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Hans-Jürgen Ruppert
NEW AGE ENDZEIT ODER WENDEZEIT?
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ISBN 3-922819-20-6 © 1985 by coprint Druck- und Verlag...
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Hans-Jürgen Ruppert
NEW AGE ENDZEIT ODER WENDEZEIT?
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ISBN 3-922819-20-6 © 1985 by coprint Druck- und Verlagsgesellschaft mbH, 6200 Wiesbaden Umschlag: Agentur litera, 6200 Wiesbaden Gesamtherstellung: Schönbach-Druck GmbH, 6106 Erzhausen Printed in Germany
Wir informieren Sie gern über unser Gesamtprogramm: coprint-Verlag, Postfach 1927, 6200 Wiesbaden
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Inhalt
Einleitung......................................................................... 9 Erster Teil ....................................................................... 15
Verschwörung im Zeichen des Regenbogens Die New-Age-Spiritualität - Ursprung und Bewegungen .... 15 1.Allgemeine Charakteristik ............................................. 16 2.Wiederbelebung des Okkultismus .................................. 23 3.Psychogruppen mit spirituellem Hintergrund .................. 41 4.»Human-Potential-Movement« ...................................... 55 5.Die sanfte Verschwörung............................................... 63 6.Systemtheorie ............................................................... 68 Zweiter Teil..................................................................... 75
Endzeit oder Wendezeit Eine neue evolutionäre Religiosität und der christliche Glaube ......................................... 75 Literaturverzeichnis ......................................................... 92
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Dritter Teil ...................................................................... 95 Dokumentation............................................................ 95
I. Die Ursprünge des New-Age-Bewußtseins ............ 96 1. Esoterisch-okkulte Wurzeln .......................................... 96 Leopold Brandstätter Meister Morya - der Weltlehrer des Wassermannzeitalters.. 97 Alice A. Bailey Die Wiederkunft Christi................................................... 98 Hanns-Joachim Starczewski Saint Germain, Regent des Goldenen Zeitalters..................103 2. Die Alternativbewegung ...............................................107 Alain the Astrologer Das Zeitalter des Wassermanns.........................................108 3. Die Transpersonale Psychologie ....................................115 Auf dem Transpersonalisten-Trip (Sitzungsbericht)............115 4. Die sanfte Verschwörung..............................................116 Marilyn Ferguson Beziehungen....................................................................116 5. Das neue Paradigma: New Age und Wissenschaft ..........120 David Bohm Das holographische Paradigma .........................................121 Rupert Sheldrake Das schöpferische Universum ...........................................123 6
II. Die Weltanschauung des Neuen Zeitalters ..........127 1. Gott und Welt - Der Monismus .....................................127 Erich Jantsch Die Selbstorganisation des Universums .............................128 Fritjof Capra Das Systembild des Lebens ..............................................130 2. Der Mensch.................................................................133 Stefan Leber Das Wassermann-Zeitalter als rhythmisches Grundprinzip in der Waldorfpädagogik .............................133 3. Christus .......................................................................135 David Spangler Das Fest des Identität.......................................................135 4. Sünde und Erlösung — Ethik und Eschatologie ..............139 Gerd Gerken Die 18 Elemente der kommenden Wiederverzauberung ......139
III. »New-Age-Christentum«?....................................146 Rupert Sheldrake Interview.........................................................................146 Alfons Rosenberg Die Welt im Feuer ...........................................................148 Brita und Wolfgang Dahlberg Esoterik — Was ist das eigentlich? ...................................152
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IV. Kritiker des New Age ...........................................157 1. Selbstkritik ..................................................................157 George R. Bach Psychoboom ....................................................................157 2. Dämonologische Interpretation .....................................166 Constance E. Cumbey Die New-Age-Bewegung — das 4. Reich? ........................168 3. Theologische Kritiker ...................................................169 Michael von Brück Tragweite und Dimension des Heilswirkens Christi............171 Jürgen Moltmann Zeit der Wende ................................................................176 Mark Albrecht New-Age-Spiritualität......................................................180 Eric Pement Die New-Age-Bewegung — Versuch einer Definition........183 Gottfried Küenzlen Wendezeit - oder »Die sanfte Verschwörung«....................186
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Einleitung Es gibt gegenwärtig zwei entgegengesetzte geistige Tendenzen, die eigenartigerweise, obwohl sie sich gegenseitig ausschließen, zur gleichen Zeit auftreten und in einem Zusammenhang miteinander stehen. Auf der einen Seite verbreitet sich unter den Menschen Angst vor der Zukunft, die sich bis in eine ausgeprägte endzeitliche Stimmung und apokalyptische Erwartung einer bevorstehenden Katastrophe steigert oder die in ein resignatives »no future«, in den Glauben an eine abschließende Desillusionierung aller menschlichen Hoffnungen verfallen kann. Die Verheißungen vom drohenden Weltuntergang scheinen unmittelbar vor ihrer Erfüllung zu stehen, vor allem aufgrund des makabren Fortschritts der atomaren Technik, die damit beschäftigt ist, eine totale Selbstzerstörung der gesamten Menschheit und der Erde vorzubereiten. Das Merkwürdige ist nun, daß in ein und derselben, von Ängsten, Resignation und endzeitlicher Katastrophenstimmung geprägten Zeitepoche, eine Strömung auftritt, die einen dem völlig entgegengesetzten, scheinbar noch nie gekannten Optimismus im Blick auf die Zukunft der Menschheit verbreitet, indem sie an die Stelle der um sich greifenden Endzeitstimmung die Ankündigung von einer bevorstehenden großen Wendezeit setzt: die New-AgeBewegung. Die Ziele dieser »Bewegung« im einzelnen zu umschreiben, ist nicht einfach. Je nach der Perspektive des Betrachters kommen zum Teil ganz unterschiedliche Auffassungen in den Blick. Als die Zeitschrift »Management/Wissen« im vergangenen Jahr das »neue Denken«, das sich unter der Bezeichnung »New Age« von Kalifornien herkommend über die USA und Großbritannien fast über die gesamte hochtechnisierte westliche Hemisphäre auch bis
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zu uns verbreitet hat, ihren Lesern vorstellte, gab sie ihm folgende Definition: »,New Age' heißt eine soziale Bewegung, die Wirtschaft und Gesellschaft umkrempeln will. Der Aufbruch in die Zukunft soll von der Selbstbestimmung des Menschen und seiner Aussöhnung mit der Natur geprägt sein. Vor dem Hintergrund von Rüstungswettlauf, Umweltkatastrophe und Sinnkrise propagieren die Vertreter der ,New-Age'-Bewegung ungewöhnliche Denkmodelle, um die Welt wieder ins Lot zu bringen.« Unter kulturphilosophischen und ethnologischen Gesichtspunkten wird in dieser Bewegung darüber hinaus ein Vorzeichen einer globalen, menschheitlichen Umwälzung gesehen — vergleichbar dem Übergang von der Steinzeit zu den nachfolgenden Kulturen oder der sogenannten »Achsenzeit« um 500 v. Chr. Der Ethnologe Hans Peter Duerr, bekanntgeworden durch sein Buch »Traumzeit«, beschreibt in seinem neuen Buch »Sedna oder die Liebe zum Leben« (1984), wie einst, in der Altsteinzeit, die »Selbstverständlichkeit des Daseins« verlorenging. Aus Lebensschmerz und Lebensekel seien die heute maßgebenden »Jenseits-« und »Weltfluchtreligionen« (Buddhismus, Christentum u. a.) entstanden. Die verlorengegangene »Liebe zum Leben« soll in der Zukunft wiedergefunden werden. Im New Age, so Duerr in einem Interview der Zeitschrift »Psychologie heute«, soll die Befreiung des Menschen durch die Überwindung des individuellen Ich und die Vereinigung mit dem höheren kosmischen Selbst (indisch: »atman«) erfolgen. Mit dieser Vorstellung der Ich-Überwindung tritt bereits einer der zentralsten Gedanken der neuen Bewegung in den Blick, die fast in allen Denkmodellen enthalten ist. Im folgenden soll versucht werden, diese neuen Denkmodelle in ihren größeren Zusammenhang zu stellen, ihren weltanschaulichen Ursprung und ihre Vorläufer in den Blick zu bekommen und schließlich auch den Anspruch dieser Bewegung kritisch zu durchleuchten, vor allem, soweit er mit bestimmten religiösen und weltanschaulichen Implikationen verbunden ist. Vorher ist aber noch die Frage nach der Bedeutung dieses erst seit wenigen Jahren geläufigen Begriffs New Age und seiner Äquivalente zu stellen.
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New Age bedeutet zunächst ganz einfach »Neues Zeitalter«. Für dieses anbrechende »neue Zeitalter« werden aber auch noch eine ganze Reihe weiterer Bezeichnungen gebraucht, wie »WassermannZeitalter«, »Aquarius-Zeitalter«, aber auch »Sonnenzeitalter«, »Solarzeitalter«, »ökologisches Zeitalter« u. a., die alle gemeinsam haben, daß sie die zukünftige Welt charakterisieren sollen, an deren »Wende« wir jetzt stehen. Man muß sich dabei vor Augen halten, daß seit den 70er Jahren dieses Jahrhunderts eine neue Woge des Okkultismus, der immerwährenden Gnosis und fernöstlicher Weltanschauungen die ganze westliche Welt erreicht hat und in Verbindung mit der humanistischen Psychologie und moderner naturwissenschaftlicher Theorien in weiten Kreisen der Gesellschaft zu einer Bewußtseinsveränderung geführt hat. Bestseller wie Fritjof Capras »Wendezeit« und »Die sanfte Verschwörung« von Marilyn Ferguson haben das New-Age-Bewußtsein in weiteste gesellschaftliche Schichten getragen und bieten sich der heutigen Generation als Überlebensentwürfe an. Inmitten einer von apokalyptischen Zukunftsängsten geschockten Welt verbreiten sie die Botschaft: Im neuen »Zeitalter des Wassermanns« soll alles besser werden. Diese Vorstellung eines das christliche »Fische-Zeitalter« ablösenden »Wassermannzeitalters« ist gegenwärtig eine der wichtigsten Heilserwartungen, mit denen nicht nur traditionelle astrologisch orientierte esoterische Weltanschauungsgemeinschaften und Gruppen oder Vertreter einer Alternativ-Kultur auf das allgemeine Bewußtsein einzuwirken versuchen, sondern auch zum Teil namhafte Vertreter der Wissenschaft oder der modernen Psychologie. Aus einem modischen Trend oder einer Angelegenheit von sozialen Randgruppen ist inzwischen eine regelrechte Bewegung einzelner Individuen und Gruppen geworden, die die ganze Erde mit einem globalen »Netzwerk« überziehen wollen: die New-Age-Bewegung. Wie beurteilen nun die Vertreter dieser Strömung selbst ihre Bedeutung? Unter New Age versteht man in einschlägigen Kreisen »alle jene Strömungen und Ereignisse, die als Hinwendung zu einer sinnerfüllten, humanen und ganzheitlichen Zukunftswelt zu be-
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greifen sind« [3/7]*. Es geht dabei, wie Sir George Trevelyan (geb. 1906), Träger des »Alternativen Nobelpreises« des Jahres 1982 (zusammen mit Petra Kelly), sagt, um das »Unternehmen Erlösung« [9] oder, theologisch gesprochen, um das Heilsziel, das von den betreffenden Gruppen und Bewegungen als das »Neue Zeitalter«, das »goldene Zeitalter«, das »Zeitalter des Wassermanns« oder das »Aquarius-Zeitalter« oder überhaupt abgekürzt als »New Age« bezeichnet wird. Man spricht geradezu von einer »aquarianischen Utopie«, wobei für viele ihrer Anhänger eben der Weg, die »Transformation« des eigenen Selbst und der Welt, gleichzeitig auch das Ziel ist! Die Anhänger des Glaubens an das »New Age« oder »Wassermannzeitalter« verwenden diesen aus der Weltanschauung des Okkultismus und der Astrologie stammenden Begriff, um damit die Zeitenwende von epochaler Bedeutung anzudeuten, in der wir auf dem Weg in die Zukunft stehen. Diese Tradition geht von der Berechnung des »großen« oder sogenannten platonischen Weltenjahres von 25 200 Jahren aus, welche die Sonne benötigt, um, von uns aus gesehen, den ganzen Tierkreis zu durchwandern, gemessen am »Frühlingspunkt«. »Frühlingspunkt« im Tierkreis ist der Punkt, an dem die Sonne am 21. März steht. Für jedes Zeichen braucht die Sonne 2100 Jahre, bis der Frühlingspunkt in ein neues Zeichen vorrückt, und wir stehen in der Gegenwart direkt an einem solchen Übergang des Frühlingspunktes vom Tierkreiszeichen »Fische« in das Tierkreiszeichen »Wassermann«. Diesem gedachten Zyklus, der übrigens keine astronomische Entsprechung mehr hat, da die Tierkreiszeichen inzwischen infolge der »Präzession« der Erdachse nicht mehr mit den Sternbildern übereinstimmen, wird eine symbolhafte Bedeutung für die Menschheit zugesprochen: So wie die natürlichen Rhythmen der Tage, Jahre und Jahreszeiten den Lebensrhythmus der Menschen in starkem Maße beeinflussen, so soll es auch, wenn auch auf okkulte Weise, mit diesem großen Zyklus sein, der den Lebensrhythmus ganzer Kulturen und Völker beeinflussen soll. Denn nur mit solchen hat * Ziffern in eckigen Klammern im Text verweisen auf Titel und Seitenzahl bzw. auch Erscheinungsjahr im Literaturverzeichnis S. 92 ff.
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er es infolge der riesigen Zeitmaße zu tun, so daß dieser Vorstellung von vornherein eine Tendenz zur Einschränkung der Bedeutung des einzelnen Menschen anhaftet. Über den genauen Anfang des Wassermann-Zeitalters besteht keine Übereinstimmung: Alfons Rosenberg nennt das Jahr 1950, C. G. Jung meint, es könne sich um das Jahr 1997 oder 2143 handeln [6/126; 256]. Rosenberg, der astrologisches Gedankengut mit katholischem Mystizismus verbindet, bringt seine Datierung im Anschluß an Überlegungen C. G. Jungs in einen Zusammenhang mit der Dogmatisierung der Assumptio Mariae (Maria Himmelfahrt): als Hinweis auf den Zustand des »zeitlich zukünftigen Menschen«. C. G. Jung sah nämlich in dem neuen Dogma der römischkatholischen Kirche ein Zeichen der Zeitenwende »aus der Fühlung mit den gewaltigen archetypischen Entwicklungen der Seele« heraus und aus der Erkenntnis, »daß Gott ewig Mensch werden will« [6/143 f.] — Überlegungen, die zeigen können, wie die astrologischen Weltzeitspekulationen sogar auf die Interpretation kirchlicher Dogmen abfärben können.
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Erster Teil
Verschwörung im Zeichen des Regenbogens Die New-Age-Spiritualität — Ursprung und Bewegung
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1. Allgemeine Charakteristik der New-Age-Spiritualität Man spricht von einer New-Age-Spiritualität, die auch ganz unabhängig von organisierten Bewegungen bereits weite Kreise der westlichen Gesellschaft erfaßt hat. In dem Musical »Hair« wurde das neue »Wassermann-Zeitalter« in dem Song »Aquarius« besungen und erfuhr dadurch eine ungeahnte Popularität: »Harmonie und Recht und Klarheit! Sympathie und Licht und Wahrheit! Niemand wird die Freiheit knebeln, niemand mehr den Geist umnebeln. Mystik wird uns Einsicht schenken, und der Mensch lernt wieder denken, dank dem Wassermann, dem Wassermann!« Ein wichtiger Treffpunkt von Vertretern der sogenannten »NewAge-Spiritualität« ist alljährlich die auf dem Londoner Messegelände stattfindende größte Esoterik-Messe der Welt, das »Festival for Mind, Body and Spirit« mit über 100000 Besuchern. Ein buntes Spektrum von Vertretern der Anthroposophischen Gesellschaft, der Christengemeinschaft, der Rosenkreuzer, von Findhorn, von Mark Prophets »Church Universal and Triumphant« (CUT), des Sufismus, von Yoga-Anhängern, Swedenborgianern und Theosophen bis hin zu Benjamin Creme gibt sich hier ein Stelldichein. Seit dem Herbst 1984 gibt der Goldmann-Taschenbuch-Verlag eine neue Reihe heraus: »New Age. Modelle für morgen.« Das Symbol dieser Reihe ist ein bunt schillernder Regenbogen, der die Buchstaben des Titels dieser Reihe überspannt.
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In Amerika, so berichtet Constance E. Cumbey, die Autorin des Buches »The Hidden Dangers of the Rainbow« (1983), werden Aufkleber mit dem Symbol des Regenbogens von New-AgeAnhängern an ihren Autos befestigt oder in den Auslagen von Buchläden angebracht. Sie verstehen, so Cumbey, dieses jedem Christen aus der Noah-Geschichte bekannte Symbol aber nicht im biblischen Sinn als Zeichen des Bundes Gottes und seiner Zusage an Noah, die Erde nie wieder durch die Sintflut zu zerstören, sondern um damit ihre Beteiligung am Bau der Regenbogenbrücke (antahkarana) vom Menschen zum Übermenschen zu signalisie ren [21/5; 261]. Allein in den USA und Kanada soll es über 10000 NewAge-Organisationen geben, die sich als Teil der New-AgeBewegung als einer weltweiten Koalition von sogenannten »Netzwerken« verstehen [21/247]. Cumbey selbst will bereits über 2500 Bücher und Schriften zu dieser erst seit 10—15 Jahren hervortretenden Bewegung gesammelt haben. Bei uns trat im letzten Jahr eine Gruppe in Erscheinung, die einen »New-Age Brief-Versand-Dienst« ins Leben rief und für den Herbst 1984 »die große Verknüpfung« in Form eines »Netzwerk-Services« ankündigte. Für diejenigen, die sich als »sanfte Verschwörer« zu erkennen geben wollten, wurde von den auf »Burg Scharnstein« in Österreich ansässigen Initiatoren der Aktion ein »New-Age-Button« versandt, der die Erde in den Schwingen des Wassermanns zeigt. Der Begriff »new age spirituality« bezieht sich auf den diesen Gruppen oder »Netzwerken« weithin gemeinsamen Glauben, daß die Menschheit in ein »neues Zeitalter« (new age) des spirituellen Bewußtseins eintritt — das sogenannte »Aquarius-« oder »Wassermannzeitalter«. Hermann Schulze-Berndt hat fünf Merkmale genannt, welche die unterschiedlichen Vereinigungen der »NewAge-Spirituality« verbinden (»Rheinischer Merkur/Christ und Welt«, 25. 3. 1983, S. 25): 1. Gott wird als unpersönliche Kraft gedacht. 2. Die Menschen werden im pantheistischen bzw. monistischen Sinne als Teile des Göttlichen gedacht. 3. Die Welt ist nur eine Illusion, ein zeitweiliger Spielplatz des reinen Geistes.
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4. Erlösung wird durch verschiedene Techniken und Rituale als Erleben der göttlichen Erleuchtung begriffen. 5. Das Böse ist identisch mit dem Zustand des Nicht-ErleuchtetSeins. Es ist für den Beobachter deutlich, daß dies im wesentlichen die Merkmale einer heute um sich greifenden Neognosis sind, deren charakteristische Eigentümlichkeiten man darüber hinaus nicht nur in der New-Age-Bewegung oder in den in gnostisch-esoterischem Denken verwurzelten Weltanschauungsgemeinschaften wie Theosophie, Anthroposophie, Rosenkreuzer-Gemeinschaften, Gralsbewegung u. a. wiedergefunden hat, sondern auch in zahlreichen sogenannten »neuen religiösen Bewegungen«, die z. T. auch als »Jugendreligionen« bei uns bekannt sind, wie z. B. Scientology, Eckankar, Divine Light Mission, 3-H-Organisation u.v.a. »Alle diese Gruppen«, so der kanadische Religionswissenschaftler Richard Bergeron in der Zeitschrift »Concilium« (1/1983), »erheben den Anspruch, am Abend eines bösen Zeitalters und in der Morgendämmerung einer anbrechenden Ära zu stehen. Es komme das goldene Zeitalter, die Parusie, die Ära des Wassermanns. Die neuen Religionen zeigen überraschende Ähnlichkeiten mit dem antiken Gnostizismus. Wir formulieren folgende Hypothese: Das Phänomen der neuen Religionen bedeutet ein Wiederaufleben der immerwährenden Gnosis in unserer heutigen Welt, wobei hier unter Gnosis nicht eine christliche Häresie verstanden wird, sondern eine besondere und eigenständige Erscheinung in der Geschichte der Religion. Als Religionstyp ist die Gnosis ein Weg innerer Erfahrung, darin sich der Mensch in seiner letzten Wahrheit wieder in den Griff bekommt (bekommen will), sich erneut seiner Ursprünge erinnert und seiner eigentlich göttlichen Natur bewußt wird. Das Eigentümliche der Gnosis ist die Erkenntnis des in der Welt der Erscheinungen gefangenen transzendentalen und göttlichen Ichs. Die charakteristischen Nebenerscheinungen der Gnosis — Dualismus, Esoterismus, Atemporalismus, Antinomismus, Lehre von der Wiedergeburt und den höheren Wesen usw. — lagern sich alle um diese Eigentümlichkeit herum. Sie werden von ihr beherrscht und gefördert.«
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Darüber hinaus steht diese neugnostische Bewegung in einem Zusammenhang mit der Wiederbelebung des Okkultismus, worunter nicht die Besessenheit durch dämonische Mächte zu verstehen ist, sondern in erster Linie eine Form der Bewußtseinserweiterung, der Vertiefung der Realität in verborgene (okkulte) Bereiche der Seele und der Natur, die von der experimentellen Physik und Psychologie aufgrund ihrer Beschränkung auf den naturgesetzlichberechenbaren Ablauf nicht gelten gelassen werden. So führt Brooks Alexander in einem Beitrag des von der »Berkeley Christian Coalition« herausgegebenen »Spiritual Counterfeits Project« (= »Fehlformen des Spirituellen«) die Lehren der im Westen aktiven östlichen »cults« auf folgende vier Grundelemente »okkulter Philosophie« zurück: 1. Alles ist eins. 2. Der Mensch ist ein göttliches Wesen. 3. Zweck und Erfüllung des Lebens ist die Bewußtwerdung unserer göttlichen Natur auf dem Wege der »Gnosis« als erfahrbarem »Wissen« durch das Aufleuchten metaphysischer Einsicht (»Aufklärung«, »Erleuchtung«, »Vereinigung«, »Selbst-Verwirklichung«). 4. Selbstverwirklichung führt zur Beherrschung spiritueller Technik und zur Erlangung geistig-spiritueller Macht. Damit wird aber der Mensch als Mensch-Gott zum Schöpfer seiner eigenen Realität. »Okkultismus«, so definiert der Autor, »besteht in geheimen Techniken der Bewußtseinsveränderung, in Verbindung mit Geheimlehren, die die innere Bedeutung der hierbei erzielten Erfahrungen deuten«. Auch in der vom »Dialogue Center« in Aarhus herausgegebenen Zeitschrift »New Religious Movements Update« (jetzt nur noch »Update«) wird dieser innere Zusammenhang der Neugnosis mit östlichen religiösen Traditionen einerseits und Okkultismus und Esoterik andererseits erkannt, und die Bezeichnungen »gnostisch« (gnostic) und »neugnostisch« (neognostic) werden gebraucht zur Beschreibung eines Gedankensystems, das als kleinster gemeinsamer Nenner von Hinduismus, Buddhismus, Okkultismus und anderen esoterischen Traditionen dient. Dies ist vermutlich die allgemeinste und umgreifendste Umschreibung der heutigen neugnostischen religiösen und weltanschaulichen Bewegungen. Die Gnosis ist nach Mark Albrecht nicht so sehr ein intellektuelles, als vielmehr ein intuitives und existentielles Begreifen
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der tieferen Wahrheiten der Gottheit und der kosmischen Ordnung, durch das die Einheit mit dem göttlichen Kosmos in der Erfahrung erlangt wird. In gewissem Sinn ist die New-Age-Spiritualität eine Synthese oder besser ein noch weithin unfertiges Gemisch all dieser Tendenzen. Mark Albrecht hat die New-Age-Spiritualität demgemäß einmal definiert als »eine chiliastische oder utopische Philosophie, die zugleich eklektisch (zusammengestückelt aus ganz verschiedenen Quellen) und synkretistisch (als Versuch der Vereinigung des gesamten religiösen Denkens und der Lehre auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner) ist« [12/3]. Diese Charakteristik trifft im wesentlichen nic ht nur auf das gegenwärtig sich ausbreitende New-Age-Bewußtsein zu, sondern auch umgekehrt auf die Theosophie und verwandte neugnostische Gruppen älteren Ursprungs! »Die New-Age-Bewegung«, so Albrecht, »kann historisch über 100 Jahre zurückverfolgt werden bis zur Gründung der Theosophischen Gesellschaft durch Mme. Blavatsky im Jahre 1875« [12/3]. Die Begriffe »New Age« und »Wassermann-Zeitalter« (Age of Aquarius) wurden erstmals von der Theosophin Alice Bailey populär gemacht! Andererseits ergreifen die traditionellen Okkultgemeinschaften die Gelegenheit, um sich durch die Verbreitung des New-AgeBewußtseins neu zu profilieren: So preist der zu einer spiritistischen Gruppe gehörende Starczewski-Verlag in HöhrGrenzhausen seine Zeitschrift »Portraits« mit den Worten an: »Die einzige Zeitung mit den Durchgaben Saint Germains und der Geistigen Hierarchie mit einem umfassenden Lehrprogramm für das Leben im Wassermann-Zeitalter« (»Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel« vom 4. 9.1984, S. 6055). Ein anderes, noch typischeres Beispiel ist die »Kirche des Neuen Zeitalters« — »The New Age Church of the Christ«, New York — die aus der theosophisch verwurzelten I-AM-Bewegung hervorgegangen ist und sich in Deutschland »Die Neuzeit-Kirche des Christus e.V.« nennt. Von 1952 bis 1979 trug sie noch den Namen »Brücke zur Freiheit« bzw. »Bridge to Freedom«. Die von ihr herausgegebene Zeitschrift »Das Wort Gottes«, »die offizielle Zeitschrift der Geistigen Hierarchie und der Großen Weißen Bru-
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derschaft«, enthält »Ansprachen der Aufgestiegenen Meister sowie ständige kosmische Information, um uns allen weiterzuhelfen, bewußt mit DER BRUDERSCHAFT mitzuwirken beim Dienst für die heranreifende Menschheit«. In dem verdienstvollen Werk »The Encyclopedia of American Religions« [16] werden in Entsprechung zu solchen Profilierungsversuchen älterer theosophischer Gruppen überhaupt die esoterischen und neugnostischen Gemeinschaften unter der Generalüberschrift »The Psychic and New Age Family« behandelt — neben dem Spiritismus also etwa die oben genannten, auf der Londoner »Esoterik-Messe« vertretenen, wie Anthroposophie, Theosophie, I-AM-Bewegung, Rosenkreuzer, okkulte Orden sowie »unklassifizierte Gruppen«, darunter Eckankar und Scientology. Als Quellen der »New-Age-Spiritualität« nennt Albrecht in seinem Artikel: hinduistische und buddhistische Philosophie, Schamanismus, Okkultismus, hermetisch-gnostische Traditionen, moderne Psychologie, besonders ihre »Bewußtseins«-Theorien [12/3]. Eine der Hauptideen, auf deren Basis der religiöse und weltanschauliche Synkretismus erfolgt, ist das Ganzheitsdenken, auch »holistische Weltsicht« genannt (Sir G. Trevelyan) — die Versöhnung von Geist und Materie als Grundlage der künftigen Einheit der Menschheit im »Neuen Zeitalter«. Sofern allerdings die philosophischen Grundlagen der New-Age-Bewegung zum großen Teil in der antiken Weltanschauung der Gnosis verwurzelt sind, könnte man sie, wie ein Kritiker von Fergusons »Sanfter Verschwörung« meinte, ebensogut als »Old-Age-Philosophie« bezeichnen! Jedenfalls kann man sie als einen wesentlichen Bestandteil der heutigen neugnostischen Bewegung betrachten, als einen Ausdruck der »immerwährenden Gnosis«, vor allem im Blick auf das Heilsziel: die Erlösung durch Erkenntnis und Bewußtseinserweiterung. Hinzu kommen aber noch eine Reihe weiterer Komponenten, die an sich in den traditionellen neugnostischen Gruppen (Theosophie; Rosenkreuzer u. a.) noch nicht oder jedenfalls nicht so stark vorhanden sind. So verbindet sich die »New-Age-Spiritualität« u. a. auch mit dem, was man als »alternative Spiritualität« be-
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zeichnen könnte, nach der vor allem Gruppen aus der sogenannten »Alternativbewegung« streben [17]. Ja, in manchen Kreisen, die den Zugang zum New-Age-Bewußtsein über diese »Szene« finden, werden »New Age« und »Alternativbewegung« praktisch synonym verwandt. Doch wäre die Eingrenzung der »New-Age-Spiritualität« auf die »Alternativszene« wiederum eine zu enge Sicht. Es ist die Weltanschauung all derer, die wie Sir George Trevelyan, der Grandseigneur der New-Age-Bewegung Großbritanniens, glauben, »daß wir eins sind mit der Einheit allen Lebens«: »Das Heraufkommen des Neuen Zeitalters kündigt sich durch ein spirituelles Erwachen an. Dabei besteht ein Unterschied zu dem, was man gemeinhin unter ,religiöser Erweckung' versteht. Es entstammt nicht den Kirchen und den etablierten Religionen, wenngleich es jeder Kirche neue Lebendigkeit einflößen kann. Doch ist diese breite Bewegung durchaus religiöser Natur, insofern sie ein Gewahrwerden der überwältigenden Einheit allen Lebens in seiner unendlichen Vielfalt darstellt« [9/27; 34]. Da die Spiritualität des New Age überhaupt eine neue Stufe der menschlichen Entwicklung darstellt, die den Menschen befähigt, das »Unternehmen Erlösung« zu vollbringen und »das Böse umzuwandeln« [9/30], tritt sie zugleich in einen scharfen Kontrast zu allen bisherigen »überholten« Stufen. Bei M. Ferguson erfährt der Begriff »Religion« daher überhaupt eine Abwertung gegenüber dem Begriff der »Spiritualität« [2/420 ff.]. Nach Alice Bailey werden im New Age alle Atomwaffen geächtet — mit einer Ausnahme: die UNO darf sie weiterhin einsetzen gegen »Aggressionen« seitens politischer und religiöser Gruppen »wie zum Beispiel der Römischen Kirche« [21/70 f.)!
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2. Wiederbelebung des Okkultismus Mit Alice Bailey wird bereits eine der wichtigsten Vorläuferinnen der New-Age-Bewegung genannt, die ja in breitem Umfang Teil einer »okkulten Explosion«, einer Wiederbelebung esoterischer, okkulter, alchimistischer, gnostischer sowie fernöstlicher religiöser und philosophischer Traditionen in der Gegenwart ist. In diesem Zusammenhang kommt dann bei zahlreichen Gruppen auch der Spiritismus und nicht zuletzt auch der theosophische Okkultismus in den Blick, zu dessen wichtigsten Vertreterinnen im 20. Jahrhundert A. Bailey zählt. Diese Renaissance des Okkultismus beschränkt sich aber nicht nur auf die im engeren Sinne okkulten Weltanschauungsgemeinschaften und ihre Lebenspraxis, sondern ist Ausdruck einer auch die moderne Wissenschaft erfassenden Tendenz. So stellte der Theologe Ernst Benz (1907—1978) bereits auf dem Düsseldorfer Kirchentag von 1973 im Anschluß an den Schriftsteller und Parapsychologen Arthur Köstler fest: »Inzwischen hat die Physik und die Naturwissenschaft den materialistischen und positivistischen Wissenschaftsbegriff längst überwunden, sie hat den materialistischen Begriff der Materie weit hinter sich gelassen. Arthur Köstler hat die neue geistesgeschichtliche Situation überspitzt, aber treffend so formuliert: ,Der Okkultismus wird immer wissenschaftlicher, die Physik wird immer okkulter'« [22/22]. Ähnlich wie schon der Psychologe C. G. Jung im Blick auf die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts spricht der Religionswissenschaftler Mircea Eliade in seinem Buch »Das Okkulte und die moderne Welt« im Blick auf die aktuelle Gegenwart von einer wahren Explosion des Okkulten. Die Hauptursache für die Sucht nach dem Okkulten sieht er in dem Bedürfnis nach persönlicher Inititation — als einem Weg aus dem Chaos und der Sinnlosigkeit des modernen Lebens. Da das Christentum den »Typus der geheimen Initiation« aus den Mysterienreligionen immer abgelehnt habe, komme Gnosis und Okkultismus heute wieder in Betracht, deren Initiationsrituale die Offenbarung alter Geheimnisse mit einschließen, während das christliche Mysterium öffentlich und allen zugänglich ist.
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»Unter der Decke der .offiziellen Säkularität', wie sie die Meinungsmache propagiert, verbreitet sich archaische Religiosität... Was man unter dem Allerweltswort Aberglauben üblicherweise faßt, ist subterrain gerade in den westlichen Zivilisationen, wo die ,offizielle Säkularisierung' am meisten fortgeschritten ist, im Schwange... Dann ist unübersehbar, wie in der amerikanischen Jugendkultur und ihren europäischen Ablegern religiöse Riten und Symbole restituiert werden. Auch der Griff zur Droge ist beileibe nicht nur ein säkular beurteilbares Phänomen«, schrieb der DiplomIngenieur und Theologe Horst W. Beck bereits vor über 10 Jahren in seinem Buch »Weltformel contra Schöpfungsglaube« (Zürich 1972, S. 237 f.). Die Freunde der damaligen LSD- und Hippie-Kultur sind inzwischen zu Anhängern der New-Age-Bewegung arriviert. Der okkulte und gnostische Einfluß hat sich dabei verstärkt, wie ja C. G. Jung in der Gnosis ein religiöses Urphänomen erkannte: Jede Zeit hat ihre gnostischen Probleme. Am lebendigsten aber ist das neugnostische Welt- und Lebensgefühl in der Neuzeit in den theosophischen Weltanschauungsgemeinschaften und Lehren überliefert worden. Die New-AgeBewegung hat hierin einen ihrer wichtigsten Vorläufer. Die Theosophie war seit dem 19. Jahrhundert einer der bedeutendsten Vermittler der westlichen okkulten und der östlichen religiösen Überlieferungen und nahm unter dem Leitspruch »Keine Religion ist höher als die Wahrheit« bereits den von der New-AgeBewegung gemachten Versuch einer Verbindung von moderner Wissenschaft und alten religiösen Traditionen vorweg. Erst »seit den zwanziger Jahren fanden gnostisch-esoterische und fernöstliche Lehren auch außerhalb der Theosophie einen breiten Eingang in die abendländische Welt« (K. Hütten). Von der im Jahre 1875 in New York von der Russin Helena Petrowna Blavatsky (1831—1891) und dem amerikanischen Obersten Henry Steel Olcott gegründeten Theosophischen Gesellschaft spalteten sich aber schon bald nach der Verlegung ihres Hauptsitzes nach Adyar bei Madras in Indien im Jahre 1882 zahlreiche konkurrierende Bewegungen ab, die meist den zunehmenden hinduistischen Einfluß in der Bewegung ablehnten. Die wichtigsten
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Befürworter der abendländischen theosophischen bzw. »rosenkreuzerischen« Traditionen waren der Arzt Dr. Franz Hartmann (1842—1912) und Rudolf Steiner (1861—1925), der bis 1913 Generalsekretär der deutschen Sektion der Adyar-Theosophie war, sich aber von ihr trennte und die Anthroposophische Gesellschaft gründete. Die Adyar-Theosophie hatte sich unter den Nachfolgern Blavatskys immer stärker zu »einer Art hinduistisch-buddhistischem Spiritualismus mit ein paar mehr oder weniger christlichen Bestandteilen« (J. Aagaard) entwickelt. Im Zentrum ihrer stark spiritistischen Weltanschauung steht die Konzeption der Großen Weißen Bruderschaft der »aufgestiegenen Meister«. Von diesen »Meistern« oder »Mahatmas«, die die »göttliche Hierarchie« gegenüber dem Menschengeschlecht vertreten und zu denen beispielsweise Mme. Blavatskys »Meister« Kut Humi (auch: Kuthu-mi, Koot humi oder K.H.) sowie Djwhal Khul (sprich: Daal Kul), Meister Morya, Serapis Bey, der Graf Saint Germain oder auch der »aufgestiegene Meister« Jesus gehören, empfangen die religiösen Führer oder Führerinnen ihre Botschaften. (Schon immer spielen Frauen in der theosophischen Bewegung, wie ja auch in manchen gnostischen Sekten des Altertums, aufgrund ihrer medialen Fähigkeiten eine zentrale Rolle!) Bei der die verschiedenen theosophischen Richtungen, wenn auch in unterschiedlichem Maße bestimmenden Konzeption der »Großen Weißen Bruderschaft« handelt es sich um eine Vorstellung von Geistern, die einmal als Menschen gelebt haben, aber nicht mehr inkarnieren müssen, wie die übrigen Menschen, um ihr schlechtes »Karma« abzuarbeiten, sondern die bereits auf eine höhere geistige Entwicklungsstufe aufgestiegen sind (daher auch »aufgestiegene Meister«) und sich daher verkörpern, um den Menschen zu helfen. Sie sollen ihren Sitz im Himalaja, in der sagenhaften Stadt Shamballa oder in der Wüste Gobi haben und sich auch im Besitz des sagenhaften »Buches Dzyan« befinden, dessen Auslegung Mme. Blavatskys »Geheimlehre« ist. Nach Annie Besant (1847—1933), der Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft (Adyar) ab 1907, die seit 1917 auch Präsidentin des Indischen Nationalkongresses war und in Indien noch
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heute großes Ansehen genießt, ist die Bezeichnung »Meister« ein »von Theosophen angewandter Ausdruck, der gewisse menschliche Wesen bezeichnet, die ihre menschliche Entwicklung vollendet und menschliche Vollkommenheit erlangt haben, die, soweit unser Teil des Sonnensystems in Frage kommt, nichts mehr zu lernen haben, die, wie die Christen sagen, ,erlöst' und, nach den Hindus und Buddhisten, .befreit' sind« (»Lexikon des Geheimwissens«, S. 277 f.). Sie sind gleichzeitig die Vermittler der Göttlichen Hierarchie, die »Kanäle«, durch die die göttlichen Kräfte auf die Menschen strömen. An der Spitze der Göttlichen Hierarchie steht der Kosmische bzw. Universelle Logos, der sich als eine Emanation von sieben planetarischen Logoi darstellt. Alle Sterne im Weltall gehören, so C. Jinarajadasa (1875—1953), der frühere Präsident der Theosophischen Gesellschaft, in seinem Buch »Die okkulte Entwicklung des Menschen«, zu einem dieser sieben Zentren. Unter den sieben planetarischen Logoi ist der Solare Logos, der für unser Sonnensystem zuständige »Gott«, der sich wiederum als eine Emanation von sieben Logoi — den Sieben Strahlen — sowie untergeordneter Engelwesen (»Devas«) darstellt. Dieser »Gott« oder »Solare Logos« unserer Welt wird auch »Sanat Kumara« oder die »Trinität der Buddhas« genannt, denn er ist, wie auch der Kosmische Logos, eine Dreieinigkeit. In seinem Buch »Die Meister und der Pfad« schreibt Charles W. Leadbeater (1847— 1934), der Mitarbeiter von A. Besant und Bischof der »Liberalkatholischen Kirche«: »Wir wissen, daß der Logos unseres Sonnensystems eine Dreieinigkeit ist. Er wirkt durch drei Aspekte. Bei den höheren Logoi gibt es eine ähnliche Dreieinigkeit. Am anderen Ende der Stufenreihe finden wir eine Dreieinigkeit im Menschen, seinen Geist, seine Intuition und seine Intelligenz, die die dreifachen Eigenschaften von Wille, Weisheit und Tätigkeit darstellen. Diese Dreieinigkeit im Menschen ist ein Abbild jener anderen und größeren Dreieinigkeit, eine Manifestation jener drei Personen.« Jeder dieser Aspekte des Logos hat einen »Repräsentanten« sowie ihnen zugeordnete »Assistenten«: die »Meister« oder »Re-
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genten der Sieben Strahlen«, die Verwalter der Lebensenergie des Solaren Logos. Die »Strahlen« sind also göttliche Kraftströmungen, denen jeweils ein Vermittler oder Repräsentant zugeordnet ist. »Meister Morya« hat es z. B. vor allem mit dem Empfang und der Vermittlung von Wille, Macht und Kraft (1. Strahl) zu tun. Wille, Liebe- Weisheit und Tätigkeit werden von den Regenten der Sieben Strahlen an die Menschen weitergeleitet wie über die Strahlen eines Regenbogens, die den Menschen eine Brücke bauen, um selbst zu Gott emporzusteigen! Man unterscheidet drei Aspekt- oder Hauptstrahlen (z. B. »Strahl des Willens oder der Macht«; wird regiert von Meister Morya oder Meister M.) und vier Nebenstrahlen, wozu auch ein »Meister Jesus« genannter Regent gehört, so daß sich insgesamt folgendes Bild ergibt:
Solarer Logos: SANAT KUMARA (Shiva-Vishnu-Brahma Vater-Sohn-Geist) Wille
Liebe-Weisheit
Intelligenz
Repräsentant: DER HERR DER WELT
Repräsentant: BODHISATTVA MAITREYA
Repräsentant: MAHA -CHOHAN
1. Strahl: MORYA (Meister M.)
2. Strahl: KUT HUMI (K. H.)
3. Strahl: DER VENEZIANER
Assistent: DJWHAL KHUL (D. K., »der Tibeter«)
