nicht-akzeptiert-werdens“ verwandelt sich sehr schnell in andere Gefühle wie Wertlosigkeit und Minderwertigkeit. Weil diese negativen Gefühle durch die äußere Deformation verursacht werden, nahm Maltz an, daß mit der Beseitigung der Ursache auch die psychologischen Probleme verschwinden würden. Doch diese Annahme war falsch. Menschen, die er mit Hilfe der plastischen Chirurgie von häßlichen Entlein in physisch begehrenswerte Leute verwandelt hatte, hielten sich immer noch für häßlich. Schließlich kam Maltz zu dem Schluß, daß er nicht nur die äußeren Schäden „reparieren” mußte, sondern auch die Art und Weise, wie diese Patienten sich selbst sahen. Denn obwohl Maltz' Patienten nun 19
dem gängigen Schönheitsideal entsprachen, benahmen sie sich immer noch so, wie sie sich fühlten, nämlich dem alten, „häßlichen” Aussehen entsprechend. Sie hielten sich einfach an die Programme, mit denen ihr „Computer” in all der Zeit gefüttert wurde, als sie noch verunstaltet waren. Auffällig ist dabei, daß dieses Prinzip eine doppelte Verstärkung beinhaltet. Das Denken produziert ein Verhalten, dieses Verhalten produziert wieder entsprechendes Denken. Wenn Sie also zum Beispiel von sich annehmen, Sie seien häßlich, werden Sie sich höchstwahrscheinlich auch so verhalten. Dieses Verhalten verstärkt wiederum den ursprünglichen Gedanken. Glücklicherweise fand Maltz heraus, daß das Selbstverständnis seiner Patienten ihrem neuen Aussehen angepaßt werden konnte.
Der Körper gehorcht dem Geist Das nächste Axiom ist mein Favorit, weil es belegt, daß eine wichtige Beziehung zwischen Körper und Geist existiert. Es sagt aus, daß, sobald das Gehirn eine Idee entwickelt, der Körper sich auf die Ausführung dieser Idee einstellt. Kurz gesagt heißt das: Der Körper „glaubt“, was das Gehirn annimmt. Dies ist in vielen Versuchsreihen zum autogenen Training bewiesen worden. Wenn die Versuchspersonen zum Beispiel an Schwäche und entspannte Muskeln dachten, fand in den Muskeln tatsächlich eine entsprechende Reaktion statt. Dies konnte durch Elektromyographie (EMG) festgehalten werden. Die gegenteilige Reaktion ließ sich ebenfalls nachweisen. Visualisiert der Proband eine Aktivität, zum Beispiel die Ausführung einer Kniebeuge, kontrahieren die beteiligten Muskeln leicht in der Reihenfolge der gedachten Bewegungen. Interessanterweise lassen sich auch Blutdruck, Hauttemperatur, Herzfrequenz und Gehirnwellen auf diese Weise beeinflussen - ein weiterer Hinweis auf eine eingespielte GeistKörper-Verbindung. Wenn also ein einfacher Gedanke bereits körperliche Konsequenzen haben kann, sollte ein Kraftsportler immer nur an Energie, Kraft und Stärke denken. Wenn Sie stattdessen an Müdigkeit denken, wird Ihr Gehirn dem Körper diese Botschaft übermitteln, was wiederum zu "müden" Leistungen führt. An der Marquette-Universität wird dieses Konzept genutzt, um Schlaflosigkeit zu kurieren. Wissenschaftler haben festgestellt, daß der Gedanke an Müdigkeit eine muskuläre und neurologische Entspannung auslöst, die so den Schlaf einleitet. Nach dem gleichen Prinzip wurde einer Person, die in tiefer hypnotischer Trance lag, suggeriert, daß sie an ihrer rechten Hand eine Verbrennung erleide. Das Gehirn hielt diese Nachricht für real und mobilisierte das endokrine System. So kam es zu einer Flüssigkeitsansammlung an der vermeintlich betroffenen Stelle: Die Versuchsperson bekam eine Brandblase. Ich weiß, daß dies alles ziemlich fantastisch klingt. Aber denken Sie nur an psychosomatische Erkrankungen. Diese Erkrankungen haben ihren Ursprung im Kopf, aber ihre Auswirkungen sind körperlich. Die American Medical Association hat kürzlich festgestellt, daß eine überraschend große Zahl an Krankheiten in den Vereinigten Staaten psychosomatischer Natur ist. Die Ärzte behandeln diese Krankheitsbilder sogar mit Scheinmedikamenten, so genannten Placebos. PlaceboTabletten enthalten Zucker oder eine andere, nichtmedizinische Substanz, aber sie geben dem Patienten das Gefühl, angemessen behandelt worden zu sein. Die Placebo-Behandlung hat sogar eigene Gesetzmäßigkeiten. Psychologen haben herausgefunden, daß ein Scheinmedikament in Tablettenform besser wirkt, wenn es groß und braun ist, oder klein und rot. Ein leicht bitterer Geschmack „wirkt“ ebenfalls besser. Am besten hilft es, wenn es teuer 20
ist. Spritzen wirken grundsätzlich besser als Pillen. Und, an sich selbstverständlich, sind wie bei richtigen Medikamenten auch zwei immer besser als eins. Ein weiterer interessanter Aspekt von Placebos ist, daß sie spezifisch dort wirken, wo es gewünscht wird. Asthmapatienten reagieren auf die Täuschung mit verbesserter Atmung oder vermehrter Schleimlösung. Patienten mit Verdauungsproblemen reagieren mit erhöhter Tätigkeit der Verdauungsorgane, wenn sie ihr Placebo eingenommen haben. Wenn man ihnen ein anderes Placebo gab, vorzugsweise bei einer anderen Farbe, reagierten sie mit einer Verminderung der Verdauungsaktivitäten. Da soll noch 'mal jemand behaupten, glauben mache nicht selig!
Das idiomotorische Konzept Meine nächste große Entdeckung war das idiomotorische Konzept (natürlich habe ich es nicht wirklich entdeckt, es wurde schon beschrieben, lange bevor ich davon hörte). Das idiomotorische Konzept birgt ein enormes Potential für die Steigerung sportlicher Leistung. Es besagt, daß jede Idee, die das Gehirn entwickelt, Impulse im Körper erzeugt, die es den Neuronen erleichtern, diese Idee auszuführen. Ein Neuron transportiert einen elektrischen Impuls vom Gehirn zum Nerv. Nach diesem Grundsatz kann der Körper jeweils auf die gleiche Art und Weise programmiert werden, egal ob man sich eine Wiederholung im Bankdrücken nur vorstellt oder tatsächlich ausführt. Kurz gesagt, die Muskeln werden neurologisch genauso programmiert, als wenn sie wirklich gearbeitet hätten. Um das Ganze etwas anschaulicher zu machen, stellen Sie sich einmal vor, Sie würden Bankdrücken visualisieren, und ich würde sie beobachten. Egal, wie genau ich sie auch beobachte, ich könnte nicht feststellen, ob sich Ihre Brustmuskeln und Ihre Arme leicht bewegen, während Sie die Übung im Geiste durchführen. Wenn Sie aber an einen Elektromyographen (EMG) angeschlossen wären, könnte ich nicht nur sehen, welche Muskeln Spannung aufbauen, sondern auch, in welcher Phase der gedachten Wiederholung Sie sich gerade befänden und welche Muskelgruppen Sie gerade aktivieren. Natürlich sind diese Impulse nicht so stark, als wenn Sie tatsächlich ein Gewicht heben würden. Nach diesem Prinzip arbeiten auch Polygraphen. Diese Geräte, auch Lügendetektoren genannt, messen die kleinen Veränderungen in Atmung, Pulsschlag und elektrischem Widerstand im Körpergewebe der angeschlossenen Person. Diese kleinen, normalerweise kaum wahrnehmbaren Merkmale werden verstärkt und aufgezeichnet, um dann von einem Experten bewertet zu werden. Es gibt meßbare Unterschiede zwischen den Antworten auf Kontrollfragen und denen, die spezielles Wissen über eine bestimmte Situationen oder Schuld voraussetzen. Eine Person, die sich keiner Schuld bewußt ist oder über dieses spezielle Wissen nicht verfügt, produziert Meßwerte, die näher an denen der Kontrollfragen liegen. Die Worte der Versuchsperson werden dabei vom Wissenschaftler überhaupt nicht beachtet. Er konzentriert sich allein auf die physiologischen Reaktionen, die durch Gedanken oder Bilder im Gehirn der Versuchsperson erzeugt und als Ausschläge von der Plotternadel ausgedruckt werden. Als ich noch jünger war, besserte ich durch die Anwendung des idiomotorischen Konzepts ab und zu mein Taschengeld auf. Ich wettete mit meiner Mutter, daß sie einen Dollar an einem beliebigen Ort im Zimmer verstecken könne und ich ihn finden würde, indem ich ihre Gedanken läse. Meiner "Fähigkeiten" völlig sicher, machte ich sogar den Vorschlag, daß ich ihr zwei Dollar zahlen würde, falls ich den versteckten Dollar innerhalb von fünf Minuten 21
nicht fände. Meine Schwestern, denen meine Fähigkeiten immer sehr dubios erschienen, überredeten meine Mutter. Sie nahmen mich mit ins Nebenzimmer und gaben Acht, daß ich nichts sah oder hörte. Dann führten sie mich zurück. Ich wies meine Mutter an, meine Handgelenke leicht mit den Fingerspitzen festzuhalten und an das Versteck zu denken. Sekunden später, meine Mutter immer noch an den Handgelenken, ging ich durch den Raum und zog den Dollar aus irgendeinem obskuren Versteck. Meine Mutter schwörte regelmäßig, mich nicht zum Versteck geführt zu haben. In Wirklichkeit hatte sie aber genau das getan. Ich „las“ lediglich die Muskelaktivität in ihren Fingerspitzen, während sie an das Versteck dachte. Die Handgelenke sind nämlich sehr empfindlich. Ähnlich wie bei einem EMG kann man an ihnen leichte Muskelaktivitäten spüren. Ich mußte lediglich diesen Impulsen folgen, um an das Geld zu gelangen. Diese Technik wird „Muskel-Lesen“ genannt; man findet in fast jedem Buch über Hypnose einen Abschnitt darüber. Auf die gleiche Weise, durch Konzeptionalisierung einer motorischen Aktivität, erzeugt das Nervensystem Impulse, welche die Muskeln gemäß dem erdachten Szenario aktivieren. So kann man die Ausführung einer sportlichen Tätigkeit gleichsam im Kopf üben. Ein Athlet sollte also vor jedem realen Versuch die perfekte Ausführung der Übung visualisieren. So werden die Neuronen auf die wirkliche Ausführung des Versuchs programmiert. Das Gegenteil ist ebenso möglich. Stellt der Sportler sich einen fehlschlagenden Versuch vor, wird ein realer Versuch aller Voraussicht nach wirklich fehlschlagen. Darum sollte ein Gewichtheber nie lange über mißlungene Versuche nachdenken. Der Körper ist ebenso gut in der Lage, falsche Abläufe zu erlernen wie Richtige. Mein Hauptinteresse bei hypnotischen Experimenten galt immer der Verhaltenskontrolle. Doch je mehr ich las, desto unsicherer wurde ich. Menschliches Verhalten ist sehr komplex und scheint sich einer gezielten äußeren Kontrolle zu entziehen. Zu meiner Überraschung stieß ich in Untersuchungen von Jose Delgado, einem Physiologen der Yale Universität, auf Experimente, in denen menschliches Verhalten nicht nur kontrolliert, sondern der freie Wille des Individuums völlig außer Kraft gesetzt wurde. Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Mike Bridges nimmt an den Weltmeisterschaften im Powerlifting in Austin, Texas, teil. Er hat gerade seinen zweiten Fehlversuch im Kreuzheben hinter sich. Ein gelungener Versuch hätte ihn zum Weltmeister gemacht. Bei diesem Fehlversuch hat er sich einen Muskel im unteren Rücken verletzt. Er hat große Schmerzen und Angst vor einem neuerlichen Mißerfolg. Vor dem letzten Versuch zieht er einen kleinen Computer aus seiner Sporttasche. Er drückt einen Knopf auf der rechten Seite, über dem „SY“ steht. Der Computer löst einen elektrischen Impuls an einer Elektrode aus, die tief in Mikes Zwischenhirn, im Hypothalamus, implantiert ist. Der Hypothalamus schüttet sofort eine morphiumähnliche Chemikalie aus, die nicht nur den Schmerz in Mikes Rücken lindert, sondern ihn auch noch leicht euphorisch macht. Er entspannt sich völlig. Jetzt ist er sicher zu entspannt, um ein schweres Gewicht zu heben. Wie auch immer, als Bridges sich vorbeugt und die Hantel greift, drückt sein Trainer einen anderen Knopf, der mit „FX“ markiert ist. Eine zweite Elektrode wird aktiviert, die im occipitalen, hinteren Teil des Gehirns sitzt. Augenblicklich wird Bridges in einen Zustand totaler Wut versetzt. Seine Adrenalindrüsen sondern große Mengen Epinephrin ab. Herzfrequenz und Blutdruck steigen rapide; seine Muskeln zittern vor Spannung. Ohne sichtbare Anstrengung bringt Bridges das unglaubliche Gewicht zur Hochstrecke! Direkt nachdem er das Gewicht abgelegt hat, geht er zu seinem Trainer, nimmt das Gerät, drückt einen Knopf, der mit „PF“ markiert ist, und der hintere Teil des Hypothalamus wird 22
stimuliert. Sofort kehrt Euphorie in seinen Körper zurück - die Belohnung für einen gelungenen Versuch. Sicher ist dieses Szenario reine Fiktion, aber es ist dennoch vorstellbar. Jeder einzelne Abschnitt wurde im Labor bereits simuliert. In den letzten Jahren gab es viele ernstzunehmende Versuche zum Thema Gehirnstimulation. Der bekannteste Wissenschaftler in diesem Bereich ist der oben erwähnte Jose Delgado. Er bewies die Richtigkeit seiner Thesen auf dramatische Weise, als er zu einem Stier in die Arena stieg. Vorher implantierte er ihm eine ferngesteuerte Elektrode im Amygdala, der Region des Gehirns, die Aggressionen kontrolliert. Zu seinem Schutz hatte er nur eine kleine Fernsteuerung dabei. Anfangs lief das Tier friedlich in der Arena hin und her. Als es Delgado sah, fing es an zu schnaufen und aufzustampfen. Dann senkte es die Hörner in die klassische Angriffsposition und stürmte auf ihn zu. Delgado stand völlig unbeweglich da. Als der Stier nur noch vier Meter von ihm entfernt war, drückte er den Knopf an seiner Fernsteuerung. Das Gerät sandte einen Impuls aus; die Elektrode im Amygdala des Tieres gab kurze Stromstöße ab. Augenblicklich stoppte der Stier seinen Angriff. Er schüttelte den Kopf, blickte Delgado neugierig an, um sich dann umzudrehen und davon zu trotten. Das Faszinierende an der Elektro-Stimulation des Gehirns (ESG) ist, daß sie auch zur Verhaltenskontrolle beim Menschen eingesetzt werden kann. Diese Möglichkeit wird derzeit an vielen Forschungszentren untersucht. Einige Wissenschaftler pflegen sogar die Vision von einem zukünftigen Staat, in welchem Kriminelle von radiotelemetrischen Computern kontrolliert werden und unbescholtene Menschen eigene Geräte für ihre Zwecke einsetzen dürfen. Obwohl neuere Geräte schon viel präziser arbeiten und bereits ziemlich sicher sind, dürfte dies zunächst wohl noch Zukunftsmusik bleiben. Der Haken an der Sache ist, daß speziellen Stellen im Gehirn noch kein bestimmtes Verhalten zugeordnet werden kann. Die verschiedenen Schichten des Gehirns sind wie ein großes Netzwerk aufgebaut. Bestimmte Bereiche kontrollieren verschiedene Funktionen und, umgekehrt, eine bestimmte Funktion kann von mehreren Stellen im Gehirn kontrolliert werden. Obwohl die Elektro-Stimulation des Gehirns nicht unumstritten ist, wird es in nicht all zu ferner Zukunft sicher Techniken geben, die einen Menschen nach dem Willen seines Telemetristen handeln lassen.
Die Kontrolle übernehmen Eine weitere, faszinierende Sache ist das Training der inneren Organe. Man kann innere Organe per mentaler Vorstellung oder Visualisierung ebenfalls kontrollieren. Bei Versuchen zum so genannten Biofeedback wurde beobachtet, daß man dem Gehirn beibringen kann, sowohl das automatische als auch das zentrale Nervensystem zu kontrollieren. Biofeedback ist eine Methode, die dem Individuum ermöglicht, sofortige Rückmeldungen über physiologische Vorgänge im Körper zu erhalten. Sie basiert auf der Annahme, daß man zum erfolgreichen Lernen eine Rückmeldung braucht. Visuelle oder akustische Signale zeigen dabei elektronisch gemessene Körperfunktionen an. Wenn zum Beispiel eine Versuchsperson lernen will, ihre Herzfrequenz zu beeinflussen, muß man sie zuerst an einen Computer anschließen, der die Herzfrequenz sichtbar macht. Der Computer erstellt auf dem Monitor zwei senkrechte Linien, zwischen denen ein Lichtpunkt erscheint. Wenn der Herzschlag eine bestimmte Frequenz überschreitet, wandert der Punkt nach rechts. Sinkt der Herzschlag ab, wandert der Punkt nach links. 23
Angenommen, der Herzschlag solle bei 60 Schlägen pro Minute stabilisiert werden. Das ist ein Schlag pro Sekunde. Das Computerprogramm ist darauf eingestellt, eine Rückmeldung zu geben, wenn die Vorgabe erfüllt ist. Jedes Mal, wenn der Abstand zwischen zwei Herzschlägen genau eine Sekunde beträgt, leuchtet der Lichtpunkt in der Mitte zwischen beiden Linien auf. Weicht die Versuchsperson von diesem Wert ab, wandert der Punkt entsprechend nach links oder rechts. Die Kontrolle des Herzschlags wird so zu einer idiosyncratischen Vorstellung oder Visualisierung. Am Anfang ist jede neue Fähigkeit sehr stark kognitiv kontrolliert, das heißt, man muß bei jeder Ausführung an das denken, was man tun will. Mit entsprechender Übung wird die Tätigkeit später automatisiert. Auf diese Weise lernt zum Beispiel ein Baby laufen. Durch Biofeedback-Training kann man möglicherweise lernen, alle Funktionen des autonomen Nervensystems zu beeinflussen. Die Einführung einer solchen Methode hätte fantastische Auswirkungen für Bodybuilder, Powerlifter und Gewichtheber. Ein Athlet könnte mit dieser Methode lernen, Herzfrequenz, Blutdruck, Gehirnwellen oder jede andere biologische Funktion bewußt zu kontrollieren. Er könnte vor einem Wettkampf völlig entspannt sein und sich genau zum gewünschten Zeitpunkt psychisch aufputschen. Unglücklicherweise gibt es bis jetzt nur wenige Leute, die gelernt haben, ihre Körperfunktionen per Biofeedback zu steuern. Dafür gibt es eine ganze Anzahl von Gründen. Erstens ist es anstrengend und zeitraubend, eine neue Fähigkeit zu erlernen. In einer Gesellschaft, in der man, per Kreditkarte, schnell konsumieren und durch Computer und Fernsehen schnell lernen kann, ist es nicht verwunderlich, daß jeder von Biofeedback eine augenblickliche Kontrolle über seine Körperfunktionen erwartet. Andere Mittel, anabole Steroide etwa, sind leicht verfügbar und erfordern keine Mühe. Biofeedback-Training ist harte Arbeit und braucht sehr viel Zeit, daher wenden sich Anfänger schnell enttäuscht davon ab. Ein weiterer Grund dafür, daß so wenig Menschen Biofeedback erlernen, ist wohl, daß man uns in der Schule immer beigebracht hat, eine bewußte Kontrolle des autonomen Nervensystems sei unmöglich. Seltsamerweise nutzen die Menschen außerhalb unseres Kulturkreises, die nie wußten, daß diese Kontrolle unmöglich sein soll, dem Biofeedback ähnliche Methoden ohne großes Nachdenken. Vielleicht haben die Kulturen der westlichen Hemisphäre Biofeedback bisher vernachlässigt, weil sie nicht mehr in der Lage sind, Signale der inneren Organe wahrzunehmen und zu deuten. Wichtig ist jedenfalls, daß das autonome Nervensystem sehr wohl durch Biofeedback kontrolliert werden kann, wenn auch nur nach intensiven Training, ebenso wie das Gehirn das zentrale Nervensystem kontrolliert. Wie auch immer, das Aufregendste an Biofeedback ist nicht etwa die mögliche Beeinflussung des autonomen Nervensystems; das kann man auch mit Chemotherapie oder ESG erreichen. Doch mit Biofeedback wird die Möglichkeit zur Veränderung des Körpers und seiner Funktion ganz in die Hände des Einzelnen gelegt, nicht in die einer externen Autorität. Kurz gesagt, der Mensch wird durch Anwendung von Biofeedback alleinverantwortlich für seine äußeren und inneren Handlungen und Funktionen.
Die Grundlage Ich habe Ihnen hier einige Grundlagen zur Arbeitsweise des Gehirns vermittelt. Obwohl recht oberflächlich, haben sich diese Informationen für mich und eine Menge Leute, mit denen ich gearbeitet habe, bezahlt gemacht. Meiner Überzeugung gemäß funktioniert eine Therapie besser, wenn die ihr zugrunde liegenden Prinzipien verstanden werden. Mit dieser "Karte" des 24
Gehirns als Basis war es mir möglich, Selbstkontrolle und Selbstbestimmung zu erlernen und auch anderen beizubringen.
Kapitel 3 - Hodges, Hypnose und wie es weiterging Conan Ich wurde von meinen Hypnoseforschungen derart in Anspruch genommen, daß ich das Krafttraining fast aufgab. In meinem Einstandsjahr am Georgia Southern College habe ich höchstens zwei bis dreimal Eisen gestemmt. Allerdings habe ich während dieser Zeit eine ganze Reihe von Versuchen über die Auswirkungen von Hypnose auf die Kraftentwicklung durchgeführt. Aus vielen dieser Studien ging eindeutig hervor, daß durch Hypnose die Körperkraft gesteigert werden kann. Vor allem Neulinge im Gewichtheben zeigten ungeheure Verbesserungen, wenn sie Hypnose einsetzten. Die Tatsache, daß ich anderer Leute Kraft durch Hypnose und Visualisation steigern konnte, brachte mich schließlich dazu, selbst wieder ein Krafttraining aufzunehmen. Jedes erfolgreiche Experiment steigerte meine Neugier, ob Hypnose auch bei mir eine Kraftsteigerung bewirken würde. Ich beschloß, es herauszufinden. Als erstes mußte ich jemanden finden, der sich mit Gewichttraining auskannte. Die meisten Sportler am College trainierten nur gelegentlich. Sie wußten über schweres Gewichtheben ebensoviel wie ich, nämlich fast nichts. Falls jemand den Part des Trainers übernähme, würde ich mich schon um die geistige Komponente kümmern. Ich suchte also nach einem Trainer und traf schließlich auf Greg Hodges. Er schien direkt aus „Conan der Barbar“ entlaufen zu sein. Er war 1,95 Meter groß und wog 254 Pfund. Zu einer Zeit, in der Kurzhaarschnitte modern waren, trug er sein schwarzes Haar lang. Er hatte tiefschwarze Augen und einen Körper, der aus Granit gemeißelt schien. Er sah nicht nur so aus, er trainierte auch wie ein Urmensch. Sein Studio war eine heruntergekommene Garage hinter dem Haus, in dem er lebte. Die Einrichtung bestand vorwiegend aus Dreck und Spinnweben sowie einigen rostigen Geräten. Dieser Ort war derart dreckig, daß ich mir die Schuhsohlen säuberte, wenn ich ihn verließ. Greg Hodges war also nicht gerade „Meister Propper“, aber ansonsten war er ganz nach meinem Geschmack. Er verschwendete keine Zeit mit Rückenbrechern wie Kniebeugen und Kreuzheben. Er war ein reiner „Bankdrücker“, und zwar ein guter. An dem Tag, als ich ihn kennen lernte, drückte er gerade 450 Pfund. Ich hatte noch nie einen Menschen soviel Gewicht stemmen sehen und war völlig gefangen. Hodges bot sich gleich an, mir zu helfen, solange ich mit ihm zusammen trainieren würde. Offensichtlich hatte er Schwierigkeiten, Trainingspartner zu finden, doch ich konnte ihn gut gebrauchen. Meine ersten Versuche damals waren kläglich. Mein Maximalgewicht im Bankdrücken lag bei mageren 140 Pfund. Mit diesem Gewicht hätte Hodges sich nicht einmal aufgewärmt. Er hielt ohnehin nichts von Aufwärmtraining. Er machte auch keine Teilwiederholungen. Wenn ihm ein Gewicht zu schwer wurde, kippte er die Stange zur Seite, bis einige Scheiben herunterfielen, dann zur anderen Seite, bis er auch hier soviel Gewicht abgeschüttelt hatte, daß er die Übung fortsetzen konnte. Als ich ihm anbot, zu assistieren, knurrte er lediglich, nichts mehr zu hassen als beim Training gestört zu werden. Eigentlich trainierten wir nur nebeneinander und arbeiteten nie richtig als Trainingspartner zusammen. In 25
einer Ecke der Garage stand eine Bank, auf der ich mit meinen 140 Pfund trainierte, er benutzte eine andere. Hodges war wirklich ein Unikum - weit jenseits meiner damaligen Fähigkeiten als Jung-Psychologe. Ich werde nie den Tag vergessen, an dem Hodges einen Rekordversuch ankündigte. Ich glaube, er versuchte sich damals zum ersten Mal an 500 Pfund. Er putschte sich total hoch, schlug mit dem Kopf gegen die Wand, schrie und sprang herum wie ein Verrückter. Ich genoß derweil mit großen Augen diese Vorstellung. Noch nie zuvor hatte ich gesehen, daß sich jemand so benahm. Als er schließlich richtig aufgeputscht war, setzte er sich auf die Bank. Plötzlich lief, wie aus dem Nichts, eine Ratte durch die Garage. Offensichtlich hatte sie irgendein Gift gefressen, sie schleppte sich nur noch mühsam daher. Zu ihrem Unglück störte sie Hodges in seiner Konzentration. Der Mann hatte wirklich einen Vogel: Er beugte sich herab, griff die Ratte und biß ihr den Kopf ab. Ich war kurz davor, das Gewichtheben endgültig an den Nagel zu hängen.
„Psycho-Kraft“ Nach ein paar Wochen Training mit Hodges begann mir die Sache dann doch Spaß zu machen. Sogar der Dreck in der Garage gefiel mir. Die ganze Atmosphäre gab mir eine Art „Macho-Gefühl“. Wir trainierten eine Stunde am Tag, fünfmal die Woche. Unser gesamtes Training bestand allein aus schwerem Bankdrücken. Wir machten 15 Sätze auf der Bank und sonst nichts. Zurückschauend würde ich sagen, daß wir etwas übertrieben haben; doch zu der Zeit störte es mich nicht. Ich machte kontinuierliche Fortschritte mit Hodges Programm. Während er sich um meine körperliche Ertüchtigung kümmerte, bereitete ich mich geistig vor. Vor jeder Trainingsstunde verbrachte ich 30 Minuten mit mentalem Training. Um in einen anderen Bewußtseinszustand zu kommen, dachte ich zunächst an ein bestimmtes Symbol, genauso wie ich Fred Glass beigebracht hatte, sich bei „2001“ zu entspannen. Ich paarte einfach ein Symbol mit einer Technik, die Selbsthypnose hervorrief. So entwickelte ich einen assoziativen Reflex, der den gewünschten Bewußtseinszustand herbeiführte. Ich lernte, mich auf das Zeichen „2001“ hin zu entspannen. So benutzte ich dieselbe Art klassischer Konditionierung wie schon zuvor Freddy. Als nächstes machte ich mich daran, meine Versuche auf der Bank zu visualisieren. Das mag sich selbstverständlich anhören, ist es aber nicht. Ich weiß, daß die meisten Athleten auf die Frage, ob sie ihre Versuche vorher visualisieren, mit einem ernsten „Ja“ antworten. Ich wage aber zu behaupten, daß die meisten nicht wirklich visualisieren, sondern eher denken. Das ist ein großer Unterschied. Wenn Sie etwas visualisieren, sollten Sie in der Lage sein, sich voll und ganz in dieses Bild zu versenken. Sie sollten das ganze Bild vor Augen haben, alle Einzelheiten, Farben und die damit verbundenen Gefühle. Visualisation ist eine Fähigkeit, die viel Übung und harte Arbeit erfordert, und je perfekter man darin wird, desto perfekter wird auch die spätere Ausführung. Wie schon erwähnt, kann das Gehirn nicht zwischen Einbildung und Wirklichkeit unterscheiden. Daher wird es die Vorstellung einer perfekten Übung so abspeichern, als ob man sie wirklich ausgeführt hätte. Erinnern Sie sich auch daran, daß das Gehirn, sobald es eine Idee entwickelt, entsprechende Impulse an die Muskeln schickt. So wird aus der imaginären Übung letztlich doch eine körperliche. Fügt man noch hinzu, daß im Glauben immer auch eine gewisse Kraft steckt, sind das genügend Gründe, die Technik der Visualisation immer wieder zu üben. 26
Natürlich habe ich all das nicht über Nacht gelernt. Ich brauchte Monate dafür. Ich begann ein Intensivprogramm, daß ich „Psycho-Kraft“ nannte. Jeden Tag vor dem Training hypnotisierte ich mich selbst, entspannte meine Muskeln völlig und visualisierte das ganze Training. Ich machte mir ein möglichst genaues Bild von allem. Ich sah Hodges, das Garagenstudio, sogar den Dreck und die Spinnweben. Ich perfektionierte die Visualisierung soweit, daß ich sogar den Geruch des Kraftraumes in der Nase hatte. Während diesen mentalen Sitzungen ließ ich nichts aus. Ich sah mich beim Aufwärmen, beim Dehnen, beim Beladen der Hantel und bei jeder einzelnen Wiederholung, Satz für Satz. Sogar für die Aufwärmsätze wandte ich Visualisation an. Vor jedem Training führte ich dieses „Psycho-Kraft“-Programm durch. Natürlich verankerte ich auch ein paar Suggestionen tief in meinem Kopf. Wenn sie anderen halfen, warum nicht auch mir? Ich benutzte auch eine Art „In-Vitro“-Konditionierung während des Trainings. Unmittelbar bevor ich einen Satz ausführte, hypnotisierte ich mich selbst durch das zuvor verinnerlichte Symbol. Dann entwarf ich ein „Astral-Bild“ meines Körpers. Obwohl nur eingebildet, sah ich diesen Astralkörper in allen Einzelheiten. Das Bild entsprach genau meiner Wunschvorstellung. Es legte sich auf die Bank und führte jede Bewegung des Satzes exakt und präzise durch. Seine Technik war exzellent. Nachdem ich eine Zeitlang mit diesem Astral-Bild gearbeitet hatte, konnte ich spüren, wie die entsprechenden Muskeln in meinem Körper reagierten, wenn der Astralkörper arbeitete. Ob Sie mir glauben oder nicht, doch jedes Mal, wenn die Astralprojektion ihre Hände um die Hantelstange legte, fühlte ich die Kälte des Eisens in meinen Händen. Wenn das Astralwesen seinen Satz beendet hatte, kam es wieder in meinen Körper zurück. Ich erwachte aus der Trance und startete meinen Satz. Nachdem ich drei Monate auf diese Weise trainiert hatte, erklärte Hodges mich für total verrückt. Damit konnte ich leben; viel schlimmer war, daß ich ihn langsam für normal hielt.
Der Georgia Lift Nachdem ich neun Monate trainiert hatte, meinte Hodges, es sei nun für mich an der Zeit, auf die Wettkampfbühne zu gehen. Ich hatte noch nie einen Gewichtheber-Wettkampf gesehen und war entsprechend gespannt. Die Veranstaltung hieß "Georgia Lift" und wurde im Dekalb Y.M.C.A. in Decatur, Georgia, abgehalten. Für Hodges war es der größte Bankdrückwettkampf im Süden. Mein Debüt sollte also bei einem harten Wettbewerb stattfinden, doch ich war recht zuversichtlich. Tatsächlich war ich sogar total von mir überzeugt. Das mentale Training trug Früchte. Ich glaubte! Abgesehen vom mentalen Aspekt, drückte ich für jemanden mit 132 Pfund Körpergewicht eine ganze Menge Eisen. Im Training hatte ich es auf stolze 295 Pfund gebracht. Ich hatte jetzt einen dieser großartigen Bankdrücker-Körper. Der Oberkörper machte etwa 95% meines Körpergewichts aus. Mein Brustumfang betrug 106 Zentimeter und mein Oberarmumfang hatte auf 36 Zentimeter zugenommen. Meine Oberschenkel maßen voll aufgepumpt 38 Zentimeter. Ich sah aus wie ein großer Marshmellow auf Stelzen. In der Wettkampfhalle erzählte mir jeder, daß mein wichtigster Gegner Michael Cross aus Chattanooga, Tennessee, sein würde. Ich hatte nie von ihm gehört und war sicher, daß er mich ebenfalls nicht kannte. Es herrschte also Gleichstand. Was sollte es, das Schlimmste, was mir passieren konnte, war, daß ich unterlag. Damit konnte ich leben, außerdem würde ich eine
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Menge lernen. In meiner Klasse starteten allerdings nur sechs Leute, deshalb rechnete ich mir doch gute Chancen auf eine der drei Trophäen aus. Hodges schwerster Gegner war Tony Hardy. Zum ersten Mal sah ich Hodges wirklich besorgt. Vor der Veranstaltung hatte er geplant, in der 272-Pfund-Klasse zu starten, obwohl er nur 245 Pfund wog. Er wollte kein Gewicht verlieren, auch wenn er für die nächstniedrigere Klasse nur drei Pfund zuviel hatte. Als er aber hörte, daß Hardy gegen ihn antreten würde, sprach Hodges nur noch von 242 Pfund. Um Hodges aus dem Häuschen zu bringen, mußte schon etwas Besonderes passieren. Und Hardy war etwas Besonderes. Ich schwöre, dieser Kerl war mindestens 2,30 Meter groß und wog an die 800 Pfund. Er war bei weitem das größte menschliche Wesen, das ich jemals gesehen hatte und mit Sicherheit das arroganteste. Doch er konnte es sich erlauben, er war der Beste im Bankdrücken. Es gab keinen Zweifel: wollte Hodges gewinnen, mußte er Gewicht verlieren. Zuerst wollte er die überschüssigen Pfunde in der Sauna wegschwitzen. Ich riet ihm davon ab. Wenn er Wasser verlor, konnte sein Elektrolythaushalt durcheinander geraten und er dabei an Kraft verlieren. Ich erklärte ihm, daß es sinnvoller sei, ein Glycerin-Medikament zu nehmen. Auf diese Art wird nur der untere Darmbereich entleert, die Körperflüssigkeit bleibt davon relativ unberührt. Ich hatte solche Zäpfchen bei mir, für den Fall, daß ich nicht in meiner Gewichtklasse unterkam. Diesen Trick hatte mir ein Ringkampf-Trainer an der Highschool gezeigt. Ich gab Hodges zwei Zäpfchen und schickte ihn zum Wiegen, während ich uns etwas zu essen holte. Als ich zurückkam, war Hodges verschwunden. Zu meiner Überraschung fand ich ihn in der Sauna. „Ich habe das Zeug genommen. Es wirkt nicht, außerdem schmeckt es zum Kotzen!“ Für etwa zehn Sekunden fehlten mir die Worte. Dann zwang ich mich, eine ernste Miene aufzusetzen: „Nun, vielleicht wirken sie nicht bei jedem.“ Ich habe ihm nie erzählt, was er mit den Zäpfchen hätte machen sollen. Vielleicht hätte er diesmal mir den Kopf abgebissen. Als der Wettkampf begann, war Hodges immer noch in der Sauna, um für die Nachmittagsveranstaltung Gewicht zu verlieren. Ich war also auf mich allein gestellt und weil ich noch nie eine Gewichthebermeisterschaft gesehen hatte, wußte ich nicht im Geringsten, was von mir erwartet wurde. Vor meinem ersten Versuch auf der Bühne hatte ich schon 12 Sätze im Aufwärmraum gemacht, zehn davon mit schweren Einzelwiederholungen. Von den sechs Leuten meiner Klasse war nur noch Cross am Start, als das Gewicht 210 Pfund erreichte. Ich konnte es kaum glauben: Diese Jungs sollten gute Gewichtheber sein, aber sie scheiterten an einem Gewicht, mit dem ich mich normalerweise aufwärmte. Was mich aber wirklich erstaunte, war die Tatsache, daß Cross seinen letzten Versuch mit 225 Pfund absolvierte. Ich konnte nicht fassen, daß ich diesem Burschen soviel voraus hatte. Für meinen ersten Versuch hatte ich 270 Pfund anvisiert. Irgendwie bekam ich mit, daß etwas nicht richtig war. Dann erzählte mir jemand in der Umkleidekabine, daß ich mein Startgewicht auf 230 Pfund reduzieren sollte. Das würde schon genügen, um zu gewinnen. Ich hörte auf seinen Rat und nahm mein Anfangsgewicht zurück. Dann rannte ich in den Aufwärmraum zurück und machte fünf Einzelwiederholungen mit 230 Pfund, nur um sicher zu sein, daß ich alles „im Griff“ hatte. Doch danach war ich noch immer nicht überzeugt. Ich hatte plötzlich Angst, die Scheiben auf der Bühne könnten schwerer sein als die im Aufwärmraum. Als ich schließlich aufgerufen wurde, war ich ein nervöses Wrack. „Kopf hoch“, machte ich mir Mut, „230 Pfund sind doch nichts. Ich bin stärker als diese Kerle.“
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Als nächstes meldete ich mich für einen Versuch mit 250 Pfund an. Natürlich rannte ich zunächst wieder in den Aufwärmraum und machte zwei oder drei kurze Sätze mit diesem Gewicht. So vorbereitet, schritt ich auf die Bühne und machte eine lässige Wiederholung. Als ich den Wettkampf dann mit für mich verhältnismäßig „leichten“ 275 Pfund abschloß, hatte ich insgesamt etwa 30 Sätze Bankdrücken hinter mir. Darin waren noch nicht einmal die fünf Sätze eingeschlossen, die ich - aus welchem Grund auch immer - nach dem Wettkampf noch durchführte. Ich war nervlich einfach am Ende. Später kam Cross zu mir, um zu gratulieren. Er erzählte, daß meine 275 Pfund nahe am, wenn nicht sogar über dem Weltrekord in meiner Klasse lagen. Das war Balsam für meine Seele. Ich flog über den Wolken. Cross fragte auch, ob ich Kreuzheben trainieren würde. Ich hatte es nie versucht, doch (ich weiß nicht warum) ich belog ihn. Seine nächste Frage galt natürlich dem Gewicht. Meinen psychologischen Background ausnutzend, fragte ich zurück: „Wie viel schaffst Du denn?“ Er sagte, er könne 540 Pfund heben. Ich rechnete schnell. Im Bankdrücken hatte ich ihn um 50 Pfund geschlagen, dann könnte ich ihm sicher ebensoviel beim Kreuzheben abnehmen. Von diesem rein rechnerischen Standpunkt müßte ich 590 bis 600 Pfund heben können. Um mich nicht zu weit vorzuwagen, antwortete ich, ich könne 580 Pfund bewältigen. Sein Mund klappte weit auf. Er schüttelte den Kopf und brummte leise: „Das ist beachtlich.“ „Tja“, sagte ich, „ich trainiere nur wenig und dafür ist es ganz ordentlich.“ Cross schien fassungslos. Keine zwanzig Minuten später fand ich im Gespräch mit anderen Athleten heraus, daß Cross mit 540 Pfund den Weltrekord im Kreuzheben hielt. Ich hatte ganz schön aufgeschnitten!
Kreuzheben mit 580 Pfund - auf Biegen und Brechen Auf dem Rückweg konnte ich nur an meine Lüge denken. Meine Gedanken kamen nicht davon los. Dann ging ich mit Verstand an die Sache heran. Sicher konnte ich 580 Pfund heben. Ich war muskulöser als Cross und hatte ihn im Bankdrücken um 50 Pfund geschlagen. Als wir die Ortsschilder von Georgia passierten, war ich überzeugt, daß mir eine Wiederholung mit 580 Pfund gelingen würde. Ich konnte es regelrecht spüren! Am nächsten Morgen ging ich sofort in unser „Studio“. Ich hatte in der Nacht zuvor kaum schlafen können. Die ganze Zeit hatte ich mir eingeredet, „wenn so ein kleiner Typ es schafft, schaffst Du es schon lange.“ Ich würde dieses Gewicht heben, und wenn es das Letzte sein sollte, was ich tat. Ich wußte, daß ich es schaffen würde und lud 225 Pfund auf die Stange. Dann hypnotisierte ich mich und projizierte mein Astralbild. Es hob die 225 ohne Schwierigkeiten. Also ging ich an die Hantel und tat es ihm nach. „Mein Gott, ist das leicht“, schoß es mir durch den Kopf. Ich war jetzt absolut sicher, daß ich 580 Pfund schaffen würde. Es war nicht eine Spur von Zweifel in mir und wer glaubt, wird selig, oder? Ohne weitere Energie mit Aufwärmsätzen zu verschwenden, lud ich 405 Pfund auf die Hantel. Ich beschloß, in großen Schritten vorzugehen. 405, dann 490, schließlich 580 Pfund. Wieder projizierte ich mein Astralbild. Alles lief ausgezeichnet. Als die Astralprojektion in meinen Körper zurückkehrte, war ich soweit. Ich griff die Stange und zog mit aller Kraft daran. Doch die Hantel bewegte sich nicht. Sie rührte sich nicht einmal. Ich weiß nicht mehr, ob ich wirklich gedacht habe, sie klebe am Boden. Jedenfalls durchlief ich die ganze Prozedur noch einmal. Ich hypnotisierte mich und beschwor den Astralkörper herauf. Aber diesmal hatte auch mein Abbild keinen Erfolg. Ich versuchte es trotzdem; die Hantel rührte sich nicht einen Zentimeter. Ich beschloß, 50 Pfund herunterzunehmen und versuchte es erneut. Zu meinem größten Erstaunen bewegte sich immer noch nichts. Schließlich, als ich nur noch 305 Pfund auf der Hantel hatte und mir fast die Seele aus dem 29
Leib zerrte, konnte ich das Gewicht bis an die Knie heben, aber nicht höher. Offensichtlich hatte ich ganz schön gelogen.
Fred’s Rattenfalle Die Geschichte mit Cross führte schließlich zu zwei Veränderungen in meinem Leben - zum einen beschloß ich, von jetzt ab Kreuzheben zu trainieren, andererseits schwor ich mir, nie mehr mit Gewichten anzugeben, zumindest nicht, wenn mein Gegenüber es besser wußte. Zu Beginn der Sommerferien kehrte ich nach Pennsylvania zurück und besuchte meinen alten Freund Fred Glass. Fred ging es blendend. Er war in die Gruppe der zehn weltbesten Powerlifter aufgestiegen und stand kurz davor, den Weltrekord im Kreuzheben zu brechen. Ich fragte ihn, ob er mich in Kreuzheben und Kniebeugen trainieren würde. Er sagte zu. Aber - wie schon bei Hodges - nur unter der Bedingung, daß ich mit ihm trainierte. Schlimmer als mit Hodges kann es nicht werden, dachte ich. Außerdem war Fred ein Weltklasseathlet. Als ich seinen Trainingsraum betrat, traute ich meinen Augen nicht. Hodges Garage war schlimm, aber Freds Studio noch schlimmer. Er trainierte in einem Keller und dort war mehr Schmutz, als Hodges je in seine Garage hätte schaffen können. Ob Sie es glauben oder nicht, aber wir stellten Mausefallen auf, nur so zum Spaß; derjenige, der die meisten dieser kleinen Teufel fing, hatte gewonnen. Die Trophäen hängten wir mit den Schwänzen an einer Wäscheleine auf. Eines Abends fand ich drei Stück in meinen Fallen, das war der Mäuserekord in diesem Sommer. Was unser Training anging, war ich im ersten Monat im Bankdrücken besser als Fred. Doch mein Oberkörper war derart muskulös, daß ich meine Arme nicht weit genug zurücknehmen konnte, um bei der Kniebeuge die Hantel zu halten. Meine Brust war einfach zu massig, um die Hantel auf dem Rücken tief genug abzulassen. Fred versuchte mit Dehnübungen, mir den einen oder anderen Zentimeter abzutrotzen, aber es half alles nichts. Schließlich war er so frustriert, daß er beschloß, mich unter die Hantel zu zwingen. Er rief zwei andere Gewichtheber zur Hilfe, die meine Hände an der Hantel halten sollten. Dann stellte er seinen Fuß in meinen Rücken und zog mich unter die Stange. Meine Position war jetzt in Ordnung; unglücklicherweise riß bei dieser Vorstellung die Hälfte meines rechten Brustmuskels. So zerflossen meine Bankdrückrekorde. Ich habe seit diesem Unfall nie wieder so gut Bankdrücken können wie zuvor. Bis zum heutigen Tag ist Fred die ganze Sache sehr peinlich, aber so ist das Leben nun einmal. Ich habe es ihm nicht nachgetragen. Er hat das getan, was er für das Beste hielt.
Doktor Wer ??? Unmittelbar nach dem Unfall fuhr Fred mich zur Notaufnahme des Krankenhauses. Dort mußten wir etwa zwei Stunden warten, bis man sich um mich kümmerte. Ich wurde in einen kleinen Raum am Ende eines langen Ganges geführt, wo meine Schulter geröntgt wurde. Nach der Röntgenaufnahme wartete ich in einem Nebenraum weitere 20 Minuten. Dann erschien ein kleiner philippinischer Arzt, um mich zu untersuchen. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits leicht verärgert. Nachdem er mich gefragt hatte, wie es zu der Verletzung gekommen war, ordnete er an, ich solle zwei seiner Finger zusammendrücken. Das tat ich dann auch. „Fester, oder bist Du ein Mädchen?“ spottete er. Wie gesagt, ich hatte bereits schlechte Laune, also drückte ich seine 30
Finger zusammen wie zwei Holzstücke. Ich fühlte, wie Fleisch und Knochen unter meinem stählernen Griff nachgaben. Als ich ein Knacken hörte, ließ ich los. Der Doktor stand sprachlos auf und verschwand. Ich wartete und wartete, doch er kam nicht zurück. Als ich schließlich meine Nase aus der Tür streckte, sah ich ihn mit seiner Hand unter der Röntgenkamera. Ich hatte ihm beide Finger gebrochen.
Eine Offenbarung weiblicher Kraft Trotz meiner Verletzung am Brustmuskel trainierten wir weiter Kniebeugen und Kreuzheben. Nach Ablauf eines Monats versuchte ich es zum ersten Mal wieder mit Bankdrücken - mit kleinem Gewicht, aber immerhin. Am Ende des Sommers meinte Fred, ich sei nun bereit für meinen ersten Powerlifting-Wettbewerb. Es war ein Anfängerwettkampf in Norristown, Pennsylvania. Wie sich zu meinem Glück herausstellen sollte, war einer meiner Konkurrenten eine Frau. Soweit ich informiert bin, war es das erste Mal, daß eine Frau auf einen von der AAU (Amateur Athletic Union) veranstalteten Wettbewerb gestartet ist. Die Offiziellen waren derart gegen sie eingenommen, daß sie darauf bestanden, auch eine Frau müsse sich gemäß den AAU-Regeln nackt wiegen lassen. Nach langem Hin und Her willigte sie schließlich ein. Aber es ging ihr mächtig gegen den Strich. Wie ich später hörte, weinte sie während der ganzen Prozedur. Obwohl ich mir große Sorgen machte, ausgerechnet von ihr geschlagen zu werden, tat sie mir leid. Ich wünschte mir wirklich, daß sie gut abschneiden würde. Die arme Frau mußte während des gesamten Wettkampfes eine Menge einstecken. Nicht nur die Kampfrichter behandelten sie schlecht, auch die Powerlifter waren alles andere als freundlich zu ihr. Doch sie hielt sich gut, besser jedenfalls, als ich mich unter diesen Umständen geschlagen hätte. Leider war sie im Gewichtheben nicht gerade eine Leuchte. Ich bin nicht mehr sicher, wie hoch sie damals kam, aber ihr Schnitt lag nicht weit über 300 Pfund. Interessanterweise war jeder plötzlich freundlicher zu ihr, als ihre Leistungen einmal bekannt waren. Sogar einige der gehässigen Athleten, die zuvor häßliche Bemerkungen gemacht hatten, waren plötzlich nett zu ihr. Vom moralischen und ethischen Standpunkt her war dies ein schwarzer Tag in der Geschichte des Powerliftings. Auf der anderen Seite war es ein guter Tag für den Sport im Allgemeinen, weil an diesem Tag die Frauen erstmals Einzug hielten in die Männerdomäne Kraftsport. An diesem Tag waren auch meine Leistungen alles andere als überragend. Ich kam wohl über 300 Pfund, aber nur knapp. Ich schaffte 250 in der Kniebeuge, 195 auf der Bank und 350 beim Kreuzheben. Das waren insgesamt 795 Pfund und es reichte gerade für einen Platz am Ende der Rangliste. Danket Gott für die Frauen! Ich habe viel daraus gelernt, aber um ehrlich zu sein, habe ich mich vor allem amüsiert. Ich hatte damals schon das leise Gefühl, daß es wichtigere Dinge gab, als Rekorde zu brechen. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich diesem Sport immer wieder etwas abgewinnen kann, während andere an ihm verzweifeln.
