Nachtjäger GRAHAM McNEILL Deutsche Erstausgabe Prolog Vor 60 Millionen Jahren... Die Sonne wurde zerstört. Es war eine ...
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Nachtjäger GRAHAM McNEILL Deutsche Erstausgabe Prolog Vor 60 Millionen Jahren... Die Sonne wurde zerstört. Es war eine Zwergsonne mit einem Durchmesser von gut eineinhalb Millionen Kilometern, und sie brannte seit über sechs Milliarden Jahren. Wäre das gewaltige, halbmondförmige Raumschiff nicht gewesen, das den vierten Planeten des Systems umkreiste und ihre gewaltigen Energien absaugte, hätte sie dies vermutlich auch noch weitere sechzehn Milliarden Jahre getan. Die Sonne erzeugte kolossale Energiemengen, indem sie in Kernfusionsprozessen tief in ihrem Herzen Wasserstoff zu Helium verbrannte, bevor sie diese Energie in den Weltraum abstrahlte. Diese Prozesse erzeugten starke elektromagnetische Felder im Kern der Sonne, die sich wellenförmig zur Oberfläche fortpflanzten. Ein Haufen dieser Wellen ballte sich zu einem ringförmigen Magnetfeld mit einem Durchmesser von über zweihunderttausend Kilometern zusammen und erzeugte einen dunklen, anschwellenden Sonnenfleck innerhalb der Fotosphäre der Sonne. Diese aktive Region eines Magnetfelds dehnte sich rasch aus und explodierte unvermittelt in einem gigantischen Aufflackern von der Oberfläche der Sonne nach außen, um eine Milliarde Quadratkilometer abzudecken und zu einem grellen Lichtspeer in der Korona der Sonne zu werden. Die starken Wellen aus elektromagnetischer Energie und Plasmaströmen bildeten einen Nimbus aus gleißendem Licht, der sich auf gewundenem Weg zu einer mit Runen übersäten Pyramide im Zentrum des riesigen Raumschiffs schraubte. Schauerliche, in die Flanken des Schiffs geprägte Runen flammten ob der empfangenen Energien auf, und der Rumpf pulsierte, als blähe sich das Schiff selbst unter kaum zu bändigender Kraft auf. Jeder der Sonne entrissene flammende Lichtstrahl, der seine
Energien in das Schiff entlud, verkürzte die Lebensspanne der Sonne um hunderttausend Jahre, aber den Insassen des Raumschiffs war es egal, dass ihr Tod die Auslöschung jedes Lebewesens in diesem System zur Folge haben würde. Ihr Herr und Meister hatte schon über das Schicksal ganzer Galaxien entschieden, ganze Sternenreiche waren zu ihrem Vergnügen ausgelöscht und Rassen als Spielzeug erschaffen worden. Was bedeutete Wesen mit solcher Macht schon das Schicksal eines unbedeutenden Sonnensystems? Wie ein obszöner mechanischer Egel entzog das Schiff auf seinem Orbit um den Planeten der Sonne die Lebenskraft. Eine Reihe kleinerer Pyramiden und Obelisken an der Basis des Schiffs flimmerte wie unter einer Hitzewelle und wurde abwechselnd unsichtbar und wieder sichtbar, während das gewaltige Schiff unter der Einwirkung der kolossalen Energien erbebte, die es dem Stern entzog. Plötzlich verblasste der gewundene Strahl aus flüssigem Licht von der Sonne und verschwand, da das silberne Schiff für den Augenblick gesättigt war. Schwerfällig begann es zu rotieren und sank langsam durch die planetare Atmosphäre. Feurige Koronen flammten an den vorderen Rändern der Halbmondflügel auf, da es einer ausgedehnten Eisenoxidwüste auf der Nordhalbkugel entgegenstrebte. Unter dem Schiff raste die Planetenoberfläche vorbei: zerklüftete Berge, mahlende tektonische Platten und Asche speiende Vulkane. Das Schiff wurde langsamer, als es sich seinem Bestimmungsort näherte, einer sandigen Ödnis mit Staubstürmen, in deren Mitte es einen winzigen Fleck absoluter Dunkelheit gab. Die Schiffsgeschwindigkeit sank weiter, während der Fleck langsam die Gestalt einer glänzend schwarzen Pyramide annahm, deren Spitze mit Gold überzogen war. Ihre schimmernden Obsidianwände, rauchig und spiegelnd, blieben unbeeinflusst von den heulenden Winden, die über den Boden fegten. Kleine Wesen, die in der brennenden Sonne glitzerten, huschten mit einem klickenden, mechanischen Gang über ihre Oberfläche. Runen, welche denjenigen auf dem Raumschiff entsprachen, fingen an zu summen, als mächtige Rezeptoren aktiviert wurden. Das Schiff manövrierte graziös über die Pyramide, während sich die goldene Spitze öffnete wie der Blütenkelch einer Blume. Das Summen steigerte sich zu einem ohrenbetäubenden Kreischen,
als die kleineren Pyramiden und Obelisken auf der Schiffsunterseite vor Energie förmlich explodierten und von ihnen eine Welle aus reiner elektromagnetischer Kraft in das hungrige Maul der schwarzen Pyramide schoss. Weißglühendes Licht strahlte aus der Pyramide und äscherte augenblicklich die mechanischen Kreaturen auf ihrer Oberfläche ein. Die Wüste, in der sie stand, flammte golden, als sich Energiestrahlen in Schlangenlinien vom Fundament der Pyramide ausbreiteten und den Sand in komplexen geometrischen Mustern erstarren ließen und glasierten. Das riesige Raumschiff hielt seine Position, bis der letzte Rest der geraubten Energie übertragen worden war. Als die goldene Spitze der Pyramide wieder geschlossen war, machte das Schiff sich auf den Rückflug in die Umlaufbahn, um den Vorgang fortzusetzen in der Absicht, dem Stern so lange Energie zu rauben, bis er nichts weiter sein würde als ein sich abkühlender Ball aus Edelgasen. Das Gefährt ging vor dem Stern in Stellung, und die auf seinem Rumpf befestigte arkane Vorrichtung wurde erneut hochgefahren. Ein Teil des Weltraums hinter dem Raumschiff verzerrte sich und riss auseinander, als der dünne Schleier der Wirklichkeit klaffte und sich eine gewaltige Flotte bizarrer Raumschiffe aus dem Mahlstrom dahinter ergoss. Keine zwei Schiffe waren gleich; jedes hatte seine ganz eigene Geometrie und Form, aber alle hatten denselben tödlichen Zweck. Wie von einem einzigen Willen befehligt, näherten sich die Schiffe dem halbmondförmigen Raumschiff rasch und nahmen es dabei mit Waffen aller Art unter Beschuss. Eine Vielzahl greller Explosionen erblühte auf dem riesigen Schiffsrumpf, da gewaltige Energiestrahlen gegen die oberste Pyramide schlugen. Das Schiff erbebte wie ein verwundetes Tier. Doch dieses Raumschiff konnte sich wehren. Kobaltblaue Blitze zuckten aus seinen Waffenbatterien und zerstörten ein Dutzend Feindschiffe. Unsichtbare Strahlen von immenser Energie zerlegten eine weitere Gruppe in ihre atomaren Bestandteile. Doch keine noch so großen Verluste konnten die fremde Flotte von ihrer Attacke abbringen, und wie viele Schiffe auch zerstört wurden, es schien so, als seien immer noch mehr da, um deren Platz einzunehmen. Die gesichtslose Besatzung des Raumschiffs schien zu erkennen, dass sie verloren war, wenn ihr nicht die Flucht gelang. Langsam versetzte sich das Schiff in eine
Eigenrotation, und ein machtvoller elektrischer Dunst erwuchs aus dem trägheitslosen Antrieb. Eine Vielzahl fremder Waffen hämmerte auf die abgeflachte Polkuppel des Schiffs ein und riss tiefe Furchen in den Rumpf und große Metallbrocken aus dem Schiff. SelbstreparaturMechanismen versuchten den Schaden einzudämmen, aber sie standen wie das Schiff auf verlorenem Posten. Wrackteile wirbelten davon in die Dunkelheit des Weltraums, als die Triebwerke mit blendender Helligkeit ansprangen. Der Zeitablauf verlangsamte sich, und das Bild des gewaltigen Schiffs dehnte sich wie Gummi, als das Gravitationsfeld der Sonne Rache an dem Vampirschiff nahm und dessen Flucht verhinderte. Mit einem gequälten Kreischen, das durch den Warpraum hallte, schien sich das halbmondförmige Schiff zu einem singulären Punkt von unerträglicher Helligkeit zusammenzuziehen. Seine Angreifer gerieten in dessen Sog, und gemeinsam wurden sie ins Nichts geschleudert, um vielleicht niemals zurückzukehren. Die Sonne schien weiter, und auf der Planetenoberfläche verblasste das Leuchten der Goldspitze der schwarzen Pyramide, bis das Gold nur noch ein mattes, glanzloses Schimmern wie Bronze war. Bald darauf verbarg der Sand sogar das.
1. Kapitel Das 41. Millennium Die achtzehn Reiter folgten dem Lauf des gefrorenen Bachbetts, indem die Pferde auf dem eisglatten, felsigen Untergrund bedächtig einen Huf vor den anderen setzten. Trotz ihrer Vorsicht und der Herde von annähernd hundert schuppenhäutigen Grox, die sie durch den Schnee trieben, kamen sie gut voran, wie Gedrik wusste. Er drehte sich im Sattel und vergewisserte sich, dass die Herde noch zusammen war. Gedrik war hager und schlaksig und in einen abgenutzten, aber sehr gepflegten Schneeumhang gehüllt. Dazu trug er eine Reithose aus Leder, die an den Innenseiten der Oberschenkel gefüttert war, und warme, mit Pelz besetzte Stiefel. Der Kopf wurde von einer dicken Mütze aus gehärtetem Leder und Pelz geschützt, und
um sein Gesicht war ein Wollschal gewickelt, um den scharfen Gebirgswind abzuhalten. Der grüne Überwurf, der auf Caernus IV, Gedriks Heimatwelt, weit verbreitet war, hing locker über seine Brust, und die Fransenenden bedeckten teilweise das mit Draht umwickelte Heft seines Schwerts. Im linken Stiefel verborgen, führte er außerdem einen schlanken Dolch mit sich. Vor sechs Jahren hatte er beide Waffen persönlich aus dem Metall geschmiedet, und sie waren immer noch so scharf und glänzend wie am Tag ihrer Fertigung. Prediger Mallein hatte ihn gelehrt, wie man mit dem Schwert umging, und er hatte seine Lektionen wohl beherzigt: Niemand in den Vier Tälern konnte so gut kämpfen wie Gedrik. Um sein Arsenal zu vervollständigen, hatte er noch ein einfaches Repetiergewehr bei sich, das er über die breiten Schultern geworfen hatte. Sie waren jetzt fast zu Hause, und Gedrik freute sich auf ein warmes Feuer und die noch wärmere Umarmung seiner Frau Maeren. Diese letzte Woche in den Bergen, wo sie die Herde für das Schlachten zusammengetrieben hatten, war hart gewesen, als hätten Wind und Schnee versucht, die erbärmlichen Menschen auszulöschen, die es wagten, den Zorn der steinigen Gipfel herauszufordern. Doch bald würden sie wieder zu Hause sein, und Gedrik konnte das Fleisch schon beinahe schmecken, das Maeren ihm braten würde, wenn Gohbar mit dem Schlachten der Herde erst einmal begonnen hatte. Er drehte sich um, als er eine gedämpfte Verwünschung hinter sich hörte, und grinste, als sein Vetter Faergus zu ihm aufschloss und dann neben ihm ritt. Obwohl »reiten« eine schmeichelhafte Bezeichnung für Faergus' Fähigkeiten im Sattel war. Gedriks Vetter ließ sich mit seinen massigen Schultern und dem dicken, formlosen Hals nur als Bär von einem Mann beschreiben. Sein Gesicht war ramponiert und zerschlagen, die Nase nach unzähligen Brüchen in ebenso vielen Schlägereien unförmig, und er hatte einen dichten schwarzen Vollbart. Seine Füße baumelten dicht über dem Schnee, und Gedrik konnte das Verlangen seines Reittiers, ihn aus dem Sattel zu werfen, gut verstehen. Er ignorierte das Unbehagen seines Vetters und genoss einfach nur die majestätische Schönheit des Gelrochgebirges auf ihrem Ritt heimwärts.
Die Sonne hatte ihren Zenit bereits vor einer Stunde überschritten, als die schneebedeckte Siedlung Mortens Weite in Sicht kam. In der Biegung eines trägen Flusses mitten in einer ausgedehnten Bergschlucht angelegt, schienen sich die Häuser der Gemeinde aneinander zu schmiegen, als wollten sie sich gegenseitig wärmen. Gedrik konnte die Bewohner auf dem Marktplatz vor dem kleinen, dem Imperator gewidmeten Steintempel und auf den Hängen des Metallhügels hocken sehen. Prediger Mallein musste soeben einen Sermon beendet haben, und Gedrik lächelte, als er sich seinen Sohn Rouari vorstellte, wie dieser ihm beim Essen von geflügelten Engeln und Heldentaten des Imperators erzählte. Mallein verstand etwas vom Geschichtenerzählen, das war mal sicher! Rauch wehte aus der Schmiede, und Gedrik konnte erkennen, wie Gohbar, der Schlachter, auf der näher gelegenen Seite des Tals am Flussufer die mit Eisen umzäunten Koppeln für die Grox vorbereitete. Gedrik trieb sein Pferd an, da ihn der Gedanke an Maeren und ein daheim zubereitetes Essen mit neuer Energie erfüllte. Nur den Grox schien es zu widerstreben, einen Schritt schneller zu laufen, aber ein paar gebrüllte Flüche und gut gezielte Hiebe von Faergus' Schockstab sorgten rasch für Abhilfe. Gedrik ließ den Blick schweifen, und unversehens registrierte er das Aufblitzen einer Bewegung im Tal. Er verengte die Augen und hob eine Hand, um sie vor den Strahlen der tief stehenden Wintersonne abzuschirmen. Hinter einem dichten Gehölz immergrüner Bäume auf dem Kamm der gegenüberliegenden Erhebung hatte sich etwas bewegt, das hätte er beschwören können. Mechanisch nahm er das Gewehr von der Schulter und lud die Waffe durch, sodass eine Kugel in die Kammer geschoben wurde. »Ärger?«, fragte Faergus, als er sah, was Gedrik tat. »Ich bin nicht sicher. Ich glaube, ich habe etwas gesehen«, sagte Gedrik, indem er auf die dunkle Baumlinie zeigte. Faergus blinzelte über die Lichtung und zog dabei seine eigene Waffe, eine kurzläufige Schrotflinte, aus dem Schulterhalfter. »Ich sehe nichts...«, begann Faergus, als plötzlich ein Dutzend Vehikel mit schnittigem Bug aus den Bäumen hervorbrach. Mit Klingen und Krummdornen versehen, rollten die Fahrzeuge, auf deren offenen Decks es von Kriegern wimmelte, bergab der Siedlung entgegen. Schwarze Pfeile sausten aus Waffen, die auf den
Vorderdecks der Fahrzeuge fest montiert waren, und explodierten mit schockierender Heftigkeit zwischen den Häusern von Mortens Weite. »Beim Blut des Imperators!«, fluchte Gedrik, während er sein Pferd zum Galopp anspornte, da alle Gedanken an die Herde vergessen waren. Ohne hinsehen zu müssen, wusste er, dass der Rest seiner Männer hinter ihm war. Schreie und das dumpfe Krachen von Gewehrfeuer hallten von unten herauf, und heiße Furcht packte sein Herz beim Gedanken an diese schrecklichen Fremden in seiner Heimat. Ungeachtet der mit so einem wahnsinnigen Galopp verbundenen Gefahren jagte Gedrik mit seinem Pferd über den steinigen Boden. Trotz des wilden Ritts sah er, wie die fremdartigen Fahrzeuge ausschwärmten und sich eine Gruppe von ihnen aus jeder Flanke löste, um die Siedlung einzuschließen, während der Rest dem Ortskern entgegenstrebte. Gedrik sah, wie die Leute auseinander sprengten und zu ihren Häusern oder zum Tempel rannten, während die ersten Vehikel ins Dorf rasten und ein Haus nach dem anderen zum Einsturz brachten. Sein Pferd hatte mittlerweile die Ausläufer des Dorfs erreicht, und er sah eine Frau, die ein Kind an sich drückte - Maeren und Rouari? -, in die Kirche rennen, während Prediger Mallein von einer Flut tödlicher Splitter aus fremdartigen Gewehren niedergemäht wurde. Johlende Krieger in eng sitzender schwarz-roter Rüstung sprangen akrobatisch von den Decks ihrer Fahrzeuge und rannten durch die Ansiedlung, während sie mit langläufigen Flinten aus der Hüfte schossen. Er schrie vor Entsetzen, als er sah, dass die Dörfler niedergeschossen wurden, wo sie gerade standen, auch Frauen und Kinder, die zur Kirche rannten und deren Leiber unter dem Beschuss zuckten, bevor sie zu Boden fielen. Schwarzer Rauch stieg in den Himmel, da immer mehr Häuser in Flammen aufgingen, und die Schreie der Sterbenden schnitten wie Messer durch Gedrik. Aus ein paar Fenstern wurde zurückgeschossen, und einige der Banditen gingen zu Boden. Immerhin würden die Fremden Mortens Weite nicht kampflos einnehmen. Sein wilder Ritt hatte ihn fast bis zum Fluss gebracht, nahe genug, um den alten Gohbar zu sehen, der einer Gruppe der fremden Krieger laut brüllend und mit hoch über den Kopf erhobener Flenshellebarde entgegenlief. Die Fremden fuhren herum und
erledigten den Schlachter mit einer Salve ihrer tödlichen Gewehre, bevor sie im Rauch der Todeszuckungen des Dorfs verschwanden. Gedrik versuchte sein Pferd zu noch schnellerem Galopp anzuspornen, als er über die Flussbrücke donnerte, vorbei an der Generatormühle, bei deren Bau er eigenhändig geholfen hatte, und vorbei auch an dem zuckenden Gohbar. Das Gesicht des Mannes war violett und verzerrt, und die Zunge hing ihm aus dem Mund wie eine geschwollene schwarze Schlange. Die ganze Siedlung stand in Flammen, und Hitze und Rauch waren unerträglich. Gedrik erreichte den Marktplatz der Siedlung und zügelte abrupt sein Pferd. Zwei Fahrzeuge der Angreifer schwebten vor dem Tempel, und die fremden Krieger zerrten schreiende Dörfler zu ihnen. Ihre Gesichter waren außerordentlich grausam und bleich. Humanoid, doch vollkommen fremdartig. Gedrik beugte sich in den Steigbügeln vor und zielte mit seinem Gewehr auf einen der rot gerüsteten Eindringlinge, sodass sein eckiger Helm über Kimme und Korn auftauchte. Er drückte ab und holte den Krieger von den Beinen, aus dessen Hals Blut spritzte. Die anderen sprengten auseinander, und Gedrik schrie auf und bohrte seinem Pferd die Sporen in die Flanken. Das Tier sprang vorwärts, und Gedrik gab noch zwei Schüsse ab, die zwei weitere der Fremden fällten, bevor seine Waffe versagte. Die Angreifer richteten ihre Waffen auf ihn, aber der Imperator war mit ihm, und ihre leise heulende Munition verfehlte ihr Ziel. Dann war er zwischen ihnen, schwang sein Gewehr in brutalem Bogen und zerschmetterte einem Feind den Schädel. Er ließ das Gewehr fallen und zog sein Schwert. Er sah etwas rot aufblitzen, bevor ein Strahl aus dunklem Licht das Pferd unter ihm tötete. Gedrik zog die Füße aus den Steigbügeln, sprang von dem sterbenden Tier, landete leichtfüßig vor einem Haufen der fremden Krieger und schlug mit seinem glänzenden Schwert mit der breiten Klinge zu. Der erste Fremde fiel mit Schlingen seiner Eingeweide um die Knöchel, und der zweite starb, als sich Gedriks Schwert tief in seine Brust bohrte. Ihre fremdartige Rüstung bot keinen Schutz vor der übernatürlichen Schärfe von Gedriks Schwert, das sie mit Leichtigkeit durchschnitt. Der dritte Fremde stieß mit einer rauchenden Klinge am Ende seines Gewehrs zu, und als Gedrik daraufhin zurückspringen musste, verlor er sein Schwert. Hinter sei-
nem Helm mit dem glatten Visier rückte der Fremde langsam und unbeirrt vor. Gedrik knurrte und hechtete mit weitem Sprung unter der Waffe seines Gegners durch. Dabei zog er den Dolch aus dem Stiefel und stieß ihn dem Krieger in die Wade. Der Fremde ging entsetzlich kreischend zu Boden, und Gedrik riss das Messer aus der Wunde und rammte es dem Fremden tief in die Brust. Er sah, dass Faergus ihm folgte und zwei der Angreifer mit donnernden Schüssen aus seiner Schrotflinte in blutige Fetzen sprengte. Faergus riss sein Pferd herum, während Gedrik sein Schwert aufhob und seinem Vetter zurief: »Schaff so viele wie möglich in den Tempel. Wir versuchen uns dort gegen sie zu verteidigen!« Faergus nickte, doch bevor er sein Pferd in Bewegung setzen konnte, zuckte eine grelle violette Flamme aus einem der fremden Fahrzeuge und hüllte ihn ein. Faergus schrie auf, als die furchtbaren Energien ihm in Sekunden das Fleisch von den Knochen brannten. Langsam kippte sein verkohltes Skelett von seinem schreienden Pferd, und Gedrik spürte, wie sich ihm angesichts des furchtbaren Todes seines Vetters der Magen umdrehte. Das Pferd ging mit einer blutigen Furche in der Flanke zu Boden, wo es von der Waffe der Fremden getroffen worden war. Gedrik rannte die Stufen zum Tempel empor und hämmerte an die Tür, während er Maerens Namen rief. Splitter lösten sich aus den Mauern des Gebäudes, da immer mehr Fremde in der Mitte des Dorfs eintrafen und wild und unkontrolliert auf ihn schossen. Er hechtete von der Treppe, rollte sich ab und sprang wieder auf. Er sah, wie die überlebenden Dorfbewohner von den Fremden zu Tode gehetzt wurden und eine schlanke, weißhaarige Gestalt in jadegrüner Rüstung auf dem führenden Fahrzeug alles beobachtete. Die Gestalt ließ in ungeduldigem Bogen eine Axt durch die Luft sausen, und Gedrik schrie auf, als die Dorfbewohner niedergeschossen wurden, wo sie gerade liefen und standen. Er wollte dem Anführer der Fremden seinen Dolch in die Brust bohren, wusste aber, dass er tot sein würde, bevor er auch nur in seine Nähe kam. Er sprang zurück in dem Wissen, dass die Leute im Tempel das Risiko, die Türen zu öffnen, jetzt nicht eingehen konnten, und rannte um die Ecke in der Hoffnung, dass sie die Sakristei noch
nicht verbarrikadiert hatten. Gedrik hörte, wie Befehle gebrüllt wurden, und dann das tiefe Bassgrollen einer mächtigen Waffe. Er betete, dass es jemandem gelungen war, den Gemeinden in der Nähe eine Warnung zu schicken. Die Tür zur Sakristei lag vor ihm, und er stieß einen Ruf der Erleichterung aus, als er sah, dass sie nur angelehnt war. Er erreichte die Tür, und seine Hand schloss sich um die eiserne Klinke. Bevor er die Tür öffnen konnte, explodierte der Tempel. Orangefarbene Flammen schossen pilzförmig in den Himmel und holten Gedrik von den Beinen. Schmerzen, wie er sie noch nie erlebt hatte, schlugen über ihm zusammen, als die Explosion ihn gegen den Hang hinter dem Gebäude schleuderte. Er fiel schlaff zu Boden, vom Aufprall bis ins Mark erschüttert. Seine Haut war verbrannt, und Teile seines Körpers waren infolge der unnatürlichen Flammen den Elementen ausgesetzt. Er spürte kühlen Schnee auf seinem Körper, konnte aber keine Schmerzen empfinden. Er wusste, dass das schlimm war. Schmerzen bedeuteten Leben. Er verdrehte die Augen, sodass er die rauchende Ruine des Tempels sehen konnte, dessen stützende Holzpfeiler wie verkohlte Rippen gen Himmel ragten. Er konnte keine Leichen ausmachen, wusste aber, dass niemand die Explosion überlebt haben konnte, und Kummer überwältigte ihn. Maeren, Rouari, Faergus, Mallein, Gohbar... alle nicht mehr da. Alle waren tot. Bald auch er. Sein Atem rasselte in seiner Kehle, während er das leise Summen der sich nähernden Fahrzeuge der Invasoren hörte und er sich aufzurichten versuchte, aber seine Glieder wollten ihm nicht gehorchen. Dumpf hörte er die melodischen Stimmen der Fremden, elegant, aber bedrohlich, und versuchte ihnen eine trotzige Verwünschung entgegenzuspeien. Doch die Stimmen passierten ihn und erklommen den Metallhügel. Er sah zu, wie der grün gerüstete Krieger auf den Hang zeigte und seine Leute anwies auszuschwärmen. Er hörte sie aufgeregt tuscheln, konnte aber nicht verstehen, was sie sagten. War seine Gemeinde aus diesem Grund abgeschlachtet worden? Für das Metall!
Er hörte das Tosen von Flammen, und der Hang loderte auf. Es zischte, als der Schnee verdampfte. Die Fremden bearbeiteten den Hang weiter mit ihren Flammen speienden Waffen und hörten erst auf, als eine verhüllte Gestalt in leuchtend roten Gewändern aus dem nächsten Vehikel der Fremden stieg und die Hand hob. Die Gestalt trat vor und betrachtete, was unter dem Schnee zum Vorschein gekommen war, und die Fremden keuchten leise, als sich der Dampf verzogen hatte. Wie Quecksilber fließend, funkelten die freigelegten Schichten im Sonnenlicht. Der gesamte Berghang glänzte metallisch. Der Hügel unter dem Schnee bestand ausschließlich aus einem glatten, silbernen Metall. Wo die Hitze der Flammen es verflüssigt hatte, kräuselte es sich und wogte hin und her wie ein lebendiges Wesen. Langsam nahm es seine alte Gestalt wieder an und verfloss zu einer Oberfläche glatt wie Glas, bis es einem gigantischen Spiegel ähnelte. Die verhüllte Gestalt sank vor dem Metallhügel auf die Knie und begann mit einem verzückten Singsang, dessen Worte heiser und künstlich klangen. Augenblicke verstrichen, bevor Gedrik aufging, dass er die Worte kannte. Er verstand sie zwar im Grunde nicht, kannte das Mantra aber aus der Zeit, die er mit Faergus in der Schmiede gearbeitet hatte. Es war ein Loblied auf den Omnissias. Den Maschinengott. Die berobte Gestalt erhob sich, wandte sich dem Anführer der Fremden zu und schlug die Kapuze zurück. Gedrik sah, dass das Gesicht der Gestalt zum großen Teil durch kybernetische Implantate ersetzt worden war. In der Mitte der Kehle unter den zugenähten Lippen ruhte eine messingumrahmte Sprecheinheit, aus der das Knistern leeren Rauschens drang. Kupferdraht schlängelte sich durch die Gewänder und verschwand in den leeren Augenhöhlen, und Gitterscheiben waren auf die runzlige Haut genäht, wo sich bei einem normalen Menschen die Ohren befanden. Die Haut war fahl und grau, aber trotz der vielen deformierenden Aspekte der widerwärtigen operativen Veränderungen an der Gestalt des Mannes konnte Gedrik erkennen, dass er ganz eindeutig ein Mensch war, und er wollte vor Entsetzen aufschreien, das dieser Verrat in ihm wachrief. Kalter Schmerz breitete sich in seinem Leib aus, und er wollte wieder schreien, aber Bewusstlosigkeit übermannte ihn und erlöste ihn von der Qual.
2. Kapitel Es war kalt, als Hauptmann Uriel Ventris von den Ultramarines die tausend Stufen zu den Gemächern des Ordensmeisters erklomm. Er trug seinen Helm in der Armbeuge, und sein Schritt war sicher, da die Kunstmuskeln in seiner Servorüstung einen Spaziergang aus der Kletterpartie machten, obwohl er aufgrund der Wunde, die er vor sechs Monaten auf Thracia erlitten hatte, immer noch leicht hinkte. Die Treppe wand sich an den Talhängen des Laponis empor, wo das großartigste Bauwerk auf Macragge stand, die Hera-Festung, die Bastion der Ultramarines. Aus großen, aus den Abhängen geschlagenen Marmorplatten erbaut, war dieses riesige Bauwerk ein gigantisches Meisterwerk von einer Säulenhalle, dessen Oberflächen in makellosem Weiß erstrahlten. Elegante Balkone, goldene Kuppeln und schlanke, von angewinkelten Stahlstreben gestützte gläserne Wegbrücken vermittelten den Eindruck sowohl von großer Kraft als auch von luftiger Schwerelosigkeit. Das Festungskloster der Ultramarines war ein Wunder der Baukunst, ersonnen vom Primarchen des Ordens, Roboute Guillaume, und errichtet in der Zeit des Großen Kreuzzugs des Imperators vor zehntausend Jahren. Seitdem residierte der Space-MarineOrden der Ultramarines hier. Die Festung lag zwischen den höchsten Gipfeln im Laponistal, umgeben von Hochlandföhren und neben den gewaltigen Herafällen. Gletscherwasser donnerte über die Kante auf die Felsen hunderte von Metern tiefer, und funkelnde Regenbogen spannten sich über die Breite des Tals. Uriel blieb stehen und betrachtete die Fälle, wobei er sich an seinen ersten Blick auf sie und auf das Gefühl der Ehrfurcht erinnerte, das ihn dabei überkommen hatte. Seine Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln, als ihm aufging, dass sich daran nichts geändert hatte. Er legte die Hand auf den Knauf seines Schwerts und spürte die Last der Verantwortung, die es repräsentierte. Während er die sorgfältig ausgearbeiteten Einzelheiten auf der meisterhaft geschmiedeten Scheide betrachtete, kehrten seine Gedanken zu dem Gemetzel auf der Rebellenwelt Thracia zurück, wo sein Kompanieführer und treuer Freund, Hauptmann Idaeus, ihm diese
wunderbare Waffe geschenkt hatte, bevor er in den Tod gegangen war. Mit der Zerstörung einer Brücke beauftragt, um die verräterischen Soldaten Thracias daran zu hindern, einer imperialen Armee in den Rücken zu fallen, war Idaeus' Trupp in einen verzweifelten Kampf gegen ein gewaltiges Feindkontingent verwickelt worden, das die Brücke einnehmen wollte. Einen Tag und eine Nacht hatten die dreißig Ultramarines etwa tausend Soldaten in Schach gehalten, bis ketzerische Krieger der Nachtlords in den Kampf eingriffen. Uriel schauderte, als er sich an sein Entsetzen beim Anblick seiner auf den Transportfahrzeugen der Nachtlords gekreuzigten Kameraden erinnerte, und wusste, dass er die Bilder ihrer schmerzverzerrten Gesichter mit ins Grab nehmen würde. Die Verräter-Marines hätten die Stellung der Ultramarines beinahe überrannt, aber dank eines verzweifelten Wagnisses von Idaeus, das ihn das Leben gekostet hatte, war die Brücke zerstört und der Angriff abgewehrt worden. Der Kummer über Idaeus' Tod schnürte ihm wieder die Kehle zusammen, aber er unterdrückte das Gefühl rasch und setzte seinen Weg nach oben fort. Es ziemte sich nicht, seinen Herrn und Gebieter warten zu lassen. Er stieg die Stufen höher, die in der Mitte glatt waren von unzähligen Schritten, und fragte sich kurz, wie viele wohl schon vor ihm diesen Weg genommen hatten. Schließlich erreichte er die breite Esplanade an der Spitze und warf einen Blick zurück auf den Weg, den er bei seinem Aufstieg genommen hatte. Schneebedeckte Berge erstreckten sich, so weit das Auge reichte, in alle Richtungen bis auf eine. Im Westen schimmerte der Horizont in einem tiefen Azurblau, wo Uriels genetisch verbessertes Sehvermögen in weiter Ferne die felsige Küstenlinie und das Meer ausmachen konnte. Die mit Kuppeln und Marmordächern versehenen Festungsbauten lagen terrassenförmig unter ihm, und jede Terrasse war eine eigene kleine Zitadelle. Er drehte sich auf dem Absatz um und schritt zu dem gewaltigen Bauwerk vor ihm. Er folgte einem Säulengang, der zu den Gemächern des Ordensmeisters der Ultramarines, Marneus Calgar, führte. Glänzende Bronzetüren schwangen auf, als er sich näherte, und zwei massige Krieger der Ersten Kompanie in den heiligen Terminatus-Rüstungen mit langen Hellebarden schritten
mit bereitgehaltenen Waffen hindurch. Selbst Uriels gerüstete Gestalt wirkte zwergenhaft neben der Masse der Terminatus-Rüstungen, und er nickte den Veteranen im Vorbeigehen auf dem Weg ins kühle Vestibül respektvoll zu. Ein Diener des Ordensmeisters in einer schlichten blauen Tunika tauchte neben ihm auf, nahm ihm den Helm ab und zeigte auf den Mittelhof des Bauwerks, ohne ein Wort zu sagen. Uriel bedankte sich und schritt die Treppe zum tiefer gelegenen Hof hinab, während er den Blick schweifen ließ und sich bemühte, jede Einzelheit aufzunehmen. Golden bestickte Schlachtstandarten hingen von den Hofbalkonen über schattigen Kreuzgängen, und Statuen von Helden der Ultramarines aus uralten Zeiten umringten einen plätschernden Springbrunnen in der mit Marmor verkleideten Mitte des Hofs. Er erkannte den Alten Galatan, einen ehemaligen Träger von Macragges Banner, und Hauptmann Invictus, einen Helden der Ersten Kompanie, der im Kampf gegen den Großen Verschlinger gefallen war. Der Springbrunnen hatte die Gestalt eines gewaltigen Kriegers auf einem mächtigen Streitross, der die Lanze in den Himmel erhoben hatte: Konor, der erste Kriegskönig Macragges, dessen Gesicht höchst kunstvoll in den Stein gemeißelt war, sodass die grimmige Entschlossenheit des Mannes zu sehen war, das Beste für sein Volk zu tun. Ein weiterer Diener kam mit einem Tablett, auf dem ein irdener Krug und zwei Silberpokale standen. Er stellte alles auf der Steinbank ab, die den Springbrunnen umringte, und zog sich lautlos zurück. Uriel umklammerte nervös den Knauf seines Schwerts und wünschte, er würde sich seiner Geschichte würdig fühlen. »Konor war ein Riese unter den Menschen«, sagte eine Stimme, in der Jahrhunderte der Autorität und Macht mitschwangen. »Er hat vor seinem einundzwanzigsten Geburtstag den ganzen Kontinent befriedet und Ereignisse in Gang gesetzt, die es dem heiligen Guillaume ermöglichten, der Mann zu werden, der er sein musste.« Uriel drehte sich zum Herrn über Macragge um, zu Marneus Calgar. »Daran kann ich mich nach meinem Unterricht in der AgiselusKaserne noch gut erinnern, Milord«, erwiderte Uriel mit einer tiefen Verbeugung. »Eine hervorragende Einrichtung. Dort ist auch Guillaume aus-
gebildet worden.« Uriel lächelte über Calgars Bescheidenheit, da er sehr wohl wusste, dass auch der Ordensmeister seine Ausbildung dort erhalten hatte. Der Herr der Ultramarines war ein Riese von einem Mann, selbst nach den Maßstäben der Space Marines. Der Glanz seiner blauen Rüstung schien kaum in der Lage zu sein, seine Kraft und Dynamik einzudämmen. Der zweiköpfige Imperiumsadler aus Bronze auf seiner rechten Schulter glänzte wie poliertes Gold. Schwarze Ringe baumelten an seinem rechten Ohrläppchen, und sein linkes Auge war durch eine schlichte, edelsteinartige bionische Version ersetzt worden. Feiner Kupferdraht zog sich von dessen Mechaniken zu seinem Hinterkopf. Calgars ehrwürdiges Gesicht schien aus Eiche geschnitzt zu sein, doch hatte er nichts von seiner Schläue und Intelligenz eingebüßt. Über vierhundert Jahre alt beneideten ihn halb so alte Krieger um seine Kraft und Vitalität. »Guten Tag, Bruder«, grüßte Calgar, indem er beide Handflächen auf die Schulterschützer von Uriels Rüstung legte. »Es ist schön, Sie zu sehen, Uriel. Mein Stolz und meine Bewunderung gehören Ihnen. Die Siege auf Thracia waren aller Ehren wert.« Uriel verbeugte sich in Anerkennung des Kompliments, und Calgar lud ihn ein, Platz zu nehmen. Der Herr der Ultramarines ließ sich auf der Bank nieder und goss Wein aus dem irdenen Krug in die Pokale, um Uriel dann einen anzubieten. In Calgars massigem Panzerhandschuh sah der Pokal geradezu absurd winzig aus. »Meinen Dank.« Uriel kostete den kühlen Wein und wartete schweigend ab. Seine raubvogelartigen Züge waren ernst und kantig, die Augen hatten die Farbe von Gewitterwolken. Er trug seine schwarzen Haare stoppelkurz, und in der Braue über dem linken Auge saßen zwei goldene Stecker. Uriel war ein geborener Krieger und stammte von der unterirdischen Höhlenwelt Calth. Dank seiner Heldentaten stand er bei den Ultramarines in dem Ruf, ein Krieger von großer Kraft und Leidenschaft zu sein, und seine Ergebenheit dem Orden gegenüber war beispielhaft. »Idaeus war ein hervorragender Krieger und ein wahrer Freund«, stellte Calgar fest, der Uriels Gedanken erriet. »Das war er in der Tat«, stimmte Uriel zu, indem er die Hand auf die gepunzte Schwertscheide legte. »Das hat er mir gegeben, bevor er sich daran gemacht hat, die Brücke auf Thracia zu zer-
stören. Er sagte, es würde mir bessere Dienste leisten als ihm, aber ich weiß nicht, ob ich ihm die gebührende Ehre erweisen oder ihn als Führer der Vierten Kompanie ersetzen kann.« »Er hätte nicht gewollt, dass Sie ihn lediglich ersetzen, Uriel. Er hätte gewollt, dass Sie Ihren eigenen Weg gehen und die Vierte Kompanie zu Ihrer Kompanie machen.« Calgar stellte seinen Pokal ab. »Ich habe Idaeus gut gekannt, Hauptmann Ventris«, begann er, indem er Uriel mit seinem neuen Rang anredete, »und war mir seiner... unorthodoxen Methoden sehr wohl bewusst. Er war ein Mann mit vielen Talenten und einem aufrichtigen Herzen. Sie haben ihm viele Jahre gedient und wissen ebenso gut wie ich, dass Idaeus das Schwert, das er selbst geschmiedet hat, keinem, unwürdigen Mann vermacht hätte.« Calgars Miene war wie in Stein gemeißelt, als er fortfuhr. »Bedenken Sie dies, Sohn Guillaumes, der Vater unseres Ordens wacht immer über uns. Er kennt Ihre Seele, Ihre Stärken und, aye, sogar Ihre Ängste. Ich teile Ihren Schmerz über den Verlust von Bruder-Hauptmann Idaeus, aber seinen Namen mit Kummer zu entehren, ist falsch. Er hat sein Leben gegeben, damit seine Schlachtbrüder leben und die Feinde des Imperators besiegt werden konnten. Ein Krieger kann sich keinen besseren Tod wünschen. Hauptmann Idaeus war der dienstälteste Offizier, und Sie hatten die Pflicht, seine Befehle zu befolgen. Die Befehlskette darf nicht durchbrochen werden, sonst sind wir nichts. Disziplin und Ordnung sind alles auf dem Schlachtfeld, und die Armee, die diesem Credo folgt, wird immer siegreich sein« Vergessen Sie das nicht.« »Niemals«, bestätigte Uriel. »Verstehen Sie alles, was ich gesagt habe?« »Jawohl.« »Dann werden wir heute nicht mehr über Idaeus reden, sondern über zukünftige Schlachten, denn ich brauche die Vierte Kompanie.« Uriel stellte seinen Pokal ab, und beim Gedanken daran, dem Imperator wieder dienen zu können, machte sich Vorfreude in ihm breit. »Wir sind zum Kampf bereit, Lord Calgar«, verkündete Uriel stolz. Calgar lächelte, da er diese Antwort erwartet hatte. »Ich weiß,
dass Sie das sind, Uriel. Einige Wochen von Ultramar entfernt gibt es eine Welt, die Ihrer Anwesenheit bedarf. Sie heißt Pavonis und leidet unter Verwüstungen durch die Piraterie der verwünschten Eldar.« Uriels Miene verhärtete sich voller Verachtung bei der Erwähnung der Eldar, dekadenter Nichtmenschen, die sich weigerten, das göttliche Recht der Menschheit anzuerkennen, über die Galaxis zu herrschen. Uriel hatte schon gegen die Eldar gekämpft, wusste jedoch wenig über ihre blasphemischen, nichtmenschlichen Sitten und Bräuche. Die Schulungspredigten der Kaplane hatten ihn gelehrt, dass ihre Arroganz jeder Beschreibung spottete und man ihnen nicht trauen konnte, was für Uriel genug war. »Wir werden sie aufspüren und vernichten, wie es sich für nichtmenschliche Verräter gehört, Milord.« Calgar schenkte Wein nach und hob den Pokal. »Ich trinke auf die Schlachten und Siege, die da kommen werden, Uriel, aber Sie müssen noch aus einem anderen Grund nach Pavonis.« »Und der wäre?« »Im Administratum ist man sehr verärgert über die planetare Statthalterin von Pavonis. Man will sich mit ihr über die ausbleibenden Zahlungen der richtigen und angemessenen Abgaben für eine imperiale Welt auseinander setzen. Sie sollen einen Adepten des Administratums nach Pavonis bringen und dafür sorgen, dass er sein Missvergnügen übermitteln kann. Ich unterstelle seine Sicherheit Ihrer persönlichen Verantwortung, Hauptmann.« Uriel nickte, obwohl er nicht wusste, warum dieser spezielle Sesselpupser so einen umfangreichen Schutz bekam, und tat diese Überlegung dann als irrelevant ab. Dass Lord Calgar ihm die Sicherheit des Mannes anvertraute, war genug Grund, um dafür zu sorgen, dass ihm kein Leid geschah. »Lordadmiral Tiberius hat die Vae Victus startklar gemacht, und Ihr Schutzbefohlener wird morgen mit detaillierten Informationen an Bord gehen. Ich erwarte von Ihnen und Ihren Männern, dass sie sich vor dem nächsten Sonnenuntergang zur Abreise einfinden.« »So wird es sein, Lord Calgar«, versicherte Uriel, der sich wahrhaft geehrt fühlte ob des Vertrauens, das der Herr der Ultramarines ihm entgegenbrachte. Er wusste, er würde eher sterben als dieses Vertrauen enttäuschen. »Dann gehen Sie, Hauptmann Ventris«, befahl Calgar, indem er
sich erhob und Uriel salutierte. »Huldigen Sie dem Schrein des Primarchen, und verständigen Sie dann Ihre Männer.« Calgar streckte die Hand aus, und die beiden Krieger besiegelten ihren gegenseitigen Eid der Treue und der Courage mit dem Krieger-Griff, Hand um Unterarm. Uriel verbeugte sich tief vor Calgar und marschierte mit gestärkter Zuversicht aus dem Hof. Calgar sah seinem jüngsten Hauptmann nach, wie er durch die Bronzetüren und in die Abendsonne ging, und wünschte, er hätte ihm mehr sagen können. Er hob seinen Pokal und leerte ihn mit einem Schluck. Sein verschärftes Hören registrierte das Rascheln von Stoff hinter sich, und ohne sich umzudrehen, wusste er, wer hinter ihm im Schatten der Kreuzgänge stand. »Dieser Mann trägt jetzt eine sehr große Verantwortung, Lord Calgar. Hier steht sehr viel auf dem Spiel. Wird er es schaffen?«, fragte der Neuankömmling. »Ja«, sagte Marneus Calgar leise, »ich glaube, das wird er.« Uriel marschierte an der goldenen Prozession entlang und durch Trauben berobter Pilger, ohne die Blicke voll verwunderten Staunens wahrzunehmen, die seine Anwesenheit provozierte. Er überragte jene, welche gekommen waren, um einen der heiligsten Orte im Imperium zu besuchen, um Kopf und Schultern, und er spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, als er sich dem Zentrum des Tempels der Besserung näherte. Wie ein Großteil der Hera-Festung wurde auch der Entwurf des Tempels Roboute Guillaume zugeschrieben. Seine Proportionen und die Pracht seiner Verzierungen widersetzten sich dem Begriffsvermögen. Vielfarbiges Licht fiel durch einen gewaltigen Torbogen vor ihm, Licht der tief stehenden Abendsonne, das in goldenen, blauen, roten und grünen Strahlen durch die Buntglaskuppel fiel. Die Pilgerscharen teilten sich vor ihm, da sein Status als einer der Auserwählten des Imperators ihm stillen Vorrang über ihr Verlangen einräumte, den gesegneten Guillaume mit eigenen Augen zu erblicken. Wie immer schnürte sich ihm in der Ehrfurcht gebietenden Gegenwart des Primarchen die Kehle zu, und er schlug die Augen nieder, da er nicht würdig war, den Blick zu lange auf dem Gründervater des Ordens ruhen zu lassen. Die massiv gerüstete Gestalt von Roboute Guillaume, dem
Primarchen der Ultramarines, saß auf einem gewaltigen Marmorthron, seit zehntausend Jahren in der Gruft eines Stasenfelds eingebettet. Dem Primarchen zu Füßen lagen sein Schild und seine Waffen, und hinter ihm stand das erste Banner Macragges, das angeblich aus den geschorenen Haaren von tausend Märtyrern gewebt und von der Hand des Imperators berührt worden war. Uriel spürte seine Brust vor Stolz darüber anschwellen, dass in seinen Adern das Blut dieses gewaltigsten aller Helden und Krieger floss, der schon in den Zeiten des Großen Kreuzzugs gelebt hatte. Er sank auf ein Knie, überwältigt von der Ehre, die seine bloße Existenz war. Selbst im Tod kündeten die Züge des Primarchen von großer Courage und Kraft, und ohne die glänzende Halswunde hätte Uriel geschworen, der gewaltige Krieger könne aufstehen und aus dem Tempel marschieren. Er verspürte einen kalten, stählernen Zorn, als sein Blick auf die scharlachrote Wunde fiel. Perlen von Blut wie winzige, funkelnde Rubine hingen unbeweglich unter dem Hals des Primarchen, da sie vom statischen Zeitfeld in der Gruft in der Luft gehalten wurden. Guillaumes Leben war von der vergifteten Klinge des Verräter-Primarchen Fulgrim von den Imperatorkindern ein Ende gesetzt worden. Seine Werke waren zunichte gemacht worden und sein Vermächtnis war unerfüllt geblieben, und darin lag die große Tragödie von Guillaumes Tod. Einige glaubten, die Wunden des Primarchen würden langsam heilen, und behaupteten, er werde sich eines Tages von seinem Thron erheben. Wie sich solch eine Unmöglichkeit in der zeitversiegelten Blase eines Stasenfelds zutragen sollte, war eine Angelegenheit, welche diese Propheten auf den unfehlbaren Willen des Imperators zurückführten. Er konnte die Anwesenheit der schweigenden Massen hinter sich spüren und war sich ihrer heiligen Wertschätzung für ihn bewusst, obwohl er sich solcher Verehrung für unwürdig hielt. Er wusste, dass er sich durch solche Gedanken von der Mehrheit seiner Brüder unterschied, aber Idaeus hatte ihn gelehrt, über die Grenzen des konventionellen Denkens hinwegzuschauen. Die gewöhnlichen gesichtslosen Massen der Menschheit waren die wahren Helden der Galaxis. Die Männer und Frauen des Imperiums, die nackt und verwundbar vor den Schrecken eines unendlichen Universums standen und sich weigerten, sich seiner schier unbegreiflichen Riesen-haftigkeit zu beugen. Für diese Menschen
existierte er. Sein Lebenszweck bestand darin, sie zu beschützen, sodass sie fortfahren konnten, die manifeste Bestimmung der Menschheit zu erfüllen, im Namen des Imperators über die Galaxis zu herrschen. Die meisten waren viele Monate oder sogar Jahre gereist und hatten tausende von Lichtjahren zurückgelegt und alles geopfert, was sie besaßen, um hier sein zu können, aber jeder Einzelne von ihnen wahrte einen respektvollen Abstand, da einer der Söhne Guillaumes seinen Primarchen ehrte. Uriel sank auf ein Knie und flüsterte: »Verzeiht mir, Herr, aber ich trete vor Euch, um Euren Segen zu erbitten. Ich führe meine Männer in den Krieg und bitte darum, dass Ihr mir den Mut und die Klugheit gebt, sie in Ehren durch das Feuer der Schlacht zu führen.« Uriel schloss die Augen und ließ sich von seiner Umgebung mit deren Gelassenheit und Majestät erfüllen. Er holte tief Luft, und seine Sinne wurden vom Geruch verblasster Schlachtenbanner erfüllt, mit denen die Peripherie der hohen Kuppeldecke behangen war. Empfindungen überfluteten ihn, als die im hinteren Teil seines Mundes befindliche Neuroglottis den chemischen Inhalt der Luft analysierte, die nach fremden Welten und in alten Zeiten ausgefochtenen Kreuzzügen roch. Erinnerungen brachen über ihn herein, und ganz besonders eine, die bereits über ein Jahrhundert alt war, setzte sich in seinen Gedanken fest. Er war gerade vierzehn und vor kaum einem Monat zum ersten Mal zum HeraTempel gebracht worden. Uriel rannte bergauf, seine Lunge brannte, da ihn seine langen Schritte rasch durch die ausgedehnten immergrünen Wälder des hohen Bergs trugen. Seine körperliche Tüchtigkeit war bereits besser als die der meisten anderen von den Ultramarines ausgewählten Rekruten, und nur Learchus war jetzt noch vor ihm. Aber Uriel holte auf. Die Arbeit in den Höhlenfarmen von Calth und die Ausbildung in der Agiselus-Kaserne hatte seinen Körper hager und hart werden lassen, und er wusste, dass seine Ausdauer reichte, um Learchus vor der Spitze einzuholen. Nur Cleander war dicht hinter ihm, aber Uriel konnte jetzt keinen Blick zurückwerfen, um festzustellen, wie nah ihm Learchus' Freund war. Uriel schloss die Lücke zwischen sich und Learchus, und jetzt trennten sie nur noch ein paar Schritte. Er grinste, da er
sich dem größeren Jugendlichen langsam näherte, und seine gesamte Energie konzentrierte sich darauf, den Führenden des Rennens zu überholen. Cleanders Schritte waren nahe, aber Uriel war zu erpicht darauf, Learchus einzuholen. Learchus warf einen Blick über die Schulter. Die Besorgnis auf seinen erschöpften Zügen war offensichtlich, und Uriel frohlockte. Er konnte das Wissen um die Niederlage auf Learchus' Gesicht geschrieben sehen und strengte sich noch mehr an. Uriel wich ein wenig nach rechts aus, um Learchus zu überholen, während er die brennenden Schmerzen in seinen Oberschenkeln zurückdrängte, da er seinen Schritt noch beschleunigte. Learchus schaute zurück, als er Uriel im Augenwinkel erblickte, und stieß den Ellbogen nach hinten. Blut spritzte aus Uriels Nase, und seine Augen füllten sich mit Wasser. Blendendes Licht explodierte vor seinen Augen, und er stolperte vorwärts, während er unwillkürlich die Hände vor das Gesicht schlug. Er spürte, wie von hinten seine Schultern gepackt wurden, und schrie auf, als Cleander ihn vom Weg stieß. Er fiel schwer und schlug mit der gebrochenen Nase auf die hart gestampfte Erde. Er hörte Gelächter, und eine schreckliche Wut überkam ihn. Uriel versuchte sich benommen aufzurappeln und wischte sich Blut von Nase und Kinn, aber Schwindel übermannte ihn, und er brach zusammen. Durch den Nebel der Schmerzen registrierte er, dass er von anderen Rekruten überholt wurde, die seinen Angreifern zur Spitze des Bergs folgten. Eine Hand schloss sich um seinen nackten Arm und zog ihn hoch. Uriel blinzelte Schmerztränen weg, sah seinen ZugKameraden Pasanius und hielt sich an den Schultern seines Freundes fest, da er sich langsam erholte. »Lass mich raten«, keuchte Pasanius außer Atem. »Learchus?« Uriel konnte nur nicken und wütend den Berg emporschauen. Learchus war jetzt weit voraus und beinahe oben. »Kannst du laufen?« »Aye, ich kann laufen«, fauchte Uriel. »Auf direktem Weg zur Spitze, wo ich diesem betrügerischen Tier den Schädel einschlage!« Er schüttelte Pasanius' Hand ab und setzte sich wieder in Bewegung, und bei jedem Aufsetzen seiner nackten Füße schossen heiße Schmerzwellen durch sein Gesicht. Blut lief reichlich aus
seiner Nase, und er begrüßte dessen bitteren, metallischen Geschmack im Mund, da sich sein Zorn steigerte. Er überholte Läufer, die er kaum zur Kenntnis nahm, da sein Kopf von Rachegedanken erfüllt war. Uriel erreichte die Bergspitze und stolperte zu dem Hügelgrab in der Mitte des kleinen, felsigen Plateaus. Er berührte die Säule aus Felsen und wandte sich der Stelle zu, wo Learchus und Cleander saßen. Zerklüftete schwarze Berge erstreckten sich, so weit das Auge reichte, aber Uriel schenkte der spektakulären Aussicht keine Beachtung, als er zu Learchus marschierte, der ihn wachsamen Auges beobachtete. Cleander erhob sich und trat zwischen die beiden, und Uriel sah Verärgerung über Learchus' Miene huschen. Cleander war jünger als Uriel, aber einen halben Kopf größer, und auf seiner schweißnassen Brust zeichneten sich dicke Muskelstränge ab. Uriel blieb stehen und begegnete dem Blick des größeren Jungen, dann verpasste er ihm einen Schlag mit dem Handballen in den Solarplexus. Cleander klappte zusammen, und Uriel ließ kraftvolle Haken ins Gesicht und an den Hals folgen und beendete den Kampf mit einer gewaltigen rechten Geraden. Der größere Junge ging zu Boden, und Uriel stieg über seine ächzende Gestalt hinweg und ging weiter auf Learchus zu. Der Junge erhob sich, wich zurück und nahm die Haltung eines Boxers an, die Fäuste hoch erhoben. »Du hast betrogen«, klagte Uriel ihn an, indem er ebenfalls die Fäuste hob. Learchus zuckte die Achseln. »Ich habe das Rennen gewonnen«, stellte er fest. »Und du glaubst, mehr zählt nicht? Nur das Gewinnen?« »Natürlich«, erwiderte Learchus höhnisch. »Wenn du etwas anderes glaubst, bist du ein Idiot.« Die beiden umkreisten sich drohend, während die letzten Rekruten die Bergspitze erreichten. »Hast du denn nichts in Agiselus gelernt, Learchus? Ein Sieg ist nichts wert, wenn du deine Ehre nicht bewahrst.« »Was erlaubst du dir, mir eine Strafpredigt zu halten, Bauernjunge!«, schnauzte Learchus. »Du hättest gar nicht dort sein dürfen. Ich habe mir meinen Platz wenigstens verdient. Ich habe ihn nicht wegen meiner Abstammung bekommen.« »Ich habe mir meinen Platz auch anständig verdient, Learchus«,
erwiderte Uriel finster. »Lucian hatte mit meiner Aufnahme nichts zu tun.« »Pferdemist! Ich kenne die Wahrheit in dieser Angelegenheit«, zischte Learchus, indem er vorwärts tänzelte und Uriel einen Hieb an die Schläfe verpasste. Uriel ging mit dem Schlag und nahm ihm so die Wucht und packte den Unterarm seines Gegners mit beiden Händen. Er wirbelte herum und brachte Learchus aus dem Gleichgewicht, dann ließ er sich auf ein Knie sinken und warf ihn über die Schulter. Learchus schrie, als er durch die Luft flog, und grunzte, als ihm beim Aufprall auf den Boden die Luft aus dem Leib gepresst wurde. Uriel riss den Arm des Jungen nach hinten, spürte, wie der Knochen brach, und hörte das Knirschen des Aneinanderreibens der gesplitterten Knochenenden über Learchus' Schmerzensschrei. Uriel ließ den Arm los und ging zum Hügelgrab zurück. Er ließ sich dagegen sinken, da Erschöpfung und Schmerzen mit doppelter Wucht zurückkehrten. Eine Gruppe von Jungen eilte den am Boden liegenden Rekruten zu Hilfe, und plötzlich empfand Uriel Scham. Learchus war allgemein beliebt, und Uriel würde nichts davon haben, ihn besiegt zu haben. Aber er konnte die Tat nicht rückgängig machen und musste mit den Konsequenzen leben. Ein Schatten fiel über ihn, und er sah Pasanius mit vorwurfsvoller Miene vor sich stehen. Sein Freund setzte sich neben ihn. »Das hättest du nicht tun sollen, Uriel.« »Ich weiß. Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen, wirklich.« »Learchus wird dich dafür hassen.« »Meinst du, ich sollte mich bei ihm entschuldigen?« »Ja, aber nicht jetzt. Du hast ihn öffentlich gedemütigt, und im Augenblick würde er eine Entschuldigung nicht annehmen. Rede mit ihm, wenn wir in die Festung zurückkehren und sein Arm von den Apothekern gerichtet wurde.« »Ich werde tun, was du sagst, mein Freund. Es war dumm mein Zorn hat mich geblendet.« »Wenigstens ist dir klar, dass es dumm war. Vielleicht haben sie dir in Agiselus ja doch etwas in deinen dicken Bauernschädel eingetrichtert«, grinste Pasanius.
»Vorsicht«, warnte Uriel, »sonst muss ich dich auch noch umhauen.« »Du kannst es ja versuchen, Bauernjunge, aber um mich umzuhauen, musst du mehr draufhaben.« Uriel lachte in dem Wissen, dass Pasanius Recht hatte. Sein Freund war ein Riese von einem Jungen. Obwohl gerade erst in seinem fünfzehnten Sommer, war Pasanius bereits größer als die meisten erwachsenen Männer. Seine Muskeln zeichneten sich unter der sonnengebräunten Haut wie Stahlkabel ab, und keiner der anderen Rekruten hatte ihn bisher in einem Wettbewerb geschlagen, in dem es auf Kraft ankam. »Komm«, sagte Pasanius, indem er sich erhob, »wir müssen uns bewegen. Du weißt, dass Clausel das Tor bei Sonnenuntergang schließt, und vielleicht bin ich ja der Einzige, aber ich habe keine Lust auf noch eine Nacht in den Bergen.« Uriel nickte und erhob sich ächzend, da seine Muskeln ob der jähen Aktivität protestierten. Ihm ging auf, dass er es versäumt hatte, sie nach dem Ende des Laufs zu dehnen, und beschimpfte sich im Stillen wiederum als Dummkopf. Die Rekruten setzten sich mit Pasanius an der Spitze in Bewegung und wechselten sich ab, dem kalkweißen Learchus zu helfen, der unter Einwirkung von Schock und Schmerzen nur dahinstolperte. Der Unterarm des Jungen war dick angeschwollen, die Haut hatte sich violett verfärbt, und ein paarmal auf dem Weg nach unten verlor er fast das Bewusstsein. Uriel bot ein Mal seine Hilfe an, doch die finsteren Mienen der anderen Rekruten ließen ihn von weiteren Angeboten dieser Art absehen. Bei Erreichen der Hera-Festung erzählte Learchus den Apothekern, er habe sich den Arm bei einem Sturz gebrochen, und in den folgenden Tagen bildete sich eine Kluft zwischen Uriel und den anderen. Die Erkenntnis, dass sie existierte, reichte jedoch nicht, um ihre Verbreiterung zu verhindern, und in den anschließenden Jahren blieb Pasanius Uriels einziger wahrer Freund. Im Tempel der Besserung öffnete Uriel die Augen, schüttelte die letzten flüchtigen Erinnerungen ab und erhob sich zu voller Größe. Er dachte nur noch selten an seine Zeit als Kadett zurück und war überrascht, dass er es heute getan hatte. Vielleicht war es ein Omen, eine Botschaft, die ihm der gesegnete Primarch hatte zukommen lassen. Er hob den Blick, schaute ins Antlitz von Ro-
boute Guillaume und suchte nach einem Hinweis auf ihre Bedeutung, aber der tote Primarch saß weiterhin reglos auf seinem Thron. Uriel spürte die Last der Befehlsgewalt schwer auf seinen Schultern, und er marschierte durch die Kammer, um vor einer bronzeumrandeten Tafel an der gewölbten Innenwand des Allerheiligsten des Tempels stehen zu bleiben. Die innere Peripherie des Tempels wurde von gewaltigen Platten aus glattem schwarzem Marmor gesäumt, die alle mit feinen Adern aus Jade durchsetzt waren. In diese Platten waren mit Goldbuchstaben die Namen aller Ultramarines eingelassen, die in der zehntausendjährigen Geschichte des Ordens gefallen waren. Tausende und abertausende von Namen umgaben den Primarchen, und Uriel fragte sich, wie viele noch hinzukommen würden, bevor er an diesen heiligen Ort zurückkehrte. Würde sein eigener dazugehören? Sein Blick wanderte die Tafel vor ihm entlang, die den hundert Kriegern der Ersten Kompanie gewidmet war, welche vor über zweihundertfünfzig Jahren gegen den nichtmenschlichen Schrecken der Tyraniden zwischen Macragges nördlichen Abwehrfestungen gekämpft hatten. Schließlich blieb er an einem einzelnen Namen gleich unter der Widmung für den heldenhaften Hauptmann Invictus der Ersten Kompanie haften. Veteransergeant Lucian Ventris. Uriels Finger zeichnete die Runen mit dem Finger nach. Er war stolz darauf, seinen Namen zu tragen. Seine zufällige Verwandtschaft mit einem Helden des Ordens hatte Uriel das Recht eingeräumt, in der prestigeträchtigen Agiselus-Kaserne ausgebildet zu werden, aber er hatte es seinen Fähigkeiten und seiner Entschlossenheit zu verdanken, dass er von den Ultramarines ausgewählt worden war. Uriel verbeugte sich, um seinen Vorfahr zu ehren, dann salutierte er zackig, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und aus dem Tempel marschierte. Er musste eine Kompanie auf den Krieg vorbereiten.
3. Kapitel Der Lärm hunderter brüllender Stimmen war ohrenbetäubend.
Liktor Virgil Qrtega von den Adeptus Arbites auf Pavonis schlug seinen Schild ins Gesicht eines schreienden Mannes in schwerem Overall und ließ seinen Schockstab in brutalem Bogen herabsausen. Leiber drängten sich um ihn, während er nach rechts und links schlug. Hände griffen nach ihm, da er und sein Trupp die wogende Masse zurückdrängten. Ein schreiender Mann griff nach seiner schwarzen Uniform, und er hieb mit dem Schockstab zu und brach den Knochen. Schreie der Schmerzen und der Wut ertönten, aber Ortega hatte nur eine Priorität, die Aufwiegler daran zu hindern, Statthalterin Shonai zu erreichen. Er sah, dass ihre Gruppe bereits einen Mann weniger zählte. Liktor Sharben kämpfte neben ihm und duckte den unbeholfenen Schlag eines massigen Schraubenschlüssels ab, um ihrem Angreifer dann ihren Stab in den Bauch zu rammen. Selbst inmitten des chaotischen Aufruhrs war Ortega beeindruckt. Für einen Neuling hielt sie sich beachtlich, nicht schlechter als ein Veteran nach zehn Jahren Dienst. Überall knüppelten schwarz gerüstete Liktoren Aufrührer vom Gouverneurspodium herunter. Dieser Abschnitt des Platzes war ein Schlachtfeld. Wider alle Vernunft und Ratschläge hatten Statthalterin Mykola Shonai und die führenden Kartellmitglieder beschlossen, sich in einer öffentlichen Ansprache an einen Teil des Arbeiterkollektivs von Brandontor zu wenden, um ihnen zu versichern, dass die so genannte »Zehntsteuer« nur eine vorübergehende Maßnahme sei. Daraufhin hatten sich zwangsläufig die Gemüter erregt, und die Bekundungen der Arbeiter waren beleidigend geworden. Die Dinge waren rasch eskaliert, und kurz darauf waren Flaschen und Steine geflogen. Die meisten dieser Wurfgeschosse hatten seine Männer mit den Schilden abgewehrt, als plötzlich ein Schuss gefallen war und einen aus seiner Truppe ins Bein getroffen hatte. Dann war alles zugleich passiert. Mehr Schüsse waren gefallen, und Ortega hatte einen seiner Männer mit fehlendem Hinterkopf zusammenbrechen sehen. Er war nach vorn gefallen und hatte die Statthalterin mit zu Boden gerissen. Ortega wusste nicht, ob sie getroffen worden und woher der Schuss gekommen war, und er hatte keine Zeit gehabt, es herauszufinden. Wichtig war nur, dass irgendein Bastard da draußen mit einer Schusswaffe soeben die Einsätze erhöht hatte. Wenn diese Leute das Spiel auf diese Art spielen wollten, war Virgil Ortega nur allzu bereit. Die Leibgarde der Statthalterin wich aus dem Epizentrum des
Aufruhrs zurück und trug sie und die Mitglieder des Kartells aus der Zone unmittelbarer Gewalt, aber Ortega sah, dass sie die falsche Richtung eingeschlagen hatten. Sie ließen sich zu den Toren des imperialen Palasts zurückfallen, aber die verdammten Narren konnten nicht sehen, dass andere Aufrührer den Weg dorthin versperrten. Einige Elemente der Menge waren an den Seiten auf dem Vormarsch, um das Podium einzuschließen. Die Adeptus Arbites hielten die Menge zurück, unterstützt von den Wasserwerfern der Aufruhrunterdrückungsfahrzeuge, aber ihre Reihen bogen sich durch, und es war nur eine Frage der Zeit, bis der Druck der Leiber zu groß sein würde, um ihm noch standzuhalten. Die Statthaltergarde entfernte sich aus dem Schutzbereich der Adeptus Arbites, und soweit Ortega erkennen konnte, waren nur er und seine Männer in der Lage, die Statthalterin lebend aus diesem Chaos zu holen. »Sharben!«, rief er. »Nehmen Sie sich einen Mann und holen Sie ein Aufruhrunterdrückungsfahrzeug her. Sammeln Sie die Statthalterin ein und bringen Sie sie in den Palast. Beeilung!« Sharben nickte, das Gesicht unsichtbar hinter dem verspiegelten Visier ihres Helms. Augenblicke später schlug sie die Richtung zu einem der Fahrzeuge ein und nahm ein Mitglied ihres Trupps mit. Die übrigen Liktoren in Ortegas Reihe wichen stetig vor der Menge zurück, die nur zögernd nachrückte, da die vordersten Aufrührer ihnen aus Angst vor den Schockstäben nicht zu nahe kommen wollten. Diese gegenwärtige Unruhe war ziemlich beängstigend, aber Ortega hatte schon schlimmeren Aufruhr als diesen unterdrückt und konnte erkennen, dass die Gewalt sich noch nicht sonderlich ausgeweitet hatte. Jene im Zentrum der Menge hatten niemanden, an dem sie ihre Wut auslassen konnten, und drängten einfach vorwärts. Wenn Sharben es schnell genug zur Statthalterin schaffte, konnten sie die Situation immer noch bereinigen. Ortega hielt in der Reihe nach Sergeant Collix Ausschau und winkte ihn zu sich. »Collix, Sie halten hier die Stellung. Sharben und ich werden versuchen, die Statthalterin wegzubringen.« »Wird gemacht!«, rief Collix und kehrte an seinen Platz zurück. Ortega wandte sich ab, zog sich aus der Reihe zurück und hakte seinen Schockstab im Gürtel ein. Er war ein wenig skeptisch wegen Collix, aber er war der dienstälteste Liktor in der Reihe. Orte-
ga zog die Sprechkugel an seinem Helm vor den Mund und schaltete sich ins Sicherheits-Kommnetz der Statthalterin ein. »Hier spricht Liktor Ortega für Sicherheitstrupp Primus. Bleiben Sie, wo Sie sind. Ihr Weg führt Sie in noch größere Schwierigkeiten. Wir sind in Kürze bei Ihnen. Ich wiederhole, bleiben Sie, wo Sie sind.« Ortega schob die Sprechkugel zurück in seinen Helm, ohne auf eine Bestätigung zu warten, und machte sich auf den Weg zur Statthalterin. Er hörte Collix hinter sich Befehle schreien, konnte die Worte aber nicht verstehen. Er blieb wie angewurzelt stehen, als er das unverwechselbare Geräusch des Entsicherns von Schrotflinten hörte. Kalte Angst packte ihn. Die ganze Reihe der Liktoren hatte ihre Waffen auf die Menge gerichtet. Beim Thron des Imperators, sie würden auf Zivilisten schießen! »Steckt die verdammten Waffen weg!«, brüllte Ortega, aber es war zu spät. Die Liktoren feuerten aus nächster Nähe in die Menge. Die Aufrührer zuckten, Dutzende fielen tot zu Boden. Pulverrauch verdeckte das Gemetzel, aber Ortega fluchte, als er den Urschrei der Wut von jenen hörte, welche die Schüsse überlebt hatten. Die Menge wogte vorwärts, und die Schrotflinten schossen erneut. Mehr Leute fielen, aber hinter diesen drängten noch tausende nach vorn. Männer und Frauen wurden zu Tode getrampelt, wenn sie über die Leiber der Gefallenen stolperten und zu Boden gingen. Die Schreie der Wut aus der Menge wichen jetzt solchen der Panik. Wie ein Mann gingen die Liktoren einen Schritt vorwärts. Sie feuerten noch zwei Salven in die Menge, bevor Ortega sie erreichte und schrie: »Feuer einstellen! Die Waffen zurück ins Halfter! Das ist ein Befehl, verflucht! Sofort die Waffen weg!« Die Liktoren halfterten die Waffen, während sich der Rauch vor ihnen verzog. Hunderte von Leichen lagen auf dem Boden, von den Schrotschüssen aus nächster Nähe brutal verstümmelt. Blut bedeckte das Pflaster des Platzes, und das Stöhnen der Sterbenden ging im Geschrei der von Panik erfüllten Menge unter. Die Aufrührer waren einstweilen zurückgewichen, aber Ortega war klar, dass sie jeden Augenblick nach ihrem Blut schreien und sich auf sie stürzen würden. »Rückzug!«, brüllte Ortega. »Alles zurück zu den Rhinos. Wir räumen den Platz - jetzt!«
Ortega nahm seine Männer aus der Verteidigungslinie, die teilweise jetzt erst zur Kenntnis nahmen, was für ein Gemetzel sie mit ihren Waffen angerichtet hatten. Es stank nach Kordit, Blut und Schweiß, und Ortega wusste, dass ihm nur noch ein paar Augenblicke blieben, bis alles zum Teufel ging. Die Liktoren wichen rasch zu den klobigen schwarzen Truppentransportpanzern zurück, deren starke Motoren kehlig im Leerlauf rumpelten. Mehrere waren modifiziert und mit einem schweren Wasserwerfer bestückt, und Ortega befahl den Besatzungen zu schießen, da das wütende Gebrüll der Menge hinter ihnen jetzt rasch anschwoll. Auf Rache versessen, machte die Menge förmlich einen Satz hinter den Liktoren her. Die Wasserwerfer eröffneten das Feuer mit dicken Strahlen auf die Menge und holten die vordersten Leute von den Beinen. Doch es waren zu viele Aufrührer und nicht genug Werfer. Der erzürnte Pöbel fiel über die Liktoren her und drosch mit Fäusten und eisenbeschlagenen Stiefeln auf sie ein. Disziplinierte Schildarbeit und akkurate Hiebe mit den Schockstäben gaben den Arbites ein wenig Raum, und Ortega riss die gepanzerte Seitentür des nächsten Rhinos auf und scheuchte seine Männer hinein. Er sprang auf die Trittbretter und schob den Kopf ins Führerhaus. »Wir sind drinnen! Nichts wie weg hier!«, rief er dem Fahrer zu. »Finden Sie heraus, wo Sharben ist, sie wird die Statthalterin bei sich haben.« Die Rhinos rollten langsam zurück und weg von der wogenden Masse, da ihre geschickten Fahrer sie zum Arbites-Revier lenkten. Ortega hielt nach Sharben Ausschau und fluchte, als er das Dach des von ihr requirierten Aufruhrunterdrückungsfahrzeugs nicht weit vom gepanzerten Tor des Reviers in Flammen stehen sah. Der Liktor hinter dem Wasserwerfer lag brennend über der Waffe. Ortega sah die linke Kette nutzlos vom Zahnrad hängen, und das Fahrzeug war vollkommen von Aufrührern umgeben, die zu seiner kostbaren Fracht vordringen wollten. Sie schaukelten den Rhino hin und her in dem Versuch, ihn umzukippen. Ortega ließ seinen Schockstab auf das Dach des Rhino krachen und zeigte auf Sharbens bewegungsunfähiges Vehikel. »Bringen Sie uns neben den Rhino und halten Sie an. Dann warten Sie auf mein Zeichen zur Weiterfahrt!« Der Fahrer nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und lenkte den Rhino zu dem festsitzenden Fahrzeug. Ortega klam-
merte sich aus Leibeskräften fest, da der Rhino unterwegs unkontrolliert hin- und herschaukelte. »Sharben, bitte kommen«, rief Ortega, als sie sich dem brennenden Panzer näherten. »Hier Sharben«, kam die Antwort, und ihre Stimme verriet die Anspannung, unter der sie stand. »Wenn Sie in der Nähe sind, würden wir eine Mitfahrgelegenheit zu schätzen wissen.« »Wir sind gleich bei Ihnen, Sharben. Halten Sie aus. Ist die Statthalterin bei Ihnen?« »Positiv.« »Gut gemacht. Halten Sie sich bereit.« Liktor Jenna Sharben spürte, wie ihr unter ihrer schwarzen Lederrüstung der Schweiß den Rücken herunterlief. Die Hitze im Rhino wurde langsam unerträglich, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie braten und sterben würden. Der Panzer schaukelte heftig, und ihre zivilen Passagiere waren am Rand der Hysterie. Sie dankte dem Imperator, dass Virgil Ortega unterwegs war. Er mochte ein harter, humorloser Bastard sein, aber er ließ niemals einen Kameraden im Stich. »Liktor!«, schnauzte ein Mann in einem schwarzen Anzug, dessen Namen sie nicht kannte. »Welche Pläne haben Sie? Wir müssen uns in Sicherheit bringen. Ich verlange, dass Sie unsere Flucht aus dieser unerträglichen Situation in die Wege leiten.« Sie sah eine Anstecknadel des Vergen-Kartells an seinem Revers und verkniff sich eine wütende Antwort. Sie holte tief Luft und sagte: »Mein Vorgesetzter ist mit einem anderen Fahrzeug unterwegs, wir werden gleich überwechseln.« »Ich bin sicher, dass wir nichts zu befürchten haben, Leotas...«, begann Statthalterin Mykola Shonai, als die Seite des Panzers sich bedrohlich neigte. Jenna erkannte, dass der Panzer unweigerlich umkippen würde. »Festhalten!«, rief sie, indem sie einen Pfosten packte und die Beine um die Mannschaftsbank schlang. »Wir kippen um!« Der Rhino krachte mit markerschütternder Gewalt und gewaltigem Krachen auf die Seite. Jenna erwischte Statthalterin Shonais Gewänder, als sie, mit den Armen rudernd, der Seite des Vehikels entgegenfiel, und zog sie hoch. Sie hörte gedämpften Jubel von draußen und wiederholte Schläge gegen den Rumpf. Keiner würde die Panzerung durchschlagen, aber der Lärm war ohrenbetäu-
bend. Der Mann, den die Statthalterin Leotas genannt hatte, lag reglos da, und Blut floss aus einer tiefen Wunde im Hinterkopf. Die anderen Insassen des Rhino sahen beinahe ebenso ramponiert aus. Sie ließ den Pfosten los, riss einen Sanitätskasten aus dem Besatzungsspind und kauerte sich neben den reglosen Leotas. Sie sah sofort, dass sie ihre Zeit verschwendete. Der Mann hatte sich das Genick und den Schädel gebrochen. Durch das blutverklebte Haar war der weißliche Glanz von Knochen zu sehen. »Ist... ist alles in Ordnung mit ihm?«, fragte Statthalterin Shonai mit bebender Stimme. »Nein«, sagte Jenna schonungslos. »Er ist tot.« Shonais Augen weiteten sich, und der Schock ließ sie die Hände vor den Mund schlagen. Jena ließ den Sanitätskasten fallen, als sie draußen das Rumpeln eines starken Motors und das Knattern von Schüssen hörte. Ein kräftiger Stoß traf den bewegungsunfähigen Rhino, und sie stützte sich an der Seite ab, während gepanzerte Stiefel über die Wandung stapften, die nun das Dach über ihr war. In ihrem Ohrhörer knisterte es, und sie hörte die schroffe Stimme von Virgil Ortega. »Sharben! Öffnen Sie die Mannschaftsluke, wir stehen direkt neben Ihnen.« Jenna kletterte auf die Mannschaftsbank, drehte das Verschlussrad und löste die Türhalterungen. Die Tür wurde aufgerissen, und schwaches Sonnenlicht fiel in das verräucherte Mannschaftsabteil. Ortega hakte seinen Schockstab in den Gürtel. »Reichen Sie mir die Statthalterin!« Jenna packte Shonais Gewänder und zog sie auf die Füße. Die Statthalterin schrie zwar angesichts Sharbens Grobheit auf, ließ sich aber zum Ausgang ziehen. Ortega nahm Shonais ausgestreckte Hände und hob sie heraus. Er gab sie an einen anderen Liktor weiter, der am Mannschaftsluk des anderen Rhinos wartete, und streckte dann wieder die Arme durch das Luk von Sharbens Panzer. Die Feuerstöße der Boltgewehre seines Rhinos hatten die Menge von dem beschädigten Panzer vertrieben, aber es war nur eine vorübergehende Atempause. »Vorwärts!«, bellte er. »Geben Sie mir den Rest. Beeilen Sie sich, verflucht!« Einen nach dem anderen zog Jenna die übrigen Passagiere zu
Ortega empor, der sie dann in seinen Panzer geleitete. Wiederholte Feuerstöße der Boltgewehre über die Köpfe der Menge hinweg hielten die Aufrührer während der Rettungsaktion in Schach. Als alle den Rhino verlassen hatten, kletterte Jenna Sharben hinaus und sah den Rhino mit der Statthalterin gerade noch durch die Tore des imperialen Palasts rumpeln. »Höchste Zeit, dass wir verschwinden, Sharben«, stellte Ortega fest, als der Pöbel heulend herangestürmt kam. Mittlerweile hatten die Aufrührer begriffen, dass man sie um ihre Beute gebracht hatte. »Ganz Ihrer Meinung«, stimmte Sharben zu, als sie auf den Boden sprang, um dann der Sicherheit des nicht weit entfernten Arbites-Reviers entgegenzurennen. Gepanzerte Waffenbunker mit schweren Wasserwerfern streckten ihre Verfolger mit dicken Wasserstrahlen nieder, deren Wucht reichte, um Glieder zu brechen. Mehr Geschrei erhob sich hinter den beiden Liktoren, aber sie waren außer Gefahr und stampften außer Atem in den Innenhof ihres Reviers. Ortegas restliche Rhinos hatten in der Mitte des Hofs eine Wagenburg gebildet, und davor kauerten ramponierte Liktoren. Jenna Sharben setzte ihren verbeulten Helm ab und fuhr sich mit dem Handschuh durch die kurzen schwarzen Haare und über das verschwitzte Gesicht, während Ortega zu den verdrossenen Liktoren marschierte. Sie folgte ihm, während Ortega ebenfalls seinen Helm abnahm und zu Collix ging. Virgil Ortega war kein Baum von einem Mann, vielmehr klein und untersetzt, aber er strahlte Kraft und Autorität aus. Schweiß glänzte auf seinem kahlen Kopf und tropfte aus seinem ordentlich gestutzten Bart. »Sergeant! Was, beim Imperator, ist da draußen passiert? Habe ich Ihnen den Befehl gegeben, das Feuer zu eröffnen?« »Nein, Hauptmann«, erwiderte Collix glatt. »Aber unter den gegebenen Umständen hatte ich das Gefühl, Sie hätten diesen Befehl gegeben, hätten Sie noch in vorderster Front gestanden.« »Dann zeigen Sie bemerkenswert wenig Einfühlungsvermögen in Ihren Vorgesetzten, Sergeant.« »Vielleicht«, räumte Collix ein. »Da gibt es kein Vielleicht, Collix. Unsere Aufgabe besteht darin, den Gesetzen des Imperators Geltung zu verschaffen, nicht darin, Seine Untertanen zu massakrieren. Ist das klar?«
»Die Menge hat diesen Gesetzen zuwidergehandelt, Hauptmann.« »Mimen Sie mir nicht den Unschuldigen, Collix. Ich werde Sie im Auge behalten.« Ortega funkelte Collix noch einen langen Moment an, bevor er zum Dienstgebäude ging. Ohne sich umzudrehen, rief er: »Gute Arbeit da draußen, Liktor Sharben.« Jenna lächelte über dieses seltene Lob und sah Ortega nach, wie er im Revier verschwand. Sie setzte sich auf das Trittbrett eines Rhinos, legte den Kopf in den Nacken und ließ die Ereignisse des Morgens aus ihrem Bewusstsein sickern. Sie war zufrieden mit ihrem heutigen Verhalten. Sie wusste, dass sie sich wie ein erfahrenes Mitglied der Adeptus Arbites verhalten und auch so gekämpft hatte und nicht wie die Anfängerin, die sie tatsächlich war. Methodisch ging sie ihre Aktionen noch einmal durch und fand keinen Fehler in ihrer Vorstellung. Ja, sie hatte ihre Sache gut gemacht. »Sie sollten den Palastarzt einen Blick auf diesen Schnitt werfen lassen, Madam«, stellte Almerz Chanda fest, während er sanft gegen eine anschwellende violette Schramme an seinem tonsurierten Schädel drückte. Er war ebenfalls aus dem Rhino der Arbites gezogen worden, hatte aber nur eine Beule am Kopf davongetragen. Die Schramme am Kopf der Statthalterin war nicht tief und von einem der Arbites mit Kunsthaut überzogen worden, aber im Chaos des Aufruhrs war bereits ihr Neffe von einer für sie bestimmten Kugel getroffen worden und ein enger Freund gestorben. »Statthalterin?«, sagte er, als sie nicht antwortete. »Es geht mir bestens«, schnauzte sie brüsker als beabsichtigt. Sie wandte sich vom Panzerglas des Fensters ab und lächelte ihren obersten Ratgeber schwach an. »Es tut mir Leid, Almerz. Ich bin nur...« »Kein Grund zur Entschuldigung, Madam, es war ein trauriger und schrecklicher Tag für Sie.« »Ja«, gab Shonai ihm Recht. »Dumak und Leotas sind beide viel zu früh gestorben.« Chanda nickte. »Wir alle leiden sehr unter ihrem Verlust, Madam.«
»Diese Kugel hätte mich treffen sollen«, sagte die Statthalterin. »Dumak war erst zwanzig. Ich hatte vor, ihn bei seiner Volljährigkeit im nächsten Jahr als meinen Nachfolger zu benennen.« »Er hat sein Leben gegeben, um Ihres zu retten«, stellte Chanda fest. »Er hat seine Pflicht als treues Mitglied des ShonaiKartells getan. Man wird seiner als Held gedenken.« »Und Leotas, wie wird man seiner gedenken?« »Als teuren Freund, den der Imperator in Seiner unendlichen Weisheit von uns genommen hat.« Statthalterin Mykola Shonai lächelte dankend. »Sie sind ein wahrer Freund, Almerz, aber ich möchte für einen Moment allein sein.« »Wie Sie wünschen, Madam«. Chanda schloss die Tür hinter sich und ließ die Statthalterin von Pavonis mit ihren Gedanken allein. Mykola Shonai wandte sich wieder dem Fenster zu und spürte, wie sie langsam ihre eiserne Selbstbeherrschung verließ. Ihr Freund und Verbündeter Leotas Vergen war tot. Nicht mehr da. Einfach so. Erst heute Morgen hatte er noch angeregt von der bevorstehenden Hochzeit seiner Tochter mit dem Sohn Talouns und vom Anbruch eines neuen Zeitalters der Zusammenarbeit zwischen den Kartellen geredet, doch nun war er tot und das Vergen-Kar-tell ohne Führer. Sosehr sie es hasste, es zuzugeben, aber ihr war klar, dass sein Traum von Zusammenarbeit wahrscheinlich mit ihm sterben würde. Zweifellos würde Taloun erfreut und bereits mit dem Vorantreiben der Hochzeit beschäftigt sein, um seinen Sohn als DefactoHerrscher über das Vergen-Kartell zu etablieren. Natürlich würde das Vergen-Kartell alles Mögliche unternehmen, um diese Vereinigung zu verhindern, aber Vergens Tochter war für ihr störrisches Wesen bekannt, und nur der Imperator wusste, welche Folgen Leotas' unzeitiger Tod haben würde. Shonai tat es Leid, dass die Beziehung des jungen Paars nun eine politische Waffe war, aber so war die Politik auf Pavonis nun mal, überlegte sie verdrossen. Sie verdrängte die zum Scheitern verurteilte Beziehung des jungen Paars aus ihren Gedanken und schaute hinaus auf den Befreiungsplatz. Beim Imperator, es war eine Schweinerei. Es hatte zu regnen begonnen, und das Blut und die Abfälle des Kampfes wurden in
den Rinnstein gespült, aber Shonai wusste, dass sich ihre Probleme nicht so einfach aus der Welt schaffen ließen. Leichen lagen verstreut auf dem Straßenpflaster, weinende Gruppen von Menschen hatten sich um gefallene Freunde und Verwandte versammelt. Wie hatte ein Tag, der mit so edlen Absichten begonnen hatte, eine derart furchtbare Entwicklung nehmen können? Noch vor ein paar Jahren war Pavonis ein friedlicher Planet gewesen und größtenteils unbehelligt vom Krieg, der im Rest der Galaxis tobte. Der Zehnte war pünktlich bezahlt worden, und die jungen Männer von Pavonis hatten sich regelmäßig zur Musterung für die Armee des Imperators eingefunden. Pavonis war in jeder Beziehung eine imperiale Musterwelt gewesen. Die Leute arbeiteten hart und wurden für ihre Mühe belohnt. Aufstände fanden nur auf anderen Welten statt. Doch wie sich die Zeiten geändert hatten! Ihr Schreibtisch war mit zerknitterten Papieren übersät, und jedes berichtete von ähnlichen Szenen. In Altemaxa hatten die Arbeiter das Büro für Imperiale Auslagen gestürmt und das Gebäude in Brand gesteckt. Aufrührer in Praxedes hatten die Mannschaft eines intergalaktischen Kauffahrers daran gehindert, an Bord ihres Schiffs zu gehen, und die Fracht des Mannes geplündert. Im Augenblick war eine Eingabe des Kauffahrers mit einer Forderung nach Entschädigung zu ihrem Büro unterwegs. Es hatte ein weiteres Bombenattentat der Kirche der Alten Sitten gegeben, bei dem dreißig Menschen ums Leben gekommen und die Produktionsanlagen von zwei Manufakturen des VergenKartells irreparabel beschädigt worden waren. Ein Mitglied des Abrogas-Kartells war in einem der Jotusburg-Gettos niedergestochen worden und konnte von Glück sagen, überlebt zu haben, obwohl nicht ganz klar war, was der Mann überhaupt dort gewollt hatte. Und in der Nähe von Caernus IV war wieder ein Versorgungsschiff in einen Hinterhalt jener Eldar-Piraten geraten, die Pavonis jetzt bereits seit sechs Jahren heimsuchten. Es hatte Material und Waren an Bord gehabt, mit denen der gewaltige Berg von Schulden hatte abgetragen werden sollen, die Pavonis beim Imperium in Form überfälliger Steuern hatte. Sie spürte, wie sie die Last jedes Fehlschlags mit ihrem gewaltigen Gewicht erdrückte, und fragte sich, was sie hätte anders machen können. Sie hatte ihr Bestes versucht, die vom Administratum geforderten Steuern zu bezahlen, aber sie konnte einfach
nicht mehr aus Pavonis herausquetschen. Ihre Produktionsanlagen waren bis an die Grenzen belastet, und nur wenige der Güter, die sie produzieren konnten, kamen tatsächlich durch. Ihre »Zehntsteuer« war ein Versuch gewesen, das Defizit auszugleichen, bis die Krise gemeistert werden konnte, aber die Leute liefen praktisch in jeder größeren Stadt dagegen Sturm. Sie hatte ihrem Volk die Lage erklären und den Leuten aufzeigen wollen, dass die gegenwärtigen Entbehrungen zum letztendlichen Besten von Pavonis waren, aber wie sie es auch drehte und wendete, es schien keine Möglichkeit zu geben, die Abwärtsspirale der Ereignisse aufzuhalten. Und hier, in ihrer eigenen Hauptstadt, hatte man auf sie geschossen. Sie konnte es immer noch nicht recht glauben. Als der erste Schuss schockierend laut über den Platz hallte, war Dumak zu ihr geeilt und hatte versucht, sie in Sicherheit zu bringen. Sie schloss die Augen und versuchte mit aller Willenskraft, das Bild seines explodierenden Gesichts aus ihrem Bewusstsein zu verbannen. Er war gefallen und hatte sie mit auf den Boden des Podiums gerissen, während seine Todeszuckungen sein Blut und seine Gehirnmasse über sie verteilten. Mykola Shonai hatte sich die Haare gewaschen und ihre Amtsgewänder fortgeschickt, um seinen Tod herauswaschen zu lassen. Sie hatte frische Kleidung von schlichter blauer Farbe angezogen, bildete sich aber ein, immer noch die Klebrigkeit des Bluts von ihrem Neffen auf der Haut spüren zu können. Ihr Herz sehnte sich nach ihrer jüngeren Schwester, und ihr fiel wieder ein, wie stolz sie gewesen war, als Mykola ihr anvertraut hatte, dass Dumak eines Tages das Shonai-Kartell von ihr erben würde. Sie sah Priester und hiesige Apotheker durch die Menge gehen und die Verwundeten versorgen oder den Toten die Absolution des Imperators erteilen. Sie betete für die Seelen der Verstorbenen und holte tief Luft. Sie war ein plantarer Statthalter des Imperiums und musste alles unter Kontrolle behalten. Aber das war außerordentlich schwierig, wenn ihr alles entglitt, wie sehr sie es auch festzuhalten versuchte. Sie ließ sich auf den grünen ledernen Polstersessel hinter ihrem Schreibtisch sinken und überflog die vielen Dutzend Berichte über Gewalttaten und Unruhen. Sie sammelte sie ein und legte sie als Stapel beiseite. Sie würde sich später mit ihnen befassen. Jetzt hatte sie sich um Wichtigeres zu kümmern: um ihr politisches
Überleben. Sie glättete ihre noch feuchten grauen Haare und rieb sich die hellgrünen Augen trocken. Ihr Gesicht war verhärmt und faltig, und Mykola Shonai spürte jedes ihrer zweiundsechzig Jahre schwer auf sich lasten. Es spielte keine Rolle, dass sie heute einen Verlust erlitten hatte. Sie war Statthalter einer Imperiumswelt, und dieser Verpflichtung wurde sie nicht wegen eines Trauerfalls vorübergehend entbunden. Sie zog an einer langen Samtkordel, die neben ihrem Schreibtisch hing, und starrte auf die Büste ihres Ururgroßvaters, Forlanus Shonai, die neben dem Kamin stand. Forlanus hatte das Shonai-Kartell vor drei Jahrhunderten gegründet und es von einer einzigen kleinen Manufaktur zu einem der mächtigsten industriellen Kartelle auf Pavonis hochgebracht. Wie wäre der alte Forlanus mit dieser Situation umgegangen?, fragte sie sich. Ein höfliches Klopfen an der Tür und die Ankunft von vier Männern in schwarzen Anzügen, jeder mit einer Anstecknadel des Shonai-Kartells am Revers, enthob sie der Mühe, sich eine Antwort darauf zu überlegen. Almerz Chanda war an ihrer Spitze und verbeugte sich vor ihr, als sie eintraten. Ihre Mienen waren trübe und finster, und Shonai konnte ihre Niedergeschlagenheit durchaus verstehen. »Nun, meine Herren«, begann Shonai, bevor sie mit banalen Platitüden hinsichtlich ihres Verlusts aufwarten konnten. »Wie schlimm ist es?« Den Männern schien die Frage Unbehagen zu bereiten, und keiner von ihnen war zu einer Antwort bereit. Statthalterin Shonai schnauzte: »Wenn ich eine Frage stelle, erwarte ich eine Antwort.« »Dieser Aufruhr war ganz sicher noch nicht das Schlimmste, Madam«, sagte das jüngste Mitglied ihres Ratgeber-Stabs. Sein Name war Morten Bauer, und sein spitzes Gesicht war ernst und voll jugendlichen Überschwangs. Shonai empfand einen Anflug mütterlicher Gefühle für den jungen Mann und fragte sich, ob ihm eigentlich klar war, dass er sich einem Stab angeschlossen hatte, der sich am Rand des Zusammenbruchs befand. »Nennen Sie Zahlen, Morten. Wie viele Tote?«, fragte Shonai. Bauer schaute auf seine Datentafel. »Es ist noch zu früh für exakte Zahlen, Madam, aber es sieht nach über dreihundert Toten und doppelt so vielen Verwundeten aus. Ich bekomme gerade
die ersten Zahlen von den Arbites, und anscheinend sind auch zwei Liktoren getötet worden.« »Das ist nicht so schlimm wie in Altemaxa«, stellte ein älterer Mann fest, dessen Körper augenscheinlich schon bessere Zeiten erlebt hatte. »Die dortigen Liktoren haben bei dem Versuch, den Aufrührern Einhalt zu gebieten, einen ganzen Trupp verloren.« Der Sprecher hieß Miklas Iacovone und war für die Öffentlichkeitsarbeit des Statthalters verantwortlich. Die Ansprache an das Arbeiterkollektiv war seine Idee gewesen, und er versuchte verzweifelt, den heutigen Ereignissen etwas Positives abzugewinnen. Die Worte waren ihm noch nicht ganz über die dicken Lippen gekommen, als er auch schon wusste, dass sie ein Fehler waren. »Miklas, Sie sind ein Narr, wenn Sie glauben, wir könnten nach Rosen duftend aus dieser Sache hervorgehen, indem wir die Gesetzeshüter einer anderen Stadt kritisieren«, schnauzte Almerz Chanda. »Wir schlagen keinen Profit aus dem Unglück anderer.« »Ich versuche nur die Vorteile herauszuheben«, protestierte Iacovone. »Hier gibt es keine Vorteile, Miklas. Gewöhnen Sie sich daran«, sagte Chanda. Statthalterin Shonai legte die Fingerspitzen zusammen und lehnte sich zurück. Persönlich fand sie, dass Iacovones Sichtweise durchaus etwas für sich hatte, aber sie wollte ihrem obersten Ratgeber nicht öffentlich widersprechen. Sie wandte sich an den vierten Mann ihres Beraterstabs, Leland Corteo. »Leland, wie schlimm werden die Auswirkungen für uns im Senat sein? Ich will eine ehrliche Einschätzung.« Der politische Analytiker der Statthalterin stieß einen Seufzer aus und zupfte an seinem langen grauen Bart. Er zog eine Tabakpfeife aus seiner bestickten Weste und hob die buschigen Augenbrauen. Shonai nickte, und Corteo zündete die Pfeife mit einem Zinnfeuerzeug an, bevor er antwortete. »Nun, Madam, wie ich die Sache sehe«, begann er, indem er einen tiefen, nachdenklichen Zug machte, »wenn sich die Dinge weiter so entwickeln, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die anderen Kartelle einen Misstrauensantrag stellen.« »Das würden sie nicht wagen«, sagte Morten Bauer. »Wer würde diesen Antrag vorbringen?« »Seien Sie nicht albern, mein Junge. Suchen Sie sich jemanden aus: Taloun, de Valtos, Honan. Jeder von ihnen hat genügend
Rückhalt, um eine Niederlage zu überleben, selbst wenn der Antrag abgelehnt würde.« »Wir können uns gerade noch halten«, stimmte Miklas Iacovone zu. »Unsere Mehrheit beruht nur noch auf Kooperationsversprechen und Handelszugeständnissen, die wir den kleineren Kartellen gemacht haben. Aber wir müssen davon ausgehen, dass die großen Fische sie dahingehend bearbeiten, ihre Vereinbarungen neu auszuhandeln.« »Rückgratlose Feiglinge!«, zischte Bauer. »Wohl eher Opportunisten«, sagte Corteo. »Und wer kann es ihnen verdenken? Wir haben vor zehn Jahren dasselbe getan, als wir uns mit Vergen verbündet und Taloun seines Amtes enthoben haben.« »Das war etwas ganz anderes«, sagte Bauer rechtfertigend. »Ach, hören Sie schon auf, mein Junge. Es ist genau dasselbe. Es ist Politik. Die Namen mögen sich ändern, aber das Spiel bleibt dasselbe.« »Spiel?«, stotterte Bauer. »Meine Herren«, unterbrach Chanda, bevor der grinsende Corteo antworten konnte. »Diese kleinlichen Zankereien bringen uns nicht weiter. Die Statthalterin braucht Lösungen.« Dergestalt zurechtgewiesen, verfielen ihre Ratgeber in verlegenes Schweigen. Statthalterin Shonai beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und legte die Fingerspitzen vor dem Mund zusammen. »Was können wir also tun? Ich vermag nicht noch mehr Unterstützung von den kleineren Kartellen zu kaufen. Die meisten von ihnen hängen bereits an der Angel von de Valtos oder Taloun, und Honan wird einfach ihrem Beispiel folgen. Unsere Schatztruhen sind nahezu leer, nur von dem Bestreben, die Wölfe in Schach zu halten.« Corteo blies eine blaue Rauchwolke aus. »Dann werden wir uns wohl damit abfinden müssen, dass unsere Zeit im Amt bald ein verfrühtes Ende nehmen könnte.« »Ich bin nicht bereit, mich damit abzufinden, Leland«, sagte Shonai. »Bei allem gebührenden Respekt, Madam, ob Sie sich damit abfinden oder nicht, ist irrelevant«, stellte Corteo fest. »Sie bezahlen mich, damit ich Ihnen die Wahrheit sage. Das habe ich schon
für Ihren Vater getan, und wenn Sie wollen, dass ich die Tatsachen schöne wie der fette Miklas hier, kann ich das tun, aber ich glaube nicht, dass Sie mich all die Jahre deswegen behalten haben.« Shonai lächelte und bedeutete dem empörten Iacovone mit einem Wink zu schweigen. »Sie haben natürlich Recht, Leland, aber ich kann mich trotzdem nicht damit abfinden, dass wir nichts tun können.« Sie schob den Sessel zurück und erhob sich. Sie dachte angestrengt nach, während sie auf und ab ging und im Kreis durch den Raum schritt. Bei der Büste des alten Forlanus blieb sie stehen. Sie tätschelte liebevoll den Marmorkopf, bevor sie sich wieder ihren Ratgebern zuwandte. »Also gut, Leland. Wenn wir uns damit abfinden, dass ein Misstrauensvotum unvermeidlich ist, wie lange haben wir realistischerweise noch, bis der Antrag auf den Tisch kommt? Und gibt es eine Möglichkeit, wie wir den Vorgang verzögern können?« Corteo dachte kurz über die Frage nach, bevor er antwortete. »Es spielt keine Rolle, ob wir den Antrag verzögern«, sagte er schließlich. »Wir können nichts tun, um ihn zu verhindern, also müssen wir vorbereitet sein, damit wir uns dem Votum zu unseren Bedingungen stellen können.« »Ja, aber wie lange haben wir noch bis dahin?«, hakte Shonai nach. »Bestenfalls einen Monat, aber wahrscheinlich weniger«, schätzte Corteo. »Aber wir sollten uns fragen, was wir tun können, um unser Überleben zu sichern, wenn der Antrag kommt.« »Vorschläge, meine Herren?«, lud Almerz Chanda ein. »Man muss uns dabei sehen, wie wir die Ordnung wiederherstellen«, schlug Morten Bauer vor. »Ja«, pflichtete Iacovone enthusiastisch bei, der erleichtert war, einen Happen vorgesetzt zu bekommen, in den er sich verbeißen konnte. »Wir müssen zeigen, dass wir unser Bestes tun, um diesen terroristischen Abschaum zu fangen, diese Kirche der Alten Sitten. Wie ich höre, haben sie wieder eine Bombe in einer Fabrikhalle in Praxedes gelegt und dabei ein Dutzend Arbeiter getötet. Eine furchtbare Geschichte.« »Wir können auch versprechen, den Aktivitäten der Piraten ein Ende zu setzen«, fügte Bauer hinzu. Leland Corteo nickte nachdenklich. »Ja, ja, gut gemacht, mein
Junge. Das könnte uns die Möglichkeit geben, unsere Opposition aufzusplittern. Wir könnten in dieser Sache de Valtos Unterstützung suchen. Er hat mehr Grund, den Eldar-Abschaum zu hassen, als sonst jemand.« Shonai marschierte im Raum auf und ab, während sich ihre Gedanken überschlugen. Kasimir de Valtos würde vermutlich jede Aktion unterstützen, die ihm ermöglichen würde, sich an den Nichtmenschen zu rächen, die ihn vor vielen Jahren gefangen genommen und gefoltert hatten, aber konnte man ihm trauen? Seine Organisation war ein ernsthafter Mitbewerber für die Position des Obersten Kartells, und Shonai wusste, dass de Valtos sogar die mit seinen Kriegsverletzungen verbundene Ehre dazu benutzt hatte, öffentliche Unterstützung seitens der Arbeiter zu fordern. Sie folgte der Logik von Bauers Vorschlag. Taloun würde zweifellos jedes Angebot an de Valtos als einen Versuch betrachten, ihre politischen Gegner zu spalten. Wahrscheinlich würde er alles daransetzen, de Valtos mit ähnlichen Versprechungen auf seine Seite zu ziehen, und seine eigenen Schiffe für die Jagd auf die Eldar anbieten. Wenn es Talouns Schiffen gelang, die Eldar-Piraten auszulöschen, war das auch gut. In diesem Fall würden die ZehntTransporte zum Administratum durchkommen, was viel Druck von ihrem Volk nehmen und die kommenden Monate erträglicher machen würde. Shonai setzte sich an ihren Schreibtisch und wandte sich an Chanda. »Es könnte opportun sein, ein Treffen mit de Valtos zu vereinbaren. Ich bin sicher, es wird ihn freuen, von unserer Entschlossenheit zu hören, die schändlichen Eldar-Piraten zu vernichten.« Almerz Chanda verbeugte sich. »Ich werde sofort einen Abgesandten schicken.« Chanda zog sich aus dem Raum zurück, während sich die Statthalterin an ihre Berater wandte. »Wir müssen Herr der Lage bleiben, meine Freunde. Die bedauerlichen Ereignisse dieses Tages haben bewiesen, dass wir mehr Sorgfalt darauf verwenden müssen, wie man uns wahrnimmt«, sagte Mykola Shonai mit einem vielsagenden Blick auf Miklas Iacovone. »Wir haben heute das Gesicht verloren, aber nicht so viel, dass wir den Schaden nicht wieder reparieren könn-
ten. Wir können die Schuld immer auf die zu harte Aufruhrunterdrückung schieben, wenn es sein muss.« »Ich mache mich sofort an die Arbeit, Madam«, versprach Iacovone, der erpicht darauf war, die Gunst der Statthalterin zurückzugewinnen. »Sehr gut, Miklas. Der heutige Tag soll uns eine Lehre sein.« Leland Corteo hüstelte und schüttelte den Kopf, während er frischen Tabak aus einem Beutel an seiner Hüfte holte. »Sie sind anderer Ansicht, Leland?«, fragte Shonai. »Offen gestanden, ja, Madam. So ungern ich auch einem derart bornierten Bürokraten wie Chanda Recht gebe, ich fürchte, ich bin hinsichtlich der Kritik unserer Gesetzeshüter einer Meinung mit ihm«, sagte Leland Corteo, während er seine Pfeife mit frischem Tabak stopfte. »Ich glaube, dass es ein Fehler wäre, die Schuld auf die Adeptus Arbites abzuwälzen. Sie würden auf derartige Behauptungen nicht sehr freundlich reagieren.« Die weitere Diskussion der Angelegenheit wurde durch die Rückkehr von Almerz Chanda verhindert, der mit einer Datentafel in der Hand ohne Umschweife zum Schreibtisch der Statthalterin marschierte. Er reichte sie Mykola Shonai mit blassem, abgespanntem Gesicht. »Das ist gerade aus der Kammer der Stimmen gekommen«, flüsterte Chanda. »Was ist es?«, fragte Shonai, die die Besorgnis aus Chandas Stimme heraushörte. Die Kammer der Stimmen war der Name für den psychisch entsprechend abgestimmten Raum, wo die Astrotelepathen des Palasts Botschaften von anderen Welten empfingen und zu anderen Welten sandten. In einem Imperium von galaktischem Maßstab war Telepathie die einzig machbare Kommunikationsmethode, und normalerweise waren derartige Botschaften relativ gewöhnlich. Chandas Verhalten verriet Shonai, dass diese alles andere als gewöhnlich war. »Ich weiß nicht. Sie wurde von den Schreib-Servitoren codiert, und für die Decodierung ist Euer persönlicher Gen-Schlüssel erforderlich. Sie trägt ein Omikron-Siegel des Administratums.« Shonai nahm die Tafel und hielt vorsichtig den Daumen über die Identitätskerbe. Was diese Tafel auch enthielt, es konnte nicht positiv sein. Wenn das Administratum sich für eine derart geplagte Welt wie ihre interessierte, war das gleichbedeutend mit
Schwierigkeiten für die Verantwortlichen, und sie war durchaus clever genug, das zu erkennen. Und auf Pavonis war sie verantwortlich. Sie schob den Daumen in die Tafel und zuckte zusammen, als die Nadel darin zustach, um ihr eine Blutprobe zu entnehmen. Eine Sammlung von Lichtern blinkte an der Seite der Platte, als der Geist in der Maschinerie ihren genetischen Code mit dem in seinem Cogitator gespeicherten verglich. Die Tafel klickte, summte und ratterte, als sie ein dünnes Blatt Papier aus dem Scriptum an der Unterseite ausdruckte. Shonai riss die Botschaft ab und legte die Tafel auf ihren Schreibtisch. Sie setzte eine zierliche Brille auf und las die Nachricht. Während ihre Augen den Zeilen der Botschaft folgten, wurde ihr Gesicht heiß, und in ihrer Brust breitete sich ein Gefühl der Beklemmung aus. Sie erreichte das Ende der Nachricht und spürte, wie sich ein schweres Gefühl der Übelkeit in ihrem Magen einnistete. Sie reichte Chanda das Blatt, der die Nachricht rasch las, bevor er sie sacht vor der Statthalterin auf den Schreibtisch legte. »Vielleicht wird es nicht so schlimm, wie Sie befürchten, Madam«, sagte Chanda hoffnungsvoll. »Das meinen Sie nicht ernst, Almerz.« Corteo beugte sich vor, die Pfeife zwischen die Lippen geklemmt. »Dürfte ich nach dem Inhalt dieser Nachricht fragen?«, sagte er. Mykola Shonai nickte. »Natürlich, Leland. Anscheinend empfangen wir bald einen Abgesandten - einen Adepten aus dem Administratum, der unser Versäumnis untersuchen wird, den imperialen Zehnten zu bezahlen und den Frieden des Imperators zu bewahren. Vielleicht müssen wir gar nicht versuchen, die Kartelle davon abzuhalten, uns vorzeitig aus dem Amt zu entfernen. Das wird das Administratum für sie erledigen.« Den sorgenvollen Mienen im Raum konnte sie entnehmen, dass ihnen allen die Bedeutung der unmittelbar bevorstehenden Ankunft dieses Adepten klar war. »Dieser erbärmliche Ballion muss das Imperium verständigt haben«, zischte Iacovone. »Zweifellos auf Ersuchen Talouns«, fluchte Leland Corteo. Statthalterin Shonai seufzte. Sie hatte mehr Zeit vom Vertreter des Administratums auf Pavonis erbeten, konnte es dem Mann
aber nicht verdenken, nicht einmal, wenn Taloun ihn dazu genötigt hatte. »Kann Sie dieser Adept ohne entsprechenden Prozess Ihres Amtes entheben?«, fragte Morten Bauer. »Er kommt mit der höchsten Autorität«, antwortete Chanda ernst. Statthalterin Shonai hob das Papier wieder auf und las noch einmal die letzten Zeilen. »Und was noch wichtiger ist, Almerz, er kommt mit den Engeln des Todes. Er kommt mit den Space Marines.«
4. Kapitel Der Schlachtkreuzer der Ultramarines, die Vae Victus, glitt rasch durch die Finsternis des Alls. Ihr von unzähligen Schlachten zernarbter Rumpf reflektierte fahles Sternenlicht. Sie war ein länglicher gotischer, im All geborener Leviathan mit vorstehenden Warpschaufeln. Die Antenne auf der gewölbten Kathedralenzinne der Kommandozentrale wuchs aus der Mitte und pflanzte sich in Richtung der gewaltigen Plasmatriebwerke im Heck fort. Beiderseits des eckigen Bugs mit der Bombardierungskanone lagen die Eingänge zu den Hangars, aus denen ThunderhawkKampfflugzeuge und Entertorpedos starten konnten. Über die gesamte Länge starrte der Rumpf von mit Gargylen umkränzten Waffenbatterien und Abschussrohren für konventionelle Torpedos. Die Vae Victus war alt. Vor fast drei Millennien auf den Schiffswerften von Calth erbaut, wies sie das Markenzeichen der calthischen Schiffsbauer auf, die verschnörkelte Bauweise, die in den verzierten gotischen Bögen rings um die Hangars und den Strebebögen der Antriebsgehäuse ihren Ausdruck fand. In seinem langen Leben hatte der Schlachtkreuzer mehrfach die Galaxis durchquert und unzählige Gefechte sowohl gegen menschliche als auch nichtmenschliche Feinde ausgetragen. Er hatte in der Schlacht um Macragge mit den Tyraniden gerungen, das Flaggschiff des abtrünnigen Kommandanten Ghenas Malkorgh zerstört, dem orkischen Raumkoloss Aufbringer des Lasters den Todesstoß versetzt und erst kürzlich im Appolyonischen Kreuzzug die Raumabwehr von Thracia vernichtet. Ihr Rumpf trug stolz die Narben jeder Begegnung. Die Schiffs-
handwerker der Ultramarines hatten erst kürzlich jede Wunde geflickt und die Ehre ihrer Siege auf den riesigen Geist übertragen, der im kräftig schlagenden mechanischen Herzen des Raumschiffs wohnte. Die Kommandobrücke der Vae Victus war eine ausgedehnte, von Kerzen erleuchtete Kammer mit gewölbter, gut fünfzehn Meter hoher Decke. Summende Bänke leuchtender Holoanzeigen und alter Runenbildschirme säumten die Kreuzgänge beiderseits des erhöhten Hauptschiffs, und ein kahlköpfiger, halb menschlicher Cyborg-Servitor war fest mit jedem Schiffssystem verdrahtet. Eine breite Aussichtskanzel beherrschte die Vorderseite der Kammer, die gegenwärtig ein Bild des leeren Weltraums vor dem Schiff zeigte. Kleinere Schirme in den Ecken der Kanzel zeigten den gegenwärtigen Kurs und die Geschwindigkeit des Schiffs zusammen mit allen lokalen Objekten, die von den divinatorischen Instrumenten des Schiffs ausgemacht werden konnten. Das breite Hauptschiff wurde achtern durch ein gewölbtes Querschiff zweigeteilt. Auf beiden Seiten befanden sich Divinator- und Kampfstationen. Deckoffiziere der Space Marines in schlichten Juteroben über ihrer Rüstung überwachten ebenfalls jede Station. Die aufbereitete Luft war stickig vom Qualm des brennenden Räucherwerks, der aus Weihrauchfässchen aufstieg, welche von Kapuzen tragenden Priestern geschwungen wurden. Aus der erhöhten Sakristei und der Navigatorenkuppel hinter der Kanzel des Kapitäns drang kaum hörbarer Choralgesang, der durch die Brücke trieb. Der Kommandant der Vae Victus stand auf seiner Kanzel und richtete seine altersgrauen Augen auf das Pult neben sich. Taktische Diagramme für die Vae Victus und Pavonis waren neben dem Chronometer dargestellt und zeigten ihren geplanten Kurs. Lordadmiral Lazio Tiberius sah sich auf der Suche nach etwas Ungewöhnlichem auf der Brücke um, stellte aber zu seiner Zufriedenheit fest, dass alles so war, wie es sein sollte. Tiberius war ein riesiger dunkelhäutiger Space Marine von beinah vierhundert Jahren, der fast sein gesamtes Leben im Weltraum gekämpft hatte. Sein Furcht erregend vernarbtes Gesicht war das Resultat eines Zusammenstoßes mit einem Bioschiff der Tyraniden, das im Frühstadium der Schlacht um Circe die Kommandobrücke der Vae Victus gerammt hatte. Sein Schädel war
haarlos, und seine Haut hatte die Struktur von abgenutztem Leder. Der gegossene Brustharnisch seiner blauen Rüstung war mit Gruppen bronzener Orden geschmückt, in deren Mitte die goldene Sonne eines Helden von Macragge prangte. Lordadmiral Tiberius stand mit hinter dem Rücken verschränkten Händen da und betrachtete das taktische Diagramm mit kritischem Blick, während er überschlug, wie lange die Vae Victus brauchen würde, um in die Umlaufbahn um Pavonis einzuschwenken. Er schaute auf die Ecke des Bildschirms und registrierte mit Befriedigung, dass seine Schätzung nahezu vollkommen mit der Vorhersage der Logikmaschine übereinstimmte. Er fand jedoch, dass seine Schätzung die realistischere der beiden war. Vor ihm bearbeiteten berobte Besatzungsmitglieder ihre ausgedehnten Sensorrunen und suchten den Weltraum vor ihnen mit allen möglichen divinatorischen und auguren-haften Vorrichtungen ab. Tiberius wusste, dass der Kapitän eines Raumschiffs immer nur so gut war wie die Mannschaft, die er befehligte. Aller taktischer Scharfsinn in der Galaxis war nichts wert, wenn er ungenaue Informationen bekam oder seine Befehle nicht rasch und fraglos ausgeführt wurden. Und Tiberius wusste, dass er eine der besten Besatzungen in der Flotte Ultramars hatte. Immer und immer wieder in der Hitze der Schlacht bewährt, hatte sie akkurat alle Befehle befolgt. Die Vae Victus hatte einige harte Schlachten mitgemacht, aber ihre Besatzung hatte sich immer mit Ruhm bekleckert. Dies lag zum Teil an Tiberius' Maxime, beständig die höchsten Anforderungen an jedes Besatzungsmitglied auf dem Schiff zu stellen, vom niedrigsten Matrosen bis zu ihm selbst und seinem Kommandostab. Aber es war auch ein Spiegelbild der Hingabe und Loyalität bei den Dienern der Ultramarines, welche die Mehrheit der Schiffsbesatzung bildeten. Wiederum führte der Weg in die Gefahr, und Tiberius empfand das vertraute Hochgefühl, dass sie bald den Feinden des Imperators Sein feuriges Schwert der Vergeltung bringen würden. Es war lange her, seit die Vae Victus zuletzt gegen Eldar gekämpft hatte, und wenngleich er die Nichtmenschen und ihre Art mit der Leidenschaft des Eiferers hasste, war er gezwungen zuzugeben, dass er einen widerwilligen Respekt vor ihrer Meisterschaft des raschen Zuschlagens verbunden mit einem ebenso raschen Verschwinden
hatte. Tiberius wusste, dass die verschlagenen Eldar sich nur ganz selten auf einen Kampf zwischen Raumschiffen unter schlechteren als den allergünstigsten Bedingungen einließen, denn ihre Schiffe waren auf eine absurde Art zerbrechlich und genossen nicht die göttliche Gnade von Schutzschirmen. Sie verließen sich auf Verstohlenheit und List, um sich ihrem Ziel zu nähern, und setzten dann blasphemische nichtmenschliche Magie ein, um die ZielCogitatoren der Waffen ihrer Feinde durcheinander zu bringen. Tiberius wusste, dass die erste Warnung vor so einem Angriff der Einschlag von Buglanzen war, welche die Steuerdüsen eines Schiffs lahm legten. Danach war es akademisch, wer die größten Kanonen hatte. Das Eldar-Schiff konnte Kreise um den schwerfälligeren Gegner fliegen und ihn Stück für Stück auseinander nehmen. Tiberius schwor, dass seinem Schiff so ein Schicksal erspart bleiben würde. In der Dunkelheit des Weltraums sechs Stunden vor der Vae Victus glitt ein elegantes, tödliches Schiff aus dem Schatten seiner Asteroidenbasis. Der gegliederte Bug verjüngte sich zu einer Spitze, und gezackte, krummsäbel-artige Sonnensegel entfalteten sich graziös und schwangen sich von den klug gearbeiteten Triebwerken im Heck empor. Triebwerke und Bug waren durch eine schlanke, kuppelförmige Kommandobrücke miteinander verbunden, und von dort regierte der Kapitän dieses tödliche Schiff. Der Kapitän des eleganten Schiffs, die Sturmreiter, starrte jetzt mit unverhohlenem Vergnügen auf das Echo der Anzeige vor ihm. Endlich ein Gegner, der seiner Talente würdig war. Ein Schiff der Adeptus Astartes! Archon Kesharq von der Kabale der Zerbrochenen Klinge war es leid, ungeschlachten Kauffahrern aufzulauern, Patrouillenschiffe zu narren und primitive Hinterwäldlersiedlungen zu überfallen. Kesharq lag nichts an den Früchten dieser Unternehmungen, und sogar die Folterung der schreienden Seelen an Bord der aufgebrachten Schiffe über die bekannten Schmerzgrenzen hinaus war für seine verwöhnten Sinne schal geworden. Die solcherart schlechten Gegner konnten seine Fähigkeiten nicht einmal ansatzweise fordern. Ein dünner Blutfaden tropfte aus seinen Mundwinkeln, und Kesharq legte den Kopf nach hinten, zog die leblose Haut seines Gesichts straff über den Schädel und hakte die ausgefransten Enden
über die Nähte im Nacken. Er hatte größere Träume und langsam schon befürchtet, dass sein Pakt mit dem Kyerzak ein Fehler war. Doch nun war in der Tat würdige Beute aufgetaucht. Drei Decks unter der Kommandobrücke der Vae Victus hallten die Gebete der Space Marines leise durch die Kapelle der Vierten Kompanie. Mit ihrer hohen Decke war die geräumige Kammer mit Leichtigkeit in der Lage, die versammelten Brüder der Kompanie aufzunehmen. Ein mit polierten Steinfliesen ausgelegtes Mittelschiff führte zu einem spiegelglatten, schwarzen Altar und einem hölzernen Lesepult am anderen Ende der Kapelle. Buntglasfenster in wunderbaren Farben beherrschten voller Erhabenheit die oberen Gefilde der Kapelle. Jedes Fenster befand sich in einem blattförmigen Bogen, und elektrische Fackeln hinter ihnen warfen ein geisterhaftes Licht auf die versammelten Krieger. Jedes Fenster zeigte einen Teil der langen Geschichte des Imperiums: das Zeitalter des Haders, das Zeitalter der Apostasie, der Vergöttlichte und der Siegreiche Imperator. Von der Kompanie in einem Dutzend Kreuzzügen gewonnene Siegesbanner hingen unter den Fenstern, jedes Zeugnis für eine Tradition der Tapferkeit und der Courage, die zehntausend Jahre weit zurückreichte. Die Kompanie hatte im flackernden Schein der Elek-trofackeln bequeme Paradehaltung angenommen und die Augen zum glatten Boden der Kapelle niedergeschlagen. Jeder rezitierte eine Litanei des Danks an Ihn auf Erden und dachte über seine heilige Pflicht dem Gott-Imperator gegenüber nach. Stille senkte sich über die Kapelle, als sich die eisenbeschlagene Tür am anderen Ende des Mittelschiffs öffnete und zwei Gestalten eintraten. Die Space Marines nahmen wie ein Mann zackig Haltung an. Der Hauptmann der Vierten Kompanie, Uriel Ventris, marschierte mit flatterndem Zeremonienumhang durch das breite Schiff. Ein blasser, grimmiger Krieger mit milchweißem Umhang ging ihm voran. Der Kaplan der Vierten Kompanie, Judd Clausel, trug eine mitternachtschwarze Servo-Rüstung, die mit Reliefs von fangzahnbewehrten Schädeln geschmückt war. Messing- und Goldbesatz an Kürass und Beinschienen funkelten im matten Licht. Sein grinsender, schädelgesichtiger Helm hing am Hüftgürtel neben einem
voluminösen Wälzer von einem Buch, das in verblichene grüne Orkhaut gebunden war. Mit dem linken Arm schwang er ein qualmendes Weihrauchfässchen, und aromatische Kräuter und geheiligte Öle erfüllten die Kapelle mit dem wilden, berauschenden Duft des Hochlands von Macragge. Seine rechte Faust umschloss das Crozius Arcanum, seine Waffe und das Amtssymbol aller Ordenspriester der Space Marines. Das Crozius Arcanum war ein Adamantiumstab, der von einem funkelnden goldenen Adler mit messerscharfen Flügeln gekrönt war. Der Stab lief in einem grinsenden Schädel mit blutroten Edelsteinen als Augen aus. Der Mann strahlte spürbar Macht aus. Clausel verdiente nicht einfach nur Respekt, er gebot ihn. Seine Statur war gewaltig, noch massiger als Uriels, und seinem strengen, steten Blick entging nichts. Ein hartes graues Auge suchte in jedem Gesicht nach Schwäche, während das andere seine Umgebung durch die seelenlose Mechanik einer krude verpflanzten blinkenden roten Kugel betrachtete. Sein Schädel war kahl rasiert bis auf einen glänzenden, silbernen Dutt, der von der Mitte des Kopfes bis auf die Schultern fiel. Ein dickes Gesicht, stark vernarbt und zur grotesken Parodie eines Lächelns verzogen, begutachtete die Space Marines vor ihm. »Kniet nieder!«, befahl er. Der Anweisung wurde sofort Folge geleistet, und der Lärm gepanzerter Knie hallte durch die Kammer, als sie geschlossen niederkrachten. Uriel trat vor und nahm das Räucherfässchen und den Crozius entgegen. Er trat mit geneigtem Kopf hinter den massigen Kaplan. »Heute ist ein Tag der Freude«, bellte Clausel. »Denn heute bietet man uns die Gelegenheit, das Licht des Imperators in die Finsternis zu tragen und jene zu vernichten, die Seinen Dienern den Weg versperren wollen. Wir sind noch nicht wieder eine volle Kompanie, meine Brüder. Viele unserer Kameraden haben auf Thracia ihr Leben gelassen, aber wir wissen, dass sie nicht vergeblich gefallen sind. Sie werden ihren Platz an der Seite des Imperators einnehmen und die Geschichten ihrer Tapferkeit und Ehre bis zu den letzten Tagen erzählen.« Clausel streckte die panzerbehandschuhte Faust aus und ließ sie dann zwei Mal in rascher Folge auf seinen Brustharnisch krachen. »De mortuis nil nisi bene!«, intonierte der Kaplan und nahm Uriel das Räucherfässchen dabei wieder ab.
