Inhaltsverzeichnis 1 Uber dieses Buch
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2 Klappentext
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3 George Sand - Nanon
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3.1 Kapitel I.
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Inhaltsverzeichnis 1 Uber dieses Buch
5
2 Klappentext
7
3 George Sand - Nanon
9
3.1 Kapitel I.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
3.2 Kapitel II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.3 Kapitel III. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.4 Kapitel IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3.5 Kapitel V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.6 Kapitel VI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.7 Kapitel VII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.8 Kapitel VIII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3.9 Kapitel IX. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3.10 Kapitel X. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3.11 Kapitel XI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3
INHALTSVERZEICHNIS
INHALTSVERZEICHNIS
3.12 Kapitel XII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3.13 Kapitel XIII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3.14 Kapitel XIV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3.15 Kapitel XV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3.16 Kapitel XVI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 3.17 Kapitel XVII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 3.18 Kapitel XVIII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3.19 Kapitel XIX. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 3.20 Kapitel XX. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3.21 Kapitel XXI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 3.22 Kapitel XXII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 3.23 Kapitel XXIII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 3.24 Kapitel XXIV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 3.25 Kapitel XXV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3.26 Kapitel XXVI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 3.27 Kapitel XXVII.
. . . . . . . . . . . . . . . . . 371
3.28 Kapitel XXVIII. . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 4 Nachwort
397
Seite: 4
Kapitel 1 Uber dieses Buch Als die Revolution ausbricht, lebt Nanon in ihrem Loch Valcreux, einem verlorenen Flecken, einem engen Tal, ¨ Tier der Erde, das M¨onchen geh¨ort. Sie ist das gefugige die kleine B¨auerin, die nichts kennt, auch nicht sich ¨ selbst. Da kommt in das Kloster ein jungster Sohn, ein Kind, der junge Emilien de Franqueville, den seine Familie im geistlichen Stand begraben will. Und wir nehmen teil an der Initiation dieser beiden Seelen, dem heranwachsenden Volk, das sich seiner Rechte versichert, ¨ dem r¨ochelnden Adel, der seine Schuld bußt. Mit diesen Worten beschreibt der begeisterte Zola das ¨ ¨ letzte Werk seiner beruhmt-ber uchtigten Dichterfreundin George Sand (1804-1876). Es wurde ihr Verm¨achtnis und ihr Glaubensbekenntnis als pazifistische Revo¨ ¨ die Uberwindung sozialer Gelution¨arin, die sich fur ¨ die Gleichwertigkeit von Mann und gens¨atze und fur ¨ Frau einsetzte. Diese Botschaft der Rousseau-Schulerin war aber nicht dazu angetan, dem Buch eine große 5
KAPITEL 1. UBER DIESES BUCH Leserschaft zu verschaffen; und ein weiteres kam erschwerend hinzu: Eine Frau, ja eine kleine B¨ auerin als Heldin eines Revolutionsromans, und die Schilderung der Großen Revolution aus der Sicht der Provinz ohne eindeutige Parteinahme war offensichtlich zur revolution¨ ar, um nicht verdr¨angt zu werden. Erst im Vorfeld der Feiern zum 200. Jahrestag der Franz¨osischen Revolution wurde dieser große Roman in Frankreich selbst wieder entdeckt - eine Wiederentdeckung, die auch zur vorliegenden ersten deutschen ¨ ¨ Ubersetzung fuhrte.
Seite: 6
Kapitel 2 Klappentext Ich habe gerade Nanon gelesen, das letzte Werk von Ge” orge Sand, und es ist, als verließe ich ein großes, ruhi¨ ges Land mit reinen Gew¨ assern, breitem, immergrunem ¨ Laub, einem Himmel von sußer Heiterkeit.“ Emile Zola
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KAPITEL 2. KLAPPENTEXT
Seite: 8
Kapitel 3 George Sand - Nanon 3.1
Kapitel I.
Ich beginne, im fortgeschrittenen Alter, im Jahre 1850, die Geschichte meiner Jugend zu schreiben. Es ist nicht meine Absicht, das Interesse auf meine Per¨ meine Kinder und son zu lenken, sondern vielmehr, fur Enkel das teure und heilige Gedenken an den zu bewahren, der mein Gatte war. ahlung aufschreiben Ich weiß nicht, ob ich meine Erz¨ kann, ich, die ich mit zw¨olf Jahren nicht lesen konnte. Ich werde tun, was ich vermag. Ich werde die Dinge von h¨oherer Warte betrachten und versuchen, die ersten ¨ Erinnerungen an meine Kindheit aufzuspuren. Sic sind sehr verworren, wie bei einem Kind, dessen Verstand nicht durch Erziehung entwickelt wurde. Ich weiß, daß ¨ ich im Jahre 1775 geboren bin, daß ich in meinem funften Lebensjahr Vater und Mutter verloren habe, auch 9
George Sand
3.1: Kapitel I.
erinnere ich mich nicht, sie gekannt zu haben. Sie starben beide an den Pocken, und beinahe w¨ are ich mit ihnen gestorben, denn das Impfen war noch nicht bis zu uns vorgedrungen. Ich wurde von einem alten Großonkel erzogen, der Witwer war und zwei verwaiste Enkel etwa in meinem Alter hatte. Wir geh¨orten zu den a¨ rmsten Bauern im Kirchspiel. Gleichwohl bettelten wir nicht um Almosen; mein Großonkel arbeitete noch als Tagel¨ohner, und seine beiden Enkel begannen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Aber wir nannten keine Handvoll Erde unser ¨ bezahlten wir die Miete eigen, und unter großen Muhen ¨ ein elendes strohbedecktes Haus und einen kleinen fur Garten, in dem fast nichts wuchs, weil er im Schatten ¨ der Kastanienb¨aume des Nachbarn lag. Glucklicherweise fielen die Kastanien bei uns herunter, und wir halfen ihnen beim Fallen ein wenig nach; daran war nichts ¨ B¨oses, denn die dicksten Aste ragten in unseren Garten ¨ und schadeten unseren Ruben. Trotz seiner Armut war mein Großonkel, den man Jean le Pic nannte, ein rechtschaffener Mann, und wenn seine Enkel auf dem Land anderer r¨auberten, nahm er sie sich vor und zog ihnen die Hosen stramm. Er mochte mich lieber, sagte er, weil ich keine Diebin war oder an¨ deren Schaden anrichtete. Er befahl mir, gegenuber jedermann ehrlich zu sein und lehrte mich, meine Gebete zu sprechen. Er war sehr streng, doch sehr gut, und sonntags, wenn er zu Hause blieb, liebkoste er mich hin und wieder. Das ist alles, woran ich mich erinnern kann bis zu dem Tag, als mein kleiner Verstand sich von selbst erhellte Seite: 10
Nanon von George Sand dank eines Umstandes, den man vielleicht kindlich fin¨ mich jedoch ein großes Ereignis war den mag, der fur und so etwas wie der Beginn meines wirklichen Lebens. Eines Tages nahm der alte Jean mich zwischen die Knie, gab mir einen handfesten Klaps auf die Wange und sagte: Kleine Nanette, h¨oren Sie mir gut zu und achten Sie ge” nau auf das, was ich Ihnen nun sage. Weinen Sie nicht, wenn ich Sie geschlagen habe, tat ich es nicht, weil ich b¨ose auf Sie bin, im Gegenteil, es ist zu Ihrem Besten.“ Ich rieb mir die Augen trocken, h¨orte auf zu schluchzen und h¨orte ihm zu. Sie sind nun elf Jahre alt“, fuhr mein Onkel fort, und ” ” haben noch nie außerhalb des Hauses gearbeitet. Das ist nicht Ihre Schuld; wir besitzen nichts, und Sie sind aftig genug, um im Tagelohn zu arbeiten. nicht kr¨ ¨ ¨ ¨ Die anderen Kinder mussen Vieh huten und fuhren es auf die Gemeindeweide; wir dagegen hatten niemals die Mittel, um Tiere zu halten, aber jetzt ist es mir endlich gelungen, ein wenig Geld auf die Seite zu legen, und heute will ich auf den Markt gehen und ein Schaf kau¨ fen. Sie mussen mir beim lieben Gott schw¨oren, sich seiner anzunehmen. Wenn Sie ihm gut zu fressen geben, es nicht verlieren und seinen Stall sauber halten, wird es gedeihen, und mit dem Geld, das es mir im n¨achsten Jahr einbringt, werde ich Ihnen zwei weitere kaufen und das Jahr darauf vier. Und dann werden Sie stolz und gleich mit den anderen jungen Leuten sein, die Verstand haben und ihrer Familie Nutzen bringen. Seite: 11
George Sand
3.1: Kapitel I.
Verstehen Sie mich und werden Sie tun, was ich Ihnen aufgetragen habe?“ Ich war so bewegt, daß ich fast nicht antworten konnte, aber mein Großonkel sah, daß ich guten Willens war. Er brach zum Markt auf und sagte mir, daß er am Abend ¨ vor Sonnenuntergang zuruck w¨ are. Zum ersten Mal wurde ich mir der L¨ange eines Tages bewußt, und meine Besch¨aftigungen bekamen einen ¨ mich. Es sah so aus, als taugte ich zu etwas, Sinn fur denn ich konnte fegen, das Haus in Ordnung bringen und Kastanien kochen; aber ich tat diese Dinge, ohne ihrer gewahr zu sein und ohne zu wissen, wer sie mir beigebracht hatte. An diesem Tag sah ich, wie die Ma¨ riotte heruberkam, eine Nachbarin, der es besser ging als uns und die mich zweifellos großgezogen hatte. Sie kam jeden Tag zu uns, ohne daß ich mich jemals gefragt habe, warum sie sich um unser armseliges Haus ¨ und mich kummerte. Ich fragte sie danach und erz¨ ahlte ihr auch, was der alte Jean mir gesagt hatte, und ich begriff, daß sie sich mit unserem Haushalt befaßte als ¨ sie ver¨ die Arbeit, die mein Großonkel fur Ausgleich fur richtete, wenn er ihren Garten anbaute und ihre Wiese m¨ ahte. Sic war eine sehr gute und anst¨andige Frau, die age gab mir schon seit langemWeisungen und Ratschl¨ und der ich blind gehorchte, deren Worte mich jedoch in Erstaunen versetzten. Dein Großonkel“, sagte sie, entschließt sich also end” ” lich, Vieh zu kaufen! Ich habe ihm deshalb schon seit langem zugesetzt. Wenn ihr Schafe habt, werdet ihr auch Wolle haben; ich bringe dir bei, sie zu entfetten, sie zu spinnen und blau oder schwarz zu f¨arben, und Seite: 12
Nanon von George Sand dann, wenn du mit den anderen kleinen Sch¨aferinnen auf die Felder gehst, lernst du stricken, und ich ¨ bin uberzeugt, daß du stolz sein wirst, dem alten Jean ¨ Strumpfe anfertigen zu k¨onnen, denn er l¨ auft mit nahezu bloßen Beinen bis tief in den Winter herum, der arme, liebe Mann, so schlecht sind seine Beinkleider ¨ geflickt; ich habe nicht genugend Zeit, um alles zu machen. W¨ aret ihr in der Lage eine Ziege zu halten, dann ase h¨ attet ihr Milch. Du hast gesehen, wie ich den K¨ zubereite, und du k¨onntest selbst welchen machen. Auf ¨ weiterhin tapfer sein. Du bist ein denn, wir mussen ¨ armes M¨adchen, vernunftig und sorgsam mit den abgetragenen Kleidern, die du am Leibe hast. Du wirst dem alten Jean helfen, aus seinem Elend herauszugelangen. Das bist du ihm schuldig, denn er hat, da er die ¨ dich ubernahm, ¨ ¨ Fursorge seine Not vergr¨oßert. fur Ich war durch Mariottes Komplimente und Ermutigun¨ ¨ erwachte, und Mein Selbstwertgefuhl gen sehr geruhrt. are ich seit dem Vortag um einen es kam mir vor, als w¨ ganzen Kopf gewachsen. Es war ein Samstag; zu Abend und zu Mittag des n¨achsten Tages aßen wir Brot. Den ¨ lebten wir, wie alle armen Leute Rest der Woche uber des Pays marchois, nur von Kastanien und Buchwei¨ zengrutze. Ich erz¨ ahle Ihnen von einer Zeit, die lange ¨ zuruck liegt; wir befanden uns, glaube ich, im Jahre 1787. Viele Familien lebten damals nicht besser als wir. Gegenw¨artig sind die Armen etwas besser gen¨ ahrt. Es gibt Mittel und Wege, die Erzeugnisse miteinander zu tauschen, und die Kastanien verhelfen einem zu etwas Getreide. Samstagsabends brachte mein Großonkel ein RoggenSeite: 13
George Sand
3.1: Kapitel I.
¨ brot und ein Stuckchen Butter vom Markt mit. Ich beschloß, ihm ganz allein seine Suppe zu bereiten und ließ mir genau erkl¨aren, wie die Mariotte sie machte. ¨ Ich ging in den Garten, um ein wenig Gemuse zu holen und putzte es ordentlich mit meinem erb¨ armlichen Messerehen. Als die Mariotte sah, daß ich geschickter wurde, lieh sie mir zum ersten Mal ihr Messer, das sie ¨ mir nie zuvor hatte anvertrauen wollen, weil sie furchtete, ich k¨onnte mir damit schaden. Mein großer Vetter Jacques kam vor meinem Onkel ¨ er brachte Brot, Butter und Salz vom Markt zuruck; mit. Die Mariotte verließ uns, und ich begann sofort ¨ mit der Arbeit. Jacques machte sich uber meinen Ehrgeiz, die Suppe alleine zuzubereiten, ziemlich lustig, ¨ und er behauptete, sie wurde nicht gelingen. Ich legte ¨ den gr¨oßten Eifer an den Tag, meine Suppe wurde fur gut befunden und brachte mir Lob ein. Da du nun eine Frau bist“, sagte mein Onkel beim Kos” ten, verdienst du die Freude, die ich dir nun machen ” werde. Wir wollen deinem kleinen Vetter Pierre entge¨ hat, das Sch¨ alchen hergengehen, der es ubernommen zubringen. Er wird gleich hiersein.“ ¨ Dieses sehnlichst erwunschte Schaf war demnach ein ¨ ußerst h¨ Muttertier und vermutlich a aßlich, da es bloß drei Livres gekostet hatte. Aber da mir die Summe sehr groß vorkam, fand ich das Tier sch¨on. Gewiß, ich hatte seit jeher viele Vergleichsm¨oglichkeiten vor Augen, doch niemals hatte ich daran gedacht, das Vieh anderer Leute genauer zu betrachten, und mein Schaf gefiel mir so sehr, daß ich glaubte, das sch¨onste Tier auf Erden vor Seite: 14
Nanon von George Sand mir zu haben. Ich mochte sein Gesicht vom ersten Augenblick an. Mir schien, es blickte mich voller Freundschaft an, und als es zu mir kam, um aus meiner klei¨ nen Hand Bl¨ atter und Gemuseabf¨ alle zu fressen, die ich aufgehoben hatte, mußte ich mich zusammennehmen, um nicht vor Freude aufzuschreien. ¨ Ach Onkel“, sagte ich ganz besturzt von einem Gedan” ken, der mir bislang nicht gekommen war, da haben ” wir nun ein sch¨ones Schaf, aber wir haben keinen Stall, wo wir es unterbringen k¨onnten.“ Wir bauen ihm morgen einen“, gab er zur Antwort, ” und bis dahin wird es dort hinten in der Ecke schla” fen. Heute abend hat es keinen großen Hunger. In der ¨ ¨ Fruhe fuhrst achst, du es unten zum Weg, wo Gras w¨ und es wird sich reichlich satt fressen.“ Warten bis zum n¨achsten Morgen, um Rosette (ich hatte sie bereits getauft) fressen zu lassen, das kam mir recht lange vor. Ich erhielt die Erlaubnis, vor Einbruch atter zu sammeln. der Nacht an den Hecken entlang Bl¨ ¨ Ich zog die Zweige von Rusterhecken und wilden Ha¨ ande und fullte selnußstr¨auchern durch meine H¨ mei¨ ¨ Bl¨ attern. Es wurde dunkel und ne Schurze mit grunen meine H¨ande waren blutig von den Stacheln, doch ich ¨ spurte es nicht und hatte vor nichts Angst, obwohl ich nie zuvor so lange nach Sonnenuntergang alleine gewesen war. Als ich nach Hause kam, schliefen alle, trotz Rosettes Bl¨oken. Bestimmt war es ihr langweilig, und sie ¨ ¨ sich trauerte ihren fruheren Gef¨ahrten nach. Sie fuhlte fremd“, wie man bei uns sagt, was so viel wie nicht ” ” Seite: 15
George Sand
3.1: Kapitel I.
zu Hause“ bedeutet. Sie wollte weder fressen noch trinken. Das bereitete mir große Sorgen und Kummer. Am achsten Morgen war sie offensichtlich froh, hinausn¨ zugehen und frisches Gras zu fressen. Ich wollte, daß mein Großonkel ihr rasch einen Unterstand anfertigte, wo sie auf Streu schlafen konnte, und ich beeilte mich, gleich nach der Messe auf dem Anger Farnkraut schneiden zu gehen. Da dies jeder tat, gab es kaum welches; ¨ ¨ ein einzibrauchte man nicht viel fur glucklicherweise ges Schaf. Aber mein Großonkel, der nicht gerade flink war, hatte eben erst mit der Arbeit begonnen, und ich mußte ¨ Jacihm helfen, Erde zu stampfen und anzuruhren. ¨ ques holte große flache Steine, Aste, Grassoden und ein ¨ ganzes Bundel Ginster, und endlich, gegen Abend, war ¨ war so schmal der Stall fast fertig und gedeckt. Die Tur und niedrig, daß nur ich hinein konnte, wenn ich mich ¨ ordentlich buckte. Siehst du“, sagte der alte Jean, das ist nun dein Tier, ” denn du allein kannst sein Haus betreten. Solltest du vergessen, sein Lager zu machen und ihm am Tage zu fressen und in der Nacht zu trinken zu geben, wird es krank werden und eingehen, und du wirst sehr traurig sein.“ Es besteht keine Gefahr, daß das passiert!“ antworte” te ich stolz, und von diesem Augenblick an merkte ich, daß ich jemand war. Ich nahm wahr, daß es einen Unterschied gab zwischen mir und anderen Personen. Ich hatte eine Besch¨aftigung, eine Aufgabe, eine Verantwortung, einen Besitz, ein Ziel. Sollte ich nicht gar sagen, ¨ daß ich dem Schaf gegenuber Mutterpflichten hatte? Seite: 16
Nanon von George Sand Sicher ist, daß ich zum Pflegen geboren war, das heißt, jemandem oder einer Sache zu dienen und diese zu ¨ und sei es nur ein Tier. Mein Leben begann schutzen, mit der Sorge um ein anderes Wesen, das sich von mir unterschied. Anfangs empfand ich große Freude ¨ daruber, daß Rosette gut untergebracht war; da ich jedoch geh¨ort hatte, daß W¨olfe, von denen unsere W¨ alder voll waren, sich bis zu unseren H¨ausern heranschlichen, konnte ich nicht mehr schlafen und glaubte, ¨ rmlichem Stall kratzen und nagen zu sie an Rosettes a ¨ h¨oren. Mein Großonkel machte sich uber mich lustig ¨ und behauptete, daß sie es nicht wagen wurden. Ich blieb allerdings solange hartn¨ackig, bis er den kleinen Bau mit gr¨oßeren Steinen befestigte und das Dach mit kr¨ aftigeren, eng aneinander liegenden Zweigen sicherte. ¨ Das Schaf besch¨aftigte mich den ganzen Herbst uber. ¨ rgsten Frostn¨ Als der Winter kam, mußte es in den a achten zuweilen im Haus untergebracht werden. Der alte Jean war sehr reinlich; und ganz anders als die damaligen Bauern, die ihr Vieh, ja sogar ihre Schweine bei sich beherbergten, verabscheute er ihren schlechten Geruch und duldete sie nicht in seiner N¨ahe. Aber es gelang mir, Rosette so sauber und ihre Streu so frisch zu halten, daß er mir meinen bescheidenen Willen ließ. Es bleibt zu sagen, daß ich mir zur gleichen Zeit, als ich mich so fest an Rosette band, meine anderen Pflichten mehr zu Herzen nahm. Ich wollte so sehr meinem Onkel und meinen Vettern gefallen, bis sie nicht mehr den ¨ mein Schaf abzuschlagen. Mut fanden, mir etwas fur ¨ Ich ganz allein fuhrte den Haushalt und bereitete alle Mahlzeiten. Die Mariotte half mir nur noch bei groben Arbeiten. Ich lernte schnell waschen und flicken. Ich Seite: 17
George Sand
3.1: Kapitel I.
nahm Arbeit mit auf die Felder und gew¨ohnte mir an, ahen hatte zwei Dinge auf einmal zu tun, denn beim N¨ ich stets ein Auge auf Rosette. Ich war eine wirklich gute Sch¨aferin. Ich ließ sie nicht lange am selben Ort, und damit sie bei Appetit blieb, erlaubte ich ihr nicht, ¨ ihr Futter an einer Stelle restlos aufzuzehren; ich fuhrte sie sanft weiter und w¨ ahlte ein kleines- Fleckchen Weide am Wegesrand; denn Schafe sind nicht sonderlich urteilsf¨ahig, das muß man sagen. Sie grasen, wo immer sie sind und verlassen die Stelle erst, wenn es nur noch Erde zu beißen gibt. Zurecht kann man von ihnen sagen, daß sie nicht weiter blicken k¨onnen als bis zu ihrer Nasenspitze, denn sie sind viel zu faul, sich umzusehen. ¨ War die Zeit gekommen, Rosette zum Stall zuruckzu¨ den Weg, auf dem die Herden den Staub bringen uber aufgewirbelt hatten, achtete ich darauf, sie nicht zur Eile anzutreiben. Ich hatte erlebt, wie sie hustete, weil sie Staub verschluckt hatte, und ich wußte, daß Schafe eine empfindliche Lunge haben. Außerdem achtete ich darauf, daß sich keine sch¨ adlichen Pflanzen unter ihrer Streu befanden, wie etwa der Windhafer, dessen Same, ¨ wenn er reif ist, in die Nustern dringt oder in die Augen sticht und Schwellungen oder Wunden verursacht. Aus dem gleichen Grund wusch ich ihr jeden Tag das Gesicht, was mich lehrte, mich selbst zu waschen und sauber zu halten, etwas, was man mir nie beigebracht ¨ hatte, wovon ich jedoch mit Recht annahm, daß es fur die Gesundheit der Menschen ebenso notwendig ist wie ¨ die der Tiere. Da ich nun tatkr¨aftiger war und mich fur ¨ ¨ ich mich vor Krankheit, und gebraucht fuhlte, furchtete ¨ ußerlich schw¨achlich schiobwohl ich mager war und a ¨ en, wurde ich sehr schnell robust und ermudete kaum. Seite: 18
Nanon von George Sand Glauben Sie nicht, daß ich nun aufh¨ore, von meinem Schaf zu sprechen. Es stand geschrieben, daß meine ¨ Zuneigung zu ihm uber den Rest meines Lebens entscheiden sollte. Doch um das Folgende verst¨ andlich zu machen, muß ich Ihnen von unserem Kirchspiel und seinen Bewohnern erz¨ahlen. Wir waren kaum mehr als zweihundert Seelen, das ¨ heißt etwa funfzig Herdstellen, verteilt auf ein Gebiet von einer halben Meile L¨ange, wir lebten im Gebirge, in einer sehr engen Schlucht, die in der Mitte breiter ¨ wurde und ein hubsches Tal bildete, das vom Kloster Valcreux und seinen Nebengeb¨ auden eingenommen wurde. Dieses Kloster war sehr groß und stabil gebaut, von hohen Mauern umgeben, in die rundbo¨ genf¨ormige Pforten eingelassen waren, und mit Turmen befestigt. Die Kirche war alt und klein, aber ihr Innenraum sehr hoch und reich verziert. Man betrat sie durch einen großen Hof, an dessen Seiten und Tiefe sich sch¨one Geb¨aude befanden: das Refektorium, der ¨ ¨ ¨ zw¨olf Ordensbruder, Kapitelsaal und Unterkunfte fur außerdem Pferdest¨alle und andere Stallungen, Scheuateschuppen; denn die M¨onche nannten nen und Ger¨ nahezu das gesamte Kirchspiel ihr eigen und ließen durch Fronarbeit das Land bebauen und die Ernten ¨ wenig Geld die H¨auser vereinbringen, wobei sie fur pachteten, die von den Bauern bewohnt wurden. Alle diese H¨auser geh¨orten den M¨onchen. ¨ ¨ die Ordensbruder Trotz ihres Reichtums fuhlten von Valcreux sich nicht so recht wohl. Es ist eigenartig, daß Menschen ohne Familie sich nicht darauf verstehen, Nutzen aus ihrem Besitz zu ziehen. Ich habe JunggeselSeite: 19
George Sand
3.1: Kapitel I.
len gekannt, die ihre Taler anh¨ auften, ohne sich selbst etwas zu g¨onnen, und sie starben, ohne daran gedacht atten sie zu haben, ein Testament zu hinterlassen, als h¨ nie jemanden geliebt, weder sich selbst noch andere. Ich habe andere gesehen, die sich um des Friedens wil¨ ließen. len und nicht um Gutes zu tun, ausplundern Doch vor allem habe ich diese letzten M¨onche gesehen ¨ die Beund versichere Ihnen, daß sie keinerlei Sinn fur wirtschaftung hatten. Weder dachten sie an die Familie, die ihnen ja wohl v¨ollig fehlte, noch an ihre Gemeinde, ¨ um die sie sich nicht im geringsten kummerten. Ebensowenig machten sie sich Sorgen um einen guten Ertrag ihrer L¨ andereien, auch nicht um die Pflege, die diese verdienten. Wie Reisende in ihrer Lagerstatt, so lebten sie in den Tag hinein, bauten an einer Stelle zu viel, an anderer zu wenig an, laugten den Boden aus, der sich in ihrer Reichweite befand und den, den sie nicht ¨ ¨ uberließen sie sich selbst. In der Ebene uberwachten, besaßen sie große Weiher, die sie sehr wohl h¨atten trockenlegen und eins¨ aen k¨onnen, aber dann h¨ atten sie ¨ die Fastenzeit kaufen mussen, ¨ und sie den Fisch fur fanden es bequemer, ihn bei sich fangen zu lassen. Sie waren a¨ ußerst tr¨ age, holzten die W¨ alder in ihrer Nachbarschaft ab und ließen den Rest verkommen. Man bestahl sie, und den Armen h¨ atten sie einen guten Dienst erwiesen, wenn sie sie zur Ehrlichkeit angehalten und atten, die sie zu Dieben nicht ihre Faulheit geduldet h¨ machte. Sie waren zu nachgiebig und furchtsam, sie sagten nichts. Man muß allerdings zugeben, daß die Zeit nicht geeignet war, ihnen Respekt zu verschaffen. Die Leute bei ¨ uns brauchten sich uber diese M¨onche, die gr¨oßtenteils Seite: 20
Nanon von George Sand weder gut noch b¨ose waren, nicht zu beklagen. Sie verlangten nichts weiter als Gutes zu tun, doch darauf ver¨ standen sie sich nicht. Nun, so sanftmutig sie auch wa¨ ren, man beschwerte sich uber sie, wollte sie nicht mehr ertragen, man respektierte sie nicht mehr und begann sogar, sie zu verachten. Es ist eine Sitte des Bauern, sich nicht um Leute zu scheren, die ihre Sache schlecht beherrschen. Ich bin imstande zu sagen, wie der Bauer die Dinge sieht, da ich ja zu diesem Geschlecht geh¨ore. ahrt, und Zuallererst denkt er an die Erde, die ihn ern¨ das bißchen, das er hat, macht die H¨ alfte seiner Seele ¨ ihn nach der, die er nicht hat, und aus. Und es gelustet ob sie ihm nun geh¨ort oder nicht, er achtet sie, denn sie bleibt stets Erde, eine Sache, in der er eine Wohl¨ tat des Himmels zu sehen oder zu beruhren glaubt. Als ¨ ich jung war, kummerte er sich nicht sonderlich ums Geld. Er wußte sich seiner nicht zu bedienen. Den Taler rollen zu lassen, ihn auszuschwitzen oder zu produ¨ zieren war eine Wissenschaft, auf die sich der Burger verstand. Bei uns hingegen, wo Tausch herrschte, das heißt, Arbeit auf der einen, Erstattung in Lebensmitteln auf der anderen Seite, da tr¨aumte man nicht vom Geld. Man sah so wenig, es floß einem so selten durch die ¨ nicht daran dachte; man H¨ande, daß man uberhaupt wollte nur eine eigene Weide, einen eigenen Wald, einen eigenen Garten besitzen und sagte: Diejenigen, die arbeiten und Kinder in die Welt setzen, ” haben ein Anrecht darauf “ Die Fr¨ommigkeit hielt nur noch den Bauern im Zaum, ¨ schon nicht mehr den Burger, und der Adlige machte ¨ sie lustig. Man gab den sich bereits seit langer Zeit uber Seite: 21
George Sand
3.1: Kapitel I.
Kl¨ostern keine Geschenke, Spenden oder Legate mehr; die großen Familien schickten, von seltenen Ausnahmen abgesehen, ihre Letztgeborenen nicht mehr dort¨ ¨ hin; die Rucklagen wurden folglich nicht aufgefullt, und der Besitz verkam. Wenn es darum ging, der Kirche zu geben, war der religi¨ose Stand nicht mehr in Mode; man wurde lieber Abbe und ließ sich vom Staat bezahlen. Das Kloster von Valcreux hatte auch nur noch sechs ¨ Ordensbruder statt zw¨olf, und als die Gemeinschaft sp¨ ater aufgel¨ost wurde, blieben nur mehr drei. Ich komme auf eine weniger bedeutungsvolle Sache, auf ¨ Es war Sommer und das meine geliebte Rosette zuruck. Gras so karg, sogar auf der anderen Seite der Gr¨aben, daß ich nicht wußte, was ich mir noch einfallen lassen sollte, um sie zu ern¨ahren. Ich war gezwungen, tief in die Berge hineinzugehen, und ich hatte Angst vor den ¨ W¨olfen. Ich war betrubt, denn es gab keinen Regen, und Rosette magerte ab. Als der alte Jean meinen Kummer ¨ bemerkte, machte er mir zwar keinerlei Vorwurfe, aber er war unzufrieden, sein Geld, seine drei Livres in eine ¨ Anschaffung gesteckt zu haben, die so viel Muhe und so wenig Nutzen brachte. Eines Tages, als ich an einer kleinen Wiese entlang ging, achleins, die zum Kloster geh¨orte und die wegen des B¨ ¨ und saftig war, das sie durchfloß, noch immer grun blieb Rosette vor dem Gatter stehen und begann so j¨ ammerlich zu bl¨oken, daß ich vor Mitleid und Kummer ganz außer mir war. Das Gatter war nicht geschlossen, sondern nur an den Pfosten gelehnt, so lose, daß Rosette ihren Kopf hindurchsteckte, dann ihren K¨orper, und das machte sie so geschickt, daß sie hindurchgelangte. Seite: 22
Nanon von George Sand Ich war zun¨achst erschreckt, als ich sie innerhalb einer Koppel sah, in die ich ihr nicht folgen konnte, obwohl ich doch Verstand besaß und ein Mensch war, der wußte, daß sie nicht das Recht hatte zu tun, was sie ¨ tat, das arme Unschuldslamm! Mein Gewissen ruhrte sich, und ich war stolz, nie gestohlen zu haben, was mir ¨ ¨ die Gluckw unsche meines Onkels und die Hochachtung meiner Vettern einbrachte, noch dazu, wo jene weniger Bedenken hatten als ich. Ich fragte mich also, ob es nicht meine Pflicht sei, anstelle von Rosettes fehlendem christlichen Glauben meinen geltend zu machen. Ich rief sie, sie stellte sich taub. Sie fraß so hingebungsvoll, sie sah so zufrieden aus! Nach einer Weile rief ich sie nochmals, nach einer guten Weile, das muß ich zugeben. Da sah ich pl¨otzlich auf der anderen Seite des Gatters das junge und sanfte Gesicht eines Novizen, der mich lachend ansah.
3.2
Kapitel II.
¨ Ich fuhlte , wie ich mich sch¨amte; freilich machte die¨ ser Knabe sich uber mich lustig, und man muß wohl annehmen, daß ich viel Selbstachtung besaß, denn die Scham tat meinem Herzen weh, und es gelang mir ¨ nicht, mein Weinen zu unterdrucken. Der junge M¨onch war verwundert und sagte mit einer Stimme, ebenso sanft wie sein Antlitz: ¨ dich denn?“ Du weinst, Kleine? Was bekummert ” Seite: 23
George Sand
3.2: Kapitel II.
Es ist“, antwortete ich, wegen meines Schafes, das ” ” davongelaufen ist und sich auf eurer Weide befindet.“ Nun, darum ist es doch nicht verloren. Ist es nicht froh, ” fressen zu k¨onnen?“ ¨ rgere mich, Es ist froh, das weiß ich wohl; aber ich a ” weil es sich am Eigentum anderer vergeht.“ Was bedeutet am Eigentum anderem?“ Es frißt auf ” ” fremdem Besitz.“ Fremdem Besitz! Du weißt nicht, was du sagst, Kleine. ” Der Besitz der M¨onche geh¨ort allen.“ Ach, er geh¨ort also nicht mehr den M¨onchen. Das wuß” te ich nicht.“ Hast du denn keinen Glauben?“ Doch, ich kann mein ” ” Gebet sprechen.“ Nun, jeden Morgen bittest du den lieben Gott um dein ” aglich Brot. Und die Kirche, die reich ist, muß denen t¨ geben, die sie im Namen des Herrn darum bitten. Sie ¨ ange es ihr nicht, Barmherzigkeit zu w¨are unnutz, gel¨ ¨ uben.“ Ich sperrte die Augen auf und verstand fast nichts, denn die M¨onche, ohne daß sie deshalb schlecht waren, verteidigten sich doch so gut sie konnten gegen ¨ Plunderer. Da gab es den Pater Fructueux, der die Auf¨ gabe des Verwalters ubernommen hatte und der großen ¨ L¨arm machte und ertappten Weidedieben gegenuber gewaltige Drohungen ausstieß. Er verfolgte sie mit einem Stechpalmenstock, nicht gerade weit, das ist wahr, denn zum Laufen war er zu fett; dennoch machte er ih¨ b¨ose, selbst wenn er nen angst, und man hielt ihn fur nicht einmal eine Katze schlug. Seite: 24
Nanon von George Sand Ich fragte den jungen Mann, ob Pater Fructueux damit einverstanden w¨ are, wenn er mein Schaf sein Gras fresahe. sen s¨ Ich habe keine Ahnung“, antwortete er, aber ich weiß, ” ” daß das Gras nicht ihm geh¨ort.“ Wem also geh¨ort es?“ ” ¨ alle Herden wachEs geh¨ort Gott, denn er l¨aßt es fur ” sen. Glaubst du mir nicht?“ Verflucht, ich weiß nicht! Aber was Sie mir da sagen, ” w¨ are mir gerade recht! Wenn meine arme kleine Rosette sich bei Ihnen satt fressen k¨onnte, so werde ich doch atig bleiben. Sobald in den Bergen das deshalb nicht unt¨ Gras nachgewachsen ist, bringe ich sie wieder dorthin, ich verspreche es.“ Nun gut, so laß sie ruhig dort und hole sie heute ” abend.“ Heute abend? Oh nein! Wenn die M¨onche sie entde” cken, sperren sie sie bei sich ein, und mein Großonkel ¨ wird sich gezwungen sehen, sie zuruckzufordern und ¨ ihre Vorwurfe auf sich zu nehmen; und mich, mich wird er schelten und sagen, ich sei ein b¨oses M¨ adchen wie die anderen, was mich dann sehr traurig macht.“ Du bist ein wohlerzogenes Kind. Wo wohnt er denn, ” dein Großonkel?“ Dort oben, das kleinste Haus, auf dem halben Weg zur ” Schlucht. Sehen Sie es? Hinter den drei großen Kastanienb¨aumen.“ Es ist gut, ich werde dir dein Schaf bringen, sobald es ” genug gefressen hat.“ Seite: 25
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Aber wenn die M¨onche Sie ausschimpfen?“ Ich werde ” ” ihnen ihre Pflicht erkl¨aren.“ Sind Sie denn ihr Lehrer?“ ” ¨ Ich? Keineswegs. Ich bin nur ein Schuler. Man hat ” mich ihnen anvertraut, damit sie mich unterrichten und darauf vorbereiten, M¨onch zu werden, sobald ich alt genug bin.“ Und wann werden Sie alt genug sein?“ ” In zwei oder drei Jahren. Ich bin fast sechzehn.“ Sie ” ” sind also Novize, wie man sagt?“ Noch nicht, ich bin erst seit zwei Tagen hier.“ ” Habe ich Sie deshalb noch nie gesehen? Und aus wel” cher Gegend kommen Sie?“ Ich bin aus dieser Gegend. Hast du von der Familie ” und vom Schloß von Franqueville geh¨ort?“ Bestimmt nicht. Ich kenne nur die Gegend von Val” creux. Sind Ihre Eltern arm, weil sie Sie einfach weggeschickt haben?“ Meine Eltern sind sehr reich; doch wir sind drei Kinder, ” und weil sie ihr Verm¨ogen nicht aufteilen wollen, be¨ den a ¨ ltesten Sohn. Meine Schwester wahren sie es fur und ich werden nur einen einmaligen Erbteil erhalten, damit jeder von uns in ein Kloster eintreten kann.“ Wie alt ist Ihre Schwester?“ EIf Jahre. Und du?“ ” ” Ich bin noch nicht ganz dreizehn.“ ” Da bist du groß. Meine Schwester ist um einen ganzen ” Kopf kleiner als du.“ Seite: 26
Nanon von George Sand Zweifellos lieben Sie sie, Ihre kleine Schwester?“ Ich ” ” liebte nur sie.“ Ach was! Und Ihren Vater und Ihre Mutter?“ ” Ich kenne sie kaum.“ Und Ihren Bruder?“ ” ” Ich kenne ihn noch weniger.“ Wie ist das m¨oglich?“ ” ” Unsere Eltern haben uns auf dem Land aufziehen las” sen, meine Schwester und mich, und sie sind nur selten ¨ ltesten Sohn in Paris. Aber du dort, sie leben mit dem a hast noch nie von Paris geh¨ort, wo du noch nicht einmal Franqueville kennst.“ Paris, wo der K¨onig ist?“ Richtig.“ ” ” Und Ihre Eltern wohnen beim K¨onig?“ Ja, sie dienen ” ” in seinem Haus.“ Sind sie Dienstboten des K¨onigs?“ ” Sie stehen in seinen Diensten. Aber von all dem ver” stehst du nichts, und es wird dich nicht weiter interesahl mir von deinem Schaf. Gehorcht es dir, sieren. Erz¨ wenn du es rufst?“ Nicht, wenn es so hungrig ist wie heute.“ ” Nun, wird es mir nicht gehorchen, wenn ich es zu dir ” ¨ zuruckbringen will?“ Das ist wohl m¨oglich. Ich m¨ochte lieber warten, wo Sie ” es schon ein wenig bei sich dulden.“ Bei mir? Ich habe kein bei mir, meine Kleine, und ich ” werde nie dergleichen haben. Ich wurde in dem Gedanken erzogen, daß nichts mir je geh¨oren soll, und du, die du ein Schaf hast, bist reicher als ich.“ Seite: 27
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Macht Ihnen das Kummer, nichts zu haben?“ ” Nein, gar nicht. Ich bin zufrieden, mich um verg¨angli” ¨ ¨ che Dinge nicht bemuhen zu mussen.“ Verg¨ anglich? Ach ja, mein Schaf kann vergehen.“ Und ” ” da es lebt, machst du dir Sorgen?“ Gewiß, aber ich liebe es, und bedaure nicht meine ” ¨ Muhe. Lieben Sie denn gar nichts?“ Ich liebe alle und alles.“ ” Aber nicht die Schafe?“ ” Weder liebe ich noch hasse ich sie.“ ” Dabei sind es sehr sanfte Tiere. Lieben Sie Hunde?“ ” Ich hatte einen, den ich liebte. Sie wollen nicht, daß er ” mir ins Kloster folgt.“ Sie sind also traurig, ganz allein von zu Hause weg zu ” sein, bei anderen zur Buße?“ Er sah mich erstaunt an, so als habe er noch nie daran gedacht, was ich eben gesagt hatte, und dann antwortete er: ¨ gar nichts zu bußen. ¨ Ich brauche fur Man hat stets ” zu mir gesagt: Mischen Sie sich in nichts ein, binden Sie sich an nichts, lernen Sie, sich nichts zu Herzen zu nehmen. Das ist Ihre Pflicht, und nur wenn Sie Ihre ¨ Pflicht tun, werden Sie glucklich.“ Das ist ja komisch! Mein Großonkel sagt genau das ” gleiche zu mir; aber er sagt, meine Pflicht sei es, mich ¨ ¨ alles im Haus da zu sein und um alles zu kummern, fur mit dem Herzen bei jeder Art von T¨ atigkeit. So spricht Seite: 28
Nanon von George Sand man zweifellos zu den Kindern von armen Leuten und ganz anders spricht man zu denen der Reichen.“ Nein, das sagt man zu den Kindern, die in Kl¨oster ein” treten sollen. Aber nun ist es Zeit, daß ich mich zum Vespergottesdienst begebe. Du rufst dein Schaf, wann immer du willst, und wenn du es morgen wieder herbringen willst . . .“ ¨ ich nicht wagen!“ Oh! Das wurde ” Du kannst es herbringen, ich werde mit dem Verwalter ” reden. Tut er, was Sie wollen?“ ” Er ist sehr gut; er wird es mir nicht verwehren.“ ” Der junge Mann verließ mich, und ich sah, wie er zum ¨ Klang der Glocke durch die G¨ arten zuruckging. Ich ließ Rosette noch ein wenig grasen, dann rief ich sie und ¨ sie nach Hause. Von diesem Tag an erinnerte fuhrte ich mich an alles, was sich in meinem Leben ereigne¨ te. Uber das Gespr¨ach mit dem jungen Mann stellte ich ¨ zun¨achst keine großen Uberlegungen an. Ich war ganz fr¨ohlich bei dem Gedanken, daß er vielleicht von Zeit zu ¨ Rosette bekam. Ich h¨ Zeit eine Weideerlaubnis fur atte mich mit sehr wenig zufrieden gegeben. ¨ Auf naturliche Weise neigte ich zur Unaufdringlichkeit, ¨ mein Onkel hatte mir in allem Beispiel gegeben fur ¨ H¨oflichkeit und Zuruckhaltung. Ich war nicht sehr gespr¨achig, meine Vettern, große Sp¨otter, ermutigten mich auch nicht; da mir die Weiahlte ich an deerlaubnis nicht aus dem Kopf ging, erz¨ Seite: 29
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diesem Abend beim Essen alles, wovon ich gerade eben gesprochen habe und tat dies sogar recht genau, um die Aufmerksamkeit meines Großonkels auf mich zu ziehen. Ach! Soso, ja!“ sagte er, dieser junge Herr, den sie ” ” Montagabend zum Kloster gebracht haben und den nie jemand zuvor gesehen hatte, das ist der kleine Fran¨ queville! Der jungste Sohn aus großem Hause, wie man so sagt. - Ihr kennt doch Franqueville, ihr Burschen? Ein sch¨oner Landsitz, ja.“ ¨ Ich war mal dort“, sagte der Jungste. ” Es ist weit, weit weg, bei Saint-Leonard im Limousin.“ ” Pah! Zw¨olf Meilen“, sagte Jacques lachend, das ist ” ” nicht so weit! Ich war auch einmal dort, damals, als der Superior von Valcreux .mir einen Brief gegeben hatte, den ich hinbringen sollte, und als er mir die Eselstute des Klosters geliehen hat, um Zeit zu gewinnen. Offensichtlich handelte es sich um eine dringende Angelegenheit, denn er gibt sie nicht gerne her, die große Eselstute!“ Du unwissender Mensch“, fuhr mein Onkel fort, was ” ” du eine Eselstute nennst, ist eine Maulcsclin.“ Das ” ¨ macht nichts, Großvater! Ich habe die Kuche des Schlosses genau gesehen und mit dem Verwalter, einem Monsieur PrEmel, gesprochen. Ich habe auch den jungen Herrn genau gesehen, und nun begreife ich, daß der Brief seinen Eintritt ins Kloster regeln sollte.“ Das ist eine Angelegenheit, die seit seiner Geburt gere” gelt war“, mischte sich der alte Jean ein. Seite: 30
Nanon von George Sand Man wartete nur das Alter ab, und ich, der ich hier ” zu euch rede, ich hatte meine selige Nichte, die Mutter der Kleinen da, die im fraglichen Schloß Melkerin war. ¨ Ich kann sehr wohl etwas uber die Familie sagen. Es ¨ zweihunderttausend gute Taler Land sind Leute, die fur in der Sonne besitzen, zusammenh¨ angendes Land. Es ¨ ist nicht vernachl¨assigt und ausgeplundert wie das der M¨onche. Der Verwalter, der Intendant, wie sie ihn nennen, ist ein entschlossener und sehr harter Mann, aber so muß man sein, wenn man mit einer bedeutenden Verwaltung beauftragt ist.“ ¨ Pierre bemerkte, es lohne die Muhe nicht, so reich zu sein, wenn man zwei von drei Kindern wegg¨ abe. Unter dem Gesichtspunkt der neuen Ideen, die langsam bis ¨ zu unseren Hutten vordrangen, mißbilligte er die Ent¨ ihre Kinder trafen. scheidungen, die gewisse Adlige fur Mein Onkel war ein Bauer von altem Schrot und Korn; er verteidigte das Erstgeborenenrecht und meinte, die ¨ angst verschleudert. großen Guter w¨aren sonst l¨ Man stritt ein wenig. Pierre, ein Hitzkopf, sprach laut mit seinem Großvater und sagte schließlich: ¨ Es ist schon ein Gluck, daß die Armen nichts zu ver” teilen haben, denn mein Bruder da, den liebe ich sehr, ¨ ¨ und ich mußte ihn hassen, wenn ich wußte, daß wir etwas haben, wovon ich nichts bekommen soll.“ Sie wissen nicht, was Sie sagen“, antwortete der Al” te, das sind die Ideen eines Bettlers, die Sie da ha” ben. Der Adel denkt erhabener, man achtet nur auf die ¨ Erhaltung der Gr¨oße, und die Jungsten lassen es sich Seite: 31
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zur Ehre gereichen, sich zu opfern, um der Familie die ¨ Guter und Titel zu erhalten.“ Ich fragte, was sich opfern bedeute. Du bist zu klein, um das zu verstehen“, antwortete der ” alte Jean. Und er ging schlafen, wobei er ganz leise seine Gebete murmelte. Da ich zwischen den Z¨ahnen sich opfern wiederholte, ¨ mich war, sagte Pierre, der es was ein neues Wort fur andigen zu spielen: liebte, den Verst¨ Ich weiß, was der Großvater sagen will. Er mag die ” M¨onche verteidigen, soviel er will, und die M¨onche ¨ m¨ogen so viele Guter haben, wie sie wollen, und Freude am Nichtstun; aber es ist bekannt, daß es keine ¨ unglucklicheren Menschen gibt als sie.“ ¨ Warum sind sie unglucklich?“ ” Weil man sie verachtet“, antwortete Jacques achselzu” ckend. Und er ging schlafen. Ich blieb noch einen Augenblick, nachdem ich ganz leise das Geschirr aufger¨ aumt hatte, um den alten Jean nicht zu wecken, der bereits schnarchte. Als Pierre das Feuer l¨oschte, unsere einzige Lichtquelle im ¨ Raum, ruckte ich n¨aher an ihn heran und plauderte leise mit ihm. Es qu¨alte mich, nicht zu wissen, warum ¨ die M¨onche verachtet und unglucklich waren. Du siehst doch“, sagte er, daß sie M¨anner ohne Weib ” ” und Kind sind. Man weiß nicht einmal, ob sie Vater und Mutter, Bruder oder Schwester haben. Sobald sie eingesperrt sind, werden sie von ihrer Familie vergessen und Seite: 32
Nanon von George Sand aufgegeben. Sie verlieren sogar ihren Namen, es ist, als w¨ aren sie vom Himmel gefallen. Sie werden alle fett und aßlich und schmutzig in ihren großen Kutten, als fehlh¨ te es ihnen an den Mitteln, sich rein zu halten. Und außerdem langweilt es sie, zu jeder Tageszeit Gebete zu murmeln. Es ist gut, zu Gott zu beten, aber ich glaube, daß cr so viel nicht verlangt, und daß die M¨onche ihm mit ihren Glocken und ihrem Latein auf die Nerven fallen. Schließlich und endlich sind es Leute, die zu nichts nutze sind. ¨ Man sollte sie nach Hause zuruckschicken und ihre L¨ andereien denen geben, die sich aufs Arbeiten verstehen.“ ¨ Diese Uberlegungen h¨orte ich nicht zum ersten Mal, ¨ ¨ aber sie schienen mir uberfl ussig. Ich hatte gelernt, den Besitz zu achten. Es schien mir unm¨oglich, daran etwas ¨ zu a¨ ndern und sinnlos, das zu wunschen. Du sagst Dummheiten“, antwortete ich dem kleinen Pi” erre. Man kann die Reichen nicht davon abhalten, reich zu ” altst du von dem jungen M¨onchslehrsein; doch was h¨ ling, der mir erlaubt hat, Rosette auf der Klosterwiese fressen zu lassen? Glaubst du, sie h¨oren auf ihn?“ Sie werden nicht auf ihn h¨oren“, erwiderte Pierre, er ” ” ist ein Fohlen, das noch nicht weiß, wie man den Pflug zieht. Die Alten, die sich auf ihr Gesch¨ aft verstehen, werden dir dein Schaf wegnehmen, sollten sie es auf ihrer Weide sehen, und man wird den Novizen wegen Ungehorsams bestrafen.“ Seite: 33
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¨ Ich m¨ochte Oh! Dann gehe ich nicht dorthin zuruck. ” nicht, daß er, der so gut und aufrichtig ist, bestraft wird. ahrend der Morgenmessen hingehen. Der Du kannst w¨ ” Pater Fructueux verl¨ aßt nicht die Kirche um diese Zeit. Nein, nein!“ rief ich, Ich will mir keinesfalls das Steh” ” len beibringen!“ Voller Sorgen schlief ich ein. Ich dachte nicht mehr so sehr an Rosette, sondern an diesen gutherzigen Jun¨ gen, der dazu verdammt war, unglucklich, verachtet, geopfert zu werden, wie mein Großonkel sagte. In der Nacht gab es ein schweres Gewitter mit Blitzen, die alles h¨ atten verbrennen k¨onnen, mit Donnergrollen, daß aubten. sich einem die Haare str¨ ahlte uns der Großonkel am n¨ Das jedenfalls erz¨ achsten Morgen, denn er war der einzige im Haus, der den L¨ arm geh¨ort hatte. Die Jugend schl¨aft so tief, selbst in ¨ einer undichten bauf¨alligen Hutte. Aber als ich den Laden o¨ ffnete, der als Fenster diente - der Gebrauch von Glas war uns unbekannt -, sah ich, daß die Erde ganz naß war, und daß das Wasser in tausend kleinen Furchen, die es in den Sand gezogen hatte, um den Felsen herumlief. Ich rannte hinaus, um nachzusehen, ob der Wind meinen Schafstall davongetragen hatte. Er hatte standgehalten, und ich war froh, denn der Regen bedeutete, daß es innerhalb weniger Tage Gras geben ¨ wurde. Mittags zeigte sich die Sonne, und ich machte mich mit ¨ Rosette auf den Weg zu einem kleinen, gut geschutzten Ort zwischen den großen Felsen, wo es immer ein wenig Seite: 34
Nanon von George Sand ¨ gab, und wo die anderen Hirten selten hinkamen, Grun denn der Abstieg war weder bequem noch ungef¨ahrlich. ¨ Ich war allein und setzte mich ans Ufer des aufgewuhlten und sch¨ aumenden Wildwassers. Ich war schon eine geraume Zeit dort, als ich meinen Namen h¨orte, und bald sah ich, wie der junge M¨onch die Schlucht zu mir herabstieg. Er war sehr sauber in seiner neuen Kutte und wirkte zufrieden; beherzt sprang er von Stein zu Stein. Er kam mir vor wie der sch¨onste Mensch auf der Welt. Und doch war er nicht sch¨on, mein lieber, armer Franqueville, doch sein Ausdruck war so gut, seine Augen so klar, sein Gesicht so sanft, daß seine Erscheinung nie bei jemandem Mißfallen oder Abneigung erregt hat. ¨ Ich war ziemlich uberrascht. Wie haben Sie es nur angestellt, mich zu finden“, sagte ” ich, und wer hat Ihnen meinen Namen genannt?“ Das ” ” werde ich dir gleich sagen“, antwortete er, laß uns es” sen, ich habe großen Hunger.“ Und unter seiner Kutte holte er einen kleinen Korb hervor mit Pastete und einer Flasche, also zwei Dinge, die ich noch niemals gekostet hatte, Fleisch und Wein! Ich ließ mich lange darum bitten, das Fleisch zu essen. ¨ und aus Mißtrauen empWohl aus Zuruckhaltung ¨ diesem neuen Nahrungsmittel, fand ich Ekel gegenuber das ich gleichwohl gut fand; aber der Wein schien mir scheußlich, und meine Grimasse brachte meinen neuen Freund zum Lachen. Beim Essen erz¨ahlte er mir folgendes: Seite: 35
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Man sollte ihn nicht mehr Monsieur und auch nicht Franqueville nennen, er war von nun an Bruder Emilien. Emilien war sein Taufname. Er hatte den Verwalter ¨ Rosette gebeten und sie zu um die Weideerlaubnis fur ¨ seiner großen Uberraschung nicht erhalten. Der Pater ¨ Fructueux hatte ihm alle m¨oglichen Grunde angegeben, die er nicht verstanden hatte; doch als der Pater sah, ¨ wie wutend er war, hatte er ihm gestattet, mir zu essen zu geben, und ohne sich das zweimal sagen zu lassen, hatte Bruder Emilien sein Mittagessen in einen Korb getan und sich zu dem Haus begeben, das ich ihm am Tag zuvor gezeigt hatte. Dort hatte er niemanden vorgefunden, aber eine alte Frau, die er traf und mir nun beschrieb, und in der ich die Mariotte erkannte, hatte ihm beinahe genau den Ort angegeben, wo ich sein mußte, und ihm gesagt, daß ich Nanette Surgeon heiße. Er hatte den Weg gefunden, und es schien, als sei er daran gew¨ohnt, durch die Berge zu laufen. Eigentlich war er, wie ich auch sp¨ ater gesehen habe, eher ein Bauer als ein Herr. Man hatte ihm nichts beigebracht, er hatte sich selbst unterrichtet. Man hatte ihm nicht erlaubt, den anderen Adligen auf die Jagd zu folgen; so war er auf seinem eigenen Land zum Wilderer gewor¨ und Hasen. den und erlegte recht geschickt Rebhuhner Da ihm das jedoch verboten war, gab er sie den Bauern, und die zeigten ihm manchen Unterschlupf und ¨ huteten sein Geheimnis. Von ihnen hatte er schwimaume men gelernt, sich auf dem Pferd zu halten, auf B¨ zu klettern und sogar wie sie zu arbeiten, denn er war achtig wirkte. stark, auch wenn er schm¨ ¨ Man k¨onnte meinen, alles, was ich uber ihn mitteile, um seinen Charakter und seine Lage zu offenbaren, sei Seite: 36
Nanon von George Sand mir an jenem Tag und an jenem Ort gesagt worden; aber ich hatte nicht einmal ein Viertel verstanden, und ich ¨ klar zu werden, was brauchte Jahre, um mir daruber ich hier wiedergebe. Emilien de Franqueville war von Natur aus intelligent und gerade. Um ihn davon abzuhalten, den ersten Rang in der Familie anzustreben, hatte man daran gearbeitet, seine Seele und seinen Geist abzut¨oten. Sein Bruder war dem Anschein nach nicht ann¨ahernd so begabt, aber er war der a¨ ltere, und in dieser Familie de Fran¨ S¨ohne einem Orden beigequeville waren alle jungeren treten. Es war ein Gesetz, das noch nie verletzt worden war, und das man vom Vater an den Sohn weitergab. Der Marquis, Emiliens Vater, fand das v¨ollig richtig, denn es handelte sich um eine Ordnungsmaßnah¨ me, die uber dem staatlichen Gesetz stand. Er sagte, das vereinfache die Erbangelegenheiten, wobei die Prokuratoren, sofern sie ihre Nase in diese steckten und Prozesse anzettelten, allemal Mittel und Wege f¨ anden, das Eigentum zu zerschlagen. Ein Sohn, der mit ei¨ das Kloster versehen war, hatte keinerlei ner Mitgift fur ¨ Anspruche mehr. Er hatte keine Herkunft, und wenn ¨ ¨ einen kunftigen er ging, ließ er nichts fur Rechtsstreit ¨ zuruck. , Schließlich und endlich war alles geregelt, und der kleine Emilien wußte kaum seine rechte von seiner linken Hand zu unterscheiden, da man ihn unterrichtete, ohne ihm Er¨orterungen zu erlauben. Man m¨ochte glauben, daß es allerlei Revolten in ihm gegeben habe. Sie wurden so schnell und gekonnt er¨ etliche stickt, daß er, als er ins Leben eintrat, bereits fur Dinge gestorben war, und mit sechzehn Jahren ebenso Seite: 37
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3.2: Kapitel II.
naiv war wie mit acht. Als Lehrer hatte man ihm eine Art Idioten gegeben, der anstelle des Geistes lediglich ¨ zu einem ebensolchen die Absicht hatte, seinen Schuler Idioten zu machen. Da er nicht zum Ziel kam, denn Emilien besaß von Natur aus Geist und einen gesunden Menschenverstand, gab er vor, ihn zu unterrichten ¨ ¨ und zu uberwachen, wobei er ihn ganz sich selbst uberließ. So konnte das Kind, als es zum Kloster kam, kaum lesen und schreiben. Aber es hatte auf seine Weise viel ¨ ¨ sich alleinachgedacht und uberlegt und hatte ganz fur ne seine Seele noch einmal gemacht. Er hatte sein Herz Gott gegeben, wozu diejenigen nei¨ haben. Aber gen, die nur ihn als Freund und Stutze aren je mehr ihm der Lehrer auf seine Weise Gott erkl¨ ¨ wollte, umso mehr begriff der Schuler ihn auf die eigene. Er widersetzte sich der Kirche nicht. Er beschr¨ ankte sich darauf, sie als eine Sache von dieser Welt zu betrachten, die man nicht zu hoch stellen, sondern tadeln und kritisieren sollte, wenn sie den wahren Weg zum Himmel nicht geht. Was er mir am ersten Tag gesagt hatte, dachte er sein ganzes Leben lang. Die Kirche sollte seiner Auffassung nach der Liebe zu Gott die¨ Hilfe geben. Um nen, die Not lindern und im Ungluck ¨ den Rest kummerte er sich wenig, haderte nicht, ließ die anderen reden und handelte nach seinem Gewis¨ wie er sen. Vernachl¨assigt und sich selbst uberlassen, war, hatte er sich schließlich eine eigene Welt nach seinen Tr¨ aumen geschaffen und Geschmack gewonnen an einer wilden Unabh¨ alligkeit oder Verangigkeit. Aus Gef¨ druß setzte er niemandem Widerstand entgegen, gab in ¨ allem nach; aber er ließ sich von nichts uberzeugen und beeilte sich, jedem Zwang zu entkommen, sobald man Seite: 38
Nanon von George Sand ihm keine Aufmerksamkeit mehr widmete. Da er aller Dinge beraubt war, die man gerne haben m¨ochte, verachtete er alles, was ihm verwehrt war.
3.3
Kapitel III.
Nachdem wir gegessen hatten, hielt er auf dem von der afchen. Als er aufSonne erw¨ armten Felsen ein Schl¨ wachte, fragte er mich, woran ich d¨achte, wenn ich ¨ strickte und mein Schaf hutete. Gew¨ohnlich“, sagte ich zu ihm, denke ich an hundert ” ” verschiedene Dinge, an die ich mich sp¨ ater nicht erinnere; doch heute habe ich nur daran gedacht, daß ¨ ich mich uber Sie wundere. Sie machen also mit den M¨onchen, was Sie wollen, Sie verbringen den Tag einfach so, wo Sie wollen und wie es Ihnen gef¨allt.“ Ich weiß nicht, ob sich die M¨onche deshalb graue Haa” re wachsen lassen“, antwortete er. ¨ Ich glaube nicht, ich bringe ihnen eine hubsche kleine ” ¨ ablege. Und sie Summe ein, sobald ich meine Gelubde ¨ ¨ durften kaum Lust verspuren, mir ihre Gesellschaft zu ¨ ¨ mein Geld verfugen; verleiden, bevor sie uber das habe ich schon erkannt. Was meinen Unterricht angeht, so legen sie darauf keinen großen Wert.“ Warum denn?“ ” Aus einem recht einfachen Grund; weil sie n¨ amlich ” nicht viel mehr wissen als ich, und wenn sie das, was Seite: 39
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3.3: Kapitel III.
sie zu lehren haben, nicht in die L¨ange ziehen, sind sie zu schnell am Ende.“ Sie verachten sie also auch, Ihre M¨onche?“ ” Ich verachte sie nicht, ich verachte niemanden. Sie ” scheinen sehr sanft zu sein, und ich werde ihnen nicht ¨ bereiten als sie mir.“ mehr Arger Sie werden also manchmal kommen und mich auf den ” Feldern besuchen?“ Um mehr bitte ich nicht. Ich werde dir so viel zu essen ” mitbringen, wie du willst.“ Vor lauter Unwillen wurde ich rot. Ich bin nicht darauf angewiesen, daß Sie mir etwas zu ” essen geben“, sagte ich zu ihm, zu Hause habe ich al” les, was ich brauche, und ich ziehe unsere Eßkastanien Ihren Pasteten vor.“ Du bittest mich also wiederzukommen, weil es dir ” Freude macht, mich zu sehen?“ Ja, deshalb, aber wenn Sie glauben . . .“ ” Ich glaube nur, was du mir sagst; du bist ein gutes ” kleines M¨ adchen, und außerdem erinnerst du mich an ¨ meine Schwester; es wurde mich freuen, dich wieder zusehen. Von diesem Tag an sahen wir uns h¨aufig. Er hatte ganz ¨ richtig beurteilt, wie die M¨onche ihn behandeln wurden; sie ließen ihm die Freiheit, seine Zeit zu verwenden, wie er es verstand, und sie verlangten nur von ihm, bestimmten Messen beizuwohnen, was er auch tat. Er hatte bald die Bekanntschaft meiner Vettern gemacht, Seite: 40
Nanon von George Sand und eines Tages brachte er uns zum Lachen, als er erz¨ ahlte, wie der Prior nach ihm geschickt hatte, um ihm mitzuteilen, er habe seine Jugend in Betracht gezogen und den Entschluß gefaßt, ihn von den Morgenmessen zu befreien. Glaubt ihr mir, daß ich die Einfalt besessen habe, ihm ” zu danken und zu sagen, ich sei daran gew¨ohnt, mich mit Tagesanbruch zu erheben, und er m¨oge mir nicht b¨ose sein, wenn ich den Messen beiwohne? Er hat auf seiner Auffassung bestanden und ich auf meiner, um ihm meine Ergebenheit zu bezeugen. Es war ein richtiger Auftritt. Schließlich hat mich der Bruder Pamphile am Ellbogen genommen, und ich bin ihm in den Innenhof gefolgt, wo er mir gesagt hat: Mein Junge, wenn ” Sic unbedingt zur Morgenandacht gehen wollen, wer¨ den Sie alleine hingehen mussen, denn seit mehr als zehn Jahren war von uns niemand mehr dort, und der Pater Prior k¨ ame in Verlegenheit, es uns wieder aufzuerlegen, gerade er, der uns aufgefordert hat, diese ¨ Kasteiung abzuschaffen.“ Ich habe ihn dann unnutze gefragt, warum zu diesem Gottesdienst gel¨ autet werde. ¨ Er hat mir geantwortet, man musse den Gl¨ockner sein Brot verdienen lassen, denn dieser sei ein armer Mann aus dem Kirchspiel, der sich auf nichts anderes verstehe.“ Jacques behauptete, es g¨ abe einen besseren Grund. Die M¨onche“, sagte er, sind Heuchler. Sie wollen die ” ” Pfarrkinder glauben machen, sie spr¨achen ihre Gebete, w¨ahrend sie in ihren großen Federbetten bis in den Tag hinein schlafen.“ Seite: 41
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3.3: Kapitel III.
Jacques ließ die Gelegenheit, die M¨onche schlecht zu machen, nicht verstreichen, er tat sich keinen Zwang an und sagte zu Emilien, es sei ein Unrecht, sich an dieses Regiment von Nichtsnutzen zu binden. Als mein Großonkel das h¨orte, brachte er ihn zum Schweigen, doch der kleine Bruder - so nannten wir Emilien - antwortete dem altern Jean: . . ¨ Lassen Sie ihn reden; die M¨onche mussen sich beur” teilen lassen wie andere Menschen auch. Ich kenne sie, ich muß sehen, daß ich mit ihnen leben kann. Ich klage sie nicht an, doch glaube ich nicht, verpflichtet zu sein, ¨ erscheint, so sie zu verteidigen. Wenn ihr Beruf unnutz ist es ihre Schuld.“ Wenn wir in der Familie unter uns waren, sprachen wir andig vom kleinen Bruder. Unser a¨ rmliches Lefast st¨ ben war nicht so abwechslungsreich, als daß die h¨ aufigen Besuche eines Neuank¨ommlings und die Stunden, die er zuweilen mit uns verbrachte, uns nicht als großes Ereignis erschienen. Der kleine Pierre liebte ihn ¨ von ganzem Herzen und verteidigte ihn gegenuber Jacques, der keine hohe Meinung von ihm hatte. Darin war er mit meinem Großonkel einig, der Emilien vorwarf, nicht auf seinen Stand zu achten und zu vergessen, daß er ein Franqueville war, schließlich fehle es ihm ¨ einen zukunftigen ¨ fur Ordensmann an ausreichender Sammlung. Das ist ein Leichtfuß“, sagte er, und daraus wird weder ” ” ein guter Adliger noch ein guter M¨onch. Das ist nicht schlecht, eher sogar zu gut; er scheint ehrlich, denkt ¨ noch nicht an die M¨adchen, kummert sich jedoch weder um diese Welt noch um die andere, und doch, wenn Seite: 42
Nanon von George Sand ¨ das Schwert taugt, dann bleibt nur der man nicht fur Altar.“ ¨ das Schwert?“ Wer sagt euch denn, er tauge nicht fur ” rief Pierre ganz aufgeregt. Er hat vor nichts Angst, und es ist nicht seine Schuld, ” wenn man, anstelle eines M¨onchleins, nicht einen guten Soldaten aus ihm gemacht hat.“ Ich h¨orte mir diese Auffassungen an, ohne zu wissen, welcher ich glauben sollte. Anfangs hatte ich von einer großen Freundschaft mit dem kleinen Bruder getr¨aumt; aber er schenkte mir nicht die Aufmerksamkeit, die ich ¨ ihn hatte. Er war stets gut und bereit, Verpflichtunfur gen einzugehen, seine Zeit je nach Zufall mit dem Erstbesten zu verbringen, und er dachte nur an mich, wenn er mich sah. Ich hatte mir vorgestellt, ich k¨onnte ihm seine kleine Schwester ersetzen und seine Schmerzen lindern, aber er hatte mir keine Schmerzen mehr anzuvertrauen. Ohne nachzudenken, teilte er jedem seine ¨ seiner KindEinstellung mit und erz¨ ahlte vom Ungluck heit, und doch schien er es gar nicht so empfunden zu haben; das lag vielleicht an seiner Art Dauerl¨acheln, das sich noch auszubreiten schien, wenn er die traurigsten Dinge erz¨ahlte, und das ihm ein Aussehen unbeteiligter Einfalt verlieh. Letztendlich war er nicht das geopferte Kind, von dem ich mir weiß der Himmel welche Vorstellung gemacht hatte, und ich begann erneut, ihm Rosette vorzuziehen, die mich brauchte, w¨ ahrend er niemanden brauchte. So verstrich der Winter des Jahres 1788, ein harter ¨ 1789. In Valcreux Winter, und ebenso der Fruhling Seite: 43
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3.3: Kapitel III.
befaßte man sich wenig mit Politik. Wir waren gr¨oßtenteils, zwar nicht dem Recht, so doch den Tatsachen nach, lehenspflichtige Leibeigene der Abtei. Die M¨onche preßten uns nicht allzu sehr zur Fronarbeit, aber auf den Zehnten ließen sie uns kaum etwas nach, und da wir st¨andig aufbegehrten, redeten sie so wenig wie m¨oglich mit uns. Auch wenn sie Neuigkeiten von draußen haben mochten, so sagten sie uns nichts. Unsere Provinz war eine der ruhigsten, und die Leute aus der Umgebung, die mit dem Kloster zu tun hatten, verweilten kaum, um mit uns zu reden. Ein Bauer galt zu jener Zeit wenig! Die Revolution hatte also begonnen, und wir wußten es nicht. Indes bereitete sich an einem Markttag das ¨ ¨ Gerucht uber den Sturm auf die Bastille aus, und weil dies im Kirchspiel eine gewisse Aufregung verursachte, war ich ganz begierig zu erfahren, was das sein mochte, die Bastille! Die Erkl¨arungen meines Großonkels stellten mich nicht zufrieden, weil meine Vettern ihnen st¨ andig widerspra¨ chen, was ihn sehr erzurnte. Ich paßte also den kleinen Bruder ab, um ihn auszufragen, und als es mir gelungen war, ihn beim. Unterrichtschw¨ anzen zu treffen, bat ich ihn, der ja mehr wissen mußte als unsereins, ¨ mir zu erkl¨aren, warum die einen sich uber die Bastille freuten und die anderen sich beunruhigten. In meiner Vorstellung handelte es sich um eine Person, die man ins Gef¨angnis gesteckt hatte. Es heißt“, antwortete er mir, die Bastille sei ein schreck” ” liches Gef¨ angnis, das die Leute von Paris bezwungen haben.“ Seite: 44
Nanon von George Sand Und er erkl¨ arte mir in einem sehr revolution¨aren Sinne die Sache als solche und das Ereignis. Auf weitere Fragen teilte er mir mit, die M¨onche von Valcreux betrach¨ Sie teten den Sieg der Pariser als ein großes Ungluck. sagten, alles sei verloren und redeten davon, die Scharten des Klosters Instandsetzen zu lassen, um sich gegen R¨auber zu verteidigen. Weitere Fragen machten Emilien um eine Antwort verlegen. Er wußte kaum mehr als ich. Es war Ende Juli, und ich kannte den kleinen Bruder seit fast einem Jahr. Ich sprach so offenherzig mit ihm wie mit jedermann im Ort, und ich wurde ungeduldig, als ich merkte, daß er genausowenig auf dem laufenden war wie wir. ¨ Es ist merkwurdig“, sagte ich zu ihm, daß Sie nicht ” ” besser unterrichtet sind! Sie haben doch gesagt, daß man Ihnen zu Hause nichts beigebracht hat, doch seitdem Sie im Kloster sind, um zu lernen, sollten Sie doch wenigstens lesen k¨onnen, und Jacques sagt, daß Sie es kaum k¨onnen.“ ¨ Da Jacques uberhaupt nichts weiß, kann er es nicht ” beurteilen.“ atte aus der Stadt ein Papier mitgeEr erz¨ ahlt, er h¨ ” bracht, das Sie so schlecht gelesen haben, daß er nichts verstanden hat.“ Vielleicht ist das seine Schuld, aber ich will nicht ” ¨ lugen. Ich lese sehr schlecht und schreibe wie eine Katze.“ K¨onnen Sie wenigstens rechnen?“ ” Oh, das, nein, das werde ich nie k¨onnen. Wozu nutzt ” mir das auch? Ich werde nie etwas besitzen!“ Seite: 45
George Sand
3.3: Kapitel III.
Sie k¨onnten, wenn Sie a¨ lter sind, Wirtschafter des ” Klosters werden, wenn Pater Fructueux einmal tot ist.“ Gott bewahre mich! Ich liebe es zu geben und verab” scheue es, etwas zu verweigern.“ Mein Großonkel sagt, Sie k¨onnten wegen Ihrer Abstam” mung Superior des Klosters werden.“ ahig sein werNun, ich hoffe, daß ich niemals dazu f¨ ” de.“ Warum sind Sie so? Es ist eine Schande, dumm ” zu bleiben, wenn man Wissen erwerben kann. Wenn ich ¨ die Mittel bes¨aße, ich wurde alles lernen.“ Alles? Mehr nicht? Und warum m¨ochtest du so viel wis” sen?“ Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich weiß nicht, aber ” ¨ ich bin davon uberzeugt; wenn ich etwas Geschriebenes ¨ vor mir sehe, macht es mich wutend, nichts davon zu verstehen.“ Willst du, daß ich dir Lesen beibringe?“ Wo Sie es doch ” ” selbst nicht k¨onnen?“ Ich kann es ein wenig, ich werde es ganz lernen, wenn ” ich dir Unterricht gebe.“ Das sagen Sie jetzt, aber morgen denken Sie schon ” arrischen Kopfs nicht mehr daran. Sie haben einen so n¨ Ach, du bist heute ziemlich b¨ose mit mir, kleine Nanon. ” Sind wir denn keine Freunde mehr?“ Doch; aber trotzdem frage ich mich oft, ob man mit ” jemandem Freundschaft halten kann, der sich weder ¨ um sich selbst noch um andere kummert.“ Er sah mich mit seinem sorglosen L¨ acheln an; aber er wußte mir keine Antwort zu geben, und ich sah, wie Seite: 46
Nanon von George Sand er erhobenen Hauptes davonging, ohne wie gew¨ohnlich an der Hecke entlang zu schauen, um nach Nestern zu suchen; vielleicht dachte er an das, was ich ihm gesagt hatte. Zwei oder drei Tage sp¨ater, als ich mit anderen Kindern ¨ auf der Weide war, kamen die Mariotte und funf oder sechs andere Frauen v¨ollig ver¨ angstigt herbeigelaufen ¨ und riefen, wir sollten zuruckkehren. Was gibt es denn?“ ” ¨ ¨ Kommt zuruck, Bringt euer Vieh mit, kommt zuruck! ” beeilt euch, es ist h¨ochste Zeit!“ Angst packte uns. Jeder sammelte seine kleine Her¨ ¨ de, und rasch brachte ich Rosette zuruck, die daruber nicht sehr zufrieden war, schon jetzt die Wiese zu verlassen. ¨ Ich fand meinen Onkel, der uber mich sehr in Sorge war. Er faßte mich am Arm und stieß mich mit Rosette ins Haus, dann befahl er meinen Vettern, alle Fenster gut zu schließen und zu verbarrikadieren. Sie waren reichlich beunruhigt, wobei sie sagten, Gefahr drohe noch nicht allzu sehr. Die Gefahr ist da“, antwortete mein Onkel, als wir si” cher verwahrt waren. Jetzt, wo wir alle vier da sind, geht es darum, uns ” ¨ andigen, was wir tun sollten. Und hier daruber zu verst¨ mein Rat. Solange es hell ist, k¨onnen wir nichts unternehmen, wir stehen in Gottes Gnade; aber sobald es Nacht ist, werden wir im Kloster Zuflucht suchen, und jeder nimmt mit, was er besitzt, M¨obel und Vorr¨ate.“ Seite: 47
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3.3: Kapitel III.
Und Sie glauben“, sagte Jacques, daß die M¨onche ” ” ganz einfach die ganze Gemeinde aufnehmen?“ Sie sind dazu verpflichtet! Wir sind ihre Leute, wir ” schulden ihnen den Zehnten und Gehorsam, sie jedoch schulden uns Asyl und Schutz.“ ¨ lterer Bruder, Pierre, der verschreckter war als sein a schloß sich diesmal der Meinung seines Großvaters an. Das Kloster war befestigt; und mit ein paar guten Burschen konnte man die Schwachstellen verteidigen. Jacques begann, unsere a¨ rmlichen Betten auseinander ¨ are eine Muhe zu nehmen, wobei er behauptete, es w¨ ¨ zusammen, ohne Sinn; ich suchte die Kuchenutensilien vier N¨apfe und zwei irdene T¨opfe. Die W¨asche ergab kein gro-ßes Paket, ebensowenig die Kleider. Vorausgesetzt“, sagte ich mir, die M¨onche sind damit ” ” einverstanden, Rosette aufzunehmen!“ Ich wartete, und da ich nichts wußte und auch nichts zu fragen wagte, gehorchte ich den Befehlen, die man ¨ mir gab. Endlich verstand ich, die R¨auber wurden kommen, alle t¨oten und s¨amtliche H¨ auser niederbrennen. Da fing ich an zu weinen, nicht so sehr aus Furcht, das Leben zu verlieren, denn ich hatte noch keine Vor¨ unsere stellung vom Tod, sondern aus Gram daruber, ¨ armliche Hutte, die mir .so lieb und teuer war, als erb¨ ¨ h¨atte sie uns geh¨ort, den Flammen zu uberlassen. Hierin war ich kaum einf¨altiger als der alte Jean und seine ¨ Enkel. Sie jammerten mehr uber den Verlust ihrer elenden Habe, als daß sie an die Gef¨ahrdung ihrer Person gedacht h¨ atten. Seite: 48
Nanon von George Sand ¨ Der Tag floß in der Dusternis des Hauses dahin, und ¨ zu kochen, h¨atten wir aßen nichts. Um unsere Ruben ¨ und der alte Jean widersetzwir Feuer machen mussen, ¨ ¨ te sich dem und sagte, der Rauch uber dem Dach wurde uns verraten. Wenn die R¨ auber k¨ amen, sollten sie glauben, das Land sei verlassen und die H¨ auser leer. Sie ¨ wurden nicht bleiben und zum Kloster weiterziehen. Als es Nacht wurde, beschlossen er und Jacques, die Schlucht hinabzugehen und an die Pforte des Klosters ¨ geschloszu klopfen, aber sie war den ganzen Tag uber sen gewesen und war es nach wie vor; es gelang uns ¨ nicht, daß sie jemand o¨ ffnete. Keiner kam, um am Turehen mit uns zu verhandeln. Man konnte glauben, das Kloster w¨are verlassen. ¨ Ihr seht ja“, sagte Jacques, als er zuruckkam“, sie ” wollen niemanden aufnehmen. Sie wissen, daß wir sie nicht lieben. Sie haben ebensoviel Angst vor ihren Pfarrkindern wie vor den R¨ aubern.“ Ich meine“, sagte mein Onkel, sie haben sich in den ” ” Kellergew¨olben versteckt und k¨onnen von dort aus nichts h¨oren.“ Ich wundere mich“, sagte Pierre, daß der kleine Bru” ” der sich mit ihnen versteckt hat. Er ist doch nicht ¨ ngstlich, und ich h¨atte angenommen, er kommt, um a uns zu verteidigen oder uns zu sich ins Kloster zu holen.“ Dein kleiner Bruder ist ebenso kopflos wie sie“, sagte ” ¨ Jacques, ohne daran zu denken, sich selbst gegenuber die gleiche Gerechtigkeit walten zu lassen, da er doch Angst hatte wie jeder andere. Seite: 49
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3.3: Kapitel III.
Mein Großonkel kam auf die Idee, sich zu erkundigen, ob man in der Nachbarschaft irgendwelche Neuigkeiten hatte, und ob man Maßnahmen gegen die allgemeine Gefahr getroffen habe. Gemeinsam mit Jacques brach ¨ ¨ er auf, barfußig, wobei sie dem Schatten der Busche aren sie selbst R¨auber, die einen b¨osen folgten, so als w¨ Streich ausheckten. ¨ Wir blieben allein zuruck, Pierre und ich, mit dem Be¨ aufzuhalten, die Ohfehl, uns in der N¨ ahe der Tur ren weit offen und bereit zur Flucht, sobald wir ein verd¨ achtiges Ger¨ausch h¨orten. Es war herrliches Wetter. Der Himmel war voll sch¨oner Sterne, die Luft roch gut, und wir mochten noch soviel lauschen, wir h¨orten nicht das geringste Ger¨ ausch, das ein gutes oder schlechtes Omen h¨ atte sein k¨onnen. In ausern, die in der Schlucht verstreut und fast allen H¨ v¨ollig einsam lagen, hatte man es wie wir gemacht; die ¨ Turen waren geschlossen, die Feuer gel¨oscht, und man ¨ sprach nur flusternd miteinander. Es war erst neun Uhr, und alles war stumm wie tief in der Nacht. Derweil schlief niemand, man war vor Furcht wie bet¨aubt und wagte nicht zu atmen. Die Erinnerung an diese Panik ¨ hat bei uns auf dem Land die Zeit uberdauert als das, ¨ uns in der Revolution am pr¨agendsten war. Man was fur nennt es noch immer das Jahr der großen Furcht. Nichts regte sich in den großen Kastanienb¨ aumen, die ¨ Die Ruhe dort drauuns mit ihrem Schatten umhullten. ¨ ßen ubertrug sich auf uns, und wir begannen leise zu plaudern. Wir dachten nicht an unseren Hunger, doch ¨ ¨ uberfiel uns. Pierre streckte sich auf dem die Mudigkeit Boden aus, redete ein wenig von den Sternen, lehrte Seite: 50
Nanon von George Sand mich, daß sie sich im Verlauf des Jahres nicht stets zur selben Stunde am selben Ort befinden und schlief endlich tief und fest ein. Es war mir eine Gewissenssache, ihn zu bewachen. Ich wollte ganz alleine aufpassen, aber ich glaube, daß es mir kaum mehr als einen kurzen Augenblick gelungen ist. Ich wurde von einem Fuß geweckt, der in der Dunkelheit gegen mich stieß, und als ich die Augen o¨ ffnete, sah ¨ ich, wie ein graues Gespenst sich uber mich beugte. Ich hatte gar keine Zeit, Angst zu haben, denn die Stimme des Gespenstes beruhigte mich, es war die des kleinen Bruders. Was machst du denn da, Nanon?“ sagte er zu mir, ” warum schl¨afst du draußen auf der nackten Erde? Bei” nahe w¨are ich auf dich getreten.“ Kommen die R¨ auber?“ fragte ich und erhob mich. ” Die R¨ auber! Es gibt keine R¨ auber, meine arme Nanette! ” Du hast auch daran geglaubt?“ Aber ja. Woher wissen Sie, daß es keine gibt?“ ” ¨ Weil die M¨onche daruber lachen und sagen, daß man ” wohl daran getan habe, sie zu erfinden, um den Bauern die Revolution zu verleiden.“ Es ist also ein Scherz! Nun gut, in diesem Fall wer” de ich Rosette versorgen und das Abendessen vorbereiten, damit es fertig ist, wenn mein Onkel nach Hause kommt.“ Er ist also draußen?“ ” Seite: 51
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3.3: Kapitel III.
Gewiß, er wollte nachsehen, ob die Leute beschlossen ” haben, sich zu verstecken oder zu verteidigen.“ ¨ finden, und niemand wird ihm Er wird keine offene Tur ” o¨ ffnen. Das ist auch mir passiert. In dem Augenblick, ¨ als ich verstanden habe, daß es da nichts zu befurch¨ ten gibt, habe ich das Kloster durch eine Mauerlucke verlassen, um meine Freunde im Kirchspiel zu beruhigen; aber außer dir habe ich noch niemanden getroffen, mit dem ich h¨atte reden k¨onnen. Bist du ganz allein?“ Nein, Pierre ist da und schl¨ aft so fest wie in seinem ” Bett. Sehen Sie ihn denn nicht?“ Ach ja, jetzt sehe ich ihn. Nun, wo er schon einmal so ” tief schl¨ aft, lassen wir ihn. Ich werde dir helfen, dein ¨ Schaf zu holen und das Feuer anzuzunden.“ Er half mir tats¨ achlich, und w¨ahrend wir so besch¨ aftigt waren, plauderten wir. Ich fragte ihn, an welche H¨auser er geklopft habe, bevor er zu uns kam. Er nannte mir ein halbes Dutzend. Und an uns“, sagte ich, an uns haben Sie zuletzt ge” ” dacht. H¨atte Ihnen anderswo jemand ge¨offnet, w¨ aren Sie dann dort zum Schwatzen geblieben?“ Nein, ich w¨ are weitergegangen, um alle zu informieren. ” ¨ Aber du machst mir ja einen hubschen Streit, Nanon. Ich hatte sehr wohl vor, hierher zu kommen, und ich denke mehr an dich, als du glaubst. Seit neulich, als du mir so harte Worte gesagt hast, habe ich viel an dich gedacht.“ Hat Sie das gegen mich aufgebracht?“ ” Seite: 52
Nanon von George Sand Nein, ich war gegen mich selbst aufgebracht. Ich ver” diene es, daß man so von mir denkt, und ich habe vor mir selbst das Versprechen abgelegt, alles zu lernen, was die M¨onche mir beibringen k¨onnen.“ Zur rechten Zeit. Und dann werden Sie mir Unterricht ” geben?“ Abgemacht.“ Als das Feuer aufflammte und das Zim” mer erhellte, sah er das in der Mitte aufgeschichtete Bettholz und die Strohs¨ acke: Wo wollt ihr denn schlafen?“ sagte er. ” Oh“, antwortete ich, ich werde bei Rosette schlafen, ” ” ¨ mich vor nichts mehr. Meinen Vettern denn ich furchte macht eine Nacht unterm Sternenhimmel nichts aus, ¨ nur mein armer Onkel wird es leid sein. Ich wunschte, ich h¨atte genug Kraft, ihm sein Bett aufzubauen, denn er wird von Herzen gern schlafen, sobald er weiß, daß die R¨ auber nicht kommen.“ Wenn du nicht genug Kraft hast, ich habe sie!“ ” Und er machte sich an die Arbeit. Geschickt richtete er das Bett vom alten Jean her und brachte meine kleine Lagerstatt wieder in Ordnung. Ich stellte das Geschirr an seinen Platz auf dem Tisch, und als mein On¨ kel und Jacques eintraten, dampfte die Rubensuppe in den Schalen. Sie hatten sich bei niemandem Geh¨or ver¨ schaffen k¨onnen, und im Laufschritt kamen sie zuruck, denn sie hatten den Rauch meines Feuers gesehen und glaubten, das Haus brenne. Sie waren darauf gefaßt, uns alle drei, Pierre, Rosette und mich, tot vorzufinden. Sie freuten sich, essen und ohne Furcht schlafen zu k¨onnen, und im ersten Augenblick wußten sie nicht, Seite: 53
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3.3: Kapitel III.
wie sie dem kleinen Bruder danken sollten. Aber beim Essen begann der Großvater, sich erneut Sorgen zu machen. Der kleine Bruder brach auf er gab zu bedenken, daß Emilien noch ein Kind sei, das vielleicht nicht richtig verstanden habe, was die M¨onche gesagt hatten, und daß es sehr wohl eine Gefahr geben mußte, wo doch alle Leute die große Furcht hatten. Er lehnte es ab, sich hinzulegen, und w¨ ahrend wir schliefen, saß er auf der steinernen Kaminbank und wachte. Am n¨achsten Morgen wunderten sich alle, gesund und munter zu sein. Die Burschen des Dorfes kletterten auf die h¨ochsten B¨ aume am Kamm der Schlucht, und in der Ferne sahen sie Gruppen von Leuten, dic in Reih und Glied marschierten. Rasch kehrte ein jeder ¨ nach Hause zuruck, und man redete davon, allen Besitz aufzugeben und sich in den W¨aldern und den Felsenh¨ohlen zu verstecken. Bald trafen Boten bei uns ¨ ein, die aber große Muhe hatten, sich verst¨ andlich zu ¨ machen, denn im ersten Augenblick hielt man sie fur ¨ angreifen. Doch Feinde und wollte sie mit Steinwurfen es waren Leute aus der Gegend, und als man sie erkannt hatte, scharte man sich um sie. Sie erz¨ahlten, daß sie bei der Nachricht vom Nahen der R¨ auber, woran niemand in dieser und in allen anderen Regionen ¨ zweifelte, uberein gekommen waren, sich zu verteidigen. Sie hatten sich so gut es ging bewaffnet und in Gruppen organisiert, um das Land zu durchstreifen ¨ ater festzunehmen. Sie z¨ahlten darauf, und die Ubelt¨ daß auch wir uns bewaffneten und uns den anderen Gemeinden zugesellten. ¨ Niemand kummerte sich darum. Wir sagten, wir h¨ atten Seite: 54
Nanon von George Sand keine Waffen, auch glaubten die M¨onche nicht an die R¨auber, denn der kleine Bruder war anwesend und versuchte, die Wahrheit zu verbreiten, ohne die Auffassung der M¨onche zu verraten. Aber der große Repoussat aus der Foudrasse und der Ein¨ augige aus Bajadoux, beide ¨ sehr tapfere M¨ anner, machten sich uber uns lustig und redeten uns ins Gewissen, weil wir so duldsam waren. Man sieht wohl“, sagten sie, daß ihr M¨onchskinder ” ” seid, und Furcht sowie Hinterlist gleichermaßen euer Tun bestimmen. Eure fr¨ommelnden Herrn wollen das Land den R¨ aubern ausliefern und hindern euch, es zu verteidigen; doch wenn ihr ein wenig beherzt w¨aret, h¨ attet ihr euch schon bewaffnet. Im Kloster gibt es ¨ euch und eure Nachbarn braucht. Es mehr als ihr fur ¨ den Fall einer Belagerung. Nun, gibt auch Vorr¨ ate fur ahrten begeben und ihwir werden uns zu unseren Gef¨ nen von eurer Feigheit berichten; und dann werden wir alle wiederkommen und das Kloster und die Waffen im Kampf erobern, da ihr sie ja nicht wollt und es nicht versteht, euch ihrer zu bedienen.“ Diese Worte waren, als h¨ atte man Feuer ans Stroh gelegt. Man begann, die Leute aus der Umgebung mehr zu ¨ als die R¨auber, und in einem großen Tumult furchten beschloß man schließlich, bei sich zu Hause das Heft in der Hand zu behalten und die eigenen Angelegenheiten innerhalb der Gemeinde auszutragen. Man rief alle zusammen und vereinte sich auf dem Klosterplatz, einem großen, grasbewachsenen, buckligen Abhang, in dessen Mitte sich ein wundert¨ atiger Brunnen befand. Der große Repoussat, der die Ehre begehrte, unseren ¨ ¨ zu haben, behauptete, man musse Mut wachgeruttelt Seite: 55
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3.4: Kapitel IV.
zun¨ achst die M¨onche in Angst versetzen und die Liebe Frau vom Brunnen zerst¨oren. Mein Onkel, der auch da war, wurde sehr b¨ose. Er vertrat noch immer die Mei¨ vom Kloster Schutz verlangen und nung, man musse sich dort in Sicherheit bringen; aber er wollte auf keinen Fall eine Entweihung dulden, und, alt wie er war, sprach er davon, dem ersten, der Dummheiten machte, mit seinem Spaten den Kopf zu spalten. Man h¨orte auf ¨ ihn, denn er war der Alteste im Kirchspiel und hochgesch¨atzt. ¨ Indes war der kleine Bruder, der sich uber alles, was ge¨ die schah, unterrichtet hatte, durch die Mauerlucken, ¨ er besser kannte als jeder andere, ins Kloster zuruckgekehrt. Er fand die M¨onche sehr verschreckt, und sie dachten nur daran, sich zu verbarrikadieren. Er gab ihnen zu verstehen, ihre Bauern wollten ihnen nichts B¨oses antun, so wie die aus anderen Orten, und das ¨ Klugste w¨are, Vertrauen zu ihnen zu haben.
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Kapitel IV.
¨ die PforDann wurde einer Handvoll der Vernunftigsten ten des Klosters ge¨offnet; man ließ sie kreuz und quer durch die S¨ale gehen, um ihnen zu zeigen, daß man weder Kanonen, S¨ abel noch Gewehre hatte; aber der kleine Anguilloux, der den Maurern beim Ausbessern eines Kellers geholfen hatte, sagte, er habe viele Waffen an diesem Ort gesehen, und tats¨ achlich fand man ¨ eine Menge alter, ausgedienter Hakenbuchsen, Radschloßgewehre aus der Zeit der Religionskriege und vieSeite: 56
Nanon von George Sand le verrostete Partisanen, denen die Sch¨ afte fehlten. Man bem¨achtigte sich all dessen und trug es hinaus auf den Platz, und jeder nahm sich, was er wollte oder konnte; ¨ die Hakenbuchsen und Gewehre taugten nichts mehr, aber die Pikenspitzen waren noch brauchbar, und man besch¨aftigte sich damit, sie zu polieren und im W¨ ald¨ sie zuzus¨ agen. Das war der einafte fur chen gute Sch¨ zige Schaden, den man anrichtete. Die M¨onche versprachen im Falle eines Angriffs Asyl und bezeichneten jeder Familie den Ort, wo ihr Schutz gew¨ahrt werden sollte. Die beiden Fremden wurden weggeschickt, man dachte nicht daran, mit ihnen den Beistand des Klosters zu teilen. Als sie fort waren, stellte man mit den M¨onchen ein gutes Einvernehmen her, doch h¨amisch lachend behielt man die Waffen und sagte untereinander, die M¨onche, sollten sie sich gegen die Bauern verschworen haben, h¨atten ihre Partie schlecht gespielt und die Bauern gegen sich selbst bewaffnet, sofern dies n¨otig w¨are. Drei Tage und N¨achte hindurch war man auf den Bei¨ Kontrollg¨ange durch, nen, stellte Wachen auf, fuhrte wachte im Turnus und verst¨ andigte sich mit den Bauernbanden, die man traf. Die große Furcht, die nur eine Erfindung von wem auch immer war - ich glaube, man hat es nie erfahren -, wurde nicht zum Gegenstand des Spottes, was man h¨ atte erwarten k¨onnen. Die Bauern bei uns alterten in diesen drei Tagen mehr als in gleichvielen Jahren. Sie waren gezwungen, von zu Hause wegzugehen, sich untereinander zu verst¨ andigen, Nachrichten einzuholen und in Erfahrung zu bringen, was jenseits der Schlucht und bis in die St¨adte hinein erz¨ ahlt wurde. Sie fingen an zu begreifen, was BaSeite: 57
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3.4: Kapitel IV.
stille, Krieg, Hungersnot, K¨onig und Nationalversammlung wirklich waren. Ich erfuhr dies im groben, genau wie die anderen, und mir schien, mein im K¨afig erzogener Geist n¨ahme seinen Flug auf hin zum Horizont. Wir hatten Angst gehabt, und das machte uns tapfer. Dennoch gab es am dritten Tag, als wir uns zu beruhigen begannen, nochmals Alarm. Kuriere zu Pferde waren im Galopp durch die benachbarten St¨ adte geritten und hatten geschrieen: Zu den Waffen!“ und dabei ” ¨ verkundet, die R¨ auber zerst¨orten die Ernten und t¨oteten die Einwohner. Dieses Mal schulterte mein Großonkel seine mit einem Schaft versehene Sichel, ging mit seinen beiden Burschen dem Feind entgegen und vertraute mich der Mariotte mit diesen erhabenen Worten an: Wir gehen in den Kampf sollten wir unterliegen, erwar” ¨ tet nicht, daß wir, den Feind auf den Fersen, zuruckkehren. Belastet euch nicht mit dem Vieh, nehmt die Kinder und bringt euch in Sicherheit; die R¨auber schonen niemanden.“ ¨ ihre Die Mariotte schrie, weinte, suchte ein Versteck fur Habseligkeiten, und wenn ich auch noch an die R¨auber ¨ glaubte, so furchtete ich sie doch nicht mehr, ich trug den Kopf hoch; ich sagte mir, sollten auch mein Onkel ¨ ich doch und meine Vettern get¨otet werden, so mußte ¨ leben, und ich uberließ die Mariotte ihren Gesch¨ aften, ¨ nahm Rosette und fuhrte sie auf die Weide. Sollte ich ¨ sie vor Hunger sterben lassen, nur um sie vor Plunderungen zu retten? ¨ mich sehr weit auf die große, von Meine Neugier fuhrte ¨ Geh¨olz ubers¨ ate Ebene, doch ich konnte nichts sehen, Seite: 58
Nanon von George Sand weil die Bauern, zu Haufen vereinigt, auf der Lauer la¨ gen oder vorsichtig in Ginsterbusche oder Felsspalten glitten. Und als ich so ganz damit befaßt war, durch die ¨ B¨ aume in die Ferne zu sp¨ahen, fuhlte ich mich pl¨otzlich durch jemanden gest¨ort, der sich aus dem Dickicht erhob: es war der kleine Bruder, der in aller Ruhe jagte ¨ und den Fuchsen auflauerte, ohne sich um den Krieg ¨ gegen die R¨ auber zu kummern. Ich dachte“, sagte ich zu ihm, Sie w¨aren mit den ande” ” ren fort, um wenigstens nachzusehen, ob es eine Gefahr ¨ uns gibt.“ fur ¨ niemanden auIch weiß“, antwortete er, daß es fur ” ” ßer dem Adel und dem Klerus eine gibt, alles Leute, die ¨ mich allein mich nicht haben wollen; ich bin also fur auf dieser Welt.“ ¨ rgert mich, wenn Sie so reden! Ich weiß nicht, ob Es a ” ich Sie verachten oder beklagen soll.“ Weder das eine noch das andere, meine kleine Freun” ¨ sie; din. Man gebe mir eine Aufgabe, und ich erfulle ¨ einen M¨onch sehe ich keine Aufgabe, außer doch fur der, Fett anzusetzen. Die M¨onche, weißt du, die moch¨ ten in fruheren Zeiten zu etwas gut sein; doch von dem ahlten sie Tag an, als sie reich und friedlich lebten, z¨ nicht mehr vor Gott und den Menschen.“ Dann sollten Sie wohl kein M¨onch sein?“ ” Das ist leicht zu sagen; wer wird mich sonst aufneh” men und ern¨ ahren, da meine Familie mich davonjagen und verleugnen muß, wenn ich ihr Widerstand entgegensetze?“ Seite: 59
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3.4: Kapitel IV.