Takai Nach den Sommerferien kehrte ich zum Georgia Southern College zurück. Mein zweites Jahr begann. Am Tag meiner Ankunft bestürmte mich Trainer Ron Oertly mit der Frage, ob es mir etwas ausmachen würde, mein Zimmer mit einem Japaner zu teilen. Er erzählte mir, daß dieser ein recht guter Turner sei und ich ihm eventuell bei seinem mentalen Training helfen 31
könnte. „Ein recht guter Turner“ war die größte Untertreibung, die ich je gehört hatte. Mein neuer Zimmerkollege, Yoshi Takai, war der zweitbeste Turner der Welt. Ihm beizubringen, wie man sich mental vorbereitet, war etwa dasselbe, wie Sugar Ray Leonhard boxen beizubringen. Der Japaner war der mentalste Athlet, den ich je sehen sollte. Er hatte sich völlig unter Kontrolle, sogar wenn seine Aufgaben unlösbar schienen. Meiner Meinung nach zog sogar der große Muhammad Ali den Kürzeren, was geistige Kontrolle anging. Er war unglaublich. Obwohl wir unterschiedlichen Kulturen entstammten, dauerte es nicht lange und wir waren eng befreundet. Wir hatten eine Menge gemeinsam. Wir waren beide Sportler und wir interessierten uns beide für Musik und Bildhauerei. Yoshi interessierte sich auch für Hypnose. Ich lehrte ihn die Technik der Selbsthypnose und der Visualisation. Grundsätzlich wandte er diese Methoden nach gleichem Muster an wie ich. Unmittelbar vor seiner Kür hypnotisierte er sich selbst, um dann ein Astralbild seiner selbst zu erschaffen. Das Astralbild vollzog dann Yoshis Übung. Danach verschmolz es wieder mit Yoshis Körper und er turnte die Übung. Es funktionierte so gut bei ihm, daß er darauf bestand, das ganze Turn-Team des Colleges solle sich diese Technik zu Eigen machen. Mitten im Wintersemester erhielt Yoshi eine Einladung für die Landesmeisterschaften der U.S. Gymnastics Federation in Los Angeles. Das Ereignis wurde von einem Sportkanal gesponsert. „Sports Vision“, so hieß der Sender, wollte ein paar große Namen und Yoshis war bei weitem der größte. Er sollte sie nicht enttäuschen. Nach vier Stationen lag er soweit vorn, daß der Wettkampf eigentlich schon entschieden war. Doch als Yoshi am Hochreck turnte, riß er sich die Handfläche tief ein. Die Verletzung war so ernst, daß jeder andere aufgegeben hätte. Yoshi sagte keinen Ton. Er warf die Jacke über die Schulter, nahm seine Tasche und ging in die Umkleidekabine. Einer der Reporter von „Sports Vision“ folgte, um ihn zu interviewen. Yoshi saß auf einer Bank, öffnete seine Sporttasche und zog Nadel und Faden heraus. Dann nähte er die Wunde mit sicheren Stichen zu. Der Reporter stand staunend dabei, mit offenem Mund. „Tut das nicht sehr weh?“ Yoshi lächelte und antwortete: „Nein.“ „Wie machen Sie das?“ „Hypnose.“ war Yoshis Antwort Ich weiß beim besten Willen nicht, wo Yoshi das herhatte. Wir hatten nie an örtlicher Betäubung gearbeitet. Als ich ihn danach fragte, sagte er, er wüßte es auch nicht so genau. Er meinte, es wäre einfach logisch. Der Reporter war jedenfalls zutiefst beeindruckt und sprach den Rest des Wettkampfes von nichts anderem. Dank Yoshi und dem Reporter nahm meine Bekanntheit wieder schlagartig zu. Innerhalb von drei Wochen erschienen nicht weniger als zehn Artikel in landesweiten Publikationen. Jeden Tag lief mein Briefkasten über, weil Athleten im ganzen Land Rat und Hilfe von mir wollten. Mein Telefon klingelte ununterbrochen. Sowohl professionelle als auch Amateursportler suchten meine Hilfe. Es war die aufregendste Zeit meines Lebens.
K.C. Royals, ich komme... Zwei Wochen nach Yoshis Auftritt in „Sports Vision“ bekam ich einen Anruf von einem Mann namens Branch B. Rickey. Ich konnte mich schwach daran erinnern, den Namen bereits einmal gehört zu haben, aber ich konnte ihn nicht einordnen. Mr. Rickey erzählte, er habe einen Artikel gelesen, der beschrieb, wie ich Hypnose einsetzte, um Sportler auf Wettbewerbe vorzubereiten. Er fragte sich, ob ich wohl willens wäre, nach Sarasota, Florida zu fliegen, um 32
vor den Kansas City Royals eine Demonstration meiner Kunst zu geben. Ich wußte zwar im Moment nicht genau, wer die K.C. Royals waren, war aber clever genug, mich zu besinnen, daß es sich nur um ein professionelles Team handeln konnte. Natürlich ergriff ich die Gelegenheit. Ich brauchte nur einen Tag, um herauszufinden, daß Branch B. Rickey der Enkel des legendären Branch B. Rickey war, dem legendären Baseball-Erneuerer. Die K.C. Royals waren eine aufsteigende Profi-Baseball-Mannschaft. Trotz meiner Unwissenheit bekam ich die Chance, mein Können vorzuführen!
Kapitel 4 - Die Akademie Kauffman’s Wunderkind Die Akademie war eine Institution der Zukunft, die in der Gegenwart Wirklichkeit geworden war. Wie einem Orwell’schen Traum entsprungen, war sie eine Forschungsanstalt, die anderen Sportinstitutionen gut und gern fünf Jahrzehnte voraus war. Die Akademie war das Hätschelkind von Ewing Kauffman, dem Besitzer eines BaseballTeams mit Namen Kansas City Royals. Kauffman glaubte fest daran, daß man Athleten mit guten körperlichen Voraussetzungen durch umfassende wissenschaftliche Betreuung in Stars der ersten Liga verwandeln könnte. Daher wurden die Sportler für seine Akademie mehr nach ihren physiologischen und psychologischen Begabungen als nach ihrem Baseball-Talent ausgewählt. Das sah dann so aus, daß viele der Akademie-Athleten noch nie in ihrem Leben Baseball gespielt hatten. Im Gegensatz zu anderen Trainingsinstituten suchte die Akademie nach den größten, stärksten und schnellsten Athleten der Welt; die Sportdisziplin, aus der sie stammten, war zweitrangig. Um es kurz zu sagen, sie suchte nach den leistungsfähigsten Körpern, nicht nach den besten Baseballspielern. Hatten sie die erst einmal gefunden, würden sie sie schon in die besten Baseballspieler verwandeln. Kauffman scheute keine Kosten, um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. So entstand in Sarasota, Florida ein 15 Millionen Dollar-Komplex. Das Gelände umfaßte fünf Baseball-Felder, ein Wettkampf-Schwimmbecken, Tennisplätze, Handballfelder, zwei Seen, Unterkünfte für 125 Athleten, die so manchem König zur Ehre gereicht hätten, eine Cafeteria, zehn Unterrichtsräume, ein Clubhaus und ein sportwissenschaftliches Laboratorium, das in der westlichen Welt seinesgleichen suchte. Dieses Labor enthielt jedes denkbare Gerät, daß der sportwissenschaftlichen Forschung auch nur entfernt von Nutzen sein konnte. Es war das reinste Forschungsparadies. Das Team der Akademie setzte sich aus den besten Baseballexperten zusammen, die für Geld zu bekommen waren. Dazu gehörten Steve Boris, der Manager von Oakland Athletics, der schon zuvor erwähnte Branch B. Rickey, Chuck Stubbs, der frühere Pitcher der Washington Senators und Cid Thrift, Scout der Pittsburgh Pirates und Direktor der Akademie, um nur ein paar Namen zu nennen. Das Forschungsteam rekrutierte sich aus Kräften wie John Ott (Zeitlupen-Fotograf), Tutko und Oglvie (Sportpsychologen), sowie Harris und Lee (Experten für Visualisierung). Mit diesen Spitzenkräften bot die Akademie ideale Voraussetzungen, um den Athleten der Zukunft hervorzubringen.
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Die Leute der Akademie Bei meinem ersten Besuch in der Akademie war ich außerordentlich beeindruckt. Neben den hervorragenden Sportanlagen fielen mir besonders die vielen Spitzenathleten auf. Alle waren gigantische, mesomorphe Männer, die schnell wie der Wind waren und sich blitzartig bewegen konnten. Sie waren intelligent, gut gebaut und hatten gute Manieren. Sie erschienen mir wie geklonte Mustermenschen aus einem James Bond-Film. Sie boten ein Reservoir an Kraft und Schnelligkeit, das auch für ein herausragendes Football-Team ausgereicht hätte. Diese Männer sollten Baseball spielen, und das beherrschten sie wirklich perfekt. Sie waren geradezu phänomenal. In den ersten zwei Jahren nach der Gründung gewann die AkademieMannschaft 90% ihrer Spiele und holte zwei Meisterschaftstitel. Sie setzte Rekorde in jedem Bereich des Baseballs, für den Rekordlisten geführt wurden. Sie hatte die meisten Homeruns, Schläge, erfolgreiche Läufe und Gott weiß was noch alles... Die Mannschaft übertraf bei weitem alle in sie gesetzten Hoffnungen, trotz der Tatsache, daß sie sich aus Nicht-BaseballSpielern zusammensetzte, die gegen professionelle Spieler bestehen mußten. Natürlich hatten die Akademie-Spieler anderen Teams etwas voraus. Ihr physisches und mentales Training ging über alles bis dahin Bekannte hinaus. Es gab zum Beispiel eine Berufstänzerin, die die Beweglichkeit der Spieler schulte. Außerdem standen ihnen ein Fitness-Experte, ein Psychologe, ein Berufsfotograf, ein Physiologe und ein Masseur zur Verfügung. Für jeden Teilaspekt des Baseball standen spezielle Trainer bereit. Es gab einen Schlag-Trainer, einen Pitch-Trainer, einen Feldtrainer, einen Lauftrainer und sogar einen Trainer, der den Trainern das Trainieren beibrachte. Darüber hinaus wurden alle Erfolg versprechenden Erkenntnisse begleitender Wissenschaften in der Akademie angewandt: Es wurden spezielle Schuhe entwickelt, damit die Spieler leichter laufen und schneller die Richtung wechseln konnten. Handschuhe und Schläger wurden der Biomechanik des einzelnen angepaßt. Computerstrategien wurden entwickelt, um der Ungewißheit in der Mannschaftstaktik ein Ende zu machen. Sogar das Licht und die Wandfarben wurden sportwissenschaftlich abgestimmt. So waren die Schlafräume der Athleten derart gestrichen und beleuchtet, daß das Einschlafen unterstützt wurde. Die Trainingsräume waren in Farben gehalten, die laut psychologischer Untersuchungen motivierend wirkten; Farben und Licht in Cafeteria sowie Freizeiträumen sollten Entspannung und Wohlbefinden fördern. Sogar die Farben der Schirme an den Baseballmützen sollten die Leistungsfähigkeit steigern. Die Akademie überließ rein gar nichts dem Zufall. Sie war unbestritten das Sportinstitut der Zukunft und sie tat genau das, wofür sie konzipiert worden war: Aus ungeschliffenen Talenten mit guten Anlagen Superathleten zu machen.
Riesensache oder Supertäuschung? Die ersten zwei Tage in der Akademie verbrachte ich im Wesentlichen mit Besichtigungen und dem Kennenlernen der Mitarbeiter. Eine interessante Beobachtung war, daß die Athleten, die ich traf, stets freundlich waren, aber immer etwas zurückhaltend. Später erfuhr ich, daß man den Sportlern gesagt hatte, sie sollten mir lieber aus dem Wege gehen - wegen meiner hypnotischen Fähigkeiten. Am dritten Tag sollte es dann langsam losgehen. Nachmittags nahm ich an einer Besprechung teil. Dort wurde ich von der ersten bis zur letzten Minute nur mit Fragen bombardiert. „Was genau ist Hypnose?... Ist sie gefährlich?... Kann man jeden hypnotisieren?... Wenn Hypnose soviel kann, warum wird sie dann nicht häufiger von Medizinern angewandt?... Kann Hypnose einem Individuum den freien Willen nehmen?... Kann man nur willensschwache Menschen hypnotisieren?... Kann Hypnose Schmerzen 34
lindern?... Kann sie Kraft und Schnelligkeit verbessern?... Kann ein Sportler unter Hypnose Baseball spielen?... Wenn man jemanden hypnotisiert, besteht die Gefahr, daß er nicht mehr aus der Hypnose aufwacht?... Wenn es so gut ist, warum wenden es nicht mehr Sportler an?... Wenn man das Gehirn durch Hypnose so einfach formen kann, sind dann die Möglichkeiten der Leistungssteigerung nicht unbegrenzt?...“ Die Fragen kamen wie aus der Pistole geschossen, eine nach der anderen, zwei Stunden lang. Ich saß nur da und erwiderte das Feuer. Ich hatte all diese Fragen schon hundertmal beantwortet, so war es wirklich nur ein Herunterleiern von Standardsätzen. Doch Eines war gewiß: Ich hatte das ganze Team am Wickel. Als es endlich vorbei war, sank ich erschöpft, aber tief befriedigt in meinem Sessel zusammen. Ich hatte die größten Skeptiker in die Tasche gesteckt. Doch damit hatte ich ein neues Problem geschaffen. Gerade weil jede Skepsis ausgeräumt worden war, sah ich mich jetzt einer Erwartungshaltung ausgesetzt, in die sich so unterschiedliche Gefühle mischten wie Erstaunen, Überraschung und sogar Furcht. Ich hatte ihre Fragen beantwortet, aber nun wollten sie mehr als nur Worte - viel, viel mehr. Noch am selben Abend wurde ein weiteres Treffen angesetzt. Als ich am verabredeten Ort eintraf, bat mich Cid Thrift, der Direktor der Akademie, ohne Umschweife, jemanden zu hypnotisieren. Die Mitarbeiter seien völlig aus dem Häuschen wegen der Dinge, die ich am Nachmittag erzählt hatte und wollten jetzt Hypnose "in Aktion" sehen. Anfangs weigerte ich mich. Ich erklärte Cid Thrift, es wäre unprofessionell, jemanden zu hypnotisieren, ohne ihn vorher durch eine vernünftige Unterredung vorbereitet zu haben. Ich war mir darüber klar, daß die Möglichkeit bestand, die von Cid Thrift ausgesuchte Person könne für Hypnose gänzlich ungeeignet sein. Zudem bedauerte ich jetzt meinen Enthusiasmus vom Nachmittag; ich hatte Hypnose wie die ultimative Kraftquelle angepriesen, nicht als einfaches Werkzeug der Therapie. Aber Thrift bestand auf einer Vorführung. Er sagte, auch wenn das Ganze unprofessionell wäre, es gäbe Zeiten, in denen man Erwartungen erfüllen müsse und diese Zeit sei jetzt gekommen. Er führte auch an, daß Hypnose, wenn sie nur halb so gut sei, wie ich jedem Anwesenden Glauben gemacht hatte, Baseball revolutionieren könne. Und ich wäre dann derjenige, der den Stein ins Rollen gebracht hätte. Thrift war wirklich niemand, der ein Nein als Antwort akzeptierte. Auf jeden meiner Einwände wußte er eine passende Antwort. Nach zwanzig Minuten Diskussion mußte ich schließlich einsehen, daß Thrift nicht aufgeben würde. Ich hielt ihn noch fünf Minuten hin, dann lenkte ich ein: „O.K., wen soll ich hypnotisieren?“ Der Direktor setzte ein triumphierendes Grinsen auf: „Warte hier, ich hole ihn...“ In weniger als einer Minute war Thrift wieder da, im Schlepptau die Testperson und so etwa die gesamte Akademie-Belegschaft. Als ich den Probanden sah, wußte ich, daß ich in Schwierigkeiten war. Ich schwöre, er war die perfekte Karikatur von John Belushi. Etwa 1,70 Meter groß und um die 250 Pfund reines Fett, mit einem Bauch, der tief über den Gürtel hing. Sein Hemd hing halb aus der Hose, die Hosenbeine schliffen über den Boden. Den Reißverschluß trug er lässig offen, was einen guten Blick auf seine rot-weiß-blauen Boxershorts gestattete. Er wirkte schlaftrunken, die Augen halbgeschlossen und seine Haare standen wirr vom Kopf ab. Ich befürchtete, daß Thrift ihn geradewegs aus dem Bett geholt hatte; Er war ganz sicher nicht mit dem richtigen Fuß aufgestanden. „Was soll dieser Mist? Ich will nicht hypnotisiert werden, oder um welchen Scheiß es hier auch immer geht... Ich glaube noch nicht einmal an diesen Mist... Alles fauler Zauber...“ Der Typ starrte mich an, hielt für ein paar Sekunden die Luft an, um dann voll durchzustarten: „Der da kann niemanden hypnotisieren... ich weiß, daß er mich nicht hypnotisieren kann... Dieser ganze Kram ist doch nur Scheiß!“ In diesem Stil ging es weiter. Mein Selbstvertrauen 35
löste sich langsam in Luft auf. Wie sollte ich diesen Clown hypnotisieren, der gar nicht hypnotisiert werden wollte, der noch nicht einmal an die Existenz von Hypnose glaubte? Endlich befahl ihm Thrift, den Mund zu halten und sich auf die Liege zu begeben. Er legte sich hin, moserte aber weiter. „Alles nur Scheiß, dieser ganze Kram - Scheiß.“ Ich drehte das Licht herunter und begann mit leiser Stimme, aber autoritärem Tonfall mit ihm zu reden. Er ließ ein letztes „Scheißdreck“ hören, um dann, zu meinem größten Erstaunen, total wegzutreten. Das konnte doch nicht wahr sein, es ging einfach zu leicht! Ich vermutete, er wolle mich austricksen und vor den anderen lächerlich machen. Nervös spielte ich mit ihm einige der einfacheren Hypnosetechniken durch. Er reagierte wirklich wie im Lehrbuch. Entweder hatte ich hier die ultimative Versuchsperson, oder ich saß einem Riesenbluff auf. Ich beschloß herauszufinden, woran ich war. Wenn dieser Typ mich auf den Arm nehmen und lächerlich machen wollte, würde er dafür zahlen. Ich induzierte lokale Betäubung in seiner rechten Hand. Dann nahm ich eine große Nadel aus meiner Tasche und stach in seinen Handrücken. Nichts passierte. Ich stach noch fünf oder sechs Mal in seine Hand. Nichts. Kein „Scheißdreck“, kein „Fauler Zauber“, einfach gar nichts. Dieser Mensch war in der tiefsten Trance, die man mittels Hypnose erzeugen kann, einem somnambulen Zustand. Ich hatte eine dieser seltenen Personen vor mir, auf die jeder Hypnotiseur nur wartet. Nun würde ich den Akademieleuten zeigen, welche Macht wirklich in Hypnose steckte.
Eine Demonstration der Kraft In den nächsten 90 Minuten durchlief ich mit meinem Probanden jede nur vorstellbare Technik. Ich gab eine Vorstellung, die sogar Pater Dracola neidisch gemacht hätte. Ich hatte den ganzen Saal in meiner Hand. Sie waren von dem, was ich am Nachmittag gesagt hatte, geschockt; Jetzt aber waren sie fasziniert. Ihr Verhalten rief mir mein eigenes ungläubiges Erstaunen ins Gedächtnis zurück, als ich zum ersten Mal einer Hypnosesitzung beigewohnt hatte. Zudem wußte ich genau, was sie sonst noch beschäftigte: 400 erfolgreiche Schläge, unschlagbare Fänger, eine perfekte Saison - mehr als genug, um sich mein Honorar leisten zu können! Ich wollte die Sitzung gerade beenden, als mir einfiel, daß ich die „Verjüngung“ noch nicht demonstriert hatte. Wie hatte ich das nur vergessen können? In meinen Augen ist die Verjüngung das faszinierendste Phänomen überhaupt. Ich wollte keinesfalls aufhören, ohne meinen Zuschauern dieses Wunder gezeigt zu haben. Bei der Verjüngung arbeitet man mit dem Gedächtnis der Versuchsperson. In Trance werden bestimmte Episoden aus der Vergangenheit abgerufen oder wiederholt erlebt. Es gibt zwei Arten der Verjüngung; einmal die passive, in der die Versuchsperson bestimmte Erlebnisse erzählt, und dann die aktive, in der bestimmte Passagen aus der Erinnerung wieder erlebt werden. Interessant dabei ist, daß sich Handschrift, Benehmen, Auffassungsgabe und Reflexe wieder dem induzierten Alter anpassen. Wenn zum Beispiel ein Alter von zehn Jahren befohlen wird, entsprechen IQ, Handschrift, ja sogar die Sprache einem Zehnjährigen. Nun, wie schon bemerkt, ich wollte, daß die Akademieleute wirklich alles zu sehen bekamen. Deshalb wandte ich eine andere Technik an, um die Trance zu vertiefen und sprach danach die Suggestionen für die Verjüngung. Eine Bandaufnahme von dieser Sitzung gibt das folgendermaßen wieder: „Höre mir jetzt genau zu. Wenn ich bis drei gezählt habe, bist Du wieder zehn Jahre alt. Wir blättern zurück in Deinem Leben wie in einem Buch. Du kehrst zurück in eine glückliche Zeit im Alter von zehn Jahren. Deine Arme, Dein Kopf, Deine 36
Beine werden kleiner, so klein, wie sie waren, als Du zehn Jahre alt warst... Du bist jetzt beinahe zehn Jahre alt. Schau, wir gehen zurück durch Raum und Zeit... Du bist jetzt zehn Jahre alt... na, wie alt bist Du?“ „Zehn Jahre“, sagte eine kindliche Stimme. „Gut. Nun beschreibe mir genau, was Du tust.“ „Wir sind bei mir zuhause im Keller und Kathy Haby zieht gerade ihr Kleid aus...“ „Äh, warte eine Sekunde... Wir gehen noch weiter zurück in die Vergangenheit. Du bist jetzt fünf Jahre alt.“ (Ich glaube ja daran, daß es für alles eine Zeit und einen Ort gibt. Die Zeit mag ja noch ganz gut gewesen sein, nicht aber dieser Ort!) „Wenn ich bis drei gezählt habe, bist Du wieder fünf Jahre alt... eins... zwei... drei...“ Ins zarte Alter von fünf Jahren geschickt, erzählte er uns von Weihnachten, seinen Eltern und von einer Menge anderer Dinge. Dieser Mensch war unglaublich. Er schrieb, sprach und bewegte sich wie ein Fünfjähriger. Er war so gut und meine Zuschauer so hingerissen, daß ich beschloß, bis an die Grenze zu gehen. Ich würde ihn noch einmal zur Welt kommen lassen! Ich hatte das noch nie zuvor versucht, aber ich hatte ja noch nie jemanden vor mir gehabt, der sich so gut hypnotisieren ließ. Ich war begierig zu erfahren, ob es klappte und war so gefesselt, daß ich die Akademieleute völlig vergaß. Ohne mit Worten spielen zu wollen - die Sache war der reinste „Trip“. Sobald ich das Wort „Mutterleib“ aussprach, rollte sich mein Proband in eine fötale Haltung zusammen. Ich hatte so etwas noch nie gesehen und muß gestehen, daß mir jetzt doch etwas mulmig wurde. Ich befragte ihn nach seinen Wahrnehmungen. Keine Antwort. Ich brauchte einen Augenblick, bis ich verstand: Ein Fötus kann ja noch nicht sprechen! Also befahl ich ihm: „Obwohl Du ein Fötus bist und nicht sprechen kannst, kann Deine innere Stimme auf meine Fragen antworten.“ Mit sehr leiser Stimme begann er dann von den Dingen zu erzählen, die er wahrnahm Wärme, Druck, Dunkelheit. Als es für ihn an der Zeit war, auf die Welt zu kommen, jagte er uns allen einen Riesenschrecken ein. Er fing an zu wimmern, zu husten und sogar zu spucken. Als er dann das Licht der Welt erblickte, war sein Gesicht ganz blau. Dies war meine erste Geburt, und, so hoffte ich, auch meine letzte. Jedem im Raum lief der Schweiß herunter. Wenn die Geburt nicht so schwer gewesen wäre, hätte ich vielleicht noch versucht, den armen Kerl einer Reinkarnation zu unterziehen, doch ich hatte endgültig genug und alle anderen vermutlich auch. Bevor ich ihn weckte, induzierte ich einen Gedächtnisverlust für die Zeit der Sitzung. Als er seine Augen öffnete, schaute er quer durch den Raum zu Thrift hinüber und brummte: „Ich hab’ ja gleich gesagt, daß alles nur fauler Zauber ist...“
Royals fest in meiner Hand Später an diesem Abend kam Thrift in mein Zimmer und fragte mich, ob ich an der Akademie bleiben wolle. Obwohl ihn meine Vorführung beeindruckt habe, hätte er an derartigen Theaterstücken kein Interesse, sagte er. Er wolle vielmehr herausfinden, ob man mittels Hypnose das Baseballspiel verbessern könne. Falls ich mich für die Akademie entschiede, sollte ich Zugang zu allen Einrichtungen haben, aber nur mit Spielern arbeiten dürfen, die er mir aussuchen würde. Außerdem dürfte ich während meiner Zeit an der Akademie keine Untersuchungen über Hypnose veröffentlichen oder zu Reportern über meine Tätigkeit hier sprechen. Ich versuchte daraufhin 20 Minuten lang, Thrift zu erklären, daß Hypnose kein Wundermittel und kein Zaubertrank sei. Ich erzählte ihm, daß Hypnose noch nicht einmal eine anerkannte Therapie sei und eine Vorführung wie zuvor eher die Ausnahme war als die Regel. Ich gab 37
ihm aber zu verstehen, Hypnose sei trotzdem - vor allem in Verbindung mit anderen Techniken der Verhaltenskontrolle - ein wirksames Mittel zur Steigerung der sportlichen Leistungsfähigkeit. Ich war mir sicher, daß ich, würde er mir erlauben, mit seinen Spielern zu arbeiten, deren Fähigkeiten verbessern konnte. Wir verblieben bei diesen Bedingungen und zum ersten Mal in der Geschichte des professionellen Baseball wurde ein Vollzeithypnotiseur von einer Mannschaft angestellt.
Bragg Mein erster Kandidat an der Akademie war Lyle Bragg. Mit einer Größe von 1,95 Metern und einem Gewicht von 245 Pfund war Bragg mit Abstand der stärkste Athlet der Akademie. So gesehen hatte er auch gute Chancen, der stärkste Mann im Baseball zu werden. Er konnte einen Medizinball zusammendrücken oder ein Stück aus ihm herausbeißen, je nachdem, wie ihm gerade zumute war. Er war ebenso gut dazu fähig, einen Baseballschläger in zwei Stücke zu brechen, indem zwei Spieler das Holz an den Enden hielten und er nur in der Mitte zugriff und seine Hand drehte. Nur um zu zeigen, daß er keine Angst hatte, von einem Ball getroffen zu werden, stellte er sich einmal vor eine Ballmaschine, welche die kleinen, harten Baseballs mit einer Geschwindigkeit von 85 Meilen pro Stunde ausspuckte. Der Mann war ein regelrechtes Tier - nicht zu clever - aber ein Tier. Auf der Highschool war er der absolute Superstar gewesen. Er war im Football und im Baseball für die Highschoolmeisterschaften nominiert. Allein im Football war er so ein As, daß er sage und schreibe 20 Stipendien ablehnen mußte, um Baseball-Profi bei den Royals zu werden. Bereits als Highschool-Baseballer war er eine lebende Legende. Er führte seine Mannschaft in jede Offensiv-Kategorie. Am Ende seiner Highschool-Laufbahn wurde er zum besten Spieler aller Zeiten gewählt. Leider lief es für ihn auf der Akademie nicht so gut. Am Ende seines ersten Monats betrug seine Trefferquote magere 0.091 mit sechs RBIs und keinem einzigen Homerun. Am Schlagmal war er zu steif, er hatte seinen natürlichen Rhythmus verloren; wenn er den Schläger schwang, schienen seine Arme förmlich an den Körper geknotet zu sein. Es war für mich und alle anderen offensichtlich, daß Lyle unter nervösen Muskelfunktionsstörungen litt. Mein Job war nun, seine Nervosität in den Griff zu bekommen.
Umkonditionierung Ich wandte eine abgewandelte Methode der Umkonditionierung an, um Lyle zu helfen. Sie war von Joseph Wolpe entwickelt worden, einem Psychologen, der für seine Desensibilisierungs-Erfolge bekannt war. Das Ziel dieser Technik ist es, die Assoziation zwischen einem bestimmten Umgebungsreiz und der Nervosität, mit der der Patient auf diesen Reiz reagiert, abzuschwächen. Wolpes Technik funktionierte, indem man den Patienten häufig diesem Schlüsselreiz aussetzte, ihn aber gleichzeitig so stabilisierte, daß er keine negativen Gefühle für den Reiz empfand. Die üblicherweise eintretende Nervosität wird vermieden, da der Patient durch neue Reize abgelenkt wird. In Lyles Fall benutzten wir dafür Entspannungsübungen. Aufgrund der Tatsache, daß sich Entspannung und Nervosität gegenseitig aufheben, mußte es funktionieren. Wenn ein Mensch entspannt ist, kann er nicht gleichzeitig nervös werden und/oder die physiologische Aufregung zeigen, die durch die Schlüsselreize üblicherweise hervorgerufen wird. Das 38
Prinzip hinter diesem Verfahren ist einfach: Sollte es gelingen, den Reiz vollständig mit dem Gefühl von Entspannung zu vereinen, war Lyle in der Lage, sich zukünftig auch in spezifischen Streßsituationen zu entspannen. Das Verfahren besteht aus drei Abschnitten. Zuerst muß man eine Hierarchie der Schlüsselreize aufstellen, die zu den unerwünschten Symptomen führen. Dann führt man ein Entspannungstraining durch und zu guter Letzt simuliert man die Streßsituation unter Entspannung. Genauer gesagt, besteht die letzte Komponente aus zwei Teilen. Der erste beinhaltet eine Art „künstlicher“ Desensibilisierung, in der der Patient unter Hypnose mit einer Einbildung der Streßsituation konfrontiert wird. Im zweiten Teil wird das Individuum dann der realen Streßsituation ausgesetzt. Während meiner ersten Sitzung mit Lyle erklärte ich ihm, mit welcher Methode ich ihn desensibilisieren würde. Ich klärte ihn auch über die Bedeutung auf, die Konzeptionalisierung und Hypnose in der Therapie spielen sollten. Am Ende der Sitzung lehrte ich ihn, wie er die Auflistung der Nervosität auslösenden Reize am besten vornahm. Er sollte diese Reize einfach in der Reihenfolge ihrer Wirkung, also hierarchisch, aufzählen. So trug ich Lyle auf, sich bei jeder Unsicherheit, die ihn auf dem Schlagmal des Baseballfeldes befiel, die äußeren Umstände zu merken. Außerdem sollte er die Szene auf einer Skala von eins bis zehn einordnen, wobei zehn die höchste Stufe der Nervosität darstellte. Nachdem er drei Wochen lang Szenen gesammelt hatte, half ich ihm, seine Liste von Unruhe auslösenden Umständen zu ordnen. Wie gesagt, die Eindrücke sollten nach ihrer Intensität bewertet werden. Interessanterweise stellte sich heraus, daß die Erwartung eines Schlages für Lyle mehr Streß bedeutete als der Schlag selbst. Mir wurde schnell klar, daß bei ihm alle starken Streßreize mit dieser Situation verknüpft waren. Die eigentliche Ausführung des Geplanten rief keine überdurchschnittliche Nervosität hervor. Das geschieht übrigens viel öfter als man gemeinhin vermutet. Für die meisten Athleten ist der Gedanke an den Wettkampf weitaus furchterregender als der Wettkampf selbst. Während der ersten Sitzungen mit Lyle, in denen er noch an seiner Hierarchie arbeitete, lehrte ich ihn per Hypnose tiefe Muskelentspannung und eine verkürzte Form von partieller Entspannung. Ich hätte natürlich auch mit jeder anderen Entspannungstechnik arbeiten können, aber ich hatte schon immer eine Vorliebe für die partielle Entspannung. Überdies hatte ich bei Fred Glass damit gute Erfolge erzielt. Ich konditionierte bei Lyle dasselbe Codewort zur Entspannung wie zuvor bei Fred - 2001. Als Lyle seine Liste geordnet hatte und die Entspannungstechniken besser beherrschte, begann der Hauptteil der Therapie. Während unserer nächsten Sitzung schloß ich ihn an einen Biophysiographen an, um Kontrolle über seine Herzfrequenz, seinen Blutdruck und seine Muskelspannung zu haben. Ich nutzte diese Daten, um mir jederzeit ein Bild über Lyles innere Unruhe zu machen. Dann hypnotisierte ich ihn und induzierte tiefe Muskelentspannung durch partielle Entspannung. Als er diesen Zustand erreicht hatte, konfrontierte ich ihn mit einer Vorstellung des schwächsten Schlüsselreizes in seiner Hierarchie. Lyle war von mir so konditioniert worden, daß er beim geringsten Anflug von Nervosität oder Unbehagen den Zeigefinger hob. Außerdem hatte ich noch den Physiographen, um seinen Zustand zu kontrollieren. Sobald das geringste Anzeichen von Unruhe auftrat, brach ich ab, um sofort wieder tiefe Entspannung zu suggerieren. Nach einer gewissen Zeit der Entspannung wiederholte ich dann den Schlüsselreiz. Wir arbeiteten so lange daran, bis Lyle die ganze Szene 30 Sekunden „erleben“ konnte, ohne nervös zu werden. Erst dann ging ich zur nächsten Stufe der Hierarchie über. Indem ich so die ehemals Nervosität erzeugenden Szenen mit tiefer 39
Entspannung koppelte, konditionierte ich Lyle langsam um. Durch die positive Grundstimmung der Bewältigung des vorhergehenden Streßreizes kamen wir überdies auf der nächsten Stufe der Hierarchie jeweils zunehmend besser voran. Lyles Spielverhalten verbesserte sich umgehend. Er traf jetzt bei fast jedem Schlag den Ball und seine Erfolgsquote stieg schnell auf 0.286. Obwohl ja lediglich seine Nervosität bei eingebildeten Szenen umkonditioniert worden war - unter Hypnose nämlich - war der durchschlagende Erfolg der Therapie alles andere als eine Überraschung. Man weiß bereits seit langem, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen der Verbesserung innerhalb der Hierarchie und dem tatsächlichem Verhalten in realen Situationen. Ich hätte eigentlich an dieser Stelle aufhören können, doch ich war von Lyles Erfolgen so begeistert, daß ich einfach weitermachen mußte. Wir führten die „künstliche“ Desensibilisierung fort. Branch B. Rickey hatte dann eine Idee, die mich in eines der aufregendsten Experimente überhaupt führen sollte.
Gedankenspiel Rickey’s Idee sah folgendermaßen aus: Lyle sollte ein ganzes Baseball-Spiel „erleben“, indem wir die gesamte Umgebung und alle Spielsituationen durch Hypnose kontrollieren würden. Wenn wir zum Beispiel in der Realität eine Spielsituation abwarten würden, bei der bereits drei Läufer ausgeschieden waren und Lyle schon zwei Fehlversuche hinter sich hätte wir hätten wohl 30 bis 40 Spiele abwarten müssen, bis diese Situation einmal aufgetreten wäre. Ob Lyle unter dem Erfolgszwang dieses Augenblicks - und damit auch die Therapie bestehen würde, wäre erst dann sicher gewesen. In einem halluzinierten Spiel konnten wir diese Situation dagegen innerhalb weniger Minuten 10 bis 15 Mal simulieren und die Therapie sofort auf ihren Erfolg kontrollieren. Mehr noch, durch die Hypnose konnten wir Lyle in solchen Situationen Erfolge suggerieren und so seine Selbstsicherheit stärken. Thrift, der Rest der Akademie und ich wurden über die unglaublichen Perspektiven dieser Idee fast verrückt. Es sollte ein reines Gedankenspiel werden, sicherlich das erste seiner Art in der Sportgeschichte. Am nächsten Abend nahm ich Lyle mit in mein Büro, hypnotisierte ihn und suggerierte, daß er in wenigen Minuten ein Spiel gegen die Cincinnati Reds bestreiten müsse. Ich beschrieb ihm sorgfältig die Schiedsrichter, das Publikum, und eine Reihe anderer Begleiterscheinungen, die er während des Spieles erleben würde. Dann sagte ich ihm, ich wäre jetzt ein Bestandteil seines Unterbewußtseins und auch wenn er mich jederzeit ansprechen könnte, würde er mich erst nach Ende des Spieles wieder sehen können. Die Akademiemannschaft würde ihn schon auf dem Spielfeld erwarten. In Wirklichkeit standen dort nur zwei Spieler, Tom Bruno, der Werfer und Mark Williams, der Fänger. Beide gehörten zum Team der Akademie, waren aber in Trikots der Cincinnati Reds gekleidet. In tiefer Hypnose öffnete Lyle dann die Augen, erhob sich und ging zum Spielfeld hinüber. Die folgende Szene war völlig unwirklich. Noch nicht ganz auf dem Spielfeld, beschrieb Lyle bereits das Publikum und als er auf der Bank saß, kritisierte er die Aufstellung der Cincinnati Reds. In solchen Momenten habe ich mich immer gefragt, ob Hypnose nicht in Wirklichkeit reine Magie ist. Ich müßte es eigentlich besser wissen, doch ganz sicher bin ich mir nicht. In der ersten Runde spielten die Reds eine Führung von 2:0 heraus. Jede Handlung auf dem Spielfeld war natürlich nur eine Suggestion durch Hypnose. Lyle verließ während dieser Runde nicht einmal die Bank, aber er wähnte sich draußen auf dem Feld. In der zweiten 40
Runde war es an Lyle, zu schlagen. Nun war es an der Zeit, sich zu bewegen. Er wählte seinen Schläger und ging zum Schlagmal. Für seinen ersten Einsatz wählte ich die Situation, in der nach zwei mißlungenen Schlägen jeweils ein Mann am zweiten und dritten Mal stand. Lyle empfing seine Weisungen vom Coach an der dritten Base und ging zum Schlagkäfig. Der erste Wurf war ein guter, schneller Ball auf Kniehöhe. Lyle reagierte mit normalem, mechanischem Schwung. Das Ergebnis war ein Schlag, der den Ball wie ein halbtotes Kaninchen zur First Base Line hoppeln ließ - Foul Ball. In diesem Moment stellte ich mich schräg hinter Lyle ans Ende des Schlagkäfigs. Er zitterte am ganzen Körper und hielt den Schläger so fest umkrampft, daß seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Ich konnte den Pulsschlag an den Adern auf seinem Hals sehen. „Was ist los?“ fragte ich ihn als seine innere Stimme. „Mensch“, sagte er, „der Werfer ist einfach zu gut. Ich glaub' nicht, daß ich ihn schaffe.“ Er empfing das Signal vom Coach und ging wieder an seinen Platz. Das Signal war dasselbe wie zuvor und so war es auch mit Lyle. Er war gespannt wie ein Trommelfell. Der Werfer lieferte einen aufsteigenden, schnellen Ball. Lyle verfehlte ihn um gut 30 Zentimeter - Schlag zwei. Als er aus der Box ging, schlugen seine Knie fast zusammen, so zitterte er. „Ich flipp’ gleich aus. Er macht mich fertig mit seinen schnellen Bällen. Ich bring den Schläger nicht ´rum“, erklärte er. „Bist Du nervös?“ fragte ich. „Ja, und ich weiß nicht, wie ich dagegen ankommen soll. Ich habe kein Selbstvertrauen. Ich flipp’ gleich aus.“ Sein Gesicht war vor Anspannung kreideweiß. „Nun gut“, riet ich ihm, „benutze das Wort 2001 und entspann’ Dich.“ Der Coach gab erneut das Grünlicht-(Schlag-)Signal. Lyle ging in die Schlagbox, holte tief Luft und sagte mit fester Stimme: „2001.“ Sofort verlangsamte sich sein Herzschlag und das Zittern hörte auf. Lyles Muskeln entspannten sich schlagartig. Das Ganze war schlicht ein erworbener Assoziationsreflex nach den Prinzipien der klassischen Konditionierung, den wir in den Therapiesitzungen eingeübt hatten. Der Ball flog herein. Wieder ein hoher, schneller Ball. Aber diesmal lief alles anders. Mit dem besten Schwung, den er in diesem Jahr geliefert hatte, schmetterte Lyle den Ball in die Mitte des Spielfeldes hinaus und holte seine Leute herein. Lyle war jetzt auf der Erfolgsseite. Während des restlichen Spieles schlug er fast das Leder vom Ball. Die Akademieleute müssen mich wirklich für einen Zauberer gehalten haben. Und der restliche Verlauf des Spieles trug nichts dazu bei, diesen Ruf zu gefährden.
Ein überraschendes Ende Wir stiegen in der neunten Runde wieder in das Spiel ein. Cincinnati führt mit 5:4. Wieder waren zwei Leute draußen, als Lyle schlagen mußte. Zum ersten Mal in diesem Spiel betrat ein ruhiger und sicherer Lyle das Schlagmal. Warum auch nicht? Er hatte mittlerweile drei „Straight Ins“ gesammelt, einen davon mit einem 410-Fuß-Schlag gegen die Mauer. Wie heißt es doch so schön, Erfolg gebiert neuen Erfolg, oder? „Wie fühlst Du Dich?“ fragte ich ihn. „Großartig. Der Werfer sieht aus wie Hackfleisch.“ (Hackfleisch ist ein Baseballausdruck, der besagt, daß der Werfer wie ein Truthahn, ein Hamburger, eine Frikadelle oder schlicht und einfach lausig aussieht.) „Ich weiß, daß ich ihn schlagen kann.“ „Na, dann geh hin und benutze das Codewort.“ sagte ich. „Ich brauch’s diesmal nicht... ich fühl’ mich fantastisch!“ antwortete er. Nachdem Lyle sein Signal vom Third Base Coach empfangen hatte, machte er sich in der Schlagbox fertig. Der erste Ball war ein flacher, gedrehter Kümmerling. Lyle versuchte noch 41
nicht einmal, ihn zu treffen. Stattdessen warf er den Schläger zu Boden und starrte zum Schiedsrichter hinter dem Fänger hinüber. „Was ist los?“ fragte ich ihn. „ Er will mir für den verdammten Wurf einen Fehlschlag anhängen“, schrie Lyle, das Gesicht vor Zorn gerötet. Ich glaubte, mich verhört zu haben. Lyle nahm das Spiel wirklich ernst. Nach einem kurzen Wortwechsel und einigen giftigen Blicken nahm Lyle den Schläger wieder auf. Der nächste Ball kam schräg herunter. Wieder machte Lyle keinen Versuch, ihn zu treffen. Er war jetzt in heller Wut. Sein enormes Gewicht in jeden Schritt legend, machte er sich auf den Weg zum Schiedsrichter, den Schläger in der Hand. Da stand er nun vor seinem halluzinierten Peiniger und beschimpfte ihn, „blind wie eine Fledermaus“ zu sein. Das nächste, was ich mitbekam, war, daß Lyle zurück zur Bank stapfte. „Lyle, was war los?“ „Der verdammte Hundesohn hat mich für das Spiel gesperrt“, knurrte er. Tja, mit ein bißchen Hypnose bekam ich ihn wieder ins Spiel. Den nächsten Ball schlug er 450 Fuß weit über den Zaun - ein Grand Slam. Kansas City 8 - Cincinnati 5. Während dieses historischen Spiels lief es für Lyle 4:4 und er sammelte 7 RBIs. Dieses Experiment und ein weiterhin forciertes Entspannungstraining halfen Lyle, seine Nervosität endgültig zu überwinden und zu zeigen, was wirklich in ihm steckte. Gelinde gesagt, war das Experiment ein Riesenerfolg.
Ich muß ein Magier sein Die Nachricht von Lyles „Gedankenspiel“ ging wie ein Lauffeuer durch die Akademie. Alle sprachen davon, sogar die Putzfrauen. Wenn man der Mehrheit der Akademieleute Glauben schenken wollte, war ich ein Magier. Immerhin hatte ich Lyle von einem verängstigten Kaninchen in eine viel versprechende Baseballhoffnung verwandelt, und das in nur drei Monaten. Ich hatte es geschafft, nachdem ihn jeder Trainer und jeder Wissenschaftler der Akademie bereits aufgegeben hatte. Thrift war von meinem Erfolg so beeindruckt, daß er Branch B. Rickey anhielt, einen zwei Seiten langen Brief an Kauffman zu schreiben. Und er ernannte mich zum Forschungsdirektor der Akademie. Das hieß, daß ich von nun an für alle Studien verantwortlich war, die hier durchgeführt wurden. Es war eigentlich nur ein Scheintitel, weil die Mehrzahl der Studien klinischer Natur war. Um ehrlich zu sein, führten wir so gut wie gar keine wissenschaftlichen Untersuchungen durch, doch der klangvolle Titel schmeichelte mir sehr. Innerhalb kürzester Zeit wurde ich das gefragteste Mitglied des Akademiestabes. Jeder wollte einen Hauch von Magie.
Kapitel 5 - Rein akademisch Die Offenbarung Während ich mit den Athleten der Akademie arbeitete, trainierte ich weiter für PowerliftingWettkämpfe. Unglücklicherweise verbesserten sich meine Ergebnisse nicht. In einem gutbesetzten Wettbewerb hätte ich nur den letzten Platz belegen, bei einem Anfängerwettkampf vielleicht dritter oder vierter werden können. Es lief so schlecht, daß ich ernsthaft erwog, unter falschem Namen zu starten! Aber ich gab nicht auf und trat bei jedem 42
Wettkampf an, der auch nur die kleinste Chance bot. Ich betrachtete es einfach als lehrreiche Erfahrung. Wenn ich nur oft genug gegen gute Athleten antreten würde, so dachte ich, könnte ich vielleicht selbst einer werden. Nebenbei traf ich eine Menge interessanter Leute und der Sport machte mir Spaß. Ich gebe zu, daß es nicht gerade vorteilhaft für mein Ego war, stets den letzten Platz zu belegen. Doch erst bei den All-South Powerlifting Championships in Chattanooga, Tennessee stürzte mein Selbstvertrauen endgültig ins Bodenlose. Dieser Wettbewerb war wirklich der schwärzeste Tag meiner Laufbahn. Als es ans Kreuzheben ging, lag ich gut 100 Pfund zurück. Viel schlimmer war, daß ich auch hinter Michael Cross zurücklag, genau dem Michael Cross, der in meiner Gewichtsklasse den Weltrekord im Kreuzheben hielt und dem ich einmal großspurig erzählt hatte, ich könne 590 Pfund heben. Nun mußte ich Farbe bekennen. Bei meinem letzten Versuch schaffte ich schwere, aber saubere 415 Pfund. Ich hatte das Gewicht noch nicht ganz abgelegt, als Cross bereits auftauchte. „Hey, Judd, im Kreuzheben hast Du seit unserem letzten Treffen aber ganz schön nachgelassen, oder?” Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoß, aber ich wollte nicht zugeben, daß ich zwei Jahre zuvor gelogen hatte. Cross wußte es, und ich wußte, daß er es wußte, doch ich wollte es nicht zugeben. „Nun, eigentlich nicht!” sagte ich so beherrscht wie möglich. „Ich komme gerade von einem Treffen in West Chester, Pennsylvania. Dort war ich echt gut im Kreuzheben.” Cross sah mich mit zweideutigem Grinsen an. „Hab davon gehört”, sagte er. „Es ist etwa ein Jahr her und Du hast 405 Pfund geschafft, oder waren es wirklich 590? Ich weiß es nicht mehr genau, doch es muß wohl fantastisch gewesen sein...” Ich war völlig baff. West Chester war über 500 Meilen von Chattanooga entfernt. Wie konnte Cross wissen, wie viel ich dort gehoben hatte? Fachmagazine wie „Powerlifting USA”, die regelmäßig über die Gewichtheber-Szene informieren, gab es damals noch nicht. Ich hatte nun den Punkt erreicht, wo mir selbst die kleinste Lüge mißlingen mußte. Wie auch immer, auf dem Rückweg jedenfalls kam mir die Lösung in den Sinn: Wenn die Akademie aus Leuten Champions machen konnte, die niemals Baseball gespielt hatten, warum sollte es mir dann nicht gelingen, mit den gleichen Methoden ein guter Powerlifter zu werden? Es war wie eine Erleuchtung. Je näher ich der Akademie kam, desto mehr nahm dieser Gedanke Gestalt an. Die Akademie verfügte über unzählige wissenschaftliche Geräte und die meisten davon waren für Krafttraining ausgelegt. Es gab Gewichtheber-Plattformen, Isokinetik-Maschinen, Physiographen, Biofeedbackgeräte, Videoausrüstungen, Whirlpools, ein Ultraschallgerät und einen Stab von Fachkräften, der sich hinter keinem anderen verstecken mußte, wenn es um Verletzungen und Rehabilitation ging. Die Sportexperten der Akademie kamen aus allen Ländern der Erde. Zusammen verkörperten sie eine Ansammlung von schier grenzenlosem Wissen, das nur darauf wartete, genutzt zu werden. Wenn das Programm der Akademie den Ballspielern helfen konnte, warum nicht auch mir? Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer wurde ich. Ich beschloß, aus mir einen erfolgreichen Powerlifter zu machen, nach denselben Methoden, mit denen die Akademie ihre Baseballspieler aufbaute.