Kaplan Clausel schritt vom Altar zu den knienden Marines und tauchte die Hände in die rauchende grauschwarze Asche. Im Vorbeigehen malte er Schutzzauber und rituelle Schlachtsymbole auf die Rüstung jedes Mannes und skandierte dabei die Litanei der Reinheit. Als er den letzten Mann gesalbt hatte, wandte er sich wieder dem Altar zu und sagte: »Die Schlachtriten sind vollendet, mein Hauptmann.« »Wir sind geehrt durch Ihre Worte, Kaplan Clausel. Vielleicht werden Sie uns nun im Gebet vorangehen?« »Das werde ich, Hauptmann«, erwiderte Clausel. Er schritt nach vorne, erklomm die Stufen, kniete nieder und küsste die Basaltoberfläche des Altars, während er den Katechismus der Beteuerung hauchte. Dann erhob er sich und fing an zu beten, während die Ultramarines den Kopf neigten. »Göttlicher Gebieter der Menschheit. Wir, deine demütigen Diener, entbieten dir unseren Dank für diesen neuen Tag. Während wir unsere Kraft auf die ehrenwerte Schlacht richten, frohlocken wir über die Gelegenheit, die du uns bietest, unsere Stärken und Talente in deinem Namen einzusetzen. Die Welt Pavonis wird von degenerierten Nichtmenschen heimgesucht und ist von Hader zerrissen. Mit deiner Gnade und deinem Segen wird die Weisheit des Imperiums bald wieder obsiegen. Dafür danken wir dir und bitten um nichts außer der Möglichkeit zu dienen. Dies beten wir in deinem Namen. Gelobt sei Guillaume!« »Gelobt sei Guillaume!«, wiederholten die Space Marines. Clausel senkte die Arme und wartete mit vor der Brust verschränkten Armen ab, da Hauptmann Uriel Ventris vor seine Männer trat. Er war nervös, da dies seine erste Ansprache an die Kompanie war, und im Geiste schalt er sich wegen seines Mangels an Konzentration. Er kämpfte seit über einem Jahrhundert gegen die Feinde der Menschheit, und jetzt war er unruhig, weil er zu einer Kompanie Space Marines sprechen würde? Uriel ließ den Blick über die versammelten Schlachtbrüder seiner Kompanie wandern, dieser größten aller Menschen, und nickte dem riesigen, bärgleichen Sergeant Pasanius zu. Sein Jugendfreund war in der Ausbildung weiter gewachsen und bei weitem der stärkste Space Marine im Orden. Neben seiner riesigen Gestalt wirkten die meisten seiner Schlachtbrüder wie Zwerge, und die Tech-Marines waren schon früh während seiner Ausbildung
gezwungen gewesen, eine einzigartige Rüstung für seine riesige Statur aus den ausgeschlachteten Teilen einer irreparabel beschädigten Terminatus-Rüstung zu schmieden. Pasanius bedachte Uriel mit einem unmerklichen Nicken, und er spürte sein Selbstvertrauen wachsen. Der erfahrene Sergeant war ein Fels für Uriel gewesen, an dem er sich bei seinem Aufstieg durch die Ränge hatte festhalten können, und er war stolz, ihn einen wahren Freund nennen zu dürfen. Hinter Pasanius sah er die königlichen, wie gemeißelt wirkenden Züge von Sergeant Learchus und dessen Kamerad Cleander. Sie waren alle längst über kindische Rivalitäten hinaus und hatten einander bei mehr als einer Gelegenheit das Leben gerettet, aber sie waren nie Freunde geworden und hatten auch nicht das Band der Bruderschaft geknüpft, das den Rest des Ordens durchdrang. Es ärgerte Uriel, dass er immer noch solche Schwierigkeiten hatte, eine Verbindung zu seinen Männern herzustellen, wie dies wahrhaft große Offiziere taten. Idaeus war ein natürlicher Anführer gewesen, der sich bei der Austragung seiner Schlachten regelmäßig auf seine eigenen Lösungen verlassen hatte, anstatt sich an den heiligen Codex Astartes zu wenden, jenem Buch über den Krieg, das der große Roboute Guillaume persönlich verfasst hatte. Er hatte seine Männer mit einer instinktiven Leichtigkeit geführt, der Uriel schwerlich entsprechen konnte. Er richtete sich zu voller Größe auf, während er beschloss, Idaeus' Rat anzunehmen und seinen eigenen Führungsstil zu finden. Die Vierte Kompanie war jetzt seine, und er würde dafür sorgen, dass die Männer dies erfuhren. »Rühren!«, rief er, und seine Krieger entspannten sich eine Winzigkeit. »Ihr kennt mich alle. Ich habe über ein Jahrhundert neben den meisten von euch gekämpft. Und aus dieser Weisheit heraus sage ich, seid dankbar für diese Gelegenheit, unsere Ergebenheit für unseren Primarchen und den Imperator zeigen zu können.« Uriel legte voller Absicht die Faust auf den Knauf von Idaeus' Schwert und betonte damit noch einmal die Tatsache, dass der ehemalige Hauptmann der Kompanie es an ihn weitergegeben hatte. »Ich weiß, dass ich noch nicht lange euer Anführer bin, und ich weiß auch, dass einige von euch es vorziehen würden, wenn ich
nicht euer Hauptmann wäre«, fuhr Uriel fort. Uriel hielt kurz inne und wog seine nächsten Worte sorgfältig ab. »Hauptmann Idaeus war ein großer Mann, und ihn sterben zu sehen, war das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Niemand trauert mehr um ihn als ich, aber er ist tot und jetzt bin ich hier. Ich habe das Licht des Imperators in jeden Winkel dieser Galaxis getragen. Ich habe in brennenden Schwarmschiffen gegen die Tyraniden gekämpft, ich habe die furchtbaren Krieger des Chaos auf Welten voller unaussprechlicher Schrecken getötet, und ich habe in kahlen Eiswüsten Orks besiegt. Ich habe neben einigen der größten Krieger des Imperiums gekämpft, und ich sage euch Folgendes: Ich bin Hauptmann dieser Kompanie. Ich bin Uriel Ventris von den Ultramarines, und ich werde eher sterben, bevor ich Unehre über den Orden bringe. Es ist mir eine Ehre, Teil dieser Bruderschaft zu sein, und könnte ich mir einen Krieger aussuchen, der neben mir kämpfte, könnte ich keine besseren Männer wählen als diejenigen der Vierten Kompanie. Jeder Mann hier und jeder einzelne unserer verehrten Toten hat sich auf eine Weise bewährt, auf die unseresgleichen stolz sein kann. Ich salutiere vor euch allen!« Bei diesen Worten zog Uriel mit verschnörkelter Bewegung Idaeus' Kraftschwert aus der Scheide und hob es hoch über den Kopf. Saphirblaue Energiefäden blitzten auf der Klinge des meisterlich geschmiedeten Schwerts und fingen das von den Elektrofackeln geworfene Licht ein. Die Marines erhoben sich und schlugen sich mit der geballten Faust auf den Brustharnisch, sodass ein ohrenbetäubender Lärm durch die Kapelle hallte. »Wir sind Ultramarines!«, rief Uriel. »Und kein Feind kann uns widerstehen, solange wir unseren Glauben an den Imperator bewahren.« Uriel trat hinter das hölzerne Lesepult und warf einen Blick auf die Datentafel, die clever in seine Oberfläche eingearbeitet war. Er brauchte nicht von der Tafel abzulesen. Er hatte sich die Einzelheiten ihrer Mission in der Woche eingeprägt, die sie im Flug durch den Warpraum verbracht hatten, aber die Einzelheiten griffbereit zu haben, war beruhigend. »Wir fliegen zu einer Welt namens Pavonis, und man hat uns mit der Aufgabe betraut, sie in den Schoß des Imperiums zurück-
zuführen. Pavonis hat seine Pflicht gegenüber dem Imperator vernachlässigt. Sie gibt Ihm nicht, was Ihm zusteht. Um die Situation zu bereinigen, hat man uns den Schutz eines Adepten des Administratums anvertraut, der die Herrscher von Pavonis in der korrekten Ausübung ihrer Pflichten unterweisen wird. Die Herrscher von Pavonis scheinen zu glauben, dass die Gesetze des Imperators für sie keine Gültigkeit haben. Gemeinsam werden wir ihnen das Gegenteil beweisen. Gesegnet sei der Primarch.« »Gesegnet sei der Primarch«, wiederholten die Space Marines. Uriel hielt inne, bevor er fortfuhr, da er sich wünschte, er wüsste mehr über den Adepten, den sie beschützen sollten. Er war dem Mann, dessen Schutz ihm Marneus Calgar anvertraut hatte, noch nicht einmal begegnet. Bisher hatte der Adept den gesamten Flug in seinen Gemächern und ausschließlich in Gesellschaft seines Gefolges von Schreibern, Klerikern und Dienern verbracht. Nun, er würde bald herauskommen müssen. Die Vae Victus war nur noch eine Tagesreise von ihrem Bestimmungsort entfernt. Uriel senkte die Stimme, während er zum nächsten Punkt seiner Einweisung kam. »Vielleicht als Resultat des Unvermögens der Herrscher von Pavonis, den Gesetzen des Imperators ausreichend Geltung zu verschaffen, hat sich eine Gruppe formiert, die sich selbst die Kirche der Alten Sitten nennt. Diese Ketzer haben eine Serie von Bombenanschlägen durchgeführt, da sie eine Rückkehr zu den Zeiten vor dem prächtigen Imperium wollen.« Ein Murmeln der Ungläubigkeit lief durch die Reihen. »Bis heute haben sie dreihundertneunundfünfzig Diener des Imperators getötet und unschätzbaren Schaden angerichtet. Sie legen Bomben in Seinen Manufakturen. Sie töten Seine Priester und brennen Seine Tempel nieder. Gemeinsam werden wir sie aufhalten. Gesegnet sei der Primarch.« »Gesegnet sei der Primarch.« »Aber, Brüder, die Welt Pavonis leidet nicht nur unter dem Übel der Ketzer im Innern. Nein, die ketzerische Plage des Nichtmenschen ist über Pavonis gekommen. Diese Raumregion wird schon seit Jahren von den Eldar heimgesucht, einer Rasse, die so arrogant ist, dass sie glaubt, sie könne ungestraft unsere Raumsektoren plündern und Eigentum stehlen, das rechtmäßig dem Imperator gehört. Gemeinsam werden wir ihnen zeigen, dass sie das nicht können. Gesegnet sei der Primarch.«
»Gesegnet sei der Primarch.« Uriel entfernte sich vom Lesepult. »Kehrt in eure Zellen zurück, meine Brüder. Haltet eure Ausrüstung in Ehren, auf dass sie euch in den Zeiten des bevorstehenden Krieges schützen möge. Der Imperator sei mit euch allen.« »Und mit Ihnen, Hauptmann«, sagte Pasanius, indem er aus der Reihe trat und sich vor Uriel verbeugte. Zunächst zögerlich, aber unter dem Eindruck, dass Pasanius Uriel akzeptierte, trat die Kompanie einen Schritt vor und verbeugte sich vor ihrem neuen Hauptmann, bevor sie die Kapelle verließ. Pasanius war der Letzte, der ging, und er drehte sich noch einmal zu ihm um. Uriel nickte seinem ältesten Freund dankbar zu. Archon Kesharq nickte seinem Stellvertreter zu. »Hauptgenerator langsam hochfahren und Aktivierung der Imitationsmaschinen vorbereiten«, befahl er mit feucht raspelnder und hässlicher Stimme. »Jawohl, erhabener Archon.« Kesharq betupfte seinen nässenden Hals mit einem Dufttuch und hustete einen Klumpen blutiger Materie in einen Kelch neben sich. Mittlerweile fiel ihm selbst das Sprechen schwer, und er schluckte mühsam und belegte den Namen Asdrubael Vect wieder einmal mit dem Fluch eines Lebens der Tausend Leiden. Die eitrige Wunde in seinem Nacken würde niemals heilen. Dafür hatte Vects Haemonculus in den Folterkammern unter dem Palast der Kabale gesorgt. Kesharqs Griff nach der Macht über die Kabale war bis ins Detail geplant gewesen, aber Vect hatte von seinem Verrat gewusst, und der Coup war gescheitert, noch bevor er begann. Monate der Folterung waren gefolgt. Er hatte um die Erlösung gebettelt, aber der Haemonculus hatte ihn immer nur an den Rand des Todes gebracht, um ihn dann wieder zurückzuziehen in ihre Hölle unendlicher Qualen. Er hatte damit gerechnet, dort zu sterben, aber Vect hatte seine Freilassung und das Aufnähen seiner Haut auf die Reste seiner Muskulatur befohlen. Er erinnerte sich noch an Vects wunderschönes, grausames Gesicht, wie es ihn angelächelt hatte, während er in einem seltenen Augenblick geistiger Zurechnungsfähig-
keit und Klarheit dalag. Er hatte versucht, die Augen zu schließen, um Vects hämisches Grinsen zu verbannen, aber die Augenlider waren ihm bereits eine Woche zuvor sauber abgeschnitten worden. »Du glaubst, dass du hier sterben wirst?«, fragte der oberste Herrscher der Kabale des Schwarzen Herzens. Ohne eine Antwort abzuwarten, schüttelte der dunkle Eldarfürst langsam den Kopf und fuhr fort. »Das wirst du nicht. Diesen Luxus werde ich dir nicht gestatten«, versprach Vect, indem er mit seinen perfekt manikürten Nägeln über die freiliegenden Knochen von Kesharqs Rippen strich. »Du warst ein eitler Narr, Kesharq, mit deinen Plänen bezüglich meines Todes zu prahlen, wo du doch gewusst haben musst, dass meine Spione mir alles brühwarm weitererzählen würden.« An dieser Stelle hatte Vect geseufzt, als sei er mehr enttäuscht als wütend. »Verrat und Täuschung kann ich verstehen und sogar verzeihen. Aber Dummheit und Unfähigkeit verärgern mich nur. Deine kolossale Eitelkeit und dein ausuferndes Ego waren dein Verderben, und ich halte es nur für passend, dass sie auch in der Niederlage deine ständigen Begleiter bleiben. Ich schicke dich von Commorragh ins Exil, verbanne dich aus unserer finsteren Stadt und jage dich in die Wildnis mit der Beute-Rasse.« Kesharq hatte Vect nicht geglaubt und alles für eine ausgeklügelte Täuschung gehalten, um Hoffnungen in ihm zu wecken, er möge doch überleben, nur um auch diese zu zerschlagen. Doch Vect hatte nicht gelogen. Weniger als eine Woche später hatten er und die Überlebenden seiner Splitter-Kabale gedemütigt und in Schande Commorragh verlassen. Kesharq hatte dem Haus Asdrubael Vects Rache geschworen, aber sein ehemaliger Herrscher hatte nur gelacht, und die Laute seiner Belustigung waren wie feurige Peitschenhiebe auf seine Seele gewesen. Jetzt würde Vect bald nicht mehr lachen, und Kesharq kam wieder die Belohnung in den Sinn, die ihn erwartete, wenn er den dummen Kyerzak erst einmal überlistet hatte. Aber zuerst musste er sich dieser neu eingetroffenen Bedrohung für seinen sorgfältig durchdachten Plan widmen. Der Todesstoß war so nahe, dass Kesharq das Blut der Space Marines auf seinen empfindungslosen Lippen zu schmecken ver-
meinte. Er erhob sich von seinem Kommandosessel und ging zum Hauptschirm. Trotz der Lockerheit seiner Haut und der breiten Axt auf seinem Rücken bewegte er sich so graziös wie ein Tänzer. Seine segmentierte grüne Rüstung glänzte wie polierter Jade und betonte die blasse, tote Hautmaske seines Gesichts. Leblose weiße Haare mit violetten Streifen fielen ihm um die Schultern und wurden von einem roten Diadem auf der Stirn zusammengehalten. Er befeuchtete seine lidlosen Augen mit einem feinen Sprühregen aus einem winzigen Zerstäuber und studierte das Bild vor sich. Ihm auf den Fersen folgte ein schnappendes Rudel grotesker Kreaturen, jede einzelne aus wahllos zusammengenähten Fleischfetzen zu einer wogenden Masse aus Krallen und Zähnen zusammengesetzt. Dies waren die Exkrente, Kesharqs Schoßtierchen, die ihre Existenz einer Laune seines obersten Haemonculus verdankten. Sie umschwärmten die Beine ihres Herrn und Meisters und zischten in hirnloser Bösartigkeit mit ihren gelben, giftigen Fängen alles und jeden an, das und der es wagte, in ihre Nähe zu kommen. Die Beute war jetzt fast in Reichweite, und Kesharqs Erregung nahm zu. Blut pulsierte durch seine Adern beim Gedanken an die Schmerzen, die er den Leichengottkriegern zufügen würde. Seine Mundwinkel zuckten voller Vorfreude, und bei dem Gedanken daran juckte es ihn in den Fingern. Kesharq beschloss, einen als Spielzeug am Leben zu lassen, der in beständiger Qual wimmern würde, während er dabei zusah, wie seine Kameraden langsam zerschnitten wurden, um seine Exkrente mit frischem Fleisch zu versorgen. »Erhabener Archon, das Beuteschiff ist in Waffenreichweite«, zischte sein Stellvertreter. »Ausgezeichnet«, lächelte Kesharq unter seiner Haut. »Waffen hochfahren und Nachahmungsmaschinen einschalten.« Das Feindschiff war noch zu weit entfernt, um es auf dem Bildschirm sehen zu können, aber Kesharq bildete sich ein, seine Nähe zu spüren. Er kehrte zu seinem Kommandosessel zurück und zog die Axt aus der Scheide. Er spielte gern mit ihrer OnyxKlinge, wenn er ein Schiff erledigte, auf dass ihre Seele auch weiterhin nach Blut dürsten mochte. »Wir fliegen aus dem vorderen Steuerbord-Quadranten ein, sodass wir die Sonne im Rücken haben«, befahl Kesharq.
Er strich über die Fraktalschneide seiner Axt. »Bitte um Erlaubnis, auf die Brücke kommen zu dürfen, Lordadmiral.« Tiberius drehte sich an seinem Lesepult um, und als er zwei berobte Männer im Eingang zur Kommandobrücke stehen sah, hatte er Mühe, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen. Zivilisten auf der Brücke versuchte er grundsätzlich zu vermeiden, aber dieser Adept trug das höchste Siegel des Administratums bei sich, und es wäre unhöflich gewesen, ihm seine Bitte abzuschlagen. Tiberius nickte zustimmend und stieg von seiner Kanzel herab, während das berobte Duo die Treppe des Kreuzgangs zum Kommandoschiff erklomm. Einer der beiden war ein ehrwürdiger Greis in dicken Gewändern, der sich beim Gehen der Hilfe eines elfenbeinernen Stocks bediente, der andere war ein Mann vielleicht in den Vierzigern mit einem unauffälligen Gesicht und nichts sagenden Zügen. Tiberius stellte bei sich fest, dass der Mann wie alle anderen gesichtslosen Adepten des Administratums aussah, denen er je begegnet war. Der ältere Mann schien von seiner Umgebung unbeeindruckt zu sein, aber der Mann mit dem nichts sagenden Gesicht strahlte eindeutig Begeisterung aus. »Vielen Dank, Lordadmiral. Sehr freundlich von Ihnen, uns auf die Brücke zu lassen, Ihr Allerheiligstes, Ihr Ausguck, wenn Sie so wollen. Sehr freundlich.« »Kann ich irgendetwas für Sie tun, Adept Barzano?«, fragte Tiberius, Barzanos unablässigen Wortschwalls bereits überdrüssig. »Ach bitte, Lordadmiral, nennen Sie mich doch Ario«, erwiderte Barzano fröhlich. »Mein persönlicher Schreiber Lortuen Perjed und ich wollten vor unserer Ankunft auf Pavonis nur die Brücke Ihres gewaltigen Raumschiffs besichtigen. Da wir bisher sehr beschäftigt waren, hatten wir noch nicht viel Gelegenheit, unsere Umgebung zu bewundern.« Barzano ging durch das Mittelschiff zum Aussichtsdeck, das gegenwärtig die winzige Scheibe von Pavonis und den flammenden Ball seiner Sonne zeigte. Barzano betrachtete im Vorbeigehen eingehend mehrere der von Servitoren bemannten Stationen. Er drehte sich um und bedeutete Tiberius und Lortuen Perjed, ihm zu folgen.
Der Schreiber zuckte die Achseln und folgte seinem Vorgesetzten, der sich über eine Monitorstation gebeugt hatte und mit der Hand vor dem leeren, ausdruckslosen Gesicht eines Servitors herumwedelte. Die lobotomisierte Kreatur ignorierte den Adepten, da ihr kybernetisch verändertes Hirn nicht einmal dazu fähig war, seine Anwesenheit zu registrieren. »Faszinierend, absolut faszinierend«, stellte er fest, als Tiberius sich zu ihm gesellte. »Was macht dieser hier?« Seine Ungeduld beherrschend, sagte Tiberius: »Diese Station überwacht die Temperaturabweichungen im Plasmakern.« »Und der da?« »Der reguliert die Sauerstoff-Wiederaufbereitungseinheiten auf den Geschützdecks.« Doch Barzano war bereits weiter durch den Torbogen des Querschiffs zu den Divinations-Stationen gegangen, wo Offiziere der Space Marines neben den reglosen Senatoren arbeiteten. Ein paar Gesichter wandten sich ihm bei seinem Eintreten zu, doch Barzano schüttelte den Kopf. »Kümmern Sie sich gar nicht um mich. Tun Sie so, als wäre ich gar nicht da.« Er stellte sich vor einen mit Stein eingefassten Planungstisch in der Mitte der Kammer, stützte die Ellbogen auf und studierte die Fülle taktischer Informationen auf der darin eingebetteten Tafel. »Das ist wirklich faszinierend, Lordadmiral, wirklich faszinierend«, wiederholte Barzano. »Ich danke Ihnen für Ihr Interesse, Adept Barzano, aber...« »Ario, bitte.« »Adept Barzano«, fuhr Tiberius fort. »Dies ist ein Kriegsschiff und kein...« »Lordadmiral«, unterbrach Philotas, Tiberius' Deck-Offizier. Tiberius eilte zu der verwirrend komplexen Anordnung runischer Anzeigetafeln, vor denen der Deck-Offizier seiner Arbeit nachging. »Sie haben etwas?« »Einen neuen Kontakt, Lordadmiral. Sechzigtausend Kilometer vor uns«, sagte Philotas, indem er die Runen vor sich justierte und auf die Anzeige vor sich starrte. »Die Mittelstrecken-Auguren haben soeben einen Plasma-Energie-Ausschlag registriert.« »Was ist es?«, fragte Tiberius rasch. »Ein Schiff?« »Ich glaube schon, Lordadmiral. Aus Richtung null-drei-neun.« »Identifizieren Sie es. Klasse und Typ. Und finden Sie heraus, wie es ihm gelungen ist, so verdammt nah an uns heranzukom-
men, ohne von uns entdeckt zu werden!« Philotas nickte und beugte sich wieder über seine Kontrollen. Ario Barzano studierte die taktische Karte auf dem Mitteltisch und zeigte auf das Echo, das den unbekannten Kontakt darstellte. Zahlenkolonnen huschten daneben über die Tafel, eine erschöpfende Informationsfülle zu dem unbekannten Schiff. »Das ist der Kontakt?«, fragte er. »Ja, Adept Barzano, das ist er«, schnauzte Tiberius. »Aber ich habe jetzt gerade keine Zeit, sie in die Feinheiten der Raumschiffführung einzuweisen.« »Lordadmiral?«, rief Philotas. »Ja?« »Ich habe die Antriebssignatur des unbekannten Kontakts identifiziert, Lordadmiral«, bestätigte der Deck-Offizier. »Es ist die Galant, ein Schiff der Systemabwehr von Pavonis.« »Ziel nähert sich Energielanzen-Reichweite, erhabener Archon.« Kesharq fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, schmeckte das dort geronnene Blut und zitterte vor kaum beherrschter Erregung. Ja, die Narren schluckten den Köder und hielten die Sturmreiter für eines ihrer Schiffe. »Hauptenergie auf die Lanzen-Batterien legen und in Reserve halten. Ich will einen einzigen vernichtenden Schlag landen.« »Jawohl, erhabener Archon.« Tiberius schritt zu seiner Kapitänskanzel zurück. »Kommunikation, nehmen Sie Verbindung mit der Galant auf und richten Sie Ihrem Kapitän Grüße von mir aus.« »Jawohl, Lordadmiral.« Der Kapitän der Vae Victus starrte auf die Aussichtsschirme in der Hoffnung, die Umrisse des Schiffs der Systemabwehr zu sehen, aber die flammende Korona der Sonne in der Mitte des Systems ließ ihn so gut wie nichts erkennen. Er wandte sich wieder zur Divinationskontrolle um und spürte, wie ihm der Geduldsfaden riss, als er Barzano vor der Dateneingabenische einer der Logikbänke seines Schiffs stehen sah. »Adept Barzano?«, fragte Tiberius. Der Adept winkte ab, während er aufmerksam auf die Tafel vor sich starrte, und Tiberius kam zu dem Schluss, dass er jetzt genug von Adept Ario Barzano hatte. Adept der höchsten Autoritäts-
stufe hin oder her, niemand benahm sich dem Kommandant eines Raumschiffs gegenüber derart respektlos. Tiberius kam von seiner Kanzel herab - als Barzano plötzlich aus der Divinationskontrolle zu ihm gelaufen kam. »Lordadmiral, fahren Sie die Schirme hoch, und lassen Sie die Waffen schussbereit machen!«, befahl Barzano, in dessen Stimme plötzliche Autorität lag. Tiberius verschränkte die Arme vor seiner massigen Brust und schaute in das angespannte Gesicht des Adepten. »Und warum sollte ich das tun, Adept Barzano?« »Weil«, zischte Barzano dringlich, »den Schiffsverzeichnissen des Ultima Segmentum zufolge die Statthalterin von Pavonis die Galant vor fünf Jahren als mit Mann und Maus zerstört gemeldet hat, Lordadmiral.« Tiberius spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich, als ihm die Implikationen und das Ausmaß der Gefahr aufgingen, in dem sein Schiff und seine Mannschaft schwebten. »Hart Steuerbord!«, rief er. »Schutzschirme hochfahren und Energie auf die vorderen Linearbeschleuniger!« »Feuer!«, rief Archon Kesharq, als er den gewaltigen Bug des Schiffs der Space Marines zu ihnen herumschwingen sah. Das Schiff erbebte, als die vorderen Lanzen-Batterien seiner Beute tödliche Energiestrahlen entgegenjagten. Einen Herzschlag später hatten sie die Entfernung überbrückt. Der Bildschirm flammte auf, als kolossale Energiemengen den Schlachtkreuzer trafen und mit unvorstellbarer Gewalt explodierten. Ein greller Leuchtkranz bildete sich um die Vae Victus, als die ersten Einschläge die Schutzschirme des Schiffs überluden. Die folgenden Energiestöße detonierten auf dem gepanzerten Bug des Schiffs und ließen Flammen und Sauerstoffwolken aus ihrem getroffenen Bug schlagen. So viel zerstörerische Kraft in solcher Nähe zu entfesseln, war wahrhaft erhebend, und Kesharq brüllte triumphierend. Selbst auf diese Entfernung konnte er erkennen, dass der Schaden, den die Energielanzen angerichtet hatten, entsetzlich war. Meterdicke Schichten aus Adamantium waren wie Dünnblech vom Rumpf des Raumschiffs abgeschält worden, und gezackte Stahlstreben hingen schlaff aus dem Teil des Bugs, in den die Lanzen eingeschlagen waren.
Ströme aus gefrierendem Sauerstoff kristallisierten, während sie aus dem geborstenen Rumpf schossen, und Druckschotts mühten sich, das Leck einzugrenzen. Kesharq wusste, dass hunderte bei diesem ersten Angriff gestorben sein und viele mehr ihnen schreiend in die Hölle gefolgt sein mussten, als ihre Kabinen plötzlich in den Raum geblasen wurden. Kesharq lachte. »Feindschiff umfliegen und Heck ansteuern. Antrieb lahm legen.« Die Brücke der Vae Victus kippte zur Seite, und die gesamte Brückenbesatzung ging zu Boden, als sich die gewaltige Explosion durch den Rumpf des Schiffs fortpflanzte. Folgeexplosionen im Anschluss daran klangen auf der Brücke wie dumpfe Schläge. Warnglocken läuteten, und die Kommandobrücke war plötzlich in rotes Licht getaucht, als der Schlachtkreuzer auf Gefechtsstation ging. Rettungstrupps löschten Brände und kümmerten sich um die Verwundeten, während Dampf, Rauch und Flammen aus geborstenen Leitungen und Überwachungsstationen schossen. Dutzende von Ser-vitoren sanken leblos von ihren Sitzen. Tiberius rappelte sich vom Boden auf. Er hatte eine tiefe Risswunde in der Wange, doch das Blut war bereits geronnen. »Schadensmeldungen! Sofort!«, brüllte er. Er lief zum Feuerleitstand und wand den Ziel-Servitor aus der Bedienleiste. Er war tot, die wächserne Haut schwarz und verbrannt und die Kontrollen zerstört. Die Logikmaschinen mühten sich, das Ausmaß ihrer Beschädigungen zu ermitteln, aber Tiberius wusste bereits, dass sie schwer verwundet waren. Nicht tödlich, aber doch ernsthaft. »Die Schutzschirme sind überladen. Wir haben Durchbrüche auf den Decks sieben bis neun«, rief der Deck-Offizier. »BugBombardierungsgeschütz ist vorübergehend nicht einsatzbereit, und der Haupthangar wurde getroffen. Wir hatten Glück. Die letzten Energiestrahlen haben uns nur gestreift, Lordadmiral. Ihre Wende ins Feuer hat uns gerettet.« Tiberius grunzte, da er sich dieses Kompliments nicht würdig fühlte, und kehrte in seine Kommandokanzel zurück. Barzanos Warnung war keinen Augenblick zu früh erfolgt, und ihr hatten sie die Rettung des Schiffs zu verdanken. Die Schirme hatten kaum gestanden, als die Vae Victus auch schon unter dem Beschuss des
Feindes erbebt war. Tiberius starrte auf die Aussichtsschirme, wütend auf sich selbst, weil er sich hatte übertölpeln lassen, während er zusah, wie sich eine fließende schwarze Form, deren Hauptsegel sich im Sonnenwind kräuselte, aus dem schützenden Glanz der Sonne schälte und an ihrer Steuerbordflanke vorbei außer Sicht glitt. »Eldar!«, fluchte Tiberius. Woher, bei allen neun Höllen, war das Schiff gekommen? Wie, im Namen Guillaumes, hatte es ihre Divinatoren und Auguren täuschen können? »Divinationskontrolle! Ich brauche eine verstärkte und vollständige Sondierung des gesamten Gebiets. Sagen Sie mir, was im Namen des heiligen Terra da draußen ist! Die Steuerbordbatterien haben uneingeschränkte Feuererlaubnis!« Philotas nickte und gab die Befehle des Lordadmirals eiligst weiter. »Und jemand soll dieses verfluchte Glockengeläut abstellen!« Auf der Brücke wurde es plötzlich still, als die Sakristeiglocke verstummte. Das Zischen beschädigter Maschinerie, das Knistern von Funken und das benommene Stöhnen verwundeter Servitoren waren die einzigen Geräusche. Er spürte die Vibrationen, als die Steuerbordbatterien das Feuer eröffneten, aber er bezweifelte, dass sie ohne eine richtige Feuerleitstelle etwas treffen würden. Tiberius wischte sich das geronnene Blut von der Stirn, während Ario Barzano zur Kapitänskanzel schwankte und dabei die zusammengesunkene Gestalt seines Schreibers stützte. Perjed blutete aus einer Kopfwunde, aber sie war nicht tief, und als Barzano den ehrwürdigen Schreiber auf eine Stufe der Kreuzgangtreppe gesetzt hatte, lief er zur Divinationskontrolle zurück. Tiberius rief dem Adepten zu: »Meinen Dank für die zeitige Warnung, Adept Barzano.« Dann rief er den taktischen Plan auf seinem Pult auf, aber auf der Tafel wimmelte es von anomalen Anzeigen, und die Kurzstreckendivinatoren fingen Dutzende von Echosignalen auf. Verwünschte nichtmenschliche Magie! Und eines der Echos konnte der Eldar-Pirat sein. Er musste sein Schiff retten, aber was konnte er mit derart wirren Informationen anfangen? Andererseits war eine schlechte Entscheidung besser als gar keine. »Ruderkontrolle, hart Steuerbord und Feuer aus allen Batterien. Legen Sie Entfernung zwischen uns und diesen Bastard! Wir
brauchen Platz zum Manövrieren.« »Nein, Lordadmiral!«, rief Barzano vom Taktiktisch. »Ich glaube, dass wir es mit einem Schiff der finsteren Verwandten der Eldar zu tun haben. Ich habe von solchen Schiffen gelesen, und wir dürfen uns auf keinen Fall von ihm wegbewegen.« Tiberius zögerte, da er nicht daran gewöhnt war, dass man ihm auf seiner eigenen Kommandobrücke widersprach, aber der Adept hatte bisher Recht gehabt und schien mehr über die Fähigkeiten des Feindschiffs zu wissen. »Also gut, Adept Barzano. Die Zeit ist knapp. Was soll ich Ihrer Ansicht nach tun?« »Wir müssen näher an den Feind heran, ihn mit Feuer eindecken und auf einen Glückstreffer hoffen, der seine Holofelder durchschlägt.« »Tun Sie das!«, schnauzte Tiberius seinen Ruder-Offizier an. »Backbordmanövrierdüsen zünden und auf neue Richtung nullneun-null beidrehen!« Kesharq sah, wie das beschädigte Schiff sich auf dem Bildschirm vor ihm um die eigene Achse drehte. Der geborstene Bug schwang rasch herum und, ging ihm plötzlich auf, kam näher. Er fluchte, als ihm klar wurde, dass jemand an Bord des Feindschiffs über die Fähigkeiten seines Schiffs Bescheid wissen musste. Er zeigte auf den Bildschirm und schrie: »Bringt uns hinter den Feind, verwünscht sei eure Seele!« Die Brücke erbebte, als die Explosionen des schweren Batteriefeuers rings um das Schiff erblühten. Die feindlichen Kanoniere konnten ihre Position nicht genau ausmachen, aber bei so einer Kanonade war es nur eine Frage der Zeit, bis man sie treffen würde. Und die Sturmreiter war nicht dafür ausgelegt, solche Treffer zu verkraften. Die Vae Victus mühte sich, ihnen mit ihrer Drehung zu folgen, aber bei so einem Wettstreit konnte es nur einen Sieger geben. »Bug-Torpedorohre sind feuerbereit, erhabener Archon!« »Ganzer Fächer!«, schrie Kesharq. »Feuer!« »Torpedos im Anflug, Lordadmiral!«, warnte Philotas. »Der Imperator verdamme sie in die Hölle! Hart backbord! Abwehrtürme, Feuer eröffnen!« »Breitseiten-Batterien auf den Ursprung der Torpedos ausrich-
ten und schießen!«, rief Barzano. »Feuerleitstand, Befehl ausführen!«, bestätigte Tiberius. Die Brücke schwankte heftig, und Tiberius hielt sich an der Kanzel fest, als die Vae Victus ihre Drehung rückgängig machte. Sechs Torpedos jagten der Vae Victus entgegen, und nichtmenschliche Peil-Störsysteme erzeugten ein Verzerrerfeld, das es ihrer Beute extrem erschwerte, sie abzufangen. Auf derart kurze Entfernung und bei solch heftigem Gegenfeuer war es unvermeidlich, dass einige der Torpedos nicht durchkommen würden, und zwei explodierten auch, als die Kanoniere der Breitseiten sich eingeschossen hatten. Ein weiterer ließ sich von der Strahlung des beschädigten Bugs ablenken und jagte unter der Vae Victus hindurch, ohne Schaden anzurichten. Die letzten drei Torpedos flogen dem Schlachtkreuzer unbeirrt entgegen und in die Reichweite der Kurzstreckenabwehr des Schiffs. »Drei Torpedos abgeschossen!«, schrie Philotas heiser. »Damit bleiben immer noch drei«, sagte Tiberius. »Holt sie runter!« »Kurzstreckenabwehrtürme visieren jetzt Ziele an!« Der riesige Sichtschirm zeigte die Dunkelheit des Raums mit den hellen Flecken der Explosionen und den eisigen Kondensstreifen der sich nähernden Torpedos. Die gesamte Brückenmannschaft konnte die Waffen anfliegen sehen, und jeder Mann hatte das Gefühl, dass die Sprengköpfe genau zwischen seine Augen zielten. Die Mannschaft hielt den Atem an oder richtete Stoßgebete an den Imperator, als die letzte Verteidigungslinie der Vae Victus das Feuer eröffnete. Jeder Kurzstreckenturm war mit einem Servitor und seinen ganz eigenen Auguren bemannt, die es ihm gestatteten, die Torpedos im Anflug unabhängig anzuvisieren. Die Torpedos waren auf Ausweichmanöver programmiert, aber auf dieser letzten Anflugetappe waren sie am anfälligsten. Als sie langsamer wurden, um ihren endgültigen Zielpunkt anzuvisieren, sank ihre Geschwindigkeit auf ein Niveau, wo sie nicht mehr wirkungsvoll ausweichen konnten, und einer der Torpedos löste sich in einer Salve aus einer Schnellfeuerkanone auf.
Eine einzelne Granate eines der Abwehrtürme streifte einen weiteren Torpedo. Die Trefferwucht reichte nicht, um den Torpedo zu zerstören, beschädigte aber sein Gyroskop. Sein Leitsystem wähnte die Vae Vidus jetzt direkt über sich, änderte den Kurs und jagte dreihundert Kilometer in die Höhe, bevor er explodierte. Der letzte Torpedo beendete sein abschließendes Manöver und strebte seinem Ziel entgegen. Jedes Geschütz richtete sich auf den Torpedo, und in einem Abstand von weniger als zweihundert Metern schossen sie ihn ab. Hunderte von Granaten trafen den Torpedo, der in einem riesigen Ball aus Feuer und Splittern detonierte. Doch auch die Trümmer bewegten sich noch mit unglaublich hoher Geschwindigkeit, und brennende Trümmerteile des Torpedos trafen den Rumpf, zerstörten eine Kurzstreckenabwehrbatterie, zerfetzten eine Divinationsantenne und brachten eine Reihe Schmuckstatuen auf dem Rumpf zum Einsturz. Der Torpedoangriff war vorbei. Tiberius ließ sich gegen die Kanzel sinken, während er den letzten Torpedo sterben sah, und wusste, dass ihm noch nie ein schönerer Anblick vergönnt gewesen war. Ein rauer Jubel der Begeisterung brach aus den Kehlen des Brückenstabs hervor, dem inbrünstige Dankgebete folgten. »Gut gemacht, Lordadmiral. Wir haben es geschafft«, seufzte Barzano, schlaff vor Erleichterung und in Schweiß gebadet. »Dieses Mal, Ario«, warnte Tiberius. »Wir hatten Glück, aber mit dem Entkorken des Siegesweins sollten wir lieber noch etwas warten.« Er rief dem Deck-Offizier zu: »Was ist mit unserem Erwiderungsfeuer?« »Kommt sofort«, sagte Philotas. »Gut.« Tiberius grinste boshaft. »Es wird Zeit, zu zeigen, dass wir noch Zähne haben.« Kesharq traute seinen Augen nicht. Der Torpedofächer war abgewehrt worden! Die Chancen dafür waren unvorstellbar gering. Während er über die Ungerechtigkeit der Welt sinnierte, beschrieb die Brücke einen jähen Ruck und schleuderte ihn zu Boden. Die massiven Vibrationen naher Explosionen ließen das Schiff heftig erbeben. Lampen blinkten, und Rauch quoll aus zerschmetterter Maschinerie.
»Erhabener Archon, wir sind getroffen!«, schrie sein Stellvertreter. »Ja, vielen Dank für diese scharfsichtige Erkenntnis«, spottete Kesharq. »Und wenn ich getötet werde, sei so gut, und weise mich darauf hin. Wie schwer sind wir beschädigt worden?« Der Dunkeleldarlord rappelte sich auf. Ein Lappen seiner Haut hing von seiner Kehle, sodass die nass glänzende Anatomie darunter sichtbar war. Ungehalten wickelte er sie sich wieder um den Hals, während seine Untergebenen sich beeilten, seine Befehle auszuführen. Ein Schwall von Informationen stürmte auf ihn ein, und jede war ernster als die vorherige. »Wir haben einen Energieverlust bei den Holofeldern.« »Das Hauptsegel wurde beschädigt, und einige der Sicherungskabel für die Masten sind gekappt worden.« »Auf dem Folterdeck ist die Rumpfintegrität nicht mehr gewährleistet. Die für die Folter vorgesehenen Gefangenen sind alle tot.« Kesharq wusste, dass diese Schlacht einstweilen vorbei war. Des Schutzes ihrer Holofelder beraubt, war die Sturmreiter zu exponiert und würde ein zu leichtes Ziel für die feindlichen Kanoniere sein. Die Beute hatte sich in der Tat als würdig erwiesen, und er würde nicht den Fehler begehen, diesen Gegner noch einmal zu unterschätzen. »Rückzug!«, befahl er. »Wir kehren zur Basis zurück und reparieren das Schiff. Diese Beute muss noch warten.« »Eldar-Schiff macht sich aus dem Staub!«, rief Philotas, und Tiberius stieß einen aufgestauten Seufzer der Erleichterung aus. »Also gut«, sagte Tiberius. »Kurs auf Pavonis, und wenn wir in Reichweite für eine abhörsichere Funkverbindung sind, informieren Sie die Flottenleitung über die Fähigkeit der Eldar, sich als imperiales Schiff zu tarnen.« »Jawohl, Lordadmiral.« Tiberius rieb sich mit schwieliger Hand den Schädel. Die Eldar hatten sie überrumpelt und ihnen eine schmerzhafte Lektion in Demut erteilt. Er klopfte gegen seine Kanzel und erlegte sich dreißig Nächte Sühnefasten und taktische Studien dafür auf, dass er den Angriff nicht vorhergesehen hatte, bevor er zum Kommandoschiff herabstieg. Ario Barzano hockte unten vor der Kanzel, wischte Blut von Per-
jeds Stirn und lächelte, als Tiberius sich neben ihn kniete. »Gut gemacht, Lordadmiral. Ihr rasches Manöver hat uns gerettet.« »Reden wir nicht darum herum, Adept Barzano...« »Ario.« »Also gut... Ario. Ohne Ihre Warnung wären wir jetzt alle tot.« »Gut möglich«, räumte Barzano ein. »Aber ich bin sicher, Sie wären früh genug dahintergekommen, was sie vorhaben.« Tiberius hob skeptisch eine Augenbraue. »Wie kommt es, dass ein Angehöriger des Administratums so viel über nichtmenschliche Schiffe weiß?« Barzano grinste schelmisch. »Ich bin weit gereist, Lazio, dabei vielen interessanten Leuten begegnet und ein guter Zuhörer. Ich schnappe Dinge auf von allem, was ich sehe, und von jedem, dem ich begegne.« Er zuckte die Achseln und fuhr fort. »In meiner Position stoße ich auf viele absonderliche Dinge, und ich achte darauf, sie mir alle einzuprägen. Aber im Ernst, Lordadmiral, die eigentliche Frage ist nicht, woher ich etwas weiß, sondern woher unsere Feinde wussten, wo sie uns finden würden. Ich gehe davon aus, dass Sie uns abseits der normalen Schiffsrouten ins System gebracht haben.« »Natürlich.« Barzano hob die Augenbrauen. »Woher haben sie dann gewusst, dass wir hier sein würden? Ich habe mein Signal nur der Statthalterin von Pavonis geschickt.« »Verdächtigen Sie sie, gemeinsame Sache mit den Eldar zu machen?« »Mein lieber Lordadmiral, ich bin Bürokrat. Ich verdächtige jeden«, lachte Barzano, bevor er wieder ernst wurde. »Aber Sie haben Recht, die Loyalität der Statthalterin gehört zu den vielen Dingen, über die ich mir Gedanken mache.« Bevor Tiberius noch weitere Fragen stellen konnte, ächzte Lortuen Perjed und hielt sich eine leberfleckige Hand an die Stirn. Barzano half dem Schreiber auf und verbeugte sich kurz vor Tiberius. »Lordadmiral, wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, ich sollte Lortuen zu meinem Leibarzt bringen. Jedenfalls war der Besuch Ihrer Brücke sehr lehrreich. Wir müssen das irgendwann einmal wiederholen, nicht?«
Tiberius, der überhaupt nicht mehr wusste, was er von diesem glattzüngigen Adepten halten sollte, nickte. Und je mehr er darüber nachdachte, desto stärker wurde sein Verdacht, dass Barzano mit dem Angriff auf die Vae Victus gerechnet hatte. Warum sonst hätte er ausgerechnet an dieser Stelle zu einem Besichtigungsrundgang auf die Brücke kommen sollen? Und als es plötzlich ernst geworden war, hatte Barzano sich durchaus auf der Brücke eines Raumschiffs zurechtgefunden. Verdrossen fragte er sich, welche anderen Überraschungen ihn auf dieser Fahrt noch erwarteten.
5. Kapitel Der achteckige Operationssaal war kalt, der Atem der Anwesenden bildete kleine Wölkchen vor ihnen. Die beiden für die Prozedur Verantwortlichen bewegten sich mit seidiger Eleganz durch den düsteren Saal. Das Licht war matt, da die Augen des Chirurgen nicht an Helligkeit gewöhnt waren, und man ging ohnehin davon aus, dass er seine besten Arbeiten in annähernder Dunkelheit ausführte. In der Mitte des Saals war eine gefurchte Metalltafel mit dem Boden verschraubt. Sie war von arkanen Vorrichtungen umgeben, die mit Skalpellklingen, langen Nadeln und Knochensägen geschmückt waren. Der dritte Anwesende, ein nackter männlicher Mensch, lag reglos auf ihrer kalten Oberfläche. Es gab nichts, was ihn dort hielt. Der Chirurg benötigte die totale Bewegungsfreiheit des Körpers zum Arbeiten, und die Drogen würden den Menschen an jeder Bewegung hindern. Der Chirurg hatte genau die richtige Menge verabreicht, um diese Wirkung zu erzielen, aber nicht genug, um ihn daran zu hindern, etwas von der Prozedur mitzubekommen. Wo blieb die Kunst, wenn der Geehrte nichts mehr fühlen konnte? Der Chirurg trug einen anonymen roten Kittel und streifte sich dicke, ellbogenlange Gummihandschuhe über, deren Finger in zierlichen Skalpellen und klickenden chirurgischen Instrumenten endeten. Seine Assistentin beobachtete seine gründlichen Vorbereitungen aus dem Schatten mit einer Mischung aus träger Langeweile und Verehrung.
Sie hatte das Geschick des Chirurgen mit seinen Instrumenten schon viele Male vorher erlebt, und obwohl er wunderbare Dinge vollbringen konnte, war sie doch mehr an ihren eigenen Freuden interessiert. Der Chirurg nickte ihr zu, und sie glitt nackt auf den Zehenspitzen zur Tafel, während sich ihre Lippen in einem verruchten Grinsen teilten. Sie umklammerte die Ränder der Tafel, stieß sich mit den Füßen ab und hob den Körper langsam in die Höhe, bis er sich in senkrechter Streckung befand. Sie ging auf den Händen dem unbewegt daliegenden Menschen entgegen, dann stieß sie sich ab, flog durch die Luft und drehte sich dabei, sodass sie rittlings auf der Gestalt landete. Sie konnte die Angst vor der Prozedur in seinen Augen sehen und lächelte bei sich. Es war immer ihre Angst, die sie erregte. Die sie erregte und abstieß. Dass dieser menschliche Affe glauben konnte, sie, die sie die eintausendundneun Freuden der Finsternis gelernt hatte, könne dies tatsächlich genießen. Ein Teil von ihr war von Selbsthass erfüllt, als ihr wieder einmal aufging, dass sie es tatsächlich genoss, und es bedurfte einer Willensanstrengung, ihre vergifteten Fingernägel nicht durch seine flehenden Augen und in den Sitz seines gebrochenen Geistes zu bohren. Sie schauderte, was der Mensch fälschlich für Lust hielt, beugte sich vor, fuhr mit der Zunge über seine entblößte Brust und spürte, wie sich die Haut unter ihr zusammenzog. Sie arbeitete sich zum Hals empor, biss sanft in die Haut, wobei ihre spitz zugefeilten Zähne die Haut durchdrangen, und schmeckte die Bitterkeit seines schlechten Bluts. Er stöhnte, als ihre Zähne sein Gesicht entlangfuhren und messerscharfe Küsse auf die Kinnlinie hauchten. Ihre langen, blutroten Nägel strichen über seine Rippen und hinterließen rauchende Giftfurchen. Ihre Oberschenkel spannten sich über seinen Hüften, und sie wusste, dass er bereit war. Das Blut sang in seinen fauligen Adern. Sie schaute über die Schulter und nickte dem Chirurgen zu. Obwohl der Mensch sich nicht bewegen konnte, spürte sie das Entsetzen in ihm wachsen. Die Frau sprang elegant über seinen Kopf und landete mit der Anmut einer Turnerin hinter der Tafel, um das Blut auf ihren Zähnen auf den Boden zu speien. Der Chirurg drückte dem Mann den ersten seiner in Klingen endenden Finger gegen den Bauch. Erfahren schnitt er ihn auf, wobei er
Haut und Muskeln abschälte wie die Schichten einer Zwiebel. Der Chirurg arbeitete drei Stunden, in denen er geschickt jeden Zentimeter des Mannes bis auf den Knochen aufdeckte, sodass Fleisch und Organe offen in blutigen Fleischfetzen lagen. Wie leicht es sein würde, einfach mit der Öffnung fortzufahren und sie bis zu seinem Schädel fortzusetzen, bis er nur noch ein schreiendes, fleischloses Skelett sein würde. Die Versuchung war groß, aber er widerstand ihr in dem Wissen, dass Archon Kesharq ihm dieses Elend tausendfach verstärkt auferlegen würde, falls er den Kyerzak zu früh sterben ließ. Summende fremdartige Maschinerie aus Gummischläuchen, zischende Blasebälge und gurgelnde Flaschen mit Blut umgaben die Prozedur und versorgten den immer noch lebenden Kadaver sanft mit Leben erhaltenden Flüssigkeiten. Eine widerliche Metallkonstruktion wie ein gezackter Galgen zog sich aufwärts und über den Tisch und erhielt einen glänzenden, käferartigen Organismus am Leben, der in keuchender Atmung pulsierte. Dünne schwarze Nadeln aus Chitin ragten aus seinem aufgeblähten Bauch und bearbeiteten jeden abgezogenen Hautfetzen. Mit viel zu schnellen Bewegungen, um sie mit dem bloßen Auge noch wahrzunehmen, schälten sie kranke, faserige Materie von jedem Organ und jedem Fleischklumpen und verwoben an ihrer Stelle neue durchsichtige Stränge organischer Materie. Wenn das pulsierende, augenlose Ding mit einem Hautsegment fertig war, hob der Chirurg es vorsichtig zurück auf den Leib und nähte es fein säuberlich wieder fest, bis die Gestalt wieder ganz war. Nur der Kopf blieb ungeöffnet, und der Mund bewegte sich in einem lautlosen Schrei des Schmerzes und der Abscheu. Der Galgen senkte die glänzende Kreatur auf das Gesicht des Mannes, und ihre fleischige Unterseite strich warm über seine Haut. Die schwarzen Nadeln fuhren wieder aus seinem Körper, glitten über die Wangen und arbeiteten sich durch Nase, Ohren, Mund und Augen in den Schädel. Fäden der Qual wanden sich durch das Hirn des Menschen, da jeder Nerv und jedes Blutgefäß herausgerissen und erneuert wurde. Und schließlich war es vollbracht. Der abstoßend aufgequollene Organismus wurde vom Kopf des Menschen gehoben und auf einem breiten Metalltablett am Ende der Tafel deponiert. Der Chirurg nahm eine schmale Knochensäge, während die Kreatur zu
zucken anfing und sich ihre Farbe von einem glänzenden Schwarz zu einem nekrotischen Braun veränderte. Bevor sie zu nichts verfaulte, teilte der Chirurg ihren Thorax mit der Säge und entnahm ihm einen tropfenden gelben Eiersack. Er wurde gebraucht, um einen neuen Organismus für das nächste Mal zu züchten. Der Chirurg nickte der nackten Frau zu, die zurück zu der Tafel tänzelte und den Mann in eine sitzende Stellung aufrichtete. Seine Bewegungen waren langsam und unbeholfen, aber sie wusste, dass sein Unbehagen bald vergehen würde. Er sammelte seine Kleidung auf und legte sich mürrisch einen kurzen blauen Samtmantel mit silbernem Stickbesatz um die Schultern. Er nahm einen Ebenholzstab mit Bronzespitze und schlurfte unter Schmerzen zur Tür des Saals. Ohne sich umzudrehen, schnauzte er: »Was ist? Kommst du?« Sie legte den Kopf auf die Seite, und ihre giftig schönen Züge verzogen sich zu einem verächtlichen Hohngrinsen. Er drehte sich zu ihr um, als spüre er ihren Abscheu. Sein Blick bohrte sich mit einer Mischung aus Hass und Erregung in ihre Augen, und seinem inständigen Flehen konnte sie entnehmen, dass er sehr gelitten hatte. Sie freute sich und nahm an, dass mindestens sechs der eintausendundneun Freuden der Finsternis nötig sein würden, um ihn diesmal zu beschwichtigen. Es war so ein Jammer, dass das Verständnis der Menschen in Bezug auf diese Dinge so beschränkt war.
6. Kapitel Uriel lehnte den Kopf an die vibrierende Innenwand des Thunderhawk, die Hände zum Gebet vor sich gefaltet, da sie mit dem Landeanflug auf Brandontor, Pavonis' Hauptstadt, begannen. Jeder Mann unter Uriels Befehl saß in ehrfürchtigem Schweigen da, die Gedanken auf die Herrlichkeit des Imperators konzentriert. Am anderen Ende der Kabine saß Adept Ario Barzano mit seiner kleinen Armee von Gefolgsleuten, und Uriel schüttelte langsam den Kopf. Wie viele Diener brauchte ein Mensch? All die Jahre seiner Ausbildung in der Agiselus-Kaserne hatten ihm Disziplin und Genügsamkeit eingetrichtert, und es war seltsam, einen Mann zu sehen, der jede niedere Arbeit von einem anderen für sich verrichten ließ. Von frühester Kindheit an brach-
te man den Bewohnern Ultramars bei, ein Leben der Disziplin, Selbstverleugnung und Askese zu führen. Barzano lauschte aufmerksam dem Mann, den er als Lortuen Perjed vorgestellt hatte, und nickte eifrig zu den Worten des alten Mannes. Adept Perjed fuchtelte mit dem Finger unter Barzanos Nase herum, als lese er ihm die Leviten, und für einen Moment fragte Uriel sich, wer eigentlich das Kommando hatte. Er verbannte den Adepten aus seinen Gedanken und starrte durch das dicke, in die Wandung des Thunderhawk eingelassene Bullauge nach draußen, da die letzten Wolkenfetzen verschwanden und sich die Masse des Hauptkontinents von Pavonis wie eine Landkarte vor ihm ausbreitete. Uriels erster Eindruck von Pavonis war einer der Gegensätzlichkeiten. Inmitten der ausgedehnten grünen und offenen Landschaft bedeckten Dutzende von Manufakturen mit Materialspeichern, Lagerhallen und Transportknoten, welche sie untereinander verbanden, ungezählte Quadratkilometer in allen Richtungen. Riesige Kräne und gelbe Hebemaschinen krochen durch diese industriellen Zentren und wurden von ungeschlachten rollenden Kästen überholt, die mit Brennstoff und Nachschub für die immer hungrigen Hochöfen beladen waren. Qualmende Kühltürme spien Dampfwolken in die Luft, und ein gelblicher Dunst hielt sich über dem Boden und überwog die Gebäude mit schmutzigen ockerfarbenen Rückständen. Doch vor ihnen, weiter weg von den Manufakturen und mitten in einem Waldgebiet am Fuße eines hohen Gebirges, konnte Uriel einen imposanten Komplex aus weißen Steingebäuden sehen, und er nahm an, dass er einem der herrschenden Kartelle gehören musste, welche die Produktion auf Pavonis beaufsichtigten. Der Thunderhawk flog so tief über den Komplex hinweg, dass eine Herde geschmeidiger, gehörnter Tiere aufgeschreckt wurde und Uriel den mit Marmorsäulen geschmückten Eingang des größten Gebäudes ausmachen konnte. Er verlor den Besitz rasch aus den Augen, da der Thunderhawk dem Band eines rasch dahinfließenden Flusses folgte, und als es eine felsige Klippe umrundete, konnte Uriel die Marmorstadt Brandontor am Horizont erkennen. Der Thunderhawk gewann noch einmal an Höhe und flog einen langsamen Kreis, was Uriel einen eingehenden Blick auf die sternförmige Stadt unter sich
gestattete. Rings um die pfeilförmigen Abwehrbastionen gruppierte schwarze, rauchende Manufaktur-Siedlungen schwitzten und schafften in der Tageshitze, während die eigentliche Stadt untätig und entspannt im Innern lag und der polierte weiße Marmor ihrer Gebäude in der Mittagssonne strahlte. Die Architektur der Stadt war eine Mischung aus Alt und Neu: Millennienalte Bauwerke grenzten an Kuppeln aus Stahl und Glas und Kristalltürme. Die Straßen waren gepflastert und wurden von Statuen und hohen Bäumen gesäumt. Im Zentrum dieser Ansammlung von Marmor und Glas lag der imperiale Palast des Statthalters von Pavonis. Ein ausgedehnter gepflasterter Platz erstreckte sich vor den Palasttoren, der von weiteren Statuen eingefasst war. Der eigentliche Palast mit seinen weißen Türmen und der mit Zinnen versehenen und im vor einigen tausend Jahren beliebten hochgotischen Stil gehaltenen Brustwehr erhob sich hoch über die Straßen. Frei schwebende Pfeiler aus Bronze stützten einen gewaltigen kannelierten Glockenturm mit einem konischen, mit kostbaren Steinen besetzten Dach aus gehämmertem Gold. Uriel konnte den schwerfälligen Schaukelbewegungen der Glocke entnehmen, dass sie läutete, das Läuten über das Tosen des Antriebs des Thunderhawk aber nicht hören. Die vielen Gebäude, aus denen sich der Palastkomplex zusammensetzte, erstreckten sich über ein riesiges Areal, das einen dicht belaubten Park, einen Sportpavillon und einen kleinen See einschloss. Es war klar, dass die Herrscher von Pavonis gern gut lebten. Wie viel davon, fragte sich Uriel, würden sie zu opfern bereit sein, um sich diesen Stand der Dinge zu bewahren? Wie viel mochten sie bereits geopfert haben? Abgesehen von den ästhetischen Charakteristika des Palasts nahm Uriels geübtes Auge auch die vielen Geschützstellungen zur Kenntnis, die geschickt in die Grundmauern des Gebäudes eingearbeitet waren, und auch Eingänge zu unterirdischen Abschusshangars. Der Palast und eigentlich die gesamte Innenstadt mussten im Falle eines Aufstands oder Kriegs eine gewaltige Bastion bilden. Der Thunderhawk wurde langsamer und schwebte den blinkenden Lichtern einer Landeplattform direkt vor den Palastmauern entgegen, die von einem Ring aus hohen Bäumen umgeben war. Am Rand der Plattform standen ein kleines Beobachtungsgebäude
und ein Treibstofftank, der durch hochgefahrene Schirme geschützt war. Uriel betätigte den Öffnungsmechanismus seines Sicherheitsgeschirrs, als ihre Höhe auf zehn Meter gesunken war, und zog sein Boltgewehr aus dem Halfter. Die anderen Space Marines folgten seinem Beispiel. Pasanius und Learchus schritten durch die Kabine, als die grüne Ausstiegslampe zu blinken anfing. »Es geht los! Fertig machen zum Aussteigen und zur Sicherung der Umgebung.« Während die Sergeanten die Männer auf die Landung vorbereiteten, kniete Uriel vor dem kleinen Schrein im Alkoven neben seinem Hauptmannssitz nieder, neigte den Kopf und sprach das Gebet der Schlacht und den Katechismus des Kriegers. Er umklammerte den Knauf des ihm vermachten Energieschwerts, erhob sich und begab sich zur gepanzerten Mannschaftsrampe im vorderen Teil des Kampfflugzeugs. Mit dem Zischen entweichender Luft und dem Kreischen der Hydraulik senkte sich die Rampe rasch herab und krachte auf die Landeplattform. Noch bevor sie ganz unten war, sprangen die beiden Trupps der Ultramarines aus der Maschine und bezogen Sicherungspositionen. Mit dem Boltgewehr im Anschlag hielten sie rechts und links nach möglichen Bedrohungen Ausschau. »Meine Güte, die sind zackig, nicht wahr?«, rief Barzano über das Tosen der Triebwerke des Thunderhawk hinweg, die gerade heruntergefahren wurden. Pasanius schwang seinen gewaltigen Flammenwerfer, während Uriel die Augen verdrehte und hinter Barzano die Rampe hinuntermarschierte. Als die Schutzschirme am Rand der Plattform erloschen waren, kam ein plumper, rotgesichtiger Mann in den schlichten schwarzen Gewändern eines Adepten mit einem Geno-Tastaturfeld aus dem Beobachtungsgebäude. Ein ganzer Wald von Boltgewehren richtete sich auf den Mann, der quiekte und rasch die Hände hob. »Warten Sie! Nicht schießen!«, flehte er. »Ich bin hier, um Adept Barzano zu empfangen!« Barzano, Lortuen und Uriel traten auf die Plattform, und zwei Ultramarines flankierten den Mann und eskortierten ihn zu ihrem Hauptmann. Der Mann schwitzte ausgiebig und sah neben den
beiden Giganten links und rechts von ihm wie ein Zwerg aus. Barzano trat vor, um den Mann mit der lebhaften Gesichtsfarbe zu begrüßen, indem er eine Hand ausstreckte und ihm die andere auf die Schulter legte. »Sie müssen Adept Ballion Varle sein. Ich wünsche einen guten Morgen. Sie kennen mich bereits, Ario Barzano, wir müssen das nicht alles noch einmal durchkauen, aber diese prächtigen Burschen sind von den Ultramarines.« Barzano führte Varle zu Uriel und deutete mit kameradschaftlich lässiger Geste auf den Space Marine. »Das ist Hauptmann Uriel Ventris, und er hat das Kommando über sie. Sie sind gekommen, um dafür zu sorgen, dass hier alles reibungslos abläuft, und sich um einen Teil des Ärgers zu kümmern, mit dem Sie hier zu tun haben, nicht?« Adept Ballion Varle nickte, während er immer noch staunend in die ausdruckslosen Helmvisiere der Space Marines starrte. Uriel bezweifelte, dass er mehr als jedes dritte Wort von Barzanos Ausführungen mitbekam. Barzano legte Ballion einen Arm um die Schulter und drückte den Daumen auf das Geno-Tastenfeld, das der zitternde Adept bei sich hatte. Die Maschine klickte und surrte und läutete schließlich leise. Varle gelang es, den Blick von den gigantischen Kriegern loszureißen und ihn auf das Tastenfeld zu richten. »Nun, zumindest wissen Sie jetzt, dass ich kein Hochstapler bin«, lächelte Barzano. »Dann haben Sie also meine Nachricht bekommen?« »Ja, Adept, das habe ich, obwohl ihr Inhalt, wenn ich ehrlich sein soll, ziemlich verwirrend war.« »Aber kein Grund zur Sorge, nein? Alles wird sich regeln, kein Grund, nervös zu sein.« »Ja, aber wenn die Statthalterin erfährt, dass ich wusste, dass Sie früher eintreffen, und es ihr nicht gesagt habe... wird sie...«, verlor sich Varles Stimme. »Wird sie...?«, soufflierte Barzano. »Na ja, sie wird nicht erfreut sein.« »Ausgezeichnet, dann haben wir einen guten Anfang gemacht.« »Es tut mir Leid, aber das verstehe ich nicht, Adept Barzano«, protestierte Varle. »Kein Grund, sich zu entschuldigen, und kein Grund, warum Sie das verstehen sollten. Spielchen in Spielchen, mein lieber Junge.«
Lortuen Perjed hüstelte vielsagend, tippte mit seinem Gehstock auf die metallene Mannschaftsrampe und starrte Barzano an, der geringschätzig abwinkte. »Hören Sie gar nicht hin, mein Lieber, ich plappere dummes Zeug. Das mache ich oft, wenn ich neue Leute kennen lerne. Also, zur Sache. Ich finde, wir sollten zuerst dem imperialen Palast einen Besuch abstatten, was meinen Sie?« »Ich meine, dass die Statthalterin Sie noch nicht so früh erwarten wird.« »Andererseits...«, sann Barzano, indem er auf eine Lücke in den Bäumen deutete, wo eine gepflasterte Straße zur Stadtmauer führte. Uriel erblickte ein offenes, von einem Quartett dahintrottender Pferde gezogenes Gespann, das der Straße zum Rand der Landeplattform folgte. Die Kutsche wurde von einer Antigrav-Technologie in der Luft gehalten, die ähnlich funktionierte wie diejenige, welche der Orden in seinen Schwebern einsetzte, und ihre lackierten Seiten trugen ein Wappen in Gestalt einer bekränzten Artilleriegranate. Uriel wusste, dass solch eine Technologie nicht billig war und diese Kutsche ein kleines Vermögen gekostet haben musste. Die Pferde, sicherlich ein Zugeständnis an die Tradition, hielten in einer Staubwolke, und ein hoch gewachsener, auf eine kecke Art gut aussehender Mann in schwarzem Anzug und blauem Samtmantel mit einem kunstvoll gefiederten Zweispitz stieg aus der Kutsche und eilte zum Thunderhawk. Seine vollen Züge waren zu einem Begrüßungslächeln verzogen. Lortuen Perjed stellte sich neben Barzano und Uriel. Seine ausgemergelte Gestalt wirkte mager neben der gerüsteten Körperfülle des Hauptmanns der Space Marines. »Vendare Taloun«, flüsterte Perjed. »Sein Familienkartell produziert Artilleriegranaten für die Imperiale Garde. Statthalterin Shonai hat ihn vor zehn Jahren aus dem Amt verdrängt, und jetzt ist er Oppositionsführer im Senat von Pavonis. Gerüchte besagen, dass er nach seiner Amtsenthebung den Tod seines Bruders herbeigeführt hat, um Familienpatriarch zu werden.« »Gibt es dafür einen echten Beweis?«, flüsterte Barzano, bevor Taloun sie erreichte. »Nein, bis jetzt noch nicht.« Barzano nickte dankend, ohne sich dabei umzudrehen, und trat vor, um den Neuankömmling zu begrüßen. Uriel fiel auf, dass ein verängstigter Ausdruck über Ballion Varles Gesicht huschte, und
blieb neben Barzano, die Hand nicht weit vom Schwertknauf entfernt. Vendare Taloun verbeugte sich mit einer verschnörkelten Bewegung vor Barzano und Uriel, wobei er den Hut abnahm und in weit ausholender Geste hinter sich schwang. Als er wieder aufrecht stand, nahm Barzano seine Hand und schüttelte sie eifrig. »Ist mir ein Vergnügen, Lord Taloun, ein absolutes Vergnügen. Ich heiße Ario Barzano, aber natürlich wissen Sie das. Kommen Sie, lassen wir uns von Ihrer prächtigen Kutsche in die Stadt fahren, ja?« Barzanos Auftreten verblüffte Taloun, aber er fasste sich schnell. »Gewiss, Adept«, lächelte Taloun, indem er auf das schwebende Gefährt zeigte. »Möchte sich einer Ihrer Begleiter zu uns gesellen? Ich glaube, wir haben noch Platz für einen oder zwei.« »Uriel und Lortuen werden uns begleiten, glaube ich. Adept Ballion, seien Sie ein lieber Junge und lassen Sie diesen Burschen hier etwas zu essen und zu trinken bringen, ja? Sehr gut!« Als Barzano und Vendare Taloun zur Kutsche gingen, flüsterte Lortuen Perjed Uriel zu: »Na, wenigstens wissen wir jetzt, dass wir Ballion nicht trauen können.« »Wie meinen Sie das?«, fragte Uriel, während er zusah, wie der rundliche Adept niedergeschlagen zum Beobachtungsgebäude ging, aus dem er mit einem langen Umhang und einem noch längeren Gesicht wieder auftauchte. »Was glauben Sie, woher Taloun sonst wusste, wann er hier aufzutauchen und uns zu begrüßen hatte?« Uriel dachte über die Frage nach. »Sie hatten den Verdacht, ihm nicht trauen zu können, und haben ihm trotzdem unsere Ankunftszeit genannt?« »Adept Barzano hielt es für wahrscheinlich, dass einer der hiesigen Hochgeborenen den Adepten hier in der Tasche hat. Wenigstens wissen wir jetzt, welcher es ist.« Als er Uriels Überraschung angesichts seiner Freimütigkeit sah, lächelte Perjed nachsichtig. »Das ist durchaus üblich auf Welten wie dieser hier draußen am Ostrand, wo ein Planet Jahrzehnte ohne offiziellen Kontakt mit dem Administratum bleibt.« »Nicht auf Ultramar«, erklärte Uriel inbrünstig. »Vielleicht nicht«, stimmte Perjed zu. »Aber wir sind nicht mehr auf Ultramar.«
Jenna Sharben schlug dem Mann ihren Schild in sein gelbfleckiges Gesicht und schob ihn in die Menge zurück. Die Arrestzellen im Heck ihrer Rhinos waren bereits voll. Aus dem Revier waren noch weitere unterwegs, aber einstweilen konnte die Doppelreihe der Liktoren nicht mehr tun, als die Schilde zusammenund die Menge von der Straße zurückzuhalten, die zu den Palasttoren führte. Annähernd fünfhundert Leute hatten sich versammelt, seit die Palastglocke zu läuten begonnen hatte, aber die lauten, traurigen Glockenschläge würden gewiss noch mehr anrücken lassen. Sie verfluchte denjenigen, der auf die Idee gekommen war, die verdammte Glocke zu läuten. In den Anfängen der Geschichte von Pavonis war sie benutzt worden, um die Mitglieder des Senats zu versammeln, doch nun geschah es nur noch aus Gründen der Tradition. Und dazu noch einer verflucht dämlichen, überlegte Jenna, während sie die Menge mit dem Schild zurückdrängte. Sie wusste sehr wohl, dass die Kartellsenatoren alle persönlich benachrichtigt wurden, wenn sie sich zu einer Versammlung einfinden sollten. Jetzt rief die Glocke nur noch entrechtete Arbeiter zusammen, die wütend auf ebenjene waren, welche bald über diese Straße zum Palast kommen würden. »Haltet die Leute zurück!«, rief Sergeant Collix, der hinter der Doppelreihe der Liktoren stand. Was, glaubte er, taten sie?, fragte sich Jenna. Eine ruhige Diskussion mit Dutzenden erzürnten Arbeitern führen? Sie hatte das Gerede im Revier über das Massaker gehört, das er auf dem Befreiungsplatz angerichtet hatte, und dass er anscheinend nur mit der Schießerei aufgehört hatte, als Virgil Ortega den Liktoren befahl, das Feuer einzustellen und sich zurückfallen zu lassen. Welche anderen Fehler würde er noch machen, und wie viele Leute würden dafür büßen müssen? Ihr ging auf, dass diese Art zu denken gefährlich war, und versuchte die Überlegungen zu verdrängen, während ein anderer Mann ihren Schild von oben packte. Sie schlug ihm den Rand von unten gegen die Nase, und er fiel schreiend zu Boden. Der Charakter des Gebrülls der Menge änderte sich, und als sie einen Schulterblick riskierte, sah sie eine von Pferden gezogene Schwebekutsche auf die Tore zuhalten. Die Menge drängte vor-
wärts, und Jenna grunzte, als ihr Druck die Reihe der Liktoren zurückdrängte. Sie grub die Stiefelabsätze in den Boden und stemmte sich dagegen. Solana Vergen ruhte auf dem gepolsterten Ledersofa der dahingleitenden Kutsche und betrachtete ihre feuchten Augen in einem kleinen Spiegel, während sie darüber nachdachte, ob sie wohl angemessen gramgebeutelt aussahen. Zufrieden, das perfekte Abbild der leidenden Tochter darzustellen, wunderschön, aber auch aufreizend verletzlich, fuhr sie sich mit einer Bürste aus Elfenbein und Silber durch die langen, honigblonden Haare, während sie durch das samtverhangene Fenster auf den hellen Befreiungsplatz schaute. Sie gähnte, als sie noch mehr von den langweiligen Arbeitern am Straßenrand sah, die ihre Kutsche auf dem Weg zu den Palasttoren anbrüllten. Was hofften sie damit eigentlich zu erreichen? Dann fiel ihr auf, dass viele von ihnen die gelb-grünen Overalls des Vergen-Kartells trugen. Warum arbeiteten sie nicht in der Manufaktur? War ihnen nicht klar, dass sie jetzt für sie arbeiteten? Nur weil ihr Vater sich in der letzten Woche törichterweise hatte umbringen lassen, konnten die Leute nicht einfach aufhören zu arbeiten, wenn ihnen danach war. Sie nahm sich vor, mit dem hiesigen Vorarbeiter Kontakt aufzunehmen und ihn die Namen aller sammeln zu lassen, die heute bei der Arbeit gefehlt hatten. Um ihnen eine Lektion zu erteilen, würde sie alle entlassen und den Vorarbeiter dazu, weil er derartige Undiszipliniertheiten unter den Arbeitern überhaupt zuließ. Sie würden bald alle erkennen, dass sie nicht so weich war wie ihr Vater. Als sie an ihren Vater dachte, zog sie einen Schmollmund eingedenk der Krokodilstränen, die Taloun mit ihr nach dem Aufruhr vergossen hatte, bei dem ihr Vater ums Leben gekommen war. Glaubte der Mann wirklich, ihre Heirat mit seinem idiotischen Sohn sei mehr als eine Zweckehe? Zweifellos hatte er vor, seinen Sohn in seinem Sinn über das Vergen-Kartell herrschen zu lassen, aber er hatte die Rechnung ohne Solana Vergen gemacht. Sie hatte bereits Verbindungen in den anderen Kartellen, die nur allzu erfreut einigen Dingen lauschen würden, die ihr Verlob-
ter ihr zugeschluchzt hatte, als sie nach der Befriedigung seiner grundlegenderen Bedürfnisse in der Dunkelheit nebeneinander gelegen hatten. Die Berater ihres Vaters waren entsetzt über die Vorstellung gewesen, sie könne die Zügel der Produktion übernehmen, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen warum. Das Haupt des Shonai-Kartells war schließlich auch eine Frau und noch dazu Statthalterin des ganzen Planeten! Sie zog ihren Mantel enger und legte eine seidenbehandschuhte Hand auf die Kante ihrer Kutsche, während sie über die Zukunft nachdachte. Ja, das Vergen-Kartell würde ganz sicher Veränderungen erleben. Taryn Honan tippte mit seinen fetten, beringten Fingern in einem Trommelwirbel gegen das Fenster seiner Kutsche, während er die unangenehmen Schläge ihrer Räder auf dem Pflaster in seiner ausladenden Kehrseite spürte. Er verfluchte abermals die Tatsache, dass man ihm nicht gestattet hatte, das Geld seines eigenen Kartells für eine AntigravKutsche auszugeben. Und das wäre eine Investition gewesen, konnte das Komitee das denn nicht sehen? Es war so demütigend, in einem klappernden Karren im Palast einzutreffen anstatt in einer prestigeträchtigen Schwebekutsche, wie sie Taloun und de Valtos benutzten. Er hoffte, eines Tages so erfolgreich zu sein wie sie und den Respekt und die Bewunderung der kleineren Kartelle zu genießen. Er beschloss, sie bei dieser Senatsversammlung eingehend zu beobachten. Was Taloun und de Valtos auch taten, würde er auch tun. Sie würden ihn mit Sicherheit als einen von ihnen akzeptieren, wenn er ihre Politik auch weiterhin unterstützte. Oder nicht? Würden sie ihn vielleicht für rückgratlos halten, wenn er einfach ihrem Beispiel folgte, um in ihrer Gunst zu steigen? Taryn Honan kaute auf seiner Unterlippe und fragte sich, was das Komitee tun würde. Doch er wurde gleich verdrossen, als er sie sich hinter dem langen Eichenschreibtisch vorstellte, wie sie die faden Köpfe schüttelten, da sie wieder eine aufregende Geschäftsidee ablehnten, die er ihnen vorgelegt hatte. Es war so ungerecht, dass er sich als einziger von allen Kartellführern vor einem Komitee verantworten musste. Er wusste, dass
deswegen alle anderen über ihn lachten, sogar die ganz kleinen Kartelle mit einer Manufaktur, die sich kaum einen Sitz im Senat leisten konnten. Schön, er hatte ein paar Fehler gemacht. Wer im Geschäft hatte das nicht? Ja, einige Handelsverträge hatten sich nicht annähernd so gut entwickelt, wie er vielleicht gehofft hatte, und, ja, es hatte diesen bedauerlichen Vorfall mit der männlichen Kurtisane gegeben, die sich Zugang zu seiner Kredittafel beschafft und ein Vermögen ausgegeben hatte, bevor sie Pavonis auf einem der vielen Handelsfrachter verließ. Aber war das ein Grund für das Komitee, ihn seiner Entscheidungsgewalt zu berauben und sich selbst als allmächtige Herren über seine Finanzen einzusetzen? Honan hoffte inbrünstig, dass der Junge auf einem der Schiffe gelandet war, die von den Eldar überfallen worden waren, und sie ihn auf alle möglichen gemeinen Arten gefoltert hatten. Das zauberte ein Lächeln auf sein feistes Gesicht, und er leckte sich die mit Rouge bedeckten Lippen, als er sich vorstellte, wie der Junge von den Sklavenjägern der Eldar erniedrigt wurde. Er umklammerte seinen Gehstock aus Ebenholz fester. Kasimir de Valtos gähnte und zuckte zusammen, als die bitteren Industrieabgase in der Luft in seiner Lunge brannten, dann schloss er die Augen, da ihn seine Antigravkutsche geschmeidig zum Palast brachte. Er fragte sich kurz, was dieses ShonaiMiststück jetzt wollen konnte, tat die Überlegung aber als irrelevant ab. Wen interessierte noch, was sie wollte? Er lächelte, als er sich fragte, ob sie vielleicht ihren absurden Vorschlag öffentlich verkünden wollte, die Eldar-Piraten aufzuspüren und zur Strecke zu bringen. Glaubte sie wirklich, dass sein Kartell so leicht zu kaufen war oder Taloun ihren durchsichtigen Plan nicht in Sekundenschnelle durchschauen würde? Wenn sie glaubte, sie würden ihr so einfach in die Hände spielen, war sie noch dümmer, als de Valtos ihr zugetraut hatte. Mykola Shonai mochte einmal ein würdiger politischer Gegner gewesen sein, doch nun war sie nur noch eine müde alte Frau. Sie hing gerade noch mit den Fingerspitzen an der Macht und sah gar nicht, dass eine Schlange von Leuten darauf wartete, ihr auf die Hände zu treten. Und Kasimir de Valtos war Erster in der Schlange.
