Nichts soll uns trennen Jackie Leigh
Bianca 0576
9/2 1988
gescannt von suzi_kay korrigiert von Konrad1972
1.KAPITEL...
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Nichts soll uns trennen Jackie Leigh
Bianca 0576
9/2 1988
gescannt von suzi_kay korrigiert von Konrad1972
1.KAPITEL Davon könnte sich der Fernseharzt Dr. Marcus Welby eine Scheibe abschneiden, dachte Retta Stanton, als sie der männlichen Stimme lauschte. Sie gehörte einem richtigen Arzt, der irgendwo im Dunkeln weit vor ihr stand. Dr. Burt McHales Stimme, die durch die Konferenzhalle des Chicago Marriot Hotels drang, war sinnlich, beruhigend und erotisch zugleich. Mit geschlossenen Augen stellte Retta sich vor, dass diese Stimme ihren Namen aussprach, und ihre Knie wurden weich. Einen Augenblick lang ließ sie die Augen geschlossen, vergaß ihre einsame und ernste Welt und verlor sich in sinnlichen Phantasien. Ein paar Sitze weiter klapperte einer der Ärzte mit einem Pappbecher voller Eiswürfel und lachte laut über etwas, das Dr. McHale gesagt hatte. Erst jetzt realisierte Retta, dass sie gar nicht seiner Rede zuhörte, sondern nur seiner Stimme. Schnell öffnete sie die Augen, schob ihre Tagträume beiseite und war wieder voll da. "Ich werde noch exzentrisch auf meine alten Tage", murmelte Retta. "Dabei bin ich erst sechsundzwanzig. Es ist doch nur ein Mann, der eine Rede hält, du liebe Zeit." Aber Dr. McHales Stimme war die betörendste Stimme, die sie je gehört hatte, und dann noch voller Begeisterung und Humor. Trockene Fachausdrücke wie "Laser-Ablation" und
"Cardio-Arhythmie" klangen bei ihm wie etwas sinnlich Faszinierendes. Retta musste über sich selbst lächeln, dann konzentrierte sie sich wieder, damit ihr nichts von seinem Vortrag entging. Komplizierte Schaubilder und Fotografien von Schweineherzen flimmerten über einen der beiden großen Bildschirme. Wieder machte Dr. McHale einen Scherz, und die Halle dröhnte vom Gelächter der etwa fünfhundert Arzte. Auch Retta lachte, und es erstaunte sie selbst, dass sie das so sorglos tun konnte. Schnell schloss sie den Mund wieder und sah sich um, als erwarte sie, dass alle sie anstarrten. Aber niemand beachtete sie. Es ist nur diese sanfte, tiefe Stimme, gestand Retta sich ein, und ihre Wangen glühten. Sicher sieht er aus wie eine Birne und hat kein Kinn, versuchte sie sich einzureden. Sie war in den Vortragsraum gekommen, als er mit seiner Rede schon begonnen hatte und es dunkel war. Nicht einmal seine Silhouette konnte sie erkennen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie er aussah. "... und so hegen wir die große Hoffnung, dass diese Technik eine erfolgreiche Bereicherung, wenn nicht sogar ein Ersatz für die Ballon-Angiographie sein wird", beendete Dr. McHale seinen Vortrag. "Unsere Versuchsschweine haben die Prozedur großartig überstanden." Er machte eine kleine Pause. "Das anschließende Barbecue allerdings nicht..." Retta lächelte auch, als die Anwesenden amüsiert lachten und ihm applaudierten. Sie saß auf dem Rand ihres Stuhles und lehnte sich vor, die Hände fest auf ihren Rock gelegt. Gespannt blickte sie nach vorne. Jetzt, dachte sie, als die Lichter zu flackern begannen. Jetzt werde ich sehen, wie er aussieht. Aus seinen Artikeln wusste sie eine ganze Menge über ihn, aber eine Fotografie von ihm hatte sie noch nie gesehen. Ihr Herz klopfte.
Auf Henrietta Pauline Stantons Gesicht, die sich nie erlaubte, überschwänglich zu sein, erschien ein verwundertes Lächeln. Der Mann auf der Bühne hatte nicht im entferntesten Ähnlichkeit mit einer Birne. Er war groß und schlank, besaß ein energisches Kinn und wurde dem Versprechen, das seine Stimme gegeben hatte, völlig gerecht. Retta seufzte, manchmal wurden Träume Wirklichkeit. Mac McHale blickte über das Publikum und fühlte, wie Stolz in ihm aufstieg, als der Applaus nicht enden wollte. Jawohl, dachte er, dafür habe ich mir einen Blumentopf verdient, es hat ihnen gefallen. "Dr. McHale wird in den nächsten fünfzehn Minuten für Ihre Fragen zur Verfügung stehen", kündigte der Veranstalter an. "Für heute ist die Veranstaltung der Akademie der Kardiologen beendet. Genießen Sie das Nachtleben von Chicago, aber passen Sie auf, dass Sie nicht in den Aprilregen kommen." Mac trat von der Bühne herunter in die Halle, der Veranstalter folgte ihm und schlug ihm auf die Schulter. "Großartig gemacht, alter Junge", rief er. "Du hast nicht nur einen ausgezeichneten Forschungsbericht abgeliefert, du hast ihn auch großartig verkauft." "Niemand hat gesagt, dass Schweineherzen langweilig sein müssen, Vince." Entspannt und lachend trat er in die Menge der Ärzte, die sich nun um ihn drängten, um Fragen zu stellen. Schnell war er in eine angeregte Diskussion über seine Arbeit vertieft. Vince verschwand. Sicher auf der Suche nach einem Bourbon, dachte Mac. Nach einer Viertelstunde hatte er erst die Fragen eines einzigen Arztes beantwortet. Vince näherte sich mit einem Glas Bourbon mit Eis. "Lass uns hier verschwinden, McHale." Abwehrend hob Mac die Hand, während er dem Arzt, der ihm eine Frage gestellt hatte, antwortete.
"Meine Herren, Sie können mit in die Bar kommen, wenn Sie sich von diesem Clo wn hier nicht losreißen können. Oder sollte ich vielleicht meine Dame und meine Herren sagen?" "... und deshalb bin ich davon überzeugt, dass diese Technik auch beim Menschen angewendet werden kann." Neugierig blickte Mac zu Vince. Dame? Es gab nicht viele weibliche Kardiologen, und er bewunderte jede Frau, die Mut hatte, auf diesem Feld die männliche Hierarchie zu durchbrechen. Mac blickte über die Köpfe des knappen Dutzend Menschen um ihn herum, aber er sah nur Männer. Dann blickte er nach rechts - und stutzte. "Dr. McHale, ich möchte mich Ihnen gerne vorstellen", begann sie ruhig und streckte ihm eine Hand entgegen. "Vorstellungen können auch in der Bar gemacht werden", unterbrach Vince sie. "Dabei können wir dringend eine gutaussehende Frau gebrauchen. Kommen Sie mit?" "Hören Sie nicht auf diesen alten Dummkopf", sagte Mac und deutete mit dem Kopf auf Vince. Und dann stand er ganz einfach nur da und fühlte, wie der ernste Blick ihrer haselnussbraunen Augen ihm seine ganze Konzentration raubte. Retta hielt ihm noch immer, etwas verunsichert, ihre ausgestreckte Hand hin. Warum starrt er mich so an, fragte sie sich. Hoffentlich ist er nicht rechthaberisch oder arrogant zu Frauen. Sie wusste, dass ihr jugendliches Aussehen ihr oft Nachteile brachte, Ärzte nahmen sie am Anfang nie für voll. Sie presste ihre Lippen zusammen und wollte ihre Hand gerade zurückziehen. Mac hatte ihren verletzten Blick bemerkt, schnell versuchte er, seine fünf Sinne beisammen zu halten sie war keine Ärztin, dafür war sie viel zu jung. Vielleicht war sie Studentin, aber keinesfalls älter als fünfundzwanzig. "Ich... hier", murmelte er und griff nach ihrer Hand. Ihre Finger waren warm und der Griff ihrer Hand fest. In ihrer Handfläche fühlte er kleine raue Schwielen wahrscheinlich
spielte sie viel Tennis, dachte er. Und sie sah aus, als trüge sie nie etwas anderes als diese schlicht strengen Kostüme. Herrje, er hatte ganz vergessen, wie sehr eine Frau einen Mann dazu bringen konnte, dass seine Gedanken zu wandern begannen. Und dies war nicht irgendeine Frau, sondern das ansehnlichste Exemplar, das er je kennen gelernt hatte. Wenn auch viel zu jung! Mac räusperte sich, ließ ihre Hand wieder los und versuchte ein freundliches unbefangenes Lächeln. "Was kann ich für Sie tun?" fragte er. Lächle mich nur weiter so an, dachte Retta. Einen Augenblick lang hatte er ernst ausgesehen - beinahe erschrocken - und sie hatte schon das Schlimmste erwartet. Auch mit ihren ein Meter zweiundsiebzig überragte er sie noch ein gutes Stück, und seine Größe war für sie so verwirrend wie seine Ausstrahlung. "Ihr Vortrag hat mich fasziniert", sagte sie, und in ihrer Stimme lag keine Schmeichelei. "Gebrauchen Sie Laserstrahlen auch außerhalb Ihrer Forschungen?" "Warum fragen hübsche Frauen mich nie etwas?" wollte Vince wissen. Mac sah ihn tadelnd an, dann wandte er sich wieder Retta zu. "Ich fürchte, der Einsatz der Laserstrahlen in der Kardiologie befindet sich noch im Experimentierstadium. Aber ich bin schon recht gut darin, eine Grapefruit mit einem CO2-Laser zu schälen. Darauf bin ich stolz." Die Männer um ihn herum lachten leise, und Retta nickte höflich. Der kleine belustigte Funke in ihren Augen war das einzige Anzeichen dafür, dass ihr sein Scherz gefallen hatte. Mac steckte beide Hände in die Hosentasche, um nicht wie ein Schuljunge bei seinem ersten Rendezvous verlegen herumzuzappeln. Als jemand anders ihm eine Frage stellte, wandte er seine Aufmerksamkeit demjenigen zu. Er steht ganz auf dem Boden der Wirklichkeit, dachte Retta erleichtert und stellte mit Befriedigung fest, dass auch ihr Herz
wieder normal schlug, als sie ihn jetzt ungestört betrachten konnte. McHale hatte dichtes braunes Haar, das an den Schläfen schon ergraut war. Hätte man das nicht gesehen und die feinen Linien in seinem Gesicht, man hätte glauben können, er sei ein Arzt, der die Universität noch nicht lange verlassen hatte und nicht ein erfolgreicher Kardiologe. Plötzlich wandte er sich wieder zu ihr um, als hätte er sie während seiner Unterhaltung mit anderen nicht vergessen. Rettas Magen zog sich zusammen. Dr. Welby im Fernsehen hatte sie nie so beunruhigt. "Ich habe mich ablenken lassen", sagte er, "entschuldigen Sie. Wie heißen Sie?" "Retta Stanton. Ich habe bei Ihrer Sekretärin angerufen, und sie hat mir gesagt, ich könne Sie heute hier finden. Ich arbeite bei der National Health Verlagsgesellschaft. Ihre Sekretärin sagte, sie wolle es Ihnen ausrichten." "National Health, ich erinnere mich." Er konnte sich nicht mehr daran erinnern; es war eine sehr anstrengende Woche gewesen, aber das würde er vor ihr nicht zugeben. "Die Gesellschaft ist hier in Chicago, nicht wahr?" "Ja, wir geben monatliche Fachblätter für Ärzte heraus und planen jetzt eine Neuausgabe. Ethik in der Gesundheitsfürsorge." "National Health ist doch die Gesellschaft von Newt Winston", unterbrach Vince sie. "Von ihm hast du sicher schon gehört, Mac. Das ist doch der Dermatologe, der sein Geld damit gemacht hat, dass er Chapaway erfunden hat. Er hat noch keinen einzigen Tag in seinem Leben Medizin praktiziert. Jetzt ist er der Herausgeber dieser Fachblätter." "Nein, ich fürchte, ich kenne ihn nicht", gab Mac zu. Er sah Enttäuschung in Retta Stantons Gesicht, als wäre sie es gewöhnt, dass man ihren Chef kannte.
"Aber ich benutze immer Chapaway", log er und stellte erfreut fest, dass ihr Gesicht sich aufhellte. "Bei Ihren Schweinen?" fragte sie scherzhaft. Mac lachte leise. Sie war eine Frau, die ihm gefallen könnte. "Das sind nicht meine Schweine", antwortete er gespielt ernst. "Sie gehören dem Zentrum für Laserforschung in Springfield. Aber ich bin überzeugt, ChapAway wäre auch für meine Schweine gut. Ihre Haut ist nämlich der, der Menschen sehr ähnlich, das wissen Sie sicher." Er lachte, aber Retta erlaubte sich nur ein Lächeln. Für eine so junge Frau war sie sehr ernst. "Komm jetzt, Mac, lass uns gehen", unterbrach Vince ihn. "Das Hotel hat eine sehr gute Bar." Die Ärzte, die noch warteten, um ihm Fragen zu stellen, wurden unruhig und blickten auf die Uhr. Mac sah, dass Retta Stanton ihnen einen abwehrenden Blick zuwarf und die Stirn runzelte. Ihr Haar faszinierte ihn. Es war dicht und glänzend, aber sie trug es streng nach hinten gekämmt. "Moment noch, Vince", meinte er. "Und denk an deinen Blutdruck." Dankbar sah Retta ihn an. Sie war nicht im eigentlichen Sinne schön, dachte er, aber irgendwie faszinierend. Ihr Gesicht würde ihm bestimmt in seinen Träumen erscheinen, dachte er plötzlich, und auch ihre Figur könnte in einsamen Nächten seine Phantasie anregen... "Warum kommen Sie nicht mit?" bot er ihr an. "Wir beide könnten uns miteinander unterhalten, sobald ich die Fragen dieser Herren beantwortet habe." "Ich muss wieder ins Büro zurück", erklärte sie, und er glaubte, Bedauern in ihrer Stimme zu hören. "Kann ich Sie in der nächsten Woche anrufen?" "Mit Mac macht das doch keinen Spaß", unterbrach Vince wieder. "Rufen Sie lieber mich in meinem Hotel an, ich werde mich mit Ihnen über alles unterhalten, Baby."
Mac fühlte, wie bei den Worten von Vince Ärger in ihm aufstieg, als hätte dieser jemanden beleidigt, der ihm sehr viel bedeutete. Vince hatte eine Schwäche für junge Frauen, drei ExFrauen konnten das bestätigen. Mac runzelte ärgerlich die Brauen und setzte gerade an, um ihm zu sagen, dass es sich hier um eine Konferenz handelte und nicht um ein lustiges Wochenende für ältere Herren. "Entschuldigen Sie, sind wir einander vorgestellt worden?" fragte Retta Stanton Vince höflich. Mac sah, wie sich ihre langen schlanken Finger mit den gepflegten Nägeln um ihre Handtasche schlossen. Pass auf, Vince, dachte er belustigt. "Vince Satterfield." Vince streckte ihr seine Hand entgegen. "Und wenn Sie keine Ärztin sind, dann sollten Sie es werden. Wir haben viel zu viele Feministinnen mit dicken Hintern und schiefen Zähnen in unserem Beruf, Sie wären eine angenehme Abwechslung." Retta schüttelte Vince die Hand, und wieder dachte Mac, dass sie viel reifer schien, als sie aussah. Sie mochte ja noch sehr jung sein, aber von seinem ungehobelten Begleiter ließ sie sich offenbar nicht beeindrucken. "Dr. Satterfield", sagte sie ruhig, "ich möchte etwas klarstellen. Ich bin Assistentin des Chefredakteurs eines großen überregionalen Verlages und habe nicht die Absicht, mir Ihre schnippischen Bemerkungen über Frauen anzuhören. Auch wenn ich keine Ärztin bin, so gefallen mir Ihre Bemerkungen über Ihre Berufskolleginnen trotzdem nicht." In dem Versuch, ein Lachen zu unterdrücken, presste Mac seine Lippen so fest aufeinander, dass sie weiß wurden. Er beobachtete das Gesicht von Vince, dem man ansehen konnte, dass ihm soeben aller Wind aus den sexistischen Segeln genommen worden war. "Entschuldigung", sagte Vince steif, und einige der anderen Arzte entdeckten plötzlich sehr interessante Aspekte des
Kronleuchters und der Decke, wobei sie ihre Belustigung kaum verbergen konnten. Vince wandte sich an die anderen Ärzte. "Wir männlichen Chauvinisten wollen jetzt lieber in die Bar gehen, ehe jemand eine Laser-Operation an unseren Schweineherzen vornimmt. Bis dann, McHale." Die Gruppe folgte ihm durch eine der großen Doppeltüren. "Ich kann sehr direkt sein", erklärte Retta. "Hoffentlich verstehen Sie, weshalb ich das sagen musste." "Das tue ich. Das Benehmen meines Freundes hat mich... bestürzt." Als sie ihn überrascht ansah, empfand er plötzlich eine Art Beschützerinstinkt für sie. Er versuchte sich einzureden, dass diese Gefühle rein väterlich waren. "Kommen Sie, wir gehen zusammen nach unten, dann können wir uns auf dem Weg noch unterhalten", schlug er vor. "Und lassen Sie sich durch Vince nicht beunruhigen. Er ist fünfundvierzig und benimmt sieh wie zwölf. Völlig harmlos, aber manchmal ziemlich unpassend." "Tut mir leid, aber in diesen Dingen verstehe ich keinen Spaß. Wenn ich gute Arbeit leiste, will ich auch entsprechend behandelt werden." Sie war gar nicht beleidigt, nur offen, dachte Mac. "Sie sollten manche Dinge nicht so ernst nehmen", meinte er. "Worüber können Sie denn lachen?" Zusammen gingen sie aus dem Saal hinaus. Retta schob verlegen ihre Tasche von einer Hand in die andere. "Ich... äh..." Verflixt, was sollte sie ihm nur antworten? Bin ich wirklich so dumm? fragte sie sich. "Über Sie zum Beispiel", sagte sie schließlich. "Über mich?" Er sah sie an, aber sie vermied seinen Blick, sah geradeaus und nickte nur. "Bei Ihrem Vortrag. Sie haben so eine Art, eine ernste Angelegenheit aufzuhellen, ohne leichtfertig zu klingen. Sie wären ein großartiger Lehrer." "Vielen Dank." Normalerweise ließ Mac sich von Komplimenten nicht beeindrucken. Er war selbstsicher genug,
um sich von der Meinung anderer Menschen nicht beeinflussen zu lassen. Aber dieses Lob freute ihn plötzlich sehr. "Hören Sie, Sie sind doch nicht etwa auf eine Einladung zu einem Drink aus, wie?" "O nein... ich... nein." Sie war so verwirrt, gewiss hatte sie gar nicht bemerkt, dass er nur einen Spaß machen wollte. Na ja, das mit dem Drink meinte er ja wirklich ernst, wusste aber nicht recht wie er es anstellen sollte, sie dazu einzuladen. Jetzt kam er sich richtig lächerlich vor - etwas, was er sonst gar nicht kannte. "Weshalb wollten Sie mich eigentlich sprechen, Miss Stanton?" "Nun ja, Dr. Winston, mein... berüchtigter Chef, glaubt, dass Sie der führende Experte des Landes sind, wenn es um Fragen der Ethik geht. Ich möchte mich mit Ihnen über unser neuestes Fachblatt und über ethische Fragen unterhalten. Dr. Winston schlug Sie als Leiter unseres Beratergremiums vor." "Donnerwetter", sagte Mac, und Retta, die nicht sicher war, wie das gemeint war, blieb stehen. Mac sah sie neugierig an. Graublaue Augen hatte er, stellte sie fest. Warme, einladende Augen blitzten voll jugendlicher Frische in seinem markanten Gesicht. Er sah aus, als würde er viel Zeit an der frischen Luft verbringen. "Ich fühle mich sehr geehrt", antwortete er ehrlich. "Aber ich kann Ihnen hier und jetzt keine Antwort geben, wir müssen uns genauer darüber unterhalten." "Das verstehe ich. Dr. Winston würde Sie gerne in der nächsten Woche zum Essen einladen." Zum Teufel mit Dr. Winston, dachte Mac, mit dir möchte ich essen gehen. Er hätte sich für diese Anwandlung treten können, denn er hatte nicht die Absicht, einer Frau nachzulaufen, die alt genug war, um seine Tochter zu sein. Nur Vince machte so etwas. Retta starrte ihn an, er bezauberte sie.
"Können Sie nicht noch ein paar Minuten mit in die Bar kommen?" fragte Mac. Er konnte nicht anders. War es denn wirklich selbstsüchtig, wenn er die Gesellschaft dieser faszinierenden Frau suchte, ganz gleich, wie alt sie war? "Dann könnten wir darüber reden." "Das würde ich wirklich gerne tun, aber ich muss ins Büro zurück." "Es ist doch schon nach fünf Uhr. Ist Mr. Chapaway denn ein Sklaventreiber?" Retta lächelte. Schweigend gingen sie weiter, bis hin zur Rolltreppe, die nach unten führte. Dort stand sie dann eine Stufe unter ihm und konnte ihren Blick nicht von ihm losreißen. "Nun, dann müssen wir sehen, ob wir uns sonst einmal treffen können", meinte Mac. "Hmmm... lassen Sie mich nachdenken." Er griff in seine Jacke und holte ein dunkelblaues Taschentuch daraus hervor, das er kurz hin und her schwenkte. Erstaunt sah Retta ihm zu, wie er das Taschentuch zusammenknüllte und es dann in seiner geschlossenen Faust verschwinden ließ. "Sagen Sie ein Zauberwort", befahl er. Rettas Augen wurden weit. "Wie bitte?" Mac sah sie erstaunt an. "Sie kennen kein Zauberwort? Wie kommen Sie denn bloß durch den Tag?" Retta schüttelte den Kopf, als wisse sie nicht, was er von ihr wolle, und Mac sah einen Ausdruck von Sehnsucht in ihren Augen, der ihn tief berührte. Ob sie hinter ihrem ernsten Äußeren glücklich war? "Na ja, Abrakadabra würde schon ge hen." "Abrakadabra", wiederholte sie lahm. Mac öffnete seine Hand. Dort wo noch vor einem Augenblick das Taschentuch gewesen war, lag jetzt eine seiner Visitenkarten. Ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht, und Mac stockte der Atem. Bewundernd sah sie zu ihm hoch. "Das war wunderbar, Dr. McHale."
Als sie von der Rolltreppe hinunter traten, reichte er ihr die Visitenkarte und verbeugte sich. "Was kennen Sie denn noch für Tricks?" fragte Retta, die plötzlich fühlte, wie ihr eine heiße Röte ins Gesicht stieg. Ich kann nicht glauben, dass ich das gefragt habe, stöhnte sie innerlich. Belustigt hob er den Kopf. "Ich meine, ist das der einzige Trick, den Sie vorführen?" "Ich, äh, ich kann mich auch ganz manierlich benehmen." Mac hatte ihre Verlegenheit gesehen und festgestellt, dass sie gar nicht so unfehlbar war, wie sie andere glauben machen wollte. Verflixt, er wollte mehr von ihr wissen. "Würden Sie vielleicht... nein, ich weiß, das kommt zu plötzlich. Ich dachte nur, wir könnten über... wie hieß dieses Fachblatt doch gleich?" "Ethik", murmelte sie und vermied seinen Blick. Hoffentlich lädt er mich zum Essen ein, dachte sie plötzlich. "Nun, rufen Sie mich an, und dann vereinbaren wir einen Termin mit dem berüchtigten Dr. Winston. Vielleicht bin ich an dem Projekt interessiert." "Gut." Lange sahen sie einander an, es war Mac; der schließlich die Verzauberung brach und ihr seine Hand entgegenstreckte. Sie schüttelte sie kurz, dann ließ sie, sie wieder los. "Es war nett, Sie kennen zu lernen", sagte er. "Danke für Ihr Interesse. An dem Fachblatt, meine ich." Retta trat einen Schritt zurück. Sie hatte das Gefühl, immer das Falsche zu sagen. "Nennen Sie mich Mac", schlug er vor. "Und ich bin Retta... bitte." Noch einmal nickte sie ihm zu, dann wandte sie sich um und ging. Mac sah ihr nach, bis sie durch die Glastür verschwunden war. Mit gesenktem Kopf, die Hände tief in die Taschen vergraben, wandte Mac sich um und ging zur Bar. Er fühlte sich
plötzlich einsam, wie schon seit langem nicht mehr. Nicht einmal in der Ze it seit Judiths Tod - vier Jahre war es jetzt her war er sich so allein vorgekommen. Als er schon fast die Tür der Bar erreicht hatte, hörte er hinter sich auf dem Marmorboden das Klappern von hohen Absätzen. Mac wandte sich um. Mit großen ernsten Augen sah Retta Stanton ihn an. "Mac", sagte sie. "Können Sie nicht heute Abend mit mir essen gehen? Meine Firma wird dafür bezahlen. Wir könnten dabei über das Fachblatt sprechen." Das Lächeln, das sich bei ihren Worten auf seinem Gesicht ausbreitete, vertrieb die schreckliche Angst, die sie gehabt hatte, dass er vielleicht eine höfliche Ausrede gebrauchen würde, um ihr Angebot abzulehnen. Sie hatte ihren ganzen Mut gebraucht, zurückzukommen und ihn zu fragen. "Sehr gut. Wie war's um sieben?" "Fein." Rettas Knie wurden weich. "Mögen Sie "Barneys Market Club" auf der Randolph Street?" "Das ist ein ziemlich teures Restaurant für ein Geschäftsessen. Sind Sie sicher, Miss Retta?" "Dr. Winston möchte, dass Sie nur das Beste bekommen", erklärte sie ernst. "Er ist sicher ein großartiger Kerl, das kann ich jetzt schon sagen." Mac wusste, dass er wie ein Idiot grinste, aber er konnte sein Glück nicht verbergen. "Dann treffen wir uns um sieben bei Barneys." "Prima." Sie zögerte einen Augenblick, dann sah sie ihn an, erfreut, dass er ihre Einladung angenommen hatte. Sie streckte ihm noch einmal die Hand entgegen, und er schüttelte sie. Keiner von ihnen ließ die Hand wieder los. "Mac, mach, dass du hier reinkommst... hoppla." Mit einem frischen Drink in der Hand kam Vince aus der Bar: Retta und Mac zuckten zusammen und ließen einander los. Retta
umklammerte ihre Tasche und suchte nach passenden Worten. Mac rückte seinen Schlips zurecht. "Nun", wollte Vince wissen, "bin ich noch immer in Ungnade, junge Dame?" Retta sah ihn an. Ihre Mundwinkel zogen sich verräterisch hoch. Wer hatte schon Zeit, sich um sexbesessene Ärzte zu kümmern! "Nein." "Gott sei Dank." Retta reichte zuerst Vince und dann auch Mac ihre Geschäftskarte. Mac blickte darauf, dann lächelte er. "Ich freue mich schon auf das Essen, Henrietta P. Stanton." Bei seinen Worten grinste auch sie. "Ich mich auch, Burt." Als er sie erstaunt ansah, nickte sie und lächelte freundlich, dann wandte sie sich um und ging mit hocherhobenem Kopf zum Ausgang. Mac sah ihr verständnislos nach, und Vince begann zu lachen. "Woher weiß sie meinen Vornamen?" fragte Mac. "Sie hat sich anscheinend vorher nach mir erkundigt, ehe sie hier herkam." Vince schlug sich mit einer Hand vor den Kopf und lachte herzhaft. "McHale, du hast seit dem Tode deiner Frau alle anderen Frauen ignoriert. Ich glaube, du hast endlich eine gefunden, die dir gewachsen ist." Mac blickte grimmig. "Nein", sagte er angespannt und blickte zur Tür, durch die Retta verschwunden war. "Ich glaube, du irrst dich."
2. KAPITEL Die Leute, die sich nach fünf noch im Büro aufhielten, waren dieselben wie immer. Retta stieß die Tür zur Redaktionsabteilung auf. "Achtung, er kommt!" hörte sie eine Frauenstimme rufen. Retta erkannte die Stimme von Vanessa Ruey, der zierliche n Redakteurin. "Juuuhuuu!" antwortete eine aufgeregte Männerstimme. Bob Mauldin, ein untersetzter, bärtiger Mann sprang auf, als ein Schaumgummiball geflogen kam. Mit einem mächtigen Satz schnappte er den Ball und kam bei einer Topfpflanze zum Stehen. Er grinste Retta an. "Der zweite Boss ist da!" rief er Vanessa zu, dann warf er Retta den Ball zu. Sie fing ihn mit einer Hand auf und warf ihn zurück. "Ich nehme an, dieses Spiel bedeutet, dass du nichts zu tun hast, Bob." Sie warf ihm einen ernsten Blick zu, aber ganz ohne Tadel, so, wie man einen jungen Hund ansieht, der sich schlecht benimmt. Rettas Sinn für Management hatte ihr schon vor langer Zeit gezeigt, dass sie den Redakteuren ihren Zeitvertreib lassen musste, denn es half ihnen, ihre harte Arbeit leichter durchzustehen. Sie wurde für ihre Nachsicht belohnt durch die Ergebenheit ihrer Mitarbeiter.
"Du hast recht, meine Liebe. Aber mich erwartet heute wieder einer dieser schönen Abende am Telefon. Es ist nicht einfach, Informationschef des Landes für AIDS zu sein." "Wer hat dich denn dazu gemacht?" "Newt." Rettas Chef war exzentrisch, aber brillant. Das machte ihn zu einem erfolgreichen Herausgeber, aber nicht unbedingt zu einem liebenswerten Menschen. Misstrauisch beobachtete er jeden seiner Angestellten, der pünktlich Feierabend machte, und oft war er auch am Wochenende in der Redaktion, um zu sehen, welche Mitarbeiter ihm wirklich treu ergeben waren. Es waren Tage wie der heutige, an denen Retta sich fragte, warum ihr so viel an ihrem Job lag und warum sie schon beinahe vier Jahre hier arbeitete, obgleich die meisten Redakteure es nur zwei Jahre lang aushielten. Das Geld spielte natürlich die Hauptrolle. Da Retta aus ärmlichen Verhältnissen stammte, war sie sehr auf materielle Sicherheit bedacht. Aber wenn sie bedrückt war, gab sie vor sich selbst zu, dass sie auch blieb, weil ihr Leben so einsam war und ihr hektischer Beruf sie davon ablenkte, darüber nachzudenken. Aber heute hatte sie für solche Gedanken keine Zeit, dafür war sie viel zu sehr voller Energie. Schnell ging sie zu ihrem Büro und ließ sich in ihren Schreibtischstuhl fallen. Beinahe im selben Augenblick läutete ihr Telefon. "Retta, hat er ja gesagt?" hörte sie Newts Stimme. "Noch nicht, aber er ist interessiert." "Wir müssen ihn ganz einfach haben, Retta. Er ist die größte Kapazität auf dem Feld der medizinischen Ethik. Ohne ihn ist unser Fachblatt nur die Hälfte wert." "Ich habe ihn heute Abend zum Essen eingeladen, dann werden wir darüber reden." "Gut. Rufen Sie mich gleich morgen früh an." Klick. Retta blickte auf den Hörer und verzog das Gesicht.
Sie hatte hart gearbeitet, um sich zur Assistentin des Chefredakteurs hochzuarbeiten, sich aber trotzdem noch genug Freiheit bewahrt, um die Redakteure auf ihrer Seite zu haben. Scott Woodruff, der Computerspezialist der Firma, steckte seinen Kopf durch ihre Tür. Erfreut blickte Retta auf. Sie und Scott waren gute Freunde, und ihre Beziehung schien allen, außer ihnen selbst, seltsam. Scott war dreißig Jahre alt und arbeitete bei National Health, während er gleichzeitig studierte. Er sah unverschämt gut aus und hatte ungefähr ein Dutzend Freundinnen, aber Retta gefiel es, dass sie nicht zu ihnen gehörte. Zwischen ihnen beiden herrschte ein geheimes Einverständnis, ihre Freundschaft nicht durch mehr als einen Flirt zu gefährden. "Ich wette, McHale war großartig", begann er. Retta nickte verträumt, und Scott grinste. "Aha, noch besser als großartig." "Deine Anspielungen kannst du dir sparen", sagte sie. "Und nochmals vielen Dank, dass du mir die alten Artikel über ihn heraufgebracht hast Sie haben mir heute sehr geholfen." "Ich habe noch einen Artikel über ihn gefunden. Für medizinische Ethik hat er sich erst interessiert, nachdem seine Frau vor vier Jahren an Leukämie gestorben ist. In den letzten sechs Wochen wurde sie nur durch Maschinen am Leben gehalten, und das fand er entsetzlich. Deshalb ist er auch heute ein großer Gegner dieser Medizin." Scott blickte auf seine Uhr. "Herrje, ich muss gehen, ich muss noch zu einer Versammlung meines Clubs." "Warte", Retta stand auf, "was hast du noch herausgefunden?" "Das ist so ziemlich alles. Den Artikel habe ich in deine n Postkorb gelegt." "Danke, Scott."
Ungeduldig wartete Retta, bis er gegangen war, dann rannte sie beinahe durch den langen Flur zu dem Raum, in dem das Kopiergerät und die Postkörbe standen. "Tod seiner Frau veranlasst Kardiologen, die Ethik der Gesundheitsfürsorge in Frage zu stellen", stand über dem Artikel. Retta las ihn langsam Wort für Wort, während sie in ihr Büro zurückging. Als sie ein paar Minuten später wieder an ihrem Schreibtisch saß, legte sie den Artikel auf den Tisch und drehte ihren Stuhl so, dass sie nach draußen sehen konnte. Blicklos starrte sie ins Leere. "Der arme Mac", flüsterte sie. Die elegante Bar des Barneys Market Club gehörte, wie das Restaurant, zu Chicago. Retta sah Mac, der mit dem Rücken zu ihr an der Bar lehnte, und nahm sich einen Augenblick Zeit, um sich zu fangen und zu warten, bis ihr Atem wieder normal ging. Aus den Artikeln wusste sie, dass er zweiundvierzig Jahre alt war, also sechzehn Jahre älter als sie, aber das stört sie nicht. Dieser Mann war etwas ganz Besonderes. Außerdem strahlte er eine enorme Jugendlichkeit aus - durch sein Lachen, seine Offenheit und seine Lebhaftigkeit. Zusammen mit dem Barkeeper lachte er über etwas. Erstaunt sah Retta, dass Mac ein Kartenspiel in seine Jackentasche steckte - ein Kardiologe, der sich mit Kartentricks abgab - über diese Seite seines Wesens hatte sie noch nicht nachgedacht. Im selben Augenblick, als sie neben ihn trat, wandte Mac sich zu ihr um, und ihre mühsam aufrechterhaltene Ruhe war dahin. "Hallo!" brachte sie mühsam heraus. Einen Augenblick lang sah er sie seltsam besorgt an, dann lächelte er höflich. "Hallo, Henrietta." "Hallo, Burt." Der Barkeeper half ihnen aus der Verlegenheit, indem er fragte, was Retta trinken wolle. Sie blickte auf das Glas in Macs Hand, und Mac fo lgte ihrem Blick.
"Milch", sagte er, ohne verlegen zu werden. Retta nickte. Wieder ein interessantes Detail, das sie über ihn erfuhr. Er war wirklich ein ungewöhnlicher Mann. "Ich nehme auch Milch", erklärte sie. Der Barkeeper sah beide mit hochgezogenen Augenbrauen an, sagte aber nichts. Mit schiefgelegtem Kopf beobachtete Mac sie. Retta schluckte und versuchte, das wilde Schlagen ihres Herzens zu ignorieren. "Also, Henrietta, woher wissen Sie so gut über mich Bescheid?" fragte Mac plötzlich. "Ich habe mich aus allen Artikeln über Sie informiert. Dr. Winston verlangt eine gründliche Untersuchung aller eventuellen Mitglieder des Beratergremiums." "Warum das denn? Ist er paranoid?" "Ja." Mac sah in ihr ernstes Gesicht und glaubte, dass sie Spaß machte, aber dann merkte er, dass sie es ernst meinte. Sie schien überhaupt alles viel zu ernst zu nehmen. Der Barkeeper reichte ihr ein Glas Milch. Retta nippte daran, stellte dann ihr Glas ab, legte ihre Tasche weg und faltete beide Hände vor sich. Sie hatte einen hübschen, sinnlichen Mund, der nicht sehr lange ernst bleiben konnte, wie sehr sie es auch versuchte. Jetzt zogen sich ihre Mundwinkel unwillkürlich hoch. "Woher kommen Sie, Henrietta?" "Südlich von hier, aus Springfield." "Oh, dann sind Sie also ein Mädchen vom Land?" "Nein, ich bin schon mit zehn Jahren nach Chicago gekommen und habe bei meiner Tante Desinada gelebt." "In Ihrer Familie herrscht wohl eine Vorliebe für außergewöhnliche Vornamen", neckte er sie. "Desinada hatte den auch verdient. Sie hatte eine außergewöhnliche Art, die Dinge zu sehen. Sie hat immer gesagt, ich sei ihre Zwergen-Schwester. Wir hatten eine Menge Spaß zusammen." "Und Ihre Eltern ...", begann er.