Meine psychologische Bewertung Nachdem ich einmal beschlossen hatte, dem Akademieprogramm zu folgen, wollte ich auch den Ansprüchen genügen, die dort an professionelle Sportler gestellt wurden. Der erste Schritt war ein Test, der meine psychologische Eignung feststellen sollte. Es machte mir nichts aus, am Tag ein oder zwei Stunden zu trainieren, aber das Programm der Akademie sah weit mehr 43
an Anstrengungen und Leistungsbereitschaft vor und ich wollte diesen Schritt nicht machen, ohne mir vorher über meine Tauglichkeit im klaren zu sein. Als erstes durchlief ich eine ganze Serie von Tests, mit denen an der Akademie festgestellt wurde, ob jemand wirklich das Zeug zum Spitzenathleten hatte. Ray Reilly, Sportpsychologe der Akademie, unterzog mich also dem „Edwards Preference Test”, dem „Mauldsley Psychological Inventory”, dem „Minnesota Multiphasis Personality Inventory” und dem „Taylor Manifest Anxiety Scale”-Test. Den Wissenschaftlern ging es dabei um eine Vielzahl von Parametern. Vorrangig wollten sie spezielle Persönlichkeitsstrukturen feststellen, die einem Sportler beim Baseball Vorteile versprachen. Außerdem wollten sie herausfinden, ob solche Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen, Selbstlosigkeit, Ausdauer und Haltung durch Training entwickelt werden können, oder ob diese allein durch genetische Veranlagung gesteuert werden. Darüber hinaus waren die Fachleute der Akademie an möglichen Zusammenhängen zwischen bestimmten psychologischen Voraussetzungen und der Eignung für besondere Funktionen auf dem Spielfeld interessiert. Das Vertrauen des akademischen Personals in diese Tests war allerdings gering. Für Reilly war einzig der „Taylor Manifest Anxiety”-Test einigermaßen zuverlässig, was die Ergebnisse anging. Genauer betrachtet, war diese kritische Haltung verständlich. Schließlich waren diese Tests nicht speziell zur Bestimmung besonderer sportlicher Fähigkeiten entwickelt worden, es handelte sich vielmehr um ganz normale Standardtests, wie sie in Kliniken und Reihenuntersuchungen zum Einsatz kamen. Andererseits wurde an der Akademie damals auch mit neuen Testverfahren experimentiert, die von Thomas Tutko und Bruce Oglvie entwickelt worden waren und erheblich bessere Ergebnisse versprachen. Mit dem neuen „Sports Emotional Reaction Profile” (SERP) und der „Athletic Motivational Inventory” (AMI) konnten die für Sportler wichtigen Merkmale wie Einsatzbereitschaft, Selbstkontrolle, Selbstvertrauen, Verläßlichkeit, Selbstdisziplin, mentale Stärke und Durchsetzungsvermögen gemessen werden. Natürlich ließ ich Tutko und Oglvie beide Tests an mir durchführen. Die Ergebnisse waren fantastisch. Ich schnitt bei den Intelligenz- und Persönlichkeitsprüfungen überdurchschnittlich gut ab. Beim SERP- und AMI-Test lag ich sogar vor allen anderen Sportlern der Akademie. Vom rein psychologischen Standpunkt aus hatte ich also das Zeug zum Superathleten. Als nächstes ging ich daran, mein physiologisches Potential zu prüfen.
Meine physiologische Bewertung Die Akademie konnte bei den Versuchen, die körperliche Leistungsfähigkeit eines Athleten durch Tests vorauszusagen, nicht nur Erfolge verbuchen. Die Untersuchungen, etwa zur Bestimmung der Schlagkraft, waren wenig aussagekräftig, wenn es um die Zielgenauigkeit des Sportlers ging. Ebenso wenig konnte man aus den Ergebnissen der Versuche zur Reaktionszeit gültige Schlüsse ziehen, wie schnell ein Spieler richtige Entscheidungen treffen konnte. Die einzig verläßlichen Daten für den Erfolg eines Baseballspielers waren die Geschwindigkeit beim Laufen und die im Wurf erzielten Ballgeschwindigkeiten. Baseball ist eine derart komplexe Sportart, daß man aus Messungen über Balance, Kraft, Sehvermögen, Agilität und Ähnlichem nur wenig herauslesen kann. Powerlifting dagegen ist erfreulich simpel. Ich überlegte mir, daß die potentielle Eignung eines Sportlers für Powerlifting anhand nur weniger Daten vorhersehbar sein müßte. Die anatomischen Strukturen konnten leicht gemessen werden, ebenso die Werte zur 44
Zusammensetzung des Muskelgewebes. Andere wichtige Daten wie Flexibilität, Geschwindigkeit und Koordination ließen sich ebenfalls leicht ermitteln. Auf dieser Grundlage ging ich daran, meine körperlichen Voraussetzungen als Powerlifter zu bestimmen. Zunächst mußte ich herausfinden, welcher Typ Muskelfasern bei mir überwog. Die Skelettmuskulatur des Menschen besteht aus zwei Arten von Muskelfasern. Die so genannten „Slow Twitch”-Fasern kontrahieren langsam und weisen ein hohes Potential zur Herstellung von Adenosintriphosphat (ATP) auf. Die ATP-Produktion unter Verwendung von Sauerstoff ist ein aerober Prozeß. ATP ist quasi das Benzin, die chemische Energie für die Muskelzellen. Die so genannten „Fast Twitch”-Fasern kontrahieren schneller und haben die Fähigkeit, ATP unter Ausschluß von Sauerstoff zu gewinnen, also anaerob. „Fast Twitch”Fasern werden überwiegend bei kurzen, harten Belastungen wie z.B. beim Powerlifting angesprochen, bei denen die Energieerzeugung im Körper anaerob vonstatten geht. „Slow Twitch”-Fasern werden eher bei Ausdauersportarten aktiviert, wenn der Energiebedarf hoch ist und aerob gedeckt werden muß. Muskelbiopsien haben gezeigt, daß die Verteilung dieser Fasertypen von Mensch zu Mensch stark differiert. Selbst beim einzelnen Menschen können unterschiedliche Muskeln überwiegend aus dem einen oder dem anderen Fasertyp bestehen. Man weiß heute, daß die Erfolgsaussichten eines Athleten in seiner Disziplin von der jeweiligen Verteilung der „langsamen” und „schnellen” Muskelfasern abhängig sind. Die Oberschenkelmuskulatur guter Langstreckenläufer z.B. weist etwa 80 bis 90 Prozent „Slow Twitch”-Fasern auf, während bei Sprintern das Verhältnis umgekehrt ist. Obwohl spezifisches Training die Stoffwechsel-Kapazitäten beider Fasertypen verbessern kann, erscheint es unwahrscheinlich, daß durch Training die Verteilung oder Proportion von schnellen und langsamen Muskelfasern im Körper eines Menschen verändert werden kann. Es wird vielmehr angenommen, daß dies in den Genen verankert ist. Wenn nun die Vorherrschaft eines Muskelfasertyps den Erfolg eines Athleten in verschiedenen Sportarten festlegt, scheint das sportliche Potential also genetisch vorbestimmt zu sein. Ich ließ deshalb Gewebeproben aus verschiedenen Muskeln meines Körpers entnehmen. Die Biopsien waren einigermaßen schmerzlos und ihre Ergebnisse ermutigend. Sie belegten, daß bei mir der Anteil an schnellen Muskelfasern leicht überwog und ich damit die „richtigen” Muskeln hatte. Für das Powerlifting hätten es aber eigentlich mehr schnelle Fasern sein müssen. Als nächstes suchte ich nach jemandem, der mir genauere Hinweise über meine anatomische Struktur geben konnte. Dieser Jemand war Dr. Terry Todd. Ich hatte ihn noch nicht kennen gelernt, aber in verschiedenen Kraftsportzeitschriften über ihn gelesen. Es war bekannt, daß Dr. Todd die Kapazität war, wenn es darum ging, das biomechanische Potential eines Sportlers zu bestimmen. Ich rief ihn an und bat um einen Termin. Er bestellte mich an die Mercer University, wo er einen Lehrauftrag hatte. Wir verbrachten einen ganzen Tag zusammen, an dem er mir ein grundlegendes Seminar über Powerlifting hielt. Allein an diesem Tag lernte ich mehr über Powerlifting als in den vergangenen zwei Jahren zusammen. Was Dr. Todd mir über meine anatomische Struktur erzählte, war wirklich überraschend. Er sagte, ich sei zu groß für die 132-Pfund-Klasse. Er rechnete mir vor, daß ich, um eine Chance auf Erfolg zu haben, 220 bis 242 Pfund wiegen müsse. Dann sagte er mir, ich könne dieses Gewicht kaum erreichen, ohne Steroide oder andere kraftsteigernde Medikamente zu nehmen. Zu dieser Zeit wußte ich noch nicht, was Steroide waren, aber ich wußte genau, daß ich für das Powerlifting meine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen wollte.
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Es war schon lustig: Mein ganzes Leben lang war ich zu klein, nun war ich zu groß. Dr. Todds Ausführungen beschäftigten mich sehr. Mir wurde klar, daß, obwohl ich nicht den idealen Körperbau für Powerlifting hatte, ich immerhin den großen Vorteil der Akademie mit all ihrer Ausrüstung und ihrem Personal nutzen konnte. Überdies hatten die Fachleute der Akademie ja bereits festgestellt, daß ich die mentalen Voraussetzungen für den Erfolg mitbrachte. Ich beschloß daher, meine Pläne weiter zu verfolgen.
Wissenschaftliche Hilfestellung An der Akademie sprach ich bei Dr. William Spieth vor, einem Fachmann für Bewegungslehre von der Penn State University. Dr. Spieth und sein Kollege Tim Smith, ein Biomechaniker von der U.C.L.A., waren an der Akademie, um die Baseballer in verschiedenen kinesthetischen Fertigkeiten zu unterrichten. Als ich Dr. Spieth von Dr. Todds Einschätzung meiner körperlichen Voraussetzungen erzählte, warf er ein, daß er den Nachteil meiner Größe eventuell durch Optimierung meiner Bewegungseffizienz beim Gewichtheben ausgleichen könne. Mit einer auf meinen Körperbau zugeschnittenen Technik, so Spieth, könne ich genauso gut oder sogar besser werden als jemand mit einer vorteilhafteren Körperstruktur und mangelhafter Technik. Als erstes schloß Spieth mich an einen Elektromyographen an. Er ließ mich beim Bankdrücken verschiedene Griffweiten und bei der Kniebeuge unterschiedliche Fußstellungen ausprobieren. Er testete mich auch auf diversen Kraftplattformen. Ich weiß bis heute nicht genau, wie er es schaffte, doch in weniger als einem Monat hatte er eine detaillierte biomechanische Analyse jedes einzelnen meiner Versuche erarbeitet. Seine Ergebnisse waren in der Tat umwerfend: Vom biomechanischen Standpunkt aus führte ich jede Bewegung völlig falsch aus. Ich mußte mich total umstellen. Nichts war richtig - Fußstellung, Hüftposition, Griffweite, ja sogar meine Zehen sollte ich anders platzieren. Ich mußte wieder ganz von vorn anfangen.
Videoanalysen In den nächsten sechs Wochen arbeitete ich ausschließlich an meiner neuen Technik. Ich benutzte sehr leichte Gewichte, ungefähr sechzig Prozent meines Maximums. Jede einzelne Wiederholung, die ich während dieser Zeit durchführte, wurde aus drei verschiedenen Blickwinkeln auf Video aufgenommen. Nach jedem Versuch wurden die Bänder zurückgespult, damit Spieth mit mir die Fehler analysieren konnte. Danach „verbesserte” ich diese Fehler zunächst in meiner Vorstellung. Wir verbrachten viel Zeit mit der Analyse dieser Filme. Es half mir sehr, mir meiner Fehler bewußt zu werden. Zusätzlich unterstützte es meine Visualisierung einer korrekten Technik. Als ich meine neue Technik einigermaßen einstudiert hatte, holte Spieth Paul Mayers, den Zeitlupenphotographie-Experten von Disney World, der meine Versuche fotografieren sollte. Mayers stellte mehrere Kameras auf, um mich aus allen Winkeln aufzunehmen. Nachdem wir von jeder Übung Bilder mit perfekter Form hatten, gingen wir zu Faye Reid, einer Cartoonistin, die von jedem Bild eine Zeichnung anfertigte. In diese Zeichnungen arbeitete sie dann unter Anleitung von Spieth und Smith alle Muskeln ein, die in der jeweiligen Phase der Bewegung kontrahierten. Die Zeichnungen waren so fantastisch, daß man beim schnellen Durchblättern die Muskeln förmlich arbeiten sah. Beim Bankdrücken beispielsweise konnte man genau erkennen, wann 46
der Latissimus Dorsi ins Spiel kam, wann die Deltoiden ihre Arbeit aufnahmen und wann die einzelnen Trizepsköpfe kontrahierten. Alles in allem fertigte Faye etwa 1500 Zeichnungen an. Nach ihrer Fertigstellung filmten wir alle nacheinander ab, so daß ich sie in der richtigen Reihenfolge ansehen konnte. Beim Betrachten dieses Zeichentrickfilms wurde mir nun klar, welche Muskeln ich an welcher Stelle des Bewegungsablaufes einsetzen mußte. Wenn ich in einer Bewegung stocken sollte, wußte ich jetzt genau, auf welchen Muskel ich mich besonders konzentrieren mußte, um den Versuch zu beenden. Der Film half mir auch, meine Technik zu perfektionieren. Er zeigte mir bei der Kniebeuge den exakten Punkt, an dem ich mein Becken nach vorn und die Schultern nach hinten nehmen mußte. Kurz gesagt, mit dem Film als Trainingshilfe war ich endlich in der Lage, Gehirn und Körper perfekt zu synchronisieren. Während der folgenden zwei Trainingsjahre habe ich diesen Film mindestens 1000 Mal gesehen. An jedem Abend, ohne Ausnahme, habe ich mich erst hypnotisiert und meine Muskeln völlig entspannt, um dann den Film anzuschauen. Ich habe ihn so oft gesehen, daß ich manche Nacht sogar davon geträumt habe. Zusätzlich habe ich auch weiterhin jede Trainingseinheit auf Video festgehalten. Wenn man mich heute fragt, was im Wesentlichen zu meinem Erfolg im Powerlifting geführt hat, würde ich ohne Zögern diese Video- und Filmaufnahmen nennen.
Intellektuelles Training In der Zeit, in der Reid meine Bilder zeichnete, durchlief ich überdies ein intensives intellektuelles Training. Ich entschloß mich ganz bewußt für dieses Zusatzprogramm. Untersuchungen im Bereich der Sportmotorik haben nämlich gezeigt, daß ein Sportler um so erfolgreicher ist, je mehr Informationen er über physiologische, psychologische und mechanische Anforderungen seiner Sportart sammelt. Dies ist vor allem an den AkademieBaseballspielern bewiesen worden. Die Athleten, die speziellen intellektuellen Unterricht erhielten - Lektüre, Demonstrationen und Vorlesungen über die Psychologie, Physiologie und Biomechanik ihrer Disziplin - schnitten in vielen Untersuchungen deutlich besser ab als ihre Kollegen, die diese Form von Trainingshilfen nicht bekamen. Mit diesem Wissen im Hinterkopf ging ich daran, soviel Informationen wie möglich über Krafttraining und Powerlifting zusammenzutragen. Ich las praktisch alles, was mir in die Hände fiel, Bücher über Krafttraining, ergonomische Hilfen, Ernährung, Biomechanik usw… Ich las auch alle möglichen wissenschaftlichen Abhandlungen zu diesen Themen und telefonierte mit Trainern und Betreuern im ganzen Land. Dabei stieß ich auf höchst interessante Zusammenhänge und erlebte überdies einige Überraschungen. Die einzige Übereinstimmung z.B. gab es beim Thema Krafttraining. Fast alle Trainer glaubten, daß der einzige Weg zur Kraftsteigerung ein Widerstandstraining mit hohen Gewichten und wenigen Wiederholungen sei. Und da hörte die Übereinstimmung auch schon wieder auf. Denn jeder einzelne Trainer vertrat seine eigene Meinung, was die Anzahl der Wiederholungen, die Höhe des Gewichtes, die Ruhepausen zwischen den Sätzen, zusätzliche Übungen und die Anzahl der Trainingstage pro Woche anging. Mich hat diese Unstimmigkeit nicht weiter gestört, da ich davon ausging, daß jeder Sportler anders veranlagt und anderen Anforderungen ausgesetzt ist, was den Beruf, die persönliche Verantwortung, Freizeit, Familie und vieles mehr betrifft. Deshalb war ich überzeugt, daß ein Trainingsprogramm den individuellen Gegebenheiten einer Person angepaßt sein mußte. Weil jeder Mensch auch noch biomechanische Eigenheiten aufweist, sollten auch zusätzliche Übungen auf dieser Basis den Bedürfnissen eines Sportlers angepaßt werden. 47
Obwohl ich diese Überlegungen recht vernünftig fand, spiegelten sie nicht gerade die Meinung wieder, die im übrigen Land vertreten wurde. Ich fand schnell heraus, daß die Powerlifter von Stadt zu Stadt und von Bundesstaat zu Bundesstaat anders trainierten. Gewichtheber aber, die im selben Studio trainierten, hatten grundsätzlich dieselben Programme. Innerhalb der Trainingsstätten gab es, wenn überhaupt, nur kleine Variationen im Training. Aus oben genannten Gründen war ich mir ziemlich sicher, daß dies nicht richtig sein konnte und beschloß, es besser zu machen: Ich stellte mein Trainingsprogramm genau für meine individuellen Bedürfnisse und meine Situation zusammen. Natürlich hatte ich die Fachkräfte der Akademie zur Hand, die mir dabei halfen. Spieth maß mit dem Elektromyographen meine Stärken und Schwächen in Bankdrücken, Kniebeuge und Kreuzheben, den drei Powerlifting-Übungen. Mit diesen Meßwerten konnte er präzise sagen, welche zusätzlichen Übungen mir helfen würden. Ein nicht zu unterschätzender Teil meiner persönlichen Trainingslehre entsprang auch dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Ich versuchte verschiedene Techniken und ermittelte meine Fortschritte. Während dieser Zeit führte ich ein Tagebuch, in dem alles festgehalten wurde, was ich von einem Training zum nächsten machte. Ich schrieb auf, wie ich mich fühlte, was ich aß, wieviel Zeit ich für mein Training brauchte und natürlich, wieviel Gewicht ich hob. Innerhalb von acht Monaten stellte ich mir so ein Programm zusammen, das mir gefiel und nicht zu Übertraining führte. Ich wußte, daß dies der Eckpfeiler meines Trainings sein würde. Mit der Zeit fiel mir auf, daß intellektuelles Training nicht nur ein probates Mittel zur Lösung eines kurzfristigen Problems ist, sondern vielmehr eine lebenslange Aufgabe. Ab diesem Moment widmete ich einen nicht unwesentlichen Teil meines Trainings der intellektuellen Entwicklung. Für mich und die anderen Athleten der Akademie gab es einen unübersehbaren Zusammenhang zwischen intellektuellem Training und erfolgreicher Teilnahme im Wettkampf.
Biorhythmus Auf meiner unermüdlichen Suche nach Informationen über den Kraftsport lernte ich Dr. Charles Dement kennen, einen klinischen Psychologen. Als ich ihn traf, schrieb er gerade an einem Buch über Biorhythmik und ihren Einfluß auf das menschliche Verhalten. Nach Dr. Dements Theorie ist jeder Mensch drei Körperzyklen unterworfen: Einem 33-Tage, einem 28-Tage und einem 23-Tage-Zyklus. Der erste ist der intellektuelle Zyklus, der zweite der emotionale und der dritte Zyklus derjenige, der die körperlichen Fähigkeiten anzeigt. Diese Zyklen beginnen mit dem Tag der Geburt und verändern sich während des ganzen Lebens nicht. Wenn man sich die Biorhythmustheorie genauer anschaut, haben die Zyklen jeweils spezielle Auswirkungen. Während der positiven Phase des 23-tägigen körperlichen Zyklus sind wir stärker, haben mehr Ausdauer und sind widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten. Für die negative Phase gilt das Umgekehrte. Ebenso fühlen wir uns in der positiven Phase des 28-tägigen emotionalen Zyklus positiver, kreativer und optimistischer, in der negativen Phase neigen wir dagegen eher zu Pessimismus, Irritation und Niedergeschlagenheit. Was nun den 33-tägigen intellektuellen Zyklus angeht, so sind wir in seiner positiven Phase entscheidungsfreudiger und denken klarer, während für die negative Phase wiederum das Gegenteil gilt.
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Dement erklärte mir, daß diese Zyklen die Gestalt von Sinuskurven haben. Da sie verschieden lang sind, verlaufen sie manchmal miteinander, manchmal auseinander. Am Anfang und in der Mitte eines jeden Zyklus finden sich die sogenannten kritischen Tage, an denen die Kurve vom positiven Bereich in den negativen übergeht, oder umgekehrt. An diesen Tagen sind wir in einem Zwischenstadium und besonders verletzlich. Wir sind schwächer, zeigen eher emotionale Schwankungen und machen mehr Fehler. Dement behauptete, daß das Wissen über diese Phasen jedem Einzelnen helfen könne, Schwierigkeiten zu vermeiden. In negativen Phasen könne man sorgfältiger vorgehen, weniger anspruchsvolle Aufgaben übernehmen und körperlich anstrengende Tätigkeiten meiden. Andererseits könne man seine Höhepunkte für entsprechend anspruchsvolle Aktivitäten nutzen. Die Idee der Biorhythmik gefiel der ganzen Akademie. Der Führungsstab dachte darüber nach, Biorhythmik beim Baseball auf die Auswahl der Starting-Lineups, der Pinch Hitters und der Pitching-Rotation anzuwenden. Ich konnte nach dieser Methode Trainingseinheiten und Wettkämpfe gemäß meines Biorhythmus’ planen und meinen Trainingszyklus so einrichten, daß ich in der positiven Phase meines Biorhythmus’ die höchsten Gewichte anging. Allerdings war - zumindest für mich - die entscheidende Frage stets die, ob die BiorhythmusTheorie einer ernsthaften wissenschaftlichen Überprüfung standhalten würde und durch ihre Anwendung menschliches Verhalten und Leistung wirklich vorhersehbar waren. Dement versuchte nachzuweisen, daß Athleten an ihren erfolgreichen Tagen jeweils auf einem biorhythmischen Höhepunkt waren, und umgekehrt, unterlegene Sportler in einer kritischen Phase steckten. Er führte einige interessante Fallbeispiele an, um seine Theorie zu belegen. Als zum Beispiel Ken Norton am 31. März 1973 Muhammad Alis Kiefer brach, war Alis Biorhythmus sowohl physisch als auch emotional in einem kritischen Bereich. Das Gegenteil war der Fall, als Muhammad Ali am 25. Mai 1976 auf Joe Frazier traf. In diesem Boxkampf, der als „Thriller von Manila” in die Geschichte einging, war Ali auf einem physischen Hoch, während Frazier physisch in einem Tief war. Laut Dement gewann Ali diesen Boxkampf, weil sein Biorhythmus ihm zum Erfolg verhalf. Dement brachte noch andere einleuchtende Beispiele aus dem Baseball, Basketball, Football und dem Kraftsportbereich zur Sprache. Nach einigen Stunden hatte Dement mich überzeugt, daß seine Biorhythmustheorie wirklich plausibel war. Der Stab der Akademie ließ sich ebenfalls dafür interessieren. Allerdings glaubten sie nichts, dessen Gültigkeit nicht unter ihrem eigenen Dach bewiesen worden war. Die Wissenschaftler machten sich also daran, die Wahrheit herauszufinden. Als erstes wurde die Vorhersehbarkeit von Ereignissen im Baseball auf der Basis der Biorhythmik untersucht. Ich durfte mich glücklich schätzen, zum Leiter dieses Forschungsteams ernannt zu werden. In unserer Studie errechneten wir den Biorhythmus jener Pitcher, die im Zeitraum von 1970 bis 1980 bei den Royals, den Reds und den Pirates gespielt hatten. Dann suchten wir nach Zusammenhängen zwischen den Biorhythmuskurven dieser Spieler und besonderen Ereignissen in ihrer Laufbahn, wie etwa auffälligen Schiedsrichterentscheidungen, der Anzahl von Fehlwürfen im Verhältnis zur Anzahl der Versuche usw. Doch egal was immer wir auch prüften, es ließ sich keine Übereinstimmung feststellen, die deutlich genug war, irgendwelche Voraussagen über die Leistung der Athleten zu machen. Ein anderer Ansatz, der das Starting-Lineup der Royals zum Gegenstand der Untersuchung hatte, schlug ebenso fehl. Wie es im Baseball so schön heißt, beim „zweiten Fehler” wird man vom Feld genommen. Für die Royals war die Sache damit vom Tisch. Doch mir ließ die Geschichte keine Ruhe. Zwei Monate nachdem die Akademie ihre Forschungen zum Thema Biorhythmus eingestellt hatte, versuchte ich noch einmal, am 49
Beispiel von Powerliftern der Amateur Athletic Union (AAU) stichhaltige Beweise für den Einfluß des Biorhythmus auf die Leistungsfähigkeit zu finden. In der ersten Studie ließ ich 24 junge Gewichtheber ihren Biorhythmus ausrechnen, um dann die tatsächliche Leistung für jeden Tag festzuhalten. Die Ergebnisse wiesen die erstaunlich hohe Korrelation von 0.89 zwischen Leistungsfähigkeit und Biorhythmus auf. Der Biorhythmus schien also doch ein verläßliches Instrument zur Leistungsvorhersage zu sein. Ich fühlte mich bestätigt und glaubte wirklich, auf etwas Großes gestoßen zu sein. Umgehend startete ich eine neue Untersuchung. Dieses Mal wählte ich 31 Powerlifter, die gerade mit diesem Sport begonnen hatten. Allerdings ließ ich sie ihre Biorhythmen nicht selbst bestimmen, sondern berechnete sie per Computer. Dabei erstellte ich zwei Diagramme, ein echtes und eines mit falschen Kurven für jeden Probanden. Die unechten Diagramme waren so angelegt, daß sie genau entgegengesetzt zu den echten Kurven verliefen. Wenn die falschen Diagramme einen Höhepunkt andeuteten, zeigten die echten ein absolutes Tief. Ich zeigte den Powerliftern die falschen Diagramme, klärte sie aber nicht darüber auf. Sie wußten nicht, daß es zwei Diagramme gab und nur ich die echten Berechnungen hatte. Ich untersuchte nun die Zusammenhänge zwischen beiden Diagrammen und der Leistungen der Athleten. Interessanterweise ergaben die falschen Kurven eine hohe Korrelation zu den tatsächlichen Leistungen (0.89), während die echten Kurven eine nur mäßige Treffsicherheit von 0.61 aufwiesen. Nach dieser Studie war klar, daß es sich offensichtlich um eine Art Placeboeffekt handelte. Die falschen Rhythmen hatten einen Leistungseinbruch erzeugt, wenn sie für einen bestimmten Tag ein körperliches Tief vorhersagten. Im Gegensatz dazu spornten sie an vermeintlich leistungsstarken Tagen die Athleten an. Um es simpel auszudrücken: Der Glaube an die Biorhythmen hatte die Leistungsschwankungen verursacht. Es war das Gehirn des Probanden, das die Leistung beeinflußte, nicht der Biorhythmus. Ich schloß daraus, daß es mir demnach auch gelingen müßte, allein durch Einbildung jeden Tag in Höchstform zu sein. Ebenso wie die Akademiefachleute, bin auch ich heute immer noch überzeugt, daß die Biorhythmik nicht geeignet ist, körperliche Höchstleistungen vorherzusagen. Wenn überhaupt, kann sie höchstens die realen Fähigkeiten eines Sportlers einschränken, indem sie an kritischen Tagen psychologische Barrieren aufbaut.
Cirkadische Rhythmen Noch während ich die Literatur zum Biorhythmus studierte, fiel mir auf, daß der größte Teil der Forschung zum Thema Körperrhythmen auf kurze Zyklen wie etwa die Herz- oder Atemfrequenz ausgerichtet ist. Andere Wissenschaftler beschäftigten sich mit längeren Rhythmen wie dem 90-minütigen Schlafrhythmus und dem sog. cirkadischen Rhythmus (vom lateinischen „cirka”- „rund” und „Dies”- „Tag”). Obwohl die meisten Menschen es nicht wahrnehmen, durchläuft der Körper während eines Tages verschiedene Zyklen. Die Körpertemperatur etwa ist in der Regel mitten in der Nacht auf dem tiefsten Stand und steigt während der ersten drei Stunden nach dem Aufwachen kontinuierlich an. Bis zum Schlafengehen bleibt sie dann relativ konstant. Dieser Temperaturunterschied ist sehr gering nur etwa ein Grad - doch er tritt bei fast allen Menschen auf. Niemand weiß exakt, warum das so ist, aber man hat festgestellt, daß dieser tägliche Zyklus sogar für körperlich inaktive Menschen gilt.
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Andere Wahrnehmungen, wie Riechen, Schmecken oder Hören sind im Laufe des Tages ebenfalls Schwankungen unterworfen. Die meisten Menschen erreichen den Höhepunkt dieser Fähigkeiten um drei Uhr morgens. Einen zweiten Höhepunkt erreicht die Wahrnehmungskapazität zwischen 17 Uhr und 19 Uhr, was wiederum Rückschlüsse auf die Vorliebe der meisten Menschen zuläßt, ihre Hauptmahlzeit zu dieser Zeit einzunehmen. Obwohl ich keine Studien zu der Frage finden konnte, ob die Körperkraft eines Individuums ebenfalls täglichen Schwankungen unterliegt, so besteht doch die Möglichkeit, daß solch ein täglicher Rhythmus existiert. Aus diesem Grunde schenkte ich Veränderungen meiner Form während des Tages nun größere Aufmerksamkeit. Einen ganzen Monat lang notierte ich jede Stunde, wie ich mich emotional, intellektuell und körperlich gerade fühlte. Ich wechselte auch meine Trainingszeiten. Während des Trainings schrieb ich wieder genau auf, wie es mir ging und welche Gewichte ich bewältigte. Aus dieser umständlichen Form der Selbstbeobachtung ergab sich, daß ich zwischen 15 Uhr und 17 Uhr die höchsten Gewichte heben konnte. Natürlich wußte ich nicht, ob das nun psychologische oder biologische Gründe hatte. Vermutlich war es rein psychologisch. Kurz gesagt, ich fand heraus, daß es durchaus wichtig sein kann, cirkadische Zyklen beim Aufbau eines Trainingsprogramms zu beachten, doch bevor diesem Thema von Seiten der Wissenschaft nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, bleibt dies reine Spekulation. Bis heute erscheint mir allein logisch, daß ein Athlet dann trainieren sollte, wenn er sich physisch und mental am besten fühlt.
Biofeedback Mein nächster Schritt zur Selbsterforschung war Biofeedback. Ich hatte schon eine vage Idee, wie die Sache funktionierte, aber ich sollte mich noch zu einem regelrechten Experten für Biofeedback entwickeln. Die Möglichkeiten für Anwendungen von Biofeedback sind fantastisch. Lassen Sie uns einen Moment darüber nachdenken: Wenn Sie lernen würden, die autonomen Körperfunktionen zu kontrollieren, könnten Sie Herzfrequenz und Gehirnwellen, ja selbst Blutdruck und Verdauungssystem nach ihrem Willen beeinflussen! Für mich als Powerlifter waren das völlig neue Perspektiven. Könnte ich dann meine unfreiwilligen Körperfunktionen ebenso beeinflussen wie meine freiwilligen? Dann könnte ich mich ja in höchste Erregung versetzen - genau in dem Augenblick, in dem ich ein hohes Gewicht heben wollte. Darüber hinaus könnte ich mich durch Kontrolle meiner Gehirnwellen auf Wunsch augenblicklich entspannen oder sogar schlafen, wenn ich es nur wollte. Die Möglichkeiten schienen grenzenlos zu sein. Wie der Zufall so spielt, besaß die Akademie eine der besten Biofeedbackmaschinen, die je hergestellt worden waren, aber sie stand nur unbenutzt herum. Vielleicht hatten sie niemanden, der das Gerät bedienen konnte, oder sie unterschätzten einfach die Möglichkeiten zur Veränderung menschlichen Verhaltens. Jedenfalls beschloß ich, das nun selbst in die Hand zu nehmen. Der Gedanke, mein autonomes Nervensystem kontrollieren zu können, gefiel mir außerordentlich. Zunächst las ich alles, was ich über Biofeedback in die Hände bekam. Ich besuchte auch einige Seminare, die in Atlanta, Georgia, abgehalten wurden und stattete der Cyborg Company, dem größten Hersteller von Biofeedbackgeräten, einen dreitägigen Besuch ab. Durch all das lernte ich eine Menge. Obwohl die Prinzipien des Biofeedback Hand und Fuß hatten, mußte ich mit Enttäuschung feststellen, daß nur wenige Menschen es wirklich geschafft hatten, ihre Verdauung bewußt zu kontrollieren. Doch meine Studien hatten mich in dem Glauben bestärkt, die 51
Biofeedbackmaschine für meine Zwecke einsetzen zu können. Nebenbei bemerkt: So sehr war ich an der Kontrolle über ein paar Meter Darm gar nicht interessiert; worauf es mir wirklich ankam, war, wie ich meine Muskelspannung kontrollieren konnte und darüber hinaus vielleicht noch ein paar meiner kleinen grauen Zellen. Nach dem was ich bis hierher wußte, würde mir das auch gelingen. Immerhin war ich der Magier!
Unterricht in Biofeedback Als erstes lernte ich, mit dem Biofeedbackgerät meine Muskeln bewußt zu entspannen. Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen der Spannung in dem Muskel auf der Stirn - dem Frontalis - und der Spannung in den restlichen Muskeln des Körpers. Mit anderen Worten, wenn man den Frontalis bewußt entspannen konnte, standen die Chancen gut, daß sich der Rest des Körpers ebenfalls entspannte. Ich schloß also einige aufklebbare Elektroden an meinem Frontalis an und verband sie mit dem Biofeedback-Enzephalogramm (EMG), einem Gerät, mit dem man die elektrische Aktivität in den Skelettmuskeln messen kann. Das EMG-Gerät war mit einem kleinen Lautsprecher ausgerüstet, der die elektrische Aktivität durch einen Ton wiedergab. Je höher die Spannung im Muskel war, desto lauter und schneller war das Klicken; je mehr die Spannung abnahm, desto ruhiger und leiser wurde es. Die Aufgabe war nun, die Maschine zum Schweigen zu bringen, indem man den angeschlossenen Muskel völlig entspannt. Hört sich eigentlich kinderleicht an, oder? Ich befestigte die Elektroden an meiner Stirn, stellte das EEG auf „Ton” und setzte mich vor das Gerät. Sobald ich den Schalter umgelegt hatte, begann das verdammte Ding wie verrückt zu klicken. Ich geriet in Panik. Das einzige, woran ich denken konnte, war Sex. Fragen Sie mich bitte nicht, warum. Vermutlich weil ich genau wußte, daß dies ein denkbar ungeeigneter Moment war, daran zu denken. Das Gerät schien meine Gedanken lesen zu können. Es klickte so laut und schnell, daß ich dachte, es würde explodieren. Zudem hatte ich Angst, jemand könnte das Geräuschinferno hören und meine Gedanken erraten. Schließlich beruhigte ich mich ein wenig und lenkte meine Gedanken weg von den fleischlichen Dingen des Lebens. Ich dachte nun an alle Dinge, von denen ich wußte, daß sie mich entspannen - in der Sonne liegen, sanfte Musik hören, einem Baseballspiel zusehen. Ich versuchte auch, an gar nichts zu denken. Haben Sie das jemals versucht? Es ist wirklich nicht einfach. Anders ausgedrückt: Es ist harte Arbeit. Es sah so aus, als bekäme ich, egal was ich dachte oder auch nicht dachte, immer ein Knattern als Antwort. Die Maschine war so sensibel, daß sie sogar reagierte, als ich an Erdbeeren dachte. Eine ganze Stunde lang machte mich dieses Ding verrückt. Egal was ich auch versuchte, es war nicht still zu kriegen. Vermutlich stimmte etwas nicht damit. Nervlich am Ende, beschloß ich daraufhin, das Gerät von Cyborg Company überprüfen zu lassen. Ich wartete nicht lange. Noch am gleichen Tag flog ich. Ich traute meinen Ohren nicht, als sie mir erzählten, daß die Maschine völlig in Ordnung sei. Also wieder zurück nach Sarasota und auf ein Neues: Erbeeren... Click, click, click... Grapefruit... Click, click, click, click... Eiscreme... Click, click, click, click, click... Verdammt... Click, click, click, click, click, click... Langsam begriff ich, warum nur wenige Leute mit dem Biofeedbackgerät umgehen konnten. Zu Anfang ist es wirklich so langweilig, daß man schnell die Konzentration verliert. Und wenn das passiert, geht das Gerät ab wie ein Feuermelder. Mehr als nur einmal hätte ich am liebsten alle Kabel aus dem Ding herausgerissen. Ich vermute, die meisten Leute hören mit 52
der Arbeit am Biofeedbackgerät auf, weil sie einfach so nervtötend ist. Glauben Sie mir, man braucht viel Zeit und Geduld, um die Maschine zu schlagen. Natürlich ist das völlig widersinnig, weil man das Gerät ja dazu benutzen will, sich zu entspannen und nicht, um sich verrückt zu machen. Bei mir kam es soweit, daß ich dem Apparat regelrecht den Krieg erklärte - er oder ich. Noch befremdlicher war, daß ich die Maschine schließlich als ein menschliches Wesen betrachtete. Ich war schon nervös, bevor ich den Raum betrat, in dem sie auf mich wartete. Zurückblickend war mein Verhalten wirklich angsteinflößend. Ich fragte mich oft, was wohl die Baseballspieler der Akademie von mir dachten. Ich meine, ich saß jeden Tag zwei bis drei Stunden allein mit der Maschine in einem Raum und sprach mit ihr, ja schrie sie sogar an. Ich fragte mich auch, was sie wohl dazu sagen würden, wenn ich kurze Zeit später auch mit ihren Gehirnen herumspielte? Ich verbrachte unglaublich viel Zeit an dem Gerät. An manchen Tagen war mir nichts wichtiger, als dieser Kiste zu zeigen, was eine Harke ist. Nicht selten vernachlässigte ich sogar meine Baseball-Klientel, nur um ein paar zusätzliche Minuten für mein Biofeedbacktraining zu gewinnen. „Hey Judd, beeil Dich! Es ist an der Zeit, etwas mit mir zu arbeiten.” „Klar. Nur noch eine Minute. Gleich hab ich’s...” Click, click, click, click... „Mist!” Zurückblickend bin ich heute sicher, irgendwie abhängig von diesem Gerät geworden zu sein. Ich konnte einfach nicht mehr davon lassen. Ich wollte das haben, was die Maschine anbot und ich würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um es zu erreichen - absolute Kontrolle. Ich wollte nicht nur die Maschine kontrollieren, sondern auch mich selbst. Nach zwei langen Monaten fühlte ich, wie die Maschine langsam nachgab. Ich gewann allmählich Oberhand, und sie wußte es. Selbst wenn sie nun Gelegenheit zum Klicken hatte, so klang ihr Klicken doch nicht mehr so frech und selbstsicher. Als ich die Schlacht schließlich gewonnen hatte, konnte ich sogar die Melodie von „Mary had a little lamb” auf ihr spielen, indem ich das Klicken an- oder abschwellen ließ. Was für eine unglaubliche Demonstration mentaler Macht! Nun war ich bereit für die Kontrolle der Gehirnwellen. Ich wollte meinen Bewußtseinszustand auf Wunsch verändern können. Es war schon eine aufregende Perspektive, mit einem Augenzwinkern von Alpha auf Beta und Delta umschalten zu können. Der Alphazustand beschreibt eine entspanntere Situation als Beta, aber angespannter als Delta. Der Alphazustand wird mit Entspannung und friedlichem Dösen gleichgesetzt, Beta steht für mentale Aktivität, während Delta im Schlaf erreicht wird. Natürlich kann jeder diese Bewußtseinszustände erreichen, aber wie viele Leute können im Alphazustand verweilen, wenn die Situation um sie herum normalerweise einem Betazustand bedingen würde? Diese Art mentaler Kontrolle strebte ich an. Wieder einmal befestigte ich Elektroden an meinem Kopf. Dieses Mal jedoch an verschiedenen Stellen rund um den Schädel. Ich stellte die Maschine wieder auf „Ton”, um mir meine Werte akustisch anzeigen zu lassen. Bereit für den Kampf setzte ich mich vor das Gerät. Ich schaltete die Kiste an - Heiliger Strohsack! Keine Spur von Klicken, dafür aber ein „beep boop beep boop”. Das beep stand für Alpha, das boop für Beta. Die Gehirnwellen der meisten Leute befinden sich gleichzeitig im Alpha- und Betazustand. Ich wollte aber nur ein schönes, anhaltendes „beep” hören. Ich mußte irgend etwas visualisieren, um vom „boop” wegzukommen und mein „beep” zu halten. Erdbeeren... Boop, boop, boop, boop... Der Krieg ging weiter.
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Affenhirne Neben all diesen Dingen beschäftigte sich die Akademie auch mit dem wohl wichtigsten Faktor der sportlichen Leistungssteigerung, der Ernährung. Die meisten Athleten versuchten schon damals, ihr Körpertraining mit der Einnahme von sog. Supplements, zusätzlichen Nährstoffen, zu ergänzen. Ich nicht. Ich zog den Hokuspokus vor, den mir Biofeedback anbot. Ernährung hieß für mich Hamburger, Pommes Frites und Coca Cola. Substitution, der Ersatz verbrauchter Nährstoffe, stand also nicht gerade an erster Stelle meiner wissenschaftlichen Interessen. Man hatte mir immer wieder erzählt, daß ein normaler Mensch, der sich gesund ernährt, von irgendwelchen Supplements keine Vorteile habe. Ich hatte zudem viel über Ernährung gelesen. Überall fand ich gedruckt, daß Präparate wie Vitamine, Aminosäuren und andere Zusatznährmittel als ergogene Mittel wertlos seien. Aber das ganze Gerede über Glandulars (Drüsenextrakte) machte mich doch neugierig. Es gab viele Powerlifter, die behaupteten, ohne die Einnahme von Drüsenextrakten könne man nicht erfolgreich werden. Schließlich kam ich zu der Ansicht, diese Präparate verdienten eine eingehendere Untersuchung. Ich ging also los und schnappte mir einen von eben diesen Gewichthebern. Interessanterweise war das einzige, was er wußte, daß man die Glandulars einnehmen mußte, damit sie wirkten. Merkwürdigerweise sollte ich diese Antwort noch von vielen anderen Kraftsportlern erhalten, die sich für diese Mittel aussprachen. Alles, was sie zu wissen schienen war, daß sie ebensogut, wenn nicht gar besser wirken sollten als Steroide. Das sagt an sich schon einiges aus. Jedenfalls beschloß ich, die offensichtliche Wirksamkeit von Drüsenextrakten nicht eher als Ergebnis einer Massenhysterie zu betrachten, bis ich diese Mittel eingehend untersucht hatte. Meine Ergebnisse waren wirklich überraschend. Einfach ausgedrückt, soll durch die Einnahme von Drüsenextrakten und anderen organischen Konzentraten eine Steigerung der körpereigenen Drüsen- und Organfunktionen erreicht werden. Das Konzept dahinter könnte man mit „Zellen helfen ihresgleichen” umschreiben. Die Anhänger dieser Theorie glauben zum Beispiel, daß der Verzehr von Lebertabletten die eigene Leberfunktion verbessert. Die Logik besteht in der Idee, Drüsenextrakte enthielten bestimmte Zusammensetzungen von Vitaminen, Mineralien, Hormonen und Enzymen, die spezifisch für eben diese Zellen sind. Das würde bedeuten, daß die Gewebezellen, die wir essen, direkten Einfluß auf die gleichen Zellen unseres Körpers hätten. Um es in einfacheren Worten zu sagen: Wenn Sie die Aktivität eines bestimmten Gewebes in Ihrem Körper steigern wollten, müßten Sie gleichartiges Gewebe verzehren, für ein hochaktives Gehirn also Hirngewebe. Im Laufe meiner Untersuchungen stieß ich wirklich auf eine Laborstudie, die eben dies zu belegen schien. Im Jahre 1960 haben Reeva Kimble, Barbara Humphries und James McConnel in einem Experiment versucht, Intelligenz von einem Plattwurm auf einen anderen zu übertragen. Dafür konditionierten sie Würmer dahingehend, daß sie auf Lichtreize reagierten. Sie setzten ein ganzes Knäuel Plattwürmer in einen Wasserbehälter und leiteten dann eine elektrische Spannung durch dieses Gefäß. Natürlich zuckten die Würmer zusammen, wie die meisten Lebewesen, die einen elektrischen Schlag bekommen. In diesem Fall war der Schlag ein nichtkonditionierter Reiz und das Zusammenzucken der Würmer ein nichtkonditioniertes Verhalten. Mit anderen Worten, die Würmer brauchten nicht erst zu lernen, daß man zusammenzuckt, wenn man einen Schlag bekommt. Die Wissenschaftler wollten den Würmern nun beibringen, bei Lichteinfall zusammenzuzucken, ohne daß ein elektrischer Reiz erfolgte. Dies geschah ganz einfach: Sie paarten 54
einfach den Stromschlag mit einem Lichtreiz, ebenso wie Pawlow zuvor das Futter für seine Hunde mit der Glocke kombinierte. Nach kurzer Zeit entwickelten die Würmer schließlich den erwünschten Reflex. Sie hatten gelernt zu zucken, wenn das Licht erschien, obwohl der ursprüngliche (Strom-) Reiz ausblieb. Das Licht wurde zu einem konditionierten Reiz und das Zucken ein konditionierter Reflex. Nachdem die Wissenschaftler ihr Ziel erreicht hatten, zerhackten sie die dressierten Würmer in kleine Stücke und verfütterten diese an „normale” Plattwürmer. Eine zweite Gruppe Würmer wurde ebenfalls mit zerhackten Artgenossen gefüttert, allerdings mit undressierten. Es zeigte sich, daß die Plattwürmer, die dressierte Würmer verspeist hatten, auf das Licht tatsächlich mit einem Zusammenzucken reagierten, während die Testgruppe keine Reaktion zeigte. Es schien wirklich so, als hätten die Plattwürmer die Intelligenz ihrer dressierten Artgenossen über den Speisezettel „geerbt”. Ich fand auch heraus, daß Plattwürmer, die die Erbsubstanz dressierter Artgenossen in Form von Ribonukleinsäure (RNA) injiziert bekamen, ähnliche Zusammenhänge schneller erlernten, als Würmer, die RNA von gegenteilig dressierten Spendern erhielten. Diese lernten aber immer noch schneller als die Testgruppe, die undressierte Würmer gefressen hatte. Was diese Ergebnisse angeht, ist eine Falschinformation somit immer noch wertvoller als gar keine Information. Die sicherlich interessanteste Studie aber beschreibt Plattwürmer, die mit negativen und positiven Instruktionen gefüttert wurden. Diese Würmer erhielten ein „Würmergulasch”, das aus Artgenossen bestand, denen man beigebracht hatte, auf einen Reiz genau entgegengesetzt zu reagieren. Diese armen Würmer lernten am langsamsten von allen; die gegenteiligen Instruktionen, die sie verzehrt hatten, machten ihnen das Lernen schwerer, als hätten sie gar keine Informationen erhalten. Ihre Probleme äußerten sich nicht nur in Lernschwierigkeiten, sondern auch in anderen Situationen. Wenn sie eine Entscheidung zu treffen hatten, konnten sie sich oft zu nichts entschließen. Manchmal war ihre Unentschlossenheit so groß, daß sie auf neue Situationen gar nicht mehr reagieren konnten. Und was bedeutet das nun alles? Ich glaube, daß man nicht das ist, was man ißt, sondern eher der, den man ißt. Anders ausgedrückt: Sollten Sie jemals das Gehirn eines anderen Menschen verzehren wollen, stellen Sie besser vorher sicher, daß er schlauer ist als Sie. Jetzt fragen Sie sich vielleicht, was passiert, wenn Sie tierisches Hirngewebe verzehren? Würden Sie sich dann auch aufführen wie ein Tier? Denken Sie nur an Hodges! Spaß beiseite: Drüsenextrakt-Theoretiker glauben, daß die Zellfaktoren in den Präparaten nicht von der Spezies abhängig sind, sondern allein vom Organ. Das hieße also, man müßte kein menschliches Hirngewebe essen, um das eigene zu Höchstleistungen anzuregen. Affenhirn würde es da genauso tun. Dabei scheint es doch eher so, als müßte es sich genau anders herum verhalten, oder nicht? Wenn man bei der Theorie bleibt, profitieren wir von bestimmten Bestandteilen aus dem Konzentrat weniger entwickelter Arten durch eine Verbesserung unserer eigenen Hirnchemie. Offensichtlich liegt den meisten Kraftsportlern aber nicht viel an der Entwicklung ihrer Gehirne. Sie nehmen vorzugsweise Drüsenextrakte zu sich, von denen sie sich eine Steigerung anaboler Prozesse durch eine erhöhte körpereigene Hormonproduktion versprechen. Normalerweise schwören Kraftsportler auf Konzentrate aus Leber, Thymus, Herz, Nieren, Lunge, Prostata, Pankreas und Hypothalamus. Da stellt sich allerdings die Frage: Funktioniert das wirklich? Können Drüsenextrakte die Hormonproduktion anregen? Steigert diese Intensivierung des Hormonstoffwechsels wirklich die Körperkraft und verbessert sie andere
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physiologische Funktionen? Ich muß gestehen, daß ich es nicht weiß und vermutlich auch sonst niemand. Zuerst einmal ist bisher noch nicht bewiesen worden, daß die Einnahme von Drüsenpräparaten irgendeine Körperfunktion über den durch ihren Eiweiß-, Vitamin- und Mineralstoffgehalt hinaus zu erwartenden Wert gesteigert hätte. Zweitens sind die Kofaktoren in den Extrakten, die sich aus Vitaminen, Hormonen, Enzymen und Mineralien zusammensetzen sollen, niemals identifiziert worden. Das soll nicht heißen, daß es sie nicht gibt. Immerhin nahm man die Existenz von Vitaminen auch drei Jahrzehnte lang an, bevor Casimir Funk sie schließlich entdeckte. Drittens gibt es keine Untersuchungen, die die Theorie von der speziesunabhängigen, organspezifischen Wirkung stützen. Um es anders auszudrücken, es ist nie belegt worden, daß eine Rinderleber die Funktion einer menschlichen Leber anders als durch ihren Nährstoffgehalt beeinflußt hat. Obwohl die Wurmversuche die Drüsenextrakt-Theorie scheinbar stützen, fehlt es ihnen an methodischer Kontrolle. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen können daher nur mit Vorsicht interpretiert werden. Außerdem bleibt noch die Kleinigkeit zu beachten, daß wir keine Würmer sind. Der Mensch steht auf der Skala der Evolution wesentlich höher als jeder Wurm. Von Plattwürmern auf Menschen zu schließen, wäre daher einfach lächerlich. Darüber hinaus waren diese Studien nicht dazu angelegt, einen Beleg zu erbringen, ob Zellfaktoren auf bestimmte Organe, oder auf eine bestimmte Spezies wirken oder gar auf beide. Aus meinen Untersuchungen zu diesem Thema lassen sich daher nur diese Schlußfolgerungen ziehen: Zum einen sind Drüsenextrakte nicht schädlich. Nichts läßt auf eine mögliche Gefährdung für die Gesundheit schließen. Zum anderen mußte ich feststellen, daß diese Präparate durchweg überteuert sind. Nach dem, was ich in Erfahrung gebracht habe, werden sie für etwa das Zehnfache ihres eigentlichen Wertes verkauft. Aus diesem Grunde, und weil ihre Wirksamkeit nicht zu belegen war, beschloß ich, darauf zu verzichten. Außerdem mußte ich noch den Krieg um die Biofeedback-boops gewinnen.