Verdammt! Sie werden arbeiten! Das ist hart, aber Pi” erre und Jacques arbeiten im Tagelohn, und sie sind ¨ glucklicher als Sie.“ Das ist nicht sicher. Sie denken an nichts, und ich, ich ” ¨ ¨ mich nachzudenhabe das Vergnugen, ganz allein fur ken. Ich weiß, daß ich viel lernen muß, um gute Argumente vorzubringen, und ich werde lernen. Du hast mir meine Schw¨ache genannt, n¨ amlich, daß es feige ist, faul zu sein. Hier, sieh! In diesem Augenblick wandere ich mit einem Buch umher und schaue oft hinein.“ Und mich zu unterrichten? Daran denken Sie nicht ” mehr!“ Doch. Willst du sofort anfangen?“ Fangen wir an!“ ” ” Er gab mir meine erste Lektion, wobei er neben mir saß auf dem Farnkraut unter diesem großen Himmel, der mich ein wenig blendete, denn ich war eher an den schmalen Streifen gew¨ohnt, den man von der Schlucht von Valcreux aus sieht. Ich war so aufmerksam, daß ¨ ich Kopfschmerzen bekam; ich war stolz, als ich spurte, daß ich lernen konnte, denn der kleine Bruder wunderte sich, wie gut es mir gelang. Er sagte, ich lernte in einer Stunde mehr als er in einer Woche. Vielleicht, weil Sie schlecht unterrichtet wurden?“ ” Vielleicht, weil man versucht hat, mich am Lernen zu ” hindern.“ Er ging kurz auf die Jagd, erlegte einen Hasen und brachte ihn mir. ¨ Abendessen deines Onkels, du Der ist“, sagte er, furs ” ” kannst ihn nicht ablehnen.“ Seite: 60
Nanon von George Sand Aber das ist das Wild der M¨onche?“ ” In diesem Fall ist es meins, und ich habe das Recht, ” ¨ ¨ daruber zu verfugen.“ ¨ mich, Ich danke Ihnen; aber ich h¨ atte gern etwas fur ” denn ich bin kein Leckermaul.“ Was denn?“ ” Ich m¨ochte heute alle Buchstaben lernen. Ich bin aus” ¨ geruht, Sie sind nicht sonderlich mude . . .“ Auf denn, ich m¨ochte gerne“, sagte er. Und er ließ mich ” weiterlesen. Die Sonne stand schon tief, mein Geist hatte sich erweitert. Ich lernte an diesem Tag das ganze Alphabet, und ¨ beim Heimgehen war ich glucklich, als ich die Drosseln singen und den Fluß murmeln h¨orte. Rosette lief brav vor uns her, und der kleine Bruder hielt mich an der Hand. Rechts von uns ging die Sonne unter. Die Kastanien- und Buchenw¨alder schienen in Flammen zu stehen. Die Weiden waren rot, und als wir dann den Fluß sahen, schien dieser aus Gold zu sein. Ich achtete zum ersten Mal auf diese Dinge, und ich sagte zum kleinen Bruder, alles k¨ ame mir komisch vor. Was willst du damit sagen?“ ” Ich will sagen, daß die Sonne wie ein Freudenfeuer ist ” und das Wasser wie die leuchtende Jungfrau des Klosters; das war sonst nicht so.“ Das ist immer so, wenn die Sonne bei gutem Wetter ” untergeht.“ Seite: 61
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3.4: Kapitel IV.
Doch der alte Jean sagt, ein roter Himmel sei ein Zei” ¨ Krieg.“ chen fur Es gibt andere Kriegszeichen, meine arme Nanon!“ Ich ” fragte ihn nicht welche; ich war nachdenklich, meine geblendeten Augen sahen rote und blaue Buchstaben in den Strahlen der untergehenden Sonne. Gibt es am Himmel“, dachte ich, ein Zeichen, das mir ” ” sagt, ob ich werde lesen k¨onnen?“ Die Drossel sang noch immer und schien uns durchs Dickicht zu folgen. Ich stellte mir vor, sie spr¨ ache im Auftrag des lieben Gottes und machte mir Versprechungen. Ich fragte meinen Gef¨ahrten, ob er den Gesang der V¨ogel verstehe. Ja“, antwortete er, ich verstehe ihn sehr gut.“ Also ” ” ” gut, was sagt die Drossel?“ ¨ ¨ sie sei glucklich, Sie sagt, sie habe Flugel, und Gott sei ” gut zu den V¨ogeln.“ So plauderten wir und kletterten die Schlucht hinab, w¨ ahrend ganz Frankreich unter Waffen stand und den Kampf suchte. ¨ Beim Einbruch der Nacht kam mein Onkel zuruck, und ¨ gut befunden wurde. ich trug den Hasen auf, der fur Man hatte keine R¨auber gesehen und meinte bereits, es g¨ atten nicht vor, zu uns abe gar keine, oder sie h¨ zu kommen. Am folgenden Tag hielt man sich noch in der Verteidigung, aber schließlich begab man sich wieder an die Arbeit. Die Frauen, die ihre Kinder versteckt hatten, tauchten wieder mit ihnen auf, man grub die W¨asche und das bißchen Geld aus der Erde aus. Alles Seite: 62
Nanon von George Sand wurde ruhig wie zuvor. Man war zufrieden mit dem kleinen Bruder, der durch das Gespr¨ ach mit den M¨onchen die Pfarrkinder daran gehindert hatte, sich mit ihnen zu ¨ ¨ ¨ noch lange uberuberwerfen. Man glaubte, sie wurden leben und wollte sich nicht ihrem Zorn aussetzen. Sie zeigten auch keinen. Man behauptete, der kleine Bruder habe sie zur Vernunft gebracht. Es wurde angemerkt, er habe schon immer das Kommen der R¨ auber geleugnet, und man begann, ihn h¨oher zu achten, als man es vorher getan hatte. Jeden Tag traf ich ihn auf meinem Weg, und er lehrte mich querfeldein so schnell und so gut das Lesen, daß ¨ ein jeder daruber erstaunt war, und man in der Gemeinde von mir als einem kleinen Wunder redete. Ich selbst ¨ ¨ war stolz daruber, den aber keineswegs eitel gegenuber anderen. Ich unterrichtete den kleinen Yierre ein wenig, der guten Willen, doch einen harten Kopf hatte. Ich unterrichtete auch einige meiner kleinen Gef¨ahrtinnen, die aus Dankbarkeit mir Geschenke machen wollten, ¨ und mein Großonkel prophezeite mir, ich wurde Schullehrerin im Pfarrspiel werden, und dies in einem Ton, als prophezeie er mir eine Zukunft als große K¨onigin. Obwohl man sich in der Nationalgarde organisiert hat¨ und Gewohnheit te, war man wieder in Gleichgultigkeit ¨ verfallen. Der Winter verlief recht ruhig. Man befurchtete eine ebenso starke K¨alte wie im letzten Jahr, und ¨ da man kuhner geworden war, schlug man im Monat Dezember mit oder ohne Erlaubnis im Klosterwald Holz. Es wurde nicht gestohlen, man brachte es in den Schuppen der M¨onche und sagte sich, daß sie keinen Grund h¨ atten, so wie im vorhergegangenen Jahr, zu beSeite: 63
George Sand
3.4: Kapitel IV.
haupten, es fehle an geschlagenem Holz. Die armen atten uns recht streng bestrafen k¨onnen, M¨onche h¨ denn die meisten von uns standen noch unter dem Gesetz der Leibeigenschaft. Man hatte uns wohl gesagt, dieses Gesetz w¨ are seit August abgeschafft, sogar ¨ auf den Kirchengutern; doch da man das Dekret nicht ver¨offentlichte und die M¨onche nicht den Anschein erweckten, es zu kennen, dachten wir, es handele sich um ¨ die R¨ eine ebenso falsche Nachricht wie die uber auber. An einem sch¨onen Tag im Monat M¨ arz kam der kleine Bruder in unser Haus und sagte: Meine Freunde, ihr seid freie Menschen! Man hat sich ” endlich entschlossen, das Dekret vom letzten Jahr ¨ durchzufuhren und zu ver¨offentlichen, das die Leibeigenschaft in ganz Frankreich abschafft. Nun werdet ihr euch eure Arbeit bezahlen lassen und eure Bedingungen festsetzen. Es gibt keinen Zehnten, keine Abgaben, keine Fronarbeit mehr; das Kloster ist weder Grundherr noch Gl¨ aubiger, und bald wird es nicht einmal ¨ mehr Eigentumer sein.“ Jacques l¨ achelte, ohne zu glauben, was er h¨orte, Pier¨ re schuttelte den Kopf, ohne etwas zu verstehen; doch der alte Jean verstand es sehr gut, und ich dachte, er ¨ bek¨ame einen Schw¨ acheanfall, so als ob er einen fur sein Alter zu schweren Schlag erlitten h¨atte. Der kleine Bruder, der sah, wie bleich er wurde, meinte, es w¨are aus Ergriffenheit, und er schwor ihm, die Nachricht sei wahr, denn die M¨ anner des Gesetzes w¨aren am Morgen bereits gekommen, um den M¨onchen zu bedeuten, ¨ ihre Guter geh¨orten dem Staat, zwar nicht sofort, aber nach einer festgesetzten Zeit, damit der Staat sie durch Seite: 64
Nanon von George Sand Zahlung von Renten entsch¨adigen k¨onne. Mein Onkel sagte kein Wort, doch ich, die ihn gut kann¨ und te, sah, daß er einen großen Schmerz verspurte nichts von den Neuigkeiten h¨oren wollte. Endlich, als er sprechen konnte, sagte er: Meine Kinder, diese Angelegenheit da, das ist das Ende ” von allem. Wenn man keine Herren mehr hat, kann man nicht mehr leben. Glaubt nicht, ich h¨ atte die M¨onche ¨ geliebt; sie haben uns gegenuber ihre Pflicht nicht getan; doch wir hatten das Recht, sie dazu zu zwingen, ¨ w¨ aren sie gehalten gewesen, uns zu und im Ungluck Hilfe zu kommen, das habt ihr in der Sache mit den R¨aubern gesehen, sie konnten uns nicht die Waffen verweigern. Wer wird nun im Kloster regieren? Die, die es kaufen werden, kennen uns nicht und schulden uns nichts. Wenn die R¨ auber wirklich kommen, wo sollen ¨ wir uns einschließen? Wir sind uns selbst uberlassen und gezwungen, auf uns selbst zu z¨ahlen.“ ¨ uns“, sagte Jacqucs. Und dies ist das beste fur ” ¨ ¨ wir uns daruber Wenn die Sache wahr ist, mussen ” freuen, jetzt wo wir den Mut haben, den zu haben wir uns nicht getrauten, sowie Piken, die wir niemals zu besitzen glaubten.“ Und außerdem“, wandte sich der kleine Bruder an ” meinen Onkel, gibt es einen Mangel an Kenntnis bei ” dem, was Sie da sagen, mein alter Jean! Ihr hattet keiattet geltend machen k¨onnen, um ne Rechte, die ihr h¨ das Kloster zu eurer Verteidigung zu zwingen. An diesem oder einem anderen Tag h¨ atte es euch aus Angst Seite: 65
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3.4: Kapitel IV.
oder Schw¨ache aufgegeben, und ihr w¨ aret gezwungen, euch in einen Aufstand oder einen Krieg mit dem Kloster zu begeben. Das neue Gesetz rettet euch vor diesem Unheil.“ Mein Onkel machte den Eindruck, als beugte er sich ¨ aber er war voller Mitleid und diesen guten Grunden, beklagte das Elend, in das die M¨onche nun fielen. Der kleine Bruder belehrte ihn, daß sie eher einen Gewinn aus der Sache z¨ogen, da man vorhabe, den Bisch¨ofen und dem hohen Klerus etwas wegzunehmen, um die religi¨osen Orden zu entsch¨adigen und die Landpfarrer zu entlohnen. Ich verstehe“, antwortete mein Onkel, man wird ihnen ” ” ¨ eine ordentliche Vergutung geben, die wertvoller sein wird als die geringe wirtschaftliche Nutzung und die Abgaben, die wir ihnen so schlecht bezahlt haben; aber ¨ achtet ihr die Schande so gering, weder Eigentumer noch Grundherr mehr zu sein? Ich habe stets geglaubt, ¨ dem, der das Geld der, der das Land besitze, stehe uber hat.“ Im Verlauf des Tages wollte mein Onkel, der bei den M¨onchen sehr angesehen war, seit er die Liebe Frau vom Brunnen der Wunder gerettet hatte - diese Liebe Frau brachte ihnen viele Spenden und Geld ein - von den M¨onchen selbst erfahren, ob die Neuigkeit wahr sei. Er ging zum Kloster hinunter und fand es in großer Aufregung. Als der Prior die M¨ anner kommen sah und die Zustellungsurkunde in Empfang nahm, hatte er einen Schlaganfall bekommen. Er verschied in der Nacht, und mein Onkel nahm sich dies sehr zu Herzen. Die Alten sehen einander nicht davongehen, ohne getroffen Seite: 66
Nanon von George Sand ¨ zu sein. Er fuhlte sich krank, aß nicht mehr und wurde ¨ ¨ gegenuber gleichgultig allem, was man um ihn herum redete. Die ganze Gemeinde jubelte, insbesondere die ¨ befreit zu Jugend. Man begriff, wenn nicht das Gluck, sein - man wußte nicht, wie die Dinge sich entwickeln ¨ wurden -, so doch wenigstens die Ehre, freie Menschen zu sein, wie der kleine Bruder es nannte. Mein Großonkel war so lange Zeit Leibeigener gewesen, daß er sich kein anderes Leben und andere Gewohnheiten vorstellen konnte. Es wunderte und qu¨alte ihn so sehr, daß er acht Tage nach dem Prior starb. Er wurde sehr betrauert, wie es bei einem gerechten und duldsamen Mann sein muß, der viel ertragen und arbeiten konnte, ohne zu klagen. Meine beiden Vettern beweinten ihn drei Tage lang aus vollem Herzen, danach begaben sie sich wieder zur Arbeit mit der Ergebenheit, die man Gott schuldet. ¨ Was mich angeht, ich war nicht vernunftig genug, mich so schnell zu tr¨osten, ich war so lang voller Kummer ¨ und Gram, daß man sich daruber wunderte und mich sogar tadelte. Die Mariotte schalt mich, da sie mich immerfort weinen sah, w¨ahrend ich mein Schaf zur Weide ¨ ¨ etwas anderes zu ¨ dieses oder fur fuhrte, ohne mich fur interessieren. Sie behauptete, ich wollte anders denken ¨ als andere, und daß Leute wie wir, die zum Ungluck¨ lichsein geboren seien, sich daran gew¨ohnen mußten, tapfer zu sein und ihr Leiden nicht zu h¨ atscheln. Was wollen Sie“, sagte ich zu ihr, ich habe niemals ” ” Kummer empfunden; ich, bin k¨orperlich nicht verz¨ artelt, weder Hunger noch K¨ alte haben mir jemals etwas aus¨ gemacht. Ich kenne kaum Mudigkeit, und ich kann beSeite: 67
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3.4: Kapitel IV.
haupten, daß ich niemals unter dem gelitten habe, was andere seufzen. l¨ aßt; doch habe ich nie geglaubt, mein ¨ sterben! Ich war daran gew¨ohnt, ihn Großonkel musse alt zu erleben. Ich war so besorgt um ihn, daß er damit zufrieden schien. Er sprach kaum mit mir, doch l¨achelte er mir stets zu. Er hat mir nie vorgeworfen, ihm zur ¨ mich Last gefallen zu sein, und doch hat er so viel fur gearbeitet! Wenn ich an ihn denke, kann ich die Tr¨anen ¨ nicht zuruckhalten, es muß st¨ arker sein als ich, da ich im Schlaf weine und morgens mit ganz nassem Gesicht aufwache.“ Der kleine Bruder war der einzige, der an meinem langen Kummer keinen Anstoß nahm. Im Gegenteil, er sag¨ te mir, ich w¨are nicht wie die anderen, er fugte hinzu, ich w¨ atzte mich deswegen beare mehr wert, und er sch¨ sonders. ¨ ¨ dich sein“, sagte Aber es wird vielleicht ein Ungluck fur ” er, Du hast eine große Gabe zur Freundschaft, man ” ¨ wird dir nicht zuruckgeben, was du verdienst.“ Er kam jeden Tag zu uns, oder er traf mich auf den Feldern, wo ich fast immer allein hinging; die Fr¨ohlichkeit der gleichaltrigen Kinder machte mich traurig, und ¨ meine Traurigkeit langweilte sie. Ich war bemuht, mich ¨ mit Emilien zu zerstreuen, er brachte so viel Mitgefuhl auf und wollte mich tr¨osten. Ich faßte eine ernste Zuneigung zu ihm: mir schien, er ersetzte mir den Freund, den ich verloren hatte, und ich sah, daß es, auch wenn ich seine Ideen und seinen Charakter nicht recht verstehen konnte, eine Sache gab, deren ich gewiß sein ¨ seines Herzens. konnte die große Gute Seite: 68
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3.5
Kapitel V.
Ich wohnte weiterhin mit meinen Vettern zusammen ¨ so gut ich konnte, ihren a¨ rmlichen Hausund fuhrte, halt. Aber da sie h¨ aufig ihrer Arbeit wegen nicht da waren und, wenn sie weit weggingen, ausw¨ arts schliefen, hatte die Mariotte, die mich nicht allein lassen wollte, meine kleine Schlafstatt in ihr Haus tragen lassen. Sie ¨ mich zu haben, denn auch sie war nicht b¨ose daruber, war eine allein stehende Frau, eine Witwe mit Kindern, die verheiratet waren und an einem anderen Ort wohnten. Sie hatte ihren eigenen Kopf, wie man bei uns sagte, und lehrte mich, es ihr gleichzutun, das heißt, sie war sehr arm und verstand es doch, das Beste daraus zu machen, sowohl mit ihrer Arbeit als auch mit ihrer Intelligenz. Es gibt solche Frauen, die es mit wenig bei sich und an sich fertigbringen, reinlich zu sein und den Anschein zu erwecken, es fehle an nichts. Der gr¨oßte Teil der Frauen bei uns, selbst die wohlhabendsten, ließen sich keineswegs das, was sie hatten, zur Ehre gereichen, oder sie mußten Entbehrungen hinnehmen, weil sie nicht vorgesorgt hatten oder vieles verkommen ließen. Ich fing an, dies zu lernen, zu lernen auch mit dem kleinen Bruder. Ich konnte allm¨ ahlich schreiben und ein wenig mit Zahlen rechnen. In der Nachbarschaft ¨ ein Wunderkind und war erstaunt, hielt man mich fur daß der kleine Bruder, der so wenig diszipliniert war und so sehr ein Freund von Jagd und Fischfang, so viel Seite: 69
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3.5: Kapitel V.
Ausdauer und guten Willen aufbrachte, mich zu unterrichten. Mein bescheidenes Wissen war ein großes Geschenk, das er mir machte, denn ich begann, beim Zu¨ sammensein an den Winterabenden Schuler zu unter¨ richten, und wenn die Einwohner irgendwelche Schriftstucke ¨ erhielt ich eizu lesen hatten, kamen sie zu mir; dafur nige kleine Geschenke. Wenn ich nicht konnte, hatten sie den kleinen Bruder, der sich nie weigerte, doch die Bauern sind argw¨ohnisch. Weil er vom Kloster war und adlig von Geburt, vertrauten sie sich ihm nie so an wie mir, dem Kind von gleicher Herkunft. ¨ des Klosters standen zum Verkauf; trotz des Die Guter ¨ großen Begehrens, das man verspurte, traute sich je¨ doch niemand, sie zu kaufen. Man furchtete, das Gesetz sei nicht von Dauer, und die M¨onche sprachen fei¨ xend daruber und sagten: Das ist noch nicht fertig“, ” ¨ hinaus gab die Nation, die Geld ben¨otigund daruber ¨ Leute wie uns war das te, nur drei Monate Kredit. Fur nicht genug, und die Spekulanten, die sich zum Kauf bereit hielten, um dann weiterzuverkaufen, fanden, es ¨ ein Risiko einzugehen. w¨ are noch zu fruh, ¨ Dennoch, das Vertrauen kam ganz pl¨otzlich, ich wußte nicht zu sagen auf welche Weise, nach dem Fest des 14. Juli, des Jahrestages des Sturms auf die Bastille. Ganz Frankreich feierte dieses Fest, das man F¨oderationsfest nannte. Der kleine Bruder sagte mir, man freue sich vor ¨ ¨ allem daruber, ein einziges und einheitliches Gesetz fur ganz Frankreich zu haben und machte mir begreiflich, daß wir von nun an alle Kinder ein und desselben Va¨ ¨ terlandes seien. Er schien daruber so glucklich, wie ich ihn noch nie erlebt hatte, und seine Freude erreichte Seite: 70
Nanon von George Sand auch mein Herz, trotz der geringen Kenntnis, die ich bislang hatte, um ein so großes Ereignis zu beurteilen. Es wurde ein erstaunliches Fest in unserem unzivilisierten, in den Tiefen des Gebirges verlorenen Kirchspiel. Zun¨achst einmal sagte man nicht mehr Kirchspiel, man sagte Gemeinde, seit wir nicht mehr den M¨onchen geh¨orten und Gemeinder¨ate ernannt hatten. Die M¨onche sahen uns dabei zu, und, sei es aus Dummheit oder Boshaftigkeit, wir haben es nie erfahren, behaupteten sie, zufrieden zu sein mit allem, was kam. Unter ihnen gab es zwei junge, nicht so jung wie ¨ der kleine Bruder, denn sie hatten schon ihr Gelubde abgelegt, die ihr Stand sehr zu langweilen schien, sie ¨ sich davon zu verabschieden, sobald sie wunschten erfuhren, daß es m¨oglich war. Am Tag des Festes bewegten sie die Alten dazu, die Pforten des Klosters der Gemeinde und ihren Einwohnern zu o¨ ffnen, damit man ¨ die F¨oderation an einer großen Ortlichkeit mit Schutz vor Gewitter feiern k¨onne. Die Alten stimmten dem zu ¨ sie es versagen, und dachten wohl, daß man, wurden Krach schlagen und sich gegen sie wenden k¨onnte. Sie hielten eine Messe ab, um Gott zu bitten, den Zusammenschluß Frankreichs zu segnen und boten sogar an, gem¨aß ihrem Verm¨ogen, zum Bankett beizutragen, das auf dem Platz stattfinden sollte. Ein armseliges Bankett, bei dem man als Dessert Brot aß, wie man bei den Reichen Kuchen ißt. Jeder brachte seinen Mehlbrei ¨ und sein Gemuse mit. Alle hatten zusammengelegt, um ein bißchen Wein zu haben, den man nach dem Wasser und dem Schlehenmost trinken wollte. Doch in ¨ ¨ man die Uberraschung, diesem Augenblick enthullte ¨ die der kleine Bruder vorbereitet hatte, unterstutzt von Seite: 71
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3.5: Kapitel V.
meinem Vetter Jacques und anderen braven Burschen aus dem Ort. Man wußte wohl, daß etwas geschehen ¨ weil sie seit drei Tagen daran arbeiteten, und wurde, man sah einen großen Haufen abges¨agten Astwerks mit Laub, das etwas verbarg. Als der Wein gebracht wurde, schoß man zehn oder zw¨olf Gewehre ab, die man in der Gemeinde besaß, und als die braven Burschen Rei¨ ¨ sigbundel weggezogen hatten, sah man eine und Aste Art Altar aus Grassoden mit einem spitz zulaufenden Kreuz aus geflochtenen Weizen¨ ahren. Unterhalb lagen ¨ die sch¨onsten Blumen und Fruchte, die man hatte finden k¨onnen; der kleine Bruder hatte nicht vers¨ aumt, in den Beeten und Spalieren der M¨onche welche zu ho¨ gleicher Herkunft und len. Es gab auch seltene Gemuse außerdem ganz einfache Produkte wie Buchweizengar¨ ben, Kastanien¨ aste mit ihren noch jungen Fruchten, ¨ dann Aste vom Schlehdorn und vom wilden Maulbeerbaum, alles, was die Erde ohne weitere Bearbeitung dem kleinen Bauern und den kleinen V¨ogeln gibt. Und schließlich sah man unterhalb des Grasaltars einen Pflug, einen Spaten, eine Hacke, eine Sichel und Sense, eine Axt, ein Wagenrad, Ketten, Seile, Joche, Hufeisen, Geschirr, einen Rechen, eine J¨athacke und endlich ein ¨ Huhnchenpaar, ein Jahreslamm, ein Paar Tauben und ¨ mehrere Nester von Drosseln, Grasmucken und Spatzen mit Eiern oder Jungen darin. Das war, wird man sagen, eine recht l¨andliche Troph¨ae, ¨ doch alles war so wohl angeordnet und mit grunem ¨ Moos, Blumen und großen Flußgr¨ asern geschmuckt und jeder Gegenstand davon umrahmt, daß es gewaltigen Eindruck auf uns machte, und mir selbst schien es die großartigste Sache zu sein, die ich je, im Leben geSeite: 72
Nanon von George Sand sehen hatte. Nun, da ich alt bin, lache ich gewiß nicht ¨ ¨ die Einzelheit, die daruber. Der Bauer, der gleichgultig er jederzeit sieht, betrachtet, braucht ein Ganzes, das sein Nachdenken und zugleich seine Augen anzieht und seine wirren Vorstellungen durch eine Art Schauspiel zusammenfaßt. Zun¨ achst herrschte tiefe Stille, als man eine so einfache Sache sah, die man sich vielleicht als etwas Wunderbares ertr¨aumt hatte, die jedoch gefiel, ohne daß man geatte, warum. Ich begriff etwas mehr davon, ich wußt h¨ konnte lesen, und ich las, was unter dem Kreuz aus ¨ Weizen¨ahren geschrieben stand; aber ich las leise fur mich, ganz and¨achtig; wie weit war ich entfernt davon, auf die wichtige Rolle gefaßt zu sein, die ich in der Zeremonie spielen sollte! Pl¨otzlich kam der kleine Bruder und zog mich am Arm, ¨ denn ich saß nicht an der großen Tafel; es gab nicht fur jeden Platz, und ich hatte mich mit den kleinen Kindern ¨ auf der Wiese niedergelassen. Er fuhrte mich vor den Altar und hieß mich laut lesen, was dort geschrieben stand. Ich las, und alle hielten den Atem an, um mich zu verstehen: Dies ist der Altar der dankbaren Armen, deren Arbeit, ” im Himmel gesegnet, auf Erden entlohnt wird.“ Sogleich entfuhr ein einziges Ah!“ allen Kehlen, wie ein Atemho” len nach einer großen Ersch¨opfung, nach all den vie¨ len Jahren der Sklaverei. Man fuhlte sich im vorhinein als Herren dieser Produkte der Erde, die zu erwerben, m¨oglich geworden war. Weinend fiel man einander in die Arme und sagte dabei Worte, die denen, die sie sagten, Seite: 73
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3.5: Kapitel V.
nicht aus ihren Kehlen zu kommen schienen. Ein Alter aus der Gemeinde nahm einen kleinen Weinkrug - es war sein Anteil - und sagte, er wolle ihn lieber opfern als trinken. Er goß ihn auf den Altar, und viele taten es ihm gleich, denn der Glaube an das Trankopfer hat sich bei uns auf dem Land bewahrt. Die M¨onche, die anwesend waren und so taten, als segneten sie den Altar, damit, wie sie sagten, dies keine heidnische Zeremonie sei, haben sp¨ ater behauptet, die ganze Gemeinde sei betrunken gewesen. - Sie war es, doch nicht vom Wein, denn es blieb gerade so viel, daß ein jeder die Lippen benetzen konnte, und man wollte, daß sie alle benetzt wurden; man war trunken allein von der Freude, der ¨ Man ließ Hoffnung und der Freundschaft fureinander. die M¨onche ihr Weihwasser verspritzen und stieß sogar mit ihnen an. Man war ihnen nicht b¨ose; man traute ihnen auch nicht, doch wollte man an diesem Tag nie¨ manden hassen; im ubrigen hatte man wegen des klei¨ nen Bruders, den man liebte, nicht rucksichtslos gegen sie sein wollen. Als man ein wenig ruhiger geworden war, meinten die ¨ Kritiker, deren es uberall welche gibt, daß an diesem Altar etwas fehle: eine christliche Seele oberhalb der ihn ¨ schmuckenden Tiere. Ihr habt recht, ihr Alten!“ rief der kleine Bruder, und ” ” ¨ ich fordere alle Mutter auf, ihre Kinder herzubringen ¨ und sie den Altar des Vaterlandes beruhren zu lassen; doch auf diesen Grasstufen brauchen wir einen Engel, ¨ die Armen betet, wie man ihn auf den Fronleichder fur namsalt¨ aren sieht. Ich werde ihn ausw¨ahlen, und wenn ihr nicht einverstanden seid, sagt warum.“ Seite: 74
Nanon von George Sand Dann nahm er meine Hand und schob mich mit dem anderen Arm vorw¨arts, denn ich leistete Widerstand; er ließ mich auf der h¨ochsten Stufe unter dem Weizenkreuz niederknien. Es gab Verwunderung, doch keinen ¨ Arger, denn niemand hatte etwas gegen mich, aber der Bauer will, daß ihm alles erkl¨ art wird. Der kleine Bruder sprach zu ihnen in einer Art Rede, was weitere Verwunderung hervorrief, denn er war kein Redner, und wenn ¨ Worten gesagt hatte, was er glaubte, er in vier oder funf ¨ sagen zu mussen, ob man ihn nun richtig oder falsch verstand, dann sagte er danach nichts weiter. Dieses ¨ Mal wollte er offenbar uberzeugen, denn er sagte viel und unter anderem folgendes: Meine Freunde, wie ihr frage ich mich, was in einer ” ¨ ist, Gott zu gefallen, christlichen Seele am wurdigsten und ich glaube, es ist der Mut, die Sanftheit, die Achtung vor den Eltern und die große Freundschaft des Herzens. Diese Kleine, die ich dorthin gestellt habe, ist ¨ in eurer Gemeinde; sie hat nie jemanden die Armste um etwas gebeten. Sie ist keine vierzehn Jahre alt und arbeitet wie eine Frau. Sie hat ihren Großonkel mit ¨ einer Hingabe, die uber ihr Alter hinausgeht, gepflegt und beweint, und das ist nicht alles, sie besitzt etwas, das sehr gottgef¨allig ist, wenn man es gut anwendet. Sie hat große Intelligenz und lernt schnell alles, was ¨ sich, sie lernen kann. Was sie weiß, beh¨ alt sie nicht fur sie hat es eilig, es weiterzugeben, sie gibt es weiter ¨ entlohnen und sucht nicht solche aus, die sie dafur ¨ ebenso viel Sorgfalt k¨onnen, sie widmet den Armsten wie den Reichen. In einem Jahr, wenn ihr sie ermutigt fortzufahren, werden viele eurer Kinder lesen k¨onnen und euch große Dienste erweisen, denn was euch bei Seite: 75
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3.5: Kapitel V.
euren Gesch¨ aften hindert, ist, daß ihr nichts von den ¨ versteht, die man euch mit einem Kreuz Schriftstucken unterzeichnen l¨aßt und denen ihr mißtraut, und woaumt . . .“ durch ihr gute M¨oglichkeiten vers¨ ¨ Alle verstanden, daß er vom Erwerb der Nationalguter sprach; man sah, daß er die Sache gut und richtig beurteilte, und fing an, daran zu glauben, man glaubte dar¨ an; man verstand, was er uber mich sagte, und es gab außerungen, großes Geschrei, Zustimmung und Beifalls¨ ¨ ¨ woruber ich ganz erstaunt war, denn ich wußte uberhaupt nicht, daß ich intelligenter und besser was als ¨ andere. Ich dachte an den alten Jean, der so glucklich gewesen w¨are, mich auf diese Weise gefeiert zu sehen, und ich mußte weinen. Als man sah, daß ich, anstatt die Ruhmreiche zu spie¨ len, demutig und verwirrt war, wußte man mir Dank; niemand hatte etwas gegen mich zu sagen, und da kam dem alten Griot eine Idee. Er war seit dem Tod meines Großonkels, dessen Freund er lange gewesen war, ¨ der Alteste der Gemeinde. Deshalb hatte man ihn zum Pr¨ asidenten des Festes ernannt, und er trug im Knopf¨ loch seiner Broche-Weste ein Str¨außchen Ahren und Blumen. Meine Kinder“, sagte er und stellte sich, um besser ” geh¨ort zu werden, auf einen Felsblock, ich meine, der ” kleine Bruder hat richtig gew¨ahlt und gesprochen, und wenn ihr mir glauben wollt, so werden wir dieser Kleinen nach unserem Verm¨ogen Gutes tun. Ihr Haus, das ¨ sie den M¨onchen geh¨orte, werden wir kaufen, um es fur sicherzustellen, ebenso den kleinen Garten. Und wenn Seite: 76
Nanon von George Sand wir alle ein wenig, je nach unseren Mitteln, zusammenlegen, ist es keine große Ausgabe, und es ist ein Versuch in der fraglichen Angelegenheit: es wird unser erster Erwerb eines Nationalgutes sein, und wenn man uns sp¨ ater einen Vorwurf machen will, k¨onnen wir sagen, atten es um der Liebe Gottes willen getan.“ wir h¨ ¨ Alle waren einverstanden, und unser Burgermeister, der alte Chenot, der der reichste Bauer bei uns war, ließ alle Einwohner unterschreiben. Manche gaben zwei ¨ Sous, andere zwei oder drei Livres. Der Burgermeis¨ ter gab funf, und die Sache war rasch geregelt. Die Schenkung wurde mir allein gemacht, auch wenn ich ¨ meine Vormundminderj¨ahrig war. Chenot ubernahm schaft in allem, was mein Eigentum betraf. Trotz der Wertsch¨atzung meiner Vettern wollte man nicht, daß mein Besitz in ihren H¨anden w¨are. Ich fragte schnell, atte, ihnen Unterkunft zu gew¨ahren, ob ich das Recht h¨ ¨ denn in dem Fall, daß ich sie davonjagen mußte, wollte ich lieber nichts haben. Man sagte mir, daß es an mir ¨ l¨age, sie zu behalten, solange ich es gut f¨ande und fugte ¨ daß hinzu, mein gutes Empfinden sei ein Zeichen dafur, man Recht daran getan habe, mir eine Chance zu ge¨ und den ganzen ben. Ich umarmte den Burgermeister Gemeinderat und die alten M¨anner und Frauen. Dann sprach man davon zu tanzen, steckte ein Str¨außchen an meine Haube, und der alte Griot, der sich kaum auf den Beinen halten konnte, wollte mit mir den Tanz er¨offnen. Ich konnte tanzen wie jede andere, doch wegen meiner Trauer wollte ich nicht. Man sagte mir, ich ¨ tanzen, denn es sei kein Fest wie jedes andere. musse So etwas h¨ atte man nie zuvor erlebt und werde es auch nie wieder erleben, ein Tag, der die Seele der Toten erSeite: 77
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3.5: Kapitel V.
freue, und der alte Jean, w¨are er noch da, h¨ atte als der ¨ Alteste gewiß mit der ersten Erwerberin getanzt. Ich mußte nachgeben, aber nach zwei Minuten hatte ¨ der alte Griot genug und ich es eilig, mich zuruckzuziehen, denn ich dachte: Sie behaupten, mein Großonkel w¨ are zufrieden. Sic ¨ wissen nicht, daß er aus Kummer daruber, von alledem nichts zu verstehen, was ihnen nun Freude macht, gestorben ist. Ich ging nach Hause, und kniete neben der Lagerstatt meines Großonkels nieder. Sie befand sich noch immer dort, mit ihren alten gelben Sergcvorh¨ angen, die zugezogen waren, seit man ihn zum allerletzten Male aus dem Haus getragen hatte. Ich war ¨ ganz durcheinander. Ich befurchtete, falsch zu handeln, wenn ich ein Gut annahm, das er nie h¨atte erwerben k¨onnen und vielleicht nie h¨atte haben wollen. Und andererseits sagte ich mir: Der kleine Bruder weiß genauer Bescheid, als er es tat, und er sagte, es sei die Pflicht der Armen, aus dem Elend herauszukommen, zum Gefallen Gottes, der die Arbeit und den rechten Mut liebt. Nachdem ich, so gut ich konnte, meine Gedanken hin und her bewegt hatte, schien mir, daß ich annehmen mußte, was mir aus so gutem Herzen und so warmer Freundschaft gegeben wurde. Ich dachte auch daran, daß dieser Erwerb ein Versuch war, den abzulehnen ich nicht das Recht hatte. Da nun, meine Entscheidung getroffen war, betrachtete ich zum ersten Mal mit erstaun¨ rmliche Haus. Es war sehr alt, aber ten Augen dieses a noch stabil. Der Kamin war in einem spitz zulaufenden Seite: 78
Nanon von George Sand Bogen in das Mauerwerk eingelassen und hatte in der Vertiefung Steinb¨anke. Die Balken waren ganz schwarz, ¨ Decke ließ an vielen Stellen und die schlecht gefugte Schnee und Regen durch. Das war die Schuld meiner Vettern, die das mit ein paar weiteren Brettern und wenig Arbeit h¨ atten beheben k¨onnen. Ihr Großvater hatte es ihnen oft genug aufgetragen, aber sie geh¨orten zu denen, die viel davon reden, besser zu sein, ohne etwas zu tun, um nur weniger schlecht zu sein. Ich dachte, ¨ da ich ihnen mein Haus leihen wurde, das Recht zu ha¨ ihre Gesundheit erforderlichen ben, von ihnen die fur Reparaturen zu verlangen. Mein Haus! Ich wiederholte dieses Wort, wobei ich vor mich hin tr¨ aumte, denn es war wirklich wie im Traum. ¨ mich gesammelt wurde, daß Man hatte gesagt, als fur es mit dem Garten gut hundert Francs wert sei. War ich nun reich! In einer Minute machte ich zwei- oder dreimal einen Rundgang um den Garten. Ich betrach¨ tete Rosettes Stall; sie hatte mir im Fruhjahr ein Lamm geschenkt, es war schon kr¨ aftig und sehr sch¨on, und ich hatte es gut gepflegt. Sobald ich es verkauft haben ¨ atte ich die Mittel, einen richtigen, gemauerwurde, h¨ ten Schafstall zu errichten, neben dem, den mein Groߨ ihn onkel gebaut hatte und den ich aus Achtung fur behalten wollte. Ich h¨atte auch die Mittel, zwei oder ¨ drei Huhner anzuschaffen, und wer weiß, ob ich nicht ¨ sp¨ater ein Zicklein kaufen wurde, das ich dazu bringen k¨onnte, eine richtige Ziege zu werden. - Ich begann noch einmal von vorn die Fabel von Perrette und ihadchen, das rem Milchtopf, doch war ich nicht das M¨ ¨ ¨ ihn aus Freude am Springen verschutten wurde, und ¨ meine Tr¨aume sollten mich weiter fuhren, als ich geSeite: 79
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3.6: Kapitel VI.
dacht hatte.
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Kapitel VI.
¨ Dennoch, inmitten der Freude, die mich erfaßte, uberfiel mich auch Sorge, und als ich ganz in mich gekehrt neben meiner Dornenhecke und dem Haselnußstrauch saß, kam der kleine Bruder und fragte, ob ich mit dem, ¨ mich getan habe, unzufrieden sei, und wie es was er fur komme, daß ich Leuten aus dem Weg zu gehen scheine, ¨ machen wollten. die mich glucklich Denkst du denn so“, fragte er, wie der alte Jean, ” ” der um die Leibeigenschaft und sein Elend trauerte?“ Nein“, antwortete ich. ” Vielleicht h¨ atte er, w¨ are er bis zum heutigen Tag am ” Leben geblieben, verstanden, was alle zu verstehen be¨ ginnen; aber ich werde mit Ihnen uber die Sache reden, wie sie mir in den Sinn kommt. Ich bin in einer Hinsicht zufrieden und in einer anderen ver¨argert. Ich are, um dieses Gut zu unterhalten sehe, was zu tun w¨ und zu bewahren, und ich weiß, meine Vettern werden mir kaum dabei helfen. Sie haben keinerlei Bindung an etwas, was ihnen nicht geh¨ort. Vielleicht neiden sie es ¨ mir. Gew¨ohnlich machen sie sich lustig uber mich, weil ich mich mehr um sie sorge als sie selbst. Sie wissen ja, daß sie ein wenig wild sind und es ihnen nicht wichtig ist, anders zu sein, daß sie lieber etwas verkommen lassen, als es zu reparieren, daß sie sich nach einem ¨ verflossenen Tag recht wohl fuhlen, vorausgesetzt, man spricht nicht vom kommenden. Nun, vielleicht haben Seite: 80
Nanon von George Sand ¨ sie recht, und ich gebe mir viel Muhe, die sie mir nicht danken werden. Ich bin so jung! Ist es m¨oglich, in meinem Alter ein Gut zu regieren, das hundert Francs wert ist? Sie werden mich necken. Was raten Sie mir, gerade Sie, der Sie vielleicht so denken wie die beiden?“ Ich denke nicht mehr wie sie“, antwortete er, wir ha” ” ben geglaubt, sie und ich, daß man sich um so schlech¨ ter fuhlt, je mehr man sich mit einer Sache befaßt, und was mich angeht, so hatte ich beschlossen, in den Tag hinein zu leben, ohne mich mit dem Morgen zu aftigen. Aber seit dem vergangenen Jahr habe ich besch¨ andert, Nanon. Ich habe nachgedacht, wenn mich ge¨ ich h¨orte, was die M¨onche sagen. Sie haben mich weder Latein noch Griechisch gelehrt; doch sie haben mir ¨ das Gluck ¨ den schlechten Willen gezeigt, den sie fur der Armen aufbringen, deren V¨ ater und Vormunde sie ¨ sich nennen. Als ich sah, wie sie uber die Sparsamkeit und Arbeit gelacht haben, die Faulheit ermutigt und anderung, da beschloß gesagt haben, es gebe keine Ver¨ ¨ ndern, und ich err¨otete daruber, ¨ ich, mich zu a selbst ein Faulpelz zu sein. Ich habe gearbeitet, ja, Kleine, ich habe vieles von allein gelernt, wenn ich durch Dickicht und Heide lief. Ich muß meinen K¨orper und meine Beine bewegen. Denk daran! Ich bin kaum achtzehn Jahre alt und mager wie eine Ziege, ich muß laufen und springen. Aber trotz allem denke ich; ich bin h¨aufig allein, wenn die anderen arbeiten, und du siehst mich nicht mehr mit den kleinen Kindern herumlaufen, sondern eher ohne Gesellschaft. Du siehst auch, daß ich, wenn ich reden will, es nunmehr zustande bringe, etwas zu sagen; denn ich habe etwas im Kopf. Ich weiß noch nicht recht, was es ist, aber mein Herz sagt mir, daß Seite: 81
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3.6: Kapitel VI.
es gut und menschlich ist, weil ich die verabscheue, die das B¨ose wollen. Von dem Tag an, als ich begriffen habe, daß ich kein M¨onch mehr bin, a¨ nderte ich mich ¨ ebenso sehr, wie Rosette sich a¨ ndern wurde, wenn sie, anstatt zu bl¨oken, anfinge, mit dir zu reden.“ Wie“, sagte ich, Sie behaupten, kein M¨onch mehr zu ” ” sein? Haben Ihre Eltern denn ihre Meinung ge¨ andert?“ Davon weiß ich nichts, ich h¨ore nichts mehr von ih” nen, als w¨ ahnten sie mich tot. Aber eines weiß ich, n¨ amlich, daß sie sehr stolz sind und nicht zuließen, wenn ich vom Staat den Almosen erhielte, von dem die Orden leben. Sobald dies entschieden und geregelt ist, werden sie nicht dulden, daß ein Edelmann, der seine Einlage in eine Ordensgemeinschaft eingebracht hat, ¨ herabgesetzt wird auf eine pers¨onliche Unterstutzung. ¨ Ubrigens, man wird, sofern dies nicht bereits so ist - denn ich weiß nicht alles, was geschieht -, ein Gesetz machen, das die Wiedereinrichtung von Ordensgemeinschaften nicht mehr gestattet. Man wird die alten M¨onche aussterben lassen und ihnen ihr Brot garantieren, und es wird nicht mehr erlaubt sein, daß junge ¨ Leute sich durch ewige Gelubde binden. Ich werde also ¨ kein M¨onch sein, und ich freue mich so sehr daruber, ¨ habe, ich fange gerade an zu exisdaß ich das Gefuhl tieren. Du hast geglaubt, ich h¨atte meine Entscheidung getroffen . . . und in der Tat, du hattest recht, ich traf sie wie eine verzweifelte Seele, die sich aus Stolz ¨ ¨ Ich wurde vor dem unm¨oglichen Widerstand hutet. sie nicht wieder treffen, wo ich nun, wie man sagt, in diesen neuen Zeiten die Luft der Freiheit geatmet habe!“ Seite: 82
Nanon von George Sand Doch was werden Sie tun, mein kleiner Bruder, wenn ” Ihre Eltern Ihnen von ihrem Verm¨ogen nichts geben?“ Falls sie mich Hungers sterben ließen, was ich nicht ” vermute, werde ich Bauer, und das fiele mir nicht schwer. Ich kann mit Pflug und Hacke umgehen wie jeder andere auch. Es scheint mir sehr leicht, nach meinem Geschmack zu leben, jetzt; wo die Welt mir offen steht. Ich mache mir um mein Schicksal wenig Sorgen. Im Notfall werde ich Soldat. Mein Herz ist voller Hoffnung und Heiterkeit. Man l¨aßt mich hier, ich bleibe ¨ ohne Arger und Ungeduld, jetzt, da ich Freunde habe und mich niemand mehr gering sch¨ atzt. Du siehst, du brauchst dir um mich keine Sorgen mehr zu machen. ¨ Denke lieber an dich, verliere nicht den Mut uber den ¨ Arger, den du haben wirst, wenn du dein kleines Gut regierst. Der Bauer von heute befindet sich zwischen zwei verschiedenen Dingen: der Vergangenheit, wo viele es vorzogen zu leiden, statt sich gegenseitig zu helfen; der Zukunft, wo man sich helfen und nicht mehr leiden ¨ Mut, da du ja auch die wird. Du hattest stets Sinn fur erste warst, die ihn mir gegeben hat. Bewahre ihn, das ist das Richtige, und wenn du deinen Willen verdoppeln ¨ mußt, so verdopple ihn lieber, anstatt zuruckzukehren zum kranken und stumpfsinnigen Zustand der Seele, in dem die Leibeigenschaft die festh¨ alt, die sie akzeptieren.“ Ich weiß nicht genau, in welchen Worten der kleine Bruder mir all diese Dinge sagte; ich erinnere mich an sie, so gut ich es vermag, und zweifellos gab er sich alle ¨ Muhe, sie in meinen Geist eindringen zu lassen; und ¨ immer; sie sie drangen dort sehr wohl ein und das fur Seite: 83
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3.6: Kapitel VI.
¨ ¨ entsprachen dem Instinkt, uber den ich verfugte, mich ¨ und ich habe mein ganselbst im Leben gut zu fuhren, zes Leben lang meinen Nutzen daraus gezogen. ¨ Wir gingen zum Fest zuruck, angelockt vom L¨ arm. Zwei Pfarrgemeinden aus der Nachbarschaft waren gekomudern, wie man men und wollten sich mit uns verbr¨ sagte. Sie hatten ihre Musetten und Fl¨oten mitgebracht und ihre Wimpel neben unsere auf den Brunnen der Wunder gesteckt. Nie zuvor hatte Valcreux eine so sch¨one Fr¨ohlichkeit erlebt, und als die Nacht kam, hat¨ auseinander zugehen. Man mußte mit te man Muhe der Ernte beginnen, und die Leute aus der Ebene hatten sich verdingt, die Ertr¨age einzuholen, oder aber sie ¨ ernten und wollten die mußten zu Hause ihre Fruchte Pflichten der Erde nicht vernachl¨ assigen. Es waren rei¨ die die chere Gemeinden, als wir im Gebirge es sind, fur Ernte keine so große Angelegenheit ist, und als einige ¨ klagten, sagten die Nachbarn: von uns daruber ¨ Habt Vertrauen. Kauft die Guter eurer M¨onche, und ” da, wo sie nur Ginster ernten, werdet ihr Gerste und Hafer sprießen lassen.“ Unter Umarmungen nahm man voneinander Abschied und schwor sich, zusammenzubleiben und im Fall der Not sich beizustehen. Man gab den Scheidenden Geleit, und als ich mit dem kleinen Bruder beim Einbruch der ¨ Nacht zuruckkam, wurden wir Zeugen einer Begebenheit, die mir sehr zu denken gab. ¨ warum Wir waren hinter den anderen zuruckgeblieben, weiß ich nicht mehr, und um sie einzuholen, kam uns die Idee, einen schwer begehbaren Weg zwischen Seite: 84
Nanon von George Sand den Felsspalten zu nehmen. Als wir schnell und lei¨ se uber das Moos liefen, trafen wir auf zwei Personen, adchen, das ich kannte, weil es aus der Gegend ein M¨ stammte, und einen großen Burschen, der nicht verbergen konnte, was er war, da seine Kutte ihn in der Dunkelheit verriet. Sie sahen uns nicht und gingen einen Augenblick lang vor uns her, und das M¨adchen sagte: Ich will Sie nicht erh¨oren, Sie sind nicht in der Lage, ” mich zu heiraten.“ Und er, der Bruder Cyrille, einer der beiden jungen M¨onche aus Valcreux, antwortete ihr: Wenn du mich nur erh¨oren willst, so schw¨ore ich dir, ” dich zu heiraten. Morgen werde ich das Kloster verlassen. Verlassen Sie es und kommen Sie mit mir zu meinen ” Eltern“, sagte sie, dann werde ich Sie erh¨oren.“ ” Sie wollte fortlaufen, und er versuchte sie festzuhalten; doch er sah uns, und ganz besch¨amt ging er in eine Richtung davon, w¨ahrend das M¨adchen in eine andere entkam. Der kleine Bruder wirkte nicht erstaunt und setzte mit mir den Weg fort, ohne etwas zu sagen; ich war betroffen, und in meiner Neugier mußte ich ihn ausfragen. Glauben Sie denn“, sagte ich, daß dieser Bruder die ” ” Jeanne Moulinot heiratet?“ Aber ja“, antwortete er, wer sollte ihn daran hin” ” dern? Er denkt schon lange daran; er muß eine Familie ¨ denn ein Mann kann nicht alleine leben.“ grunden, Seite: 85
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3.6: Kapitel VI.
Dann werden Sie auch heiraten, das sehe ich schon.“ ” ¨ Gewiß, ich will Kinder haben und sie glucklich ma” chen. Doch ich bin noch zu jung, um daran zu denken.“ Zu jung? Wann werden Sie daran denken?“ ” ¨ In funf oder sechs Jahren vielleicht, sobald ich einen ” gewissen Stand habe.“ aulein finden?“ Ich Zweifellos werden Sie ein reiches Fr¨ ” ” ¨ weiß nicht, es kommt darauf an, was meine Familie fur mich tun will; aber ich nehme nur eine zur Frau, die ich liebe.“ Heiratet man nicht immer deswegen?“ ” ¨ Nein, man heiratet oft aus materiellen Grunden.“ Dann ” ” ¨ sind Sie eines Tages sehr glucklich? Doch ich, ich werde Sie nicht mehr sehen, vielleicht nicht wissen, wo Sie sind, und Sie werden sich nicht mehr an mich erinnern.“ Ich werde mich immer an dich erinnern, wie weit ich ” auch weg sein mag.“ ¨ Ich m¨ochte eines lernen, das Sie wissen mussen.“ Was ” ” denn?“ Ich m¨ochte die L¨ ander kennenlernen, wie ich sie im ” Kloster auf einer Karte gesehen habe.“ Also gut, ich werde Geographie studieren und dich dar” in unterrichten.“ Wir trennten uns vor dem Kloster. Viele Leute waren aftigt, die Tische und B¨ noch da und damit besch¨ anke hineinzutragen, und ich h¨orte die Alten sagen: Seite: 86
Nanon von George Sand Dieser Tag war zu sch¨on, als daß er jemals wiederkeh” ¨ ist, kann nicht von Dauer ren k¨onnte. Was so glucklich sein!“ Sie sprachen die Wahrheit, es war der sch¨onste Tag der Revolution in ganz Frankreich. Alles sollte durcheinander geraten und sich verschlechtern. Die erfahrenen Leute hatten es vorhergesehen; ich konnte es nicht, und das Urteil der Alten machte mir angst. Dieser Satz schi¨ en mir ungerecht und undankbar gegenuber dem lieben Gott, der meiner Auffassung nach dem Dauer verleihen ¨ sollte, was gut ist. Ich ging zu meiner Hutte hinauf, und ein trauriger Gedanke ließ mich nicht los, n¨ amlich, daß der Tag kommen mußte, an dem ich erlebte, wie der kleine Bruder fortging, ohne jede Hoffnung, ihn jemals ¨ meine Wange. wieder zusehen. Eine Tr¨ane rollte uber Die Prophezeiung der Alten wurde Wirklichkeit; ich hatte gerade den sch¨onsten Tag meines Lebens als Kind erfahren, und ich beendete ihn mit Angst vor der Zukunft und der Lust zu weinen. ¨ Gleichwohl verging der Rest des Jahres, ohne ein ungluckliches Ereignis in unsere Gegend zu bringen; aber die Freude, die wir empfunden hatten, hielt nicht an, und die Dinge, von denen wir h¨orten, erweckten Besorg¨ nis. Auch stellte sich niemand ein, der die Klosterguter ¨ kaufte; und der Burgermeister, der sehr wenig von dem ¨ den Kauf meines Hauses versprochenen Geld erhalfur ¨ den M¨onchen ten hatte, mußte sich damit begnugen, meine Miete zu zahlen. ahlte man, es g¨ abe Zu all dem, was uns erschreckte, erz¨ in Paris große Streitigkeiten zwischen der Partei des Seite: 87
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K¨onigs und der Nationalversammlung; Adel und Pries¨ ¨ sich uber ter amusierten die Dekrete des Jahres 89 und drohten, gemeinsam die Gemeinden zu bek¨ampfen, von ¨ denen man annahm, daß sie gegen sie verbundet seien. ¨ Der Handel lag darnieder, man spurte mehr Elend als ¨ zuvor, und wieder begann man, die R¨auber zu furchten, auch wenn man noch immer nicht wußte, woher sie kommen sollten. Alle wußten, daß es an mehre¨ ren Orten Raububerf¨ alle gegeben hatte, daß W¨ alder ¨ in Brand gesteckt und Schl¨osser geplundert worden waren, aber das waren Bauern, Leute wie wir, und man versuchte sie zu entschuldigen und vermutete, die Grundherren h¨atten sie als erste angegriffen. Dennoch begann man, sich mit Worten zu streiten, niemand sprach von der Republik, man wußte auch nicht, was das war, doch man zankte sich wegen der Religion. Die M¨onche, die sich ruhig verhielten, waren ver¨ argert, als ¨ Cyrille eines sch¨onen Tages die beiden jungen Bruder und Pascal Reißaus nahmen und, wie man so sagt, die Kutte hinwarfen, und dies allen Ernstes. Im Kirchspiel ¨ machte man sich daruber lustig. Drei der vier M¨onche, die geblieben waren, wurden zornig und fingen an, gearen Geist zu predigen. Doch war gen den revolution¨ auch bei ihnen selbst Revolution. Als der Vater Prior gestorben war, hatten sie, weil sie kein Einvernehmen fanden, keinen Nachfolger ernannt, und sie lebten in einer Republik, ohne Befehl und ohne Disziplin. Der kleine Bruder, den man ganz allm¨ ahlich Emilien zu nennen begann, weil er keinen Hehl daraus machte, das Kloster verlassen zu wollen, schwieg aus Anstand ¨ uber die inneren Streitigkeiten, deren Zeuge er wurde; ¨ verschwiegen hielt, erz¨ ahlte er mir dada er mich fur Seite: 88
Nanon von George Sand von, wenn wir allein waren. Durch ihn wußte ich, daß der Pater Fructueux, dieser dicke, grobe Mensch, den wir nicht liebten, der beste und einzig aufrichtige unter den vieren war. Er war gewiß nicht damit einverstanden, daß das Kloster verkauft wurde, denn er hielt den ¨ eine ernste und bald zu verwirklichende AnVerkauf fur gelegenheit; doch war er entschlossen, nichts zu tun, um dies zu verhindern; wogegen die anderen, insbesondere der Pater Pamphile, durch Briefe und geheime Mitteilungen beraten und gedr¨ angt, davon redeten, die Bauern niederk¨ ampfen zu lassen, die fr¨ommsten aufzuwiegeln, indem man ihr Gewissen in Schrecken versetz¨ te gegenuber denen, die keine religi¨osen Bedenken hin¨ ¨ sichtlich der Kirchenguter hatten, letztendlich wunsch¨ ¨ ten sie den Burgerkrieg, weil man sie davon uberzeugt hatte, daß Gott ihn wolle, und wenn sie beherzter oder geschickter gewesen w¨ aren, h¨atten sie uns aufeinander gehetzt. Als ich eines Abends, nachdem ich meinen beiden großen Vettern das Essen bereitet hatte, zur Mariot¨ um dort zu schlafen, kam Emilien und te zuruckging, nahm mich beiseite. H¨or zu“, sagte er, das bleibt ein Geheimnis unter uns ” ” beiden. In der Gemeinde gibt es genug Unruhe, und du darfst, was ich dir sage, nicht ausplaudern. Ich habe heute abend den Pater Fructueux beim Essen nicht ¨ gesehen. Sie hatten sich den Tag uber viel mit ihm gestritten, und sie haben gesagt, er w¨ are krank. Ich bin in seine Zelle geschlichen, er war nicht da, und als ich ihn ¨ uberall gesucht habe, wurde mir gesagt, er sei bestraft worden, das ginge mich nichts an, und ich solle mich in Seite: 89
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mein Zimmer begeben. Ich habe voller Ernst mit ihnen gesprochen und gesagt, daß ich die Bestrafung eines Bruders wegen politischer Meinungsverschiedenheiten ¨ einen Machtmißbrauch hielte. Ich wollte wissen, fur welcher Art die Strafe sei. Sie haben mir zu schweigen befohlen und gedroht, mich ebenfalls einzusperren. Demnach ist der arme M¨onch irgendwo eingesperrt. Ich habe gemerkt, daß ich ihm, wenn ich beharrlich bleibe, nur schade, daß alles anders geworden ist und sie arte vorgehen. Ich bin ohne ein Wort in meine mit H¨ ¨ ich mich, aber soZelle gegangen, so als unterwurfe gleich habe ich Katze gespielt, bin vom Fenster auf die acher geklettert und habe eine Stelle erreicht, von der D¨ aus man hinabsteigen kann, und hier bin ich. Ich will herausbringen, wo der arme Verwalter ist. Sollte er im ¨ ich, so ist er an einem Verlies sein, und das befurchte schrecklichen Ort, und sie k¨onnen ihn dort qu¨alen, und ¨ ihn eine große sei es auch nur durch Hungern, was fur are, denn er ist daran gew¨ohnt, gut zu leKasteiung w¨ ben und sich nichts zu versagen. Nun, ich kenne die M¨oglichkeit hineinzugelangen, zwar nicht ins Verlies, sondern in einen kleinen Gang, durch den das Verlies ein wenig Luft bekommt. Ich habe schon oft zu erfah¨ ren versucht, ob eine kleine Person hineinschlupfen, mit den Gefangenen sprechen und ihnen Hilfe bringen k¨onnte, mir ist es nie gelungen einzudringen, und doch fehlte nicht viel: ich habe breite Schultern, aber ¨ wie eine Spindel, du kommst du bist klein und dunn ¨ ohne Muhe hinein. Komm also; sobald ich weiß, ob der M¨onch da ist, mache ich einen Plan, um ihn zu befreien. Ist er dort nicht, werde ich ruhig schlafen, denn in dem Fall ist seine Strafe nicht so grausam.“ Seite: 90
Nanon von George Sand ¨ Ich uberlegte nicht lange. Ich zog meine Holzschuhe arm machte, aus, damit ich auf dem Felsen keinen L¨ ¨ des und auf einem Ziegenpfad, der direkt zur Ruckseite ¨ Klosters fuhrte, folgte ich Emilien. Er ließ mich in eine kleine Felsspalte hinabklettern, wobei er mich in die ¨ Arme nahm, und von da aus schlupften wir in eine Art aude und Fels sich kaum Keller. All diese Ecken, wo Geb¨ mehr voneinander unterscheiden, kannte ich gut; es gibt keinen geheimnisvollen Ort, wo Kinder nicht hingelangen; aber ich wußte nicht, was sich hinter der dicken ¨ versperrten Luke am Ende des und mit einem Schlussel ¨ als irKellers befand. Emilien, ein gr¨oßerer Schnuffler gendwer, kannte diesen Ort und hatte bemerkt, daß die Luke seit dem Morgen ge¨offnet war, was bewies, daß sich jemand im Verlies aufhielt, denn das war die Luftzufuhr. Da mußt du durch“, sagte er, sieh, ob es dir gelingt, ” ” ohne dir weh zu tun.“
3.7
Kapitel VII.
Ich sah nicht einmal das schwarze Loch, durch das ich mußte, denn von der Nacht abgesehen war der Keller auch am hellen Tag finster, und man bewegte sich nur tastend voran. Ich z¨ogerte nicht und gelangte leicht hindurch. Ich kroch bis zum Gitter eines kleinen Kellerfensters und lauschte. Zuerst h¨orte ich nichts, und dann vernahm ich so etwas wie ganz leise gesprochene Worte; schließlich wurde die Stimme laut genug, daß Seite: 91
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3.7: Kapitel VII.
ich die des Verwalters erkennen konnte. Er sprach unter St¨ohnen seine Gebete. Ich rief ihn vorsichtig an. Er bekam Angst und schwieg sogleich. ¨ Furchten Sie nichts“, sagte ich, ich bin es, die kleine ” ” ¨ Nanette, die der Bruder Emilien hierher gefuhrt hat. Er ist auch da, dort hinter mir, um zu erfahren, ob Sie leiden.“ Ach, meine tapferen Kinder!“ antwortete er, danke! ” ” ¨ Gott segne euch! Gewiß, ja, ich leide, ich fuhle mich schlecht, denn ich ersticke, doch ihr k¨onnt nichts tun.“ Vielleicht haben Sie auch Hunger und Durst? Nein, ” ” ich habe Wasser und Brot, und ich will versuchen auf dem Stroh zu schlafen. Die eine Nacht ist bald vorbei, und vielleicht ist morgen meine Strafe beendet. Zieht ¨ ¨ wenn man Emilien dabei uberrascht, euch zuruck; wie er mir hilft, bestraft man ihn wie mich.“ ¨ Ruckw¨ arts gelangte ich zu Emilien, der mich bat, ihm folgendes zu sagen: Eine Nacht ist nichts; doch sollten Sie l¨anger hier blei” ¨ erfahren wir es und tun alles, um Sie zu ben mussen, befreien.“ ¨ Hutet euch das zu tun!“ rief er, ich muß mich unter” ” werfen, oder mein Los wird noch schlimmer.“ Es war nicht leicht, lange zu verhandeln, denn ich erstickte in diesem Schlauch aus Mauerwerk, und ich nahm dem Gefangenen seine wenige Luft. Als ich wieder bei Emilien war, sagte ich: Eines sehe ich als sicher an, wenn Sie n¨ amlich zum ” ¨ werden Sie behandelt wie dieser Kloster zuruckkehren, arme Bruder.“ Seite: 92
Nanon von George Sand Sei beruhigt“, sagte er, ich werde sehr vorsichtig sein. ” ” Wenn der Pater Fructueux morgen nicht wieder auftaucht, weiß ich, wo er sich befindet, und ich werde sehen, was zu tun ist. Da ich ihn befreien muß, werde ich nicht so einf¨altig sein, mich selbst einsperren zu lassen.“ Wir trennten uns. Am n¨ achsten Tag war der Gefangene noch immer im ¨ Verlies und am ubern¨ achsten auch. Wir sprachen jeden Abend mit ihm, und es gelang mir, ihm ein wenig ¨ ihn entwenFleisch hineinzureichen, das Emilien fur det hatte, und das zu riechen ihm große Freude bereitete, doch dann sagte er uns, er habe nicht essen ¨ k¨onnen, weil er sich krank fuhle. Seine Stimme war schwach, und am Abend des dritten Tages schien er nicht mehr die Kraft zu haben, uns zu antworten. Alles, was wir verstehen konnten, war, daß er dort blei¨ ben musse, bis er irgend etwas geschworen habe, was er nicht schw¨oren wolle. Lieber wolle er sterben. Nun“, sagte Emilien, gibt es nichts mehr, worauf ” ” ¨ ¨ Rucksicht genommen werden mußte, das w¨ are feige! ¨ du wirst die Wahrheit Komm mit zum Burgermeister, bezeugen. Der Gemeinderat muß die M¨onche auffor¨ dern, diesen Unglucklichen zu befreien.“ Es war nicht so leicht, wie er es sich vorstellte. Der ¨ Burgermeister war ein guter und aufrechter Mann, aber nicht allzu mutig. Er hatte Eigentum erworben, ¨ indem er den besten Pachthof der M¨onche ubernommen hatte, und er wußte nicht mehr genau, ob sie nicht ¨ wieder Herren werden wurden. Er sagte zwar, der Verare der einzig Gute in der Gemeinschaft, und walter w¨ ¨ aber er sie h¨atten ihn zum Superior ernennen mussen; Seite: 93
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3.7: Kapitel VII.
¨ wollte nicht glauben, daß die Bruder die Absicht h¨ atten, ihn im Verlies sterben zu lassen. ¨ kamen andere Gemeinder¨ Glucklicherweise ate hinzu, und Emilien sprach sehr hitzig mit ihnen. Er erinner¨ te sie daran, daß das Gesetz die Gelubde l¨ose und die ¨ Freiheit der M¨onche verfuge. Aufgabe der Gemeinde sei ¨ die Achtung vor dem Gesetz zu sorgen, es g¨abe es, fur keinen Grund, sich zu str¨auben. Sollte sich der Rat von ¨ Valcreux weigern, wurde er sofort zur Stadt aufbrechen, wo er gewiß Stadtr¨ ate f¨ ande, die mutiger und menschlicher w¨aren. Ich war sehr zufrieden, als ich sah, wieviel Feuer er hineinlegte, und mit Bitten und Schmeicheleien pl¨ adierte ¨ ich ebenfalls vor dem Burgermeister, der mich liebte ¨ und mir uber das Verlies des M¨onches Fragen stellte, wobei er genau wußte, daß ich die Wahrheit sagte. ¨ Auf denn“, sprach er, wir Alten, wir mussen den Be” ” fehlen der beiden Kinder entsprechen und uns auf den ¨ Weg machen! Das ist doch merkwurdig, aber wir leben in einer Zeit des Wandels: wir haben es so gewollt, und ¨ die Folgen auf uns nehmen.“ wir mussen Sie sehen“, sagte Emilien, daß wir mit der Ihnen zu” ” stehenden Ehrerbietung gekommen sind, sowie mit aller erforderlichen Vorsicht. Wir haben nur Ihnen davon erz¨ahlt, wohingegen, h¨atten wir die jungen Leute aus der Gemeinde aufwiegeln wollen, der Gefangene bereits are; aber sie h¨ atten vielleicht die M¨onche mißbefreit w¨ handelt, was Sie ja nicht wollen. Gehen Sie also hin, und sprechen Sie im Namen des Gesetzes.“ ¨ bat drei oder vier M¨ Der Burgermeister anner vom Gemeinderat, ihn zu begleiten. Seite: 94
Nanon von George Sand Ich gebe zu“, sagte er, daß ich nicht gern alleine ge” ” ¨ hen m¨ochte; es ist recht sanft, recht liebenswurdig, mit ¨ rgert, dann beißt den M¨onchen, doch wenn man sie a ¨ Z¨ ahne.“ es, und es hat uble Ohne L¨ arm begaben sie sich zum Kloster und wurden empfangen. Die M¨onche ahnten nichts; doch als der ¨ Burgermeister ihnen sagte, er h¨atte mit ihnen allen im Namen des Gesetzes zu reden, und er s¨ ahe den Verwalter nicht, waren sie sehr verlegen und behaupteten, er sei krank. ¨ Krank oder nicht, wir wollen ihn sehen, fuhren Sie uns ” in sein Zimmer.“ Man ließ sie lange darauf warten, man wollte den Gemeinderat einlullen und ließ ihm, wie es sich geh¨ort, den besten Wein vorsetzen. Der Wein wurde angenommen und getrunken, man war zu anst¨ andig, ihn abzu¨ lehnen; doch der Burgermeister blieb beharrlich, und ¨ man fuhrte ihn zur Zelle des Verwalters. Man hatte Zeit ¨ und ihm gesagt, gehabt, ihn dorthin zuruckzubringen ¨ man h¨ atte ihm verziehen, und als der Burgermeister ihn nach seiner Gesundheit fragte, antwortete der ar¨ me Mann, der seine Bruder nicht verraten wollte, er ¨ h¨atte einen Lichtanfall gehabt und das Zimmer huten ¨ ¨ mussen. Einen Augenblick glaubte der Burgermeister, ¨ wir h¨ atten gelogen, doch war er feinfuhlig genug, die Wahrheit von sich aus zu erraten und sagte zu den M¨onchen: Meine guten Pater, ich sehe wohl, daß der Pater Fruc” tueux sehr krank ist; aber wir kennen den Grund seines ¨ Ubels und haben den Befehl, dem ein Ende zu bereiten. Seite: 95
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Sollte der Pater Fructueux Sie verlassen wollen, so ist er frei, und ich biete ihm mein Haus an; im anderen Fall machen wir Sie darauf aufmerksam, daß es gef¨ahr¨ Sie ist, ihm ein schlechtes Quartier anzuweisen, lich fur ¨ denn es gibt, um ihn zu beschutzen, das Gesetz, und, um diesem Nachdruck zu verleihen, die Nationalgarde.“ ¨ Die M¨onche taten so, als verstunden sie nicht, und der Pater Fructueux lehnte den Schutz, den man ihm anbot, h¨oflich ab; aber die anderen ließen es sich gesagt ¨ sein. Sie h¨ atten nicht geglaubt, daß der Burgermeisaße, und Angst packte ter so viel Standhaftigkeit bes¨ achsten Tag an hielten sie Rat, und der Pasie. Vom n¨ ter Fructueux, der sie h¨atte verderben k¨onnen, es aber nicht wollte, wurde zum Superior der drei anderen ernannt. Er wurde gepflegt und umhegt, und er verzichteachen. Von da an verhielten sie sich te darauf, sich zu r¨ friedlich; doch sie errieten wohl, daß Emilien gegen sie gehandelt hatte, und sie haßten ihn bis auf den Tod, ohne zu wagen, es ihm offen zu bekennen. Diese Begebenheit machte uns vollends zu echten Freunden, Emilien und mich. Wir hatten in einer Sache zu¨ sammengearbeitet, deren Folgen wir vielleicht uberbewerteten, weil sie unserer kleinen Eitelkeit schmei¨ Bereitschaft chelte, in die wir jedoch ein gutes Stuck gesteckt und einer gewissen Gefahr getrotzt hatten. ¨ Man hatte uns nicht als Kinder behandeln mussen. ¨ Von diesem Tag an wurde Emilien so vernunftig, daß man ihn nicht wieder erkannte. Er ging noch immer zur Jagd, doch gab er das erlegte Wild den armen Kranken ahrten aus und nahm es nicht mehr, um mit jungen Gef¨ den Bergen seinen Schmaus im Freien zu halten. Er Seite: 96
Nanon von George Sand ¨ las viel, Bucher und Zeitungen, die er aus der Stadt ¨ aus dem Kloster, denn kommen ließ, außerdem Bucher es gab, wie er sagte, unter dem Plunder einige gute. Er ¨ unterrichtete mich eifrig, und den Winter uber, dessen Abende sehr lang sind, machte ich große Fortschritte, und es gelang mir, fast alles, was er mir sagte, zu verstehen. Da ich den M¨onchen keine Miete mehr zu zahlen brauchte und dadurch etwas verdiente, weil ich mich im Tagelohn zu verdingen begann und in der W¨ascherei des Klosters arbeitete, befand ich mich nicht mehr im Elend. ¨ brachten mir etwas ein, denn bis zu Meine Schuler ¨ abgedem Zeitpunkt, als der Verkauf der Nationalguter schlossen war, war es bei uns Mode, lesen zu lernen; nachher dachte man nicht mehr daran. Aber ich hatte ¨ ein zweites Schaf und verkaufte das erste recht gunstig, was mir erlaubte, ein zweites Mutterschaf zu kau¨ fen; man gab mir zwei Huhner, die ordentlich gepflegt und die daher gute Legehennen waren. Ich war ganz ¨ erstaunt, als ich am Ende des Jahres funfzig Livres gespart hatte. ¨ Meine großen Vettern wunderten sich uber meine Gesch¨aftigkeit, sie, die viermal so viel verdienten wie ich und es nicht verstanden, etwas auf die Seite zu legen; aber als sie sahen, daß ich sie umsonst bei mir wohnen lassen ¨ konnte, waren sie vernunftig genug, das Dach auszubessern und den Schafstall zu vergr¨oßern. ¨ des Jahres 1791 erreichte uns eine große Im Fruhjahr Neuigkeit: das Gesetz gew¨ ahrte uns eine Frist von acht Seite: 97
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¨ Monaten, um die Nationalguter zu bezahlen. Nun, es war wie ein Lerchenschwarm, der sich auf einem Feld niederl¨aßt, und innerhalb von drei Tagen kaufte alle Welt. Die Parzellen waren so klein und billig, daß auch ¨ die winzigsten Stucke einbezogen wurden. Jeder nahm, was er konnte, und der Pater Pamphile, der den Sp¨otter spielte, mochte noch so sehr zu verstehen geben, daß man sich nicht lange in ihrem Besitz bef¨ ande, weil de¨ nen, die in ein Sakrileg verwickelt w¨ aren, ein Ungluck ¨ geschehen wurde. Seiner Aussage nach gab es nur we¨ nige Gl¨ gebot ihm der Pater Fructuaubige. Im ubrigen eux Schweigen, er wollte das Gesetz achten, auch wenn es ihm Kummer bereitete. Was mich angeht, so konnte ¨ dreiunddreißig Francs kaufen und ich mein Haus fur ¨ mich am F¨odewar noch in der Lage, das Geld, das fur ¨ rationsfest gesammelt worden war, zuruckzuerstatten, ¨ wobei ich den Burgermeister bat, es den Armen zu ge¨ ¨ reich, da ich mich als Eigentumeben. Ich hielt mich fur ¨ rin sah und mir, nachdem ich das Geld zuruckgezahlt ¨ hatte, noch funfzehn Francs blieben. Das einzige, was keiner von uns zu kaufen beabsichtigte, war das Kloster mit seinen Nebengeb¨ auden und dem unbebauten Land, denn es war von erster Qualit¨at ¨ unsere kleinen Geldbeutel zu teuer geund w¨are fur ¨ noch worden. Man glaubte daher, die M¨onche wurden ¨ immer, dort bleiben, als im Laufe lange, wenn nicht fur des Monats Mai sich ein Herr vorstellte, begleitet vom ¨ und einem st¨adtischen Beamten. Er legBurgermeister te seine Papiere vor, die bewiesen, daß er der K¨ aufer des Klosters und seiner Nebengeb¨ aude war, und er ließ die Gemeinde durch einen Amtsdiener auffordern, ihm den ¨ Platz zu uberlassen. Seite: 98
Nanon von George Sand Zweifellos begriffen die drei M¨onche, die den Pater Frucahlt hatten, schließlich, daß tueux zum Superior gew¨ ¨ Sie hatten ihre Maßnaher nichts verhindern wurde. men getroffen, anderswo eine Bleibe zu finden, denn sie warteten die Aufforderung nicht ab, und als der neue K¨aufer das Kloster betrat, fand er den Superior alleine vor, der Geld z¨ahlte und in einem Register seine Eintragungen machte. Emilien, der bei der Zusammenkunft anwesend war, weil der Pater Fructueux ihn gebeten hatte, ihm bei den Abrechnungen zu helfen, erz¨ahlte mir, wie die Dinge sich abgespielt haben. aufer war. Es Zun¨achst muß gesagt werden, wer der K¨ war ein Advokat und Patriot aus Limoges, der nur weiaft zu machen beterzuverkaufen und ein gutes Gesch¨ absichtigte, sofern das Gesetz in Kraft blieb, jedoch sehr wohl wußte, daß es in Revolutionszeiten Risiken gibt, ¨ die Revoludie auf sich zu nehmen er aus Hingabe fur auterte er dem Superior, tion entschlossen war. Das erl¨ der ihn sehr h¨oflich empfing und einlud, mit ihm zu diskutieren. Ich glaube Ihnen“, sagte er, Sie sehen aus wie ein eh” ” renwerter Mann, und ich weiß, daß Sie einen guten Ruf haben. Was mich betrifft, so habe ich stets geglaubt, ¨ in die Tat umgesetzt daß der Verkauf unserer Guter ¨ wurde, sobald die Nationalversammlung die Zahlungserleichterungen gew¨ahrt. Da nun die Sache abgeschlossen ist, habe ich mich dem nur noch zu beugen. Doch Sie sehen mich bei den Abrechnungen von dem, was die Gemeinschaft an Barmitteln besaß, und ich m¨ochte ¨ gerne vom hier anwesenden Burgermeister wissen, wem Seite: 99
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¨ ich sie ubertragen soll, da wir ja nur mehr das Recht auf eine Pension haben.“ Monsieur Costejoux (das war der Name des K¨aufers) ¨ von der Aufrichtigkeit des Superiors. war uberrascht ¨ Er hatte viele Vorurteile den M¨onchen gegenuber und konnte nicht umhin zu fragen, ob die anderen Mitglieder der Gemeinschaft ebenso getreulich ihre Barmittel abg¨ aben. Monsieur“, antwortete der Superior, Sie brauchen sich ” ” ¨ mit meinen Ordensbrudern nicht zu befassen. Sie sind gegangen, ohne etwas von dem mitzunehmen, was zum atten sie auch gemeinschaftlichen Gut geh¨orte. Das h¨ nicht tun k¨onnen, da ich gleichzeitig ihr Superior und ihr Kassenverwalter war. Sollte man irgendeinen Verdacht wegen einer Unregelm¨aßigkeit haben, so muß man sich allein an mich wenden.“ ¨ Der Burgermeister versicherte, daß niemand einen Ver¨ seine dacht h¨ atte, der Advokat entschuldigte sich fur Worte, und der Beamte erkl¨ arte, er verlasse sich auf die Aufrichtigkeit des Superiors. Er erhielt die Summe, die ¨ sich auf elftausend Francs belief und dem Staat ubergeben werden mußte. Er stellte eine Quittung aus und forderte den Superior auf, seine Rechte auf die versprochene Pension geltend zu machen. Ich werde nichts geltend machen, und ich will keine ” Pension“, antwortete er, ich habe eine wohlhabende Fa” milie, die mich sehr gut aufnehmen und mir meinen Erbteil auszahlen wird, da ich ja dem Gesetz nach dem Orden nicht mehr angeh¨ore.“ Seite: 100
Nanon von George Sand ¨ Als der K¨aufer sah, daß er so uneigennutzig und dem Gesetz ergeben war, bat er ihn, sich nicht in grober Wei¨ se durch ihn verstoßen zu fuhlen und forderte ihn auf, anger zu bleiben, sofern er es einige Tage oder auch l¨ ¨ wunsche. Der Superior dankte und sagte, daß er seit langem auf die Abreise vorbereitet sei. Dann befaßte man sich mit dem kleinen Bruder, der keinen Sou in der Tasche hatte und nur die Kleidung besaß, die er am Leibe trug. Und Sie, mein Herr“, sagte der st¨adtische Beamte, ” hat man Ihre Existenz betreffend eine Entscheidung ” gefaßt?“ Ich weiß es nicht“, sagte der kleine Bruder. ” Wer sind Sie?“ ” Emilien de Franqueville.“ ” In dem Fall brauchen wir uns um Sie keine Sorgen zu ” machen; ihre Familie geh¨ort zu den reichsten der Pro¨ vinz, und Sie werden zu ihr zuruckkehren?“ Aber“, sagte Emilien und war ein wenig verlegen, ich ” ” habe keinerlei Befehl von meiner Familie erhalten, und ich weiß nicht, wo sie sich aufh¨ alt.“ ¨ Der K¨aufer, der Burgermeister und der Beamte sahen einander voller Verwunderung an. Ist es m¨oglich“, rief der K¨aufer aus, daß man Sie auf ” ” diese Weise im Stich l¨aßt . . .?“ Verzeihen Sie, mein Herr“, erwiderte Emilien, Sie spre” ” chen mit mir, und ich erlaube niemandem, meine Eltern ¨ zu rugen.“ Seite: 101
George Sand
3.7: Kapitel VII.
Das ist sehr gut gedacht“, erwiderte Monsieur Coste” joux; dennoch ist es n¨otig, daß Sie Ihre Lage kennen. ” Ihre Eltern haben Frankreich verlassen, und sollte ihre Abwesenheit andauern, so werden sie als Emigranten betrachtet. Nun, Sie wissen vielleicht nicht, daß zur Debatte steht, die Emigranten zu enteignen, und es kann sehr wohl sein, daß Sie mittellos dastehen; denn, falls uns der Krieg erkl¨art wird, ist die Konfiszierung ihres ¨ Verm¨ogens und des Adels, der zum Feind ubergewechselt ist, das erste Dekret, das die Nationalversammlung zu verabschieden hat.“ ¨ Nie wurden mein Vater und mein Bruder dergleichen ” tun!“ rief Emilien, dessen bin ich so sicher, daß ich ” beabsichtige, mich als Soldat zu verpflichten, falls es aus einem mir nicht bekannten Grund meinen Eltern ¨ nicht m¨oglich sein wird, nach Frankreich zuruckzukeh¨ ren und sich um mich zu kummern.“ ¨ Das sind die rechten Gefuhle“, sagte der K¨ aufer, doch ” ” w¨ahrend Sie auf den Krieg sowie auf das angemessene Alter warten, um an ihm teilzunehmen, erlauben Sie ¨ mir, mich um Sie zu kummern. Ich will das Gef¨ angnis, in das man Sie gesteckt hat, nicht in Besitz nehmen, um Sie dann auf die Straße zu werfen; bleiben Sie also ¨ hier, bis ich Informationen erhalte uber die Mittel, die ¨ Ihre Existenz schuldet. Sie hat Ihre Familie Ihnen fur ¨ einen Verwalter auf ihrem Landsitz zuruckgelassen, der einige Anweisungen erhalten haben muß, und dessen Ged¨ achtnis aufzufrischen ich mich verpflichte.“ Vielleicht hat er nichts dergleichen erhalten“, antwor” tete Emilien; meine Eltern haben gewiß nicht an den ” Seite: 102
Nanon von George Sand Verkauf der Kl¨oster geglaubt. Sie denken folglich, daß ich nichts brauche.“ ¨ Sie?“ Bezahlen sie in diesem Haus keine Pension fur ” Nein, nichts“, sagte der Superior, die Gemeinschaft ” ” sollte an dem Tag, an dem er die Tonsur empf¨angt, zwanzigtausend Francs erhalten.“ Ich verstehe den Handel“, sagte Monsieur Costejoux ” ¨ zum Beamten; man wollte den jungsten Sohn begra” ¨ gewinnen, seine Berufung ben und die M¨onche dafur aufrechtzuerhalten.“ Der Superior l¨achelte und sagte zu Emilien: Was mich betrifft, mein liebes Kind, so habe ich Ihnen ” nie verheimlicht, daß dergleichen in den Kl¨ostern geschieht, und ich habe Sie nie damit gequ¨alt, dort Ihre Zukunft zu suchen.“ ¨ einander traurig die Hand, denn seit der Sie druckten atzten sie Begebenheit mit dem Verlies liebten und sch¨ einander sehr. Stolz bat Emilien den Advokaten, sich nicht um ihn zu sorgen, weil er nicht dazu aufgelegt sei, Vagabund zu werden, und daß er, ohne die Gemeinde zu verlassen, gewiß etwas f¨ ande, um seine Arme zu besch¨ aftigen, ohne irgend jemandem zur Last zu fal¨ und der K¨ aufer beriet len. Der Beamte zog sich zuruck, ¨ wobei er die Geb¨aude des sich mit dem Burgermeister, ¨ ¨ Klosters prufte. Als sie zum Prior zuruckkamen, hatte Monsieur Costejoux eine Entscheidung getroffen, auf die man keineswegs gefaßt war. Seite: 103
George Sand
3.8
3.8: Kapitel VIII.
Kapitel VIII.
Monsieur Costejoux sprach wie folgt: ¨ einige BeMonsieur Prior, ich habe vom Burgermeister ” ¨ sonderheiten uber Sie und den jungen Franqueville erfahren, die mich zu Ihrer beider Freund machen. Wir k¨onnen uns gegenseitig einen Dienst erweisen, ich, indem ich Ihnen meine Belange anvertraue, und Sie, in¨ dem Sie die Verwaltung meines neuen Besitzes ubernehmen. Ich habe weder vor, ihn selbst zu bewohnen atigkeiten gestatnoch ihn zu bewirtschaften - meine T¨ ten mir dies nicht -, auch gedenke ich nicht, ihn weiterzuverkaufen, bevor ein paar Jahre vergangen sind, da ich alle Risiken der Angelegenheit eingehen will. Bleiben Sie also beide hier und leiten Sie die Dinge, als geh¨orten sie Ihnen. Ich weiß, daß ich ein absolutes Vertrauen haben kann in die Rechnungen, die Sie mir vorlegen. Ich erwarte nur, daß Sie keinem Mitglied des Klerus Asyl gew¨ ahren. In jeder anderen Hinsicht k¨onnen Sie sich verhalten, als w¨ aren Sie zu Hause und selbst den Anteil festsetzen, den Sie von den Produkten der Erde, die ¨ ich Ihnen zur Bewirtschaftung uberlasse, einbehalten wollen.“ ¨ Der Pater Fructueux war von dem Angebot uberrascht und bat bis zum n¨achsten Tag um Bedenkzeit. Der ¨ lud zum Abendessen ein, was in alBurgermeister ler Freundschaft angenommen wurde, und man nahm ¨ ¨ dessen Gefuhle eines guten Patrioten Emilien mit, uber ¨ und Staatsburgers man erstaunt und zufrieden war. Als er mit dem Prior (so nannte man weiterhin den Pater Fructueux, auch wenn er der Gemeinschaft nur sechs Seite: 104
Nanon von George Sand Wochen lang vorgestanden hatte) alleine war, fragte er ihn um Rat. Mein Sohn“, antwortete der tapfere Mann, da sind wir ” ” ¨ nun wie zwei Schiffbruchige auf neuem Lande. Ich habe nicht mehr lange zu leben, obschon ich nicht sehr alt und korpulent bin, doch seit dem Verlies leide ich unter Atemnot, die mir sehr zu schaffen macht, und ich glaube nicht, daß ich mich davon erholen werde. Ich habe nicht gelogen, als ich Monsieur Costejoux geatte eine Familie und ein kleines Ersagt habe, ich h¨ be, aber dir kann ich gestehen, daß meine Familie mir recht fremd geworden ist; auch wenn ich von ihren guten Absichten ausgehen kann, so bin ich doch nicht sicher, ob ich mit ihren Vorstellungen und Gewohnheiten auskomme. Ich bin mit sechzehn Jahren ins Kloster von Valcreux eingetreten, so wie du, und das ist genau ¨ zig Jahre her. Ich habe dort fast die ganze Zeit bald funf an der einen, bald an der anderen Sache gelitten; ich h¨ atte vielleicht anderswo nicht mehr oder weniger gelit¨ artig wurde ten; doch gegenw¨ ich sehr viel mehr an einer Ver¨anderung leiden als an irgend etwas anderem. Ein ¨ Haus, das man so lange gefuhrt hat, gibt man nicht auf, ¨ ohne seine Seele dort zuruckzulassen. Diese alten Mau¨ ern, diese dicken Turme, diese G¨ arten und Felsen, die ich immer gesehen habe, von nun an nicht mehr zu se¨ hen, scheint mir unm¨oglich. Folglich ubernehme ich die Verwaltung, die mir angeboten wurde, und hoffe, meine Tage dort zu beenden, wo ich gelebt habe. Was dich betrifft, so ist das etwas anderes; du kannst das Kloster nicht lieben, und es ist nicht m¨oglich, daß deine Familie dich vergißt, sobald sie weiß, daß es keine Kl¨oster mehr gibt. Doch wer weiß, was mit deinen Eltern und deinem Seite: 105
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3.8: Kapitel VIII.
Verm¨ogen geschehen kann? Dein Vater, mit dem ich einige Briefe gewechselt habe, ist ein Mann der Vergangenheit, und er hat an das, was uns geschieht, nicht geglaubt und wird vielleicht zu sp¨at daran glauben, wenn es keine Zeit mehr geben wird, Abhilfe zu schaffen. Ich habe erfahren, ich wollte es dir nicht sagen, doch nun mußt du es endlich wissen, daß die Bauern von Fran¨ queville euer Schloß ubel zugerichtet haben. Ohne den Verwalter, ein sehr hinterlistiger und sehr geschickter Mann, h¨ atten sie es niedergebrannt, aber sie rechnen damit, daß das Land versteigert wird, wie es dir der Ad¨ deine Familie und dich vokat gesagt hat, und es wird fur ¨ selbst keinerlei Gewißheit geben, dorthin zuruckkehren zu k¨onnen. Bleib also bei mir und laß die Ereignisse auf dich zukommen. Solltest du an einen anderen Ort gehen oder ohne Zustimmung deines Vaters irgendeine ¨ Entscheidung treffen, so k¨onnte er daruber sehr unzufrieden sein und sich an mich halten. Andernfalls, wenn er dich dort findet, wo er dich hingeschickt und ¨ hat, wird er es nicht schlecht finden, zuruckgelassen daß du eine Bedingung angenommen hast, die dich vor dem Hungertod bewahrt.“ ¨ eine Bedingung?“ fragte Emilien. Was ist das fur ” Was soll ich tun, um das Brot zu verdienen, das mit ” Ihnen zu teilen Sie mir anbieten?“ ¨ ¨ Du wirst meine Bucher und die Arbeiten anleifuhren ” ten. Bei Bedarf wirst du auch selbst arbeiten, denn du liebst die k¨orperliche Arbeit. Ich meinerseits gestehe, daß dies nicht nach meinem Geschmack ist.“ ¨ ging er schlafen, und Emilien kam schon am Daruber achsten Morgen, um mich in dieser Sache zu befran¨ Seite: 106
Nanon von George Sand gen, so als w¨ are ich eine Person, die f¨ ahig ist, guten Rat zu geben. Mir schien, als habe der Prior die besten Argumente genannt, und ich forderte meinen Freund auf, bei ihm zu bleiben. Sollten Sie weggehen“, sagte ich, weiß ich nicht, was ” ” aus mir werden soll. Ich habe große Zuneigung zu Ih¨ nen gefaßt, und ich glaube, ich wurde Ihnen folgen, ¨ selbst wenn ich mein Brot unterwegs erbetteln mußte.“ Da dem so ist“, antwortete er, bleibe ich, so lange ich ” ” ¨ dich die gleiche Freundkann, denn ich empfinde fur schaft wie du. Und wenn ich dich verlasse, wird mein Kummer so groß sein wie damals, als ich meine kleine Schwester verlassen mußte.“ Und Sie haben noch immer keine Nachricht von ihr? ” Sollte man sie allein in Franqueville gelassen haben?“ Oh nein! Ich weiß, daß sie in ein M¨ adchenkloster ein” treten sollte, zur gleichen Zeit, als ich hier eintrat.“ Und ” wo soll das Kloster sein?“ aßt mich daran denken, daß sie In Limoges. Doch du l¨ ” vielleicht wie die anderen hinausgesetzt wurde, und da ich nun frei bin, werde ich aufbrechen, um Neuigkeiten von ihr in Erfahrung zu bringen.“ In Limoges? Das ist recht weit, mein Gott, und Sie ken” nen nicht einmal den Weg!“ ¨ Laß, ich werde ihn schon finden, es sind nur funfzehn ” Meilen von hier.“ Seine Reise war beschlossen, und der Prior erhob keinen Einwand. Der K¨ aufer, der sehr zufrieden war, die Seite: 107
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3.8: Kapitel VIII.