4. Strahl: SERAPIS 5. Strahl: HILARION (H.) 6. Strahl: JESUS 7. Strahl: PRINZ RAKOCZI (Meister R.)
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Beachtet werden muß hierbei noch, daß diese Namen »Positionen« bzw. »Funktionen« und nicht Personen markieren, entsprechend dem ständigen geistigen Entwicklungsprozeß der jeweiligen Inhaber dieser »Positionen«: Die als »Meister Jesus« bezeichnete Position wird also beispielsweise zu verschie denen Zeiten auch von verschiedenen Personen eingenommen, je nachdem, welche Person im Laufe ihrer Entwicklung zu dieser Position »aufgestie gen« ist! So nimmt die Person, die auf Erden als »Jesus« bekannt ist, der vor 2000 Jahren gelebt hat (der »irdische Jesus«), also nicht die Position »Meister Jesus« ein, sondern sie ist eine Reinkarnation Krishnas und nimmt jetzt die Position »Bodhisattva Maitreya« ein. Nur unter diesem Aspekt ist die Ankündigung Benjamin Cremes, Christus weile wieder unter uns, richtig zu verstehen (s. u.)! Da die Positionen »beweglich« sind, entsprechend dem Aufstieg ihrer Inhaber über viele Inkarnationen, ist es möglich, sämtliche Religionsstifter und große geschichtliche Persönlichkeiten irgendwo in diesem Schema unterzubringen. Der Synkretismus kann dadurch nahezu perfektioniert werden, der Anspruch, die große Weltreligion für das kommende Zeitalter zu sein, wird nicht zufällig gerade von den theosophischen Gruppen erhoben, die, mit verschiedenen Abweichungen, letztlich diese Grundanschauung teilen. Die Konzeption der »Meister« geht zurück auf Mme. Blavatsky, die ursprünglich aus den Traditionen des Okkultismus und des Spiritualismus schöpft und selbst ein spiritistisches Medium war. Auch Olcott, der Mitbegründer der Theosophischen Gesellschaft (= TG), war ein begeisterter Spiritist, und die TG wurde bezeichnenderweise zunächst als sogenannter »Miracle Club« gegründet und erhielt erst wenige Wochen später ihren heutigen Namen! Bezeichnend ist auch, daß in dem 1877 entstandenen Werk »Die entschleierte Isis« von H. Blavatsky noch keine Rede von den »Mahatmas« ist, wohl aber von den Geistern Verstorbener. »Erst nach der Ankunft Blavatskys und Olcotts in Indien«, so R. Hummel, »entwickelte sich das Konzept der ,Großen Weißen Bruderschaft'«, und zwar unter dem Einfluß der »Vorstellung des Mahayana-Buddhismus, daß eine Vielzahl vollendeter
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Buddhas... von ihren Verehrern geschaut werden können, sie begnaden und als Boddhisatvas segnen« [13/190]. Eine der Zentralfiguren bei der Entstehung und der Formulie rung der New-Age-Philosophie und des modernen Gnostizismus war eine weitere Frau: Alice Ann Bailey (1880—1949). Die Engländerin Alice Bailey, geb. La Trobe-Bateman, war noch während ihrer ersten Ehe mit einem evangelischen Pfarrer im Jahre 1915 Mitglied der Theosophischen Gesellschaft (Adyar) geworden und wurde 1918 sogar zu der E.S. (Esoterische Schule), also deren »inneren Kreis«, zugelassen. 1919 kommt sie mit dem Meister Djwhal Khul in Verbindung, dem »Tibeter«, von dem sie in den folgenden Jahren ihre Lehre empfängt — ähnlich wie die Blavats-ky von K.H. (Kuthumi), dessen »Assistent« als »Adept des zweiten Strahls«, mit besonderem Bezug zur TG, Djwhal Khul ist. 1920 heiratete sie Foster Bailey (gestorben 1977), den damaligen Generalsekretär der Adyar-Gesellschaft in den USA, und wird amerikanische Staatsbürgerin. Aufgrund der von ihr empfangenen Offenbarung kommt es 1920 zu einer Spaltung in der Adyar-TG in den USA. Bailey gelangt in den Besitz der Originalunterlagen der E.S. aus dem Nachlaß von Judge, über den die Adyar-TG und auch die Anthroposophen nur bruchstückhaft verfügen, und erkennt daraus, daß die E.S. eigentlich »Arkanschule« heißen soll. In telepathischem Kontakt mit D.K. schreibt sie zahlreiche Bücher, darunter über die sieben Strahlen, und entwickelt dabei auch das Konzept der »Dreiecke«, einer Art »Gebets-« oder »Meditationsgemeinschaft« von jeweils drei Personen, die sich zum Zwecke eines »positiven Denkens« als Basis der Weltveränderung überall auf der Erde zur gleichen Zeit versammeln. Die »Dreiecks-Arbeit« ist eine 1937 ins Leben gerufene Aktion des Lucis Trust, der 1922 als »Lucifer Publishing Company« zur Verbreitung der Werke A. Baileys gegründet wurde. Die Arkanschule in New York, London und Genf (gegr. 1923) ist ein weiterer Kanal, über den sich auch noch nach ihrem Tod die Ausbreitung ihrer Ideen vollzieht. Sie soll 1945 bereits 20000 Absolventen gehabt haben. 1932 ging vom Lucis Trust und der Arkanschule die Initiative zur Gründung des Weltweiten Guten Willens aus, der angeblich als «nichtstaatliche Organisation« bei der UNO in Genf
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und in New York vertreten sein soll. Vermittler zwischen der Hierarchie der Meister und der Masse der Menschen ist die Neue Gruppe der Weltdiener. Um die von der Hierarchie ausgehenden Energien zu »kanalisieren«, wurden überall in der Welt Meditationsgruppen für das Neue Zeitalter gegründet. Diese Energien sind zu bestimmten Zeiten in besonderer Weise verfügbar, besonders bei Vollmond. In ihren Versammlungen benutzen diese Gruppen die sogenannte »Große Invokation«, die unten in anderem Zusammenhang im Wortlaut wiedergegeben wird (s. u.). Die drei neuen Hauptfeste der neugeschaffenen Weltreligion sind jeweils am ersten Vollmondtermin im Frühling, im Mai und im Juni: das Osterfest als Fest des Christus, das Wesakfest als Fest des Buddha und das Fest des Guten Willens, der zu Gott strebt und die rechten zwischenmenschlichen Beziehungen verwirklicht. In Amerika gibt es auch einen Rundfunksender »Radio Lucis«, der »die Prinzipien der ewigen Weisheit in einer rundfunkgemäßen Form verbreitet«. (Die heutigen Bailey-Gruppen werden unten im Rahmen des 3. Abschnitts im einzelnen behandelt). Diese Aktivitäten sind nur vor dem Hintergrund der Erwartung der bevorstehenden Wiederkunft Christi für das Wassermann-Zeitalter zu verstehen: Im Jahre 1945, so heißt es, teilte Christus der versammelten Geistigen Hierarchie der Meister mit, daß er aufgrund der vorangegangenen Kriegsnöte der beiden Weltkriege wieder in physischen Kontakt mit seiner Menschheit treten möchte, »sobald sie die ersten Schritte zur Gewinnung rechter menschlicher Beziehungen zustande gebracht haben würde«. Gleichzeitig teilte er der Welt erstmals die »Große Invokation« mit, die vorher nur von den höchsten geistigen Wesen benutzt worden war. Das Ziel all dieser Aktivitäten des »Lucis Trust« ist die Schaffung einer Welteinheitsreligion für das kommende Zeitalter des Wassermanns auf theosophischer Grundlage, d. h. aufgrund der Kenntnis »des Plans« und der »Einweihung« der Menschheit in die Geheimnisse der ihn bewahrenden »Geistigen Hierarchie«. In ihrer Schrift »Die Wiederkunft Christi« (1948) hat A. Bailey ihre Lehre vom Wassermann-Zeitalter dargelegt — mit vielen der charakteristischen Eigentümlichkeiten dieser Anschauung, die
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seitdem, weithin vereinfacht und banalisiert durch die heutige Psychokultur, eine ungeahnte Popularität erhalten haben: »Die esoterischen und planetarischen Bedeutungen der Wiederkunft Christi werden in diesem Buch als die für Seinen Dienst an der Menschheit im Wassermannzeitalter zugrundeliegenden Ursachen dargelegt. Dies ist jetzt der Anfang und das Ende eines Zeitalters — der Beginn des Wassermann und das Ende der Fische —, das auch einen wichtigen Wendepunkt in der Evolution des menschlichen Bewußtseins bedeutet: vom bisherigen Bedürfnis des einzelnen zu den Bedürfnissen der Menschheit als Ganzes, von persönlicher Erlösung zum Weltdienst, und vom Materialismus zur Geistigkeit«, heißt es in einer vom »Lucis Trust« herausgegebenen Übersicht über die Werke A. Baileys. Freilich ist dieser »Christus«, wie sich in diesen Worten schon andeutet," so ziemlich das Gegenteil von dem, was christlicher Glaube, soweit er biblisch verwurzelt ist, bisher glaubte. »Er kommt nicht, um die Menschheit von den Resultaten ihrer eigenen Sünden zu erlösen, sondern um ihnen ein weiteres Mal zu zeigen, wie sie sich selbst retten können.« Das ist das alte Selbsterlösungsprogramm der östlichen Religionen in neuem Gewande. Die Selbst-Erlösung aber erfolgt durch einen besonderen Einweihungs- und Meditationsweg, mit dem es folgende Bewandtnis hat: Nach der Schrift »Initiation — Menschliche und solare Einweihung« (1922) von A. Bailey, dem ersten ihr vom »Tibeter« übermittelten Werk, wird der Pfad der Einweihung als der Pfad der Antahkarana, der Konstruktion der Lichtbrücke zwischen der obersten Triade der Geistigen Hierarchie und der Persönlichkeit des Menschen bezeichnet. Das Sanskritwort »Antahkarana« ist nach dem »Lexikon des Geheimwissens« von H.E.Miers zusammengesetzt aus »antar« = »innen« und »karana« = »Sinnesorgan«, auch »Werkzeug«. Anthakarana ist »der Weg oder die Brücke vom höheren zum niederen Denkvermögen, deren Verbindungsweg«. In einer Liste der in den Büchern A. Baileys gebräuchlichen esoterischen Begriffe wird »antahkarana« definiert als »Lichtkanal, der die Brücke zwischen dem physischen Gehirn und der Seele
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bildet, durch Meditation und durch Dienen«. Unter Seele wird dabei verstanden: »das wahre Selbst; das höhere Selbst; der Sonnenengel; die Widerspiegelung der Monade auf der Seelenebene«. Meditation ist die »wissenschaftliche Methode, um Kontakt zur Seele herzustellen«. Die Schrift »Erziehung im Neuen Zeitalter« (1954) von A. Bailey enthält als Schlußkapitel: »Die Wissenschaft von der Antahkarana«. Zu verstehen ist darunter »das schöpferische Bemühen, zwischen dem niederen, analytischen, Wissen ansammelnden Denken und dem höheren Denkvermögen, welches ein Aspekt des göttlichen Selbstes, des geistigen Menschen ist, im Bewußtsein eine Brücke zu erbauen. Das ist ein wissenschaftlicher Vorgang, der studiert und als Meditationstechnik ausgeübt werden kann. Das Erbauen der Antahkarana, wörtlich ,der Brücke zwischen den subjektiven und objektiven Welten', schafft einen Kanal für die Übermittlung geistiger Energien: Licht, Liebe und Kraft. Diese Energien verwandeln das tägliche Leben, durchstrahlen die Persönlichkeit und durchdringen das Denken mit schöpferischen Gedanken, die mit den Erfordernissen des im heraufdämmernden Neuen Zeitalter erkennbar werdenden Planes in Einklang stehen« (»Dreißig Jahre Arbeit. Die Bücher von Alice A. Bailey und dem tibetischen Meister Djwhal Khul«, S. 25). In der Idee der »Antahkarana«, der Regenbogenbrücke zwischen der Geistigen Hierarchie und dem Menschen, liegt also das zentrale Symbol für das New Age vor: das Symbol für die für das gesamte New-Age-Bewußtsein typische Unterscheidung zwischen der Einzelseele (dem »kleinen Ich«) und dem höheren göttlichen Selbst (»großes Ich«) sowie der Idee ihrer Verbindung, wie sie uns auch bei anderen New-Age-Denkern wie M. Ferguson u. a. begegnet. Ernest Wood definiert in seiner Schrift über die Sieben Strahlen »antahkarana« in diesem Sinne als »einen Ersatz für das Göttliche, für das höhere Selbst« im niederen Menschen, m. a. W. als »das Göttliche im Menschen« (»The Seven Rays«, 4. Auflage 1952, S. 153). »Verschwörung im Zeichen des Regenbogens« — dieses Bild trifft daher den Sachverhalt des Wiederauflebens des alten Selbsterlösungsweges der Menschheit im Gewand der Bailey-Theo-
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sophie am besten. Es hat darüber hinaus Gültigkeit, wo dieser Weg in ähnlicher Weise der Spiritualität des »Neuen Zeitalters« zugrundegelegt wird und damit zu einer Auflehnung gegen Gott führt. Mit Sicherheit ist das System A. Baileys, das hier nicht weiter dargestellt werden kann, eines der am besten durchdachten Entwürfe einer Welteinheitsreligion für die heutige Menschheit, der offenbar bis in UNO-Kreise hinein Anklang gefunden hat (s. u.). Was mit einfachen Meditationsübungen und viel »gutem Willen« beginnt, kann in den Fängen eines dogmatischen Spiritismus enden. Gleichwohl ist der Ansicht von C. Cumbey zu widersprechen, die in ihrem 1983 erschienenen Buch »The Hidden Dangers of the Rainbow. The New Age Movement and Our Corning Age of Barbarism« (vgl. »Dokumentation«) bei den Bailey-Anhängern das Zentrum einer weltweiten Verschwörung vermutet, die den »Plan« der Geistigen Hierarchie verwirklichen will. Dieser Nachweis ist ihr nicht gelungen. Selbst wenn es eine solche »Verschwörung« im Sinne der spontanen Entstehung neuer geistiger und sozialer Orientierungen an der heutigen Zeitenwende gibt, wie es M. Ferguson in ihrem Buch »Die sanfte Verschwörung« darstellt, so ist damit gerade verneint, daß diese weltweite »Verschwörung« von einem Zentrum aus gesteuert wird oder gar, daß dieses Zentrum im »Lucis Trust« zu erblicken wäre, mit dem folglich alle prominenten New-Age-Denker, von Capra und Ferguson bis zu den zahlreichen Meditationsgruppen und unbekannten »Netzwerken«, zusammenarbeiten würden — ein völlig absurder Gedanke. Auch wenn die These Cumbeys also falsch ist und eine zentrale Instanz der »Verschwörung im Zeichen des Regenbogens« nicht nachgewiesen werden kann, stellt sich gleichwohl die Frage des antichristlichen Charakters des Systems von A. Bailey aufgrund der totalen Einordnung Christi in das System der »Geistigen Hierarchie« und der Selbsterlösung sowie seiner völligen Relativierung in einer neuen Welteinheitsreligion. Gehört ihr »Christus« nicht zu den vielen falschen Christussen, die, vom Neuen Testament angekündigt, in der Endzeit kommen werden? Diese Frage tauchte vor allem im Zusammenhang mit den folgenden, von einem Anhänger A. Baileys provozierten Ereignissen der jüngsten Vergangenheit auf:
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»Christus weilt jetzt unter uns« — mit dieser Ankündigung am 24. April des Jahres 1982 in verschiedenen großen Tageszeitungen auf der ganzen Welt wurde der bevorstehende Fernsehauftritt des »Maitreya Christus« angekündigt. Alsbald war ein Londoner Kunstmaler namens Benjamin Creme als Hintermann ausgemacht, dessen Tätigkeit, ebenso wie die angeblich 250 000 Dollar teure Anzeigenkampagne, von einem TARA-Center in Hollywood finanziert wird. Bald gab es auch, vor allem in Holland und in der Bundesrepublik, zahlreiche »Übersetzergruppen«, die Cremes Anweisungen folgen. Von dem im Dezember 1981 erschienenen Buch Cremes »Die Wiederkunft des Christus und die Meister der Weisheit« wurden in den USA allein 30 000 Exemplare verkauft! Die Durchgaben von »Maitreya dem Christus«, dem »Weltlehrer«, die Creme in seinem Haus an der Euston Road in London seit 1977 empfangen hat und die an die dabei anwesenden Anhänger weitergegeben werden, erschienen 1982 auch in deutsch. Im Vorwort schreibt Creme: »Wenn die Menschen ihr Denken von der Idee befreien könnten, daß Christus eine Art Geist sei, der im .Himmel' zur Rechten Gottes sitzt, — wenn sie beginnen könnten, Ihn zu sehen als Den, der Er wirklich ist, als einen realen und lebenden Menschen (obgleich ein Göttlicher Mensch), der niemals die Welt verließ, der nicht vom ,Himmel' herabstieg, sondern von Seinem alten Rückzugsort im Himalaja, um die Aufgabe, die Er in Palä stina begann, zu vollenden, — wenn sie anfingen, Ihn zu sehen als einen großen Meister, einen Adept und Yogi, ... dann ist auch vielleicht die Forderung annehmbarer, telepathische Mitteilungen von solch einem näheren und erkennbareren Wesen zu empfangen.« Mit Creme, der auch Herausgeber der Zeitschrift »Share International« ist, ist die Bailey-Theosophie mit ihren Sozialimpulsen wieder stärker ins Bewußtsein gerückt, denn Creme war jahrelang Anhänger dieser Richtung. Seine »Übersetzergruppen« benutzen vor allem auch die sogenannte »Große Invokation« von A. Bailey. Die deutsche »Übersetzergruppe« in Oberammergau gibt regelmäßig Textauszüge aus der Zeitschrift »Share International« heraus. An der Spitze der Hierarchie der Meister steht
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nach Creme der »Weltlehrer« (World Teacher), der »Meister der Meister«. Seit 2600 Jahren wird diese Position von »Maitreya, dem Christus« eingenommen. Dieser habe vor 2000 Jahren in Gestalt seines Schülers Jesus gewirkt. 1959 habe er vom »Maitreya« selbst gehört, daß seine Wiederkunft bald Realität werden wird. „Wegen der sich beschleunigenden materiellen und esoterischen Evolution« sei seine von A. Bailey für die Jahrtausendwende vorhergesagte Wiederkunft vorverlegt worden. Allgemein erwarteten seine Anhänger diese für den Sommer 1982. Doch Creme mußte sich korrigieren und behauptete später vor Journalisten, Christus weile seit 1978 unerkannt im Pakistaner-Viertel in London unter uns. Im Zentrum der Meditationsarbeit von Cremes Anhängern steht die Herstellung der Verbindung zwischen physischem Gehirn und Seele, d. h. der »Lichtbrücke« zwischen dem höheren und dem niederen Selbst durch die »Transmission« von Energie. Creme beschreibt die »Transmissions-Meditation« in »Share International« (Nr. 3/1983) wie folgt: »Zu Beginn einer Transmission wird üblicherweise das Mantram oder Gebet mit der Bezeichnung ,Die große Invokation' gesprochen, um eine Verbindung zur Hierarchie zu schaffen. Die meisten Gruppen gebrauchen die große Invokation am Anfang einer Transmissions-Sitzung und rufen dadurch die Energie der Hierarchie an. Viele Gruppen verwenden Kassetten mit Botschaften Christi — Botschaften Maitreyas — die in den letzten Jahren gegeben wurden. Beim Abspielen einer Botschaft wird die Energie erneut freigesetzt, die bei der Aufnahme der Botschaft empfangen wurde und dem Tonband magnetisch eingeprägt ist. Diejenigen, die keine Kassetten haben, können vor der Transmission eine oder zwei Botschaften laut zusammen lesen. Das hat die gleiche Wirkung der Anrufung von Energie der Hierarchie. Ich glaube, es ist unmöglich, diese Botschaften mit ernster Absicht laut zu lesen, ohne die Energie Christi anzurufen. Das gleiche gilt natürlich für die große Invokation — sie wurde besonders zu diesem Zweck gegeben. Ein wichtiger Teil der Transmissions-Arbeit ist die Verbindung zwischen physischem Gehirn und Seele. Jeder, der über-
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haupt auf irgendeine Art meditiert, arbeitet schon daran. Der eigentliche Sinn des Meditierens ist diese Verbindung und dann die allmähliche Einswerdung von physischem Hirn und Seele. Beim Sprechen der großen Invokation oder der Botschaften Christi sollte die Aufmerksamkeit im Zentrum zwischen den Augenbrauen gehalten werden. Das ist das Steuerungszentrum. Haltet sie hier mit dem ,Om'. Ihr werdet merken, daß eure Achtsamkeit von die sem Zentrum wegwandert, dann laßt innerlich das ,Om' anklingen, und sie kehrt automatisch zurück. Es ist wichtig, körperlich und gedanklich entspannt zu sein. Dies ist kein Gottesdienst. Viele Menschen kommen zu Transmissionen so, als gingen sie zur Kirche. Diese Arbeit geschieht entspannt und froh. Man sollte auch entspannt und froh zur Kirche gehen, aber so ist es selten. Transmission ist eine wichtige, ernste und nützliche Tätigkeit, aber sie sollte heiter und entspannt sein. Ihr meditiert nicht über ,Om', sondern gebraucht ,Om', um eure Aufmerksamkeit in jedem Punkt zu zentrieren. Das ist alles, was ihr tun müßt — die Meister leisten die eigentliche Arbeit. Es ist jedoch wichtig, positiv und mental ausgerichtet zu bleiben — das Gegenteil von passiv und negativ. Die Meister wählen die Zentren aus, sie wählen Energie für einen bestimmten Menschen aus, und sie senden sie durch euch. Die Arbeit ist vergleichbar mit einem Treibhaus. Sie ist ein beschleunigter Prozeß. Durch ein Jahr dieser Transmissions-Arbeit könnt ihr eine innere Entwicklung durchmachen, die vergleichbar ist dem Ergebnis vieler Jahre anderer Meditationsarten.« Seit dem Jahr 1924 vollzieht sich die Entstehung einer weiteren, selbständigen Bewegung auf theosophisch beeinflußter Grundlage, die auch in den Zusammenhang des Glaubens an ein bevorstehendes »Wassermann-Zeitalter« gehört. 1924 ist das Jahr O des Agni Yoga. Damals veröffentlichte die Russin Helena Iwanowna Roerich (1879—1955) die »Blätter des Gartens Morya«. Helena Iwanowna Saposchnikowa, wie sie früher hieß, soll schon als Kind eine gewisse Begabung für das Hellsehen gehabt haben. Mit 20 Jahren heiratete sie den Maler Nikolaus Konstantinowitsch Roerich
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(1874—1947), den sie nach Asien begleitete, wo sie auch die Stadt Shamballa besucht haben soll. Seit 1927 lebte die Familie Roerich ständig in Indien. Seit 1920 empfing Helena Roerich die Lehre des Agni Yoga von Meister Morya. Dem ersten Werk aus dem Jahr 1924 folgten bis 1937 zwölf weitere. Die Offenbarungen des Meisters dauerten von 1920 bis 1939. Vor dem 2. Weltkrieg wurde unter Leitung eines befreundeten Arztes der Familie in Riga eine »AgniYoga-Gesellschaft« gegründet, später auch in New York, die von ihrem Sohn Dr. Swetoslaw Roerich geleitet wird. »Agni« ist in den Veden der Gott des Feuers (lat.: ignis). Der Agni Yoga, von Mme. Roerich der Menschheit übermittelt, wird auch die »Neue Lehre für das Neue Zeitalter« genannt, das mit der Verkündigung des Agni Yoga beginnt. Als wichtige Vorläuferin des "Agni Yoga wird die Theosophie angesehen. Hinter dem Agni Yoga steht, wie bei den meisten spiritualistischen Neureligionen, die alte gnostische Lehre vom Herabstieg des Menschen aus den Lichtregionen und seiner Rückführung mit Hilfe einer Selbsterlösungsreligion. Das eigentlich Unsterbliche am Menschen ist der »Geistfunke«. Feuer (»Agni«) ist die Quelle des Lichts und somit die Grundlage des gesamten Seins im All, der gesamten schöpferischen Tätigkeit. Mit anderen Worten, vom »Agni« werden Aussagen gemacht, die es zum höchsten Gott im Universum erheben. Nach dem 2. Weltkrieg lernte der Industriekaufmann Leopold Brandstätter (1915—1968) aus Linz die Werke des Agni Yoga kennen. Brandstätter wurde 1915 in Wallern bei Wels geboren und beschäftigte sich schon auf der Klosterschule in Linz mit Esoterik. Später hielt er esoterische Vorträge und Seminare. Als Anhänger Mme. Roerichs aus Riga die russischen Originalwerke nach Kriegsende nach Deutschland mitbrachten, gelangten sie durch Kauf in seinen Besitz. Von der Gesellschaft in New York soll er das Copyright bekommen haben, was von dieser aber bestritten wird. Jedenfalls verfaßte er selbst zu der Übersetzung 36 einführende »Briefe über Lebendige Ethik«. Brandstätter war auch technisch begabt, was sich in seiner Lehre niederschlägt. Zusammen mit dem Förster Viktor Schauberger arbeitete er an einem »biotechnischen« Verfahren zur
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Energiegewinnung durch Implosion anstatt durch Explosion. Seit 1962 gab er die Zeitschrift »Welt-Spirale — Zeitschrift für Fortschritt und Lebenserneuerung bzw. Welterneuerung« heraus. Am 30. Juni 1963 wurde in Linz die »Ethische Gesellschaft für Fortschritt und Welterneuerung« gegründet, deren 25-Punkte-Pro-gramm einen Weg aus der chaotischen Weltsituation zeigen will und »als Selbsterlösungsprogramm für die gesamte Menschheit« konzipiert ist. Brandstätter soll von sich selbst behauptet haben, »als unsterblicher Heiland im Verein mit Jesus Christus Mitglied der planetarischen Hierarchie« der führenden weißen Loge zu sein. Im Dezember 1963 wurde in Hannover die »Deutsche Landesgesellschaft der ,Welt-Spirale'« gegründet unter der Leitung von Gerhard Havel. Durch seine Tätigkeit als Generalsekretär der »Weltföderalisten e.V.« zog Havel viele Mitglieder ab, und es kam zur Spaltung: Am 14. 1. 1971 konstituierte sich die selbständige deutsche »Welt-Spirale e.V. — Ethische Gesellschaft für Fortschritt und Welterneuerung« in München unter seiner Leitung. Die österreichischen Mitglieder hatten nach Brandstätters Tod 1968 Willi Augustat zum Präsidenten gewählt. Die Schriftleitung übernahm Brandstätters Witwe. Die Angaben über die Zahl der Anhänger schwanken zwischen 5000 und 7000. Allein in der Bundesrepublik Deutschland sollen es 4000 sein, die übrigen in 32 Ländern der Welt, vor allem in Österreich. Seit September 1980 heißt die Zeitschrift: »,Welt-Spirale' und ,Agni Yoga'. Zeitschrift für Religion — Geisteswissenschaft und Fortschritt« und bezeichnet sich als Organ einer kurz zuvor gegründeten »Agni Yoga -Gesellschaft e.V.« in München unter Leitung von Stefan Marcher. Der Beschluß zur Gründung dieser Gesellschaft im Februar 1980 erfolgte mit dem Ziel, »die Spaltungen und Gegensätze unter den Konfessionen... durch eine neue Religion — Agni Yoga — zu beseitigen und durch ... Mitgliedschaft in der Agni Yoga Gesellschaft e. V. das neue Zeitalter einzuleiten«. Die Leser der »Welt-Spirale« wurden zum Eintritt in diese neue Gesellschaft aufgefordert, die sich im Unterschied zur »Welt-Spirale« in Linz »ausschließlich der religiösen Erneuerung« widmen will. »Hier sollen jene Menschen im deutschen Sprachgebiet organisatorisch
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erfaßt ... werden, die sich zu der Neuen Religion grundsätzlich bekennen. ... Es ist selbstverständlich möglich, durch Beitritt beide Vereine zu fördern.« Der »Agni Yoga« ist aber noch nicht der letzte hier zu erwähnende Zweig am Stamm der Theosophie: Eine der interessantesten Abzweigungen ist die sogenannte IAM-Bewegung (auch »Saint Germain Foundation«). Ihre Gründer waren der Bergbauingenieur Guy Ballard (1878—1939) und seine Frau Edna. Ballard war wie seine berühmten Vorgängerinnen Blavatsky und Roerich ein spiritistisches Medium und stand, wie Alice Bailey mit dem Meister Djwhal Khul, mit einem Meister in Kontakt. In seiner Jugend hatte Ballard eine Begegnung mit einem jungen Mann, der ihn über Reinkarnation und das Gesetz von Ursache und Wirkung belehrt und sich plötzlich in die Gestalt des Grafen Saint Germain verwandelt, eines Okkultisten, der im 18. Jahrhundert an verschiedenen europäischen Fürstenhöfen, vor allem beim Landgrafen von Hessen-Kassel, gelebt hat und nun als »aufgefahrener Meister« weiterwirkt. (Bei der Adyar-TG heißt er auch »Prince Rakoczy«.) Er nimmt Ballard mit zu einer Astralreise in frühere Inkarnationen. Dabei erkennt Ballard, daß der Mensch dem ewigen Kreislauf der Reinkarnationen nur durch den inneren Kontakt mit der mächtigen »ICH-BIN-Gegenwart« des Bewußtseins entkommen kann. Ungefähr seit 1930 entstand unter seiner Leitung die I-AMBewegung. In dieser Bezeichnung klingen die Ich-bin-Worte aus 2. Mose 3, 14 und aus dem Johannesevangelium an. Ballard übernimmt das System der Theosophie Blavatskys, formt es aber um zu einer »amerikanischen Religion« mit ausgesprochen nationalistischen Zügen. Die Meister bleiben im wesentlichen in demselben Rang wie in Blavatskys System, aber sie werden stärker spiritualisiert und ihr Spielraum vergrößert sich, wie zum Beispiel die Metamorphose Saint Germains bei seiner ersten Erscheinung vor Ballard zeigt. Ihre Zahl wird erweitert und Saint Germain ins Zentrum gerückt. Das »grenzenlose Licht deiner eigenen Mächtigen ICH-BINGegenwart« ist der Zentralbegriff. Licht ist — als »selbstleuchten-
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de intelligente Substanz, die die Form befähigt zu existieren« — nur eine Metapher für die Macht dieser ICH-BIN-Gegenwart; mit anderen Worten: das »höhere Selbst« im Menschen als Erlösungsprinzip. Unter den ersten Abzweigungen der I-AM-Bewegung, deren gemeinsames weltanschauliches Prinzip das ICH-BIN-Bewußtsein ist, war die »Brücke zur Freiheit«, die sich 1954 unter ihrem Gründer Thomas Printz abspaltete und auch in Deutschland aktiv wurde, wo sie in Berlin die Zeitschrift »Brücke zur Freiheit« herausgab. Dieser Name bedeutet soviel wie: den Weg bauen, auf dem das menschliche Bewußtsein in das Bewußtsein der »Großen Weißen Bruderschaft« fortschreiten kann. Um die Seele vom Karma zu reinigen, rufen die Anhänger die göttliche ICH-BIN-Gegenwart an. Seit 1979 nennt sich die Gruppe »The New Age Church of the Christ« (»Die Neuzeitkirche des Christus«) und gibt eine Zeitschrift mit den Durchgaben der Meister heraus. Eine der in USA bekanntesten Abspaltungen der I-AMBewegung ist »CUT« (»The Church Universal and Triumphant«). Diese »Kirche« wurde 1958 in Washington von Mark Prophet und seiner Frau, die beide zuvor Mitglieder bei der »Bridge to Freedom« gewesen waren, auf Befehl Meister Moryas als »Summit Lighthouse« gegründet. Als Mark Prophet 1973 starb, übernahm seine Frau, Elizabeth Cläre Prophet (»Prophet« ist ein Eigenname!) die Nachfolge und gibt heute als »Guru Ma« die Botschaften der Meister, darunter Konfuzius, Buddha, Maria, Franz von Assisi und Jesus, an ihre Anhänger weiter. Ihr Zentrum in Malibu bei Los Angeles — die »Summit University« — nennt sich auch »College für Religion, Kultur und Wissenschaft der Church Universal and Triumphant«. Ihre Zeitschrift »Pearls of Wisdom« enthält die neuesten Botschaften der »Großen Weißen Bruderschaft«.
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3. Psychogruppen und Vereinigungen mit spirituellem Hintergrund Die dem Neuen Zeitalter entsprechende gesellschaftliche Organisationsform der New-Age-Anhänger ist das »Netzwerk«. Darunter versteht man das auf dem Gedanken der Kooperation und der »Solidarität« (E. Fromm) beruhende weltweite Geflecht aller Einzelinitiativen der »sanften Verschwörer«. »Während die meisten unserer Institutionen nur noch auf wackligen Beinen stehen, ist eine dem 20. Jahrhundert angepaßte Version des Stammes oder der Sippe der Frühzeit aufgetaucht: Das Netzwerk, ein Werkzeug für den nächsten Schritt der menschlichen Entwicklung« [2/247]. Nach Theodore Roszak, der sich gegenüber dem »säkularen Konsens« der Gesellschaft in die »aquarian frontier« einer Gegenkultur einreiht, löst es gewissermaßen die alten revolutionären Massenbewegungen als Motor der Geschichte ab [2/248]. »Netzwerke bilden die Strategie, mit der kleine Gruppen eine ganze Gesellschaft transformieren können«, sagt M. Ferguson [2/249]. Als Beispiele können hier die berühmte Findhorn Community in Schottland oder die 1975 gegründete ökologisch-spirituelle Kommune (»Ashram«) der Lichtheimat in der Nähe von Dornbirn gelten. Nach dem Jahre 1978 entstanden weitere »Lichtheimat-Gemeinschaften« in Kärnten, in der Steiermark (»Sternhof«) und eine Kontaktstelle in Württemberg (Helge Wischmeier). Wischmeier, der den ganzen Weg durch die religiöse Subkultur gegangen ist [11] — vom Vegetarismus des Elternhauses über die Theosophie Blavatskys, die »Weltspirale«, die »Arkanschule« Alice Baileys und den Sufismus zum »Zentrum für praxisbezogene Programme zur Persönlichkeitsentfaltung« (PPP) in »Hof Heilenbergen« — charakterisiert diesen Typus der »New-AgeSpiritualität« als »Psychogruppe mit spirituellem Hintergrund«. »Während in den esoterischen Gruppen westlicher Prägung (Theosophie, Anthroposophie, Rosenkreuzer usw.) wie in den Vedanta- und geistigen Yoga-Gruppen östlicher Prägung von Anfang an besonders auf gedankliche Disziplinierung Wert gelegt wird, verlangen die Psycho-Gruppen..., daß zuerst die aufgestauten Emotionen durchgearbeitet werden« [11/163].
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200 der wichtigsten New-Age-Gruppen aus diesem Bereich der »spirituellen Alternativszene« sind in dem kürzlich erschienenen Buch »Spirituelle Gemeinschaften — Ein Wegweiser für das Neue Zeitalter« von Rolf Goetz verzeichnet: Die Stadt des Zukunftsmenschen Auroville in Südindien; Findhorn, die Sonnenstadt im Nebel im Norden Schottlands; das 2000-Einwohner-Hippie-Dorf The Farm in Tennessee/USA; die Klostergemeinschaft Lama Foundation in New Mexico. Die Zeitschrift »Zero« schätzte 1977 die Zahl der alternativen Wohnmodelle in den Städten und auf dem Lande in den USA auf ca. 30000 [28/12/1977/39]. Viele der New-Age-Kommunen in USA und Kanada »vereinigen in ihrem Glauben den ,Kosmischen Christus', den Glauben an die Bruderschaft des Menschen, mit der Praxis essenischen Christentums unter Beachtung der alten Traditionen der Indianer« [S. 32]. So war der Hopi-Indianer Weißer Bär spiritueller Berater der Kommune »Bruderschaft der Sonne« in der Nähe von Santa Barbara/Kalifornien. Ob diese neuen Stammesstrukturen vorwegnehmen, wie der Mensch im »Neuen Zeitalter« leben wird, was manche glauben, oder nur der Versuch eines »alternativen Lebensstils« bleiben werden, vermag heute noch niemand zu sagen. Man kann aber feststellen: Die Alternativszene ist heute weitgehend von okkulten Vorstellungen unterwandert. Diese haben die frühere neomarxistische Orientierung abgelöst oder sind mit ihr eine eigenartige Verbindung eingegangen, was auch unmittelbar von Vertretern dieser Strömung zugegeben wird. So heißt es in der Folge 29 des in Scharnstein bei Linz erscheinenden »Alternativ Magazins« aus dem Jahr 1983 über die »inhaltliche Wandlung« in den letzten sieben Jahren: »Bestimmte früher Sozialismus und Anarchie den Themenkreis, so waren es Reni und Heli, die in den letzten Jahren das Ruder Richtung Spiritualität und Esoterik stellten, ohne die Ganzheitlichkeit des Lebens aus dem Auge zu verlieren.« Für diesen Umschwung zu Esoterik und Okkultismus innerhalb der spirituellen Alternativszene ist Findhorn selbst das klassische Beispiel. Als David Spangler (geb. 1945), ein Ingenieur aus
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Kalifornien, 1970 in diese 1962 gegründete Gemeinschaft hoch oben in Schottland kam, stand diese bereits unter dem Einfluß des Spiritismus: »Obwohl keiner der Gründer auf landwirtschaftlichem Gebiet irgendwelche Erfahrungen hatte und der sandige Boden nur spärliche Vegetation zuließ, gediehen dort schließlich neben zahlreichen Blumen 65 Gemüsesorten, 42 verschiedene Kräuter und 21 Obstsorten«, berichtet der »Weltalmanach des Übersinnlichen« über den berühmten Findhorn-Garten: »Die Pflanzen erreichten angeblich enorme Ausmaße — zum Beispiel 40pfündige Kohlköpfe, 60pfündige Broccoli-Pflanzen und über 2 Meter hohe Rittersporne.« Als die Gründer zum ersten Mal an den Ort kamen, trat der Landschafts-Engel, der zu diesem geographischen Gebiet gehören soll, mit ihnen in Verbindung. Er äußerte dann jeweils seine Ablehnung oder Zustimmung zu ihren Plänen hinsichtlich Düngung oder Bewässerung des Gebiets. Daraufhin wurden sie von Geistern oder Devas angesprochen, die mit einer bestimmten Pflanzensorte im Garten in Verbindung standen — also etwa einem Tomaten-Deva, einem Zwergbohnen-Deva oder einem Spinat-Deva. Neben praktischen Ratschlägen enthielten diese Weisungen auch spirituelle Ratschläge, die den Findhorn-Bewohnern vor allem die Harmonie mit den Naturgesetzen des Universums ans Herz legten. 1971 kam es zur organisatorischen Verschmelzung mit der »Universal Foundation«, als die Führer dieser spiritistischen Vereinigung zur Ausbreitung der New-Age-Botschaft, Monica Parish und Anthony Brooke, nach Findhorn kamen [16/121—125]. Eileen Caddy, Mitbegründerin der Findhorn-Gemeinschaft, veröffentlichte die von ihr empfangenen »Botschaften« bzw. »inspirierenden Weisungen« in dem auch in deutscher Sprache erschienenen Buch »Spuren auf dem Weg zum Licht« und in einer Textauswahl »Morgen der Veränderung«. In ihrem Band »Findhorn — Zentrum des Lichts« werden grundlegende Texte aus den »transpersonalen Anleitungen« und Durchgaben veröffentlicht, die deutlich machen, wie ein New-Age-Projekt entsteht und welchen Gesetzen es unterworfen ist. 1971 veröffentlichte David Spangler in Findhorn den 1978 auch in Deutsch als Taschenbuch
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erschienenen Titel »New Age. Die Geburt eines Neuen Zeitalters«, eines der ersten Werke, die den Begriff »New Age« bei uns popularisiert haben. Im Jahre 1973 kehrte er wieder in die USA zurück, wo er mit Freunden aus den Anfängen Findhorns in der Nähe von Belmont in Kalifornien eine neue Gemeinschaft, die »Lorain Association«, gründete. Für 1985 ist unter dem Titel »Der Geist der Synthese« die Veröffentlichung seiner »Gespräche mit John«, seinem nichtinkarnierten Geist, vorgesehen. Von Dorothy Maclean, die zusammen mit dem ehemaligen Hotel-Manager Peter Caddy und seiner Frau Eileen nach Findhorn gekommen war, erschien bei uns der Band »Du kannst mit Engeln sprechen«. Der Erfolg und die Berühmtheit der Findhorn-Gärten, so versichern die Anhänger, soll nicht zuletzt von ihren telepathischen Kontakten mit den Engelreichen herrühren. Die Findhorn-Gemeinschaft versteht sich als Teil eines »Netzwerks des Lichts«. In Deutschland haben Findhorn-Anhänger unter anderem im Greuth Hof im Allgäu, einer Begegnungsstätte des Trägervereins » Welt des Lichts e. V. Verein zur Förderung geistiger und ganzheitlicher Lebensweise«, ein Zentrum. Die Gemeinschaft publiziert im »Greuth Hof Verlag« auch die Werke von E. Caddy und D. Spangler, u. a. eine Neuausgabe seines vergriffenen New-AgeBuches und sein Buch über Christus: »Reflections on the Christ«. Nach dem Vorbild von Findhorn steht auch das Leben in dieser Gemeinschaft im Zeichen des Spiritismus. Angeleitet von dem Geistlehrer »Ephraim«, der zu der Gruppe von Geistwesen gehört, die den Greuth Hof beschützen und überleuchten, beschäftigt sich die Gruppe nach einer Verlautbarung aus dem Jahr 1984 vor allem mit dem Mineralreich, um »wieder Freundschaft zu schließen mit den Steinen«. Diese Arbeit wird als ein Versuch betrachtet, der Einheit allen Lebens näher zu kommen: »Unsere Aufgabe als Menschen in der heutigen Zeit ist es, den Boden vorzubereiten für die Vermählung von geistiger und materieller Welt. Um dies zu ermöglichen, versuchen wir die Bewußtseinsebene, in der wir leben, mehr und mehr zu erhöhen und die alltägliche Begegnung mit unserer Umwelt durch eine reine und positive Lebensweise zu erleuchten. Dies tun wir durch Meditation, Gebete
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und vor allem durch guten Willen und Liebe all unseren Mitmenschen gegenüber.« Dabei werden zwei Arten der Meditation praktiziert: die sogenannte »Transmissions-Meditation« des Benjamin Creme (ausführlich beschrieben in dem Heft »Transmission — Meditation für das Neue Zeitalter«) und eine als »Reinigungs-Meditation« bezeichnete Form, bei der es um Reinigung der Gedanken und des Körpers durch geistige Energie geht: »Eine hilfreiche Möglichkeit ist es, sich vorzustellen, daß wir durch ein Seil oder einen Draht, der vom Ende unserer Wirbelsäule bis ins Erdinnere reicht, geerdet sind. Dieses Seil dient als Ableitung für diese Energien, die dann im Innern von Lichtwesen empfangen und umgewandelt werden. Reinigungsmeditationen sind notwendig, um die Schwingung auf dem ganzen Gelände und in der Gruppe zu verfeinern und zu erhöhen. Denn es ist so, daß der Himmel der Erde in dieser Zeit immer näher kommen möchte und wir uns bereit machen dürfen für intensive Kontakte mit der geistigen Welt und daher aufgefordert sind, ihr aktiv ein Stück entgegenzugehen. Meistens werden der Erde von den Menschen Schadstoffe aller Art gedankenlos zugeführt, was sie sehr belastet. Daher ist die Freude der Lichtwesen und der Wesenheiten der vier Elemente groß über jeden Menschen, der bewußt um ihre Mithilfe bei der Transformation bittet. Dies alles gilt nicht nur für den Greuth Hof und seine Bewohner und Gäste, sondern für alle Menschen, und jeder, der eine Saite in sich mitschwingen spürt, ist von Herzen willkommen, an der großen Reinigung des Planeten mitzuarbeiten.« Der Ablauf der Transmissions-Meditation« ist folgender: »Wir verbinden unser inneres Licht mit dem Licht der anderen im Raum und verschmelzen so zu einem Kanal. Daraufhin bieten wir uns dem Höchsten und Christus (einschließlich der Meister der Liebe und Weisheit) an und erklären uns bereit, die von ihnen ausgehenden, der Welt hilfreichen Energien durch unsere Gruppe hindurch fließen zu lassen, überall dorthin, wo diese großen Diener Gottes es für angemessen halten. Wir selbst sind nichts als Übermittler. In diesem Bewußtsein sprechen wir zu Anfang die Große Invokation:
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Aus dem Quell des Lichts im Denken Gottes ströme Licht herab ins Menschendenken. Es werde Licht auf Erden! Aus dem Quell der Liebe im Herzen Gottes ströme Liebe aus in alle Menschenherzen. Möge Christus wiederkommen auf Erden! Aus dem Zentrum, das den Willen Gottes kennt, lenke plan-beseelte Kraft die kleinen Menschenwillen zu dem Endziel, dem die Meister wissend dienen! Durch das Zentrum, das wir Menschheit nennen, entfalte sich der Plan der Liebe und des Lichts und siegle zu die Tür zum Übel! Mögen Licht und Liebe und Kraft den Plan auf Erden wieder herstellen! Nach der Invokation bleiben wir mit unserem Bewußtsein im Stirnzentrum (3. Auge) konzentriert und lassen alles, was ge schickt wird, ohne eigenes Wollen durch uns hindurch fließen. Wer mit den Gedanken oder Gefühlen abschweift, singt innerlich das heilige OM und kehrt zum Stirnzentrum zurück. Die Dauer der Meditation ist offen, d. h. es ist gut, solange wie möglich zu bleiben; aber jeder, der aufhören möchte, verläßt nach der für ihn richtigen Zeit leise den Raum. Diese Meditationen erleben wir und auch unsere Gäste häufig als sehr intensiv und sind daher dazu übergegangen, sie von anfänglich einmal die Woche, nun zweimal gemeinsam zu praktizieren. Wichtig bei dieser Arbeit ist, sie regelmäßig, möglichst immer zur gleichen Zeit zu machen, sie nicht um der persönlichen Entwicklung willen, sondern um Dienst an der Menschheit und dem ganzen Planeten zu tun. Je mehr Gruppen dieser Art sich bilden, um so wirkungsvoller werden unsere Bemühungen im Sinne des göttlichen Planes sein.«
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Weitere ebenfalls von Findhorn beeinflußte Personen und Gemeinschaften in Deutschland hatten sich vor allem um die inzwischen eingestellte Zeitschrift Synthese gruppiert, zu der sich eine ganze Reihe unabhängiger Initiativen im Sinne des New Age zusammengefunden hatten. Der im Dezember des Jahres 1981 in Kronberg/Ts. gegründete Arbeitskreis Synthese und dessen Organ waren der Versuch, bundesweit für interessierte Gruppen ein Forum gemeinsamer Aktivitäten im Sinne des New Age zu bilden — so Dr. Jens W. Möller, einer der Initiatoren. An den SyntheseSymposien in Karlsruhe (1982) und Augsburg (1983) nahmen jeweils 130 Personen teil (»Erde und Kosmos« 4/1984, S. 53). Seither gehen die Mitgliedsgruppen wieder ihre eigenen Wege. Zu den Zielsetzungen der 1980 in Karlsruhe gegründeten Kosmosophischen Gesellschaft e. V. gehört zum Beispiel der »Meinungsaustausch über die geistige Zeitenwende, das sogenannte ,Wassermannzeitalter'«. Diese »Zeitenwende« gilt als Voraussetzung der Tätigkeit dieser Gesellschaft und ihres »Forum 2000«. In einer Ankündigung der Volkshochschule (!) in Karlsruhe für eine Veranstaltungsreihe des bereits erwähnten Mikrobiologen Dr. Jens W. Möller, des l. Vorsitzenden der »Kosmosophischen Gesellschaft«, im Winter 1984/85, heißt es: »Kosmosophie ist die Weisheit vom Kosmos und seinen Gesetzmäßigkeiten; sie ist eine uralte Weisheitslehre, deren kulturhistorische Wurzeln weit über ägyptisch-griechische Kulturepochen hinaus in die atlantischen Vorzeiten der Menschheitsgeschichte zurückreichen. Grundlage der Kosmosophie ist die Hermetische Philosophie, die über Jahrtausende für sogenannte Eingeweihte eine Geheimlehre über Magie, Alchemie und Astrologie gewesen war. Berühmte Eingeweihte und somit Kosmosophen waren im Laufe der Geschichte Pythagoras, Plotin, Paracelsus, Mozart, Goethe, Rudolf Steiner und viele andere. Im jetzt beginnenden ,Wassermannzeitalter'«, so die Volkshochschule, »werden diese Geheimlehren mehr und mehr für jedermann zugänglich; sie sollen Gegenstand des Kurses sein: Atlantis und die Frühgeschichte der Menschheit, die universale Bedeutung der Cheops-Pyramide, Stonehenge und der Tyrkreis von Dendera, Grundlagen der Astrologie und Alchemie,
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Kabbala und Numerologie, Tarot und I Ging, Schicksal und Wiedergeburt, Aufbruch ins 3. Jahrtausend, geistige Evolution.« Dieses Hinausgehen über die Wurzeln des abendländischen Geistes und der Philosophie zur »Atlantischen Kulturepoche«, zum »keltischen Bewußtsein« oder auch zum »arischen Menschen« ist typisch für das New-Age-Bewußtsein, insbesondere für die alternativen Strömungen, und nicht ganz zu Unrecht hat man auf Parallelen zur Herausbildung der nationalsozialistischen Ideologie hingewiesen. In den Jahren 1982/83 war die »Kosmosophische Gesellschaft« auch an der Herausgabe der Zeitschrift »Synthese« (Auflage ursprünglich 2000, zuletzt 4000 Exemplare) beteiligt, zusammen mit 20 anderen, im »Arbeitskreis Synthese« zusammengeschlossenen Gruppen. Dieser Kreis, dessen Initiatoren sich im Oktober 1981 zum erstenmal trafen, verstand sich in typischer New-Age-Manier »als Organismus und nicht als Organisation«: »Den Hintergrund dieser Aktion bildet die Überzeugung, daß das Neue Zeitalter ein Zeitalter der Synthese sein wird: aus dem Gefühl des Getrenntseins zum Gefühl der Verbundenheit in vereinter, freiwilliger Zusammenarbeit. Der Leitgedanke ist: ,Was jeder tut, tut er für sich — was jeder ist, ist er für das Ganze.' Unter dem Leitmotiv ,Global denken, lokal arbeiten' suchen wir das Gemeinsame hinter den bindenden Formen des Ausdrucks. Dabei bemühen wir uns um ein Zusammenwirken von Wissenschaft und Religion, von Lebensweisheit und Lebenskunst. Wir wollen aber nicht nur in Gedanken Synthese formulieren, sondern erfühlen und erfahren, was Synthese für jeden von uns sein kann. Indem wir dieses Erleben in den Alltag einbringen, wird uns der Sinn des Hier und Jetzt bewußt« (»Leitgedanken und Ziele« in: »Synthese« 1/1982). Auch wenn der Arbeitskreis gescheitert ist, lebt dieses Gedankengut einer »Synthese« im Geiste des New Age jedoch in den einzelnen Mitgliedsgemeinschaften weiter. Hierzu gehören z. B. der Frankfurter Ring e. V. (gegr. 1969) und Agnim (gegr. 1978), »Allgemeine Gesellschaft für Natur, Integration und Menschwerdung e.V.«, außerdem GUPR (»Gesellschaft für Universelle Prävention und Regeneration e.V.«), Mutter Erde e. V. u. a. Zusammen mit Dr. Wolfgang und Brita
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Dahlberg geben »Agnim« und der »Frankfurter Ring« jetzt die Zeitschrift »Wege... Zur Synthese von Natur und Mensch« heraus, die in ihrer Weihnachtsnummer 1984 mit Betrachtungen von David Spangler über Weihnachten als »Fest der Identität« und von Peter Michael Hamel, dem Mitbegründer des »Freien Musikzentrums« in München, prominente Vertreter des New Age zu Wort kommen ließ. »Das Fest der Identität ruft uns auf, die innere Wesenheit in uns als das Göttliche anzunehmen und es tätig zu verwirklichen« — so Brita und Wolfgang Dahlberg im Anschluß an Spangler über das Weihnachtsfest (»Wege« 4/1984, S. 1). Denn nach Spangler ist der Mensch »heute an einem Punkt angekommen, wo er beginnen kann, die Tatsache anzuerkennen, daß er Christus ist« (ebd., S. 7)! Der »Frankfurter Ring«, der im Jahre 1969 als »Gesellschaft zur Pflege der Philousia e.V.« (philousia = Liebe zum Sein) unter dem Einfluß von Graf Dürckheim gegründet wurde, führt auch Meditationsfeiern innerhalb des Gottesdienstes (»Adventstanz«) und — am Erntedankfest — einen sogenannten »Kirchentanz« in der Nikolaikirche im Stadtzentrum durch. Als Referenten treten auf seinem Veranstaltungsprogramm auch namhafte Theologen wie Gerhard Marcel Martin, Klaus Kunkel oder Gerhard Wehr auf, die das Gespräch mit den esoterischen Traditionen und Weltanschauungen suchen und pflegen. Zum »Arbeitskreis Synthese« gehörte auch das IPS (»Institute for Planetary Synthesis«, Geneva). Damit war die Verbindung zur Bailey-Theosophie hergestellt, denn hinter dem IPS stehen die heutigen Bailey-Anhänger. Das IPS steht, wie der »Arbeitskreis Synthese«, unter dem Leitgedanken der »Synthese« der verschiedenen Religionen und Weltanschauungen, die durch das bereits von A. Bailey geforderte neue Gruppenbewußtsein vollzogen wird: »Das Neue Zeitalter erfordert das Entfalten des Gruppenbewußtseins, d. h. des Bewußtseins des Einsseins in der Vielheit, worauf der Zweck unserer Arbeit beruht«, heißt es in einer Verlautbarung. »Das Institut befaßt sich mit der Herausarbeitung des göttlichen Planes auf Erden, den die Geistige Hierarchie realisieren will.« Das IPS wurde am 19. Mai 1981 in Genf als eine »Zentrale für
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esoterisch-planetarische Studien« gegründet. Die Arbeit soll u. a. im Zusammenwirken mit folgenden Organisationen erfolgen: »World Teacher Trust« (WTT), »Energy System Parameters« (ESP), Vereinte Nationen (UNO), »Arkanschule«, »Arbeitsgemeinschaft für Menschen Guten Willens« (AGW), »Arbeitskreis Synthese«, »Aktion 3. Weg«, »Top Experts International« (TEI), »Agni Yoga Society«, »New-Age-People«, »Weltföderalisten«, Weltgesundheitsorganisation (WHO), »Findhorn-Foundation«, »Planetary Citizens«, Theosophische Gesellschaft, »Kosmosophische Gesellschaft«, Freimaurerei, »Anthroposophische Gesellschaft«. Es soll eine »Universität« errichtet werden, »an der im Sinne des ,New Age' gelehrt werden soll«. Zusammen mit dem unter Leitung von Ekkirala Krishnamacharya stehenden, 1971 in Indien gegründeten World Teacher Trust (= »Jagadguru Pitham«) und der ESP bildet das IPS ein »globales Dreieck«. Das Gesetz der Synthese geht auf A. Bailey zurück, die es in ihrer »Abhandlung über Kosmisches Feuer« als »die Tatsache, daß alles eins ist« definiert. In ihrer »Abhandlung über die Sieben Strahlen« schreibt sie: »Das Ziel aller erzieherischen Bewegungen wird der Sinn der Synthese sein, wenn erst einmal der Idealismus des Neuen Zeitalters fest etabliert ist... Die Wissenschaft der Meditation und das bewußte Bauen der Antahkarana (s. o.) werden die ersten zwei einleitenden Stadien im esoterischen Lehrplan sein. Heute sind die wahre Lehre der Meditation und die Konstruktion der Lichtbrücke zwischen der Triade und der Persönlichkeit die fortgeschrittensten Lehren, die irgendwo vermittelt werden« (»Wissenschaft der Synthese. Eine Studie für Weltdiener«, hg. vom IPS, S. 27 f.). Von ihren Voraussetzungen her ergibt sich für die Anhänger Baileys oder Cremes in besonderer Weise ein ritualisierter und sakralisierter Lebensstil: Auf die genau festgelegte Meditationsarbeit, auf die neu eingeführten Festtage und auf die »Große Invokation« wurde bereits hingewiesen. Glaube wird in typisch gnostischer Weise durch »Wissenschaft« ersetzt: »Die Wissenschaft von der Invokation«, schreibt A. Bailey, »wird das ersetzen, was wir heute ,Gebet' und ,Gottesdienst' nennen.« Mit »Wissen-
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schaft« ist dabei gemeint: »die intelligente und zweckmäßige Heranziehung geistiger Energien und der Kraftströme der Liebe.« Dadurch kommt es zu einer vollständigen Einheit zwischen der »Geistigen Hierarchie« und der Menschheit, mit anderen Worten: »Dann wird das Reich Gottes wirklich und wahrhaft auf Erden wirksam tätig sein« (»Die Wiederkunft Christi«, S. 157 f.). Das Bewußtsein, durch Meditation am Kommen des »Neuen Zeitalters« mitzuwirken, verleiht dem individuellen Meditationsakt der an dieser Arbeit beteiligten einzelnen und Gruppen eine kosmische Bedeutung. Eine der wichtigsten Abspaltungen von der Bailey-Bewegung ist die Meditation Group of the New Age (»Meditationsgruppe für das Neue Zeitalter«), die sich 1950 unter Florence Garrique verselbständigte (Zentrum in Ojai/Kalifornien). Die Anschauungen dieser Gruppe sind stark von dem in New-Age-Kreisen hoch angesehenen Psychologen Roberto Assagioli beeinflußt. Sie hat auch in Deutschland, Belgien, Holland, Großbritannien und Argentinien Ableger. Unter den Gruppen, die mit dem IPS kooperieren, ist noch die Planetary Initiativefor the World We Choose (Planetary Citizens) hervorzuheben. In der Zeitschrift »Synthese« heißt es über ihre Entstehung: »Die ,Planetarische Initiative...' geht auf eine Bemühung von fünf Gruppen zurück, welche zu einer Konferenz im Januar 1981 im Staat New York aufgerufen hatten, an der 75 Leiter wichtiger politischer und sozialer Aktionsgruppen, Kirchen, NewAge-Gruppen, global orientierte Forschungsinstitute, Gruppen für Bewußtseinswachstum u. v. a. teilnahmen. Dort wurde gemeinsam ein Programm entwickelt, das auf weltweiter Ebene das Interesse an Zusammenarbeit verstärken möchte, um zu einer Lösung der gravierenden Probleme, die uns heute vor der Tür stehen, beizutragen. Ziel der Bewegung ist es, in allen Kontinenten und Ländern ähnliche kleinere Bestrebungen anzuregen, um die Aktionen fortschrittlicher Initiativen besser zu koordinieren und zu einem gemeinsam getragenen Willen zusammenfließen zu lassen, der auf einer Gipfelkonferenz am 21. Juni 1983 vor die Vereinten Nationen gebracht werden kann« [30/12/82]. Die PI ist ein Zusammenschluß von über 300 Gruppen ver-
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schiedenster Herkunft, darunter auch die amerikanische »Gesellschaft für Humanistische Psychologie«, die »International Teil-hard Foundation«, die »Schumacher Society«, die »Findhorn Foundation«, das »Forum für Humanistische Psychologie«, »Ananda Cooperation Village« (USA), der »Sufi-Orden« und viele andere Vereinigungen aus der Friedens- und Zukunftsforschung und der ökologischen, alternativen und spirituellen Szene. Nachdem sie am 8. Februar 1982 mit einem großen Empfang in der Kathedrale St. John the Divine in New York hervorgetreten war, versammelte sie im Juni 1983 fast 500 Personen aus 20 Ländern zu ihrem ersten »Planetarischen Kongreß« in Toronto. Für 1986 ist ein weiterer derartiger Kongreß geplant. Koordinierungsstelle für die Arbeit von PI ist Planetary Citizens mit Donald Keys an der Spitze, europäische Koordinierungsstelle ist die Rainbow Foundation in England. Nach C. Cumbey, die davon ausgeht, daß hinter der New-Age-Bewegung eine zentral gesteuerte Verschwörung steht, »scheint die wirkliche Gewalt in der Bewegung gegenwärtig bei denjenigen zu liegen, die hinter der PI stehen.« Die PI soll durch die Arbeit der »Weltdiener« A. Baileys vorbereitet worden sein [21/84]. Wie das Informationsbulletin der PI vom August 1984 zeigt, bestehen tatsächlich Kontakte von Keys zur »Arkanschule«, ebenso wie zu »Findhorn«, während David Spangler zum Leitungsgremium von »Planetary Citizens« gehört. Die vielfältigen Kontakte der hier beschriebenen »Netzwerke« untereinander kann tatsächlich den Verdacht erregen, daß es bereits so etwas wie ein globales Netzwerk gibt, das sich bis hinein in die UNO-Bürokratie erstreckt! Die Verflechtung der UNO in die New-Age-Szene zeigt insbesondere eine weitere in diesem Zusammenhang zu nennende Organisation: das Unity-in-Diversity-Council. Diese Vereinigung geht zurück auf das von der UNO im Anschluß an das »International Cooperation Year« 1965 gebildete »International Cooperation Council«, dessen Arbeit sie 1979 übernahm. Zu ihren Beratern gehören neben dem stellvertretenden Generalsekretär der Abteilung für Wirtschaft und soziale Angelegenheiten der UNO, dem Elsässer Robert Müller, auch Personen wie Peter Caddy und Swami Kriyananda. Dieses Gremium finanzierte u. a. auch das
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»Festival for Mind-Body-Spirit« in Los Angeles und San Franzis-ko. Zu seinen Mitgliedern gehört nach C. Cumbey neben der Findhorn-Foundation auch Elisabeth Cläre Prophets »Summit University« und das ominöse TARA-Center, das für die Anzeigenkampagne im Zusammenhang mit Benjamin Cremes Ankündigung des »Maitreya Christus« verantwortlich zeichnete. Auch Creme selbst soll von ihm finanziert worden sein [21/197]! Cremes Zeitschrift »Share International« veröffentlichte 1983 eine Rede von Robert Müller über »Die Zukunft der Vereinten Nationen«, in der sich Müller in typischem New-Age-Jargon äußerte: Die Zukunft der UNO werde grundlegend bestimmt sein »durch den unerbittlichen Druck tieferer Strömungen, die die Evolution der Menschheit erfaßt haben«, durch »das unaufhaltsame Vorwärtsschreiten der Menschheit zu größerer körperlicher, mentaler, moralischer und spiritueller Vollendung«, durch »die Geburt einer weltweiten menschlichen Gemeinschaft — schließlich nach Millionen Jahren der Evolution Einheit und Verschiedenheit bis herunter zu jedem einzelnen Menschen«. Daraus zog er als Zukunftsaufgabe für die UNO unter anderem die Folgerung: eine »Schule des Lernens« für neue Verhaltensweisen zu sein, »die Hoffnung auf eine höhere Ebene der Zivilisation und ein Bild dieser zu erwecken, zu inspirieren und dazu beizutragen, es jetzt zum ersten Mal in der gesamten Menschheit zu verwirklichen« und »zu helfen, die überkommenen Fehler aus früheren evolutionären Perioden auszulöschen«, für »eine globale Erziehung der Weltbevölkerung zu sorgen und ihre wachsende Teilnahme an der Gestaltung ihres eigenen Schicksals zu bewirken«: »Aus dieser Sicht«, so Müller, »möchte ich voraussagen, daß die UN und ihre amtlichen Dienststellen und Programme die gewaltigste Friedenskraft sind, die die Menschheit jemals geschaffen hat, und stufenweise zum globalen Hirn, Nervensystem, Herz und Seele einer menschlichen Spezies werden, die sich zu einer völlig neuen globalen Zivilisationsperiode hinentwickeln wird.« Wahrhaft beängstigende Aussagen eines UNO-Funktionärs! Doch ist damit noch nicht der ganze Horizont abgeschritten, der sich durch den Zusammenschluß der im »Arbeitskreis Synthese« verbundenen Gruppen und Richtungen für die New-Age-
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Bewegung auftat. Der Arbeitskreis fühlte sich in der Zielsetzung, »eine Zusammenarbeit der integrativ denkenden und arbeitenden Bestrebungen herbeizuführen«, auch mit den Idealen der »INTA — International New Thought AUiance« verbunden, um die es lange still war [30/2/1983; 28]: Diese in Amerika Ende des 19. Jahrhunderts entstandene geistige Erneuerungsbewegung in der Tradition des Deutschen Idealismus trat in jüngster Zeit wie der stärker öffentlich in Erscheinung, als sie im Oktober 1983 im Frankfurter »CP Plaza Hotel« den »1. Europäischen INTAKongreß — Dem WAHREN, SCHÖNEN, GUTEN« abhielt. Auftakt des Kongresses war die konzertante Aufführung von »NADA BRAHMA — DIE WELT IST KLANG« mit Joachim E. Behrendt und Gert Westphal im Großen Saal der Alten Oper in Frankfurt. Die Präsidentin der »INTA-Europa«, Rosemarie SchneiderFalkenstein, ist zugleich erste Vorsitzende des »CSA Europa. Centrum für Selbst-Aktivierung e.V.«, einer Vereinigung aus der »Neugeist-Bewegung«, die unter dem Motto »Entfalte Dein inneres Potential!« Intensiv-Seminare und Kurse, vornehmlich in Kurzentren, durchführt, darunter T'ai-chi, Body-Building, Shiatsu und Yoga-Therapien. Mitglied im Arbeitskreis Synthese war auch das seit 1979 existierende »FORUM INTERNATIONAL. Forum für Humanistische Psychologie und Psychotherapie e.V.«. Das FORUM INTERNATIONAL ist seit Herbst 1983 in Freiburg i. Br. ansässig. Es führte im September 1983 in Alpach in Tirol eines der bisher spektakulärsten Ereignisse in der Geschichte der New-AgeBewegung durch — die Konferenz »Andere Wirklichkeiten — Die Konvergenz neuer Naturwissenschaften und alter spiritueller Traditionen«, auf der es zu einer Begegnung zwischen östlicher Mystik und westlicher Wissenschaft kam. Teilnehmer waren u. a. der Dalai Lama, die Physiker David Bohm und Fritjof Capra, der Biochemiker Rupert Sheldrake, der Historiker Morris Berman und andere führende New-Age-Denker. Eine ähnliche Veranstaltung mit der New-Age-Prominenz war für 1985 auf Malta aus Anlaß des 40jährigen Bestehens der Vereinten Nationen unter dem Titel »Der Geist des Friedens: Kultur,
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Religion und Wissenschaft am Wendepunkt« geplant, mußte aber wegen politischer Schwierigkeiten kurzfristig nach Amsterdam verlegt werden. Die 1984 durchgeführten »New Age Tage Zürich« mit M. Ferguson u.a. hatten eine mehr kommerzielle Ausrichtung und konnten keine praktischen Impulse vermitteln. Diese Veranstaltungen gehören auch, ebenso wie die »Erste Europäische Transpersonale Konferenz« im September 1984 in Brüssel mit M. Ferguson, E. Kübler-Ross, Ilya Prigogine, Stanislav Grof, Pir Vilayat Inayat Khan, Sir George Trevelyan u. a., bereits in ein anderes Kapitel der New-Age-Bewegung.