Kapitel 6 - Der Gipfel des Berges Der Aufstieg Der nächste Wettbewerb, an dem ich teilnehmen wollte, wurde vom Georgia Southern State College in Statesboro, Georgia, ausgerichtet. Die Meisterschaft nannte sich „Georgia Iron Man”. Für meinen Entschluß gab es zwei Gründe. Zum einen wurden bei dieser Veranstaltung keine Kniebeugen verlangt, nur Kreuzheben und Bankdrücken. Kniebeugen waren mit Abstand meine schlechteste Disziplin, deshalb rechnete ich mir beim „Iron Man” gute Chancen aus. Zum anderen fand das Treffen am Georgia Southern College statt und ich bat darum, das Labor des Colleges benutzen zu dürfen, während ich am Wettkampf teilnahm. Mein Hauptinteresse galt dem schuleigenen Elektro-Physiographen und dem Telemetriesystem. Ich brannte darauf, meine physiologischen Reaktionen unter Wettkampfbedingungen zu beobachten. Ich hatte gute Gründe für diese Neugier. Während meines Trainings stand ich selten, eigentlich nie, unter psychologischem Streß. Im Wettkampf hatte dies schon mehrfach ganz anders ausgesehen; der Streß hatte mich stets unter enormen Druck gesetzt. Ich hoffte, bei 56
diesem Wettkampf zu erfahren, wie auch unter Streß gute Leistungen zu erbringen waren. Damals glaubte ich noch, allein durch häufige Teilnahme an Wettbewerben meine Emotionen unter Kontrolle bringen zu können. Leider sprachen meine Erfahrungen der letzten Meisterschaften klar dagegen. Ich war fast immer so aufgeregt gewesen, daß das Einzige, was ich wirklich hochbekam, mein Blutdruck gewesen ist. Der Wettkampfstreß war einfach zu stark; ich mußte mich besser darauf vorbereiten. Ich beschloß daher, alle Streßfaktoren schon vorher, quasi modellhaft, in mein Training einzubauen. Man nennt diese Technik tatsächlich „Modelltraining”. Gemeint ist eine Wettkampfvorbereitung, bei der der Athlet in einer ähnlichen Umgebung trainiert, wie er sie später im Wettkampf vorfinden wird. Man kann diese Technik mit der Arbeit von Piloten am Flugsimulator vergleichen, wo die echten Bedingungen so weit wie möglich nachempfunden werden. Untersuchungen haben ergeben, daß die Anwendung von Modelltraining Streß und Nervosität in der aktuellen Wettkampfsituation erheblich vermindern kann. Ich plante also, in mein Modelltraining genau die Mischung aus sozialen, psychologischen und technischen Streßfaktoren einzubauen, die mich auch im Wettkampf erwarteten. Ich wollte die Wettbewerbsituation praktisch nachbauen, um so meine Leistungen beim tatsächlichen Wettkampf zu steigern. Die Geräte im Labor sollten dazu dienen, die auftretenden Streßsymptome zu analysieren. Mit den so gewonnenen Daten würde ich dann die Wettkampfsituation später genau nachvollziehen können. Tatsächlich lief alles wie geplant. Georgia Southern stellte mir nicht nur das Labor zur Verfügung, sondern darüber hinaus noch drei Assistenten, die mich bei der Datenaufnahme unterstützen sollten. Etwa drei Stunden vor Beginn der Meisterschaft schlossen mich die Helfer an ein drahtloses Telemetriesystem an. Mit diesem Übertragungsgerät konnten sie meine Daten im Labor empfangen, während ich auf der Plattform stand. Ein Assistent sollte mir auf Schritt und Tritt folgen, um die äußeren Umstände festzuhalten, während die beiden anderen meine Reaktionen mit dem Elektro-Physiographen aufzeichneten.
Der Iron Man Es war wirklich komisch: In der Wettkampfhalle waren alle erfreut, mich zu sehen. Es scheint wohl eine umgekehrte Relation zwischen dem Erfolg eines Powerlifters und seiner Popularität zu geben. Je schlechter man ist, desto beliebter ist man auch, und umgekehrt. In meiner Gewichtsklasse traten nur vier Leute an, aber jeder von diesen hatte mich bereits mindestens zweimal geschlagen. Mike Liveley, der Georgia State Champion im Kraftdreikampf und Rekordhalter im Kreuzheben, war ebenfalls anwesend. Mir war bewußt, daß die meisten Leute dort meine Chancen etwa genauso hoch einschätzten wie die eines VW Käfer im Langstreckenrennen von Indianapolis, doch ich war zuversichtlich. Ich besaß jetzt einfach Klasse - jemand, der seinen Körper und seine geistigen Kräfte nutzte. Ich mußte nur noch lernen, meine Emotionen unter Kontrolle zu bringen, doch selbst auf diesem Stand meiner Entwicklung hatte ich den anderen einiges voraus. Nachdem die Helfer die Elektroden an meiner Brust befestigt hatten, begann ich mit der Vorbereitung auf den Wettkampf. Eine innere Stimme flüsterte mir unentwegt zu, daß heute mein Tag sei. Und meine Ergebnisse im Bankdrücken schienen dies noch zu unterstreichen. Ich machte meine drei Versuche und erreichte solide 245 Pfund. Das war das höchste Gewicht seit meiner Verletzung. Zum ersten Mal fand ich mich auf dem ersten Platz in einer Powerliftingdisziplin wieder. Ich fühlte mich wie ein König. Im Kreuzheben war schließlich außer Lively jeder ausgeschieden, als die Hantel schließlich mit 380 Pfund beladen wurde. 57
Lively hatte zwei seiner Versuche bereits hinter sich und sparte sich den dritten für die 415 Pfund auf, einen neuen Bundesstaats-Rekord. Er glaubte fest, ich würde beim Kreuzheben aussetzen, weil ich bisher noch keinen Versuch unternommen hatte. Aber er hatte sich verschätzt. Just in dem Moment, als Lively die Plattform betrat, gab ich meine Meldung für 420 Pfund ab. Er gab sich große Mühe, aber sein Versuch mißlang. Nun war ich an der Reihe. Ich wußte, daß es Lively schier verrückt gemacht haben muß, als ich meinen Versuch mit fünf Pfund über seinem anvisierten Rekord anmeldete. Es hat vermutlich jeden geschockt. Alle waren gewohnt, mich mit 100 Pfund weniger scheitern zu sehen. Als ich die Plattform betrat, wurde es totenstill in der Halle. Man hätte buchstäblich die berühmte Stecknadel zu Boden fallen hören können. Ich durchlief meine Vorbereitung wie gewohnt. Als die Astralprojektion in meinen Körper zurückkehrte, war ich mehr als zuversichtlich. Ich griff die Hantelstange und setzte optimistisch zum Lift an. Aber wie es das Schicksal wollte, rutschte ich mit dem linken Fuß auf etwas Magnesiapulver aus, das auf der Bühne verstreut lag. Ich hatte plötzlich das volle Gewicht mit einer viel zu großen Vorlage in den Händen. Eigentlich hätte ich den Versuch sofort abbrechen sollen, doch ich fuhr fort. Ein folgenschwerer Fehler, wie sich herausstellen sollte. Nicht nur der Versuch mißlang, ich verletzte mich auch noch so böse am Rücken, daß ich beim Verlassen der Bühne von zwei Leuten gestützt werden mußte. Ich spürte genau, daß jeder dachte, ich hätte mich total überschätzt, doch das Gegenteil war der Fall. Drei Tage zuvor hatte ich 405 Pfund viermal hintereinander bewältigt und mir berechtigte Hoffnungen auf ein Resultat in der Nähe von 460 Pfund gemacht. Der einzige Grund für mein Scheitern war das verflixte Magnesiapulver, doch ich wußte, daß mir das niemand glauben würde. Ich hätte mich nicht so aufgeregt, wenn es nicht um mein Ego gegangen wäre. Ich hatte soviel Arbeit investiert, hatte so hart trainiert, daß ich nicht einfach aufgeben wollte, ohne wirklich alles versucht zu haben. Zum ersten Mal war mir ein Sieg wirklich wichtig, so wichtig, daß ich sogar meine Gesundheit aufs Spiel setzen wollte. Der Schmerz, den ein Aufgeben erzeugt hätte, wäre weit schlimmer gewesen als der Schmerz der Verletzung. Ich ging in die Aufwärmzone, hypnotisierte mich selbst und betäubte per Hypnose den verletzten Bereich meines unteren Rückens. Nur einige Momente später, entgegen jedermanns Ratschlag, betrat ich die Plattform erneut. Mein Rücken behinderte mich nicht mehr. Keine Spur von Schmerzen. In diesem Moment fühlte ich nichts, was mich störte. Während meines Aufenthaltes im Aufwärmbereich war das Gewicht auf 430 Pfund gestiegen. Aus heiterem Himmel überfiel mich da die Angst. Obwohl ich keinen Schmerz mehr spürte, war die Verletzung schließlich immer noch da. Die Tatsache, daß das Gewicht auch noch um 10 Pfund erhöht worden war, half mir nicht gerade weiter. Um meinen Rücken nicht weiter zu gefährden, entschloß ich mich, die Sumo-Technik anzuwenden. Zwar hatte ich diese Methode noch nicht häufig praktiziert, doch während meiner Arbeit mit Spieth hatte ich mich ein paar Tage lang an ihr versucht. Die Sumo-Technik war nicht optimal für meinen Körperbau, aber ich fühlte mich recht sicher mit ihr. Als ich wieder auf der Plattform war, hypnotisierte ich mich und projizierte mein astrales Abbild. Zu Anfang hatte mein kleiner Helfer Schwierigkeiten, sich der neuen Situation anzupassen. Er wollte die Hantel einfach nicht aufnehmen. Immer wenn er in die Nähe der Ablage kam, verschwand er einfach. Aber dann klappte es doch. Die Astralprojektion schritt zur Ablage, nahm die SumoPosition ein und zog das Gewicht in einer geschmeidigen, flüssigen Bewegung hoch. Meine Ängste verschwanden schlagartig. Jemand hatte mir einmal gesagt: „Wenn etwas in Deinem 58
Kopf ist, hast Du es in Deiner Hand.” Der Versuch gehörte mir. Und ich schaffte es in einer schönen, glatten Bewegung. Keine Schmerzen, nur ein fester Zusammenhalt von Körper und Geist. So gewann ich meine erste Powerlifting-Meisterschaft und eine Trophäe als bester Gewichtheber. Ich glaube, wenn man eine bestimmte Hürde geschafft hat, sieht man sich als Sportler unter ganz anderen Gesichtspunkten als zuvor. Es wird einfacher, weiterzumachen, Schmerzen zu ertragen, widrige Umstände zu umgehen und Ängste im Zaum zu halten. Man weiß einfach, was man kann. Zumindest für mich verhielt es sich so. Als ich Statesboro verließ, war ich nicht nur ein anderer Athlet, sondern auch ein anderer Mensch geworden, mit neuen Zielen und neuen Anschauungen. Ich hatte den Gipfel des Berges gesehen, und genau dort wollte ich hin.
Laborergebnisse Die Resultate der telemetrischen Messung waren ermutigend. Nicht in der Art, wie Sie vielleicht erwarten würden. Die Labortechniker hatten nur wenige Streßsymptome aufzeichnen können. Meine physiologischen Werte blieben während des gesamten Wettkampfes nahezu gleich, was nur bedeuten konnte, daß ich mit dem Wettkampfstreß ganz gut fertig wurde. Eigentlich benötigte ich die Messungen für diese Feststellung nicht mehr, ich wußte es bereits. Während des Wettkampfs hatte mich ja wirklich nichts aus der Ruhe bringen können. Viele der Reize, die normalerweise Nervosität bei mir auslösten, hatten mich gar nicht berührt. Mein mentales Training zahlte sich ganz offensichtlich aus. Ich fühlte mich jetzt sogar wohl in der Arena.
Das Aus für die Akademie Als ich an diesem Abend in die Akademie zurückkehrte, warteten die schlechtesten Nachrichten seit langem auf mich. Wegen geschäftlicher Rückschläge hatte Ewing Kauffman, der Besitzer der Kansas City Royals beschlossen, die Akademie aufzugeben. Sein Hauptunternehmen, Marion Laboratories, war an der New Yorker Börse um 20 Punkte gefallen. Kauffman selbst hielt zwei Millionen Aktien. Das addierte sich zu einem Verlust von 40 Millionen Dollar für Kauffman, der vom Wall Street Journal auf etwa 160 Millionen geschätzt wurde. Dieser Verlust, verbunden mit den hohen Kosten, die der Betrieb der Akademie mit sich brachte, führte zu dem schmerzhaften Entschluß, die Einrichtung zu schließen. Um fair zu sein: Es gab noch mehr Gründe, die zur Schließung der Akademie geführt haben. Als erstes war da das Baseball-Farmsystem, das Gegenstück zur Akademie. Wenn die Akademie weiterhin Erfolg mit ihrem Rezept gehabt hätte, nämlich aus ungeschliffenen, körperlich herausragenden Sportlern Top-Baseballspieler zu machen, die sich in der ersten Liga behaupten konnten, wäre das gesamte Farmsystem in Frage gestellt gewesen. Man muß dazu wissen, daß das Farmsystem ohnehin nicht sonderlich erfolgreich war. Es war eine Tatsache, daß von 100 Spielern, die von den Farmen aufgebaut und gefördert wurden, nur einer die Oberliga erreichte. Die Akademie war da erfolgreicher, obschon viele der Sportler, mit denen sie arbeitete, nicht einmal Baseballspieler waren. So wurde die Akademie zu einer Gefahr für die Farmen und hätte sie eventuell sogar einmal ersetzt.
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Es war bereits eine „Universal Academy” im Gespräch, die von allen Baseballteams der amerikanischen Liga unterhalten werden sollte. Die Idee dahinter war, das Farmsystem ganz abzuschaffen. Sogenannte Scouts, Talentsucher, sollten dann im Auftrag dieser Akademie umherreisen. Wenn die jungen Talente dann einmal an der Akademie gewesen wären, hätte sie der dortige Stab mental und körperlich optimal unterrichtet. Dieses System hätte nicht nur die Kosten für Unterbringung, Reisen und Belegschaft verringert, sondern auch bessere Spieler hervorgebracht. Aber es war nur eine Utopie, zudem eine, die höchstwahrscheinlich nie realisiert werden wird. Ich vermute, daß Ideen wie die oben geschilderte zu einem erhöhten Druck auf Kauffman geführt haben, bis dieser sich schließlich gezwungen sah, die Akademie zu schließen. Mir ist zu Ohren gekommen, daß mindestens einmal pro Woche jemand aus dem Vorstand des Farmsystems Kauffman unerfreuliche Dinge zum Thema Akademie erzählte. Ich glaube nicht, daß Kauffman wußte, wie wertvoll die Akademie wirklich war. Er kam nur selten zu Besuch und erhielt den weitaus größten Anteil an Informationen aus Farmsystem-Quellen, soweit ich das Ganze verstanden habe. Natürlich wurden mit der Schließung der Akademie fast alle Mitglieder des Stabes entlassen. Zu meinem Erstaunen bot man mir einen Vertrag zur weiteren Betreuung der Royals an, allerdings im Farmsystem. Anfangs dachte ich daran, anzunehmen, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger gefiel mir diese Idee. Es gab einfach zu viel Streit zwischen den Anhängern des Farmsystems und der Akademie. Ich befürchtete nicht zu Unrecht, daß ich von den Farmleuten nie die Unterstützung, geschweige denn die Freiheiten bekommen hätte, die ich von der Akademie her gewohnt war. Außerdem hörte sich die Position, die ich bekleiden sollte, zwar gut an, doch die zu erwartenden Arbeitsstunden und der Lohn standen in keinem Verhältnis. Darüber hinaus wollte ich meinen Lebensstil verändern. Ich hatte so viele Stunden in die Akademie gesteckt, daß ich wirklich keine Stelle mehr als Trainer oder Sozialarbeiter antreten wollte. Statt das Angebot aber direkt auszuschlagen, nutzte ich es, um meinen Marktwert zu ergründen. Ich forderte dreist 20.000 Dollar mehr pro Jahr. Wenn die Royals akzeptiert hätten, wäre ich damit der bestbezahlte Sportpsychologe der Welt geworden. Ob Sie mir glauben oder nicht, doch ihr Gegenangebot erreichte fast meine Forderung. Es war verlockend, aber ich schlug es aus. Ich muß zu dieser Zeit unter intellektueller Verklärung gelitten haben. Jedesmal, wenn ich daran zurückdenke, könnte ich mich dafür in den Hintern treten. Statt dieser Stelle nahm ich eine andere als Berater an. Ich flog an den Wochenenden nach Sarasota, um den Baseballspielern zu helfen. Manchmal schickten sie auch Spieler zu mir nach Statesboro, wo ich mich von nun an aufhielt. Ich war mit meinem neuen Job als Berater recht zufrieden, nur eine Kleinigkeit störte mich: Die Leute vom Farmsystem hatten so gut wie keine Ahnung von meiner Arbeit. Sie glaubten, daß jeder, den ich einmal hypnotisiert hatte, den nächsten Homerun machen würde. Wenn das nicht eintrat, war es natürlich meine Schuld. Es war wirklich die Hölle, für diese Leute zu arbeiten. Zudem vermißte ich Thrift und Rickey. Eines Tages überraschte mich Rex Brown, ein Scout der Cincinnati Reds, mit einem Angebot. Rex hatte die Akademie oft besucht und an vielen meiner Hypnosesitzungen teilgenommen. Er war beeindruckt von meinen Fähigkeiten und ziemlich nervös, denn er wollte mich unbedingt für die Reds gewinnen. Ich hätte angenommen, aber nachdem ich nur eine halbe Stunde mit dem Manager der Reds gesprochen hatte, lehnte ich ab. Um es kurz zu machen, ich mochte diesen Mann überhaupt nicht und konnte mir nicht vorstellen, jemals für ihn zu arbeiten. So wandte ich mich von den Reds ab.
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Wie es mein Glück wollte, arbeitete Rickey jetzt bei den Pirates und bot mir dort eine Stelle an. Ich sagte sofort zu und erhielt den gleichen Vertrag, den ich mit den Royals hatte. Ich würde die Spieler entweder in Brandenton, Florida, besuchen, oder sie würden zu mir nach Statesboro kommen. Es funktionierte hervorragend. Ich konnte all das anwenden, was ich an der Akademie gelernt hatte, nicht nur an den Pirates, sondern auch an mir. So wurde ich selbst zum Mittelpunkt meiner Forschung. Ich war von nun an fest entschlossen, der lebende Beweis dafür zu werden, daß man mit besserer Sportpsychologie bessere Athleten formen konnte.
Kapitel 7 - Licht, Farben, Musik - Action Die Spinne und die Schlange Zurück in Statesboro besuchte ich meinen alten Freund Hodges, um zu sehen, ob ich wieder mit ihm trainieren konnte. Wie man sich sicher vorstellen kann, fand ich ihn in seinem Trainingsraum. Die Garage hatte sich im Laufe der Jahre nicht im geringsten verändert. Hier und dort lag etwas mehr Staub und Müll herum; die Gewichte hatten vielleicht etwas mehr Rost angesetzt, aber sonst war es der alte Saustall geblieben. Nur Hodges war nicht mehr der alte. Er hatte sich seine lange, schwarze Mähne abrasiert und trug nun eine spiegelnde Glatze zur Schau. Man sollte es nicht für möglich halten, aber er sah jetzt noch gemeiner aus. Außerdem war er deutlich muskulöser als früher. Er stand kurz davor, sich endgültig in ein Tier zu verwandeln. Eines war sicher: Er war noch genauso verrückt wie früher. Während meiner Abwesenheit hatte er sich eine Boa Constrictor und eine Tarantel als Haustiere zugelegt, damit er „etwas Gesellschaft” hatte. Zumindest sagte er das. Wenn man Hodges näher kannte, konnte man sich vorstellen, daß er sie nur gekauft hatte, um sich daran zu erfreuen, wie die Viecher all die kleinen Tiere killten und fraßen, die er ihnen im Abstand von einigen Tagen in den Käfig warf. Hodges war total auf dem Gewalt- und Horrortrip! Ich will nicht zu weit vom Thema abschweifen, doch ich muß unbedingt loswerden, was mit Hodges’ Killertierchen passierte. Als Hodges eines Tages in das „Studio” kam, hatte er zwei Mäuse dabei. Wie immer warf er eine in den Käfig der Tarantel und eine in den der Schlange. Dann setzte er sich davor, um den Tod der armen Dinger zu beobachten. Die Boa war ganz offensichtlich nicht hungrig, sie rührte sich nicht einmal, als sie die Maus bemerkte. Das war nichts Ungewöhnliches. Manchmal wartete die Schlange zwei bis drei Tage, bevor sie die Maus fraß. Aber im anderen Käfig ging es heiß her. Die Spinne, die sicher so groß war wie meine Hand, verlor keine Zeit, die Maus anzugreifen. Normalerweise machte die Maus immer sofort kehrt und versuchte zu fliehen. Aber dieses Mal war es anders. Die Maus hielt die Stellung und griff die Spinne an! Hodges jauchzte fast vor Freude. Meistens erledigte die Spinne die Maus innerhalb weniger Sekunden. Aber diese Maus war anders. Wenn sie schon sterben sollte, so wollte sie doch ihre Haut so teuer wie möglich verkaufen. Aber sie starb nicht. Im Gegenteil, sie tötete die Spinne, die Hodges 25 Dollar gekostet hatte. Hodges flippte völlig aus. Ich nahm schon an, er würde die Maus selber fressen oder etwas ähnlich Verrücktes anstellen. Doch es kam anders. Er warf die Maus zu der anderen in den Schlangenkäfig. Das Reptil wirkte allerdings immer noch völlig phlegmatisch, was Hodges noch mehr auf die Palme brachte. Während des gesamten Trainings sprach er nur von der fürchterlichen Rache, die die Schlange an der „Scheißmaus” nehmen würde.
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Als wir am nächsten Tag in das Studio kamen, erlebten wir beide die Überraschung unseres Lebens. Die beiden Mäuse hatten auch die Boa getötet. Sie hatten ihr die Wirbelsäule durchgebissen. Später fanden wir heraus, daß eine Boa in Gefangenschaft nicht selten Schwierigkeiten hat, mit mehr als einer Maus fertig zu werden. Die eine Maus lenkt die Schlange ab, während sich die andere von hinten an sie heranmacht. Diese Art Teamwork ist Mäusen scheinbar angeboren. Was auch immer es war, Hodges war nach dem feigen Mord nie mehr derselbe wie vorher. Er schien den Vorfall als persönliche Niederlage aufzufassen. Auf eine Art war es das auch - die Schlange hatte ihn 75 Dollar gekostet. Sie fragen sich bestimmt, was dann mit den Mäusen passiert ist? Hodges hat sie an seine Katze verfüttert nacheinander. Ich vermute, es ist schon durchgedrungen, daß ich wieder mit Hodges trainierte. Er ließ mich jetzt sogar an die Hanteln, die er selbst benutzte. Das allein sagte mir schon, daß ich einen großen Schritt vorangekommen war. Vielleicht war ich sogar schon zu weit, denn nach kurzer Zeit machte ich mich auf die Suche nach einem neuen Studio. Ich war mittlerweile so daran gewöhnt, in sauberen, ordentlichen Krafträumen zu trainieren, daß mir Hodges’ Garage wie ein Höllenloch vorkam. Ich hätte dieses Loch vermutlich schnell verlassen, aber merkwürdigerweise trainierte ich gern mit Hodges zusammen. Fragen Sie mich nicht warum, es war eben so. Ich habe dafür keine vernünftige Antwort. Er hatte irgend etwas an sich, was mich dazu brachte, das Letzte aus mir herauszuholen. Mit ihm machte Krafttraining richtig Spaß. Verdammt noch Mal, er selber war ein Spaßvogel, spontan und völlig unberechenbar. Ich habe in meinem Leben viele Sportler getroffen, aber keiner war mit Hodges zu vergleichen, wenn es persönlich wurde. Hodges war ein Phänomen. Ich glaube, nicht einmal er selbst wußte genau, wer oder was er war. Dabei war er Einer unter Millionen, ein regelrechter Edelstein, und auf meine Weise hatte ich ihn wirklich gern. Ich genoß es, bei ihm zu sein und war stolz darauf, sein Trainingspartner zu sein. So beschloß ich, in der Garage zu bleiben, wenn das der Preis sein sollte, um mit Hodges zu trainieren. Um die Bedingungen etwas erträglicher zu machen, fragte ich Hodges, ob ich aufräumen dürfte. Ich glaubte eigentlich nicht, daß er der Idee etwas abgewinnen würde. Immerhin hatte er seit etwa zehn Jahren in diesem Dreckloch trainiert. Aber ich lag falsch. Er erlaubte mir alles zu tun, was mir gefiel. An diesem Wochenende stellte ich zwei Putzhilfen an und wir säuberten die Garage von oben bis unten. Als wir den Ort blitzsauber verließen, war ich bereit, die magische Kraft der Farben auszuprobieren.
Die rote Erfahrung Als ich noch an der Akademie war, hatte ich gelernt, wie man mit verschiedenen Farben unterschiedliche Emotionen hervorrufen konnte. Die Akademieleute waren von dieser Idee so überzeugt, daß sie den gesamten Komplex neu streichen ließen. Sie wollten damit die Leistungsfähigkeit der Athleten steigern. Es ist sicher kein Zufall gewesen, daß diese Wissenschaftler die farblich am exaktesten durchgeplante Trainingstätte der gesamten Baseballszene bewohnten. Sie wußten genau, was sie taten. Immerhin hatten sie viel Geld ausgegeben, um die Effekte unterschiedlicher Farben auf den Menschen zu studieren. Dabei hatten sie eine faszinierende Welt entdeckt. Zuerst fanden sie heraus, daß Farben Stimmungen auslösen können. Aber nicht nur das. Bestimmte Farben rufen beim Menschen spezifische Reaktionen hervor. Blau steht für Ruhe und Zufriedenheit; tiefes Blau wirkt wie ein Beruhigungsmittel. Gelb hingegen wirkt sich auf die Leistungsbereitschaft aus. Rot vermittelt ein Gefühl von Macht und Lebenskraft, verbunden mit Siegeswillen. Grün und Rot 62
zusammen rufen ein Gefühl von Kraft und Zuverlässigkeit hervor. Ich könnte endlos weiter fortfahren, da beinahe jede Farbschattierung mit einer bestimmten Emotion in Zusammenhang gebracht wird. Im allgemeinen wirken sich starke Primärfarben direkt auf die Gefühlslage aus, während gemischte, abgeschwächte Töne eher ein Gefühl von Ruhe und Frieden vermitteln. Farben und Farbtöne können aber nicht nur die Stimmungen von Menschen beeinflussen, sondern auch direkte biologische Veränderungen bewirken. Wenn ein Sportler beispielsweise für 15 Sekunden intensiv an die Farbe Rosa denkt, wird er eine fühlbare Schwächung der Muskulatur erfahren, die bis zu 30 Minuten anhalten kann. Glücklicherweise gibt es zu Rosa auch einen Gegenspieler. 15 Sekunden Konzentration auf die Farbe Blau kann die Muskelschwäche wieder aufheben. Zusätzlich kann Rot die elektrische Arbeit im Gehirn und die Reizleitung in den Muskeln verändern. Obwohl noch nicht in allen Einzelheiten bewiesen, gibt es sehr auffällige Hinweise für eine gesteigerte Leistungsfähigkeit in roter Umgebung. Natürlich wollte ich nicht die gesamte wissenschaftliche Arbeit der Akademie den Bach heruntergehen lassen, besonders nicht, nachdem ich nun freie Hand in Hodges Garage hatte. Zuerst würde ich den ganzen Laden rot streichen, um jedesmal, wenn ich ihn betrat, das Gefühl von Vitalität und Kraft genießen zu können. Immerhin glaubte ich, daß ich mit zuviel Rot „ausbrennen” könnte. Sowjetische Studien haben gezeigt, daß Menschen unter roter Beleuchtung schneller und effektiver arbeiten, aber auch schneller ermüden. Da ich aber keinen Acht-Stunden-Tag im Studio verbringen wollte, ging ich lieber auf Nummer Sicher. Deshalb strich ich alles gelb, was für Vitalität und Stärke stand. In den Schlüsselzonen, nämlich dort, wo wir Bankdrücken, Kreuzheben und Kniebeugen trainierten, malte ich zweieinhalb Meter große Quadrate in leuchtendem Rot auf den Boden. Nachdem ich meine Arbeit vollendet hatte, setzte ich mich hin und begutachtete mein Werk. Für einen Amateurmaler war es nicht einmal schlecht geworden.
Es werde Licht... Nachdem ich die Farben jetzt in meinem Sinne angebracht hatte, installierte ich eine komplett neue Beleuchtung. Interessanterweise gibt es eine Schattenseite des Lichts, besonders wenn man Hochdrucklampen oder „kalte” Neonröhren verwendet. Solche Lampen kann man eigentlich überhaupt nicht empfehlen. Untersuchungen im Bereich der Photobiologie - der Wissenschaft, die die Wechselwirkung zwischen Licht und Leben untersucht - haben ergeben, daß künstliches Licht zu erheblichen Veränderungen im menschlichen Körper führt. Nicht nur, daß sich die Leistungsfähigkeit vermindert, es werden auch streßähnliche Symptome beobachtet. Andererseits haben dieselben Wissenschaftler herausgefunden, daß bestimmte Arten von Licht einen positiven Einfluß auf die Gesundheit haben und sogar Krankheiten verhindern können. Wie Sie sicher schon vermutet haben, stammt dieses Wissen aus meiner Zeit an der Akademie. Natürlich wurde dort, nachdem die Leitung darüber Bescheid wußte, sofort die gesamte Lichtanlage ausgewechselt. Dasselbe tat ich nun in Hodges' Studio. Ich baute die kühlen, in ihrem Spektrum stark eingeschränkten Neonlampen aus und installierte breitspektrale, fluoreszierende Lampen. Diese Lampen lassen nicht nur die störenden Effekte herkömmlicher Röhren vermissen, sondern sollen auch weitreichende Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit eines Athleten haben. Außerdem verändern sie die Farben der Umgebung nicht. Mein Rot und Gelb sah wirklich rot und gelb aus.
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Die vielen Stimmungen der Musik Als nun Farben und Licht meinen Vorstellungen entsprachen, brachte ich meine alte Stereoanlage in das Studio, damit Hodges und ich in Zukunft auch von der Kraft der Musik profitieren konnten. Jedermann weiß wohl aus eigener Erfahrung, daß Musik die Stimmung vielfältig beeinflussen kann. Leider wird diese Erfahrung oft überbewertet. Obwohl eine Reihe von Studien einen Zusammenhang zwischen Musik und Muskelkraft wahrscheinlich erscheinen lassen, ist sich die Wissenschaft doch nicht einig in der Bewertung der Ergebnisse. Eine mögliche Erklärung dafür ist in den methodischen Schwierigkeiten zu sehen, kontrollierte Studien zu Korrelationen zwischen Musik und Kraft zu erstellen. Es gibt zwar viele Untersuchungen über sportliche Leistungssteigerungen im Zusammenhang mit Musik, doch die Ergebnisse sind kaum übertragbar. Musik scheint auf jeden Menschen anders zu wirken. Die kulturelle Umgebung des Einzelnen, persönliche Erfahrungen und vielleicht sogar die Gene sind für unterschiedliche Reaktionen auf Musik verantwortlich. Jeder Mensch weiß in etwa, wie sich bestimmte Musikstücke auf seine Stimmung auswirken, indem sie Assoziationen zu fröhlichen, traurigen oder anderen Ereignissen in der Vergangenheit knüpfen. Das erneute Hören eines bekannten Stückes kann - ebenso wie ein konditionierter Reiz - zu einer konditionierten Reaktion führen. Wenn ich zum Beispiel die Filmmusik von „Rocky I” höre, inspiriert sie mich immer wieder. Ich komme in ein emotionales Hoch und vom subjektiven Standpunkt gesehen, arbeite ich auch besser. Natürlich müssen diese Zusammenhänge noch genauer untersucht werden, um die Frage beantworten zu können, ob Musik als ergogenes Mittel eingesetzt werden kann. Wenn auch die Gefahr bestand, daß ich einem Irrtum aufsaß, wollte ich doch nicht auf die Chance verzichten, Musik als Trainingshilfe einzusetzen. Wie ich schon sagte, es gibt einige Songs, die mich richtig „anmachen”. Wahrscheinlich machen sie mich nicht stärker, aber sie beeinflussen meine Stimmung nachhaltig. In Kenntnis der Titel, die mich „anfeuerten” und anderer, die mich entspannten, beschloß ich, meine Trainingsmusik nach Bedarf zu arrangieren. Ich stellte eine Hierarchie von Stücken zusammen, gegliedert von „stark motivierend” bis „weniger motivierend”. Die stark motivierenden Stücke spielte ich, wenn es darauf ankam, große Leistungen zu vollbringen, die weniger motivierenden bei leichteren Trainingsabschnitten. Es versteht sich wohl von selbst, daß die Songs der Kategorie „weniger motivierend” immer noch gut geeignet waren, mich in Stimmung zu bringen. Ich durchlief meine Vorbereitungen für einen schweren Versuch wie gewohnt. Dann stellte ich die Musik auf volle Lautstärke. Innerhalb weniger Sekunden stieg meine Stimmung. Nach dem Versuch wechselte ich die Musik und ließ andere, langsamere Stücke laufen, um mich zu regenerieren. Musik allein ist vermutlich zur Leistungssteigerung nicht zu gebrauchen, aber in Verbindung mit anderen Trainingshilfen kann sie Sportlern sicher Vorteile verschaffen. Bevor man weitere Schlüsse zieht, muß aber auf diesem Gebiet noch mehr geforscht werden.
Hodges’ Labor Nachdem Hodges Studio jetzt tiptop aussah, schaffte ich meine Ausrüstung hinein. Es muß ungefähr eine Tonne an Material gewesen sein. Ich hatte zwei Videokameras, um meine Lifts aus verschiedenen Blickwinkeln filmen zu können, eine Biofeedbackmaschine, den Projektor für den Film von Faye Reid, zwei Kassettenrekorder, einen Physiographen und diversen 64
Kleinkram - manches davon nur zu Show-Zwecken. Als ich fertig war, wirkte das Studio wie ein Labor. Ich hatte wahrscheinlich mehr Geräte in die Garage geschafft als Batman in seiner Höhle hatte. Wie Hodges es aufnahm? Er liebte es! Er wußte vielleicht nichts damit anzufangen, aber er fand es toll. Vermutlich lag es an den Farben. Als alles an seinem Platz war, startete ich mit den Vorbereitungen für die Georgia Southern State Powerlifting Championships (G.S.P.). Mehr als einmal hatte ich davon geträumt, ein Champion zu sein. Zumindest an diesem Punkt meiner Karriere bedeutete der Sieg alles für mich. Die Tatsache, daß ich die optimale Ausrüstung zur Erfüllung dieses Traumes zur Hand hatte, steigerte mein Verlangen noch mehr. Ich arbeitete härter als je zuvor. Ich weitete sogar mein mentales Training aus. Ich besiegte die Biofeedbackmaschine regelmäßig und verbrachte an manchen Tagen mehr Zeit in Hypnose als in wachem Zustand. Ich wollte den Titel so dringend, daß es fast schmerzte!
Die „große weiße Hoffnung” von Albany State Eine Woche vor den G.S.P.-Meisterschaften bekam ich einen Anruf von Pat Cobb, einem alten Freund, der für die Erziehungsbehörde des Staates Georgia arbeitete. Er erzählte mir, daß er gerade eine Erhebung aller Daten des Albany State College vornahm und dabei festgestellt hatte, daß die vorwiegend von Schwarzen besuchte Hochschule dringend ein weißes Fakultätsmitglied brauchte. Pat fuhr fort, ich hätte genau die Qualifikation, nach der er suchen würde (vermutlich meinte er meine weiße Hautfarbe) und schlug vor, ich solle ihn besuchen. Anfangs war ich von der Idee nicht besonders angetan. Es ging an sich nicht darum, daß es eine „schwarze” Schule war. Mich störte die Idee, ein „Alibi-Weißer” zu sein. Es war nicht etwa so, daß das Albany State College mich nur wollte; sie brauchten mich. Ich willigte schließlich in den Vorschlag ein, weil die G.S.P. Meisterschaften ja in Albany stattfinden sollten. Ich fuhr also am Sonntag vor der Veranstaltung los, um die ganze Woche in Albany zu verbringen. So konnte ich mir das College ansehen und, was mir persönlich viel wichtiger war, die Einrichtung begutachten, in der ich am folgenden Samstag meinen Wettkampf bestreiten würde. Am Morgen nach meiner Ankunft stand ich früh auf, frühstückte und fuhr direkt zum Schulgelände. Als ich über den Campus schritt, wollte ich zunächst meinen Augen nicht trauen. Ich war der einzige „Honkie” (Weiße) an der Schule. Ich fühlte mich, als hätte ich mich für die Hauptrolle in „Tarzan” beworben. Und dann der Campus - die reinste Müllhalde. Es war bei weitem der schlimmste College-Campus, den ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Der Kraftraum paßte exakt in dieses Bild. Es gab eine Drückerbank, die jemand grob zusammengeschweißt hatte und einen einzigen 110-Pfund-Satz plastiküberzogener Hantelscheiben. Das war alles. Nicht gerade üppig für eine NCAA Division II-Schule mit einem bekannten Footballteam. Schockiert von meinem ersten Eindruck stand ich kurz davor, Cobb anzurufen und abzusagen. Was mich dann doch umstimmte? Die Menschen! Sie waren einfach super. Sie waren freundlich, glücklich und interessierten sich für mich. Am Ende der Woche wußte ich, daß ich die Stelle haben wollte. Zum Teufel! Menschen sind wichtiger als Gebäude. Und an der Albany State war eine Auswahl der Besten versammelt. Das Glück war mir wieder einmal hold gewesen.
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Die Besten von Albany Ich fand in Albany nicht nur einen neuen Job, sondern auch eine Anzahl guter Powerlifter. Zu der Zeit wußte ich es noch nicht, aber Albany ist das Mekka der amerikanischen OlympiaGewichtheber. Die Stadt hat einige der Besten hervorgebracht - Lee James, Mike Jaques, Dale Rhodes, um nur ein paar zu nennen. Rhodes war nicht nur ein guter Gewichtheber, er betreute auch die amerikanische Olympiamannschaft. Bei meinem ersten Besuch im Albany YMCA, dem Austragungsort des Wettkampfes, traf ich sie alle. Jeder war freundlich und hilfsbereit. Nur eine Kleinigkeit bereitete mir Kopfzerbrechen - keiner von ihnen war ein Powerlifter. Sie waren entweder olympische Gewichtheber oder Bankdrücker, aber keine Powerlifter. Trotzdem hatten sie eine Mannschaft für den Landeswettbewerb im Powerlifting gemeldet: Die olympischen Gewichtheber aus Albany forderten Georgias beste Powerlifter in ihrer ureigensten Disziplin heraus! Da sie noch keinen Athleten für die 148-Pfund-Klasse hatten, wollten sie mich in die Mannschaft aufnehmen. Ich war mir zwar sicher, daß wir vernichtend geschlagen werden würden, doch an mir sollte es nicht liegen. So trat ich dem Team bei. Für den Rest der Woche konzentrierte ich mich nur darauf, meinen Verstand einzusetzen. Ich ließ mir von Rhodes den Aufwärmbereich und die Plattform zeigen und verbrachte jeden Tag etwa zwei bis drei Stunden damit, mir jeden Schritt vorzustellen, den ich am Wettkampftag machen würde. Ich ließ wirklich nichts aus. Ich stellte mir sogar vor, wie ich in meiner Sporttasche kramte. Besonderes Augenmerk legte ich auf meine Technik. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, jede Übung etwa 5000 Mal im Geiste ausgeführt zu haben. Als es dann soweit war, wähnte ich mich ausreichend vorbereitet.
Die Georgia State Powerlifting-Championships Am Wettkampftag stand ich früh auf und nahm ein kleines Frühstück zu mir. Ich wußte, daß mein Körpergewicht deutlich unter 148 Pfund lag. Nach dem Frühstück und zwei großen Gläsern Orangensaft wog ich tatsächlich nur 140 Pfund. Die anderen hatten mir schon von meinem Hauptkonkurrenten erzählt, einem Mann aus Augusta, Georgia namens Danny Taylor. Er hielt alle Staatsrekorde in der 148-Pfund-Klasse und verteidigte seinen Titel als Champion. Um ehrlich zu sein, ich war ziemlich sicher, Danny schlagen zu können. Meine Leistungen im Training lagen über den derzeitigen Bundesstaatsrekorden und mein Gewicht im Kreuzheben war sogar deutlich höher. Aber so wie es lief, brauchte ich mich um Taylor gar nicht zu kümmern. Er wog diesmal gute drei Pfund zuviel für unsere Klasse. Doch obwohl er nicht direkt gegen mich antrat, beschloß ich im Stillen, seine Leistung zu übertreffen. Genau das tat ich dann auch. Wir schafften beide 410 Pfund in der Kniebeuge. Taylor drückte 275 Pfund auf der Bank, ich 290. Im Kreuzheben hörte er bei 465 Pfund auf, ich schaffte saubere 500. All meine Ergebnisse waren neue Georgia-State-Rekorde und am Ende bekam ich eine Auszeichnung als „herausragender Powerlifter”. In weniger als vier Monaten war aus dem unscheinbaren Neuling Biasiotto ein Klassensieger für den Staat Georgia geworden, Pfund für Pfund. Ich war zunehmend von meiner Strategie überzeugt. Nebenbei bemerkt, unsere Mannschaft, neun olympische Gewichtheber und ich, wurden auch erste in der Mannschaftswertung. Als ich am darauffolgenden Montag nach Statesboro zurückkehrte, mußte ich natürlich als erstes Hodges von meinem Erfolg berichten. Er schien sich darüber sogar noch mehr zu 66
freuen als ich. Er führte sich geradewegs so auf, als hätte er den Titel gewonnen. Als ich ihm jedoch erzählte, daß ich in vier Monaten umziehen würde, um meinen neuen Job anzutreten, war er alles andere als begeistert. Er war sogar regelrecht betroffen. Seine Reaktion bestätigte, was ich schon lange wußte. So groß und stark Hodges auch wirkte, innerlich war er ein normaler Mensch mit normalen Gefühlen. Außerdem, und das ist wohl das Wichtigste, war er mir immer ein enger und besonderer Freund gewesen - seiner Reaktion nach gab es also doch Licht hinter der wüsten Fassade.