Er zog eine silberne Tabaksdose aus seinem Mantel, der er einen dünnen Stumpen entnahm und dann anzündete. Er wusste, dass das Rauchen schlecht für seine Lunge war, und lachte bitter über die Ironie. Nachdem die Eldar vor all diesen Jahren auf ihrem Höllenschiff mit ihm fertig gewesen waren, reichte manchmal schon eine Nebelschwade, um akute Atemnot bei ihm hervorzurufen, aber er wollte verdammt sein, wenn er sich dadurch daran hindern ließ, genau das zu tun, was ihm gefiel. Das hatte er immer getan und das würde er auch immer tun, und zur Hölle mit jedem, der ihn daran zu hindern versuchte. Vendare Taloun lächelte und zeigte dabei eine Reihe perfekter Zähne. Uriel fühlte sich dabei an das zahnbewehrte Grinsen der zischenden Hormaganten erinnert, die er auf Ichar IV getötet hatte. Uriel kannte den Mann erst seit zehn Minuten, konnte ihn aber bereits nicht leiden. »Also, Adept Barzano, Ballion Varle hat mir berichtet, dass Ihr Schiff unterwegs angegriffen wurde. Das ist wirklich eine schlimme Sache. Die Statthalterin muss mehr tun, um derartige Gräueltaten zu verhindern.« Uriel nahm zur Kenntnis, dass Taloun klugerweise nicht die Tatsache zu verheimlichen versuchte, dass Varle ihm von ihrer zeitigeren Ankunft erzählt hatte, weil er sich vermutlich dachte, dass Barzano dies bereits wissen musste. Er fragte sich, ob Taloun Barzano für ebenso leicht käuflich hielt. »Ja, mein lieber Taloun, eine schlimme Sache«, stimmte Barzano zu. »Wir wurden in der Tat angegriffen, haben den Schurken aber energisch heimgeleuchtet.« »Das ist gut zu wissen«, nickte Taloun. »Wir haben viele schreckliche Geschichten über diese verabscheuungswürdigen Nichtmenschen gehört.« Der Mann lächelte Uriel an und tätschelte dessen gepanzertes Knie. »Aber nun, da die tapferen Krieger der Ultramarines hier sind, haben wir nichts mehr zu befürchten, oder?« Uriel neigte den Kopf, völlig unbeeindruckt von der übermäßigen Vertraulichkeit des Mannes. »Ich danke Ihnen für das Vertrauen, Gildenmeister Taloun«, erwiderte Uriel, indem er die hiesige Form der Anrede für einen der Kartellführer wählte. »Mit dem Segen des Imperators werden
wir Sie von diesen blasphemischen Nichtmenschen befreien und auf Pavonis wieder Frieden einkehren lassen.« »Ach, wenn es doch so einfach wäre, mein lieber Hauptmann Ventris«, seufzte Taloun, »aber ich fürchte, Statthalterin Shonai hat uns zu weit in den Ruin getrieben, als könnte die simple Ausschaltung einiger lästiger Piraten die Wirtschaft unseres geliebten Planeten noch retten. Ihre Zehntsteuer trifft uns alle schwer und niemanden mehr als mich. Erst vor zwei Tagen war ich gezwungen, tausend Leute aus meinen Diensten zu entlassen, um die Kosten zu senken und die Gewinnspannen zu erhöhen, aber denkt die Statthalterin an Leute wie mich? Natürlich nicht.« Uriel verbarg seine Verachtung für die Eigensucht des Mannes und ließ seine Worte an sich vorbeirauschen. »Und was ist mit den zusätzlichen Sicherheitsleuten, die sie uns versprochen hat, um die Manufakturen vor der Kirche der Alten Sitten zu schützen? Ihren Bomben habe ich einen Ausfall von über siebentausend Arbeitsstunden zu verdanken!«, fuhr Taloun fort, der sich für das Thema erwärmte. Uriel fragte sich, wie viele Menschen er dabei verloren hatte und ob ihn das überhaupt interessierte. »Vielleicht, Gildenmeister Taloun«, empfahl Uriel mit Stahl in der Stimme, »reservieren wir diese politischen Gespräche für die Senatskammern und genießen einfach die Reise?« Taloun nickte fügsam, aber Uriel konnte kurz die Verärgerung hinter seinen Augen aufflackern sehen. Taloun war offensichtlich nicht daran gewöhnt, von jenen zurechtgewiesen zu werden, die er als politisch unterlegen betrachtete. Uriel ignorierte den Mann und studierte die an ihnen vorbeirauschende Landschaft. Die Stadtmauer war hoch und nach innen zu einer überhängenden Brustwehr geneigt. Er sah, dass Granatwerfer in die Gusserker eingearbeitet waren und die Mauer mit Kraftfeldgeneratoren bestückt war. Nach allem, was er über Pavonis gelesen hatte, wusste Uriel, dass buchstäblich alles vor Ort von dem einen oder anderen Familienkartell produziert worden war. Die Städte von Ultramar hatten solche technologischen Kinkerlitzchen nicht nötig, um sich zu verteidigen. Nein, sie hatten eine stärkere Verteidigung. Courage, Ehre und ein Volk, das die besten Beispiele für menschliche Größe verkörperte. Von Kindesbeinen an ausgebildet und mit den Methoden des Gesegneten Primarenen vertraut gemacht, würden sie niemals
zusammenbrechen, niemals aufgeben und sich niemals mit derart unnötigem Luxus umgeben. Uriel wurde durch ein vielsagendes Hüsteln Perjeds aus seiner bombastischen Grübelei gerissen, während sie durch die Bronzetore der Stadt schwebten. Vom Boden aus betrachtet, waren die Gebäude auf der Innenseite der Mauer viel weniger beeindruckend und mit wenig oder keinen Ausschmückungen funktionell konstruiert. Die Bauwerke auf Macragge waren zwar schlicht, aber intelligent angelegt, um nicht nur ein solides, verlässliches Gebäude zu schaffen, sondern auch etwas von ästhetischem Wert. Ihm ging auf, dass die klobigen Konstruktionen von Pavonis so kostengünstig wie möglich konzipiert waren und die Tatsache beklagten, dass jene, die das finanzielle Sagen hatten, oft die Kunst des Architekten beschnitten. Hier und da sah Uriel Männer und Frauen die Mauern der Gebäude von einem klebrigen, ockerfarbenen Rückstand reinigen, dem unvermeidlichen Resultat eines Lebens nahe der Schwerindustrie. Ihm fiel auf, dass die Mitglieder der Putzkolonne sämtlich weiße Overalls trugen, um weniger ins Auge zu fallen. Die Kutsche schwebte mühelos über die gepflasterten Straßen und passierte elegant gekleidete Bewohner in Schwarz, die ihre gefiederten Hüte zogen, wenn die Kutsche an ihnen vorbeischwebte. Das Läuten der Palastglocke hallte durch die wohlhabenden Straßen. Taloun winkte den Passanten zu, und Uriel fiel seine selbstsichere, unbeschwerte Art auf. »Sie sind hier sehr bekannt?«, fragte Barzano. »Ja, in der Tat. Ich habe viele Freunde in der Stadt.« »Ich nehme an, dass die Mehrheit dieser Freunde Kartellmitglieder sind?« »Selbstverständlich. Das gemeine Volk wagt sich im Allgemeinen nicht in die innere Stadt. Das liegt am Wegzoll, müssen Sie wissen. Die meisten können es sich nicht leisten. Vor allem jetzt nicht, da die Zehntsteuer der Statthalterin den letzten Heller aus ihnen herauspresst.« »Die Leute müssen bezahlen, wenn sie diesen Teil der Stadt betreten wollen?« »Ja, gewiss«, erwiderte Taloun, als sei jeder Gedanke an eine andere Möglichkeit lächerlich. »Und wie hoch ist der Wegzoll?«
Taloun zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht genau. Kartellmitglieder sind von diesem Wegzoll selbstverständlich befreit, aber ich steuere einen kleinen Anteil der jährlichen Gewinne für mein Kommen und Gehen bei.« Barzano beugte sich vor und gestikulierte nach draußen. »Wie werden denn die Parks der Stadt instand gehalten? Die Gebäude gesäubert? Wer bezahlt das? Das Imperium?« »Nein, nein, nein!«, erklärte Taloun eilig. »Ich glaube, ein Teil der allgemeinen Steuern fließt in ihren Unterhalt.« »Mit anderen Worten«, sann Barzano laut, »die gesamte Bevölkerung trägt zu diesem reizenden Ort bei, kann sich seiner aber nicht erfreuen, wenn sie für dieses Privileg nicht noch einmal bezahlt?« »Das ist vielleicht eine Sichtweise der Dinge«, erwiderte Taloun hochmütig. »Aber niemand beklagt sich.« »Ach, ich weiß nicht«, stellte Uriel mit einem Kopfnicken auf den wütenden Pöbel fest, der sich vor den schwarzen Toren des imperialen Palasts versammelt hatte. »Die da sehen nicht allzu glücklich darüber aus.« Tenna sah, wie sich die letzte Kutsche den Palasttoren näherte, und verdrehte die Augen, als sie sah, dass diese offen war. War diesen Narren denn nicht klar, was auf den Straßen der Stadt los war? Die früher eingetroffenen Kutschen waren mit Flaschen und Pflastersteinen beworfen worden, und nur der Gnade des Imperators war es zu verdanken, dass niemand verletzt worden war. »Wie könnt ihr das tun?«, schrie ein rußverschmierter Mann Jenna ins Gesicht. »Wisst ihr nicht, dass ihr einer korrupten Regierung von Dieben und Lügnern dabei helft, an der Macht zu bleiben?« Sergeant Collix war plötzlich neben ihr und schlug dem Mann seinen Schockstab ins Gesicht. Der Mann brach zusammen, Blut sprudelte aus seinem zerschmetterten Kiefer, und Collix zerrte ihn hinter die Reihe der Liktoren. Der Sergeant schleifte den blutenden Bewusstlosen zu den Rhinos. Sicher, die Worte des Mannes waren subversiv gewesen, aber ihr ging auf, dass eine sehr realistische Möglichkeit bestand, dass er Recht hatte. Kaum fünf Jahre nach der Schola Progenium und sechs Monate nach Beendigung ihrer Ausbildung zum Adeptus Arbites waren
Jenna solche Überlegungen viel zu hoch. Ihre Vorgesetzten würden entscheiden, ob die Herrscher von Pavonis kriminell und unfähig geworden waren und sie in diesem Fall aus dem Amt entfernen. Sie spannte ihre Beinmuskeln, bereit, sich wieder gegen den Druck der Masse zu stemmen, aber dann ging ihr auf, dass das unnötig war, weil die Leute vor ihr kollektiv einen Schritt zurückwichen und voller Verwunderung auf etwas hinter ihr starrten. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand Bedrohliches in ihrer unmittelbaren Nähe war, warf sie einen eiligen Blick über die Schulter. Eine prächtige Antigravkutsche rauschte vorbei, aber es war der blau gerüstete Riese, der neben Taloun und den beiden Männern saß, die sie nicht kannte, der Jenna Sharbens Aufmerksamkeit erregte. Sie hatte noch nie zuvor einen Space Marine in Fleisch und Blut gesehen, dafür aber die Plakate der Verehrung auf ihrer Heimatwelt Verdan III. Nie hätte sie geglaubt, dass die übertriebenen Proportionen, die sie den Space Marines zuschrieben, tatsächlich auf Wahrheit beruhen könnten. Sie erkannte das alabasterweiße Emblem auf dem Schulterschutz als zu den Ultramarines gehörig und verspürte eine Regung grundloser Furcht, als der Blick des riesigen Kriegers über sie hinwegstrich. Die Kutsche raste durch die Palasttore, und sie verlor den Krieger der Ultramarines aus den Augen. Sie schüttelte sich buchstäblich aus ihrer Ehrfurcht ob der Größe des. Space Marine und wandte sich in Erwartung weiteren Ärgers wieder der Menge zu. Doch diese greifbare Erinnerung an die Macht des Imperiums hatte der Menge alle weiteren Gelüste geraubt, Ärger zu machen, und sie zerstreute sich langsam. Zuerst gingen nur einzelne Leute und Paare, dann immer größere Gruppen, als die Nachricht von der Ankunft des gewaltigen Kämpfers des Imperators auch jene im hinteren Teil der Menge erreichte, die den Ultramarine nicht selbst gesehen hatten. Ein paar unermüdliche Demagogen versuchten die Menge mit Ansätzen feuriger Reden zusammenzuhalten, aber es dauerte nicht lange, bis sie niedergeknüppelt und zu den Arrestzellen der Rhinos geschleift wurden. »Hast du gesehen, wie groß er ist?«, verkündete der Liktor neben ihr. »Die Space Marines sind da!« Ja, dachte Jenna Sharben, die Space Marines sind da.
Aber war das eine Verbesserung oder eine Verschlimmerung der Lage? Die Kuppel der pavonischen Senatskammern des Rechtschaffenen Kommerzes war aus solider Bronze gegossen und von innen mit einer üppigen Patina aus Alter und Ruß bedeckt. Unter der Kuppel war der runde Saal mit Sitzreihen und rufenden Mitgliedern der Kartelle von Pavonis gefüllt. Die dem rot-golden karierten Boden am nächsten befindliche Reihe war für die Köpfe der vierundzwanzig Kartelle reserviert, obwohl die burgunderroten Ledersitze mit Ausnahme der ersten Sitzung jedes fiskalischen Jahres selten voll besetzt waren. Sechzehn dieser Sitze waren gegenwärtig belegt. Die Führer der sechs einträglichsten Kartelle - Shonai, Vergen, de Valtos, Taloun, Honan und Abrogas - waren sämtlich anwesend und machten demonstrative Freundschaftsbekundungen. Hinter ihnen saßen die Mitglieder ihrer Familien oder jene, die durch Heirat oder Adoption eine Verwandtschaft für sich in Anspruch nehmen konnten. Auf den höchsten Rängen am hinteren Ende des Saals saßen schließlich die gleichermaßen lautstarken Mitglieder jedes Kartells, die mit den Besitzern nicht blutsverwandt waren, aber nichtsdestoweniger exklusive Loyalitätsverträge mit dem Kartell abgeschlossen hatten. Dies war bei weitem die größte Reihe im Saal, und ihre voneinander getrennten Mitglieder brüllten einander trotz der wiederholten Ordnungsrufe des Perücke tragenden Vorsitzenden giftig an. Dies waren die Trittbrettfahrer und Opportunisten, die sich von ihrer Assoziation mit dem Kartell ihrer Wahl sozialen Aufstieg erhofften. Uriel nahm zur Kenntnis, dass Adept Ballion Varle unruhig in der für die Anhänger Talouns reservierten Sektion saß. Gästen und jenen ohne offiziell ausgestellte Erlaubnis, an den Aktivitäten der Kammer teilzuhaben, war es gestattet, auf den nackten Holzbänken dieser Sitzreihe Platz zu nehmen, und von hier aus sahen sich Ario Barzano, Lortuen Perjed und Uriel Ventris auch die Vorgänge im Saal an. »Von hier aus kann ich nicht das Geringste sehen oder hören«, murmelte Barzano, indem er sich über das Messinggeländer der Reihe lehnte. »Ich glaube, das ist die Grundidee dabei«, stellte Perjed bei-
ßend fest. »Viele Welten im galaktischen Osten sind berüchtigt für ihr Widerstreben, Beobachter bei ihren Regierungsversammlungen zuzulassen. Das gilt auch für Beobachter, die so... äh... einflussreich sind wie Sie.« »Stimmt das?«, schnauzte Barzano. »Nun, das werden wir noch sehen.« Uriel konnte Barzanos Enttäuschung über seinen Platz verstehen, aber dank seiner genetischen Verbesserungen konnte er auch aus ihrer luftigen Höhe perfekt hören und sehen. »Wer ist der große Bursche in Schwarz?«, fragte Barzano, indem er auf einen korpulenten Mann in der Mitte der Kammer zeigte, der mit einer langen Hellebarde, die in einer Bronzekugel auslief, herumpochte. »Das ist der so genannte Transaktionsleiter«, antwortete Lortuen Perjed. »Er ist der Senatsvorsitzende, billigt die Tagesordnung und erklärt, wer das Wort ergreifen darf und wer nicht.« »Sieht nicht so aus, als würde er seine Sache gut machen. Was sagt er überhaupt?« »Er bittet um Ruhe«, sagte Uriel. Barzano und Perjed starrten ihn einen Moment an, bevor ihnen seine verstärkten Sinne einfielen. »Trotzdem, das ist unzumutbar, Uriel«, schnauzte Barzano. »Es ist absolut unzumutbar. Vielleicht können Sie sehen und hören, aber ich will nicht aus zweiter Hand erfahren, was vorgeht. Nichts für ungut, mein Lieber.« »Keine Ursache«, versicherte ihm Uriel. »Gefechtsinformationen aus erster Hand sind immer verlässlicher.« »Genau. Und jetzt kommen Sie, lassen Sie uns diesen Hochsitz verlassen und den Geschehnissen etwas näher rücken.« Barzano ging die Steintreppe voran zu den tieferen Reihen. Ein paar muskulöse Saaldiener in pelzbesetzten Gewändern und Zweispitzen sowie goldenen Amtsketten um den Hals versuchten ihnen den Weg mit schwarzen, in Bronzekugeln auslaufenden Spitzen zu verwehren. Uriel sah, dass sie die Hellebarden so hielten, als wüssten sie mit ihnen umzugehen, und nahm an, dass einige Senatssitzungen gewaltsamer Auflösung bedurften, wenn die »Diskussionen« übermäßig hitzig wurden. Ein Blick auf den riesigen Ultramarine-Hauptmann überzeugte sie jedoch rasch, dass in diesem Fall Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit war, und Minuten später saßen Barzano, Perjed und Uriel auf den ge-
polsterten Ledersitzen hinter den Kartellführern. Der Transaktionsleiter tippte mit seinem Stab auf den gefliesten Boden und starrte die drei Eindringlinge in seine Senatskammer missbilligend an. Die Saaldiener hinter ihnen zuckten die Achseln. Köpfe wandten sich ihnen zu, und ein bedeutungsvolles Schweigen senkte sich über den gefüllten Saal, da die Menge wartete, welche Schritte der Transaktionsleiter unternehmen würde. Uriel verschränkte die Arme und erwiderte das Starren des schwitzenden Mannes. Die Spannung löste sich, als Vendare Taloun aufstand und mit seinem Gehstock in Richtung des Vorsitzenden winkte. »Herr Vorsitzender, ich bitte um Erlaubnis, mich an unsere Gäste zu wenden.« Der Mann schnitt eine finstere Miene, nickte aber. »Das Haus erteilt dem Ehrenwerten Vendare Taloun das Wort.« »Vielen Dank. Freunde, Kartellmitglieder und Händler! Mit großer Freude heiße ich die Adepten Barzano und Perjed sowie Hauptmann Uriel Ventris von den Ultramarines hier und heute als unsere Gäste willkommen. Diese Abgesandten des Imperators sind auf unsere geplagte Welt gekommen, um zu sehen, was getan werden kann, um uns der furchtbaren Nöte zu entheben, die wir in diesen letzten schmerzlichen Jahren ertragen mussten. Es ist ein Gebot des Anstands, sie hier in unserer bescheidenen Versammlung willkommen zu heißen und ihnen während ihres Aufenthalts auf Pavonis mit Höflichkeit zu begegnen.« Applaus und Buhrufe begrüßten Talouns Worte in gleichem Maße, während Perjed sich vorbeugte und Barzano und Uriel zuflüsterte: »Sehr clever. Er erweckt den Anschein, als habe uns sein Einfluss hergebracht, sodass man ihn als Staatsmann mit größerer Perspektive als die Statthalterin betrachtet, während er gleichzeitig vermeidet, sie direkt zu kritisieren.« »Ja«, stimmte Barzano mit verengten Augen zu. »Sehr clever.« Während Buhrufe, Klatschen und Rufe nach anderen potenziellen Rednern anhielten, studierte Uriel die anderen Kartellmitglieder in der ersten Reihe. Auf der Bank, die dem Vorsitzenden am nächsten war, saßen die Statthalterin von Pavonis und ihre Ratgeber. Hinter der Statthalterin stand ein hagerer Mann mit einem verbitterten Gesicht, und neben ihr saß ein älterer Mann mit einem dichten grauen Bart, der eine Pfeife rauchte. Beide Männer flüsterten erregt auf sie ein.
Uriel mochte Mykola Shonai. Trotz des Chaos in der Senatskammer wahrte sie ihre Würde, und er konnte erkennen, dass ihr viel Kraft innewohnte. Als Taloun sich setzte, sah Uriel einen weißhaarigen Mann in seiner Nähe sitzen, dessen vernarbtes, verbranntes Gesicht die ungesunde fahle Blässe von Kunsthaut hatte. Dieser Mann schien kein Interesse daran zu haben, zu reden, und starrte Statthalterin Shonai mit unverhohlenem Hass an. »Das ist Kasimir de Valtos«, flüsterte Perjed, als ihm die Richtung von Uriels Blick auffiel. »Das Schiff des armen Kerls wurde von den Eldar-Piraten angegriffen. Anscheinend haben sie alle möglichen furchtbaren Dinge mit ihm angestellt, bevor er entkam.« »Was für Dinge?« »Ich weiß nicht. In meinen Aufzeichnungen steht nur >furchtbar<.« »Was stellt sein Kartell her?« »Hauptsächlich Maschinen, den Rumpf für den Leman-RussKampfpanzer sowie schwere Artilleriegeschütze, obwohl ich glaube, das meiste davon wird von seinen Untergebenen überwacht.« »Wie kommen Sie darauf, Lortuen?«, fragte Barzano. »In den Aufzeichnungen des Administratums über diese Welt sind nicht weniger als sieben Anträge von Gildenmeister de Valtos aufgelistet, eine archäologische Expedition innerhalb des Systems anführen zu dürfen. Viele der schönsten Stücke in der Zahlmeistergalerie von Pavonis stammen aus seiner eigenen Privatsammlung. Er ist ein Förderer der Künste und hat eine Vorliebe für Antiquitäten.« »Tatsächlich? Dann haben wir anscheinend etwas gemeinsam«, gluckste Barzano. Uriel fragte sich, was genau er damit meinte, da Perjed seinem Vorgesetzten einen scharfen Blick zuwarf, und überlegte außerdem, warum Barzano selbst diese Fakten nicht kannte. Er nickte in Richtung eines bärtigen Mannes mit einem Pferdeschwanz, der unweit von de Valtos und Taloun zusammengesunken auf der Bank hockte. Er konnte erkennen, dass die Augen des Mannes glasig waren, und trotz der Körpergerüche hunderter Individuen im Saal nahm Uriel das schwache Aroma eines Schlafmittels wahr, das von dem Mann ausging, wahrscheinlich Obscura. »Was ist mit dem da, wer ist das?«
Perjed blinzelte in Uriels Blickrichtung und seufzte enttäuscht. »Das, Hauptmann Ventris, ist Beauchamp Abrogas, und es dürfte Ihnen schwer fallen, diesseits des Ophelianischen Pilgerpfads ein erbärmlicheres Exemplar der Menschheit zu finden. Er ist ein Verschwender, der nicht einmal dann seinen Namen buchstabieren könnte, wenn Sie ihm die Feder reichten und die Hälfte der Buchstaben für ihn schrieben.« Die Galle in Lortuen Perjeds Stimme überraschte Uriel, und der alte Mann schien das zu spüren. Er lächelte schwach und erklärte: »Nichts für ungut, aber eine solche Vergeudung der imperatorgegebenen Talente einer Person ist mir zuwider. Und wenn das Administratum eine Sache hasst, ist es Verschwendung, mein lieber Hauptmann.« Uriel richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Saal, wo mittlerweile ein gewisses Maß an Ordnung eingekehrt war. Der Vorsitzende zeigte mit seinem Stab auf einen fetten Mann mit einer gepuderten weißen Perücke, deren Locken ihm auf die Schultern fielen, während eine Frau mit langen blonden Haaren und einer schrillen Stimme den Vorsitzenden anbrüllte. Uriel sah Perjed fragend an, der die Achseln zuckte. »Sie sitzt auf dem Platz, der normalerweise für Vergen reserviert ist, also kann ich nur annehmen, dass sie seine Tochter ist. Ich weiß nichts über sie«, räumte der Adept ein. Die Frau wäre attraktiv gewesen, fand Uriel, wäre ihr Gesicht nicht in einem permanenten Ausdruck selbstgerechter Empörung erstarrt. Sie umklammerte das Geländer vor sich und versuchte sich über das Geschrei anderer Senatsmitglieder Gehör zu verschaffen. »Ich verlange, dass das Haus meine Autorität anerkennt, im Namen des Vergen-Kartells zu sprechen!«, rief sie. »Als Tochter von Leotas Vergen verlange ich das Recht, gehört zu werden.« Der Transaktionsleiter ignorierte die Frau demonstrativ, während zwei Saaldiener zu ihr gingen und sich vor ihr aufbauten. Der Vorsitzende wandte sich ab und sagte: »Das Haus erteilt dem... Ehrenwerten Taryn Honan das Wort.« Auf diese letzte Bemerkung kamen von den hohen Rängen unflätige Lacher und zusammengeknüllte Tagesordnungsblätter. Diese Reaktion schien den Mann verlegen zu machen, und er blies seine beträchtliche Brust auf, bevor er sich laut räusperte und mit hoher, näselnder Stimme zu sprechen anfing.
»Ich glaube, ich spreche für uns alle, wenn ich mich Gildenmeister Taloun anschließe und unsere verehrten Gäste auf Pavonis willkommen heiße. Ich möchte ihnen die volle Gastfreundschaft meines Landhauses anbieten.« »Hat das Komitee dafür auch sein Einverständnis gegeben, Honan?«, rief eine Stimme von der anderen Seite des Saals. Applaus und Gelächter begrüßten die Bemerkung des Witzbolds, und Uriel nahm zur Kenntnis, dass Gildenmeister Taloun sich ärgerlich den Nasenrücken rieb, als sei ihm die Unterstützung seitens Honan peinlich. Gildenmeister Honan setzte sich wieder und verschränkte die Hände auf dem Bauch, bestürzt und beschämt über das Gelächter auf seine Kosten. Die Frau mit der schrillen Stimme brüllte den Vorsitzenden wieder an, während dieser seinen Stab auf den Boden stieß und rief: »Wenn Sie dann so weit wären, meine Herren, erster Tagesordnungspunkt ist heute ein Außerordentlicher Antrag des ehrenwerten Gildenmeisters Taloun.« Auf der anderen Seite des Saals sprang die Statthalterin von Pavonis auf. »Herr Vorsitzender, das ist unerträglich! Wollen Sie Gildenmeister Taloun tatsächlich gestatten, das ganze Verfahren derart an sich zu reißen? Ich habe diese Senatsversammlung einberufen, und das Recht der ersten Rede steht mir zu.« »Ein Außerordentlicher Antrag hat Vorrang vor dem Recht der ersten Rede«, erklärte Taloun geduldig. »Ich kenne die Geschäftsordnung!«, bellte Shonai. »Dann darf ich wohl annehmen, dass Sie mir fortzufahren erlauben, Statthalterin?« »Ich weiß, was Sie hier veranstalten, Vendare. Also tun Sie, was Sie nicht lassen können, verdammt.« »Wie Sie wünschen, Statthalterin Shonai«, erwiderte Taloun höflich. Vendare Taloun erhob sich und breitete die Hände aus, während er in die Mitte des karierten Bodens ging und den Stab nahm, den ihm der Transaktionsleiter anbot. Einmal des Stabs beraubt, zog der Transaktionsleiter eine Datentafel zurate. »Gildenmeister Taloun, ich nehme zur Kenntnis, dass Ihr eingereichter Antrag keinen Namen hat. Unter Artikel sechs der Geschäftsordnung sind Sie verpflichtet, Antragsformular drei-zwo-vier-Schrägstrich-neun in dreifacher Ausfertigung vollständig auszufüllen. Kann ich davon ausgehen, dass Sie das
jetzt tun werden?« »Meine ausdrückliche Entschuldigung für das Fehlen eines Namens, aber ich hatte das Gefühl, die Ankündigung des Themas meines Antrags würde nur unnötige Vorurteile geweckt haben, wenn sein Inhalt allgemein bekannt geworden wäre, bevor ich ihn tatsächlich gestellt habe. Ich kann Ihnen versichern, dass ich besagtes Formular sofort im Anschluss an diese Versammlung vollständig ausfüllen werde.« Der Vorsitzende nickte zum Zeichen seines Einverständnisses und erteilte Vendare Taloun das Wort. Der stieß den Stab fest auf den Boden. »Freunde, wir leben in sorgenvollen Zeiten«, begann er zu speichelleckerischem Applaus. Taloun lächelte und nahm den Applaus huldvoll entgegen, bevor er die Hände hob, um Stille eintreten zu lassen, und fortfuhr. »Selten in unserer stolzen kommerziellen Geschichte waren wir solchen Drohungen ausgesetzt wie heute. Schändliche nichtmenschliche Piraten setzen unserem Transportwesen zu, die Kirche der Alten Sitten legt Bomben in unseren Manufakturen und tötet unsere Arbeiter. Aus dem Geschäft des Handels ist das Geschäft des Überlebens geworden, da die Kosten steigen, die Steuern stärker ins Gewicht fallen und die Gewinne schrumpfen.« Kriecherisches Nicken und entsprechende Zurufe hallten durch den Saal, da Taloun auf und ab zu marschieren begann und dabei zur Betonung seiner Worte immer wieder den Stab auf den Boden stieß. Uriel erkannte in Vendare Taloun einen kraftvollen Redner. »Und was unternimmt unsere viel gerühmte Statthalterin gegen diese Krise?«, wollte Taloun wissen. Erhitzte Rufe, »Nichts« und andere, weniger appetitliche Bemerkungen wurden im Saal laut, während Taloun fortfuhr. »Es gibt nicht einen unter uns, der nicht unter ihrer finanziell bedrückenden Regierung leidet. Mein eigenes Kartell ächzt unter der Last von Statthalterin Shonais Zehntsteuer, und ich weiß, dass es anderen ebenso geht. Bruder de Valtos, Sie selbst sind von diesen verabscheuungswürdigen nichtmenschlichen Piraten, die uns so zusetzen, angegriffen und aufs Grässlichste gefoltert worden. Und doch unternimmt die Statthalterin nichts! - Schwester Vergen, Ihr eigener geliebter Vater ist nur einen Steinwurf von hier ermordet worden. Und doch unternimmt die Statthalterin nichts! Bruder Abrogas, Ihr eigener Blutsverwandter wäre auf den Stra-
ßen seiner Heimatstadt um ein Haar ermordet worden. Und doch unternimmt die Statthalterin nichts!« Solana Vergen war viel zu erschrocken über Talouns Erwähnung ihres Verlusts, um darauf angemessen gramgebeugt reagieren zu können, während Beauchamp Abrogas nicht einmal registrierte, dass sein Name gefallen war. »Unsere Welt wird von allen Seiten bedrängt, meine Freunde. Die Geier sammeln sich, um unseren Kadaver sauber zu picken. Und doch unternimmt die Statthalterin nichts!« Donnernder Applaus begrüßte Talouns Worte, und Uriel sah, dass die beiden Berater der Statthalterin sie regelrecht auf dem Sitz festhielten, während Taloun sich umdrehte, um den Transaktionsleiter direkt anzusprechen. Im Saal wurde es plötzlich totenstill, da die Versammlung darauf wartete, was Taloun als Nächstes sagen würde. »Herr Vorsitzender«, verkündete er förmlich. »Ich stelle den Antrag, dass der Senat Statthalterin Shonai sein Misstrauen ausspricht und sie ihres Amtes enthebt!«
7. Kapitel Magos Dal Kolurst, Techpriester der Tembragrat-Tiefbohrmine, überprüfte die Karte auf seiner Datentafel zum dritten Mal, um sich zu vergewissern, dass er an der richtigen Stelle war. Das Leuchten der Anzeige ließ die Umrisse seines Gesichts deutlich hervortreten und hüllte ihn in der Dunkelheit des Bergwerks in einen grünlichen Schein. Er sah sich um und überprüfte, ob die Reihe der Lichtkugeln und elektrischen Kabel intakt und mit dem Stromtransformator verbunden war. Er ging ganz nah an den Transformator heran und hörte das beruhigende Summen, welches ihm verriet, dass er funktionierte. Ja, alles schien in Ordnung zu sein. Die richtige Verbeugung war vor dem Omnissias gemacht worden, und er hatte sich vergewissert, dass alle erforderlichen Kabel korrekt verbunden waren. Warum stand er also allein in der schwülen Finsternis des Bergwerks, und nur der Schein seiner Datentafel und das Licht seiner Schulterlampe erhellten seine Umgebung? Er prüfte die Karte noch einmal, um sich zu vergewissern, dass er an der richtigen Stelle war. Schacht Secundus, Tunnel
zweiundsiebzig, Kreuzung sechsunddreißig. Kolurst wusste, dass er an der richtigen Stelle war, und konnte nicht verstehen, warum es hier kein Licht gab, wenn ihm doch alles sagte, dass dieser Teil der Schachtanlage eigentlich taghell hätte erleuchtet sein müssen. Er seufzte und ihm wurde klar, dass er noch einen Generator würde anfordern müssen, obwohl Vorarbeiter Lasko das nicht gefallen würde, jetzt, da die Zeiten so hart waren und das Kartell sich bemühte, die Kosten zu senken. Es war der dritte unbrauchbare Generator in ebenso vielen Wochen, und Kolurst konnte einfach nicht verstehen, was mit ihnen verkehrt lief. Er und die anderen Techpriester hatten jeden einzelnen korrekt angeschlossen, sie alle mit einem Gebet an den Omnissias gesegnet und die Aktivierungsrune auf dem Gehäuse gedrückt. Jeder Generator funktionierte ein paar Tage, vielleicht eine Woche ganz ausgezeichnet, bis dann immer wieder dasselbe geschah. Einer nach dem anderen hörten die Transformatoren auf, die Lichtkugeln mit Strom zu versorgen, sodass sich im Bergwerk von unten her langsam Dunkelheit ausbreitete. Kolurst hatte jeden einzelnen Transformator immer und immer wieder überprüft und jedes Mal dasselbe erlebt. Sie erzeugten Strom, der jedoch nicht dorthin floss, wo er benötigt wurde. Der Strom war da, aber wohin floss er? Kolurst schrak zusammen, als er ein leises Rascheln hinter sich hörte. Er fuhr herum und ließ seine Lampe in die Richtung leuchten, aus der das Geräusch gekommen war. Da war nichts, nur das leise Säuseln von Sand, der aus einem Spalt in der Wand rieselte. Kolurst ließ den Atem entweichen, den er angehalten hatte, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er drehte sich wieder zum Transformator um und schüttelte den Kopf. Er wurde langsam... Da war es wieder. Kolurst richtete seine Lampe in die Dunkelheit. Er schwenkte den Strahl hin und her und riss die Lampe ruckartig herum, als er eine Bewegung am Rand des Lichtkreises sah. Etwas Glänzendes glitt hinter einer Biegung im Tunnel außer Sicht. »Hallo?«, rief er in dem Bemühen, das Beben in seiner Stimme zu unterdrücken. »Ist da jemand?«
Er bekam keine Antwort, aber eigentlich hatte er auch mit keiner gerechnet. Langsam tastete er sich zu der Biegung vor und richtete dabei seine Lampe immer weiter in die Finsternis. Er hörte ein leises Klopfen, als schlügen dünne Metallstäbe zusammen. Er fuhr zusammen, als seine Datentafel knisterte, und er schloss die Augen und kämpfte um Ruhe. Er ließ sich von den albernen Geschichten beeinflussen, die von den Grubenarbeitern erzählt wurden. Ihr dummer Aberglaube hatte ihn verschreckt, und er versuchte ihn als Einbildung einer überbordenden Fantasie abzutun. Oben war das auch alles gut und schön, aber hier, zehntausend Meter tief unter der Erde, lag der Fall anders. Schweiß tropfte ihm von der Stirn auf die Nase. Es war nichts, nur irgendein... Irgendein was? Er schaute auf die Tafel und tippte beunruhigt dagegen, als die Anzeige zu verblassen begann. Bald würde sie vollkommen erlöschen, und er verwünschte das Pech, das ihn an diesen erbärmlichen Ort geführt hatte anstatt in eine der Manufakturen des Kartells. Das Geräusch ertönte wieder, und er schauderte trotz der trockenen Hitze hier unten im Bergwerk. Langsam wich er in Richtung des Fahrstuhlschachts zurück, als das Rascheln lauter wurde. Er schluckte schwer. Sein Herz schlug einen verzweifelten Trommelwirbel auf seinen Rippen. Die Schulterlampe flackerte, und ihr schwaches Leuchten wurde matter. Plötzlich konnte Kolurst Bewegung am Rand des Lichtstrahls erkennen, Dutzende winzige, funkelnde, das Licht spiegelnde Punkte bedeckten den Schachtboden. Er wich noch einen Schritt zurück. Und die Bewegung folgte ihm. Plötzlich erlosch das Licht seiner Lampe vollkommen, und er war schlagartig in völlige Dunkelheit gehüllt. Magos Dal Kolurst wimmerte vor Entsetzen und fing an zu laufen. Doch sie hatten ihn erreicht, kaum dass er zwei Schritte weit gekommen war.
8. Kapitel Der Senatssaal explodierte förmlich. Viele hatten mit diesen Worten gerechnet, aber sie so ungeschminkt ausgesprochen zu hören, war trotzdem ein Schock. Hundert Stimmen riefen alle gleichzeitig, und Uriel nahm zur Kenntnis, dass die Statthalterin gelassen und reglos dasaß, als sei ein seit langem befürchtetes Ereignis eingetreten. Taloun stand schweigend in der Mitte des Saals und hielt den Rednerstab wie eine Waffe vor sich. Der Vorsitzende verlangte Ruhe, während Saaldiener durch die Menge gingen und die lauteren Mitglieder der oberen Ränge mit unsanften Hieben ihrer Hellebarden beruhigten. Taloun hob die Hände in einem stummen Appell um Ruhe, und langsam wurden die Beifalls- und Buhrufe leiser, um einem aufgeregten Geflüster zu weichen. Er tippte mit dem Stab auf den Boden und fragte: »Wer von den Oberhäuptern der Familien unterstützt meinen Antrag?« Kasimir de Valtos erhob sich mit einem wölfischen Grinsen der Rechtfertigung und stützte seine blassen Hände auf das Geländer. Uriel sah, dass auch diese die gesprenkelte weiße Farbe künstlicher Haut hatten, und er salutierte im Stillen vor dem Mut des Mannes, seinen nichtmenschlichen Folterknechten entwischt zu sein. »Ich, Kasimir de Valtos, unterstütze den Antrag des ehrenwerten Gildenmeisters Taloun.« Taloun verbeugte sich tief. »Meinen Dank, Gildenmeister de Valtos.« Von den Rängen hinter der Statthalterin kamen Buhrufe. Der Vorsitzende bekam seinen Stab wieder und schwenkte ihn über dem Kopf, während Taloun zu seinem Platz zurückkehrte. Er klopfte damit laut auf den Boden. »Ein Misstrauensantrag wurde gestellt und unterstützt. Um zu entscheiden, ob dieses Votum tatsächlich ausgesprochen wird, bitte ich die Führer der Kartelle kundzutun, ob sie dem Antrag zustimmen oder ihn ablehnen.« Der Vorsitzende ging zu seinem Amtssitz, zog an einer langen Samtkordel und enthüllte eine große Anzeigetafel hinter einem breiten Vorhang an der Rückwand des Saals.
»Das dürfte interessant werden«, flüsterte Barzano. »Jetzt werden wir sehen, wer mit wem im Bett liegt.« Zunächst langsam tauchten die Symbole der Familienkartelle auf der Tafel auf. Barzano stieß Perjed an, der die Abstimmungsergebnisse auf seine eigene Tafel kopierte. De Valtos' und Talo-uns Symbole tauchten naturgemäß als Erste und zugunsten des Antrags auf, während Shonais Ablehnung des Antrags gleich darauf folgte. Zu spöttischem Gelächter der oberen Ränge tauchte das HonanSymbol neben Talouns auf. Ein kollektives Seufzen der Überraschung hallte durch den Saal, als das Vergen-Symbol zugunsten des Antrags aufleuchtete. Als das Ja erschien, winkten die Männer hinter Solara Vergen dem Haupt ihres Kartells verzweifelt zu und forderten es lautstark auf, Vernunft anzunehmen. »Du meine Güte«, hauchte Perjed. »Was für ein Affront.« »Inwiefern?«, fragte Barzano. »Nun, das Vergen-Kartell ist seit fast zehn Jahren mit dem Shonai-Kartell verbündet, seitdem sie sich zusammengetan und Taloun aus dem Amt verdrängt haben. Leotas Vergen und Statthalterin Shonai waren Gerüchten zufolge in der Tat sehr gute Freunde, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will. Anscheinend hat Leotas Vergens Tochter nicht die Absicht, diese Freundschaft fortbestehen zu lassen.« Statthalterin Shonai starrte mit unverhohlener, für jeden sichtbarer Wut in das selbstzufriedene, lächelnde Gesicht von Solana Vergen. Eine zusammengeknüllte Tagesordnung traf Beauchamp Abrogas' Kopf, und er richtete sich abrupt auf und drückte wahllos irgendeinen Knopf auf seiner Abstimmungsleiste. Das AbrogasSymbol tauchte neben demjenigen der Statthalterin auf, und die Mitglieder seines Kartells stießen einen kollektiven Seufzer der Verärgerung über die Dummheit ihres Anführers aus. Nachdem die großen Kartelle ihre Stimme abgegeben hatten, trafen jetzt die Anführer der kleineren Kartelle ihre Wahl, da sie jetzt wussten, aus welcher Richtung der politische Wind wehte. Schließlich waren alle Stimmen abgegeben, und das Ergebnis war klar. Das Shonai-Kartell hatte verloren. Lortuen Perjed nickte, als er die Stimme des letzten Kartells auf seine Tafel übertrug.
»Die Statthalterin hat diese Runde verloren, und die Frage wird nun dem gesamten Senat zur Abstimmung vorgelegt, obwohl es sich dabei im Wesentlichen nur um eine Formalität handelt, da ich bezweifle, dass auch nur ein einziges Kartellmitglied gegen die Interessen seiner kommerziellen Herren abstimmt.« »Also ist der planetare Statthalter soeben abgesetzt worden. Einfach so?«, fragte Uriel. »Nicht ganz«, grinste Barzano, indem er sich von seinem Platz erhob. »Was machen Sie da?«, wollte Lortuen Perjed wissen. »Ich werde meine Gesetzesmuskeln spannen. Uriel, kommen Sie mit mir.« Perjed hielt Barzano an dessen Gewand fest und zischte: »Das ist wohl kaum ein ziemliches Verhalten für einen Adepten des Administratums.« »Ganz recht.« Barzano lächelte mit einem schalkhaften Funkeln in den Augen. Uriel folgte Adept Barzano die letzten Stufen auf den karierten Saalboden und hob dabei mühelos einen verblüfften Saaldiener aus dem Weg, der ihnen den Weg versperrte. Barzano schob das hölzerne Schwingtor auf und schritt in die Mitte des Saals. Eine erstaunte Stille senkte sich über die Kammer ob seiner Kühnheit und allein schon wegen der körperlichen Ausstrahlung eines imperialen Space Marine. Der Transaktionsleiter stand ungläubig unter der Wahltafel, und sein Gesicht war vor Zorn rot angelaufen. Seine Verärgerung über die Störung der gewohnten Geschäftsordnung überwältigte seinen gesunden Menschenverstand, und er schritt Barzano, vor Empörung stotternd, entgegen. »Das ist absolut unzulässig, mein Herr! Sie können sich nicht einfach auf diese Weise über die Statuten hinwegsetzen, die für unsere rechtmäßige Versammlung gelten.« »Oh, ich glaube, das kann ich«, lächelte Barzano, indem er das rote Siegel des Administratums aus seinem Gewand zog und es hoch über seinen Kopf hielt, sodass der ganze Saal es sehen konnte. Uriel behielt die Saaldiener des Senats im Auge, obwohl niemand gewillt zu sein schien, für die Verteidigung der Statuten des Senats einzutreten. Barzano schob das Siegel wieder zurück in sein Gewand und sprach zur Senatsversammlung von Pavonis.
»Ihnen allen einen guten Tag. Ich heiße Ario Barzano und bin im Namen des Göttlichen Imperators der Menschheit hier. Meine Aufgabe besteht darin, diese Welt wieder auf den Weg der Rechtschaffenheit zu führen, die Korruption auszumerzen und den Problemen Einhalt zu gebieten, die Ihre Welt plagen. Ich habe die höchste Autorität und auch die Kraft, den Willen des Administratums zu vollstrecken.« Uriel registrierte unwillkürlich die besorgten Blicke, die mehrere Kartellführer wechselten, als das Wort »Korruption« fiel. Barzano breitete die Arme in einer Geste aus, die den gesamten Senatssaal einschloss. »Betrachten Sie die Abstimmung als unterbrochen, meine Herren. Und Damen«, fügte Barzano mit einem Nicken an Solana Vergens Adresse hinzu, die den Adept daraufhin mit flatternden Augenlidern ansah. Wütende Stimmen wurden laut, verstummten aber gleich wieder, als Barzano sich neben Uriels gerüstete Körperfülle postierte. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, meine gelehrten Freunde, die Statthalterin von Pavonis und ich haben über viele Dinge zu reden. Ihnen allen noch einen guten Tag.« Barzano verbeugte sich tief und bedeutete Lortuen Per-jed, sich zu ihm nach unten zu gesellen. Als der alte Mann bei ihnen ankam, war sein Gesicht dunkelrot angelaufen. Er nahm Barzanos Arm und flüsterte: »Das war vollkommen unangemessen.« »Ich weiß«, antwortete Barzano, indem er sich aus Perjeds Griff löste und zu den Plätzen der Statthalterin und ihrer Berater ging. Mykola Shonai saß verblüfft über diese unerwartete Wendung da und erhob sich bei Barzanos Annäherung benommen. »Sie haben meinen Dank, Adept Barzano. Ich hatte Sie erst später am Abend erwartet.« Barzano zwinkerte und beugte sich weit zur Statthalterin herab. »Ich mache gerne eindrucksvolle Auftritte, aber danken Sie mir noch nicht. Dies ist kein Aufschub. Es ist lediglich eine Unterbrechung dessen, was immer noch unweigerlich geschehen könnte.« Statthalterin Shonai nickte, da sie die Unterscheidung verstand, war aber dennoch dankbar für die Rettungsleine. »Ich danke Ihnen trotzdem.« »Und bevor Ihr Transaktionsleiter einen Schlaganfall erleidet, schlage ich vor, dass wir uns alle an einen etwas weniger öffentlichen Ort zurückziehen.«
»Einverstanden.« Ario Barzano und Lortuen Perjed saßen in den Gemächern der Statthalterin, während Uriel bequem hinter ihnen stand. Statthalterin Shonai saß hinter ihrem Schreibtisch und wurde dabei von Almerz Chanda und Leland Corteo flankiert. Rauch aus Corteos Pfeife hatte sich unter der Decke gesammelt und wurde von einem träge kreisenden Ventilator hin und her gewirbelt. »Ich muss sagen, Adept«, begann Mykola Shonai, »ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie mir gestatten würden, im Amt zu bleiben.« »Das tue ich vielleicht auch nicht, Statthalterin Shonai. Diese Entscheidung muss noch getroffen werden.« »Warum haben Sie dann nicht einfach den Dingen ihren Lauf gelassen?« Almerz Chanda beugte sich vor. »Gewiss reicht es einstweilen, dass Adept Toulon sich nicht durchgesetzt hat, Statthalterin.« »Nein, Almerz, das reicht nicht. Nun, Adept? Warum?« »Sie haben mir gefallen, und Uriel haben Sie auch gefallen«, erklärte Barzano. Uriel war nicht der Ansicht, in seiner Einschätzung der Statthalterin so offen gewesen zu sein, und seine Achtung vor Barzanos Scharfsinn stieg ein wenig. »Außerdem, werte Dame, nach allem, was ich von den anderen potenziellen Kandidaten gesehen habe, erschienen Sie mir am wenigsten, wie soll ich es ausdrücken...?« »Schleimig, falsch und unzuverlässig?«, schlug sie vor. Barzano lachte. »Ja, so etwas in der Art. Aber ernsthaft, wir rütteln nicht gern zu sehr an den Grundfesten einer Welt, wenn es sich eben vermeiden lässt. Sie an dieser Stelle zu ersetzen, würde wenig bringen.« »Mit anderen Worten, dies könnte nur ein vorübergehender Zustand sein?« »Genau. Ich will ganz offen sein, Statthalterin. Sie haben Ihre Pflichten als imperialer Regent vernachlässigt. Der Zehnte, der von Rechts wegen dem Imperator gehört, wird nicht entrichtet, und Ihre Unfähigkeit, den Frieden auf dieser Welt zu wahren, hat dazu geführt, dass man mich geschickt hat, um die Probleme zu lösen.« »Es stimmt gewiss, dass wir einen Haufen Probleme gehabt haben, aber in der Vergangenheit haben Umstände...«
»Umstände der Vergangenheit interessieren mich nicht, Statthalterin Shonai«, schnauzte Barzano, und Uriel war überrascht über den giftigen Unterton in seiner Stimme. Perjed schien ebenfalls besorgt zu sein und beugte sich auf seinem Stuhl vor, während Barzano fortfuhr. »Was mich hingegen interessiert, ist der Mangel an Fortschritten bei der Vernichtung der Kirche der Alten Sitten, eine Organisation, die für mich gefährlich nach Kult klingt. Was mich noch interessiert, ist die Unfähigkeit Ihrer Systemabwehrschiffe, die Eldar-Piraten aufzuspüren, die unser Schiff angegriffen und den Tod vieler Diener des Imperators verursacht haben. Aber was mir am meisten Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass Sie es nicht für nötig befunden haben, irgendetwas von alledem dem Imperium mitzuteilen. Eine Erklärung dieser Umstände wäre sehr erbaulich.« »Was soll ich Ihnen erzählen, Adept? Die Adeptus Arbites und unsere lokalen Sicherheitstruppen haben versucht, die Kirche der Alten Sitten auszuradieren, aber ihre Mitglieder sind wie Schatten, und wir haben noch keinen Hinweis darauf entdecken können, wie sie mit Waffen versorgt werden«, fauchte Shonai. »Was die Eldar-Piraten angeht, so sind unsere Schiffe reif dafür, eingemottet zu werden. Nicht eines unter ihnen ist weniger als zweitausend Jahre alt. Wie sollen wir sie Ihrer Ansicht nach bekämpfen?« Barzano lächelte, als die Statthalterin ihre Tirade beendet hatte, und lehnte sich gelassen zurück. Offenbar war er mit ihrer Antwort zufrieden. Mykola Shonai legte die Hände auf den Schreibtisch. »Ich gebe zu, es war... unklug, nicht eher mit unseren Problemen herauszurücken, aber ich dachte, wir könnten sie intern lösen. Wenn ich mich einer Sache schuldig gemacht habe, dann der, dass ich zu viel Vertrauen in meine Fähigkeiten gesetzt habe, die Krise zu überwinden.« »Ja«, stimmte Barzano zu. »Aber ich glaube nicht, dass Ihre Administration rettungslos verloren ist. Ich schlage vor, dass wir vergangene Fehler einstweilen hintenanstellen und daran arbeiten, die gegenwärtige Situation so schnell wie möglich zu verbessern. Stimmen Sie mir zu?« »Natürlich«, sagte die Statthalterin rasch. »Wie kann ich helfen?«
»Die erste Phase bei jeder Unternehmung ist die Sammlung von Informationen, und um mit den Nachforschungen beginnen zu können, brauche ich uneingeschränkten Zugang zu den Dateien in den Logikmaschinen und Cogitatoren des Palasts. Und natürlich schließt das alle Ihre privaten Dateien ein.« »Empörend!«, fuhr Almerz Chanda auf. »Sie überschreiten Ihre Befugnisse, mein Herr!« »Wirklich? Gibt es etwas in diesen Dateien, das ich nicht zu sehen bekommen soll, Herr Chanda? Aufzeichnungen über Bestechungen, illegale Machenschaften mit Xenos und Ähnliches?«, scherzte Barzano, obwohl Uriel sich fragte, wie scherzhaft die Frage tatsächlich gemeint war. »Gewiss nicht«, trompetete Chanda. »Aber es ist ein grober Verstoß gegen die guten Sitten, die persönlichen Dateien der Statthalterin durchsuchen zu lassen, als sei sie eine gewöhnliche Kriminelle.« Mykola Shonai legte Chanda beruhigend eine Hand auf den Arm. »Schon gut, Almerz, ich habe nichts zu verbergen. Adept, Sie werden das Gewünschte bekommen. Was brauchen Sie sonst noch?« »Da ich nicht in die Lage kommen möchte, ein Kartell zu bevorzugen, indem ich eine der Unterbringungs-Offerten annehme, die mit Sicherheit bald von allen Seiten gemacht werden, brauche ich eine Suite von Räumen im Palast für mich und meine Begleitung. Gegenwärtig warten sie auf einer Landeplattform am Stadtrand. Ich wüsste es zu schätzen, wenn Sie ihnen eine entsprechende Botschaft zusammen mit einem adäquaten Transportmittel schicken könnten, das sie und meine Habseligkeiten in den Palast befördert.« »Das wird sofort erledigt«, versicherte ihm die Statthalterin mit einem an Chanda gerichteten Nicken. Er schien angesichts einer derart knechtischen Aufgabe ein wenig aufzufahren, verbeugte sich dann aber und verließ den Raum. »Sonst noch etwas?« »Ja. Da ich im Laufe meiner Nachforschungen zweifellos mit den hiesigen Sicherheitstruppen zu tun haben werde, brauche ich einen Verbindungsoffizier zu den Adeptus Arbites. Nehmen Sie Verbindung mit ihnen auf und fordern Sie sie auf, eine entsprechende Person für mich abzustellen.« »Das wird ihnen nicht gefallen«, stellte Leland Corteo fest.
»Mir ist ziemlich egal, ob es ihnen gefällt oder nicht, nur sorgen Sie dafür, dass es geschieht.« Leland Corteo zuckte ob Barzanos Tonfall zusammen, nickte aber und kritzelte sich etwas in sein Notizbuch. »Schön, das regelt die Dinge an der Heimatfront. Hinsichtlich des Problems der Eldar-Piraten schlage ich vor, dass die Vae Victus so schnell wie möglich den Patrouillendienst in dem betreffenden Raumsektor aufnimmt. Uriel? Ich halte es für das Beste, wenn Sie die Statthalterin selbst darüber informieren, was Sie benötigen.« Uriel nahm zackig Haltung an und trat vor. »Für größtmögliche Effektivität brauchen wir die vollständigen kommentierten Dossiers über jede überfallene Siedlung und jedes angegriffene Schiff sowie Besatzungslisten und Ladungsverzeichnisse. Außerdem eine Karte des Systems, auf der ganz exakt Zeit und Ort jedes Angriffs vermerkt sind. Daraus lässt sich dann ein Hauptangriffsgebiet ableiten, sodass wir einen wirkungsvollen Patrouillenkurs festlegen können.« »Ich werde mich persönlich darum kümmern, Hauptmann Ventris.« Uriel nickte und trat zurück. »Wann können Sie mit dem Patrouillendienst beginnen, Uriel?« »Die Tech-Marines kümmern sich gegenwärtig um das Schiff, und es kann losgehen, sobald die erforderlichen Informationen an Bord der Vae Victus sind.« Barzano rieb sich nachdenklich das Kinn. »Ausgezeichnet. Kehren Sie zum Schiff zurück, und spüren Sie diese Piraten auf. Ich kann die Bedeutung, die ich dieser Aufgabe beimesse, gar nicht genug betonen, Hauptmann.« »Ich soll auf das Schiff zurückkehren? Adept, man hat mir Ihre persönliche Sicherheit anvertraut, und ich habe Lord Calgar mein Wort gegeben, dass Ihnen nichts zustößt.« »Und mir wird auch nichts zustoßen, denn Sie werden mir Sergeant Learchus' Trupp als Leibwache hier lassen. Es sei denn, Sie haben irgendwelche Vorbehalte hinsichtlich seiner Fähigkeiten, mich zu schützen?« »Natürlich nicht. Learchus ist ein bewährter Veteran vieler Kampagnen. Ich vertraue ihm uneingeschränkt.« »Dann teile ich Ihr Vertrauen.« Plötzlich ging Uriel auf, wie geschickt Barzano ihn ausmanövriert
hatte. Learchus war ein großer Krieger und würde eher sterben als zulassen, dass dem Adept ein Leid geschah, und ihn von seiner Aufgabe zu entbinden, würde einer Beleidigung seiner Ehre gleichkommen. Uriel hatte Marneus Calgar geschworen, Barzano zu beschützen, aber bei dem Adepten zu bleiben, würde bedeuten, dass seine Männer ohne ihren Hauptmann in die Schlacht ziehen mussten. Widerstrebend akzeptierte Uriel, dass er als Hauptmann der Vierten Kompanie in der Lage sein musste, den Offizieren unter sich zu vertrauen. Er verbeugte sich vor Barzano. »Sie haben in Sergeant Learchus und seinen Kriegern eine ausgezeichnete Leibgarde. Er stammt aus einer Familie mit Ehre und wird Sie nicht enttäuschen.« »Und das werden auch Sie nicht, Uriel, davon bin ich überzeugt.« »Nicht, solange ich noch atme«, versicherte der Space Marine dem Adepten. Ario Barzano rieb sich die Augen und lehnte sich zurück, da er spürte, dass eine Migräne im Anzug war. Seine Nachforschungen hatten Früchte getragen, aber er war des in den letzten beiden Tagen ausgegrabenen Katalogs von Lüge, Verrat und schlichter menschlicher Gemeinheit überdrüssig. Er riss sich vom Schreibtisch los und goss sich eine anständige Portion Uskavar ein, dem hier auf Pavonis bevorzugten alkoholischen Getränk. Die Gemächer, welche die Statthalterin seiner Begleitung zugeteilt hatte, waren düster, da die Kerzen fast auf Wachspfützen heruntergebrannt waren. Er zündete eine neue Reihe an, während er von dem starken Schnaps nippte und darüber nachdachte, wie er die Kirche der Alten Sitten konkret bekämpfen wollte. Mykola Shonai hatte nicht gelogen, als sie gesagt hatte, ihre Mitglieder seien wie Schatten. Tatsächlich wäre es leicht gewesen, einen Schatten zu fassen zu bekommen, verglichen damit, herauszufinden, wo diese Gruppe anzutreffen war. Die Sekte war zum ersten Mal vor sieben Jahren in Erscheinung getreten, als eine gewaltige Explosion eine von Honans Manufakturen zerstört hatte. Der daraus entstandene Brand hatte auf das nahe gelegene Versorgungsdepot übergegriffen und unermesslichen Schaden angerichtet. Man hatte die Explosion auf schlechte Sicherheitskontrollen zurückgeführt, bis ein verschlüsseltes Bekennerschreiben im Büro der Statthalterin eingetroffen war, in
dem die finanzielle Gier der Herrscher von Pavonis angeprangert und die Fortsetzung der Bombenanschläge verkündet wurde. Bald hatte jedes Kartell unter den Anschlägen der Terroristen zu leiden gehabt, und die Sicherheitstruppen waren machtlos gewesen und hatten die Fortsetzung der Gräueltaten nicht verhindern können. Fast vierhundert Personen waren bisher ums Leben gekommen, und Barzano wusste, dass diese Zahl im galaktischen Maßstab bedeutungslos sein mochte, dass aber jedes Leben ein Glied in einer Kette war, die eines Tages nachgeben würde, wenn er und seinesgleichen derartige Anschläge nicht verhindern konnten. Die lokalen Sicherheitstruppen auf Pavonis hatten wenig Erfolg bei der Ergreifung der Terroristen gehabt, und Barzano war deswegen nicht weiter überrascht. Ihm war rasch klar geworden, dass ihre Organisation eine Farce war. Von den Kartellen finanziert, waren sie nicht mehr als private Sicherheitsdienste, welche die Interessen ihrer Zahlmeister schützten und eine Politik brutaler Disziplinierung gegenüber den Arbeitern verfolgten und sonst nichts. Die wenigen kleinen, über den Planeten verstreuten Garnisonen der Adeptus Arbites konnten wenig anderes machen, als auf die Einhaltung der Gesetze des Imperators im Herzen der Städte zu achten. In den Barackendörfern und Arbeiterbezirken, welche die Manufakturen umgaben, herrschten nur die Gesetze, welche von den Kartellen erlassen wurden. Und nach allem, was Barzano bisher erfahren hatte, waren diese selbst wenig besser als Kriminelle. Einem heimtückischeren Nest verschlagener Schlangen war er selten begegnet - außerhalb seiner eigenen Organisation, überlegte er mit einem schiefen Grinsen. Jedes Kartell hatte sich irgendwann einmal mit einem anderen als Gegenleistung für kurzfristige Ziele und Profite verbündet, bevor entsprechende Verträge neu verhandelt und ein anderes Kartell unterstützt wurde. Anscheinend war dies der Normalzustand, und die Vorstellung, dass auch gegen Ende des einundvierzigsten Millenniums ihrer Geschichte die Menschheit immer noch nicht ihre Differenzen beilegen konnte, wo doch buchstäblich jede nichtmenschliche Rasse in der Galaxis auf ihre Vernichtung bedacht war, deprimierte Barzano gewaltig. Fast in jedem System in der Galaxis metzelten und plünderten Orks wahllos, und er unterdrückte gewaltsam seine Erinnerungen an die vom Krieg zerrissene Welt Armageddon. Und so nah am
Ostrand der Galaxis war es nur eine Frage der Zeit, bis die expandierenden Grenzen des Tau-Imperiums Pavonis erreichten. Ja, die Galaxis war ein feindseliger Ort, und nur durch Stabilität geeint konnte das Imperium der Menschen hoffen zu überleben. Jeder andere Kurs war Dummheit der schlimmsten Sorte, und er hatte einen Eid geschworen, dafür zu sorgen, seine Stabilität zu erhalten. Was hatten die Herrscher von Pavonis getan, um die Heiligkeit des Gefildes ihres Imperators zu erhalten? Er kehrte zu seinem Stuhl zurück und aktivierte das Anzeigenterminal. In der Ecke der Anzeige blinkte eine weitere Nachricht, doch er ignorierte sie in dem Wissen, dass es sich nur wieder um eine Einladung eines Kartells handeln würde, dessen Gastfreundschaft anzunehmen. Einladungen zum Essen, zur Jagd, zum Trinken und zur Teilnahme an anderen, weniger angenehmen Zeitvertreiben waren von jedem einzelnen der kommerziellen Häuser eingetroffen. Er hatte sie alle höflich abgelehnt. Er ging die Informationen durch, die er in den letzten zwei Tagen zusammengestellt hatte. Über die kleineren Kartelle hatte er nicht mehr gefunden als die üblichen Bündnisse, Gegenbündnisse und Paktbrüche. Die Führer der größeren Kartelle waren jedoch ein weitaus interessanterer Schurkenhaufen. Beauchamp Abrogas verbrachte seine Zeit damit, sich mit illegalen Drogen das zentrale Nervensystem zu zerstören und das Familienvermögen zu verschleudern. Taryn Honan war ein fetter Dummkopf, der sagenhafte Summen für Kurtisanen ausgab und Mühe gehabt hätte, einen Raum voller lobotomisierter Servitoren zu leiten. Er wusste nicht viel über Solana Vergen, hatte aber die Falschheit ihres Kummers über den Tod ihres Vaters gespürt. Und die spektakuläre Änderung im Abstimmungsverhalten ihres Kartells ließ nichts Gutes für die Stabilität ihrer Persönlichkeit ahnen. De Valtos verbrachte die meiste Zeit in der Abgeschiedenheit seines Besitzes oder jagte hinter Antiquitäten her und dabei kreuz und quer durch das System. Sogar ein Blinder konnte den Hass und die Verbitterung sehen, die er der Statthalterin gegenüber hegte, obwohl Barzano keinen direkten Grund für diesen Groll hatte entdecken können. Das rechtfertige ganz eindeutig weitere Nachforschungen. Außerdem gab es die spürbare Verbindung zwischen de Valtos und den Dunkeleldar, doch Barzano war klar,
dass es sich nicht um die Art Verbindung handelte, aus der eine Zusammenarbeit erwuchs. Er war an Bord des fremden Schiffs beinahe zu Tode gefoltert worden und hatte, so unwahrscheinlich dies auch erscheinen mochte, überlebt. Barzano hatte Mykola Shonai bei seinen Untersuchungen ausgenommen. Bei ihrer Besprechung hatte er keine Täuschung ihrerseits gespürt, und hinzu kam, dass ihre zweite sechsjährige Amtszeit als planetare Statthalterin bald zu Ende war und die Verfassung von Pavonis ihr eine direkt daran anschließende dritte Amtszeit verbot. Sie hatte durch ein Andauern des gegenwärtigen Zustands nichts zu gewinnen und alles zu verlieren. Ario Barzano wusste, dass diese Tatsache allein nicht reichte, um sie von jedem Verdacht reinzuwaschen. Er hatte schon Verräter mit weitaus geringfügigeren Motiven entlarvt. Aber Angelegenheiten wie diese waren jetzt schon seit zu vielen Jahren sein tägliches Brot, und er glaubte ein Talent dafür zu haben, einen Lügner zu erkennen. Mykola Shonai kam ihm nicht wie einer vor. Um die Wahrheit zu sagen, bewunderte er die Frau sogar. Sie hatte ihr Bestes für ihre Welt gegeben. Aber er wusste auch, dass nur der Versuch, sein Bestes zu geben, nicht reichte. Die Anstrengungen mussten auch zu Resultaten führen, und die Resultate auf Pavonis sprachen für sich. Aber Taloun... Das war etwas anderes. Zwei Mal in den letzten zehn Jahren bei den Wahlen der vereinten Macht der Kartelle Shonai und Vergen unterlegen, hatte Vendare Taloun alles zu gewinnen. Wenn Ario sich an ein Problem wie dieses herantastete, stellte er sich zunächst immer dieselbe Frage: Wer hat am meisten zu gewinnen? Im Chaos terroristischer Aktivitäten, nichtmenschlicher Piraterie und politischen Aufruhrs unterschied Talouns Kartell sich von allen anderen. Es hatte mit der möglichen Ausnahme Shonais weniger unter den Bombenattentaten zu leiden gehabt als alle anderen, und Barzano hatte sich schon vor langer Zeit mit der Tatsache abgefunden, dass es in diesen Dingen so etwas wie Zufälle nicht gab. Das gleichzeitige Auftauchen der Kirche der Alten Sitten und der Eldar-Piraten verriet seiner Ansicht nach eine ordnende Hand. Taloun hatte seine Schläue bereits unter Beweis gestellt, und Barzano wusste, dass die gewundenen Pfade des menschlichen Geistes mühelos in der Lage waren, solch einen Plan zu ersinnen.
Er kehrte dem Terminal den Rücken und trank sein Glas aus. Sein Tag begann morgen sehr früh, und er fragte sich, was er noch alles aufdecken mochte. Er hatte seinen Verbindungsoffizier bei den Adeptus Arbites angewiesen, Zivilkleidung zu tragen, und plötzlich fragte er sich, ob sie überhaupt solche Sachen besaß. Sie sah aus, als lebe sie für ihre Berufung, und er lächelte, als ihm aufging, dass sie sich in diesem Fall sehr ähnlich waren. Barzano hörte die leisen Stimmen seiner UltramarineLeibwächter vor seinen Gemächern und dachte kurz an Uriel Ventris. Es war bedauerlich, dass er Uriel nicht die Wahrheit sagen konnte, aber Barzano wusste, dass er möglicherweise ein Problem mit dem Hauptmann der Space Marines bekommen haben würde, wenn er ihm die Wahrheit gesagt hätte. Er warf einen Blick auf den sicheren Tresor in der Wand, der hinter dem Porträt eines Mannes namens Forlanus Shonai verborgen war. In diesem Tresor hatte er den Kasten verborgen. Er wehrte sich gegen den Drang, den Kasten zu öffnen und seinen Inhalt zu untersuchen. Um Pavonis willen betete er, dass das nicht nötig sein würde. Uriel entging nicht, dass es Lordadmiral Tiberius ärgerte, einen Systempiloten an Bord zu haben, wusste aber, dass der Admiral klug genug war, sich mit der Notwendigkeit abzufinden. Die schnellste Route, die Uriel und Tiberius zu Caernus IV, dem Schauplatz des jüngsten Eldar-Angriffs, erarbeitet hatten, führte sie direkt durch einen breiten Asteroidengürtel, und ohne einen Einheimischen, der über Kenntnis der sicheren Routen hindurch verfügte, forderten sie das Unglück geradezu heraus. Sechs angespannte Stunden waren vergangen, in denen der Pilot sie kundig durch das Labyrinth gewaltiger Asteroiden gesteuert hatte, und Uriel betete zum Imperator, zu Guillaume und zu allen Heiligen, dass sie das Feld bald hinter sich haben mochten. Die von Statthalterin Shonai zur Verfügung gestellte Karte des Systems, auf der jeder Angriff der Eldar-Piraten eingetragen war, hatte sich als äußerst nützlich erwiesen. Uriel war das Ausmaß der Überfälle erst klar geworden, als er die Karte gesehen hatte. Knapp über hundert Angriffe in nur sechs Jahren. Bei fast jedem Angriff war eine Siedlung völlig zerstört oder ein Schiff schwer beschädigt und seine Besatzung abgeschlachtet worden. Uriels
Bewunderung für Kasimir de Valtos war gestiegen, als er sich den Mut und die Entschlossenheit vorstellte, die nötig gewesen sein mussten, um sich aus den Klauen dieser verabscheuungswürdigen Nichtmenschen befreien zu können. »Ruderkontrolle, auf Kurs null-zwo-fünf bei dreißig Grad Abwärtswinkel gehen«, rief der Systempilot. »Komm, meine Schöne, wir schleusen dich durch.« Uriel schaute vom Planungstisch in der Divinationskontrolle zur Aussichtsbucht und erbleichte, als er die Lücke in den langsam rotierenden Asteroiden sah, die der Pilot anstrebte. Er hielt den Atem an und sah zu, wie die beiden gigantischen Felsbrocken, die beide mehrere Millionen Tonnen größer waren als die Vae Victus, am Schiff vorbeiglitten. Uriel sah, dass Tiberius den Rand der Kapitänskanzel fest umklammert hielt. Seine Knöchel waren weiß und sein Gesicht vor Sorgen zerfurcht. Er hatte nur widerstrebend zugelassen, dass ein Pilot mit Ortskenntnis sein Schiff steuerte, ihm aber nicht gestattet, dies von seiner Kanzel aus zu tun. »Müssen Sie so nah an diesen verfluchten Steinbrocken vorbeifliegen?«, schnauzte Tiberius, der langsam die Geduld mit dem Piloten verlor. »Wenn Sie einen davon auch nur ankratzen, atmen wir alle das Vakuum.« Der Pilot, ein gebürtiger Altemaxaner namens Krivorn, grinste und zeigte dabei gelbliche Zahnstümpfe. »Das hier?«, spottete er. »Ha! Ich bin ganz vorsichtig bei euch Jungens. Das ist der leichte Weg. Ich hätte euch auch durch die Gasse der Wracks führen können. Dann hättet ihr mal erlebt, was Fliegen ist.« »Die Gasse der Wracks?«, fragte Uriel. »Die ist aber nicht auf Ihrer Karte eingezeichnet.« »Nee«, gab Krivorn ihm Recht. »Das ist nur der Name, den ich mir dafür ausgedacht habe, nachdem ich dort beinahe ein Schiff verloren hätte.« »Sie hätten beinahe ein Schiff verloren!«, explodierte Tiberius. »Ja, aber das war nicht meine Schuld«, protestierte Krivorn. »Wir flogen so daher, zufrieden wie ein Ork in den Pilzen, als dieser verflucht große Koloss aus dem Nichts auftaucht! Ich schwöre, gerade war da noch nichts, und dann verlieren wir plötzlich Energie und fliegen mit allen Maschinen im Rückwärtsgang hart Steuerbord.« »Ich nehme an, Sie haben einen Navigationsfehler gemacht, Pi-
lot.« »Ich? Nein, Herr, ich hatte die Divinatoren noch eine Sekunde vorher überprüft, und da war er noch nicht da. Ruderkontrolle, neue Richtung drei-zwo-vier, zehn Grad aufwärts.« »Was war es dann?«, fragte Uriel, dem Krivorns nachlässige Ruderanweisungen an die Nieren gingen. »Das habe ich nie herausgefunden, aber ich schätze, es war einer von diesen Raumkolossen, von denen man immer hört«, erwiderte Krivorn. »Und ich bin auch nicht der Erste, der ihn gesehen hat. Viele Raumfahrer sagen, sie hätten ihn in der Gegend des Pavonis-Systems gesehen. Sie nennen ihn wegen seiner Form das Halbmondschiff. Ruderkontrolle, neue Richtung null-null-null und geradeaus.« Uriel hatte von diesen Schiffswracks gehört, die im Warpraum gekentert waren, um Geisterschiffe zu werden und für immer durch die eisigen Tiefen des Alls zu treiben. Niemand konnte ihre Bewegungen vorhersagen, und sie tauchten vollkommen zufällig auf, wie sie das kapriziöse Schicksal aus dem Immaterium ausspie. Der Gedanke, dass solch ein Gebilde in der Nähe sein mochte, erfüllte Uriel mit nichts anderem als Abscheu. »Genug von diesem verfluchten Unsinn«, sagte Tiberius. »Wie lange noch, bis wir den Asteroidengürtel hinter uns haben und Caernus IV erreichen?« Krivorn zeigte wieder seine Zahnlücken und verbeugte sich tief vor Tiberius. »Wir haben den Gürtel soeben verlassen, Herr. Bei gegenwärtiger Geschwindigkeit und Flugrichtung erreichen wir in ungefähr einer Stunde die Umlaufbahn. Gern geschehen.« Kasimir de Valtos spürte, wie seine Eingeweide sich erneut zusammenzogen, und erbrach eine schaumige, zähe, blutfleckige Masse in die Schüssel auf der Kommode. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, und sein Bauch befand sich in der starken Umklammerung schmerzhafter Krämpfe. Alles verschwamm vor seinen Augen, als die nächste Welle von schwarzem Erbrochenem brennend durch seinen Hals und in die Schale sprudelte. Diese verdammten Nichtmenschen. Jeden Tag wehrte sich sein Körper gegen die widerlichen Substanzen, mit dem sie ihn vergiftet hatten. Nur tägliche Infusionen mit starken Abführmitteln hielten die schwächendsten Auswirkungen in Schach, und selbst dann
war es nur unwesentlich weniger schmerzhaft. Er raffte sich vom Boden seiner Waschnische auf und band sich den Bademantel eng um seine schlanke Gestalt. Er klatschte sich Wasser ins Gesicht, während die Krämpfe langsam nachließen. De Valtos spülte sich den Mund mit eiskaltem Wasser aus in dem vergeblichen Versuch, den sauren Geschmack zu vertreiben, und trocknete sich mit einem Seidenhandtuch ab. Er fuhr sich mit einem Kamm aus Elfenbein durch seine albinotisch weißen Haare. Er starrte in den Spiegel und fragte sich, wie sein Leben so eine Wendung hatte nehmen können. Die Antwort war nicht schwer. Es hatte an dem Tag begonnen, als seine Expedition die Kavernen unter der Ruinenstadt auf Cthelmax und die Inschriften des Ketzer-Abts Corteswain entdeckt hatte. Hätte er die Inschriften doch nur nicht übersetzt. Hätte er nur nicht ihre düster-prophetischen Worte befolgt. Wäre er doch nur nicht den Eldar begegnet. Aber er hatte sie befolgt, und sie hatten ihn dorthin geführt, wo er jetzt war. Er hob eine blasse, aufgequollene Hand vor das Gesicht und quetschte an der empfindungslosen Kunsthaut herum, die seinen Schädel bedeckte, in dem Wissen, dass die Berührung nur erfolgte, weil er sich im Spiegel orientieren konnte. Früher hatte er als attraktiv gegolten, und er hatte den schönsten Frauen von Pavonis den Hof gemacht, aber jetzt nicht mehr. Dafür hatte die weißglühende Klinge eines nichtmenschlichen Folterknechts gesorgt. Nach seiner Begegnung mit den Eldar hatte er viele Male an Selbstmord gedacht, aber dazu fehlte ihm der Mut. Die Verlockung von Corteswains Worten hatte seine Seele zu fest im Griff, und de Valtos ging auf, dass Hoffnung in der Tat der größte Fluch der Menschheit war. Warum sonst sollte er diesen Weg weitergehen, wenn nicht aus Hoffnung? De Valtos warf das Handtuch weg und ging in sein privates Schlafgemach. Der Raum war spiegellos und spartanisch eingerichtet, und da war nichts von dem Staat, den viele mit dem Anführer eines derart vermögenden Kartells assoziierten. Er zog seinen Bademantel aus und ging nackt in seinen begehbaren Kleiderschrank, wo er sich seinen mitternachtsblauen Lieblingsanzug mit den schmalen Revers und dem hohen Kragen aussuchte. Er zog den Anzug an, und das Narbengewebe, mit dem ihn der
Folterknecht der Eldar reich beschenkt hatte, spannte sich schmerzhaft über Brust und Armen. Sein Gast würde bald eintreffen, und er wollte sich nicht verspäten. Ungeachtet dessen, dass er ihn und all die kleingeistigen Dinge verachtete, an die er glaubte. Ungeachtet dessen, dass er noch vor wenigen Jahren selbst an diese Dinge geglaubt hatte. Seitdem hatten sich die Zeiten geändert, und jetzt lag viel mehr in seiner Verantwortlichkeit als Gewinn und Verlust, Produktion und Arbeit. Er wählte die schwarzen Carnodonlederschuhe zum Anzug und setzte sich ans Ende seines blutbefleckten Betts, um sie anzuziehen und seine Anzugjacke zu richten. Er hörte die Klingel im Vestibül und wusste, dass sein Gast eingetroffen war. Wie üblich sehr pünktlich. Vollständig angezogen, ging de Valtos zum Kopfende des Betts und sammelte die blutigen Messer ein, die rings um den verstümmelten menschlichen Kadaver auf der Matratze lagen, wobei er sorgfältig einen Bogen um die Pfützen klebrigen Bluts machte, die sich gesammelt hatten. Er verstaute seine Folterwerkzeuge in einer schwarzen Ledertasche und schob sie unter das Bett. Beim Anblick des Leichnams beschlich ihn wieder das vertraute Gefühl der Enttäuschung. Diese hier hatte seine Bedürfnisse nicht einmal annähernd befriedigen können, und schon bald würde er ein anderes Tuch aus Menschenhaut brauchen, auf dem er seine Dämonen austreiben konnte. Er stellte sich Solana Vergen auf dem Bett vor, und sein Herz raste vor Verlangen. De Valtos machte kehrt, verließ seine Gemächer und schritt die breite Marmortreppe zum Vestibül und zu seinem Gast hinunter. Er sah ihn unten stehen und nervös von einem Fuß auf den anderen treten. Almerz Chanda sah beim Geräusch von de Valtos' Schritten auf. Kasimir de Valtos lächelte. Jenna Sharben fühlte sich sehr unbehaglich ohne ihre LiktorenUniform und wünschte zum hundertsten Mal, Virgil Ortega hätte nicht sie als Kindermädchen für diesen Adepten aus der Hölle abgestellt. Sie trug eine praktische, eng sitzende blaue Tunika mit weiten Ärmeln und einem Innenhalfter, in dem eine Autopistole
unter der linken Armbeuge steckte. Sie stand bequem in den Gemächern des Adepten und sah sich aufmerksam um. Sie rühmte sich der Fähigkeit, anhand der Art und Weise, wie eine Person lebte, viel über sie aussagen zu können: über ihren Geschmack, ihre Vorlieben und Abneigungen, ob sie Ordnungsfanatiker war oder gerne in einem Zustand beständiger Unordnung lebte. Ihre Stirn legte sich in Falten angesichts der verschiedenen Signale, die das Quartier des Mannes ihr übermittelte. Ein Dutzend auf dem Schreibtisch gestapelte Bücher waren alphabetisch geordnet, obwohl sie eindeutig nicht zur Einrichtung des Raums gehörten, doch ein Stapel Kleidung lag unordentlich auf den Bettlaken. Eine waffen-metallgraue Truhe stand am Fußende des Betts, mit einem Geno-Schloss gesichert, während auf dem Schreibtisch ein offenes Tagebuch mit sämtlichen handschriftlichen Notizen des Adepten lag. Ein halb leerer Dekanter mit Uskavar stand neben dem Tagebuch zusammen mit einem Kristallglas, das die letzten Tropfen des vergangenen Abends enthielt. Was für ein Mensch war dieser Adept? »Genug gesehen?«, fragte eine Stimme am anderen Ende des Zimmers, und sie erschrak, wobei ihre Hand unwillkürlich zu ihrer Waffe fuhr. Ein Mann in einem fleckigen Overall in der roten Farbe des Taloun-Kartells lehnte an der Wand und kaute an einem Stück Tabak. Er war unrasiert und sah mit seinen Dreitagestoppeln um das Kinn grobschlächtig aus. Jenna öffnete den Mund, um den Mann zu fragen, was er hier zu suchen hatte, als ihr plötzlich aufging, dass dies der Adept war, bei dem sie am vergangenen Abend vorstellig geworden war. Die Verwandlung war ziemlich bemerkenswert. »Jetzt ja«, sagte sie, während der Adept zu ihr ging. Barzano lächelte. »Heute werde ich Gulyan Korda sein, Technikus Sekundus in Schmelzhütte drei-sechs-zwo des TalounKartells. Was meinen Sie?« Jenna war sprachlos. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie geschworen, dass der Adept auf Pavonis geboren war. Er hatte den Akzent, die Kleidung und den apathischen Gang der Manufaktur-Arbeiter. Sein Haar war zurückgekämmt und geglättet, und seine Wangen waren voller. Als könne er ihre Gedanken lesen, nahm Barzano zwei Wangenpolster aus dem Mund und zwinkerte, bevor er sie wieder einsetz-
te. »Glauben Sie, dass ich für einen Einheimischen durchgehe?« »Ohne jeden Zweifel«, versicherte ihm Jenna. »Obwohl ich nicht verstehe, warum Sie das wollen.« »Nun, ich glaube nicht, dass angesichts des hiesigen Klimas der Unruhe und der Unbeliebtheit der derzeitigen Administration irgendjemand ein offenes Wort mit einem Fremdweltler reden wird, geschweige denn mit jemandem vom Administratum. Sie etwa?« Jenna sah, dass sein Argument stichhaltig war, und plötzlich ergab auch sein Beharren darauf einen Sinn, sie möge Zivilkleidung tragen. Er wollte ausgehen und sich unter die Arbeiter mischen. Und sie sollte was sein - ein Leibwächter, ein Führer? Beides? »Was haben Sie vor, Adept Barzano?« »Ach, nur einen kleinen Spaziergang in die Arbeiterviertel außerhalb der Stadtmauern. Nichts allzu Anstrengendes, das verspreche ich.« Barzano zeigte auf die Bücher und das Datenterminal. »Es ist schön und gut, Informationen daraus zu beziehen, aber ich finde immer, dass man sich die besten Informationen an der Basis holt. Sie nicht? Ja, heute wird sich Gulyan Korda, erst kürzlich aus den Diensten des Taloun-Kartells entlassen, unter ähnlich gesinnte Unzufriedene mischen und über die entsetzliche Lage diskutieren, in die uns die Statthalterin gebracht hat.« »Und welche Aufgabe habe ich dort?« »Sie, meine Liebe, sind mein Leibwächter«, flüsterte Barzano, dem seine neue Rolle offenbar großen Spaß zu machen schien. »Sie müssen nämlich wissen, als Gulyan bei Taloun entlassen wurde, hat er einige sehr belastende Dokumente mitgehen lassen.« »Hat er das?« »Ich glaube schon. Ja, tatsächlich bin ich fast sicher.« »Und worauf sollen sich diese belastenden Dokumente beziehen?« »Ich habe keine Ahnung«, gluckste Barzano. »Aber in jedem Fall auf etwas Saftiges, da bin ich ganz sicher.« »Was ist mit den Space Marines draußen? Sie werden nicht unbemerkt bleiben, wenn ihnen zwei gerüstete Riesen überallhin folgen.« »Ja, das weiß ich, aber die kommen nicht mit.« »Und wie wollen Sie ohne sie den Palast verlassen?«
»Ganz einfach, sie werden mich nicht sehen«, versprach Barzano. »Sie werden Sie und ein ziemlich anrüchig aussehendes Subjekt im Overall sehen, die auf dem Weg nach draußen sind, und glauben, der Langschläfer von einem Adepten liege noch im Bett. Glauben Sie mir, es wird leichter, als Sie meinen.« Jenna Sharben schüttelte den Kopf. »Ich halte das wirklich für keine so gute Idee«, sagte sie.
