Nicht ohne Liebe - Darling Cathy Gillen Thacker
Bianca 1136
1/1 1999
gescannt von suzi_kay korrigiert von la_sirene
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Nicht ohne Liebe - Darling Cathy Gillen Thacker
Bianca 1136
1/1 1999
gescannt von suzi_kay korrigiert von la_sirene
1. KAPITEL Lieder aus der "Sesamstraße" ertönten aus dem Autoradio. Die sechsundzwanzigjährige Emily Bancroft blickte in den Rückspiegel zu der wichtigsten Person ihres Lebens, die in einem hellblauen Schneeanzug in dem gepolsterten Kindersitz saß. "Wie geht es dir, Sweetheart?" fragte sie liebevoll. Als Antwort schlug der einjährige Bobby Bancroft mit seiner Rassel gegen die kleine Armlehne und plapperte eine Reihe charmanter, aber völlig unverständlicher Laute, komplett mit Pausen und bedeutungsschwerer Betonung. "So gut?" fragte Emily belustigt, während sie die Scheibenwischer eine Stufe höher stellte, um gegen die dicken, nassen Schneeflocken anzugehen, die der Wind an die Scheibe trieb. "Na ja, es dauert jetzt nicht mehr lange. Wir sind fast da." "Fasse!" rief Bobby eifrig. Er ließ seine Rassel fallen und hob beide Arme hoch über den Kopf. "Fasse!" "Hast du Durst?" erkundigte sie sich grinsend. Es überraschte sie nicht, daß ihr dunkelhaariger Engel mit den blauen Augen nach seinem Fläschchen verlangte. Seit dem letzten Stopp waren fast zwei Stunden vergangen. Insgesamt waren sie schon acht Stunden unterwegs.
Emily behielt eine Hand am Lenkrad und beide Augen auf die Straße gerichtet, während sie in die Tasche neben sich griff. Sie fand die Flasche mit Apfelsaft und reichte sie über die Lehne nach hinten. Seine winzigen Hände berührten ihre. Als sie sicher war, daß er die Flasche fest im Griff hatte, ließ sie los. Sekunden später stellte er sein Geplapper ein, und sie hörte ihn sein Lieblingsgetränk nuckeln. Sie fuhr langsamer, als sie zu einem wundervollen Gestüt kamen, das von einem makellosen weißen Zaun umgeben war. Es sah aus wie aus einem Märchenbuch. "Schau mal da, Bobby", sagte sie. "Das ist die Somerset Farm. Das bedeutet, daß es nur noch ein paar Meilen bis zur Fairfax Farm sind." Endlich, dachte Emily erleichtert. Der Schneesturm, dem sie bisher entgehen konnten, näherte sich rasch. Bisher lagen etwa drei Zentimeter Schnee auf der Straße. Den schweren, weißen Wolken nach zu urteilen, standen ihnen aber noch Unmengen bevor. "Fehde!" rief Bobby. Er ließ seine Flasche in den Schoß fallen und deutete aufgeregt zu den graziösen, hübschen Pferden mit glänzendbraunem Fell und dichten, schwarzen Mähnen. "Fehde!" "Ja, Honey." Emily blickte zu der eingezäunten Weide, auf die ihr Sohn gezeigt hatte. "Ich sehe die Pferde. Sie sind wunderschön, stimmt's?" Er antwortete mit einer Reihe unverständlicher Silben. Sie fuhr an gepflegten Ställen und weiteren eingezäunten Weiden vorbei. Dann ging der weiße Zaun der Somerset Farm unvermittelt in einen dunkelbraunen über. Auf einem kleinen, kunstvoll geschnitzten Schild stand: Fairfax Farm, Sweet Briar, Kentucky, erbaut 1909. Eine einspurige Auffahrt führte hinauf zu einem Cottage, das weit von der Straße entfernt lag. Als Emily abbog, schlitterte der Kombi einen Moment lang, bevor die Reifen wieder griffen.
Der Zustand der Straßen verschlechterte sich zusehends. Dennoch konnte sie diesen Teil des Landes nicht für immer verlassen, bevor sie sich bei Edmund Fairfax und seiner achtjährigen Tochter Chloe persönlich entschuldigt hatte. "Der Himmel weiß, daß ich das am liebsten vermeiden würde", teilte sie Bobby mit einem tiefen Seufzer mit, während sie sich dem kleinen bezaubernden Verwalterhaus näherten, in dem Edmund und seine Tochter Chloe seit einer Woche wohnten. "Aber die Umstände lassen mir keine andere Wahl." "Hi", sagte Emily sanft, als Edmund Fairfax ihr die Tür öffnete. Sie hob eine Hand, bevor er seine deutliche Überraschung über ihr Auftauchen zum Ausdruck bringen konnte. "Sag es nicht. Ich weiß, daß ich zu früh komme... fast eine Woche." Er betrachtete die sechsundzwanzigjährige Witwe seines Jugendfreundes. Nach dem plötzlichen Tod seiner Frau und ihres Mannes hatten sie sich im vergangenen Jahr zwar mehrmals geschrieben, aber seine Arbeit in Seattle hatte es ihm nicht erlaubt, sie seit ihrer Hochzeit mit Brian vor zweieinhalb Jahren zu sehen. Trotz allem, was sie durchgemacht hatte, sah sie wunderschön aus. Gleichzeitig wirkte sie aber auch zerbrechlicher. Doch an ihren wesentlichen Vorzügen hatte sich nichts geändert. Die schwarzen Haare fielen ihr in dichten, seidigen Locken auf die Schultern, die hohen Wangen waren rosig und die intelligenten, meerblauen Augen von dunklen, samtigen Wimpern umrahmt. Ihre Nase war gerade und zierlich, die vollen Lippen wirkten sinnlich. Ihre Figur war etwas fülliger geworden, seit sie ihren Sohn zur Welt gebracht hatte. Die Brüste waren größer, die Hüften etwas mehr gerundet, aber insgesamt hatte sie ihre schlanke,
feminine Gestalt beibehalten. Ihre Haut war gebräunt, und wie früher strahlte sie eine natürliche, gesunde Schönheit aus. "Ist alles in Ordnung?", fragte Edmund, während er sie und ihren Sohn aus der Kälte in das Haus führte. "Eigentlich nicht." Emily setzte sich Bobby auf die andere Hüfte. Schneeflocken bedeckten ihr Haar, ihr Gesicht und ihre Schultern. "Deswegen bin ich ja gekommen. Es tut mir leid, Edmund. Ich weiß, daß es furchtbar kurzfristig ist. Vor allem, da ich dich überredet habe, keine Annonce aufzugeben und mir statt dessen die Stellung zu geben. Aber ich kann den Job als Chloes Kindermädchen doch nicht annehmen." Seine Hoffnung, wieder ein einigermaßen normales Leben führen zu können, schwand dahin. Seine Tochter brauchte eine Mutterfigur. Eine sanfte, liebevolle Frau, die Lindseys Platz einnahm. Und er hatte geglaubt, sie in Emily gefunden zu haben. "Machen deine Schwiegereltern dir wieder Schwierigkeiten?" Sie zog eine Grimasse. "Du hast es erraten." Es überraschte ihn eigentlich nicht. Sie hatten von vornherein gewusst, daß ihre vornehmen Schwiegereltern es nicht guthießen, wenn sie als Kindermädchen tätig wurde, unter welchen Umständen auch immer. "Also hast du beschlossen, wieder als Lehrerin zu arbeiten?" "Nein. Zumindest noch nicht. Ich weiß noch nicht genau, was ich tun will. Ich weiß nur, daß ich nicht hier arbeiten kann. Ich will dich und Chloe nicht in die ständigen Unstimmigkeiten zwischen den Bancrofts und mir hineinziehen." Im stillen lobte Edmund sie für ihre Rücksicht. "Ist das wirklich der einzige Grund?", hakte er dennoch nach. "Wieso?" Plötzlich wirkte Emily etwas nervös. Sie sank auf das Sofa, setzte sich Bobby auf die Knie und nahm ihm die Wollmütze ab. Ihr ausweichender Blick verriet ihm, daß es noch andere Komplikationen gab, die sie nicht erwähnte.
"Sag bloß nicht, daß du vorher im Haupthaus warst", bemerkte er, nur halb im Scherz. Sie schüttelte den Kopf, während sie Bobby den Schneeanzug auszog. "Warum? Was wäre passiert, wenn es so gewesen wäre?" Du hättest meine Mutter getroffen, die es zwar gut meint, sich aber ständig in alles einmischt, dachte Edmund. Doch er zuckte nur die Achseln. "Ach, nichts weiter. Ich..." "Was denn?", hakte sie nach und setzte Bobby vor sich auf den Teppich. Bevor er antworten konnte, stürmte Chloe ins Zimmer. Ihre dunkelbraunen Locken hüpften um ihr Gesicht. Sie setzte sich neben Bobby auf den Boden und verkündete: "Daddy hat Angst, daß Grandma Maureen dir was Schlimmes gesagt hat. Sie will nämlich nicht, daß wir ein Kindermädchen haben. "Aha, sie will das also nicht", wiederholte Emily trocken. "Nein", bestätigte Chloe ernst. "Sie will, daß wir bei ihr im Haupthaus wohnen. Aber Daddy will das nicht, weil sie ihn immer mit irgendwelchen Frauen verkuppeln will, mit denen er nicht verkuppelt werden will." Emily lachte, während Edmund errötete und sanft warnte: "Chloe, bitte!" "Daddy, kann ich Bobby meine Stofftiere zeigen?" Er nickte erleichtert über den abrupten, aber günstigen Themenwechsel. Sie lief hinaus und kehrte mit drei Stofftieren im Arm zurück. "Daddy hat Tee für meine Teeparty gekocht. Aber ich darf keinen richtigen Tee trinken, bloß er. Ich trinke Apfelsaft." Sorgfältig setzte sie die Stofftiere vor Bobby auf den Teppich, damit er mit ihnen spielen konnte. "Kannst du und Bobby zu meiner Party kommen?" fragte sie eifrig. "Ach, Honey, das würden wir sehr gern, aber..."
Besorgt blickte Emily aus dem Fenster. "Es schneit immer stärker. Und deshalb sollten wir uns jetzt auf den Weg machen." "Nein", korrigierte Edmund sanft, aber entschlossen. "Deswegen solltet ihr hier bleiben, zumindest für eine Nacht. Hast du den Wetterbericht nicht gehört?" "Doch. Vor einer Stunde ist durchgegeben worden, daß das Zentrum des Sturms hundertfünfzig Meilen östlich von hier liegt. Für diese Gegend sind nur ein paar Zentimeter vorausgesagt worden." "Inzwischen ist die Vorhersage revidiert worden. Jetzt werden hier bis zu vierzig Zentimeter erwartet. Und da es erst seit einer Stunde schneit und bereits drei Zentimeter liegen, nehme ich an, daß es zutrifft." "Oje." Chloe zupfte Emily am Ärmel. "Kann Bobby was von meinem Apfelsaft haben?" "Er hat selbst eine Flasche mit Apfelsaft im Auto. Die kann er haben." "Ich hole sie", bot Edmund an. Emily war bereits aufgestanden. "Nicht nötig. Ich gehe schon. Wenn du nur einen Moment auf Bobby achtest..." "Sicher." Er fing den frischen, verführerischen Duft ihres Parfüms auf, als sie an ihm vorbei ging. "Mommy ist gleich wieder da, Honey", versicherte sie Bobby. Er protestierte nicht, als sie hinausging. Edmund setzte sich zu den Kindern auf den Boden. Chloe lehnte sich an seine Knie. "Er ist süß, nicht, Daddy?", fragte sie in sehnsüchtigem Ton. "Sehr süß", bestätigte er und fragte sich, wie lange es her war, seit er ein Baby im Arm gehalten hatte. Zu lange. Mit äußerst konzentrierter Miene wollte Bobby nach einem roten Baustein greifen. Da sich der Klotz jedoch außerhalb seiner Reichweite befand, stützte er sich auf Edmunds Beine und zog sich zum Stand hoch. Mit einem triumphierenden
Gurgeln bewegte er sich auf und ab, so als wollte er Schwung holen, um sich in Bewegung zu setzen. "Guck mal, Daddy", sagte Chloe fasziniert. "Er will laufen." Bobby hüpfte weiter und zeigte eifrig in die Richtung, in die er wollte. Er hob ein Bein, fiel prompt rückwärts und landete auf dem Po. "Er läuft wohl doch nicht", murmelte sie enttäuscht, als er sich auf den Bauch drehte und zu dem Bauklotz krabbelte, den er dann zur näheren Erforschung gurgelnd an den Mund führte. "Vielleicht nächstes Mal", tröstete Edmund. "Ich will, daß sie bei uns bleiben." "Ich auch." Er fühlte sich unglaublich einsam, seit Lindsey gestorben war. Es hätte ihm gefallen, Emily und Bobby im Haus zu haben. Sie saßen praktisch im selben Boot. Beide hatten den geliebten Ehepartner verloren und waren über Nacht zu Alleinerziehern geworden. Sie hätten ihre Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig helfen können. "Warum mag Mrs. Bancroft uns denn nicht?", wollte Chloe niedergeschlagen wissen. Emily kam wieder herein, vom Wind zerzaust und ein wenig außer Atem. Sie trug eine große Windeltasche und einen Beutel mit Spielzeug über der Schulter. Offensichtlich hatte sie Chloes letzte Bemerkung aufgefangen. "Du kannst mich Emily nennen, Sweetheart. Und ich mag euch, Chloe, sogar sehr", versicherte sie sanft, während sie die Sachen abstellte. "Warum willst du dann nicht hier bleiben und mein Kindermädchen sein und mir bei den Hausaufgaben für meine Schule in Seattle helfen?", hakte Chloe verwirrt und verletzt nach. "Daddy hat doch gesagt, daß du dich genauso freust, zu uns zu kommen, wie wir uns auf dich freuen." Emily warf Edmund einen zögernden Blick zu, bevor sie verlegen erwiderte: "Es ist... kompliziert."
"Ganz bestimmt zu kompliziert für deine Ohren, junge Dame", entschied er. Da er selbst mit Emily darüber reden wollte, schlug er vor: "Kann Bobby mit Chloe auf dem Teppich bleiben, während wir uns da drüben an den Tisch setzen?" "Sicher. Ich gebe ihm nur sein Spielzeug und seine Flasche." Während sie Bobby versorgte, schenkte er ihnen beiden Tee ein. Sie setzten sich an den Tisch vor dem Fenster. Er blickte zu den Kindern, die friedlich spielten, und fragte dann: "Was genau hat dich veranlasst, es dir anders zu überlegen? Ist es das Gehalt?" Er wußte, daß es nicht nur an der Mißbilligung ihrer Schwiegereltern liegen konnte, mit der sie bereits zu kämpfen hatte, seit sie Brian kennengelernt hatte. Emily schüttelte den Kopf. "Das Gehalt, das du mir geboten hast, ist mehr als großzügig." "Ist es dann die Tatsache, daß wir so weit von der Stadt entfernt sind? Wenn das der Grund ist, kann ich dich beruhigen. Ich habe vor, nach Seattle zurückzukehren, sobald ich die Geschäfte hier abgeschlossen habe." "Was meinst du, wie lange das dauern wird?" "Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht zwei Monate oder länger. Stört es dich, daß wir länger hier bleiben werden, als ich ursprünglich dachte?" Emily rührte Zucker in ihren Tee. "Nein. Ich lebe ebenso gern auf dem Lande wie in der Stadt." "Was ist es denn dann?" Sie nahm einen Schluck Tee und mied seinen Blick. "Ich glaube einfach, daß es mir weiter südlich besser gefallen würde." Edmund musterte ihr entschieden vorgerecktes Kinn. "Hast du einen anderen Job in Aussicht?" Sie straffte die Schultern und blickte ihn unverwandt an. "Nein. Aber ich bin sicher, daß ich mühelos einen finden werde."
Davon war auch er überzeugt. Er lehnte sich zu ihr vor. "Ich möchte wirklich, daß du es hier bei uns probierst", sagte er sanft. Sie strich sich eine Locke hinter das Ohr. "Ich habe dir doch erklärt, daß es keinen Sinn hat." "Trotzdem wäre es hier bei uns sicherer für euch beide, bis sich das Wetter wieder bessert." Emily warf einen Blick aus dem Fenster. Der Schneefall hatte sich verstärkt. "Wie weit ist es von hier nach Lexington?", fragte sie mit gerunzelter Stirn. "Eine Stunde bei gutem Wetter. Beim augenblicklichen Straßenzustand mußt du die vierfache Zeit rechnen. Vorausgesetzt, daß die Straße nicht ganz geschlossen wird." "Wie sieht es mit Hotels aus?" "Das nächste ist etwa dreißig Meilen entfernt." Edmund schenkte ihnen beiden von dem heißen, duftenden Tee nach. "Es liegt neben einem Truck Stop an der Schnellstraße und wird von recht rauhen Gesellen frequentiert. Es ist kein geeigneter Ort für eine Frau und ein Baby." Emily seufzte. "Wir möchten uns aber nicht aufdrängen." "Wie wäre es dann mit einem fairen Handel? Ich biete euch diese erstklassige Unterkunft einschließlich freier Mahlzeiten, wenn du als Gegenleistung den Job für die Zeit ausprobierst, die du hier bist." Emily dachte über den Vorschlag nach. "Du gibst dich nicht so leicht geschlagen, wie?", murmelte sie. "Ich weiß, was Chloe und ich brauchen, nämlich euch zwei dich und Bobby." Schweigend musterte Emily ihn. Sie hatte ihn auf Anhieb gemocht, als sie ihn vor zweieinhalb Jahren auf ihrer Hochzeit mit Brian kennen gelernt hatte. Das sie beide im vergangenen Winter ihre Ehepartner durch tragische Unfälle verloren hatten, stärkte nur noch das Band zwischen ihnen.
Seine sporadischen Briefe in den letzten Monaten hatten ihr geholfen, ihren Kummer zu überwinden. Sein Angebot, sie als Kindermädchen für Chloe einzustellen, da die alte Kinderfrau aus gesundheitlichen Gründen hatte kündigen müssen, eröffnete ihr einen neuen Lebensabschnitt. Aber all das hatte sie nicht auf das Wiedersehen mit ihm vorbereitet. Sein markantes, gut geschnittenes Gesicht, die dunkelbraunen Haare und Augen, verbunden mit seiner athletischen Gestalt, übten eine unerwartet starke Wirkung auf sie aus. Und die verständnisvolle, sanfte Zuneigung, die er nicht nur seinem Kind, sondern auch ihrem entgegenbrachte, nahm sie sehr für ihn ein. Edmund Fairfax war ein Mann, der Kinder und Frauen und Menschen im allgemeinen mochte. Er trauert ebenso tief, wie er geliebt hatte. Wie sie selbst war er auf der Suche nach dem verlorenen Glück. Er war außerdem klug, kultiviert und auf altmodische Art galant. Er verkörperte alles, was sie sich von einem guten Freund wünschen konnte, und sie sehnte sich danach, einfach bei ihm zu bleiben. Warum also wollte sie davonlaufen, obwohl er ihr nur helfen wollte, um Brian einen letzten Gefallen zu erweisen. Lag es daran, daß sie sich bei ihm wieder so lebendig fühlte? oder steckte etwas anderes, tieferliegendes dahinter, das sie nicht ergründen wollte? Er nahm ihre beiden Hände in seine und bemerkte mit leiser, rauer Stimme: "Die Frage ist jetzt, was du willst und was du brauchst." Einen sicheren Platz und Zeit, um mir meine nächsten Schritte zu überlegen, dachte Emily, während sie die Finger um seine schloß. Welcher Ort war dazu besser geeignet als dieser? Und wie groß war die Chance, daß ihre Schwiegereltern oder der Prozessbevollmächtigte in Maryland sie aufspürten, wenn sie blieb?
Sie hatte den Bancrofts nicht verraten, wo genau sie den Job als Kindermädchen anzunehmen gedachte. Die Diskussion war nie so weit gediehen. Sie waren allein bei der Ankündigung, daß sie Maryland verlassen wollte, explodiert. Und dieses behagliche Cottage war gewiß wesentlich besser für Bobby als ein steriles, nüchternes Hotelzimmer. "Emily?", drängte Edmund sanft. Die Sanftheit in seinem Gesicht veranlaßte sie, ihrem Instinkt zu folgen. "Also gut. Ich bleibe. Aber nur, bis der Schneesturm vorüber ist." Er lächelte erleichtert und lehnte sich auf dem Stuhl zurück, gerade als es an der Tür klopfte. Eine hübsche Frau Anfang Sechzig in einem eleganten Pelzmantel und weichen Lederstiefeln schwebte herein. Ihr folgte eine ähnlich gekleidete, wesentlich jüngere Frau mit dem atemberaubenden Aussehen eines Filmstars und glänzenden silberblonden Haaren. "Edmund, Darling, sieh mal, wen ich mitgebracht habe!", rief die erste Frau fröhlich. "Hallo, Mutter." Er nickte ihr und der anderen Frau etwas steif zu. "Selena." Dann legte er einen Arm um Emilys Taille. "Ich möchte euch Emily Bancroft vorstellen. Emily, das ist meine Mutter, Maureen Fairfax. Und das ist die Nichte unserer Nachbarn, Selena Somerset." Emily nickte beiden freundlich zu. "Emily ist mein neues Kindermädchen", verkündete Chloe eifrig. Maureen Fairfax warf ihrem Sohn einen erstaunten Blick zu. "Ich dachte, wir hätten diese Angelegenheit ausdiskutiert, Edmund." "Du hast allein darüber diskutiert, Mutter", entgegnete er trocken. "Mich hast du nicht zu Wort kommen lassen." "Und offensichtlich hast du nicht zugehört."
Maureen schlüpfte aus ihrem Pelz und legte ihn über die Sofalehne, bevor sie sich an Emily wandte. "Nichts für ungut, aber mein Sohn braucht keine Kinderfrau, sondern eine Ehefrau, ob er es nun einsieht oder nicht." "In diesem Punkt besteht kein Anlaß zur Besorgnis. Ich habe ohnehin nicht vor, lange zu bleiben", entgegnete Emily. Sie wollte nicht mitten in einen Familienstreit geraten. Davon hatte sie genug mit Brians Familie hinter sich. "Wie lange ist nicht lange?" hakte Maureen nach. "Nur ein paar Tage." Es enttäuschte Emily ein wenig, daß es nun doch nicht klappen würde. Einen Moment lang hatte sie zu hoffen gewagt. "Es sei denn, Chloe und ich können sie zum Bleiben überreden", warf Edmund ein. Selena reichte ihm die Küchenform, die sie mitgebracht hatte. "Ich sollte mich jetzt lieber auf den Weg machen. Ich wollte dir und Chloe nur das hier vorbeibringen." "Es hat mich gefreut, dich zu sehen, Selena. Und danke für den Kuchen", sagte er, während er den Deckel hob und den duftenden Inhalt betrachtete. "Deine Mutter hat mir gesagt, daß es dein Lieblingskuchen ist." Er warf Maureen einen verärgerten Blick zu. Sie lächelte gelassen. "Vielleicht könntest du Selena noch zu ihrem Wagen begleiten", schlug sie entschieden vor. "Gern." Sobald die beiden hinausgegangen waren, wandte Maureen sich an Emily. "Selena ist meine teuerste Freundin. Sie liebt Pferde und Kentucky. Sie will sich für immer in dieser Gegend niederlassen und eine Familie gründen." Maureen legte sich eine Hand auf das Herz und seufzte theatralisch. "Kurz gesagt, sie ist genau das, was mein Sohn braucht. Er muß es nur noch einsehen." "Und warum erzählen Sie mir das alles?"
"Ich kenne meinen Sohn. Er will nie das, was ihm zufällt oder was gut für ihn ist." Ein Anflug von Unbehagen stieg in Emily auf. Ohne die Billigung dieser Frau würde niemand mit Edmund glücklich werden können. "Ich verstehe immer noch nicht, was ich damit zu tun habe." "Ich habe doch gesehen, wie er Sie anschaut, und ich weiß, was in ihm vorgeht. Wenn er eine Romanze mit Ihnen beginnt, könnte es Selena abschrecken. Aber das wäre nicht richtig. Sie weiß ebenso wie ich, daß er und sie für einander bestimmt sind. Und sie ist entschlossen, bei ihren Verwandten nebenan zu bleiben, bis auch er es einsieht." Sollte man zuallererst nicht ihn fragen, was er will? durchfuhr es Emily. Bevor sie das Gespräch fortsetzen konnten, wurde die Hintertür des Cottage aufgerissen. Eine lebhafte junge Frau mit dunklen Haaren und auffälliger Ähnlichkeit mit Edmund stürmte in einem langen Wollmantel über einem Schneiderkostüm herein. "Wo ist mein Bruder?" "Draußen vor dem Haus", erwiderte Maureen. "Warum?" "Weil ich mit ihm reden muß." Die junge Frau erblickte Emily und reichte ihr die Hand. "Hi. Gail Fairfax." "Emily Bancroft." "Edmunds neues Kindermädchen... vorübergehend", warf Maureen ein. Er kam zur Tür herein und korrigierte sie: "Dauerhaft, Mutter." Seit wann denn das? wunderte sich Emily. Maureen drehte sich mit mißbilligender Miene zu ihm um. "Du bist aber schnell zurück." "Ich wollte Selena wegen des Schnees nicht unnötig aufhalten." Erstaunt musterte er seine Schwester.
"Ist alles okay?" Sie schüttelte den Kopf. "Es ist schlimmer denn je." Er führte sie an den Tisch. "Setz dich und erzähl mir, was passiert ist." Gail holte tief Luft. "Die Thurstons haben vor einer halben Stunde in meiner Kanzlei angerufen. Sie haben beschlossen, den Vertrag mit uns nicht zu erneuern. Sie wollen ihre Stuten künftig auf der Castlebrook Farm decken lassen." Edmund fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Es ging um einen Verlust von einhunderttausend Dollar, dem seit dem Tod seines Vaters im vergangenen Frühjahr eine ganze Reihe ähnlicher Enttäuschungen vorausgegangen war. "Aber sie sind seit zwanzig Jahren mit uns im Geschäft!" "Ich weiß." "Haben sie dir eine Erklärung gegeben?" Gail seufzte. "Es wird dir nicht gefallen." "Sag es mir trotzdem." "Die Thurstons haben gedroht, daß sie ihr Geschäft permanent verlagern werden, wenn du nicht bleibst und die Farm dauerhaft leitest." Er seufzte. Plötzlich lastete die gesamte Verantwortung für den Familienbetrieb auf seinen Schultern. Sein Vater hatte vierzig Jahre lang die berühmte Pferdezucht zusammen mit Maureen geführt. Kürzlich hatte zwar ihr Manager wegen einer Meinungsverschiedenheit mit ihr gekündigt, aber sie besaßen immer noch mehr als fünfundzwanzig Angestellte, die für einen reibungslosen Arbeitsablauf sorgten. "Hast du ihnen gesagt, daß ich mich nach einem neuen Manager umsehe?" Gail nickte. "Das ist ihnen egal." "Haben sie den Vertrag mit der Castlebrook Farm schon unterzeichnet?" "Noch nicht. Sie wollten es heute tun, aber wegen des schlechten Wetters konnten sie nicht hinfahren."
Edmund stand auf. "Ich rufe sie an." "Das wird nichts nützen", prophezeite Gail mit einem Seufzen. "Es muß. Wir können es uns nicht leisten, das Geschäft zu verlieren." "Nun?" fragten Gail und Maureen gleichzeitig, sobald Edmund das Telefonat beendet hatte. Er warf einen Blick auf Emily, die sich vom Tisch entschuldigt hatte und nun die Kinder bei ihrem Spiel beaufsichtigte. "Ich habe sie dazu gebracht, die Entscheidung aufzuschieben, bis sie sich mit mir getroffen haben. Sie werden herkommen, die Farm besichtigen und bei uns zu Abend essen." Maureen holte einen Füllhalter und ein kleines, in Leder gebundenes Notizbuch aus ihrer Handtasche. "Wann wird das sein?" erkundigte sie sich eifrig. "Übermorgen. Vorausgesetzt, daß die Straßen bis dahin befahrbar sind." Sie schrieb etwas in das Notizbuch. "Ich werde mit Mrs. Hamilton das Menü besprechen." Gail lächelte. "Und ich setze den Vertrag auf, falls sie sich doch entscheiden, bei uns zu bleiben." Edmund nickte erleichtert. Erneut blickte er zu Emily. Sie saß zwischen den Kindern auf der Couch. Chloe wie Bobby lauschten entzückt dem melodischen, samtenen Klang ihrer Stimme. Die drei wirkten so natürlich, so zufrieden. Seine Sehnsucht, wieder eine komplette Familie zu haben, wuchs. Maureen berührte ihn am Arm. "Ich erwarte dich, Emily und die Kinder in einer Stunde im Haupthaus zum Dinner." Emily warf Edmund einen flüchtigen Blick zu und wandte sich dann an Maureen. "Unter den gegebenen Umständen, da ich Chloes Kindermädchen sein werde, halte ich es für besser, wenn Bobby und ich zusammen mit dem übrigen Personal essen."
"Normalerweise würde ich zustimmen. Im allgemeinen isst das Personal nicht zusammen mit der Familie. Aber da Sie sich um mein einziges Enkelkind kümmern werden, möchte ich Sie ein bißchen besser kennen lernen." Mit anderen Worten, dachte Edmund grimmig, steht ihr ein Verhör bevor. Maureen und Gail verabschiedeten sich und verließen das Haus. Emily setzte Bobby auf den Teppich und ließ ihn mit Chloe spielen, während sie Edmund half, das Geschirr in die Küche zu bringen. "Deiner Mutter gefällt es überhaupt nicht, daß ich hier bin." "Sie wird sich daran gewöhnen." "Macht es dir Spaß, sie auf die Palme zu bringen?" "Es macht mir Spaß, meine Entscheidungen selbst zu treffen, ohne von ihr bevormundet zu werden." Er warf einen Blick aus dem Fenster. "Wir sollten deine Sachen hereinholen, bevor dein Wagen völlig zugeschneit ist." "Da könntest du recht haben." Sie schickte sich an, ihren Mantel zu holen. "Nein, ich gehe. Du bleibst hier und paßt auf die Kinder auf."
2. KAPITEL Edmund trug den Kinderstuhl, den Laufstall, zwei Koffer, zwei Pakete Windeln und einen Karton mit Babynahrung ins Haus. "Jetzt sind nur noch ein Ranzen und ein Karton mit Spielzeug und Märchenbüchern im Auto. Brauchst du das auch?" Emily nickte. "Eigentlich ja." Er holte die Sachen herein und trug sie zur Rückseite des Cottage, wo die Schlafzimmer lagen. Mit dem Kopf deutete er zu einem kleinen, in Blau gehaltenen Raum mit einem breiten Himmelbett, das sich seit Generationen im Besitz der Familie befand. "Das ist meines. Und nebenan ist Chloes." Er ging weiter in ein sonniges, gelb gestrichenes Zimmer mit einem Einzelbett und einer Kommode an einer Seite und einem Kinderbett und Wickeltisch an der anderen. "Dieses Zimmer mußt du dir mit Bobby teilen. Zumindest vorläufig." "Kein Problem." Edmund stellte den Karton mit dem Spielzeug in eine Ecke. "Der Verschluß an diesem Ranzen ist locker." Er untersuchte die Schnalle und versuchte, die winzige Schraube zu befestigen, die sich aus der Halterung in dem weichen Leder gelockert hatte. "Schon gut. Gib ihn mir", drängte Emily und griff nach dem Ranzen. Aus Angst, die winzigen Teile könnten verloren gehen, hielt Edmund den Ranzen fest, während sie daran zerrte. Das
Schnappschloß gab nach. Papiere, ein Laptop und vier dicke Bündel Geldscheine ergossen sich auf das Bett. Emily errötete unwillkürlich. "Ich kann es dir erklären." Er blätterte durch die neuen, knisternden Scheine und warf sie dann zurück auf das Bett. "Hast du eine Bank ausgeraubt?" "Sehr witzig." Sie kramte in ihrer Handtasche undreichte ihm einen Beleg von ihrer Bank in Maryland. "Wie du siehst, habe ich das Geld heute morgen von meinem Konto abgehoben." "Und du hast das Konto aufgelöst", stellte er fest. Seine Hand berührte ihre, als er ihr den Beleg zurückgab. Ihre Haut prickelte. "Warum?" Er blickte sie durchdringend an. "Wenn du gar nicht vorhattest, den Job hier anzunehmen?" "Ich habe beschlossen, nach Süden zu ziehen. An einen tropischen Ort, wo Bobby das ganze Jahr über draußen spielen kann." "Das kann ich durchaus verstehen. Vor allem angesichts der augenblicklichen Wetterlage." Er musterte Emily nach wie vor sehr eindringlich. "Aber warum hast du Bargeld statt eines Schecks genommen?" Gute Frage, dachte Emily. "Du mußt es mir nicht sagen." Sanft nahm er ihre Hand in seine. "Ich glaube, ich weiß die Antwort darauf." Er setzte sich auf das Bett und zog sie neben sich. "Du willst nicht aufgespürt werden, und ein Scheck könnte zurückverfolgt werden. Die Frage ist nur, warum du nicht aufgespürt werden willst. Wer könnte nach dir suchen oder dich derart bedrohen, daß du untertauchen mußt?" Als sie nicht antwortete, ließ er ihre Hand los und stand auf. "Na ja, es ist nicht schwer, das herauszufinden", fuhr er fort und ging zum Telefon auf dem Nachttisch. "Bitte nicht." Emily sprang auf und nahm ihn am Arm. "Ich sage es dir. Aber bitte", flüsterte sie mit Tränen in den Augen,
"laß niemanden von meinen Bekannten in Maryland wissen, daß ich hier bin." Edmund umfaßte ihre Schultern und blickte ihr in die Augen. "Ich verspreche, daß ich es nicht tun werde... unter der Bedingung, daß du aufrichtig zu mir bist." Sie holte tief Luft. "Brians Eltern wollen das Sorgerecht für Bobby. Ich vermute es schon lange, Sie haben wiederholt versucht, mich dazu zu bewegen, mit Bobby bei ihnen einzuziehen." "Aber das wolltest du nicht." Sie entzog sich seinem Griff und strich sich durch das Haar. "Nein. Wir kommen nicht besonders gut miteinander aus. Das war schon so, als Brian noch lebte." "Gib dir nicht die Schuld daran." Edmund nahm die Geldbündel vom Bett, steckte sie zurück in den Ranzen und schloß ihn. "Er ist auch nicht besonders gut mit ihnen ausgekommen." Emily nickte. "Wir haben einfach zu verschiedene Wertvorstellungen." Sie trat an das Fenster und beobachtete die beständig rieselnden Schneeflocken. "Aber damit hätte ich leben können." "Was ist denn geschehen?" Sie schluckte. Es fiel ihr schwer, darüber zu reden, sogar mit ihm. "Gestern abend habe ich von einem gemeinsamen Freund erfahren, daß Whit und Andrea beabsichtigen, mich für erziehungsunfähig erklären zu lassen, weil ich wieder arbeiten will, anstatt bei ihnen einzuziehen. Sie wollten heute eine einstweilige Verfügung erwirken, die ihnen sofort das Sorgerecht für Bobby überträgt, bis der Fall abschließend vor Gericht geklärt werden kann." "Du glaubst doch wohl nicht, daß ein Richter ihre Klage gegen dich ernst genommen hätte!" rief Edmund verblüfft. Ihr Herz pochte, als er sich ihr näherte. Sie holte tief Luft, begegnete seinem Blick und berichtete ihm die Fakten. "Geld
und Einfluß dürften nicht mehr zählen als die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind, aber wir wissen beide, daß es in der Realität anders aussieht. Die Bancrofts haben beide ein Vermögen von ihren Familien geerbt. Sie können Bobby sehr vieles bieten, Privatschulen und Reisen nach Europa und so weiter. Ich dagegen lebe zur Zeit von Brians Lebensversicherung. Momentan ist es eine Frage von Haben oder Nichthaben. Und ich befürchte, der Richter wird entscheiden, daß er es bei ihnen besser hat als bei mir." "Wenn ich mich recht erinnere, hatte Brian eine Art Treuhandvermögen auf seinen Namen. Im Wert von einer Million oder mehr." "Ja, das stimmt", bestätigte Emily stoisch. "Von seinem Großvater. Aber er war noch nicht in den Genuß gekommen, und momentan wird vor dem Nachlaßgericht darüber verhandelt." "Wer ist der Begünstigte?" "Bobby - und beziehungsweise oder der Vermögensverwalter von Brians Nachlaß, der ich im Moment bin." "Demnach müßte der Richter das Vermögen bei seiner Entscheidung berücksichtigen", entgegnete Edmund sachlich. "Aber wenn er es nicht tut?" rief Emily verzweifelt. "Was ist, wenn das Nachlaßgericht entscheidet, daß die Bancrofts dieses Vermögen für Bobby verwalten sollen? Dann habe ich meinem Sohn in finanzieller Hinsicht sehr wenig zu bieten und sie noch mehr als bisher." Edmund runzelte mißbilligend die Stirn. "Ich verstehe nicht, warum sie sich so verhalten." Sie selbst hatte sich diese Frage unzählige Male gestellt. "Ich glaube, es gibt mehrere Gründe. Der dringendste scheint zu sein, daß sie Brian vermissen und furchtbar um ihn trauern." Wie sie es fast ein Jahr lang getan hatte. Doch nun war sie bereit, sich einem neuen Lebensabschnitt zuzuwenden, während die Bancrofts es nicht waren.