Pflege und Bewirtschaftung seiner Dom¨ ane in gute ande gelegt zu haben, erbot sich gar, Emilien mitH¨ zunehmen und ihm bei seinen Nachforschungen zu helfen, denn er hatte in seiner Stadt nichts davon geh¨ort, daß die kleine Franqueville dort in irgendein ¨ Kloster gebracht worden sei, und er furchtete, daß ihr ¨ Bruder sie nicht zu finden wußte. Er forderte ihn lediglich auf, Kleidung anzuziehen wie jedermann, denn auch wenn man zu dieser Zeit noch nicht auf die Kirchenleute losging, so liebte man es doch nicht, sofern einem an der Revolution lag, sich in ihrer Gesellschaft zu zeigen. Emilien eilte, um seine Kleidung zu holen, die er getragen hatte, bevor er die Kutte anlegte, ohne zu bedenken, daß er seit drei Jahren um einen Kopf gr¨oßer und um ebensoviel dicker geworden war. Mein Vetter Pierre, der ungef¨ahr sein Alter und seine Gr¨oße hatte, besaß einen brandneuen Broche-Anzug, und ich forderte ihn auf, ihm diesen zu leihen. Aber er scherte sich nicht darum und sprach davon, ihn Emilien zu verkaufen. Dieser hatte kein Geld, und da er nicht wuߨ te, wann er welches haben wurde, traute er sich nicht, sich bei jemandem etwas zu leihen. Ach, wie war ich ¨ zufrieden und stolz, ihm meine funfzehn Francs anbieten zu k¨onnen. Nach allerlei Schwierigkeiten nahm er sie an. Mit der H¨ alfte kaufte er Pierre den vollst¨andigen Anzug ab, der ihm meiner Ansicht nach sehr gut stand, und den Rest steckte er in seine Tasche, um w¨ ahrend der Reise niemandem zur Last zu fallen. Als Monsieur Costejoux ihn so ausstaffiert sah, begann er mit boshafter, wenn auch wohlwollender Miene zu lachen. Seite: 108
Nanon von George Sand Oh, oh, Monsieur Vicomte“, sagte er zu ihm, denn ” ” trotz ihres Versuches, Novize zu werden, kann Ihnen niemand streitig machen, der Vicomte von Franqueville zu sein, da Ihr a¨ lterer Bruder Comte und Ihr Vater Marquis ist-, da tragen Sie nun die Farben des Bauern! Doch zweifellos haben Sie vor, sich in der Stadt anders zu kleiden?“ Nein, Monsieur“, antwortete Emilien, das k¨onnte ich ” ” nicht, und wenn Sie sich eines Bauern in Ihrer Gesellschaft sch¨ amen, gehe ich in meine Richtung und Sie in die Ihre.“ ¨ Der Advokat, der sich vor Lachen ausschuttete, sagte: Das ist schlagfertig geantwortet, Sie geben mir eine ” Lektion in Gleichheit, aber ich brauche sie nicht. Seien Sie versichert, daß wir uns verstehen und ein gutes Gespann sein werden.“ ¨ In Limoges angekommen, suchte Emilien, unterstutzt von Monsieur Costejoux, nach seiner Schwester in allen Kl¨ostern. Aus Toleranz und Mangel an K¨ aufern bestanden sie weiterhin, aber seine Schwester war nicht aufzufinden, und er begab sich nach Franqueville, um ¨ etwas uber sie in Erfahrung zu bringen. Man erkannte ihn nicht sofort, Gesicht, Gestalt und Kleidung waren ver¨ andert. Es gelang ihm, ins Schloß vorzudringen und mit dem Verwalter zu reden, der sehr ¨ uberrascht war, als er seinen Namen nannte und so tat, als glaube er nicht, daß er es war. Er beharrte sogar darauf, ihm das Folgende zu sagen: Sie behaupten, der Vicomte von Franqueville zu sein, ” und es ist m¨oglich, daß Sie es sind, aber es ist auch Seite: 109
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m¨oglich, daß Sie es nicht sind, denn Sie haben weder einen Brief als Referenz vorzuweisen, noch ein Papier, das bezeugt, was Sie sagen. Auf alle F¨ alle habe ich keinerlei Befehl hinsichtlich Ihrer Person. Ihre Eltern sind ¨ emigriert und scheinen erst mit dem Ausl¨ ander zuruck¨ sie selbst und kehren zu wollen. Das ist a¨ rgerlich fur ¨ Sie, denn Ihre Guter ¨ werden verkauft, und auch fur ¨ Sie haben nichts davon. Bis dahin kann ich uber die ¨ Einkunfte Ihrer Eltern nur auf einen schriftlichen Be¨ fehl aus deren Hand verfugen oder aber nach Maßgabe des Gesetzes, und da Sie nichts vorzuweisen haben, kann ich Ihnen nichts geben.“ Ich bin nicht gekommen, um Sie um Geld anzugehen“, ” antwortete stolz der arme kleine Vicomte, ich brauche ” keins.“ Ach, Sie haben Einnahmequellen? Hatten Sie teil am ” Klosterschatz von Valcreux, denn ich stelle mir nicht vor, daß die M¨onche so einf¨altig waren, ihn bei der Abreise nicht aufzuteilen?“ Es gab in Valcreux keinen Klosterschatz, und das biß” ¨ chen Geld, das man zuruckgelegt hatte, wurde vom Pri¨ or dem Staat ubergeben. Doch all das geht Sie nichts an und betrifft Sie in keiner Weise, da Sie ja darauf bestehen, mich nicht als den zu erkennen, der ich bin; ich komme ganz einfach, um Sie zu fragen, wo meine Schwester ist, und ich hoffe, Sie haben keinen Grund, es mir zu verheimlichen.“ Ich habe keinen; Ihre Schwester, da Sie behaupten ein ” Franqueville zu sein, ist in Tulle bei meiner Familie. Es ¨ sie hierzubleiben, denn die Bauern war gef¨ ahrlich fur Seite: 110
Nanon von George Sand waren sehr aufgebracht gegen den Adel; wie durch ein Wunder konnte ich sie im Zaum halten, und ich schlafe hier bei Ihnen nicht auf beiden Ohren, glauben Sie mir. Ich habe die Kleine weggeschickt; sie wird gut versorgt, ¨ ihren Unterhalt n¨otig ist.“ und ich zahle, was fur Emilien fragte nach dem Namen der Verwandten, der der Verwalter das Kind anvertraut haben wollte, und brach sogleich auf, ohne sich irgendeinem Bediensteten zu erkennen zu geben und ohne daran zu denken, daß er dadurch den Verdacht des Verwalters n¨ ahrte; aber als er das Ende des Weilers erreicht hatte, fand er sich ¨ der ihn einem alten Diener seines Hauses gegenuber, stets sehr geliebt hatte, ihn ganz pl¨otzlich erkannte und ausrief: Monsieur Emilien!“ ” Emilien hatte ein großes Herz, er warf sich diesem alten Freund in die Arme und schluchzte, und das ganze Dorf lief herbei und feierte ihn. Ja, er wurde geliebt; ¨ lteman wußte, er war das Opfer des Ehrgeizes seines a ren Bruders und der irrigen Vorstellungen seiner Fami¨ lie; man erinnerte sich daran, wie er, sich selbst uber¨ lassen, auf gleicher Stufe mit den Armsten gelebt hatte. Man steigerte sich in die Sache hinein; man hat¨ te den Verwalter die Zeit uber geliebt, als er durch die ¨ ¨ Ankundigung des Verkaufs der Guter der Emigrierten den Zorn bes¨anftigt hatte; aber man sah nun, daß er die Leute betrog; und wenn er sorgf¨altig das Eigentum seiner Herren erhielt und pflegte, tat er das, weil er hoffte, es auf eigene Rechnung zu verkaufen: er war reich, er hatte genug zusammen gestohlen, um es zu sein. Man wollte ihn h¨ angen, Emilien im Triumph zum Schloß seiner V¨ater tragen, ihn wiedereinsetzen und zum Herren Seite: 111
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nehmen; man wollte nur mehr ihn. ¨ Er hatte erhebliche Muhe, sie zu beruhigen und ihnen zu beweisen, daß er in keiner Sache gegen den Willen seines Vaters vorgehen konnte. Und außerdem war es ihm am dringendsten, seine Schwester wiederzufinden, der es vielleicht sehr schlecht ging, denn je mehr man ihm erz¨ahlte, der Verwalter w¨are ein Spitzbube, um so mehr Grund hatte er, Angst zu haben und sich zu beeilen. Man mußte ihn gehen lassen. Aber der alte Diener, der sich Dumont nannte, wollte ihm folgen und tat es auch. Sie nahmen ein altes, unbequemes Gef¨ ahrt und fuhren achlich die arme, kleine Richtung Tulle. Sie fanden tats¨ Louise bei einer alten Furie, die ihr alles vorenthielt und sie schlug, wenn sie aufbegehrte. Sie berichtete ihrem Bruder von allen ihren Schmerzen, und die Nachbarn best¨ atigten, daß sie die Wahrheit sprach. Zwar bekam ¨ sich selbst die Alte eine Pension, sie behielt sie aber fur und ließ Louise Kastanien essen und Lumpen tragen. ¨ Emilien war so emp¨ort und betrubt, daß er, ohne die Alte gesehen zu haben oder jemanden zu fragen, seine Schwester nahm und sich geradewegs mit dem alten Dumont, der ein wenig Geld hatte und diese armen, ¨ wollaufgegebenen Kinder nicht sich selbst uberlassen te, zum Kloster begab. ¨ abzuschließen, Um das Abenteuer dieser Entfuhrung ¨ werde ich hier alles daruber erz¨ahlen. Der Marquis de Franqueville hatte keine nahen Verwandten in diesem Landstrich. Es war in der Familie Sitte, durch das ¨ ¨ alle jungeren S¨ohne und alle M¨ Gelubde adchen zugunsten der Erstgeborenen aus dem Weg zu r¨ aumen. Seite: 112
Nanon von George Sand Die Familie war nun isoliert und hatte niemanden zur Hand, dem sie die Erziehung von Louise und Emilien atte anvertrauen k¨onnen. In ihrem Schloß ernsthaft h¨ bedroht, war sie pl¨otzlich abgereist und hatte dem Verwalter und der Amme Befehle hinterlassen, wonach die Kleine rasch in ein Kloster gebracht werden sollte. Der Verwalter hatte es billiger gefunden, sie wie bekannt unterzubringen, und er wechselte Briefe mit dem Marquis, in denen er ihm die Dinge nach seinem ¨ andnis darlegte. Gewiß h¨ Verst¨ atte Emilien, der uber ¨ keinerlei Recht verfugte, seine Schwester mitzunehmen, Monsieur Costejoux, einen großen Kenner der ¨ der ihm vielleicht geraGesetze, hinzuziehen mussen, atte, sie zu irgendeiner verwandten Dame oder ten h¨ Freundin der Familie zu bringen; aber die Sache war geschehen, er konnte sie nicht mißbilligen, denn die ahrigen waren, so sagte er, in einer bebeiden Minderj¨ sonderen Situation, ohne Eltern, Waisen gleich, ohne ¨ mundig ¨ Vormund und durch die Umst¨ erkl¨art. ande fur ¨ Er rugte den Verwalter; doch nach allem fehlte ihm die Macht, ihn zu zwingen, unrechtm¨ aßig erworbenes Gut ¨ In vielerlei Hinsicht war man noch herauszurucken. ohne klare Gesetzgebung. Er riet Emilien, abzuwarten ¨ und nicht nach Franqueville zuruckzukehren, wo seine Anwesenheit große Unordnung verursacht h¨atte. Die alte Verwandte des Verwalters hatte keinerlei Rechte, die Herausgabe der kleinen Franqueville zu verlangen und Emilien hatte gr¨oßere, sie zu behalten. Es ging nur ¨ ihren darum, den Verwalter zu verpflichten, Geld fur Lebensunterhalt herauszugeben. Monsieur Costejoux schrieb nach Koblenz, wo die Franqueville sich aufhielten, aber er erhielt keine Antwort, zweifellos, weil die Seite: 113
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3.8: Kapitel VIII.
¨ Briefe nicht ankamen. Da er befurchtete, in einer Zeit, wo die geringste Sache eine ungeahnte Wirkung haben konnte, einen Skandal zu verursachen, schickte er ¨ Emilien eine Summe von funfhundert Livres, die er seiner eigenen Tasche entnahm, wobei er ihm jedoch, um ¨ ihn nicht zu demutigen, sagte, dies komme vom Verwalter von Franqueville, der endlich seine Pflicht erkannt habe.
Die Angelegenheit wurde vom Verwalter selbst, der Angst bekam, dementiert, und er schickte das Doppelte, wobei er einen Boten beauftragte, Emilien auszurichten, daß dieser von den Leuten im Dorf erkannt worare und er um Entschuldigung b¨ate und ihm die den w¨ Mittel sende, damit er seine Schwester entsprechend unterbringen k¨onne, und er bot sogar an, ihr die Amme zu schicken, die einverstanden war, sie zu besuchen, wo immer sie sich aufhielte. Aber Louise erz¨ahlte uns, ¨ aus die Amme sei ein Flittchen und auf Vergnugungen und besch¨aftigte sich wenig mit ihr. Man quittierte die Summe und lehnte die Amme ab. Emilien kehrte nach ¨ Limogcs zuruck, um Monsieur Costejoux zu danken und ihm sein Geld wiederzugeben. Der Anwalt bewun¨ derte Verstand, Herz und Uneigennutzigkeit des jungen Mannes sehr. Er bat ihn lebhaft, seine Schwester im Kloster unterzubringen, dort nach seinem Geschmack zu leben und nur die Arbeit zu verrichten, die ihm Freu¨ de mache; und er solle sich ihm gegenuber jeder Ver¨ pflichtung entledigt fuhlen durch die Aufsicht, die er in ¨ einem Augenblick ausube, wo alles der Verwahrlosung anheimfalle. Seite: 114
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3.9
Kapitel IX.
Nun haben wir, eine Schar von Freunden, uns also im Kloster eingerichtet: der gute Prior, Emilien, die kleine Louise, der alte Dumont und ich, da Emilien mich bat, seiner Schwester als Gouvernante und Gesellschafterin zu dienen, gleichzeitig sollte ich mich gemeinsam mit ¨ Meine Vetder Mariotte um den Haushalt kummern. tern wurden als Arbeiter auf Dauer eingestellt und sollten das Land bearbeiten. Das ergab eine Menge Leute, die auf dem armen Gut leben sollten, das so lanassigt worden und von so geringem Ertrag ge vernachl¨ war; doch außer den beiden Arbeitern und der Mariotte, die Tagelohn bekamen, waren wir alle entschlossen, unsere Sorgen und Arbeitskraft umsonst zu geben, und wir verstanden es, den Haushalt so sparsam ¨ ¨ zu fuhren, daß der Besitzer sich wohl fuhlte und keinen gr¨oßeren Wunsch hatte, als uns zu behalten. Am wenigsten tat der Prior, der immer asthmatischer wurde, aber ohne ihn h¨atte nichts geklappt, denn die jungen Leute brauchten eine Autorit¨ at, und nur er war ge¨ uns wohnt, zu befehlen. Da wir alle ein wenig Geld fur selbst hatten, wollten wir auf keinen Fall einen Vorschuß von Monsieur Costejoux annehmen. Der Prior sollte eine kleine Summe erhalten, die seine Familie ihm unter der Bedingung anbot, die Erbteilung nicht mehr in Frage zu stellen. Er schickte Dumont in die Gegend von Gueret, aus der er stammte, und schien zufrieden mit dem, was dieser ihm mitbrachte. Da alles geregelt war, genossen wir in unschuldsvollem Egoismus ein au¨ und dies inmitten der Zeiten, ßergew¨ohnliches Gluck, ¨ ¨ Frankreich immer unglucklicher die fur und bedrohliSeite: 115
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cher wurden. Zu unserer Rechtfertigung ist zu sagen, daß wir fast nichts von dem wußten, was geschah und sehr schnell nichts mehr davon begriffen. Solange die Ordensgemeinschaft bestand, hatte man Gazetten, Distriktsbefehle und Mitteilungen des hohen Klerus empfangen. Man schickte dem Prior nichts mehr, der Klerus ließ ihn fallen und wies ihn zurecht, daß er mit dem Feind paktiert habe, da er Gastfreundschaft und Vertrauen des K¨aufers akzeptiert habe. Die Bauern, trunken vor Freude, Land gekauft zu haben, dachten nur ¨ noch daran, wie sie ihr kostbares kleines Stuck mit Dornenhecken und Steinen begrenzen k¨onnten. Man arbeitete mit einem Feuereifer, den man zuvor niemals ¨ gekannt hatte, und da man sich h¨ aufig uber die Grenzmarkierungen des erworbenen Besitzes zankte, dachte ¨ Religion und Politik man nicht mehr daran, sich uber zu streiten. Man war sogar frommer geworden als zu Zeiten der M¨onche. Da das Kloster nicht mehr Gemeindekirche war, las man dort auch nicht mehr die Messe; auf Verlangen der Einwohner ließ der Prior morgens, abends und am Mittag das Angelus l¨auten. Es war lange her, daß man die Gebete nicht mehr sprach, aber der Bauer liebt nichts mehr als den Klang seiner Glocke. Sie bezeichnet ihm Ende und Beginn seines Tagewerks und ¨ kundigt ihm in der Mitte des Tages die Stunde seiner Mahlzeit an, die auch die Stunde der Ruhe ist. Sp¨ ater, als die Klosterglocken beschlagnahmt wurden, um aus ¨ ihnen Kanonen zu machen, war die Besturzung groß. Ein Kirchspiel ohne Glocken, so sagte man, ist ein to” tes Kirchspiel“. Und ich dachte ebenso. ¨ Zeiten komme, wo Aber bevor ich zu den unglucklichen ¨ mir so viel Uberraschendes widerfuhr, will ich davon Seite: 116
Nanon von George Sand reden; wie ruhig wir in unserem armen Valcreux und unserem alten Kloster waren, wie kurzsichtig und ab¨ Welt. getrennt von der ubrigen Emilien war so bescheiden in seinen Freuden, daß er glaubte, mit seinen tausend Francs ein ganzes Leben lang reich zu sein. Er hatte sie Monsieur Costejoux anvertraut, der ihm versprach, sie gut anzulegen, was ¨ ¨ Emilien uberhaupt nicht weiter kummerte, da er nie etwas von Gesch¨aften verstanden hatte; aber er freute sich, daß der K¨ aufer, der ihm so viel Vertrauen entgegen brachte, sich im Besitz seines kleinen Guthabens befand. Er hatte nur den einen Gedanken, seine kleine ¨ zu machen, solange er darauf warSchwester glucklich ¨ tete, daß ihre Familie sich um ihre Schicksal kummerte. Er wollte ihr nichts versagen. Er war so stolz und zufrieden, sie gerettet zu haben Das war noch besser, als den Pater Fructueux aus dem Verlies befreit zu haben. ¨ Er hatte keinerlei Grund zur Beunruhigung, er fuhlte, daß Monsieur Costejoux ihm ein wirklicher Freund ¨ ¨ den er mit war, der ihn nicht aufgeben wurde, und fur seinem Kopf eines Kontoristen und den Armen eines ¨ Arbeiters schuftete. Er hatte ein wenig Autorit¨at uber den Prior gewonnen, der ebenso aufbrausend wie gut war und aufgrund seines Asthmas nicht mehr schreien und schimpfen konnte, sich jedoch um so mehr der geringsten Kleinigkeit wegen aufregte. Er redete ihm gut zu und rief mich zu Hilfe, denn der arme Prior h¨orte noch lieber auf mich und war nicht mehr b¨ose, sobald ich ihm versprochen hatte, Sachen und Leute auf Trab zu bringen, so wie er es wollte. Die kleine Louise wurde wieder gesund, nachdem sie zun¨achst recht schwach ¨ zwei und meine gewesen war. Die Mariotte arbeitete fur Seite: 117
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3.9: Kapitel IX.
¨ vier, wegen der guten Mahlzeiten, die wir, Vettern fur ¨ sie bereiteten; der ohne etwas zu verschwenden, fur ange und alte Dumont, der noch flink war, machte G¨ Besorgungen und verstand sich nicht schlecht aufs G¨ artnern. Doch muß gesagt werden, daß dieser Mann, ¨ auf der Welt, einen der beste und uneigennutzigste Fehler hatte. Sonntags trank er und kam am Abend stets betrunken nach Hause; er gab nur sein eigenes Geld aus und wurde nicht b¨osartig vom Wein. Der Prior machte ihm Vorhaltungen, und jeden Montag schwor er, es nicht mehr zu tun. ¨ Was mich angeht, ich war die Glucklichste in dieser Kolonie. Ich sah, daß ich den Menschen, die ich mehr als ¨ alles andere auf der Welt liebte, nutzlich war, und in meinem Tun sowie in der Kraft meines K¨orpers und Willens fand ich eine Heiterkeit, die ich nie zuvor gekannt hatte. Mit sechzehn war ich schon ebenso groß ¨ wie heute, uberhaupt nicht sch¨on, denn die Pocken hatten Spuren hinterlassen, die man noch ein wenig sah; doch hatte ich, so sagte man, ein gutes Gesicht, das Vertrauen weckte, und Monsieur Costejoux, der zuwei¨ len kam, sagte, ich wurde mich stets im Leben zurecht¨ finden, denn ich verstunde mich darauf, mir Freunde zu machen. Ich freute mich, weil er mir dies vor Emilien sagte, der sogleich meine Hand nahm, sie kr¨aftig ¨ ¨ zwischen den seinen druckte und hinzufugte: Sie wird immer jemanden haben, der sie wie seine ” Schwester und ihm Gleichgestellte achten und behandeln wird.“ Er sagte die Wahrheit, wir liebten uns, als h¨ atte ein und dieselbe Mutter uns zur Welt gebracht. Dumont sprach Seite: 118
Nanon von George Sand oft zu mir von meiner Mutter, die Bedienstete in Franqueville gewesen war, und die er sehr gut gekannt hatte. are wie ich gewesen, zu allem zu gebrauEr sagte, sie w¨ atzt. Es machte mir Freude, chen und von allen gesch¨ das zu h¨oren, und ich war in jeder Hinsicht so zufrieden mit meinem Los, daß ich eine Ver¨anderung nicht ¨ m¨oglich hielt. fur Ich hatte eine Sorge, eine einzige, aber sie hatte ihre Bedeutung, es war die sonderbare Launenhaftigkeit der kleinen Louise. Als dieses arme Kind ganz schmutzig ¨ und krank zu uns kam, war ich sehr bekummert, sie so zu sehen, und zugleich empfand ich große Freude, sie heilen und tr¨osten zu sollen. Emilien legte sie mir in die Arme und sagte: Sie soll deine kleine Schwester sein.“ Nein“, sagte ich, ” ” meine Tochter.“ ” Ich sagte dies von ganzem Herzen, mit so dicken Tr¨ anen z¨artlicher Liebe in den Augen, daß jede andere als sie mir um den Hals gefallen w¨ are; doch dem war nicht so. Sie betrachtete mich mit sp¨ottischer und herablassender Miene, drehte sich zu ihrem Bruder um und sagte zu ihm: Na, da gibst du mir aber eine sch¨one Schwester! Ei” ne B¨ auerin! Sie behauptet, meine Mutter zu sein, sie ¨ Du hast gesagt, sie sei etwa in meinem Alist verruckt. ¨ ter. Das also ist die beruhmte Nanette, von der du mir auf dem Weg hierher so viel erz¨ ahlt hast? Sie ist recht h¨aßlich, und ich will nicht, daß sie mir einen Kuß gibt.“ ¨ erste bekam. Das war die ganze Artigkeit, die ich furs Emilien schalt sie aus, sie fing zu weinen an und verzog Seite: 119
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3.9: Kapitel IX.
¨ sich in eine Ecke, um zu schmollen. Sie war hochmutig; es hieß, man habe sie in der Vorstellung erzogen, Nonne zu werden, und um sie auf die christliche Demut vorzubereiten, hatte man ihr gesagt, da sie ja nicht am Verm¨ogen des a¨ ltesten Bruders teilhaben sollte, sie sei aus zu großem Hause, um eine kleine Partie zu machen. Es gab nur ein Mittel groß zu bleiben, n¨amlich die Armut des Klosters. Sie hatte es geglaubt, Kinder glauben, was man ihnen jeden Tag und zu jeder Gelegenheit wiederholt. Ihre Mutter hatte sie niemals liebkost, und da sie wuߨ ¨ immer sich so schnell wie m¨oglich und fur te, sie wurde ¨ von ihr trennen mussen, hatte sie sich verboten, sie zu lieben. Diese sch¨one Dame hatte sich ins Pariser Leben ¨ ¨ und das der großen Welt gesturzt, dabei alle naturlichen ¨ Gefuhle vergessen, damit sie den Hof zu ihrer Familie, ihrem Leben und ihrer einzigen Aufgabe machen konnte. Sie liebte nicht einmal ihren Erstgeborenen, der dazu bestimmt war, in allem voranzugehen und ihr ebenso wenig geh¨orte wir ihre anderen Kinder. In der Zeit, in der ich mich nunmehr in meiner Erz¨ahlung befinde, hielt sich Madame de Franqueville im Ausland auf, sie war sehr krank und starb kurze Zeit darauf. Wir erfuhren es viel sp¨ ater, und erst in der Folgezeit habe ich das ¨ wenige verstanden, das ich uber sie zu sagen habe. Die kleine Louise wurde in Franqueville von ihrer Amme großgezogen, und der Lehrer, der auch Emilien unterrichtete, vielmehr nicht unterrichtete, wurde damit beauftragt, ihr gerade das Lesen und Schreiben ein wenig beizubringen. Die Amme versprach, sie ihre Gebete Seite: 120
Nanon von George Sand zu lehren, das N¨ahen, Stricken und die feine B¨ ackerei. Das ist alles, was eine Nonne brauchte; doch fand die Amme, das sei zuviel. Sie war eine sch¨one Frau, die etli¨ Die arme Louise chen gefiel und selten das Haus hutete. ¨ fiel der Sorge der Kuchenm¨ adchen anheim, die nach ihrem Belieben verfuhren, denn wird in einem Haus die Unordnung geduldet, verhalten sich alle danach. Solange das Kind seinen Bruder Emilien hatte, lebte es mit ihm und streifte mit ihm durch die Gegend, und kam es ¨ ins Haus zuruck, spielte es die Prinzessin und warf der Amme scharf ihre Fehler vor, zankte, schmollte, h¨anselte die Dienerinnen, nahm sich dann zu große Vertraulichkeiten heraus, da sie Herrin und ein Fr¨ aulein bleiben wollte. Als sie von ihrem Bruder getrennt wurde, der sie stets mit sich genommen und so gut cr konnte beruhigt hatte, wurde sie noch schlimmer, und sich von ¨ niemandem mehr geliebt fuhlend, verabscheute sie al¨ ihr Alter le. Da sie Geist besaß, sagte sie Bosheiten uber ¨ hinaus. Man lachte daruber atte besser daran geund h¨ ¨ tan, ihr zu zurnen, denn sie gefiel sich darin, mit spitzer und beleidigender Zunge zu reden. ¨ alle ihre Feh¨ sie fur Bei der b¨osen Alten aus Tulle bußte ler, doch auf so harte Weise, daß sie sich nur mehr vergr¨oßerten, und als sie mit uns zusammen war, glich sie einer wild gewordenen kleinen Wespe in einem Bienenkorb. Vom ersten Tag an mußte ich sie st¨andig bitten, um sie zum Waschen und W¨ aschewechseln zu bewegen. Aber als ich ihr neue Kleider vorlegte, die ich mir im Kirchspiel hatte besorgen k¨onnen, und zwar auf die gleiche Weise wie die, die Emilien trug, geriet sie in Wut, sagte, sie sei ein Fr¨aulein und die Tochter einer Marqui¨ niemals die Kleider einer B¨ se, sie truge auerin. Sie zog Seite: 121
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3.9: Kapitel IX.
¨ ihre unsauberen Lumpen vor, die einen Rest burgerlicher Art hatten, und ihr Bruder mußte sie verbrennen, damit sie sich unterwarf. Danach schmollte sie weiter, obwohl sie in ihrem gestreiften Rock und der Haube ¨ sauber und hubsch aussah. Die Mahlzeit tr¨ostete sie, seit langer Zeit schon entbehrte sie gute Nahrung! Am Abend war sie einverstanden, mit mir zu spielen, aber unter der Bedingung, daß ich die Dienerin war und sie mir Ohrfeigen gab. In der Nacht schlief sie neben mir in einer freundlichen Zelle, wo ich ihr neben meinem einen weichen, weißen Schlafplatz eingerichtet hatte. Es gab noch sehr sch¨one W¨asche im Kloster, und sie ¨ empf¨ war dafur anglich; aber die Geschichte des Anklei¨ dens am n¨achsten Tag fuhrte noch immer zu Mißmut und Tr¨anen, ich mußte ihr Blumen an die Haube heften und ihr sagen, daß ich sie als Sch¨aferin verkleide. Als sie nach und nach sah, daß, wenn ich sanft war, dies aus Zuneigung und nicht aus Pflicht geschah, verstand sie ihre Stellung und fand sich ab mit der Um¨ kehrung aller Gewohnheiten aus fruheren Zeiten. Nie ¨ war sie so glucklich gewesen, das hat sie sp¨ ater ge¨ ¨ denn sie wurde geliebt, ohne sich die Muhe spurt, zu machen, unsere Gef¨ alligkeiten und Naschereien zu verdienen; aber ihr Herz war ohne Z¨ artlichkeit, und ohne die Angst, es schlechter anzutreffen, h¨ atte sie ver¨ Damit sie sich wenilangt, uns verlassen zu durfen. ger anspruchsvoll verhielt, waren wir gezwungen, sie bei ihrer Eigenliebe zu packen, die schon der Koket¨ terie einer Frau glich. Sie gab sich große Muhe, niemanden mehr zu h¨anseln oder schlecht zu behandeln, doch nie konnte man sie dazu bewegen, die geringste Arbeit zu verrichten, um anderen oder sich selbst zu Seite: 122
Nanon von George Sand helfen. Sie war die einzige im Haus, die sich bedienen ließ; gerne bediente man den Prior, der, was dies anbelangt, nicht anspruchsvoll war; aber als Louise von ¨ Beginn an bemerkte, daß er uber den anderen stand, erkl¨ arte sie sich ihm gleich und setzte sich auf die andere Seite des Tisches, an dem wir aus Sparsamkeit al¨ le miteinander aßen. Sie ließ sich dem Prior gegenuber nieder, so, als w¨are sie die Herrin. Das brachte uns zuerst zum Lachen, dann duldeten wir es, und sie verlangte diesen Platz, als w¨are es ihr Recht. Eines Tages, als Monsieur Costejoux zum Essen kam, wollte sie ihm diesen Platz nicht abtreten, was den Advokaten ¨ sehr amusierte und ihn dazu veranlaßte, diesem kleinen Teufelsbraten große Aufmerksamkeit zu schenken. ¨ Er fand sie hubsch, brachte sie zum Plappern, neckte sie mit ihrer Aristokratie, wie man zu dieser Zeit sagte, und schließlich verw¨ohnte er sie mehr als wir alle miteinander, denn am folgenden Tag schickte er ihr aus der Stadt die vollst¨andige Ausstattung eines Fr¨auleins, mit B¨ andern und einem Hut mit Blumen. Als er wiederkam, rechnete er mit ihrem Dank und einem Kuß. Nichts dergleichen geschah, sie war unzufrieden, weil er ihr ¨ schlichte, flache Schuhe geschickt hatte, sie wunschte ¨ atze und Schleifen. Er amusierte sich weiterhohe Abs¨ ¨ ¨ hin, er amusierte sich stets uber ihr Benehmen eineHerrscherin. Je gr¨oßer seine Feindschaft dem Adel ge¨ genuber war, um so unterhaltsamer fand er es, diesen kleinen, unverbesserlichen Abk¨ommling zu sehen, den er zwischen seinen Fingern h¨atte zerquetschen, dem er ins Gesicht springen oder Befehle h¨ atte erteilen k¨onnen. Zun¨ achst war es ein Spiel, und daraus wurde so etwas ¨ sie und fur ¨ ihn. wie ein Schicksal fur Seite: 123
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Und ich, die ich so viel von dieser kleinen Louise getr¨ aumt hatte, die ich mich ihr mit K¨orper und Seele ¨ ¨ daß ich ihr nichts galt, ubereignet hatte, ich fuhlte, wenn sie glaubte, mich nicht zu brauchen, und wenn ich Z¨ artlichkeit empfing, dann geschah es, weil sie mich dazu bringen wollte, ihr einen schwierigen oder ungew¨ohnlichen Dienst zu erweisen. War die Laune ¨ voruber, durfte man mit keinerlei Dank rechnen, und h¨ aufig war sie schon vorbei, bevor sie befriedigt wurde. ¨ Es handelte sich um das, was man in der Sprache, uber ¨ die ich heute verfuge, eine Entt¨auschung nennt: aber ich fand mich damit ab und brachte alle meine Zuneigung Emilien dar, der sie so sehr verdiente. Ich hatte mir vorgestellt, seiner Schwester mehr Freundschaft entgegenzubringen als ihm, sollte sie auf die meine Antwort geben, da sie mein Alter und mein Geschlecht hatte; sie wollte sie nicht, und mein ganzes Herz machte sich auf, den kleinen Bruder wieder zufinden. Im Oktober dieses Jahres (1791) verbreitete sich das ¨ Gerucht eines nahen Krieges, und jeder zitterte um seinen neuen Besitz. Es war nicht mehr die Zeit, wo man sagte: Das ist mir gleich, nicht jeder muß zur Armee, ” und nicht jeder l¨ aßt dort sein Leben.“ Diesmal verstand man die Ursache des Krieges: der Adel und der hohe Klerus Frankreichs wollten ihn gegen die Revolution ¨ fuhren, um wieder in Besitz zu nehmen, was die Revolution uns gerade gegeben hatte. Das brachte die Leute in Wut, und man beeilte sich, das Feld zu bestellen und auszus¨aen. Die jungen Leute sagten, daß sie sich, sollte der Feind kommen, verteidigten wie die wahren Teu¨ ¨ fel. Man furchtete um das, was man hatte, doch spurte Seite: 124
Nanon von George Sand man auch den Mut, sich zu schlagen. Monsieur Costejoux kam etwas h¨aufiger, und Emilien ¨ begann, sich uber die Dinge draußen zu informieren. An einem Novembertag, als er von der Krankheit seiner Mutter erfahren hatte, kam ihm pl¨otzlich der Gedanke, er k¨onnte keines seiner Eltern jemals wiedersehen, da es sicher schien, daß sie gegen Frankreich marschieren ¨ und nur mit dem Feind zuruckkehren wollten. Als wir ¨ kamen, vor uns die Mauleselin, die einen von der Muhle Sack Korn trug, redete er mit mir allein: Nanon“, sagte ” er, befinde ich mich nicht in einer seltsamen Lage? Er” kl¨art man den Krieg, so habe ich immer gesagt, werde ¨ die eine Seite bin, so sind ich Soldat; aber wenn ich fur mein Vater und Bruder auf der anderen, was soll ich also tun?“ Man darf nicht hingehen“, sagte ich zu ihm, sollten Sie ” ” get¨otet werden, was geschieht dann mit Ihrer Schwester?“ Costejoux hat mir versprochen, sie nicht im Stich zu ” lassen und sie mitzunehmen, auch dich, wenn du zustimmst; willst du mir versprechen, sie nicht zu verlassen?“ Sollte es soweit sein, k¨onnen Sie mit mir rechnen, ob” wohl Louise mich nicht gerade liebt, und es mir großen Kummer bereiten wird, meinen Platz zu verlassen; aber was Sie da sagen, kann nicht geschehen, da Sie gegen ¨ den Willen Ihres Vaters handeln mußten.“ Aber weißt du denn nicht, daß ich, wenn wir Krieg ha” ben, daran teilnehmen oder ins Ausland gehen muß? Seite: 125
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Du hast doch geh¨ort, daß man alle jungen Leute hinschickt, die imstande sind, Waffen zu tragen!“ Ja, aber soweit ist es nicht. Wie k¨onnte man alle zwin” ¨ brauchte man ebenso viele Gendarmen, wie gen? Dafur ¨ Leute in den Krieg ziehen sollen. So etwas! Sie fuhren ¨ diese Grunde an, weil Sie mich verlassen und Offizier werden wollen!“ Nein, mein liebes Kind, ich habe keinen solchen Ehr” geiz, man hat mich nicht dazu erzogen, und ich liebe ¨ den Krieg nicht. Ich bin von Geburt an sanftmutig und finde keinen Gefallen daran, Menschen zu t¨oten; vielleicht wird es eine Frage der Ehre sein, und du willst doch nicht, daß man mich verachtet?“ Nein, zum Donnerwetter! Ich habe zu sehr gelitten, da” mals, als man sagte, Sie taugten zu nichts; aber all das kann eine andere Wendung nehmen, und sollten Sie nicht dazu gezwungen sein, schw¨oren Sie mir, daß Sie uns nicht verlassen.“ Wie kannst du mich darum bitten? Weißt du nicht, wie ” sehr ich dich liebe?“ Ja, ich weiß es. Sie haben mir versprochen, daß Sie ” mir, sobald Sie verheiratet sind, Ihre Kinder geben, da¨ und umsorge.“ mit ich sie behute Verheiratet? Glaubst du denn, ich will heiraten?“ ” ¨ Sie haben einmal gesagt, Sie wurden eines Tages daran ” denken, und seither habe ich stets daran gedacht, mich zu unterrichten in dem, was eine Frau wissen muß, um einer Dame zu dienen und ihr Haus zu versorgen.“ Ach! Glaubst du, ich will, daß du meiner Frau dienst?“ ” Seite: 126
Nanon von George Sand Wollen Sie es nicht mehr?“ ” Gewiß nicht, ich will nicht, daß du unter wem auch im” mer stehst, den ich lieb habe; verstehst du das nicht.“ Er nahm meine Hand, hielt mich am Ufer des Flusses ¨ ¨ zuruck und sah mich mit Ruhrung in den Augen an. ¨ Ich war ganz erstaunt, und da ich furchtete, ihn zu be¨ truben, wußte ich nicht, wie ich ihm antworten sollte. Dennoch“, sagte ich nach einem Augenblick des Nach” ¨ denkens, wird Ihre Frau uber mir stehen.“ ” ¨ Was weißt du denn daruber?“ ” ¨ Sie eine B¨ Wurden auerin heiraten, wie der Bruder Pas” ¨ cal, der das Aufgebot mit der Mullerin vom Pont de Beaulieu bestellt hat?“ Warum nicht?“ ” Nun gut, sei sie denn B¨auerin oder Dame, Sie werden ” sie mehr lieben als alles andere und wollen, daß sie die Herrin ist: ich bin entschlossen, ihr zu gehorchen und in allem zu Gefallen zu sein. Warum sagen Sie, sie wollten nicht, daß ich dazu da bin, sie zu lieben und ihr so zu dienen wie Ihnen?“ Ach, Nanon“, erwiderte er und ging weiter, wie ist dein ” ” Herz einfach und gut! Reden wir nicht mehr davon, du bist zu jung, als daß ich dir alles sagen k¨onnte, was ich ¨ es noch nicht verstehen. Zerbrich dir denke, du wurdest nicht den Kopf. Ich werde dir niemals Kummer bereiten, und sollte ich heiraten, wie du es dir vorstellst, dann nur mit deiner Zustimmung, verstehst du? Du weißt, daß ich Wort halte; alles, was ich dir zu tun versprochen habe, das habe ich getan. Erinnere dich daran, Seite: 127
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was ich dir jetzt sage, hier, am Ufer des Flusses, der ¨ zu sesingt, als w¨are er zufrieden, uns vorubergehen hen, am Fuß dieser alten Weide, die silbern wird, wenn der Wind ihre Bl¨atter umdreht. Wirst du dir den Ort merken? Sieh, da ist so etwas wie eine Insel, entstanden aus den Wurzeln der Iris, und an dieser Insel haben wir oft die Reusen ausgelegt, dein Vetter Pierre und ich. Ich habe schon einmal mit dir an dieser Stelle gestanden, als du mich aufgefordert hast, dich alles zu lehren, was ich selbst lernen kann. Ich habe es dir geschworen, und jetzt schw¨ore ich dir, daß ich nie jemandem mehr geh¨oren werde als dir. Bereitet dir das Sorgen?“ Aber nein“, antwortete ich. ” Ich m¨ochte, daß Ihnen das m¨oglich ist. Allein, es er” staunt mich, weil ich niemals geglaubt habe, daß Sie auf meine Freundschaft ebensoviel Wert legen wie ich auf die Ihre. Wenn es so ist, seien Sie beruhigt, ich werde niemals heiraten, ich werde mein ganzes Leben lang ¨ zu Ihrer Verfugung stehen, und ich verspreche es Ihnen vor diesem Fluß und vor dieser Weide, damit auch Sie nicht die Erinnerung verlieren.“ W¨ahrend wir plauderten, war die Mauleselin weitergegangen. Als Emilien sah, daß sie schon fern war und kurz davor, ihre Last fallen zu lassen, da sie die Idee ¨ hatte, den kurzesten Weg durch das Buschwerk zu nehmen, war er gezwungen, ihr nachzulaufen. Ich blieb eine Weile stehen und dachte nicht daran, ihm zu folgen. ¨ Meine Augen waren wie geblendet und meine Fuße wie erstarrt. Warum hatte er mir so deutlich seine Freund¨ schaft gestanden, uber die er gew¨ohnlich nicht mit mir sprach, außer hin und wieder in zwei oder drei Worten? Seite: 128
Nanon von George Sand Ich will nicht behaupten, ich w¨are zu unschuldig gewesen, um noch nichts von der Liebe geh¨ort zu haben. Auf ¨ dieses Kapitel nicht so viel Gedem Land gibt es uber heimnisse; aber in den kalten Gegenden, wo man maßvoll lebt und viel arbeitet, ist man sehr lange Kind, und ich war so jung wie meine Jahre. Vielleicht hatte mich auch die Vorstellung, die ich stets hatte, n¨amlich, mich im Dienst und zur Zufriedenheit anderer aufzuopfern, davon abgebracht, von meiner eigenen Zufriedenheit zu tr¨aumen. Da stand ich wie eine wahrhaft dumme Person und fragte mich, warum er zu mir gesagt hatte: Du ” kannst noch nicht alles verstehen, was ich denken, und ich empfand sowohl Lust zu lachen als auch zu weinen, ohne zu wissen, warum. Ich weiß auch nicht, weshalb ich ein paar Weidenbl¨ atter ¨ nahm und sie in den Latz meiner Schurze steckte. Von ¨ ¨ diesem Tag an spurte ich in allem das Gluck und so ¨ etwas wie Freude, auf der Welt zu sein. Es bekummerte mich nicht, wenn Louise b¨ose war. Ich nahm es mit heiterer Gelassenheit. Wenn der Prior knurrte, besaß ich mehr Geistesgegenwart, W¨orter zu finden, die ihn bes¨anftigten. Und wenn er heftig litt, war ich immer voller Hoffnung, ihm Linderung zu bringen und fand das geeignete Mittel. Wenn ich sah, daß Emilien sich zu sehr ¨ im Garten abmuhte, stellte ich mich hinter ihn und entwickelte Manneskraft im Handhaben von Schubkarre und Rechen. Am Ende der Saison hatten wir pr¨ achti¨ von denen wir Monsieur Costejoux einige ge Fruchte, ¨ schickten, der froh daruber war. Er kam, uns zu dan¨ einen Tag in unserer Mitte ken, und er schien glucklich, zu verbringen, mit uns zu essen, mit dem Prior Latein ¨ die Saat zu reden, mit Emilien und den Arbeitern uber Seite: 129
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und die Ernte. Ich hatte Freude an allem, was ich h¨orte, selbst am Latein des Prior, das so sehr dem Franz¨osischen oder sogar dem Patois a¨ hnelte, daß alle es errie¨ ten. Ich hatte im Haushalt Augen und H¨ande uberall, er gl¨anzte vor Sauberkeit, und wenn man sich in Tellern und Gl¨ asern spiegelte, kam es mir so vor, als ob alle sch¨oner w¨aren. Meine große Belohnung waren die abendlichen Lektionen, denen der Herr Prior beiwohnte, wobei er es liebte, zu allem seine Meinung zu sagen, doch schlief er schnell ein, und an den Winterabenden, wenn wir im gr¨oßten und recht warmen Raum des Klosters alleine waren, Emilien und ich, lasen und plauderten wir, w¨ahrend draußen der Nordwind blies und das Heimchen im Kamin zirpte. ¨ uns beide lehrreich, denn ich ache waren fur Die Gespr¨ war sehr wißbegierig und wollte vieles erfahren, was Emilien nach und nach lernte, und was er wie selbstverst¨ andlich weitergab. Die Rechte von Arm und Reich, von K¨onigen und Untertanen ließen mir keine Ruhe, und ebensowenig alles, was seit Anbeginn der Welt sich auf Erde und Meer ereignet hatte. Emilien erz¨ahlte mir Geschichten aus vergangener Zeit. In der Bibliothek gab es ein Werk in vielen B¨anden, das die M¨onche ihn nicht hatten lesen lassen und das Die Geschichte ” der Menschen“ hieß. Es war ein Werk, das zu der Zeit ¨ neu war und die Wahrheit uber Aberglaube und Ungerechtigkeit in dieser Welt nicht verschwieg. Ich weiß nicht, ob es von großem Wert war, aber wir lasen es vollst¨ andig, w¨ ahrend der Prior in seinem großen Lehnsessel schnarchte; und nachdem wir es gelesen hatten, waren wir, ohne es zu wissen, gelehrter als er und die meisten Menschen unserer Zeit. Wir machten uns Seite: 130
Nanon von George Sand ¨ uber alles Gedanken, und wenn wir gewußt h¨ atten, was ¨ in der Politik geschah, h¨ atten wir uber die Revolution ¨ unser Alter hinaus vorbrinEinsch¨atzungen weit uber gen k¨onnen; aber wir erfuhren davon erst, als Monsieur ¨ Costejoux ins Kloster kam, und den Winter uber kam er selten wegen der schlechten Wege, die uns vom Rest der Welt abschnitten. Die Einsamkeit hinderte uns daran, ¨ uns uber artigen Zeiten den Kopf zu zerbredie gegenw¨ ¨ chen und ließ uns in Unwissenheit daruber, daß es an ¨ gab, weil vielen anderen Orten Unruhen und Ungluck ¨ man sich uber Politik und Religion nicht verst¨ andigen konnte.
Ich habe nun den ersten Teil beendet, den ruhigen Teil meiner Geschichte, und ich werde in die Ereignisse eintauchen, die uns wie jedermann in ihren Strudel rissen. Nun wissen die, die mich gelesen haben, daß meine Bildung weit genug gediehen ist und ich mich leichter aus¨ drucke und die Dinge, die mich betreffen, besser verstehe. Es war mir w¨ahrend des ganzen Berichtes, den ich geschrieben habe, unm¨oglich, mich nicht ein wenig der b¨auerlichen Sprechweise zu bedienen: meine Gedanken h¨ atten keine anderen W¨orter gefunden als die, in denen sie damals enthalten waren, und wenn ich mich h¨atte hinreißen lassen, andere zu verwenden, h¨atte ich Ge¨ danken und Gefuhle ausgeliehen, die ich nicht besaß. Ich werde mich jetzt in Sprache und Urteil ein wenig ¨ mehr dem Burgertum anpassen, denn seit 1792 war ich nur noch der Kleidung und Arbeit nach B¨ auerin. Seite: 131
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3.10: Kapitel X.
Kapitel X.
Der Geist der Bauern wie der Kinder ist empf¨anglich ¨ T¨auschungen. Wir konnten uns in unserer Oase von fur Valcreux nicht die tiefen Ursachen vorstellen, die unsere sch¨one Revolution von 1789 zu blutigen Verbrechen ¨ fuhrte. Alle Nachrichten, die uns diese Krisen im voraus ¨ h¨ erfuhren ihre Deutung atten erahnen lassen mussen, ¨ von Gemutern, die ebenso unf¨ ahig waren sie herauszufordern, wie sie zu bannen. Die Sorglosigkeit unserer Gemeinschaft und der Optimismus der kleinen Kolonie des Klosters ordneten die vollendeten Ereignisse immer noch aufs beste. Der Prior behauptete, die Flucht des K¨onigs nach Varennes w¨are eine unerfreuliche Tat und ein großer Fehler, der gleichwohl ein Gutes mit sich achte. br¨ Ludwig XVI. hatte Angst vor seinem Volk“, sagte er, ” das ist schlimm, denn das Volk ist nicht b¨ose. Seht ” euch an, wie die Dinge verlaufen sind! Niemals zuvor ist eine gleichermaßen furchtbare Angelegenheit wie der ¨ Verkauf der Kirchenguter in der Welt geschehen. Das ¨ Burgertum der Philosophen hat ihn gewollt, und das Volk hat nur davon profitiert, doch ohne Zorn gegen uns ¨ und mit einer Rucksicht, die man nicht erwartet hatte. Nun gut, m¨oge der K¨onig Vertrauen haben zu seinem Volk, dann ist seine Autorit¨ at bald wiederhergestellt. Er hat keine Feinde; seht, ob es einem einzigen Bauern bei ¨ ihn mangelt! Seid gewiß, alles wird uns an Respekt fur ¨ sich zum Guten wenden. Das Volk ist unbekummert, ¨ faul und plundert zuweilen gern, aber ich kenne es gut! ¨ Es ist sanftmutig und ohne Rachsucht. Erinnert euch, Seite: 132
Nanon von George Sand wie schlecht ich es behandelt habe, als ich Verwalter der Ordensgemeinschaft war! Nun gut, niemand will ¨ und ich werde meine Tage hier in mir deswegen ubel, Ruhe beschließen, wie der K¨onig auf seinem Thron.“ Die Voraussagen des armen M¨onchs reichten nicht ein¨ mal uber die Schlucht von Valereux hinaus, und wir verlangten nichts anderes, als uns dort einzuschließen wie er, dies um so mehr, als das Geschehen ihm zun¨achst recht zu geben schien. Die Nationalversammlung hatte den K¨onig, trotz sei¨ unantastbar erkl¨art. Sie hatte sich aufner Flucht, fur gel¨ost, weil sie sich einbildete, die Verfassung w¨ are das letzte Wort der Revolution, und die Legislative brauche nichts weiter zu tun, als sie in Gang zu bringen. Kein ahlt Mitglied der ersten Versammlung sollte wieder gew¨ werden. Monsieur Costejoux bewarb sich um ein Abgeordnetenamt; aber noch war man in unseren Provinzen im Zentrum Frankreichs zu royalistisch, um ihn zu ernennen. Er bekam viele Stimmen, aber er fiel durch. ¨ war er keineswegs verstimmt. Er unternahm Daruber h¨aufig Reisen nach Paris, weil man ihn beauftragte, wenn es in der Gegend irgendeine Anfrage oder Beschwerde gab. Er war dazu stets bereit. Gelehrt, reich und ein guter Redner, war er der Anwalt von allen. Gegen Ende des Jahres 1791 gab es wegen des Priors eiasse zur Beunruhigung. Die neue Nationalvernige Anl¨ ¨ sammlung, die offenbar die Anarchie uberwinden muߨ ¨ te, in die die Kommune Paris gesturzt hatte, war wutend auf Grund des k¨oniglichen Vetos. Sie wollte dem Klerus die Schuld geben und die Gottesdienste unterbinden, sogar in privaten H¨ ausern. Der K¨onig widersetzte Seite: 133
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sich dem nochmals, und wie nicht anders zu erwarten, waren wir in Valcreux alle Royalisten, denn wir legten Wert auf unsere Messe und liebten den Prior, was uns nicht daran hinderte, gleichzeitig sehr revolution¨ar zu sein und das bewahren zu wollen, was die Verfas¨ hatte. H¨atte die Auffassung der Mehrheit sung verfugt ¨ are man nicht daruber hinaus der Franzosen obsiegt, w¨ gegangen. Doch zwei Gewitter bedrohten uns, der Haß des Adels und der Priester gegen die Revolution, sowie der Haß der Revolution¨ are gegen Priester und Adel; die ¨ Leidenschaften sollten an die Stelle der Uberzeugungen treten. Unser armes, b¨ auerliches Frankreich sollte zwischen diesen beiden Lawinen zermalmt werden, fast oh¨ die ne zu wissen, warum, und ohne sich bewußt fur einen oder die anderen entscheiden zu k¨onnen. Zu Beginn des August 1792 besuchte uns Monsieur Costejoux, er kam aus Paris. Er nahm Emilien beiseite: Mein Sohn“, sagte er, wissen Sie, ob der Prior den Eid ” ” auf die Verfassung geleistet hat?“ ¨ konnIch glaube nicht“, sagte Emilien, der nicht lugen ” ¨ te, aber sich furchtete, die Wahrheit einzugestehen. Nun, wenn er es nicht getan hat“, fuhr der Advokat fort, ” versuchen Sie, ihn dazu zu bringen. Die Kirchenleute ” sind sehr bedroht. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen; doch spreche ich in großem Ernst zu Ihnen; Sie wissen, ¨ ihn interessiere.“ daß ich mich fur Emilien hatte bereits mehrere Male versucht, den Prior ¨ zu uberzeugen. Es war ihm nicht gelungen. Er erkl¨ arte ¨ mir genau, worum es ging und ubertrug mir die Angelegenheit. Seite: 134
Nanon von George Sand ¨ Es war nicht leicht. Zuerst wollte der Prior mich uberzeugen. Soll ich denn mein ganzes Leben lang gepeinigt wer” den?“ sagte er. Ich wurde von meinen M¨onchen ins Verlies gesteckt, ” weil ich nicht schw¨oren wollte, die Liebe Frau vom Brunnen Wunder tun zu lassen, um die hiesigen Leu¨ te am Kauf unserer Guter zu hindern. Nun soll ich schw¨oren, daß ich ein aufrechter Mann und Freund ¨ meines Landes bin. Diese Demutigung verdiene ich nicht, und ich will sie nicht auf mich nehmen.“ Sie h¨ atten recht“, sagte ich zu ihm, wenn es der Re” ” gierung gut ginge und alle gerecht w¨ aren, aber man ¨ ist unglucklich geworden, und das macht mißtrauisch. Wenn Sie falsche Urteile auf sich ziehen, werden die, die Sie lieben und in Ihrer N¨ahe leben, vielleicht ebenso sehr leiden wie Sie. Denken Sie an die beiden Adelskinder, die hier sind, mit ihren emigrierten Eltern; es be¨ sie, fugen ¨ steht Gefahr fur Sie, der Sie Emilien so sehr lieben, dem nicht die Gefahr hinzu, die Sie selbst betr¨afe.“ Wenn du es so auffasst“, sagte er, ergebe ich mich.“ ” ” Und er brachte die Sache in Ordnung. Ich wußte sehr wohl, wenn ich mit ihm von den anderen ¨ redete, wurde ich ihn dazu bewegen, auf seine Vorstel¨ lungen uber die eigene Person zu verzichten. Wir glaubten, in Ruhe leben zu k¨onnen; aber der Monat August war schrecklich in Paris, und im folgenden Monat erlebten wir die Konsequenzen: die Raserei der Seite: 135
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Kommune in Paris, der K¨onig verwahrt im Temple, das ¨ die Enteignung der Verm¨ogen Emigrierter, Dekret uber ¨ die Verbannung der eidverweigernden Priester, das uber die Hausdurchsuchungsbefehle zum Zwecke der Fahndung nach Waffen und Verd¨achtigen und so weiter. ¨ Von dieser Seite her hatten wir Bauern nichts zu befurchten; wir hatten unsere Revolution im Jahre 1789 gemacht. Wir hatten alle Waffen des Klosters an uns genommen, und sp¨ater waren die verd¨ achtigen M¨onche von sich aus gegangen. Was Emilien angeht, so hatte er sehr wohl vorhergesehen, daß das Verm¨ogen seiner ¨ Familie konfisziert werden wurde und er den Kummer ¨ ¨ ¨ uber den Verrat seiner Eltern wurde tragen mussen. Er hatte sich wie ein Mann, der niemals erben sollte, damit abgefunden; doch waren wir traurig wegen des K¨onigs, von dem wir nicht glauben mochten, daß er mit den Emigrierten im Einvernehmen war, nachdem er ¨ sie zurechtgewiesen hatte. Wir fuhlten uns auch sehr ¨ ¨ ¨ und gedemutigt daruber, betrubt daß die Feinde uns geschlagen hatten. Als man uns von den Massakern in ¨ den Gef¨ angnissen erz¨ahlte, spurten wir, wie sich unser ¨ ¨ ¨ Stuck ¨ ¨ durftiges Gluck Stuck fur davonmachte. Anstatt zu lesen und miteinander zu plaudern, gaben Emilien und ich uns der Arbeit an der Erde und im Hause hin, ¨ wie Leute, die uber nichts mehr nachdenken wollen und sich etwas vorzuwerfen haben. ¨ Man wird diese Uberlegung sonderbar finden, und doch ist sie in meiner Erinnerung sehr ernst. ¨ an Gerechtigkeit, Wenn junge und sehr reine Gemuter Freundschaft und Ehre geglaubt haben; wenn sie die Seite: 136
Nanon von George Sand Zukunft als Umsetzung all ihrer guten Absichten be¨ trachtet haben, und wenn sie lernen mussen, daß die Menschen voller Haß, Ungerechtigkeit und meistens, leider, Feigheit sind, dann geschieht im Geist dieser ¨ die sie zerbricht. Sie fragen Kinder eine Erschutterung, sich, ob die Menschen ihnen derartige Beispiele geben, ¨ irgendeinen Fehler zu bestrafen. um sie fur ¨ Wir zogen den Prior h¨aufiger als fruher zur Rate. Wir ¨ recht gelehrt gehalten, weil wir uns ohne hatten uns fur ¨ fortschrittihn Gedanken angeeignet hatten, die wir fur licher hielten als die seinen. Wir wagten nicht mehr, so ¨ hochmutig zu sein, wir hatten Angst, uns zu irren; doch mit seinem gew¨ohnlichen Aussehen und seinen prosaischen Sorgen war der Prior mehr Philosoph als wir geglaubt hatten. Meine Kinder“, sagte er an einem Abend des Jahres ” ¨ die Jakobiner 1793, als wir ihn fragten, was er uber und ihren Feuereifer, die Revolution voranzutreiben, achte, diese M¨ anner befinden sich an einem Abhang, d¨ ” wo sie nicht mehr aus eigenem Willen anhalten werden. Man muß sich nicht so sehr mit den Leuten befassen, sondern mit den Dingen, denn sie sind st¨arker als sie. Schon seit langer Zeit geht die alte Welt ihrem Ende entgegen, und ich befinde mich auf dem Boden des Loches, wohin das Schicksal mich geschleudert hat, so, als w¨ are ich eine alte Kellerassel, dazu bestimmt, im Schatten und Staub zu leben. Glaubt nicht, daß die Re¨ volution unser Ende herbeigefuhrt hat; sie hat nichts weiter getan, als dem, was wurmstichig war und keinen Halt mehr hatte, einen Stoß zu versetzen. Schon seit langer Zeit ist der Glaube tot, die Kirche hat sich weltSeite: 137
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lichen Interessen zugewandt und keine Daseinsberechtigung mehr. Ich, der ich hier zu euch spreche, glaube nicht mehr alles, was sie lehrt, einiges nehme ich an, ¨ anderes nicht, ich habe in Kl¨ostern zu viel Lachen uber ihre Vorschriften und Drohungen erlebt. ln meiner Jugend gab es in unserer unterirdischen Kapelle sehr alte Malereien vom Totentanz, die der damalige Prior als ¨ ¨ abstoßend und l¨acherlich ubert unchen ließ. Mit den ¨ ¨ Vorstellungen unterdruckte man auch alle dusteren ¨ Sittenstrenge, und es war ein revolution¨ ares Gefuhl, ¨ das uns dahin brachte. Die Pr¨ alaten und Wurdentr¨ ager ¨ ¨ der großen Abteien sturzten sich in die Vergnugungen der Zeit, in den Luxus und sogar in Ausschweifung. Wir altig sein, an ihrer Stelle Buße zu wollten nicht so einf¨ tun, und da wir als Herren nicht m¨ achtig genug waren, uns ungestraft dem Skandal hinzugeben, zogen wir uns ¨ ¨ zuruck in Wohlbehagen und Gleichgultigkeit, was uns erlaubt war. Die drei letzten von uns M¨onchen waren nicht das, was ihr denkt. Sie waren nicht fanatisch, als sie mich wegen meines Freimutes bedroht und eingesperrt haben. Sie glaubten an nichts, und als sie mir Angst einjagen wollten, hatten sie mehr Angst als ich. Einer war Freidenker und w¨ are gern in den weltlichen ¨ Stand ubergetreten, ein anderer ein Dummkopf, der, ¨ ohne an Gott zu glauben, trotzdem die H¨olle furchtete, wenn er einen Hirtenbrief des Erzbischofs las; der ¨ Pamphile, war ein Ehrdritte, der bleiche und dustere atte und vielleicht geizling, der gern eine Rolle gespielt h¨ Demokrat wird, weil es ihm im Klerus trotz seines Eifers nicht gelungen ist, sich auszuzeichnen. Aber wißt ihr, ¨ was dazu gefuhrt hat, daß der Klerus dahinsiechte und ¨ verendete? Es ist der Uberdruß am Fanatismus, der Seite: 138
Nanon von George Sand ¨ Uberdruß, der zur Ohnmacht und zur unvermeidlichen ¨ Strafe fuhrt. M¨ anner, welche die Bartholom¨ ausnacht zu verantworten haben und die Aufhebung des Edikts von Nantes, die sich stets gegen die K¨onige und die V¨olker ¨ verschworen haben, die ohne Gewissensbisse Ubles getan und ohne Entsetzen im Angesicht des Corpsgeistes das Verbrechen gepredigt haben, kommen rasch dahin, ¨ kann man auf Daunichts mehr zu sein. Von Lugen er nicht leben, man stirbt daran; eines Tages erstickt es einen. Nun ja, ihr fragt mich, was die Jakobiner sind. Soweit ich es wissen und beurteilen kann, sind ¨ anner, welche die Revolution uber alles stellen und es M¨ ¨ ihr eigenes Gewissen, so wie die Priester die auch uber ¨ Kirche uber Gott selbst gestellt haben. Als der Klerus die Ketzer folterte und verbrannte, sagte er: Es ist zum Heil der Christenheit. Wenn die Jakobiner die Gem¨ aßigten verfolgen, sagen sie: Es ist zum Heil der Sache, und ¨ glauben vielleicht aufrichtig, daß die Uberspanntesten es zum Wohle der Menschheit ist. Oh! Doch sie sollen ¨ sich huten! Die Menschheit, das ist ein großes Wort! Ich glaube, sie hat einen Nutzen nur von dem, was gut ¨ ist, und mit einem vorubergehenden und besonderen ¨ man ihr sehr viel Leid fur ¨ lange Zeit zu. Nach Leid fugt allem bin ich nur ein armer Mann, der die Dinge aus zu großer Ferne sieht und bald sterben wird. Ihr, die ihr ¨ urteilen; ihr werdet jung seid, werdet besser daruber sehen, ob es dem Zorn und der Grausamkeit, die am Ende des menschlichen Glaubens stehen, gelingt, einen ¨ besseren Glauben herbeizufuhren. Ich kann es kaum glauben, ich sehe, daß die Kirche zugrunde gegangen ist, weil sie grausam war. Wenn die Jakobiner untergehen, denkt an die Massaker in den Gef¨ angnissen, und Seite: 139
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3.10: Kapitel X.
ihr werdet wie ich sagen: Eine neue Kirche baut man nicht mit dem auf, was die alte zum Einsturz gebracht hat.“ Emilien machte ihn darauf aufmerksam, daß die Septembermorde vielleicht nicht das Werk der Jakobiner waren, sondern das von Banditen, die sie nicht aufhalten konnten. Das ist m¨oglich, und das walte Gott!“ antwortete der ” Prior. Es mag auch bei denen, die wir am furchtbarsten fin” den, gute Absichten geben; doch merkt euch, was ich ¨ ¨ gesagt habe, wenn ihr einst uber sie urteilen mußt. Diejenigen, die ihre H¨ande in Blut getaucht haben, werden nichts von dem tun, was sie gewollt haben, und sollte die Welt sich retten, wird es auf eine andere Weise und mit anderen Mitteln geschehen, als wir vorausse¨ hen k¨onnen. Meine Schlußfolgerung ist, daß alles Ubel vom Klerus kommt, der so lange die Schreckensherr¨ schaft ausgeubt hat, die seine Feinde nun gegen ihn ¨ wenden. Wie sollten aus Opfern von Gewalt sanftmuti¨ ¨ ¨ werden? Ubel erzeugt Ubel. ge und dankbare Schuler Nun aber genug davon: versuchen wir in Ruhe zu leben und uns in nichts einzumischen. Laßt uns so gut wie m¨oglich leben und unsere Pflicht tun, wir haben nicht so viel Zeit, und alles, was wir da sagen, macht uns nicht satt.“ Es war dies das einzige Mal, daß der Prior seine tiefsten Gedanken mit uns teilte. Er hatte den Klerus verurteilt, ¨ doch ein Gefuhl von Schicklichkeit oder die Gewohnheit, sich zu unterwerfen, hinderte ihn daran, sich in Seite: 140
Nanon von George Sand ¨ ¨ ihn so heikles Thema auszulassen. Worten uber ein fur Hatte er diese Dinge immer schon gedacht, die er glaubte, von jeher gedacht zu haben? Vielleicht t¨auschte er ¨ erst seit jesich, vielleicht hatte er reife Uberlegungen nen drei Tagen angestellt, die er im Verlies verbrachte. In diesem Zustand hatte er eine so starke Dosis Vorsicht genommen, daß er vermied, das Gesagte zusammenzufassen, und unsere Fragen erschienen ihm eher l¨astig ¨ als interessant. Er zog seine Schlusse stets auf die posi¨ tivste und egoistischste Weise, obgleich er ein großzugi¨ ihn war die Welt ein ges und treues Herz hatte. Fur grauenhaftes Rette sich wer kann und sein Ideal war, wie ein Maulwurf in seinem Loch zu leben. Er hoffte auf ein besseres Leben im Jenseits, ohne wirklich daran zu ¨ ihm folgendes: glauben. Eines Tages entschlupfte Sie haben mir das Angesicht Gottes derartig beschmiert, ” daß ich es nicht mehr schauen k¨onnte; es ist so, als ¨ h¨ atte man uber eine Seite so viel Tinte und Blut gegossen, daß nicht mehr zu erkennen ist, ob etwas darauf geschrieben stand.“ Er erweckte nicht den Eindruck, sich allzusehr damit zu qu¨ alen. Ganz anders ereiferte er sich, wenn Frost den Obstbaum angegriffen oder ein Gewitter die Milch hatte gerinnen lassen. Zuweilen konnte man ihn einen wahren Rohling nennen; dennoch war er ein guter Mann, sehr klug und halbwegs gebildet, aber man hatte ihm zu lange die Luft abgeschnitten, er konnte nicht mehr atmen wie die anderen, weder in moralischer noch in k¨orperlicher Hinsicht. W¨ahrend er also versuchte, sich aus allem herauszuhalten, zerbrachen sich weder die Mariotte, meine beiSeite: 141
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¨ den Vettern noch Dumont den Kopf uber die Ereignisarung des Vaterlandes in Gefahr und die se. Die Erkl¨ Begeisterung bei den freiwilligen Anmusterungen waren kaum bis zu uns durchgedrungen. Wir h¨orten erst von den Auswirkungen der Dekrete, als sie keine mehr ¨ hatten. Bei uns gab es zun¨ achst nur ein paar uble Subjekte, die die Arbeit nicht liebten und bereitwillig zu den Waffen eilten. Emilien dachte in diesem Moment nicht daran, daß es seine Pflicht w¨are, sie nachzuahmen. Er ¨ die gegenerinnerte sich an seinen Bruder, der sich fur teilige Sache schlug, und er wartete ab, ohne voreingenommen zu sein. Da bekam er einen sonderbaren Brief von Monsieur PrEmel, dem Verwalter von Franqueville: Monsieur“, schrieb er ihm, ich erhalte einen Brief vom ” ” artigen Marquis, Ihrem Vater, der sich mit Ihrer gegenw¨ Lage und der Ihres Fr¨ aulein Schwester besch¨aftigt. Hier seine eigenen Worte: Versorgen Sie Monsieur Emilien mit dem n¨otigen Geld, damit er Frankreich verlassen und mich bei der Armee des CondE treffen kann. Ich denke mir, er wird sich daran erinnern, ein Franqueville zu sein und nicht ¨ vor irgendwelcher Gefahr zuruckschrecken, die er auf ¨ sich nehmen muß, um diesen Beschluß auszufuhren. Setzen Sie sich mit ihm in Verbindung, damit Sie ihm die Wege erleichtern, und sobald Sie ihn, wie es sich ¨ geh¨ort, ausgerustet und mit einem guten Pferd und ei¨ nem guten Diener versehen haben, ubermitteln Sie ihm die Summe von einhundert Louisdor. Sollte er den Mut und den Willen haben, mir zu gehorchen, so sparen Sie ¨ ihn an nichts. Andernfalls erkl¨ fur aren Sie ihm, daß ich ihn aufgebe und ihn nicht mehr als zu meiner Familie Seite: 142
Nanon von George Sand geh¨orig betrachte. Was seine junge Schwester, Mademoiselle Louise an¨ geht, so wunsche ich, daß sie unter der Obhut des alten Dumont und ihrer Amme nach Nantes gebracht wird, wo meine Verwandte, Mme. de Montifault, sie erwartet, um die Stelle ihrer Mutter, die sie verloren hat, einzunehmen.“ Meine Mutter ist tot!“ rief Emilien aus und ließ den ” Brief fallen; und auf diese Weise erfahre ich es!“ ” Ich nahm seine H¨ande. Er war blaß und zitterte; man ¨ verliert seine Mutter nicht ohne große Erschutterung; ¨ diese Frau, die ihn nicht im gedoch konnte er fur ringsten geliebt und die er kaum gekannt hatte, keine Tr¨ anen haben. Als er sich etwas beruhigt hatte, war er ¨ ¨ uber die Art, wie sein Vater ihn behandelte, besturzt ¨ wurdig ¨ der ihn nicht fur hielt, einen Brief aus seiner Hand zu empfangen und ihm seinen Willen durch seinen Verwalter mitteilte. Er glaubte einen Augenblick, er ¨ musse annehmen, es handele sich um eine Erfindung PrEmels. Aber er beugte sich, als er das Ende des Briefes las, den Tatsachen. ¨ Der Marquis“, fuhr er fort, gibt sich uber seine ge” ” artige Situation großen T¨ genw¨ auschungen hin. Er nimmt ¨ zun¨ aus achst einmal an, daß ich weiterhin Einkunfte seinem Grundbesitz kassiere, was nicht zutrifft, da dieser beschlagnahmt ist; oder daß ich bedeutende Ersparnisse in den vergangenen Jahren gemacht habe, was noch weniger wahr ist, betrachtet man die Weigerung seiner P¨ achter zu zahlen und die Anarchie, in die ¨ sich die Bauern gesturzt haben. Ich lebe nicht mehr Seite: 143
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¨ die, die das Ungluck ¨ in Franqueville, wo die Gefahr fur hatten, an den Adel gebunden zu sein, a¨ ußerst groß ¨ ist. Ich habe mich bescheiden nach Limoges zuruckgezogen, und ich k¨onnte die Amme von Mademoiselle Louise nicht dazu bewegen, Franqueville zu verlassen und sich in die westlichen Provinzen zu begeben, die sich im Aufstand befinden. Da Sie Dumont bei sich behalten haben, ist es an Ihnen, Ihre Schwester zu Mme. de Montifault zu geleiten. Zu diesem Zwecke stelle ich Ihnen die Summe von zweihundert Livres zur ¨ Verfugung, die ich meinem eigenen Besitz entnehme, ¨ sind, und sobald Sie von dieser ersten Reise zuruck ¨ Sie in Form von Anleihen die notwenwerde ich fur digen Mittel auftreiben, um Frankreich zu verlassen. Teilen Sie mir durch sofortige Antwort mit, ob Sie sich ¨ die Emigration entscheiden und ich mich mit dem, fur ¨ ¨ Ihre Ausrustung was Sie fur brauchen, befassen soll. Aber die Schwierigkeit, Geld aufzutreiben, ist so groß, daß ich Sie nicht auffordere, mit den einhundert Louis¨ Sie verlangt. dor zu rechnen, die Monsieur Marquis fur Ich habe sie nicht, und ich habe nicht den Kredit, der notwendig w¨ are, um sie Ihnen zu beschaffen. Ihr Haus hat zur Stunde noch weniger Kredit als ich, und wenn irgendein Wucherer sich auf Ihre Unterschrift und den aßt, Brief Ihres Vaters, den ich als Pfand behalte, einl¨ werden Sie sehr hohe Zinsen zu bezahlen haben, nicht zu reden von der Geheimhaltung, die sehr viel kosten wird. Es ist meine Pflicht, Ihnen diese Dinge zu sagen, ¨ wird, da ja was Sie wahrscheinlich nicht zuruckhalten im Falle eines Verbleibens in Frankreich Ihre Familie ¨ Sie vollst¨ andig aufgeben wurde.“ Soll sie mich doch aufgeben!“ rief Emilien entschlos” Seite: 144
Nanon von George Sand sen aus; das w¨ are nicht einmal der Anfang ihres Lie” ¨ besentzugs und ihrer Verachtung mir gegenuber! H¨atte mein Vater mir pers¨onlich geschrieben, verlangte er mit ein wenig Z¨artlichkeit meinen Gehorsam, g¨abe ich alles, nicht mein Gewissen, aber meine Ehre und mein Leben; denn so habe ich oft gedacht und war entschlossen, gegebenenfalls zu eilen und mich bei der ersten ¨ Gelegenheit in die franz¨osischen Bajonette zu sturzen, Arme und Augen zum Himmel erhoben, dem Zeugen meiner Unschuld. Doch die Dinge entwickeln sich anders. Mein Vater behandelt mich wie einen Soldaten, ¨ seine Sache kaufen m¨ochte: ein Pferd, ein Laden er fur kai, ein guter Koffer und einhundert Louisdor in der Ta¨ sche, und schon bin ich zu Preußens oder Osterreichs Diensten angeworben. Ansonsten, sterben Sie Hungers, wie es Ihnen gef¨ allt, ich kenne Sie nicht mehr! Nun, mir ¨ meiner H¨ande Arbeit und mein Vatergef¨allt, mich fur land zu entscheiden, denn ich habe Sie nie gekannt, ich bin niemandes Sohn, wenn es darum geht, Frankreich zu verraten. Die Bande sind gel¨ost! Nanette, h¨orst du!“ Und w¨ ahrend er so sprach zerriß er den Brief des Ver¨ walters in tausend Stucke, und siehst du, ich bin kein ” Adliger mehr, ich bin ein Bauer, ein Franzose!“ Er warf sich auf einen Stuhl und weinte. Ich war ganz verst¨ort, als ich ihn so sah. Er hatte noch nie vor einem ¨ noch anderen geweint, vielleicht hatte er uberhaupt nicht geweint. Auch ich begann zu weinen und ihn zu ¨ kussen, was mir noch nie in den Sinn gekommen war. ¨ Er erwiderte die Z¨ artlichkeiten und druckte mich an sein Herz, wobei er noch immer weinte, und wir kamen ¨ nicht auf den Gedanken, uns daruber zu wundern, ein¨ ander so sehr zu lieben. Es schien uns sehr naturlich, Seite: 145
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3.10: Kapitel X.
gemeinsam Kummer zu haben, nachdem wir gemein¨ sam glucklich und unbesorgt gewesen waren. Indes mußten wir an Louise denken und uns fragen, ob wir sie nach Nantes bringen sollten. Nantes! Ach, h¨atten wir in die nahe Zukunft sehen k¨onnen, was dort atten wir uns gefreut, sie in geschehen sollte, wie sehr h¨ unserer N¨ ahe zu behalten! Vielleicht hatten wir, als wir vom Aufstand in der Vendee erfuhren, irgendeine Vorahnung, vielleicht warnte uns der Himmel. Doch Emilien faßte die Entscheidung im gleichen Augenblick wie die, die ihn selbst betraf. Meine Schwester soll mich in einer solchen Zeit nicht ” verlassen“, rief er. Wenn ihr diese Madame de Montifault, die ich gar nicht ” kenne, als Mutter dienen will, werden wir das sp¨ ater entscheiden. Ich will die arme Louise nicht einer erneuten Tyrannei aussetzen. Ich vertraue sie eher der Mutter von Monsieur Costejoux an, die gut und sanft ist. Aber wir haben Zeit genug, uns etwas einfallen zu lassen. Kinder verfolgt man nicht und wird sie auch nicht verfolgen, das ist unm¨oglich. Louise ist hier gut aufgehoben, sag ihr nichts von diesem Brief. Sie braucht keinen Entschluß zu fassen, sie ist abh¨angig nur von mir, und ich lehne an ihrer Stelle ab.“ Er wollte Monsieur PrEmel antworten. Tun Sie es nicht“, sagte der Prior zu ihm, sobald er ” davon geh¨ort hatte. Es war ein Fehler, seinen Brief zu zerreißen. Vielleicht ” war es eine Falle, die ich vereitelt h¨atte; doch Falle oder Seite: 146
Nanon von George Sand ¨ nicht, dieser Mann wurde die Antwort Ihrem Vater schiare, daß Sie sich unwiderrufcken, was dazu geeignet w¨ lich mit ihm entzweien. Vermeiden Sie diesen Skandal, nehmen Sie nichts an und antworten Sie nicht: stellen ¨ Sie sich tot, das ist stets das Klugste.“ Emilien folgte dem Rat des Priors, mehr aus Widerwillen denn aus Vorsicht, und antwortete nicht. Monsieur PrEmel glaubte vielleicht, sein Brief w¨ are abgefangen ¨ empfand, veranworden, und die Angst, die er daruber laßte ihn, sich ruhig zu verhalten. Da waren wir wieder einmal aus einer Krise herausgekommen, und was geschah, gab uns neue Hoffnung. Dumouriez war der Sieger von Valmy. Unsere Soldaten hatten Nizza und Savoyen erobert. Man vergaß das ¨ ¨ fruhere der Konvent versammelte sich, und Ungluck; die gem¨ aßigteren Stimmen gewannen die Oberhand. Ich habe es euch doch gesagt, daß alles wieder in Ord” nung kommt“, nahm der Prior den Gedanken wieder auf und hatte, als der Himmel aufklarte, seinen Optimismus wiedererlangt: Die Kommune ist besiegt. Die An¨ archie der vierzig Tage ist ein Unglucksfall. Die Gironde ist guten Willens, vielleicht wird sie den K¨onig absetzen; doch wenn man ihm das Palais du Luxembourg ¨ als Residenz gibt, wird er sich dort sehr wohl fuhlen und sich von seinen Aufregungen erholen. Er wird es machen wie ich, denn ich habe mich hier noch nie so ¨ unbesorgt gefuhlt wie seit der Zeit, da ich nichts mehr darstelle.“ ¨ gestraft, als weniWie sehr wurden die Illusionen Lugen ge Monate sp¨ater der Konvent in zw¨olf Tagen den K¨onig Seite: 147
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verurteilte und das Revolutionstribunal errichtete! Dieses Mal drang die Trauer zusammen mit der großen Not bis zu uns vor. Die Assignaten wurden diskreditiert, Geld tauchte keines mehr auf, der Handel war tot, und von den Kommissaren, die in die Provinzen ausgesandt wurden, sagte man so schreckliche Dinge, daß die Bauern nicht mehr in die Stadt gingen, nichts mehr verkauf ten oder kauften. Man lebte vom kleinen Lebensmitteltausch unter Nachbarn, und, wenn man ein ¨ Sechsfrancsstuck besaß, versteckte man es in der Erde. Die Beschlagnahmungen nahmen uns unser Vieh, wir hatten keines mehr. Da der Prior sehr krank war ¨ ihn mein ¨ und ihm die Fleischbruhe fehlte, ließ ich fur letztes Schaf t¨oten. Vor langer Zeit schon war Roset¨ Louise zu besorgen, te verkauft worden, um R¨ocke fur die keine mehr hatte, denn sie mußte nicht mehr als Fr¨aulein gekleidet werden, und auch der Prior trug die Carmagnole des Bauern.
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Kapitel XI.
Was Emilien betrifft, so hatte er nie den b¨auerlichen Anzug abgelegt, seit er das geistliche Gewand nicht mehr trug. Ich hielt die alten Sachen so lange wie m¨oglich in einem haltbaren Zustand. Gemeinsam mit der Mariotte ¨ daß sie mit dem, was wir hatten, gesorgte ich dafur, flickt wurden. H¨aufig hatte der Prior große blaue Ellbogen auf seiner grauen Weste, und, da Emilien und ¨ sie alle m¨oglichen Pierre noch wuchsen, setzten wir fur Seite: 148
Nanon von George Sand ¨ ¨ Stucke an. Unsere Kuche w¨are recht mager geworden ohne das Wild, das niemandem mehr geh¨orte und von ¨ ein jedermann erlegt wurde. Dieses Elend dauerte uber ¨ nderten alle, indem sie ihJahr, und w¨ ahrenddessen a anderten, auch ihren Charakter. re Gewohnheiten ver¨ Unsere Steuern mochten noch so sehr gesenkt worden sein, die Lasten, die man den Reichen auferlegte, fielen doch wieder auf uns. Niemand ließ mehr arbeiten, und ¨ dadie Furcht vor dem, was geschehen konnte, fuhrte ¨ zu, daß selbst das so begehrte Land, dessen Eigentumer man geworden war, vernachl¨assigt wurde. Nun, man wurde Wilderer und raubte die L¨andereien aus, die unter Zwangsverwaltung gestellt worden waren. Man lebte ¨ ganz offen vom Plundern und wurde wild, furchtsam und bei Bedarf b¨osartig. Wenn es wenigstens den Bauern gelungen w¨are, sich untereinander zu verst¨ andigen und gegenseitig beizustehen wie zu Zeiten der Revoluti¨ on! Doch das Ungluck machte egoistisch und mißtrau¨ isch. Man stritt sich wegen einer Rube und h¨atte sich wegen zweier einen Kampf geliefert. Ach! Wie weit waren wir vom F¨oderationsfest entfernt! Die Alten hatten es ja gesagt, daß es zu sch¨on w¨ are, um von Dauer zu sein. Wir waren von den Leuten aus der Umgebung, die n¨ aher bei den St¨adten und unter deren Einfluß lebten, so sehr angt und bedroht worden, daß wir gezwungenergedr¨ maßen im Gemeinderat unsere alten Freunde durch ¨ anner ersetzt hatten. Diese redeten in junge, kuhnere M¨ großen Worten drauflos, ohne etwas von den Auseinandersetzungen in Paris zu verstehen, ordneten Feste an, die patriotisch genannt wurden, jedoch nichts weiter ¨ andlich waren. Sie bedauerten als verruckt und unverst¨ sehr, die Glocken und das bißchen Silberzeug, das in Seite: 149
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3.11: Kapitel XI.
¨ der Klosterkapelle zuruckgeblieben war, beschlagnahmen zu lassen, denn im Grunde waren sie von allen ¨ die Abergl¨ aubischsten und furchteten, die Heiligen zu ver¨ argern und den Hagel heraufzubeschw¨oren; aber sie taten es, weil sie Angst vor der Gironde und dem Berg hatten, dem Wohlfahrtsausschuß, dem Konvent und der Kommune, alles Dinge, die sie verwechselten und deren Unterschied sie nicht kannten. Ich m¨ochte nicht behaupten, daß man ihn im Kloster besser gekannt h¨atte. Die Ver¨ anderungen geschahen zu schnell, und die Unruhen in Paris waren so kompliziert! Es kam jedoch der Augenblick, wo Emilien so etwas wie eine pl¨otzliche Vision der Wahrheit hatte. Er hatte eben einen Brief von Monsieur Costejoux aus Paris erhalten, in dem er seine baldige Ankunft in Limoges mitteilte. Dort war er Adjutant der Kommissare, die damit beauftragt waren, die Aushebung von Truppen zu beschleu¨ nigen und alle Befehle des Konvents durchfuhren zu lassen. Ich weiß nicht mehr“, sagte Emilien zu mir, was ich ” ” von Costejoux denken soll. Ich glaubte, er sei Girondist, und ich denke, daß er einer gewesen ist; aber er ist es nicht mehr, da er nun Aufgaben akzeptiert, bei denen man große H¨ arte entwickeln muß. Er sagt mir, daß er keine Zeit haben wird, ins Kloster zu kommen ¨ und mich daher in der Stadt sprechen musse. Ich gehe sicherlich hin, aber zuvor, Nanette, ich m¨ochte dir nichts vorenthalten, will ich dir meinen Entschluß mit¨ Milit¨ar hat man mich teilen. Bei den Aushebungen furs nicht genommen, aber ich kann mich verpflichten und will es auch; es ist eine eindeutige Pflicht, jetzt da die Seite: 150
Nanon von George Sand H¨alfte, wenn nicht gar zwei Drittel Frankreichs sich im Aufstand gegen die Regierung befinden, und der a¨ ußere Feind von allen Seiten kommt, um die Monarchie wieder ¨ einzufuhren. Ich habe lange geglaubt, wir k¨onnten eine ¨ weise und bruderliche Republik haben. Ich weiß nicht, ¨ ob wir es mit besseren Anfuhrern und weniger erbitterten Feinden gekonnt h¨ atten; aber die Zeit schreitet voran, und ohne eine große Anstrengung von Mut und Er¨ muß man gebenheit naht der Zusammenbruch. Dafur dem eigenen Herzen Gewalt antun, meine liebe Nanette, denn alle Grausamkeiten werden vom Wohlfahrtsausschuß befohlen und vorn Konvent sanktioniert, die ab¨ gegeneinander, die Unscheuliche Tyrannei der Burger gerechtigkeit, die Verachtung, die Denunzierungen, der Machtmißbrauch, die Massaker, von denen man h¨ort, ¨ all das macht einen verruckt vor Wut und Verzweiflung; doch wenn die royalistische Verschw¨orung und ihr Einandlichkeiten n¨otig vernehmen mit dem Feind diese Sch¨ machen, auf welche Seite soll man sich da stellen? Soll andern gesellen, die unter dem ich mich zu den Ausl¨ Vorwand, die Anarchie zu beseitigen, Frankreich unter sich aufteilen wollen? Sind nicht die Franzosen, die sie dazu auffordern, die feigsten, die es gibt? Sind nicht diejenigen, die den Verrat bestrafen, die letzte Hoffnung des Vaterlandes, selbst wenn sie aus Neigung und Notwendigkeit das Recht zu strafen mißbrauchen? Ach, ich verabscheue sie! Aber die anderen, die verachte ich, und ich sehe wohl, daß man eher alles ertragen muß, als die letzte Schande auf sich zu nehmen. Diese Ja¨ ohnm¨achtig h¨ kobiner, die der Prior fur alt, weil sie das Gute mit dem Schlechten bewirkt haben, oder, wenn du willst, das Schlechte durch das Gute, die betrachte Seite: 151
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¨ ich als Helden, die durch den Kampf verruckt geworden sind. Sie sind, ohne sich dessen bewußt zu sein, grausam, und sie besch¨ aftigen einen Haufen wilder Tie¨ re, deren H¨arte ubertroffen wird durch die Lust, B¨oses zu tun, oder durch die Torheit, etwas sein zu wollen, durch die Trunkenheit des Befehlens. Ertragen wir sie, da wir schon einmal an diesem Punkt angelangt sind, ¨ denn wenn wir sie sturzen, amen wir noch Schlimbek¨ mere, und wir w¨ aren nicht einmal mehr Franzosen. Seien wir um jeden Preis Franzosen, davon h¨angt alles ab! ¨ Du siehst, ich muß mich nutzlich machen. Ich muß zu Costejoux sagen: Sie haben mich beherbergt und ” ¨ Sie gearbeitet; ich t¨ ahrt, ich habe fur ate es weiern¨ terhin, sofern es m¨oglich ist; doch es geht nicht mehr darum, das Land zu bearbeiten, sondern darum, es zu behalten. Geben Sie meiner Schwester Schutz, ich vertraue sie Ihnen an, und lassen Sie mich in den Kampf ¨ ziehen. Ich bin sanftmutig und ein Feind des Krieges, ¨ mir graut vor Blut; aber es ist mir v¨ollig gleichgultig, ich oder ein anderer zu sein, und wenn mir danach vor mir selbst graut, werde ich mich t¨oten, doch so lange es gilt, mein Land zu verteidigen, werde ich k¨ ampfen, leiden und an nichts denken. ¨ Alles, was Emilien mir gesagt hatte, besturzte mich, und ich weinte wie ein Kind; aber in dem Maße, wie er sich etwas vormachte, tat auch ich es, und als er geendet hatte, wußte ich ihm nicht zu antworten. Mißbilligst du, was ich sage?“ fuhr er fort, woran ” ” denkst du?“ Ich denke an Louise“, antwortete ich ihm. ” Seite: 152
Nanon von George Sand ¨ Ich m¨ochte ihr, um Sie zu beruhigen, uberall hin fol” gen; doch wenn ich den Prior verlasse, wer pflegt ihn dann?“ Er umarmte mich mit aller Kraft. ¨ Du denkst an die, welche zuruckbleiben“, rief er; also ” ” l¨aßt du mich gehen, ohne in Verzweiflung zu geraten! Du verstehst, was meine Pflicht ist: du hast ein tapferes Herz! Nun ja, denken wir an Louise und unseren ¨ versuchen, daß die beiden alten Freund. Wir mussen zusammenbleiben, sei es im Priorat, sei es in der Familie von Costejoux, der, da er der Regierung verbunden ist, in unserer Provinz von nun an allm¨achtig sein muß. ¨ Daruber will ich mit ihm sprechen, und ich werde so bald als m¨oglich gehen.“ ¨ achsten Tag schnurte Am n¨ er sein kleines P¨ ackchen, schulterte es, befestigt am Ende eines Stockes, und brach zu Fuß nach Limoges auf, wobei er uns versprach ¨ zuruckzukommen und uns Lebewohl zu sagen, bevor ¨ ihn keine unmittelbare er zur Armee ginge. Ich sah fur Gefahr voraus. Ich werde ihm auf seiner Reise folgen, denn was ihm widerfuhr, ist interessanter als der Kummer, gegen den ¨ ich ank¨ ampfte, w¨ ahrend ich auf seine Ruckkehr wartete. Dumont hatte ihn begleiten wollen, und von ihm habe ich einen Teil der Einzelheiten erfahren. Dieser tapfere Mann hatte alle seine Ersparnisse bei Monsieur Costejoux deponiert, dessen Bruder Bankier war. Er wollte, ohne vorher Emilien etwas davon zu sagen, zu dessen Gunsten ein Testament machen. Dieser Gedanke war ihm nach einem Unfall gekommen, der ihm Seite: 153
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3.11: Kapitel XI.
im Zustand der Trunkenheit passiert und dem er wie durch ein Wunder entkommen war. Aber er sagte sich, daß es ein andermal ernster sein k¨onne, und hatte daher vor, seine Angelegenheiten zu ordnen. Er hatte zur Mariotte gesagt: Ich habe keine Kinder, und in der Familie der Fran” queville habe ich stets nur den armen Emilien geliebt. Ich habe zweihundert Livres Rente zusammengetragen; ¨ mein Laster, das auf meine alten Tage uber mich gekommen ist, hindert mich, das Kapital zu vergr¨oßern, da ich den Ertrag vertrinke. Aber den Grundstock, den ¨ will ich niemals anruhren, und Monsieur Costejoux muß ein Mittel finden, mich davon abzuhalten.“ Kaum waren sie in Limogcs angekommen, eilten sie zu Costejoux; sie trafen ihn in großer Aufregung an. ¨ Burger“, sagte er zu ihnen in einem schroffen Ton und ” ohne ihnen den gewohnten guten Empfang zu bereiten, ¨ ich wunsche vor allem zu wissen, welche, unter den ” schrecklichen Umst¨ anden, in denen wir uns befinden, ¨ Ihre politischen Gefuhle sind.“ Ich frage Sie nicht, welche gegenw¨ artig die Ihren sind“, ” antwortete Emilien, aber da ich gekommen bin, um mit ” ¨ Ihnen uber die meinen zu reden, werde ich das tun, ohne zu wissen, ob Sie sie billigen. Ich will Soldat werden und keiner anderen Seite als dem Wohl meines Landes und der Revolution dienen, ich komme, um mich zu verpflichten und Sie um den Schutz meiner Schwester zu bitten.“ Schutz! Wer kann Schutz versprechen, und was reden ” Sie von verpflichten, wo die Massenaushebungen angeordnet sind? Wir sind alle, betroffen.“ Seite: 154
Nanon von George Sand ¨ ¨ Das wußte ich nicht; nun gut, ich begluckw unsche ” mich dazu, marschbereit zu sein.“ Aber Ihre Eltern? . . .“ ” Ich habe nichts mehr von ihnen erfahren und jede Hilfe ” verweigert, die sie mir geben wollten.“ Um sie zu treffen?“ ” Das sage ich nicht und habe es nicht gesagt.“ Sie be” ” streiten es?“ Ich bitte Sie, mich nicht weiter auszufragen. Es muß ” ¨ ¨ Ihnen genugen, meine Gefuhle und meine Entscheidung zu kennen. Sollte es von Ihnen abh¨ angen, meine Einberufung in ein Regiment, das sogleich loszieht, zu beschleunigen, so flehe ich Sie an, es zu tun.“ ¨ Ungluckliches Kind!“ rief Monsieur Costejoux aus, Sie ” ” ¨ t¨ auschen mich! Sie treiben Ihr Spiel mit edlen Gefuhlen und mißbrauchen mein n¨arrisches Vertrauen! Sie wol¨ len desertieren und zum Feind uberlaufen. Hier! Da ist der Beweis!“ Und er unterbreitete ihm einen Brief, unterzeichnet mit Marquis de Franqueville, der an Monsieur PrEmel adressiert war und im wesentlichen das Folgende enthielt: Da mein Sohn Emilien reit mir zusammentreffen will, ” und seine Flucht, in Anbetracht des fehlenden Geldes und der tyrannischen Verd¨ achtigungen der Obrigkeit, allzu betr¨achtliche Schwierigkeiten mit sich bringt, raten Sie ihm, sich als Freiwilliger der Republik zu verpflichten und so zu handeln wie viele andere S¨ohne aus guter Familie, die in der Armee Mittel und Wege finden, zu desertieren.“ Seite: 155
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Das ist eine Schandtat!“ rief Emilien außer sich, nie” ” mals hat mein Vater mir das geschrieben!“ Es ist seine Schrift“, fuhr Monsieur Costejoux fort. ” Sehen Sie her! K¨onnen Sie mir bei Ihrer Ehre schw¨oren, ” daß er gef¨ alscht ist? Emilien z¨ogerte, er hatte so selten die Schrift seines Vaters gesehen! Er hatte keine einzige Probe. Ich kann es nicht“, sagte er, aber ich schw¨ore bei al” ” lem, was mir heilig ist, daß ich nie zugestimmt habe, meine Ehre zu verlieren, und sollte mein Vater mich ¨ f¨ dessen fur ahig halten, dann wegen einer schamlosen ¨ PrEmels.“ Luge Er sprach mit so viel Feuer und Stolz, daß Monsieur Costejoux, der ihm tief in die Augen geschaut hatte, ohne ihn dazu bringen zu k¨onnen, den Blick zu senken, pl¨otzlich sagte: ¨ Es ist m¨oglich, doch was weiß ich? Uber Sie ist seit ” heute morgen vom Revolutionstribunal der Provinz angnis, man eine Haft verh¨angt; PrEmel ist im Gef¨ achtigte ihn seit langem, Verbindungen mit seiner verd¨ ehemaligen Herrschaft unterhalten zu haben. Man hat alle seine Papiere beschlagnahmt, und dieser Brief ist mir, als ich die Akte ge¨offnet habe, als einer der ersten unter die Finger gekommen. Er bedeutet Ihre Verurteilung, falls er echt ist, und er ist es, denn hier sind viele aftspapiere, die dies soweit als andere Briefe und Gesch¨ ¨ m¨oglich bekr¨aftigen. Im ubrigen werden Prozesse dieser Art zu schnell abgewickelt, als daß man Experten befragen k¨onnte. Es bleibt Ihnen nur eine Entscheidung, Seite: 156
Nanon von George Sand falls Sie, wie ich es hoffe, unschuldig sind, n¨amlich Einspruch zu erheben und zu beweisen, sofern es m¨oglich ist, daß Sie I’rcmel niemals autorisiert haben, Ihrem Vater einen Unterwerfungsakt Ihrerseits anzubieten.“ Ich werde es beweisen! Der Prior weiß, daß ich auf die ” Aufforderung zu emigrieren nicht habe antworten wollen.“ Sie wollten nicht antworten, also haben Sic nicht ab” gelehnt?“ Der Prior . . .“ ” ¨ Sagen Sie, der Burger Fructueux. Es gibt keinen Prior ” mehr, es gibt keinen Priester mehr.“ ¨ Fructueux wird Ihnen sagen Wie Sie wollen! Der Burger ” . . .“ Er wird mir nichts sagen, man wird sich nicht die Zeit ” nehmen, ihn zu rufen, und in seinem Interesse rate ich Ihnen, nicht an ihn zu erinnern. In drei Tagen werden Sie freigesprochen oder verurteilt sein.“ Zum Tode?“ ” Oder zur Haft bis zum Frieden, je nachdem, ob man ” ¨ mehr oder fur ¨ weniger schuldig h¨ Sie fur alt.“ Mehr oder weniger? Sie, mein alter Freund, r¨ aumen Sie ” mir nicht die M¨oglichkeit der Unschuld ein? Oder aber sind Sie es, der Advokat, der mir im voraus erkl¨art, sie werde mir nicht einger¨ aumt?“ Monsieur Costejoux wischte sich mit einer Geb¨ arde des ¨ Zorns uber die Stirn. Seine Augen blitzten; dann wurde er blaß und setzte sich, wie ein gebrochener Mann: Seite: 157
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Junger Mann“, sagte er, ich habe eine schreckliche ” ” ¨ Mission zu erfullen. Es gibt keinen Freund, es gibt keinen Advokaten mehr. Ich bin Inquisitor und Richter geworden. Ja, ich, im letzten Jahr noch Girondist, ich bin, als ich meine Provinz mit den Illusionen der Unerfahrenheit verlassen habe, das geworden, was jeder wahre Patriot zu werden gezwungen ist. Ich habe die politiaßigten gesehen und sche Unf¨ahigkeit der besten Gem¨ den sch¨ andlichen Verrat der allermeisten. Diejenigen, ¨ die bezahlt, die den die man geopfert hat, haben fur ¨ in den Provinzen entfacht haben. Sie waBurgerkrieg ¨ die Autorit¨at der M¨ ren ein Hindernis fur anner, die geschworen haben, das Vaterland zu retten, und es mußte beseitigt werden. Man mußte jedes Mitleid, jede Lie¨ be, jeden Gewissensbiß mit Fußen treten. Man mußte Frauen t¨oten und Kinder ... Ich sage Ihnen, man mußte! ahrend er so sprach, biß er in sein Taschen...“ Und w¨ tuch. ¨ Ich sage Ihnen, man wird weiterhin so handeln mussen. ” Wenn Sie auch nur einen Augenblick zwischen Ihrem Vater und der Republik geschwankt haben, sind Sie verloren, und ich kann Sie nicht retten.“ Ich habe nicht einen Augenblick gez¨ogert; aber wenn ” man sich weigert, mir zu glauben und mich daran hindert, es zu beweisen, bin ich in der Tat verloren. Nun gut, mein Herr, so sei es! Ich bin bereit zu sterben. Ich ¨ bin recht jung, doch ich fuhle, daß ich zu einer Zeit gekommen bin, wo man auf das Leben keinen Wert legt. Ich werde ohne Schw¨ache sterben, kann ich hoffen, daß meine Schwester und meine Freunde? . . .“ Reden Sie nicht von ihnen, sprechen Sie ihren Namen ” Seite: 158
Nanon von George Sand nicht aus, erinnern Sie niemanden daran, daß sie existieren. Aus Ihrer Gemeinde ist keine Anzeige gegen sie ¨ sorergangen. Sie sollen bleiben, wo sie sind und dafur gen, vergessen zu werden!“ Der Rat, den Sie mir geben und den ich befolgen wer” de, zweifeln Sie nicht daran, beweist mir, daß Sie ihr M¨oglichstes tun werden, um sie zu retten, und ich dan¨ mich selbst, lassen ke Ihnen. Ich bitte Sie um nichts fur Sie mich ins Gef¨angnis bringen. Ich gehe mit nur einer amlich der, daß Sie an mir gezweifelt haBitterkeit, n¨ ben.“ ¨ Monsieur Costejoux schien erschuttert. Dumont warf ¨ sich ihm zu Fußen, beteuerte Emiliens Unschuld und Patriotismus und flehte den alten Freund an, ihn zu retten. Ich kann es nicht“, antwortete Monsieur Costejoux. ” Denken Sie an sich selbst.“ ” Das werde ich nicht tun, danke!“ fuhr Dumont fort, ” ich bin ein alter Mann; man soll mit mir machen, was ” ¨ meinen jungen Herrn zu man will, und da Sie nichts fur ¨ daß ich angeklagt, eintun verm¨ogen, sorgen Sie dafur, gesperrt und, wenn es sein muß, mit ihm guillotiniert werde. c ¨ rief Monsieur CosteSchweigen Sie, Unglucklicher!“ ” joux. Es gibt Menschen, die f¨ahig sind, Sie beim Wort zu neh” men.“ Ja, schweige, Dumont“, sagte Emilien und umarmte ” ihn. Seite: 159
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3.11: Kapitel XI.
Du hast nicht das Recht zu sterben. Ich mache dich zu ” meinem Erben, ich hinterlasse dir meine Schwester!“ Und geradewegs auf Monsieur Costejoux zugehend ¨ fugte er hinzu: Kommen wir zum Ende, Monsieur, lassen Sic mich ver” ¨ haften, da ich nach Ihrer Auffassung ein Lugner und Feigling bin.“ Hat man Sie hier eintreten sehen?“ sagte der Advokat ” voller Ungeduld. Wir sind nicht heimlich hierhergekommen“, antwortete ” atte uns sehen k¨onnen.“ Emilien. Jedermann h¨ ” Haben Sie mit jemandem gesprochen?“ ” Wir haben kein Gesicht aus unserer Bekanntschaft ge” troffen, wir brauchten nichts zu sagen.“ Haben Sie Ihren Namen dem Hausangestellten, der Sie ” ¨ in mein Kabinett gefuhrt hat, genannt?“ Wir wissen nicht, von wem Sie reden; Ihr Diener kennt ” uns und hat uns, ohne nach dem Namen zu fragen, eintreten lassen.“ Nun gut, gehen Sie“, sagte Monsieur Costejoux und o¨ ff” ¨ die hinter Bucherregalen ¨ verbornete eine Geheimtur, gen lag. Verlassen Sie die Stadt ohne ein Wort, ohne irgendwo ” anzuhalten. Ich verheimliche Ihnen nicht, daß ich, soll¨ die Flucht, die te man Sie fassen, mit meinem Kopf fur ich Ihnen verschaffe, bezahle. Aber ich habe Sie hierher ¨ afte reden bestellt, wo ich mit Ihnen uber meine Gesch¨ wollte, ich wußte nichts von der Anklage, die auf Ihnen Seite: 160
Nanon von George Sand lastet. Man soll nicht sagen, ich h¨ atte Sie in einen Hinterhalt gelockt. Gehen Sie!