9. Kapitel Uriel starrte auf das verbrannte menschliche Wrack auf dem kleinen Feldbett und fragte sich, wie im Namen all dessen, was heilig war, dieser Mann noch am Leben sein konnte. Kaum hatte er diese arme, gequälte Seele erblickt, als er auch schon den Kompanie-Apotheker gerufen und ihm aufgetragen hatte, sich um den jungen Mann zu kümmern. Der Arzt dieser Siedlung hatte getan, was er konnte, aber die furchtbaren Wunden des Mannes überforderten dessen Fähigkeiten bei weitem. Apotheker Selenus hob sanft ein Bein des Mannes, löste einen mit Blut und Eiter befleckten Verband und trug lindernde Salben auf die Streifen verbrannten Fleisches, die noch an dem ausgemergelten Leib klebten. Der Apotheker arbeitete im Licht eines Dutzends flackernder Kerzen, und der widerliche Gestank verkümmerten, verbrannten Fleisches erfüllte den Raum mit erstickender Schärfe. Caernus IV war Schauplatz des jüngsten Angriffs der EldarPiraten, und die von der Statthalterin zur Verfügung gestellten Informationen hatten darauf hingedeutet, dass ein Mensch das Gemetzel überlebt hatte. Wenn er den Mann ansah, den der Dorfälteste Gedrik genannt hatte, empfand Uriel nur Mitleid wegen seines Überlebens. Sie waren zu dieser Welt geflogen, um sich Informationen von einem lebenden Augenzeugen zu beschaffen, und Uriel hatte das merkwürdige Gefühl, dass es lebenswichtig war, sich mit Gedrik zu unterhalten. Sergeant Pasanius beugte sich vor und flüsterte Uriel zu: »Hat er noch lange zu leben, was meinst du?« Uriel schüttelte den Kopf. »Selenus sagt Nein, aber der Mann hier ist ein Kämpfer. Eigentlich müsste er schon lange tot sein.
Etwas hat ihn am Leben erhalten.« »Was zum Beispiel?« »Das weiß ich nicht, Pasanius, aber der Dorfälteste hat mir erzählt, dass er ihrem Arzt nicht erlaubt hat, ihm den Frieden des Imperators zu gewähren. Er hat immer wieder gesagt, dass er auf die Engel warten würde. Dass er ein Geschenk für sie hätte.« »Was soll das bedeuten?«, spottete Pasanius. »Die Schmerzen müssen ihn um den Verstand gebracht haben.« »Nein«, flüsterte Uriel. »Ich glaube, dass er auf uns gewartet hat.« »Auf uns? Woher sollte er gewusst haben, dass wir kommen?« Uriel zuckte die Achseln. »Es heißt, jenen, welche die Berührung des Todes spüren, aber noch leben, werden vom Imperator manchmal Visionen und wunderbare Kräfte gewährt. Sein Überleben ist ein Wunder, und vielleicht ist das allein schon Grund genug, es zu glauben.« Pasanius schaute nicht überzeugt drein. »Ich habe schon immer gesagt, die langen Jahre unter der Erde auf Calth können dir nicht gut getan haben. Glaubst du wirklich, nur weil dieser arme Teufel hier noch nicht tot ist, sei er vom Imperator persönlich berührt worden?« »Vielleicht, ich weiß es nicht. Es heißt, die gesegnete heilige Capilene hätte noch drei Tage gelebt, nachdem die tödliche Kugel ihr Herz getroffen hatte. Der Imperator habe ihren Tod erst zugelassen, nachdem sie auf der Schreinwelt, die jetzt ihren Namen trägt, die Truppen zum Sieg gegen den Chaos-Abschaum geführt hatte. Ich kann dir keine vernünftige Erklärung dafür geben, mein Freund, aber mein Bauch sagt mir, dass ihn irgendwas aus irgendeinem Grund am Leben erhalten hat. Ich kann es nicht erklären, ich habe nur so eine Ahnung.« »Jetzt hörst du dich an wie Idaeus«, murmelte Pasanius. »Ich habe immer gewusst, dass uns richtiger Ärger bevorstand, wenn er >eine seiner Ahnungen< hatte.« Apotheker Selenus erhob sich vom Bett und verbeugte sich vor Uriel. »Bruder-Hauptmann, wir können nichts mehr für ihn tun. Ich habe Salben verabreicht, die verhindern werden, dass böse Dämpfe die Wunden infizieren, und sie so gut wie möglich verbunden, aber es ist vergebliche Liebesmüh. Er wird bald sterben. Das kann jetzt nichts mehr verhindern.« »Sie haben getan, was Sie konnten, Bruder«, sagte Uriel. Als
Selenus ihn passierte, legte er dem Apotheker eine Hand auf den Schulterschutz. »Vergessen Sie nicht, Selenus, den Bedürftigen zu helfen, ist niemals vergebliche Liebesmüh. Gehen Sie wieder zu den Männern. Ich werde jetzt mit diesem Jungen reden. Ich glaube, er hat auf uns gewartet und eine Botschaft für mich.« Selenus nickte. »Wie Sie wünschen, Bruder-Hauptmann.« Der Apotheker duckte sich durch die Tür und verließ den stinkenden Raum. Uriel und Pasanius näherten sich dem Bett und knieten neben Gedriks Haupt nieder. Uriel nahm den Helm ab, legte ihn auf den gefliesten Boden und fuhr sich mit der Hand über den Kopf. Er ging ganz nahe an Gedrik heran und versuchte angesichts des furchtbaren Gestanks nach gebratenem Menschenfleisch möglichst flach zu atmen. Die Augen des jungen Mannes flatterten, als er Uriels Nähe spürte, und seine Brust hob sich, da er tief und rasselnd Luft holte. Gedriks Kopf kippte in Uriels Richtung. Aus seinen gesprungenen und geschwollenen Lippen sickerte eine klare Flüssigkeit, als er seine Worte formulierte. »Ich wusste, ihr würdet kommen«, zischte er kaum hörbar. »Ja, wir sind gekommen. Ich bin Uriel Ventris von den Ultramarines.« Gedrik nickte, und ein feuchtes Lächeln kräuselte seine Lippen. »Ja. Ich habe dich gesehen, als ich in die Nacht geschaut habe, die da kommen wird.« »Du hast mich gesehen?«, fragte Uriel mit einem verwirrten Blick in Pasanius' Pachtung. Der praktisch veranlagte Sergeant zuckte nur die Achseln. Seine Zweifel waren offensichtlich. »Ja - dich und den Weltentod. Licht und Dunkel, zwei Avatare desselben Engels.« Uriel mühte sich, aus den Worten des Mannes schlau zu werden. Weltentod, Licht und Dunkel? Hatte Pasanius Recht? War der Junge von den erlebten Dingen und erlittenen Schmerzen in den Wahnsinn getrieben worden? »Weißt du, warum ihr angegriffen wurdet?«, drängte Uriel. »Kannst du mir irgendwas darüber sagen, wer euch das angetan hat?« »Sie sind wegen des Metalls gekommen... Der Maschinenmann hat ihm das Herz herausgerissen, und jetzt stirbt es.«
Uriel war verwirrt. Caernus IV war eine Agrarwelt. Den Aufzeichnungen des Segmentums zufolge gab es hier keine Metallvorkommen, die einen Abbau gelohnt hätten. Gewiss keine, die es wert gewesen wären, deswegen eine ganze Gemeinde abzuschlachten. »Ich verstehe dich nicht, Gedrik. Was für ein Maschinenmann? Ein Cyborg? Ein Servitor? Was für Metall?« »Das Metall, das fließt. Jetzt stirbt es. Mein Schwert... Ich habe es selbst geschmiedet. Jetzt stirbt es.« Pasanius hob eine neben dem Bett liegende Lederscheide auf und schloss die Faust um den mit Draht umwickelten Knauf der Waffe. Er zog ein verrostetes Schwert aus der Scheide und hielt es nahe ans Kerzenlicht. Uriel und Pasanius wechselten einen erstaunten Blick, als sie die Klinge des Schwerts sahen. Ihre Umrisslinie strahlte einen leicht bläulichen Glanz aus, der den Raum matt erhellte. Nur die Schneiden der Klinge waren noch silbern, denn eine leprös braune Ader, die im Herzen des Schwerts vergraben war, pulsierte in einem widerlichen nekrotischen Eigenleben. Wurmartige Ranken der Schwärze verunreinigten das durchsichtige Metall, und Uriel konnte erkennen, wie sie sich langsam über die ganze Waffe ausbreiteten. Er strich mit seinem Panzerhandschuh über die Klinge, und Schuppen toten Metalls fielen zu Boden. »Gedrik, was geschieht mit dem Schwert?« »Es stirbt. Der Weißhaarige und der Maschinenmann sind gekommen und haben den Metallhügel getötet, und jetzt stirbt alles. Sie haben Maeren und Rouari getötet«, weinte Gedrik. »Ich weiß nicht, warum - wir hätten ihn geteilt.« »Der Weißhaarige? Ist er mit dem Maschinenmann gekommen?« »Ja. Mit dem Maschinenmann, dem Priester der Maschinen.« Uriel und Pasanius gelangten gemeinsam zum gleichen Schluss. Ein Priester der Maschinen konnte nur eines bedeuten. Aber ein Adept des Maschinengotts, ein Techpriester der Adeptus Mechanicus, der mit den Nichtmenschen zusammenarbeitete? Die bloße Vorstellung war lächerlich. »Er kann unmöglich meinen...«, begann Pasanius. »Nein, gewiss nicht«, stimmte Uriel zu. »Gedrik, ich glaube, du könntest dich getäuscht haben.« »Nein!«, zischte Gedrik, indem er matt den Kopf auf dem flecki-
gen Kissen schüttelte. »Der Engel, dem ihr dient, hat mich gebeten, diese Worte weiterzugeben. Der Weltentod und der Bringer der Finsternis warten darauf, in diese Galaxis geboren zu werden. Einer wird kommen oder keiner, die Wahl liegt in deinen Händen.« »Was soll das bedeuten? Hat der... Engel dir auch gesagt, was es bedeutet? Bitte, Gedrik.« Gedrik seufzte, und sein Atem rasselte in seiner Kehle wie etwas Totes. Sein Kopf rollte auf schlaffen Sehnen hin und her. Er flüsterte. »Bitte, holt einen Priester. Ich will beichten...« Uriel nickte. »Sergeant Pasanius. Holen Sie Kaplan Clausel, ein Diener des Imperators wartet auf seine seelsorgerischen Dienste.« Der Sergeant verbeugte sich und verließ das Krankenzimmer, während Uriel bei dem Sterbenden blieb. Seine Gedanken überschlugen sich angesichts der Möglichkeit, dass ein Priester des Maschinengotts gemeinsame Sache mit den Eldar machte. Wer hätte sich so etwas vorstellen können? Und der Weltentod und der Bringer der Finsternis. Wer oder was war das? Uriel hörte die gewichtigen Schritte von Kaplan Clausel und wandte sich dem vernarbten Kriegerpriester zu. »Er hat dem Imperator gut gedient, Bruder-Kaplan. Nehmen Sie ihm die Beichte ab, und gewähren Sie ihm, wenn er es wünscht, die Finis Rerum. Ich werde draußen auf Sie warten.« »Es soll geschehen, Hauptmann.« Uriel starrte auf die Totenmaske aus Verbänden, die alles war, was vom Gesicht des jungen Mannes noch übrig war, und salutierte zackig, indem er sich mit der Faust auf den Brustharnisch schlug. »Gedrik aus Mortens Weite, ich salutiere deiner Tapferkeit. Möge der Imperator mit dir sein.« Uriel vollführte eine zackige Kehrtwendung, duckte sich durch den Eingang und verließ das Gebäude. Pasanius und dreißig Krieger der Ultramarines erwarteten ihn in der Mitte der Siedlung. Jenseits des Dorfrands konnte Uriel die klobige Form ihres Thunderhawk sehen. Trauben verängstigter Dörfler beobachteten sie aus einiger Entfernung. Pasanius hatte seinen Flammenwerfer geholt und ihn sich über den Rücken geworfen, und jetzt kam er zu ihm marschiert. »Wir sind bereit zum Ausrücken, Hauptmann. Wir warten nur
auf Ihren Befehl.« »Sehr gut, Sergeant.« »Kann ich Sie etwas fragen, Hauptmann?« »Natürlich, Pasanius.« »Hast du ihm geglaubt? Das mit dem Engel, meine ich.« Uriel antwortete Pasanius nicht sofort. Er starrte auf die Berge, welche die Siedlung umgaben. Sie ragten bis in die Wolken empor, und die Leistungen der Menschheit ver-blassten neben ihrer Erhabenheit. Man sagte, das Leben eines Menschen sei ein Funke in der Dunkelheit, und wenn man ihn endlich bemerke, sei er bereits verschwunden und helleren und zahlreicheren Funken gewichen. Uriel akzeptierte das nicht. Es gab Männer und Frauen, die sich gegen die Dunkelheit stemmten, helle Lichtflecken, die der unvorstellbaren Weite des Universums trotzten. Dass sie letzten Endes sterben würden, war bedeutungslos. Dass es sie überhaupt gab, war das Entscheidende. »Habe ich ihm geglaubt?«, wiederholte Uriel. »Ja, das habe ich. Ich weiß nicht warum, aber das habe ich.« »Noch eine Ahnung?«, ächzte Pasanius. »Aye.« »Was glaubst du, hat er gemeint? Der Weltentod und der Bringer der Finsternis? Mir gefallen solche Begriffe nicht. Sie lassen nichts Gutes für die Zukunft ahnen.« »Wer weiß? Vielleicht kann Adept Barzano Licht ins Dunkel bringen, wenn wir nach Pavonis zurückkehren.« »Vielleicht«, grunzte Pasanius. »Du magst ihn nicht?« »Es steht mir nicht zu, einen Adepten des Administratums zu kritisieren«, erwiderte Pasanius steif. »Aber er ist anders als jeder Sesselfurzer, der mir je begegnet ist.« Die schwarz gerüstete Gestalt von Kaplan Clausel kam aus dem kleinen Krankenrevier des Dorfs und ging zum Hauptmann der Vierten Kompanie. »Es ist vollbracht, Hauptmann. Seine Seele ist jetzt beim Imperator.« »Meinen Dank, Kaplan.« Clausel verbeugte sich und stellte sich neben die übrigen Männer. »Wie lauten Ihre Befehle, Hauptmann?«, fragte Pasanius.
Uriel warf noch einen Blick zurück auf das Krankenrevier, dann sagte er: »Holen Sie den Jungen, Sergeant. Wir fliegen zu Mortens Weite und werden ihn in Ehren in seiner Heimat begraben.« »Ich kann es immer noch nicht glauben, Kasimir. Eigentlich müsste sie jetzt auf der Straße sitzen und ich im Palast«, schäumte Vendare Taloun. »Die ganzen Jahre der Verhandlung mit den kleinen Kartellen für nichts und wieder nichts. Vergeudet!« Kasimir de Valtos reichte dem anderen Kartellführer ein Kristallglas mit Uskavar und setzte sich ihm in dem holzvertäfelten Salon seines Herrenhauses in den Owsenbergen gegenüber. Taloun nahm das Glas ohne aufzuschauen und starrte weiterhin in das prasselnde Feuer des Marmorkamins. »Sie wird noch früh genug abtreten, Vendare. Sie kann nicht ewig bleiben.« »Das Miststück müsste jetzt abgetreten sein!«, brüllte Taloun, indem er sein Glas ins Feuer warf, wo es in tausend Scherben zersprang. »Der Imperator verdamme ihre Seele. Wir waren so nahe dran. Was ist nötig, um sie loszuwerden? Wir hatten jedes kleine Kartell in der Tasche und auch ohne diesen Schafskopf Abrogas eine klare Mehrheit.« »Wenn sie nicht fallen will, kann man sie auch stoßen«, warf de Valtos ein. »Was reden Sie da? Wir hatten ein klares Wahlergebnis gegen sie, aber dieser verfluchte Barzano hat uns den Teppich unter den Füßen weggezogen. Zur Hölle mit ihm, aber ich hatte ihn für einen geckenhaften Trottel gehalten.« »Der Adept ist kein Problem.« »Wirklich nicht?« »Nein. Sollte er sich als lästig erweisen, können wir uns seiner nach Belieben entledigen.« »Seien Sie kein Narr, Kasimir. Man kann einen Adepten des Imperiums nicht einfach umbringen.« »Warum nicht?« »Ist es Ihnen ernst damit?« »Todernst«, versicherte de Valtos. »Und wer würde ihn eigentlich vermissen? Er ist doch nur einer von Millionen sesselfurzenden Schreibern.« »Dieser Hauptmann der Ultramarines könnte etwas zu seinem
Verschwinden zu sagen haben.« »Machen Sie sich seinetwegen keine Sorgen, mein lieber Taloun.« »Ich bin deswegen immer noch nicht so sicher, Kasimir.« »Ist es schlimmer als das, was wir für das Shonai-Kartell vorgesehen haben? Ihre Panzer warten ebenso in den Bergen wie meine Kanonen, Vendare.« »Das ist etwas anderes, Kasimir. Das tun wir zum Wohle von Pavonis.« De Valtos lachte, ein hohles, krächzendes Geräusch, dem jeglicher Humor fehlte. »Spielen Sie hier nicht den Unschuldigen, Vendare Taloun. Ich weiß zu viel über Ihre Machenschaften. Ihr idiotischer Sohn hat ein loses Mundwerk, und das seiner zukünftigen Frau übertrifft seines noch. Sie klappert damit an den falschen Stellen und vor den falschen Leuten.« Taloun errötete und erhob sich, um sich ein neues Glas Uskavar einzugießen. Seine Hände zitterten, und das Glas klirrte, als er einen ordentlichen Schluck des bernsteinfarbenen Schnapses aus dem Dekanter eingoss. »Was immer Sie zu wissen glauben, ist eine Lüge«, sagte er schließlich. »Ich glaube Ihnen, Vendare«, besänftigte de Valtos, indem er Talouns Rücken angrinste. »Aber es gibt viele Leute, denen es gefallen würde, das Taloun-Kartell und insbesondere Sie fallen zu sehen. Und Sie wissen, wie unbewiesene Behauptungen am Ruf eines Mannes kleben bleiben, auch wenn sie sich später als falsch erweisen. Sehen Sie doch nur, was passiert ist, als Sie das Gerücht über Honan und seine... Affären ausgestreut haben.« »Aber das hat alles gestimmt.« »Zugegeben, aber mein Argument ist deswegen nicht weniger stichhaltig. Es wäre eine Schande, wenn gewisse Behauptungen hinsichtlich des Todes Ihres Bruders an die Öffentlichkeit gelangten. Das wäre das Ende unserer Vereinbarungen, weil ich mich nicht öffentlich mit einem Brudermörder verbünden könnte.« »Also schön, Kasimir. Sie haben Ihren Standpunkt klar gemacht. Was haben Sie also vor?«, fragte Taloun, während er zu seinem Platz zurückkehrte. »Ganz einfach«, erklärte de Valtos. »Wir machen weiter wie geplant.«
Regen fiel in immer stärkeren Sturzbächen, als der schlammbedeckte Thunderhawk im Tiefflug über die Dächer der zerstörten Gemeinde Mortens Weite glitt. Die tosenden Triebwerke wirbelten eine hohe Gischt aus schlammigem Wasser auf, als der Lufttransporter auf dem Marktplatz der Siedlung aufsetzte. Dampf zischte aus den heißen Düsen. Die Landekufen hatten kaum den Boden berührt, als die Triebwerke kehlig röhrten und die gepanzerten Türen auf geölten Schienen zurückglitten. Drei Trupps der Ultramarines stiegen aus und schwärmten durch die Siedlung aus. Zwei rannten zum Rand der Siedlung, während der von Uriel angeführte dritte Trupp zur ausgebrannten Hülle eines Gebäudes eilte, das offensichtlich einmal ein Tempel gewesen war. Uriel schwenkte sein Boltgewehr nach links und rechts. Der Regen schränkte die Sicht dramatisch ein, und sogar die Autosinne seiner Servo-Rüstung hatten Mühe, das Grau zu durchdringen. Er konnte keine Bewegungen oder Lebenszeichen in der Siedlung ausmachen, und seine eigenen Sinne verrieten ihm, dass es an diesem Ort schon seit vielen Wochen nichts Lebendiges mehr gab. »Sektor Primus klar!«, kam ein Ruf über Kommnetz. »Sektor Sekundus klar!« »Sektor Tertius klar!« Uriel senkte die Waffe und schob sie in den Halteclip an seinem Oberschenkel. »Alle Truppsergeanten zu mir. Umkreis weiterhin sichern«, befahl er. Sekunden später hatten sich Uriels Sergeanten Venasus, Dardino und Pasanius, dessen Flammenwerfer im fallenden Regen knisterte, am Fuß der Tempeltreppe versammelt. »Dieses Dorf wird von einem Ende zum anderen und von Haus zu Haus durchsucht. Gehen Sie davon aus, dass das Gebiet in Feindeshand ist, und machen Sie augenblicklich Meldung, wenn Sie etwas finden.« »Was suchen wir denn, Hauptmann? Überlebende oder Opfer?«, fragte Venasus. »Alles, was außergewöhnlich ist. Vielleicht finden wir einen Hinweis darauf, was die Eldar in diesem System überhaupt wollen. Wenn es einen gibt, will ich, dass er gefunden wird.« Uriel zeigte auf die Waffeneinschläge an den geschwärzten
Mauern des Tempels hinter sich. »Hier sind Diener des Imperators gestorben, und ich will wissen warum.« Uriel setzte seinen Helm ab und legte den Kopf in den Nacken, sodass ihm der Regen übers Gesicht lief, dann spie er einen Mund voll Wasser in den Schlamm. Er glättete seine kurzen schwarzen Haare, während er die gesplitterten Überreste der Tempeltür untersuchte und mit der freien Hand über das verbrannte Holz und die Einschlaglöcher von Handfeuerwaffen strich. Er zog sein Kampfmesser und bohrte die Spitze der Waffe in ein kleines Schussloch, um es zu verbreitern. Etwas fiel aus dem Holz in seine Hand, und er hob es hoch und hielt es sich vors Gesicht. In seiner gewölbten Handfläche sammelte sich Regenwasser, aber Uriel konnte dennoch ganz eindeutig einen langen Splitter von einem gezackten violetten Kristall sehen. Von diesen waren Dutzende in der Mauer eingegraben, und ihrer Anordnung konnte Uriel entnehmen, dass sie von einem einzigen Schuss stammten. Aus seinen taktischen Unterweisungen über die Eldar wusste er, dass sie Waffen bevorzugten, die einen Hagel monomolekularer rasiermesserscharfer Metallscheiben abfeuerten. Aber es hatte auch andere Waffen gegeben, die als zu einer dunkleren SubSekte dieser Nichtmenschen gehörig beschrieben worden waren und genau diese Art Munition verschossen. In einigen Texten wurde diese Sub-Sekte als divergente Abspaltung der Eldar-Rasse klassifiziert, aber für Uriel waren sie alle gleich: schändliche Nichtmenschen, die im heiligen Feuer seines Boltgewehrs gereinigt werden mussten. Er schob die Türen zur Seite und betrat den Tempel, während er seine wachsende Wut über die Entweihung unterdrückte. Der Gestank nach verbranntem menschlichen Fett klebte immer noch an den geschwärzten Holzbalken, und Uriel bahnte sich einen Weg zum vorderen Teil des Tempels, wo eine geschwärzte Statue des göttlichen Meisters der Menschheit halb begraben unter einer zerschmetterten Kirchenbank lag. Er zog die Statue darunter hervor und hob sie aus den Trümmern, obwohl sie schwer war. Durch das offene hintere Ende des Tempels schaute er auf einen schlammigen Hügel mit einer Reihe einfacher Grabmarkierungen, die am Fuß in den Boden gehämmert waren. Mit der Statue in den Händen marschierte er aus dem Tempel, wobei er wadentief
im Schlamm versank. Die hohe Anzahl der Gräber reichte schon aus, um Uriel traurig zu machen. Die Leute, die Gedrik gefunden und sich um ihn gekümmert hatten, mussten sie für die Bewohner von Mortens Weite ausgehoben haben. »Pasanius«, rief Uriel über Kommnetz. »Ich bin hinter dem Tempel. Bring mir die Leiche des Jungen aus dem Thunderhawk. Er sollte hier bei seinen Leuten begraben werden.« »Positiv«, zischte die Stimme des Sergeanten. Uriel stellte die gerettete Statue vor sich ab und wartete Pasanius' Ankunft stumm im Regen ab. Sergeant Pasanius marschierte langsam und mit der in Verbänden gehüllten Leiche Gedriks auf den Armen um den Tempel. Der grüne Plaid von Caernus IV war um seine Hüften gewickelt, sein Schwert lag auf seiner Brust. Eine Ehrengarde aus Ultramarines folgte dem riesigen Sergeanten, als er sich dem Massengrab näherte. Uriel nickte seinem Freund zu und wandte sich an die Krieger, die hinter ihm standen. »Sucht ein Grab, das den Namen Maeren trägt. Wir werden ihn bei seiner Frau beerdigen.« Die Ultramarines schwärmten im Regen aus, lasen die Namen auf den Holzkreuzen und fanden nach einigen Minuten der Suche das Grab von Gedriks Frau und Kind. Eine Ehrengarde hob die schlammige Erde aus, bis der Leichnam des jungen Mannes schließlich in seiner Heimaterde zur Ruhe gebettet wurde. Uriel marschierte durch die Gräber dorthin, wo der Boden langsam anstieg, da er die Absicht hatte, die Statue des Imperators in die weiche Erde zu rammen, auf dass sie über Seine verblichene Herde wachen mochte. Er hob die Statue hoch über den Kopf und rammte sie in die Erde, und ein dumpfes, vom Schlamm gedämpftes Klirren von Stein auf Metall ertönte. Uriel zog die Statue wieder heraus und legte sie beiseite, dann ließ er sich auf die Knie sinken und kratzte im Schlamm zu seinen Füßen herum. In einer Tiefe von vielleicht einem halben Meter wechselte der Boden von weichem, klebrigem Lehm zu nassem, schuppigem Metall. Er räumte noch mehr von dem Lehm weg und legte eine rostige Metallplatte frei. »Sergeant!«, rief er. »Kommen Sie hierher und bringen Sie Ihren Trupp mit. Ich glaube, wir haben den Metallhügel gefunden,
von dem dieser Junge geredet hat.« Eine halbe Stunde später hatten die Ultramarines eine größere Fläche des Hügels von der Erdkruste befreit, und Uriel war verblüfft über die Ausmaße dessen, was sich darunter befand. Eine Schicht aus verrostetem Metall lag unter dem Lehm, und seine durchsichtigen Tiefen waren mit denselben bösen braunen Ranken durchsetzt wie Gedriks Schwert. »Guillaumes Blut!«, fluchte Dardino, als das Metall freilag. »Was ist das?« »Ich habe keine Ahnung«, antwortete Uriel. »Doch was es auch ist, die Eldar waren offenbar der Ansicht, dass es sich lohnt, dafür zu sterben.« Uriel und Pasanius erklommen den Hang zu einer dreieckigen Vertiefung in der Mitte der ansonsten ebenen Oberfläche. Metall zerbröselte unter ihren Panzerstiefeln, und jeder Schritt war von einem kreischenden Ächzen begleitet. Der Rost lief am Mittelpunkt zusammen, und Uriel wusste, dass bald nichts mehr übrig sein würde. Er und Pasanius kauerten vor der Vertiefung im Metall nieder. Das Innere der Vertiefung war mit Buchsen und hängenden Kabeln übersät, die in die Tiefen des Metalls reichten. Der genaue Zweck dieser Nische war ein Rätsel, aber sie hatte offenbar etwas annähernd Zylinderförmiges enthalten, das entfernt worden war. Hatte dies zum Absterben des Metalls geführt? Uralte Schriftzeichen umgaben die Nische, und Uriel zog die Umrisse der seltsamen, fremdartigen Buchstaben mit dem Finger nach. »Kannst du das lesen?«, fragte Pasanius. »Nein, und das würde ich auch gar nicht wollen. Diese Sigillen sind offenbar nichtmenschlichen Ursprungs, und ihr blasphemischer Sinn bleibt uns besser verborgen. Aber wir sollten sie für jene aufzeichnen, deren Aufgabe es ist, solche Geheimnisse zu enträtseln.« Uriel wischte sich verrostetes Metall und Schlamm von seiner Rüstung. »Nimm eine Probe davon, die wir mit auf die Vae Victus nehmen. Vielleicht können die Techs diese Substanz identifizieren und die Schrift entziffern.« Uriel nahm eine Hand voll Lehm und Metall und ließ den Schlamm langsam von seinen Fingern tropfen. »Das gefällt mir nicht, Pasanius. Wenn Xenos anfangen, sich untypisch zu verhal-
ten, mache ich mir Sorgen.« »Wie meinst du das? Untypisch?« »Na, sieh dich doch um. Alle liegen unter der Erde, vielleicht zweihundert Leute, jedenfalls genug, um eine Siedlung dieser Größe zu bevölkern. Richtig?« »Richtig.« »Und ihr habt euch die Häuserruinen angesehen. Ist irgendwas mitgenommen worden?« »Schwer zu sagen, aber ich glaube nicht. Es sieht so aus, als sei alles niedergebrannt und nicht geplündert worden.« »Was ich sage! Warum haben sie keine Gefangenen gemacht? Hast du je gehört, dass Eldar-Piraten Leute zurücklassen, wenn sie sie auch zu Folter und Sklaverei verschleppen können? Nein, diese Eldar sind nur aus einem einzigen Grund hierher gekommen - wegen dieses Dings, das in dem Metall war.« »Und was, glaubst du, war das? Irgendeine Waffe? Vielleicht etwas mit einer heiligen Bedeutung für sie?« »Genau das bereitet mir Sorgen, alter Freund. Ich weiß es nicht und kann es mir nicht einmal im Entferntesten vorstellen. Aber ich glaube allmählich, dass wir es hier mit mehr zu tun haben als nur einem einfachen Fall von nichtmenschlicher Piraterie.« Sie kehrten zum Fuß des Hügels zurück und marschierten zum Marktplatz der zerstörten Siedlung. Regen prasselte in Sturzbächen vom Himmel, und Uriel begrüßte ihn, da sein kalter Biss seine Haut vom bösen Gefühl reinigte, das ihn auf dem Hügel überkommen hatte. Ein Mosaikstein lag vor ihm, doch konnte er seine Bedeutung nicht ergründen. Offensichtlich hatten die Eldar einen guten Grund, die Vergeltung des Imperiums herauszufordern, indem sie eine der Welten des Imperators angriffen, denn er wusste, dass diese Nichtmenschen ohne guten Grund niemals so gehandelt hätten. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, unterbrach ihn ein Knistern der Kommnetz-Verbindung zur Vae Victus, und Uriel hörte die aufgeregte Stimme von Lordadmiral Tiberius. »Hauptmann Ventris, sofort ins Schiff zurückkehren. Wiederhole, sofort ins Schiff zurückkehren.« »Lordadmiral, was ist los? Ist etwas passiert?« »Das kann man wohl sagen! Ich habe gerade eine Meldung erhalten, dass Schiffe der Systemabwehr vor etwa zwei Stunden in
der Gegend des achten Planeten auf ein Schiff mit anormaler Antriebssignatur gestoßen sind und es unter Beschuss genommen haben.« »Dann hat offenbar jemand auf unsere Warnung gehört. Haben sie das fremde Schiff vernichtet?« »Nein, ich glaube nicht, dass sie es tatsächlich getroffen haben, aber sie haben es in unsere Richtung getrieben. Wir liegen fast direkt auf seiner Flugbahn, Hauptmann. Das fremde Schiff kann nicht wissen, dass wir hier sind. Wir können für diese Bastarde selbst einen Hinterhalt legen.« Uriel lächelte, da er die Vorfreude des Admirals trotz der Verzerrung des Kommnetzes aus seiner Stimme heraushörte. »Wann können Sie wieder hier oben sein, Uriel?« »Wir sind in weniger als einer Minute startklar, Lordadmiral. Übermitteln Sie die Divinator-Daten dem Flug-Cogitator des Thunderhawk.« »Beeilen Sie sich, Uriel. Sie sind schnell, und eine zweite Gelegenheit bekommen wir vielleicht nicht.« »Wir sehen uns in Kürze. Ventris Ende.« Uriel setzte seinen Helm auf und wandte sich an seine Krieger. »Der Feind, gegen den wir bereits gekämpft haben, nähert sich unserer Position, und wir bekommen Gelegenheit, jene zu rächen, die seinem heimtückischen Angriff zum Opfer gefallen sind. Die Ehre gebietet, dass wir diese Herausforderung annehmen.« Uriel zog sein Energieschwert und rief: »Seid ihr bereit für den Kampf?« Wie ein Mann brüllten die Krieger der Vierten Kompanie ihr Ja heraus. Ario Barzano lag auf seinem Bett und nippte an einem Glas Uskavar, während er einen Stapel Papiere durchsah, den ihm ein grimmig dreinblickender Sergeant Learchus in seine Gemächer gebracht hatte. Barzano hatte den vollen Zorn des Sergeants über sich ergehen lassen müssen, als er und Jenna Sharben nach ihrer Exkursion ins Manufakturenviertel der Stadt in die Palastgemächer zurückgekehrt waren. Die beiden hatten ein paar Bierhallen und Alehäuser besucht, dort jedoch nicht viel mehr als die Tatsache in Erfahrung gebracht, dass es Gerüchte bezüglich einer geplanten Massendemonstration gab. Das meiste Gerede hatte darauf abgezielt, die
planetaren Herrscher zu verspotten und sich über das allgemein erbärmliche Los der Arbeiter auszulassen. Nach drei fruchtlosen Stunden hatten sie beschlossen, es dabei bewenden zu lassen und in den Palast zurückzukehren. Die Lage auf Pavonis war in vielerlei Hinsicht ernster, als er sich vorgestellt hatte. Hier ging es um mehr als simple Piraterie und Unruhe in der Bevölkerung. Er legte die Papiere beiseite, schwang die Beine auf den Boden, rieb sich den Nasenrücken und seufzte tief. Er stemmte sich hoch und ging zum Tisch, wo eine Karte des Systems über den Resten seines Abendessens ausgebreitet lag. Im Hintergrund konnte er das beharrliche Kratzen von Federn und die leisen Gebete seines Gefolges von Schreibern hören. Lortuen Perjed war bei ihnen, lenkte ihre Nachforschungen und verglich ihr Geschreibsel, und Barzano spürte, wie seine Lippen sich zu einem Lächeln kräuselten, als er an den alten Mann dachte. Er war ihm in diesen letzten Wochen eine unentwegte Stütze gewesen, und Barzano glaubte nicht, dass er ohne seine Hilfe so weit gekommen wäre. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Karte und stellte sein Glas auf eine halb aufgerollte Ecke. Eine Linie aus blauer Tinte zeichnete den Kurs der Vae Victus nach, und Barzano fragte sich, ob dieses eine Schiff reichen würde. Er verdrängte den Gedanken sehr rasch. Wenn sie den Bringer der Dunkelheit nicht an der Rückkehr hindern konnten, würde nicht einmal die gesamte Schlachtflotte des Ultima Segmentum etwas ausrichten können. Die Aussicht deprimierte ihn, und er füllte sein Glas erneut. »Sollten Sie damit nicht etwas vorsichtiger umgehen?«, fragte Lortuen Perjed, der gerade aus dem Schatten auftauchte. »Er ist ziemlich stark, müssen Sie wissen.« »Ich weiß, aber er ist auch ziemlich gut«, erwiderte Barzano, indem er ein weiteres Glas einschenkte. Perjed nahm das Glas und setzte sich auf die Bettkante. Er nippte, und seine Augen weiteten sich ob des Alkoholgehalts. »Ja, sehr stark«, bestätigte er und nahm einen neuerlichen Schluck. Barzano ließ sich auf den Stuhl vor seinem Anzeigenterminal sinken und nahm sein Glas von der Karte. »Und was machen Sie noch so spät auf, Lortuen?« Der alte Adept zuckte die Achseln. »Im Moment gibt es sonst nicht viel zu tun.«
»Wohl wahr«, stimmte Barzano zu. »Ich mag die Warterei nicht.« »Früher haben Sie sie genossen. Zu warten, bis das Wild einen Fehler macht und Ihnen direkt in die Hände spielt.« »Habe ich das? Ich kann mich nicht mehr erinnern.« »Ja, in den alten Zeit waren Sie ganz der geduldige Jäger.« »In den alten Zeiten«, schnaubte Barzano. »Wie lange sind die her?« »Oh, einige Jahrzehnte.« »Seitdem hat sich viel verändert, Lortuen. Ich bin nicht mehr derselbe wie damals.« »Meine Güte, Sie sind heute Abend aber griesgrämiger Stimmung, Ario. Hat nicht der heilige Josmane gesagt, man solle sich an jeder Tätigkeit erfreuen, die im Dienst des Imperators vollbracht wird?« »Ja, aber ich wette, er musste nie das tun, was wir tun müssen.« »Nein«, räumte Perjed ein, »aber dafür war er ein Märtyrer und ist zu Tode gekommen. Der Imperator gebe seiner heiligen Seele den Frieden.« »Das stimmt«, lachte Barzano, »ein Schicksal, das ich mit Freuden vermeide, wenn ich kann.« »Das gilt auch für mich«, stimmte Perjed zu und hob sein Glas. Barzano rieb sich mit dem Handballen die Schläfen und schloss die Augen. Er griff über den Schreibtisch und nahm eine kleine Glasphiole mit weißen Kapseln. »Sind die Kopfschmerzen schlimm?« Barzano nickte ohne zu antworten und schluckte zwei der Kapseln mit einem Mund voll Uskavar. Er schüttelte den Kopf und streckte ob ihres widerlichen Geschmacks die Zunge heraus. »Sie sind schlimmer denn je. Ich habe sie seit der Landung, als drücke etwas Riesiges, das älter ist als die Zeit, von allen Seiten gegen meinen Schädel.« »Dann sollten Sie sich vielleicht mit dem Uskavar vorsehen. Der kann sicher nicht helfen.« »Ganz im Gegenteil, alter Freund, er ist das Einzige, was hilft. Alles im Alkoholdunst auszulöschen, ist eine der wenigen Freuden, die mir noch geblieben sind.« »Nein, das ist nicht der Ario Barzano, dem ich dreißig Jahre lang gedient habe.«
»Und wer soll das sein? Ich weiß es nämlich nicht mehr. Der Adept? Der Verbrecher von einer Makropolwelt? Der Höfling? Der Freihändler? Wer ist dieser Ario Barzano, dem Sie all die Jahre gedient haben?« »Der Diener des Imperators, der nicht auch nur ein Mal in Ausübung seiner Pflicht gezögert hat. Vielleicht können Sie sich nicht mehr erinnern, wer Sie sind, aber ich kann es noch, und es schmerzt mich, mit anzusehen, dass Sie sich das antun.« Barzano nickte und stellte sein Glas mit übertriebener Sorgfalt ab. »Es tut mir Leid, mein Freund. Natürlich haben Sie Recht. Je eher wir hier fertig sind, desto besser.« »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Ario. Ich habe vielen Herren gedient, und fast alle waren härtere Fälle als Sie. Aber um das Thema zu wechseln, gibt es Neues von der Vae Victus und Hauptmann Ventris?« »Nicht seit ihrer Ankunft auf Caernus IV, nein.« »Halten Sie sie für fähig, die Eldar aufzuhalten?« »Ich glaube, wenn es jemand kann, dann Uriel. Ich halte ihn nicht für einen Mann, der leicht aufgibt. Wissen Sie, dass er ein Protege von Hauptmann Idaeus war?« »Ja, ich erinnere mich, den Bericht über Thracia gelesen zu haben. Haben Sie ihn deshalb ausgewählt?« »Zum Teil, aber er muss etwas beweisen, und das ist die Sorte Mann, die ich an meiner Seite haben will, wenn es ums Ganze geht.« »Und Sie hoffen, dass etwas von Idaeus' unkonventioneller Denkweise auf Uriel abgefärbt hat?« »Hoffen?«, lachte Barzano. »Mein lieber Lortuen, ich verlasse mich darauf.« Uriel beobachtete die Echos, die den Standort des sich nähernden Eldar-Schiffs und der Vae Victus auf der Augurenleiste des Thunderhawk markierten, und die geisterhaft grünen Linien, welche ihre Flugvektoren verbanden. Es würde knapp werden. Das Eldar-Schiff näherte sich mit hoher Geschwindigkeit, und sie mussten noch zurück zur Vae Victus, um aufzutanken. Die Frage lautete: Blieb ihnen noch die Zeit? Er zeigte auf die leuchtende Leiste und sagte: »Wie lange noch, bis wir die Vae Victus erreichen?«
Der Pilot betrachtete die Augurenleiste. »Sechsundzwanzig Minuten, Hauptmann.« Sechsundzwanzig Minuten. Hinzu kamen weitere fünfzehn für das Auftanken, acht, wenn sie heiß nachtankten, also mit laufenden Triebwerken im Hangar. Der Codex Astartes verbat derart gefährliche Vorgehensweisen ausdrücklich, aber Zeit war hier von entscheidender Bedeutung, und er konnte es sich nicht leisten, sie zu vergeuden. Aber andererseits hatte die Victus nur diesen einen flugtüchtigen Thunderhawk an Bord, und wenn er im Hangar explodierte... »Können wir das Eldarschiff erreichen ohne aufzutanken?« »Nein, Hauptmann.« Uriel fluchte. Es war unwahrscheinlich, dass sie noch eine Gelegenheit wie diese bekamen, aber die Entfernung und die logistische Notwendigkeit legte ihnen Fesseln an. Vielleicht konnten die Eldar dazu gebracht werden, in ihre Richtung beizudrehen. »Schnell, stellen Sie mich zum Lordadmiral durch!« Der Kopilot öffnete einen Kanal zur Vae Victus. »Admiral, hier spricht Hauptmann Ventris. Ich glaube nicht, dass uns die Zeit bleibt, Sie anzufliegen und nachzutanken, bevor die Eldar außer Reichweite sind.« »Was reden Sie da?«, donnerte die Stimme von Lordadmiral Tiberius von der Kommandobrücke. »Sie müssen auftanken, Sie haben nicht genug Treibstoff, die Eldar zu erreichen, wenn Sie es nicht tun.« »Das weiß ich, Admiral, aber wenn wir zur Vae Victus zurückkehren, verpassen wir die Gelegenheit, den Kampf zu ihnen auf ihr eigenes Schiff zu tragen. Sie können uns abholen, wenn wir fertig sind.« Im Kommnetz knisterte es, während Tiberius über Uriels Vorschlag nachdachte. Der Tonfall des Admirals war zurückhaltend, als er schließlich antwortete. »Ich halte das nicht für klug, Hauptmann Ventris. Vielleicht haben Sie Recht, aber es widerspricht allem, was im Codex Astartes über Schiffsoperationen steht.« »Das weiß ich, aber es ist unsere beste Gelegenheit, sie unschädlich zu machen. Wenn wir auf die Brücke gelangen, können wir ernsthaften Schaden anrichten. Wenn Sie die Eldar mit gut gezieltem Batteriefeuer in unsere Richtung treiben können, errei-
chen wir sie eben doch und können versuchen, ihr Schiff zu entern.« »Also gut, Hauptmann Ventris, aber ich werde in meinem Logbuch vermerken, dass ich Ihre eklatante Missachtung der Worte des Gesegneten Primarchen missbillige.« »Das ist Ihr gutes Recht und Ihr Privileg, Admiral, aber darüber können wir zu einem späteren Zeitpunkt diskutieren. Der Feind naht.« Archon Kesharq hielt seine Axt in der Armbeuge, deren Klinge klebrig vom Blut des für die Wartung der Holofelder verantwortlichen Deckoffiziers war, und knirschte voller Vorfreude mit den Zähnen. Der Überfall auf den letzten Ort, den der Kyerzak bezeichnet hatte, war lächerlich einfach gewesen. Die dummen Affen hatten sich seiner Gnade ausgeliefert und nicht begriffen, dass er keine walten ließ. Er hatte ihnen die Seele schreiend aus dem Leib gerissen und das gestohlen, was sie aus dem Asteroiden entfernt hatten. Es war bedauerlich, dass einige der ungeschlachten Schiffe der Affen so nahe gewesen waren, aber Kesharq hatte sich keine Sorgen gemacht. Sie waren der Sturmreiter nicht gewachsen, und er hatte arroganterweise einen Kurs direkt durch sie gesteuert, da er darauf vertraute, dass seine Holofelder ihre primitiven Waffen verblüffen würden. Und das hatten sie auch, bis bei ihrem Schusswechsel mit dem Schiff der Astartes erlittener Schaden zum Ausfall der Holofelder geführt hatte. Er wusste, dass er hätte bleiben und kämpfen können. Die Sturmreiter konnte diese Schiffe mit Leichtigkeit besiegen, aber sie hatten jetzt das letzte Stück des Schlüssels, und sein Wert war bedeutend größer als einige Augenblicke hohlen Ruhms. Das für den Ausfall der Holofelder verantwortliche Besatzungsmitglied war hingerichtet worden, und dessen Ersatz war in diesen Augenblicken mit ihrer Reparatur beschäftigt. Als er an die Trophäe in seinem Laderaum dachte, stellte Kesharq sich Asdrubael Vect vor, wie er weinte und um sein Leben flehte, bevor er ihn vernichtete. Er konnte seine Rache an Vect in dem Blut schmecken, das seine Zähne bedeckte, und wusste, dass dies die kritischste Phase war. Der Kyerzak würde versuchen, ihm seine Trophäe zu rauben, aber er existierte überhaupt nur noch, weil Kesharq dem Chirur-
gen gestattete, seine Kunst an ihm zu praktizieren. Kesharq wusste, dass dies allein als Drohung ihn nicht am Versuch hindern würde. Er wusste, dass der Elektro-Priester des Kyerzak, den sie an Bord hatten, bereits mehrere Versuche unternommen hatte, ein Gegenmittel für das Gift zu destillieren, das den Körper seines Gebieters täglich heimsuchte. Kesharq wusste auch, dass ihm das nicht gelingen würde. Einstmals war der Chirurg einer der besten Giftmischer der Kabale gewesen und seine tödlichen Kreationen der Fluch am Esstisch jeden Archons. Nein, der Kyerzak würde keinen Erfolg haben, und bald würde er dem Chirurgen gestatten, die jämmerliche Gestalt im Laufe der nächsten Monate zu Tode zu foltern. Er schaute auf den Sichtschirm und überschlug im Geiste, wie lange es noch dauern würde, bis sie Pavonis erreichten. Nicht mehr lange. Gar nicht mehr lange. »Haben Sie ihn, Philotas?«, flüsterte Lordadmiral Tiberius, als könnte ein lautes Wort das Feindschiff in der Mitte ihres Sichtschirms auf sie aufmerksam machen. »Ja, Lordadmiral, das gegnerische Schiff scheint seine Störschirme nicht hochgefahren zu haben. Die Batterien der Breitseite werden gerade auf das Feindschiff ausgerichtet.« »Ausgezeichnet.« Tiberius trommelte mit den Fingern auf die Holzvertäfelung seiner Kanzel und nagte an seiner Unterlippe. Ihm gefiel Uriels Methode der Kriegführung nicht. Sie entbehrte zwar nicht einer gewissen Logik, verstieß aber gegen alles, was er in Jahrhunderten des Raumkampfs gelernt hatte. Was der Gesegnete Guillaume im heiligen Buch, dem Codex Astartes, niedergelegt hatte, lief darauf hinaus, dass man mit allen verfügbaren Schiffen in die Schlacht ziehen und kein Schiff einen Enterversuch unternehmen sollte, bevor nicht die Nahkampfbatterien des Gegners ausgeschaltet waren. Es gefiel ihm nicht, aber ihm war auch klar, dass Uriel Recht hatte. Eine Rückkehr zur Vae Victus war gleichbedeutend damit, sich ihre beste Gelegenheit zur Vernichtung des Feindschiffs entgehen zu lassen. Einen Angriff auf die feindliche Brücke zu unternehmen, war der Traum jeder Entermannschaft, und im Erfolgsfall verhieß das Gefangennahme oder Tod des feindlichen Kapi-
täns. Es gefiel ihm nicht, aber er würde mitspielen. »Die Leitstellen der Batterien melden, dass sie Kontakt mit dem Feindschiff haben und es in Reichweite ist.« Auf diese Entfernung auf ein feindliches Schiff zu schießen, würde sehr wahrscheinlich kaum zu Treffern führen, aber das sah ihr Plan auch gar nicht vor. Falls er noch länger wartete, würde das Feindschiff sie sehr wahrscheinlich entdecken und Ausweichkurs steuern. Er brauchte dem feindlichen Kapitän nur einen ordentlichen Schreck einzujagen und ihn Uriels Thunderhawk zuzutreiben, dessen Triebwerksemissionen durch die Nähe der Planetenatmosphäre getarnt wurden. »Auf meinen Befehl Feuer eröffnen. Danach volle Kraft zurück und Steuerbord-Steuerdüsen zünden. Ich will den Eldar über die Polargegend und Hauptmann Vetris in die Arme jagen.« »Jawohl, Lordadmiral.« Uriel blinzelte durch das Dach der Pilotenkanzel, konnte aber kaum etwas anderes sehen als die flammenden Entladungen der Planetenatmosphäre, die über den Rumpf des Thunderhawk zuckten. Der Datenstrom von der Vae Victus verriet ihnen die Position des Eldar-Schiffs, und wenn es nur noch ein wenig näher kam, hatten sie es. Tech-Marine Harkus stimmte den Gesang der Loslösung für den Enterkorridor und die Sprengladungen an, welche die erforderliche Bresche in den Rumpf des Feindschiffs sprengen würden. Kaplan Clausel betete für die Ultramarines und segnete die Waffen jedes Kriegers. Uriel hatte an jeden ein Kettenschwert ausgeben lassen in dem Wissen, dass es einen blutigen Nahkampf geben würde. Er gesellte sich zu seinen Männern und zog sein Energieschwert, während er sich verbeugte, um den Segen des Kaplans in Empfang zu nehmen. »Erhabener Archon! Ich entdecke einen Energieaufbau dreihunderttausend Kilometer genau vor uns!« Kesharq eilte zu dem Krieger, der gesprochen hatte, und starrte entsetzt auf die Sensor-Echos. Die Energiesignatur war unverkennbar. Ein Feindschiff baute Energie in den Waffenbatterien auf und bereitete sich auf eine Salve vor.
»Hart Backbord, im Tiefflug über den Planeten. Wir hängen sie in der Atmosphäre ab!« »Breitseitenbatterien, Feuer eröffnen!«, befahl Tiberius. »Volle Kraft zurück und nach Backbord beidrehen!« Das riesige Schiff erbebte, als die gesamte Backbord-Breitseite auf das Eldar-Schiff feuerte. Tiberius umklammerte den Rand der Kanzel, als das mächtige Kriegsschiff sich seinem Gegner zuwandte, um die Bugkanonen zum Einsatz zu bringen. Vielleicht kämpften sie nicht nach Vorschrift, aber, beim Imperator, sie würden zumindest mit ihren schwersten Waffen kämpfen. Jede Breitseiten-Batterie schleuderte ihrem Ziel hausgroße Sprenggranaten entgegen. Doch auf diese extreme Entfernung flogen die meisten weit am Ziel vorbei und detonierten hunderte Kilometer von der Sturmreiter entfernt. Manche Granaten explodierten ganz nah, verursachten aber keinen Schaden, da sie Rumpf und Hauptsegel lediglich mit umherwirbelnden Splittern eindeckten. Das Schiff änderte flink den Kurs. Sein spitznasiger Bug schwenkte nach links und tauchte steil in die Atmosphäre des Planeten ein. Mehr Schüsse wurden abgefeuert, und eine gigantische Explosion erblühte über dem Schiff, als die Bugkanonen des Schlachtkreuzers das Feuer eröffneten. Die Sturmreiter war ein Obsidianpfeil, der durch die Atmosphäre von Caernus IV schnitt, da sie mit ihrer überlegenen Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit rasch Distanz zwischen sich und die feindlichen Kanonen legte. Die Vae Victus versuchte sich ihren Manövern anzupassen und der Sturmreiter zu folgen, aber sie war nicht annähernd so flink wie ihr Jagdwild. Das Eldarschiff wurde langsamer, als es sich von Caernus IV entfernte. An dieser Stelle war ein Schiff praktisch blind, da seine Sensoren sich nach der feurigen Reise durch die obersten Schichten der Atmosphäre erst wieder neu kalibrieren mussten. Als die Sturmreiter die Atmosphäre verließ, zuckte ein blauer Streifen aufwärts und setzte sich hinter die hohen Segel des eleganten Schiffs. Die durchschlagskräftigen Kanonen des Tunderhawk beharkten das Heck des Schiffs und sprengten mit Klingen
besetzte Flossen und mit Stacheln bewehrte Haken weg. Bevor das Eldar-Schiff reagieren konnte, schoss der Thunderhawk direkt auf seine geschwungene Oberseite herab. Bohrklammern aus dem Bauch des Thunderhawk gruben sich in den Phantomknochenrumpf der Sturmreiter und zogen das leichtere Schiff mit hartem Ruck auf das Eldar-Schiff. Tech-Marine Harkus löste den Feuermechanismus des EnterKorridors aus. »Feuer im Loch!«, schrie er, während er die Sprengladungen an seinem Ende zur Detonation brachte. Selbst durch die gepanzerten Deckplatten des Thunderhawk spürte Uriel noch die gewaltige Explosion. Er drehte das Verschluss-Handrad und zog die runde Luke auf, die in den Korridor und zur Bresche im Rumpf des Eldar-Schiffs führte. Tempo war jetzt entscheidend. Sie mussten schnell und hart zuschlagen. »Ultramarines! Folgt mir!«, brüllte er und stürzte sich in den Enter-Korridor. Uriel schlug auf das Deck des Feindschiffs und rollte sich zur Seite, da hinter ihm bereits der nächste Ultramarine landete. Er sprang auf und zog Energieschwert und Boltpistole in einer einzigen fließenden Bewegung. Er schwenkte die Pistole in dem Raum hin und her, während er seine Umgebung begutachtete, einen Raum mit niedriger Decke, in dem runde Behälter gestapelt waren. Mit dem Daumen drückte er auf die Aktivierungsrune im Knauf seines Schwerts, und plötzlich umspielte unheimliches Feuer die Klinge, gerade als zwei rot gerüstete Krieger durch ein ovales Schott stürmten. Ihre Rüstung war glatt und glänzend und mit funkelnden Klingen geschmückt, und sie trugen lange Flinten mit gezackten Bajonetten. »Mut und Ehre!«, schrie Uriel und warf sich auf die EldarKrieger. Er hieb dem ersten Eldar sein Energieschwert auf das Schlüsselbein und spaltete ihn vom Hals bis zum Schritt. Der andere Eldar stach mit seinem Bajonett zu, und Uriel wirbelte mit einer Seitwärtsdrehung an seiner Deckung vorbei. Er rammte dem Angreifer seinen Ellbogen ins Gesicht, pulverisierte das Helmvisier und brach ihm das Genick. Er warf einen Blick zurück, da nun immer mehr Ultramarines
durch die Bresche drangen. Pasanius war da, dessen Flammenwerfer toste und bereit war, die Feinde des Imperators einzuäschern. Uriel hob sein Energieschwert und brüllte: »Zur Brücke!« Er rannte durch das Schott und fand sich in einem schmalen, schattigen Korridor mit glatten Wänden wieder, die sich nach oben verjüngten. Ein seltsames, wahrhaft nichtmenschliches Aroma erfüllte seine Sinne, doch er konnte es nicht identifizieren. Zwei gewundene Gänge standen zur Wahl, deren Ende nicht zu sehen war. Uriel wählte den linken und stürmte ihn entlang. Er rief: »Pasanius zu mir! Dardino und Venasus nehmen den rechten Korridor.« Uriel hörte Schritte von vorn und sah Dutzende gerüstete Krieger heranstürmen, um ihn abzufangen. Sie trugen dieselben Bajonettflinten, und Uriel konnte auch eine Reihe größerer, gefährlicherer Waffen in ihren Reihen ausmachen. Pasanius hob seinen Flammenwerfer und rief: »Auf den Boden!« Uriel warf sich hin und hörte das Tosen ultrahoch erhitzten Promethiums, das durch den Korridor wallte. Nichtmenschliche Schreie wurden von den glasartigen Wänden zurückgeworfen, als die flüssigen Flammen ihre Leiber in der Rüstung brieten und ihnen das Fleisch von den Knochen sengten. Uriel stürmte vorwärts, sprang über die brennenden Leichen und fuhr zwischen die Piraten. Sein Schwert hieb nach rechts und links, und wo es traf, starben Eldar. Mit wildem Gebrüll folgten die Ultramarines ihrem Hauptmann und taten es ihm nach. Kreischende Kettensägenklingen durchtrennten mühelos die flexiblen Panzerplatten und das Fleisch der Nichtmenschen. Kaplan Clausel bellte das Hohelied des Glaubens, während er mit seinem tödlichen Crozius Arcanum auf die Feinde eindrosch. Uriel spürte, wie ein Splittergeschoss aus nächster Nähe gegen seinen Arm prallte. Er beachtete den Treffer gar nicht, der von seiner Rüstung absorbiert wurde. Ein weiteres Geschoss prallte gegen seinen Helm, und er fuhr knurrend herum und enthauptete seinen Angreifer. Der letzte Eldar starb. Der Korridor hatte sich in ein stinkendes Schlachthaus verwandelt. Keiner der Ultramarines war gefallen, obwohl mehrere aus oberflächlichen Wunden bluteten. Pasanius gab kurze Flammenstöße
in den Teil des Korridors jenseits der Biegung ab, um einen etwaigen Gegenangriff zu verhindern. Uriel nahm über Kommnetz Verbindung mit seinen anderen Trupps auf. »Dardino, Venasus. Wie sieht es bei euch aus?« Venasus antwortete zuerst mit steter und beherrschter Stimme, obwohl der Lärm einer wilden Schlacht ringsum zu hören war. »Starker Widerstand, Hauptmann. Wir sind anscheinend auf eine größere Abwehrstellung gestoßen. Dardino versucht den Nichtmenschen in den Rücken zu fallen. Ich schätze, dass es noch sechs Minuten dauern wird, bis wir sie überwältigt haben.« »Seht zu, dass ihr es in vier schafft! Ventris Ende.« Schüsse schlugen den Ultramarines entgegen, prallten von den Wänden ab und deckten sie mit einem Hagel sirrender Splitter ein. Dieselben Splitter, wie Uriel sie aus der Tempelwand auf Caernus IV gegraben hatte. Pasanius war am Boden, in seinem Schulterschutz qualmte ein dunkles Loch. Uriel konnte die Flüche des Sergeanten über das Kommnetz hören, als der massige Mann sich von der Biegung im Tunnel wegwälzte, dabei aber keinen Augenblick den Flammenwerfer losließ. Uriel hörte, wie mehr Nichtmenschen kamen, um sie aufzuhalten, und ließ mit einem doppelten Daumendruck zwei Sprenggranaten aus dem Gürtelspender in seine geöffnete Hand fallen. Das gegnerische Feuer wurde stärker, und Uriel wusste, dass sie nachsetzen mussten, wenn ihr Angriff nicht zum Erliegen kommen sollte, noch bevor er richtig begonnen hatte. Er wälzte sich um die Ecke und gab zwei Schüsse aus seiner Boltpistole ab. Das Donnern der Boltmunition war beruhigend laut verglichen mit den Waffen der Eldar. Zwei von ihnen fielen mit von den massereaktiven Patronen zerfetztem Brustkorb, da Uriel beide Granaten durch den Korridor rollte. Er gab noch zwei Schüsse ab, bevor er wieder in Deckung hechtete, da die Granaten gleichzeitig explodierten und Leiber durch die Luft geschleudert wurden. Uriel sprang auf und zog Pasanius hoch. »Bist du bereit, alter Freund?« »Mehr denn je, Hauptmann«, versicherte Pasanius, indem er den Flammenwerfer fester umklammerte. Uriel nickte und wirbelte um die Biegung, die Boltpistole aus-
gestreckt. »Für den Imperator!« Die Ultramarines folgten Uriel zu einer roten Tür, in die komplizierte Muster aus gewundenen Zacken und Klingen geprägt waren. Schon aus der Entfernung sah er, dass sie schwer gepanzert war. Quergänge bildeten eine Kreuzung im Korridor, und Uriel konnte Kampflärm von anderer Stelle im Schiff hören. Rot gerüstete Gestalten rannten parallele Korridore entlang, und er gab lautstark Befehl, nach hinten zu sichern. Bei so vielen Quergängen bestand eine sehr realistische Möglichkeit, überflügelt und umzingelt zu werden. Er prallte gegen die Tür und sprengte sie aus dem Rahmen. Uriel stürmte durch die Tür, dicht gefolgt von kampfeslüsternen Ultramarines. Sie befanden sich in einem weiten Kuppelraum mit hoher Decke, und Uriel grinste in wölfischer Vorfreude, als ihm aufging, dass sie endlich auf der Kommandobrücke angelangt sein mussten. Ein verzierter Sichtschirm beherrschte die Wand gegenüber und wurde von breiten, Hangarartigen Toren flankiert. Eisentische mit Haltegeschirren aus schwarzem Leder standen in einer Reihe neben Gestellen mit Grauen erregenden Waffen mit vielen Klingen. In der Mitte der Kammer stand auf einem erhöhten Kommandopodium ein hoch gewachsener, schlanker Eldar in einer kunstvoll gefertigten Rüstung, die denen seiner Krieger ähnelte, aber eine dunkle jadegrüne Farbe hatte. Er trug keinen Helm, und seine violetten, mit weißen Strähnen durchsetzten Haare fielen ihm auf die Schultern wie Schnee. Seine Haut war eine leblose Maske bar jeden Ausdrucks, und über seine Lippe rann ein dünner Blutfaden. Er trug eine riesige Streitaxt, deren Klinge rot gefleckt war. Dutzende Eldar hielten sich in dem Raum auf, schwer gerüstete Krieger, die lange, Hellebarden ähnelnde Waffen trugen, in denen eine unnatürliche Energie pulsierte. Der Raum stank nach Tod und Entsetzen. Wie viele Seelen hatten an diesem trostlosen Ort ihr Ende gefunden?, fragte sich Uriel. Er hatte keine Zeit, über diese Frage nachzudenken, da die breiten Türen auf beiden Seiten des Sichtschirms aufglitten. Eine Horde beinahe nackter Krieger, sowohl männlich als auch weiblich, die auf bizarren Gleitklingen ritten und lange Breitschwerter
schwangen, rauschten durch die Türen. Boltpatronen fällten ein halbes Dutzend, doch dann hatten sie die Ultramarines erreicht und töteten mit ihren Waffen. Uriel sah Bruder Gaius fallen, als er von einer der scharfen Schwingen der Gleiter in der Hüfte entzweigeschnitten wurde. Sein Mörder kreiste über ihm, während Gaius in einem Schwall von Blut zusammenbrach. Uriel jagte dem johlenden Nichtmenschen eine Kugel in den Kopf und sah mit grimmiger Befriedigung zu, wie sein schlaffer Leichnam auf den Boden fiel. Die kreischenden Klingengleiter schraubten sich höher in die Luft und wendeten für den nächsten Anflug. Boltpatronen explodierten mitten unter ihnen, als Dardino und Venasus ihre Trupps in die Schlacht führten. Uriel erschoss noch einen Flieger, während Venasus neben ihm auftauchte, die Rüstung glitschig vom Blut der Nichtmenschen. »Ich muss mich entschuldigen, Hauptmann. Wir haben fünf Minuten gebraucht.« Uriel grinste grimmig. »Ich weiß, dass Sie es nächstes Mal besser machen werden, Sergeant.« Ein Gleiter explodierte, als Pasanius' Flammenwerfer seinen Reiter in einen Strom flüssigen Feuers hüllte, und neuerliche Schüsse hallten durch die Kuppel. Der Ohrhörer in Uriels Helm knisterte, als sich der Pilot des Thunderhawk in seinen persönlichen Kanal einschaltete. »Hauptmann Ventris, wir müssen uns bald zurückziehen. Das Eldar-Schiff beschleunigt, und wir können den Korridor nicht mehr lange halten. Ich schlage vor, Sie lassen sich zurückfallen, bevor ich gezwungen bin, die Andockklammern zu lösen.« Uriel fluchte. Er hatte keine Zeit, den Funkruf des Piloten zu bestätigen, da er gerade einen Krieger in Lederharnisch von seinem Gleiter schlug und ihm sein Schwert in den Bauch rammte. Er sah den jadegrün gerüsteten Albinokrieger, der sich einen Weg zu ihm hieb, und riss sein Schwert heraus. Irgendeine formlose Masse wand sich um die Beine des Kriegers, aber Uriel konnte in der Düsternis nichts Genaues erkennen. Ein Trio der fliegenden Krieger stieß auf Uriel herab. Mit gut gezielten Boltpistolenschüssen holte er zwei von ihren Gleitern, den dritten enthauptete er. Der Jade-Krieger hieb zwei Schlachtbrüder der Ultramarines mit verächtlicher Mühelosigkeit nieder, als sie
ihn aufzuhalten versuchten. Uriel rief seinen Kriegern zu, sie sollten standhalten. Den Symbolen auf seinem Helmvisier konnte Uriel entnehmen, dass sieben seiner Männer tot waren, denn ihre RunenIdentifikatoren waren kalt und schwarz. Sein Atem ging schwer, aber seine Ausdauer war unvermindert. Um die beiden Krieger wurde es leerer, als die Schlacht auf die gesamte Kommandobrücke übergriff. Die formlosen Gestalten zu Füßen des Jade-Kriegers waren jetzt besser erkennbar, und Uriel war entsetzt, als er die wogende Masse der Kreaturen sah, die neben dem Anführer der Eldar geiferte und zischte. Eine abstoßende, entsetzliche und erbärmliche Zusammenballung von zuckendem, deformiertem, in einer Orgie der Anatomien zusammengenähtem Fleisch wand sich zu Füßen des Nichtmenschen. Jede einzelne Kreatur war einzigartig in ihrer widerlichen Gestalt, aber alle zischten in derselben wahnsinnigen Bösartigkeit und bleckten gelbe Reißzähne und spitze Krallen. Uriel streckte sein Schwert aus und richtete die Spitze auf die Brust des feindlichen Anführers. »Ich bin Uriel Ventris von den Ultramarines und bin gekommen, um dich zu töten.« Der Eldar-Anführer neigte ein wenig den Kopf, bevor er antwortete. Seine Stimme war nicht daran gewöhnt, menschliche Worte zu bilden, und krächzte. »Du bist nur ein Affe, ein Tier, und ich werde dich an die Exkrente verfüttern.« Uriel nahm sein Schwert zurück, und einen Moment später sprang die brodelnde Masse widerlicher Kreaturen vorwärts. Ihr Kreischen war erschreckend und jämmerlich zugleich. Er bohrte das Schwert durch die erste Bestie, und stinkender Eiter spritzte aus ihrem weichen Leib, da die Klinge das Fleisch mühelos durchschnitt. Er erstach eine andere, aber sie waren einfach zu zahlreich, um sie alle zu töten. Fänge schlossen sich um seine Wade, und Uriel grunzte, als er glühend heiße Schmerzen empfand, da Gift in seinen Blutkreislauf gepumpt wurde. Sein Schwert trennte das Anhängsel mit den Fängen von der Masse der Hauptform, sodass er mit deren Körperflüssigkeiten bespritzt wurde. Kesharq trat vor und schwang seine Axt in weitem Bogen gegen Uriels Brust.
Uriel hatte den Schlag kommen sehen und warf sich zurück, wodurch dem Hieb ein Großteil seiner Wucht genommen wurde. Er wälzte sich herum und schlug dabei blind mit dem Schwert um sich. Ein entsetzliches Kreischen von einem anderen Exkrent belohnte seine Bemühungen. Er wälzte sich noch weiter herum, und Kesharqs Axt prallte neben ihm auf das Deck. Er sprang auf und parierte den nächsten Axthieb. Der Anprall zuckte durch Uriels Arm, aber dennoch war zu spüren, dass wenig Kraft hinter dem Schlag lag. Dieser Nichtmensch verließ sich darauf, dass das Gewicht der Axt ihm die Arbeit des Tötens weitestgehend abnahm. Er hämmerte mit der Faust auf den Onyxschaft der Axt und machte Anstalten, den schlanken Nichtmenschen mit der Schulter zu rammen. Der Krieger wich Uriels Schulterstoß aus, glitt seitlich am Space Marine vorbei und hämmerte ihm die Waffe auf die Schulter. Die Axt riss einen klaffenden Spalt in Uriels Rüstung, prallte aufwärts ab und rasierte seinen Helm. Uriel schwankte benommen, hob aber gerade noch rechtzeitig das Schwert, um einen Rückhandschlag zu seinem Kopf zu parieren. Ein Exkrent schloss die Kiefer um Uriels Bein. Er stampfte ihm mit dem Panzerstiefel auf den Kopf und zermalmte den Schädel zu einem Brei aus Knochen und Hirn. Flammen umzüngelten ihn, und ein schrilles Kreischen und der Gestank nach verbranntem Fleisch lagen plötzlich in der Luft, als Pasanius seinen Flammenwerfer auf die grässlichen Kreaturen richtete. Auf seinem Helmvisier blinkte das Symbol des Thunderhawk-Piloten. Kesharq wirbelte seine Axt in einer Schwindel erregenden Serie von Schleifen und Bögen umher, und die Klinge verschwamm zu einem funkelnden Netz aus Silber. Langsam rückte er gegen Uriel vor, wobei sein totes Gesicht völlig unbewegt blieb. »Es war ein Irrtum von mir, dich als würdige Beute zu betrachten«, krächzte Kesharq. »Der Kyerzak war ein Narr, sich vor dir zu fürchten.« Uriel fintierte mit seinem Schwert und veränderte dann die Richtung seines Hiebs, aber Kesharq hatte den Hieb vorausgesehen und parierte ihn mit dem Schaft seiner Axt. Die Klinge zuckte vor, hämmerte gegen Uriels Seite und bohrte sich tief in seine Rüstung. Heißer Schmerz überflutete ihn, und er spürte Blut aus seinem Körper rinnen. Blutiger Schaum sammelte sich in Kesharqs Mundwinkel. Uriel
brüllte auf, ließ sein Schwert fallen und packte die Axt, die noch in seiner Seite steckte, da Kesharq sie herauszuziehen versuchte. Er riss seine Boltpistole aus dem Halfter und richtete sie auf Kesharqs Kopf. Der Nichtmensch bewegte sich mit übernatürlicher Schnelligkeit, aber selbst er war nicht schnell genug, um einer Kugel völlig ausweichen zu können. Die Patrone traf Kesharqs Wange und riss ihm einen Brocken blasses Fleisch vom Schädel, aber die Entfernung war zu kurz für die Patrone, um sich scharf zu machen, und so explodierte sie ein ganzes Stück hinter dem Kopf des Nichtmenschen. Kesharq heulte vor Schmerzen, ließ die Axt los und wich zurück. Uriel sank auf die Knie, während Kesharq zu seinen gerüsteten Kriegern zurückstolperte. Uriel spürte Hände an seinen Schulterschützern. Er hob schwach die Pistole, senkte sie jedoch wieder, als er sah, dass es Pasanius war. Der massige Sergeant packte die in Uriels Seite steckende Axt und zog sie in einem Blutschwall heraus, bevor er seinen Hauptmann auf die Beine zerrte. »Wir müssen sofort weg von hier!«, zischte Uriel. Pasanius nickte und rief seinem Trupp Befehle zu. Uriel bückte sich, hob Idaeus' Schwert auf und gesellte sich zum Rest seiner Krieger, die mit dem Rückzug zum Thunderhawk begannen. Die Leichen der Gefallenen nahmen sie mit. Uriel wusste, dass sie die ehrenwerten Toten nicht an diesem blasphemischen Ort lassen durften. Apotheker Selenus würde die progenoiden Drüsen herausnehmen, sodass ihre kostbare Gensaat in den Schoß des Ordens zurückkehren konnte. Keiner der feindlichen Krieger schien jedoch gewillt zu sein, sie zu verfolgen, und Uriel konnte noch einen flüchtigen Blick auf den Anführer der Eldar werfen, der ihn mit unverhohlenem Hass anstarrte, bevor er ihn aus den Augen verlor. Die Ultramarines zogen sich geordnet zum Thunderhawk zurück und lösten sich vom Eldar-Schiff. Der Pilot wendete geschickt und gab Schub auf die Antriebsdüsen, bis schließlich der Treibstoff aufgebraucht war. Das Eldar-Schiff verschwand in der Dunkelheit und entfernte sich rasch vom Schauplatz des Kampfes. Der Thunderhawk trieb noch eine weitere Stunde im Raum, bis er von der Vae Victus geborgen wurde. Mittlerweile hatte Selenus sich um die Verwundeten geküm-
mert, und Kaplan Clausel stimmte die Litanei der Gefallenen vor den Toten an. Die Vae Victus folgte der Antriebsspur des Eldar-Schiffs. Der Schlachtkreuzer der Ultramarines war zwar schnell, konnte aber nicht hoffen, die Geschwindigkeit des gegnerischen Schiffs zu erreichen. Aber als die Karto-Servitoren dessen Kurs berechneten, hatte es den Anschein, als sei dies auch gar nicht nötig. Das Schiff lag auf direktem Kurs nach Pavonis.
10. Kapitel Kanonier Harlen Morgan strich mit den Fingerspitzen über die Flanke des riesigen Sechzigtonnenpanzers und lächelte, als er sich vorstellte, wie er eines Tages an der Spitze einer Panzerkolonne dieser gewaltigen Kriegsmaschinen fahren würde. Der Panzer war ein Leman Russ, Modell Conqueror, obwohl er widerstrebend einräumte, dass Panzerung und technische Spezifikationen dieses Modells aus einheimischer Produktion denjenigen unterlegen waren, welche auf der ursprünglichen Produktionswelt des Conqueror-Modells, Gryphonne IV, hergestellt wurden. Sein Kommandant, Major Webb, thronte hoch oben auf dem Geschützturm des Panzers und rauchte eine stinkende Zigarre, während der Lader des Panzers, Mappin, gerade eine Kanne Kaffein für die Besatzung kochte. Der Fahrer, Park, lag halb verborgen von der Kette neben dem Panzer und versuchte eine leckende Treibstoffleitung abzudichten. Gefächertes Sonnenlicht fiel durch das über ihnen gespannte Tarnnetz, und obwohl sie sich hoch oben in den Bergen befanden, war es noch warm. Er nahm ein Proviantpäckchen und reichte es dem Major, der dankend nickte und die Folie aufriss, während er das Gesicht voller Abscheu über den Inhalt zu einer Grimasse verzog. Morgan setzte sich mit untergeschlagenen Beinen, lehnte sich an den Erdwall, in dem der Panzer verborgen war, und ließ noch ein paar Proviantpäckchen neben Mappin und Park fallen. »Du hast dir aber verdammt viel Zeit gelassen«, beklagte sich Mappin. »Das nächste Mal kannst du ja gehen und das Essen holen«, erwiderte er und fing an zu essen.
Die Mahlzeit bestand aus etwas Brot, Käse und einem zweifelhaft aussehenden Fleischprodukt. Morgan roch daran und war anschließend noch genauso ratlos. Die anderen fingen an zu essen und machten sich über ihren Proviant her, als Soldat Park schließlich unter dem Panzer hervorkam und sein Proviantpäckchen aufhob. Er starrte es argwöhnisch an und warf es dann weg. »Bei allem, was heilig ist. Ich werde verdammt froh sein, wenn wir endlich abrücken und ich etwas Richtiges zu essen bekomme«, nörgelte Park, während er den Deckel von einer ramponierten Feldflasche schraubte, die er aus einer Tasche seines ölbefleckten Overalls zog. »Hörst du auch mal auf zu meckern?«, fragte Mappin zwischen zwei Bissen Brot mit dem klebrigen braunen Fleisch aus dem Proviantpäckchen. Park nahm einen Schluck aus seiner Flasche und bot sie Mappin an, der den Kopf schüttelte, aber Parks Proviantpäckchen aufhob. »Nein. Hörst du auch mal auf zu essen, du fettes Schwein?«, konterte Park. »Mehr als diesen Uskavar brauche ich nicht, um über den Tag zu kommen.« »Ja, das wissen wir«, lachte Morgan, »wir haben dich fahren sehen.« Soldat Park machte eine obszöne Geste. »Leck mich, Mann. Essen ist sowieso was für Dünnbrettbohrer.« Morgan verschloss die Ohren vor dem zänkischen Geplänkel seiner Besatzungskollegen. Es war ein vertrautes Ritual zu den Essenszeiten, und er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Rest des getarnten Bunkerkomplexes in den Owsenbergen. Von hier aus sah die Tarnung für die Panzer fadenscheinig und wenig überzeugend aus, aber er nahm an, dass sie aus der Luft und aus der staubigen Ebene weit unter ihnen ziemlich gut aussehen musste. Schließlich hatte sie bisher noch niemand entdeckt, oder? Vom Erdwall ihres Panzers schaute man direkt auf das Anwesen ihres heldenhaften Anführers tief unten. Es handelte sich um eine Ansammlung von Gebäuden mit einer Marmorfassade, die mehr Reichtum repräsentierte, als er sich überhaupt vorstellen konnte. Herden gehörnter Hirsche liefen frei auf dem Gelände herum, und im Dunkel der Nacht schienen sehr viele Aktivitäten vonstatten zu gehen. Er hatte sich Parks Infrarot-Fernglas geborgt und gesehen, wie ganze Trupps von Männern sich im Gelände verteilten.
Vernünftigerweise hatte er dies dem Major gegenüber nicht erwähnt. Soldaten mit Mini-Raketenwerfern für die Schultern und auf Zweifüßen montierten automatischen Waffen standen bereit, sie vor jedem Angriff zu verteidigen, obwohl der Major ihnen versichert hatte, dass solch ein Angriff ziemlich unwahrscheinlich sei. Aber sie waren alle tüchtig erschrocken, als der klobige blaue Thunderhawk letzte Woche an ihnen vorbeigerauscht war. Alle waren wie verängstigte Kinder weggelaufen, und es war für die hier stationierten Männer ein Weckruf gewesen, dass sie allezeit wachsam sein mussten. Dutzende von Soldaten wanderten auf dem Plateau unter dem Tarnnetz umher. Kanoniere, Lader, Fahrer und Mechaniker, all die Männer, die man brauchte, um eine Truppe wie diese einsatzbereit zu halten. Wann dieser Einsatz kommen würde, wusste Morgan nicht, aber der Major hatte ihnen versichert, dass es bald so weit war. Insgesamt waren, wie Morgen wusste, dreihundertsiebenundzwanzig Panzerfahrzeuge auf dem Plateau und innerhalb des Berghangs versteckt. Basilisken, Greifen, Leman Russ, Höllenhunde und verschiedene andere Modelle. Er hatte sie einmal gezählt, als seine Mannschaft Streifendienst hatte. Anzahl und Modelle klangen beeindruckend, aber Morgan kannte sich gut genug mit Panzerfahrzeugen aus, um zu wissen, dass diese hier nur unterlegene Kopien der entsprechenden Modelle aus den Waffenschmieden des Imperiums waren. Aber das spielte keine Rolle. Vereint waren sie stärker als Adamantium. Vertrauen in die Gerechtigkeit ihrer Sache würde ihre Rüstung sein und der Glaube an ihre Bestimmung ihre Waffe. Morgan lächelte, als er sich an die Worte von Oberst Pontelus von der pavonischen Wehrmacht in Brandontor erinnerte, die ihn hierher gebracht hatten. Der Oberst hatte leidenschaftlich über den Verrat des Shonai-Kartells geredet, dass es sich heimtückischerweise mit gleich Gesinnten in anderen Kartellen verbündet habe, um aus jedem Arbeiter auch noch die letzte Geldmünze und den letzten Rest Würde herauszupressen. Ihre Zehntsteuer sei nichts anderes als der Versuch, sich die Taschen zu füllen, bevor sie aus dem Amt schied. Zuerst war Morgan unsicher gewesen, als er die Anstecknadel
des Taloun-Kartells am Revers der Uniformjacke seines Kommandanten sah. Er wusste, dass Taloun und Shonai politische Feinde waren, aber Pontelus' Worte hatten eine Saite in dem jungen Mann zum Schwingen gebracht. Gemeinsam würden sie für die Freiheit von der Tyrannei der Shonai kämpfen. Morgan war sich bewusst, dass man für die Freiheit bezahlen musste und dass der Preis das Blut von Patrioten war. Er war Patriot und mehr als bereit, sich zu erheben und seinen Anteil zu leisten. Die Shonai rissen Pavonis in den Abgrund, und die Politik der Statthalterin war unakzeptabel geworden. Herrschaft ohne Freiheit war Tyrannei unter anderem Namen, und er war nicht bereit, auch nur einen Tag länger unter dem Joch der Statthalterin zu leben. Nie mehr würden die Söhne von Pavonis gezwungen sein, als Sklaven in den stickig heißen Manufakturen korrupter Kartelle zu arbeiten. Fortschrittliche Denker wie Taloun und de Valtos wussten, dass Männer mit Mut und Ehre für das eintreten mussten, woran sie glaubten, und Morgan ging das Herz auf. Er wusste, dass er so ein Mann war.
11. Kapitel Die Sonne stieg höher am Himmel über Brandontor und buk die Straßen mit ihrer erbarmungslosen Hitze. Obwohl es bereits spät im Jahr war, blieb die Temperatur hoch und die Stadt schwitzte unter einer nicht der Jahreszeit entsprechenden Wärme. Die hohen Kühltürme der Manufakturen hatten ihren Gasnimbus verloren, und die stampfenden Maschinen standen untätig in ihren Hangars. Eine Atmosphäre geschäftiger Entschlossenheit lag über der Stadt, da tausende von Leuten auf den Straßen der äußeren Manufakturviertel unterwegs waren und langsam den weißen Mauern des finanziellen und administrativen Herzens der Stadt entgegenstrebten. Riesige Kolonnen von Männern, Frauen und Kindern versammelten sich und machten sich marschbereit. Die meisten lokalen Manufakturen und Geschäfte hatte geschlossen, entweder aus freien Stücken oder einfach deswegen, weil die Arbeiter jetzt unterwegs zum Befreiungsplatz waren. Das Transportnetz hatte den Betrieb
eingestellt, und die einzigen Eisenbahnen, die noch fuhren, waren diejenigen, welche mehr Arbeiter aus den umliegenden Regionen zum Schauplatz der geplanten Demonstration brachten. Es hatte Befürchtungen unter den Organisatoren der Demonstration gegeben, dass die Nachricht vom Eintreffen der Space Marines Leute davon abhalten würde, zu kommen, doch perverserweise schien genau das Gegenteil der Fall zu sein. Die Menge war festlich gestimmt. Familien marschierten Hand in Hand, und überall in der immer größer werdenden Menge verstreut spielten Musiker aufwühlende patriotische Lieder, um den Menschen Mut zu machen. Bunte Fahnen und Banner mit den Wappen der verschiedenen Zweige des Arbeiterkollektivs und Einheitsparolen flatterten in der leichten Brise. Hier und da verteilten Gruppen selbst ernannter Ordner Transparente mit erhebenden Sprüchen und halfen dabei, die Menge in die richtigen Bahnen zu lenken. Zehntausende Menschen verstopften die Straßen und bildeten eine in gemeinschaftlichem Anliegen vereinte, sich stetig bewegende Menschenmasse. Sicherheitspersonal mit den Anstecknadeln verschiedener Kartelle säumte die Vorderseiten jener Häuser, die ihren Herren und Meistern gehörten, unternahmen aber nichts, um die Demonstranten aufzuhalten oder auch nur zu behindern. Nicht weiter überraschend war, dass vom Shonai-Kartell niemand auf der Straße war. Hin und wieder gingen lachende Angehörige der Menge zu den Sicherheitsleuten und forderten sie auf, sich dem Marsch anzuschließen. Manchmal hatten sie Erfolg, manchmal auch nicht, aber so oder so war nichts von Feindseligkeit zu spüren. Als die Menge immer mehr anwuchs, ging den Organisatoren langsam auf, dass der Demonstrationsmarsch einen ganz neuen Aspekt bekam. Er hatte sich von einer Zurschaustellung vereinter Stärke zu einem extrem gefährlichen Unternehmen gewandelt. Eine derartige Masse von Menschen auf den Straßen der Stadt rückte die Ereignisse dieses Tages, so friedlich der Aufmarsch seinem Wesen nach auch sein mochte, in gefährliche Nähe zu einer offenen Rebellion. Für die planetaren Herrscher bedurfte es nur der geringsten Provokation, um ihn als solche zu betrachten und mit tödlicher Gewalt niederzuschlagen. Sie hatten bereits bewiesen, dass sie bereit waren, zu solchen Mitteln zu greifen. Die frisch geweihte Halle der Märtyrer trug die
Namen jener, die dies auf die harte Tour herausgefunden hatten, und die Organisatoren des Marsches schauten sich nervös nach den einschüchternden schwarz gerüsteten Gestalten der Adeptus Arbites um. Doch von den Liktoren war noch nichts zu sehen, denn sie hatten sich neben ihrem Revier, um die schmiedeeisernen Tore des Statthalterpalasts und an den Zufahrtsstraßen zum Befreiungsplatz postiert. Das Marschtempo erhöhte sich, als sich die Straßen nahe der marmornen Innenmauern verbreiterten, da sie aus jeder Richtung im Herzen der Stadt zusammenliefen. Die breiten Wegzolltore in den Mauern waren verlassen, die Tore geöffnet, ihre Wärter nicht gewillt, sich diesem marschierenden Leviathan zu stellen. Reihen der gewöhnlichen Bürger Brandontors folgten den Arbeitern, einige in organisierten Trupps, andere als bloße Individuen, da sie ihre Unterstützung zeigen wollten. Behelmte Arbeiter, Männer in schmutzigen Overalls und schlichter Arbeitskleidung vermischten sich mit solchen, die Zweispitze und elegante schwarze Anzüge trugen, Kleidung, die das Jahresgehalt eines Arbeiters kostete. Der Marsch passierte die Stadttore und verlangsamte sich ein wenig, da die Leute sich durch die Tore und über breite, von Bäumen gesäumte Alleen zwängen mussten. Stolz leuchtete auf jedem Gesicht, aber auch leidenschaftliche Entschlossenheit, ihrer Stimme endlich Gehör zu verschaffen. Es ging sehr ruhig zu, da die aggressiveren Mitglieder der Menge von den Ordnertrupps beruhigt worden waren. Alles in allem nahm die Demonstration des Arbeiterkollektivs einen guten Anfang. Statthalterin Shonai beobachtete die ungezählten Menschenmassen, wie sie über die gepflasterten Straßen ihrer Hauptstadt trotteten, und ein Schauder des Unbehagens überlief sie und ließ sie die Arme eng um sich legen. Sie hatte versucht, die Teilnehmerzahl zu schätzen, dieses Vorhaben aber längst aufgegeben. Die Massen, die sich in die Stadt ergossen, nahmen kein Ende. Tausende befanden sich bereits im Bellahon-Park innerhalb der Mauern, wo sie geduldig gezüchtete Ziersträucher niedertrampelten und in dem seichten Teich herumplantschten, in dem die Palastbiologen unschätzbar wertvolle Fischarten züchteten.
Alle Vorhersagen hinsichtlich der angedrohten Demonstration hatten ihr gesagt, dass sie gar nicht stattfinden konnte. Es gab keine organisierende Kraft hinter den Leuten. Jeder Zweig des Arbeiterkollektivs war viel zu beschäftigt mit inneren Querelen, um irgendetwas organisieren zu können, von einer Demonstration dieser Größe ganz zu schweigen. Nun, für sie sah dies wie eine Demonstration aus. Als sie die vielen tausend Menschen durch ihre Stadt wogen sah, schwor sie, nie wieder auf die Vorhersagen ihrer Analytiker zu hören. War dies das Ende? Hatte die kollektive Masse der Bevölkerung schlicht und einfach beschlossen, dass es reichte? Nein, entschied sie. Wenn sie abtreten sollte, dann durch Abstimmung oder Kugel. Dies war nur einer von vielen Einträgen auf der Liste der Ereignisse, die sie ertragen musste. Ihre Besprechung mit Barzano hatte ihr Hoffnung gemacht, dass sie auch den Rest ihrer Amtszeit mit Würde im Amt verbringen und einen friedlicheren Kurs für ihren Nachfolger abstecken konnte, aber es sah so aus, als solle ihr sogar das verwehrt bleiben. Sie hatte den Abgesandten des Administratums seit seiner Ankunft mit den Ultramarines nicht mehr gesehen, obwohl Sergeant Learchus den Palast auf den Kopf gestellt hatte, als Barzano plötzlich verschwunden war. Es hatte sich herausgestellt, dass er und sein Verbindungsoffizier von den Arbites eine Exkursion in die Manufakturviertel unternommen hatten, aber Shonai war der Grund dafür schleierhaft. Dort gab es nichts außer schäbigen Arbeiterlokalen und verräucherten Wohneinheiten. Sie konnte sich nicht vorstellen, was ein Adept dort zu suchen hatte. Shonai fragte sich, ob der Adept in Kontakt mit Hauptmann Ventris stand, denn ihr war zu Ohren gekommen, dass die EldarPiraten einen weiteren Außenposten überfallen hatten, diesmal eine archäologische Stätte. Anscheinend hatten Schiffe der Systemabwehr auf das nichtmenschliche Schiff geschossen, und mindestens drei Schiffskapitäne behaupteten, es getroffen zu haben. Sie wusste, dass das unwahrscheinlich war, aber es war ein konkreter Beweis dafür, dass ihre Administration jetzt eine energische Haltung den Piraten gegenüber vertrat. Der Plan, sich de Valtos' Unterstützung ihrer aggressiven Politik gegenüber den Eldar zu versichern und ihn und Taloun dadurch
zu entzweien, hatte nichts gefruchtet. Der Abgesandte, den sie zu de Valtos geschickt hatte, war zwar mit einem höflichen Dank von Kasimir de Valtos zurückgekehrt, aber ohne konkrete Hilfsangebote. Nach den Ereignissen in der Kammer des Rechtschaffenen Kommerzes war sie darüber nicht überrascht. Um die Dinge noch zu verschlimmern, hatte sie in der Morgenbesprechung einen Bericht der Liktoren gelesen, bei dem sie vor Frustration gestöhnt hatte. In der vergangenen Nacht hatten die Adeptus Arbites Beauchamp Abrogas festgenommen, der halb nackt durch den schäbigeren Teil des nordöstlichen Manufakturviertels gelaufen war. Er hatte unsinniges Zeug gebrüllt, dabei eine geladene Waffe geschwenkt und ungezielte Schüsse auf Passanten abgegeben. Offenbar hatte er mehrere Personen verwundet, und als die Arbites ihn schließlich festnahmen, hatten sie festgestellt, dass er sich deshalb um den Verstand fantasierte, weil er auf Opiatix war, einem hochgradig Sucht erzeugenden und verschreibungspflichtigen Betäubungsmittel. Gegenwärtig schlief Beauchamp in einer Zelle unter dem Revier der Arbites seinen Rausch aus und würde auch dort bleiben, bis seine Familie seine Freilassung arrangierte. Shonai nahm an, dass sie ihn ein paar Tage in der Zelle schwitzen lassen würde, bevor sie ihn abholte. Es klopfte höflich an die Tür zu ihren Gemächern. Sie rief ihrem Besuch zu, er möge eintreten, und als sie sich umdrehte, sah sie, dass es Almerz Chanda war, der die Hände auf dem Rücken verschränkt hatte. Sie richtete die Aufmerksamkeit wieder auf die Szenen jenseits des Fensters. Immer noch drängten Leute in die Stadt. »So viele, Almerz«, flüsterte Shonai. »Ja«, gab Chanda ihr Recht. »Ich will heute keinen Ärger, ist das klar? Die kleinste Provokation, und diese Leute degenerieren zu einem wütenden Pöbelhaufen und reißen die Stadt in Stücke.« »Man hat mir versichert, dass die Liktoren eine Haltung der Nichteinmischung annehmen, Madam.« »Gut.« »Nach den Ereignissen der letzten Woche bin ich sicher, dass sie sich der heiklen Natur des heutigen Tages bewusst sind.«
Statthalterin Shonai nickte und beobachtete, wie sich der Platz vor den Toren des Palasts langsam füllte. Beim Imperator, das waren sie hoffentlich. Noch mehr Augen beobachteten die Menge aus dem oberen Stockwerk eines Marmorgebäudes innerhalb eines von niedrigen Mauern umgebenen Gartens mit ganz anderen Empfindungen. Neun Männer legten mit der leisen Eile von Berufssoldaten ihre schlichten grauen Uniformen ab und wechselten in schwarzes Leder und Brustharnische. Sie entledigten sich sorgsam aller verräterischen Hundemarken wie auch aller anderen Gegenstände, die eine Identifizierung gestatten mochten, und verstauten sie in einem Segeltuchbeutel. Ihr Befehlsstand war in einem einfachen Sommerhaus aufgeschlagen, das dem Honan-Kartell gehörte. Die Möbel waren zum Schutz vor Staub mit Laken zugedeckt, und das ganze Haus roch unbewohnt. Es war perfekt. Niemand sagte etwas, als zwei weitere Männer den Raum betraten. Der erste der beiden sprach leise in ein tragbares Kommgerät, das der zweite Mann in den Händen hielt. Der Anführer dieser Gruppe, ein Mann namens Amel Vedden, reichte seinem Untergebenen den Handapparat und beobachtete die tausende, die in die Stadt strömten. Er blieb unbeeindruckt. In dieser Situation hatte die Anzahl nichts zu bedeuten. Er verfügte über ausreichende Kräfte, um diese Demonstration aufzulösen. Jeder Idiot konnte eine Menge zerstreuen. Entscheidend war, schnell und mit einem Maximum an Gewalt zuzuschlagen, sodass die Überlebenden benommen und nicht in der Lage waren, halbwegs vernünftig zu reagieren. Aber er wollte diese Demonstration gar nicht auflösen, er wollte den schlafenden Riesen der Masse in ein tobendes Ungeheuer verwandeln, und das war noch leichter. Vedden war ein Profi und überließ nur ungern etwas dem Zufall. Deswegen hatte er unten weitere zehn Männer mit Flammenwerfern und Sturmgewehren postiert, und das Dach war geräumt worden, damit sie per Ornithopter abgeholt und ausgeflogen werden konnten. Sein Funker sammelte den Segeltuchbeutel mit Hundemarken ein, während Vedden sich an seine Männer wandte, die jetzt alle
die bedrohliche schwarze Panzerrüstung der Liktoren von den Adeptus Arbites trugen. Die meisten waren mit automatischen Schrotflinten bewaffnet, aber zwei trugen klobigere, von einer Trommel gespeiste Granatwerfer. Die sich langsam bewegende Menge war jetzt kurz vor der Schlinge des Befreiungsplatzes, und er wusste, dass die Zeit zum Handeln gekommen war. Er nahm seine eigene Schrotflinte, und die zehn »Liktoren« machten auf dem Absatz kehrt und verließen den Raum. Aus der Sicherheit eines der golden gedeckten Palasttürme beobachteten Jenna Sharben, Ario Barzano und Sergeant Learchus ebenfalls die versammelte Menge. Learchus sah, dass die Frau von den Arbites nicht gern hier war. Sie wollte unten bei ihren Kameraden auf dem Befreiungsplatz sein, und das konnte er verstehen. Zuerst hatte es ihn aufgebracht, auf Pavonis zurückgelassen zu werden, aber als Hauptmann Ventris erklärt hatte, welchen Eid er Lord Macragge geschworen hatte, ging Learchus auf, welches Vertrauen der Hauptmann in ihn setzte und was für eine Ehre der Auftrag war. Dadurch war das Wissen nicht leichter zu ertragen, dass ihm die Ehre der Schlacht verwehrt blieb. Aber wie der Gesegnete Primarch immer gesagt hatte, »Was der Imperator will, wird auch geschehen«. Von hier aus hatten sie einen Logenplatz, um zu beobachten, wie die Bewohner von Pavonis ihre Unzufriedenheit äußerten. Der lebhafte Gesang und die Musik waren durch das Panzerglas nur gedämpft zu hören und klangen blechern. Es kam nicht gut bei Learchus an, dass eine Bevölkerung sich so benahm. Wo war ihre Disziplin und ihr Stolz darauf, für die Verbesserung der Gesellschaft zu arbeiten? Auf Ultramar hätte es diese Art von Massendemonstration niemals gegeben, dafür hätte es keinen Grund gegeben. Auf Macragge wurde einem schon von frühester Kindheit an in den Akademien Disziplin eingebläut, und wehe dem Jungen, der die Lektionen seiner Kindheit vergaß. Die Frau von den Arbites war sehr nervös und drückte beständig die Nase an die Fensterscheibe, um die Entwicklung zu verfolgen und ihre Kameraden besser beobachten zu können, die sich an den Palasttoren und Zufahrtsstraßen vernünftigerweise um ein
möglichst unauffälliges Verhalten bemühten. Eine Taktik der Härte würde die Menge nur zur Gewalt anstacheln, und Learchus hoffte, dass die Liktoren an diesem Tag von einem kühlen Kopf befehligt wurden. Virgil Ortega schwitzte in seiner Rüstung, und obwohl er sich sagte, dass es an der Hitze lag, klang das nicht recht überzeugend in seinen Ohren. Das Ausmaß der Demonstration war unglaublich. Jeder Bericht war zu dem Schluss gekommen, so ein Unternehmen übersteige die Fähigkeiten des Arbeiterkollektivs bei weitem, aber die Demonstration fand hier und jetzt genau vor ihm statt. Seine Reihe aus Liktoren war solide. Jeder von ihnen hatte die Schrotflinte auf dem Rücken und den Aufruhrunterdrückungsschild in Habt-Acht-Stellung. Hinter ihnen stand eine Reihe von Rhinos, die meisten von ihnen mit schweren Wasserwerfern bestückt, mit laufendem Motor, um sie bei Bedarf in Sicherheit zu bringen. Die Menge schien nicht übermäßig feindselig gestimmt zu sein, aber bei diesen Dingen konnte man nie wissen. Gerade war noch alles in Ordnung, und einen Herzschlag später führte die kleinste Provokation zu einem unkontrollierten Gewaltausbruch. Er würde alles tun, was in seiner Macht stand, damit so etwas heute nicht geschah, und er hoffte, dass die Organisatoren dieses Spektakels genauso empfanden. Ortega hatte seinen Truppen ausdrücklich befohlen, nur zu schießen, wenn er den Befehl dazu gab. Er warf einen Blick auf Collix. Er konnte sein Gesicht hinter dem Schutzvisier des Helms nicht sehen, hatte sich aber ausdrücklich vergewissert, dass der Sergeant seine Befehle auch verstanden hatte. Dennoch hatte Ortega dafür gesorgt, dass Collix in seiner Nähe war. Die Demonstranten waren gut fünfzehn Schritte vor ihrer Reihe stehen geblieben und machten vernünftigerweise keine Anstalten, sich ihnen noch weiter zu nähern. Ortega konnte erkennen, dass ein halbes Dutzend Leute die Statue des Imperators in der Mitte des Befreiungsplatzes erklommen hatten und deren geräumigen Sockel als Podium benutzten, um von dort zur Menge zu sprechen. Sie trugen Megaphone und schrien ihrem Publikum zu, wobei sie jede Bemerkung mit weit ausholender Geste, in den Himmel gereckter Faust oder
anklagend zeigendem Finger unterstrichen. Ortega konnte aus dieser Entfernung nicht viele Worte verstehen, aber es reichte, um zu wissen, dass die Redner die Menge nicht zur Erhebung aufforderten. Jede Feststellung der Redner wurde mit Jubel und Applaus begrüßt, und Ortega seufzte vor Erleichterung. Anscheinend hatten die Bewohner von Pavonis nichts schwer Wiegenderes im Sinn. Veddens Zehnmanntrupp verließ Honans Sommerhaus und begab sich auf eine der Zufahrtsstraßen zum Befreiungsplatz. Die Straße war voller Menschen, und sie drängelten sich unter Benutzung ihrer Schilde grob durch. Laute Verwünschungen folgten ihnen, aber die Organisatoren des Marsches waren beharrlich gewesen: Es darf keine Gewalt geben. Dies sollte eine friedliche Demonstration der Einheit vor den planetaren Herrschern werden, und daher konnten die »Liktoren« die Menge unbehelligt passieren. Sie kamen weniger als fünfhundert Meter von den Palasttoren und der Reihe echter Adeptus Astartes entfernt auf dem Platz an. Direkt vor ihnen konnte Vedden die Statue des Imperators und sechs Leute sehen, die durch Megaphone auf die Menge einschrien. Vedden hörte nicht auf die Worte. »Keilformation«, zischte er, und seine Männer formierten sich zu einer Pfeilspitze, jeweils drei neben ihm mit dem Schild nach außen und drei Männer in der Mitte, die Schrotflinten geladen und gespannt. »Es geht los.« Sie setzten sich in Bewegung und bahnten sich einen Weg zur Statue. Virgil Ortega betrachtete die Menge auf der Suche nach Anzeichen für Ärger, obwohl die Redner auf der Statue des Imperators ihre friedlichen Absichten bekundet hatten. Er hatte soeben Lageberichte von jedem seiner Trupps erhalten, und bisher war alles in Ordnung. Hektische Bewegung und Geschrei in der Menge erregte seine Aufmerksamkeit, und plötzlich sah er eine Gruppe Liktoren aus der Zufahrtsstraße voraus und links von sich kommen. Er runzelte verwirrt die Stirn. Wessen Trupp war das, und was, zur Hölle, wollten sie mitten auf dem Platz?