"Sie betrachten Bobby als ihre letzte Verbindung zu ihm. Sie wollen ihn als einen Bancroft erziehen, ohne jeglichen Einfluß von mir, und sie werden alles dafür tun. Sogar Lügen würden sie über mich verbreiten." "Du mußt dich dagegen wehren. Schließlich bist du seine Mutter!" Emily stieß ein zittriges Lachen aus und begann, im Raum umherzugehen. "Die Bancrofts haben mehr Geld und Beziehungen, als ich mir je erträumen könnte. In ganz Maryland gibt es keinen Richter, der sich gegen sie auf meine Seite stellen würde", murmelte sie niedergeschlagen. Edmund schwieg einen Moment und lauschte den Kindern, die offensichtlich glücklich und zufrieden miteinander spielten. Leise und nachdrücklich konstatierte er: "Das kann ich nicht glauben." "Ich habe es auch nicht glauben können, bis ich herausgefunden habe, daß sie mich vor Gericht zerren wollten. Sie behaupten, mein Urteilsvermögen hinsichtlich meines Sohnes wäre mangelhaft. Ich sei unfähig, ihn zu erziehen, und sogar eine Gefahr für ihn." Sie rieb sich die Arme gegen die Kälte, die plötzlich in ihr aufstieg. "Sie wissen, daß ich Anfang nächster Woche die Stadt verlassen wollte und das ihr Einfluß nicht mehr so groß ist, wenn ich in einem anderen Staat wohne. Also haben sie ihre Beziehungen spielen lassen und eine gerichtliche Anhörung arrangiert, bevor ich irgendwo einen Job annehmen konnte." "Eine Art Präventivschlag", sinnierte er. "Ja. Um zu verhindern, daß ich mit Bobby irgendwohin gehe, wo ich eine faire Anhörung erhalten könnte." "Also hast du die Stadt verlassen und unterwegs dein Bankkonto aufgelöst." Sie nickte. "Ich dachte mir, daß es wesentlich schwerer ist, mich aufzuspüren, wenn ich keine Kreditkarte oder Schecks benutze."
"Wissen sie, daß du beabsichtigt hattest, hier bei mir einen Job anzunehmen?" Emily seufzte erleichtert. "Nein. Zum Glück sind wir in unserer Diskussion nie so weit gekommen. Sie sind an die Decke gegangen, sobald ich erwähnt habe, daß ich einen Job annehmen wollte, der es mir ermöglicht, ein bißchen unabhängig zu sein, gutes Geld zu verdienen und zu Hause bei Bobby zu bleiben." Sie schüttelte den Kopf und berichtete niedergeschlagen: "Es hat ihnen nie gefallen, daß ich Lehrerin bin und aus sehr bescheidenen Verhältnissen stamme. Aber die Vorstellung, daß ich eine Stelle als Kindermädchen annehme, hat sie vollends auf die Palme gebracht. Sie haben es mir absolut verboten." "Es wäre ihnen peinlich, wenn du als Hausangestellte arbeitest." "Sehr. Was wirklich albern ist, denn sich um Kinder zu kümmern ist die wichtigste Aufgabe der Welt... vor allem, wenn sie bereits so viel Kummer erlebt haben wie Chloe und Bobby", sagte sie mit sanfter, herzlicher Stimme. "Ich bin der Meinung, daß es wirklich gut für Bobby wäre, mit einem anderen Kind aufzuwachsen, das ebenfalls so jung ein Elternteil verloren hat. Ich hatte gehofft, daß es beiden helfen könnte, sich weniger einsam und verlassen zu fühlen." Edmund hatte dasselbe gehofft - trotz seiner ursprünglichen Vorbehalte dagegen, der Witwe eines alten Freundes eine solche Position zu geben. Durch ihren Briefwechsel und die Telefonate hatte sich herausgestellt, daß sich ihre Ansichten über Kindererziehung perfekt mit seinen deckten und das sie seinen und Chloes Kummer wie wenige andere Personen nachempfinden konnte, weil sie dasselbe erlebt hatte. "Aber die Bancrofts sehen es nicht so", bemerkte er, während er tröstend einen Arm um ihre Schultern legte.
"Allerdings nicht." Emily schwieg einen Moment, genoß die Wärme und das Mitgefühl in seiner Berührung, bevor sie fortfuhr. "Es stört sie nicht im geringsten, daß ich mir selbst ein neues Leben aufbauen möchte. Sie haben mich sogar prompt dazu ermutigt - solange ich Bobbys Erziehung allein ihnen überlasse. Das ich mich geweigert habe, mein Kind zu verlassen und es ihnen zu übergeben, hat sie sehr irritiert. Und sie waren nicht bereit, einen Kompromiß zu schließen, der uns allen ein friedliches Nebeneinander ermöglichen würde." "Das ist ein Jammer." "Allerdings. Bobby sollte seine Mutter und seine Großeltern liebhaben können, ohne in die Reibereien zwischen ihnen hineingezogen zu werden." Sie seufzte und fragte sich nicht zum erstenmal, wie sie diese Situation alleine durchstehen sollte. "Und die Differenzen zwischen uns sind so gewaltig, daß es nur noch schlimmer wird, wenn Bobby älter wird. Dieser Kampf um das Sorgerecht ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Bancrofts sind so dominant und besitzergreifend, daß sie nicht ruhen werden, bevor sie mich völlig aus dem Leben meines Sohnes verbannt haben." Ihr ganzer Körper versteifte sich, und sie begann erneut, durch den Raum zu gehen. "Da ich meinen Freunden gegenüber kein Geheimnis aus meinen Plänen gemacht habe, werden sie mich irgendwann hier bei dir aufspüren." Emily schluckte. "Das ist der wahre Grund, warum ich nicht bleiben kann. Ob es dir also gefällt oder nicht, sobald der Schneesturm vorüber ist und die Straßen wieder frei sind", erklärte sie mit einem traurigen Seufzen, "werden Bobby und ich wie geplant weiterfahren." "Ich mag sie, Daddy", schwärmte Chloe, sobald sie allein mit Edmund war. In ihrem Lieblingskleid aus grünem Samt kletterte sie mitten auf sein Bett und sprang sanft auf und nieder, so als würde sie sich für Kunststücke auf einem Trampolin aufwärmen. "Und ich mag Bobby auch. Und du, Daddy?"
"Ich mag sie beide", erwiderte er zerstreut, während er überlegte, welche Krawatte er zu dem taubengrauen Frackhemd und dem dunkelgrauen Anzug wählen sollte - die blau, grau und weiß gemusterte mit den Baseballspielern oder die diskrete aus grauer Seide, die er zusammen mit dem Anzug gekauft hatte. Chloe machte eine halbe Drehung und hüpfte weiter. "Ganz doll oder nur ein bißchen?" "Ganz doll." Edmund hatte zwar erwartet, Emily zu mögen und eine lockere Freundschaft mit ihr zu schließen, doch seine körperliche und emotionale Reaktion auf sie überraschte ihn. Vorläufig wußte er nicht damit umzugehen. Hätte sie die Stelle als Chloes ständiges Kindermädchen angenommen, wäre ihm keine andere Wahl geblieben, als die Hände von ihr zu lassen. Da es jedoch nicht der Fall war, standen ihm viele Möglichkeiten offen. Wie verhält man sich gegenüber der Witwe eines alten Freundes, wenn man sich körperlich zu ihr hingezogen fühlt? fragte er sich, während er sich die graue Seidenkrawatte um den Hals legte. Noch dazu, wenn diese Frau gerade das Trauerjahr hinter sich hatte. "Emily ist echt nett", verkündete Chloe. Abrupt stellte sie das Hüpfen ein und setzte sich, um sich ihre Schuhe aus schwarzem Lackleder anzuziehen. "Ja, sie ist wirklich sehr nett." "Und hübsch ist sie auch", fügte Chloe hinzu. Da kann ich nicht widersprechen, dachte er, während er sich die Krawatte band. Sein Puls raste, wenn er nur an sie dachte. Chloe schloß die Schnalle an ihren Schuhen, lief zu ihm vor den Spiegel und drehte sich im Kreis. "Hast du gesehen, wie sie mich gekämmt hat?" Er betrachtete ihr sorgfältig geflochtenes Haar. "Das ist ein sehr hübscher Zopf", sagte er bewundernd. "Ein französischer Zopf", informierte sie ihn.
"Nicht so ein altmodischer und langweiliger. Und guck mal, wie sie die Schleife an meinem Kleid gebunden hat." Stolz deutete Chloe auf ihre Taille. "Sie ist perfekt." Auf alle Fälle wesentlich gelungener, als er es hinbekommen hätte. Wenn es um Schleifenbinden und Zöpfe flechten ging, war er recht linkisch. "Ich bin ja so froh, daß sie mein Kindermädchen wird." Chloe seufzte zufrieden und beobachtete, wie er sich sein Jackett anzog. Wenn es doch nur so wäre, dachte er mit einem Anflug von Enttäuschung. "Und weißt du noch was?" Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn heftig. "Ich habe dich so lieb, Daddy." Gerührt preßte er sie an sich. "Ich dich auch, Spatz", murmelte er bewegt. Sie klammerte sich an ihn. "Aber ich vermisse meine Mommy." "Ich weiß." Sanft berührte er ihre Wange und dachte dabei: Und ich vermisse es, eine Mutter für dich und eine Frau für mich zu haben. Sie löste die Umarmung und blickte zu ihm auf. Ihre Miene erhellte sich. "Aber jetzt ist Emily ja da. Das ist, als hätte ich eine Mommy und dazu noch einen kleinen Bruder." Sag ihr, daß es nicht klappt, drängte eine innere Stimme, sag es ihr jetzt. Doch Edmund brachte kein einziges Wort heraus. Chloe war erst acht Jahre alt und hatte schon so großen Kummer erlebt. Das vergangene Jahr war für beide die Hölle gewesen. Er war an der Aufgabe verzweifelt, den Platz ihrer Mutter in ihrem Leben einzunehmen. Und nun hatte sie endlich eine Person gefunden, auf die sie ansprach, die Heiterkeit in ihr hervorrief und sich nicht nur um ihre körperlichen Bedürfnisse kümmerte, so wie die vorherige Kinderfrau. Wie sollte er ihr da
sagen, daß diese Person sie in wenigen Tagen wieder verlassen mußte? Emily legte sich gerade Ohrringe an, als es an ihre Schlafzimmertür klopfte. "Beeil dich! Wir warten schon!" rief Chloe ungeduldig vom Flur aus. "Laß dir ruhig Zeit", beschwichtigte Edmund sie. "Das Dinner wird erst in einer Stunde serviert." "Ich komme sofort!" Emily lächelte vor sich hin und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Sie trug ein elegantes Kostüm aus Satin und weiche Lederpumps. Ihr Make-up war dezent, ebenso wie der Perlenschmuck. Die üppigen Locken hatte sie sich aus dem Gesicht gebürstet und am Oberkopf zusammengebunden, so daß sie ihr locker auf die Schultern fielen. Sie fand, daß sie vornehm genug aussah - selbst für eine Gastgeberin wie Maureen Fairfax, die so hohe Ansprüche an ihre Gäste stellte. Emily nahm Bobby auf den Arm, öffnete mit klopfendem Herzen die Tür und trat hinaus in den Flur. Ihr entging nicht, wie unglaublich gut Edmund aussah, trotz der verblüfften Miene, mit der er sie musterte. "Was ist?" neckte sie ihn. "Habe ich etwas vergessen?" Sie hätte schwören können, daß seinem Blick kein Zentimeter von ihr entgangen war. "Nein. Du siehst atemberaubend aus." Er seufzte bewundernd und betrachtete sie immer noch von Kopf bis Fuß. "Danke." Gemeinsam gingen sie zur Haustür. "Vielleicht sollte ich Bobby halten, während du dir die Jacke anziehst", schlug Edmund vor. Er nahm ihr Bobby ab, der fröhlich plapperte und mit den Armen fuchtelte. "Ich glaube, er mag dich, Daddy", verkündete Chloe. "Das glaube ich auch." Emily zog Bobby den Schneeanzug an. Zum Glück leistete er ausnahmsweise nur minimalen Widerstand bei dieser Prozedur.
Mit eingezogenen Köpfen gegen die eisige Kälte und den scharfen Wind bahnten sie sich vorsichtig einen Weg zu Edmunds Wagen. "Normalerweise gehe ich zu Fuß zum Haupthaus", erklärte er, "aber bei diesem Wetter und mit den Kindern..." "Ich verstehe das und bin völlig deiner Meinung." Emily setzte sich mit Bobby und Chloe auf den Rücksitz. Als alle angeschnallt waren, fuhr Edmund los, vorbei an den Pferdeställen und eingezäunten Weiden, auf denen eine dicke Schneedecke lag. Nach etwa einer halben Meile erreichten sie das Haupthaus. Das weitläufige, weiße Gebäude im Kolonialstil wirkte wie aus "Vom Winde verweht". Vier gewaltige Säulen säumten die aufwendig verzierte Fassade des zweistöckigen Herrenhauses. Während draußen ein eisiger Wind den Schnee auf die Veranda wehte, fiel ein einladend warmes Licht durch die Fenster. "Da ist Grandma!" rief Chloe aufgeregt, als sich die Haustür öffnete. "Und Selena ist auch da!" "Ich dachte, du wolltest nach Hause fahren, Selena", bemerkte Edmund in höflichem Ton, als sie die vornehme Eingangshalle betraten. Selena musterte ihn wie eine Katze einen Topf Sahne. Sie hatte sich in Schale geworfen und trug ein tief ausgeschnittenes, schwarzes Gewand, das sich wie eine zweite Haut um ihren kurvenreichen Körper schmiegte. "Die Sicht war zu schlecht, um sicher zur Somerset Farm zu kommen. Also bin ich umgedreht." "Und ich habe sie eingeladen, während des Sturmshierzubleiben", erklärte Maureen. "Ich finde, wir können ihre Gesellschaft gebrauchen. Zum Glück hatte sie ihre Koffer noch im Wagen. Also hat sie hier alles, was sie braucht, selbst wenn wir tagelang eingeschneit sein sollten."
Chloe zog sich den Mantel aus und zupfte ihre Großmutter am Ärmel. "Grandma", flüsterte sie, "ich habe Hunger." Maureen bückte sich und drückte sie an sich. "Das Dinner ist schon fertig." Sie führte ihre Gäste durch die Eingangshalle, an einer Wendeltreppe vorbei und in das formell eingerichtete Eßzimmer. Ein Kinderstuhl stand neben Emilys Platz an dem Tisch aus glänzendem Mahagoni. "Das war mal mein Stuhl", verkündete Chloe. Emily lächelte. "Danke, daß Bobby ihn benutzen darf." "Das darf er gern", erwiderte sie strahlend, während alle am Tisch Platz nahmen. Zum Glück gelang es Edmund während des Dinners, Maureens Kuppelei zu unterbinden, indem er über die nüchternen Details der Farmbewirtschaftung sprach. Gail, die als Anwältin sämtliche Belange des Betriebes regelte und nebenberuflich als Friedensrichterin tätig war, unterstützte ihn sehr bereitwillig in seinen Bemühungen. Als der Hauptgang aus köstlichem Hühnchen und Wildreis verzehrt war, wurden Chloe und Bobby unruhig. Und Selena, die höflich ignoriert worden war, wirkte pikiert. "Vielleicht möchten die Kinder das Dessert lieber oben im Spielzimmer einnehmen", schlug Mrs. Hamilton, die Haushälterin, vor. "Ich passe gern auf sie auf." "Das ist eine ausgezeichnete Idee", stimmte Maureen zu. Emily blickte Edmund fragend an. "Ich gehe mit hinauf und sehe nach dem Rechten", bot er an. Kaum hatte er mit Mrs. Hamilton und den Kindern den Raum verlassen, als Maureen sich an Emily wandte. "Sie waren furchtbar still, meine Liebe." Emily lächelte. "Ich weiß nicht viel über die Zucht von Vollblutpferden." "Nein? Das ist aber schade", bemerkte Selena, als Schokoladentorte zum Nachtisch serviert wurde.
"Ich dagegen liebe sie, und mir würde nichts besser gefallen, als sie zu meiner Lebensaufgabe zu machen." "Dann solltest du dir vielleicht eine eigene Pferdezucht kaufen", riet Edmund, der gerade wieder in den Raum kam. "Oder in eine einheiraten", entgegnete Maureen. "Das wäre wundervoll", pflichtete Selena ihr mit einem bewundernden Blick zu Edmund bei. "Ich werde mal sehen, ob ich einen akzeptablen Farmbesitzer auftreiben und dir vorstellen kann", meinte er. Maureen lachte. "Ich glaube kaum, daß sie es so gemeint hat." "Das wird er wohl auch wissen, Mutter", warf Gail trocken ein und verdrehte die Augen. "Vielleicht sollten wir das Thema wechseln", schlug er vor. "Gute Idee", sagte Maureen. "Was die Unterkunft für Emily und ihr Baby angeht..." Gelassen nippte er an seinem Kaffee. "Ich habe sie bereits im Cottage untergebracht." Maureen schürzte die Lippen und stellte empört ihre Tasse ab. "Darling, nein," "Mutter, ja", konterte Edmund sarkastisch. "Ihr könnt doch nicht unter einem Dach leben, in einem so kleinen Cottage! Darling, die Leute werden reden." Nun, da die Kinder nicht länger im Raum waren, verbarg Edmund seinen Unmut nicht länger. "Dann laß sie doch reden", murrte er streitsüchtig. "Ich bestehe darauf, daß Emily und Bobby hier bei uns im Haupthaus schlafen." "Mutter, es hat nicht viel Sinn, ein Kindermädchen zu haben, wenn es sich nicht unter demselben Dach wie das betreffende Kind aufhält." "Aber man sollte doch Rücksicht auf Emilys Ruf nehmen", warf Selena ein.
Allerdings, dachte Emily. Normalerweise kümmerte es sie nicht, was die Leute über sie sagten. Aber ihr drohte ein Prozeß um das Sorgerecht, und es bestand die Möglichkeit, daß die Bancrofts und deren Anwälte sie früher oder später aufspürten. Daher konnte sie es sich nicht leisten, so unbekümmert wie Edmund abzutun, was die Leute hier, in Maryland oder sonst wo denken oder sagen mochten. "Ich weiß." Er schenkte Emily einen herzlichen und dennoch nüchternen Blick. "Ich habe darüber nachgedacht, und mir ist eine Lösung eingefallen", verkündete er in die Runde. "Und die wäre?" hakte Maureen nach. Sie wirkte neugierig und verstimmt zugleich, ebenso wie Selena. Er blickte Emily an. Seine Augen funkelten schelmisch, als er ihr die Hand reichte. "Ich glaube - aus verschiedenen Gründen -, daß wir beide einfach heiraten sollten." Sie starrte ihn fassungslos an, während ringsumher ein heftiger Aufruhr entstand. "Das ist doch wohl nicht dein Ernst!" rief Maureen entsetzt. Selena blickte ihn vorwurfsvoll an. "Das ist überhaupt nicht witzig, Edmund", sagte sie steif. "Ach, ich weiß nicht recht." Gail schmunzelte und blickte ihn verblüfft und bewundernd an. "Ich persönlich finde es sehr lustig, daß sich mein gewöhnlich so seriöser Bruder so verwegen verhält." Edmund wandte sich an Emily. "Vielleicht sollten wir darüber mal unter vier Augen reden", schlug er sanft vor, als er ihren pikierten Blick sah. Sie verspürte nicht unbedingt den Wunsch, mit ihm allein zu sein. Aber sie wollte ihm unbedingt die Meinung sagen. "Eine gute Idee", stimmte sie also zu und stand auf. "Wir sind in der Bibliothek, falls die Kinder uns brauchen", verkündete er. "Ansonsten möchten wir eine Weile ungestört sein."
3. KAPITEL Edmund führte Emily einen langen Korridor entlang und in einen riesigen Raum im Ostflügel des Herrenhauses. Es war ganz offensichtlich das Arbeitszimmer eines Mannes. Bücherregale säumten die Wände vom Fußboden bis zur Decke. Die kostbaren braunen Polstermöbel aus Leder sahen einladend bequem aus. Mitten im Raum stand ein massiver Schreibtisch aus poliertem Walnußholz, der aussah, als befände er sich schon seit Generationen in der Familie. Dahinter stand ein teurer Drehstuhl aus Leder. Während Edmund die Tür schloß, musterte Emily die Bilder von wundervollen Zuchtpferden an den Wänden und ein Porträt in Öl über dem weißen Kamin. Auf einem goldenen Schild darunter stand: Clayton Fairfax. "Ist das dein Vater?" Edmund trat zu ihr. "Ja." Er war ein sehr gutaussehender Mann mit markanten, eindrucksvollen Zügen, und dennoch lag eine gewisse Sanftmütigkeit in seinem Blick, die sie als reizvoll empfand. "Du siehst ihm sehr ähnlich." "Danke. Das war sein Büro. Von diesem Schreibtisch aus hat er den Betrieb geleitet. Ich dachte, meine Mutter würde es neu einrichten, als sie nach seinem Tod im vergangenen Frühjahr das Geschäft übernommen hat. Aber sie hat nichts geändert." "Vermutlich, weil sie darauf gewartet hat, daß du nach Hause kommst und seinen Platz einnimmst."
"Das habe ich nicht dauerhaft vor", entgegnete Edmund entschlossen. "Ich bin nur gekommen, um dabei zu helfen, die Probleme hier zu lösen. Danach verschwinde ich wieder." Emily zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. "Deine Mutter glaubt das offensichtlich nicht, ebenso wenig wie Selena." "Zu gegebener Zeit werden sie es beide akzeptieren." "Vielleicht sogar noch früher", konterte Emily pikiert, "wenn du weiterhin so unverschämte Vorschläge machst, wie mich zu heiraten." Er betrachtete sie voller Optimismus und Belustigung. "Es war eigentlich kein Vorschlag." "Ach nein?" "Es war ein Antrag." "Tatsächlich?" entgegnete sie trocken und dachte bei sich, daß er ein sehr attraktiver, aber auch sehr aufreizender Mann war. Im einen Moment freundlich und rücksichtsvoll, im nächsten jedoch beinahe unerträglich selbstherrlich und zielstrebig. Der Frau, die ihn einmal heiratete, stand keineswegs ein langweiliges Leben bevor. "Ja." Er nahm ihre Hände auf eine Weise, die ihr anmaßend erschien. "Und wenn du mir richtig zuhörst, wirst du auch einsehen, warum eine Heirat die Lösung all unserer Probleme bedeutet." Sie entzog ihm die Hände, blickte ihm aber in die Augen. "Ich höre." "Du brauchst Schutz vor deinen Schwiegereltern. Die Bancrofts haben Macht und Einfluß in Maryland. Die Familie Fairfax hat beides im Überfluß in Kentucky. Du allein gegen die Bancrofts stehst auf verlorenem Posten. Aber mit mir und Gail, die eine ausgezeichnete Anwältin ist, hast du eine gute Chance. Trotzdem brauchst du einen Trumpf, um sicherzugehen, daß du gewinnen wirst." "Und dieser Trumpf ist eine Heirat?"
"Und die Gründung einer soliden Familie. Du hast doch selbst gesagt, daß Bobby und Chloe sich großartig verstehen." "Aber sie kennen sich kaum." "Trotzdem ist bereits eine Beziehung vorhanden. Und es wäre ihre Chance, vielleicht ihre einzige, Geschwister zu bekommen." Emily musterte ihn ungeduldig. "Und was hättest du von alledem?" "Ein normales Leben. Und die Erlösung von den ständigen Versuchen meiner Mutter, mich zu verkuppeln. Sie glaubt, daß ich wieder heiraten muß. Und vielleicht hat sie recht." "Dieser Antrag hat einen Haken, Edmund"; gab sie zu bedenken. "Ich bin nicht an einer romantischen Beziehung interessiert. Ich weiß nicht, ob ich noch Liebe für einen anderen Mann übrig habe." "Ich weiß, was du meinst. Mir geht es auch nur um eine platonische Beziehung. Eine Freundschaft. Eine Stütze für uns beide und für unsere Kinder." "Also mit anderen Worten, eine Vernunftehe", sagte Emily nachdenklich. Sein Vorschlag war zweifellos ungewöhnlich. Doch sie hatte sich im vergangenen Jahr häufig einen liebevollen Vater für Bobby ersehnt. Edmund erging es ebenso mit einer Mutter für Chloe. Wenn sie sich zusammen taten, konnten sie ihren Kindern ein behagliches Elternhaus und einen Bruder beziehungsweise eine Schwester bieten. Und sie brauchte nicht länger davonzulaufen. "Ich weiß, daß all das hier einschüchternd wirken kann", bemerkte Edmund mit einer ausholenden Armbewegung. "Es erinnert mich an das Haus meiner Schwiegereltern", murmelte Emily, obwohl es weniger vornehm und behaglicher wirkte. "Aber wir sind nicht wie sie." "Deine Mutter ist es in gewisser Weise schon."
"Sie spuckt gern große Töne, aber letztendlich will sie nur, daß Chloe und ich glücklich sind. Wenn sie merkt, daß du und Bobby der Schlüssel dazu seid, wird sie ihre Meinung schneller ändern, als du es dir vorstellen kannst", versicherte Edmund. Emily musterte sein markantes Gesicht. Sie wußte seine Wärme und Stärke zu schätzen. Sie genoß es, für sich selbst verantwortlich zu sein. Doch zu gewissen Zeiten war es erstrebenswert, jemanden zu haben, auf den sie sich stützen konnte. Nachdenklich nagte sie an der Unterlippe. "Es wäre bestimmt hilfreich, dich in dem bevorstehenden Streit mit meinen Schwiegereltern um das Sorgerecht an meiner Seite zu haben." "Was sagst du also dazu?" Emily holte tief Luft. "Also gut, ich stimme zu." Im nächsten Moment klopfte es an die Tür. Edmund öffnete. Gail stürmte herein und verkündete: "Mutter hat mich geschickt, um euch zur Vernunft zu bringen." "Zu spät." Grinsend legte Edmund einen Arm um Emilys Taille und zog sie an sich. "Sie hat ja gesagt." Gail musterte beide verwundert. "Ihr seid ja verrückt", sagte sie tonlos. "Vielleicht", räumte er lächelnd ein. "Was geht hier eigentlich wirklich vor?" "Genau das, was du glaubst. Wir brennen durch." Gail blickte zum Fenster hinaus. Es schneite unvermindert stark. "Bei diesem Wetter geht ihr nicht aus dem Haus!" Edmund führte Emily zum Sofa und zog sie mit sich hinab. "Zum Glück ist das auch gar nicht nötig." Einen Augenblick lang blickte Gail verblüfft drein. Dann warf sie verzweifelt die Hände in die Luft. "O nein!" "Du bist mir noch etwas schuldig", beharrte er. Sie ließ sich in einen Sessel gegenüber der Couch fallen. "Ich kann euch nicht trauen."
Edmund legte einen Arm um Emilys Schultern. "Aber natürlich kannst du das. Du bist doch nebenberuflich Friedensrichterin." "Das schon, aber ich kann keine Lizenz ausstellen." "Aber du kannst ein paar Telefonate führen und die Lizenz ausstellen lassen." "In diesem Staat gilt eine Wartezeit von drei Tagen", rief Gail ihm in Erinnerung. "Und in diesem Verwaltungsbezirk gilt eine Sonderregelung, die Friedensrichtern erlaubt, nach eigenem Ermessen auf diese Wartezeit zu verzichten, wenn ein guter Grund dafür vorliegt." "Und welcher Grund sollte das sein?" hakte Gail nach. "Sagen wir einfach, daß Emily und ich keine Zeit zu vergeuden haben." Gail blickte Emily eindringlich an. "Empfinden Sie ebenso?" Emily rief sich in Erinnerung, daß ihr womöglich die Bancrofts und eine Schar Privatdetektive bereits auf den Fersen waren. Sie holte tief Luft. "Eine unverzügliche Trauung ist genau das, was ich, was wir brauchen", bestätigte sie entschieden und dachte: Bevor ich es mir anders überlege und kneife. Gail musterte beide in nachdenklichem Schweigen. Allmählich schien ihr bewußt zu werden, wie ernst es ihnen war. "Offensichtlich habt ihr es euch gut überlegt. Aber was werdet ihr Chloe sagen?" "Du meinst, du wirst meine Mommy und nicht bloß mein Kindermädchen?" hakte Chloe eifrig nach, nachdem Edmund und Emily ihr den Plan unterbreitet hatten. "Ja, wenn es dir recht ist", bestätigte Emily. "Und dann ist Bobby mein Bruder?" Edmund nickte, "Richtig." "Cool!" Chloe warf sich in Emilys Arme. "Ich wollte schon immer einen kleinen Bruder haben!"
Strahlend umarmte sie Edmund ebenfalls. Dann wandte sie sich an Bobby, der all den Aufruhr mit seinen großen blauen Augen verfolgte. "Hast du das gehört? Wir werden Bruder und Schwester!" teilte sie ihm mit und umarmte auch ihn. Bobby hielt sich an dem Kindertisch aus Plastik fest und zog sich zum Stand hoch. Mit stolzer Miene hob er einen Fuß, und dann, während er sich mit beiden Händen festhielt, ging er an der Tischkante entlang. "Daddy, hast du das gesehen?" rief Chloe. "Er läuft schon fast ganz allein." Strahlend drehte Bobby sich zu Emily um und ließ den Tisch los. Sie streckte ihm die Hände hin, doch er schob sie unwillig fort. Er hob einen Fuß, verlor prompt das Gleichgewicht und landete auf Händen und Knien. Nach einem Moment der Verwirrung krähte er vergnügt und krabbelte auf allen vieren zu Emily. "Und wann ist die Hochzeit?" wollte Chloe wissen. Gail steckte den Kopf zur Tür herein und verkündete: "Alles okay." Lächelnd küßte Edmund Chloe und dann seinen "Sohn" auf die Wange. "Heute abend." "Ihr seid wirklich fest entschlossen?" fragte Maureen mit äußerst skeptischem Blick, als sich alle anwesenden Familienmitglieder und Dienstboten im Wohnzimmer versammelt hatten. "Ja, ganz bestimmt." Edmund trat zu ihr und Selena. "Und wir möchten, daß ihr beide bleibt, sofern wir darauf zählen können, daß ihr euch anständig benehmt." Selena verschränkte die Arme vor der Brust und entgegnete spöttisch: "Ich würde es mir um nichts in der Welt entgehen lassen." Herablassend musterte sie Emilys Kostüm und die hastig aus verschiedenen Vasen im Haus gesammelten Blumen,
die als Brautstrauß fungierten. "Ich bin sicher, das ganze Land wird noch wochenlang über diese Verrücktheit reden." Edmund war fest entschlossen, sich nicht einen der denkwürdigsten Abende seines Lebens verderben zu lassen. Also grinste er und konterte: "Dann ist es ja gut, daß du hier bist, damit du und Mutter den Leuten sämtliche Details erzählen könnt." Maureen verzog gequält das Gesicht. "Du magst es momentan für amüsant halten, mein Sohn, aber achte auf meine Worte. Ich garantiere dir, daß irgendwann die Zeit kommt, zu der du deine überstürzte Entscheidung bereust. Und wenn dieser Tag kommt..." "Dann wirst du hier sein, um mir zu sagen: Ich habe es dir ja gesagt", unterbrach Edmund und verdrehte die Augen. Hochtrabend verkündete Selena: "Und ich werde hier sein, um die Scherben einzusammeln." Ungehalten fragte er sich, was es bedurfte, um sie zu entmutigen. Es lag nicht in seiner Natur, anderen gegenüber grausam zu sein, aber sie reizte ihn zu drastischen Maßnahmen. Gail unterbrach das Geplänkel, indem sie ihn zu sich winkte, mit dem Kopf deutete sie auf Bobby, der in Mrs. Hamiltons Armen gähnte. "Ich glaube, wir sollten jetzt anfangen." Während sie mit ernster Miene und feierlicher Stimme die Trauung vollzog, standen Emily und Edmund mit klopfenden Herzen Seite an Seite und blickten einander tief in die Augen. Ein Gefühl der Zufriedenheit stieg in ihm auf. Er wußte, daß diese Hochzeit hauptsächlich wegen ihrer Kinder stattfand. Doch es fiel ihm schwer, nicht zu vergessen, daß es nur eine Ehe auf dem Papier sein sollte. Hoffnung für die Zukunft durchströmte ihn. Mit rauher, gefühlvoller Stimme legte er den Schwur ab. Zu seiner Überraschung klang ihre Stimme ebenso gefühlvoll und vielversprechend wie seine, als sie ihr Jawort gab.
Das Personal ringsumher lachte und weinte gleichzeitig, während Selena und Maureen betroffen wirkten. "Kraft meiner Befugnisse erkläre ich euch hiermitzu Mann und Frau", verkündete Gail mit einem Lächeln. "Edmund, du darfst die Braut jetzt küssen." O nein, dachte Emily. Doch es war zu spät. Ihr frischgebackener Ehemann hatte sie bereits in seine starken Arme geschlossen. Seine Augen funkelten vor Verlangen, als er den Kopf senkte und sie zärtlich küßte. Die Liebkosung dauerte nicht länger als wenige Sekunden, aber die Wirkung auf Emily war gewaltig. Ihr stockte der Atem, ihr Herz hämmerte, und ihre Knie wurden weich. Sehnsucht stieg in ihr auf. Im nächsten Moment ließ sie den Brautstrauß fallen, schlang die Arme um seinen Nacken und erwiderte den Kuß ebenso zärtlich und innig. Denn es war die Besiegelung des Versprechens, das sie einander gegeben hatten und zu halten gedachten. Langsam lösten sie sich voneinander. Ihre Blicke hielten sich gefangen. Emily erkannte, daß er ebenso wie sie ergriffen und verwundert über die Elektrizität war, die zwischen ihnen knisterte. Plötzlich war nichts mehr so einfach, wie sie geglaubt hatte. Chloes helle Stimme brachte sie zurück in die Wirklichkeit. "Daddy, kriegen wir jetzt eine Hochzeitstorte?" wollte sie wissen. Ihre Augen leuchteten. Widerstrebend ließ er Emily los und kniete sich neben Chloe. "Nein Spatz, heute Abend nicht. Es ist schon sehr spät. Wir müssen jetzt nach Hause." "Aber kriegen wir denn bald eine?" hakte sie nach. Emily und Edmund nickten gleichzeitig. "Natürlich, sehr bald", versprach er.
Darauf bedacht, seine Familie sicher nach Hause zu bringen, rief er den Verwalter an und ließ den Weg zwischen dem Haupthaus und dem Cottage mit einem Traktor räumen. Dennoch dauerte die Rückfahrt über zehn Minuten, da der Schnee sehr dicht fiel und die Sicht miserabel war.
4. KAPITEL "Es ist erstaunlich, wie ruhig es im Haus ist, stimmt's?" fragte Emily verlegen, als die Kinder schließlich im Bett waren und sie neben Edmund auf der Couch vor dem Kamin saß. Er nickte. "Mir kommt es jeden Abend so vor, wenn Chloe eingeschlafen ist." Sie bemühte sich, die Intimität der Situation und den herben Duft seines Rasierwassers zu ignorieren. "Wann geht sie normalerweise schlafen?" "Seit wir hier in Kentucky sind, habe ich keine regelmäßigen Zeiten eingehalten, was meine Mutter sehr mißbilligt. Aber zu Hause in Seattle bringe ich sie um halb acht ins Bett, wenn sie am nächsten Tag zur Schule muß. An den Wochenenden lasse ich sie bis neun Uhr aufbleiben. Und wie steht es mit Bobby?" Emily freute sich, daß er diesen Aspekt ebenso flexibel und locker handhabte wie sie. "Das ist unterschiedlich. Gewöhnlich gegen halb acht oder acht." Edmund musterte sie nachdenklich. Er hatte das Jackett ausgezogen, die Krawatte gelockert und die beiden obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet. Er wirkte so lässig und attraktiv wie ein Leinwandheld. Ungewollt kamen ihr romantische Phantasien in den Sinn, die sie hastig verscheuchte. "Schläft Bobby nachts durch?" Ihr Blick glitt zu seinem kräftigen Hals und den gekräuselten Haaren im Ausschnitt seines Hemdes. "Ja. Es sei denn, er ist krank oder zahnt."