3.12
Kapitel XII.
Ohne ein Wort zu sagen und ohne sich zu bedanken, nahm Emilien Dumont beim Arm und zog ihn zur Trep¨ pe; er uberquerte mit ihm die Straße, brachte ihn zu dem Weg, auf dem sie gekommen waren, und sagte zu ihm: Geh voran, ohne dich zu beeilen und ohne umzu” kehren. Bleibe nirgendwo stehen, erwecke nicht den Anschein, auf mich zu warten. Ich muß Monsieur ¨ Costejoux noch ein Wort sagen, ich werde uber eine ¨ Abkurzung zu dir stoßen; doch warte nicht, oder wir sind alle beide verloren. Wenn du mich unterwegs nicht triffst, dann wirst du mich weiter entfernt finden.“ Dumont gehorchte, ohne zu verstehen; aber als er ei¨ ne halbe Meile zuruckgelegt hatte und Emilien nicht wiederkam, erfaßte ihn Unruhe. Er sagte sich, er sei wahrscheinlich, da er die Wege besser kenne als er, schon voraus. Er marschierte weiter. Als er die erste Etappe erreicht hatte, wollte er warten, doch wurde er von Hinund Herreisenden beobachtet und aus Furcht, ihre Auf merksamkeit auf sich zu ziehen, setzte aldchen er seinen Weg fort und ruhte sich in einem W¨ achsten Tag kam er im Kloster an, er war in aus. Am n¨ der Hoffnung, dort seinen Herrn zu treffen, doppelt so schnell gegangen. Ach, er war nicht da, und wir warteten vergeblich. Er hatte seinen alten Diener retten, Seite: 161
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3.12: Kapitel XII.
jedoch Monsieur Costejoux nicht kompromittieren wol¨ len, er war umgekehrt, uber die Geheimtreppe zu ihm ¨ und hatte zu ihm gesagt: zuruckgegangen ¨ Da ich angeklagt bin, m¨ochte ich mich Ihnen uberant” worten.“ ¨ Ich danke Ihnen und will Er wollte gerade hinzufugen: ” ¨ Sie nicht ins Verderben sturzen“, als ein ausdrucksvoller Blick von Monsieur Costejoux, der gerade mit Schreiben besch¨aftigt war, ihn warnte, er solle nichts ¨ zum Vorzimmer war offen, und weiter sagen. Die Tur ein Mann, der eine Carmagnole aus feinem Tuch sowie ¨ trug und eine Sch¨ arpe um den K¨orper eine rote Mutze geschlungen hatte, erschien sogleich auf der Schwelle; er schleppte einen großen S¨abel mit sich und heftete seine Augen eines Geiers, der sich auf eine Lerche ¨ sturzen will, auf ihn. Zun¨ achst erkannte Emilien ihn nicht, doch sprach dieser Mann mit dr¨ohnender Stimme: ¨ nach ihm Ah! Da ist er! So haben wir nicht die Muhe, ” zu schicken!“ Da erkannte ihn Emilien: es war der Bruder Pamphile, der ehemalige M¨onch von Valcreux, derjenige, der den Bruder Fructueux ins Verlies hatte stecken lassen, weil der die Mitt¨aterschaft und Zustimmung zu den geplanten Wundern verweigert hatte, der, den er uns als ahig zu allem, bezeichnet hatte, derjenige, Ehrgeizling, f¨ der Emilien am meisten haßte. Er war Mitglied des Revolutionstribunals von Limoges und hatte als geschickter Inquisitor und unerbittlicher Sansculotte die h¨ochste Entscheidungsgewalt. Seite: 162
Nanon von George Sand Sogleich schritt er im Kabinett von Monsieur Costejoux zur Vernehmung, und Emilien wurde von solchem Abscheu ergriffen, daß er sich weigerte, ihm zu antworten und daher auf der Stelle ins Gef¨angnis geschickt wurde, eskortiert von mit Piken bewaffneten Sansculotten, die durch die Straßen gingen und schrien: Da ist einer, den sie gegriffen haben! Da ist ein Ari” ¨ stokrat, der zum Feind uberlaufen wollte und nun ¨ die Grenze des Jammertals wider Willen uberschreiten wird!“ Ein paar Arbeiter schrien: Es lebe die Guilloti” ne!“ und beleidigten das arme Kind. Die meisten taten ¨ zuso, als begriffen sie nichts. Man hatte alle Angste gleich: die vor der Republik und die vor der Reaktion; denn wo nun die Adligen auf der Flucht waren, gab es ¨ in großer Zahl gem¨aßigte Burger, die die Dinge laufen ließen, deren Blicke jedoch von allen Tatsachen Notiz zu nehmen schienen, um, sobald sie wieder die st¨arksten ¨ zu bestrafen. w¨aren, die Urheber dafur ahlte, deren Zeuge er Als Dumont uns die Dinge erz¨ geworden war, und sich wunderte, daß Emilien nicht ¨ zuruckgekommen war, da begriff ich sofort, daß er um¨ gekehrt war, um sich auszuliefern, und ich hielt ihn fur verloren. Aber ich empfand nicht den Kummer, den ich ¨ h¨atte haben mussen, oder vielmehr ließ ich mir nicht ¨ die Zeit, ihn zu verspuren. Es ist anzunehmen, daß ich bereits diese Entschlußkraft besaß, die ich seither stets in allen kritischen Situationen hatte, denn der Gedanke, ihn zu befreien, kam mir augenblicklich. Es war ¨ Gedanke; doch das sagte ich mir nicht. ein verruckter ¨ gut, und er formte sich in meinem Ich hielt ihn fur Kopf als blinder und hartn¨ackiger Protest gegen das Seite: 163
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3.12: Kapitel XII.
¨ Unm¨ogliche. Ich wollte mit niemandem daruber reden. Ich wollte allein mich in Gefahr bringen, aber das in ¨ absoluter Weise und ohne Rucksicht auf mich selbst. ¨ ¨ ich ein kleines Bundel mit ein In der Nacht schnurte paar Habseligkeiten, ich nahm das bißchen Geld, das ich besaß, ich schrieb ein Wort an den Prior, um ihm zu sagen, er solle sich meinetwegen nicht beunruhigen und die anderen glauben lassen, er habe mich irgendwohin zu einer Besorgung geschickt. Ich schob ihm das ¨ durch die L¨ocher im Briefchen leise unter seine Tur, Mauerwerk gelangte ich nach draußen, und als der Tag kam, war ich schon weit auf der Straße nach Limoges. Ich hatte nie die Gelegenheit gehabt, so weit zu laufen; doch oben von den Plateaus aus hatte ich so oft das ¨ Land betrachtet, daß ich alle Kirchturme, alle D¨orfer mit Namen, alle Wege, ihre Richtung und ihre Kreuzungen kannte. Schließlich verstand ich ein wenig von Geographie und kannte die unserer Provinz gut genug, um mich zu orientieren und die Zeit nicht mit Fragen zu verlieren oder mich zu verirren. Zur gr¨oßeren Sicher¨ heit hatte ich ubrigens in der Nacht auf einer Karte die ganze Gegend, die ich durcheilen mußte, eingezeichnet. Es waren zwei lange Marschtage n¨otig, um Limoges zu ande auf erreichen, und es war sinnlos zu hoffen, man f¨ den Straßen ein Gef¨ahrt oder eine Kutsche. Man sah ¨ den Dienst keine mehr. Die Pferde und Wagen waren fur in der Armee beschlagnahmt worden, und Spitzbuben ¨ nahmen auf eigene Rechnung mit dem Argument, fur das Vaterland zu handeln, Konfiszierungen vor, so daß ¨ endgultig alle Leute zu Fuß gehen mußten. Das Wetter war sch¨on. Ich schlief draußen in Strohthemen, um Seite: 164
Nanon von George Sand Geld zu sparen und um keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ich aß Brot und K¨ ase, die ich in einem kleinen Korb mitgenommen hatte. Ich setzte mir meinen breitkrempigen Hut auf und schlief sehr gut. Ich hatte den Tagesmarsch eines Mannes hinter mir. Bevor es Tag wurde, wachte ich auf. Ich aß noch ein ¨ wenig, nachdem ich meine Fuße in einem Bach mit sehr klarem Wasser gewaschen hatte. Ich vergewisserte ¨ mich, keine Wunde zu haben, obwohl ich ohne Strumpfe und Schuhe gewandert war, und daß ich, auch wenn ich ersch¨opft war, meine zweite Etappe in Angriff nehmen konnte; nun, ich betete zu Gott um Beistand und machte mich wieder auf den Weg. Am Abend kam ich ohne Versp¨ atung in Limoges an und fragte nach dem Haus von Monsieur Costejoux, das ich ¨ muhelos ausfindig machte. Ich trat entschlossen ein und verlangte, ihn zu sprechen. Man antwortete mir, er w¨are bei Tisch, und man wolle ihn nicht st¨oren. Ich setzte frech hinzu, ein Patriot wie er w¨ are immer bereit, ein Kind des Volkes anzuh¨oren, und forderte, daß man ihm meine Worte hinterbringe. Einen Augenblick sp¨ater ließ man mich in das Eßzimmer hinaufgehen, wo ich beinahe die Fassung verloren h¨atte, als ich ihn inmitten von einem halben Dutzend M¨anner von mehr oder minder finsterem Aussehen sah, die gerade vom Tisch aufstanden, wobei einer oder zwei ihre Pfeifen ¨ was zu der Zeit als grobschl¨ anzundeten, achtig galt. Der ¨ hatSatz, den der Diener in meinem Auftrag ubermittelt te, lenkte die Aufmerksamkeit auf mich. Man betrachtete mich grinsend, und einer der M¨ anner legte seine grobe behaarte Hand auf meine Wange, was mir angst Seite: 165
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machte. Aber ich hatte eine Rolle zu spielen und verbarg meinen Abscheu. Mit den Augen unterzog ich alle ¨ Ich kannte niemanden, was mich sehr einer Prufung. ¨ mich kennen. beruhigte. Niemand wurde Ich wußte nicht, daß Gefahr bestand, den verhaßten Bruder Pamphile zu treffen, da Dumont ihn nicht gesehen und von seiner Konvertierung zu den Sansculot¨ ten nichts erfahren hatte. Glucklicherweise war er nicht da, und ich fing an, Monsieur Costejoux zu suchen, der ¨ ahe des Ofens aufhielt, mit detn Rucken zu sich in der N¨ mir. Er machte eine Bewegung und sah mich. Ich werde den Blick, den er mir zuwarf, nie vergessen; wicviele Worte zugleich lagen in diesem Blick! Ich verstand sie alle, ich n¨aherte mich ihm und sagte frech, wobei ich mich wieder der Sprache der B¨auerin bediente, die zu vergessen ¨ ich mich gehutet hatte, betonte sie allerdings mit revolution¨ arer Geschraubtheit: ¨ Bist du das, der Burger Costejoux?“ ” Ich bin es“, antwortete er; aber du, wer bist du, junge ” ” ¨ Burgerin, und was willst du von mir?“ Ich gab ihm Antwort, wobei ich mir einen falschen Namen zulegte und ihm von einem Ort erz¨ahlte, der nicht der meine war, daß ich geh¨ort h¨ atte, er suche eine Die¨ seine Mutter, und daß ich k¨ nerin fur ame, um mich vorzustellen. Das ist gut“, antwortete er. ” Meine Mutter ist auf dem Land, aber ich weiß, was sie ” braucht, und ich werde dich sp¨ ater befragen. W¨ ahrend du wartest, gehe essen.“ Seite: 166
Nanon von George Sand Er sagte ein Wort zu seinem Hausangestellten, der ¨ ¨ fuhrte. Dort sagmich, trotz der Egalit¨ at, zur Kuche ¨ die Speisen zu te ich kein Wort, außer, um mich fur ¨ bedanken, die man vor mich hinstellte, und ich hutete ¨ mich, irgend etwas zu fragen, denn ich furchtete, man ¨ ¨ wurde zuruckfragen und ich w¨ are gezwungen, mit un¨ ¨ Lugen zu antworten. Ich aß schnell und glaubwurdigen setzte mich in die Kaminecke, schloß die Augen wie ein ¨ Mensch, der mude ist und vor sich hind¨ost, damit man mich verg¨aße. Wie viele Dinge h¨atte ich indes wissen wollen! Emilien war vielleicht schon verurteilt, vielleicht schon tot. Ich sagte mir: at komme, ist es nicht meine Schuld, Wenn ich zu sp¨ ” und Gott wird mir die Gnade erweisen, mich mit ihm zu vereinen, indem er mich rasch an Kummer sterben l¨ aßt. W¨ahrend ich warte, muß ich wach bleiben und ¨ ¨ darf keine Mudigkeit spuren.“ armMan sagt, Feuer erquicke, und das ist wahr. Ich w¨ te mich auf wie ein Hund, der von der Jagd kommt. ¨ Ich hatte mehr als zwanzig Meilen zu Fuß zuruckgelegt, und zwar barfuß in zwei Tagen, und ich war erst achtzehn Jahre alt. Ich h¨orte alles, ohne mir etwas anmerken zu lassen, ¨ und ich befurchtete, jeden Moment den zweiten Diener von Monsieur Costejoux eintreten zu sehen, den, der ¨ seine Pferde zust¨andig war und der, da er ihn h¨aufig fur nach Valcreux begleitet hatte, mich gut kannte. Ich war darauf vorbereitet, irgend etwas zu erfinden, um ihn in meine Pl¨ ane miteinzubeziehen. Ich zweifelte nicht. Ich mißtraute niemandem, der Emilien kannte. Es schien Seite: 167
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mir unm¨oglich, daß jemand, der ihn gekannt hatte, ihn atte verderben wollen. h¨ Der fragliche Diener tauchte nicht auf, und in den S¨ atzen, die die Leute des Hauses mit den Besuchern wechselten, konnte ich nichts von dem erfahren, was mich am meisten interessierte. Ich begriff zumindest die Situation von Monsieur Costejoux, der in sein Departement gesandt worden war, um den Delegierten aus Paris beizustehen, und gezwungen war, ihnen die zu allem entschlossenen Patrioten vorzustellen, das ¨ bedeutet all die, die in der Stadt am verrucktesten und b¨osartigsten waren. Es ist traurig, das einzugestehen, aber das war der Zeitpunkt, wo der Abschaum nach oben kam, und den anst¨andigen Menschen fehlte der Mut, der Revolution zu dienen. Man hatte zu viele Gem¨aßigte get¨otet und eingesperrt. Die Initiative lag v¨ollig in den H¨ anden von, ich sage nicht Fanatikern, aber von Banditen, die von Stadt zu Stadt zogen, oder ¨ von faulen und trunksuchtigen Arbeitern. Dem Terror zu dienen, das war ein Status geworden, ein Refugium ¨ die einen, ein Mittel zu stehlen und gegen das Elend fur ¨ ¨ die anderen. Das war das große Ubel zu morden fur der Republik und der Anfang vom Ende. Die Leute von Monsieur Costejoux verhehlten nicht, wenn sie unter sich waren, ihre Verachtung und ihren ¨ die M¨ Abscheu fur anner, die an seinen Tisch zu ge¨ leiten sie sich veranlaßt sahen, und sie fuhlten sich ¨ ¨ gedemutigt, wenn sie den Burger Piphaigne bedienen mußten, einen blutgierigen Schlachter, der davon ¨ sprach, die Aristokraten ins Schlachthaus zu fuhren, ¨ einen kleinen oder den Kr¨ amer Boudenfle, der sich fur Seite: 168
Nanon von George Sand Marat hielt und nach sechshundert K¨opfen im Distrikt verlangte; den Amtsdiener Carabit, der es sich zur Gewohnheit machte, Verd¨ achtige zu denunzieren und sich ihr Geld und ihre Kleider anzueignen. Nach einer Stunde wurde ich endlich ins Kabinett von Monsieur Costejoux gerufen, ich traf ihn allein an. Er ¨ sobald ich eingetreten war, dann sagverschloß die Tur, te er zu mir: Warum kommst du hierher? Willst du den Prior und ” Louise zugrunde richten?“ Ich will Emilien retten“, antwortete ich. ” ¨ Du bist verruckt!“ ” Nein, ich werde ihn retten!“ ” ¨ Das sagte ich und war zu Tode betrubt, mein ganzer K¨orper war schweißbedeckt; aber ich wollte Monsieur Costejoux zwingen, mir auf der Stelle zu sagen, ob er noch lebte. Weißt du denn nicht“, erwiderte er, daß er verurteilt ” ” ist?“ Zu Gef¨ angnis bis zum Frieden?“ entgegnete ich, ent” schlossen, alles zu erfahren. Ja, bis zum Frieden oder bis zu dem Zeitpunkt, wo man ” sich entschließt, alle Verd¨achtigen niederzumachen.“ Ich atmete auf, ich hatte Zeit. Wer hat ihn denn als verd¨achtig bezeichnet?“ fuhr ich ” fort. Seite: 169
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3.12: Kapitel XII.
Waren Sie denn nicht bei seiner Urteilsfindung dabei, ” Sie, der ihn kennt?“ Diese niedertr¨ achtige Kanaille von PrEmel glaubte, ” sich zu retten, indem er ihn anklagte. Er hat sich ge¨ brustet, mit dem Marquis de Franqueville einen Brief¨ zu haben, um Beweise gegen ihn und wechsel gefuhrt seine Familie zu sammeln, und er hat behauptet, IEmilien habe ihm seine Absicht, zu emigrieren in einem Brief mitgeteilt, den er indes nicht vorzulegen vermochte, und der sich trotz seiner Versicherung nicht in seiner Akte befand. Ich hoffte, ihn mit meiner Zeugenaussage zu widerlegen; doch der Ex-M¨onch Pamphile war anwesend; er haßt Emilien, er hat gesagt, er kenne ihn als Royalisten und Fr¨ommler. Er wollte ihn auf der Stelle zum Tode verurteilt sehen, und es fehlte nicht viel, daß man auf ihn h¨orte. Ich habe einen Scheinan¨ griff gefuhrt artige der Angelegenheit und alles Widerw¨ auf PrEmel abgew¨ alzt, der zur Deportation verurteilt wurde. Ich konnte nur Emiliens Kopf retten . . . bis zu einem neuen Befehl.“ Ich h¨orte jedes Wort von Monsieur Costejoux, ohne ¨ ¨ mich irgendeiner Gefuhlsbewegung zu uberlassen, und beobachtete die Ver¨ anderung in seiner Physiognomie und im Klang seiner Stimme. Er hatte offenbar viel gelitten, seit er seinen politischen Standpunkt gewechselt ¨ hatte. Er machte sich in aufrichtiger Weise eine Uberzeugung zu eigen, die gewiß den Prinzipien seines Patriotismus entsprach, jedoch seinem vertrauensvollen ¨ und großmutigen Charakter zuwider war. Ich studierte ihn, um herauszufinden, inwieweit ich mit ihm rechnen konnte. In diesem Augenblick schien er mir dazu Seite: 170
Nanon von George Sand geeignet, mir zu helfen. Sprechen Sie nicht von einem neuen Befehl“, sagte ich, ” es muß Ihnen gelingen, Emilien sofort zu befreien.“ ” Das nenne ich dummes Zeug reden“, antwortete er leb” haft. Es ist mir unm¨oglich, denn sein Urteil wurde gem¨ aß ” den von der Republik vorgeschriebenen Formen gef¨allt.“ Aber es ist ein Fehlurteil, zu rasch und ohne Bewei” se ausgesprochen. Ich weiß, daß man gegen ein Urteil Berufung einlegen kann.“ ¨ die Vergangenheit; Du weißt, wie ich sehe, etwas uber ” doch die Vergangenheit gibt es nicht mehr. Gegen ein Urteil der Revolutionstribunale legt man keine Berufung ein.“ Und was tut man, um seine unschuldigen Freunde zu ” retten? Was werden Sie denn tun, um diesen jungen atzen und lieben, zu retten, und wer Mann, den Sie sch¨ ist gekommen, um sich auszuliefern, weil Sie zu ihm gesagt haben: Es geht um meinen Kopf, wenn man ” erf¨ahrt, daß ich Ihnen zur Flucht verholfen habe?“ Was den jetzigen Zeitpunkt betrifft, kann ich nur eines ” tun, was dich zwar nicht zufriedenstellen wird, jedoch seine Bedeutung hat. Ich kann ihn, zumindest hoffe ¨ ¨ angnis uberf ich es, in ein anderes Gef¨ uhren lassen, das heißt, in eine andere Stadt. Hier, unter den Augen von Pamphile, einer Viper, und von Piphaigne, einem Tiger, ist er in großer Gefahr. An einem anderen Ort, wo ihn niemand kennt, vergißt man ihn vielleicht bis zum Frieden.“ Seite: 171
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3.12: Kapitel XII.
¨ Frieden! Wann denn? Es sieht so aus, als ob wir uber” all geschlagen werden! Die Aristokraten hoffen, so sagt man, daß der Feind die Oberhand gewinnt und alle Gefangenen, die Sie gemacht haben, befreien wird. Es ist vielleicht unbesonnen von Ihnen, so viele Leu¨ und verzweifelt zu machen; das wird te unglucklich bewirken, daß viele andere den Sieg der Ausl¨ ander her¨ beiwunschen.“ Ich hatte unvorsichtig gesprochen. Ich bemerkte es, als ich sah, wie die Lippen des Advokaten weiß wurden und zitterten. Nimm dich in acht, kleines verliebtes Ding“, rief er vol” ler Groll, du verr¨atst dich und klagst deinen Geliebten ” an!“ ¨ mich beleidigt. Ich fuhlte Ich bin keineswegs ein verliebtes Ding“, sagte ich kraft” voll; ich bin nicht in dem Alter, wo man liebt, und mein ” Herz ist aufrichtig. Beleidigen Sie mich nicht, ich ha¨ seine be genug Sorgen, ich tue das, was ich auch fur ¨ den Prior, fur ¨ Sie tun wurde, ¨ Schwester, fur wenn Sie in Gefahr w¨aren . . . und Sie werden es vielleicht sein, wie andere auch! Die Sansculotten finden Sie vielleicht nicht gemein genug - oder die Aristokraten werden wieder die St¨arksten, und vielleicht werde ich dann um Ihr Gef¨angnis kreisen und Sie zu retten versuchen. Glau¨ ben Sie, ich wurde mich ruhig verhalten, wenn Sie ins ¨ ¨ sturzen? Ungluck “ Er sah mich mit großer Verwunderung an und sagte zwischen den Z¨ ahnen ein Wort, das ich nicht sofort verstand, jedoch sp¨ ater als Heldinnennatur auslegte! - Er Seite: 172
Nanon von George Sand nahm meine Hand und betrachtete sie, dann drehte er sie um, damit er, wie es die Wahrsagerinnen tun, die Innenfl¨ache sehen konnte. Du wirst leben“, sagte er, du wirst in deinem Leben ” ” dein Werk vollenden, ich weiß nicht, welches, doch was du gewollt hast, wirst du verwirklicht sehen. Ich habe ¨ ¨ Sieh dir diese Linie an: ich bin funfundweniger Gluck. ¨ dreißig Jahre alt, ich werde die funfzig nicht erreichen; ¨ Triwerde ich lange genug leben, um den endgultigen umph der Republik zu sehen? Mehr verlange ich nicht.“ Sie glauben also an Magie, Monsieur Costejoux, Sie, ” der Sie nicht an Gott glauben? Nun gut, sagen Sie mir, ob Emilien leben wird. Vielleicht steht es in meiner Hand geschrieben.“ Ich sehe, daß du eine große Krankheit durchmachen ” wirst . . . oder einen großen Kummer; - es ist vielleicht ...“ ¨ Sie haben gesagt, daß Nein, Sie wissen nichts daruber! ” ich in meinem Wollen Erfolg haben werde, und mein ¨ Wollen ist, daß er nicht stirbt. Auf denn, Sie mussen mir helfen.“ Dir helfen? Und wenn er, ohne einer Desertierungsab” sicht schuldig zu sein, sich durch das Beispiel seiner Familie hinreißen ließe?“ Ach! Sie glauben also nicht mehr an ihn? Sie sind miß” trauisch geworden!“ Ja, man ist gezwungen, sich vor seinem eigenen Schat” ten in acht zu nehmen; fast gar vor sich selbst, wenn man die Hand auf das Netz von Verrat und feiger Seite: 173
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3.12: Kapitel XII.
¨ Schw¨ache legt, in das diese ungluckliche Republik verstrickt ist! Je mehr Sie anderen angst machen, desto mehr Feig” linge wird es geben.“ Du, du bist tapfer, und doch kannst auch du zur ” Verr¨aterin werden, aus Liebe . . . verzeih mir, aus Freundschaft! Wie alt bis du denn?“ Achtzehn, zu den Muscadettes.“ ” In zwei Monaten! Du erinnerst mich an das Land, an ” ¨ Pflaumen, damals, als ich diese guten, kleinen, grunen auf B¨ aume kletterte. Wie fern das alles ist! . . . Ich, der davon getr¨ aumt hatte, mich von den Gesch¨ aften ¨ zu heiraten, das Kloster in Ordnung zuruckzuziehen, ¨ zu bringen, eine hubsche Wohnung dort zu haben, den ¨ Rest von Geißblatt und Klematis uberwuchern zu las¨ Bauer zu werden, mitten unter sen, Schafe zu zuchten, euch zu leben . . . Es war eine Illusion! Diese Republik, die errungen schien! Alles muß von Grund auf wiederbegonnen werden, und wir werden vielleicht an der ¨ Muhe sterben! Auf denn, geh schlafen, du mußt recht ¨ mude sein.“ Wo denn?“ ” In einem Kabinett neben dem Zimmer, das meine Mut” ter bewohnt, wenn sie hierher kommt; ich habe Laurian in Kenntnis gesetzt. Du brauchst nur eine Treppe hinaufzugehen.“ Laurian, der mit Ihnen zum Kloster kam? Ich habe ihn ” hier noch nicht gesehen.“ Seite: 174
Nanon von George Sand Er hatte heute abend Besorgungen zu machen. Er ist ” ¨ zuruck, ich habe ihn unterrichtet. Er allein kennt dich. Er wird nichts sagen, sprich nicht mit ihm. Du wirst ¨ morgen gehen, oder, wenn du zu mude bist, die Wohnung meiner Mutter nicht verlassen. Du k¨onntest Pamphile im Haus begegnen, und ich weiß, daß er dir nicht wohl gesonnen ist.“ Ich werde morgen nicht weggehen; Sic haben mir nicht ” genug versprochen. Ich will noch mit Ihnen reden.“ Es ist nicht sicher, daß ich wie heute Zeit haben wer” ¨ de. Im ubrigen habe ich dir nichts zu versprechen. Du ¨ das arme Kind alles tun weißt sehr gut, daß ich fur werde, was menschenm¨oglich ist.“ ¨ Das ist endlich ein gutes Wort“, sagte ich und kußte ” leidenschaftlich seine Hand. Er betrachtete mich wieder mit einem verwunderten Ausdruck. ¨ Weißt du“, sagte er, daß du h¨aßlich warst und hubsch ” ” wirst?“ ¨ ndern?“ Nun ja, mein Gott, was soll das a ” Es a¨ ndert, daß du dich, wenn du so ganz allein un” terwegs bist und Wagnisse eingehst, allerlei Gefahren aussetzt, die du nicht vorhersiehst. Wenigstens w¨arest du hier in Sicherheit. Guten Abend. Ich muß die halbe ¨ arbeiten und aufstehen, bevor es Tag wird.“ Nacht uber Schlafen Sie denn nicht mehr?“ ” Wer schl¨aft schon zu dieser Stunde in Frankreich?“ ” Ich. Ich gehe schlafen: Sie haben mir Hoffnung gege” ben.“ Seite: 175
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3.12: Kapitel XII.
Hoffe nicht zu viel, und sei vorsichtig.“ Das werde ich ” ” sein! Gott sei mit Ihnen.“ Ich verließ ihn und traf im Flur Laurian. Er wartete auf mich; doch sagte er nichts zu mir und sah mich nicht an, ich ging die Treppe hinauf und folgte ihm. Er gab mir den Leuchter, den er bei sich hatte, und einen ¨ ¨ wies. Dann kehrte cr wobei er auf die Tur Schlussel, ¨ mir den Rukken und ging leise hinunter. Ach! Es war wahrhaftig der Terror! Ich hatte ihn noch nicht aus so großer N¨ ahe gesehen, mein Herz zog sich zusammen. Ich war so ersch¨opft, daß ich mir b¨ose war, mich besiegt ¨ und unf¨ zu fuhlen ahig, auch nur eine Minute l¨anger wach zubleiben. Mein Gott“, sagte ich zu mir und fiel auf das Bett, habe ” ” ich denn nur so wenig Kraft? Ich habe geglaubt, das Unm¨ogliche tun zu k¨onnen, und nun breche ich bei der ¨ ersten Ermudungserscheinung zusammen!“ Ich schlief ein und sagte mir noch zum Trost: Pah! So ist es eben am Anfang; ich werde mich daran ” gew¨ohnen.“ Ich schlief, ohne zu wissen, wo ich war, und als ich ¨ bei Tagesanbruch aufwachte, hatte ich Muhe, mich zurechtzufinden. Mein erster Gedanke war, mir meine ¨ anzusehen; keine Wunde, keine Schwellung. Ich Fuße wusch und bekleidete sie; ich hatte eines Tages, wie ich ¨ mich erinnerte, befurchtet, keine gute Marschiererin zu ¨ die Kleinheit meiner sein, als mein Vetter Jacques uber ¨ Fuße ande gespottet und gesagt hatte, ich h¨atte und H¨ ¨ Zikadenfuße und nicht die einer Frau. Ich hatte ihm geantwortet: Seite: 176
Nanon von George Sand Die Zikaden haben gute Beine und springen besser, als ” du gehst.“ Die Mariotte hatte gesagt: Sie hat recht; man kann benachteiligt sein wie sie ” ¨ und ebenso gut laufen wie mit sch¨onen, großen Fußen, wichtig ist nur, daß sie gut sind.“ ¨ und war mit ihnen zufrieden. Ich hatte also gute Fuße ¨ Ich fuhlte mich nicht mehr ersch¨opft. Ich war bereit, durch ganz Frankreich zu laufen, um Emilien zu folgen. ¨ sein, Aber er! Wie traurig und krank mußte er daruber sich eingesperrt zu sehen! Hatte er etwas zu essen, konnte er seine Kleider wechseln, konnte er schlafen? ¨ der Ich wollte nicht daran denken, es gab mir ein Gefuhl Ohnmacht. Ich befand mich auf einem kleinen H¨angeboden mit einem Fenster zum Dach. Ich konnte nicht hinaufklettern und sah nur den Himmel. Ich blickte zur ¨ durch die ich gekommen war, sie war von außen Tur, verschlossen. Auch ich war im Gef¨ angnis. Monsieur Costejoux versteckte mich, es war zu meinem Besten. Ich faßte mich in Geduld.
3.13
Kapitel XIII.
Gegen sechs Uhr morgens klopfte jemand an eine an¨ Ich antwortete, man solle eintreten und sah dere Tur. Laurian, der mir ein Zeichen gab. Ich folgte ihm in ein sehr sch¨ones Zimmer, das neben meinem lag und Madame Costejoux, der Mutter, geh¨orte. Er zeigte mir auf ¨ ¨ dem Tisch ein sehr gutes Fruhst uck und dann das mit Seite: 177
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3.13: Kapitel XIII.
Sommerl¨aden geschlossene Fenster, als wolle er mir sagen, ich k¨onne hinausschauen, solle jedoch nicht o¨ ffnen; und wie am Abend ging er, ohne zu sprechen, ¨ schloß mich ein und zog den Schlussel ab. Als ich mit dem Essen fertig war, betrachtete ich die Straße. Es war die erste Stadt, die ich sah, und ein sch¨ones Viertel; doch das Kloster war sch¨oner und bes¨ ser gebaut. Ich fand alle diese H¨auser klein, duster und traurig. Und was das Traurige angeht, sie waren es in ¨ auser, deren Besitzer sich dader Tat. Es waren Burgerh¨ vongemacht hatten und aufs Land gegangen waren. Nur ¨ die Dienerschaft war zuruckgeblieben, sie ging heimlich ¨ aus und kehrte zuruck, ohne unterwegs miteinander ¨ Haussuchungen durch. geredet zu haben. Man fuhrte ¨ Ich sah, wie eine Gruppe von Leuten mit roten Mutzen auser beund großen Kokarden eines der sch¨onsten H¨ trat, die Fenster o¨ ffnen ließ, kam und ging. Ihre Stimmen drangen bis zu mir; sie schienen zu befehlen und zu drohen. Ich h¨orte auch so etwas wie das Einschlagen ¨ ¨ von M¨obeln. Eine alte Bevon Turen und Zertrummern schließerin ereiferte sich und kreischte mit gebrochener Stimme. Man schrie lauter als sie, nahm sie mit und brachte sie ins Gef¨angnis. Man trug Schachteln, Truhen und Packen von Papieren davon. Die Ladenbesit¨ ngstlich, die Vorubergehenden ¨ zer grinsten dumm und a stellten keinerlei Fragen und blieben auch nicht stehen. ¨ und StumpfDie Furcht hatte alle mit Gleichgultigkeit sinn geschlagen. Ich verstand alles, was ich sah und war außer mir. Ich fragte mich, wieso Monsieur Costejoux, der dies auch ¨ diesen Gesehen mußte, sich diesen Bedruckungen, Seite: 178
Nanon von George Sand ¨ waltt¨ atigkeiten, diesen Beleidigungen gegenuber einer alten Frau mit weißem Haar, die Banditen den Besitz ihrer Herrschaft streitig machte, nicht entgegenstellte. Und die Herren? Wieso waren sie nicht da? Wieso ließ sich eine ganze Stadt von einer Handvoll Verbrecher ¨ ¨ uberfallen und ausplundern? Anderswo nahm man W¨asche und Silberzeug an sich. Man t¨otete einen alten Hund, der sein Heim verteidigen wollte. Hatten denn allein Greise und Haustiere Mut? Ich war zornig, als ich Monsieur Costejoux sah, der gegen Mittag in das Zimmer heraufkam, wo ich mich aufhielt. Ich konnte nicht an mich halten, es ihm zu sagen. Ja“, antwortete er, all das ist ungerecht und absto” ” ßend. Es ist das erniedrigte Volk, das sich auf gemeine Weise r¨acht.“ Nein, nein!“ rief ich, es ist nicht das Volk! Das Volk ist ” ” fassungslos und feige, das ist sein ganzes Verbrechen.“ Nun ja! Du legst den Finger in die Wunde. Es ist feige; ” also k¨onnen wir nicht mit ihm rechnen, um die Aristokraten daran zu hindern, uns dem Feind auszuliefern. Wir finden nur noch Banditen, die der guten Sache dienen wollen, man nimmt, was man kriegt.“ ¨ Sie kreisen in einen K¨afig, Das ist ein großes Ungluck! ” V¨ogeln gleich, die man mit Katzen zusammengesperrt hat. Wenn sie die Gitterst¨abe zerbrechen, werden sie auf den Geier treffen, der auf sie wartet; wenn sie im K¨afig bleiben, fressen sie die Katzen.“ ¨ das wir arDas ist anzunehmen, und dieses Volk, fur ” beiten, dem wir alles opfern, sieht uns zu und hilft uns Seite: 179
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¨ nicht. Du hast es gesagt; es ist feige; ich fuge hinzu, es ist egoistisch, da braucht man bloß bei euch Bauern anzufangen, die ihr euch voller Freude auf das Land ¨ gesturzt habt, das die Republik euch gab, und das man gewaltsam beschlagnahmen muß, um euch zur Verteidigung des Staates zu bewegen.“ Es ist Ihre Schuld, Sie sind unser Stein des Ansto” ßes! Und sehen Sie, was mit Emilien geschieht! Er eilt hierher, um Soldat zu werden, und Sie werfen ihn ins angnis. Glauben Sie, das wird den anderen Mut maGef¨ chen? Na also, sagen Sie mir, was mit ihm geschehen ¨ wird, Sie mussen es wissen.“ Man wird ihn nach Chateauroux bringen, das habe ich ” erreicht, und das ist sehr viel.“ Nun, so werde ich nach Chateauroux gehen.“ ” Mach was du willst, ich glaube, du wirst das Unm¨ogli” che in Angriff nehmen.“ Das braucht man keinem zu sagen, der entschlossen ” ist.“ Nun denn! Versuch es, setz dein Leben aufs Spiel, es ” ist dein Wille und deine Bestimmung. Nur, vergiß eines nicht: wenn es dir mißlingt und man deinen Versuch entdeckt, schickst du ihn in einen sicheren Tod, du angnis herauszerst¨orst ihm die Chance, aus dem Gef¨ anger bleiben; hier zukommen. Adieu, ich kann nicht l¨ sind zwei Dinge, die du brauchst: ein Paß, das heißt, ¨ ein Burgerausweis und Geld.“ ¨ den Ausweis, aber ich habe mehr Geld, als Danke fur ” ich brauche. Wann wird Emilien weggebracht?“ Morgen ” Seite: 180
Nanon von George Sand ¨ fruh; ich lasse, da die Gef¨angnisse hier voll sind, drei ¨ ¨ uhren. Ich habe ihn auf die Liste der Abfahrenden uberf setzen lassen.“ Monsieur Costejoux verließ mich ganz pl¨otzlich, als er ¨ h¨orte. Ich sah ihn nicht wieder. Ich verdie Turglocke brachte den Rest des Tages damit, eine Karte von Cassini zu studieren, die ich im Zimmer von Madame Costejoux fand und so gut in mein Ged¨ achtnis einpr¨ agte, als ob ich sie abgezeichnet h¨ atte. Als es Abend war, sagte ich zu Laurian, der mir mein Essen brachte, daß ich ¨ nach Valcreux zuruckkehren wolle und bat ihn, die un¨ offen zu lassen. Ich versprach ihm, das Haus tere Tur ungesehen zu verlassen. Ich wartete den gegebenen Moment ab und hielt Wort. Ich war nachts gekommen, ich ¨ ging zur gleichen Zeit fort, und die ubrige Dienerschaft des Hauses wußte nicht, daß ich eine Nacht und einen Tag dort zugebracht hatte. ¨ das, was ich tun wollte, nachgedacht. Ich hatte uber In der Stadt bleiben auf die Gefahr hin, dort Pamphile zu treffen, bedeutete, Emiliens Abreise aufs Spiel zu ¨ setzen; nach Valcreux zuruckkehren bedeutete, nichts zu erfahren und seine Spur zu verlieren. Ich war entschlossen, mich nach Chateauroux zu begeben. Ich wußte, daß es eine Postkutsche gab, die am Morgen abfuhr; ich hatte alles, was ich erfahren konnte, am ¨ Vorabend in der Kuche geh¨ort und mir alles gemerkt. Ich verließ die Stadt, meinen grauen Kapuzenmantel ¨ ¨ ackchen darunter, und marubergest ulpt und mein P¨ schierte aufs Geratewohl, bis ich eine Frau bemerkte, ¨ saß. Ich fragte sie nach dem die allein vor ihrer Tur Weg Richtung Paris. Sie bezeichnete ihn mir recht gut. Seite: 181
George Sand
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¨ Ich war ein gutes Stuck davon entfernt, erreichte ihn ¨ sich in dem jedoch schnell. Alle schliefen, nichts ruhrte Vorort. Genau dort mußte ich warten; doch um welche ¨ Stunde wurde die Postkutsche vorbeikommen? Dort mußte zweifellos auch der Wagen mit den Gefangenen vorbeikommen. Ich wollte nicht weitergehen. Ich bemerkte eine Kirche, die weit offen stand, wo es kein Licht gab, nicht einmal das der kleinen Lampe, die ¨ ublicherweise im Chor brennt. Ich dachte daran, dort Zuflucht zu suchen, da sie verlassen schien. Ich schlich ¨ ¨ tastend hinein, stieß gegen Stufen, sturzte und daruber ¨ ¨ war sehr uberrascht, als ich mit den H¨ anden spurte, daß sie mit Gras bewachsen waren. Wie kam es dorthin? Die Kirche war keineswegs eine Ruine. Ich h¨orte ¨ Flustern und vorsichtiges Gehen, so als ob auch andere hier Zuflucht gesucht h¨ atten. Das machte mir angst. ¨ Ich zog mich leise zuruck, ich hatte in der vergangenen Nacht gut geschlafen, ich brauchte keine Rast. Ich lief die Straße entlang, bis ich zu einem Geh¨olz kam, wo ich blieb und auf den Tag wartete, wobei ich einige Male aus Langeweile einnickte, mich jedoch nicht dem ¨ ¨ da ich furchtete, die Zeit zu verpassen. Schlaf uberließ, Schließlich h¨orte ich so etwas wie den Trab mehrerer Pferde und sprang auf, um zu sehen, was es war. Ich sah, wie ein großer Karren sich n¨aherte, wie eine Kut¨ sche uberdacht, von vier wie Soldaten gekleideten und mit S¨ abeln und Karabinern bewaffneten Reitern eskortiert. Die Straße stieg an, sie fielen in Schritt. Am Po¨ chen meines Herzens spurte ich, daß es die Eskorte und der Gefangenenwagen sein mußten. Ich hatte mich entschlossen, ihn vorbeifahren zu lassen, falls ich ihn vor der Postkutsche sehen sollte, doch die Hoffnung siegSeite: 182
Nanon von George Sand ¨ te uber die Vorsicht, ich ging geradewegs auf einen der auschter Einfalt, ob Reiter zu und fragte ihn mit vorget¨ dies der o¨ ffentliche Wagen nach Chateauroux sei. Wie dumm du bist!“ antwortete er, siehst du nicht, daß ” ” dies die Karosse der Aristokraten ist?“ ¨ Ich tat so, als verstunde ich nichts. Na gut!“ erwiderte ich, kann man nicht, wenn man den ” ” erforderlichen Preis zahlt, oben oder hinten mitreisen?“ ¨ Und ich fugte hinzu, wobei ich das Maul des Pferdes anfaßte: Oh! Ohne mich h¨atte Ihr Tier seine Kinnkette ” verloren.“ Ich befestigte sie, w¨ ahrend der Wagen vorbeirollte, was mir erlaubte, den Reiter festzuhalten. Wo gehst du denn so hin?“ sagte er zu mir. ” Ich gehe in Stellung in eine Gegend, die ich nicht ken” ne. Lassen Sie mich doch auf Ihrem Karren aufsitzen! c ¨ es dich, wenn Du bist gar nicht h¨aßlich, du! Argert ” man dir das sagt?“ Aber nein“, antwortete ich mit einer Unverfrorenheit, ” die ich um so besser spielte, als ich noch mehr Unschuld hineinlegte. Er gab seinem Pferd die Sporen, um dem Kutscher zu sagen, er solle anhalten. Er wechselte ein paar Worte mit ihm, ließ mich auf die Bank klettern, die als Bock diente, und ich h¨orte, wie er zu den anderen Reitern sagte: Seite: 183
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Das ist eine Beschlagnahmung!“ Die anderen lachten, ” und ich zitterte. Unwichtig“, dachte ich, ich bin da, ich reise mit Emi” ” lien, ich werde erfahren, wohin er geht, wie man ihn behandelt, und wenn die Leute mich beleidigen wollen, ¨ dann weiß ich an einem gunstigen Ort die Flucht zu ergreifen.“ Der Kutscher war ein dicker Mensch mit angegrautem Bart, rotem Gesicht und sanftem Ausdruck. Er wollte nur plaudern. In weniger als einer Stunde erfuhr ich, daß er Kutscher der Schnellpost war, jedoch dienstverpflichtet, um die Gefangenen zu begleiten, und daß Baptiste, sein Neffe und erster Stallbursche, an diesem Tag die Schnellpost fuhr. Er wußte die Namen der Ge¨ fangenen nicht, das war ihm v¨ollig gleichgultig. Ich“, sagte er, verstehe von Republik, Monarchie, Wei” ” ßen, Roten, Trikoloren und all dem gar nichts. Ich kenne meine Pferde und die Herbergen, wo der Branntwein gut ist, nach mehr darf man mich nicht fragen. Wenn die Regierung mir befiehlt, folge und gehorche ich. Bei mir hat der St¨arkste, derjenige, der zahlt, stets recht.“ Ich tat so, als bewunderte ich seine hohe Philosophie, und er redete ins Blaue hinein von allem, was mich nicht interessierte, aber ich h¨orte gleichwohl zu und be¨ hielt selbst die kleinsten Details uber Land und Leute. ¨ Unter anderem sprach er uber seine Heimat. Er war aus dem Berry, einem Marktflecken namens Crevant, von dem ich noch nie etwas geh¨ort hatte. Ach verdammt!“ sagte er, das ist ein recht wildes Land, ” ” und in den Bergen, da bin ich sicher, gibt es Leute, die Seite: 184
Nanon von George Sand noch nie eine Stadt, eine große Straße oder einen Wagen mit vier R¨adern gesehen haben. Das besteht nur aumen und Farnkraut, und man kann aus Kastanienb¨ eine Meile laufen, ohne auch nur eine Ziege zu treffen. Wahrhaftig! W¨ are ich doch zu Hause geblieben, ich h¨atte mehr Ruhe als jetzt: da macht man sich keine ¨ Gedanken uber die Republik! Man weiß vielleicht nicht einmal, daß es sie gibt. Doch es ist ein Land des Elends, wo man nichts ausgibt, weil man auch nichts verdient.“ Ich fragte ihn, in welcher Richtung sich diese Ein¨ode befand. Er beschrieb mir eine Art Reiseroute, die ich mir achtnis einpr¨agte, wobei ich den Eindruck in mein Ged¨ erweckte, ihm aus Gef¨alligkeit zuzuh¨oren, ohne zu wis¨ ¨ sen, ob es mir nutzlich sein wurde, so gut unterrichtet zu sein; doch ich achtete in jeder Hinsicht auf alles und sagte mir, jede Sache k¨onne mir zum rechten Zeitpunkt dienlich sein. Ich erfuhr von ihm weiterhin, daß die Leute, die uns eskortierten, keine Gendarmen waren, sondern Patrio¨ ten aus der Stadt, die aus freien Stucken mehr als eine ¨ undankbare Arbeit ubernahmen, damit sie gut ange¨ schrieben waren. Wieder Blutrunstige, die Angst hatten. Ich mußte sie in Bessines verlassen, wo man ausspannte, um die Pferde zu wechseln. Ich hatte getan, was m¨oglich war, um die Gefangenen zu sehen oder zumindest ihre Stimmen zu h¨oren. Sie waren so gut eingeschlossen, daß ich mich, es sei denn, ich wollte mich verraten, von nichts vergewissern konnte. Trotz meiner Vorsicht schienen die Reiter mir zu mißtrauen, oder sie ¨ ¨ gerugt befurchteten, zu werden, denn sie sagten mir, Seite: 185
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sie k¨onnten mich nicht l¨anger bei sich behalten, und ame bald, ich brauchte nur auf sie zu die Schnellpost k¨ warten. Ich wartete l¨anger als eine Stunde. Sie spannte ¨ gleichfalls aus. Ich starb vor Ungeduld, da ich furchtete, die Spur der H¨aftlinge zu verlieren. Ich sprach den Kutscher an, nannte ihn B¨ urger Baptiste und sagte ihm, sein Onkel habe mich erm¨achtigt, ihn nach einem Platz neben ihm auf dem Kutschbock zu fragen, was er mir ohne weiteres gew¨ahrte. Ich legte großen Wert darauf, mit jemandem zu plaudern. Ich war froh, als die Schnellpost sich endlich wieder auf dem Weg befand. ¨ die Fortsetzung Indes machte ich mir Gedanken uber der Reise. Die Art, wie man mich ansah und mit mir ¨ mich, und ich wurde mir schließredete, war neu fur lich das Nachteils bewußt, ein junges M¨adchen zu sein, das allein unterwegs war. In Valcreux, wo man wuߨ te, daß ich sittsam und zuruckhaltend war, hatte mich niemand daran erinnert, kein Kind mehr zu sein, und ich hatte mich nur zu sehr daran gew¨ohnt, meine Jahre nicht zu z¨ ahlen. Ich dachte daran, was Monsieur Costejoux mir zu dem Thema gesagt hatte. Ich sah schließlich in meinem Geschlecht einen Nachteil und Gefahren, die ich niemals bedacht hatte. Die Scham offenbarte sich in der Form des Schreckens. Zu atte es mir vielleicht Freude einem anderen Zeitpunkt h¨ ¨ gemacht, wenn ich erfahren h¨ atte, hubsch geworden zu sein. Doch in diesem Augenblick war ich deswegen tief ¨ betrubt. Die Sch¨onheit zieht stets Blicke an, und ich h¨atte mich am liebsten unsichtbar gemacht. ane in meinem Kopf ich blieb daIch w¨alzte mehrere Pl¨ bei, mich nicht in Chateauroux zu zeigen, ohne mir Seite: 186
Nanon von George Sand einen Schutz besorgt zu haben, und nach Valcreux ¨ zuruckzukehren, um ihn mir zu holen, sobald ich mich ¨ hatte. von Emiliens Anwesenheit im Konvoi uberzeugt Ich sage Konvoi, denn ein anderer geschlossener Karren, der aus einem Weg herauskam, wollte sich bald ¨ vor uns setzen und beeilte sich, uns zu uberholen. Aha!“ sagte der Kutscher Baptiste zu mir, da sind die ” ” wilden Tiere vom flachen Land, die man zu den anderen bringt. Die Gef¨ angnisse scheinen alle voll zu sein. Man ist ganz sch¨on dumm in unserer Gegend, so viel Aufhebens von den Aristokraten zu machen, wo man doch wie in Nantes oder Lyon verfahren k¨onnte, wenn man ihrer zu viele hat.“ Was macht man denn mit ihnen?“ ” ankt Man legt mit einer Kart¨ atsche auf sie an oder ertr¨ ” sie wie Hunde.“ Und das ist richtig so“, antwortete ich verwirrt und ” aufs Geratewohl. Auch ich war feige, doch nicht meinetwegen hatte ich Angst; denn wenn ich nicht an meine Aufgabe gedacht h¨atte, so glaube ich, w¨ are ich diesem Baptiste ins Gesicht gesprungen und h¨ atte ihn geohrfeigt. Von ihm erfuhr ich, daß wir den Konvoi nicht einho¨ len sollten und er die ganze Nacht durchfahren wurde, ahrend wir sie in Argenton verbringen sollten. w¨ are ich nur auf dem ersDie Nacht!“ dachte ich, ach, w¨ ” ” ten Wagen geblieben, ich k¨onnte vielleicht einen Augenblick, einen Zufall nutzen.“ Seite: 187
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Dann hatte ich Lust abzusteigen, herumzulaufen, ich wußte nicht mehr, was ich wollte. Ich war dabei, den ane gemacht, ich Kopf zu verlieren. Ich hatte zu viele Pl¨ ¨ mehr in den war ersch¨opft. Mir kam nichts Vernunftiges Sinn. ¨ Ich empfahl mich Gott. Wie groß waren meine Uberraschung und meine Freude, als wir bei Einbruch der Dunkelheit nach Argenton kamen und ich den Konvoi ¨ der Herberge sah! Man wartete auf Pfervor der Tur ¨ de, die von einer Tour zuruckkommen sollten, und zwei der Reiter waren losgegangen, um in der Stadt welche zu beschlagnahmen. Man behauptete, es g¨abe kein ein¨ ziges mehr. Ich betrachtete die beiden zuruckgebliebenen Reiter. Derjenige, der mich als Beschlagnahmung behandelt hatte, war nicht dabei. Die anderen bemerkten mich. Einer von ihnen war sehr mißtrauisch und fragte mich, ob ich einen der Gefangenen im Konvoi kenne. Das war keine sehr geschickte Frage. Ich wurde ¨ argw¨ohnisch und sagte kuhn zu ihm, jemand wie ich kenne keine Aristokraten. Ich betrat die Herberge, um mir nicht den Anschein zu geben, den Konvoi zu beobachten. Wenig sp¨ater kamen auch die beiden Reiter herein und hatten bei sich einen Greis, den ich noch nie gesehen hatte, eine alte Frau, in der ich die erkannte, die man vor meinen Augen am Morgen verhaftet hatte, und einen jungen Mann, den ich, aus Angst, mich zu verraten, nicht ansehen wollte; doch das brauchte ich nicht, er war es, Emilien, dessen war ich gewiß. Ich drehte mich zum Kamin um, damit er mich nicht sah. Ich h¨orte, daß man ihm und den beiden anderen etwas zu essen brachte. Ich weiß nicht, Seite: 188
Nanon von George Sand ob sie aßen, sie redeten nicht miteinander. Als ich mich ¨ meiner sicher fuhlte, drehte ich mich um und betrachtete ihn, von niemandem beobachtet. Er war sehr bleich ¨ und schien mude, aber er war ruhig. Man h¨atte meinen ¨ Ich faßte k¨onnen, er reise aus gesch¨ aftlichen Grunden. wieder Mut, und da er sich bei meinem Anblick h¨atte verraten k¨onnen, verließ ich die Herberge und war entschlossen, lieber noch einmal unter freiem Himmel zu ¨ ubernachten, als in dieser Herberge zu schlafen, die voll war mit rohen Menschen, die mich feixend beobachteten. Ich verließ die Straße und lief bis tief in die Nacht. Man ¨ gab es Strohdiemen, hatte die Ernte beendet, uberall die mir als Bett und Versteck dienen konnten. Ich hat¨ te beschlossen, nach Hause zuruckzukehren, um mein Werk besser vorzubereiten, bei Tagesanbruch nahm ich ¨ eine Abkurzung, wobei ich mich an der geraden Linie zwischen Baunat und Chenerailles orientierte. Ich verirrte mich nicht einmal. Auf der Karte hatte ich gesehen, daß das Kloster auf der Vogelfluglinie ebenso weit entfernt war von Limoges wie von Argenton. Ohne Zwischenfall kam ich am n¨achsten Abend zu Hause an.
3.14
Kapitel XIV.
Ich erz¨ ahlte alle meine Erlebnisse dem Prior und legte ihm nahe, sich ruhig zu verhalten, sich vergessen zu lassen, sich tot zu stellen, wie Monsieur Costejoux gesagt hatte. Ich flehte ihn an, lieber zu gestatten, daß ¨ das Land verwustet werde, als sich Feinde zu machen. Seite: 189
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3.14: Kapitel XIV.
¨ Er lachte mich aus, sagte, er furchte keinen und wer¨ ¨ dem Eigentumer de gegenuber seine Pflicht tun, solange ein Lebensfunke in ihm sei. Von Vorsicht sprach er stets zu anderen und ging entsprechend auch mit sich ¨ ¨ ußern mußte; selbst um, wenn er sich uber Politik a aber im Grunde war er vom Charakter her sehr mutig und legte sich keinen Zwang auf, wenn es darum ging, ¨ Plunderer davonzujagen, wie damals, als er noch Verwalter der Ordensgemeinschaft war. Das geh¨orte zu sei¨ nen Gewohnheiten und rettete ihn vor ublen Streichen, die man ihm h¨atte spielen k¨onnen. Die Bauern verach¨ ten die, welche sie furchten und beugen sich stets, zumindest in der Theorie, dem Respekt vor dem Gesetz. Nach allerlei Pl¨ anen blieb ich bei dem, der mir w¨ahrend meiner Reise durch den Kopf gegangen war. Ich fragte Dumont, der Land und Straßen kannte, ob er mit mir die Gefahren auf sich nehmen wolle, und er warf mir vor, etwas ohne ihn begonnen zu haben. Er billigachsten Marktflecken, te meinen Plan. Er ging zum n¨ um einen Esel zu kaufen und Stoffe, aus denen ich ¨ einen Knaben zurechtin n¨achtlicher Arbeit Kleider fur schneiderte. Ich nahm W¨ asche, Gegenst¨ande zum Tau¨ mich, fur ¨ Dumont schen und verschiedene Sachen fur ¨ Emilien, dem es an allem fehlen mußund vor allem fur te. Uns fehlte es an Geld. Der Prior, der, wie man sich erinnern wird, etwas besaß, o¨ ffnete uns seine B¨orse, der ich weniger entnahm, als er es wollte. Sehr geizig im Kleinen, war er im Großen sehr freigebig. W¨ahrend ich meine Vorbereitungen traf, machte Dumont sich auf den Weg, geleitet durch meine Angaben, ohne sich irgend etwas anmerken zu lassen, und untersuchte die Gegend von Crevant, die ich als beste Zuflucht in unSeite: 190
Nanon von George Sand ¨ serer Reichweite in Erinnerung hatte, denn es genugte ¨ l¨angst nicht, den Gefangenen zu befreien: man wurde nach ihm suchen, ihn denunzieren, ihn ausliefern; man durfte sich nur noch auf die Ein¨ode verlassen, um den Nachforschungen zu entkommen, und ich fand in unserer Nachbarschaft nichts, was unbewohnt genug ge¨ kannte Pamphile sie zu genau. wesen w¨are. Im ubrigen ¨ Dumont kam zuruck und sagte mir, der angegebene Ort w¨are in der Tat der bestm¨ogliche, er habe dort ei¨ Emilien beschafft und zu einem geringen ne Bleibe fur Preis ein alleinstehendes altes Gem¨ auer in einer verlassenen Gegend gemietet. Es war nicht sehr weit von uns entfernt, zehn oder zw¨olf Stunden Wegs. Man durfte nicht damit rechnen, sagte er seufzend, dort Brot zu essen und Wein zu trinken; doch mit einigem Fleiß k¨onne man dem Hunger entgehen. Acht Tage nach mei¨ ner Ruckkehr brach ich nachts erneut auf, gekleidet wie ein Junge, mit abgeschnittenem Haar und einem kr¨ aftigen Stock in der Hand. Dumont hatte seit langem Bart und Haare wachsen lassen. Nichts an ihm ließ den Diener aus gutem Hause erkennen. Er war sehr schlau, sehr vorsichtig, sehr tapfer, und seit mehreren Monaten hatte er sich das Trinken abgew¨ohnt. Vor uns her marschierte guten Schritts unser Esel und trug den mit Stroh umwickelten Ballen. Er war nicht so beladen, daß er nicht auch einen von uns im Falle großer Ersch¨opfung oder eines Ungeschicks h¨atte tragen k¨onnen. atelus halt, und nach einem TagesWir machten in Ch¨ marsch von zehn Meilen verbrachten wir die Nacht in La Ch¨atre, einer kleinen Stadt von dreitausend Seelen, Seite: 191
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wo der Terror gottlob mehr L¨ arm machte, als daß er die Menschen besch¨aftigte. Einige Demokraten schrien recht laut; doch die Einwohner, die sich voreinander ¨ furchteten, verfolgten sich nicht gegenseitig. Ich machte Dumont auf ihre Gastfreundschaft und ihren Sanftmut aufmerksam, die gr¨oßer zu sein schienen als bei Leuten in anderen Orten. Er hatte mir unterwegs gezeigt, wie hochgelegen die Gegend war, in die ¨ wir uns zuruckziehen sollten, und mir kam es so vor, als sei das Berry tats¨ achlich weiter weg von der Revolution als Limoges und Argenton, die an der Straße nach Paris lagen. Und das, was wir heute Straße nennen, das gab es zwischen La Ch¨atre und Chateauroux nicht. Man folgte dem Indre auf sch¨onen, schattigen Wegen, die im Winter unbegehbar sein mußten, und dann kam man in eine weite Heidelandschaft, wo die Wege sich wie zuf¨allig kreuzten; wir h¨ atten uns beinahe darin verirrt. Schließlich gelangten wir nach Chateauroux, eine ganz flache und recht traurige Gegend, wo wir mit der Straße nach Paris auch mehr Mißtrauen und Unruhe begegnen sollten. ¨ Man kannte Dumont uberall ein wenig, doch war er als ¨ guter Patriot bekannt. Er hatte zudem seinen Burgerausweis in der Tasche. Was mich angeht, ich war zwei Meilen vom Kloster entfernt so unbekannt, als w¨ are ich gerade aus Amerika angekommen. Ich galt als sein Neffe. Er nannte mich Lucas. Er befaßte sich sogleich damit, ein Zimmer anzumieten, und nachdem er so getan hatte, als f¨ande er sie alle zu Seite: 192
Nanon von George Sand teuer, bezog er ein Quartier zwei Schritte vom Gef¨ angnis entfernt. Es war ein elender Verschlag, doch waren wir ¨ froh, dort etwas gefunden zu haben, wo wir es wunsch¨ ten. Es gab nur einen Raum, aber daruber vermietete man uns einen kleinen Speicher, von dem wir behaup¨ unseren Handel mit Strohgeflechten und teten, ihn fur K¨orben zu ben¨otigen, und dort richtete ich mich ein und war sicher, von niemandem gest¨ort und beobachtet zu werden. Dumont stimmte meinem Wunsch zu, mein Gesicht nicht allzu oft zu zeigen und ging gleich am n¨ achsten Tag los, um zu kaufen, was wir brauchten, und wir machten uns ans Werk. Er war der Sohn eines Korbmachers und hatte das Gewerbe, das er sehr gut kannte, nicht vergessen. Ich lernte es schnell, und wir hatten bald etwas zum Verkauf hergestellt, denn wir mußten ein Gewerbe haben, um unseren Aufenthalt in der Stadt zu erkl¨aren. Dumont traf nur wenige Bekannte, die sich wunderten, da sie ihn gut bezahlt und gekleidet im Dienste des Marquis de Franqueville erlebt hatten, daß er darauf angewiesen war, K¨orbe herzustellen; aber diese Leute wußten, daß er dem Trinken zugetan war und vermuteten ohne weiteres, er habe alle seine Ersparnisse aufgezehrt. Er hatte keine Hemmungen, in ¨ ihrer Gegenwart zu sagen, wie schlecht er uber seine Herrschaft dachte: niemand vermutete, er k¨onne sich ¨ eines der Mitglieder der Familie interessieren, und fur was mich, Lucas, betraf, so nahm man an, ich h¨atte sie niemals kennengelernt. Unsere Vorsicht in dieser Hinsicht war nicht so erforderlich, wie wir zuerst gedacht hatten. Die Leute, die wir Seite: 193
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zu sehen imstande waren, kannten die Namen der seit einigen Tagen aus anderen Orten hierherverbrachten Gefangenen nicht und nahmen auch kaum Interesse an ¨ ihnen. Chateauroux war eine kleine, eher burgerliche und gem¨ aßigte Stadt und nicht revolution¨ar oder royalistisch. Die Winzer, die in den Vororten die Mehrheit bildeten, waren Republikaner, doch keinesfalls Demagogen und im allgemeinen sehr menschlich. Der Terror ¨ wutete also kaum in dieser ruhigen Gegend, und Monsieur Costejoux hatte gut gew¨ ahlt, damit Emilien nicht Opfer des Volkszorns wurde. ¨ klug, den Frieden Als wir dies sahen, hielten wir es fur abzuwarten, ohne zu ahnen, einf¨altig wie wir waren, daß dieser Friede erst mit der Niederwerfung Frank¨ reichs im Jahre 1785 kommen wurde. Es war nach unserer Auffassung besser, auf unsere nahen Siege zu set¨ zen, auf eine Ruckkehr zu Vertrauen und Gerechtigkeit, als das Leben unsres geliebten Gefangenen durch einen ¨ ahrden. Aber ich wunschunvorsichtigen Versuch zu gef¨ te sehnlichst, er m¨oge, um seine Trauer zu lindern, von unserer Anwesenheit erfahren und davon, daß wir an nichts anderes auf der Welt dachten, als ihn im Falle einer Gefahr zu befreien. Ich fand das Mittel, es ihm mitzuteilen. Das Gef¨ angnis, das heute zerst¨ort ist, war nichts anderes als ein ehemaliges befestigtes Tor, Porte aux Guedons genannt. ¨ Es bestand aus zwei dicken Turmen, die durch eine Art Bergfried miteinander verbunden waren, und hatte einen Bogengang, dessen Fallgatter man nicht mehr herunterließ in Anbetracht der bereits gebauten Stra¨ ße, die dort weitergefuhrt wurde. Im Erdgeschoß der Seite: 194
Nanon von George Sand ¨ Turme lebten die Kerkermeister und die Angestellten ¨ angnisses, daruber des Gef¨ in großen runden R¨aumen mit kleinen Fenstern die Gefangenen. Eine der Plattformen diente ihnen als Wandelgang, und unser altes Haus grenzte unmittelbar an den Turm, der nicht sehr hoch und dessen Sims an mehreren Stellen verfallen war. Von dem Speicher aus, wo ich wohnte, konnte ich diese Plattform nicht sehen; doch im daneben gelegenen Verschlag, wo der Kerkermeister - das alte Haus geh¨orte ihm - seine Lebensmittel- und Obstvorr¨ate aufbewahrte, befand man sich in der N¨ahe der Plattform, ¨ hinein und in ihrer Sicht- und H¨orweite. Ich schlupfte nahm die Schrauben des Schlosses heraus. Ich vergewisserte mich dieser Sachlage, dann brachte ich die Dinge wieder in den alten Zustand und unterrichte¨ mich die Erlaubnis einholte Dumont, damit er fur ¨ te, in diesem Speicher arbeiten zu durfen, da meiner zu klein und dunkel sei. Die Erlaubnis wurde schnell gegeben; Dumont verstand sich schon aufs beste mit ¨ dem Kerkermeister-Eigentumer; morgens tranken sie gemeinsam Weißwein und Dumont bezahlte fast immer. ¨ Er strich die zuruckhaltende und ehrliche Art von Lu¨ cas heraus, einem vernunftigen und folgsamen Jungen, der unf¨ahig sei, einen Apfel zu stehlen oder eine ¨ Erbsenschote anzuruhren. Die Sache wurde beschlossen, zwanzig Sous Monatsmiete mehr beseitigten jede ¨ ¨ den SpeiSchwierigkeit. Man gab mir den Schlussel fur ¨ cher, ich brachte meine Weidenruten hinuber; man verate an, und ich ertraute mir sogar die Pflege der Vorr¨ kl¨ arte den M¨ ausen mit so großem Erfolg den Krieg, daß es mir viel Lob einbrachte. Endlich! Vor zwei Wochen hatten wir uns hier niedergeSeite: 195
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lassen, und ich war noch nicht sicher, ob Emilien in diesem Gef¨ angnis war oder in einem anderen, dem großen Schloßtor oder dem Bergfried im Park. Wir hatten nicht gewagt, viel zu fragen. Seit ich den Speicher jederzeit ¨ die Gewohnheiten betreten konnte, war ich rasch uber des Gef¨ angnisses auf dem laufenden, und ich konnte sehen, wie die Gefangenen morgens und abends auf der Plattform Luft sch¨opften. Sie waren etwa zw¨olf und hatten nur die Erlaubnis, zu zweien den Turm zu besteigen. Emilien kam mit dem alten Herrn, den ich in der Herberge von Argenton bei ihm gesehen hatte. Sie wirkten so ruhig wie damals und plauderten, w¨ahrend sie ihre Runde machten. Die besch¨ adigte Balustrade gestattete mir, sie gut zu sehen, wenn sie auf meiner Seite vorbeikamen. Emilien selbst blieb stehen, um mich zu betrachten, denn ich ging nahe an die Dachluke meines Speichers, hielt einen halbfertigen Korb in der Hand und tat so, als ob ich den Flug der Schwalben beobachtete. Ich war recht nahe, damit er mich erkennen konnte; aber meine Verkleidung, meine Besch¨ aftigung und mein kurzes Haar trogen ihn, er merkte nichts. ¨ Ich h¨ atte mir gewunscht, daß er allein w¨are; doch sollte ich seinem Gef¨ ahrten der Gefangenschaft mißtrauen, und außerdem, mußte ich nicht damit rechnen, daß Emilien die notwendige Vorsicht aufbr¨ achte? Ich fing an, w¨ ahrend ich mein Reisig flocht, ein Lied aus unserer Heimat zu singen, das er sehr liebte und mich oft hatte singen lassen. Ich sah, wie er zusammenzuck¨ te, sich der Mauerlucke aherte und mich aufmerksam n¨ betrachtete. Ich machte ihm rasch ein Zeichen mit dem Kopf, wie um ihm zu sagen: Ich bin es.“ Er legte bei” de H¨ ande auf seinen Mund und ließ sie dort, so als Seite: 196
Nanon von George Sand ¨ druckte er einen langen Kuß auf sie, den er mir dann schnell schickte, und sofort danach entfernte er sich, ¨ um mich daran zu hindern, ihn zu ihm zuruckzuschicken. Er hatte Angst um mich. ¨ Dumont war glucklich zu erfahren, daß er unterrichtet war; aber er teilte mir eine schlechte Neuigkeit mit. Der asentant, ein guter zum Dienst hierher gesandte Repr¨ und gerechter Mann (ich glaube mich zu erinnern, daß er Michaud hieß), war gerade von dem Repr¨asentanten Lejeune abgel¨ost worden, der sich als ein Mann ¨ und die Gesinnung der des Schreckens ankundigte, ¨ Bev¨olkerung war schon ganz ver¨ andert: man wurde die Gefangenen aburteilen! ¨ Ich will nicht von meinen Angsten reden, sondern rasch ¨ Chezur Sache kommen. Zwei junge Adlige, die Bruder ry de Bigut, waren am meisten gef¨ ahrdet. Sic waren angezeigt worden, weil sie sich der Abreise der Rekruten widersetzt haben sollten. Man wollte sie nach Paris ¨ ¨ schicken, damit sie dort verurteilt wurden. Der Burger ¨ Lejeune kam sehr wutend herein. Kennt ihr denn nicht das neue Gesetz?“ sagte er; die ” ” ¨ Angeklagten mussen in dem Gebiet verurteilt und hingerichtet werden, wo sie ihre Verbrechen begangen haben.“ Und er ordnete den Prozeß an, der weder lange dauerte noch kompliziert war. In wenigen Tagen wurden die ¨ beiden Unglucklichen, auch wenn sie keinerlei Aufruhr angezettelt hatten, auf die Aussage zweier Zeugen hin verurteilt und an einem Ort namens Sainte-Catherine, fast vor unseren Augen, nahe der Porte aux Guedons, Seite: 197
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¨ hingerichtet. W¨ ahrend dieser verabscheuungswurdigen Angelegenheit konnte ich weder essen noch schlafen. Ich hatte gehofft, man werde mangels Gendarmen und Scharfrichtern, denn es gab in der Stadt keine, die Hinrichtung hinausschieben. Doch man sandte einen Berittenen guten Willens nach Issoudun, um den Profoß anzufordern, und die Guillotine wurde zwei Schritte vor unserem Haus errichtet. Ich floh auf meinen Speicher, von wo aus man die Straße nicht einsehen konnte; doch ich sah sogleich, wie auf der Plattform der beiden ¨ eine große Zahl Gefangener erschien. Es waTurme ren die von der Porte aux Guedons und alle anderen ¨ angnissen der Stadt, die man dort aus den ubrigen Gef¨ ¨ hinfuhrte, damit sie der Hinrichtung beiwohnten. Es waren sehr viel mehr, als ich mir vorgestellt hatte. Fast alle waren M¨onche und Nonnen, die M¨ anner auf dem einen, die Frauen auf dem anderen Turm. Da sie in Begleitung von W¨artern waren, zeigte ich mich nicht; doch versteckt hinter dem Fensterladen der Dachluke suchte ich Emilien. Er kam und stellte sich entschlossen an die ¨ Mauerlucke, kreuzte die Arme und betrachtete die Vorbereitungen der Hinrichtung, ohne mit der Wimper zu zucken. Er machte nur eine leichte Bewegung, als die K¨opfe fielen, und ich h¨orte aus der Menge, die sich um das Schafott dr¨angte, mitten in eine grauenvolle Stille hinein die durchdringenden Schreie mehrerer Frauen, die einen Nervenschock erlitten. Man ließ sogleich die Gefangenen hineingehen. Ich zitterte so sehr, daß meine Z¨ ahne klapperten. Ich wollte weder an diesem noch ¨ am n¨achsten Tag das Haus verlassen, so sehr furchtete ich den Anblick der Guillotine und des Blutes auf dem Pflaster. Seite: 198
Nanon von George Sand Diese Angst machte mich so schwach und krank, daß ¨ ¨ ich mir Vorwurfe machte und beschloß, sie zu uberwinden. War es mir nicht bestimmt, ebenso zu sterben, mir, die ich eines der Opfer retten wollte? Wenn es mir ¨ uns beide. Nun, mißlang, bedeutete dies Schafott fur ich mußte um alles oder nichts spielen und mich, wie ¨ Emilien, auf alles vorbereitet fuhlen. Ich sah ihn am n¨ achsten Tag wieder, und er konnte mir ein Zeichen geben und mir eine Taube zeigen, die vom Turm zum Dach meines Hauses flog. Es war eine der Tauben des Kerkermeisters, und diese V¨ogel flogen h¨aufig auf den Turm, um dort die Brotreste zu fressen, die ihnen die Gefangenen gaben, um sich zu unterhal¨ nachgedacht, ob ich ten. Ich hatte ziemlich oft daruber ihnen einen Brief anvertrauen sollte, hatte es aber nicht gewagt. Ich ahnte, was Emilien getan hatte. Ich eilte, mich dieser braven weiß-gelben Taube zu bem¨ achtigen, ¨ ¨ die in ihr Nest zuruckkehrte, und auf einem Stuck Laken las ich, mit Bleistift geschrieben, das Folgende: In Gottes Namen, verschwindet! Ich brauche nichts; ” ich habe mich in mein Schicksal ergeben. Allein daß ihr in Gefahr seid, st¨ort meine Ruhe.“ Da wir ihm Schmerzen bereiten“, sagte ich zu Dumont, ” zeigen wir uns ihm nicht mehr; er wird glauben, wir ” ¨ ¨ seien abgereist; doch wir mussen handeln. Wir durfen nicht mehr z¨ogern. Man wird alle Gefangenen t¨oten!“ Das ist nicht sicher“, antwortete er. ” Man hat einige in die Freiheit entlassen. Wir wollen ” nicht jammern, sondern alles vorbereiten. Du sollst Seite: 199
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wissen, mein kleiner Lucas, daß ich deinem Rat gefolgt bin. Ich habe so gut Kom¨odie gespielt, daß der alte Mouton (das war der Kerkermeister) mich als seinen Freund liebgewonnen hat und ich morgen meinen angnis beginne.“ Dienst im Gef¨ Wie ist das m¨oglich?“ ” Du weißt nicht, daß der alte Mouton genausowenig ” Kerkermeister ist wie du und ich. Die Aufgabe ist neu ¨ ihn, denn, da alle Gef¨ angnisse auf einmal voll wafur ren, mußte man neue Angestellte aussuchen. Da gibt es Wachleute, die weder Soldaten noch Beamte sind. Es sind Leute aus der Stadt, deren S¨ohne Freiwillige sind und die man entsch¨adigt, indem man ihnen die Bewa¨ chung der Gef¨ angnisse ubertr¨ agt, zum Lohn von zwei Francs am Tag, die zu Lasten der H¨ aftlinge gehen, die Verm¨ogen in der Gegend haben. Du siehst, die Sache ist begehrt; doch da sie alle Arbeiter sind, verstehen sie nichts von der Aufgabe und sind in ihrer Erledigung sehr nachl¨assig. Der alte Mouton und seine Frau sind allein mit dem Ausfegen, dem Kochen und der Verpfle¨ gung beauftragt. Er wurde seine Zeit lieber damit verbringen, mit den W¨ artern anzustoßen, er beklagt sich ¨ ¨ Ich habe angeboten, die gr¨obere Aruber die Muhsal. ¨ beit zu ubernehmen, und da ich nicht den Anschein er¨ wecken durfte, dies zu meinem Vergnugen zu tun, habe ich meinen Lohn ausgehandelt. Er wird mir auf unsere Miete einen Nachlaß geben, und wir werden Einlaß finden ins Gef¨ angnis. Ich sage wir, weil ich auch dir den Zugang gesichert habe als jemandem, der harmlos ist und mir bei Bedarf helfen wird, ohne sich im gerings¨ die Gefangenen zu interessieren. Nur, man verten fur Seite: 200
Nanon von George Sand ¨ langt deinen Burgerausweis, und der ist auf den Namen von Nanette Surgeon ausgestellt. K¨onntest du dir nicht einen auf den Namen von Lucas Dumont machen?“ Ich habe daran gedacht“, antwortete ich, er ist fertig, ” ” hier ist er.“ Ich hatte mehrere Abende damit verbracht, die Schrift von Monsieur Costejoux mit so viel Geschick nachzuahmen, daß es unm¨oglich war, etwas zu merken. Diese Ausweise waren meistens auf ungestempeltes Papier geschrieben; meiner war gut, der alte Mouton nahm ihn, betrachtete ihn verkehrt herum und gab ihn mir ¨ ¨ zuruck, er konnte nicht lesen. Da kam mir die Idee, fur ¨ Emilien herzustellen, und alle F¨ alle einen anderen fur damit Monsieur Costejoux nicht kompromittiert werde, unterschrieb ich mit Pamphile. Dieser Gedanke tauchte auf, als ich von diesem ehemaligen M¨onch auf einem Papier, das ich im Kloster aufgelesen und in das ich ein paar Gegenst¨ ande eingewickelt hatte, ein Eckchen Geschriebenes fand. Seine Unterschrift war darauf. Ich schrieb sie getreulich und ohne Gewissensbisse ab.
3.15
Kapitel XV.
Zuerst ging ich selten ins Gef¨angnis und spielte dort ei¨ ne schuchterne und ungeschickte Person. Ich sah bald, ¨ daß Mouton sich gewunscht h¨atte, ich w¨are tatkr¨ afti¨ ger und nutzlicher. Ich faßte mir ein Herz, gewann sein Vertrauen, und endlich konnte ich den Raum betreten, wo Emilien war. Ein armseliges, kahles Loch mit zwei Strohmatten und zwei Schemeln. Er befand sich dort Seite: 201
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3.15: Kapitel XV.
mit dem alten Herrn, von dem ich gesprochen habe. Zwei weitere Strohlager waren leer: es waren die der ¨ jungen Leute, die man ein paar Tage zuunglucklichen vor umgebracht hatte. Als Emilien mich eintreten sah, z¨ogerte er einen Augenblick; doch da ich mich ihm an den Hals warf, konnte er sich nicht beherrschen und hielt mich lange schluchzend gegen seine Brust gepreßt. Da ist mein Schutzengel“, sagte er zu dem alten Herrn, ” sie ist die Freundin meiner Kindheit, meine Schwester ” vor Gott. Sie will mich retten, es wird ihr nicht gelingen ... Es wird gelingen“, antwortete ich; das Schwierigste ist ” ” getan. Ich werde Ihnen ein Seil bringen, und Sie werden auf das Dach meines Speichers hinabklettern. Dumont wird uns helfen. Reden Sie nicht davon, uns wegzuschicken. Wir haben beschlossen, mit Ihnen zu sterben, und von nun an k¨onnen wir alles wagen.“ Und meine arme Schwester, und unsere anderen Freun” ¨ de, und Costejoux, und der Prior! Sollen sie denn fur uns bezahlen?“ Nein, niemand in Valcreux wird Ihre Schwester verra” ten. Der Prior hat den Eid geleistet. Mariotte hat mir geschworen, sie gut zu verstecken, sollte man sie verfolgen, und viele andere zuverl¨ assige Freunde werden ihr helfen. Costejoux will, daß Sie fliehen; denn er hat ¨ gegeben; er weiß sehr wohl, daß Sie mir die Mittel dafur unschuldig sind und liebt Sie immer noch!“ Der Greis ließ uns reden, er sagte nichts, er machte sogar den Eindruck, als ob er uns nicht h¨orte. Ich fragte Seite: 202
Nanon von George Sand Emilien durch einen Blick, ob er volles Vertrauen zu ihm habe. Er sagte mir halblaut: Wie zu Gott! Ach, k¨onntest du ihn doch auch retten!“ ” Denkt nicht daran“, sagte der Greis, der sehr gut h¨orte. ” Ich will nicht gerettet werden.“ ” Und er wandte sich an mich: Ich bin Priester und habe den Eid verweigert. Man ” ¨ hat mich gestern verh¨ort, ich wollte nicht lugen, obgleich das Verh¨or sehr wohlwollend war und man mich schonen wollte. Ich habe ihnen geantwortet, ich w¨ are ¨ es mude, mich zu verstecken und zu verstellen. Ich habe genug vom Leben, ich h¨ atte mich selbst get¨otet, wenn mein Glaube es mir gestattet h¨ atte. Die Guillotine wird mir diesen Dienst erweisen; ich habe meine Pflicht nicht verraten, ich bin bereit, vor Gott zu treten; doch euch, die ihr jung seid und die Revolution trotzdem ¨ liebt“, fugte er zu Emilien gewandt hinzu, euch bitte ” ich, einen Rettungsversuch zu machen, ein Ausbruch scheint mir m¨oglich, fast leicht zu sein. Das Schwierigste ist, einen Zufluchtsort zu finden.“ Ich habe einen“, antwortete ich, ich weiß, man wird ” ” ¨ Wild, und wir k¨onnen uns nieuns jagen wie fluchtiges mandem anvertrauen, so sehr haben Angst und Wut die Herzen der Menschen ver¨ andert. Wir gehen in eine ¨ Ein¨ode, und wenn Sie die Kraft in sich spuren, am Seil hinabzuklettern . . .“ Nein, nein, ich nicht!“ sagte er, ich habe weder Kraft ” ” noch Willen! Zur Stunde soll ich verurteilt werden. Ich ¨ ¨ bin froh daruber, redet nicht mehr davon. Ich werde fur euch beten.“ Seite: 203
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¨ Er versenkte sich ins Gebet, wobei er uns den Rucken zukehrte. Emilien versuchte nochmals, mich zum Verzicht auf mein Vorhaben zu bewegen; aber als er sah, daß ich so grimmig entschlossen war, mich selbst zugrunde zu richten, um mit ihm zu sterben, mußte er nachgeben und mir versprechen, das zu tun, was ich wollte. Allein, da es sich nicht darum handelte, sich einem neuen Urteil zu unterwerfen, da er ja vom Komitee in Limoges zur Haft verurteilt worden war, bat er mich, meinerseits zu versprechen, nichts zu unternehmen, wenn das Urteil ¨ nicht revidiert wurde. Am n¨ achsten Tag, es war, glaube ich, der 10. August, veranstaltete man ein großes Fest in der Stadt, und weil ich ihm Neuigkeiten mitbringen wollte, ging ich hin, um zu erfahren, worum es sich handelte. Es war mir unm¨oglich, irgend etwas zu verstehen. Eine eigenartig ¨ ¨ oder geschmuckte Kalesche fuhr vorbei, gefolgt von funf ¨ sechs Frauen, die Banner trugen; es waren Mutter, die Kinder als Freiwillige in der Armee hatten. Sie eskortierten die G¨ottin der Freiheit, dargestellt von einer großen, ¨ Sie war sehr sch¨onen Frau in einem antiken Kostum. die Tochter eines Schusters, der Marquis hieß, und sie ¨ nannte sich Grand’ Marquise. Die Prozession fuhrte sie auf ihrem Wagen zur Kirche der Franziskaner, wo mir das, was ich sah, erkl¨arte, was mich in der verlassenen Kirche von Limoges erstaunt hatte. Sie erklomm einen ¨ Hugel aus Grassoden, der am Platz des Altars errichtet worden war, und der, wie man sagte, die Montagne ¨ darstellte. Am h¨ochsten Punkt dieses Hugels saß ein ¨ die einen Die Zeit, fur ¨ Mann mit langem Bart, der fur Seite: 204
Nanon von George Sand die anderen den Ewigen Kater darstellte; es war ein Seifenarbeiter, dessen Namen ich vergessen habe. Am Fuß der Montagne saß ein halbnacktes Kind, welches Das Kind der Liebe sein sollte. Man hielt Reden und sang, ¨ ich weiß nicht was. Ich nahm an dieser verruckten Sache teil wie in einem Traum, und ich glaube, niemand war weiter vorn als ich. Diese republikanischen Feste waren reine Phantasiegebilde. Der Gemeinderat diskutierte ihr Programm, das von den Volksgesellschaften vorgelegt wurde, und das Volk interpretierte sie auf seine Weise. Beim Verlassen des Tempels sah ich eine noch bedeutungsvollere Szene. Die Marquise bemerkte in dem Augenblick, als sie ihren G¨otterwagen besteigen wollte, ¨ unter den Neugierigen einen Burger aus der Stadt, den achtigte. Sie rief ihn bei seiman des Royalismus verd¨ nem Namen, den ich gleichfalls vergessen habe, und sagte auf unversch¨amte Art zu ihm: Komm her und sei mein Trittbrett!“ ” aher und beugte ein Knie zum Er hatte Angst, kam n¨ Boden. Sie setzte ihren Fuß auf ihn und sprang un¨ bekummert in den Wagen. ¨ Ich dachte, daß alle verruckt geworden w¨aren, und nachdem ich ein paar K¨orbe verkauft hatte, ging ich ¨ zuruck, erz¨ ahlte Emilien was ich gesehen hatte und brachte ihm sein Abendessen, wobei ich insgeheim et¨ was Besseres der gew¨ohnlichen Gef¨angniskost beifugte. ¨ Der alte Priester wollte es nicht anruhren, trotz meiner inst¨andigen Bitten; er war so geschw¨acht, daß ich ihm atte. gern ein wenig Wein angeboten h¨ Seite: 205
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Es ist nicht n¨otig, daß ich zu Kr¨ aften komme“, sagte er, ” und was Sie gerade erz¨ahlt haben, gibt mir mehr, als ” ich brauche, um mit Freuden zu sterben.“ Kurze Zeit nach dem possenhaften Fest ereignete sich die entsetzliche Trag¨odie. Dieser arme Mann ging mit bewundernswerter Ruhe in den Tod. Sein Schafott wurde auf der Promenade errichtet. Dieses Mal wollte ich mein Grausen besiegen und die furchtbare Guillotine ¨ sehen. Ich machte es mir im ubrigen zur Pflicht, die¨ sem Unglucklichen, wenn ich konnte, zu folgen und seinen Blick zu treffen, damit er in meinem das tie¨ von Achtung und Freundschaft lesen k¨onne. fe Gefuhl ¨ Aber er befurchtete, die, welche ihn beklagten, zu kompromittieren, denn außer mir gab es einige weitere, er sah niemanden an. Spanische Gefangene wohnten der Hinrichtung bei. Ich sah, wie sie Blumen unter ihren weißen Kleidern hervorzogen und ihm zuwarfen. Dann schloß ich die Augen. Ich h¨orte, wie das Fallbeil niedersauste, ich stand da wie gel¨ahmt, als w¨are ich selbst einen Augenblick lang enthauptet. Ich werde es vielleicht morgen auf Emiliens Kopf fallen ” h¨oren!“ ¨ Dumont zog mich am Arm und fuhrte mich fort. Ich merkte nicht, daß ich ging. Ich wußte nicht, wo ich ¨ war. Als ich mich imstande fuhlte, bei Emilien einzu¨ treten, fand ich ihn allein, vom Schmerz uberw¨ altigt. Er ¨ diesen Priester eine große Zuneigung empfunhatte fur ¨ den. Ich verschaffte ihm Erleichterung und fuhlte mich selbst erleichtert, als ich mit ihm weinte, und als ich meiner Emp¨orung Luft machte, war er es, der mich beruhigte. Seite: 206
Nanon von George Sand Wir wollen die Republik nicht verfluchen“, sagte er zu ” mir, wir wollen sie im Gegenteil beweinen! Diese Grau” samkeiten, diese Ungerechtigkeiten sind Attentate gegen sie; sie ist es, die get¨otet wird, indem man Unschuldige opfert und das Volk demoralisiert, das sie nicht mehr versteht.“ ¨ Jetzt“, sagte ich, mussen wir fliehen, diese Nacht noch ” ” fliehen! Sie sehen wohl, daß Sie morgen an der Reihe sein werden, und sobald Sie verurteilt sind, wird man Sie so gut bewachen, daß ich vielleicht nichts mehr vermag. ¨ Nein“, antwortete er, wir mussen noch warten . . .“ ” ” Und als wir uns stritten, h¨orte ich, wie jemand die Treppe heraufkam, und ich eilte, um mich mit meinem Korb ¨ zu stellen, so als ob ich und dem Besen neben die Tur gerade mit der Arbeit fertig w¨ are; aber ich fand mich ¨ ¨ Monsieur Costejoux gegenuber und unterdruckte einen Freudenschrei; der Kerkermeister folgte ihm. Er schickte ihn fort und sagte zu mir, wobei er so tat, als kenne er mich nicht: Hole mir etwas zum Schreiben. Ich selbst will diesen ” Gefangenen verh¨oren.“ Ich gehorchte rasch, und als ich wieder heraufkam, sagte er: ¨ und laßt uns leise reden. Ich habe den Schließ die Tur ” asentanten Lejeune getroffen, und da man EmiliRepr¨ en verh¨oren und ein zweites Mal verurteilen wollte, weil ame, was soll er aus dem Gerichtsbezirk von Limoges k¨ ich euch sagen, da habe ich im Namen von Pamphile, Seite: 207
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der seinen Kopf will, seine Herausgabe verlangt. Ich ha¨ be es auf mich genommen, ihn zu ihm zu fuhren, und ich nehme ihn mit. Wir reisen heute abend. Man sollte nicht verhehlen, daß Pamphile mehr Einfluß hat als ich! Emilien muß also w¨ahrend der Reise fliehen. Das wird nicht sehr schwierig sein, doch wohin soll er gehen? Wo wird er in Sicherheit sein? Da$ ist es, was ich nicht weiß.“ Ich weiß es“, antwortete ich. ” Nun gut, sag es mir nicht, und geht mit Gottes Gnade. ” Kannst du an der Straße nach Argenton, vier Meilen von hier, um etwa elf Uhr abends sein?“ Aber ja.“ ” Nun gut, merke dir einen Ort, der les Tauplus heißt. ” ¨ Dumont muß ihn kennen, es ist die einzige Hutte inmitten einer sehr weiten Heidelandschaft. Ich werde in einer Postkutsche sein, ich habe eine Eskorte von zwei Mann, aber es sind Freunde, ich bin mir ihrer sicher. Der Gefangene wird an dieser Stelle fliehen, sie werden nichts merken und die Flucht erst in der Gegend von Limoges feststellen, das heißt, wenn ihr weit genug weg ¨ seid, um nichts mehr zu befurchten. Los, bereitet euch vor, hier ist Geld; ihr wißt nicht, wie lange ihr euch vers¨ tekken mußt, und ohne Geld ist man verloren.“ Und wir umarmten uns alle drei voller Herzlichkeit. Er empfahl ihm seine Schwester, und er versprach, sich ¨ um sie zu kummern. Ich eilte, um Dumont zu informieren und den Esel zu bepacken. Wir schuldeten Mouton nichts, wir hatten den Monat im voraus bezahlt. Wir Seite: 208
Nanon von George Sand machten kein Geheimnis aus unserem Aufbruch. Dumont sagte, er habe einen Brief von seinem Bruder erhalten, der ihn wegen einer dringenden Angelegenheit ¨ einige Tazu sich rufe, und man glaubte, wir gingen fur ¨ ge nach Vatan. Wir ließen ein paar Sachen zuruck, um unsere Absicht, wiederzukommen, deutlich zu machen. Als wir auf dem freien Land waren, im Schutze der Nacht und mit Freude im Herzen, da weinten wir, Dumont und ich, ohne irgend etwas sagen zu k¨onnen. Doch bald brach dieser tapfere Mann die Stille, sprach ¨ zum Ausdruck, halblaut zu mir und brachte Gefuhle ¨ die mich ruhrten, auch wenn ich es vorgezogen h¨atte, ¨ schneller zu gehen und mich nicht allzusehr aufwuhlen zu lassen, damit ich meine Geistesgegenwart behielte. Nanon“, sagte er zu mir, Gott hat uns seinen Segen ” ” gegeben, das ist gewiß; doch es ist deinetwegen, weil du ein großes Herz und den Mut eines Mannes besitzt. Was mich angeht, ich tauge nichts, und ich habe tausendfach das Schafott verdient! Wenn ich nur daran denke, daß ich, anstatt zu sparen und meinem armen Kind (er sprach von Emilien) eine kleine Rente zu hinterlassen, mich wie ein wildes Tier betragen und alles vertrunken habe, ja, alles! Ach, mir geht es wie diesem Priester, das Leben ekelt mich an, und ich will, daß du nicht mehr mit mir redest, wenn ich wieder anfange zu trinken.“ ¨ Das brauchen Sie nicht zu befurchten“, antwortete ich. ” Sie sind geheilt, denn es war wie eine Krankheit, und ” ¨ weil Ihr Herz gut ist, konnten Sie sie uberwinden. Sie mußten eine Probe bestehen, denn um das Vertrauen des Kerkermeisters zu erlangen, waren Sie.gezwungen, Seite: 209
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oft mitzutrinken, und Sie haben so gut auf sich geachtet, daß Sie ihn h¨ aufig betrunken gemacht haben, ohne je die Vernunft zu verlieren.“ Ach! Es war schwierig, ja, ich habe nie etwas so Schwie” ¨ f¨ atte mich dessen niemals fur riges getan, und ich h¨ ahig gehalten! Doch das a¨ ndert nichts an der Vergangenheit, und ich, ich mag tun, was ich will, ich bin darum nicht weniger verflucht . . . Ja, Nanon, verflucht wie ein Hund!“ Warum sollten die Hunde verflucht sein?“ sagte ich ” l¨achelnd; sie tun nichts B¨oses. Aber setzen Sie sich ” nicht solche Ideen in den Kopf, und lassen Sie uns rascher gehen, Pere Dumont; der Wagen von Monsieur ¨ Costejoux ist schneller als wir, und wir mussen um elf Uhr beim Treffpunkt sein.“ Ja, ja“, antwortete er, gehen wir schneller. Das hin” ” dert uns nicht am Reden.. Ich m¨ochte dir mein Herz o¨ ffnen. Was soll einen ehrlichen Mann davon abhalten ¨ sein Herz zu o¨ ffnen? Na also! Rede ich unvernunftiges Zeug? Ich war ein Trunkenbold, ich verdiene eine Strafe. Ich wurde gewarnt, ich bin dreißig Fuß tief gefallen, und als ich mich tief unten wiederfand . . . ganz tief im Loch, so, siehst du . . .“ Und er wollte stehenbleiben, um mir zum hundertsten Mal zu zeigen, in welcher Position er sich nach dem Fall befunden hatte, als er sich eines Nachts bei der Heimkehr ins Kloster fast umgebracht h¨atte. Wahrhaftig!“ sagte ich, wollen Sie uns aufhalten und ” ” mir erz¨ ahlen, was ich schon weiß?“ Seite: 210
Nanon von George Sand Aufhalten? . . . Ach ja, aufhalten! Du beschuldigst ” mich, auch du, nicht zu wissen, was ich tue. Alle verachten mich! Ich habe es verdient! und ich verachte ¨ ¨ mich selbst! Armes Kind! Es ist ein rechtes Ungluck fur dich, mit einem Lump, ja, einem elenden Kerl, unterwegs zu sein . . . Denn ich bin ein Lump, du kannst sagen, was du willst. H¨ atte ich nur ein wenig Mut, ich atte mich bereits get¨otet . . . ein Hund, wie! Halt, laß h¨ ¨ mich hier, du mußt mich mir selbst uberlassen, in einem Graben . . . Ich weiß, was ich sage, ich bin nicht betrunken, es ist der Kummer! - ein Graben, das ist ¨ mich. Laß mich in Ruhe, ich will da das Richtige fur sterben! . . .“ Es gab keinen Zweifel mehr. Dieser arme Mann, der so lange der Versuchung widerstanden hatte, war im Hafen auf Grund gelaufen. Er war, als er sich vom alten Mouton verabschiedet hatte, schwach geworden: er war betrunken! Bei jeder anderen Gelegenheit h¨atte ich mich ohne weiteres damit abgefunden. Aber in dem Augenblick, wo es galt, unseren Freund zu befreien, wo wir vor dem Wagen eintreffen und bereit sein mußten, jeden Argwohn zu zerstreuen und niemandes Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, wo es galt, im richtigen Augenblick mit aller Vorsicht die Flucht zu ergreifen, jede Kleinigkeit ohne ¨ Gemutsbewegung wahrzunehmen, da hatte ich einen Mann am Hals, dessen Trunkenheit immer mehr die ¨ von Verzweiflung annahm, da er sich unf¨ahig fuhl¨ Zuge te mir beizustehen, und er warf es sich mit Bitterkeit vor, wobei er stets wiederholte: Ich bin nicht betrun” ken, es ist der Kummer! Ich bin verflucht! Ich muß sterSeite: 211
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ben!“ Und er wollte sich hinlegen. Er weinte, er fing an, laut zu reden und mich nicht mehr zu erkennen. Ich ¨ wußte nicht, ob er in Raserei verfallen wurde. ¨ Ich zog ihn am Arm, dr¨angte ihn, stutzte ihn, schleppte ihn, bis ich ersch¨opft war. Als ich nicht mehr konnte, mußte ich zulassen, daß er sich am Wegesrand nie¨ derließ, die Fuße im Wasser eines Grabens. Er weigerte sich, auf den Esel zu steigen. Er sagte, daß sei die Guillotine, und er k¨onne sich gut selber umbringen. ¨ Ich dachte daran, ihn sich selbst zu uberlassen, da ich in jedem Augenblick die R¨ ader des Wagens zu h¨oren meinte, der Emilien hierherbringen sollte. Das Blut sauste mir in den Ohren, ich hatte so viel Kraft damit verbraucht, Dumont zu schleppen, daß ich glaubte, nicht mehr genug zu haben, um weiterzugehen. Wenn er zu schlafen bereit gewesen w¨are, h¨ atte ich ihn in ¨ Deckung gebracht, abseits von allen Voruberkommenden, und meinen Weg fortgesetzt, unter der Maßgabe, allein in die Gegend zu gelangen, wo er unsere Zuflucht vorbereitet hatte. Doch sein Wahn wendete sich zum Selbstmord, und ich mußte ihn anflehen, ihn ausschelten wie ein Kind. Ein Wagen n¨ aherte sich . . ., aber es war nicht der von Monsieur Costejoux, es war ein Karren. Ich faßte einen verzweifelten Entschluß. Ich ging geradewegs auf den Fahrer zu. Ich hielt ihn an. Es war ¨ ein Fuhrmann, der nach Argenton zuruckkehrte. Ich alzte, legte zeigte ihm den Alten, der sich auf der Erde w¨ ihm die Notlage dar, in der ich mich befand und bat ihn dringlichst, ihn auf seinem Wagen bis zur n¨achsten Herberge mitzunehmen. Er weigerte sich zun¨ achst, ¨ einen Epileptiker hielt; doch als er sah, weil er ihn f‘ur Seite: 212
Nanon von George Sand daß es sich, wie er es nannte, um einen kleinen Zwischenfall, wie ihn jeder kennt handelte, da zeigte er sich ¨ sehr menschlich, machte sich uber meine Beunruhigung lustig, hob Dumont wie ein kleines Kind hoch und legte ihn auf den Wagen. Dann setzte er sich auf die Deichsel und befahl mir, ihm mit meinem Esel zu folgen. Nach wenigen Augenblicken beruhigte sich Dumont und schlief ein. Der Fuhrmann deckte ihn mit Heu zu, und damit er nicht selbst einschlief, begann er ¨ bis zum Uberdruß die langsame und monotone Phrase eines Liedes zu pfeifen, vermutlich wußte er nur diese und die nicht einmal sehr gut. Er begann sie immer wieder von vorn, ohne je zum Ende zu kommen. Ich hatte mich ein wenig beruhigt, auch wenn meine Nerven sehr angegriffen waren. Diese Pfefferei brachte mich aus der Fassung. Als sie nach einer Stunde aufh¨orte, wurde es noch schlimmer. Der Fuhrmann schlief und da die Pferde die Peitsche nicht mehr ¨ verfielen sie in eine so langsame Gangart, daß spurten, ¨ Endlich der Esel und ich sie wider Willen uberholten. bemerkte ich ein Haus; ich weckte den Fuhrmann und bat ihn, mir dabei behilflich zu sein, meinen Onkel auf einen Haufen aus geschnittenem Farnkraut am Wegesrand zu legen. Er tat es auf freundliche Weise, und ich dankte ihm; ich brauchte ihm kein Geld zu geben. Ich atte, aber er h¨atte sich weiß nicht, ob er es abgelehnt h¨ ¨ uber ein solches Vorgehen gewundert in einer Zeit, wo ¨ eine Munze Kleingeld in der Tasche von unsereinem eine Seltenheit war. W¨ahrend er seinen Weg fortsetzte, versuchte ich, daß man mir o¨ ffnete. Es war sinnlos, und ich klopfte verSeite: 213
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gebens. Dann faßte ich einen Entschluß. Ich vergewisserte mich, daß Dumont gut im Farn schlief und ihm nichts geschehen konnte. Ich trieb den Esel zur Eile ¨ an, ließ ihn den Schritt verdoppeln. Ich uberholte den Fuhrmann, der sein Schl¨ afchen fortsetzte und nicht ¨ sah, wie ich meinen Onkel sich selbst uberließ. Ich befand mich nun in der weiten Heide, von der man mir erz¨ahlt hatte. Ich hatte, soweit ich es erkennen ¨ konnte, nicht viel mehr als eine Meile zuruckgelegt und vermochte auch nicht zu erkennen, wieviel Zeit verflossen war, die ich damit verloren hatte, Dumont zum Laufen zu bewegen. Ich verstand mich gut darauf, die Zeit nach dem Stand der Sterne zu bestimmen, aber der Himmel war bedeckt mit schweren Wolken, und ein Gewitter begann zu grollen. Ein paar Windst¨oße wirbelten den Staub der Straße auf, was die Schwierigkeit, geradeaus zu sehen, vergr¨oßerte. Ich sagte mir, ¨ ¨ ein Licht wurde les Taupins weisen; doch mir die Hutte ¨ wurwenn dieses Licht durch einen Luftwirbel verhullt de, war es m¨oglich, daß ich am Ziel vorbeilief. Ich war gezwungen, h¨ aufig stehen zu bleiben und hinter mich zu blicken, und dann beschleunigte ich meinen Schritt, ¨ weil ich befurchtete, gleichermaßen zu schnell oder aber zu langsam zu gehen. Pl¨otzlich, mitten im L¨ armen des Donners, der immer h¨aufiger und st¨ arker wurde, unterschied ich das Ger¨ausch eines Wagens, der sehr schnell hinter mir herfuhr. War ¨ man an mir ich weit weg von der Rastst¨atte? Wurde vorbeifahren? Ich nahm mir nicht die Zeit, auf den Esel zu springen, ich begann so schnell zu laufen, daß er ¨ mir nur mit Muhe folgen konnte. Als der Wagen ganz Seite: 214
Nanon von George Sand nahe bei mir war, mußte ich mich neben dem Graben auf die Erde werfen. Er fuhr vorbei wie der Blitz, ich konnte kaum die beiden Reiter der Eskorte erkennen. Ich lief immer weiter, aber in weniger als einer Minute verlor sich alles in Staub und Dunkelheit. Noch eine weitere Minute, und das Ger¨ ausch der R¨ader war so ¨ schwach, daß ich davon uberzeugt war, hoffnungslos abgeschlagen zu sein. afte des Menschen dem Willen Nun, alles was die Kr¨ gew¨ahren k¨onnen, das verlangte ich von den meinen, ¨ ich lief, ohne mich weiter darum zu kummern, ob ich ¨ wußte, wo ich war. Ich war taub gegenuber dem Get¨ose des Donnerschlags, der sich auf die Spuren des Wagens ¨ zu sturzen schien und den ich gleichfalls anzog, indem ich ihm durch meinen irren Lauf eine Luftschleuse o¨ ffatte ich den nete, ich durchflog den Raum. Vielleicht h¨ Wagen erreicht, doch ein Feuergeflecht wickelte sich um mich. Ich sah, wie zehn Schritte von mir entfernt eine weiße Kugel hernieder fiel, deren Helligkeit mich blen¨ warf mich mit Gewalt auf dete, und die Erschutterung ¨ meinen armen Esel, der gleichfalls hinsturzte. Wir waren nicht getroffen, weder er noch ich, aber wir waren wie erstarrt. Er bewegte sich nicht, ich dachte nicht daran aufzustehen; ich hatte alles vergessen, ein ¨ voruber fahrender Wagen h¨ atte uns zermalmen k¨onnen. Ich weiß nicht, ob ich eine Minute oder eine Viertelstunde dort lag. Als ich zu mir kam, sah ich, daß ich auf Heidefarn saß. Der Esel weidete ruhig. Es regne¨ te in Str¨omen. Jemand sprach leise mit mir und hullte mich in seine Arme, als wolle er mich vor dem Regen ¨ schutzen. War ich tot, t¨auschten mich meine Sinne? Seite: 215
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Emilien!“ rief ich. ” Ja, ich bin es. Still!“ sagte er. ” Kannst du gehen? Verschwinden wir.“ ” Ich erlangte sofort meine Geistesgegenwart wieder. Ich ¨ den Esel, der so abgerichtet war, erhob mich, beruhrte ¨ ihm ein Zeichen zu geben, damit er wie daß es genugte ein Hund folgte. Unter Windst¨oßen und Regenschauern marschierten wir eine Stunde lang durch die Heide. Endlich kamen wir zum Wald von Chateauroux, wir waren gerettet. Dort holten wir Atem, und ohne zu sprechen hielten wir uns lange umschlungen. Dann h¨orte Emilien, wie etwas ¨ ¨ ¨ unter unseren Fußen knisterte, er buckte sich, befuhlte es und sagte ganz leise: Ein Kohlenmeiler!“ ” Wir waren auf einer dieser großen Rundfl¨achen aus Asche, bedeckt mit Erde, wo das Feuer schwelte, wodurch Kohle entsteht. Das Holz brannte nicht mehr, aber die Erde war noch warm, und wir konnten uns drauflegen und uns trocknen, w¨ahrend es aufh¨orte zu regnen. Wir redeten nicht miteinander aus Angst, ir¨ gendeinen K¨ohler anzulocken, dessen Hutte vielleicht in der N¨ ahe war. Wachen gab es keine mehr, in die W¨ alder des Staates konnte jeder, der wollte, eindringen ¨ Schweigend hielten wir uns an und sie ausplundern. ¨ anden. Wir waren so glucklich, den H¨ daß wir vielleicht auch nicht miteinander gesprochen h¨atten, wenn wir in Sicherheit gewesen w¨ aren. Nach einer halben Stunde Rast, die durch nichts gest¨ort wurde, durchquerten Seite: 216
Nanon von George Sand wir den Wald, gefolgt von drei W¨olfen, deren Augen in der Dunkelheit wie Funken leuchteten. Wir achteten gut auf sie, um sie davon abzuhalten, sich dem Esel zu n¨ahern, den sie angegriffen h¨ atten, w¨aren wir nicht dagewesen und h¨atten sie auf Abstand gehalten. Wir marschierten ein wenig aufs Geratewohl, wir kannten den Wald nicht. Wir wußten, daß es eine alte ¨ ostliche Richtung fuhrte, ¨ R¨omerstraße gab, die in sud¨ und es waren keine Sterne da, die uns geleitet h¨atten. Endlich wurde der Himmel klar, und wir sahen ober¨ den die Bauern Drei halb der B¨aume den Orion-Gurtel, ¨ K¨onige nennen. Von da an fanden wir muhelos den Weg. Er war wegen seiner großen Feldsteinrinnen gut ¨ zu erkennen. Er fuhrte uns zum Waldesrand, und die W¨olfe befreiten uns von ihrer Gesellschaft.