4. »Human Potential Movement« — Psychologie im Dienste des New Age Ereignisse wie die Konferenz von Alpach, die weltweiten Aktivitäten der im Schatten der Vereinten Nationen tätigen Vereinigungen oder der Erste Europäische Transpersonale Kongreß machen deutlich, daß die »New-Age-Spiritualität« über die Alternativszene hinaus längst auch die »etablierten« Kreise der westlichen Gesellschaften erreicht hat [2/421]. Bereits mit der noch dem »alternativ« orientierten Bereich zuzuordnenden Zeitschrift »Trendwende«, die offenbar M. Fergusons »Brain/Mind Bulletin« und »Leading Edge« zum Vorbild hat, ist die Grenze zum »etablierten« Bereich heutiger Psychologie, Naturwissenschaft und Zukunftsforschung erreicht. Das Magazin »Trend Radar« des Unternehmensberaters G. Gerken wird bereits von Industrie managern gelesen, für die das New-Age-Denken zum Monatspreis von DM 47,50 aufbereitet und als Entscheidungshilfe empfohlen wird (vgl. »Management/Wissen« vom Juli 1984). C. Cumbey berichtet von einer Infiltration von Regierung und »big business« in den USA [21/129ff.]. So hielt M. Ferguson 1982 auf einer Festveranstaltung des Verteidigungsministeriums eine Rede. Es
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wurde auch versucht, die Unterstützung von Lockheed Aircraft und der Rockefeiler Foundation für das neue Denken zu gewinnen. General Motors, Chrysler und einige Öl-Konzerne bieten für ihre Manager-Kurse in »New Age Thinking« an. Auch in Deutschland gibt es inzwischen geschäftstüchtige Vereinigungen wie »bep« (Bewußtsein-Erweiterungs-Programm), die hier eine Marktlücke entdeckt haben. Anknüpfungspunkt für die »praktische Verwertbarkeit« der New-Age-Spiritualität sind vor allem die Psychotechniken, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden. In erster Linie ist hier die sogenannte »Human-PotentialBewegung« zu nennen, die natürlich auch viele Beziehungen zur jugendlichen Subkultur aufweist, aber doch allein schon, was die Preise der von ihr durchgeführten Veranstaltungen betrifft, mindestens auf den Mittelstand zugeschnitten ist. Die Bezeichnung »Human-Potential-Bewegung«, die manchmal geradezu synonym zu »New-Age-Bewegung« verwendet wird [12/3], wurde in den 70er Jahren »für eine Reihe psychologischer Schulrichtungen, Zentren und Organisationen« geprägt, die Sensitivitäts-Trainings und Selbsterfahrungsgruppen (encounter) betreiben [13/212]. Sie ist sozusagen die »Bewußtseinsfabrik«, in der das neue Bewußtsein, die neue Spiritualität, die der Zeitenwende gemäß ist, produziert wird: »Während die früheren Weltzeitalter — wie das vergehende im Zeichen ,Fische' — durch einen unbewußten Ideologischen Prozeß zu dem wurden, was sie astrologisch darstellen, muß jetzt das Ruder des Bewußtseins in die Hand genommen werden«, heißt es in einer Übersicht über New-Age-Zentren in Amerika in der Zeitschrift »Esotera« [24/1980/1106]. New Age und Selbsterkenntnis sind beinahe Synonyma: »Das New Age ist die Erkenntnis unserer selbst.« Es ist »ein großer Schritt zu uns selbst — zurück zu unserer archaischen Einheit von Seele und Körper, von Mensch und Natur; zurück zu einer Verbindung, die nur noch in den Mythologien sogenannter Primitiver zu finden ist« [24/1980/1113]. Zur »Human-Potential-Bewegung« zählt man u. a. die sogenannte »Gestalttherapie« von Fritz Perls, die »Bioenergetik« von
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Alexander Löwen, einem Schüler von Wilhelm Reich, der die Vorstellung von einer »kosmischen Urenergie« oder »Bioenergie« entwickelte, sowie die »Vereinigung für Humanistische Psychologie«, die 1962 von E. Fromm, V. Frankl und Abraham Maslow gegründet wurde. 1962 wurde auch das »Esalen-Zentrum« von Michael Murphy und Richard Price in Big Sur in Kalifornien gegründet, das auch östliche Meditationstechniken in seine Arbeit aufnimmt. Es liegt auf einem alten Kultplatz der Indianer und hat seinen Namen von einem in der Gegend ansässigen Indianerstamm! Die letzten Jahre standen immer mehr im Zeichen der Entwicklung einer neuen Richtung: der »Transpersonalen Psychologie«, auch »die vierte Kraft« (nach Behaviorismus, Psychoanalyse und Humanistischer Psychologie) genannt. A. Maslow rechtfertigt den Übergang zu dieser neuen Richtung im Vorwort zu seiner »Psychologie des Seins« (München 1973) mit den Worten: »Ich sollte auch sagen, daß ich die Humanistische Psychologie als vorübergehend betrachte, als Vorbereitung für eine noch .höhere' vierte Psychologie, die transpersonal, transhuman ist, ihren Mittelpunkt mehr im Kosmos hat als in menschlichen Bedürfnissen und Interessen, und die über Menschlichkeit, Identität, Selbstverwirklichung und ähnliches hinausgeht. Diese neuen Entwicklungen können sehr wahrscheinlich eine greifbare, mögliche und wirksame Befriedigung des frustrierten Idealismus' vieler still verzweifelter, besonders junger Menschen bieten. Diese Psychologien können sich zu der Lebensphilosophie entwickeln, dem Ersatz für die Religion, dem Wertsystem und Lebensprogramm, das diese Menschen vermißt haben. Ohne das Transzendente und Transpersonale werden wir krank, gewalttätig und nihilistisch. Wir brauchen etwas ,Größeres, als wir es selbst sind', um Ehrfurcht davor zu empfinden und uns in einer neuen, naturalistischen, empirischen, nichtkonfessionellen Weise zu engagieren.« (»Zeitschrift für Transpersonale Psychologie« Nr. 1/1982, S. 33) In deutlicher Absetzung von den vorangegangenen Richtungen soll wieder die »Seele«, sollen Fragen nach dem Sinn der Existenz und soll vor allem die Erfahrung der Transzendenz in den Mittelpunkt gestellt werden. Nach der Definition von Anthony J.
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Sutich (1907—1976) befaßt sich die »Transpersonale Psychologie« vor allem mit dem »Werden, mit Meta-Bedürfnissen, letzten Werten, vereinigendem Bewußtsein, Gipfel-Erlebnissen, Seins-Werten, Ekstase, mystischen Erfahrungen, Ehrfurcht, Sein, SelbstAktualisierung, Seligkeit, Wunder, letztem Sinn, kosmischer Bewußtheit, Einssein, Transzendierung des Selbst, Geist (das Spirituelle), Sakralisierung des Alltagslebens, transzendenten Phänomenen« (ebd., S. 48). Ein wichtiger Vertreter dieser Richtungen ist heute der in New-AgeKreisen hoch angesehene tschechisch-amerikanische Psychia ter Stanislav Grof, der auch der Leitung des Esalen-Instituts angehört. Auf der »Ersten Europäischen Transpersonalen Konferenz« 1984 in Brüssel stellte er zusammen mit seiner Frau sein neues Projekt eines »Spiritual Emergency Network« (SEN) vor, das therapeutisch ausgebildete Begleitpersonen speichert, die Menschen in psychischen Krisen auf der Grundlage der »Transpersonalen Psychologie« Beistand leisten können. Diese Grundlagen lassen sich bei Grof selbst auf die Formel Psychose als Therapie bringen, sofern er in den außerordentlichen Bewußtseinszuständen, die Uneingeweihte als »Psychose« bezeichnen würden, »transpersonale Erfahrungen« sieht, die als »Selbsthilfe der Seele« erscheinen, um einen Heilungsprozeß zu bewirken. Zu diesem Zweck verwendet Grof auch LSD in seiner Therapie, nachdem er selbst Drogenerfahrungen gemacht hatte, die er mit den mystischen Erfahrungen der Religionen gleichsetzte. Grof identifiziert sich zwar, wie »Die Zeit« im letzten Jahr berichtete, nicht völlig mit der New-Age-Bewegung: »Das ist ein dicker Sack voll unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Methoden, einige vernünftig, einige verrückt.« Es ist jedoch klar, daß gerade die »Transpersonale Psychologie« ein wesentlicher Bestandteil des New-Age-Bewußtseins ist und in den »transpersonalen Erfahrungen«, in der »Selbsttranszendierung« die RegenbogenBrücke vom Ich zum Göttlichen im Kosmos baut. R. Hummel schreibt in seinem Kongreßbericht von Brüssel (abgedruckt im »Materialdienst der EZW« 11/1984): »Das ,Transpersonale', wie es auf dem Kongreß beschworen wurde, weist in der Tat eine große Übereinstimmung mit dem Göttlichen
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auf, wie es vor allem in der asiatischen Mystik vorgestellt wird: Es ist das Eine, in dem das Individuum aufgehen und mit dem es verschmelzen kann; es ist die ursprüngliche Energie, die in höheren Bewußtseinszuständen erfahren wird und das Individuum ebenso wie den gesamten Kosmos erfüllt.« Die Nähe zum theosophischen Okkultismus braucht nicht besonders betont zu werden, denn sie liegt auf der Hand. »Es wird sich zeigen«, so Hummel weiter, »ob sich das Banner des Transpersonalen neben der WassermannFahne des ,New Age' etablieren und behaupten kann, oder ob beide friedlich vereint dem gleichen Zug den Weg weisen werden.« In Deutschland wird die transpersonale Richtung vor allem durch die »Gesellschaft für Transpersonale Psychotherapie« (GTP) in Freiburg vertreten, die seit 1982 auch die »Zeitschrift für Transpersonale Psychologie« herausgibt. Im GTP-Verlag erschie nen auch die Werke von Sir George Trevelyan zuerst in deutscher Übersetzung, was die enge Verflechtung mit der New-Age-Bewegung dokumentiert. In einem Beitrag »New Age — was ist das eigentlich?« in der Zeitschrift »Esotera« (1980/141 ff.) nennt Dr. Erhardt Hanefeld, Leiter der 1977 gegründeten »Gesellschaft für Transpersonale Psychotherapie«, die folgenden fünf Kriterien für das New-Age-Be wußtsein: Synthese
»Eines der wichtigsten Kennzeichen des Neuen Zeitalters ist das synthetische Prinzip. Die bisherige Zeit ist durch ein analytisches, zergliederndes Vorgehen gekennzeichnet. Eine Persönlichkeit mit einem ,New-Age-Bewußtsein' wird daran zu erkennen sein, daß sie bei einer Konfrontation mit verschiedenen Ansichten imstande ist, diese in einen Zusammenhang zu bringen, anstatt die einzelnen Ansichten gegeneinander auszuspielen, und den Wahrheitsaspekt jeder isolierten Aussage herauszustellen.« Gruppenbewußtsein
»Kennzeichen des New Age ist, daß hier eine neue Bewußtseinsstufe zu erreichen versucht wird — eine neue Form des Gruppen-
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bewußtseins, nicht auf einer vor-individuellen Stufe, sondern nach Erreichen der höchsten Ich-Bewußtheit, der höchsten Ausreifung der individuellen Persönlichkeit. Dann wird es möglich sein, eine neue Form des Bewußtseins anzustreben, in der verschiedene Einzelbewußtseins sich verbinden und zu einer neuen, höheren aufsteigen, von deren Kraft und Bedeutung wir uns bisher noch kaum eine wirkliche Vorstellung machen können.« Taoistisches Führungsprinzip
»Lao-tse beschreibt den seiner Ansicht nach besten Führer mit den Worten: ,Doch von ihnen, wenn ihr Werk vollbracht ist, bemerken alle Leute: ,Wir haben es selbst getan.'' In der neuen Zeit wird jeder einzelne aufgerufen, den ,Guru in sich' zu suchen, wird eher einen eigenen Zugang zum Spirituellen suchen, als sich auf die Vermittlung eines ,Erleuchteten', eines Menschen mit hohem Bewußtsein zu verlassen. Diese neue Führungsform bedeutet aber nicht so etwas wie das Laisser-faire-Prinzip. Sie ist im Gegenteil durch strenge Disziplin und Ausrichtung an geistigen Gesetzen bestimmt.« Erweitertes, spirituelles Bewußtsein
»Dieses Bewußtsein mißtraut jeder von außen kommenden Autorität und vertraut nur noch der eigenen Erfahrung. Die Transzendenz wird als Erfahrungsmöglichkeit begriffen. So werden New-Age-Gruppen und -Bewegungen in Gang gesetzt von Menschen, die ein klares inneres Wissen um eine geistige Dimension haben und klare Vorstellungen darüber, wie die drohende Katastrophe zu verhindern ist.« Bewußtsein der menschlichen Krise
»Die apokalyptische Vision ist zur Wirklichkeit geworden — nur tragen die apokalyptischen Reiter heute eher die Namen chemischer Fabriken, von Atomkraftwerken und Rüstungsbetrieben. Das klare Wissen darum gehört zum wesentlichen Element des ,New-AgeBewußtseins'. Entweder das New-Age-Bewußtsein breitet sich über die ganze Welt aus oder es wird bald überhaupt kein Bewußtsein auf diesem Planeten mehr geben.«
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In diesem Zusammenhang ist auch Werner Erhards EST (»Erhard Seminar Training«) zu nennen, mit dem die Tradition des Okkultismus in der »Human-Potential-Bewegung« Fuß faßt. Auch »EST« (vgl. »Materialdienst der EZW« 1984, S. 73 ff.) gehört zu den Gruppen, denen es um »transpersonale Erfahrungen« geht, d. h. um die Überwindung der Identifizierung des Menschen mit seinem Körper und mit seinem Intellekt und um die Re-Identifizierung mit dem »Selbst« (die alte gnostische Frage nach dem »wahren Selbst«) und mit dem »Sein«. Ziel ist die Befreiung des wahren Personenkerns von den Zwängen der Außenwelt — eine typisch gnostische, in diesem Fall sogar dualistische Denkstruktur! Ein typisches Beispiel für die Indienstnahme der modernen Psychologie durch die New-Age-Bewegung ist auch der ehemalige Physiker und Mathematiker Peter Russell, der sich unter dem Einfluß Maharishi Mahesh Yogis und seiner TM während eines Indien-Aufenthaltes der Psychologie und der Meditation zuwandte. In seinem Buch »The Global Brain« (jetzt auch deutsch: »Die erwachende Erde. Unser nächster Evolutionssprung«) verkündet er das Bevorstehen eines globalen Bewußtseinssprungs der Menschheit, die endgültige Wende in ein neues »Zeitalter des Bewußtseins«, das offenbar seine Abkunft von dem von Maharishi Mahesh Yogi verkündeten »Zeitalter der Erleuchtung« nicht verleugnen kann. Für Russell ist das Jahr 1967 mit dem Höhepunkt der Hippie-Bewegung und dem Beatles-Song »All you need is love« der eigentliche Beginn der »Wendezeit« des Wassermannzeitalters (S. 189). Das »Zeitalter des Bewußtseins« löst die vorhergehenden Zeitalter der Information, der Industrie und der Nahrungsmittelproduktion ab und leitet eine auf der Erweiterung des Bewußtseins basierende völlig neue Stufe der Evolution ein: die Entstehung eines »globalen Hirns« der Menschheit, die sich bereits in der rasanten Entwicklung der Kommunikationstechnologien andeutet. In einem Interview mit dem »New Age Journal« erläuterte Rüssel, der einen lukrativen IBM-Forschungsauftrag zugunsten einer Untersuchung über TM und der Übersetzung der Upanischaden ablehnte, seine Theorien, daß die Bereiche der »Bewußtseinsverarbeitung«, der »Human-Potential-Bewegung« —
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d. h. spirituelle Techniken, therapeutische Techniken, Workshops — sogar noch schneller wachsen als die Computerindustrie und die Industrie der Datenverarbeitung. Der »primäre Sprung innerhalb der menschlichen Evolution« sei die Evolution des Bewußtseins: »Zuerst geschah die Evolution der Materie, dann die Evolution des Lebens und jetzt die Evolution des Bewußtseins.« Dem Gedanken des »Netzwerks« als dem kollektiven Nervensystem der ganzen Menschheit bei Ferguson entspricht seine Vorstellung, daß wir uns im New Age »nicht mehr als isolierte Einzelmenschen betrachten; wir werden wissen, daß wir Teil eines extrem schnell integrierenden globalen Netzes sind, die Nervenzellen eines erwachten globalen Gehirns« [25/Nr. 36/18]. »Nach Gruppenbewegung und Okkultismus ist Transpersonalisation nun eine Psycho-Mode auch in Westeuropa«, überschrieb »Der Spiegel« im Oktober 1983 den Bericht eines Mitarbeiters über »Esalen« und die Ausbreitung der »transpersonalen Bewegung« (10. 10. 1983, S. 268) — wobei der »Transpersonalismus« eben selbst eine Form des »Okkultismus« ist — im Sinne der Annahme der Okkultbewegungen nämlich, daß die Ebene der sichtbaren Welt von anderen Wirklichkeitsebenen überlagert wird, zu denen der Mensch von sich aus, durch geistige Konzentration usw. Zugang hat und in denen er »Reisen« in eine andere Welt unternehmen kann. Die modernen »Reiseführer« sind die trans personalistischen Psychologen und »Reinkarnationstherapeuten«, die, wie Grof, auch »vorgeburtliche Erlebnisse« mit in ihre Therapie einbeziehen. Wer den Annoncenteil der Zeitschrift »Psychologie heute« aufschlägt, bekommt einen Eindruck, wie weit die gegenwärtige Psychologie bereits von Okkultismus und östlichen Weltanschauungen unterwandert ist. Wie etwa im rosenkreuzerischen Okkultismus geht es auch in der transpersonalistischen Psychologie — so Gerhard Marcel Martin, der diese Bewegung in USA beobachtet hat — um die »Zeit und Raum transzendierende Erfahrung des Strömens kosmischer Energie«, in der sich der Mensch »bis zur Exkarnation, d. h. bis zum meditativen Verlassen seiner selbst, verlieren kann (ohne verloren zu gehen)« [15/125 f.).
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5. Die sanfte Verschwörung In engem Zusammenhang mit der Transpersonalen Bewegung stehen schließlich auch die Anhänger der sogenannten sanften Verschwörung im Zeichen des Wassermanns. Diese »Verschwörer« sind fast alle Transpersonalisten und Mitarbeiter des EsalenInstituts (vgl. »Der Spiegel« vom 10.10.1983, S. 279), die glauben, daß sich weltweit, in allen sozialen und intellektuellen Schichten tatsächlich eine Art »Verschwörung« in Form eines zwar ungesteuerten, aber unaufhaltsamen Bewußtseinswandels der Menschen vollzieht. Ihren Namen haben sie von einem 1980 erschienenen Buchtitel der amerikanischen Wissenschaftsjournalistin Marilyn Ferguson: »The Aquarian Conspiracy« (deutsch 1982: »Die sanfte Verschwörung«, wie der eigentlich »Die aquarianische Verschwörung« lautende Titel nicht ganz zutreffend übersetzt wurde). Marilyn Ferguson wurde 1938 in Colorado in einer Familie italienischer Abkunft geboren und lebt und arbeitet nach ihrem Studium in Los Angeles. Sie ist in zweiter Ehe mit dem Therapeuten Ray Gottlieb verheiratet, der in Los Angeles das »Eye Gym«, ein Zentrum zur Förderung der »Wahrnehmungsprozesse«, z. B. bei Schauspielern, Sportlern und Lehrern, leitet. Ferguson befaßte sich zunächst vor allem mit den Ergebnissen und Konsequenzen der Gehirn- und Bewußtseinsforschung, über die sie in ihrem seit 1975 erscheinenden, in 42 Ländern verbreiteten Informationsdienst »Brain/Mind Bulletin« berichtet (jetzt auch deutsch als Beilage in der Zeitschrift »Sphinx« erscheinend). Ein zweiter Informationsdienst — »Leading Edge« (= »Die vorderste Front«; erscheint deutsch im »Trend-Radar« von G. Gerken) — enthält vor allem ihre Beobachtungen zu den sozialen Umwälzungen unserer Zeit. 1983 wurde sie mit dem Ehrendoktortitel der John F. Kennedy-Universität in Orinda/Kalifornien ausgezeichnet. Das Buch, das sie mit einem Schlag in der ganzen Welt berühmt machte, wird vom Verlag als »das Handbuch des New Age« bezeichnet. Michael Murphy sagte dazu: »Die Sanfte Verschwörung ist das verständlichste Quellenwerk, das ich kenne, für
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jene Richtung, die man als ,New Age' bezeichnet hat.« Ohne erkennbaren Versuch einer planmäßigen Gesellschaftsreform vollzieht sich im Alltag, in den neuen Psychotechniken, in neuen Formen des Heilens und der Erziehung, der Technik und auch der Religion, die gänzlich in »Spiritualität« transformiert wird, eine neue Daseins- bzw. Bewußtseinsweise des Menschen — seine »Transformation« auf einer »Reise ohne Ziel«. Die »aquarianische Verschwörung« ist gewissermaßen »das Netzwerk aller Netzwerke« oder weltweiten Einzelinitiativen des Bewußtseinswandels. Die Hauptthese Fergusons ist die bereits in anderem Zusammenhang als die Grundanschauung des New-Age-Bewußtseins überhaupt bezeichnete Anschauung der Vereinigung des Menschen mit dem höheren kosmischen Selbst durch Überwindung bzw. Verlust des isolierten Ego: »Das isolierte selbst (seif) ist eine Illusion... Wenn sich das kleine selbst (seif) mit dem großen Selbst (Self) vereinigt, entsteht Kraft...« — wie in einer Armee, wenn alles einem Willen folgt! »Diese Entdeckung läßt Fremde zu Verwandten werden, und wir erkennen ein neues, freundliches Universum« [2/114]. Demgemäß richtet sich die »spirituelle Praxis«, der Bewußtseinswandel des »sanften Verschwörers«, auf die Überwindung seines Alltags-Ich und die Erreichung größerer kosmischer und sozialer Zusammenhänge. Wie wird man und was tut eigentlich ein »sanfter Verschwörer«? Obwohl sich der »Bewußtseinswandel« im alltäglichen Leben vollzieht, wird man es auf kaum andere Weise, als man zum Beispiel Mitglied in okkulten Orden und Logen oder in Mysterienreligionen und östlichen Kulten wird: durch Initiation! Die »Initiation der Verschwörung« ist ein regelrechter Einweihungsweg, analog den »Initiationen« der Gnostiker, der esoterischen Geheimbünde, der Theosophen oder östlicher religiöser Gruppen — jedoch zugeschnitten auf den modernen, säkular eingestellten Menschen des Atomzeitalters und in der Sprache der modernen Psychokultur. Und zwar handelt es sich um einen vierfachen »Stufen-Pfad«, der im Vergleich zu den esoterischen oder östlichen Einweihungswegen durch seine Anspruchslosigkeit verblüfft:
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1. »Einstieg«: Das bisherige Weltbild eines Menschen gerät (meist durch Zufall) ins Wanken. 2. »Erforschung«: Wer nicht vor seiner neuen Erkenntnis zurückschreckt, versucht auf einer neuen Bewußtseinsstufe häufig seine psychische Erschöpfung durch Psychotechniken zu lockern. 3. »Integration«: Gelingt ihm dies, so wird er zunehmend eine Stufe erklimmen, auf der er durch Intuition das rein verstandesmäßige Erfassen der Zusammenhänge überwindet (Ganzheits- und Systemdenken). 4. » Verschwörung«: Auf der Stufe der »Verschwörung« entdeckt das Individuum andere Quellen der Kraft jenseits seines kleinen Selbst und wie sie im Dienst der Menschheit angewandt werden können. Diesen hier kurz zusammengefaßten Initiationsweg beschreibt die Autorin ausführlich in dem Abschnitt »Stufen der Transformation« [2/99 ff.]. Es ist eine Art »Selbstheilungs-« oder »Selbsterlösungsweg«: »Während der transformativen Entwicklung werden wir zu den Künstlern und Wissenschaftlern unseres eigenen Lebens« [2/134]. Mit der 4. Stufe und der Überwindung des Ich hat der Mensch die »Vollendung« erreicht, wie das Ziel der Einweihung in den Mysterien genannt wurde, das bei Ferguson allerdings in der Sprache der modernen Psychokultur zum Ausdruck gebracht wird. Das »transformierte Selbst« des Menschen ist auch Soziologe, Physiker, Architekt, Dichter — fast fühlt man sich an die Utopie von der »Kommunistischen Gesellschaft« bei Karl Marx erinnert, in der »jeder sich in jedem beliebigen Zweig ausbilden kann, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren«. Doch Ferguson macht sofort deutlich, daß sie darin die Verwirklichung des »american dream« sieht, nach dem Motto von Thomas Paine: »Es liegt in unseren Kräften, die Welt erneut entstehen zu lassen« [2/137]. Sie spricht auch von einer »zweiten amerikanischen Revolution«, nach dem 1969 erschienenen Buch »Without Marx or Jesus« von J.-F. Revel, der in den USA »den geeignetsten Prototyp der Weltrevolution« erblickte [2/144].
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Handelt es sich bei dem Einweihungsweg der »sanften Verschwörung« zunächst also um die »persönliche Transformation« des einzelnen, so ist klar, daß auf der vierten und höchsten Stufe dieses Weges bereits die »gesellschaftliche Transformation« erfolgt: »Wenn das individuelle Bewußtsein heilen und transformie ren kann, warum sollte es dann nicht möglich sein, daß sich das Bewußtsein vieler Menschen verbindet, um die Gesellschaft zu heilen und zu transformieren?« [2/105]. Da die Autorin diese Frage bejaht, widmet sie einen Großteil ihrer Ausführungen der Bedeutung des Bewußtseinswandels für die Gesellschaft. Eine zentrale Rolle spielt das »Human-Potential-Movement«, denn auslösendes Moment der »Transformation« sind die Psychotechniken: Meditation, Körpertraining, Zen, Yoga u. a. »Millionen Menschen experimentieren mit den vorhandenen Psychotechnologen. Sie sind in der Lage, eine kohärentere, resonante Gesellschaft zu schaffen — eine Gesellschaft, die in das große gesellschaftliche Hologramm Ordnung eingibt wie die ersten Kristalle in einer übersättigten Lösung. Es mag sein, daß dies der geheimnisvolle Prozeß der kollektiven Evolution ist«. Auch Christus und der christliche Glaube kommen bei Ferguson ganz im Horizont dieser »Bewußtseinsexplosion« in den Blick. Im Sommer 1982 schrieb sie in einem Brief an C. Cumbey: »Meine Definition des Christentums hat sich mit den Jahren erweitert. Seitdem ich mich beispielsweise mit Meditation befaßte, bekam ich eine viel lebendigere Erfahrung der Vision von Christus als jemals durch Predigten und durch das Dogma. Es wird Sie, glaube ich, überraschen zu erfahren, wie sehr die New-Age-Bewegung ihr Zentrum im Christus-Bewußtsein hat. Viele christliche Kirchen sehen, daß unmittelbare spirituelle Erfahrung eine Wiederbelebung für das moderne Christentum bietet« [21/146f.]. Im Hintergrund steht die Identifizierung von Leben und Bewußtsein: »Bewußtsein ist kein Hilfsmittel. Es ist unser Sein, der Inhalt unseres Lebens — des Lebens selbst« [2/418]. Daraus ergibt sich die Hoffnung, durch Bewußtseinsveränderung auch das Leben zu verändern. Ähnlich erwartet auch Peter Russell aufgrund der zunehmenden »Vernetzung« des Planeten einen Bewußtseins- und Lebens-
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wandel in Richtung auf eine universale Erfahrung der Einheit aller Menschen: »Wir haben jetzt die Stufe erreicht, auf der wir erkennen, daß es unmöglich ist, auf einem endlichen Planeten mit gleichzeitig einer fortgeschrittenen Technologie und mit einer sehr beschränkten Form der Selbstbewußtheit zu leben ... Die Wurzeln vieler unserer sozialer Probleme liegen in diesem rigiden Glauben an ein getrenntes Selbst. Individuelle Egos verwandeln sich in nationale Egos, ,Wir' und ,Sie'« [25/Nr. 36/19f.]. Zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit aber sei das Ziel spiritueller Techniken — die Erfahrung des Eins-Seins mit der Welt — durch die modernen Kommunikationssysteme zu einer greifbaren Realität geworden. Die immer rapidere »Vernetzung der Erdoberfläche« wirkt sich aus, »als ob uns Fühler wachsen, die uns ständig mit mehr Menschen direkt verbinden«: »Je rascher wir in das Informationszeitalter eindringen, desto deutlicher wird die Analogie zu den synaptischen Verbindungen der Nervenzellen in unserem Gehirn« [3/191 ff.]. Die »Verfügbarkeit der diversen spirituellen Lehren« macht erstmals die Erfahrung der »Einheit mit dem Rest der Welt« und die Überwindung des Egoismus möglich [25/Nr. 36/19f.]. So waren es auch die Manager einer der modernsten Kommunikationstechniken: des Schweizer Post- und Fernmeldewesens, die Ferguson 1982 erstmals nach Europa zu einem Symposium über Medien der Zukunft holten (als »Ersatz« für den gerade verstorbenen Erich Fromm)! Der »optimistische westliche Monismus« Fergusons beruht, wie Kritiker ihres Buches erkannt haben, auf einer fundamental gnostischen Anschauung: Aus theologischer Perspektive vertritt es die alten gnostischen Spekulationen auf monistischer Grundlage, in New-Age- und psychowissenschaftliche Terminologie verkleidet. »Traditionelle Religion« — so die Bezeichnung für das Christentum — erscheint letztlich als Stein des Anstoßes im Prozeß der evolutionären »Transformation« in das Neue Zeitalter. Dies wird von der Autorin selbst ausgesprochen, nach der die Themen der Transformation zuerst von Alchimisten, Gnostikern, Kabbalisten und Geheimgesellschaften übermittelt wurden [2/52].
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6. Systemtheorie Wissenschaftstheoretisch ist das New-Age-Bewußtsein durch den Übergang zu einer neuen Denkweise in »vernetzten Systemen«, der sogenannten Systemtheorie, gekennzeichnet. Bei diesem »Systemdenken« handelt es sich um eine »ganzheitliche Betrachtungsweise der Wirklichkeit« [1/10]. Als die beste Darstellung die ses Systemdenkens gilt in einschlägigen Kreisen »Die Selbstorganisation des Universums. Vom Urknall zum menschlichen Geist« des Astrophysikers Erich Jantsch (1929—1980) aus der Schule des Nobelpreisträgers Ilya Prigogine. Der bei einer Flugzeugkatastrophe ums Leben gekommene Jantsch war auch Mitbegründer des »Club of Rome« und OECD-Berater. Er genießt noch höheres Ansehen als der bekannte Atomphysiker und Heisenberg-Schüler Fritjof Capra (geb. 1939 in Wien), der neben seiner Lehrtätigkeit in Berkeley auch in »Esalen« tätig ist und überhaupt stark von der »transpersonalen Bewegung« beeinflußt ist. Mit seinem Bestseller »Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild« [1] hat er die New-Age-Spiritualität sozusagen wissenschaftlich salonfähig zu machen versucht, indem er die Übereinstimmung zwischen der modernen naturwissenschaftlichen Weltanschauung seit Einsteins Relativitätstheorie mit ihrem Abrücken vom mechanistischen Kausalitätsdenken und den weltanschaulichen Perspektiven eines »ganzheitlichen« Weltbilds in den östlichen religiösen Traditionen nachzuweisen versuchte. Damit hat er zweifellos ein altes Motiv des Okkultismus wiederentdeckt — die untrennbare Einheit von Geist und Materie in der Auffassung von der Welt als einer »systemischen Ganzheit«. Wissenschaftler vom Range Heisenbergs, Bohrs oder Oppenheimers hätten dies bereits bei der Schaffung der Grundlagen der heutigen Wissenschaft erkannt. Parallelen zwischen Wissenschaft und mystischen Traditionen aber können wir nach Capra deshalb ziehen, weil »die Wissenschaft ein ökologisches Weltbild bietet«, das »letztlich ein spirituelles Weltbild ist. Denn Ökologie — und ökologisches Bewußtsein — betont die innere Verknüpftheit und Vernetzung aller Phänomene... Und dieses ökologische Bewußt-
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sein kommt jetzt in unserer Gesellschaft an mehreren Stellen heraus: Es kommt heraus in der Wissenschaft durch Ökologie, Systemtheorie, moderne Physik und andere Wissenschaften und ganz klar auch in der Psychologie, gerade der humanistischen und transpersonalen Psychologie. Und dann kommt es heraus in verschiedenen sozialen Bewegungen: in der Ökologiebewegung, in der ganzheitlichen Gesundheitsbewegung, im Feminismus, in der Friedensbewegung... Ich glaube, daß diese Strömungen so stark sind, daß sie absolut zu einem Umschwung führen« [3/131 ff.]. In »Wendezeit« charakterisiert Capra dieses neue Weltbild der Wissenschaft als »das im Entstehen begriffene Systemverständnis von Leben, Geist, Bewußtsein und Evolution«, dem eine »ganzheitliche Auffassung von Gesundheit und Heilen, die Integration der abendländischen und der östlichen Auffassung von Psychologie und Psychotherapie« entspricht sowie »eine ökologische und feministische Perspektive, die ihrem tiefsten Wesen nach spiritueller Natur ist und tiefgreifende Veränderungen unserer gesellschaftlichen und politischen Strukturen hervorrufen wird« [1/11]. Der Gehirnforscher Karl H. Pribram vertritt dieses neue wissenschaftliche Paradigma in seiner »holographischen Theorie« der Hirnfunktionen ebenso wie der Biochemiker Rupert Sheldrake auf dem Gebiet der »Systembiologie«, der Psychologe Peter Russell oder der »Bioszientist« James E. Lovelock mit seiner »GaiaHypothese«. Alle diese Forscher stimmen darin grundsätzlich überein, daß sie ihren jeweiligen Forschungsgegenstand als ein »Systemphänomen« auffassen, wobei die Popularität Capras wohl darauf beruht, daß er in »Wendezeit« erstmals eine zusammenfassende Übersicht über all diese Ansätze in den verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen aus den letzten Jahren vorgelegt und diese populär gemacht hat. Eine Schlüsselstellung hat darin der Abschnitt »Das Systembild des Lebens« [1/293 ff.]. Für den menschlichen Geist als »Systemphänomen« bezieht er sich dabei vor allem auf den in New-Age-Kreisen höchstes Ansehen genie ßenden englischen Anthropologen Gregory Bateson [1/322—24], für die neue Auffassung von der menschlichen Seele als »Phänomen der Selbstorganisation« beruft er sich auf C. G. Jung und Wilhelm Reich [1/414], für die Frage nach dem freien Willen des
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Menschen als relativem Begriff beruft er sich auf die Mystik und ihre Lehre von der Transzendierung aller Ich-Empfindungen (»entledigen«) [l798f.], für die neue Auffassung der Identität der menschlichen Person als »Identität eines Rhythmus« auf George Leonard (»The Silent Pulse«, New York 1981) und auf das holographische Modell des Gehirns bei Pribram [1/334f.]. Das Wesen des Hologramms besteht darin, daß es das Ganze in jedem seiner Teile kodifiziert. Die Auffassung vom Gehirn auf der Basis eines holographischen Modells beruht vor allem darauf, daß das Gehirn Informationen nicht lokal speichert, sondern sie breit verstreut, so daß es selbst bei schweren Verletzungen voll funktionsfähig bleiben kann. Da sich ähnliche Ergebnisse auch von anderen Wissenschaftszweigen erkennen lassen, ergibt sich nach Capra der Gedanke, »daß die Holonomie — das Ganze ist in jedem seiner Teile enthalten — eine universale Eigenschaft der Natur sein könnte« [1/335]. Es fragt sich allerdings, ob hier nicht etwas unter neuem Etikett verkauft wird, was vor einigen Jahren noch unter dem von Norbert Wiener (1895—1964) geprägten Begriff Kybernetik berühmt und berüchtigt war! Auch wenn damit der Kritik des »New Age« im folgenden Teil bereits vorgegriffen wird, so seien hier doch einige in diesen Zusammenhang gehörende, insbesondere für die theologische Auseinandersetzung wesentliche Gesichtspunkte erwähnt: Zunächst einmal ist das Erscheinen der Bücher Capras auch von der Theologie als bedeutsames Ereignis zu würdigen, nimmt er doch die Fragen auf, die in der evangelischen Theologie — von dieser selbst zu ihrem eigenen Schaden weitgehend vergessen — am Anfang dieses Jahrhunderts bereits Karl Heim als die entscheidenden weltanschaulichen Fragen bearbeitet hat: »Zu Beginn unseres Jahrhunderts brachten zwei umwälzende Theorien das klassische ,objektive' Bild der Natur ins Wanken: Die Relativitätstheorie Einsteins und die Quantentheorie Plancks. Heim sah in dem Zusammenbruch der Absoluta Raum, Zeit, Materie und Determination die große Götzendämmerung anbrechen, eine neue Denkmöglichkeit des Glaubens... Was wir aus der ganzen
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dramatischen Entwicklung hier nur hervorheben können, ist der Tatbestand, daß das seit Descartes gültige Subjekt-Objekt-Schema nicht mehr tauglich ist zur Beschreibung der elementaren Zusammenhänge der Natur. Das die Natur befragende Subjekt muß mit berücksichtigt werden. Derselbe Sachverhalt mit Worten Heisenbergs ausgedrückt: ,Wenn von einem Naturbild der exakten Naturwissenschaften gesprochen werden kann, so handelt es sich nicht mehr um ein Bild der Natur, sondern ein Bild unserer Beziehungen zur Natur'« (H. W. Beck, »Der Mensch und die Denkmaschine«, Stuttgart 1971, S. 28 f.). Aus diesen Ausführungen von Horst W. Beck geht hervor, daß das, was Capra aufgreift, der Theologie mindestens schon seit einem Jahrzehnt (1976), eigentlich aber seit Karl Heim mehr oder weniger bewußt war. »Mit dem ,Weltbild der Zukunft' hat Karl Heim schon 1904 die Theologen programmatisch mit dem Zusammenbruch des deterministischen Weltbildes konfrontiert« (H. W. Beck, »Weltformel contra Schöpfungsglaube«, S. 21). Eine fruchtbare theologische Auseinandersetzung mit Capra durfte sich in Zukunft am besten in der Wiederaneignung des Lebenswerks dieses vergessenen Theologen vollziehen, den — so Beck — »der Umbruch an den Fundamenten der Naturwissenschaft von der klassischen zur neuen Physik« seinerzeit »zu seinem Entwurf stimuliert hat« (ebd. S. 28). Schon lange vor Capra wurde also festgestellt, daß das Descartsche »Paradigma« unzureichend ist für die Beschreibung der Wirklichkeit. Zwischen Descartes' Welt als »Maschine« mit ihrer Trennung vom Denken und Capra steht die Herausforderung durch die »denkende Maschine« (vgl. ebd. S. 6). Bereits mit dem Durchbruch der Computer-Technik in der Mitte des 20. Jahrhunderts war das Descartsche Paradigma in Frage gestellt und gleichsam ein neuer Evolutionssprung eingeleitet. Andererseits fragt es sich, ob Capra wesentlich Neues gegenüber dem »Holismus« des »Informationszeitalters«, der totalen Vernetzung der Menschheit durch computergesteuerte Information bringt. Und zwar vor allem im Blick auf die Überwindung der Gefahr, die davon ausgeht, daß der mechanische Computer in den Bereich des Geistes und der Kommunikation einbricht.
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Capra bezeichnet sich selbst als Vertreter der Systemtheorie. Darunter versteht man die erweiterte Form der »Kybernetik«, der Wissenschaft von den Informations- und Regelprozessen in Maschinen, Lebewesen und sozialen Gemeinschaften. In den 60er und 70er Jahren wurden bereits die Gefahren dieser »kybernetischen Systemtheorie« breit diskutiert. Die »Regelkreistheorie«, der »Gestaltkreis« V. von Weizsäckers oder das »Handlungskreismodell« Gehlens als Ansätze eines »strukturell ganzheitlichen Denkens« (ebd. S. 8) sind die Vorläufer der heutigen populären Theorien namhafter New-Age-Denker: »Die kybernetischen Modelle«, stellt Beck fest, »sind deshalb so bestechend, weil sie im Gegensatz zu den mechanistisch-klassischen Modellen der Naturwissenschaft und Technik nicht invariant gegen die Zeit, den Ort und den Beobachter oder Modellkonstrukteur und dennoch exakt, das heißt mathematisierbar, sind. In der kybernetischen Systemtheorie braucht von der menschlichen Bewertungsfunktion nicht abstrahiert zu werden, die Systeme sind im klassischen Sinne nicht mehr ,objektiv' und geschlossen« (S. 9). Völlig zu Recht meint deshalb der Anthroposoph K. MeyerUhlenried (s. u. »Dokumentation«), hier werde nur etwas unter neuem Etikett verkauft, ohne daß dies ausdrücklich gesagt würde. Man braucht nur die einschlägigen Titel der 60er Jahre aufzuschlagen, wie z. B. »Mensch, Gott und Zahl. Kybernetik im Horizont der Theologie« von Hans Reinhard Rapp (Hamburg 1967), um zu lesen, was heute als die neueste Erkenntnis der New-Age-Denker angepriesen wird: daß sich die alte Frage nach dem Verhältnis von Materie und Geist durch das Erscheinen der Computer völlig neu stelle, ja, es wird sogar schon das New-Age-Stichwort »Transformation« aufgenommen und im Anschluß an Überlegungen von Klaus Meyer zu Utrup über eine »Transformation der Kirche heute« (in: »Theologische Existenz heute« Nr. 135, 1966) eine epochale »Wende« propagiert: »Von der Reformation zur Transformation«! Ähnlich wie in der Einsteinschen Relativitätstheorie Größen, die man für »invariant« hielt — z. B. Raum- und Zeitmaße — »relativ« sind, nämlich im Blick auf ihr jeweiliges Bezugssystem, so gehe es heute um eine »Transformation« der Kirche in ein neues, nicht mehr agrarisch, sondern industriell
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bestimmtes »Bezugssystem«. Schon im Alten Testament habe es solche Transformationen gegeben, z. B. von der Wüste zum Kulturland, die gleichzeitig auch eine Veränderung im Glauben und im Gottesbild bedeuten. Das »Unterfangen einer Reformation als Regelungsvorgang eines statischen Systems« (der Agrargesellschaft) zu bezeichnen, erinnert aber nicht nur in fataler Weise an das vulgärmarxistische Argument, das die Entstehung der Reformation auf Kursschwankungen auf dem englischen Wollmarkt zurückgeführt wissen wollte, sondern es läßt vor allem auch die Frage nach den »Invarianten« des Glaubens unbeantwortet, die schließlich gerade in der Reformation festgehalten wurden: durch die Besinnung auf das Bleibende im Relativen, durch die Konzentration auf die »Mitte der Schrift«, durch die im Glaubensbekenntnis festgehaltenen bleibenden Bestimmungen des Christseins und der Kirche. Aber auch das vorausgesetzte »Bezugssystem« zeigt heute ein völlig anderes Bild als in den 60er Jahren, wenn man der von R. Lutz in seinem Buch »Die sanfte Wende« wiedergegebenen Beobachtung glauben darf, daß die im Energie- und Informationsbereich führenden multinationalen Konzerne bereits seit einem Jahrzehnt »mehr und mehr in den Primärbereich umsteigen, d. h. Land kaufen, um Produktionsflächen und auch die Nahrungsverteilung in die Hand zu bekommen.« Denn es sei, so Lutz, »eine bekannte Tatsache, daß im Falle eines tatsächlichen globalen Finanzbankrotts nur noch die Befriedigung der Grundbedürfnisse von großer Bedeutung ist. D. h. Computernetzwerke oder der Verkauf von Informationen sind irrelevant, wenn es nicht genügend zu essen gibt« (S. 148). Dies ist zugleich eine zentrale Anfrage an alle, die wie P. Russell in der »Transformation« der Gesellschaft durch eine globale Vernetzung nicht nur einen Bewußtseinswandel, sondern auch die Grundlage für einen bevorstehenden Evolutionssprung der Menschheit sehen. Und ferner macht die Rückerinnerung an die Diskussion der 60er Jahre, mit der die heutige »Systemtheorie« im Zusammenhang steht, auch nachdenklich im Blick auf die Möglichkeit einer Verständigung zwischen New-Age-Bewußtsein und christlichem Glauben. »Was
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kommt nach dem New Age?«, so wird in einem »New Age Kalender« für das Jahr 1985 bereits gefragt, und es ist sicher ratsam, diese Frage nie aus den Augen zu verlieren.