Nachdem das Thema der Schlafenszeiten erschöpft war, trat ein unbehagliches Schweigen ein. Was sollen wir mit den langen Abenden anfangen, die uns bevorstehen? fragte Emily sich. Erneut fiel ihr auf, wie gutaussehend und körperlich anziehend ihr frischgebackener Ehemann war. Diese Tatsache hatte sie nicht berücksichtigt, als sie der überstürzten Heirat zugestimmt hatte. Sie war davon ausgegangen, daß sie lediglich eine Vernunftehe wollte, bis er sie in die Arme genommen und geküßt hatte. Dann erst war ihr bewußt geworden, daß ihr körperliches Verlangen nach Liebe und Zärtlichkeit doch nicht gestorben war. Er musterte ihre verlegene Miene und fragte besorgt: "Bedrückt dich etwas?" Allerdings, dachte Emily. Seine Nähe machte sie nervös. Wenn sie diese Gefühle nicht unter Kontrolle brachte, konnte in dieser ihrer Hochzeitsnacht alles mögliche geschehen. Vor allem, während draußen der Schneesturm tobte, drinnen ein romantisches Feuer im Kamin prasselte und beide Kinder friedlich schliefen. Sie durfte nicht vergessen, daß sie beide sehr verletzlich waren. "Hör mal, Edmund", begann sie in sachlichem Ton. Sie drehte sich zu ihm um, stieß versehentlich mit dem Knie gegen seinen Oberschenkel und wich hastig zurück. "Was diesen Kuß angeht..." Er lächelte. "Damit habe ich dich überrascht, ich weiß." "In der Tat", erwiderte sie trocken. "Ich war der Meinung, daß es so echt wie möglich aussehen sollte." Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Sie schluckte schwer und rang nach Atem. "Du hast es also nur gespielt?" Er zuckte die Achseln. "Zumindest hat es so angefangen." Ihr Herz pochte. "Und dann?"
Er streichelte ihre Wange mit einem Daumen und schenkte ihr ein sinnliches Lächeln. "Und dann, sehr zu meiner Überraschung, habe ich mich hinreißen lassen. Genau wie du." Emily errötete, wich zurück und strich sich das Haar aus dem Gesicht. "Genau wie du war ich der Meinung, daß es echt aussehen sollte." Mit funkelnden Augen beugte er sich zu ihr. "Ich glaube, wir haben sie alle getäuscht." Ihre Wangen erglühten noch mehr. Ob es ihr nun gefiel oder nicht, sie empfand irgend etwas für Edmund. Nicht Lust und gewiß nicht Liebe, aber eine gewisse körperliche Anziehung. Und sie mußte sich eingestehen, daß ihre Übereinkunft, eine herzliche, aber platonische Beziehung einzuhalten, bereits nach wenigen Stunden in Gefahr geriet. Sie war fest entschlossen, dies zu verhindern und die Situation vernünftig zu betrachten. "Edmund?" "Ja?" "Wir sollten in Zukunft jegliche, von uns erwarteten Bezeigungen der Zuneigung auf symbolische Umarmungen beschränken und es vermeiden, uns zu küssen." Grinsend nahm er ihre Hand und führte sie an die Lippen. "Einverstanden. Ich will dich nicht wegen anderer Leute küssen, sondern nur meinetwegen." Sie entzog ihm die Hand. "Das habe ich nicht gemeint", entgegnete sie vorwurfsvoll. Mit entschlossener, steinerner Miene fügte sie hinzu: "Wir werden uns gar nicht mehr küssen, da es nur während der Trauungszeremonie erforderlich war." "Und nicht einmal dann. Wir hätten es nicht tun müssen." Zum erstenmal erschien ein Anflug von Belustigung um ihren herzförmigen Mund. "Aber damit hätten wir uns nur verdächtig gemacht", räumte sie ein. "Genau." "Und das konnten wir, können wir nicht gebrauchen."
"Ich fürchte, wir haben schon genug zu bewältigen, auch ohne daß die anderen unsere Motive in Frage stellen." "Was sie leider bereits tun", gab Emily zu bedenken. Er nahm ihre Hand und hielt sie fest. "Das stimmt zwar, aber sie werden es bald überwinden, wenn sie sehen, wie glücklich die Kinder sind und was für eine gute Familie wir vier abgeben", prophezeite er zuversichtlich. Sie musterte ihre Hand in seiner. "Wahrscheinlich hast du recht", murmelte sie sanft.. In diesem Punkt vielleicht, dachte Edmund, aber was alles andere angeht... Eine Ehe nur auf dem Papier war ihm sinnvoll erschienen, bis er Emily in die Arme geschlossen und geküßt hatte. In dem Moment, als sie an diesem Nachmittag sein Cottage betreten hatte, war ihm bewußt geworden, daß er immer noch fähig war, sich für eine Frau zu interessieren. Doch er hatte nicht geahnt, daß er noch immer ein derart leidenschaftliches Verlangen verspüren konnte. Es war kein gewöhnlicher Kuß, den sie getauscht hatten, ebenso wenig wie es eine gewöhnliche Ehe war. Er ahnte, daß es ein wahres Feuerwerk geben würde, wenn oder falls sie sich je wieder küßten. Es enttäuschte ihn etwas, daß Emily Zärtlichkeiten mit ihm strikt ablehnte. Auch wenn er sich eingestehen mußte, daß ihre zurückhaltende Einstellung wesentlich vernünftiger war als seine überschwengliche, fühlte er sich seltsam leer und einsamer als zuvor. Ihm fiel auf, daß sie ihre nackte Hand musterte, an der ein Ehering hätte stecken sollen. "Ich rufe morgen früh den Juwelier an und lasse uns ein paar Ringe zur Auswahl kommen, sobald das Wetter es zuläßt. Sie blinzelte zerstreut, so als hätte sie an alles andere als an Eheringe und Schneestürme gedacht. "Das ist gut", sagte sie sanft.
"Nun denn..." Es gab für ihn nur zwei Möglichkeiten: entweder den behaglichen Abend sofort zu beenden oder zu riskieren, sie erneut zu küssen. Er ließ ihre Hand los und stand auf. "Ich glaube, wir sollten jetzt schlafen gehen. Die Kinder werden morgen früh aufwachen." "Da hast du wohl recht." Gemeinsam schalteten sie die Lichter aus und gingen in den Flur. Er wandte sich seinem Zimmer zu und sie sich ihrem. Die Hand schon auf der Klinke, drehte sie sich zu ihm um. "Edmund?" murmelte sie leise, um die Kinder nicht zu wecken. Er trat näher und sagte ebenso leise: "Ja?" Sie hob den Kopf, um ihm ins Gesicht blicken zu können, und forschte in seinen Augen. "Bereust du, daß wir so kurz entschlossen geheiratet haben?" Er schüttelte den Kopf und sagte aufrichtig: "Keineswegs." Im stillen fügte er hinzu: Mir tut nur leid, daß ich heute nacht nicht bei dir sein darf. "Auf!" verlangte Bobby früh am nächsten Morgen und rüttelte am Gitter seines Bettes. "Auf!" Emily hob ihn hastig auf die Arme, bevor seine lautstarke Forderung Chloe und Edmund weckte. "Fasse!" verlangte er entschieden. "Gleich bekommst du ja deine Flasche, Sweetheart", beruhigte sie ihn. "Wir wollen dich nur schnell trockenlegen, okay?" Er fuchtelte lebhaft mit Armen und Beinen, als sie ihn auf den Wickeltisch legte und auszog. "Hast du gut geschlafen? Ich schon." Besser als seit Monaten, dachte sie. Vielleicht deshalb, weil sie sich so sicher war, daß alles gut wurde, solange sie bei Edmund und Chloe waren. "Aber die letzten Tage waren ja auch sehr ereignisreich." Bobby plapperte pausenlos, während sie ihm die Windel wechselte, und verlangte erneut nach seiner Flasche.
"Gleich, Süßer, bekommst du deine Flasche. Hab einen Moment Geduld", murmelte sie, während sie ihn eilig anzog. Schließlich nahm sie ihn auf den Arm, stürmte aus dem Zimmer und stieß prompt mit Edmund zusammen. Er trug ein schlichtes, weißes T-Shirt, das sich eng um seinen muskulösen Oberkörper schmiegte. Eine weiche, verwaschene Trainingshose aus grauer Baumwolle betonte ebenso eindrucksvoll seine schmalen Hüften und kräftigen Oberschenkel. Offensichtlich war er wie sie gerade erst aufgewacht. Sein dunkles Haar war zerzaust, seine Augen wirkten verschlafen, und er war unrasiert. Er sah so verführerisch aus, daß er in einem Werbespot für Männerunterwäsche hätte auftreten können. "Ich wußte gar nicht, daß du hier bist." "Das habe ich gemerkt", neckte er, während er sie von Kopf bis Fuß musterte. Ihre Haare waren zerzaust und ihre Wangen gerötet vom Schlaf. Sie trug einen Pyjama mit einem dazu passenden Morgenmantel in Pink und wirkte äußerst reizvoll auf ihn. Er strich sich das Haar aus der Stirn und sagte in rauhem Ton: "Ich habe versucht, leise zu sein, um dich nicht zu wecken." "Zu spät. Bobby hat mich schon geweckt." Edmund begleitete sie in die Küche. "Wann bist du aufgestanden?" "Vor etwa, fünf Minuten." Emily nahm die vorbereitete Flasche aus dem Kühlschrank und stellte sie zum Aufwärmen in einen Topf. "Und du?" "Wie du." Er griff an ihr vorbei zur Spüle und drehte den Warmwasserhahn auf. "Chloe wollte mir unbedingt den Schnee zeigen." Emily füllte den Topf mit Wasser und stellte ihn auf den Herd. "Hat es viel geschneit?" "Komm und sieh selbst."
Sie trat zu ihm. Gemeinsam blickten sie aus dem Fenster hinaus in ein wahres Winterwunderland. Eine dicke, strahlend weiße Schneeschicht bedeckte den Boden, die Bäume und die Dächer. "Das sind ja mindestens dreißig Zentimeter!" rief Emily. Er deutete zu einer Schneewehe am Zaun. "An einigen Stellen sogar mehr als ein halber Meter." Bobby beugte sich in ihren Armen vor und tatschte mit verblüffter Miene an die Fensterscheibe. Edmund lächelte. "Hat er schon mal Schnee gesehen?" "Nein. Wir hatten in diesem Winter noch keinen." Chloe lief zu ihnen und fragte eifrig: "Kann Bobby mit nach draußen und im Schnee spielen? Wir haben einen Schlitten für mich und einen für Babys. Der hat mir gehört, als ich noch klein war." Emily musterte die Flocken, die nun bedächtig, aber unablässig rieselten. "Ja, aber nur für einen kleinen Augenblick. Und wir müssen uns alle sehr warm anziehen. Das bedeutet lange Unterwäsche, Stiefel, Mützen und Handschuhe." "Kommst du auch mit, Daddy?" fragte Chloe. "Warum nicht? Es macht bestimmt Spaß." "Hurra!" rief Chloe und vollführte einen kleinen Tanz. "Aber wir müssen alle zuerst frühstücken", wandte Edmund ein. "Okay. Aber kann ich mit Bobby spielen, bis das Frühstück fertig ist?" "Klar", erwiderte Emily. "Ich muß ihm nur schnell seine Flasche geben." Wenige Minuten später saßen Bobby und Chloe auf dem Teppich im Wohnzimmer und spielten mit Bauklötzen. Emily und Edmund bereiteten solange das Frühstück zu. Als das Telefon klingelte, schaltete er mit einer Hand die Kaffeemaschine ein und griff mit der anderen zum Hörer.
"Edmund Fairfax... ja, wir haben Sie erwartet... Ich verstehe. Das Wetter. Wir vereinbaren einen neuen Termin." Er schwieg eine Weile und runzelte die Stirn. "Ich kann also nichts tun, um Sie umzustimmen? ... In Ordnung." Er preßte die Lippen zusammen und legte den Hörer auf. Seine niedergeschlagene Miene erweckte Mitgefühl in Emily. "Schlechte Neuigkeiten?" erkundigte sie sich, während sie brutzelnde Streifen Schinkenspeck aus der Pfanne nahm. "Sehr schlechte. Ein weiterer Kunde hat soeben die Vereinbarung widerrufen, seine preisgekrönte Stute auf der Fairfax Farm decken und fohlen zu lassen." "Kommt so etwas oft vor?" hakte sie sanft nach. Edmund schüttelte den Kopf. "Als mein Vater noch die Farm führte, hatten wir immer eine Warteliste." "Und jetzt?" Er seufzte unglücklich. "In diesem Jahr können wir froh sein, wenn wir die Boxen während der Hochsaison annähernd gefüllt haben." Sie legte Brot in den Toaster, während er mit geschickter Hand die Eier rührte. "Und wann ist Hochsaison?" "Von Februar bis Juni." "Die Leute bringen also ihre Stuten hierher, damit ihre Fohlen von deinen Deckhengsten abstammen?" "Richtig. Und da wir hier einen ausgezeichneten Tierarzt und hochmoderne Einrichtungen für die Geburten haben, bleiben die meisten Stuten während der Trächtigkeit hier." Emily trug Butter und Marmelade zum Tisch. "Was bei Pferden wie lange dauert?" "Elf Monate." Sie lächelte. Sie genoß den Winter, aber sie freute sich bereits auf den Frühling. "Es muß ziemlich aufregend hier sein, wenn all die Fohlen geboren werden."
"Das ist es wirklich." Er füllte das Rührei in eine Schüssel und erklärte mit entschlossener Miene: "Und es wird noch aufregender, wenn King's Ransom als Deckhengst hierher kommt. Er hat im letzten Jahr das Derby von Kentucky gewonnen. Ein Pferd von diesem Kaliber wird das Geschäft gewaltig ankurbeln und Klienten wie die Thurstons vielleicht dazu bringen, die langjährige Geschäftsverbindung mit uns doch nicht zu lösen." "Ist es denn wahrscheinlich?" hakte sie nach. "Sogar sehr. Ich habe mit Mr. und Mrs. King, den Besitzern des Hengstes, jeden Tag gesprochen, seit ich hier bin." "Wann wirst du erfahren, ob es dazu kommt?" erkundigte sie sich neugierig, während sie die dampfenden Schüsseln auf den Tisch stellten. "Ende der Woche. Mr. und Mrs. King prüfen noch Angebote von anderen Gestüten in dieser Gegend, aber sie wollen sich bis dahin entscheiden." "Ich hoffe sehr, daß es klappt." Er begegnete ihrem Blick auf eine Weise, die in ihr das Gefühl erweckte, daß sie wirklich Mann und Frau waren. "Das hoffe ich auch." "Daddy, Emily, kommt schnell!" rief Chloe. "Da ist was im Fernsehen, was ihr unbedingt sehen müßt!" Sie eilten ins Wohnzimmer. "Was denn?" fragte er. "Sie zeigen Bilder von Leuten, die im Schneesturm steckengeblieben sind", verkündete Chloe aufgeregt und deutete auf den Bildschirm. "Siehst du?" Der Nachrichtensprecher verkündete gerade: "Nun zeigen wir ein Foto von Nora Kingsley, einer entlaufenen Braut aus Pittsburgh in Pennsylvania. Offensichtlich hat sie kalte Füße bekommen und ist kurz vor der Trauung aus der Kirche verschwunden. Seit Beginn des Schneesturms hat niemand von ihr gehört. Vermutlich trägt sie noch ihr Hochzeitskleid. Ihr
Vater, Charles Kingsley, hat eine Belohnung für jeglichen Hinweis über ihren Aufenthaltsort ausgesetzt." "Als nächstes bringen wir die Geschichte einer Lehrerin aus Arlington in Virginia", fuhr seine Kollegin fort. Fotos von einer hübschen Blondine und sieben kleinen Mädchen in Schuluniform erschienen auf dem Bildschirm. "Grace Tennessen wollte mit einigen ihrer Schülerinnen einen Ausflug ins ländlichen Virginia unternehmen. Doch sie haben ihr Ziel nicht erreicht. Angesichts der Heftigkeit des Schneesturms in den Bergen - in der vergangenen Nacht fielen dort siebzig bis achtzig Zentimeter - ist es kein Wunder, daß alle Beteiligten außer sich vor Angst waren. Aber offensichtlich ist ihnen nichts zugestoßen. Die Sprecherin lächelte und fuhr in bedeutungsvollem Ton fort: "Von unseren verläßlichen Quellen in Virginia haben wir fahren, daß sie bei einem sehr hübschen und begehrten Junggesellen Unterschlupf gefunden haben." Der Sprecher schnitt eine komische Grimasse. "Das klingt sehr vielversprechend. Doch nun weiter im Bericht vom Schneesturm..." Edmund, Emily und Chloe starrten verblüfft auf den Bildschirm. Dann rief Chloe aufgeregt: "Guck mal! Das sind ja Emily und Bobby!" "Die junge Witwe und ihr Sohn werden seit gestern früh vermißt. Es wird befürchtet, daß sie sich im Schneesturm verirrt haben", sagte die Sprecherin. Ein Foto von Emilys Kombi und dem Nummernschild erschien auf dem Bildschirm. "Bitte melden Sie sich bei der Polizei in Maryland oder der nächsten Wache, falls Sie Hinweise auf ihren Aufenthaltsort haben." "Was soll das? Du bist doch nicht vermißt, Emily! Und Bobby auch nicht! Ihr seid doch hier!" rief Chloe verwirrt. "Aber das wissen meine Schwiegereltern nicht", murmelte sie. Es sah den Bancrofts ähnlich, eine Suchmeldung im ganzen
Land zu verbreiten, noch bevor ein Tag vergangen war. Und die Geschichte war derart rührend, daß es ihnen vermutlich nicht einmal schwergefallen war, die Nachrichtenredaktion zu einem Bericht zu bewegen. Emily konnte sich lebhaft ausmalen, wie es weitergehen würde. Alle größeren Zeitungen würden Fotos bringen mit der Schlagzeile: "Junge Mutter und Baby im Schneesturm verschollen". Als nächstes würden dann die Bancrofts in Fernsehshows auftreten und unter Tränen bitten, daß man ihnen doch Emily und Bobby zurückbringen möge. Ehe sie es sich versahen, würden Edmund und seine Familie in den Strudel schädlicher Publicity und somit in Verruf geraten. Selbst wenn Emily ihrem ursprünglichen Plan folgte und erneut untertauchte, mußte sie befürchten, daß sie erkannt und aufgrund einer ausgesetzten Belohnung gemeldet wurde, wohin sie auch ging. Gelassen trat Edmund zu ihr. "Du mußt sie anrufen und ihnen sagen, daß du durchgebrannt bist." Sie seufzte. Plötzlich fühlte sie sich wehrlos. Sie fröstelte und zog den Bademantel fester um sich. "Ich weiß. Ich tue es, sobald wir gefrühstückt haben." Er nahm ihre Hände in seine. "Du kannst das Telefon in meinem Schlafzimmer benutzen, wenn du möchtest." Emily lächelte ihn an. Zu wissen, daß er ihr zur Seite stand, was auch geschehen mochte, verlieh ihr Kraft. "Danke."
5. KAPITEL Emily ging in Edmunds Schlafzimmer und setzte sich auf die Bettkante. Die dunkelgrünen Laken hatten längst die Wärme seines Körpers verloren, aber sein herber, aufreizend männlicher Duft haftete noch an ihnen. Mit zitternder Hand wählte sie die Nummer, die ihr Mann selten angerufen hatte, die sie inzwischen jedoch auswendig kannte. Andrea Bancroft meldete sich nach dem ersten Klingeln. "Hallo, Andrea, hier ist Emily." "Emily!" Erleichterung und Aufregung mischten sich in Andreas Stimme. "Wo steckst du?" In kurzen Zügen erklärte Emily, daß sie durchgebrannt war und Edmund geheiratet hatte. Nach einem ausgedehnten Schweigen murmelte Andrea: "Das war ziemlich plötzlich, oder?" Emily wich der Frage aus und erwiderte einfach: "Ich kenne Edmund schon seit mehreren Jahren. Brian hat uns miteinander bekannt gemacht." Die beiden Männer waren in Virginia zusammen zur Schule gegangen und hatten wie Brüder zusammengehalten. Obwohl ihre Berufe sie räumlich getrennt hatten, waren sie bis zu Brians Tod per Telefon und E-Mail in Kontakt geblieben. "Er hat mir sehr geholfen, seit Brian tot ist... mehr, als ich je für möglich gehalten hätte." "Also hast du einfach so beschlossen, ihn zu heiraten?" fauchte Andrea empört.
Emily rieb sich die Schläfen, die zu schmerzen begannen. "Ich will nicht mit dir darüber diskutieren." "Da hast du recht." Andrea klang so herablassend und autoritär wie immer. "Jedenfalls nicht am Telefon." Und auch nicht vor Gericht, dachte Emily. "Whit und ich werden unverzüglich vorbeikommen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, um diese Farce annullieren zu lassen." Emily umklammerte den Hörer. Mühsam zwang sie sich ruhig und gelassen zu klingen. "Diese Entscheidung liegt nicht bei dir." Ein raschelndes Geräusch erklang am anderen Ende der Leitung, gefolgt von Geflüster. Unvermittelt kam Whit an den Apparat. Wie immer war er diplomatischer als seine Frau. "Du bist erschöpft, Emily. In diesen Schneesturm zu geraten hat dich zweifellos sehr aufgeregt. Aber mach dir keine Sorgen. Es ist noch nicht zu spät, um es rückgängig zu machen. Das Gericht wird verstehen, daß du in diesem vergangenen Jahr unter gewaltiger Anspannung gestanden hast, wie wir alle, und aus einer Zwangslage heraus gehandelt hast. Du sollst wissen, daß wir für dich da sind. Wir kommen, sobald wir können." Ohne ihr Gelegenheit zu einer Entgegnung zu geben, legte er den Hörer auf. Wie immer, wenn sie mit ihren Schwiegereltern konfrontiert wurde, fühlte sie sich, als wäre sie niedergewalzt worden. "Na, wie ist es gelaufen?" erkundigte sich Edmund, als sie in die Küche zurückkehrte. Sie weigern sich wie erwartet, dachte Emily, die Welt mit anderen Augen als ihren eigenen zu betrachten. "Schlecht", murmelte sie so leise, daß nur er es hören konnte. Sie lehnte sich an den Schrank und verschränkte die Arme vor der Brust. "Die Bancrofts betrachten unsere Blitzheirat als weiteren Beweis für meine Labilität."
Und sie mußte sich eingestehen, daß die Bancrofts damit nicht ganz unrecht hatten. Keine vernünftige Frau hätte einen Mann geheiratet, den sie kaum kannte - wie sympathisch sie sich auch sein mochten oder in welcher Beziehung er auch zu ihrem verstorbenen Mann gestanden hatte. "Haben sie dir gedroht?" fragte er argwöhnisch und trat noch näher zu ihr. "Nicht direkt, aber das war auch nicht zu erwarten. Sie übertreffen sich selbst in subtilen Machenschaften hinter den Kulissen. Sie wollen herkommen, sobald das Wetter es zuläßt." Edmund entspannte sich sichtlich. "Es wird noch Tage dauern, bis die Straßen wieder frei sind." Tage, in denen die Bancrofts sich eine Strategie ausdenken konnten. Besorgt blickte Emily aus dem Fenster auf den Schnee, der nun in kleinen, vereinzelten Flockken fiel. "Darauf werden sie nicht warten. Sie haben ein eigenes Flugzeug." "Sobald die Flughäfen in Maryland und Kentucky also wieder geöffnet sind..." "... werden sie hier eintreffen", vollendete Emily tonlos. Er nahm seinen Kaffeebecher und trank einen großen Schluck. "Somit bleiben uns mindestens zwei Tage Zeit." Und was dann? fragte Emily sich nervös. Würden die Bancrofts dann weiterhin versuchen, sie einzuschüchtern und zu erpressen? Würden sich ihre Attacken auch auf Edmund und seine Familie ausweiten? "Ich hasse es, dich und Chloe in diese Sache hineinzuziehen", murmelte sie bedauernd. Denn wie behutsam die Bancrofts auch vorgehen mochten, es stand in jedem Fall eine unangenehme Situation bevor. "He." Er stellte seinen Kaffeebecher beiseite, nahm ihre Hände in seine und zog sie an sich. "Vergiß nicht, daß wir zusammengehören." "Ich weiß, aber..."
"Kein Aber." Er strich ihr eine Locke hinter das Ohr, legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht. "Wir haben uns gestern abend versprochen, immer zusammenzuhalten, in guten wie in schlechten Zeiten." Er legte ihr einen Arm um die Schultern. "Ich schlage vor; daß wir einfach mit den gleichen Waffen kämpfen." Emily, die sich seit Monaten nicht mehr den Luxus geleistet hatte, sich bei jemandem anzulehnen, lehnte den Kopf an seine Schulter und schöpfte Kraft aus seiner Stärke. "Und wie stellst du dir das vor?" Er grinste. "Wir beauftragen einen Privatdetektiv damit, ein bißchen im Leben der Bancrofts herumzuschnüffeln. Ich wette zehn zu eins, daß es Gründe gibt, aus denen sie das Sorgerecht für Bobby nicht bekommen sollten. Wir müssen nur diese Gründe herausfinden und bereit sein, sie einzusetzen." "Sogar vor Gericht?" "Falls es soweit kommt, kannst du darauf wetten", versicherte er grimmig. "Chloe, bist du endlich angezogen?" fragte Edmund mit einem Blick zur Uhr. Er hatte es eilig, zum Haupthaus zu kommen und sich um die Belange der Farm zu kümmern. Seine Tochter öffnete die Tür ihres Zimmers und kam in langer Hose und Pullover auf den Flur. "Ich war schon fertig angezogen, aber dann sind meine Socken ganz naß geworden." Er blickte hinab auf ihre nackten Füße und dann zu den dicken Socken, die sie in der Hand hielt. "Hast du etwas verschüttet?" fragte er verwundert. "Nein. Aber der Teppich in meinem Zimmer ist ganz naß und kalt, Daddy." Sie nahm seine Hand und zog ihn in den Raum. "Siehst du? Da ist es ganz naß " Emily erschien in der Tür, Bobby auf dem Arm. Sie waren beide angezogen und bereit zu gehen. "Was ist los?"
Edmund hob den Teppich und sah Wasser durch den hölzernen Fußboden aufsteigen. "Es sieht ganz nach einem Rohrbruch aus. Ich muß das Wasser abstellen." "O nein! Kannst du es reparieren lassen?" "Ich fürchte, es wird ein paar Tage dauern." Emily blickte ihn besorgt, aber ruhig an. Zum Glück ließ sie sich durch derartige Kleinigkeiten nicht aus der Fassung bringen. "Was sollen wir bis dahin tun?" "Das ist eine gute Frage. Durch den Schneesturm sind die Hotels in der Umgebung von gestrandeten Reisenden überfüllt. Es bleibt nur eine Möglichkeit." Er seufzte und zog eine Grimasse. "Wir müssen ins Haupthaus ziehen." Wie erwartet, war Maureen entzückt, ihren Sohn und seine Familie unter ihrem Dach zu haben. "Kommt mit. Ich bringe euch sofort unter." Sie ging voraus zum Obergeschoß im Westflügel und öffnete eine Tür. "Edmund und Emily, ihr könnt dieses Schlafzimmer nehmen. Chloe bekommt das rosa Zimmer links und Bobby das Kinderzimmer rechts. " "Danke", sagte Edmund. "Wir kommen jetzt allein zurecht." "Natürlich." Maureen wandte sich an Chloe. "Darling, möchtest du mit mir in die Küche kommen? Wir backen gerade Zimtsterne." "Darf ich, Daddy?" Er nickte. "Wie steht es mit Bobby? Glauben Sie, daß er auch mitkommen möchte?" fragte Maureen und hielt ihm bereits die Hände hin. "Offensichtlich ja", murmelte Emily überrascht, aber auch erfreut, als Bobby sich bereitwillig in Maureens Arme begab. "Wir kommen sie abholen, sobald wir uns hier eingerichtet haben", versprach Edmund.
"Laßt euch ruhig Zeit." Mit den beiden Enkelkindern in ihrer Obhut schien Maureen sich wie im siebten Himmel zu fühlen. Lächelnd verschwand sie mit ihnen um die Ecke. Edmund trug die Koffer in das Schlafzimmer und stellte sie ab. "Probleme?" fragte er sanft, als er sah, daß Emily auf das behagliche Doppelbett mitten im Raum starrte. Sie hielt den Blick abgewendet und murmelte verlegen: "Es steht nur ein Bett hier drinnen." "Ich weiß." Es fiel ihm unheimlich schwer, die Vorstellung von ihren nackten, engumschlungenen Körpern zu verdrängen, die unwillkürlich in ihm aufstieg. Doch er durfte nicht vergessen, daß sie sich weder hier noch sonst wo lieben würden. Emily steckte ihre zitternden Hände in die tiefen Taschen ihrer Bundfaltenhose, so daß sich der Stoff über ihren Sanft gerundeten Hüften spannte. Sie nagte an ihrer rosigen Unterlippe und bemerkte: "Ich nehme an, es kommt nicht in Frage, um getrennte Schlafzimmer zu bitten." Er trat zu ihr, zog ihr die Hand aus der Tasche und nahm sie in seine. "Es gibt noch andere Zimmer." "Aber es würde Verdacht erregen", stellte sie fest. "Eindeutig." Genießerisch musterte er ihre seidigen, schulterlangen Locken und ihren gesunden, goldbraunen Teint. Dann blickte er ihr tief in die meerblauen Augen. Ihm wurde bewußt, daß sie sich allmählich daran gewöhnten, einander zu berühren und sich wie ein Ehepaar zu benehmen. "Es ist ja nur für ein paar Tage." Sie senkte die Wimpern und seufzte. "Richtig." Um sie zu beruhigen, strich er mit dem Daumen über ihren zarten Handrücken. "Wir sind doch beide erwachsen." Emily holte tief Luft und hielt den Blick abgewendet. "Auch richtig." "Wir werden schon damit fertig."
"Bestimmt, aber..." Sie wirbelte zu ihm herum, so daß ihre Brüste zufällig seinen Arm streiften. "Aber ich fürchte, wir machen uns da etwas vor. Du bist ein Mann, und ich bin eine Frau. Ein Bett zu teilen muß einfach unangenehm und peinlich für uns beide sein." Allerdings, dachte Edmund. Sie war zurückgewichen, doch die Berührung mit ihrem weichen, warmen Körper hatte Verlangen in ihm erweckt. "Wir werden schon damit fertig", versicherte er dennoch erneut. "Womit werdet ihr fertig?" Unbemerkt war Selena in der Schlafzimmertür erschienen. Hämisch hakte sie nach: "Sagt bloß nicht, daß ihr beide jetzt schon Eheprobleme habt?" Emily schmiegte sich an Edmund, schlang einen Arm um seine Taille und entgegnete lächelnd: "Keine Sorge, Selena. Es ist nichts von Bedeutung." Er zog sie noch näher an sich. "Nur ein kleines Problem mit einem geplatzten Rohr." Selenas Blick wurde kühl. "Davon habe ich schon gehört. Edmund, deine Mutter schickt mich, um dir zu sagen, daß du gleich ein paar geschäftliche Anrufe erwidern möchtest. Die Nachrichten liegen auf dem Schreibtisch in der Bibliothek, eine von den Thurstons ist auch dabei." "Richte ihr bitte aus, daß ich gleich komme", sagte er höflich. "In Ordnung." Selena warf Emily einen abschätzenden Blick zu. Dann wandte sie sich ab und ging mit provozierend schwingenden Hüften den Flur entlang. Als sie außer Sichtweite war, atmeten Emily und Edmund beide erleichtert auf. So abrupt, wie sie sich in seine Arme begeben hatte, ließ er sie auch wieder los. Es war eine rücksichtsvolle Geste, die sie seltsamerweise ein wenig enttäuschte. "Danke, daß du mitgedacht hast", sagte er. "Ich glaube, dein verliebtes Verhalten hat sehr dazu beigetragen, Selena zu entmutigen."
Wenn das nur alles wäre, dachte Emily. Ihr Herz pochte, ihre Knie zitterten, und ihre Kehle war wie ausgedörrt. Sie blickte zur Uhr. Bobby war inzwischen fast eine halbe Stunde bei Maureen. Es wurde Zeit, sich aus Edmunds himmlischer Nähe zu entfernen und auf die Erde zurückzukehren. "Ich sehe jetzt lieber nach Bobby." "Nicht nötig", entgegnete Maureen, die gerade in der Tür auftauchte. Bobby schlummerte friedlich in ihren Armen. "Der Ärmste ist in seinem Stuhl eingeschlafen." "Ich helfe Ihnen, ihn ins Bett zu bringen", sagte Emily und eilte in das angrenzende Kinderzimmer. "Und ich kümmere mich um diese Anrufe", beschloß Edmund und schritt in entgegengesetzter Richtung davon. Maureen folgte Emily und legte Bobby behutsam in das Gitterbett. "Ich nehme an, er schläft vormittags immer?" "Nicht jeden Tag. Es hängt davon ab, wie müde er ist. Gestern war ein sehr langer Tag für ihn." Emily deckte ihn zu und legte seinen Teddybären neben ihn. Dann schaltete sie das Abhörgerät ein und nahm den Empfänger mit hinaus in den Flur. "Danke, daß Sie auf ihn aufgepaßt haben." Maureen schob sie in das Spielzimmer gegenüber. "Kein Problem. Es hat mir Spaß gemacht." Sie bedeutete Emily, sich auf die gepolsterte Fensterbank zu setzen. "Er ist ein entzückendes Kind. Aber da er jetzt schläft, möchte ich mich gern mit Ihnen unterhalten. Von Frau zu Frau. Als zwei Menschen, denen an meinem Sohn gelegen ist." Aha, dachte Emily, jetzt kommt es. Doch sie konnte ihr nicht verdenken, daß ihr Edmunds Wohlergehen am Herzen lag. Ginge es um Bobby, würde sie selbst sich ebenso verhalten. "Zunächst einmal halte ich es unter den gegebenen Umständen für angebracht, daß wir beide uns duzen", erklärte Maureen freundlich. "Ich habe nichts dagegen", erwiderte Emily überrascht.