Eine schockierende Erfahrung Nach meinem großen Durchbruch in Albany fand ich mich in einem regelrechten Sumpf wieder. Ich weiß wirklich nicht, woran es gelegen hat, aber bei jedem Training verbockte ich drei bis vier Versuche. Hodges schob es auf meine Motivation. Vielleicht hatte er recht. Aus irgendeinem Grund fand ich nicht mehr die richtige Einstellung. Ich kam an den Punkt, wo mir das Training buchstäblich zum Hals heraushing. Hodges zerbrach sich den Kopf, wie er mich neu motivieren konnte. Schließlich hatte er eine Idee. Ich war verrückt genug, mich auf seinen Vorschlag einzulassen. Er konstruierte einen Apparat, der Elektroschocks austeilte. Die Maschine besaß einen starken Generator mit 15 Knöpfen, um die Stärke der Schocks regulieren zu können und eine Haftelektrode. Die Elektrode wurde mit einem langen Kabel an den Generator angeschlossen. Wir fanden schnell eine geeignete Testperson für das Gerät. Inman, Hodges’ kleiner Bruder, war für die Kleinigkeit von fünf Dollar gern bereit, den Freiwilligen zu spielen. Ich hätte mich auch an Mary Jean wenden können, aber sie war gerade in Pennsylvania; zudem verlangte sie mittlerweile ganz schöne Summen für ihre Teilnahme an meinen „Experimenten”. Nun, wir hatten Inman und er saß auch still, bis wir Stufe fünf erreichten (Ich wußte genau, Mary Jean hätte bis 10 ausgehalten! Danach band Hodges Inman fest - im Ernst! Er hätte den kleinen Kerl gegrillt, wenn ich nicht dazwischengegangen wäre. Nach unserem Experiment mit Inman beschlossen wir, das Gerät auf Stufe sieben einzustellen. Glauben Sie mir, auch bei sieben lieferte der Apparat genug Saft, um einem die Haare vom Kopf abstehen zu lassen! Natürlich plante Hodges, mich mit den Elektroschocks für verpatzte Versuche zu bestrafen. Für jeden mißlungenen Versuch wollte er mich etwa drei Sekunden lang mit Strom neu „motivieren”. Ich muß gestehen, es funktionierte gar nicht schlecht. Schon der Gedanke an einen elektrischen Schlag feuerte mich enorm an. Vor jedem Training schnallte ich mir die Elektrode ans rechte Bein. Hodges paßte auf wie ein Luchs. Bei jedem Versuch sprang er zu der Maschine und legte seine Pranke auf den Hauptschalter. Ich wußte, er wartete nur auf ein Versagen und die Gelegenheit, mir einen elektrischen Schlag zu verpassen. Aber ich enttäuschte ihn ein ums andere Mal. In den nächsten drei Wochen lief das Training perfekt. Alles, was ich mir vornahm, lief glatt und sauber. Ich nehme an, es war wirklich die Angst vor dem Elektroschock, die mir half, mein Tief zu überwinden. Was auch immer es war, für Hodges war es frustrierend. Dieser Höllenhund wartete nur auf eine Gelegenheit, seine Maschine auszuprobieren. Ich wollte ihm natürlich keinen Anlaß dazu geben. Dann passierte eines Abends beim Training etwas, was mich wirklich schockierte. Ich führte gerade eine sehr schwere Kniebeuge durch, als ich plötzlich einen scharfen Schmerz im rechten Bein verspürte. Zuerst dachte ich, ich hätte mir den Quadrizeps gerissen. Erst als ich das Gewicht in den Ständer zurücklegte, wurde mir bewußt, daß Hodges mir eine Ladung Hochspannung verpaßt hatte. 67
Die Wiederholung war völlig korrekt gewesen, wie der Summer an meinem Bewegungsmesser anzeigte und ich hatte sie recht locker geschafft. „Was sollte denn das?” protestierte ich. „Deine Technik war schlecht.” „Meine Technik war schlecht? Von einer Strafe für schlechte Technik war nie die Rede!” Ohne Warnung legte Hodges den Hebel noch einmal um. Diesmal hatte er die Maschine auf zehn eingestellt. „Verdammt noch Mal, Hodges, wofür war das denn?” „Für Widerspruch gegen den Coach.” „Du bist ja verrückt.” Baff... „Verdammt! Was zum Teufel machst Du?” Baff... „Scheiße, Hodges! Hör auf damit!” „Du lernst besser etwas schneller, Biasiotto, oder ich brate Deinen Arsch.” „Verdammt! Es tut sowieso nicht weh.” Baff... Baff... Baff... „OK... OK... Es tut weh.” Als Hodges seine Hand vom Hebel nahm, versuchte ich, die Elektrode vom Bein zu lösen. Doch noch bevor ich halb fertig war, hatte Hodges die Maschine auf 15 gestellt und schoß mir noch eine - ich meine wirklich schießen. Es warf mich sofort um. Zuerst dachte ich, ich wäre hingerichtet worden. Ich war völlig benommen und konnte mich auf nichts konzentrieren. Ich wußte, daß auch Hodges eine Heidenangst hatte. Für einen Augenblick glaubte er wirklich, er hätte mich umgebracht. Ich hatte eine schöne kleine Verbrennung am Bein, aber ansonsten war ich O.K. - falls man jemanden als O.K. bezeichnen kann, der sich freiwillig mit Elektroschocks traktieren läßt. Wie auch immer, das war jedenfalls das Ende der Schocktherapie und ich beschloß, lieber wieder auf das zu bauen, was ich zur Selbstmotivation gelernt hatte, als noch einmal auf Hodges zu hören.
Die Meisterschaft in Atlanta Der nächste Wettbewerb, an dem ich teilnehmen wollte, war die „North Georgia Powerlifting Meisterschaften” in Atlanta, Georgia. Ich hatte zwei gute Gründe, um mich für diesen Wettbewerb zu melden. Zuerst einmal hatte ich Danny Taylor versprechen müssen, teilzunehmen, um ihm die Möglichkeit zur Revanche zu geben. Genauer gesagt, ich hatte ihm versprochen anzutreten und ihn „wegzuputzen”. Der Art nach, mit der er mich bei unserer letzten Begegnung beschimpft hatte, wollte er mich diesmal um mindestens 100 Pfund schlagen. Er hörte nicht auf, mir zu drohen, wie er mich zermalmen würde, sollte ich in Atlanta antreten... Ich konnte kaum glauben, daß jemand, den ich gerade besiegt hatte, soviel Müll erzählte. Aber ich nahm mir nichts davon an, sondern freute mich darauf, es ihm noch Mal zu zeigen. So wie mein Training gerade lief, rechnete ich mir gute Chancen auf einen Titelgewinn in Atlanta aus. Taylors Leistung bei der letzten Begegnung sprach nicht gerade dafür, daß er mehr als einen Total von 1200 Pfund schaffen würde. Außerdem mußte er noch die Gewichtshürde für die 148-Kilo-Klasse nehmen, etwas das er schon in Albany nicht geschafft hatte. Es sah also ganz gut für mich aus. Vielleicht war es gerade diese Art von Selbstvertrauen, die nach dem Sieg in Albany für mein Tief verantwortlich war. Ich war einfach nicht mehr so „hungrig” wie sonst. Ich hatte gesehen, was Georgia zu bieten hatte und ich glaubte, ganz oben mitmischen zu können. Als Sportpsychologe kannte ich gleichartige Fälle von berühmten Sportlern wie Ali, Connors und Salazar, die sich die gleiche Art von Selbstgefälligkeit geleistet und dafür bezahlt hatten. Eigentlich hätte ich es besser wissen sollen. Ich hätte mir darüber klarwerden müssen, was mit mir passierte, um dann dagegen anzugehen. Glücklicherweise hatte ich mich ja bereits wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen. Ich hob soviel Eisen wie nie zuvor. Nicht nur das, ich fühlte mich auch 68
mental voll auf der Höhe. Ich mochte vielleicht das „Auge des Tigers” verloren haben, aber Taylor würde ich gewiß schlagen. Ich wollte den restlichen Powerliftern des Staates Georgia zeigen, daß mein Sieg in Albany kein Zufall gewesen war. Der zweite Grund, warum ich gerade an dieser Meisterschaft teilnehmen wollte, war Hodges. Ich würde bald nach Albany umziehen und Hodges wollte mich einmal im Wettkampf sehen. Für mich war Atlanta der perfekte Ort. Nicht nur für meinen Sieg, sondern vor allem für meine Siegesfeier hinterher. Also, Atlanta sollte es sein! Überraschenderweise war ich nicht sonderlich aufgeregt. Doch dieser Wettkampf war der Wendepunkt in meiner Karriere. Ich sollte in den sechs Stunden dieser Meisterschaft mehr über den Sport, alle Beteiligten und mich selbst lernen als in den drei Jahren zuvor.
Gewicht machen - auf die harte Tour Auf der North Georgia Powerlifting Meisterschaft gingen unglaubliche Dinge vor sich. Ripley hätte sich schwergetan, seinen Augen zu trauen. Zuerst einmal tauchte eines von Amerikas besten Powerlifting-Teams auf - mit mehr Medikamenten, als die örtliche Apotheke im Angebot hatte. Ich nenne diese Mannschaft im folgenden American-Team. Jeder von ihnen hatte seine eigene schwarze Tasche dabei, die alles enthielt, was angeblich stark macht. Nichts fehlte - Amphetamine, Steroide, Diuretika, Nitroglycerin und, und, und... Die größte Überraschung war vielleicht, daß es ihnen nichts ausmachte, all das herumzuzeigen. Offensichtlich vertraten sie die Ansicht, daß der bessere Chemiker auch der bessere Powerlifter sei. Nun, sie hatten die Chemie dabei, jetzt war ich gespannt, wieviel sie heben konnten. Der Trainer des American-Teams war ein alter Bekannter von Hodges. Er hieß Charles Tellis und hatte sich voll und ganz dem „großen” Powerlifting verschrieben. Er wollte die besten Powerlifter der Welt hervorbringen und machte sehr deutlich, daß er nichts unversucht lassen würde, um sein Ziel zu erreichen. Nach ein paar Minuten freundlichen Geplänkels fragte er uns, ob einer seiner Sportler bei uns wohnen könnte, um der Mannschaft Kosten zu ersparen. Der Sportler war Jim Wright, eine junge Hoffnung in der 165-Pfund-Klasse, der „wirklich schweres Eisen” heben konnte. Zumindest drückte Charlie es so aus. Weder Hodges noch ich hatte jemals von ihm gehört, aber Charlie sagte, er wäre ein netter Kerl. Einerlei, wir stimmten zu, unser Zimmer mit ihm zu teilen, und Charlie stellte ihn vor. Ich hatte zwar erst wenig über Jim Wright erfahren, aber man sah ihm seinen Sport auf den ersten Blick an. Er war gebaut wie ein massiver Baum - breite Schultern, dicke Arme und Beine, doch eine Taille wie ein Eichhörnchen. Nachdem wir einander vorgestellt hatten, schlug Charlie vor, ins Studio zu gehen und uns auf die Waage zu stellen. Ich habe mich eigentlich nie am Abend vor einem Wettkampf gewogen, aber ich lag ja auch für gewöhnlich immer fünf bis zehn Pfund unter dem Limit. So auch dieses Mal, ich wog knappe 139 Pfund; Wright dagegen genau 175 Pfund - zuviel für seine Klasse. Interessanterweise war fast jeder Athlet im American-Team fünf bis zehn Pfund zu schwer für seine Klasse. Aber Wright sah steinhart aus, ohne überflüssiges Fett oder Wasser unter der Haut. Er schien sich wegen seines Gewichts nicht die geringsten Sorgen zu machen. Er aß sogar noch eine Kleinigkeit zu Abend. Um zwei Uhr morgens fand ich dann heraus, warum er derart unbesorgt war: Ab diesem Zeitpunkt nahm Wright stündlich 40 Milligramm Lasix zu sich. Um acht Uhr morgens wirkte er wie ein Schauspieler aus „Die Nacht der lebenden Leichen”. Sein Gesicht war weiß wie die Wand, die Augen tief eingefallen, mit dunklen Ringen darunter. Als Charlie in unser Zimmer kam, nahm ich ihn beiseite, um ihm zu erklären, daß 69
Wright offensichtlich kurz vor einem hypovolemischen Schock stand. Wenn wir nicht schnell einen Doktor holten, so sagte ich ihm, würde er diese Eskapade vielleicht nicht überleben. Doch Charlie lachte nur und meinte, daß mit Wright schon alles in Ordnung kommen würde. Als es Zeit zum Wiegen war, erschien Wright pünktlich. Ich schwöre, sie haben ihn zur Waage getragen. Nachdem wir alle gewogen waren, wies ich Charlie darauf hin, daß Wright sicher zu schwach für eine Teilnahme sei. Eigentlich war ich sogar der Meinung, daß er in seinem Zustand nicht einmal fähig war, den Wettkampf von der Tribüne aus zu verfolgen. Schließlich herrschte mich Charlie wütend an, ich solle den Mund halten. Immerhin wäre er der Trainer und damit verantwortlich für Wright. Auf unser Zimmer zurückgekehrt, legte sich Wright aufs Bett und Charlie gab ihm eine kalte Kompresse für die Stirn. Er verließ den Raum und erschien einige Minuten später wieder mit zwei Infusionsflaschen-IV-Lösung, in denen er Kaliumchlorid auflöste. Er hängte die Flaschen auf und legte Wright eine Infusion. Die Lösung tropfte nicht in seinen Arm, sie strömte geradezu in seinen Körper - Charlie hatte das Ventil voll aufgedreht. Die große Menge Lasix, die Wright geschluckt hatte, hatte seinem Körper nicht nur wertvolle Flüssigkeit entzogen, sondern auch wichtige Kalium-Elektrolyte. Mit einem so niedrigen Kaliumspiegel war die Gefahr von lebensbedrohlichen Herz-Rhythmusstörungen durchaus gegeben. Charlie flößte Wright buchstäblich neues Leben ein. Nach 25 Minuten war Wright wieder ganz der alte. Seine Gesichtsfarbe war normal, er sprach ganz ruhig und war bereit für den Wettkampf. Das Unglaublichste aber war, daß sein Gewicht wieder 175 Pfund betrug. Vor mir stand genau der „Hulk”, den ich gestern kennengelernt hatte. Ich war froh, in der 148-Pfund-Klasse zu starten und nicht in der 165-Pfund-Klasse, wo ein Athlet antrat, der gut 10 Pfund über dem Limit lag. Nachdem Charlie und Wright das Zimmer verlassen hatten, wandte ich mich an Hodges und fragte ihn, was er von der ganzen Sache hielt. „Ich weiß nicht genau”, sagte er, „ aber es wirkt wohl besser als die Zäpfchen...”
Taylor oder Supermann Wir hatten die Wettkampfhalle noch nicht ganz betreten, da hielt ich bereits nach Taylor Ausschau. Ich fand ihn im Aufwärmraum, wo er mit fünf oder sechs anderen Powerliftern aus dem Augusta Powerlifting Team herumalberte. Er sah gigantisch aus. An Brust und Beinen hatte er seit unserem letzten Treffen in Albany merklich zugelegt. Als er mich sah, konnte er seine Genugtuung kaum verbergen. „Ich hatte schon Angst, Du würdest nicht kommen.” begrüßte er mich. „Du siehst fantastisch aus”, antwortete ich. „Trittst Du wieder in der 165er an?” „Quatsch. Ich bin in der 148er und nach diesem Treffen wirst Du Dir wünschen, Du wärst zuhause geblieben. Ich schulde Dir noch etwas und das werde ich Dir heute heimzahlen. Stell` Dich schon 'mal darauf ein: Heute wirst Du weggefegt!” Er sah in der Tat so aus, als könnte man seinen Worten Glauben schenken. Wie schon gesagt, er sah größer und stärker aus als beim letzten Mal. Aber um die Wahrheit zu sagen, ich war nicht sonderlich beunruhigt. Er war auch schon in Albany viel größer gewesen als ich und trotzdem hatte ich ihn geschlagen. Ich glaubte nicht daran, daß er in nur drei Monaten um so vieles stärker geworden war. Als es dann losging, überkam mich das Gefühl, die Welt stünde Kopf. Es war wie im Zirkus. Plötzlich fing das gesamte AmericanTeam an, sich gegenseitig die unterschiedlichsten Medikamente zu spritzen, vor allem Dexedrin, ein starkes Stimulans für das Zentralnervensystem und Epinephrin, ein Hormon mit 70
ähnlicher Wirkung. Allein unser alter Freund Mr. Wright setzte sich satte drei Schüsse Epinephrin. Nachdem, was er an diesem Morgen durchgemacht hatte, wäre sicher kein anderer auf die Idee gekommen, sich ein ZNS-Stimulans zu spritzen. Jeder Mensch, der auch nur eine Gehirnzelle besitzt, weiß, daß das Risiko eines Kreislaufzusammenbruchs immens hoch ist, wenn man solche Stimulantien nach einer radikalen Entwässerung nimmt. Aber mittlerweile war ich nicht einmal mehr sicher, ob das ganze American-Team zusammengenommen überhaupt eine funktionierende Gehirnzelle aufwies. Jeder aus dieser Mannschaft - ohne Ausnahme - injizierte sich vor dem jeweils letzten Versuch eine neue Dosis. Es war wie auf einer Freak-Show. Am Ende des Wettkampfes wirkte der ganze Haufen wie eine Bande Psychatriepatienten. Ihre Gesichter waren krebsrot und sie plapperten im DZug-Tempo. Mr. Wright war offensichtlich am schlechtesten dran. Er zitterte am ganzen Körper und hatte während des ganzen Tages immer wieder Blut erbrochen, wie er mir später erzählte. Es ist wirklich erstaunlich, was manche Menschen alles anstellen, um eine ZehnDollar-Trophäe mit nach Hause zu nehmen. Als ich mit den Kniebeugen begann, fühlte ich mich stark und kraftvoll. Meine drei Versuche gelangen mir relativ leicht. Ich schloß mit 415 Pfund ab, einem neuen Georgia-State-Rekord. Triumphierend sah ich mich nach Taylor um. Normalerweise kümmerte ich mich vor dem Kreuzheben nicht um meine Konkurrenten, um meine Konzentration nicht zu gefährden. Aber Taylor war so selbstsicher gewesen, daß ich jetzt gern sehen wollte, wie weit er hinter mir lag. Ich war sprachlos, als ich feststellen mußte, daß er noch nicht einmal angefangen hatte! Als er dann begann, erschrak ich noch mehr. Sein Startgewicht lag bei 450 Pfund, mehr als dreißig Pfund über meinem gerade aufgestellten Rekord. Es machte mich regelrecht krank, zu sehen, wie leicht er dieses Gewicht bewältigte. Sein zweiter Versuch mit 475 gelang ebenfalls und der dritte mit 500 Pfund wirkte so lässig wie der erste. Beim Bankdrücken lief es gut für mich. Ich schaffte alle drei Versuche und brach zuletzt den derzeitigen State-Rekord mit 290 Pfund. Doch Taylor gelangen wiederum alle drei Versuche; er beendete das Bankdrücken mit 340 Pfund. Bevor ich mich versah, lag ich 125 Pfund zurück. Und das am bisher besten Tag meiner Laufbahn! So wie die Dinge lagen, würde ich 700 Pfund im Kreuzheben bewältigen müssen, um noch eine Chance zu haben. Dieses Gewicht lag allerdings etwas außerhalb meiner Möglichkeiten. So setzte ich einfach alles daran, Taylor wenigstens beim Kreuzheben zu schlagen. Entschlossen eröffnete ich die Schlacht mit 450 Pfund, um den Georgia State-Rekord noch einmal zu brechen. Der Versuch lief erstaunlich glatt. Danach setzte ich mich hin, um Taylor zu beobachten. Er eröffnete mit 490 Pfund, ein Gewicht, das ihm einen Platz in der Elite sicherte. Er hätte den Versuch vermutlich auch einhändig geschafft. So, wie es aussah, hätte er sicher 550 und mehr heben können. Also stellte ich meine Strategie um. Wenn ich ihn schon nicht schlagen konnte, wollte ich wenigstens einen neuen persönlichen Rekord aufstellen. Ich wählte 520 Pfund für meinen dritten Versuch. Ich hatte das Gewicht noch nicht einmal vom Boden, als mein Rücken plötzlich in einer Wolke von Schmerz explodierte. Das war das Ende. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Ich wurde auf einer Bahre aus dem Saal getragen und ins Krankenhaus gefahren. Die Ärzte dort verabreichten mir 20 Milligramm Valium und röntgten meinen Rücken. Innerhalb von 15 Minuten war ich aber wieder auf den Beinen. Der Röntgenbefund ergab nichts Ernstes und bevor ich tief Luft holen konnte, war ich schon auf dem Weg zurück zur Wettkampfhalle. Ich kam gerade noch rechtzeitig um mit anzusehen, wie Taylor mit dem Titel des „besten Powerlifters” dieser Meisterschaft geehrt wurde.
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Anschließend winkte ich ihn zu mir herüber. „Wie geht es Deinem Rücken?” fragte er. „Er ist nicht halb so schlimm verletzt wie mein Stolz”, antwortete ich. „Du hast mich nicht nur geschlagen, Du hast mich ja regelrecht vernichtet. Aber ich werde darüber hinwegkommen. Ich muß zugeben, Du warst fantastisch!” „Ich habe Dich vorher gewarnt. Ich schuldete Dir etwas und das habe ich zurückgezahlt.” „O.K., aber wie konntest Du Dich in dieser kurzen Zeit so verbessern? Hast Du Dein Training umgestellt?” Ich war wirklich gespannt auf sein Geheimnis. „Training? Ich trainiere wie immer. Daran liegt es nicht. Es sind die Steroide. Willst Du mir etwa erzählen, daß Du nichts nimmst?” „Nein!” „Na, dann vergißt Du besser den Traum von zukünftigen Siegen. Jeder nimmt Steroide. Ich kann einfach nicht glauben, daß Du nichts nimmst.” „Was genau nimmst Du denn? Und wie kommst Du an das Zeug?” „Hey! Ich habe Dir erzählt, wie ich es mache, aber ich werde Dir auf keinen Fall sagen, was, wann und wo. Das kannst Du selbst herausfinden. Nebenbei gesagt, meine Kur ist die Beste. Deshalb bin ich ja auch der Champion. Erwarte nicht von mir, daß ich Dir sage, wie Du mich schlagen kannst.” Ich hatte schon von anderen Powerliftern gehört, die Steroide nahmen, aber ich hatte mich nie besonders dafür interessiert. Ich hatte nie geglaubt, daß Steroide die Körperkraft derart schnell und deutlich steigern konnten, wie das bei Taylor der Fall zu sein schien - wenn es wirklich daran lag. Nach allem, was ich über diese Drogen gelesen hatte, funktionierten sie eher nach dem Placeboprinzip. Aber scheinbar funktionierte ich nach einem falschen Prinzip, jedenfalls sah es so aus. Aber auch wenn diese Drogen so effektiv für einen Kraft- und Massegewinn waren, ich würde sie niemals einnehmen, das wußte ich genau. Erstens, weil sie von der A.A.U. verboten waren, und zweitens, weil das Gesetz sie verbot. Drittens hatte ich gelesen, daß Steroide erhebliche Gesundheitsrisiken bargen. Nebenbei bemerkt, was war eigentlich aus dem Ideal vom „Fair Play” im Sport geworden? Wenn ein Athlet Drogen, Ausrüstungsgegenstände oder andere Dinge benutzt, die ihm einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber anderen verschaffen, korrumpiert er nicht nur den Sport, sondern auch sich selbst. Für mich war Eines sonnenklar: In dem Moment, in dem ich mich auf etwas anderes verlassen müßte als auf mich selbst, würde ich sofort das Handtuch werfen. In meinen Augen war der Gebrauch von Medikamenten schlicht Betrug. Man betrügt sich selbst und die Konkurrenz. Das war meine Meinung damals und ich stehe auch heute noch dazu. Irgendwann wird es im Sport soweit kommen, daß wir alles akzeptieren, was zum Sieg führt Lügen, Betrug, Drogen und Gesundheitsschäden - der Drang, zu gewinnen, wird noch den letzten Rest Menschlichkeit verdrängen. Ich glaube, diese Siegessucht ist selbstzerstörerisch. Es ist eine engstirnige und kurzsichtige Auffassung vom Leben. Nur weil ein Powerlifter einen neuen Weltrekord aufstellt, ist er noch lange kein besserer Mensch als der Letztplazierte in einem Anfängerwettkampf. Es gibt weitaus wichtigere Dinge im Leben.
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Kapitel 8 - Weltklasse Steroide, Studien und andere Geschichten... Noch am gleichen Tag, als ich wieder in Statesboro eintraf, begann ich mich dem Thema „Steroide” zu widmen. Wie schon gesagt, für mich stand absolut fest, daß ich niemals anabole Steroide oder andere Drogen nehmen würde. Aber ich wollte genau wissen, welche Wirkung sie haben. Waren Steroide wirklich ein effektives Mittel, wie Taylor behauptet hatte, oder bewirkten sie nur einen Placeboeffekt? Welche Dosierungen nahmen Powerlifter zu sich? Was kostete der Spaß? Gab es Gefahren? Hatte ein ungedopter Kraftsportler eine Chance gegen gedopte Konkurrenten? Dies waren nur ein paar der Fragen, die mich brennend interessierten. Zu Beginn meiner Untersuchung besuchte ich viele Trainer und Sportler, von denen ich annahm, sie hätten Erfahrungen mit Medikamentenmißbrauch. Manche rief ich auch an. Ich hoffte einfach, daß mir jemand von diesen Leuten einen Impuls in die richtige Richtung geben konnte. Zu meinem Befremden nahm fast jeder, mit dem ich sprach, Steroide, oder hatte sie zumindest genommen. Nicht nur das, jeder, mit dem ich sprach, wußte auch eine Menge über diese Hormone; sogar mein elfjähriger Zeitungsjunge. Manche von den Geschichten, die sie mir erzählten, waren wirklich haarsträubend. So sagte man mir zum Beispiel, ein berühmter Powerlifter nehme Hormone, die aus Affenhirnen extrahiert würden. Meiner Quelle zufolge verlieh ihm diese Droge nicht nur die Kraft eines Gorillas, sondern verwandelte ihn auch langsam in einen Primaten. Sein Kiefer hatte sich deutlich vergrößert und seine Arme waren etwa acht Zentimeter in der Länge gewachsen, seit er den „Affensaft” injizierte. Keine schlechte Gute-Nacht-Geschichte, aber die Wahrscheinlichkeit, daß solch eine Reaktion bei einem ausgewachsenen Menschen eintritt, ist aus medizinischer Sicht doch recht unwahrscheinlich. Es ist möglich, aber wohl nur höchst selten. Der Kiefer kann sich vielleicht vergrößern, aber das Längenwachstum der großen Knochen ist normalerweise im Alter von 17/18 Jahren abgeschlossen. Eine weitere Verlängerung tritt so gut wie nie ein. Ich bekam noch andere Geschichten zu hören, Geschichten über Hormone aus der Hirnanhangdrüse von Leichen und andere, die berichteten, man müsse die Hoden bestimmter Tiere essen, um die eigene Testosteronausschüttung anzuregen. Meine Lieblingsgeschichte erzählte mir James Sykes, ein amerikanischer Gewichtheber. Seinen Worten nach gebrauchten sowjetische Gewichtheber Urin-Transfusionen, um bei Steroidtests in internationalen Wettkämpfen sauber zu erscheinen. Das Ganze muß folgendermaßen vor sich gehen: Der Athlet entleert seine Blase mit starken Diuretika. Danach führt er sich einen Katheder durch den Penis in die Blase ein und erhält nun eine Ladung steroidfreien (sauberen?!?) Urin von jemandem, in dessen Blase das andere Ende des Katheders eingeführt wurde. Autsch! Ich hörte natürlich auch eine Menge Erfolgsstories. Doug zum Beispiel, oder besser „Druggie” Hines, wie er genannt wurde, erzählte mir, daß er sein Körpergewicht um 50 Pfund und seine Gesamtleistung im Powerlifting um 400 Pfund gesteigert hatte, nachdem er unterschiedliche Anabolika kombinierte. Ich habe auch gehört, daß ein Georgia-State-Lifter sein Körpergewicht von 135 auf 287 Pfund erhöht hat, indem er Steroide einnahm. Um ehrlich zu sein, habe ich etwa zehnmal mehr Erfolgsstories gehört als Horrorgeschichten.
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Jeder Betreuer oder Athlet, mit dem ich sprach, war überzeugt, daß man bei richtigem Gebrauch von Steroiden die Körperkraft um etwa 10 bis 20 Prozent steigern kann. Überlegen Sie mal: Wenn man ohne Doping einen Powerlifting-Total von insgesamt 1500 Pfund aufweist, stehen die Chancen nicht schlecht, durch Steroide zwischen 1650 und 1800 Pfund zu schaffen. Kein Wunder, daß die meisten Kraftsportler so leicht vom richtigen Weg abkommen. Interessanterweise findet sich bei allen Steroiden, die man per Rezept in der Apotheke bekommt, ein Hinweis auf dem Beipackzettel, daß sie sich nicht zur sportlichen Leistungssteigerung eignen. Das American College of Sports Medicine (ACSM), das Internationale Olympische Komitee (IOC) und das Physician`s Desk Reference (das amerikanische Gegenstück zur „Roten Liste”, dem Buch, in dem alle lieferbaren Medikamente aufgeführt sind) verbreiten ebenfalls die Botschaft, Steroide wiesen, wenn überhaupt, nur geringes Potential auf, um sportliche Leistungen zu verbessern. Kurz gesagt, ich fand eine starke Diskrepanz zwischen Wissen und Meinungen. Allgemein gesprochen: Athleten und Trainer glauben nicht, was die Mediziner über Steroide sagen und die Mediziner glauben, wissen oder stören sich nicht daran, was Sportler mit Steroiden alles anstellen oder erreichen. Um wenigstens für mich Licht in das Dunkel zu bringen, nahm ich wissenschaftliche Studien zu diesem Thema zur Hand. Ich hatte Glück: Mir kam zu Ohren, daß ein gewisser Dr. William P. Morgan Material über Steroide gesammelt hätte, weil er ein Buch über ergogene Mittel im Sport schreiben wollte. Ich nahm sofort Kontakt zu diesem Herrn auf und stellte fest, daß er die größte Sammlung wissenschaftlicher Studien über Steroide im ganzen Land besaß. Leider waren die Resultate der Untersuchungen ebenso widersprüchlich wie das Thema selbst. Manche Studien belegten, daß Steroide der Kraftsteigerung dienlich waren; andere wiederum bewiesen das Gegenteil. Morgan erklärte mir, dieser Mißstand läge in der mangelhaften methodischen Präzision der Untersuchungen begründet. In vielen waren nicht einmal Sportler getestet worden und die meisten, die sich wirklich mit Sportlern beschäftigten, ließen genaue Angaben über Dosierung und/oder Verhalten und Ernährung der Probanden vermissen. Laut Morgan mußte die Wissenschaft noch ein ganzes Stück methodisch fundierter Arbeit leisten, bevor man den Einfluß von Steroiden auf die Muskelkraft wirklich einschätzen konnte. Mit anderen Worten: Die Untersuchungen waren nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt waren.
Dennis Dunlap Ungefähr einen Monat, bevor ich mich am Albany State College zurückmelden mußte, beschloß ich, meinen alten Freund Fred Glass zu besuchen. Ich hoffte, daß Fred mir helfen könnte, etwas Licht in das Dunkel um die Wirkungen anaboler Steroide zu bringen. Als ich bei ihm eintraf, war ich zunächst tief betroffen: Fred hatte meinen Ratten-Rekord gebrochen! Er hatte vier von den kleinen Teufeln in einer Nacht erlegt. Aber was mich wirklich ärgerte, war, daß er jetzt ein Luftgewehr benutzte anstelle der herkömmlichen Fallen, die wir früher aufgestellt hatten. So argumentierte ich denn auch, der neue Rekord wäre wegen unerlaubter Hilfsmittel ungültig. Fred, als Besitzer, Inhaber und Manager von „Fred’s Keller”, widersprach mir entschieden. „Der Rekord ist aufgestellt und gültig. Wenn Du ihn schlagen willst, geh’ doch und besorg’ Dir ein Luftgewehr!” Gab es wirklich kein „Fair Play” mehr? Obwohl Fred mich um den Rekord betrogen hatte, half er mir doch jemanden ausfindig zu machen, der mich in der Steroid-Sache deutlich weiterbrachte. Der Mann hieß Dennis Dunlap 74
und war einer der besten Bankdrücker der Welt. Meiner Meinung nach kam er direkt hinter Bradley und McDonald. Und er war der erste „richtige” Sachverständige zum Thema Steroide. Um ehrlich zu sein, ich hätte meine Untersuchung mit diesem Treffen beenden können, aber es waren noch zu viele weiße Flecken auf der Landkarte. Dennis war ein wandelndes Pharmazie-Lexikon. Er hat nicht nur umfangreiche Untersuchungen angestellt, sondern auch über einen langen Zeitraum selbst mit Steroiden experimentiert. Nach unserem Gespräch hatte ich den Eindruck, es könne im ganzen Land niemanden geben, der mehr über Steroide wußte. Er kannte alles, was auf dem Markt war und einiges, was es eigentlich gar nicht gab. Er wußte, wie und wo man an die Mittel herankam, wie man sie einnahm und was man während der Kur essen mußte. Er kannte sich genau mit den physiologischen und psychologischen Effekten eines jeden einzelnen Steroids aus. Er wußte sogar, wer gerade was nahm. Es gab scheinbar nichts, was er nicht wußte. Nach dem Gespräch mit Dennis war ich überzeugt, daß Steroide, wenn man sie richtig dosierte und korrekt einnahm, in Verbindung mit einer korrekten Ernährung und vernünftigem Training, große Kraft- und Gewichtssteigerungen in relativ kurzer Zeit bewirken konnten. Es wurde mir auch klar, daß die meisten sauberen Powerlifter keine Chance hatten, gegen gedopte Konkurrenten zu bestehen. Der durch Steroide erworbene Vorteil ist einfach zu groß, um allein durch ehrliche Arbeit überwunden zu werden. Ich war nicht sonderlich überrascht zu hören, daß Steroide auch tödlich sein können. Doch dies war ein Punkt, der Dennis offenbar nicht sonderlich beeindruckte. „Ich weiß sehr wohl, daß es ernste Nebenwirkungen gibt”, sagte er, „zum Beispiel Krebs, Leberschäden, Herzprobleme, Diabetes und Impotenz. Steroide können sogar Dein Sexualleben lahmlegen.” „Du machst Dich über mich lustig”, antwortete ich. „Bei all diesen Gefahren kannst Du mir nicht weismachen, daß Du Dir keine Sorgen um Deine Gesundheit machst.” „Sogar mit all dem im Hinterkopf sind mir Steroide immer noch lieber als Sex.” „Aber Du mußt doch Angst haben vor den Nebenwirkungen?” „Sieh’ mich mal genau an. Sehe ich etwa krank aus? Jetzt hör’ mal zu, Biasiotto... Du solltest auch Steroide nehmen!” „Ich? Wieso?” „Weil Du wie ein elfjähriger Briefmarkensammler aussiehst!”
Eine Lektion zum Thema Gewichtsverlust Steroide waren nicht das Einzige, womit Dennis Dunlap sich auskannte. Er gab mir auch einen Einblick in die Geheimnisse der Diuretika. Diese Informationen waren für mich besonders interessant, weil ich nach dem Reinfall in Atlanta wieder in der 132-Pfund-Klasse starten wollte. Es war nicht nur die Niederlage, die zu diesem Entschluß geführt hatte, sondern vor allem die Tatsache, daß ich einfach nicht genug zunehmen konnte, um in der 148Pfund-Klasse erfolgreich starten zu können. Mein höchstes Wettkampfgewicht waren 144 Pfund gewesen, und mehr als nur einmal bin ich mit weniger als 140 Pfund gestartet. Nach Dennis Worten hatte ich mit 140 Pfund schon fast das ideale Gewicht, um mit Hilfe von Diuretika in der 132-Pfund-Klasse zu starten. Was Dennis sagte, hörte sich für mich ganz vernünftig an. Ich beschloß, es beim nächsten Mal zu versuchen, doch nicht, ohne mehr über diese Medikamente zu wissen. Ich hatte Diuretika schon einmal ausprobiert und werde dieses Experiment nie vergessen, weil es mich beinahe das Leben gekostet hätte. Damals war ich schon ein recht guter Bankdrücker; ich schaffte gut und gern 290 Pfund bei einem Körpergewicht von 128.25 Pfund. Der erst kürzlich aufgestellte Weltrekord für die 12375
Pfund-Klasse lag bei 270 Pfund, also beschloß ich, mein Körpergewicht unter 123 Pfund zu bringen und mir den Rekord zu holen. Einen Monat vor den „Southern State Bench Press Championships” begann ich voller Zuversicht mit meiner Diät. Doch eine Woche vor den Meisterschaften wog ich immer noch 126 Pfund. Ich versuchte alles, um die letzten drei Pfund zu verlieren - ohne Erfolg. Dann erzählte mir ein Bekannter - ein 400 Pfund-Monster von Diuretika. Er behauptete, ich könne damit bis zu 12 Pfund an einem Tag verlieren. In meiner Verzweiflung beschloß ich, die Medikamente zu versuchen, obwohl ich nicht die geringste Ahnung hatte, worum es sich dabei handelte. Am Abend vor dem Wettkampf, immer noch 126 Pfund schwer, nahm ich eine Tablette - 40 Milligramm Lasix, um exakt zu sein. Dann wartete ich... und wartete... und wartete... Nichts passierte. Also nahm ich noch eine, und noch eine, und noch eine. Insgesamt hatte ich über einen Zeitraum von drei Stunden sechs Pillen eingenommen - insgesamt 240 mg Lasix (ich hasse es, diese Geschichte zu erzählen, einfach deswegen, weil sie zeigt, wie dumm ich damals war.) Plötzlich ging es los. Ich schied so schnell Flüssigkeit aus, als wäre ich ein leckes Faß. Einmal - ich leerte gerade wieder meine Blase - dauerte es so lange, daß ich allein vom Stehen müde wurde. Am nächsten Morgen aber wog ich herrliche 120 Pfund. Ich fühlte mich fantastisch. Ich hatte keine Krämpfe, nicht einmal Bauch- oder Kopfschmerzen. Beim Wettkampf eröffnete ich mit vermeintlich leichten 240 Pfund. Doch daß Gewicht erschien mir unglaublich schwer. Um ehrlich zu sein, ich schaffte es so gerade. Dann wagte ich den großen Sprung auf 275 Pfund. Ich wollte den Weltrekord brechen. Ich habe den Versuch nur halb geschafft - die Hälfte, die nach unten geht. Ich versuchte es noch einmal, vielleicht nur, um den Ansager aufs Neue sagen zu hören: „Und hier versucht wieder jemand, den Weltrekord zu brechen.” Diesmal schaffte ich noch nicht einmal eine saubere Negativwiederholung. Das Gewicht fiel einfach auf mich herunter. Nach dieser Meisterschaft war ich total deprimiert. Ich beschloß, ins Kino zu gehen, um mich abzulenken. Ich werde es nie vergessen. Sie zeigten einen Clint Eastwood-Film. Clint bemühte sich redlich, die halbe mexikanische Bevölkerung auszurotten. Aus heiterem Himmel bekam ich plötzlich Herzschmerzen. Ich winkte einem Kartenabreißer und flüsterte ihm mit letzter Kraft zu, daß ich befürchtete, einen Herzinfarkt zu erleiden. Der Mann rief die Ambulanz. Ich wurde auf dem schnellsten Weg ins „Sacred Heart Hospital” gebracht. Nach den Worten des Doktors bin ich gerade noch rechtzeitig eingeliefert worden. Ich war kurz vor dem völligen Zusammenbruch und hatte einen großen Teil meiner Körperflüssigkeit verloren. Deshalb hatte mein Blut sich verdickt und begonnen, meine Venen zu verschließen. Wie Sie sehen, habe ich diese Eskapade überlebt, doch sie hat sich tief in mein Gehirn eingebrannt. Aus diesem Grund hatte ich nicht vor, noch einmal Diuretika zu nehmen, ohne mich zuvor genau über das Wie und die zu erwartenden Konsequenzen zu informieren. Und ohne medizinische Überwachung wollte ich es auch nie wieder versuchen.
Meisterschule Als ich mich schließlich in Albany niederließ, machte ich mich auf die Suche nach einem kompetenten Doktor, der mir ein Entwässerungsprogramm zusammenstellen sollte. Dale Rhodes, Betreuer der amerikanischen Gewichtheber-Mannschaft, trainierte damals gerade in Albany. Er erzählte mir von einem Urologen in Atlanta, von dem er annahm, daß er mir helfen konnte. Natürlich machte ich mich direkt auf den Weg, um den Arzt kennenzulernen. Ich sollte nicht enttäuscht werden. Es war einer der produktivsten Arztbesuche, den ich je 76
unternommen habe. Der Doc erläuterte mir nicht nur präzise das Programm, das ich durchlaufen sollte, sondern verschrieb mir auch direkt die dazu nötigen Medikamente. Die Prozedur sollte zehn Tage vor dem Wettkampf beginnen. Ab diesem Zeitpunkt lud ich meine Kaliumspeicher mit einem Medikament namens K-Lite auf. Ich sollte K-Lite alle vier Stunden einnehmen, viermal am Tag bis zum Wettkampf. Diese Prozedur sollte verhindern, daß mein Mineralstoffhaushalt durcheinandergeriet, wenn ich mit der Entwässerung startete. Dies war der mit Abstand wichtigste Teil meines Programms. Schon eine kleine Störung im Mineralstoffhaushalt kann zu großen Einbrüchen in der Körperkraft führen. Am Morgen vor dem Wettkampf sollte ich dann ein Gewicht von 138 Pfund oder weniger haben. Gemäß den Informationen des Doktors und verschiedener Studien kann man zehn Prozent Gewicht verlieren, ohne nennenswerte Kraftverluste festzustellen. Immerhin kann es zu merklichen Verlusten an Ausdauer und kardiovaskulärer Fitneß kommen, wenn man acht Prozent Gewicht verliert. Da mein Normalgewicht bei 140 Pfund lag, sollte es für mich kein Problem sein, auf 138 Pfund zu kommen. Dann würde es nur einer Gewichtsreduktion von vier Prozent bedürfen, um in die 132-Pfund-Klasse zu kommen. Dies war über die Dehydrierung leicht zu erreichen. Ich war angewiesen, am Freitagmorgen 40 Milligramm Lasix einzunehmen und meinen Flüssigkeitskonsum tagsüber so stark wie möglich einzuschränken, um dann am Abend weitere 40 Milligramm Lasix einzunehmen. Falls mein Gewicht am Samstagmorgen immer noch zu hoch sein sollte, wären noch einmal 40 Milligramm fällig. Nach dem Wiegen sollte ich dann meinem Körper wieder Flüssigkeit zuführen, indem ich während des gesamten Wettbewerbs Säfte trank. Das Programm wirkte perfekt. Bei meinem nächsten Wettkampf im Albany YMCA senkte ich mein Gewicht ohne Probleme von 137 auf 132 Pfund. Ich hatte keine Krämpfe, keine Kopfschmerzen, keinen Durchfall - im Gegenteil, ich fühlte mich stark und hob meine Gewichte ebenso leicht wie mit 140 Pfund Körpergewicht. Insgesamt hob ich fast soviel wie in Atlanta, obwohl ich hier in Albany in einer niedrigeren Gewichtsklasse antrat. In der Kniebeuge schaffte ich 410, beim Bankdrücken 270 und beim Kreuzheben 480 Pfund. Das machte zusammen 1160 Pfund. Aus heiterem Himmel war ich jetzt Champion mit 12 neuen Bundesstaatsrekorden. Nicht schlecht für jemanden, der wie eine Dörrpflaume aussah.
Mehr Akademie-Wissen Ebenfalls neu an diesem Wettkampf war, daß ich keine Aufwärmsätze machte, bevor ich auf die Plattform stieg. Ich hatte mich schon einige Zeit mit diesem Gedanken getragen und im Training hatte ich schon wiederholt ohne Aufwärmen schwere Gewichte gehoben. Die ersten Hinweise dafür, daß Aufwärmsätze für Höchstleistungen nicht unbedingt erforderlich sind, habe ich schon während meiner Zeit beim Kansas City Royals Baseball-Team erhalten. Branch B. Rickey hatte mich derzeit beauftragt, zu untersuchen, ob Aufwärmtraining mit einem Bleischläger die Schlagkraft verbesserte. Jedermann an der Akademie war damals überzeugt, daß ein paar Aufwärmschläge mit diesem schweren Schläger die Schlagkraft verbesserten. Immerhin bedienten sich die Baseballspieler dieser Technik schon, solange es diesen Sport gab. Deshalb ging es bei dieser Untersuchung auch weniger um die Frage, ob die Schlagkraft verbessert würde, sondern vielmehr, um wieviel sie gesteigert werden konnte.
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Am ersten Tag des Experiments pickte ich mir fünfzig Baseballer heraus und maß ihre Schlaggeschwindigkeit, indem ich sie durch eine Reihe von Lichtschranken schlagen ließ. Dann teilte ich sie in eine Versuchs- und eine Kontrollgruppe ein. Die Gruppen setzten sich aus Spielern mit gleichen oder ähnlichen Ergebnissen zusammen, von denen dann je einer in die Kontrollgruppe und einer in die Versuchsgruppe kam. Mit dieser Maßnahme stellte ich sicher, daß die Spieler in beiden Gruppen gleiche Voraussetzungen mitbrachten. Am folgenden Tag wärmten sich die Spieler aus der Experimentalgruppe zwei Minuten mit dem Bleischläger auf. Das war etwa die Zeit, die in Spielen auch zur Verfügung stand. Die Spieler der Kontrollgruppe saßen derweil still herum. Nach der Übung wurden beide Gruppen wieder getestet. Zwei Tage später wiederholte ich das Experiment, aber diesmal tauschten die Gruppen die Plätze. Die Kontrollgruppe schwang den Schläger, während die Experimentalgruppe zusah. Das Resultat beider Untersuchungen sah so aus, daß in der Gruppe, die sich jeweils aufgewärmt hatte, die Schlaggeschwindigkeit nicht anstieg, sondern im Gegenteil sogar sank. 47 von meinen 50 Probanden erreichten eine höhere Schlaggeschwindigkeit, wenn sie sich nicht aufwärmten. Offensichtlich packte man diese Angelegenheit im Baseball schon seit ihrer Einführung falsch an. Interessanterweise nahmen aber alle 50 Spieler an, ihre Leistung hätte sich nach dem Aufwärmen verbessert, vermutlich ein Ergebnis ihrer Konditionierung. Da die Geschwindigkeit aber auch nicht deutlich abnahm (der Unterschied war, trotz präziser Kontrollmessungen, nur unwesentlich), beschloß der Stab der Akademie, es wäre aus psychologischer Sicht besser, das Aufwärmen beizubehalten. Diese Entscheidung mag für den Baseball sicher ihre Berechtigung haben, aber es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen dem Schwingen eines Schlägers und dem Bestehen einer Powerliftingveranstaltung. Wenn sich Aufwärmsätze für Übungen gegen einen Maximalwiderstand als sinnlos erweisen, sollte man sie besser streichen, um nicht wertvolle Kraft und Zeit zu verschwenden. Meiner Meinung nach ist der Aufwärmbereich der letzte Ort, an dem man sich bei einem Wettkampf aufhalten sollte. All die nervöse Spannung und körperliche Betätigung machen einen selbst nur müde und nervös. Ich jedenfalls werde müde, wenn ich anderen beim Gewichtheben zusehe und ich nehme an, das geht nicht nur mir so. Für mich ist es bedeutend entspannender, dem Wettkampftrubel so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Ich vermutete, wenn ich die Aufwärmsätze ausließe und einen Ort aufsuchen würde, an dem ich mich besser konzentrieren konnte, wäre das entschieden vorteilhafter für mich. Genau das wollte ich nun versuchen.