Ortega ging sämtliche Kommnetzkanäle durch und überprüfte den Standort jedes Trupps mit dem Resultat, dass jeder an der ihm zugewiesenen Position war. Hatte der Chef noch mehr Trupps eingesetzt? Sofort verwarf er diese Möglichkeit. Der Chef war nicht so dumm, uniformierte Truppen auf dem Platz einzusetzen und ihm nichts davon zu sagen. Trotz der Hitze des Tages überlief ihn ein kalter Schauder, als er sah, wie die unbekannten Liktoren einen Keil bildeten und begannen, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Seine Augen rechneten hoch, wohin ihr eingeschlagener Weg sie führen würde. »Hölle und Verdammnis, nein!« »Hauptmann?«, fragte Collix. Virgil Ortega ließ seinen Schild fallen und lief dorthin, wo die Rhinos kehlig im Leerlauf rumpelten. Er sprang auf den vorderen Stoßfänger des nächsten, schob sein Helmvisier hoch und kletterte auf das Dach. Der Liktor darin stieß die Dachluke auf und streckte den Kopf heraus. »Hauptmann?« »Geben Sie mir das Megafon. Sofort!« Der Liktor tauchte in den Rhino und kam Sekunden später mit dem Lautsprechgerät zurück, das Ortega ihm aus der ausgestreckten Hand riss. Er drückte auf den Sprechknopf und rief: »Achtung! Achtung! Hier spricht Liktor Virgil Ortega, ihr Leute auf der Statue, kommt sofort herunter!« Die Lautsprecheranlage des Rhino trug mühelos über den Platz, aber seine Aufforderung wurde ignoriert. Seine Worte stießen auf höhnisches Gebrüll und Buhrufe, und die Leute auf dem Sockel der Statue schrien ein paar unverständliche Antworten. Zur Hölle mit ihnen! Erkannten diese Narren denn nicht, dass er ihnen das Leben zu retten versuchte? Er warf das Gerät zurück in den Rhino und sprang vom Dach. Wieder in der Reihe angekommen, griff er sich Collix und eine Hand voll Liktoren. »Liktoren, einen Keil um mich bilden. Wir müssen schnell zur Statue. Vorwärts.« Mit geübter Präzision bildeten die Liktoren einen Keil um Ortega, einen Zwilling desjenigen, welcher bereits in der Menge war. Ortega wusste, dass er die Statue zuerst erreichen musste.
Doch als sie abrückten, war ihm bereits klar, dass sie zu spät kommen würden. Das Geschrei, das ihr Vorrücken durch die Menge begleitete, wurde immer lauter, aber Vedden ignorierte es. Ihr Ziel war die Statue des Imperators, und jeder, der ihnen nicht schnell genug Platz machte, wurde brutal beiseite geknüppelt. Sie wurden mit ein paar Tritten und Schlägen konfrontiert, aber ihre Schilde waren Furcht erregende Schlagwaffen, und nach kurzer Zeit machten ihnen die meisten Leute lieber Platz, als sich ihnen in den Weg zu stellen. Vedden hörte, wie eine raue Stimme den Rednern befahl, von der Statue zu klettern, und sah einen Hauptmann der Liktoren auf dem Dach eines Rhinos stehen und hektisch mit den Armen fuchteln. Doch die Kretins auf dem Podium beachteten ihn nicht. Sie machten es ihnen fast zu leicht. Wie bei einem in einen Teich geworfenen Kiesel pflanzten sich Wellen des Ärgers über ihr Vorrücken nach außen fort, da immer mehr Leute ramponiert und blutend zurückstolperten. Ein drohendes Grollen breitete sich aus, als die Neuigkeiten von der aggressiven Taktik der Liktoren die Runde machten. Die Leute auf der Statue sahen Vedden und seine Männer jetzt kommen und richteten ihre Aufmerksamkeit auf sie. Schmähungen wurden ihnen an den Kopf geworfen, als die Redner voller selbstgerechtem Eifer die kriminelle Gewalttätigkeit der Lakaien einer moralisch bankrotten Administration anprangerten. Die Stimmung der Menge war umgeschlagen, aber das spielte keine Rolle mehr, sie waren fast da. Ein Ring stämmiger Männer umgab den Sockel der Statue, und ihre drohende Haltung war unverkennbar. Vedden blieb stehen, als ein drahtiger Mann mit einem langen Bart ihn direkt vom Podium ansprach. »Bruder! Wir tun keinem etwas, wir haben uns friedlich versammelt. Lass uns weitermachen, und ich garantiere, dass es keinen Ärger gibt.« Vedden antwortete nicht. Er nahm seine Schrotflinte und lud die Waffe durch. Und vor den Augen tausender von Demonstranten schoss er den Mann nieder. Wie in Zeitlupe sah Ortega den Anführer der unbekannten Likto-
ren seine Schrotflinte zücken und abdrücken. Das träge Echo des Schusses hüllte ihn ein, während er sah, wie der Mann auf dem Podium gegen die Alabasterstatue des Imperators der Menschheit geschleudert wurde. Sein Blut spritzte auf den Oberschenkel des Bildnisses, während er über dessen Fuß stolperte und zu Boden fiel. Mit einem widerlichen, nassen Knacken platzte sein Schädel beim Aufprall auf die Pflastersteine des Befreiungsplatzes auf, und als das Hirn aus dem Schädel floss, normalisierte sich der Zeitablauf wieder. Die Liktoren im Schildwall des Mörders gingen ein wenig in die Knie und stemmten die Schilde auf die Oberschenkel, während diejenigen im Zentrum des Keils auf die völlig benommenen Überlebenden auf dem Statuenpodest zielten. Eine Schrotflintensalve fegte die verbliebenen Redner von den Füßen des Imperators, und Virgil wusste, dass sie von Glück sagen konnten, wenn sie diesen Tag überlebten. Mykola Shonai schloss krampfhaft die Augen, als sie das Echo des Schusses hörte und den Mann fallen sah. Das war es, das wusste sie. Von diesem Schlag würde sie sich nicht mehr erholen. Eine Grenze war soeben überschritten worden, und nichts würde je wieder so sein, wie es einmal gewesen war. Jenna Sharben sprang mit ungläubigem Schrei auf, als der Mann vom Sockel der Statue fiel. Sie fuhr zu Barzano herum, ihr Gesicht ein stummer Appell, da sie vollkommen sprachlos über das soeben Geschehene war. Barzano kaute auf seiner Unterlippe und hatte die Fäuste geballt. Sie machte Anstalten, an ihm vorbeizugehen, aber er hielt sie mit einer Kraft am Arm fest, die sie überraschte, und seine zuvor nichts sagenden Züge hatten eine stählerne Härte angenommen. Er schüttelte den Kopf. Er riss den Blick von ihr los, betrachtete die Menge und bewertete die taktische Situation auf dem Befreiungsplatz in einem einzigen Augenblick. Er wandte sich an Sergeant Learchus. »Sergeant, ich brauche Sie da unten.« Verschwunden war Barzanos scherzhafter Tonfall, und an seiner Stelle ertönte eine volle, sonore Stimme, die offenbar daran gewöhnt war, Befehle zu geben, die auch befolgt wurden. Learchus hatte die Vorgänge ebenfalls beobachtet und verstand die Lage ebenso gut wie er.
»Was soll ich tun?«, fragte der Space Marine. »Was Sie können.« Vedden schoss noch ein paarmal in die Menge und genoss die Schmerzensschreie und das Entsetzen, das er verbreitete. Jene, die ihm am nächsten waren, versuchten verzweifelt, sich von dem Gemetzel zu entfernen, aber der Druck der Leiber auf dem Platz hinderte sie daran, schnell genug wegzukommen. Schade für sie, dachte Vedden, als er wieder abdrückte. Verdammt, es fühlte sich gut an, irgendwas umzubringen, auch wenn es nur dämliche Zivilisten waren. Er hatte sich eigentlich die Liktoren vornehmen wollen, aber seine Befehle waren präzise: nur Zivilisten. Töten Sie, so viele Sie können, nehmen Sie einen ihrer Anführer gefangen und kehren Sie zurück. Es machte Sinn, einen der Anführer gefangen zu nehmen. Das Arbeiterkollektiv würde vor dem Revier der Arbites seine Freilassung fordern, und die Liktoren würden wahrheitsgemäß behaupten, niemanden festzuhalten. Natürlich würde man ihnen nicht glauben und es als weiteren Beweis für die Korruption in der planetaren Administration ansehen. Es war perfekt. Vedden lief vorwärts, über die zuckenden Leichen der Leibwächter der Redner hinweg, hob eine weinende junge Frau von nicht mehr als zwanzig Jahren auf und warf sie sich grob über die Schulter. Sie schrie vor Schmerzen, und er schlug ihr mit der Faust ins Gesicht, um ihr das Maul zu stopfen. Seine Männer bildeten einen ungefähren Kreis, und er trat in ihre Mitte. »Wir haben, was wir wollten, jetzt lasst uns von hier verschwinden.« Seine Rüstung war an einem Dutzend Stellen verbeult, und er blutete aus einer Schläfenwunde, während er den nächsten schreienden Mann aus dem Weg stieß. Ortega schmeckte Blut, und dessen Kupfergeschmack stank nach Scheitern. Es war ihm nicht gelungen, den sinnlosen Mord an den Sprechern der Demonstranten zu verhindern, nicht gelungen, den Frieden des Imperators zu wahren, und jetzt war die Hölle los. Er hörte das hohle Krachen weiterer Schrotflintenschüsse vom entfernten Rand des Platzes und verzweifelte. Er hoffte, dass keiner von seinen Männern diese Schüsse abgegeben hatte, aber wenn die Dinge sich anderswo ebenso schlimm entwickelten wie
hier, konnte er diese Möglichkeit nicht ausschließen. Leiber bedrängten ihn von allen Seiten, und er stieß sie wütend aus dem Weg. Dies konnte nicht mehr lange gut gehen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie überwältigt und getötet wurden. Er schlug wieder einen Mann beiseite, als er eine Reihe erstickter Kracher wie Husten hörte, und plötzlich wallte weißer Rauch in dichten Schwaden auf. Tränengas-Granaten, die aus der Reihe der Liktoren vor den Palasttoren abgefeuert wurden, landeten in der Menge und spien beißende Dämpfe in Gestalt verhüllender weißer Nebelbänke aus. Die Granaten landeten direkt vor und neben seiner Gruppe, und Ortega nahm sich fest vor, demjenigen zu danken, der den Befehl gegeben hatte, sie abzuschießen. Er klappte sein Visier herunter und schaltete die Atemmaske ein. Durch eine Lücke im Tränengasnebel erspähte Ortega den flüchtenden Trupp der Mörder. Trauben benommener Demonstranten stolperten ziellos, mit tränenden Augen und krampfhaft nach Luft schnappend durch die Gaswolken. Viele übergaben sich auf das Pflaster oder krümmten sich auf dem Boden. Der Lärm war unglaublich, als sei eine riesige Bestie erwacht und brülle. Ortega wusste, dass sie sich im Bauch dieser Bestie befanden. Er rannte den Verursachern dieses Gemetzels hinterher, wich dabei stolpernden Arbeitern aus und sprang über die Leichen, welche die Mörder hinter sich zurückließen. Collix und die sechs Liktoren, die er hastig aus der Reihe abgezogen hatte, folgten ihm ähnlich erpicht auf Rache. Er rammte einen Mann mit der Schulter, der einen großen Schraubenschlüssel schwang und dessen Augen rot gerieben waren. Dann waren sie an der Einmündung zur Zufahrtsstraße angelangt, und er konnte eindeutig die Rücken der Mörder sehen, die unterwegs zu einem schlichten weißen Gebäude waren. Er brüllte eine Verwünschung und legte seine Schrotflinte an. Die Entfernung war nicht gut, und mit heruntergeklapptem Visier konnte er auch nicht sonderlich gut zielen. Virgil drückte ab, und einer der Mörder griff sich an die Schulter und fiel. Collix schoss ebenfalls und erzielte einen Treffer, aber keiner ihrer Schüsse war tödlich, und die Verwundeten wurden von ihren Kameraden mitgeschleift. »Weiter«, rief er. »Bevor sie es in Deckung schaffen!«
Ihr Wild blieb stehen und bildete eine disziplinierte Feuerlinie. Ortega war überrascht, aber nicht so überrascht, dass er nicht auf die Knie sank und seinen Schild vor sich hielt, während der Feind kontrollierte Salven mit seinen Schrotflinten abfeuerte. Der Schild bebte unter einem furchtbaren Einschlag, und eine faustgroße Beule bildete sich in dem Metall neben Ortegas Kopf. Doch der Schild hielt, und Schreie ertönten, als Demonstranten hinter ihnen, die sie verfolgt hatten, getroffen wurden. Er sprang hinter seinem Schild auf und wurde einen Moment später von den Beinen geholt, als sein Brustharnisch von einer zweiten unerwarteten Salve getroffen wurde. Ortega grunzte, mehr vor Überraschung denn Schmerz, und fiel zu Boden. Collix wälzte sich zu ihm. »Hauptmann? Sind Sie verwundet?« Ortega stöhnte, rappelte sich auf und zuckte zusammen, als ein stechender Schmerz durch seine Brust zuckte. Der Brustharnisch hatte einen Großteil der Aufprallwucht absorbiert, aber er war durchschlagen, und Blut lief vorne heraus. Collix' Anteilnahme überraschte ihn, aber er schüttelte den Kopf. »Vielleicht habe ich mir eine Rippe gebrochen. Nichts Ernstes, glaube ich.« Collix zog ihn hoch, und sie liefen weiter die Straße entlang. Beide Männer fluchten, als sie ihr Wild durch ein massives Holztor in einer hohen Mauer laufen sahen, die das Grundstück eines großen Stadthauses einschloss. Virgil Ortega trabte ein paar Schritte, bevor der stechende Schmerz in seiner Brust zunahm und er innehalten musste. Alles verschwamm vor seinen Augen, und er musste sich an der Hausmauer abstützen. Collix drehte sich um. »Weiter, Hauptmann!« »Gehen Sie vor! Ich komme nach«, keuchte er. Vielleicht war die Wunde doch ernster, als er gedacht hatte. Sein Atem ging stoßweise und rasselnd. Er taumelte seinen Männern hinterher und warf einen raschen Blick über die Schulter. Niemand verfolgte sie, was ihn überraschte, aber er war auch dankbar für kleine Geschenke. Er machte noch einen Schritt und schloss die Augen, als ihn ein Anfall von Schwindel und Übelkeit zu überwältigen drohte. Seine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an, und bei jedem Atemzug schienen sich
Glasscherben in seine Brust zu bohren. Er drängte die Schmerzen in den Hintergrund, indem er sich so fest auf die Lippe biss, dass Blut floss, und zwang sich zum Weitergehen. Seine Männer hatten mittlerweile das Tor erreicht, durch das die Mörder verschwunden waren, und Collix gab ihnen Anweisung, es aufzubrechen. Zwei Liktoren sprengten die Angeln, während ein dritter mit seinem eisenverstärkten Stiefel gegen das Schloss trat und die Tür damit aus dem Rahmen beförderte. Das Getöse von Sturmgewehrschüssen hallte aus dem Durchgang, und der erste Liktor wurde von den Beinen geholt. Collix und die anderen warfen sich in Deckung, als die nächste Salve kam. Er schwankte trunken zu seinen Männern, wobei er um jeden Atemzug rang, und lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer. Collix riskierte einen blinden Schrotflintenschuss durch das Tor. Die Antwort bestand aus einer weiteren Salve automatischen Feuers. Er warf einen raschen Blick durch das offene Tor und erblickte mindestens vier oder fünf Männer mit schweren Schrotflinten, automatischen Gewehren und einem Flammenwerfer in einer mit Sandsäcken gesicherten Geschützstellung. Ortega fluchte. Jeder, der sich länger als einen Sekundenbruchteil in diesem Tor zeigte, war ein toter Mann. Eine Salve schoss die Stuckverzierungen rund um das Tor in tausend Splitter, und er zog den Kopf rasch wieder ein. Collix und die anderen feuerten gelegentlich durch das Tor, aber Schrotflinten waren Sturmgewehren und Männern, die sie zu benutzen wussten, hoffnungslos unterlegen. Ein Feuerstrahl toste durch das Tor, und die Liktoren sprangen zurück, da der gesplitterte Torrahmen Feuer fing und der Eingang in Flammen gehüllt wurde. Rauch und Schatten tanzten auf der Straße, da Gasschwaden vom Befreiungsplatz durch ihre Zufahrtsstraße wallten. Ortega glaubte, klobige Gestalten kommen zu sehen, aber aufgrund der Schmerzen und des Blutverlusts sah er nur noch verschwommen und war sich nicht sicher. Sie befanden sich in einer Zwickmühle. Bei einem Frontalangriff würden seine Männer sterben, aber er war nicht gewillt, diese mordenden Schweine entkommen zu lassen. Eine weitere Flammenzunge leckte durch das Tor und erleuchtete kurz die verräu-
cherte Straße. Ein Schatten fiel über Virgil Ortega, als eine massige Gestalt hinter ihm auftauchte und sich in den Eingang des Stadthauses stellte. Und die mit Sandsäcken verstärkte Geschützstellung löste sich in einem donnernden Geschosshagel auf. Flammen zuckten durch das Tor und hüllten den gerüsteten Riesen in einen flackernden orangefarbenen Schein. Ein gigantischer Krieger in leuchtend blauer Rüstung stand ungerührt in den Flammen wie ein legendärer Kriegsgott und hielt eine massige Waffe in den Händen, die mit beängstigender Geschwindigkeit Boltpatronen durch das Tor spie. Ortega fiel die Kinnlade herunter, als er sah, dass es nicht nur einen dieser Kolosse gab, sondern deren acht. Der Riese wandte den Kopf, sodass das Helmvisier in Ortegas Richtung zeigte, und er spürte, wie er unter seinem Blick schrumpfte. »Wir übernehmen jetzt, Liktor«, sagte der Krieger, dessen Stimme durch das Helmsprechgerät verzerrt wurde. Unfähig zu antworten, nickte Virgil Ortega nur und winkte in Richtung des Stadthauses. »Sie sind herzlich eingeladen«, keuchte er. Sergeant Learchus nickte dem verwundeten Liktor zu und stürmte durch das brennende Tor. Ein Hagel von Sprengpatronen aus seinem Boltgewehr flog ihm voraus. Cleander war neben ihm, und die anderen Ultramarines schwärmten hinter ihm aus und schossen aus der Hüfte. Die unmittelbare Bedrohung war ausgeschaltet, die Männer hinter den Sandsäcken von dem massiven Beschuss zerfetzt worden, aber aus den oberen Fenstern des Hauses schlug ihnen Gewehrfeuer entgegen. Dem Knattern der Schüsse konnte Learchus entnehmen, dass es sich um automatische Gewehre handelte, deren Munition seiner heiligen Servorüstung eigentlich nichts anhaben konnte. Noch immer zuckten Flammen über seine Brust, wo das Promethium sich gesammelt hatte. Er spürte, wie Kugeln von seinen Schulterschützern abprallten, und erwiderte das Feuer. Ein Schrei ertönte. Er setzte über die blutige Ruine der Geschützstellung hinweg und warf sich mit seiner gerüsteten Körperfülle gegen die Haustür. Die massive Tür zersplitterte, und schon waren die Space Marines im Haus. Er wusste, dass er sich beeilen musste. Sein
verschärftes Gehör hatte das unverkennbare Jaulen von sich nähernden Ornithopter-Triebwerken aufgeschnappt, und das konnte nur eines bedeuten. Learchus hechtete zur Seite und rollte sich ab, als vor ihm ein Kugelhagel in den Boden schlug und Terrakottabrocken aus den Bodenfliesen gerissen wurden. Er kam wieder hoch und schoss sein Boltgewehr einhändig ab. Ein Mann in der Uniform eines Liktors, der auf der breiten Treppe stand, wurde förmlich zerfetzt, und er winkte seine Männer hinein. »Die Verräter werden auf dem Dach sein und darauf warten, dass sie abgeholt werden. Sie dürfen das Haus nicht verlassen«, befahl Learchus. Die Ultramarines nickten und folgten ihrem Sergeant, der vor ihnen die Treppe emporstürmte und dabei fünf Stufen auf einmal nahm. Learchus landete in einem länglichen Raum mit gefliestem Boden, in dem die Möbel mit weißen Laken abgedeckt waren. Eine andere, schmalere Treppe führte zu einem Rechteck aus Sonnenlicht empor, und er konnte den Lärm der Ornithopter-Triebwerke jetzt noch lauter hören. Als er der Dachluke entgegeneilte, erhob sich ein Mann hinter einem der Bettlaken, doch bevor er schießen konnte, jagte Cleander ihm eine Boltpatrone in den Schädel. Learchus eilte die Treppe empor und stürmte auf das flache Dach des Hauses. Amel Vedden beobachtete, wie die beiden Punkte der Ornithopter näher kamen, und überlegte verdrossen mit Blick auf die sieben überlebenden Männer, dass einer nun reichen würde. Er hatte eine Menge Soldaten bei diesem Unternehmen verloren, doch er konnte sich einfach nicht dazu bringen, dass sie ihm Leid taten. Aber was für ein Unternehmen! Wer hatte damit rechnen können, dass Space Marines sich einmischen würden? Er hätte angesichts dieser unerwarteten Bedrohung mit Sicherheit viel mehr Geld verlangt. Er hielt noch immer die bewusstlose Frau in den Armen und wusste, dass er es genießen würde, sie zu töten, sobald sie in Sicherheit waren. Sein Blick huschte zur Dachluke, als er Schüsse von unten hörte. Konnten sich diese verfluchten Ornithopter nicht etwas beeilen? Langsam wurde es eng. Die insektenähnlichen Flugmaschinen kamen mit breitem Rumpf
und knollenförmigen Geschützen wie Stacheln unter der Nase, die in unheimlichem Gleichklang mit den Kopfbewegungen des Piloten Ziele suchten, während sie das Haus umkreisten. Warum landeten sie nicht? Vedden fuhr herum, als er Panzerstiefel hörte, und zog eine Pistole, die er der jungen Frau kräftig an die Schläfe drückte. Fünf Space Marines standen da und hatten ihre unhandlich großen Boltgewehre auf ihn und seine Männer gerichtet. Seine eigenen Männer hatten ihre Schrotflinten angelegt, doch niemand rührte sich. Die Luft schien stillzustehen, als sei sie nicht gewillt, durch dieses Drama zu strömen. Sogar der Lärm der kreisenden Ornithopter und der brüllenden Menge, die jetzt die Stadt in Schutt und Asche legte, kam ihm seltsam gedämpft vor. Sein Mund war trocken, da er diesen gewaltigen Kriegern gegenüberstand, und er spürte, wie sich ein Zittern in seinem Arm ausbreitete. Das waren Space Marines, was, zur Hölle, hatte er sich da eingebrockt? Er grub tief in sich, wo er nach einer unangezapften Mutreserve suchte, und leckte sich die Lippen. Amel Vedden bekam keine Gelegenheit herauszufinden, ob er den Mut zu einer Kraftprobe mit einem Space Marine hatte, denn an dieser Stelle eröffneten die Geschütze der Ornithopter das Feuer. Großkalibrige Kugeln aus Autokanonen deckten das Dach ein, wühlten dessen Kieselbelag auf und zerfetzten menschliches Fleisch. Die Männer, welche auf den Abtransport in den Fliegern gewartet hatten, starben zuerst, von den panzerbrechenden Geschossen binnen Sekunden in Stücke gerissen. Vedden schrie auf, als ihn eine Patrone traf und ihm in Höhe der Oberschenkelmitte ein Bein abtrennte. Er brach zusammen und riss die junge Frau dabei mit zu Boden. Die Ultramarines sprengten auseinander und schossen auf die Ornithopter, aber ihre Boltpatronen richteten gegen die gepanzerte Unterseite der Kampfmaschinen nichts aus. Learchus rannte los, hechtete vorwärts, um die junge Frau in die Arme zu nehmen und sich auf sie zu wälzen, kurz bevor das Feuer der Ornithopter sie erreichte. Während er sich mit den Ellbogen abstützte, um die junge Frau mit seinem Gewicht nicht zu zerquetschen, spürte er kräftige Einschläge auf dem Rücken. Er richtete ein kurzes Dankgebet an seine Rüstung, weil sie ihn so
standhaft vor den Kugeln dieser Verräter schützte. Von einem Augenblick zum anderen stellten die Waffen das Feuer ein, und die Ornithopter gewannen rasch Höhe und entfernten sich von dem Haus, da sie ihren Mordauftrag erfüllt hatten. Boltpatronen verfolgten sie, doch sie waren schnell außer Reichweite und im nebligen Dunst verschwunden, in den die Manufakturen gehüllt waren. Learchus erhob sich auf die Knie und zog die junge Frau unter sich hervor. Sie war mit Blut beschmiert, aber wie viel davon ihr eigenes war, konnte Learchus nicht sagen. Nach einer oberflächlichen Untersuchung glaubte er, dass sie überleben würde. Er stand auf und nahm sie auf die Arme. Der Mann, der sie entführt hatte, starrte mit glasigen Augen in den Himmel und umklammerte hyperventilierend seinen Beinstumpf. Er kroch über das von Kugeln aufgewühlte Dach und winselte um Hilfe. Cleander legte eine Aderpresse an in der Hoffnung, dass der Mann sich als ergiebige Informationsquelle erweisen würde, falls er überlebte. Vom Befreiungsplatz drang immer noch Kampflärm herüber, und Learchus sah, wie sich in der ganzen Stadt orangefarbene Flammen und Rauch ausbreiteten, da die Bevölkerung von Pavonis auf die einzige Art und Weise auf die Ereignisse des Tages reagierte, die ihr dazu einfiel. Die Zerstörung dauerte den ganzen Tag, da der Pöbel mit Mord im Sinn durch die Marmorstadt wütete. Die Statuen an den großen Durchgangsstraßen waren umgestürzt, gepflegte Gärten und Parks in Brand gesetzt und Häuser geplündert worden, da die primitiveren Elemente der Menge den Aufruhr ausnutzen wollten. Brände breiteten sich ungehindert aus, und ganze Stadtteile wurden dem Erdboden gleichgemacht, da die Feuerwehr nicht bereit war, auf den Straßen der Stadt ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Leute versteckten sich voller Angst in ihren Häusern, da schreiende Arbeiter Türen einschlugen und alles Wertvolle stahlen. Einige der wohlhabenderen Bewohner wehrten sich und schossen die Einbrecher nieder, aber gegen den Pöbel standen sie auf verlorenem Posten, und letzten Endes wurden sie in Stücke gerissen und ihre kostbaren Besitztümer und Schätze zerstört. Vernünftigere Köpfe in der Menge marschierten mit erhobenen Armen durch die Straßen und forderten zu Ruhe und Besonnen-
heit auf, aber im Chaos des Aufruhrs konnten sie sich kein Gehör verschaffen. In dem Wissen, dass eine Rückkehr in die Stadt den sicheren Tod verhieß, hatten die Liktoren sich auf das Grundstück des Palasts zurückgezogen, wo sie von den dicken gepanzerten Mauern und Artillerietürmen geschützt wurden. Ein paar Aufrührer hatten versucht, die Tore zu stürmen, aber donnernde Salven aus den Geschützstellungen hatten sie gnadenlos niedergemäht. Die an den Zufahrtsstraßen postierten Liktoren-Trupps hatten rasch erkannt, dass sie von ihrem Revier abgeschnitten waren, und in der Nähe Zuflucht gesucht. Sie wurden stundenlang belagert, bis vom Palast Flieger zu ihnen geschickt wurden, um sie und die Besitzer der Häuser in Sicherheit zu fliegen. Von den Ultramarines beschützt, blieb Virgil Ortegas zufällig entstandenem Trupp nichts zu tun übrig, als darauf zu warten, bis sie von einem der Ornithopter aus dem Palast abgeholt wurden. Ortega, bei dem sich Phasen der Bewusstlosigkeit mit solchen des Wachseins abwechselten, wurde vorübergehend in eine Welle der Panik gehüllt, als er den Antriebslärm von Ornithoptern über sich hörte und glaubte, deren Geschütze würden jeden Moment das Feuer eröffnen. Ortega und der verwundete Gefangene wurden zusammen mit den anderen Liktoren abtransportiert. Die Flugmaschine konnte das Gewicht von acht vollständig gerüsteten Space Marines nicht tragen, aber der Pilot versicherte Learchus, er werde umgehend zurückkehren. Der Sergeant erklärte dem Piloten, er und seine Männer kämen auch ohne Ornithopter sicher in den Palast zurück, und befahl ihm, stattdessen alle Liktoren-Trupps abzuholen, die noch in der Stadt aushielten. Die Dunkelheit brach herein, und die Aufrührer hatten sich immer noch nicht ausgetobt. Rote Flammenzungen leckten zum Himmel, und von jedem Brandherd stieg Rauch auf. Ganze Viertel waren in Dunkelheit gehüllt, da ihre verängstigten Bewohner nicht bereit waren, ihre Anwesenheit durch Beleuchtung kundzutun. Später würde man erfahren, dass an diesem Tag über viertausend Personen gestorben waren: bei den Kämpfen getötet, in ihren Häusern ermordet oder in den unkontrolliert wütenden Bränden ums Leben gekommen. Es war ein Tag, den man auf Pavonis noch lange betrauern würde. Als sich die Kühle der Nacht ausbreitete, verließen zunächst
langsam und dann immer schneller Scharen von Arbeitern die Stadt. Doch viele blieben auch, um ihre Frustration an jenen auszulassen, von denen sie glaubten, sie hätten es verdient. Manche empfanden Scham angesichts der Vorgänge, während andere nichts als ein Gefühl gerechtfertigten Triumphs verspürten. Ario Barzano beobachtete mit ausdrucksloser Miene, wie der Palastarzt den Verwundeten versorgte und blutige Verbände und Klammern von dem unregelmäßigen Beinstumpfentfernte. Barzano hatte genügend schwere Wunden gesehen, um zu wissen, dass der Mann nicht sterben würde. Jedenfalls nicht an dieser Wunde. Einstweilen war er bewusstlos, vollgepumpt mit Beruhigungsund Schmerzmitteln. Seine Glieder wurden von Gurten am Bett gehalten, während der Arzt bemüht war, die sprudelnde Arterie zu klammern. Bruder Cleanders sachkundige erste Hilfe hatte ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. Was der Gefangene später noch bereuen würde, überlegte Barzano. Liktor Ortega lag auf der Pritsche neben dem Verräter. Seine ausladende Brust war in Verbände gehüllt. Die Schrotladung hatte ihm zwei Rippen gebrochen, und ein gesplittertes Ende hatte seinen linken Lungenflügel durchbohrt. Er hatte Glück, dass er noch lebte, und angesichts der Schreie und Flüche, die er während der Behandlung von sich gegeben hatte, fragte er sich, ob ihn nicht einfach nur nackte Sturheit am Leben erhalten hatte. Jenna Sharben saß neben ihm, beschrieb leise die Ereignisse des Tages, die er aufgrund seiner Bewusstlosigkeit verpasst hatte, und zählte die Liktoren auf, die ums Leben gekommen waren. Seine Miene war dabei wie versteinert, aber Barzano konnte erkennen, dass es ihn schmerzte. Der dritte Patient war die junge Frau, die dieser mordende Abschaum unter der Statue des Imperators entführt hatte. Trotz des vielen Bluts auf ihrer Kleidung hatte sie die Ereignisse relativ unbeschadet überstanden. Der Arzt hatte eine Reihe von Schrotkugeln ausgegraben und sie auf eine Gehirnerschütterung behandelt, aber davon abgesehen, war sie unverletzt. Gegenwärtig schlief sie infolge eines Beruhigungsmittels. Hinter Barzano warteten Sergeant Learchus, Statthalterin Shonai und Almerz Chanda in gespannter Stille auf das Ende der ärztlichen Bemühungen. Barzano ging zu ihnen.
Er dankte Learchus für dessen couragierte Bemühungen im Chaos des Tages. Die Rüstung des Space Marine war verbeult und stellenweise geschwärzt, aber er war unverletzt. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Statthalterin von Pavonis. Sie war gealtert, seit er sie zuletzt gesehen hatte. Die grauen Haare fielen ihr lose auf die Schultern, und ihr Gesicht schien ganz neue Falten entwickelt zu haben. Nur Chanda schien der Blutzoll dieses Tages kalt zu lassen. »Ein verwünschter, blutiger Tag«, begann Barzano, indem er Mykola Shonai eine Hand auf die Schulter legte. Sie nickte, die Kehle zu zugeschnürt, um zu antworten. Chanda hatte ihr soeben eine Tafel mit der geschätzten Anzahl der Todesopfer des heutigen Tages gegeben, und die Höhe hatte sie schockiert. Barzano öffnete die Arme, und sie akzeptierte seine Geste. Er schloss ihren zitternden Leib in die Arme, während sie um die Toten weinte. Barzano schaute Chanda in die Augen. »Gehen Sie«, sagte er nur. Chanda sah aus, als wolle er protestieren, sah aber die eiserne Entschlossenheit in Barzanos Blick und ging nach einer knappen Verbeugung durch die Tür des Krankenreviers. Ario Barzano und Mykola Shonai standen mehrere Minuten in enger Umarmung, während die Statthalterin von Pavonis zuließ, wie die Jahre des Scheiterns und der Frustration sich in Tränen und Schluchzen Luft machten. Barzano hielt sie einfach nur fest, da er ihr Bedürfnis verstand, sich einer Bürde zu entledigen, die sie schon viel zu lange niederdrückte. Als sie aufhörte, waren ihre Augen verquollen und gerötet, aber ein Feuer in ihnen, das lange erstickt worden war, hatte sich nun wieder neu entzündet. Sie wischte sich mit einem von Barzano angebotenen Taschentuch über das Gesicht und holte tief Luft. Sie lächelte Barzano schwach an, straffte die Schultern und band sich die Haare zu einem ordentlichen Pferdeschwanz. Sie warf einen Blick auf das Bett mit dem Mann, der sein Bein verloren hatte. Bis jetzt waren ihre Feinde gesichtslose Wesenheiten gewesen, was sie der Möglichkeit des Zurückschiagens beraubt hatte, doch nun hatte sie einen dieser Feinde vor sich, und sie lächelte in grimmiger Befriedigung. Der Mann war bewusstlos, und laut Arzt würde sich daran möglicherweise noch einige Tage nichts ändern.
Aber irgendwann würde er aufwachen, und dann würde die Statthalterin von Pavonis ihm gegenüber keine Gnade walten lassen. Später hatten sich Ario Barzano, Jenna Sharben, Mykola Shonai, Sergeant Learchus, Almerz Chanda und Leland Corteo in den Gemächern der Statthalterin versammelt. Auf dem Tisch dampfte eine große Kanne mit Kaffein. Barzano goss jedem außer Learchus eine Tasse ein, der höflich ablehnte. Mit Ausnahme von Mykola Shonai, die sich mit aufgestauter Energie in dem Raum zu schaffen machte, sahen alle abgespannt und müde aus. Die Statthalterin blieb vor der Büste des alten Forlanus stehen, lächelte und tätschelte die steinerne Schulter. Corteo fand, dass es das Lächeln des Jägers war. Shonai kehrte an den Tisch zurück, trank einen Schluck aus ihrer Tasse und beugte sich mit verschränkten Händen vor. »Also zur Sache, Leute. Wir haben einen unserer Feinde geschnappt. Was wissen wir über ihn?« Jenna Sharben legte einen Segeltuchbeutel auf den Schreibtisch und schüttete den Inhalt aus. Silberne Hundemarken und verschiedene Habseligkeiten persönlicher Art fielen heraus: ein Feuerzeug, ein kleines Taschenmesser und anderer soldatischer Schnickschnack. »Eine der Leichen, die wir aus dem Haus geborgen haben, anscheinend ein Funker, hatte das bei sich. Wir glauben, dass er in dem Haus geblieben ist, während die anderen ihren Auftrag ausgeführt haben, und dann bei ihrer Rückkehr die Ornithopter gerufen hat. Ich nehme an, sie haben nicht damit gerechnet, dass ihre Fluchthelfer das Feuer auf sie eröffnen könnten.« »Wissen wir, wessen Ornithopter das waren oder wohin sie geflogen sind?«, fragte Shonai. »Ich fürchte, nein«, sagte Almerz Chanda. »In der fraglichen Zeit waren unsere Luftüberwachungssysteme zwecks planmäßiger Wartung außer Betrieb.« »Also wissen wir nicht, wohin die Ornithopter geflogen sind«, wetterte Shonai, »aber ich nehme an, diese Hundemarken verraten uns, wer die Männer waren, die in die Menge geschossen haben?« Jenna Sharben antwortete. »Ja, es sieht so aus, als wären alle Berufssoldaten bei der Planetaren Wehrmacht. Der höchste
Dienstgrad war ein Hauptmann, und ich wette, das ist der Gefangene, den wir unten haben.« »Hat er einen Namen?«, fragte Barzano. Sharben nickte dem Adepten zu. »Wenn er der Hauptmann ist, heißt er Amel Vedden und ist Offizier in der Kharon-Kaserne.« »Das ist eines der Regimenter, das von Taloun finanziert wird«, stellte Chanda fest. »Gibt es eine Akte über ihn?«, fragte Barzano. »Nein, sie wurde gelöscht. Und das erst kürzlich.« Barzano wandte sich an Shonai. »Wer könnte einfach so eine Militärakte löschen? Nur der kommandierende Offizier eines Regiments hat die Möglichkeit dazu.« Shonai begriff rasch die Implikationen von Barzanos Schlussfolgerung. »Also steht jetzt die Loyalität eines ganzen Regiments der Planetaren Wehrmacht infrage?« Sie fluchte. »Das sind fast fünftausend Mann.« Statthalterin Shonai dachte schweigend über die Situation nach, bevor sie eine Entscheidung traf. »Also gut, ich genehmige die Mobilisierung von mehr Regimentern, um ihre Basis abzuriegeln, bis wir sicher sind, wem ihre Loyalität gehört.« »Wie lange wird das dauern?«, fragte Barzano mit Blick auf Leland Corteo. Der alte Mann seufzte schwer und zog an seiner Pfeife. »Das ist schwer zu sagen. Die letzte Mobilmachung der PWM liegt Jahrzehnte zurück.« »Ja, aber wie lange wird es dauern?«, hakte Barzano nach. »Vielleicht zwei oder drei Tage. Das heißt, wenn genug Soldaten auf den Einberufungsbescheid reagieren. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die meisten von ihnen heute auf dem Befreiungsplatz waren.« »Die Vae Victus und Hauptmann Ventris kehren in weniger als drei Tagen zurück«, fügte Sergeant Learchus hinzu. »Dann steht Ihnen eine Kompanie Ultramarines zur Verfügung, Statthalterin Shonai.« »Vielen Dank, Sergeant. Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Hilfe der Ultramarines. Sie gereichen Ihrem Orden zur Ehre.« Learchus neigte den Kopf. »Wir dienen dem Imperator.« Shonai nippte an ihrem Kaffein. »Was haben wir sonst noch?
Wissen wir schon, wem dieses Stadthaus gehört?« »Das wissen wir tatsächlich«, flötete Almerz Chanda mit großer Freude. Er legte einen Stapel Papiere, Kaufurkunden und Stadtakten auf den Tisch. »Es ist ein Sommerhaus, das Taryn Honan gehört.« »Honan?«, rief Corteo, der sich fast an seinem Pfeifenrauch verschluckte. »Das glaube ich nicht! Dieser fette Schwachkopf? Im Leben nicht!« »Hier steht es schwarz auf weiß«, sagte Chanda mit Verweis auf die Akten. »Die haben nichts zu bedeuten«, warf Barzano ein. »Das Unternehmen war sorgfältig geplant. Die Drahtzieher hatten nie die Absicht, die Soldaten nach getaner Tat abzuholen. Würde Honan dahinterstecken, wäre er wohl kaum so dumm gewesen, den Angriff von einem seiner eigenen Häuser zu starten. Obwohl es nicht schaden kann, ihn herzubringen, damit er ein paar Fragen beantwortet.« »Wo stehen wir dann also?«, fragte Jenna Sharben. »Wir stehen«, fuhr Barzano fort, »vor einem Haufen Arbeit.« Kasimir de Valtos stach seine Gabel in ein saftiges Fleischschnitzel und zwang sich trotz des sauren Gallegeschmacks in der Kehle zu schlucken. Das Fleisch schmeckte nach ranzigen Maden, und er spülte es mit einem Schluck Wein aus einem Kristallglas herunter. Man hatte ihn zuverlässig darüber informiert, dass dieser besondere Jahrgang zu den gefragtesten in diesem Sektor gehörte, aber für ihn war er ebenso geschmacklos wie Essig. Noch ein Vermächtnis seiner Tortur. Doch das würde bald der Vergangenheit angehören. Lasko hatte ihn darüber in Kenntnis gesetzt, dass seine Männer bald in die letzte Kammer eindringen würden, und es hatte seiner gesamten, nicht unbeträchtlichen Willenskraft bedurft, nicht davonzueilen und selbst nachzusehen. Er spürte, wie seine Finger, welche die Gabel hielten, krampfhaft zu zucken anfingen, und verbarg sie unter dem Tisch vor den Blicken. Sein Gast sagte etwas Triviales und Banales. Er lächelte höflich und gab etwas gleichermaßen Bedeutungsloses als Antwort von sich. Er konnte die Worte nicht hören. In seinen Ohren rauschte es, und in seinem Mund bildete sich eine heiße Trockenheit. Er
trank noch einen Schluck Wein. Unter dem Tisch schlug seine Faust einen Rhythmus auf seinem Oberschenkel, wobei die Gabel so tief durch die Hose ins Fleisch stach, dass Blut floss. Er spürte es nicht und bemerkte das Blut erst, als er die Gabel wieder zum Teller hob. Beim Anblick der klebrig-roten Flüssigkeit stockte ihm der Atem, Und seine Zunge zuckte vor, um die roten Tropfen aufzufangen, die ihm von der Hand rannen. Sein Gast sagte etwas anderes, aber die Worte rauschten an ihm vorbei, als er das Blut schmeckte. Er konnte die Schmerzen in seinem Bein nicht empfinden. Er konnte überhaupt keine Schmerzen empfinden. De Valtos spürte, wie sein Blick von der Decke des Speisezimmers angezogen wurde, als er sich die schwarze Ledertasche unter seinem Bett vorstellte, doch er zwang sich wegzuschauen. Es war noch zu früh. Es war immer viel besser, wenn er es hinauszögerte. Er verdrängte alle Gedanken an Klingen, Sägen, Zangen und Haken und versuchte sich auf seinen Gast zu konzentrieren. Doch es war unmöglich, dem hirnlosen Geplapper zu folgen, das von den geschminkten Lippen perlte. Schweiß rann ihm übers Gesicht, als er sich zwang, den nächsten Fleischbrocken zu schlucken. Er glaubte nicht, noch viel länger warten zu können, es zu töten. Ihm ging auf, dass er von seinem Gast nicht mehr als Mensch dachte, und das war ein schlechtes Zeichen. Der Hunger wuchs in ihm, und er stellte es sich nackt vor. Es war nur Fleisch, Fleisch, das zerschnitten werden konnte in einem kathartischen Auslöser für die Schmerzen, die er nicht mehr empfinden konnte. Um diese Schmerzen wieder zu spüren, würde er dem Körper vor sich Schmerzen und Elend bereiten, und seine Schmerzen würden ein Echo der Schreie sein. Blut lief sein Kinn herunter, und ihm ging auf, dass er sich fest auf die Lippen gebissen hatte. Er wischte sich das Kinn ab, während sein Gast seinen Stuhl zurückschob und mit vorgetäuschter Besorgnis auf seinem Kalbsgesicht auf ihn zukam. Es legte ihm die Hand auf die Schulter, und er zuckte voller Entsetzen ob seiner Berührung zurück. »Geht es Ihnen gut, Kasimir? Sie sehen schrecklich blass aus«, sagte Solana Vergen.
Kasimir de Valtos schluckte und hielt seinen Abscheu und seine Wut mühsam im Zaum. »Ja«, brachte er heraus, während er an die schwarze Tasche dachte. »Es wird schon wieder.«
12. Kapitel Es war unglaublich, überlegte Bergwerksleiter Jakob Lasko. Wie viel Saft sie diesem verfluchten Schneider auch gaben, er kam nie höher als halbe Kraft. Sie verbrauchten fünf oder sechs Generatoren pro Tag, und obwohl die Auswirkungen auf die Kosten an ihm nagten, war ihm klar, dass ihm keine andere Wahl blieb, als jeden einzelnen im Fall des Versagens sofort zu ersetzen. Sie mussten diese letzte Barriere schnell durchbrechen. Die Kammer pulsierte im Jaulen des Schneiders, und er war dankbar für die Ohrenschützer, die er trug. Sie machten nicht nur das Kreischen des Schneiders erträglich, sondern brachten auch den komischen Lärm zum Verstummen, den er in letzter Zeit hörte. In seinen fantasievolleren Momenten - von denen es nicht viele gab - hätte er geschworen, plappernde Stimmen in diesem Lärm unterscheiden zu können, die einander raffiniert überlappten. Verdammt, er war schon viel zu lange an diesem bizarren Ort! Er ließ seinen professionellen Blick in der Kammer umherwandern. Sie war absolut quadratisch, ihre Proportionen bis zum letzten Mikron perfekt, hatten ihm jedenfalls seine Kartografen gesagt. Die Wände waren mit einer engen, eckigen Schrift bedeckt, die in dreieckigen Gruppen in die glatten Wände gemeißelt war. Was sie besagte oder zu bedeuten hatte, war ihm ein Rätsel. Die einzigen Unterbrechungen in der Schrift waren vier nichts sagende Nischen, zwei in der Ostwand, zwei in der Westwand. Jede enthielt eine riesige, gut proportionierte Alabastergestalt, die einen seltsamen Kupferstab umklammert hielt, der von einer grünen Patina bedeckt war. Was sie waren oder darstellen sollten, war ihm ebenfalls ein Rätsel, dessen Lösung er anderen überließ. Jakob Lasko interessierte sich nur dafür, die Tür am anderen Ende der Kammer zu öffnen. Bis jetzt hatte die glatte schwarze Platte Diamantbohrern und Sprengladungen widerstanden. Nur der Laserschneider konnte
etwas ausrichten, und damit kamen sie quälend langsam voran. Zwei Techpriester beteten und schwangen Räucherfässchen über dem Schneider. Hinzu kamen sechs Bergarbeiter mit Spitzhacke und Schaufel, die aussahen, als wären sie überall lieber als hier. In letzter Zeit war es so schlimm geworden, dass keiner der Männer noch bereit war, allein irgendwohin zu gehen. Er konnte es ihnen nicht verdenken. Angesichts der Finsternis und der Spukgeschichten, die in den letzten Jahren über diesen Ort in Umlauf geraten waren, hätte jeder Bedenken gehabt. Aber das war keine Entschuldigung für die Arbeiterfluktuation, die er hier erlebte. Die Bezahlung war viel besser als andernorts, wenn sich also jemand verpflichtete, konnte man auch erwarten, dass er vernünftige Arbeit leistete. Sicher, im Laufe der Jahre waren ein paar Männer verschwunden, erst kürzlich dieser verdammte Narr Dal Kolurst. Der dämliche Idiot war vermutlich im Dunkeln in einen Schacht gestürzt. Diese Techpriester kannten sich vielleicht mit Maschinen aus, aber von richtiger Arbeit hatten sie keine Ahnung. Bis jetzt war Kolursts Leiche nicht gefunden worden, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand über seinen zerschmetterten Leichnam stolperte. Er sah auf, als die Lichter wieder flackerten, und warf einen wütenden Blick auf die skandierenden Priester. Das Licht war ohnehin schon schlecht genug hier drinnen, auch ohne totale Finsternis. Die diamantglatten Augen der Statuen in den Nischen funkelten im flackernden Lichtschein, und Lasko schauderte unwillkürlich. Ja, entschied er, die Bezahlung war gut, aber er müsste lügen, wenn er behauptete, er wäre nicht verdammt froh, wenn diese Arbeit vorbei war und er wieder richtigen Bergbau betreiben konnte. Diese Archäologie wurde vielleicht besser bezahlt, aber seiner Arbeiterseele kam es nicht richtig vor, so viel Geld in etwas zu stecken, ohne etwas Greifbares dafür zu sehen. Was hatten sie bisher aus dieser Stätte herausgeholt? Nichts, abgesehen von ein paar skelettdünnen Figuren aus irgendeinem verdrehten grünlichen Metall. Die Techpriester waren ihretwegen ganz aufgeregt gewesen, aber keiner von ihnen hatte ihm sagen können, was sie darstellten oder was das für ein Metall war. Großartige Experten waren
das. Nun, ein Blick auf die Arbeit an der Tür verriet ihm, dass der Schneider vielleicht einen Meter geschafft hatte. Den Techpriestern zufolge konnte nicht mehr viel übrig sein, aber Lasko würde warten, bis sie durch waren, bevor er den fünfzig Jahre alten Uskavar öffnete. So reich der große Meister auch war, Lasko glaubte nicht, dass er noch allzu viele Generatoren und Schneider ausspucken würde. Dieses Unternehmen musste ohnehin bereits ein Vermögen gekostet haben. Die Lichter flackerten abermals, und ein paar lange Sekunden versank alles in Dunkelheit, bis die Lichtkugeln mit einem matten Summen wieder etwas Helligkeit spendeten. Laskos Erleichterung war größer, als er sich eingestehen wollte, und er leckte sich die trockenen Lippen. Was in aller Welt konnte so Wichtiges hinter dieser Tür sein? Er hoffte nur, er würde es bald herausfinden.
13. Kapitel Taryn Honan betrat das Vestibül von Kasimir de Valtos' Heim und warf einen Blick durch die offene Tür, die ins Esszimmer führte. An einem Ende des Tisches lag überall zerbrochenes Geschirr und erlesenes Kristallglas auf dem Boden. Was für ein Jammer, so kunstfertige Arbeit so achtlos zerstört zu sehen. Er riss sich vom Anblick des Speisezimmers los, als ihm auffiel, dass ein Damenmantel an einem Haken neben der Hingangstür hing. Er leckte sich die geschminkten Lippen, hob den Saum des Kleidungsstücks vor sein Gesicht und atmete den süßlichen Duft ein. Ah ja, er identifizierte dieses Parfüm als dasjenige der reizenden Solana. War sie ebenfalls hier?, fragte er sich. Seltsam, bei seiner Ankunft hatte er ihre Kutsche gar nicht gesehen. Ein Hüsteln auf der Treppe ließ ihn den Mantel loslassen und herumfahren, wobei er vor schuldbewusster Überraschung errötete. Kasimir de Valtos und Vendare Taloun standen auf dem Treppenabsatz und beobachteten ihn. Honan schlurfte in die Mitte des Vestibüls und räusperte sich, während die beiden Kartell-Führer zu ihm herunterkamen. Ihm fiel auf, dass Kasimir ein wenig erhitzt und für seine Verhältnisse gut aussah, während Vendare kreidebleich war, als habe er soeben einen gewaltigen Schock
erlitten. »Was machen Sie hier?«, wollte Kasimir wissen, und die Feindseligkeit in seiner Stimme ließ Taryn zusammenzucken. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen nicht herkommen, wissen Sie noch?« »J-j-ja«, stammelte Taryn, »aber ich muss Sie sprechen. Die Statthalterin hat mich heute Morgen in den Palast bestellt. Die Fragen, die man mir gestellt hat! Ich meine, es hat die Grenzen des Erlaubten ziemlich gesprengt. Alles Mögliche. Sie...« »Taryn, beruhigen Sie sich erst mal«, befahl Kasimir, indem er einen Arm um Taryns ausladende Schulter legte. »Kommen Sie, setzen wir uns in den Salon vors Feuer, und reden wir darüber wie zivilisierte Menschen, ja?« Taryn nickte dankbar und ließ sich durch die Tür gegenüber vom Speisezimmer führen. Wie versprochen, brannte ein großes Feuer, und Taryn setzte sich auf einen hochlehnigen Ledersessel, während de Valtos drei großzügig bemessene Gläser mit Uskavar aus einer Flasche von einem beachtlichen Getränkewagen füllte. Taloun ging rasch zu Kasimir und kippte seinen Uskavar in einem Zug. Die beiden Kartell-Führer wechselten ein paar eilig geflüsterte Worte, dann setzte Kasimir sich Taryn gegenüber und reichte ihm ein Kristallglas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Vendare blieb am Getränkewagen stehen und goss sich noch ein Glas ein. »Also, Taryn. Was wollten Sie sagen?« Bevor er begann, trank er einen Schluck, um sich zu beruhigen. »Ja, es ist eine schlimme Sache, wenn ein einflussreicher Kartell-Führer wie ich von einem Mitglied des Administratums wie ein gewöhnlicher Verbrecher behandelt wird. Dieser neue Adept, Barzano, hat mir alle möglichen Fragen über mein Stadthaus gestellt. Sie wissen schon, das, welches ich Ihnen für eine Weile vermietet habe.« Kasimir nickte, während er auf seiner Unterlippe kaute, und Taryn fiel auf, dass ihm die Hitze des Feuers zu schaffen zu machen schien, denn auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Kasimir?«, fragte Taryn. »Keineswegs«, schnaubte Vendare, während er sich nachschenkte. Kasimir warf ihm einen giftigen Blick zu, nickte und sagte: »Fahren Sie bitte fort, Taryn. Machen Sie sich wegen Harzano
keine Sorgen, er wird nicht mehr lange ein Problem sein. Aber was wollte er wissen?« »Nun ja, er hat behauptet, die Kirche der Alten Sitten hatte von meinem Stadthaus aus wieder einen ihrer verabscheuungswürdigen Angriffe gestartet. Können Sie sich das vorstellen? Von meinem Haus? Lächerlich, nicht wahr?« »Eigentlich nicht, Taryn«, krähte Kasimir mit einem Anflug von Hysterie in seinem humorlosen Lachen. »Sehen Sie, es stimmt nämlich. Alles. Sie sind nur zu dumm, um es zu begreifen.« Taryn öffnete den Mund, um zu protestieren, doch Kasimir ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Sie haben keine Ahnung, was auf diesem Planeten vorgeht, nicht wahr? Die Ereignisse schreiten auf eine Art voran, die von mir bestimmt wird. Von mir! Ich habe zu viel investiert und zu viel verloren, um mir von einer kugelförmigen Platzverschwendung wie Ihnen alles verderben zu lassen, Taryn.« Dieser ungerechtfertigte Angriff trieb Taryn Honan Tränen in die Augen. »Ach, kommen Sie, Kasimir, es gibt keinen Grund, so etwas zu sagen, oder? Schließlich sind wir doch Freunde. Oder nicht?« »Freunde?«, spottete Kasimir de Valtos. »Nein, Taryn, wir sind keine Freunde. Sie sind nur ein jämmerliches Stück Dreck, in das ich auf meinem Weg zur Unsterblichkeit getreten bin. Und jetzt wird es Zeit, Sie loszuwerden.« Taryn hörte, wie sich hinter ihm eine Tür öffnete. Kasimir hob den Blick, um den Neuankömmling anzulächeln, aber in seiner Miene lag keine Wärme. Taryn wandte sich Hilfe suchend Vendare Taloun zu. Sein lieber Freund Vendare würde gewiss nicht zulassen, dass Kasimir in diesem Ton mit ihm redete, oder? Aber Vendare Taloun starrte offenen Mundes und voller Entsetzen auf die Person, die soeben den Raum betreten hatte. Taryn hörte leise Schritte hinter seinem Sessel, und eine blasse, zierlich geäderte Hand legte sich auf seine Schulter. Die Nägel der langen dünnen Finger waren spitz und schwarz angemalt. Von der Hand ging ein starker Geruch nach Desinfektionsmitteln aus. Taryn schluckte voller Angst. »Kasimir? Was geht hier vor?«, winselte er. Er drehte sich schwerfällig auf seinem Sessel und sah eine hoch gewachsene, schlanke Gestalt in einem schlichten roten Kittel und
einer Chirurgenmaske vor dem Gesicht. Nur die Augen waren über der Maske zu sehen, und die hatten eine dunkelviolette Farbe. Die andere Hand der Gestalt glitt in seinen Nacken und zog die Haut straff, und trotz seiner Angst spürte Taryn, wie ihm die zarte Berührung eine Gänsehaut verursachte. Kasimir de Valtos lehnte sich zurück und nippte an seinem Uskavar. Taryn wollte etwas sagen, als er einen scharfen Einstich im Hals spürte, da eine riesige Nadel in seinen Nacken stach. Er zuckte zusammen, doch der Schmerz verschwand sofort und wich einem warmen Gefühl des Schwebens, das seinen ganzen Körper erfasste. Seine Augenlider fühlten sich plötzlich lächerlich schwer an und fielen herab. Kasimir sagte etwas, und er musste sich konzentrieren, um die Worte mitzubekommen. »Taryn, das ist mein Chirurg. Ich finde, Sie beide sollten einander besser kennen lernen, Sie nicht auch?« Taryn Honan lächelte und nickte verträumt, während das schnell wirkende Schlafmittel sich in seinem Körper ausbreitete. Das Glas mit Uskavar entglitt seinen Fingern und zerschellte auf dem Boden. Barzano verließ den Verhörraum, wo Ortega und Sharben die junge Frau befragten, die Learchus vor den mordenden Liktoren gerettet hatte. Statthalterin Shonai, Almerz Chanda und Leland Corteo standen am Fenster zum Verhörraum und beobachteten die Liktoren bei der Arbeit. Shonais Gesicht war granithart, aber Chanda und Corteo schauten entschieden unbehaglich drein ob der Gewalt vor ihren Augen. »Weiß sie irgendwas?«, fragte Shonai. »Ich glaube nicht. Jedenfalls nichts Nützliches. Sie wird uns ein paar Namen nennen, die wir dann einkassieren können, aber sie ist ein zu kleiner Fisch, um etwas wirklich Bedeutsames zu wissen.« »Warum dann all diese... Unannehmlichkeiten?«, fragte Chanda mit einer Geste auf die verhärmte Gestalt jenseits der Glasscheibe. »Weil man nie weiß, unter welchem Stein man ein Teil des Mosaiks findet, mein lieber Almerz.« Chanda runzelte die Stirn über Barzanos übertriebene Vertraulichkeit und schaute weg.
»Sie war auf der Statue«, sagte Mykola Shonai. »Sie gehört zu den Rädelsführern. Sie muss irgendwas wissen.« »Wahrscheinlich«, räumte Barzano ein. »Sie gehört zum harten Kern der Militanten. Sie wird nicht leicht zu brechen sein.« »Tun Sie, was Sie tun müssen«, befahl Shonai. »Mir ist egal, wie, aber finden Sie heraus, wer dahintersteckt, damit ich die Verantwortlichen dafür büßen lassen kann.« »Oh, wir werden schon herausfinden, wer das getan hat, das garantiere ich«, versprach Barzano. »Ich glaube, dass einer Ihrer Rivalen sehr clever und sehr raffiniert war und Aktivistenzellen benutzt hat, um zu gewährleisten, dass wir mit einer einzigen Verhaftung nicht das ganze Netz aufrollen können. Ich weiß, wie diese Dinge funktionieren. Nichts wird schriftlich niedergelegt sein, es wird keine Aufzeichnungen geben, aber jeder in der Schleife weiß davon. Ich würde meinen, dass nach den anfänglichen Ereignissen die Demonstration ein Eigenleben angenommen hat und wenig Regie nötig war, um den Stein ins Rollen zu bringen.« Shonai nickte. »Es war nur ein Funke nötig, um das Feuer zu entzünden«, sagte sie. »Genau. Kundig gelegt von Hauptmann Vedden, verflucht sei seine Seele.« »Ist er schon wieder bei Bewusstsein? Können wir ihn vernehmen?« »Noch nicht, nein. Aber Ihr Arzt glaubt, dass es noch im Laufe des Tages möglich sein wird, obwohl er nicht sonderlich erbaut darüber ist, dass wir so bald mit ihm reden wollen.« »Zur Hölle mit ihm und seinen Sorgen. Ich will, dass dieses Schwein auseinander genommen wird. Wir sind nahe dran, Ario, das spüre ich.« »Begleiten Sie mich«, schlug er vor. »Ich könnte etwas zu trinken vertragen. Sonst noch jemand?« Shonai sah Barzano durchdringend an, aber ihre grimmige Miene wurde weicher und sie nickte. »Ja, warum nicht?« Corteo gluckste. »Tja, ich habe schon immer gesagt, dass es Pech bringt, einen Mann allein trinken zu lassen, also schließe ich mich an.« »Almerz?«, fragte die Statthalterin. Der oberste Ratgeber der Statthalterin schüttelte den Kopf.
»Vielen Dank für die Einladung, Statthalterin, aber ich bleibe hier für den Fall, dass die Liktoren etwas Bedeutsames in Erfahrung bringen, das Ihnen umgehend zur Kenntnis gebracht werden sollte.« Bevor sie sich umdrehte, um Barzano und Corteo zu begleiten, legte Statthalterin Shonai Gianda mit einem müden Lächeln eine Hand auf die Schulter. »Sie sind ein guter Mann, Almerz. Danke.« Almerz Chanda verbeugte sich und konzentrierte sich wieder auf die Vernehmung der jungen Frau. »Sie haben also Erfahrung in diesen Dingen, Adept Barzano?«, fragte Leland Corteo, während er seine Pfeife stopfte. Barzano saß mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Bett und nickte, um dann an seinem Uskavar zu nippen. Gleich nach Betreten seiner Gemächer hatte sie alle eine zwanglose Stimmung überkommen. »Ja, Herr Corteo, das habe ich. Ich war schon an vielen Orten und hatte mit vielen Leuten zu tun, die glaubten, die Gesetze des Imperators hätten für sie keine Gültigkeit.« »Und Sie haben ihnen gezeigt, dass sie die doch hatten?«, warf Mykola Shonai ein. »Das habe ich tatsächlich«, lächelte Barzano. »Und was werden Sie hier machen, wenn Sie erst einmal haben, was Sie wollen?« Die Frage war beiläufig gestellt, aber Barzano spürte die Ernsthaftigkeit hinter den Worten. Er erwog kurz, sie zu belügen, fand aber, dass sie verdient hatte, die Wahrheit zu erfahren. »Aller Wahrscheinlichkeit nach wird man Ihnen die Herrschaft über diese Welt entziehen. Versagen bei der Führung einer Welt des Imperators ist ein Verbrechen, und Ihre Regierung hier kann kaum als Erfolg bezeichnet werden, oder?« Corteos Gesicht rötete sich vor Zorn über Barzanos direkte Antwort, und er knallte sein Glas auf den Tisch des Adepten. »Jetzt hören Sie mal zu, verdammt! Sie mögen ja ein toller Feuerwehrmann von Terra sein, aber Sie haben kein Recht, so mit einem Imperiumsstatthalter zu reden.« »Nein, Leland, er hat jedes Recht«, flüsterte Shonai. »Schließlich ist ja richtig, was er sagt. Ich habe versagt, ich habe zugelassen, dass die Dinge aus dem Ruder laufen, und die Vorgänge viel zu lange zu verbergen versucht. Vielleicht haben wir die Ablösung
verdient.« Barzano beugte sich vor, stellte sein Glas neben sich ab und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Vielleicht haben Sie das, aber ich habe noch keine Entscheidung getroffen. Denn wen sollte ich an Ihrer Stelle einsetzen? Ballion Varle? Vendare Taloun? Taryn Honan? Ich glaube kaum, meine liebe Statthalterin. Nein, lassen wir das Gerede über Entlassungen für den Augenblick und konzentrieren uns auf das tatsächliche Problem.« »Und das wäre?«, schnauzte Corteo, der immer noch wütend über Barzanos Grobheit war. »Ich halte es für möglich, dass Personen auf diesem Planeten mit den Eldar zusammenarbeiten und deren Piratenüberfälle ausnutzen, um andere Aktivitäten zu tarnen, während sie gleichzeitig Zwietracht auf Pavonis säen, um die Aufmerksamkeit von ihren eigentlichen Zielen abzulenken«, erläuterte Barzano, indem er sich mit dem Rücken an die Wand lehnte. Sowohl die Statthalterin als auch Corteo waren sprachlos. Die Vorstellung, dass die Schwierigkeiten ihres Planeten absichtlich herbeigeführt worden sein mochten, war entsetzlich, und keiner wusste, wie er darauf reagieren sollte. »Ich glaube nicht, dass die Ereignisse, die hier stattgefunden haben, ohne einen lenkenden Einfluss möglich gewesen wären. Es gibt zu viele Zufälle, und ich glaube nicht an Zufälle.« »Aber wer?«, brachte Shonai schließlich heraus. Barzano zuckte die Achseln. »Das weiß ich noch nicht. Ich hoffe aber, dass wir das bald herausfinden können, denn ich fürchte, dass die Ereignisse sich einer kritischen Masse nähern.« »Und was soll das nun wieder heißen?« »Es soll heißen, meine liebe Statthalterin, dass die Dinge kurz vor der Explosion stehen.« In einem abgelegenen Korridor des imperialen Palasts schwebte ein flimmernder Lichtpunkt in der Luft und schwankte umher wie ein winziger Ballon in einem leichten Aufwind. Langsam dehnte sich der Lichtpunkt aus und wirbelte in einer trägen Spirale mit violettem Leuchten umher. Das Gefüge des Raums schien sich zu dehnen wie ein Gemälde mit einem unsichtbaren Gewicht in der Mitte, da es beharrlich zu dem Lichtschein gezogen wurde. Die Leuchtkörper an der Decke implodierten, als ein leises Stöhnen aus dem Licht drang, ein gurgelnder, zirpender Laut, der
nach obszönen Gelüsten und ewigem Hunger stank. Vier Punkte aus Dunkelheit formten sich langsam in dem Licht, drehten sich und schwollen in seinem Herzen an wie flüssige Krebsgeschwüre. Die flüssigen Gebilde folgten der Spirale des gewundenen Scheins schmutzigen Lichts, und ihre gallertartigen Formen gerannen allmählich zu festerer Materie und lösten sich aus der leuchtenden Masse. In membranartige Fruchtblasen gehüllt, zwängten die sich rasch verfestigenden Formen sich durch das Licht und zerrten und zirpten dabei mit dem Schmerz ihrer finsteren Geburt die Luft aus der Fasson. Mit einem gequälten Kreischen riss das Gefüge der Wirklichkeit, und die vier rot-violetten Formen fielen auf den Steinboden, während sich ihre leuchtende Gebärmutter in sich zusammenrollte, mit unglaublicher Geschwindigkeit verschwand und den Korridor wieder ins Halbdunkel tauchte. Die vier gleißenden Formen lagen nur ein paar Sekunden zitternd da, bis sie lange, bewegliche Beine entwickelten, Giftstacheln, mit Muskeln bepackte Arme und zahnbewehrte Mäuler. Sie streiften ihre tropfenden Fruchtblasen ab und witterten wie ein Wesen, da ihre Existenz dem einen Befehl untergeordnet war, den ihre Gebieterin ihnen eingepflanzt hatte. Das Wild zu töten. Die Schützen Korner und Tarnin schlichen mit ausgestreckten Laserpistolen durch den dunklen Korridor. Hier unten war irgendwas, das war sicher. Korner hatte einige verdammt merkwürdige Geräusche gehört und der Wachstation über Kommnetz mitgeteilt, dass sie der Sache nachgehen würden. Tarnin übernahm die Führung. Er nahm die zerbrochenen Leuchtkörper zur Kenntnis und hörte Glas unter seinen Stiefeln knirschen. Voraus war ein gleitendes, tropfendes Geräusch zu hören. Ohne sich umzudrehen, zischte er, »Korner, gib mir deine Lampe«, und griff hinter sich, um die Taschenlampe in Empfang zu nehmen. Er schaltete sie ein und hielt sie vor sich, sodass sie in den Korridor leuchtete. Eigentlich sah er das Wesen gar nicht, das ihn tötete. Eine fließende Gestalt sprang aus der Dunkelheit und schlitzte
ihm mit einem einzigen Hieb den Bauch auf. Zwanzig Zentimeter lange Krallen rissen ihn entzwei, und ein Biss der gewaltigen Kiefer zermalmte seinen Schädel. Korner erhaschte einen Blick auf brüllende Reißzähne und Krallen und auf spritzendes Blut und hörte, wie Tarnins grässlicher Schrei jäh abbrach. Er wandte sich zur Flucht. Etwas Schweres prallte gegen seinen Rücken und stieß ihn zu Boden. Seine Laserpistole flog davon. Glühend heißer Atem verbrannte seine Haut, und er spürte, wie sich Uniform und Fleisch unter den Pranken der Bestie auflösten. Korner öffnete den Mund, um zu schreien. Die vom Warpraum hervorgebrachte Bestie riss ihm in einer Springflut von Blut den Kopf ab und verschlang ihn mit einem einzigen Bissen. Sie vergrub ihre blutigen Fänge im Rücken des Soldaten, verschlang große Fleischbrocken und knackte seine Knochen, da sie zu fressen begann. Eine zweite Bestie schnappte mit ihrem tödlichen Maul, und ein drohendes Knurren drang aus ihrer breiten Brust. Dergestalt eingeschüchtert, ließ der Bluthund von seinem Mahl ab und folgte dem Anführer. Augenblicke später watschelten die vier Bestien unbeirrt durch die Palastkorridore. Das Wild war nah. Barzanos Kopf ruckte hoch. Er erhob sich mit flüssiger Eleganz von warf eilig einen Blick auf Statthalterin Shonai. Seine Züge verrieten ganz eindeutig Besorgnis. Er lief zur Tür seiner Gemächer, riss sie auf und trat in den Korridor. Die beiden Ultramarine-Wachen nahmen beim Erscheinen des Adepten Haltung an und präsentierten dabei das Boltgewehr quer vor dem Brustharnisch. Bruder Cleander drehte sich zu dem Adepten um. »Bruder Barzano, stimmt etwas nicht?« Barzano nickte eifrig. »O ja, ich glaube, dass etwas ganz gewaltig nicht stimmt. Wo ist der Rest Ihres Trupps?« »An den Hauptzugangspunkten zu diesem Flügel des Palasts. Nichts kann sich nähern, ohne auf einen meiner Schlachtbrüder zu stoßen.« »Oder durch ihn«, murmelte Barzano. »Wie meinen?« »Nichts. Bruder Cleander, Sie müssen alle Diensthabenden über
Kommnetz rufen und ihnen sagen, dass etwas extrem Gefährliches in den Palast eingedrungen ist. Wir befinden uns alle in großer Gefahr.« Cleander bedeutete seinem Kameraden, den Wunsch des Adepten zu erfüllen, und lud sein Boltgewehr durch. »Was geht vor, Adept?« »Ich habe im Augenblick keine Zeit, Ihnen das zu erklären. Sagen Sie den Wachen nur, sie sollen auf alles vorbereitet sein und auf alles schießen, was sie nicht kennen. Tun Sie es!« Bruder Cleanders Gesicht war hinter seinem Helm verborgen, aber Barzano spürte seinen Ärger darüber, von einem niederen Schreiber herumkommandiert zu werden. »Ihr Ton ist respektlos...«, begann er. »Zur Hölle mit meinem Ton, Cleander, tun Sie's einfach!«, schnauzte Barzano, und plötzlich ertönte das Krachen ganz in der Nähe abgefeuerter Boltgewehrschüsse. Weitere Schüsse folgten, dann hallte ein auf- und abschwellendes Geheul durch die Palastkorridore. »Zu spät«, sagte Barzano. Die drei Bestien rasten erschreckend schnell durch die Korridore und entfernten sich vom Geschrei ihrer Verfolger hinter ihnen. Der Kadaver der vierten Bestie lag hinter ihnen und löste sich auf den gerüsteten Leichen der beiden Ultramarines bereits in einen stinkenden Haufen schwarzen Schleims auf. Das Netz schloss sich um sie, aber sie verschwendeten keinen Gedanken an das eigene Überleben. Nur das Wild zählte. Barzano eilte zurück in seinen Raum und ging vor der langen Truhe am Fußende seines Bettes in die Knie. Er schob die Finger in das Geno-Schloss, während Shonai und Corteo aufsprangen. Sein Verhalten hatte beide in Panik versetzt, und das konnte er ihnen nicht verdenken. »Was ist los?«, wollte Shonai wissen. Der Deckel der Truhe glitt auf, und Barzano griff hinein und sagte: »Erinnern Sie sich noch an die brennende Lunte, die Sie vorhin erwähnt haben?« »Ja, natürlich.« »Tja, sie erweist sich als viel kürzer, als wir gedacht haben. Un-
sere Feinde haben gerade den Einsatz erhöht. Hier«, sagte Barzano, indem er beiden eine Pistole zuwarf. »Sie wissen, wie man damit umgeht?« »Nicht wirklich, nein«, gestand Corteo. »Statthalterin?« »Nein. Ich habe noch nie eine Schusswaffe abgefeuert.« »Hölle und Verdammnis. Tja, man lernt nie aus.« Rasch zeigte er ihnen, wie man die Waffen durchlud und nachlud. »Wenn Sie schießen, zielen Sie etwas tiefer, weil sie einen Rückschlag haben und dann bocken wie ein Grox in der Brunft.« »Aber worauf sollen wir schießen?«, protestierte die Statthalterin. »Was geht hier eigentlich vor?« Barzano kehrte zur Truhe zurück und holte ein schlankes Schwert mit kunstvollen, in die Klinge geätzten Verzierungen heraus. Er erhob sich mit einer großen Pistole mit Wicklungen um die abgeplattete Mündung. Seine jovialgeschwätzige Art war einer tödlichen Ernsthaftigkeit gewichen. »Unsere Feinde haben Kreaturen aus den Tiefen der Hölle geschickt, um uns zu jagen, und sie werden erst ruhen, wenn sie uns getötet haben - oder wir sie.« Barzano drückte auf eine Rune im Schwertknauf, und Shonai und Corteo schraken zusammen, als die Waffe zum Leben erwachte und bernsteinfarbenes Feuer die Klinge in eine spiralförmige Energiewicklung hüllte. »Ein Energieschwert!«, rief Corteo überrascht. »Zu welcher Sorte Adept gehören Sie eigentlich?« Barzano grinste, aber es lag kein Humor darin. »Zur schlimmsten«, versicherte er Corteo. Bruder Cleander hörte Schüsse, das Krachen von Boltgewehren und das Zischen von Laserstrahlen durch die Korridore hallen, während die Gefahr dort draußen näher kam. Die Echos und gewundenen Gänge machten es unmöglich, zu sagen, aus welcher Richtung sich der Feind näherte, also deckte Cleander die eine Richtung ab und Bruder Dambren die andere. Cleander wünschte sich inbrünstig, den Jägern zu Hilfe zu eilen, aber er hatte nun einmal die Aufgabe und die Pflicht, die Gemächer des Adepten zu schützen. Cleander war ein Bewohner von Macragge und würde eher sterben als seinen Posten verlassen. Der Knall von Bruder Dambrens Boltgewehr war das erste An-
zeichen, dass die Feinde sie erreicht hatten. Cleander fuhr herum und sah drei monströse Kreaturen auf sie zurasen. Er feuerte ebenfalls, und die führende Bestie wurde im Hagel der massereaktiven Patronen von innen auseinander gerissen. Doch die Geschwindigkeit der Bestien war phänomenal, und die erste war kaum gestorben, als die verbliebenen beiden bereits voranpreschten. Cleander warf sich zu Boden, als eine Bestie ihn ansprang, wälzte sich herum und schoss, als sie über ihn hinwegflog. Seine Patronen verfehlten ihr Ziel und sprengten große Stücke Mauerwerk aus der Decke. Sein Blick fiel auf die zweite Bestie, die sich gerade in Dambrens Schulter verbiss und ihm den Arm dann in einer Springflut von Blut abriss. Er hatte keine Zeit, seinem Bruder zu helfen, denn die Bestie vor ihm griff erneut an. Cleander schoss, und eine einzelne Patrone traf die Bestie in den Bauch. Sie heulte vor Wut, raste aber weiter und prallte gegen Cleanders Brust. Die beiden rammten die Tür, zerschmetterten sie und stürzten gemeinsam in die Gemächer des Adepten. Shonai schrie auf, als die Tür nach innen explodierte und einer der Ultramarines in den Raum stürzte, während eine Bestie wie aus ihren schlimmsten Albträumen seinen Helm wie wahnsinnig mit den Pranken bearbeitete. Ihr länglicher Leib schillerte in einem widerlichen, rötlich violetten Licht, und ihr Rücken war mit Knochenstacheln besetzt. Der riesige Kopf war gehörnt, und Blut tropfte von den Reißzähnen. Jedes muskulöse Glied endete in bösartigen, mit Widerhaken versehenen Krallen, und die Augen waren pechschwarz, tot und empfindungslos. Barzano sprang vor und hieb mit seinem flammenden Schwert nach der Höllenbestie vor sich. Ihre Schnelligkeit war für eine so große Kreatur unglaublich, und der geschmeidige Kopf duckte sich unter der knisternden Klinge hinweg. Dann befreite die Bestie sich mit einem Satz von dem Space Marine und schlug mit einer Pranke zu. Sie verfehlte Barzano ganz knapp, riss aber ein Stück Holz aus dem schweren Schreibtisch. Cleander wälzte sich zu der Bestie und legte ihr seine starken Arme um den Hals. Sie schnappte nach dem Space Marine, und die geschwärzten Krallen durchdrangen mühelos den Brustharnisch. Blut spritzte aus den Kratzern, und Cleander fauchte vor
Schmerzen, denn seine Haut brannte unter der Berührung der Bestie. »Aus dem Weg!«, schrie Barzano, der mit seiner Plasmapistole zielte. Cleander ignorierte den Adepten und hielt die tobende Bestie fest, deren Fänge und Krallen seine Rüstung aufrissen, während er seinen Kampfruf erschallen ließ. Die zweite Bestie erschien in der Tür. Ihr Maul war blutverschmiert, und Barzano wechselte das Ziel. Das weißglühende Plasma traf die Bestie in der Flanke und schleuderte sie zurück. Eine widerliche Flüssigkeit sprudelte aus der Wunde, und sie sank zu Boden und ging in Zersetzung über. Cleander rang gegen die letzte Kreatur um sein Leben. Er versuchte vergeblich, die Krallen in Schach zu halten, wusste aber, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Die Bestie war stärker als er. Der Hund rammte Cleander die Schnauze ins Gesicht, sodass sein Kopf nach hinten gestoßen wurde und auf den Boden krachte. Sein Helm barst bei dem Anprall, und Cleanders Griff lockerte sich eine Winzigkeit. Mehr an Blöße brauchte die Bestie nicht. Die Krallen hoben und senkten sich, durchdrangen Cleanders Brustharnisch und zerfetzten seinen Brustkorb. Corteo und Shonai schossen auf die verwundete Bestie, aber keiner von beiden hatte Übung mit Schusswaffen, und sie trafen nicht. Barzano schob sie aus dem Weg, als die Bestie, die Cleander getötet hatte, ihre Krallen aus seinem Leichnam riss und zu ihm herumfuhr. Ihre Bewegungen waren verlangsamt, aber sie war immer noch in der Lage, sie alle zu töten. Seine Plasmapistole summte, da sich die Energiezellen immer noch aufluden, und Barzano wusste, dass sie ihm jetzt noch nichts nützen würde. Die Bestie bäumte sich auf Beinen auf, deren Gelenke in die falsche Richtung zeigten, und sprang. Ario Barzano hechtete vorwärts und unter den tödlichen Krallen durch. Er wälzte sich auf die Knie und schwang sein Energieschwert in einem tiefen Bogen. Die energieverstärkte Klinge trennte der Bestie die Beine vom Körper, und sie fiel zu Boden und strampelte voller Wut mit den kauterisierten Stümpfen ihrer Oberschenkel. Barzano sprang auf und stellte sich neben Statthalterin Shonai und Leland Corteo, während die Bestie unter Zuhilfenahme der
Krallen ihrer Vorderpfoten zu ihnen robbte. Dabei löste sich ihre Substanz bereits in Rauchschwaden aus Dunkelheit auf. Nur der sich rasch zersetzende Rumpf und der Kopf waren noch übrig, als Barzano vortrat, seinen Griff um den Schwertknauf änderte und die Klinge nach unten und in den Kopf der Bestie stieß. Dann sank er neben ihren sich auflösenden Resten zu Boden und hob die Klinge auf, als Sergeant Learchus und der Rest seines Trupps eintrafen. Learchus sank neben Cleanders Leichnam auf die Knie und ballte vor Wut die Faust. Barzano ließ ihn mit seinem Kummer allein und ging zu Mykola Shonai und Leland Corteo, die beide kreidebleich waren. Er warf die Pistole auf das Bett, deaktivierte sein Schwert und legte es auf die durchhängenden Überreste des beschädigten Schreibtischs. »Sie haben die Bestie getötet«, keuchte Shonai. »Wie haben Sie das geschafft?« »Das zeige ich Ihnen wohl besser«, erwiderte Barzano, indem er das Gemälde von Forlanus Shonai beiseite schob, sodass der Wandtresor dahinter sichtbar wurde. Er tippte eine zehnstellige Zahl ein und öffnete die Tür. In Tresor befand sich ein Kasten, den er herausnahm und neben sich auf den Boden stellte. Barzano griff noch einmal in den Tresor und entnahm ihm einen kleineren Gegenstand, den er Shonai gab, die ihn mit einem Ausdruck der Furcht und der Überraschung nahm. Sie hielt einen rechteckigen saphirblauen Kristallklumpen in der Hand. Der Kristall war unbedeutend bis auf das Symbol, das er einschloss - ein grinsender Schädel, in den ein stilisiertes, großes »I« eingraviert war. Statthalterin Shonai schaute in das Gesicht eines Mannes, den sie nicht mehr kannte. »Ich bin Ario Barzano«, sagte er, »vom Heiligen Orden der Inquisition des Imperators.«
14. Kapitel Um genau 07:00 Uhr am Morgen nach der Demonstration des Arbeiterkollektivs auf dem Befreiungsplatz rollten Panzer aus der Kharon-Kaserne der Planetaren Wehrmacht durch die Tore ihrer Basis und über Schnellstraße 236 nach Brandontor. Fünfund-
zwanzig Minuten später hatte die Kolonne der vierzig Panzer, Leman Russ Conquerors aus einheimischer Produktion mit dem Artilleriegranaten-Motiv des Taloun-Kartells, die Ausläufer der Stadt erreicht und rumpelten ihrem Zentrum und dem imperialen Palast entgegen. Die auf jedem Panzer montierten Lautsprecher plärrten eine sich ständig wiederholende Botschaft, dieses Manöver diene nur der Wahrung des Friedens und die Leute sollten nicht in Panik geraten. Die Bevölkerung von Brandontor riskierte eilige Blicke durch die Fenster, als die Panzerkolonne vorbeirumpelte, und fragte sich voller Furcht, was diese letzte Entwicklung wohl zu bedeuten haben mochte. Die Panzer passierten die Hauptwohnviertel und Manufakturzentren und hielten erst an, als sie die Marmormauern der Innenstadt erreichten. Im Laufe der nächsten Stunde rollten auch andere Panzerfahrzeuge aus jenen PWM-Kasernen, die von Kartellen unterhalten wurden, welche mit Taloun verbündet waren. Panzer mit dem Wappen des De-Valtos-Kartells wurden in ihrer Basis in Tarmegan mobilisiert, und Truppentransporter von sechs anderen, von Kartellen unterhaltenen Basen machten sich voll beladen auf den Weg nach Brandontor. Bis zum Mittag waren hundertneunzehn Panzer und über siebentausend Mann Infanterie vor den Stadtmauern zusammengezogen. Die Lautsprecher verstummten, und ein sich wiederholendes Signal überlagerte das Kommnetz und tat die Absicht der PWM kund, das zu tun, was die Statthalterin nicht konnte, nämlich den Frieden zu wahren. Aus Respekt vor ihrer Stellung würden jedoch nur dann Panzer in die Stadt eindringen, wenn sie dort benötigt würden. Nervöse Köpfe innerhalb der Stadtmauern dachten darüber nach, was das wohl zu bedeuten hatte. Trotz wiederholter Aufforderungen von Mykola Shonai zog sich keine der mobilisierten PWM-Einheiten zurück, und in jeder praktischen Hinsicht war Brandontor nun eine Stadt unter stillschweigender Belagerung. Als er durch die zerschmetterte Tür von Ario Barzanos Gemächern hinkte, sah Uriel schockiert, welche Verheerungen die Höllenbestien angerichtet hatten. Der Thunderhawk war vor weniger als einer Stunde gelandet, und seine Stimmung wurde noch ernster, als er an Learchus' niedergeschlagene Miene dachte, wäh-
rend er Uriel über den Tod von Cleander und drei anderen Schlachtbrüdern in Kenntnis gesetzt hatte. Pasanius betrat den Raum hinter ihm, und beide Männer duckten sich, um sich nicht den Kopf am Türrahmen zu stoßen. Der massige Sergeant trug einen Stasenbehälter mit den metallenen Überresten von dem Hügel auf Caernus IV. Trotz der Bemühungen von Apotheker Selenus schmerzten die vom Anführer der Eldar und seiner widernatürlichen Schoßtiere verursachten Wunden immer noch bei jedem Schritt. Er würde es überleben, aber sein Herz hungerte nach Rache an dem Krieger mit dem toten Gesicht. Barzano stand mit dem Rücken zu Uriel und hatte die Hände auf einen alten Kasten gelegt, der auf einem gesplitterten und durchhängenden Schreibtisch stand. Er sprach leise mit Statthalterin Shonai und Leland Corteo. Lortuen Perjed saß auf der Bettkante, während Jenna Sharben und Sergeant Learchus reglos im hinteren Teil des Raums standen. Der Sergeant hatte Boltgewehr und Kettenschwert gezückt und hielt beide Waffen bereit. Barzano drehte sich beim Geräusch von Uriels Schritten um, und der Hauptmann der Vierten Kompanie war schockiert über die Veränderung des Mannes. Learchus hatte Uriel bereits über Barzanos wahre Identität aufgeklärt, und zuerst hatte er über die Vorstellung gelacht, der Adept sei in Wirklichkeit ein Inquisitor. Doch als er den Mann jetzt sah, konnte er die Tatsache ohne Schwierigkeiten akzeptieren. Barzano stand nicht mehr in der gebückten, ein wenig unterwürfigen Pose des typischen Adepten aus dem Administratum da. Mit einer weiten Tunika und kniehohen Stiefeln bekleidet, dazu Schwert und Pistole seitlich im Gürtel, war seine Haltung stolz und aufrecht. Er trat vor, ergriff Uriels Hand und legte ihm die andere auf den Ellbogen. In seinen Augen funkelte zielstrebige Entschlossenheit. »Hauptmann Ventris, meine Gebete gelten Ihren ehrenwerten Toten. Sie sind heldenhaft gestorben.« Uriel nickte bestätigend, während Mykola Shonai neben den Inquisitor trat. »Es ist schön, Sie wiederzusehen, Hauptmann«, sagte sie. »Auch meine Gebete gelten Ihren gefallenen Brüdern, und ich hoffe, dass bei der Verteidigung unseres Planeten nicht noch weitere fallen werden.« »So der Imperator will«, erwiderte Uriel, indem er Pasanius zu
sich winkte. Der Sergeant stellte den Stasenbehälter neben dem Kasten ab. »Was haben Sie mir mitgebracht, Uriel? Etwas aus dem EldarSchiff?« »Nein, es stammt von einer der Welten, die von den Piraten angegriffen wurden.« »Was ist es?«, fragte Barzano, während er das Stasensiegel deaktivierte und den Deckel hob. »Wir hatten gehofft, das könnten Sie uns sagen. Es stammt von einem Hügel, der fast vollständig aus Metall besteht. Der dortigen Bevölkerung und einem Überlebenden des Überfalls zufolge ist dieses Metall früher fast so geflossen wie eine Flüssigkeit, und ihre Schmiede haben daraus Pflüge und Klingen hergestellt. Obwohl dies schon seit Generationen üblich ist, hat das Metall angeblich jedes abgetrennte Stück irgendwie wieder regeneriert.« Barzano erbleichte sichtlich; er griff in den Behälter und entnahm ihm das Bruchstück des schwach leuchtenden Metalls. Seine Augen waren geweitet, während er mit den Fingerspitzen der eckigen Schrift folgte, die in das Metall geritzt war. Vor Uriels Augen nahmen die letzten leuchtenden Silberfäden im Kern des Metalls die rötliche Farbe von Rost an, und der Glanz verblasste völlig. Vorsichtig, geradezu ehrerbietig, legte Barzano das Metall auf den Schreibtisch und wandte sich an Uriel. »Sie sagten, es gab einen Überlebenden? Ich nehme an, er ist an Bord der Vae Victus und wartet auf Befehle?« »Nein. Er war tödlich verwundet. Auf meinen Befehl hat er von Kaplan Klausel die Finis Rerum bekommen, und dann haben wir ihn in seiner Heimat beerdigt.« Barzano rang mit seiner Empörung über diese beiläufige Vergeudung einer wertvollen Informationsquelle und nickte nur. »Nun gut«, brachte er schließlich mit einem Blick auf den Kasten heraus, auf dem seine Hand lag. »Und?«, hakte Uriel nach, indem er auf das tote Metall zeigte. »Was ist es?« Barzano richtete sich zu voller Größe auf. »Das, mein lieber Hauptmann, ist das Bruchstück eines über hundert Millionen Jahre alten Raumschiffswracks. Es ist außerdem der Grund, warum wir hier auf Pavonis sind.« »Einhundert Millionen Jahre«, sann Leland Corteo. »Das ist doch unmöglich. Die Menschheit fliegt erst seit weniger als fünfzigtau-
send Jahren zu den Sternen.« »Ich habe nicht gesagt, dass es ein Schiff der Menschheit ist«, schnauzte Barzano. »Dies hat etwas mit den Problemen auf Pavonis zu tun?«, fragte Mykola Shonai. »Ich fürchte, ja. Wissen Sie noch, dass ich gesagt habe, ich glaube, dass ein tieferer Sinn hinter all den Problemen hier steckt? Das ist er. Irgendjemand auf diesem Planeten versucht herauszufinden, wo sich der Rest von diesem Schiff befindet.« »Was könnte dieser Jemand durch die Bergung zu erreichen hoffen?«, fragte Uriel. »Macht«, sagte Barzano lapidar. »In diesem Fall nennen Sie mir den Standort, wenn Sie ihn kennen, und die Vae Victus wird es vernichten.« »Ach, Uriel. Wenn es doch nur so einfach wäre. Es existiert nicht in dieser Wirklichkeit, wie wir sie verstehen. Es treibt durch die Zeit und wechselt dabei auf ewig zwischen dieser Welt und dem Immaterium. Würde es doch für alle Ewigkeit so bleiben.« »Warum fürchten Sie es so?« Barzano nahm die Hand von dem verschlossenen Kasten, legte seinen Daumen auf das Geno-Schloss und kauerte sich davor, sodass der Wächtergeist seine Identität bestätigen konnte. Schließlich gab er das dreizehnstellige Passwort ein und sprach den Öffnungsbefehl. Der Deckel schwang auf, und der Inquisitor entnahm ihm ein schweres eisenbeschlagenes Buch, das mit dreizehn kleinen goldenen Vorhängeschlössern gesichert war. Die Schlösser sahen zerbrechlich aus, aber jedes einzelne war mit hexagrammischen Sigillen von großer Macht verstärkt. Barzano berührte ein Schloss nach dem anderen und flüsterte dabei, als wolle er die Schlösser überreden, ihm Zugang zu den kostbaren Seiten zu gewähren. Sie öffneten sich eines nach dem anderen, und Barzano richtete sich wieder auf, als der quietschende Deckel des Buchs sich langsam und ohne die Hilfe einer menschlichen Hand öffnete. Uriel zischte, und die anderen wichen beunruhigt zurück. Barzano holte tief Luft und schloss die Augen, und Uriel spürte, wie ihn eine blecherne, elektrische Empfindung durchströmte. Das Buch hob sich, als kopiere es den Atemzug des Inquisitors, und Uriel spürte, wie seine Hand unwillkürlich nach seiner Pistole tastete. Zauberei!