Unvermittelt wurde Maureens Miene sehr ernst. "Ich habe heute morgen die Suchmeldungen im Anschluß an die Nachrichten im Fernsehen gesehen. Daraufhin habe ich einige Freunde in Maryland angerufen und erfahren, daß Whit und Andrea Bancroft versuchen, dir Bobby wegzunehmen. Das finde ich furchtbar. Niemand hat das Recht, ein Baby von seiner Mutter zu trennen, und es ist offensichtlich, daß Bobby dich anbetet und zu dir gehört." Emily schluckte. "Soll das heißen, daß du meine Ehe mit Edmund gutheißt?" hakte sie vorsichtig nach. Maureen lächelte sanft. "Nein. Aber ich verstehe jetzt, warum er gestern abend so impulsiv gehandelt hat. Er versucht, dich und deinen Sohn zu schützen." "Das stimmt", gestand Emily ein. "Trotzdem bin ich der Meinung, daß es nur einen einzigen Grund gibt, um zu heiraten, wenn man bis über beide Ohren verliebt ist." Früher einmal hatte Emily ebenso gedacht. Doch nun war sie sich nicht mehr so sicher. "Edmund und ich haben beide bereits die Liebe unseres Lebens hinter uns", entgegnete sie nachdrücklich. Maureen schüttelte mißbilligend den Kopf. "Das bedeutet nicht, daß so etwas nicht noch mal geschehen kann." "Aber es würde nie das gleiche sein." "Vielleicht nicht. Erst mal verspreche ich dir jedenfalls, daß ich dir helfen werde, soweit ich nur kann. Wir stellen die ganze Macht des Namens Fairfax hinter dich und Bobby. Und dann, wenn diese unglückliche Situation mit Brians Familie geklärt ist, könnt Edmund und du wieder ein normales Leben führen." Emily spürte eine versteckte Warnung. Sie beschloß, ebenso offen und direkt zu sprechen wie ihre neue Schwiegermutter. "Soll das heißen, daß du uns zwar hilfst, aber willst, daß unsere
Ehe annulliert wird, sobald die Probleme mit den Bancrofts aus der Welt geschafft sind?" Maureen zögerte. Sie wollte Emily nicht verletzen, aber dennoch aufrichtig sein. "Mein Sohn hat durch Lindseys verfrühten Tod sehr gelitten. Ich weiß, daß ihr beide glaubt, im selben Boot zu sitzen und dadurch sehr viel gemeinsam zu haben. Und ich weiß, daß ihr Freunde geworden seid, ebenso wie er und Brian es waren. Aber ich möchte nicht, daß mein Sohn unter einer lieblosen Ehe leidet, so gut ihr beide euch auch zu verstehen glaubt." Wenige Minuten später gesellte Edmund sich zu Emily und Chloe ins Spielzimmer. "Ich habe gerade ein Fax von deiner Lehrerin in Seattle bekommen, Chloe", verkündete er ohne Vorrede. "Sie möchte gern wissen, wie es mit deinen Schularbeiten steht." Chloe zog den Kopf ein und konzentrierte sich auf das Videospiel in ihrer Hand. "Du weißt doch, daß ich noch nichts davon fertig habe, Daddy." "Genau darum geht es mir ja, Spatz." Er hockte sich vor sie hin, so daß sie sich auf derselben Augenhöhe befanden. "Meinst du nicht, daß du endlich damit anfangen solltest? Da Bobby schläft, ich in der Bibliothek zu arbeiten habe und Emily Zeit hat, dir zu helfen, wäre jetzt genau der richtige Augenblick." "Das würde ich ja gern, Daddy, wirklich'" Chloe schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln, bevor sie sich wieder ihrem Spiel zuwandte. "Aber heute fällt die Schule hier in Kentucky aus, wegen dem vielen Schnee." Emily blickte ihn schmunzelnd an. "Jetzt hat sie es dir aber gegeben", bemerkte sie milde. "He, du solltest eigentlich mich unterstützen und nicht sie", neckte er sie. "Entschuldige", erwiderte Emily gelassen, bevor sie sich an Chloe wandte. "Dein Dad hat recht, Kind", sagte sie sanft. "Du solltest dich wirklich um deine Schularbeiten kümmern. Sonst
hast du später noch viel mehr aufzuholen. Laß uns doch gleich anfangen." "Du kannst dir auch aussuchen, welches Fach du dir als erstes vornimmst", warf Edmund ein, um ihr die Arbeit so schmackhaft wie möglich zu machen. Chloe verdrehte seufzend die Augen, legte das Videospiel beiseite und murrte: "Na gut." Leider erwies es sich als sehr schwer, Chloes Aufmerksamkeit zu fesseln. Die meiste Zeit schaute sie aus dem Fenster, anstatt sich mit ihren Mathematikaufgaben zu beschäftigen. "Also gut", sagte Emily schließlich. "Du schreibst jetzt noch einen Aufsatz, und dann gehen wir alle hinaus in den Schnee." Diese Aussicht beflügelte Chloe so sehr, daß sie den Aufsatz in Windeseile fertig stellte. Während sie zu einem Imbiß in die Küche ging, schrieb Emily eine kurze Mitteilung an die Schule, in der sie erklärte, daß sie sich nun als Hauslehrerin um Chloes Unterricht kümmerte. Anschließend ging sie in die Bibliothek und faxte die Nachricht zusammen mit Chloes Hausaufgaben nach Seattle. "Wie ist es gelaufen?" erkundigte sich Edmund. Sie berichtete ihm davon und schloß: "Sie begreift sehr schnell. Ihre Auffassungsgabe ist also nicht das Problem." "Ist es eher eine Frage der Motivation?" "Es scheint so. War es schon immer so? Hat sie ihre Hausaufgaben immer gehaßt?" Mit betroffener Miene lehnte Edmund sich auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch zurück. "Früher hat sie die Schule geliebt. Aber seit Lindseys Tod ist es sehr schwer für sie." Emily hockte sich auf die Schreibtischkante und verschränkte die Arme. "Inwiefern?" "Lindsey hat als freiwillige Helferin viel Zeit in der Schule verbracht und sich sehr um jeden Aspekt der Erziehung gekümmert. Chloe vermißt sie sehr."
"Du könntest dich doch auch dort engagieren", schlug Emily vor und dachte dabei, daß er mit seinem Charme und Einfühlungsvermögen eine Bereicherung für jeden Elternbeirat darstellen würde. "Das habe ich auch getan." Edmund seufzte. "Aber Chloe sagt, daß es nicht dasselbe ist. Sie will eine Mutter, Emily. So einfach ist es." Und darum hat er mich geheiratet, dachte sie.
6. KAPITEL "Guck mal, Daddy, es hat aufgehört zu schneiden", verkündete Chloe, sobald sie aus dem Haus traten. "Und seht euch das an!" Sie vollführte eine Pirouette. "Ich kann auf dem Schnee gehen. Ich sinke fast gar nicht ein." "Er ist ziemlich dicht", stellte Edmund fest, als er sich bückte und mit den Fingern über die dicke Schneedecke strich, die die Farm in ein Winterwunderland verwandelt hatte. "Er ist perfekt zum Schlittenfahren", warf Emily ein. "Und für Engel!" Chloe ließ sich rückwärts fallen, wischte mit Armen und Beinen über den Schnee und stellte somit den Abdruck eines Engels mit Flügeln her. Bobby wand sich in Emilys Armen und wollte es Chloe offensichtlich nachtun. Vorsichtig stellte sie ihn vor sich in den Schnee und hielt ihn an den Händen. Er zappelte weiterhin, um sich aus ihrem Griff zu befreien. Sobald sie ihn losließ, setzte er sich prompt auf den Po. Dann legte er sich hin und versuchte, Chloes Bewegungen nachzuahmen. Sie kicherte, und er krähte fröhlich. Edmund schmunzelte. "Er ist ein richtiges Schneebaby. Er scheint für den Winter geboren zu sein." "Es gefällt ihm hier", murmelte Emily. "O nein!" rief Chloe, als Bobby sich eine Handvoll Schnee in den Mund stopfte und in das Gesicht schmierte. Sie setzte sich auf und zog ihn ebenfalls hoch. Rührend gewissenhaft für ein so
kleines Mädchen, wischte sie ihm die rosigen Wangen ab. "Du sollst das nicht essen, Dummkopf", schalt sie sanft. "Du mußt einen Ball daraus machen." Sie demonstrierte es. "Und dann auf jemanden werfen." Sie zielte auf Edmund und warf. Der Ball traf seinen Mantel und zerbarst in Hunderte kleiner Flocken. Bobby krähte vergnügt. Auch Edmund lachte. "Sei lieber vorsichtig. Sonst gerätst du in eine ausgewachsene Schneeballschlacht." "Okay, aber damit du Bescheid weißt, du kannst nicht gewinnen", konterte sie mit schelmischer Miene. "Ich habe die Schlitten!" rief Gail eifrig, während sie zu ihnen eilte. Sie zog eine Art Plastikschale mit Griffen an beiden Seiten und einen hölzernen Schlitten mit hohen Seitenwänden für Kleinkinder hinter sich her. "Kann ich Bobby ein bißchen ziehen?" fragte Chloe, sobald Emily ihn hineingesetzt hatte. "Natürlich." "Aber sei vorsichtig", mahnte Edmund. Gail holte einen Fotoapparat hervor. Sie knipste Bobby mit wild fuchtelnden Armen im Schlitten, Chloe bei der Abfahrt eines sanften Hügels auf ihrer Schale sowie Emily und Edmund zusammen mit den Kindern. Dann brachte sie Chloe bei, Ballen aus Schnee für einen Schneemann zu rollen. "Sie kann großartig mit Kindern umgehen", murmelte Emily. "Ich weiß. Sie hat Bobby richtig ins Herz geschlossen", bestätigte Edmund. "Und er scheint ihr sehr zugetan zu sein", fügte sie erfreut hinzu. "Schade, daß ich dasselbe nicht von dir und meiner Mutter behaupten kann", bemerkte er leise. "Ich weiß nicht, was du damit sagen willst." Sie wandte sich ab und wollte zu den Kindern gehen.
Er faßte sie am Arm und wirbelte sie zu sich herum. "Ihr habt bei Tisch kaum ein Wort miteinander gewechselt." "Ja und?" "Daher weiß ich, daß etwas vorgefallen sein muß", schloß er und zog sie mit besorgter Miene an sich. Es fiel ihr schwer, seinem Blick zu begegnen. "Sie hat angeboten, uns gegen die Bancrofts zu helfen." Er lächelte. "Ich wußte doch, daß sie zur Einsicht kommen würde." "Nicht so sehr, wie du glaubst. Sie meint, wir sollten lieber Freunde statt Mann und Frau sein." "Wir können doch beides sein." "Sie ist außerdem der Meinung, daß ich dir jede Hoffnung auf eine romantische Zukunft zerstört habe, indem ich dich geheiratet habe." "Der Tag, an dem ich meine Mutter über mein Liebesleben bestimmen lasse..." "Sie hat nicht ganz unrecht", warf Emily ein. "Was ist, wenn du dich wieder verliebst?" "Das wird nicht passieren", entgegnete er entschieden. "Aber wenn du es doch tust und ich dir im Weg bin..." Ihre Stimme versagte. Er legte ihr einen Finger an die Lippen. "Hat dir noch nie jemand gesagt, daß man Probleme nicht heraufbeschwören soll?" fragte er sanft. "Ich kann es nicht ändern. Ich fühle mich schuldig." Schuldig, weil sie ihm die Zukunft verbaute und ihn in ihre Probleme hineinzog. Er nahm sie sanft bei den Schultern und blickte ihr in die Augen. "Das sollst du nicht. Ich bin ein erwachsener Mann. Ich weiß, was ich will, Emily. Und ich will mit dir verheiratet sein." "Das ist der Stall, für unsere Hengste", erklärte Edmund, als er mit Emily, Gail und den Kindern das erste der Nebengebäude betrat. Es bestand aus dicken Steinwänden und einem Dach aus
Metall, war geräumig, warm und makellos sauber. In jeder Box befanden sich eine automatische Tränke und ein Trog. "Wie viele Pferde habt ihr hier?" erkundigte sich Emily, während Gail mit den Kindern die beiden vorhandenen Pferde ansehen ging. "Momentan besitzen wir zwei Hengste und dreißig Stuten. Dazu kommen vierzig Fohlen von Klienten, die hier aufgezogen werden." Emily blieb in der breiten Boxengasse stehen. "Es sieht aus, als hättet ihr Platz für drei Hengste." "Momentan fehlt uns einer. Letztes Jahr ist einer der Deckhengste in den Ruhestand getreten. Mutter konnte ihn noch nicht ersetzen. Deswegen sind die Einnahmen beträchtlich gesunken, und wir mußten drei Ställe komplett schließen." "Aber dieses Pferd, auf das du so erpicht bist, könnte das ändern", überlegte Emily. "Es würde eine sofortige Umsatzsteigerung von dreißig Prozent bedeuten", warf Gail ein, als sie mit den Kindern zurückkehrte. "Das ist eine Menge", sagte Emily beeindruckt. "Allerdings. Deswegen bauen wir ja darauf, daß Edmund den Fisch für uns an Land zieht." Gail grinste ihn an. "Chloe möchte Bobby die Fohlen zeigen. Ist es euch recht, wenn ich sie hinbringe?" Edmund und Emily erteilten ihr die Erlaubnis und bedankten sich. Als sie allein waren, fragte Emily: "Kann jeder seine Stute hier decken lassen? Oder muß es schon ein Rassepferd sein?" Edmund führte sie in den nächsten Stall, in dem fünfzehn Stuten standen. "Theoretisch könnte jeder das tun. Aber es ist eine recht kostspielige Angelegenheit. Außerdem müssen wir sehr wählerisch in der Auswahl der Stuten sein, die von unseren Hengsten gedeckt werden. Denn die Qualität der Fohlen, die hier gezüchtet werden, übt einen großen Einfluß auf unseren guten Namen und somit auf den Profit aus."
"Und ihr habt hier sogar einen eigenen Tierarzt?" Edmund nickte. "Und er leidet nicht unter Arbeitsmangel, da wir das ganze Jahr über mehr als hundertzwanzig Pferde hier haben. Wenn wir einen dritten Hengst bekommen, werden es sogar um die hundertachtzig sein." Während er Emily durch den Schnee über das Gelände führte, erklärte er ihr interessante Details über die Pferdezucht. "Du scheint sehr viel von dem Geschäft zu verstehen", bemerkte Emily beeindruckt. "Ich sollte es eigentlich von meinem Vater übernehmen, nachdem ich das College absolviert hatte." "Aber du wolltest nicht." "Nein. Ich wollte als Anlageberater arbeiten und an der Westküste leben." Sie bewunderte und verstand seinen Drang nach Unabhängigkeit. Doch sie ahnte, daß es ihm nicht leichtgefallen war, seinen Entschluß durchzusetzen. "Wie ich deine Mutter kenne, war sie nicht gerade glücklich darüber." Edmund nickte. "Mein Vater auch nicht. Eine Weile lang habe ich befürchtet, daß er mir nie verzeihen könnte. Aber schließlich hat er mein Bedürfnis respektiert, auf eigenen Füßen zu stehen und mir ein eigenes Leben aufzubauen." "Es muß dich sehr belasten, daß es mit dem Geschäft derart abwärts geht." "Allerdings. Ich wäre schon früher gekommen, wenn ich gewußt hätte, wie schlimm es tatsächlich ist. Meine Mutter hat mir am Telefon nur gesagt, daß die Dinge schlecht stehen und sie mich hier braucht. Ehrlich gesagt habe ich geglaubt, daß sie übertreibt... bis ich die Bücher eingesehen habe." "Vielleicht erholt sich das Geschäft von allein. Vielleicht ist es nur eine vorübergehende schlechte Phase", bemerkte Emily hoffnungsvoll. "Das würde ich gern glauben", entgegnete er schroff, "aber ich kann nicht. Mein Vater hat mir beigebracht, die Dinge
nüchtern und ohne Sentimentalität zu betrachten. Er war der Meinung, daß mich harte Arbeit und gesunder Menschenverstand zum Ziel bringen würde." Emily blieb stehen, lehnte sich an einen Zaun und blickte zu ihm auf. "Hat sein Rat dir denn genützt?" Nachdenklich entgegnete er: "In geschäftlicher Hinsicht ja. Im Privatleben war er eher schädlich." "Das kann ich kaum glauben", widersprach Emily, denn in seiner Rolle als Ehemann und Vater erschien er ihr vollkommen. "Glaub es lieber." Er nahm ihre Hand und streichelte sie geistesabwesend. "Hätte ich mich nicht so sehr bemüht, mich gegen meine Gefühle zu verschließen, hätte ich vielleicht..." Er hielt inne, schluckte schwer und schwieg mit betroffener Miene. "Was hättest du?" hakte sie sanft nach. Er ließ ihre Hand los und wandte sich ab. "Ich hätte gemerkt, daß Lindsey Angst hatte. Ich hätte sie vielleicht davon abhalten können, an jenem Nachmittag wegzufahren, und damit ihren Tod verhindert." Emily blickte ihn entsetzt an. "Moment mal. Jeder weiß doch, daß es ein Unfall war. Lindsey ist zum Supermarkt gefahren, während du zu Hause bei Chloe geblieben bist, und sie hat auf der regennassen Straße die Kontrolle über den Wagen verloren." "Richtig." "Du hättest absolut gar nichts tun können, um das zu verhindern." "Das glauben alle. Aber es ist nicht wahr. Ich hätte wissen müssen, daß sie es immer gehaßt hat, bei Regen zu fahren, daß sie immer Angst hatte, die Kontrolle über den Wagen zu verlieren. Aber ich wußte es nicht. Verdammt, wenn eine ihrer Freundinnen es mir gegenüber nicht bei der Beerdigung erwähnt hätte, wüßte ich es heute noch nicht." Emily berührte ihn sanft am Arm. "Ich finde, daß du zu hart zu dir selbst bist."
Er schien sie nicht zu hören. Mit unversöhnlicher Miene starrte er zu den tief hängenden, weißen Wolken am Horizont. "Sie war meine Frau, die Mutter meines Kindes. Ich habe sie geliebt und acht Jahre lang mit ihr gelebt. Da hätte ich wissen müssen, daß sie so empfand. Ich hätte ihre Angst spüren müssen, selbst wenn sie nie davon gesprochen hat." "Vielleicht wollte sie nicht, daß du es erfährst", entgegnete Emily sanft. Sie strich ihm tröstend über den Arm. "Vielleicht war ihr diese Angst unangenehm. Vielleicht wollte sie allein damit fertig werden." Skeptisch zog er die Augenbrauen hoch. "Ich habe sie zwar kaum gekannt..." "Allerdings", unterbrach er schroff. "Du hast sie gar nicht gekannt." "Aber als ich bei meiner Hochzeit mit ihr gesprochen habe, hat sie auf mich wie eine äußerst selbstbewußte Frau gewirkt, die sehr stolz auf ihre Fähigkeit ist, mit allem fertig zu werden. Ich hatte nicht den Eindruck, daß sie irgendwelche Ängste eingestehen würde." Seine Schultern entspannten sich ein wenig. "Das stimmt. Sie war sehr stark." "Vielleicht wollte sie dich also schützen... genau wie ich Brian schützen wollte, als er in der Jugendstrafanstalt zu unterrichten begann." Verwundert hakte Edmund nach: "Inwiefern?" Ihre Schritte knirschten im Schnee, als sie rastlos auf und ab wanderte. "Am Anfang habe ich mir einfach Sorgen um ihn gemacht, weil er mit Straftätern Umgang hatte. Dann habe ich mich schuldig gefühlt, weil ich mich um ihn gesorgt habe, ob Wohl ich wußte, daß er meine Zuversicht brauchte. Also habe ich mich gezwungen, meine Besorgnis zu verdrängen." Sie seufzte und blieb neben ihm stehen. "Nachdem er eine Zeitlang mit den Jugendlichen gearbeitet hatte, wurde mir klar, wie sehr sie ihn mochten und respektierten. Ich hielt meine
Sorge für unbegründet." Sie schluckte schwer. "Aber dann wurde er getötet, als er eine Messerstecherei zwischen zwei Schülern verhindern wollte, die er nicht einmal kannte. Ich habe mich furchtbar gefühlt. Denn wenn ich auf meine ursprünglichen Gefühle gehört und ihn davon abgehalten hätte, diesen Job anzunehmen, dann wäre er noch am Leben." Edmund verspürte Mitgefühl und Verständnis. Er legte ihr eine Hand an die Wange. "Ich weiß, daß seine Eltern es so gesehen und dir die Schuld gegeben haben." "Ja, eine Zeitlang." Seine Berührung tröstete sie ungemein. "Aber schließlich haben sie wie ich erkannt, daß unser Weg vorherbestimmt ist und wir gewisse Dinge trotz der größten Bemühungen nicht verhindern können. Letztendlich müssen wir das Leben führen, das uns zugedacht ist. Ob das nun Schicksal, Gottes Wille, Karma oder etwas anderes ist." "Also keine Reue mehr." Er legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. "Nein. Brian hat so gelebt, wie er es wollte. Er ist gestorben, während er eine Tätigkeit ausübte, die ihm unendlich viel bedeutet hat." Sie schlang einen Arm um seine Taille und blickte zu ihm auf. "Ich glaube, daß er immer noch etwas tut, was ihm viel bedeutet, wo immer er jetzt sein mag. Und Lindsey ebenfalls." "Vielleicht hast du recht." Edmund lächelte sie an, trat zurück und verdrehte die Augen. "Einen Moment lang waren wir furchtbar sentimental." "Stimmt. Es ist an der Zeit, daß wir uns aufheitern." "Gute Idee." Edmund hob etwa Schnee auf und rollte ihn zu einem Ball. "Wage es ja nicht!" "Zu spät." Der Schneeball flog dicht an ihrem Hals vorbei. "Zu spät für dich, meinst du." Sie nahm beide Hände voll Schnee und seifte ihn damit ein.
Er riß sie in seine Arme und zog sie an sich. "Du wolltest es so haben", murmelte er und schien damit nicht den Schnee zu meinen. Ihr stockte der Atem, als er den Kopf senkte. Sie wußte, daß sie sich nicht küssen sollten, aber sie sehnte sich danach. Es war so lange her, seit sie sich so lebendig, so voller Hoffnung gefühlt hatte. Als er die Lippen auf ihre drückte, hob sie den Kopf, stellte sich auf Zehenspitzen und vergrub die Hände in seinem Haar. Atemlos, widerstrebend lösten sie sich schließlich voneinander. "Edmund, ich..." Sie verstummte, als sie das zärtliche Verlangen in seinen Augen sah. Verwirrt und von Sehnsucht erfüllt, wandte sie sich ab. "Ich weiß." Er drehte ihr Gesicht zu sich herum. "Das entspricht nicht unserer Abmachung, aber es ist nun mal passiert, also..." "Also müssen wir uns damit abfinden." "Du bist mir also nicht böse?" "Nein." "Gut." Er atmete erleichtert auf. "Weil ich dich nämlich etwas fragen muß. Würde es dich stören, wenn ich ständig hier bleiben wollte?" Der abrupte Themenwechsel verwirrte Emily. "Aber was ist mit deinem Geschäft in Seattle?" Edmund zuckte gelassen die Schultern. "Einige meiner Klienten würden natürlich abwandern. Andere wären es sehr zufrieden, meinen Rat per Telefon und Fax einzuholen. Nur gelegentlich müßte ich kurze Trips nach Seattle unternehmen. Ich wäre meiner Familie näher, könnte den Farmbetrieb im Auge behalten und trotzdem dem Beruf, nachgehen, den ich liebe. Wäre dir das recht?" Emily lächelte. "Ich finde, das hier ist ein großartiger Ort, um eine Familie auf zuziehen." Und sich zu verlieben...
Er nahm ihre Hand. "Das finde ich auch." In diesem Moment trat einer der Stallburschen aus einem der Gebäude heraus und rief: "Telefon für Sie! Es ist ein Mr. Thurston." Widerstrebend ließ Edmund sie los und eilte an den Apparat im Büro. Nach wenigen Minuten kehrte er mit finsterer Miene zurück. "Probleme?" erkundigte sich Emily. "Die Thurstons haben den Termin für morgen abgesagt." "Haben sie einen Grund dafür genannt?" hakte sie mitfühlend nach. "Sie schieben es auf das Wetter, aber das ist es nicht." "Was dann?" "Es ist ihnen peinlich, mir ins Gesicht abzusagen." "Das tut mir leid." "Mir auch. Ich hatte wirklich gehofft, daß sie mir noch eine Chance geben würden." "Vielleicht gibt es einen anderen Weg, das Geschäft anzukurbeln", schlug Emily optimistisch vor. "Durch eine andere Art von Werbung oder ein neues Marketing. Mehr auf die Bedürfnisse der einzelnen Kunden abgestimmt." "Daran habe ich auch schon gedacht. Ich habe sogar schon einige Ideen in dieser Richtung." Bevor er besagte Ideen näher erläutern konnte, trat erneut der Stallbursche aus dem Büro. "Edmund! Ihre Mutter verlangt nach Ihnen im Haupthaus!" Sie holten Gail und die Kinder aus dem Stall und gingen gemeinsam zum Haupthaus. Maureen empfing sie zusammen mit Selena an der Haustür und verkündete aufgeregt: "Es steht jetzt fest, Edmund. Die Besitzer von King's Ransom kommen morgen zur Besichtigung der Farm." "Das ist sehr erfreulich. Ich trommle das Personal zusammen und lasse alles vorbereiten", verkündete er eifrig.
"Und ich kümmere mich um alles hier im Haus." "Ich helfe dir, Maureen", bot Selena an. Emily bemerkte, daß Bobby in Edmunds Armen beinahe eingeschlafen war und auch Chloe sehr müde aussah. "Ich bringe die Kinder nach oben", entschied sie. Wenige Minuten später war Bobby in seinem Gitterbett eingeschlafen. Chloe, die schon seit Jahren keinen Mittagsschlaf mehr hielt, holte ihren Stofftiger. "Kannst du Stofftiere nähen?" wollte sie wissen. "Tigger hat nämlich ein kaputtes Ohr. Ich würde ihn ja zu Daddy bringen, aber er kann nicht nähen." "Es wäre mir eine Ehre, Tigger zu flicken." Emily nahm ihr Nähzeug aus dem Koffer und setzte sich neben Chloe auf das Bett. "Es sieht ganz so aus, als wäre es nicht das erste Mal, daß dieser kleine Kerl operiert werden muß." Chloe strich mit den Fingern über die sauber gestopften Stellen und sagte bedrückt: "Mommy mußte ihn oft nähen, als ich noch klein war." "Du vermißt deine Mommy, oder?" "Andauernd." Chloe seufzte schwer und stützte das Kind in die Hand. "Vermißt Bobby seinen Daddy?" "Er hat seinen Daddy nie kennengelernt. Sein Daddy ist nämlich gestorben, bevor er geboren wurde." Chloe zog die Mundwinkel herab. "Das ist sehr traurig." "Ja, das ist es wirklich." "Ich sollte eigentlich einen kleinen Bruder kriegen." Emily hielt einen Moment im Nähen inne und blickte auf. "Wirklich?" "Mommy und Daddy haben es gesagt. Aber dann habe ich doch keinen gekriegt, weil Mommy gestorben ist. Das hat mich wirklich traurig gemacht. Und Daddy auch." "Es ist schwer, jemanden zu verlieren, den man lieb hatte." "Willst du ein Bild von meiner Mommy sehen?" "Ja, gern."
Chloe ging zu ihrem Rucksack und kehrte Sekunden später mit einem kleinen Foto zurück. Es war in Seattle aufgenommen worden, an einem wunderschönen, sonnigen Tag. Beim Betrachten des Fotos erinnerte sich Emily daran, wie sehr Edmund seine Frau geliebt hatte. Unwillkürlich verspürte sie einen Anflug von unbegründeter Eifersucht. Sie wollte nicht, daß er sie nur mochte oder begehrte. Sie wollte mehr. "He, wieso bist du noch auf?" erkundigte sich Gail erstaunt. Es war beinahe Mitternacht. Edmund legte seinen Kugelschreiber nieder. "Ich bin noch einmal den Vertrag durchgegangen." Sie schenkte ihnen beiden einen Schlummertrunk ein. "Ist King's Ransom das einzige Problem, was dich beschäftigt?" Er nippte an seinem Cognac. "Wieso?" Sie setzte sich ihm gegenüber. "Ich meine Emilys Probleme mit den Bancrofts. Ich dachte mir, daß du dir vielleicht Sorgen wegen eines möglichen Streits um das Sorgerecht machst." Er stand auf und trat an den Kamin. "Glaubst du, daß ich da Grund zur Sorge habe?" "Ehrlich gesagt schon." Edmund legte ein Holzscheit nach. "Weil es zu einem Prozeß kommen wird oder weil du meinst, daß wir ihn verlieren werden?" "Beides." "Emily ist eine ausgezeichnete Mutter." "Daran besteht kein Zweifel, Bruderherz." "Worauf willst du dann hinaus?" hakte Edmund ungehalten nach. "Das Gericht könnte eure überstürzte Heirat als allzu impulsiv und folglich schädlich für beide Kinder ansehen." "Und wie sollen wir dem deiner Meinung nach entgegenwirken?" erkundigte er sich ernsthaft. Von dieser Seite hatte er die Angelegenheit noch nicht betrachtet.
Gail lächelte. "Indem ihr den Leuten zeigt, wie sehr ihr euch wirklich verbunden seid, und dafür sorgt, daß diese Ehe funktioniert." "Wir sind uns wirklich verbunden." Sie leerte ihr Glas, stand auf und bedachte ihren Bruder mit einem skeptischen Blick. "Was tust du dann in euren Flitterwochen allein hier unten, während deine Ehefrau oben auf dich wartet?" Eine gute Frage, dachte Edmund. Er kannte die Antwort natürlich. Er scheute sich, die Nacht zusammen mit Emily in einem Bett zu verbringen, ohne die Ehe vollziehen zu dürfen. Aber Gail hatte natürlich recht, und irgendwann mußte er schließlich schlafen geben. Also wünschte er ihr eine gute Nacht und ging die Treppe hinauf. Oben sah er nach Bobby und Chloe, die beide friedlich schliefen, bevor er in sein eigenes Schlafzimmer ging. Er hatte gehofft, es dunkel vorzufinden. Statt dessen brannte eine Nachttischlampe. Emily saß im Bett und hielt ein Buch vor sich auf den Knien. Die Lesebrille mit Goldrand, die auf ihrer Nasenspitze saß, verlieh ihr einen äußerst gelehrten Eindruck. Der rosa Pyjama aus Flanell, der mit riesigen Schneeflocken bedruckt war, ließ sie hingegen sehr weiblich und kuschelig und mehrere Jahre jünger aussehen, als sie tatsächlich war. Edmund löste den Knoten seiner Krawatte, bevor er zu ihr ans Bett trat. "Was liest du da?" Sie hielt das Buch hoch. "Aha. Pferdezucht für Outsider'", las er laut. "Deine Mutter hat es mir gegeben. Sie möchte, daß ich mich mit dem Thema vertraut mache, bevor die Kings morgen kommen." "Eine gute Idee." Er setzte sich auf die Bettkante. "Wie kommst du voran?"
"Es ist ganz interessant und auch verständlich geschrieben." Sie spähte über den Rand ihrer Brille zu ihm hinüber. "Wie laufen die Vorbereitungen bei dir?" Sein Blick fiel unwillkürlich auf den Ausschnitt ihrer Pyjamajacke und die Vertiefung zwischen ihren Brüsten. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. "Ich habe den Vertrag fertig. Er ist so vorteilhaft wie möglich für die Kings, ohne daß wir dabei Verluste erleiden. Daher bin ich recht zuversichtlich, daß es ein reizvolles Angebot für sie ist." "Gut." Ein Verlegenes Schweigen entstand. Emily schob sich die Brille höher auf die Nase und fragte schließlich: "Kommst du jetzt ins Bett? Oder bist du nur gekommen, um dich umzuziehen?" "Ich wollte eigentlich ins Bad gehen und dann schlafen. Es sei denn, du möchtest noch lesen." "Nein. Wir können das Licht löschen, wann immer du willst. Ich kann morgen weiterlesen."
7. KAPITEL In einem weißen T-Shirt mit V-Ausschnitt und einer dünnen Trainingshose, welche die Konturen seines Körpers aufreizend umschmiegte, kam Edmund aus dem angrenzenden Badezimmer. Er roch nach Zahnpasta und Rasierwasser, als er ins Bett schlüpfte. Emily legte das Buch beiseite, nahm sich die Brille ab und löschte das Licht. Dann drehte sie sich auf die Seite, winkelte den Ellbogen an und stützte den Kopf in die Hand. "Chloe hat mir heute nachmittag gesagt, daß du und Lindsey ein Baby bekommen hättet..." "Lindsey war nicht schwanger, aber wir wollten beide einen Sohn", murmelte er in traurigem Ton. "Und Chloe wußte das?" "Wir hielten es für besser, sie darauf vorzubereiten, anstatt sie hinterher vor vollendete Tatsachen zu stellen." Er strich mit den Fingern über die Bettdecke zwischen ihnen. "Wolltet ihr auch weitere Kinder?" "Aber ja. Sogar drei oder vier." Edmund legte die Hand auf ihre. "Möchtest du immer noch welche?" "Ich weiß nicht recht." Sie drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. "Bevor ich hergekommen bin, hatte ich diese Möglichkeit völlig aufgegeben. Aber da wir jetzt verheiratet sind und ich Chloe so schnell ins Herz geschlossen
habe, ist mir klargeworden, daß es noch andere Wege gibt, die Familie zu erweitern." "Wie zum Beispiel Adoption", warf er prompt ein, so als hätte auch er diese Option in Betracht gezogen. "Oder künstliche Befruchtung und so weiter." Nicht zu vergessen die altmodische Weise, dachte sie unwillkürlich, indem man einfach mit seinem Ehepartner schläft. Doch sie durfte nicht übersehen, daß es sich nicht um eine richtige Ehe handelte. Auch Edmund drehte sich auf den Rücken und ließ ihre Hand los. "Wie war dein Abend?" Einsam ohne dich, dachte sie. "Ruhig. Schließlich warst du damit beschäftigt, den Vertrag mit Gail durchzusprechen. Und deine Mutter und Selena waren völlig in die Planung des Menüs für den Besuch der Kings vertieft." "Selena gibt sich redliche Mühe, sich hier einzuschmeicheln, stimmt's?" "Es sieht ganz so aus. Welche Beziehung habt ihr eigentlich zueinander, wenn ich das mal fragen darf?" "Wir kennen uns seit unserer Kindheit. Sie hat damals jeden Sommer ihre Tante und ihren Onkel besucht." "Also wart ihr Freunde." Edmund schnitt eine komische Grimasse. "Das kann man nicht gerade sagen. Der Altersunterschied war zu groß, und auch sonst waren wir sehr unterschiedlich. Ich wußte allerdings, daß sie in mich verknallt ist. Ich dachte mir, es würde vergehen, wenn ich sie nicht ermutige. Doch es wurde immer schlimmer. Nachdem ich geheiratet hatte und nach Seattle gezogen war, verlor sie mich für eine Weile aus den Augen. Sie hat sich sogar mit einem anderen verlobt. Aber als das vor ein paar Monaten in die Brüche ging, hat sie mich wieder ins Visier genommen." "Mit Unterstützung von Maureen und ihrer Tante."
Er nickte und seufzte. "Sie hatten alle gehofft, daß ich doch noch zu ihr finde und unsere beiden Familien durch den heiligen Bund der Ehe für immer vereint werden." "Aber dann habe ich dazwischengefunkt." "Zum Glück. Sie wird sich damit abfinden und nach einem anderen Ausschau halten." Da war Emily sich nicht so sicher. Sie glaubte kaum, daß Selena sich kampflos geschlagen geben würde. Edmund berührte ihren Arm. "Wenn du möchtest, daß ich mit ihr rede und ihr sage, daß sie sich von hier fernhalten soll..." "Das ist nicht nötig. Ich bin mit den Kindern sehr beschäftigt, und deine Mutter braucht Hilfe. Ich habe nichts dagegen, wenn Selena sie unterstützt", versicherte Emily, denn sie wußte, daß sie keinerlei Grund zur Eifersucht hatte. "Aber jetzt sollten wir wirklich schlafen. Die Kinder werden schrecklich früh aufwachen." Er musterte sie, so als hätte er alles andere als Schlaf im Sinn. Doch als Gentleman, der er war, blieb er auf seiner Seite des Bettes. "Okay. Wie schläfst du eigentlich? Auf dem Rücken oder auf der Seite?" Wie wäre es in deinen Armen? schoß es ihr durch den Kopf. "Gewöhnlich auf der Seite. Und du?" "Auf dem Rücken." Er nahm ihre Hand und führte sie an die Lippen. "Gute Nacht, Emily." "Gute Nacht", murmelte sie, als er ihre Hand losließ. Und sie redete sich ein, daß es sie erleichterte und keineswegs enttäuschte, daß er die Situation offensichtlich nicht auszunutzen gedachte. Emily und Edmund schliefen sehr unruhig in dieser Nacht. Am nächsten Morgen, als sie gerade frühstückten, erhielt er per Telefon den Bericht von dem Privatdetektiv, den er beauftragt hatte. "Ich habe im Leben der Bancrofts absolut nichts gefunden, was gegen eine Vormundschaft spricht. Im Gegenteil. Es ist als
sicher anzunehmen, daß sie ihren Enkel zu den besten Privatschulen schicken, ihn zweimal jährlich auf Europareise mitnehmen und ihm in jeder anderen Hinsicht den größten Luxus bieten würden." Edmund seufzte enttäuscht. "Wie sieht es im vergangenen Jahr aus, seit dem Tod ihres Sohnes? Gibt es da irgendwelche Unregelmäßigkeiten?" "Nein. Sie haben wie üblich in großem Stil gelebt, mehrere Reisen nach Übersee unternommen und großzügige Empfänge gegeben." "Wie steht es in beruflicher Hinsicht?" "Whit Bancroft geht keiner festen Tätigkeit nach. Er macht hier und da Geschäfte. Angeblich will er demnächst als Mitbegründer in eine Firma einsteigen, die Computer über das Internet vertreibt." Edmund nahm einen großen Schluck aus der Kaffeetasse, die er in die Bibliothek mitgenommen hatte. "Wie ist es um ihre Ehe bestellt?" "Ausgezeichnet. Ihr einziges Problem besteht darin, daß Emily sich weigert, zu ihnen zu ziehen. Sie sind überzeugt, daß jeder Richter die Ablehnung ihrer Großzügigkeit als ebenso unbegreiflich einstufen und ihnen daher das Sorgerecht zusprechen wird." Das bleibt abzuwarten, dachte Edmund. "Was haben sie als nächstes vor?" "Genau das, was Sie befürchten", bestätigte der Detektiv. "Sie wollen Emily zwingen, ihnen Bobby zu überlassen notfalls durch ein Gerichtsurteil. Das sie den Staat verlassen und Sie geheiratet hat, verzögert die Sache zwar, verhindert sie aber nicht." Also bleibt für uns noch einiges zu tun, dachte Edmund und beendete das Gespräch. Er rief Emily zu sich und erstattete ihr Bericht.
