Nacht der Liebe-
Nacht des Schicksals
Helen R. Myers
Bianca 1062
17/1 1997
gescannt von suzi_kay korrigiert von Gei...
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Nacht der Liebe-
Nacht des Schicksals
Helen R. Myers
Bianca 1062
17/1 1997
gescannt von suzi_kay korrigiert von Geisha0816
PROLOG "Ich denke, die junge Dame meinte, was sie sagte." Der Fremde trat zwischen Jordan Mills und die beiden Männer, die sie beharrlich belästigten. "Kommt, zieht Leine, Jungs." Mit seinem breiten Rücken versperrte er Jordan den Blick. Seine Bewegungen waren schwer zu deuten. Griff er nur in die Tasche, oder holte er mit der Hand zum Schlag aus? Immerhin kamen die beiden Männer offenbar zu dem Schluß, daß sie mehr Ärger als Spaß bedeuteten, und zogen sich zurück. Erleichtert murmelte Jordan ihrem Beschützer ein Dankeschön zu, widmete sich wieder ihrem Brandy und hoffte, daß auch er gehen würde. Oder hatte er die anderen nur vertrieben, um selbst zum Zug zu kommen? "Das hier ist nicht der richtige Ort für Sie." Da mochte er recht haben, dachte Jordan. Sie hatte in Memphis Halt gemacht und war nur an die Hotelbar gegangen, um sich für das graue, trostlose Leben, das vor ihr lag, zu stärken. "Aus welchem Jahrhundert stammen Sie denn?" fragte sie patzig. "Soviel ich weiß, ist das hier ein freies Land." Normalerweise warf sie nicht so schroff und unhöflich. "Entschuldigung, daß ich mich eingemischt habe." Zu Jordans Überraschung ging er nicht, sondern setzte sich auf den Barhocker neben sie. "Scotch mit Eis", bestellte er.
Vor zwei Tagen hatte sie Massachusetts verlassen. Und auf dem Weg zurück nach Mount Liberty in Texas, von Brent weg zum Reverend, schien sie sich geradezu in Jekyll-Hyde-Manier verändert zu haben. Jordan nahm einen Schluck. "Tut mir leid, daß ich so reagiert habe", entschuldigte sie sich. "Schon gut." "Ich wollte nur keine Gesellschaft haben." "Ich genauso wenig." Jordan nickte. Dabei konnte man es ja belassen. Sie trank den Brandy aus, nahm ihre Tasche und stand auf. Der Drink hatte ihr gut getan, vielleicht würde sie nun ruhig schlafen. Der Fremde schaute sie an. Er hatte eisblaue Augen, dunkles Haar und ein kantiges Gesicht mit düsterem Ausdruck. "Alles Gute", grüßte sie nur kurz. "Ihnen auch." Als sie auf dem Weg zum Fahrstuhl war, kam er ihr nach. Jordan sank das Herz. Er glaubte doch wohl nicht... "Sehen Sie mich nicht so an", meinte er grimmig, "ich will nur helfen. Haben Sie nicht bemerkt, wie die beiden Typen Sie beim Weggehen angestarrt haben?" "Nein." "Dann schauen Sie mal hinter mich. Ich wette, die lauern darauf, daß Sie die Hotelhalle allein verlassen." Er hatte recht. "Vielleicht sollte ich an der Rezeption um Begleitschutz bitten." "Soweit ich sehen kann, ist das Durchschnittsalter des Personals zwischen achtzig und scheintot. Wenn Sie erlauben, werde ich das eben übernehmen und mich dann gleich wieder weiter auf den Weg machen. Ich übernachte hier nicht, ich habe nur kurz Rast gemacht."