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Zweiter Teil
Endzeit oder Wendezeit — Eine neue evolutionäre Religiosität und der christliche Glaube
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Die mit der Zeitenwende des New Age verbundenen Anschauungen der einzelnen Gruppen und Bewegungen konnten hier nur an einigen exemplarischen Beispielen dargestellt werden. In der nachfolgenden Dokumentation können einige Aspekte noch etwas vertieft werden. Zunächst aber geht es um eine kritische Bewertung der Weltanschauung der New-Age-Bewegung und ihrer Spiritualität unter dem Gesichtspunkt ihres Verhältnisses zur christlichen Hoffnung und Heilserwartung. Noch ist nicht abzusehen, ob sich mit dem New-AgeBewußtsein auf Dauer eine die Substanz der traditionellen Religionen, insbesondere des Christentums, weitgehend auflösende neue Religionsform der Zukunft ankündigt, oder ob es sich bloß um eine Modeerscheinung handelt, deren Botschaft immer mehr zum Werbespot verkommt. Zumindest die christlichen Kirchen sind aufgerufen, die weitere Entwicklung intensiv zu verfolgen, denn nicht nur Naturkostläden, Meditationskurse und Fitness-Center, sondern, wie gesehen, auch Volkshochschulen und Kirchengemeinden sind heute schon Umschlagplätze der New-AgeIdeologie — wenn auch bei uns in geringerem Maße als etwa in den USA, wofür C. Cumbey zahlreiche Beispiele liefert [vgl. 21/126 f.]. Die Alternativbewegung (s.o. 1/3) ist sicher heute einer der wichtigsten Träger okkulten und evolutionistischen Gedankenguts im Geiste des New Age. »Die neue Gesellschaft«, gibt Marshall McLuhan eine hier verbreitete Ansicht wieder, »wird eine mythische Einheit sein, eine mit- und zusammenschwingende Welt wie in den alten Stammeskulturen, und die Magie wird in ihr wieder lebendig werden: eine Welt der außersinnlichen Wahrnehmung. Das gegenwärtige Interesse der Jugend an der Astrologie, an der Wahrsagerei, am Okkultismus ist kein Zufall« (»Horoskop und Wassermann«, 1973, S. 9). Die »Drogen-Explosion« der 60er und 70er Jahre, die einer ganzen Generation eine »religiöse Erfah-
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rung« vermittelte, lieferte Tausenden auch die Einstiegsdroge der Initiation ins »Zeitalter des Wassermanns«. Bei der »Human-Potential-Bewegung« (s. o. 1/4) handelt es sich in erster Linie um eine Praxis, wenn auch auf dem Hintergrund neugnostischer Lebens- und Weltanschauung. In der Theosophie (s. o. 1/2) wird die »Religion des Wassermannzeitalters« eng mit der Lehre von den Aufgefahrenen Meistern und damit einer stark spiritistisch geprägten, christlich so nicht akzeptablen Anschauung verbunden: »Das Wassermannzeitalter steht nämlich«, so erfahren wir von dem Theosophen Carl Egon Prinz zu Hohenlohe-Waldenburg, »unter dem vorherrschenden Einfluß des 7. Strahls, also jener göttlichen Kraftströmung, welche die Menschheit allmählich befähigen wird, das Gebot Christi zu erfüllen, das dahin geht: ,Sein Licht leuchten lassen...' Die neue Religion wird nicht mehr bloßes gläubiges Dafürhalten dessen, was vorgeschrieben ist« sein; das »wissenschaftlich begründete Verständnis für Gottes Absichten« und der Zusammenschluß aller Religionen wird erwartet [5/15]. Vielleicht ist der spiritistische und theosophische Synkretismus damit die Vorform einer künftigen Welteinheitsreligion, auf die nicht nur die Bestrebungen der BaileyAnhänger oder einiger Vertreter der UNO-Bürokratie, sondern auch die Ansichten einiger prominenter Naturwissenschaftler über die Bedeutung ihrer Theorien zulaufen. Mit dem Übergang von der für das Abendland bestimmenden christlichen Eschatologie und Enderwartung zur astrologischen Zeitrechnung des »Wassermann-Zeitalters« vollzieht sich im NewAge-Bewußtsein ein sehr bedeutsamer Umschwung zu einem kosmischen Kreislaufdenken: Das »Wassermann-Zeitalter« ist nicht etwa die »letzte Zeit« oder die »Endzeit«, sondern nur ein Zeitalter von 2500 Jahren, dem noch viele weitere folgen sollen. Dementsprechend haben die für dieses Zeitalter gemachten Ankündigungen von der »Wiederkunft Christi« einen völlig anderen Sinn, als der christliche Glaube an den wiederkommenden Herrn. Zwar wird der zweifellos vorhandenen Einbettung des Menschen in die sich in der Natur vollziehenden Kreisläufe in starkem Maße Rechnung getragen, der Mensch fühlt sich einbezogen in
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eine höhere kosmische Einheit. Die christliche Eschatologie mit ihrem zielgerichteten Denken, das Geschichte überhaupt erst ermöglicht und nicht nur den Menschen, sondern auch Gott zu einer Natur und Welt transzendierenden Person macht, anstatt sie im Kosmos aufgehen zu lassen, wird dabei aber stark zurückgedrängt oder überhaupt beseitigt. Freilich darf dies nicht so verstanden werden, als gelte es vom christlichen Standpunkt aus nun einer zyklischen Theorie eine linear-geschichtliche Theorie gegenüberzustellen! »Es klingt unwahrscheinlich, ist aber eine Tatsache, daß viele christliche Denker der Meinung sind, das Kennzeichen des Heidentums sei die zyklische Zeit und erst mit dem Christentum sei die .gestreckte Zeit' in die Welt getreten.« Wie der Theologe W. Philipp hier mit Recht bemerkt, stehen Christen gegenüber zyklischen Theorien leicht in der Gefahr, die Heilsgeschichte als eine »lineare Theorie« aufzufassen und den eigentlichen Gegensatz dann auf theoretischem Gebiet statt im lebendigen Glauben und im Zeugnis für die Wirksamkeit Jesu Christi in der Geschichte bis ans Ende aller Tage (Matthäus 28) zu sehen. »Die lineare Kategorie«, so Philipp, »ist an sich und als solche genauso a-christlich, wie die ZyklusGeschichte« (»Die Absolutheit des Christentums«, S. 224). Er ordnet sie den »stoicheia tou kosmou« (Elemente der Welt; Gala -ter 4, 3) zu — metaphysischen Ideologien, die sich den Menschen als die Wahrheit aufdrängen und sie beherrschen, von denen der Christ aber befreit ist. Die Menschen wollen auch Gott in solchen Kategorien festmachen, weil sie nicht möchten, daß er Gott ist und statt dessen lieber selbst »Gott spielen« wollen. Das meint der christliche Glaube mit »Sünde«. Die Idee des New Age, des WassermannZeitalters, ist eine in höchstem Maße gefährliche Ideologie. Hier wird geradezu abgöttisch der aus-sich-selbst und in-sich-selbst erlösende Geschichtsfluß angebetet. Da es sich bei diesem kosmischen Geschichtsprozeß um eine Aufwärts- oder Höherentwicklung handelt, kann man auch nicht einfach sagen, daß mit der »zyklischen Theorie« des Wassermann-Zeitalters einfach eine Übernahme östlicher religiöser Vorstellungen erfolgt! Reinhart Hummel weist darauf hin, daß die okkultistische Vorstellung vom »new age« der klassischen
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indischen Zukunftsvorstellung sogar »diametral entgegengesetzt ist«, die »von einem zunehmenden Verschleiß kosmischer Energien« ausgeht und damit zu einer Verfallstheorie gelangt [13/184]. Im »New-Age-Bewußtsein« liegt vielmehr eine völlig neue religiöse Idee vor! Es handelt sich im Gegensatz zum klassischen indischen Denken um einen ins Spirituelle hinein weiterentwickelten modernen Fortschrittsglauben an eine zukünftige geistige Höherentwicklung des Menschen, der ohne den westlichen Fortschrittsoptimismus des 19. Jahrhunderts gar nicht denkbar ist. Ähnliches gilt von dem Ansatz der »Transpersonalen Psychologie«: Das Streben nach Verwirklichung des Selbst (»Selbstverwirklichung«), auch unter Verwendung östlicher Techniken, ist ein den östlichen Religionen geradezu entgegengesetztes Streben, sofern, wie R. Hummel feststellt, »die buddhistische Meditation gerade umgekehrt auf die Erkenntnis zielt, daß das Selbst eine Illusionist« [13/215]! Bei Ferguson ist zwar das »kleine« Selbst auch als Illusion bezeichnet; aber der Weg oder die »Transformation« des Lebens zu jenem »kollektiven«, »transzendenten, universellen — höheren — Selbst« [2/115] ist eben ein Akt der »Selbst-Verwirklichung« des Menschen. Die Illusion ist nur die »Isolation« des einen kleinen Selbst [2/118]. Die Überwindung seiner »Isolation« ist auch die Beseitigung dieser »Illusion«! Im Buddhismus dagegen bleibt das »Selbst« Illusion — es gibt so etwas wie »Selbst-Verwirklichung« nicht. »Ich-Verlust«, Beseitigung der Illusion ist im Buddhismus »nicht die Freude des Auf- und Eingehens in den Kosmos, sondern dessen Überwindung« [15/130]. Die »Sanfte Verschwörung« von Marilyn Ferguson ist nur ein Beispiel, das symptomatisch ist für das Umsichgreifen eines neuartigen religiösen Evolutionismus im Zeichen einer neuen Gnosis, der weder mit den klassischen östlichen Religionen noch mit dem Christentum etwas zu tun hat. Die Welt oder der Kosmos sind für diesen »religiösen Evolutionismus« die reale Evolution Gottes, des »höheren Selbst«, das sich in seiner Isoliertheit im »kleinen Selbst« des Menschen nicht selbst verwirklichen kann. Neugnosis — Okkultismus — New-Age-Bewegung erweisen sich in ihren Grundlagen als »Quasireligionen« des modernen Menschen von ein und derselben Art.
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Von (zwischen Religion und Weltanschauung angesiedelten) »Quasireligionen« kann man insofern sprechen, als sie einerseits, wie die Religion, »das Immanenzdenken schroff ablehnen, weil es die Vertikale leugnet«, sich andererseits aber »nicht wie die christliche Verkündigung mit dem bloßen Glauben an die unsichtbare Welt begnügen, sondern selbst transgressive Forschungsreisen« in die okkulten Welten vornehmen (K. Hütten, »Überweltpropheten gegen Diesseitigkeitsapostel« in: »Psi und Psyche«, Stuttgart 1974, S. 88). Die okkulten Welten dürfen aber nicht mit der Transzendenz Gottes verwechselt werden. Ihre »Hierarchien« gehören noch zu dem unserem Geist Immanenten, zur Welt! Echte Transzendenz und damit echte Religion gibt es nur da, wo der Schöpfungsglaube vorausgesetzt und anerkannt wird. K. Hütten hat dementsprechend vorgeschlagen, daß man den Begriff »Okkultismus« überhaupt durch »Transgression« ersetzen sollte, damit deutlich wird, »daß .Transgression' etwas anderes ist als ,Transzendenz': Transgression beruht auf der ontologischen Aussage, daß die Ebene der sichtbaren Welt von anderen Wirklichkeitsebenen überla gert ist; die Transzendenz hat ihren Sitz in der christlichen Gottesauffassung, nach der alle Wirklichkeitsebenen, seien sie ,diesseitig' oder .jenseitig', zur Welt der Schöpfung gehören und damit das Gegenüber Gottes und die Domäne seiner Herrschaft und Gegenwärtigkeit bilden« (a.a.O., S. 82 f.). Formen der »Transgression« begegnen uns aber faktisch nicht nur im esoterischen und okkulten Bereich bis hin zum »New-AgeBewußtsein« und zur »Transpersonalen Psychologie«, sondern auch in vielen anderen weltanschaulichen Strömungen unserer Zeit, für die der religiöse Evolutionismus und Utopismus, die »Transformation« der Welt, einen Ersatz für die verlorene heilsgeschichtliche Zukunftshoffnung bildet und die Welt die reale Evolution Gottes, eines göttlichen Geistes oder eines anderswie bezeichneten »höheren Prinzips« ist. So bei Teilhard de Chardin, der auf der Voraussetzung der Identität von Evolution und Heilsgeschichte den Versuch einer »kosmologischen Transformation« der »Wahrheit des christlichen Glaubens aus einem archaischen in ein modernes Weltbild«
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(H. Lachenmann) unternimmt und dessen Schriften mit den größten Einfluß auf die »Verschwörer im Zeichen des Wassermanns« ausüben [vgl. 2/486]. So auch bei Rudolf Steiner, nach dem der »Sinn der Evolution«, wie in der »Theosophie des Rosenkreuzers« beschrieben, dann erreicht sein wird, wenn der Mensch in der Lage ist, »seinesgleichen zu schaffen«. G. Trevelyan, der Steiners Idee vom »Christus-Impuls« aufnimmt, hat darauf hingewie sen, daß »Steiners klare Wahrnehmungen gewiß das derzeitige Erwachen vorweggenommen« haben [9/37]. Im Zeitalter der neue Perspektiven erfordernden Umweltkrise erscheinen »Transgression« und »Transformation« der Welt in einen höheren Zustand aber auch in ganz säkularem Milieu als Ersatzreligion und als eine aktuelle Versuchung moderner Theologie, und religiöser Evolutionismus ist der eigentliche Hintergrund der großen Faszinationskraft dieser Strömungen. So wird da, wo der jüdisch-christliche Schöpfungsgedanke nicht mehr die fundamentale Voraussetzung christlicher Theologie ist, »Gott« jeden Transzendenzbezugs und damit der Personalität als unverfügbares Gegenüber des Menschen beraubt und »bedeutet dann nicht mehr« — so D. Solle — »eine in einer zweiten Welt beheimatete Übermacht, die von außen in unsere Welt eingriffe..., eine zweite Art von einem unsterblichen allmächtigen Wesen, das uns als Person gegenübersteht«, sondern »die noch nicht erreichte Totalität unserer Welt« (»Der Wunsch, ganz zu sein«, in: »Der unverbrauchte Gott«, S. 14). Transzendenz kann demgemäß von D. Solle und der sich auf sie berufenden »feministischen Theologie« auch umgedeutet werden zur »Fähigkeit, Bestehendes zu durchbrechen, den Status quo zu überwinden, Verhältnisse zu verändern und zu verbessern« und »Sünde und Schuld zu entpersonalisieren«, d. h. zum »bloßen Strukturproblem, sprich: zum Phänomen gesellschaftlicher Abhängigkeit zu machen« (H. V. Herntrich, »Neue Zugänge zur Gottesmutter Maria«, in: »Lutherische Monatshefte« 6/1983, S. 270). In diesem Zusammenhang ist auch das 1982 in deutscher Übersetzung erschienene, aber mehr als 10 Jahre alte Buch »Das Okkulte« von C. Wilson zu nennen, der programmatisch verkündet: »Die Zivilisation wird sich nicht weiterentwickeln, wenn wir
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das ,Okkulte' nicht mit gleicher Selbstverständlichkeit anzunehmen lernen wie die Atomenergie« (S. 23). Für den Autor ist Magie »die Wissenschaft der Zukunft«, die »das evolutionäre Schicksal des Menschen symbolisiert« (S. 43 ff.). Die »Trivialität des Alltäglichen« (Heidegger) nehme dem Menschen seine Zielstrebigkeit und Vitalität, und magische Praktiken haben die Aufgabe, diesen »Diffusionseffekt« zu überwinden und »den Geist wach zu rütteln« (S. 21). Die »Zukunft des Menschen« liegt für Wilson in der Entwicklung außergewöhnlicher Fähigkeiten, der »Faculty X«, die ihn das Alltagsleben transzendieren lassen: »Wenn das Gehirn wie ein Freudenfeuer lodert, stellt sich uns nicht länger die Frage nach dem Warum des Lebens. Das Ziel ist die totale Kontrolle. Mit Hilfe dieser Kontrolle würde das Leben zu einer Einheit verschmelzen, der Unterschied zwischen dem .Jenseits' und dem ,Diesseits' verschwindet« (S. 849). In diese Strömung einer neuen synkretistischen Spiritualität reiht sich in jüngster Zeit auch der nun im freigeistigen Raum angesiedelte Autor H. Mynarek in seinem auf Umfrageergebnissen basierenden Buch »Religiös ohne Gott?« ein: »Die neue Religiosität will... die Erweiterung der raumzeitlichen Existenz in bisher nur geahnte Dimensionen. Das will und tut zwar... auch die Wissenschaft, etwa die Astronomie, Atomphysik oder Tiefenpsychologie. Doch ist bei der neuen Religiosität der zugrundeliegende Vitalimpuls nicht bloß verstandesmäßig-rational... Dinge, die bis dahin ohne die Annahme eines persönlichen Gottes nicht ,zu gehen' schienen, wie Fortleben nach dem Tod, Substantialität des Geistes, seine Überlegenheit über die Materie usw., werden nun auch ohne diese Annahme, z. B. im Rahmen einer evolutionären Religion bzw. parapsychologischer Auffassungen für möglich gehalten... Jedenfalls erwächst den Kirchen auf der Grundlage die ser... Überschreitungstendenz der neuen Religiosität ein Gegner auf ihrem bis dahin kaum angefochtenen ureigensten Feld« (S. 212). Als den besten Ausdruck für diese »neue Religiosität ohne Gott« führt Mynarek den Begriff einer »ökologischen Religion« ein, die nach Feuerbachs anthropologischer, nach Marx' sozioökonomischer und nach Freuds psychoanalytischer Phase der Religion (!) nun die »ökologische Phase der Religion« darstellt (S. 239 ff.)
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Alle diese Versuche eines religiösen Evolutionismus scheitern aber an ihrem der Bibel fremden Utopismus. Wo »Überlebensentwürfe« den Menschen davon ablenken oder ihn daran hindern können, sich in jeder Stunde seines Lebens auf das endgültige Ziel der Geschichte, ihr in Christus vorherbestimmtes Ende, und auf die Verheißung seiner Gegenwart einzustellen, sind sie vom christlichen Glauben her mit großer Skepsis zu betrachten. Ein grandioses System der geistigen Manipulation scheint durch die Gedanken Fergusons oder P. Russells hindurch: »Sobald man einmal die Macht, die der gemeinsamen Ausrichtung der Menschen innewohnt, erkannt hat, kann man nicht mehr in den alten Begriffen an die Zukunft denken«, schreibt M. Ferguson allen Ernstes, als hätte es nie die Erfahrung des Totalitarismus gegeben [2/250]! »Der Nazi-Traum ist etwas, über das wir alle uns im einzelnen deutlich klarwerden müssen, vor allem die, die in spirituellen Bewegungen engagiert sind. Zu Hitlers Zeit war die politische Sprache ein spiritueller Dialekt und Transzendenz war ein Euphemismus für totale Kontrolle... Das Gefühl, Gott spielen zu müssen, scheint diejenigen leicht heimzusuchen, die es als ihr natürliches Recht ansehen, die menschliche Spezies neu zu formen« — diese kritischen Worte von Joe Hunt kann sie auf den Seiten des »New Age Magazin« selbst nachlesen (dtsch. in: [28/12/1977/10; 12f.]. Tatsächlich werden solche Versuche in unserer Zeit schon — wieder — gemacht: An der Jahreswende 1983/84 führte das TMOberhaupt Maharishi Mahesh Yogi mit 8000 Personen auf der sogenannnten »Kostprobe Utopia Konferenz« im Rahmen seiner neuen Bewußtseins-»Technologie des vereinheitlichten Feldes« eine Massenmeditation durch, um das Weltbewußtsein »gemäß den Gesetzen des neuen Zeitalters« neu zu justieren [24/1984/162 ff.]. Die mit manchen New-Age-Tendenzen verbundenen Gefährdungen stellt auch Rüdiger Lutz deutlich heraus: »Die Philosophie des New Age birgt in sich die Gefahr eines dogmatischen autoritären Elitismus.« Auch wenn er selbst in seinem Buch »Die sanfte Wende« die positive spirituelle Bedeutung der Esoterik gegenüber einer materialistisch eingestellten, säkularen Welt zuwenig herausstellt, erkennt er völlig zutreffend, »den Punkt, wo viele der New Age-Vertreter kurzerhand das Konzept der Demokratie
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über Bord werfen« und ein »hierarchisches Autoritätsprinzip« übrigbleibt (S. 168). Alfons Rosenberg war sich, als er den unten dokumentierten Versuch einer Verbindung des astrologischen Weltbildes mit der christlichen Geschichtsauffassung und Eschatologie machte, wenigstens noch des zu bewahrenden Wesens und der Eigentümlichkeit der letzteren bewußt [vgl. 6/231]. Dies kann man von Ferguson und anderen New-Age-Vordenkern fast nur noch in negativer Hinsicht behaupten, die alles Christliche als überholte Stufe abstreifen, wenn es sich nicht in den Gesamtrahmen ihrer Utopie fügt, und somit die Chance eines echten Dialogs der verschiedenen religiösen Traditionen vertun. Welche Zukunft aber sagt der christliche Glaube selbst an? Man hält den Christen oft vor, ihre Vorstellung von dem kommenden Reich Gottes sei diffus und völlig unkonkret. Diese Zurückhaltung ist einerseits auch berechtigt, denkt man an die bereits in den Bekenntnissen der Reformationszeit als »iudaicae opiniones« (jüdische Meinungen) verworfenen Ausmalungen der Zukunftswelt durch schwärmerische Strömungen, weil sie, vor allem im Anschluß an die Zukunftsbilder der jüdischen Apokalyptik, le diglich eine Projektion irdischer Hoffnungen bedeuten. So schildert zum Beispiel die Syrische Baruchapokalypse für das Reich Gottes eine ins überdimensionale gesteigerte Fruchtbarkeit: An einem Weinstock werden 1000 Reben hängen, eine Rebe wird 1000 Trauben, eine Traube 1000 Beeren tragen und l Beere wird 364 Liter Wein bringen (Kap. 29, 5—8)! Bereits in frühchristlicher Zeit wurde gegen solche Anschauungen Protest erhoben, die vor allem auch in Verbindung mit der Erwartung eines »Tausendjährigen Reiches«, in dem die Gläubigen zusammen mit dem Messias zur Herrschaft gelangen, verbreitet wurden. »Sie wollen«, sagt Origenes (185—254) in seiner Schrift »Über die Prinzipien« über die Vertreter eines solchen »Chiliasmus« (= Lehre vom tausendjährigen Reich), »daß in dem in der Zukunft erwarteten Leben alles ganz genauso sein wird, wie im jetzigen Leben, d. h. daß es wieder das geben wird, was es jetzt gibt. So denken diejenigen, die zwar an Christus glauben, die göttlichen Schriften aber auf jüdische Weise verstehen« (Zitat nach S. Bulgakov, »Sozialismus im
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Christentum?«, S. 115). Ist dies nicht auch ein geheimes Motiv der New-Age-Bewegung? Auch Augustin wendet sich im 20. Buch von »De Civitate Dei« gegen Anschauungen, die in der Zukunftswelt lediglich eine Steigerung oder Höherentwicklung irdischer Verhältnisse erblicken: »Die Auffassung vom tausendjährigen Reich wäre bis zu einem gewissen Grade erträglich, wenn angenommen würde, daß die Heiligen an diesem Sabbat infolge der Anwesenheit des Herrn geistige Freuden erleben werden. So haben wir auch einmal gedacht. Aber sobald sie erklären, daß sich die Auferweckten zu jener Zeit den maßlosesten fleischlichen Gelagen hingeben werden, auf denen es so viele Getränke und Speisen gibt, daß sie kein Maß halten könnten und selbst das Maß des Unglaublichen übertreffen würden, kann dem niemand außer den Fleischlichen Glauben schenken. Die Geistlichen aber bezeichnen die, die dem Glauben schenken, mit dem griechischen Wort als Chiliasten.« Eine anschauliche Übersicht über solche Ausmalungen der Zukunftswelt in den Religionen und im Christentum gibt das Buch »Ausblicke ins Paradies« von Ilse Foerst-Crato (MünchenPlanegg 1958). Andererseits ist es kein Wunder, daß gerade die Frage der christlichen Zukunftshoffnung und Heilserwartung immer wieder zu Abspaltungen und Sektenbildungen geführt hat und noch führt (vgl. den 1. Teil des Sektenbuches »Seher, Grübler, Enthusiasten« von K. Hütten über Adventisten, Zeugen Jehovas u. a.). Die modernen neutestamentlichen Exegeten wollen uns weithin ja den Sinn der Reich-Gottes-Botschaft Jesu so erläutern, daß man danach nicht mehr beobachtend nach dem Termin fragen oder gar sich ein Bild von der Zukunft oder inhaltliche Vorstellungen vom Leben im Reich Gottes machen darf, sondern daß man sich nur noch augenblicklich auf die Ankunft seines Reiches einstellen und die Gegenwart als Situation der Entscheidung begreifen, d.h. »Buße« tun könne, wenn man die Botschaft recht verstehen wolle. Von da aus gelangt man dann zu der Ansicht, die Verkündigung Jesu könne formal und inhaltlich auch nichts mit der Apokalyptik zu tun haben (z. B. Vielhauer, in: »Neutestamentliche Apokryphen«, Bd. II, S. 428 f.). Gegen solche existenzphilosophische Reduktion der biblischen
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Botschaft wird heute mit Recht von vielen Seiten Protest erhoben. Denn die weltanschaulichen Fragen können nicht dadurch gelöst werden, indem man ihre Stellung verbietet oder sich gar über den tatsächlichen Befund apokalyptischer Anschauungsweisen im Neuen Testament hinwegsetzt. Die notwendige Zurückhaltung und Abgrenzung von den chiliastischen Projektionen irdischer Verhältnisse in die Zukunftswelt darf ja nicht so aufgefaßt werden, daß damit jede »Sinnlichkeit« aus dem künftigen Leben ausgeschieden werde, das damit zum bloßen Schattenreich degradiert werden würde. Biblisch bezeugt ist zum Beispiel die farbenprächtige Schilderung der Herabkunft der neuen Welt«. (Offenbarung 21, l—8) und des neuen Jerusalem (Offenbarung 21, 9—22, 5). Der württembergische Prälat und Theosoph Friedrich Christoph Oetinger (1702—1782), der das Wort von der Leiblichkeit als dem Ende aller Werke Gottes prägte, konnte sogar sagen, die Stadt Gottes sei »aller Sinnlichkeit Inbegriff«, und unter »geistlich« sei nicht das Entsinnlichte zu verstehen, sondern dazu gehöre auch das Leibliche, »unbefleckt, unverweslich, unverwelklich«. Es geht also in der christlichen Heilshoffnung zentral um die wahre, d. h. unverwesliche Leiblichkeit, und nur wo dies festgehalten wird, kann an den altkirchlichen Bekenntnissen festgehalten werden, die in Übereinstimmung mit dem Neuen Testament die Fleischwerdung und die leibliche Auferstehung des Herrn bezeugen! »Das Ende der Heilsgeschichte und damit das Ende des Schöpfungswerkes Gottes ist nicht die Vernichtung dieser materiellen Erde, sondern die Herabkunft des Neuen Himmels und der Neuen Erde mit ihrer neuen Leiblichkeit und Natur«, schreibt der Theologe Ernst Benz in seinem Buch »Kosmische Bruderschaft« (Freiburg 1978, S. 138). Nur wo dieses Ziel festgehalten wird, kann der Irrweg der Gnosis mit ihren verführerischen Verheißungen einer »zunehmenden Vergeistigung« und »Spiritualisierung« von Mensch und Welt umgangen werden. »Im Gegensatz zu aller akosmischen (= unweltlichen) Spiritualisierung«, schreibt W. Künneth in seiner »Theologie der Auferstehung«, »ist dieser neue Kosmos als erfüllte Sichtbarkeit, vollendete Physis, vollkommene Leiblichkeit zu interpretieren«, und er zitiert hierzu
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E. Thurneysen, der einmal in der Zeitschrift »Zwischen den Zeiten« sagte: »Die Welt, in die wir kommen in der Zukunft Jesu Christi, ist also keine andere Welt, sie ist diese Welt, dieser Himmel, diese Erde, aber beide vergangen und neu geworden. Diese Wälder, diese Felder, diese Städte, diese Menschen werden es sein, die der Schauplatz der Erlösung sein werden. Jetzt sind es Schlachtfelder, dereinst werden es Siegesfelder sein« (W. Künneth, »Theologie der Auferstehung«, 5. Auflage, S. 294). Wie das hier verwendete und auch biblisch bezeugte Bild vom »Sieg« (vgl. 1. Korinther 15, 55—57; 1.Johannes 5, 4: »Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat«) zeigt, gibt es bestimmte Symbole — und anders als symbolisch kann hier nicht geredet werden (P. Tillich) —, die gut geeignet sind, das Leben im Reich Gottes — ohne den Entscheidungscharakter der Botschaft in Frage zu stellen und zum Selbstzweck frommer Betrachtung zu werden — zu charakterisieren, und die sich zum Teil auch schon in der Bibel finden. Ein solches Symbol, das sich insbesondere von Jesu Gleichnissen her nahelegt (man denke an die Heimkehr des verlorenen Sohnes oder an die Gleichnisse von den zehn Jungfrauen und vom großen Abendmahl), ist die Metapher »Fest«. So verglich Jesus die nahe Gottesherrschaft mit einer Hochzeitsfreude. Der Kirchenvater Athanasius erklärte: »Der auferstandene Christus macht das Leben zu einem beständigen Fest.« Der Prior der Kommunität von Taize, Frere Roger Schutz, hat diesen Gedanken 1973 in das Zentrum des »Konzils der Jugend« in Taize gestellt (vgl. seine Schrift: »Ein Fest ohne Ende«, 1973). Auch der lutherische Theologe Paul Althaus betonte, das Neue Testament verwende zur Beschreibung des ewigen Lebens »immer wieder das Gleichnis irdischer Stunden der Erfüllung, Entlastung, des Friedens, der Feier, der Freude, des Genusses«. Denn die Zukunft des ewigen Lebens werde »die jetzige Lebendigkeit mit allem, was in ihr als echtes und edles Gut erstrebt und erfahren wird, erfüllen, z. B. das Streben nach und Erfahren von Wahrheit, Freiheit, Gemeinschaft, Gerechtigkeit.« Daher sei es völlig legitim, »das Leben jenseits des Todes mit Bildern irdischer Wirklichkeiten zu bezeichnen. Das hat sein Recht vollends deshalb, weil der
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Sinngehalt jener Begriffe (Wahrheit, Freiheit usw.) überall über ihre irdische Verwirklichung hinausweist. Sie alle bleiben auf Erden zugleich Ideale, Worte der Sehnsucht« (»Ewiges Leben«, im Lexikon »Die Religion in Geschichte und Gegenwart«, 3. Auflage, Band II). Als Beispiel für die Metapher »Fest« sei hier auch aus dem Kapitel »Leben — ein ,Fest ohne Ende'« aus dem Buch »Kirche in der Kraft des Geistes« von /. Moltmann (München 1975, S. 128; 132 f.) zitiert: Das neue Leben des Christen besteht nach Moltmann nicht nur in einer Umkehr der Lebensorientierung und in der Arbeit an der Veränderung der Welt, sondern »es wird auch als das Fest der Freiheit, als Freude am Dasein und als Ekstase des Glücks gefeiert... In der hie r behandelten Hinsicht kann das Leben des irdischen Jesus als ein festliches Leben bezeichnet werden. Es war nicht das Leben eines Herrschers und auch nicht das Leben eines unfreiwilligen Sklaven. Die von ihm verkündete Gottesherrschaft wurde von Lukas 4, 19 mit der Erinnerung an das israelische Freijahr (3. Mose 25) und mit der prophetischen Hoffnung auf das messianische Freijahr (Jesaja 61, — l 2) verbunden. Die von Jesus in seinem Leben verkörperte Gottesherrschaft hat einen entsprechenden festlichen Charakter. Wieviel mehr wird deshalb das Leben des Auferstandenen, des Verklärten und Verwandelten als ein festliches Leben zu verstehen sein! Die Teilnahme der Glaubenden am Leben des Auferstandenen durch ihre Hoffnung, ihren neuen Gehorsam und ihre festliche Ekstase macht ihr eigenes Leben zu einem entsprechenden Fest... Der Blick auf den Auferstandenen macht das Leben zum Fest, aber erst der Blick auf den Gekreuzigten und zur Hölle Gefahrenen macht das ,ganze Leben' zum Fest und das Fest zum beständigen Fest, zu einem Fest, dem auch das Sterben kein Ende setzt, deshalb zum ,Fest ohne Ende'... Im Grunde verschmelzen hier Alltag und Festtag zu einem einzigen ,vernünftigen Gottesdienst' (Römer 12, 1), nämlich zur Freude an der Freiheit. Die allgemeine Teilnahme am befreienden Fest des Auferstandenen mit den Kräften und Möglichkeiten jedes einzelnen prägt die Versammlung Christi. Das Fest ohne Ende prägt das persönliche Leben, den Einsatz für die Befreiung der Bedrückten, Traurigen und Apathischen und den Kampf für eine erfreulichere Welt.«
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Mit dieser ästhetischen Symbolisierung wird auch ausgeschlossen, daß der Heilszustand zu einem endlosen Muß für den Menschen wird. Sowohl im New-Age-Bewußtsein als auch im humanistischen Idealismus, bei Feuerbach oder auch in vielen esoterisch-okkulten Weltanschauungen, wo »Gott« zum Ideal der »vollkommenen Menschheit« erklärt wird und der »kommende Mensch« »Gott« verwirklichen soll, steht der Mensch unter dem Zwang zur Selbstvervollkommnung, des Sich-immer-höher-entwickeln-Müssens. »Freiheit will nicht nur realisiert, sondern auch gefeiert werden«, sagt Moltmann. »Der moralische und politische Ernst des Machens der Geschichte wird dann von einer gelassenen Freude am Dasein selbst aufgehoben. Er wird dadurch geschützt gegen Dämonie und gegen Verzweiflung, gegen die Selbstvergöttung und den Selbsthaß des Menschen, gegen den Erfüllungswahn wie gegen die Resignation angesichts des Unerfüllbaren.« In seinem Traktat »Die ersten Freigelassenen der Schöpfung« (1971), dem diese Sätze entnommen sind, schreibt Moltmann weiter: »Christliche Eschatologie hat das Ende der Geschichte niemals als Pensionierung oder Zahltag oder erfüllten Zweck bedacht, sondern ganz zweckloserweise als Lobgesang unendlicher Freude. Sie hat die Daseinsfreude der neuen, erlösten und freien Schöpfung nie mit den Farben des hier von Mühsal, Arbeit und Schuld beschädigten Lebens ausgemalt, sondern mit dem, was je dem — wie Ernst Bloch so schön sagt — ,in die Kindheit scheint'; nämlich unbeschwertes Lachen, hingegebene Schau der Verwunderung über den Reichtum und die Güte Gottes und neue Unschuld. Sie hat das Ende der Geschichte mit ästhetischen Kategorien ausgemalt. So ist denn auch der sogenannte Endzweck der Geschichte gar kein Zweck, sondern die Befreiung eines nach Zwecken und Leistungen vom Gesetz unterworfenen Lebens zur alles beschwingenden Freude Gottes. Am ,Ende der Geschichte' wartet dann also wieder, was den Anfang bestimmt und den Weg begleitet hat: das Wohlgefallen im Spiel, das den freien Gott und die befreiten Menschen miteinander verbindet. Der Mensch wird dort ,mit Himmel und Erde und Sonne spielen und allen Kreaturen', sagte Luther. ,Alle Kreaturen werden Lust, Lieb und Freude haben und mit Dir lachen, und Du hingegen mit ihnen, auch dem Leibe nach.'«
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Allerdings sind diese Symbole und Metaphern vor Mißverständnissen und Mißdeutungen nicht geschützt. Das einzige völlig eindeutige Kriterium für christliche Eschatologie und Zukunftshoffnung ist und bleibt, daß Gottes Hinwendung zum Menschen in Jesus Christus eine totale und unaufhebbare Wirklichkeit ist, die daher auch die Zukunft einschließt. »Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns« (Römer 8, 34 + 35). Es muß betont werden, daß es sich bei dieser Zuversicht um die Erschließung der Zukunft im Glauben an Jesus Christus als Gabe durch den Heiligen Geist handelt. Deshalb ist im christlichen Glaubensbekenntnis von den »letzten Dingen« auch im 3. Glaubensartikel die Rede. Es ist der Heilige Geist, durch den wir, folgt man Luthers Erklärung im Kleinen Katechismus, nicht nur zum Glauben an Christus kommen und in diesem Glauben erhalten werden, sondern der auch »am Jüngsten Tag mich und alle Toten auferwecken wird und mir samt allen Gläubigen in Christus ein ewiges Leben geben wird«. Außerdem ist der ganze Reichtum und die Universalität dieser Hoffnung, wie sie das Neue Testament bezeugt, auch nur dann gewahrt, wenn man auch den Kosmos mit in die Heilsgeschichte einbezieht. Die alten jüdischen und christlichen Apokalypsen, deren Vorstellungswelt und Bilder von Endzeit und Gericht, von Auferstehung und Reich Gottes uns, ohne daß wir uns dessen immer bewußt sind, mittels des Neuen Testaments und der Botschaft Jesu so vertraut geworden sind, enthielten ja nicht nur Offenbarungen über die letzten Dinge (»Reich Gottes«, »Reich des Messias«, »Jüngstes Gericht«, »Auferstehung« usw.) oder über den Geschichtsablauf (»diese Weltzeit«, das »Tier« aus dem Abgrund, »Babylon« usw.), sondern sie waren, wie der russische Theologe Sergej Bulgakov einmal sagte, auch »die Enzyklopädie der Volksweisheit«, die »Soziologie ihrer Zeit« (»Apokalyptik und Sozialismus«, S. 62; 74), und sie enthielten dementsprechend das ganze damalige Wissen über Astronomie, Meteorologie, Kosmologie, Physik, Geographie, Dämonologie u. v. a. m.). Darin ist der zentrale, bei manchen modernen Auslegern vergessene, in jüngerer
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Zeit aber wiederentdeckte Gedanke enthalten, daß Heilsgeschichte mit kosmischem Geschehen in einem engen und untrennbaren Zusammenhang steht (O. Cullmann). Vielleicht ist es einer der Gründe für die Anziehungskraft der New-Age-Literatur, daß sie dem von apokalyptischen Ängsten heimgesuchten Zeitgenossen weltanschauliche Orientierung im umfassendsten, enzyklopädischen Sinn zu liefern versucht und vor allem auch die Ergebnisse der neuesten Wissenschaft, von Physik, Kosmologie, Psychologie u. a. mit in ihre Zukunftsvisionen einbezieht! Aus christlicher Sicht — das hat diese Untersuchung ergeben — muß dieser Versuch aber als zutiefst gescheitert angesehen werden. Denn bei dem Versuch einer Wiedergewinnung der kosmischen Bezüge des Menschseins kommt bei vielen Vertretern dieses Denkens nichts anderes heraus als eine neue Gnosis oder eine — bei zahlreichen Gruppen spiritistisch gefärbte — Selbsterlösungsvorstellung, die mit der dem christlichen Glauben in Christus gegebenen Erschließung der Zukunft nicht vereinbar ist. Dies gilt insbesondere auch von dem mit der New-Age-Spiritualität verbundenen religiösen Evolutionismus, dem selbst manche christliche Theologen nahestehen. Denn vom Alten und vom Neuen Testament her kann es keine Vorstellung von einem Prozeß, einer Entwicklung oder »Transgression« geben, in der der Endzustand des Reiches Gottes sozusagen der Abschluß oder das Ergebnis eines vom Menschen selbst herbeizuführenden Heilungsprozesses ist. Das Reich Gottes ist vielmehr die Tat Gottes selbst, das in Christus gegenwärtige Heil, das als das Heil der ganzen Erde und der Menschheit von der Gemeinde erwartet und herbeigesehnt wird. Die Gemeinde hat das Reich Gottes nicht zu bereiten, sondern sich auf sein Kommen vorzubereiten (Matthäus 25, 34). Die Botschaft vom Kommen dieses Reiches Gottes ist das Geheimnis, angesichts dessen sich menschliche Umkehr ereignet und die Geschichte Zukunft bekommt. Der Auftrag der christlichen Verkündigung ist demgemäß »die Sammlung derer aus dieser Welt, die zum Reich Gottes berufen sind und die durch Christus aus dem Gericht Gottes gerettet werden sollen.« Andernfalls »zeichnet sich die Gefahr ab, daß das Handeln der Christen an die Stelle des Werkes Jesu Christi tritt« (R. Slenczka), der die Men-
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sehen zur Umkehr bewegt und ihnen dadurch die Zukunft eröffnet. Damit ist die Gemeinde zur Wachsamkeit aufgerufen, denn »Wachsamkeit« ist ja ihre eigentliche Bestimmung in der End/eit (vgl. Matthäus 25,13; Offenbarung 16,15) — und zwar nach zwei Seiten hin: Im selben Maße, wie sie jede »Gesellschaft der Erwartungslosen« (Paul M. Zulehner) mit ihrer Hoffnung »transformiert«, hat sie sich vor »Überlebensentwürfen« zu hüten, in denen die Hoffnung vom lebendigen Gott auf den Menschen und seine geistigen Möglichkeiten verlagert wird und somit die Heilserwartung »im gesellschaftlich programmierten Fortschrittsbewußtsein« (H. Bürkle) aufgeht.
Literatur [1] F. Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, 2. Aufl., Bern — München — Wien 1983. [2] M. Ferguson, Die Sanfte Verschwörung. Persönliche und Gesellschaftliche Transformation im Zeitalter des Wassermanns, 2. Aufl., Basel 1982. [3] G. Geisler (Hg.), New Age — Zeugnisse der Zeitenwende, Freiburg 1984. [4] R. Goetz, Spirituelle Gemeinschaften. Ein Wegweiser für das Neue Zeitalter, Klingelbach 1984. [5] Hohenlohe-Waldenburg, Carl Egon Prinz zu, Psychische Auswirkungen des Fischezeitalters im Ausblick auf das beginnende Wassermannzeitalter, Calw-Wimberg/Württ. o. J. [6] A. Rosenberg, Durchbruch zur Zukunft — Der Mensch im Wassermann-Zeitalter,München-Planegg 1958 (Neuauflage: 1971). [7] Th. Roszak, Unfinished Animal. The Aquarian Frontier and the Evolution of Consciousness, New York 1977.
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[8] D. Spangler, New Age — Die Geburt eines Neuen Zeitalters, Frankfurt a. M. 1978. [9] G. Trevelyan, Unternehmen Erlösung. Hoffnung für die Menschheit, Freiburg 1983. [10] R. Weyler, Das Globale Gehirn. Gespräche mit dem Mystiker und Wissenschaftler Peter Russell, in: Hologramm Nr. 36/1983, S. 17—20. [11] H. Wischmeier, Ein Weg durch die religiöse Subkultur, in: Materialdienst der EZW (MD) 1981, S. 156—167.
Kritisch: [12] M. Albrecht, New Age Spirituality — A General Overview, in: New Religious Movements Up-date V (2/1981), S. 2—5. [13] R. Hummel, Indische Mission und neue Frömmigkeit im Westen, Stuttgart — Berlin — Köln — Mainz 1980. [14] R. Hummel, Utopie und Reich Gottes im neuen religiösen Aufbruch, in: MD 1983, S. 308—317. [15] G.M.Martin, Neue Religiosität in den USA, in: Der unverbrauchte Gott, Bern — München — Wien 1976, S. 117—134. [16] J. G. Melton, The Encyclopedia of American Religions, Vol. 2, Wilmington, North Carolina 1978. [17] M. Mildenberger, Alternative Spiritualität, in: MD 1980, S. 140—155. [18] E. Noonan, A Random Sampling. A Brief Survey of 20 New Age Groups From the Festival of Mind, Body and Spirit, in: New Religious Movements Up-date V (2/1981), S. 6—21. [19] T. Peters, Post-Modern Religion, in: Up-date 8 (1/1984), S. 16—30. [20] Th. Sartory, Zeitenwende? Die Hoffnung der Religionen auf einen kommenden Retter, in: Der unverbrauchte Gott, S. 183—195. [21] C. E. Cumbey, The Hidden Dangers of the Rainbow. The New Age Movement and Our Corning Age of Barbarism, Shreveport 1983. [22] E. Benz, Parapsychologie und Religion, Freiburg 1983.
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Zeitschriften: [23] Brain/Mind Bulletin (Hg. M. Ferguson), Box 42211, Los Angeles, CA 90042, USA. [24] Esotera. Die Wunderwelt an den Grenzen unseres Wissens, H. Bauer-Verlag, Freiburg i. Br. [25] Hologramm (Hg. B. Martin), Schnede 3, 2125 Salzhausen. [26] New Age Journal. 244 Brighton Avenue, Allston, MA 02134, USA. [27] Sphinx (mit Brain/Mind Bulletin, deutschsprachige Ausgabe), Sphinx-Verlag, Basel. [28] Trendwende. Bewußtsein und Gesellschaft im Umbruch (Hg. B. u. J. F. Uebel), Hermann-Lons-Weg 10, 5650 Solingen. [29] Zero. Magazin für ganzheitliches Leben [ab Nr. 14 ohne die sen Untertitel!]. [30] Synthese (Hg. Dr. J. M. Moller), Woogstraße 36a, 6000 Frankfurt 50 [inzwischen eingestellt].