Mit einem beunruhigten Ausdruck in den Augen ging sie in der Bibliothek umher. "Oberflächlich betrachtet wirkt es wahrscheinlich seltsam, daß ich nicht in ihrem prunkvollen Haus wohnen will. Aber wenn ich in diesem Punkt nachgebe, werden sie mich im Nu auch in allen anderen Aspekten überfahren." Sie trat an das Fenster und blickte hinaus auf den Schnee. Ihr schwarzes Haar, das ihr in üppigen Locken auf die Schultern fiel, glänzte im Licht. "Brian wollte nicht, daß unser Kind schon als Baby um die ganze Welt jettet und einmal vornehme Privatschulen besucht. Er wollte, daß es im Sandkasten spielt, öffentliche Schulen besucht, sich durch Nebenjobs sein Taschengeld verdient... all das tut, was seine Eltern ihm versagt haben. Er hatte das Gefühl, als wäre er in einem goldenen Käfig aufgewachsen und hätte einen sehr wichtigen Aspekt des typisch amerikanischen Alltagslebens versäumt." Emily verstummte und drehte sich zu Edmund um. Verlegen erklärte sie: "Das sollte nicht so vorwurfsvoll klingen. Ich weiß, daß du auch im Internat warst." "Erst ab der High School", entgegnete er. "Bis zur achten Klasse bin ich in die staatliche Schule von Sweet Briar gegangen, und du kannst mir glauben, daß dieser Abschnitt meines Lebens nicht mit Brians Kindheit zu vergleichen ist. Ich habe regelmäßig Ställe ausgemistet und Pferde gestriegelt, war bei den Pfadfindern, habe Mannschaftssport betrieben und beim Milchmann Schlange gestanden." Emily grinste. "Das klingt wie meine Kindheit. Nur daß ich keine Ställe ausgemistet, sondern dafür viel im Haushalt geholfen habe." "Hattest du eine glückliche Kindheit?" "Ja. Und du?" "Sehr."
Sie schüttelte den Kopf und strich sich mit beiden Händen durch das Haar. "Wer hätte je gedacht, daß es sich als so schädlich erweisen könnte?" Edmund trat zu ihr und atmete ihren frischen, verführerischen Duft ein. "Was meinst du damit?" Sie setzte sich auf die Schreibtischkante und seufzte. "Manchmal denke ich, daß es mir besser getan hätte, wenn in meiner Kindheit nicht immer alles so glatt gelaufen wäre. Ich war ein sehr behütetes und verwöhntes Einzelkind. Was immer ich mir wünschte, bekam ich. Die Dinge waren immer so, wie ich sie wollte. Und wenn es Anzeichen dafür gab, daß etwas nicht so wie gewünscht klappen könnte, habe ich sie einfach ignoriert. Ich war mir sicher, daß ich durch harte Arbeit, Engagement und einen eisernen Willen alles erreichen konnte. Und Brian hat sich ebenso unbesiegbar gefühlt." Sie seufzte erneut. "Sogar nach allem, was passiert ist, nachdem ich zuerst meine Eltern und dann Brian verloren habe, sehe ich die Dinge einfach nicht so, wie sie wirklich sind, sondern so, wie ich sie haben möchte. Sonst hätte ich diesen Streit um das Sorgerecht mit den Bancrofts vorausgesehen und mich dagegen wappnen können." Emily musterte die Eheringe in dem mit Samt gefütterten Koffer, den der Juwelier auf die Fairfax Farm mitgebracht hatte. "Mir gefällt der hier am besten", entschied sie schließlich und deutete auf einen schmalen Ring aus Gelbgold, der an den Rändern wie geflochten aussah. Gespannt blickte sie zu Edmund auf. "Was meinst du?" "Mir gefällt er auch." Der Juwelier maß ihre Fingerstärke und suchte die entsprechende Größe heraus. "Probieren Sie ihn aus", forderte er Edmund auf. Edmund nahm Emilys Hand in seine und steckte ihr den Ring an den Finger. Diese Geste bewirkte, was weder die Trauungszeremonie noch die gemeinsam verbrachte Nacht
vollbracht hatte. Es verlieh ihrer Beziehung ein Gefühl der Echtheit und Dauerhaftigkeit. "Wie fühlt es sich an?" erkundigte er sich. Als ob ich wirklich verheiratet wäre, dachte sie und erwiderte sanft: "Er paßt perfekt." Völlig unangekündigt stürmte Selena mit zwei Blumenvasen ins Zimmer. "Oh, ich störe doch hoffentlich nicht?" fragte sie mit Unschuldsmiene, während sie eine Vase auf den Tisch stellte. "Deine Mutter wollte, daß ich sie sofort aus dem Gewächshaus hierher bringe." Sie ignorierte sowohl Emily als auch den Juwelier und heftete den Blick auf Edmunds Gesicht. "Wir beide arrangieren persönlich die Blumen zu Ehren von Mr. und Mrs. Kings Besuch." Er musterte die sorgsam gebundenen weißen Rosen und nickte anerkennend. "Sie sind sehr schön." Selena warf einen Blick auf die Schmuckschatulle und verzog spöttisch das Gesicht. "Ringe?" "Es ist an der Zeit, daß wir uns welche zulegen. Meinst du nicht?" Sie zuckte mit einer Schulter. "Na ja, angesichts der Tatsache, daß die Kings kommen, wäre es allerdings klug, welche zu tragen. Du weißt schon, um den Schein zu wahren." Der Juwelier, der darauf bedacht war, den Verkauf abzuschließen, schlug eifrig vor: "Emily, vielleicht möchten Sie Edmund helfen, diesen hier auszuprobieren." Sie spürte, daß Selenas mürrischer Blick auf ihr ruhte, als sie Edmunds Hand nahm. Ihre Finger zitterten ein wenig, als sie ihm den Ring ansteckte. Er betrachtete ihn. "Genau wie deiner. Er paßt perfekt." "Wenn ihr mich bitte entschuldigen würdet?" Selena richtete ihre Aufmerksamkeit auf Edmund und murmelte in vertraulichem, verführerischem Ton: "Wir sehen uns später." Dann wandte sie sich ab und verließ den Raum.
Er schien die Verheißung in ihrer Stimme und ihren Worten nicht bemerkt zu haben, doch Emily war sich dessen sehr deutlich bewußt. Ihre Hochzeit bedeutete Selena gar nichts. Sie wollte ihn nach wie vor für sich haben und war fest entschlossen, seine Zuneigung zu gewinnen. Wie weit würde sie deswegen wohl gehen? Wenige Minuten später waren die Ringe bezahlt, und der Juwelier hatte sich angesichts eines drohenden zweiten Schneesturms eilig auf den Rückweg gemacht. "Eigentlich sollte ich die Hälfte dazuzahlen", sagte Emily und dachte: Und ich sollte Selena vergessen. Sie ist keine Bedrohung für mich. Ich habe keinen Grund zur Eifersucht. Edmund schüttelte entschieden den Kopf. "Das ist meine Sache." Er zog sie an sich und blickte sie mit funkelnden Augen an. "Durch diese Ringe wird es offiziell." "Ich weiß." "Bald werden alle es kapieren." "Was denn?" hakte sie kokett nach. "Was meinst du wohl?" Er vergrub eine Hand in ihren Haaren und berührte sanft ihre Lippen mit seinen. Ein Schauer rann durch ihren Körper. Sie erzitterte in seinen Armen, und ihre Knie wurden weich. "Edmund, ich..." Er küßte sie, verhalten zunächst und dann zunehmend leidenschaftlich, so daß sie sich mehr, wesentlich mehr ersehnte. Mit einem kleinen Seufzer schmiegte sie sich an ihn. Gefangen von der Intensität ihrer Empfindungen, wurde ihr nur vage bewußt, daß die Türglocke in der Ferne und Schritte auf dem Marmor ertönten. Wesentlich deutlicher spürte sie seine Lippen auf ihren, seinen Körper an ihrem und das Gefühl, wundervoll lebendig zu sein... wie immer, wenn er sie in den Armen hielt. Was macht es schon, daß die Situation nicht leicht ist? dachte sie, als er sie mit beiden Händen an sich drückte, so daß ihre Brüste an seinen harten Oberkörper gepreßt wurden und ihr das Ausmaß seines Verlangens nicht länger verborgen blieb.
Sie war überzeugt, daß diese Ehe funktionieren konnte. Sie konnten sich lieben lernen. Sie mußten es nur wirklich wollen. Sie mußten sich nur diese grundlegende, tiefe Zärtlichkeit schenken. Genau in diesem Moment, als sie bereit war, ihm alles zu geben, hörte sie einen entsetzten Laut hinter sich. "Emily!" riefen zwei vertraute Stimmen. "Was um Himmels willen tust du denn da?" Edmund hatte Brians Eltern nie gemocht. Als er nun sah, wie abfällig das vornehme Paar Emily betrachtete, wuchs seine Antipathie um so mehr. "Ich würde sagen, das ist offensichtlich", entgegnete Emily. "Ich küsse meinen Ehemann." "Wir sind doch nicht blöd. Das haben wir selbst gesehen", erwiderte Andrea hochmütig. Mit unverhohlener Mißbilligung musterte sie Emilys lässige Aufmachung in Jeans und einem blauen, mit Disney-Figuren bedruckten Sweater. Ebenso schief blickte sie auf Edmunds Flanellhemd und Kordhose. "Wir sprechen von deiner überstürzten Hochzeit mit diesem Halunken, der sich Brians Freund nennt", konstatierte Whit steif. "Hast du denn völlig den Verstand verloren?" wollte Andrea wissen. In einem Kostüm von Chanel und Stiefeln von Gucci sah sie so elegant und kultiviert wie eh und je aus. "Ich würde eher sagen, daß ich zur Vernunft gekommen bin", konterte Emily bissig. "Es ist noch nicht zu spät für eine Annullierung", erklärte Whit. "Ich will aber keine Annullierung." "So etwas ist keine Schande", fuhr er unbeirrt fort. "Jeder wird verstehen, daß du unter einer gewaltigen Belastung gestanden hast." Sie seufzte und lehnte den Kopf an Edmunds Schulter. "Noch nie so stark wie gerade jetzt", flüsterte sie ihm ins Ohr.
"Soll ich übernehmen?" murmelte er so leise, daß nur sie es hören konnte. "Das wäre mir sehr lieb." Er küßte sie auf die Wange und wandte sich dann an ihre Gäste. "Ich frage mich vor allem, wie ihr es geschafft hat, so schnell hier einzutreffen." "Es war nicht leicht." Whit holte seine Pfeife hervor. "Wir mußten unseren Jet mehrmals enteisen, während wir auf die Starterlaubnis gewartet haben, auf einem privaten Flugplatz südwestlich von hier landen und uns dann von einem Schneepflug mitnehmen lassen." Andrea hockte sich auf die Kante des Sofas. "Aber wir haben es geschafft, weil es wichtig ist." Whit nickte und setzte sich neben sie. "Wir lieben unseren Enkelsohn, und wir werden dafür sorgen, daß er als ein Bancroft erzogen wird." Emily setzte sich auf das Sofa gegenüber, ebenso wie Edmund. "Bobby wird immer Brians Sohn bleiben. Ich sorge dafür, daß er erfährt, wer sein Vater war." Andrea schüttelte den Kopf. "Die Sache ist wesentlich komplizierter." "Offensichtlich", warf Edmund ein, "da ihr beabsichtigt, gegen Emily vor Gericht zu gehen." Die beiden tauschten einen betroffenen Blick. "Wie habt ihr das erfahren?" "Das tut wohl nichts zur Sache", entgegnete Edmund schroff. "Dann stimmt es also", murmelte Emily und nahm seine Hand. "Wir haben kein Geheimnis aus der Tatsache gemacht, daß wir dich und Bobby bei uns im Haus haben wollen", sagte Andrea steif. "Und ich habe kein Geheimnis aus der Tatsache gemacht, daß ich das nicht will." "Du kannst nicht wieder als Lehrerin arbeiten."
Edmund drückte Emilys Hand. "Diese Entscheidung liegt allein bei Emily. Allerdings besitzt sie als meine Frau durchaus die Freiheit, zu Hause bei den Kindern zu bleiben." "Hast du ihn deshalb geheiratet?" erkundigte sich Whit übertrieben jovial. "Wegen seines Geldes und des sorglosen Lebensstils, den er dir bieten kann?" Edmund blickte ihn grimmig an. "Emily befindet sich hier nicht im Zeugenstand." "Obwohl ich nichts zu verbergen habe", fügte sie hinzu. "Das ist gut", bemerkte Andrea. "Ich brenne nämlich darauf, die Gründe zu erfahren, aus denen du durchgebrannt bist, meine Liebe." Emily und Edmund tauschten einen Blick. Sie wollten nicht lügen, aber es widerstrebte ihnen, die Wahrheit zu sagen. "Also?" hakte Whit ungeduldig nach. "Wir warten." "Die wichtigere Frage für mich ist, warum ihr es für nötig gehalten habt, persönlich hier zu erscheinen", konterte Edmund. "Um euch davon abzubringen, einen kleinen Fehler zu einem großen werden zu lassen", erklärte Andrea. Whit stopfte sich die Pfeife. "Aber wenn wir damit keinen Erfolg haben..." "Auf keinen Fall", warf Emily ein. "Dann wollen wir euch auf jede mögliche Weise helfen", schloß Andrea. Whit zündete die Pfeife an. "Wir haben Verständnis dafür, daß du ein neues Leben beginnen willst." "Edmund, du kannst doch bestimmt nicht das Kind eines anderen Mannes gebrauchen, das deine Beziehung zu Emily stört. Vor allem, da eure Ehe gerade erst begonnen hat." "Aha. Und was genau bietet ihr uns an?" Andrea lächelte gewinnend. "Das volle Sorgerecht für Bobby zu übernehmen. Wenn nicht für immer, dann zumindest für ein paar Monate."
8. KAPITEL "Ich möchte zu gern wissen, was die Bancrofts im Schilde führen", bemerkte Edmund, als er und Emily sich für das formelle Geschäftsessen mit den Kings umzögen. Sie setzte sich auf die Bettkante und zog sich die weichen Wildlederstiefel aus. Dann blickte sie zu ihm auf. "Du kaufst ihnen also das Gerede von den Jungvermählten, die Zeit für sich allein brauchen, auch nicht ab." "Nicht eine Sekunde lang." Er zog sich das Flanellhemd und die Kordhose aus, bevor er einen dunkelblauen Anzug und ein gestärktes hellblaues Hemd aus dem Schrank nahm. "Weißt du, was mich wahnsinnig stört? Das sie Brian furchtbar vernachlässigt haben, als er noch ein Kind war. Während der Ferien waren sie meistens nicht zu Hause, so daß er mit zu mir oder anderen Freunden gehen mußte." Emily griff nach ihrem dunkelgrünen Kostüm und trat hinter die spanische Wand. "Ich habe nie erlebt, daß sie irgend etwas getan haben, das nicht direkt ihnen selbst zugute kam." "Warum also wollen sie Bobby unbedingt haben?" Sie trat hinter dem Schirm hervor und knöpfte sich die Kostümjacke zu. "Bis heute habe ich geglaubt, es läge daran, daß Bobby ihre letzte Verbindung zu Brian ist und sie in ihm eine Chance sähen, vergangene Fehler wieder gut zumachen." Edmund schlüpfte in das Hemd. "Aber jetzt glaubst du es nicht mehr?"
"Nein." Sie bürstete sich das Haar und steckte es mit kupfernen Nadeln zu einem Knoten hoch. "Und weißt du auch, warum? Weil bei ihnen gar keine Gefühle mit im Spiel sind. Sie wollen das Sorgerecht für Bobby, aber sie wollten ihn nicht einmal sehen." Er trat zu ihr vor den Spiegel und band sich die Krawatte. "Was wollen sie also wirklich?" Sie legte Rouge und Lippenstift auf. "Ich weiß es nicht. Ich habe das Gefühl, es versetzt sie in Panik, daß ich Bobby allein aufziehen könnte." "Das Gefühl habe ich auch. Aber ich verstehe es nicht. Du bist doch eine großartige Mutter." "Danke." Sie nahm eine Halskette aus ihrem Schmuckkasten und legte sie an. "Vielleicht befürchten sie ja, daß ich das ganze Geld vergeude, das Brian für Bobby hinterlassen hat, oder daß ich Bobby zu mittelständisch erziehe." Edmund legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich um. "Kinder brauchen kein Geld. Sie brauchen Aufmerksamkeit und Zuwendung, und das gibst du Bobby im Überfluß." "Genau wie du es Chloe gibst." Emily war froh, daß sie dieselben Wertvorstellungen hatten. "Aber wir sind noch nicht über den Berg. Whit und Andrea haben gesagt, was sie zu sagen hatten, und wollen trotzdem noch nicht gehen. Das kann nur bedeuten, daß sie etwas suchen, das sie vor Gericht gegen mich verwenden können." "Dann sollen sie sich hier doch gründlich umsehen. Sie werden nichts anderes feststellen, als daß es ein großartiger Aufenthaltsort für dich und Bobby ist." "Aber was ist, wenn es wieder zu schneien anfängt, bevor sie abfliegen?" Er blickte zur Uhr. Die Kings sollten in weniger als einer Viertelstunde eintreffen. "Dann werden wir ihnen wundervolle Gastgeber sein und ihnen über Nacht Unterschlupf gewähren."
"Und wenn sie morgen immer noch nicht abreisen wollen?" Edmund grinste. "Dann werden wir weiterhin wundervolle Gastgeber sein und ihnen Unterschlupf gewähren, bis sie die Nase voll von uns haben." "Du tust es mit einem Scherz ab, aber du weißt nicht, worauf du dich einläßt. Whit und Andrea sind äußerst kritisch und anspruchsvoll. Hast du nicht gesehen, wie schief sie meinen Sweater angeschaut haben?" "Ohne Grund. Du hast sehr niedlich darin ausgesehen." "Darum geht es nicht." "Ich weiß. Sie sind Snobs." "Gewaltige Snobs." "Dann befinden sie sich hier ja in bester Gesellschaft. Denn wenn es darauf ankommt, können meine Mutter und Selena ebenso snobistisch sein wie sie." Emily konnte nicht widersprechen, schon gar nicht in Selenas Fall. "Trotzdem könnte es zu einer Katastrophe kommen." Er schlang die Arme um sie und streichelte ihren Rücken. "Wir werden es schon zu verhindern wissen. Außerdem bin ich überzeugt, daß du mit allem fertig wirst. Deswegen sind Whit und Andrea wahrscheinlich auch so besorgt. Im Grunde wissen sie, daß sie sich nicht durchsetzen können, welche schmutzigen Tricks sie auch anwenden." Emily entspannte sich in seinen warmen, beschützenden Armen. Vielleicht hatte er ja recht. Vielleicht war ihre Sorge übertrieben. Gemeinsam fanden sie bestimmt einen Ausweg. "Du bist ja heute voller Komplimente", murmelte sie erfreut. "Du inspirierst mich dazu." Zärtlich legte er eine Hand auf ihre Wange. "Und jedes einzelne Kompliment war ernst gemeint." Emily stand Edmund als Gastgeberin der Kings zur Seite, während Mrs. Hamilton sich um Bobby und Chloe kümmerte.
Seleha hingegen unterhielt die Bancrofts während des langen, geschäftlich orientierten Nachmittags. Wie zu erwarten war, verlief das Mittagessen reibungslos, ebenso wie die anschließende Führung über die Farm. Völlig überraschend für Emily kam jedoch Maureens Forderung, daß beide Kinder während des Dinners anwesend sein sollten. "Ich weiß nicht, ob das klug ist", wandte Emily ein. "Für Chloe ist es natürlich kein Problem, aber Bobby ist furchtbar müde." "Unsinn! Die beiden waren während des Mittagessens wahre Engel." "Ich weiß." Die Kings, die Bancrofts und sogar Selena hatten sich äußerst beeindruckt von dem guten Benehmen der Kinder gezeigt. "Mr. und Mrs. King sind sehr familienorientiert", fuhr Maureen nachdrücklich fort. "Sie haben unsere Farm und zwei andere in die engere Wahl gezogen, weil es sich um Familienbetriebe handelt. Ein letzter Beweis unseres Zusammenhalts kann sich nur positiv auf das Geschäft auswirken." Emily wußte, wie wichtig Edmund der Vertrag mit den Kings war. Er hatte ihr beigestanden, und nun war sie an der Reihe, ihm beizustehen. "Also gut. Wann sollen wir erscheinen?" Sie hoffte, daß Bobby noch Zeit für ein kurzes Nickerchen blieb. Maureen lächelte erfreut. "Um sieben." Leider war Bobby, der nach dem Mittagessen nur eine halbe Stunde geschlafen hatte, nicht in der Stimmung für ein spätes Nickerchen. Vergeblich wiegte Emily ihn, erzählte Geschichten und sang Schlaflieder. Wenige Sekunden, bevor zu Tisch gebeten wurde, erschien sie mit den Kindern im Eßzimmer. Zu ihrer Erleichterung begann das Dinner sehr friedlich. Mr. und Mrs. King lobten unablässig den ausgezeichneten Betrieb der Farm. Die Suppe und der Salat wurden ohne Zwischenfall verzehrt. Doch als der Hauptgang kam, wurde Bobby quengelig.
Er stieß den Löffel mit Kartoffelbrei von seinem Mund fort und griff gleichzeitig danach. "Mein!" rief er. Emily wischte ihm die Hand ab und hielt ihm erneut den Löffel hin. Diesmal griff er mit beiden Händen danach und hielt ihn fest. "Bobby", warnte sie sanft und schüttelte den Kopf. "Ein Kind ist nie zu jung, um Tischmanieren zu lernen. Du mußt nur hart, durchgreifen", riet Whit. "Emily wird schon mit ihm fertig", warf Edmund entschieden ein. "Und falls nicht, bin ich ja da, um ihr zu helfen." "Mein!" schrie Bobby empört. Emily spürte alle Blicke auf sich ruhen. Als sie versuchte, ihm den klebrigen Löffel zu entziehen, stieß er einen gellenden Schrei aus. Sie wischte sich die Hände an der Serviette ab und stand auf. "Dieser junge Mann geht jetzt ins Bett", verkündete sie freundlich in die Runde. "Bobby, sag gute Nacht." "Nein!" Er brach in wütendes Geheul aus und klammerte sich mit aller Kraft an die Armlehnen, als sie versuchte, ihn aus dem Stuhl zu heben. Dann erschlaffte er unvermittelt. Selbst in flachen Schuhen hätte es ihr Probleme bereitet, seine fünfundzwanzig Pfund so einfach zu bewältigen. Auf dünnen, hohen Absätzen war es ihr jedoch beinahe unmöglich. Sie taumelte rückwärts. Gleichzeitig wurden sechs Stühle zurückgeschoben, als alle ihr zu Hilfe eilten. Edmund war als erster zur Stelle. Er nahm ihr Bobby ab, durchquerte den Raum und verkündete mit einem gelassenen Grinsen: "Wir sind gleich zurück, Leute." "Es tut mir leid", flüsterte Emily und eilte ihm nach. "Ich nehme an, das ist gemeint, wenn von einem übermüdeten Kind die Rede ist", bemerkte er, als sie das Kinderzimmer erreichten.
Bobby schrie immer noch aus Leibeskräften. Er zappelte wütend, während Emily ihm die Windel wechselte und einen Schlafanzug anzog. "Willst du nicht wieder hinuntergehen?" schlug sie Edmund vor. "Und dich mit diesem kleinen Schurken allein lassen?" Er hob Bobby vom Wickeltisch, bettete ihn an seine Schulter, strich ihm sanft über den Rücken und wanderte im Zimmer umher. "Du hattest einen furchtbaren Tag, stimmt's? Du bist ganz müde und wolltest nur eine Flasche und eine Geschichte von deiner Mama, die heute so wenig Zeit für dich hatte. Und dann zwingen dich diese dummen Leute, bei einem langweiligen Geschäftsessen am Tisch zu sitzen." Er sprach weiter, sanft und beruhigend. Schließlich Verwandelte sich Bobbys Schluchzen in Schluckauf. Er lehnte den Kopf an Edmunds Schulter und schlang beide Arme um seinen Hals. Sekunden später fielen ihm die Augen zu, und sein Atem kam in tiefen, ruhigen Zügen. Er war eingeschlafen. Gemeinsam legten sie ihn sanft in sein Bett und deckten ihn zu. Sie atmeten erleichtert auf und blickten sich an. "Oh, Edmund", flüsterte sie. "Dein Jackett ist an der Schulter ganz verschmiert. So kannst du nicht an den Tisch zurückkehren." "Und du hast Kartoffelbrei in den Haaren." Sie seufzte und nahm ihn bei der Hand. "Komm. Ich kriege dich im Nu wieder hin." Sie schaltete das Abhörgerät ein und zog ihn in das angrenzende Badezimmer. "Setz dich auf den Waschtisch." Er gehorchte und dachte bei sich, wie hübsch sie aussah, selbst nach einem so langen, anstrengenden Tag. "Soll ich das Jackett ausziehen?" "Es ist einfacher, wenn du es anläßt." Sie befeuchtete einen Waschlappen mit warmem Wasser und wrang ihn aus. Dann trat
sie zwischen seine gespreizten Beine, schob eine Hand unter sein Jackett und betupfte vorsichtig den Fleck. "Danke, daß du Bobby in den Schlaf gewiegt hast." "Gern geschehen. Außerdem sind Dads doch dazu da." "Ich glaube nicht, daß alle Dads so gut darin sind, mit quengeligen Babys umzugehen, wie du." "Vielen Dank für das Kompliment." Sie trat näher und rieb ein bißchen fester. "Es tut mir leid, daß er so ein Theater gemacht hat." Edmund bemühte sich zu ignorieren, daß ihre Hüfte seinen Oberschenkel streifte. "Es war nicht seine Schuld. Er hätte gar nicht erst zu diesem Dinner erscheinen sollen." "Da kann ich dir nicht widersprechen." Als sie sein Jackett mit einem Handbuch trocknete, streiften ihre Brüste seinen Oberkörper. "Ich hätte mich nicht dazu überreden lassen sollen. Diesen Fehler werde ich nie wieder begehen." "Bobby wird froh sein, das zu hören." "So." Sie legte ihm beide Hände auf die Schultern und drehte ihn zum Spiegel um. "Wie findest du das?" "Großartig." Er grinste sie an. "Aber an dir muß noch gearbeitet werden." Sie betrachtete sich im Spiegel. "Das hatte ich ganz vergessen." Edmund stand auf, legte die Hände auf ihre Taille und hob sie auf den Waschtisch. "Darf ich?" Sie saß stocksteif da, während er den Kartoffelbrei aus ihren Haaren entfernte. "Das war's", murmelte er schließlich lächelnd. "Da ist nur noch eines." "Was denn?" "Das." Er legte ihr die Hände auf die Hüften, hob sie vom Waschtisch, senkte den Mund auf ihren und preßte sich mit unerwarteter Leidenschaft an sie. Ihre Knie wurden weich, aber sie stellte sich dennoch auf Zehenspitzen und schmiegte sich an ihn. Sie hatte das Gefühl,
ewig darauf gewartet zu haben, wieder Glück und Leidenschaft zu finden. Sie sehnte sich danach, von ihm geküßt und liebkost zu werden, bis all der Kummer, die Einsamkeit und die Verzweiflung der Vergangenheit angehörten. Bis nur noch der Zauber des Augenblicks und ihre verlockende Zukunft zählten... Edmund wußte, daß es gefährlich war, ihre noch so frische Beziehung aus dem Gleichgewicht zu bringen. Doch das Verlangen in ihm war so stark, daß er sich nicht hatte zurückhalten können. Nur die Tatsache, daß Gäste auf sie warteten, ließ ihn widerstrebend zurückweichen.
9. KAPITEL "Ich wollte schon nachschauen kommen, was ihr so lange macht", neckte Gail, als Edmund und Emily ins Eßzimmer zurückkehrten. "Aber ich brauche euch nur anzusehen und weiß es schon." Genau das hatte Emily befürchtet, obwohl sie sich Zeit genommen hatte, den Lippenstift zu erneuern und sich zu kämmen. Doch das Funkeln ihrer Augen und das Glühen ihrer Wangen ließen sich nicht verscheuchen. "Es stimmt. Sie sehen beide äußerst verliebt aus", bemerkte Mrs. King mit einem Lächeln. "Aber was soll man von frisch Verheirateten auch anderes erwarten? Ich bin überzeugt, daß Sie heute abend lieber etwas anderes täten, als Gäste zu unterhalten." Wie wahr, dachte Emily mit einem kleinen Seufzen. Sie sehnte sich danach, es sich mit Edmund vor dem Kamin im Cottage bequem zu machen. Aber das war nicht möglich, solange der Rohrbruch nicht beseitigt war. Bis dahin mußten sie im Haupthaus unter neugierigen Blicken ausharren. Edmund entschuldigte sich, als Mrs. Hamilton ihn zum Telefon rief. Bei seiner Rückkehr verkündete er: "Leider muß ich euch wieder allein lassen. Eine der Stuten bekommt ein Fohlen, und ich möchte dabeisein." "Wäre es wohl möglich, daß wir zuschauen?" fragte Mr. King hoffnungsvoll.
"Es würde uns einen richtigen Einblick in die Farm geben", fügte Mrs. King hinzu. "Natürlich können Sie zuschauen." Maureen sprang bereits auf. "Ich komme auch mit. Und du, Gail?" "Das lasse ich mir nicht entgehen." "Darf ich auch mitkommen, Daddy?" fragte Chloe. "Es ist schon sehr späht, Spatz." "Aber ich kann doch morgen ausschlafen. Ich habe schon so lange nicht mehr gesehen, wie ein Pferd geboren wird, und du weißt doch, wie toll ich das finde! Bitte, Daddy!" "Also gut", gab Edmund nach und blickte fragend in die Runde. Da Emily sich, nicht so weit von Bobby entfernen wollte, schlug sie die Einladung aus, ebenso wie die Bancrofts. Die übrigen marschierten aus dem Haus. Emily nahm das Abhörgerät und wollte die Treppe hinaufgehen, doch die Bancrofts versperrten ihr den Weg. "Wir möchten allein mit dir sprechen." Emily hätte sich gern geweigert. Aber sie wußte aus Erfahrung,, daß die Bancrofts keine Ruhe geben würden, also zog sie sich schließlich mit ihnen in die Bibliothek zurück. Andrea ergriff das Wort. "Diese Show, die du mit Edmund veranstaltest, kann uns nicht täuschen." Emily setzte sich auf das Sofa. "Ich weiß nicht, wovon du redest." "Dann werden wir es dir mal erklären. Mit der Fairfax Farm geht es seit dem Tod von Edmunds Vater rapide bergab. Maureen wird damit nicht fertig, und die Last ruht auf Edmunds Schultern." "Das alles hat nichts mit mir zu tun", konterte Emily. Andrea lächelte herablassend. "In diesem Punkt irrst du dich, meine Liebe. Hast du dich nicht gewundert, warum er dir nach Brians Tod zu schreiben begonnen hat?" Emily sprang auf. "Er und Brian waren sehr gute Freunde."
"Damals während der Schulzeit, ja", bestätigte Whit. "Aber danach haben sie sich auseinandergelebt, bis zu dem Punkt, daß sie sich in den letzten Jahren nur noch anläßlich ihrer Hochzeiten gesehen haben." "Das lag nur daran, daß sie so weit entfernt voneinander gewohnt haben und mit ihren Berufen beschäftigt waren." Whit nahm seine Pfeife heraus. "Warum ist Edmund denn nicht zu Brians Beerdigung bekommen, wenn sie sich so nahe standen?" Es kostete Emily große Mühe, die Beherrschung zu wahren. "Weil seine Frau gerade gestorben war und er es erst zu spät erfahren hat. Deshalb hat er mir geschrieben." "Und?" hakte Andrea spöttisch nach. "Und ich habe ihm erst nach Monaten geantwortet." "Und was war dann?" "Er hat mir erneut geschrieben, und ich ihm auch. Im Laufe der Zeit wurden die Briefe häufiger." "Von alledem hast du uns nichts erzählt", bemerkte Whit vorwurfsvoll. "Ihr wart zu der Zeit in Europa. Außerdem waren die Briefe sehr persönlich." "Er hat deine Verletzlichkeit ausgenutzt, Emily." Sie schüttelte entschieden den Köpf. "Er war selbst verletzlich." Andrea tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit ihrem Mann. "Mehr, als du ahnst." Er nickte. "Wir haben uns mit Selena unterhalten. Die Farm steckt schon seit Monaten in Schwierigkeiten. Sie benötigt eine gewaltige finanzielle Spritze, um wieder auf die Beine zu kommen." Emily seufzte ungehalten. "Ja und? Ich verfüge nicht über soviel Geld." "Aber Bobby", warf Andrea ein.
"Wundert es dich gar nicht, warum Edmund dich in diese überstürzte Ehe gedrängt und dir keinerlei Zeit gelassen hat, es dir zu überlegen?" wollte Whit wissen. "Weil er wußte, daß er deine Trauer ausnutzen und schnell handeln mußte, um sich Zugang zu Bobbys Treuhandvermögen zu verschaffen", erklärte Andrea. Emily starrte die beiden entsetzt an. "Das ist gelogen." Andrea zuckte die Achseln. "Er ist Anlageberater... und nach allem, was wir gehört haben, ein ziemlich guter." "Gut genug, um Bobbys Kapital zu plündern, ohne daß du es überhaupt merkst", pflichtete Whit ihr bei. "Ihr irrt euch", murmelte Emily rauh. "O nein. Du kennst doch seinen Alternativplan, Wenn King's Ransom nicht hier eingestellt wird, will er eine Menge erstklassiger Zuchtstuten kaufen, sie von erstklassigen Hengsten decken lassen und dann in zwei Jahren versteigern. Wer soll das alles bezahlen, Emily? Woher will er das Geld für den Kauf der Stuten, die Besamung, das Futter und so weiter nehmen? Wir wissen, woher er es zu bekommen glaubt... aus Bobbys Treuhandvermögen." "Aber er irrt sich, weil wir nicht zulassen werden, daß er dieses Geld benutzt, um seine Farm zu retten." "Und sobald er das merkt, wird er dich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel", prophezeite Whit. "Edmund will Bobbys Geld nicht. Er hat mich um meinetwillen geheiratet", konterte Emily. "Du warst schon immer zu naiv. Wir leugnen allerdings nicht, daß er noch andere Gründe hat. Zum einen braucht seine Tochter eine Mutter - vorzugsweise jemanden, der mit Kindern umgehen kann. Und zweitens braucht er jemanden, der ihm den Haushalt führt." "Das streite ich gar nicht ab", warf Emily äußerlich ruhig ein. "Aber es steckt mehr dahinter." Unsere wachsende Zuneigung zueinander.
Unsere Entschlossenheit, diese Ehe zu meistern. "Richtig. Er will außerdem eine Frau, die ihm das Bett wärmt. Ihr braucht uns wirklich nicht vorzuspielen, daß ihr euch ineinander verliebt habt. Es ist nicht der Fall, und es wird auch nicht dazu kommen." Whit schüttelte entschieden den Kopf. "Sobald Edmund merkt, daß er durch dich nicht an Bobbys Geld kommt, wird er euch beide zum Teufel jagen." "Ihr irrt euch", entgegnete Emily schroff. Doch sie spürte, wie ihr Vertrauen in Edmund und ihre Ehe dahinschwand. Andrea und Whit bedachten sie mit einem mitleidigen Blick. "Das wird sich noch herausstellen."
10. KAPITEL Emily saß auf der Fensterbank im Schlafzimmer und blickte hinaus auf den sanft rieselnden Schnee, als Edmund zurückkehrte. Es war Mitternacht, aber er wirkte immer noch sehr energiegeladen. Schneeflocken glitzerten auf seinen vom Wind zerzausten Haaren, und seine Wangen waren gerötet von der Kälte. Er zog sich die Schuhe und das Jackett aus und knöpfte sich das Hemd auf. "Ich dachte, du würdest schon schlafen", bemerkte er und trat zu ihr. Immer noch war sie aufgewühlt von den Küssen, die sie am frühen Abend im Badezimmer getauscht hatten, und durch die Zweifel, die Whit und Andrea gesät hatten, fühlte sie sich rastlos und gereizt. Sie wußte, daß sie nicht schlafen konnte, bevor sie nicht mit Edmund gesprochen hatte. Sie zwang sich zu einem Lächeln. "Ich habe auf dich gewartet. Wie ist es im Stall gelaufen?" Edmund nahm eine teuer aussehende seidene Pyjamahose aus einer Schublade und verschwand im Badezimmer. Durch die halb geöffnete Tür erwiderte er: "Großartig. Das Fohlen ist kerngesund, obwohl es ein bißchen zu früh gekommen ist." "Ich nehme an, Mr. und Mrs. King waren beeindruckt." "Sehr. Aber das muß nicht bedeuten, daß sie den Vertrag mit uns unterschreiben werden." Er zog sich die Hose aus und schlüpfte in die Pyjamahose. Dann putzte er sich die Zähne.