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Kapitel XVI.
¨ ¨ Ich spurte die Mudigkeit nicht mehr; wir befanden uns am a¨ ußersten Waldesrand in einem Heidegebiet, das zu durchwandern weniger traurig war. Hier zu laufen war leicht, die Gewitterwolke war nicht geplatzt, der Boden trocken, und wir waren endlich sicher, ganz al¨ lein in diesem ungeschutzten Gel¨ande zu sein. Der mit ¨ ¨ Sternen ubers¨ ate Himmel schien grenzenlos uber dem unbebauten Land, wo, da die H¨ ande fehlten, auch die fruchtbaren Fl¨ achen brachlagen. Man baute nur noch in der unmittelbaren Nachbarschaft von Siedlungen etwas an, die M¨anner waren alle zur Armee gegan¨ nur an gen. Die Republik hatte gesagt: Wir durfen ” Seite: 217
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3.16: Kapitel XVI.
den Krieg denken, daran, daß die Jugend k¨ ampft, die ahen, die KinFrauen Stoffe weben und Uniformen n¨ ¨ die Verwundeten zupfen der und Greise Leinwand fur ur die Sieger flechten! Danton hatte hinoder Kr¨ anze f¨ ¨ zugefugt: Alle Gesch¨afte sind zu unterbrechen!“ - Das ” mochte Danton den Parisern sagen. Die Armen wurden dort auf Kosten der Stadt ern¨ ahrt, man bezahlte sie sogar, damit sie in den Sektionsversammlungen das ¨ ihn bedeuAuditorium bildeten. Aber der Bauer! Fur ten unterbrochene Gesch¨ afte verwilderter Boden, totes Vieh und Kinder ohne Brot! Das machten sich die Leute in der Stadt nicht klar und waren in kindlicher Weise ¨ daruber verwundert, daß das Landvolk verwirrt und entmutigt war. ¨ ¨ Dieses allgemeine Ungluck begunstigte Emiliens Flucht. Das Land war ausgestorben. Farnkraut und Ginster ¨ wuchsen nach Belieben und bildeten dicke Buschel, zwischen denen man auf dem Gras sicherer schlafen konnte, als in den Zitadellen. Man h¨orte nur die Stim¨ die ihre Brut sammelten, zuweimen der Rebhuhner, len den kleinen Klagelaut der Nachtv¨ogel, die sich von Baum zu Baum etwas zuriefen. Diese armen B¨aume, achlich geworden, zeigten da und dort selten und schw¨ ihre runden, abgewipfelten H¨ aupter; man h¨atte meinen k¨onnen, es handele sich um Leute auf Beobachtungs¨ posten. Doch unsere Augen waren zu geubt, um sich zu ’ t¨ auschen. Wir konnten endlich ohne die Furcht, geh¨ort zu werden, miteinander reden, auch ohne gegen Schwierigkei¨ ten und Ungewißheiten des Weges k¨ ampfen zu mussen. Ich war sicher, in die richtige Richtung zu gehen. Seite: 218
Nanon von George Sand Ich fragte Emilien, wie es m¨oglich gewesen, daß ich hinter ihm hergelaufen war und mich doch pl¨otzlich mit ihm abseits der Straße befand. Monsieur Costejoux, der angenommen hatte, es g¨ abe vielleicht zu viele Zeugen in les Taupins, hatte ihn in geringer Entfernung aussteigen lassen. Er hatte sich die Unordnung zunutze gemacht, in die das Gewitter seine kleine Eskorte gebracht hatte und ihm befohlen, sich in einen Graben gleiten zu lassen und dort liegen zu bleiben, bis ich ihn abholen k¨ame, wobei er davon ausgegangen war, mich am Treffpunkt, wo er mich zu finden gehofft hatte, in Kenntnis zu setzen. Weder der Postillon noch die Reiter der Eskorte hatten die Flucht bemerkt, und er hat¨ te damit gerechnet, die Nacht ginge voruber, ohne daß sie den geringsten Verdacht hegten. Emilien hatte sich zun¨ achst versteckt; doch hatte er meinen Schritt und meine Stimme erkannt, denn es scheint, daß ich, ohne es zu wissen, Laute des Kummers von mir gegeben hatte. Zweifellos war ich durch diesen Lauf, die Besorgnis und den Donner verwirrt. Ich hatte gesagt: Mein Gott! ” . . . Ist denn auch Gott gegen uns?“ Emilien war mir gefolgt, weil er es nicht wagte, mir zuzurufen, und war aus Leibeskr¨ aften gelaufen. Er hatte mich erst in dem Augenblick erreicht, als ich, wie vom ¨ den Weg gefallen war. Emilien Blitz getroffen, quer uber hatte mich fort getragen, nachdem er merkte, daß ich nicht tot war, da ich immer wieder sagte: Mein Gott, ” mein Gott, warum nur willst du nicht?“ Aber er hatte ¨ befurchtet, ich w¨are irre oder blind, weil ich mich nicht vorw¨arts bewegen konnte und nicht wußte, wo ich war. Ach, meine liebe, arme Nanon“, sagte er, wie groß war ” ” Seite: 219
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3.16: Kapitel XVI.
meine Angst! Ich habe einen Augenblick lang bedauert, nicht im Gef¨ angnis geblieben zu sein, ich habe mich verflucht, eine Befreiung akzeptiert zu haben, die dich so teuer zu stehen kommen sollte! Sage mir nun also, wo ist Dumont, und wie kommt es, daß ich nur dich gefunden habe? Ist er dort irgendwo und wartet auf uns?“ Ich mußte mich zwingen, ihm zu erz¨ ahlen, was geschehen war, und das beunruhigte ihn sehr. Und was soll aus diesem armen Freund werden?“ sagte ” er. Wenn er aufwacht, wird er uns nachlaufen wollen, er ” wird nach les Taugins gehen, er wird Erkundigungen einholen, Verdacht erregen, sich vielleicht in Gefahr bringen, sich festnehmen lassen . . .“ Haben Sie davor keine Angst“, sagte ich, Dumont ist ” ” sehr vorsichtig, er ist es insbesondere an dem Tag, der ¨ dem Trinken folgt. Er furchtet, seinen Fehler deutlich werden zu lassen und spricht nicht gern, nicht einmal mit seinen Freunden. Er wird sich sagen, daß wir nach ¨ Crevant unterwegs sind, wo er einen Zufluchtsort fur uns gesichert hat, und wo er zu uns stoßen wird.“ Crevant“, rief er, dort also werden wir uns verste” ” cken?“ Ja, wir haben unsere Maßnahmen getroffen, und ich ” ¨ weiß sehr gut, welchen Weg wir nehmen mussen. Dumont hat es mir erkl¨art, und ich habe es auf der Karte gesehen.“ Aber weißt du denn nicht, daß dieser Millard, der mei” ¨ ¨ Gef¨angnisgef¨ ahrten, die Bruder Bine unglucklichen ¨ von Crevant ist?“ gut, denunziert hat, Burgermeister Seite: 220
Nanon von George Sand Ich erschrak und h¨ atte beinahe den Zufluchtsort, den ich hatte vorbereiten lassen, aufgegeben; aber nachdem wir miteinander zu Rate gegangen waren, kamen wir ¨ auf meinen Plan zuruck. Dieser Millard war entweder ein schlechter Mensch, dessen Ziel eine pers¨onliche Rache war, oder ein dummer Patriot, der nicht geglaubt hatte, die beiden in den Tod zu schicken. Im ersten Fall hatte er, da er uns nicht kannte, keinen Grund, uns zu ¨ er Reue zeigen und es verfolgen. Im zweiten Fall wurde nicht wiederholen. Schließlich konnte er der Gemeinde fern sein oder aber krank. Es lag an uns, den Ort zu meiden und uns auf unserem Grund und Boden zu vergraben, sollte das von Dumont gemietete Haus nicht weit genug vom Gefahrenort entfernt sein. ¨ Aber wo und wann wurden wir Dumont wiederfinden? Wir beschlossen, den Tagesanbruch auf dem h¨ochsten Punkt des Plateaus im Buschwerk abzuwarten, von wo aus wir, ohne selbst bemerkt zu werden, dieses ganze ¨ und sehen konnten, wer kam. offene Land uberblicken ¨ Ich war entsetzlich mude. Ich schlief tief und fest, die aufgehende Sonne weckte mich, da sie mir in die Augen stach. Ich erhob mich, blickte um mich, Emilien war verschwunden. Ich war allein mit dem Esel, dessen Packsattel und Traglast mir als Bett gedient hatten. Angst packte mich. Er wird weggegangen sein, um Dumont zu suchen“, ” sagte ich mir, und hat sich verhaften lassen.“ ” Ich sah in alle Richtungen. Nichts! Ich belud den Esel, ohne zu wissen, was ich tat, ohne mich zu fragen, was ich tun sollte. Ich blickte mich noch einmal um und Seite: 221
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3.16: Kapitel XVI.
sah in weiter Ferne zwei M¨anner auf dem kleinen Weg, den wir am Vorabend entlang geeilt waren. Wie sehr ich ¨ mich auch muhte, es war mir unm¨oglich, sie zu erkennen! Endlich gelang es mir, sie zu unterscheiden: es ¨ der war Emilien, der unseren armen Dumont fuhrte, noch recht niedergeschlagen war, denn Emilien nahm ihn beim Arm und half ihm, voranzukommen. Wir machten uns sofort wieder auf den Weg. Dumont sprach nicht mit uns, Emilien bedeutete mir, ihn allm¨ahlich zu sich selbst kommen zu lassen. Wir ben¨otigten seine Angaben nicht, um geradewegs zu unserem Ziel zu gelangen, ohne uns an Biegungen und Kreuzungen ¨ aufzuhalten. Uber das Studium der Gegend auf der Karte hinaus hatte ich, wie alle Leute aus dem Pays ¨ a¨ hnlich dem Marchois, einen besonderen Sinn dafur, Flug der V¨ogel zu reisen. Es ist noch nicht lange her, da gingen unsere Wanderarbeiter noch auf diese Weise nach Paris und in all die großen St¨adte, wo man Maurertrupps besch¨ aftigte. In der Zeit vor der Eisenbahn ¨ traf man sie in großen oder kleinen Banden ubers gan¨ ze Land verbreitet, und da sie uberall quer durch die ¨ Felder liefen, beklagte man sich sehr uber sie. In der Zeit des Terrors sah man keine mehr, und wir konnten uns frei in der Wildnis bewegen. Wir folgten dem Lauf eines Baches, der Gourdon heißt, ohne jedoch in die kleine Schlucht, wo er fließt, hinab zusteigen; wir verließen ihn beim Wald von Villemort und wateten durch die Bordesoule; dann, als wir den Weg, der nach ¨ hinter uns gelassen hatten, wandten Aigurande fuhrt, wir uns nach links, und nach einem Tagesmarsch von sieben oder acht Meilen kamen wir schließlich, ohne Seite: 222
Nanon von George Sand ¨ durch Crevant zu gehen, in die unberuhrte Gegend, die wir gesucht hatten. Wir wurden nach Wunsch bedient. Es war eine Oa¨ se aus Granit und Grun, ein Labyrinth, wo alles Zu¨ flucht und Geheimnis war. Uberall dicke, abgerundete ¨ Bl¨ocke, die aus der Erde hervor wuchsen oder ubereinander stiegen wie abw¨ arts rollende Kiesel, kleine, ¨ bucklige Hohlwege, wo schmale Karren nur muhsam ¨ fahren konnten, noch kleinere, wo sie uberhaupt nicht mehr passieren konnten, tief eingegraben in den Sand, wo Wasser hindurch floß und man laufen konnte, ohne ¨ all dem eine prunkvolle Pflanzenwelt. einzusinken. Uber ¨ Auf allen Hugeln riesige W¨ alder von Kastanienb¨ aumen, ¨ ¨ zu deren Fußen dichtes Gebusch, wilde Birnb¨ aume vol¨ weit aufgebl¨ ahtes Geißblatt; Stechpalmen ler Fruchte, und Wacholderstr¨ aucher, groß wie B¨ aume, Luftwur¨ zeln, die auf dem rolligen Sand Brucken bildeten oder ¨ den Boden krochen. wie riesige Schlangen uber Wieso“, sagte Emilien zu mir, kommt nicht das ganze ” ” verfolgte Frankreich und versteckt sich an einem solchen Ort? Es gibt keinen Winkel von der Gr¨oße einer ¨ zu sein, Hand, wo man nicht Gefahr l¨ auft, ungeschutzt und nicht einmal drei Schritte weiter befindet man sich in einem ausgezeichneten Versteck. Wie viel Tausende von Menschen brauchte man, um einen einzigen ausfindig zu machen!“ Als Dumont sah, wie zufrieden wir mit unserem Asyl waren, faßte er wieder Mut. Dieses Land ist zu arm“, sagte er, als daß Leute, die an ” ” ihr Wohlleben gew¨ohnt sind, hier auch nur ein paar Tage leben k¨onnten. Ihr werdet vielleicht nur ein bißchen Seite: 223
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leiden, so maßvoll und abgeh¨ artet wie ihr seid, insbe¨ sondere, wenn wir hier den Winter verbringen mussen. Wir werden unser M¨oglichstes tun, um uns einzurichten, aber sagt zu ehemaligen Reichen, sie sollten so in den H¨ohlen von Schluchten leben, ohne dort jeman¨ den zn treffen, mit dem sie reden k¨onnten. Sie wurden ¨ verruckt werden und es vorziehen, sich zu ergeben.“ Er sagte die Wahrheit. In jener Zeit gingen Leute lieber in den Tod, als das Elend im Schlepptau zu haben, Zeugnis davon legte dieser arme Priester ab, den wir ¨ hatten sterben sehen, weil er es mude war, sich zu verstecken. ¨ Was uns betraf, wir waren glucklich, vereint zu sein, waren voller Kraft und Jugend, stolz darauf, daß es gelungen war, uns in Sicherheit zu bringen; wir waren daran gew¨ohnt, von wenig zu leben, W¨alder und Felsen vor Augen zu haben, wir kamen hierher, und es war wie ¨ ein Paradies - und wenn wir das Ungluck und die Geatten vergessen k¨onnen, es w¨ are fahren der anderen h¨ ¨ uns gewesen. tats¨ achlich das Paradies fur Ich hatte mich unterwegs von meinen Gef¨ ahrten ge¨ trennt und in einem Dorf etwas Ol, Salz, Brot, ein paar Haushaltsgegenst¨ande und Geschirr gekauft. Wir ¨ kummerten uns wenig ums Essen, doch sollte es wohlschmeckend sein. Die Kastanienw¨alder waren voll mit ¨ Steinpilzen, und unter den Buschen wuchsen sauber und frisch im Moos bernsteinfarbene Pfifferlinge. In unserer Gegend kennt man Pilze sehr gut, und sie gelten als wichtiges Nahrungsmittel, das indes die Leute im Berry nicht kannten und lange Zeit links liegen ließen. ¨ Selbst heute kennen sie es nicht gut, und Unglucksf¨ alle Seite: 224
Nanon von George Sand kommen vor. Wir fanden also so viele wir wollten, denn diese Ernte lockte keinen an. Zu der Zeit war, abgesehen von den Massenaushebungen, die alles entv¨olkerten, dieser Winkel des Landes weder bebaut noch be¨ wohnt. Gleichwohl gab es Eigentumer, Neuerwerber wie bei uns, die damit rechneten, etwas herauszuholen; doch sie kamen nur in der Kastaniensaison, die so er¨ tragreichen B¨ aume verlangen den Rest des Jahres uber keinerlei Pflege. Nach langem Marsch gelangten wir in das Gebiet, wo ¨ wir wohnen sollten. Wir uberwanden einen Wildbach, der sang und zwischen den riesigen Kieseln aus Granit ¨ die rund waren wie Brote und groß hin und her hupfte, ¨ wie H¨ auser. Es gab weder Brucke noch Steg, wir sprangen von einem Stein zum anderen. Wir kletterten eine Felswand hinauf und befanden uns in einem Garten mit Gras, Blumen und Str¨ auchern. Es war die Ecke, wo ¨ die Landstriman seit jeher Granit abgebaut hatte fur che, wo es keine guten Steine gibt, und der Boden, den ¨ den Transport verwendeten Tiere umgegraben die fur ¨ und gedungt hatten, war bedeckt mit den sch¨onsten Pflanzen; aber der Granitabbau war eine arme Industrie, seit man keine Kirchen und Schl¨osser mehr baute. ¨ kleine Die Transportschwierigkeiten waren zu groß fur ¨ B¨orsen, und im ubrigen gab es hier wie anderswo keine Arbeiter mehr. Dumont hatte den letzten gehen se¨ zehn Francs im hen und von ihm dessen Unterkunft fur Jahr gemietet. Sie ist nicht sch¨on“, sagte er, wobei er unter den B¨ aum” en, die einen steilen Abhang beschatteten, weiter vordrang, doch sie ist fest, ziemlich groß und gut ver” Seite: 225
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steckt. Wir werden sie in Ordnung bringen. Der ganze Grund und Boden drum herum wurde uns gleichfalls ¨ zwanzig Francs uberlassen. ¨ fur Wir haben das Recht, uns dort das zum Bauen N¨otige zu holen.“ Diese Unterkunft war in der Tat nur ein Lager von Steinbrucharbeitern; aber sie h¨ atte einer Belagerung gespottet, was die Mauern angeht, die aus Bl¨ocken derart herausges¨agt waren, daß sie W¨ ande bildeten, die zur Innenseite recht glatt waren. Das Dach war aus einem langen Block, der, erschreckend anzusehen, jedoch so gut ins Gleichgewicht gebracht war, daß er nicht herunterfallen konnte; und da er in zu großer N¨ ahe zum Boden war, als daß man im Wohnraum, den er bedeckte, aufrecht h¨atte stehen k¨onnen, hatte man die dicke SandSchicht tief ausgegraben. Es war also recht sauber und gesund, man mußte nur Abzugsgr¨aben instand halten, damit das Regenwasser hier nicht einstr¨omte. Sieh doch mal“, sagte Emilien zu mir und unter” suchte staunend diese massive Konstruktion, es ist ” unm¨oglich, daß die Steinbrucharbeiter solche Bl¨ocke bewegt haben; sie haben alles fertig vorgefunden. Der ¨ Prior wurde es einen Dolmen nennen, bei uns ist es ein Ort der Feen.“ ¨ auschte sich nicht. Trotz der erst kurzlich Er t¨ vorgenommenen Bearbeitung und der Teile aus Mauerwerk, ¨ worden waren, um die freien R¨aume zwidie eingefugt ¨ war dies ein keltischen den Felsbl¨ocken auszufullen, sches Monument, und wir brauchten uns nur umzusehen und erblickten andere, die einen waren wegen des Abbaus angegriffen worden, andere waren noch intakt. Seite: 226
Nanon von George Sand ¨ Es war recht einfach, mir mit Flechtwerk aus Asten und gewundenem Farn ein Zimmer neben dem großen herzustellen, und augenblicklich wollte sich Emilien ans Werk machen, w¨ahrend Dumont mit Sand aus dem Bach und dem sehr dichten Moos, das dessen Bett bis zu einer Tiefe von zwei oder drei Fuß bedeckte, die ¨ in den W¨ Lucken anden des Geb¨audes zustopfte. Ich besch¨ aftigte mich mit der Einrichtung. Sie war leicht ¨ das Kochen aufzulisten: ein alter eiserner Dreifuß fur ¨ im Freien, ein großer Krug, eine große Schussel, ein Dutzend schlecht zuges¨ agter Bretter, weiterhin ein paar ¨ Baumstumpfe, agt waren und die auf einer Seite abges¨ als Schemel dienten. Von Betten und Bettzeug war keianke, erst recht ne Rede, es gab weder Tisch noch Schr¨ keinen Kamin. Ich hatte keine andere Arbeit zu machen, als zu planen und somit aus dem Mangel einen Nutzen zu ziehen, w¨ ahrenddessen ich das Abendessen bereitete. Die erste Nacht verbrachten wir unter freiem Himmel, wie so viele andere auch. Aber die Gegend war kalt, und der Sommer neigte sich dem Ende entgegen. Gleich am n¨ achsten Tag machten wir uns an die Arbeit. ¨ soVor allem mußten wir uns vergewissern, ob die Tur lide genug war, denn es fehlte nicht an Wolfsf¨ahrten in der Umgebung. Wir reparierten den Fensterladen, der nicht mehr hielt. Wir errichteten eine Abtrennung, ¨ mich hatte, und ließen einen damit ich ein Zimmer fur großen Spalt zwischen zwei Felsen frei, damit ich auch ¨ mein Fenster hatte, das ich abends mit einem Buschel aus Gras verstopfte. Aus Chateauroux hatten wir in der Traglast des Esels die notwendigen Werkzeuge mitgebracht, um Holz zu bearbeiten. Wir fertigten aus den Brettern drei Kisten, die wir mit dem guten Moos aus Seite: 227
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3.16: Kapitel XVI.
¨ dem Bach fullten, das wir entdeckt hatten, und das, in der Sonne getrocknet, uns ausgezeichnete Betten lieferte, die leicht zu erneuern waren. Ich hatte drei dieser großen, weißen Kittel mitgebracht, die die Kleidung schonen, wenn man gezwungen ist, in ihr zu schlafen. Seit ich ein Junge war, hatte ich geschickte und ¨ Jungenarbeit. W¨ starke H¨ande fur ahrend die M¨anner die großen M¨obel, den Tisch und die Betten, herstellten, schnitzte ich aus Holz L¨offel und Gabeln, ja sogar ¨ das Salz. Aus Eisendraht Schalen und ein Gef¨ aß fur ¨ die Pilze her. Ich bekam ein stellte ich einen Rost fur ¨ ein Regal, wo ich das unterbrachte, ganzes Brett fur was ich gewichtig mein Geschirr nannte. Ich hatte alles, was ich zum N¨ ahen und Instandhalten brauchte, ¨ ¨ Seife, Bursten, K¨amme und zw¨olf Handtucher. Ich hat¨ ¨ die Sauberkeit te mich um alles gekummert, was fur ¨ erforderlich ist, da ich am Elend nichts mehr furchtete, als die Notwendigkeit, im Schmutz zu leben. Ich war sachkundig, was die Hilfsmittel dieser Art betraf, ich hatte meine Lehre zeitig bei meinem Großonkel gemacht, der nur in diesem Punkt Anforderungen stellte. Er wollte nicht, daß man sich zu Tisch setzte, ohne ein sauberes Gesicht und frisch gewaschene H¨ ande. ¨ Wir befaßten uns auch mit einer festen Unterkunft fur den Esel. In meiner Zuneigung hatte er Rosette ersetzt; denn mitten im Drama meines Lebens war ich doch ein Kind geblieben, oder vielmehr wurde ich es erneut am ersten Tag der Ruhe. Es war ein guter Esel, sehr intelligent, sehr stark und sogar eifrig bei der Arbeit, trotz seines kleinen Wuchses und seines schl¨afrigen Aussehens. Er war abgerichtet wie ein Hund, und ich konnte keinen Schritt tun, ohne ihn an meiner Seite zu haben, Seite: 228
Nanon von George Sand ¨ stets bereit zu spielen und eine Aufgabe zu uberneh¨ zum Tragen von Holz men. Er war uns recht nutzlich ¨ unseren Ausbau, denn fette Erde zu beund. Erde fur schaffen war recht schwierig, und wir waren gezwungen, unsere Sand- und Ger¨ollgegend zu verlassen und aben zu holen. sie ziemlich weit entfernt aus den Gr¨ ate fehlten Trotz unserer Voraussicht und unserer Vorr¨ ¨ uns noch etliche Dinge, doch besaßen wir das, was fur den Moment unerl¨aßlich war, zudem hatten wir das ¨ Gluck, unsere Einrichtung fertigzustellen, was gut acht Tage dauerte, ohne einen Menschen zu erblicken. Dergleichen w¨are heutzutage gewiß unm¨oglich, auch wenn diese Gegend dem Anschein nach noch sehr wild, wenig bebaut und m¨aßig bev¨olkert ist; doch hat man Wege angelegt, einen großen Teil der unkultivierten ¨ B¨oden urbar gemacht und viele Felsen zertrummert, und es sind recht ansehnliche kleine Bauernh¨ofe entstanden. Im Jahre 1793, mit dem Ende des Ancien Regime, als der Bauer nichts hatte und der noch immer abwesende Großgrundbesitzer nicht einmal wußte, wo seine L¨ andereien lagen, w¨ahrend der Anarchie auf dem Lande und der erzwungenen Entv¨olkerung, erging es uns dort ein wenig wie Robinson auf seiner Insel. Als wir daher zum ersten Mal am Ufer eines Baches die Spur eines menschlichen Fußes sahen, da blickten wir uns an, Emilien und ich, und uns kam ein und derselbe Gedanke. Mit Wonne hatten wir gemeinsam Robinson ¨ uns zwei gelesen. Auch wir hatten von einer Insel fur ¨ aumt. Wir hatten etwas Ahnliches, doch die Wilden getr¨ waren in unserer N¨ahe. Seite: 229
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3.17
3.17: Kapitel XVII.
Kapitel XVII.
Es war zwar nur ein Kinderfuß, doch mochte das Kind geschickt worden sein, um uns auszukundschaften. Es sah uns nicht, und wir konnten es nicht erblicken. Am n¨achsten Tag kamen zwei, und diesmal zeigten sie sich, ohne jedoch n¨ aher zu kommen. Sie schienen Angst vor uns zu haben. Wir glaubten ihnen zurufen zu ¨ mussen, damit es nicht so auss¨ahe, als ob wir uns ver¨ steckten. Sie flohen und kamen nicht wieder. Wurden sie uns verraten? ¨ Denken wir nicht daran“, sagte Emilien, wir mußten ” ” alle unseresgleichen hassen lernen, und es kann nicht sein, daß dies alle verdienen. Wir haben bis hierher nur gute kennengelernt, der Terror kann nicht bewirkt ha¨ ben, daß keine mehr ubrig sind, ich m¨ochte annehmen, die meisten. Was mich betrifft, so waren die B¨osen eine ¨ einen Pamphile, der mir die Befreiung Ausnahme. Fur ¨ einen Lejeune, der des Priors nicht vergeben konnte, fur ¨ so verruckt ist zu glauben, daß, je mehr man zerst¨ort, um so mehr neues entsteht, hatte ich Freunde wie ahlen, Costejoux, den Prior, Dumont, ohne die aufzuz¨ ¨ die, da sie mir nicht helfen konnten, mir doch Gluck ¨ haben, und das sind, so glaube ich, fast alle gewunscht Leute in Valcreux.“ Und mich“, sagte ich zu ihm, mich rechnen Sie nicht? ” ” ahle ich nicht mit den andeNein“, erwidert er, dich z¨ ” ” ren. Du! Du gehst allem voran, du bist mehr als alles. Ich habe dir nicht nur gedankt, und ich hoffe, du hast verstanden. Seite: 230
Nanon von George Sand Aber . . . nein, nicht allzuviel!“ ” Ach, weil du es nicht weißt . . ., das ist wahr, du ” ¨ mich bist! Du weißt nicht im geringsten, was du fur ¨ Dienerin glaubst meine Dienerin zu sein, die kunftige meiner Frau und meiner Kinder! Ich erinnere mich, abgemacht!“ Und er fing an zu lachen und bedeckte meine H¨ande ¨ mit Kussen, so als w¨are ich seine Mutter. Ich konnte nicht umhin, es ihm zu sagen. Gut!“ erwiderte er, sei meine Mutter, so soll es sein, ” ” denn ich stelle mir vor, wenn ich eine wahrhaftige Mutter gehabt h¨atte, h¨ atte ich nur sie auf der Welt geliebt. Nimm also alle Hochachtung, alle Z¨artlichkeit, alle Ver¨ sie empf¨ande.“ ehrung, die ich fur Dann schob er ruhig meine Hand unter seinen Arm und nahm mit mir den Spaziergang l¨ angs den Schlehen wie¨ den Winder auf. Ich brachte meine kleine Ernte fur terwein ein, denn Emilien hatte einen Zuber und ein Faß gefertigt, und wir verstanden uns darauf, unsere bescheidene Lese zu verarbeiten. An diesem Tag sprach ¨ er mit mir nur noch uber unsere h¨ auslichen Sorgen, und es muß gesagt werden, daß er recht selten und immer in wenigen Worten von seiner Zuneigung zu mir redete, doch war es stets so wohl gesprochen und mit so entschlossenem Ausdruck, daß ich nicht daran zweifeln konnte. Die Besucher kamen nicht wieder. Wir waren zehn Meilen von Crevant entfernt, und nach allen Richtungen ¨ hin gab es nur verstreut liegende Strohhutten, so daß die uns n¨ achste noch recht weit entfernt lag. Seite: 231
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3.17: Kapitel XVII.
Wenn die Bauern kein Interesse haben, eine Erkundung der Orte vorzunehmen, die sie umgeben, dann tun sie es niemals. Noch heute gibt es in den am geringsten bev¨olkerten Teilen des Berry Familien, die nicht wissen, wie das Land eine Meile entfernt von ihrer Bleibe aus¨ sieht, und die einem uber eine Entfernung von einem Kilometer hinaus nicht die Wege bezeichnen k¨onnen. Das wird jeden Tag seltener, und diese Leute, die sich dermaßen auf ihrem Zipfelchen Land, das sie am Leben h¨ alt, vergraben, sind, das muß man sagen, außerordentlich arm. Wir wußten, obwohl wir dem nicht aus dem Wege gearen, daß wir unmittelbar keinen Besuch von gangen w¨ irgend jemandem zu erwarten hatten; wir richteten uns darauf ein, wie Einsiedler zu leben. Wir erfuhren viel ater, daß es in der ersten Zeit des Christentums etsp¨ liche in unseren Felsen gegeben hatte, und selbst die ¨ Uberlieferung besagte, daß unser Ort der Feen, den man das Loch der Farblosen nannte, heiligen M¨ annern und Frauen als Einsiedelei gedient hatte, nachdem wilde Frauen (die Druidinnen) ihn bewohnt hatten. Wenn Einsiedler, so sagten wir uns, zu einer Zeit in dieser Ein¨ode zu leben vermocht hatten, als der Boden noch weniger kultiviert und die Bev¨olkerung noch seltener ¨ es uns wohl auch gelingen, den Winter hier war, wurde zu verbringen. ¨ nicht, uns aufs Bestm¨ogliWir scheuten also die Muhe che einzurichten, und das war auch der Vorsicht angemessen, denn sollten wir irgendeinen Besuch erhalten, so durften wir nicht den Anschein von Leuten erwecken, die sich verstecken und um jeden Preis der Seite: 232
Nanon von George Sand Not trotzen, sondern den von armen Bewohnern, die sich mit der Absicht niederlassen, so wenig schlecht wie m¨oglich zu leben. W¨ ahrend des restfichen Sommers und noch lange Zeit danach, bis zum Frost, waren Pilze die Grundlage unserer Ern¨ahrung. Dumont machte ungef¨ahrdet seine Runden. Von Zeit zu Zeit ging er mit dem Esel sehr weit, bald zum einen Bauernhof, bald zum anderen, um Salz, ¨ und sogar ein paar Gersten- und Buchweizenmehl, Ol ¨ ¨ zu holen. Man mußte sehr viel beFruchte und Gemuse zahlen, da eine Art Hungersnot herrschte, und wenn er zum Tausch K¨orbe anbot, sagte man ihm: Wozu K¨orbe, ” wo wir nichts haben, was wir hinein tun k¨onnen?“ An Geld fehlte es uns nicht, aber wir mußten so arm erscheinen wie die anderen und mit einer Hartn¨ ackigkeit feilschen, zu der Emilien und ich vermutlich nicht f¨ ahig aren. Dumont spielte seine Rolle so gut, daß gewesen w¨ ¨ man ihn als einen der Armsten im Lande betrachtete, und an einigen Orten war man so barmherzig, ihm ein Glas Wein anzubieten, eine seltene und kostbare Sache in einer Gegend, wo man keinen herstellte; doch Dumont hatte geschworen, nicht mehr zu trinken, nicht einmal einen Tropfen Wein. Es hatte ihm so viel Kummer bereitet, beinahe die Flucht seines geliebten Emilien verdorben zu haben, daß er sich diese Strafe auferlegte und sich kasteite wie ein wirklicher Eremit. Es kam eine Zeit der Getreideknappheit, wo man eher Fleisch als Mehl zu kaufen bekam. Wir litten keinerlei Mangel. Wild gab es reichlich um uns herum, und wir erfanden jede Art von Fallen, Schlingen, Klappen und Halsringen. Nur wenige Tage vergingen, ohne daß wir Seite: 233
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3.17: Kapitel XVII.
nicht einen Hasen, ein Rebhuhn, ein Kaninchen oder ¨ und kleine V¨ogel fingen. Es gab eine Menge Grunlinge Weißfische im Bach, und ich hatte recht schnell Reusen hergestellt. Ein kleiner Sumpf lieferte uns nach Belieben Fr¨osche, die wir nicht verschm¨ ahten. Wir hat¨ ten es auch mit einigen Fuchsen zu tun, die zu fangen schwierig war, aber wir waren schlauer als sie und ¨ trockneten genugend Felle, damit wir gute Winterdecken hatten. Schließlich gelang es Dumont, zwei Ziegen zu beschaffen, deren Milch unser Wohlergehen vervollst¨andigte, und sie kosteten uns hinsichtlich ihrer Ern¨ ahrung ebenso wie der Esel nichts, da es um uns herum sehr viele wilde Kr¨ auter gab, sowie Weiden im ¨ Uberfluß auf den noch nicht verkauften L¨andereien. Als die Zeit der Kastanienernte kam, wurde unsere Existenz sichergestellt, und wir hatten es nicht mehr n¨otig, Eink¨aufe zu t¨ atigen. Wir hatten den Ertrag von einem Dutzend herrlicher B¨aume, und wir wußten, wie ¨ man die Fruchte in einer Miete aus pr¨apariertem Sand lagerte. Wir Leute aus dem Pays marchois verstanden mehr als die aus dem Berry von der Aufbewahrung dieses kostbaren Nahrungsmittels. ¨ Aber die Jahreszeit des Sammelns und Pfluckens setzte uns einer Invasion von Besuchern aus, und wir mußten unsere Vorkehrungen treffen. Weder Dumont noch ich, die ich noch immer als sein Neffe galt, hatten et¨ was zu befurchten; aber Emilien, der arme Emilien, der so gerne Soldat sein wollte, befand sich gezwungenermaßen im Widerstand, und es war notwendig, ihn gut ¨ auszugeben. Er zu verstecken oder ihn als verkruppelt leistete Verzicht, fertigte sich ein Holzbein, knickte sein Seite: 234
Nanon von George Sand Knie ab, band es daran fest und bewaffnete sich mit ¨ ¨ einem Kruckstock. Zu unserer großen Uberraschung ¨ rund um uns herum waren die Vorkehrungen unnutz: ¨ wurde geerntet; doch von den funfzehn oder zwanzig Menschen, welche die benachbarten Anh¨ohen erklom¨ aherte sich keiner men, uberquerte keiner den Bach, n¨ unserem Haus, sprach uns keiner an; mehr noch, keiner sah uns an. ¨ Das kam uns recht merkwurdig vor, und wir schlossen daraus, Emilien und ich, daß diese guten Leute unsere Lage erraten hatten und uns auch nicht sehen wollten, damit sie im Falle einer Verfolgung und Untersuchung schw¨oren konnten, von unserer Anwesenheit keine Kenntnis gehabt zu haben. ¨ ¨ einige der Grund ihrer ZuruckDas war in der Tat fur ¨ die anderen gab es einen, uber ¨ den haltung; doch fur wir sp¨ ater aufgekl¨art wurden. Es war am Weihnachtstag gegen Mitternacht; die Si¨ cherheit und das relative Wohlleben, woruber wir uns freuten, die v¨ollige Unkenntnis der Ereignisse, in der ¨ wir uns befanden, die Hoffnung, diese Krise zu uberstehen ¨ hatten uns und in das normale Leben zuruckzukehren, ein wenig unsere Heiterkeit wiedergegeben, und wir beschlossen, das mittern¨ achtliche Weihnachtsmahl zu begehen. Wir hatten uns mit einst abgebautem Granitbruch einen guten Kamin errichtet, der es uns ge¨ stattete, den Weihnachtsklotz anzuzunden. Mit Hilfe von trockenem Reisig, das den Raum in ein sch¨ones Licht tauchte, deckten wir den Tisch, und ich trug Seite: 235
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3.17: Kapitel XVII.
einen Kranz guter, fetter Lerchen auf, einen Berg meiner sch¨onsten, auf unterschiedliche Weise gekochten Kasase von der Milch meiner Ziegen. tanien und einen K¨ Emilien hatte, statt eines Weihnachtsbaumes, einen ¨ M¨ ausedorn voller roter Fruchte, die aus der Mitte seiner Bl¨atter hervor wuchsen, abgeschnitten und auf den Tisch gestellt. Mein Schlehenwein war klar wie Felswasser und beißend wie Essig. Wir Bergbewohner lieben ahte ihn, aber als ich ihm deutdas. Dumont verschm¨ lich gezeigt hatte, daß es sich nicht um Wein handelte, war er einverstanden, davon zu trinken und auf das Wohl unserer abwesenden Freunde anzustoßen. Wir dachten daran, daß sie vielleicht alle im Gef¨ angnis waren oder aber guillotiniert, selbst Costejoux, weil sie uns das Leben gerettet hatten: doch jeder von uns versetzte mit der Faust seinem Herzen einen Stoß, um es zum Vertrauen zu zwingen, und keiner von uns mochte den ¨ anderen von dem Schauer erz¨ ahlen, der ihm uber den ¨ gelaufen war. Dumont, der lange Zeit traurig Rucken gewesen war wie ein Mann, den Gewissensbisse plagen oder dem das Aufregende genommen wurde, wollte ¨ Wir liebten ihn sehr, und seinen Kummer abschutteln. er sah, daß wir ihm verziehen hatten. Er begann mit ¨ seiner dunnen Stimme ein Tischlied zu singen, das vermutlich anst¨oßig war, denn auf ein Wort Emiliens hin brach er pl¨otzlich ab und stimmte ein Weihnachtslied an.
alfte der zweiten Strophe, daß ein Es geschah bei der H¨ a¨ ußerst sonderbarer, rauher und v¨ollig unerkl¨ arlicher ange des Hauses fortSchrei aufgeilte, sich durch die L¨ Seite: 236
Nanon von George Sand setzte und sich in Richtung der Parelle gr¨oßten Block in unserer Nachbarschaft.
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verlor, dem
¨ an Wir lauschten aufmerksam. Wir waren zur Genuge ¨ aff der Fuchse das Heulen der W¨olfe und das Gekl¨ gewohnt, um sicher zu sein, daß dies eine andere Stimme war, eine menschliche Stimme vielleicht. Dumont nahm ¨ Dann h¨orten wir einen Stock und o¨ ffnete leise die Tur. W¨orter, die keinen Sinn ergaben, die jedoch wohl von einer alten Frauenstimme gesprochen waren, die vor Zorn und Angst toll war. Wir versuchten, das Gespenst, das durch das trockene Farnkraut floh, einzuholen; aber es verschwand im Schatten und tauchte nicht wieder auf. Wollen wir wetten“, sagte Dumont, es ist eine Hexe, ” ” die zur Stunde der einstigen Mitternachtsmesse gekommen ist, um auf dem großen Stein ihre Beschw¨orung zu sprechen?“ Du hast recht“, sagte Emilien, diese Dinge geschehen ” ” hier wie auch bei uns. Man glaubt, diese keltischen Steine seien verzaubert, tanzen um Mitternacht und wandern umher, um die Sch¨atze, die sie verbergen, von sich zu geben. Die Alte kam, weil sie den Teufel anrufen ¨ wollte. Du hast sie mit deinem heiligen Gesang erzurnt und in die Flucht geschlagen. Das ist gut so, doch sing nicht weiter, mein lieber Alter, vielleicht gibt es um uns herum andere verhexte starke Geister, die glauben, du achest die Messe.“ seist ein verkleideter Priester und spr¨ ¨ eine Am n¨ achsten Tag befand sich in der N¨ahe der Tur Aalhaut, die sieben große N¨agel enthielt. Das ist eine 1
Ich habe seitdem erfahren, da dies die Par-ell ist, der hohe Stein des Feuers, der den großen Altar der Druiden darstellt.
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George Sand
3.17: Kapitel XVII.
Gabe an die b¨osen Geister, die bei uns auf dem Land wohl bekannt ist. Die Hexe hat sie, Dumonts Weihnachtslied h¨orend, fallen lassen. Er machte aus der Aalhaut eine B¨orse und mit den N¨ ageln, die einen nicht ¨ zu verachtenden Fund darstellten, etwas Nutzliches. Einige Tage sp¨ater traf Dumont einen der letzten Steinbrucharbeiter, der bei der Parelle gearbeitet und gese¨ hen hatte, wie die Hutte vermietet worden war. Er teilte ¨ Arbeit beim Abbruch ihm mit, daß unser Eigentumer atre gefunden des Kirchturms der Karmeliter in La Ch¨ hatte. ¨ Sie waren dort zu sp¨at dran“, fugte der Arbeiter hinzu, ” ¨ ¨ uns, abgerissen; es gibt Arbeit fur man hat sie uberall ” wenn sie wiederaufgebaut werden. Dann kommen wir ¨ zuruck und brechen da oben eure großen Steine heraus. Auch die Parelle?“ fragte ihn Dumont, der wissen woll” te, woran er reit der Bedeutung dieses Steines war. Oh, den da, nein“, antwortete der Steinbrucharbeiter, ” der ist zu groß, und außerdem hat er den Teufel im ” Leib. Sie haben wohl gesehen, wenn Sie hinaufgestie¨ einen Mann ihres Alters nicht einfach gen sind, was fur ist (Dumont machte sich stets a¨ lter und gebrechlicher als er war), daß er ganz mit Kreuzen und Sinnbildern bedeckt ist, welche die Priester dort haben eingravieren lassen, um die Geister der Vergangenheit zu vertreiben? Nun, glauben Sie mir, in der Weihnachtsnacht verschwinden alle diese Kreuze, und der Stein ist so glatt wie mein Knie; sie tauchen erst bei Tagesanbruch wieder auf. Seite: 238
Nanon von George Sand Haben Sie es gesehen?“ fragte Dumont, ohne seinen ” Unglauben zu offenbaren. Nein, ich nicht“, sagte der Steinbrucharbeiter, zur ” ” b¨osen Stunde war ich nicht dort, um nachzusehen; aber mein Vater, der vor nichts Angst hatte, hat es gesehen, so wie ich es erz¨ ahlt habe.“ Nun, die Zauberer haben zur b¨osen Stunde gewiß ein ” leichtes Spiel?“ Seit der Republik gehen sie nicht mehr hin. Das Ge” ¨ setz verbietet es, denn es besagt, dies erzurne die gute Dame Vernunft, welche die neue heilige Jungfrau ist. Doch es gibt noch ein paar alte Frauen, die von weither kommen, sie verstecken sich gut, um den Schatz zu su¨ chen, doch sie k¨onnen so viel schnuffeln wie sie wollen, sie werden ihn nicht bekommen.“ Weil er nicht existiert?“ ” ¨ Doch! Aber die Geister bewachen ihn gut, das mussen ” Sie wissen.“ Meiner Treu, nein. Da ich sie nicht ver¨ argern m¨ochte, ” ahere ich mich der Parelle niemals.“ n¨ Sie tun gut daran! Es ist ein b¨oser Stein.“ Haben Sie ” ” sich in der N¨ ahe aufgehalten?“ ¨ Ja, doch! In der Hutte, aus der Sie, wie man mir ge” sagt hat, ein gutes Haus gemacht haben, habe ich oft bei dem Alten geschlafen, der sie Ihnen vermietet hat; aber da ich ein guter Christ bin, haben die Farblosen mich nicht ge¨argert. Wissen Sie, er w¨ are zufrieden, der alte Breuillet, wenn Sie ihm seinen Besitz derart ver¨ Er wird imstande sein, Winter bessert zuruckerstatten. Seite: 239
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wie Sommer dort zu verbringen, da Sie ihm einen Kamin gesetzt haben. Wegen der K¨ alte und der Geister hat ¨ denn sie haben ihn er sich nicht darum gekummert, zuweilen ganz sch¨on schikaniert; doch wenn Sie ihm sagen, es g¨ abe keine . . . verdammt! Sie sind der einzige, denn kein Mensch mag dort vorbeigehen, nicht einmal am helllichten Tag. Vom Bachbett bis zu der Stelle, die man den Bois de Bassoule nennt, hat der Ort einen sehr schlechten Ruf, und da es einen anderen Bach gibt, der auf der anderen Seite fließt, ergibt das beinahe eine Meile Grund und Boden, den man Insel der Farblosen nennt.“ ¨ die Einsamkeit, Nachdem er Dumont den Grund fur art hatte, stellte ihm dieser der wir uns erfreuten, erkl¨ ¨ ¨ Mann einige Fragen uber die beiden seine Heimat, uber ¨ ¨ Kinder, uber die Art der Behinderung des Altesten. Dumont gab ihm die Antworten, auf die wir uns in unserer Verabredung eingestellt hatten, damit wir uns im Falle von Nachforschungen einig waren; doch sah er wohl, daß wir uns an einem sicheren Ort befanden, denn der ¨ Steinbrucharbeiter, der gegenuber einem armen Mann wie ihm nicht mißtrauisch war, sagte, als er ihn verließ: ¨ ¨ Ihren ahnen Jungen, derart SchaEs ist ein Gluck fur ” den genommen zu haben. Ich habe einen, ein großartiger Bursche, den ich seit sechs Monaten im Hause versteckt halte, indem ich ihn als krank ausgebe; und der Junge langweilt sich, weil er nicht ausgehen darf. Er ist mit einem M¨ adchen verlobt, das er nicht besuchen kann. Was wollen Sie! Wenn sie ihn mir umgebracht haben oder er an K¨ alte und Elend gestorben ist, wer soll mir dann Hab und Gut bestellen?“ Seite: 240
Nanon von George Sand ¨ Sie Das ist richtig“, antwortete Dumont, aber furchten ” ” nicht die Gendarmen?“ Welche Gendarmen? Es gibt keine mehr.“ ” Und die, welche sich freiwillig auf die Jagd machen, um ” ¨ den Burgermeistern einen Gefallen zu erweisen?“ Pah! ” ¨ sich nicht Sie tun so, als ob sie suchen, sie wurden trauen, etwas zu finden! Seit Monsieur Millard aus Crevant die Biguts hat k¨opfen lassen, zeigt man mit dem ¨ Finger auf ihn, und er furchtet sich vor der Zeit, wo die Royalisten sie r¨achen werden. Er ist nicht mehr so ¨ hochmutig, er sagt, alles w¨ are in Ordnung bei uns, wir w¨ aren gute Patrioten, und man l¨aßt uns in Ruhe.“ Glauben Sie also, die Republik werde sich nicht hal” ten? Wissen Sie irgend etwas Neues?“ Ich war letzte Woche in der Schmiede von Crozon; sie ” erz¨ ahlen, man habe die K¨onigin hingerichtet und viele andere auch. Sie sehen, das kann nicht von Dauer sein, und die Emigranten werden alle Jakobiner t¨oten.“ Nun ja; doch was werden die Feinde mit uns machen, ” den einfachen Leuten, die niemanden get¨otet haben? ¨ Werden sie uber uns herfallen wie die W¨olfe in einer Herde?“ Ach ja, wir werden uns, so gut wir k¨onnen, schlagen! ” Wir verteidigen, was wir haben.“ are, Dumont hatte Lust, ihm zu sagen, daß es besser w¨ sie am Kommen zu hindern, als auf sie zu warten; aber er war klug genug, seine politische Haltung nicht in Umlauf zu bringen; er verließ den Steinbrucharbeiter Seite: 241
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und kam, um uns von seinem Gespr¨ ach mit ihm zu berichten. Der Tod der K¨onigin war das, was mich an der Revolu¨ tion am meisten besturzte. Warum eine Frau umbringen?“ sagte ich, was kann ” ” sie B¨oses getan haben? War es nicht ihre (flicht, ihrem Gatten zu gehorchen und zu denken wie er?“ Emilien antwortete, es sei h¨ aufig der Gatte, welcher der Frau gehorche. Wenn die Frau die Dinge richtiger sieht“, sagte er, ist ” ” das etwas Gutes, und ich glaube, daß derjenige, der dich heiraten wird, recht daran tut, dich bei allem zu Rate zu ziehen: aber man hat stets gesagt, daß die K¨onigin den Feind ins Land holen oder den K¨onig weg¨ ¨ zugefugt, bringen wollte. Sie hat ihm also großes Ubel ¨ die Raserei, und sie ist vielleicht der erste Grund fur ¨ in welche die Revolution sich gesturzt hat. Ich verabscheue die Leichtigkeit, mit der man die K¨opfe rollen l¨aßt, und die Todesstrafe hat mich schon immer aufgebracht; aber da die Menschen in einem Jahrhundert von Philosophie und Aufkl¨arung wie dem unseren noch immer nicht weiter sind, meine ich, daß eine K¨onigin sie eher verdient als eine arme Dienerin, bei der man aufgrund eines Wortes, dessen Tragweite sie nicht kennt, eine Untersuchung einleitet. Die K¨onigin wußte genau, was sie getan und gewollt hat. Man hat immer gesagt, sie sei stolz und mutig; sie muß tapfer gestorben sein und sich gesagt haben, daß es das Schicksal der Staatsoberh¨aupter ist, ihr Leben gegen das der V¨olker aufs Spiel zu setzen, und daß sie die Partie verloren Seite: 242
Nanon von George Sand hat. Du weißt sicher, daß in der Geschichte das Schafott eine der Vorsichtsmaßnahmen ist, die im Angesicht der absoluten Macht eingerichtet werden. Das hat die Menschen nie davon abgehalten, sie anzustreben, und in diesem Augenblick macht in keiner Partei irgend jemand halt vor dem Tod.“
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Kapitel XVIII.
Wir waren froh, als wir erfuhren, daß unsere Einsamkeit nicht gest¨ort werden sollte, doch als Emilien h¨orte, wie Dumont von diesem Aufs¨ assigen erz¨ahlte, ¨ der sich versteckt hielt, entrustete er sich. Er fand es sehr schlimm, den Dienst zu verweigern und sagte, der gr¨oßte Vorwurf, den er dem Terror zu machen habe, w¨ are nicht, daß er ihn im Gef¨ angnis habe schmachten lassen, sondern ihn an seiner Pflicht gehindert habe. Es ist also entschieden“, sagte ich zu ihm, wenn Sie, ” ” ohne verhaftet zu werden, von hier fortgehen k¨onnen, brechen Sie auf zur Armee?“ ¨ Wurdest du mich achten“, erwiderte er, wenn ich an” ” ders handelte?“ Es gab nichts zu sagen, sein Geist war so klar und sein ¨ Herz so aufrichtig! Ich war bemuht, mich an den Gedanken zu gew¨ohnen, ihn bald abreisen zu sehen, ohne ihm mit meinen Tr¨anen die Trennung allzu schwer zu machen. Ich sah, daß er mich mehr als irgendeinen anderen Menschen liebte, doch war ich nicht dazu erzogen Seite: 243
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¨ zu glauben, irgend jemand auf der Welt musse mich seiner Pflicht vorziehen. ¨ mich verging die Zeit, indem ich mich mit dem Fur materiellen Leben besch¨aftigte. Ich wollte, daß meine Gef¨ahrten in richtiger Weise gesund und gepflegt waren. Ich legte meine ganze Eigenliebe und meine Freude hinein. Dank meiner Sorge fehlte es ihnen an nichts. Ich dachte an alles. Ich wusch, besserte W¨ asche und Kleidung aus, bereitete die Mahlzeiten, hielt das Haus sauber, spannte die Reusen aus und holte sie wieder ¨ Reisig, flickte kleiein, schnitt Farn und Heidekraut fur ¨ ne, mit Roßhaarschleifen besetzte Schnure, mit denen ¨ angt. Ich kummerte mich man bei Schnee die V¨ogel f¨ um die Ziegen und machte K¨ase. Ich hatte keine Zeit, viel nachzudenken. Ich war zufrieden damit, keine zu haben. Auch Emilien und Dumont rasteten nicht. Sie befaߨ ten sich damit, das Stuckchen Land, das wir gepachtet hatten, zu bebauen; doch war es so klein und sandig, ¨ keinen großen Nutzen daß sie außer ein wenig Gemuse davon erhofften. Emilien setzte es sich in den Kopf, ein ¨ Stuck Heide urbar zu machen, das sich auf der anderen Seite des Baches befand, und wo er einen guten Boden vermutete. Wir wußten nicht, wem es geh¨orte; aber da es absolut nichts hervorbrachte und in der Abwesenheit von Bewohnern und Vieh nicht einmal als Weideland genutzt wurde, sagte er zu uns: Wenn wir dieses Land bebauen, ist das keine wider” rechtliche Inbesitznahme und kein Diebstahl; es ist im Gegenteil eine gute Tat. Wenn wir, wie ich annehme, Seite: 244
Nanon von George Sand eine gute Ernte erhalten und jemand kommt und be¨ merkt es, dann werden wir uns mit dem Eigentumer einigen, daß er daran teilhat. Er wird zufrieden sein, etwas zu bekommen, er, der bislang aus seinem Hab und Gut keinerlei Nutzen gezogen hat. Sollte er nicht kommen und Forderungen stellen, so hinterlassen wir ihm einen Boden im eintr¨ aglichen Zustand, und vielleicht ¨ ist unser erster Versuch der Beginn von Reichtum fur dieses verlassene Land.“ Er glaubte nicht, seine Voraussage sei zu gut, und er machte sich an die Arbeit. Wir rissen das Unkraut aus, ¨ und den ganzen Herbst uber waren wir mit Umgraben besch¨ aftigt. Wir nutzten den Mist unserer Tiere. Wir ¨ das Wasser an, zertrummer¨ legten Abzugsgr¨ aben fur ten das Felsgestein; schließlich s¨ aten wir Roggen, Gerste und sogar ein wenig Weizen aus, das Ganze hatten ¨ erworben, und ordneten es nach wir unter großer Muhe ¨ Arten in verschiedenen Abschnitten dieses abschussigen Heidelandes an, um die Eigenschaften des Bodens auszuprobieren. Im Januar war die Saat wunschgem¨ aß aufgegangen, und in der Ferne sah man einen sch¨onen ¨ grunen Teppich wie einen Smaragd inmitten der vom Winter ausgetrockneten wilden Natur leuchten. Die Sache wurde bemerkt, und ein paar Leute trauten sich herbei, um unsere Arbeit anzuschauen. Der Bauer, ¨ der das Land gekauft hatte, erregte sich daruber und kam mit den ersten. Als Dumont ihm sagte, daß er sein Recht anerkenne und sich wegen des Teilens an ihn ¨ beruhigte er sich, und man einigte sich wenden wurde, ¨ gutlich. Der Bauer war zufrieden, aber er sagte: Ich sehe wohl, was w¨ achst, doch Gott allein weiß, was ” Seite: 245
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reifen wird!“ ¨ Furchten Sie, daß das Land zu kalt ist?“ sagte Dumont ” zu ihm. Nein, aber ich sehe, daß die Farblosen Sie haben ” ahren lassen, und ich weiß nicht, ob ihre Launengew¨ haftigkeit Ihnen gestatten wird, fort zufahren.“ Ich mache mir nichts aus den Farblosen, ich werde sie ” in ihre Schranken weisen.“ Vielleicht“, antwortete der Alte und warf ihm einen ” mißtrauischen Blick zu. Wenn Sie die Worte kennen, um sie zufriedenzustellen, ” sage ich nichts. Aber ich kenne sie nicht und will sie auch nicht kennenlernen.“ ¨ einen Zauberer! Und dennoch, Ja, Sie halten mich fur ” wenn die Erde ebenso gut ist, wie sie zu sein verspricht, ¨ werden Sie dann Ihren Anteil zuruckweisen?“ Gewiß nicht! Aber ob sie noch einmal etwas hergeben ” wird, wenn Sie einmal nicht mehr da sind?“ ¨ Er betrachtete lange mit einem Ausdruck von Uberra¨ schung, Zweifel und Hoffnung sein grunendes Land. Dann ging er versunken von dannen, wie einer, der ein Wunder gesehen hat. Wir hatten also den Ruf, im Einvernehmen mit den Farblosen zu sein, und man mied uns um so mehr. Nicht mehr wir waren es, die Angst hatten, sondern ¨ uns. Emilien hielt sich vor, uns dazu man furchtete verurteilt zu sehen, den Aberglauben zu n¨ ahren; doch Seite: 246
Nanon von George Sand die Wirkung war besser als er dachte. Wir haben erfahren, daß man kurz nach unserer Abreise Mut gefaßt und die ganze Umgebung der Insel der Farblosen angebaut hat, und der Erfolg hat diese braven Leute mit den guten Geistern vers¨ohnt, die unsere Flucht und Arbeit ¨ beschutzten. Der Winter war ebenfalls mild und unsere Unterkunft in so gutem Zustand und wir so gut daran gew¨ohnt, uns nicht zu verweichlichen, daß wir nicht im geringsten zu leiden hatten. Der Vorrat an Kastanien, die Milchspeisen und das Wild erlaubten uns, auf Mehl zu verzichten, und nach und nach hatten uns die kleinen Salzk¨ aufe einen ausreichenden Vorrat gesichert. Wir brauchten nichts mehr von außerhalb zu holen, und Dumont war nicht mehr gezwungen, sich in der Ferne in Gefahr zu begeben. Die letzten Nachrichten, die er eingeholt hatte, waren so traurig, daß wir keine mehr ¨ Allein, wir h¨ atten gerne gewußt, was im wunschten. Kloster geschah, und unsere Freunde beruhigen wollen, die wom¨oglich glaubten, wir seien verhaftet oder zu Tode gekommen. Doch die Gegend verlassen, das war eine zu große Waghalsigkeit. Emilien schwor, er werde uns folgen, falls Dumont oder ich den Versuch ¨ seine Schwester machen wollten, ihm Nachrichten uber zu bringen. Ihr habt mich gezwungem“, sagte er, euch in eine ” ” Lage zu bringen, die man Gesetzlosigkeit nennt, das ¨ die Guillotine. Nun, es ist abgemacht! heißt, gut fur ¨ Wir mussen uns gemeinsam retten oder gemeinsam untergehen.“ ¨ ¨ sich ein so sch¨ones Als der Fruhling kam, kundigte Seite: 247
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Jahr an, daß die Hoffnung in uns wuchs wie die Blu¨ men im Gebusch. Wir hatten fast keine Arbeit mehr, wir brauchten nur noch zuzusehen, wie unsere Saat und ¨ das um den Stall herum angepflanzte Gemuse wuchsen. Ich hatte die Kleidung erneuert, die W¨ asche hielt noch. Mit dem Tag standen wir auf und gingen mit ihm schlafen, wir verbrauchten keine Kerzen; wir h¨atten unser Leben dort verbringen k¨onnen, ohne uns arm vorzukommen. ¨ Was das Unglucklichsein betrifft, so mochten wir uns ¨ entscheiden. Wir waren nicht in dem Alnicht dafur ter, Emilien und ich, wo man an das ewige Unheil glaubt, ebensowenig an ein zerbrochenes Leben und die Unm¨oglichkeit, gegen das Schicksal anzugehen. Dumont war kein großer Denker, außerdem war Emilien sein Orakel, und ich war jeden Tag mehr betroffen von seinem gesunden Menschenverstand, der diesem jungen Mann Aufrichtigkeit und Festigkeit der Seele verlieh. In seinen Lebensgewohnheiten hatte er die Einfalt eines Kindes, und den Verstand eines Mannes, wenn man ihn zum Denken anregte. Er brauchte nicht weiter nachzudenken, um Dinge zu sagen, die uns so wahr erschienen, daß wir uns vorstellten, sie zur gleichen Zeit wie er gedacht zu haben. Zuweilen kam es vor, daß er Ereignisse, die in Frankreich und im Ausland geschahen, erriet, und sp¨ ater, wenn wir uns seine ¨ Worte vergegenw¨artigten, sagten wir uns, er musse in seinen Tr¨aumen den Besuch der Farblosen erhalten haben. Es muß auch gesagt werden, daß unsere Einbildungskraft sich in dieser Einsamkeit verst¨ arkte, und alles uns Vorhersage und Warnung schien. Ohne ihn, ¨ ¨ ¨ Zuruckhaltung der uber im Urteil verfugte, w¨aren wir Seite: 248
Nanon von George Sand ¨ ein wenig verruckt geworden, der Alte und ich. Der Anblick der Guillotine hatte in mir eine gewisse Neigung zur Halluzination hinterlassen. Emilien hatte dies mit Gelassenheit bemerkt, mich sanft getadelt und beruhigt. Eines Abends, als ich ihm erz¨ahlte, ich h¨orte das Fallbeil herabsausen, wenn ich allein w¨ are, sagte er: Nun gut, vielleicht f¨ allt es zu der Stunde, in der du es ” zu h¨oren meinst; das ist der Augenblick, wo du dein Herz zu Gott erheben und zu ihm sagen sollst: Vater, nun gibt es eine Seele weniger auf Erden. Wenn es eine gute Seele war, mach, daß sie uns nicht verloren geht. Gib uns ihre Gerechtigkeit und ihren Mut, damit atte. wir in dieser Welt das Gute tun, das sie getan h¨ Siehst du, Nanette, nicht ein Kopf mehr oder weniger ¨ ndern; ein sinnloser wird den Lauf des Schicksals a Mord ist ein noch schwereres Verh¨ angnis; die Guillotine bereitet denen, die sie verschont, ein gr¨oßeres ¨ Ubel als denen, die sie ausl¨oscht. Wenn es nur um das T¨oten von Menschen ginge! Doch man t¨otet das menschliche Empfinden! Man versucht, das Volk da¨ von zu uberzeugen, daß es zusehen muß, wie ein Teil seiner selbst geopfert wird, um den anderen, gut beleumundeten Teil zu retten. Erinnere dich an das, was der Prior sagte: genau damit wird die Inquisition der Bartholom¨ausnacht fortgesetzt, und so wird es, solange das Gesetz der Vergeltung herrscht, in allen Revolutionen sein. Moses hat gesagt: Auge um Auge, Zahn um Zahm; Christus hat gesagt: Halte deine Wange den Beleidigungen hin und erhebe deine Arme zum Kreuz. Uns fehlt eine dritte Offenbarung, welche die beiden ersten Seite: 249
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¨ achen heißt, B¨oses in Ubereinstimmung bringt. Sich r¨ tun, sich ergeben heißt, es rechtfertigen. Man muß ein Mittel finden, zu korrigieren, ohne zu strafen, und mit ampfen, die nicht verletzen. Du l¨ Waffen zu k¨ achelst? Nun gut, diese Waffen sind da, man muß sie nur zu gebrauchen wissen: es ist die freie Auseinandersetzung, ¨ die den Geist erhellt, es ist die Kraft der Uberzeugung, die den Brudermord vereitelt, es sind Weisheit und Gerechtigkeit, die tief im Herzen der Menschen regieren ¨ und die eine gute Erziehung entwickeln wurde, wohingegen Unwissenheit und Leidenschaft sie ersticken. Es muß also ein Mittel gefunden, eine Hoffnung gen¨ahrt werden. Heute haben wir nur barbarische Mittel, und wir wenden sie an. Der Grund der Revolution ist darum in sich nicht weniger gut, da sie zum Ziel hat, uns diese aumen Robespierre, Dinge zu geben, und vielleicht tr¨ Couthon und Saint Just nach all diesen Menschenop¨ fern noch vom bruderlichen Frieden. Hierin t¨ auschen sie sich; man reinigt den Altar nicht mit besudelten H¨anden, und ihre Schule wird verflucht sein, denn diejenigen, die sie ohne Vorbehalt bewundert haben, werden grausam bleiben, ohne jedoch ihren Patriotismus zu verstehen; aber sie k¨onnen die große Zahl nicht ¨ ¨ uberzeugen, und das Bedurfnis, sich zu dulden und gegenseitig zu helfen, wird im Volk um jeden Preis wiederentstehen. Dieses verliert eher die Freiheit als die Barmherzigkeit, und das heißt, daß es den Frieden will. Heute sind die Jakobiner m¨ achtig, du hast gesehen, wie ein dummer Kult ihren religi¨osen Phantasien Ausdruck gibt; nun ja, es gibt nichts Gutes und Dauerhaftes in der Tiefe dieser vorgebliechen Erneuerung. Im Augenblick bin ich sicher, daß andere Parteien die Allmacht Seite: 250
Nanon von George Sand dieser M¨anner brechen werden, und das Volk, angewidert von ihrer Grausamkeit und der ihrer Agenten, ist bereit, ihrem Sturz zuzujubeln. Es wird eine Reaktion geben, die ebenso blutig ist, und sie wird im Namen der Menschlichkeit geschehen. B¨oses erzeugt B¨oses, man muß immer wieder auf den Gedanken des Priors ¨ ¨ Aber danach wird das Bedurfnis zuruckkommen. aufkommen, sich zu verstehen und den Trugschluß des Fiebers der Natur zu opfern. Vielleicht bringt in diesem Augenblick Robespierre Danton zu Tode, zermalmt er seine Partei; doch denke daran, was ich dir sage: das ¨ ohne daß man RobespiJahr wird nicht vorubergehen, erre zu Tode bringt. Da wir gezwungen sind zu warten, warten wir! M¨oge es nicht die Republik fortreißen! Doch sollte dies geschehen, wundern wir uns nicht. Sie muß, um wiedergeboren zu werden, vor allem menschlich sein, und der Mord muß in den Augen aller als Verbrechen gelten.“ Als ich Emilien fragte, wie er, so jung und in der letzten Zeit so mit dem Bearbeiten der Erde besch¨ aftigt, ¨ Uberlegungen zu Ereignissen anstellen k¨onne, die er ¨ nur fluchtig wahrgenommen habe, antwortete er: W¨ ahrend der Tage meiner Gefangenschaft bin ich um ” Jahre a¨ lter geworden. Zuerst habe ich geglaubt, ster¨ ben zu mussen, ohne irgend etwas verstanden zu ha¨ ben, und die Entscheidung uber mich wurde getroffen, so, als w¨are ich vom Dach gefallen, ohne jegliche Chance, mich festzuhalten; aber als ich mich allein mit diesem armen Priester wieder fand, dessen Namen weder ich noch ein anderer erfahren und den man namenlos guillotiniert hat, wurde mir durch das Reden mit Seite: 251
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ihm schnell vieles klar. Wir dachten nicht in der gleichen Weise, doch war er ein so ruhiger, h¨oflicher, gebildeter und ehrenwerter Mann, daß ich bis zur Tiefe seines und meines Denkens vordringen konnte, ohne ¨ Gefahr zu laufen, die Zuneigung, die wir fureinander empfanden, zu zerst¨oren. Als Royalist und Katholik leg¨ ¨ seinen Glauben dar, fur te er mir die besten Grunde ¨ und ich hatte mit ihm nur uber ernsthafte Dinge, die nach bestem Wissen und Gewissen gesagt wurden, zu diskutieren, was meinen Geist dazu veranlaßte, große Schritte zu machen. Nun, weil ich bei ihm gegen keinerlei kindischen Aberglauben und keine Leidenschaft ampfen mußte, sah ich klar in mir pers¨onlicher Art k¨ ¨ wahr hielt, selbst. Ich traf auf Gedanken, die ich fur und ich sah diese Gedanken sehr deutlich durch den Sturm hindurch, der uns beide davontrug. Ich wur¨ niemandem, wunderte mich de ruhig wie er, ich zurnte ¨ ¨ uber nichts, ich galt mir selbst nichts mehr. Ich fuhlte mich wie ein vertrocknetes Blatt in einem Wald, der von einem großen Brand verzehrt wird. Ich habe die Liebe zu mir erst wiedergefunden, als ich dich in der Dachluke des Speichers gesehen und deinen Gesang erkannt ¨ habe. Da erinnerte ich mich daran, glucklich gewesen zu sein, das Leben geliebt zu haben, und ich habe insgeheim unsere sch¨onen Jahre beweint, und ich habe die Zukunft beweint, die ich mir mit dir ertr¨aumt hatte.“ Und von der wir, glauben Sie, nicht mehr tr¨ aumen sol” len?“ Von der ich immer noch tr¨ aume, mein Kind. Sobald ich ” meinem Land gedient habe, man soll immer davon aus¨ gehen, daß man aus dem Krieg zuruckkehrt, verlasse Seite: 252
Nanon von George Sand ich dich nicht mehr.“ Nie mehr?“ ” ¨ mich bist, vertraue ich Nie mehr, und da du alles fur ” dich w¨ahrend meiner Abwesenheit dir selbst an.“ Was soll das heißen?“ ” Es soll heißen, daß du so bleiben sollst, in Mut und ” Gesundheit, in Vertrauen und Freude, was auch immer geschieht, damit ich dich als die wieder finde, die ich verlassen habe. Nanon, du hast mich verw¨ohnt, ich kann niemals auf dich verzichten, du hast mich ge¨ lehrt glucklich zu sein, was eine große Sache ist. Man hatte mich dazu erzogen, nicht mehr zu existieren, nicht mehr zu z¨ahlen in dieser Welt, nichts zu wollen, ¨ und du weißt, daß ich mich dem nichts zu wunschen, unterworfen habe. Mit deinen kleinen Ermahnungen, ¨ mit deinen knappen und richtigen Uberlegungen, mit deinem Wunsch zu lernen, deiner Gewohnheit zu handeln, der Klarheit deines Wollens und deiner vollkommenen Ergebenheit, grenzenlos, beispiellos, hast du mich ver¨andert, du hast mich aus einem traurigen und feigen Schlaf aufgeweckt. In den kleinen Dingen hast ¨ die der Mensch du mich den wahren Instinkten, uber ¨ muß, wiedergegeben, du hast mich gelehrt, verfugen ¨ meinen K¨orper und Geist aufzubringen. Ich Sorgfalt fur lief umher und aß, wie der Zufall es wollte, einem Tier gleich, ich dachte nur dann und wann, ich studierte nur nach Lust und Laune. Die Unordnung und Unsau¨ berkeit der M¨onche waren mir gleichgultig. Ich war hart gegen mich selbst, doch aus Faulheit und nicht aus Tugend. Du hast mir eine Vorstellung von Ordnung, Seite: 253
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Regelm¨ aßigkeit und Folgerichtigkeit im Denken gegeben. Du hast mich gelehrt, daß man vollenden muß, was man begonnen hat, und nichts beginnen darf, was man nicht zu Ende bringen will. Daher habe ich begriffen, daß man, was man liebt, sein ganzes Leben lang lieben muß. In diesem Dasein von Wilden, in das wir geworfen sind, bereitest du uns ein vollkommen ¨ sußes Familienleben, du verschaffst uns ein Wohlbefin¨ den, das unm¨oglich schien, und durch die Muhe, die du dir gibst, verpflichtest du uns dazu, Nutzen daraus zu ziehen und sogar, es zu genießen. Zuweilen scherze ¨ ich uber deine kleinen Versuche, und sogleich bin ich ¨ von deinen feinsinnigen Erfindungen, die ungeruhrt sere Not vor uns verstecken sollen; ich bewundere dich, denn du bist keine Maschine, sondern ein sehr beweglicher, sehr erstaunlicher und bereits sehr gebildeter Geist, f¨ ahig, alles zu verstehen. Wenn ich auch h¨ aufig den Eindruck gemacht habe, deine Sorge ganz selbstverst¨ andlich zu finden, so glaube doch nicht, Nanon, daß ich die Gr¨oße deiner Ergebenheit nicht anerkenne. Sie ist wie ein st¨andig sprudelnder Quell, dessen Ursprung man niemals sieht. Ihr Gegenstand verdiene ich ¨ sie hanur zu sein durch die Anerkennung, die ich fur ¨ be. Dieses Gefuhl wird gleichfalls ein nie versiegender ¨ zu machen deine Quell sein, und, weil mich glucklich Belohnung sein wird, versuche ich meinen Geist und Charakter so zu regieren, daß du zufrieden bist. Ich will ebenso beharrlich sein wie du, und so weise und gut werden, daß, wenn du wissen willst, was ich denke und was ich bin, du nur in dich selbst hineinzusehen brauchst.“ So sprach Emilien mit mir, und wir gingen unter den Seite: 254
Nanon von George Sand ¨ grunenden Kastanienb¨ aumen spazieren, die mit ihren noch hellen Schatten frische Teppiche aus Gr¨asern, ¨ at mit Blumen, bedeckten. Er kannte mehrere ubers¨ dieser Pflanzen, er hatte sie gemeinsam mit dem Prior studiert, und da ich wußte, daß er sie liebte, hatte ¨ ich ihm aus dem Kloster sein Botanikbuchlein mitgebracht. Er unterrichtete mich in dem Maße, wie er selbst neue kennen lernte, und die Insel der Farblo¨ einen so großen Reichtum, daß es sen verfugte uber ¨ gab, um uns zu bilden. Wir lernten, sie ebengenugend so sch¨on zu finden wie sie es sind, denn man sieht die ¨ Sch¨onheit der Dinge nur durch Prufung und Vergleich. ¨ ¨ hinaus enthullte sich uns dieses eigenartige Daruber Land, das uns zuerst mehr erstaunt als bezaubert hat¨ te, mit dem Fruhling, und, wer weiß, vielleicht mit der ¨ Freude daruber zusammen zu sein und uns jeden Tag mehr zu lieben.
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Kapitel XIX.
¨ Eines Tages, als wir uns zuversichtlicher fuhlten als gew¨ohnlich und uns die Freude am Forschen nicht versagen mochten, stiegen wir hinauf in eine Gegend, die dem Lauf der B¨ ache nach, so schien es uns, die h¨ochstgelegene des Berry sein mußte und wohl an unser Pays marchois grenzte. Es gab kaum mehr Felsgestein oberhalb der Erde. Das Gel¨ ande bestand aus ¨ und von einem der h¨ochsten, mit riegroßen Hugeln, sigen B¨ aumen bewachsen, sahen wir, wie das Land ¨ sich um uns herum ausdehnte. Uns verbluffte, daß Seite: 255
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¨ es uberall gleich war. Sollte es in der Ferne ein paar ¨ geben, so sah man sie nicht, denn sie waren unHutten ¨ versteckt. ter B¨aumen oder in Mulden voller Gebusch Selbst die zahlreichen B¨ ache, die das Gel¨ande durchzogen, sah man kaum, denn sie verloren sich unter dem Blattwerk. Der Boden war ausgeh¨ohlt in tausend kleine aler, die schließlich ein großes Tal bildeten, und daT¨ ¨ wie der, nach erhob er sich in abgerundeten Hugeln, auf dem wir standen, und stieg sehr hoch in den Himmel hinauf, ohne daß man sagen k¨onnte, er ward Berg oder Wald. Und am Horizont ebenso wie in der Mitte dieser Landschaft und hinter uns oder an den Seiten war es immerzu das gleiche, immer eine Wildnis von ¨ von riesigen B¨aumen, frischem sch¨onem, weitem Grun, Gras, rosenfarbenem Heidekraut, purpurnem Finger¨ Ginster, Buchen im Hintergrund, in hut, bluhendem ¨ der H¨ohe Kastanien, ein Horizont, der vor lauter Grun ganz blau war und schwarz vom vielen Blau. Man h¨orte ausch. nur das Singen der V¨ogel, kein menschliches Ger¨ Man sah nicht einmal den Rauch einer Behausung. Weißt du“, sagte Emilien, es ist ein wunderliches ” ” Land. In unserer armen unfruchtbaren Creuse sieht man, sobald man ein auch noch so wenig fruchtbares kleines Tal findet, einen Flecken also, wo der Fels ¨ einen Stall, nicht durch die Erde dringt, eine Hutte, einen elenden kleinen Obstgarten mit seinen vom Wind verdrehten B¨aumen; und hier ist ein Boden, tief, leicht, ¨ schwarz, vortrefflich, da er ja diesen Uberfluß an B¨ aum¨ seit dreitauen n¨ ahrt, diese Kastanien, deren Stumpfe send Jahren, vielleicht noch l¨ anger, immer wieder treiben, denn wie du weißt, stirbt der Pfl¨anzling niemals, ¨ es sei denn durch ein Ungluck wie Himmelsfeuer: und Seite: 256
Nanon von George Sand doch ist dieses Land dem Rest der Welt unbekannt. Wir konnten hier sechs Monate ohne Kontakt mit anderen Menschen leben. Nichts wurde gebaut, nicht einmal Wegtrassen in dieser Weite, die sich dem Blick entzieht. ¨ Was bedeutet das, Nanon? Hast du daruber nachgedacht, da du doch auf der Suche nach deinen Ziegen gesehen hast, wie groß und sch¨on unsere Wildnis ist?“ Ja“, sagte ich, ich habe nachgedacht und mir gesagt, ” ” daß die Bewohner dieser Gegend weder den Mut noch Fleiß aufbringen, wozu das Elend die Leute bei uns ver¨ anlaßt. Die Menschen im Berry sind zu glucklich: ihre ¨ aume bieten ihnen die H¨ alfte des Jahres uber großen B¨ etwas zu essen; ihre großen, stets schattigen und nie ausgetrockneten Weiden erlauben ihnen, Milch zu haben; die Einsamkeit bewirkt, daß das Wild rundum sich stark vermehrt; sie leben alle miteinander wie wir auf der Insel der Farblosen, jedoch wild und ohne sich Gedanken zu machen. Ich bin sicher, sie bek¨ amen Angst, sollte es ihnen besser gehen, so wie dieser arme Mann Angst bekommen hat, als er sah, daß Sie auf seinem ¨ gebracht haben.“ Heideland Weizen zum Bluhen Das l¨aßt mich an den wahren Grund denken“, erwi” derte Emilien, n¨ amlich die Angst vor den Geistern! Ich ” wette, sie sind, ohne es zu wissen, Kelten geblieben, denn ihre heutige Fr¨ommigkeit hindert sie nicht, vor den alten G¨ottern Galliens zu zittern. Und siehst du, seit der Herrschaft jener G¨otter hat das Land sich nicht ge¨ andert; es sind dieselben B¨ aume, welche die geweihte Abgeschiedenheit der geheimnisvollen Druidinnen verborgen hielten; diese Teppiche aus Wildkr¨autern haben ¨ Jahr erneuert, ohne sich seit ewigen Zeiten Jahr fur Seite: 257
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daß der Mensch es gewagt h¨ atte, seinen Spaten hineinzutreiben und Grenzlinien zu ziehen. Der Boden ist Gemeinbesitz und geh¨ort darum niemandem. Der Mensch wagt es vielleicht nicht, ihn in Besitz zu nehmen; jedenfalls wagt er es nicht, ihn zu gebrauchen. Er wohnt dort nicht, und nur zitternd traut er sich dahin. Nun, Nanette, weißt du, wo wir sind? Wir sind im keltischen Gallien. Nichts hat sich ver¨andert, wir sehen es, wie es ¨ einst war, nur die Druiden fehlen. Und da ich daruber nachdenke, erscheint mir dieses alte Land erhebender und sch¨oner als alles, was wir anderswo zu sehen vermochten. Kommt es dir nicht auch so vor?“ ¨ finde ich es sch¨on, Ja“, sagte ich, seit dem Fruhjahr ” ” ¨ und ich werde traurig sein, es verlassen zu mussen; selbst im Winter bin ich hierher gekommen, und diese großen, kahlen B¨ aume, diese dicken, von Buckeln und Knoten geplagten St¨amme machten mir Angst mit ihren B¨arten aus Efeu und Moos.“ Gleichwohl sagte ich mir: Ich habe niemals zuvor etwas so großes gesehen, und ” ¨ hier ist die Natur dem Menschen uberlegen.“ Derart waren, wenn nicht unsere Gespr¨ ache, die ich, so gut ich kann, zusammenfasse, so doch jedenfalls unsere Gedanken, die wir, durch diese Einsamkeit wan¨ dernd, austauschten. Ich drucke mich heute ein wenig besser aus, als ich es damals vielleicht tat, doch ¨ sage ich unbefangen, daß ich spurte, wie viele Gedanken mir in den Sinn kamen in diesem außergew¨ohnlich einsamen Leben, mitten in Einem Sturm, in dem diejenigen, die cr traf, so einf¨altig sie auch sein mochten, notgedrungen heranreiften. Es gab in dieser Zeit Gener¨ ale von zwanzig Jahren, die Wunder vollbrachten. Es Seite: 258
Nanon von George Sand mochte ebenso gut einundzwanzigj¨ahrige Philosophen geben wie Emilien, die ausgiebig zu argumentieren verstanden, und achtzehnj¨ahrige M¨ adchen, wie ich, die begriffen, was sie imstande waren zu verstehen. Wir kehrten an diesem Tag durch den Wald von Bas¨ soule zuruck, und da wir uns gerade mit Bewundern ¨ ¨ besch¨aftigten, waren wir verblufft wie seltsam daruber, dieser Wald war. Ein sch¨oner Bach durchfloß ihn, der dort, wo die H¨ohlung sich befand, aufh¨orte und einen Sumpf voll mit wilden Pflanzen bildete; der Boden war so frisch und gut, daß alles durcheinander wachsen wollte. Großen B¨aumen, die ein Zuviel an Feuchtigkeit unvermeidlich den Halt hatte verlieren lassen und die, ¨ auf der Erde liegend, weherlebten, war Farnkraut uber ¨ den K¨orper geklettert, und da es sich dort wohl fuhlte, aumen, die hatte es seinen Samen auf benachbarten B¨ noch hoch und aufrecht dastanden, ausges¨at und sie ¨ bis zu den Wipfeln eingehullt, und breitete sich dort, Palmen vergleichbar, aus. Hoch oben im Wald hatten sich ganz von selbst Lichtungen gebildet, denn man hatte die toten B¨aume nicht beseitigt, nichts war gepflegt, nichts aufgesammelt worden. Die großen runden Steine tauchten in dieser Gegend wieder auf. Es gab welche, die alte Kastanienb¨aume aus der Erde hochgehoben hatten und nun ihr Fleisch um sie herum ausbreiteten, sie stolz in ihrem offenen Leib trugen und dieses monstr¨ose Ei voller Hochmut zeigten, so als klagten afte an. sie die Kraft ihrer S¨ Doch das Sch¨onste war der mittlere Teil des Waldes, der, da es weder zu viele Felsen noch zu viel Wasser gab, Buchen von gewaltigem Wuchs hervorgebracht hatte, Seite: 259
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die so gerade waren wie Kerzen und in den Wipfeln so blattreich, daß das Licht des Tages in ihrem Schatten ¨ wurde, wie im Schein des Mondes. Einen Augengrun blick lang war Emilien ergriffen. Ist es Nacht?“ sagte er; mir scheint, wir befinden uns ” ” in einem Zauberwald. Vielleicht sind so die Urw¨alder, von denen ich geh¨ort habe, und wir w¨ aren, sollten wir ¨ bereits in die Ferne gehen, um sie zu sehen, uberrascht, ¨ sie im Herzen Frankreichs gesehen zu ein Beispiel fur haben. Diesen wundervollen Wald gab es noch lange Zeit nach der Revolution. Gegenw¨artig befindet er sich leider nur noch in einem Zustand des Dickichts; doch das Land ist kultiviert, bewohnt und ebenso teuer und gefragt wie im Fromental. Es gibt indes noch recht ausgedehn¨ te Hugel und T¨ aler, wo B¨aume unbestimmbaren Alters ¨ das ursprungliche ¨ ein Beispiel geben fur Gallien in seinem einstigen Zustand. Die Steinbrucharbeiter haben die Steine der Druiden wieder in Besitz genommen, und die Parelle hat man abzubauen begonnen; doch gibt ¨ dem Bachbett aufes noch so viele Bl¨ocke, die uber einander geschichtet liegen, daß ihr Ende noch lange nicht absehbar ist. Der große Durderin (eine Entstellung von Druiderin) ist noch da, und die Insel der Farblosen hat sich in ihrer Gesamtheit nicht allzusehr ver¨andert; aber sie hat ihren Namen verloren, die Feen sind davongeflogen, und ein Reisender, der ihren alten ¨ Aufenthaltsort sucht, mußte im benachbarten Bauernhof Petit-Pommier nach dem Weg zu den Großen Steinen fragen. Gegenw¨ artig gibt es weniger Poesie, doch mehr Arbeit und weniger Aberglauben. Seite: 260
Nanon von George Sand ¨ Als wir fr¨ohlich von diesem Spaziergang zuruckkehrten, ¨ gab es große Aufregung. Wir sahen im ungeschutzten Teil unserer Insel der Farblosen Dumont zwischen zwei ¨ mit Piken bewaffneten M¨annern, die uber ihren Westen ¨ große Kokarrote Sch¨ arpen und an ihren Wollmutzen den trugen. Wir wollen hierbleiben und uns nicht zeigen“, sagte ich ” ¨ man sucht Sie!“ zu Emilien und zog ihn in die Busche; Dich und Dumont genauso wie mich“, antwortete er, ” denn ihr versteckt einen Rebellen! Beobachten wir sie, ” wenn sie Anstalten machen, Dumont mitzunehmen, werde ich ihn verteidigen. Zwei gegen zwei und die Einsamkeit! Sagen Sie zwei gegen drei, denn ich werde Ihnen helfen, ” ¨ Ich erinnere mich und sei es auch nur mit Steinwurfen. an meine Kindheit, als ich es wie die anderen verstand, V¨ogel mit einem gezielten Steinwurf zu t¨oten.“ Von unseren Verteidigungsmaßnahmen wurden wir befreit. Die M¨ anner verließen in aller Ruhe Dumont und gingen unterhalb von uns entlang, ohne uns zu sehen. Wir sind mit knapper Not davongekommen“, sagte Du” mont, sobald wir bei ihm waren, es sind Steuerein” treiber, sie suchen den Sohn des Steinbrucharbeiters und haben mich nach dem Weg zu seinem Haus gefragt. Sie haben unseres genau untersucht, doch konnten sie nichts finden, was nicht zu einem wahren Bau¨ ern paßt, abgesehen von Buchern, die ich versteckt habe, als ich sie kommen sah. Da sie drei Betten z¨ahlten, haben sie sich nach Geschlecht und Alter meiner Kinder erkundigt. Ich habe die verabredeten Antworten gegeben, und sie fragten nicht weiter. Was uns betrifft, so Seite: 261
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hatten sie keine Befehle, und sie schienen es mir nicht ¨ einmal sehr eilig zu haben, die auszufuhren, welche die angezeigten Rebellen und die Hausdurchsuchungen be¨ trafen. Sic haben sich nicht daruber beruhigen k¨onnen, ¨ daß sie durch dieses wilde Land ziehen mussen, und da ich ihnen falsche Hinweise gegeben habe, werden sie sich immer mehr verirren. Gleichviel, Emilien muß sein Holzbein bereithalten und darf sich nicht mehr so weit vom Haus entfernen.“ ¨ und verabscheue sie“, Ich sch¨ ame mich dieser Luge ” sagte Emilien, doch euretwegen werde ich mich noch ” einmal beugen. Sag uns doch, ob du irgendeine Neuigkeit von ihnen erfahren hast?“ Sie haben gesagt, man leere die Gef¨angnisse in den ” großen St¨ adten, das heißt, man schickt alle Gefangenen aufs Schafott. Gegenw¨artig geschieht dies in großer Ordnung, sagten sie. Sie brauchen weder Verfahren ¨ ager genugt, und der erstbesnoch Beweise. Ein Ankl¨ te Richter spricht das Urteil. Das Berry und das Pays marchois hingegen sind ruhig. Dort ist man nicht mehr b¨osartig, es wird nicht mehr denunziert, und seit dem Tod des armen Priesters, gegen den Einspruch zu erheben niemand gewagt hat, bringt man keinen mehr um. Die Not ist so groß, daß der Mut zum Haß fehlt, und die Angst verhindert Auseinandersetzungen. Das ist es, was ich verstehen konnte, denn diese M¨ anner waren nicht gut informiert, und ich wollte nicht neugierig erscheinen.“ Als ich mit Dumont allein war, sagte er mir, man habe Madame Elisabeth guillotiniert, und der Dauphin sei im Gef¨ angnis. Seite: 262
Nanon von George Sand ¨ sagte er, er Reden wir nicht vor Emilien daruber“-, ” ” hat sich stets geweigert zu glauben, Kinder k¨onnten das Opfer dieser Verfolgungen werden. Er will die Republik nicht so schlecht sehen, wie sie wirklich ist. Geben wir ihm keinen Anlaß zu denken, seine Schwester sei wom¨oglich seinetwegen verhaftet worden.“ Mein Gott, Dumont, ist es uns denn nicht m¨oglich, in ” Erfahrung zu bringen, ob Louise in Sicherheit ist, und ob wir sie, wenn das Gegenteil der Fall ist, hierherbringen k¨onnen? Die N¨ achte sind sch¨on und noch recht lang; man kann von Sonnenuntergang bis Sonnenauf¨ gang zehn Meilen zurucklegen und am hellen Morgen im Kloster ankommen, dort bis zum Abend ausruhen und in der folgenden Nacht wieder aufbrechen. Ich ha¨ be schwierigere Strecken zuruckgelegt. Wenn Sie mir die Wege angeben, die Sie ja kennen . . .“ Ach, Nanette“, rief Dumont, ich sehe, du hast kein ” ” Vertrauen mehr zu mir; du glaubst, ich sei zu nichts ahig, du verachtest mich, und ich habe es wohl mehr f¨ verdient!“ ¨ Reden wir nicht daruber, mein lieber Onkel. Sollten Sie ” irgendwie Unrecht gehabt haben, so erinnere ich mich nicht mehr daran. Wir werden, wenn Sie wollen, auslosen, wer die Reise machen soll, doch da wir Emilien ¨ t¨auschen mussen und nachts, w¨ahrend er schl¨aft, auf¨ brechen und sehr weit weg sein mussen, wenn er auf¨ mich einfacher sein als fur ¨ Sie, da wacht, wird es fur Sie im selben Zimmer Bett an Bett mit ihm schlafen.“ Ganz und gar nicht“, erwiderte Dumont. ” Seite: 263
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Er hat einen seinem Alter angemessenen Schlaf, und ” ich gelange ganz einfach und ohne ihn zu wecken hinaus. Das habe ich schon zwanzigmal getan. Wenn es hell ist, sagst du ihm, du h¨ attest etwas gebraucht, und are in der Nachbarschaft, um es zu besorgen. Soich w¨ bald es Abend ist, sagst du ihm die Wahrheit, und du ¨ schw¨orst ihm, daß ich am folgenden Morgen zuruck ¨ sein werde, und ich schw¨ore dir, ich werde zuruck sein. Ich weiß, daß Emilien, w¨ahrend er auf mich wartet, eine schlechte Nacht verbringt, aber das ist immer noch ¨ besser, als die Kleine der Gefahr zu uberlassen, und er wird mir meinen Ungehorsam verzeihen. Also, sage nichts mehr. Ich breche heute nacht auf. Es ist notwendig, daß ich diese Sache mache, und ich werde sie zu einem guten Ende bringen. Ich muß einen großen Fehler wiedergutmachen, und ich werde ihn mir erst verzeihen, wenn ich bewiesen habe, daß ich ein Mann bin.“ Ich gab nach. Ich wußte, daß Emilien jede Nacht von seiner Schwester tr¨aumte und, wenn er nicht als je¨ mand gelten wurde, der zu seinem Wort zu stehen habe, er l¨ atte, um zu erfahangst alles aufs Spiel gesetzt h¨ ren, was inmitten der Verfolgung des gesamten Adelsgeschlechts aus Louise geworden war. ¨ ¨ zu sein, damit wir uns noch fruher Ich gab vor, mude als gew¨ohnlich schlafen legten, und bald h¨orte ich, wie Dumont aufbrach. Mein Herz wurde mir schwer; er ging vielleicht in den Tod, und ich konnte kein Auge schlie¨ ßen: wenn Emilien seine Flucht bemerkte, wurde er ihm nachlaufen. Er liebte ihn so sehr, seinen armen Du¨ mont! Und wie sehr wurde er mir vorwerfen, ihn gehen Seite: 264
Nanon von George Sand gelassen zu haben! ¨ war mit uns: Dumont brauchte nicht weit zu Das Gluck ¨ gehen, um Neuigkeiten zu erhalten. Da er den kurzesten Weg nehmen wollte, verlief er sich im Wald und war gezwungen, den Tag abzuwarten, um sich zurechtzufinden. Er befand sich in der N¨ ahe eines kleinen Dor¨ angebracht fes namens Bonnat, und da er es nicht fur ¨ zu zeigen, entschloß er sich, nach hielt, sich unnutz ¨ Hause zuruckzukehren, um uns durch eine zu lange Dauer der Reise nicht zu beunruhigen und sie, besser vorbereitet, auf eine andere Nacht zu verschieben. ¨ Er ging also zuruck, als er sich einem ehemaligen ¨ W¨achter von Franqueville gegenuber sah, der sich Bou¨ ihn ein alter Freund war, ein cherot nannte und fur sehr ehrlicher und zuverl¨ assiger Mann. Sie umarmten sich aus vollem Herzen, und Boucherot, der gerade die Nacht in seinem Dorf verbracht hatte, wo seine verheiratete Schwester lebte, teilte ihm alles mit, was er wissen wollte. Der Marquis de Franqueville war kurze Zeit nach seiner Frau im Ausland gestorben. Vom a¨ ltesten Sohn hat¨ te man keine Nachricht. Die konfiszierten Guter waren verkauft, auch der Park und das Schloß, das Monsieur Costejoux zu einem Spottpreis erworben hatte. Er hatte dort seine Mutter untergebracht sowie ein kleines Fr¨ aulein, die er seine Nichte nannte und die sich sehr wenig zeigte, von der jedoch mehrere Personen im benachbarten Weiler behaupteten, es handele sich um das sehr groß und sch¨on gewordene Fr¨aulein Louise de Franqueville. Seite: 265
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Er, Boucherot, hatte sie aus der N¨ahe gesehen und war sich dessen sicher; doch sagte er zu denen, die sich daran erinnerten, die kleine Louise gehaßt zu haben, sie ¨ w¨are es nicht. Im ubrigen lief sie keine große Gefahr, are auch ihr Name laut ausgesprochen worden. Monw¨ sieur Costejoux war sehr m¨achtig geworden im Dorf, seit er die Intrigen von PrEmel vereitelt und Pamphile o¨ ffentlich beschuldigt hatte, Gefangene erpreßt und von diesem Geld gelebt zu haben. Er hatte so viel Entschlossenheit in deren Demaskierung gelegt, daß man sie verurteilt und auf die Guillotine geschickt hatte. Boucherot ¨ fugte hinzu, daß Emilien, sollte er sich noch im Gef¨angnis befinden, demn¨achst von Monsieur Costejoux, dem ¨ gerechtesten und großzugigsten der Menschen, befreit ¨ werden wurde. Dumont glaubte zun¨achst nicht, seinem Freund alle ¨ Er fragunsere Geheimnisse anvertrauen zu durfen. te ihn, ob er nicht geh¨ort habe, Emilien sei aus irgendeinem Gef¨ angnis entflohen. Niemand wußte etwas ¨ daruber, die Gefangenen waren allerorten so zahlreich, daß bei den Verlegungen, die man notgedrungen vornehmen mußte, etliche abhanden kamen. Pamphile hatte mehrere angefordert, in Gef¨ angnisregistern fand man sie jedoch nicht mehr; doch Monsieur Costejoux hatte das Land von diesem b¨osartigen Menschen befreit, und man suchte nur noch nach Leuten, die sich offen gegen die Republik aussprachen, oder deren royalistische Umtriebe erwiesen waren. Eine außerordent¨ liche Strenge wurde diesen Personen gegenuber aufrechterhalten, doch der Einfluß eines Ehrenmannes hatte in der Provinz den des Spitzbuben verdr¨angt, und man erfand keine Verschw¨orungen mehr, um pers¨onliSeite: 266
Nanon von George Sand ¨ che Feinde zugrunde zu richten, oder um mit den Angsten von Verd¨achtigen zu spekulieren. ¨ Als Dumont sich uber die Situation so gut informiert sah, glaubte er, sich seinem Freund voll und ganz anvertrauen zu k¨onnen, und er brachte ihn zu uns. Emi¨ lien war recht glucklich, als er h¨orte, seine Schwester befinde sich in Sicherheit, er betraute Boucherot, ¨ der nach Franqueville zuruckkehrte, mit einem Dank¨ Monsieur Costejoux; es war so abgefaßt, schreiben fur daß es ihn nicht kompromittieren konnte. Gleichzeitig fragte er ihn, ob er wieder auftauchen und dem ¨ Milit¨argesetz Genuge leisten k¨onne, eine Absicht, die er hegte und stets gehegt hatte. Er fragte auch, ob die Gef¨ahrten seines Refugiums, ohne sich sorgen zu ¨ ¨ mussen, nach Hause zuruckgehen k¨onnten. Die Antwort von Monsieur Costejoux erreichte uns acht ¨ Tage sp¨ ater, nach der Ruckkehr des tapferen Bouche¨ Emilien interessierte, als geh¨orte er rot, der sich so fur zu seiner Familie. Mein lieber Sohn“, schrieb Monsieur Costejoux, blei” ” ben Sie wo Sie sind, bald werden Sie die Freiheit haben, von dort wegzugehen und Ihre Pflicht zu tun. Noch ¨ mussen wir die Menschen erschrecken und ihnen Gren¨ die Unterzen setzen, wir k¨onnen noch so sehr das fur suchungen eingestellte Personal s¨aubern, wir k¨onnen nur hoffen, daß alle unsere Agenten redlich und intelligent sind. Eine dermaßen angespannte Lage kann noch ¨ zu weiteren verh¨ Anlaß geben. angnisvollen Irrtumern ¨ ¨ Die Uberprufung der Aff¨ are Prcmel hat Sie v¨ollig freigesprochen von der Schuld irgendwelcher tadelnswerter Unternehmungen oder Absichten, doch sind wir mit Seite: 267
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so vielen Angelegenheiten belastet, daß ich mich nicht gerne veranlaßt s¨ahe, Sie ein zweites Mal zu retten. ¨ ¨ arter Beschutzer Ihrer Ich wurde entschieden als erkl¨ Familie gelten. Es ist genug, daß meine Mutter sich Ihrer Schwester widmet. Bleiben Sie also weiterhin unsichtbar und z¨ahlen Sie darauf, daß in Frankreich die Herrschaft der Gerechtigkeit wiedererstarken wird; Robespierre und Saint Just haben nur noch ein paar Hin¨ dernisse zu uberwinden, um dahin zu gelangen, daß die Republik, all ihrer Feinde entledigt, wird, was sie sein muß, was sie wollen muß zu sein, n¨ amlich eine artliche Mutter, die alle ihre Kinder in ihren Armen z¨ ¨ versammelt und ihnen Gluck und Sicherheit gibt. Ja, mein junger Freund, warten Sie noch ein paar Wochen, ¨ Sie werden sehen, wie die Auswuchse arte, grausamer H¨ begangen von Verr¨atern, die unser Vaterland verkaufen und unsere Sache sch¨anden wollen, bestraft werden. Entsprechend meinen M¨oglichkeiten zu handeln, habe ich den Anfang gemacht, und ich hoffe beizutragen zur atern, Reinigung der Nation von Intriganten und Verr¨ wie die Prcmel und Pamphile. Nun, das gerettete Frank¨ reich wird uns zur Herrschaft der heiligen Bruderlich¨ keit fuhren.“ Es gab ein Postscriptum: Man hat ihre beiden Freunde nicht angezeigt, Ihre ” ¨ Flucht begunstigt zu haben, denn Ihr Entkommen konnte unbeachtet und zumindest fraglich bleiben. Nichts hindert sie folglich, wieder in Valcreux zu erscheinen, wo der Prior keineswegs beunruhigt und wei¨ terhin ohne St¨orungen lebt. Die Republik schutzt die Seite: 268
Nanon von George Sand vereidigten Priester und l¨ aßt Strenge walten nur ge¨ ¨ denen, die den Burgerkrieg genuber predigen.“ So war also Monsieur Costejoux, dieser menschliche und intelligente Mann, dahin gelangt anzunehmen, Robespierre und Saint Just k¨onnten Frankreich, nachdem sie es zur Ader gelassen hatten, wiederbeleben! Er hoffte, es ganz pl¨otzlich befriedet zu sehen, nachdem sich so viel Haß angesammelt hatte. Das entsprach nicht meiner Meinung, auch nicht der von Dumont, und wir ersehnten den Sturz dieser schrecklichen Partei. Emilien sagte nichts und dachte nach. Endlich erwachte er aus seiner Tr¨aumerei. Ihr habt recht“, sagte er zu uns, Costejoux ist es, der ” ” sich irrt. Er ist ein leidenschaftlicher Mann, der geglaubt hat, seinem Vaterland zu dienen und ihm in der Tat gedient hat, doch um den Preis so vieler gewaltsamer Heilmittel, daß es unter den H¨anden seiner fanatischen Operateure stirbt. Sie haben es in zwei Rassen geteilt, die des Kriegers, der das Vaterland, nachdem ¨ er es befreit hat, unterdrucken wird, und die politische Rasse, die ihr Ziel nicht erreichen und ein Herd von Haß und Rachsucht bleiben wird, vielleicht mehr als hundert Jahre lang! Armes Frankreich! Ein Grund mehr, es zu lieben und ihm zu dienen!“
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Kapitel XX.