"Sind bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen." Sie sprach diese Worte so unbefangen aus, als sei sie über diesen Verlust längst hinweggekommen. Aber das hatte sehr lange gedauert. Der Schmerz darüber überkam sie nur noch manchmal, nachts in ihren Träumen. Aber der sanfte mitleidige Ausdruck in seinen Augen ließ ihr eine Gänsehaut über die Arme laufen. Ohne ein Wort sagte er ihr damit, dass er ihre Sorgen verstand. Schnell nippte Retta noch einmal an ihrer Milch. "Also haben Sie mit Ihrer Tante Desinada in Chicago gelebt", fragte er leise und Retta nickte. "Sie arbeitete als Sekretärin bei der Telefongesellschaft. Wir hatten eine Wohnung hier in der Stadt." "Hatten? Arbeitete?" "Sie ist vor ein paar Jahren gestorben, an einer Nierenkrankheit. Danach habe ich mir eine kleinere Wohnung gesucht." Seine Brauen zogen sich zusammen. Kein Wunder, dass sie reifer war als andere junge Frauen ihres Alters, sie hatte mehr Leid erfahren. Retta blickte zu ihm auf, dann sah sie schnell weg. Ihre langen, dunklen Wimpern flatterten, als sie jetzt in ihr Glas sah. Macs Hand schloss sich fest um das warme Holz der Bar, um sie nicht in seine Arme zu nehmen und sie an sich zu drücken. Was für ein intensives Gefühl für eine Frau, die er kaum kannte. Mac fragte sich, wie Retta wohl auf eine solche Umarmung reagieren würde. Vermutlich mit der gleichen Abfuhr wie der für Vince. Retta sah, wie er die Stirn runzelte. Sie war sicher, dass es ihm leid tat, dass er nach ihrer Familie gefragt hatte. "Herrje, melodramatisch sollte sich das nicht anhören", beeilte sie sich zu sagen. "Ich hatte das Glück, drei wunderbare Menschen zu haben, die mich liebten. Wir können ja dieses Thema wechseln."
"Schon gut. Sie klingen tapfer und kein bisschen melodramatisch." Sie wollte sein Mitleid nicht, aber er hatte das Gefühl, dass sie es dringend brauchte. Wieder überkam Mac das Gefühl, sie beschützen zu müssen, wie damals, als Vince sie so plump behandelt hatte. "Haben Sie sonst noch Familie?" "Oh, ein paar Kusinen, Tanten und Onkel, aber keiner von ihnen lebt in Illinois." Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass sie vielleicht verheiratet sein könnte. Er warf einen Blick auf ihre linke Hand. Einen Ring trug sie nicht, aber das hatte nichts zu bedeuten. Aber warum sollte es ihm überhaupt etwas ausmachen, dachte er, sie war ja viel zu jung. Daran musste er sich immer wieder erinnern, schließlich war das hier ein Geschäftsessen. Retta blinzelte erschreckt, als er plötzlich für den Bruchteil einer Sekunde die empfindliche Haut hinter ihrem Ohr berührte. Als er seine Hand wieder zurückzog, hielt er eine sauber gefaltete Fünf-Dollar-Note zwischen Daumen und Zeigefinger. "Danke", sagte er fröhlich, "dass Sie die Milch bezahlen." Er legte den Geldschein auf die Theke. "Kommen Sie, wir suchen uns einen Tisch." Retta sah ihn mit offenem Mund an. "Sie sollen das aber nicht bezahlen", platzte sie dann heraus. "Dr. Winston lädt heute ein." "Das wäre Bestechung. Ich muss mir doch meine Ehre bewahren, was denken Sie denn von mir?" Sie lächelte ihn an. Er gefällt mir, dachte sie, als sie neben ihm die Bar verließ. Bei Barneys aß man am besten gegrillte Rippenstücke, Steak oder Hummer. Retta und Mac waren um eine leichte Unterhaltung bemüht. Erst nachdem sie bestellt hatten, begann Retta: "Ich möchte Ihnen etwas über die Geschichte von National Health erzählen." "Der alte Newt gibt dreißig verschiedene Fachblätter heraus und noch ein Dutzend anderer Schriften, die er an Mediziner im
ganzen Land schickt", unterbrach Mac sie. "Er hat etwa hundert Angestellte und fast genauso viele Freundinnen, ist sechsundfünfzig Jahre alt und war nie verheiratet. Und er sammelt Clownsfiguren aus Porzellan." Befriedigt lehnte Mac sich in seinem Stuhl zurück. Überrascht blickte Retta ihn an. "Ich sehe, Sie haben Ihre eigenen Erkundigungen eingezogen." Er nickte und lachte. Sein Lachen war tief und voll, mit seinen blitzenden Augen war er unwiderstehlich. Rettas Gesicht wurde ganz sanft. Wunderschön sah sie aus, dachte er, und das Lachen blieb ihm in der Kehle stecken. "Über Sie habe ich auch etwas erfahren, Henrietta", sagte er und räusperte sich. Retta setzte sich ganz gerade und sah ihn vorsichtig an. "Woher haben Sie denn Ihr Wissen?" "Von Larry Burdine." "Aha." Burdine der, der PR-Abteilung der Amerikanischen Akademie der Kardiologen vorstand, hatte mit ihr zusammen bei National Health angefangen. "Ich habe Burdine in der Bar des Mariott-Hotels getroffen, nachdem Sie gegangen waren. Ich dachte mir, dass Ihr Leute aus der schreibenden Zunft einander alle kennt." "Und was für schreckliche Lügen hat er Ihnen über mich erzählt?" fragte sie lachend. Mac rieb seine Hände aneinander, und plötzlich erschien eine Rose, die er ihr mit einem Grinsen überreichte. Retta seufzte und tat, als sei sie böse auf ihn, aber innerlich jubelte sie vor Begeisterung. "Er hat gesagt, Sie arbeiten härter als alle, die er kennt. Man hat Sie das "Junge Genie" genannt. Und dann sagte er, dass Sie die Geduld einer Heiligen hätten und den Ehrgeiz eines Rockefeller. Niemand hielte es länger als zwei Jahre bei National Health aus, aber Sie seien schon vier Jahre da."
"Verstehe." Sie drehte die Rose zwischen ihren Fingern und fragte sich, ob er sie wohl extra für sie gekauft hatte. Sie legte sie vorsichtig auf ihre Tasche. "Und was hat er sonst noch gesagt?" "Nichts mehr", log Mac. In Wirklichkeit hatte Burdine sie eine alte Jungfer genannt, die nach jeder Mahlzeit ihre Zähne putzt und mit den Pflanzen im Aufenthaltsraum redete. Aber natürlich würde er ihr das nicht erzählen. "Er hat mich sicher eine mausgraue alte Jungfer genannt, nicht wahr?" fragte sie. Als Mac sie ansah, entdeckte er einen Anflug von Belustigung auf ihrem Gesicht. Retta sah die Bestätigung ihres Verdachtes in seinen Augen. "Ich weiß, dass er mich so sieht", sagte sie, und ein kleines Lächeln lag auf ihren Lippen. "Nein", widersprach Mac, und sie sah erstaunt auf. Mac schüttelte den Kopf. "Sie sind nicht mausgrau." Retta stockte der Atem, als sich ihre Blicke trafen. Am liebsten hätte sie geweint, und das war doch lächerlich, denn er hatte ihr doch ein Kompliment gemacht. "Danke, Mac." Sie blickte an sich hinunter und wünschte, sie hätte sich etwas anderes angezogen. Etwas anderes? fragte sie sich. Sie besaß doch nur Kostüme wie dieses hier oder schlichte, unauffällige Kleider. Mac sah, dass sie bestürzt war, und fühlte mit ihr. Sie waren viel zu ernst geworden. , "Sagen Sie", begann er und nahm seinen ganzen Mut zusammen. "Sind Sie mit einem Kostüm geboren worden, oder haben Sie erst in der Schule angefangen, eins zu tragen?" Schockiert über so viel Kühnheit blickte sie auf, dann holte sie tief Luft und bega nn zu lachen. Bezaubert saß Mac vor ihr und lauschte diesem Lachen. Unter ihrer starren Fassade verbarg sich eine wunderbar lebendige Persönlichkeit. Seine Brust wurde plötzlich weit von dem Entschluss, die zu entdecken.
"Sagen Sie Ihren Patienten auch immer so schreckliche Sachen?" fragte sie atemlos. "Wenn mir jemand anders diese Frage gestellt hätte, hätte ich ziemlich empfindlich reagiert." "Wie denn?" wollte er wissen. "Was tut Henrietta P. Stanton, wenn sie wütend wird?" "Ich..." Einen Augenblick lang dachte sie nach. "Ich fange an zu putzen. Ich schaffe für meine Gefühle ein konstruktives Ventil." "Sie putzen?" Er sah sie bestürzt an, aber auch amüsiert. "Was denn, zum Beispiel?" "Oh, meinen Herd oder einen Schrank, oder mein kleines Auto. Einmal habe ich sogar den Fußboden meiner Wohnung mit einer Zahnbürste geschrubbt." "Und was hat Sie damals so wütend gemacht?" Ihre Augen wurden ganz dunkel, und sie zog sich in sich selbst zurück. Er drängte sie trotzdem weiter. "Reden Sie nur, verschließen Sie sich nicht, ich bin viel zu neugierig." "Ich..." Retta zögerte. Ach, was machte es denn schon. "Ich hatte mit jemandem gebrochen." "Oh." Sie sah seine Verlegenheit und musste lächeln. Was auch immer der Grund dafür war, sie hoffte, dass es Eifersucht war. Aber das war wohl eine Phantasie, dieser Mann war natürlich nicht eifersüchtig. "Ich kannte da jemand am College", hörte Retta sich sagen, und dann redete sie immer weiter, erzählte Einzelheiten, die sie nie zuvor jemandem anvertraut hatte. Aber sie hatte das Bedürfnis, ihm alles zu erklären. "Wir dachten, dass es klappen würde, aber als es nach fünf Jahren noch immer nicht funktionierte, habe ich Schluss gemacht." "Wie kann jemand in so jungen Jahren nur eine ernsthafte Beziehung über fünf Jahre hinweg haben?"
Retta machte eine abwehrende Handbewegung. "Ich bin immerhin sechsundzwanzig. Ihnen scheint das vielleicht jung, aber deshalb sollten Sie mich noch lange nicht bevormunden." "Entschuldigen Sie." Mac fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Es war so gar nicht seine Art, andere Menschen zu klassifizieren. Warum nur war es so schwierig, mit ihr über ihr Alter zu reden? Und warum hatte er das Gefühl, dass es so wichtig war? "Das war wirklich etwas gedankenlos, was ich da gesagt habe." "Schon gut, ich bin daran gewöhnt. Fast alle, die bei National Health arbeiten, sind noch unter dreißig. Das macht es auch viel schwerer, Respekt und Vertrauen zu gewinnen." "Nein, meinen Respekt und mein Vertrauen haben Sie schon gewonnen." Bei seinen Worten stieg ein angenehm warmes Gefühl in Retta auf. Sie blickte auf seine Hände, die ganz nahe neben ihren auf dem Tisch lagen. Er hatte sehr schöne Hände, groß und männlich und trotzdem elegant. "Aha!" Verwirrt sah sie zu ihm auf. Er ballte die Faust, öffnete sie dann wieder und holte noch eine Rose hervor. Schelmisch blinzelte er ihr zu. "Ich wusste doch, dass ich noch irgendwo eine hatte. Bitte." Erfreut nahm sie die Rose. "Ihre Taschen werden noch die Rosenkrankheit bekommen, Mac." Er lachte herzlich, aber er hatte das Gefühl, dass er irgend etwas tun musste, um die Spannung zwischen ihnen zu mindern. Er nahm die Gabel in seine Hand und ließ sie verschwinden. "Holen Sie die Gabel zurück", befahl Retta. "Ich hoffe, Sie machen so etwas nicht bei Ihren Operationen. Mac, ist diese Zauberei Ihr Hobby, mit dem Sie sich von dem Stress erholen?" Von irgendwoher erschien die Gabel wieder, und er reichte sie ihr. "Ja, aber ich mache auch Yoga und laufe. Meistens aber spiele ich Golf."
Ein ungläubiges Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, und Mac ärgerte sich, dass er das gesagt hatte, denn Golf bedeutete ihrer Generation sicher nichts. "Wie hoch ist Ihr Handicap?" fragte sie neugierig. Verwirrt sah er sie an. "Vier." "Das ist ja großartig! Meins ist zehn." "Sie spielen Golf, Retta?" "Fast jeden Tag. Ich bin besessen davon." Mac spielte mit seiner Gabel, die plötzlich mit einem lauten Klirren zu Boden fiel. Retta war ja wirklich perfekt: ehrlich, klug, hübsch, sie spielte Golf - und sie lachte über seine Zaubertricks. Sie sah ihn auf eine so merkwürdige Art an, dass er sich stark fühlte, zärtlich und zu erstaunlichen sexuellen Empfindungen angeregt... O mein Gott, dachte er, habe ich mir wirklich ernsthaft vorgestellt, wie mir aus ihrem ernsten Gesic ht das Verlangen entgegenleuchten würde, wie sie ihr strenges Kostüm zusammen mit ihrer Unterwäsche beiseite werfen und ihr nackter Körper mich erwarten würde? "Mac, ist alles in Ordnung?" "Ich bin... überrascht. Ich dachte, niemand unter dreißig spielt Golf." "Nun ja..." Sie sah ganz verlegen aus. "Ich spiele ja nicht nur Golf, ich habe auch noch andere Hobbies. Ich... ich nähe zum Beispiel. Dieses Kostüm habe ich selbst genäht." "Das ist ja großartig." Er stützte das Kinn in die Hand und sah sie an. Eine eher väterliche Haltung ihr gegenüber würde seine wandernden Gedanken sicher vertreiben, dachte er. Retta rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. Er schien sie analysieren zu wollen, das gefiel ihr nicht. Okay, ich bin nun mal keine aufregende Frau, sagte sie sich. Ich arbeite hart, bezahle meine Rechnungen und komme ohne fremde Hilfe durchs Leben. Und ich habe auch gar nicht die Absicht, hilflos und aufregend zu sein.
"Wissen Sie, was Ihnen fehlt, Henrietta?" fragte er. Jetzt kommt es, dachte Retta. Konnte er denn Gedanken lesen? "Ich... nein... wieso?" "Sie sollten sich Ihrem Alter entsprechend bene hmen. Sie sind viel zu jung, um schon so alt zu sein. Hören Sie auf meinen Rat, das Leben ist viel zu kurz." "Ich wäre aber viel lieber so wie Sie." "Wie bitte?" Retta deutete auf die zwei Rosen. "Sie sind der jugendlichste Mann, den ich kenne. So etwas zu tun... und... immer so zu lachen. In meinen Augen sind Sie nicht zweiundvierzig, sondern höchstens vierundzwanzig." "Woher wissen Sie denn, dass ich zweiundvierzig bin?" "Haben Sie vergessen, dass ich mich über Sie informiert habe?" "Sie werfen mich wohl in einen Topf mit diesen ältlichen Kerlen, die herumlaufen und sich wie College-Studenten benehmen. Ich versichere Ihnen, zu denen gehöre ich nicht." "Ich habe damit nicht gemeint, dass mit Ihnen etwas nicht stimmt", brachte Retta schließlich hervor. "Ich beneide Sie um Ihre Lebensfreude." Sie hielt inne. "Und ältlich sind Sie schon gar nicht. Du liebe Güte, Mac, denken Sie wirklich so von sich selbst?" Er lachte leise. "Manchmal. Dann sehe ich mir Männer an, wie zum Beispiel meinen Freund Vince und hoffe, dass niemand denkt, ich wäre auch so." "Wie denn? So ein Schürzenjäger?" Lächelnd nickte er. "Ganz recht." Retta hob beide Hände in einer hilflosen Geste, dann schüttelte sie ungläubig den Kopf. "Sie sind keiner", sagte sie ernst. "Wirklich nicht?" Irgendwie machten ihn ihre Worte glücklich. Wenigstens konnte er ihr Freund sein, ohne zu denken, dass sie an seinen Gefühlen für sie zweifelte. "Danke",
sagte er übertrieben erleichtert. "Jetzt fühle ich mich viel besser." "Habe ich denn irgend etwas gesagt oder getan, weshalb Sie sich mir gegenüber... nicht wohl fühlten?" "Nichts." Du Lügner, schalt er sich. "Ich möchte Ihnen nur sagen, dass Sie sich meinetwegen keine Sorgen zu machen brauchen. Ich bin sicher, Sie sind daran gewöhnt, von Männern hofiert zu werden, aber bei mir brauchen Sie sich deshalb keine Sorgen zu machen." "Das freut mich, Mac." War der Mann denn blind? fragte sie sich. Oder hatte er etwa in ihren Augen lesen können und suchte jetzt nach einem Weg, sie abzuweisen. Sie lächelte. "Bitte, Mac, zeigen Sie mir einige Ihrer Kartentricks und lassen Sie uns diese seltsame Unterhaltung vergessen." Mac war erleichtert. Was konnte es schon schaden, wenn er einfach ihr Freund war und diesen Abend dazu benutzte, sie zum Lachen zu bringen? Mit einem Lächeln griff er in seine Tasche. "Nehmen Sie eine Karte", befahl er, als er die Karten wie ein Fächer auseinanderschnellen ließ. "Irgendeine."
3. KAPITEL "Noch einmal, Mac! Zeigen Sie es mir!" rief der zehnjährige Junge vom Nebentisch. Mac grinste - und verwandelte sein Taschentuch in eine EinDollar-Note. Retta lachte, der Junge hatte jetzt schon zum drittenmal kassiert, er war ganz schön schlau. "Gib dem netten Herrn sein Geld zurück, Tommy", drängte die Mutter des Jungen. Tommys Blick verdunkelte sich, aber Mac schüttelte den Kopf. "Behalte es." Hinter den Ohren des Jungen holte er einen Vierteldollar hervor und reichte ihm das Geld auch noch. "Du warst ein gutes Publikum." Die Eltern des Jungen und auch die anderen Gäste um sie herum, die er in der letzten Stunde mit seinen Tricks unterhalten hatte, applaudierten. Retta nippte an ihrem Kaffee und dachte zum wiederholten Mal, dass sie sich nicht erinnern konnte, wann sie sich zum letzten Mal so gut amüsiert hatte. Während der Diskussion um das Fachblatt hatte Mac sie wenigstens ein Dutzend Mal zum Lachen gebracht. Wieder und wieder musste sie sich ins Gedächtnis rufen, dass es nichts Außergewöhnliches war, sich bei einem geschäftlichen Essen zu amüsieren. Immerhin musste sie Mac ja bei Laune halten, das würde Newt ganz sicher auch wollen.
"Wohin gehen wir jetzt? " fragte Mac nach einem Blick auf seine Uhr. "Es ist erst halb neun." "Aber es ist doch mitten in der Woche", protestierte sie. "Sind Sie immer so vernünftig, Henrietta?" Sie zuckte mit den Schultern, antwortete aber nicht. "Wir können in den ,Pump Room' gehen und einen Schlummertrunk nehmen", meinte sie schließlich. "In den ,Pump Room' ? " fragte er und legte übertrieben erschrocken seine Hand auf sein Herz. "Das ist mir zu elegant. Wir sollten Rollschuhlaufen gehen." "Erstens kann ich das nicht, und zweitens geht das auch nicht in einem engen Rock." "Oder wir gehen tanzen." Unsicher sah sie ihn an. "Was denn für eine Art Tanz?" "Na ja, wir könnten uns ja auf ein Mittelding zwischen Punk und Walzer einigen." "Wie war's denn mit Polka?" schlug sie vor. "Sie mache n doch Spaß." "Nein, ich bin zu einem Viertel Polin." "Und was bedeutet das? Sind Sie mit dem Wissen zur Welt gekommen, wie man Polka tanzt?" Sie lachte. Herrje, wie er es liebte, sie lachen zu hören. Mac freute sich, dass er sie so sehr aus der Reserve ge lockt hatte, zwei Drinks hatten ihm dabei geholfen, denn offensichtlich war sie an Alkohol nicht gewöhnt. "Polka ist in Ordnung", meinte er. "Aber Sie müssen es mir beibringen." Retta biss sich auf die Lippe. In seinen Armen zu liegen, wenigstens beim Tanzen, müsste wundervoll sein. "Aber wir müssen auch über das Fachblatt sprechen, damit der Abstecher legitim wird", warnte sie ihn. "Tanzen fällt natürlich nicht unter Dr. Winstons Kriterien für die Bewirtung potentieller Mitglieder des Beratergremiums."
"Ich verspreche, mich nicht zu amüsieren", erklärte Mac ernst, und um seinen Mund zuckte es. Kurz darauf traten sie in die kühle Aprilnacht. Ein leichter Nieselregen fiel, und Retta schlug den Kragen ihres Mantels hoch. "Wir nehmen mein Auto, okay?" fragte er. Vor einem niedrigen, silbernen Wunder der Technik blieben sie stehen. "Ist das Ihrer?" fragte sie überrascht. "Ja, ich weiß, es sieht..." Er zögerte. "Mac, ich habe noch nie in einem DeLorean gesessen." Betroffen sah sie ihn an, als habe sie plötzlich eine beunruhigende Seite seines Wesens kennen gelernt. "Es war nur eine Geldanlage", erklärte er. "Also gut, Henrietta, ich gebe zu, ich bin ein Angeber." Sie lächelte. "Geständnisse sind gut für die Seele." Mac öffnete die flügelähnlichen Türen des Wagens. Retta stieg ein und sah sich neugierig um, während er um das Auto herumging. Eigentlich hatte er den Wagen, den er sich in einer eigenartigen Stimmung nach Judiths Tod angeschafft hatte, schon längst verkaufen wollen. Retta bemerkte eine kleine Plastiktüte, die am Armaturenbrett hing. Neugierig blickte sie hinein. Gerade setzte Mac sich auf den Fahrersitz, als Retta laut zu lachen begann. Dauerlutscher! Dieser Mann hatte Dauerlutscher in seinem DeLorean. "Was ist los?" wollte er wissen. Als er ihrem Blick folgte, musste auch er lachen. "Ach, so." "Sind die für Ihre Mitfahrer, Mac?" "Nur, wenn sie sehr, sehr nett sind." Er holte sich einen Schokoladenlutscher aus der Tüte. "Bedienen Sie sich." Sie fuhren mit ihren Lollies im Mund durch die hellerleuchteten Straßen von Chicago. Die Starlight Dance Hall lag in einem Vorort, der einmal bessere Tage gesehen hatte. Alte Reihenhäuser standen auf der einen, moderne Appartementhäuser auf der anderen Seite der Tanzhalle, die
einmal ein Supermarkt gewesen war. Nachdem sie den DeLorean neben einem klapprigen Sedan und einem alten Kombi abgestellt hatte, ging Mac neben ihr her zu der hellerleuchteten Halle. "Du liebe Güte", brachte Mac heraus, als sie im Foyer standen und in die riesige Halle blickten. "Das sieht ja aus wie ein Altersheim für den polnischen Nationalzirkus." "Vorsicht", warnte sie ihn, auch wenn seine Bemerkung nicht böse gemeint war. Und so unrecht hatte er gar nicht. Wenigstens die Hälfte der Tänzer, die sich zur Polkamusik der fünfköpfigen Band über das Parkett bewegten, war über fünfundsechzig. "Kommen Sie", sagte Retta, "die Mäntel können wir hier lassen." Als Retta ihren ausziehen wollte, fühlte sie plötzlich seine großen armen Hände auf ihren Schultern. Erstaunt wandte sie sich um. "Habe ich gegen die Gesetze der Tanzhalle verstoßen? " fragte er. "Nein, ich bin es nur nicht gewöhnt, dass mir jemand aus dem Mantel hilft." Natürlich gab sie nicht zu, dass das Gefühl seiner Hände auf ihren Schultern herrlich gewesen war. "Ich dachte, Sie wären fünf Jahre lang mit einem Mann zusammen gewesen." Sie nickte. "Aber er half mir nie aus dem Mantel und hat mir auch nie die Autotür geöffnet. Wir waren uns darin einig, dass solche Gesten veraltet und unnötig wären." Mac fühlte sich wie ein Dinosaurier. "Soll ich das lassen?" "Nein!" wehrte sie etwas zu heftig ab. "Inzwischen bin ich älter. Es ist eine harmlose Geste, und ich... es gefällt mir." Mac reichte ihren Mantel der Garderobiere. Es war ihm gar nicht recht, dass sie ihn oder seine Gesten für harmlos hielt. Tief im Inneren hoffte er, dass sie sich von ihm genauso angezogen fühlte wie er sich von ihr.
"Haben Sie noch nie die Polka-Show von Lawrence Welk im Fernsehen gesehen?" fragte sie. "So etwas sehen sie sich an?" "Das habe ich früher getan, zusammen mit Nada. Sogar noch in den letzten Monaten, als sie schon schwer krank war, liebte sie diese Show." Mac fasste sie am Arm. "Wie lange war sie denn krank?" "Oh..." Retta tat, als rechne sie nach, während sie nur darum bemüht war, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. "Vier Jahre." "Sie sagten, es waren ihre Nieren?" "Im Grund genommen ja. Sie glaubte, sie hätte eine gewöhnliche Nierenentzündung, aber es war viel schlimmer. Eins kam zum anderen. In den letzten Monaten, ehe sie starb, hatte sie mehrere Schlaganfälle. Und schließlich versagten ihre Nieren." "In welchem Pflegeheim war sie denn?" "Pflegeheim?" Überrascht blickte Retta zu ihm auf. "In den letzten Wochen war sie im Krankenhaus, davor lebte sie bei mir." "Soll das heißen, dass sie die ganze Zeit für sie gesorgt haben?" Retta nickte. "Natürlich. Eine Pflegerin konnten wir uns nicht leisten. Außerdem war sie meine Tante und demnach meine Verantwortlichkeit. Wir lebten zusammen und sorgten füreinander." Sie konnte seinen skeptischen Gesichtsausdruck nicht verstehen. "Sind Sie wegen irgend etwas böse?" Erst jetzt wurde ihm klar, wie er wohl aussehen musste, und schnell wurde sein Blick wieder sanft. Er suchte nach Worten. "Ich glaube, Sie sind eine sehr starke Frau. Es muss eine ziemlich harte Zeit für Sie gewesen sein. Ich wünschte, ich hätte Ihnen damals helfen können." "Das tun Sie jetzt", antwortete sie leise. "Dadurch, dass Sie sich um mich kümmern."
In der Stille, die nach ihren Worten zwischen ihnen stand, berührte Mac sanft ihren Handrücken. Zu seiner Überraschung drehte sie ihm ihre Handfläche zu und verschränkte ihre Finger mit seinen. Unwillkürlich umschlangen sich ihre Hände so fest, dass es beinahe schmerzte. Mac stockte der Atem, er begab sich hier auf gefährliches Gebiet. "Danke", murmelte er. "Sie sind ein nettes Mädchen, ich wünschte, ich hätte eine Tochter wie Sie." Abrupt zog er ihre Hand an die Lippen und drückte einen herzhaften Kuss darauf. Dann ließ er sie los und klopfte ihr väterlich auf die Schulter. Retta war gekränkt, aber sie versuchte, ihre Gefühle zu verbergen. Was war ich nur für ein Dummkopf, dachte sie, seine Freundlichkeit für etwas anderes zu halten. "Nun", meinte sie etwas spitz, "ich habe mir schon immer gedacht, dass die besten Ärzte Vaterfiguren sind." Sie hätte ihn nicht mehr treffen können, wenn sie ihn Opa genannt hätte und ihn gefragt hätte, wie lange er denn ausgehen dürfe, ehe er müde wurde. "Werden Sie mir beibringen, wie man Polka tanzt?" fragte er abrupt und versuchte, seine aufgewühlten Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Er zwang sich zu einem Lächeln. "Morgen ist ein Arbeitstag, wir müssen beide nach Hause." "Wenn Sie Walzer tanzen, können Sie auch Polka tanzen." "Polka tanze ich sonst nur in meinen Alpträumen." Zusammen gingen sie auf die Tanzfläche. Retta streckte ihm beide Hände entgegen und versuchte dabei ein kleines Lächeln. Die Band spielte einen Walzer. Mac nahm sie in die Arme, war aber sehr darauf bedacht, dass ihre Körper sich nicht berührten. Er tanzt gut, dachte Retta. Sie hätte sich am liebsten in seine Arme geschmiegt und ihren Kopf an seine Schulter gelegt. "Nun", meinte er spöttisch, "erzählen Sie Papa von diesem jungen Springinsfeld, der Ihnen nie in den Mantel geholfen hat und Ihnen auch nie die Autotür aufgehalten hat."
"Da gibt es nichts zu erzählen." Auf keinen Fall wollte sie jetzt an einen anderen Mann denken. "Sie sagten, Sie haben ihn im College kennen gelernt?" Re tta seufzte. "Ja, wir waren damals beide neu dort. Sein Name ist Jay Monroe. Er hat jetzt eine Werbeagentur in New York." "Hatte er denn ernste Absichten?" "Ja, und trotz allem war er sehr charmant und ist es noch immer. Er ist sogar anbetungswürdig." "Sehr interessant." Mac konnte einen gewissen Sarkasmus nicht unterdrücken. Aber Retta vermied seinen Blick, und das störte ihn mehr, je länger der Tanz dauerte. "Warum haben Sie ihn denn laufen lassen?" "Er wurde einfach nicht erwachsen." Als er schwieg, fühlte Retta sich verpflichtet, weiter zu erklären. "Er war ein kleiner Junge, mir wurde schließlich klar, dass ich bei ihm die Mutterrolle übernommen hatte. Ich lieh ihm Geld, ich kümmerte mich um ihn, wusch seine Wäsche - wenn ich auch kaum Zeit genug hatte, für mich und Desinada zu sorgen." "Gab es denn auch eine Phase, in der Sie ihn heiraten wollten?" "Ja, aber als er dann endlich ein wenig vernünftiger wurde und auch heiraten wollte, hatte mich seine nachlässige Art schon zu sehr verletzt. Wir beide wollten nie das gleiche zur gleichen Zeit." "Dann haben Sie einfach Schluss gemacht?" "Ja, vor zwei Jahren." "Aber Sie haben vermutlich die verlorenen Gelegenheiten nachgeholt." Natürlich hoffte er, dass sie das nicht getan hatte. "Sicher." Sehr überzeugend klang das nicht, und als er sie eindringlich ansah, erklärte sie. "Ich habe eine Menge Zeit auf meine berufliche Karriere verwandt und nicht oft Gelegenheit, Bekanntschaften zu machen. Ja, und dann ist Nada kurz danach gestorben, da stand mir der Sinn auch nicht danach."
"Aber erstens ist das doch schon zwei Jahre her, und zweitens sind sie viel zu jung, um so hart zu arbeiten und sich so wenig zu amüsieren." "Jugend hat damit nichts zu tun. Sie arbeiten ja auch hart, und es sieht ganz so aus, als würden Sie das Leben sehr genießen." "Aha, jung bin ich also nicht", neckte er sie. "Verflixt." Sie blieb einfach stehen, und Mac blickte in ihre braunen Augen, in denen es nun ärgerlich blitzte. "So habe ich das nicht gemeint. Sie sind durchaus noch jung." "Sprechen Sie nicht so respektlos zu einem Älteren." "Und behandeln Sie mich nicht wie ein Kind, Dr. McHale." "Kommen Sie her und seien Sie ruhig." Er zog sie an sich. Als sie den Kopf hob, war sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Benommen blickte Retta in seine blauen Augen. "Walzer!" befahl sie, denn sie wusste nicht, was sie sonst sagen sollte. "Jawohl, Ma'am." Sie tanzten, wie zwei Menschen Walzer tanzen sollten: engumschlungen. Unglücklicherweise war der Walzer schon dreißig Sekunden später zu Ende. Retta zitterte vor Erregung, als er sie losließ. Mac war noch ganz gefangen von dem Duft ihres Haares und dem Gefühl ihrer Stirn an seiner Wange. "Jetzt werden wir Polka tanzen", kündigte der Bandleader an. "Oh, nein!" Mac stöhnte. "Sie brauchen sich nur von mir führen zu lassen", beruhigte Retta ihn. "Es ist ganz einfach. Und Sie sind ein guter Tänzer, Sie werden es schnell lernen." Trotz seiner Bedenken lernte er die Schritte schnell, und schon bald konnte er sie durch den Tanz fuhren. "Phantastisch!" Als die Musik abbrach, wirbelte er Retta noch einmal herum. Er liebte es zu sehen, wie ihr glänzendes Haar flog. Zu früh ließ er ihre Hand los, so dass Retta stolperte.
Mac fing sie gerade noch auf, bevor sie hinfiel. Instinktiv griff sie nach seinen Schultern und hielt sich fest. "Vorsicht", haschte sie atemlos. "Polkas können gefährlich sein." "Ich weiß", antwortete er, genauso atemlos. Einen Augenblick lang starrten sie einander an, Retta streckte ihre Hand aus und strich ihm eine Strähne seines graugesträhnten braunen Haares aus der Stirn. Ihre Hand blieb auf seiner Wange liegen. Abrupt trat er einen Schritt zurück. Als sie seinen Gesichtsausdruck sah, zuckte ihre Hand zurück. "Das war nicht sehr durchdacht von mir, McHale. Denn... ich sehe Sie eher als Freund. Tut mir leid." Noch immer sah er beunruhigt aus, aber sein Mund verzog sich zu einem kleinen traurigen Läche ln. "Das möchte ich auch", sagte er leise. "Dann ist es ja gut", murmelte sie und lächelte. "Das war's für heute Abend, Leute", verkündete der Bandleader über das Mikrofon. "Kommen Sie Freitag wieder, für heute Abend ist Schluss." "Wie schade", sagte Mac belustigt. "Ich fing gerade an, mich daran zu gewöhnen." Er schob eine Hand unter Rettas Arm und schob sie zur Garderobe. "Wenn Sie je wieder Lust auf Polka haben sollten, lassen Sie es mich wissen", bot sie an. "Und... wenn Sie einmal... eine Freundin mit hierher bringen möchten, dann wissen Sie sicher, wie Sie hier herfinden." "Ich habe keine Freundin", sagte er mit einem Seufzer. "Aber McHale, der Beifahrersitz des DeLorean ist doch wie geschaffen für hübsche Frauen in eleganten Abendkleidern." "Nun, eines Abends könnten Sie wieder ein elegantes Geschäftskostüm anziehen, um mit mir zusammen Polka zu tanzen." Retta lächelte, als er ihr in den Mantel half.
Im Wagen setzte Retta sich kerzengerade. "Das einzige, was wir heute Abend nicht getan haben, ist, über das Fachblatt zu sprechen." Verzweifelt sah sie ihn an, Newt würde mit ihr schimpfen. "Haben Sie sich schon entschieden?" Mac spielte mit seinem Autoschlüssel, während er versuchte, kühl zu bleiben. Wenn er klug wäre, würde er ihre Bitte ablehnen. Dann brauchte er sie nicht wiederzusehen, würde sich nicht hin- und hergerissen fühlen zwischen seinem Sinn für Würde und der überwältigenden Anziehungskraft dieser Frau, die sechzehn Jahre jünger war als er. Männer hatten Romanzen mit jüngeren Frauen, das war nicht außergewöhnlich. Aber seine Gefühle waren abhängig von Überzeugungen, die er nicht ignorieren konnte. "Sagen Sie dem alten Newt", sagte er langsam, "dass ich interessiert bin und dass unsere Diskussion sehr positiv war. Aber ich muss mir erst noch meinen Terminkalender ansehen und darüber nachdenken." "Ich weiß, dass das Honorar, das wir Ihnen anbieten können, nur ein kleiner Anerkennungsbeweis ist", meinte sie matt. Er musste das Angebot einfach annehmen, wie sonst könnte sie ihn wiedersehen? "Aber ich würde dafür sorgen, dass Ihre Verpflichtungen sich in Grenzen halten. Als Vorsitzender des Beratergremiums müssten Sie sich nicht mit Kleinigkeiten aufhalten." "Lassen Sie mich darüber nachdenken", wiederholte Mac und lächelte sie an. "Ich weiß, wie viel es Ihnen bedeutet." Er hielt inne. "Ich werde eine Liste meiner Fragen und Wünsche machen." "Und dann lade ich Sie noch einmal zum Essen ein, und wir reden darüber." Retta wusste, dass sie viel zu eifrig klang. "Oder... ich kann Sie anrufen. Wie Sie wollen." "Wir sollten persönlich miteinander reden, aber dann muss ich nicht Polka tanzen, oder?"