Barzano streckte Uriel eine Hand entgegen und schüttelte den Kopf. »Nein, Hauptmann. Ich bitte den Geist in diesem Buch, uns einen Teil seines Wissens zu übermitteln.« »Den Geist in dem Buch?«, flüsterte Uriel. »Ja. Sie kennen die Redewendung, dass Wissen Macht ist, nicht? Haben Sie gedacht, das seien nur leere Worte? Wissen ist tatsächlich Macht, und Wissen hat Macht.« Als Uriel das Buch wie ein pochendes Herz pulsieren sah, murmelte er ein Schutzgebet. Plötzlich ging ihm auf, dass es nur eine Möglichkeit gab, wie Barzano, wie er es nannte, den Geist des Buches um etwas bitten konnte. »Sie sind ein Psioniker?« »Gewissermaßen«, räumte Barzano ein, dessen Stirn sich von der Anstrengung des Redens gerunzelt hatte. »Ich bin ein Empath. Ich kann starke Gefühle und Empfindungen spüren.« Das Buch schien plötzlich anzuschwellen, und die Seiten wurden umgeblättert wie von einem starken Wind, schneller, als das Auge folgen konnte. Abrupt kam das Buch zur Ruhe, seine gelblichen Seiten seufzten und bewegten sich nicht mehr. Barzano entspannte sich und öffnete die Augen, und Uriel sah Schweißperlen auf seiner Stirn. Ein dünner Blutfaden lief ihm aus der Nase, aber er wischte ihn weg und beugte sich über die Seiten, die das Buch für ihn aufgeschlagen hatte. Zögernd näherten sich Uriel, Pasanius, Shonai und Corteo dem Tisch. Zuerst konnte Uriel nicht verstehen, was er betrachtete. Die Seiten waren von einer verrückten Hand beschriftet worden, sodass sich hunderte von Wörtern überlappten und in Kreisen wanden oder einander unkenntlich machten. »Was ist das?«, fragte Shonai. »Das sind einige der Schriften des ketzerischen Tech-Abts Corteswain.« »Und wer war das?« »Corteswain hat zu den Adeptus Mechanicus gehört. Er ist auf der Suche nach alten archäologischen Fundstätten und StandardTechnologie-Konstrukten durch die Galaxis gereist. Gefunden hat er nur Wahnsinn.« Uriel wusste von der unablässigen Suche der Adeptus Mechanicus nach STK-Systemen, unschätzbar wertvollen Techno-Arkana.
Jedes einzelne Beispiel imperialer Technologie war aus den wenigen kostbaren Fragmenten von STK-Systemen gewonnen worden, die sich im Besitz der Adeptus Mechanicus befanden. Schon das fadenscheinigste Gerücht von der Existenz eines STKs veranlasste ganze Flotten von Forschern und Entdeckern, sich auf die Suche nach diesen wertvollsten aller Schätze zu begeben. Barzano setzte seine Geschichte fort. »Corteswain war der einzige Überlebende einer Expedition zu einer toten Welt, deren Namen schon seit langem in Vergessenheit geraten ist, um STKArkana zu suchen. Etwas hat seine Expedition angegriffen, und er behauptete, er sei auf eine Welt jenseits dieser Galaxis gebracht worden, und zwar von einem Wesen mit unvorstellbarer Macht, das er als Gott bezeichnet hat.« »Als Gott?«, wisperte Shonai. »Ja, als Gott. Er behauptete, das wahre Gesicht des Omnissias, des Maschinengotts, gesehen zu haben. Es versteht sich ja wohl von selbst, dass ihn das bei einigen Fraktionen der Adeptus Mechanicus nicht sonderlich beliebt gemacht hat, die ihn der Blasphemie beschuldigten. Das hat zu einem Schisma in ihren Reihen geführt, das bis heute besteht, und binnen eines Jahres verschwand Corteswain aus dem Kloster von Selethoth, wo er damit begonnen hatte, seine Lehre zu predigen.« »Wie ist es ihm ergangen?«, fragte Uriel. Barzano zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich haben seine Rivalen ihn entführen und umbringen lassen. Aber einige seiner Schriften sind von seinen Jüngern aus dem Kloster geschafft worden und haben überdauert.« »Was steht dort? Ich kann kaum etwas entziffern«, sagte Shonai, die ihre Brille aufgesetzt hatte. »In dieser speziellen Passage ist von einem Raumschiff die Rede, das Cortewain gesehen zu haben behauptet«, sagte Barzano, indem er auf ein kaum leserliches Gekritzel in der Ecke der Seite zeigte. Seine Finger zeichneten die Umrisslinien eines schlecht gezeichneten Halbmonds mit einer Pyramide in der Mitte nach. Uriel blinzelte, während er die Worte zu lesen versuchte, die unter der Zeichnung auf das Pergament gekritzelt waren. Es waren immer wieder dieselben Worte notiert worden, in jedem Winkel, einander überlappend und im Kreis. Seine Augen folgten dem am wenigsten obskuren Teil der
spindligen Schrift, und er formulierte stumm die Worte, während er sie mühsam zusammensetzte. Schließlich begriff er, was die Worte bedeuteten, und seine Nackenhaare sträubten sich, als ihm aufging, dass er sie schon einmal gehört hatte - von den verbrannten Lippen eines Mannes am Rande des Grabes. Bringer der Finsternis. Barzano sah ihn durchdringend an, und Uriel wurde daran erinnert, dass der Inquisitor seine Gefühle spüren konnte. »Uriel«, sagte Barzano langsam. »Sagen Ihnen diese Worte irgendetwas?« Uriel nickte. »Ja. Der Überlebende auf Caernus IV, ein Mann namens Gedrik, hat sie kurz vor seinem Tod ausgesprochen.« »Was hat er gesagt? Schnell!«, zischte Barzano. »Er sagte, dass der Weltentod und der Bringer der Finsternis darauf warteten, in die Galaxis geboren zu werden, und dass es in meinen Händen liege, was davon eintrete. Wissen Sie, was er damit gemeint hat?« »Nein«, sagte Barzano ein wenig zu rasch. »Das weiß ich nicht. Was hat er sonst noch gesagt?« »Nichts. Er ist kurz darauf gestorben«, erwiderte Uriel, indem er auf die halbmondförmige Zeichnung in dem Buch deutete. »Also ist der Bringer der Finsternis ein nichtmenschliches Raumschiff. Wozu ist es in der Lage?« »Es kann Sonnen auslöschen, ihnen die Energie entziehen, bis in einem Sonnensystem nichts Lebendiges mehr existiert. Und das kann es in wenigen Tagen. Verstehen Sie jetzt?« Uriel nickte. »Dann müssen wir es vor den Eldar finden.« »Da gebe ich Ihnen Recht. Wir müssen außerdem herausfinden, mit wem sie hier auf Pavonis zusammenarbeiten«, sagte Barzano, während er mit auf dem Rücken verschränkten Händen im Zimmer auf und ab marschierte. »Der Anführer der Eldar hat während des Kampfes einen Namen genannt. Vielleicht war das sein Komplize.« Barzano blieb stehen und fuhr mit ungläubiger Miene zu Uriel herum. »Er hat einen Namen genannt?«, zischte Barzano. »Was für einen? Rasch, Mann!« »Ich bin nicht sicher, ob es ein Name war. Es war eines ihrer ekelhaften Worte, es klang wie... Karsag oder so ähnlich.«
Barzanos Stirn legte sich in Falten, und er wandte sich an Shonai. »Sagt Ihnen dieser Name etwas? So heißt nicht zufällig eines der hiesigen Kartelle?« »Nein, ich kenne den Namen nicht.« »Hauptmann Ventris«, sagte Lortuen Perjed. »Könnten Sie auch das Wort Kyerzak gehört haben?« Uriel schloss die Augen, stellte sich den leichengesichtigen Krieger vor und erinnerte sich an die Laute, die dessen ausdrucksloser Mund von sich gegeben hatte. Er nickte. »Ja, Adept Perjed. Ich glaube, dass er auch das gesagt haben könnte.« Barzano eilte zu seinem Sekretär, kniete vor dem alten Mann nieder und umklammerte dessen Schultern. Sein Gesicht strahlte förmlich vor innerer Erregung. »Lortuen, wissen Sie, was das Wort bedeutet? Ist es ein Name?« Perjed schüttelte den Kopf. »Nein, es ist kein Name, sondern vielmehr eine Anrede. Das Wort hat seinen Ursprung tatsächlich in der Eldar-Sprache, und es wird benutzt, um jemanden anzureden, den man ehren will.« Barzano ließ Perjeds Schultern los und erhob sich perplex. »So hilfreich das auch sein mag, es bringt uns der Antwort auf die Frage, mit wem die Eldar zusammenarbeiten, keinen Schritt näher.« »Ganz im Gegenteil, Ario, es verrät uns ganz genau, wen wir suchen.« »Tut es das?«, erwiderte Barzano. »Erläutern Sie das, Lortuen. Wir haben keine Zeit, Ihrem Sinn für Dramatik zu frönen.« »Das Wort Kyerzak bezeichnet einen Geehrten, aber Lasko Pyre berichtet in seinen Schriften, dass die Folterer der Dunkeleldar, Wesen, die er Haemonculi nennt, ihn immer wieder darauf aufmerksam gemacht haben, welche Ehre sie ihm eigentlich erwiesen, indem sie ihm die gewaltigsten Schmerzen zufügten, die sie sich überhaupt vorstellen könnten.« Uriel und Barzano stellten die Verbindung her, während Perjed fortfuhr. »Sehen Sie, die Dunkeleldar haben das Wort korrumpiert und seine Bedeutung herabgewürdigt, um damit jemanden zu bezeichnen, der mit ihrer schmerzhaftesten Kunst geehrt wurde.« Shonai ballte die Fäuste und zischte den Namen des Verantwortlichen für ihre Schwierigkeiten.
»Kasimir de Valtos.« Untergebracht in einem besonders sicheren Bunker im Ostflügel des Palasts war die Raumabwehr für die Überwachung des Luftund Weltraum-Verkehrs in dem Gebiet um Pavonis verantwortlich. Der Bunker war schwer befestigt und mit einem eigenen Energienetz und Reservegeneratoren mit einer Lebensdauer von einem Jahr ohne primäre Energieversorgung vollkommen autark. Die Zweite Technikerin Lutricia Vijeon saß an ihrer Kontrolltafel und suchte den Weltraum rings um Pavonis nach nicht autorisiertem Verkehr ab. Ihr kommandierender Offizier Danil Vorens saß mit dem Rücken zu ihr an der Kommandokonsole und starrte auf eine Holoanzeige, die aus den Daten vor ihm erstellt wurde. Lutricia bemerkte ein schwaches Echo auf ihrer Divinationsanzeige und notierte die Zeit seines ersten Auftauchens im Logbuch. Es musste ein Schiff sein, für alles andere war es zu groß. Sie sah in den Flugplänen nach, die neben ihrer Kontrolltafel hingen, ob in dem ihrer Verantwortlichkeit unterstehenden Sektor irgendwas geplant war. Es war nichts eingetragen, und sie machte sich an den Runen vor sich zu schaffen, um ein schärferes Bild auf die Anzeige zu bekommen. Mit seinem langen, spitz zulaufenden Bug und den länglichen Segeln, die sich aus der Antriebssektion erhoben, sah es anders aus als alles, was sie bisher zu Gesicht bekommen hatte. Was, zur Hölle, war das? Das Bild schwamm unscharf auf der Anzeige und wurde immer wieder undeutlich, während sie versuchte, seine Form schärfer zu zeichnen. Das Bild wurde schlagartig deutlich, als sich eine dicke Hand auf ihre Schulter legte und fest zudrückte. Sie erschrak und schaute in das grimmige Gesicht von Danil Vorens. »Ich habe dieses Signal hereinbekommen...«, begann sie. »Ich weiß davon, Vijeon. Alles ist ordnungsgemäß aufgezeichnet worden. Ich habe das persönlich veranlasst«, sagte Vorens, indem er ihre Divinationsanzeige ausschaltete. »Ah, ich verstehe. Aber sollten wir es nicht im Tagesbericht erwähnen?« »Nein, Vijeon«, flüsterte Vorens, indem er sich ganz nah zu ihrem Ohr herunterbeugte und ihre Schulter noch fester drückte. »Dieses Schiff war nicht hier, und Sie haben es auch nicht auf Ihrem Bildschirm gesehen. Haben Sie verstanden?«
Das hatte Vijeon nicht, aber das würde sie Vorens nicht sagen. Andererseits, was ging sie das an? Sie nickte und richtete ihren Divinator auf einen anderen Raumsektor. Offenbar hatte Vorens dieses Schiff erwartet. Der Thunderhawk der Ultramarines landete auf dem Landsitz von Kasimir de Valtos am Fuß der Owsenberge, etwa fünfundsiebzig Kilometer westlich von Brandontor. »Alle raus!«, brüllte Uriel, der mit seinem Boltgewehr im Anschlag nach draußen stürmte. Er trat in die Spätnachmittagssonne und erblickte die Pracht von de Valtos' Landsitz, die sich vor ihm ausbreitete. Ein großes, vielflügeliges Haus lag vor ihnen, und vor dem Eingang standen zwei schwarze Kutschen. Die Ultramarines schwärmten aus und bildeten einen Abwehrkreis, während der Thunderhawk auf einer Säule feurigen Rauchs himmelwärts schoss. Uriel winkte Dardinos Trupp nach links und Venasus' nach rechts, um Pasanius' Leute zum Haupteingang zu führen. Der Haupteingang war bereits geöffnet, und Uriel rannte durch die schachbrettartig geflieste Eingangshalle. Ultramarines stürmten durch die Tür, und Uriel dirigierte sie mit energischen Armbewegungen. Er bedeutete Pasanius und zwei weiteren Space Marines, ihm zu folgen, und eilte die Treppe empor, das Boltgewehr beständig im Anschlag. Oben war der Treppenabsatz leer, und nach links und rechts erstreckte sich ein langer, mit Teppich ausgelegter Flur. Nach rechts beschrieb der Flur eine Biegung und verschwand dahinter, während er links vor einer großen Eichentür endete. Etwas verriet Uriel, dass dieses Haus verlassen war, aber sein soldatischer Instinkt war zu ausgeprägt, um von diesem Ort etwas anderes als Feindseligkeit zu erwarten. Uriel und Pasanius tasteten sich vorsichtig den Flur entlang, die Boltgewehre auf die Tür gerichtet. Seine Autosinne hörten nichts aus dem Raum dahinter, aber er nahm einen schwachen, aber bestürzenden Geruch wahr. Uriel trat die Tür aus dem Rahmen und stürmte geduckt hinein. Pasanius war direkt hinter ihm und sicherte mit dem Boltgewehr nach rechts und links. Angesichts der Enge des Hauses hatte Pasanius sich für das Gewehr und nicht für seinen ansonsten bevorzugten Flammenwerfer entschieden. Hinter sich hörte Uriel, wie
die Ultramarines Türen eintraten und das Haus Zimmer für Zimmer durchsuchten. Der Gestank sprang ihn förmlich an, bevor er begriff, was er auf dem Bett liegen sah. Es war einmal ein menschliches Wesen gewesen, aber praktisch jedes Körnchen Menschsein war mit Klingen, Sägen, Nadeln und Feuer abgetrennt worden. Der Kopf des Leichnams wurde von einem Kranz goldener Haare eingerahmt, und seinem grinsenden Skelettgesicht war unterhalb der mit den blutigen Scherben eines zerbrochenen Spiegels ausgestochenen Augen die Haut abgezogen worden. Bei dem Anblick kam Uriel die Galle hoch. »Guillaumes Fluch!« Pasanius senkte sein Boltgewehr und stellte sich dem Entsetzen des Anblicks der toten Frau. »Beim Imperator, wer könnte so etwas tun?« Uriel wusste keine Antwort darauf. Trotz der schrecklichen Verstümmelungen erkannte Uriel Solana Vergen wieder, und er fügte ihren Namen der Liste derer hinzu, für die er an Kasimir de Valtos Vergeltung üben würde. Sergeant Venasus führte seinen Trupp vorsichtig durch die unteren Bereiche des Wohnhauses des Verräters. Es war kälter hier, und seine Servorüstung registrierte einen Temperaturunterschied von vierzehn Grad. Bisher hatten sie nichts gefunden, und Venasus hoffte inbrünstig, bald auf einige ihrer Feinde zu stoßen. Drei seiner Männer waren auf dem Feindschiff gestorben, und für ihren Tod musste ein Blutzoll entrichtet werden. Der nackte Steingang führte zu einer Eisentür mit Vorhängeschloss. Venasus vergeudete keine Zeit und schlug die Tür mit einem wohl gezielten Tritt aus den Angeln. Der Sergeant stürmte mit seinen Männern dicht hinter sich durch die Tür. Der Raum lag in Dunkelheit, aber seine Autosinne schalteten sich ein. Er sah das Glänzen von Metall zu seiner Linken. Ein grinsendes Schädelgesicht sprang ihn förmlich aus der Dunkelheit des Raums an. Venasus riss sein Boltgewehr in die Höhe und eröffnete das Feuer auf die Erscheinung. Uriel hörte die Salve und lief die Treppen ins Untergeschoss hinunter. Das Blut pulsierte in seinen Adern, da er hoffte, dass es Feinde zu töten galt, denn sein Herz hungerte nach Rache.
Als er den Ausgangspunkt der Schüsse erreichte, sah er, dass ihm diese Rache einstweilen verwehrt bleiben würde. Der Korridor war kalt, und an seinen Wänden glänzte Feuchtigkeit. Sergeant Venasus stand in der eingetretenen Tür zu einem matt erleuchteten Raum. »Machen Sie Meldung«, befahl Uriel. »Falscher Alarm, Hauptmann. Ich ging als Erster durch die Tür und glaubte ein Ziel zu erkennen. Ich habe das Feuer eröffnet, befand mich aber im Irrtum.« »Verordnen Sie sich zehn Tage des Fastens und Betens, um für Ihre laxen Zielrituale zu sühnen.« »Jawohl, Hauptmann.« »Worauf haben Sie geschossen, Sergeant?« Venasus hielt inne, bevor er antwortete. »Ich bin nicht sicher, auf eine Art von Metallskelett. Ich weiß nicht genau, was es ist.« Der Sergeant trat beiseite, um Uriel und Pasanius eintreten zu lassen. Eine einzelne Lichtkugel sorgte für ein unstetes Licht in dem kleinen Raum, der wie die Werkstatt eines wahnsinnigen Mechanikers aussah. Alle möglichen Werkzeuge, deren genauer Zweck unvorstellbar war, lagen verstreut auf ramponierten, geschwärzten Bänken. In einer Ecke des Raums lagen die zerschmetterten Überreste von Sergeant Venasus' Ziel. Wie der Sergeant beschrieben hatte, ähnelte es einem Metallskelett, dessen einstmals glänzende Oberfläche mit einer grünen Patina überzogen war und dessen Glieder in unnatürlichen Winkeln abstanden. Ein anderes Skelett aus fleckigem Metall saß angelehnt auf einer Bank, und Bündel von Drähten verliefen aus der offenen Brust zu Reihen gelber Batterien mit seitlich aufgestanzten roten Buchstaben. Klappen in Brust und Schädel standen offen, und Uriel lugte in die Dunkelheit innerhalb der grotesken Anatomie. Sie ähnelte einem Schädel dergestalt, dass Augenhöhlen und ein Skelettgrinsen vorhanden waren, aber die Konstruktion hatte etwas entsetzlich Nichtmenschliches an sich, als habe der Erbauer das Ziel verfolgt, sich über die Perfektion der Menschheit lustig zu machen. Die metallische Form stieß Uriel ab, obwohl er nicht genau sagen konnte, warum. Vielleicht lag es an der abscheulichen Boshaftigkeit, die ihre ausdruckslosen Züge ausstrahlten. Vielleicht lag es an der Ähnlichkeit des Metalls mit der Substanz, die sie in dem Hügel auf Caernus IV entdeckt hatten. »Was, im Namen aller Heiligen, ist das?«, fragte Pasanius.
Uriel schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, mein Freund. Vielleicht waren sie die Besatzung des Schiffs, das Barzano erwähnt hat.« Pasanius zeigte auf die Maschine auf der Bank. »Glaubst du, das Ding ist tot?« Uriel ging hin und riss die Metalldrähte aus Brust und Schädel des Metallskeletts. »Jetzt ja«, sagte er. Uriel verfolgte, wie die Temperaturanzeige auf seinem Visier langsam nach unten kroch, als er sich der letzten Tür näherte. Dampf zischte aus der Energieeinheit auf dem Rücken seiner Rüstung, und er hatte eine böse Vorahnung, als er sich dem verrosteten Portal näherte. Die Tür war nicht geschlossen, durch einen Spalt fielen abwechselnd Dunkelheit und flackerndes Licht auf den Türrahmen. Schwaden kondensierter Luft rauschten von jenseits der Tür hindurch. Er schaute hinter sich. Pasanius, Venasus und sechs Ultramarines standen bereit, den Raum auf seinen Befehl zu stürmen. Der Rest seiner Truppe stellte das Haus auf der Suche nach einem Hinweis auf de Valtos' Verbleib von oben bis unten auf den Kopf. Er nickte Pasanius zu und hämmerte seinen Stiefel gegen das Metall der Tür. Sie krachte nach innen, und Pasanius stürmte dicht gefolgt von Venasus hinein. Uriel wirbelte in den Raum und deckte die Gefahrenzone in ihrem toten Winkel ab, während der Rest seiner Männer folgte. Uriel hörte das Klirren von Ketten und leises Stöhnen aus der Mitte des Raums. Seine Autosinne hatten Mühe, sich an das flackernde Licht zu gewöhnen, und er schaltete sie aus und aktivierte die Lampen an seiner Rüstung. Die anderen Ultramarines folgten seinem Beispiel, und langsam wurde der grauenhafte Mittelteil des achteckigen Raums sichtbar. Auf einer stinkenden, blutverschmierten Platte lag ein großes menschliches, blutverschmiertes Skelett, über dem dessen ehemalige Hülle hing. Klumpen herausgeschnittenen Fleisches hingen an Dutzenden von Fleischerhaken von der Decke, jeder genau in der richtigen Höhe, um die Umrisse des Körpers nachzuzeichnen, den sie in ihrer Gesamtheit gebildet hatten. Als seien sie eine Millisekunde nach einer Explosion des Körpers erstarrt, hingen
das Fleisch und die Organe Taryn Honans über dem Skelett. Jede fette Scheibe seines Körpers war mit tropfenden Sehnen und pulsierenden Adern umwickelt. »Bei der Seele des Imperators«, flüsterte Uriel, dessen Entsetzen grenzenlos war. Honans Kopf war ein segmentiertes, untereinander verbundenes Mobile aus einzelnen Fleischklumpen, in dem schwabbelige Wangen und abgetrennte Mehrfachkinne sein dampfendes Hirn umkreisten und dabei in einer Imitation des Lebens vibrierten. Uriel sah, dass die Augen sich noch in den Höhlen bewegten, als erlebe der Leichnam immer wieder die letzten quälenden Augenblicke seines Lebens, und Uriel empfahl die gequälte Seele dem Imperator. Das Stück fettigen Fleisches, das den Mund enthielt, bewegte sich lautlos auf und nieder wie bei einer von einem unsichtbaren Puppenspieler geführten makabren Marionette. Das sich langsam drehende Fleisch, das die lidlosen Augen enthielt, flatterte, und Uriel sah mit wachsendem Entsetzen, wie sie sich auf ihn richteten und Taryn Honans Lippen wiederum ein leises Stöhnen von sich gaben. Dicke Tränen liefen über Honans bleiches Fleisch, als sein Mund unmöglicherweise ein leises gequältes Stöhnen von sich gab, das selbst für die Ultramarines herzzerreißend war. Uriel wollte dem Mann helfen, wusste aber, dass es seine Macht und auch die Macht jedes anderen Menschen überstieg, Honan zu retten. In Honans Augen lag eine schreckliche, flehentliche Verzweiflung, und sein Mund bewegte sich ständig im heldenhaften Bemühen zu sprechen. Uriel trat näher an die explodierte Anatomie des Mannes heran und verbarg sein Entsetzen angesichts der Verstümmelung. »Was wollen Sie sagen?«, flüsterte er ohne zu wissen, ob das Fleischmobile ihn hören, geschweige denn verstehen konnte. Honans Lippen formten zwei Worte, und Uriel wusste, was der Mann wollte. Töte mich... Er nickte und hob sein Boltgewehr, sodass es auf Honans Kopf zeigte. Die groteske Form von Honans Mund bildete noch mehr Worte, bevor seine Augen sich zum letzten Mal schlossen. Uriel flüsterte das Gebet für den Märtyrer und drückte ab. Ein Hagel von Patronen zerfetzte die hängenden Fleischklumpen, riss
sie von ihren Haken und gewährte dem verstümmelten KartellMann Frieden. Uriel ließ seine Wut im kathartischen Feuer seines Boltgewehrs entweichen. Seine Männer taten es ihm nach und leerten ihre Magazine in einem Feuerhagel, das den achteckigen Raum in Schutt und Asche legte, große Löcher in die Mauern sprengte, Metallregale zerstörte und jede Spur des Verbrechens wider die Natur auslöschte, das an diesem letzten Opfer von Kasimir de Valtos' wahnsinnigen Plänen verübt worden war. Während sich der Rauch des Gewehrfeuers langsam verzog, spürte Uriel, wie seine Atmung sich langsam wieder normalisierte, und senkte die Waffe. Honans lautlose Abschiedsworte hallten in seinem Kopf wider. Ich danke dir. Ihr Wild war geflohen. Egal. Sie würden es aufspüren. »Informieren Sie Inquisitor Barzano über die Vorgänge hier und sagen Sie ihm, dass wir in den Palast zurückkehren«, schnauzte Uriel. Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte aus dem verwüsteten Raum. Kasimir de Valtos ruhte auf den Ledersitzen seines Wagens. Das Fahrzeug war von weniger traditioneller Konstruktion wie auf Pavonis üblich, aber da sie sich in einer Zeit des Wandels befanden, war es nicht unangemessen, fand er. Er stellte sich wieder das hilflose Gesicht von Solana Vergen vor, als er ihr den Inhalt seiner schwarzen Ledertasche gezeigt hatte. Er hatte jeden Schrei und jedes flehentliche Winseln genossen, als sie um ihr Leben gebettelt hatte. Ihr war nicht klar gewesen, dass sie mit ihrer Annahme seiner Einladung zum Essen ihr Todesurteil unterzeichnet hatte. Ihm tat nur Leid, dass er keine Gelegenheit gehabt hatte, dem Chirurgen bei der Arbeit am fetten Honan zuzusehen, aber seine eigenen Bedürfnisse und Begierden hatten Priorität gehabt. Ja, Solana Vergen war exquisit gewesen. Ihr Tod würde die Dämonen eine Weile davon abhalten, jeden seiner Gedanken mit Blut und Schmerzen zu bestürmen. Aber er wusste, dass sie früh genug zurückkehren würden und er sie dann wieder mit dem Blut einer anderen Person wegspülen musste. Kasimir beendete seine Grübeleien und betrachtete die anderen
Passagiere in dem Fahrzeug. Er hatte den ganz untypischen Wunsch, seine Hochstimmung zu teilen. Der Chirurg saß ihm gegenüber, die Hände im Schoß verschränkt. Sein Blick schweifte über Kasimirs Körper, als denke er über die beste Methode nach, ihn zu sezieren. Er erinnerte sich noch allzu gut an die Schmerzen der letzten Prozedur, seine verwüsteten Organe zu reinigen und seinen vergifteten Kreislauf zu erneuern. Dieses Spiel konnten auch zwei spielen, schwor de Valtos im Gedenken an die Schreie von über hundert verschiedenen Opfern, an denen er seine eigene Kunstfertigkeit geübt hatte. Bald würde es einen Rollentausch geben, wenn er in Besitz des Nachtbringers war. Dessen schlafender Gebieter würde ihm die Unsterblichkeit gewähren, nach der er sich so sehnte, und diese nichtmenschlichen Emporkömmlinge würden begreifen, dass sie die Diener waren und nicht er. Die weibliche Komplizin des Chirurgen ruhte neben ihm und hatte die langen elfenbeinfarbenen Beine träge auf dem Boden des Fahrzeugs ausgestreckt. Ihre Augen funkelten neckisch, erregend und zugleich abstoßend. Sie hauchte ihm einen Kuss zu, und er zuckte zusammen, als habe sie ihm damit gedroht, ihn mit ihrem widerlichen und doch sinnlichen Fleisch zu berühren. Trotz ihrer stolzen Worte hatten ihre vom Warpraum hervorgebrachten Bestien versagt, aber er war nicht enttäuscht. Schließlich würde er dadurch die Gelegenheit bekommen, Shonais Gesicht zu sehen, wenn ihr aufging, dass er die Person war, die hinter all den Jahren des Elends steckte. Er spürte, wie seine gute Laune verflog, als das Geklopfte des letzten Fahrzeuginsassen in sein Bewusstsein drang. Vendare Taloun vermied es geflissentlich, die anderen Passagiere anzusehen, und pochte mit dem Ringfinger gegen das von außen undurchsichtige Glas des Fensters. Er wollte Vendare bedauern, aber dieses Gefühl war in ihm in dem Augenblick abgestorben, als die Klingen des Haemonculi ihm die Haut von den Muskeln gezogen hatten. Wenn er überhaupt noch etwas für den Mann empfand, dann Verachtung. Seine kleinliche Engstirnigkeit hatte ihn in diesen Pakt mit de Valtos getrieben. Was glaubte er, wie sie Shonai anders die Herrschaft über diese Welt entreißen sollten? Mit Worten und demokratischem Vorgehen? Er wollte lachen und musste den
Drang unterdrücken, in hysterisches Gelächter auszubrechen. Er zwang sich, seine extrem schwankenden Gefühle zu beherrschen, da er wusste, dass er jetzt, da das Ende in Sicht war, die Beherrschung nicht mehr verlieren durfte. Beherrschung war alles. Der Wagen bog um eine Ecke, und er erhaschte einen Blick auf die Stadt Brandontor voraus. Er hob die Hand und blinzelte durch eine Lücke, die er mit Zeigefinger und Daumen bildete. Die entfernte Stadt passte zwischen seine Finger, und er lächelte, als er sie enger zusammenpresste und sich dabei vorstellte, dass die immer kürzer werdende Entfernung zwischen ihm und der Stadt der Lebenserwartung von Statthalterin Shonai entsprach. Er drehte den Arm und warf einen Blick auf den Armbandchronometer, während der Chirurg einen langen, gebogenen Gegenstand aus seinem Gewand holte und diesen eingehend betrachtete. De Valtos fiel wiederum die zarte Struktur seiner Finger und die Gewandtheit ihrer Bewegungen auf. Der Nichtmensch hatte die Lippen vor Missvergnügen gespitzt und ließ den Gegenstand wieder in seinem Gewand verschwinden. »Die Fleischskulptur hat ihr Leben ausgehaucht. Es sind Feinde in den Vivisektionssaal eingedrungen.« De Valtos war überrascht, verbarg seine Reaktion aber. Wenn jemand Honan gefunden hatte, musste man seine Pläne bereits bis zu einem gewissen Grad kennen. Egal. Die Ereignisse waren bereits in Gang gesetzt, und nichts konnte ihren vorherbestimmten Weg jetzt noch ändern. Sie befanden sich kurz vor der Fährenplattform, wo er das Schiff besteigen würde, das ihn in den Palast bringen würde, um seine Bestimmung zu erfüllen. Er dachte an Beauchamp Abrogas, der im Revier der Arbites in einer Zelle saß, und hätte beinahe gelacht. Er wandte sich an die verhasste nichtmenschliche Frau: »Du hast dem Abrogas-Jungen den Inhalator gegeben?« Sie nickte, ohne ihn eines Wortes zu würdigen. Seltsam, dass es ausgerechnet ein Schwachkopf wie Beauchamp war, der den Beginn von Pavonis' neuem Zeitalter einläuten würde. Aber das lag noch in der Zukunft. Jetzt standen Dinge an, die seiner Aufmerksamkeit bedurften. »Dann hat es also begonnen?«, fragte Mykola Shonai.
»Es sieht ganz danach aus. De Valtos würde sein Haus nicht aufgegeben haben, wenn seine Pläne nicht im letzten Stadium angelangt wären«, antwortete Inquisitor Barzano, indem er sich aus dem Kommnetz ausschaltete und Schwert und Pistole zog. Wahrscheinlich war das eine Überreaktion, aber nach dem Angriff der Warpbestien wollte er kein Risiko mehr eingehen. Er hatte schlechte Laune, da er soeben erfahren hatte, dass Amel Vedden, der Verräter, den Learchus nach dem Aufruhr auf dem Befreiungsplatz gefangen genommen hatte, tot war. Obschon festgeschnallt, war es dem Mann irgendwie gelungen, einen seiner intravenösen Infusionsschläuche zu lösen und sich eine Luftblase in die Blutbahn zu schießen, was zu einer Embolie und zu einem Herzanfall geführt hatte. Es war eine schmerzhafte Art zu sterben, und Vedden war zwar der Gerechtigkeit in dieser Welt entronnen, aber Barzano wusste, dass mittlerweile alle Dämonen der Hölle an seiner Seele zerrten. Dutzende bewaffneter Wachen umringten den privaten Palastflügel der Statthalterin, und Learchus hatte die Ultramarines in den Gemächern selbst postiert. Mykola Shonai und Ario Barzano waren so gut geschützt, wie dies überhaupt nur möglich war. »Was machen wir jetzt, Inquisitor?«, fragte Leland Corteo, der offenkundig seine Nervosität zu verbergen suchte. Barzano wandte sich an den alternden Berater und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Unsere erste Priorität muss sein, alle loyalen Truppen zu mobilisieren. Schicken Sie den Arbites eine Warnung über Kommnetz, und rufen Sie die höchste Alarmstufe für die Palastwache aus. Befehlen Sie außerdem dem Kommandanten der Palastverteidigung, dass jede seiner Geschützstellungen einen der vor den Stadtmauern wartenden Panzer aufs Korn nehmen soll. Wir hoffen zwar, dass es überflüssig ist, aber wenn de Valtos die Initiative ergreift, müssen wir darauf vorbereitet sein. Verstanden?« »Natürlich. Ich kümmere mich selbst darum. Ich kenne Danil Vorens, den Kommandanten, persönlich und werde dafür sorgen, dass Ihre Wünsche ausgeführt werden.« Corteo eilte aus dem Raum und ließ Barzano, Jenna Sharben, Almerz, Chanda und Mykola Shonai zurück, die durch das Panzerglas der Gemächer der Statthalterin auf die rauchende Stadt schauten. Jenseits der Stadtmauern stiegen die Abgase Dutzender Panzer
in die Luft, und Barzano wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis ihre Waffen sich auf die Palastmauern richten würden. »Liktor Sharben?« »Was?«, fragte sie und drehte sich zu ihm um. »Ich will, dass Sie die Statthalterin zu ihrer persönlichen Fähre bringen. Dann werden Sie sie auf die Vae Victus begleiten.« Mykola Shonais Gesicht verhärtete sich, und sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Inquisitor Barzano, Sie wollen, dass ich meinen geschundenen Planeten verlasse? Es ist meine Pflicht, hier zu bleiben und mein Volk durch die Krise zu führen.« »Ich weiß, Mykola«, erläuterte Barzano, »und normalerweise wäre ich auch Ihrer Meinung, aber unsere Feinde haben bewiesen, dass sie in Ihr am besten geschütztes Allerheiligstes eindringen und gegen Sie vorgehen können. Ich lasse Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit auf die Vae Victus bringen, bis ich die Gewissheit habe, dass es im Palast ungefährlich ist. Wenn dies der Eröffnungszug einer Rebellion ist, dann diktiert die Logik, dass es noch einen Anschlag auf Ihr Leben geben wird.« »Aber hier sind wir doch gut geschützt. Sergeant Learchus versichert mir, dass ich nichts zu befürchten habe.« »Ich zweifle nicht an den Fähigkeiten des Sergeanten, aber ich lasse nicht mit mir diskutieren. Sie fliegen zur Vae Victus und damit Schluss.« »Nein!«, stellte Mykola Shonai fest. »Ich werde Pavonis nicht verlassen und wie ein verängstigtes Kind davonlaufen. Ich werde mein Volk nicht noch einmal im Stich lassen. Ich werde nicht fliehen, ich werde bleiben, und wenn ich dadurch mein Leben in Gefahr bringe, dann soll es so sein.« Barzano holte tief Luft und kratzte sich an der Stirn. Die Entschlossenheit stand Shonai ins Gesicht geschrieben, und er sah, dass er Learchus den Befehl würde geben müssen, sie auf die Fähre zu tragen, wenn er sie auf die Vae Victus schaffen wollte. »Also gut«, gab er nach, »aber ich will Ihr Wort, dass Sie uns gestatten werden, Sie auf die Vae Victus zu bringen, wenn es zu gefährlich werden sollte, hier zu bleiben.« Zuerst dachte er, sie würde sich weigern, aber schließlich nickte sie. »Nun gut. Wenn es hier zu gefährlich wird, werde ich mich Ihrem Wunsch fügen.«
»Danke, mehr verlange ich nicht«, sagte Barzano. Als seine Zellentür sich geöffnet und der mürrische Kerkermeister ihm gesagt hatte, ein Familienmitglied sei gekommen, um seine Strafe zu bezahlen, war das die beste Nachricht, die Beauchamp Abrogas seit langer Zeit erhalten hatte. Die Kopfschmerzen waren unerträglich. Er blinzelte, während er durch einen langen Korridor geführt wurde, der bis auf die nackten Eisentüren zu den Zellen rechts und links hell und nichts sagend war. Er fühlte sich diesen armen Unglücklichen bereits überlegen, die dort eingesperrt waren. Für sie wurde nicht umgehend eine Strafe aus überquellenden ererbten Schatztruhen bezahlt. Seine Gedanken kamen ihm jetzt so klar vor wie schon seit Monaten nicht mehr, und Beauchamp schwor, sich von nun an mit dem Opiatix zurückzuhalten und vielleicht sogar ganz damit aufzuhören. Beauchamp wurde durch einige triste Gänge geführt und durch mehrere Büros geschickt, wo er verschiedene Formulare unterschreiben musste, von denen er keines las, bevor man ihm schließlich gestattete, den Zellenblock zu verlassen. Er war bester Laune, als er mit dem Bündel seiner eigenen Kleidung unter dem Arm in den Aufzug stieg. Sie war völlig verdreckt, und er bezweifelte, dass seine treuen Diener die Flecken herausbekommen würden. Er leckte sich die Lippen, als sich die Fahrstuhltüren öffneten, und dann wurde er durch eine Reihe unscheinbarer Korridore der Freiheit entgegengeführt. Schließlich brachte man ihn in einen schlichten Raum mit einem ramponierten Tisch und auf dem Boden festgeschraubten Stühlen. Ein Liktor drückte ihn auf einen der Stühle und sagte: »Warten Sie hier.« Beauchamp nickte, verschränkte die Arme und legte die Füße auf den Tisch, da seine frühere Arroganz und sein sicheres Auftreten langsam zurückkehrten. Lange Minuten verstrichen, und er wurde unruhig und marschierte in dem kleinen Raum auf und ab, als seine Ungeduld zunahm. Des Umherwanderns müde kehrte er zu seinem Stuhl zurück, als er hörte, wie die Tür aufgeschlossen wurde. Ein neuer Liktor trat mit einem untersetzten Mann in langer Robe und einem kurzen, ordentlich gestutzten Bart ein. Der Neuankömmling trug einen Metallkasten und eine Anstecknadel des Abrogas-Kartells im Revers, aber Beauchamp kannte ihn nicht.
Der Liktor verließ den Raum, als der Abrogas-Mann Beauchamp gegenüber Platz nahm und ihm den Kasten über den Tisch zuschob. »Ich bin Tynen Heras, Mylord. Ich bin gekommen, um Sie nach Hause zu bringen.« »Das wird aber auch Zeit«, schnauzte Beauchamp gereizt. Er wollte verdammt sein, wenn er einem Diener Dankbarkeit zeigte. Er deutete auf den Kasten. »Was ist das?« »Ich habe mir die Freiheit genommen, für Ihr persönliches Eigentum zu unterschreiben, Mylord«, erwiderte Heras und öffnete den Kasten. Darin befand sich ein Haufen Bargeld, Schmuck, ein Kartenspiel und... Beauchamps Augen weiteten sich beim Anblick des schlichten schwarzen Opiatix-Inhalators, den ihm die schwarzhaarige Frau aus der Fleischbar kurz vor der Verhaftung in die Tasche geschoben hatte. Er lächelte verschmitzt und ließ den Inhalator in seiner Handfläche verschwinden, während er seine restlichen Besitztümer einsteckte. Er entschied, dass er letztlich doch großmütig sein konnte, und nickte Heras zu. »Meinen Dank, Gildenmann Heras. Sie haben Ihrem Anführer heute einen großen Dienst erwiesen.« »Mylord«, bedankte Heras sich, indem er den leeren Kasten nahm und sich von seinem Stuhl erhob. Er ging an Abrogas vorbei und klopfte an die Tür. »Ich gebe das hier den Beamten zurück, dann machen wir uns gleich auf den Weg, Mylord.« »Ja, tun Sie das. Ich kann es kaum erwarten, nach Hause zu kommen.« Die Tür öffnete sich, und der Mann verließ das Zimmer. Wieder allein konnte Beauchamp das Gewicht des Inhalators auf seiner verschwitzten Handfläche spüren. Er strich sich über das stopplige Kinn und spürte, wie der Drang in ihm stärker wurde. Nein, er konnte nicht. Nicht hier. Nicht im Revier der Arbites. Irgendwo würde ein verborgener Bildaufzeichner mitlaufen. Doch es war zu spät. Die Idee hatte sich bereits eingenistet. Es würde seine ganz eigene kleine Rache an den Adeptus Astartes sein, das Gesetz hier in ihrer Hochburg zu brechen. Die Idee war zu verlockend, um ihr zu widerstehen, und er kicherte plötzlich, da er den überwältigenden Drang verspürte, sich das gesamte Opiatix des Inhalators in einem einzigen berauschenden Zug ein-
zuverleiben. Aber das wäre dumm. Man würde ihn wieder in die Zelle sperren. Vor allem, wenn es so stark war wie die erste Füllung, die ihn überhaupt erst in die Zelle gebracht hatte. Nein, dann also nur einen ganz kleinen Zug. Na ja, vielleicht ein wenig mehr. Nicht mehr als die Hälfte. Beauchamp hob die Hand zum Mund, als wolle er gähnen, und führte das Mundstück des Inhalators an die Lippen. Er schmeckte das Plastik des Mundstücks und verspürte die vertraute Welle der Vorfreude, bevor er auf den Spenderknopf drückte und tief einatmete. Heiße Körnchen Opiatix rauschten durch seine Kehle und in seine Lunge. Beauchamp wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Beim Imperator, was, zur Hölle, war darin? Aber da war es längst zu spät für Beauchamp Abrogas. Glühende Hitze raste durch seinen Körper, seine Nerven standen in Flammen, und ein greller Schmerz stach in sein Rückenmark. Seine Beine zuckten krampfhaft, und seine Hände krallten sich so fest in den Tisch, dass die Nägel abgerissen wurden und sie blutige Spuren auf der Platte zurückließen. Er schrie gequält, hievte seinen Körper vom Stuhl und fiel auf den Zementboden. Sein gesamter Körper fühlte sich an, als stehe er in Flammen. Nichtmenschliche Chemikalien, gewonnen aus Bestandteilen, die so tödlich waren, dass man sie für mystisch hielt, vermischten sich mit jenen, die ihm die Gehilfin des Chirurgen in der Fleischbar verabreicht hatte. Sein Gehirn fühlte sich an, als koche es in seinem Schädel. Er fasste sich an den Kopf und riss sich dicke Haarbüschel aus. Beauchamp wälzte sich auf die Knie und kreischte wie ein Dämon, da jede Bewegung heiße Schmerzwellen durch seinen Körper sandte. Seine Knochen fühlten sich an wie geschmolzene Lava, aber irgendwie gelang es ihm, sich wieder aufzurappeln, und er stieß gegen die Tür. Er konnte keine Worte formulieren, schlug aber seinen Körper blutig, da ihn die Schmerzen in den Wahnsinn trieben. Die Tür öffnete sich, und Beauchamp prallte gegen einen Liktor der Arbites und rannte ihn um. Er floh blindlings. Schreie folgten im Kielwasser seiner irren Flucht, aber Beauchamp war taub für sie, da er ziellos einfach in irgendeine Richtung lief. Er wusste
nicht wohin, konnte aber auch nicht stehen bleiben. Er sank auf die Knie, als nichtmenschliches Feuer seinen Körper von innen verbrannte. Gellende Stimmen umringten ihn. Als die in seinem Blut brodelnden chemischen Reaktionen genügend Brennstoff aus seinem Körper absorbiert hatten, um die kritische Masse zu erreichen, traten sie in das Endstadium ihres Daseins. Reine Energie. Und Beauchamp Abrogas explodierte mit der Gewalt von einem Dutzend Sprengladungen.
15. Kapitel Die Druckwelle von Beauchamp Abrogas' explosivem Tod fegte die Vorderseite des Reviers der Arbites weg, das in einer Wolke aus Staub und Qualm einstürzte, und ließ alle Fensterscheiben im Umkreis von einem Kilometer zersplittern. Nur wenige Sekunden verstrichen, bevor die Motoren der Panzer vor den Mauern der Marmorstadt rumpelnd zum Leben erwachten und die Maschinen sich in Richtung Stadttore in Bewegung setzten. Zwei Leman Russ Conquerors aus der Kharon-Kaserne eröffneten das Feuer auf die Bronzetore, und die Granaten sprengten sie und einen beträchtlichen Teil der Mauer nach innen. Als sich der Rauch verzogen hatte, wurde eine zwanzig Meter lange Bresche sichtbar, und die Panzerfahrzeuge holperten über die Trümmer hinweg, die unter ihren Ketten zermalmt wurden, in die Stadt. Zwei Dutzend Panzer donnerten über die gepflasterten Straßen zum imperialen Palast, während andere peripheren Landeplattformen entgegenstrebten, und Truppentransporter fuhren zu strategisch wichtigen Kreuzungen, die ins Stadtzentrum führten, um sie zu sichern. Rebellierende PWM-Soldaten sprangen aus den Transportern, rannten durch die Manufakturviertel und übernahmen die Kontrolle über Schlüsselfabriken und Munitionsdepots. Es gab Widerstand gegen die Übernahmen, und auf den Straßen brachen heftige Kämpfe zwischen PWM-Truppen und dem ShonaiKartell treuen Arbeitertrupps aus. Mehr Feuer brachen aus, als Fehlschüsse Silos mit Chemikalien trafen und ein flammendes Inferno entstand, als die Schlacht sich auf die Manufakturviertel
ausbreitete. In der Marmorstadt donnerten die führenden Panzer über den Befreiungsplatz und schwärmten aus, um dem Beschuss aus den Palastgeschützen auszuweichen. Makrokanonen sprengten gewaltige Krater in den Platz, und mehrere Panzer explodierten in Flammengeysiren, als die gewaltigen Projektile ihre Panzerung durchschlugen und ihren Munitionsvorrat zur Detonation brachten. Doch als immer mehr Panzer in die Stadt strömten, wurden die Servitor-Kanoniere mit Zielen überschwemmt und konnten einfach nicht mehr genug Panzer ausschalten, um sie an der Erreichung der Palastmauern und der rauchenden Trümmer des Reviers der Arbites zu hindern. Auf dem Platz brannten Dutzende von Wracks, aber zu viele Panzer durchstießen den Abwehrring des Palasts. Aus irgendeinem Grund hatte sich sein Energieschirm noch nicht aktiviert, und Granaten der Kampfpanzer landeten innerhalb der Mauern der imperialen Palastfestung. Die Geschütztürme waren die ersten Ziele, und jeder Panzer lieferte sich einen Schusswechsel mit den Palastkanonieren. Ein Abwehrgeschütz nach dem anderen wurde aufs Korn genommen und zerstört und fiel in grell lodernde Flammen gehüllt von der Mauer. Explosionen regneten wahllos auf den Palast nieder, und Stützpfeiler und Säulengänge, die seit tausenden von Jahren standen, wurden von den hochexplosiven Geschossen in Schutt und Asche gelegt und die kunstvollen Fresken und Galerien darin in wenigen Augenblicken zerstört. Überall erblühten dunkle Explosionen auf dem strahlenden Gebäude, die vergoldete Torbögen einstürzen ließen und uralte Buntglasfenster von unschätzbarer Schönheit sprengten. Der große Glockenturm barst, als ein Doppeltreffer den Mittelabschnitt wegsprengte. Der Turm sackte zusammen und stürzte mit gewichtiger Erhabenheit ein. Die von den ersten Kolonisten nach Pavonis gebrachte Glocke läutete noch ein letztes Mal, als sie auf die gepflasterte Esplanade fiel, und zerschellte in große Messingscherben. Andere Panzer nahmen die Mauern des Reviers der Arbites unter Beschuss, doch hier stießen sie auf heftigeren Widerstand. Die in die Mauern eingearbeiteten Kraftfelder standen noch. Sie knisterten und blitzten zwar unter beständigen Energieentladungen, hielten aber den größten Teil der Angriffswucht ab. Einige Panzer
versuchten ihre Granaten über die Mauern zu feuern, aber entweder konnten sie ihre Geschütze nicht hoch genug richten oder die Granaten nicht mit so niedriger Geschwindigkeit abschießen, dass sie innerhalb des Reviers landeten, sodass jeder Schuss zu weit ging und in die Wohnhäuser weiter im Osten einschlug. Doch als immer mehr Granaten auf die Energieschirme prallten, welche die Mauern schützten, wurde rasch klar, dass sie bald zusammenbrechen und die Mauern einstürzen würden. Die Stunden sowohl des Palasts als auch des Reviers der Arbites waren gezählt. Ario Barzano befreite sich von einem Haufen aus eingestürzten Streben und Gipsklumpen und wischte sich einen Blutfaden von der Wange, wo umherfliegende Splitter einen Schnitt hinterlassen hatten. Er blieb auf den Knien, da die Palastmauern unter neuerlichen Einschlägen erbebten, und kroch zu Mykola Shonai. Er zog die schlaffe Statthalterin unter den zerschmetterten Überresten ihres Schreibtischs hervor und legte ihr die Finger auf den Hals. Er zog sie von der Wand weg, wobei er sich tief duckte, um nicht in dem zerschmetterten Fenster aufzutauchen. Rasch untersuchte er sie und hielt nach ernsteren Wunden Ausschau, fand aber nur zerschundene Haut und harmlose Schnitte durch umherfliegende Splitter. Zufrieden, dass Mykola Shonai unversehrt war, kroch Barzano über den mit Trümmern übersäten Boden des Büros, um nach den anderen zu sehen. Jenna Sharben schien nicht viel abbekommen zu haben, obwohl sie den linken Arm nah an der Brust hielt. Sie nickte ihm kurz zu und deutete mit einer Kopfbewegung auf die reglose Gestalt von Almerz Chanda, der unter herabgefallenen Paneelen lag. Der Berater der Statthaltern stöhnte, als Barzano die Trümmer wegräumte. »Was ist passiert?«, fragte er undeutlich. »Anscheinend haben die Panzer auf dem Befreiungsplatz beschlossen, die Statthalterin mit direkteren Mitteln abzusetzen«, antwortete Barzano, während er dem übel zugerichteten Mann dabei behilflich war, sich an die Wand zu lehnen. »Sind Sie verletzt?« »Ich glaube nicht. Vielleicht ein paar Kratzer.« »Gut, nicht bewegen«, wies Barzano ihn an, indem er wachsame Blicke auf die breiten Risse in der Decke warf, da weitere
grollende Explosionen den Raum erbeben ließen. Er kroch zu den Überresten der Mauer, wo zuvor das Fenster gewesen war, und schob vorsichtig den Kopf durch das geborstene Mauerwerk. Dutzende von Leman-Russ-Panzern standen auf dem Platz, manche davon als brennende Wracks, aber weitaus mehr rollten dem Palast entgegen, die Geschütze erhoben, um die oberen Etagen unter Beschuss zu nehmen. Der Raum erbebte, und Gipsstaub quoll aus der ächzenden Decke, als Dachträger splitterten und barsten. Die untersten Etagen des Palasts standen in Flammen, und der gewölbte Eingang war nicht mehr als ein Haufen vom Feuer geschwärzter Gesteinstrümmer. Den Panzern folgten Dutzende von Chimäre-Truppentransportern, die alle in Richtung des Palasts und des Reviers der Arbites fuhren. Er wälzte sich zurück zu der Stelle, wo er Mykola Shonai gelassen hatte. Sie kam langsam wieder zu sich, und er wischte Blut und Staub von ihrem Gesicht. Sie hustete und öffnete die Augen, und Barzano registrierte zufrieden die Abwesenheit jeglicher Furcht. Shonai stemmte sich hoch und begutachtete die in ihren persönlichen Gemächern angerichtete Verwüstung. »Schweinehunde!«, schnauzte sie, während sie aufzustehen versuchte. Barzano hielt sie unten, als eine weitere Granatsalve dem Palast eine Reihe von Hammerschlägen versetzte. Er warf einen Blick auf Jenna Sharben, die neben Almerz Gianda kniete, und nickte. »Wir müssen hier raus, Mykola. Ich glaube, es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Lage sich verschlechtert hat, oder?« Trotz der Zerstörung ringsumher grinste Shonai schwach und schüttelte den Kopf. »Wohl nicht.« Sie presste eine Hand gegen die Schläfe und zuckte zusammen. »Ich kann mich nur noch an eine furchtbare Explosion erinnern, und dann lag ich plötzlich auf dem Boden.« Shonai schüttelte Barzanos stützende Hand ab, erhob sich schwankend und bürstete sich Staub von ihren Amtsgewändern, als die Türen zu ihren Gemächern vom ramponiert aussehenden Sergeant Learchus aus dem verbogenen Rahmen gerissen wurden. Der riesige Ultramarine duckte sich gefolgt von den beiden Kriegern in den Raum, denen Uriel befohlen hatte, beim Inquisitor zu bleiben. »Sind alle wohlauf?«, wollte Learchus wissen.
»Wir werden es überleben, Sergeant«, versicherte Mykola Shonai, die an Learchus vorbei in die unbeschädigten Vorzimmer ging, »aber wir müssen uns jetzt beeilen. Der Feind steht vor den Toren, und wir haben nur wenig Zeit.« Learchus hob den taumelnden Chanda mit einer Hand auf, als Jenna Sharben und Ario Barzano der Statthalterin folgten. Dutzende von Palastwachen und Soldaten umringten sie, als wollten sie ihr Unvermögen wettmachen, sie vor dem Beschuss zu schützen. Plötzlich blieb Shonai mit zur Seite geneigtem Kopf stehen und fuhr dann zu ihnen herum. »Warum steht der Energieschirm nicht?« Barzano überlegte einen Moment. »Das ist eigentlich eine verdammt gute Frage«, sagte er schließlich. Er öffnete einen Kanal im Kommnetz, der ihn mit seinen Gemächern und Lortuen Perjed verband. »Lortuen, alter Freund, sind alle wohlauf?« Nach einer längeren Pause antwortete Perjed schließlich. »Ja, uns allen geht es gut, Ario. Was ist mit Ihnen?« »Wir sind alle am Leben, was immerhin etwas ist, aber wir verschwinden von hier und sehen zu, dass wir die Vae Victus erreichen. Sammeln Sie alle ein und kommen Sie zu den Landeplattformen auf dem Dach des Ostflügels. Wir treffen uns dort.« Er schloss den Kanal und wandte sich an Learchus. »Sergeant, gehen Sie mit Ihren Männern in den Kontrollraum für die Luftabwehr und finden Sie heraus, warum die Schirme nicht aktiviert wurden. Tun Sie, was nötig ist, um die Schirme zu aktivieren.« Learchus setzte zu einem neuerlichen Protest an, doch Barzano ließ ihn nicht zu Wort kommen und zeigte auf das Dutzend Palastsoldaten. »Machen Sie sich keine Sorgen um meine Sicherheit, Sergeant. Ich bin sicher, dass wir hier genug Schutz haben.« Der Sergeant sah nicht überzeugt aus, nickte aber und reichte den schwankenden Chanda an zwei grau uniformierte Soldaten weiter. »Ich zeige Ihnen den Weg«, erbot sich ein junger Soldat. Learchus grunzte ein Dankeschön, und die vier machten sich im Laufschritt auf den Weg zum Kontrollraum. Die ehemals grimmige und imposante Fassade des Reviers der Arbites sah aus, als habe es ein Belagerungstitan mit seiner riesigen Abbruchkugel bearbeitet. Die gesamte Westfassade war ein-
gestürzt, sodass Bodenfliesen aus Plastibeton und verbogene Stahlträger zu sehen waren. Große, meterbreite Risse verliefen vom Boden zum Dach, und in den Mauern des Gebäudes klafften riesige Löcher. Die Verluste waren hoch, und innerhalb der Mauern war alles in Staub gehüllt und mit Trümmern übersät. Blutüberströmte Liktoren zogen verwundete Kameraden aus dem Schutt und gruben Überlebende aus, während Sanitäter verzweifelt versuchten, Wunden zu versorgen und zerquetschten Leibern neues Leben einzuhauchen. Virgil Ortega drängte sich durch die schockierte Menge und versuchte aus den Ereignissen der letzten Minuten schlau zu werden. Das Revier lag in Trümmern, und er gab sich alle Mühe zu ergründen, wie es zu solch einer Katastrophe hatte kommen können. Es war kein Granateneinschlag gewesen, das stand fest, da die Explosion von innen erfolgt war. Eine Bombe konnte niemand eingeschmuggelt haben, aber wie sollte es sich sonst abgespielt haben? Erklärungen und Vergeltung konnten später noch kommen. Wenn es ein Später gab, überlegte er, während er dem ohrenbetäubenden Donner des Granatbeschusses lauschte, da die Panzer der Verräter versuchten, sich mit Gewalt Zugang zu verschaffen. Hastig erteilte er sich im Stillen einen Verweis für diese kleine Ketzerei. Er war ein Krieger des Imperators, und solange noch Leben in ihm steckte, gab es keine Kapitulation. Er nahm sich jeden Mann, der noch kämpfen konnte, und brüllte ihnen seine Befehle zu. Dies war der erste Streich im Rahmen einer bewaffneten Rebellion, und wenn Mauern nachgaben, würde es mit Sicherheit knüppeldick für sie kommen. Sein Atem kam in kurzen, schmerzhaften Stößen, und in seinem Kopf pochte es heftig. Er hatte sich soeben erst selbst aus der Krankenabteilung des Reviers entlassen, und seine gebrochenen Rippen schmerzten immer noch heftig, aber er wollte verdammt sein, wenn er diesen Kampf aussaß. Er hätte es vorgezogen, die Verteidigung aus dem Revier zu organisieren, aber mittlerweile war das Gebäude in seinen Grundfesten erschüttert und sah aus, als werde es jeden Moment einstürzen. Geschützbatterien auf der mit Zinnen versehenen Brustwehr verliehen der Abwehr Schlagkraft, aber viele von ihnen waren durch die Explosion und den anschließenden Einsturz beschä-
digt worden. Überzeugt davon, alle für die Verteidigung möglichen Maßnahmen ergriffen zu haben, kehrte er zu den großen Toren des Reviers zurück, wo er Collix mit dem Kommgerät zurückgelassen hatte. Collix war blutüberströmt, und seine Rüstung war verbeult und mit Staub bedeckt. Virgil war angenehm überrascht über die Veränderung gewesen, die der junge Offizier in den letzten Tagen durchgemacht hatte. Er war zu einem hervorragenden Beamten gereift, und Ortega war froh, dass er die Explosion überlebt hatte. »Glück gehabt?«, fragte er. »Bisher noch nicht, Hauptmann. Alle anderen Reviere sind nicht im Netz. Wir werden gestört.« »Verdammt!«, fluchte Virgil. Alles war noch viel schlimmer, als er befürchtet hatte. »Versuchen Sie es mit dem PWM-Netz«, schlug er vor. »Das habe ich bereits. Das ist vollkommen gestört.« »Versuchen Sie es weiter, und rufen Sie mich, wenn Sie jemanden erreichen«, befahl Virgil. Collix nickte und widmete sich wieder seiner Komm-Ausrüstung. Ortega starrte auf das mit Schutt übersäte Gelände vor sich. Die Schutzzone des Reviers erstreckte sich dreihundert Meter weit von der Fassade des Gebäudes, und abgeschrägte Mauern, Panzerfallen und getarnte Gräben ermöglichten eine gestaffelte Verteidigung mit mehreren Linien, die seine hastig zusammengestellten Einsatztrupps sich einzunehmen beeilten. Doch was eigentlich ein klares Schussfeld hätte sein sollen, war jetzt mit riesigen Brocken aus Mauerwerk und Stahl übersät. Wenn der Feind die Mauern durchbrach, würde er reichlich Deckung haben. Er warf einen Blick auf die Rolltore, welche die Fahrzeughangars des Reviers schützten. Er konnte das Dröhnen der im Leerlauf tuckernden Motoren von den drei Leman-Russ-Panzern darin hören, welche den Liktoren zur Verfügung standen. Damit konnten sie den Feind hoffentlich noch überraschen. Eine gewaltige Explosion von den Mauern und ein Peitschenschlag flammender Energie kündigte den Ausfall der die Mauern schützenden Energieschirme an, da die Maschinengeister darin von der Masse des Beschusses erdrückt wurden. Sekunden später wurde ein Teil der Mauer nach innen gesprengt, und ein ganzer Abschnitt stürzte ein. Das war es, der Angriff würde jetzt kommen. Virgil wusste, dass
er angesichts der sehr begrenzten verfügbaren Zeit und Mittel getan hatte, was er konnte. Jetzt würde er sehen, ob das reichte. Danil Vorens senkte seine rauchende Laserpistole und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm vor sich. Ein benommenes Schweigen erfüllte den Kontrollraum der Palastverteidigung, da die Techniker vollkommen perplex waren über das soeben Geschehene. Lutricia Vijeon starrte mit vor Entsetzen weit aufgerissenem Mund auf die Leiche in der Mitte des Raums mit dem unregelmäßigen Loch, wo sich zuvor das Gesicht befunden hatte. Der alte Mann war hereingekommen, hatte seine Pfeife geschwenkt, ihnen zugerufen, sie sollten den Energieschirm einschalten, und sie alle zur Hölle gewünscht, weil sie Verrätern gestatteten, die Palastmauern zu verschandeln. Sie war überrascht gewesen, dass Vorens den Schirm nicht schon längst eingeschaltet hatte, und hatte gerade ihrer Besorgnis Ausdruck verleihen wollen, als der alte Mann hereingeplatzt war. Sie wusste nicht, wer er war, aber sein Rang musste extrem hoch sein, wenn er Zugang zur Kommandozentrale hatte. Er hatte Vorens angeschrien, der gelassen seine Pistole gezogen und ihm ins Gesicht geschossen hatte. Vorens hatte die Pistole gehalftert und den Blick über die Techniker im Kontrollzentrum wandern lassen. »Hat sonst noch jemand was dagegen, dass ich den Schirm nicht aktiviere?«, fragte er beiläufig. Niemand sagte etwas, und Lutricia spürte tief im Herzen eine Scham brennen. Das war Mord und Hochverrat. In diesem besonders geschützten Raum waren sie sicher und spürten nur eine Andeutung von dem Artilleriebeschuss, der den Rest des Palasts in Schutt und Asche legte, und sie richtete ein kurzes Stoßgebet an den Imperator, in dem sie Ihn um Verzeihung bat. Trotz der Anwesenheit eines Dutzends Palastgardisten fühlte Ario Barzano sich immer noch extrem verwundbar. Die Korridore bebten, da immer noch Panzer auf den Befreiungsplatz rollten und zu dem Geschosshagel beitrugen, der auf den Palast niederging. Er konnte von überall Gebrüll und Geschrei innerhalb des Palasts hören, da seine Bewohner in die Schutzräume im Keller
und zu den Fährenplattformen rannten. In diese Geräuschkulisse mischten sich jetzt auch die Rufe eindringender Soldaten. Er hatte gesehen, dass Truppen in den Palast strömten, und wusste, dass die Männer hier nicht hoffen konnten, sie lange aufzuhalten. Von allen Verstärkungen abgeschnitten und über die bisher erlittenen grässlichen Verluste entsetzt, würden sie binnen kurzer Zeit überrannt werden. Seine vordringliche Aufgabe bestand jetzt darin, Mykola Shonai von hier wegzubringen. Mit ihr als Symbol, um das sich loyale Truppen scharen konnten, gelang es ihnen vielleicht, den Planeten zusammenzuhalten, bevor de Valtos seine Pläne verwirklichen konnte. Mykola Shonai hielt sich an seinem Arm fest, und hinter ihnen half Jenna Sharben dem obersten Berater der Statthalterin. Almerz Chanda hielt sie auf, da seine Verletzungen wohl doch ernster waren, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. »Wie weit ist es noch bis zu den Fährenhangars?«, fragte Barzano, der sicher war, dass die Rufe der angreifenden Soldaten näher kamen. »Nicht mehr weit. Wir müssten in ein paar Minuten da sein«, erwiderte Shonai atemlos. Der Korridor erbebte, als neue Granaten herabregneten und Barzano wie angewurzelt stehen blieb, weil vor ihnen ein Teil des Dachs einstürzte, die ersten sechs Männer ihrer Gruppe unter sich begrub und Staub und Trümmerstücke aufwirbelte, sodass die Luft unerträglich stickig wurde. Barzano rappelte sich auf und fluchte wie ein Seemann, als er sah, dass der Gang vor ihnen vollständig durch Trümmer versperrt war. Er zerrte einen keuchenden Soldaten auf die Beine und schrie: »Gibt es noch einen anderen Weg zu den Landeplattformen? Schnell, Mann!« Das Gesicht des jungen Soldaten war von einer Staubschicht bedeckt. Er hustete, dann nickte er. »Jawohl. Den Weg zurück, den wir gekommen sind. Das dauert länger, aber wir können es trotzdem noch schaffen.« Die Schreie und das Knattern von Handfeuerwaffen ertönten jetzt gefährlich nahe. »Verdammt, das sieht schlecht aus«, zischte Barzano. Liktor Ortega sah den ersten Schuss, der das Revier traf, erst,
als eine der Geschützbatterien aus der Mauer gesprengt wurde. Er sah, wie die brennenden Trümmer majestätisch von den Zinnen fielen, auf den Boden krachten und ein Dutzend Männer des Trupps in seiner rechten Flanke zerquetschten. Die verbliebenen Batterien eröffneten das Feuer auf die vordersten Panzer, die in der Bresche auftauchten. Das führende Fahrzeug explodierte, und sein Geschützturm wurde hoch in die Luft geschleudert. Der Rauch hatte sich noch nicht ganz verzogen, als drei Conqueror ihren zerstörten Kameraden beiseite fegten und eine Salve auf das Revier abfeuerten, die große Brocken aus der Fassade rissen. Das ohnehin instabile Gebäude gab schließlich nach. Liktoren liefen auseinander, als große Brocken Plastibeton und Stahl in einem tödlichen Regen herunterkamen und seine verwundeten Männer endgültig und vollständig unter sich begruben. Riesige Staubwolken blendeten Virgil, aber er konnte ganz eindeutig das Dröhnen der Motoren hören und überschrie das monotone Getöse. »Haltet stand! Keine Kapitulation!« Seine Stimme ging im Krachen der Kanonen unter, als sich die Geschütze des Reviers mit den feindlichen Panzern duellierten. Es war ein ungleicher Kampf, da die Conqueror schossen und dann rasch die Stellung wechselten, bevor die Batterien des Reviers sie richtig ins Visier bekommen konnten. Dennoch wurden alle drei Conqueror getroffen und zerstört, bevor nachfolgende Rebellentruppen mit Raketenwerfern und Mörsern die Geschütze des Reviers mit konzentrierten Salven rasch zum Schweigen brachten. Durch den Rauch und den Staub konnte Virgil die schattenhaften Umrisse von Panzerfahrzeugen ausmachen, und er hechtete in Deckung, als ihm schweres Laserfeuer aus dem Turm eines heranrasenden Chimäre-Transporters entgegenbrandete. Er richtete sich hinter einem der verstärkten Verteidigungswälle auf und rief seinen Männern zu: »Chimäre nähert sich aus elf Uhr!« Die beiden Liktoren hörten seinen Befehl, schwangen ihren Raketenwerfer herum und richteten ihn auf den Panzer. Das Geschoss verließ den rückstoßfreien Werfer und prallte frontal auf den Chimäre. Die Explosion durchtrennte eine Kette, durchschlug aber nicht den Rumpf. Das Fahrzeug geriet ins Schleudern und krachte gegen eine abgerissene Betonplatte. Die andere Kette war noch in Bewegung, sodass sich das Fahrzeug
langsam im Kreis drehte. Die hintere Rampe fiel herunter, und die Besatzung verließ den Transporter, bevor er ihr Sarg werden konnte. Virgil fluchte, als er die Angreifer zum ersten Mal deutlich sah. Pavonis-PWM! Er hatte gewusst, dass es die PWM sein musste, aber sie so offen seine Männer angreifen zu sehen, war trotzdem ein Schock. Der Zorn in ihm wuchs, bis er sich in einem unkontrollierten Ausbruch von Raserei Luft zu machen drohte, aber er unterdrückte die Wut in dem Wissen, dass in dieser Lage ein kühler Kopf vonnöten war. Eine weitere Rakete segelte durch die offene Mannschaftsluke des Chimäre. Der Transporter explodierte, als Brennstoff und Munitionsvorrat hochgingen. Die Stichflamme zuckte wie aus einem gewaltigen Flammenwerfer über die Rampe. Brennende PWMSoldaten rannten schreiend davon, während in den Reihen der Arbites Jubel laut wurde. Der Jubel verstummte sofort, als das unverkennbare metallische Husten von massiertem Mörserbeschuss ertönte. »Deckung!«, brüllte Virgil, indem er sich zu Boden fallen ließ und die Hände über dem Kopf verschränkte. Die Granaten landeten mit lautem Gekreisch und in einer Kette dröhnender Explosionen, die das gesamte Gelände erschütterten. Den meisten Arbites war es gelungen, eine sichere Deckung zu erreichen, bevor die Granaten einschlugen, aber jene, die das nicht geschafft hatten, wurden von einem Hagel von Granatsplittern zerfetzt. Virgil grub sich tiefer in sein Schutzloch, als ringsumher Salve um Salve einschlug. Solange sie hinter den Wällen den Kopf unten hielten, würden die Verluste durch das Mörserfeuer minimal bleiben, war Virgil klar. Aber ihm war auch klar, dass in jedem Augenblick, den sie in Deckung verbrachten, die PWM näher kam. Virgil riskierte einen Blick über den Wall und fluchte, als er vier Chimäre-Transporter in der Anfahrt auf seine Stellung sah. Die jähe Stille, als das Mörserfeuer aufhörte, war eine segensreiche Erleichterung, und Virgil erhob sich mit seiner Schrotflinte im Anschlag. Die sechs PWM-Soldaten auf der anderen Seite des Walls waren ebenso überrascht wie er über die unerwartete Begegnung.
Virgil feuerte eine Ladung Schrot auf sie ab. Aus dieser Nähe tötete der Schuss zwei Soldaten sofort, während ein dritter schreiend zu Boden ging. Er flankte über den Wall, schwang die Beine herum und trat dem nächsten Soldaten ins Gesicht, sodass er gegen die verbliebenen beiden prallte. Bei der Landung lud er die Schrotflinte durch. Bevor sie sich aufrappeln konnten, erledigte er die drei mit Schüssen in die Brust. Neben ihm schlug etwas in die Mauer, und er zuckte zurück, als der verwundete Soldat noch einmal mit seiner Pistole schoss. Virgil sprang vor und rammte dem Mann den Kolben seiner Schrotflinte mit Wucht auf den Schädel. Sofort flankte er wieder zurück hinter den Wall und betrachtete kurz die Linie der kämpfenden Arbites. Die Lage war schlimm, aber nicht aussichtslos. Die rebellierenden PWM-Soldaten hatten mehr Männer und leichte Artillerieunterstützung, aber auf Virgils Seite kämpften einige der gefürchtetsten Soldaten des Imperiums. Und die überlegene Ausbildung, Bewaffnung und Disziplin der Arbites demonstrierte nun ihren Wert, denn Virgil sah, dass der Angriff der PWM ins Stocken geriet. Anstatt vorzurücken, suchten die Angreifer Deckung hinter ihren Transportern und feuerten sporadisch mit ihren Laserwaffen. Er wusste, dass sie mit einem starken Gegenangriff zurückschlagen mussten, wenn sie die PWM besiegen wollten. »Collix!«, rief er. »Kommen Sie her!« Sergeant Collix kam geduckt zu Virgil gelaufen und feuerte dabei seine Schrotflinte aus der Hüfte ab. »Hauptmann?«, sagte Collix, dessen Atmung und Puls im Takt mit dem Adrenalin rasten. »Sagen Sie dem Veritas-Geschwader Bescheid, dass wir sie jetzt brauchen! Sie müssen die rechte Flanke des Feindes angreifen. Wenn sie ihnen schnell und schwer genug zusetzen, können wir die Linie der Rebellen aufrollen und sie zurückdrängen!« Während Collix hektisch ins Kommnetz sprach, lud Virgil seine Schrotflinte mit neuen Patronen. »Hauptmann! Geschwaderführer Wallas meldet, dass nur Rechtschaffene Gerechtigkeit richtig geweiht wurde. Göttliche Autorität und Heiliges Gesetz müssen noch gesegnet werden und sind erst in einigen Minuten einsatzbereit.« Ortega knurrte, riss Collix das Gerät aus der Hand und brüllte
hinein. »Wallas, setzen Sie sofort die verdammten Panzer in Bewegung, oder ich komme zu Ihnen und reiße Ihnen Ihr vom Imperator verfluchtes Herz raus und füttere Sie damit! Haben Sie mich verstanden?« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern warf Collix das Gerät wieder zu. Sekunden später hob sich das gepanzerte Tor des Fahrzeughangars. Rechtschaffene Gerechtigkeit, ein ehrwürdiger Leman Russ, rollte heraus, und seine Geschütze sprengten große Löcher in die Reihen der PWM. Zwei Chimäre explodierten in rascher Folge, als die Kanoniere der Arbites ihre Ziele fanden. Kugeln aus Handfeuerwaffen prallten von der dicken Panzerung ab, während Rechtschaffene Gerechtigkeit seine Angreifer mit Boltpatronen eindeckte und Männer im Dutzend fällte. Virgil grinste bei sich. Beim Imperator, sie konnten es schaffen! Die PWM-Soldaten flohen vor dem angreifenden Kampfpanzer, da sie ihn nicht einmal ankratzen konnten. Virgil stockte der Atem, als er den Kondensstreifen einer Rakete auf den Panzer zurasen sah. Die Rakete traf den Panzer in der Flanke und hüllte ihn in Rauch. Der Panzer tauchte aus der Rauchwolke auf, und Virgil konnte erkennen, dass die auf dem Rumpf montierte Laserkanone abgerissen, aber sonst kein Schaden angerichtet worden war. Virgil seufzte erleichtert. »Männer des Imperators, unsere Zeit ist gekommen! Angriff!«, rief er und sprang wiederum über den Verteidigungswall. Die Arbites erhoben sich und rannten schießend über das verwüstete, mit Leichen übersäte Gelände. Ihr Blut war in Wallung, und der Anblick des Kampfpanzers, wie er ihre Feinde zerschmetterte, gab ihnen die Kraft, die Verräter unter ihren Stiefelabsätzen zu zermalmen. Vom Doppelschlag des Panzerangriffs und der schreienden Liktoren überwältigt, ließen sich die PWM-Soldaten zurückfallen. Virgil schoss einem Soldaten in den Rücken und einem anderen in die Brust, und dann sah er drei Conqueror durch die Bresche in der Mauer brechen. Deren großkalibrige Boltgewehre beharkten das Schlachtfeld vor ihnen, als die Panzerkommandanten aus allen Rohren feuern ließen. Der Beschuss war wahllos und das dar-
aus resultierende Blutvergießen sagenhaft, da Kugeln und Laserstrahlen gleichermaßen PWM-Soldaten wie Liktoren fällten. Der kurze Angriff von Rechtschaffene Gerechtigkeit wurde abrupt beendet, als sein Turm gleichzeitig von einer Rakete und dem grellen Strahl einer Laserkanone getroffen wurde. Die Munition der Hauptkanone explodierte und jagte den Panzer in die Luft. Das Ableben von Rechtschaffene Gerechtigkeit fiel mit der Ankunft von Göttliche Autorität und Heiliges Gesetz zusammen. Ihr Auftauchen war wie ein Donnerschlag, und ihre Boltpatronen beharkten die exponierten PWM-Soldaten, während ihre Hauptgeschütze große Löcher in den Boden sprengten. Virgil rief eine Warnung, als er eine Gruppe von PWM-Offizieren auf Göttliche Autorität zustürmen sah. Einer der feindlichen Offiziere trug eine Panzerfaust, deren klobige Form in zerstörerische Energien gehüllt war, welche die Panzerung eines Leman Russ leicht durchschlagen konnten. Der Offizier sprang mit erhobener Panzerfaust vor. Die auf dem vorderen Rumpf von Göttlicher Autorität montierte Laserkanone schoss und verdampfte einen seiner Kameraden, aber der Rest lief weiter. Der Fahrer von Göttliche Autorität erkannte die Gefahr und versuchte sich von den angreifenden Offizieren abzuwenden, aber es war schon zu spät. Der erste Offizier schmetterte seine Panzerfaust in die Seite des Panzers, die den Rumpf weit aufriss und die Adamantiumhaut abpellte. Der Panzer schleuderte herum, donnerte gegen eine Betonmauer und fällte sie zusammen mit vier hinter ihr kauernden PWM-Soldaten. Die anderen Offiziere schossen ihre Waffen durch den gewaltigen Riss leer, und die Besatzung wurde im Kugelhagel abgeschlachtet. Granaten explodierten rings um sie, als Arbites sich mühten, ihre gefallenen Kameraden zu rächen, aber die Offiziere flohen im Rauch der Schlacht und entkamen der Vergeltung. Virgil sah noch mehr Chimäre-Transporter durch die Bresche fahren. Hunderte von Soldaten folgten ihnen, und die Geschütze der drei Conqueror töteten weitere Liktoren. Der Gegenangriff der Arbites, bestenfalls ein fadenscheiniges Unternehmen, geriet im Angesicht eines derart fürchterlichen Blutzolls ins Stocken. Als die Anzahl der Toten steil anstieg, brach die Reihe der Arbites plötzlich, welche die durch die Conqueror
hervorgerufenen schrecklichen Verluste nicht länger verkraften konnten. Zunächst konnte Virgil sie noch zusammenhalten, doch als zunehmende Explosionen und Schüsse immer mehr Liktoren niedermähten, wurde aus dem Rückzug eine wilde Flucht. Heiliges Gesetz umfuhr die rauchenden Überreste von Göttliche Autorität und schoss unablässig in dem Versuch, den Liktoren die Zeit zum Rückzug zu erkaufen. Die PWM-Soldaten sprengten vor dem Panzer auseinander, der den Chimären entgegenrumpelte. Seine Laserkanone schoss, bohrte sich durch die Heckpanzerung eines der Transporter und zerstörte den Motor in einer gelben Stichflamme. Dessen gewaltige Explosion schleuderte das Vehikel sich überschlagend in die Luft. Das brennende Wrack krachte im schiefen Winkel auf einen zweiten Transporter und zerschmetterte dessen linke Kette. Durch den Aufprall brach die Hauptantriebswelle, die explosionsartig abwärts stieß. Mit laut aufheulendem Motor wurde der Chimäre in die Höhe katapultiert. Sich drehend, krachte er zu Boden und explodierte in einem grell orangefarbenen Feuerball, der ein gutes Dutzend PWM-Soldaten einäscherte. Trotz dieser Verluste raubten die Conqueror und die PWM der Verteidigung das Herz. Die meisten Liktoren waren bei ihrer Flucht niedergemäht worden, und Virgil war klar, dass das Revier verloren war. Er sah, wie der Offizier, der auch schon Göttliche Autorität geknackt hatte, Heiliges Gesetz angriff. Seine Panzerfaust knisterte vor tödlicher Energie. Virgil schoss mit seiner Schrotflinte auf den Mann, weil er dem letzten seiner Panzer unbedingt helfen wollte, aber die Entfernung war zu groß. Heiliges Gesetz gab Gas. Der Fahrer hatte gesehen, wie sein Kamerad von der Panzerfaust erledigt worden war, und schien keine Lust zu haben, dasselbe Schicksal zu erleiden. In der Erkenntnis, dass Geschwindigkeit seine einzige Überlebenshoffnung war, steuerte er auf den Offizier zu, um den Mann unter seinen Ketten zu zermalmen. Der Verräter sprang vor und ließ seine Panzerfaust auf Heiliges Gesetz niedersausen. Die Glieder der Ketten rissen. Die Zahnräder, welche die Ketten bewegten, drehten sich im Leerlauf. Orange Funken stoben, und die Ketten knarrten, als die Panzerfaust darin eingewickelt wurde. Das ganze Vehikel bebte, als die wild peitschende Kette den sich wehrenden Offizier in die Tiefe zog. Der Offizier kreischte, als er fiel. Sein
Arm wurde in einem Schwall aus Blut und Knochen aus dem Gelenk gerissen, als die Überreste der gerissenen Kette ihn unerbittlich unter die Masse des Panzers zerrten. Er konnte noch ein Mal schreien, bevor Heiliges Gesetz ihn überrollte und vollständig zerquetschte. Virgil, der aus einem Dutzend Wunden blutete, rannte zu den Überresten des Reviers. Der Kampf war verloren, und jetzt kam es nur noch darauf an, so viele seiner Männer wie möglich in Sicherheit zu bringen. Er wusste, dass ihre Aussichten dürftig waren, aber Virgil Ortega war nicht der Mann, der kampflos aufgab. Was er tun konnte, um diesen verräterischen Abschaum zu behindern, war es ganz sicher wert, auch getan zu werden. Aber zuerst musste er versuchen, mit einer Kampftruppe zu seiner Verfügung von hier zu entkommen. Einstweilen hatten sie eine Atempause. Die überlebenden PWM-Soldaten hatten ihren Angriff vorerst unterbrochen, da ihnen der entsetzliche Tod ihres Kommandanten und die bizarre Zerstörung der zwei Truppentransporter arg zugesetzt hatten. Doch die Gnadenfrist währte nicht lange: Eine Laser-Salve zerstörte Heiliges Gesetz, bevor auch nur ein Mitglied der Besatzung aus dem bewegungsunfähigen Panzer entkommen konnte. Virgil versammelte alle noch kampffähigen Liktoren um sich, die er finden konnte, und scheuchte sie zu den Ruinen des Reviers. Wenn noch genug von den Untergeschossen die Explosion überstanden hatten, konnten sie durch die Tunnel unter dem Revier in den Palast gelangen. Er sah, dass auch Collix zu den Überlebenden gehörte. Gut, vielleicht brauchten sie das Kommnetz noch. Virgil wusste, dass Flucht jetzt ihre einzige Option war, und wenn sie an die schweren Waffen des Arsenals unter dem Palast kommen konnten, würden sich ihre Aussichten auszuhalten erheblich verbessern. Er schwor sich, dafür zu sorgen, dass diese verdammten Rebellen noch den Tag verfluchen würden, an dem sie Virgil Ortega begegnet waren. Lutricia Vrjeons Gedanken überschlugen sich wie ein in die tiefe stürzender Bahnwaggon, als sie versuchte, aus den Vorgängen irgendwie schlau zu werden. Vorens hatte vor allen Leuten einen Mann getötet und ließ zu, dass der Palast beschossen wurde. Lutricia war eine treue Dienerin des Imperators und wusste, dass irgendjemand etwas tun musste, aber wer? Sie?
Sie zitterte vor Furcht am ganzen Leib, als ihr aufging, dass sie Vorens nicht gewachsen war und ihr Vorgesetzter sie zweifellos töten würde. Sie war Technikerin, um des Imperators willen! Sie war für so etwas nicht ausgebildet. Wie konnte man von ihr erwarten, gegen einen mit einer Laserpistole bewaffneten Mann zu kämpfen? Schweiß lief ihr in stetem Rinnsal in die Augen. Alle fuhren zusammen, als ein dumpfer Krach durch den Kontrollraum hallte, der wie ein gewaltiger Hammerschlag vor die Haupttüren klang. Sogar Vorens sah besorgt aus, und sie warf einen Blick auf die externe Bildanzeige. Ihr Herz tat einen Sprung, als sie drei gewaltige Krieger in der Rüstung der Space Marines sah. Ja! Diese heiligen Krieger würden diesem Albtraum ein Ende bereiten, und sie spürte, wie ihr angesichts dieser Erhörung ihrer Gebete eine große Last von den Schultern fiel. Doch je länger sie das Bild betrachtete, desto mehr sanken ihre Hoffnungen. Der Eingang zur Kommandozentrale war so gebaut worden, dass er auch schwersten Angriffen widerstehen konnte, und nicht einmal die Kraft der drei Space Marines reichte, um den drei Meter dicken Stahl zu zerstören. Eine huschende Bewegung erregte ihre Aufmerksamkeit, und sie sah, dass ihre Anzeige eine Flugmaschine im Anflug meldete. Telemetriedaten blinkten auf ihrer Anzeige, als die Logikmaschinen ihr Kurs, Geschwindigkeit und Höhe des neuen Kontakts meldeten. Es war ein Thunderhawk. Sie warf einen verstohlenen Blick auf Vorens, der angesichts der vergeblichen Versuche der drei Space Marines, in die Kommandozentrale einzubrechen, in breites Grinsen ausgebrochen war. Lutricia ging auf, dass ihr nur ein paar Augenblicke blieben, um diese Gelegenheit zu ergreifen. Vorens würde den Thunderhawk im Anflug mit Sicherheit bald bemerken. Sie überlegte angestrengt, wie sie die Situation zu ihrem Vorteil ausnutzen konnte. Ihre Furcht wich einer beängstigenden Ruhe, als ihr plötzlich klar wurde, was sie zu tun hatte. Mit der Schnelligkeit des geübten Profis huschten ihre Finger über die Runen ihrer Station und übermittelten dem Thunderhawk die genauen Positionsdaten der Kommandozentrale. Es war vielleicht nicht viel, aber mehr konnte sie nicht tun. Sie sah, dass Vorens den Thunderhawk auf dem Hauptschirm erblickte, und hoffte, ihr kleiner Beitrag würde reichen, während
er sich beeilte, die Abwehrroutinen der Servitoren zu aktivieren. Das Sonnenlicht der Landeplattform fiel auf Barzanos kleine Gruppe, und der Inquisitor war noch nie so erleichtert gewesen, den Himmel zu sehen, wie in diesem Augenblick. Sie eilten schwankend zu einer schwarzen Fähre, deren Antrieb heulte, da der Pilot die Maschine in ständiger Startbereitschaft hielt. Durch die geöffnete Seitenluke konnte er Lortuen Perjed und seine Gruppe von Schreibern sehen. Er lächelte über den willkommenen Anblick des über sie hinwegrasenden Thunderhawk der Ultramarines. Jenna Sharben ging voran und zerrte Mykola Shonai zur Fähre und der Sicherheit entgegen. Der letzte Palastgardist half dem schwankenden Almerz Chanda. Der Ratgeber der Statthalterin stolperte und fiel auf die Knie, als Barzano ihn passierte. Er ging weiter, bis er Jenna Sharben eingeholt hatte, und half ihr bei der Statthalterin. Ein Lasergewehr feuerte, trotz des Motorengeheuls der Fähre schockierend laut. Barzano fuhr herum und fragte sich, wie die Rebellen so schnell hatten aufschließen können. Er ließ sein Gewehr von der Schulter gleiten, ging auf die Knie und versuchte aus dem Anblick schlau zu werden, der sich ihm bot. Almerz Chanda stand vor der Leiche des Palastgardisten und hielt kundig ein rauchendes Lasergewehr. Er gab einen Schuss auf Barzano ab, der diesen hoch in die Schulter traf und ihn zurück und gegen die Fähre schleuderte. Barzano schrie vor Schmerzen und ließ die Waffe fallen. Jenna Sharben drehte sich um und wurde von einem gleichermaßen gut gezielten Schuss von den Beinen geholt. Statthalterin Shonai stand vor der Fähre und starrte Chanda voller Entsetzen an, als dieser zu ihr ging. Er hob sein Gewehr, zielte damit durch die Pilotenkanzel und fuhr sich in einer vielsagenden Geste mit der Handkante über den Hals. Das Geheul der Triebwerke schwoll ab, als der Pilot sie herunterfuhr und seine Sicherheitsgurte löste. Chanda erschoss ihn durch die Kanzel. Barzano mühte sich hochzukommen, als grau uniformierte PWM-Soldaten aus dem Palast auf die Landeplattform stürmten. Mykola Shonai stand vor Chanda, und ihr Gesicht war eine granitene Maske des Zorns.
»Warum?«, fragte sie nur. »Sie sind die Vergangenheit«, erwiderte Chanda, »und kleben schwach und jämmerlich an Ihrer überholten Treue zu einem verschrumpelten Leichnam auf einem Planeten, den Sie nie gesehen haben.« »Sie widern mich an, Almerz. Kaum vorstellbar, dass ich Sie für einen Freund gehalten habe.« Sie schlug Chanda fest und spie ihm ins Gesicht. Chanda rammte ihr den Kolben seines Gewehrs ins Gesicht, und sie ging zu Boden. Blut spritzte ihr aus der gebrochenen Nase. Aber sie starrte ihn dennoch voller Trotz und Wut an. Barzano versuchte die Schmerzen der Laserwunde in der Schulter zu ignorieren. Er wusste, dass ihre Flucht gescheitert war, aber er war entschlossen, dieses blasphemische Stück Dreck mit in die Hölle zu nehmen. Er versuchte die Hand zu heben, um mit seinem Fingernadler zielen zu können, doch Chanda kniete sich neben ihn und griff in seine Haare. »Das wollte ich schon lange tun«, flüsterte Chanda und schlug Barzanos Kopf gegen den Rumpf der Fähre. »Machen Sie schon und bringen Sie es zu Ende«, knurrte Barzano, in dem Übelkeit aufstieg. »Oh, ich werde Sie nicht töten, Ario. Nein, es gibt einen... Spezialisten in Diensten meines Arbeitgebers, bei dem Sie, glaube ich, einen Termin haben. Einen Chirurgen von erstaunlicher Fertigkeit.« Barzano hustete Blut. »Warum können Sie seinen Namen nicht nennen? Bleibt Ihnen der Gestank Ihres Verrats im Halse stecken? Kann Ihr winziger Verstand das Ausmaß des Fehlers, den Sie gerade gemacht haben, überhaupt begreifen?« Chanda lachte, während PWM-Soldaten die Fähre umzingelten. »Fehler?«, zischte Chanda, sodass nur Barzano ihn hören konnte. »Ich glaube nicht. Sie haben einen Fehler gemacht, als Sie hergekommen sind. Bald werde ich zu einer Gruppe unsterblicher Krieger gehören und an der Seite eines wiedererweckten Gottes kämpfen!« Jetzt lachte Barzano, obwohl ihm davon Schmerzen durch Brust und Kopf schossen. »Hat de Valtos Ihnen das gesagt?«, höhnte er. »Dann sind Sie ein noch größerer Dummkopf, als ich gedacht habe. Ich kann Ihre Furcht vor ihm spüren. Wenn de Valtos sein Vorhaben verwirk-
licht, werden Sie sterben. Man wird Ihnen die Lebensenergie rauben, um den Hunger dieser Kreatur zu stillen, die er Gott nennt.« Chanda erhob sich mit wütender Miene, wandte sich ab und sprach eilig in ein kleines Kommgerät, das er aus der Tasche zog. Barzano mühte sich, die Worte über das Zischen der Laserkanonen und das Krachen der Granaten mitzubekommen, konnte sie aber nicht verstehen. Er schaute in der Hoffnung zum Himmel, den Thunderhawk der Ultramarines auf der Plattform landen zu sehen, aber die Flugmaschine jagte, von beängstigendem Luftabwehrfeuer verfolgt, in die Wolken. Das erklärte zumindest, warum der Energieschirm nicht aktiviert worden war. Irgendwie war es de Valtos gelungen, einen seiner Leute in das Personal im Kontrollraum einzuschleusen, der dann die Aktivierung verhindert hatte. Er fragte sich, was aus Learchus und den beiden Space Marines geworden war, die er zum Kontrollzentrum geschickt hatte. Eine Fähre näherte sich im Tiefflug und setzte in einer Wolke von Abgasen am entfernten Ende der Plattform auf. Die Tür der Fähre glitt zurück, und eine kleine Gruppe stieg aus. Die vor hämischer Freude strahlende Gestalt von Kasimir de Valtos betrat die Plattform, eine Ledertasche fest an die Brust gepresst. Vendare Taloun folgte ihm, und Barzano sah den verzweifelten Blick eines in Umständen jenseits seiner Herrschaft verstrickten Mannes. Hinter den Kartell-Männern kamen zwei schlanke, grazile Gestalten, und Barzano verspürte einen Anflug von Beklommenheit, als er den geschmeidigen Gang der Eldar an ihnen registrierte. Diese beiden Nichtmenschen waren Angehörige der dunkleren Sekten, die jenseits der normalen Gefilde der Galaxis lebten, und ihm war sofort klar, dass es vielleicht besser für sie alle gewesen wäre, wenn sie schon beim Angriff auf den Palast ums Leben gekommen wären. Die Frau bewegte sich mit der Grazie einer Tänzerin, und jede ihrer Gesten ließ sinnliche Tödlichkeit erahnen, während der Mann steif und vornübergebeugt ging, als sei er das Tageslicht nicht gewöhnt. Beide hatten grausame, violette Augen und eine Haut so bleich wie poliertes Elfenbein. Die Frau hatte kaum ein Auge für ihn, aber der andere warf ihm einen Blick von solcher Leere zu, dass sogar Barzanos abgebrühte Seele fröstelte. Almerz Chanda übergab sein Gewehr einem nervösen PWM-
Soldaten, und Barzano konnte ihr Unbehagen beim Anblick der Eldar spüren. Damit hatte keiner von ihnen gerechnet. Kasimir de Valtos stand vor der reglos daliegenden Statthalterin und lächelte. Er genoss den Augenblick seines Triumphs. »Darauf habe ich lange gewartet, Shonai«, sagte er schließlich. Barzano mühte sich, bei Bewusstsein zu bleiben, während Chanda vor seinen wahren Herrn trat. »Ich habe sie Ihnen geliefert, wie ich es versprochen habe, Mylord.« Kasimir de Valtos drehte sich zu Chanda um und nickte. »Das haben Sie in der Tat, Almerz. Sie haben bewiesen, dass Ihr Verrat vollkommen ist.« Barzano spürte Chandas Verwirrung und Unbehagen sogar noch über die Gefühle der PWM-Soldaten auf der Plattform hinweg. »Ich habe alles getan, was Sie von mir verlangt haben, Mylord.« De Valtos neigte den Kopf in Richtung der Eldarfrau. Ihre Hand zuckte blitzschnell zu ihrem Ledergürtel, und plötzlich steckte ein Pfeil in Chandas Hals. Der Mann sank auf die Knie, und die Haut rings um den Pfeil schwoll beängstigend schnell an. »Mein lieber Almerz«, gurrte de Valtos. »Sie haben einen Herrn verraten, warum sollte ich darauf vertrauen, dass Sie mich nicht ebenfalls verraten? Nein, besser, es endet so.« Chanda fasste sich an den Hals und rang nach Atem. Binnen Sekunden waren seine gurgelnden Schreie verstummt, da er ohnmächtig wurde und zusammenbrach. De Valtos wandte sich an den männlichen Eldar. »Machen Sie mit ihnen, was Sie wollen.« Er stupste Chandas reglose Gestalt mit der Stiefelspitze an. »Aber sorgen Sie dafür, dass Sie diesem hier zuerst die Ehre erweisen.« Barzano verspürte keine Befriedigung über Chandas Schicksal, sondern hatte lediglich das Übelkeit erregende Gefühl, dass sich eine Katastrophe anbahnte. Denn wenn Kasimir de Valtos tatsächlich so wahnsinnig war, wie es den Anschein hatte, würde er eine Kraft freisetzen, von der nicht einmal Barzano wusste, wie man sie besiegen konnte. De Valtos richtete den Blick auf Barzano, und die emphatischen Sinne des Inquisitors schreckten vor den Tiefen des Wahnsinns dieses Mannes zurück. »Ich weiß, was Sie tun, de Valtos«, krächzte Barzano. »Und Hauptmann Ventris auch. Er weiß alles, was ich weiß, und ich
verspreche Ihnen, dass er Sie nicht triumphieren lassen wird. In diesen Minuten wird er mehr Schiffe und Männer anfordern, um Sie zu besiegen.« Kasimir de Valtos schüttelte den Kopf. »Wenn Sie wirklich wissen, was ich beabsichtige, dann wissen Sie ebenso gut wie ich, dass mehr Schiffe und Männer gar nichts erreichen werden.« Barzano wollte antworten, aber die Worte blieben ihm im Halse stecken. Weil er wusste, dass Kasimir de Valtos Recht hatte.