Da wir nun frei waren, Dumont und ich, beschloß ich, ¨ den ¨ drei Tage fortzugehen, um nachzusehen, ob fur fur Prior gut gesorgt war, denn Monsieur Costejoux teilte Seite: 269
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3.20: Kapitel XX.
¨ uns uber seine Gesundheit nichts mit, und Boucherot konnte nichts wissen. Nachdem wir ihn verlassen hatten, war sein Asthma schlimmer geworden, und ich ¨ befurchtete, daß Mariottes Ergebenheit vielleicht nachgelassen hatte. Emilien stimmte zu, und ich brach mit ¨ Boucherot zum Kloster auf. Er versprach, mich zuruck¨ zufuhren. Da niemand etwas daran auszusetzen hatte und meine Fluchtgef¨ahrten nicht gesucht wurden, ¨ hatte ich nichts zu befurchten. Ich nahm den Esel, um ¨ W¨ asche, Kleidung und Bucher mitbringen zu k¨onnen. Ich achtete darauf, erst nach Einbruch der Dunkelheit in Valcreux anzukommen, weil ich nicht in M¨ annerkleidung gesehen werden wollte, und ich schickte Boucherot voraus, damit die Mariotte mir unauff¨ allig und ohne ¨ Ausrufe der Uberraschung o¨ ffnete. Alles ging gut. Ich konnte ungesehen zu meinem Zimmer hinaufgelangen, die meinem Geschlecht gem¨aße Kleidung anlegen und vor dem Prior erscheinen, ohne ihn durcheinander zubringen. Ich fand ihn ziemlich geschw¨acht, obwohl er noch immer dick und rotgesichtig war; er konnte weder hin¨ ausgehen, noch die geringste Uberwachungsaufgabe wahrnehmen. Meine beiden Vettern waren zur Armee ¨ worden, man hatte Alte eingestellt, die das weggefuhrt Land bebauen sollten, es jedoch nicht taten; der Gar¨ ten war sich selbst uberlassen, die Weide allen Herden, die sie betreten wollten, preisgegeben. Um die Arbeit ¨ ¨ des Hutens nicht machen zu mussen, hatten die Kinder die Lattenz¨aune entfernt und die Hecken zerst¨ort. Von seinem Zimmer aus sah der Prior, wie die Ziegen den Garten, den Emilien in einen so guten Zustand geSeite: 270
Nanon von George Sand bracht und so sch¨on zurechtgemacht hatte, zugrunde richteten. Der arme Mann a¨ rgerte und emp¨orte sich in seinem alten Sessel vergebens. Er schalt die Mariotte, ¨ die trotz ihrer Gesch¨aftigkeit allein nicht allem genugen ¨ konnte. Das derart verwustete Kloster bot einen traurigen Anblick, und da ich nichts tun konnte, bedauerte ich beinahe, gekommen zu sein. Man mußte sich damit abfinden und zusehen, wie das Gut, das Monsieur Costejoux uns anvertraut hatte, zugrunde ging, doch war er zu gerecht, um nicht einzusehen, daß h¨ohere Gewalt am Werk und unsere Aufl¨osung nicht die Folge einer Laune war. Ich versuchte, dem Prior die Sache so darzulegen, aber ohne jeden Erfolg. ¨ einen Geizhals“, sagte er. Du h¨altst mich fur ” ¨ Ich bin es nie gewesen, und auch ich kann uber die ” ¨ Not klagen; aber diese Plunderer von Bauern ruinieren die Dinge aus Freude an der Zerst¨orung, und das zu sehen tut mir weh. Ich werde an einem Wutanfall ster¨ ich, und der Zustand der Wut entspricht ben, das fuhle nicht dem der Gnade. Ach, Nanette! Ich bin zu allein, um so krank zu sein. Seit ihr mich verlassen habt, hatte ich keinen befriedigenden Tag mehr. Wenn wenigs¨ tens du nach Hause zuruckk¨ amest, du kannst es ohne Gefahr! K¨onntest du jetzt nicht Emilien mit Dumont an diesem Ort allein lassen, wo sie sich, wie du sagst, wohl ¨ ¨ und dem sie bald den Rucken fuhlen kehren k¨onnen? Brauchen sie dich denn so n¨otig, jetzt, wo die sch¨one Jahreszeit da ist und sie sich nicht mehr richtig verste¨ ¨ cken mussen? Was haben sie zu furchten? Der Bruder Pamphile ist nicht mehr; Gott vergebe mir, daß ich mit Seite: 271
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Freude von seinem Tod erfahren habe. Die Menschen ¨ sind verruckt, er jedoch war b¨ose! Er h¨atte euch nie verziehen, daß ihr mich aus dem Verlies geholt habt. Nun befindet er sich dort, wohin ihn zu schicken Gott gefallen hat, ihr riskiert nichts mehr, und ich, ich riskiere hier zu sterben, ohne Freunde, ohne Hilfe, ohne einen Menschen, zu dem ich sagen k¨onnte: Gott befohlen, ich ¨ ¨ mich!“ fur gehe! Das ist ein großes Ungluck ¨ Haben Sie sich denn uber die Mariotte zu beklagen?“ ” Gewiß nicht, aber ich kann mit dieser biederen Frau ” ¨ nicht reden. Sie gibt sich mir gegenuber allzu fromm. Sie ist in der Lage, mir in meinem letzten Augenblick nur Dummheiten zu sagen. Du, Nanon, die du nur an ¨ deine Pflicht denkst, uberlege, wer deine Hilfe am dringendsten braucht, Emilien oder ich.“ ¨ ¨ und, obwohl mude Ich war sehr aufgewuhlt, von der Reise, schlief ich kaum. Mein Herz brach bei dem Gedanken, Emilien zu verlassen. Ich konnte mir nicht mehr vorstellen, wie ich leben sollte, ohne mich jeaftigen. Einmal hatte er mich derzeit mit ihm zu besch¨ seine Mutter genannt, und es ist wohl wahr, daß ich ihn ¨ als mein Kind betrachtete, gleichzeitig als Herrn uber mein Leben und Licht meiner Seele. Niemals war ich ¨ so glucklich gewesen wie in dieser Einsamkeit, wo ich ihn fast nie aus den Augen verlor, wo ich nur ihm ge¨ genuber Pflichten hatte, und als Costejoux geschrieben ¨ hatte: Bleibt noch ein paar Wochen dort“, da verspurte ” ¨ der Freude und sagte mir: Ich habe noch ich ein Gefuhl ” ¨ ein paar Wochen zum Glucklichsein.“ Aber der Prior hatte die Wahrheit gesagt. Emilicns Leben war nicht mehr bedroht. Er blieb nur noch aus VorSeite: 272
Nanon von George Sand sicht in den W¨aldern; die Einrichtung war fertig; Dumont konnte nach Belieben kommen und gehen. Ihr ¨ Geldbeutel war noch gut gefullt, es konnte ihnen, sobald ich ihnen einige Sachen gebracht hatte, an nichts mehr fehlen. Und der Prior war allein, krank und verzweifelt, bei ihm ¨ eine von der Arbeit erdruckte Frau, die ebenfalls krank ¨ werden, sterben oder der Aufgabe mude werden konnte. Ich erkannte, wobei ich ihm nicht Unrecht tun wollte, daß er sie gegen seinen Willen grob behandelte und sie deswegen verstimmt war. Gewiß brauchte er mich dringender als Emilien, und wenn ich mich entschied, dem zu dienen, den ich lieber hatte, befriedigte ich eher mein Herz als mein Gewissen. achsten Morgen ging ich zum Gebet in die KlosAm n¨ terkapelle. Sie wurde nicht mehr aufgesucht. Obwohl Robespierre den Kult der Vernunft abgeschafft und die ¨ freie Ausubung anderer Kulte erlaubt hatte, blieben die Kirchen geschlossen. Niemand wagte es, sich als Katholiken zu bezeichnen. Man hatte die Glocken weggebracht; und ohne Glocken geh¨ort der Bauer zu keiner Kirche mehr. Der Prior konnte, aufgrund seiner schlechten Gesundheit, die Messe nur noch in seinem Zimmer abhalten. ¨ ¨ zu o¨ ffIch hatte Muhe, die verrostete und verzogene Tur nen. In den Chor hatte man Reisig gebracht, um den Al¨ tar zu verdecken und ihn vor Entweihung zu schutzen, ¨ woran ubrigens atte. Das niemand bei uns gedacht h¨ verfallene Gew¨olbe war schwarz vor Feuchtigkeit. Hagel hatte die Fensterscheiben zerbrochen. Tauben waren eingedrungen und hatten Zuflucht gesucht vor den Seite: 273
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3.20: Kapitel XX.
Kindern des Dorfes, die der Hunger dazu trieb, sie mit ¨ Steinwurfen zu verfolgen. Sie hatten Nester gebaut und gurrten unvorsichtigerweise und voller Freude; doch als sie mich sahen, bekamen sie Angst, sie kannten mich nicht mehr. aherte Ich ging zwischen dem Reisig hindurch und n¨ mich dem Allerheiligsten. Ich sah den großen Christus in der Ecke auf dem Boden liegen, das Gesicht zur Wand gekehrt. Dieser Freund der Armen, dieses Opfer der M¨ achtigen hatte vor den angeblichen Aposteln der Gleichheit und Feinden der Tyrannei keine Gnade gefunden. Man hatte ihn versteckt. Als ich die Kapelle verließ, war mein Herz gebrochen, mein Entschluß gefaßt. Ich suchte den Prior auf. Morgen gehe ich fort“, sagte ich, ich muß meine ” ” Freunde unterrichten und ihnen Lebewohl sagen. Ich ruhe mich einen Tag lang aus, denn der Weg ist weit; ¨ doch am folgenden Tag komme ich zuruck. Versprechen Sie mir, geduldig zu sein, ich bin entschlossen, Ihnen zu dienen und Sie gut zu versorgen, da Sie nur noch mich haben.“ Geh, meine Tochter“, antwortete er. ” ¨ mich tust, Gott wird dich segnen und dir, was du fur ” achshoch anrechnen.“ Ich hielt Wort; ich brach am n¨ ten Tag auf, und als ich zwei Meilen von der Insel der Farblosen entfernt war, dankte ich Boucherot und ver¨ abschiedete mich von ihm. Ich kannte den Weg zuruck und wollte ihn nicht l¨anger von seinen Aufgaben bei Monsieur Costejoux abhalten. Seite: 274
Nanon von George Sand Ich bereitete mich auf einen großen Kummer vor, auf ¨ mich sein wurde; ¨ aber einen Abschied, der grausam fur ich wußte, daß Emilien mir zustimmen und mich noch ¨ mehr achten wurde; das gab mir Kraft. Es lag mir fern, auf einen noch tieferen Schmerz gefaßt zu sein. Als ich durch den Wald von Bassoule ging, sah ich Dumont auf mich zukommen, ein Paket am Ende eines Stockes geschultert, als ob er sich auf die Reise machte. Ich beschleunigte den Schritt. Wollten Sie mich holen?“ sagte ich. ” Haben Sie sich meinetwegen beunruhigt? Ich habe ” ¨ doch die festgesetzte Zeit nicht uberschritten?“ Ich wollte dich treffen, meine arme Nanette“, antworte” te er, und dir raten, im Kloster zu bleiben. Emilien . . . ” nimm deinen ganzen Mut! . . .“ are beinahe Man hat ihn verhaftet!“ schrie ich, und w¨ ” hingefallen, meine Beine gaben nach. Nein, nein“, erwiderte er, er ist frei und wohlauf, gott” ” lob, nur, er ist weg!“ Zur Armee?“ ” Ja. Er wollte es so, er hat zu mir gesagt: Ich habe ” ” den Brief von Costejoux noch einmal gelesen und ihn ganz und gar verstanden. Er teilt mir mit, daß ich keine pers¨onlichen Feinde mehr habe; daß man nichts von meiner Flucht weiß, und wenn er mir sagt, ich solle unsichtbar bleiben, was nicht versteckt bedeutet, ¨ so deshalb, weil ich ihn bloßstellen wurde, wenn ich zu ihm k¨ ame und seinen Schutz beanspruchte. Nun Seite: 275
George Sand
3.20: Kapitel XX.
gut, wenn ich in eine andere Provinz gehe, bringe ich weder ihn noch mich in Gefahr, und ich entgehe der Schande, nutzlos zu sein. In der ersten Stadt, wo ich ¨ mich unbekannt und mit dem Burgerausweis versehen, den Costejoux mir in Chateauroux gegeben hat, unter einem Namen, der nicht meiner ist, vorstelle, erkl¨are ich den Beh¨orden, daß eine Krankheit mich gehindert ¨ und ich bitte darum, habe, dem Gesetz zu genugen, mich aufzunehmen, was gewiß weder unvorsichtig noch schwierig ist; endlich schließe ich mich, gleich wo, der Armee an und gelange wieder in den Besitz meiner Ehre und meiner Freiheit. - Ich wollte ihn begleiten“, fuhr Dumont fort, er hat mir nachgewiesen, daß ich ihm bei ” den Erkl¨arungen, die er abzugeben h¨ atte, nur hinderlich sei; daß ich nicht als sein Vater durchgehen k¨onne ¨ und ohne zus¨atzliche sinnlose und gef¨ahrliche Lugen, auch nicht als sein Diener, ohne daß seine Stellung klar werde. Er beabsichtigt, sich als jungen, verwaisten Bauern auszugeben, und er hat mir so viele gute ¨ genannt und so viel Willensst¨arke gezeigt, daß Grunde ¨ ich nachgeben mußte; ich fuhle mich dennoch gevierteilt, und ich wollte dich treffen, mein Kind, damit du mich daran hinderst, an Kummer zu sterben.“ Glauben Sie denn, daß ich so stark bin?“ fragte ich ” und ließ mich ins Gras fallen; nun, wenn Sie gevierteilt ” ¨ sind, so bin ich in Stucke zerschlagen, und am liebsten m¨ochte ich hier sterben!“ ¨ Mir fehlte aller Mut, und dieser arme, so sehr betrubte Mann sah sich zum ersten Mal veranlaßt, mich zu tr¨osten. Ich lehnte mich nicht gegen Emiliens Entscheidung auf, ich hatte sie seit langem vorhergesehen und Seite: 276
Nanon von George Sand mit der Achtung, die ich seinem Charakter schuldete, akzeptiert. Ich wußte, daß er weggehen mußte, daß ¨ ¨ eisich zu Ende neigen und nur mehr fur mein Gluck ¨ aber, daß er einfach so ne kurze Weile halten wurde; gegangen war, ohne mir Lebewohl zu sagen, daß er so sehr an meinem Mut und meiner Ergebenheit gezweifelt hatte, das fand ich grausamer als alles andere und der¨ maßen demutigend, daß ich mich nicht entschließen ¨ konnte, mich bei Dumont daruber zu beklagen. Auf denn“, sagte ich und erhob mich, es ist geschehen, ” ” ahe er unsere Niedergeschlagener hat es so gewollt! S¨ ¨ heit, er wurde uns tadeln. Kommen Sie mit zum Haus. Ich bin nicht in dem Zustand, wo ich vor morgen zum ¨ Kloster zuruckkehren k¨onnte, und ich bin nicht b¨ose ¨ daruber, mich von dieser armen Insel der Farblosen zu verabschieden, wo wir noch ein wenig h¨ atten verweilen ¨ k¨onnen, glucklicher als zuvor, weil wir uns in Sicher¨ heit wußten. Er wollte diesen Rest Gluck nicht. Sein Wille geschehe!“ Begeben wir uns zur Insel der Farblosen“, erwiderte ” ¨ Dumont; wir mussen mehrere Sachen einpacken und ” noch miteinander reden; doch sollten wir gelassener sein, als wir es jetzt sind.“ Nachdem wir an unserem Steinhaus angekommen wa¨ ren, brachte ich den Esel in den Stall, zundete Feuer an, bereitete das Abendessen, ich bet¨ atigte mich so, als are nichts geschehen. Es war die Ruhe der Hoffnungsw¨ losigkeit, deren Ende nicht abzusehen war. Ich zwang mich zu essen. Dumont versuchte, mich zu zerstreuen, ¨ redete, die er beindem er von den Ziegen und Huhnern reits verkauft hatte, damit sie nicht an Hunger sterben, Seite: 277
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3.20: Kapitel XX.
und von einem kleinen Karren, den man vielleicht mieten mußte, um unsere Sachen zu transportieren, die sich um die, welche ich mitgebracht hatte, vermehrt ¨ ¨ hatten. Ich uberpr ufte, was wir mitnehmen und hier lassen mußten. Dumont bejahte, daß der Esel alles tragen k¨onne, und da wir unsere Miete im voraus bezahlt hatten, konnten wir Riegel und Vorh¨angeschloß an den ¨ anbringen und am n¨achsten Tag aufbrechen, ohTuren ne jemandem etwas zu sagen, so, wie wir gekommen waren. ¨ Als ich mich nach dem Abendessen nicht danach fuhlte zu schlafen, ging ich zum Ufer des Baches. Wir waren dort oft entlanggegangen und hatten auf diese Weise einen Pfad getreten, der sich durch die Felsen schl¨angelte inmitten der sch¨onen, mit Efeubl¨ attern umschlungenen Glockenblumen, inmitten von Bitter¨ klee, Sonnentau und dieser ganzen Welt kleiner Blutengew¨achse, die ich durch Emilien kennen gelernt hatte und die wir so sehr liebten. Der Bach verlor sich immer wieder unter den Steinbl¨ocken, und man h¨orte, ¨ ohne ihn zu sehen, wie er unter den Fußen plapperte; das Eichendickicht spendete dem Saum unserer Insel Schatten, dort, wo die B¨oschung pl¨otzlich steil abfiel und eine kleine, wohlverborgene Schlucht bildete: hier war es, wo Emilien, dazu gezwungen, sich nicht zu entfernen, so gerne mit mir spazierenging, sobald unser Tagewerk beendet war. Beim Herumst¨obern hatten wir eine Grotte entdeckt, die sich unter dem Druiderin befand, einem Dolmen, der von geringerer Bedeutung war als die Parelle, jedoch ebenfalls bemerkenswert, weil er einen großen Pilz bildete, der von zwei kleinen Pfeilern im Gleichgewicht gehalten wurde. Wir hatten die Grotte Seite: 278
Nanon von George Sand freigelegt, so dass wir uns bei Bedarf dort verstecken konnten. Ich ging hinein, verbarg mein Gesicht in den H¨anden und brach in Schluchzen aus. Niemand konnte mich h¨oren, und ich brauchte es so sehr, das Weinen! ¨ Doch der wackere Dumont war beunruhigt uber die Ruhe, die ich gezeigt hatte, er suchte mich, h¨orte mich pl¨otzlich und rief nach mir: Komm, Nanette“, sagte er, bleib nicht in diesem Ver” ” lies, laß uns auf den Druiderin hinaufgehen. Die Nacht ist sch¨on, und es ist besser, die Sterne zu betrachten als den Schoß der Erde. Ich habe dir ernste Dinge zu sagen, und vielleicht gibt dir das den n¨otigen Mut.“ Ich folgte ihm, und als wir auf dem Altar der Druiden saßen, sagte er: ¨ dich am meisten, daß er dir nichts Ich sehe, es betrubt ” sagen und dich nicht ein letztes Mal sehen wollte.“ Ja“, sagte ich, das ist es, was mich verletzt und mich ” ” ¨ ihn ein Kind ohne Herz und annehmen l¨ aßt, ich sei fur Verstand.“ Nun, Nanette, du sollst alles erfahren, und ich muß ” mit dir reden wie ein Vater mit seiner Tochter. Du weißt, Emilien liebt dich, als w¨ arest du seine Schwester, Mutter und Tochter zur gleichen Zeit. So spricht er von dir; aber weißt du auch das andere? Er liebt dich wie ein Mann eine Frau liebt. Er schw¨ort, daß du es nicht weißt.“ Ich war v¨ollig sprachlos und verwirrt. Die Liebe! Nie hatte Emilien dieses Wort vor mir ausgesprochen, nie hatte ich es mir selbst gesagt. Ich hatte geglaubt, er Seite: 279
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achte mich so sehr, biete mir Schutz und k¨onne mich daher nicht zu seiner Geliebten machen wollen. Schweigen Sie, Dumont“, antwortete ich, Emilien hat ” ” nie schlecht von mir gedacht, er hat mir allzu deutlich geschworen, er achte mich, als daß ich daran zweifeln k¨onnte.“ ¨ dich Du verstehst nicht, Nanette; die Liebe, die er fur ” empfindet, ist der gr¨oßte Beweis seiner Achtung, denn er will dich heiraten. Hat er es dir denn nie gesagt?“ Niemals! Es sah so aus, als wolle er mir sagen, er werde ” eher nie heiraten als eine Wahl zu treffen, die mir miߨ fallen oder mich von ihm entfernen wurde; doch mich heiraten, mich, eine B¨auerin, er, der Sohn eines Marquis? . . . Nein, das hat es noch nie gegeben, und das kann nicht sein. Man sollte nicht von solchen Dingen reden, Dumont.“ Es gibt keinen Marquis mehr, Nanette“, erwiderte er, ” und sollte es so etwas je wieder geben, sollten Adel und ” Klerus jemals wieder Oberwasser bekommen, wird Emilien von seiner Familie nichts zu erwarten haben. Er ¨ wird M¨onch oder Bauer werden mussen. Als M¨onch mit einem kleinen Kapital in einen Orden eintreten; oder Bauer auf eigene Gefahr und Risiko. Glaubst du, daß die Adligen durch die Revolution besser geworden sind? ¨ du also deinem Freund raten?“ Was wurdest Bauer zu sein, wie er es tats¨achlich seit Jahren ist. Sie ” werden dasselbe sagen wie ich, denke ich?“ Gewiß. Er hat seine Wahl seit langem getroffen, daran ” kannst du nicht zweifeln, und was immer geschehen Seite: 280
Nanon von George Sand ¨ mag, Arbeit und Armut sind das Los dieses jungsten ¨ auf das er in Sohnes der Familie. Es gibt nur ein Gluck, amlich die Frau zu heiraten, dieser Welt hoffen kann, n¨ die er liebt, und dazu ist er entschlossen. Er wird einen ¨ oder zwei Feldzuge mitmachen, um das zu empfangen, was er die Ehrentaufe nennt, und gleich danach wird er dir das sagen, was ich dir in seinem Auftrag sage und was er dir nicht selbst sagen konnte; - frage nicht, ater verstehen; Emilien ist jung warum, du wirst es sp¨ und rein, aber er ist ein Mann, und es ist ihm nicht leicht gefallen, so nahe mit dir, die du so vertrauensvoll und ergeben bist, zusammenzuleben und dich in dem Glauben zu lassen, er sei ebenso ruhig wie du. - Zuletzt hat er mir gesagt: Ich kann so nicht weiterleben. Mein atte den Kopf w¨ urde platzen, mein Herz u ¨ berlaufen. Ich h¨ Mut nicht mehr, wegzugehen, und ich w¨ are des Gl¨ ucks, das ich mir als Belohnung und nicht aus einem inneren Trieb heraus schenken will, nicht w¨ urdig. Ja, Nanette, ¨ das sind seine Worte. Wenn du daruber nachdenkst, wirst du sie besser verstehen; ich sage sie dir, damit du nicht glaubst, du seist mißachtet worden, damit du im Gegenteil weißt, wie sehr du geliebt wirst, und damit du den Mut und die Hoffnung hast, die er, frei von jedem Vorwurf gegen sich selbst, mitnehmen wollte.“ ater davon sprechen, wie mein Herz und Ich werde sp¨ ¨ mein Geist diese Enthullung aufnahmen; ich bin mit ¨ dein Erz¨ahlen des Gedichts meiner fruhen Jugend zu Ende. Ich verließ die Insel der Farblosen unter vielen Tr¨ anen; sie waren nicht bitter wie am Vorabend, und ich ¨ um dort das Leben einer oft kehrte zum Kloster zuruck, ¨ recht harten Wirklichkeit zu fuhren; aber ich hatte von nun an ein klar umrissenes Ziel, das zu erreichen mir Seite: 281
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3.21: Kapitel XXI.
verg¨onnt war. Das wird der dritte Teil meines Berichtes sein.
3.21
Kapitel XXI.
Ich brauche nicht zu sagen, wie groß die Freude des Priors war, als er mich kommen sah. Er hatte kaum gewagt, mit meiner sofortigen Heimkehr zu rechnen. Seine große Freude ließ mich meinen eigenen Kummer ein wenig vergessen. ¨ das, was ich fur ¨ Sie tue“, Danken Sie mir nicht fur ” sagte ich, da Emilien abgereist ist, bringe ich Ihnen ” auch kein Opfer.“ Es tr¨ostet mich“, sagte er, dich darum gebeten zu ha” ” ben. Dein Verdienst ist dadurch nicht geringer, meine ¨ Tochter, denn du glaubtest, mir eine Zeit des Glucks mit deinem Freund zu opfern, und entschlossen hast du dich dazu bereit erkl¨art.“ Die Worte des Priors ließen mich err¨oten, und weil er ein gutes Auge hatte, bemerkte er es. ¨ diese große Sei nicht verwirrt“, fuhr er fort, uber ” ” Freundschaft, die du ihm entgegenbringst. Seit langem schon weiß ich, daß sie gut und ehrbar ist, denn ich habe nicht immer so fest geschlafen, wie ihr glaubtet, wenn ihr in meiner Gegenwart w¨ahrend der Abendstunden gelesen und geplaudert habt. Ich habe wohl ¨ vernommen, daß ihr euch uber Philosophie und Geschichte die K¨opfe heiß geredet habt, und ich wußte, Seite: 282
Nanon von George Sand daß ihr euch gem¨ aß den Gesetzen von Moral und Wahrhaftigkeit liebtet, also davon ausgegangen seid, Mann und Frau zu werden, sobald ihr ein urteilsf¨ ahiges Alter erreicht.“ Ach, mein verehrter Prior, ich bin nicht davon ausge” ¨ nachgedacht; erinnern gangen, ich habe kaum daruber ¨ Sie sich! Ich habe nie ein Wort uber Liebe oder Heirat gesagt.“ ¨ nicht gesproDas ist wahr, auch er hat mit dir daruber ” chen, jedoch mit mir, denn ich war nicht so egoistisch und schwerf¨ allig, daß ich mich nicht deinetwegen ein bißchen gesorgt h¨ atte, und ich weiß, seine Absichten sind aufrichtig, ich weiß, er wird nie eine andere Frau als dich haben, und ich billige seinen Plan.“ ¨ Ich war glucklich, als ich sah, daß der Prior auf dem laufenden war und ich ihm mein Herz o¨ ffnen konnte, damit er meine Zweifel zerstreue. H¨oren Sie, seit zwei Tagen kenne auch ich seine gu” ten Absichten mit mir, und ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich bin ganz verwirrt, ich schlafe nicht mehr. Ich leide weniger an seiner Abreise, und ich ¨ ¨ mußte lugen, behauptete ich, seine Liebe a¨ rgere mich; aber ich frage mich, ob ich ihm nicht einen großen ¨ Schaden zufuge, wenn ich sie akzeptiere.“ ¨ ¨ einen Schaden k¨onntest du ihm zufugen? Was fur Er ” ist Waise; und obwohl sein Vater ihn nicht mehr enterben kann, so doch das Gesetz.“ Sind Sie dessen sicher? Man macht zur Zeit so vie” ¨ le Gesetze. Was das eine begrundet, dem entzieht ein Seite: 283
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anderes den Boden. Wenn die Emigranten im Triumph ¨ zuruckkehren? . . .“ Nun, also, das Erstgeborenenrecht versetzt ihn wieder ” in den Status, den die Revolution ihm genommen hat.“ Und sollte sein Bruder vor ihm sterben, unverheiratet ” und ohne Kinder? . . . An all das habe ich gedacht! Man muß schon allerlei Vermutungen anstellen, will ” man einr¨ aumen, Emilien k¨onnte das Verm¨ogen seiner Familie erlangen; doch nehmen wir es einmal an, ich bin einverstanden; ich sehe nicht, daß eure Heirat ein ¨ sein k¨onnte, daß der Staat ihn Hinderungsgrund dafur entsch¨ adigt, sofern eines Tages eine Entsch¨adigung als notwendig erachtet wird.“ Auch daran habe ich gedacht. Ich habe mir gesagt, es ” ¨ werde recht schwer durchzufuhren sein, daß der Staat sich, was er verkauft hat, wieder aneignet. Aber Sie sprechen von Entsch¨ adigung, und man wird sie den Kindern schulden, deren Eltern emigriert sind. In ei¨ ¨ die Fehsie nicht fur ner guten Rechtsordnung durfen ler ihrer Eltern bezahlen. Emilien wird also entsch¨ adigt, ¨ falls die Revolution erstickt wird. Er durfte dann in der Lage sein, eine gute Heirat zu t¨ atigen, die ihn vollends reich macht, und ich darf nicht hinnehmen, daß er diese Chance verliert, indem er mich heiratet, mich, die nichts hat und nie etwas haben wird. Ich vermute, das wird ihm, sobald wir verheiratet sind, deutlich werden; ich weiß wohl, daß er es nicht bereuen und mir keine ¨ machen wird; aber ich werde mir welche maVorwurfe chen! Und außerdem hat er eine ganze Familie von Vettern, Onkeln, Neffen, die er nicht kennt, jedoch kennen Seite: 284
Nanon von George Sand ¨ lernen wird, wenn alles nach Frankreich zuruckkehrt. ¨ mich und BeDiese große Welt wird nur Verachtung fur ¨ ihn haben. Nicht wahr! Ich furchte, ¨ was schimpfung fur ¨ m¨oglich h¨ er jetzt fur alt, wird so nicht sein, es sei denn, ich akzeptiere an seiner Statt Verluste und Kummer, die ich ihm ersparen k¨onnte, wenn ich ihn dazu bringe, seine Entscheidung hinsichtlich meiner Person zu ¨ ndern.“ a ¨ Ich bemerkte, wie meine Grunde den Prior zum Wan¨ ken brachten, und daruber empfand ich einen t¨odlichen Schmerz, denn ich gestehe, ich hatte gehofft, ¨ durch bessere Grunde widerlegt zu werden. Seit Dumonts vertraulicher Mitteilung hatte ich nur getr¨ aumt ¨ ¨ und Uberlegungen angestellt, gefuhlt, wie ich vor Freu¨ de verruckt wurde und aus Angst zitterte. Ich hatte beschlossen, dem Prior alle meine Zweifel darzulegen, und ich konnte nur Ruhe finden, wenn ich mir einbildete, er sei in seiner Urteilskraft nicht klarer als Dumont. ¨ war und ich Ich merkte, daß er von all dem verblufft vor seinen Augen Folgen sichtbar werden ließ, um die ¨ er sich um seiner selbst willen nicht gekummert hatte. Ich sagte mir, er besitze sehr viel Weisheit und eine gute Urteilskraft, was mich keineswegs tr¨ostete. Ich weinte w¨ ahrend der ganzen Nacht, die diesem Gespr¨ach folg¨ te und wagte es nicht mehr, darauf zuruckzukommen, ¨ weil ich furchtete, ihn dazu zu bringen, so zu denken wie ich, und mich damit selbst zu einer allzu schmerzlichen Entscheidung zu zwingen. ¨ Acht Tage nach meiner Ruckkehr ins Kloster erhielt ich einen Brief von Emilien. Er hatte sich in Orleans verater pflichtet, er war unterwegs zur Armee. Acht Tage sp¨ Seite: 285
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kam ein zweiter. Nun bin ich Soldat“, schrieb er, ich weiß, daß Du mit ” ” mir einverstanden bist, und ich bin mit mir zufrieden. Beunruhige Dich nicht. Der Beruf des Soldaten ist hart ¨ in diesen Zeiten, doch niemand denkt daruber nach, niemand beklagt sich, niemand weiß, ob er leidet. Man ist versessen darauf, sich zu schlagen und den Feind abzuwehren. Es fehlt uns an allem, außer an Herz, und ¨ hinaus voller Erdas ersetzt alles. Meins ist daruber innerung an Dich, meine Nanon: die Liebe zu einem Engel wie Dir und die Liebe zum Vaterland, so viel ¨ das Leben bef¨ braucht man gar nicht, um sich fur ahigt ¨ zu fuhlen, was immer auch geschehen mag.“ Seine anderen Briefe waren ebenfalls kurz und beinahe ¨ immer gleich. Man merkte, er fuhlte sich nicht in der Lage zu schreiben, und es mangelte ihm an allem, angefangen mit der Zeit. Er wollte auch keinen Anlaß zur Beunruhigung geben und sprach erst von Ersch¨opfung, ¨ von Gewaltm¨ arschen und Schlachten, wenn diese fur kurze Zeit vorbei waren. Er sprach in ganz wenigen Worten davon, und nur, um mitzuteilen, er sei froh, dabei gewesen zu sein, und ich sah, daß er sich bereits mitten in der gr¨oßten Gefahr befand. Stets gab es in seinen Briefen nur einmal das Wort Liebe, doch das ¨ nderte er seine Vorstellunwar sehr sch¨on, und nie a ¨ sein Vaterland k¨ampfen, wiederkommen und gen: fur mich heiraten. Armer Emilien! Tats¨achlich war er hun¨ dertmal unglucklicher als er eingestehen wollte; unsere Truppen litten, wie noch nie zuvor Menschen gelitten haben; wir erfuhren es von denen, die verwundet oder krank nach Hause kamen. Mein Herz wurde so schwer, Seite: 286
Nanon von George Sand ¨ daß es mich erstickte, und zuweilen befurchtete ich, wie der Prior Asthmatikerin zu werden; doch in den wenigen Briefen, die ich Emilien zukommen lassen konnte, ¨ hutete ich mich, meinen Schmerz zu zeigen. Ich behauptete, wie er vertrauensvoll und entschlossen zu sein. Ich sprach nur von Hoffnung und Zuneigung und konnte mich nicht dazu durchringen, seinen anen zu widersprechen. Mir kam es vor, als Heiratspl¨ atte ich ihn get¨otet, und ich hatte nicht das Recht, h¨ ihm einen Gedanken wegzunehmen, der ihm in diesen ¨ ¨ war. Gleichwohl konnte harten Prufungen eine Stutze ich mich nicht entschließen, das Wort Liebe zu schreiben. Es w¨ are einem Versprechen gleichgekommen, und mein Gewissen peinigte mich zu sehr. Aber ich greife den Ereignissen vor, denn noch hatte ich erst zwei Briefe von ihm erhalten, als in den ersten Augusttagen eine große Neuigkeit bei uns eintraf. Der Prior teilte sie uns mit. Er hatte gerade Briefe von seiner Familie bekommen. Nun, Nanon“, sagte er, ch hatte es vorhergesagt, daß ” ”” Robespierre und seine Freunde ihr Werk nicht vollen¨ den wurden! Das Mittel taugte nichts, und das Mittel ¨ hat den Zweck get¨otet. Sie sind alle gesturzt, alle tot! Man hat gegen sie selbst das Recht, alles St¨orende zu ¨ unterdrucken, in Anwendung gebracht. Leute, die behaupten, die besseren Patrioten zu sein, haben sie wegen ihrer zu großen Milde abgeurteilt. Worum geht es ¨ also? Man kann nicht mehr tun als sie, außer man fuhrt die Folter wieder ein, oder man setzt Frankreich an allen Ecken in Brand.“ Seite: 287
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¨ Der ehemalige Burgermeister war auch da und freute sich. Im Jahre 1790 noch Republikaner, war er Royalist geworden, als der K¨onig und die K¨onigin hingerichtet worden waren; doch was er dachte, sagte er nur vor uns, die wir sein volles Vertrauen besaßen, und er sagte es mit leiser Stimme, denn zu der Zeit wurde nicht mehr laut gesprochen. Auf dem Land h¨orte man weder Streit noch Diskussionen. Man hatte Angst, auch nur ¨ ein Wort fallen zu lassen, so als w¨are es eine Munze, ¨ nur dazu gemacht, die Unglucklichen in Versuchung zu ¨ fuhren. Sie k¨onnen mir glauben oder nicht“, sagte der wackere ” ¨ Mann, mir scheint unser Ungluck zu Ende zu gehen ” ¨ das Ausland mit Robespierre: er war ein Mann, der fur gearbeitet und ihm das Blut unserer armen Soldaten verkauft hat. ¨ Sie irren sich, Burger Chenot“, erwiderte der Prior. ” Der Mann war ehrlich, und vielleicht haben ihn eben ” deshalb schlechtere als er get¨otet.“ Schlechter ist unm¨oglich! Man sagt, er war gerissen ” und klug; die, welche seinen Platz einnehmen, sind viel¨ leicht ungeschickter, aber schließlich wird es vernunftigen Leuten gelingen, uns davon zu befreien.“ Dieser Auffassung war die ganze Gemeinde, und bald ¨ flusterten sie sich alle vertraulich ins Ohr. Nach und ¨ oder nach bildete man, um zu reden, Gruppen von funf sechs Leuten. Man wußte noch nichts vom neuen System, und das, was man schlecht oder recht davon erfuhr, verstand man kaum, aber es wehte ein frischer Seite: 288
Nanon von George Sand Atem. Der Terror verblaßte, er ging seinem Ende entgegen. Die Freiheit, ob so oder so angewandt, ist ein Gut. Gegen Ende August erhielt ich den dritten Brief von Emilien. Ich war ziemlich erstaunt, als ich las, daß er Robespierre und die Jakobiner bedauerte. Zwar liebte er sie nicht, doch sagte er, Frankreich werde royalistisch, und die Armee habe Angst, daß man sie verrate. ¨ Sonst sanftmutig und geduldig, war er nun voll Zorn gegen die Leute, die sich um die Macht stritten, statt an die Verteidigung des Landes zu denken. Er schien nicht mehr nur der Ehre wegen zum Kampf zu gehen; man ¨ h¨ atte meinen k¨onnen, er tue es zu seinem Vergnugen, und die Kriegswut w¨are ihm, wie auch den anderen, ¨ mir, er sei bereits ins Herz gedrungen. Er verkundete ¨ habe. Eibef¨ordert worden, weil er seine Pflicht erfullt nige Wochen sp¨ ater teilte er uns mit, er sei Offizier. Seht ihr?“ rief der Prior. ” Er ist imstande, als General nach Hause zu kommen.“ ” ¨ Diese Uberlegung gab mir zu denken. Es war nicht ausgeschlossen, daß Emilien eine gl¨ anzende milit¨ari¨ wie so viele andere auch, sche Laufbahn einschluge ¨ von denen ich geh¨ort hatte. Nun wurde er sich nicht mehr seinetwegen um das dem Adel bestimmte Schick¨ ¨ ¨ er wurde daruber sal kummern; stehen, sollte dieser in einer Katastrophe enden oder verachtet werden. Er ¨ achtig sein. Also brauchte er keiwurde reich und m¨ ne B¨ auerin zu heiraten! Sein gutes Herz riet ihm dazu, doch die B¨ auerin mußte diesem Opfer nicht zustimmen. ¨ Zuerst fuhlte ich mich sehr niedergeschlagen, dann gew¨ohnte ich mich an den Gedanken, seine h¨ochste Seite: 289
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3.21: Kapitel XXI.
Achtung zu behalten, und wenn ich mich opferte, bewiese ich ihm eine noch edelmutigere Zuneigung. Ich billigte mir nicht das Recht zu, schwach zu sein oder eine leidende und klagende Verliebte: das fand ich meiner ¨ ¨ meine Person unwurdig, und ich gestehe, daß ich fur ¨ sehr stolz war, seit ich mich so uberm¨ aßig geliebt wuߨ in meinem Leben beschloß ich, te. Mit diesem Gluck ¨ ¨ mich zu bescheiden. Es genugte, einen so sußen Ge¨ ¨ danken, eine so suße Erinnerung bewahren zu durfen. ¨ Den Rest meiner Tage wurde ich dazu verwenden, Emi¨ diese Freude zu belohnen, mich ihm zu widmen lien fur und nie mehr an mich selbst zu denken. Eines Tages sagte Dumont zu mir: Ich muß zur Insel der Farblosen gehen. Unser Neu” land, so scheint es, hat eine großartige Ernte erbracht. Unser Freund Boucherot, der dort Verwandte besitzt, hat sich an Ort und Stelle begeben, um die Ernte zu ¨ ¨ hat er die vereinbarte uberwachen. Dem Eigentumer ¨ Anzahl an Garben uberlassen und den Rest in unserem Steinhaus gespeichert. Die Leute in der Gegend sind ¨ ¨ ehrlich und furchten zudem, die Farblosen zu erzurnen, wenn sie das von Boucherot an der Tenne angebrachte Schloß aufbrechen. Trotzdem muß ein Teil abgeholt werden, denn unser Mietvertrag erlischt in wenigen Tagen. Wir haben nicht die M¨oglichkeiten, diese Masse an Stroh und Korn hierherzubringen. Ich will sehen, ob es nicht besser ist, es dort zu dreschen und zu verkaufen.“ Gehen Sie“, sagte ich, Sie sehen es richtig. Das Geld ” ” geh¨ort Ihnen und Emilien. Ich war an der Arbeit nicht beteiligt, ich erhebe keinen Anspruch.“ Seite: 290
Nanon von George Sand Du hast nicht gearbeitet? Wo du doch nur damit ” besch¨ aftigt warst, uns Nahrung und eine Unterkunft zu verschaffen? Ohne das h¨ atten wir gewiß keine große Arbeit vollbracht; also teilen wir, Nanon; da aber das, ¨ Emilien bestimmt ist, und ich es was mir geh¨ort, fur ohne Absicht und Wissen ausgeben k¨onnte, sollst du die Bewahrerin der drei Anteile sein.“ ¨ Ich werde tun, was Sie wunschen“, antwortete ich, ge” ” hen Sie also, ich beneide Sie um diese Reise. Im Augenblick w¨are ich froh, diesen elenden Ort wieder zusehen, den ich verlassen habe, ohne zu wissen, was ich tat, und ohne daran zu denken, Abschied zu nehmen. Wollen Sie mir eine Freude machen, mein alter Dumont? Bringen Sie mir einen großen Strauß von den Blumen mit, die am Bachufer an der Stelle wachsen, wo ein wie ein Sofa aussehender Felsen aus der Erde ragt. Dort sprießen die Blumen, die Emilien liebte, und auf diesem Felsen hat er sie studiert.“ Dumont brachte mir das Geld von unserem Korn und einen Strauß, groß wie eine Garbe. Trotz der in unserer Gegend sehr guten Ernte war das Korn recht teuer, niemand wußte, warum. Dumont hatte unseres zum Markt gebracht. Er hatte dreihundert Francs in Assignaten zu dreitausend Francs erhalten und sie sofort in Silber umgetauscht, denn das Papiergeld verlor von einem Tag auf den anderen an Wert, und der Zeitpunkt ¨ wurde kommen, wo niemand mehr welches haben wollte. ¨ Ich legte die kleine Ersparnis beiseite und fullte mein Zimmer mit den Blumen, die mich an mein vergangenes Seite: 291
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¨ ¨ Gluck erinnerten. Vielleicht wurde ich Emilien nie wieder sehen, vielleicht wurde er in dem Augenblick, wo ich an den kleinen Wildnelken und dem Geißblatt roch, die sein Bild vor mir entstehen ließen, get¨otet. Ganz allein ¨ lachte und weinte ich, dann kußte ich die Blumen und band einen kleinen Brautstrauß. Ich gab mir die Er¨ laubnis, mir vorzustellen, wie ich, derart geschmuckt, am Arm meines Freundes spazieren ging und er mich ¨ zum Ufer des Flusses fuhrte, der unterhalb des Klosters vorbeifließt, und mir die alte Weide zeigte, die Stelle, wo er mir einst gesagt hatte: Sieh dir diesen Baum da ” an, dieses Wasser voller Iris, die Steine, wo ich oft das Fischnetz ausgeworfen habe, und erinnere dich an den amlich, dir niemals KumSchwur, den ich dir leiste, n¨ mer zu bereiten.“ Dann zeigte ich ihm die Bl¨ atter, die ¨ ich an diesem Tag in den Latz meiner Schurze getan hatte und seither mit großer Sorgfalt wie eine kostbare Reliquie aufbewahrte. Nach diesen Tr¨ aumereien, einer letzten Freude, die ich mir schenken wollte, um dann nicht mehr darauf ¨ zuruckzukommen, machte ich mich wieder an meine nicht eben geringe Arbeit, denn im Kloster war alles in at zulegen, die Unordnung, und ich mußte mir Autorit¨ zu akzeptieren in meinem damaligen Alter nicht einfach ¨ war. Da alles den Plunderungen anheim gefallen war und jeder sich mit der weiter anwachsenden Not rechtfertigte, mußte ich zun¨achst mit Geschick vorgehen. Ich traf eine Auswahl unter den a¨ rmsten Bewohnern und erlaubte ihnen bis zu einer neuen Ordnung bei uns das Weiden; doch ließ ich erneut die Z¨aune errichten und ¨ die L¨ocher in den Umfriedungen mit Dornengestrupp zustopfen, und als sie kamen, um es wieder herausSeite: 292
Nanon von George Sand ¨ zureißen, erkl¨ arte ich, man musse die Weide durch ¨ aune betreten und nicht anders. Naturlich jagdie Z¨ ten sie mich zum Teufel. Da ich einem Streit nicht aus dem Wege ging, teilte ich denen mit, die mir zuh¨oren wollten, ich werde einen Unterschied machen zwischen ¨ den wirklich Bedurftigen und den anderen, die nur vort¨ auschten, welche zu sein, es jedoch keineswegs waren, sondern nur das Almosen an sich br¨ achten, das ich den ersteren geben wollte. Ich hatte sogleich eine Partei auf meiner Seite, die mir half, die falschen ¨ Armen einzuschuchtern und zu vertreiben. Nachts ka¨ men sie zuruck und rissen die Umfriedungen aus, doch ließ ich sie geduldig reparieren, und sie wurden der ¨ als sie sahen, daß man ihnen unrecht Sache mude, gab und die meisten sich gegen sie wandten. Nach und nach unterschied ich von den echten Armen die Faulen, die aus eigener Schuld noch a¨ rmer waren. Ich ¨ uberredete sie, Weideland in Gegenden aufzusuchen, ¨ die weiter entfernt und schwer zug¨anglich waren, dafur ergiebiger als unser durch zu viel Nutzung ersch¨opftes Gras. Schließlich, als der Winter nahte, hatte ich einigen Arbeit verschafft und etliche Dienste geleistet, und ich fand mich berechtigt, die Leute zum Respekt vor dem Besitz, der mir anvertraut war, zu bewegen, und ann¨ahernd gelang es mir auch. Ich schrieb Monsieur Costejoux, um ihm die Neuigkei¨ ten uber unseren jungen Offizier mitzuteilen und ihm ¨ seine Inzu sagen, daß ich, so gut ich konnte, uber teressen wachte, und er antwortete mir, er w¨are zufrieden mit der sch¨onen Haltung Emiliens, und, was ihn ¨ betr¨afe, so w¨are er beruhigt uber die Sorgfalt, die ich seinem Besitz widmete. Seite: 293
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¨ gegeben haben Was es auch immer an Plundereien ” mag“, schrieb er, sie k¨onnen nicht gr¨oßer sein als die, ” welche in Franqueville herrschen und die ich zulassen muß, da ich hier keinen festen Wohnsitz nehmen kann. ¨ Meine alte Mutter und mein junges Mundel k¨onnen sich dem nicht widersetzen. Es w¨are auch nicht klug, wenn sie es versuchten, denn hier gibt es den Bauern, der, nachdem er aus Haß die Adligen und Reichen aus¨ hat, nun erneut damit beginnt, um, wie er geplundert sagt, sich an den Verbrechen der Republik zu r¨achen. Ich weiß nicht, wie man in Valcreux denkt, ich will es ¨ sehr, daß die royalistische Renicht wissen, ich furchte ¨ durchsetzt, und auf den aktion sich blindlings uberall ¨ sterbenden Trummern der Freiheit, auf den Ruinen von agt.“ Ehre und Vaterland den Sieg davontr¨ Monsieur Costejoux beauftragte mich, Emilien mitzuteilen, seine Schwester befinde sich bei guter Gesundheit und es fehle ihr an nichts. Er bat mich um seine Adresse, weil er ihm selbst schreiben wolle. Am Ende ¨ des Briefes nannte er mich seine liebe Burgerin und bat mich um Verzeihung, daß er mich bis zu diesem Tag wie ein Kind behandelt habe. Er erkenne in meinem Brief und mehr noch in dem, was er an meiner Entscheidungskraft, meiner Intelligenz und meiner Ergebenheit gesehen habe, daß ich eine Person sei, die ¨ seiner Achtung und Freundschaft wurdig sei. Dieser Brief schmeichelte mir und weckte erneut meinen Willen, Emiliens Liebe anzunehmen. Ich war nicht die Erstbeste. Ich konnte ihm Ehre machen. - Aber die Armut! Konnte ich in diesen wirren und unsicheren Zei¨ ten, in denen wir uns befanden, eine so furchterliche Seite: 294
Nanon von George Sand Gefahr abwenden? Gesetzt den Fall, er k¨ ame als kleiner ¨ wie sollte er eine FamiOffizier ohne Zukunft zuruck, aglichen lie unterhalten, wenn die Frau außer ihrer tagt¨ Arbeit nichts zu bieten h¨ atte? Da begann ein eigenartiger Gedanke sich meiner zu bem¨achtigen, zweifellos eine Eingebung der Liebe. Wenn ich auch nicht reich werden konnte, so sollte es doch m¨oglich sein, mich mit einem kleinen Verm¨ogen aus¨ ohne Skrupel zustatten, das es mir erlauben wurde, ¨ die guten oder schlechten Verh¨altnisund Demutigung se Emiliens zu akzeptieren. Ich hatte von sehr ehrbaren Leuten geh¨ort, die dank ihres Willens und ihres geduldigen Ausharrens aus dem Nichts etwas geworden waren. Ich begann zu rechnen und erkannte, daß man bei dem Preis, den der Boden zur Zeit hatte, sich in wenigen Jahren eine Einnahme verschaffen konnte, die sich auf den dreifachen Wert des Ausgangskapitals beliefe. Es ging nur darum, daß man sich in der Nutzung und den Einnahmequellen der Landwirtschaft auskennen mußte, und ich mach¨ te mir daruber Gedanken, wobei ich mich erinnerte, was in den letzten Jahren um mich herum zum Erfolg ¨ gefuhrt hatte oder was mißlungen war. Ich holte mir ¨ Rat beim ehemaligen Burgermeister, denn der Prior sah diese Dinge zu eng und kurzfristig. Der alte Chenot war ¨ kluger und vorausschauender. Ihm fehlte es an Mut; langsam hatte er unter der Monarchie sein Verm¨ogen gemacht, und in der neuen Situation h¨ atte er bessere atigen k¨onnen; aber er legte sie sehr gut und Gesch¨ afte t¨ anschaulich dar; allein, er hatte Angst und wagte auf eigene Rechnung nichts mehr, die Politik hinderte ihn Seite: 295
George Sand
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am Schlaf. Voller Entsetzen tr¨aumte er von der Wieder¨ und in solchen Augenbliabtretung der Nationalguter, cken wurde er wieder Demokrat und trauerte Monsieur de Robespierre nach. ¨ Ich z¨ahlte mein Geld. Abzuglich dessen, was mir Monsieur Costejoux geliehen hatte und was ihm von den Gewinnen seiner Dom¨ane noch zustand, belief sich mein pers¨onlicher Barbestand, der aus der Ernte in Crevant stammte, von dem Unterricht, den ich gegeben hatte und immer noch gab, den kleinen Einnahmen von meinen Tieren und der Vermietung meines Hauses, seitdem meine Vettern es nicht mehr bewohnten, auf dreihundert Livres, vierzehn Sous, sechs Deniers. Ich setzte ¨ Summe das Klosmir in den Kopf, mit dieser hubschen ter und die Nebengeb¨aude zu kaufen, es nach und nach durch kleine Ank¨aufe zu vergr¨oßern und einen ebenso bedeutenden, allerdings ertragreicheren Landbesitz wie den der M¨onche wiederherzustellen. Ich teilte niemandem meinen Traum mit. Spott ist der Tod der guten Einf¨ alle, und man bringt nur dann etwas zustande, wenn man weder anderen noch sich selbst einen Zweifel gestattet. Ich fing damit an, mit einem ¨ dritten Teil meines Kapitals ein Stuck unbebautes Land zu kaufen, mit dem zweiten Teil ließ ich es bestellen, ¨ arte, ich sei umfrieden, eins¨aen und dungen. Man erkl¨ ¨ und beschreite den direkten Weg, alles zu ververruckt lieren. Damals gab der Bauer der Erde seine Zeit und seinen Schweiß, aber niemals sein Geld. Wenn er kei¨ nen Dunger hatte, mußte die Erde darauf verzichten. ¨ Dem entsprachen die Ertr¨ age. Im Laufe der Zeit wurden sie etwas besser werden, aber ich sah, wie der AugenSeite: 296
Nanon von George Sand blick kam, wo das ganze verborgene Geld in den Ankauf von Land einginge, und ich wollte Erwerb und vollen Ertrag gleichzeitig in Gang bringen, damit es mir schließlich gel¨ ange, auf einen Schlag den Wert des Kapitals zu verdoppeln. Die Sache hatte Erfolg; im Jahre 1795 bot ¨ mein Land ungef¨ ahr zweihundert Francs. man mir fur
Noch nicht“, antwortete ich, denn das hieße, meine ” ” Aufwendungen ohne Gewinn hereinzuholen. Ich werde warten!“
¨ ¨ funfhun¨ Im Jahre 95 habe ich dieses Stuck Land fur dertachtzig Francs verkauft. Weitere K¨ aufe brachten mir sehr viel mehr ein; doch will ich nicht auf langweilige Einzelheiten eingehen. Alle Leute, die in dieser Zeit Gesch¨ afte get¨ atigt haben, wissen, daß man auf die Ereignisse vertrauen mußte, um Erfolg zu haben. Bei uns auf dem Lande waren es zun¨ achst nur wenige. Bis zum Ende des Konvents wollten die, welche gekauft hatten, zum gr¨oßten Teil wieder verkaufen, und sie verkauften mit Verlust. Unter dem Direktorium begannen sie, erneut zu kaufen, was anfangs zu vielen Reinverlusten ¨ fuhrte; ater noch auf ihund trotz allem kamen sie sp¨ re Kosten, und mit noch viel gr¨oßerem Recht machten diejenigen, die sich wie ich nicht von den Drohungen ¨ und Zornesausbruchen der Parteien hatten abschrecken lassen, in wenigen Jahren reelle und sehr legitime Gewinne. Seite: 297
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Mit der Wolle erzielte ich gleichfalls einen guten Gewinn. Sie war sehr teuer, obwohl das Vieh recht ertragreich geworden war. Anfangs waren durch das freie Weiden auf dem beschlagnahmten Land die Herden gediehen. Alle hatten die Zahl der Tiere, die sie ern¨ahren konnten, verdoppelt oder verdreifacht, aber diese Verschwendung war nicht lange von Vorteil. Das Weideland war ersch¨opft, die Schafe gingen ein und man hatte es eilig, sie zu Schleuderpreisen loszuwerden. Nach und nach kaufte ich von verschiedenen Leuten, und auf Kredit, eine bestimmte Anzahl, die ich unter der Ob¨ hut eines alten, unglucklichen Mannes, bei dem ich viel Klugheit und Fleiß wahrgenommen hatte, in die Gegend von Crevant schickte. Ich beteiligte ihn am Gewinn, und ¨ und Weideland in der Umgenachdem er eine Hutte bung der Insel der Farblosen gepachtet hatte, ließ er sich dort nieder. Das Weiderecht hatte einen geringen Preis. Mit unserem Schurergebnis waren wir imstande, alle unsere Ausgaben zu bezahlen und eine runde Summe einzunehmen. Zu Weihnachten hatten wir L¨ ammer ¨ im Uberfluß, was uns weiteren Gewinn versprach. atig war, Zur gleichen Zeit, als ich auf eigene Rechnung t¨ brachte ich die Verwaltungsangelegenheiten des Priors ¨ wieder in Ordnung, zur großen Uberraschung von Monsieur Costejoux, der mich in seinen Briefen seinen lie¨ ben Verwalter nannte. Er war sich klar daruber, daß er ohne mich aus seiner Dom¨ ane nichts herausgeholt h¨ atte. Ich sah sehr wohl, daß der Besitz ausgezeichnet war, Seite: 298
Nanon von George Sand doch w¨are es n¨otig gewesen, Geld hineinzustecken, und ich bat ihn dringlich, zu kommen und sich selbst der Dinge, die zu tun waren, zu vergewissern. Er entschloß sich dazu im Laufe des Winters, der sehr hart und grausam war, begleitet von einer sch¨andlichen Hungersnot. Sch¨ andlich sage ich, weil sie das Werk von Spekulanten war. Als Monsieur Costejoux unsere sch¨one Ernte sah, verstand er es und gab mir dies zu verstehen. Nachdem wir viel von Emilien gesprochen hatten, der ¨ patriotische Briefe schrieb, ihm, wie er sagte, gluhende und nachdem er erz¨ahlt hatte, Louise werde von Tag zu ¨ Tag hubscher und sei das verh¨ atschelte Kind in seinem Haushalt, entschloß ich mich, da ich sah, daß er mich in jeder Hinsicht ernst nahm, ihm mein Herz zu o¨ ffnen und ihm mein großes Vorhaben anzuvertrauen. Doch stellte ich es ihm nicht als eine Sache dar, die in meinem Kopf bereits fertig war. Ich nannte ihm das Kloster nicht als das Hauptziel meines Strebens, sondern be¨ fragte ihn in einer allgemeinen Weise uber die M¨oglichkeiten, ein Verm¨ogen mit nichts zu machen angesichts ¨ einer Situation, wie sie der Verkauf der Nationalguter und die generelle Gesch¨aftslage darstellten. Er h¨orte mir aufmerksam zu, blickte mich durchdringend an, stellte mir noch ein paar Fragen nach Einzelheiten und antwortete mir schließlich wie folgt: Meine liebe Freundin, Ihre Idee ist sehr gut und muß ” ¨ verwirklicht werden. Sie mussen mir das Kloster und alles, was dazugeh¨ort, abkaufen. Ich will an diesem Verkauf nichts verdienen, ich habe ihn aus Patriotismus get¨ atigt, und mein Ziel ist erreicht, wenn er dazu dient, ¨ die Existenz einer tuchtigen und ehrbaren Familie, wie Seite: 299
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¨ ¨ die Ihre es sein wird, zu begrunden. Sie mussen den jungen Franqueville heiraten und ihm dieses Heiratsgut mitbringen.“ Ausgezeichnet; aber wie soll dies geschehen, wenn Sie ” mir keine Zeit geben?“ Ich gebe Ihnen zwanzig Jahre Zeit, um Ihre Schulden ” zu begleichen. Reicht das?“ Bei tausend Francs im Jahr, zus¨atzlich Zinsen, ist das ” genug.“ Ich will keine Zinsen.“ ” Oh! Dann werden wir nicht ins Gesch¨aft kommen. ” ¨ das als Almosen betrachEmilien ist stolz und wurde ten.“ Dann akzeptiere ich die Zinsen; doch zu zwei ” ¨ PachtProzent. Das ist in unserer Gegend der Zins fur land.“ Verzeihen Sie: zweieinhalb!“ ” ¨ Ich fuhle mich mit zwei Prozent sehr gut bezahlt, da ” Franqueville mir zur Zeit nichts einbringt. Ich bin recht ¨ erstaunt uber die hervorragende Leistung, die Sie vollbracht haben und durch die das Kloster nicht zu einer unergiebigen Investition verkommen ist. Ich hatte es auf mehrere Jahre in den Kamin geschrieben, ich bin es andiIhnen also schuldig, die Summe, die Sie mir aush¨ gen, als Vorauszahlung auf den Ankauf des Besitzes zu betrachten. Da Sie minderj¨ ahrig sind, k¨onnen wir keinen Vertrag schließen, aber unser jeweiliges Wort ¨ genugt, und ich werde Maßnahmen treffen, damit, sollte ich vor Ihrer Vollj¨ ahrigkeit sterben, mein Wille, dem ich die Form eines Verm¨ achtnisses geben werde, in ¨ wird. Bei Bedarf k¨onnte vollem Umfange ausgefuhrt Seite: 300
Nanon von George Sand ¨ Dumont die Rolle des K¨aufers ubernehmen. Ich bringe das in Ordnung, machen Sie sich keine Sorgen. Und nun lassen Sie mich Ihnen sagen, daß Sie mir keine Erkenntlichkeit schulden. Meiner Ansicht nach erweisen Sie mir einen Dienst. Ich m¨ochte meine Ausgaben auf die L¨andereien von Franqueville konzentrieren, daage abwerfen. Sie haben mir gezeigt, mit sie wieder Ertr¨ und ich habe es sehr deutlich gesehen, daß hier nichts ¨ also mehrere ohne ernsthafte Opfer gelingt. Ich mußte ¨ Jahre lang auf Einkunfte verzichten, und Sie sind es, die mir die Lasten erleichtern, indem Sie mir die Ver¨ zinsung meines Kapitals anbieten. Ich befurchte sogar, aft kostdaß unter diesem Gesichtspunkt das Gesch¨ ¨ Sie und vorteilhaft fur ¨ mich ist. Bedenken spielig fur Sie das, bevor Sie es in Angriff nehmen.“ ¨ Es ist alles im voraus bedacht und geordnet. Ein Stuck ” ¨ einen Burger, ¨ Land, das fur der nicht auf ihm lebt, nur ¨ ¨ eine Investition zu seinem Vergnugen darstellt, ist fur den Bauern ein wahrer Reichtum. Er lebt auf ihm und ¨ von ihm. Er hat nicht Ihre Bedurfnisse, Ihre Verpflich¨ tung zu großzugiger Gastfreundschaft, Ihre Gewohnheit des Wohllebens und der Ausgaben. Um hier leben zu k¨onnen, sprachen Sie seinerzeit von großen Reparaturen und neuen Anlagen. Was Sie verbrauchen, w¨are kostspielig, denn die Erde gibt nicht her, was Sie allein ¨ Ihren Tisch ben¨otigen. Wir mit unserer Kleidung aus fur Broche und aus Stoff, der in der Gemeinde hergestellt ¨ und von uns selbst gen¨ die aht wird, mit unseren Fußen, im Sommer bloß und im Winter mit Holzschuhen be¨ kleidet sind, mit unserem Essen aus Ruben, Buchweizen und Kastanien, das wir ausreichend finden, mit un¨ gut befinden, serem sauren Schlehenwein, den wir fur Seite: 301
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mit unserer eigenen Arbeitskraft, die uns die Dienstboten erspart und unsere Gesundheit erh¨alt, mit unseandigen Wachsamkeit, unserer Arbeit bei Tage, die rer st¨ durch Ihre bei Nacht nicht ersetzt werden k¨onnte, unseren tausend kleinen Einsparungen, von denen Sie keine Vorstellung haben, wir bringen die Erde dazu, alles herzugeben, was sie hergeben kann. Folglich, wenn ich Ih¨ nen zwei Prozent Zinsen zahle, kann ich noch genugend ¨ Daher anh¨aufen, um Ihnen Ihr Kapital zuruckzuzahlen. ¨ uns beide gut und somit beschlosaft fur ist das Gesch¨ sen.“ ¨ Gleichwohl mussen wir uns mit dem Prior besch¨afti” gen“, erwiderte Monsieur Costejoux; der arme Mann ist ” nicht mehr imstande, etwas zu tun und k¨onnte nirgendwo sonst als in seinem Kloster leben. Ich denke doch, daß Sie ihn bei sich behalten m¨ochten; sein Unterhalt allerdings . . .“ ¨ ¨ ihn! Machen Sie sich daruber keine Oh, ich ubernehme ” Sorgen.“ ¨ Meine liebe Nanette, das ist eine weitere Ausgabe fur ” ¨ die Zinsen verwendeten, die Sie mir Sie. Wenn wir dafur zu geben beabsichtigen?“ Das ist nicht n¨otig.“ ” ¨ Es w¨are jedoch nutzlich. Sie beginnen eine große Un” ternehmung mit nichts . . .“ Wenn ich sie mit einem gebrechlichen Vater beg¨ anne, ” ¨ so mußte ich ihn bei meinen Ausgaben gleichfalls in ¨ Betracht ziehen, und ich mußte es mir, wenn n¨otig, vom Munde absparen, um seinen Unterhalt zu sichern, was ¨ mich wie fur ¨ viele andere auch recht einfach w¨are.“ fur Seite: 302
Nanon von George Sand Aber auch ich habe das Recht, den Prior als alten, ge” brechlichen Verwandten zu betrachten, um den mich zu ¨ kummern meine Pflicht ist. Nun, meine tapfere Nanette, wir werden uns die Freude teilen. Sie zahlen mir, solange der Prior lebt, als Zinssatz nur ein Prozent; ich will es so, und das ist nun in letzter Instanz abgemacht.“ ¨ Daruber hinaus wurde vereinbart, daß unser Handel ein Geheimnis bleiben sollte. Ich wollte nicht einmal dem Prior Mitteilung machen, dessen Stolz vielleicht aufbegehrte, da er sich noch immer als Verwalter des Hauses betrachtete wegen einiger Schreibarbeiten, die ¨ ich ihm ubertrug, auch wenn ich sie selbst besser und schneller gemacht h¨ atte. Zum Vertrauten machte ich nur Dumont, dessen Freude groß war, und der mich sogleich von mehreren Jahresraten Zinsen befreien und Monsieur Costejoux die dreitausend Francs Ersparnis¨ se uberreichen wollte, die beim Bankier, dem Bruder unseres Freundes, hinterlegt waren. Dazu brauchte man nur schriftlich ein paar Worte auszutauschen, und ich war einverstanden, da ich nicht das Recht hat¨ te, diesen wurdigen Freund daran zu hindern, Emiliens Zukunft teilweise abzusichern, zumal alles in Hinblick darauf geschah. Ich h¨ atte es gerne gesehen, wenn der Verkauf in seinem Namen stattgefunden h¨atte. Mon¨ nicht damit einverstansieur Costejoux war uberhaupt den. Man weiß nicht, was einmal geschieht“, sagte er, Fran” ” queville ist der rechtschaffendste unter den Menschen, und ich bin sicher, daß er fleißig ist; aber ich weiß nicht, ob er Ihren Verstand und Ihre Ausdauer hat. Ich sehe die Angelegenheit nur in Ihren H¨ anden als zweifelsfrei, Seite: 303
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und seine Interessen verhandele ich nur mit Ihnen und glaube alles aufs beste erwogen und entschieden.“ Nachdem ich Monsieur Costejoux das beste Essen, das ich mit meinen M¨oglichkeiten zubereiten konnte, auf¨ getragen und der Prior sowie Dumont sich zuruckge¨ zogen hatten, fuhrten wir ein weiteres Gespr¨ ach, das mich sehr betroffen machte. Unbefangen fragte ich ihn, ob sich der Charakter von Louise ein wenig gebessert habe, und er antwortete: Meine liebe Freundin, ihr Wesen wird stets launenhaft ” sein, und ich bedaure den Gatten, der es zu ertragen haben wird . . . es sei denn, dieser Gatte hat mehr Geist als sie und eine gr¨oßere Entschlossenheit als eine ¨ haben kann. Sie, Sie sind eine AusFrau sie uberhaupt nahme, eine sehr bemerkenswerte Ausnahme. Sie sind weder eine Frau noch ein Mann, Sie sind das eine und das andere, mit den besten Eigenschaften der beiden Geschlechter. Louise de Franqueville ist eine Frau, eine echte Frau, mit allen Reizen und aller Launenhaftigkeit der Schw¨ache. Die Schw¨ ache ist eine Gnade. Deswegen lieben wir die Kinder und verst¨arken nicht selten ihre ¨ ¨ Tyrannei durch das Vergnugen, mit dem wir sie uber uns ergehen lassen. Ich sage Ihnen noch mehr; bei ei¨ nem Leben, wie ich es seit zwei Jahren fuhre, gepr¨agt vom leidenschaftlichen Kampf, unabdingbarer, oft unnachsichtiger Autorit¨at, einer erbitterten und zutiefst schmerzhaften Auseinandersetzung zwischen meinem ¨ naturlichen Wohlwollen und dem Mißtrauen, das mir durch die Gegebenheiten der politischen Aufgabe aufgezwungen wird, gibt es so etwas wie ein unwidersteh¨ liches Bedurfnis, sich der Geborgenheit der Familie Seite: 304
Nanon von George Sand hinzugeben und zu vergessen, daß man Terrorist ist, um sich seinerseits terrorisieren zu lassen, sei es auch nur durch die Schnabelhiebe eines V¨ogelchens. Meine Dienerschaft ist mir blind ergeben. Meine vortreffliche ¨ Mutter sieht die Welt mit meinen Augen. Sie wurde nicht einmal die Haube oder die Tabaksdose auswech¨ seln, ohne mich um meine Meinung zu fragen. Ich fuhre ¨ mit ihein sehr strenges Leben; die Jakobiner mussen rem guten Lebenswandel gegen die Ausschweifungen der Jeunesse doree und die schuldhafte Nachsicht der Girondisten protestieren. In dieser Einsamkeit, in die arm der ich nach der Hetze der Gesch¨afte und dem L¨ Diskussionen eintauche, brauche ich einen Tyrannen, der meinen Willen zur Ruhe zwingt, indem er mir den ¨ seinen auferlegt, und Louise ubernimmt diese Rolle. Da sie von Natur aus eitel ist, fordert sie mich heraus und zwingt mich, alles andere zu vergessen und mich nur mit ihr zu besch¨ aftigen. Sie widerspricht mir, verspottet mich, behandelt mich grob, manchmal gar ¨ beleidigt und verletzt sie mich. Sie zur Reue uber ihre Undankbarkeit zu zwingen und mich wegen ihrer Ungerechtigkeit um Verzeihung zu bitten, das ist eine Aufgabe, die meine Geduld mir auferlegt, kurz und gut, bei diesem st¨ andig neuen Duell, dessen Erregung mir Schmerz und Wohlsein zugleich bereitet, trage ich stets den Sieg davon. Dieser Schmerz und dieses Wohlsein sind etwas anderes, als die Aufregungen in der Politik, und ich muß die allgemeinen Belange vergessen, die mir in großer Gefahr, wenn nicht gar verloren zu sein scheinen“! Erz¨ahlen Sie mir davon, Monsieur Costejoux, und ” dann sprechen wir wieder von Louise. Ich m¨ochte zun¨ achst Seite: 305
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¨ verloren halten, verstehen, wie und warum Sie alles fur gerade Sie, den ich so voller Hoffnung erlebt habe, als Sie sagten und schrieben: Noch ein paar Wochen Enerarte, und dann treten wir ein in das Reich der gie und H¨ Gerechtigkeit und Br¨ uderlichkeit. Glaubten Sie wirklich, Sie k¨onnten sich mit den Zaghaften auss¨ohnen, nachdem Sie sie so verschreckt haben, und mit den ¨ haRoyalisten, nachdem Sie ihnen so viel Leid zugefugt ben? Ich glaube, die Menschen verzeihen niemals, daß man ihnen angst gemacht hat.“ Ich weiß“, entgegnete er lebhaft. ” Jetzt weiß ich es nur allzu gut! Die Gem¨aßigten has” sen uns auf noch t¨odlichere Weise als die Royalisten, denn diese sind alles andere als feige. Im Gegenteil, sie zeigen eine Anmaßung, die wir besiegt zu haben glaubten. Sie verkleiden sich auf l¨ acherliche Art und, um sich von uns zu unterscheiden, stellen sie weibisches Aussehen zur Schau, sie nennen sich Muscadin und Jeunesse doree; in Paris treten sie zur Stunde mit großen Spazierst¨ocken auf, die sie vermeintlich l¨assig tragen und mit denen sie jeden Tag blutige Streitigkeiten mit den Patrioten vom Zaun brechen. Sie sind grausam, grausamer als wir! Sie morden in den Straßen, auf den Wegen, massakrieren in den Gef¨ angnissen. Mit Laster, Ausschweifung und bewaffnetem Raub treiben sie zur Anarchie. Sie metzeln die Republik nieder und hoffen, so die Monarchie wiederzuerrichten, und sie verheimlichen kaum ihre Absicht, Frankreich zu zerschlagen und es dann zu zwingen, um jeden Preis ihr eigen zu sein.“ Ach, Monsieur Costejoux, Sie haben nicht so gedacht, ” Seite: 306
Nanon von George Sand das weiß ich wohl, doch wie haben Sie gehandelt? Gewalt rechtfertigt Gewalt. Sie haben diese nicht geliebt, doch Ihre Freunde liebten sie, und das ist Ihnen bekannt, nun, wo man weiß, was in Nantes, Lyon und anderswo geschehen ist. Ist es nicht so! Ungeheuern ¨ ubertrugen Sie entsetzliche Macht, Sie haben zu sp¨ at die Augen ge¨offnet und tragen schwer an dem Leid. Das Volk verabscheut die Jakobiner, denn sie waren eine ¨ ¨ alle, hingegen kummert große Last fur es sich wenig um die jetzigen Royalisten, die nur gegen Sie k¨ampfen. Sie begehen Verbrechen, die Ihre Partei begangen hat, und wie Sie metzeln sie Unschuldige und massakrieren Gefangene, und ich h¨ore, wie man bei uns sagt, dies geschehe, um den Terror zu t¨oten, der ihnen das Beispiel gegeben hat, und alle Mittel seien gerechtfertigt, um dem ein Ende zu bereiten. Haben Sie das nicht auch gesagt, und hatten nicht auch Sie die Vorstellung, ¨ durch Schafott, Krieg drei Viertel Frankreichs mußten und Exil niedergemacht werden sowie durch das Elend, das noch mehr Leute umbringt? Ereifern Sie sich nicht gegen mich, wenn ich mich irre, korrigieren Sie mich; doch ich sage, was ich h¨ore und worauf ich nichts zu antworten weiß.“ Ich sah, daß ich ihm weh tat, denn einen Augenblick lang sagte er nichts, und dann pl¨otzlich redete er in der zornigen Art, die ich in Limoges inmitten des Terrors an ihm erlebt hatte. Ja“, sagte er, es ist unser Schicksal, auf diese Wei” ” ¨ se verurteilt zu werden! Wir haben alle Vorwurfe, alle ¨ alle Schmach der Revolution auf uns Verwunschungen, genommen. Ich weiß, ich weiß! Wir sind Ehrlose, wilSeite: 307
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de Bestien, Tyrannen, weil wir Frankreich retten wollten. Unsere Strafe hat begonnen! Wir haben dem Volk alles geopfert, seinetwegen haben wir unsere Natur vergewaltigt, bis wir skrupellos und ohne Mitleid waren, dieser h¨ochsten Sache haben wir unsere menschlichen ¨ Gefuhle hingegeben, unseren guten Ruf, bis hin zu unserem Rechtsbewußtsein, und das genau wendet sich gegen uns; dieses Volk wird uns unserem erbarmungslosen Feind ausliefern, unser Andenken wird es in Zukunft verfluchen und in uns den geheiligten Namen der Republik hassen. Das ist es, was wir gewonnen haben, als wir den Menschen eine Gesellschaft geben wollten, ¨ Gleichheit und einer auf Vernunft die auf bruderlicher ¨ ist.“ beruhenden Religion gegrundet Nun, das wundert Sie, Monsieur Costejoux, weil Sie, ” ein großherziger Mann, keine anderen Vorstellungen hatten. Doch auf drei oder vier, die so denken, kommen drei- oder viertausend, vielleicht mehr, die nur daran gedacht haben, ihren alten Haß und ihren alten Neid auf den Adel zu befriedigen . . . Ach, lassen Sie es mich sagen, ich greife die nicht an, die Sie sch¨atzen, Sie kennen sie und k¨onnen an ihrer Stelle antworten. Das Gebot Ihrer Partei ist nicht Haß oder Rache, das will ich nicht, ach, ich weiß es nicht! Einer Sache bin ich gewiß: h¨atte man die Revolution, ohne einander zu verabscheuen, gemacht, sie w¨ are gelungen. Wir haben sie ¨ begriffen, geliebt und ihr anfangs unsere Unterstutzung ¨ sorgen k¨onnen, daß sie von gegeben. Sic h¨ atten dafur Dauer gewesen w¨are, h¨ atten Sie nicht die Verfolgungen gestattet und alles andere, was das Gewissen der ein¨ notfachen Menschen verwirrt hat. Sie haben dies fur wendig erachtet. Nun, Sie haben sich get¨ auscht, und Seite: 308
Nanon von George Sand ¨ jetzt, wo Sie es merken, versuchen Sie, sich daruber hinwegzutr¨osten, indem Sie behaupten, Nachsichtig¨ atte alles verdorben. Daruber wissen Sie nichts, keit h¨ denn mit ihr haben Sie es nicht versucht. Die Folgen Ih¨ haben alles verdorben, und Sie k¨onnen sich res Wutens nicht heraushalten, so wie wir, die einfachen Leute aus dem Volk, die weder jemanden gehaßt noch mißhandelt haben.“ ¨ Er wollte antworten; doch wenn er wutend war, bebten seine Lippen wie bei allen lebhaften Menschen mit gutem Herzen. Ich wollte ihm alles, was ich im Sinn hatte, sagen, damit er, sofern meine Gedanken ihn verletzten, ¨ unseren Handel ruckg¨ angig machen konnte. Sie wollen mir erz¨ahlen“, fuhr ich fort, der Zorn des ” ” Volkes habe Sie fortgerissen und dazu getrieben, das Elend zu r¨ achen, das es ertragen hat. Ich weiß, denn ¨ ich habe geh¨ort, wie man sich bei uns daruber beklagt hat, daß es das Volk von Paris und aus den großen ¨ St¨adten ist, das Sie treibt und fuhrt, denn Sie, Leute von Geist und Bildung, leben in den St¨ adten. Sie glauben den Bauern zu kennen, wenn Sie den Arbeiadten und der Bannmeile kennen, ter aus den Vorst¨ und unter diesen halb b¨ auerlichen, halb handwerklichen Arbeitern achten Sie nur auf die, welche schreien und Unruhe stiften. Das ist Ihnen genug, Sie glauben, Sie k¨onnten sie z¨ahlen, wenn sie sich wie eine Herde draußen aufhalten und sich gegenseitig aufstacheln. Sie sehen nicht, wie sie nach Hause gehen und ohne Verst¨andnis von den Dingen reden, die sie getan haben. Sie plaudern mit einigen, die Ihnen folgen, weil sie adietwas von Ihnen wollen, eine Arbeit, eine Entsch¨ Seite: 309
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gung, oder, was sie aus Eitelkeit am meisten lieben, ¨ Macht uber die anderen. Ich habe gesehen, wie man in Chateauroux die aus Paris gesandten Repr¨asentan¨ ten umringte, und Dumont hat geh¨ort, wie man uber diese Bittsteller der Macht auf den Straßen und in den ¨ Hausturen urteilte. All das, sehen Sie, war wie ein Hof ¨ die Herren der Repumit seinem Gefolge, den man fur blik darstellte, um zu bekommen, was man wollte, und ¨ wenn ein Erzbischof oder ein Furst statt dessen gekommen w¨ are, so w¨ aren die Schreie und Schmeicheleien dieselben gewesen. Sie, Sie sind hundertmal gebildeter als wir und werden gleichwohl von diesen Intriganten ¨ und Sie haben von unten an der Nase herumgefuhrt, sie, zwar mit einem gewissen Abscheu, an Ihrem Tisch ur meiempfangen, weil die Ihnen sagten: Ich antworte f¨ ne Straße, f¨ ur meinen Vorort, meine K¨orperschaft. Sie haben Sie betrogen, um sich wichtig und unersetzlich ¨ irgendwen zu machen. Sie waren nicht imstande, fur Antwort zu geben, und Sie haben es gemerkt, als Sie ¨ ihre B¨osartigkeit und ihren Diebstahl, sie, emp¨ort uber bestrafen mußten, um der Gerechtigkeit Ihres Her¨ zu tun. zens und der des aufgebrachten Volkes Genuge ¨ Dies ist Ihr Ungluck und das Ihrer Freunde, Monsieur Costejoux, Sie dachten, das Volk zu kennen, weil Sie sich entschlossen mitten unter die Schlechtesten und Schrecklichsten begaben, doch kannten Sie nur den ¨ Abschaum und glauben, das ganze Volk sei blutruns¨ die Befrietig und rachedurstig. Nun, Sie haben fur digung der Schlechtesten gearbeitet und haben keine ¨ Ahnung von den Vorwurfen der Besten. Diese halten ¨ schlechte Patrioten, weil sie ¨ zaghaft und fur Sie fur ¨ nicht mit der roten Mutze einhergehen, Sie duzen und Seite: 310
Nanon von George Sand Ihnen schmeicheln. Ich behaupte, daß diese so sehr verachteten Gem¨ aßigten bessere Patrioten waren als ¨ um der die anderen, denn sie haben Sie unterstutzt, Verteidigung des Landes nicht zu schaden. Sehen Sie, ¨ ¨ man mußte wissen und verstehen, was geflustert wird, und eben das erfahren Sie niemals, da Sie nur inmitten von Deklamationen und Geschrei leben. Wenn Sic davon Kenntnis haben, ist es zu sp¨ at. Heute nehmen ¨ die Schreih¨ alse und Ubelt¨ater der feindlichen Partei Ihren Platz ein, und das traurige und schweigende Volk ¨ uberl¨ aßt Sie deren Zorn. Also sind Sie gezwungen, die H¨aupter zu z¨ ahlen und festzustellen, daß die meisten gegen Sie sind, und das wundert Sie! Sie sagen, das Volk sei feige und undankbar. Nun, ich geh¨ore dazu, zu diesem armen Volk, ich liebe Sie und schulde Ihnen das Leben Emiliens, mehr also, als mein eigenes, und deshalb sage ich Ihnen: Sie haben sich in einem ¨ hat, Wald verirrt, wo die Dunkelheit uns uberrascht ¨ den Hauptweg und Sie haben den dornigen Pfad fur gehalten. Um hinauszugelangen, mußten Sie mit den W¨olfen k¨ ampfen, und Sie kommen wieder ins Licht ¨ und sehen, daß Sie, anstatt voranzugehen, zuruckgelaufen sind, daß Sie mit den wilden Tieren gegangen sind und die Masse der Menschen sich auf die andere artig haben die Royalisten Seite begeben hat. Gegenw¨ leichtes Spiel; sie sind schlimmer als Sie, dem widerspreche ich nicht, und werden doch nicht schlimmer handeln. Sie werden ebenfalls ihre Schmeichler, Intriganten, M¨order, ihr niedertr¨ achtiges Gesindel haben, ¨ wie man Sie betrogen hat: und sie werdas sie betrugt, den ihrerseits die Partie verlieren. Wer gewinnt sie? Der ¨ Erstbeste, vorausgesetzt, der Burgerkrieg wird beendet, Seite: 311
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3.22: Kapitel XXII.
¨ jedermann kann nach Hause zuruckkehren und muß ¨ denunziert, eingekerkert und am nicht mehr furchten, achsten Tag guillotiniert zu werden. Und dies wird n¨ nicht so sein, weil die Welt royalistisch, girondistisch, egoistisch oder feige ist, auch nicht, weil man Ruhe braucht. An guten Soldaten hat es den Armeen nicht gefehlt, denn an diesem Punkt ist die Aufgabe klar und die Sache gerecht. Man hat es vielmehr satt, zu Mißtrauen und Haß gezwungen zu sein und zuzusehen, wie Unschuldige sterben, ohne ihnen beistehen zu k¨onnen. ¨ den Bauern Man ist es auch leid, nicht zu arbeiten. Fur ist das die gr¨oßte Pein, und Ihre Hilfeleistungen, Ihre Steuererm¨aßigungen, Ihre Almosen tr¨osten ihn nicht ¨ die verlorene Zeit. und entsch¨ adigen ihn auch nicht fur ¨ ¨ ¨ ¨ Er verfugt uber großen Mut und uber des eine Gute ¨ sich Herzens, die Sie nicht zu nutzen verstanden. Fur ¨ gesehen hat er genugend Fehler, doch will ich wie er mit Ihnen sprechen: k¨onnten Sie auf einen Haufen legen, was es an sittlichen Werten mehr oder weniger im Herzen eines jeden gibt, dann s¨ahen Sie vor sich einen ¨ ngstigen wurde, ¨ Berg, der Sie a denn den wollten Sie ¨ darauf verzichten, ihn gar nicht sehen, und Sie mußten abzutragen.“ Ich hatte lebhaft geredet, war im Zimmer auf und ab gelaufen, hatte im Feuer gestochert, meine Arbeit aufgenommen und wieder hingelegt; ich hatte mich mehr erhitzt, als ich vorhergesehen, und Monsieur Costejoux wollte ich nicht ansehen, damit ich den Mut, bis ans Ende meiner Gedanken zu gehen, nicht verl¨ore. Ich glaube, ich h¨atte noch mehr zu sagen gewußt, aber er hatte genug davon. Er stand auf, nahm meinen Arm, preßte ihn, bis er schmerzte und sagte: Seite: 312
Nanon von George Sand Schweig, B¨auerin! Siehst du denn nicht, daß du mich ” umbringst?“
3.23
Kapitel XXIII.