Sie lachte, ganz schwach vor Erleichterung. "Nein." "Gut. Wir treffen uns Samstag morgen und spielen Golf zusammen." "Das wäre großartig, Mac!" Er wusste, er war selbstsüchtig, aber er konnte nicht anders. "Park Lakes Country Club. Kommen Sie gegen acht, dann frühstücken wir erst einmal zusammen." "Ich weiß, wo das ist. Ich werde kommen." Der vornehme Vorstadtclub war ganz und gar nicht das, was Retta gewohnt war, aber es war ihr egal, wo sie sich trafen oder warum, solange sie ihn wiedersah. "Kommen Sie, Henrietta, ich bringe Sie zum Auto." "Ach, das brauchen Sie nicht..." Mac öffnete die Tür seines Wagens und warf ihr über die Schulter einen Blick zu. "Wollen Sie mir etwa weismachen, dass Ihnen Ihr Freund, der Ihnen nicht in den Mantel half und Ihnen nicht die Autotür öffnete, auch noch beigebracht hat, wie man sich nachts auf einem dunklen Parkplatz in der Stadt verteidigt?" Mit dieser Bemerkung stieg er aus, kam um den Wagen herum und öffnete ihr die Tür. Retta genoss seine Höflichkeit und die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte. Sie stieg aus dem Wagen und schloss die Tür. "Du liebe Güte", meinte er, als sie bei ihrem Wagen angekommen waren. "Was haben Sie denn damit gemacht? Haben Sie den auch mit der Zahnbürste poliert?" "Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Putzen eins meiner Hobbies ist." Sie suchte nach ihren Wagenschlüsseln. Wenn er jetzt ginge, wäre sie noch in der Lage, sich zurückzuhalten und nichts Unziemliches zu sagen. "Danke für Ihre Begleitung." Er nickte, ging aber nicht. Sah sie ernst an - ernst und verführerisch. "Retta, Sie sollen wissen, dass ich mich heute Abend großartig amüsiert habe. Sie sind eine wunderbare Frau." Mit
diesen Worten streckte er ihr die Hand entgegen. "Ich freue mich schon auf unsere nächste Begegnung." Retta fühlte die Spannung zwischen ihnen beiden. Er war förmlich, aber trotzdem herausfordernd, und er benutzte Humor, um seine wahren Gefühle zu verbergen. Sie ergriff seine Hand und drückte sie vorsichtig. Ihr Atem stockte bei dieser Berührung, ein Kribbeln lief über ihren Rücken, und was sie in seinen Augen las, ließ ihr Herz schnellerschlagen. "Mac", flüsterte sie, und noch ehe er wusste, wie ihm geschah, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und drückte einen Kuss auf seinen Mund. Einen Augenblick zögerte sie, bereit, jeden Moment zurückzutreten. Sie spürte, wie berührt er war. "Das ist verrückt", flüsterte er, dann zog er sie leidenschaftlich an sich und presste seinen Mund auf ihren. Retta stöhnte leise auf, denn sein Kuss war noch wunderbarer, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Mac hatte einen vollen, sinnlichen Mund. Für einige Sekunden gab sie sich ganz diesem wundervollen Gefühl hin, bis sich seine Arme enger um sie schlossen und er sie noch dichter an sich zog. Sanft berührten sich ihre Zungen. Retta verlor sich immer mehr in diesem Kuss, bis er abrupt endete. "Das war für zwei Freunde wohl nicht das Richtige", brachte Mac schließlich schwer atmend heraus. Retta glaubte, er hätte nur einen Scherz gemacht, und wollte ihn wieder küssen, aber er packte sie an den Schultern und schob sie von sich. "Nein." Langsam begann sie zu verstehen. Ungläubig sah sie ihn an. Kein Mann küsste so nur aus Freundschaft. In ihrem ganzen Leben war sie noch nie so sinnlich geküsst worden! "Was ist los, Mac?" "Ich verstehe nicht, warum du das getan hast."
"Ich... ich wollte dich küssen. Ich dachte, du wolltest das auch." Beinahe hätte er laut aufgestöhnt. Irgendwo, tief in seinem Inneren, sonnte er sich in dem Wissen, dass diese wunderbare Frau in ihm nicht nur eine Vaterfigur sah, gleichzeitig aber schien es ihm unmöglich, sich mit ihr einzulassen. Retta hatte bemerkt, dass er sich innerlich von ihr zurückzog, und sie fand dafür die einzige Erklärung, die sie sich denken konnte. Ihr Herz sank. "O Mac, das hätte ich nicht tun dürfen", versuchte sie ihn zu täuschen. "Es war nur aus einem Impuls heraus, und..." "Pssst." Mac schüttelte den Kopf und lächelte matt. "Tu es nur nicht wieder. Ich habe deinen Kuss erwidert, weil du mich überrascht hast, aber ich werde es nicht wieder tun." Retta fühlte einen Schmerz, als habe er sie geschlagen. "Verstehe", murmelte sie und bemühte sich, äußerlich ganz ruhig zu erscheinen. "Wenn du lieber möchtest, dass jemand anders von National Health mit dir zusammenarbeitet..." "Nein." Du Dummkopf, schalt er sich selbst. Er hätte ja sagen müssen, aber er brachte es nicht fertig. Er sah sie ruhig und gefasst an, während in seinem Inneren ein Aufruhr der Gefühle tobte. "Ich denke, wir haben alle Missverständnisse geklärt, nicht wahr?" "Ja", murmelte sie mit hochroten Wangen. "Nicht", sagte er schnell. "Du sollst dich nicht schlecht fühlen." Er drückte ihre Schultern, dann ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. "Denk daran, wir sind Freunde. Gute Freunde, auch wenn wir uns gerade erst kennen gelernt haben. Das ist etwas ganz Besonderes." "Ja", antwortete sie und lächelte. O Gott, würde er doch gehen und sie jetzt alleine lassen. Sie lachte. "Da siehst du, was nach einem Polka-Abend alles passieren kann. Für einen Augenblick habe ich sogar die Kontrolle über mich verloren." Wie betäubt öffnete sie die Tür ihres Wagens.
Mac lächelte, doch seine Augen forschten aufmerksam in ihrem Gesicht. "Lass den Motor an", sagte er leise. "Ich möchte sichergehen, dass alles in Ordnung ist." Tränen brannten in Rettas Augen. Noch immer lächelnd stieg sie in den Wagen, rollte das Fenster hinunter und ließ den Motor an. Dankbar lauschte sie dem gleichmäßigen Brummen des Motors. "Samstag?" fragte sie. "Glaubst du wirklich, dass das eine so gute Idee ist? Ich würde es verstehen..." "Samstag." Er drohte ihr mit einem Finger. "Du wirst kommen." "Also gut." Ich kann es kaum glauben, dass ich die ganze Zeit so gelassen bin, dachte sie. Aber sie wusste, dass die Tränen kommen würden, sobald sie allein war. Und dann würde sie putzen oder nähen. Wahrscheinlich die ganze Nacht lang. "Gute Nacht, Henrietta." "Gute Nacht, Burt." Mit einem Finger grüßte sie, dann fuhr sie davon. Mac schob beide Hände tief in seine Hosentaschen und sah dem Wagen nach, bis er ihn nicht mehr sehen konnte. Er fühlte sich plötzlich uralt und einsam.
4. KAPITEL Retta wusste nicht, wie sie mit Luxus umgehen sollte. Sie lächelte nervös, als sie durch das große Tor fuhr mit der Aufschrift: PARK LAKES COUNTRY CLUB, GEGR. 1947. PRIVAT. Die Wiesen zeigten das sanfte Grün des Frühlings. Retta musste an die schlichte enge Wohnung denken, die sie in den letzten Jahren mit Nada geteilt hatte. "Nada, ich wünschte, du könntest sehen, wo dein kleines Mädchen heute ist", murmelte Retta, als sie durch die gepflegte Anlage fuhr. Sie versuchte, an etwas anderes zu denken, nur nicht daran, dass sie Mac bald wiedersehen würde. Retta biss sich auf die Lippen. Nada hatte sie gelehrt, stolz, unabhängig und fleißig zu sein. Mit diesem außergewöhnlichen Mann konnte sie nur umgehen, indem sie an ihn möglichst nur in geschäftlichem Zusammenhang dachte. "Du liebe Güte, das ist ja riesig", staunte sie, als das große L förmige Clubhaus vor ihr auftauchte. Sie parkte den Wagen vor einem überdachten Übergang, der zum Haus führte. Mit ihrer alten Golftasche über der Schulter trat sie in die kühle Halle. "Ich bin mit Dr. Burt McHale verabredet", erklärte sie einem Mann in weißem Golfhemd und sorgfältig gebügelten weißen Shorts.
Ein Junge erschien, um ihr die Golftasche abzunehmen. "Donnerwetter, Golfschläger aus einem ägyptischen Grab", meinte er. "Sei vorsichtig mit der Tasche", warnte Retta ihn. "Das Smithsonian-Museum ist daran interessiert, wenn ich sterbe." "Bitte." Der Manager führte sie durch einen großen hellen Flur in den hinteren Teil des Gebäudes. "Folgen Sie mir ins Club-Restaurant. Ich werde Dr. McHale sagen, dass Sie dort auf ihn warten." Das Restaurant war atemberaubend. Sonnenlicht strömte durch riesige Fenster, von denen aus man auf das achtzehnte Grün blicken konnte. Auch schon um diese Zeit saßen einige Golfer beim Frühstück, die meisten von ihnen draußen auf der großen Terrasse unter pastellfarbenen Sonnenschirmen. "Saft?" fragte ein Kellner, als sie sich an einen der Tische auf der Terrasse gesetzt hatte. "Ja, danke." Sie nippte an dem Getränk und wünschte verzweifelt, sie wäre zu Hause geblieben. Die Menschen um sie herum waren elegant gekleidet und schienen sich hier Wohlzufühlen. Sie gehörte hier nicht hin. "Henrietta!" Beim Klang der dunklen, wohlbekannten Stimme wandte sie sich um und sah Mac auf sich zukommen. Beinahe hätte sie sich an ihrem Saft verschluckt. Knickerbocker. Er trug Knickerbocker und karierte Socken! Die Leute starrten ihn an, lächelten und schüttelten dann den Kopf, als hätten sie von ihm nichts anderes erwartet. Retta stützte ihr Kinn in die Hand und seufzte. "Guten Morgen, Burt", sagte sie und bemühte sich, locker zu klingen. "Wie geht es dir, Retta?"
Sie sah wirklich bezaubernd aus, wie sie so vor ihm saß, mit geradem Rücken, ein Bein übers andere geschlagen und das Kinn trotzig vorgeschoben. "Es geht mir gut", log sie. "So siehst du auch aus." Das war keine Lüge. Mac schüttelte ihr die Hand und ließ sie sofort wieder los. "Henrietta, warum siehst du mich an, als hätte ich Fühler und Schuppen?" "Dein Anzug." Sie war nicht begeistert von der Wahl seiner Kleidung, lachte aber leise. Er setzte sich ihr gegenüber. "Was stimmt denn nicht mit meiner Knickerbocker-Hose? Und dieses hübsche gestreifte Golfhemd passt, in der Farbe doch genau dazu. Knickerbocker kommen aus Schottland, und Golf ist ein schottisches Spiel. " "Es sind die karierten Socken und die Laufschuhe, die dem Ganzen einen so exzentrischen Anstrich geben. Ich sitze hier die ganze Zeit und denke, was für ein eleganter Club das ist, und du zerstörst meine ganzen Illusionen, Doktor." Er grinste breit. Etwas übertrieben, das wusste er, aber er versuchte angestrengt, sich so locker mit ihr zu unterhalten, als habe es nicht vor drei Tagen dieses besondere Erlebnis zwischen ihnen gegeben. "Groucho Marx hat gesagt, er möchte nicht einem Club angehören, der jemand wie ihn als Mitglied akzeptiert. Irgend jemand muss diesen Leuten hier doch etwas geben, worüber sie sich aufregen können." Er hielt inne und sah sie aufmerksam an. "Aber du passt sehr gut hierher." Retta schaute in ihr Glas. Denken konnte sie nicht. Die ser Mann sah selbst in Knickerbocker-Hosen phantastisch aus. "War neulich alles in Ordnung?" fragte er plötzlich leise. "Du meinst die Nacht vor drei Tagen? Sicher. Ich war verunsichert, das war alles." "Du hattest keinen Grund, verunsichert zu sein." "Gut", sagte sie schnell. "Aber wenn Dr. Winston je davon hört, wird er ungehalten sein."
Mac zog eine Augenbraue hoch. "Glaubst du etwa, ich würde es ihm sagen?" fragte er vorwurfsvoll. "Entschuldige. Wir wollen ganz einfach vergessen, dass es überhaupt passiert ist, ja? Glaub mir, ich bin noch nie zuvor auf eine geschäftliche Bekanntschaft losgegangen und werde es auch nie wieder tun." Mac lachte leise, aber sein Blick war unglücklich. Einen Augenblick lang schwiegen sie. "Lass uns erst mal frühstücken", schlug er vor. "Und dann spielen wir eine Runde Golf. Wenn du gewinnst, kaufe ich dir eine ganze Tüte Lutscher", versprach Retta ihm. "Henrietta, ich werde gewinnen und meine Lutscher bekommen. Und dann erzähle ich den anderen hier, dass du eine wilde Polka-Tänzerin bist. Ich werde deinen Ruf ruinieren." "Ich liebe die Herausforderung", erwiderte sie keck. Mac zeigte Retta den Weg zu den Umkleidekabinen. Als sie sich einen Weg durch das vollbesetzte Restaurant bahnte, sah Mac ihr nach. Er bewunderte den Schwung ihrer Hüften, den man, wenn sie ein Kostüm trug, nicht so sehen konnte. Abwesend hob er eine Hand, um die Aufmerksamkeit des Kellners auf sich zu lenken. "McHale!" Mac drehte sich zu dem kleinen Mann um, der ihn listig angrinste. "Hallo, Allen." Dr. Dewberry, ein Proktologe, hatte weißes Haar, Enkelkinder und eine neue Frau, die gerade siebenundzwanzig alt war. "Ich kann es kaum glauben, McHale. Hast du dir endlich eine junge Freundin angeschafft?" "Sie ist Redakteurin in einem medizinischen Verlag, und wir sind hier, um über geschäftliche Dinge zu reden." "Aber so, wie ihr beide euch angesehen habt, würde ich sagen, sie möchte sicher über etwas ganz anderes mit dir reden."
Mac biss die Zähne zusammen. "Ich liebe meinen Wein ein wenig älter", sagte er langsam. "Du liebst wohl eher die Trauben." Allens Grinsen wurde nur noch breiter, und er blinzelte Mac zu. "Trauben sind doch nur ein guter Wein, der noch reifen will." Er schlug Mac auf die Schulter. "Du alter Gauner, ich wusste doch, dass der Teufel in dir steckt. Sie ist wirklich ein hübsches Mädchen." Lachend ging Allen zu seinem Tisch zurück. Mac sah ihm ärgerlich nach. "Großer Gott! Was für ein Schlag!" Retta beobachtete, wie ihr Ball genau auf dem Grün landete. Die Überraschung, mehr noch der Stolz in Macs Stimme, machten sie glücklich. Schweigend gingen sie dem Ball hinterher. Mac bewunderte, dass sie auch am achtzehnten Loch trotz all der Anstrengung noch immer frisch und bezaubernd aussah. Retta wandte sich ihm zu. "Weißt du, alles, was du tust, tust du mit ganzer Seele", sagte sie. "Darum beneide ich dich." "Das Leben ist viel zu kurz, man muss es genießen, so lange es geht." Er hielt inne. "Möchtest du meine anderen Gemeinplätze auch noch hören?" "Hast du viele davon auf Lager?" "Nein." Retta holte tief Luft. "Ich habe übrigens gelesen, dass deine Frau vor einigen Jahren an Leukämie gestorben ist. Das war sicher kein glückliches Leben für dich." Er ging schneller, und Retta musste sich beeilen, um mit ihm Schritt halten zu können. Ängstlich blickte sie in sein Gesicht, las aber keine Verärgerung darin, sondern nur Nachdenklichkeit. "Es war eine schlimme Zeit für alle, die sie liebten." "Hast du Kinder?" "Ja, einen Sohn. Lucas. Er geht zum College. Von seiner Mutter hat er die norwegisch blonden Haare und das gute
Aussehen geerbt. Er ist ein großartiger Junge. Heute Abend kommt er zu mir, dann gehen wir zusammen zu einem FootballSpiel." "Wie alt ist er?" "Einundzwanzig." Einen Augenblick lang schwieg er verlegen. "Ihr beide würdet gut miteinander auskommen", sagte er dann. "Ah, die jüngeren Männer", sagte Retta übertrieben begeistert, ihre Stimme klang ein wenig verärgert. "Sehr hübsch anzusehen, aber schrecklich unreif." Mac blieb stehen. "Er ist nur fünf Jahre jünger als du..." Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er sie an. "Und von dir kann man nicht behaupten, dass du unreif bist." "Aber es ist dir peinlich, mit mir gesehen zu werden." Retta umfasste ihren Schläger noch fester und ging mit grimmig zusammengepressten Lippen weiter. Mit zwei langen Schritten war Mac neben ihr. "Peinlich ist nicht das richtige Wort, Retta. Jeder Mann wäre stolz, mit dir gesehen zu werden." Ein seltsames Gefühl erwachte in ihrem Inneren, und eine Gänsehaut überlief sie. "Du meinst, jeder Mann meines Alters." Sie blieb stehen und sah ihn nachdenklich an. "Ist es das, was dich am Mittwochabend gestört hat? Findest du, dass ich zu jung bin?" Sie schluckte. "Oder habe ich das, was ich in deinen Augen gesehen habe, falsch verstanden? Oder bist du vielleicht anderweitig gebunden? Wenn du... wenn du mir den Grund dafür nennen kannst, warum du gesagt hast, "Das ist verrückt", ehe du mich geküsst hast, werde ich mich sehr viel besser fühlen. Und ich schwöre dir, dann werde ich nie wieder über dieses Thema reden." Mit besorgtem Blick sah er sie an. Sie lebte mit der Wahrheit, sie verlangte sie, das sah er in ihrem ganzen Benehmen.
"Also gut", gab er nach. "Ich fühle mich sehr von dir angezogen. Sehr", betonte er noch einmal. "Aber der Altersunterschied zwischen uns gefällt mir nicht." Ein heißes Glücksgefühl durchströmte Retta. Sie strahlte, und er registrierte das beunruhigt. "Das soll nicht heißen, dass ich edelmütig bin", erklärte er. "Ich meine das wirklich. Aber ich will nicht so ein alter Kerl sein, der einem jungen Ding nachläuft." "Burt McHale, zweiundvierzig ist doch nicht alt! Und ich bin kein Baby mehr!" Sie lachte. Das konnte doch nicht sein Ernst sein, sechzehn Jahre Altersunterschied bedeuteten doch überhaupt nichts! "Es gibt immer ältere Männer, die sich mit jüngeren Frauen einlassen." "Und es hört sich großartig an, wenn die beiden berühmt sind und man darüber in der Zeitung liest. Aber niemand redet mehr davon, was Jahre später passiert, wenn sie ihm morgens seine Zähne bringt und ihm neue Batterien für sein Hörgerät kauft." Retta runzelte die Stirn, ungläubig sah sie ihn an. "Wenn du fünfzig wärst und ich achtzehn, dann könnte ich dein krankhaftes Benehmen vielleicht verstehen. Aber du bist nicht viel älter als ich, und außerdem bin ich von uns beiden die erwachsenere. Wenn ich mit dir zusammen bin, fühle ich mich uralt, weil du so lebenszugewandt bist" "Das ist nur das Brummen meines Herzschrittmachers", scherzte er. "Mac!" schalt sie. Als sie weitergingen, sah Mac entschlossen geradeaus. "War deine Frau genauso alt wie du?" wollte Retta wissen. "Ja. Wir haben uns im College kennen gelernt und geheiratet, als wir zwanzig waren." "Bist du denn mit gleichaltrigen Frauen ausgegangen, seit... in den letzten Jahren?" "Ich gehe nicht oft aus."
"Warum nicht?" Sie waren bei ihrem Golfball angekommen und blieben stehen. Mac überlegte, ob er ihr die Wahrheit sagen sollte, entschied dann aber, dass er sich damit nur ihr Mitleid einhandeln würde. Zuzusehen, wie seine schöne Frau Judith in eine bettlägerige Abhängigkeit versunken war, hatte ihn beinahe zur Verzweiflung getrieben. Und aus dieser Bitterkeit und Frustration heraus hatte er den Entschluss gefasst, dass er niemals in seinem Leben einen anderen Menschen so um ihn leiden lassen würde, wie er wegen Judith gelitten hatte. Er wollte nie jemandem zur Last fallen, er würde eben alleine bleiben. Mac deutete auf den weißen Golfball im Gras. "Ein siebener Eisen sollte dafür genügen." "Ich werde dich mit einem bedrohen, wenn du mir meine Frage nicht beantwortest." Sie stellte ihre Golftasche ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Mac runzelte die Stirn. "Nach achtzehn Jahren Ehe konnte ich mich in der SinglesSzene nicht mehr zurechtfinden." Das war ein weiterer Grund, warum er alleine bleiben wollte, dachte er. Retta stand da, sah den liebenswertesten, attraktivsten Mann an, der ihr je begegnet war, und schüttelte verwirrt den Kopf. "Wie meinst du das?" "Ich bin ein paar Mal ausgegangen. Aber in den letzten achtzehn Jahren hat jemand die Regeln des Kennen Lernens verändert und vergessen, es mir zu sagen. Ich fühlte mich vollkommen fehl am Platze, mich mit zynischen Frauen zu beschäftigen, die darauf aus waren, mich zu benutzen, ehe ich sie benutzte." Mit einem heißen Gefühl der Zärtlichkeit sah Retta ihn an. Er war sehr verletzlich, sie hörte es an der Art, wie er sprach. "Mac", sagte sie sanft. "Ich möchte, dass du weißt, dass wir nicht alle so sind."
"Ich weiß." Er räusperte sich. "Willst du deinen Ball jetzt spielen oder nicht?" Er blickte zum Clubhaus, das am Ende des Grüns lag. Mittlerweile war die Terrasse voller Menschen, die ihren Samstags-Brunch einnahmen. "Schlag nicht zu weit, sonst fliegt der Ball einem der Leute in den Cocktail." "Willst du mich weiterhin wie deine Tochter behandeln? Es war etwas Wunderbares, was am Mittwoch zwischen uns geschehen ist, Burt, und ich glaube, du möchtest auch, dass es noch einmal passiert. Ich möchte es jedenfalls." "Und was ist mit deinem Versprechen, nie wieder auf eine geschäftliche Bekanntschaft loszugehen?" "Mac, wenn du nicht aufhörst, mir etwas vorzumachen..." "Ich mache dir nichts vor. Ich habe die Absicht, dich nur als meine Tochter zu sehen." Er sah sie ernst an. "Das werde ich nicht zulassen." "Eine launische, störrische Tochter." "Wirst du mir eine Antwort geben wegen des Beratergremiums? " "Ja. Die Antwort ist nein. Ich glaube nicht, dass es klug für uns wäre, zusammenzuarbeiten." Seine Stimme klang ärgerlich, dies war kein Spiel mehr. "Wenn wir unsere Beziehung nicht auf einer rein geschäftlichen Ebene halten können, hat es keinen Zweck. Ich meine, was ich sage, Retta, wirklich. Ich werde das Angebot annehmen, wenn du versprichst, nichts anderes von mir zu erwarten als eine Geschäftsverbindung." Auf Rettas Gesicht spiegelte sich Ungläubigkeit, und rote Flecke erschienen auf ihren Wangen. Sie bückte sich und griff nach ihrem Golfball. "Das ist Erpressung." "Ich weiß." Er nahm seine Golftasche und ging ein paar Schritte weiter zu dem Golfball. "Komm, wir essen ein Sandwich und unterhalten uns dann über das Beratergremium. Ich weiß, dass es dir viel bedeutet."
Mac ging zum achtzehnten Grün und ließ Retta einfach stehen. Zornig sah sie ihm nach. Er dachte wohl, er könnte sie so einfach manipulieren, sich hinter seiner Arbeit verstecken und hinter der Fassade seines sorglosen Humors. Nun, er musste noch eine Menge über sie lernen. Und ich muss noch eine Menge über mich selbst lernen, dachte Retta, denn ich kann nicht glauben, dass ich das tun werde, was ich tun werde. Retta ging hinter ihm her. Mac hatte das achtzehnte Grün erreicht, stellte seine Tasche ab und begann, Schutzhüllen über seine Schläger zu ziehen. Sie trat hinter ihn und ließ ihre Golftasche mit einem lauten Plumps fallen. "McHale, du Feigling." Er wandte sich erstaunt zu ihr um. "Du machst ein großes Theater daraus, so lebenszugewandt zu sein, aber das bist du gar nicht." Die Antwort blieb ihm im Hals stecken, als sie zu ihm trat und die Arme um seinen Hals legte. Retta warf einen Blick zu der vollbesetzten Terrasse. Viele Neugierige sahen zu ihnen hin. "Ich werde jetzt deine Schutzmaßnahmen untergraben", sagte sie und küsste ihn leidenschaftlich. Mac versuchte zu protestieren, dann aber stöhnte er leise auf. Seine Hände legten sich um ihre Taille, und er erwiderte ihren Kuss. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken - nein, ja, warum nicht? Lieber Gott, sie ist phantastisch. Aber schnell gewann sein Verstand wieder die Oberhand, und mitten im Kuß griff er nach ihren Handgelenken und zog ihre Arme von seinem Hals. Sie trat zurück, in ihren Augen las er keine Siegessicherheit, nur Bedauern. "Ich kann mit dir nicht zusammen arbeiten unter den Bedingungen, die du mir stellst, Dr. McHale", sagte sie. In ihrer Stimme lag Trauer, aber auch Sarkasmus. "Wenn du glaubst, dass es besser ist, dann werden wir uns hier voneinander verabschieden." Mac holte tief Luft. Lass sie los, befahl er sich selbst.
"Dann also auf Wiedersehen", sagte er mit gepresster Stimme. Retta nickte, in ihren Augen glitzerten Tränen. Sie nahm ihre Golftasche und ging.
5. KAPITEL "Ich möchte mehr Kommata in diesem Aufsatz! Kür zere Sätze, mehr Tabellen! Kurz und lehrreich. Genau wie die Artikel in "Mechanik leicht gemacht"." "Was?" riefen Retta und Vanessa aus einem Munde. Die beiden sahen einander an und blickten dann verwirrt zu ihrer Chefredakteurin. Scott saß dabei, das Kinn in die Hand gestützt. "Mechanik leicht gemacht", wiederholte er. "Sie meinen wohl, "Wie baut man eine Niere in drei leichten Schritten"? Oder vielleicht, "Prostata-Projekt, an einem Nachmittag Fertigzustellen"?" "Jawohl." Hilda Grimes blickte die drei über ihre dunklen Brillengläser an. "Wenn die Verkaufsziffern zurückgehen, müssen wir herausfinden, warum", redete sie weiter. "Es ist ganz offensichtlich, dass wir die Aufmerksamkeit der Leser nicht erreichen." "Aber Hilda, wenn unser Fachblatt ein paar Abonnenten verloren hat, dann doch nur, weil die Werbung zu spät eingesetzt hat, und das ist nicht unser Fehler", protestierte Retta. "Ich kann den Redakteuren nicht sagen, mehr Kommata zu setzen", meinte Vanessa. "In der letzten Woche waren es weniger Schaubilder, und in der Woche davor waren es längere Absätze. Jetzt sollen es kürzere Sätze und mehr Tabellen sein? Was wollen Sie eigentlich? Kurze Sätze mit vielen Kommata in langen Absätzen mit Tabellen?"
"Jawohl", zischte Hilda. Ihr Telefon läutete. "Das ist alles, entschuldigt mich jetzt bitte." Retta folgte Scott und Vanessa nach draußen und schloss die Tür hinter sich. "Also gut, Jungs", imitierte Scott einen beliebten Schauspieler. "Es ist Zeit, diesen Ort hier unter Kontrolle zu bringen und abzuhauen. Der Aufseher ist ein Schuft. Seid ihr für mich oder gegen mich?" Retta lächelte und klopfte ihm auf die Schulter. Er erinnerte sie so sehr an Mac. Vor zwei Tagen erst hatte sie dem Mann, den sie gerade erst kennen gelernt hatte, auf Wiedersehen gesagt, und schon vermisste sie ihn. "Auch das geht vorbei", versicherte Scott ihr - und sich selbst. "Mein Artikel!" stöhnte jemand aus einem der anderen Räume. "Newt hat meine endgültige Fassung in die Hände gekriegt, und jetzt ändert er alles! Ich werde es nie bis zum Redaktionsschluss schaffen!" Sie hörten ein lautes "Auuuu", und dann ein Geräusch, als schlüge jemand mit dem Kopf gegen die Wand. "Ich sehe besser mal nach Bob", sagte Vanessa und ging in dessen Zimmer. "Retta Stanton, bitte auf Apparat fünfundzwanzig", ertönte es über den Lautsprecher. "Es ist dringend." "Newt will dich sofort sprechen, meine Schöne", sagte Scott und grinste hämisch. "Es war nett, mit Ihnen zu arbeiten, Miss Stanton." Er drückte ihr mitleidig die Hand. Newt Winston saß hinter seinem riesigen RosenholzSchreibtisch und sah sie unter buschigen Brauen an. Sein ergrauendes Haar war zerzaust und sein Hemd verknittert. "Ein solches Benehmen kann ich nicht dulden", schimpfte er und klopfte mit seinen polierten Fingernägeln auf die Tischplatte.
Retta straffte sich und überlegte schnell, dass sie knapp einen Monat von ihren Ersparnissen leben konnte. In der Zeit musste sie einen anderen Job finden. "Es tut mir leid, dass Ihr Freund gesehen hat, dass ich Dr. McHale am Samstag geküsst habe", erklärte sie ernst. "Aber ich glaube nicht, dass ein Vorfall, der während meiner Freizeit passiert ist, für National Health von Bedeutung sein könnte." "Wir geben uns Mühe, dieses Fachblatt über medizinische Ethik besonders gut zu machen", redete Newt ungerührt weiter. "Wenn aber auch nur eine Zutat zu unserer Suppe nicht stimmt, wie können wir dann damit Ehre einlegen?" Dieser bizarre Vergleich machte Retta sprachlos. Am liebsten hätte sie gelacht, wenn auch mehr aus Verzweiflung. Sie grub ihre Fingernägel tief in die Handfläche, um ruhig zu bleiben. "Entschuldigung", murmelte sie. "Dr. Winston?" fragte seine Sekretärin über die Sprechanlage. "Ist Retta in Ihrem Büro?" "Ja." Beide hörten jemanden im Hintergrund reden, dann wieder die Stimme der Sekretärin. "Aber Sie können nicht... warten Sie..." Und dann reagierte sie empört, als ein deftiges Schimpfwort ertönte. Gleich darauf klopfte es laut an der Tür. "Herein", sagte Newt. Die Tür öffnete sich, und Mac trat in den Raum. Retta spürte den Schreck im ganzen Körper. Erstaunt sah sie ihn an. Mac zwinkerte ihr zu. "Guten Morgen, Henrietta, wie hübsch du bist!" "Guten Morgen, Dr. McHale", sagte sie und nickte ihm zu. Er sah großartig aus in seiner Tweedjacke, dem grauen Pullover und der schwarzen Hose. Und die Situation schien er voll im Griff zu haben. "Dr. McHale!" Newt strahlte, er kam um den Schreibtisch herum und streckte ihm seine Hand entgegen. "Bitte setzen Sie sich doch. Was kann ich für Sie tun?"
Mac antwortete nicht. Er wandte sich zu Retta und reichte ihr die Hand. Sein Blick schien um Vergebung zu bitten. Retta versuchte ein Lächeln, als sie seine Hand schüttelte. Mac sah Newt an und deutete dann mit dem Kopf auf Retta. "Meine Golfpartnerin. Wie ich hörte, gibt es da Probleme wegen ihrer "Pflichtverletzung"." "Äh, ja", murmelte Newt und ließ sich in seinen Stuhl fallen. Der Konflikt widerstrebte ihm. Mac sah Retta aufmunternd an und setzte sich dann auf den Stuhl neben ihr. Lässig schlug er die Beine übereinander, er schien völlig entspannt zu sein. "Nun, das sollte es aber nicht", meinte Mac fröhlich. "Ich habe ihr gesagt, als Bedingung für meine Zustimmung, dem Beratergremium beizutreten, müsste sie mich küssen. Das ist der einzige Grund, weshalb sie das vor allen Leuten im Clubhaus gewagt hat." Er deutete auf Retta und machte ein ernstes Gesicht. "Sie haben da wirklich eine Mitarbeiterin, die Ihnen sehr ergeben ist und sich eine ganze Menge von mir hat gefallen lassen müssen. Ich bin beeindruckt." Retta war gerührt. Er war tatsächlich gekommen, um sie zu retten. Das würde sie ihm nie vergessen! "Also wirklich, Dr. McHale...", begann Newt. "Nennen Sie mich doch Burt." "Äh, ja, Burt, ich kann diese Geschichte gar nicht glauben, die Sie mir da erzählen, aber ich weiß Ihre Ritterlichkeit zu schätzen ..." "Keine Ritterlichkeit, Newt. Ich darf Sie doch Newt nennen? Mein Terminkalender ist völlig überfüllt. Ich unterrichte, bin zweiter Vorsitzender der Ethik-Kommission im Krankenhaus, und wie Sie wissen, praktiziere ich auch noch zusammen mit zwei anderen Kardiologen. Ich habe eigentlich überhaupt keine Zeit, mich auch noch mit Ihrem Fachblatt zu befassen." Mac hob beide Hände. "Aber Retta hat mich mit Ihrem Professionalismus so beeindruckt, und nachdem ich das Material gelesen habe, das sie mir über National Health mitgegeben hat,
na ja... ich bin also bereit mitzumachen." Er machte eine dramatische Pause. "Sie brauchen einen großen Namen für dieses Projekt, und ich bin stolz, Ihnen meine Mitarbeit anbieten zu können." "Also ... also... super!" Newt war begeistert. Er war so überwältigt von Macs Schmeicheleien, dass er in seinem Stuhl hin und her rutschte. Retta sah Mac dankbar an. Sie wäre zufrieden gewesen, den Rest ihres Lebens damit zu verbringen, einfach nur dazusitzen und ihm zuzusehen. "Retta, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen", sagte Newt. "Wenn Dr. McHale so viel von Ihnen hält - Sie wissen, dass ich das auch tue - dann will ich zugeben, dass meine Besorgnis umsonst war. Ihre etwas unorthodoxe Art hat dazu beigetragen, unsere Suppe etwas würziger zu machen." "Ich versuche, mein Bestes zu tun", sagte sie matt. "Das tut sie wirklich", meinte auch Mac. Wenn es nach ihm ginge, wäre diese Diskussion beendet. "Du liebe Güte." Er schlug sich auf die Schenkel. "Ich bin hungrig, Henrietta, und ich möchte dir noch eine Menge Fragen über das Fachblatt stellen. Wollen wir nicht essen gehen?" "Eine gute Idee..." begann Newt. "Nett, Sie kennen gelernt zu haben, Newt." Mac stand auf und streckte ihm seine Hand entgegen, die Newt zögernd ergriff. "Wir werden zusammen gute Arbeit leisten." Er trat ein paar Schritte zurück, lächelte Retta an und deutete zur Tür. "Nach dir." "Wir reden später, Dr. Winston", murmelte Retta. Newt nickte mit offenem Mund. Mac schob Retta durch die Tür. Sie fühlte sich, als ginge sie auf Wolken. Gerührt sah sie Mac an. "Hol deine Tasche, ich warte in der Halle auf dich", sagte er sanft. "Warum hast du das getan? Es war phantastisch, aber..."