Weitere Untersuchungen Um die Auswirkungen von Aufwärmsätzen auf die drei Powerlifting-Übungen genauer bestimmen zu können, führte ich im Laufe der folgenden sieben Monate sechs verschiedene Untersuchungen durch. Im Grunde genommen waren all diese Studien dem BleischlägerVersuch nachempfunden. Zuerst testete ich die Probanden auf ihre Maximalleistungen in den drei Übungen. Dann teilte ich sie wieder gemäß ihrer Kraft in eine Kontroll- und eine Versuchsgruppe auf. Nach diesen Vorbereitungen ließ ich die Mitglieder der einen Gruppe ihre Aufwärmübungen machen, während sich die andere Gruppe ausruhte. Danach führte ich mit beiden wieder die Tests zur Bestimmung der Maximalkraft durch. Die Resultate aller sechs Studien waren gleich. Sie belegten, daß ein Aufwärmen für Bankdrücken und Kniebeugen nicht erforderlich ist. In fünf der sechs Untersuchungen 78
erzielten die Mitglieder der Kontrollgruppe bessere Ergebnisse als die der Experimentalgruppe, welche sich aufgewärmt hatten. Zumindest galt das für Bankdrücken und Kniebeugen. Offensichtlich konnten die Probanden die durch das fehlende Aufwärmen eingesparte Energie bei beiden Übungen erfolgreich einsetzen. Beim Kreuzheben hingegen sah das völlig anders aus. In allen sechs Studien schnitten die Probanden der Aufwärmgruppe deutlich besser ab als die Kontrollgruppe. Das warf eine interessante Frage auf: Warum ist es notwendig, sich vor dem Kreuzheben warm zu machen und weshalb sollte man bei Kniebeugen und Bankdrücken darauf verzichten? Eine Möglichkeit ist die, daß der Sportler beim Kreuzheben, im Gegensatz zu Bankdrücken und Kniebeugen, die Massenträgheit des Gewichts überwinden muß, ohne vorher seinen Widerstand zu spüren. Sowohl beim Bankdrücken als auch bei der Kniebeuge lastet das Gewicht bereits auf dem Athleten, bevor die Wiederholung beginnt. So kann der Sportler die Kraft in etwa einschätzen, die erforderlich ist, um den Versuch erfolgreich zu Ende zu führen. Beim Kreuzheben ist das Gegenteil der Fall. Der Sportler muß das Gewicht hochheben. Er muß sich also vorher irgendwie mental und physisch auf die dazu nötige Anstrengung einstellen. Durch das Aufwärmen erhält der Athlet einen Eindruck davon. Eine weitere Erklärung ist die, daß die Negativwiederholung, also das Ablassen des Gewichts, die der eigentlichen Leistung im Bankdrücken und bei der Kniebeuge vorausgeht, schon dem Aufwärmen dient. Einige Physiologen, mit denen ich mich darüber unterhalten habe, vertraten eben diese Meinung. Ihren Ausführungen zufolge können wichtige Veränderungen im Körper, die die Leistungsfähigkeit verbessern, wie etwa gesteigerte Flüssigkeitsviskosität, verbesserte Blutzirkulation und erhöhter Muskeltonus ohne große Mühe innerhalb weniger Sekunden vollzogen werden. Eine dritte Theorie besagt, daß Kreuzheben - mehr als alle anderen Übungen - eine Sache des Geistes ist. Jeder, der schon einmal schweres Kreuzheben ausgeführt hat, weiß, daß ohne ausreichende Konzentration und ohne die richtige Einstellung gar nichts klappt. Dafür spricht, daß die meisten Powerlifter aus der Kontrollgruppe von einem Angstgefühl und erhöhter Nervosität vor dem Versuch berichteten. Dies war beim Bankdrücken und der Kniebeuge nicht der Fall. Vielleicht hat die Einbildung, sie hätten sich vor dem Kreuzheben eigentlich aufwärmen müssen, ihre Leistungsfähigkeit negativ beeinflußt. Wenn das stimmt, sind aus psychologischer Sicht Aufwärmsätze vor dem Kreuzheben sicher wichtig, um maximale Gewichte heben zu können. Ein weiteres überraschendes Ergebnis dieser Untersuchungsreihe war, daß sich kein Proband aus der Kontrollgruppe - die sich ja nicht aufgewärmt hatte während eines der Experimente verletzt hat oder über starke Übersäuerung der Muskulatur klagte, obwohl mehr als 500 Versuche mit maximalem oder fast maximalem Gewicht durchgeführt worden sind.
Plyometrisches Stretching Obwohl die Ergebnisse meiner Untersuchungen klar belegten, daß ein Aufwärmen vor Bankdrücken oder Kniebeugen nicht notwendig war, benutzte ich doch eine Art von Dehnübungen, die mir Yoshi gezeigt hatte - plyometrisches Stretching. Ich kenne keinen anderen amerikanischen Powerlifter, der sich dieser Technik bedient. Ich habe auch nur wenige getroffen, die überhaupt davon gehört haben; den meisten blieb ganz offensichtlich verschlossen, wie man dieses einfache Dehnprogramm durchführt.
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Plyometrisches Stretching wurde von sowjetischen Sportwissenschaftlern entwickelt, um bei Sprintern und Gewichthebern die Kontraktionsfähigkeit der Muskeln zu verbessern. Die Technik beruht auf dem Prinzip, daß man einen gedehnten Muskel stärker anspannen kann. Beim plyometrischen Stretching läßt man einen Widerstand auf den Muskel einwirken, während dieser gedehnt (überstreckt) wird. Innerhalb gewisser Grenzen gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Grad der Dehnung und dem Grad der Kontraktionsfähigkeit des gedehnten Muskelgewebes. Gemäß dieser Theorie wird der überstreckte Muskel einen Dehnschutzreflex entwickeln und so dem Sportler erlauben, mehr Muskelfasern einzusetzen und diese auch stärker zu kontrahieren. Es muß aber gesagt werden, daß diese Trainingsmethode bisher wissenschaftlich nicht belegt worden ist. Bei mir scheint es zu wirken; das heißt aber nicht, daß es tatsächlich hilft. Es kann durchaus auch psychologische Ursachen haben, wenn ich mit dieser Technik erfolgreich bin. Statt Aufwärmtraining führe ich jedenfalls lieber plyometrisches Stretching durch. Die Vorteile des plyometrischen Konzepts liegen auf der Hand. Man muß auf niemanden warten, wenn man sich aufwärmt, muß weder die Hantel be- und entladen, noch sich beobachten lassen. Das Aufwärmgewicht muß nicht auf das Gewicht des nächsten Versuchs abgestimmt werden und man kann sich von dem üblichen Haufen nervöser Konkurrenten fernhalten. Außerdem braucht man dafür nur 20 bis 30 Sekunden und sehr, sehr wenig Energie. Führen Sie sich dagegen einmal vor Augen, wieviel Zeit und Energie beim traditionellen Aufwärmen eingesetzt wird.
Lockett Ungefähr einen Monat nach dem Wettkampf in Albany veranstaltete ich einen kleinen Wettbewerb im Albany State College. Ich hatte eigentlich keinen besonderen Grund dafür; vermutlich wollte ich nur einmal wissen, was es für ein Gefühl ist, solch einem Treffen als Veranstaltungsleiter vorzustehen. Am Wettkampftag traf ich meinen neuen Trainer, Ben Lockett. Ich werde diese erste Begegnung nie vergessen. Ben kam mit schwarzem Cowboyhut, ebensolchen Stiefeln, Jeans und einem Trägerhemd zum Wiegen. Er kaute Tabak und trank ein Bier. Er war zumindest leicht angetrunken. „Ich will teilnehmen. Was kostet es?” fragte er und griff in seine Tasche, um ein Bündel zerknitterter Geldscheine hervorzuholen. Er warf mit dem Geld geradezu um sich und es erschien mir, als könne er sich gerade noch auf den Beinen halten. Zurückblickend kann ich heute noch nicht verstehen, warum ich ihn teilnehmen ließ. Vielleicht lag es am Geld. Als es dann losging, hatte ich ihn längst vergessen. Aber es dauerte nicht lange, bis Ben Lockett wieder in den Mittelpunkt meines Interesses rückte. Als das Gewicht 420 Pfund erreichte, stolperte er in einem 1916er Gewichtheberanzug und Cowboystiefeln auf die Plattform. Er kaute immer noch an seinem Priem, doch zum Glück hatte er das Sechserpack Bier schon im Aufwärmraum geleert. Als die Zuschauer ihn sahen, drehten sie fast durch. „Ich will jetzt anfangen.” sagte er. „In Deinem Zustand bekommst Du das Gewicht nie hoch”, protestierte ich. Die Antwort kam leise, aber bestimmt: „Mach Dir mal keine Sorgen. Ich werde auch den Hut abnehmen.” Ich versuchte noch einmal, ihm die Sache auszureden - ohne Erfolg. Er war einfach nicht zu bremsen. Als er an der Reihe war, schritt er auf die Bank zu. Dort blieb er ein oder zwei Sekunden stehen, schwankend wie ein Ast im Wind. Dann rülpste und furzte er gleichzeitig. 80
„Wohl seine Art, sich einzustimmen”, dachte ich bei mir. Anschließend legte er sich auf die Bank und drückte perfekte 420 Pfund. Damit lag er in der 220-Pfund-Klasse vorn. Die Zuschauer flippten total aus. Zum ersten und letzten Mal sah ich einen Gewichtheber, der stehende Ovationen bekam. Nach seinem Versuch kam er zum Kampfrichtertisch und fragte mich, ob ich auf seinen Pokal aufpassen könne, er müsse jetzt gehen. „Wohin denn?”, wollte ich wissen. „Noch ein bißchen trinken.”
Lockett’s neues Image Ein paar Tage nach der Veranstaltung kam Lockett bei mir vorbei, um seinen Pokal zu holen. Doch was für eine Veränderung - er trug einen dreiteiligen Anzug, Krawatte und ein paar Alligatorlederschuhe, die sicher mehr als 200 Dollar gekostet hatten. Ich sprach über drei Stunden mit ihm. Danach war ich wirklich verblüfft. Lockett war einer der faszinierendsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Er war insgesamt viermal um die Welt gereist und hatte dabei so unzugängliche Gebiete wie China, Rußland und den Iran durchquert. Er war nicht nur weitgereist, sondern auch sehr gebildet. Er konnte sich über jedes Thema unterhalten, das ich anschnitt - Weltpolitik, Religion, Psychologie und sogar Medizin. Während unserer Konversation stellte sich heraus, daß er auch ein ausgezeichneter Kraftsportler war. Er hielt eine ganze Reihe nationaler Rekorde als olympischer Gewichtheber und seine Ergebnisse im Powerlifting reichten nahe an die der aktuellen Landesmeister. Nebenbei hatte er bei seinen Reisen durch den Ostblock viel über das Krafttraining der dortigen Athleten gelernt. Er war geradezu ein wandelndes Lexikon zum Thema Gewichtheben und Powerlifting. Es war einfach zu schön, um wahr zu sein. Ich brauchte nicht lange, um festzustellen, daß Ben mir eine große Hilfe sein könnte. Also fragte ich ihn geradeheraus, ob er mit mir arbeiten wolle. Anfangs schien er überrascht, aber nach ein paar Minuten Diskussion willigte er ein. Ich glaube, mein überzeugendstes Argument war mein Wissen über Trainingsmethoden und meine Ausrüstung. Ich fühlte, daß er von dem, was ich tat, wirklich beeindruckt war. Dies sollte der Beginn einer langen und fruchtbaren Partnerschaft sein.
Eine Vision Mit Ben als Trainer dominierte ich in den folgenden drei Jahren die 132-Pfund-Klasse im Süden der USA. In dieser Zeit gewann ich 16 Wettkämpfe, brach 41 Bundesstaats-Rekorde und errang siebenmal Gesamtleistungen, die „Elite” oder besser waren. Man konnte sein gesamtes Geld auf drei Dinge setzen, wenn ich an einem Wettbewerb teilnahm: 1. Es gab keine oder nur wenig Konkurrenz in der 132-Pfund-Klasse, wenn ich antrat. 2. Ich schaffte in der Kniebeuge nicht mehr als 420 Pfund. 3. Ich verletzte mich am Rücken. Nun, die fehlende Konkurrenz und meine ständigen Rückenverletzungen machten mir nicht viel aus. Mir erschien es vielmehr wie ein „Way of Life”, oder besser gesagt, wie ein „Way of Lifting”. Was mich störte, waren meine stagnierenden Leistungen in der Kniebeuge - bei 420 Pfund war Schluß. Es machte mich wirklich verrückt. Sogar Ben regte sich darüber auf. Er suggerierte mir vor jedem Wettkampf, daß die Kniebeuge meine beste Übung sein würde, doch es funktionierte nicht. 81
Eines Tages wurde mir klar, daß ich im Powerlifting nie an die Spitze kommen würde, wenn ich meine Kniebeuge nicht deutlich verbesserte. Ich setzte mich also mit Ben zusammen und wir arbeiteten einen Plan aus. Mein Training wurde so umgestellt, daß sich alles um die Kniebeuge drehte. Ich konnte nun meine ganze Zeit und Energie für das Kniebeugentraining einsetzen. Wir steigerten die Anzahl der Sätze von acht auf vierzehn; Bankdrücken und Kreuzheben verringerten wir von acht auf fünf Sätze. Zusätzlich verwandten wir viel Zeit darauf, an meiner Technik zu arbeiten. Die sicherlich einschneidenste Veränderung nahmen wir beim mentalen Training vor: Von nun an sollte ich mein gesamtes mentales Training auf die Kniebeuge konzentrieren, wir verlängerten die tägliche Spanne sogar noch um 20 Minuten. Jeden Tag, eine Stunde vor Trainingsbeginn, hypnotisierte ich mich selbst, entspannte mich tief und durchlief das Kniebeugenprogramm, das an diesem Tag vor mir lag - mindestens zwanzig Mal. Dann hörte ich mir Bänder an, auf die wir Texte und Suggestionen gesprochen hatten, die mein Selbstvertrauen und meine Motivation stärken sollten. Während des Krafttrainings setzte ich vor jedem Satz zusätzlich Hypnose ein. Im Prinzip war es eine umfassendere Version meines normalen Trainings, aber jetzt lag der Schwerpunkt allein auf der Kniebeuge. Ich absolvierte während meines mentalen Trainings dreimal soviel Kniebeugen wie zuvor. Nach dem praktischen Training hypnotisierte ich mich noch einmal und stellte mir vor, wie meine Kniebeugen beim nächsten Wettkampf aussehen sollten. Während der ersten Woche habe ich in meinem mentalen Training wohl an die 10.000 Kniebeugen visualisiert. Ich wollte mich unbedingt steigern und die gewünschten Ergebnisse stellten sich ein: Ich konnte umgehend bemerken, wie sich meine Kniebeugen verbesserten. Zum ersten Mal machte ich diese Übung ohne nennenswerte Anstrengung. In der vierten Woche meines neuen Trainingsprogramms geschah dann etwas Sonderbares. Ich trainierte mit Dale Rhodes im Albany YMCA; Dale war eingesprungen, weil Ben gerade nicht in der Stadt war. In der Pause zwischen zwei Sätzen hatte ich plötzlich eine Vision: Ich führte eine saubere Kniebeuge mit 470 Pfund durch! Nun, eigentlich glaube ich nicht an Hellseherei oder Weissagungen, aber die Erscheinung war so klar gewesen, daß ich regelrecht Angst bekommen hatte. Doch es war nicht nur eine Vision - es war eine Erleuchtung! Ich fühlte und wußte von diesem Moment an, daß ich die 470 Pfund bewältigen würde. Ich erzählte Rhodes davon, aber er tat es als Spinnerei ab. Vielleicht hatte er recht, doch ich war fest überzeugt, daß ich beim nächsten Wettkampf eben dieses Gewicht heben würde. Rhodes war so vom Gegenteil überzeugt, daß er zehn Dollar dagegen wettete. Er war der Meinung, ich würde die 470 um mindestens 30 Pfund verfehlen. Ich konnte ihm seine Skepsis nicht übelnehmen. Immerhin trainierte ich jetzt schon sechs Jahre Kniebeugen und war noch nie über 420 Pfund gekommen. Sogar mein neues Programm war lediglich auf 435 Pfund angelegt. In den nächsten zwei Monaten konnte ich an nichts anderes denken als an die 470-PfundKniebeuge. Ich war völlig besessen von dieser Idee. Egal was immer ich mir auch vornahm, am Ende saß ich irgendwo herum und visualisierte mich bei der Kniebeuge. Ich investierte immer mehr Zeit in mein mentales Training. Ich beherrschte die Biofeedbackmaschine mittlerweile so perfekt, daß ich „Jingle Bells” darauf spielen konnte. Ich war wirklich ganz schön ausgeflippt. Zeitweilig schien es so, als sei diese eine Kniebeuge das einzig wichtige Ereignis in meinem Leben. Ich war besessen; ich war ganz sicher nicht ich selbst und als der Wettkampf näher rückte, befand ich mich irgendwo in einer Grauzone zwischen Genie und
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Wahnsinn. Es war, als hätte ich Amphetamine genommen oder sogar etwas stärkeres. Aber ich war voller Zuversicht und fühlte mich wie Superman persönlich.
Ein neuer Weltrekord? Als der Wettkampf begann, hatte ich Ben überredet, bei den Kniebeugen mit 440 Pfund zu eröffnen. Wir hatten darüber länger als einen Monat diskutiert. Ben wollte, daß ich mich an das Programm hielt. Danach hätte ich mit 395 eröffnet und mit 435 abgeschlossen. Er argumentierte, unser Trainingsprogramm wäre so konzipiert, daß ich kein Gramm mehr als 440 Pfund schaffen könnte. Obwohl er mir die 440 Pfund vielleicht zutraute, wollte er doch nicht das Risiko eingehen, daß ich mich wegen eines zu hohen Startgewichts sofort disqualifizierte. Vom logischen Standpunkt her hatte er völlig recht. Aber ich hatte mit Logik nichts mehr im Sinn, ich bestand nur noch aus Emotionen. Er hätte bis in alle Ewigkeit weiterargumentieren können, ich kaufte es ihm nicht ab! Ich dachte die ganze Zeit an 470 Pfund, nicht an 440. Ich wollte mit leichteren Gewichten keine Energie verschwenden. Ich würde den Bogen voll spannen und vielleicht sogar noch etwas mehr. Ich fühlte es - heute war mein Tag! Sie würden mir nicht glauben, wenn ich erzählte, wie oft ich mit Ben über diese Eröffnung gestritten habe. Zum ersten Mal stemmte ich mich gegen seine Entscheidung. Zurückblickend glaube ich, es hat ihn wirklich getroffen. Während unserer Beziehung hat er nämlich stets zurückgesteckt. Er stellte sogar seine eigene Karriere in den Hintergrund, um mir besser helfen zu können. Mehr als einmal ließ er seine Wettkämpfe ausfallen, um mir bei meinen beizustehen. Ich schuldete ihm eine Menge, aber jetzt konnte ich nicht zurück. Wie schon gesagt, am Schluß lenkte er ein, aber ich wußte, insgeheim war er gegen die Idee. Trotzdem stand er mir wie immer zur Seite. Als die Reihe an mir war, holte Ben mich aus dem Umkleideraum. Wie schon gesagt, ich wärmte mich vor Bankdrücken und Kniebeugen nicht mehr auf, sondern nutzte diese Zeit, um mich geistig auf meine Versuche vorzubereiten. Diesmal war es nicht anders, abgesehen davon, daß ich total angespannt war. Für gewöhnlich blieb ich immer ruhig, bis ich die Plattform betrat, aber diesmal war ich völlig überdreht. Ich fühlte mich, als ob ich durch Wände gehen könnte. Einmal auf der Bühne, wirkte die 440-Pfund-Hantel auf mich wie ein Spielzeug. Mir war, als würde ich die gesamte Plattform ausfüllen. Alles schien in meinen Augen zu schrumpfen. Es war ein merkwürdiger Zustand, aber definitiv ein Gefühl absoluter Macht. Ich war der Größte. Alles schien sich um mich zu drehen, so als sei ich der Mittelpunkt des Universums. Ich erinnere mich nur schwach, wie ich die Hantel aus der Ablage hob und auf das Signal des Schiedsrichters wartete. Ich konnte das Gewicht nicht fühlen. Es war so, als hätte ich jeden Kontakt zu meiner Umwelt verloren. Als das Signal kam, ging ich so schnell herunter, daß die Kampfrichter erschrocken zusammenzuckten, wie mir später erzählt wurde. Ebenso schnell explodierte ich aufwärts. Das Publikum traute seinen Augen kaum. Mein zweiter Versuch, diesmal mit 470 Pfund, war eine exakte Wiederholung des ersten. Ich bewältigte den Lift so leicht, daß mich der Hauptkampfrichter vor dem Verlassen der Plattform fragte, ob ich nicht einen Anlauf auf den Weltrekord unternehmen wolle. Ich wußte noch nicht einmal, wo der derzeitige Weltrekord für die 132-Pfund-Klasse lag. Bis zu diesem Tag war ich von Kniebeugen-Weltrekorden so weit entfernt gewesen wie die Erde 83
vom Mars. Tommy Bird sagte mir dann, die aktuelle Weltbestleistung läge bei 482.5 Pfund. So wie die 470 Pfund geklappt hatten, rechnete ich mir für den dritten Versuch 490 oder sogar 500 Pfund aus. Doch dann mahnte ich mich zur Mäßigung: Die Chance, mit 485 Pfund Weltrekordhalter zu werden, würde ich nicht meines Egos wegen verschenken. Also meldete ich mich für 485 Pfund und Weltrekord. Ich hob die Hantel aus dem Ständer und schritt zurück; sie fühlte sich federleicht an. Der Versuch gelang spielend und so schnell, daß ich mich kaum an die Ausführung erinnern kann. Für mich gab es keinen Zweifel, daß ich an diesem Tag sogar 520 Pfund geschafft hätte. Ich war unglaublich stark und emotional voll auf der Höhe. Wenn mir noch ein vierter Versuch zugestanden hätte, hätte ich auch 520 Pfund versucht. Nach dem Weltrekord war ich so glücklich wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich hätte vor Glück zerspringen können. Ich kann mich heute noch gut an dieses Gefühl erinnern. Ich war so außer mir, daß ich buchstäblich nichts mit mir anzufangen wußte. Doch dieser Zustand währte nicht lange. Aus heiterem Himmel schlug meine Stimmung um. Das nächste, woran ich mich erinnere, ist, wie ich grundlos heulend auf einer Bank sitze. Meine gesamte Energie war wie weggeblasen und der restliche Verlauf des Wettbewerbs interessierte mich nicht mehr. Nach diesen Kniebeugen zog ich meine Nennungen für Bankdrücken und Kreuzheben zurück. Ich vermute, ich hätte damals 280 Pfund gedrückt und 500 Pfund gehoben, was insgesamt 1265 Pfund ergeben hätte. Doch auf der Habenseite hatte ich die 10 Dollar, die Dale mir jetzt schuldete und ich hatte es geschafft, meine schwächste Seite in die stärkste zu verwandeln.
Depressionen Nach dem Wettkampf war ich erschöpft. Ich fühlte mich einfach schlecht, sowohl körperlich als auch geistig und wurde zunehmend depressiver. In der folgenden Nacht fand ich keinen Schlaf. Der Wettbewerb lief immer und immer wieder vor meinem inneren Auge ab. Am nächsten Morgen sah alles noch schlechter aus. Meine Batterien waren leer und geistig fühlte ich mich so ausgebrannt wie nie zuvor. Ich verlor ganz offensichtlich die Kontrolle; das jagte mir einen Riesenschrecken ein. Ich glaubte, nicht allein aus diesem Tal herauszufinden. Vom psycho-physiologischen Standpunkt aus betrachtet glaube ich, daß es für alles, was der Körper durchmacht, eine Gegenreaktion gibt. Wenn man beispielsweise ein Stimulans für das Zentralnervensystem einnimmt - Amphetamine etwa - wird die psycho-physiologische Reaktion gesteigert. Wenn der Körper die Droge dann abbaut, fällt die Leistungsfähigkeit wieder auf die Grundwerte ab. Statt aber an dieser Grundlinie zu verweilen, fallen die Werte weiter, bis sie ebensoweit unten liegen, wie sie zuvor erhöht waren. In der Drogenterminologie nennt man diese Reaktion „crashing”. Je länger und höher das „high”, desto länger und tiefer der „crash”. Genau das ist auch mit mir passiert, nur mit dem Unterschied, daß ich keine Drogen genommen habe um mich aufzuputschen, sondern mich dazu verschiedener psychologischer Techniken wie etwa der Hypnose bedient habe. Mein Körper antwortete jetzt auf das Hoch, das ich induziert hatte. Ich hatte mein Gleichgewicht empfindlich gestört und zahlte nun den Preis dafür. Ich kämpfte einen knappen Monat gegen die Depressionen an. Ich war immer müde und konnte weder richtig essen noch vernünftig schlafen. Ich unterbrach sogar mein Training. Ich kümmerte mich um rein gar nichts mehr. Und das Schlimmste war, man erzählte mir, daß ich den Weltrekord doch nicht gebrochen hatte. Aber es kümmerte mich nicht mehr. Es war mir 84
wirklich sch... egal. Heute dagegen ärgert es mich, weil ich genau weiß, daß ich es geschafft hätte. Immerhin reichten die 485 Pfund, um den amerikanischen Rekord zu brechen. Er lag bei 479 Pfund und war 15 Jahre zuvor von Danny Mayer aufgestellt worden. Man sagte mir, es wäre der älteste Rekord auf der Liste gewesen.
Weltklasse-Frauen Wie schon gesagt, nach dem Wettkampf trainierte ich etwa vier Wochen nicht mehr. Doch zwei Frauen sorgten dafür, daß ich zum Kraftsport zurückfand. Varnell „Pee Wee” Porter und Joy Hair hatten mich bei einem Wettbewerb gesehen und baten mich, für sie ein Trainingsprogramm aufzustellen. Zuerst wich ich aus, indem ich sagte, ich hätte keine Zeit, aber sie blieben hartnäckig. Sie riefen fast jeden Abend an und mehr als einmal kamen sie bei mir zu Hause vorbei, um mich zu überreden. Nach zwei Wochen willigte ich schließlich ein. Schon am ersten Tag im Studio merkte ich, daß diese Frauen etwas Besonderes waren. Sie waren beide sehr stark und konnten hart arbeiten. Als ich sah, welche Gewichte sie hoben, wollte ich sie gleich für das Powerlifting gewinnen. Joy war dafür, aber Pee Wee zögerte noch. Sie hatte auch nicht den Körperbau einer Powerlifterin, eher den einer Bodybuilderin oder Tänzerin. Sie war eine wunderbare Frau. Nicht nur das, sie war eine perfekte Athletin und sehr intelligent. Am Albany State College war sie zweimal All American Basketballerin gewesen und hatte als Beste ihres Jahrgangs abgeschlossen. Joy hingegen wies den perfekten Körper für Powerlifting auf. Es dauerte nicht lange und ich hatte sie soweit: Joy willigte ein, es mit diesem harten Sport zu versuchen. In den kommenden vier Monaten trainierten wir hart. Pee Wee war oft dabei, doch sie konzentrierte sich auf Bodybuilding. Bei ihrem ersten Wettbewerb, einer kleinen, lokalen Veranstaltung des Colleges in Albany, war Joy die unbestrittene Attraktion. Sie trat als einzige Frau gegen Männer an und schlug sich nicht schlecht. Der Veranstalter dieser Meisterschaft war von Joy hellauf begeistert. Er lud Joy und mich zu einem PowerliftingWettbewerb ein, der im kommenden Monat in Albany stattfinden sollte. Dort sollten auch verschiedene Frauen an den Start gehen. Jim Mortimer versprach mir, sollte Joy wirklich Rekorde brechen, würde ihr auch offizielle Anerkennung zuteil werden. Als wir dann vier Wochen später die Wettkampfhalle betraten, wurde Joy gleich von Vertretern der Medien umringt. Sie waren alle nur aus einem Grund gekommen - um die „Superfrau” aus Albany zu erleben. Joy war die Sensation, obwohl sie noch nie bei einem größeren Wettkampf gestartet war. Als sie dann an der Reihe war, enttäuschte sie niemanden. Sie trat in der 132-Pfund-Klasse an. Dort brach sie den Weltrekord im Kreuzheben gleich dreimal und schloß mit 325 Pfund ab. Sie stellte auch das bestehende Total für Frauen ein, indem sie es in allen drei Übungen auf eine Gesamtleistung von 710 Pfund brachte. Am meisten beeindruckte mich aber, wie Joy sich auf dieser Meisterschaft verhielt: Sie ging mit den Medien um wie ein Profi, und sie hob das Eisen wie ein alter Veteran. Auch für mich war es ein guter Tag. Ich schaffte 475 Pfund in der Kniebeuge, 510 im Kreuzheben und 285 auf der Bank und stellte mit einer Summe von 1270 Pfund eine neue persönliche Bestleistung auf. Pee Wee war weder von Joy’s noch von meinem Abschneiden sonderlich beeindruckt. Sie wollte uns zwar weiterhin bei Wettkämpfen helfen, aber sie selbst schien keine Ambitionen zu haben, irgendwann selbst einmal an einem teilzunehmen.
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Ich will die Beste der Welt sein Die nächsten drei Wettkämpfe, an denen Joy und ich teilnahmen, liefen beinahe genauso ab. Joy brach ein paar Weltrekorde, die Medien vergötterten sie und ich kämpfte mit meinem persönlichen Rekord. Pee Wee war immer dabei, half uns, wo sie konnte, nahm aber nie teil. Das machte mir ganz schön zu schaffen, denn Pee Wee war mittlerweile fast ebensogut wie Joy. Sie hätte ohne Schwierigkeiten den Weltrekord für Kniebeugen in der 123-Pfund-Klasse gebrochen; ihr Powerlifting-Total lag gut 50 Pfund über dem höchsten Ergebnis, das je in ihrer Klasse registriert wurde. Aber egal was Joy und ich auch versuchten, Pee Wee beharrte auf ihrem Entschluß, keine Wettkämpfe zu bestreiten. Für Joy hingegen wurde Powerlifting zum Lebensinhalt. Wenn sie gerade nicht an einem Wettkampf war, war sie bei mir, um über Powerlifting zu reden oder sich mit meiner Ausrüstung auf den nächsten Wettkampf vorzubereiten. Sie hatte ihr Ziel vor Augen - sie wollte die Beste der Welt werden.
Bürgermeister McCheese, Ronald McDonald und Eugene Caruso Um ihren Anspruch auf den Titel der „stärksten Frau der Welt” in der 132-Pfund-Klasse zu legitimieren, mußte Joy an den A.A.U. Women`s National Powerlifting Championships teilnehmen und natürlich gewinnen. In diesem Jahr fanden die Women`s Nationals in Nashua, New Hampshire, statt. Obwohl ich voll hinter Joy’s Plänen stand, war mir noch nicht ganz klar, wie wir von Albany nach Nashua kommen sollten, ohne daß es uns ein kleines Vermögen kostete. Aber wir fanden einen Weg, dank Bürgermeister McCheese und Ronald McDonald. Richtig gehört, die netten Leute von McDonalds, oder besser gesagt, Eugene Caruso, der Manager des McDonalds in Albany, erklärte sich bereit, uns die Reise zu finanzieren. Wie dem auch sei, wir hatten den Willen und nun hatten wir auch den Weg gefunden.
Die Todds Ungefähr einen Monat vor den Women`s Nationals besuchten Joy und ich Dr. Terry Todd und seine Frau Jan. Terry war nach Auburn, Alabama, umgezogen, um zusammen mit Dr. Tom McLaughlin die Auburn Research Strength Clinic zu leiten. Dieses Labor hatte angeblich den größten Erfahrungsschatz der Welt gesammelt und galt als die Einrichtung für Kraftsportler. Ich hatte gehört, daß sie eigene Untersuchungen zur Kraftentwicklung anstellten und über eine perfekte Ausrüstung verfügten. Das alles klang wie eine Story über einen Nachfolger der Kansas City Royals Baseball Academy, nur daß es diesmal um Kraft ging, nicht um Baseball. Ich hoffte, dort zu lernen, wie Joy und ich unsere Wettkampfleistungen noch verbessern konnten. Gleichzeitig hatte ich aber etwas Angst vor dem Zusammentreffen von Joy und Jan. Zu dieser Zeit galt Jan nämlich als „stärkste Frau der Welt”. Ich glaubte, daß es eine Riesenmotivation für Joy sein müsse, mit Jan zusammenzutreffen und zu trainieren. Andererseits bestand natürlich die Möglichkeit, daß sich beide Frauen als erbitterte Konkurrentinnen betrachteten und nicht miteinander auskamen. In Auburn trafen wir uns sofort mit Terry am Research Center, und er führte uns herum. Um ehrlich zu sein, ich war erstaunt. Hier wurde nichts von größerer Bedeutung gemacht. Was Untersuchungen anging, war die Akademie diesem Betrieb hier Lichtjahre voraus gewesen. 86
Es war eine große Enttäuschung für mich. Aber von Jan Todd war ich nicht enttäuscht. Ebenso wie Terry war sie ein sehr umgänglicher Mensch. Und wie ich insgeheim gehofft hatte, verstand sie sich auf Anhieb mit Joy und sie beschlossen, gleich zusammen zu trainieren. Ich glaube, daß sie beide gleichermaßen voneinander beeindruckt waren. Nach dem Training luden uns die Todds zum Essen ein. Während dieses Abendessens erzählten sie uns von einer Frau aus Florida, Rebecca Janbear, die sich darauf vorbereitet hatte, auf den Women`s Nationals eine Riesenmenge Eisen zu stemmen. Sie war für die 132Pfund-Klasse gemeldet und Jan hielt sie für unschlagbar. Sie glaubte, das Joy eine viel größere Chance habe, wenn sie in der 148-Pfund-Klasse starten würde. Wir haben uns über eine Stunde lang darüber unterhalten. Auf dem Nachhauseweg teilte mir Joy mit, daß sie Jans Rat annehmen wollte. Ich enthielt mich einer Stellungnahme. Ich wußte ehrlich gesagt nicht, was ich an ihrer Stelle getan hätte. Nach dem, was die Todds erzählt hatten, hätte Joy in der 132er Klasse keine Chance, aber in der 148er war sie nur ein Fliegengewicht. Doch wenn Joy eine Entscheidung getroffen hatte, war die Sache gelaufen. Wir haben nie mehr darüber diskutiert. Die nächsten drei Wochen trainierte Joy unglaublich hart. Ich habe noch nie eine Frau so hart trainieren gesehen. Sie stemmte nicht nur eine Unmenge Eisen, sondern verbrachte auch viel Zeit mit Hypnose und Biofeedback. Eigentlich verbrachte sie mehr Zeit in meinem Haus als ich. Als die Nationals vor der Tür standen, war Joy körperlich und geistig voll vorbereitet.
Die Nationals In Nashua angekommen, holte uns Joe Zarella, Präsident der Powerliftingabteilung der A.A.U., am Flughafen ab. Ich hatte schon viel über ihn gehört, war ihm aber noch nie begegnet. Als ich ihn sah, traute ich meinen Augen kaum. Ich weiß nicht so recht, was ich erwartet hatte, aber sicher nicht das, was ich nun zu sehen bekam. Joe Zarella trug ein ausgeblichenes Flanellhemd, zwei Nummern zu große Jeans und ein Paar ConverseSportschuhe. Seine Haare sahen aus, als hätte er sie in den letzten sechs Monaten weder gekämmt noch gewaschen, und er hatte gut und gern 70 Pfund Übergewicht. Zudem machte er den Eindruck, als hätte er in den letzten vier Wochen nicht einmal geschlafen. Er schien todmüde. Aber trotzdem war er gekommen, um uns vom Flughafen abzuholen. Als wir in seinen alten Pick-Up einstiegen, schwang sich Zarella auf den Fahrersitz, während wir unser Gepäck auf die Ladefläche warfen. Als wir in die Kabine einstiegen, war Zarella schon fest eingeschlafen. Sein Kopf ruhte auf dem Lenkrad und er sabberte einen langen Speichelfaden auf seine Jeans. Joy und ich sahen uns wortlos an und warteten ein oder zwei Minuten ab. Dann plötzlich schoß Zarellas Kopf hoch. Ohne ein Wort zu sagen, startete er den Wagen und fuhr uns zum Hotel. Am nächsten Morgen war er so freundlich, uns wieder abzuholen. Diesmal trug er ein weißes T-Shirt mit einem dunklen Fettrand um den Kragen, blaue Hochwasserhosen, weiße Socken und braune Schuhe. Eines war gewiß: Joe Zarella war nicht gerade der bestangezogenste Mann Amerikas. Aber ich brauchte nicht lange, um herauszufinden, daß er trotzdem einer der besten Männer Amerikas war. Je mehr ich um ihn herum war, desto besser konnte ich ihn leiden. Er war einfach ein toller Kerl. Und sollte er jemals Don Crasses Buch „Dressed for Success” (etwa: „Die richtige Kleidung für Erfolgsmenschen”) lesen, würde ihn wirklich nichts mehr aufhalten können. 87
Vor Beginn der Veranstaltung zeigte die Waage für Joy 144 Pfund an. Ich war überrascht. Ich hatte nicht gedacht, daß sie soviel hätte zulegen können. Dabei hatte sie nicht ein Gramm Fett am Körper, alles war reine Muskelmasse. Joy hatte hart gearbeitet und das zeigte sich jetzt. Vor den ersten Lifts lief ich in der Halle herum, um Rebecca Janbear zu finden. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, was es mit dieser Wunder-Frau auf sich hatte. Als ich sie fand, wußte ich sofort, daß wir einen Fehler gemacht hatten. Es gab eigentlich keine Chance für Rebecca, Joy zu schlagen. Joy war muskulöser und brachte bessere anatomische Voraussetzungen für diesen Sport mit. So wie die Dinge dann liefen, sollte ich recht behalten. Janbear siegte noch nicht einmal in der 132-Pfund-Klasse. Sie wurde gerade mal dritte. Aber sogar die Erste blieb 60 Pfund unter Joy’s Bestleistung in dieser Klasse. Um die Pechsträhne vollkommen zu machen, war die 148-Pfund-Klasse bei diesem Treffen diejenige mit der besten Besetzung. Zuerst einmal war da Maureen Buck, die ihren Titel als amtierender National Champion verteidigte. Von ihr sagte man, daß sie im Kreuzheben bis zu 450 Pfund schaffen könnte. Überdies hatte sich Cathy Lind, bis dahin in der 132-Pfund-Klasse, ebenfalls für die 148er gemeldet, und auch World Champion Terry Ptomey war von der 165-Pfund-Klasse in die 148er gegangen. Eigentlich hätte sich Joy über die verfahrene Situation aufregen müssen. Falls sie es tat, merkte man es ihr jedenfalls nicht an. Sie verhielt sich wie ein wahrer Champion. Obwohl sie „nur” zweite hinter Ptomey wurde, konnte sie am Ende von neun Versuchen acht gültige vorweisen und schloß mit einem Weltrekord im Kreuzheben - 385 Pfund. Nach dem Wettkampf war Joy überglücklich. Zumindest so glücklich wie ein Athlet, der trotz widriger Umstände doch noch den zweiten Platz belegt hatte. Als wir wieder in Albany waren, teilte Joy mir mit, daß sie ein paar Tage pausieren wollte. Das war das letzte Mal, daß ich sie gesehen habe. Niemand weiß, was aus ihr geworden ist, nicht einmal Pee Wee. Es war gerade so, als wäre sie vom Erdboden verschluckt worden. Das Powerlifting hatte eine Ausnahmeathletin verloren und ich, viel schlimmer, eine gute Freundin. Ich weiß, daß Joy irgendeinen Grund für ihr Verschwinden gehabt haben muß, doch welchen, habe ich bis heute nicht herausgefunden.
Der König und ich Mein nächster großer Wettkampf sollten die All-Star Powerlifting Championships in Portal, Georgia sein. Auf diesem Treffen würde auch der selbsternannte „Südstaatenkönig des Powerliftings” antreten, Chris Carter. Obwohl ich es nur ungern zugebe, hatte sein Anspruch durchaus eine gewisse Berechtigung. Mit stahlharten 220 Pfund Körpergewicht drückte Carter 460 Pfund auf der Bank und beim Kreuzheben kam er weit in die 600er. Zu dieser Zeit hörte man nicht oft von derartigen Leistungen. Selbst die Superschwergewichte taten sich mit so schwerem Eisen nicht eben leicht. Was Carter aber in die Schlagzeilen brachte, waren weniger seine Leistungen, sondern vor allem sein Mundwerk. Er ging es stets auf die Cassius Clay-Art an - es war bei jedem Treffen das Gleiche. „Ich bin der Beste... Ich trete Dir in den Ar...! ... Zeigt Euch nur - ich bin der Größte!... Niemand ist besser als der Beste, und das bin ich!...” und so weiter. Der Mann hielt nie den Mund. Er war etwa so sympathisch wie ein Nagel, der über eine Kreidetafel kratzt. Neben seinen bemerkenswerten Leistungen und seiner großen Klappe fiel noch etwas an ihm auf: Er war mit Abstand der häßlichste Mensch, den ich je gesehen habe. Ich meine damit, er 88
war wirklich häßlich! Er sah von einem bis zum nächsten Wettkampf nicht einmal eine Duschkabine von innen und trug immer die gleichen Jeans und T-Shirts. Seine Haare waren ungepflegt und seine Zähne verfaulten stinkend im Mund. Sein Gesicht war derart vernarbt, daß man denken konnte, es hätte schon einmal in Flammen gestanden und wäre dann mit einem Eispickel gelöscht worden. Chris Carter war wirklich nicht wie alle anderen! Schon beim Wiegen verfiel Carter in seine Routine. Er brüllte herum und beleidigte jeden, der ihm über den Weg lief, sogar die Kampfrichter blieben von seinen Ausbrüchen nicht verschont. Das Sonderbare dabei war, obwohl jeder wußte, daß er nur provozieren wollte, schaffte er genau das immer wieder. Sobald er loslegte, wurde jeder in seiner Umgebung buchstäblich verrückt. Egal ob er gegen jemanden antreten mußte oder nicht, Carter wollte einfach alle psychisch fertigmachen. Normalerweise ignorierte ich ihn einfach; meistens verdrückte ich mich eilig in eine stille Ecke. Aber diesmal ließ er mich nicht so leicht davonkommen. Er verfolgte mich durch die gesamte Halle und erzählte ununterbrochen, wie toll er sei und wie schlecht ich wäre. Nach einer Viertelstunde hielt ich es dann nicht mehr aus. Ich drehte mich zu ihm um und erzählte ihm in unmißverständlichen Worten, was für eine Plage er für alle darstellte. Ich muß wohl einen wunden Punkt berührt haben, als ich ihn schließlich „200 Pfund lebender Gehirnschaden” nannte, jedenfalls geriet er in Wut. Fünf andere Powerlifter mußten ihn festhalten, sonst hätte er mich in der Luft zerrissen. Als ich sicher war, daß sie ihn im Griff hatten, startete ich meinerseits eine kleine Psycho-Attacke: „Du bist wirklich ein Nichts, Carter. Laßt ihn einfach los, und ich zerreiße das Großmaul in kleine Stücke.” Carters bohrender Blick senkte sich tief in meine Augen und er sagte gefährlich leise: „Biasiotto, wenn die Jungs mich loslassen, töte ich Dich in Sekundenschnelle...” Ich starb fast vor Angst. Ich meine, dieser Typ war echt verrückt. Es war ihm wirklich ernst! Gott sei Dank kam Tony Aster gerade vorbei, der Veranstalter des Wettkampfs und rettete mich, indem er drohte, uns beide rauszuwerfen, wenn wir uns nicht zusammenreißen würden. Carter stemmte offensichtlich lieber Gewichte, als Leichtgewichte zu töten. Also ließ er mich in Ruhe. Alles in allem hatte ich einen guten Tag. Ich schaffte insgesamt 1270 Pfund und wurde als bester Powerlifter ausgezeichnet. Nach dem Treffen ging ich direkt zum Auto und wartete dort auf Ben. Ich zog mich noch nicht einmal um. Um ehrlich zu sein, wollte ich Carter keine Chance geben, sein Versprechen wahr zu machen. Ich wollte nur noch, daß mich Ben so schnell wie möglich aus dieser Stadt herausbrachte. Ich konnte erst wieder ruhig atmen, als wir etwa 20 Meilen hinter uns gebracht hatten. Da verlangte plötzlich Mutter Natur ihren Tribut - ich mußte zur Toilette. Aber Ben hielt nicht an. Erst als ich etwa zwanzig Minuten gequengelt hatte, fuhr er eine Raststätte an. Das sollte wohl die Strafe für mein Verhalten beim Wettkampf sein. Ich sprang aus dem Wagen und rannte zur Herrentoilette. Doch die einzige freie Toilette war eine mit Münzeinwurf und ich hatte kein Kleingeld in der Tasche. Ich mußte aber so dringend, daß ich mich entschloß, einfach über die Tür zu klettern. Als mein Oberkörper schon in die Kabine ragte, schaute ich nach unten und sah zu meinem größten Entsetzen den „König” auf dem Thron sitzen. Doch Carter rührte sich nicht: Er sah nur in stummer Verzweiflung zu mir hinauf. Ich glaube, ich habe ihn so erschreckt, daß er sich in die Hosen gemacht hätte, hätte er sie noch angehabt. Allerdings ging es mir nicht besser: Es hätte nicht viel gefehlt, und meine Hosen wären naß gewesen. Offensichtlich dachte Carter aber, ich 89
wäre hinter ihm her. Mit einem gehetzten Ausdruck in den Augen sprang er plötzlich auf und rannte aus der Toilette heraus, die Hosen noch heruntergelassen. Er wischte sich nicht einmal mehr den Hintern ab. Ich hatte gedacht, er würde mich umbringen, doch in Wirklichkeit hatte er Angst vor mir! Vermutlich dachte er, ich wäre der Verrückte - jemand, von dem man sich besser fernhielte. Seit diesem Tag hat er mich in Ruhe gelassen. Ich hatte den König gestürzt!
Kapitel 9 - Bis auf die Knochen Wer ist dieser Mann? Mein nächster, größerer Wettkampf waren die Georgia Iron Man Championships, ein Wettbewerb im Bankdrücken und Kreuzheben, der in Sylvester, Georgia, stattfinden sollte. Eigentlich hatte ich an diesem Wettkampf gar nicht teilnehmen wollen. Mein Rücken bereitete mir Probleme und ich hatte beschlossen, mich etwas zu schonen, doch mein Trainer Ben Lockett bestand auf einer Teilnahme. Ich hatte den „Iron Man”-Titel jetzt drei Jahre in Folge gewonnen und Ben wollte die vier vollmachen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß Bens Rolle als Mitveranstalter dieses Wettbewerbs seine Entscheidung beeinflußt hat. Nach langen Diskussionen stimmte ich schließlich zu, aber nur unter der Bedingung, daß ich beim Kreuzheben nur soviel Gewicht auflegen würde, daß mir der Sieg sicher war. Da nur Einwohner des Bundesstaates Georgia an diesem Ereignis teilnehmen durften, rechnete ich nicht mit großer Konkurrenz. Mike Lively, mein ärgster Konkurrent in der 132-Pfund-Klasse, lag im Bankdrücken fast 50 Pfund hinter mir zurück und im Kreuzheben trennten uns mehr als 80 Pfund. Ein gelungener Versuch mit 400 Pfund würde also ausreichen, um in meiner Klasse zu gewinnen. So wie sich mein Rücken anfühlte, war ich an einem Gesamtsieg weniger interessiert. Aber es lief nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Zuerst einmal hatten sich ungefähr 100 Powerlifter für den Wettbewerb gemeldet. Die Veranstaltung würde also mindestens den ganzen Tag und die halbe Nacht dauern. Was mich allerdings mehr störte, war ein kleiner schwarzer Herkules namens Marvin „Iron” Simmons. Ich schwöre, der Typ sah aus, als könne er ein Haus stemmen. Ich habe in meiner Laufbahn noch keinen 132-Pfünder mit mehr Muskelmasse gesehen, Joe Bradley und Victor „Shorty Bear” Williams eingeschlossen. Er war wirklich unglaublich. Ich hätte sein Körpergewicht eher auf 160 Pfund oder mehr geschätzt. So merkwürdig es auch klingt, aber ich hatte noch nie von ihm gehört, obwohl er nur eine Meile von Albany entfernt wohnte. Ich weiß nicht, warum sich unsere Wege nicht schon früher gekreuzt haben. Scheinbar kannte ihn auch niemand aus Albany. Nach Bens Worten war er noch nie in einem Wettkampf angetreten, doch seine imposante Erscheinung und der Spitzname „Iron” ließen keinen Zweifel daran, daß er ein Problem für mich werden würde. Mit dieser Einschätzung sollte ich recht behalten. Nach dem Bankdrücken mußte ich feststellen, daß ich fünf Pfund zurücklag. Um das Ganze noch schlimmer zu machen, eröffnete Iron das Kreuzheben mit 475 Pfund. Das hieß, daß ich mit 485 Pfund starten mußte, nicht nur, weil er bereits fünf Pfund Vorsprung hatte, er war auch noch ein Viertelpfund leichter als ich. Zu jener Zeit lag mein Maximum im Kreuzheben bei 490 Pfund - dieses Gewicht hatte ich allerdings ohne Rückenprobleme gehoben. Die Geschichte entwickelte sich langsam zum Alptraum. 90
Nun, wir führten unsere ersten Versuche durch, aber beiden fielen sie nicht leicht. Dann ging Iron auf 495 Pfund herauf. Ich glaubte eigentlich nicht, daß er es schaffen würde. Er hatte sich bei 475 schon mächtig anstrengen müssen. Aber ich lag falsch. Er hatte seine liebe Mühe, doch er schaffte es. Nun mußte ich 505 Pfund angehen, 15 Pfund mehr, als ich jemals zuvor gehoben hatte. Und nicht nur das, ich mußte sie auch noch mit einem verletzten Rücken heben. Aus psychologischer Sicht hatte ich mit einem Riesennachteil zu kämpfen. Ich glaube nämlich, daß ein enormer Unterschied besteht zwischen dem Vorhaben, einen Versuch zu gewinnen und dem, einen Versuch nicht zu verlieren. Ein Powerlifter, der gewinnen will, setzt normalerweise alles ein. Er ist zuversichtlich, enthusiastisch und aggressiv. Einer, der nur nicht verlieren will, ist dagegen vorsichtig und geht auf „Nummer Sicher”. Man kann es auch so ausdrücken: Jemand, der siegen will, kann alles gewinnen und nichts verlieren, doch jemand, der nicht verlieren will, kann alles verlieren und nichts gewinnen. Iron wollte gewinnen; ich wollte lediglich nicht unterliegen. In der Regel half mir in solchen Situationen mein mentales Training. So war es auch diesmal. Denn ungeachtet meiner körperlichen Verfassung war ich mental in Topform. Ich begegnete der Herausforderung mit einer Bestleistung. Ich bin der Meinung, daß es im Leben eines jeden Menschen einen Zeitpunkt gibt, wo er über sich selbst hinauswächst, in einem Maße, wie er es sich zuvor nicht vorstellen konnte. Für mich war dieser Moment jetzt gekommen. Ich langte hinunter und begann zu ziehen. Ich konnte meine Rückenmuskeln förmlich ächzen hören, aber ich zog weiter. Der Versuch dauerte gut fünf Sekunden und ich hatte Höllenschmerzen, aber ich schaffte es. Dieser gelungene Versuch im Kreuzheben war wohl die größte sportliche Leistung meines Lebens. Ich siegte mit knappen fünf Pfund Vorsprung und gewann für meine Anstrengung nicht nur den Titel in meiner Klasse, sondern auch den „Iron Man”-Pokal - zum vierten Mal in Folge.