Sollte sie die Hilfe eines Fremden annehmen? Aber da die Flure düster waren und nur wenige Zimmer besetzt zu sein schienen, blieb ihr wohl nichts anderes übrig. Er sah recht gut aus, wirkte allerdings irgendwie verbittert. So, als hätte er seit Jahren nicht gelächelt. Als Jordan entdeckte, daß die anderen beiden Männer sie tatsächlich beobachteten wischte sie ihre Bedenken zur Seite. "Also gut, ich nehme Ihre Hilfe an." Der altmodische Fahrstuhl hielt quietschend an, die schmiedeeisernen Türen schlössen sich hinter ihnen. Beim Hinauffahren rumpelte der Fahrstuhl. Als er plötzlich ruckartig stoppte, verlor Jordan auf ihren hohen Absätzen das Gleichgewicht und packte das erstbeste, um sich daran festzuhalten - ihren Begleiter. Der Fremde fing sie gekonnt auf. "Verdammt", schimpfte er, "wir sind steckengeblieben!" Jordan war es peinlich, daß sie seinen Arm ergriffen hatte. "Alles in Ordnung?" fragte er. "Ja. Tut mir leid, daß ich Sie in diese Situation gebracht habe." "Machen Sie sich keine Gedanken. Wir müssen hier nur irgendwie wieder heraus." Er probierte alle Knöpfe auf der Schalttafel aus, und plötzlich, so ruckartig wie er vorher stehen geblieben war, setzte sich der Fahrstuhl wieder in Bewegung. "Ein Glück!" flüsterte Jordan. Sie schwor sich, in Zukunft nur noch die Treppe zu benutzen. Knarrend und ächzend erreichte das vorsintflutliche Gefährt den dritten Stock. Wäre sie nicht so erschöpft gewesen, hätte Jordan es fast erheiternd gefunden, wie ihr Begleiter sich auf die Tür stürzte, sobald die sich zögernd öffnete. "Schnell raus hier!" rief er und schob sie so hastig in den Gang, daß beide zu Boden stürzten. Eilig half er ihr wieder auf die Füße. "Tut mir leid, habe ich Ihnen weh getan?" fragte er besorgt.
"Nein, es war ja nicht Ihre Schuld." Der rechte Absatz wackelte, deshalb zog sie beide Pumps aus - und wirkte auf einmal ganz klein neben ihm. "Wir sollten das Hotel auf Schadensersatz verklagen", brummte er wütend. "In dem Fahrstuhl kann man ja zu Tode kommen." "Ich werde es gleich morgen melden. " Ihre Haare hatten sich aus dem Knoten gelöst, Jordan zitterte. Er streichelte beruhigend ihren Arm und sah sie an, als sei sie ein verschüchtertes kleines Mädchen. "Sie fallen doch nicht etwa in Ohnmacht?" fragte er besorgt. "Ich bin ein bißchen durcheinander." Wenn sie sich nicht bald setzte, würde ihr noch schlecht werden. Der Fremde legte fürsorglich den Arm um ihre Taille. "Also, wo ist Ihr Zimmer?" Jordan war zu dankbar" um zu protestieren, und suchte nach ihrem Schlüssel. Sie waren ganz allein in dem dämmerigen Flur. Aufmerksam achtete er auf jeden ihrer Schritte. Jordan mußte an Brent denken, an dessen Lieblosigkeit. Als sie Jordans Zimmer erreichten, zitterte sie so sehr, daß ihr Begleiter ihr den Schlüssel abnahm, weil sie nicht in der Lage war, aufzuschließen. "Ich rufe eben unten