"Psst. Wir wollen machen, dass wir rauskommen, ehe Newt hinter uns herkommt. Er erinnert mich an sauren Wackelpudding." Retta musste ein Kichern unterdrücken. Fünf Minuten später lenkte Mac seinen DeLorean sicher durch den Verkehr von Chicago. "Ist mit dir alles in Ordnung, Henrietta?" fragte er. Obgleich sie geradeaus sah, spürte sie seine besorgten Blicke. "Sicher. Ich bin nur verwirrt und überwältigt, also nichts Außergewöhnliches." "Ich hörte, dass jemand deinem Chef von dem Vorfall erzählt hatte, da musste ich dir doch helfen." "Das brauchtest du gar nicht", antwortete sie leise. "Du hast es nicht verdient, meinetwegen angeschnauzt zu werden." "Aber ich habe dich doch geküsst, Mac, es war mein Fehler." An einer Ampel hielten sie an, und Mac wandte sich ihr zu. "Ich habe es ja herausgefordert", sagte er leise, und seine Augen blickten bedauernd, "habe dich provoziert." Er hielt inne. "Ich wollte es." Retta fühlte, wie ihr eine Träne über die Wange lief. Sie blinzelte und wandte den Kopf ab. "Aber das ändert nichts an dem, was du gesagt hast, nicht wahr?" Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. "Nein, das tut es nicht." Er konnte sehen, wie sie die Zähne zusammenbiss. Sie sah unbezwingbar und herrlich aus, wie eine griechische Göttin. "Dann werde ich der beste Freund sein, den du je gehabt hast." Ruhig sah sie ihn an. "Ich will dein Freund sein, und ich werde mich danach benehmen." In seinem Inneren stieg eine heiße Zärtlichkeit für Retta auf, dass es seine Brust zu zersprengen drohte. Das war eine Frau, wie ein Mann sie sich nur wünschen konnte. Dieser Gedanke machte es nur noch schwieriger, sich von ihr fernzuhalten. Aber
auch wenn es ihn schmerzte, er würde seinen Entschluss nicht ändern. "Jetzt werden wir uns erst einmal ein ausgiebiges Essen leisten und dann über meine Arbeit an dem Fachblatt reden", sagte er mit mehr Begeisterung, als er fühlte. Retta nickte, dann lächelte sie verschmitzt. "Das wird wohl das beste Fachblatt werden, das die Gesellschaft je herausgegeben hat", meinte sie. "Du wirst stolz darauf sein, dass du daran beteiligt bist." "Das bin ich jetzt schon", antwortete er. Schnell wandte er seinen Blick ab, ehe der ihn verraten konnte. "Also gut, und was macht dieser Mann dort drüben?" "Er..." Retta überlegte einen Augenblick und sah sich den untersetzten jungen Mann an der Bushaltestelle genauer an. "Er züchtet Eichhörnchen." "Neiiiin." "Doch. Er sieht wie ein Eichhörnchen aus, und er benimmt sich auch so." "Ich würde sagen, er besitzt einen Süßwarenladen." "O nein, niemals." Mac stand von der Parkbank auf, auf der sie ihr Mittagessen Sandwiches und Limonade - verzehrt hatten. "Komm, wir fragen ihn." "Nein, Mac!" Aber er ging schon auf den Mann zu. Es war ein herrlicher Tag, und es schien, als ob alle Menschen von Chicago sich heute hier in diesem Park trafen. Mac winkte ihr zu, ihm zu folgen. Retta warf den Abfall schnell in den Papierkorb und lief hinter ihm her. "Entschuldigen Sie", hörte sie Mac sagen. "Meine Freundin und ich haben gewettet. Ich habe ihr gesagt, dass ich der Meinung bin, dass Sie ein Süßwarengeschäft besitzen." "Aber ja, das stimmt!" Der junge Mann strahlte Mac an, dann nickte er Retta zu. "Mir gehört der Süßwarenladen auf dem Watertower Platz."
"Das ist ja unglaublich." Retta schüttelte den Kopf und sah Mac an, der sie siegessicher angrinste. "Siehst du? Hoffentlich zweifelst du jetzt nicht mehr an meiner Intuition, Henrietta." Er schüttelte die Hand des jungen Mannes. "Vielen Dank, dass Sie uns geholfen haben." Er wandte sich um und wollte gehen. "Moment mal, kenne ich Sie nicht?" rief ihm der Mann nach. "Oh, das glaube ich nicht", sagte Mac schnell. "Doch, doch, jetzt erinnere ich mich wieder! Sie sind schon öfter bei mir im Laden gewesen und haben Lutscher gekauft!" Der Bus kam, der junge Mann stieg ein und winkte ihnen noch einmal fröhlich zu. Retta blickte zu Mac hoch, ein belustigtes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Mac rieb sich das Kinn, er schien völlig ungerührt. "Du Schuft", sagte sie. "Du genießt das auc h noch, nicht wahr?" "Ist das denn so schlimm?" Langsam schlenderten sie durch den Park und genossen den herrlich warmen Frühlingstag. Noch einmal schüttelte Retta den Kopf. "Ich werde von dir lernen und mich bemühen, in Zukunft etwas sorgloser und weniger verantwortungsbewusst zu sein", meinte sie. Empört sah er sie an. "Ich bin nicht verantwortungslos." "Ich glaube aber nicht, dass du dir um vieles Sorgen machst." "Ach wirklich? Ich glaube, es würde mir gar nicht gefallen, wenn du mich einschätzt, als wäre ich..." Ein lauter Piepton unterbrach seine Worte. Mac griff in seine Jackentasche und holte ein kleines Funkgerät daraus hervor. "Ich muss sofort zu einem Telefon", sagte er. "Verstehe. Dort drüben ist eins." Während Mac im Krankenhaus anrief, stand Retta ein Stück weiter und beobachtete ihn. Mac war ein Mann in den besten Jahren, dachte sie. Seit sie ihn kennen gelernt hatte, waren ihre Nächte erfüllt von heißen phantasievollen Träumen, über die sie
keine Kontrolle hatte. Zu wissen, dass sie ihm auch nicht völlig gleichgültig war, machte sie fast verrückt, wenn sie daran dachte, wie stur er darauf bedacht war, Abstand von ihr zu halten. Mac legte den Hörer auf und kam auf sie zu. In seinen Augen war nichts mehr von der vorherigen Fröhlichkeit, aber er strahlte eine Kraft und eine Stärke aus, die sie erstaunten. "Einer meiner Patienten liegt auf der Intensivstation", sagte er ausdruckslos. "Mit Herzversagen." "Mach dir um mich keine Sorgen. Ich komme schon alleine zurecht." Einen kurzen Augenblick sah sie Schmerz in seine Augen. Er schüttelte den Kopf, als wolle er sich selbst zur Ordnung rufen. "Möchtest du mitkommen?" "Ja." Erleichtert atmete er auf. Der Patient, der jetzt im Sterben lag, war ein alter Freund von ihm. Ich brauche heute ihre Freundschaft, gestand Mac sich ein. Ich brauche sie einfach. Als Retta auf ihre Hände hinunterblickte, bemerkte sie, dass sie das Rezeptformular in winzige Stücke zerrissen hatte, ein Zeichen, wie angespannt sie war. Seit dreißig Minuten war Mac jetzt weg. Sie saß in einem Büro des Krankenhauses auf einer niedrigen Fensterbank und sah fünf Stockwerke unter sich den Verkehr dahinfließen. Mac war zwar ruhig und gefasst gewesen, aber Retta hatte seine Unruhe trotzdem gespürt. Vor einundzwanzig Jahren hatte dieser Arzt, der jetzt mit dem Tode rang, Macs Frau bei der Entbindung geholfen. Retta war damals erst fünf Jahre alt gewesen, überlegte sie. Das war zwar interessant, aber noch lange kein Grund, sich über ihr Verhältnis zu Mac Sorgen zu machen. Die Tür des Büros öffnete sich, und Retta stand auf. Ohne sie anzusehen, trat Mac ins Zimmer, seine ganze Aufmerksamkeit war auf das Stethoskop gerichtet, das er in seine Tasche steckte.
Als Retta ihn ansah, zog sich ihr Herz schmerzlich zusammen. Die Niederlage hatte alle Fröhlichkeit aus seinem Gesicht gewischt, und in seinem Blick lag Traurigkeit. "Es geht ihm zwar etwas besser", sagte er, "aber es ist nur noch eine Frage der Zeit. Ich hoffe, es wird nicht mehr lange dauern." Retta nickte. "Hat er Schmerzen?" Mac schüttelte den Kopf. "Nein." Er trat ans Fenster und blickte zum blauen Himmel empor und zu dem frischen Grün an den Bäumen. "So werden wir alle enden", murmelte er. "Ein sinnloser Tod, während alle anderen sich ungerührt um ihre eigene n Angelegenheiten kümmern." Retta lehnte sich vor, um ihm ins Gesicht sehen zu können. "So sollte es auch sein", sagte sie leise. "Wie wir sterben," ist nicht wichtig. Wichtig ist, wie wir leben." "Es ist auch wichtig, wie wir sterben", widersprach Mac und schob beide Hände tief in die Taschen seiner Hose. "Ich habe die Absicht, so zu sterben, wie ich es mir vorstelle, wann ich es für richtig halte. So nicht." Er deutete mit dem Kopf in Richtung Intensivstation. "Nicht an Maschinen angeschlossen, bis mein Körper nicht mehr mitmacht." Retta versuchte, der Unterhaltung den ernsten Ton zu nehmen. "Ich wette, du wirst einer dieser störrischen alten Männer sein, die schimpfend und nörgelnd diese Welt verlassen und die Ärzte mit ihren Spazierstöcken prügeln." Mac wandte sich zu ihr um und sah sie ernst an. "Ich werde ganz ruhig abtreten, alleine." Retta war, als habe ihr jemand ein Messer ins Herz gestoßen. "Alleine, Mac?" flüsterte sie. "Wie meinst du das?" Wieder starrte er aus dem Fenster. "Ich werde in einem Pflegeheim sterben, wo niemand versucht, meine alten Knochen mit Gewalt am Leben zu halten. Oder vielleicht meine noch jungen Knochen, wenn mich morgen ein Auto überrollt. Ich werde nicht in einem Krankenhaus sterben, wo die Maschinen
mich am Leben erhalten. Ich will keine Last für Lucas sein." Er lächelte ein Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. Retta runzelte die Stirn. "Ich verstehe ja, dass du eine künstliche Verlängerung deines Lebens ablehnst, aber warum willst du dabei unbedingt allein sein? Das hört sich an, als wolltest du dich abgrenzen von den Menschen, die sich etwas aus dir machen." Er nickte. "Das will ich auch." Retta stockte der Atem. "Warum?" fragte sie ungläubig. "Ich will niemandem mehr weh tun als nötig." Ungläubig schüttelte Retta den Kopf, während sie an all die liebevollen, warmen Augenblicke dachte, die sie mit Nada verlebt hatte, auch noch in deren letzten Lebensmonaten. "Ich habe die Hand meiner Tante gehalten, als sie starb, und diesen Augenblick möchte ich um nichts in der Welt missen." "Und ich habe die Hand meiner Frau gehalten, als der Arzt endlich die Maschinen abgestellt hat. Diesen Augenblick möchte ich am liebsten aus meinem Gedächtnis streichen. Judith war eigentlich schon seit Wochen tot, und es war schrecklich, ihren Körper so lange künstlich am Leben zu erhalten." "Mac." Beruhigend sprach sie seinen Namen aus. Sie verstand, dass der Tod seiner Frau ihn noch immer schmerzte. Die Tatsache, dass er noch immer so tief betroffen war, bestätigte Retta, dass er ein warmes, liebendes Herz hatte. All sein Gerede über das Alleinsein war nur Ausdruck seiner Bitterkeit, einer Bitterkeit, die sie durchbrechen wollte. Retta trat neben ihn und legte eine Hand auf seinen Arm. Sie spürte, wie angespannt er war. "Mac, mir liegt sehr viel an dir. Du bist etwas ganz Besonderes. Du gibst den Menschen um dich herum so vieles. Schließ deine Freunde nicht aus, wenn du sie brauchst." Sie legte den Kopf schief und begegnete seinem besorgten Blick. Auch wenn ihre Knie weich waren und ihr beinahe den Dienst versagten, zwang sie sich zu einem Lächeln.
"Wenn du morgen von einem Auto überrollt wirst, darf ich dann bitte besuchen, was von dir noch übrig ist?" "Du bist eine aufopfernde Freundin", versuchte er zu scherzen. "Und ich habe noch immer die Hoffnung, dass ich eines Tages mehr sein kann." In Macs Innerem stritten Enttäuschung, Verlangen und Selbstkontrolle. Diese erstaunliche Frau war bei weitem reifer als ihre Jahre es vermuten ließen, und wenn er ihr nicht Einhalt gebot, würde sie es schließlich noch schaffen, dass er all seine Entschlüsse vergaß. "Hast du denn gar nichts von dem gehört, was ich gesagt habe?" wollte er wissen. "Doch", antwortete sie ungerührt. "Aber ich bin sehr geduldig." Retta hätte beinahe den Halt verloren, als er sich abrupt zu ihr umwandte und sie in seine Arme nahm. "Ich könnte dich jetzt küssen", sagte er mit angespannter Stimme, "meinen Vorteil aus dem ziehen, was du für mich empfindest, und dich dazu bringen, alles zu tun, was ich will. Wahrscheinlich könnte ich sogar deine Zuneigung zu mir ausnutzen und dich dazu bringen, mich dort drüben auf dieser Couch zu lieben." Er deutete mit dem Kopf in eine Ecke des Raumes. "Das ist mir klar." Rettas Gesicht brannte bei seinen Worten. Wenn er so versuchte, sie zu einem Rückzug zu bewegen, würde ihm das nicht gelingen. "Dann tu es doch", forderte sie ihn heraus. "Na los." Erbitterung blitzte in seinen blauen Augen. "Also gut." Retta hatte nicht geglaubt, dass er es wirklich ernst meinte, deshalb war sie richtig erschrocken, als sich seine Lippen auf ihre pressten. Er tat ihr nicht weh, drängte sie nicht, legte nur all seinen Schmerz in diesen Kuss. Gleichzeitig schoben sich seine Hände unter ihre Jacke, und Retta stöhnte auf, als sich seine
Hände um ihre Brust schlossen und sie zart kneteten und liebkosten. Seine Berührung war grob, aber der Schmerz, den Retta empfand, saß vor allem in ihrem Inneren. Sie wusste, er wollte ihr eine Lektion erteilen, er hatte nicht die Absicht, sie glücklich zu machen. So riss sie sich von ihm los. "Du kannst mich jetzt loslassen", sagte sie angestrengt. Heftig atmend trat er einen Schritt zurück. "Ich kann dich wieder loslassen, nachdem ich dich so berührt habe und dich geküsst habe, weil ich eine viel größere Willenskraft habe, als du glaubst. Das wollte ich dir nur beweisen." "Ich verstehe." Plötzlich war Retta entsetzlich müde. Sie ging zum Tisch und nahm ihre Tasche. "Du solltest jemand in deine m Alter finden", riet Mac ihr, als versuche er, auch sich selbst davon zu überzeugen. "Wirklich, ich verstehe", sagte Retta noch einmal. "Ich bin schon einmal einem Mann nachgelaufen, das werde ich nicht noch einmal tun." "Retta, ich möchte, dass du weißt, dass unsere Unterhaltung unsere Zusammenarbeit nicht beeinflussen wird." "Gut." Sie lächelte traurig. Sie würden höflich distanziert zueinander sein, genau wie ein amerikanisch-sowjetisches Gipfeltreffen. "Ich bringe dich ins Büro zurück." "Nein." Retta schüttelte den Kopf. "Ich möchte lieber laufen." Sie lächelte verbittert. "Mac, du hast mich heute schon weit genug gebracht, lass mich jetzt bitte in Ruhe." Die Ironie ihrer letzten Worte trieb ihr die Tränen in die Augen. "Das verstehst du doch sicher." Sie hasste sich für den Sarkasmus in ihrer Stimme. "Bis nächste Woche, Henrietta.' "Gut..." Sie konnte ihm nicht länger böse sein, es schmerzte nur, weil sie so sehr nach ihm verlangte. Als sie leise lachte, glänzten Tränen in ihren Augen. "Bis dann, Burt."
Sein gequältes Lächeln konnte sie nicht ertragen. Schnell lief sie zur Tür. Auf dem Flur begann sie, leise vor sich hinzuweinen. Sie weinte um ihn, um sich selbst, um sie beide, weil sie lebten und dennoch so einsam waren.
6. KAPITEL "Konzentriere dich jetzt ganz auf den Druck meiner Fingerspitzen auf deiner Stirn", flüsterte Vanessa in einem Ton, der Retta zum Lachen brachte, auch wenn ihre erste Wiederbegegnung mit Mac bevorstand. "Dein ganzer Stress wird sich jetzt dort konzentrieren. Langsam. Laaangsam." Ihre Freundin meinte es gut, dachte Retta, und auch wenn sie ihre Sache sehr ernst nahm, fand Retta das Ganze etwas lächerlich. "Es hat sich schon alles konzentriert", meinte sie. "Jetzt habe ich nämlich Kopfschmerzen." "Und einen großen roten Fleck auf deiner Stirn", bemerkte Scott. "Es sieht aus, als hätte dir jemand einen Baseball gegen die Stirn geschlagen." Retta seufzte. "Genug", befahl sie und öffnete ihre Augen wieder. "Du siehst jetzt aber viel entspannter aus", meinte Vanessa. "Das solltest du auch sein, wenn Dr. McHale kommt", bemerkte Scott. "Wir sollten dir helfen, heute ganz besonders gelassen zu sein." "Lass sie in Ruhe." Vanessa runzelte die Stirn. "Sie hat ihn jetzt seit einer Woche nicht gesehen." Vanessa wandte sich zu Retta um und lächelte sie an. "Nach allem, was du uns über ihn erzählt hast, muss er ja ein toller Mann sein." Retta holte tief Luft. Bei Vanessas Worten realisierte sie, wie sehr sie sich nach Mac sehnte. Seit ihrer Unterhaltung im
Krankenhaus musste sie immer wieder an ihn denken. Vielleicht hätte sie Scott und Vanessa doch nicht von ihm erzählen sollen, die beiden waren zwar gute Freunde, aber sie sorgten sich viel zu sehr um sie. "Sie kennt ihn doch kaum, und ich will ihr doch nur helfen, mit diesem unmöglichen Kerl Fertigzuwerden. Wenn er nicht sieht, was für eine wunderbare Frau Retta ist, dann sollte sie ihn auch nicht drängen." "Retta", hörten sie die Stimme der Empfangsdame über die Sprechanlage, "Dr. McHale ist hier." Schnell stand Retta auf. Sie zupfte an ihrer weißen Bluse, strich ihren schwarzen Rock glatt und überprüfte noch einmal den Sitz ihres schwarzweiß gewürfelten Tuches, das sie extra gekauft hatte, um ihr schwarzes Kostüm ein wenig aufzuhellen. "Du zitterst ja", neckte Scott sie. Retta warf ihm einen wütenden Blick zu, dann deutete sie auf die Platte mit Häppchen, die auf dem Tisch stand. "Sieh lieber zu, dass hier alles in Ordnung ist, und kümmere dich um den Kaffee. Ich hole Mac ... Dr. McHale, und dann werde ich euch beiden beweisen, wie gut ich meine Gefühle unter Kontrolle habe." "Baaah", sagte Scott, und Vanessa lachte leise. Als Retta in den lichtdurchfluteten Flur trat, zog sich ihr Magen vor Aufregung zusammen. Das Sonnenlicht strömte durch die riesigen Fenster. Nein, das Sonnenlicht kam von Mac. Dieser Gedanke durchfuhr sie, als sie ihn erblickte. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und las etwas, das er in der Hand hielt. Wie ein Glorienschein umfloss ihn das goldene Sonnenlicht. Unwillkürlich ging Rettas Hand zu ihrem Hals. Wie erstarrt stand sie und sah ihn nur an. Sie hatte seinetwegen geweint, hatte Entscheidungen getroffen und sie wieder verworfen.
Schließlich kam so etwas wie ein ruhiger Optimismus auf, der den Schmerz etwas linderte. Aber all das half ihr jetzt nicht. Nachdem sie etwa fünf Sekunden lang so gestanden hatte, wurde ihr klar, dass jeden Augenblick jemand aus einem der Büros kommen und sie sehen konnte. Wie sehr hatte sie sich doch geirrt, als sie dachte, dass sie ihm ruhig und gelassen gegenübertreten würde. Hör auf, dich wie ein schwärmerischer Teenager zu benehmen, schalt sie sich schließlich. Willst du Mac etwa in Verlegenheit bringen? Nein! Sie war wütend auf sich selbst, wütend auf Mac, weil er ihr das antat. Entschlossen wandte sie sich um und ging in den Konferenzraum zurück. Scott und Vanessa blickten erstaunt auf, als sie allein zurückkam. Retta wandte sich an Vanessa. "Geh du bitte und hole Dr. McHale, ich werde sehen, ob Hilda und Dr. Winston schon fertig sind." Noch ehe Vanessa ihr eine Frage stellen konnte, ging Retta wieder hinaus. Mac hörte die leisen Schritte auf dem Teppich hinter sich. Er holte tief Luft, aber auch das beruhigte seine Nerven nicht sehr. Herrje, es würde schwierig sein, ihr wieder gegenüberzutreten. Immer wieder hatte er sich in der vergangenen Woche einzureden versucht, dass es richtig war, wie er ihr gegenüber gehandelt hatte. Dann aber sah er immer wieder ihren Blick vor sich, mit dem sie gegangen war, und der Schmerz war wieder da. Und nichts half dagegen, weder Golf noch seine Freunde, und schon gar nicht seine Arbeit. Entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen, wandte er sich um. "Retta, wie geht es..." Eine hübsche, zierliche Frau mit pechschwarzem Haar und riesengroßen grauen Augen stand vor ihm und lächelte ihn an. "Retta, wie hast du dich verändert", scherzte Mac und streckte ihr seine Hand entgegen. Die Frau lächelte noch immer, aber er hätte schwören mögen, dass es ein wachsames und
ziemlich aufgesetztes Lächeln war. Sie schüttelte seine Hand und stellte sich vor. Mac ging hinter Vanessa her zum Konferenzraum. Das hier war wohl eine Freundin von Retta, der er nicht gefiel. Sein Eindruck wurde noch bestätigt, als er kurz darauf Scott gegenüberstand. Unfreundlich konnte man den Blick der beiden nicht nennen, dachte Mac, schon eher eisig. Er reagierte darauf so wie immer, wenn er in seinem Beruf in einer ähnlichen Situation war: Er setzte seinen Charme ein. Als Retta zehn Minuten später vor der Tür des Konferenzraumes stand, hörte sie Gelächter. Beim Klang von Macs tiefer Stimme überlief sie eine Gänsehaut. Sie biss die Zähne zusammen und öffnete dann entschlossen die Tür. Erstaunt riss sie die Augen auf. Scott und Vanessa saßen einander an dem großen Konferenztisch gegenüber. Ihre Hände, die auf dem Tisch lagen, waren mit Handschellen aneinandergefesselt. Beide grinsten verunsichert. Mac stand zwischen ihnen. Als Retta den Raum betrat, blickte er auf. Er ließ sich nicht anmerken, ob er aufgeregt war oder sich vielleicht freute, sie wiederzusehen. "Hallo", sagte er fröhlich. "Ich führe gerade mein neuestes Spielzeug vor." Mit einer Hand fuhr er über die Handschellen, und - als hätte eine unsichtbare Hand sie geöffnet - fielen sie mit einem Klirren auf den Tisch. Scott und Vanessa applaudierten, Retta warf ihnen einen verärgerten Blick zu. Die beiden waren ja schnell zur anderen Seite übergelaufen! Sie war vergangene Woche durch die Hölle gegangen, Mac aber hatte das alles anscheinend gar nichts ausgemacht. "Möchtest du es auch einmal probieren?" fragte er sie und lachte. "Du bist doch eine Frau, die es liebt, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu werden." "Nein, danke." Sie lächelte ihn verkrampft an. "Ich freue mich, dich wiederzusehen." Das klang nur höflich.
Sie würde sich offenbar lieber foltern lassen, als im selben Raum mit mir zu sitzen, dachte Mac verzweifelt. Ich habe es wirklich geschafft, ihre Gefühle für mich gründlich zu zerstören, ganz, wie es meine Absicht war. "Du siehst so ernst aus", versuchte er zu scherzen, "wann beginnt die Predigt denn?" Scott lachte, aber als Retta ihm einen giftigen Blick zuwarf, verstummte er sofort wieder. "Trinkst du eine Tasse Kaffee?" fragte sie mit ungewöhnlich sanfter Stimme. "Wir wollen dann gleich anfangen. Ich weiß ja, wie wenig Zeit du hast. Dr. Winston und unsere Chefredakteurin werden gleich hier sein." Ihr angestrengtes Lächeln und ihre kühle Art waren nur Selbstverteidigung, das wusste Mac. Auf ihre Art hatte sie ihm gerade gesagt, er solle sich mit den Handschellen selbst fesseln und dann verschwinden. "Es warten heute tatsächlich noch ein paar Herzen auf mich", gab Mac zu. Scott und Vanessa lachten, Retta nickte nur hochmütig. So würde es also jetzt zwischen ihnen sein, dachte Mac betrübt. Er nahm sein Notizbuch und holte einen Stift aus der Tasche. "Also gut, fangen wir an", sagte er knapp. Retta presste den Becher mit Eiswürfeln gegen ihre Stirn und hoffte, dass die Schmerzen dadurch nachlassen würden. Dies war das, was sie ab jetzt ihre Standard-Kopfschmerzen nach einem Treffen mit Mac nannte. Eine Stunde davor begannen sie meistens und hielten an bis eine Stunde nach seinem Weggang. Drei Wochen litt sie jetzt schon darunter, und auch heute würde es nicht anders sein. Er war immer fröhlich, entspannt und charmant und sie autoritär, ernst und halb krank. "Dr. McHale ist hier", ertönte es über die Sprechanlage. Ein stechender Schmerz hinter ihren Augen ließ Retta zusammenzucken. Sie nahm ihre Notizen und ihre sonstigen
Unterlagen und ging ins Büro ihrer Kollegin Leila. "Hast du noch von den Schmerztabletten, die der Arzt dir verschrieben hat, als du deine Nebenhöhlenentzündung hattest?" fragte sie. "Ich brauche unbedingt eine, mein Kopf explodiert gleich." Leila wandte sich von ihrem Computer ab. "Dann wirst du aussehen wie Hilda. Natürlich habe ich die Tabletten noch, aber du bist hoffentlich nicht allergisch gegen Codein, oder?" "Das wird sich herausstellen", brummte Retta und hielt die Hand auf. Und tatsächlich, etwa nach der Hälfte der Besprechung fing ihr Magen an, Purzelbäume zu schlagen. Wie gerne hätte sie nun lieber ihre Kopfschmerzen wieder, wenn nur ihr Magen aufhören würde zu rebellieren... "Der Leitartikel für die erste Ausgabe muss wie ein gutes mexikanisches Gericht sein", hörte sie Newt sagen. "Genau die richtige Menge Guacamole, ein wenig Käse, nicht zu scharf gewürzt..." Retta wurde übel. "Entschuldigung", murmelte sie, dann stand sie auf und lief zur Tür. "Ich bin gleich wieder da." Newt blieb das Wort im Hals stecken, Scott und Vanessa sahen sie erstaunt an, und Hilda trommelte mit ihren Fingernägeln auf den Tisch. Retta bemerkte noch den besorgten Blick in Macs Gesicht. Sie versuchte ein Lächeln und stolperte aus dem Zimmer. Den halben Weg durch den Flur hatte sie schon geschafft, als ihr schwindlig wurde. Ihr war eiskalt, ihr Kopf dröhnte. Sie blieb stehen und stützte sich gegen die Wand. Eine warme, feste Hand legte sich plötzlich auf ihre Schulter. "Ist dir schlecht?" fragte er mit seiner besten Berufsstimme. "Das mexikanische Gericht war auch für mich beinahe zuviel." "Ja. Und ich werde gleich hier umfallen. O Burt, woher wusstest du?"
"Na hör mal", er legte seinen Arm um sie, "du bist aus dem Zimmer- getaumelt wie eine seekranke Krabbe. Das hat mich beunruhigt." Beunruhigt? So berufsmäßig war er also gar nicht. Er war ihr Freund, und ge nau das brauchte sie jetzt. Erschöpft legte sie den Kopf an seine Schulter. "Hoffentlich war ich wenigstens eine anmutige Krabbe", murmelte sie, als er sie nach draußen führte. Der Sonnenschein und die frische Luft belebten Retta bald wieder. "Kopf runter", befahl er, als sie auf der kleinen Mauer hinter dem Haus saßen. Sie beugte den Kopf zwischen die Knie und spürte seine Hand in ihrem Haar, die sanft ihre Kopfhaut massierte. "So kannst du dich wenigstens auf deine eigenen Schuhe übergeben", neckte er sie. Retta gelang sogar ein Lächeln. "Mir ist schon gar nicht mehr so schlecht, aber das Ganze ist mir sehr unangenehm." Macs Hand lag jetzt auf ihrem Nacken. "Deine Muskeln hier sind so verspannt, hast du vielleicht Migräne?" "Nein, das war nur meine Reaktio n auf eine Schmerztablette mit Codein, die mir eine Kollegin gegen meine Kopfschmerzen gegeben hat." Grimmig sah er sie an. "Das solltest du aber besser wissen." Dann legte er beide Hände in ihren Nacken und begann, sie zu massieren. Wie Seide war ihre Haut über ihren angespannten Muskeln. Wie gerne hätte er seine Lippen daraufgepresst. Mac schloss die Augen und ließ seine Gedanken wandern. Retta stöhnte auf. Das war einfach zuviel. Seine Berührung entfachte ein Feuer in ihrem Inneren, das sich über ihren ganzen Körper ausbreitete. "Bitte, hör auf." "Habe ich dir weh getan?" fragte er. "Ja", sie hob den Kopf und sah ihn traurig an, "das hast du." Als Mac ihr angespanntes Gesicht und die Augen sah, in denen Tränen glitzerten, wusste er, dass sie nicht von seiner
Massage sprach. Sie sah so zerbrechlich und hilflos aus, dass er ihr Gesicht zärtlich in seine Hände nahm. "Es wird schon werden", sagte er ohne viel Überzeugung. "Nicht, wenn du mich weiter berührst. Bitte, hör auf, Mac." Mac zögerte, am liebsten hätte er alle seine Vernunft zum Teufel gejagt und sie in seine Arme genommen. Statt dessen fuhr er mit seinen Fingerspitzen sanft über ihre Wange, nahm dann ihre rechte Hand und fühlte ihren Puls. "Du bist ja eiskalt", sagte er leise. "Das ist eben meine Art", versuchte sie zu scherzen. "Wohl kaum. Dein Puls geht zu schnell. Du solltest keine Schmerztabletten nehmen, die der Arzt dir nicht verschrieben hat. Ich werde dich nach Hause bringen." "Das wirst du nicht tun. Ich muss noch arbeiten, komm, wir gehen zurück." "Ich habe für heute genug, für mich ist die Besprechung vorbei", sagte er angespannt. Erschrocken hörte Retta den Ärger in seiner Stimme, und auch seine Augen blickten eisig. Retta runzelte die Stirn. "Ich dachte, diese Besprechungen gefallen dir. Jeder hier betet dich an." Er funkelte sie an. "Nur du nicht." Retta schluckte. "Wenn ich mich recht erinnere, hast du es mir verboten." Seine Finger lagen noch immer um ihr Handgelenk. "Ich weiß", flüsterte Mac. "Aber es ist nic ht so einfach, damit zu leben." "Trotzdem bist du immer so verdammt fröhlich." "Hier." Er nahm ihre Hand und legte einen ihrer Finger auf seinen Puls. "Fühl einmal." Im ersten Augenblick spürte Retta nur seine warme Haut und seine Muskeln, dann aber spürte sie, wie sein Puls raste. Erschrocken ließ sie ihn los und starrte ihn an.
"Ich bin gar nicht so gelassen", gestand er ihr. "Mir tut das auch weh. Wenn ich aus diesen Besprechungen komme, ist mein Magen jedes Mal so verkrampft, dass ich nichts essen kann. " Retta zögerte einen Augenblick, die Überraschung war zu groß. Dann schlang sie ihre Arme um seine Taille und drückte ihn an sich. Beide hielten einander umschlungen, die Köpfe abgewandt, damit sie nicht in Versuchung kamen, einander zu küssen. "Das war eine rein berufliche Umarmung", erklärte Retta und verschränkte ihre Hände ineinander, damit sie ihr nicht außer Kontrolle gerieten. "Und ich umarme dich nur, weil du krank bist und Umarmungen eine gute Therapie sind", versuchte er zu scherzen. "Und weil wir Freunde sind." Und weil ich vollkommen verrückt nach dir bin, fügte er im stillen hinzu. "Ich habe mich doch sehr gut benommen, nicht wahr, Burt? Und das werde ich auch weiterhin tun. Ich versuche sehr, so edelmütig zu sein wie du." Retta fühlte Macs warmen Atem an ihrem Hals, seine Hände glitten über ihren Rücken. "Du bist meine Inspiration. Du hast dich so perfekt verhalten, dass ich schon glaubte, du seiest ein Gletscher." "Mac." Retta stöhnte. "Es tut mir so leid. Ich weiß, dass ich dir gegenüber ziemlich kühl war. Es ist nur, weil..." Sie holte tief Luft. "Ich fürchte immer, dass ich in deiner Nähe etwas Unvernünftiges tue oder sage. Ich möchte doch, dass wir Freunde sind, weiß aber nicht, wie ich das machen soll." "Natürlich weißt du das. Du musst mich nur genauso behandeln wie Scott: mit mir flirten." Retta lehnte sich ein wenig zurück. "Ich flirte nie." "Doch, das tust du. Du berührst Scotts Arm, wenn du mit ihm sprichst, du drehst dich zu ihm, wenn er mit dir spricht. Das würde mir auch gefallen."
"Bist du etwa eifersüchtig?" fragte Retta ungläubig. McHale war doch viel zu gelassen, viel zu gefasst, um eifersüchtig zu sein. Dabei wünschte sie, er wäre zum Platzen eifersüchtig! "Neidisch", korrigierte er sie. "Ich möchte dein Freund sein. Ich kann es nicht ertragen, wie du mich in den vergangenen Wochen behandelt hast. Du lächelst mich an, meinst das aber nicht. Du vermeidest es, mich anzusehen und setzt dich so weit weg von mir, wie nur möglich. Vielleicht verdiene ich das, aber es gefällt mir nicht." "O Mac, ich wollte dir nicht weh tun." Er ließ sie nun los und stand auf. Auch Retta stand auf und legte ihm eine Hand auf den Arm. "Ich werde lernen, mit dir zu flirten", sagte sie und lachte. Gemeinsam gingen sie ins Haus. In den nächsten beiden Wochen musste Retta zugeben, dass sich die Dinge zwischen ihnen wirklich entspannt hatten, es schien, als könnten sie wirklich Freunde sein. Die Vorbereitungen für das neue Fachblatt gingen gut voran. Mac war unbestritten brillant und Newt begeistert von ihm. Retta rief Mac eines Nachmittags an, um ihn zu einem Fest einzuladen, das Newt für die ganze Redaktion gab. "Wir werden bei "Maxine's" feiern", erklärte sie ihm stolz. "Mit Trüffeln, Gänseleber, gutem Wein - allem, was dazugehört." Sie lachte. Das passierte ihr in letzter Zeit sehr oft. "Alle Mitglieder des Beratergremiums werden da sein", sagte sie. "Dazu Scott, Vanessa und Hilda sowie Dr. Winston." "Du auch?" fragte Mac. "Ja, natürlich." Retta strahlte. "Ich werde neben dir sitzen, werde mich dir zuwenden, wenn du mit mir sprichst, und deinen Arm berühren." Mac lachte leise, und Retta seufzte glücklich auf. Sie redeten und redeten. Über Golf, über Lucas Vorliebe für Profiringen, über Bier und die Buchkritiken in der New York Times. Es war nicht das erste solch langer Telefongespräche. Schon öfter hatten sie einander wegen einer Kleinigkeit angerufen und
dann so lange miteinander geredet, bis einer von ihnen durch seine Arbeit unterbrochen wurde. Diese Telefongespräche waren ihnen schon so zur Gewohnheit geworden, dass Retta ihre Nachmittage danach zu planen begann. Jetzt gab es noch etwas anderes zu planen - ihr Erscheinen bei dem Fest. Junge, Junge, McHale würde sich wundern. Retta summte vor sich hin. Es war aus schwarzem Samt und hatte zweihundert sauer verdiente Dollar gekostet. Aber als Retta sich darin sah, wusste sie, dass es jeden einzelnen Cent wert war. Sie stand vor ihrem großen Schlafzimmerspiegel. Eng schmiegte sich das Kleid an ihren Körper. Es betonte ihre wohlgerundeten Brüste und ihre sanft geschwungenen Hüften, und der tiefe Ausschnitt zeigte die cremig zarte Haut ihres Brustansatzes. Das Kleid würde Mac provozieren, dachte Retta und lächelte. Sie war sich der Macht, die sie über ihn hatte, sicher, war sich in den letzten beiden Wochen immer sicherer geworden. Und nichts, was er tun oder sagen würde, konnte sie jetzt noch erschüttern. Er verlangte genauso sehr nach ihr wie sie nach ihm. Alles, was sie jetzt brauchte, war ein wenig Geduld. Und dieses schwarze Kleid. Sie würde Nadas lange Perlenkette dazu tragen und den diamantenen Ehering ihrer Mutter. Mac sollte diesen Schmuck sehen. Retta freute sich schon darauf, ihm von all den schönen Erinnerungen zu erzählen, die dieser Schmuck in ihr weckte. Sie summte vor sich hin, als sie ihre Wohnung verließ und in ihr Auto stieg, um zu dem Fest zu fahren. "Donnerwetter!" In der eleganten Bar des Restaurants nahm Scott ihre Hände und trat einen Schritt von ihr zurück, um sie zu bewundern. Retta wusste, dass ihre Augen strahlten, sie genoss die Aufmerksamkeit dieses Frauenkenners. Wie würde sie sich erst fühlen, wenn Macs bewundernde Blicke auf ihr ruhten...