16. Kapitel Barzano hörte Almerz Chandas Schreie durch den Zellenblock hallen und hoffte, dass die Folter so schmerzhaft war, wie sie klang. Ihm war es egal, dass ein Nichtmensch ein menschliches Wesen folterte. Durch den Bruch seines Treueeids dem Imperator gegenüber hatte Chanda jedes Recht auf Mitgefühl verwirkt. Der Inquisitor hatte keine klare Vorstellung, wie lange sie schon eingesperrt waren, da er irgendwann aufgrund der Schmerzen das Bewusstsein verloren hatte. Er war in dieser Zelle zu sich gekommen, aller Waffen beraubt, sogar des Fingernadlers, der im Ring an seinem rechten Zeigefinger verborgen war. Seine Laserwunde war gesäubert und verbunden und Mykola Shonais gebrochene Nase war ebenfalls gerichtet worden. Offenbar wollte der nichtmenschliche Chirurg nicht an beschädigten Objekten arbeiten. Der Zellenblock, in dem sie gefangen gehalten wurden, war ins Kreuzgewölbe in den Grundfesten des Palasts eingearbeitet: In jeden Steinbogen waren stählerne Gitterstäbe einzementiert. Jede Zelle war mit einem schlichten Bett und einem am Boden befestigten Abort möbliert. Was Gefängnisse betraf, war dieses besser als viele, in die er schon Verräter gesperrt hatte. Lortuen Perjed und seine Schreiber schmachteten in der Zelle gegenüber, und Barzano nahm erfreut zur Kenntnis, dass keiner von ihnen im Zuge des Umsturzes verletzt worden war. Barzano teilte sich die Zelle mit Mykola Shonai, die mit wutverzerrtem Gesicht in der Ecke saß, und Jenna Sharben, die auf dem Bett lag und deren Wunde man nicht behandelt hatte. Sie hatte einen Laserstrahl in den Bauch abbekommen, und obwohl die
Hitze die Schusswunde kauterisiert hatte, argwöhnte Barzano, dass sie innere Blutungen hatte. Seit Chandas Verrat auf der Landeplattform war sie bewusstlos, und ohne medizinische Hilfe würde sie in ein paar Stunden tot sein. Anscheinend war sie die Aufmerksamkeit des Skalpells des Chirurgen nicht wert. Als die Statthalterin zu sich gekommen war, hatte sie sich an der Zellentür ausgetobt, gegen die Wand getreten und Verwünschungen gebrüllt, die einem Schauermann die Schamröte ins Gesicht getrieben hätten. Barzano hatte sie von der Tür weggezogen und mit Versprechungen von Rettung und Vergeltung beruhigt. Er hatte keine Ahnung, wie er diese Versprechungen erfüllen sollte, wusste aber, dass ihnen noch einige Möglichkeiten offen standen. Er ging wieder zum Bett und wischte Jenna Sharben mit seinem Ärmel die Stirn trocken. Ihre Haut war kalt und grau. Sie hatte bereits die Farbe eines Leichnams. »Ich verspreche Ihnen, Sie werden nicht sterben, Liktor Sharben«, flüsterte Barzano. »Noch ein Versprechen, von dem Sie nicht wissen, wie Sie es halten sollen?«, fragte Shonai. »Ganz und gar nicht, Mykola. Ich gebe niemals Versprechen, die ich nicht halten kann«, versicherte Barzano. Er legte eine Hand auf sein Herz. »Das verspreche ich.« Mykola Shonai lächelte wider Willen. »Glauben Sie wirklich, wir können uns befreien? Ich meine, in der Stadt sind mindestens drei Regimenter Soldaten, allein in diesem Block wahrscheinlich über zweihundert, und nur der Imperator weiß, wie viele im Palast umherschleichen.« Barzano zwinkerte. »Vergessen Sie die drei Space Marines nicht.« »Ich habe sie nicht vergessen, aber Sergeant Learchus und seine Männer sind doch gewiss längst tot?« »Das bezweifle ich doch sehr, meine liebe Mykola. Ich bin sicher, de Valtos hätte großen Spaß daran gehabt, sie uns vorzuführen, wenn sie tot wären. Nein, ich glaube nicht, dass Sergeant Learchus so leicht umzubringen ist, und er wird einen Weg gefunden haben, sich mit der Vae Victus in Verbindung zu setzen.« »Und Sie glauben, Hauptmann Ventris wird versuchen, uns zu retten?« »Ich bin sicher, nicht einmal die Dämonen des Warpraums könnten ihn daran hindern.«
»Ein Befreiungsversuch wäre praktisch ein Selbstmordunternehmen. « »Wahrscheinlich«, stimmte Barzano zu, »aber können Sie sich vorstellen, dass Uriel sich davon abhalten lässt?« »Nein, wohl nicht«, sagte Mykola, indem sie den Kopf gegen die Zellenwand lehnte. Sie schloss die Augen, und Barzano glaubte, sie sei eingeschlafen. Aber ohne die Augen zu öffnen, sagte sie: »Dieses Schiff, von dem Sie glauben, dass de Valtos scharf darauf ist - kann er es wirklich bekommen?« »Ich bin nicht sicher. Wir wissen, dass ein Mitglied einer uralten Rasse, die wir C'tan nennen, irgendwo in diesem Sektor in eine Art Stase gefallen ist. Wir wissen aber nicht, wo genau. Wir glauben, dass der Nachtbringer einmal sein - in Ermangelung eines besseren Wortes - Flaggschiff war. Es gibt im Laufe der Geschichte uralte Schriften über und Hinweise auf dieses Schiff und seinen Herrn, aber wir wissen dennoch kaum etwas darüber. All das hat in einer Zeit lange vor dem Aufstieg der Menschheit stattgefunden, und wir wissen so gut wie nichts mit Bestimmtheit.« »Dieser... C'tan, was war das für ein Wesen?« »Das kann niemand mit Sicherheit sagen. Wahrscheinlich befindet er sich schon seit Millionen von Jahren in dieser Stase, und alle Aufzeichnungen sind, gelinde gesagt, unklar. Ich habe alles gelesen, was ich über den Bringer der Finsternis finden konnte, weiß aber dennoch praktisch nichts über ihn. Bis auf eines.« »Und das wäre?«, fragte Mykola zögerlich. »Der Nachtbringer ist der Tod in Person. Seine Träume sind der Stoff, aus dem die Albträume jeder Rasse sind, der Inbegriff des Untergangs. Jeder Gedanke, den Sie jemals in Bezug auf den Schrecken des Todes und der Sterblichkeit hatten, stammt von diesem Wesen. Als es vor Äonen noch zwischen den Sternen fuhr, hat es dieses Vermächtnis im kollektiven rassischen Bewusstsein beinahe jeder Spezies dieser Galaxis hinterlegt.« »Können wir so ein Wesen besiegen?« »Wollen Sie die Wahrheit hören?« »Natürlich.« Barzano wartete, bis die Echos neuerlicher Schreie aus Almerz Chandas Kehle verhallt waren. »Nein«, sagte er leise, »ich glaube nicht, dass wir das können.« Die majestätische Form der Vae Victus richtete ihre gewaltige
Masse langsam auf die Oberfläche von Pavonis aus, während in ihren vorderen Linearbeschleunigern unvorstellbare Energien aufgebaut wurden. Nur wenige wussten, über welche sagenhaften Zerstörungsgewalten der Kommandant eines Raumschiffs gebot. Er konnte Städte dem Erdboden gleichmachen und Kontinente spalten. Mochten die Kapitäne der imperialen Raumflotte noch so sehr mit den Fähigkeiten ihrer großen Kriegsschiffe prahlen, es gab nichts, was sich hinsichtlich destruktiver Geschwindigkeit und Effizienz mit einem Schlachtkreuzer der Space Marines messen konnte. In regelmäßigen Abständen stachen Strahlen von Abwehrlasern aus gepanzerten Silos auf der Oberfläche in den Himmel. Keines dieser mächtigen Geschütze konnte es mit der Geschwindigkeit des Schlachtkreuzers aufnehmen, und obwohl ihre dicken Strahlen mit ihren kolossalen Energien den Himmel durchbohrten, haftete dem Feuer etwas Verzweifeltes an. Solange die Vae Victus in einer hohen Umlaufbahn blieb, waren die erdgebundenen Geschütze wirkungslos. Aus größerer Nähe waren die kleineren Luftabwehrbatterien jedoch eine ganz andere Sache. Dutzende solcher Silos waren rings um Brandontor verteilt und in die Planetenoberfläche gebettet. Zwar waren sie nicht in der Lage, ein Raumschiff zu beschädigen, auch keines in niedriger Umlaufbahn, aber sie konnten jede Flugmaschine zerstören, die sich der Stadt auf weniger als fünfzehn Kilometer näherte. Alle waren mit lobotomisierten Servitoren besetzt, die mit ihren Waffen verdrahtet waren und vom Abwehrkontrollbunker gesteuert wurden, der irgendwo innerhalb des Palastgeländes verborgen war. Solange diese Kanonen ihr schützendes Sperrfeuer über die Stadt legen konnten, war jeder Angriff aus der Luft zum Scheitern verurteilt. Kasimir de Valtos rieb sich den Nasenrücken und knurrte das Bild auf dem Kommnetz-Holo vor sich an. »Lasko, wenn Sie mir keine klare Antwort geben, lasse ich Sie in einem Ihrer kostbaren Bergwerke begraben. Und jetzt sagen Sie mir in Worten mit zwei oder weniger Silben, ob Sie die Tür schon aufgebrochen haben. Ich habe keine Zeit zu verschwenden.« Das flackernde Bild seines Bergwerksaufsehers Jakob Lasko wirkte zaghaft, obwohl das verschlüsselte Signal aus dem Temb-
ragrat nahezu hundert Kilometer vom Palast entfernt stark verzerrt ankam. »Nun ja, der letzte Schneider hat die Tür durchschnitten, aber wir haben Schwierigkeiten, sie zu bewegen.« »Und woran liegt das?«, hakte de Valtos nach. Seine Züge hatten etwas Wölfisches, als er sich vorbeugte. »Wir wissen es nicht genau, Mylord. Die Techpriester sagen, die Dichte der Tür übersteige alles, was für etwas von diesen Abmessungen möglich sein dürfte. Wir mussten eine unserer schwersten Zugmaschinen auseinander nehmen und zerlegt den Hauptschacht herunterlassen. Die Techs setzen sie gerade wieder zusammen, und wenn sie sie gesegnet haben, kann es losgehen.« »Wann wird das sein?«, zischte de Valtos, während er sich unablässig die Stirn rieb. »Später am Tag, nehme ich an.« »Ich bitte darum«, sagte de Valtos, indem er die Verbindung unterbrach und sich auf dem Ledersessel der Exstatthalterin zurücklehnte. Er massierte sich die Schläfen und holte schnaufend Luft, bevor er sich räusperte und einen Klumpen schwarzen Schleim auf den Boden spie. Die Schmerzen wurden schlimmer, und die speziellen Anlagen und die Ausrüstung des Chirurgen waren von den Ultramarines zerstört worden. Jetzt konnte sein Körper nicht mehr bis auf die nackten Knochen auseinander genommen und in vorübergehend gesundem Zustand wieder zusammengesetzt werden. Er musste Erfolg haben, und zwar bald. Wenn Lasko, dieser verdammte Trottel, nicht bald in den unterirdischen Grabkomplex eindringen konnte, war er ein toter Mann. Doch einmal darin, würde er das doppelte Vergnügen der Rache und der Unsterblichkeit genießen. Er erinnerte sich noch an den Tag, als er zum ersten Mal aus den Schriften Corteswains von dem C'tan erfahren hatte. Seitdem war der größte Teil seines Vermögens für die Suche nach seiner Ruhestätte draufgegangen, aber die letzte Ironie bestand darin, dass sie sich die ganze Zeit genau unter ihm befunden hatte. Dies konnte eigentlich nur bedeuten, dass die Hand des Schicksals am Werk gewesen war. Es war wie eine Offenbarung gewesen an dem Tag, als er endlich das vergessene Grab entdeckt hatte, das unter der Welt ausgehoben worden war, als diese noch ein unbewohnter Brocken aus leblosem Fels war.
De Valtos gluckste freudlos, als ihm klar wurde, dass sie genau das bald wieder sein würde. Bald würde er durch die Hallen eines Gottes wandeln! Nicht durch die erbärmlichen staubigen Flure Terras, die Heimstatt eines verwesenden Leichnams waren, der sich als Gott maskierte, sondern einer lebendigen, atmenden Kreatur mit der Gabe der Schöpfung und der Kraft, ewiges Leben zu spenden. Wann war der Imperator zuletzt unter den Menschen gewandelt? Vor zehntausend Jahren! Wo war der Imperator gewesen, als der abtrünnige Kardinal Bucharis ganze Sektoren in Seinem Namen mit Krieg überzogen hatte? Wo war der Imperator, als die Tyraniden eine Welt nach der anderen verschlungen hatten? Wo war der Imperator, als die Eldar sein Schiff geentert und ihn beinahe zu Tode gefoltert hatten? Wo war Er da gewesen? De Valtos spürte, wie sein Zorn wuchs, und mühte sich, seine Wut zu zügeln, während Blut aus den Stellen tropfte, wo seine künstlichen Fingernägel sich in seine Handflächen gruben. Er wischte das Blut weg, fuhr sich mit der Hand durch das verschwitzte Haar und beruhigte seine hektische Atmung. Er erhob sich und marschierte zwischen den Trümmern des Raums auf und ab, wobei er über den zerschmetterten Schreibtisch, zerbrochene Stühle und Gipsbrocken hinwegstieg. Sein Fuß trat auf etwas Festes, und er schaute nach unten. Er lächelte, bückte sich, hob eine gesplitterte Büste aus weißem Marmor auf und hielt sie sanft in seinen vernarbten Händen. Er strich über das ernste Gesicht von Forlanus Shonai, sodass Blut die patrizischen Züge des alten Mannes verschmierte, und ging zur zerstörten Wand der Privatgemächer der Statthalterin. Die Stadt unter ihm war in eine schwarze Rauchwolke gehüllt, und aus Widerstandsnestern, die sich immer noch gegen das Unabwendbare wehrten, ertönten matte, hustende Detonationen. Seine Panzer und Truppen waren in jeder Straße, und er fand es zwar bedauerlich, dass diese Männer alle sterben würden, aber er fand auch, dass es ein geringer Preis für seine Erhebung zum Gott war. Er tätschelte den Kopf von Forlanus Shonai und lächelte, bevor er die Büste so weit wie möglich nach draußen warf. Er schaute ihr nach, wie sie durch die Luft flog und schließlich beim Aufprall auf die gepflasterte Esplanade in tausend Stücke zersprang.
Lordadmiral Lazio Tiberius verfolgte das Echo von Uriels Thunderhawk auf dem Divinationsschirm, während es sich der Hauptstadt von Pavonis näherte. Eine Atmosphäre gespannter Erwartung lag über der Brücke, und sogar der Chor der Astropathen war verstummt. Tiberius war von demselben Gefühl erfüllt wie vor dem Beginn einer Schlacht, was wohl zutreffend war, wenn sie auch selbst nicht in Gefahr waren. Hauptmann Uriel Ventris war derjenige, welcher sich gemeinsam mit seinen Kriegern in Gefahr begab. Die Astropathen auf der Vae Victus hatten mächtige Sigillen und hexagrammische Schutzvorrichtungen in den Mauern der Zellen gemeldet, die ebenso wie der Energieschirm, der den Palast nun einhüllte, einen Teleporterangriff ausschlossen. Da die Zeit gegen sie arbeitete, mussten sie es auf die altmodische Art machen. »Wie lange noch?«, fragte er angespannt. »Noch ein paar Augenblicke«, antwortete Philotas. »Die Koordinaten wurden in die Angriffs-Logikmaschine eingegeben?« »Ja, Lordadmiral, alles ist vorbereitet. Die Zielerfassung wurde bestätigt.« Tiberius hörte einen Anflug gezügelten Ungehaltenseins in der Stimme seines Offiziers und lächelte grimmig. Er wusste längst, dass alles vorbereitet war, konnte aber nicht anders, als sich doppelt und dreifach zu vergewissern. Gleich ist es so weit, dachte Tiberius, während er betete, dass die anonyme Sendung, die Uriel bei seinem Flug nach Brandontor aufgefangen hatte, echt war. Mochte ihm der Imperator helfen, wenn nicht. Tiberius zwang sich, zu seiner Kapitänskanzel zurückzukehren, wo er sein Pult umklammerte und sich an seine Mannschaft wandte. »Brüder, unsere schwerste Stunde steht jetzt bevor, und es gibt nur eine Möglichkeit, wie wir triumphieren können, nämlich gemeinsam. Wir haben nur Entschlossenheit und zielstrebiges Verlangen. Nicht einer unter uns hat sich als gewillt erwiesen, aufzugeben oder sich mit der Niederlage abzufinden, und das ist sehr lobenswert.« Tiberius neigte den Kopf, als Philotas meldete: »Sie sind jetzt am Rand der Todeszone der Abwehrgeschütze, Lordadmiral.« Der Lordadmiral nickte. »Feuerleitoffizier«, befahl er. »Feuer frei für Bugbombardierungsgeschütz.«
Lutricia Vijeons Mut sank, als sie den Thunderhawk auf ihrem Schirm sah. Die Flugmaschine kam im Tiefflug herein, und der Pilot war gut und folgte mit viel Geschick den Konturen der Landschaft. Doch es war vergebliche Liebesmüh. Die Kommandozentrale hatte sie in der Zielerfassung, seit sie in die Atmosphäre eingetaucht waren, und Vorens grinste mit wölfischer Häme, während er in der Zentrale auf und ab marschierte und ungeduldig auf die Ankunft des Thunderhawk wartete. Sie hatte seine vorübergehende Furcht beim Auftauchen der drei Space Marines vor dem Eingang zur Kommandozentrale gesehen, aber seine Maske boshafter Arroganz hatte sich gleich wieder erneuert, nachdem sie verschwunden waren. Lutricia fragte sich, wohin sie wohl gegangen waren. Die meisten Stabsmitglieder beteten stumm an ihren Stationen, und nur die Servitoren erfüllten noch die ihnen zugeteilten Aufgaben im Angesicht von Vorens' Verrat. Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und blinzelte, als sie sah, wie sich auf ihrer Anzeige etwas von der Darstellung des Schlachtkreuzers der Space Marines löste. Ein zweiter Thunderhawk? Nein, das Signal war zu klein, und als sie genauer hinschaute, sah sie, dass es sich für einen Thunderhawk zu schnell bewegte. Plötzlich ging ihr auf, was es war und wohin seine Flugbahn es führen würde. Eine Warnsirene ertönte, als die betagten Abwehr-Cogitatoren dieselben Schlüsse zogen und Alarm auslösten, während sich ein Schwall zusätzlicher Echos von dem Kreuzer löste. Danil Vorens umklammerte die Armlehnen seines Sessels und erhob sich mit einem Ausdruck schieren Entsetzens. »Nein«, zischte er, während er mit ansah, wie ihnen die Salve der von der Vae Victus abgeworfenen Magmabomben entgegenstürzte und dabei genau die von Lutricia Vijeon gelieferten Koordinaten ansteuerte. Seine Knie knickten ein, und Vorens fiel förmlich auf den Kommandantensessel. Lutricia beobachtete den unglaublich schnellen Fall der Bomben durch die Atmosphäre von Pavonis. Sie würden bald einschlagen und diese Anlage vom Angesicht des Planeten fegen, und nicht einmal der Energieschirm würde sie davor bewahren. Plötzlich
ganz ruhig erhob sie sich von ihrer Station und schritt in die Mitte der Zentrale. Danil Vorens beobachtete sie. Er weinte ganz offen über die Aussicht des Todes, machte aber keine Anstalten, sie aufzuhalten, als sie die Laserpistole neben ihm aufhob. Obwohl sie noch nie im Leben eine Waffe in der Hand gehalten hatte, wusste sie genau, was sie zu tun hatte. Lutricia Vijeon schoss Danil Vorens ins Herz und ließ die Pistole fallen, als der Näherungsalarm der Zentrale zu jaulen anfing. Sie drehte sich zum Hauptschirm um und sank auf die Knie. Lutricia lächelte, als sie ein enormes Gefühl der Befriedigung durchflutete. Sie wusste, sie hatte das Richtige getan, und bedankte sich im Stillen, dass sie Gelegenheit bekommen hatte, Ihm zu dienen. Sie streckte die Hände aus und sagte: »Kommt, Brüder und Schwestern. Lasst uns beten.« Der Rest der Kommandozentralenbesatzung gesellte sich zu ihr und bildete einen kleinen Kreis. Alle fassten sich weinend bei den Händen und beteten noch ein letztes Mal zum Imperator. Die Magmabomben fielen im Abstand von wenigen Sekunden. Die ersten Explosionen trafen den Schirm, überlasteten die Feldgeneratoren, welche diesen Abschnitt des Palasts schützten, und schlugen ein Loch. Weitere Bomben fielen auf den Flügel, unter dem die Kommandozentrale begraben war, löschten alles in einer donnernden Explosion aus und schleuderten panzergroße Steinbrocken hoch in die Luft. Die nächsten durchschlugen zehn Meter verstärkten Betonfelsen und sprengten einen hundert Meter durchmessenden Krater. Zwei Bomben fielen nicht wie vorgesehen. Die erste wurde bei der Berührung mit der Atmosphäre vom Kurs abgelenkt und landete am Rand des Greshawalds, wo sie einen beträchtlichen Teil des Landbesitzes des Abrogas-Kartells zerstörte. Die zweite ging über neunhundert Kilometer von ihrem eigentlichen Ziel entfernt nieder und fiel in den Ozean, ohne Schaden anzurichten. Aber die übrigen fielen in den Krater, und ihre Verzögerungszünder sorgten dafür, dass sie im Herzen der Kommandozentrale explodierten. Feuerstürme entflammten, äscherten jedes Lebewesen darin ein und brachten das wenige zum Einsturz, was noch stand. Eine von vulkanischen Flammen durchdrungene schwarze Rauchsäule erhob sich von der zerstörten Kommandozentrale,
und die Druckwelle ihrer Vernichtung pflanzte sich kilometerweit fort, als habe ein erzürnter Gott auf den Boden geschlagen. Brandontor war wieder aus der Luft zu erreichen, da von Servitoren kontrollierte Batterien tatenlos blieben und auf Zielanweisungen warteten, die nicht mehr eintreffen konnten. Uriel ließ den Atem entweichen, den er angehalten hatte, als er die Stimme des Piloten über Kommnetz hörte. »Bei Guillaume! Seht euch das an!« Er hatte den Lichtblitz der Magmabombenexplosionen durch die Bullaugen gesehen und wusste, dass nichts dem gerechten Feuer eines vom Imperator persönlich geweihten Raumschiffs widerstehen konnte. »Kein Abwehrfeuer«, bestätigte der Kopilot. »Setzen den Anflug fort.« Dann war die Komm-Nachricht also echt gewesen. Uriel schloss die Augen und richtete ein Gebet des Dankes und des Segens an den mutigen Diener des Imperators, dem es gelungen war, ihnen die Koordinaten des Abwehrkontrollzentrums zu senden und der damit dessen Schicksal besiegelt hatte. Lordadmiral Tiberius hatte den gesamten Palast dem Erdboden gleichmachen wollen, aber Uriel hatte sich diesem Vorhaben widersetzt in dem Wissen, dass die von der Vae Victus entfesselten Kräfte im Umkreis von fünfzig Kilometern um den Palast alles einebnen würden. Die in ihrer Sprengwirkung stark reduzierten Magmabomben hatten genau die richtige Explosionskraft entwickelt, und obwohl es mit Sicherheit Kollateralschäden geben würde, hoffte Uriel, dass man sie auf ein Minimum hatte beschränken können. Sie waren gekommen, um diese Leute zu retten, und nicht, um sie zu vernichten. Derart schlichte Metzeleien waren etwas für die Blutengel oder Missgünstigen Marines. Die Ultramarines waren keine Mörder, sondern das göttliche Instrument des Imperators. Der Schutz seiner Gläubigen war ihr Existenzzweck. Zu viele von denen, die zum Schutz des Imperiums kämpften, vergaßen, dass es lebendig war und aus Milliarden von Menschen bestand, welche die Welten des Imperators bewohnten. Ohne sie war das Imperium nichts. Sie waren der Klebstoff, der das Reich des Imperators zusammenhielt, und Uriel wollte mit kaltblütigem Mord nichts zu tun haben.
Ein Schauder überlief ihn, als er sich an Gedriks Worte auf Caernus IV erinnerte. Der Weltentod und der Bringer der Finsternis warten darauf, in diese Galaxis geboren zu werden... Er verstand jetzt ihre Bedeutung, und ihm gefiel die Aussicht auf das nicht, was sie vorhersagten. Der Thunderhawk schwankte hin und her, als der Pilot den Palast umkreiste und dann durch das Loch im Energieschirm flog, das die Magmabomben gerissen hatten. Gewehrfeuer schlug ihnen aus den Türmen entgegen, und ein paar Schüsse trafen den dahinrasenden Thunderhawk sogar, doch seiner Panzerung machten derartige Nadelstiche nichts aus. Der Ultramarine an der Luke warf einen Blick nach draußen und rief: »Fertig machen, Brüder! Ausstieg in zehn Sekunden!« Uriel straffte sich und klopfte zu Ehren ihrer Kriegsgeister auf seinen Brustharnisch und auf die Boltpistole im Gürtelhalfter. Er stützte sich an der Bordwand ab, zog sein Energieschwert und beobachtete, wie der Boden rasch näher kam und der Thunderhawk auf der kopfsteingepflasterten Esplanade vor dem Palast aufsetzte. »Mut und Ehre!«, schrie Uriel und sprang aus dem Thunderhawk. Die Ultramarines wiederholten seinen Kampfruf und stürmten ihrem Hauptmann hinterher. Barzano und Shonai starrten verängstigt auf die Decke ihrer Zelle, als die gewaltige Druckwelle der Magmabombenexplosion den Zellenblock mit der Heftigkeit eines Erdbebens erschütterte. Risse breiteten sich an den Kuppeldecken aus, und Dutzende von Torbögen stürzten ein und begruben die schreienden Insassen der betreffenden Zellen unter Tonnen von Gestein. Felsen barst mit dem Krachen eines Kanonenschusses, und Stahl ächzte, als Millionen Tonnen Gestein ihre Ladung auf das angeschlagene Fundament verteilten. Barzano raffte sich auf. Die Eisenstangen ihrer Zelle kreischten protestierend und wölbten sich unter dem gewaltigen Druck nach außen, als der Torbogen durchsackte. »Das wird auch Zeit«, murmelte er. »Was geht da vor?«, rief Mykola Shonai über das Grollen einstürzenden Mauerwerks hinweg. »Für mich hört sich das nach der ersten Welle eines Flächen-
bombardements aus der Umlaufbahn an«, erwiderte Barzano kühl, während er sich in den Mund griff und an etwas zog. Shonai beobachtete ihn verwirrt, während das Beben der Detonationen anhielt. »Was tun Sie da?« »Uns hier herausholen«, erwiderte Barzano, indem er sich mit einem Schmerzenslaut einen Zahn zog. Blut tropfte aus seinem Mundwinkel und von dem Zahn, den er vor sich hielt. Er eilte zur Zellentür, schob den Zahn tief in das Schloss und sah sich nach Wachen um. Schreie hallten durch den Zellenblock, da die Insassen lauthals flehten, man möge sie aus ihren Zellen holen, während die Wachen sie aufforderten, den Mund zu halten. Barzano entfernte sich rasch von der Tür und ging mit Shonai zu Jenna Sharbens Bett, das sie in den hinteren Bereich der Zelle schoben. Barzano kniete sich hin und schützte die beiden Frauen mit seinem Körper. »Mykola, schließen sie die Augen, halten Sie sich die Ohren zu und öffnen Sie den Mund, damit Ihnen nicht die Trommelfelle platzen«, riet Barzano, um dann das Gesicht auf Jenna Sharbens Schulter zu drücken. Die Statthalterin kauerte sich zusammen, als der kompakte Sprengstoff in Barzanos falschem Zahn explodierte und das Schloss aus der Zellentür und in den Gang sprengte. Die Tür selbst rührte sich nicht, da sie von der abgesunkenen Decke fest in den Rahmen gedrückt wurde. Bevor der Explosionsdonner verhallt war, hatte Barzano sich bereits erhoben und trat gegen die Zellentür. Sie öffnete sich eine Handbreit, aber der nächste Tritt ließ sie auffliegen, und Barzano war draußen. Mit der Hand auf seiner verwundeten Schulter drehte er sich zu Shonai um. »Sie passen auf Sharben auf. Ich komme bald wieder.« »Seien Sie vorsichtig!«, flehte Mykola Shonai. »Immer«, grinste Barzano, indem er einen faustgroßen Stein aufhob, der aus der Decke gebrochen war, und sich dann vorsichtig und dicht an die Wand gepresst durch den Korridor tastete. Er erreichte eine Biegung und hörte auf der anderen Seite panische Stimmen der Wachen. Er konnte spüren, dass sie mit ihren Nerven am Ende und vollkommen erschöpft waren und nicht mehr klar denken konnten. Er nahm den Stein fest in die Hand und rief mit dem ausgepräg-
testen pavonischen Akzent, den er imitieren konnte: »Schnell! Die Gefangenen fliehen aus ihren Zellen!« Sekunden später kamen drei Männer um die Ecke gelaufen. Barzano schlug dem ersten Wächter den Stein ins Gesicht und zerschmetterte ihm den Schädel. Während der Mann zu Boden ging, sprang er den zweiten Wächter an und hieb ihm den Stein gegen den Helm. Der Inquisitor warf sich zu Boden, als ein Laserstrahl in seine Richtung zischte, richtete sich auf die Knie auf und rammte dem dritten Wächter den Ellbogen in den Schritt. Barzano fing das Lasergewehr des Mannes auf, als dieser fiel, und hieb ihm den Gewehrkolben fest an die Schläfe. Der zweite Wächter versuchte sich zu erheben, doch Barzano schoss ihm ins Gesicht, sodass er zusammenbrach. Der Inquisitor hob das Gewehr an seine unverletzte Schulter und hielt nach neuen Zielen Ausschau. Seine Wunde pochte schmerzhaft, und aus dem Verband sickerte Blut, aber er hatte keine Zeit, sie neu zu verbinden. Er hörte Gebrüll hinter sich und ließ sich auf die Knie sinken, da eine Lasersalve den Fels hinter ihm verdampfte. Er fuhr herum und gab ein paar Schüsse ab. Zwei Wächter gingen schreiend zu Boden. Doch mehr als ein halbes Dutzend blieb noch übrig, und Barzano wälzte sich um die Ecke, hinter der die ersten drei Wächter hervorgesprungen waren. Er sprang auf und rannte verfolgt vom Geschrei der Gefängniswächter den Korridor entlang. Ein Stück voraus teilte sich der Gang, und Barzano nahm den linken, da ein weiterer Schuss seinen Arm streifte und einen brennenden Striemen zurückließ. Der Korridor war kühl und dunkel, denn die Lichtkugeln waren trüb und konnten diesen Abschnitt kaum erleuchten. Die Wände rechts und links waren mit Zellentüren gespickt, und am Ende des Korridors war eine unscheinbare Tür aus verrostetem Metall. Barzanos empathische Sinne empfingen eine Ausstrahlung überwältigender Verzweiflung von der anderen Seite der Tür, und das Ausmaß ließ ihn stolpern. Er rang das greifbare Entsetzen nieder und lief in dem Wissen weiter, dass ihm nur wenige Sekunden blieben, um Deckung zu finden, bevor ihn seine Verfolger erschießen würden. Er lief durch den Korridor und sprang mit den Füßen voraus gegen die Tür. Sie flog krachend auf, und er wälzte sich auf dem Rücken hindurch, wobei er ächzte, als seine Schulterwunde wieder aufbrach.
Er schoss blind in den Korridor hinter sich, hörte noch einen Schrei, trat die Tür zu und legte den Riegel vor. Er kam auf die Beine und richtete sein Gewehr auf die Insassen des Raums. Der Chirurg stand neben einem blutverschmierten Platte und bearbeitete Almerz Chandas Knochen mit einer surrenden Säge. Barzanos Knie knickten ein, und er ließ unwillkürlich das Gewehr sinken, als er sah, wie der Chirurg Almerz Chanda Ehre erwiesen hatte. Uriel hechtete in die Deckung eines Geröllhaufens und deckte die Grabenlinie der Rebellen mit Boltpatronen ein. Rote Explosionen erblühten, wo seine Schüsse Leiber trafen, und die Schreie der Verwundeten trugen zum Schlachtenlärm bei. Trotz der Behandlung durch Apotheker Selenus spannte die vom Anführer der Eldar verursachte Wunde bei jeder Bewegung schmerzhaft. Der Eingang zum Palastgefängnis lag am anderen Ende eines ausgedehnten Abschnitts offenen Geländes, der mit Trümmern und kleinen Feuern übersät war. Zwei Bunker aus Felsbeton flankierten den Eingang, die jeden Zugangsweg abdeckten, und vor ihnen verlief ein Schützengraben, der durch Stacheldraht gesichert wurde. Aus dem Graben schlug ihnen stetiger Beschuss entgegen: helle Laserstrahlen und das Krachen schwerer Boltgewehre. Die Ultramarines überschütteten die provisorischen Barrikaden ihrerseits mit Feuer und deckten die Bunkermauern mit einem Hagel aus Boltpatronen ein. Zwei Raketen zischten los und trafen die Bunker, die aber so konstruiert waren, dass sie allem unterhalb von direktem Artilleriebeschuss widerstehen konnten. Konzentrierte Salven aus schweren Waffen beharkten die Stellungen der Ultramarines, und Uriel erkannte, dass die Zeit knapp wurde. Der Feind würde mit Sicherheit Panzer mobilisieren und einen Gegenangriff starten. So gewaltig die Krieger der Adeptus Astartes auch waren, im Angesicht derartiger Feuerkraft würde ihnen nichts anderes übrig bleiben, als sich zurückfallen zu lassen. Er rief seine Sergeants zu sich und skizzierte ihnen in aller Eile die Lage. »Vorschläge?«, fragte er. Pasanius schob sein Boltgewehr ins Halfter und nahm seinen Flammenwerfer. »Fordern Sie begrenzte Artillerieunterstützung von der Vae Victus an. Sie soll ein Loch in ihre Linie blasen, durch
das wir uns kämpfen könnten.« Uriel zog die Möglichkeit eines Angriffs aus der Umlaufbahn in Betracht. Sie war verführerisch, aber unrealistisch. »Nein. Wenn die Zieldivinatoren auch nur eine Winzigkeit danebenliegen, könnten wir selbst unter Feuer geraten, und wenn der Energieaufwand auch nur etwas zu hoch ist, könnte der gesamte Gefängniskomplex unter hunderten von Tonnen Geröll begraben werden.« »Dann müssen wir die Sache wohl auf die harte Tour erledigen«, sagte Sergeant Venasus grimmig. Uriel nickte. Venasus war nicht gerade für seine Raffinesse bekannt, aber als er noch einmal alle Möglichkeiten durchging, wurde Uriel rasch klar, dass der Sergeant Recht hatte. Sie würden auf taktische Raffinesse verzichten müssen. Überlegene Ausbildung und Vertrauen in den Imperator waren unerlässlich, aber in jedem Krieg kam früher oder später der Moment, wenn man eine Schlacht gewinnen musste, indem man den Kampf durch das Sperrfeuer zum Feind trug und ihm Klinge gegen Klinge und Kraft gegen Kraft begegnete. Dieser Moment war jetzt. Eine weitere Salve brach über sie herein, da die Kanoniere der PWM ihre Waffen methodisch von rechts nach links schwenkten und das Gelände direkt vor den Ultramarines in eine Todeszone verwandelten. »Also gut«, sagte Uriel schließlich. »Wir machen es folgendermaßen.« Barzano riss das Gewehr gerade noch rechtzeitig hoch, um den Aufwärtsschwung der Knochensäge zu parieren, und das nichtmenschliche Werkzeug durchschnitt den Lauf in einem Schauer violetter Funken. Er duckte sich unter einem weiteren Schwung der Säge hinweg und warf sich auf seinen schlanken Gegner. Das Paar ging in einem Wirrwarr strampelnder Gliedmaßen zu Boden, und Barzano schrie auf, als das surrende Sägeblatt über seine Hüfte schnitt und die kreischenden Zähne über sein Becken kratzten, bevor sie sich wieder lösten. Er rammte dem Chirurgen die Stirn ins Gesicht. Blut spritzte, als die Nase brach, und der Eldar kreischte vor Schmerzen. Barzano wälzte sich herum, als das Sägeblatt wieder geschwungen kam und eine tiefe Schramme im Steinboden hinterließ. Während er aufsprang, hob er die Überreste des Lasergewehrs auf. Die Waffe
würde zwar nie wieder einen Schuss abgeben, aber ihr schwerer Holzschaft ließ sich als Keule benutzen. Er wich zur Tür zurück, und als er sich dagegen lehnte, spürte er, wie sie wiederholt von Laserstrahlen getroffen wurde. Sie würde die Verfolger nicht mehr lange aufhalten. Der Chirurg griff ihn an, und Blut spritzte vom surrenden Sägeblatt in alle Richtungen. Das Gesicht des Eldar war eine rote Maske, und seine violetten Augen waren voller Hass. Hinter ihm ächzte der zerstörte Körper von Almerz Chanda auf der Platte, während sein blutiges, rohes Fleisch zuckte und bebte, als die einschläfernde Wirkung der Muskelrelaxanzen des Chirurgen nachließ. Uriel wappnete sich auf dem Geröll und richtete ein kurzes Stoßgebet an den gesegneten Primarchen, dass diesem Angriff Erfolg beschieden sein möge. Die Space Marines erwarteten seine Befehle. Kaplan Clausel stimmte die Litanei der Schlacht an, und seine strenge, stete Stimme gab den Kriegern der Vierten Kompanie ein gutes Beispiel. Uriel wusste, dass er selbst ein ähnliches Beispiel geben musste, indem er diesen Angriff persönlich anführte. Die PWM-Kanoniere schossen jetzt blind. Dutzende von Rauchund Blendgranaten waren geworfen worden, und wallende Wolken aus verhüllendem Rauch quollen aus den Granatkanistern. Als er der Ansicht war, dass der Rauch sich genügend ausgebreitet hatte, rief Uriel: »Jetzt! Zum Ruhme Terras!«, und sprang hinter seiner Deckung aus Schutt und Geröll vor. Wie ein Mann brüllten die Ultramarines und folgten ihrem Hauptmann in den Rauch. Kugeln und Laserstrahlen streckten ihre tödlichen Finger nach ihnen aus. Tödlich für jeden, der keine Rüstungen von heiliger Kraft trug, welche von den Tech-Marines gesegnet und von den Geistern der Schlacht durchdrungen waren. Sofort schwärmten die Space Marines aus, sodass eine konzentrierte Salve sie nicht alle treffen würde. Dies war ein Spießrutenlauf, den jeder für sich unternahm. Uriel spurtete durch die weißen Schwaden, die vom unheimlichen Schein flackernder Flammen erleuchtet waren. Er lief über verbrannte Leichen, Flecken versengten Bodens und Haufen abgelegter Kampfausrüstung hinweg. Das Jaulen der Kugeln und das Zischen der Laser umgaben ihn, und der Rauch wurde von ihnen verwirbelt. Alle seine Sinne
waren aufs Äußerste angespannt. Seine Autosinne mühten sich, den verhüllenden Nebel der Blendgranaten zu durchdringen. Die hellen Blitze voraus waren der einzige Hinweis darauf, wie weit sie noch zu laufen hatten. Hundertfünfzig Schritte. Durch den Rauch konnte er die verschwommenen Gestalten seiner Krieger erkennen, deren Waffen der Rebellenlinie Feuer entgegenspien. Hundert Schritte. Schmerzgebrüll ertönte. Kalte Wut packte ihn, während er die Entfernung weiter verringerte. Dann explodierte der Boden rings um ihn und bombardierte ihn mit Steinsplittern und brennendem Metall, als er mit einem Hagel von Boltpatronen eingedeckt wurde. Eine Patrone streifte seinen Schulterschutz und Helm und riss ihn von den Beinen. Eine andere traf sein Energieschwert und sprengte in einem gewaltigen Funkenregen die Klinge vom Heft. Uriel fiel und wälzte sich in Deckung, während sein Blickfeld durch rot blinkende Runen auf seinem Visier beeinträchtigt wurde. Blut lief ihm in die Augen, und er riss den Helm ab und wischte sich die bereits halb geronnene Substanz vom Gesicht. Seine Wut steigerte sich noch, als er das beschädigte Schwert sah. Das Heft endete in einem kurzen abgebrochenen Stück Klinge. Die kunstvollen Verzierungen, welche den Kriegsgeist beherbergten, waren zerstört. Idaeus' Vermächtnis war zerstört worden, der greifbare Beweis für die Anerkennung seiner Autorität durch seinen ehemaligen Hauptmann existierte nicht mehr. Uriel schob wütend in die Scheide zurück, was von der Klinge noch übrig war, und erhob sich. Der Rauch wurde dünner, und er sah, dass er weniger als hundert Meter von den Bunkern entfernt war. Er war fast da, aber aus dieser Nähe war das Abwehrfeuer aus dem Schützengraben mörderisch, und ihrem Sturmangriff war der Schwung ausgegangen. Das Sperrfeuer war einfach zu dicht, um darin vorrücken und überleben zu können. Ein Gefühl äußerster Gewissheit erfasste Uriel, und er marschierte gelassen durch den Kugelhagel, kniete neben dem Leichnam eines gefallenen Schlachtbruders nieder und entwand seinen Fingern das Kettenschwert. Kugeln stanzten neben ihm eine Linie in den Boden, aber Uriel zuckte mit keiner Wimper. »Hauptmann! In Deckung!«, rief Pasanius. Uriel drehte sich zu den hinter ihm in Deckung liegenden Ultramarines um und schrie: »Folgt mir!«
Ein Laserstrahl traf ihn mitten auf die Brust. Uriel schwankte, fiel aber nicht. Der Adler auf seinem Brustharnisch rann geschmolzen die Rüstung herab. Kaplan Clausel erhob sich mit hoch über dem Kopf gehaltenen Crozius Arcanum. »Seht, Brüder! Der Imperator beschützt uns!«, bellte er, und seine Stimme hallte über das ganze Schlachtfeld. Der Kaplan brüllte weiter: »Auf, Brüder! Auf! Für den Imperator! Vorwärts!« Uriel drückte auf die Aktivierungsrune des Kettenschwerts, und die Klinge erwachte surrend zum Leben. Er wandte sich wieder der feindlichen Linie zu. Sie würden es schaffen. Es würde keinen Pardon geben. Er rannte los und spurtete durch das Abwehrfeuer dem Feind entgegen. Barzano glitt zur Seite, als der Chirurg mit der Knochensäge nach seinem Bauch stieß. Er packte seinen Waffenarm, drehte sich an seiner Deckung vorbei einwärts und stieß dem Eldar den Ellbogen in die Seite. Er hechtete vorwärts und wich so dem Rückschwung der Knochensäge aus, prallte dafür aber gegen den Tisch mit chirurgischen Instrumenten neben der Platte, sodass alle möglichen Skalpelle und Bohrer neben ihm auf den Boden fielen. Er hörte Almerz Chanda über sich vor Schmerzen stöhnen und hob ein langes Skalpell mit gebogener Klinge auf, während der Chirurg wiederum auf ihn losging. Barzanos Kräfte ließen nach, und er wusste, dass er sich nicht mehr lange würde behaupten können. Er rappelte sich auf, das Skalpell fest in der Hand. Der Chirurg stieß mit der Knochensäge nach Barzanos Kopf. Der Inquisitor parierte den Stoß mit dem Unterarm und schrie auf, als die Sägezähne in seinen Arm schnitten und ihn bis zum Ellbogen aufschlitzten. Das surrende Ende der Säge kam zu einem Halt, als die Zähne sich im Armknochen des Inquisitors verhakten. Barzano schwang seinen verletzten Arm mit der darin eingebetteten Säge von sich weg, machte einen Schritt vorwärts und rammte dem Chirurgen das Skalpell in die Schläfe. Der Eldar taumelte. Blut sprudelte aus seinem Mund, und seine Knie gaben nach, da volle fünfzehn Zentimeter Stahl in seinem Hirn steckten. Er stieß noch einen letzten Seufzer aus, bevor er vornüberkippte und die jaulende Knochensäge dabei aus Barzanos Arm riss.
Barzano sank gegen die Platte und rang darum, trotz der entsetzlichen Schmerzen in seinem aufgeschlitzten Arm bei Bewusstsein zu bleiben. Eine dicke Schicht Haut und Muskeln war halb abgetrennt und flatterte hin und her, und er zwang sich, den Schaden nicht zu betrachten. Die Tür wurde von neuerlichen Einschlägen getroffen, und er bückte sich und zog eine seltsam aussehende Pistole aus dem Gürtel des Chirurgen, wobei jede Bewegung eine Supernova aus Schmerzen in seinem Kopf explodieren ließ. Er spürte die Bewegung neben sich mehr, als dass er sie sah, und er legte schwankend die Pistole an. Almerz Chanda richtete sich in eine sitzende Stellung auf, da sein zerstörter Körper noch eine letzte Anstrengung unternahm, bevor ihn der Tod ereilte. Seine Züge kündeten von den furchtbarsten Schmerzen, die man sich vorstellen konnte, und Barzano spürte den Wahnsinn, in den die Kunst des Chirurgen Almerz gestürzt hatte. Aber er spürte auch sein verzweifeltes Bedürfnis nach Sühne hinter den Wellen des Wahnsinns. Während Barzano darum rang, sich auf den Beinen zu halten, flog schließlich die Tür zu den Arbeitsräumen des Chirurgen auf. Uriel trieb seine Faust durch das Helmvisier eines Gardisten, dessen Gesicht sich unter dem Schlag auflöste. Ein Laserstrahl versengte seinen Brustharnisch, aber die Rüstung hielt stand, und Uriel tötete den Schützen mit einer gut gezielten Boltpatrone. Er schwang das Kettenschwert in brutalem Bogen, enthauptete einen Soldaten und entleibte einen zweiten. Er schoss mit seiner Pistole einem dritten ins Gesicht und brüllte in der wilden Freude des Kampfes. Der Schützengraben war ein Schlachthaus. Der Zorn der Ultramarines kannte keine Grenzen. Sie rissen die Männer der PWM förmlich in Stücke und überrannten den Schützengraben mit der Wucht ihres Ansturms. Boltpistolen feuerten, Kettenschwerter blitzten rot im Sonnenschein, und Strahlen aus flüssigem Feuer rösteten Menschen bei lebendigem Leib. Es wurde keine Gnade gewährt, und binnen Sekunden war der Schützengraben nur mehr ein offenes Grab für die Männer der PWM. Bevor der Angriffsschwung erlahmen konnte, rief Uriel seinen Männern zu, ihm zu folgen, um dann aus dem Graben zu springen und zu den Bunkern zu rennen. Großkalibrige Kugeln wühlten den
Boden zu seinen Füßen auf, aber er schlug einen Haken und wich dem Kugelhagel aus. Im Laufen schoss er und kam so bis auf zehn Meter an den Bunker heran. Er sah, wie Pasanius einen langen Strahl flüssigen Feuers durch die Schießscharte des zweiten Bunkers jagte. Um den riesigen Krieger leckten orange Flammen, als er den Bunker in ein flammendes Inferno verwandelte. Uriel hechtete vorwärts und wälzte sich zum Fuß des Bunkers, womit er es gerade noch vermied, von einer aus nächster Nähe abgefeuerten Salve in Stücke gerissen zu werden. Sein Rücken krachte gegen die vordere Bunkerwand. Der Bunker war ein Klotz aus Felsbeton mit Schießscharten auf jeder Seite und ragte einen Meter aus dem Boden. Granaten waren sinnlos. Im Bunker gab es mit Sicherheit eine Granatgrube, eine geschützte Kammer, worin die Soldaten darin Granaten fallen lassen konnten, sodass sie bei der Explosion keinen Schaden anrichteten. Mehr Schüsse wurden aus dem Bunker abgegeben, und Uriel wartete, bis er das unverkennbare Klicken eines Boltgewehrs hörte, das bei leerem Magazin durchgeladen wurde. Er hielt den Atem an, um den Doppelklick des Einrastens eines neuen Patronengurts in die heiße Munitionskammer zu hören. Uriel brüllte, sprang vor dem Bunker auf und stieß sein Kettenschwert durch die Schießscharte und in das Gesicht des Schützen. Ein blubbernder Schrei und das Knacken von Knochen ertönte, und Uriel griff hinein und zog die schwere Waffe durch die Schießscharte nach draußen. Er drehte die Waffe um, hielt die Mündung in den Bunker, drückte ab und ließ den Lauf von rechts nach links wandern, sodass eine Patrone nach der anderen in dem kleinen Raum explodierte. Die Schreie darin verstummten rasch, aber Uriel wartete, bis auch die letzte Patrone des Gurts verschossen war und der Hammer auf die leere Kammer traf und klickte. Uriel ließ die Waffe fallen. Sein Gesicht war mit Schweiß und Blut überströmt. Die Bunker gehörten ihnen, und der Gefängniskomplex lag offen vor ihm. Die Gefängniswachen stürmten in die Folterkammer und wurden mit einer Erscheinung aus ihren schlimmsten Albträumen konfrontiert. Almerz Chanda warf sich mit dem letzten Funken Kraft vorwärts und riss die vordersten Männer zu Boden. Um sich schlagend und schreiend, heulte der sterbende Chanda vor
Schmerzen, ein Geräusch, das an den Nerven jeder Person in Hörweite zerrte. Die Angreifer schossen instinktiv. Laserstrahlen trafen Chandas verwüsteten Körper, durchbohrten ihn und verletzten die Männer darunter. Chandas Todesschrei kündete eher von Erleichterung denn von Schmerzen. Die nachfolgenden Wächter rissen den Blick von dem schrecklich verstümmelten Mann los und richteten ihn auf den einzigen noch lebenden Insassen der Kammer. Barzano schwankte, und eine Körperhälfte war vollkommen mit Blut getränkt. Chandas Tod hatte ihm kostbare Sekunden verschafft, die er nicht zu verschwenden gedachte. Er zielte mit der Pistole des Chirurgen auf die Wachen und drückte ab. Ein Hagel dunkler Nadeln wurde in einem sich ausdehnenden Kegel abgeschossen, zerfetzte die vordersten Wachen und tötete sie augenblicklich. Die Wachen dahinter hatten nicht so viel Glück, und die vergifteten Nadeln überfluteten ihren Blutkreislauf mit tödlichen fremdartigen Giften. Barzano taumelte zur Tür, während die Wächter zurückfielen. Einige lagen bereits in den letzten Todeszuckungen, da das Gift sein böses Werk tat, während andere sich zurückzogen, als sie das Schicksal ihrer Kameraden weiter vorn mitbekamen. Der Inquisitor schloss die Tür und glitt zu Boden, da ihn die Kraft mit dem Blut verließ, das aus seinem aufgeschlitzten Arm lief. Von draußen waren mehr Schreie, Schüsse und Explosionen zu hören. Er spürte, wie etwas gegen die Tür drückte, und unternahm einen schwächlichen Versuch, sie geschlossen zu halten, konnte aber nicht verhindern, dass sie geöffnet wurde. Er sank zu Boden, während alles vor seinen Augen verschwamm, und versuchte die fremdartige Pistole zu heben. Sergeant Learchus nahm dem Inquisitor die Pistole aus der Hand und warf sie beiseite, während zwei seiner Schlachtbrüder gemeinsam mit Mykola Shonai, Lortuen Perjed und einem halben Dutzend wie versteinerter Schreiber nach ihm die Folterkammer betraten. Einer der Space Marines trug Jenna Sharben und legte die verwundete Liktorin behutsam auf der Platte des Chirurgen ab. »Kümmert euch um ihn«, befahl Learchus, indem er auf den bewusstlosen Barzano zeigte. Learchus aktivierte sein Kommgerät. »Hauptmann Ventris, wir haben Inquisitor Barzano. Er ist am Leben, aber schwer verwun-
det. Wir müssen ihn rasch an Bord der Vae Victus bringen, wenn wir sein Leben retten wollen.« Uriel stürmte durch die rauchenden Überreste des Eingangstors zum Gefängniskomplex und feuerte dabei. Die Explosion hatte die meisten Verteidiger auf der anderen Seite getötet. Über dem Nachhall der Zerstörung des Tors war nur das Ächzen der Sterbenden zu hören. Seine Laune hatte sich sprunghaft gebessert, als Learchus ihn davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass der Inquisitor in Sicherheit war, da er wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, den Sergeanten im Palast bleiben und von oben in den Gefängniskomplex einbrechen zu lassen. Learchus hatte Barzano, aber zwischen ihnen standen noch mehrere hundert Männer. Sie mussten ihre Brüder immer noch erreichen und in Sicherheit bringen. Pasanius blies noch eine Feuerwand die grob behauene Treppe hinunter, die in die Dunkelheit des Gefängnisses führte. Schreie drangen von unten herauf, und Uriel führte wiederum den Sturmangriff der Ultramarines an. Learchus jagte noch ein paar Boltpatronen durch die Tür, die zwei Wächter töteten und einen dritten verwundeten. Bis jetzt hatten sie drei Angriffe abgewehrt, aber ihre Munition wurde knapp und ihre Zeit ebenfalls. Es gab zwei weitere Eingänge zu diesem Raum, und jeder Space Marine kämpfte wie ein Löwe, um die Angriffswellen mit Boltgewehr und Kettenschwert zurückzuschlagen. Mykola Shonai und Lortuen Perjed mühten sich verzweifelt, die Blutung von Barzanos Arm zu stillen, aber es war ein Kampf, den sie zu verlieren drohten. Die Säge des Chirurgen hatte den Arm vom Handgelenk bis zum Ellbogen knochentief aufgeschlitzt, und an diesem Ort gab es nur Instrumente zur Vergeudung von Leben, nicht zu seiner Erhaltung. Barzanos Haut war wächsern, der Puls ging schwach und unregelmäßig. Immer mehr Wachen stürzten sich auf die Türen und wurden jedes Mal von tödlichen Patronen niedergemäht oder von kreischenden Kettenschwertern zerhackt. In der Kammer stank es nach Tod. Learchus ließ sein Boltgewehr fallen, als sein letztes Magazin
leer und der letzte Schuss abgegeben war, und stemmte sich dem Angriff der Wachen entgegen. Sein Schwert tötete den ersten Mann, bevor der Sergeant von Laserstrahlen von den Beinen geholt wurde. Statusrunen blinkten rot auf seinem Visier. Er wälzte sich herum, hieb einem Mann die Beine ab und rammte einem anderen die Faust in den Schritt. Bajonette stachen nach ihm, aber die meisten glitten von seiner starken Rüstung ab. Er stach und hackte, trat und schlug in alle Richtungen und spürte bei jeder Körperbewegung, wie Knochen brachen. Schüsse krachten, während er sich vor Kampfeswut brüllend von seinen Angreifern löste, eine menschliche Maschine im Tötungsrausch. Sie hielten stand, aber lange würden sie nicht mehr durchhalten. Ein Rückhandschlag schickte einen weiteren Feind schreiend in die Hölle, da Uriel und Pasanius tiefer in den Gefängniskomplex eindrangen. Uriels Helm lag verlassen über ihnen auf dem Schlachtfeld, also folgte er Pasanius, da sie die LokalisationsAuguren im Helm des Sergeants zu Learchus führten. Er hörte die Schreie Sterbender und den Lärm wilder Kämpfe voraus, und als er um eine Ecke lief, sah er vor sich Dutzende von Männern, die sich durch eine breite Tür zwängten. Pasanius wartete gar nicht erst den Befehl ab, sondern hüllte die Männer einfach in eine Feuerwand aus seinem tödlichen Flammenwerfer. Schreie und der Gestank nach verbranntem Fleisch erfüllten den engen Korridor, da die Ultramarines über die Gefängniswachen herfielen. Es war ein Massaker. Die Soldaten konnten nirgendwo-hin fliehen. Zwischen Sergeant Learchus' Wut und diesem neuen Angriff gefangen, lieferten sich die Überlebenden Uriels Gnade aus. Doch er ließ keine walten, und jeder Soldat starb. Uriel wischte sich das Blut aus dem Gesicht und trat schwer atmend in die Folterkammer des Chirurgen. Leichen lagen zuhauf in der Kammer, und der Gestank nach Blut war überwältigend. Die Stille bildete einen jähen Kontrast zum Kampfgebrüll von vor wenigen Augenblicken, und Learchus blinzelte und senkte sein blutverschmiertes Kettenschwert. Uriel marschierte zu Learchus und ergriff dessen Hand. »Ein Wiedersehen zur rechten Zeit, Bruder«, flüsterte Uriel. Learchus nickte. »Aye, ein Wiedersehen zur rechten Zeit,
Hauptmann.« Verfolgt von einigen hastig umgebauten Fähren und Ornithoptern raste der Thunderhawk himmelwärts. Für den Beschuss langsamer Bodenziele konzipiert, waren sie dem Kampfflugzeug der Space Marines nicht gewachsen und zogen sich zurück, nachdem sieben von ihnen abgeschossen worden waren. Die Rettung von Inquisitor Barzano hatte drei Ultramarines und zwei von Barzanos Schreibern das Leben gekostet, die ein Opfer des in der Folterkammer tobenden Kreuzfeuers geworden waren. Lortuen Perjed bestand hartnäckig darauf, sie mit allen Ehren zu bestatten. Bevor er sich um die Verwundeten kümmerte, hatte Apotheker Selenus den Leichen der gefallenen Space Marines die Gensaat entnommen, deren Bergung Vorrang vor den normalen Erfordernissen des Schlachtfelds hatte. Er stabilisierte den Zustand des Inquisitors und bereitete eine Blutübertragung mit einem Schreiber vor, der dieselbe Blutgruppe hatte. Der Mann drückte seine Bereitschaft aus, sein ganzes Blut zu spenden, um das Leben des Inquisitors zu retten, aber Selenus versicherte ihm, solche drastischen Maßnahmen seien nicht nötig. Er hatte auch Jenna Sharbens Wunde behandelt. Die Liktorin würde zwar noch mehrere Tage außer Gefecht sein, aber sie würde es überleben und keine Langzeitschäden zurückbehalten. Die Wunden der überlebenden Ultramarines waren größtenteils oberflächlicher Natur. Der ramponierte Thunderhawk ging in eine Umlaufbahn, traf schließlich mit der Vae Victus zusammen und brachte seine Krieger nach Hause. Die Offiziere der Pavonis-Expedition versammelten sich im Besprechungsraum des Kapitäns, wo sie um einen runden Tisch saßen, der aus den langsam wachsenden Bergföhren gefertigt war, welche die Hera-Festung auf Macragge umgaben. Lordadmiral Tiberius saß mit dem Rücken zur Wand unter einem prächtigen Seidenbanner, auf dem die Siege seines Schiffs und der Kapitäne vor ihm aufgelistet waren, eine Chronik, die in eine Zeit Jahrhunderte vor seiner Geburt zurückreichte. Auf der einen Seite von Tiberius saßen die kampfesmüden Ultramarines, denen die Kämpfe auf Pavonis noch in den Knochen steckten: Uriel,
Learchus, Pasanius, Venasus und Dardino. Auf der anderen Seite des Tisches saßen Mykola Shonai und Lortuen Perjed. Zwischen ihnen war ein Stuhl nicht besetzt, und als Mykola Shonai gerade einen Schluck Wasser trank, traf das letzte Mitglied des Kriegsrats ein. Inquisitor Barzano trug einen Kunsthautverband um den linken Arm und ging mit einem ausgeprägten Hinken. Uriel beobachtete Barzano dabei, wie er in den Besprechungsraum humpelte, und registrierte den verräterischen Glanz in seinen Augen, der vom massiven Gebrauch von Aufputschmitteln kündete. Offensichtlich hatte der Inquisitor Betäubungsmittel genommen, um die Schmerzen zu unterdrücken, die ihm Arm und Schulter bereiten mussten. Mit wächsernem Gesicht nahm er Uriel gegenüber Platz. »Also gut«, begann Barzano, »ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen, dass die Lage ernst ist. Kasimir de Valtos hat die Kontrolle über Pavonis und könnte jeden Augenblick eine uralte nichtmenschliche Waffe in die Finger bekommen, die zu Zerstörungen in einem systemweiten Maßstab fähig ist. Stimmen alle darin überein, dass dies eine angemessene Einschätzung unserer Lage ist?« Niemand widersprach dem Inquisitor. »Was schlagen Sie also vor, Inquisitor Barzano?«, fragte Tiberius. »Ich schlage vor, dass Sie eine verschlüsselte Botschaft nach Macragge senden und ein mit Zyklonentorpedos bestücktes Schlachtschiff für Pavonis anfordern.« Uriel hieb mit der Faust auf den Tisch. »Nein!«, verkündete er energisch. »Das lasse ich nicht zu. Wir sind hergekommen, um diese Leute zu retten, nicht um sie zu vernichten.« Tiberius legte Uriel beruhigend eine Hand auf den Arm. Mykola Shonai schaute verwirrt von Uriel zu Barzano. »Vielleicht entgeht mir etwas«, sagte sie. »Was sind Zyklonentorpedos?« »Planetenzerstörer«, antwortete Uriel. »Sie würden die Atmosphäre von Pavonis in einem Feuersturm verbrennen und die Oberfläche ausglühen, bis nichts mehr am Leben wäre. Die Meere würden verdampfen, und Ihre Welt würde zu einem öden, in die Asche Ihres Volks gehüllten Felsbrocken.« Shonai starrte Barzano entsetzt an. »Sie würden meine Welt
vernichten?«, fragte sie ungläubig. Barzano nickte zögernd. »Wenn sich dadurch verhindern lässt, dass ein Wahnsinniger den Bringer der Dunkelheit in die Finger bekommt, dann ja. Es ist besser, eine Welt zu opfern, als wer weiß wie viele andere zu verlieren, weil wir davor zurückschrecken, unsere Pflicht zu tun.« »Es ist nicht unsere Pflicht, unschuldige Menschen zu töten«, stellte Uriel fest. »Unsere Pflicht ist, so viele Leben zu retten, wie wir können«, konterte Barzano. »Wenn wir nichts tun und es de Valtos gelingt, das fremde Schiff zu bergen, werden viel mehr Welten sterben. Ich treffe diese Entscheidung nicht leichten Herzens, Uriel, aber ich muss mich bei meiner Entscheidungsfindung auf kalte Logik und auf den Imperator verlassen.« »Ich kann nicht glauben, dass dies der Willen des Imperators ist.« »Wer sind Sie zu beurteilen, was der Imperator will?«, schnauzte Barzano. »Sie sind ein Krieger, der seine Feinde auf dem Schlachtfeld sieht und sie mit Schwert und Boltgewehr tötet. Meine Feinde sind Ketzerei, Abweichlertum und Ehrgeiz. Heimtückischere Feinde, als Sie sich vorstellen können, und die Waffen, die ich einsetzen muss, sind dementsprechend von einem anderen Kaliber.« »Das können Sie nicht machen, Barzano«, sagte Uriel. »Meine Männer haben für diese Welt gekämpft und geblutet, ich werde sie nicht einfach so aufgeben.« »Es ist keine Frage des Aufgebens, Uriel«, erläuterte Barzano. »Es ist eine Frage der Prävention. Wir wissen nicht, wo de Valtos ist und wie er das Schiff finden will, und ohne diese Informationen können wir nichts unternehmen. Wenn wir zögern und ihn nicht daran hindern, den Nachtbringer in Besitz zu nehmen, wie viele Menschen werden dann sterben? Zehn Milliarden? Tausend Milliarden? Mehr?« »Wir müssen doch etwas unternehmen können, um de Valtos aufzuhalten«, sagte Shonai. »Auf Pavonis leben Millionen von Menschen. Ich werde nicht einfach so dastehen und zuhören, wie über das Schicksal meiner Welt diskutiert wird, als sei ihre Zerstörung eine völlig bedeutungslose Angelegenheit.« Barzano wandte sich an Shonai. »Glauben Sie mir, My-kola, ich bin kein herzloses Ungeheuer, und ich halte den Tod einer Welt
nicht für bedeutungslos. Gäbe es eine andere Möglichkeit, würde ich sie mit Freuden ergreifen. Ich war bisher noch nie gezwungen, eine Welt zu vernichten, und wenn ich de Valtos auf anderem Wege aufhalten könnte, würde ich es tun.« Bei Barzanos Worten fielen Uriel wieder Gedriks Worte ein. Der Weltentod und der Bringer der Finsternis warten darauf, in diese Galaxis geboren zu werden. Einer wird kommen oder keiner, die Wahl liegt in deinen Händen. »Meinen Sie das ernst, Inquisitor?«, fragte er. »Meine ich was ernst?«, fragte Barzano wachsam. »Dass Sie eine andere Möglichkeit ergreifen würden, wenn Sie könnten.« »Ja, das meine ich ernst.« »Dann glaube ich, dass es eine andere Möglichkeit gibt«, sagte Uriel. Barzano hob skeptisch eine Augenbraue, beugte sich vor und legte die Arme auf die Tischplatte, wobei er sorgfältig darauf achtete, nirgendwo mit seinem verwundeten Arm anzustoßen. »Und die wäre, Uriel?« Der Space Marine spürte, dass dies der kritische Augenblick war, und überlegte sich seine Worte sehr genau, bevor er antwortete. »Als ich in de Valtos' Haus war und wir die beiden Skelettkrieger in den Tiefen seines Kellergewölbes gefunden haben, ist mir aufgefallen, dass die Batteriesätze, an die sie gekoppelt waren, Kennzeichen trugen.« »Und?« »Sie trugen die Aufschrift >Tembragrat< - vielleicht kann die Statthalterin dazu etwas sagen«, antwortete Uriel. »Tembragrat? Das ist ein Gebirge ungefähr hundert Kilometer nördlich von Brandontor. Es erstreckt sich vom Westmeer bis zum Greshawald im Osten, eine etwa tausend Kilometer lange Kette aus felsigem Hochland und Wäldern. Es ist eine Bergbauregion, und dort gibt es hunderte von Tiefbohrminen. Die meisten Kartelle haben Besitzansprüche auf Land im Tembragrat. Das DeValtos-Kartell hat mehrere.« »Wenn diese Dinge in einem der Bergwerke des Tembragrats gefunden wurden, ist es dann nicht wahrscheinlich, dass auch der Nachtbringer dort irgendwo unter der Erde liegt?«, stellte Uriel fest. Barzano nickte mit einem Lächeln. »Sehr gut, Uriel Wenn wir
jetzt auch noch ermitteln könnten, aus welchen Bergwerk sie stammen, hätten wir tatsächlich Grund zum Feiern.« Barzanos Tonfall war ein wenig sarkastisch, aber Uriel konnte erkennen, dass er den Gedanken, dass Pavonis' Auslöschung vielleicht doch nicht unumgänglich war, zumindest in Erwägung zog. Der Inquisitor wandte sich an Mykola Shonai. »Wie tief reichen diese Minen?«, fragte er. »Das ist unterschiedlich«, erwiderte Shonai, »aber die tiefsten reichen vielleicht zehntausend Meter hinab, andere dagegen nur drei- oder viertausend Meter. Das hängt von dem Flöz ab, der gefördert wird, und davon, ob es sich wirtschaftlich rechnet, tiefer zu bohren.« »Dann finden wir heraus, welche Minen dem De-Valtos-Kartell gehören, und bombardieren sie alle von hier oben, bis nichts mehr von ihnen übrig ist«, knurrte Uriel. »Lortuen?«, sagte Barzano, indem er sich an seinen Untergebenen wandte, der nachdenklich nickte und die Augen schloss. Seine Atmung verlangsamte sich, und seine Lider flatterten, als er Tatsachen, Zahlen und Statistiken aus dem reichen Schatz der Informationen durchging, die er und seine Schreiber bei ihren Nachforschungen gesammelt hatten. Uriel sah, wie die Pupillen des alten Mannes rasch hin- und herzuckten, als lese er Nachrichten auf der Innenseite seiner Augenlider, und dabei fiel ihm zum ersten Mal das winzige Funkeln von Metall hinter seinem Ohr auf. Der alte Mann war mit kybernetischen Implantaten bestückt, vermutlich mit solchen, die denjenigen eines Lex-Mechanikers oder Gelehrten-Servitors ähnelten. Ohne die Augen zu öffnen, leierte Perjed monoton: »Es gibt vier Minen im Tembragrat, die dem De-Valtos-Kartell gehören. Alle fördern Eisenerz, das zu Stahl für Panzerkarossen und Geschützläufe verarbeitet wird, aber die Produktivität ist in der nördlichsten Mine mit Abstand am geringsten. Ich nehme an, dass die Ausfälle durch Überproduktion in den anderen Anlagen kompensiert werden, was die höhere Anzahl von Arbeitsunfällen erklären würde, die in den anderen Minen gemeldet wurden.« Perjed neigte den Kopf, und seine Atmung normalisierte sich langsam wieder, während Uriel Barzano triumphierend ansah. »Da«, sagte er. »Wir haben den Ort und können angreifen, ohne zum Mittel des Genozids greifen zu müssen.« »Ich fürchte, das ändert nichts, Hauptmann Ventris«, sagte Ti-
berius leise. »Warum nicht?« »Selbst mit voller Energie auf das Bombardierungsgeschütz können die Magmabomben nicht so tief in die Planetenkruste dringen.« »Dann tragen wir den Kampf noch einmal nach unten«, rief Uriel. »Die Tech-Marines haben mir gesagt, dass wir jetzt zwei funktionstüchtige Thunderhawks haben. Ich sage, wir starten, sobald wir wieder voll ausgerüstet sind, und wühlen de Valtos von Hand aus der Planetenkruste, wenn es sein muss.« Uriel starrte Barzano trotzig an und wartete darauf, alle etwaigen Einwände abzuschmettern, die der Inquisitor vorbringen mochte. Doch Barzano nickte nur. »Also gut, Uriel. Wir versuchen es auf Ihre Weise, aber wenn Sie scheitern, wird Pavonis sterben. Durch meine Hand oder durch die von de Valtos.« »Wir werden nicht scheitern«, versicherte Uriel ihm. »Wir sind die Ultramarines.«
17. Kapitel Virgil Ortega duckte sich, als eine weitere Salve die Wände hinter ihm bestrich und Steinsplitter auf ihn herabregneten. Er glitt hinter die angewinkelte Barrikade aus Felsbeton, warf die leere Magazintrommel aus dem schweren Schnellfeuergewehr aus, legte ein neues Magazin ein und lud durch. Ortega schwang die gewichtige Waffe wieder auf die Barrikade, als ihnen ein weiterer Trupp Soldaten entgegenstürmte, stemmte den schweren Schaft gegen die Schulter und drückte ab. Eine meterlange Flammenzunge schoss aus dem perforierten Lauf, und ein ohrenbetäubendes Getöse ertönte, als hunderte von Kugeln die erste Welle der Angreifer in Stücke rissen. Die Vibration des Gewehrs war fast zu viel für Ortega, dessen Muskeln Mühe hatten, die Waffe ruhig zu halten. Mit derartiger Feuerkraft war es weniger eine Frage der Genauigkeit, sondern des Magazininhalts. Das Schnellfeuergewehr konnte sein Magazin binnen Sekunden leeren. Von den siebenundzwanzig Liktoren, die der Katastrophe im Revier entkommen waren, lebten noch achtzehn. Nachdem sie aus
den verborgenen Tunneln unter dem Palast gestiegen waren, von denen nicht einmal die Statthalterin wusste, hatten die Liktoren nach kurzem, aber heftigem Feuergefecht das Waffenarsenal erobert. Die Überraschung war vollkommen gewesen, und das imperiale Waffenarsenal, das von seiner Konzeption und Konstruktion her einem Angriff von außen angeblich unbegrenzt lange standhalten konnte, war binnen einer Stunde gefallen. Die Rebellen brauchten weniger Zeit, um einen Gegenangriff zu starten und zu versuchen, die Liktoren aus ihrer neuen Zuflucht zu vertreiben. Unter dem Palast begraben, war das Arsenal nur für Infanterietruppen zugänglich, und mit einer großen Auswahl an schweren Waffen zu ihrer Verfügung erwies Virgil Ortega sich als besonders schmerzhafter Dorn im Fleisch der Rebellen. Ohne die gewaltigen Vorräte an schweren Waffen, die im Arsenal gelagert waren, würde es dieser Rebellion bald an Feuerkraft fehlen, wenn sie der Zorn der imperialen Vergeltung traf. Er hatte Collix und sechs weitere Liktoren damit beauftragt, so viel Sprengstoff zündfertig zu machen, wie sie finden konnten, und das Arsenal für die Zerstörung vorzubereiten. Mit etwas Glück konnten sie ein paar Sprengladungen anbringen, von hier fliehen und den ganzen Laden in den Warpraum jagen. Der Korridor vor ihm war mit toten Feinden übersät, und die Leichenberge boten den Angreifern provisorische Deckungsmöglichkeiten. Ortega bewegte die Schnellfeuerkanone gnadenlos hin und her und schoss auf alles, was sich bewegte. Die Liktoren bei ihm schossen mit Schrotflinten, Boltgewehren und Schnellfeuerkanonen und spien ebenfalls Tod und Verderben. Er hörte gedämpfte Verwünschungen und warf einen Blick hinter sich. Collix zog eine fahrbare Trage mit zwei gekoppelten Autokanonen auf einem drehbaren Zwillingsstativ hinter sich her. Ortega grinste. Die Waffe war normalerweise auf einem Fahrzeug montiert, etwa auf einem Sentinel, und viel zu schwer, um von einem Mann getragen zu werden. Kugelsalven prallten als Querschläger von den Wänden, und Ortega zog einen Liktor von der Barrikade herunter, als dieser mit zur Hälfte weggeschossenem Kopf vornüberkippte. »Legen Sie mal einen Zahn zu, Collix!«, rief er. »Schon unterwegs, Hauptmann!« »Wie lange noch, bis wir uns von hier absetzen können?« »Ich bin nicht sicher, ob uns das gelingt, Hauptmann.«
»Wie meinen Sie das?« »Die Zünder für den Sprengstoff werden nicht hier aufbewahrt«, erklärte Collix. »Ich könnte mir vorstellen, um zu verhindern, dass ein Feind genau das tut, was wir gerade versuchen.« Ortega fluchte und legte die schwere Schnellfeuerkanone nieder. Er kletterte die Barrikade hinunter, wobei er darauf achtete, den Kopf unten zu halten, und ging zu Collix mit den beiden massigen Autokanonen. »Dann müssen wir einen anderen Weg finden, das Zeug hochgehen zu lassen«, fauchte Ortega. »Man könnte es von Hand machen«, schlug Collix vor. Ortega musterte Collix durchdringend, da ihm bewusst war, was der Sergeant damit andeuten wollte. »Wir wollen hoffen, dass es dazu nicht kommt, Sergeant.« »Ja.« Collix hielt die Bahre an, zog den Bremshebel, blockierte die Räder und fuhr die Seitenstützen aus. Der Rückschlag der Autokanonen war bestimmt gewaltig, und Ortega war nicht sicher, ob die improvisierte Geschützplattform dem gewachsen war. Hinter ihm ertönten Schreie und verzweifelte Rufe, und Ortega fluchte, als er grau uniformierte Männer mit seinen Liktoren kämpfen sah. Blut und Rauch erfüllten den Korridor, da jeder Mann und jede Frau mit verzweifelter Wildheit kämpfte. Die Liktoren gehörten zu den diszipliniertesten, hingebungsvollsten Truppen, auf die der Imperator zurückgreifen konnte, aber die Soldaten der PWM kämpften mit der Wildheit von Männern, die durch das Feuer der Schlacht gegangen waren. Ortega riss seinen Schockstab aus dem Gürtel, stürzte sich in das wogende Getümmel und knüppelte brutal auf seine Feinde ein. Collix schwang ein gewaltiges Energieschwert, das mühelos einen PWM-Soldaten zweiteilte. Sie konnten aus vielen exotischen Waffen wählen - darunter auch Energieschwerter und große Energieäxte -, aber Ortega verließ sich auf das solide Gefühl seines vertrauten Stabs und schlug einem Mann mit einem Rückhandhieb den Schädel ein. Bisher hatte er sieben Energieladungen für seinen Stab verbraucht, aber an diesem Ort gab es keine Munitionsknappheit. Und selbst bei den Gelegenheiten, als er gezwungen gewesen war, ihn ohne das Schockfeld zu benutzen, war ein halber Meter solider Stahl eine mächtige Waffe in den Händen eines Mannes, der damit umzugehen wusste. Ortega kämpfte Rücken an Rücken mit Collix und hieb eine
Schneise durch die PWM-Soldaten. Sie brachen Knochen und zerschmetterten Gesichter mit ihren Stäben und Fäusten. »Das Gericht des Imperators kommt über euch, ihr Sünder!«, schrie Collix, indem er einem Soldaten in den Schritt trat und ihn dann mit einem tödlichen Schwung seines Schwerts enthauptete. Ortega rammte einem anderen Soldaten seinen Stab in den Bauch und trieb dem Mann das Knie ins Gesicht, als der sich krümmte. Blut spritzte, und er schlug noch einmal zu in dem Wissen, dass sie die Angreifer noch ein wenig länger aufhalten mussten. Rings um ihn tat sich Freiraum auf, und er ließ seinen Schockstab fallen und hob die schwere Schnellfeuerkanone auf. Er suchte sich einen festen Stand und drückte ab. Sein ganzer Körper erbebte unter dem starken Rückschlag. Seine Rippen kreischten bei jedem Feuerstoß vor Schmerzen, und er war sicher, dass er sie sich wieder gebrochen hatte. Großkalibrige Kugeln schlugen in die Reihen der PWM-Soldaten, und ein Dutzend Männer fielen, da ihre dünnen Flakwesten nicht geeignet waren, einem derartigen Beschuss zu widerstehen. Ortega brüllte, ein unvollständiger Schrei zuvor unterdrückter Wut und Schmerzen. »Tod all denen, die das Gesetz des Imperators brechen!« Blut sammelte sich in seinen Mundwinkeln, und er spürte einen hohlen Schmerz in der Brust. Ja, jetzt war er sicher, dass er sich mindestens eine Rippe neu gebrochen hatte. Plötzlich war es vorbei. Die letzten Angreifer fielen oder gaben Fersengeld und flohen, von der Wildheit der Gegenwehr der Liktoren demoralisiert. Ortega kannte keine Gnade und schoss die flüchtenden Soldaten nieder. Ein Laserstrahl streifte Ortegas Brust und riss ihn herum. Der Boden kam ihm entgegen, und kalter Beton schlug ihm ins Gesicht. Er spürte Hände auf seinem Körper, die ihn zurückzerrten, konnte aber noch erkennen, dass seine Liktoren die Barrikade gehalten hatten. Weitere sechs seiner Männer waren gefallen, aber sie hatten standgehalten. Bis hierher. Uriel und Pasanius rannten bergauf, der Ansammlung mit Eisen verstärkter Gebäude auf dem Bergplateau entgegen. Die Hitze in den Bergen war heftig, und der grelle Glanz des weißen Gesteins in dieser Region blendete.
Hinter ihnen rückten die Ultramarines über die felsigen, mit Gestrüpp bewachsenen Hänge des Tembragrats zu der Tiefbohrmine vor, die Lortuen Perjed TG-701 genannt hatte. Das klang nicht nach einem Ort, der eines heroischen Todes würdig war, und Uriel hoffte, dass er das Richtige getan hatte, als er diese eine letzte Gelegenheit verlangt hatte, de Valtos aufzuhalten. Ario Barzano wartete sechs Kilometer westlich der Mine in einem der Thunderhawks der Ultramarines gespannt auf Uriels Signal, dass dies in der Tat der gesuchte Ort sei. Die sechs Trupps der Ultramarines absolvierten die Kletterpartie so mühelos wie einen Parademarsch. Die Trupps gaben sich beim Vorrücken gegenseitig Deckung, da man sie mit Sicherheit gesichtet hatte: das Blau ihrer Rüstung stand in zu krassem Gegensatz zu dem fast weißen Felsgestein, um unbemerkt zu bleiben. Sengende Flammenzungen entzündlicher Gase zuckten aus Abluftrohren, die über den Berghang verteilt waren, und leiteten die bei Bohrungen in solcher Tiefe entstehenden Dämpfe ab. Uriel fühlte sich an die ruhelosen Vulkane der Südmeere von Macragge erinnert. Trupp Dardino rückte auf der linken Flanke vor. Der Hang war dort steiler, aber die Krieger waren mit Sprungtornistern ausgerüstet, was das Erklimmen des mit Geröll bedeckten Hangs zu einem Kinderspiel nachte. Die Trupps Venasus, Pasanius, Elerna, Nivaneus und Daedalus marschierten in breiter, versetzter Front und gaben sich gegenseitig Deckung. Der Minenkomplex leuchtete in der Sonne, und seine silbernen Seiten reflektierten das Licht in grellen Strahlen. Es ließ sich unmöglich sagen, ob sich Feindtruppen darin befanden oder nicht. Hinter den ersten Gebäuden stiegen Abgase in den Himmel, aber ob diese von Panzerfahrzeugen stammten oder eine Folge des täglichen Betriebs eines Bergwerks waren, blieb unklar. Sie waren jetzt noch dreihundert Meter vom Plateau entfernt. Kasimir de Valtos folgte seinem Minenaufseher Jakob Lasko unter der flackernden Reihe der Lichtkugeln. Lasko wischte sich wiederholt die Stirn ab, aber de Valtos schien viel zu aufgeregt zu sein, um sich an der extremen Hitze so tief in der Erde zu stören. Ihnen folgte ein Kadertrupp schwer gerüsteter Eldar-Krieger, deren Züge hinter verzierten roten Helmen unsichtbar waren. Sie trugen einen großen, silbrigen Metallbehälter, dessen Deckel ver-
siegelt war. In ihrer Mitte befand sich der erhabene Anführer der Kabale der Zerbrochenen Klinge, Archon Kesharq. Wie bei seinen Kriegern war auch sein Gesicht hinter einem Helm mit Vollvisier verborgen, dessen jadegrüne Oberfläche glatt und konturlos war. Er trug eine große Streitaxt, und neben ihm tänzelte die wunderschöne, schwarzhaarige Hexe, die bis jetzt Kasimir de Valtos' untrennbarer Schatten gewesen war. An Kesharqs Fersen hechelten die Exkrente hinter ihrem Herrn und Meister mit der jeweiligen Fortbewegungsart her, die der Chirurg ihnen zugedacht hatte. Sie zischten und geiferten, da sie sich in dieser heißen, finsteren Umgebung unwohl fühlten. Vielleicht vermittelte ihnen ein latentes, instinktives Überbleibsel ihres ehemaligen Lebens eine Ahnung von dem Bösen, das diesem Ort innewohnte. Hinter den Eldar-Kriegern bildete eine ganze Kompanie PWMSoldaten die Nachhut. Zwischen ihnen marschierte Vendare Taloun, der mutlos die Schultern hängen ließ und sich die Schweißperlen mit dem Saum seiner Robe abwischte. Die Luft war staubig und mit Dämpfen durchsetzt, und an den Felswänden hingen in regelmäßigen Abständen Atemmasken an verrosteten Haken neben Schildern, die vor giftigen Gasen und Explosionsgefahr warnten. Die Prozession drang tiefer in das Bergwerk vor, und ihre Umgebung veränderte sich vom kahlen Felsen Pavonis' zu glatten, gemauerten Gängen, deren schräge Wände sich nach oben verjüngten und sich vielleicht vier Meter über ihren Köpfen trafen. Kasimir de Valtos blieb in der quadratischen Kammer stehen, in der sich das riesige Tor befand, das ihnen so lange den Zutritt zu diesem Ort versperrt hatte. Erregung pochte in seinen Adern, und er nickte den vier unbelebten Wächtern des Raums in ihren schattigen Nischen respektvoll zu. Ihre Augen funkelten, aber falls sie Vorbehalte gegen die Eindringlinge hatten, ließen sie sich davon nichts anmerken. Dicke verrostete Metallschuppen markierten die Stelle, wo sich die Tür befunden hatte, und de Valtos konnte die ungeheure Ausstrahlung von der anderen Seite spüren. Seine Glieder fingen an zu zittern, und er hatte Mühe, sein Gefühl der unmittelbar bevorstehenden Erfüllung seiner Bestimmung zu beherrschen. An diesem Ort lag ein schlafender Gott, und er konnte das Flüstern vergangener Zeitalter im muffigen Wind fühlen, der seufzend aus
dem Grab wehte. Archon Kesharq schritt zu de Valtos. »Warum warten wir, Mensch? Die Beute ist dort drin, oder nicht?«, knurrte er. Die Stimme des Nichtmenschen blubberte, und sein gelispeltes Hochgotisch war wegen des Schadens, den Uriels Boltpatrone angerichtet hatte, kaum zu verstehen. »Das ist sie in der Tat, Archon Kesharq.« »Warum warten wir dann?« »Spüren Sie es denn nicht?«, sagte de Valtos. »Dieses Gefühl, kurz vor etwas ganz Großem zu stehen? Das Gefühl, dass nichts mehr so sein wird, wie es war, sobald wir diesen Ort betreten?« »Ich weiß nur, dass wir Zeit verschwenden. Die Astartes haben den Menschen befreit, den sie Barzano nennen, und wir sollten hier nicht mehr Zeit verbringen, als wir müssen. Wenn die Beute darin ist, sollten wir sie nehmen und verschwinden.« »Sie haben keine Seele, Kesharq«, flüsterte de Valtos. Er ging an dem Eldar vorbei und betrat die Ruhestätte einer Kreatur, die älter war als die Zeit. Die erste Rakete raste den Ultramarines entgegen und explodierte zwischen den Kriegern des Trupps Nivaneus. Weißglühende Splitter flogen in alle Richtungen. Zwei Krieger fielen, rappelten sich Sekunden später aber wieder auf. Das Echo der Explosion war kaum verhallt, als ihnen Geschützfeuer aus dem Bergwerkskomplex entgegenschlug. Uriel rannte in die Deckung eines breiten Abluftrohrs und versuchte die Anzahl der Gegner zu schätzen, mit denen sie es zu tun hatten. Den Mündungsblitzen nach zu urteilen, die er von seinem Platz aus sehen konnte, waren ungefähr zweihundert Schusswaffen auf sie gerichtet. Der Feind war gut postiert und deckte jeden Zugang zum Minenkomplex ab. Uriel lächelte grimmig, in seiner Entscheidung bestätigt, diese Mine anzugreifen. Doch nun wurden er und seine Männer mit der Aussicht konfrontiert, einen gut verschanzten und zahlenmäßig weit überlegenen Feind bergauf und über relativ offenes Gelände hinweg anzugreifen. Es war der Stoff, aus dem die Legenden des Ordens gestrickt waren, wunderbar anzuhören, aber etwas ganz anderes, wenn man selbst in der entsprechenden Situation war. Seine Männer waren in Deckung gegangen und erwiderten das Feuer. Der Codex Astartes schrieb eine präzise Taktik für den
Umgang mit derartigen Situationen vor, aber er verfügte weder über die Anzahl und die Ausrüstung noch die Zeit, um diese strikte Doktrin zu befolgen. Ein Dampfstrahl schoss durch das Gitter des Abluftschachts neben Uriel und hüllte ihn in beißende Dämpfe und heiße Asche. Er hustete, spie einen Mund voll der widerlichen Bergwerksausscheidungen aus und wischte sich das Gesicht ab, während die Neuroglottis in seiner Kehle bereits ihren chemischen Gehalt analysierte. Eine brennbare Mischung verschiedener Schwefelgase, für einen normalen Menschen tödlich, aber für einen Space Marine nur lästig. Er kroch auf das Gitter des Abluftschachts und umklammerte das heiße, mit Asche verkrustete Metall. Teile gaben unter seinem Griff nach, und er riss es ab, warf es weg und starrte hinein. Ein heißer, modriger Gestank wehte heraus. Uriels verbesserte Sicht reichte nicht weiter als hundert Meter tief in die wogende Finsternis darin, aber er konnte erkennen, dass der Schacht in flachem Winkel abwärts führte. Er öffnete einen Kanal im Kommnetz und rief Sergeant Dardino, da langsam ein Plan in seinem Verstand Gestalt annahm. »Verdammt!«, fluchte Major Helios Bextor vom 33. PWMRegiment Tarmegan, als er die blau gerüsteten Krieger der Ultramarines zwischen den Felsen unterhalb seiner Stellung in Deckung gehen sah. Er hatte den Schießbefehl zu früh erteilt und verfluchte seine Ungeduld. Doch wer konnte sie ihm verdenken? Die Aussicht, den mächtigen Space Marines entgegenzutreten, konnte selbst die mutigsten Männer verängstigen, und Major Bextor war nicht so dumm, sich zu denen zu zählen. Er wusste zwar, dass er kein besonders tapferer Mann war, aber dafür war er ein einigermaßen fähiger militärischer Kopf und ziemlich sicher, ihre Stellung so unangreifbar gemacht zu haben, wie das überhaupt möglich war. Zwei volle Kompanien verteidigten den Eingang zum Bergwerkskomplex, zu denen noch ein Mörser-Zug mit Brandgranaten kam. Er fragte sich kurz, was an dieser Mine so wichtig war, dass sie verteidigt werden musste, seit Jahrhunderten hatte es keinen offenen Handelskrieg mehr gegeben, aber er schob diese Überlegungen rasch beiseite. Gildenmeister de Valtos hatte ihm die Sicherheit dieses Bergwerks anvertraut, und das reichte ihm.