Aus Angst, die Kinder könnten durch ihre erhobenen Stimmen aufwachen, ging Emily zur Badezimmertür. "Wenn sie es nicht tun und du deinen Alternativplan verwirklichen mußt, wieviel kostet es dann?" Er strich sich ein wenig geistesabwesend über Wangen und Kinn. "Ich weiß es nicht." Dann griff er zu seinem Elektrorasierer und schaltete ihn ein. "Ich war bisher zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um es auszurechnen." Ein Anflug von Unbehagen stieg in ihr auf. Unwillkürlich fragte sie sich, warum er sich mitten in der Nacht rasierte, anstatt bis zum nächsten Morgen zu warten. "Nenne mir nur eine ungefähre Summe", drängte sie sanft. "Na ja, mal sehen." Nachdenklich preßte er die Lippen zusammen, während er die letzten Bartstoppeln entfernte. "Dreißig Stuten zu einem durchschnittlichen Preis von fünfundzwanzigtausend pro Stück. Dazu kommen die Deckgebühren von etwa zehntausend pro Stute." Das war bereits über eine Million, ohne die Kosten für Unterhalt, Personal, medizinische Versorgung und so weiter. Emilys Herz sank. "Hast du denn soviel Geld zur Verfügung, obwohl die Farm so wenig abwirft?" "Nein. Ich muß erst Investoren finden." Sie begegnete seinem Blick im Spiegel. Dann musterte sie seine muskulöse Brust und seine enge Pyjamahose. Was mochte ihn veranlasst haben, sich so ungewöhnlich verführerisch für das Bett zu kleiden? "Kannst du keine Hypothek auf die Farm aufnehmen?" Er goß sich Aftershave auf die Hände und betupfte sich damit das Gesicht. "Nein. Das Testament meines Vaters verbietet uns, die Farm als Sicherheit zu benutzen." "Und eine Bank würde dir kein Darlehen geben." "Nicht ohne Sicherheiten." Edmund drehte sich zu ihr um, lehnte sich an den Waschtisch und musterte sie von Kopf bis Fuß. "Warum fragst du das alles?
Was ist los?" Sie schüttelte den Kopf. "Nichts." "Komm schon, Emily." Er zog sie zwischen seine gespreizten Schenkel und schloß sie in die Arme. "Wir sind zwar noch nicht lange verheiratet, aber ich merke es doch, wenn irgend etwas nicht stimmt. Was bedrückt dich?" fragte er sanft. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Wenn sie unbegründete Beschuldigungen ausstieß, konnte er ihr vielleicht niemals verzeihen. Doch wenn sie sich und Bobby einfach ausnutzen ließ, konnte sie sich selbst nie verzeihen. "Hat es etwas mit Brians Eltern zu tun? Haben sie etwas zu dir gesagt, während ich draußen im Stall war?" Sie schluckte und zuckte die Achseln. "Du kennst sie ja." "Also haben sie dir zugesetzt." Sie legte die Hände auf seine nackte Brust. "Um das zu tun, sind sie doch hergekommen. Das wissen wir beide." Sie löste sich von ihm, marschierte ins Schlafzimmer und sank auf das Bett. Edmund folgte ihr und setzte sich zu ihr. "Was haben sie gesagt?" Sie zog sich den Bademantel und die Hausschuhe aus. "Ich will nicht darüber reden. Nicht jetzt." Und vielleicht niemals, dachte sie, während sie unter die Decke schlüpfte und das Licht auf ihrem Nachttisch löschte. "Ich will dich doch nur beschützen." Edmund rutschte zu ihr hinüber. "Aber du hast recht. Wir wollen heute nicht mehr über Probleme reden." Er zog sie in die Arme. "Wir sollten uns auf angenehmere Dinge konzentrieren. Wie zum Beispiel auf uns", murmelte er leise. Er senkte den Kopf und berührte ihre Lippen mit seinen. Sie schloß die Augen. Im selben Moment ertönte ein Knacken aus dem Abhörgerät, gefolgt von einem Wimmern, das sich zu einem schrillen Geheul steigerte.
Sobald Emily das Kinderzimmer betrat und sah, daß Bobby auf einem Finger kaute, erkannte sie, was los war. "Der Ärmste zahnt." Sie hob ihn auf die Arme, strich ihm beruhigend über den Rücken und wanderte auf und ab. Doch er schrie hysterisch weiter. "Kein Wunder, daß er beim Dinner so quengelig war", bemerkte Edmund mitfühlend. "Ich habe etwas gegen die Schmerzen in der Tasche dort auf dem Wickeltisch." Er holte die Tube hervor und drückte Emily etwas Gel auf den Zeigefinger. Sie rieb Bobbys geschwollenen, geröteten Kiefer damit ein, wanderte erneut im Baum umher und redete tröstend auf ihn ein. Doch er weinte unvermindert stark. "Was können wir sonst noch für ihn tun?" fragte Edmund. "Eine Flasche würde ihn vielleicht beruhigen." "Ich kümmere mich darum", bot er bereitwillig an. Sie lächelte ihn auf unpersönliche Weise an und wandte dann den Blick ab. "Danke." Während er die Flasche auf dem Herd erwärmte, fragte er sich, ob er sich nur einbildete, daß Emily plötzlich distanziert wirkte. Wenige Stunden zuvor wäre sie nach den leidenschaftlichen Küssen im Badezimmer mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit mit ihm ins Bett gegangen... hätten nicht die Gäste und die Familie auf sie gewartet. Nun wirkte sie jedoch mißtrauisch und übertrieben höflich. Nun blickte sie in an, als wären die Liebkosungen nie geschehen, als würde sie ihn überhaupt nicht kennen. Er konnte sich nicht erklären, was diese Verhaltensänderung hervorgerufen hatte, die ihm überhaupt nicht gefiel. "Aha, ich habe also richtig gehört. Du bist hier." Edmund schreckte aus seiner Grübelei auf, drehte sich um und sah Selena in der Tür stehen. Sie trug ein blaßblaues Neglige aus Satin und Spitze, das sehr wenig der Phantasie überließ.
Hätte Emily ein solches Gewand getragen, hätte es ihm den Atem geraubt und ihn dazu veranlaßt, sie leidenschaftlich und hemmungslos zu lieben. Doch Selenas Anblick in diesem schamlos verführerischen Aufzug berührte ihn nur peinlich. Er wandte den Blick ab und konzentrierte sich auf die Flasche im Kochtopf. "Konntest du nicht schlafen?" erkundigte sie sich sanft und rauschte in einer exotischen Duftwolke an seine Seite. Er hielt den Blick abgewandt und räusperte sich. "Eigentlich..." "Ich weiß genau, wie du dich fühlst", unterbrach sie ihn und drängte sich provozierend zwischen ihn und den Schrank. Mit blutrot lackierten Fingernägeln strich sie ihm über die Brust. "Ich konnte auch nicht schlafen." Er zuckte zurück vor der ungewollten Berührung, nahm ihre Hände und entfernte sie entschieden von seiner Haut. Vermutlich war er selbst für diesen Annäherungsversuch verantwortlich. Er wußte schließlich seit langem, daß sie in ihn vernarrt war. Doch aus Angst, ihre Gefühle zu verletzen oder der langjährigen Freundschaft zwischen ihren Familien zu schaden, hatte er es ignoriert, anstatt ihr ins Gesicht zu sagen, daß er nicht an ihr interessiert war und es auch nie sein würde. Nun versuchte er, ihr all das mit einem Blick mitzuteilen. "Es ist schon spät", sagte er bedeutungsvoll. Leider verstand Selena seine Botschaft nicht oder zog es vor, sie zu ignorieren. "Als ob ich das nicht wüßte", murmelte sie verführerisch. Edmund blickte ihr direkt in die Augen. "Ich bin verheiratet." Erneut weigerte sie sich, den Wink zu verstehen. "Aber wir wissen doch beide, daß es nicht stimmt", widersprach sie in seidigem Ton, während sie durch den Raum schwebte und die Deckenlampe löschte, so daß nur noch das
gedämpfte Licht über dem Herd brannte. "Was immer zwischen dir und Emily besteht, ist keine richtige Ehe." Er hätte seine Farm darauf verwettet, daß sie die Ehe inzwischen vollzogen hätten, wenn Emily nicht von den Bancrofts beeinflußt worden und Bobby nicht weinend aufgewacht wäre. Schnell griff er nach Bobbys Flasche und sagte schroff: "Tu uns beiden einen Gefallen, Selena, und geh ins Bett." Er beabsichtigte, so schnell wie möglich dasselbe zu tun - mit Emily. "Natürlich gehe ich ins Bett", säuselte Selena, während er die Temperatur der Milch prüfte. "Aber zuerst mußt du mich noch einmal anschauen." Um sie endlich loszuwerden, drehte er sich um. Mit einem Fluch stellte er die Flasche ab und schnappte sich das durchsichtige Gewand, das sie gerade abgelegt hatte. "Bist du denn völlig verrückt geworden?" Er versuchte, sie darin einzuwickeln, doch sie sträubte sich voller Stolz und Entzücken über ihre Nacktheit. "Herrje, wir sind hier in der Küche!" fauchte er entsetzt. "Was ist, wenn meine Mutter oder die Bancrofts oder die Kings kommen? Was würden sie denken?" fuhr er sie an, um sie zur Vernunft zu bringen. "Das ist mir egal." Sie warf sich ihm in die Arme. "Ich bin es leid, meine Gefühle zu verbergen und vor allen so zu tun, als wären wir nur Freunde", schmollte sie. "Ich will, daß jeder weiß, was ich für dich empfinde, Edmund." Sie preßte ihre nackten Brüste an seinen bloßen Oberkörper. "Ich will, daß alle uns zusammen sehen." "Meinen Glückwunsch", verkündete eine kühle Stimme von der Tür her. "Der Wunsch hat sich erfüllt. Zumindest, was mich angeht." Edmund wirbelte herum. "Emily..."
Ihr Gesicht war kreidebleich, und ihre Lippen zitterten. "Ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß ich die Flasche nicht mehr brauche. Bobby ist schon eingeschlafen. Aber wie ich sehe, hätte ich mir die Mühe sparen können, da du sowieso etwas Besseres zu tun hast." Beschwörend hob er eine Hand. "Emily, gib mir eine Chance, dir zu erklären..." Sie wandte sich ab und stürmte davon. Er fluchte. Selena packte ihn am Arm. "Laß sie gehen." "Es ist mir egal, ob du eine alte Freundin der Familie bist. Es ist mir egal, ob ein Meter Schnee liegt", fuhr er sie schroff an. "Ich will, daß du hier verschwindest, gleich morgen früh."
11. KAPITEL Emily hörte Edmund einige Male an der Schlafzimmertür rütteln. Dann entfernten sich seine Schritte. Mit tränenüberströmten Wangen legte sie sich ins Bett. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie so verletzt und gedemütigt gefühlt. Hatte er eine Affäre mit Selena? Hatte er deswegen so bereitwillig einer Ehe auf platonischer Basis zugestimmt? Unvermittelt wurde ein Schlüssel im Schloß gedreht. Eine Sekunde später öffnete sich die Schlafzimmertür. Edmund stürmte herein. "Es war nicht so, wie es ausgesehen hat." Sie wich zurück, als er ihre Hände nehmen wollte, und sprang aus dem Bett. "Für wie dumm hältst du mich eigentlich?" "Selena hat gehört, wie ich nach unten gegangen bin. Sie ist mir gefolgt und hat sich das Nachthemd ausgezogen." Wütend und unruhig stürmte Emily auf und ab. Noch nie zuvor hatte sie einen derart heftigen Drang verspürt, einen Mann zu schlagen. Sie wirbelte so abrupt zu ihm herum, daß sie beinahe gegen seine Brust stieß. "Einfach so? Ohne Ermutigung von dir?" "Ja." Sie stemmte beide Händen in die Hüften und starrte ihn vernichtend an. "Das ist die faulste Ausrede, die ich je gehört habe!" "Es ist die Wahrheit."
"Wahr oder nicht - ich werde mich nie wieder von dir anfassen lassen." "Und warum ist das so?" Ihre Wangen erglühten, und ihre Brüste hoben und senkten sich mit jedem wütenden Atemzug. Vergeblich versuchte sie, die Szene in der Küchezu verdrängen. "Ich lasse mich nicht gern zum Narren halten." Edmund blickte sie weiterhin so gefaßt an, als hätte er keinerlei Grund, sich zu entschuldigen. "Und wie soll ich das getan haben?" Sie reckte das Kinn vor. "Du wußtest die ganze Zeit, daß du sie heute nacht treffen würdest." "Ach ja? Und woraus schließt du das?" "Daraus, daß du dir die Zähne geputzt und dich rasiert und Aftershave genommen und dir eine seidene Pyjamahose angezogen hast!" "All das habe ich für dich getan", entgegnete er ruhig. "Für mich?" hakte sie ungläubig nach. "Ja, für dich. Ich habe das getan, weil ich vorhatte, heute nacht mit dir zu schlafen", flüsterte er verführerisch. "Und weißt du was? Ich habe es immer noch vor." Sie traute ihren Ohren kaum. "Das kann doch nicht dein Ernst sein", wisperte sie. Silbriger Mondschein schien ihm ins Gesicht, ließ es dadurch noch attraktiver und entschlossener wirken als gewöhnlich. "O doch." Er legte einen Finger unter ihr Kinn, hob ihren Kopf und senkte den Mund auf ihren. Aufgrund der gespannten Atmosphäre zwischen ihnen erwartete sie eine Explosion körperlicher Leidenschaft, eine Fortsetzung der Auseinandersetzung. Doch er gab ihr eine sanfte Liebkosung, die sie aus der Fassung brachte, der sie nicht zu widerstehen vermochte. Emily öffnete die Lippen, erwiderte den Kuß und schlang die Arme um seinen Nacken. Sie spürte seine
Erregung. Doch sie war sich nicht sicher, ob es klug war, ihm die Intimitäten zu gewähren, die er forderte. "Edmund..." Er ließ die Lippen zu der empfindsamen Stelle hinter ihrem Ohr gleiten, schmiegte die Hände um ihre Brüste und streichelte die Knospen. Sie seufzte. "Das widerspricht der Vereinbarung, die wir vor der Hochzeit getroffen haben", flüsterte sie atemlos, als er ihre Pyjamajacke aufknöpfte und ihre Brüste entblößte. Er hauchte Küsse auf ihren Hals und ihren Brustansatz, streichelte eine Knospe mit der Zunge. "Als wir die Vereinbarung getroffen haben, hatte ich dich noch nicht geküßt." Die Liebkosung seiner Zunge wirkte beinahe unerträglich aufreizend. Der Duft seines Rasierwassers erfüllte ihre Sinne. Erfreut, aber auch beunruhigt stellte sie fest, daß er nicht genug von ihr bekommen konnte, ebenso wenig wie sie von ihm. Emily stöhnte auf und klammerte sich an ihn, als wäre er der einzige Rettungsring in einem tosenden Meer. "Ich tue... so etwas... nicht nur zum Spaß." "Das solltest du aber" Er hob den Kopf, vergrub beide Hände in ihren Haaren und streichelte ihre Lippen mit der Zungenspitze. "Es kann nämlich sehr viel Spaß machen." Kurzerhand hob er sie hoch und trug sie zum Bett. Die Realität wich der Phantasie, als er sie niederlegte und sich neben ihr ausstreckte. Gefühle beherrschten sie. Sekunden später waren sie beide nackt, und er streichelte sie, bis sie sich unter seinen Händen verlangend aufbäumte. "Jetzt siehst du, wie es mit uns ist", flüsterte Edmund. "Es ist der Beweis dafür, daß wir füreinander geschaffen sind." Er glitt zwischen ihre gespreizten Schenkel. "Der Beweis, daß auch dies hier ein Teil unseres Lebens sein sollte."
Oder der Beweis, dachte Emily, daß ich ein naiver Dummkopf bin. Was war nur in sie gefahren? Nie zuvor hatte sie sich derart lüstern verhalten. Die Vorstellung, seine Geliebte zu werden, wirkte äußerst reizvoll. Aber es war ein großer Fehler, sich romantischen Gefühlen hinzugeben und die Realität zu vergessen. Wenn sie sich je wieder mit einem Mann einließ, dann sollte es ein Akt der Liebe innerhalb einer lebenslangen Beziehung sein. Edmund bot ihr sehr viel, aber keine Liebe. Noch schlimmer war, daß durch Sex womöglich ihre Freundschaft zerstört wurde. Um der Kinder wie um ihrer selbst willen wollte sie das verhindern. Sie stemmte sich gegen ihn und sagte: "Ich kann nicht." Er blinzelte verwirrt und setzte sich auf. "Warum nicht?" Weil es aus Eifersucht auf meiner und Verärgerung auf deiner Seite passiert ist, dachte sie und bedeckte sich mit dem Laken. "Weil ich weiß, wie es anderen Witwen ergeht. Sobald sie ihren Kummer ein wenig überwunden haben, stürzen sie sich in eine leidenschaftliche Affäre, und dann tut es ihnen leid. Weil flüchtige Liebschaften immer böse enden." Sie wollte nicht das Objekt seines Verlangens sein, das er als Trost benutzte, und ebenso wenig wollte sie ihn zu diesem Zweck gebrauchen. "Vor allem, wenn sie aus Einsamkeit eingegangen werden." Und bevor sie zu ihm gekommen war, hatten sie sich beide sehr einsam gefühlt. Er schüttelte den Kopf. "So ist es mit uns nicht. Ich bin keine flüchtige Liebschaft. Ich bin dein Ehemann." Nur auf dem Papier, rief Emily sich in Erinnerung. Sie griff nach ihrem Pyjama und zog ihn an. "Hattest du andere Geliebte, seit deine Frau gestorben ist?" Edmund lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. "Nein." "Ich auch nicht." "Ja und?"
Sie wandte den Blick von seinem erregten Körper ab. "Es beweist, daß wir aus einem aufgestauten, rein körperlichen Bedürfnis gehandelt haben. Du hättest es mit jeder tun können. Sogar mit Selena, wenn ich euch nicht unterbrochen hätte." Mit zorniger Miene konterte er: "Da hast du recht. Ich hätte Selena haben können, wenn ich sie gewollt hätte. Aber ich wollte nicht. Ich wollte dich, Emily." "Das glaubst du jetzt, weil es vorhin beinahe passiert wäre. Aber wie wirst du morgen oder nächste Woche empfinden?" Und wie würde sie regieren, wenn er sie dann nicht mehr begehrte? Es war besser, der Sache ein Ende zu setzen, bevor noch mehr Kummer entstand. Seine Enttäuschung war ebenso deutlich zu spüren wie sein Verlangen, das einfach nicht weichen wollte. "Du hast nicht gerade viel Vertrauen in mich, oder?" Sie lehnte sich an das Kopfteil und zog sich die Decke bis zum Kinn hoch. "Ich versuche nur, vernünftig zu sein", beharrte sie trotzig und bemühte sich, ihre Gefühle zu verdrängen. Sie hatte sich bereit erklärt, seiner Tochter eine Mutter und ihm eine Freundin, eine platonische Partnerin zu sein. Das gleiche galt umgekehrt für ihn. Es war eine schlichte Vereinbarung, bei der keine Liebe im Spiel war. Die Trauung, die Ringe, die Vortäuschung falscher Tatsachen gegenüber den anderen und die Umstände, die sie zwangen, ein Bett zu teilen... all das verwischte die Grenzen ein wenig. Aber im Grunde änderte es nichts an der Situation. Er bot ihr lediglich eine Affäre, die angesichts der fehlenden Liebe nicht einmal von Dauer sein würde. Sie holte tief Luft. "Wir haben uns doch schon in die Ehe gestürzt. Ich finde, wir sollten diese Sache nicht auch noch überstürzen." Auch Edmund legte sich wieder ins Bett. "Unsere Empfindungen werden sich nicht ändern oder vergehen... egal,
wie sehr du unser Verhalten analysierst oder wie lange du mich auf Distanz hältst, Emily", beharrte er grimmig. Sie fühlte sich ein wenig schuldig, weil sie ihn in einem so... unbehaglichen Zustand ließ. Doch sie vordrängte es. Schließlich konnte eine kalte Dusche Abhilfe schaffen. "Ich halte es trotzdem für einen Fehler, und ich habe nicht die Absicht, ihn zu wiederholen." Hastig fügte sie hinzu: "Es tut mir leid, daß ich es so weit habe kommen lassen." "Mir nicht." Seine Augen glühten feurig. Das Verlangen in seinem Blick wirkte beinahe so erregend wie seine Küsse und1 Liebkosungen. "Ich will, daß du dich daran erinnerst, was du dabei gefühlt hast, und daß du dich nach dem Rest sehnst. Denn wenn wir schließlich zusammenkommen, wird es atemberaubend sein." Am nächsten Morgen, als Edmund gerade die Kings verabschiedet hatte, trat Selena zu ihm in die Eingangshalle. Sie war so bezaubernd gekleidet wie auch sonst immer, doch ihr Lächeln wirkte etwas gekünstelt. "Haben sich die Kings schon entschieden? Er schüttelte den Kopf. "Aber sie haben mir versprochen, mir innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden Bescheid zu geben." "Ich hoffe, daß sie King's Ransom hier unterbringen." "Und ich hoffe, daß du endlich nach Hause fährst." Sie betrachtete ihn mit einem traurigen, sehnsüchtigen Lächeln. "Ich habe meine Sachen schon gepackt." "Gut." Er war der Meinung, daß alles Nötige gesagt war, und wandte sich ab. Mit entschlossener Miene legte sie ihm eine Hand auf den Arm. "Edmund, was gestern abend angeht... es tut mir leid, daß ich dich falsch verstanden habe." Er zuckte gelassen die Schultern. "Es ist ja nichts passiert." Einen Moment lang wirkte sie niedergeschlagen, weil ihr Striptease keine größere Wirkung erzielt hatte. Doch sie erholte
sich schnell. "Da ist noch etwas." Sie verstärkte den Griff um seinen Arm. "Ich habe gestern nachmittag viel Zeit mit den Bancrofts verbracht. Es dürfte dich interessieren, daß sie der Meinung sind, Emily hätte es von Anfang an auf dich abgesehen. Sie hat dir all diese Briefe geschrieben, um dein Mitleid zu erwecken, und dann hat sie dich wegen deines Geldes geheiratet." Er grinste. "Die Farm ist mein einziger Besitz, und sie steckt in Schwierigkeiten... falls du das noch nicht gehört haben solltest", entgegnete er trocken. "Jeder weiß, daß du sie wieder in Schwung bringen wirst. In höchstens zwei Jahren wird sie wieder so erfolgreich wie eh und je sein. Und Emily ist auf jeden Fall von einer angesehenen Familie in eine andere gewechselt." Entschieden nahm er Selenas Hand von seinem Arm. "Unser Platz in der Gesellschaft ist nicht der Grund dafür, daß Emily hier ist." "Oh, ich bezweifle ja gar nicht, daß sie dich auch will", sagte Selena bitter. "Welche Frau würde dich nicht wollen?" Emily hatte ihn in der vergangenen Nacht nicht gewollt, und das schmerzte ihn immer noch. "Ich finde nur, du solltest wissen, daß sie dich benutzt", fügte Selena rachsüchtig hinzu. Seit Jahren verspürte Edmund Mitleid und Schuldgefühle ihr gegenüber. Er hatte nie beabsichtigt, sie in die Irre zu führen oder ihr weh zu tun. Doch er hätte härter durchgreifen müssen. Denn dann hätte sie sich nicht an ihre unerfüllbaren Träume geklammert. "So, das reicht." Er nahm ihren Ellbogen und drängte sie zur Tür. Sie sträubte sich. "Herrje, Edmund, was soll denn das?" "Ich helfe dir nur aus dem Haus." "Aber ich brauche noch meinen Mantel."
"Entschuldige." Er nahm den vornehmen Pelzmantel aus dem Garderobenschrank und hängte ihn ihr nicht gerade sanft über die Schultern. Dann riß er die Haustür auf und stellte zufrieden fest, daß ihr Wagen bereits vor den Stufen stand, wie er angeordnet hatte. "Aber was ist mit meinem Gepäck?" protestierte Selena. "Keine Sorge. Ich lasse es sofort zur Somerset Farm schicken." Gewaltsam schob er die blonde Schönheit die Stufen hinab zum Wagen und verfrachtete sie auf den Fahrersitz. "Ich wünsche dir eine gute Fahrt nach Hause." "Du bist ja so gemein!" fauchte sie. Er hatte gehofft, daß sie so empfinden würde. Über die Schulter sagte er: "Und tu uns allen einen Gefallen, Honey, und komm nicht zurück." Eine Weile später begab Edmund sich zu Emily ins Schlafzimmer. Sie hatte gerade geduscht und sich die üppigen, lockigen Haare gefönt. Er schloß die Tür hinter sich und trat zu ihr. "Wo sind die Kinder?" Allzu deutlich erinnerte sie sich an das, was in der vergangenen Nacht beinahe passiert wäre. Ein wenig nervös zog sie den Bademantel fester um sich. "Sie sind unten bei deiner Mutter und sehen sich die neuesten Meldungen über den Schneesturm im Fernsehen an. Anscheinend wird die entlaufene Braut aus Pennsylvania immer noch gesucht. Sie wurde zuletzt in den Bergen von West Virginia gesehen." Edmund musterte sie verlangend von Kopf bis Fuß, bevor er sich abwandte und auf das Bett setzte. "Ich hoffe, daß sie gefunden wird." Emily nickte und versuchte, das Pochen ihres Herzens zu ignorieren. "Das hoffe ich auch, West Virginia wurde besonders hart vom Schneesturm betroffen, und sie trägt angeblich immer noch ihr Hochzeitskleid." Sie wandte sich ab, nahm eine Hose und einen Pullover aus dem Schrank und hängte beides über die spanische Wand. "Selena ist also gerade gefahren."
Er lehnte sich an das Kopfteil des Bettes und beobachtete, wie Emily einen BH und einen Slip aus einer Schublade nahm. "Ja." Sie trat hinter den Schirm. Mit etwas zitternden Händen zog sie sich an. "Und davor sind die Kings abgereist?" "Wiederum ja." "Wie stehen die Chancen, daß du mit ihnen ins Geschäft kommst?" "Schwer zu sagen. Vielleicht fifty-fifty." Emily kam hinter dem Schirm hervor. "Hast du Whit und Andrea heute morgen schon gesehen?" "Sie schlafen noch." "Ich weiß, daß du genauso erpicht darauf bist wie ich, sie loszuwerden. Aber ich würde nicht darauf zählen, daß sie sich sehr bald verabschieden. Es sei denn, du wirfst sie auch eigenhändig hinaus." Edmund stand vom Bett auf und ging zu ihr hinüber. "Du hast also mitbekommen, wie ich eben mit Selena geredet habe." "Ich konnte es kaum verhindern, da ich gerade aus dem Fenster gesehen habe." "Ich habe sie gebeten, nicht zurückzukommen." "Und wenn sie es doch tut?" "Dann werde ich sie erneut eigenhändig hinauswerfen", versprach er. "Ich lasse niemanden zwischen meine Frau und mich treten. Egal, um wenes sich handelt oder wie lange derjenige schon mit der Familie befreundet ist." Aufgewühlt wandte Emily sich ab. Sie mußte sich eingestehen, daß sie eifersüchtig war. Sie wollte nicht, daß er mit einer anderen Frau zusammen war, und sie ahnte, daß es sich niemals ändern würde. Edmund legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich um. "Und deshalb bin ich der Meinung, daß wir beide ein neues Einverständnis brauchen."
Hoffnung stieg in ihr auf, als er sanft ihre Schläfen küßte. "Was für ein Einverständnis?" Mehr denn je wurde ihr bewußt, daß sie sich wie in einem Märchen fühlte, wann immer sie bei ihm war. Er drückte sie an sich. "Ich will unsere ursprüngliche Vereinbarung um absolute Treue auf beiden Seiten erweitern." Bevor sie ihn unterbrechen konnte, legte er ihr einen Finger auf die Lippen. "Ich weiß, daß du noch nicht soweit bist. Das hast du gestern abend klargestellt. Aber wenn und falls du mit jemandem schlafen möchtest, dann muß es mit mir sein und niemandem sonst." Er schmiegte beide Hände um ihr Gesicht und zwang sie dazu, ihn anzublicken. "Und dasselbe gilt für mich." "Das klingt gut." Er lächelte sie verführerisch an und streichelte ihre Wangen. "Ich bin froh, daß du mir zustimmst." Sie hielt seinem verlangenden Blick stand. "Aber damit verspreche ich dir nicht, daß wir miteinander schlafen werden", warnte sie. Nicht, weil sie die körperliche Nähe zu ihm scheute. Sie sehnte sich sogar danach. Doch es würde für Sie bedeuten, daß sie ihm auch ihr Herz gab, und dazu war sie nur fähig, wenn sie wußte, daß er sie ebenfalls liebte Zu ihrer Erleichterung akzeptierte er ihren Einwand. "Ich werde auf dich warten, Emily, wie lange es auch dauern mag", versprach er mit ernster Miene. "Aber damit du weißt, wie wichtig es mir ist, daß unsere Ehe funktioniert, gebe ich dir das hier." Er nahm ein Schächtelchen aus seiner Tasche. Darin befand sich ein Verlobungsring, der mit Diamanten und Saphiren besetzt und so schön war, daß es ihr den Atem verschlug. "Die Reihenfolge mag zwar falsch sein, aber deshalb fühle ich mich dir oder unserer Ehe nicht weniger verpflichtet", erklärte er rauh, während er ihr den Ring an den Finger steckte.
"Jedesmal, wenn du ihn dir ansiehst, sollst du daran denken, wie sehr mir an unserer Ehe gelegen ist. Und das nicht nur aus Vernunftgründen, Emily." Tränen stiegen ihr in die Augen. "Ach, Edmund..." Er schloß sie fest in die Arme. "Es ist für unsere Zukunft, Emily." Und er besiegelte den Augenblick mit einem zärtlichen Kuß. "Weißt du was, Daddy?" eröffnete Chloe, als Edmund ins Spielzimmer kam und nach Emily und den Kindern sah. "Ich habe heute morgen für jedes Fach eine Arbeit geschrieben, und Emily hat alles für mich nach Seattle zu meiner Lehrerin gefaxt." Lächelnd zerzauste er ihr das Haar. Seit langer Zeit hatte er sie nicht mehr so begeistert erlebt. "Ich bin sehr beeindruckt." "Du weißt doch, was das bedeutet, oder? Emily hat mir versprochen, daß wir vier jetzt Zeigen und Erzählen spielen." Emily blickte ihn fragend an. "Ist dir das recht?" "Sicher. Es wird bestimmt lustig." "Wer fängt an?" fragte sie, als sie sich auf den Teppich mitten im Raum gesetzt hatten. "Du", bestimmte Chloe eifrig. "Das dürfte schwierig sein. Mir ist nämlich noch gar nichts eingefallen." "Ich helfe dir", bot Chloe an. "Nimm doch deinen neuen Ring." Emily blickte hinab auf ihre linke Hand und hielt sie dann hoch, damit jeder das Schmuckstück bewundern konnte. "Dein Daddy hat ihn mir heute morgen geschenkt", verkündete sie stolz. Chloe musterte ihn sehr eingehend. "Er ist sehr hübsch. Er funkelt richtig im Licht." Sie schlang die Arme um die angezogenen Knie und wandte sich an Edmund. "Warum hast du ihn ihr geschenkt, Daddy?"
Weil ich in sie verliebt bin, dachte er. Doch das konnte er vor den Kindern nicht aussprechen, bevor er es Emily selbst gestanden hatte. Noch war er sich nicht sicher, ob sie es überhaupt von ihm hören wollte. Er war nicht besonders geschickt darin, Frauen im allgemeinen zu durchschauen, und dieses Manko war noch ausgeprägter bei Frauen, die ihm etwas bedeuteten. "Weil sie jetzt meine Frau ist", teilte er seiner Tochter mit. "Und weil ich ihr etwas Besonderes geben wollte. Nach allem, was sie für uns getan hat." Er sah Enttäuschung über Emilys Gesicht huschen, doch er scheute sich, sie in Anwesenheit der Kinder nach dem Grund zu fragen. "Schade, daß Bobby uns nicht was zeigen und dazu was erzählen kann", bemerkte Chloe, als Bobby vorsichtig aufstand. Er taumelte vorwärts, vergaß aber, seine Füße zu heben. Prompt verlor er das Gleichgewicht, landete auf Händen und Knien und verzog zornig das Gesicht, so als wollte er zu weinen anfangen. Edmund hob ihn auf die Arme. "Wir beide spielen zusammen. Ich werde zeigen und erzählen, wie er laufen lernt. Paß auf, Kind. Als erstes stellst du dich auf deine eigenen Füße. Genau so. Das kann er schon fast perfekt." "Und was jetzt?" fragte Chloe gespannt. "Jetzt paß gut auf, mein Sohn." Er schloß eine Hand um Bobbys rechten Knöchel, hob den Fuß, führte ihn vorwärts und setzte ihn wieder ab. Er wiederholte die Prozedur mit dem linken Fuß und dann wieder mit dem rechten. "Siehst du? Du läufst fast ganz allein." Als Bobby es begriffen hatte, hielt Edmund ihn an beiden Händen, stellte sich hinter ihn und begleitete ihn zuerst zu Emily und dann zu Chloe. "Das machst du großartig." "Versuch mal, ob er es jetzt allein kann, Daddy", schlug Chloe vor, als Bobby seine Hände zu befreien suchte.
Er stieß ein Kreischen aus, taumelte vorwärts und vergaß erneut, die Füße zu heben. Edmund, der darauf vorbereitet war, fing ihn auf. "Schade", murmelte Chloe enttäuscht. "Wir müssen Geduld haben", sagte Edmund. Ebenso wie er beabsichtigte, Geduld für Emily aufzubringen. "Jetzt bist du an der Reihe, Chloe", entschied Emily. Sie sprang auf und holte etwas aus ihrem Rucksack. "Ich habe ein Foto. Das ist meine Schulklasse in Seattle." In allen Einzelheiten beschrieb sie ihre Lehrerin und all ihre Freunde. "Vermißt du es eigentlich, mit anderen Kindern in die Schule zu gehen?" fragte Emily sanft. "Irgendwie ja. Ich dachte, es wäre anders, zu Hause zu lernen. Lustiger, weißt du?" Edmund und Emily nickten. "Aber es ist irgendwie..." "Langweilig?" "Ja. Ich glaube, ich möchte bald wieder zur Schule gehen, Daddy." "Das ist mir recht. Aber du weißt ja, daß es nicht in Seattle sein kann. Es müßte hier in Kentucky sein." Chloe nickte und seufzte. "Meint ihr denn, daß ich hier auch Freunde finden würde?" Emily drückte sie lächelnd an sich. "Ich glaube, daß du hier sehr viele Freunde finden würdest." Maureen erschien in der Tür. "Hier steckt ihr also! Ich wollte euch nur sagen, daß der Klempner da ist. Wahrscheinlich könnt ihr morgen nachmittag wieder in das Cottage ziehen." "Danke", sagte Edmund. Sie wandte sich an Chloe. "Du hast doch versprochen, mir heute beim Dinner zu helfen. Weißt du noch?" "Ach ja." Sie stand auf und ging mit Maureen hinaus.
"Es gefällt ihr also doch nicht so gut, zu Hause unterrichtet zu werden", murmelte Edmund. "Sie braucht den Umgang mit anderen Kindern." "Glaubst du, daß sie hier in der Schule besser zurechtkäme?" Emily lächelte ihn an. "Es wird ihr nicht leicht fallen, aber mit unserer Liebe und Unterstützung wird sie es bestimmt schaffen." "Liest Daddy mir heute abend eine Geschichte vor, oder kommt er mir nur gute Nacht sagen?" wollte Chloe wissen, nachdem sie sich die Zähne geputzt und den Pyjama angezogen hatte. Emily half ihr, den Haarzopf zu öffnen. "Er tut bestimmt alles, was du willst." "Ich will beides." Emily nahm Bobby auf den Arm. "Dann holen wir ihn." "Was tut er denn überhaupt?" "Er arbeitet." "Immer noch?" Emily redete sich ein, daß seine Arbeitswut nichts mit dem ungestillten Verlangen zwischen ihnen zu tun hatte. "Er mußte seine Klienten in Seattle anrufen und sich um die Farm kümmern." "Er arbeitet viel zuviel!" "Das liegt daran, daß er jetzt zwei Jobs hat." "Das gefällt mir aber nicht", murrte Chloe, als sie die Bibliothek betraten. "Was gefällt dir nicht?" hakte Edmund besorgt nach. "Das du dich ewig hier drinnen verkriechst", schmollte sie. Lächelnd stand er auf und kam um den Schreibtisch herum. "Nun, mir gefällt es auch nicht." Er nahm sie in die Arme und blickte Emily forschend an. "Findest du auch, daß ich zuviel arbeite?" Sie senkte den Blick. "Ich weiß, daß du sehr viel zu tun hast." Er seufzte. "Leider wird es noch eine Weile so bleiben."