Der gute Doktor Ein paar Tage später fühlte ich mich eigentlich wohl, hatte aber ein ungutes Gefühl im unteren Rücken. Ich trainierte wieder, doch nur mit leichten Gewichten. Nach einem Monat leichten Trainings waren die Schmerzen noch immer nicht verschwunden. Ben riet mir, einen Chiropraktiker aufzusuchen. Ich hatte allerdings meine Zweifel, was Chiropraktiker betraf. Wenn sich ein Knochen verschiebt, verkrampft sich das umliegende Muskelgewebe, damit weiterer Schaden vermieden wird. Die Idee, daß jemand den verschobenen Knochen wieder in seine alte Lage bringen und dabei eventuell das verkrampfte Gewebe beschädigen würde, erschien mir nicht gerade als optimale Lösung meines Problems. Außerdem schien es mir nur logisch, daß der Knochen, wenn man ihn auf dem gleichen Weg, den er genommen hatte, wieder relokalisierte, eine Art Pfad schaffen würde. Da der Knochen dann nur noch von beschädigtem Gewebe gehalten würde, könnte er sich leicht wieder verschieben und ich hätte ein chronisches Problem. Ich bin mir heute noch nicht sicher, ob diese Theorie zutrifft. Nun, ich hatte jedenfalls meine Bedenken mit Chiropraktikern. Aber alle Athleten in meinem Studio schworen auf diesen speziellen Chiropraktiker, Dr. Tyson; weil mein Rücken einfach nicht besser wurde, beschloß ich, ihn aufzusuchen. Als ich seine Praxis betrat, traute ich meinen Augen nicht. Die Räume waren schmutziger als Hodges’ Garage und Fred’s Keller zusammen. Überall lagen Zeitungen und Zeitschriften herum, Spinnweben hingen von der Decke und der Boden war mit einem ganzen Sortiment von Käfern übersät - die meisten allerdings tot. Die Wände seiner Praxis waren papierdünn, 91
so konnte er sich eine Sekretärin sparen. Er rief einfach aus seiner Praxis heraus: „Wer ist da? Setzen Sie sich, und fühlen Sie sich wie zu Hause. Sie sind gleich an der Reihe!” Einige der Zeitschriften, die da so herumlagen, waren wirkliche Sammlerstücke. Es gab einen „Reader’s Digest” von 1920, von dem ich erst den Staub abwischen mußte, um darin blättern zu können, einige Ausgaben des längst eingestellten „Look”-Magazins und eine lokale Tageszeitung, den „Albany Herald” aus dem Jahre 1954. Als die Reihe an mir war, rief Dr. Tyson meinen Namen und forderte mich auf, einzutreten. Als ich ihn sah, wäre ich beinahe der Länge nach hingefallen. Er war die Verkörperung des Methusalem und schien mindestens 2000 Jahre alt. Er trug ein weißes Hemd mit einer schmalen, schwarzen Krawatte. Seine Hosen waren ebenfalls schwarz und etwa zwei Nummern zu kurz. So entblößten sie weiße Socken, die in abgetretenen, braunen Schlappen steckten. Er war wirklich ein Unikum. Aber er verlor keine Zeit. „Wo drückt der Schuh, mein Sohn?” fragte er wohlwollend. „Tja, es ist so, ich bin Powerlifter, und ich habe mir den unteren Rücken vor etwa einem Monat beim Kreuzheben verletzt. Obwohl die Verletzung eigentlich verheilt sein müßte, habe ich immer noch Schmerzen, wenn ich schwere Gewichte hebe.” „Nun, mein Sohn, ich glaube, Du befolgst besser Dr. Archie Campbells Rat.” „Was für ein Rat ist das, Doc?” „Wenn du etwas aufhebst, und es tut weh, heb es einfach nicht auf.” „Das mag ja für manche Menschen ganz o.k. sein, aber ich bin Sportler und muß manchmal Dinge tun, die Schmerzen verursachen.” „Nun, Dr. Campbell würde das gar nicht gefallen.” „Doc, wer ist eigentlich Dr. Campbell?” „Du kennst ihn bestimmt: Dr. Archie Campbell aus der TV-Serie 'Hee Haw'.” „Oh, mein Gott.” „Bist Du schwer verletzt, mein Sohn? Nun, zieh’ bitte Dein Hemd und Deine Hose aus, und ich werde mich um Dich kümmern, sobald ich den Patienten im anderen Zimmer verarztet habe.” Nachdem ich mich ausgezogen hatte, stand ich in Unterhosen in der Mitte des Raumes und wartete. Doch Dr. Tyson am nicht zurück. Gerade als ich beschlossen hatte, mich wieder anzuziehen, schwang plötzlich die Tür zum Nebenraum auf und ich sah mich einer gut fünfzigjährigen Frau in rotem BH und einem scharfen Slip gegenüber. Sie war von meinem Anblick mindestens ebenso peinlich berührt wie ich von ihrem. Sprachlos standen wir beide da, während der gute Dr. Tyson die Tür aufhielt, etwas aus „Hee Haw” brabbelte und sich unseres Dilemmas nicht im geringsten bewußt war. Nachdem er etwa 30 Sekunden geplaudert hatte, die mir wie eine Stunde erschienen, winkte er der Dame ein „Goodbye” und schloß die Tür. „O.K. Sohn, dreh’ Dich um und zeig mal Deinen Rücken... Da ist es ja... Ich sehe Dein Problem. Nichts Großes, nur eine kleine Verschiebung. Die rechte Hüfte steht etwas zu hoch. Ein paar kleine Eingriffe und Du fühlst Dich wie neugeboren. Zuerst werden wir Dich ein wenig lockern. Steig’ bitte auf den Tisch dort in der Ecke und leg’ Dich auf den Rücken.” Der Tisch hatte eine Öffnung in der Mitte. In dieser Öffnung lag ein motorgetriebener Roller, der den unteren Rücken massierte. Der Tisch sah genauso aus wie der Rest der Praxis. Alles nur Vorstellbare lag auf ihm herum - Papiere, Werkzeuge, Bücher, sogar ein Tuch, das er offensichtlich benutzte, um verschiedene Salben aufzutragen. „Schmeiß’ einfach den ganzen Kram herunter und leg Dich so hin, daß die Maschine gut an Deinen Rücken kommt.” Achselzuckend schob ich alles aus dem Weg und legte mich hin. Sobald ich ausgestreckt lag, fühlte ich irgend etwas in meinem Rücken. Ich dachte zuerst, es wäre eine von den Zeitschriften. Da die Maschine aber bereits anlief, beschloß ich, es zu ignorieren. Doch als die
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Maschine auf vollen Touren drehte, begann es mich wirklich zu stören. Also rief ich nach dem Doktor. „Nun, da wollen wir mal sehen. Verdammt! Oh verdammt, verdammt! Nichts Ernstes, mein Sohn, nur mein Thunfisch-Sandwich. Das habe ich schon den ganzen Tag gesucht...” „Oh mein Gott!” „Du bist wirklich schwer verletzt, nicht wahr, mein Sohn?” Ich weiß, es ist kaum zu glauben, aber nach Dr. Tysons Behandlung fühlte sich mein Rücken wieder gut an. Nicht nur das, er berechnete mir auch nur unglaubliche fünf Dollar für die einstündige Behandlung. Als ich ihm erzählte, daß mein Rücken nun wieder in Ordnung sei und wie sehr mir seine Methode gefiel, erzählte er mir ein kleines Geheimnis. Ich wünschte mir, er hätte es nicht getan. „Weißt Du, ich mache das jetzt seit 33 Jahren und ich kann behaupten, mit Erfolg. Ja, Sir, wirklich erfolgreich. Aber, ganz im Vertrauen, ich bin eigentlich gar kein Chiropraktiker. Nein, Sir, ich bin ein Pferdedoktor... Du weißt schon, ein Veterinär. Aber für einen Pferdedoktor gibt es hier nichts zu verdienen. Außerdem mag ich Menschen eigentlich lieber als Pferde...” „Oh mein Gott!” „Habe ich Dir geholfen oder nicht?”
Die schlechten Ärzte Unglücklicherweise war meine Heilung nicht von langer Dauer. Schon am nächsten Tag hatte ich wieder Schmerzen. Sie waren zu ertragen, doch sie waren da. Innerhalb weniger Tage wurde es dann schlimmer. Ich beschloß, diesmal zu einem „richtigen” Arzt zu gehen. Natürlich kannte jeder im Studio den besten Arzt der Stadt, doch nicht zwei Leute waren einer Meinung. Jeder nannte mir einen anderen Namen. Also tat ich das, was ich für das Sinnvollste hielt; ich wählte einen aus dem Telefonbuch. Eigentlich konnte nichts schiefgehen, da es in der Stadt offensichtlich nur Spitzenkräfte gab. Es ist schon amüsant, wie sich jeder einredet, er kenne den besten Arzt. Ich glaube, manche Menschen machen sozialen Status und Intelligenz an ihrem Arzt fest. Ich jedenfalls hatte Dr. Edward Flowers aus dem Telefonbuch gezogen. Ich vermutete schon, er hätte Probleme, Patienten zu finden, weil ich noch am selben Tag einen Termin bekam. Damit lag ich aber gründlich falsch. Als ich in sein Wartezimmer kam, hatte sich dort halb Georgia versammelt. Ich mußte gute drei Stunden warten, bevor ich aufgerufen wurde. Im Behandlungszimmer bemerkte ich zu meinem größten Erstaunen, daß mir ein Extra-Bonus zuteil werden sollte: Der Doktor würde mich nicht allein untersuchen. Er hatte seine vierzehnjährige Nichte mitgebracht, damit sie einmal sehen konnte, wie ein richtiger Doktor arbeitet. „Was ist Ihr Problem, Jim?” „Ich heiße Judd.” „Oh. Was ist Ihr Problem, Judd?” Nachdem ich ihm von meinen Sorgen erzählt hatte, ließ er mich erst auf Zehenspitzen, dann auf den Hacken durch die Praxis laufen. Danach mußte ich mich auf den Rücken legen und er zog zuerst mein rechtes, dann mein linkes Bein hoch zum Kopf. „Du bist kerngesund. Nur ein kleiner Muskelkrampf. Ich werde Dir Zomax verschreiben.” „Aber es fühlt sich nicht an wie ein Muskelkrampf”, protestierte ich. „Das liegt daran, daß er chronisch ist.” Ich habe nie genau verstanden, was diese Erklärung mit meinem Zustand zu tun hatte. Ich glaube, es war eine Art esoterischer Information, die nur „echte” Doktoren entschlüsseln können. „Wie auch immer, Doktor, aber was ist Zomax?” fragte ich. Ich weiß, es klingt unglaublich, aber er wußte es nicht. Auch seine Nichte konnte ihm nicht helfen. Ich wollte ihn schon bitten, es nachzuschlagen, aber ich vermutete, ihm fehlte die Zeit dafür. Er verschrieb es mir sowieso
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gerade. Außerdem sagte er mir, ich könne weiter Gewichte heben. Das machte mich froh. Scheinbar war Dr. Flowers doch ein guter Arzt. Als ich das Rezept einlöste, ließ ich mir vom Apotheker erklären, was das Medikament enthielt. Es war ein Beruhigungsmittel, mit einem leichten Schmerzmittel kombiniert. Es schien ungefährlich zu sein, also nahm ich es ein. Was für ein Fehler! Innerhalb einer Stunde wurde ich wirklich krank. Ich rief Dr. Flowers an und erklärte seiner Sprechstundenhilfe, was mir fehlte. Sie ging Dr. Flowers suchen. Ich wartete eine halbe Ewigkeit. Als sie ans Telefon zurückkehrte, sagte sie nur: „Der Doktor möchte wissen, ob Sie sich ein spezielles Medikament wünschen?” Hektisch sagte ich: „Ja, Valium.” Bevor ich wußte, wie mir geschah, hatte sie den Hörer wieder abgelegt. Doch schon nach 10 Minuten hörte ich ihre gelangweilte Stimme wieder. Sie teilte mir mit, daß der Doktor mit der Apotheke telefoniert hätte und man mir das Medikament dort aushändigen würde. Ich war erleichtert. Wenigstens würde es mir damit nicht noch schlechter gehen.
In alter Frische Nachdem die kleinen Freudenspender aufgebraucht waren, mußte ich feststellen, daß mein Rücken immer noch schmerzte. Ich machte mir allmählich Sorgen. Ich war jetzt schon über einen Monat verletzt, und es schien eher schlimmer zu werden als besser. Ich hatte mir einen Wettkampf in Statesboro ausgeguckt, an dem ich gern teilnehmen wollte, also beschloß ich, einen Orthopäden aufzusuchen. Ich wollte endlich einen Spezialisten konsultieren, einen „richtigen” Arzt. Diesmal begleitete mich mein Vater, der gerade zu Besuch war. Er wollte nicht glauben, daß ein Doktor so dämlich sein konnte, mir zu erzählen, daß ich mit einer Verletzung Gewichte heben könne. Er konnte natürlich auch nicht verstehen, daß sein Sohn dämlich genug war, diesen Rat zu befolgen. Nun, mein Vater hatte seine eigene Meinung über Ärzte. Ich glaube, sie stammt noch aus der Zeit, in der er mit einer Schulterverletzung bei einem Orthopäden in Behandlung war. Nachdem dieser sich die Schulter meines Vaters einige Sekunden angesehen hatte, sagte er, daß man da nichts tun könne. „Es liegt nun bei Gott.” Das genau waren seine Worte. Dann forderte er 50 Dollar für die Visite. Mein Vater mußte sich wirklich beherrschen, ihm nicht den Hals herumzudrehen. Doch er bewahrte Ruhe. Statt dessen schickte er ihm am folgenden Tag einen Brief, der dem guten Doktor wohl die Sprache verschlagen hat: „Sehr geehrter Dr. Tanner! Da Sie und Gott ganz offensichtlich Partner sind, und weil meine Heilung in seinen Händen liegt, erlaube ich mir, den Scheck über 50 Dollar an Gott zu schicken. Jetzt sind meine Schulter und mein Geld in seinen Händen. Mit freundlichem Gruß, Inny Biasiotto” Bei dem Orthopäden durchlief ich praktisch die gleiche Prozedur - auf den Zehen gehen, auf den Fersen gehen, mal dieses Bein heben, mal jenes. Der einzige Unterschied war, daß ich mich ausziehen mußte; ein kleines Detail, dem Dr. Flowers keine Beachtung geschenkt hatte. Wenn man den Fersen- und Zehen-Test vollständig bekleidet macht, unterstützen die Schuhe die Bewegungen und bedecken die Zehen, deren Haltung Anzeichen für eine ernste Verletzung geben kann. Und in der Tat, meine Zehen rollten sich ein, wenn ich auf den Fersen ging. Das deutete darauf hin, daß ich eher ein neurologisches Problem hatte als einen Muskelkrampf. Der Doktor röntgte mich, und ich meine röntgen - von allen Seiten und in so vielen Stellungen, als wollte er einen Pornofilm mit mir drehen. Nach dem Röntgen brachte er mich 94
zurück in sein Behandlungszimmer. „Judd, ich weiß nicht viel über Powerlifting, aber wenn Du Gewichtheben magst, solltest es Du folgendermaßen ausführen.” Er demonstrierte mir eine lächerliche Kniebeuge, jedenfalls glaube ich, daß es eine sein sollte. Ich dachte, wenn er wirklich nichts über Gewichtheben weiß, warum erzählt er mir das Alles? Doch er fuhr fort mit langen Erklärungen über Kreuzheben und Bankdrücken. Als er endlich den Mund hielt, war ich überzeugt: Er wußte wirklich nichts über Gewichtheben. „Tja, Doc, was ist nun mit meinem Rücken?” „Nichts Ernstes. Nur eine leichte, asymmetrische Verschiebung. Die rechte Hüfte steht etwas zu hoch. Ich gebe Ihnen eine Einlage für Ihren linken Sportschuh, und alles wird wieder in Ordnung sein.” Prima! Ich zahlte 32 Dollar für eine Diagnose, die mir der alte Pferdedoktor für fünf Dollar erstellt hatte. „Nun, Doktor, wie ist es mit dem Gewichtheben? Kann ich weiter powerliften?” „Klar! Tragen Sie nur die Einlage, und innerhalb kürzester Zeit werden Sie sich wie ein neuer Mensch fühlen. Die Einlage richtet Ihre Hüfte aus und nimmt den Druck vom Nerv. Kein Problem.”Mein Vater konnte es nicht glauben, aber ich wußte, der Doktor war ein guter Arzt. Immerhin konnte ich wieder Gewichte heben!
Braxton Als der Statesboro-Wettkampf näher rückte, hatte ich immer noch Rückenschmerzen. Ich hatte schon mehr als einen Monat kein Kreuzheben mehr trainiert und wollte mich daher nur für Bankdrücken und Kniebeugen melden. Vielleicht konnte ich in diesen beiden Disziplinen neue Bundesstaatsrekorde aufstellen und mir das Kreuzheben für ein anderes Mal aufheben. Tatsächlich brach ich den Rekord in der Kniebeuge und verfehlte ihn im Bankdrücken nur knapp. Ich prüfte die Ergebnisse der anderen und stellte fest, daß ich 155 Pfund vor dem nächsten Teilnehmer in meiner Gewichtsklasse lag. So beschloß ich, doch mit leichtem Kreuzheben fortzufahren und den Wettkampf zu gewinnen. Genau das tat ich dann auch. Ich wärmte mich vor dem Kreuzheben noch nicht einmal auf. Ich rechnete mir aus, wieviel Gewicht ich für den Gesamtsieg heben mußte und putschte mich total auf. Als ich mit meinem Versuch an der Reihe war, rannte ich auf die Plattform und zog. Zu meiner Überraschung flog das Gewicht geradezu in die Höhe - ohne Schmerzen. Ich bewegte die Hantel mit solcher Leichtigkeit, daß einige meiner Konkurrenten, die von meiner Verletzung wußten, mich der Schauspielerei bezichtigten. Meine Trainingspartner dagegen hielten die Schmerzen jetzt für psychosomatisch. Ich selbst war mir nun nicht mehr sicher, ob sie nicht vielleicht recht hatten. So wagte ich einen weiteren Versuch. Ich wollte aufs Ganze gehen - den Bundesstaatsrekord im Kreuzheben und die beste Gesamtleistung. Ist es nicht wunderbar, wie man sich von Emotionen beeinflussen läßt? Nach dem ersten, einfachen Versuch war ich sicher, es schaffen zu können. Als die Reihe an mir war, ging ich los und riß das Gewicht vom Boden hoch. Aber der Schmerz war unerträglich. Den Rekord zu brechen war ein Erlebnis, doch glauben Sie mir, ich habe dafür bezahlt. Mein Rücken explodierte geradezu vor Schmerz. Ich verzichtete auf einen dritten Versuch und ging duschen. Ich stand noch keine zwei Minuten unter dem heißen Strahl, als plötzlich ein Schatten den Raum verdunkelte. Chuck Braxton schob seinen massigen Körper in die Naßzelle. Falls Sie noch nichts von Chuck Braxton gehört haben sollten: Er war das menschliche Gegenstück zu Darth Vader. Glauben Sie mir, Braxton war gemeiner als ein Tierheim voll tollwütiger Hunde. Allein durch seinen Anblick konnte er Sterbende zum
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Weiterleben zwingen. Wenn Braxton den Mund aufmachte, hörten die Leute zu - ich war da keine Ausnahme. „Biasiotto, raus aus der Dusche. Du machst den Lift noch Mal. Die Hantel war falsch beladen. Du hast den Rekord nur bestätigt.” „Was? Welches dämliche Ar... hat die Hantel falsch beladen?” „Ich war das dämliche Ar...! Beeil Dich gefälligst!” Welche Wahl hatte ich schon? Ich bedankte mich also bei Mr. Braxton dafür, daß er die Hantel falsch beladen hatte, stieg wieder in meine Kleidung und kehrte auf die Plattform zurück, um noch etwas Spaß zu haben. Mein Rücken brachte mich fast um und ich kann nicht behaupten, mit ganzem Herzen bei der Sache gewesen zu sein, wollte mich Mr. Braxton gegenüber aber nicht als nachtragend erweisen. Ich versuchte mich einzustimmen, aber da war nichts mehr. So brachte ich dann, wenigstens für das Publikum, mein bestes PseudoAufputschen. Ich schnappte mir die Hantel und zog mit allem, was ich hatte, aber das verflixte Ding rührte sich nicht. Als nächstes erinnere ich mich noch an Braxtons Gesicht, direkt vor meinem und seine drohende Aufforderung, ich solle ziehen. Auf einmal bewegte sich die Hantel, langsam erst, unsichtbar für das Publikum, aber sie bewegte sich. Schließlich verließ sie den Boden, und ich zog sie bis zu den Knien hinauf. Der Schmerz schoß durch meinen gesamten Körper, selbst die Fingernägel taten mir weh. Als das Gewicht den unteren Rand meiner Hosen erreichte, stoppte es; ich war am Ende. Ich glaube, ich hätte es vielleicht geschafft, aber Braxton brüllte einfach zuviel, er verbrauchte den gesamten Sauerstoff. Als ich das Gewicht herunterließ, war es totenstill im Saal. Man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können. Braxton brach die Stille zuerst. „O.K., Du kleiner Bastard, Du versuchst es jetzt noch Mal.” Gott sei Dank hatte ich keine weiteren Versuche mehr. Ich war völlig fertig - in jeder Hinsicht. Ich dankte Mr. Braxton nochmals für das falsche Beladen und schlich in die Umkleidekabine.
Endlich ein richtiger Arzt Am nächsten Morgen kam ich kaum aus dem Bett. Mein Rücken schmerzte wie wahnsinnig. Ich rief Dr. Adams an, den Orthopäden, aber er hatte erst in zwei Monaten einen Termin für mich. Als letzte Hoffnung wählte ich die Nummer von Dr. Flowers. Wie ich erwartet hatte, nahm er sich sofort Zeit für mich. Falls man es sofort nennen will, drei Stunden im Wartezimmer zu verbringen. Als ich schließlich vor ihm stand - Sie haben es schon erraten: Ich mußte auf Zehen und Fersen laufen und die Beine anheben. Wieder einmal mußte ich meine Kleidung ablegen und die Schuhe ausziehen. Und wieder einmal bekam ich zu hören, daß mir nichts fehlen würde. Das war der Tropfen, der das Faß... Sie wissen schon. Nach Hause zurückgekehrt, rief ich meinen Schwager an, Charles McBriarty. Er war damals Präsident von Micro Diagnostics, einer Firma, die wissenschaftliche Geräte herstellte und verkaufte. Wenn mir jetzt noch jemand einen guten Arzt empfehlen konnte, dann nur er. Charles enttäuschte mich nicht. Er empfahl mir den besten Orthopäden im ganzen Osten, wenn nicht sogar von ganz Amerika. Sein Name war Dr. Joseph McMahon und seine Praxis lag in Easton, Pennsylvania. Direkt nach dem Gespräch mit Charlie kratzte ich meine letzten Ersparnisse zusammen, kaufte mir ein Flugticket nach Easton und verließ Albany noch am folgenden Tag. Ich war mittlerweile zu der Einsicht gelangt, es wäre billiger und sicherer,
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nach Easton zu fliegen, als mein Geld den „guten” Ärzten in Albany in den Rachen zu werfen. Mein Besuch bei Dr. McMahon stellte mein angeschlagenes Vertrauen in die medizinische Zunft wieder her. Zuerst einmal traf sich Dr. McMahon exakt zum verabredeten Zeitpunkt, um ein Uhr, mit mir. Nicht nur das, als nächstes untersuchte er mich eine geschlagene halbe Stunde. Er brauchte nur zehn weitere Minuten, um mich über meine schwer beschädigte Bandscheibe im Bereich L-4 aufzuklären. Die CAT-Röntgenaufnahme am nächsten Morgen bestätigte seine Diagnose. Dank der „guten” Ärzte in Albany hatte ich mit einer gequetschten Bandscheibe in der Lendenwirbelsäule acht Monate lang schwere Gewichte gehoben. Ich kann nur Spekulieren, welchen Schaden ich meiner Bandscheibe in dieser Zeit zugefügt habe, aber nach dem, was mir die anderen Doktoren in Easton sagten, besteht eine Chance von 95 Prozent, eine beschädigte Bandscheibe zu retten, wenn die Verletzung rechtzeitig diagnostiziert wird. Selbst heute scheint mir die Inkompetenz und Leichtfertigkeit der Ärzte in Albany völlig unverständlich. Sie haben nicht nur meine Karriere als Powerlifter gefährdet, sondern auch meine Gesundheit. Einerlei, eine Woche nach der CAT-Röntgenaufnahme wurde ich ins Easton Hospital eingewiesen, wo ein Myelogramm gemacht wurde. Der Test belegte zweifelsfrei, daß die beschädigte Bandscheibe entfernt werden mußte. Plötzlich war das Gewichtheben gar nicht mehr so wichtig für mich.
Prostataprobleme Mein Zimmergenosse im Easton Hospital war Donny Stickell. Donny, gerade 34 Jahre alt, litt unter fortgeschrittener Arthritis. Falls Sie einmal wieder einen Anfall von Selbstmitleid haben, besuchen Sie doch einfach jemanden, der unter dieser scheußlichen Krankheit leidet. Es ist der pure Horror! Ich werde nie verstehen, was Donny in die Lage versetzte, damit fertigzuwerden. Nachdem ich ihn kennengelernt hatte, empfand ich es als Glück, nur den Rücken aufgeschnitten und eine klitzekleine Bandscheibe herausoperiert zu bekommen. Donny war stark, echt stark. Bei all seinen Problemen schaffte er es, das Lächeln nicht zu verlernen. Im positiven Denken war er wirklich ein Meister, und in den zehn Tagen mit ihm habe ich viel gelernt. Aber ich bin sicher, daß Donny davon nicht viel mitbekam. Ich war noch nicht ganz zehn Minuten im Zimmer, als ich schon begann, ihn auf den Arm zu nehmen. Donny war so geradeheraus. Er fiel auf alles herein. In der Nacht vor der Operation kam eine kleine, alte Frau und machte ein EKG bei mir, wohl, um zu sehen, ob meine alte Pumpe die Operation überstehen würde. Als sie fertig war, erzählte sie mir, daß als nächstes Dr. Hanover kommen würde, um meine Prostata zu untersuchen. Ich geriet sofort in Panik. Wenn ich eines noch mehr haßte als Spritzen, dann war das, wenn mir dicke, kleine Doktoren ihre Wurstfinger soweit in das Rektum bohrten, bis sie meine Prostata fühlen konnten. Also tat ich, was jeder vernünftige Mensch getan hätte ich vertauschte die Namensschilder an unseren Betten. Als Dr. Hanover eintraf, schlief Donny schon fest. Immerhin, ich fühlte mich etwas besser, als ich ihn sah. Er war groß und schlank, mit langen, schmalen Fingern. Ich wußte, daß Donny keine großen Probleme haben würde. „Hi, Leute”, sagte der Doktor. „Ich suche Judson L. Bias...., Bios...” „Ich glaube, Sie meinen Biasiotto, Doktor, wie 'buy a soda'. Er liegt hier neben mir”, sagte ich. Der Doktor wandte sich zu Donny um. „O.K., mein Sohn, Zeit zum Wachwerden. Ich muß mal kurz den Ölstand prüfen.” Donny war so schlaftrunken, er konnte kaum die Augen öffnen. Doch Dr. Hanover 97
und er kamen ganz gut miteinander zurecht. Das Ganze dauerte noch nicht einmal eine Minute. Nachdem der Doktor gegangen war, drehte sich Donny zu mir um, das Gesicht vor Ekel verzerrt und sagte: „Ich hasse das. Zudem war es jetzt schon das zweite Mal in drei Tagen.” „Tja”, sagte ich mit meinem ehrlichsten Gesicht. „Manchen trifft das Glück halt öfter.”
Die Operation Aus meiner Sicht war die Operation ein Kinderspiel. Ich wünschte, ich könnte eine tolle Geschichte erzählen, wieviel Angst ich hatte, oder was für Schmerzen ich ertragen mußte, aber da gibt es nichts zu erzählen. Wenn Sie noch nie operiert worden sind, sollten Sie es wirklich einmal versuchen. Es ist eine Erfahrung. Zuerst wird man mit Barbituraten vollgepumpt - ungefähr 100 Milligramm oder so. Wenn dieses Zeug erst einmal ein paar Minuten durch Ihre Venen kreist, sind Sie bereit für alles. Ich für meinen Teil hätte gern eine Party gefeiert. Leider wollten die Ärzte lieber operieren. Aber ich fühlte mich so gut, daß mich das nicht weiter bekümmerte. Ich glaube, wenn sie vorgeschlagen hätten, mich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen - ich hätte mich auch mit dieser Idee anfreunden können. Wenn Sie dann völlig weggetreten sind, werden Sie in einen kleinen Rollstuhl gesetzt und zum Aufzug gefahren. Die Jungs nehmen natürlich nicht irgendeinen Aufzug, nein, sie finden mit tödlicher Sicherheit den, der mit Besuchern vollgepackt ist. In meinem Aufzug waren mindestens 15 Leute. Ich schätze, daß jeder von ihnen gerade auf dem Nachhauseweg war und sich auf ein Abendessen vor der Glotze freute. Ich hingegen ließ mir erst einmal den Rücken aufschlitzen. Trotzdem war ich der Einzige im Aufzug, auf dessen Gesicht ein zufriedenes Lächeln lag. Drogen sind eben etwas Wundervolles. Als wir dann den OP erreichten, war ich soweit, daß ich die Operation selbst hätte durchführen können. Ich fühlte mich super. Als nächstes erinnere ich mich an sechs Geister in kotzgrünen Pyjamas und Masken, die um mich herumstanden. Einer jagte eine Spritze in meinen rechten Arm und sagte: „Jetzt langsam von 100 an rückwärts zählen.” Ich glaube, ich bin nicht einmal bis 97 gekommen. Der Rest war wie durch eine Türe gehen. Es ging alles sehr schnell, zumindest, soweit es mich betraf. Es schienen nur Sekunden vergangen zu sein, bis ich wieder erwachte. Ich wollte gar nicht glauben, daß die Operation schon vorbei war. Es war die bizarrste Erfahrung meines Lebens. McMahon - der Beste Für Dr. McMahon dauerte die Operation deutlich länger als ein paar Sekunden. Um genau zu sein, sie dauerte drei Stunden und sieben Minuten. Es war doch schwieriger gewesen, als McMahon angenommen hatte. Nachdem er meinen Rücken aufgeschnitten hatte, stellte er fest, daß er von zwei Wirbeln etwas wegmeißeln mußte, um an die Bandscheibe zu gelangen. Als das vollbracht war, stellte sich heraus, daß der Nerv um die Bandscheibe gewickelt war. Also mußte der Nerv wieder abgewickelt werden, bevor er die Bandscheibe entfernen konnte. Das mag sich einfach anhören, aber das ist es beileibe nicht. Ein befreundeter Arzt, der der Operation beiwohnte, erzählte mir später, daß dies die kunstvollste Laminectomie gewesen sei, die er je gesehen habe. Nach dem, was ich von den anderen Ärzten gehört hatte und was ich selbst mitbekommen habe, muß ich sagen, daß Dr. McMahon für mich der Beste seines Fachs ist. Postoperative Analyse Am Tag nach der Operation stattete mir McMahon einen Besuch ab. Aber er brachte keine guten Neuigkeiten. Grundsätzlich sei die Operation ein Erfolg gewesen, sagte er, aber der Schaden an meinem Rücken sei so groß, daß er ein Comeback für sehr unwahrscheinlich halte. Ich war geschockt. Vor der Operation hatte McMahon mir gute Chancen für eine vollständige Genesung prophezeit. Diese Nachricht war beinahe zuviel für 98
mich. Es war nicht so schlimm, daß ich das Powerlifting aufgeben sollte, sondern vielmehr, daß ich alle Ziele, die ich mir gesteckt hatte, nun vergessen konnte. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich war glücklich, bereits soviel in diesem Sport erreicht zu haben, aber ich hatte einfach noch nicht das Gefühl, auf dem Höhepunkt meiner Karriere angelangt zu sein. Ich war ehrlich davon überzeugt, in der 132-Pfund-Klasse 1400 Pfund und als 148er eine 600Pfund-Kniebeuge schaffen zu können. Aber nachdem ich einige Tage darüber nachgedacht hatte, schoben sich die Dinge ins rechte Licht. Powerlifting ist eine Herausforderung, es macht Spaß, es ist aufregend, aber es ist nur ein Sport. Und es ist ein Sport, der gefährlich sein kann. Außerdem bringt es den Beteiligten nur wenig Geld ein. Nebenbei überlegte ich mir, daß selbst wenn ich ein Comeback schaffen würde, müßte ich schließlich doch irgendwann einmal aufhören. Nichts währt ewig. Sogar der große Ali mußte sich damit abfinden. Mir würde es sicher nicht anders gehen. In diesen Tagen wurde mir so langsam klar, daß es in meinem Leben noch andere Dinge als Powerlifting geben sollte. Also suchte ich nach einer Möglichkeit, die Leere auszufüllen, die der geliebte Sport in meinem Leben hinterlassen würde. Ich brauchte nicht lange, um etwas zu finden. In der ersten Woche nach der Entlassung aus der Klinik führte mich mein Onkel, Pater Peter Biasiotto, in die Kunst der Bildhauerei ein. Ich war davon derart begeistert, daß ich mich entschloß, ein Projekt ins Leben zu rufen. Ich hatte die Idee, einen Powerlifter zu formen, der nach seiner Fertigstellung der American Drug Free Powerlifting Association (A.D.F.P.A.) vorgestellt werden sollte. Ich wollte vorschlagen, eine Trophäe für den besten Powerlifter zu stiften, ähnlich dem „Heisman-Preis”. Ich wollte sie „Reno, der Kreuzheber” nennen, in Erinnerung an Dick Reno, der meiner Meinung nach einer der einflußreichsten Leute in unserem Sport war und ist. In den nächsten zehn Wochen arbeitete ich nur noch an diesem Projekt. In dieser Zeit war Training das Letzte, woran ich gedacht hätte. Ich war glücklich mit dem, was ich tat. Schließlich hörten auch die Schmerzen auf. Ich meine nicht den körperlichen Schmerz; ich spreche von dem Schmerz, den ich mit mir herumschleppte, seit ich festgestellt hatte, daß ich es mit den Besten der Welt aufnehmen konnte. Ich weiß nicht, ob es an den Medikamenten lag, die sie mir gaben oder an der Einsicht, daß ich keine Wettkämpfe mehr bestreiten konnte, aber zum ersten Mal im Leben war ich mit meiner Situation zufrieden. Vor meiner Operation hatte ich fast nie ein Training ausfallen lassen, selbst wenn ich vor Schmerzen kaum laufen konnte. Ich war immer bemüht, in Form zu bleiben, den Anschluß nicht zu verlieren, an der Spitze zu bleiben. Ich hatte eine Heidenangst, zurückzufallen. Ich wachte nachts auf und grübelte, was meine Konkurrenten wohl gerade tun würden. Ich hatte immer Angst, sie hätten eine neue Droge oder Trainingsmethode gefunden, die mich hilflos zurücklassen würde. Wenn ich drei Stunden am Tag trainierte, mußte ich befürchten, meine Mitstreiter würden vier Stunden trainieren. Ich war nie zufrieden mit mir, nie zufrieden mit meiner Leistung. Jetzt war diese Angst verschwunden; ich mußte nichts mehr beweisen. Ich war ein freier Mann. Die Euphorie, die ich nach meiner Operation und in meiner Erholungszeit erlebte, stellte jede mir bekannte Siegeseuphorie in den Schatten. Ich war eins mit mir selbst. Leider schlug diese Euphorie schnell ins Gegenteil um. Sportler, die mich besuchten, wurden zu schmerzhaften Erinnerungen an das, was ich getan hatte und noch tun wollte. Die Erfolge anderer Gewichtheber führten mir vor Augen, daß meine eigenen Leistungen bald überholt und vergessen sein würden. Jeder erzählte mir: „Nichts währt ewig.” Das sagt sich leicht, aber für
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mich war es schwer zu akzeptieren. Die Sucht war immer noch da und ich mußte mich einer neuen Herausforderung stellen - dem Rücktritt vom aktiven Powerlifting.
Zwei Verrückte Alles in allem kam ich ganz gut klar. Es gab nur eine Sache, die mir auf der Seele lag. Mein einst steinharter Körper hatte sich in Wackelpudding verwandelt. Meine Muskeln waren bis an das Minimum geschrumpft und mein Körpergewicht war auf 168 Pfund gestiegen. Ich sah aus wie das Michelin-Männchen. Um mich wieder in Form zu bringen, begann ich mit meinem Vater im Olympus Gym in Easton zu trainieren. Nichts Schweres. Nur etwas Bankdrücken und ein paar Bizepscurls. Trotzdem war es ein großer Fehler. Jedes Training vergrößerte das Verlangen nach einem Neubeginn. Es gibt da eine Besonderheit beim Heben von schweren Gewichten, die man bei keiner anderen Aktivität findet. 20 leichte Wiederholungen auf der Bank waren da einfach kein Ersatz. Ich wollte wieder schweres Eisen bewegen. Gegen den Rat meines Vaters und mein besseres Wissens tat ich schließlich genau das. Bevor ich mich versah, drückte ich auf der Bank drei saubere Wiederholungen mit 270 Pfund. Leider lag mein Gewicht immer noch bei 160 Pfund. Soviel zum Thema: Schwer wie ein Elefant, stark wie ein Elefant. Aber das schwere Heben ging meinem Vater gegen den Strich. Er hatte Angst, ich könnte mich wieder verletzen. Jedesmal, wenn ich die großen Scheiben auf die Hantel lud, verließ er das Studio. Bald darauf war es soweit gekommen, daß ihm das Training keinen Spaß mehr machte, wenn ich zugegen war. Es sollte noch einige Wochen dauern, bis das nächste Quartal im Albany State College begann, deshalb beschloß ich, wieder mit meinem alten Trainer Fred Glass zu trainieren. Auf diese Weise konnte ich meinem Vater vielleicht ein Magengeschwür ersparen. Fred hatte mittlerweile ein kommerzielles Studio in Allentown, Pennsylvania, eröffnet. Es war angeblich das beste Powerlifting-Studio im ganzen Osten. Ich konnte das nicht genau beurteilen, zumindest aber war es weitaus besser als sein Keller. Um es einmal wertfrei zu sagen, es war wenigstens sauber. Jedenfalls gab es keine Mäuse. Dafür gab es ein paar gute Powerlifter und eine Handvoll Verrückte. Damit meine ich wirkliche Verrückte. Einer der Besten in beiden Kategorien war der 18-jährige „Superboy” Scott Edmonson. Er war eine Klasse für sich. Er hatte den Körper eines Mannes, der bereits 15 Jahre hartes Training hinter sich hatte und den Verstand eines 15 Jahre alten Kindes. In all meinen Jahren im Powerlifting habe ich noch nie jemanden gesehen, der von dieser Sportart dermaßen angetan, oder besser gesagt, besessen war. Um sich für die Collegiate National Powerlifting Championships in Stimmung zu bringen, rasierte er sich alle Haare seines Körpers ab - am Kopf, an den Beinen, Armen, Augenbrauen, überall. Dann nahm er einen Steakknochen, befestigte ihn an einer schweren Kette und trug ihn als Halsschmuck. Doch das war noch nicht alles. Er streunte jede Nacht über den Kutztown State College Campus und vergraulte die Leute. Wie sein Trainingspartner Doug Haines sagte, lebte der gesamte Campus in Angst vor ihm. Jeder, vom Hausmeister bis zum Direktor, fürchtete ihn. Manche der Studenten nahmen angeblich sofort die Beine in die Hand, wenn sie Edmonson nur von weitem sahen. Als ich ihn traf, hatte er sich wohl etwas beruhigt, zumindest erschreckte er niemanden, während wir uns unterhielten.
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Doch auch ich mußte zugeben, daß er noch nicht ganz in die Normalität zurückgefunden hatte. So schlief er beispielsweise in Freds Studio, um zwei Trainingeinheiten pro Tag durchziehen zu können. Er hatte sich eine Matratze, einen kleinen Nachttisch und eine Lampe von zu Hause mitgebracht und in einer Ecke des Studios ein kleines Schlafzimmer eingerichtet. Das Beste aber war: Nachts stieg er auf das Dach des Gebäudes und fing Tauben in einer Falle, die er aus einem Karton gebaut hatte. Er drehte ihnen den Hals um, rupfte sie und aß sie dann. Ich vermute, das war seine Art, die hohen Preise für Proteinkonzentrate zu umgehen. Ich hatte wirklich den Eindruck, Edmonson würde alles essen, was nicht schnell genug vor ihm fliehen konnte. Wenn es ums Gewichtheben ging, waren Edmonson und Haines unbestritten zwei der Besten. Sie konnten beide enorm schweres Eisen heben. Und was das Aufputschen anging, konnte es niemand mit ihnen aufnehmen. Vor jedem Versuch brüllten sie herum, schlugen mit dem Kopf vor die Wand und droschen aufeinander ein. Es war verrückt. Während ich in Fred’s Studio trainierte, schlug Haines zweimal mit dem Kopf durch die Wand, die allerdings aus Riehgips bestand. Es war wie im Zirkus, aber es funktionierte, zumindest bei ihnen. Sie dachten wohl, wenn sie das Aufputschen überlebten, müßte der Versuch ein Kinderspiel sein. Ich muß zugeben, ich kam schon in Stimmung, wenn ich ihnen nur zusah. Je mehr ich mit den beiden zusammen war, desto brennender wurde mein Verlangen, den Sport wieder aufzunehmen. So geschah es schließlich in Fred’s Studio, daß die Flamme wieder entfacht wurde und es waren zwei Irre, die dafür verantwortlich waren.
Das Feuer schüren Ein paar Wochen später flog ich heim. Als das Flugzeug in Albany landete, hatte ich mich endgültig entschieden, ein Comeback zu versuchen. Ich konnte einfach nicht anders. Irgend etwas am Powerlifting hatte mich süchtig gemacht oder zumindest in Besitz genommen. Es gibt zwar keinen wissenschaftlichen Beweis, daß Powerlifting abhängig machen kann, wie etwa das Joggen, aber ich hatte es einfach im Blut. Als ich am Ankunftschalter angelangt war, rief ich meinen Nachbarn George Lovell an, damit er mich abholte. Als George am Flughafen eintraf, teilte er mir mit, daß Marvin „Iron” Simmons während meiner Abwesenheit jeden Tag mindestens einmal angerufen hatte, um sich zu erkundigen, wann ich wohl zurückkehren würde. Iron hatte auch an diesem Tag angerufen und sich für einen Besuch angemeldet. Ich konnte nicht verstehen, was er von mir wollte. George hatte ihm bereits erzählt, daß ich eine Operation hinter mir und mich vom Powerlifting zurückgezogen hatte. Aber ich sollte es schnell herausfinden. Als wir in die Einfahrt zu meinem Haus einbogen, saß Iron bereits auf dem Rasen. Er war noch größer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Wenn man ihn so sah und sich meine Form zu besten Zeiten in Erinnerung rief, konnte man kaum glauben, daß ich ihn geschlagen hatte. Ich muß gestehen, ich hatte regelrecht Angst, aus dem Auto zu steigen und meinen formlosen Körper zu zeigen. Noch beim Ausladen des Gepäcks kam Iron zur Sache. „Ich möchte von Dir lernen, wie ich mich hypnotisieren kann. Wenn Du das tust, zeige ich Dir, wie Du ein paar Muskeln an Deinem unterernährten Körper trainieren kannst.” Wenn man eines mit Bestimmtheit von Marvin sagen konnte, dann sicher, daß er kein Taktgefühl hatte. Er sprach über alles so, wie er es sah, ohne Ansehen der Person, die vor ihm stand. Einerlei, ich versuchte ihm zu erklären, daß ich nicht interessiert sei. Aber er ließ ein 101
„nein” nicht gelten. Er wollte die magischen Kräfte der Hypnose, mit der ich meine Gegner geschlagen hatte und er würde nicht von der Stelle weichen, bis er sie bekam. In den nächsten drei Wochen lief er mir auf Schritt und Tritt nach. Er hatte sein Radar auf mich eingestellt. Egal, wohin ich ging, entweder war er schon da oder er tauchte spätestens nach wenigen Minuten auf. Er machte mich wahnsinnig, aber er drang schließlich zu mir durch. Ich hatte noch nie jemanden getroffen, der so hartnäckig war. Wenn Iron etwas wollte, ließ er nicht locker, bevor er es hatte. Um mir einen letzten Rest Gesundheit und persönliche Freiheit zu bewahren, willigte ich am Ende ein. Das war ein Fehler. Als ich einmal nachgegeben hatte, wurde er noch hartnäckiger. Zuerst einmal verlangte er von mir, daß ich als Gegenleistung für meine Lektionen in mentaler Kontrolle mit ihm trainierte. Ich gab ihm zu verstehen, daß ich ganz gut allein trainieren könne und für meine Arbeit keine Gegenleistung verlangte. Doch ich hätte auch zu einem toten Rind sprechen können - „nein” war ein Wort, das Iron einfach nicht akzeptierte. Ich sagte ihm, daß ich nicht trainieren wolle und seine Antwort war, daß er mich um vier Uhr abholen würde. Die ersten Wochen Training mit ihm waren die pure Hölle. Nicht nur körperlich, obwohl der Typ trainierte, als würde es morgen keine Gewichte mehr geben, sondern vor allem mental. Ich meine, hier war ich, kurz nach einer schweren Operation, mit einem Körper wie ein Marshmallow und trainierte mir die Seele aus dem Leib, um wieder einigermaßen in Form zu kommen. Alles, was Iron dazu zu sagen hatte, war, daß ich fett, faul und schwach sei. Er brauchte wirklich nicht lange und ich begann ihn zu hassen. Schon der Anblick seines Gesichts machte mich krank. Aber jeden Nachmittag um vier fuhr er vor meinem Haus auf, hupte und brüllte, ich solle meinen „faulen Hintern” bewegen. Nachdem wir sechs Wochen zusammen trainiert hatten, kam ich langsam wieder in Form. Ich wog nur noch 140 Pfund und hatte etwas Arm- und Brustentwicklung vorzuweisen, aber Iron war das noch lange nicht genug. „Du bist über’n Berg, Mann. Aber mach’ Dir nichts draus. Ich bin jetzt erste Garnitur. Ich bin der Beste.“ An einigen Abenden piesackte er mich dermaßen, daß ich ihn am liebsten umgebracht hätte. Eines Abends hätte ich es fast geschafft. Wir trainierten gerade, als Iron wieder mit seinem frechen Mundwerk loslegte. Diesmal beschloß ich, ihm mit gleicher Münze zurückzuzahlen. „Iron, ich muß jetzt mal was loswerden. Selbst nach meiner Rückenoperation könnte ich leicht ein Comeback starten und Dich schlagen, wenn ich wollte. Nebenbei bemerkt, die Ergebnisse, die ich vor zwei Jahren hatte, schaffst Du doch heute nicht einmal im Traum.” „Vor zwei Jahren warst Du vielleicht jemand. Jetzt bist Du gar nichts mehr. Ich wünschte mir, Du würdest ein Comeback wagen. Ich hätte da nämlich etwas Schönes für Dich.” Ich verfluchte mich, weil ich den Mund nicht hatte halten können. Jetzt war er nicht mehr zu bremsen. Den ganzen Abend hielt er mir vor, wie fertig ich sei und was er alles mit mir anstellen würde. Ich kam gar nicht mehr dazwischen. Als ich nach Hause kam, war ich völlig durcheinander. Das kleine Miststück hatte mich wirklich getroffen und ich würde ihn nicht einfach so davonkommen lassen. Er würde dafür bezahlen. Edmonson und Haines hatten vielleicht die Kerze wieder angezündet, aber Iron hatte Benzin darauf gegossen. Ich war nun überzeugt, ein Comeback starten zu müssen. Ja, nicht nur ein Comeback, vielmehr einen Angriff auf ihn und jeden Rekord, den er jemals erreichen würde. Ich war bereit, ihn bis ans Ende der Welt zu verfolgen. Er hatte noch lange nicht alles von mir gesehen. Jetzt herrschte Krieg!