"Mir gefällt die Veränderung", meinte Scott. "Dich zu verlieben war genau das, was dir fehlte." "Liebe?" protestierte Retta, "nein." Sie konnte das, was sie fühlte, nicht beim Namen nennen. Dazu war es noch zu früh. Sie war auch zu nüchtern, sich darüber Gedanken zu machen, außerdem zu beschäftigt, Macs armes, irregeleitetes Herz zu bearbeiten. Hilda trat zu ihnen. "Kümmert euch bitte um die Gäste", zischte sie. Die meisten Mitglieder des Beratergremiums waren mittlerweile eingetroffen und standen mit ihren Drinks an der Bar. Retta machte eine ausladende Handbewegung und lachte Scott und Vanessa an. "Auf sie mit Gebrüll!" Lachend gingen die drei in verschiedenen Richtungen davon. Während Retta sich mit einigen Wissenschaftlern unterhielt, ließ sie den Eingang der Bar nicht aus den Augen. Wo war Mac? Er kam zu spät, das war sonst so gar nicht seine Art. Sie zitterte vor freudige r Erregung. Eine Minute später betrat Mac den Raum. Seine Hände waren tief in die Taschen seiner schwarzen Hose vergraben, während er mit besorgten Blicken die Bar absuchte. Er entdeckte Retta, die ihm ihren Rücken zuwandte, sofort. Er blinzelte und sah dann noch einmal hin. Sein Herz schien stehen zu bleiben. Seine Blicke gingen über ihr enganliegendes Kleid, ihr lockiges Haar und die matt schimmernde Perlenkette auf dem schwarzen Samt. Beinahe hätte er laut aufgestöhnt, so sehr reagierte er körperlich bei ihrem Anblick. Nur seinetwegen hatte sie sich so gekleidet, das wusste er sofort, und sein Herz zog sich schmerzlich zusammen. Ein gequältes Lächeln spielte um seinen Mund. Er hatte es verdient, um sie zu leiden, auch für das, was er ihr gleich antun würde. Retta fühlte Macs Blicke im Rücken, und als sie sich umdrehte, sah sie ihn in der Tür stehen. Wunderbar sah er mit
seinen grauen Schläfen aus, dachte sie. Und so voller Leben. Er zog die Blicke aller Frauen in der Bar auf sich. Als sich ihre Blicke trafen, erbebte Retta. Sie bahnte sich einen Weg zwischen den Menschen hindurch. Wir gehören zusammen, dachte sie, auch ohne Worte können wir uns über diese Entfernung verständigen... Plötzlich trat eine elegant gekleidete Dame neben Mac und legte ihm ihre Hand auf den Arm.
7. KAPITEL Retta war schockiert und verwirrt. Nimm deine Hand von seinem Arm, dachte sie, er gehört mir! Irgend etwas ließ sie wie mechanisch weitergehen. Alle Wärme und Vorfreude war aus ihrem Blick verschwunden. Höflich lächelnd kam sie auf ihn zu, während diese Frau noch immer neben ihm stand. Sie war sehr schön und der lebendige Beweis dafür, dass auch Frauen über vierzig außerordentlich sexy aussehen konnten. Das raffiniert geschnittene rote Kleid hatte sicher ein Vermögen gekostet, und der Schmuck, den sie trug, war ebenfalls sehr kostbar. "Hallo, Burt, ich dachte schon, du hättest es vorgezogen, heute Abend Polka zu tanzen, anstatt hier herzukommen", begrüßte Retta ihn. Sie hatte sich wieder in der Gewalt, obwohl das Lächeln sie ihre ganze Kraft kostete. Mac hatte Rettas Betroffenheit wahrgenommen, er bewunderte sie für ihre Haltung. "Nein, wir haben uns nur ein wenig verspätet", meinte er. "Ich möchte dir Isabella Edwards vorstellen. Isabella, das ist Retta Stanton, die Assistentin des Chefredakteurs von National Health." "Hallo", begrüßte Retta Isabella freundlich. Macs "wir haben uns nur ein wenig verspätet" hatte sie wie ein Pfeil ins Herz getroffen. Es war unglaublich, er hatte wirklich eine Freundin mitgebracht. Und diese Frau war unglaublich attraktiv, blond,
elegant und einem Bild ähnlich, das Retta einmal von Judith McHale gesehen hatte. Eine eiskalte Furcht ergriff Rettas Herz. Mit einer solchen Frau konnte sie nicht konkurrieren. Verzweifelt suchte sie nach Worten. "Isabella, wo hat Mac Sie nur so lange versteckt gehalten?" fragte sie schließlich gespielt fröhlich. Deren Augen - so blau wie die von Mac - blitzten. "Oh, wir haben uns erst heute kennen gelernt." "Ach so." Noch immer lag Isabellas Hand auf Macs Arm. Warum tat Mac ihr nur so etwas Grausames und Demütigendes an? dachte Retta betrübt. Als Mac ihrem Blick begegnete, sah er den Schmerz in ihren dunklen Augen. "Du erinnerst dich doch sicher an meinen Freund, Greg Conway", sagte er leise. "Seine Frau ist eine rechte Kupplerin, die immer wieder versucht, mich mit passenden Frauen zusammenzubringen." Isabella lachte fröhlich. Sie war perfekt, dachte Retta verzweifelt: unabhängig, anbetungswürdig und wahrscheinlich vollkommen anspruchslos. Geradezu perfekt für einen Mann, der keine allzu enge Verbindung wollte. "Leute, es ist zwar sehr schön hier in der Bar", kündigte Newt plötzlich an, "aber das Essen ist fertig. Folgen Sie mir bitte." "Wunderbar", sagte Mac gespielt locker. Einen Augenblick lang begegneten sich ihre Blicke. Wortlos bat sie ihn damit, nicht so fröhlich zu sein, wenn sie innerlich starb. Dann aber war ihr Blick wieder ausdruckslos höflich und freundlich. "Entschuldigen Sie mich", sagte sie schnell. "Es war nett, Sie kennen zu lernen, aber ich muss jetzt gehen." "Du kannst doch nicht schon gehen", sagte Mac drängend. "Ich dachte, wir könnten alle am selben Tisch sitzen." "Na ja", sagte sie zögernd. "Er ist ziemlich groß, da werden wir wohl nicht mehr die Möglichkeit haben, miteinander zu reden."
"Sie tragen ja einen wunderschönen Ring!" rief Isabella plötzlich. Sie griff nach Rettas Hand und hob sie hoch. "Ist das ein Erbstück? " "Ja. Der Ehering meiner Mutter." "Der Diamant ist von ausgesuchter Qualität! Er leuchtet viel schöner als meiner." Sie hielt ihren erbsengroßen Diamanten neben Rettas winzigen Stein. Retta schaute sie an, in der Erwartung, Heuchelei in ihren Augen zu sehen. Überrascht stellte sie fest, dass Isabella es aufrichtig meinte. "Der Ring ist wirklich besonders schön", sagte jetzt auch Mac. "Danke", murmelte Retta, ihre Augen brannten. "Jetzt müssen Sie mich aber entschuldigen." "Du hast uns für heute Abend Trüffel und Gänseleber versprochen", sagte Mac. Er wollte Retta nicht so einfach gehen lassen. Zuerst war er überzeugt gewesen, dass es richtig war, Isabella zu dem heutigen Essen mitzunehmen, aber jetzt bereute er das. "Hoffentlich hältst du dein Versprechen." Rettas Augen waren wie Fenster, durch das man in ihre Seele blicken konnte. "Ich halte meine Versprechen", versicherte sie ihm und lächelte tapfer, "das weißt du." Noch einmal nickte sie Isabella zu, dann ging sie. Das weiß ich wirklich, dachte Mac. Darüber werde ich mir wohl nie wieder Gedanken machen müssen. Wie benommen ging Retta durch den Speisesaal des Restaurants. Wenn sie nur einige Augenblicke aus der Nähe von Mac und seiner Freundin käme, würde sie ihre Fassung schon wiederfinden, und der Druck hinter ihren Augen und das Zittern ihrer Hände würden sich hoffentlich legen. Newt dirigierte alle an ihre Plätze. "Retta, ich möchte, dass Sie hier in meiner Nähe sitzen", meinte er. "Und Mac, Sie sitzen hier, Ihre hübsche Begleiterin möchte ich an meiner Seite haben." Erstaunt beobachtete Retta, wie Isabella Edwards Newt
betörend anlächelte, als er ihr den Stuhl an seiner Seite zuwies, Retta genau gegenüber. O nein, dachte die, bitte nicht direkt mir gegenüber. Als Mac sich langsam hinsetzte, lächelte er Retta matt an, als wolle er sagen, dass er ihr Unbehagen verstand. Aufgekratzt lehnte Isabella sich zu Retta hinüber. "Dr. Winston ist wirklich ein Mensch mit Stil", sagte sie. "Mac hatte ihn mir schon beschrieben." "O... ja", antwortete Retta zögernd. "Arbeiten Sie schon lange für ihn?" "Seit vier Jahren." Das erschien Retta wie eine Ewigkeit. Die Pyramiden waren noch ganz neu, als ich für Newt anfing zu arbeiten, dachte sie. Vielleicht bin ich auch in den letzten fünf Minuten um Jahrhunderte gealtert. "Ist er immer so souverän?" "O ja." Er ist der Feldwebel des Verlagswesens, fügte sie im stillen hinzu und war selbst überrascht über ihren Sarkasmus. Isabella war anscheinend sehr nett. Und harmlos wie ein Kind. Sicher würde sie in einem Baby-Doll-Schlafa nzug ins Bett gehen. Ob Mac das wohl herausfinden würde? Newt setzte sich und strahlte Isabella an, die sein Lächeln bereitwillig erwiderte. Retta glaubte förmlich die Sympathie zu spüren, die zwischen den beiden existierte. Immer wieder suchten ihre Blicke aber Mac. Er hatte das Kinn in die Hand gestützt und bemühte sich um Gelassenheit. "Erzähl mal, was schießt du so in letzter Zeit?" fragte er. "Am liebsten deine Begleiterin", lag ihr auf der Zunge. Statt dessen murmelte sie: "Gestern habe ich auf dem GreenbriarPlatz hundert geschafft." Bewundernd sah er sie an. "Erinnere mich daran, nie gegen dich zu wetten." "Du hast ja noch nicht einmal deine Belohnung von unserem ersten gemeinsamen Golfspiel kassiert", sagte sie. "Die Lutscher."
Isabella wandte sich von Newt ab und sah Mac an. "Sie mögen Lutscher?" "Er ist ganz versessen darauf, bestätigte Retta. Entschlossen hob sie ihr Kinn und zwang sich, Mac anzusehen. Ich werde das, was du mir angetan hast, überleben, sagte ihm ihr Blick. "Ich liebe Lutscher", bestätigte Mac. Isabella lächelte abwesend und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Newt zu. Die beiden unterhielten sich weiter und schienen gar nicht zu merken, was um sie herum vor sich ging. Retta bemerkte, dass auch Mac Isabella und Newt beobachtete. Er schien zu schmunzeln. Während Isabella und Newt munter dahinplapperten, saßen Mac und Retta sich gegenüber, mit einem Blick, der zwischen Lachen und Weinen lag. "Warte, Retta." Beim Klang von Scotts Stimme blieb Retta am Eingang des Restaurants stehen. Das Abendessen war vorüber, einige Gäste saßen noch in der Bar zusammen. Als Retta gegangen war, hatten Mac und Isabella eng nebeneinander an einem der kleinen Tische gesessen und sich mit Newt unterhalten. Scott war neben Retta getreten. Mitleidig sah er sie an, zog sie dann zur Seite in den Schatten eines großen Baumes und sagte: "Ich dachte, du seiest schon gegangen." "Ich habe mir nur meine Nase gepudert", antwortete sie. Mit einem Finger strich Scott über die dunklen Schatten unter ihren Augen. "Die solltest du dir besser wegpudern." Retta war verzweifelt. "Ist es so offensichtlich?" fragte sie. "Nein, halb so wild. Du bist noch immer die bestaussehendste Frau heute Abend." "Du willst wohl eine Gehaltserhöhung, wie? Okay, die kannst du haben." Sie lachten beide befreit. Sein Mitgefühl tat Retta so gut, dass sie ohne nachzudenken ihre Arme um ihn schlang. Ihren Kopf ließ sie mit einem lauten Aufseufzen an seine Schulter sinken.
"Na los", flüsterte Scott ihr aufmunternd zu. "Tu nur so, als sei ich Mac." "Danke", flüsterte Retta. Mac hatte Isabella seinen Arm gereicht und führte sie gerade dem Ausgang der Bar zu. Zum wiederholten Male wünschte er, ihm würde ein plausibler Grund einfallen, ihr zu sagen: "Bleib bei Newt, es macht mir nichts aus." Weil er das aber nicht fertig brachte und sie nicht wagte, es ihm vorzuschlagen, gingen die beiden jetzt zusammen nach Hause. Er wusste genau, dass sie ihn vor ihrer Tür hastig verabschieden würde, um so schnell wie möglich hierher, zu Newt, zurückzukommen. Wo, zum Teufel, war Retta nur geblieben? Ganz offensichtlich hatte sie die Entschuldigung, ihre Nase pudern zu wollen, dazu genutzt, nach Hause zu gehen. Mit Isabella am Arm trat er ins Freie. Automatisch sah er sich um. Da entdeckte er Retta in Scotts Armen, und ihm stockte der Atem. "Ab... gute Nacht, Retta", rief Isabella zögernd. Retta zuckte in Scotts Armen zusammen. Wo Isabella war, da war wahrscheinlich auch Mac. Sie versuchte, sich einzureden, dass Mac wahrscheinlich viel zu klug war, um diese unschuldige Umarmung falsch zu verstehen. Außerdem hatte er schließlich kein Recht, eifersüchtig zu sein! "Ja, gute Nacht, Henrietta", sagte nun auch Mac. Er ist eifersüchtig, begriff sie sofort. So eifersüchtig, dass ihm beinahe die Stimme versagt hätte. Ein kleines Triumphgefühl stieg in ihr auf. Scott ließ sie los und trat einen Schritt zurück. Mac und Retta sahen sich mit einem intensiven Blick an. "Gute Nacht, Mac. Nett, Sie kennen gelernt zu haben, Isabella." Einen kurzen Augenblick lang zögerte Mac, dann aber gewannen seine Gefühle Oberhand über seine Höflichkeit.
"Würdest du mich bitte einen Augenblick entschuldigen?" wandte er sich an Isabella. "Ich habe noch kurz etwas mit Retta zu besprechen." "Ja, natürlich", erwiderte sie erleichtert, wandte sich um und verschwand wieder in der Bar. Mac ergriff Rettas Hand und warf Scott einen zornigen Blick zu. "Entschuldigen Sie uns", brummte er. "Sie können ruhig schon nach Hause gehen." So einfach ließ Scott sich aber nicht abwimmeln. Auch wenn er Mac eigentlich mochte, so widersprach er doch. "Ich warte auf dich", versicherte er Retta. "Tu das", antwortete sie und sah Mac abweisend an. Sie ließ es zu, dass Mac sie ein Stück weiter zu einer kleinen Laube führte, ehe sie ihm ihre Hand entzog. Heftig atmend standen sie einander gegenüber. "Das hätte ich nicht von dir erwartet", fuhr er sie an. "Ich denke, wir sind Freunde?" "Das sind wir, genau wie Scott und ich. Und wenn Freunde sich umarmen, ist das etwas ganz Normales, McHale. Und du brauchst mir hier nicht deine neue Freundin vorzuführen und dann so zu tun, als hättest du irgendwelche Ansprüche auf mich." Aus seinen blauen Augen schien Feuer zu sprühen. "Du bist doch hoffentlich nicht so dumm, dich mit Scott trösten zu wollen?" fragte er erbost. Retta fühlte, wie Zorn in ihr hochstieg. "Danke, dass du mich auf die Idee gebracht hast." Ihre Stimme versagte ihr den Dienst. "Ich würde dich nie danach fragen, ob du deine Königin mit nach Hause nimmst. Niemals!" Tränen glänzten in ihren Augen. "Es geht mich nichts an, das hast du mir deutlich zu verstehen gegeben." Sie glaubte, er würde explodieren, aber er riss sich zusammen, und als er dann sprach, klang seine Stimme einigermaßen gefasst. "Ich will nur nicht, dass du etwas tust, was du dann bedauerst, nur weil du böse auf mich bist oder
verletzt. Ich bitte dich als dein Freund, dich nicht unüberlegt jemandem an den Hals zu werfen." Retta ballte ihre Faust und schüttelte sie. "Ich lebe seit mehr als zwei Jahren allein, Mac. Ich brauche manchmal jemanden, der mich in die Arme nimmt, jemand, der mich liebt. Mir ist nie klar geworden, wie sehr ich das brauchte, bis ich dich kennen lernte." Tränen standen in ihren Augen. "Ich wusste gar nicht, wie wenig Wärme es in meinem Leben gibt, bis ich sah, wie viel du davon zu geben hast." Sie legte ihre Hände gegen seine Brust und sah ihn gequält an. "Aber du willst sie nicht geben, und ich werde nicht darum betteln." Sie ließ ihn los, presste ihre Hand gegen die Stirn und trat einen Schritt zurück. "Verlange nicht von mir, dass ich mich nicht nach jemandem umsehe, der mir hilft, nicht verrückt zu werden." "Aber nicht Scott", bat er verzweifelt. "Scott ist mein bester Freund, und ich möchte, dass er das bleibt. Er hat mich nur in den Arm genommen, weil ich mich über dich aufgeregt habe, Mac." "Gut, dann bist du sicher auch zu aufgeregt, um zu fahren. Ich werde dich nach Hause bringen." "Damit du mich einsperren kannst? Um mich vor mir selbst zu schützen? Dann schnappe ich mir eben den Hausmeister, sobald er an meiner Tür vorbeikommt." "Mach keine Scherze", befahl er. "Mir liegt sehr viel an dir." "Wenn du mein Freund sein willst, benimm dich nicht wie ein eifersüchtiger Liebhaber!" Mutlos ließ Mac den Kopf sinken. Sie hatte ja recht, er war verrückt. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und strich mit seinen Daumen ihre Tränen weg. "Ich muss zu Isabella zurück", sagte er schließlich. "Und ich gehe nach Hause." Retta widerstand dem Wunsch, ihr Gesicht zur Seite zu drehen und seine Hand zu küssen. "Alleine."
"Danke. Und du kannst mir glauben, dass ich nicht die Absicht habe, mit Isabella etwas anzufangen." Ernst blickte Retta ihn an. "Es wird einen Abend geben, Mac, an dem werde ich nicht allein nach Hause gehen. Und solltest du dann in der Nähe sein, mach mir nicht noch einmal eine solche Szene. Mische dich nicht wieder in mein Privatleben ein." Seine Hände schlossen sich noch fester um ihr Gesicht, und einen Augenblick lang glaubte Retta, er würde sie in seine Arme ziehen. Aber dann ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. "Du hast recht", flüsterte er. Dann drehte er sich um und ging. Und nahm all die Wärme der Welt mit. Angestrengt schrubbte Retta ihre weiße Fensterbank, als ihr Blick plötzlich auf ihre Armbanduhr fiel. Schon halb eins in der Nacht, und das mitten in der Woche. Genau die richtige Zeit, um zu putzen, dachte sie sarkastisch. Ihr neues schwarzes Kleid lag auf dem Sofa, wo sie es vor zwei Stunden achtlos hingeworfen hatte. "Wer macht sich schon etwas aus eleganten Kleidern", murmelte sie. Tränen traten in ihre Augen, und sie schluckte. "Und wer macht sich schon etwas aus Männern? Die stören doch nur." Sie schrubbte immer weiter. Als es plötzlich klopfte, erschrak Retta so heftig, dass ihr die Bürste aus der Hand fiel. Erschrocken blickte sie zur Tür. Wer um alles in der Welt konnte das um diese Zeit noch sein? Wieder klopfte es. "Augenblick bitte", rief sie, zog sich einen Morgenmantel über und nahm ihre kleine automatische Pistole aus der Schublade. Die Tür hatte kein Guckloch. Retta lehnte sich gegen den Rahmen und holte tief Luft. "Wer ist da?" fragte sie mit zitternder Stimme. "Mac", klang seine wohlbekannte Stimme an ihr Ohr. Die Hand mit der Pistole sank kraftlos herunter, dann öffnete Retta die Tür. Sie war empört. Er wollte sich sicher nur davon überzeugen, dass sie alleine war. Weit riss sie die Tür auf. "Das
ist ja wohl unerhört, dass du jetzt hierher kommst, Mac", führ sie ihn an. Mit gerunzelter Stirn sah er sie an, und als sein Blick auf die Pistole fiel, umspielte ein grimmiges Lä cheln seinen Mund. Retta schob die Pistole schnell in die Schublade eines kleinen Schränkchens, das in der Garderobe stand. "Ich bin alleine. Gute Nacht." Bei diesen Worten wollte sie die Tür schließen, aber Mac trat einen Schritt vor und hielt die Tür fest. "Ich bin doch nicht gekommen, um dich zu kontrollieren." Sprachlos starrte sie ihn einen Augenblick lang an. Er trug noch immer den Anzug, den er abends auf dem Fest getragen hatte, aber seine Hose war noch so glatt und faltenfrei, dass sie sich fragte, ob er sich seitdem überhaupt hingesetzt hatte. Seine Haare waren zerzaust, als wäre er mit allen zehn Fingern hindurchgefahren. Er sah aus wie ein Mann, der sich zu einer schweren Entscheidung durchgerungen hatte, dachte Retta plötzlich. Ihr stockte der Atem, und ihre Stimme klang heiser. "Weshalb bist du dann gekommen?" Mac kam noch einen Schritt näher, Retta wich vor ihm zurück. Einer schloß die Tür - wer von ihnen, wusste sie später nicht mehr. Ernst und entschlossen sah er sie an. "Um dich zu bitten, heute nacht mit mir zusammen wegzufahren." Noch einen Schritt kam er näher, und wieder wich sie vor ihm zurück. Zum erstenmal, seit sie ihn kannte, sah Retta in Mac den männlichen Aggressor. Er schien angespannt, sein Verlangen nach ihr schien ihn zu überwältigen. Mit weich gewordenen Knien ließ Retta sich auf das Sofa sinken, neben ihr lag das zerknitterte schwarze Kleid. Mac setzte sich daneben und nahm die Perlenkette und den Ring ihrer Mutter in die Hand.
"Das ist wunderschön", murmelte er abwesend. "Und es passte so gut zu dir heute Abend. War sexy und ein wenig altmodisch zugleich. Du hast mich beinahe um den Verstand gebracht. Ich weiß, dass es dir weh getan hat, als Isabella ihren Klunker mit dem Ring deiner Mutter verglichen hat." "Warum bist du denn wirklich gekommen?" Seine freundlichen Worte machten alles nur noch viel schlimmer. Sie verschränkte ihre Hände im Schoß und saß kerzengerade. Sie konnte nicht glauben, dass er gekommen war, um mit ihr zusammen wegzufahren. Mac ließ den Schmuck wieder sinken. "Ich kann nicht zulassen, dass du dir irgend jemand suchst, nur um mit ihm ins Bett zu gehen"., sagte er ernst. "Du bist in diesen Sachen genauso wenig unbekümmert wie ich." "Also bist du doch gekommen, um zu kontrollieren, ob ich alleine bin", entschied sie. Sie würde ihm einfach die Wahrheit sagen. "Mach dir keine Sorgen, Burt. Tief in meinem Inneren bin ich eine alte Jungfer und der sexuellen Revolution abhold. Und nur, weil ich mich wie ein sexhungriges kleines Biest aufführe, sobald du in der Nähe bist, heißt das noch lange nicht, dass ich wirklich auf den Hausmeister losgehen werde. Ich habe nur Spaß gemacht, du kannst ruhig nach Hause gehen." "Lass das bitte." Seine Stimme klang so angespannt, dass das kleine Lächeln von ihrem Gesicht verschwand. Mac nahm ihre Hand und hielt sie ganz fest. "Sieh mich an", befahl er. "Also, höre mir jetzt zu, Henrietta. Es kann nicht so weitergehen, dass ich die ganze Zeit so sehr nach dir verlange und so heftig dagegen ankämpfe. Die letzten beiden Stunden habe ich damit verbracht, mein Gewissen zu überprüfen. Als Judith einen so schrecklichen Tod starb, hatte ich mir geschworen, mich nie wieder zu binden, sondern allein und in Ehren alt zu werden. Und ich schwor mir, ich würde nie einer jüngeren Frau nachlaufen."
"Du bist viel zu jung, um in Ehren alt zu werden, Burt. Und du bist mir auch nicht nachgelaufen, sondern ich dir, weißt du das nicht mehr? Du kannst also mit beruhigtem Gewissen nach Hause gehen." Retta versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen, aber Mac hielt sie fest. Er seufzte. "Ich fühle mich schon uralt und verstehe mich selbst nicht. Mein Gewissen und meine ehrenwerten Entscheidungen haben ganz gut geklappt, bis ich dich traf und mich in dich verliebte." Rettas Finger krallten sich in seine Hand. "Sag das nicht", bat sie. "Wenn du nicht willst, dass ich die Fassung verliere, dann sag mir bitte nicht, dass du mich liebst." "Verliere ruhig deine Fassung, ich habe meine auch verloren. Es ist sowieso alles Unsinn. Wie kann ich edelmütig sein, wenn ich nur daran denke, dich zu besitzen. Dich mit deiner Intelligenz, deiner bezaubernden, distanzierten Art, deinem schönen Körper." Seine letzten Worte entfachten in ihrem Inneren einen Wirbelsturm der Gefühle. Mein Gott, er sagte ihr wirklich all das, wonach sie sich gesehnt hatte! "Jetzt habe ich dir Angst gemacht", meinte er. "Liebe ist wahrscheinlich mehr, als du erwartet hattest." Retta begann zu zittern. Er war ja so liebenswert und so umständlich. "Mac", flüsterte sie, "ich habe mich an dem Tag in dich verliebt, als ich dich zum erstenmal gesehen habe." Ein ungläubiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. "O Retta." Er begann zu lachen und sah so erleichtert aus, dass auch sie lachen musste. Das war wieder der Mac, den sie kannte. Er stand auf, trat vor sie, beugte sich hinunter und nahm ihr Gesicht in beide Hände. Retta genoss dieses wundervolle Gefühl, ihm so nahe zu sein. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und ihre Augenlider schwer. Sie legte ihre Hände über seine.
Eindringlich sah er sie an, lange würde er sich nicht mehr zurückhalten können. "Brenn mit mir durch und sieh zu, ob es dir gefällt, von einem älteren Mann angebetet zu werden." "Dein Alter hat nichts damit zu tun, wie ich angebetet und verwöhnt werden möchte", versuchte sie zu scherzen. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl schien ihre Brust zu sprengen. "Meinst du das wirklich ernst, Mac?" "Ja." Träume wurden also doch manchmal Wirklichkeit. "Vielleicht könntest du... mir deine Zuneigung einmal demonstrieren, Mac, damit ich mir ein Bild davon machen kann?" "Mein Liebes", flüsterte Mac, dann legten seine Lippen sich auf ihre, fuhren leicht darüber hin, mal sanfter, mal fester. Retta seufzte glücklich auf, dann drängte sie sich an ihn und schob ihre Zunge in seinen Mund. Mac stöhnte auf. Hungrig und voller Leidenschaft erwiderte er ihren Kuß. Er ließ seine Lippen über ihren Hals gleiten, atmete tief ihren Duft ein und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. "Wirst du mit mir kommen?" murmelte er an ihrem Ohr. "Auch wenn das alles gar keinen Sinn ergibt und all meine Prinzipien zum Teufel sind?" Mac ging vor ihr in die Hocke und ließ seine Hände über ihren Morgenmantel gleiten. Retta hörte auf zu atmen, als sie für einen Moment auf ihren Brüsten liegen blieben. Sie streichelte ihm über die grauen Schläfen. "Wann willst du denn losfahren, Mac?" "Heute Abend. Oder sofort. Sobald du ein paar Sachen eingepackt hast. Es ist jetzt Freitagmorgen, wir könnten ein verlängertes Wochenende zusammen verbringen." "Wie weit willst du denn fahren? Ist das nicht ein wenig... extravagant?"
Mac schüttelte den Kopf, liebevoll sah er sie an. "Das wird ein ganz besonderes Wochenende, Henrietta. Ich will nicht, dass unsere Freunde oder unsere Arbeit uns in unseren ersten gemeinsamen Tagen stören." Nie hatte sie diesen wunderbaren, sensiblen Mann mehr geliebt als in diesem Augenblick. "Gemeinsam", wiederholte sie verwundert. "O Mac, ich liebe dich so sehr." "Ich dich auch", flüsterte er. Retta zog ihn in ihre Arme. Mac glitt neben sie auf das Sofa und zog sie auf seinen Schoß. Er schob den Saum ihres Morgenmantels ein wenig hoch und legte seine Hand auf ihre nackte Haut. Retta genoss die Berührung, stöhnte leise auf und schloß die Augen. "Sind meine Hände zu kalt, Schatz?" "O nein, Mac, es ist wunderbar." "Und was würde passieren, wenn ich damit noch ein wenig höher ginge?" "Mehr, als du dir in deinen wildesten Träumen vorstellen kannst, Burt." Beide zitterten, als sie sich erneut küssten. "Henrietta", sagte er drängend, "wir müssen uns endlich lieben! Aber dieses Sofa ist vermutlich zu alt, um... das zu überstehen. Lass uns einfach irgendwohin fahren." Sie schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht, Mac. Und du auch nicht. Was wird denn aus deinen Patienten?" "Meine beiden Partner schulden mir mehr Gefallen, als sie mir jemals zurückzahlen können." Er strich ihr übers Haar. "Dein Haar hat die Farbe von Schokolade. Und wenn es so zerzaust ist..." "Aber ich habe morgen eine Besprechung mit Hilda ..." "Dann bist du eben ab sofort krank", begann Mac mit einer Stimme wie ein Hypnotiseur. "Sehr krank. Du kannst morgen auf keinen Fall arbeiten, sondern musst zu Hause bleiben." Er schob seine Hand in ihren Morgenmantel, und Retta erbebte, als
er ihre Brust berührte. "Ruhig jetzt, lass mich meine Diagnose machen." Retta schloss die Augen. "O ja", sagte er dann, "es handelt sich hier um den ernsten Fall eines vernachlässigten Herzens. Es ist in letzter Zeit von einem dummen Kerl sehr verletzt worden, ich frage mich, wer das sein könnte." "Ich habe aber gute Regenerationskräfte", versicherte sie ihm. "Dafür verschreibe ich eine Kombination von gutem Essen, teurem Hotel, Anbetung und Bettruhe, kombiniert mit einigen Übungen." "Donnerwetter, wo werde ich nur eine solche Medizin finden?" Mac streichelte ihren Hals. "Wo immer du mit mir hingehen willst. Ich lade dich ein." Sie küsste ihn mit so viel Zärtlichkeit, dass es Mac ganz sonderbar zumute wurde. "Es schickt sich nicht, wenn du so viel Geld für mich ausgibst." Mac lachte leise. "Ich muss dich also erst noch lehren, Geschenke von mir anzunehmen." Er zog eine drollige Grimasse. "Kannst du etwa einem alten Mann einen Wunsch abschlagen?" Er sah so ulkig aus, dass sie lachen musste. "Also gut, aber nur diesmal." Aufgeregt überle gte sie, welcher Ort wohl für einen solchen Urlaub geeignet war. "Ich weiß!" rief sie. "Wir könnten nach Peoria fahren." Mac lächelte nachsichtig. "Du kannst ruhig großzügiger sein", meinte er. "Springfield?" Er seufzte. "Es gibt außer Illinois auch noch andere Staaten." "Aber wir haben doch nur drei Tage..." "Mann und Frau steigen in großen silbernen Vogel", scherzte er. "Fliegen in die Sternennacht. Morgen kommt, Vogel landet in fernem Land."
Er wurde wieder ernst. "Liebling", murmelte er. "Sag mir, wo du schon immer gerne einmal hinwolltest." "Ach, ich liebe dich." Er küsste sie ungestüm. "Sag es mir, mein Schatz." "Disney World in Florida", sagte sie schüchtern. "Ich wollte schon immer einmal die Mickymaus kennen lernen." Nach einem Augenblick des Erstaunens begann Mac zu lachen, so sehr, dass ihm schon nach kurzer Zeit Tränen über die Wangen rannen. Retta schmunzelte, lachte dann mit ihm, lehnte ihren Kopf an seine Schulter und schlang die Arme um ihn. "Ich versuche zu vergessen, dass du sechzehn Jahre jünger bist als ich", brachte er heraus. "Aber sehr hilfst du mir nicht dabei." "Hör mal, McHale, ich bin ja kein Kind mehr. Und nachdem ich Micky gesehen habe, möchte ich mir die Wissenschaftsshow ansehen und die Geschichtsausstellung." "Psst. Ich mache doch nur Spaß." Zärtlich strich er ihr übers Haar. "Ich wollte Mickymaus schon immer selbst einmal kennen lernen." "Mac", flüsterte sie, dann knabberte sie zart an seinem Ohrläppchen und schmiegte sich in seine Arme. Sie fühlte, wie sein Körper auf ihre Berührung reagierte. Mac wurde ganz still, dann drängte er seinen Körper gegen sie. Retta stöhnte leise, als seine Hände über ihren Rücken glitten und sie noch näher an sich zogen. "Was ist los, meine Hübsche?" "Und wenn wir nun keine Zeit haben, uns Disney World anzusehen... wenn wir nun die meiste Zeit in unserem Hotelzimmer verbringen... wirst du dann enttäuscht sein?" Mac hielt sie fest in seinen Armen. "Wohl kaum", murmelte er. "Es gibt da einige Vergnügungen, mit denen kann selbst Mickymaus nicht konkurrieren."
8. KAPITEL Retta zuckte zusammen, als die Tür des Hotelzimmers in Orlando hinter ihnen ins Schloss fiel. Irgendwo da draußen lag Disney World, und nur wenige Schritte von ihr entfernt stand Mac, der gerade dabei war, seine Brieftasche wieder zu verstauen, nachdem er dem Portier ein Trinkgeld gegeben hatte. Retta stand ganz still und sah sich in dem Zimmer um. Nein, es war nicht einfach ein Zimmer, es war eine Suite, korrigierte sie sich selbst, ein Ort, an dem man den Luxus genießen konnte. Sogar um sechs Uhr morgens standen schon frische Blumen auf dem Tisch. Die ganze Suite war elegant möbliert, und in dem riesigen Badezimmer gab es sogar einen Fernsehapparat. Es war ein Ort zum Genießen. Aber Retta konnte das nicht recht. Mit diesem Luxus wurde sie genauso wenig fertig wie mit dem in Macs Golfclub. Doch das hier war noch viel schlimmer, denn Mac würde bald merken, wie wenig sie hierher passte. Als er seine Brieftasche einpackte, wandelte sich sein warmer, zärtlicher Blick in Besorgnis und Betroffenheit. "Henrietta, ist alles in Ordnung?" fragte er sanft. "Ja, natürlich," Retta umklammerte ihre Handtasche. Sie war eine Frau, die den Dingen mutig und tapfer ins Auge sah, dachte Mac, aber im Moment schien sie sich unbehaglich zu fühlen.