"Hast du denn wenigstens Zeit, mir und Bobby eine Geschichte vorzulesen?" wollte Chloe wissen. "Dafür habe ich immer Zeit." Kurze Zeit später saßen sie alle auf dem Bett in Chloes Zimmer. Die beiden Kinder kuschelten sich an Edmund, während er vorlas. Erneut wurde Emily bewußt, was für ein guter, liebevoller Vater er war und was für eine großartige Familie sie allesamt abgaben. Als die Geschichte zu Ende ging, war Bobby fest eingeschlafen, und auch Chloe fielen langsam die Augen zu. Auf Zehenspitzen schlich Emily mit Bobby hinaus und brachte ihn im Kinderzimmer ins Bett. Dann kehrte sie zurück. "Ich bin froh, daß du meine Mommy bist", erklärte Chloe und drückte sie fest an sich. Emily erwiderte die Umarmung. "Ich bin auch froh, daß du meine Tochter bist." "Und was ist mit mir?" warf Edmund mit gespielt kummervoller Miene ein. Chloe kicherte über seinen Gesichtsausdruck. "Du weißt doch, daß ich dich lieb habe." Sie schlang die Arme um seinen Nacken und gab ihm einen Kuß. "Bis morgen früh, Spatz." "Okay, Daddy." Edmund und Emily schalteten das Licht aus und verließen den Raum. Er folgte ihr, als sie zum Schlafzimmer ging. "Gehst du nicht mehr nach unten zum Arbeiten?" fragte sie. Er schüttelte müde den Kopf und zog sich die Schuhe und das Hemd aus. Mit einer Pyjamahose ging er ins Badezimmer. "Ich habe für heute genug." Nach einer Weile steckte er den Kopf durch die Tür. "Wo sind Whit und Andrea?" Emily trat hinter die spanische Wand. "Soweit ich weiß, wollten sie sich mit Gail und deiner Mutter Filme über Pferde
ansehen. Anscheinend sind sie so beeindruckt von dem Betrieb hier, daß sie selbst mit dem Gedanken spielen, eine Zuchtstute zu kaufen, sie hier unterzustellen und decken zu lassen." Ihrer Bemerkung folgte Schweigen. Neugierig schlüpfte sie hastig in den Pyjama und trat hinter dem Schirm hervor. Edmund stand stocksteif in der Badezimmertür. Sie grinste über seine betont nichtssagende Miene. "Das hat dir gerade noch gefehlt, wie?" neckte sie ihn. "Ich habe Whit und Andrea nie sehr gemocht. Aber für Bobby wäre es gut, seine Großeltern kennenzulernen." "In dem Punkt hast du recht." Edmund trat an das Fenster und blickte hinaus in die dunkle, eisige Nacht. "Wissen sie eigentlich, daß sie heute nacht höchstwahrscheinlich wieder eingeschneit werden, wenn die dritte Runde des Schneesturms uns so hart trifft wie vorhergesagt?" Emily nickte. "Es scheint sie nicht zu kümmern." "Bist du bereit fürs Bett?" Nein, dachte sie, als sie sich an die leidenschaftlichen Liebkosungen erinnerte, die sie am vergangenen Abend in diesem Bett getauscht hatten. Sie griff nach ihrem Bademantel. "Geh du nur. Ich muß noch mal nach Bobby schauen." "Das könnte ich doch tun." "Nicht nötig. Ich gehe schon." Sie eilte an ihm vorbei und verspürte Erleichterung, als er sie nicht zurückhielt. Sie benahm sich wie ein Dummkopf. Es würde nichts geschehen, was sie nicht wollte. Aber vielleicht war genau das ihr Problem. Auf Zehenspitzen schlich Emily in das Kinderzimmer und hörte plötzlich die Schritte eines schweren Mannes. Sie steckte den Kopf zur Tür hinaus und sah Whit Bancroft in Bademantel und Hausschuhen verstohlen zur Treppe eilen, so als wollte er nicht gesehen oder gehört werden. Emily runzelte die Stirn. Was in aller Welt führten ihre ehemaligen Schwiegereltern nun im Schilde?
12. KAPITEL Emily stand in der Tür zur Bibliothek und beobachtete, wie Whit Bancroft in den Papieren kramte, die Edmund auf dem Schreibtisch hatte liegen lassen. Er war schon immer anmaßend gewesen, doch damit schoß er den Vogel ab. "Was zum Teufel fällt dir ein?" zischte sie zornig. Er blickte flüchtig auf und fuhr seelenruhig in seiner Tätigkeit fort. Sie stürmte zum Schreibtisch. "Das sind private Unterlagen der Fairfax Farm." "Richtig." Vergeblich versuchte sie, ihm die Papiere zu entreißen. "Du hast kein Recht, darin zu wühlen!" Whit setzte sich hinter den Schreibtisch, fuhr mit einem Finger über eine Zahlenreihe und kritzelte Ziffern auf ein leeres Blatt Papier. "Willst du denn gar nicht wissen, in welcher finanziellen Lage sich dein neuer Ehemann befindet?" "Du weißt genau, daß Geld mir nie etwas bedeutet hat", konterte Emily und schnappte sich das Blatt, sobald er den Kugelschreiber niederlegte. Er seufzte. "Andrea und ich versuchen doch nur, dich und Bobby zu beschützen." "Wir brauchen deinen Schutz nicht." Sie wich hastig zurück, als er nach dem Papier greifen wollte. "Und selbst wenn wir es täten, dann nicht auf diese Weise."
Er setzte sich wieder. "Andrea und ich können durchaus verstehen, daß du dein Los im Leben auf jede erdenkliche Weise zu verbessern suchst, in diesem Fall durch Heirat. Wir alle..." Empört fiel sie ihm ins Wort: "Ich habe weder deinen Sohn noch Edmund geheiratet, um mein Los im Leben zu verbessern, sondern beide Male aus Liebe", sprudelte sie hervor. Whit ignorierte ihren Einwand. "Wenn du schon diesen Weg gewählt hast, solltest du deine Sache allerdings besser machen." "Was soll das heißen?" "Komm schon, Emily, selbst du bist nicht so naiv. Du mußt doch merken, daß Bobby deinem neuen Ehemann im Wege ist." "Das ist nicht wahr!" Er musterte sie anzüglich. "Außerdem solltest du Nachtwäsche aus Seide und nicht aus Flanell tragen. Schließlich bist du in den Flitterwochen." "Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden?" Erneut ignorierte er ihren Protest. "Zu diesem Zweck könnten Andrea und ich dir helfen, indem wir dir Bobby für eine Weile vom Hals schaffen." "Diese Bemerkung will ich nicht gehört haben." "Du lehnst das Angebot also ab?" "Allerdings." Sie beugte sich über den Schreibtisch und schnappte sich den Stapel Papiere. "Und jetzt verschwinde hier, bevor dich jemand sieht." Er nickte knapp. "Wie du willst. Aber vorher sollst du wissen, daß Andrea und ich in einem Punkt hart bleiben nämlich was das Treuhandvermögen betrifft, das Brian hinterlassen hat. Da du in eine so gute Familie eingeheiratet hast, gelingt es uns vielleicht nicht, das Sorgerecht für Bobby zu bekommen. Aber wir werden zu verhindern wissen, daß Edmund dieses Geld in seine Farm steckt. Bevor es dazu kommt, sorgen wir dafür, daß es vom Nachlaßgericht für sehr
lange Zeit beschlagnahmt wird. Wir haben mächtige Anwälte, die das bewirken können." Whit schickte sich an, die Bibliothek eilig zu verlassen, doch plötzlich kehrte er um. Er preßte Emily eine Hand auf den Mund, packte sie mit der anderen am Arm und zerrte sie hinter die Tür. Im selben Moment hörte sie erhobene Stimmen im Flur. "Ich verstehe nicht, warum du es für eine schlechte Idee hältst!" rief Maureen, "Du solltest es besser wissen, als ihnen zu vertrauen", entgegnete Edmund gereizt. "Wie konntest du ihnen anbieten hierzubleiben?" "Gail hält es für wichtig, unsere Bereitschaft zu zeigen, sie an Bobbys Leben teilhaben zu lassen, falls es wegen des Sorgerechts zu einem Prozeß kommt." "Mutter, sei doch nicht so naiv! Sie sind hier, um Informationen zu sammeln, die sie gegen uns verwenden können. Und du hast ihnen direkt in die Hände gespielt, indem du ihnen angeboten hast, mit uns ins Geschäft zu kommen. Merkst du denn nicht, wie das vor Gericht ausgelegt werden könnte? Wie ein Erpressungsversuch - ihr helft uns durch eine Investition aus der Patsche, und wir gewähren euch dafür Zugang zu eurem Enkelsohn!" Whit nickte zustimmend. "Aber so ist es doch gar nicht!" entgegnete Maureen verletzt. "Das weiß ich, Mutter. Aber das heißt noch lange nicht, daß ein Richter es auch weiß." Die Schritte gingen an der Bibliothek vorüber und verstummten abrupt. "Hör mal, Edmund, ich weiß, daß du immer noch böse auf mich bist, weil ich versucht habe, dich mit Selena zu verkuppeln. Ich sehe ja ein, daß es ein Fehler war. Bei näherer Betrachtung hat sie sich nicht als die liebenswerte, rücksichtsvolle Frau erwiesen, die sie zunächst zu sein schien." "Das ist sehr untertrieben ausgedrückt." "Aber du mußt nicht mit Emily verheiratet bleiben, nur um dich an mir zu rächen!" rief Maureen.
Whit zog hämisch die Augenbrauen hoch. "Darum geht es doch gar nicht!" konterte Edmund aufgebracht. "Ich will mit ihr verheiratet sein." Emily lächelte Whit siegessicher an. "Weil du sie liebst?" hakte Maureen skeptisch nach. Emily wartete mit angehaltenem Atem auf die Antwort. Schroff erklärte Edmund: "Ich habe nicht die Absicht, mit dir darüber zu diskutieren, Mutter." Erneut erklangen Schritte, entfernten sich den Flur entlang. "Was sagst du jetzt?" flüsterte Whit selbstgefällig. Emily marschierte zum Schreibtisch und legte hastig die Unterlagen zurück in den Ordner, in den sie gehörten. "Ich rate dir zu verschwinden, bevor sie zurückkommen und dich hier erwischen." "Erwischen?" hakte eine vertraute Stimme in unheilverkündendem Ton nach. "Wobei?" Sie zuckte zusammen. Whit runzelte die Stirn. Beide wirkten unmißverständlich schuldbewußt. "Das alles betrifft mich nicht", sagte Whit und eilte an Edmund vorbei auf den Flur hinaus. Edmund lehnte sich gegen den Schreibtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. "Nun?" "Ich weiß, wonach es aussehen muß, aber ich kann es erklären", entgegnete Emily hastig. "Ich wüßte nicht, warum ich dir eine Chance dazu geben sollte. Schließlich hast du mir auch keine gegeben, als du mich gestern nacht mit Selena erwischt hast." "Das war etwas ganz anderes! Selena war völlig nackt und hat dir ihre unsterbliche Liebe erklärt!" "Und du trägst auch nur einen Pyjama, ebenso wie, dein ehemaliger Schwiegervater." "Er hat nicht versucht, mich zu verführen, falls du das andeuten willst."
"Das freut mich zu hören. Ich möchte trotzdem gern wissen, warum du hier unten mit Whit warst, obwohl du mir gesagt hast, daß du nach Bobby sehen wolltest." Emilys Kehle war wie ausgedörrt. Sie schluckte schwer und bemühte sich, ruhig und gelassen zu bleiben. In kurzen Zügen erklärte sie ihm die Situation. "Wenn er dich belästigt hat, hättest du ja um Hilfe rufen können." "Das stimmt. Aber sein schlechtes Benehmen war mir peinlich. Ich wollte nicht, daß deine Mutter davon erfährt." Edmund trat zu ihr und blieb dicht vor ihr stehen. "Und außerdem gab es da ja noch einen anderen Grund." "Und der wäre?" "Das du belauschen wolltest, was meine Mutter und ich uns zu sagen hatten." "Ich habe einiges davon gehört", gestand sie ein. Er zog sie an sich. "Und?" Ihr Herz begann zu pochen, als ihr bewußt wurde, daß er sie viel lieber geküßt hätte, anstatt zu reden. "Du hast recht. Whit und Andrea sind hier, um herumzuspionieren und etwas auszugraben, das sie vor Gericht gegen uns verwenden können." "Also wollen sie immer noch das Sorgerecht für Bobby." "Und dazu die Million, die Brian für Bobby hinterlassen hat." "Als Bobbys Mutter hättest du längst die volle Verfügungsgewalt über dieses Geld bekommen sollen", bemerkte er stirnrunzelnd. "Du hättest sie sogar von Anfang an haben sollen." Das war ihre Chance, ihn in diesem Punkt zu testen. Sie blickte zu ihm auf. "Vielleicht sollte ich einfach auf das Geld verzichten. Bobby braucht es doch gar nicht, um glücklich zu sein. Und ich wüßte nicht, was ich mit soviel Geld anfangen sollte. Vielleicht verzichten Whit und Andrea sogar auf das Sorgerecht, wenn ich ihnen das Geld überlasse."
Abrupt ließ er sie los. "Glaubst du etwa, Brian hätte gewollt, daß du seinen Eltern das Geld für Bobby gibst?" "Nein. Er hatte sich finanziell von ihnen völlig losgesagt. Das Geld stammt von seinem Großvater. Er hatte beabsichtigt, es für Bobbys Ausbildung und Versorgung zu verwenden." "Dann solltest du es auch in seinem Sinne einsetzen", riet Edmund sanft. "Wer verwaltet es jetzt?" "Die Anwälte der Bancrofts, wie immer." "Was sagt denn dein eigener Anwalt dazu?" "Ich habe keinen." "Warum nicht?" "Weil ich bis vor wenigen Tagen nicht ahnen konnte, daß ich einen brauchen würde." "Liegt der Fonds immer noch beim Nachlaßgericht?" "Soweit ich weiß, ja." Edmund nickte bedächtig. "Ich verstehe es ja, wenn jemand die Augen vor finanziellen Problemen verschließt, weil er hofft, daß sie sich von selbst lösen. Aber ich habe am eigenen Leib erfahren, daß die Dinge dadurch auf lange Sicht nur noch schlimmer werden." "Du meinst also, daß ich energischer durchgreifen sollte?" "Ich meine, daß du darauf vorbereitet sein solltest, dich mit Händen und Füßen zu wehren. Was den Fonds angeht, werde ich morgen früh ein paar Telefonate führen und herausfinden, wie fest das Geld wirklich angelegt ist." Edmund bot ihr seine Hilfe an, und sie brauchte sein Fachwissen. Warum also verspürte sie immer noch Unbehagen? "Und wenn der Fonds freigegeben wird, was dann? Ich bin die Verwalterin, und ich weiß wirklich nicht viel über Investments. Keine Sorge." Beruhigend streichelte er ihre Schultern. "Ich kann dich bei deinen Entscheidungen beraten, wenn du möchtest." Die Saat der Zweifel, die sie abzutöten versucht hatte, keimte erneut auf.
"Ich weiß, daß die Vorstellung, so viel Geld zu verwalten, auf dich überwältigend wirkt, aber ich verdiene mir damit meinen Lebensunterhalt. Ich kann dir helfen, es gewinnbringend einzusetzen", fuhr er fort. Ihr Herz pochte heftig, und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. "Du meinst also, ich sollte es investieren?" "Ja. In etwas, das garantiert Gewinne abwirft." Emily blickte hinab auf die Papiere, die auf dem Schreibtisch verstreut lagen. Unter den Finanzberichten und Kalkulationen befanden sich auch Entwürfe für Anzeigen in Pferdezeitschriften. "Hast du dir schon überlegt, womit du die Werbung in diesem Jahr finanzieren willst?" fragte sie und betete im stillen, daß er die Frage bejahen würde. "Nein. Ich arbeite noch daran, wie an unzähligen anderen Problemen." Er sammelte die Papiere ein, verschloß sie im Schreibtisch und nahm ihre Hand. "Aber genug Gerede von der Farm und unseren Problemen. Laß uns nach oben gehen." "Kommt dir das nicht irgendwie bekannt vor?" erkundigte sich Edmund, als er neben Emily am Schlafzimmerfenster stand und sie gemeinsam beobachteten, wie der Schnee in dicken, weißen Flocken herabrieselte. Sie versuchte, sich von dem dunklen Schlafzimmer, der Nähe des einladenden Bettes und den Erinnerungen an die vergangene Nacht nicht nervös machen zu lassen. Es war jedoch ein hoffnungsloses Unterfangen. Angesichts der langen, intimen Stunden, die ihnen bevorstanden, konnte sie an nichts anderes denken als an die Möglichkeit, Edmund erneut zu küssen und zu liebkosen. Emily rang nach Atem, als er ihr galant aus dem Bademantel half. Eine Schicht Kleidung weniger zwischen ihnen. "Wann hat es eigentlich angefangen?" Es ärgerte sie, daß ihre Stimme so aufgeregt klang. "Weißt du es?"
"Es kann noch nicht lange hersein." Er schlang die Arme um sie und zog sie mit dem Rücken an seine Brust. "Vielleicht eine halbe Stunde." Sie drehte sich zu ihm um. Ihre Beine in Flanell streiften seine in Jersey. "Es sieht nicht gut aus im Hinblick darauf, daß wir unsere restlichen Hausgäste loswerden wollen." Edmund schlang beide Arme um ihre Taille und zog Emily an sich, so daß die Wärme seines Körpers sie einhüllte wie ein kuscheliges, weiches Federbett. "Aber den Kindern wird es gefallen", flüsterte er. "Das glaube ich auch." Er strich mit einer Hand durch ihre seidigen Locken. "Ist alles okay?" "Ich bin nur ein bißchen besorgt." "Das mußt du aber nicht sein. Ich bin doch immer hier, um dich zu schützen und für dich zu sorgen." Doch Emily wußte besser als manch anderer, daß es keine Garantie für die Zukunft gab. Dieser Moment in ihrer Ehe kam vielleicht nie wieder. Und plötzlich wußte sie, was sie zu tun hatte. Sie schlug jegliche Vorsicht und Zurückhaltung in den Wind und schmiegte sich an ihn. "Edmund?" "Hm?" "Küß mich", bat sie sanft. Denn wenn es einen Weg gab, ihre Ehe so zu festigen, daß sich nichts und niemand - nicht Selena, nicht die Bancrofts, nicht Maureen, kein Gericht, keine Geldangelegenheit - zwischen sie drängen konnte, dann war es dieser. "Küß mich", wiederholte sie sanft, verführerisch, "wie du es gestern nacht getan hast." Er versteifte sich ein wenig. "Angesichts der Art und Weise, wie es geendet hat", murrte er, "bin ich nicht sicher, ob es eine gute Idee ist."
"Heute nacht wird es nicht so enden", versicherte Emily. Nie zuvor hatte sie sich derart danach gesehnt, von einem Mann geliebt zu werden. Aber es war nicht irgendein Mann, den sie begehrte. Es war Edmund. "Was willst du damit sagen?" Sie holte tief Luft. "Das ich heute nacht mit dir schlafen will." Von Anfang an hatte sie ihn immer wieder überrascht. Doch nun übertraf sie sich selbst. Verblüfft starrte er sie an. "Bist du sicher?" Sie kuschelte sich fester an ihn. Ihre Lippen berührten seinen Hals. "Ganz sicher." Er schluckte. "Aber gestern nacht..." "Da hatte ich Angst davor, eine richtige Ehe einzugehen." Emily blickte ihm tief in die Augen und versicherte: "Jetzt habe ich aber keine Angst mehr davor. Ich will deine Geliebte sein, Edmund. Ich will deine Partnerin und deine Ehefrau sein." "Nun, wenn das so ist..." langsam drängte er sie zurück an die Wand und preßte sich an sie, "Dann würde ich sagen, daß wir anfangen sollten", flüsterte er und senkte den Kopf. Sein Kuß begann zärtlich, wurde dann heiß und leidenschaftlich. Sie erwiderte ihn spontan. Sie klammerte sich an Edmunds Schultern und schmiegte sich an ihn, und er genoß es. Schließlich hob er sie auf die Arme und trug sie zum Bett. Das unverhohlen feurige Versprechen in ihrem Blick beflügelte ihn. Er legte sich neben sie und knöpfte ihre Pyjamajacke auf. Ein Schauer lief durch ihren Körper, als er ihre Brüste entblößte und bewundernd betrachtete. Bevor er eine rosige Knospe in den Mund nehmen konnte, hielt sie ihn zurück und veränderte ihre Position, so daß sie nicht länger unter ihm lag. "Nein, Edmund."
Atemlos vor Erregung drehte er sich auf den Rücken. "Nein?" hakte er verständnislos nach, denn ihr Blick kündete von heftigem Verlangen. "Ich bin an der Reihe." Ein wenig schüchtern begann sie, ihn zu streicheln. Edmund stöhnte, als sie jeden Zentimeter seines Körpers erforschte und seine Erregung um so mehr steigerte. "Emily..." Er schloß eine Hand um ihre, drückte sie an sich, während er die andere Hand um ihren Nacken schmiegte und ihren Mund auf seinen hinabzog. Als sich ihre Knospen unter seinen Händen verhärteten, schwang sie sich über ihn und umschmiegte seine Lenden mit den Schenkeln. "Wer verführt hier eigentlich wen?" fragte er aufstöhnend. "Dreimal darfst du raten", entgegnete sie schelmisch und zog ihm das T-Shirt und die Pyjamahose aus. Sie küßte seine Brustwarzen, ließ die Lippen über seinen Bauch wandern und verweilte bei seinem Nabel. "Ich glaube... ich beginne... es zu ahnen", brachte er atemlos hervor. "Gut." Ihre seidigen Haare streichelten seine Schenkel, als sie sich über ihn beugte und ihn mit der Zungenspitze liebkoste. Er erschauerte. Es kostete ihn all seine Willenskraft, sich zurückzuhalten. Er umfaßte ihre Taille mit beiden Händen, zog sie hoch und küßte Emilys Lippen. "Es ist an der Zeit, die Plätze zu tauschen." Belustigung und Leidenschaft funkelten in ihren Augen. "Ich bin noch nicht fertig", widersprach sie und griff erneut nach ihm. Er stöhnte auf. "O doch", konterte er und zog sie eilig aus. Er drehte sie auf den Rücken und glitt zwischen ihre Schenkel. "Aber ich wollte dich doch für gestern nacht entschädigen."
"Glaub mir, das hast du bereits mehr als genug getan." Edmund nahm eine Knospe zwischen die Lippen und saugte sanft. Nun stöhnte sie und wand sich. "Wirklich?" "Wirklich." Er liebkoste sie mit Händen und Lippen und Zunge, bis sie sich aufbäumte. Er sehnte sich danach, sie auf intimste Weise zu erforschen. Er streichelte ihre Schenkel bis hinab zu den Knien und wieder hinauf. "Gefällt dir das?" "Sehr", bestätigte sie mit zittriger Stimme. "Gut. Weil ich beabsichtige, es oft zu tun." Er glitt an ihrem Körper hinauf und küßte hungrig ihren Mund. Ungeduldig bewegte sie die Hüften. "Jetzt?" wisperte sie. "Jetzt." Er glitt zwischen ihre Schenkel, schob die Hände unter ihre Hüften. Sie öffnete sich ihm so sanft und endgültig wie eine Blüte in der Frühlingssonne. Und dann waren sie eins. Sie bewegten sich gemeinsam in völliger Harmonie, liebten einander mit jeder Faser ihres Seins, verschmolzen zu einer vollkommenen Einheit. Und als es endete, als sie sich still in den Armen lagen und einander festhielten, rieselte draußen immer noch der Schnee.
13. KAPITEL Bobby und Chloe waren bereits im Morgengrauen erwacht, so daß Edmund noch keine Gelegenheit gehabt hatte, mit Emily über die Veränderung ihrer Beziehung zu sprechen. Aber das werde ich bald nachholen, nahm er sich fest vor, während er in der Bibliothek umherwanderte, Kaffee trank und hinaus auf die dicke Schicht Neuschnee blickte. Er wollte ihr klarmachen, daß die Geschehnisse der vergangenen Nacht nicht nur auf bloßem Verlangen beruhten, sondern ein Zeichen dafür waren, daß ihre Beziehung - und die Vollziehung ihrer Ehe vorherbestimmt war. Sie waren jetzt offiziell Mann und Frau. Und nichts konnte sie trennen. Unvermittelt stürmte Chloe in Stiefeln und dicker Winterkleidung herein. "Komm mit nach draußen in den Schnee, Daddy!" rief sie überschwänglich. "Tante Gail und Emily und ich wollen wieder mit Bobby Schlitten fahren und einen neuen Schneemann bauen! Guck mal. Wir haben sogar Gemüse für sein Gesicht!" Sie zeigte ihm eine Plastiktüte mit einer Karotte, zwei Radieschen und einer gebogenen roten Paprikaschote. Edmund grinste. "Das ist cool." "Aber du kommst nicht mit, oder?" "Im Moment nicht", bestätigte er widerstrebend und strich ihr liebevoll über das Haar. Chloes Gesicht verfinsterte sich.
"Dein Daddy muß sich bestimmt um wichtige Geschäfte kümmern", vermutete Emily, die ihr mit Bobby gefolgt war. "Habe ich recht?" Er nickte und blickte Chloe an. "Ich versuche, später nachzukommen, Spatz. Okay?" "Aber warte nicht zu lange. Sonst verpaßt du den ganzen Spaß." "Das will ich natürlich nicht." Emily blickte ihn an und lächelte spitzbübisch. Er beugte Sich zu ihr herüber und flüsterte ihr ins Ohr: "Ich weiß, woran du denkst. An dasselbe wie ich. An letzte Nacht." Sie seufzte zufrieden. "Es war wundervoll, oder?" Er nickte. "Und es wird wieder so." Dann gab er ihr einen zärtlichen Kuß auf die Schläfe. "Heute nacht?" Nun lächelte er. "Oder auch früher." "Irgend etwas ist zwischen dir und meinem Bruder vorgefallen, oder?" erkundigte sich Gail, während sie Chloe beobachtete, die Bobby in dem Babyschlitten hinter sich herzog. Emily musterte den Schneemann, den sie zu viert gebaut hatten. "Wie meinst du das?" "Es ist eine richtige Ehe geworden statt nur ein Mittel zum Zweck." Emily errötete ein wenig. Sie war sehr froh, daß sie die Ehe vollzogen hatten, denn plötzlich fühlte sie sich, als läge ihr ganzes Leben noch vor ihr, als stünde ihr eine wundervolle Zukunft bevor. "Ist das so offensichtlich?" murmelte sie. "Allerdings." Das einzige Problem bestand für Emily darin, daß beide nicht ein einziges Mal von Liebe gesprochen hatten. Sie hoffte, daß sich dieses Gefühl bei Edmund mit der Zeit einstellen würde. Was sie selbst betraf, war es bereits vorhanden. "Da kommt Daddy!" rief Chloe.
Emily drehte sich um. Edmund kam gerade zur Hintertür heraus. In einem Kaschmirpullover, einer sportlichen Hose und einer Daunenjacke sah er besser aus denn je. "Daddy, du mußt dir unseren Schneemann anschauen!" rief Chloe aufgeregt. Sie zog den Schlitten zu Emily, übergab ihr die Schnur und lief Edmund entgegen. Bobby umklammerte das Seitenteil des Schlittens und zog sich daran hoch. "Moment mal, junger Mann. Laß Mommy dir helfen." Emily bückte sich und hob ihn auf die Arme. "Nein!" rief er nachdrücklich und wand sich heftig, während er zu Edmund deutete, der sich von Chloe zum Schneemann ziehen ließ. Sie ging hinüber und stellte Bobby neben dem Schneemann auf die Füße. Erneut wehrte er sich, als sie ihn festhalten wollte. "Ich glaube, er will allein stehen", vermutete Edmund lächelnd und kniete sich in den Schnee. "Ich glaube, du hast recht." Langsam ließ Emily ihn los. Und dann überraschte Bobby sie alle, indem er einen Fuß ein wenig anhob. Mit triumphierender Miene schwankte er von einer Seite zur anderen, während alle den Atem anhielten. Dann stellte er den Fuß ab und hob den anderen. "Hast du das gesehen, Daddy? Er hat einen Schritt gemacht!" rief Chloe. Freudentränen rannen über Emilys Wangen. Auch Edmunds Augen glitzerten vor väterlichem Stolz. Er breitete die Arme aus. "Komm zu mir, Kleiner", drängte er sanft. "Komm, du schaffst es." Mit äußerst konzentrierter Miene folgte Bobby der Aufforderung. "Ich kann es nicht fassen. Drei, vier, fünf Schritte!" zählte Gail, ganz die stolze Tante, als Bobby sich mit einem siegesfrohen Krähen in Edmunds Arme warf.
Und dann versetzte er sie alle erneut in Staunen, indem er klar und deutlich rief: "Daddy!" "Du hättest es sehen sollen, Grandma Maureen", verkündete Chloe aufgeregt, als sie sich alle eine halbe Stunde später in der Küche bei Kakao und Toast aufwärmten. "Alle haben geweint sogar ich." Maureen betupfte sich die Augen. "Es scheint, daß kein Auge im Haus trocken geblieben ist", murmelte sie mit erstickter Stimme. "Allerdings nicht", pflichtete Edmund ihr bei. Erwar immer noch gerührt und überglücklich, weil Bobby ihn Daddy genannt hatte. "Ich wußte schon immer, daß er es kann", fuhr Chloe stolz fort. "Ich hätte nur nicht gedacht, daß er es im Schnee tut. Du bist ein richtiges Schneebaby, stimmt's, Bobby?" Er antwortete mit einer Reihe unverständlicher Silben, die allgemeines Gelächter auslösten. Mrs. Hamilton erschien in der Tür. "Ich habe Mr. und Mrs. Bancroft wie gewünscht in die Bibliothek geführt." Edmund stand auf. "Gail und Mutter, würdet ihr bitte auf die Kinder aufpassen? Emily und ich haben etwas Geschäftliches mit den Bancrofts zu erledigen." Emily blinzelte erstaunt. "Tatsächlich?" "Ja." "Natürlich passen wir auf die Kinder auf", versprach Gail. Maureen nickte zustimmend. "Ich möchte mehr über diesen Schneemann wissen, den ihr gebaut habt. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Radieschen als Augen zu nehmen?" Emily und Edmund gingen den Flur entlang. "Was ist los?" wollte sie wissen. Ich bin in dich verliebt, dachte er und nahm ihre Hand. "Ich glaube, ich habe einen Weg gefunden, die Sache mit Whit und Andrea zu regeln."
"Du hattest kein Recht, mit unserem Anwalt über den Fonds zu reden!" tobte Whit, sobald er den Grund für dieses Meeting erfahren hatte. "Und du hattest kein Recht, Emilys Unterschrift auf dieser Vollmacht zu fälschen!" konterte Edmund "Wovon redet er denn da?" fragte Whit seine Frau. "Ich habe keine Ahnung", murmelte Andrea errötend. "Dann will ich es euch gern erklären", warf Edmund sarkastisch ein. "Das Treuhandvermögen liegt gar nicht beim Nachlaßgericht fest... wie ihr Emily die ganze Zeit lang weisgemacht habt." "Warum hat sie dann keinen Zugriff darauf?" warf Whit ein. Edmund war bereit, das Spiel bis zum bitteren Ende zu treiben. "Dank der gefälschten Vollmacht in Emilys Namen wurde euch vor zwei Monaten die Verfügungsgewalt übertragen. Aber das ist noch nicht alles." "Ist es das nicht?" hakte Andrea nach, die offensichtlich wie Whit entschlossen war, sich weiterhin dumm zu stellen. "Vierhunderttausend Dollar wurden abgehoben", stellte Edmund in täuschend sachlichem Ton fest. "Wenn ihr möchtet, daß ich eure Anwälte einschalte - die irrtümlich glauben, daß Emily zu verwirrt war, um persönlich in der Kanzlei zu erscheinen und die Vollmacht zu unterzeichnen -, dann werde ich es tun. Und die Polizei informiere ich dann auch gleich über diesen Diebstahl." "Das ist nicht nötig", wehrte Whit steif ab. Er blickte Emily kühl an. "Ich gebe zu, daß wir die Dinge in die Hand genommen haben." "Du meinst, du hast Emily und eurem Enkel ihr Geld gestohlen." "Nein. Ich meine, daß wir uns etwas aus dem Fonds geliehen haben." Er holte seine Pfeife hervor und begann, sie zu stopfen. "Wir haben die volle Absicht, es zurückzugeben."
"Das werdet ihr auch tun müssen", pflichtete Edmund ihm bei, "und zwar so schnell wie möglich." Andrea blickte Emily hochmütig und anmaßend an. "Jetzt verstehst du bestimmt, warum wir dir den Fonds nicht übergeben wollten. Wir müssen das geliehene Geld erst herbeischaffen." "Und wie gedenkt ihr das zu tun?" erkundigte Emily sich trocken. "Ich bin froh, daß du danach fragst." Whit hielt inne, um seine Pfeife zu entzünden. "Uns ist die einzigartige Gelegenheit geboten worden, in eine aufstrebende Firma zu investieren, die Computer über das Internet verkaufen wird. Um einzusteigen, brauchen wir nur fünfhunderttausend Dollar." Das entspricht der Hälfte des Treuhandvermögens, dachte Edmund. "Es ist niemals klug, mit Fremdgeld zu spekulieren. Das könnt ihr mir glauben." "Aber..." "Kein Aber. Da ihr zur Familie gehört, haben Emily und ich beschlossen, Milde walten zu lassen. Ihr werdet folgendes tun. Ihr werdet alles verkaufen, was nötig ist, um die vierhunderttausend Dollar zu beschaffen, die ihr euch ohne Erlaubnis geborgt habt. Ihr werdet jeden Versuch aufgeben, das Sorgerecht für Bobby zu erhalten. Außerdem werdet ihr euren Anwälten schriftlich mitteilen, was ihr getan habt, damit der Fonds wieder von Emily verwaltet wird. Andernfalls bleibt uns keine andere Wahl, als euch wegen des Diebstahls strafrechtlich verfolgen zu lassen." Stille senkte sich über den Raum. Die Bancrofts blickten sich an. Schließlich seufzte Andrea. "Na ja..." "Das wollen wir natürlich vermeiden", stimmte Whit zu. Edmund nahm Emilys Hand. "Ihr dürft Bobby sehen, wann immer ihr wollt, wie Brian es gewünscht hätte. Aber es wird hier geschehen, unter Emilys Aufsicht. Ist das klar?"
"Klipp und klar." Whit zog an seiner Pfeife, und aromatischer Tabakduft erfüllte den Raum. "Gut." Edmund ging zu seinem Schreibtisch und griff zum Telefon. "Und jetzt rufen wir gleich euren Anwalt an, damit ihr ihm erzählen könnt, was ihr getan habt." Eine Stunde später war die Angelegenheit per Telefon und Fax mündlich wie schriftlich erledigt. Whit und Andrea waren sehr erleichtert, daß sie keine Anzeige zu befürchten hatten. Sie bedankten sich bei Maureen für ihre Gastfreundschaft, verabschiedeten sich von Bobby und fuhren mit einem Taxi über die gerade geräumte Landstraße davon. Edmund und Emily blickten ihnen nach, bis sie außer Sichtweite waren. "Ich habe das Gefühl, daß sie nicht oft kommen werden", bemerkte sie und kämpfte mit gemischten Gefühlen wie Traurigkeit, Enttäuschung und Erleichterung. "Das vermute ich auch." Er schloß sie in die Arme. "Trotzdem glaube ich, daß sie Bobby auf ihre Weise mögen." Sie seufzte und lehnte den Kopf an seine Schulter. "Kann sein." Sie drückte ihn fest an sich. "Habe ich dir eigentlich schon dafür gedankt, daß du mir aus diesem Dilemma geholfen hast?" "Gerade eben." Er senkte den Kopf und küßte sie sanft. Sie seufzte zufrieden. "Mein Problem ist gelöst. Jetzt bleibt nur noch deines." "Keine Sorge. Gemeinsam schaffen wir es schon." Am Nachmittag zog Edmund sich wieder in die Bibliothek zurück und beschäftigte sich mit den finanziellen Schwierigkeiten der Farm. Emily fragte sich, ob sie nicht mehr für ihn tun konnte und sollte, als nur für ihn dazusein. Sobald Bobby sein Nickerchen hielt, schickte sie Chloe zu Mrs. Hamilton in die Küche und begab sich auf die Suche nach Gail, um mit ihr darüber zu sprechen.