an", erklärte er. Jordan glaubte, jeden Augenblick in hysterische Tränen ausbrechen zu müssen. "Soll ich einen Arzt rufen? Er könnte Ihnen ein Beruhigungsmittel geben." Sie schüttelte den Kopf. "Es geht schon." Seine Initiative war wohltuend. Er ließ bei der Rezeption keinen Zweifel an seiner Empörung über den Ernst des Zwischenfalls, bekam offenbar eine befriedigende Antwort und legte wieder auf. Erst jetzt schien ihm bewußt zu werden, wo er sich eigentlich befand. Sein Blick wanderte von dem
aufgeschlagenen Bett zu Jordans feiner Wäsche, die auf dem Stuhl bereitlag. Er räusperte sich und ging zur Tür. "Der Fahrstuhl wird morgen in Ordnung gebracht, aber sagen Sie Bescheid, bevor Sie das Ding noch mal betreten, okay?" "Ja, klar. Vielen Dank für alles. Ich weiß, ich war nicht... ". Er unterbrach sie. "Ich bin froh, daß ich behilflich sein konnte." "Sie sind sehr freundlich." Das brachte ihr einen langen Blick ein. "Nein, das bin ich nicht. Und Sie sollten wissen, daß Sie nicht so hart im Nehmen sind, wie Sie tun." Jordan lächelte gequält. "Das ist mein neues Image, an dem ich wohl noch arbeiten muß." "Allerdings, und zwar gehörig." Ihre Blicke verfingen sich. "Ich werde Sie allerdings nicht fragen, wieso Sie das für nötig halten." "Darüber möchte ich auch nicht sprechen." "Also gut." Es gab nichts mehr zu sagen. Beide standen ganz still da, als seien sie innerlich gefangen. Eigentlich wollte sie ihre Hand nicht auf seinen Arm legen. Außerdem sah er nicht mal glücklich aus, als er ihr Haar berührte. "Himmel, bist du schön." Und auf einmal geschah alles wie in Zeitlupe. Er senkte den Mund auf ihren. Und anstatt daß sie ihm auswich, schweißte der Schock sie förmlich zusammen. Seine Lippen fühlten sich wunderbar an. Nicht beim ersten, beim zweiten oder dritten Kuß, erst beim folgenden Kuß spürte sie die Kraft, die von ihm ausging. Unwillkürlich packte sie sein Jackett, als wollte sie ihn festhalten, bevor sich der Traum in Nichts auflöste wie all ihre Träume ... Mit einem Stöhnen löste er sich von ihr. "Wir sind verrückt." "Ja, ich weiß." "Wirf mich 'raus, und schließ hinter dir ab!"
Das hätte Jordan tatsächlich tun sollen, aber seine Arme waren wie stählerne Zwingen, die jeden Versuch unmöglich gemacht hätten. "Wieso gehst du nicht einfach?" "Weil ich nicht kann. Und weil ich wahnsinnig gern bleiben möchte. Auch wenn das keine Fortsetzung hätte." "Nein, das hätte es nicht." Und das war zugleich schrecklich und wunderbar. Er murmelte irgend etwas und küßte sie erneut, heißhungrig und begehrend. Das ging immer so weiter, und irgendwann hörte Jordan noch neben dem Bauschen in ihren Ohren, wie er den Türriegel umlegte. Das letzte, was sie klar dachte, war, daß sie noch nicht mal seinen Namen wußte. Aber zwischen den pochenden Schlägen ihres Herzens wurde das, wie alles andere, gänzlich unwichtig.