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Dritter Teil
Dokumentation
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1. Die Ursprünge des New-Age-Bewußtseins 1. Esoterisch-okkulte Wurzeln Vom »Wassermannzeitalter« wurde in esoterisch-okkulten Traditionen schon lange gesprochen, bevor es so etwas wie eine »New-AgeBewegung« gegeben hat. Stellvertretend für viele sei hier die Lehre des 1968 verstorbenen Österreichers Leopold Brandstätter erwähnt, der sich »Leobrand« nannte und 1963 die Weltanschauungsgemeinschaft »Weltspirale — Ethische Gesellschaf t für Fortschritt und Welterneuerung« gründete, die auf der von der Russin Helena I. Roench (1879—1955) zwischen 1924 und 1937 niedergeschriebenen Lehre des »Agni Yoga« basiert. Der »Agni-Yoga-Verlag« in München preist diese »Lehre der Lebendigen Ethik« als »die gegebene Lehre für das Wassermannzeitalter« an: »Die neue Lehre des Wassermannzeitalters enthält sämtliche Grundlagen aller vorausgegangenen Weltreligionen und eröffnet bei gleichzeitiger Erweiterung des menschlichen Bewußtseins neue Aspekte der menschlichen Wahrheiten. Die neue Lehre ist die Synthese der Lehren von Krishna, Christus, Buddha und Mohammed — jedoch vertieft und dem Stand der Wissenschaft der Gegenwart und der unmittelbaren Zukunft angepaßt« (1980). Die »Weltspirale« versteht sich als »erneuerte Theosophie«. Wie auch sonst in der theosophischen Tradition ist die Lehre vom Wassermannzeitalter hier eng mit der Lehre von den »aufgestiegenen Meistern« der »Großen Weißen Bruderschaft« verbunden — denjenigen Menschen, die das Ziel ihrer Inkarnation, die Vollendung, bereits erreicht haben und daher den jetzt Lebenden helfend zur Seite stehen können. Wegen ihrer Kompliziertheit und Langatmigkeit sei hier im
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folgenden die knappe Zusammenfassung der Lehre Brandstätters bei Kurt Hütten, dem früheren Leiter der Ev. Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Stuttgart, wiedergegeben: Text Nr. 1 Leobrand Meister Morya — der Weltlehrer des Wassermannzeitalters Der uranfängliche ungeoffenbarte Geist ist die »Unbegrenztheit« an sich; sie allein unterliegt keiner Evolution und bleibt sich ewig gleich. Sie ist »Gott in allem«. Die erste Differenzierung der »Unbegrenztheit« nennt Leobrand UNIVERALO, zusammengesetzt aus »unitas + veritas + logos«. Aus ihr entspringen Kosmos und Menschheit in einer spiralenförmig verlaufenden Involution und Evolution, die vom »Kosmischen Magneten«, einem Kraftzentrum und Vermittler, zu der höchsten Geisteswelt von UNIVERALO geleitet wird. Organ des Kosmischen Magneten ist die »Psychische Energie«, reiner Geist. Sie bildet den »Psychokern« (den göttlichgeistigen Funken in jedem Lebewesen). Diese psychische Energie muß der Mensch in sich erkennen und wirken assen, l um seine übersinnlichen feinstofflichen Organe, die Chakras, zu erwecken. Sobald diese geöffnet sind, kann er Energien aus dem Kosmos empfangen, sein höheres Ego wächst, sein Bewußtsein erweitert sich, und er wird vergeistigt. Das Ziel ist die Selbstvervollkommnung und Vergöttlichung. Wer den Grad eines »Gottessohnes« erreicht hat, schafft kein Karma mehr und braucht sich also nicht mehr zu inkarnieren. Er wird selbst zu einem Kosmischen Magneten, der psychische Energie speichert und weiterleitet und so die Vergeistigung des Kosmos fördert. Die höchste Evolutionsstufe, die ein Mensch je erreichen kann, ist die eines »Planetaren Logos«, eines Planetenherrschers. (Planetarer Logos der Erde ist Jehova.) Die Menschen, die sich in vergangenen Planetenrunden den Grad eines Gottessohnes erarbeiteten, sind die »Älteren Brüder der Weisheit«. Sie haben ein irdisches Zentrum in der heiligen Stadt Schamballa im Transhimalaya und bilden dort die »Helle
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Hierarchie« oder »Interplanetarische Regierung«. Alle großen Weltenlehrer wie z. B. Buddha, Zarathustra und Jesus gehören ihr an und leben in ihren feinstofflichen Gliedern in Schamballa. Der heutige Herrscher von Schamballa ist Meister Morya, der Weltlehrer des beginnenden Wassermannzeitalters. Dieses Wassermannzeitalter wird ein »Universales Weltreich« bringen mit einem »neuen Weltsozialismus im Sinne einer Sozialaristokratie« und einem neuen Wirtschaftssystem, »in dem es überhaupt keinen Mangel und keine Armut mehr geben kann«. Erst aber muß der seit 1931 tobende feinstoffliche Kampf zwischen Licht und Finsternis, das »Harmagedon der Kultur«, beendet sein. Sollte Luzifer siegen und die Erde wegen der Uneinsichtigkeit und des Egoismus der Menschheit zerstört werden, dann werden alle wahren Esoteriker auf die Venus gerettet werden. (Quelle: Kurt Hütten, »Die Herausforderung der Theologie durch die Okkultbewegungen« = »Impulse« Nr. 4 (1969), hg. von der EZW, S. 8f.) Text Nr. 2 Alice A. Bailey Die Wiederkunft Christi In ihrem Buch »Die Wiederkunft Christi« (1948) versucht A. Bailey darzustellen, wie die Anschauung vom Wassermann-Zeitalter sogar im Alten und im Neuen Testament vorliegt. Der folgende Ausschnitt aus ihrer Schrift über die Wiederkunft Christi ist dem Abschnitt »Christus als Vorbote des Wassermann-Zeitalters« entnommen. Darin kommen deutlich die Schwierigkeiten zum Ausdruck, auf die das New-Age-Bewußtsein bei den Religionen stößt, die wie Judentum und Christentum nicht an den »evolutionären Prozeß« glauben. Die biblische Bedeutung Jesu Christi wird relativiert: »Christus« wird zu einem »Avatar« oder »Weltlehrer« unter vielen, sein Wiederkommen bringt nicht die Auferstehung, das Jüngste Gericht und das Ewige Leben, wie es das Glaubensbekenntnis aller Christen besagt, sondern bezieht sich nur auf eine bestimmte Periode der »Evolution«: die nächsten 2500 Jahre. Er
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wird degradiert zum Bringer der von den Theosophen erwarteten neuen Welteinheitsreligion, und die gesamte christlich-jüdische Überlieferung erhält eine Uminterpretation im Lichte dieses Zieles. Der christliche Durchschnittsmensch weiß seltsamerweise nichts von den Zeiten und Zyklen, durch die unser Planet infolge der Sonnenprogression hindurchgeht. Die derzeit zweifelhafte astrologische Wissenschaft hat das berechtigte menschliche Interesse an der Astronomie sowie die spirituelle Deutung des Durchganges der Sonne durch den Tierkreis auf ein Nebengeleise geschoben. Im Neuen Testament jedoch tritt diese Anerkennung klar zutage und durchzieht die Darstellung der ganzen biblischen Geschichte; ähnliches gilt für das Alte Testament. Was denn sonst war die Sünde der Kinder Israels in der Wüste, als ein Rückfall in den alten Mithras-Kult, der die Zeitepochen charakterisiert, da die Sonne »im Zeichen des Taurus, des Stiers« war, wie es astronomisch heißt. Sie fielen vor dem goldenen Kalb nieder und beteten es an und vergaßen dabei die neue Lehre des Widder-Zeitalters, in das sie damals eintraten; die Lehre vom Bock oder Widder färbt bekanntlich die ganze jüdische Geschichte. Die Tatsache, daß Christus der Lehrer der neuen Periode war (als die Sonne in das Tierkreiszeichen Fische rückte), ist vergessen, wiewohl sich diese Epoche klar im Symbol des Fisches dokumentiert, und diese Symbolik ist in allen vier Evangelienberichten zu finden. Das Symbol des Fisches ist das astrologische Zeichen für Pisces, und zwar seit unvordenklichen Zeiten. Aber Christus faßte auch Sein zukünftiges Werk ins Auge, das Er im Wassermann-Zeitalter zu tun gedachte, im nächsten Zeichen, in das die Sonne eintreten würde. Vor Seinem »Entschwinden« nahm Er Bezug auf das Symbol des Wassermann-Zeitalters und die Aufgabe, die Er dann erfüllen würde. Mit Seinen zwölf Jüngern dramatisierte Er eine eindrucksvolle Episode, die das Werk andeutet, das Er nach zweitausend Jahren, nach Ablauf des Fische-Zeitalters unternehmen würde. Er gab Seinen Jüngern den Auftrag, in die Stadt zu gehen; dort würden sie einen Mann treffen, der einen Wasserkrug trägt; diesem sollten sie bis in den oberen Raum folgen, und dort
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sollten sie das Gemeinschaftsmahl richten, an dem Er mit ihnen teilnehmen werde (Lukas 22, 10). Die Jünger taten wie geheißen, und das letzte Abendmahl fand statt. Das alte Symbol für das Aquarius-Zeichen (in das nun unsere Sonne eintritt) ist das eines Wasserträgers, eines Mannes mit einem Wasserkrug. Das Eintreten der Sonne in das Wassermann-Zeichen ist eine astronomische Tatsache, wovon sich jedermann überzeugen kann, indem er einfach an eine Sternwarte schreibt; es ist keine astrologische Vorhersage. Die große geistige Errungenschaft und das evolutionäre Ereignis des jetzigen Zeitalters wird in der Gemeinschaft aller Völker und deren gegenseitigen menschlichen Beziehungen bestehen; dann werden die Menschen in der Lage sein, sich in Anwesenheit Christi zu Tisch zu setzen und miteinander Brot und Wein (die Symbole der Nahrung) zu teilen. Die Vorbereitungen für dieses »gemeinschaftliche Festmahl« (symbolisch gesprochen) sind im Gange. Es sind die großen Massen selber, die diese Vorbereitungen treffen; sie kämpfen und quälen sich ab und suchen den wirtschaftlichen Unterhalt der Nationen durch Gesetze sicherzustellen; die Ernährungsfrage ist das Hauptthema aller Gesetzgeber in allen Ländern. Dieses »Miteinander-teilen« fängt auf der physischen Ebene an und wird sich auch bei allen anderen menschlichen Beziehungen als wahr erweisen. Das wird das große Geschenk des Wassermann-Zeitalters für die Menschheit sein. Das wurde von der Kirche nicht beachtet, und ihre Geistlichen können die Tatsache nicht wegdisputieren, daß die Juden ihre Vorliebe für die Verehrung des goldenen Kalbes (wie sie im Taurus-Zeitalter gang und gäbe war) weiterhin bekundeten, daß ferner die jüdische Gesetzesordnung das Symbol des Sündenbockes oder Widders im Aries-Zeitalter benützte, und schließlich, daß die Christen in der christlichen Ära (dem Zeitalter der Fische) das Symbol des Fisches nachdrücklich betonten. Christus kam, um die jüdische Gesetzesordnung zu Ende zu bringen; diese hätte nach Erreichen ihres Höhepunktes und als die Sonne aus dem Aries-Zeichen in das der Fische überging, als Religion verschwinden sollen. Daher stellte Er sich als Ihr Messias dar, Der durch die jüdische Rasse in Erscheinung trat. Dadurch, daß die jüdische Rasse Christus als den Messias ablehnte, verblieb
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sie symbolisch und praktisch im Aries-Zeichen, im Zeichen des Bockes. Sie müssen — wieder symbolisch gesprochen — erst noch in das Fische-Zeitalter übergehen und ihren Messias anerkennen, wenn Er im Wassermann-Zeitalter wiederkommt. Wenn sie es nicht tun, dann werden sie wieder in ihre alte Sünde zurückfallen, das heißt, sich gegen den evolutionären Prozeß auflehnen und widerspenstig bleiben. In der Wüste wiesen sie alles, was neu und spirituell war, ab; vor zweitausend Jahren taten sie es in Palästina wieder; werden sie es bei der nächsten Gelegenheit noch einmal tun? Die Schwierigkeit mit den Juden besteht darin, daß sie sich mit einer Religion, die fast fünftausend Jahre alt ist, zufrieden geben und nicht die geringste Neigung zu einer Änderung zeigen. Christus sah das Herannahen des Wassermann-Zeitalters voraus und brachte Seine Eröffnungen in eine bildliche Form, um uns auf diese Weise — über Jahrhunderte hinweg — eine prophetische Episode zu erhalten, deren Deutung erst in unseren Tagen und in unserem Zeitalter möglich ist. Astronomisch sind wir noch nicht dem vollen Einfluß des Wassermann-Zeitalters ausgesetzt, wir machen uns eben erst vom Einfluß des Fische-Zeitalters frei; der volle Energiestrom, den Aquarius auslösen wird, ist noch nicht fühlbar. Dessen ungeachtet bringt uns jedes Jahr dem Kraftzentrum näher; dessen Hauptwirkung wird die Menschen zu der Erkenntnis bringen, daß die Menschheit dem innersten Wesen nach eine Einheit ist, daß die Menschen miteinander teilen und zusammenarbeiten müssen, und daß eine neue Weltreligion im Entstehen ist, deren Leitgedanken mit den Worten »Allgemeingültigkeit« und »Einweihung« gekennzeichnet sind. Wenn das Wort »Initiation« den Vorgang bedeutet: »in etwas hineingehen«, dann ist es gewiß wahr, daß sich die Menschheit heute, bei ihrem Eintritt in das Wassermann-Zeitalter, einer wahren Initiation unterzieht. Sie wird dann jenen Energien und Kraftströmen ausgesetzt sein, die die trennenden Schranken niederreißen und das Bewußtsein aller Menschen zu jener Einheit vermischen und verschmelzen wird, die für das Christus-Bewußtsein charakteristisch ist. Zum Juni-Vollmond 1945 (an diesem so bedeutsamen Tag in der spirituellen Erfahrung Christi) übernahm Er endgültig und bewußt Seine Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten als Lehrer
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und Führer für das Wassermann-Zeitalter. Er ist der Erste der großen Weltlehrer, der in zwei Zyklen des Tierkreises tätig ist — im Zeitalter der Fische und des Wassermanns. Das ist eine Feststellung, die man leicht aussprechen und niederschreiben kann, aber damit sind drei Arten oder Methoden des Erscheinens verbunden, die ich an früherer Stelle erwähnt habe. Seine ausströmende Liebe und geistige Vitalität (verstärkt durch die Energien des Geistes des Friedens, des Avatars der Synthese und Buddhas) wurden in einem Strom zusammengefaßt und neugerichtet; und diesem Strom wurde zum Durchbruch nach außen verhelfen (wenn ich es so unzulänglich ausdrücken mag) durch sie Sätze aus der Invokation: »Es ströme Liebe aus in alle Menschenherzen« und »Mögen Licht und Liebe und Kraft den Plan auf Erden wiederherstellen.« Mit diesen drei Worten: Licht, Liebe und Kraft sind die Energien Seiner drei Verbündeten beschrieben (das große Kräfte -Dreieck, das machtvoll hinter ihm steht): Licht, die Energie Buddhas, denn Licht kommt immer aus dem Osten; Liebe, die Energie des Geistes des Friedens, die rechte menschliche Beziehungen schafft; Kraft (oder Macht), die Energie des Avatars der Synthese, die die beiden Energien Licht und Liebe zur Verwirklichung bringt. Im Mittelpunkt dieses Dreiecks nahm Christus Seine Position ein; von diesem Punkt aus begann Er sein Werk im WassermannZeitalter, und dieses Werk wird zweitausendfünf-hundert Jahre andauern. In solcher Weise leitete Er die »neue Ära« ein, und auf den inneren, geistigen Ebenen begann die neue Weltreligion Form anzunehmen. Das Wort »Religion« hat etwas mit innerer Beziehung zu tun — und so begann die Epoche rechter menschlicher Beziehungen und einer rechten Beziehung zum Reich Gottes. Eine solche Feststellung ist leicht gemacht, aber ihre Folgerungen sind weitreichend und erstaunlich. Damals übernahm Christus zwei neue Funktionen: Die eine hängt mit der Art Seines zweiten physischen Wiederkommens zusammen, die andere mit der Art des Überschattens. Licht, Liebe und Kraft wird dauernd über die großen Massen ausgegossen, und daher wird das Anwachsen des Christus-Bewußtseins dauernd belebt und beschleunigt. Durch Seine physische Gegenwart
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wird Er der »Verteiler des Wassers des Lebens« werden; durch Überschattung derer, die für Seine Impressionen und konzentrierten Gedanken empfänglich sind, wird Er zum »Ernährer der Kleinen«, wie es esoterisch heißt. Im Wassermann-Zeitalter nimmt Er Sein Arbeitsprogramm als Verteiler des Wassers des Lebens und als Ernährer der Kleinen auf, während Er vom Mittelpunkt des oben genannten Dreiecks aus die rechten Beziehungen in den Massen beeinflußt, erhellt und aufrichtet. In der kommenden Ära wird Er daher bekannt sein als 1. Der Mittelpunkt im Dreieck. 2. Der Verteiler des Wassers des Lebens. 3. Der Ernährer der Kleinen. Diese Benennungen umreißen Seinen dreifachen Pflichtkreis der Menschheit gegenüber und beschreiben das Werk, das Seinen Weltdienst während des ganzen Wassermann-Zeitalters auszeichnet. (Quelle: Alice A. Bailey, »Die Wiederkunft Christi«, Lorch/ Württ. 1954, S. 82—86.) Text Nr. 3 Hanns-Joachim Starczewski Saint Germain, Regent des Goldenen Zeitalters Noch stärker relativiert als bei A. Bailey wird die Bedeutung Jesu Christi in den stärker spiritistisch geprägten Ablegern des theosophischen Okkultismus. Hier wird er sogar in seiner Rolle als »Regent« von Saint Germain abgelöst, dem vor allem in der I-AMBewegung (s. o.) verehrten »aufgestiegenen Meister« aus der Hierarchie der Theosophen. In Höhr-Grenzhausen im Westerwald befindet sich der »Künstlerhof Starczewski«. Darin befindet sich ein von Hanns-Joachim Starczewski geleitetes »Geist- und Heilzentrum«, in dem Durchgaben dieses Meisters empfangen werden. In der Zeitschrift »Portraits« (Jahrgang 1982) proklamiert Starczewski den »aufgestiegenen Meister Saint Germain« zum Regenten des Wassermann-Zeitalters:
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Der aufgestiegene Meister Saint Germain ist der Herr des begonnenen 2000-Jahre-Zyklus und regiert das Wassermann-Zeitalter. Er löste das Fische-Zeitalter ab, das in den letzten 2000 Jahren von Jesus Christus regiert worden war. Saint Germain ist uns auch als der Stiefvater Jesu Christi bekannt, als der Heilige Josef. Er war König Artus, der das Blut Jesu Christi mit seinen Gralsrittern verteidigte. Dieses Blut war im Gral gesammelt. In den Durchgaben aus dem Jenseits an die Schüler des Geist-und Heilzentrums sprechen die Lehrer und Meister immer wieder von dem Heilzentrum Saint Germains im Mittelpunkt Europas. Dieses Zentrum liegt auf einem ehemaligen Steinbruch auf der Höhe des Westerwaldes. Wer von Vallendar, also vom Rhein, nach HöhrGrenzhausen fährt und aus der Waldkurve nach oben blickt, sieht ein großes schloßartiges Gemäuer mit einem Kirchturm im Hintergrund. Vor vielen tausend Jahren, vor mehr als 6000 Jahren, hat hier ein keltischer Tempel gestanden. Es muß ein Sonnentempel gewesen sein, denn der Sonnengott Ra hält noch heute seine schützende Hand darüber und schenkt diesem Tempel, der nie aufgehört hat, einer zu sein, das Licht. Wer das Gelände betritt, spürt sofort die große (Sonnen-)Energie. Schon im großen Umfeld fühlen sensitive Menschen die große Vibration. Die Eingeweihten, die zu diesem Zentrum kommen, sind hier zu Hause. Sie erleben wahrhaftig den Heiligen Geist. Über die ganze Welt sind solche Tempelbezirke verstreut. Die kosmischen Punkte dieses Tempelbezirkes sind mit der Wünschelrute und dem siderischen Pendel meßbar. Die Rute schlägt zwölfmal hintereinander aus, rund herum, um beim dreizehnten Ausschlag von unten nach oben zu schlagen. Der siderische Pendel läuft zwölfmal im Uhrzeigersinne, um bei der dreizehnten Umdrehung das Symbol eines Kreuzes zu zeichnen. Von dieser Anhöhe kann der Wanderer 50 und mehr Kilometer über Wiesen und Wälder blicken, tief hinein in den Hunsrück und die Eifel. Für die Menschen, die vor Tausenden von Jahren hier lebten und diesen Sonnentempel von weitem sehen konnten, muß der Anblick gewaltig gewesen sein. Der nächste kosmische Punkt ist dort, wo heute das Kloster Vallendar steht. Ist dieser Punkt oberhalb von Koblenz der Mittelpunkt Euro-
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pas? Wir können es vermuten. Warum aber hat Saint Germain diesen Punkt als sein Geist- und Heilzentrum gewählt? Wir können nur vermuten, daß der »Heilige Germanicus«, als der Hüter des alten Reiches Deutscher Nation, darauf bedacht ist, den Menschen in diesem Lebensraum zu helfen. Wie wir wissen, wird in diesem Teile Europas kein Krieg stattfinden, und selbst um Polen wurde ein Lichtgürtel von der Hierarchie gelegt. In die sem Mittelpunkt hat Saint Germain sein Geist- und Heilzentrum errichtet. Vielleicht war bereits zur Zeit der Valuspa dieser Ort schon Tempel, in dem die Priesterinnen ausgebildet wurden, die dem Menschen Heilung brachten. Nicht von ungefähr ist es, daß kaum nach der Rückkehr aus den USA dem Leiter des Zentrums eine sehr lange Botschaft über die Valuspa vermittelt wurde, denn auch sie, welche von Richard Wagner im »Ring« als die Erda, die Erdenmutter umgewandelt wurde, gehört zum kosmischen Team des Heilzentrums. Bisher wurde die Erde von den Cohanen der sieben Strahlen geleitet. Jetzt sind im Neuen Zeitalter noch drei weitere Strahlen dazugekommen. Saint Germain regiert den violetten siebenten Strahl mit der violetten Flamme. Es ist die Flamme der Gnade, der Barmherzigkeit, des Mitgefühls, der Anrufung, Umwandlung und der Freiheit. Saint Germain bezeichnet sich selbst als der Heilige der Freiheit. Er ist es, der in der Welt mit Beginn seines Amtsantritts die Freiheit forciert. Die Unterjochten kämpfen gegen die Unterdrücker, gegen die Korrupten und Materialisten. In der ganzen Welt brennt es, denn alles Ungute wird von dieser Erde weggeputzt werden. Die Aura der Erde wird gereinigt werden. Das ist der Gottesplan. Auf der Erde wird nur mehr eine bestimmte Menschenelite leben und reinkarnieren können. Es werden die Eingeweihten sein und die der Großen Weißen Bruderschaft angehören. Vor der Überbevölkerung der Erde werden zwei Drittel der Seelen auf einem besonderen Planeten leben müssen. Es handelt sich in erster Linie um die Kriegstreiber, Materialisten und Ausbeuter, um die Bösen und Ungläubigen. Saint Germain lehrt die ICH BIN-Kraft. Das ICH BIN ist das Christusbewußtsein. Wer mit dem violetten Feuer eingesiegelt wird, ist immunisiert gegen alle Krankheiten. Alle menschliche
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Schöpfung in uns wandelt sich in Vollkommenheit. So ist es kein Wunder, daß kranke Menschen plötzlich wieder gesund werden. Gehirntumore und Metastasen, Geschwüre und Organerkrankungen kommen wieder in die Harmonie. Die Tumore und Knoten werden aufgelost. Krebs ist keine Krankheit mehr für die, welche glauben können und im violetten Strahl und der Freiheitsflamme stehen. Für die Eingeweihten ist das alles selbstverständlich. Die meisten waren krank an Seele, Geist und Körper und durften erfahren, daß ihnen geholfen wurde. Wo immer ein Brennpunkt des Heiligen Feuers ist oder ein Lebensstrom, der etwas Wissen vom Violetten Feuer besitzt, in dem hat die Energie die Gelegenheit, erlöst zu werden. Er hat die Freude, sich im Universum zu bewegen und Energie zu befreien, sie freizulieben und in der heiteren Meisterschaft eigener Göttlichkeit dazustehen. Mit der ICH BIN-Kraft ist Saint Germain entschlossen, die Wissenschaft und die Anwendung des Violetten Feuers in einigen aufgestiegenen Wesen zu verankern, als eine absolut unwiderlegbare, wissenschaftliche Offenbarung, die nicht geleugnet werden kann. Jeder Eingeweihte kann die Anwendung des Violetten Feuers lernen. Hunderte von Suchenden nach der Wahrheit hatten im Künstlerhof die Gelegenheit, im Rahmen der Seminare dieses Violette Feuer zu spüren und die Einkehr des Heiligen Geistes. Der Herr des Neuen Goldenen Zeitalters hilft uns bei der Göttlichen Alchemie. Er ruft uns, nachts in den Tempel des Violetten Feuers zu kommen. Jeder hat Platz im Heim und im Herzen Saint Germains. (Quelle: »Portraits« Nr. 10/1982, S. 2.)
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2. Die Alternativbewegung 7975 stellte Bruno Martin (geb. 1946), der von Gurdjieff und J. G. Bennett herkommende Herausgeber der Zeitschrift »Hologramm« (s. o. [25]), in seinem Buch »Kreative Zukunft« noch vorsichtig die Frage: »Kommt ein neues Zeitalter? Was bedeutet es inhaltlich? Ist diese Vorstellung tatsächlich relevant?« Er meinte, meist werde damit eine recht diffuse Vorstellung verknüpft: »Die Wünsche reichen von erfüllt über frei, kommunikativ, kreativ, human bis hin zu konfliktfrei und naturverbunden.« Reimar Lenz schrieb damals, vor allem im Blick auf den religiösen »Zweig« der Subkultur, den wenigen Tausend, die immerhin noch »aus Theorie und Praxis der Weltreligionen, speziell aus der Geschichte der Esoterik und Mystik wirkliche Hilfen entnehmen«: »Die religiöse Subkultur ist der verzweifeltste gesellschaftliche Ort, eine Oase hoffnungsvoller Ohnmacht. Aber der Traum vom meditativen, zärtlichen, solidarischen, bedürfnislosen, kreativen Leben bleibt wahr, auch wenn er zu schön ist, um real zu sein« (in: »Arbeitstexte der EZW«, Nr. 16/1975, S. 22f.). Bruno Martin fiel auf, daß die Vision der Jugend oft an der Vergangenheit orientiert sei: an dauerhafter Stabilität, Sehnsucht nach »Heimat«, Rückkehr zur Natur und zu alten Religionen, an Wiederherstellung der »Ganzheit«. Als Antwort gab er die Parole aus, die wohl alle in der spirituellen Alternativbewegung Engagierten in irgendeiner Weise als verbindlich ansehen: »daß der Mensch ein neues Zeitalter zuerst in sich selbst erschaffen muß«. Mit Arnold Keyserling meinte er: »So treten wohl an die Stelle der Kirchen und Sekten in der Wassermannzeit Schwerpunkte auf der Erde, welche die Methoden studieren, wie der einzelne zu seinem eigenen Wollen vordringt«, m. a. W. zur Selbstbestimmung und Selbsterschaffung. »Ohne die Neuschaffung der Welt«, so Martin, »findet keine neue Zeit statt.« In dem folgenden, stark gekürzten Text eines anderen Autors wird dieses zentrale New-Age-Thema der »Selbsterschaffung« des neuen Menschen des Wassermannzeitalters (Ernst Benz nannte
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ihn einmal den neuen »Para-Tarzan«!) in einer ziemlich wilden Mischung aus Astrologie und Anarchismus in gleichsam vulgarisierter Form abgehandelt. Text Nr. 4 Alain the Astrologer Das Zeitalter des Wassermanns Aquarius — Wassermann: Titelsong aus »Hair«, Name verschiedenster Publikationen des sogenannten »Neuen Bewußtseins«, aber immer häufiger auch Name für Kellerclubs, Diskotheken und Boutiquen — doch worin liegt die ursprüngliche und die tiefere Bedeutung? Viele Anhänger des »Neuen Zeitalters« datieren den Beginn des Wassermann-Zeitalters auf den 5. Februar 1962, als sich die Sonne, der Mond (im Neumond) und die fünf Planeten, die dem bloßen Auge sichtbar sind, im Zeichen des Wassermanns gruppierten. Fast alle diese Planeten befanden sich in Opposition zu Uranus im Löwen (Uranus ist derjenige Planet, der das Zeichen Wassermann regiert) und bildeten ein Quadrat zu Neptun im Skorpion. Wenn wir uns an die Sechziger Jahre erinnern, wissen wir, daß diese Zeit einen Wendepunkt bedeutete. Sie brachte die Explosion vieler bestehender Werte: die ersten Langhaarigen erschienen (sie wurden bewußt oder unbewußt zum Symbol der Revolte), es wurde ungewöhnliche Kleidung getragen, der Musikstil einer neuen Generation wurde geboren, die Beatles (Brüder im Zeichen des Wassermanns), die Rolling Stones (»uranischer Schocker«)... Diese Jahre brachten für viele den Zusammenbruch der konventionellen Auffassungen über Sex, auch kurze Augenblicke kosmischen Bewußtseins während LSD-Trips, die bisweile n von einem Lebensstil gefolgt wurden, der Yoga und Meditation einschloß: Turn on — tune in — drop out (Timothy Leary). Wenn wir den 5. Februar 1962 als den Anfang des Jahres 0 annehmen, so befinden wir uns jetzt schon im 13. Jahr des Wassermann-Zeitalters. Die Entdeckung des Planeten Uranus im
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Jahre 1781 könnte als Vorläufer angesehen werden, der die industrielle Revolution in England, die Unabhängigkeit der USA, die Französische Revolution und das Ende der Entdeckungs- und Eroberungs-Ära über die Meere durch die Expeditionen nach Australien und der Antarktis brachte. Für den einzelnen und für die gesamte Menschheit bedeutet der Beginn der Wassermann-Zeit das Problem von Qualität/Quantität oder Wert/Menge. Der Einzelne (Qualität) kann das Innen mit dem Außen noch aus balancieren, aber für die Masse (Quantität) wird es noch einige Zeit brauchen, um das Bewußtsein zu erhellen und so etwas wie eine Massen-Bewußtheit, ein höheres Gesamtbewußtsein, zu ermöglichen. Es wird wohl etwa zweihundert Jahre dauern, ehe sich das Erscheinungsbild einer »Wassermann-Kultur«, eine Art von sanfter Anarchie, voll abzeichnen kann. Der Beginn des derzeitigen Großen Jahres ist vor dem 10. Jahrtausend v. Chr. überliefert, als die letzte Insel von Atlantis versinkt. Bis ungefähr zum Jahre 4000 v. Chr. wissen wir nichts Genaues, dann taucht das 1. Buch Mose im Zeitalter des Stiers auf. Auch die anderen großen Bibeln (Popol Vuh, El libro de los libros de Chilam Balam, die Bhagavad Gita, die Veden und Upanishaden) wurden im Stier-Zeitalter niedergelegt. Wird die Schöpfungsgeschichte als symbolische Verkörperung der Errichtung einer Neuen Welt im Garten Eden angesehen, so ist dies dem Zeichen Stier angemessen, das als Erdzeichen die Landwirtschaft beherrscht. In dieser Zeit wurden Agrargesellschaften bei den Chaldäern, in Ägypten, Indien und im vorkolumbianischen Amerika errichtet, die an die Stelle der nomadenhaften Jagdstämme traten. Darstellungen von Göttern mit Stierköpfen sind häufig mit Menschenopfern verbunden (der Minotaurus auf Kreta, die heiligen indischen Kühe) und der Totenkult (Skorpion als Oppositionszeichen) mit der mühseligen Errichtung von Pyramiden und anderen Heiligtümern. Mit Christus kündigt sich das Zeitalter der Fische an. Der Grundton dieses Sternzeichens ist universell, irrational, blinde Liebe (und Haß!), Glaube; das Ideal des Oppositionszeichens Jungfrau oder Reinheit entwickelte sich zu einem einengenden Ideal der Perfektion, der rationalisierenden Logik, wobei etwa die
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Bibel sogar noch nach zahlreichen Übersetzungen des Originaltextes übertrieben wörtlich genommen wurde. Und damit wurde das kosmische Bewußtseinsfeld des Fischemenschen engherzig, rational und fanatisch (Inquisition) und schlug sich in der Errichtung einer repressiven Gesetzgebung nieder, die Einengung und Frustration brachte. Die Universalität der Fische wurde durch den analytischen Filter der Jungfrau in Hunderte sogenannter christlicher Sekten aufgespalten, Christus von der Jungfrau Maria und unzähligen anderen Heiligen und Dogmen der Kirche in den Hintergrund gedrängt. Christus wurde von der katholischen Hierarchie geradezu vernichtet, die nämlich das Ideal »Katolikon« vergaß: universelle Segnung spaltete sich in Gruppierungen auf, die sonntags zur Kirche gingen und alle anderen verdammten; Ketzer oder Heiden; während Christus die transzendierende Liebe und Spiritualität der Fische verkörpert, repräsentiert die Kirche die heuchlerische Dialektik der Jungfrau. Diese Unterteilung wird auch zeitweise durch katholischen oder protestantischen Einfluß auf den Nationalismus widergespiegelt. Das Wirtschaftssystem der Fische-Zeit basiert auf einer Art von Sklaverei oder Aufopferung (Bauern arbeiten für den Adel und Bischöfe), was später mit einer Massenproduktion verbunden ist. Das Wassermann-Zeitalter auf der Achse Luft/Feuer von Wassermann-Löwe ist dynamischer und müßte eigentlich Kreativität auf allen Ebenen entwickeln (verbunden mit spielerischem Wesen und Leichtigkeit). Die Werte und Maßstäbe der Fischezeit (Christentum), die noch immer gegenwärtig sind, scheinen nicht länger relevant zu sein, sondern werden umgeformt oder transzendiert. Ein weiteres Verständnis für das Wassermann-Prinzip kann durch das Meditieren über das Symbol erlangt werden: Es erscheint seltsam, im Wassermann-Symbol, einem fixen Zeichen innerhalb der traditionellen Astrologie, Dualität zu erkennen. Diese Dualität der beiden parallel verlaufenden Linien symbolisiert die noch bestehenden Unterschiede, die später wie zwei Flußläufe vereinigt werden und in einem Ozean münden oder an der Mündung des Flusses zu einer Einheit verschmelzen. Zwischen diesen beiden Wellenlinien sind verschiedene Abgründe
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oder Konflikte zu erkennen: der Generationskonflikt, der Krieg der Geschlechter, der Konflikt zwischen Idee und Wirklichkeit, zwischen Theorie und Praxis, zwischen Sein und Bewußtsein etc. Die Zeichen Wassermann und Löwe sind beides Zeichen von Synthese und Einheit. Im Verlaufe des Wassermannzeitalters werden diese beiden Linien zu einer einzigen zusammenfließen. Das Zeitalter des Wassermanns wird ein sehr wesentliches, und gleichzeitig auch verwirrendes, Zeitalter innerhalb der Menschheitsgeschichte werden, das sich zurück (?) zu einem Goldenen Zeitalter bewegt. Es bedeutet den Wandel von der bloßen Existenz zur Bewußtheit (oder zum Bewußt-Sein), was beim einzelnen Menschen schon damit anfangen kann, daß er hier und jetzt er selbst wird und sich in die Zukunft hinein fortsetzt. Das Wassermann-Symbol prägt innerhalb des Zeitalters die allgemeine Stimmung oder den Zusammenhalt. Ein Wassermann sucht nach Wissen und Wahrheit, er ist zwar kein Mystiker, wohl aber Idealist. Einige selbsternannte Angehörige des Neuen Zeitalters begehen den Fehler, vom Wassermann in mystischen Termini zu sprechen: wie von einem Morgen, wenn wir alle gut sein werden, wenn wir unseren Blutstrom gereinigt haben, wenn wir uns an gewisse Regeln oder Befehle neuer Bibeln angleichen (mehr Bücher, mehr Worte!!) — wenn wir dann von Fliegenden Untertassen gerettet werden (eine übertragene Vorstellung des christlichen Paradieses); zeigen wir Ungehorsam, werden wir von einer neuen Sintflut vernichtet werden (Höllenvorstellung). All dies sollte selbstverständlich symbolisch gedeutet werden, und der Bewußtseinszustand des einzelnen kann durch physische Reinigung geläutert werden. Dagegen ist die Wassermann-Zeit eine Phase der Entmystifizierung von allem wie auch der Weigerung, sich etwas vormachen zu lassen. Gott ist tot, oder vielmehr: die Vorstellung eines Einzigen Gottes, der nur einmal, unter nebulösen Umständen, in einem bestimmten Lande auftritt, sei es nun als alleiniger Gott oder alleiniger Sohn Gottes, der in einem menschlichen Körper inkarniert (Jesus von Nazareth). Dieser stellt ein sanfteres Abbild jenes schrecklichen Gottes irgendwo im Himmel (oder auf einem Berg) dar, der urteilt, bestraft, zerstört (manchmal auch mit atomaren Waffen) und Naturkatastrophen auslöst. Jehova bei den Juden,
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Zeus bei den Griechen, und wie sie heißen mögen — sie sind alle tot. Das Göttliche ist es, das in allem in Erscheinung tritt und keinerlei Gegenleistung verlangt; für jeden Menschen aber, der sich verpflichtet fühlt, verschiedene Kirchen oder Tempel zu besuchen, ist Gott sehr teuer geworden! Zwar mag immer noch die Angst des Menschlichen existieren, das sich mit dem Göttlichen konfrontiert sieht; jedoch hat das Ende der Angst vor Gott Liebe überhaupt erst einmal möglich gemacht. Wassermann — das ist offensichtlich Ungehorsam, Anarchie, Revolution. Es bedeutet das Ende von Göttern aus zweiter Hand, von Meistern, Gurus und Priestern, Vater und Mutter und noch vielem mehr. Das Problem besteht darin, selbst die Meisterschaft zu erlangen, jene göttliche Energie zu gebrauchen, die überall verfügbar ist. Aus eben diesem Grunde erweist sich alles, was mit einer christlichen Einstellung verbunden ist, als nicht länger rele vant. Das Wassermann-Zeitalter wird die unmittelbare Verbindung zwischen dem Selbst und dem Universum oder der Kosmischen Energie erleben. Der Mensch im Wassermann hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. So wird es keine Privilegierten mehr geben, wir alle sit/en im gleichen Boot inmitten des Wassermannstroms. Mit der mystischen Elite im Reiche Gottes wird es vorbei sein. Gewisse okkulte Geheimnisse bleiben nicht mehr auf eine fanatische Minorität beschränkt, das Okkulte verliert vielmehr seine Geheimnisse: es geht nicht mehr darum, ihnen Glauben zu schenken, sondern darin und aus ihnen heraus sein Leben zu gestalten. An Yoga-Formen zählt Hatha-Yoga zum Wassermann und Kundalini-Yoga zum Löwen, da dieser auch das Rückenmark und die Wirbelsäule beherrscht. Durch freigesetzte Energie wird der Tantrismus im Wassermann-Zeitalter nach innen wie nach außen gelebt werden. Gesunde Ernährung, die sich den individuellen Bedürfnissen anpaßt, wird ebenfalls zu besserer Gesundheit beitragen. Verstand und Vernunft können niemals gesund sein, wenn der Körper krank ist; dieser Fehler wurde allerdings von den Mystikern des Fische-Zeitalters gemacht, die glaubten, daß Gott ausschließlich eine spirituelle Realität und das äußere Leben daher unwichtig sei. Tatsächlich kommt durch Krankheiten ein dynami-
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scher Prozeß zum Ausdruck, der Schwierigkeiten auf anderen Ebenen anzeigt. Genauso falsch ist es auch, das äußere Leben für unwichtig zu halten, weil es ein Teil von Maya, also der Illusion, sei; man könnte dann Werbung verkaufen oder mit Land spekulieren oder das Spiel der Geschäfts-Mafia mitspielen, was alles nichts ausmacht, wenn man Baba oder Jesus in sich trägt. Tatsächlich ist das Leben auf der physischen Ebene jedoch sehr wichtig, da diese Stufe die erste ist, die transzendiert werden muß. Der Wassermann ist zwar ein Realist, aber keiner, der sich der Realität anpaßt. Im Zeitalter des Wassermanns wird die erotische Liebe (als Löwe-Ideal), die im Fische-Zeitalter durch das Jungfrau-Ideal von Repression, Pflicht und Keuschheit abgelehnt und gering geschätzt wurde, große Bedeutung erlangen. Sie wird gleichzeitig experimentelle und existentielle Formen annehmen — und daher lassen sich hier keinerlei Voraussagen machen — aber sie wird ohne Zweifel die derzeitige Sex-Szene bei weitem überschreiten. Bisher hat die erotische Revolution gerade erst in Skandinavien ihren Anfang genommen (Schweden wird vom Wassermann regiert). Verbindungen, die auf direktem oder indirektem Zwang, Pflichtbewußtsein gegenüber den Kindern oder anderen Konventionen basierten, sind entweder sehr gefährdet oder bereits auseinandergebrochen. Das Problem besteht darin, daß die Frau vom Mond (Krebs) regiert wird und gewöhnlich auf einer instinktiven Emotionsebene operiert und es gegenwärtig sehr wenige Frauen gibt, die das philosophische Äquivalent zu Männern darstellen; auch viele Vertreterinnen von Women's Lib sind über-emotional, bringen starke Haßgefühle zum Ausdruck und möchten gerne einer ebenbürtigen Gruppe angehören. Aufgrund ihres intuitiven Verstehens und einer angeborenen Klugheit steckt in Frauen jedoch ein außerordentliches Potential, und im Wassermann-Zeitalter werden sie dem Mann in philosophischer Hinsicht ebenbürtig werden und ihn sogar übertreffen. Darüber wird sich der Mann überaus wundern und durch die Frau seine Verbindung mit dem Kosmos finden. Familien- und Paarstrukturen werden nicht länger bestehen, weil Freiheit und Kreativität wesentlich für den Wassermann sind. Eine dynamische Beziehung im Sinne des Was-
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sermann-Prinzips schafft diese Kreativität und Leichtigkeit und wird damit vermutlich einige Vorstellungen (etwa von Vater, Mutter und Kind) zerstören. Alles, was wir tun, dient der Freude — und nicht der Vergrößerung materieller Besitztümer, sozialen Ansehens oder persönlicher Macht. Auch die Erziehung wird vitalisiert werden — Familien- und Schulstruktur sind bereits seit Jahren in Theorie und auch in der Praxis angefochten und herausgefordert worden. Auf sanfte Art werden die Kinder dahin geführt werden, selbst Entscheidungen zu treffen, ihr Bewußtsein zu erwecken, Kreativität und Freude zu fördern. Unpersönliche Klassen werden durch persönlichen Kontakt einzelner Menschen untereinander ersetzt werden, Ideen selbst gefunden anstatt von außen aufgesetzt. Auch hier wird es wiederum Formen geben, über die sich jetzt nichts voraussagen läßt. Rudolf Steiner, A. S. Neill und Auroville sind alles bereits Versuche für eine progressive Erziehung, die sich mit wachsender Bewußtheit modifizieren wird. Da es keinen Einzigen Gott, Guru oder Lehrer mehr geben wird, muß sich auf nichts im besonderen berufen werden, und Schulen und Kinder werden sich selbst erschaffen. Wenn wir das Göttliche in uns vervollkommnen können, werden wir alle potentielle Lehrer sein. Welche Rolle spielt nun das Spirituelle im Wassermann-Zeitalter? Aufgrund seines integralen Charakters ist auch das Spirituelle darin eingeschlossen. Der Wassermann ist insofern Idealist, als er ein Mensch ist, der mit beiden Beinen auf der Erde steht und sich hoch zum Himmel erheben will. Schauen wir schließlich 2000 Jahre voraus, auf das Zeitalter des Steinbocks, so wird es sich dabei um eine Epoche der Stabilisierung von Werten aus dem Wassermann-Zeitalter handeln. (Quelle: »Middle Earth« Nr. 6, S. 4ff.)
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3. Die Transpersonale Psychologie Text Nr. 5 Auf dem Transpersonalisten-Trip (Sitzungsbericht) Stanislav Grof, Gründungspräsident der in Esalen ins Leben gerufenen »International Transpersonal Association« (ITA), hat eine besondere Methode entwickelt, um sogenannte transpersonale Zustände erreichen zu können, die er mit den mystischen Erfahrungen der Menschheit gleichsetzt, in denen die Unterscheidung von Ich und Welt aufgehoben ist und die totale Verschmelzung mit dem Kosmos erreicht wird. Der Mensch »entledigt« sich aller IchEmpfindungen. Verhalf zunächst LSD dazu, so gelang dies — nachdem LSD in den USA verboten worden war — durch eine stoßweise Beschleunigung des Atems, während der der Kohlensäuregehalt des Blutes stark abnimmt. Auch das Inhalieren von Sauerstoff wird zu diesem Zweck angewandt. Die Sauerstoffanreicherung wird begleitet von in getragenem Ton vorgetragenen Texten, welche die Teilnehmer in Trance versetzen. Ein Teilnehmer einer solchen Sitzung berichtet: Wir üben Stanislavs »holonomische Integration«, kurz: den Transpersonalisten-Trip. Diesmal liegen wir in zwei Reihen nebeneinander. Nach mehreren autogenen Entspannungsübungen beginnen wir auf Grofs Anweisung mit dem tiefen, schnellen Atmen. Der Raum ist abgedunkelt, aus den Lautsprechern dröhnt Rachmaninows symphonische Dichtung »Die Toteninsel«. Nach einer halben Stunde bleiben sechs Leute schreiend und wimmernd wieder in frühkindlichen Träumen hängen. Weitere vier wälzen sich am Boden, die Arme und Hände wie in einem epileptischen Anfall spastisch verkrampft — die für Hyperventilation typischen Symptome. »Euer rationales Bewußtsein will die Kontrolle nicht verlieren«, erläutert Stanislav, die Klienten sollten den Trip fortsetzen und »durch diese Sperre hindurchgehen«. Inzwischen begleitet uns der monoton-rhythmische Gesang
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der Helveti-Jerrahi-Derwische des Scheichs Muzaffer. Unsere Gruppe schnauft und röchelt unablässig im Takt. Weitere zwei Leute brechen ab, stehen langsam auf. Im Schwindel mit den Händen immer wieder Halt suchend, verlassen sie den Raum. Die verbliebenen sieben reisen, stetig tief atmend, mit Scheich Muzaffer durch die blauen Wolken ihrer Phantasie. Später, beim »sharing«, erzählen sie Erlebnisgeschichten wie aus Tausendundeiner Nacht: Hinter ihre Geburt zurück in den jenseitigen Allheitszustand seien sie flugs zurückgekehrt. Zwei Herren mittleren Alters, der eine aus Österreich, der andere aus Deutschland, wollten gar in einem früheren Leben als Derwische über die Höhen der anatolischen Landschaft gezogen sein — ein netter Zufall. Ihnen sei der Einstieg ins Transpersonale geglückt, lächelt Grof, im Schneidersitz auf dem Boden hockend, eines Tages könnten sie nach Lust und Laune aus ihrem Körper aussteigen und sich mit den »Bewußtheiten anderer Lebewesen« transpersonal verschmelzen. (Quelle: »Der Spiegel«, 10.10.1983.;
4. Die sanfte Verschwörung Text Nr. 6 Marilyn Ferguson Beziehungen Nach der amerikanischen Wissenschaftsjournalistin Marilyn Ferguson befinden wir uns mitten in einem revolutionären Bewußtseinswandel, der anzeigt, daß das New Age schon begonnen hat. Ihre zentrale Kategorie lautet: »Transformation« [2/76ff.]. Diesen Begriff hat sie vermutlich von George Leonard und seinem 1972 erschienenen Buch »The Transformation« übernommen. 1981 erhielt sie den von 70 internationalen Wissenschaftlern ver-
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liehenen »Transformation Award«. Bei der Verwendung der anderen zentralen Kategorie der » Verschwörung« stand Teilhard de Chardins Begriff der » Verschwörung der Liebe« Pate, den sie aus einer Trudeau-Rede aufgeschnappt hat [2/21 f.]. Wie sich diese »Transformation« im menschlichen Zusammenleben auswirkt, ist eines ihrer Lieblingsthemen, das sie auch in einem Beitrag für den neuen Sammelband »Millennium« (1984) behandelt, dem der folgende Ausschnitt entnommen ist. Darin predigt sie den »heroischen Pfad in das Selbst« als eine Angelegenheit für und von jedermann. In der Idee der Transformation der menschlichen Beziehungen zu größeren Verbänden kann man einen Reflex des Einflusses der Indianer-Kultur auf das New-Age-Bewußtsein sehen, wie auch umgekehrt »Sun Bear«, ein Medizinmann des Chippewa -Stammes in Minnesota, der 1970 eine ökologisch orientierte New-Age-Kommune (den »Bear Tribe«) gründete und 1981 auch in Stuttgart eine Rede hielt, die indianischen Stammestraditionen in das Leben der Jugend des New Age einbringen möchte. (Vgl. dazu die Dokumentation des Arbeitskreises »Geisteswissenschaften und religiöse Minderheiten« der »Ökologisch-Demokratischen Partei«, ÖDP, von 1983.) Die Form und der Zweck menschlicher Beziehungen werden auf dem Weg ins nächste Jahrtausend einem grundlegenden Wandel unterzogen — evolutionär, historisch und kulturell. Von den eng definierten Beziehungsarten in der Mitte des 20. Jahrhunderts, wie z. B. verheiratete Paare und traditionelle Familien, kommen wir langsam in ein Zeitalter der Abwechslung, Synthesen und Beziehungen, deren äußerstes Ziel es ist, Entwicklung zu fördern. Was wir zum jetzigen Zeitpunkt am deutlichsten sehen, ist die Vielfältigkeit. Zum Beispiel gibt es vergrößerte Familienstrukturen, ähnlich wie das Sippensystem unserer Vorfahren. Diese neuen Verbindungen beruhen mehr auf dem Prinzip der miteinander geteilten Werte als auf Blutsverwandtschaft oder Sippentreue. Menschen leben zusammen, leben allein; heiraten, weigern sich zu heiraten; haben Kinder, bleiben auf eigenen Wunsch kinderlos; adoptieren als Alleinstehende Kinder, bilden spontan Familien und neu zusammengesetzte Haushalte. Eine Vielfalt von Bezie-
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hungsmodellen wird bestehen bleiben. Es ist unwahrscheinlich, daß das Pendel zurückschlagen wird zur Nachkriegsnorm der traditionellen Familie: Vater, der das Geld verdient, Mutter als Hausfrau, Kinder. Zu viele, nicht mehr rückgängig zu machende Einflüsse — ökonomische, soziale, technologische, politische und psychologische — erzeugen Veränderungen. Durch den Vorwärtsdrang an der Basis geht die Macht in andere Hände über: durch die Frauenbewegung, den Kampf um die Rechte von Minderheiten, Kindern, politisch und sexuell Andersdenkenden, Behinderten und Alten. Aus wirtschaftlicher Notwendigkeit und Beweglichkeit sind viele vorübergehende Wohngemeinschaften gegründet worden. Einzelpersonen schließen sich zusammen, um zu überleben. Andere bilden »gewollte Familien« als emotionale oder praktische Stütze. Immer mehr geschiedene Väter erhalten das Erziehungsrecht für ihre Kinder, allein oder gemeinsam, und bilden damit ein relativ neues Phänomen des alleinstehenden Vater-Haushaltes. Die Zahl der Paare, die ohne Trauschein zusammen leben, ist in den USA zwischen 1970 und 1978 um das achthundertfache gestiegen. Die Welle der Veränderung ist durchdringend, wirft alte Formen um und bringt neue, vorläufige. Die Beziehungsformen ändern sich, weil sich die Menschen verändern. Erstmals sind Millionen zu Bewußtseinsreisen verführt, gezwungen, rekrutiert oder in sie hineinkatapultiert worden. Gemeinsam bewegen sie sich in Richtung unerforschter Gebiete der Wandlung. Wenn wir eine neue Beziehung zu uns selbst erlangen, geraten auch alle anderen Beziehungen ins Schwanken. Wenn wir beginnen, uns selbst zu vertrauen und uns stark, kreativ und lernfähig zu fühlen, werden wir weniger anpassungsbereit. Wir werden von den alten Kompromissen irritiert. Diese Reise hat viele Ausgangspunkte. Für manche ist es ein soziales Anliegen: Eine Bewegung, die neue Fragen über die Umwelt, Menschenrechte, Schulen oder Politik aufwirft. Für viele ist es eine Krise: Schlechter Gesundheitszustand, finanzielle Not, eine zerstörte Beziehung, ein Trauerfall. Oder es kann eine Herausforderung sein: Plötzlicher Erfolg, neue Verantwortungen, neue Anforderungen. Alles, was die alten Voraussetzungen und
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Kompromisse in Frage stellt, kann den Prozeß der persönlichen Umwandlung auslösen. Die Autorität von Institutionen wie Kirche, Staat, medizinischen und schulischen Einrichtungen nimmt rapide ab. Das wachsende Bewußtsein der Eigenverantwortlichkeit, das sich in den ganzheitlichen Gesundheitsbewegungen und den Gemeindeaktivitäten manifestiert, reflektiert sich auch in der sich wandelnden Institution der Familie. Eine breite kulturelle Revolution verändert den bisherigen Bereich der Beziehungen. Der größte Anstoß kommt wahrscheinlich von beabsichtigten Systemen, den Modalitäten, die überall verfügbar sind: PopPsychologie, Bücher über Selbstfindung, Psychotherapie, Meditation, Traumjournale, Körpertraining, Yoga, Training für Biofeedback, Laufen, Wochenendseminare, esoterische Lehren. Der fragende Intellekt, der Drang zum Selbstausdruck — einst als Kennzeichen von Künstlern, Mystikern und Nonkonformisten angesehen — ist jetzt ein alltägliches Phänomen. Der heroische Pfad in das Selbst ist nicht länger Stoff für Legenden, sondern das Potential von Jedermann und Jederfrau. Sich selber vertrauen lernen führt oft zu Wertmaßstäben, die sich stark von denen unterscheiden, die von der Gesellschaft aufgedrückt und befürwortet werden. Der Konflikt zwischen alten und neuen Wertmaßstäben verursacht Schwankungen, sogar Erdbeben in bestehenden Beziehungen. Neue Prioritäten stellen ihre eigenen Normen auf. Wenn die erste Bevölkerungswelle ihre überwiegende Loyalität diesen neuen Normen schenkt, sind diejenigen, die an den alten festhalten, bedroht. Wir steuern auf mindestens ein Jahrzehnt der Turbulenz zu, nicht nur in Ehen und Familien, sondern auch in unseren Beziehungen zu Freunden, Kollegen und innerhalb der Gesellschaft. (Quelle: »Millennium: Wege ins Dritte Jahrtausend« von Alberto Villoldo und Ken Dychtwald, Basel 1984; hier zitiert nach dem Vorabdruck im Begleitheft der »Internationalen New Age-Tage Zürich 1984«.)
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5. Das neue Paradigma: New Age und Wissenschaft Im Zusammenhang naturwissenschaftlicher und philosophischer Theorien begegnen uns gegenwärtig eine Reihe neuer Modelle oder neuer »Paradigmen« der Weltsicht. Den entscheidenden Durchbruch leistete der Nobelpreisträger von 1977 Ilya Prigogine (67), Professor für Physikalische Chemie in Brüssel und in Austin (Texas) mit seiner Theorie der »dissipativen Strukturen«. Diese geht von dem Grundsatz aus, daß »lebende Systeme« — im Gegensatz zu toten — ihre selbsterzeugte Entropie in ihre Umgebung verteilen (= lateinisch: dissipare) können und umgekehrt aus der ungeordneten Umgebung neue komplexe Strukturen aufbauen können. In vielen Punkten konvergieren diese neuen Paradigmen, ob es sich nun um das »holographische Modell« (holomovement) des Physikers und Einstein-Schülers David Bohm (London) handelt oder um die »holographische Theorie« des Neuropsychologen Karl H. Pribram von der Stanford University in Kalifornien, um die »morphogenetischen Felder« des englischen Biologen Rupert Sheldrake, um Peter Russells Theorie vom »globalen Gehirn« der Erde oder um Fritjof Capras Anschauung von der Übereinstimmung zwischen moderner Atomphysik und alten mystischen Weltanschauungen. Gemeinsam ist ihnen allen vor allem das Ganzheitsdenken (Holismus) und die Ablehnung jeder atomistischen und mechanistischen Fraktionierung in der Wissenschaft. Als grundlegend gelten dabei in der gegenwärtigen New-Age-Literatur die »Systemtheorie« des englischen Anthropologen Gregory Bateson bzw. das Paradigma der »Selbstorganisation von Systemen« als dynamischem Grundprinzip aller Formen der Evolution von Erich Jantsch. In seiner »Ökologie des Geistes« hat Bateson das kybernetische Modell des biologischen Fließgleichgewichts zur Darstellung der Beziehung von Welt und Subjekt benutzt. Die Vielfalt der Einzelerscheinungen ist Teil eines Prozesses: Die Schreibmaschine, auf der ich schreibe, und ich selbst sind Teile
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eines Systems, zu dem auch der Tisch, das Zimmer, in dem ich schreibe, meine Stimmung, meine Familiensituation usw. gehören. Der Biologe Ludwig von Bertalanffy (geb. 1901 in Wien) vertrat die Forderung nach einer solchen »allgemeinen Systemtheorie« sogar schon in der »vorkybernetischen Ära« in seiner Schrift »Das biologische Weltbild« (1949), indem er den Versuch machte, »den noch metaphysisch belasteten Organismusbegriff durch eine allgemeine Systemtheorie zu ersetzen« (H. W. Beck). Die Systemtheorie übernimmt damit für die moderne Wissenschaft die Rolle, die die aristotelische Logik für die traditionelle Wissenschaft hatte. Man hat sie daher auch als »die kopernikanische Wende des 20. Jahrhunderts« bezeichnet, aber auch als den Abschluß der von dem Theologen Karl Heim 1904 im Anschluß an das energetische Weltbild von Ostwald beschworenen »Götzendämmerung« in der Naturwissenschaft: dem Zusammenbruch der Absoluta »Raum«, »Zeit«, »Materie« und »Determination«. Text Nr. 7 David Bohm Das holographische Paradigma (holomovement) Der britische Physiker und Einstein-Schüler David Bohm ist mit seiner »holonomischen Theorie« von großem Einfluß auf Capra [vgl. l/90f./101ff./335J. Seine grundlegende Vorstellung ist nach Sheldrake »die, daß der Welt der Erfahrung, der entfalteten Phänomenologie, eine implizite Ordnung sozusagen eingefaltet zugrundeliegt. Diese implizite Ordnung bewegt sich nicht innerhalb von Zeit und Raum. Erst die Entfaltung dieser impliziten Ordnung schafft das Universum wie auch die Komponenten von Zeit und Raum. Er leitet diese Weltsicht aus der modernen Quantentheorie ab und behauptet, daß vieles in der modernen Physik diese Anschauung unterstützt« [3/159]. »Explizite Ordnung« ist sozusagen die »objektive Welt«, die wir durch unsere Wahrnehmung kennenlernen, »implizite Ordnung« wird die Welt der Quantenphysik genannt, in der sich die Partikel auch als Wellenformen
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verhalten und Hologrammen ähnliche Organisationen bilden. Der Grundgedanke Bohms läuft also auf die Anschauung hinaus, daß das Ganze eine universale Eigenschaft der Natur sein könnte und in jedem seiner Teile enthalten ist, wobei sich die Anhänger dieser Theorie vollkommen bewußt sind, daß sie bereits in vielen mystischen Überlieferungen ihren Ausdruck gefunden hat. Der christliche Theologe fühlt sich an Schleiermachers »Reden über d ie Religion« (1799) erinnert. David Bohm hat die Aussage der Quantenmechanik ernst genommen, die die Existenz von »Teilchen« widerlegt. Die Neue Physik betrachtet das Universum als eine ständig fluktuierende, dynamische, in sich verflochtene Ganzheit, die durch »Symmetriebrüche« eines einzigen zugrundeliegenden, unteilbaren »Feldes« lediglich den Anschein erweckt, als gebe es Teile. Bohm zieht daraus einen ebenso einfachen wie verblüffenden Schluß: Die sichtbare Schöpfung, die von »Teilchen« und »Teilen« aufgebaut wird, sei letztlich eine Scheinwelt. Wirklich »wirklich« sei nur die Ganzheit des Universums: Die aber sei immer und überall vollkommen gegenwärtig, auch wenn sie, jedenfalls von ihrem Standpunkt betrachtet, »zeit«-weise und »in« sich selbst Illusionen von »Werden und Vergehen« hervorruft. Die Parallelen zu östlicher Weisheit sind offenkundig. David Bohm, der als ordentlicher Professor Theoretische Physik in London lehrt: »Wir haben die übliche klassische Vorstellung umgekehrt, die unabhängigen, elementaren Bausteine der Welt seien die fundamentale Wirklichkeit und die verschiedenen Systeme nur besondere zusammenhängende Formen und Anordnungen dieser Teile. Vielmehr sagen wir, daß der untrennbare Quantenzusammenhang des ganzen Universums die fundamentale Wirklichkeit ist, und daß relativ selbständig agierende Teile nur besondere und zusammenhängende Formen innerhalb dieses Ganzen sind.« Nicht also die uns bekannten »Teile« bauen das Ganze auf; das Ganze schafft vielmehr an verschiedenen »Stellen« nur die vorübergehende Erscheinung, »Teil« zu sein... Die gesamte Information der Ganzheit des Universums ist ständig und überall, zu allen Zeiten und an allen Orten, in vollem Umfange präsent.