Als sie sich dem Wintergarten näherte, hörte sie Maureen telefonieren. "Ich habe all die Jahre mitgeholfen, aber Edmunds Vater hat die Farm geleitet, während ich mich hauptsächlich als Gastgeberin betätigt habe. Ich bin eben keine Geschäftsfrau. Natürlich kann und wird sich die Situation wieder ändern. Jetzt, da Edmund beschlossen hat, bei uns zu bleiben..." Unbemerkt zog Emily sich zurück. Ihre Gedankenüberschlugen sich. Nun wurde ihr vieles klar. Kein Wunder, daß die Kunden das Vertrauen in die Farm verloren hatten. Wenn Maureen nicht überzeugt war, daß sie die Farm allein führen konnte, wie sollten andere dann an sie glauben? Doch Emily konnte nicht mit wilden Spekulationen zu, Edmund gehen. Sie brauchte Beweise und Begründungen. Eine Stunde später hatte sie die nötigen Informationen beschafft. Sie bat Mrs. Hamilton, einer Weile auf Bobby zu achten, und ging in die Bibliothek. Edmund lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, als sie zu ihm trat, und musterte sie so verlangend, daß ihr das Herz bis zum Hals schlug, noch bevor er sie auf seinen Schoß zog. "Nun? Wem verdanke ich diese Ehre?" Sie holte tief Luft. "Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Welche möchtest du zuerst hören?" Abrupt wurde er ernst. "Zuerst die schlechte," Sie erklärte ihm, was sie belauscht hatte, und fuhr fort: "Ich habe mir daraufhin von Gail eine Liste der Kunden geben lassen, die sich in letzter Zeit von der Farm distanziert haben. Ich habe sie angerufen und ihnen gesagt, daß wir kürzlich geheiratet haben und sehr interessiert daran sind, die Farm wieder aufzubauen. Ohne Ausnahme haben alle, einschließlich der Thurstons, schließlich zugegeben, daß ihr mangelndes Vertrauen in die Fairfax Farm auf dem mangelnden Vertrauen deiner Mutter in ihre eigenen Fähigkeiten beruht. Und jetzt die gute Neuigkeit. Sie haben alle zugesagt, demnächst wieder zu uns zurückzukehren, sofern du den Betrieb leitest."
"Das ist allerdings eine gute Neuigkeit", bestätigte Edmund mit dankbarem Blick. Dann seufzte er. "Jetzt können wir nur noch hoffen, daß die Kings mit uns ins Geschäft kommen." Emily schlang die Arme um seinen Nacken und schmiegte sich an ihn. "Ich bin überzeugt, daß du die Farm auch ohne King's Ransom wieder in Schwung bringen kannst. Aber ich weiß nicht, ob ich noch vierundzwanzig Stunden auf die Entscheidung warten kann." "Ach, ich glaube, uns wird schon eine Beschäftigung einfallen." Er küßte ihren Hals, ihre Wange und schließlich ihre Lippen. "Ich habe bereits mehrere gute Ideen." Nach einem gemütlichen Abendessen ohne Hausgäste machten Edmund, Emily und die Kinder es sich im Wohnzimmer bequem, um sich eine Familiensehdung im Fernsehen anzusehen. "O nein!" rief Chloe betroffen, als die vorangehende Nachrichtensendung endete. "Was ist denn, Honey?" hakte Emily besorgt nach. Chloe ließ den Buntstift fallen, mit dem sie gemalt hatte. "Habt ihr das nicht gehört? Der Sprecher hat gerade gesagt, daß morgen alle Schulen in Kentucky wieder aufmachen, wo die Straßen jetzt wieder frei sind." "Und was ist daran so schlimm?" fragte Edmund. Sie griff wieder nach dem Buntstift und drehte ihn nervös zwischen den Fingern. "Na ja, ich habe doch gesagt, daß ich hier in die Schule gehen will..." "Ich erinnere mich", warf Emily sanft ein. "Aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Ich meine, was ist, wenn die anderen Kinder mich nicht mögen? Was ist, wenn es hier ganz anders ist als in meiner alten Schule in Seattle? Was ist..." "Moment mal," Emily hob beschwichtigend eine Hand, bevor Chloe sich noch mehr in ihre Ängste hineinsteigern konnte. "Ich
glaube, du zäumst das Pferd von hinten auf." Sie wußte aus ihrer Erfahrung als Lehrerin, daß Chloe das Gefühl brauchte, selbst über ihr Schicksal bestimmen zu können. Sie hoffte nur, daß Edmund ihr beipflichtete und sie unterstützte. "Zuerst einmal mußt du gar nicht in die Grundschule von Sweet Briar gehen, wenn es dir dort nicht gefällt." Chloe blickte überrascht drein, ebenso wie Edmund. "Muß ich nicht?" "Nein. Es gibt bestimmt mehrere staatliche und private Schulen hier, die alle ausgezeichnet sind. Stimmt's, Edmund?" Emily schaute ihn fragend an. "Stimmt", bestätigte er und nahm ihre Hand. Mit dieser schlichten Geste gab er ihr zu verstehen, daß er ihr vertraute und ihr freie Hand ließ. "Das die Grundschule in Sweet Briar richtig für deinen Daddy war, heißt noch lange nicht, daß sie auch für dich richtig ist. Aber ich finde, wir sollten sie uns zumindest ansehen, zusammen mit ein paar anderen. Meinst du nicht?" Chloe setzte sich zwischen Emily und Edmund auf die Couch. "Heißt das, daß du mit mir hingehst?" Emily nickte. "Sicher. Wenn es deinem Daddy recht ist." "Daddy? Ist es okay?" Er lächelte. "Ich finde, das ist eine großartige Idee, Spatz. Schließlich ist Emily Lehrerin und weiß bestimmt viel besser als ich, worauf man bei einer Schule achten muß." "Aber was ist, wenn mir überhaupt keine von den Schulen gefällt, Emily?" "Dann unterrichte ich dich weiter zu Hause, als deine Hauslehrerin. Wir richten hier ein Schulzimmer ein und stellen einen richtigen Stundenplan auf. Aber vielleicht hattest du recht, als du gestern gesagt hast, daß es keinen Spaß macht, ganz allein zu lernen. Ich meine, es ist okay für ein paar Tage, wenn man verreist oder krank ist, aber normalerweise möchten Kinder in
deinem Alter mit Kindern in demselben Alter Zusammensein. Sonst fühlt man sich zu einsam, oder?" "Das stimmt." Chloe glitt auf Emilys Schoß. "Sehen wir uns denn morgen gleich die Schulen an?" fragte sie mit einer Mischung aus Hoffnung und Angst. "Nur du und ich?" "Du willst nicht, daß dein Daddy mit dir geht?" Chloe tauschte einen Blick mit Edmund und schüttelte ernst den Kopf. "Ich finde, das ist etwas, das ein Mädchen nur mit seiner Mommy tun sollte. Daddy kann ja ein andermal mitkommen." "Ich wollte dich nicht von dem Projekt Schule ausschließen", versicherte Emily, als sie und Edmund später am Abend zu Bett gingen. Er schlang die Arme um ihre Taille, zog sie an sich und drückte die Lippen auf ihre Kehle. "Das hast du auch nicht." Verlangen stieg in ihr auf. Sie schloß die Augen. "Ich habe mir nur gedacht, daß Chloe das Gefühl haben sollte, daß sie auch etwas zu sagen hat bei einer so schwerwiegenden Entscheidung." "Ich finde, daß du recht hast." Sie streichelte seine muskulöse Brust. "Außerdem glaube ich, daß ihr die Grundschule in Sweet Briar wesentlich besser gefallen wird, als sie jetzt befürchtet." "Das Gefühl habe ich auch" "Und wenn nicht, finden wir eine andere Schule für sie." "Das klingt gut", murmelte er, während er ihren Rücken massierte. Emily hob den Kopf und blickte ihm in die Augen. "Was klingt gut?" "Wir. Es gefällt mir, daß wir Dinge gemeinsam tun, als Familie. Es gefällt mir, daß du den Platz von Chloes Mutter einnimmst."
"Das gefällt mir auch", flüsterte Emily. Sie schlang beide Arme um seinen Nacken. Das sie und Chloe in so kurzer Zeit ein so enges, liebevolles Verhältnis aufgebaut hatten, erfüllte sie mit Glück und Zufriedenheit. "Es gefällt mir auch, daß Bobby in dir einen Vater gefunden hat." Seine Augen leuchteten auf. "War es nicht schön, daß er mich heute morgen Daddy genannt hat?" Emily nickte lächelnd. Er schob sie zum Bett und drückte sie auf die Matratze nieder. Verlangen erwachte, als sie sich küßten. "Edmund?" murmelte sie, als sie nackt beieinanderlagen und er ihr mit jedem Kuß, jeder Liebkosung zeigte, wie sehr er sie begehrte und brauchte. "Hm?" "Glaubst du, daß es immer so perfekt sein wird?" "Nein", entgegnete er. "Es wird noch besser."
14. KAPITEL "Ich kann es gar nicht erwarten, es Daddy zu sagen", verkündete Chloe, als sie am nächsten Nachmittag von der Besichtigung der Schulen nach Hause zurückkehrten. "Glaubst du, daß er sich freut?" "Worüber soll ich mich freuen?" hakte Edmund nach, als er mit Bobby im Arm in die Eingangshalle kam. "Darüber, daß ich in die Grundschule in Sweet Briar gehen will... wo du auch als Kind warst!" rief sie, gerade als Maureen ebenfalls zu ihnen trat. "Das finde ich phantastisch", erklärte er. "Ich auch", pflichtete Emily ihm lächelnd bei. "Was für Schulen hast du noch gesehen?" fragte er. Chloe zählte die Namen auf und erklärte eingehend, warum sie ihr nicht gefallen hatten. "Nun, das klingt, als hättest du die richtige Wahl getroffen." Bobby fuchtelte wild mit den Armen und verlangte, abgesetzt zu werden. Zum allgemeinen Entzücken ging er vier Schritte, fiel dann auf den Po, stand auf und ging weiter. "Bravo, Bobby!" lobte Maureen, ganz die stolze und vernarrte Großmutter. Er lachte sie an und krähte etwas völlig Unverständliches. "Wünschst du dir nicht, daß du ihn verstehen könntest?" fragte sie Emily seufzend. "Es wird nicht mehr lange dauern, bis es soweit ist", prophezeite diese, während sie voller Zuneigung und Freude
einen Blick von Frau zu Frau tauschten. Ihre Beziehung hatte keinen guten Anfang genommen, aber nun entstand zum Glück eine Freundschaft zwischen ihnen. Chloe zupfte Edmund am Ärmel. "Daddy, kann ich meinem Schneemann einen Schal und eine Mütze geben, bevor er schmilzt?" "Sicher, Spatz." Er ging zum Garderobenschrank. "Laß mich mal nachsehen, was wir hier haben." Bobby rieb sich die Augen und reckte Emily die Arme entgegen. "Hat er heute nachmittag geschlafen?" erkundigte sie sich, während sie ihn auf die Arme nahm. Edmund schüttelte den Kopf und behauptete mit gespieltem Ernst: "Er hat darauf gewartet, daß du nach Hause kommst und ihn in den Schlaf wiegst." "Hm. Das ist aber eine gewaltige Entscheidung für einen so kleinen Kerl.", Edmund reichte Chloe eine Mütze und einen Schal und drehte sich dann grinsend zu Emily um. "Du hast mich erwischt. Ich gestehe. Bobby hatte zuviel Spaß daran, den gesamten Haushalt zu unterhalten. Also habe ich ihn gar nicht erst hingelegt." "Jetzt ist er jedenfalls müde. Ich bringe ihn ins Bett." Er nickte. "Ich habe noch einiges in der Bibliothek zu tun." Wie Emily erwartet hatte, dauerte es keine zwei Minuten, bevor Bobby eingeschlafen war. Sie deckte ihn zu und suchte dann nach dem Abhörgerät. Es war nicht zu finden. In der Annahme, daß Edmund wußte, wo es sich befand, lief sie die Treppe hinunter und eilte zur Bibliothek. "Natürlich wäre es mit der Farm nicht so stark bergab gegangen", hörte sie Edmund sagen, "wenn du deine Befürchtungen für dich behalten hättest."
Emily verharrte in ihrer Bewegung. Sie wußte, daß dieses Gespräch sie nichts anging, aber sie brauchte das Abhörgerät, das wahrscheinlich in der Bibliothek lag. "Mir tut es nicht leid, weil es dich dorthin zurückgebracht hat, wohin du gehörst", konterte Maureen fröhlich. "Weil ich Mist gebaut habe, hast du jetzt eine Frau und einen Sohn. Und wenn du Glück hast, wird deine Ehe mit Emily eines Tages mehr sein als nur eine Sache der Vernunft. Sie wird auf Liebe basieren." Emily stand nahe genug an der Tür, um zu sehen, daß Edmund die Stirn runzelte. "Meine Beziehung mit Emily ist gut, so wie sie ist", entgegnete er schroff und wandte sich ab. Ist sie das wirklich? fragte Emily sich. Sie ersehnte sich wesentlich mehr als nur Freundschaft, Spaß, Sex und die gemeinsame Erziehung ihrer Kinder. Sie hatte gehofft, daß auch er mehr wollte. "Außerdem will ich nicht, daß du mit mir oder Emily über Liebe oder den Mangel daran redest", fuhr er streng fort. Das ist einleuchtend, dachte Emily betrübt und bedrückt. Denn er liebte sie nicht. Er begehrte sie nur und brauchte ihre Hilfe, um für seine Tochter zu sorgen und den Familiensinn wiederzugewinnen, den beide durch den Tod ihrer Ehepartner verloren hatten. Das war ihnen auch gelungen. Vielleicht zu gut. Die harmonische Atmosphäre der vergangenen Tage hatte zu dem Trugschluß geführt, daß Edmund sich tatsächlich in sie verlieben könnte. Nun erkannte sie, daß es nicht geschehen würde. Und ohne Liebe hatte ihre Ehe keine Chance, sich auf lange Sicht zu bewähren. "Meine Beziehung mit Emily - wie übrigens mit jeder anderen Frau - ist für dich tabu. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?" wollte Edmund von Maureen wissen. Vollkommen klar, dachte Emily und wandte sich ab. Sie hatte genug gehört, sogar zuviel.
"Soll ich ihnen erzählen, was wir zu feiern haben, oder willst du es tun?" erkundigte Maureen sich bei Edmund, als sich die Familie im Wohnzimmer versammelt hatte. Er war hoch erfreut über den Triumph, der es ihm ermöglichte, einen erstklassigen Manager einzustellen und dadurch viel mehr Zeit mit Emily und den Kindern zu verbringen. "Tu du es", entschied er, während er die Gläser füllte. Sekt für die Erwachsenen, Apfelsaft für die Kinder. "Wir haben den Vertrag mit Mr. und Mrs. King abgeschlossen." "Das ist wirklich ein Grund zum Feiern", lobte Gail und hob lächelnd ein Glas mit perlendem Sekt. "Herzlichen Glückwunsch", sagte Emily in die Runde. Bildete Edmund es sich nur ein, oder wirkte sie plötzlich angespannt? Eines war sicher: Sie mied geflissentlich seinen Blick. "Die Farm ist wieder ganz oben", bemerkte Gail zufrieden. Maureen nickte. "Die Chancen stehen gut, daß im nächsten Frühling alle Boxen besetzt sind. Außerdem werden wir ausreichend Geld für Werbung haben." "Und wir brauchen Edmunds Alternativplan nicht zu verwirklichen", fügte Gail hinzu. "Obwohl wir uns überlegen sollten", warf er ein, "ob wir nicht doch noch ein paar neue Stuten anschaffen, sie von King's Ransom decken lassen und die Fohlen später verkaufen." "Übrigens habe ich vorhin den Klempner in der Auffahrt getroffen", verkündete Gail. "Die Arbeit am Cottage ist beendet. Er hat gesagt, daß ihr jederzeit wieder einziehen könnt. Sogar heute abend noch, wenn ihr wollt. Der Teppich ist auch getrocknet." Edmund blickte Emily forschend an. Es bestand kein Zweifel. Sie wirkte nicht so begeistert über die Aussicht, wieder in das Cottage zu ziehen und mit ihm allein zu sein, wie er
angesichts ihrer intimen Beziehung während der vergangenen Tage erwartet hatte. Mrs. Hamilton erschien in der Tür. "Ich habe das Abendessen für die Kinder fertig, falls sie heute ein wenig früher essen sollen." "Gute Idee." Edmund blickte Gail und Maureen an. "Wenn es euch nichts ausmacht, sie beim Essen zu beaufsichtigen, möchte ich gern ein paar Minuten mit Emily unter vier Augen sprechen." Wenige Sekunden später war er mit ihr allein im Wohnzimmer. "Also, was ist los?" Sie ging zur Tür. "Ich muß das Abhörgerät suchen," Er stürmte zu ihr, nahm ihren Arm und drehte sie zu sich um. "Es liegt in der Bibliothek. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet." Abrupt wich sie zurück, entfernte sich aus seiner Reichweite, verschränkte die Arme vor der Brust und blieb stumm. Seine Besorgnis wuchs, als sie sich weigerte, ihn über den Grund für ihren Stimmungswechsel aufzuklären. Sie benahm sich, als hätte er ihr in irgendeiner Weise weh getan. "Ich dachte, du wärst glücklich. Schließlich stellen die Bancrofts keine Bedrohung mehr für dich dar. Du hast das Sorgerecht für Bobby, und dank des Treuhandvermögens bist du zudem finanziell abgesichert." "Du hast recht", stimmte sie tonlos zu. "Alle Probleme sind gelöst. Es steht uns frei, unser normales Leben fortzuführen." "Und unsere Ehe." Edmund spürte, daß sie sich versteifte. "Darin liegt also das Problem, oder?" vermutete er niedergeschlagen. "Unsere Ehe." Emily schluckte. "Ich bin dir sehr dankbar für alles, was du für mich getan hast." Argwöhnisch betrachtete er sie. "Warum klingt das wie ein Abschied?"
Vielleicht, weil es einer ist, dachte sie. "Ich will offen sein. Ich mache mir Sorgen um uns und um unsere Kinder." "Warum?" Edmund legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht. "Alles läuft doch großartig. Es sind erst ein paar Tage vergangen, und schonhat Chloe dich so lieb wie eine Mutter. Bobby scheint mir gegenüber genauso zu empfinden. Er hat mich sogar Daddy genannt." "Eben." Um sich seiner erregenden Nähe zu entziehen, wandte sie sich ab und entfernte sich einige Schritte. "Wie sollen sie es verkraften, wenn wir uns einmal trennen?" Edmund musterte sie verblüfft. "Warum sollten wir das tun?" Emily strich sich mit den Händen durch das Haar und bemühte sich mit aller Kraft, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. "Es ist mehr als nur Freundschaft oder Leidenschaft nötig, wenn man eine Ehe aufrechterhalten will." Sie hielt inne, wartete darauf, daß er etwas sagte, das ihren Schmerz und ihre Enttäuschung linderte. Wie befürchtet, wartete sie vergebens. "Dazu ist auch Liebe nötig." Doch dieses Gefühl konnte sie offensichtlich nicht in ihm wecken. "Willst du damit sagen, daß du eine Scheidung willst?" hakte er fassungslos nach. Sie wollte nicht einmal an eine Scheidung denken. Aber angesichts der Tatsache, daß er sie nicht liebte und nie lieben würde, blieb ihr kaum eine andere Wahl, als ihn jetzt zu verlassen, bevor ihre Gefühle zu ihm noch mehr wuchsen. "Ich will damit sagen, daß ich in den vergangenen Tagen festgestellt habe, daß mein Leben doch noch nicht vorüber ist, wie ich geglaubt hatte. Mit dir zu schlafen hat mir bewußt gemacht, daß ich alles will. Nicht nur Freundschaft und Sex, nicht nur eine komplette Familie und ein gesichertes Zuhause. Ich will einen Ehemann, der mich liebt und den ich lieben kann." "Wenn du jetzt gehst, werden die Kinder verzweifelt sein."
"Wenn ich bleibe und später gehe, ist es für sie noch schlimmer. Gehe ich gleich morgen, werden sie es nach einer Weile überwinden. Ebenso wie wir beide. Und auf diese Weise können wir vielleicht als Freunde auseinandergehen. Anstatt als enttäuschte Feinde. Edmunds Miene verfinsterte sich. "Willst du das wirklich?" stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Das wir Freunde sind?" Nein, dachte Emily niedergeschlagen, aber es geht nicht anders. Sie zuckte die Achseln auf eine Weise, die äußerst gleichgültig wirkte. "Warum nicht? Ich meine immer noch, daß wir sehr viel gemeinsam haben." "Nun gut." Er blickte sie stoisch an. "Wenn du es so willst, dann werde ich dir nicht im Weg stehen", versprach er schroff. "Danke." Sie hätte wissen müssen, daß er bis zum Ende ein Gentleman blieb, auch wenn es seinen Wünschen widersprach. Ein angespanntes Schweigen folgte. Nach einer Weile begann sie: "Was heute nacht angeht..." Einen flüchtigen Moment lang sah er aus, als wollte er sie schütteln, sie küssen, alles Erdenkliche tun, um ihre Gesinnung zu ändern. "Was ist damit?" hakte er schroff nach. "Ich würde gern mit Bobby im Cottage übernachten." "Ich kann es nicht fassen, daß ihr euch trennt... nach allem, was ihr durchgemacht habt", verkündete Gail, nachdem sie Emilys restliche Sachen in das Cottage getragen hatte. Emily legte Bobby, der auf ihrem Arm eingeschlafen war, in das Kinderbett und deckte ihn zu. Sie verließ das Zimmer, bevor sie entgegnete: "Wir hätten niemals heiraten sollen." "Ich gebe zu, daß es mir damals ziemlich leichtsinnig vorkam." "Es war damals leichtsinnig und ist es auch jetzt noch." Emily ging in die Küche und setzte Wasser auf. "Er liebt dich."
Emily konzentrierte sich darauf, Teeblätter in die Kanne zu löffeln. "Warum hat er es mir dann nie gesagt?" Gail ging zum Fenster und blickte hinaus auf die dicke Schneedecke, die noch immer den Boden und die Bäume bedeckte. "Diese Frage kann ich dir nicht beantworten." Sie schüttelte seufzend den Kopf. "Ich finde trotzdem, daß du einen Fehler machst. Du hast eurer Ehe keine Chance gegeben." "Ich weiß, wie echt die Ehe gewirkt hat. Ein paar Tage lang habe ich mich sogar täuschen lassen. Aber in Wirklichkeit war sie nichts anderes als ein Mittel gegen unsere Einsamkeit. Ein Weg, uns aus unseren Erinnerungen an unsere Ehepartner zu reißen und zurück in die Gegenwart zu holen." "Das glaube ich nicht." Emily holte tief Luft und verdrängte mit äußerster Willenskraft die Tränen, die ihr in die Augen stiegen. Sie senkte den Blick vor der Betroffenheit und dem Mitgefühl in Gaus Augen. "Ich möchte es ja auch nicht glauben", murmelte sie rauh. "Aber du tust es." "Ja." Ob es ihr gefiel oder nicht, manche Dinge ließen sich nicht durch Willenskraft und Entschlossenheit verwirklichen, und diese Sache gehörte dazu. "Hör mir zu, Emily." Gail legte ihr eine Hand auf den Arm. "Ob Edmund die Worte ausgesprochen hat oder nicht, er liebt dich wirklich. Ich weiß es hier drinnen." Sie legte sich eine Hand auf das Herz. "Sonst hätte er sich nicht so um dich bemüht, auch wenn er Brians Freund war und du in Schwierigkeiten gesteckt hast." "Gail ist gerade aus dem Cottage zurückgekommen", verkündete Maureen von der Tür zur Bibliothek her. Edmund lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. "Hat Emily sich richtig eingerichtet?" fragte er grimmig.
Maureen trug ein Tablett mit Kaffee und Keksen hinein und stellte es auf den Schreibtisch. "Anscheinend." "Gut. Danke für den Kaffee." Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Wie befürchtet, wollte seine Mutter den Wink nicht verstehen und blieb. "Bist du sicher, daß du weißt, was du tust?" Sie schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein. Erneut lehnte er sich auf dem Stuhl zurück. Er wußte, daß sie nicht gehen würde, bevor sie ihre Meinung geäußert hatte. "Was meinst du damit?" "Das du sie hinausgeworfen hast." Er seufzte. "Ich habe es dir schon gesagt, Mutter. Ich habe Emily nicht gebeten zu gehen. Sie hat mir gesagt, daß sie gehen will." Maureen schenkte sich nun selbst eine Tasse Kaffee ein, rührte Zucker hinein und setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber. "Das läuft auf dasselbe hinaus." "Das sehe ich anders." "Hast du etwas getan, um sie davon abzuhalten?" Er verdrehte die Augen. "Du meinst, ob ich mich vor ihren Wagen geworfen und sie angefleht habe zu bleiben?" "Ja." "Nein, das habe ich nicht getan." Maureen verzog enttäuscht das Gesicht. "Und warum nicht?" "Das entspricht nicht unserer Vereinbarung." "Aha, ich verstehe." "Was hat denn dieser Ton zu bedeuten?" "Nichts weiter", entgegnete Maureen mit Unschuldsmiene. "Nun spuck es schon aus." Edmund nahm einen großen Schluck Kaffee und verbrannte sich prompt den Mund. "Ich weiß, daß du darauf brennst, es mir zu sagen." Sie beugte sich eindringlich vor. "Ich weiß, daß du ein ausgezeichneter Geschäftsmann und ein wundervoller Vater
bist, aber in diesem Punkt scheinst du etwas sehr Wichtiges nicht zu begreifen." "Und das wäre?" "Ihr habt beide sehr viel in diese Beziehung investiert." "Worauf willst du hinaus?" hakte er ungehalten nach. "Vielleicht solltet ihr es weiter versuchen." Abrupt sprang Edmund auf und lief hin und her. "Sie liebt mich nicht." "Wer hat dir das denn erzählt?" Er atmete tief durch. "Sie selbst." Maureen fixierte ihn mit einem ungläubigen Blick. "Sie hat es dir wortwörtlich gesagt?" Er ging zum Fenster. "Nicht direkt." Deprimiert starrte er hinaus auf den Schnee und wünschte, er könnte die Uhr zurückdrehen, bis zum Beginn des Schneesturms. Er wünschte zu wissen, was er falsch gemacht hatte, um die Geschichte umschreiben zu können. Aber das war natürlich lächerlich. "Was hat sie denn direkt gesagt?" wollte Maureen wissen. Mit ungehaltener Miene drehte Edmund sich zu ihr um. "Das wir uns nicht länger brauchen, daß wir beide mehr vom Leben verdienen. So was in der Art." Das Schlimmste an allem war, daß er es nicht hatte kommen sehen. Nicht einen Moment lang. Wie hatte er nur so ahnungslos sein können? Er hatte geglaubt, daß Emily mit ihrer Ehe zufrieden war. "Was hat sie noch gesagt?" "Du bist wohl fest entschlossen, mich zu quälen, wie?" "Ja. Sprich weiter." In sarkastischem Ton erwiderte er: "Sie hat gesagt, daß sie mir dankbar ist für alles, was ich für sie getan habe, und daß mehr als nur Leidenschaft nötig ist, wenn man eine Ehe aufrechterhalten will." Maureen schürzte die Lippen und blickte nachdenklich drein. "Sonst noch etwas?"
"Sie will alles. Nicht nur Freundschaft und Sex, sondern einen Mann, den sie lieben kann." Aus irgendeinem Grund, der ihm völlig unerklärlich war, lächelte Maureen. "Vielleicht will sie gar nicht wirklich gehen." "Hast du mir denn nicht zugehört?" "Ich habe jedes Wort gehört, mein Sohn." Sie erhob sich mit königlicher Grazie und tätschelte ihm tröstend die Hand. "Ich habe auch gehört, was du nicht gesagt hast." "Und das wäre?" "Das du Emily liebst. Es stimmt doch, oder?" Verlegen senkte Edmund den Blick. "Na ja..." "Aber ich wette, daß du es ihr nie gesagt hast." "Wir kennen uns doch erst seit ein paar Tagen." "Und trotzdem hast du sie geheiratet und allem Anschein nach sogar mit ihr geschlafen." Der Schmerz über Emilys Abfuhr stürmte erneut mit voller Kraft auf ihn ein. "Es war ein Fehler." "Jemanden zu lieben ist nie ein Fehler. Es ist aber ein Fehler, jemanden zu lieben und es ihm nicht zu sagen." Meine Mutter hat recht, dachte Edmund, als er das Abhörgerät einsteckte, das Emily vergessen hatte. Vielleicht stimmte momentan einiges nicht an ihrer Beziehung. Vielleicht hatte er nicht alles intuitiv erahnt, was er über sie und ihre Gefühle wissen sollte. Doch es bedeutete nicht, daß er nicht dazulernen konnte. Es bedeutete nicht, daß es ein hoffnungsloser Fall war. Er schnappte sich seinen Mantel und den Wagenschlüssel und eilte zu Tür hinaus, bevor ihn der Mut verließ. Emily öffnete beim ersten Klopfen an die Tür des Cottage. Das schwarze Haar fiel ihr in üppigen Locken auf die Schultern. Sie sah unglaublich lieblich aus, aber zu Edmunds Leidwesen spiegelte sich nichts von ihren Gedanken oder Gefühlen auf ihrem Gesicht wider. Also müßte er sich ganz auf seinen Instinkt verlassen. Nicht unbedingt eine gute Voraussetzung.
Er hielt das Abhörgerät hoch. "Das habe ich auf dem Schreibtisch in der Bibliothek gefunden. Ich dachte mir, daß du es wahrscheinlich brauchst." "Danke." Sie fröstelte in dem kalten, schneidenden Wind, bat ihn hinein und schloß die Tür hinter ihm. Zu seiner Enttäuschung bot sie ihm jedoch keinen Platz an. "Schläft Bobby schon?" erkundigte er sich und trat näher zu ihr. Sie nickte. "Er ist erschöpft. Ich nehme an, daß er die ganze Nacht durchschläft." Sie befeuchtete sich die Lippen mit der Zungenspitze. "Wie steht es mit Chloe?" "Sie schlummert so tief und fest wie ein Murmeltier." Edmund zog sich den Mantel aus und hängte ihn über einen Stuhl. "Meine Mutter und Gail passen auf sie auf." Emily musterte ihn forschend. "Was ist los?" "Ich hatte gehofft, daß wir miteinander reden können." Sie strich sich durch das Haar. Plötzlich wirkte sie ebenso nervös, wie er sich fühlte. "Eigentlich hatte ich das auch gehofft. Ich..." "Zuerst möchte ich dir etwas sagen", er nahm ihre Hand und zog sie zum Sofa vor dem Kamin. "Ich weiß, daß ich dich nicht hätte drängen dürfen, mich zu heiraten. Aber ich kann es nicht mehr ändern." "Das kann keiner von uns. Aber irgendwie muß es weitergehen." "Das ist es ja gerade. Ich will nicht, daß es mit einer Scheidung weitergeht. Und ich will nicht, daß wir nur Freunde sind." Emily saß ganz still da. Ihre Augen verloren ein wenig von ihrem Glanz. "Das willst du also nicht." "Nein. Ich will ganz ehrlich zu dir sein, Emily. Nach allem, was zwischen uns war, glaube ich nicht, daß wir je wieder zu einer platonischen Beziehung zurückkehren können. Wir befinden uns in einem Stadium, in dem es um alles oder nichts geht."
Sie entzog ihm die Hände. "Ich verstehe", sagte sie kühl. Das bezweifelte er. "Wir waren zwar nur wenige Tage zusammen, aber wir waren ein gutes Team." "Das stimmt. Aber ich kann nicht weiterhin deine Frau sein." "Selbst dann nicht, wenn ich dich von ganzem Herzen liebe?" fragte Edmund sanft. Sie blinzelte verblüfft. "Was hast du da gesagt?" wisperte sie ungläubig. "Das ich dich liebe." Er unterdrückte das Bedürfnis, es in die ganze Welt hinauszuschreien, nur weil Bobby im Nebenzimmer schlief. Er legte die Hände auf ihre Arme. "Hast du mich gehört, Emily? Ich liebe dich, und das wird sich nie ändern. Ich weiß, daß du meine Gefühle nicht erwiderst..." "Warte mal. Ich..." Er brachte sie zum Schweigen, indem er einen Finger auf ihre Lippen legte. "Nein. Warte du. Ich muss alles sagen, bevor mich der Mut verlässt. Ich weiß nicht, wie oder warum es geschehen ist, aber ich habe mich dir schon verbunden gefühlt, als wir damals angefangen haben, uns zu schreiben. Und diese Verbindung ist gewachsen, als wir miteinander telefoniert haben und du den Job als Chloes Kindermädchen und Hauslehrerin angenommen hast. Als du dann vor meiner Tür standest, wußte ich, daß da etwas ganz Besonderes war." Edmund holte tief Luft und fuhr fort. "Ehrlich gesagt, ich hätte alles getan, damit du mit Bobby bei uns bleibst. Und dann haben wir geheiratet. Doch es kam anders, als ich erwartet hatte. Als ich dich in die Arme genommen und geküßt habe, wußte ich sofort, daß es mit einer platonischen Freundschaft nichts zu tun hat. Das war auch für mich eine große Überraschung. Nach Lindseys Tod hatte ich mir geschworen, nie wieder eine andere Frau zu lieben. Ich war mir dessen ganz sicher. Und ich weiß, daß es dir genauso ging, als du Brian verloren hast." "Das stimmt", murmelte Emily mit tränenerstickter Stimme.
"Aber Brian hätte gewollt, daß du dein Leben fortsetzt, ebenso wie Lindsey es von mir gewollt hätte." Sie nickte. "Das glaube ich auch." "Und sie hätten gewollt, daß wir zusammen sind." Emily wischte sich über die Augen. Einen Moment lang wirkte sie belustigt und ungehalten zugleich. "Interessiert es dich in irgendeiner Weise, wie ich zu alledem stehe?" "Natürlich." Sie blickte ihn skeptisch an. "Und du läßt mich endlich auch mal zu Wort kommen?" "Nur zu", forderte er sie widerstrebend auf. "Ich habe nicht von Trennung gesprochen, weil ich unsere Ehe beenden will", erklärte sie mit dieser sanften, ernsten Stimme, die er liebengelernt hatte. "Ich habe es getan, weil ich keine Ehe ohne Liebe will." "Aber ich liebe dich doch!" Tränen rannen über ihre Wangen. "Das weiß ich inzwischen. Und ich liebe dich auch." "Wie bitte?" hakte er ungläubig nach. Sie lachte sanft und melodisch. "Wir scheinen heute beide Probleme zu haben, diese Worte zu verstehen, oder?" neckte Emily ihn. Sie schlang die Arme um seinen Nacken, strich ihm durch die zerzausten Haare und blickte ihm tief in die Augen. "Also sollte ich es dir statt dessen vielleicht zeigen." Edmund streichelte ihren Rücken. "Wie denn?" "Vielleicht so." Sie gab ihm einen leidenschaftlichen Kuß. Dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn in das Schlafzimmer, das er einmal allein bewohnt hätte. "Und so." Sie öffnete seine Krawatte. "Emily..." "Wir wollen beide dasselbe. Ein gemütliches Zuhause, eine Familie..." "Vielleicht sogar noch ein Kind", schlug er vor, während sie sich entkleideten.
Sie lächelte, als sie auf das Bett fielen. "Ganz bestimmt noch ein Kind." Er schloß sie in die Arme. "Wenn der richtige Zeitpunkt also gekommen ist..." "Dann werden wir daran arbeiten", versprach sie. "Ganz bestimmt", stimmte er zu, als sie zusammenkamen. "Emily?" murmelte Edmund lange Zeit später. Zufrieden kuschelte sie sich an ihn und bettete den Kopf auf seine Brust. Es war schwer zu glauben, daß sich in der kurzen Zeitspanne eines Wintersturmes all ihre Träume erfüllt hatten, aber es war so. "Ja?" Er hob ihr Gesicht und blickte sie ernst an. "Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich." Tränen des Glücks rollten ihr über die Wangen, als er ihr seine Liebe gestand. Sie hatten ihr ganzes Leben vor sich, ganz zu schweigen von all dem Spaß, der Zweisamkeit, der Leidenschaft und der Liebe, die das Eheleben ihnen zu bieten hatte. "Edmund?" "Ja?" Emily beugte sich über ihn, schlang die Arme um seinen Nacken und küßte ihn mit all der Zärtlichkeit, die sie für ihn empfand. "Ich liebe dich auch."
-ENDE