1. KAPITEL Sechs Monate später. Ihr taten die Füße weh. Und der Hals. Eigentlich alles, dachte Jordan, als sie vom Parkplatz der High-School in Mount Liberty wegfuhr. Am meisten der Kopf. Wenn sie den Rest der Woche als Beaufsichtigung der Nachsitzer überstand, ohne ihr Lehrerinnendiplom zu zerreißen, würde das ein Wunder sein. Kinder! Als sie noch studierte, waren die nicht so wild und unkontrollierbar gewesen. Es würde herrlich sein, nach Hause zu kommen. Als erstes ein heißes Bad. Schwitzen, bis die Haut sich rötete. Nein, erst ein paar Kerzen anzünden. Und hatte sie nicht noch ein Glas von dem köstlichen Johannisbeersaft, den sie neulich gekauft hätte? Beim Stopzeichen rumpelte der grün-weiße Pickup der guten alten Mrs. Graves heran. Wie üblich warf sie Jordan einen giftigen Blick zu. Jordan tat, als sähe sie sie nicht, setzte aber ihre Sonnenbrille auf, sobald die alte Dame vorbeigefahren war. Sie mochte die Witwe nicht. Die Frau war geldgierig, eigensüchtig und gehässig. Jordan verstand nicht, wie eine solche Person gleichzeitig eifriges Kirchenmitglied sein konnte. Aber Scheinheiligkeit gab es leider überall. Jordan war nun seit sechs Monaten zurück, und der Reverend war seit vier Monaten tot. Aber Mrs. Graves - unter anderen gab ihr noch immer das Gefühl, eine Außenseiterin zu sein, obgleich Jordan in Mount Liberty groß geworden war. Doch
auch andere, die ihr ganzes Leben in der Stadt verbracht hatten, waren nie als "Einheimische " betrachtet worden. Andererseits empfand Jordan das Alleinsein auch ganz angenehm. Ihr Vater hatte ihr das Haus vermacht, und da in der High-School gerade ein Englischlehrer gesucht wurde, bewarb sie sich um den Posten. In New England hielt sie nichts mehr, und da konnte sie genausogut wieder nach Mount Liberty zurückgehen. Im Zentrum staute sich der Sonntagsverkehr. Jordan betrachtete den neben ihr fahrenden Wagen, eine rostige Limousine mit einer vielköpfigen hispanischen Familie, von der Kreischen und Lachen durch die offenen Fenster zu hören waren. Die Mutter umklammerte das Steuer, als gelte es, den Wagen durch ein Minenfeld zu lavieren. Daneben war ihr eigener Streß sicher unbedeutend, dachte Jordan, die vor der einzigen Ampel der Stadt auf Grün wartete und die Umgebung betrachtete. Die winzigen Lädchen, die das Zentrum ausmachten, schienen unverändert, seit sie vor neun Jahren den Ort verlassen hatte. Ein texanischer Sturm hatte einige Straßenschilder zerstört. Die Gleichgültigkeit, mit der man die Schäden belassen hatte, spiegelte die Einstellung der Bewohner wider. Vor ihr hielt ein grauer, viertüriger Geländewagen. Die Schlammspritzer am Wagen und der Cowboyhut des Fahrers ließen darauf schließen, daß es sich um einen Jagdaufseher handelte. Wo mochte es hier Schlamm geben? Im September regnete es selten, die Felder waren ausgetrocknet. Vermutlich hatte der Fahrer sich im Seengebiet aufgehalten. Im Außenspiegel sah man, daß er unrasiert war und eine Sonnenbrille trug. Die harten Linien seines Gesichts ließen es grimmig erscheinen. Jordan war offenbar nicht die einzige, die sich über die endlos rote Ampel ärgerte. Plötzlich blickte der Mann in seinen Außenspiegel und runzelte die Stirn. Hoffentlich hatte er nicht gehört, was sie vor
sich hingebrabbelt hatte! Er schob die Brille so weit hinunter, daß er sie genauer ansehen konnte. Plötzlich wurde ihr die Kehle ganz trocken. Das durfte doch nicht wahr sein! Jordan beugte sich vor, um ihn genauer zu sehen. Oh, ja, sie erinnerte sich an die gerade Nase, den festen, sinnlichen Mund, das Gefühl seiner Küsse ... Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken! Hinter ihr hupte jemand und weckte sie aus der Starre. Der Mann im Geländewagen fuhr los. Jordan bog in die Peach Road ein und atmete erst wieder tief durch, als er außer Sicht war. Das war doch nicht möglich! Sie hatte sich bestimmt geirrt, und der Fahrer hatte ihm nur ähnlich gesehen. Außerdem hatte sie ihn damals ja fast nur im Dunkeln gesehen. "Du lieber Himmel..." sagte sie zu sich selbst. Sie mochte gar nicht daran denken. Sechs Monate waren eine lange Zeit. Sie konnte sich ja nicht mal mehr richtig an Brent erinnern, und den hatte sie geliebt! Oder es wenigstens hatte sie das gedacht. Anfangs. Als sie an der Tankstelle am Stadtrand vorbeifuhr, war sie beinahe wieder beruhigt und mußte über ihre Panik lachen. Plötzlich fiel ihr Blick in den Rückspiegel. Der graue Geländewagen war direkt hinter ihr! Kein Zweifel! Was sollte sie nur tun? Stone sah, wie die Frau im weißen Wagen beschleunigte, und folgte ihr. Ihre Reaktion machte jeden Zweifel zunichte. Sie war diejenige, mit der er in Memphis in jener Nacht mehr oder weniger durchgedreht war! Nie hätte er damit gerechnet, sie je wiederzusehen! Und was tat sie in Mount Liberty? Jordan fuhr drei Meilen südlich, bevor sie in eine lange Wohnstraße einbog. Stone folgte ihr.