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Die Konsequenz für uns: Wir alle verfügen potentiell über die Gesamtinformation des ganzen Kosmos, denn wir alle sind ein »Teil« der »impliziten Ordnung«. Damit aber wäre, nur ein Beispiel, die Erklärung von Telepathie als ein Phänomen noch nicht entdeckter »Signale« und »Informationsträger« nicht länger nötig. Wenn Bohms Theorie stimmt, dann brauchen wir nicht unbedingt Kanäle und Signalleitungen, um Informationen auszutauschen. Denn dieser »Austausch« fände dann nur zwischen »uns und uns« statt, wäre »Teil« des einen, umfassenden Rückbezugs der »impliziten Ordnung« auf sich selbst. (Quelle: »Trendwende« 5/1984, S. 7.) Text Nr. 8 Rupert Sheldrake Das schöpferische Universum Mit seinem Buch »A New Science of Life« (1981; deutsch: »Das schöpferische Universum: Die Theorie der morphogenetischen Felder«, München 1983) hat der englische Biochemiker Rupert Sheldrake eine überaus lebhafte Diskussion ausgelöst, da er damit den traditionellen Ansatz der Biologie, lebende Organismen als eine Art physikochemischer Maschinen zu betrachten, in Frage stellt und mit seiner Hypothese der »morphogenetischen, gestaltbildenden Felder« vor allem bei New-Age-Anhängern auf große Zustimmung stieß. Für sie ist er einer der Hauptrepräsentanten des »Paradigmenwechsels« in der Naturwissenschaft, hin zu einer lebendigen, ganzheitlichen Auffassung der Natur. Als Beleg für die Richtigkeit seiner Hypothese führt er neuere Experimente in einigen Stadtteilen Chicagos an, in denen Meditierende durch Gruppenmeditation die Kriminalitätsrate beeinflußten. Hierher gehört auch sein berühmtes Ratten-Beispiel: Untrainierte Ratten an einem Ende der Welt »können« plötzlich etwas, was trainierte Ratten am anderen Ende gelernt haben, was auf der Basis einer »morphischen Resonanz« erklärbar ist, die über Zeit und Raum hinweg das Verhalten einer Gattung verändern kann. Bis zum
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1. Dezember 1985 hat eine Organisation in New York einen 10 000Dollar-Preis zur Überprüfung der Sheldrake-Hypothese ausgesetzt. Mit seiner Theorie lenkt Sheldrake allerdings, wie er in einem Interview auch selbst feststellt, wieder stärker zur westlichen philosophischen Tradition zurück, genauer: zu Aristoteles. In diesem Sinne beschreibt er seine Theorie als Kombination von zwei Grundideen: Die Forschungen, die ich betreibe, sind ziemlich eng mit abendländischen philosophischen und spirituellen Traditionen verknüpft. Genauer gesagt gibt es zwei traditionelle spirituelle Grundströmungen, denen meine Arbeit folgt: die abendländische und die fernöstliche. Die abendländische, der ich folge, ist die, die aus dem Gedankengut von Aristoteles und Plato entstanden ist. Sie besagt, daß unsere Erfahrungswelt, die Welt, die mit bestimmten Eigenschaften und Formen ausgestattet ist, sich in ihren metaphysischen Grundlagen wiederum aus diesen Eigenschaften und Formen erklärt und nicht aus etwas anderem. Allerdings waren dies nur zum Teil Platos Gedanken, da er zum anderen Teil von Pythagoras beeinflußt war und von daher annahm, daß den Eigenschaften und Formen der äußeren Welt Geometrie und Zahlen zugrundelegen. Bei Plato war die Vorstellung von der Form eher etwas Transzendentes, das dann die tatsächliche Form in ihrer Ausprägung beeinflußt. Bei Aristoteles jedoch war die Form des Pferdes beispielsweise etwas, das dem Pferd irgendwie immanent war, das geistige Prinzip der Entstehung der Form war also sozusagen zugleich Bestandteil der Materie. Das Aristotelische Universum hat als ordnende und schöpferische Faktoren die Eigenschaften und Formen der materiellen Schöpfung in sich. Dahinter liegt der Gedanke, daß jedes Ding und Wesen der in ihm liegenden Idee nachstrebt, um ein Ganzes, Komplettes zu werden. Und das ganze Universum wurde als ungeheurer Organismus gesehen, der sich in Richtung auf eine perfekte Form bewegt. Die primäre Ursache dieser Bewegung war Gott, aber er stieß das Ganze nicht von hinten an, sondern war die Idee von Perfektion und Ganzheit, nach der alles strebte. Ein Gedankensystem, das den Akzent besonders auf Form als Ursache legte,
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wie auch auf Eigenschaft und Muster; zugleich aber auch auf das Ziel, den Sinn der Entwicklung, daß sich alles zu seiner Ganzheit entwickeln muß. Meine Hypothese der formbildenden Verursachung ist dem Aristotelischen Gedanken der Form als ursächlichem Element der Entwicklung sehr verwandt. Denn in der seit dem 17. Jahrhundert entstandenen modernen Wissenschaft sind die formalen und finalen Ursachen außerhalb der Betrachtung; es geht nur noch um die Materie und die sie bewegende Ursache, die Energie. Wissenschaft hat seit dem 17. Jahrhundert versucht, ohne formende und finale, auf ein Ziel hingerichtete Ursachen auszukommen. Aber einst wurden diese Aristotelischen Inhalte, die auch Bestandteil der mittelalterlich-scholastischen Synthese Thomas von Aquins sind, an allen europäischen Universitäten gelehrt — in römischkatholischen Philosophie -Seminaren sind sie noch heute zu finden. Diese Weltschau unterscheidet sich grundlegend von der mechanistischen, in der es nur Materie und Energie gibt und irgendwelche mechanischen Kräfte, wo alles schlußendlich von Zahl und Quantität beherrscht wird. Sie ist voll von Qualität, Form und zielgerichteter Entwicklung. Die Biologie wurde in dieses Schema gezwungen, obwohl sie vom Gegenstand ihrer Betrachtung her ganz offensichtlich mit Form und zielgerichteter Entwicklung befaßt ist. Aber der Versuch, die Biologie in die mechanistische Betrachtungsweise der Physik zu zwingen und biologische Prozesse nach mathematischen und maschinellen Bedingungen zu erklären, ist ganz eindeutig fehlgeschlagen, außer in einigen Spezialgebieten. Der Ansatz jedoch, den ich verfolge, fügt sich sehr gut in die Fortsetzung dieser westlichen geistigen Traditionen ein. Insoweit, als das letzte Ziel hellenischer Philosophie immer das richtige Handeln oder Gutsein war, ist dies eine durchaus spirituelle Tradition. Die zweite Grundidee ist ziemlich verschieden von der westlichen Tradition. Wäre sie nicht auch Bestandteil meiner Arbeit, würde ich lediglich eine moderne Neuauflage des Aristotelischen Gedankens propagieren. Die zweite, sich davon unterscheidende Vorstellung ist die der Verursachung über die Zeit hinweg. Während bei Aristoteles die Form eine unwandelbare ursächliche
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Komponente war, ist in meinem Modell die Möglichkeit einer Wandlung und Weiterentwicklung der Formen gegeben, je nach dem, was im Laufe einer Entwicklung geschieht. Was ich als ordnenden und gestaltenden Faktor mit dem Ausdruck »morphogenetische Felder« bezeichne, ist Gegenstand von Wandlung und Lernprozessen. Es ist also nicht so, daß eine einmal fixierte Form ständig wiederholt wird, denn alles, was in der Welt tatsächlich passiert, wird die durch die morphogenetischen Felder übertragene Formbildung bestimmen. Bei Plato und Aristoteles ist der Prozeß ein eindimensionaler: Die Welt spiegelt die einmal als Idee vorhandenen Formen wider. In meinem Modell spiegelt sich auch die Welt der ausgeprägten Formen in den formbildenden Prozessen wider, d. h. sie beeinflußt sie, so daß eine Wechselwirkung vorliegt. Und das Ganze geschieht als ein sich ständig aufbauender und akkumulierender Prozeß über die Zeit, über die Generationen hinweg. Dieser Gedanke existiert in der westlichen spirituellen Tradition nicht. Er erinnert eher beispielsweise an das östliche Prinzip des Karmas oder an einige Schulen des MahayanaBuddhismus, die so etwas wie ein kosmisches Gedächtnis des gesamten Universums vertreten. Alles, was im Universum geschieht, hat danach eine Art kosmisches Karma, ein Gedanke, der auch von den Theosophen in ihrer Vorstellung von der Akashachronik übernommen wurde. Meine Hypothese vereinigt beide Traditionen, wenngleich sie nicht in dieser Absicht formuliert wurde, sondern erst rückschauend beide Ansätze enthält. (Quelle: »New Age — Zeugnisse der Zeitenwende«., S. 160ff.)
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II, Die Weltanschauung des Neuen Zeitalters 1. Gott und Welt — Der Monismus Nach Erich Jantsch ist Gott »zwar nicht der Schöpfer, wohl aber der Geist des Universums«. Er »ist die Evolution« (S. 412). Von seinem Verständnis der Evolution als »Selbstorganisation der Materie« gelangt er zu einer religiösen Überhöhung wissenschaftlicher Theorien, die als besonders charakteristisch für das New-AgeBewußtsein angesehen werden kann. Er scheut sich dabei nicht, handfeste Anleihen bei den östlichen Religionen zu machen, während das überlieferte Christentum deutlich abgewertet wird. Ähnlich rühmt Capra die Leistung Teilhard de Chardins, dessen Ansatz von der Systemtheorie her in einem neuen Licht erschiene, weil er versucht habe, »seine naturwissenschaftlichen Einsichten, mystischen Erfahrungen und theologischen Doktrinen zu einer zusammenhängenden Weltanschauung zu integrieren, die von einem Denken in Prozessen dominiert war und sich besonders auf das Phänomen der Evolution bezog... Er schrieb, der Plane t sei während der menschlichen Evolution mit einem Gedankengewebe bedeckt, für das er den Ausdruck ,Gedankenschicht' oder ,NooSphäre' prägte (vom griechischen noos = Geist). Schließlich war Gott für ihn die Quelle allen Seins und vor allem die Quelle der Kraft der Evolution. Sieht man Gott als universale Dynamik der Selbstorganisation, dann könnte Teilhards Gottesvorstellung ... unter den vielen Bildern, mit denen Mystiker das Göttliche beschrieben haben, den Vorstellungen der modernen Naturwissenschaft am nächsten kommen« [1/338].
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Text Nr. 9 Erich Jantsch Die Selbstorganisation des Universums Wir stehen am Beginn einer neuen großen Synthese. Naturgeschichte, unter Einschluß der Menschengeschichte, kann als Geschichte der Organisation von Materie und Energie verstanden werden. Sie kann aber auch als Organisation von Information in Komplexität aufgefaßt werden. Vor allem aber kann sie als Evolution von Bewußtsein — das heißt von Autonomie und Emanzipation — und von Geist aufgefaßt werden. Geist erscheint nun als Selbstorganisations-Dynamik auf vielen Ebenen, als eine Dynamik, die selbst evolviert. In dieser Hinsicht ist Naturgeschichte immer auch Geistesgeschichte. Selbsttranszendenz, die Evolution evolutionärer Prozesse, ist geistige Evolution. Sie spielt sich nicht im Vakuum ab, sondern manifestiert sich in der Selbstorganisation materieller, energetischer und informationeller Prozesse. Damit wird jener Dualismus zwischen Geist und Materie aufgehoben, der das westliche Denken in seinen Hauptströmungen mehr als zwei Jahrtausende lang geprägt hat. In der Selbsttranszendenz, der Erschließung neuer Ebenen von Selbstorganisation — neuer geistiger Ebenen —, orchestriert sich Bewußtsein immer reicher. Im Unendlichen fällt es mit dem Göttlichen zusammen. Das Göttliche aber manifestiert sich dann weder in personaler noch sonstwie geprägter Form, sondern in der evolutionären Gesamtdynamik einer vielschichtigen Realität. Im Buddhismus, der umfassendsten Prozeßphilosophie und religion, steigt kein dualistisch gesehener Gott auf die Erde herab, wie in den monotheistischen Religionen des Christentums und des Islams. Gautama Buddha war ein Mensch, der sich auf vollkommene Weise — und nicht ohne zu leiden — selbst verwirklichte und damit ans Göttliche heranreichte. Die Menschheit wird nicht von einem Gott erlöst, sondern aus sich selbst heraus. Wie C. G. Jung (1962) es am Ende seines Lebens ausgedrückt hat, kann es sich auch für uns nicht mehr um den dualistischen Gegensatz zwischen Gott und Mensch handeln, sondern nur um die immanente Spannung im Gottesbegriff selbst, wie sie sich in der
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Mandala des Mystikers Jakob Böhme in den »Rücken an Rücken« stehenden Kreishälften ausdrückt. Dieses innere Ungleichgewicht, die glorreiche Unvollkommenheit des Lebens, ist das Wirksamkeitsprinzip der Evolution. Die Gottesidee steht hier nicht als ethische Norm über und außerhalb der Evolution, sondern wird echt mystisch in die Entfaltung und Selbstverwirklichung der Evolution selbst hineinverlangt. Hans Jonas (1969) hat dieser evolutionären Gottesidee den vielleicht großartigsten Ausdruck verliehen in seinem Gedanken, daß Gott sich in einer Abfolge von Evolutionen immer wieder selbst aufgibt, sich in ihr transformiert mit allen Risiken, die Unbestimmtheit und freier Wille im Spiel evolutionärer Prozesse mit sich bringen. Gott ist also nicht absolut, sondern er evolviert selbst — er ist die Evolution. Da wir aber die Selbstorganisations-Dynamik jedes Systems seinen Geist genannt haben, können wir nun sagen, Gott sei zwar nicht der Schöpfer, wohl aber der Geist des Universums. Im menschlichen Bereich aber bedeutet eine solche neue Synthese Hoffnung anstelle von Furcht, das Ende der Entfremdung des Menschen von einer Welt, deren immer schnellerer Wandel zur kafkaesken Bedrohung geworden ist und dabei doch nur den Menschen selbst zum Motor hatte. Die neue Synthese gibt dem menschlichen Leben tiefen Sinn. Sinn entsteht aus der Erkenntnis von Verbundenheit. Fragen wir jemanden nach dem Sinn seiner Ambitionen, seines Hetzens und Raffens, so heißt es oft, nicht für sich selbst, sondern für die Kinder tue man das alles. Dies ist ein Akt der Selbsttranszendenz. Ein weitergehender Drang nach Sinn visiert Generationenfolgen, Völker, Kulturen, die Evolution der gesamten Menschheit, ja vielleicht sogar des ganzen Universums an. Das Bedürfnis nach Sinn erweist sich als mächtiger autokatalytischer Faktor in der Evolution des menschlichen Bewußtseins — und damit in der Evolution der Menschheit und des Universums. Diese Verbundenheit unserer eigenen Lebensprozesse mit der Dynamik des allumfassenden Universums war bisher nur mystischem Erleben zugänglich. In der neuen Synthese wird sie Teil der Wissenschaft, die sich dadurch selbst dem Leben näher verbindet. Dieses Gefühl des Eingebettetseins in eine universale, zusam-
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menhängende Dynamik sollte uns nicht nur die Furcht vor dem eigenen biologischen Tod nehmen, sondern auch jene Furcht, die das »Überleben der Gattung« als höchsten Wert verteidigt. In der Selbsttranszendenz können wir nicht nur über uns selbst als Individuen, sondern auch über die Menschheit hinausgelangen. Mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion sind wir der Geist eines seiner selbst sich bewußt werdenden Universums geworden — ob als einzige Wesen oder in Gesellschaft anderer, ist dabei nicht so wichtig. Unser Bemühen gilt letzten Endes nicht der genauen Kenntnis des Universums, sondern der Kenntnis der Rolle, die wir darin spielen — dem Sinn unseres Lebens. Das Selbstorganisations-Paradigma, das die Dimensionen der Verbundenheit zwischen allen Formen der Entfaltung einer natürlichen Dynamik offenlegt, steht im Begriff, die Erkenntnis eines solchen Sinnes wesentlich zu vertiefen. (Quelle: E. Jantsch, »Die Selbstorganisation des Universums«, 2. Auflage, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1984, S. 411— 415.) Text Nr. 10 Fritjof Capra Das »Systembild des Lebens« Das Geheimnis von Capras Denken ist die »Systemtheorie« (s. o. 1/6). In seinen Anschauungen über Gott und Mensch, Geist und Gesellschaft kommt er allerdings kaum über die Ansichten von Bateson und Jantsch hinaus, die er in erster Linie popularisiert. Menschliche Individualität wie das Phänomen des Geistes gehören unter die Rubrik der »selbstorganisierenden Systeme«, wobei der auf deren Basis definierte »kosmische Geist« mit der »traditionellen Vorstellung von Gott« (was immer das sein mag!) identifiziert wird. Dies führt von vornherein zu ihrer Ent-Persönlichung, die über eine berechtigte Kritik an der Descartschen Subjekt-ObjektSpaltung weit hinausgeht. Die menschliche Person wird in »die Identität eines Rhythmus« aufgelöst [1/334],
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der Frage nach dem freien bzw. unfreien (!) Willen des Menschen wird jede Bedeutung abgesprochen, da im Rahmen eines »selbstorganisierenden Systems« ein der Welt gegenüberstehendes Ich sofort »transzendiert« wird [1/298f.], und die »Seele« wird im Rahmen der »Systembiologie« als ein »selbstorganisierendes System« gesehen, das sowohl über die Fähigkeit zu erkranken, als auch sich selbst zu heilen verfügt [1/414]. So erfreulich es einerseits ist, wenn im Gegensatz zu einer materialistischen Wissenschaft damit überhaupt wieder von der Bedeutung des Seelischen die Rede ist, so sehr sieht man sich hier vor eine Fülle neuer Fragen gestellt: Es fragt sich, wie ein Mensch im Rahmen dieser Sicht überhaupt persönliche Verantwortung übernehmen kann oder daraufhin angesprochen werden kann, oder wie der »unendliche Wert« der menschlichen Persönlichkeit hier noch festgehalten werden kann. Und wie soll das Bewußtsein des Erkanntseins durch einen persönlichen Schöpfer (Psalm 139, 1-3; 13-14) hier noch festgehalten werden? Um unser Systembild des Lebens auch auf die Beschreibung der gesellschaftlichen und kulturellen Evolution auszudehnen, wollen wir uns zunächst mit dem Phänomen des Geistes und des Bewußtseins befassen. Gregory Bateson hat vorgeschlagen, Geist als ein Systemphänomen zu definieren, das für lebende Organismen charakteristisch ist, wie auch für Gesellschaften und Ökosysteme. Er stellt eine Liste von Kriterien auf, die in Systemen erfüllt sein müssen, damit Geist in Erscheinung tritt. Jedes System, das diesen Kriterien entspricht, wird imstande sein, Informationen zu verarbeiten und die Phänomene zu entwickeln, die wir mit Verstand assoziieren — nämlich Denken, Lernen und Gedächtnis usw. Nach Ansicht von Bateson sind Geist, Verstand und Intelligenz notwendige und unausweichliche Konsequenzen einer gewissen Komplexität, die einsetzt, lange bevor die Organismen ein Gehirn und eine höheres Nervensystem entwickeln. — Batesons Kriterien für das Auftreten des Geistes stehen in enger Beziehung zu den Eigenschaften selbstorganisierender Systeme, die ich weiter oben als entscheidende Unterschiede zwischen Maschinen und lebenden Organismen aufgeführt habe... Aus der Sicht der Systemtheorie
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ist Leben keine Substanz oder Kraft und Geist kein »Ding«, das in Wechselwirkung mit der Materie steht. Leben und Geist sind Manifestationen derselben Gruppierung von Systemeigenschaften, von Prozessen, in denen die Dynamik der Selbstorganisation zum Ausdruck kommt. Dieser neue Geistesbegriff wird von unerhörtem Wert bei unserem Versuch sein, die kartesianische Trennung zu überwinden. Die Beschreibung von Geist als Organisationsmuster oder Gruppierung dynamischer Beziehungen erinnert an die Beschreibung der Materie in der modernen Physik. Geist und Materie erscheinen nicht länger als zwei getrennte Kategorien, wie Descartes es glaubte, sondern man kann sie als unterschiedliche Aspekte desselben universalen Geschehens betrachten. — Batesons Vorstellung vom Geist wird für unsere gesamte weitere Diskussion nützlich sein. Um jedoch der konventionellen Sprache näher zu bleiben, werde ich den Begriff »Geist« nur im Zusammenhang mit Organismen von hoher Komplexität verwenden und zur Beschreibung der Selbstorganisations-Dynamik auf niedriger Ebene den Begriff »Geistestätigkeit« anwenden. In der geschichteten Ordnung der Natur ist der jeweilige individuelle menschliche Geist in den umfassenderen Geist gesellschaftlicher und ökologischer Systeme eingebettet; dieser wiederum ist in das planetare geistige System integriert — in den Geist von Gaia —, das seinerseits an irgendeiner Art von universalem oder kosmischem Geist teilhaben muß. Das Gedankengebäude des neuen Systemansatzes wird in keiner Weise eingeengt, wenn man diesen kosmischen Geist mit der traditionellen Vorstellung von Gott assoziiert. Jantsch sagt: »Gott ist nicht der Schöpfer, sondern der Geist des Universums.« Aus dieser Sicht ist die Gottheit natürlich weder männlich noch weiblich, noch in irgendeiner persönlichen Form manifestiert, sondern stellt nichts weniger als die Selbstorganisations-Dynamik des gesamten Kosmos dar. (Quelle: Fritjof Capra, »Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild«, Scherz-Verlag, 2. Auflage, Bern — München — Wien 1983, S. 322ff.)
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2. Der Mensch Text Nr. 11 Stefan Leber Das Wassermann-Zeitalter als rhythmisches Grundprinzip in der Waldorfpädagogik Ohne den Begriff New Age oder Wassermann-Zeitalter selbst zu verwenden, verdeutlicht der Anthroposoph Stefan Leber in seiner von der »Wissenschaftlichen Buchgesellschaft« veröffentlichten Darstellung der Waldorfpädagogik, wie der Lebensrhythmus des großen platonischen Weltenjahres ein die »allgemeine Entwicklung« des Menschen bestimmender Faktor ist, der daher pädagogisch, z. B . bei der Frage der Abschaffung der Versetzungsordnung in der angestrebten »unausgelesenen Klasse«, zu beachten ist und der für die »individuelle Entwicklung« des Menschen als »heilender Faktor« anzusehen ist. Beim Rhythmus im Zeitverlauf des menschlichen Lebens handelt es sich nicht wie bei Sekunde und Stunde um Gleichheiten (Takt), sondern wie bei Tag/Nacht und Jahr um Wiederholung von Ähnlichem in gleicher Zeit, also »um ein lebendiges Wiedererstehen des Ähnlichen« in gleicher Zeit, d. h. die größeren Zeitabschnitte innerhalb der Entwicklung unterliegen durchaus Schwankungen. Diese Zeitrhythmik des Lebenslaufes kann nach Siebenjahresschritten gegliedert werden, wie das die Griechen mit den Heptomaden taten, wobei die leibliche Entwicklung mit dem Gestaltwandel und Zahnwechsel, die Pubertät mit der Erdenreife und die Mündigkeit als deutliche psychologische wie leibliche Umwandlung zur Erscheinung kommen. Die nachfolgende Entwicklung verlagert sich ganz ins Seelische, später dann vornehmlich ins Geistige. Innerhalb dieser großen Rhythmik gibt es selbstverständlich auch kleinere Abschnitte, die sorgfältig berücksichtigt werden müssen, so etwa im 10. und 12. Lebensjahr. Diese allgemeine, wir können sie auch menschheitliche Entwicklung nennen, ist in allem Individuellen enthalten, zielt auf das
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»Gleiche« im Verschiedenen, nicht aber im Sinne des nur statistischen quantitativen Mittelwertes, sondern als Qualität. Ehe z. B. in der ontogenetischen Sprachentwicklung die Differenzierung anhebt, also die Einwortsätze und Silbenverdoppelungen vorkommen, geht jedes Kind durch eine Lallphase, die über die Erde hin keine Sprachdifferenzierung kennt. Darin sehen wir ein Gleiches, Menschheitliches, das bis in das Individuelle einstrahlt und als eigenständige Qualität leicht übersehen wird. Was die allgemeine Entwicklung prägt, wird in den ersten Phasen biologischer Reifung am leichtesten faßbar: Sowohl die einzelnen Etappen der Embryonalentwicklung als auch der Geburtszeitpunkt liegen mit nur geringer Schwankung — allgemein menschlich — ungefähr in der gleichen Zeit. Ebenso ist die Entfaltung der Leibesorganisation in der frühen Kindheit im Erwerb des Gehens, Sprechens und Denkens ein allgemein menschlicher und dazu auch zeitlich geordneter Ablauf. Dieser zeitlich gegliederte Ablauf der Entwicklung ist das Geschehen, auf das die Pädagogik Rudolf Steiners besonders den Blick ric htet. Wie sich das Regenbogenspektrum in sieben Farben, die Tonreihen in sieben Tönen urbildlich aussprechen, so sind die Sieben-Jahres-Einschnitte aus der kosmischen Konstitution, der auch der Mensch angehört, zeitlich geordnet. Was aus alter Überlieferung herzukommen scheint, hat Steiner der modernen Einsicht zugänglich gemacht: Der Chronotypus des Menschen, von dem es individuelle Abweichungen in jeder Richtung gibt, umfaßt eine Zeitgestalt von rund 70 Jahren. Es ist dies jene Zeit, die die Sonne benötigt, um den Ort, den sie im Geburtsaugenblick einnahm, geistig verstanden, zu verlassen. Das Tagesgestirn benötigt für das Auge zwar nur vier Minuten hierfür, um seinen eigenen Durchmesser in der Ekliptik zu durchwandern, um aber denselben Ort wieder zu erreichen, schon ein Jahr, wobei es gegenüber dem Tierkreishintergrund ein wenig zurückbleibt. Nimmt man diese rückläufige, schon von Platon beschriebene Präzessionsbewegung, dann sind es eben rund 70 Jahre, bis die Sonne — wiederum geistig betrachtet — den Sternenort der Geburt »frei gibt«, indem sie nunmehr einen »Standort« neben ihrem früheren in bezug auf den Tierkreishintergrund einnimmt. Diese rückläufige Bewegung der Sonne
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benötigt 25 920 Jahre, um wiederum am Ausgangspunkt anzugelangen. 1/360 davon oder l Grad (ungefähr zwei Sonnendurchmesser) sind rund 70 Jahre oder l Weltentag. Diese große Rhythmik spiegelt sich in vielfältiger Weise im menschlichen Leben ab: So beträgt die Zahl der Atemzüge (18 in einer Minute) am Tag 25 920. 25 920 Tage aber sind gute 70 Jahre, eben jener Weltentag, der im Gesamt des platonischen Weltenjahres geborgen ist. In diese große Rhythmik ist also auch der Siebenjahresrhythmus des menschlichen Lebenslaufes als Zeitorganismus eingebettet. Die pädagogische Beachtung der allgemeinen Entwicklung, die zur unausgelesenen Klasse führt, ist auch für die individuelle Entwicklung ein stützender, kräftigender, heilender Faktor. (Quelle: S. Leber, »Die Pädagogik der Waldorfschule«, Darmstadt 1983, S. 20f.)
3. Christus Text Nr. 12 David Spangler Das Fest der Identität »Reflections on the Christ« ist eines der neuesten Bücher von David Spangler, in dem der Autor seine für das New-AgeBewußtsein typische Vorstellung von Christus darlegt. Christus ist für ihn nichts anderes als »das Innere Licht« eines jeden Menschen. Eine Zusammenfassung seiner Sicht, mit der längst überwunden geglaubte schwärmerische Häresien wieder aufleben, findet sich in seiner Betrachtung über die Bedeutung von Weihnachten, die in der Zeitschrift » Wege... Zur Synthese von Natur und Mensch« und in dem Sammelband »Weihnachten neu erleben« (1984) von seinen Anhängern in deutscher Übersetzung abgedruckt worden ist.
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Darin wird die »Tatsache« beschrieben, daß der Mensch selbst »das Licht«, bzw. »der Christus« ist, und eine »Erlösung durch Identifikation« vertreten. Jesus verkündete nach Spangler nichts anderes als die New-Age-Botschaft schlechthin: den Weg der Erleuchtung zur Identifikation mit unserem Selbst. Die nachfolgende Kurzfassung seiner Betrachtung konzentriert sich nur auf den zentralen Gedankengang: Weihnachten ist das Fest der Identität. Der Heilige Augustinus sagt: das, was wir die christliche Religion nennen, hat schon immer existiert. Ungefähr 80 Prozent des Christentums entstammt der Strömung einer Lehre platonischen Ursprungs — vor Platon kam es von Pythagoras, und vor ihm kam es von dem großen unbekannten Eingeweihten, der uns kollektiv als Orpheus bekannt ist. In der westlichen Kultur war es Orpheus, der damit begann, die Mysterien der Seele zu erforschen und dem Volke durch die Mysteriendramen — Schauspiel, Tanz, Musik, usw. — nahezubringen. Orpheus begann zu lehren, daß all dies symbolische Vorgänge sind, die sich auf innere Seinszustände beziehen. Pythagoras, Platon und Sokrates waren ihrer geistigen Ausrichtung nach alle orphisch. Diese Eingeweihten erkannten vollständig das Dasein Christi, oder was wir nun Christus, das Innere Licht nennen. Sie waren durch verschiedene ihnen zur Verfügung stehende Mittel wie Studium, Ritual und Einweihung in der Lage, ihr Bewußtsein in eine Einstimmung mit dem, was wir Christus nennen, anzuheben. Dieses Bewußtsein war den Wenigen vorbehalten. Jene, die den großen Staatsmysterien beitreten wollten, hatten sich strengen Einweihungsprüfungen zu unterziehen. Diejenigen, die diese Einweihungen überstanden, traten in die antiken Tempel ein, welche weniger Körperschaften darstellten, wie wir sie uns vorstellen würden, sondern eine Kombination von Universität und Kirche und Regierungsinstitution. Diese Menschen wurden natürlich als eine besondere Rasse betrachtet, denn das waren sie in mancher Hinsicht auch. Sie waren Halbgötter, und viele der großen Eingeweihten wurden als Gott, oder als die Kinder Gottes betrachtet. Doch der Durchschnittsmensch besaß kein solches Selbstbild.
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Er hatte noch nicht den Punkt erreicht, an dem er sagen konnte: »Ich bin Christus.« Als Jesus geboren wurde, änderte sich das... Jesus machte einen langen und intensiven Prozeß durch, um den Christus in sich selbst hervorzubringen, und ließ die Vision einer Identität erstehen, die zum ersten Mal zwischen der Eingeweihtenrasse und der Rasse der gewöhnlichen Menschen zu überbrücken vermochte. Jesus sagte: »Was ich tun kann, könnt auch ihr vollbringen, und noch größere Dinge.« Seine ganze Lehre ist äußerst einfach und bleibt bis zum heutigen Tag, richtig verstanden und angewandt, ein ganz sicherer Weg zur Erleuchtung, uns mit unserem Selbst zu identifizieren. Der Mensch ist eigentlich erst heute an einem Punkt angekommen, wo er beginnen kann, die Tatsache anzuerkennen, daß er Christus ist. Was Christus gezeigt hat, war Erlösung durch Identifikation; wenn du erlöst werden willst, besteht das einzige, wovon du erlöst werden mußt, in dir selbst, in deinem falschen Bild von dir selbst, ein Bild, das von Furcht, Zweifel, Einschränkungen, Eifersucht, Ärger und Haß erfüllt ist. Du kannst dich davon befreien, indem du aufhörst, nur ein empfangendes Wesen zu sein. Klopft bei ihm an und sagt: »Wir sind auch Christus.« Jesus kam als Mensch, um zu zeigen, wozu die Menschen fähig sind, und zu sagen: »Das Königreich ist in eurem Innern. Sehet nach und findet es dort. Suchet danach an erster Stelle, und wenn ihr es gefunden habt, dann wird euch alles andere auch gegeben werden.« Wenn wir nun also die Festzeit begehen, so laßt uns diese Gedanken gegenwärtig halten: daß wir nicht so sehr die Geburt eines Christus feiern, sondern eines Menschen, der sein Christentum entdeckte und sich damit identifizierte, sich mit seiner Quelle identifizierte. »Ich und der Vater sind Eins.« Wir können täglich unser Christentum beweisen durch die Meisterung unseres eigenen Wesens, wodurch wir Licht und Liebe in die Erde einführen. So wie Jesus eine Brücke war zwischen diesem und den höheren Reichen, damit die Erde erhoben werde, so können auch wir das sein. Daher legen wir in Findhorn einen solchen Wert auf die Vervollkommnung in allen Dingen, alle Dinge gut zu machen, Schön-
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heit und Ordnung aufrecht zu erhalten, und so fort; denn es ist die Aufgabe Christi, alle Materie zu erheben und ihrem eigenen ursprünglichen Wissen um ihre Schönheit zurückzugeben. Wenn etwas gut gemacht wird, wenn etwas gut geputzt wird, wenn etwas gut gepflanzt wird, wenn etwas gut entworfen wird, dann lebt Christus in ihm. Es ist voller Liebe gemacht worden. Wir sind tatsächlich zu einer Verknüpfung geworden zwischen dem Leben in dem Ding, ob es nun ein Stuhl oder ein Kleid oder ein Ofen oder was auch immer ist, und dem größeren Leben, dem es entsprungen ist. Und dadurch, daß wir durch unsere Liebe und unsere Anteilnahme, durch unsere Sorge und unser Annehmen um ihre Vollkommenheit zu dieser Verbindung geworden sind, haben wir der Materie ein Leben eingeflößt, um das sie vorher nicht wußte. In diesem Ausmaß haben wir sie aus ihrem Schlummer erweckt, und in diesem Ausmaß sind wir auch zum Christus geworden. Es gibt unzählige Möglichkeiten, dieses Spiel »Ich bin Christus« zu spielen. Und es sollte ein lustiges Spiel sein, ein aufregendes Spiel. Laßt uns mal sehen, auf wie vielerlei Weise wir Jesus zeigen können, daß wir genau da oben sind mit ihm. Auch wir haben die Identifikation vollzogen. Er sagte: »All diese Dinge könnt ihr auch tun, und noch größere Dinge.« Also feiern wir während dieser Festzeit die Geburt eines neuen Rhythmus der Identifikatio n innerhalb der Menschheit. Die Brücke ist von Jesus gebaut worden, die Lücke zwischen der Seele und dem Schlummer der Seele ist geschlossen worden, und das Königreich im Himmel ist für alle Menschen zugänglich geworden. (Quelle: »Wege... Zur Synthese von Natur und Mensch«, Nr. 4/ 1984, S. 6ff.)
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4. Sünde und Erlösung — Ethik und Eschatologie Text Nr. 13 Gerd Gerken Die 18 Elemente der kommenden Wiederverzauberung Der Soziologe Max Weber hatte zu Beginn dieses Jahrhunderts das Wesen des modernen Rationalismus und Kapitalismus als die »Entzauberung der Welt« charakterisiert. Die »Wiederverzauberung der Welt« ist ein 1983 auch in deutscher Sprache erschienenes Buch des amerikanischen Historikers Morris Berman mit dem Untertitel »Am Ende des Newton'schen Zeitalters«, in dem dieser, offenbar in Anklang an Webers These, von der Umkehrung dieses Rationalisierungs- und Säkularisierungsprozesses im kommenden Zeitalter ausgeht. Das Rezept zur Überwindung der »Entfremdung« (sprich: »Sünde«) — der New-Age-Anhänger würde dazu »double bind« (s. u.) sagen — ist wie bei M. Ferguson die Überwindung des Ich-Bewußtseins. Der »Trendforscher« G. Gerken hat in seinem Informationsdienst das Stichwort »Wiederverzauberung« aufgenommen und in 18 Punkten ein umfassendes Zukunftsgemälde vom nicht-entfremdeten Leben im kommenden New Age, vor allem von der Überwindung der »protestantischen Arbeitsethik«, durch eine »New-Age- Wirtschaft« entworfen: Vielleicht wird es am besten sein, sich zuerst einmal die wichtigsten Elemente einer Wiederverzauberung vor Augen zu führen: 1. Unsere Zeit begreift, daß der Kopf und damit der Intellekt bzw. die lineare Intelligenz versagt beim Versuch, die Probleme unserer Gesellschaft allein zu lösen. 2. Die Naturwissenschaft mit ihrer strikten Konzentration auf Analyse, Ratio, Kalkül und Experiment wird zunehmend als problematisch begriffen. 3. Durch das in letzter Zeit in breitesten Schichten neu entstandene ökologische Bewußtsein entsteht eine Wiederbeseelung der
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Heimat, der Natur und damit auch unserer Erde und des Kosmos, zumeist im Unterbewußtsein: als sich steigernde Sehnsucht nach einem neuen Dialogverhältnis zur Natur. Unsere Erde und unser Kosmos werden von immer mehr Menschen als ein Ort des SichZugehörig-Fühlens erlebt. Das Paradigma der industriellen Revolution, gekennzeichnet durch »Ausbeutung der Natur«, zerfällt. Ein neues partizipierendes Bewußtsein entsteht. Der Mensch verschmilzt mit der ihm eigenen Umgebung. Eine Entdeckungsreise in Richtung »psychisches Ganzsein« ist gestartet. 4. Die Gaia-Hypothese beginnt zu wirken: Mehr und mehr Menschen erkennen das Leiden der Natur und verbinden mit einer demütigen Haltung der Natur gegenüber nicht mehr so etwas wie Dummheit, Naivität und mittelalterliche Unwissenheit. Gerade die Elite erkennt, daß unsere Erde ein lebendiger Organismus ist. Eine wirkliche, atmende Mutter Erde, die mit uns fühlt, mit uns denkt, mit uns handelt. Die Gaia-Substanz ist insbesondere im Unterbewußtsein und in den kollektiven Archetypen wieder aufgeblüht (siehe India ner-Boom). 5. Was vor rund 50 Jahren in der experimentellen Atomphysik erkannt worden ist, wird immer mehr Popularwissen: Es gibt keine Objektivität. Keine Welt entsteht an sich, und kein Atom existiert »pur isoliert, d. h. objektiv«. Jede Beschreibung von Welt und jede Beobachtung aller Partikelchen und Elemente dieser Welt ist immer ein subjektiver Vorgang. Das Subjekt, das beobachtet und beschreibt, wird immer das, was analysiert wird, beeinflussen, prägen und gestalten. Also entsteht Wirklichkeit immer nur in den Köpfen von uns Menschen. Objektivität ist eine subjektive Illusion. Eine neue und schon heute sehr intensive Zuwendung zur Subjektivität ist zu beobachten. Dazu gehört auch die unübersehbar wichtige Strömung bei Jugendlichen und engagierten, z. T. spirituellen Gruppen, das Heil des Ganzen, d. h. die Gesundung unserer Welt und Umwelt, mit der zunehmenden Gesundung der eigenen Persönlichkeit zu verbinden. These: Die Krisen in uns selbst verursachen die Krisen um uns herum, also entsteht die bessere Welt durch individuelle Arbeit am besseren Ich. 6. Das, was Bateson »double bind« genannt hat, rückt immer mehr in das Scheinwerferlicht des öffentlichen Bewußtseins. Das
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bedeutet, daß sich ein kleiner, aber wichtiger Bewußtseinssprung bei immer mehr Menschen vollzogen hat. Sie wissen, daß wir im Prinzip Opfer einer falschen, dogmatisch engen Weltsicht sind. Aber wir waren gezwungen, das zu übersehen, uns also selbst zu belügen. »Double bind« bedeutet in diesem Sinne, daß wir einen kulturellen Druck aufgebaut haben, der uns zwingt, die Rolle des Opfers zu spielen, ohne zuzugeben, wie sehr wir Opfer und Beschädigter zugleich sind. Wird der »double bind« überwunden, kann der rationale Funktionalismus unserer Zeit als genehmigte Kollektivlüge erkannt werden. Die persönlich gefühlte, permanente Traurigkeit im Innersten von Körper und Seele und das unüber-hörbare, permanente Sinn-Defizit werden dann u. a. als kartesia nische Fehlprogrammierung erlebt und akzeptiert. Man hört dann auf, durch noch mehr Rationalität (oder Konsum) die Schäden der Rationalität ausmerzen zu wollen. 7. Die epochale Denkschule von Descartes hat dazu geführt, daß der Verstand im westlichen Kulturlager überbewertet worden ist (res cogitans). In Verbindung mit den vorherrschenden puritanischprüden Dogmen der staatstragenden Kirchen wurde der Körper — und damit auch die Gefühlswelt — offiziell diskreditiert (res extensa). Der gesamte unaufhaltsam sich entwickelnde Körper- und SportTrend im westlichen Lager kann als Re-Erotisierung und damit als Überwindung kartesianischer Grenzlinien begriffen werden. 8. Unsere Epoche ist von besonderer Bedeutung, da ein grundsätzliches, kulturtragendes Paradigma zusammenbricht. Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert entstand das kartesianische Paradigma, weil die damals vorherrschende »blindgläubige Religion« zusammenbrach. Der Mensch wollte (und mußte) sein Schicksal selbst steuern. 9. Ende dieses Jahrhunderts, d. h. im Übergang zum nächsten Jahrtausend, entsteht ein neues Paradigma, z. Zt. unter dem vermutlich vorläufigen Stichwort New Age. Ein Paradigma einer neuen Ganzheitlichkeit, das das kartesianische Element dort zu bewahren versucht, wo es positiv funktioniert, das aber auch wie der die Integration mit Natur, Kosmos und Spiritualität ermöglicht. Es ist ein evolutionäres Bewußtsein insofern, als man begriffen
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hat, daß der Mensch Regisseur seiner eigenen Evolution sein kann. Deshalb die Wiederverzauberung der Welt. 10. Wenn diese Wiederverzauberung kommt, stirbt auch der Pragmatismus als eine besonders wichtige Verhaltenskonzeption unserer rationalen Zeit. Pragmatismus, besonders wichtig für Wirtschaft und Politik, enthält in der Substanz die »Geisteshaltung der Zweckrationalität« (Max Weber). Nur das zählt, was »machbar« ist. Nur das ist von hohem Wert, »was etwas bringt«. Die neue, kommende Geisteshaltung versucht, Ganzheit (d. h. weiblich Integratives) wieder stärker in den zentralen Mittelpunkt zu bekommen. Statt Manipulationen Kooperation und Synthese. 11. Ein erster wichtiger Vorläufer der kommenden Wiederbeseelung ist zu beobachten in dem seit einigen Jahren stattfindenden Kampf einer Computerkultur gegen eine auf Selbsterfahrung und »inneren Reichtum« orientierte Gegenbewegung: High Tech contra High Tauch. Auch die unaufhaltsam sich qualifizierende und popularisierende Fantasy-Welle ist ein wichtiges Indiz für die Wiederbeseelung. Erkenntnisse werden nicht mehr nur daran gemessen, wie exakt und naturwissenschaftlich genau sie sind, sondern wie groß ihr Beitrag zum gesellschaftlichen Sinn und zum persönlichen Glück ist. 12. Unsere Gesellschaft entdeckt die inneren Bilder. Innere Wirklichkeit und Bewußtsein werden mit einer Intensität wie nie zuvor wissenschaftlich untersucht. Die Ergebnisse, soweit sie bis heute publiziert worden sind, weisen darauf hin, daß wir immer nur diejenigen Wirklichkeiten sehen bzw. produzieren, die wir als innere Bilder, d. h. als Vorstellung, parat haben. Die Gesellschaft entdeckt deshalb jetzt die neue Rolle der Vision, der Imagination, der Kinästhetik und der vorbegrifflichen Qualitäten des Geistes und damit auch bewußter mythologischer und metaphysischer Techniken. Das, was früher mit der Diskriminierungs-Formel »Parapsychologie und neuer Aberglaube« verbannt wurde, wird bald als »Technik der inneren Gestaltung von äußeren Welten« hofiert und kultiviert werden. Im Prinzip eine Wiederbelebung der Mimesis, d. h. eine leiblich-poetisch-erotische Identifikation mit der Welt. 13. Unsere Gesellschaft lernt, Wahrheit neu zu definieren. Bisher
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war Wahrheit überwiegend auf den Fundamenten der exakten Naturwissenschaft aufgebaut. Gerade aber die Möglichkeiten modernster Meß- und Analyse-Technologie mittels hochsensibler Elektronik zeigen, daß Wahrheit mit rationaler Vernunft nicht gleichzusetzen ist. Das rationale Modell, so wird auch in der Wirtschaft immer mehr erkannt, führt »zu abstrakten Aussagen ohne Herz« und ohne leidenschaftliches Engagement und läßt Wertvorstellungen permanent als »zielschädliche oder nachgelagerte Gefühlsbegleitungen« außer acht. Das Konzept einer rationalen Vernunft wird deshalb auch immer stärker in Business und Wirtschaft als ein Mythos geblendeter Intellektualität erkannt. 14. Unsere Zeit nähert sich in langsamen Schritten der Weisheit des Ostens. Es gibt im Prinzip kein Gut und kein Böse. Persönliche Qualitäten, gesellschaftliche Werte sind immer nur dann messerscharf richtig und endgültig, wenn man sie falsch behandelt, d. h. wenn man sie total isoliert und von der tatsächlichen Welt und vom persönlichen Schicksal distanziert. Wiederbeseelung bedeutet, daß man erkennt, daß zwischen allen Dingen, egal wie gut oder wie schlecht sie sind, immer enge Verwandtschaften und »unsichtbare Pipelines« bestehen. Wahrheit ruht im Paradox, das führt zu einer zunehmenden Reduzierung von Aggression in unserem kulturellen Muster und zu einer zaghaften Zuwendung zur Toleranz. 15. Die Wiederverzauberung der Welt wird die protestantische Arbeits-Ethik, wie sie unsere westliche Kultur seit vielen Epochen prägt, überwinden. Geld und äußerer Machtglanz wurden im protestantischen Arbeitsethos in Zusammenhang gebracht mit religiöser Erlösung. Sie wurden zum Symbol wahrhaftiger Frömmigkeit. Der Kapitalismus, als Wirtschaftsform verstanden, basiert auf dem protestantischen Arbeits- und Leistungsethos, was u. a. zu einer Unterdrückung der eigenen Innenwelten führte, d. h. zu einer bewußt praktizierten Vernachlässigung bzw. Schädigung des eigenen Selbst. Die kommende Kultur, die sich seit den Hippies zunehmend artikuliert, entwickelt und ausweitet, ist aber eine Kultur der Selbsterfahrung und der Selbstentwicklung. Das, was CaliforniaLifestyle genannt wird, wird sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als breit praktiziertes Grundmuster unserer Kultur
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durchsetzen. Gerade die High-Tech-Gesellschaft und mit ihr die darauf aufbauende Informationsgesellschaft fördern und pflegen California-Lifestyle. 16. Der Zusammenbruch der kartesianischen Dogmen wird weitestgehende Konsequenzen für Spiritualität und neue Religionen bekommen. Schon heute wird im wissenschaftlichen Lager darauf hingewiesen, daß es im Prinzip keine Wahrheiten gibt und daß jede Definition und Erfahrung von Wahrheit an irgendeine Methode zur Erfahrung dieser Wahrheit gekoppelt ist. Damit wird im Grunde jeder Erfahrungsprozeß auch gleichzeitig ein Glaubensbekenntnis. Wahrheit und Wirklichkeitserfahrung benötigen immer das mitdefinierte Bekenntnis einer bestimmten Erkenntnismethode. Jede Wissenschaft ist damit eine praktizierte Glaubenshandlung. Objektivität wird als Mythos erkannt. Angebliche Neutralität und Wertfreiheit werden als Schimären entlarvt. Jede wissenschaftliche Vernunft erhält somit einen Glaubens- und damit auch einen religiösen Charakter. Damit wird das Vision-Making (visionary factor) immer wichtiger. Wenn Wissenschaft in diesem Sinne von Glauben abhängig ist, wird auch Glaube — und damit persönliche Spiritualität — wichtig. Entsprechend dem Konzept permanenter Selbstreferenz (Maturana) wird erkannt, daß man in seiner Umwelt immer nur das findet, wonach man sucht, und man sucht nur das, woran man glaubt. Glaube — im weitesten Sinne — ist damit nicht nur Erkenntnisfaktor, sondern auch Gestaltungsfaktor für zukünftige Wirklichkeiten. Die Zukunft ist also abhängig von der Qualität des Glaubens. Damit werden Utopie und Vision zwei wesentlich zentrale Punkte kommender Zukunftsgestaltung und auch praktischer Wirtschaftspolitik. Dieser neuartige Zukunftsglaube kann jedoch nicht praktiziert werden ohne eine grundsätzliche Neuorientierung in Richtung Evolution und Spiritualität. Die New-Age-Bewegung, die spirituelle und evolutionäre Grundgehalte popularisieren will, wird deshalb als Impuls für die neu kommende Zukunftsorientierung von Gesellschaft und Wirtschaft immer wichtiger. Die New-Age-Wirtschaft beginnt sich zu formulieren. 17. Es entsteht ein neuer Bildhunger, der gegen den gefühlsarmen Rationalismus des Intellekts vermutlich mit hohem Erfolg
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kämpfen wird. Die mediale Bildkultur der kommenden Informationsgesellschaft wird das »innere Bild« (Alpha-Denken) in den Mittelpunkt praktischer Überlegungen und Konzeptionen rücken. Unsere Gesellschaft wird neben den tatsächlichen Gegebenheiten, die man anfassen, fühlen und nachleben kann, Wirklichkeiten erleben, die nichts anderes sind als kollektiv akzeptierte Sammlungen von AlphaGedanken, d. h. von Bilder-Essenzen. Zwischen den bildhaften Kunstwirklichkeiten (glosses) und dem Bereich partizipierender Bewußtseinsinhalte (Mimesis als Bildqualität) wird es fruchtbare Auseinandersetzungen geben. Daher lautet die Formel für die Zukunft: Mimesis gegen Computer und Video. 18. Die Wiederverzauberung der Welt wird kein Neuaufguß alter Esoterik sein. Hier wird das nachkartesianische Paradigma immer mehr auf eine tragfähige biologische Grundlage gestellt. Viele EliteWissenschaftler versuchen, den höheren Dialog zwischen Mensch und Natur in physiologische Grundbegriffe umzuformen. Wichtig dafür sind die von der High-Tech-Gesellschaft entwickelten Möglichkeiten der elektronischen Sensibilität. Gerade die kommenden elektronischen Fortschritte ermöglichen der Wiederverzauberung eine solide, wissenschaftlich »exakte« Grundlage. Damit entwickelt sich das neue wiederverzauberte Weltbild nicht in Richtung einer reinen Spekulation, sondern wird so beweisbar, wie es unsere Gesellschaft benötigt. Gerade die bisher lediglich als Geheimlehre weitergereichten Erkenntnisse werden durch exakte elektronische Messungen objektiviert, bewiesen und damit für ein breiteres Publikum glaubensfähig gemacht. Es ist grotesk: »Nach vier Jahrhunderten der Verdrängung schlüpft Eros endlich durch die Hintertür wieder herein« (Berman). Das Unerklärliche, das Unpräzise, das Nichtwirkliche wird wirklich durch Elektronik. Eine Transformation, ja, eine Synthese wird erkennbar: die Vermählung von Elektronik und Esoterik. (Quelle: »Das neue Paradigma«, in »Trend-Radar« 1984.)