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Ein Besuch bei Spieth Noch an diesem Abend rief ich Dr. Spieth in College Park, Pennsylvania an. Mir war klar, daß ich für Kreuzheben und Kniebeugen eine andere Technik als zuvor einsetzen mußte, um meinen Rücken nicht erneut zu gefährden. Wenn mir irgendwer dabei helfen konnte, dann nur Spieth. Nachdem ich einen Termin bei ihm hatte, buchte ich meinen Flug nach Pennsylvania. Drei Tage lang konzentrierten wir uns nur auf die neue Technik. Mein Kreuzheben zu verändern, war nicht weiter schwer. Ich wechselte nur vom traditionellen Stil zum Sumo-Stil und achtete darauf, meinen Rücken völlig gerade zu halten. Wir benutzten wieder Kraftplattformen, um meinen Fußabstand zu bestimmen, aber diesmal orientierten wie uns mehr an meinem Gefühl als an den Anzeigen der Apparatur. Wie gesagt, die Veränderung fiel mir nicht schwer. Ich hatte mich der Sumo-Technik bereits erfolgreich bedient und war sicher, daß es wieder klappen würde. Außerdem hatte ich die Beine immer als meine stärksten Körperteile betrachtet. Mit der Sumo-Methode hätte ich eine Gelegenheit, das unter Beweis zu stellen. Das einzige, was mich störte, war, daß ich nicht wie gewohnt nach der Hantel „tauchen” konnte, wie ich es von der traditionellen Methode her gewohnt war. So plante ich, dieses Manko durch eine exzellente Technik wettzumachen. Ich glaube wirklich, daß die Technik das Wichtigste ist, um schweres Eisen zu heben. Wenn man einen schönen, glatten Ablauf entwickelt, kann man auch ohne Kraftsteigerung die Leistung deutlich verbessern. Die Kniebeuge war eine völlig andere Geschichte. Vor meiner Operation hatte ich eine Power-Kniebeuge bevorzugt, ähnlich der von Larry Pacifico. Dabei hatte mein Rücken einen Großteil der Arbeit übernommen. Nun mußte ich mich auf eine mehr aufrechte Technik umstellen, etwa so wie die von Ricky Crain. Diese Veränderung fiel mir nicht leicht. Ich hatte nicht nur Probleme, eine glatte, saubere Bewegung zu entwickeln, ich fühlte mich in der aufrechten Position auch sehr schwach. Also verbrachten wir den weitaus größten Teil unserer Arbeit mit der Verbesserung meiner Kniebeuge. Einen Tag verwandten wir allein sechs Stunden darauf, meine Versuche zu filmen und zu analysieren. Während dieses Besuches erzählte mir Spieth von einem Experten für Kybernetik namens Joel Nankevel. Nach seinen Worten hatte Nankevel ein Computerprogramm für das Training von Kraftsportlern entwickelt, das seinesgleichen suchte. Natürlich wollte ich mir selbst ein Bild von diesem Programm machen. Nankevel lebte in Washington, D.C. und ich beschloß, auf dem Rückflug nach Albany dort einen Stop einzulegen. Spieth rief Nankevel an und arrangierte alles für mich.
Nankevel Als ich in Washington landete, wartete Nankevel schon auf mich. Er war ein kräftig gebauter Mann mit starken Armen und Beinen. Man sah ihm an, daß er schon länger Kraftsport betrieb. Er war nicht ganz das, was ich erwartet hatte. Ich hatte mir jemanden, der den ganzen Tag mit Computern herumspielt, eher wie Woody Allen oder Don Knotts vorgestellt. Wir fuhren vom Flughafen aus gleich in sein Labor. Es war unvorstellbar: Überall standen Computer, Drucker und Oszilloskope herum. Und Nankevel hatte nicht nur die Ausrüstung, sondern auch das technische Know-How. Innerhalb einer Stunde gab es für mich keinen Zweifel mehr, daß er ein echter Computerfreak war. Glauben Sie mir, die Maschinen 103
gehorchten ihm aufs Wort. Eigentlich hatte ich gar kein Interesse an seinen Geräten oder daran, wie gut er damit umgehen konnte. Ich wollte seine Programme sehen, vor allem diejenigen, die mit Kraftaufbau zu tun hatten. Ich wurde nicht enttäuscht. Ich bekam das beste Krafttrainingsprogramm vorgeführt, daß ich je gesehen habe. Die Software war so aufgebaut, daß sie jeden nur denkbaren Aspekt des Krafttrainings berücksichtigte. Das Programm arbeitete folgendermaßen: Zuerst wurden Messungen an verschiedenen Körperteilen vorgenommen, an den Handgelenken, der Hüfte und am Knie. Die ermittelten Umfänge wurden dann in einen durchschnittlichen Meßfaktor umgerechnet. Dieser Wert läßt Rückschlüsse auf die Dicke der Knochen zu. Wenn man diesen Wert in verschiedene Formeln einsetzte, produzierte das Computerprogramm ein Schaubild, aus dem die optimalen Körpermaße für jedes gewünschte Körpergewicht hervorgingen. Aus der Übersicht ergaben sich auch die Werte für eine optimale Körpersymmetrie. Für Powerlifting wurden die Muskelgruppen mit sogenannten Idealproportionen verglichen. Diese Idealproportionen hatte man aus den Durchschnittswerten von 200 erfolgreichen Powerliftern errechnet. Der Symmetriewert gab dann Aufschluß darüber, wie gut die Muskelproportionen des Sportlers waren. Natürlich lag dem ganzen Verfahren Nankevel’s Annahme zugrunde, daß die Symmetrie der Muskelentwicklung eines Powerlifters sich positiv in seiner Leistungsfähigkeit niederschlägt. Theoretisch lieferte das Programm die Werte für die Idealproportionen, die man brauchte, um in allen drei Disziplinen hervorragend abzuschneiden. Darüber hinaus gab es nicht nur die benötigten Muskelumfänge vor, sondern auch die Trainingspläne, mit denen diese ideale Symmetrie entwickelt werden konnte. Noch interessanter war, daß die Software darauf ausgelegt war, in jedem Stadium der persönlichen Entwicklung optimal zu funktionieren. Obwohl Nankevel mir den Schlüssel zur Anpassung des Programms nicht erklären wollte, nehme ich an, daß er jeweils Prozentwerte vom Gewichtszuwachs zugrunde legte. Schon dieses kleine Detail zeigte mir, daß Nankevel wußte, was er tat. Denn jahrelang hatten Powerliftingexperten Trainingsverfahren veröffentlicht, die auf Prozentwerte des Maximalgewichts basierten, und diese Methode hatte sich als Irrtum erwiesen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Eine Verbesserung von zehn Prozent bei einem Athleten, der 600 Pfund in der Kniebeuge schafft, ist etwas ganz anderes als eine Zehn ProzentVerbesserung für jemanden, dessen Bestleistung bei 300 Pfund liegt. Der grundlegende Fehler dieser Überlegung liegt darin, daß man vom stärkeren Powerlifter auch den größeren Leistungszuwachs erwartet. Der erste Lifter in unserem Beispiel würde sich dann um 60 Pfund verbessern, während der Zweite nur einen Sprung von 30 Pfund machen muß. In der Realität ist es aber für einen schwächeren Powerlifter bedeutend einfacher, sich merklich zu verbessern, als für einen, der fast am Optimum angelangt ist. Daher müssen bei der Bemessung der Gewichtssteigerung Prozente vom zuletzt errungenen Gewichtszuwachs gewählt werden, um das aktuelle Trainingsgewicht optimal anzupassen. Neben Trainingsprogrammen und voraussichtlichen Steigerungsraten gab der Computer den täglichen Biorhythmus, eine Berechnung zum Gesamtpotential bezüglich Größe und Kraft und den optimalen Körperfettgehalt aus. Außerdem konnte man Berechnungen abrufen, die Aufschluß darüber gaben, ob man ein bestimmtes Gewicht bewältigen konnte. Diese stützten sich auf bisher erzielte Maximalgewichte und konnten dazu dienen, die voraussichtliche Leistung in einem Wettbewerb zuverlässig abzuschätzen.
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Nachdem Nankevel mir alles ausführlich erklärt hatte, nahm er meine Körpermaße und fütterte den Computer damit. Kurze Zeit später spuckte der Rechner ein Trainingsprogramm aus, das mich in den nächsten 12 Monaten durch verschiedene Zyklen führen sollte. Seit diesem Tag wurden alle meine Trainingsgewichte und Höchstleistungen so erfaßt, verarbeitet und grafisch ausgewertet. Nankevel hatte mich in die Welt der Computer eingeführt.
Iron - die Kraft im Hintergrund Voller Zuversicht kehrte ich nach Albany zurück. Zum ersten Mal seit der Operation wußte ich zweifelsfrei, daß ein Comeback zu schaffen war. Es mag sich verrückt anhören, aber ich spürte es förmlich. Es war wie vorhergesagt. Tief in meinem Innern fühlte ich mich sicher. Es gab für mich keinen Zweifel, daß ich wieder auf der Bühne stehen würde, und zwar ganz groß. Am nächsten Tag holte ich das Biofeedbackgerät und meine Videoausrüstung aus dem Collegelabor. Wenn schon ein Comeback, dann auch mit allen Mitteln - ich mußte mich körperlich und mental in Top-Form bringen. Ich wollte sogar in beidem stärker sein als je zuvor. Ich war geradezu besessen von der Idee, Iron zu schlagen. Ich wollte ihn nicht nur besiegen; ich wollte ihn vernichten, ihn zerkauen und in eine Ecke spucken. So hatte ich noch nie zuvor gefühlt. Ich hatte mich früher nie sonderlich darauf konzentriert, jemand anderen zu schlagen, ich hatte vielmehr gegen mich selbst gekämpft. Doch jetzt war alles anders. Ich war im Krieg. Ich wußte nicht, ob solch eine Einstellung gut oder schlecht war, wollte aber auch nicht dagegen ankämpfen. Iron war meine Antriebsfeder. Egal was es kostete, ich würde ihn schlagen. Ich würde meinen Rücktritt nicht verkünden, ohne dieses Versprechen wahrgemacht zu haben. Dafür wollte ich jeden Preis zahlen - Verletzungen, Schmerzen, sogar eine weitere Operation, wenn notwendig. Iron war geschlagen, das wußte ich schon jetzt.
Durchstarten Ich baute meine Ausrüstung zu Hause im Gästezimmer auf und verbrachte Stunden damit, das Video von Spieth anzuschauen, das mich bei Kniebeugen und Kreuzheben zeigte. Ich beschloß, eine Reihenfolge von Bildern zu erstellen, ähnlich denen, die Faye Reid für mich gemacht hatte und auf denen man sehen konnte, welche Muskeln an welchem Teil der Bewegung beteiligt waren. Diese Bilder mußten natürlich meiner neuen Technik entsprechen. Obwohl ich auch über etwas künstlerisches Talent verfüge, konnten sich meine Bilder nicht mit denen von Faye messen. Und nicht nur das, Faye benötigte für ein Bild etwa zehn Minuten, während ich eine geschlagene Stunde an einem zeichnete. Doch die Bilder selbst anzufertigen, brachte ungeahnte Vorteile mit sich. Ich studierte den Muskel, den ich zeichnen wollte, erst einmal in einem Anatomiebuch. Ich schenkte seiner Form, seinem Ansatz und Ende sowie seinen Bewegungen besondere Aufmerksamkeit. Es hört sich unglaublich an, aber während ich einzelne Muskeln zeichnete, konnte ich sie isoliert anspannen. Vermutlich erlangte ich diese Geist-Körper-Verbindung nur durch mein früheres Training so schnell. Offensichtlich gab es schon neurologische Strukturen zwischen einigen der Muskeln, die ich für meine neue Technik einsetzen wollte. Vielleicht würde das Comeback doch leichter, als ich gedacht hatte. Während ich über den Bildern saß, entwarf ich auch eine Anzahl „Scripts”, kleine Hörspiele, die ich auf Band aufnehmen wollte, um sie in meinem „Psycho-Driving”-Programm zu 105
verwenden. Die meisten von ihnen waren motivierend; drei davon sollten mir speziell bei der neuen Technik helfen. Ich machte mir sogar die Mühe, einen professionellen Disc-Jockey von W.J.F.Z. anzuwerben, um diese Stücke für mich auf Band zu sprechen. Sein Name war Hammer und er hatte eine unvergleichliche Stimme. Beim Training hatte ich einen so guten „Pump”, wenn ich das Band laufen ließ, daß ich manchmal dachte, ich hätte Steroide. Aus diesem Grund hörte ich sie nur einmal am Tag, jeweils vor dem Training. Ich hypnotisierte mich, spielte ein wenig mit der Biofeedbackmaschine herum und ließ dann die Bänder laufen. Dann unterzog ich mich meiner „In-Vitro”-Konditionierung. Die Bänder motivierten mich wirklich stark. Ich spielte sie immer und immer wieder und unterzog mich so einer Art Gehirnwäsche. Ich baute auf den sogenannten „Pygmalion-Effekt”: Wenn Sie an eine Niederlage glauben, werden Sie auch verlieren. Wenn Sie aber an den Erfolg glauben, haben Sie beste Chancen, wirklich erfolgreich zu sein. Es liegt eine Magie im Glauben! Das, woran wir glauben, hat enorme Auswirkungen auf das, was wir tun. Ich war darauf aus, mit den positiven Suggestionen auf dem Band mein Gehirn zu programmieren. Ich wollte mir den ganzen Vorteil dieser Magie sichern.
Die Kriegserklärung Als ich mein körperliches und mentales Trainingsprogramm begonnen, die Geräte eingerichtet und Helfer angeworben hatte, war es an der Zeit, die Kriegserklärung zu veröffentlichen. Am folgenden Tag beeilte ich mich, Mr. Marvin „Iron” Simmons von meinen Plänen in Kenntnis zu setzen. Als er zu einem seiner typischen Dialoge ansetzte, unterbrach ich ihn. „Hör mal zu, Iron, innerhalb der nächsten drei Monate gewinnst Du besser alle Wettkämpfe und holst Dir alle Rekorde, die Du kriegen kannst, danach ist nämlich Schluß für Dich. Ich komme wieder hoch und wenn ich erst einmal wieder in Form bin, werde ich Dich vernichten.” „Du bist ein Nichts und Du wirst niemanden schlagen. Ich hoffe, du schaffst Dein Comeback, denn, wie ich schon sagte, ich habe noch eine Überraschung für Dich.” Mit dieser abschließenden Bemerkung wandte er sich ab und absolvierte 50 saubere Dips. Eines war klar, er ließ sich von mir nicht beeindrucken, aber ich mich auch nicht von ihm. Ich gebe zu, daß er mich an manchen Tagen so verrückt machte, daß ich ihm am liebsten die Zunge herausgerissen hätte. Es hätte ihn umgebracht - nicht mehr reden zu können, meine ich, aber ich zwang mich zur Disziplin und blieb cool und professionell. Wie Iron mir versprochen hatte, kam er immer pünktlich zum Training. Aber ich machte eigentlich nur etwas zusätzliche Arbeit mit ihm. Ich hatte ein Split-Programm, so daß ich Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben unter Bens wachsamen Augen machen konnte. Außerdem wollte ich meine Versuche ja auf Video aufzeichnen, schon deshalb mußte ich sie zu Hause durchführen. Ich ließ Iron nie wissen, wieviel ich in den Wettbewerbsdisziplinen schaffte, aber ich beobachtete seinen Fortschritt genau. Wenn wir zwei zusammen trainierten, benahmen wir uns wie die Irren. Wir gingen uns ständig fast an die Kehle. Ich habe noch nie in meinem Leben soviel Blödsinn geredet. Aber egal was ich sagte, er setzte immer noch eins drauf. Doch sein Geschwätz hatte letztlich einen positiven Effekt: Es motivierte mich unglaublich stark. Ich merkte mir jedes Wort, um es auf ihn zurückschmettern zu können, 106
wenn wir nur erst auf der Plattform stünden. Allein schon dieser Gedanke ließ mich härter trainieren als je zuvor. In den nächsten zehn Wochen schuftete ich mich fast zu Tode. Es schien mir, als bestünde mein gesamter Tag nur aus Eisenwuchten und wenn ich nicht gerade Gewichte hob, dachte ich wenigstens daran. Ich war wieder völlig eingenommen vom Powerlifting. Ich hasse es, das zugeben zu müssen, aber ich freute mich über diese erneute Besessenheit. An manchen Tagen bearbeitete ich meinen Körper so hart, daß ich abends die Arme nicht mehr heben konnte. So gewann ich langsam meine alte Kraft zurück. Zu meiner großen Genugtuung sah ich auch zunehmend mehr wie ein Kraftsportler aus. Nicht wie Iron, aber hier und da schauten schon ein paar Muskeln hervor. Ich hielt mich genau an mein Trainingsprogramm, außer bei den Bauchmuskeln. In diesem Bereich erweiterte ich das Programm deutlich. Ich machte Sit-Ups, bis meine Bauchmuskeln buchstäblich um Gnade wimmerten. Ich wollte sie so stark wie möglich haben, um meinen Rücken zusätzlich zu stabilisieren. Offensichtlich funktionierte es, denn als ich erst ein Mal richtig an meinem Bauch arbeitete, verschwanden auch die schwachen Rückenschmerzen, die ich seit der Operation noch hatte. Dabei hatte ich eigentlich kein spezielles Training für die Bauchmuskeln. Ich bearbeitete sie, wann immer ich eine Gelegenheit fand, beim Fernsehen, zwischen den Sätzen anderer Übungen, immer wieder. Ich machte Sit-Ups, bis mir schwindelig wurde. Zu der Zeit hatte ich vermutlich die kräftigsten Bauchmuskeln der Welt. Ich konnte ohne Anstrengung 50 Wiederholungen mit 200 Pfund an der Nautilus-Maschine absolvieren, und 100-Pfund-Sit-Ups mit fixierten Knien waren kein Problem für mich. Ob Sie es glauben oder nicht, doch meine oberen Bauchmuskeln waren hinterher fast so groß wie meine Brustmuskeln! Alles lief super, bis auf eine Kleinigkeit. Als ich mich durch die einzelnen Phasen meines Trainingsplans arbeitete, fiel mir auf, daß ich Angst vor schweren Gewichten hatte. Keine kleine Unpäßlichkeit, nein, eine Heidenangst. Mein Herz überschlug sich fast, meine Hände schwitzten und manchmal überlief mich sogar ein Schauder. Je schwerer das Eisen wurde, desto besch... ging es mir. Es gab Zeiten, wo Ben mich durch eine Wiederholung förmlich hindurchreden mußte. Diese Erfahrung war etwas Neues für mich. Sogar als blutiger Anfänger hatte ich keine Angst vor den Gewichten gehabt. Ich war die Wiederholungen immer angegangen, ohne nachzudenken. Damals hielt ich mich für unzerstörbar, doch mittlerweile wußte ich es besser. Als ich etwa in der Mitte meines Zyklus angekommen war, wußte ich nicht mehr weiter. Um schwere Gewichte heben zu können, muß der Kopf frei von Zweifeln sein. Es gibt da keine halben Sachen. Beim Powerlifting ist der, der zögert, weg vom Fenster. Für mich wurde immer klarer, daß ich weg vom Fenster war. Ich hatte die körperliche Stärke, aber mir fehlte die geistige, sprich Zuversicht. Ich glaube, beides ist gleich wichtig für den Erfolg. Zu meiner Verteidigung muß ich sagen, daß ich schließlich einen guten Grund hatte, Angst zu haben. Die Chancen für eine neue Verletzung standen ausgezeichnet. Dr. McMahon selbst hatte mir gesagt, daß im Falle eines Comebacks weitere Rückenprobleme so gut wie unvermeidlich seien. Es wäre eine Lüge, zu behaupten, daß ich nicht bei jeder schweren Wiederholung daran dachte. Ich hatte also wirklich einen guten Grund für meine Schwäche. Es war wie mit der Angst im Dunkeln oder der Angst vor Raubkatzen. Meine Angst hatte Substanz. 107
Eines Tages, nach einem außergewöhnlich schlechten Training, beschloß Ben, den Rest ausfallen zu lassen und den Zyklus neu zu beginnen. Vielleicht war das die beste Strategie. Tief in meiner Seele wußte ich: Wollte ich jemals wieder richtig schweres Eisen heben, müßte ich frei von Angst und Zweifeln sein. Aber der Gedanke, von vorn anzufangen, war trotzdem nicht leicht zu verdauen. Ich hatte wirklich hart gearbeitet und bereits tolle Erfolge erzielt. Es war so, als müßte ich all das wegwerfen. Mein ganzes Leben hatte ich gekämpft, um an der Spitze zu bleiben, nun sollte ich freiwillig zurückweichen. All die Schmerzen und die harte Arbeit schienen vergebens gewesen zu sein. Je mehr ich über diesen Neubeginn nachdachte, desto depressiver wurde ich. Nach einiger Bedenkzeit stellte ich fest, daß ich es so nicht hinnehmen konnte. Ich rief Ben an und teilte ihm mit, daß ich das Handtuch werfen wolle. Zuerst regte er sich fürchterlich auf. Ich kann ihm dafür wirklich nicht böse sein. Ben hatte viel Zeit in mich investiert und oft seine eigene Karriere hintenan gestellt, um mir zu helfen. Aber nachdem wir eine Weile darüber diskutiert hatten, stimmte Ben schließlich zu. Später am Abend rief ich meine Eltern an, um ihnen von meinem Entschluß zu erzählen. Wie zu erwarten war, waren sie erleichtert und erfreut, daß ich das Powerlifting endlich aufgeben wollte.
Judy - meine große Schwester Fünf Tage später erreichte mich ein Brief von meiner großen Schwester Judy. Es war einer von diesen Briefen, die einen wirklich inspirieren. Wie sie wissen, wenn man ganz unten ist, kann es nur noch bergauf gehen. Und man ist nur so gut, wie man sein will. Es war ein wunderschön geschriebener Brief. Wenn er nicht so persönlich wäre, würde ich ihn hier einfügen. Vom Inhalt dieses Briefes war ich wirklich überrascht. Nach meiner Operation hielt mich jeder in der Familie für verrückt, weil ich ein Comeback versuchen wollte. Judy hatte mich einen Irren genannt, was mich aber nicht sonderlich gestört hat. Meine kleine Schwester Mary Jean hatte mich schon immer für einen Irren gehalten. Aber jetzt wollte Judy mich vom Rücktritt abhalten. Vermutlich ahnte sie, daß ich mir diesen Schritt selbst nie würde verzeihen können. Keiner kannte mich so gut wie Judy. Wir waren eher Freunde als Bruder und Schwester. Judy war immer für mich da und hörte mir zu, wenn ich Probleme hatte. Sie half eigentlich immer gerade irgend jemandem. Für mich gibt es keinen Zweifel, daß sie einen großen Einfluß auf mein Leben hatte. Sie ist eben ein ganz besonderer Mensch. Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, ob Judys Brief mich überzeugt hat, weiterzumachen, aber er trug sicher einen Großteil dazu bei. Jedenfalls beschloß ich nach langem Überlegen, daß es für ein Comeback doch noch nicht zu spät sei. In den folgenden Wochen habe ich ihren Brief bestimmt 1000 Mal gelesen.
Angstabbau Obwohl ich nun endgültig entschlossen war, ein Comeback zu versuchen, stand immer noch die Angst vor schweren Gewichten zwischen mir und der Fortsetzung meiner Karriere. Mir wurde klar, es gab nur einen Weg, ein erfolgreiches Comeback zu starten: Ich mußte meine 108
Angst besiegen. So nahm ich Kontakt zu Dr. Edward Ritter auf, einem klinischen Psychologen. Zusammen erarbeiteten wir eine Therapie, die auf zwei Überlegungen basierte. Zuerst wählten wir Verhaltensweisen aus, die im Gegensatz zu meiner Angst standen. Vor jedem schweren Versuch würde ich nun ein paar dieser Möglichkeiten durchspielen, die mich ablenken sollten. Die Angstreaktion wird nämlich nur höchst selten bewußt ausgelöst. Vielmehr löst der Gedanke an Furchterregendes die mit der Angst verbundenen Symptome aus. Wenn man nun das Bewußtsein beschäftigt, kann es sich nicht darauf konzentrieren, Angst aufzubauen. Mit anderen Worten: Wenn ich die Verhaltensweisen, die ich mit Ed entwickelte und die mich ablenken sollten, ablaufen ließ, konnte ich mich nicht gleichzeitig mit anderen beschäftigen, die mir Angst machten. Also ging ich vor jedem schweren Versuch das gleiche Ritual durch: Ich rieb meine Hände sorgfältig mit Magnesiapulver ein, machte zwei tiefe Atemzüge, hypnotisierte mich, beschwor mein Astralbild, holte wieder zweimal tief Luft und versuchte mich dann an dem Gewicht. Jeder Teil dieser Prozedur folgte ohne Pause auf den anderen. So konnte ich mich nur auf das konzentrieren, was ich gerade tat. Mein Problem bestand nämlich darin, daß ich zuviel nachgedacht hatte. Nicht über den Versuch an sich, sondern über seine möglichen Konsequenzen. Indem ich das Ganze nun systematischer anging, hoffte ich die negativen Gedanken zu verbannen. Ich wagte mich also wieder an schweres Eisen - und es klappte. Je besser es lief, desto geringer wurde auch meine Angst. Man weiß ja, Erfolg gebiert neuen Erfolg. Eigentlich hatte ich mich solcher Verhaltensweisen beim Powerlifting schon immer bedient. So betrachtet, fand ich lediglich zu meinem alten Ich zurück. Als zweiten Schritt benutzten wir Wolpe’s systematisches Angstabbau-Programm. Sie werden sich vielleicht erinnern, daß ich es schon bei Larry Bragg erfolgreich angewandt hatte. Interessanterweise bestand meine Angst-Hierarchie aus 63 einzelnen Punkten. Doch durch mein langjähriges mentales Training gelang es Ed und mir, in weniger als drei Wochen die Angst in den Griff zu bekommen.
Der zweite Durchbruch Als ich den Gedanken an ein Comeback erst einmal fest in meinem Geist verankert hatte, gab es kein Schwanken mehr. Ich holte Unglaubliches aus mir heraus. So hart wie ich auch bisher an mir gearbeitet hatte, jetzt ging ich jeden Tag bis an die Grenze. Einige meiner Trainingseinheiten waren ausgesprochen schmerzhaft, vor allem die Übungen für die Bauchmuskeln. Ich redete mir immer wieder ein, daß ich es nur schaffen würde, wenn ich mich noch mehr anstrengte. Ich ging keinen Schritt zurück. Diesmal kam ein Umschauen oder gar ein Aufhören nicht in Frage. Die Angst war fort. Ich war bis in die Zehenspitzen positiv eingestellt und voller Selbstvertrauen. Ich war von der Idee besessen, meine alte Kraft wieder zu erreichen, koste es, was es wolle. Jeden Tag brachte ich meinen Körper dazu, etwas mehr zu leisten. Und meine Anstrengungen waren schließlich von Erfolg gekrönt: In der Mitte meines zweiten Zyklus war ich schon bis auf 80 Pfund an Irons Bestleistung herangerückt. Ich hatte sogar sein MaschinengewehrMundwerk zum Stottern gebracht. Er hatte immer noch einige Gemeinheiten auf Lager, aber sie verletzten mich nicht mehr. Sogar Iron selbst wußte, daß er eigentlich nur noch heiße Luft von sich gab. Ich hatte ihn überflügelt. Er war keine Konkurrenz mehr, mit der man rechnen mußte. Meine Motivation kam jetzt von innen. Ich wollte nicht mehr allein ein Comeback ich wollte ganz groß herauskommen. Ich wollte besser sein als je zuvor. Ich wollte der Welt zeigen, daß noch viel mehr in mir steckte. 109
Der Georgia Lift - die Neuauflage Als der „Georgia Lift”-Bankdrückwettbewerb wieder stattfinden sollte, war ich in besserer Form als je zuvor. Mein ganzer Körper war stahlhart. Ich habe mich körperlich noch nie so gut gefühlt wie zu dieser Zeit. Vor meiner Operation hatte ich mich auf Technik und Geisteskontrolle verlassen. Ich war weder groß noch stark gewesen, sondern nur effektiv. Zu dieser Zeit war ich vermutlich der schwächste starke Mann der Welt. Doch jetzt war alles anders. Nun konnte ich meinen Geist mit soliden Muskeln ergänzen. Ich war zum vollkommenen Athleten geworden. Ich war nicht nur mental gerüstet, sondern auch körperlich in Bestform. Obwohl ich in der Ansammlung von Talenten bei diesem Wettkampf wohl nicht sonderlich aufgefallen bin, hatte ich einen sehr guten Tag. Ich eröffnete mit 280 Pfund und schloß nach drei gültigen Versuchen mit 300 Pfund. Ich hätte bestimmt auch 305 geschafft, aber 300 waren schon eine neue persönliche Bestleistung. Nach dem Treffen schwebte ich im siebten Himmel. Ich konnte es kaum abwarten, allen zu zeigen, was ich in einem richtigen Powerliftingwettbewerb schaffen würde. Zurückblickend sehe ich eines ganz klar: Wenn es bei mir als Powerlifter einen wirklichen Schwachpunkt gab, dann meine Ungeduld. Schon am Anfang meiner Karriere mußte mein erster Trainer, Fred Glass, mich immer wieder bremsen. Ich wollte stets über meine Grenzen hinausgehen. Das mag sich zwar gut anhören, aber es bringt wenig ein. Ich glaube, die meisten meiner Verletzungen sind das Ergebnis dieser Ungeduld gewesen. Mehr als einmal hatte ich mich an Gewichten versucht, für die ich noch nicht reif war. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß ein übersteigertes Selbstvertrauen ebenso destruktiv ist wie kein Selbstvertrauen, vielleicht sogar noch schlimmer. Nun ja, nach sieben Jahren war ich immer noch nicht schlauer. Die logische Wahl für den nächsten Wettkampf wären die A.D.F.P.A. Georgia State Championships gewesen. Diese Veranstaltung sollte in meiner Heimatstadt Albany stattfinden, und ich hätte mich ganze drei Monate darauf vorbereiten können. Doch in meiner Hochstimmung hatte ich mit Logik nichts im Sinn. Statt dessen meldete ich mich für die Tri-State Powerlifting Championships, die schon in fünf Wochen beginnen sollten. Zuerst stritten Ben und ich lange über diese Wahl. Er wollte mich in dem anderen Wettbewerb sehen, damit ich mehr Zeit für die Vorbereitung hatte. Aber ich blieb stur. Ich hatte mich bereits sechs Monate vorbereitet und war sicher, mindestens ein Gesamtergebnis zu erzielen, das das zehnfache meines Körpergewichts betrug. Das war ein alter Traum von mir - ein Gesamtergebnis von 1400 Pfund oder mehr. So wie mein Training lief, rechnete ich mit rund 540 Pfund in der Kniebeuge, 310 auf der Bank und 570 im Kreuzheben. Wäre ich realistischer gewesen, hätte ich eher ein Ergebnis von 525-305-550 anvisiert, doch an Optimismus hat es mir nur selten gefehlt. Schließlich gab Ben nach. Er stimmte sogar dem Dopingtest zu. Somit würden meine Ergebnisse von der A.D.F.P.A. anerkannt werden. Er kümmerte sich auch um entsprechende Schiedsrichter, damit im Falle eines Rekordes die offizielle Anerkennung sicher war. Ob meine Entscheidung, schon im „Tri State” anzutreten, richtig oder falsch war, kann ich wirklich nicht sagen. Aber eines stand fest: Einmal auf der Plattform, würde ich bis ans Limit gehen.
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Vorschau In den nächsten fünf Wochen dachte ich nur an den Wettkampf. Falls irgendwo auf der Welt etwas Wichtiges passiert sein sollte, ich habe es nicht mitbekommen. In diesen Wochen dachte, fühlte und schmeckte ich nur Powerlifting. Nichts anderes kam an mich heran. Ich muß den Wettbewerb mindestens tausendmal im Kopf durchgespielt haben. Ich visualisierte wirklich alles: Wie die Helfer die Hantel beluden, die Assistenten meine Rekorde notierten und so fort. Als die Zeit gekommen war, war ich mental vorbereitet. Ich platzte fast vor Zuversicht. Meine körperliche Verfassung war dagegen nicht optimal. Da ich nur fünf Wochen Zeit für meine Vorbereitungen hatte, konnte ich nicht den vollen Trainingszyklus absolvieren. Zudem waren meine Brustmuskeln noch etwas lädiert vom „Georgia Lift”. Summa summarum war ich aber gut in Form und bereit, der beste Lifter des Landes - wenn nicht gar der Welt - zu werden.
Lieber Gott, laß sie leben Zwei Tage vor der Veranstaltung rief mein Vater plötzlich an. Ich hörte schon am Klang seiner Stimme, daß er schlechte Neuigkeiten hatte: Meine Schwester Judy war zu einer Notoperation ins Temple University Hospital gebracht worden. Sie hatte eine gutartige Geschwulst im Gehirn gehabt, die geplatzt war. Trotz der erfolgreichen Operation war Judy ins Koma gefallen. Mein Vater teilte mir mit, daß ihre Überlebenschancen bei 50 Prozent lägen. Ich fühlte, wie das Blut aus meinem Gesicht wich und konnte mein Herz laut schlagen hören. Nachdem ich den Hörer eingehängt hatte, fiel ich auf die Knie und begann zu beten. „Lieber Gott, bitte laß sie leben.” Ich weiß nicht mehr, wie lange ich in dieser Stellung verharrt habe. Alles war aus den Fugen. Ich konnte mich stundenlang auf nichts konzentrieren. Ich dachte an all die gute Zeit, die wir miteinander verbracht hatten und den Spaß, den wir hatten. Ich dachte auch daran, wie selten ich mich für all das, was sie für mich getan hatte, bei ihr bedankt habe und wie selten ich ihr gesagt habe, wie sehr ich sie liebte. In dieser Nacht habe ich bestimmt drei Stunden geweint. Judy war mein Herz. Ich würde sie fürchterlich vermissen. Sie mußte einfach leben.
1400 Pfund oder untergehen Am Tag des Wettbewerbs stand ich mit der Sonne auf. Im Krankenhaus lag Judy immer noch regungslos in ihrem Koma. Immerhin war ihr Zustand stabil. Es war ein hoffnungsloses Gefühl - Niemand konnte etwas für sie tun, wir konnten nur abwarten. Es konnte Tage, Wochen, Monate, sogar Jahre dauern, bis sie erwachte. Natürlich war auch nicht ausgeschlossen, daß sie nie wieder zu Bewußtsein kam. Ich versuchte verzweifelt, diesen Gedanken zu vermeiden. Ich wußte, daß meine Eltern jetzt durch die Hölle gingen. Nachdem ich mich geduscht und angezogen hatte, nahm ich Judys Brief noch einmal hervor und las ihn zwei oder drei Male. Dann begann ich mit meinen Vorbereitungen für den Tag. Es war ein wunderbarer Sonnentag und ich kann mich daran erinnern, daß ich dachte, es würde auch ein großartiger Tag werden. Doch damit lag ich falsch. Zunächst einmal funktionierte die Klimaanlage in der Halle nicht. Es war so heiß, daß man ein Schwein ohne Feuer hätte grillen können. Dann passierte etwas, was ich noch nie erlebt hatte: Ich bekam fürchterliche Krämpfe. Mein gesamter Körper schien sich zu verknoten. Da aller schlechten 111
Dinge bekanntlich Drei sind, verfehlte ich zudem das Gewicht für meine Klasse um eineinviertel Pfund. Ich nahm sofort ein Zäpfchen, natürlich rektal und zwang mich, zu erbrechen. Innerhalb von zwanzig Minuten hatte ich die notwendige Flüssigkeit verloren, aber immer noch Krämpfe und dazu scheußliche Kopfschmerzen. Ich fühlte mich, als müßte ich jede Minute sterben. Noch beim Gewichtmachen war ich einige Male kurz davor, meine Nennung zurückzuziehen. Nach dem erneuten Wiegen trank ich einen halben Liter Salzwasser und aß ein kleines Sandwich. Innerhalb weniger Minuten ging es mir besser, Kopfschmerzen und Krämpfe waren wie weggeblasen. Nun mußte ich nur noch mit der Hitze und dem Gewicht der Hanteln fertigwerden. Verglichen mit den gerade überstandenen körperlichen Unpäßlichkeiten schienen mir das aber kleinere Probleme zu sein. Doch ich täuschte mich wieder. Die Halle war der reinste Ofen und der Aufwärmraum doppelt so schlimm. Ich war glücklich, daß ich mir das Aufwärmen abgewöhnt hatte. Jeder in diesem Höllenloch schwitzte sich die Seele aus dem Leib. Viele verließ sogar schon während des Aufwärmens die Kraft. Die Hitze forderte auch von mir ihren Tribut. Sogar ohne Aufwärmen fühlte ich, wie meine Kräfte schwanden. Um auf Nummer sicher zu gehen, meldete mich Ben für die Eröffnung der Kniebeuge mit 462 Pfund. Als ich aufgerufen wurde, war ich entspannt und zuversichtlich. Es gab für mich keinen Zweifel, daß der Versuch kinderleicht verlaufen würde. Ich durchlief meine mentale Routine und machte mich an die Hantel. Ich schaffte es, aber es wurde wirklich eng. Ich war geschockt. Eine Woche zuvor hatte ich mit dem gleichen Gewicht drei leichte Wiederholungen gemacht! Als nächstes versuchte ich mich an 487 Pfund. Diesmal wollte ich nichts dem Zufall überlassen. Ich hypnotisierte mich und versetzte mich in einen Zustand, den man am ehesten mit heller Wut umschreiben könnte. Bevor ich wußte, was ich tat, riß ich bereits das Gewicht aus der Ablage - und verlor beinahe die Kontrolle. Am tiefsten Punkt der Bewegung war ich in einer völlig falschen Position. Wie durch ein Wunder fing ich mich und schaffte den Weg nach oben. Es kostete mich fast meine gesamte Kraft. Ich zitterte am ganzen Leib, als ich die Plattform verließ. Ben wollte, daß ich den dritten Versuch ausließ, aber ich weigerte mich. Die 1400 Pfund konnte ich mir abschminken, aber ich hatte immer noch Hoffnungen auf das Zehnfache meines Körpergewichtes. Als letzten Versuch wählte ich 512 Pfund. Vor dem Wettkampf hatte ich dieses Gewicht für den zweiten Versuch eingeplant. Doch ich verdrängte den Gedanken daran. Schon mehrere Male hatte ich schließlich Gewichte bewältigt, an denen ich zuvor gescheitert war. Es gab auch Zeiten, in denen ich nach mißglückten Versuchen mehr Gewicht auflegte und trotzdem erfolgreich war. Ich glaube, das lag vor allem daran, weil ich ein gefühlsbetonter Powerlifter bin. Wenn ich in der richtigen Stimmung bin, kann ich auch richtig schweres Eisen stemmen. Bei diesem Versuch mit 512 Pfund war ich richtig eingestimmt. Zwar ging ich zu tief herunter - wie Ben sagte, hatte ich „mit dem Hintern den Boden geputzt” - aber dann stand ich auf, als wäre nichts gewesen. So wie ich die 512 bewältigt habe, hätte ich vielleicht auch 530 Pfund geschafft, aber das bleibt Spekulation. Beim Bankdrücken dann machte mir die Hitze wieder schwer zu schaffen. Meine Beine verkrampften sich und mein Magen meldete sich erneut. Ich eröffnete wie geplant mit 275 Pfund. Es lief, war aber nicht leicht. Mein zweiter Versuch mit 286 gelang ebenfalls, war aber schon eine Strapaze. Für den letzten Versuch wählte ich 292 statt der geplanten 297 Pfund. Mein Glück - hätte ich auch nur ein Gramm mehr versucht, wäre mir die Hantel ins Gesicht gefallen. Es wurde einer meiner härtesten Versuche und einer der langsamsten. Man hätte
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gemütlich zu Mittag essen können, während ich mich abmühte. Als es endlich vorbei war, fühlte ich mich völlig ausgepumpt. Ohne zu wissen, wie mir geschah, begann ich dann doch mit neuer Kraft mit dem Kreuzheben. Das Aufwärmen lief leicht und glatt und ich fühlte mich körperlich irgendwie erfrischt. Ich wählte 497 Pfund als Eröffnungsgewicht. Es lief fantastisch. So beschloß ich, den Wettbewerb mit einem phänomenalen Gewicht im Kreuzheben abzuschließen: Ich wählte 529 Pfund für meinen zweiten Versuch. Es war kein Problem, zumindest aus meiner Sicht. Ben war da anderer Meinung, aber es hat mich wirklich nicht besonders angestrengt. Zuletzt wollte ich 550 Pfund versuchen. Ich hatte dieses Gewicht im Training bereits gehoben und so wie es beim Kreuzheben bis jetzt lief, war ich zuversichtlich. Ich wollte mich sogar an 560 Pfund wagen, aber Ben ließ mich nicht. Er war noch nicht einmal mit den 550 einverstanden. Mental gut vorbereitet, griff ich nach der Hantelstange. Ich begann zu ziehen und das Gewicht schoß nur so hoch. Doch als es die Mitte meines Oberschenkels erreichte, hatte sich die Bewegung merklich verlangsamt. Ich zog nun mit allem, was ich hatte. Plötzlich sah ich alles nur noch in Zeitlupe. Erschrocken stellte ich fest, daß ich diesen Versuch abschließen wollte - so sehr, wie ich noch nie in meinem Leben etwas gewollt habe. Vielleicht lag es an der Frustration, die der Zustand meiner Schwester mit sich brachte, oder daran, daß ich hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben war. Was es auch war, ich wollte diesen Lift. Ich zog für alles, das mir etwas bedeutete, aber ich kam nicht höher. Schließlich wies mich der oberste Schiedsrichter an, das Gewicht abzulassen. Ich ignorierte ihn und zog weiter. Als ich schließlich nichts mehr aufbieten konnte, ließ ich es herunter, oder besser gesagt: Ich ließ es auf die Plattform knallen. Obwohl ich hinter meinen selbstgesteckten Zielen zurückgeblieben war, hatte ich doch alle A.D.F.P.A.-Rekorde der 132-Pfund-Klasse gebrochen. Ich hatte ein Gesamtergebnis von 1333 Pfund erreicht und wurde der siebte Mann auf der Welt, der in der 132-Pfund-Klasse jemals das Zehnfache seines Körpergewichtes gehoben hatte. Ich war wieder da!
Rückblick Zwei Wochen später lag Judy noch immer im Koma und ich hatte noch mit den Nachwirkungen des letzten Wettbewerbs zu kämpfen. Trotzdem schien mir der Zeitpunkt erreicht zu sein, ein Resümee über meine Zeit als Powerlifter zu ziehen. Ich war in diesem Sport wirklich weit gekommen. Begonnen hatte ich mit einem Gesamtergebnis, das mir den letzten Platz in einem Anfängerwettkampf einbrachte und nun stand ich an siebter Stelle der ewigen Weltbestenliste, war Nummer Eins der A.D.F.P.A. und die Nummer drei der U.S.P.F. (United States Powerlifting Federation). Das Großartigste aber war, daß ich mich immer noch verbessern konnte. Ich war sicher, daß mich von den 1400 Pfund nur noch Monate trennten. Ich war den ganzen Weg vom schlechtesten Lifter, der je auf der Plattform gestanden hatte bis hin zu einem der Besten gegangen. Sicher hatte ich viel geopfert, um dorthin zu gelangen. Ich hatte viel Zeit, Energie und Schmerzen investiert. Rückblickend muß ich sagen, daß Powerlifting wirklich enorme Anstrengungen erfordert, nicht nur körperlich, sondern auch mental. Doch ich habe es genossen. Heute freue ich mich über jede einzelne Minute. Es war eine Zeit voller Spaß und Aufregung und die Leute waren Super-Kameraden. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, daß jetzt die Zeit gekommen war, meine Energie anders einzusetzen. 113
Ich hatte mich immer als eine vielschichtige Persönlichkeit gesehen. Ich wollte ein wirklicher Mensch werden, nicht nur ein körperlich gut trainiertes Wesen, sondern geistig und sozial ebenso entwickelt. Es gab da Orte, die ich aufsuchen und Leute, mit denen ich sprechen mußte, sowie Dinge, die ich dringend erledigen wollte. Es gab für mich keinen Zweifel mehr daran, daß ich als aktiver Powerlifter am Ende meiner Entwicklung angelangt war. Um irgendwo zu den Besten zu gehören, muß man einen hohen Preis zahlen, und ich hatte bereits einiges gegeben. Kurz gesagt: Ich hatte das „Auge des Tigers” verloren. Das Leben ist einfach zu kurz; niemand kann sich leisten, es nicht ganz auszukosten. Am 23. September 1983 trat ich vom Powerlifting zurück. An diesem Tag war ich nicht unglücklich - ich wußte, der folgende Tag würde hell und sonnig werden!
Kapitel 10 - Ein schöner, sonniger Tag Was ist aus ihnen geworden? Tim McClellan war eine Quelle unerschöpflicher Inspiration und Energie für dieses Buch. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Tim war ein unersetzlicher Ratgeber und wertvoller Ansprechpartner während der Zeit, als ich an diesem Buch arbeitete. Momentan arbeitet er als Assistenztrainer mit den Footballern der Arizona State University. Außerdem betreut er eine Reihe von Powerliftingteams, die sich auf nationale und internationale Titel vorbereiten. Pater Nick Dracola zog sich 1976 aus dem Priesteramt zurück. Er lebt jetzt in Philadelphia, Pennsylvania und verdient sein Geld als Künstler. Mary Jean Biasiotto Huth lebt in Bethlehem, Pennsylvania, zusammen mit ihrem Mann Ronny und ihren drei Kindern Tracey, Kimberly und Ronny Jr. Trotz allem, was war, liebt sie ihren großen Bruder noch immer (und er sie). Fred Glass wohnt in Allentown, Pennsylvania und unterhält dort sein eigenes Studio, „Fred’s Gym”. Mit seinen 47 Jahren ist er immer noch sehr stark. Im Moment hält er den Weltrekord in Kniebeugen und Kreuzheben für die 123-Pfund-Klasse. Greg Hodges lebt in Savannah, Georgia. 1976 hängte er sein Barbarenimage und das Gewichtheben an den Nagel und schrieb sich an der juristischen Fakultät der Georgia State University ein. Heute ist er ein erfolgreicher Anwalt. Ganz offensichtlich waren Geist und Intelligenz nur unter einer rauhen Schale verborgen. Michael Cross lebt in Chattanooga, Tennessee. 1980 überlebte er einen mörderischen Autounfall. Es ist kaum zu glauben, aber in weniger als zwei Jahren gelang ihm ein Comeback. Er wurde wieder einer der besten Powerlifter der Welt. Ben Lockett lebt in Plains, Georgia, und arbeitet für den amerikanischen Geheimdienst. Er ist verantwortlich für die Sicherheit des ehemaligen Präsidenten Jimmy Carter.
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Cuck Braxton ist Krafttrainer an der Vanderbilt University. Er hält zurzeit den Weltrekord in der Superschwergewichtsklasse. Obwohl er auf die 50 zugeht, ist er immer noch unglaublich stark (und gemein). Marvin „Iron” Simmons lebt noch immer in Albany, Georgia. Als einer der besten AllroundAthleten Amerikas hält er verschiedene Titel im Powerlifting, olympischen Gewichtheben und Bodybuilding. Joel Nankevel wohnt in Washington D.C. Sein Computer Trainingsprogramm ist zum Patent angemeldet und wird wohl bald in ganz Amerika zu haben sein. Judy Biasiotto McBrairty erwachte nach 24 Tagen lächelnd aus ihrem Koma. Sie mußte sich noch zwei weiteren Gehirnoperationen unterziehen; wie durch ein Wunder überlebte sie beide. Sie hat ihre alte Form schnell zurückerlangt. Obwohl sie meine Schwester ist, kann ich behaupten, daß ich noch nie jemand mit solchem Mut und solcher Durchsetzungskraft kennengelernt habe. Sie ist die Beste. Judy lebt in Easton, Pennsylvania, zusammen mit ihrem Mann Charlie und ihren vier Kindern Colleen, Kelly, Chris und Charlene. Der Autor lebt noch immer in Albany, Georgia, und unterrichtet am dortigen Albany State College. Ich trainiere noch regelmäßig, habe aber schon einige Zeit an keinen Wettkämpfen mehr teilgenommen. Ich habe eine Familie, Freunde, Erinnerungen und den festen Glauben, daß jeder kommende Tag ein heller, schöner Sonnentag wird. Was kann man sich mehr wünschen?
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