Sie wird doch nicht etwa unseretwegen Zweifel haben, fragte er sich, und eine kalte Furcht schlich in sein Herz. Er ging auf sie zu und nahm sie in die Arme. "Wir werden alles ganz ruhig angehen lassen, entspanne dich." "Ich... ich... es tut mir leid", flüsterte sie. "Psst", versuchte Mac sie zu beruhigen. Er hatte Angst vor dem, was sie als. nächstes sagen würde. Es tut mir leid, Mac, aber wir sollten das nicht tun, wir sollten vielleicht doch nur Freunde sein. Das würde er nicht ertragen können. Er zog sie sanft in seine Arme. Aber Retta war stocksteif und zitterte. Ihre Tasche hielt sie noch immer in der Hand, als wolle sie ihn damit abwehren. "Du musst völlig erschöpft sein", meinte Mac. "Wir hätten im Flugzeug schlafen sollen, anstatt uns die ganze Nacht zu unterhalten." Seine Stimme beruhigte ihre angespannten Nerven. "Frierst du?" fragte Mac, als er ihre Gänsehaut sah. "Du hättest deine Jacke nicht ausziehen sollen." Er war besorgt. Und da er nicht recht wusste, was er tun sollte, redete er einfach weiter. "Ist das nicht ein phantastisches Hotel? Ich wusste, dass wir uns auf die Empfehlung des Taxifahrers verlassen konnten." Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. "Vielleicht sollten wir..." "Ich habe Angst, Mac", flüsterte sie zaghaft. Einen Augenblick lang sah er sie beunruhigt an, dann riss er sich zusammen. Sie hatte ihre Zweifel ausgesprochen, damit würde er fertig werden. Er würde um sie kämpfen. "Retta", murmelte er mitfühlend. "Ich habe doch schon gesagt, wir lassen es ganz ruhig angehen. Wir sind Freunde und werden uns einfach daran erfreuen, dass wir beieinander sind. Ich könnte mir auch ein anderes Zimmer nehmen, wenn du..." "Mac", versuchte sie zu erklären, "es ist wegen dieses Hotels, wegen dieses Zimmers." Mac war viel zu überrascht, um etwas zu sagen. "Es geht also nicht um uns", brachte er schließlich hervor.
"Nein, mein Schatz, natürlich nicht. Ich bete dich an." Sie warf ihre Tasche auf das Bett und schlang die Arme um ihn. Sie schmiegte sich an ihn und barg ihr Gesicht an seinem Hals. "Retta, meine kleine Retta", flüsterte er, und seine Hände glitten über ihren Rücken. "Was ist denn nicht in Ordnung mit diesem Hotel? Wir können ja auch irgendwo anders hingehen." "Nein, das wäre Unsinn. Ich werde mich schon daran gewöhnen", versprach sie ihm, und ihre Stimme klang so mutig, dass er sein Gesicht in ihr Haar drückte und lächelte. "Wärst du denn in Peoria oder in Springfield glücklicher gewesen?" fragte er. "Na ja, da hätten wir nicht diesen ganzen Luxus gehabt, Mac. Der erschlägt mich irgendwie." Sie legte ihren Kopf in den Nacken und sah ihn an. "Er zeigt mir, wie einfach und schlicht ich bin. Und ich möchte dich doch nicht blamieren." Am liebsten hätte er gelacht, aber sie war so nervös, dass er es nicht übers Herz brachte. "Mein Schatz, als du gestern Abend in der Bar auf mich zukamst, ist dir da nicht etwas an den anderen Männern im Raum aufgefallen?" "Nein." "Nun, die werden wohl heute alle einen verrenkten Hals haben, weil sie ihn so nach dir gereckt haben. An dir ist wirklich nichts Schlichtes und Unauffälliges." "Aber hier drinnen bin ich es." Sie deutete auf ihren Kopf. "Du bist eine Klassefrau, die nur nie die Zeit und das Geld gehabt hat, das Leben auch materiell zu genießen. Das werde ich ändern, mit ein paar Geschenken und mit meiner ganzen Zuwendung." "Ich nehme nicht gerne Geschenke an, wenn ich mich nicht revanchieren kann." Neckend sah er sie an. "Retta, wofür sollte es denn gut sein, dass ich ein reicher älterer Mann bin, wenn ich meine süße Kleine nicht verwöhnen kann?"
"Ich bin doch keine süße Kleine!" Trotz allem musste sie lächeln. "Ich weiß, Retta, aber lass mir bitte meine Phantasien." Schweigend sahen sie einander an, bis Mac schließlich mit dem Kopf auf das Bett deutete. "Für deine Sorgen verordne ich dir erst mal Schlaf, sagte er ernst. "Und ich meine wirklich Schlaf. Wir werden ein gewisses Maß an Kleidung anbehalten, um der Versuchung zu widerstehen und vielleicht drei Stunden schlafen. Dann können wir beide im Büro anrufen, um mitzuteilen, dass wir heute nicht zur Arbeit erscheinen werden." Retta nickte. "Gut, so wird es am besten sein." Mit einem Finger hob er ihr Kinn hoch und sah ihr tief in die Augen. "Sei nicht so logisch, Henrietta, dies wird kein sehr logisches Wochenende werden." Eine heiße Röte stieg Retta ins Gesicht. "Ich weiß schon, wenn ich meine Logik über Bord werfen muss." Beide lachten leise, dann küsste Mac sie zärtlich. Ein heißes Verlangen nach ihr brannte in seinem Inneren, aber er zwang sich, nicht daran zu denken. Zuerst wollten sie sich ausruhen, später, wenn sie sich wohler fühlte, wäre noch Zeit genug. Er ging zum Fenster und schloss die Gardinen, während Retta sich an ihrem Rock zu schaffen machte. Das Zimmer schien plötzlich dunkel und intim, und ihre Finger zitterten, als der Rock zu Boden fiel. Sie fühlte Macs Blicke auf sich, als sie zum Schrank ging, um den Rock aufzuhängen. Aus ihren Augenwinkeln heraus beobachtete sie, dass Mac sich Stück für Stück auszog. Am liebsten hätte sie all ihre Zurückhaltung aufgegeben und ihm ihr Verlangen offen gezeigt. "Soll ich deinen Anzug aufhängen, Mac?" fragte sie atemlos. "Nein, er ist sowieso hoffnungslos zerknautscht. Ich werde ihn später aufbügeln lassen." Er hielt inne. "Hör auf, mich so anzusehen", sagte er dann, ohne sich zu ihr umzudrehen. "Du wirst dich zuerst ausruhen, sonst nichts."
"Du selbstgefälliger Mensch, ich habe dich ja gar nicht angesehen." Lächelnd zog sie ihre Bluse aus und hängte sie auf. "Du liebe Güte... du hättest mich warnen müssen, Henrietta!" rief Mac aus. Besorgt fragte sie: "Was ist denn los?" Sein Blick sprach Bände Sie sah an sich hinunter und realisierte, dass sie ihre dunkelblaue zarte Spitzenwäsche trug. "Meine geheime Schwäche", gab sie zu. So gelassen sie konnte, ging Retta zum Bett, zog die Decke zurück und ließ sich auf die Matratze sinken. Das also war der Ort, wo ihre Körper sich vereinen würden, wo sie Macs Körper auf ihrem spüren würde... "Hier", sagte Mac plötzlich neben ihr und hielt ihr eins seiner weißen Unterhemden hin. " Der Arzt hat dir für deine angespannten Nerven Schlaf verschrieben, und damit du den bekommst, ziehst du das lieber über." Er räusperte sich. Sie lächelte verschmitzt. "Anstatt meiner Unterwäsche?" Seine blauen Augen blitzten belustigt. "Darüber." Lachend nahm Retta das Hemd und zog es über. "Es riecht nach dir, Mac", sagte sie leise. Ihre Blicke hielten einander gefangen, als sie sich langsam auf dem Bett ausstreckte. Sie rollte zur Mitte und zog dann die Decke bis zu ihrer Taille hoch. "Wieso habe ich nur das Gefühl, dass du es mir verdammt schwer machen wirst?" fragte Mac leise, als er neben sie ins Bett schlüpfte. Er stützte sich auf einen Ellenbogen und lehnte sich mit einem Lächeln zu ihr. Seine Hand glitt hinter ihr Ohr, dann berührte etwas Samtweiches ihre Wange, ihre leicht geöffneten Lippen und ihre Nasenspitze. Der Duft war unverkennbar. "Eine Rose", hauchte sie verwundert. "Wo... wo hast du die denn her? Wo hattest du sie versteckt?" Er hielt ihr die kleine rote Blüte hin. "Geheimnis des Magiers", erklärte er. "Außerdem ist es eine verzauberte Rose.
Wenn ich dich damit berühre, wirst du einschlafen und von mir träumen. Schließ deine Augen." Noch nie in ihrem Leben war Retta weniger nach Schlaf zumute gewesen als in diesem Augenblick, aber sie tat wie geheißen. Hinter ihren geschlossenen Augenlidern spürte sie, wie all ihre anderen Sinne bis aufs Äußerste gespannt waren. Macs Bein berührte ihres, und sie spür te, wie die feinen Härchen sie kitzelten. Sie hörte, dass sein Atem heftig ging. "Schlaf, drang seine leise Stimme an ihr Ohr, dann fuhr er ihr sanft mit der Rose über die Stirn und die geschlossenen Augen. "Träume", befahl er leise, und Retta spürte, wie sich jeder Muskel in ihrem Körper entspannte. Dieser Mann war wirklich ein Zauberer, aber trotz allem war sie hellwach und erregt. Sanft strich die Rose über ihre Lippen, und Retta glaubte, Macs Blicke förmlich zu spüren. An seinem Atem, der immer heftiger ging, merkte sie, dass auch er erregt war. Sie gab leise Laute von sich. "Schlaf, flüsterte Mac und strich ihr weiter mit der Rose über Gesicht, Hals und Ohr. Hör nicht auf, bat sie schweigend, als er innehielt. Dann spürte sie seine Fingerspitzen an ihrem Hals, wo ihr Puls heftig schlug. "Das ist aber nicht der Pulsschlag eines einschlafenden Menschen", sagte er mahnend. "Nein." Sie atmete tief. "Aber ich... ich bin ganz entspannt. Hör nicht auf." Wieder fühlte sie die Rose an ihrem Hals. "Ich kann gar nicht aufhören", stöhnte er dann. "Ich fürchte, die verordnete Medizin hat nicht geholfen." Ein Schauer der Vorfreude rann durch ihren Körper. Sie spürte seinen warmen Atem an ihrem Ohr. "Lass deine Augen geschlossen, meine Schöne." Retta nickte.
Mac nahm ihre beiden Hände und drückte sie in das Kissen über ihrem Kopf. Retta seufzte glücklich auf, als er ihr das Unterhemd wieder über den Kopf zog. Dann schob sich sein Bein zwischen ihre Knie und die Rose zog fe urige Linien über ihren Körper. "O Burt", flüsterte sie. "Ich verbrenne." "Dann will ich dir lieber noch mehr von diesen Sachen ausziehen", murmelte er. "Damit... du dich besser fühlst." "O ja." Seine Hände glitten über ihren Körper. Langsam begann er, sie zu entkleiden. Retta keuchte, als er ihr schließlich ihren Büstenhalter auszog und die kühle Luft über ihre erhitzte nackte Haut strich. "Einfach", flüsterte Mac und schüttelte seinen Kopf. "Du glaubst, du bist einfach. Mein Gott, Retta, du bist unglaublich." Retta stöhnte leise auf, als er mit der Rose zart über ihre Brustspitzen strich, den Hügel umkreiste und dann ihren Bauch. Und seine Lippen folgten dem Pfad der Rose. Retta bewegte sich unruhig unter seinen Berührungen, es schien Stunden zu dauern, bis er sie endlich ausgezogen hatte. Als schließlich das letzte Kleidungsstück gefallen war, war sie der Ekstase nahe. ' Mac streckte sich neben ihr aus. Mit seiner Hand glitt er über die Innenseite ihrer Schenkel, bis zu ihrem krausen Haar. Die Rose war auseinandergefallen, die Blütenblätter auf ihrem Bauch und im weichen Haar verstreut. Seine Finger erforschten und liebkosten sie, während er ihr zarte Liebesworte ins Ohr flüsterte. "Das ist es, Retta, meine wunderschöne Retta..." Als Retta glaubte, es nicht länger ertragen zu können, öffnete sie ihre Augen und sah ihn an. Aus seinem Blick leuchtete ihr heißes Verlangen entgegen. "Bitte, Burt", flüsterte sie. Er verstand, ließ sie los und legte sich zurück, damit sie auch ihn ausziehen konnte.
"Ich wünschte, ich hätte auch eine Rose", flüsterte sie, als sie ihm das Hemd über den Kopf gezogen hatte, Mac lächelte, als sie nun ihn zärtlich liebkoste. Ihre Lippen glitten über seinen muskulösen Bauch. "Wie ein Jüngling", murmelte sie, dann knabberte sie an seinen glatten Brustwarzen. Langsam schob sie ihm die Boxer-Shorts über die Hüften hinunter. "O Burt", stammelte sie bewundernd. "Du hast einen wunderbaren Körper!" Als sie ihn zärtlich mit den Händen berührte, stöhnte er auf. "Retta", keuchte er. "Ich wusste gar nicht, wie schön es sein kann. "Warte nur ab, mein Liebling", versprach sie ihm, "es wird noch viel schöner." Er setzte sich auf, kniete sich vor sie und sah sie an. Beide atmeten heftig. "Du musst aufpassen, dass ich nicht zu grob mit dir bin", bat er. "Ich fürchte, dass meine Lust mit mir durchgeht, und möchte dir nicht weh tun." Retta sah ihn nur an. Eine unendliche Zärtlichkeit für ihn überkam sie. "Mac." Sie streichelte seine Wange. "Du bist der selbstloseste Mann, den ich kenne. Aber wenn du bei mir bist, kannst du ruhig selbstsüchtig sein. Ich habe dir viel zu geben, sei so gierig, wie du möchtest." Sie küsste ihn leidenschaftlich. "Ich liebe dich", flüsterte er und zog sie in die Arme. Zusammen sanken sie aufs Bett zurück. Retta bog ihm ihren Körper entgegen, als sich seine Zunge tief in ihren Mund schob und er ihre Brüste liebkoste. Er schob sich auf sie, und Retta schlang die Beine um ihn. Mac stöhnte laut auf, als ihre Körper sich berührten. "Ruhig", warnte er. "Nein", bat sie, "ich gehöre dir, und ich will dich." Sie hob den Körper ein wenig, damit er in sie eindringen konnte. Sanft nahm er ihren Kopf in beide Hände und küsste sie, bedeckte ihr Gesicht und ihren Hals mit Küssen.
"Mac, o Mac", hauchte sie, dann konnte sie nicht mehr sprechen, der Tumult in ihrem Inneren ließ sie nicht mehr klar denken. Sie klammerte sich an ihn, und als sie sich dem Höhepunkt näherte, schrie sie auf. Mac legte ihr sanft einen Finger auf den Mund und flüsterte liebevoll ihren Namen. Retta fühlte sich wie Phoenix, zu Asche verbrannt und dann wiedergeboren. Sie zog Macs Kopf an ihre Schulter, sein heftiger Atem strich über ihr Ohr. Sein Körper bewegte sich noch immer, und Retta erzitterte. "Jetzt du", drängte sie ihn. "Jetzt du, Burt McHale. Meine Liebe, mein Geliebter." Als auch er sich schließlich dem Höhepunkt näherte, stöhnte er auf, krallten sich seine Hände in ihr Haar. "Du hast mich zerbrochen und wieder geheilt" .flüsterte er einige Sekunden später, als Retta ihn beruhigend streichelte und seine feuchte Stirn küsste. "Ich fühle mich wie neu geboren." Er hob den Kopf, und sie tauschten einen Blick großer Zärtlichkeit. "O nein, nein ... geh weg, Mac!" "Setze sie bitte mal auf, nur für mich." "Ich habe deinetwegen schon mit Goofy Polka getanzt und mit einer Gruppe mechanischer Bären zusammen gesungen. Für einen Tag ist das genug." "Bitte", sagte er mit seiner tiefen, betörenden Stimme. "Es sieht sicher sehr sexy aus." Retta seufzte. Wie konnte sie jemand mit dieser Stimme widerstehen, mit diesen Augen und dem frisch geduschten Körper, der in weißen Shorts vor ihr saß? Sie griff zu den Souvenirs, die zwischen ihnen auf dem Bett lagen, und nahm die Kappe mit den runden schwarzen Ohren. "Also gut, aber nur für eine Minute", sagte sie, dann setzte sie die Kappe auf den Kopf. Sie konnte kaum glauben, dass sie so fröhlich und unbeschwert war. Lachend ließ sie sich auf das Bett
sinken und warf die Mütze zur Seite. Mac kam zu ihr, küsste sie und kitzelte ihre nackten Beine. "Hör auf!" protestierte sie. "Du liegst hier frisch geduscht, nur mit einem MickymausHemd bekleidet und erwartest, dass ich mich benehme? " Er rollte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Im nächsten Augenblick schon war sie neben ihm und knabberte an seinem Ohrläppchen. Diese kleine Geste schon genügte, um das Verlangen zwischen ihnen wieder aufflackern zu lassen. Seitdem sie sich gestern zum erstenmal geliebt hatten, genügte schon der kleinste Anlass, um den Funken wieder überspringen zu lassen. Mac wollte sie in seine Arme ziehen, aber Retta protestierte. "Nein." Sie lächelte. "Ich möchte etwas anderes tun." "Aber nur, wenn du die Mickymausmütze aufsetzt", neckte er sie. Mac hielt den Atem an, als Retta plötzlich ihr Gesicht in dem dichten, krausen Haar über seinem Nabel verbarg und seine empfindliche Haut mit der Zunge liebkoste. "Retta... was... was machst du denn?" "Nun", sagte sie leise, "ich dachte, es sei an der Zeit, dir auch einmal einen magischen Trick zu zeige n..." Sie hob ihren Kopf und sah ihn an. "Er heißt: aus dem Nichts unersättliche Lust zu erwecken. Wie gefällt er dir?" murmelte sie und fuhr fort, ihn mit Lippen und Zunge zu liebkosen. "Ich glaube, du bist eine Zauberkünstlerin", gestand er leise stöhnend und begann unwillkürlich, sich rhythmisch zu bewegen, Geduldig wartete Retta im Flur, während Mac die Tür zu seiner Wohnung aufschloss. "Du wirst doch nicht in Panik geraten beim Anblick von noch mehr Luxus?" wollte er wissen. Retta lächelte. "Hast du etwa auch einen Fernsehapparat im Badezimmer?"
"Du liebe Güte, nein!" rief er aus und lachte leise. "Dann wird es wohl gehen." Mac legte ihr einen Arm um die Schulter und führte sie durch die Tür. Retta sah sich um, erst in der Eingangshalle, dann in dem riesigen, aber sehr gemütlichen Wohnzimmer mit dick gepolsterten Sofas und Sesseln aus dunkelblauem Leder. An der Wand hingen gerahmte Fotos von Lucas. Von Mac oder Judith war keins zu sehen. Zwei große Doppeltüren führten in einen großen Wintergarten, von dem aus man mehr als dreißig Stockwerke tiefer den Michigan-See sehen konnte. "Du hast Stil", musste sie zugeben. "Am liebsten würde ich mich hier zusammenrollen und Winterschlaf halten." "In Ordnung", sagte er und streichelte ihren Arm, "dann zeige ich dir jetzt das Winterschlaf-Zimmer." In dem großen Schlafzimmer stellte Mac das Gepäck auf einen niedrigen Schrank. Das breite Doppelbett mit dem riesigen Ventilator aus Messing darüber war sehr einladend. "Und jetzt, ganz ruhig", warnte Mac, als er sie ins Bad führte. Gespielt dramatisch seufzte Retta auf. "Eine in den Boden eingelassene Wanne und alles aus Marmor! Bleib ruhig, mein kleines, schlichtes Herz!" "Um dein Herz brauchst du dir keine Sorgen zu machen", er lächelte sie zärtlich an, "ich werde mich als Experte darum kümmern." "Durch kostenlose Untersuchungen?" "Jawohl. Und mit sehr persönlichen." "Ich glaube, ich spüre schon, wie es heftiger klopft, Mac." Mac versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, als er sie hochhob. "Dann bringe ich dich besser ins Bett und höre mir das Klopfen deines anbetungswürdigen Herzens einmal an. Ich werde es testen und sehen, ob es auf Erregung reagiert." Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und legte ihren Kopf an seine Schulter. Einige Augenblicke später, als ihre Kleidung
auf dem Boden vor dem Bett lag, flüsterte sie: "Mac? Wie kannst du denn so meinen Herzschlag hören?" "Meine Lippen spüren die Vibrationen", murmelte er. "Das ist eine neue Technik." Retta gab sich ganz diesem herrlichen Gefühl hin. Das war ein Luxus, an den sie sich nur allzu gerne gewöhnen wollte.
9. KAPITEL Es war Freitag Abend, und wieder einmal machten sie Überstunden. Außer ihnen war niemand mehr im Büro. "Scott? " Retta beobachtete ihn, wie er sich mit einer Hand durch sein dichtes Haar fuhr. Er war ein großartiger Mann und hatte eine Menge Erfahrung mit Frauen. Wenn es jemand gab, der ihr auf ihre Fragen eine Antwort geben konnte, dann war er es. Er blickte von seiner Arbeit auf. "Ja?" "Möchtest du eigentlich nie heiraten?" Seine Mundwinkel zogen sich zu einem kleinen sarkastischen Lächeln hoch. "Wie lange ist es her, seit McHale dich ins Mickymaus-Land entführt hat? Ein paar Wochen? Siehst du dich jetzt schon nach einem neuen Mann um?" "Nein, du schlimmer Kerl, du brauchst dir keine Illusionen zu machen. Ich brauche deinen Rat, aber erst will ich mich von deiner Qualifikation überzeugen." "Hmm. Nein, ich habe nicht die Absicht, je zu heiraten." "Und warum nicht, um alles in der Welt?" "Weil ich immer ein zynischer Wüstling sein werde, der den Frauen nachläuft." Er blinzelte ihr zu. "Aber rede nicht um den heißen Brei herum, sag mir, was du von mir willst, Retta." Retta sah ihn an. Ihr schien, dass unter all seinem ruhigen Äußeren ein einsamer Mensch lebte. "Mein Vater war viermal verheiratet, Retta. Ich bin bestimmt nicht der Richtige, um dir etwas über eine Ehe zu erzählen."
"Aber du bist der einzige, den ich überhaupt nach so etwas fragen kann." Retta holte tief Luft "Wenn du also für die Ehe wärst und du sehr verliebt wärest, wie lange würdest du warten, bis du eine Frau um ihre Hand bitten würdest?" "Etwa hundert Jahre", scherzte er. "Aber ich würde vorher noch auf einer langen Verlobungszeit bestehen." Erst, als er ihren besorgten Gesichtsausdruck sah, wurde er wieder ernst. "Meine Süße, es ist noch etwas zu früh, dir wegen McHale Sorgen zu machen. Ist denn nicht alles in Ordnung zwischen euch?" Sie nickte. "Ich weiß nicht, wie ich noch ohne ihn leben könnte." "Donnerwetter!" Scott schüttelte den Kopf. "Es stimmt. Und ich glaube, er fühlt genauso." "Er war sehr lange verheiratet, Retta. Wahrscheinlich möchte er jetzt erst mal das wilde Leben kennen lernen. Vielleicht will er ja auch gar nicht wieder heiraten." "So ein Mann ist er nicht. Bevor wir uns kennen lernten, ist er kaum ausgegangen." "Das ist ja noch bedenklicher, denn das ist nicht normal." Retta sah ihn gereizt an. "Nicht alle Männer sind so skrupellos und sexbesessen wie du. Sag nicht, dass Mac nicht normal ist." "Okay, okay, entschuldige. Aber du musst ihm Zeit geben, Retta, du darfst das Thema einer Heirat nicht anschneiden. Sicher braucht er seine Zeit." Retta senkte den Blick. "Du hast recht, ich werde geduldig sein." Sie würde ihre Bedenken verdrängen. Fast jeden Abend verbrachten sie zusammen, und Mac behandelte sie wie den Mittelpunkt seines Lebens. Und war es denn nicht so, dass in der heutigen Welt niemand mehr danach fragte, ob man verheiratet war oder nicht? Sie war einfach viel zu altmodisch.
"Retta Stanton McHale", murmelte sie leise vor sich hin. Ihr gefiel dieser Name, und sie hätte ihn gerne auf zwei oder drei Geburtsurkunden gesehen. Und eines Tages würde er sich auch auf ihrem Grabstein gut machen, er würde davon zeugen, dass sie Mac bis in den Tod geliebt hatte und noch darüber hinaus. Deshalb wollte sie seinen Namen tragen. "Was hast du gesagt?" fragte Scott. "Ach, nichts", antwortete sie und beugte sich wieder über ihre Arbeit. Sie würde Burt McHale heiraten, das war alles. Es lenkte schrecklich ab, wenn ein Mann so dicht hinter einem stand, dachte Retta ärgerlich. Noch dazu mitten auf dem Golfplatz, mitten unter den anderen Spielern. Sie bemühte sich gerade, ihren Schlag so gut wie möglich anzusetzen, und Mac sollte ihr dabei helfen. Deshalb stand er auch so dicht hinter ihr. Sein Arm lag auf ihrem, und er schien die Situation sehr zu genießen. "Der Schläger", raunte er ihr ins Ohr, "sollte auf die Innenseite deiner Schenkel zeigen. Deine linke Hand gehört... äh... genau hierhin, auf den Schläger. Jetzt packst du kräftig zu und bist zum Stoß bereit." "Ich bin zu gar nichts bereit", erklärte sie halb lachend, halb ärgerlich "Es sei denn, dich mit diesem Schläger zu verprügeln." Er lachte kurz auf und trat dann einen Schritt zurück. "Also gut, versuch es alleine." "Ich werde es dir schon zeigen." Sie biss sich auf die Lippe, holte aus und schlug. Im selben Augenblick, als der Schläger den Ball traf, hörte sie, wie das Holz splitterte. "O nein!" rief sie verzweifelt und hielt die beiden Bruchstücke in der Hand. "O nein." "Hast du dich verletzt? " hörte sie Macs besorgte Stimme. Traurig hielt sie ihm den zerbrochenen Schläger hin. "Der gehörte meiner Mutter." Mac versuchte zu scherzen. "Na, einmal müssen wir alle gehen." Aber sobald er diese Worte ausgesprochen hatte,
bereute er sie schon wieder. Tränen standen in Rettas Augen. "Liebling, verzeih mir." Retta nickte. "Als ich noch klein war, habe ich meine Mutter diesen Schläger bestimmt tausendmal schwingen gesehen." Sie hielt inne und versuchte, die Tränen zurückzudrängen. "Ich sehe sie noch immer... sie hatte genau solches Haar wie ich... aber viel länger... sie trug es offen. Ich weiß noch, wie sie immer lächelte..." "Nicht, mein Schatz", bat er sanft. "Das ist die einzige Erinnerung, die ich noch an sie habe. Dieser Schläger hier... er war etwas, das ich noch mit ihr teilen konnte." "Komm her", murmelte er und zog sie tröstend in seine Arme. Tränen rannen über ihre Wangen, als sie den Kopf an seine Schulter legte, wie ein trauriges Kind, das gerade sein Lieblingsspielzeug zerbrochen hat. Als Mac aufsah, begegnete er den neugierigen Blicken einiger anderer Golfer, meistens Frauen in eleganter Sportkleidung: Sie erinnerten ihn an Hauskatzen mit eingezogenen Krallen. Auch wenn sie keine Ahnung hatten, warum er Retta in seinen Armen hielt, so waren sie anscheinend empört über die Zurschaustellung seiner Zuneigung. Eine von ihnen war Jean Conway, die ihn damals mit Isabella zusammengebracht hatte. In gewisser Weise hatte sie sogar Erfolg gehabt, denn Isabella und Newt waren zusammen glücklich geworden. "Hey, McHale, nehmt euch doch ein Hotelzimmer!" Das war Allen Dewberry, der vom Clubhaus her auf Mac zukam. Retta erstarrte in seinen Armen, dann zog sie sich schnell von ihm zurück und wischte sich die Tränen ab. "Stellst du mich vor, Mac? Ich möchte gern das kleine Mädchen kennen lernen, das dich aus deinem selbsterwählten Exil herausgelockt hat."
Mac zählte bis zehn. "Allen, deine Arbeit als Darmspezialist passt zu deiner Persönlichkeit", sagte er kalt. "Retta, das ist Allen Dewberry. Allen, das ist meine Freundin Retta Stanton." "Und Mac wollte mir erzählen, dass Sie nur eine geschäftliche Bekanntschaft sind", neckte Allen und lachte, als er ihre Hand ergriff. Retta sah ihn zornig an, aber er merkte es überhaupt nicht, weil er genau in diesem Augenblick Mac zuzwinkerte. "Hast du dich also doch für die Trauben entschieden, du Schlawiner?" Offensichtlich hatte Allen schon ein paar Drinks gehabt, dachte Mac, denn er ließ jeden guten Geschmack vermissen. "Als ich Mac vor einiger Zeit nach Ihnen fragte, sagte er mir, er ziehe älteren Wein vor und keine Trauben. Aber ich habe ihm immer wieder erklärt, dass eine junge Frau besser für die Seele sei als eine Vitaminspritze. Ich habe selbst eine - eine junge Frau natürlich, keine Vitaminspritze. Sie gibt mehr Geld aus als Imelda Marcos in einem Schuhgeschäft, aber sie ist mir jeden Pfennig wert. An einem Samstag lernte ich sie kennen, und am Samstag darauf waren wir schon verheiratet." Die Bemerkung über die Trauben saß. Als Mac Retta ansah, wusste er, dass sie auch darauf reagieren würde. "Sie kannten sie erst eine Woche?" fragte sie Allen ungläubig. "Ja." Es schien ihm Spaß zu machen, aus seinem Privatleben zu plaudern, deshalb fragte Retta weiter. "Und wie alt war diese Traube, als Sie, sie heirateten?" Allen lachte herzlich. "Sechsundzwanzig. Und ich sechsundfünfzig. Ich liebe eine wohlgerundete Figur." Er blinzelte ihr zu. "Und mein lieber Schwan, die hat sie." "Dann war das sicher Liebe auf den ersten Blick", meinte Retta tonlos. "Irgend etwas auf den ersten Blick war es schon. Sie ist schon am ersten Tag mit mir nach Hause gegangen - und gleich
geblieben. Wir bekommen bald ein Baby, das kann dann zusammen mit meinen Enkelkindern spielen." "Wie nett", brachte Retta heraus. Neid, Frust und Enttäuschung stritten in ihrem Inneren. Keine zwei Menschen konnten sich wohl mehr lieben als sie und Mac. Und wenn er sie in Disney World gebeten hätte, ihn zu heiraten, sie hätte es sofort getan, selbst in dieser lächerlichen Mickymaus-Mütze. Aber Disney World lag schon acht lange Wochen zurück. Damals ha tte er sie nicht gefragt, und auch jetzt tat er es nicht. Nicht ein einziges Mal hatte er von Heirat gesprochen oder von der Möglichkeit, zusammen zu leben. Und Retta hatte viel zuviel Stolz, um von sich aus dieses Thema anzuschneiden. Allen verabschiedete sich und verschwand. Mac zögerte einen Moment, dann sah er Retta an. Noch immer blickte sie auf den zerbrochenen Schläger. "Ich werde dir zu deinem Geburtstag neue Golfschläger kaufen", schlug er vor. "Komm, wir verschwinden von hier und gehen gleich in ein Sportgeschäft." "Ich habe aber erst im Oktober Geburtstag", antwortete sie etwas steif." "Dann wird der eben vorgezogen." Mac ärgerte sich, weil Retta böse auf ihn war und ihn das schmerzte. Er ärgerte sich über Allen und über die klatschsüchtigen Fraue n im Club. Mehr als einmal hatte er bemerkt, wie sie über Rettas einfache Shorts und ihre sorgfältig gebügelten weißen Blusen gelächelt hatten, über ihre alte Golftasche und die Holzschläger. Aber auch mit ihrer altmodischen Ausrüstung konnte sie jeden von ihnen schlagen, dachte Mac stolz. "Du hast mich also als Traube bezeichnet?" fragte Retta kühl, "hast dich über mich lustig gemacht, vor diesem... Darmspezialisten?" "Ich weiß nicht mehr genau, was ich gesagt habe. Es ist schon lange her, wir hatten uns gerade erst kennen gelernt. Und ich habe mich auch nicht über dich lustig gemacht, sondern über
ihn, weil er jüngere Frauen bevorzugt. Wie du weißt, habe ich seitdem meine Meinung über dieses Thema gründlich geändert." Aber nicht dahingehend, dass jüngere Frauen auch zu heiraten sind, dachte sie verzweifelt. "Bis später dann, Mac", sagte sie und ihre Stimme klang eisig. "Warum regst du dich denn so auf?" fragte er. "Du bist doch sonst nicht so empfindlich." "Vielleicht bin ich doch nicht so anspruchslos wie du denkst. Außerdem habe ich Kopfschmerzen, ich gehe nach Hause." "Du weißt, dass in unserer Beziehung nicht einer einfach davonläuft, ohne dass wir miteinander reden", erklärte er. "Außerdem bist du ohne Auto hier." Retta schob den zerbrochenen Schläger in ihre Tasche und hängte sie sich über ihre Schulter, "Ich möchte nach Hause." "Kein Problem", erwiderte Mac. "Solange wir beide zusammen gehen." Er nahm seine Golftasche, und schweigend gingen sie zu seinem Wagen. Retta setzte ihre Sonnenbrille auf. "Ich werde dir eine vernünftige Sonnenbrille kaufen. Dieses Ding ist zerkratzt und schadet deinen Augen nur." "Das ist mir egal. Wir haben lange genug darüber diskutiert, dass ich nicht möchte, dass du soviel Geld für mich ausgibst." Etwas Schreckliches geschah hier zwischen ihnen. Macs Stimme wurde lauter. "Ich bin es leid, dass du dich wegen meines Geldes so anstellst!" "Ich möchte nicht von dir abhängig sein. Ich kann schließlich ganz gut für mich selbst sorgen", antwortete sie knapp. "Du willst nur nicht, dass jemand denkt, du seiest ein normaler Mensch", fuhr er sie an. "Du liebst es, edelmütig und selbstlos zu sein, und wenn du deinen einfachen Lebensstil ablegen müsstest, hättest du keinen Grund mehr, arrogant zu sein, das ist das ganze Problem mit dir." Retta fühlte, wie ihr heiße Röte ins Gesicht stieg. "Das ist nicht wahr!" Aber er hatte recht, und dieses Bewusstsein erschütterte sie. Sie riss sich die Sonnenbrille von der Nase. "Ich
nehme nur keine extravaganten Geschenke von meinen Freunden an." Mac kochte vor Wut. So hatte sie ihn noch nie gesehen. "Zunächst einmal bin ich nicht irgend jemand. Ich bin dein Geliebter und außerdem dein Freund. Und es macht mich glücklich, dir etwas schenken zu können. Mit deinem engstirnigen Benehmen verletzt und beleidigst du mich." Ihre Ehrlichkeit verlangte, dass sie sich bei ihm entschuldigte, und das wollte sie auch gerade tun, als Mac beide Hände in einer hilflosen Geste hob. "Retta, wenn wir verheiratet wären, dann würdest du doch auch mein Geld nehmen. Wo liegt denn da der Unterschied? Muss ich dich erst heiraten, um dich verwöhnen zu können?" Das brachte das Fass zum Überlaufen. Also dachte er an eine Heirat als an etwas, wozu sie ihn zwingen würde? "Nein!" schrie sie. "Du brauchst nichts anderes zu tun, als mich zu deiner Wohnung zurückzubringen, damit ich in mein schlichtes kleines Auto steigen kann, um in meine schlichte kleine Wohnung zu fahren, wo ich edelmütig allein sein kann!" "Wunderbar!" Retta ballte die Hände in ihrem Schoß zu Fäusten. Mit einer schnellen Handbewegung stellte Mac das Radio auf volle Lautstärke die Reifen des DeLorean quietschten, als er losfuhr. Retta sah noch, dass einige Clubmitglieder erschrocken aufblickten. Keiner von beiden sprach auf der Fahrt zu Macs Wohnung. Nachdem Mac den Motor des Wagens in der Tiefgarage abgestellt hatte, stieg Retta aus. "Auf Wiedersehen", sagte sie knapp. Ihr Ärger hatte einer lärmenden Erschöpfung Platz gemacht. Es war schrecklich, noch nie hatten sie sich so gestritten. Mac stieg auch aus und kam auf ihre Seite des Wagens. "Nicht, Retta", bat er. Sie konnte ihn nicht ansehen, sonst wäre sie vor seinen Augen zusammengebrochen.