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III. »New-Age-Christentum«? Die Frage nach der Möglichkeit einer Verbindung des zum Teil von ganz anderen religiösen Traditionen gespeisten New-AgeBewußtseins mit dem christlichen Glauben oder des Glaubens an ein bevorstehendes Wassermannzeitalter mit der christlichen Zukunftshoffnung und Eschatologie wird von einigen Vertretern dieses Denkens selbst aufgeworfen. Kündigt sich vielleicht so etwas wie ein »New-Age-Christentum« an? Text Nr. 14 Rupert Sheldrake Synthese von Wissenschaft und Religion Der durch seine Theorie der »morphogenetischen Felder« bekanntgewordene R. Sheldrake (s. o.) lebte seit 1978 vorwiegend in Indien in einem christlichen Ashram. Auf seinen eigenen spirituellen Hintergrund angesprochen, gab er folgendes zur Antwort: Ich war mit der mechanistischen Theorie des Lebens nie zufrie den. Selbst als Student in den Anfangssemestern habe ich nie daran geglaubt, daß Tiere und Pflanzen wie Maschinen funktionieren sollten. Denn ich studierte Biologie, weil ich an Pflanzen und Tie ren als Lebewesen interessiert war. Meine ersten Anstöße empfing ich durch die Lektüre von Goethe. Goethes Vorstellungen von dem, was wir heute holistische Wissenschaft nennen, haben mich beeindruckt. Er war ein großer Kritiker der Newtonschen Weltsicht, sowohl im Hinblick auf Newtons Farbenlehre als auch im Hinblick auf seine Ansätze zur Biologie. Dann habe ich ein Jahr Philosophie studiert, um festzustellen, ob hier die Antwort sei. Ich habe keine gefunden, aber einige neue Vorstellungen daraus gezogen, eine weitläufigere historische Perspektive. Schließlich verfolgte ich meine Forschungen über die Entwicklung von Pflanzenformen an der Universität von Cam-
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bridge weiter. Während dieser Zeit wurde durch persönliche Kontakte usw. mein Interesse für Meditation geweckt. Ich begann mit der Ausübung der Transzendentalen Meditation. Währenddessen kam ich auch mit fernöstlichem Gedankengut in Berührung. Ich habe dann ein Jahr in Malaysia für das Gummiforschungsinstitut gearbeitet und kam dadurch in direkten Kontakt mit der asiatischen Kultur. Schließlich kam ich zu der Einsicht, daß der mechanistische Ansatz zum Verständnis von Pflanzen nicht geeignet ist — das gilt auch für Tiere. Ich wußte aber nicht, wie diese andere Biologie aussehen sollte. Also beschloß ich, meine biochemische Forschungsarbeit in Cambridge aufzugeben und etwas Nützliches zu tun: Ich ging an das landwirtschaftliche Forschungsinstitut in Indien, wo ich nach wie vor tätig bin, und beschäftigte mich innerlich weiter mit meinen Fragen. Ich war an östlicher Philosophie interessiert und besuchte viele hinduistische Ashrams; ich sprach mit Gurus und Swamis usw. Ich erkannte, daß es für Westler unmöglich ist, ein Hindu zu werden. Ich kam aber auch an den Punkt, daß ich viele der Einsichten fernöstlicher Weisheit im Christentum wiedererkannte, etwas, demgegenüber ich vordem blind war. Und schließlich fühlte ich mich mit der christlichen Tradition viel wohler, denn das ist die Kultur, aus der ich komme, in der meine Wurzeln liegen. Ich meine auch, daß dies allgemein sehr wichtig ist, denn man kann als in dieser Kultur geborenes Individuum die christliche Tradition nicht einfach ablehnen und so tun, als ob es sie nicht gibt. Als ich dann schließlich daran ging, mein Buch zu schreiben, verließ ich meinen Arbeitsplatz an dem Forschungsinstitut und ging in einen christlichen Ashram in Südindien. Er ist sehr nach dem indischen Stil ausgerichtet, offen für indische Ideen und Praktiken — man lebt vegetarisch, die Leute sitzen auf dem Boden usw. Das war für mich die Brücke zwischen diesen beiden großen religiösen Traditionen, der hinduistischen und der christlichen. In diesem Geist fand ich den Frieden, um mein Buch zu schreiben. Wenn die von mir vertretene Hypothese durch experimentelle Ergebnisse gestützt wird, dann wird es zu grundlegenden Verän-
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derungen in der Biologie und der Physik kommen, aber auch in der Medizin, in der das mechanistische Weltbild von der Entwicklung des Lebens vorherrscht. Es würde eine Öffnung in vielen Bereichen bewirken und möglicherweise auch die Kluft zwischen Wissenschaft und Religion überbrücken helfen; dies würde eine sehr viel gesündere Gesellschaft hervorbringen. Ein solcher Brückenschlag zwischen Intuition und Intellekt, zwischen Religion und Wissenschaft, hätte auch ein neues Gleichgewicht in unserem Denksystem zur Folge, eine neue Form der Synthese. Wir können kaum voraussehen, wie vielfältig die Auswirkungen der Durchsetzung dieses Gedankenguts wären — es würde eine neue kulturelle Synthese bedeuten. (Quelle: »New Age — Zeugnisse der Zeitenwende«, S. 162ff.) Text Nr. 15 Alfons Rosenberg Die Welt im Feuer Eine von der heutigen New-Age-Bewegung völlig abweichende, aber für die Frage nach einem »New-Age-Christentum« um so bedeutsamere »Vision des Wassermannzeitalters« legte Alfons Rosenberg in seinem 1958 erschienenen und 1971 neu herausgegebenen Buch »Durchbruch zur Zukunft. Der Mensch im Wassermann-Zeitalter« vor. Der 1902 in München geborene, in Stuttgart aufgewachsene Sohn eines jüdischen Schuhfabrikanten, ursprünglich Maler unter dem Einfluß des deutschen Expressionismus, nach Theologiestudium in Zürich bei Emil Brunner u. a. 1942 von Walter Nigg getauft und Mitglied der ev. Michaelsbruderschaft, bald danach unter dem Einfluß von Hugo Rahner zum Katholizismus konvertiert, ohne seine ökumenische Offenheit zu verlieren, entwickelte eine durchaus eigene Sicht der Zukunft. Das Wassermannzeitalter ist bei ihm, im Gegensatz zu den optimistischen New-Age-Theorien, ein Zeitalter des Verfalls. Rosenberg erwartet für das Wassermannzeitalter eine »ausweglose und leidvolle Situation«, in der das Überleben der Katastrophen »sinnlos«, weil ein »Höllenleben«,
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ist, mit einer » Verfangenheit in der äußeren Lage wie im eigenen Ich« — ein »unaufhörliches Schaukelspiel zwischen den Extremen: da blitzfunkelnde Intellektualität, geistige Helligkeit, dort plötzliche Dunkelzustände«, so daß Massenhysterie und Massendepression zu einem Überhandnehmen der Schizophrenie und der Selbsttötung führen werden. Verführungskräfte werden alles Bisherige übertreffen (nach Superintendent Dr. Georg Krönen, »Blicke in die Zukunft — parapsychologisch geschaut«, in: »Neue Wissenschaft« 2/1959, S. 87; vgl. auch Dr. Krönerts Rezension des Buches »Durchbruch zur Zukunft« in derselben Nummer der »Neuen Wissenschaft«, S. 92f.). Diese wohlgemerkt nicht vom Standpunkt einer »dämonologischen Interpretation« fundamentalistischer Herkunft gemachte Prognose erblickt im Wassermannzeitalter eher ein antichristliches Reich. In seinen 1983 im Herder Verlag veröffentlichten Erinnerungen »Die Welt im Feuer. Wandlungen meines Lebens« beschreibt Rosenberg im Zusammenhang mit seinen Anfang der 30er Jahre durchgeführten sinologischen Studien den Grundgedanken seines Geschichts- und Zukunftsbildes: Die Geschichte verläuft nicht geradlinig, sondern in spiraligen Zyklen. Je mehr Hitler zur Macht kam, desto mehr war ich erstaunt, daß sich für dieses fürchterliche Phänomen eine genaue Entsprechung mit etwa der Zeit von 200 v. Chr. ergab — so der Bau der großen chinesischen Mauer (Westwall), Konzentrationslager, Verfolgung der Lehrer der religiösen Ethik, des Konfuzianismus, Bestellung eines Reichspropagandaministers, Verbrennung aller nicht unbedingt nützlichen Bücher, die Überwältigung aller kleinen oder größeren chinesischen Staaten zu einem einzigen »Reich« und ähnliches mehr. Als ich daraufhin Zehntausende von Geschichtszahlen miteinander verglich, ergab sich für mich als Schlüssel zur Geschichte die Erkenntnis, daß sich nach 2100 Jahren analogieartig ähnliche Ereignisse wiederholen. Damit aber hatte ich ein Grundgesetz zum Verständnis der Geschichte und darüber hinaus zu ihrer Vorausschau gewonnen. Im Jahre 1955 verdichtete sich mir diese Erkenntnis zu einem nachprüfbaren System, dem »Geschichtsparallelismus«, das mir ermöglichte, die
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Totalwandlung unserer Kultur nicht nur zu verstehen, sondern in ihrem Verlauf vorauszusehen. Ich unternahm das Werk »Durchbruch zur Zukunft« als Antwort auf die Zensurierung zweier meiner Bücher (die das Imprimatur des Bischofs von Basel besaßen), um den Römern zu zeigen, daß ihre überalterten Institutionen (im Gegensatz zu der von der Kirche verkündeten Wahrheit) keinerlei Zukunft mehr besaßen (S. 127 f.). Im Anschluß an die Eschatologie des 2. Petrusbriefes, der spätesten neutestamentlichen Schrift aus der Mitte des 2. Jahrhunderts, einer Apologie der urchristlichen Naherwartung unter veränderten Zeitverhältnissen, rückt Rosenberg das Kommen des Reiches Gottes zwar in die zeitliche Zukunft. Wenn sich aber das Kommen der vollkommenen Welt Gottes verzögert, dann muß auch nicht jede »Krise«, wie er sagt, als Vorzeichen des Endes verstanden werden, sondern nur als Zeichen des Untergangs einer Kulturepoche: Im Grunde habe ich die Welt kaum je anders erfahren als im Feuerbrand stehend. Denn seit in meinem 12. Lebensjahr der l. Weltkrieg ausbrach, ist der Steppen- und Waldbrand rings um die Erde nie erloschen. Ich gehöre demnach einer Generation an, die Kriege, Revolutionen, Geldinflationen, Lügen und Treubrüche und den Wandel aller Maßstäbe als Norm des Völker- und Weltgeschehens halten muß, da sie noch nie etwas anderes gekannt hat. Auch die nächste Generation wird die Welt in solcher Weise, nämlich als eine im Brand stehende, erfahren. Im zweiten Petrusbrief wird die Welt in dieser Weise geschildert. Aber in je nem dort angesagten Feuerbrand wird der bisherige Weltzustand untergehen, und übrigbleiben wird nur all das, was sich wie Gold im Feuer bewährt hat. Aber die Welt geht in der Kettenreaktion von Krisen, in denen die Menschheit sich in diesem Jahrhundert befindet, nicht unter. Was aber untergeht, ist eine große Kulturperiode von über 2000 Jahren, das betrifft Sitten und Gesetze, die Künste und Religionen, die moralischen Anschauungen und jene über die Erotik, die Art des Gebrauchs und der Beherrschung der Elemente — kurzum alles, was den Menschen und seine Art dazu-
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sein betrifft. Im Feuer der Krisen und der Schrecken wird aber auch eine neue Welt geboren. Ob dies eine bessere sein wird, möge dahingestellt sein. Denn die vollkommene Welt, welche die Menschheit seit Jahrtausenden ersehnt, wird jedenfalls nach dem zweiten Petrusbrief aus dem Feuer nicht als eine zeitliche, sondern endzeitliche hervorgehen. Und von jener zu erwartenden Welt spricht auch Jesus, wenn er verheißt, er wolle ein Feuer auf die Erde werfen, wobei er einschränkend hinzufügte, er wollte, es brennte schon. Dies aber weist darauf hin, daß dieses Gottesfeuer noch nicht jetzt, sondern dereinst »brennen« werde. Ich bin mir bewußt, daß ich darum ein »Kind des Feuers« bin, eines die ganze Menschheit »brennenden«, das heißt sie umwälzenden Feuers. In diesem »Feuer« ist zugleich die Geburtsstätte neuer Erkenntnisse, neuer Weisen zu lieben. Geburt und Tod — beide Ereignisse sind schmerzhaft; sie sind die Ursachen der Schmerzen, die wir heute abschiednehmend und hoffend erfahren. Aber ein Kind des Feuers zu sein, wie dies heute mehr oder minder alle Lebenden sind, bedeutet, daß alles, was sich in dieser Sphäre begeben hat, in den Seelen und Leibern »eingebrannt« ist. Wir sind alle Stigmatisierte. Darum ist die Niederschrift einer Lebensgeschichte, in diesem Falle der meinen, zugleich eine Wiedergabe, wenn auch im Ausschnitt, der Weltgeschichte einer Zeitperiode, der Geschichte eines Weltbrandes, der noch lange weiterschwelen wird. Gewiß war ich oft verzweifelt und erschöpft, und oft schien die Sicht auf das Kommende aussichtslos. Doch nie hat mich die Erinnerung an das Wort Jesu verlassen: »Wenn dies alles geschieht, erhebet eure Häupter, denn eure Erlösung ist genaht.« Denn das Schreckliche ist des Fruchtbaren Beginn. Darum ist es gut, ein Kind des Feuers zu sein. Was einem im Feuer verbrennt, ist nie mehr zurückrufbar, und nichts kann das durch den Verlust der geliebten Menschen, der Überlieferung entstandenen Leiden auslöschen. Dennoch, das Leiden ist die Geburtsstätte gegensatzloser Freude. Darum mag auch für mich und meine Mitzeitgenossen jenes Wort gelten, das Franz Marc, dem ich so viel verdanke, als letztes seiner Frau schrieb: »Wie schön, wie einzig tröstlich, zu wissen, daß der Geist nicht sterben kann, unter keinen Qualen, durch keine Verleug-
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nungen, in keinen Wüsten. Dies zu wissen, macht das Fortgehen leicht« (S. 155 f.). Text Nr. 16 Brita und Wolfgang Dahlberg Esoterik — Was ist das eigentlich? Zu einer ähnlichen spiralförmigen Geschichtsanschauung wie Rosenberg kommen aufgrund einer Kombination der lineargeschichtlichen Zeitvorstellung mit der kreisförmig-ungeschichtlichen Zeitvorstellung Brita und Wolfgang Dahlberg in einem zuerst in der Zeitschrift »Synthese« (Nr. 2/1982) veröffentlichten Dialog. Den christlichen Kirchen wird dabei in alter gnostischer Manier eine vorbereitende Rolle für den Menschen ohne »geistige Selbständigkeit« auf dem esoterischen Einweihungs- und Schulungsweg zuerkannt. Dahintersteht die von der Kirche immer verurteilte Einteilung der Menschen durch die Gnosis in »Hyliker« (Menschen 3. Klasse; stoffgebunden) und »Pneumatiker« (Vollkommene). Von »New-Age-Christentum« kann hier also lediglich im Sinne eines neognostischen Ersatzes die Rede sein. Der folgende Ausschnitt ist dem ungekürzten Original entnommen: Brita: Nun leben wir in einem Zeitalter, welches immer wieder als eine Endzeit bezeichnet wird. Wir berufen uns dabei auf die christlichen Quellen. Wenn wir nun diese vorausgesagten Ereignisse erwarten, entfernt uns dies nicht von den anderen Traditionen und bringt uns in Gegensatz? Wolfgang: Nun, beide Standpunkte sind berechtigt. Wir können sagen: alles ist ewig und zeitlos — und wir können sagen: alles ist im zeitlichen Prozeß. Wenn wir beide Aspekte überlagern, bekommen wir eine Spirale. Das Rad, welches in sich geschlossen ist, wäre der Standpunkt, daß alles in zeitloser Wiederholung stattfindet; und die Strecke, die immer weiter nach vorne fließt, der Weg, der kein Ende hat, das wäre der zeitliche Aspekt. Fügen wir sie zusammen, dann sehen wir, daß durchaus eine Wiederholung stattfindet, daß jedoch das, was wiederholt wird, auf
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einer immer höheren und umfassenderen Stufe Wirklichkeit annimmt. Auf der anderen Seite sehen wir in diesem Bild, daß eine Endzeit auch immer eine Anfangszeit nach sich zieht (bzw. der Anfang läuft sogar parallel mit dem Ende). Wenn etwas Neues beginnt, dann löst es immer auch die alten Strukturen ab und die alten Strukturen welken dahin, um dem Neuen einen Platz zu geben. So betrachtet können wir sagen, jawohl, wir sind in einer Endzeit, aber diese Endzeit ist zugleich ein Anfang und auch das, was es immer war. Brita: Woran erkennst du, daß es eine Endzeit ist? Was sind die Anzeichen dafür? Wolfgang: Wollen wir es aus den christlichen Schriften deuten, dann kann man diese Endzeit schon daran erkennen, daß allerlei falsche Christusse auftreten — so hat es Jesus selbst prophezeit — und daß im äußeren Leben allerlei Extremsituationen herrschen. Auf der anderen Seite möchte ich mich persönlich nicht so sehr auf den Endzeitcharakter konzentrieren, sondern mir geht es mehr darum, den Anfangszustand des Neuen zu betrachten. Die ganze Bewegung, die vor allem in Amerika, aber auch hierzulande immer mehr Form annimmt und unter dem Zeichen des New Thought und des New Age — des Neuen Zeitalters — auftritt, ist ein sehr schönes Omen für das Beginnen der Neuen Zeit. Brita: Man bezeichnet dieses neue Zeitalter oft auch als das Wassermannzeitalter. Was heißt das eigentlich? Wolfgang: Der Wassermann ist in der Astrologie derjenige, der Weisheit bringt, der die Wasser des Geistes ausschüttet. Im Bild des Wassermanns sieht man eine Gestalt, einen Mann, der einen großen Kübel mit Wasser auf die Erde herniedergießt. In die sem Symbol wird gesagt, daß aus der geistigen Welt sehr viel Wissen den Menschen gegeben wird. Hier sind wir genau bei unserem Thema; denn es bedeutet, daß im Wassermannzeitalter vor allem das esoterische Wissen der Menschheit allgemein zugänglich gemacht wird. Das Wassermannzeitalter ist aber nicht nur ein Zeitalter der Ausschüttung des Geistes, sondern auch ein Zeitalter, in
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dem das gesellschaftliche Leben eine grundsätzlich andere Dynamik gewinnt. Das Neue Zeitalter ist daher nicht einfach nur eine esoterische oder spirituelle Tatsache, sondern eine Realität, die sich durch alle Lebensbereiche hindurchzieht, die letztlich auch die Trivialitäten unseres Alltags, unsere ökonomischen Bedingungen, unsere Sozialsphäre, die Organisation unseres zwischenmenschlichen Lebens berühren wird. Auch hier finden wir allerorten Anzeichen eines Erwachens, einer Suchbewegung, die bemüht ist, neue Formen zu finden, die ein innigeres Lebensverständnis auslösen können, als die strengeren, hierarchischen Formen der Alten Zeit. Brita: Aber wir sehen doch, daß sich das zunächst in einer gewissen Form des Aussteigertums äußert, einer gewissen Antihaltung zu bestehenden Formen. Wie könnte hier die Esoterik eine Brücke bauen? Wolfgang: Wenn ich mich befreien möchte aus etwas, was ich als störend oder unterdrückend empfinde, ist es klar, daß ich mich zunächst davon abwende. Auf der anderen Seite ist alles, wogegen ich im Äußeren bin und kämpfe, nur eine Entsprechung der Dinge, die ich im Inneren in mir trage. Die Esoterik könnte hier, indem sie einfach diese Tatsache vor Augen führt, hilfreich vermitteln: Alle Kampfsituationen, in die ich mich als einzelner oder als Gruppe bringe, stellen im Grunde genommen den Kampf mit den eigenen inneren Unvollkommenheiten dar. Brita: Aurobindo hat ja schon gesagt: »Die Umstände, in denen der Mensch auf der Erde lebt, sind das Ergebnis seines Bewußtseinszustandes. Die Umstände ändern zu wollen, ohne das Bewußtsein zu ändern, ist ein eitles Trugbild.« Wolfgang: Ja. Wenn also die vielen alternativen Bewegungen heute zumeist einen weltflüchtigen oder zivilisationsgegnerischen Charakter haben, so bedeutet das, daß sie anfangen, sich mit ihrer eigenen Zivilisationsgeschädigten Natur auseinanderzusetzen. Solange diese Auseinandersetzung nicht einen Grad erreicht hat, wo es zu einer echten Umwandlung auf der Ebene des Bewußtseins kommt durch das Auftreten einer ganzheitlichen, die negativen wie positiven Seiten unserer gegenwärtigen Kultur miteinbindenden Haltung, solange wird sie noch verstrickt sein in allerlei
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Kampf und Reinigung und Suche. Die Esoterik könnte heute über den Hinweis auf die Parallelität des inneren und äußeren Lebens hinaus, indem sie konkrete Ziele setzt — indem sie dem neuen Zeitalter gewissermaßen Leitstrahlen beigibt — hilfreich sein. Leitstrahlen aus dem Verständnis des Zugrundeliegenden heraus, das in jedem Zeitalter seine befruchtenden Impulse, dem jeweiligen Gewande der Zeit entsprechend, aussendet. Brita: Auf welc he Weise könnte das sein? Wolfgang: Das könnten vor allem Hinweise über die eigentliche Natur des jetzt sich vollziehenden Wandels sein. Hinweise auf das kosmische Prinzip, das sich jetzt im Leben allgemein manifestieren möchte. Brita: Das ist mir zu abstrakt. Wie könnte das konkret geschehen? Viele junge Leute sind auf der Suche und interessiert an diesen Dingen. Sie haben aber auch die Antibeispiele — nämlich einen gewissen Gurukult — in der letzten Zeit erlebt. Welche Alternative kann man diesen Leuten mit der Esoterik heute bieten? Wolfgang: Indem ich z. B. klarmache, daß das wesentliche Moment der Entwicklung, die jetzt erwartet wird, vom einzelnen auszugehen hat. Daß er auch in seinem geistigen Leben zu Selbständigkeit aufgerufen ist, aber auf der anderen Seite auch zur Verantwortlichkeit. Selbständigkeit heißt, zu lernen, auf den eigenen inneren Führer zu hören, den Guru nicht nur außen, sondern vor allem im eigenen Inneren, der eigenen Mitte zu sehen und zu hören; aber auch, sich nicht nur einfach zurückzuziehen vom Leben, sondern Verantwortung anzunehmen für die Lebens umstände, in denen wir uns befinden. Indem diese beiden Grundtatsachen zunächst einmal bewußt werden, ist jeder einzelne aufgerufen, seinen Beitrag zu liefern für das Gelingen des großen Unternehmens: Neues Zeitalter. Die Konfrontation mit den alten Traditionen ist etwas, was ein notwendiger Prozeß ist auf diesem Weg. Die traditionellen Formen der geistigen Schulung, wie sie im Osten, aber auch im Westen betrieben wurden, haben auch ihren Sinn in der heutigen Zeit. Es wäre ein Fehler, gegen die Gurus und Meister anzugehen — aber sie sind genauso Bestandteile eines Aspektes der Vergangenheit, der umgewandelt werden muß und
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eine neue Form zu finden hat. Die Meister sind nur Gefäße für bestimmte Energien und bestimmtes Wissen, und wenn wir sie weniger um ihrer Persönlichkeit willen verehren, sondern einfach um ihrer Aufgabe willen, die sie als Glieder des großen Menschheitsorganismus haben, dann erhalten wir ein richtiges Verhältnis. Brita: Und wie integrieren wir in das Ganze die bestehenden Kirchen? Wolfgang: Die bestehenden Kirchen haben hier eine sehr wichtige Bedeutung, da sie für viele Menschen, die noch nicht zu dieser geistigen Selbständigkeit erwacht sind, eine fundamentale Funktion haben. Zunächst als generelle Richtungsweiser und auch als Schulhäuser, die verhindern, daß ein Ausbruch in die falsche Richtung geschieht. Natürlich kann man den Kirchen vorwerfen, daß sie in der Vergangenheit in Dogmatismus und allerlei Unfreiheit verstrickt waren, aber gerade auch das ist etwas, was sie nützlich werden läßt für Menschen, die noch nicht Kraft zu Freiheit und Selbstbestimmung gefunden haben. Wenn man sie so versteht und miteinbezieht in die innere Schulung — als dessen äußere Entsprechung —, dann ist auch das richtige Verhältnis zwischen Exoterik und Esoterik gefunden: denn diese beiden Teile gehören zusammen. Eine Esoterik ist ohne eine exoterische, äußere Vorbereitung undenkbar; denn man kann den unvorbereiteten Menschen nicht einfach mit den tieferen Wahrheiten und Praktiken konfrontieren, ohne daß er in seiner äußeren Lebensführung auch gewisse Veränderungen vorgenommen hat. Dies hat Hand in Hand zu geschehen. Das betrifft z. B. auch einen Teil der esoterischen Schulung schlechthin, denn man kann nicht erwarten, daß man sich dem inneren Leben hingibt und auf der äußeren Ebene des Lebens weiterhin die gleichen Fehler macht, die zur Verletzung von wesentlichen Lebensgesetzen führt. Das hat unglaubliche Verstrickungen zur Folge. Wenn jemand extreme Fehler im äußeren Leben begeht und er hat schon eine gewisse innere Reife erlangt, dann wird dies mit einer großen Wucht auf ihn zurückfallen und er wird sehr darunter zu leiden haben. Das ist wie bei der Kindererziehung: ein älteres Kind, das schon weiß, daß es gewisse Dinge nicht tun sollte, wird man mehr zur Rechenschaft ziehen, als ein jüngeres Kind, das unwissentlich Fehler begeht. Die großen
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Kirchen haben also die Funktion von Kindergärten bzw. Volksschulen. Brita: Was sind dann die Höheren Schulen bzw. Universitäten? Wolfgang: Die höheren Schulen und Universitäten sind etwas, was viel weniger augenfällig ist, als die allgemeinen Kindergärten und Volksschulen der großen Kirchen. Es sind kleinere Kreise, innigere Beziehungen zwischen Menschen, die ein Stück Wegs gekommen sind und anderen Menschen, die sich ihnen beigesellen. Das muß nicht notwendigerweise in Form von Institutionen und dergleichen vor sich gehen. Die höchste Schule ist nämlich das Leben selbst; denn das Leben oder die universale Kraft oder Gott oder wie man es immer bezeichnen will, bedient sich aller Kanäle, um die Einzelaspekte seiner selbst zur Ganzheit seiner selbst zu führen. Die Lehrer, die uns begegnen, können so triviale Dinge wie alltägliche Situationen sein, wie natürliche Kräfte, eine Landschaft, wie die Menschen, mit denen wir im Alltag zusammen sind, wie unsere Freunde — unsere geistigen Freunde, besondere Erlebnisse, schließlich wir selbst.
IV. Kritiker des New Age 1. Selbstkritik Text Nr. 17 George R. Bach/Haja Molter Psychoboom Das New Age ist das Zeitalter eines noch nicht dagewesenen Psycho- und Therapeuten-Jahrmarkts. George Bach, Gründer eines gruppentherapeutischen Instituts in Los Angeles und auch in Esalen tätig, hat sich zusammen mit seinem Co-Autor Molter in
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dem 1976 erschienenen Band »Psychoboom. Wege und Abwege moderner Psychotherapie« kritisch von solchen fragwürdigen Erscheinungen wie EST, der Urschreitherapie, Transzendentaler Meditation, Guruismus und Einflüssen des Spiritismus, aber auch der »Transpersonalen Psychologie« abgegrenzt, die gerade auch einen großen Einfluß auf viele New-Age-Anhänger ausüben. Diese Kritik ist um so bedeutsamer, als sie von Vertretern der »Humanistischen Psychologie« kommt, die diese jedoch nicht als ihr »Credo« betrachten wollen (S. 28). Von daher gilt ihre Kritik vor allem auch der »Transpersonalen Psychologie« und EST. Die »Vergötzung des Selbst«, wie ein Kapitel ihres Buches überschrieben ist, ist eine Gefahr, die auch bereits in anderem Zusammenhang in Verbindung mit dem New-Age-Bewußtsein auftauchte (s. o. I). Der Gruppenleiter einer Esalengruppe definierte einmal sehr schön: »Wir sind im Zeitalter des Aquarius, das ist die Zeit, wo Du Dein Selbst sein kannst.« Man kann den Psychoboom sozusagen als ein »Umkippen« des Säkularisierungstrends der Neuzeit ansehen: »Selbst-Transzendierung« ist im New Age Ersatz für den Säkularismus. Wir registrieren heute einen ungeheuren Andrang zu Veranstaltungen, die in weitestem Sinne mit Psychologie, Psychotherapie und Selbsterfahrung zu tun haben. Wir sehen darin grundlegende neue Bedürfnisse. Um diese Bedürfnisse herum hat sich in den USA — in Deutschland bahnt sich eine ähnliche Entwicklung an — ein riesiger Markt gebildet, der einem Warenhaus gleicht, in dem man verschiedene Erfahrungen und Erlebnisse einkaufen kann: Psychoanalyse, Selbstanalyse, Psychodrama, Urschreitherapie, Gestalttherapie, transaktionale Analyse, Hypnose, Selbsthypnose, Bioenergetic, Rolfing, Konzentrationstraining, Autogenes Training, Encountergruppen, Marathongruppen, sinnliche Erweiterung, Aggressionstraining, Realitätstherapie, rational-emotive Therapie (RET), Yoga, T'ai Chi Ch'uan, Astrologie, Scientology, Bewußtseinserweiterung, transzendentale Meditation, Zenbuddhismus, Tantra usw. Die humanistische Psychologie hat auf einer breiten Basis Wurzeln gefaßt. Kirchen, Universitäten und Gemeinden bieten in
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sehr preisgünstigen Programmen einem weitgestreuten Publikum Möglichkeiten, »Esalen« in die eigenen vier Wände zu holen. Auch in Deutschland gewinnen die humanistische Psychologie und ihre Verfahrensweisen neben den Growthzentren über Volkshochschulen, Kirchen und Verbände der freien Wohlfahrt Einfluß und Ausbreitungsmöglichkeiten. Besonders die Kirchen sehen darin offenbar eine Chance, in Jugendarbeit, Ehe- und Familienberatung und -Therapie verlorenen Boden wieder zurückzugewinnen. Neben der Entwicklung einer »humanistischen Psychologie«, die sich um die Überwindung verkrusteter psychologischer Dogmen bemüht — sie wird in Europa simplifizierend Encounterbewegung, Sensivitytraining, Gruppendynamik, Erlebnistherapie u. a. genannt —, zeigen sich zunehmende Tendenzen zu neuen dogmatischen Lebensanschauungen, die von ihren Anhängern mit fanatischem Behauptungswillen und sektiererischem Ernst verfochten werden. Die Autoren befürchten, daß bei der heutigen Veränderung von Wertvorstellungen und Infragestellung alter Normen auch die Psychologie zum Religionsersatz mit eigenen Bibeln werden kann. Der Verlust alter Ritualisierung wird ersetzt durch neue Rituale, die für die gegenwärtige Situation des Individuums bedeutungsvoll und inspirierend sind, da die religiösen Rituale von vie len als leer und nichtssagend erlebt und erfahren werden. Dabei nimmt die »Psychologie und Psychotherapie« mit alle n ihren Verästelungen und Vermischungen mit Philosophie, Religion und Weltanschauung immer mehr die Stelle der herkömmlichen Seelsorge ein. Wer heute Probleme hat, die er allein nicht mehr bewältigen kann, geht nicht mehr zum Pfarrer, sondern zum Psychologen oder in eine der vielen Formen von Selbsterfahrungsgruppen. Gegenwärtig tritt sogar eine neue Dimension verstärkt in den Vordergrund: Yoga, Zen-Meditation, Pfingst- oder charismatische Bewegung, Okkultismus, Spiritismus, Übersinnliches, Astrologie und Seelenwanderung. Aber vielleicht spielt auch eine Rolle das Umschlagen des politischen Protestes der 60er Jahre in eine neue Art Innerlichkeit und manchmal Subjektivismus, weiter die Rolle der Subkulturen und
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der Drogenszene, vor allem der Drop-outs. Bei den Bewegungen der Jesus-People ist dieser Zusammenhang ja deutlich. Es könnte ja sein, daß hier eine Art Kompensationsmechanismus vorliegt, ähnlich wie auch Religion funktionieren kann, »Religion als illusorisches Glück des Volkes« (Marx), und also diese Bewegungen, als Ersatzreligionen, diese alte Funktion von Religion übernommen haben, Trost, Zuflucht, Geborgenheit. So kann Psychologie zum neuen Erlöser, zur neuen Kirche werden. Sie zeigt einem, man kann das für sich selbst tun, wovon man dachte, Gott täte es für einen. Von dieser Illusion wurden schon viele getäuscht, aber leider nicht geheilt. In der humanistischen Psychologie zeichnet sich eine »Tendenzwende« ab. An der »California -Universität« Los Angeles z. B. finden neuerdings regelmäßig Vorlesungen in Transpersonaler Psychologie statt. Im Wintertrimester 1975/76 habe ich eine solche Vorlesungsreihe besucht. Oft hatte ich den Eindruck, es handele sich um theologische Vorlesungen, Sermone religiöser Esoteriker. Maslow selbst hat diesen Umschwung gegen Ende seines Lebens noch mit vorbereitet. Der transpersonalen Psychologie geht es um das transpersonale Selbst, oder einfacher: die Seele. Die transpersonalen Therapeuten umarmen die Theologie und Esoterik. Ihre psychologische Absicherung ziehen sie dilettantisch und willkürlich eklektizistisch aus dem Schrifttum C. G. Jungs und aus dem Hauptwerk seines Freundes Roberto Assagioli »Psychosynthese«. Die humanistische Psychologie befindet sich heute in einer tie fen Krise und an einem Wendepunkt. Die teilweise oberflächliche und überzogene Betonung der Selbstverwirklichung, wie sie ihren Ausdruck etwa in einem wahnsinnigen Kreativitätsfimmel gefunden hat oder in dem falschverstandenen Perlsschen »do your own thing«, hat eine seltsame Mischung von Encountergeschädigten hervorgebracht. Zumindest ein Flügel der humanistischen Psychologen, die Transpersonalen, tendiert dahin, sich noch weiter dem inneren Selbst zuzuwenden. Transzendenz dient als Vorwand, die rauhe Realität der sozialen Wirklichkeit zu verniedlichen. Andere arbeiten dafür, das Selbst so zu stärken, daß es aktiv an der Veränderung einer krankmachenden Umwelt mitar-
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beiten kann, wie es z. B. die Familientherapeuten und Vertreter der radikalen Therapie fordern. Es gehört nicht viel Prophetengabe dazu, ähnliche Tendenzen in Westeuropa vorauszusagen. Bei den Studenten z. B. als Antizipatoren gesellschaftlicher Strömungen künden sich die Anzeichen deutlich an. Die Kommunen weichen christlichen Wohngemeinschaften, das politische Engagement wird umgeleitet in die »Pfingst- oder charismatische Bewegung«: nun »spielt die charismatische Gruppe eine ähnliche Rolle wie die Therapiegruppe oder die vielen Spielarten der Gruppendynamik, der Urschreitherapie oder Encounter-Groups, die überall aus dem Boden schießen. Ja, sie hat in verblüffender Weise die Erkenntnisse dieser Methoden vorweggenommen: Daß man es lernt, die Alltagsbarrieren niederzureißen, die anerzogenen Hemmungen zu überwinden, die Gefühle herauszulassen und nicht zu verstecken, aufeinander zuzugehen, ein Klima des Vertrauens herzustellen. Und sie weiß, wie wichtig für all das der körperliche Ausdruck ist: das Handauflegen, die Hände erheben, sich an Händen fassen.« Seit dem psychologischen Kommentar C. G. Jungs zu der Übersetzung »Das Geheimnis der goldenen Blüte« aus dem Chinesischen wird in der westlichen Psychotherapie verstärkt die Diskussion geführt, inwieweit die Lehren von Hinduismus, Buddhismus, Vedanta, Joga und Taoismus mit psychotherapeutischen Zielsetzungen zu vergleichen und in Austausch zu bringen sind. Die größte Gemeinsamkeit besteht darin, daß beides Wege sind, Bewußtsein und Verhalten zu verändern. Die Veränderungen beziehen sich darauf, wie wir unsere Existenz erleben und erfühlen, wie wir unsere Beziehungen zum anderen und der Umwelt gestalten. Allerdings kennen die östlichen Richtungen nicht die Kategorisierungen Verstand, Materie, Seele und Körper. Ihre Sicht des Menschen ist ganzheitlich und nicht wissenschaftlichkausalistisch orientiert. Neuere therapeutische Richtungen wie Gestalttherapie, Bioenergetic und Feelingtherapie übernehmen ausdrücklich diese Grundeinstellung und berufen sich darauf. Unser Skeptizismus richtet sich nicht gegen die ganzheitliche Sicht des Menschen, die zu einem Infragestellen alter Normen
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führt und damit Raum schafft für schöpferisches Tätigwerden. Eine solche Lebenseinstellung hilft, Gefühle, Absichten und Gedanken auszudrücken und zu verwirklichen, die bisher hinter rigiden Strukturen wie Managertum, Pseudointellektualismus und überholten Anstandsnormen versteckt bleiben mußten. Aber eine Antwort oder Lösungsmöglichkeit für politische Probleme bieten diese »östlichen Psychotherapien« so wenig wie die westlichen. Die Auffassung, daß Leiden unausweichlich zur menschlichen Existenz gehört und als Karma (Schicksal) hingenommen werden muß, macht politisch blind. Die Menschen können daraus die Rechtfertigung ableiten, die bestehenden Strukturen nicht einmal in Frage zu stellen, denn »alles ist vollkommen«. Der »Salon-Guru« Maharishi Mahesh Yogi gab im November 1975 in der »Merv Griffin Show«, einer täglich in ganz USA gesendeten Talkshow, seine politische Naivität preis. Nach den Worten »Seiner Heiligkeit« hat jedes Volk die Regierung, die es verdient. Welch ein Trost für alle Ausbeuter und Diktatoren! Spärliche und verhaltene Buhs erntete Maharishi erst, als er seine politische Auffassung durch eine Allegorie erläuterte: jedes Kind, das von seinem Vater geschlagen wird, wählt sich dieses Schicksal selbst, es möchte geschlagen werden, denn es hat sich seine Eltern selbst gewählt. Aus einer Esalengruppe dazu ein paar erhellende Sätze eines Gruppenleiters: »Es ist doch schön, wenn Du unglücklich bist, steh zu Deinem Gefühl. Du bist, weil Du bist, das wirst Du sein, und außerdem, wenn Du nicht Du selbst bist, wer sonst wirst Du sein. Wir sind im Zeitalter des Aquarius, das ist die Zeit, wo Du Dein Selbst sein kannst, die eigene Schönheit lieben und mit Deinem eigenen Lebensfluß gehen kannst. Du mußt kapieren, die einzig wichtige Sache ist, im jetzigen Augenblick zu leben, das ist der Trick.« Ein Gruppenteilnehmer erwiderte: »Du mußt mit dem Zeitalter-des-Aquarius-Quatsch aufhören. Wenn das das Zeitalter des Aquarius ist, dann sind wir ganz schön beschissen dran. Nixon hat uns reingelegt, Ford legt uns rein und wir lassen Kissinger hereinlegen, wen immer er möchte.« Überlegen antwortete der Gruppenleiter:
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»Ich verstehe nichts von Politik, aber auch gar nichts, daher hab ich auch nicht das Gefühl, daß ich hereingelegt werde. Das gehört nicht zu meiner Realität, also trifft es nicht zu für mich.« Heilen mit Hilfe von übersinnlichen und überirdischen Kräften ist in den letzten Jahren so etwas wie der letzte Schrei im »Psychoboom« geworden. Psychic Healing (Geistiges Heilen) muß nicht mehr in den Hinterstuben im Verborgenen getrieben werden. Mittlerweile zieht sich über Kalifornien ein Netz von »Psychic Institutes«. Sie versuchen die selbstheilenden Fähigkeiten des Individuums mit der transzendentalen Macht des »HealingMeisters« zu verbinden. »Healing-Meister« verstehen sich als spirituelle Wesen, die bei früheren Inkarnationen einen hohen Stand von Kenntnis und Erfahrung im Heilen erreicht haben. Sie haben sich dafür entschieden, als »Healing-Meister« zu dienen und mit den sich selbst heilenden Individuen zu arbeiten. Manche »Healing-Meister« machen das von einem »höheren Sein« aus, denn sie haben sich entschlossen, auf diesem Planeten nicht mehr Gestalt anzunehmen [s. o. I/2 die theosophische Lehre von den »aufgestiegenen Meistern«!]. Lebende »Healing-Meister« können mit ihnen in Verbindung treten. Die »Heilmethode« beruht auf dem Ineinanderfließen der Energie des »Healing-Meisters« mit der Energie des zu Heilenden. Mit Hilfe des »Handchakra« (ein Energiezentrum in der Hand) kann der Meister die heilenden Kräfte dorthin lenken, wo sie benötigt werden. Ein guter »Healing-Meister« muß die Funktion der »Aura« (Energiefeld um uns herum) und der »Chakras« verstehen, um sie für die emotionale, geistige und körperliche Gesundheit richtig einsetzen zu können. Auf einem unserer Streifzüge durch die Los Angeles »healing scene« lernten wir eine Reihe von »Psychies« (Healing-Meister) kennen, die uns einluden, an ihren Seancen teilzunehmen. Einer von ihnen überreichte uns eine Geschäftskarte mit der Berufsbezeichnung »Prophet Joel von Arcadia«. Arcadia ist ein Stadtteil von Los Angeles. Wir entschieden uns für Kai, die Tochter eines Baptistenpfarrers und heute selbst Pfarrerin in der Church of the Universal Master. Nach kalifornischem Recht
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garantiert das Pfarramt auch das Recht, Heiltätigkeit (healing and miracle Service) auszuüben. Daher bat ich Kai, an einem ihrer Heilungswochenenden teilnehmen zu dürfen. Sie gab sofort ihre Einwilligung. Mit ihrem Erscheinungsbild assoziierte ich verstehende Mütterlichkeit. Der Gedanke, daß ich es mit einer »Hexe« zu tun haben könnte, kam mir erst, als sie mir mit einem zwinkernden Auge erzählte, daß sie im Mittelalter wohl verbrannt worden wäre. Sie drückte mir eine Broschüre ihres »Awareness Center« in die Hand. Daraus erfuhr ich, daß sie ihre strenge christliche Erzie hung in ein umfassendes Wissen fernöstlicher Philosophien integriert hat. Aus dieser Mischung schöpft sie große Energien direkt aus höheren Bewußtseinsebenen. In ihren Kursen lehrt sie jeden, wie er sein höheres Selbst erreichen und die Kanäle zu spiritueller Bewußtheit öffnen kann, um der Seele Grund zu finden, aus dem die reine »Energie« entspringt. Innerhalb des »Psychobooms« gibt es seit einigen Jahren ruhelose Opfer: es sind der »therapeutische Swinger« und der Therapiesüchtige. Ihre Erfahrung ist Therapie-Erfahrung, ihre Welt ist die Therapie-Welt. Sie haben in den Gruppen »feeling« und Anfassen seriell probiert, urgeschrien und immer wieder aus sich herausgebrüllt, sie haben (therapeutische?) Methoden in ihr Leben gebracht. Die Gruppenerfahrung mit ihren Möglichkeiten der Erweiterung von Selbst- und Fremdwahrnehmung, der Ausdehnung auf Körperbezogenheit, nonverbale Kommunikation und Aktivität haben sie nicht in ihr Leben integriert, sondern ihr Leben hat sich in therapeutische Einstellungen aufgelöst. Sie haben noch jeweils — entsprechend der jeweiligen Richtung, auf der sie »stehen« — kleine Abhängigkeiten. Eine Patientin an Janovs »Primär-Institut«, Los Angeles, berichtet von dem »Therapieablösungsbehälter«, der Primal Box, für den ehemaligen Primärinstitut-Klienten: »Eine Primal-Box ist eine Riesenbox, fast wie ein kleines Zimmer, also eine große Kiste; sie ist völlig solide aus Holz, an allen Seiten mit sehr dickem Schaumgummi gepolstert, überzogen mit wasserdichtem Material, etwa zwei Lautsprecher drin, eine Klimaanlage und ein kleines düsteres Lämpchen; mit anderen Worten:
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wenn du dich unsicher fühlst, einen Riesenprimal (Urschreierlebnis) in einer Wohnung zu haben, z. B. wo dich Nachbarn hören können — es ist mitten in der Nacht, du willst deine Nachbarn nicht wecken —, gehst du in die Box, hast deinen Wutanfall oder deinen Schluchzanfall oder hörst Musik, bis du ganz sanft in einen ,Primal' gewiegt wirst. Es ist etwas ganz Großartiges. Es ist ein bißchen wie ein Entwöhnungsstück vom Institut. Am Anfang kannst du nirgends fühlen. Ich war ganz verkrampft und mußte ein Taxi zum Institut nehmen, mitten aus einem Film heraus, damit ich mein Gefühl haben kann. Und nach einer Weile weiß ic h: ich kann nach Hause gehen, ich habe meine Box. Und der nächste Schritt ist natürlich, schöne Gefühle zu haben, wo immer man ist, wer immer auch zuschaut, wenn das noch so furchtbar peinlich ist, einfach loszulassen. Ich glaube, das ist für mich das Ende von Therapie im Sinne von aktiver Therapie. Ich brauche keine Therapeuten mehr, ich brauche die ganze Struktur nicht mehr. Ich bin meinen Gefühlen nahe genug, mitten in einem Film oder mitten auf einer Party zu brüllen, loszufluchen, loszu- ich weiß nicht was. Nach der Therapie sind die Leute ja noch lange nicht geheilt; jeder glaubt, nach seinen 6000 Dollar, die er Janov bezahlt hat, ist er o.k., und das stimmt natürlich gar nicht. Das Buch sagt, zwischen sechs und acht Monaten ist man völlig befreit und glücklich, und für 6000 kann man sein Urego ausformen — das stimmt nicht. Ich hab in der Zwischenzeit mindestens 1000 oder 1500 Dollar bar bezahlt, nachdem ich keine festen Gruppenstunden mehr hatte.« Durch solche Therapieformen verfallen die Klienten der Illusion, sie seien, wenn sie eine Lügenmauer durchbrochen haben, schon im Reich der Freiheit und Wahrheit. Sie schließen sich hermetisch im künstlichen Freiraum ihrer Therapiewelt ab, werden auf ganz unpolitische Weise anarchistisch, drehen sich nur um ihre Bedürfnisse und Scheinbedürfnisse, sind nicht kreativ in der Auseinandersetzung mit sozialer Wirklichkeit, sie verstehen nur noch das ganz Private und haben sich darin eingerichtet. Sie haben an die Stelle ihrer anerzogenen bürgerlichen Ideale vorübergehend die von den Therapieschulen und ihren »Sekten« propa-
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gierten Ideologien gesetzt, aus ihrer Suggestivkraft suchen sie Gewinn für ihr Leben zu ziehen. Aber sie sind zum Teil ausgebeutete, regredierte Anhängsel omnipotenter und narzißtischer Therapeuten bzw. ihrer Institute. Im »Psychoboom« kann man sich durch den Einkauf von »Selbstverwirklichung« und bewußtseinserweiternden Methoden eine Privatwelt mit wenigen persönlich wichtigen Bezugspersonen verschaffen. In der explosionsartigen Ausweitung des »Psychobooms« zeigen sich, wie wir schon beschrieben haben, starke Tendenzen, das isolierte, sich selbst entfremdete Selbst in einem ungeheuren therapeutischen Enthusiasmus zum Gott zu erheben. Der verzweifelten, fast ausweglosen Situation unterdrückter Klassen steht eine arrogante Einstellung gutsituierter Bürger gegenüber, deren Weltsicht sich ganz auf ihre kleinen Wehwehchen konzentriert. Erstrebenswert ist nur individuelles Glücklichsein und Überleben. Ungeniert verneinen sie menschliche Gegenseitigkeit und Gemeinschaft. Ihre Haltung formulieren sie achselzuckend: »Was kann ich schon daran machen, wenn es anderen nicht so gut geht; die Hauptsache, ich habe meinen Spaß; was wollt ihr eigentlich, ich bin doch im Besitze eines höheren, sprich besseren Bewußtseins.« (Quelle: G. R. Bach / H. Molter, «Psychoboom«, Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf/Köln 1976.)
2. Dämonologische Interpretation des New Age Ist die »okkulte Explosion« eine »dämonische Explosion«? Die weitverbreitete »dämonologische Interpretation« okkulter Phänomene erstreckt sich auch auf das New Age. Ein typisches Beispiel ist das Buch »The Hidden Dangers of the Rainbow« (1983) von Constance E. Cumbey (41), einer jungen Anwältin, die in den USA durch ihre Vorträge, Rundfunk- und Fernsehinterviews und eine Radio-Diskussion mit Benjamin Creme hervortrat. Die ehe-
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malige Siebenten-Tags-Adventistin wurde 1980 wiedergetauft und Mitglied der »Highland Park Baptist Church« in Detroit. Nach ihrer Ansicht steht hinter der New-Age-Bewegung nicht bloß die spontane »sanfte Verschwörung« einer sich neuorientierenden Gesellschaft, sondern eine »dämonische Verschwörung«, die das Kommen des Antichrist vorbereitet. Die Direktiven sollen aufgrund eines »Planes« von Alice Bailey jetzt vom »Lucis Trust« in New York ausgegeben werden. Koordinierungsstelle dieser Verschwörung sei die Organisation der »Planetary Citizens«, die die Einsetzung einer einheitlichen Weltregierung vorbereite. Beim Kommen des Antichrist (= Lord Maitreya) soll die Menschheit einer »luziferischen Initiation« unterworfen werden. Selbst vom Standpunkt einer »dämonologischen Interpretation«, die hinter okkulten Phänomenen grundsätzlich dämonische Besessenheit vermutet, braucht man aber nicht so weit zu gehen wie Cumbey und unter Verfälschung der Tatsachen (selbst die Moonies werden von ihr dazugerechnet, die ja nun wirklich ihre eigene »Verschwörung« betreiben!) ein bestimmtes Zentrum bei den Bailey-Anhängern zu orten! In diesem Sinne räumt Dave Hunt in seinem Buch »The Cult Explosion« ein, daß die »Verschwörung« im Bewußtsein der New-Age-Anhänger tatsächlich »spontan« sei, wenn auch letztlich von »Dämonen« gelenkt. Die Gefahr dieser »dämonologischen Interpretation« ist es vor allem, daß die Auseinandersetzung gewissermaßen zu einem Streit unter Okkult-Gläubigen wird, wobei die einen alles für bare Münze nehmen, was ihnen an paranormalen und esoterisch-okkulten Phänomen berichtet wird, die anderen aber ebenso undifferenziert überall Schwefel riechen und den Pferdefuß erkennen, wo sie okkulten Phänomenen begegnen, die mit den Mitteln der heutigen Wissenschaft nicht erklärbar sind. Allzuleicht gerät man hier ins Fahrwasser derjenigen, die man eigentlich bekämpfen möchte. Der Gedanke der »Weltverschwörung« ist ja auch ein Lieblingstopos der Esoterik! Vertreter der Annahme einer echten Verschwörung des New Age findet man nicht nur unter kirchlich orientierten Autoren. So vermutet z. B. der Anthroposoph H. Finsterlin hinter Capra »Drahtzieher, die unerkennbar im Hintergrund verborgen bleiben wollen« (»Erde und Kosmos«, S. 24).