Sie m¨ochte ich nicht t¨oten“, sagte ich. ¨ mag und sch¨ atze ich Sie zu sehr; doch m¨ochte Dafur ” ¨ ich die Luge t¨oten, die von Ihnen Besitz ergriffen hat.“ ¨ Und diese Luge, das ist das Vaterland, die Freiheit, die ” Gerechtigkeit?“ Nein! Sondern Ihre großartige Idee, das Ziel rechtfertige ” die Mittel!“ Er ließ sich am anderen Ende des Saales nieder und gab sich keineswegs geschlagen. Er war nachdenklich, dann kam er wieder zu mir: Liebst du Franqueville mit Leidenschaft?“ ” Ich weiß nicht so recht, was das Wort Leidenschaft be” deutet. Ich liebe ihn mehr als mich selbst, das ist alles, was ich weiß.“ Und du k¨onntest keinen anderen lieben, mich zum Bei” spiel?“ Ich war so erstaunt, daß ich keine Antwort gab. ¨ Sei nicht uberrascht“, fuhr er fort, ich will heira” ” ten, Frankreich verlassen, die Politik aufgeben. Louise schulde ich nichts als das Almosen, das das Schloß ihrer Vorfahren darstellt. Diesen Rest des Verm¨ogens Seite: 313
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wird sie mit Emilien teilen. Sie werden wieder die Herrschaft dieser Bauern sein, die nichts weiter verlangen, als die Leibeigenschaft . . . Diskutieren wir nicht mehr! Sie ekeln mich an, auch das Volk in den St¨adten, alles. ¨ Ich hasse den Adel, und auch du mußtest ihn hassen, da Emilien, sobald die Monarchie wieder da ist, dich weder heiraten kann noch will: von Geburt her bin ich nicht adliger als du, Nanette! Folgte ich meiner Neigung, liebte ich Louise. Aber sie ist, wie ich weiß, ein Weibchen, und bei dir finde ich ein h¨oheres Bewußtsein, einen bewundernswerten Charakter. Du bist so sch¨on, daß man dich begehrt, und wenn du mich ein wenig ermutigst, vergesse ich alles, was nicht du bist. Halt! Antworte mir nicht. Denke nach. Die Nacht bringt ¨ wenn du meine Rat. Du wirst Emilien mehr nutzen, Frau wirst, als wenn du davon tr¨ aumst, die seine zu sein. Du weißt, ich liebe ihn sehr. Wir beide, wir werden ihm eine Existenz aufbauen; ich verspreche dir, ihn als ¨ deinen Bruder zu betrachten. Ich will nicht eifersuchtig ¨ der Rechtschafsein, das braucht man nicht gegenuber fenheit in Person . . . Der Mann, der Louise heiratet, den wird die Unruhe auffressen, und der, dem du das Ja-Wort gibst, kann auf dich z¨ ahlen wie auf Gott. Damit will ich dir sagen, daß ich dich achten werde, wie du es verdienst . . . Schweig! Warte bis morgen! Keine Diskussion, keine Gegenrede mehr. Dein und mein Geschick liegen in deinen H¨anden.“ Er nahm seine Fackel und zog sich, ohne mich an¨ zusehen, rasch zuruck. Ich blieb, benommen, doch nicht unentschieden. Selbst wenn ich Zuneigung zu ¨ ihm h¨atte fassen k¨onnen, sah ich uberdies doch, daß er in Louise wahnsinnig verliebt war und mich geheiraSeite: 314
Nanon von George Sand tet h¨atte, um davon zu genesen. Da ich annahm, daß ¨ ußerst unglucklich ¨ ange, w¨are ich a ihm dies nicht gel¨ ¨ geworden. Monsieur Costejoux war ein uberschwenglicher Mann, sehr spontan und imstande, von einem Extrem ins andere zu fallen. Gewiß verdiente er, daß man ihm ergeben war und ihn liebgewann, aber man ¨ lief große Gefahr, das eigene Ungluck und das seine zu bewirken. Seine Idee blendete mich also keineswegs. Wenn ich ihn auch durch Erziehung und eine große Be¨ wahrnahm, fand ich ihn doch gabung als mir uberlegen im Charakter schwach und unentschlossen. Seine geatigen Momente h¨atten mich wenig abgeschreckt, waltt¨ doch h¨atte mich seine innere Erregung verwirrt, und ich mochte die Verwirrung nicht, weil sie Unsicherheit bedeutet. Wie viel mehr schien mir Franqueville mit der Einfalt seines Herzens und den rechtschaffenen Absich¨ ten meiner Sorge und Zuneigung wurdig zu sein. In ihm ¨ mich nicht klar gewesen w¨ gab es nichts, was fur are, und jedes seiner Worte fand, wie ein Licht von oben, Zugang zu meiner Seele. Sicher, er w¨ are niemals geschickt ¨ genug, sein Gluck zu machen, wie Monsieur Costejoux; er gab sich mit so wenig zufrieden in dieser Welt! Es ¨ ihn zu denken, w¨ahrend er mich in den war an mir, fur ¨ h¨oheren Dingen leiten wurde. Und außerdem liebte ich allein ihn, ich h¨atte nicht einmal versuchen k¨onnen, einen anderen zu lieben, w¨ are es auch nur halb so viel. Am n¨achsten Morgen trug ich Monsieur Costejoux, der ¨ ¨ sich auf die Abreise vorbereitete, das Fruhst uck auf, und als er sah, daß ich so gelassen war wie gew¨ohnlich und nicht versuchte, mit ihm allein zu sein, verstand er, daß ich meine Vorstellungen nicht ge¨ andert hatte, und schien zu bereuen, was er mir am Vorabend gesagt Seite: 315
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hatte. Ich war sehr aufgebracht“, sagte er, Sie haben mich ” ” verwirrt mit Ihren Gedanken; zwar ist einiges daran ¨ richtig, doch mangelt es an der Begrundung, denn Sie vermuten, daß die Situation, in der wir uns befinden, von uns gemacht wurde; wir waren jedoch gezwungen, sie auf uns zu nehmen. In dieser Diskussion ist mir ein kleines Geheimnis, das ich in einem Winkel mei¨ nes Herzens trage, entschlupft, und der t¨orichte Verdruß, den es mir bereitet, eine winzige Verletzung, die zu allen anderen hinzukommt, die mir die Seele zerreißen, hat mich, ich weiß nicht wie, dazu veranlaßt, ¨ ¨ Ihnen verruckte die Sie sich lustig Dinge zu sagen, uber ¨ machten, w¨aren Sie nicht eine großmutige und weise ¨ sich Person. Kann ich davon ausgehen, daß Sie sie fur behalten, und selbst Emilien . . . ja gerade Emilien, nichts davon erf¨ ahrt?“ Da ich nicht einmal die Absicht hatte, Ihnen diese Din” ge zu entlocken und Sie sie Ihrerseits, ohne nachzudenken, gesagt haben, verpflichtet mich mein Gewissen ¨ nicht, sie ihm zu hinterbringen. Gehen Sie im ubrigen davon aus, daß ich sie ebenso schnell vergesse, wie Sie sie ersonnen haben.“ ¨ danke ich Ihnen, Nanette, und ich z¨ Dafur ahle auf Ihr ” Wort. Der Augenblick mag kommen, wo ich Franqueville um die Hand seiner Schwester bitten muß. Sollten Sie ihm etwas von meiner Unentschlossenheit anvertraut ¨ haben, so k¨onnte dies dazu fuhren, daß er mir nicht eben gewogen ist. Er ist ernsthafter als ich, denn er ist ¨ naiv. Er wurde mich nicht verstehen.“ Seite: 316
Nanon von George Sand Das ist wahr! Diese Unentschlossenheit soll also gut ” begraben bleiben, Monsieur Costejoux. Wenn sie Louise wirklich lieben, werden Sie ihr die kleinen Fehler ab¨ gew¨ohnen, in denen Sie sie allzusehr unterstutzen, das haben Sie selbst gesagt. Bringen Sie Louise dazu, Sie zu lieben, eine Frau gew¨ahrt dem stets Recht und Autorit¨at, den sie liebt. Nun, verehrter Monsieur, denken Sic bitte an die Angelegenheit, die wir miteinander vereinbart haben. Sollten Sie damit nicht ganz zufrieden sein . . .“ Ich bin damit zufrieden, sie ist vereinbart, und ich be” daure es nicht. Glauben Sie mir, Nanette, daß ich mehr denn je Ihr Freund bin und stolz darauf, es zu sein.“ ¨ mir herzlich die Hand; der Prior kam, setzte Er druckte sich an den Tisch und redete ungezwungen und mit einer gewissen sp¨ottischen Resignation von den Dingen, die sich in Paris ereigneten und mir recht sonderbar ahrend wir noch von den Aufregungen des vorkamen. W¨ Vorabends, den Entbehrungen und den Leiden der Ge¨ genwart mit all der Sorge um das Morgen erschuttert und wie zerschlagen waren, unterrichtete er uns davon, daß die vornehme Gesellschaft von Paris sich im ¨ Freudentaumel befand und verruckt geworden zu sein schien. Er erz¨ ahlte uns von den Festen, die Madame Tallien und Madame Beauharnais gaben, von den griechischen Gew¨ andern dieser Damen, den B¨ allen der Re¨ volutionsopfer, wo man sich begrußte, indem man in der Art einer Pantomime seinen Kopf fallen ließ, wo man im weißen Kleid mit Trauerband tanzte, wo man kurz geschorenes Haar trug, Guillotinetoilette genannt, wo man schließlich nur Einlaß fand, wenn man minSeite: 317
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destens einen Guillotinierten in der Familie hatte. Mir erschien dies so abscheulich und schauerlich, daß ich Angst bekam und in der folgenden Nacht davon tr¨aumte. Ich h¨atte verstanden, wenn die Royalisten Zusam¨ menkunfte abgehalten h¨ atten, wo man unter gemein¨ atte anen ein Leichenbeg¨angnis aufgefuhrt h¨ samen Tr¨ ¨ doch auf dem Grab von Veroder aber Racheschwure, wandten oder Freunden zu tanzen, das war Wahnsinn, und das feiernde Paris erschreckte meine Seele mehr, als ein Paris, das sich ums Schafott tummelt. W¨ ahrend man in der vornehmen Welt diesen zynischen ¨ Vergnugungen nachging, nahmen unsere armen und herrlichen Armeen Holland. An den ersten Februartagen des Jahres 95 erhielt ich einen Brief von Emilien: Heute, am 20. Januar, haben wir in Amsterdam un” seren Einzug gehalten, ohne Schuhe, ohne Kleidung, unsere Bl¨oße bedeckt mit Strohgeflecht, doch in Reih und Glied und mit Musik im Kopf. Man hatte uns nicht ¨ erwartet, nichts war zu unserem Empfang beso fruh reit. Wir haben sechs Stunden lang im Schnee gewartet, bis man uns Brot geben und uns in der Kaserne unterbringen konnte. Nicht ein Murren entwich der Brust unserer heldenhaften Soldaten, und die Besiegten betrachteten sie voller Bewunderung. Ach, meine Freun¨ din, wie bin ich stolz, solche M¨anner zu fuhren und dieser Armee anzugeh¨oren, wo die verst¨orte und gepeinigte Seele Frankreichs Zuflucht genommen hat, rein und herrlich, frei von jeglichem egoistischen Denken, berauscht von der Liebe zur Republik und zum Vater¨ land! Wie glucklich bin ich, Dich zu lieben und mich ¨ ¨ zu fuhlen, Deiner wurdig nachdem ich unerh¨ortes, doch Seite: 318
Nanon von George Sand freudig angenommenes Leid durchlebt habe! Beklage ¨ Deinen Freund nicht, sei auch Du glucklich und verlasse Dich darauf, daß er, sobald der Frieden geschlossen ist, in Deinen Armen eine Belohnung suchen wird. Sage meinem Vater Dumont, daß ich ihn liebe, und der Mariotte, daß ich sie umarme. Sage unserem lieben Prior, ¨ daß ich in jedem Augenblick meiner Prufung an seialte, Ersch¨opfung, ne Worte gedacht habe. Als ich an K¨ Hunger litt, habe ich mir gesagt: Man hat B¨oses getan, und das B¨ose hat B¨oses erzeugt. Dennoch muß man das Gute zwingen, wieder zu entstehen. Daf¨ ur m¨ ussen wir leiden, und der Soldat ist das S¨ uhneopfer, das den Himmel mit Frankreich auss¨ohnen wird. “ Es gab ein Postscriptum: Ich h¨atte Euch fast zu sagen vergessen, daß man ” ¨ mich beim Kampf um Duren auf dem Schlachtfeld zum Hauptmann ernannt hat.“ Alle vier, wie wir um diesen teuren Brief versammelt waren, weinten vor Freude und Schmerz. Er sagte nicht, ¨ wann er zuruckk¨ ame; wir wußten nicht, ob er nicht bald mit neuen Leiden und Gefahren zu k¨ ampfen h¨atte; ¨ doch er wollte, daß wir zufrieden w¨aren und stolz uber ¨ sein Martyrium, und wir bemuhten uns, den Kummer zu vergessen und nur noch Freude zu empfinden. ¨ Als der Fruhling kam, erkrankte pl¨otzlich der Prior, der ¨ dank unserer Pflege den rauhen Winter recht gut uberstanden hatte. Ich verließ ihn fast nicht mehr, was mich von meiner Aufsicht und meinen Besch¨aftigungen abhielt; aber ich war entschlossen, lieber alles zu verlie¨ Seine Krankren, als ihn sich selbst zu uberlassen. heit geh¨orte zu jenen, wo das Fehlen des Mutes schwer Seite: 319
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¨ wiegt. Er fuhlte sich nicht leidend, aß gut und w¨ are kr¨aftig gewesen, h¨atte er nur atmen k¨onnen. Dieses Er¨ eine Art Wutanfall, dem tiefe sticken war Ursache fur Mutlosigkeit folgte. Ich allein konnte ihn tr¨osten. ¨ Eines Tages, als er sich besser fuhlte, forderte er mich auf, Luft zu sch¨opfen, und ich nutzte die Gelegenheit, um eine andere Kranke zu besuchen, eine arme Frau, der gleichfalls mein Interesse galt und die ziemlich weit entfernt wohnte. Unterwegs beeilte ich mich, doch die Tage waren noch kurz. Mittags war ich aufgebrochen, und in der Nacht befand ich mich in einem Wald, und da es nicht an W¨olfen fehlte, freute ich mich, als ich h¨orte, wie in geringer Entfernung auf einem Weg, ¨ geredet wurder geradewegs durch den Wald fuhrte, ¨ de, w¨ auf den Waldrand zu ahrend ich eine Abkurzung nahm. Mir kam der Gedanke, den l¨angeren Weg zu nehmen und diesen Leuten zu folgen, die mir gegen die wilden Tiere Sicherheit boten. Aber sie waren nicht aus unserer Gegend, denn sie gingen in eine andere Richtung, und da ich ein zu großes M¨ adchen war, um mit Fremden zu gehen, folgte ich ihnen ger¨auschlos. Ich war nahe genug, um ihre Stimmen zu h¨oren, und, wie mir schien, ein paar Worte zu unterscheiden: der Prior - Kloster von Valcreux - Mitternacht! Das beunruhigte mich, ich beschleunigte, ohne geh¨ort zu werden, leicht meinen Schritt und befand mich bald in H¨orweite, so daß mir nichts entging. Sie waren stehen geblieben, und, soweit ich die Stimmen z¨ ahlen konnte, denn die Dunkelheit gestattete mir nicht, durch die Zweige zu sehen, waren sie nur zu dritt. Seite: 320
Nanon von George Sand Ich verstand, daß sie auf andere warteten, die einen Augenblick sp¨ ater kamen, und nochmals auf andere, und mit leiser Stimme z¨ahlten sie sich untereinander, wobei sie sich Namen gaben, von denen mir keiner bekannt war, und die auf mich wirkten, als entstammten sie ei¨ ner geheimen Verabredung: Tod-Uberlisten Kartusche, ¨ Wahrer Spurhund, und so weiter. Sie redeten auch in einer Geheimsprache miteinander, einer Art Argot. Dennoch verstand ich, vielmehr erriet ich, was sie sagten. Es handelte sich um eine Bande dieser unbekannten B¨osewichter, die unter dem Vorwand der ¨ K¨onigstreue nachts Schl¨osser und H¨ofe uberfielen und die Leute folterten, um an ihr Geld zu kommen. In der ¨ Umgebung redete man daruber und hatte große Angst vor ihnen. Man sprach von schrecklichen Grausamkeiten und frechen Diebst¨ahlen. Man hatte uns Jahr ¨ Jahr so oft R¨auber angekundigt, ¨ fur die niemals aufgetaucht waren, daß ich nicht mehr an sie glaubte. Ich mußte die Gefahr sehen und einsch¨ atzen. Es waren sieben, und sie w¨ahnten sich nicht in ausreichender Zahl, um die Abtei von Beaulieu anzugreifen, die inzwischen ein bewohnter und gut bewachter Bauernhof war. In Valcreux, so sagten sie, g¨abe es nur einen alten Prior, zwei alte Arbeiter und zwei Frauen. Sie waren gut unterrichtet; nur Dumont z¨ahlten sie nicht, was mir bewies, daß niemand aus unserer Gemeinde unter ihnen war. Das freute mich. Sich des Klosters zu bem¨ achtigen war also nicht schwie¨ rig; aber gab es da etwas zu holen, was der Muhe wert war? Von einer Ersparnis des Priors wußte man nichts, und die Republik hatte das ganze Geld der M¨onche Seite: 321
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an sich genommen. Man hoffte nur auf einen Spaß, n¨amlich das Eigentum des Jakobiners Costejoux zu ¨ verwusten. Einer der M¨anner versteifte sich darauf, daß der Prior ¨ Geld besitzen musse. Er sagte, diese Leute seien gerissener als die Republik, und immer h¨atten sie ein Mittel entdeckt, ihr etwas zu entwenden. Offenbar waren ihm die Kirchenleute noch weniger lieb als die Jakobiner. Die letzte Meinung schien sich durchzusetzen, und man ¨ sprach davon, wie man sich einfuhren wollte. Zwei M¨ anner sollten sich im Verlauf des Abends als Bettler ausgeben und um eine Schlafstelle in der Scheune ¨ bitten. Um Mitternacht wurden sie zwei weiteren die Pforte o¨ ffnen. Sie wußten offenbar, daß die Mauerluken ¨ repariert waren und es nicht leicht war, uber die Mauauber, ern hineinzugelangen. Bis dahin, so sagten die R¨ ¨ ¨ wurden sie beim Waldhuter, der zu ihnen geh¨orte und eine Art Komplize oder Hehler war, das Abendessen zu sich nehmen. Vermutlich hatte ich keine Zeit zu verlieren, wollte ich diese sch¨onen Pl¨ane vereiteln. Ich wollte gerade das Versteck verlassen und mich entfernen, als ich in der Finsternis gegen einen Baumstumpf stieß und beim Fallen ein Ger¨ ausch verursachte. Man suchte um mich herum, ich dachte, meine letzte Stunde sei gekommen, ¨ denn gegenuber denen, die ihr Geheimnis entdeckten, kannten sie keine Gnade. Sie fanden mich nicht und dachten sich, sie h¨ atten einen toten Ast fallen h¨oren. Um zu entkommen, nutzte ich den L¨ arm, den sie selbst ¨ machten, als sie zu der Kreuzung zuruckgingen. Ich war gezwungen, ins Dickicht einzudringen, denn alle Seite: 322
Nanon von George Sand Wege, die ich h¨ atte nehmen k¨onnen, endeten an dieser Kreuzung, von wo aus sie mich gesehen h¨atten; ich wußte nicht, wo ich war und verirrte mich eine gute halbe Stunde lang und zitterte davor, umzukehren und mich bei ihnen wieder einzufinden. Nachdem ich gegen einige B¨ aume gestoßen war und mich an allen Dornen verletzt hatte, befand ich mich am Waldrand und floh quer durch die Heide, bis ich den Weg nach Valcreux erreichte. Trotz der K¨alte kam ich schweißgebadet und v¨ollig außer Atem an und hat¨ te Muhe, mich verst¨andlich zu machen. Ich erledigte das Wichtigste zuerst und lief zu unserem ehemaligen ¨ Burgermeister, der vor zwei Tagen wiedergew¨ahlt worden war, und erz¨ ahlte ihm mein Abenteuer. Er wußte, daß ich weder a¨ ngstlich noch eine Tr¨ aumerin war, und ¨ er schickte sogleich nach dem Feldhuter, damit sich alle versammelten und vor der Gefahr, die dem Kloster drohte, gewarnt wurden. Wir hatten fast keine kr¨aftigen anner mehr, alle jungen waren in der Armee, doch den M¨ Alten fehlte es nicht an Mut, und als man erfuhr, daß es nicht mehr als sieben R¨ auber waren, beschloß man, sie zu fangen zu versuchen, da man vermutete, daß mehr als eine schlecht beleumundete Person aus der Gegend zur Bande geh¨orte, und das nahm man ihnen ¨ als wenn sie Fremde gewesen w¨ noch mehr ubel, aren. Man bewaffnete sich so gut es ging. Es gab noch ein paar versteckte alte Gewehre, die der Beschlagnahme entgangen waren, und man hatte auch noch die ¨ Piken und Hellebarden, die man 1789 im beruhmten Kloster an sich genommen hatte, und die den Kern der ¨ Ausrustung der Nationalgarde unserer Gemeinde bildeSeite: 323
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ten. Ich wurde aufgefordert, die falschen Bettler gut zu empfangen und ihnen um Mitternacht die Pforte o¨ ffnen ¨ daß zwanzig der unseren zu lassen. Man kam uberein, sich im Graben, der den Brunnen der Wunder umgab, verborgen halten sollten, zw¨olf weitere sollten sich vorher bereits in der Klosterkapelle verstecken, so daß die R¨auber gleichzeitig von vorne und von hinten gegriffen werden konnten. Ich lief los, um den Prior zu benachrichtigen, ermahnte ihn, sich in seinem Zimmer ruhig zu verhalten und beauftragte Dumont, es gemeinsam mit der Mariotte zu bewachen. Die stellte lachend einen Bratspieß hinter ¨ und war fest entschlossen, sich bei Bedarf dadie Tur mit zu bewaffnen. Die beiden Arbeiter wachten in der ¨ und ich wandte mich wieder der großen Pforte Kuche, zu, um die beiden falschen Bettler, die sich bald einstellten, zu empfangen, ich ließ sie eintreten, ohne ihnen mein Mißtrauen zu zeigen. Ich fragte sie, ob sie Hunger h¨ atten. Sie sagten, sie ¨ h¨atten keinen, sie w¨aren viel gelaufen und wunschten ¨ nur eine Ecke zum Schlafen. Ich fuhrte sie an den vorgesehenen Platz, und sie warfen sich auf einen Haufen ¨ sind. Ich mußFarnkraut wie Leute, die sehr mude te darauf achten, daß unsere Freunde aus dem Dorf arm zu machen, eirecht vorsichtig waren, und, ohne L¨ ner nach dem anderen die Kapelle betraten. Doch was auch immer ich tun oder sagen mochte, sie konnten nicht an sich halten, leise zu schwatzen, und bald sah ich, daß die beiden R¨auber nicht schliefen, mißtrau¨ isch geworden waren und in den Hof schlupften, um die Dinge zu beobachten. Es war schon elf Uhr abends, Seite: 324
Nanon von George Sand als s¨amtliche Vorbereitungen unserer Verteidigung ab¨ als wir geschlossen waren, und wir waren uberrascht, h¨orten, daß die K¨auzchen im Turm mehr als gew¨ohnlich schrien. Ich gab sehr gut acht, und pl¨otzlich sagte ich zu unseren Leuten: auzchen selbst Das sind keine echten Vogelrufe. Die K¨ ” merken es und sagen nichts mehr. Es sind unsere beiden R¨ auber, die auf den First der Scheune geklettert sind und ihre Kameraden davor warnen, sich zu ahern, weil das Kloster sich im Verteidigungszustand n¨ ¨ befindet. Es wurde mich sehr wundern, wenn sie nicht gleich versuchen, das Kloster zu verlassen und zu ihnen zu gelangen.“ ¨ wir ihIn dem Fall“, antwortete mir jemand, mussen ” ” ¨ und festnehmen.“ nen auflauern, sie uberfallen ¨ Das geschah ohne große Muhe, denn die Leute erga¨ ben sich widerstandslos, sie taten, als verstunden sie nicht, wessen man sie anklagen k¨onnte. Sie wurden in ein Verlies des Klosters gesteckt, von wo aus sie sich nicht verst¨ andlich machen konnten, und sie versuchten nicht weiter, die anderen zu warnen, was sie allzu deutlich verraten h¨atte. All das nahm etwa eine Stunde in Anspruch, und es schlug Mitternacht, als jeder wieder auf seinem Posten war. Wir o¨ ffneten die Pforte zur H¨ alfte, und gut zehn Mi¨ nuten lang brachte man es fertig, sich nicht zu ruhren ¨ und kein Wort zu wechseln. Ich hielt mich im Turm¨ Bruder Pf¨ortner auf, von wo aus es chen des fruheren mir m¨oglich war, Steine auf die Angreifer zu werfen, denn ich war auf den Versuch eines Kampfes gefaßt und Seite: 325
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wollte meine Freunde nicht der Gefahr aussetzen, ohne selbst dabei zu sein. Pl¨otzlich nahm ich Brandgeruch wahr, und als ich durch die Schießscharten zum Hof hinunter blickte, sah ich aus der Scheune Rauch aufsteigen. Die beiden R¨ auber hatten, ob aus Versehen oder mit Absicht, beim Hinausgehen Feuer gelegt. Ich hatte gerade noch Zeit genug, die in der Kapelle postierten M¨ anner zu informieren. Schnell erstickte man den beginnenden Brand, und die in der N¨ahe der Quelle warteten, eilten herbei und umzingelten den Eingang des Klosters, wobei nicht mehr zu hoffen war, sich der Bande durch einen ¨ Uberraschungsangriff zu bem¨achtigen. All das war Ur¨ daß sie nicht kam, doch man sah, wie sache dafur, sich zwei Sp¨aher zu Pferde n¨aherten, und als man auf sie zuging, ergriffen sie in rasendem Galopp die Flucht und verschwanden in der Nacht. Sie waren gut aus¨ ¨ gerustet und wir uberhaupt nicht. Wir mußten darauf verzichten, sie zu fassen und zu erkennen. Mehrere ¨ war; N¨achte lang stellten wir Wachen auf, was unnutz sie waren gewarnt und ließen sich weder bei uns noch in der Umgebung sehen. Die beiden Gefangenen wurden nach Chambon gebracht, wo man sie verh¨orte. Der eine von den beiden leugnete alles und schwor, daß er, sollte er beim Rauchen seiner Pfeife in unserer ¨ Scheune Feuer entzundet haben, davon absolut nichts wisse, und er k¨onne sich deswegen weder rechtfertigen noch anklagen. Der andere spielte den Schwachsinnigen und gab auf keine Frage Antwort. Man hatte bei ¨ ihre ihnen große, dolch¨ahnliche Messer gefunden. Fur b¨osen Absichten gab es nur diesen Beweis. Man behielt angnis, damit man Erkundigunsie recht lange im Gef¨ Seite: 326
Nanon von George Sand ¨ gen daruber einholen konnte, wer sie waren. Man fand es nicht heraus und verurteilte sie als Vagabunden zu mehreren Monaten Haft in Limoges.
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Kapitel XXIV.
Ich erfuhr diese Dinge erst sehr viel sp¨ ater, denn der auf ¨ so gluckliche Weise vereitelte Alarm brachte in einem anderen Bereich schwerwiegende Folgen mit sich. Trotz allem was wir getan hatten, um den Prior zu beruhigen, hatte er schreckliche Angst, und am n¨ achsten Tag bekam er einen schweren Fieberanfall, begleitet von Wahnvorstellungen. Ich mußte drei N¨ achte lang bei ¨ ihm wachen, obwohl ich mich selbst sehr krank fuhlte, ohne daß ich wußte, wodurch und warum, denn ich ¨ hatte nur Angst gehabt, im Wald auf der Lauer uberrascht zu werden und nicht rechtzeitig nach Haus zu kommen, um die Pl¨ane der R¨auber zu durchkreuzen. ¨ Danach hatte ich an so viele Dinge denken mussen, daß ich mich kaum daran erinnerte, erschreckt und vollkommen ersch¨opft gewesen zu sein. Ich hatte mich nach der Flucht der R¨auber gevierteilt und gezehnteilt, um denen, die uns so guten Herzens geholfen hatten, zu essen und zu trinken anzubieten. Man hatte sich ¨ getan, den unvermeidlian all meinen K¨asen gutlich chen sauren Wein getrunken und bis Tagesanbruch im großen Refektorium des Klosters gesungen, so daß die Vorbereitungen und das Warten auf den Kampf durch ¨ ein Fest ein Ende fanden, so wie cs bei Bauern ublich ¨ ist. Ich hoffte, daß die sußen und naiven Lieder aus Seite: 327
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3.24: Kapitel XXIV.
der Gegend das Ohr des Priors erfreuten und ihm jede ackig Beunruhigung n¨ ahmen. Dem war nicht so; hartn¨ ¨ um glaubte er, die R¨auber feierten bei uns und wurden, sein Geld zu kriegen, zu ihm kommen und ihn foltern. Ach, mein Gott“, sagte ich, denn ich wußte nicht, wel” ¨ che Grunde ich ihm nennen sollte, selbst wenn sie ” ¨ bei uns w¨aren und uns ausrauben wollten, wurde man Sie deshalb doch nicht foltern. Es w¨ are leicht, ohne uns deswegen bitten zu lassen, ihnen das Wenige zu ¨ ubergeben, das wir im Haus haben, und ich verstehe nicht, daß Sie sich wegen einer armseligen kleinen B¨orse qu¨ are, alen, die gewiß die Martern nicht wert w¨ mit denen man uns bedrohte.“ Meine B¨orse“, schrie er und warf sich im Bett hin und ” her, niemals, niemals! Mein Hab und Gut! Sie ist mir ” wichtiger als mein Leben. Nein! Niemals! Ich will lieber an der Folter sterben als sie preisgeben. Man schichte den Scheuerhaufen, hier bin ich! Verbrennt mich, ¨ los, ihr Elenden, ich bin beschneidet mich in Stucke, reit, ich sage nichts!“ Erst in den Morgenstunden beruhigte er sich, und als der Abend kam, begann sein Traum erneut, seine Schreie, sein Schrecken, sein Protestieren. Der Arzt fand seinen Zustand bedenklich, und in der folgenden Nacht war es noch schlimmer. Es nahm mich sehr mit, ihn zu beruhigen, er h¨orte nicht auf mich, er erkannte mich nicht mehr. Der Arzt verlangte, daß ich mich ausruhe, er sagte mir, ich s¨ahe sehr abgespannt aus, und ¨ sehr krank. er hielte mich gleichfalls fur Ich bin nicht im geringsten krank“, antwortete ich ihm; ” Seite: 328
Nanon von George Sand ¨ Sie sich ausschließlich um diesen armen kummern ” Mann, der so sehr leidet!“ Und als ich dies sagte, fiel ich pl¨otzlich, so scheint es, wie tot um, und man trug mich in mein Zimmer. Ich merkte nichts, ich war v¨ollig kraftlos, ohne Bewußt¨ irgend etwas. Ich sein, ohne Erinnerung oder Sorge fur ¨ ¨ spurte nur ein Bedurfnis, schlafen, nochmals und immer wieder schlafen. Ich litt nur, als man mich untersuchte und befragte. Das war eine grausame St¨orung, eine Anstrengung, die ich unm¨oglich leisten konnte. In diesem Zustand blieb ich sieben ganze Tage. Ich hatte ¨ eine Lungenentzundung. Es war meine einzige Krankheit, doch war sie sehr schwer, und man hatte wenig Hoffnung, als ich ganz pl¨otzlich das Bewußtsein wiedererlangte. ¨ meine Erinnerungen zusamEs kostete mich Muhe, menzukramen. Im Fieber hatte ich getr¨ aumt, der Prior w¨are tot. Ich hatte gesehen, wie man ihn begrub; - und dann war es Emilien, dann ich. Schließlich gelang es mir, Dumont zu fragen, den ich neben meinem Bett erkannte: Sie sind gerettet“, sagte er. ” Und die anderen?“ ” Allen anderen geht es gut.“ Emilien?“ ” ” Gute Nachrichten. Man hat dort unten Frieden ge” schlossen.“ Der Prior?“ ” Besser, besser! Viel besser!“ Mariotte?“ ” ” Seite: 329
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Sie ist da.“ ” Ach ja! Wer aber pflegt . . .?“ ” Den Prior? Es geht ihm gut. Ich gehe wieder zu ihm. ” Schlafen Sie und sorgen Sie sich um nichts.“ Ich schlief ein und war von nun an auf dem Wege der Genesung. Die Krankheit hatte nicht so lange gedauacht h¨ atte. Bald war ert, daß sie mich allzu sehr geschw¨ ich so weit, daß ich im Sessel sitzen konnte, und gerne atte ich den Prior besucht, doch hinderte man mich h¨ daran. Wenn es ihm so gut geht“, sagte ich zu Dumont, ” warum besucht er mich dann nicht?“ ” Der Arzt hat Ihnen das Sprechen verboten, gedulden ” Sie sich noch zwei oder drei Tage. Das sind Sie Ihren Freunden schuldig, die sich Ihretwegen so große Sorgen gemacht haben.“ ¨ Ich fugte mich; doch als ich am n¨achsten Tag merkte, ¨ daß ich mich ohne zu ermuden durch das Zimmer bewegen konnte, ging ich zum Fenster und sah zu dem ¨ des Priors hinuber; es war geschlossen, was ganz und gar gegen die Gewohnheiten eines Asthmatikers war, der kaum gestattete, daß es bei großer K¨alte nachts geschlossen wurde. Dumont“, rief ich, Sie t¨auschen mich! . . . Der Prior . . ” ” .“. Nun qu¨ alen Sie sich doch nicht“, antwortete er, und ” ” Sie laufen Gefahr, wieder krank zu werden! Das ist nicht gut, Sie haben versprochen, sich zu gedulden!“ Seite: 330
Nanon von George Sand Ich setzte mich wieder hin und verbarg meine Angst. Dumont wollte mich glauben lassen, er ginge zum Prior und ließ mich mit der Mariotte allein, die ich nicht fragen mochte. Da es Zeit war, mir zu essen zu geben, ging sie hinaus, um meine Suppe zu bereiten. Als ich allein war und die Ungewißheit nicht l¨anger ertragen ¨ mich an konnte, verließ ich leise mein Zimmer, stutzte den W¨ anden ab und erreichte das des Priors, das sich am Ende des kleinen Kreuzganges befand. Es war ofange, die Matratzen umgedreht fen, das Bett ohne Vorh¨ und zusammengelegt, das Zimmer war gereinigt, aufger¨ aumt, der große Ledersessel zur Wand gedreht, die Kleidung in den Schrank gestopft, es roch nach To¨ tenweihrauch; alles enthullte mir die traurige Wahrheit. Ich dachte daran, daß man vom benachbarten Zimmer aus, das Emilien geh¨orte, den Friedhof sah. Ich betrat den Raum und blickte nach draußen. Nahe beim Eingang sah ich ein ganz frisches Grab mit einem Kreuz aus weißem Holz, auf dem nichts geschrieben stand, und in dessen Arme man einen großen Kranz geh¨ angt hatte, die Bl¨ atter waren erst seit kurzem welk. Das war also alles, was von diesem geliebten Kranken geblieben war, den ich so sehr dem Tod streitig gemacht hatte! W¨ ahrend ich selber gegen ihn k¨ampfte, hatte er ihn besiegt. Ich hatte es nicht gewußt . . . es sei denn, mein Fiebertraum war eine Vision dessen, was in dem Augenblick in der Wirklichkeit geschah. ¨ Wie zerschlagen kehrte ich in mein Zimmer zuruck und bekam einen erneuten, jedoch nicht schweren Fieberanen kamen und erleichterten meinen anfall. Die Tr¨ K¨orper; aber mein Herz war gebrochen, es hatte den Seite: 331
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letzten Gruß und den letzten Segen meines liehen, ar¨ men Freundes nicht entgegennehmen durfen. Als ich v¨ollig wiederhergestellt war, entschloß man sich, mir von den Einzelheiten seines Todes zu berichten. Nach einer scheinbaren Besserung war er mit großer Ruhe seinen Leiden erlegen. ¨ Das Ungluck war in dem Augenblick eingetreten, als es mir am schlechtesten ging. Er hatte sehr nach mir verlangt, man hatte ihm meinen Zustand verheimlicht, doch mußte man ihm sagen, daß ich unp¨aßlich war; ¨ da hatte er Dumont zu sich gerufen und mit ihm uber seinen Letzten Willen gesprochen. ¨ Dumont hinzu, sofern Sic sich gut Nunmehr“, fugte ” ” ¨ um eine weitere Aufregung zu und kr¨aftig genug fuhlen, ertragen, die, wie ich weiß, Ihre Trauer nur gr¨oßer machen wird, h¨oren Sie mir zu. Der Prior, bei dem Sic nur geringe Mittel vermuteten, und den Sie mit Ihrer Arbeit unterhalten haben, ohne daß er etwas ausgeben durfte, da Sie wußten, wie sehr er an seinem Geld hing, war ¨ ¨ ¨ uber eine Summe von funfundzwanreich und verfugte zigtausend Francs, die ich ihm aus Gueret geholt habe, seiner Heimat, wohin er mich vor vier Jahren geschickt hat, um sein Erbe in Empfang zu nehmen. Ich habe ihm Stillschweigen versprochen und mein Versprechen gehalten; ich kannte auch seine Absichten, und als er ¨ wußte ich sich dermaßen vor den R¨ aubern furchtete, auch, daß er sein Verm¨ogen nicht seinetwegen behalten wollte; es war Ihretwegen, Nanette, seiner Erbin, und ¨ Emilien, nun sind Sie durch ihn reich, sehr reich fur damit Sie keine Skrupel haben, ihn zu heiraten. Diese Kinder haben mich gerettet“, sagte der Prior. ” Seite: 332
Nanon von George Sand Sie haben mich aus dem Verlies geholt, in dem ich ” meine Gesundheit gelassen habe, wo ich jedoch ohne sie mein Leben verloren h¨ atte. Nun verl¨aßt mich auch das Leben, die Priester sollen nicht kommen und mich qu¨ alen. Ich weiß so gut Bescheid wie sie. Ich beichte Gott ohne Mittler, Gott, an den ich glaube, w¨ ahrend sie gr¨oßtenteils an ihm zweifeln. Ich hoffe, in Frieden mit ihm zu sterben, und wenn ich in meinem Leben Fehler gemacht habe, so will ich dies durch eine gute Tat ausgleichen. Ich mache zwei Kinder reich, die mich ge¨ mein Weiterleben geliebt, gepflegt, getr¨ostet und fur sorgt haben, so viel sie konnten, insbesondere Nanette. ¨ mich war sie ein Engel, ein wahrer Schutzengel! Sie Fur hat sich meinetwegen die gr¨oßten Opfer auferlegt, was ¨ sie tue, hat sie verdient. Sie allein mache ich zu ich fur meiner Erbin, und ich weiß sehr gut, wen sie liebt und heiraten wird. Sie ist klug und wird aus meinem Geld Nutzen ziehen. Sobald Sie mir die Augen geschlossen haben, nehmen Sie meine Brieftasche dort unter mei¨ alt eine Sichtanweisung uber nem Kopfkissen. Sie enth¨ die Summe, die ich Ihnen genannt habe und die bei dem Bruder von Costejoux, dem Bankier, in Limoges deponiert ist. Mein Testament, ausgestellt am gleichen Tage, an dem Sie mir diese Summe gebracht haben, wur¨ ¨ de Costejoux selbst ubergeben, der dessen Verfugungen ¨ nicht kennt. Sie fuhren Nanette zu ihm, und er bringt sie in den Besitz ihres Erbes!“ Ich habe dem Prior entgegengehalten“, fuhr Dumont ” fort, er habe eine Familie, der er das Erbe nicht entzie” ¨ hen durfe. Er antwortete mir, er sei mit ihr im reinen: seinen Geschwistern seien w¨ ahrend der vierzig Jahre, ¨ die er im Kloster verbracht habe, seine Einkunfte zuguSeite: 333
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te gekommen, und sie h¨ atten ihm in sehr ehrenvoller ¨ gleichzeitig Weise angeboten, ihm diese zuruckzugeben, auch seinen gesetzlichen Status, was er abgelehnt ha¨ sollten sie darauf verzichten, ihn zu beerben, be; dafur womit sie einverstanden waren. Diese Absprache wurde vorschriftsm¨aßig getroffen, die gute Gesittung seiner Verwandten stellt eine weitere Garantie dar. Schließlich ¨ sollte ich alle Schriftstucke in seiner Brieftasche finden, und in der Tat war es so. Ich habe Ihre Genesung nicht abgewartet und an Monsieur Costejoux geschrieben; er hat mir geantwortet und wird heute abend hier sein und ¨ Sie in den Besitz Ihrer Anspruche bringen, nachdem er ¨ hat. Er wird Sie fragen, in welalle Formalit¨aten erfullt ¨ cher Weise Sie Ihr Kapital verwenden wollen, daruber ¨ Sie nachdenken.“ mussen Mein lieber Dumont“, antwortete ich ihm, mir steht ” ” der Kopf wirklich nicht danach, das siehst du doch! Ich weine nur. Ich kann nur an diesen lieben, armen Mann ¨ seine denken, der nun nicht mehr ist und dem ich fur Freundschaft nicht einmal habe danken k¨onnen!“ Du dankst ihm in deinen Gebeten“, erwiderte Dumont, ” der mich nicht mehr duzen wollte, weil er mich bereits ¨ als Emiliens Frau ansah, doch zuweilen einen Ruckfall hatte, der mir Freude machte. ¨ er hinzu, doch Ich war nie besonders fromm“, fugte ” ” glaube ich, daß die Seelen uns verstehen, und nachts stelle ich mir vor, mit dem lieben Prior zu plaudern und Antwort zu erhalten.“ Ich auch, Dumont, ich sehe und h¨ore ihn st¨andig, und ” mein einziger Trost ist die Hoffnung, daß er mich gleichfalls h¨ort und sieht. Ich hoffe, er weiß genau, daß es Seite: 334
Nanon von George Sand nicht meine Schuld war, wenn ich seinen letzten Seufzer nicht vernommen habe, und er sieht, wie ich weine, wie sehr ich ihn liebe, und wieviel lieber es mir gewesen w¨are, ihn zu behalten, als reich zu sein!“ Ich bin sicher“, sagte Dumont, daß seine Seele froh ” ” ist, die Zukunft seiner geliebten Kinder gesichert zu haben. Sie k¨onnen mir glauben, daß er mich eine Stunde, bevor er in seinen letzten Schlaf gesunken ist, umarmt und mir gesagt hat: Hier mein Segen f¨ ur Nanette und Emilien!“ Da jedes Wort Dumonts mich zum Weinen brachte, ¨ ¨ er, ich werde erneut krank und fuhrte befurchtete mich in den Garten. Es fing an, sch¨on zu werden, und bald sahen wir Monsieur Costejoux, der mir seinen Arm ¨ anbot, um zum Haus zuruckzugehen und mir großes ¨ Interesse bezeugte. Er ubergab mir das Testament und ¨ ¨ ¨ von Funfdie Schriftstucke, die mich zur Eigentumerin undzwanzigtausend Francs machten. ¨ von Gesch¨ aften zu reden, Als ich mich imstande fuhlte, ¨ gab ich auf seine Fragen zur Antwort, ich wunschte, ihm sogleich den Besitz zu bezahlen, den er mir verkauft hatte. Das w¨ are ein Fehler“, sagte er, Ihr Geld bringt Ih” ” nen bei meinem Bruder sechs Prozent; Sie t¨ aten besser daran, mir zwei Prozent zu zahlen und den Rest Ihrer ¨ ¨ Neuerwerbungen zu verwenden.“ Einkunfte fur Ich will tun, was Sie mir raten“, antwortete ich ihm. ” Ich habe keinen Willen mehr.“ ” Das wird wiederkommen“, erwiderte er, Sie werden er” ” kennen, daß ich Ihnen einen guten Rat gebe. Mit Ihrer Seite: 335
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Sparsamkeit und Ihrem Fleiß wird es Ihnen gelingen, ¨ mir gegenuber schuldenfrei zu werden, ohne es zu bemerken, und nach und nach Ihren Grundbesitz abzurunden, dessen Wert sich in zwanzig Jahren verdreifachen, wenn nicht vervierfachen wird. Beachten Sie, daß sich die Zinsen, die Sie mir zahlen, zur gleichen Zeit verringern wie der Betrag der Schuld. Morgen reden wir weiter. Sprechen wir heute von Emilien. Haben Sie vor, ¨ ihn uber Ihre neue Situation zu unterrichten?“ Nein, nein, Monsieur Costejoux! Ich will ihm den Ver” dienst lassen, mich als armes M¨adchen genommen zu haben. Wer weiß, ob es jetzt nicht an ihm w¨ are, Skrupel zu haben?“ Nein! Er wird keine haben. Ich kenne ihn gut. Seine ” ¨ Seele lebt in einer Region hoch uber der Wirklichkeit. ¨ ihn hat das Geld keinen Wert. Er ist eine Art HeiliFur ¨ ger aus den Zeiten des Evangeliums; aber er ist gluck¨ ¨ es kunflich, daß Sie so praktisch sind, und Sie mussen ¨ zwei sein. Heiraten Sie ihn, und fuhren ¨ Sie die tig fur ¨ Gesch¨afte; auf diese Weise wird er glucklich.“ Ich bestand darauf, daß Emilien nicht informiert werde. ¨ Es machte mir zunehmend Freude, ihn bei seiner Ruck¨ kehr zu uberraschen, denn ich wußte wohl, daß er sich aus Geld nichts machte, er hing mit Liebe am Kloster ¨ immer dort niederlas¨ sich fur und w¨ are froh daruber, sen zu k¨onnen. Folglich wurde vereinbart, ihn nur vom Tod des Priors zu unterrichten sowie vom z¨artlichen Segen, den dieser ihm in seiner letzten Stunde gesandt hatte. Monsieur Costejoux, der mich durch Krankheit und Seite: 336
Nanon von George Sand Kummer sehr geschw¨acht fand, forderte mich auf, Louise in Franqueville zu besuchen: Es ist“, sagte er, eine Reise von ein paar Stunden, die ” ” Fahrt wird Ihnen gut tun, der Luftwechsel ebenfalls. Und außerdem sind Sie es Ihrem Freund schuldig, sich mit eigenen Augen der Sorgfalt zu vergewissern, die wir seiner Schwester angedeihen lassen, desgleichen der guten Gesundheit, die sie wiedererlangt hat. Sie konnten es bis zu diesem Augenblick nicht, und diesen ersten Gebrauch sollten Sie von Ihrer Freiheit machen.“ Ich stimmte zu, vierundzwanzig Stunden in Franqueville zu verbringen. Ich nahm Dumont mit, um Mon¨ ¨ zu ersparen, mich zuruckzusieur Costejoux die Muhe bringen, und am n¨ achsten Tag brachen wir gemeinsam auf. ahlte er mir viel von Louise und sprach Unterwegs erz¨ sogar ausschließlich von ihr. Ich bemerkte, daß er im¨ mer mehr in sie verliebt war und hoffte, sie wurde sei¨ nen burgerlichen Namen annehmen, trotz der Grimassen, die sie ihm bei dieser Vorstellung schnitt. Ich fragte, ob sie von Emiliens Pl¨ anen mit mir unterrichtet sei. Nein“, antwortete er, sie ahnt nicht einmal etwas da” ” ¨ angebracht halten, von. Sie werden sehen, ob Sie es fur sie auf die Zukunft vorzubereiten.“ Ich gestand Monsieur Costejoux, daß ich mich sehr vor Louises Verachtung, ja sogar der Geringsch¨atzung ¨ furchtete. Nein“, sagte er, sie ist nicht mehr das kr¨ankelnde und ” ” ¨ ubellaunige Kind, das Sie einst gekannt haben. Sie hat Seite: 337
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die Kraft der Ereignisse begriffen und sich unterworfen. Ihr Haß auf die Revolution ist ein Spiel, eine Stichelei, eine an mich gerichtete Koketterie, wenn ich so sagen darf.“ Sagen Sie es, wenn dem so ist.“ ” Nun gut, es ist so! Louise will, daß ich sie liebe und ” scheint mir zu sagen, daß ich, indem ich Ihre Boshaftig¨ das Vergnugen, ¨ keiten auf mich nehme, fur von ihr ge¨ liebt zu werden, bezahlen muß. Im ubrigen ist es schon eine Weile her, daß wir von Politik geredet haben. Ich w¨are nicht b¨ose zu sehen, wie sie Ihre Heirat mit ihrem Bruder aufnimmt: doch werden wir nichts sagen, sollten Sie dieser Vertraulichkeit abgeneigt sein.“ ¨ Lassen Sie mich beurteilen, ob die Gelegenheit guns” tig ist“, antwortete ich; man muß abwarten, welchen ” Empfang sie mir bereitet.“ ¨ Als wir uns Franqueville n¨ aherten, war ich sehr geruhrt, zum ersten Mal die Gegend zu sehen, wo mein lieber Emilien seine Kindheit verbracht hatte. Ich beugte mich aus dem Wagenschlag, um mir alle Dinge und alle Leute ¨ anzusehen. Es war ein Land mit Hugeln und Schluch¨ hnlich; das Tal, in dem das ten, dem unseren sehr a Schloß lag, war breiter und weniger wild als das Klostertal. Das Land schien reicher, die wohlhabenden Bewohner sahen stolzer aus und weniger sanft. Es ist nicht leicht, mit ihnen zu leben“, sagte Monsieur ” Costejoux. ¨ PoSie begeistern sich mehr als die Leute bei Ihnen fur ” litik und sie verstehen weniger davon. Sie haben nicht Seite: 338
Nanon von George Sand einmal halb soviel gesunden Menschenverstand, und die Ehrenhaftigkeit geh¨ort nicht zu ihren hervorstechenden Tugenden. Das ist nicht ihre Schuld, sondern der schlechte Einfluß eines großen Schlosses und der Kontakt mit einer zahlreichen Dienerschaft. Der ver¨ blichene Marquis kummerte sich nicht im geringsten ane. Eher kannte er die um die Bauern auf seiner Dom¨ W¨olfe und Wildschweine in seinen W¨ aldern. Die Bauern galten ihm kaum mehr als seine Hunde. Die kurzen Besuche, die er bei sich machte, waren nur Jagd- und Tafelrunden, und auch wenn man den Herrn verabscheute, so freute man sich doch stets, ihn zu sehen, ¨ gutes Essen und Zerstreuung ein denn man konnte fur wenig Geld verdienen. Nichts demoralisiert den Bauern mehr, als wenn er Nutzen zieht aus der Unterwerfung unter eine Sache, die er nicht achtet. Doch wir kommen an. Beurteilen Sie das Geb¨ aude nicht nach dem ¨ ¨ Außeren. Einige Turmchen und wappenverzierte Wetterfahnen ließen wir abreißen, davon abgesehen hat es ¨ noch ein sch¨ones Außeres; aber im Innern wurde es seit 1789 von denselben braven Bauern, die uns heute vorwerfen, wir h¨atten die Wappen entfernen lassen und ¨ die Taubenh¨ auser der Kronen beraubt, geplundert und stark besch¨adigt.“ Tats¨ achlich war der Anblick der Halle herzzerreißend. Um in den großen Salon zu gelangen, der noch stand ¨ und erhalten war, allerdings ohne Fenster und Turen, ¨ durchqueren. Die mußte man wahre Trummerhaufen ¨ hingen zerbrochen herab. Die sch¨onen Fensterflugel Tapeten waren von den W¨anden gerissen und lagen in Fetzen am Boden. Die Skulpturen des gewaltigen ¨ geschlagen, ebenso die reich Kamins waren in Stucke Seite: 339
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vergoldeten Simse an der Decke, Reste von Rahmen, ¨ Spiegelfragmente, Bruchstucke jeglicher Art bewiesen, daß man zerst¨ort hatte, was man nicht mitnehmen konnte. ¨ Und sie beklagen sich uber die Revolution!“ dachte ich. ” Mir scheint, sie haben es nicht vers¨aumt, daraus ihren ” Nutzen zu ziehen.“ ¨ ¨ Monsieur Costejoux fuhrte mich uber eine kleine Trep¨ pe zu einem Turm, der mehr als das Ubrige verschont worden war, und wo er die M¨oglichkeit entdeckt hat¨ ¨ te, eine hubsche und angenehme kleine Wohnung fur seine Mutter und Louise einzurichten. Dort also empfing uns Madame Costejoux mit viel Wohlwollen und ¨ Sie kannte meine Geschichte und die von DuGute. ¨ mont, sie empfing ihn als Burger und forderte ihn auf, sich zu setzen; doch sobald er in einer Ecke mein kleines Paket abgelegt und einen Korb mit unseren sch¨ons¨ ¨ meine Gastgeber ten Fruchten dargeboten, die ich fur ¨ ausgesucht hatte, zog er sich diskret zuruck. Ich hoffe, Sie essen mit uns zu Abend“, sagte die alte ” Dame zu ihm. ¨ Er dankte geruhrt; aber er dachte daran, einst Hausdiener, und nicht einmal einer der ersten, in diesem Schloß gewesen zu sein, das igendwie Mademoiselle de ¨ Franqueville zuruckgegeben worden war. Auch wenn er lange Zeit im Kloster an einem Tisch mit ihr gegessen ¨ hatte, glaubte er doch, sie wurde sich in Franqueville mit dieser Art Gleichheit nicht abfinden. Er gab vor, im Dorf alte Freunde umarmen zu wollen, und man sah ihn nicht wieder. Seite: 340
Nanon von George Sand Ungeduldig wartete ich auf Louise. Sie bittet darum, sie zu entschuldigen“, sagte uns Ma” dame Costejoux, wenn sie nicht sofort herbeieilt. Sie ” ¨ hat sich den ganzen Tag uber nicht angekleidet, was ¨ gew¨ohnlich nicht tut. Gerade heute hat sie sich sie fur sehr aufgeregt, als sie eine Nachricht erhielt, die ich Ihnen schnellstens mitteilen muß. Ihr a¨ ltester Bruder, der Marquis de Franqueville, der gegen Frankreich gedient hat, ist an den Folgen eines Duells gestorben. Wir kennen keine weiteren Einzelheiten, aber die Sache ist gewiß, und auch wenn sie diesen Bruder, der sich solchermaßen schuldig gemacht hat, kaum kennt, so ist ¨ ¨ was ganz naturlich sie doch erschuttert, ist.“ Nun, denn“, rief Monsieur Costejoux und sah mich an, ” ¨ so ist Emilien Familienoberhaupt und Herr uber seine ” Entscheidungen. Er kann in allem handeln, wie es ihm ¨ gef¨ allt, ohne den Widerstand oder die Vorwurfe von ir¨ gendwem zu furchten. Es bleiben ihm nur noch recht ¨ entfernte Verwandte, die sich nie um ihn gekummert haben und keinen Anlaß sehen, das zu tun.“ Ihm bleibt Louise“, dachte ich und senkte den Blick. ” Vielleicht setzt sie ihm allein einen gr¨oßeren Wider” stand entgegen als eine ganze Familie!“
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Endlich kam sie, ganz in Trauerkleidung und sch¨on wie ein Engel. Sie streckte als erstes Monsieur Costejoux ihre Hand entgegen und sagte: Seite: 341
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3.25: Kapitel XXV.
¨ das mich erNun, haben Sie von dem neuen Ungluck, ” eilte, erfahren?“ ¨ Er kußte ihre Hand und antwortete: Um so mehr werden wir versuchen, Ihnen all die zu ” ersetzen, die Sie verlieren.“ Sie dankte ihm mit einem traurigen, bezaubernden artL¨acheln und kam zu mir, reizend, gut, doch nicht z¨ lich und spontan. Meine liebe Nanette“, sagte sie und hielt mir ihre ” ¨ sch¨one Stirn hin, kusse mich, bitte . . . Du machst ” mir eine große Freude, mich zu besuchen, ich habe dir ¨ meinen Bruder ¨ alles, was du fur so sehr zu danken fur getan hast! Ich weiß, du hast ihm hundert Mal das Leben gerettet, hast ihn versteckt und dich jederzeit um ¨ seinetwillen der Gefahr ausgesetzt. Ach, wir sind glucklich, wir Verfolgten, daß es in Frankreich noch ein paar ergebene Seelen gibt! Und Dumont? Er hat ebenso viel getan wie du, so scheint es?“ Gewiß“, antwortete ich, ohne Monsieur Costejoux ” ” zun¨ achst und sp¨ ater ohne Dumont h¨ atte ich vielleicht keinen Erfolg gehabt.“ Und wie geht es ihm, diesem lieben Mann? Werden wir ” ihn nicht sehen?“ Doch“, antwortete Monsieur Costejoux, aber das Abendes” ” sen ist aufgetragen, und unsere Freundin muß hungrig sein.“ Er bot Louise seinen Arm, und wir gingen ins Eßzimmer, das sich eine Etage tiefer befand. Das Servieren Seite: 342
Nanon von George Sand ging langsam vonstatten, obwohl zwei Bedienstete damit befaßt waren, aber Monsieur Costcjoux liebte es, lange bei Tisch zu sitzen, wenn er sich bei seiner Fa¨ die milie befand; das war der Ausgleich, so sagte er, fur lange Zeit, die er allein aß, im Stehen oder w¨ ahrend der Arbeit. Das Essen wurde mit einer gewissen Eleganz aufge¨ tragen, die mich uberraschte, denn ich aß zum ers¨ ten Male an einer burgerlichen Tafel, und Monsieur Costejoux war reich genug, daß es selbst in dieser improvisierten Einrichtung sichtbar wurde. Seine Mutter war eine kundige Hausfrau, die sich wachsam und mit ¨ und besonderen Wert großer Ruhe um alles kummerte ¨ darauf legte, daß es ihrem Sohn und seinem Mundel nicht an Wohlbefinden und auch nicht an Vornehmheit fehlte. Monsieur Costejoux schien um seiner selbst willen nichts wichtig zu sein, aber es bereitete ihm große Freude, Louise mit seiner Gastfreundschaft zufrieden zu wissen. Scheinbar ohne sie zu beobachten, entging ihm keine ihrer Bewegungen, und er erriet sogleich, was ¨ sie wollte, und war eifrig bemuht, damit sie sich nicht ¨ einmal der Muhe des Sprechens unterziehen mußte. ¨ ¨ wie ich mich gegenuber Er verhielt sich ihr gegenuber ¨ Emilien, wenn ich das Gluck hatte, ihm zuvorzukommen und ihn zu bedienen. Mich erstaunte alles, was ich dort sah, auch wenn ich nicht so ungeschickt war, mich unerfahren und sprachlos zu geben. Was mich ¨ war, Louise so ver¨andert zu am meisten uberraschte erleben. Ich hatte ein schw¨ achliches, wettergebr¨ auntes, rachitisches und, durch das Leben in Elend und ¨ Kummer, moralisch zuruckgebliebenes Kind verlassen: ich fand eine sch¨one junge Dame, die sich pl¨otzlich in Seite: 343
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Wohlstand und Sicherheit entwickelt hatte. Sie war um einen ganzen Kopf gr¨oßer geworden. Sie war groß und schlank statt gedrungen, was sie damals zu werden drohte. Sie war noch blaß, jedoch so weiß und von so feiner und durchscheinender Haut, daß ich eine Lilie zu sehen meinte. Ihre H¨ ande, glatt wie Elfenbein, fand ich unwahrscheinlich. Man h¨atte glauben k¨onnen, sie ¨ seien zu nichts anderem da, als betrachtet und gekußt zu werden. Sie bemerkte die Bewunderung, die sie in mir wachrief, sie beugte sich zu mir, legte mit großer Anmut ihren Arm um meinen Hals und schmiegte ihre Wange an ¨ meine, doch ohne sie mit dem Munde zu beruhren, was ich sehr deutlich empfand. Ich dachte daran, daß sie mir niemals die Ehre eines Kusses gew¨ ahrt hatte, auch nicht in ihren besten Tagen und bei den sanftesten Schmeicheleien. Monsieur Costejoux merkte es nicht. ¨ Er fand sie mir gegenuber bezaubernd und sagte: Hat sie sich nicht ver¨andert?“ ” Sie ist sch¨oner geworden“, antwortete ich. ” Nun, und du?“ sagte sie und betrachtete mich, als s¨ahe ” sie mich zum ersten Mal. Weißt du, daß du nicht wieder zuerkennen bist, Na” adchen. Die non? du bist wirklich ein sehr sch¨ones M¨ Krankheit hat dir Vornehmheit verliehen, und wenn du deine H¨ ande pflegtest, so w¨aren sie sch¨oner als meine.“ Meine H¨ande pflegen?“ erwiderte ich lachend, ich? . . ” ” .“ Seite: 344
Nanon von George Sand ¨ Ich hielt inne, denn ich befurchtete, ein Vorwurf l¨ age in meinem Vergleich, doch erriet sie ihn und sagte sehr sanft: Ja, du, du pflegst alles, nur dich nicht, und ich, ich ” ¨ bin eine Person, die die anderen derart mit ihrer Gute verw¨ohnen, daß es so scheint, als sei man mir dies schuldig; doch bin ich weit davon entfernt zu vergessen, wer ich bin, glaube mir!“ Wer also sind Sie?“ sagte Monsieur Costejoux in z¨ artli” cher Beunruhigung. Nun, beichten Sie ein wenig, dass Sie einen Tag der ” Melancholie und Hingabe haben. Sagen Sie Schlechtes von sich, auf diese Weise werden Sie uns zu Schmeicheleien bewegen.“ Sie wollen, daß ich beichte?“ erwiderte sie, das will ” ” ¨ ich, ich bin mir der mutterlichen Absolution meiner Tante (so nannte sie Madame Costejoux) gewiß, und was Sie betrifft, so gibt es keinen nachsichtigeren Papa. Nanon ist eine Kinderverw¨ohnerin ersten Ranges. Da¨ von verstehe ich etwas. Habe ich sie doch genug erzurnt mit meinen Wutanf¨allen und meinen Launen! Ich war abscheulich, Nanon, ich war hassenswert, und du, geduldig wie ein Engel, sagtest: Es ist nicht ihre Schuld, ” ¨ sie hat zu sehr gelitten, es wird vorubergehen! Du hast Emilien daran gehindert, mich auszuschimpfen und ¨ wolltest diesen armen Prior davon uberzeugen, daß ¨ ¨ ¨ mußten. Sie amusiermeine Launen ihn amusieren anker. Alten ihn nicht, sie machten ihn nur noch kr¨ ¨ le machte ich unglucklich, und wenn meine anderen Kindheitserinnerungen Alptr¨aume sind, so sind meine Seite: 345
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Erinnerungen ans Kloster alle miteinander Gewissensbisse.“ Reden Sie nicht so“, sagte ich, Sie bereiten mir Kum” ” ¨ Sie gelitten, wenn man mer, ich h¨ atte gerne mehr fur ¨ liebt, bereut man die Muhe nicht.“ Ich weiß; Lieben ist deine Religion. Wieso ist es nicht ” ¨ ’ im gleichen Maß auch die meine? Ich w¨are gluck¨ lich, denn ich fuhlte mich frei von meinen Schuld¨ ¨ gefuhlen gegenuber denen, die mich mit Freundlich¨ aufen. Das ist meine Trauer und meine keiten uberh¨ Scham. Ich gleiche einer abgeknickten Pflanze, die in keinem Boden mehr wurzeln kann, so gut er auch ¨ sein mag. Mein Geist und mein Herz verkummern. Von meiner Bestimmung begreife ich nichts. Ich bin dabei, mich zu fragen, warum man Mitleid hat mit mir, ¨ warum man versucht, mich dem Leben zuruckzugeben, wo doch mein Geschlecht verflucht ist und vernichtet; warum endlich hat man mich nicht dahinsiechen und erl¨oschen lassen wie so viele andere Opfer, die interessanter waren als ich?“ ahrend sie diese traurigen Dinge sagte, mit einem W¨ sonderbaren L¨ acheln und Blicken, die umherirrten, als richteten sie sich an niemanden, beobachtete Monsieur Costejoux, auf seinem Stuhl halb abgewandt, das Feuer, das im Kamin knisterte, und schien in ein teils schmerzliches, teils angenehmes Problem vertieft. Seine Mutter betrachtete Louise mit einer gewissen Angst. ¨ offensichtlich, daß sie ihn niemals lieben Sie furchtete k¨onne. ¨ Daran wollte er uberhaupt nicht glauben; er nahm die Angelegenheit von der heiteren Seite. Seite: 346
Nanon von George Sand So sind Sie also traurig“, sagte er, weil Sie geliebt ” ” werden und selbst nicht lieben? Das ist in der Tat ein ¨ aber schwer zu verstehen, denn in dem großes Ungluck, ¨ ¨ Fall, daß Sie uberhaupt Sie doch nicht liebten, fuhlten keinerlei Bedauern, anderen Schmerz zu bereiten.“ Sie sah ihn aufmerksam an, und trotzdem, so als h¨atte sie ihn nicht geh¨ort, wandte sie sich mir zu. ¨ ußersten“, sagte sie. Du bist liebevoll bis zum a ” ¨ Dein Ungluck ist meinem entgegengesetzt. Gewiß muß ” mein Bruder dankbar sein, verliebt vielleicht, doch wie wird deine Zukunft aussehen?“ Monsieur Costejoux wurde heftig, er konnte diese Wende, die mich bleich und verwirrt werden ließ, nicht ertragen; er vergaß sein mir gegebenes Versprechen und antwortete an meiner Stelle: Ihre Zukunft wird sein, von Ihrem Gatten verehrt zu ” werden: nicht jedem fehlt es an Herz und Verstand.“ ¨ Louise wurde rot vor Arger. ¨ Es mag sein“, sagte sie, daß mein Bruder den großzugi” ” gen Plan ersonnen hat, die zu heiraten, die ihm das Leben gerettet hat: doch nun ist er Marquis, Monsieur Costejoux, er wird Oberhaupt der Familie . . .“ ¨ Folglich Herr, uber seine Zukunft selbst zu entschei” den, Mademoiselle de Franqueville! Und heiratete er are er der Feigste unter nicht seine beste Freundin, w¨ den Edelleuten.“ ¨ Louise wagte nicht, etMonsieur Costejoux war wutend, ¨ sich, das was zu erwidern, Madame Costejoux bemuhte Seite: 347
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3.25: Kapitel XXV.
Gespr¨ ach wieder aufzunehmen, doch alle waren verletzt, sie hatte keinen Erfolg. Das Essen war beendet, sie nahm meinen Arm und ¨ fuhrte mich in ihr Zimmer, das so hergerichtet war, daß es als Salon dienen konnte. Sie zeigte mir mit einer gewissen Bereitwilligkeit, wie gut alles angeordnet war, ¨ Louises Zimmer neben ihrem, mit einem Uberfluß an Spiegeln, Frisiertischen, kleinen Ankleidem¨obeln; man dachte an ein Modegesch¨ aft. Es ist eng bei uns“, sagte sie, doch haben Sie keine ” ” Angst, wir bringen Sie aufs beste unter. Man stellt ein Bett in mein Zimmer, und Sie schlafen bei mir. Ich habe einen ruhigen Schlaf; doch wenn Sie plaudern wollen, so plaudern wir; ich komme stets zurecht. Nichts behindert mich oder st¨ort mich, wenn nur mein lieber Sohn zufrieden ist. Ich habe ihn absichtlich ein wenig mit Louise alleingelassen. Wenn sie zu zweit sind, spricht er besser, und sie l¨ aßt sich bezaubern, er redet so gut!“ Ich weiß“, antwortete ich. ” Alles, was er sagt, alles, was er denkt, ist sch¨on und ” ¨ sein Gluck ¨ gut! Doch glauben Sie wirklich, fur zu arbeiten . . .?“ Ach, ich weiß, ich weiß!“ erwiderte sie mit gr¨oßerer ” Lebhaftigkeit, als es ihr langsames und maßvolles Sprechen ihr gew¨ohnlich erlaubte. Sie hat viele Vorurteile, große Vorurteile und zudem ” gewisse kleine Fehler. Doch man a¨ ndert sich so sehr, wenn man liebt! Ist das nicht auch Ihre Auffassung?“ Ich weiß es nicht“, antwortete ich, ich brauchte meine ” ” Vorstellungen nicht zu a¨ ndern.“ Seite: 348
Nanon von George Sand ahlt. Sie haben den jungen Mein Sohn hat es mir erz¨ ” Franqueville immer geliebt. Er ist nicht so wie seine ¨ Schwester! Er ist nicht hochmutig. Vielleicht wird er sie dazu bewegen, meinen Sohn zu heiraten; was meinen Sie?“ Das denke ich auch.“ ” ¨ Hat er große Autorit¨ at ihr gegenuber?“ Keinerlei.“ ” ” Und Sie?“ Noch weniger.“ ” ” Um so schlimmer, um so schlimmer!“ sagte sie in me” lancholischem Ton und nahm ihr Strickzeug auf. Und ¨ sie fugte hinzu, wobei sie mit den Nadeln in ihre grauen Haare fuhr, die sich unter einer großen Spitzenhaube lockten, die in der Form meiner Haube aus gef¨alteltem Barchent glich: ¨ Sie haben ihr gegenuber vielleicht Vorurteile. Hat sie ” Sie soeben ge¨argert?“ Nein, Madame. Auf das, was sie sagte, war ich gefaßt. ” ¨ Ich bin ihr nicht b¨ose, so denkt sie eben. Im ubrigen kennen Sie sie inzwischen besser als ich: durch Sie, die Sie so gut sind, mußte sich ihr Charakter a¨ ndern.“ Ich bin geduldig, das ist alles. Ich weiß, auch Sie sind ” es, mein Sohn hat so viel von Ihnen gesprochen! Wissen Sie . . . ja, er hat es Ihnen gesagt, und er erz¨ ahlt are, h¨ atte mir alles. Wenn Ihr Herz nicht gebunden w¨ er Sie geliebt. Er h¨atte diese bezaubernde Louise ver¨ gewesen, und ich folglich gessen, er w¨ are glucklicher auch. Sie wird uns Schmerzen bereiten, darauf bin ich gefaßt. Nun, Gottes Wille geschehe! Wenn sie mich nur nicht fortschickt von meinem Sohn! Das w¨ are mein Tod. Seite: 349
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Was wollen Sie! Er ist der einzige, der mir von den sieben Kindern, die ich hatte, geblieben ist. Alle sch¨on und gut wie er. Sie sind alle an einer schlimmen Krankheit ¨ oder durch Unfall gestorben. Wenn das Ungluck einmal Einzug h¨alt in einer Familie, dann hat man Grund zu sagen: Gott ist groß, und wir verstehen ihn nicht.“ ahlte die Maschen ihrer Strickarbeit, redete dabei Sie z¨ mit leiser, eint¨oniger Stimme, und die Tr¨anen quollen unter ihrer Brille aus Schildpatt hervor und liefen an ihren fetten und bleichen Wangen herab. Man sah, daß sie einst sch¨on gewesen war und auf sich geachtet hat¨ te, doch ohne eine Spur von Koketterie: man spurte, ¨ die gelebt hatte, die daß sie eine Frau war, die nur fur sie liebte, und die trotz all ihrer Leiden der Liebe nicht ¨ mude war. ¨ ande, und sie umarmte mich Ich kußte sanft ihre H¨ ¨ Ich versuchte, ihr Hoffnung zu machen, mutterlich. doch sah ich wohl, daß sie im Grunde dachte wie ich; sie brauchte die eigene Hoffnung nicht als Bedingung ¨ ihre Hingabe. fur ¨ Louise und Monsieur Costejoux kamen zuruck. Beide lachten. Das Gesicht der alten Dame hellte sich auf. Liebe Tante“, sagte Louise, wir haben uns gerade hef” ” tig gestritten wegen meines Adels, wie immer! Und wie immer hatte Ihr Herr Sohn mehr Geist und eine gr¨oßere Beredsamkeit als ich; doch wie immer war ich mehr im Recht als er. Ich bin realistisch, er ist romantisch. Er ¨ glaubt, wir betreten eine neue Welt! Das ist sein ubliches Thema. Er glaubt, die Revolution habe so viele Dinge ge¨ andert, daß vieles nicht mehr wiederkommen Seite: 350
Nanon von George Sand k¨onne. Und ich glaube, daß mit der Zeit alles wieder so werden wird, wie es in der Vergangenheit war, daß der Adel ebenso unzerst¨orbar ist wie die Religion und mein Bruder noch immer ebenso Marquis ist, wie er es unter gew¨ohnlichen Umst¨anden beim Tode seines Vaters und ¨ ¨ ltesten Bruders gewesen w¨are. Daruber hinaus seines a ¨ Gefuhl, ¨ Pflicht, alles, was pl¨adiert der große Anwalt fur Sie wollen. Er teilt mir mit, Nanon sei bei diesem Stand ¨ Emilien. Um so etwas der Dinge eine reiche Partie fur ¨ ¨ kummere ich mich nicht. Ich habe nur eine Ahnlichkeit mit Emilien, ich mache mir nichts aus Geld. Sie werden ¨ mir sagen, ich h¨atte ein unwiderstehliches Bedurfnis ¨ man Geld braucht. Das mag sein; nach allem, wofur darin bin ich nicht logisch: doch Emilien denkt logisch. ¨ Weder macht er sich Sorgen um etwas, noch gelustet ihn danach. Er ist Bauer geworden und wird mit Na¨ non sehr glucklich sein. Oh, dessen bin ich mir sicher, ¨ Nanon ist ein Engel an Gute und Aufrichtigkeit. Sage nichts, Nanette, ich weiß, daß du Bedenken hast, ¨ ihn zu heiraten, obwohl du verruckt bist nach ihm. Ich ¨ weiß, du wirst dich zuruckziehen, wenn er sich daran erinnert, Marquis zu sein und nur ein ganz klein wenig z¨ogert. Das muß man also sehen, es wird an ihm sein, sich zu entscheiden, und wenn er sich zu deinen Gunsten entscheidet, werde ich mich damit abfinden: ich werde dich als meine Schw¨agerin akzeptieren und ¨ Ich kann gegenw¨artig damit ledich niemals demutigen. ben, ich verachte dich nicht; ich sch¨atze dich, ich emp¨ dich und vergesse deine finde sogar Freundschaft fur Sorgen um mich nicht; aber das bedeutet nicht, daß es unrecht ist zu sagen, was ich sage.“ Was also sagen Sie?“ antwortete ich, die Schlußfolge” ” Seite: 351
George Sand
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rung fehlt. Ihr Bruder wird sich erniedrigen und vergessen, daß er Marquis ist?“ Ich sage nicht, daß er sich erniedrigt, ich sage, daß er ” freiwillig von seinem Rang herabsteigt und die Welt ihm ¨ keine Anerkennung bezeugen wird.“ dafur Die Welt der Dummk¨opfe“, rief Monsieur Costejoux. ” Die Welt, zu der ich geh¨ore“, erwiderte sie. ” Und zu der man nicht mehr geh¨oren sollte!“ ” ¨ Er sprach weiter in sehr ernster Weise mit ihr uber dieses Thema, wie ein Vater, der sein Kind schilt, es jedoch verg¨ottert, und ich sah, daß er sich nicht irrte, wenn er annahm, so wolle sie verg¨ottert sein, denn unter der Be¨ dingung, in ihnen Leidenschaft zu spuren, ließ sie sich harte Dinge sagen. Ihr Streit endete wieder in einer mit allerlei Spitzen gespickten Vers¨ohnung, in die sie sich ¨ schien. jedoch zu fugen ¨ Als er sich zuruckgezogen hatte, nahm sie mich beiseite, schließlich umarmte sie mich h¨ochst selbst und sagte: Auf denn, habe mich weiterhin lieb, denn du wirst ” stets meine Nanon sein, die mich verw¨ohnt hat und zu der ich nicht undankbar sein will. Wenn du meinen Bruder heiratest, werde ich mit euch beiden schimpfen, aber ich liebe euch deswegen nicht weniger. Das ¨ allemal gesagt.“ sei hiermit ein fur Am n¨achsten Morgen stand ich zeitig auf, kleidete mich leise an und ging hinaus, ohne die gute Madame Costejoux zu wecken. Ich wollte mir den Park ansehen und traf dort Boucherot, der ihn mir im einzelnen zeigte. Seite: 352
Nanon von George Sand Louise gesellte sich zu uns, und als Boucherot sich dis¨ kret zuruckgezogen hatte, sagte sie: Nanon, ich habe seit gestern nachgedacht. Da du nun ” reich bist und noch reicher werden wirst (das sagt ¨ Monsieur Costejoux), solltest du ihm Franqueville fur mcincn Bruder abkaufen. Auf diese Weise verdienst du wahrhaftig, Marquise zu werden.“ Sprechen wir von Ihnen und nicht von mir“, antwortete ” ¨ ich und lachte uber diesen unerwarteten Kompromiß. Geh¨ort denn Franqueville nicht Ihnen, wenn Sie es ” ¨ wunschen?“ Nein!“ erwiderte sie lebhaft, denn ich will nicht Ma” ” dame Costejoux heißen; ich m¨ochte lieber bei meinem Bruder und dir bleiben und nicht heiraten, B¨auerin ¨ ¨ werden wie ihr, eure Huhner versorgen und eure Kuhe ¨ ¨ huten. So wurde ich mir nichts vergeben.“ Wenn es Ihre feste Absicht ist, Monsieur Costejoux ab” ¨ zuweisen, w¨are es ehrlich und Ihrer wurdig, ihm das zu sagen, mein liebes Kind!“ Ich sage es ihm alle Male, wenn ich ihn sehe.“ ” Nein, Sie geben sich einer Illusion hin. Wem Sie es ihm ” sagen, dann in einer Weise, daß Sie ihm Hoffnung lassen.“ Du willst sagen, ich sei kokett?“ Sehr kokett.“ ” ” Was willst du. Dagegen kann ich nichts tun. Er gef¨allt ” mir, und wenn ich dir schon alles sagen muß, ich glaube, ich liebe ihn! Nun gut, also? . . .“ ” Seite: 353
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Nun gut, also, ich will dieser Narretei meines Gehirns ” nicht nachgeben. Wie kann ich einen Jakobiner heiraten, einen Mann, der meine Eltern aufs Schafott geschickt h¨ atte, wenn sie ihm in die H¨ ande gefallen w¨ aren. Er hat Emilien vorm Tode gerettet und mich vorm Elend; aber er hat meinen Vater und meinen a¨ ltesten Bruder gehaßt.“ Nein, er haßte die Emigration.“ ” Und ich billige sie, die Emigration! Ich habe meinen El” tern nur einen Vorwurf zu machen, n¨ amlich, mich nicht mitgenommen zu haben. Vielleicht h¨atten sie mich dort meiner Herkunft entsprechend verheiratet, statt dessen bin ich hier darauf verwiesen, Almosen anzunehmen. Sagen Sie das nicht, Louise, das ist sehr b¨ose. Sie wis” sen sehr gut, daß Monsieur Costejoux Ihnen niemals die Bedingung stellen wird, ihn zu heiraten.“ Nun gut, da sage ich ja! Ich werde ihn nicht heiraten, ” und ich muß seine Geschenke annehmen oder im Elend sterben. Heirate meinen Bruder, Nanon, es muß sein. Du wirst ihm eine Existenz sichern, und ich schw¨ore dir, ich werde mit euch arbeiten, und das Brot, das ihr mir gebt, verdienen. Ich werde meine Holzschuhe nehmen und meine B¨ auerinnenhaube aufsetzen, und dadurch nicht h¨aßlicher sein. Ich werde das Weiß meiner H¨ ande opfern. Das ist besser, als den Stolz meines Ran¨ zu opfern.“ ges und meine Uberzeugungen Was immer auch Ihr Wille sein mag, meine liebe Louise, ” Sie k¨onnen davon ausgehen, daß er geschieht, wenn ich Ihren Bruder heirate, und Sie brauchen nicht zu arbei¨ ten, um Ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Es genugt, Seite: 354
Nanon von George Sand wenn Sie sich mit unseren b¨ auerlichen Gewohnheiten zufrieden geben; wir werden sogar versuchen, sie Ihnen ¨ zu versußen, das wissen Sie. Doch auf diese Weise wer¨ den Sie nicht glucklich.“ ¨ faul und fur ¨ eine Doch! Du h¨ altst mich noch immer fur ” Prinzessin?“ Darum geht es nicht; ich glaube, was Sie mir gesagt ” haben; Sie lieben Monsieur Costejoux, und Sie werden ¨ es bedauern, an seinem und Ihrem Ungluck schuld zu sein, nur um Ihren Hochmut zu befriedigen . . .“ ¨ Ich hielt inne, sehr uberrascht, sie weinen zu sehen, ¨ doch ihr Kummer verwandelte sich in Arger. Ich liebe ihn gegen meinen Willen“, sagte sie, und ” ” ¨ als entzweit. verheiratet w¨ aren wir noch unglucklicher ¨ ¨ Weiß ich im ubrigen denn, ob es Liebe ist, was ich fur ihn empfinde? Weiß man in meinem Alter schon, was Liebe ist? Ich bin noch ein Kind, und wer mich verw¨ohnt und h¨ atschelt, den liebe ich. Er hat viel Geist, Costejoux! Er spricht so gut, er weiß so viel, daß man mit einem Mal gebildet ist, wenn man ihm nur zuh¨ort, und ¨ muß nicht einen Haufen Bucher lesen. Durch ihn habe ich mich gewiß sehr ver¨andert, und zuweilen scheint mir, er habe recht und ich bef¨ande mich im Irrtum. Aber ¨ ich bereue es und err¨ote uber meine Schw¨armerei. Ich langweile mich hier sehr. Mutter Costejoux ist außergew¨ohnlich, doch so sanft, so eint¨onig, so langsam in ¨ ihrer h¨ die auslichen Vollkommenheit, daß ich daruber Geduld verliere. Wir sehen niemanden aus der Welt, ande erlauben es nicht, denn man versteckt die Umst¨ mich noch ein wenig, wie einen kompromittierenden Seite: 355
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¨ geschlagen Gast. Die Jakobiner halten sich nicht fur und werden noch eine Weile durchhalten. In dieser ¨ Einsamkeit werde ich verruckt. Ich bin zu verw¨ohnt, man l¨aßt mich im Haus keinen Topf anfassen und im Garten keine Harke, und mein Nichtstun ist mir unertr¨ aglich. Zudem habe ich keinerlei elementare Bildung, ¨ die mir helfen wurde, mich zu besch¨ aftigen und meine Gedanken zu verdeutlichen. Im Kloster wollte ich nicht mit dir die Lektionen lernen, mein Geist ist leer, ich lebe nur von Tr¨aumen und Flausen. Nun, ich langweile mich t¨odlich, das sage ich dir, und wenn Costejoux uns besucht, werde ich wach, ich diskutiere, denke, ¨ Zuneigung; wer weiß, ob nicht lebe. Das halte ich fur jeder andere das gleiche in mir bewirkte, bei meinem ¨ Gemutszustand?“ Wenn Sie von mir einen Rat haben wollen, Louise, so ” ¨ Sie auf Ihr Herz h¨oren und Ihren Hochmut opmussen fern, das ist es, was ich denke. Monsieur Costejoux verdient es, geliebt zu werden, er ist kein gew¨ohnlicher Mann.“ Davon verstehst du nichts! Du kennst die Welt und die ” Menschen noch weniger als ich.“ ¨ bei Aber ich durchschaue sie besser als Sie. Ich spure ” Monsieur Costejoux ein großes Herz und einen großen ¨ Geist. Alle, die mir uber ihn berichten, best¨atigen mich in meinem Denken.“ Er gilt als hervorragender Mann, ich weiß. Wenn ich ” are, daß er es tats¨ sicher w¨ achlich ist! . . . Aber nein, ¨ mich nicht freisprechen; ich darf den Feind das wurde meiner Rasse nicht heiraten. Versprich mir, daß du mir Seite: 356
Nanon von George Sand Asyl gew¨ahrst, und am Tag nach deiner Hochzeit mit meinem Bruder werde ich von hier fortlaufen und zu euch kommen. Ich habe Ihnen nichts zu versprechen. Emilien wird, ” sobald er mein Gatte ist, mein Herr sein, und ich bin damit zufrieden, ihm zu gehorchen. Sie wissen, daß er ¨ glucklich are, Sie bei sich zu haben. Seien Sie von daw¨ her ruhig, und da Sie sicher sein k¨onnen, in Zukunft frei zu sein, denken Sie ohne Voreingenommenheit an die Gegenwart. Sehen Sie, wie Sie geliebt und verw¨ohnt ¨ werden, und wie glucklich Sie w¨ aren, wenn Sie es Ihrer ¨ Gesinnung nach sein durften.“ Vielleicht hast du recht“, antwortete sie. ” ¨ Ich werde daruber nachdenken, Nanon, doch gib mir ” dein Wort, daß du Costejoux nichts von meiner Liebe sagst.“ ¨ Ich gebe es Ihnen, doch geben Sie es mir sofort zuruck. ” ¨ bereiten, das er so sehr Lassen Sie mich ihm das Gluck verdient und ihn bewegen wird, noch mehr an Bered¨ samkeit aufzuwenden, um Sie zu uberzeugen.“ ¨ schon Nein, nein! Ich will nicht! Er ist mir gegenuber ” eingebildet genug. Sage ihm, ich h¨ atte dich im Ungewissen gelassen, denn im Grunde ist das die Wahrheit.“ Mit dieser Schlußfolgerung, die keine war, mußte ich mich bescheiden. Seite: 357
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3.26
3.26: Kapitel XXVI.
Kapitel XXVI.