"Bitte", flüsterte sie, "lass mich gehen." "Verdammt noch mal, du willst doch gar nicht gehen, und ich will es auch nicht. Wenn du schon edelmütig und schlicht sein willst, dann kannst du das auch in meiner Wohnung." Er versuchte zu scherzen. "Ich werde mich auch sehr bemühen, dir nicht dabei zuzusehen." Müde und erschöpft sah sie ihn an, dann nickte sie. Mac schloss die Autotür, dann führte er sie ins Haus. In seiner Wohnung ging Retta sofort ins Bad und suchte nachdem Aspirin. Mac kam hinter ihr her, als sie gerade zwei Tabletten nahm. Ohne ein Wort ging er zu der großen Badewanne, steckte den Stöpsel in den Abfluss und ließ heißes Wasser einlaufen. "Zieh dich aus", sagte er. "Wir werden uns lieben." Sie sah ihm nach, als er das Bad wieder verließ. Mittlerweile kannte sie ihn gut genug, um zu wissen, dass er nicht unbedingt von Sex sprach, wenn er sie lieben wollte. Oft liebten sie sich stundenlang, und die physische Vereinigung war nur ein kurzes Zwischenspiel. Retta seufzte. Langsam zog sie sich aus. Mac kam mit einer Handvoll Kerzen zurück. Er stellte sie um die Badewanne herum auf und goss eine großzügige Portion Badeöl ins Wasser. Nackt stand Retta hinter ihm und beobachtete ihn. "Komm", sagte er, als er über seine Schulter hinweg zu ihr blickte, "Steig in die Wanne." Gehorsam folgte sie ihm und setzte sich in das warme, duftende Wasser, während er die Kerzen anzündete und die Lampe ausdrehte. Dann zog auch er sich aus. Als Mac zu ihr in die Wanne stieg und ihr seine Arme entgegenstreckte, kam ein leises Stöhnen über ihre Lippen, dann drängte sie sich in seine Arme. Sie schlang ihre Beine um seine Hüften, legte ihre Arme um seinen Hals und barg ihr Gesicht an seiner Schulter.
Mit beiden Händen schöpfte er Wasser und ließ es über ihren Rücken laufen. Ganz still saßen sie so beieinander, nur seine Hände waren in Bewegung. Es dauerte einige Minuten, bis Retta sich entspannt hatte. Als plötzlich dicke Tränen über ihre Wangen liefen, schloss Mac sie noch fester in die Arme. "Ich liebe dich", flüsterte er. "Und ich glaube, das wusste ich schon, als ich dich eine Traube nannte." Noch immer weinte Retta, aber jetzt stahl sich ein kleines Lächeln um ihren Mund. "Du kannst mir ruhig neue Golfschläger kaufen, Mac", flüsterte sie. "Und auch eine Sonnenbrille. Und es stimmt: Ich bin entsetzlich arrogant." "Das ist nicht wahr", berichtigte er sie. "Du hast nur Angst zuzugeben, dass du jemanden brauchst." Seine Stimme wurde leiser. "Ich möchte, dass du mich brauchst. In jeder Beziehung." In jeder Beziehung, aber nicht in einer Ehe, dachte sie. Sie biss die Zähne zusammen und zwang sich, nicht mehr daran zu denken. Sei dankbar für diesen wunderbaren Mann, sagte sie sich, sei dankbar. Sie hielten einander umschlungen, bis sich ihre Lippen zu einem hungrigen, leidenschaftlichen Kuss trafen. Als Retta fühlte, wie sein Körper auf den Kuss reagierte, hob sie ihre Hüften ein wenig an und nahm ihn in sich auf. Sanft bewegte sie sich hin und her, während das Wasser sie mit seinen kleinen Wellen umspülte. "Es ist, als wenn es uns streichelt", murmelte Mac. "Du hast das Wasser verzaubert." Er knabberte sanft an der zarten Haut ihres Hals, und seine Finger zupften an ihren Brustspitzen, die sich ihm verlangend entgegenstreckten. Retta hörte ihn wie durch einen dichten Nebel. Sie schloss die Augen, als er noch tiefer in sie eindrang. "Burt... ich möchte nie wieder... nie wieder mit dir streiten", hauchte sie atemlos. "Aber die Versöhnung ist... o... Mac ..." "Wunderbar", murmelte er.
Retta legte ihre Wange gegen seine Stirn und passte sich seinem Rhythmus an. Verträumt blickte sie in eine Kerzenflamme. Sie war selbst wie eine Flamme, dachte sie plötzlich brennend heiß, flackernd in einer Luft, die immer dünner zu werden schien, immer dünner... Auf dem Höhepunkt ihrer Lust hörte sie, wie Mac ihr sagte, dass sie das Zauberhafteste sei, das seine Augen je erblickt hätten, dass er zu ihr kommen würde und sie auf ihn warten solle. Warten, ja, er fühlte, wie sie lächelte, warum lächelte sie, wenn er nur noch einen... einen... Kuss... ja, genauso... Jaaa! Zusammen ließen sie sich danach in das angenehm warme Wasser sinken. Retta nahm einen Schwamm und wusch sie beide ab. Die Spannung zwischen ihnen war gelöst. Jetzt genossen sie die wiedergefundene Harmonie. Mac schloss die Augen und stöhnte leise, als sie ihm mit dem Schwamm über den Bauch fuhr. "Bist du sicher dass du keine verkleidete Geisha bist?" neckte er sie. Retta lächelte, dann kniff sie ihn. "Autsch... oh... hör auf, du bist keine Geis ha, du bist ein Monster!" Sogleich steckte Retta den Kopf unter Wasser und versuchte, ihn zu beißen. Mac ließ sich neben sie unter Wasser sinken, zog sie in seine Arme und hielt sie so lange fest, bis beide laut prustend und lachend wieder an die Oberfläche kamen. Wasser war auf den Fußboden geschwappt, aber sie beide bemerkten es nicht. Retta bog den Kopf zurück und sah ihn an. "Und was bist du?" fragte sie. "Eine Seeschlange?" Er schüttelte den Kopf, spitzte die Lippen und spritzte einen Wasserstrahl gena u in ihr Gesicht. Retta quietschte. "Ich", erklärte er ernst, "bin ein Octopus. Und Tintenfische spucken." Noch immer rangen sie miteinander im Wasser, als sie plötzlich hörten, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Mac erstarrte und hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. "Was zum Teufel...", murmelte er.
"Dad", hörten sie eine tiefe Stimme aus dem Wohnzimmer. "Es ist dein verlorener Sohn, der aus der Schule zu einem Überraschungsbesuch kommt!" Retta erschrak, als ihr klar wurde, dass Lucas McHale auf dem Weg zum Badezimmer war.
10. KAPITEL Mit einem verlegenen Lachen sprang Mac aus der Badewanne und riss ein großes weißes Badetuch vom Haken. "Was soll ich tun, Burt?" flüsterte Retta. "Glaubst du, er wird mir abnehmen, dass ich die Putzfrau bin? Ich kann mich verstecken ..." "Ich schäme mich deiner nicht", flüsterte Mac zurück. "Schon vor Wochen habe ich Lucas von dir erzählt. Es ist nur... er hat noch nie gesehen... der Gedanke, dass sein Vater..." "Ich sollte mich wohl besser ertränken", sagte sie. "Wage es nicht zu ertrinken und mich das alles alleine erklären zu lassen", zischte er. "Zieh dich an und komm raus." "Dad!" erklang Lucas' Stimme jetzt schon viel näher. "Du alter Eremit! Ich bin da!" Retta sah gerade noch einen blonden Schopf, bevor sie mit vor der Brust verschränkten Armen untertauchte. Mac hatte das Handtuch um sich gewickelt und ging schnell ins Schlafzimmer. Die Tür machte er fest hinter sich zu. Retta hörte eine gedämpfte Unterhaltung, konnte die Worte allerdings nicht verstehen. Nur noch zwei Kerzen hatten die Wasserschlacht brennend überstanden. Was würde Lucas McHale wohl denken, wenn ihm klar wurde, dass sein Vater nicht allein gebadet hatte?
"Verflixt", flüsterte sie, dann kletterte sie aus der Wanne, trocknete sich ab und begann, sich anzuziehen. Vermutlich wäre Lucas betroffen und würde sie spontan ablehnen, weil sie einen solch... fleischlichen Einfluss auf seinen Vater hatte. Und der Altersunterschied würde ihn stören sowie die Tatsache, dass sie Macs Zuneigung beanspruchte. "Bitte, Lucas, gib mir eine Chance", flüsterte sie. "Ich liebe ihn so sehr, wie du ihn liebst. Bitte." Ihr Haar war nicht nur nass, sondern auch voller Badeöl. Sie sah unmöglich aus, fand sie, wie ein hässliches Kätzchen. Nervös blickte sie noch einmal in den Spiegel, dann schlang sie schnell ein Handtuch um ihr nasses Haar. Mit klopfendem Herzen ging sie ins Schlafzimmer, dann lauschte sie angestrengt. Aus dem Wohnzimmer drang Lachen. Lachen? Retta straffte sich und ging weiter. "... und ich bin so stolz auf dich, Dad! Ich bin erleichtert, dass du nicht mehr allein bist, du brauchst mir nichts zu erklären!" "Ich möchte nur nicht, dass du schlecht von Retta denkst..." "Dad! Jede Frau, die dich dazu kriegt, mit dir im Badezimmer eine Wasserschlacht zu veranstalten, hat meine Zustimmung." Rettas Mund stand offen vor Erleichterung und Belustigung. "Wasserschlacht?" hörte sie Macs Stimme. An der Wohnzimmertür blieb sie stehen und betrachtete Macs gutaussehenden Sohn, der mit seinen einundzwanzig Jahren schon sehr erwachsen wirkte. Gerade umarmte er seinen Vater. "Dad, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen." Lucas unterdrückte ein Lachen. "Ich bin schließlich Arzt", antwortete Mac, "so leicht bringt mich nichts in Verlegenheit." Er hielt inne. "Wasserschlacht?" In diesem Augenblick sah Lucas Retta an der Tür stehen und lächelte ihr freundlich zu. Gleichzeitig musterte er sie von Kopf bis Fuß. Retta hob ihr Kinn und ließ ihn schauen. Dann hatte auch Mac sie entdeckt.
"Retta, ich möchte dir meinen Sohn Lucas vorstellen", sagte er. "Lucas, das ist Retta Stanton, eine ganz besondere Frau." So zärtlich lächelte Mac sie an, dass Retta Lucas beinahe vergessen hätte. "Wenn du möchtest, dass sie dich beachtet, musst du sie Henrietta nennen." "Henrietta", sagte Lucas mit einer Stimme, die Retta eigenartig vertraut vorkam und streckte ihr die Hand entgegen. Retta ging auf ihn zu und schüttelte seine Hand. Er war blond und sah sehr gut aus. Retta erkannte in ihm die skandinavischen Züge seiner Mutter. Doch seine wunderbare Stimme und der Blick seiner blauen Augen erinnerten sie an Mac. Retta nahm das Handtuch vom Kopf und sah zu Mac. In seinen Augen las sie Erleichterung und Belustigung. "Er hat uns erwischt, nicht wahr?" fragte sie ernst. "Er weiß, dass ich nicht die Putzfrau bin." Lucas lachte. "Und ich bin begeistert. Als Dad mir erzählte, dass er sich mit jemandem traf, war er ziemlich geheimnisvoll." Retta blickte zu Mac. "Er hat nichts davon gesagt, dass er sich mit einer Traube traf?" "Nein." Verwirrt sah Lucas seinen Vater an, und Mac räusperte sich. Retta reckte sich. "Lucas, ich denke, ich muss Ihnen etwas über mich erzählen. Ich bin nur fünf Jahre älter als Sie, also sechzehn Jahre jünger als Mac, und diese Tatsache ist ihm überdeutlich bewusst. Ich möchte, dass Sie wissen, dass er mir nicht nachgelaufen ist, sondern ich ihm. Und Sie sollten wissen, dass ich weder einen Vaterkomplex habe noch hinter seinem Geld her bin." "Donnerwetter!" Lucas. Augen blitzten belustigt auf, er wandte sich zu Mac. "Du hattest recht, Dad, sie ist wirklich wunderlich." "Wunderlich?" fragte Retta scharf.
"Er hat das gesagt, nicht ich", unterbrach Mac sie schnell und deutete mit einem leisen Lachen auf Lucas. "Ich habe gesagt, du seiest ein wenig altmodisch. Charmant und altmodisch." "Aha." Retta lächelte besänftigend und nickte Lucas zu. "Wahrscheinlich bin ich wirklich wunderlich." Sie wurde ernst. "Aber mir liegt sehr viel an Ihrem Vater, und ich würde nichts tun, um ihn zu verletzen. Das sollten Sie wissen." "Siehst du, genau was ich dir gesagt habe, Luke", sagte Mac. "Sehr vernünftig und sehr intelligent." Er legte seinen Arm um ihre Taille und sah sie zärtlich an. Lucas beobachtete sie. "Okay", sagte er leise, beinahe verwundert, und mit diesem einen Wort gab er ihnen seinen Segen. Der "wilde weiße Wolf" schien der "Tarantel" jeden Rückenwirbel einzeln brechen zu wollen. Retta verschluckte sich beinahe an ihrer Pizza, während sie im Fernsehen die beiden Profi- Ringer miteinander kämpfen sah. "Er bringt ihn um, Lucas", brachte sie schließlich heraus. "Ach was, das ist doch alles nur Schau", meinte Mac belustigt und sah sie von der Seite an. Lucas, der auf dem Fußboden vor ihnen saß, grinste sie an. "Und du willst wirklich so etwas machen?" fragte sie ungläubig. "Du hast doch dein Diplom in Sozialpädagogik. Mac hat mir erzählt, dass du nach deinem Abschluss mit jugendlichen Delinquenten arbeiten möchtest." "Gerade deshalb will ich ja auch ringen. Weißt du nicht, dass die meisten Ringer in ihrer Jugend allerhand angestellt haben? Denk nur, was ich von denen alles lernen kann." Sie lachten alle. Mac stellte den Fernsehapparat aus, Retta schüttelte noch immer den Kopf. "Das ha t er von dir geerbt", meinte sie, zu Mac gewandt. "Du hast ihm all deine Exzentrik vererbt." Mac lachte, und Retta gab ihm einen Kuss auf die Wange, dann streckte sie Lucas ihre Hand hin. "Aber ich liebe
exzentrische Männer", sagte sie. "Ich freue mich, dich kennen gelernt zu haben, Lucas." Lucas sprang auf und schüttelte ihr höflich die Hand. Ganz plötzlich fühlte sich Retta viel älter als sechsundzwanzig, aber sie wusste, sie und Lucas konnten Freunde sein, und das allein zählte. Mac brachte sie zu ihrem Auto. "Ein seltsamer Tag", murmelte er, als er sie in seine Arme zog, um ihr einen Abschiedskuss zu geben. "Ich wünschte, du könntest heute nacht bei mir bleiben." Er lächelte. "Weißt du, was mein Sohn eben gesagt hat, als du im Badezimmer warst? Er meinte, du würdest doch sicher heute nacht bei mir bleiben. Ich würde dich doch wohl nicht wegschicken, hur weil er gekommen sei." Sie schmiegte ihre Wange gegen seine. "Ich würde gerne bleiben, aber du hast ihm hoffentlich erklärt, dass altmodische, polnisch angehauchte Frauen unter diesen Umständen im Polkaschritt in ihre eigene Wohnung tanzen." "Das habe ich", flüsterte er. "Ich würde dich nie um etwas bitten, das dir Unbehagen verursacht." Du weißt ganz genau, wie wir dieses Problem lösen könnten, nicht wahr, Burt, dachte Retta. Wir könnten heiraten. Statt dessen sagte sie: "Ich freue mich schon auf morgen. Lucas ist übrigens ein großartiger Junge." Mac drückte sie an sich. "Er fährt morgen nach dem Frühstück ins College zurück, dann gehen wir beide einkaufen, eine Golfausrüstung, eine Sonnenbrille und noch vieles mehr." Noch ehe sie protestieren konnte, verschloss er ihre Lippen mit einem Kuss. "Du warst damit einverstanden, weißt du das nicht mehr?" flüsterte er dann. "Du wolltest mir doch die Freude machen, dich von mir beschenken zu lassen, nicht wahr?" "Also gut", gab sie nach. "Dann gehe ich wohl besser nach Hause und genieße es, noch einen Abend lang schlicht und unauffällig zu sein."
Lachend hielt er ihr die Wagentür auf. Er blieb stehen, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war. Fahr vorsichtig, dachte er. Komm bald wieder, ich liebe dich. In der Wohnung erwartete Lucas ihn schon. Mit nachdenklichem Gesichtsausdruck trank er in der Küche ein Bier. Aha, dachte Mac mit leichtem Unbehagen, Lucas hatte sicher etwas an Retta auszusetzen. "Okay, mein Lieber", befahl er. "Schieß los, was missfällt dir an Retta? " "Gar nichts." Verständnislos schüttelte Lucas den Kopf. "Was ist es dann?" "Du", meinte Lucas gepresst, "du enttäuschst mich." "Aber wieso denn, um Himmels willen?" Mit dem Zeigefinger deutete Lucas anklagend auf Mac. "Du solltest sie heiraten, Dad, oder sie gehen lassen. Sie ist doch ganz verrückt nach dir. Und du bist selbstsüchtig und grausam." Entschlossen streckte Mac sich. Das war es also. "Ich bin nicht selbstsüchtig, Sohn, ganz im Gegenteil." "Du hast dich in sie verliebt, du hast es zugelassen, dass sie sich in dich verliebte, und jetzt willst du nicht zu deiner Verpflichtung stehen?" Lucas schüttelte den Kopf. "Ich werde nie verstehen, was du für Prinzipien hast." "Ich will sie nicht an mich binden. Ich werde niemanden an mich binden." Lucas wurde laut. "Und was glaubst du, hast du getan? Sie liebt dich, und du liebst sie. Ist das etwa keine Bindung?" Mac nickte, nur mühsam beherrscht. "Aber keine gesetzliche. Wenn mir irgend etwas zustoßen sollte - ein Unfall, eine Krankheit oder sonst etwas - dann wäre sie nicht für mich verantwortlich. Du wärest das leider, und ich würde das ändern, wenn ich könnte, aber du bist nun mal mein nächster Verwandter." "Wie kannst du nur so kalt sein?" Lucas drückte die leere Bierdose mit der Faust zusammen.
Mac biss die Zähne zusammen. "Ich werde für niemanden eine Last sein, wenn ich es verhindern kann", erklärte er. "Ich weiß genau, was ich tue." "Mutter wäre nicht recht, was du tust", drängte Lucas. "Sie würde nicht wollen, dass du dein Leben allein lebst und so entsetzlich edelmütig bist." "Ich bin ja nicht allein, ich habe Retta und dich." Mac fühlte, wie es hinter seinen Schläfen klopfte. Er holte tief Luft. Wenn er müsste, würde er auch ohne sie leben können? Ja, das würde er, versuchte er sich selbst einzureden. "Hast du Retta schon gesagt, dass du nicht mehr heiraten willst?" wollte Lucas wissen. "Nein, sie hat mich nie danach gefragt." "Das wird sie aber tun. Garantiert wartet sie darauf, dass du den ersten Schritt tust." "Ich weiß. Irgendwann einmal werde ich ihr sagen, was ich darüber denken." Wenn ich den Schmerz und die Enttäuschung auf ihrem Gesicht werde ertragen können, fügte er in Gedanken hinzu. Und das Risiko, sie zu verlieren. Mit zusammengezogenen Brauen sah er Lucas an. "Und das ist alles, was ich über dieses Thema zu sagen gedenke." Lucas warf die leere Bierdose in den Abfa lleimer. "Du bist mir schon ein Kardiologe. Du solltest einmal dein eigenes Herz überprüfen und nachsehen, ob es überhaupt noch da ist." Er verließ die Küche, und einen Moment später hörte man die Tür des Gästezimmers zuschlagen. Mac ballte die Faust. An nur einem Tag hatte er sich mit den beiden Menschen gestritten, die ihm die liebsten waren. Und Lucas warf ihm auch noch vor, er habe kein Herz. Dabei hatte er gerade jetzt das Gefühl, als wenn dieses Herz entzweibräche. "O Burt", Retta schüttelte den Kopf, "ich komme mir so komisch vor." "Du siehst doch wunderbar aus." Mac blinzelte sie an, und Retta musste über sein begeistertes Gesicht lachen.
Nachdem Lucas wieder abgefahren war, waren sie und Mac einkaufen gegangen. Wenn sie etwas auch nur leicht interessiert angesehen hatte, hatte Mac es schon gekauft. Eine Golftasche, neue Schläger, die versprochene Sonnenbrille, Kleidung, Schuhe, Wäsche, Bücher und Schallplatten. Es war irrsinnig, zum Verrücktwerden, aber auch herrlich. Retta hatte nie geglaubt, dass sie sich dabei so frei fühlen würde, so wunderbar verwöhnt. Mac drängte sie förmlich dazu, sein Geld auszugeben. Als sie dann mit all den Paketen und Päckchen im Wagen saßen, griff er in die Tüte mit den Lutschern und reichte ihre einen aus Schokolade. Das war plötzlich zuviel. Retta brach in Tränen aus und war davon genauso überrascht wie er. Sie war wieder ein Kind, und der Nikolaus hatte wunderschöne blaue Augen und breite Schultern an denen man darüber weinen konnte, dass sich gerade alle Träume erfüllt hatten. Retta betrachtete die neuen Shorts, die sie trug, und überlegte, ob sie nicht ein wenig zu vorschnell geurteilt hatte. "So können wir nicht auf den Golfplatz gehen", protestierte sie. "Ich habe meine Meinung geändert, ich möchte wieder meine weiße Bluse und meine alten Shorts." "Vergiss es." Er nahm sie bei der Hand. "Wir sind im PartnerLook." "Wie Plastik-Flamingos sehen wir aus", sagte sie. "Schrecklich." Mac lachte und grüßte zu einer Gruppe von Golfspielern hinüber. "Guten Tag", rief auch Retta. Mac sollte nicht merken, wie unwohl sie sich in ihrer Haut fühlte. Die anderen lachten und neckten ihn wegen seiner knielangen bunten Shorts. "Neid!" rief Mac fröhlich zurück. "Eifersucht! Keiner von euch hat Beine, die gut genug wären, um sie so zu zeigen! Retta und ich können euch alle miteinander schlagen, wir sind ein großartiges 'Team! Ein großartiges Team!"
"Mac", flüsterte Retta mit geröteten Wangen, "was ist denn nur mit dir los?" Er sah sie an. "Wir sind doch wirklich ein großartiges Team, ganz gleich, was passiert, Retta. Wir wissen, wie man das Leben genießt, wie man eine herrliche Zeit miteinander haben kann." Er schien plötzlich ärgerlich. "Ich werde nicht erlauben, dass irgend etwas oder irgend jemand versucht, uns das zu nehmen. Ich werde das nicht zulassen." "Was ist denn los?" fragte Retta verwirrt. "Nichts." Wieder wandte er sich zu den anderen. "Kommt nur, wer hat den Mut, gegen uns anzutreten. Den Gewinn werden wir dann an eine wohltätige Organisation weiterleiten." "Wunderbar, du wirst schon sehen, was du davon hast! Geld raus! Ich werde spielen! Ich auch!" Schließlich bildete sich eine kleine Gruppe, und Mac schien hocherfreut. Retta betrachtete ihn alarmiert. Irgend etwas ging in ihrem geliebten Burt vor, und sie müsste herausfinden, was es war. Aber das gelang ihr nicht. Wenigstens nicht an diesem Nachmittag, an dem sie zweihundert Dollar verloren, und auch nicht in den nächsten Tagen, an denen beide so viel zu tun hatten, dass sie sich nicht sehen konnten. Am nächsten Sonntag war ihr Golfspiel schon beendet, bevor sie richtig begonnen hatte, weil Mac zu einer Notoperation ins Krankenhaus gerufen wurde. An diesem Abend waren sie zu einer Party bei den Conways eingeladen. Mac sollte Retta abholen. Eine halbe Stunde zu spät kam er schließlich bei ihr an, mit zerzaustem Haar, den Schlips in der Hand. "Ich habe mir schon Sorgen gemacht", sagte sie, als sie ihm die Tür öffnete. Er wollte etwas erklären, aber sie legte ihm einen. Finger auf die Lippen. "Psst." Dann zog sie ihn in ihre Wohnung und drückte ihn an sich. "Du brauchst dringend freundliche Zuwendung, ehe du überhaupt irgendwo hingehen kannst."
"Das stimmt", antwortete er müde. Retta schob ihn ins Schlafzimmer, wo er sich erschöpft aufs Bett sinken ließ. Er sah ihr zu, wie sie sich auszog und hielt dann geduldig still, bis sie auch seine Kleidung so weit gelockert hatte, dass sie sich über ihn schieben und ihn lieben konnte. Danach lag sie in seine Arme geschmiegt, lange an seiner Brust, und lauschte lächelnd seinen Worten, mit denen er ihr sagte, wie wunderbar sie war. "Können wir nicht die Party ausfallen lassen und einfach hier bleiben?" schlug sie vor. Sie musste unbedingt mit ihm reden, musste herausfinden, warum er in letzter Zeit so angespannt war. "Ich soll die Blicke nicht sehen, wenn ich dich in diesem sexy weißen Kleid ausführe?" protestierte er lächelnd, "Auf keinen Fall." Er holte tief Luft. "Entschuldige, aber die Operation war wirklich sehr anstrengend." "Ich verstehe, mein wunderbarer Herzaufschneider", neckte sie ihn und küsste ihn. Sie fühlte, dass er ihre Fröhlichkeit brauchte. Also stand sie auf und begann, sich anzukleiden. Die Party war bombastisch. Es war ein riesiges Haus mit einem riesigen Swimmingpool, und die meisten Frauen trugen riesige Diamanten. Aber das war Retta egal, sie hatte sich mittlerweile an den Luxus gewöhnt - und sie merkte, dass sie in ihrem Kleid die Blicke der Männer auf sich zog. Mac hatte sich in eine Ecke des Wohnzimmers zurückgezogen, in der er mit anderen Ärzten heftig über ein neues Kunstherz diskutierte. Retta schob sich langsam durch die Menge der Gäste hindurch und nippte an ihrem Drink. "Hallo", hörte sie plötzlich eine freundliche Stimme, und als sie sich umdrehte, stand Jean Conway hinter ihr. "Hallo." Du alte Kupplerin, fügte sie im stillen hinzu. Sicher möchtest du gerne eine deiner Freundinnen Mac vorstellen, nicht wahr?
"Stimmt es eigentlich, dass Sie ein Bauernmädchen von einer Farm in Wisconsin sind?" fragte Jean. "Wie kommen Sie denn darauf?" fragte Retta erstaunt. "Sehe ich..." Sie hielt inne. Schlicht. Bis vor kurzem hatte sie ja noch schlicht und unauffällig ausgesehen, und so war diese Bemerkung wohl auch gemeint. Einen Augenblick lang fühlte Retta sich verletzt und war wütend. Dann aber sah sie Jean nachdenklich an. Die alte Retta hätte sich jetzt zurückgezogen, hätte dieser Frau gezeigt, wie verwundbar sie wirklich war, aber sie hatte inzwischen ja einiges von Mac gelernt. "Woher wissen Sie das? Ja, ich stamme wirklich von einer Farm." Sie hängte sich bei Jean ein. "Wissen Sie, Mac kann sich noch nicht an den Gedanken gewöhnen, mit mir auf die Farm zurückzukehren. Der alten Tradition entsprechend müsste er sich dann einen Bart stehen lassen, wenn wir erst einmal verheiratet sind. Und dieser Bart würde dann ganz grau sein. Mac hasst die Idee, einen grauen Bart zu haben. Er sagt, er sieht dann aus wie ein Tattergreis." Verwundert sah Jean sie an. "Wirklich?" fragte sie zweifelnd. "Dann hat Mac also seine Meinung über eine neue Ehe geändert?" Noch immer lächelte Retta freundlich, aber eine eiskalte Hand griff nach ihrem Herzen. Seine Meinung geändert? "Oh, wir haben uns nur kurz über dieses Thema unterhalten", wehrte sie ab. "Wenn Sie es wirklich geschafft haben, seine Meinung zu ändern, haben Sie meine Hochachtung." Jean nickte. "Etwa ein Dutzend Frauen haben mir schon gesagt, dass Mac ein hoffnungsloser Einzelgänger ist, der wohl nie aufhören wird, um Judith zu trauern." "Nun ja..." Retta fiel es immer schwerer, ein unbefangenes Gesicht zu machen. Am liebsten hätte sie Jean bei den Schultern gefasst und sie gefragt: "Soll das heißen, dass er nie mehr
heiraten will?" Aber eine kleine Stimme in ihrem Inneren sagte ihr: "Was er anderen Frauen gesagt hat, trifft ganz bestimmt nicht auf dich zu." Also bemühte sie sich, ruhig zu bleiben. "Ein wenig hat er schon nachgegeben. Erzählen Sie mir, was die anderen Frauen über ihn gesagt haben." Wieder nickte Jean. "Also gut, kommen Sie. Sie gefallen mir. Dann wollen wir uns mal über diesen Einzelgänger unterhalten." Zusammen mit Retta zog sie sich in eine Ecke des Zimmers zurück. Und Jean begann zu reden. "Hast du Retta nicht gesehen?" fragte Mac Allen. Er hatte schon, das ganze Haus nach Retta abgesucht. "Na klar", Allen goss sich noch einen Martini ein, "sie ist mit einigen Leuten im Badehaus. Als ich sie das letzte Mal sah, versuchte sie gerade, so einem Kerl Polkatanzen beizubringen." Mac versuchte zu lächeln und ging nach draußen. Innerlich aber kochte er. Ich bin der einzige Mann, mit dem sie Polka tanzen soll, verflixt, dachte er, auch wenn es lächerlich war, so eifersüchtig zu sein. Mac ging über den Rasen auf das hellerleuchtete Badehaus zu, das war so groß, dass es gut und gerne einer vierköpfigen Familie Platz geboten hätte. Die breiten Doppeltüren waren geöffnet, von der Terrasse hörte man Musik und Gelächter. Und Retta war der Mittelpunkt des Ganzen. Mac blieb in dem Kreis der Menschen stehen, die sich um sie versammelt hatten, während die Eifersucht ihn innerlich zu zerreißen schien. Sie tanzte Walzer mit einem großen, gutaussehenden jungen Mann, der sicher nicht älter als zwanzig war. Mit einem genüsslichen Gesichtsausdruck hielt er sie in seinen Armen. Retta hatte ihre Arme um seinen Hals geschlungen, und ihr Lächeln schien zu sagen, dass sie genau wusste, was er dachte, und dass es ihr gefiel. Der Kerl tanzte wie ein junger Gott, und Mac war erstaunt über die Macht der Eifersucht, die er empfand, als er Retta in den Armen eines anderen sah.
Die Musik endete, und alle klatschten. Der junge Mann drückte Retta an sich und beugte sich dann zu Macs Erstaunen zu ihr herunter und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Auch Retta schien überrascht, das sah er an ihrem Gesicht, aber sehr unangenehm schien es ihr nicht zu sein. Sie entdeckte Mac in der Menge und blinzelte ihm zu. Diese Geste ärgerte Mac, trotzdem zwang er sich zu einem freundlichen Gesicht und applaudierte zusammen mit den anderen. Also gut, mein Schatz, dachte er, ich bin also ein Ungeheuer. Der junge Mann ist ja ganz nett, tätschle ihn noch einmal und komm dann zu deinem erwachsenen Mann zurück. Aber als nun ein langsames Musikstück begann, schlang Retta ihre Arme wieder um den Hals des jungen Adonis. Bewegungslos sah Mac den beiden zu, wie sie sich im Rhythmus der Musik bewegten. Der Junge redete mit ihr, und Retta ließ ihren Blick nicht von ihm. Gezwungen lässig bahnte Mac sich einen Weg durch die Menge. Du liebe Güte, etwas Schreckliches musste passiert sein, Retta würde ihn sonst nicht so provozieren. "Entschuldigung", meinte er an den jungen Mann gewandt und lächelte ihn freundlich an, "Jetzt bin ich dran." "Hallo, Mac", sagte Retta fröhlich. "Das ist Justin Richards, ein Freund der Conways." Justin und Mac schüttelten einander die Hand. "Ich habe Ihnen Ihr Mädchen gestohlen", sagte Justin, und Mac sah, dass er Grübchen in den Wangen hatte, wenn er lachte. "Geben Sie, sie mir zurück?" schlug Mac genauso fröhlich vor. Ehe ich dir deine Grübchen mit meiner Faust noch vertiefe, fügte er im stillen hinzu. Lächelnd trat Justin einen Schritt zurück. Noch einmal drückte er Rettas Hand, dann war er weg. Mac runzelte die Stirn, als Retta die Arme um seinen Hals schlang. "Tu deine Pflicht, Mac", flüsterte sie. "Beende den Tanz mit mir."
Als er sie eng an sich zog, stöhnte Retta auf. Ganz langsam bewegten sie sich zu der Musik, ohne bewusst einen Ton davon zu hören. Tief in ihren Augen entdeckte Mac eine Traurigkeit, die er sich nicht erklären konnte. "Sag mir, was los ist", befahl er. Retta schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen. "Nicht hier. Können wir nicht nach Hause gehen?" Sein Magen krampfte sich zusammen. Was wollte sie ihm sagen? "Retta, nach dem, wie du mich mit diesem Kerl provoziert hast, bin ich sogar bereit, mir die Haare einzeln auszureißen. Für mich ist die Party vorbei. Komm." Retta wollte gegen seine Anschuldigung protestieren, aber ein Blick von ihm ließ sie verstummen. Also gut, sie hatte sich sehr aufgeregt und ihn ein wenig provoziert. So nickte sie nur. Wenige Augenblicke später saßen sie nebeneinander in Macs Wagen. "Leg los", befahl er. Retta seufzte. "Du willst, dass ich so direkt und offen bin wie immer?" "Genau das." Retta holte tief Luft, suchte nach Worten. "Warum hast du mir nicht gesagt, dass du nie wieder heiraten willst? Warum musste ich das heute Abend von Jean Conway hören?" Mac setzte sich in seinen Sitz zurück und legte eine Hand auf die Stirn. Jetzt musste er also Farbe bekennen. Es dauerte eine Weile, bis er endlich sprach. "Weil ich ein selbstsüchtiger Bastard bin und weil ich mir dachte, dass du dann von mir nicht mehr so begeistert sein würdest, wenn du das weißt", sagte er schließlich gepresst. "Und weil ich dich nicht verlieren will. Aber ich will dich auch nicht an mich binden." Die kalte Wut, die in ihrer Stimme lag, traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. "Also sind wir wieder bei unserem alten Problem. Du hast also immer noch vor, eines Tages alleine zu sterben, ohne irgend, jemandem zur Last zu fallen." Sie warf den
Kopf zurück. "Und du hattest den Nerv, mich edelmütig und arrogant zu nennen. Wie kannst du es wagen! Wie kannst du es wagen... meine Gefühle für dich in den Schmutz zu ziehen, indem du mich von deiner Zukunft ausschließt." "Ich liebe dich", flüsterte er rau. Er umklammerte das Steuer des Wagens, als könne er dort Halt finden. "Aber ich werde dich nie bitten, für den Rest deines Lebens bei mir zu bleiben." Retta ballte ihre Hände zu Fäusten. "Was hattest du denn vor, Mac?" fragte sie zynisch. "Wolltest du ein paar Jahre mit mir schlafen und mir dann freundlich auf die Schulter klopfen, damit ich mir dann jemand anders suche?" Mac stöhnte auf, dann griff er nach ihren Händen, zwang sie, ihre Fäuste zu öffnen und verschränkte seine Finger mit ihren. "Du darfst das, was uns miteinander verbindet, nicht herabwürdigen. Vielleicht bin ich wirklich ein selbstsüchtiger Idiot, aber herzlos bin ich nicht. Ich wollte einfach nicht an die Zukunft denken, wollte nur alles Schöne mit dir zusammen genießen, all das Glück, das ich nicht mehr zu erleben gehofft hatte..." "Das Glück, das für den Rest deines Lebens dein sein könnte, Mac." "Nein! Ich möchte, dass du einen jüngeren Mann findest, einen, der noch nicht so verletzt worden ist, einen, der es ertragen könnte, wenn dir etwas zustieße..." Abrupt hielt er inne, und Retta sah ihn erschrocken an. "Jetzt verstehe ich dich", sagte sie verwundert. "Du hast nicht so sehr Angst, dass du jemandem zur Last fallen könntest, du furchtest, dass jemand, den du liebst, sterben könnte. Und nachdem du Judith verloren hast, würdest du das nicht ertragen können, nicht wahr?" Nach einer kleinen Ewigkeit nickte Mac und ließ ihre Hand los. "Das stimmt." Er schüttelte den Kopf. "Das ist wohl die Wahrheit. Vielleicht wollte ich das bis jetzt nicht begreifen."