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In die richtige Richtung zielt der Hinweis von E. Pement: Weil der endzeitliche Abfall durch »verführerische Geister« (1. Timotheus 4, l—2), die durch viele Individuen wirken, herbeigeführt werden wird, ist es gar nicht nötig, deren starke Mitwirkung in ein einzelnes Schema zu pressen. Text Nr. 18 Constance E. Cumbey Die New-Age-Bewegung — das 4. Reich? Ähnlich wie der Nazismus ist auch die New-Age-Bewegung wie eine gigantische Organisation aufgezogen. Und genau wie der Nazismus basiert auch diese Bewegung auf einer Hierarchie von Eingeweihten, Adepten und Meistern. Die Oberen in der Hierarchie wissen immer mehr als die einfachen Gefolgsleute. Als Hitler noch ein kleiner Junge war, wurde er schon in die höheren Mysterien des Okkulten eingeweiht. Auf der Benediktiner-Klosterschule in der Nähe seines Heimatortes gab es einen Abt, der sich mit der Geheimlehre der Albigenser und der Katharer beschäftigte, die man geradezu als frühe New-Age-Anhänger bezeichnen kann, weil auch sie glaubten, daß der Mensch die Kräfte eines Gottes erlangen könne. Nazismus und New-Age-Bewegung sind politisch-spirituelle Größen, die auf den gleichen esoterischen Grundlagen basieren: der »Geheimlehre«, die allen heidnischen Religionen und auch dem »esoterischen Christentum« zugrunde liegt. Die Geheimlehre verherrlicht Luzifer und alle die Praktiken, die die Bibel verdammt. Sie glorifiziert auch die vorsintflutliche Welt, die — gemäß der Bibel und der Geheimlehre — vom Umgang mit dämonischen Mächten erfüllt war (1. Mose 6). Das politische Klima in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg ist vergleichbar mit der heutigen Situation. Die Vereinigten Staaten befinden sich in einer sehr ähnlichen Lage. Seit dem Vietnamkrieg hat sich eine starke Wende zu »Wandervogel«-Ideen und östlichem Mystizismus vollzogen. Die New-Age-Bewegung wie der Nazismus beschreiben den »Weg« zur Erlangung eines
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»transzendentalen Bewußtseins«, zur Transformation der Massen durch Einweihung in die »Mysterien«. So mußte sich die SS unter der Leitung von Heinrich Himmler einer Gruppeninitiation in heidnische Mysterien unterziehen. Die Lehren von Alice Bailey, Benjamin Creme und David Spangler stellen fest, daß wir im New Age einer »luziferischen Initiation« unterzogen werden. Ein anderer gemeinsamer Punkt ist, daß New-Age-Anhänger glauben, durch »spirituelle Übungen« wie Yoga, Meditation, Bewußtseinskontrolle u. a. Mit-Schöpfer des Kosmos werden zu können. Sie glauben, daß sie sich durch solche Praktiken »höherentwickelt« haben: »Was heute erfolgt, ist nicht ein Bruch der Generationen oder der menschlichen Beziehungen, sondern es ist ein Bruch der gesamten Menschenrasse. Eine neue Rasse betritt den Planeten. Die herrschende Rasse ist eine sterbende Rasse. Das zunehmende Interesse an Psychotechnologien, geistigen Übungen und heiligen Traditionen ist die Offenbarung einer neuen, intelligenten Rasse, die sich unter dem Widerstand der herrschenden Rasse formiert und eine einheitliche planetarische Kultur entwickelt« (John White, in : International Cooperation Council Directory, 1979). Hitler sagte fast genau dasselbe. (Quelle: C. E. Cumbey, »The Hidden Dangers of the Rainbow«, S. 99 ff.)
3. Theologische Kritiker Spätestens seitdem Pfarrer Fortbildungsveranstaltungen über das »Wassermann-Zeitalter« anbieten, sind die christlichen Kirchen und die Theologie zur Stellungnahme herausgefordert. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe kann, wie die folgenden und zahlreiche weitere Beispiele zeigen, auf sehr verschiedene Weise erfolgen. So gibt es auch bereits theologische Ansätze, den christlichen Glauben in eine Beziehung zum Weltbild hervorragender New-Age-Denker zu setzen. In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel auf
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den anläßlich des VIII. Lutherisch-Syrisch Orthodoxen Dialogs 1983 in Kottayam/Indien gehaltenen Vortrag von Michael von Brück hinzuweisen, der einen ersten Versuch macht, die »Glaubenseinsichten unserer christlichen Tradition auf der Basis des neuen Paradigmas« des New Age auszusagen. Es handelt sich dabei um das »holistische Paradigma« von David Bohm, das die Wirklichkeit als »integrierte Interrelationalität« begreift, in der die üblichen Unterscheidungen zwischen Geist und Materie aufgehoben sind. Die Grundidee des neuen Paradigmas — die »Einheit in der Vielheit« — ist nach von Brück auch die Idee der christlichen Trinitätslehre. Der Theologe Jürgen Moltmann hat sich, ebenfalls 1983, in einem Beitrag der »Evangelischen Kommentare« mit Fritjof Capra auseinandergesetzt, dessen Büchern auch er einige positive Aspekte abgewinnt. Demgegenüber stehen E. Pement, M. Albrecht und G. Küenzlen der New-Age-Bewegung mit großen Vorbehalten gegenüber, die für sie vor allem der Ausdruck einer Neognosis, eines neuen Synkretismus und Eklektizismus ist — in einer Zeit allgemeiner Euphorie über das neue Denken besonders beachtenswerte Beiträge, zumal die »Grauzonen« mittlerweile bis in den kirchlichen Raum hineinreichen. Wenn heute so oft »die große Wende« beschworen wird, so sollte christlich zumindest daran erinnert werden, daß für den Glauben die entscheidende Wende mit Tod und Auferstehung Jesu Christi bereits geschehen ist und alles weitere nur die sich entfaltende Apokalypse ist. Aufgrund dessen wäre den zumeist evolutionistisch orientierten Strömungen in Esoterik und Wissenschaft die Entlastung der Fortschrittsidee vom Heilsgedanken durch den christlichen Glauben entgegenzuhalten, wie sie zum Beispiel Luther in seiner Schrift» Von der Freiheit eines Christenmenschen« vornimmt: » Wir beginnen und machen Fortschritte in dem, was im kommenden Leben vollendet sein wird.« Damit verliert der irdische Fortschritt seine religiöse Faszination als Ort der Selbsterlosung und zuletzt auch seinen Fanatismus im Politischen und wird wirklich »weltlich« (O. Bayer). Der Heilsanspruch, den schon die »Neuzeit« mit dem An-
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spruch erhob, das unüberbietbar Neue zu bringen, wird durch das »New Age«, gestützt auf astrologische Spekulation und wissenschaftlichen Fortschrittsoptimismus, nochmals gesteigert — in Überbietung auch der europäischen »Neu-Zeit«, die mit dem »Old Age« versinkt! Das »Urteil« über die Menschheit, das Gott sich nach kirchlichem Glauben für sein Gericht vorbehalten hat, wird darum ganz in die Gegenwart verlagert, und es entscheidet sich nicht mehr an Christus, sondern am Tun des Menschen, so daß zum Beispiel ein Peter Russell vollmundig, fast wie ein Goebbels, verkündet: »In unseren Händen ruht die evolutionäre Zukunft. Ob wir wollen oder nicht, wir sind jetzt die Sachwalter des Evolutionsprozesses auf Erden« («Die erwachende Erde«, S. 247)! Christliche Theologie hätte beide, »Neuzeit« wie »New Age«, — von der Voraussetzung eines ethischen Fortschreitens im Verhältnis des »alten« zum neuen, wiedergeborenen Menschen her — vom metaphysischen Druck und von der Heilsfrage zu entlasten. Sie hat es in ihrer »Lehre vom Ende« (Eschatologie), wie biblische Lehre überhaupt, nicht letztlich mit den Fragen, die wir uns selbst stellen und daher auch beantworten können im Blick auf die Zukunft, zu tun, sondern mit den Fragen, die das Wort Gottes an uns richtet. Denn der Glaube will seine rettende Kraft (1. Korinther 1) erweisen. In seiner Schrift »Die Atombombe und die Zukunft des Menschen« schrieb der Philosoph Karl Jaspers 1958: »Alle Chancen der Kirchen liegen in der Bibel, wenn sie diese im Bewußtsein der Weltwende heute wieder ursprünglich zum Sprechen zu bringen vermögen.« Nur wenn jederzeit im Blick behalten wird, was Christus heute tut und was er in Zukunft tun wird, ist ein fruchtbares Gespräch mit den »neuen Paradigmen« denkbar. Text Nr. 19 Michael von Brück Tragweite und Dimension des Heilswirkens Christi Ich werde darum bemüht sein, das gegenwärtige Verständnis der Wirklichkeit oder das neu aufkommende Paradigma einer globa-
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len Weltanschauung zu interpretieren. Ich hoffe, daß dadurch ein neues Licht auf die alte Frage nach Tragweite und Dimension des Heilswirkens Christi geworfen werden kann. Mit anderen Worten, ich möchte einige Anmerkungen zum Thema im gegenwärtigen interkulturellen und globalen Kontext machen, der vor allem durch die Entwicklung in den Wissenschaften und die weltweite Begegnung der Religionen gekennzeichnet ist. Was ich hier vorschlagen möchte, ist eine Studie des Begriffs von Tragweite und Dimension im Zusammenhang mit dem sich entwickelnden holistischen Paradigma in naturwissenschaftlichen und philosophischen Theorien. Eine post-moderne Weltanschauung ist im Entstehen begriffen, die sich vor allem darin ankündigt, daß mehr und mehr Menschen nicht mehr an die Voraussetzungen der Modernität glauben. Die »New-Age-Wissenschaftler«, Ökologen, feministische Bewegungen, Meditationsgruppen usw. suchen nach einem holistischen Paradigma. Eine der Hauptquellen für diese Bewußtseinsrevolution ist die Wissenschaft selbst, indem sie ihre methodischen Grenzen entdeckt und diese Entdeckung ins allgemeine Bewußtsein tritt. Was Kant vor zwei Jahrhunderten geschrieben hatte, ist heute die Basis für weite Zweige der modernen Physik: daß wir die Wirklichkeit nicht erfahren, »wie sie ist«, sondern daß wir unsere eigenen Kategorien auf sie projizieren. Wahrnehmung hängt von dem wahrnehmenden Subjekt ab. Dies ist nicht neu. Daß aber eine klare Trennung zwischen wahrnehmendem Subjekt und wahrgenommenem Objekt nicht mehr möglich ist und als Abstraktion den wirklichen Wahrnehmungsvorgang im physikalischen Labor nicht mehr sachgerecht beschreibt, dringt jetzt erst allmählich ins Bewußtsein der Nicht-Fachleute und beginnt damit, eine ganze Kultur zu verwandeln. Das Transzendieren der Subjekt-ObjektDualität ist aber die Grunderfahrung der Mystiker aller Zeitalter und Kulturen, und darum fasziniert das Thema »Mystik und die moderne Physik« nicht nur Physiker, sondern eine breiter werdende Öffentlichkeit. Wie immer man diese Entwicklungen beurteilt, so ist doch bemerkenswert, daß ein neues holistisches Paradigma an Einfluß
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gewinnt, das die Wirklichkeit als holomovement (David Bohm), d. h. als integrierte Interrelationalität, bezeichnet, so daß die üblichen Unterscheidungen von Geist und Materie, Ewigkeit und Zeitlichkeit, Raum und Zeit in ein Kontinuum von Beziehungen einfließen und letztlich verschwinden. Veränderte Bewußtseinszustände (altered states of consciousness) werden entdeckt und experimentell erforscht — nicht zufällig wohl durch die Vermittlung psychedelischer Erfahrungen — im Zusammenhang mit der Begegnung mit östlichen Religionen (Yoga, Zen, Tibetischer Yoga) und der Entdeckung der ökologisch-spirituellen Betrachtungsweise der amerikanischen Indianer (Castaneda). Wir wissen noch nicht, wie diese neue ganzheitliche Weltanschauung schließlich aussehen wird, aber eines ist sicher: unser Weltbild, unsere Epistemologie und unsere Theologie werden nicht mehr dieselben sein wie jetzt. Theologen sollten sich dieser grundsätzlichen Veränderungen bewußt sein, besonders bei dem Versuch, Tragweite und Dimensionen des Heilswirkens Christi neu zu interpretieren. Wenn wir Wirklichkeit theologisch interpretieren wollen, d. h. wenn wir die Tragweite und Dimension des Heilswirkens Christi bezeichnen, sollten wir ein klares Bild darüber haben, was wir meinen, wenn wir von Tragweite, Bereich, Dimension, Wirklichkeit, Bewußtsein usw. sprechen. Jeder theologische Satz impliziert ein bestimmtes Weltbild, und wir sollten nicht unbewußt auf Denkmustern aufbauen, die überhaupt nicht mehr die Wirklichkeit beschreiben, so wie wir sie heute erfahren. Die Frage ist: Wie können wir die Wahrheit der Offenbarung auf unser gegenwärtiges Denken beziehen? Wie können wir die großen Glaubenseinsichten unserer christlichen Tradition auf der Basis des neuen Paradigmas aussagen? Meine Hypothese ist: Wir brauchen die Einsicht in ein trinitarisches Verständnis von holomovement, das in der Lage ist, eine jede mögliche Erfahrung in jeder hierarchischen oder hologrammatischen Dimension der Wirklichkeit zu integrieren. Der Begriff holomovement scheint dem sehr nahe zu kommen, was durch das Symbol der Trinität gesagt wird: die trinitarische Struktur ist die Idee, sie ist holomovement, d. h. ungeteilte Interrelationalität, die kontinuierlich eine Bewegung erzeugt. Ich
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habe andernorts erläutert, daß dies in unübertroffener Weise mit dem Begriff perichoresis (Johannes Damascenus; ca. 670 bis ca. 750), dem »rhythmischen Tanz des Ganzen«, ausgedrückt worden ist. Die Trinität ist genau dieses Reservoir unbegrenzter Möglichkeiten, indem sie sich in sich selbst ewig in drei »Personen« differenziert und doch eine unteilbare Ganzheit bleibt. Unsere Bezeichnungen und Begriffe sind statisch, und deshalb können wir diese beiden Dimensionen nicht gleichzeitig widerspruchsfrei denken, sondern müssen ein Paradox aufstellen. Doch wenn wir Johannes Damascenus' Bild des Tanzes aufgreifen, sehen wir viel klarer: Der Tanz ist nur insofern Tanz, als er in derselben geordneten Struktur verbleibt, aber differenziert in einer übergeordneten Einheit abläuft, die sich selbst ewig schafft in einer fortwährenden und vollkommen interrelationalen Bewegung. Mit anderen Worten, jede Bewegung des Tanzes bekommt ihre Bedeutung und Form nur von dem Ganzen, dem holomovement, und das Ganze ist nur dann, wenn es sich in einer kontinuierlichen Entfaltung der verschiedenen »Schritte« verwirklicht. Ich schlage eine interkulturelle Synthese vor (die etwas ganz anderes ist als eklektischer Synkretismus). Eine solche Synthese wäre selbst ein Moment des holomovement in seiner geschichtlichen Entfaltung. Ohne die Synthese im einzelnen darzustellen, möchte ich die Aufmerksamkeit nur auf die Folgen dieses Ansatzes für unser gegenwärtiges Thema lenken. Für den christlichen Glauben ist Gott selbst in Bewegung, in trinitarischem Werden. Es wäre sinnlos, über Christi Heilswirken sprechen zu wollen, ohne ihn als die zweite Person der Trinität zu begreifen. Ein altes Dogma, das die abendländische Theologie seit Augustin und die orthodoxe Theologie ohnehin geprägt hat, vermittelt eine tiefe Einsicht: opera trinitatis ad extra indivisa sunt. Danach wäre es höchst unsachgemäß, von Christi Heilswirken reden zu wollen, ohne den Vater und den Heiligen Geist ins Spiel zu bringen. Zweifellos ist das trinitarische holomovement für uns geschichtlich vermittelt in der Person und dem Wirken Jesu Christi. Nicht der Vater ist der Schöpfer, sondern die gesamte Trinität.
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Wir müssen diese Argumentation beachten, wenn wir die wichtige Frage nach Tragweite und Dimensionen des Heilswirkens Christi stellen. Wie die gesamte Wirklichkeit, so sind auch Tragweite und Dimensionen Aspekte bzw. Momente des holomovement. Sie sind Strukturen, die im Werden begriffen sind. Und das Heilswirken Christi als solches ist ebenfalls ein »Schritt«, der in enger Verbindung mit den Wirkungen, die wir dem Vater und dem Heiligen Geist appropriieren, zu sehen ist, d. h. in traditionellen Begriffen in Relation zur Schöpfung und Heiligung als neuer Schöpfung. Wenn Christus die zweite Person der Trinität ist, kann Er dann von der Kirche allein beansprucht werden, die versucht, Ihn einzubinden in einer mehr besitzergreifenden als hingabevollen Grundeinstellung? Mein Vorschlag, eine Antwort zu finden, verlangt zwei Schritte. Zunächst müssen wir uns darüber im klaren sein, daß viele Menschen von Jesu Christi Person und Lehre inspiriert sind, aber nicht zur institutionalisierten Kirche gehören (wollen). Das ist besonders in Indien und Ostasien der Fall, in zunehmendem Maße aber auch in Europa und Amerika. Solche Menschen stehen in direkter historischer Tradition mit Jesus Christus durch die Heilige Schrift. Da sie ein Bewußtsein und Gewissen entwickeln, das sich in Christus gründet (natürlich in unterschiedlichem Maß) und sogar darum bemüht sind, ihren eigenen Weg der Nachfolge zu finden, ist es phänomenologisch eindeutig, daß hier vom Heilswirken Christi gesprochen werden muß. Zweitens gibt es Menschen und ganze Bewegungen und Traditionen, die nicht explizit das Licht und Leben des historischen Jesus Christus reflektieren, die aber implizit in Ihm, mit Ihm und unter Ihm leben. Diese Menschen stehen in keinerlei historischer Beziehung zu Christus, sondern können eine transhistorische Verbindung im Heiligen Geist mit ihm haben, d. h. einen spirituellen Zusammenhang verwirklichen. Sie rufen nicht Seinen Namen an, sondern »tun« Ihn (Matthäus 25, 31 ff.; 7, 21). Auf der Grundlage unserer Überlegungen ist es nicht möglich, diesen Bereich vom Heilswirken Christi auszuschließen. Die Frage nach Tragweite und Dimensionen des Heilswirkens
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Christi ist nicht so sehr, ob Er hier oder da ist, sondern ob wir Seine Gegenwart erkennen. Der kontinuierliche Prozeß, eine Antwort auf dieses Problem zu finden, ist selbst ein Moment in der göttlichen Heilsgeschichte. Da es heißt, daß wir an der göttlichen Natur partizipieren (2. Petrus l, 4), haben wir Anteil an dem trinitarischen Prozeß in all seinen Dimensionen. Da wir befreit sind, um an der Freiheit der Kinder Gottes, d. h. am göttlichen Erbe Anteil zu haben (Römer 8, 14.17.21), sind wir nicht mehr vollständig gebunden durch historische Beschränkungen, sondern partizipieren an der dreieinigen transhistorischen Spiritualität. Das bedeutet auch, daß unser Leben die göttliche Kreativität reflektiert: durch unsere Beziehungen zu allen anderen Formen oder Manifestationen des göttlichen Lebens (d. h. zu allen Kreaturen) verbreitern, konkretisieren und verwirklichen wir die Kreativität des Einen Gottes. Insofern sind wir Christi Leib der Herrlichkeit. Echtes Leben ist das Bild, die »Materialisierung« der Trinität. Es ist sozusagen die kreative Macht der Liebe in der multidimensionalen Wirklichkeit. (Quelle: »Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie« 26 (1984), S. 134ff.) Text Nr. 20 Jürgen Moltmann Zeit der Wende Über Bücher von Fritjof Capra Capras Bücher waren für mich eine Entdeckung. Die Ansätze zur Umkehr im Denken auf den verschiedensten Gebieten wie Physik, Biologie, Medizin, Wirtschaft und Religion werden in diesem Entwurf des Atomphysikers aus Berkeley in ein zusammenhängendes, sinnvolles Muster gebracht. Man gewinnt Orientierung für die Zukunft einer auf allen Lebensgebieten tödlich bedrohten Welt. Es wird der Weg erkennbar, der aus den Sackgassen der mechanistischen Weltbeherrschung zu den neuen Möglichkeiten einer ökologischen Weltgemeinschaft führt.
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Der Verfasser bietet nicht auf allen Gebieten etwas Neues, seine Stärke liegt in einer großen Integrationskraft. Seine Kombination von Quantenphysik und der neuen »Bootstrap-Theorie« mit der kosmischen Mystik fernöstlicher Traditionen fordert die christliche Theologie in besonderer Weise heraus, sich auch ihrerseits aus den Grenzen und Zwängen des mechanistischen Weltbildes zu lösen. Der Titel stammt aus dem chinesischen »Buch der Wandlungen«: »Nach einer Zeit des Zerfalls kommt die Wendezeit... Es gibt Bewegung... Es ist eine natürliche Bewegung, die sich von selbst ergibt. Altes wird abgeschafft, Neues wird eingeführt, beides entspricht der Zeit und bringt keinen Schaden.« Darin steckt auch schon das Programm dieser sanften Revolution. Die neue »Bootstrap-Theone«, von Capra »BootstrapPhilosophie« genannt, stammt von Geoffrey Chew und entstand im Rahmen der S-Matrix-Theorie in der Physik der Elementarteilchen. Sie macht Schluß mit der Vorstellung von »Elementarteilchen«, die erst sekundär in gesetzmäßige Beziehungen zueinander treten, und beginnt mit Beziehungen und Beziehungsfeldern, die sich zu solchen »Teilchen« verdichten. »Die neue Weltanschauung betrachtet das Universum als dynamisches Gewebe zusammenhängender Vorgänge. Keine der Eigenschaften irgendeines Teils dieses Gewebes ist fundamental, sie alle ergeben sich aus den Eigenschaften der anderen Teile, und die Gesamtübereinstimmung der gegenseitigen Wechselbeziehungen bestimmt die Struktur des ganzen Gewebes« (»Der kosmische Reigen«, S. 286, »Wendezeit«, S. 97 ff.). Die Möglichkeit, nicht mehr von fundamentalen Einheiten, sondern von der Übereinstimmung des Ganzen auszugehen, hebt für Capra den »Bootstrap«-Ansatz auf die Höhe buddhistischer und taoistischer Philosophie. Die Weltmetapher der »Maschine« wird durch die Anschauung der Welt als einem »dynamischen Gewebe von Zusammenhängen« abgelöst, das kausale Denken wird in das Denken in mehrstelligen Beziehungen und Netzen aufgehoben, das lineare, zielgerichtete Denken weicht dem Interesse an Gleichgewichtszuständen. So wie das »kartesianisch-newtonsche Denken« das mechani-
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sche Bild vom Leben geprägt hat, so wird jetzt das »neue Systembild des Lebens« die Zukunft bestimmen. Diese Übertragung des physikalischen Paradigmenwechsels auf Weltbild und Kultur hat große erschließende Kraft, aber doch auch seine Grenzen, weil Physik dann die Fundamentarwissenschaft bleibt und nicht selbst in das neue »dynamische Gewebe« der kulturellen Zusammenhänge integriert wird. Natürlich ist mit der Beschreibung eines ganzen Zeitalters mittels nur eines Weltbildes nicht das Zeitalter selbst erfaßt. Es hat seit Beginn des 17. Jahrthunderts immer auch das organische Weltbild gegeben. Das mechanistische Weltbild herrschte niemals unumstritten. Sucht man heute nach seiner Ablösung, dann sollte man auch diese älteren, organischen und ganzheitlichen Theorien erforschen und wieder aufnehmen. Der Entwurf Capras kommt mir so wichtig vor, daß ich den Versuch machen will, ihn kritisch mitzudenken. Auf der Ebene der Wissenschaften sind schon oft die Paradigmenwechsel einer Wissenschaft versuchsweise auf andere Wissenschaften und auf die Deutung der ganzen Kultur übertragen worden. Weil jedoch wissenschaftliche Theorien ihren bestimmten Ort haben, sind solche Übertragungen gefährlich sowohl für die Theorien selbst wie auch für die anderen Felder, auf die sie angewendet werden. Die Übertragung psychoanalytischer Theorien auf Kulturkritik oder der Komplementaritätsformel von N. Bohr auf ethische Entscheidungen sind warnende Beispiele. In diesem Fall muß gefragt werden, ob die neue »BootstrapTheorie« es hergibt, zu einer »Philosophie« und dann zu einem neuen »Weltbild« verwendet zu werden. Wird sie dann nicht ideologisch festgeschrieben und ihres hypothetischen Charakters beraubt? Und wenn die Übertragung sinnvoll sein sollte, bleibt dann nicht die Voraussetzung des Zeitalters der mechanistischen Weltbeherrschung erhalten, nach der die Physik die Fundamentalwissenschaft ist? Gerade diese These aber ist doch vielen Physikern selbst zweifelhaft geworden. Auf der Ebene der Kultur und der Politik wirkt die sanfte, gewaltfreie Kulturrevolution, die Capra anregt, sehr überzeugend, weil sie das gewaltfreie Leben in der neuen Weltgemeinschaft vor-
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wegnimmt und nicht durch falsche Mittel den guten Zweck ruiniert. Weil man bisher Geschichte als Geschichte von Macht- und Klassenkämpfen aufgefaßt hat, wurden jedoch auch die entsprechenden Klassen und Machtzentren geschaffen. Ihre Ablösung scheint denn doch wohl nicht »eine natürliche Bewegung« zu sein, »die sich von selbst ergibt«. Bisher haben Mächtige noch nie Macht aus der Hand gegeben, damit sie gerecht verteilt werde. Müßte man an dieser Stelle der praktischen Politik nicht die Ohnmacht der Mächtigen im Atomzeitalter untersuchen, aber auch die Macht der Ohnmächtigen, die in der Entwicklung gewaltfreier Politik und der Organisation von Solidarität besteht? Auf der Ebene der Religion ist es gewiß gut, wenn ein neues kosmisches Bewußtsein die alten religiösen Legitimationen von Herrschaft, besonders die theokratischen Religionsformen, ablöst. Um dies im Abendland zu entwickeln, sind Aneignungen fernöstlicher Religionen gewiß sinnvoll, aber nicht der einzige Weg. Die intuitive und meditative Religion des Universums, die Capra in Indien und China sucht, kann man am Beginn der europäischen Neuzeit als Antwort auf das mechanistische Weltbild und seine Deformationen bei Fr. Schleiermacher finden (»Reden über die Religion«): Religion ist »Anschauen des Universums«; »das Universum ist in einer ununterbrochenen Tätigkeit und offenbart sich uns jeden Augenblick«; »alles Einzelne als einen Teil des Ganzen, alles Beschränkte als Darstellung des Unendlichen hinzunehmen, das ist Religion«.; »Mitten in der Endlichkeit eins zu werden mit dem Unendlichen und ewig sein in einem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion«. Heutige Theologie ist von Capra herausgefordert, eine pneumatologische Schöpfungslehre zu entwickeln, die die Präsenz des Geistes Gottes in jedem Geschöpf und, was noch wichtiger ist, in der Schöpfungsgemeinschaft betont. Eine monotheistisch ausgerichtete Schöpfungslehre hat nur die Distanz Gottes gegenüber seiner Schöpfung betont. Neuere christologische Schöpfungslehren haben die Voraussetzung Christi vor der Schöpfung hervorgehoben. Eine voll entwickelte trinitarische Schöpfungslehre würde
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die Weltimmanenz des transzendenten Gottes in dem der Welt einwohnenden Geist herausstellen. Die trinitarische Einheit des einwohnenden Geistes mit dem Sohn, in dem, und dem Vater, von dem alles geschaffen ist, würde davor schützen, in die Sackgasse einer spiritistischen Kosmologie, wie sie östlichen Religionen zugrunde liegt, zu geraten. Die Transzendenz des weltimmanenten Geistes würde es nicht zulassen, das Universum als ein geschlossenes System aufzufassen, sondern auf die selbsttranszendierenden Bewegungen in der Welt und der Welt selbst aufmerksam machen. Der Pantheismus des Geistes hat immer zur Vorstellung eines in sich geschlossenen Weltsystems geführt. Dieser Pantheismus hat auch den Indifferentismus zur Folge, wie Heinrich Heine trefflich bemerkte: »Wenn alles Gott ist, ist es gleichgültig, womit man sich beschäftigt.« Allein die jüdischen und die christlichen Vorstellungen von der Einwohnung (Schechinah) des göttlichen Geistes in der Welt halten das Weltsystem auf allen seinen Ebenen gleichsam offen und machen es möglich, seine Kontingenz als Schöpfung zu erkennen und zu ertragen. (Quelle: »Evg. Kommentare« 11/1983, S. 623ff.) Text Nr. 21 Mark Albrecht New-Age-Spiritualität Die Londoner Esoterik-Messe (»Festival for Mind, Body and Spirit«) ist wohl die größte ihrer Art auf der Welt, auf der man alles verkaufen und vertreiben kann, von Religion über Pyramidenkraft bis hin zu Kuhdung (im buchstäblichen Sinn). Nicht alle Stände sind besetzt mit Leuten, die religiöse Philosophie anbieten, obwohl diese Gruppen in der Mehrheit sind. Da gibt es auch eine ganze Anzahl von Geistheilzentren, von Angeboten in »holistischem« Heilen, Handlesen, Tarot, Aura-Lesen, von Künstlern und Handwerkern, Biokostläden und vielem mehr. Es ist eine bunte Mischung verschiedener politischer, sozialer und ökologischer Organisationen.
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Abgesehen von den Einzelausstellungen gibt es auch eine Bühne und einen Vortragssaal, in dem Experten ernsthaft über Reinkarnation, Astrologie, Alchemie, Numerologie, das geheime Leben der Pflanzen, fliegende Untertassen und vieles mehr dozie ren. In Workshops können die Besucher viele dieser Phänomene experimentell untersuchen. Die New-Age-Spiritualität stützt sich auf den Glauben, daß die Menschheit an der Schwelle eines »neuen Zeitalters« des spirituellen Bewußtseins und der Harmonie steht — das mythische, geheimnisvolle Aquarius-Zeitalter. Eine bekannte Persönlichkeit des New Age (David Spangler) definiert dieses neue Zeitalter als einen »fundamentalen Bewußtseinswandel von einem Bewußtsein der Isolation und der Trennung zu einem Bewußtsein der Vereinigung und der Ganzheit«. Es kann weiterhin definiert werden als eine chiliastische oder utopische Philosophie, die zugleich eklektisch (zusammengestückelt aus ganz verschiedenen Quellen) und synkretistisch (als Versuch der Vereinigung des gesamten religiösen Denkens und der Lehre auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner) ist. Die Quellen der New-Age-Bewegung sind hinduistische und buddhistische Philosophie, Schamanismus, Okkultismus, gnostisch-hermetische Traditionen und die moderne Psychologie mit ihren »Bewußtseins«-Therapien. Historisch gesehen kann man die Bewegung etwa 100 Jahre zurückverfolgen. 1875 gründete Mme. Blavatsky die Theosophische Gesellschaft. Die Theosophie spaltete sich in verschiedene Bewegungen auf, darunter Alice Baileys »Lucis Trust« und Rudolf Steiners Anthroposophie. Das gleichzeitige Entstehen von Spiritismus und Parapsychologie goß zusätzlich Öl ins Feuer, so daß »esoterische« Lehren und »alte Weisheit«, vermischt mit Okkultem, plötzlich in der westlichen Welt stark gefragt waren. Trotz der Verschiedenheiten haben fast alle New-Age-Gruppen eine Reihe von gemeinsamen Prämissen hinsichtlich grundlegender theologischer Fragen, wie der Natur Gottes, der Menschheit, der Welt, der Erlösung und der Frage nach dem Bösen und dem Leiden:
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1. Gott. Gott wird gewöhnlich unpersönlich aufgefaßt: als ein Gesetz, als Energie oder schöpferische Kraft. Die jüdischchristliche Idee eines transzendenten, persönlichen Gottes wird zumeist verworfen oder so verändert, daß sie in einen pantheistischen oder monistischen Rahmen paßt. 2. Die Menschheit. Die Menschen werden als Teil des Göttlichen oder selbst als Gott angesehen. Da das Universum göttlich ist, wie Pantheismus und Monismus annehmen, ist jede menschliche Person ein Funken des kosmischen Feuers oder eine Welle in dem großen göttlichen Ozean. Der Leib wird gewöhnlich als eine davon abgesonderte Realität, als eine vorübergehende Wohnstatt angesehen. 3. Die Welt. Die Welt wird oft als eine Illusion betrachtet, als ein vergängliches Szenarium, an das man sich nicht binden darf, da die Welten und Universen ständig wiederkehren. Materie ist lediglich Manifestation oder Emanation des reinen Geistes, und sie verschwindet und kehrt wieder in ewigem Rhythmus. 4. Die Erlösung. Erlösung wird (in spirituellem Sinn) durch Erleuchtung erlangt, und sie erfolgt durch die Befreiung von der Bindung an die Welt und an das Bewußtsein, mit anderen Worten: dadurch, daß man selbst Gott ist oder ein Teil von Gott und man diese mittels bestimmter Techniken und Rituale erfährt. Sie ist ein Prozeß, der sich über sehr viele Inkarnationen erstreckt. 5. Gut und Böse. Gutsein ist gleichbedeutend mit der erwähnten Erleuchtung, und das Böse wird verbunden mit dem NichtWissen — besonders mit der Unwissenheit über den göttlichen Status der Seele. Ein »Erleuchteter« transzendiert den groben Dualismus von gut und böse und erkennt, daß dies alles ein Teil des »kosmischen Gleichgewichts« ist. Natürlich würden nicht alle New-Age-Gruppen diese fünf LehrPunkte unterschreiben können, doch die Mehrzahl von ihnen könnte im allgemeinen sicher zustimmen. (Quelle: »New Religious Movements Up-Date« V [1981], S. 2ff.)
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Text Nr. 22 Eric Pement Die New-Age-Bewegung: Versuch einer Definition Typische New-Age-Enthusiasten reichen von Jüngern Carlos Castanedas bis zu Durchschnittsbürgern, die daran glauben, daß der Mensch sein kann, was immer er sein möchte. Es gibt keine völlige Einmütigkeit unter allen New-Age-Befürwortern, aber es besteht insoweit allgemeine Übereinstimmung, daß das New Age zu einer ganz bestimmten Kategorie in der philosophischen und in der religiösen Literatur geworden ist. Wie ist diese Bewegung also zu beschreiben? Um es ganz einfach zu umreißen: Die New-Age-Bewegung ist eine vielgestaltige Strömung von Vereinigungen, Organisationen und Individuen, die alle bestrebt sind, in unserer Gesellschaft ein Neues Zeitalter (»new age«) der Erleuchtung und der Harmonie einzuführen. Das einigende Band unter ihnen ist der Wunsch nach Förderung einer neuen Weltanschauung auf der Basis eines Gemischs aus humanistischer Ethik, den Idealen ganzheitlicher Heilung, der »Human-PotentialBewegung« und den traditionellen östlichen Religionen (Hinduismus, Zen, Sufismus, Tibetischer Buddhismus), um dadurch der Menschheit neue Lebenskräfte zuzuführen. Viele Menschen sehen optimistisch der Morgenröte eines Neuen Zeitalters entgegen, einem totalen Umschwung im Denken, im Erkennen und in der Entwicklung der Menschheit. Das bevorstehende Neue Zeitalter wird auch als eine wirklich neue Stufe in der Evolution der Menschheit betrachtet. Die menschliche Art wird sich dann jedoch nicht in struktureller Hinsicht (neue Organe, Körperteile usw.) weiterentwickeln, sondern in psychologischer, spiritueller, geistiger und sozialer Hinsicht. Manche Autoren erwarten, daß die Menschheit ein planetarisches Bewußtsein entwickeln wird, dessen Beschreibung von der allgemeinen Sorge um ein globales Überleben bis zu dem Gedanken reicht, daß alle Menschen gleich denken (und gelegentlich auch, daß alle dasselbe denken!). Ein allen gemeinsamer Begriff ist Transformation: Das Neue Zeitalter wird nicht einfach nur neue Ideen einführen — es wird einen neuen Geist bringen.
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Vier grundlegende Prämissen tragen fast die gesamte New-AgeLiteratur. Die erste Prämisse besteht im Akzeptieren des Monismus in der einen oder anderen Form. Die starke Betonung, die New-AgeAutoren auf östliche Lehren, auf die Quantenphysik, auf Meditation und auf planetarisches Bewußtsein legen, ist nur erklärlich aus ihrer gemeinsamen Komponente: der Voraussetzung, daß alles eins ist. Die New-Age-Bewegung kann sich ebensoleicht den traditionellen pantheistischen Hinduismus aneignen wie einen Ausspruch von Werner Erhard: »Alles, was ist, ist Bewußtsein, es gibt nichts anderes« (Marcia Seligson, »est: The New Life-Changing Philosophy That Makes You the Boss«, in »New Times«, 18.10.1974). Ein klassisches Beispiel für den New-Age-Monismus ist Michael Talbots »Mysticism and the New Physics« (New York 1981, S. 175; 167), wo er zu zeigen versucht, daß »das Universum ein großer Gedanke ist«, dessen Substanz »Bewußtsein« ist, und daß wir nicht tatsächlich existieren (wie Punkte in der Geometrie »besitzen wir keine wahre Realität in Raum und Zeit«). Marilyn Ferguson behauptet, daß »alles Prozeß ist. Die räumliche Welt ist ein Prozeß«, und sie ist vielleicht in Wirklichkeit »eine Illusion«, die von unserem »Bewußtsein« hervorgebracht wird (»The Aquarian Conspiracy: Personal and Social Transformation in the 1980s«, Los Angeles 1980, S. 102; 180; vgl. S. 180—185; 375—376). New-Age-Gläubige haben eine bestimmte Neigung, das Bewußtsein als das monistische Substrat des Universums zu vergöttlichen, und sie vertreten daher im allgemeinen als Konsequenz die Prämisse, daß sie selbst Fragmente dieses kosmischen Bewußtseins sind und angeborene Göttlichkeit besitzen müssen. Eine zweite grundlegende Prämisse ist die New-Age-Philosophie der Relativität und der ständigen Veränderung der Materie und des Seins. Demgemäß gibt es weder eine letzte Wahrheit noch einen persönlichen Gott, der sich abschließend offenbart hat. Stagnation ist die Folge des Mißverständnisses, daß man ans Ende gelangt, im Besitz der Wahrheit ist oder das letzte Wort hat. Umgekehrt resultieren Transformation und persönliches Wachstum aus ständiger Veränderung, Anpassung und aus der Synthese neuer Ansichten. Ferguson sagt, daß die trans formierenden
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Methoden »vielleicht zu der Erkenntnis führen, daß es keine letzten Antworten gibt« (ebd., S. 92). Daher besteht eine fundamentale Annahme darin, daß niemand alle Antworten oder sogar eine letzte Antwort hat: wir entwickeln uns alle. (Aus diesem Grunde können auch theistische Religionen wie Christentum, Judentum oder der Islam, sowie auch stark autoritäre »cults« wie die Moonies und »The Way International« niemals als Teil der New-Age-Bewegung angesehen werden. Sie behaupten, eine letzte Wahrheit zu haben.) Ein drittes grundlegendes Ideal ist individuelle Autonome. Da die gesellschaftliche Transformation durch die Transformation der Person entstehen soll, muß jedes Individuum die Freiheit besitzen, selbst zu wählen, was es für das beste hält. Eine der großen Parolen des New Age ist die Freiheit, jeden beliebigen Lebensstil zu leben, den man leben möchte. Ferguson tituliert dies als Autarkie (»government by the self«). Der Politologe Mark Satin hat vorgeschlagen, New-Age-Politik solle das Recht auf Abtreibung, die Rechte der Homosexuellen und der Tiere und das Recht auf Polygamie sicherstellen und alle Gesetze gegen Prostitution, Glücksspiele und Drogen beseitigen (»New Age Politics: Healing Self and Society«, New York 1979, S. 129 f.; 137; 240; 246). New-AgeAutarkie basiert auf der Vorstellung, daß es keine absoluten ethischen Grundsätze gibt, die sowohl über die einzelnen als auch die Gesellschaft richten, und daß es keine dauerhaften, von Gott auferlegten Normen gibt, die für alle Menschen überall gelten. Jede Ethik ist selbst auferlegt. So glaubt Satin zum Beispiel: »Ein spiritueller Weg ist für uns gültig, wenn er unseren Bedürfnissen, wie wir sie selbst definieren, angemessen ist« (ebd., S. 112). Eine solche Feststellung ist typisch für die New-Age-Literatur und läßt das Leitmotiv des Hexers und Okkultisten Aleister Crowley widerhallen: »Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz« (Armand Biteaux, »The New Consciousness«, Willits, CA, 1975, S. 107). Eine solche Ideologie läßt einfach das letzte und abschließende Herrsein Jesu Christi außer Betracht. Der humanistische Imperativ ist wesenhafter Bestandteil der inneren Struktur des New-AgeDenkens und kann von der New-Age-Philolsophie nicht abgetrennt werden, ohne sie völlig zu zerstören.
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Eine vierte Prämisse ist die eindringliche Betonung des New-AgeBewußtseins, daß die heutigen Probleme aus der westlichen, jüdischchristlichen Weltanschauung stammen. Die New-Age-Philosophie leugnet, daß das grundlegende Menschheitsproblem moralisch, durch die Sünde verursacht ist. Statt dessen sei es durch einen Mangel an Wissen, Bewußtheit oder völliger Einsicht bedingt. Die meisten Menschen sind heute davon überzeugt, daß die Menschheit bis zum Hals in einer die Umwelt, die Politik, die Wirtschaft und den einzelnen erfassenden Krise globalen Ausmaßes steckt — die Vertreter der Bewegung aber weisen die Schuld hierfür unseren veralteten politischen, religiösen und sozialen Strukturen zu. Damit hängt die Transformation dieser Strukturen und unseres Lebens davon ab, daß eine neue Weltanschauung gefunden wird und daß nach einem neuen Paradigma gesucht wird, mit dem sie zu verstehen sind. Wir wollen nicht leugnen, daß in der Wissenschaft und im Geschäftsleben echte technische Fortschritte durch das Suchen nach neuen Zugängen zu alten Problemen erzielt worden sind. Der persönliche Paradigmenwechsel aber, der von der breiten Mehrheit der Vertreter des New Age hervorgehoben wird, impliziert die Übernahme einer monistischen, östlichen Weltanschauung und okkultistisch-mystisches Experimentieren. (Quelle: »Materialdienst der EZW« 6/1984, S. 176ff.; zuerst engl. in: »Cornerstone« Bd. 11/1983.) Text Nr. 23 Gottfried Küenzlen Wendezeit — oder »Die Sanfte Verschwörung« Eine neue Erlösungshoffnung »Das Wassermann-Zeitalter verbindet, was bisher getrennt war, wie Wissen und Selbsterfahrung. Die Teilnehmer dieses Kurses sollen eine neue Vorstellung von Wirklichkeiten und Bewußtsein und die Konsequenzen für ihr eigenes Leben mit dem Referenten diskutieren...« So steht es im Veranstaltungskalender eines evangelisch-landeskirchlichen Bildungswerkes. Was steckt dahinter?
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Seit Jahren erleben wir, quer durch unsere Kultur einschließlich der intellektuellen Szene und eben auch im kirchlichen Raum, einen Aufschwung von Esoterik und Okkultismus, der schwindeln macht. Allein schon das nicht mehr überschaubare Angebot an einschlägiger Literatur, die von Verlagen aller Couleur auf den Markt gebracht wird und seine Abnehmer findet, zeigt das Ausmaß dieser Konjunktur. Ob Astrologie, Hypnose, Biorhythmik, Ufologie und Parapsychologie, ob Zen-Buddhismus, Psycho-Kulte, Reinkarnationstherapie, ob magisch-okkulte Praktiken oder Hexenglaube, ob neuerwachtes Interesse an östlicher Spiritualität und Mystik, an indianischen Urmythen und Schamanismus — alles zeugt von einem Wechsel an Orientierung. Dieser Wechsel ist zwar vielleicht bloße Mode, doch ist er radikal: nicht mehr Marx (zu dessen 100. Todestag es auffallend still war im Blätterwald, einschließlich des theologisch-christlichen, wo es noch vor 10 bis 15 Jahren kräftig geraschelt hätte vor Verbeugungen und Einladungen zum »Dialog«) — nicht mehr Marx also, sondern etwa Fritjof Capra, nicht mehr Freud, sondern C. G. Jung sind die neuen Propheten. Wendezeit? Für viele, bis in den Raum unserer Kirche hinein, ist es ausgemacht, daß ein neues, das »Wassermann-Zeitalter« begonnen hat; ist es ausgemacht, daß wir am Anfang einer neuen kosmischen Dimension, am Anfang einer neuen Stufe der Menschheit stehen, die als »Sanfte Verschwörung« (so der programmatische Titel des Buches von M. Ferguson) schon längst begonnen hat. Dies läßt sich verdeutlichen an Fritjof Capras Buch »Wendezeit«, das, neben seiner früheren Schrift »Der kosmische Reigen«, zu einem Kultbuch der »New-Age«-Szene geworden ist. Capra, ein Atomphysiker, öffnet sich der Dimension der östlich-mystischen Erfahrung. Er tut dies in der Überzeugung, daß die Erkenntnisse der modernen Physik und östlich-mystische Spiritualität zueinandergehören und wo sie zueinander gebracht werden, eine neue, lebensrettende Stufe des Menschseins ermöglichen. Capra geht davon aus, daß mit dem Ende des mechanistischen Paradigmas eine neue Kultur sich Bahn bricht, eine Zeit der Verbindung von Wissenschaft und Mystik, eine Zeit neuer Harmonie, in der die Welt eins ist, in der alles mit allem kommuniziert.
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Die Annahme einer kosmischen Einheit, in der und durch die alle Dinge sind, ist dem westlichen Denken fremd, ist aber zentraler Inhalt der östlichen Mystik. Wo wir deren Weg gehen, zerfließt das mechanistisch-technische Denken des Westens zu bloßem Schein, und wir finden uns wieder als Teile des allumfassenden und alles durchdringenden Kosmos. »Im normalen Leben sehen wir diese Einheit aller Dinge nicht, sondern teilen die Welt in getrennte Objekte und Ereignisse... Doch dies ist eine Illusion. Hindus und Buddhisten sagen, daß diese Illusion auf ,Avidya', Unwissenheit, beruht, die ein Gehirn unter dem Zauber von ,Maya' produziert. Daher ist es das erste Ziel der östlichen mystischen Traditionen, das Gehirn ,zurechtzurücken', indem man es durch Meditation zentriert und beruhigt. Der Sanskrit-Ausdruck für Meditation ,Samadhi' heißt wörtlich ,geistiges Gleichgewicht'. Er bezeichnet den Zustand, in dem die grundsätzliche Einheit des Universums erfahren wird. Diese grundsätzliche Einheit des Universums ist auch eine der bedeutendsten Offenbarungen der modernen Physik...« Wendezeit — weil moderne Physik und östlich-mystische Spiritualität ineins gesetzt, den Weg frei machen, um wegzukommen von der Illusion des alten westlichen Denkens und hinzufinden zu neuem kosmologischen Bewußtsein. So wird nach taoistischer Lehre, an die Capra anknüpft, die Yang-Zeit an ihr Ende kommen, in der die gewaltsam-aggressiven, männlichen, rationalmechanistischen Tendenzen beherrschend waren, und es wird die Yin-Zeit beginnen, als die ganzheitliche, intuitive, harmonischweibliche, neue Ära des Menschen. Dies alles ist, für sich genommen, nichts sonderlich Neues und gehört zum Repertoire der »New-Age«-Szene und ihrer Erlösungshoffnungen. Aufregend, und deshalb so in die Breite wirkend, ist diese Botschaft vom kommenden Solarzeitalter der neuen Yin-Zeit deshalb, weil sie von einem Atomphysiker stammt. Weil hier einer, der selbst aus dem Hause der westlichen Wissenschaft herkommt, sich der östlichen Mystik zuwendet, dabei selbst von dem Erlebnis eines eigenen »mystischen Urerlebnisses« spricht und dies in Übereinstimmung mit seiner Wissenschaft tut. Es ist ja auch unbestreitbar, daß unser abendländischer, auf das
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Voranschreiten von Technik und Wissenschaft gegründeter Fortschrittsglaube ins Wanken geraten ist. Doch damit ist nicht das Entscheidende des Capraschen Buches berührt. Gemeint ist es als Heilsbotschaft, als rettendes Rezept inmitten der Krise. So wird es auch rezipiert. Es wird rezipiert und verbreitet als neue Erlösungshoffnung, und Capra ist ihr Prophet. Dabei lassen sich etwa die — sehr bedenkenswerten — ökologischen Überlegungen nicht trennen von dem mitgelieferten Weltbild. Dies aber hat keine jüdisch-christlichen Wurzeln mehr, sondern ist östlich-mystische Kosmologie. Dies muß wissen, wer — gerade im kirchlichen Raum — mit Capra umgeht. Dabei ist — in gebotener Kürze — grundsätzlich anzumerken: Nicht in allem, was an »alternativer«, neuer Spiritualität sich regt, sprudelt das Wasser, das wir als Kirche auf unsere Mühlen leiten könnten. Hier werden mitunter Ideen und Weltbilder mitgeliefert, die nicht allein unserer Kultur und der in ihr wichtig gewordenen Auffassung vom Menschen fremd sind, die vor allem auch fremd sind der Botschaft des Evangeliums. (Ich darf — bei begrenztem Raum — auf meinen Artikel verweisen: »Kirche und Alternativkultur», in: »Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen« Nr. 4/1983.) Es ist sehr an der Zeit, vor einer zunehmenden, unter synkretistischen Vorzeichen stehenden Verwischung der Welt- und Menschenbilder zu warnen — ohne in kirchliche Selbstgefälligkeit zu verfallen, wozu angesichts der kirchlichen Realität ohnedies kein Grund besteht. Schon bildet sich nämlich bis in unseren evangelisch-kirchlichen Raum herein eine weltanschauliche Grauzone, in der die Geister nicht mehr leicht zu scheiden sind. Da wird uns Jesus als »Schamane« geprie sen, da gibt es Pfarrer, die sich im dumpfen Lichte des Okkultismus einnisten, da bedient man sich der Parapsychologie als Glaubensstütze, da gibt es Theologen, die in der Bhagwan-Bewegung eine mit dem Evangelium in Einklang zu bringende spirituelle Möglichkeit sehen, schon gibt es »Bildungswerke« evangelischer Gemeinden, in "deren Veranstaltungskalendern an die Stelle von Themen christlicher Lebensführung Einführungen in das »Wassermann-Zeitalter« getreten sind. Es gilt, inmitten der gegenwärtigen Diffusion des religiösen
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und weltanschaulichen, von Synkretismus und Eklektizismus geprägten Marktes der religiösen Möglichkeiten, als Kirche die eigene Kontur zu bewahren, um überhaupt noch identifizierbar zu bleiben — ohne ängstliche Abgrenzung, aber mit dem Mut zur eigenen Sache. Sonst könnte die »Wendezeit« für unsere Kirche schnell zur Zeitenwende werden — mit bösem Erwachen. Die »Sanfte Verschwörung« jedenfalls hat begonnen. (Quelle: »a + b«, 15. 5. 1984.)
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In der Reihe
coprint zeitnah sind außerdem erschienen: Bruce Anderson
Was man über Genforschung und Genmanipulation wissen sollte... (Laßt uns Menschen machen) Eine Einführung in die Problematik der Gentechnologie und Wertung aus christlicher Sicht. Paperback • 160 Seiten • ISBN 3-922819-17-6 Peter Hahn
Pro & Contra Franz Alt — An der Bergpredigt scheiden sich die Geister Eine Auseinandersetzung mit Argumenten der Friedensbewegung. Paperback • 120 Seiten • ISBN 3-922819-14-1
Sterbehilfe — Mitleid oder Mord? Mit Beiträgen von Hans-Henning Atrott, Ulrich Eibach, Elisabeth Kübler-Ross, Christa Meves, Helmut Thielicke und Interviews mit Peter M. Reisert und Julius Hackethal. Paperback • 120 Seiten • ISBN 3-922819-18-4 Jim Wallis (Hrsg.)
Friedensstifter Mit Beiträgen von Billy Graham, John Stott, Daniel Berrigan, Robert Aldridge u.a. Taschenbuch • 96 Seiten • ISBN 3-922819-09-5
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