W¨ ahrend des Mittagessens erwies sie mir auf so freimutige Art Freundlichkeiten, wie ich es noch nie bei ihr ¨ erlebt hatte, und sie sagte mir immer wieder, ich stunde zwar durch meine Herkunft unter ihr, sei jedoch an In¨ telligenz und Bildung ihr uberlegen. Monsieur Costejoux konnte sie jedoch nie dazu bringen, anzuerkennen und einzugestehen, daß die Dinge, die man durch Arbeit und Willen erreicht, mehr wert sind als die, welche der Zufall uns gibt. Sie bestanden so hartn¨ackig darauf, mich dazubehalten, daß ich noch einen Tag mit ihnen verbringen mußte. Sie waren so gut, und Louise zeigte sich so ¨ daß ich in ihrer Gesellschaft keinerlei liebenswurdig, Verdruß empfand; doch die Gewohnheit, zu handeln und mich mit anderen Dingen als mit Worten zu befassen, ließ mir die Zeit lang werden, und trotz des artlichen Abschieds von meinen Gastgebern war ich z¨ froh, den Wagen zu besteigen und zu uns nach Hause ¨ zuruckzukehren. Als ich dies unterwegs zu Dumont sagte, antwortete er: Warum sagen Sie nicht zu mir nach Hause, da Sie doch ” die Herrin des Hauses, die Besitzerin und auch die Dame sind, was immer das sein mag?“ Nein, mein Freund“, antwortete ich ihm nach einem ” ¨ Augenblick des Uberlegens. Ich will B¨auerin bleiben. Auch ich habe den Hochmut ” meines Geschlechts! Das ist eine Entdeckung, die ich durch Louise gemacht habe und die mir nie zuvor in Seite: 358
Nanon von George Sand den Sinn kam. Wenn, wie sie sagt, Emilien sich daran ¨ jemanden h¨ alt, erinnert, Marquis zu sein und mich fur der unter ihm steht, werde ich aus Freundschaft seine Dienerin bleiben; aber ich will keinen Mann heiraten, der mich wegen meiner Herkunft verachtet. Ich finde meine Herkunft gut! Meine Eltern waren ehrbar. Meine Mutter hatte Herz und Mut, alle haben es mir gesagt; mein Großonkel war ein heiliger Mann. Vom Vater zum Sohn, von der Mutter zur Tochter haben wir nach Leibeskr¨ aften gearbeitet und haben niemandem Unrecht ¨ getan. Es gibt nichts, woruber ich err¨oten k¨onnte.“ Diesen Gedanken hielt ich fest, und er gab mir ein gewisses Selbstbewußtsein, das ich noch nie zuvor empfunden hatte. Das war der Nutzen meiner Reise nach Franqueville. Louise schrieb, krakelig und wie eine Katze, ohne ein richtiges Wort, und sagte mir, mein Besuch habe ihr gut getan, und da sie sich dank meines ¨ Versprechens frei fuhle, sei sie zufrieden mit ihrer ge¨ genw¨ ihrer lieartigen Stellung und den Bemuhungen ¨ benswurdigen Gastgeber. Die Ereignisse in Paris, die Aufst¨ ande vom 1. April und 20. Mai fanden bei uns wie gewohnt einen verz¨ogerten Widerhall. Bis zum Juni verstand man nicht, was diese schweren K¨ampfe bedeuteten. Endlich begriff man, daß es aus war mit den Jakobinern und der Macht ¨ des Volkes von Paris. Die Bauern freuten sich daruber, und niemand bei uns bedauerte die Deportierten, außer mir, denn unter ihnen mußte es beherzte Leute geben wie Monsieur Costejoux, die geglaubt hatten, allein ihre Auffassung sei geeignet, Frankreich zu retten, und die ihre großherzigen Instinkte dem geopfert hatten, was Seite: 359
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¨ ihre Pflicht hielten. Ich empfand seinetwegen eisie fur ahrend mehrerer Wone gewisse Beunruhigung, und w¨ chen hielt er sich aus der Gegend fern, um in Vergessenheit zu geraten. Das kam seiner Liebe zugute, denn Louise schrieb mir, es st¨ore sie sehr, ihn nicht zu sehen, sie sei um ihn besorgt und ihm wirklich sehr zugetan. Das war, wie man sieht, nicht die große Leidenschaft, ¨ die jedoch aufrichtig. Sie dachte nicht daran, sich uber Rache der Reaktion zu freuen. Um sie in ihrer Einsamkeit zu zerstreuen, bot Madame Costejoux ihr an, mich ¨ zu besuchen; ich forderte sie nachdrucklich dazu auf, und an einem sch¨onen Sommertag im Jahre 95 kamen sie im Kloster an. Louise war einfach gekleidet und schien von ihren eitlen und falschen Vorstellungen abgekommen zu sein. Sie bewunderte ausgiebig die Sauberkeit, Ordnung und Bequemlichkeit, womit ich trotz der harten Zeiten das Kloster endlich hatte versehen k¨onnen. Die Inneneinrichtung war alles andere als luxuri¨os, doch hatte ich aus allem m¨oglichen einen Nutzen zu ziehen gewußt. Mit alten M¨obeln, die besch¨ adigt und vernachl¨assigt auf Speichern lagen, hatte ich es verstanden, wobei ich die keineswegs ungeschickten Arbeiter aus dem Dorf anleitete, das Haus mit einem aus der Mode gekommenen Mobiliar einzurichten, das jedoch sch¨oner war als der moderne Firlefanz. Aus dem Kapitelsaal hatte ich so etwas wie ein großes Besuchszimmer gemacht, sein ¨ geschnitztes Chorgestuhl war von der revolution¨aren Beschlagnahme als Plunder verschm¨aht worden, und dieser Holzschmuck mit seiner fein gearbeiteten Verkleidung, die einen Teil des Mauerwerks bedeckte, war Seite: 360
Nanon von George Sand sch¨on und unversehrt. Es kostete nichts, ihn in einem sauberen und gl¨anzenden Zustand zu halten. Die schwarzen Marmorplatten waren einwandfrei, ich hatte ¨ bei der Mariotte durchgesetzt, daß die Huhner nicht mehr hereinkamen, auch nicht in die anderen R¨aume des Erdgeschosses, denn das Zusammenleben mit Tie¨ ren geschieht eher aus Gleichgultigkeit als aus Notwendigkeit, und ich erinnerte mich, daß mein Großonkel ¨ duldete, was mich sie nicht in seiner a¨ rmlichen Hutte nicht davon abhielt, meine Tiere sehr gut aufzuziehen. Das Kloster war also vollkommen in Ordnung gebracht ¨ und wiederhergestellt, als Louise zuruckkehrte, und sie ¨ war uberrascht, es gepflegter und eindrucksvoller vorzufinden, als sie es in Erinnerung hatte. Ich hatte ihr Emiliens Zimmer vorbereitet, das sehr ¨ hergerichtet war, und auch meines hatte ich hubsch ¨ Madame Costejoux zurechtgemacht, die sorgf¨altig fur ¨ Obwohl die t¨aglichen Mahlsich dort sehr wohl fuhlte. zeiten mit Dumont und Mariotte karg waren, hatte ich ¨ mich doch genug um die Versorgung des Priors bemuht, der das gute Leben liebte, um zu wissen, wie man ein richtiges Diner anordnete und selbst zubereitete. Ich war in der Umgebung sehr beliebt und brauchte nur ein Wort zu sagen, und die J¨ ager und Angler waren sofort bereit, mir ihre sch¨onste Beute zu bringen; und alligkeit nie mißbrauchte, kosteten mich da ich ihre Gef¨ ¨ ¨ meine seltenen uppigen des Danks. Tage nur die Muhe Sie behaupteten, mir noch verpflichtet zu sein. ¨ ¨ Louise stellte daruber viele Uberlegungen an; sie schien im guten Sinne wach zu werden und wollte mir bei der Hausarbeit helfen, um mir, wie sie sagte, zu zeigen, Seite: 361
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daß man sie in Franqueville zu Unrecht wie eine Puppe behandelte. Doch sah ich wohl, daß sie nicht dazu geboren war, sich selbst zu helfen. Sie war ungeschickt, zerstreut und schnell ersch¨opft. Sie verstand nicht, daß ich Zeit hatte, so viele Dinge zu tun und auch noch alle Tage ein wenig mehr als am Vortag zu lesen und mich zu bilden. Du bist eine außergew¨ohnliche Person“, sagte sie zu ” mir, ich sehe, daß ich dich nicht verstanden und Mon” sieur Costejoux dich richtig beurteilt hat. Ich m¨ochte dein Geheimnis begreifen, warum du die Tage zu kurz ¨ Wenn ich plaufindest. Ich, ich kann sie nicht fullen. dere, besitze ich so viel Intelligenz wie jede andere, aber ich kann nicht alleine lernen; Gedanken kommen mir nur, wenn ich gesprochene Worte h¨ore und Antwort geben kann.“ Folglich“, sagte ich, brauchen Sie als Gatten einen An” ” walt, und sie werden es niemals besser treffen.“ Mit Dumont war sie bezaubernd, ohne Z¨ogern aß sie mit ihm, auch mit der Mariotte, die sie um Verzeihung bat, weil sie sie soviel ge¨ argert hatte. Sie war so lie¨ benswurdig, wenn sie wollte, daß man sie liebte, ohne ¨ are, es einem zuruckzuzahsich zu fragen, ob sie f¨ahig w¨ len. Sie geh¨orte zu den Menschen, die sich mit ein paar ¨ sch¨onen Worten und einem sußen acheln von wirkliL¨ cher Hingabe freisprechen lassen. Sie lief durchs Dorf und gefiel all denen, die sie einst ver¨argert hatte. Ich war wie die anderen, ich schenkte ihr mein ganzes Herz ¨ und verlangte nichts von ihrem. Ich war froh uber die ¨ gluckliche Ver¨anderung in ihren Launen und Umgangsformen. Wenn man nicht sehr liebevoll ist, dann ist es Seite: 362
Nanon von George Sand ¨ ¨ ein großes Gluck, liebenswurdig zu sein. Der Krieg mit Holland war beendet, der Frieden geschlossen. Ich hatte gehofft, Emilien sogleich wiederzusehen, und doch kam er nicht, wie er es mich hatte annehmen lassen. Dumont sagte mir, es k¨onne nicht angehen, daß die Sambre-et-Meuse-Armee an einen anderen Ort geschickt werde, wenn sie nicht bereits zu einem anderen Feldzug unterwegs sei. Trotz der ¨ Versp¨atungen und M¨ angel der Post hatten wir Gluck, alle Briefe Emiliens erhalten zu haben, und ich wollte nicht daran denken, daß sie mich einmal nicht mehr erreichen k¨onnten. Daher war meine Unruhe groß und schmerzlich, als ich drei furchtbare Monate lang auf sie verzichten mußte. Um mich zu beruhigen, erz¨ ahlte mir Dumont was immer ihm einfiel, aber ich merkte, daß auch er beunruhigt war. Wenn es m¨oglich gewesen w¨ are zu erfahren, wo Emiliens Regiment sich aufhielt, wir w¨ aren aufgebrochen, um ihn zu sehen und ihn nur kurz inmitten von Kanonenkugeln zu umarmen. Die Tage kamen und gingen, und die Stille war so grausam, daß ich sie kaum ertragen konnte. Wenn man jeden Morgen mit dem best¨andigen Gedanken der Hoff nung aufwacht, die sofort entt¨auscht wird, dann steigert sich die Ungeduld von Tag zu Tag. Vergeblich ¨ bemuhte ich mich, Zerstreuung in der Arbeit zu finden. ¨ Ich spurte, daß ich, sollte ich mein Lebensziel verlieren, weder die Arbeit noch das Leben weiterhin lieben k¨onn¨ den Prior te, und ich ging zu der Grabst¨atte, die ich fur aumen. In meihatte errichten lassen, um dort zu tr¨ nem Geist sprach ich mit dieser guten Seele, die mich ¨ hatte glucklich wissen wollen. Ich sagte leise: Mein ” Seite: 363
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guter, lieber Prior, wenn Emilien nicht mehr ist, dann m¨ochte ich nichts weiter, als ganz schnell zu Ihnen zu gelangen.“ Eines Abends saß ich am Grab, hatte den Kopf auf ¨ das Steinkreuz gestutzt, welches das Holzkreuz der ers¨ mich schw¨acher und ten Tage ersetzt hatte, und fuhlte trauriger als sonst. Bis dahin fand ich den Mut, mich ein wenig aufrecht zu halten, wenn ich mir sagte, ich ¨ wurde, w¨are Emilien tot, in kurzer Zeit an Kummer ¨ sterben. Davon war ich uberzeugt, aber als ich an all ¨ das Gluck dachte, das ich ihm zu geben gehofft hatte, da begann ich wie ein Kind zu weinen, die Wirklichkeit vermischte sich mit meinem Schmerz, ich sah all die ¨ meiner Vergangenheit und alle Tr¨aume von der Muhen ¨ ¨ So viele Sorgen, UberZukunft an mir voruberziehen. legungen, Erwartungen, Arbeit, Berechnungen und Ge¨ duld sollten also nicht zu einem guten Ende fuhren? Wozu sollten Arbeit und Wollen dienen, wozu sollte es gut sein, zu lieben, wenn eine feindliche Kugel in geringerer Zeit alles zerst¨oren konnte, als n¨otig war, mir mein Unheil vor Augen zu halten? Ich versuchte, mich dem Bild zuzuwenden, wo ich mich ¨ mit dem, den ich liebte, in einer besseren, sußeren und sicheren Welt vereinigte, aber von Natur aus war ich keine Mystikerin. Ich war Gott sehr ergeben und so ¨ fromm, wie meine Erziehung es mit sich brachte, fur das Unbekannte konnte ich mich nicht begeistern. Die ¨ himmlische Gluckseligkeit konnte ich mir nicht vorstellen, wie man es mich gelehrt hatte. Ich gestehe, sie a¨ ngstigte mich eher, als daß meine Sehnsucht geweckt wurde, denn ich konnte niemals verstehen, daß man in Seite: 364
Nanon von George Sand der Ewigkeit leben k¨onne, ohne etwas zu tun. In meinem Schmerz wurde ich mir der Tatsache bewußt, daß ¨ ich das Leben und die Dinge dieser Welt liebte, nicht fur ¨ das Objekt meiner Zuneigung, mich allein, sondern fur und ich war nicht f¨ ahig, mich mit der Hoffnung auf ein Leben im Jenseits zufrieden zugeben, solange ich meine ¨ hatte. Aufgabe im Diesseits nicht erfullt Ich wiederholte in Gedanken all die teuren unerbittlichen Einzelheiten dieser heiligen Aufgabe. Wie schade“, sagte ich mir, dies schon zu Beginn auf” ” zugeben, wo alles Hoffnung und Versprechen ist! Er w¨are so froh gewesen, seinen versch¨onerten Garten wiederzusehen, sein kleines, neu m¨obliertes Zimmer, seiaftigen Dumont, der von seiner nen alten und noch kr¨ verh¨angnisvollen Neigung geheilt ist, seine arme und stets heitere Mariotte, seine gesunden Tiere, seinen ge¨ pflegten Hund, seine wohlgeordneten Bucher.“ ¨ Und ich sah, sollte er nicht zuruckkehren, wie alles der Verwahrlosung und Unordnung anheim fiel. Ich dachte ¨ daran, was mit uns unterginge, selbst an meine Huhner und die Schmetterlinge, die im Garten keine Blumen ¨ anden, und ich weinte uber mehr f¨ diese Lebewesen, als w¨aren sie ein Teil von mir. W¨ahrenddessen lauschte ich st¨andig auf das geringste Ger¨ ausch, wie jemand, der auf den Tod oder auf das Leben wartet. Mitten im Weinen meinte ich, im Klosterhof eine ungewohnte Bewegung zu h¨oren. Mit zwei S¨atzen war ich da, zitternd und bereit, bei einer schlechten Nachricht tot umzufallen. Pl¨otzlich ert¨onte leise Emiliens Stimme, so als spr¨ ache er mit Behutsamkeit im Kapitelsaal. Seite: 365
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Seine Stimme. Das kann kein Irrtum sein. Er ist da und sucht mich nicht, spricht mit Dumont, erz¨ ahlt ihm etwas, was ich nicht verstehen kann. Nur diese Worte fange ich auf Hole sie und sage ihr noch nichts. Ich habe ” Angst vor dem ersten Augenblick!“ Vor was denn Angst haben? Was mußte er mir Schreckliches mitteilen? Meine Beine weigern sich, die Schwel¨ ¨ le zu uberschreiten. Ich beuge mich nach vorn, stutze mich ab am Gesims des Spitzbogens. Ich sehe ihn; er ist es; er steht da, und Dumont ordnet ihm seinen Man¨ tel uber den Schultern. Warum mitten im Sommer ein Mantel? Warum die Sorge, sich in Ordnung zu bringen, statt mir entgegenzueilen? Will er vor mir verber¨ gen, daß seine Offiziersuniform zerfetzt ist? Was flustert Dumont ihm ins Ohr? Ich will schreien: Emilien!“ In ” meiner Kehle verwandelt sich sein Name in ein langes ¨ Schluchzen; statt einer Antwort sturzt er auf mich zu, ¨ mich die Arme ge¨offnet . . . nein, einen Arm! Er druckt mit einem einzigen Arm an seine Brust! Der andere, der rechte ist bis zum Ellbogen amputiert, das war es, was man im ersten Augenblick vor mir verbergen wollte. ¨ Der Gedanke, wie sehr er hatte leiden mussen, vielleicht noch immer litt, bereitete mir heftigen Kummer, so als ¨ h¨atte man ihn mir halbtot zuruckgegeben. Ich vergaß alle Scham, ich bedeckte ihn mit Liebkosungen und ¨ Tr¨anen und schrie wie eine Verruckte: ¨ Schluß mit diesem Krieg, Schluß mit dem Ungluck! Sie ” gehen nicht mehr weg, ich will es nicht!“ ¨ den Krieg tauge“, Aber du siehst doch, daß ich nicht fur ” sagte er. Seite: 366
Nanon von George Sand Wenn du mich noch gut genug findest, dich zu lieben, ” ¨ immer nach Hause gekommen.“ so bin ich fur Als wir so weit waren, uns zu beruhigen und zu verst¨andigen, sagte er: Nun, meine geliebte Nanette, empfindest du nicht ge” ¨ ¨ Soldaten Ekel genuber einem armen, verstummelten ¨ und Verachtung? Ich bin genesen. Ich wollte erst zuruckkommen, als ich mir dessen sicher war, denn nach dem Frieden wurde ich drei Monate lang wegen der Verletzung behandelt, die ich beim ersten Gefecht davongetragen habe und die sich beim Hollandfeldzug durch alte verschlimmert hat, den ich jedoch mitmachen die K¨ wollte, obwohl ich den Arm in der Sch¨ arpe trug. Ich habe furchtbar gelitten, das ist wahr! Ich hoffte, meinen Arm zu behalten, damit ich arbeiten kann: unm¨oglich! Also habe ich zugestimmt, ihn mir abnehmen zu lassen, ¨ war, schrieb ich mit der und als die Operation gegluckt ahlich linken Hand an Dumont, damit er dich ganz allm¨ ¨ unterrichvon meiner Heilung und baldigen Ruckkehr tet. Anscheinend habt ihr meinen Brief nicht erhalten, ¨ und ich bereite dir eine grausame Uberraschung. Das ¨ ist eine weitere Prufung, die ich in mein Titelbuch eintragen muß, denn der Verlust meines Arms hat mich weniger geschmerzt als deine Tr¨anen.“ Es ist vorbei!“ sagte ich. ” Vergeben Sie mir, daß ich mit meiner Schw¨ache Ihnen ” diesen Augenblick verdorben habe, der der sch¨onste unseres Lebens sein sollte. Wenn Sie nicht mehr leiden, empfinde auch ich keinen Kummer, und wenn Sie diesen Arm ohne Leid verlieren konnten, so will ich zuSeite: 367
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¨ frieden sein, Ihnen kunftig ein wenig mehr zu dienen als in der Vergangenheit.“ Dessen war ich mir sicher, Nanon. Ich habe mir w¨ahrend ” der Operation gesagt, sie wird froh sein, mir zu dienen! ¨ zwei arbeiten lasse. Aber glaube nicht, daß ich dich fur Ich finde eine Aufgabe im Sitzen, ich mache Schreibarbeiten, entwickle Geschick mit meiner linken Hand, vielleicht bekomme ich eine kleine Pension, sp¨ ater, wenn man dazu in der Lage ist!“ Das haben Sie nicht n¨otig“, sagte Dumont augenzwin” ¨ ¨ Ihrer Wirtdie Rechnungsbucher kernd, Sie fuhren ” ¨ die Arbeiten, z¨ahlen die Garben . . schaft, uberwachen ¨ . und Ihre Einkunfte! Und wenn ich nicht mit Spaten und Heugabel umge” hen kann, hilfst du mir, S¨ acke und andere Lasten auf ¨ meine Schultern zu laden, denn gegen Muhsal bin ich ¨ abgeh¨artet und ich bin zehnmal st¨ arker als fruher. Im Ernst! Eure Gesch¨ afte stehen gut zur Zeit? Es macht Spaß, das Kloster zu sehen. Monsieur Costejoux muß ein paar Ausgaben get¨ atigt haben. Beabsichtigt er, hier zu wohnen?“ Nein“, sagte ich, Ihretwegen habe ich um Haus und ” ” Grundbesitz Sorge getragen, denn beides geh¨ort Ihnen.“ Mir?“ sagte er lachend. ” Wie ist das m¨oglich?“ Dumont teilte ihm die Wahrheit ” ¨ das gute Gedenken des Priors war mit, doch außer fur er nicht so empf¨anglich, wie Dumont es gerne gesehen ¨ h¨ atte, denn Dumont war glucklicher, ihm von unserem Reichtum zu berichten, als er, davon zu erfahren. Mich ¨ wunderte das nicht. Ich wußte, seine Gleichgultigkeit Seite: 368
Nanon von George Sand war eine Tugend, die fast schon ein Fehler war, aber so ¨ liebte ich ihn, und ich wußte, er wurde nach und nach die Vorteile der Sicherheit sch¨atzenlernen. Zun¨ achst war da fast nur Erstaunen, insbesondere, als er erfuhr, daß ich das Kloster gekauft hatte, bevor ich ¨ wußte, ob ich es uberhaupt bezahlen konnte, und da dies nun so war, besch¨ aftigte ich mich jeden Tag damit, etwas anderes zu kaufen. Doch da er eine gute Auffassungsgabe hatte, begriff er meine Pl¨ ane schnell und faßte Vertrauen. ¨ Du liebst die Muhen“, sagte er. ” Von Natur aus w¨are es mir lieber, etwas weniger an die ” Zukunft zu denken. Aber ich weiß, du wirst das Wunder vollbringen, daran zu denken, ohne daß die Gegenwart ¨ w¨are, und ich werde stets der Meidadurch weniger suß ¨ nung sein, wollen zu mussen, was du willst. Nimm mich ¨ wird sein, dir als deinen Verwalter, befiehl, mein Gluck zu gehorchen.“ ahlt Nachdem ich ihm lange von seiner Schwester erz¨ a chsten Tag, ihn vom hatte, verschoben wir es auf den n¨ Tod seines Bruders in Kenntnis zu setzen, denn wir ¨ merkten, daß er daruber nicht informiert war. Ich hatte ¨ keine Angst mehr davor, die Erlangung des Altestenrechts und des Marquistitels k¨onnten ihn ver¨andern; ¨ doch h¨atten Tr¨ anen unsere Freude getrubt, und auch wenn er seinen Bruder kaum gekannt hatte, so wollten ¨ wir ihn an diesem ersten Tag des Glucks nicht weiter traurig machen. Wie ich ihn ansah, als ich ihm im Licht beim Essen ge¨ Bei all dem war er sehr viel gr¨oßer geworgenubersaß! anger, seine Augen lagen tiefer. den! Sein Gesicht war l¨ Seite: 369
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Er hatte nichts mehr von einem Kind, es sei denn, dieses unschuldige L¨acheln, das seinen Mund immer so ¨ machte, und diesen guten, vertrauensvollen hubsch ¨ trotz ihrer geringen ReBlick, der seine Gesichtszuge ¨ gelm¨ mich, ihn so aßigkeit sch¨on machte. Es bedruckte mager und blaß zu sehen, ich merkte, daß er nicht aß und konnte nicht glauben, daß allein die Aufregung ihn daran hinderte. Solltest du dich meinetwegen sorgen“, sagte er, dann ” ” ¨ den Soldaten tust du mir weh. Bedenke, Nanon, daß fur ein auf dem Feld der Ehre verlorener Arm ein wichtiges ¨ Objekt des Stolzes ist und mein Ungluck mir Neider beschert hat. Andere, die sich ebenso gut geschlagen ha¨ ben wie ich, fanden, ich h¨ atte zu viel Gluck, und ich ¨ wegen meiner Verletzung und meines so schnell mußte erreichten Ranges um Verzeihung bitten. Ich hatte gute Aussichten voranzukommen, w¨ are ich nur ein klein wenig ehrgeizig gewesen, aber ich bin es nicht, das weißt du! Ich wollte nur meine Pflicht tun, und meine ’Taufe als Mann und Patriot erhalten. Ich weiß nicht, was die Zukunft Frankreich bringt. Ich verlasse eine Armee, die leidenschaftlich republikanisch ist, und gerade bin ¨ ich durch mein Land gereist, das der Republik uber¨ drussig ist. Was immer auch geschehen mag, ich blei¨ be bei meiner politischen Uberzeugung, aber ich wer¨ nicht hassen, gleich was sie tun. de meine Mitburger Mein Gewissen hat seine Ruhe gefunden. Dem Vaterland habe ich einen meiner Arme gegeben, doch nicht nur ihm, sondern auch der Sache der Freiheit in die¨ das ser Welt. Aber ich werde nicht mehr k¨ ampfen; fur ¨ Recht, ein Burger, Arbeitsmann, Familienvater zu sein, habe ich bezahlt; ich habe gebrochen mit allen BelanSeite: 370
Nanon von George Sand gen meines Geschlechts, das mir Flucht oder Konspira¨ tion verordnet hatte. Meinen Adel habe ich gesuhnt und ¨ Gleichmir meinen Platz an der Sonne der burgerlichen heit erobert, und sollte Frankreich auf die Gleichheit verzichten, so bewahre ich doch mein Recht auf moralische Gleichheit. Nun, Nanette“, sagte er, erhob sich vom Tisch, faltete ” sehr geschickt seine Serviette, um mir zu zeigen, daß er mit einer Hand auskam, die Nacht ist sch¨on und ” ¨ mich zum Grab des Priors. Ich will die Erde mild: fuhre ¨ kussen, die ihn bedeckt.“
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Kapitel XXVII.
Als wir den Friedhof verließen, bat er mich, mit ihm zum Fluß hinunterzugehen, und er versicherte mir, er sei ¨ nicht mude. Er wollte die alte Weide mit mir zusammen wieder sehen. Sie stellte, so sagte er, an den Tagen, wo ¨ er am meisten gelitten hatte, ein unverruckbares Bild ¨ mich, und ich bat ihn, einen Audar. So war es auch fur genblick zu warten. Ich lief und holte die getrockneten atter, die ich stets aufbewahrt hatte, und als wir am Bl¨ ¨ Fuße des Baumes waren, bat ich ihn, sie zu beruhren. Die Luft war lau, der Nachthimmel sternenklar, und der ¨ Fluß, der nicht viel Wasser fuhrte, atscherte so leise, pl¨ daß man ihn kaum h¨orte; er legte meine H¨ande auf sein Herz und sagte: Siehst du, Nanon, heute ist alles wie damals. Was ich ” hier versprochen habe, verspreche ich erneut. Niemals Seite: 371
George Sand
3.27: Kapitel XXVII.
will ich dir Schmerzen bereiten, und nie wird eine andere deinen Platz in diesem Herzen einnehmen!“ Ich berichtete ihm, daß ich immer an diesen Augenblick gedacht, an dieses Versprechen, das ich so gar nicht verstanden hatte, und das mich sp¨ater glauben ließ, ich aumt, doch w¨ ahrend meiner Krankheit hatte h¨atte getr¨ ich mich gesehen, wie ich bald mit einem Kranz aus atzchen von dieser alten Weide zur Hochzeit weißen K¨ ging, daß ich bald gestorben war und mit dem gleichen jungfr¨aulichen Kranz begraben wurde. Er wußte nicht, daß ich krank gewesen und mich in Todesgefahr befunden hatte. Ich hatte es ihm nicht schreiahlte, auf welche Weise ich ben wollen. Als ich ihm erz¨ den Tod des Priors entdeckt hatte, weinte er; und dann erz¨ ahlte ich ihm noch von Louise, und da er neugie¨ ¨ zu kennen, bekam rig war, ihre Gefuhle mir gegenuber ¨ ich Bedenken, ihn l¨anger daruber im unklaren zu las¨ sen, daß er Marquis war, und Louise wunschte, er m¨oge ¨ sich daran erinnern. Er war so freimutig und aufrichtig, daß er es sich nicht zur Pflicht machte, diesen Bruder zu bedauern, von dem er nur Zeichen ver¨achtlicher ¨ Gleichgultigkeit erhalten hatte, und was seinen Titel ¨ nur mit den als Marquis anging, so zuckte er daruber Schultern. Meine Freundin“, sagte er, ich weiß nicht, wie man ” ” ¨ heute in Frankreich uber diese alten Titel denkt. Ich komme gerade aus einer Umgebung, wo ihr Wert bereits so in Mißkredit geraten ist, daß ich, h¨atte man mich im Regiment als Marquis behandelt, gezwungen gewesen w¨are, mich zu schlagen und nicht zu gestatten, daß sich mit meinem Namen L¨ acherliches verbinde.“ Seite: 372
Nanon von George Sand Ihre Schwester glaubt“, sagte ich, daß diese Titel ” ” nichts von ihrem Wert verloren haben und der Tag kommt, bald vielleicht, wo man sie mit Begeisterung wieder annimmt. Sie glaubt sogar, daß die gegenw¨ arti¨ gen Republikaner, heute so stolz auf ihr Burgertum, zuvorderst Monsieur Costejoux, ihren Stolz hineinlegen werden, Namen und Titel der Gutsherrschaft anzunehmen, die sie gekauft haben.“ Alles ist m¨oglich!“ erwiderte mein Freund. ” Die Franzosen sind sehr eitel, und selbst die ernst” haftesten haben ein K¨ornchen Kinderei in sich. Vielleicht vergessen sie das viele Blut, das wir vergossen ¨ haben, um den Feind zuruckzudr¨ angen, der den alten Plunder wiederherstellen und uns die Monarchie mit ihren Grundherren und Privilegien, den Kl¨ostern ¨ und deren Opfern, zuruckgeben will. Du kannst meiner Schwester wohl verzeihen, kindisch zu sein, wenn ¨ selbst M¨ anner so wenig vernunftig sind. Was mich an¨ es mir nie verzeihen, so dumm und geht, ich wurde ¨ verruckt zu sein, einer beliebigen Mode meinen so teu¨ er erworbenen Burgertitel zu opfern. Kein Mensch wird mich je zwingen k¨onnen, einen anderen anzunehmen, da ich keinen ehrenwerteren als diesen kenne. Vergessen wir dieses Elend, Nanon! Ich bin hier vollkommen ¨ immer deinen Skrupeln und frei und hoffe, daß du fur dem Befremden von einst abgeschworen hast, als du dachtest, ein Adliger k¨onne keine B¨ auerin heiraten. ¨ Das ist im Gegenteil eine einfachere, ich wurde sagen, ¨ Verbindung als die zwischen Adel und fast naturlichere ¨ Burgertum. Diese beiden Klassen hassen einander zu sehr, und in der pers¨onlichen Frage, die das Volk l¨angst Seite: 373
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nicht so interessiert wie man glaubt, bleibt der Bauer neutral. Was er will, ist, von der alten Fronarbeit befreit ¨ immer zu bleiben, von Elend und Erpressung. Er ist fur frei von all dem, glaube mir! Der Bauer, das ist die große Zahl, und sie wird man nicht mehr einer Kaste opfern k¨onnen. Folglich tust du gut daran, denn du hast ja ¨ gute Gesch¨afte, bei deinen Pl¨ einen Sinn fur anen, von dem Vertrauen in die Zukunft der Erde auszugehen. Auch ich liebe die Erde, liebe sie um ihrer selbst willen, und wenn es n¨otig ist, sie zu besitzen, damit sie fruchtbar und heiter werde, so besitze sie! Ich gebe ihr den Arm, der mir geblieben ist, mein Nachdenken, meine Intelligenz und das Wissen, das ich erwerben kann, damit ich den H¨anden der anderen und deinem großen Fleiß all die Anstrengungen abnehme, die verzichtbar sind. Und nun, Nanon, laß uns den Zeitpunkt, laß uns den Tag unserer Hochzeit festlegen. Wie du siehst, habe ich keine Bedenken, mich dir anzutragen, auch wenn ich kein Verm¨ogen und nur einen Ann habe. Ich weiß, man ¨ hat auf dem Lande große Furcht vor der Verstummelung. Wenn sie in der Armee auch große Ehre bedeutet, so ist es in unserer b¨auerlichen Vorstellung beinahe eine Herabsetzung, zumindest eine Unterlegenheit, die ¨ man respektieren kann, jedoch stets beklagt; demutigt ¨ es dich, daß man nicht eifersuchtig ist auf dich und ¨ auf dich du h¨oren wirst, daß du eine schwere Burde ahlen, der dir nimmst, statt einen guten Arbeiter zu erw¨ Ehre und Nutzen bringt?“ Die Leute von hier sind besser“, antwortete ich; sie ” ” werden nichts sagen. Sie lieben und achten Sie. Sie ¨ ist als hunbegreifen, daß ein guter Kopf nutzlicher ¨ dert Arme, und wenn man, um glucklich zu sein, EiSeite: 374
Nanon von George Sand ¨ fersuchtige braucht, was ich nicht glaube, so werden ¨ mich beneiden, zweifeln Sie selbst die Hochmutigsten daran nicht. Was ich an Ihnen liebe, ist nicht der mehr oder weniger eifrige Arbeiter, sondern Ihr großes Herz ¨ und Verstand. Ihre Freundund Ihr großer Geist. Gute schaft, die ebenso sicher und treu ist wie die Wahrheit . . . Ich gestehe Ihnen, gez¨ogert zu haben. Als ich den Ort ¨ der Farblosen verließ, war ich verruckt, eher entsetzt als zufrieden, und doch hatten Sie noch beide Arme! Ich hatte, glaube ich, die Vorstellungen eines Bauern, der gerade erst von der Leibeigenschaft befreit wurde. Ich ¨ Sie in der Wertsch¨atzung der anderen herfurchtete, abzusetzen und eines Tages vielleicht in Ihrer eigenen. Ich habe viel gelitten, denn ganze Monate lang habe ich ¨ ¨ versucht, ich musse mich davon zu uberzeugen auf Sie verzichten.“ ¨ Du wolltest also mein Ungluck?“ ” Warten Sie! Nicht deshalb wollte ich Sie verlassen, ich ” ¨ h¨ atte mich Ihrem Gluck auf andere Weise gewidmet! Doch lassen Sie mich diesen t¨odlichen Kummer vergessen, von dem ich mich langsam dank meines Willens erholt habe. Als ich den Plan entwarf, reich zu werden, und Monsieur Costejoux mir gezeigt hat, daß es m¨oglich ist und mir die Mittel dazu erleichtert hat, als ¨ des Priors mich instand gesetzt, meidie Großzugigkeit ne Kraft zu erproben und zu sehen, daß es gelingen ¨ k¨onnt, Ihnen nutzlich zu sein, anstatt Ihnen zur Last ¨ wie nichtig Louizu fallen, als ich schließlich spurte, ¨ ses Ideen sind und gute Grunde kennen lernte, sie zu bek¨ampfen, die Monsieur Costejoux mir genannt hat, da faßte ich Vertrauen; in mir wuchs so etwas wie Stolz, Seite: 375
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¨ und nun fuhle ich, daß ich mich niemals mehr dessen sch¨amen werde, was ich bin. Wenn Sie Gewissensruatzung Ihrer selbst dadurch he und die rechte Wertsch¨ ¨ Ihr Land und seine gewonnen haben, daß Sie viel fur Freiheit gelitten haben, so habe ich die gleichen inneren ¨ Freuden erlangt, weil ich alles getan habe, was mir fur Sie und Ihre pers¨onliche Freiheit zu tun m¨oglich war.“ Und du hast, wie immer, recht“, rief er und knie” te vor mir nieder; ich erkenne, daß Schlichtheit, der ” ¨ um die H¨ ande Arbeit und Ehrlichkeit nicht genugen, Unabh¨ angigkeit zu sichern, wenn nicht Sparsamkeit das Nachdenken, die geistige T¨ atigkeit und die Anwendung der Intelligenz erlaubt. Du siehst wohl, Nanon, du bist meine Wohlt¨aterin, denn dir verdanke ich das Le¨ ist von einer großen Liebe, ben meiner Seele, die erfullt wenn materielle Sicherheit nicht v¨ollig unabdingbar ist, so ist sie doch darum nicht weniger von hohem Preis ¨ und unendlicher Suße. Dies ist mir sicher, ich habe es ¨ nicht, ich k¨onnte jemals dir zu verdanken, und furchte vergessen, daß ich dir alles schulde.“ Und als wir auf diese Weise plaudernd am Gatter der Weide angelangt waren, sagte er: Erinnerst du dich, daß wir uns vor sieben Jahren hier ” zum ersten Mal gesehen haben? Du hattest ein Schaf, und es sollte der Beginn deines Verm¨ogens sein; und ich besaß nichts und sollte niemals etwas besitzen. Ohne dich w¨are ich ein Idiot oder Vagabund geworden, mitten in dieser Revolution, die mich auf die Straße geschleudert hat, ohne daß ich einen Begriff vom Leben und der Gesellschaft hatte, oder aber nur einen dumpfen, unheilvollen Begriff vielleicht! Du hast mich vor der Seite: 376
Nanon von George Sand Erniedrigung und sp¨ ater vor Schafott und Verbannung gerettet; mein einziges Verdienst ist, das verstanden zu haben!“ ahe des Friedhofs; vor der Heimkehr Wir waren in der N¨ wollte er in der Dunkelheit noch das Grab des Priors ¨ beruhren. Mein Freund“, sagte er zu ihm, h¨oren Sie mich? Wenn ” ” Sie mich h¨oren k¨onnen, so sage ich Ihnen, daß ich Sie allezeit liebe und Ihnen danke, Ihre beiden Kinder ge¨ segnet zu haben, ich schw¨ore Ihnen, die glucklich zu machen, die Sie mir als Frau zugedacht haben.“ Er bat mich noch, den Tag unserer Hochzeit zu bestimmen. Ich antwortete ihm, daß wir zu Monsieur Coste¨ joux gehen und ihn darum bitten mußten, ihn so bald als m¨oglich festzusetzen. Emilien r¨ aumte ein, daß wir einem so ergebenen Freund diesen Akt der Ehrerbie¨ ¨ tung schuldeten. Im ubrigen wunschte er lebhaft, ihn zum Schwager zu haben und bildete sich ein, Louise zur Heirat bewegen zu k¨onnen. Am n¨achsten Tag brachen wir auf. Als wir in den Park von Franqueville gelangten, erblickten wir Monsieur Costejoux, wie er uns mit ausgebreiteacheln entgegeneilten Armen und einem zufriedenen L¨ te; aber fast gleich danach verriet seine Anspannung sein Wollen: er wurde sehr blaß, und in seinen Augen schimmerten Tr¨anen. Mein Freund, mein lieber Freund“, sagte Emilien, der, ” wie auch ich, die Ergriffenheit unseres Gastgebers sei¨ nem armen, verstummelten K¨orper zuschrieb, bekla” gen Sie mich nicht: sie liebt mich, sie akzeptiert mich, Seite: 377
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¨ und wir kommen, um Sie um Ihren bruderlichen Segen zu bitten.“ Costejoux wurde noch blasser. Ja, ja“, erwiderte er, so ist es! Es ist der Anblick dieser ” ” entsetzlichen Folge des Krieges! Ich wußte es, Dumont hat es mir anvertraut, und dennoch, als ich Sie in dieser Weise kommen sah . . . Aber wir sprechen von Ihrem ¨ ¨ kunftigen wann soll die Hochzeit sein?“ Gluck: Sie sollen entscheiden“, sagte ich. ” ¨ zur gleiWenn wir noch warten sollen, um unser Gluck ” chen Zeit wie das Ihre zu feiern . . .“ ¨ Er schuttelte den Kopf und unterbrach mich: Ich hatte gewisse Pl¨ane . . . auf die ich verzichten muß, ” und dies ohne Verdruß. Lassen Sie uns auf dieser Bank ¨ ¨ rasten. Ich fuhle mich sehr mude, in der letzten Nacht habe ich viel gearbeitet und bin am Morgen weit gelaufen . . .“ Sie leiden oder haben einen großen Kummer“, sagte ” Emilien und nahm seine H¨ande. Ihre Mutter. . .“ ” Gut, sehr gut, meine Mutter! Sie werden sie sehen.“ ” Und Louise? . . .“ ” Ihre Schwester. . . gleichfalls sehr gut; doch Sie werden ” sie hier nicht sehen. Sie ist . . . abgereist.“ Abgereist! . ” . . Wohin? Wie?“ Mit ihrer alten Verwandten, Madame de Montifault aus ” der Vendee, einer unvers¨ohnlichen Chouanne! Beauf¨ Louise zu wachen, doch tragt von Ihren Eltern, uber Seite: 378
Nanon von George Sand lange Zeit verhindert durch die lobenswerte Aufgabe, ¨ fortVerschw¨orungen anzuzetteln und den Burgerkrieg zusetzen, ist es ihr endlich gelungen, ihr Schlupfloch zu verlassen; und gestern abend kam sie, um Louise abzuholen, und Louise ist mit ihr gegangen.“ Ohne Widerstand?“ ” Und ohne Bedauern! An Ihnen ist es also, zu bedau” ern, sie heute nicht in Ihre Arme schließen zu k¨onnen, vielleicht auch nicht so bald . . .“ Ich hole sie! Wo immer sie sein mag, ich finde sie, brin” ¨ ¨ ge sie zuruck. Ich bin vollj¨ahrig, sie ist mein Mundel, sie untersteht allein mir. Ich will nicht, daß sie unter R¨aubern lebt.“ Wir haben Frieden, mein Freund, dieser ganze Haß ” ¨ muß ein Ende finden; ich bin es mude und fordere Sie auf, Ihrer Schwester die Freiheit des Handelns und Denkens zu gew¨ahren. In ein paar Monaten wird sie zwanzig; noch ein Jahr, und sie hat das gesetzliche Recht, zu leben, wo es ihr gef¨allt, so wie sie bereits das moralische Recht hat, zu denken, was sie will, zu ¨ richtig h¨ hassen und zu verstoßen, wie sie es fur alt. ¨ die Freiheit gelitten und gek¨ampft, mein Wir haben fur Kind, jeder nach seinen Kr¨ aften. Wir sollten die Gewissensfreiheit achten und anerkennen, daß alles, was in den Bereich des Glaubens geh¨ort, sich uns entzieht.“ Sie haben recht“, erwiderte Emilien, und wenn meine ” ” Schwester sich dessen bewußt ist, was sie getan hat, als sie Ihr Haus verließ, so will ich sie ihren Vorurtei¨ len uberlassen. Doch sind diese vielleicht nicht so eingefleischt, wie Sie meinen. Vielleicht glaubte sie, dem Seite: 379
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¨ Letzten Willen Ihrer Eltern gehorchen zu mussen, vielleicht ist sie in der Tiefe ihrer Seele gar nicht undank¨ bar, und da sie in das Alter kommt, wo sie uber sich selbst entscheiden kann, wartet sie nur auf diesen Augenblick und auf meine Billigung, um . . .“ Nein! Niemals!“ erwiderte Costejoux und erhob sich: ” Sie liebt mich nicht - und ich, ich liebe sie nicht mehr! ” Ihr Eigensinn hat meine Geduld ersch¨opft, ihre K¨alte meine Seele vereist! Ich gestehe, darunter gelitten zu haben; ich habe eine schreckliche Nacht hinter mir, aber ich habe Vernunft angenommen, habe mich gefaßt und wiedergefunden. Ich bin ein Mann, ich hatte Unrecht zu glauben, die Frau habe etwas. Verzeihen Sie, Nanette, Sie sind eine Ausnahme . . . Vor Ihnen kann ich sagen, was ich von den anderen halte.“ Und Ihre Mutter!“ rief ich. ” Meine Mutter! Ebenso eine Ausnahme. Es gibt zwei, ” ¨ und daruber hinaus kenne ich keine. Doch lassen Sie uns zu ihr gehen, dieser lieben Mutter; sie weint um Louise! Sie weint! Es erleichtert sie. Helfen Sie mir, sie zu zerstreuen, zu beruhigen, denn besonders meinetwegen ist sie besorgt, und mich entlastet eines, Louise ¨ h¨atte sie nicht glucklich gemacht, sie liebte sie nicht und wird niemals irgend jemanden lieben.“ ¨ weniger unwurdig ¨ Erlauben Sie mir, meine Schwester fur ” zu halten!“ antwortete Emilien leidenschaftlich. Ich reise, ich will sogleich abreisen. Ich vertraue Ihnen ” ¨ Nanette an. Morgen bin ich zuruck; meine Schwester kann noch nicht weit sein, wenn sie gestern Abend erst Seite: 380
Nanon von George Sand aufgebrochen ist. Sagen Sie mir, welchen Weg sie nehmen mußte.“ Es ist sinnlos! Denn das Opfer ist erbracht . . .“ Nein, ” ” dem ist nicht so.“ Emilien, lassen Sie mich genesen. Ich m¨ochte sie lieber ” nicht wiedersehen.“ Sollte sie wirklich undankbar sein, so werden Sie ge” ¨ mich, die wir ein hinge¨ Sie wie fur nesen, denn fur bungsvolles Herz haben, ist Undankbarkeit unverzeihlich und widerw¨artig. Sie sind ein Mann, Sie haben es gesagt, und ich weiß es. Verhalten Sie sich nicht wie ein ¨ bis zum Schluß. schwacher Mann. Seien sie großmutig Akzeptieren Sie die Reue, sofern es welche gibt, und sollten Sie sie nicht mehr lieben, so vergeben Sie ihr ¨ die Ihnen angezumindest mit der Milde und Wurde, ¨ meine Person kann nicht dulden, messen sind. Ich fur daß sie Sie verl¨ aßt, ohne Ihre Vergebung empfangen zu ¨ mich eine Frage der Ehre. Adieu, gehaben, das ist fur ben sie mir die Informationen, die ich brauche, um sie zu finden, das verlange ich von Ihnen! Emilien war trotz seiner gew¨ohnlichen Sanftheit und Geduld so entschieden bei diesem Ruf der Pflicht, daß Monsieur Costejoux nachgeben und ihm den Weg in die Vendee, den Louise und Madame de Montifault genom¨ men hatten, erkl¨ aren mußte. Er kußte mich, bestieg den Wagen, der uns hierhergebracht hatte und brach auf, ohne unter dem Dach seiner V¨ater geweilt, ohne auch nur einen Blick darauf geworfen zu haben. ¨ ¨ den GemutsEs gelang mir, Madame Costejoux uber zustand ihres Sohnes zu beruhigen; er selbst brachte Seite: 381
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es w¨ ahrend des Essens fertig, sie glauben zu lassen, ¨ und zerschlagen, jedoch v¨ollig ruhig und er sei mude ¨ mit gelassener in der Lage, Louise, k¨ame sie zuruck, ¨ Gleichgultigkeit wieder zusehen. Er war dermaßen beherrscht, daß es ihm gelang, auch ¨ ¨ mich zu uberzeugen. Fruhzeitig verließ er uns, sagte, ¨ ¨ er fiele fast um vor Mudigkeit, und sobald er uber seinen Kummer und Zorn geschlafen habe, werde er nicht mehr daran denken. Madame Costejoux bat mich, die Nacht in ihrem Zim¨ mer zu verbringen. Es dr¨ angte sie, uber Louise zu spre¨ chen sowie uber die unerh¨orte H¨arte der alten Dame aus der Vendee, ihren arroganten Ton, ihre Verachtung und Dreistigkeit, gegen die aufzubegehren Louise, verwirrt und gel¨ahmt wie sie war, nicht den Mut gehabt hatte. Und doch“, sagte ich, liebt Louise Ihren Sohn, sie hat ” ” es mir anvertraut, und nun verrate ich Ihnen, um ihr gerecht zu werden, ihr Geheimnis.“ Sie liebte ihn“, erwiderte sie, ja, ich habe es auch ” ” ¨ und bald wird gedacht; doch nun err¨otet sie daruber, sie ihre Liebe in diesem Land der Priester beichten, als w¨are sie ein Verbrechen. Um die Schande abzuwaschen, wird sie Buße ablegen. So dankt ihr Herz uns die Wohltaten, Z¨artlichkeiten, Geschenke und Sorgen. Ach, mein armer Sohn! M¨oge er durch diese Verachtung geheilt werden!“ Seufzend schlief sie ein; ich konnte kein Auge schließen. Ich fragte mich, ob tats¨achlich Verachtung von der Seite: 382
Nanon von George Sand Leidenschaft heile: ich wußte es nicht! Ich hatte keinerlei Erfahrung. Diese qualvolle Notwendigkeit, eine geliebte Person zu verachten, hatte ich nie kennen gelernt. Die Seele eines erregten Mannes, wie Monsieur Costejoux es war, blieb mir ein R¨ atsel. Ich bemerkte an ihm so gewaltige Gegens¨ atze! Ich dachte an die Strenge, ja sogar H¨arte im politischen Verhalten, und gleichzeitig sein großherziges Mitleid mit den Opfern; sein Haß ¨ gegen den Adel und diese Liebe zu Louise stellten fur mich einen unverst¨ andlichen Wankelmut dar.
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Kapitel XXVIII.
Gegen zwei Uhr morgens, ich war gerade dabei, einzunicken, rief Madame Costejoux im Traum, mit einem Ausdruck von Verzweiflung, laut den Namen ihres Sohnes. Ich glaubte, sie aus diesem b¨osen Traum herausholen ¨ zu mussen. Ja, ja“, sagte sie und richtete sich auf, es ist ein Alp” ” traum! Ich tr¨aumte, daß er von einer hohen Klippe ins ¨ Meer sturzt. are es, nicht zu schlafen!“ Besser w¨ Doch da sie die vorangegangene Nacht hindurch mit ¨ ihm uber ihre gemeinsamen Sorgen geredet hatte, ließ ¨ sie sich aufs Kopfkissen zurucksinken und schlief erneut ein. Einige Augenblicke sp¨ ater sprach sie wieder, und neben unverst¨ andlichen Worten fing ich dieses, in flehendem Ton gesprochene Gebet auf: Helft ihm, gebt ihn nicht auf!“ ” achtigte sich meiner. Eine abergl¨ aubische Furcht bem¨ Seite: 383
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3.28: Kapitel XXVIII.
Wer weiß“, sagte ich mir, ob diese arme Mutter nicht ” ” die Auswirkungen irgendeiner großen Gefahr erleidet, in der ihr Sohn sich befindet? Vielleicht ist er in einer verzweifelten Krise? Und wenn er in eben diesem Augenblick, wo wir glauben, er schliefe, von einem selbstm¨orderischen Wahn befallen w¨are?“ Ein Fenster unterhalb des unseren wurde ge¨offnet. Ich sah Madame Costejoux an, sie zitterte, wachte jedoch nicht auf. Ich hielt den Atem an und lauschte, im Zimmer von Monsieur Costejoux h¨orte ich Schritte; er ruh¨ te also nicht? Einer ziellosen, jedoch unuberwindlichen Unruhe ausgeliefert, kleidete ich mich hastig an und ¨ ging leise hinunter. Ich hielt mein Ohr an seine Tur. Alles war wieder still geworden. Ich wollte gerade hinaufgehen, als ich h¨orte, wie jemand im Erdgeschoß hin ¨ die man und her ging. Ich ging hinab bis zur Gartentur, eben ge¨offnet hatte. Ich blickte zum Park und sah, wie Monsieur Costejoux hineinging. Entschlossen, ihn zu beobachten und zu bewachen, folgte ich ihm. Er lief mit großen Schritten, gestikulierte wie ein Redaherte mich ihm, aber er ner, sprach jedoch nicht. Ich n¨ merkte es nicht; sein verwirrter Blick erschreckte mich, die tief liegenden, aber gl¨anzenden Augen schienen Dinge oder Wesen zu sehen, die ich nicht sah. War es eine Angewohnheit, derart seine F¨ alle zu erarbeiten, oder handelte es sich um einen Anfall von Wahnsinn? Er ging bis zum Ende des Parks, der in einer senkrecht abfallenden Terrasse oberhalb eines in einer tiefen Schlucht dahinfließenden schmalen Flusses auslief, und an dieser gef¨ahrlichen Stelle fuhr er fort zu gestikulieren, ging ¨ er nicht, bis an den steil abfallenden Rand, als wußte Seite: 384
Nanon von George Sand wo er sich befand. Auf die Gefahr hin, ihn bei einer geistigen, vielleicht segenbringenden T¨ atigkeit zu unterbrechen, lief ich rasch zu ihm hin, faßte ihn am Arm und zwang ihn, sich umzudrehen. ¨ Was ist denn?“ rief er uberrascht, so als h¨ atte man ihn ” erschreckt. Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?“ Schlafen Sie ” ” denn im Gehen?“ sagte ich. Wußten Sie nicht, wo Sie waren?“ ” Ja“, sagte er, das passiert mir zuweilen. Es ist kein ” ” ¨ hnlich . . . Es liegt in richtiges Nachtwandeln, aber so a der Familie, meinem Vater erging es ebenso, wenn er an einem schwierigen Fall arbeitete.“ Und der Fall, an dem Sie jetzt arbeiten?“ ” Ist ein verlorener Fall. Ich habe mir vorgestellt, zu einer ” Versammlung von Chouans zu sprechen, von der ich ¨ und die meinen Tod wollte. SeLouise zuruckforderte, hen Sie! Mein Leben ist gerettet, weil Sie mich am Rande des Abgrunds geweckt haben; aber sie werden mir Loui¨ Ich habe vor Steinen pl¨ se nicht zuruckgeben. adiert!“ So haben Sie getr¨ aumt? Ist das wahr? Sie hatten keine ” b¨ose Absicht?“ Was wollen Sie damit sagen?“ ” Und da ich es nicht wagte, meinen Gedanken auszu¨ sprechen, bemuhte er sich, ihn zu erraten. Er fand sogleich seinen vollen Verstand wieder und erwiderte, wobei er meine Hand nahm: Seite: 385
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3.28: Kapitel XXVIII.
¨ einen Verruckten ¨ Gute Nanon, Sie hielten mich fur ” oder Feigling! Wieso sind Sie hier? Die Arbeiter sind noch nicht aufgestanden, und der Tag bricht gerade an.“ Deshalb habe ich mir Sorgen gemacht, als ich h¨orte, ” wie Sie das Haus verließen.“ Sie haben also nicht geschlafen? Macht auch meine ” Mutter sich Sorgen?“ Nein, sie schl¨ aft.“ ” Arme Mutter, dies ist eine Wohltat ihres Alters! Sie hat ” alen.“ Glaunicht mehr die Kraft, sich all zu sehr zu qu¨ ” ben Sie das nicht! Sie schl¨ aft ziemlich schlecht; gerade hat sie getr¨aumt, daß sie von einer Klippe ins ¨ Meer sturzen. Deswegen habe ich Angst bekommen, und das war gut so. Sie h¨atten sich gerade umbringen k¨onnen.“ ¨ mich gewesen.“ ¨ Das w¨are ein Gluck fur ” ¨ Sie? Glauben Sie, an Kummer zu sterben, sei Und fur ” ¨ suß?“ Nanon, ich will mich nicht t¨oten! nein! Um meiner Mut” ter willen werde ich den Schrecken und die Qual des Lebens ertragen. Liebe, arme Frau, ich weiß wohl, ich ¨ wurde sie mit mir t¨oten! Sehen Sie, es gibt so etwas wie ein geheimes Band zwischen den Bewegungen meiner Seele und den Tr¨aumen ihres Schlafs! Ach! Ich w¨are ein elender Mensch, bek¨ampfte ich nicht die Anziehungs¨ er einen Zauber kraft des Selbstmords, und doch ubt auf mich aus, fasziniert und bet¨ort mich; er zieht mich Seite: 386
Nanon von George Sand an, ohne daß ich darum weiß! Inwieweit hat mein ei¨ gener Traum mich zum Rande des Abgrunds gefuhrt? Verlassen wir schnell diesen verfluchten Ort. Gestern morgen bin ich hierher gekommen. Ich schlief nicht, ich ¨ Wasser, das sich zu unsebetrachtete dieses blaugrune ¨ ren Fußen dahinschl¨angelt. Ich sagte mir: Dort ist das ” Ende meines Martyriums. Voller Schrecken ging ich weg von hier und dachte dabei an meine Mutter; ich komme nicht wieder hierher, das schw¨ore ich Ihnen, Nanon, ich werde das Leiden annehmen.“ ¨ ihn in den Teil des Gartens, den seine MutIch fuhrte ter beim Aufwachen von ihrem Fenster aus einsehen konnte, ich setzte mich mit ihm auf eine Bank und veranlaßte ihn zu einem Herzensbekenntnis. Wie ist es m¨oglich“, sagte ich, daß Sie eine so heftige ” ” Leidenschaft einen Verstand wie den Ihren beherrschen und verwirren ließen?“ ¨ Nicht nur das“, antwortete er, auch das ubrige, alles! ” ” In mir und um mich herum verf¨allt die Republik. Ja, ¨ ich fuhle es, wie sie in meiner erkalteten Brust stirbt; mein Glaube verl¨ aßt mich!“ Warum nur?“ sagte ich. ” Leben wir denn nicht mehr in der Republik, und ist ” nicht das Zeitalter des Friedens, das Sie ertr¨ aumt, das ¨ ¨ Sie verkundet haben, angebrochen? Uberall haben wir gesiegt, unsere a¨ ußeren Feinde bitten uns um Frieden, die inneren sind bes¨anftigt. Mit der Freiheit kehrt das ¨ Wohlsein zuruck.“ ¨ Ja, es sieht so aus, als sei das Vergeltungsbedurfnis ” gestillt und als betr¨aten wir eine neue Welt, wo der DritSeite: 387
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3.28: Kapitel XXVIII.
te Stand sich mit dem Adel auss¨ohnt, wo innen und ¨ außen Frieden herrscht. Doch diese Ruhe ist trugerisch und dauert nur einen Tag. Das monarchistische Europa wird unsere Unabh¨ angigkeit nicht hinnehmen, die b¨osen Parteien konspirieren, der Dritte Stand, befriedigt von seiner errungenen Wichtigkeit, versinkt in Schlaf. Schon ist er bestochen, er verzeiht, streckt dem ¨ fft den Adel nach, verkehrt Klerus die Hand entgegen, a mit ihm, die Frauen dieser Rasse schlagen uns in ihren Bann, angefangen bei mir, der ich verliebt bin in eine Franqueville, deren Vater ich gehaßt und verachtet habe. Sie sehen also, wie alles sich aufl¨ost und der revolution¨are Elan am Ende ist. Ich habe die Revolution ¨ sie h¨atte ich mir mit meigeliebt wie eine Frau. Fur nen eigenen H¨anden die Eingeweide herausgerissen; um ihretwillen war ich stolz genug, den Haß ihrer Feinde zu ertragen. Ich bot sogar dem dummen Entsetzen des Volkes die Stirn. Die Begeisterung verl¨aßt mich, der Ekel hat sich meiner bem¨ achtigt, als ich das Nichts und die B¨osartigkeit aller Menschen sah, und da habe ¨ ich mir gesagt, daß wir alle unserer Mission unwurdig sind und von unserem Ziel weit entfernt. Kurzum! Es war ein Versuch, und er wurde abgetrieben, nichts weiter! Die Franzosen wollen nicht frei sein, sie err¨oten bei dem Gedanken, gleich zu sein. Sie legen sich die Ketten, die wir gesprengt haben, wieder an, und wir, die wir sie befreien wollten, wir werden verkannt und ¨ unseren verflucht, sofern wir uns nicht gar selbst fur Mißerfolg bestrafen, uns selbst verfluchen und von der ¨ abtreten!“ Weltbuhne Ich sah, wie viel Mutlosigkeit und Bitterkeit sich durch den Sturz der Jakobiner in dieser leidenschaftlichen Seite: 388
Nanon von George Sand Seele angesammelt hatte, die das Schicksal ihres Landes nicht mehr verstehen konnte, das nun anderen H¨anden anvertraut war, und die die Hoffnung nicht wie¨ ihn war Geduld einem Gesch¨aft der finden konnte. Fur gleich. Als Mann der Tat und der spontanen Bewegung verstand er es nicht, sein Ideal in dem Augenblick zu bewahren, wo seine Verwirklichung nicht unmittelbar und unwiderruflich bevorstand. Als armes, unwissendes M¨adchen mußte ich ihm aufzeigen, daß nicht alle großen Anstrengungen seiner Partei verloren waren, und eines Tages, vielleicht bald, die aufgekl¨ arte Weltsicht teilh¨ atte am Tadel und ebenso an der Dankbarkeit. Um ihm dies aufs beste zu verdeutlichen, sprach ich viel vom sicheren Fortschritt des Volkes und dem großen Elend, aus dem die Revolution es befreit ha¨ mich, auf meine alte Kritik am Terror be. Ich hutete ¨ zuruckzukommen: er war mehr noch als ich durch¨ das er angerichtet hatte. Ich wies drungen vom Ubel, ihn auf die guten Seiten hin, auf den großen patriotischen Schwung, den der Terror bewirkt habe, auf die durch ihn aufgedeckten Verschw¨orungen. Wenn ich schließlich eine gewisse Beredsamkeit aufbrachte, um ¨ so, weil ich in meine Rede das Feuer ihn zu uberzeugen, ¨ und die Uberzeugungskraft legte, die Emilien in mein Herz gesenkt hatte. Angesichts dieser großen Hingabe meines Verlobten an sein Vaterland war ich weniger B¨ auerin und mehr Franz¨osin geworden. Monsieur Costejoux h¨orte mir sehr ernsthaft zu, und da er bemerkte, daß ich aufrichtig war, legte er Wert ¨ Dann kam er auf seinen auf meine Begrundungen. ¨ ¨ ¨ Arger gegenuber Louise zuruck, und nachdem er sich Luft gemacht hatte, ließ er sich durch meine Bitten Seite: 389
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3.28: Kapitel XXVIII.
¨ ¨ ruhren. Beinahe h¨atte ich ihm zu Fußen gelegen, damit er mir versprach, moralisch und physisch zu genesen, denn ich sah, daß er krank war. Der seltsame ¨ Zustand, in dem ich ihn gerade uberrascht hatte, war keineswegs normal, und es war auch nicht der Zustand eines gesunden Mannes. Ich erreichte, daß er so regelm¨ aßig essen und schlafen wollte, wie dies mit der Hast und der Dringlichkeit seines Berufes vereinbar war. Er schwor mir, wobei er meine H¨ ande fest zwischen ¨ den seinen druckte, die Gedanken an Selbstmord als ¨ eines guten Sohnes und Ehrenmannes unwurdig von sich zu weisen. Schließlich brachte ich ihn zu seiner ¨ ¨ er war sehr geruhrt Mutter zuruck, und folglich seinem Schicksal halb ergeben. ¨ Armer Costejoux! Louise war nicht immer glucklich. ¨ Sie weinte viel uber Emiliens Vorhaltungen. Sie h¨ atte schreiben wollen, um alle K¨ampfe ihres Herzens zum Ausdruck zu bringen und ihr Bedauern, ihre Dankbarkeit zu verstehen zu geben. Sie konnte fast nicht atte gerne selbst gesprochen; aber sie schreiben, sie h¨ ¨ wagte es nicht, sofort zuruckzukehren, und konnte ih¨ re Vorurteile nicht uberwinden. Sie beauftragte ihren Bruder, alles, was sie ihm sagte, weiterzugeben. Coste¨ ¨ Er uberwand joux rechnete nicht mit ihrer Ruckkehr. seinen Kummer, verbarg die Unzufriedenheit und zeigandlichen Hochzeitsfestes, das te anl¨ aßlich unseres l¨ im Kloster stattfand, eine bezaubernde Heiterkeit und ¨ gegenuber ¨ allen. große Herzensgute Er war oder schien geheilt; doch Louise hatte genug vom Elend, von der Gewalt und vielleicht von der Nichtigkeit derer, die sie um Asyl gebeten hatte. Seite: 390
Nanon von George Sand ¨ Eines Tages kam sie zuruck, fiel Madame Costejoux zu ¨ und wenige Wochen sp¨ Fußen, ater heiratete sie unseren Freund. Sie lebten in scheinbarer Eintracht und ohne sich ge¨ ¨ genseitig schwere Vorwurfe machen zu mussen. Doch erst auf die Dauer verstanden und vereinigten sich ihre Herzen. Sie hatten ein jeder ihren Glauben, sie den Priester und den K¨onig, er die Republik und Jean Jacques Rousseau. Er war noch immer verliebt in sie, sie war so sch¨on in ihrer katzenhaften Anmut; aber er konnte sie nicht ernst nehmen, und zuweilen war er in seinem Reden trocken und bitter, was zeigte, wie leer ¨ seine Seele war, statt wahrhaft glucklich und z¨artlich zu sein. Der Tod seiner Mutter vergr¨oßerte sein geis¨ tiges Unwohlsein. Er bemuhte sich von nun an, ein Verm¨ogen zu machen, um die eitlen Neigungen seiner Frau zu befriedigen, und heute ist er einer der reichsten M¨ anner im Land. Sie ist jung gestorben und hat ihm zwei bezaubernde T¨ochter hinterlassen, von denen die eine ihren Vetter Pierre de Franqueville, meinen a¨ ltesten Sohn, geheiratet hat. Und was uns angeht, so haben wir einen großen Wohl¨ stand erreicht, der uns erlaubt hat, unsere funf Kinder gut zu erziehen. Sie sind heute alle verheiratet, ¨ und wenn wir das Gluck haben, alle miteinander, einschließlich Frauen und Kindern, vereint zu sein, so ¨ ¨ ¨ die ganze Familie funfundzwanzig mussen wir fur Gedecke auflegen. Costejoux hat viel um seine arme Louise ¨ seine T¨ochter, die er anbetete, geweint, aber er lebte fur und das Ende seines Lebens verlief ruhiger. In seinem politischen Glauben war er jedoch nicht Kompromiss Seite: 391
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bereit. In dieser Hinsicht ist er, ebenso wie mein Gat¨ die Juli-Revolution haben sie te, jung geblieben. Uber sich keinen Illusionen hingegeben. Und die FebruarRevolution hat sie nicht befriedigt. Ich, die ich mich seit recht langer Zeit nicht mehr mit Politik besch¨ aftige ¨ habe ich keine Zeit ich habe ihnen nie widersprodafur chen, und auch wenn ich sicher gewesen w¨ are, ihnen ¨ gegenuber recht zu haben, so h¨atte ich doch nicht den Mut gehabt, es ihnen zu sagen, so sehr bewunderte ich die Festigkeit dieser der Vergangenheit zugeh¨origen ¨ und schw¨ armerisch, Charaktere, der eine ungestum ¨ der andere ruhig und unerschutterlich, die nicht alt wurden und mir stets reicher im Herzen und frischer in anner ihrer Vorstellungskraft zu sein schienen als die M¨ von heute. Im vergangenen Jahr habe ich den Freund meiner Jugend, den Gef¨ ahrten meines Lebens verloren, das reinste und gerechteste Wesen, das ich je gekannt habe. Stets habe ich den Himmel angefleht, ihn nicht zu ¨ uberleben, und doch lebe ich noch, weil ich glaube, meinen geliebten Kindern und Enkeln, die mich umge¨ ¨ ben, nutzlich zu sein. Ich bin funfundsechzig Jahre alt und brauche nun nicht mehr lange darauf zu warten, mich mit meinem Geliebten zu vereinigen. Sei ruhig“, sagte er zu mir als er starb, es kann nicht ” ” sein, daß wir lange getrennt sind, wir haben einander in dieser Welt zu sehr geliebt, um ohne den anderen ein neues Leben zu beginnen.“ Die Marquise de Franqueville starb im Jahre 1864 an Ersch¨opfung, sie hatte w¨ahrend einer Epidemie die Kranken ihres Dorfes gepflegt. Bis zu ihrem Tod war Seite: 392
Nanon von George Sand sie niemals krank gewesen, war stets aktiv, sanft und wohlt¨atig, wurde angebetet von ihrer Familie, ihren Freunden und Pfarrkindern, wie die alten Bauern im Zentrum Frankreichs noch immer sagen. Dank ihrer ¨ aftsfuhrung, klugen Gesch¨ der ihres Gatten und ihrer achtliches Verm¨ogen, das sie S¨ohne erwarb sie ein betr¨ immer in edelmutiger Weise nutzten, und sie gefiel sich darin zu sagen, sie habe mit einem Schaf angefangen. ¨ die Ich habe erfahren, daß sie durch Weisheit und Gute Abneigung der noch lebenden Verwandten ihres Gatten besiegt hat. Sie half denen, die in Not geraten wa¨ ren, und ging so behutsam mit den Ansichten der ubrigen um, daß alle die gr¨oßte Wertsch¨ atzung, einige so¨ gar Hochachtung ihr gegenuber empfanden. Madame de Montifault wollte sie nie sehen, doch schließlich sagte sie eines Tages: Man behauptet, diese Nanon sei ebenso vornehm und ” ¨ von Anstand wie jede andere auch. Mit Feingefuhl tut sie Gutes; vielleicht, ohne daß ich es wußte, auch mir, ¨ ¨ denn ich habe Unterstutzung erhalten, uber deren Her¨ kunft ich nie etwas erfahren habe. Im ubrigen m¨ochte ich es m¨oglichst auch nicht wissen. Sobald die Bourbo¨ und ich meine Schulden abtragen nen zuruckkommen kann, werde ich Licht in die Sache bringen. Es paßt mir nicht, einer Nanon und noch weniger ihrem Jakobinergatten verpflichtet zu sein.“ Nicht alle Adligen dieser Zeit waren so unvers¨ohnlich, ¨ und auch wenn einige bei der Ruckkehr der Bourbonen voller Rachedurst waren, so gab es doch mehrere dankbare und aufgekl¨ arte. Man konnte sehen, wie sich bei hohen Anl¨ assen das Besuchszimmer des Klosters Seite: 393
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¨ mit G¨asten und Freunden aus allen St¨ von anden fullte, den vornehmen Verwandten der T¨ochter von Monsieur Costejoux, durch ihre Mutter Nachfahren der Franqueville, bis hin zu den Urenkeln von Jean Lepic, Nanons ¨ Großonkel. Ich habe Erkundigungen eingezogen uber Pierre und Jacques Lepic, diese beiden Vettern der Marquise und Gef¨ ahrten ihrer Kindheit. Der a¨ ltere, dem sie das Lesen beigebracht hat, wurde Offizier, aber als er im Urlaub nach Hause kam, mußte sie ihn zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit wegschicken. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, Emiliens Platz bei ihr einzunehmen, wobei er vorbrachte, ebenso ein Chargierter zu sein wie sein Rivale und dabei einen Arm mehr zu haben. Er hat sich in sein Schicksal ergeben und anderweitig niedergelassen. Was den kleinen Vetter“ Pierre betrifft, so blieb er ” ein Freund der Familie, und einer seiner S¨ohne, der, obgleich hinreichend gebildet, weiterhin Bauer blieb, hat eine Demoiselle de Franqueville geheiratet. Ich hatte Gelegenheit, einmal die Marquise de Franqueville in Bourges, wo sie zu tun hatte, zu sehen. Sie beeindruckte mich mit ihrer vornehmen Erscheinung unter der Haube der B¨ auerin, die sie niemals ablegen wollte, und die mich an eines dieser k¨oniglichen H¨aupter des Mittelalters erinnerte, deren legend¨aren Kopfputz die Frauen in unseren D¨orfern bewahrt haben. Ich habe auch den grauhaarigen Marquis gesehen mit seinem ¨ am Jackenknopf auf der Brust befestigten leeren Armel. Auch er trug noch immer die Kleidung eines Bauern. Seine schlichten Manieren, seine klare und bescheidene Sprache, die außergew¨ohnliche Sch¨onheit seiner Augen vermittelten das Bild eines Mannes von großen Ver¨ diensten, der das Gluck dem Glanz vorgezogen und die Seite: 394
Nanon von George Sand Liebe unter Ausschluß des Ruhmes gew¨ ahlt hat.
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Kapitel 4 Nachwort Gustave Flaubert schreibt am 26. November 1872, im Erscheinungsjahr von Nanon, an seine geliebte Freundin George Sand: Liebe Meisterin, ” eine Nacht und einen Tag habe ich mit Ihnen verbracht. Um vier Uhr morgens habe ich Nanon beendet. Und Francia um drei Uhr nachmittags. All das tanzt in meinem Kopf. Ich werde versuchen, meine Gedanken zu ¨ sammeln, um Ihnen etwas uber diese beiden vortreffli¨ chen Bucher zu sagen. Sie haben mir gut getan. Danke also, liebe, gute Meisterin. Ja, es war wie ein Schwall fri¨ ¨ scher Luft, zun¨ achst fuhlte und nun ich mich beruhrt wie neu belebt. ¨ ¨ ¨ In Nanon war ich als erstes entzuckt uber den Stil, uber tausend einfache und starke Dinge, welche die Grundlage dieses Werkes bilden und es ausmachen, so etwa dies: Doch da mir die Summe sehr groß vorkam, fand ” 397
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ich das Tier sch¨am, etc. Und dann habe ich auf nichts mehr geachtet, es war, als habe es mich gepackt, wie den einfachsten Leser. (Ich glaube jedoch nicht, daß der einfachste Leser ebenso sehr der Bewunderung f¨ ahig ist wie ich.) Kurzum, mit dem Schaf begann die Verzaube¨ ein Wunder, diese ersten hundert Seiten!“ rung. Was fur ... Eine Hommage an Nanon ist auch Flauberts normannische Novelle Ein einfaches Herz. Gleichermaßen begeistert a¨ ußert sich Emile Zola in ei¨ die Zeitschrift La Cloche im Oktober nem Artikel fur ¨ 1872, wo er eine ausfuhrliche Zusammenfassung und Interpretation gibt. Ich habe gerade Nanon gelesen, das letzte Werk von Ge” orge Sand, und es ist, als verließe ich ein großes, ruhi¨ ges Land mit reinen Gew¨ assern, breitem, immergrunem ¨ Heiterkeit. Laub, einem Himmel von sußer Die Gestalten, denen ich begegnet bin, hatten diese tiefen, klangvollen Stimmen von Leuten, die an Sommerabenden von fern an einem Hang miteinander reden. Es war in der Abendd¨ ammerung, nicht einer dieser blutroten Sonnenunterg¨ ange, die zuweilen den Horizont zerteilen, sondern ein allumfassendes Wiegen, ein weicher Schatten, der von verblassenden H¨ohen herniedersank. ¨ ¨ eine ge¨ Ich spure Und ich bin uberhaupt nicht mude. wisse Melancholie, aber das ist alles. Mir scheint, ich bin bis zum Ende des Weges gegangen, um zu sehen, ¨ wie der Mond aufgeht uber dem Fluß, und langsam ¨ voller zarter und ein wenig nebelhafkehre ich zuruck, ter Gedanken, von der linden Luft des Abends gewiegt. Seite: 398
Nanon von George Sand Die Grillen sangen. Der Fluß rauschte sanft. Die Menschheit war gut, und ich war zufrieden mit mir. Ach! Der ewige Dichter! Nichts ist besser erdacht als diese Nanon. Es ist ein Gedicht in Prosa; man sollte es in Stro¨ phen fassen. Die sch¨one Sprache, die sch¨onen Gefuhle, die sch¨onen Landschaften fließen in einer gleichf¨ormigen und leichten Flut. Sobald der erste Satz geschrieben war, so m¨ochte man meinen, reihten sich alle anderen ohne Anstrengung an ihn an und dehnten ihren Reigen wie liebliche M¨adchen, die eine nach der andeanden fassen. ren herbeieilen und sich an den H¨ Der Dichter spricht von der Großen Revolution im Rahmen einer Idylle. Es ist das ganz alte, bauf¨allige Frank¨ reich. Auf seinen Ruinen sprießt ein neuer Fruhling, ¨ die Blumen der Freiheit!“ bluhen Die Begeisterung von zwei h¨ochsten Autorit¨aten der literarischen Zunft wird augenscheinlich von den Zeitgenossen nicht geteilt. ¨ Es gibt eine weitere kurze Pressenotiz uber Nanon, das ist alles. Schon zur Zeit des Todes von George Sand 1876 wird Nanon nicht mehr erw¨ahnt. Auch die Nach¨ welt zeigt kein uberm¨ aßiges Interesse an dem solchermaßen hochgelobten Werk: Nanon wird kaum neu aufgelegt, erst die Editions de I’Aurore, die sich eigens die Neuedition von George Sands Werk vorgenommen hat, brachte Nanon 1987 in einer angemessenen Ausgabe auf den Markt. Auf deutsch ist Nanon bislang nie erschienen. Emile Zola, der am Ende des Jahrhunderts George ¨ die gr¨oßten SchriftstelSand und Honore de Balzac fur Seite: 399
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ler h¨ alt, sieht diese Entwicklung voraus: Heute ver” kauft sich das Buch zweifellos; doch Paris dreht sich nicht danach um. Es hat einen anderen Geschmack.“ Sand ist 1872 nicht mehr in Mode. Die literarischen Epochen verschwinden am Horizont ” wie untergehende Sterne.“ (Zola) Die Auflageziffern des ersten lebenden Dichters Frankreichs“ sind, ebenso ” ¨ wie die Balzacs, stark zuruckgegangen. Auch mag ihr baldiger Tod dazu beigetragen haben, daß gerade dieser sp¨ate Roman vergessen wurde und ¨ auch in den Biographien und Studien uber Sand selten ahnt wird, denn die besch¨aftigen sich insbesondeerw¨ ¨ ¨ re mit den fruhen Romanen, wo sie ihre beruhmten leidenschaftlichen Lieben verarbeitet, wogegen ihrem Alterswerk kaum Beachtung geschenkt wird. ¨ die NachSie schreibt 1872 an Flaubert: Du willst fur ” ¨ welt schreiben, ich hingegen glaube, daß ich in funfzig Jahren vollkommen vergessen und vielleicht sogar gr¨oblich verkannt sein werde!“ ¨ ¨ ¨ das Schweigen uber ¨ Andere Grunde fur Nanon durften inhaltlicher Natur sein. Nanon geh¨ort zu den drei ¨ großen Romanen uber die Revolution, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat mit Balzacs Die Chouans und Victor Hugos 1793. Doch ist hier die Hauptfigur eine Frau, eine kleine B¨auerin sogar. Die glorreiche Revolution jedoch war im Bewußtsein des 19. Jahrhunderts eine m¨ annliche Tat. Und sie galt als ein st¨ adti¨ Aufstand in der VendEe, sches Ereignis. Der beruhmte den Balzac behandelt, durfte eine Ausnahme sein. Nanon ist George Sands literarische Reaktion auf die Pariser Kommune von 1871, der ersten proletarischen Seite: 400
Nanon von George Sand Revolution in der Geschichte. Sie engagiert sich nun so kurze Zeit sp¨ ater nicht im Sinne proletarischer ¨ die Bev¨olkerung auf dem L¨osungsversuche, sondern fur Land, mehr noch, mit ihrer Kritik am System des Terrors von 1793 distanziert sie sich von den gewaltsamen ¨ Auseinandersetzungen der Kommune und pl¨ adiert fur das legitime Eigentum. In einem Brief an ihre Tochter Solange schreibt sie im September 1872: Wenn der ” Arbeiter merkt, daß das einzige Eigentum von Dauer dasjenige ist, das man erworben und nicht gewaltsam an sich gebracht hat, dann wird er sich damit beschei¨ ¨ zu sparen und rechtm¨ aßiger Eigentumer den mussen zu werden.“ Diese Haltung ist nicht nur Ausdruck ihres Mißtrauens ¨ ¨ den st¨adtischen Massen, sondern gegenuber gegenuber beiden industriellen Klassen, auch der Bourgeoisie, der ¨ sie willkurliche Bereicherung, Ausbeutung und Spekulation vorwirft. Ihr Sozialismus, der eine Agrarreform im Sinne des kleinen b¨auerlichen Eigentums zum Ziel hat, steht keineswegs auf der Tagesordnung der Zeit der Kommune, auch wenn Frankreich immer noch zu achtzig Prozent agrarisch ist. Doch der Wind der Geschichte weht in eine andere Richtung. Als George Sand Nanon schreibt, ist sie sechsundsechzig Jahre alt. Sie hat ein reiches literarisches Werk geschaffen und unter anderem einhundert Romane, ¨ zahlreiche Theaterstucke, Essays und vieles andere geschrieben. Ihr Leben verl¨ auft in ihrem kleinen Schl¨oßchen Nohant im Berry in ruhigen, geordneten Bahnen, zusammen mit ihrem Sohn Maurice, dessen Frau und deren Seite: 401
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T¨ochtern, was ihre Kritiker in dem Ausdruck la bonne ” dame de Nohant“ absch¨ atzig zitieren. Sie widmet sich der Familie, dem Marionettentheater des Sohnes, den zahlreichen Freunden, die noch immer nach Nohant kommen, dem Garten, den Bauern; sie pflegt Alte und ¨ Kranke im Dorf, fuhrt eine umfangreiche Korrespondenz und schreibt weiterhin nachts zwanzig bis dreißig Seiten an ihren Romanen, auch wenn sie sich litera¨ risch schon sehr vereinsamt fuhlt. Vor dem Hintergrund ihrer bewußten Entscheidung ¨ das Leben auf dem Land und ihrer tiefen Kenntfur nis seiner Probleme beurteilt sie die Ereignisse des deutschfranz¨osischen Krieges und die Kommune und bangt als immer noch engagierte Republikanerin um die franz¨osische Republik, so wie ihre Protagonisten in Nanon. Sagte man ihr, der Muse der Revolution“, ” noch 1848 eine Neigung zur Gewalt nach, so vertritt sie 1871 einen gel¨auterten Standpunkt. 1870 schreibt sie ¨ an Andre Boutet: Unsere privaten Kummernisse haben ” sich bes¨anftigt; doch das allgemeine Unheil qu¨alt uns. ¨ meine Person geh¨ore zu den rotesten Sozialisten, Ich fur ¨ ¨ doch Ubereinstimmung in den Dokheute wie fruher; trinen verpflichtet mich nicht zur Annahme eines poli¨ tischen Programms. Man darf Uberzeugungen niemals mit Gewalt auferlegen: das ist schuldhaft und unsinnig, denn was aus Gewalt entsteht, ist dazu verdammt, ei¨ nes gewaltsamen Todes zu sterben. Wenn diese zukunftige Republik vor sich selbst bestehen will, muß sie auf jede andere als eine moralische Aktion verzichten.“ Zwar anerkennt sie die fortschrittlichen Dekrete der Kommune, so zum Beispiel in der Bildungspolitik, dennoch verurteilt sie sie sch¨arfstens: Das Ergebnis der ” Seite: 402
Nanon von George Sand Exzesse einer auf das Materielle gerichteten Zivilisation, die ihren Abschaum an die Oberfl¨ache treibt in einem ¨ wurde. Die Augenblick, da der Kessel nicht uberwacht Demokratie ist weder erh¨oht noch erniedrigt nach die¨ sem heftigen Auswurf. Das ist ein ubler Augenblick in unserem Leben und unserer Geschichte, und die Leiden so vieler Leute, die nichts dazu verm¨ogen, stimmen traurig. Das sind die Saturnalien des P¨obels, welche auf das Kaiserreich folgten, und danach werden sich ¨ die Meinungen wieder gegenuberstehen, als sei nichts gewesen.“ (Brief an Dumas d. J. im April 1871, nach den Massakern in Paris.) ¨ das In dieser Situation sieht sie ihre Entscheidung fur ¨ den Bauern ist alatigt. Ihr Engagement fur Land best¨ ¨ starrk¨opfig, beles andere als blind, sie h¨alt ihn fur grenzt und unbewußt, und dennoch bewundert sie ihn wegen seines Geistes der Bewahrung und glaubt, nur er k¨onne den Untergang Frankreichs aufhalten. Ende M¨ arz schreibt sie an den fortschrittlichen republikanischen Freund Plauchut: Paris ist groß, heroisch, aber ” es ist ein Tonhaus. Es glaubt, seine Rechnung ohne die Provinz machen zu k¨onnen, die es allein durch die Zahl beherrscht und eine geschlossen reaktion¨ are Masse darstellt. Du schreibst: Verk¨ unden Sie in der Provinz, daß wir die Regierung von Versailles hassen. Wie wenig Ihr wißt von der Provinz! Sie macht ungeheure Anstrengungen, um die Herren Thiers, Favre, Picard, Jules Simon etc. zu akzeptieren, die ihr alle zu fortschrittlich sind. Sie kann die Republik nur mit ihnen tolerieren . . . Ihr anderen laßt Euch gesagt sein, daß, auf das ganze Land berechnet, nur einer von Hundert ein fortschrittlicher Republikaner ist.“ Seite: 403
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Den Streit der Franzosen untereinander, insbesondere der konservativen Regierung Thiers mit dem links gerichteten Paris, beklagt sie und beschw¨ort die Gefahr, dies komme nur dem ausl¨andischen Feind zugute, eine a¨ hnliche Situation wie in der Großen Revolution. Das Scheitern der Großen Revolution und der Kom¨ George Sand die gleichen Ursachen: das mune hat fur m¨orderische Konzept der Gewalt, die immer wieder nur Gewalt erzeuge, und das ebenso zerst¨orerische Prinzip des Zweckes, der alle Mittel heilige. Dieses ihr Glaubensbekenntnis vertritt in eindrucksvoller Weise Emilien, doch auch der Prior und Nanon. Und die deutsche Gegenwart scheint George Sand recht zu geben. ¨ Gegenuber einem Frankreich, das nach dem Krieg und dem Massensterben in Paris in den Jahren 1870/71 in ” der Agonie“ liegt, weist sie mit Nanon auf die Kraft des Landes hin. ¨ In Nanon fuhrt George Sand die wichtigsten Themen ihres Lebens und literarischen Schaffens zusammen und ¨ gelangt aus der Sicht und den Bedurfnissen des reifen Lebensalters zu modifizierten L¨osungen. Da ist die große, sich selbst erschaffende Frauengestalt, die ihre Freundschaftsliebe in der Ehe leben darf, die ¨ Uberwindung der sozialen Gegens¨atze durch die Liebe, die Gleichheit aller Menschen und damit die Gleichwer¨ tigkeit von Mann und Frau, liebende Mutterlichkeit als die Welt heilende Kraft, die bewahrende und damit auch erneuernde Kraft des b¨auerlichen Standes aus ihren Dorfromanen (romans champetres), die Natur als lebenspendende, bergende und erotische Urmutter, ihr poliSeite: 404
Nanon von George Sand tisches Bekenntnis, die Gesellschaftskritik in der analytischen Darstellung und Bewertung der Großen Revolution. In Nanon tauchen, wie in anderen Werken auch, zahlreiche Elemente der eigenen Biographie auf. Ihr Leben (1804-1876) umspannte den gr¨oßten Teil des 19. Jahrhunderts. ¨ die Nachwelt, einschließlich der von M¨ annern beFur triebenen Literaturwissenschaft, war George Sand die Frau in M¨ annerhosen, Redingote und Zylinder, die Zigarre rauchte und Chopins Geliebte war. Hinter der Evozierung dieses Bildes der Exzentrikerin und der Ge¨ liebten eines beruhmten Mannes verschwand ihr Werk im Vergessen, wurde als trivial geschm¨aht; in Erinnerung blieben die Dorfromane wie Die kleine Fadette ¨ oder Teufelsmoor, die in Frankreich zur Schullekture verkamen und deren sozialkritischer Charakter einfach ¨ ¨ ¨ der Bericht uber den ubersehen wurde, und naturlich gemeinsamen Aufenthalt mit Chopin auf Mallorca, der dort, in Valldemosa, Touristen feilgeboten wird. Zu ihren Lebzeiten zweifelte, auch wenn sie heiß umstritten war, doch kaum einer an ihrem literarischen Rang. Sie war mit den gr¨oßten Geistern ihres Jahrhunderts verbunden, die ihrer Wertsch¨atzung Ausdruck verliehen, so mit Balzac, Flaubert, Alfred de Musset, Heinrich Heine, Prosper MErimEe, ThEophile Gautier, Vater und Sohn Dumas, Emile Zola, Dostojewski, Turgenjew, dem AbbE Lamennais, den Politikern LedruRollin, Pierre Leroux, Louis Blanc, den Musikern FrEdEric Chopin und Franz Liszt, dem Maler Delacroix, ¨ der ein beruhmt gewordenes Portrait von ihr malte, und vielen anderen. Seite: 405
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¨ literarische und politische Zeitschriften, Sie schrieb fur politische Aufrufe, Essais, eine Unzahl von Briefen, war eine bedeutende Politikerin, engagierte sich nach der ¨ die Deportierten und wurde Revolution von 1848 fur ¨ sie bei Napoleon III., den sie pers¨onlich kannte, mit fur Erfolg vorstellig. George Sand, mit Geburtsnamen Amantine-AuroreLucile Dupin, wurde am 1. Juli 1804 als Tochter des kaiserlichen Offiziers Maurice Dupin und dessen erst kurz vorher geehelichter Frau Sophie-Victoire Delaborandlerstochter, in Paris geboren. de, einer Pariser Vogelh¨ V¨ aterlicherseits war Aurore Aristokratin. Ihr Ururgroߨ vater war August der Starke von Sachsen, beruchtigt wegen seiner zahllosen Liebschaften und illegitimen Kinder, ihre Ururgroßmutter die sch¨one Maria Aurora von K¨onigsmarck. Deren gemeinsamer Sohn Moritz von Sachsen, sp¨ater vom Vater anerkannt, war Marschall ¨ von Frankreich und wie dieser ein beruhmter Frauenliebhaber, der, wiederum außerehelich, Aurores Großmutter zeugte, Marie-Aurore de Saxe. Diese heiratete Louiselaude Dupin de Francueil, einen Generalp¨ achter aus niederem Adel, den Jean Jacques Rousseau Franqueville genannt haben soll. Die Großmutter verstand sich in der Großen Revolution als Republikanerin und war eine große Anh¨ angerin Rousseaus und Voltaires. Nach dem Tod des Vaters Maurice im Jahr 1808 nahm sie der von ihr verachteten Schwiegertochter SophieVictoire, die ihr als leichtfertiges Frauenzimmer galt, die Erziehung Aurores aus der Hand und speiste sie mit Geld ab. Die Trennung von der leidenschaftlich geliebten Mutter bleibt das große Trauma in Aurores Leben, das sie sp¨ater dadurch zu bew¨altigen versucht, Seite: 406
Nanon von George Sand daß sie, aufgewachsen ohne Mutterliebe, alle, vor allem ¨ ¨ ¨ ihre Liebhaber, mit mutterlicher Liebe“ ubersch uttet ” und so eine Wunde zu heilen versucht, die sich doch ¨ sie, wie auch fur ¨ nie schließen wollte. Liebe war fur ¨ ihre Heldinnen, die gr¨oßte Tugend. Ihr Engagement fur das Volk ist ein auch in der literarischen Verarbeitung immer wiederkehrender Versuch der Ehrenrettung der Mutter. In Nohant, dem Landsitz der Familie, wo die Großmutter versucht, ihr eine standesgem¨aße Erziehung zukommen zu lassen, ist ihr intimster Vertrauter der Verwalter Deschartres, mit dem sie, aus praktischen Erw¨ agungen mit einem Knabenanzug bekleidet, auf dem Pferd durch Wald und Feld galoppiert, ihm bei seiner a¨ rztlichen ¨ die Landbewohner assistiert, im engsten ¨ Fursorge fur Kontakt mit der Natur und den Bauernkindern lebt. Auch dies ein Motiv, das viele ihrer Heldinnen mit ihr teilen. Hin und her gerissen zwischen der Mutter und der freisinnigen, aristokratischen Großmutter, die in ihr den verlorenen Sohn Maurice sieht und doch zugleich aus ihr ein Fr¨ aulein und die Erbin von Nohant machen ¨ m¨ochte, bleibt ihr Bedurfnis nach Liebe ungestillt. Aurores wildem Leben bereitet die Großmutter ein Ende und schickt sie nach Paris in das Kloster der Englischen Augustinerinnen, wo sie unter ihresgleichen die angemessenen Umgangsformen lernen soll. Die beiden Jahre im Kloster sind die unbeschwertesten ihrer Kind¨ ihre religi¨osen heit. Hier wird der Grundstein gelegt fur Interessen, die sich jedoch sp¨ ater fern von der institutionalisierten traditionellen Kirche entwickeln, der sie Seite: 407
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vorwirft, ihre eigentlichen Aufgaben der Barmherzigkeit ¨ und Fursorge zugunsten von Machtpolitik und Leben ¨ in Nohant - die im Luxus zu verfehlen. 1820 zuruck Großmutter nahm Anstoß an ihrem religi¨osen Denken ¨ ¨ der großen Schriftsteller - sturzt sie sich in die Lekture und Philosophen, vor allem in das Werk Rousseaus, und liest den Gesellschaftsvertrag und Emile, auf die sie sich lebenslang bezieht. 1821 stirbt nach langer Krankheit die Großmutter. In der Zeit der Pflege hatte Aurore ihr freies, wildes Leben von einst wieder aufgenommen. Sie lernt StEphane Ajasson de Grandsagne kennen, mit dem sie eine schw¨ armerische Zuneigung verbindet, und der der mutmaßliche Vater ihrer Tochter Solange werden sollte. Nach dem Tod der Großmutter ist sie die Erbin des Landgutes Nohant mit vierhundert Hektar Grundbesitz und des vornehmen Stadthauses Htel de Narbonne in Paris, eine gute Partie also. Sie geht nach Paris, um dort mit Sophie-Victoire zu le¨ ben, was sich allerdings als schwieriges und ungluckliches Unterfangen erweist. Sie beendet diese entt¨auschende Zeit durch die Heirat mit dem Baron Casimir Dudevant im September 1822, der ein sanfter Mensch zu sein scheint, sich jedoch als der typische Ehemann ¨ Auseiner Zeit erweist. Weder interessiert er sich fur ¨ Neigungen, noch rores intellektuelle und kunstlerische ist er in der Lage, emotional auf sie einzugehen. Auf ¨ ¨ ihr Bedurfnis nach Z¨ artlichkeit antwortet er mit ruck¨ sichtsloser Brutalit¨at, behandelt sie als frei verfugbares ¨ Aurore zum MartyriSexualobjekt. Sexualit¨at wird fur um, zum Akt schmerzlicher Unterwerfung. Sp¨ater sollten die Zeitgenossen die Versuche ihrer Heldinnen, ihre eigene Sexualit¨ at zu leben, skandal¨os finden, denn sie Seite: 408
Nanon von George Sand ¨ naturgegeben asexuell. Aurore hielten die Frauen fur vermutet in der Anpassung des einen Partners - und das kann in den sozialen Bedingungen der Zeit nur die Frau sein - den einzig gangbaren Weg in der traditionellen Ehe. Casimir beantwortet ihre Zweifel mit Dienstbotenliebschaften, die er recht unverhohlen im Haus lebt. Der beste Ausweg scheint die Mutterschaft. Schon bei der Geburt ihres Sohnes Maurice ist die Un¨ ¨ erfullbarkeit ihrer Wunsche an die Ehe nicht mehr zu artlichkeit gilt von nun an dem Sohn, leugnen. Ihre Z¨ mit dem sie bis zum Tod eine symbiotische Liebe verbindet. Ihre Melancholie versucht sie mit Reisen zu ¨ uberdecken. Neun Monate, nachdem sie wegen einer Krankheit einige Tage in Paris verbracht hatte, wobei ihr Stephane Gesellschaft leistete, kommt ihre Tochter Solange zur Welt. Die Frage der Vaterschaft wird zwischen den Eheleuten nicht diskutiert. 1830 lernt sie den neunzehnj¨ ahrigen Studenten Jules Sandecu ken¨ nen, von dessen jugendlicher Zartheit sie sich beruhren l¨ aßt. Er wird ihr Liebhaber. Wenig sp¨ater entdeckt sie das Testament ihres Gatten, der entsprechend den Ehe¨ ¨ vertr¨agen der Zeit uber ihr Verm¨ogen verfugt, und muß ¨ dort ubelste Beschimpfungen lesen. Nun steht ihr Entschluß fest: mit Jules geht sie nach Paris. ¨ Dort fuhrt Aurore mit Sandecu im Kreis ihrer Freunde aus der gemeinsamen Heimat Berry das Leben eines jungen Studenten. Um ihr mageres Einkommen aufzubessern, schreibt sie Zeitungsartikel; aus praktischen und finanziellen Erw¨agungen entscheidet sie sich, in ¨ annerkleidung zu tragen. Eine Frau der Offentlichkeit M¨ hatte im Haus zu leben, entsprechend hinderlich und unbequem waren Kleider und Schuhwerk. Durch SanSeite: 409
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deau, mit dem sie in einer kleinen Mansardenwohnung lebt, lernt sie Balzac kennen. Im Dezember 1831 erscheint unter dem Pseudonym J. Sand der gemeinsam verfaßte Roman Rose et Blanche. W¨ahrend ihres Aufenthalts in Nohant schreibt sie dann allein den Roman Indiana, der 1832 erscheint und sie mit einem Schlag ¨ beruhmt macht. Mit diesem Buch schreibt sie sich frei von Sandeau und von Casimir. Doch nun stellt sich die Frage des Autorermamens. Selbstverst¨ andlich kommt Dudevant nicht in Frage, auch den Namen des Vaters mag sie nicht tragen, da die Großmutter ihr Tun gewiß nicht gebilligt h¨atte. So beh¨ alt sie Sand bei, unter ¨ dem sie ja bereits an die Offentlichkeit getreten ist, und w¨ahlt als Vornamen George. Dieser Akt, sich selbst einen Namen zu machen, ist ihr außerordentlich wichtig. Auch ihre Kinder und Kindeskinder werden diesen ¨ einen M¨annerNamen tragen. Sie entscheidet sich fur namen, weil ihr sehr bewußt ist, daß eine Frau als Schriftstellerin von vornherein keine Chance gehabt h¨atte, denn nichts ist mehr eine Dom¨ane des Mannes als Kunst und Genie. Balzac schreibt an seine Freundin ¨ daß sich eine Frau bildet, daß Hanska: Ich bin dafur, ” sie ernsthaft studiert, sogar daß sie schreibt, wenn es ihr Spaß macht, aber sie muß dann den Mut haben, ihre Werke zu verbrennen.“ Als einer der ersten erkennt Sainte-Beuve, daß sich hinter dem Pseudonym eine Frau verbirgt, denn ihr ¨ Einfuhlungsverm¨ ogen scheint ihm typisch weiblich. Von nun an lebt George Sand ihre Leidenschaft des Schreibens. Inzwischen, 1833, hat sie sich von Sande¨ cu getrennt; es erscheint ihr vierter und beruhmtester Roman, LElia, der von den Zeitgenossen als UngeheuSeite: 410
Nanon von George Sand erlichkeit empfunden wird, weil hier zum ersten Mal die durch die traditionelle Verdammung der Frau zum asexuellen Wesen und Muttertier besiegelte sexuelle ¨ Verkruppelung in der Frigidit¨ at thematisiert wird. LE¨ lia, das Monster, die vergeblich ihre sexuelle Erfullung sucht und damit den M¨annern als bedrohlich und kastrierend erscheint. Wie Indiana mit Noun und viele atere Heldinnen hat auch LElia eine weibliche Dopsp¨ pelung, PulchErie, die, als Quasie-Hure, Sinnlichkeit, Sexualit¨at leben darf, wo also das Ungelebte sich Raum schafft. George Sands Ziel ist die Integration beider anoFrauen. Dieses immer wieder zu beobachtende Ph¨ men der Doppelung setzt sich fort bis zu Malgretout, wo ¨ tugendhaften Sarah die leichtlebige der mutterlichen, Schwester Adda zugesellt ist (1869), oder Nanon, die als positive Heldin, als mit allen Tugenden versehenes Kind des Volkes, eine aristokratische Schwester“ hat, ” die ihre abgespaltenen Anteile verk¨orpert, die den Inbegriff des aristokratischen Verfalls und der Schw¨ ache darstellt, ungebildet, faul, arrogant, kokett, auf Versorgung angewiesen. Mit der Methode der Doppelung, die hier dem gesellschaftlichen Konflikt entspricht und George Sand selbst in die Wiege gelegt war, schafft sie sich ein energetisches Ventil. Und LElia ist wie Nanon und George Sand eine Frau, die sich elternlos selbst erschafft, die starke Frau aus dem Volk, die Dinge tut, ¨ die nur dem Mann zustehen und sich uber die Gebote annergesellschaft hinwegsetzt, eine Person, nec der M¨ ” vir, nec mulier“, die von beiden Geschlechtern das Beste verk¨orpert. Die L¨osung scheint im Androgynen zu liegen. Wie sp¨ ater Chopin, vorher Sandecu und andere LiebhaSeite: 411
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ber ist auch ihre neue leidenschaftliche Liebe Alfred de ¨ ¨ Mann, Musset der schwache, jungere, pflegebedurftige ¨ den sie mit mutterlichen Taten umhegen kann, aus dem sie das beste herauszuholen versucht und den sie zum ¨ Arbeiten antreibt. Dieses Thema des bedurftigen, aber auch entwicklungsf¨ ahigen Mannes zieht sich gleichfalls durch ihr ganzes Werk bis hin zu Emilien in Nanon, und l¨ aßt im schwachen den kastrierten Mann vermuten, sehr deutlich das Bild des amputierten Emilien, mit dem dann die Ehe m¨oglich wird. 1836 wird sie von Casimir geschieden, die Kinder und ihr Erbe werden ihr zugesprochen. 1837 lernt sie FrEdEric Chopin kennen, mit dem sie bis 1847 zusammenlebt. Diese Beziehung bearbeitet sie in Lucrezia Floriani und in dem eher deskriptiven Ein Winter auf Mallorca. Mit dem Jahr 1840 etwa beginnt eine neue Phase ih¨ Meinungsfreiheit, gegen alres Werkes. Sie k¨ampft fur le die Freiheit einschr¨ankenden Institutionen, k¨ ampft ¨ die Republik, nimmt Kontakt auf zu Arbeiterschriftfur stellern und sozialistischen Theoretikern. Und immer mehr sind ihre Protagonisten Menschen aus dem Volk, adchen aus dem Volk, Bauern, Handwerker, Arbeiter, M¨ die in der Literatur bislang nur als Staffage gut waren. Mit Jeanne beginnt 1844 die Reihe der sozialkritischen Dorfromane. In der Revolution von 1848 spielt George Sand, die Demokratin aus Instinkt, inspiriert durch Ledru-Rollin, im Kontakt mit Louis Blanc und anderen eine zentrale Rolle, sie lanciert drei republikanische Zeitschriften: Seite: 412
Nanon von George Sand le Bulletin de la REpublique, La Cause du Peuple und ¨ I’Eclaireur. Wie Rousseau glaubt sie an die naturliche ¨ des Menschen und setzt bis 1848r ihr Vertrauen Gute in die Massen. Mit ihnen marschiert sie durch Paris. Nach dem Scheitern der Revolution und damit der Republik und der Massen zieht sie sich entt¨auscht aus ¨ der Politik zuruck und setzt ihre Arbeit an den Dorfromanen fort. Der Ton dieser dritten Phase ihres Schaffens ist vergleichsweise gem¨aßigt. In der Frauenfrage h¨ alt sie zunehmend einen Ausgleich zwischen beiden ¨ m¨oglich. Geschlechtern fur Im Jahre 1865 stirbt ihr langj¨ ahriger Freund und Geliebter Manceau. Wenig sp¨ ater lernt sie Gustave Flaubert kennen. Unterschiedlichere Charaktere sind kaum vorstellbar, und doch verbindet beide eine tiefe Freund¨ schaft und aufrechte Bewunderung. Er, sehr viel junger und weitaus unbeweglicher, politisch konservativ, braucht zuweilen eine ganze Nacht, um ein Wort zu schreiben, ihr, der Vagantin und Sozialistin, fließen in der gleichen Zeit dreißig Seiten aus der Feder. Der von großer Zuneigung und Sorgfalt getragene Austausch ihrer Geatzlichkeiten findet in einem bewegenden Briefgens¨ wechsel seinen Ausdruck. Mein alter Troubadour“, so nennen sie einander. ” Nanon ist ihr Verm¨ achtnis und Glaubensbekenntnis. Nach so vielen Jahren schmerzlichen und bitteren ampfens macht sie ihren Frieden mit der Welt und forK¨ ¨ muliert eine utopische, doch in sich begrundete Sicht der Liebe und der Politik. Nanon Surgeon, schon der Name ist ein Symbol: der b¨auerliche Vorname evoziert archaische Verbundenheit Seite: 413
George Sand
KAPITEL 4. NACHWORT
¨ mit der Erde, der Nachname heißt ubersetzt Wurzel” sproß“ und versinnbildlicht das keimende, das kraftvolle neue Frankreich. Nanon ist die erfolgreichste ihrer Heldinnen, sowohl in der Liebe als auch auf bislang m¨annlichem Terrain. Sie sind weder eine Frau noch ein Mann, Sie sind das ” eine und das andere, mit den besten Eigenschaften der beiden Geschlechter“, sagte Costejoux zu Nanon. Sie ist die ideale Frau, sch¨on, tugendhaft, bereit zu dienen, eine ausgezeichnete Hausfrau im Sinne von Rousseaus im Emile entworfenen Frauenbild; mutig und arbeitsam ¨ ist sie eine a¨ ußerst tuchtige Gesch¨ aftsfrau. Und Emilien, der tapfere Soldat und politische Denker, ist zu¨ gleich von weiblicher Zuruckhaltung, Z¨artlichkeit und ¨ Einfuhlsamkeit. Aus beider Freundschaft entsteht Lie¨ be, gleichwertig treffen sie sich in der Mitte, uberwinden die Extreme ihrer Herkunft und heiraten. Ganz anders das Paar Louise - Costejoux, die eine von Leidenschaft bestimmte Kampfbeziehung eingehen. Nanon und Emilien symbolisieren zugleich die Vereinigung des alten mit dem neuen Frankreich. Doch diese Union“ scheint in der Realit¨at in weite Ferne ” ¨ geruckt. 1871 hat die Reaktion gesiegt. Und dennoch ist die Geschichte im Interesse der Menschheit vorangeschritten. Positive Ergebnisse sind die Abschaffung des Feudalismus und damit der Leibeigenschaft, das Volk hat Zugang zur Bildung, lernt lesen und schreiben ¨ und ist daher imstande, alte Grenzen zu uberschreiten, der Erwerb von Eigentum ist mit dem Verkauf ¨ m¨oglich geworden. Nanon selbst deder Nationalguter monstriert die Rechtm¨aßigkeit des durch Leistung erSeite: 414
Nanon von George Sand ¨ worbenen Eigentums (Rousseau). Mit der Einfuhrung auerin die des Prinzips der Gleichheit wird aus der B¨ Franz¨osin, mit der Großen Revolution ist die Bildung der Nation m¨oglich geworden. Republik und allgemeines Wahlrecht, einmal errungen, stehen von nun an auf der Tagesordnung. Drei Revolutionen hat George Sand miterlebt, eine vier¨ te, die Große, uber die Großmutter, fast hautnah erfahren. Trotz der Niederlagen ist ihre Schlußfolgerung optimistisch. Und die Hoffnung weiblich. Schauplatz von Nanon ist das alte Land Berry, die Heimat von George Sand. Die Nohant n¨ achstliegende Stadt ist La Chatre. Dort und in Chateauroux hatte sie ih¨ Nanon betrieben. Das Berry re historischen Studien fur ¨ ist von der Revolution fast unberuhrt, seine Landschaft, ¨ die Natur sind quasi geschichtsfreier Raum, uber den die Zeit keine Macht hat, wo Pflanzen wuchern, der Blick frei schweift. Die zeitliche und r¨ aumliche Grenzenlosigkeit wird verst¨arkt durch die Pr¨ asenz des Mythischen, Pr¨ahistorischen. Crevant, die Insel der Farblosen, das ist eine Insel der Freiheit, außerhalb von gesellschaftlicher Ordnung und Gesetzm¨ aßigkeit. Hier finden die Verfolgten Zuflucht, kann das Liebespaar ahren, ist Vereinigung m¨oglich. Die Natur ist sich bew¨ die große Spenderin, die Urmutter, ist Eros und Hingabe. Im Einklang mit ihr und ohne ihr Gewalt antun ¨ zu mussen, finden die Schutzsuchenden alles, was sie ¨ zum Leben brauchen. Vor allem der Baum steht fur ¨ spendende Mutterlichkeit und Fruchtbarkeit, ist eine ¨ George Sand selber. Metapher fur In Victor Hugos Botschaft zu ihrem Tod 1876 heißt es: Seite: 415
George Sand
KAPITEL 4. NACHWORT
¨ VerDie menschliche Gestalt ist ein vorubergehendes ” amlich steck. Sie verbirgt das wahre g¨ottliche Antlitz, n¨ die Idee. George Sand war eine Idee; sie hat das Fleisch verlassen und ist nun frei; sie ist tot, und doch lebt sie nun.“ Heidrun Hemje-Oltmanns
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