Eine Woge des Mitleids für ihn überflutete Retta und bewirkte das, was der Ärger nicht bewirkt hatte. Sie ließ sich in den Sitz zurücksinken, und dicke Tränen rannen über ihre Wangen. "Mac", sagte sie bittend. "Ich kann dir nicht versprechen, dass ich nicht sterben werde." Sie holte tief Luft. "Aber ich kann dir versprechen, dich zu lieben, so lange ich lebe. Und ich werde dir Kinder schenken, die dich so sehr lieben werden, wie ich es tue." "Mein Gott", hauchte er, "Kinder." Mit geschlossenen Augen ließ er den Kopf gegen die Rückenlehne des Sitzes sinken. "Wahrscheinlich verlange ich jetzt Unmögliches", sagte sie müde. "Ich hatte angenommen, dass du Kinder liebst. Ganz besonders, nachdem ich gesehen habe, wie gut du dich mit Lucas verstehst." "Ich liebe Kinder." Mac räusperte sich. "Ich habe nur nie daran gedacht, noch einmal eigene Kinder zu haben." "Das solltest du aber", bat sie leise, aber sie wusste, dass Mac ablehnen würde. "Wahrscheinlich wäre ich der älteste Vater..." "Verstehe." Enttäuschung lag in ihrem Blick. "Du brauchst mir deinen Alterskomplex nicht mehr zu erklären. Es ist die Abwehrmauer, die du um dich herum aufgebaut hast. Ich dachte, ich hätte sie durchbrochen, aber da habe ich mich wohl geirrt" Ihre Stimme brach. "Mein Gott, ich habe mich in so vielen Dingen geirrt." "Retta, bitte nicht..." "Also bleibt uns jetzt doch nur die einfache Entscheidung, Burt, ob wir diese Affäre nicht beenden wollen, ehe sie noch komplizierter wird." Mac schloss die Augen. Lass sie gehen, sagte er sich, aber er konnte diese Worte nicht aussprechen. "Ich denke", sagte sie und er hörte die ungeweinten Tränen in ihrer Stimme, "die Antwort ist ja. Und ich werde diejenige sein, die sich zuerst verabschiedet."
"Nein, nicht heute Abend. Und nicht so." "Glaubst du etwa, wenn wir noch länger warten, wird es einfacher werden?" Mit kreidebleichem Gesicht fasste Mac sie an den Schultern. "Wenn es um dich geht, habe ich überhaupt kein Ehrgefühl. Verlass mich nicht. Lass uns so weitermachen wie bisher. Und wenn du findest, dass ich bis jetzt gut zu dir war, warte erst einmal ab, wie es in Zukunft sein wird. Wir werden..." Aber Retta schüttelte langsam den Kopf. "Ich habe auch schmerzliche Erinnerunge n, Mac, vielleicht nicht so schmerzvolle wie deine, aber... ich habe schon einmal auf einen Mann gewartet, habe gehofft, ich könnte ihn für mich gewinnen." Sie erschauderte. "Das könnte ich nicht noch einmal ertragen." Voller Verzweiflung sahen sie einander an. Schließlich umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen und wischte ihre Tränen mit seinen Fingern weg. "Ich gehe ins Haus zurück und rufe mir ein Taxi", brachte sie schließlich hervor. "Doch", widersprach sie, als sie sah, wie er den Kopf schüttelte. "Ich möchte es so, Mac." "Wann werde ich dich wiedersehen?" "Nächste Woche im Büro. Wir haben eine Besprechung wegen des Fachblattes." "Rufst du mich an, wenn du heute Abend nach Hause kommst?" "Nein... es ist besser so." Mac sank in sich zusammen. "Auf Wiedersehen", flüsterte sie und öffnete die Tür. "Nein." Mac hielt sie fest. "Nein, geh nicht. Ich hätte nie gedacht, dass es so weit mit uns kommen würde." "Auf Wiedersehen, Mac." "Retta, ich liebe dich." Retta nahm all ihre Kraft zusammen. "Ich liebe dich auch. Auf Wiedersehen, Mac."
"Auf Wiedersehen", brachte er schließlich heraus. Er versuchte noch immer, nach ihr zu greifen, nachdem sie schon taumelnd den Wagen verlassen hatte.
11. KAPITEL Warum nur waren einfache, alltägliche Pflichten auf einmal so anstrengend, dachte Retta und zwang sich, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Vor ihr lag ein Artikel für die erste Ausgabe des neuen Fachblattes. Also, ich könnte es, dachte sie und las: "Können wir es moralisch verantworten, einem Patienten im Koma, der nie wieder aufwachen wird, die Nahrung zu verweigern?" Sie hatte zwar jedes Wort gelesen, aber nichts wirklich davon aufgenommen. Ungeduldig warf sie den Rotstift auf den Tisch und drehte ihren Stuhl so, dass sie aus dem Fenster sehen konnte. Die Sprechanlage auf ihrem Schreibtisch summte. "Dr. McHale ist hier. Er wartet mit Dr. Winston und Hilda im Konferenzraum. Scott und Vanessa sind auch schon da." "Danke, Becky, ich komme gleich." Mit zitternden Fingern suchte Retta ihre Sachen zusammen. Wie konnte sie nach vier einsamen Tagen, an denen sie durch die Hölle gegangen war, auch ruhig sein, wenn sie Mac wiedersah? Er erhob sich, als sie ins Konferenzzimmer kam. Sein trauriges Gesicht und der verlangende Ausdruck in seinen Augen überwältigten sie beinahe. "Hallo", sagte sie und setzte sich schnell hin, weil ihre Beine ihr den Dienst versagten.
"Hallo", sagte auch er und ließ seine Blicke nicht von ihr. Aber niemand im Raum merkte, dass zwischen den beiden etwas nicht stimmte, Retta hatte Scott und Vanessa nichts von ihrer Entscheidung erzählt. Sie konnte nicht darüber sprechen, wagte nicht einmal, daran zu denken. Vergnügt klatschte Newt in die Hände. "Nun, ist es nicht herrlich, dass dies heute unser letztes Treffen ist? In der nächsten Woche geht die erste Ausgabe unseres neuen Fachblattes in Druck." Er beugte sich zu Mac hinüber. "Ich versichere Ihnen, außer einem gelegentlichen Telefonanruf werden wir Sie nicht mehr belästigen. In dieser Woche haben wir einen Redakteur eingestellt, der sich mit Ihnen in Verbindung setzen wird, wenn Fragen auftauchen." "Das ist gut", sagte Mac tonlos, aber in seinem Inneren tobte ein Aufruhr. Newt hatte damit gerade seine letzte Verbindung zu Retta abgeschnitten. Newt lachte. "Zu Ehren dieser letzten Besprechung möchte ich ein paar Ankündigungen machen." Retta malte Kringel auf ihr Blatt, sie konnte Mac nicht ansehen. "Zunächst einmal: Ich habe mich mit Miss Isabella Edwards verlobt." Retta hob den Blick und starrte Newt ungläubig an. Er redete weiter, berichtete von den Hochzeitsplänen, und Retta musste sich beherrschen, um nicht laut aufzulachen. Sie beschäftigte sich wieder mit ihrem Stift, die ganze Zeit über fühlte sie Macs Blicke auf sich. "Und dann möchte ich noch ankündigen, dass Hilda uns verlässt, um zurück zur Universität zu gehen." Als Hildas Assistentin wusste Retta das natürlich schon. Schnell blickte sie zu Scott und Vanessa, die verzweifelt versuchten, ihre Freude darüber hinter einem unbeteiligten Gesicht zu verbergen. Wieder sprach Newt, aber Retta hörte kaum, was er sagte, auch das, was er jetzt ankündigte, wusste sie schon. " ... also bin ich sicher, dass es Sie nicht überraschen wird zu hören, dass
Retta den Posten der Chefredakteurin übernehmen wird." Scott schlug Retta begeistert auf die Schulter, Vanessa applaudierte. Retta lächelte den beiden dankend zu. "Retta weiß, wie schwierig und anspruchsvoll dieser Job ist", sprach Newt weiter. "Aber ich weiß, dass sie sich dieser Aufgabe mit ganzem Einsatz widmen wird." Mac sah Retta ungläubig an. Sie wollte diesen verflixten Job gar nicht. Mehr als einmal hatte sie ihm erzählt, dass er Hilda fertiggemacht hatte, dass er bedeutete, dass sie nachts arbeiten müsste, an Wochenenden und sogar im Urlaub. Sicher, sie würde eine beachtliche Gehaltserhöhung bekommen, aber war es das wirklich wert? Warum hatte sie überhaupt angenommen? Retta vermied seinen Blick. Sie wusste, dass er ihre Entscheidung nicht billigte. Aber sie brauchte die Arbeit, um die langen, einsamen Stunden ohne ihn zu füllen. Sie wusste nichts anderes als Arbeit, um ihren Schmerz zu betäuben. "Meinen Glückwunsch", sagte er gepresst. Mit tränenfeuchten Augen blickte sie zu ihm auf. Mac griff in seine Tasche und holte eine Rose daraus hervor, ganz ohne den übliche n Hokuspokus. Ihr Hals wurde eng vor Traurigkeit. Wie sehr hatte sie sich schon daran gewöhnt, diese Rosen von ihm zu bekommen, aber jetzt... "Was? Keine Zauberei mehr?" fragte sie und zwang sich zu einem Lächeln. Oh, Mac. Langsam schüttelte er den Kopf, mit traurigem Blick. "Ich habe meine Fähigkeit zum Zaubern verloren", antwortete er niedergeschlagen. Retta war selbst überrascht, wie viel Arbeit sie zwischen Wachen und Schlafen erledigen konnte. In der nächsten Woche nähte sie sich zwei neue Röcke, reinigte ihren Kühlschrank gründlich, tapezierte das Badezimmer, schrubbte den Backofen und hatte noch Zeit "Vom Winde verweht" zu lesen. Und diesmal weinte sie nicht nur am Ende des Buches, sondern jedes Mal, wenn Rhett Butler Scarlett verließ oder auch
nur davon redete. Danach beschränkte Retta das Lesen nur noch auf medizinische Fachblätter. Als sie am Freitag vor einer makellos sauberen Wohnung stand und auch im Büro keine einzige Akte mehr unbearbeitet war, fühlte Retta sich sehr niedergeschlagen. Sie hatte sich selbst in die Ecke gedrängt und jetzt viel freie Zeit, um nichts anderes zu tun, als an Mac zu denken. Sie würde Golf spielen, entschied sie, seit dem Tag vor zwei Wochen, als sie Mac verlassen hatte, hatte sie das nicht mehr getan. Sie nahm ihre alten Schläger und war nachmittags um fünf Uhr auf dem städtischen Golfplatz. Weit holte sie aus und schlug. Der Ball flog in hohem Bogen in einen kleinen Eichenwald mit dichtem Unterholz. Retta stöhnte ärgerlich und stützte sich auf ihren Schläger, als sei er ein Spazierstock. War es möglich, dass ihr nichts mehr gelang? Hatte Mac mit dem Zauber auch den Spaß aus ihrem Leben genommen? "Achtung!" ertönte eine tiefe Stimme. Erschrocken hob Retta einen Arm über den Kopf und duckte sich, bis sie den leisen Plumps eines Golfballes hinter sich hörte. Sogleich war ihre mühsam aufrechterhaltene Fassung dahin. "Warum schlagen Sie denn so dicht ab?" schrie sie und wandte sich zum achten Loch um. "Das ist doch sehr unvorsichtig!" Retta stand wie erstarrt, als Mac langsam auf sie zukam. Ihr Herz schlug wie wild, und das Blut rauschte in ihren Ohren. "Guten Tag", grüßte er freundlich, als er bei ihr angekommen war. "Darf ich vorbeispielen?" Mit einem amüsierten Lächeln sah er sie an, aber ein Blick in seine Augen sagte ihr, dass sein Humor nur gespielt war. Retta trat einen Schritt zurück und sah ihn an. "Was ist los?", fragte sie dann mit dem gleichen falschen Humor. "Hat jemand Öl im Country-Club entdeckt? Ist er jetzt geschlossen, weil danach gebohrt wird? Wieso spielst du hier?"
"Ich wollte auch einmal einen anderen Golfplatz ausprobieren. Du hast mir so viel von diesem hier erzählt, da dachte ich, ich komme heute mal hierher." Heute, gestern, vorgestern, jeden Nachmittag der letzten Woche war er hier gewesen und hatte auf sie gewartet, aber das sagte er ihr nicht. "Ach, so", meinte sie skeptisch. "Na ja, ich muss meinen Golfball im Unterholz dort drüben suchen. Auf Wiedersehen." "Das Unterholz sieht ziemlich undurchdringlich ans. Vielleicht solltest du besser einen Strafstoß in Kauf nehmen und mit einem neuen Ball weiterspielen." "Golfbälle sind teuer." Sie nahm ihre Tasche und ging auf den kleinen Wald zu. Schnell kam Mac hinter ihr her. "Du hast doch diese tolle Gehaltserhöhung bekommen, nicht wahr? Diesen Teil deines ne uen Jobs könntest du doch wenigstens genießen." "Es gefällt mir, einfach zu leben, Mac. Das liegt nun einmal in meiner Natur." Warum nur war er hier hergekommen? Was wollte er von ihr? Alles in ihr schrie danach, ihn zu fragen, was sein Besuch zu bedeuten hatte. Sie ging schneller. Ohne ein weiteres Wort gingen sie zusammen in das Wäldchen. Als ihre Golftasche an einem Ast hängen blieb, stellte Retta sie ab. Mac stellte seine Tasche daneben. Eine Gänsehaut überlief Rettas Körper, während sie sich zwang, ihren Blick auf den Boden zu richten... um etwas zu suchen... ach ja, den Golfball. Sie spürte Macs Nähe beinahe körperlich, der dichte Wald verbarg sie vor den Blicken der anderen Golfspieler. "Such du den Ball dort drüben", verlangte sie. "Ich werde hier suchen." "Ich bleibe besser in deiner Nähe", meinte er. "Es könnten sich gefährliche Tiere hier im Wald versteckt halten. Wilde Hunde, tollwütige Waschbären, Schlangen oder noch Schlimmeres."
Unglücklich blickte Retta zu ihm auf. "Warum bist du hier, Mac? Warum?" Sofort wurde er ernst und bewegte den Kopf. "Weil ich mich ohne dich entsetzlich fühle und weil dies die einzige Möglichkeit ist, dich wiederzusehen." "Das ist nicht fair." Rettas Stimme zitterte. "Du solltest mich in Ruhe lassen." Verzweifelt sah sie ihn an. "Also gut, ich bin auch unglücklich. Aber was soll ich tun?" Ihre Stimme wurde schrill, weil sie sich bemühte, nicht in Tränen auszubrechen. "Soll ich dich lieben? Soll ich dich nicht lieben?" "Liebe mich." "Aber nicht für immer", murmelte sie und schlug beide Hände vor ihr Gesicht. "Liebe mich", wiederholte Mac rau. Er zog sie in seine Arme, und als sie seine Lippen auf ihrer Stirn spürte, schrie Re tta auf. "Liebe mich", bat er, "komm zu mir zurück." Und dann küsste er sie. Voller Verlangen und Verzweiflung. Retta krallte ihre Finger in seine Schultern. Die Sehnsucht nach ihm drohte übermächtig zu werden. "Mac", stöhnte sie, drängte sich an ihn und barg ihr Gesicht an seinem Hals. "Nimm mich", flüsterte sie. "Liebe mich nur noch ein einziges Mal." Ruhelos glitten seine Hände über ihren Körper, aber bei ihren Worten hielt er inne. Nicht nur ein einziges Mal, schwor er sich. Das ist ganz unmöglich. "Wirst du heute nacht bei mir bleiben?" fragte er schnell. "Wirst du mit mir nach Hause kommen und mit mir reden?" "Gut", stöhnte sie. "Noch eine Nacht." Eng umschlungen sanken sie zu Boden auf das weiche warme Moos unter der alten Eiche. Mit zitternden Fingern öffnete Retta sein Hemd, riss hastig an seinen Sachen, um seine nackte Haut unter ihren Händen zu fühlen. Genauso hastig zog er ihr die Shorts über ihre Hüften hinunter.
"Du trägst wieder deine alten Sachen", sagte er atemlos. "Ich möchte nicht, dass du versuchst, "schlicht und unauffällig" auszusehen, ich will, dass du nackt vor mir liegst." Als er das erreicht hatte, glitten seine Hände und seine Lippen hungrig über ihren Körper. Retta biss sich auf die Lippen, um nicht vor Lust aufzuschreien. "Ich träume jede Nacht von dir", flüsterte er, als er tief in sie eindrang. "Retta, meine süße kleine Retta. Du bist alles, was ich brauche. Du hast meine ganze Zauberkraft mit dir genommen..." Sie bog ihm ihren Körper entgegen, blickte in das grüne Laub der Bäume über ihr und lauschte seiner tiefen, warmen Stimme. Zusammen erreichten sie den Höhepunkt ihrer Lust, Macs Lippen lagen auf ihren, sie fühlte sein leises Stöhnen auf ihrem Mund. Als ihr Atem wieder ruhiger ging, küsste Mac sie zärtlich. "Noch nicht", flüsterte sie, als er sich von ihr lösen wollte. Mac nickte. "Autsch", sagte er plötzlich, als Retta ihm mit ihrem Zeh über sein Bein streicheln wollte. Erst da merkte sie, dass sie noch immer ihre Golfschuhe und ihre Socken anhatte. Es war zu komisch, zu schrecklich, sich vorzustellen wie sie wohl ausgesehen haben mochten, als sie sich hier mitten im Wald liebten, mit nichts als ihren Schuhen und Strümpfen bekleidet! Retta begann zu kichern, und auch Mac lachte leise. Die Erschütterungen spürte Retta in ihrem ganzen Körper. "Burt", murmelte sie glücklich, "du bist der einzige Mann, der mich dazu bringen kann, etwas so Unvernünftiges am helllichten Tag zu tun." Er schlang seine Arme um sie. "Warte nur, das war erst der Anfang." So groß war ihr Verlangen nacheina nder, dass sie für einige Zeit all ihre Probleme beiseite schieben konnten, nur um zusammen zu sein, dachte Retta abends. Es war möglich, miteinander zu lachen, sich zu umarmen, zusammen zu Abend
zu essen und dann nebeneinander zu liegen und sich zu unterhalten, ohne an die Zukunft zu denken. Sie gingen frühzeitig - und ziemlich unbekleidet - zu Bett. Retta kuschelte sich an Mac, während er ihr aus einem "Tarzan" Buch vorlas. Ein Wort gab das andere, und schon bald befanden sie sich mitten in einer wilden Kissenschlacht. Retta quietschte vor Vergnügen, als er sie an einem Bein festhielt und dann spielerisch hineinbiss. Sie versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien, aber er warf sie aufs Bett und schob sich über sie. "Jetzt hab ich dich", murmelte er. Liebevoll sahen sie einander in die Augen, dann küssten sie sich. Doch das Läuten des Telefons unterbrach sie. Er kniff ihr noch einmal zärtlich in die Brust, dann griff er nach dem Telefonhörer. "Ich hoffe, du musst nicht ins Krankenhaus", murmelte sie. "Ich auch." Retta lauschte, als er in den Hörer sprach. Sie sah, wie sein Gesicht ernst wurde und seine Augen sich zusammenzogen. "Ja. Wo? Ja. Ich komme sofort." Er legte den Hörer wieder auf und blieb unbeweglich sitzen. "Hey", sagte Retta, "komm schnell zurück zu mir..." "Es ist Lucas." Er schwang die Beine aus dem Bett und stand auf, mit beiden Händen fuhr er sich durchs Haar. Retta fühlte, wie alles Blut aus ihrem Herzen wich. Sie sprang auf und lief zu ihm hin. "O Scha tz, was ist passiert?" Mac starrte verloren vor sich hin. "Es ist beim Football passiert. Er wurde angegriffen... bekam einen Schlag auf den Kopf." Erst jetzt sah er sie an, Verzweiflung lag in seinem Blick. "Er ist immer noch bewusstlos." Er ging zum Schrank. "Ich komme mit", sagte sie schnell und begann, sich anzukleiden. Mac griff nach ihrer Hand. "Ich möchte, dass du fährst, ich kann mich jetzt sicher nicht konzentrieren."
Retta drückte ihn an sich. "Es wird schon alles gut werden", versicherte sie ihm. "Ich liebe dich", flüsterte sie ihm leise ins Ohr und hoffte, dass Lucas nicht sterben würde. "Subdurales Hämatom", ein geplatztes Blutgefäß im Gehirn. Retta erzitterte bei diesen Worten. Auch Macs ruhige Stimme hatte diesen Worten den Schrecken nicht nehmen können. Retta saß im Warteraum der Klinik und lauschte abwesend dem Ansager im Fernsehen, der die Zuschauer zu einem Film begrüßte. Abwesend blickte sie auf ihre Uhr. Es war drei Uhr morgens. Aber Zeit hatte hier keine Bedeutung. Es schien ihr eine Ewigkeit her, seit Mac in den Operationssaal gegangen war, um dem Neurochirurgen zu assistieren. Und doch waren seitdem erst zwei Stunden vergangen. Retta zuckte zusammen, als sie Schritte vor der Tür hörte. Mac trat ins Zimmer. Sein Gesicht war aschgrau, tie fe Schatten lagen unter seinen Augen. Retta sprang auf. "Wie geht es ihm, Mac?" Er blieb vor ihr stehen und strich sich mit der Hand über sein müdes Gesicht. Er schwankte ein wenig, und Retta nahm ihn beim Arm. "Komm, setz dich, Burt." Mac nickte und setzte sich auf die Couch, dann legte er einen Arm um ihre Schultern und zog sie neben sich. "Ich weiß es nicht", sagte er leise. "Die Operation ist gut verlaufen, es müsste ihm eigentlich gut gehen", er lehnte seine Stirn gegen ihre, "aber ich weiß es nicht" Er holte tief Luft. "Ich gehe gleich zurück, sowie er in der Intensivstation ist." "Kann ich mit dir gehen?" Mac nahm ihre Hand und drückte sie. "Ja, gern." Schweigend saßen sie noch eine Weile nebeneinander und hielten sich umschlungen, bis Retta ihm sanft über den Kopf strich. Mac seufzte auf. "Er könnte sich problemlos erholen", hauchte er, dann hielt er inne, "wenn... er... sich überhaupt erholt."
"Psst." Ernst blickte Retta ihn an. "So etwas darfst du gar nicht sagen. Prof. Marcus Welby würde so etwas nie sagen", versuchte sie die Spannung ein wenig zu lindern. Ein kleines Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Er sank zurück und lehnte seinen Kopf mit geschlossenen Augen gegen die Wand. "Bitte stirb nicht, Luke", flüsterte er. Retta hatte das Gefühl, dass sie bis in sein Innerstes sehen konnte. Sie sah den Schmerz und die tiefe Bitterkeit, die Judiths Tod hinterlassen hatten. Mit sorgenvollem Blick strich sie über sein Gesicht, aber seine Augen blieben geschlossen. "Erzähl mir von ihm, Burt. Erzähl mir alles von ihm, seitdem er ein kleiner Junge war, alles." "Warum?" "Weil es dir helfen wird, ihn so zu sehen, wie er war und nicht, wie er jetzt ist." Langsam öffnete er die Augen und sah sie verwundert an. "Woher hast du nur so viel Lebensklugheit, Henrietta?" "Weil ich von so einem wunderbaren Menschen wie dir geliebt werde und weil ich ihn liebe." Er nickte und lächelte. Neu gestärkt begann er, ihr von seinem Sohn zu erzählen. Warum nur war Lucas, der doch immer so gesund war, noch immer ohne Bewusstsein? Retta saß neben seinem Bett und blickte in sein gutgeschnittenes Gesicht. Sein Kopf war in dicke Verbände eingehüllt, überall waren Schläuche und Drähte angeschlossen. Es schien ganz unmöglich, dass er schon vierundzwanzig Stunden - seit der Operation - so lag, ohne sich zu bewegen. Retta beugte sich vor. Kämpfe, bat sie ihn schweigend. Wach auf. Dein Vater liebt dich so sehr. Und auch ich liebe dich, weil du ein Teil von ihm bist. Bitte. Ein kleiner Mann in einem verknitterten Cordanzug trat ins Zimmer. Er reichte Mac die Hand und lächelte Retta freundlich
zu. Marshall Hicks, "Lucas" Arzt, erinnerte Retta an einen freundlichen Teddybär. "Die Werte sind ganz in Ordnung", sagte Mac ernst, als versuche er, sich selbst einzureden, dass alles in Ordnung war. "Er braucht nur noch etwas Zeit." "Ich weiß, ich weiß." Marshall klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. "Trotzdem müssen wir darüber reden, was wir tun, falls sein Zustand so bleibt." "Das ist kein echtes Koma", wehrte Mac verzweifelt ab. "Du kannst nicht..." "Ich weiß, Junge, ich weiß." Marshalls Stimme klang beruhigend. "Aber irgendwie muss er ja auch ernährt werden." Retta sah, wie Mac die Fäuste ballte. Schnell stand sie auf, ging zu ihm hinüber und legte ihre Hand auf seine. "Okay", sagte Mac schließlich gepresst. "Du kannst ihn künstlich ernähren. Wenn... wenn sein Zustand sich verschlechtert, soll er alles bekommen, was er braucht, um am Leben erhalten zu werden." "Schon gut." Beruhigend nahm Marshall Macs Hand und tätschelte sie. "Es müsste ihm schon sehr viel schlechter gehen, ehe wir über all das reden müssten. Entspann dich." "Nein, das kann ich nicht", antwortete Mac. "Und ich möchte, dass jeder auf der Station weiß, dass ich nicht damit einverstanden wäre, die lebenserhaltenden Maschinen abzustellen." Marshall blinzelte nervös. "Mac, davon ist doch im Augenblick gar nicht die Rede. Dein Sohn liegt ja noch nicht einmal im Koma." "Burt, Marshall wird noch zu hohen Blutdruck bekommen, wenn du so weitermachst", versuchte Retta zu scherzen. "Beruhige dich, Mac, du tust gerade so, als habe ich dich schon um Organspenden gebeten", meinte Marshall verstört.
Mac verzog schmerzlich das Gesicht. "Diese Entscheidung werde ich erst in der letzten Minute treffen. Jetzt will ich noch nicht darüber reden." "Darum hat dich auch niemand gebeten, verdammt noch mal." Retta schüttelte den Kopf und machte Marshall Zeichen, ruhig zu bleiben. "Kümmern Sie sich um die künstliche Ernährung", bat sie ihn. "Wir beide werden warten." Mac sank in sich zusammen. "Marshall, es tut mir leid", sagte, er. "Ach, vergiss es." Marshall klopfte ihm auf die Schulter. "Ihr Kardiologen seid doch alle gleich." Lächelnd ging er hinaus, und Mac seufzte tief auf. Er sah Lucas lange an. "Ich werde ihn nicht so einfach gehen lassen", flüsterte er, "solange es noch die winzigste Chance gibt. Nur wenn gar nichts mehr hilft... dann werde ich mich von ihm verabschieden. Ich will nicht, dass er so leidet wie Judith. Ich habe hart dafür gekämpft, dass die Bestimmungen jetzt geändert sind." Über Rettas Wangen rannen Tränen. "Mac, alles was für uns zählt, ist nur der Augenblick, für die Zukunft gibt es keine Garantie." Sie hielt inne. "Keine Garantie, außer der Liebe. Du wirst nicht aufhören, Lucas zu lieben, ganz gleich, was geschieht. Und ich werde nicht aufhören, dich zu lieben, und hoffentlich wirst auch du nicht aufhören, mich zu lieben." "Niemals", antwortete er fest. "Tor..." murmelte Lucas. Mac und Retta sprangen auf und liefen an sein Bett. Sie beugten sich über Lucas und sahen, wie seine Augenlider flatterten. "Luke", flüsterte Mac. Lucas öffnete langsam die Augen, ein Mundwinkel zog sich ein wenig hoch. "Ich nehme an, ich habe gar kein Tor geschossen", murmelte er. "Ich fühle mich, als hätte mich jemand... zusammengeschlagen."
Retta sah, wie sich ein erleichtertes Grinsen auf Macs Gesicht ausbreitete, dann sah Lucas sie an. "Hallo", sagte sie und strich ihm über den Arm. "Wir haben dich vermisst." "Henrietta." Er lächelte. "Ich bin froh, dass du... bei Dad bist." Er hielt inne. "Einen harten Schädel hat er... genau wie ich." "Zum Glück!" antwortete sie. "Diesmal hat der dir das Leben gerettet." Eine Krankenschwester kam ins Zimmer, Marshall folgte ihr. "Nun, was ist denn hier los?" Als er Lucas sah, lachte er leise. "Hunger", hauchte Lucas. "Gut. Essen ist nämlich Teil der Medizin. Ich nehme an, du kannst es auf die altmodische Art tun, ohne Kanüle." Die ganze Zeit über stand Mac wie gebannt und starrte Lucas nur an. Erleichterung und Glück spiegelten sich auf seinem Gesicht. Retta wischte sich über die Augen. Gott sei Dank würde Lucas wieder gesund werden. Aber diese Erfahrung hatte Mac wahrscheinlich nur in seiner Überzeugung bestärkt, dass eine dauerhafte Verbindung ein zu großes Risiko war. "Na ja, es ist doch so, dass man Sklaven nicht rausschmeißen kann, man muss sie verkaufen", meinte Scott. Retta stürzte ihr Kinn in die Hand und blickte zu Scott und Vanessa, die vor ihrem Schreibtisch saßen. Soeben hatten sie die Neuigkeit bekommen, dass National Health an die Medical-FranchiseVerlagsgesellschaft verkauft worden sei. "Ich wollte sowieso nie Chefredakteurin werden", murmelte Retta. "Wahrscheinlich würde ich mich so sehr an das Geld gewöhnen, dass ich am Ende jedes Vierteljahres mit glänzenden Augen auf meine Zinsgutschrift warten würde." "Was wirst du denn jetzt tun?" fragte Vanessa. "Schluckst du deinen Stolz hinunter und arbeitest wieder als Assistentin des Chefredakteurs, wenn das neue Management kommt?" "Nein." Retta schüttelte den Kopf. "Ich habe schon viel zuviel hinuntergeschluckt. Ich suche mir einen anderen Job."
"Ich mir auch", sagte Scott. Vanessa sah die beiden einen Augenblick an. "Ich ebenso", sagte sie dann. "Einer für alle, alle für einen!" Scott stand auf und hob eine Hand, als hielte er ein Schwert. "Bravo!" rief Vanessa und imitierte ihn. "Die drei Musketiere!" rief Retta. Sie stand auf und salutierte. Jetzt bin ich schon genauso verrückt wie Mac, dachte sie. Bevor ich ihn kennen lernte, war ich nie so albern und impulsiv. Die Sprechanlage summte. "Ein Dr. McHale am Telefon für Sie." "Wir verziehen uns", sagte Vanessa schnell und schob Scott vor sich zur Tür hinaus. "Burt, wie geht es Lucas heute?" "Sehr gut. Die Schwestern streiten sich schon darum, wer ihn jeden Tag baden darf. Er ist auch nicht mehr auf der Intensivstation. Und wie geht es dir, meine süße Kleine?" Rettas Lächeln schwand. "Ich suche einen Job." "Wie bitte?" Auch er wurde ganz ernst. "Scha tz, was ist passiert?" Retta erzählte ihm die Neuigkeit. Erst an diesem Morgen hatte Newt ihnen von dem Verkauf berichtet. "Na ja", beruhigte er sie, "es ist für dich sicher das Beste. Du solltest das tun, was du wirklich möchtest, du solltest Kinderbücher schreiben." "Ach Mac, das ist doch nur ein dummer Traum..." "Nicht, wenn du es wirklich tun möchtest." "Ach was, ich werde mir einen anderen Job suchen." "Aber nicht sofort. Heute Abend wirst du zu mir kommen und dich von mir umsorgen und verwöhnen lassen." Retta lächelte traurig. Ihr Job bei National Health hatte ihr das einsame Leben erträglicher gemacht, ehe sie Mac kennen gelernt hatte, und jetzt bestand sogar die Möglichkeit, dass sie weder Mac noch ihren Job behalten würde. Zwischen ihnen beiden war nichts geregelt worden, sie sprachen nicht über die Zukunft.
"Es würde mir wirklich gefallen, heute Abend umsorgt und verwöhnt zu werden", sagte sie leise. Sie wollte am liebsten jede freie Minute mit ihm verbringen. "Danke, Mac." Sie saßen an einem Tisch im Wintergarten und sahen zu, wie die Nacht hernieder sank. Mac stellte die Teller zusammen und stand auf. "Bleib nur sitzen, ich hole den Nachtisch." "Also wirklich, so umsorgt zu werden, gefallt mir." "Ich bin dabei, meine Fähigkeiten zu vervollkommnen." Wozu? überlegte Retta. Werden wir denn noch länger Zusammensein? Kurze Zeit später war Mac wieder zurück, mit zwei langstieligen Gläsern und einer Flasche Champagner in einem Eiskübel. Retta lächelte verwundert, als er sich über sie beugte und sie zärtlich küsste. Dann öffnete er die Flasche und goss den Champagner in die Gläser. "Moment!" sagte er, als sie nach dem Glas griff. "Pass auf." Er legte eine Serviette über seine Hand. "Sag das Zauberwort", befahl er. "Mickymaus", sagte Retta. "Voila!" Er zog die Serviette zurück und hielt ihr einen großen Strauß Papierblumen hin. "Für dich!" Retta nahm die Blumen entgegen. "Wie wunderbar!" rief sie aus. Noch immer wusste sie nicht, wie er das machte. "Und jetzt... o Retta... sieh dich nur an!" Erstaunt sah sie an sich hinunter. "Was ist denn?" fragte sie, als er mit seinen Händen über ihren Körper fuhr, hinter ihre Ohren, über ihr Kinn, zwischen ihre Knie, über ihre Brust... Bei jeder seiner Bewegungen fielen Rosen in ihren Schoß. "Mac!" rief sie erstaunt, als mindestens zwei Dutzend Rosen in ihrem Schoß lagen. "O Mac, das ist wundervoll, das werde ich nie vergessen. Nie", murmelte sie mit zitternder Stimme. Mac trat einen Schritt zurück. "Warte", sagte er. "Sieh mal auf dein Champagnerglas." Wie eine Gardine hielt er die Serviette vor die beiden Gläser. "Sag das Zauberwort", befahl er.
"Ich liebe dich", flüsterte sie und blickte mit tränenfeuchten Augen zu ihm auf. Zärtlich sah er sie an. "Das wird gehen." Er lächelte. "Jetzt achte auf dein Glas." Sie blickte zu der Serviette. "Voila", murmelte er und hob die Serviette. Und dort, in dem Glas, inmitten des Champagners, leuchtete ein schlichter, wunderschöner Diamantring. "Ich weiß", flüsterte er. "Das ist eine seltsame Art, dir einen Verlobungsring anzubieten." "Das ist... was?" Er kniete neben ihr nieder und schlang seine Arme um ihre Hüfte. "Ein Verlobungsring. Wenn du mich noch immer zum Mann haben willst." Retta glaubte zu träumen. Sie legte eine Hand auf seine Schulter, er war Wirklichkeit, kein Traum. "Willst du wirklich eine Frau?" fragte sie ungläubig. "Nicht irgendeine, dich!" "Aber... Risiken... Kinder..." "Einige Menschen leben in der Vergangenheit, ich habe in der Zukunft gelebt und versucht, mein Leben so einzurichten, dass ich nicht wieder verletzt werde. Vielleicht hat die Geschichte mit Lucas meinen Glauben an die Zukunft bestärkt, weil er nicht gestorben ist, ich weiß es nicht. Aber wenn er wirklich gestorben wäre, dann hätte ich noch immer meine Erinnerungen an ihn gehabt, Erinnerungen an all die Jahre, die wir zusammen waren." Er hielt inne und holte tief Luft. "Ich habe mir nur etwas vorgemacht. Ich kann dich genauso wenig aufgeben, wie ich Lucas aufgeben konnte. Ich werde dich festhalten, um dich kämpfen und dich lieben." Er umfasste ihr Gesicht. "Lass uns Erinnerungen schaffen, Retta. Heirate mich." "Das kommt alles so plötzlich", hauchte sie. Sie lächelte, als er zustimmend nickte. "Natürlich werde ich dich heiraten, Burt. Schließlich liebe ich dich schon seit dem Tag, an dem wir uns kennen lernten."
Er zog sie in seine Arme und küsste sie, küsste sie immer wieder und zog sie dann von ihrem Stuhl zu sich auf den Boden. "Der Champagner", murmelte sie, obwohl sie schon von all der Aufregung ganz benommen war. Burt nahm die Gläser, reichte eins davon ihr, dann verschränkten sie ihre Arme so, dass er von ihrem Glas trinken konnte und sie von seinem. "Ich liebe dich, Henrietta Pauline", sagte er leise. "Und ich liebe dich, Burt." Sie nippte von dem Champagner, aber er trank ihr Glas in einem Zug leer, den Ring hielt er zwischen seinen Lippen. Dann blickte er erwartungsvoll auf ihre Hand, und sie hob sie zu seinem Mund. Langsam schob sie den Ringfinger durch den Ring, während Mac ihre Hand küsste. Beide blickten auf den funkelnden Diamanten, dann trafen sich ihre Blicke. "Er ist verzaubert", hauchte sie. Er lächelte. Nein, der Zauber war in ihren Augen.
-ENDE