Major Bextor beobachtete die Felsen noch ein paar Minuten länger, sah aber keine Bewegung mehr auf den Hängen. Er schaltete sich in den Kommnetz-Kanal des Mörser-Zugs und sagte: »Achtung, Mörser-Zug, Feuer eröffnen. Ziele auf zweihundert und mehr Metern Entfernung. Feuer frei!« Sekunden später hörte Uriel das dumpfe Husten von Mörserfeuer und sah die Granaten hoch in die Luft fliegen. In der Zeit, die sie brauchten, um den Zenit ihres Aufstiegs zu erreichen, erkannte er, dass sie zu kurz landen würden. »Volle Deckung!«, brüllte er. Der ganze Berg schien unter den Erschütterungen der Explosionen zu beben. Eine zweite Salve wurde abgefeuert, bevor die Echos der ersten verhallt waren. Jaulende Splitter und Ranken aus phosphoreszierendem Licht schossen aus jeder Granate, wenn sie mit markerschütternder Wucht landeten und Hagelstürme aus Fels- und Granatsplittern entfesselten. Die Granaten landeten in einer Kette donnernder Explosionen, und die Einschlagstellen näherten sich in disziplinierten Gruppen den Stellungen der Ultramarines. Uriel hielt den Kopf unten, da der Boden bei jeder Salve erzitterte. Sie hatten keine andere Wahl, als auf Dardinos Signal zu warten und das Gewitter über sich ergehen zu lassen, das der feindliche Kommandant ihnen bereitete. Bei konzentriertem Mörserbeschuss vor die Mündungen feindlicher Geschütze zu stürmen, war reiner Selbstmord, und Uriel hatte nicht den Wunsch, sich und seine Einheit auf solche Art enden zu sehen. Jeder Einschlag hinterließ einen Krater in der Erdkrume des Bergs und eine Flammenwand, von der dichter Rauch aufstieg. Uriel roch den Gestank von Promethium und runzelte verwirrt die Stirn. Brandgranaten? War der feindliche Kommandant verrückt? Unter leicht gerüsteten Truppen würden Brandgranaten Panik und Verwüstung anrichten, aber gegen Krieger in Servorüstungen waren sie praktisch nutzlos. Dann ging ihm auf, dass der feindliche Kommandant zur PWM gehörte und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch nie zuvor gegen Space Marines gekämpft hatte. Dichte Wolken aus schwarzem Rauch erhoben sich von flammenden Brennstoffbächen und breiteten sich langsam mit der Gebirgsbrise aus, sodass die Kämpfenden einander nicht mehr
sehen konnten. Die Ultramarines hatten soeben die Deckung geschenkt bekommen, die sie so dringend benötigten. Sergeant Dardino hieb mit der Faust durch den Stahl des Abluftrohrs und schälte ihn mit kräftigen Armschwüngen ab. Tageslicht flutete den geriffelten Metallschacht, und er lehnte sich hinaus und richtete seine Boltpistole nach oben, falls jemand ein wachsames Auge auf diesen Teil des Bergwerksschachts hatte. Vor sich sah er eine Masse von Kabeln in die Finsternis herabreichen, und breite Adamantiumträger überbrückten den riesigen Schacht, hielten Hebegerät und stützten Dutzende dick verkleideter Abluftrohre wie dieses, aus dem er sich jetzt langsam zwängte. Er sprang auf den gewaltigen Adamantiumträger, an dem das Abluftrohr befestigt war, und bedeutete dem Rest seines Trupps, ihm zu folgen. Einer nach dem anderen kletterten die Männer auf den Träger. Ihre Rüstung war von den Ausdünstungen der Mine versengt und geschwärzt. Die Statusrunen auf Dardinos Helmvisier verrieten ihm, dass seine Atemmaske ziemlich verstopft war. Sie befanden sich tief in dem zylindrischen Minenschacht, und der Himmel war eine helle Scheibe gut fünfhundert Meter über ihnen. Zu weit für Sprungtornister. Er tastete sich den Träger entlang und versuchte nicht in die undurchdringliche Finsternis des Schachts zu blicken, da er wusste, dass der Abgrund über neun Kilometer tief war. Er halfterte seine Pistole und wandte sich an die neun Männer seines Trupps. »Es gibt nur einen Weg nach oben. Folgt mir!«, befahl er und sprang dann mitten in den Schacht, wo er sich an den Kabeln festhielt, die vom Kraterrand einen halben Kilometer über ihnen in die Tiefe baumelten. Hand über Hand kletterten Sergeant Dardino und seine Männer zur Oberfläche zurück. Uriel erhob sich aus der Deckung und rief: »Männer des Imperators, vorwärts!« Er rannte bergauf, und die verstärkten Muskeln seiner Servorüstung trugen ihn erschreckend schnell vorwärts. Mit trotzigem Gebrüll folgten die Ultramarines ihrem Hauptmann in den Rauch der Brandgranaten und übersprangen dabei brennende Lachen ultrahoch erhitzten Brennstoffs. Mörsergranaten fielen auch weiterhin, die meisten von ihnen nun allerdings hinter ihnen, da die
Batterien nicht in der Lage waren, ihre Zielvorgabe zu korrigieren. Uriel konnte das Zischen von Laserfeuer und das Krachen schwererer Waffen hören, aber es war unkoordiniert und sporadisch. Ein Schuss streifte seinen Schulterschützer, aber die meisten waren zu hoch gezielt, ein weiterer Beweis dafür, dass sie es keineswegs mit Elitetruppen zu tun hatten. Die meisten Soldaten neigten dazu, zu hoch zu zielen, wenn sie bergab feuerten. Uriel brach aus den Rauchwolken und blinzelte in der jähen Helligkeit. Abwehrfeuer brandete ihnen entgegen und zupfte an ihren Rüstungen, und eine Hand voll Krieger fielen, aber alle rappelten sich wieder auf und stürmten weiter. Eine Rakete zischte heran, traf Sergeant Nivaneus, einen Veteran des Thracischen Feldzugs, und löste seinen Oberkörper in eine rote Wolke auf. Eine Gruppe Space Marines aus Sergeant Elernas Trupp wurde von einer Autokanone unter Beschuss genommen. Vier gingen zu Boden. Nur zwei standen wieder auf. Einer der Überlebenden hatte den rechten Arm verloren, hob aber mit seiner verbliebenen Hand seine Pistole auf und schoss auf den Feind, während er weiter aufwärts stürmte. »Verteilt euch, bleibt nicht so dicht beisammen!«, brüllte Uriel, als die Autokanone das Feuer wieder aufnahm. Major Bextor reckte eine Faust in die Luft, als die Autokanone eine Schneise in die Reihen der Ultramarines mähte. Er feuerte über die Brüstung auf die anstürmenden Krieger. Dies war seine erste Schlacht, und er fand langsam Gefallen daran. Sie hielten den Space Marines stand, obwohl ihm der analytische Teil seines Verstandes verriet, dass weniger Ultramarines seine Stellung angriffen, als den Angriff begonnen hatten. Er führte das auf seine anfängliche Ehrfurcht vor der Größe und offensichtlichen Stärke der Space Marines zurück, aber jetzt hatte er Maß genommen, daher kamen sie ihm nicht mehr annähernd so Furcht erregend vor. Er würde ein Held sein! Der Mann, der die Ultramarines besiegt hatte. Die Männer würden sich in der Regimentsmesse im Lauf der nächsten Jahrzehnte Geschichten über diese Schlacht erzählen. Bextor griff nach einer weiteren Energiezelle und grinste den Soldat neben sich an. »Den Arschlöchern zeigen wir's aber, was, Junge?«, scherzte er. Der Kopf des Mannes explodierte, und Bextor wurde mit Blut
und Hirnmasse bespritzt. Er zuckte zurück, vom entsetzlichen Tod des Soldaten unsagbar angewidert. Er verlor das Gleichgewicht und fiel vom Laufgang schmerzhaft auf den gestampften Boden. Er wandte sich in die Richtung, aus der der Schuss gekommen war, und sah ungeschlachte Gestalten aus dem Minenschacht klettern und mit dem systematischen Abschlachten seiner Männer beginnen. Schwarze Giganten mit abscheulich grinsenden Masken der Wut fielen wie ein Gewitter über seine Linie her, hackten Männer mit kraftvollen Schwüngen ihrer kreischenden Schwerter entzwei oder jagten ihnen Explosivgeschosse aus tosenden Pistolen in den Leib. Er wälzte sich auf die Seite und spürte Blut aus einer Schramme in der Stirn rinnen, während er voller Entsetzen über diese finsteren Albträume zu weinen anfing, die aus den Eingeweiden dieses Planeten aufgetaucht waren. Knatterndes Schnellfeuer riss seine Männer in Stücke, und Schwerter, die ganz sicher im Herzen des Chaos geschmiedet worden waren, hackten und wirbelten, trennten Gliedmaßen ab und beendeten Leben. Überall schrien seine Männer und starben. Er rappelte sich schwächlich auf und bückte sich nach seiner Laserpistole. Der Tod umgab ihn, aber er schwor, einen dieser Teufel schreiend mit sich in die Hölle zu nehmen. Er hörte ein donnernden Krachen hinter sich und fuhr herum. Eine schwarze Gestalt mit grinsender Schädelmaske tauchte aus dem Rauch auf und hob eine goldene Waffe. Bextor spürte, wie ihm vor Entsetzen die Knie einknickten, und starrte wie gebannt auf den geflügelten Adler auf dem goldenen Stab, den die schwarz gerüstete Gestalt hielt. Seine roten Augen schienen in der Farbe von Blut zu leuchten, als ihn seine in Energie gehüllte Schneide entzweihieb. Virgil Ortega kämpfte gegen die Schmerzen in seinem Brustkorb an, während er durch die Tür auf die PWM-Soldaten schoss. Der Korridor vor dem Arsenal war voll von Leichen und Rauch, und beide Seiten feuerten blindlings in den stinkenden blauen Korditnebel in der Hoffnung, etwas zu treffen. Die beiden gekoppelten Autokanonen hatten sich nicht als so nützlich erwiesen, wie sie gehofft hatten, da der heftige Rückschlag die Geschütze aus ihrer Verankerung gerissen und der größte Teil der Barrikade sich in einem Hagel von Explosivgeschossen aufgelöst hatte. Immerhin hatte ihnen das eine kurze
Atempause verschafft, da die PWM-Soldaten zunächst nicht bereit gewesen waren, sich gegen so eine Waffe zu stemmen. Es hatte mehrere Minuten gedauert, bis ihnen aufgegangen war, dass die Autokanonen keine Gefahr mehr waren. In der Zwischenzeit hatten Collix und Ortega die letzten beiden überlebenden Liktoren zurück ins Arsenal gezogen. Nun, da die Barrikade so gut wie zerstört war, gab es keine realistische Möglichkeit mehr, den Korridor zu halten. Ortega warf zwei Granaten durch die Tür und sprang zurück, während draußen die Doppelexplosion und Granatsplitter durch den Korridor fegten und Geschrei ertönte. Collix war plötzlich neben ihm und reichte ihm einen Segeltuchtornister, der mit Schrotpatronen und Boltmunitionsgurten für seine Pistole gefüllt war. »Wenigstens wird die Munition nicht knapp«, grunzte Ortega. Collix nickte. »Genauso wenig wie die Verräterhunde, auf die wir sie abschießen können.« Ortega grinste und erhob sich mühsam, als er gedämpfte Rufe vor den Türen des Arsenals hörte. »Dem Gericht des Imperators kann man nicht entkommen, nicht einmal im Tod«, schrie er den Angreifern zu und zuckte zusammen, als die Schmerzen in seinen gebrochenen Rippen aufflackerten. Sie eilten zurück zu einer hastig errichteten Barrikade aus leeren Munitionskisten und umgestürzten Regalen, hinter der sie in Stellung gingen, um dort auf den unvermeidlichen nächsten Angriff zu warten. Eine Vielzahl von Waffen lag hinter der Barrikade zusammen mit einer Kiste Munition für jede Waffe bereit. Lasergewehre, Boltpistolen, Autokanonen, zwei Raketenwerfer, ein Granatwerfer, eine Laserkanone und sechs Boltgewehre. Es war eine beeindruckende Sammlung von Waffen, aber da nur noch vier von ihnen am Leben waren, würde aus den meisten Waffen gar nicht geschossen werden. Dreißig Meter hinter ihnen bereiteten ihre überlebenden Mitkämpfer hektisch die Sprengung des Arsenals vor. Ohne Zünder war ein Großteil des hier gelagerten Sprengstoffs nicht zu gebrauchen, aber die Zeit, die sie mit dem Leben vieler Arbites erkauft hatten, war nicht vergeudet worden. An Schlüsselstellen im gesamten Arsenal hatten sie geöffnete Kisten mit Munition und Geschützen zu großen Haufen jeweils um eine Vielzahl von Granaten gestapelt, die abgezogen waren und
deren Zündmechanismus mit der Batterie des Kommgeräts gekoppelt war. In wenigen Minuten würden sie über eine primitive, aber wirksame Methode verfügen, die Kettenreaktion in Gang zu setzen, die jedes Stück Munition im Arsenal hochgehen lassen würde. Das Gemach des Gottes war viel kleiner, als Kasimir de Valtos sich vorgestellt hatte, aber es strahlte eine gewaltige Macht aus. Die Wände neigten sich nach innen und vereinigten sich in einer goldenen Spitze über dem genauen Mittelpunkt der Kammer, wo ein Quader aus glattem schwarzen Obsidian ruhte, der prächtig war in seiner Abgeschiedenheit. Die Basis jeder Wand wurde von rechteckigen Nischen gesäumt. Jede Nische enthielt eine Skelettfigur, wie seine Arbeiter sie vor Monaten aus der Außenkammer des Grabkomplexes geholt hatten. Sogar die Eldar und Vendare Taloun sahen aus, als seien sie von der Kammer beeindruckt, und starrten staunend auf dieses fremdartige Gebilde, das sechzig Millionen Jahre lang unter der Oberfläche von Pavonis begraben gewesen war. »Es ist großartig«, hauchte de Valtos, während er vor einer der Nischen stehen blieb. Der Skelettkrieger darin war ebenso leblos wie diejenigen in seinem Haus, ihr ursprünglicher Glanz unter Grünspanflecken verborgen. Anders als diejenigen in seinem Besitz trugen diese hier bizarr aussehende Gewehre, deren Läufe mit Staub überzogen waren. Es war absolut faszinierend, und er freute sich darauf, mehr über diese seltsamen Wesen zu erfahren, wenn er erst einmal die Fesseln seiner Sterblichkeit abgestreift hatte. So fasziniert er von den Kriegerreihen auch war, er konnte sich der diabolischen Anziehungskraft des Mittelsarkophags nicht entziehen und marschierte mit hallenden Schritten darauf zu. Er war gewaltig, volle fünf Meter in der Länge, und als er näher kam, sah er, dass die Oberfläche gar nicht glatt war, sondern mit Runen beschriftet und mit präzis geformten Einkerbungen übersät. Sein Herz hämmerte, als er darin dieselben erkannte wie diejenigen, welche er unter den Ruinen von Cthelmax gelesen hatte. Dieselben Runen, nach denen er seit diesem Tag den ganzen Sektor durchforstet hatte. In den Boden gemeißelte Rinnen gingen sternförmig von dem Sarkophag aus und wanden sich in präzisen geometrischen Mustern zu den Wandnischen.
Kesharq stand neben ihm und schob sein Helmvisier hoch. Trotz der Unbeweglichkeit seines Gesichts und der grob genähten Kugelwunde in der Wange konnte de Valtos den Hunger in den Augen des Eldar erkennen. »Sie spüren es auch, nicht wahr?«, flüsterte er. Mit einem Schnauben verbarg Kesharq rasch seine Gefühle und schüttelte den Kopf. »Ich will nur das Gerät sichern und wieder verschwinden.« »Sie lügen«, kicherte de Valtos. »Ich kann es in Ihren Augen sehen. Sie wollen es ebenso wie ich.« »Spielt das eine Rolle? Erledigen wir die Sache endlich.« De Valtos schwenkte den Finger unter der Nase des EldarKriegers hin und her und deutete dann in die Richtung des silbrigen Behälters, der von Kesharqs Kriegern getragen wurde. »Also gut. Geben Sie mir die Teile, die Sie an sich gebracht haben, dann werde ich den Schlüssel zu der Waffe fertig stellen.« Kesharq hielt de Valtos' Blick stand, bevor er kurz nickte. Die Eldar mit dem silbernen Kasten traten vor und stellten ihn vor ihrem Anführer ab. Kesharq öffnete den Kasten, ohne den Blick von de Valtos abzuwenden. »Woher weiß ich, dass ich Ihnen trauen kann?« »Sie können mir so weit trauen, wie ich Ihnen traue, mein lieber Kesharq.« Der Eldar musste sich sichtlich anstrengen, die Hand von seiner Pistole fern zu halten, aber de Valtos wusste, dass er es nicht wagen würde, ihn zu erschießen, bis er den Nachtbringer aus dem Schattenreich geholt hatte, das dieser jetzt bewohnte. Durch uralte Wissenschaft mit Pavonis verankert, war er seit dem Tag seines Verschwindens ein Geisterschiff in diesem Sektor gewesen. De Valtos wusste, dass der heutige Tag seine Wiedergeburt erleben würde, und die Galaxis würde sein zweites Kommen betrauern. Collix starb. Granatsplitter hatten ihm die Bauchdecke aufgerissen, und seine Eingeweide quollen aus seiner Rüstung auf den Boden des Arsenals. Der Sergeant stemmte sich gegen die Barrikade und schoss mit einem Boltgewehr, obwohl ihm der Rückschlag bei jedem Schuss einen Schmerzlaut entrang. Ortegas linker Arm hing nutzlos herab, da ihn ein Laserstrahl knapp unter dem Ellbogen so gut wie abgetrennt hatte. Er schoss und lud sei-
ne Schrotflinte einhändig und brüllte den Rebellen dabei die Litanei des Gerichts entgegen, da sie unermüdlich gegen ihre hartnäckige Gegenwehr anrannten. Die Sprengladungen waren fertig, jetzt brauchten sie sie nur noch zur Explosion zu bringen. Sie hatten keine Wahl mehr. Virgil hatte gehofft, das Arsenal so lange verteidigen zu können, bis loyalistische Truppen zu ihrer Unterstützung anrückten, aber das war nun nicht mehr wahrscheinlich. Nur er und Collix waren noch übrig. Die anderen Liktoren waren tot, beim letzten Angriff gefallen, und jetzt lag es an ihnen. Ortega hatte sich immer gefragt, wie der Tod ihn ereilen würde, und nun, da er kam, fand er, dass man ihn nicht zu fürchten brauchte, sondern willkommen heißen konnte. Er würde den rechtschaffenen Zorn des Imperators über jene bringen, die glaubten, Seine Gesetze brechen zu können. Er hörte, wie Rebellenoffiziere ihre Männer für den nächsten Angriff sammelten. Collix zerrte unter Schmerzen einen frischen Gurt Boltpatronen aus der Munitionskiste, um ihn in das rauchende Magazin der Waffe einzurasten. Sein Gesicht war wächsern und schmerzverzerrt. Die Patronen entglitten seinen blutigen Händen immer wieder, und Ortega half seinem Sergeanten. »Danke, Hauptmann.« Collix schloss das Magazin. »Bei mir wollten sie nicht so richtig.« »Sie haben sich sehr gut geschlagen, Sergeant.« Collix hörte die Endgültigkeit in Ortegas Worten und warf einen Blick auf den Batteriezünder, den sie gebastelt hatten. »Dann ist es so weit?« »Ja, ich glaube schon.« Der Sergeant nickte, indem er das Gewehr durchlud und sich so hoch aufrichtete, wie es seine Wunde zuließ. Er salutierte schwach und sagte: »Es war eine Ehre, unter Ihnen zu dienen, Hauptmann Ortega.« Virgil erwiderte den Gruß, nahm Collix' ausgestreckte Hand und drückte sie fest. Er nickte zur Barrikade und lächelte dünn. »Aus Ihnen wäre ein hervorragender Offizier geworden, Liktor Collix.« »Ich weiß«, erwiderte Collix, »Liktor Hauptmann binnen vier Jahren, würde ich sagen. Das hatte ich sowieso vor.« »Binnen vier Jahren? Eher sechs. Ich glaube, Sharben hätte Ihnen auf der Karriereleiter einen harten Kampf geliefert.« Collix nickte. »Vielleicht, aber bedenken Sie, welche Auswirkun-
gen mein tapferes Verhalten hier auf meine Beförderungsaussichten haben wird.« »Gutes Argument«, räumte Ortega ein. »Erinnern Sie mich daran, es vor dem Chef zu erwähnen, wenn wir hier raus sind.« »Ich werde Sie beim Wort nehmen, Hauptmann.« Beide Männer wurden ernst, und Ortega sagte: »Verschaffen Sie mir nur genug Zeit, den Laden in die Luft zu jagen.« Collix nickte, presste den Gewehrschaft fest gegen die Schulter und zielte auf die breiten Türen des Arsenals. Virgil stolperte zum Kommgerät. Das Krachen von Boltgewehren und Zischen von Laserstrahlen kündete den nächsten Angriff an, aber er wagte nicht, sich umzudrehen. Laserstrahlen zuckten rechts und links an ihm vorbei, und einer streifte seinen Oberschenkel. Er schrie vor Schmerzen, als er von einem Strahl hoch in den Rücken getroffen wurde und auf den Boden fiel. Sein verwundeter Arm schlug schwer auf, und er wälzte sich herum und kämpfte darum, trotz der unerträglichen Schmerzen bei Bewusstsein zu bleiben. Er hörte Collix über das Geknatter der Waffen vor Wut brüllen und flehte den Sergeant im Stillen an, ihm noch etwas mehr Zeit zu verschaffen. Ortega kroch zum Kommgerät und verschmierte dabei das Blut über den Boden, das aus seinem zerrissenen Leib floss. Eine gewaltige Explosion überschüttete ihn mit Holzsplittern und Felsbrocken. Der PWM war es doch noch gelungen, schwerere Waffen zum Einsatz zu bringen, und von der Barrikade war jetzt nur noch ein qualmender Haufen verbogenes Metall und verstümmelte Leichen übrig. Soldaten rannten ob der Vernichtung ihres Feindes wie aufgezogen ins Arsenal. Ortega knurrte tief unten in der Kehle und schleppte sich weiter. Noch ein Laserstrahl traf ihn in den Rücken. Er schlang die Arme um das Kommgerät, als eine ganze Salve von Laserstrahlen seine Rüstung durchbohrte und ihn förmlich auseinander schnitt. Bevor ihn der Tod ereilte, gelang Virgil Ortega als allerletzte Handlung noch ein Druck auf die Aktivierungsrune des Kommgeräts, was einen Stromstoß durch den isolierten Draht zu den Zündern für sechzig Granaten sandte. Virgil Ortega war tot, noch bevor die Druckwelle der ersten Explosion im Arsenal seinen Leichnam erreichte, aber das Ergebnis war spektakulärer, als er jemals hatte hoffen können. Sekunden
nach der Aktivierung des Kommgeräts brachten die von ihm und seinen Leuten vorbereiteten Granaten den riesigen Vorrat an Waffen und Munition zur Explosion, der unter dem Palast lagerte. Noch bevor die ersten Detonationen verhallt waren, hatte eine tödliche Kettenreaktion begonnen. Hitze- und Vibrationssensoren registrierten die Explosionen und initiierten Eindämmungsmaßnahmen, aber die Eskalation der Vernichtung ging so rasch vonstatten, dass sie nicht einmal ansatzweise die gewaltigen Kräfte bezähmen konnten, die Virgil entfesselt hatte. Zuerst glaubten die Bewohner Brandontors, sie würden wieder von der Vae Victus bombardiert, und warteten voller Furcht darauf, dass die nächste Salve Magmabomben herabregnete. Die gewaltige Druckwelle breitete sich mit der Kraft eines Erdbebens durch den Boden aus und ließ die ganze Stadt unter der Wucht der unterirdischen Explosion erbeben. Flammengeysire zischten aus Rissen in den Straßen in den Himmel, und ganze Stadtteile verschwanden, da Häuser, Menschen und Panzer in Sekundenschnelle eingeäschert wurden. Granaten flogen wie tödliches Feuerwerk in den Himmel und landeten irgendwo in der Stadt, was zusätzlich zur allgemeinen Panik und Zerstörung beitrug. Mehrere Kommandanten von Kartellstreitkräften wähnten sich unter Beschuss, entweder seitens frisch eingetroffener loyalistischer Truppen oder verräterischer Kartell-Konkurrenten, und es kam zu heftigen Panzergefechten, als sich Jahrzehnte des Misstrauens und der politischen Grabenkämpfe auf den Straßen Brandontors entluden. Panzer des Vergen-Kartells kämpften gegen jene von Abrogas, die gegen de Valtos kämpften, die Honan bekämpften, die jeden beschossen, der in Reichweite kam. In der Verwirrung brauchten die Kommandanten über eine Stunde, um die Ordnung wiederherzustellen, und da waren bereits über fünfzig Panzer zerstört oder kampfunfähig. Das instabile Fundament des Reviers der Arbites rumpelte ohrenbetäubend, und riesige Brocken gelockerten Felsbetons fielen von der Fassade herab, als sich ein Spalt in der Esplanade auftat und ganze Abschnitte verschlungen wurden. PWM-Panzer versuchten mit heulenden Motoren, der Vernichtung zu entrinnen, waren aber zu langsam, um dem wegkippenden Boden und dem einstürzenden Gebäude noch entrinnen zu können. Die Statuen auf dem Befreiungsplatz schwankten auf ihren So-
ckeln, und alle bis auf das Standbild des Imperators in der Mitte krachten auf den Platz. Der Imperiale Palast erbebte in seinen Grundfesten, als Kräfte auf ihn einwirkten, die auszuhalten er nicht geschaffen war, und von seinem ohnehin schon geschwächten Fundament löste sich noch mehr auf. Ganze Flügel fielen in wallenden Staubwolken in sich zusammen und begruben Kompanien von PWM-Soldaten unter Tonnen zerschmetterten Marmors. Ein riesiger Krater gähnte zwischen dem Revier der Arbites und dem Palast, und ein Abschnitt des Verteidigungswalls sackte nach unten in die Flammenhölle des zerstörten Arsenals. Gewaltige Flammen leckten inmitten einer gigantischen Rauchsäule in den Himmel. Binnen Sekunden sah Brandontor aus, als sei es wochenlang belagert worden. Mit einem Schlag hatte Virgil Ortegas Opfer den Rebellen das größte Vorratslager von Waffen und militärischem Nachschub entzogen. Uriel starrte in die Dunkelheit des Minenschachts, eine hundert Meter durchmessende Wunde im Antlitz des Planeten, während sich die beiden Thunderhawks näherten. Die Umgebung des Schachts wurde von gewaltigen Kränen und an Auslegern hängenden Förderkorbeinrichtungen in Beschlag genommen, um Arbeiter und Ausrüstung zu transportieren. Riesige, an dicken Stahlkabeln hängende Aufzugskörbe mit einem Fassungsvermögen von hundert Männern senkten sich zwischen gewaltigen Führungsschienen in die Tiefe. Ein Windenrad und ein Kontrollraum hingen an einem zentralen Trägerpaar über der Grube, in die dicke Kabelbündel fielen. Als Dardinos Infiltratoren über die Verteidiger herfielen, war das Schicksal der Soldaten besiegelt. Zwischen Hammer und Amboss des Angriffs der Ultramarines gefangen, hatten sie keine Aussicht mehr auf den Sieg gehabt. Er erinnerte sich an sein Gefühl des Stolzes, als seine Männer ihm über die Barrikaden gefolgt waren, um den Feind mit gerechtem Zorn und heiliger Entschlossenheit niederzumachen. Sie waren ihm bedingungslos in die Schlacht gefolgt, und der Eifer, den sie dabei an den Tag gelegt hatten, konnte sich mit allem messen, was er in dieser Beziehung je erlebt hatte. Uriel empfand Demut angesichts der Ehre, die diese Männer der Kompanie am heutigen Tag bereitet hatten.
Der vorderste Thunderhawk setzte in einer heulenden Wolke aus Staub und Abgasen auf, und seine vordere Rampe fiel zu Boden, kaum dass die Triebwerke heruntergefahren wurden. Ario Barzano und einige Leibeigene aus der Vae Victus stiegen aus und gingen zu Uriel. Das strahlende Gesicht des Inquisitors spiegelte dessen Vorfreude wider. Er hatte eine Plasmapistole und ein Energiemesser aus der Rüstkammer des Schlachtkreuzers requiriert. »Gut gemacht, Uriel, gut gemacht!«, strahlte er mit einem Blick auf den Minenschacht und die Förderkörbe. »Vielen Dank, Inquisitor, aber wir sind noch nicht fertig.« »Nein, natürlich nicht, Uriel. Aber bald, was?« Uriel nickte angesichts der Zuversicht des Inquisitors. Er rief seinen Kriegern zu: »Holt die Gerätschaften zum Abseilen aus den Thunderhawks. Beeilt euch!« »Gerätschaften zum Abseilen?«, wiederholte Barzano. »Das kann nicht Ihr Ernst sein, Uriel, der Schacht ist fast zehn Kilometer tief. Er ist viel zu tief für Seile.« Er zeigte auf den klobigen Korb des Arbeiterfahrstuhls. »Was ist damit? Den können wir doch sicher benutzen?« Uriel schüttelte den Kopf. »Nein. Die Rebellen haben mit Sicherheit Männer am Ende des Schachts postiert. Jeder, der darin herunterfährt, wird entweder auf halbem Weg stranden oder bei der Ankunft niedergeschossen.« »Wie wollen Sie dann nach unten kommen?« Uriel drehte den Inquisitor um und führte ihn zum Thunderhawk zurück, wo die Ultramarines die Kletterseile von geschwärzten Metallzylindern entfernten. »Wir werden die hier benutzen«, sagte Uriel, indem er eines der schwarzen Geräte nahm. Es ähnelte einem schlichten Zylinder aus Metall mit einem strukturierten Handgriff an der Außenseite und einer breiten, gezähnten, vertikalen Kerbe. Die Vorrichtung passte genau in Uriels Handfläche, und als er die Faust ballte, schnappten die Zähne in der Mittelkerbe nach innen in den Zylinder. Als er wieder losließ, schnappten sie in die Kerbe zurück. »Die benutzen wir für schnelles Abseilen, wo wir keine Sprungtornister einsetzen können. Wir werden sie an den Kabeln der Förderanlage befestigen und an ihnen nach unten gleiten, um die Verteidiger zu überraschen.« »Sie wollen einhändig zehntausend Meter in die Tiefe rut-
schen?« Uriel nickte mit schiefem Grinsen. »Und wie soll ich nach unten gelangen?« »Sie wollen mit uns kommen?« »Natürlich. Nach allem, was passiert ist, glauben Sie doch nicht, dass ich mir die Gelegenheit entgehen lasse, mir anzusehen, wie Sie de Valtos fertig machen, oder?« »Also gut«, antwortete Uriel, indem er mit dem Inquisitor zum Förderkorb ging. »Dann werden Sie nachkommen, wenn wir unten sind. Ich schätze, dass wir fast fünf Minuten brauchen werden, um die zehn Kilometer bis zum Grund des Schachts zurückzulegen. Warten Sie so lange, bis Sie den Korb in Bewegung setzen. Schließlich brauchen wir eine Möglichkeit, um hinterher wieder nach oben zu kommen.« Barzano gefiel ganz eindeutig die Vorstellung nicht, im Förderkorb nach unten zu fahren, sah aber auch, dass es für ihn keine andere Möglichkeit gab, die Mine zu erreichen. Auf keinen Fall konnte er es auf die Art der Ultramarines machen. Er nickte widerstrebend. »Also gut, Uriel«, sagte Barzano, indem er sein Pistolenhalfter öffnete, »wollen wir anfangen?« »Aye«, knurrte der Ultramarine. »Bringen wir es zu Ende.« Die Ultramarines würden sich in vier Wellen im Abstand von jeweils fünf Sekunden in die Tiefe stürzen. Uriel saß auf dem Mittelpfeiler, das gewaltige Windenrad neben seiner rechten Schulter, und seine gepanzerten Beine baumelten über der unendlichen Finsternis vor ihm. Er und die erste Welle der Krieger kletterten am Träger herab, legten die Abseilklammern über die Kabel des Förderkorbs, schlossen die Faust darum und waren somit bereit für den Abstieg. Uriel leckte sich die plötzlich trockenen Lippen, als ihn ein jähes Schwindelgefühl erfasste. Er warf einen Blick zurück auf Ario Barzano im Förderkorb und salutierte vor dem Inquisitor. Barzano erwiderte den Salut. Uriel schaute nach rechts und links, um sich zu vergewissern, dass die erste Welle bereit war. Er holte tief Luft, rief »Los!« und stürzte sich in die Tiefen dieser Welt. Das Metall fühlte sich warm an, weich und nachgiebig, obwohl
Kasimir de Valtos wusste, dass es stärker als Adamantium war. Andächtig nahm er das erste Teil aus dem Kasten, drehte es in den Händen und inspizierte jeden Zentimeter seiner schimmernden Oberfläche. Er hatte Jahre seines Lebens mit der Suche nach diesen Artefakten verbracht, und es raubte ihm den Atem, sie jetzt vor sich zu sehen. Widerstrebend riss er sich vom Anblick des Gegenstands los und wandte sich dem Sarkophag zu. Er spürte die Macht darin und die Anziehungskraft, die er auf das Metall ausübte. Er spürte, wie der Gegenstand in seinen Händen bebte und zitterte, und sah erstaunt zu, wie er zerfloss wie Quecksilber und sich etwas Neues daraus bildete. Er hielt das schimmernde Metall wie eine Opfergabe vor sich, während er zögernd einen Schritt zum Sarkophag machte und dabei nicht wusste, wer begieriger war, er oder das Metall. Das formbare Metall nahm die Gestalt einer flachen runden Scheibe ähnlich wie ein Zahnrad an, aber mit einem subtilen Eindruck von Falschheit an den Ecken und Kanten. De Valtos konnte das Spiegelbild dieses Gegenstands auf der Seite des Sarkophags ausmachen, kniete sich neben den dunklen Quader und drückte das Metall auf dessen Oberfläche. Es floss aus seinen Fingern und glitt mühelos in die perfekt passende Nische. Das Metall verflüssigte sich wieder und breitete sich in silbrigen Fäden über die gesamte Oberfläche des Sarkophags aus, indem es den dort eingravierten Linien und Mustern folgte. Die glitzernden Fäden hielten abrupt inne, als seien sie am Ende ihrer Elastizität angelangt, und de Valtos wusste, was er als Nächstes zu tun hatte. Er zerrte den silbernen Kasten zum Sarkophag, wobei er die Metallstücke darin klirren hörte, als seien sie aufgeregt ob der Aussicht, wieder an den Busen ihres Machers zurückkehren zu können. Jedes Mal, wenn er einen der Metallgegenstände aufnahm, veränderte er die Form und nahm eine andere an, sodass er in eine andere Nische an der Seite des Sarkophags passte. So schnell er konnte, passte de Valtos die einzelnen Teile des lebenden Metalls in die entsprechenden Nischen ein. Wenn ein Teil hinzugefügt wurde, breiteten sich die silbrigen Linien ein Stück weiter auf der Oberfläche des Basaltobelisken aus und bildeten ein immer größer werdendes Netz eckiger Linien und komplexer Geometrien. Schließlich nahm er das letzte Stück aus dem Kasten, ein dünnes Kreuz, dessen Spitze in einem flachen, runden Haken auslief,
und umkreiste den Sarkophag auf der Suche nach der entsprechenden Nische. Nur dieses letzte Teil behielt seine ursprüngliche Gestalt, und er konnte keine ähnlich geformte Nische finden, in die er es einpassen konnte. Dann lächelte de Valtos und stellte sich auf die Zehenspitzen. Tatsächlich fand sich die entsprechende Einbuchtung auf der wuchtigen Platte des Sarkophagdeckels. Er legte das Kreuz hinein und trat zurück, um die Schönheit des sich kräuselnden silbernen Gebildes vor sich zu bewundern. Der Sarkophag war in ein funkelndes Netz aus Linien des lebenden Metalls gehüllt, die in ihrem ganz eigenen Licht leuchteten. »Und jetzt?«, flüsterte Kesharq. »Jetzt warten wir«, antwortete de Valtos. »Worauf?« »Auf die Wiedergeburt eines Wesens, das älter ist als die Zeit.« »Und der Nachtbringer? Was ist damit?« De Valtos lächelte humorlos. »Keine Sorge, mein lieber Archon. Alles entwickelt sich so, wie ich es geplant habe. Das Schiff wird bald uns gehören. Und dann können wir...« Er brach ab, als ein tiefes Bassgeläut in der Luft lag, wie das Schlagen eines unbegreiflich großen Herzens. Nervöse PWMSoldaten hoben ihre Waffen, als das Geläut noch einmal ertönte und noch lauter. »Was ist los?«, schnauzte Kesharq. De Valtos antwortete nicht, er war vollkommen auf die silbernen Linien fixiert, die aus dem Sarkophag sickerten und in dünnen Bachen durch die Kanäle im Boden rannen. Flüssige Rinnsale aus Silber liefen von der Mitte der Kammer zu den Alkoven, die sie umgaben, und vier von ihnen zweigten zum Vorzimmer draußen ab. Die Bäche rannen an den Wänden empor und ergossen sich in jeden Alkoven. Vendare Taloun fiel mit einem an den Imperator gerichteten Gebet auf die Knie. »Bleibt, wo ihr seid!«, rief ein PWM-Sergeant, als mehrere Soldaten langsam zur Tür zurückwichen. Der tosende Herzschlag ließ die Luft erbeben, und de Valtos spürte, wie eine Macht aus einer Zeit Äonen zurück in das Gemach sickerte, während die goldene Kappe im Scheitelpunkt der Decke in einem geisterhaften Schein zu leuchten begann. Archon Kesharq fasste seine Axt fester und sah sich in der Kammer nach der Ursache für das dröhnende Läuten um. Kasimir de Valtos trat neben den Sarkophag und legte die Hände auf des-
sen warme, pulsierende Seite. Ein Entsetzensschrei ertönte. Er schaute auf und sah die Skelettwächter des Grabs einen Schritt aus ihren Alkoven machen. Alle bewegten sich in absolutem Einklang mit ihren stummen Brüdern. Waren sie die Vorhut des Wesens, das er erweckt hatte? Eine Bewegung und Lichtschein im Eingang zur Kammer fiel ihm ins Auge, und er sah zu, wie die vier stummen Wächter aus dem Vorzimmer die Grabkammer betraten. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und gemächlich. Die androgynen Züge jedes Kriegers blieben ausdruckslos, aber sie trugen ihre seltsamen Kupferstäbe bedrohlich vor sich her. Ein gespenstisches Licht leuchtete in jedem Grabwächter und pulsierte im Gleichklang mit dem dröhnenden Herzschlag, doch keiner bewegte sich. Ihnen schien zu reichen, die Eindringlinge in ihr Heiligtum zu beobachten. Mit einem Geräusch wie Donnerhall öffnete sich ein großer Spalt in der Mitte der Platte auf dem Sarkophag. Suchende Fäden aus dunklem Rauch wehten hindurch, und de Valtos taumelte rückwärts und fiel auf die Knie, als ungebetene Gedanken an Tod und Zerstörung durch sein Bewusstsein huschten. Er krümmte sich unter der Überladung seiner Sinne durch das Gefühl der Schmerzen und des Leidens, das vom Sarkophag ausstrahlte. Langsam löste sich der Sarkophag in Fetzen aus rauchiger Finsternis auf.
18. Kapitel Sie fielen immer tiefer unter die Oberfläche von Pavonis, vorbei an der Neuntausendmetermarke und immer noch weiter. Uriel sah einen Lichtpunkt unter sich und befahl den Ultramarines, langsamer zu werden. Er lockerte seinen Griff um die Abseilklammer, und orange Funken stoben, als die Zähne sich in die dicken Drahtkabel gruben. Die rasende Fahrt verlangsamte sich, und der Lichtpunkt unter Uriel dehnte sich zu mehreren Lichtkugeln und einem beleuchteten Tunnelabschnitt aus. Dort waren auch Männer, die angesichts der fliegenden Funken verwirrt nach oben starrten. Uriel gab ihnen keine Zeit, sich bewusst zu werden, was sie sahen, sondern ließ die Abseilklammer einfach los und legte die letzten zehn Meter im freien Fall zurück.
Seine gerüstete Gestalt schmetterte den ersten Soldaten zu Boden und tötete ihn, bevor dieser wusste, wie ihm geschah. Uriel rollte sich ab und gab ein paar rasche Feuerstöße aus seiner Pistole ab. Mehr Ultramarines landeten rings um ihn und schwärmten rasch und mit feuernden Pistolen und kreischenden Kettenschwertern aus. Am Ende des Schachts waren vierzig Soldaten stationiert, die hinter Barrikaden aus Sandsäcken kauerten und die Waffen auf den Förderkorb gerichtet hatten. Schüsse hallten den angreifenden Ultramarines entgegen, und Kugeln und Laserstrahlen zischten durch die Luft. Rauch wallte auf, und sengend heißer Dampf und Abgase quollen aus zerschmetterten Abluftschächten. Mit drei großen Schritten war Uriel über die Barrikade hinweg und teilte mit seinem Kettenschwert Hiebe nach rechts und links aus. Ein Soldat riss sein Lasergewehr hoch. Uriel durchschlug den Lauf, und der anschließende Rückhandhieb trennte dem Mann den Kopf von den Schultern. In einem einzigen blutdürstigen Rausch tötete er jeden Feind in Reichweite, und grausame Freude durchflutete ihn. Er schoss und hieb sich durch zehn Männer, bis schließlich keiner mehr in der Nähe war. Gegen die Heftigkeit dieses Überraschungsangriffs der Space Marines gab es keine Gegenwehr, und Minuten später waren die Verteidiger tot und ihre Stellung war nun ihr Grab. Uriel schwelgte in dem Blutvergießen, und seine Sinne wurden förmlich überflutet von dem Drang, zu töten und zu zerstören. Er brüllte seine urtümliche Wut heraus und stellte sich vor, wie hunderte und tausende von Feinden abgeschlachtet wurden, sah ihre entstellten Kadaver, an denen sich Fliegen und Aasvögel gütlich taten. Gefangene niederzumetzeln und ihr Blut wie köstlichen Wein zu trinken war sein einziges Bedürfnis und... Uriel sank plötzlich auf die Knie und ließ Pistole und Schwert fallen, als die grässlichen Bilder weiterhin sein Bewusstsein überfluteten. Er brüllte vor Wut und kämpfte mit all der geistigen Disziplin, die ihm seine Ausbildung vermittelt hatte, gegen diesen über ihn hereinbrechenden Wasserfall aus Schmutz an. Allmählich verdrängte er die Bilder von Tod und Gemetzel aus seinem Bewusstsein und mühte sich, die Mauern um seine Gedanken undurchdringlich zu machen. Er sah, dass seine Männer dasselbe geistige Duell austrugen, und rief: »Mut und Ehre! Ihr seid Ultramarines! Haltet stand! Die Bilder in euren Gedanken
sind nicht eure eigenen. Sie gehören dem Wesen, das zu töten wir gekommen sind! Kämpft gegen sie an!« Einer nach dem anderen erhoben sich die Ultramarines, noch immer benommen und abgestoßen von den grässlichen Visionen, die sie bestürmt hatten. Er schickte Barzano an der Oberfläche ein rasches Signal über das Kommnet und sah die Kontrollen des Förderkorbs zum Leben erwachen, als er seine Fahrt nach unten begann. Pasanius' und Dardinos Krieger sicherten die Umgebung, während Trupp Venasus durch die Reihen der Gefallenen ging, um sich zu vergewissern, dass es keine Überlebenden gab, obwohl Uriel eindeutig erkennen konnte, dass dies unnötig war. Die Wut ihres Angriffs war noch zusätzlich von den unnatürlichen nichtmenschlichen Begierden gespeist worden, und die von ihnen getöteten Männer waren kaum mehr als blutige Fleischklumpen. Uriel empfand Scham über ihr hirnloses Wüten, und nicht einmal das Wissen, dass ihre Handlungen von einer fremden Macht beeinflusst worden waren, milderte die Erkenntnis, dass die Befähigung zu derart vorsätzlichem Gemetzel tatsächlich tief in ihnen allen schlummerte. Er schüttelte den Kopf und flüsterte ein Mantra der Standhaftigkeit. Nun, da er die Zeit hatte, die Merkmale ihrer Stellung zu bestimmen, konnten Uriels verstärkte Sinne das Ansteigen des Gehalts brennbarer Gase in der Luft feststellen. Schüsse und Explosionen hatten das Belüftungssystem zerstört, und die zunehmende Konzentration von Gasen würde gewöhnlichen Menschen bald gefährlich werden, während sie für Space Marines nicht tödlich war. Vier Gänge führten in die Hauptrichtungen des Kornpasses. Aus dem Osttunnel drangen spürbare Wellen des Entsetzens. Uriel schmeckte sie in der Luft und spürte sie in den Knochen, hielt das Gefühl aber unter Kontrolle. In seinen Gedanken hallten immer noch die Echos der Bilder von Gewalt, Tod, Folter und Verstümmelung wider. Selbst wenn Barzano ihm nichts über das Wesen erzählt hätte, das unter diesen Bergen schlief, hätte er sofort gewusst, dass sie diesen Weg einschlagen mussten. Uriel stand in der Tunneleinmündung und verdrängte die Bilder verbrannter Leiber, abgetrennter Gliedmaßen und vernichteter Zivilisationen aus seinem Verstand. Das waren nicht seine Gedanken. Der Makel, sie in seinem Kopf gehabt zu haben, widerte
ihn an, aber sie wappneten ihn auch gegen den Feind, der auf sie wartete. Er wandte sich seinen Männern zu, und der Stolz auf sie verbrannte die Hassbilder in seinem Kopf. »Krieger Ultramars, ihr habt euch als Männer der Tapferkeit und Stärke erwiesen, und wir werden es bald mit einem Feind zu tun bekommen, wie ihn die Gefilde des Imperators schon seit ungezählten Jahren nicht mehr gesehen haben. Ihr könnt selbst jetzt spüren, wie seine Ausstrahlung an eurem Verstand zerrt. Aber ihr müsst stark sein - widersteht seinen Eingebungen. Denkt daran, dass ihr Space Marines seid, heilige Krieger des Imperators, und dass es eure Pflicht ihm und unserem Primarchen gegenüber ist, die uns Kraft, Mut und Vertrauen einflößt. Dieser Kampf ist noch nicht gewonnen. Wir müssen uns gegen die letzte Prüfung wappnen, wo jeder von uns in sich schauen und die wahre Grenze seines Muts entdecken muss. Vergesst niemals, dass jeder einzelne Mann wichtig ist. Jeder Mann kann das Zünglein an der Waage sein.« Uriel hob sein Schwert, dessen blutige Schneide den Schein der Lichtkugeln reflektierte. »Seid ihr bereit, solche Männer zu sein?« Die Ultramarines brüllten zustimmend. Der Express-Förderkorb hielt jaulend im Bergwerksschacht an, und Uriel senkte sein Schwert, als Barzano den Korb verließ. Der Inquisitor stolperte und hielt sich die Hände an die Stirn. Uriel konnte sich kaum vorstellen, was für ein schrecklicher Ort das hier für den empathischen Inquisitor sein musste. Barzano ging steif zu Uriel, und die Anstrengung, die grässlichen Visionen auf Distanz zu halten, stand ihm klar ins Gesicht geschrieben. »Beim Imperator, können Sie seine Macht fühlen?«, flüsterte Barzano. Uriel nickte. »Ich fühle sie. Je eher wir von hier weg sind, desto besser.« »Genau meine Meinung, mein Freund«, erwiderte Barzano, während er voller Abscheu in den Osttunnel starrte. Er drückte auf die Aktivierungsrune seines Energiemessers und zog seine Pistole. »Es wird Zeit, die Sache zu Ende zu bringen, was, Uriel?« »Ja. Es wird wirklich Zeit.« Gegen die widerliche Macht ankämpfend, die ihren Gedanken so zusetzte, machten die Ultramarines sich zum Grabmal des Nachtbringers auf.
Schwarze Finger glitten tastend über den Rand des Sarkophags. Lange, schmutzverkrustete Nägel und in ein Totenhemd gehüllte Arme folgten, da der Nachtbringer sich aus seinem Grab erhob. Kasimir de Valtos lächelte, da sich in seinem Kopf die Gedanken an Gräueltaten überschlugen, von deren Existenz er nichts geahnt hatte. Blut, Tod, Leiden, Verstümmelung und Folter in einem für Jahrmillionen unbekannten Ausmaß erfüllte seinen Kopf. Es fühlte sich herrlich an. Die PWM-Soldaten fielen zu Boden und rieben sich die Augen. Ihre jämmerlichen Schreie hallten durch die Kammer, da sie versuchten, die grässlichen Dinge in ihrem Kopf zu vertreiben. Vendare Taloun fiel in Ohnmacht, und sogar der hassenswerte Eldar schien von Ehrfurcht vor diesem wunderbaren Wesen ergriffen zu sein, das sich langsam zeigte. Kesharq packte Kasimirs Arm, und sein nichtmenschliches Gesicht spiegelte Verzückung wider. »Das ist wunderbar«, hauchte er. Kasimir nickte, als der Nachtbringer die Seite des Sarkophags umklammerte und sich daran hochzog. Langsam tauchte der gewaltige Kopf über dem Rand des Sarkophags auf, und Kasimir de Valtos starrte in das Gesicht des Todes. Uriel kämpfte gegen die pulsierenden Wellen der Gewalt an, die sein Bewusstsein bestürmten, und hielt sein Kettenschwert fest umklammert. Von weiter vorn konnte er die Schreie der Verdammten hören, und er wappnete sich gegen die bevorstehende Auseinandersetzung. Barzano, der sich neben ihm hielt, sah blass und verhärmt aus. Der Tunnel neigte sich abwärts, und der Fels wich schrägen Wänden aus glattem, schwarzem Obsidian. Die gellenden Schreie zerrten an Uriels Bewusstsein und fütterten das Böse, das unablässig seine Gedanken bestürmte. Er betrat einen quadratischen Raum mit zwei leeren Alkoven auf beiden Seiten. Er spürte, dass die Kammer dahinter die Quelle des Übels in seinem Kopf und die Luft von einem Miasma kiesiger Finsternis erfüllt war. An dieser Stelle war durch Heimlichkeit nichts mehr zu gewinnen. Nötig war jetzt ein schnelles Zuschlagen mit tödlicher Kraft. Uriel stürmte in die Pyramidenkammer des Nachtbringers und fand dort ein Tollhaus vor. PWM-Soldaten lagen zuckend auf dem Boden der Kammer. Ihre Gesichter waren blutig, wo Nägel und
Finger sich die Augen aus dem Kopf gekratzt hatten. Diese Männer waren immer noch bei Bewusstsein und schlugen sich mit gebrochenen Fäusten blutig, während sie vor Entsetzen über Albträume wimmerten, die nur sie sehen konnten. Ein Ring aus metallischen Skelettwesen schnürte unerbittlich einen Mittelblock aus sich auflösendem schwarzen Stein ein, wo eine Gruppe schwer bewaffneter Eldar einen Krieger in Jaderüstung umgab, denselben, welchen er auf dem Eldar-Schiff über Caernuis IV bekämpft hatte. Kasimir de Valtos und eine dunkelhaarige Eldarfrau befanden sich ebenfalls im Schutz ihrer Mitte. Er hatte nur einen flüchtigen Blick für diese Szenerie übrig, als er das gewaltige Wesen sah, das sich soeben aus seinem steinernen Gefängnis befreite. In verrottete Gewänder gehüllt, erhob es sich aus seinem Grab, da sich das solide Gestein Atom für Atom auflöste und sich zu einem wirbelnden schwarzen Schleier neu zusammenfügte. Immer mehr von dem schwarzen Stein löste sich auf und bildete eine verhüllende Finsternis um das Wesen. Nach kurzer Zeit war nur noch die Deckplatte des Grabmals übrig, auf dessen Oberfläche ein Stück Metall leuchtete. Uriel hatte eine flüchtige Vision von einem hageren, vermoderten Gesicht mit zwei gelblich leuchtenden Gruben darin. In jenen Augen lag Wahnsinn und ein tobender, unstillbarer Durst nach Leiden. Ein Umhang geisterhafter Finsternis verbarg seine wahre Gestalt, und aus diesen nebelhaften Umrissen ragten lediglich zwei verrottete, in Verbände gewickelte Arme. Einer endete in langen, mit Graberde verkrusteten Krallen, der andere in einer riesigen Klinge aus unnatürlicher Dunkelheit, die wie eine große Sense gebogen war. Als das Wesen sich zu voller Größe erhob, sah Uriel, dass es viel größer war als die Sterblichen vor ihm. Wirbelnde Strudel der Finsternis gingen von ihm aus und wanden sich um die Leiber derjenigen, welche nicht schnell genug waren, ihrem Zugriff zu entkommen. Der Umhang aus Finsternis fegte zwei Eldar-Krieger empor. Der Sensenarm zuckte, und die Klinge durchschnitt ihre Rüstung und Leiber mit Leichtigkeit. Ihre verdorrten Leichen fielen zu Boden, nicht mehr als verschrumpelte Knochensäcke. Die Eldar verteilten sich, als noch mehr von ihnen von dem riesigen Wesen verschlungen wurden. Die Alabastergestalten mit den Kupferstäben nahmen ihren Platz an der Seite ihres Herrn und Meisters ein. Ihren perfekten Gesichtern fehlte Animation und
Leben in jeglicher Form. »De Valtos!«, brüllte Barzano. »Bei der Seele des Imperators, wissen Sie, was Sie getan haben?« Kasimir de Valtos schrie triumphierend, als der Nachtbringer die Kammer mit finsteren Energien aufblähte und seinem Bewusstsein die erstaunlichsten Dinge einflößte, die man sich vorstellen konnte. Die Eldar-Krieger wichen in Richtung der Ultramarines zurück und waren bereit, sich den Weg aus diesem Albtraum herauszukämpfen, in dem sie sich unversehens befanden. Doch der Nachtbringer hatte Hunger auf mehr SeelenLeckerbissen, und die Finsternis um seine Gestalt schwoll an und wallte wie von unsichtbaren Winden zerzaust. Ein tiefer, pulsierender Rhythmus erfüllte die Kammer, und die metallischen Skelettkrieger richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Eindringlinge in die Gemächer ihres Gebieters. Uriel schauderte vor Abscheu, als die Skelettwesen auf ihn zumarschierten und in perfektem Einklang ihre seltsamen Waffen hoben. Er hechtete aus dem Weg, rollte sich ab und schlug nach dem nächsten Krieger. Sein Kettenschwert durchtrennte die Beine und brachte das Wesen zu fall. Er sprang auf, während die Metallkrieger das Feuer eröffneten. Uriel sah mit Entsetzen, wie Sergeant Venasus unter einem unsichtbaren Aufprall erbebte. Das Material seiner Rüstung schälte sich in zerfransten Schichten ab, und Haut und Muskeln folgten mit entsetzlicher Schnelligkeit. Der Sergeant fiel auf die Knie, als seine Muskulatur zuerst sichtbar und dann abgestreift wurde, bis nur noch das kniende Skelett übrig war. Noch ein Ultramarine starb qualvoll, als sein Körper von den Waffen der schädelgesichtigen Krieger Schicht um Schicht abgeschält wurde. Klauenhände griffen nach Uriel und rissen an seiner Rüstung, und er fuhr zu dem Metallskelett herum, das er soeben gefällt hatte und dessen Metall sich vor seinen Augen regenerierte. Er schlug mit dem Schwert zu und jagte ihm zusätzlich eine Boltpatrone in den Brustkasten. Der Krieger fiel erneut, aber Uriel zerstampfte die Maschine in kleine Stücke, damit es ihr nicht gelang, sich noch einmal zu regenerieren. Überall herrschte Chaos. Space Marines kämpften mit den Metallskeletten und gewannen größtenteils, indem sie sie zu Boden schlugen und dann mit Boltpatronen zerfetzten. Sergeant Learchus zerriss eines mit bloßen Händen und zerschmetterte den Schädel auf dem Boden. Doch
viele der tödlichen Kreaturen rappelten sich noch einmal auf, da ihnen Wunden nichts ausmachten, die einen Menschen sofort getötet hätten. Barzano kämpfte neben Uriel, und sein Energiemesser hackte eine Schneise in die Reihen des Feindes. Sein Gesicht war wächsern, und seine Bewegungen wurden langsamer, da die Wirkung der schmerzstillenden Mittel nachließ und seine Wundschmerzen von Sekunde zu Sekunde stärker wurden. Die Eldar fochten neben ihnen, und während Uriel gegen die Metallskelette kämpfte, ließ er sie nicht aus den Augen. Er war bereit, sich in dem Augenblick gegen die Eldar zu wenden, wenn die Skelettkrieger erledigt waren. Ihr Anführer in der Jaderüstung kämpfte und metzelte mit einer tödlichen Eleganz, und seine Streitaxt wirbelte in Schwindelerregenden Spiralen des Todes. Wann immer er zuschlug, brach eine Maschine zusammen, und jeder Treffer entlockte der wirbelnden Finsternis im Zentrum der Kammer einen kreischenden Schrei. Doch für Uriel war es mehr nach einem Laut der Belustigung als nach einen des Missvergnügens. Die Exkrente schnappten und bissen und zerrten die Feinde ihres Herrn durch die schiere Last ihrer Anzahl zu Boden. Die furchtbaren, fremdartigen Waffen schälten große Fleischfetzen von ihren verunstalteten Leibern, aber sie kämpften weiter und nahmen die Zerstörung ihrer Anatomie erst zur Kenntnis, wenn kaum mehr von ihnen übrig war als ein paar Fetzen zerrissener, zuckender Körperteile. Uriel kämpfte wie noch nie zuvor, schnitt, schoss und tötete mit einem Geschick, das er sich nicht zugetraut hätte. Seine Reflexe waren zur Perfektion gereift. Mit übernatürlicher Schnelligkeit wich er tödlichen Stößen und Hieben aus, wehrte Klauenhände ab und zerschmetterte Metallschädel. Die letzten Metallkrieger wurden zerschmettert, ihre glänzenden Glieder und Leiber in kleine Stücke über den Boden der Kammer verteilt. Uriel holte tief und schmerzhaft Luft, da seine Seite brannte, wo eine der fremdartigen Waffen einen Teil seiner Rüstung und Haut abgeschält hatte. Kopf und Rüstung waren mit geronnenem Blut verklebt, wo Klauenhände an ihm gezerrt hatten. Eine seltsame Ruhe kehrte ein, während Space Marines und Eldar einander quer durch die Kammer musterten. Der Nachtbringer stand ungerührt neben der Platte, die der Deckel seines
Grabmals gewesen war. Das kreuzförmige Metallstück darin leuchtete immer noch in unheimlichem Feuer. Barzano gesellte sich zu Uriel. Sein Atem ging schwer und unregelmäßig. Uriel sah, dass sich die Armwunde wieder geöffnet hatte, da Blut durch den Kunsthautverband sickerte. Kasimir de Valtos stand im wogenden Schatten des Nachtbringers, und seine Züge hatten sich zu einer Fratze wilder Häme verzerrt. Er hob einen Finger, zeigte auf die Ultramarines und rief: »Vernichte sie! Ich befehle es dir!« Ob die Worte an den Anführer der Eldar oder an den Nachtbringer gerichtet waren, wusste Uriel nicht, aber die Eldar griffen tatsächlich an. Ihr Anführer ging mit hoch erhobener Streitaxt geradewegs auf ihn los. Die Ultramarines brüllten und stürmten den Eldar entgegen, und das Klirren der Waffen hallte durch die Kammer, als erneut Kämpfe ausbrachen. Uriel parierte einen Hieb und trat vor, um dem Eldar die Faust seitlich gegen den Helm zu rammen. Sein Gegner duckte sich, stieß Uriel das stachelbewehrte Heft der Axt in den Bauch und riss einen langen Spalt in seine Rüstung. Uriel keuchte vor Schmerzen, während er Kesharq den Knauf seines Schwerts in den Rücken rammte und den Eldar zu Boden warf. Er wechselte den Griff um das Schwert, fuhr herum und schlug mit der surrenden Klinge zu. Sein Gegner war nicht mehr da, sondern kam mit einem Rückwärtssalto hoch und wirbelte die Axt nach Uriels Kopf. Flammendes Licht explodierte, als Barzanos Messer den Hieb abfing. Uriel nutzte die vorübergehende Ablenkung des Eldar aus und hieb nach dessen Schädel. Kesharq sah die Klinge kommen und drehte den Hals, was dem Hieb einen Großteil seiner Schlagkraft raubte. Die surrenden Sägezähne fegten den Helm weg, dessen verbeultes Metall sich an der losen Gesichtshaut darunter verfing, um sich in einem Blutschwall loszureißen. Kesharq schrie vor Schmerzen, während sein fleischloses Gesicht auf grässliche Weise enthüllt wurde. Er taumelte zurück, fand sein Gleichgewicht sofort wieder und parierte Barzanos Rückhandhieb, indem er die Klinge ablenkte und dem Inquisitor seine Streitaxt in die Brust schlug. Knochen wurden zerschmettert, als die Axt durch Barzanos Brustkasten abwärts fuhr und in einem Schwall von Βlut über der Hüfte wieder austrat. Barzano fiel, und das Energiemesser entglitt
seiner Hand. Uriel schrie ungläubig auf und hieb nach dem Rücken des EldarAnführers. Kesharq drehte sich weg, klemmte Uriels Schwert zwischen den Dornen seiner Axtklinge ein und zerbrach es mit einer Drehung seines Handgelenks. Bevor er einen Rückschwung ausführen konnte, hechtete Uriel vorwärts, über Barzano hinweg, und hob das Energiemesser des Inquisitors gerade noch rechtzeitig auf, um einen Hieb abzuwehren, der ihn hatte enthaupten sollen. Kesharq ging wieder auf ihn los. Die Axt sauste heran, und Uriel parierte sie mit der leuchtenden Waffe, die er Barzano abgenommen hatte. Kesharq griff jetzt vorsichtiger an. Die rote Maske seiner blutigen Züge, in der man das Zucken der glänzenden Gesichtsmuskeln sehen konnte, war wahrlich ein abstoßender Anblick. Er spie einen Mund voll Blut aus und griff an, die Axt hoch zum Hieb erhoben. Anstatt zurückzuweichen, duckte Uriel sich und fing den Schaft der Axt mit dem Unterarm auf. Durch die Aufprallwucht platzte seine Rüstung an der Stelle auf. Er brüllte, wirbelte an der Deckung des Eldar vorbei, packte dessen Arme, rammte den Eldar mit seiner ganzen Körpermasse und zog. Der Schwung seines eigenen Angriffs ließ Kesharq über Uriels Schulter fliegen und auf dem Rücken landen. Uriel drehte das Energiemesser und stieß es mit aller Kraft durch Kesharqs Brustharnisch in dessen Herz. Der Anführer der Eldar zuckte krampfhaft, und dunkles Blut sprudelte ihm aus der Kehle, da Uriel das Messer in der Wunde drehte und wieder und immer wieder zustieß. Gebrüll und Kriegsrufe hallten ringsumher, aber Uriel sah nur die ekstatische Gestalt von Kasimir de Valtos im Zentrum der Kammer stehen. Er riss das Messer aus Kesharqs Leichnam und stolperte dem Mann entgegen, der diese Ereignisse in Bewegung gesetzt hatte. Kasimir de Valtos beobachtete die heftige Schlacht, die rings um ihn tobte, mit ungetrübter Freude. Zu sehen, wie so viel Blut vergossen wurde, war angenehm für ihn, und die furchtbaren Dinge, die ihm durch den Kopf gingen, waren eine Offenbarung. So viel Gemetzel in seinem Kopf! Sein ganzes Wesen fühlte sich in Hoch-
stimmung versetzt, da er die Vorstellung genoss, dass die Dinge, die er sah und fühlte, nur ein winziger Bruchteil des Blutvergießens waren, das der Nachtbringer anrichten konnte. Er war noch schwach, seine Substanz hatte sich noch nicht wieder vollständig geformt, aber dennoch war er unglaublich mächtig. Ob es nur die Nähe zu diesem Wesen war, die ihm dieses Wissen vermittelte, oder ob es eine tiefere Verbindung gab, wusste er nicht. Vielleicht erkannte der Nachtbringer in ihm einen verwandten Geist. Jedenfalls legte er ihm gegenüber nicht die tödliche Feindseligkeit an den Tag, mit der er den Eldar bereits in den ersten Momenten nach seinem Erwachen begegnet war. Die Eldarfrau von Kesharq stand hinter ihm. Er konnte die von ihr ausgehende Furcht wellenartig spüren, und es fühlte sich wunderbar an, dieses Gefühl aufzusaugen. Sie brach in die Knie, und ihre Haut warf Blasen und platzte auf, da ihr jeder Funke Lebenskraft aus dem Leib gesogen wurde. Sie konnte noch einmal schreien, bevor der Nachtbringer die letzten Überbleibsel ihrer Existenz verschlang. War dies der Beginn seiner Verwandlung in einen Unsterblichen?, fragte de Valtos sich. War dies die erste der neuen Kräfte, die sich bald in ihm manifestieren würden? Die Gewalt ringsumher hatte etwas wahrhaft Berauschendes an sich. Er spürte, wie der Hass und die Aggressionen aller Anwesenden grell und üppig aufflackerten, ihn erfüllten und stärker machten. Es war so angenehm, sich von solchen Dingen nähren zu können, anstatt von den kalten, geschmacklosen Energien, die ihn die vielen Millionen Jahre am Leben erhalten hatten. Kasimir de Valtos blinzelte verwirrt. Millionen Jahre? Woher war dieser Gedanke gekommen? Plötzlich ging ihm auf, dass die Empfindungen, die ihn durchströmten, die Furcht, die Wut und das Entsetzen, gar nicht seine eigenen waren, sondern nur von dem Wesen vor sich geborgt. Wut erfüllte ihn, als er erkannte, dass er nicht mehr als eine Leitung für Gefühle war, die dieses Wesen im Laufe der Äonen seiner Gefangenschaft vergessen hatte. Als spüre der Nachtbringer seine Gedanken, wandte er sich ihm langsam zu. Die gelben Höhlen seiner Augen brannten sich in seine Seele und in den Kern dessen, was aus ihm einen Menschen machte. Doch Kasimir de Valtos hatte sich fest vorgenommen, ein unsterblicher Gott zu werden, und er war von äußerster Entschlossenheit erfüllt, als ein Wesen vom Anbeginn der Zeit ihn in seine Finsternis hüllte.
»Mach mich wie dich! Ich habe dich befreit. Ich verlange Unsterblichkeit - ich habe ein Recht darauf!«, kreischte de Valtos, als er den Blick des Nachtbringers auf sich ruhen spürte. Er wurde in die Augen des Wesens gesogen, und die Leere ihres Blicks war so entsetzlich, dass sie sich seinem Begriffsvermögen entzog. Er sah die Anfänge der Rasse dieses Wesens und die Dinge, die sie getan hatte, das Elend und das Leiden, das sie über die Galaxis gebracht hatte, und er sah den Augenblick, den die Rasse der Menschheit dagegen war. Er sank auf die Knie, als die schiere Bedeutungslosigkeit seiner Existenz vor der unaussprechlichen Größe des Bewusstseins dieses Wesens erzitterte. Die brüchigen Fäden der verdrehten Überreste von Kasimir de Valtos' geistiger Gesundheit rissen im Angesicht derart schrecklicher Selbsterkenntnis. Dieses Wesen hatte Sterne gezähmt und ganze Zivilisationen ausgelöscht, bevor die menschliche Rasse überhaupt aus der Ursuppe der Schöpfung gekrochen war. Was brauchte es ihn? »Bitte...«, flehte er. »Ich will ewig leben!« Der Nachtbringer schloss seine Klauenhand um de Valtos' Kopf, sodass die schwarze Faust den Schädel vollkommen umgab. Kasimir kreischte vor Entsetzen bei der Berührung, und seine Haut schälte sich von den Knochen, als der Nachtbringer ihm die Lebensenergie entzog. Die finstere Sense zuckte zu seinem Hals. Er empfand einen kurzen Moment perfekten Schreckens, als er seinen eigenen Tod durch sich fließen spürte und Entsetzen und Schmerz als dürftigsten Leckerbissen wahrnahm, der es kaum wert war, verspeist zu werden, die aber um des Todes willen bereitet wurden, den sie verursachten. Sein Kopf löste sich vom Körper. Der Nachtbringer ließ de Valtos los, und dessen verheerter Körper sank zu Boden. Bedächtig richtete er die Aufmerksamkeit auf das leuchtende Metall auf dem Deckel seines einstigen Grabs und strich mit knorrigen Fingern darüber. Und im All glitt langsam ein halbmondförmiges Raumschiff aus dem Schattenreich, das es die letzten sechzig Millionen Jahre bewohnt hatte, als sein Herr es zu sich rief. Uriel sah leidenschaftslos zu, wie der Nachtbringer de Valtos tötete. Er empfand nichts beim Tod seines Feindes. Es ging um sehr viel mehr als um persönliche Rache. Er musste dieses Wesen ir-
gendwie vernichten oder bannen. Ihm zumindest widerstehen. Die Alabasterwachen traten ihm entgegen, aber Uriel ließ sich davon nicht aufhalten. Pasanius, Learchus und Dardino schlossen sich ihm in seinem Sturm auf den Nachtbringer an. Knisternde smaragdfarbene Energien zuckten aus den Stäben der ersten beiden Krieger. Uriel parierte den ersten Strahl mit dem Energiemesser und wich dem zweiten aus. Pasanis deckte eine der perfekten Gestalten mit Boltpatronen ein und sprengte porzellanartige Stücke aus ihrem Leib, während Learchus ihr sein Kettenschwert in den Bauch bohrte. Ein Schwung der Stabwaffe holte beide Sergeanten von den Beinen und hüllte sie in grünes Feuer. Dardino hieb dem Krieger mit seinem Energieschwert die Beine unter dem Leib weg, und Uriel sprang den zweiten mit den Füßen voraus an. Seine Stiefel trafen, doch es war so, als pralle er gegen eine solide Mauer. Die weiße Gestalt schwankte ein wenig, fiel aber nicht, sondern stach mit ihrem Kupferstab nach Uriel. Der konnte gerade noch das Energiemesser heben, und die Kraft hinter dem Stoß sandte heiße Schmerzwellen durch seinen Arm. Er sprang auf, stach der Gestalt in den Schritt und schnitt zunächst aufwärts und dann auswärts. Der fremdartige Krieger ging zu Boden, als ihm ein Bein an der Hüfte abgetrennt wurde, und Uriel duckte sich unter dem Schwung der Waffe eines anderen dieser emotionslosen Krieger hinweg. Pasanius erhob sich, schoss auf die verbliebenen Gestalten und holte eine in einem Hagel weißer Splitter von den Beinen. Die letzte Gestalt wich einen Schritt zurück, als Learchus' Schwert nach ihrem Kopf hieb. Die Klauenhand ihres Herrn fegte heran und fällte Learchus mit einem einzigen Schlag. Der Sergeant ächzte und mühte sich aufzustehen. Mit gezogenen Waffen standen Uriel, Pasanius und Dardino der Ehrfurcht gebietenden Gestalt des Nachtbringers gegenüber und spürten, wie ihnen Wellen des Entsetzens entgegenbrandeten, doch sie blieben standhaft im Angesicht des Feindes. Uriel empfand nur Verachtung für das gewaltige Wesen vor sich. Die Dunkelheit seines geisterhaften Mantels wallte um seine Gestalt, und zwei Pfützen aus widerlichem Gelb pulsierten in der Finsternis, wo sich der Kopf befinden mochte. Die kreischende Schwärze des Sensenarms schlug schneller zu, als das Auge folgen konnte. Sergeant Dardino grunzte, mehr vor Überraschung denn Schmerzen, als sein Oberkörper zu Boden fiel
und die Beine in einem Schwall von Blut einknickten. Pasanius eröffnete das Feuer, und seine Boltpatronen beharkten die wirbelnde Nacht der Gestalt des fremdartigen Wesens. Hohl hallendes Gelächter wurde von den Wänden zurückgeworfen, da jede Patrone durch die Hülle der Finsternis flog, ohne Schaden anzurichten. Die Sense schlug wieder zu, und Pasanius Boltgewehr wurde in zwei perfekte Hälften geteilt. Der Rückschlag trennte ihm den rechten Arm unter dem Ellbogen ab. Uriel nutzte die Ablenkung aus, um sich dem Nacht-bringer zu nähern, und stieß das Energiemesser in die Finsternis. Er schrie, als die Eiseskälte der Substanz des Wesens seinen Arm einhüllte. Die furchtbaren Krallen des Wesens kamen in tiefem Bogen, fegten durch Uriels Brust, fetzten durch einen Lungenflügel und rissen sein Primärherz auf. Er wurde zurückgeschleudert und landete unbeholfen auf der Deckplatte des Sarkophags, deren leuchtendes Metallkreuz sein Abbild in den Rückenharnisch seiner Rüstung brannte. Schmerzen durchfluteten ihn tief in der Brust, im Arm und in jedem Nerv seines Körpers. Er stöhnte und versuchte hochzukommen, während er sah, wie der Nachtbringer mit dem Gemetzel an seinen Männern begann. Inquisitor Barzano sah voller Stolz zu, wie Uriel und dessen Kameraden der Macht des Nachtbringers trotzten, obwohl es für sie vollkommen unmöglich war, zu siegen. Er zog sich zur Platte, während das Leben langsam aus seinem Körper sickerte. Er spürte machtvolle Energien durch die Kammer fluten, albtraumhafte Visionen, welche die Nähe des Nachtbringers erzeugte, und noch etwas anderes... Ein lautloses Kreischen, in der Reinheit seiner Absicht geradezu blendend, griff in die Tiefen des Alls aus und rief das verlorene Schiff zu sich. Das lebende Metall, aus dem es geformt war, konnte nicht widerstehen und wurde aus dem Gefilde gerissen, in dem es all die Jahrmillionen gestrandet gewesen war. So kraftvoll war der Ruf, dass er die Kraftwellen geradezu sehen konnte, die von der Stelle ausgingen, wo das Grab C'tans gestanden hatte. Oder genauer: von dem leuchtenden Metalltalisman in der Platte. Er hatte so gut wie keine Kraft mehr, aber er versuchte dennoch, sich vorwärts zu ziehen. Er stöhnte, als er sah, wie Pasanius fiel und Uriel durch die Kammer geschleudert wurde, da die langen Krallen des Nachtbringers mühelos seine Rüstung durch-
bohrten. Barzano spürte, wie seine letzten Kräfte verrannen, aber er klammerte sich verzweifelt an seinen letzten Lebensfunken. Wo Leben war, war Hoffnung. Er sah, wie Uriel sich mühte, wieder auf die Beine zu kommen, und erkannte, dass ihm noch eine letzte Möglichkeit blieb. Uriel brüllte vor Wut, als der Nachtbringer mühelos seine Männer abschlachtete. Obwohl sie wussten, dass sie nicht die geringste Aussicht hatten, dieses uralte Wesen zu besiegen, traten sie ihm entgegen und weigerten sich nachzugeben. Pasanius kämpfte einhändig weiter und hieb wild auf das Wesen ein, das hauend und stechend durch die Kammer wütete. Ein benommener Learchus forderte die Ultramarines mit kratziger Stimme auf standzuhalten. Grässliches Gebrüll wie das Klatschen von Wellen gegen eine Klippe hallte durch die Grabkammer, und Uriel ging plötzlich auf, dass dieses fremde Wesen sie auslachte, während es sie langsam, qualvoll und sadistisch auseinander nahm. Heiße Wut goss Öl ins Feuer seiner Ausdauer, und er kam vor Wut und Schmerzen knurrend auf die Beine. Er hob das Energiemesser auf und humpelte los, um gleich darauf wie angewurzelt stehen zu bleiben, als ihn jäh der unwiderstehliche Drang dazu überkam. Einen Moment glaubte er schon, die infernalische Ausstrahlung des Nachtbringers sei erneut in sein Bewusstsein eingedrungen. Doch in diesen Gedanken steckte etwas Vertrautes, ein Wiedererkennen. Uriel drehte sich um und sah Inquisitor Barzano, der ihn anstarrte, während ihm der Schweiß in Strömen übers Gesicht lief und die Adern in seinem Nacken wie Stricke hervortraten. Das Metall Uriel, das Metall! Das Metall... Der Gedanke verblasste, kaum dass er sich in seinem Kopf gebildet hatte, aber Uriel wusste, dass der Inquisitor alles gegeben hatte, um ihm diesen Gedanken mitzuteilen, und er würde nicht zulassen, dass seine Mühe vergebens war. Er ging vor der Platte in die Knie, und der Glanz des leuchtenden Metalls war fast zu grell, um es direkt anzuschauen. Er konnte seine Hitze durch die Risse in seiner Rüstung spüren. Was sollte er tun? Darauf schießen, darauf einstechen? Die Schreie der Wut und der Schmerzen von seinen Männern entschieden die Angelegenheit. Uriel rammte das Energiemesser in die Ritze zwischen Metall
und Platte. Er spürte eine Veränderung in den gequälten Energien in der Kammer, und als er aufschaute, sah er die riesige Gestalt des Nachtbringers vor den Ultramarines stehen und zwei Schlachtbrüder auf seinen Krallen aufgespießt halten. Er drückte mit seiner ganzen Kraft auf den Messergriff und spürte, wie die Klinge sich bog, da das Metall sich widersetzte. Er hatte nicht die Kraft, um es aus der Platte zu brechen. Der Nachtbringer schleuderte die Space Marines beiseite und fuhr in einem wilden Aufwirbeln seiner dunklen Materie herum. Uriel spürte seinen Zorn und seine Empörung, dass diese Beutekreatur es wagte, sich in seine Angelegenheiten zu mischen. Der Verstand des Nachtbringers berührte seinen mit einer Wut, die Sterne zum Erlöschen gebracht hatte, und Uriel ließ sie ein und spürte, wie ihn monströser Zorn überkam und ihm neue Kräfte gab. Sein eigener Hass auf dieses Wesen verschmolz mit der Wut, und er nutzte diese Kraft, richtete sie nach außen und riss das Metall damit aus der Platte. Das Metall klirrte auf den Boden der Grabkammer, und der Nachtbringer brüllte in bestialischer Wut, als die Verbindung zu seinem Sterne mordenden Schiff unterbrochen wurde, sodass es wieder in den gespenstischen Tiefen des Immateriums gestrandet war. Uriel packte das flammende Metall und kroch rückwärts. Er tastete nach seinem Granatspender, während Pasanius das Wesen ansprang. Ein beiläufiges Zucken seiner mitternachtschwarzen Krallen schleuderte ihn weg, aber der Angriff des Sergeanten hatte Uriel die Gelegenheit gegeben, die er brauchte. Als der Nachtbringer auf ihn zuglitt, hielt er das leuchtende Metall in die Höhe und zeigte dem widerwärtigen nichtmenschlichen Wesen, was er auf dessen Oberfläche befestigt hatte. Uriel bezweifelte, dass der Nachtbringer eine Vorstellung davon hatte, was eine Schmelzbombe war, aber irgendwie wusste er, dass er begreifen würde, was sie anrichten konnte. Das Wesen richtete sich zu voller Größe auf und breitete die Krallenfäuste aus, während das brennende Gelb seiner Augen Uriel mit ihrem tödlichen Blick fixierte. Uriel lachte ihm ins Gesicht, während er den Druck der furchtbaren Macht des Wesens wie eine Klammer um seinen Schädel spürte. Todesvisionen zerrten an Uriels Verstand, enthielten aber keinen Schrecken für einen Krieger des Imperators. Er
konnte spüren, wie konsterniert das Wesen über seinen Widerstand war. Die Finsternis rings um das Wesen schwoll an, doch Uriel hielt die freie Hand über die Explosionsrune. Er lächelte trotz der Schmerzen und qualvollen Visionen in seinem Kopf. »Du bist schnell«, flüsterte Uriel, »aber nicht so schnell.« Der Nachtbringer schwebte vor ihm und beugte und streckte seine Krallen im Takt mit dem pulsierenden Dröhnen seines fremdartigen Herzens. Uriel konnte seine Macht und seine Wut spüren wie ein körperliches Wesen, das ihn von allen Seiten bedrängte, aber er spürte auch noch etwas anderes. Unbehagen? Zweifel? Die vom Nachtbringer zwischen ihnen hergestellte Verbindung gewährte Uriel einen flüchtigen Einblick in die Manifestation dieses völlig fremdartigen Wesens, und plötzlich wusste er, dass es trotz des von ihm angerichteten Gemetzels nur über einen Bruchteil seiner eigentlichen Macht verfügte. Es war noch so schwach und brauchte Energie. Uriel wusste, dass jeder verstreichende Augenblick dem Nachtbringer frische Kraft verlieh, da er sich die starken Lebensenergien einverleibte, die es hier gab. Eine bessere Gelegenheit, dieses Wesen zu besiegen, würde er nicht bekommen. Mit steter Stimme sagte er: »Dieses Bergwerk füllt sich mit explosiven Dämpfen, und wenn ich diese Vorrichtung sprenge, wirst du unter zehn Kilometern Fels begraben. Ich weiß nicht, was du bist und woher du kommst, aber eines weiß ich. Du bist nicht stark genug, um das zu überleben. Kannst du dir weitere sechzig Millionen Jahre der Gefangenschaft unter der Oberfläche dieser Welt vorstellen ohne etwas, von dem du dich nähren kannst? Dann wirst du ausgelöscht. Willst du das? Wenn du in den Verstand von Menschen schauen kannst, wirst du erkennen, dass ich uns eher alle vernichten werde, als dir zu gestatten, dein Schiff zu bekommen.« Der Druck auf sein Bewusstsein verstärkte sich, und Uriel schwächte seine geistige Barriere ein wenig und gewährte dem Nachtbringer einen Blick auf seine unerschütterliche Entschlossenheit. Seine Krallen hoben und senkten sich, und die Finsternis umwirbelte seine nebulöse Gestalt, da seine Wut die Kammer erzittern ließ. Risse bildeten sich in den Wänden, und die rote Erde von Pavonis rieselte hindurch. Dann schraubte sich der Schleier aus Finsternis wie ein schwarzer Tornado in einer Spirale um den Nachtbringer und riss dabei auch die zerschmetterten
Überreste seiner Wächterwesen mit in den wilden Strudel. Uriel war noch ein letzter Blick auf den Nachtbringer vergönnt, als dessen gelbe Augenhöhlen von der Finsternis seines geisterhaften Schleiers verschluckt wurden. Ein fremdartiges Zischen erfüllte die Kammer. Das schwarze Gewitter schoss aufwärts, prallte gegen die Goldkappe der Decke und zerschmetterte sie in tausend Stücke. Dann war er verschwunden. Uriel senkte die Arme, und seine Gedanken fühlten sich so klar und rein wie ein Sommertag an, als ihn die bedrückende Last der entsetzlichen Gedanken des Nachtbringers verließ. Er lächelte und konnte nicht verhindern, dass das Lächeln sich zu einem breiten Grinsen ausweitete. Er hatte gar kein Verlangen zu lächeln, aber die Klarheit seiner Gedanken, die von allen Mord- und Foltervisionen befreit waren, gestattete keine andere Reaktion. Er ließ das Metall fallen, dessen Oberfläche nun kalt und leblos war, und kroch zu Ario Barzano, der reglos in einer riesigen Blutlache lag. Uriel kniete neben dem Inquisitor nieder, suchte einen Puls und hätte beinahe vor Erleichterung gelacht, als er einen schwachen Schlag spürte. »Holt Apotheker Selenus!« Barzanos Lider flatterten und öffneten sich, und der Inquisitor lächelte, da auch seine empathischen Sinne von den Visionen des Nachtbringers frei waren. »Er ist weg?«, hustete er. Uriel nickte. »Ja, er ist weg. Sie haben ihn gerade lange genug aufgehalten.« »Nein, Uriel. Ich habe nur den Weg gezeigt. Sie selbst haben ihn aufgehalten.« Barzano blutete stark und fing an zu zittern. »Ihr habt euch gut geschlagen, ich bin stolz auf euch alle. Ihr...« Ein Hustenanfall erstickte seine Worte, und sein ganzer Körper erbebte, während frisches Blut aus seiner Brustwunde quoll. »Apotheker!«, rief Uriel wieder. »Die Statthalterin...«, keuchte Barzano mit zusammengebissenen Zähnen. »Geben Sie Acht auf sie, sie vertraut Ihnen. Sie wird auf Sie hören... andere auch... sie wird Ihren Rat und Ihre Unterstützung brauchen. Werden Sie das für mich tun, Uriel?« »Das wissen Sie doch genau, Ario.« Inquisitor Barzano nickte, schloss langsam die Augen und starb in Uriels Armen.
Nachdem sie ihre Toten eingesammelt hatten, verließen die Ultramarines die Grabkammer des Nachtbringers. Der einzige andere Überlebende des Gemetzels war Vendare Taloun, dessen Ohnmacht ihn vor den Visionen des Nachtbringers und dem Wahnsinn bewahrt hatte. Uriel führte den Mann mit vorgehaltener Pistole zum Förderkorb. Eigentlich gab es wenig Grund zur Gewalt. Taloun war ein gebrochener Mann. Es ärgerte den Space Marine, dem Gefangenen eine Atemmaske geben zu müssen, damit er nicht zu viel von den giftigen Dämpfen einatmen und so der gerechten Strafe für seinen Verrat entgehen konnte. Abgesehen von ihren ehrenwerten Toten nahm Uriel auch noch das Metallstück mit, das er aus dem Sarkophagdeckel gebrochen hatte. Seine glitzernde Oberfläche war trotz der unsanften Behandlung durch das Energiemesser völlig makellos. Das Metall würde nach Macragge geschickt, wo es im tiefsten Gewölbe in den Bergen für immer unter Verschluss ruhen würde. Als seine Männer zum Förderkorb zurückgekehrt waren, übergab Uriel Taloun an den weißgesichtigen Pasanius und sagte: »Wartet.« Auf dem Weg zurück in die Grabkammer stellte er sich die Gesichter aller Männer vor, die er bei diesem Unternehmen verloren hatte, aber in dem Wissen, dass ihr Opfer nicht vergeblich gewesen war. Allein in der Grabkammer des Nachtbringers, sah er die Erde von Pavonis in die Kammer rieseln und wusste, dass sie bald wieder vollkommen begraben sein würde. Aber Uriel wollte noch mehr. Er kniete nieder, legte einige Schmelzbomben auf die Sarkophagplatte und stellte die Zeitzünder ein. Wie er dem Nachtbringer versprochen hatte, würde dieser blasphemische Ort für immer unter zehn Kilometern Felsen begraben liegen. Uriel wandte sich ab und marschierte müde aus der Kammer.
19. Kapitel Drei Monate später Vendare Taloun wurde auf den Tag genau drei Monate nach der Schlacht in der Tiefbohrmine im Tembragrat hingerichtet. In einer
öffentlichen Verhandlung gestand er sein Bündnis mit Kasimir de Valtos, den Mord an seinem Bruder und eine ganze Reihe andere Gräueltaten in seiner Zeit als Oberhaupt des Taloun-Kartells. Er war schluchzend und mit nasser Hose zu den Überresten des Befreiungsplatzes geführt worden, wo er am ausgestreckten Arm der Statue des Imperators gehängt wurde. Noch einige andere Schlachten wurden ausgefochten, bevor die imperiale Herrschaft auf Pavonis wiederhergestellt war, die meisten zwischen zänkischen PWM-Einheiten, deren KartellZugehörigkeit stärker war als jedes Loyalitätsgefühl für die Sache, der sie angeblich dienten. Ihrer Führerschaft beraubt, waren die Kartell-Anhänger rasch wieder zu ihren natürlichen Vorurteilen und Verdächtigungen zurückgekehrt. Als der Tod von Solana Vergen, Taryn Honan, Kasimir de Valtos und Beauchamp Abrogas bekannt wurde, brach das Chaos über die entsprechenden Kartelle herein, die praktisch handlungsunfähig waren, weil die Abkömmlinge und Erben um die politische und wirtschaftliche Kontrolle rangen. Jene Bataillonskommandanten, denen es gelungen war, so etwas wie Ordnung in ihren Reihen zu bewahren, zogen sich in ihre Kasernen zurück und warteten ab, welche Vergeltungs- und Strafmaßnahmen man gegen sie ergreifen würde. Die Panzer und Soldaten des Shonai-Kartells trugen mehrere Kämpfe aus, um die Männer zur Verantwortung zu ziehen, welche ihren Treueeid gebrochen hatten. Doch als die Vae Victus einen Angriff auf eine vom De-ValtosKartell unterhaltene Kaserne mit einem verheerenden Bombardement aus der Umlaufbahn unterstützte, wurden Kapitulationsflaggen gehisst, sobald die Panzer des Shonai-Kartells in Sichtweite anderer feindlicher Festungen kamen. Das Schiff der Space Marines hatte außerdem das beschädigte Raumschiff der EldarPiraten aufgespürt und es sehr zu Lordadmiral Tiberius' Entzücken bei seinem Versuch, aus dem Pavonis-System zu fliehen, in seine Atome zerlegt. Als Mykola Shonai nach Pavonis zurückkehrte, tat sie das an der Seite von Lortuen Perjed und an der Spitze der Ultramarines, deren Rüstungen repariert und deren Wunden verbunden waren (obwohl die Rüstmeister des Ordens niemals in der Lage sein würden, den kreuzförmigen Abdruck zu entfernen, der sich in den Rücken von Uriels Rüstung gebrannt hatte).
Als sie nach Vendare Talouns Hinrichtung ihren Platz in der Kammer des Rechtschaffenen Kommerzes einnahm, gab es Beifallsrufe und Unterstützungsbekundungen von allen Rängen. Uriel saß auf einer Marmorbank, deren Oberfläche mit Rissen und kleinen Löchern übersät war. Dies war der einzige Teil des Palastgartens, der den Verheerungen durch den Beschuss und die Explosion des unterirdischen Arsenals entgangen war. Pasanius wartete am Eingang zum Garten, das Boltgewehr fest in der Hand seines neuen bionischen Arms. Das Gras war frisch gemäht, und sein Duft erinnerte Uriel an die Berge daheim auf Macragge. Ein einfacher Grabstein kennzeichnete die letzte Ruhestätte von Inquisitor Ario Barzano. Unter seinem Namen war eine Inschrift in fließenden, geschwungenen Runen eingraviert: Jeder Mensch ist ein Funke in der Dunkelheit würden wir doch alle so hell leuchten. Uriel hatte die Worte selbst eingemeißelt. Er hoffte, Barzano wäre damit einverstanden gewesen. Er erhob sich, als Mykola Shonai den Garten betrat. Die Wunden, die er bei dem Kampf in den Tiefen dieser Welt erlitten hatte, heilten, aber es würde noch einige Wochen dauern, bis er wieder vollkommen gesund war. Das Haar fiel Shonai lose auf die Schultern, und sie hielt einen kleinen Blumenstrauß in den Händen. Drei Wachen begleiteten sie, wahrten aber respektvollen Abstand, als sie sich dem Grabstein näherte. Sie nickte Uriel zu und kniete nieder, um den Blumenstrauß neben den Stein zu legen. Sie erhob sich wieder, strich die Falten in ihrem langen Kleid glatt und wandte sich ihm zu. »Hauptmann Ventris, es ist schön, Sie zu sehen«, lächelte sie, während sie auf der Marmorbank Platz nahm. »Bitte setzen Sie sich doch einen Augenblick zu mir.« Uriel folgte der Aufforderung, und so saßen sie in einvernehmlichem Schweigen mehrere Minuten beisammen, da keiner bereit war, diesen Augenblick des Friedens zu stören. Schließlich neigte Shonai den Kopf zu Uriel. »Also verlassen Sie Pavonis heute?«
»Ja. Unsere Arbeit hier ist getan, und es gibt mehr als genug imperiale Truppen, um für die Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen.« »Ja, das stimmt«, pflichtete Mykola Shonai traurig bei. Vor vier Tagen waren Transporter der Imperialen Garde gelandet, und die Soldaten und Panzer der 44. Laurentischen Husaren hatten die Stadt in ein Armeelager verwandelt. Schiffe der Adeptus Administratum und Adeptus Ministorum waren ebenfalls eingetroffen, um auf Pavonis ein gewisses Maß an politischer und spiritueller Stabilität wiederherzustellen. Prediger und Beichtväter erfüllten die Straßen mit ihrer Litanei und nahmen den Einheimischen neuerliche Schwüre der Frömmigkeit und Hingabe ab. Auf Empfehlung von Lortuen Perjed hatte das Administratum Shonai erlaubt, Statthalterin von Pavonis zu bleiben unter der Bedingung, dass sie sich am Ende ihrer Amtszeit aus dem öffentlichen Leben zurückziehen und nie wieder für ein öffentliches Amt kandidieren würde. Lortuen Perjed wurde als Vertreter des Administratums zum ständigen Beobachter auf Pavonis ernannt und löste damit den kriminell nachlässigen Ballion Varle ab, den Jenna Sharben, letzter überlebender Liktor in Brandontor, festgenommen und erschossen hatte. Die vom Shonai-Kartell dingfest gemachten rebellischen PWM-Soldaten wurden in diesen Stunden auf eine soeben eingetroffene Strafbarke überführt, die in die Kriegsgebiete des Segmentum Obscurus unterwegs war. Die Zukunft von Pavonis war gesichert, aber der Planet würde nicht mehr der autonomen Herrschaft der Kartelle unterstehen. Das Regierungssystem von Pavonis war als mangelhaft eingestuft worden und würde nun unter dem wachsamen Blick des Administratums stehen. Uriel konnte Shonais Enttäuschung verstehen. Sie hatte die schlimmste Tortur ihres Lebens überstanden, und nun, da sie am Ende den Sieg errungen hatten, wurde ihr alles weggenommen. »Ich wollte schon viel eher herkommen«, erklärte Shonai mit Blick auf das Grab, »aber ich war mir nie ganz sicher, was ich dann empfinden würde.« »In welcher Beziehung?« »Ich habe Ihnen und Ario die Rettung meiner Welt zu verdanken, aber wären die Dinge etwas anders gelaufen, hätte er Pavonis vernichtet und damit alles, was mir lieb und teuer ist.« »Ja, aber er hat es nicht getan. Er hat sein Leben für die Vertei-
digung von Ihnen und Ihrer Welt gegeben. Gedenken Sie seiner deswegen.« »Das tue ich. Zu Ehren seines Andenkens bin ich heute hergekommen, und ich werde dafür sorgen, dass man seiner für immer als Held von Pavonis gedenkt.« »Ich glaube, das hätte ihm Freude bereitet«, gluckste Uriel. »Es hätte seiner kolossalen Eitelkeit geschmeichelt.« Shonai lächelte und reckte sich empor, um Uriel auf die Wange zu küssen. »Vielen Dank für alles, was Sie für Pavonis getan haben, Uriel. Und für mich.« Uriel nickte erfreut über die Haltung der Statthalterin. Als ihm ihre ernste Miene auffiel, fragte er: »Was werden Sie tun, wenn Ihre Amtszeit vorüber ist?« »Das weiß ich noch nicht, Uriel. Etwas Beschauliches.« Sie lachte, dann erhob sie sich und bot Uriel die Hand an. Er stand auf und ergriff sie. Shonais zierliche Finger verschwanden fast völlig in seinen. »Leben Sie wohl, Uriel. Ich wünsche Ihnen alles Gute.« »Vielen Dank, Statthalterin Shonai. Möge der Imperator Sie auf allen Wegen begleiten.« Mykola Shonai lächelte noch einmal, bevor sie in die Palastruinen zurückkehrte. Uriel stand allein vor Barzanos Grab, nahm zackig Haltung an und salutierte der Seele des Inquisitors und hämmerte die Faust zu Ehren der Gefallenen zwei Mal gegen seinen Brustharnisch. Dann marschierte er zum Rand des Gartens, wo Pasanius auf seinen Hauptmann wartete. Dieser spannte die unvertrauten Sehnen seines neuen mechanischen Arms. Der massige Sergeant schaute auf, als sich sein Vorgesetzter näherte. »Er fühlt sich immer noch nicht richtig an«, beklagte er sich. »Du wirst dich daran gewöhnen, mein Freund.« »Wahrscheinlich«, murrte Pasanius. »Sind die Männer bereit zum Abflug?«, wechselte Uriel das Thema. »Aye, Ihre Krieger sind zur Heimkehr bereit.« Uriel lächelte über Pasanius' unbewusste Benutzung der Formulierung »Ihre Krieger«. Er legte die Hand auf den Knauf von Idaeus' Energieschwert und ballte die Faust um dessen goldenen Schädel. Nach dem Ende der Rebellion hatte er das Schlachtfeld vor dem
Gefängniskomplex abgesucht und die zerbrochene Klinge schließlich gefunden. Er hatte beabsichtigt, die Waffe zu reparieren, aber aus irgendeinem Grund hatte er es noch nicht getan. Bis jetzt war ihm der Grund dafür nicht klar gewesen. Die Waffe war ein Symbol, ein greifbares Zeichen des Einverständnisses seines ehemaligen Hauptmanns, dem die Männer der Vierten Kompanie folgen konnten. Doch nun, in der Feuerprobe der Schlacht, hatte Uriel seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt und brauchte solch ein Symbol nicht mehr. Es war Idaeus' letztes Geschenk für Uriel, und er wusste, dass es einen Ehrenplatz im Reliquienschrein des Ordens finden würde. Er würde sich sein eigenes Schwert schmieden, wie er sich in der Schlacht auch seine eigene Kompanie geschmiedet hatte. Es war jetzt seine Kompanie. Er wandelte nicht mehr in den Fußstapfen von Idaeus oder seiner illustren Vorgänger, sondern ging seinen eigenen Weg. Hauptmann Uriel Ventris von den Ultramarines machte auf dem Absatz kehrt und ging gemeinsam mit Pasanius zur Stadtmauer, wo ein Thunderhawk wartete, um sie an Bord der Vae Victus zu bringen. »Komm, mein Freund. Kehren wir heim«, sagte Uriel.
Epilog Siebzigtausend Lichtjahre entfernt wechselte die bei den stellaren Kartografen des Imperiums unter dem Namen Cyclo bekannte Sonne in das letzte Stadium ihrer Existenz. Sie war ein roter Riese mit einem Durchmesser von über neunzig Millionen Kilometern und brannte seit über achthundert Millionen Jahren. Wäre die wallende schwarze Gestalt nicht gewesen, die in der Photosphäre des Sterns schwebte und ihre letzten Energien aufsog, hätte sie vielleicht noch zweitausend Jahre länger gebrannt. Normalerweise erzeugte sie Unmengen von Energie, indem sie tief in ihrem Herzen vermittels Kernfusion Wasserstoff zu Helium verbrannte, aber ihr Kern war nicht mehr in der Lage, die immensen Kräfte zu erhalten, die dort tobten. Gewaltige Schübe aus elektromagnetischer Energie und Ströme von Plasma bildeten einen Nimbus aus gleißendem Licht, der sich in pulsierenden Wellen ausbreitete. Der Nachtbringer stärkte sich und kam in den Tiefen der ster-
benden Sonne wieder zu Kräften.
ENDE