Gehörte das schlichte Holzhaus ihr? Zwischen gewaltige Bäume gekuschelt, stand da ein hübsches Chalet-ähnliches Haus mit Fensterläden und Blumenkästen. Auf dem Außenbriefkasten stand J. L. Mills. Der Name sagte ihm nichts. Dabei fiel ihm ein, daß er ja nicht mal wusste wie sie hieß! Er stellte den Motor aus, blieb aber sitzen, um seine Gedanken zu ordnen. Wegen erneuter Fälle von Wilderei hatte er einen schlechten Tag gehabt. Wieder ein Grund, warum er ein einsameres Leben vorgezogen hätte. Aber mit seiner Nichte Kristen, die nun zu seinem Leben gehörte, war das nicht möglich. Und nun beschäftigte ihn diese geheimnisvolle Frau. Wie damals trug sie ein Kostüm und hochhackige Pumps. Als sie sich hinabbeugte, um ihre Tasche aus dem Wagen zu nehmen, erinnerte er sich daran, wie sie an der Hotelbar die schlanken Beine gekreuzt hatte. Auf seiner Stirn bildete sich Schweiß. Daß diese Frau ihn sexuell erregte, obgleich sie nicht die geringste Ähnlichkeit mit seiner geliebten Tracy hatte, weckte Schuldgefühle in ihm. Diese Frau hier war blond und hellhäutig und hatte die sehnige Figur einer jungen Tänzerin. Tracy dagegen war dunkel, runder und weicher gewesen. Das einzig Üppige an der Blonden waren ihre festen Brüste - schon der Gedanke daran weckte erneut Lustgefühle in ihm. Obgleich er so nervös war wie seit langem nicht, stieg er aus. Es war niemand in der Nähe, dennoch ging er vorsichtshalber hinter der Autotür in Deckung. Womöglich gab es einen eifersüchtigen Ehemann oder Liebhaber. Sie sah ihn entsetzt an. Stone trat näher. "Die Welt ist klein", murmelte er anstatt einer Begrüßung. Im Sonnenlicht schimmerte ihr Haar wie weiches Gold. "Das kann man wohl sagen." "Es scheint dir peinlich zu sein." "Dir nicht?"
Nein, peinlich war es ihm nicht. "Nennen wir es Überraschung. Bist du schon länger in der Stadt?" "Seit sechs Monaten. Ich war gerade auf dem Weg hierher zurück, als wir uns damals ..." "Ich verstehe." Eins wunderte ihn. "Du sagtest hierher zurück." "Ich bin zwar in Dallas geboren, aber als ich Baby war, nach dem frühen Tod meiner Mutter, zogen wir hierher." Merkwürdig, daß sich ihre Wege noch nicht öfter gekreuzt hatten! "Und wieso bist zu zurückgekommen?" wolllte er wissen. "Der ... Mein Vater bat mich darum. Er lag im Sterben. Mit Krebs." Da waren sie wieder: Tod und Sterben. Davon konnte er ein Lied singen. "Du mußt kein Beileid äußern", meinte sie hastig, noch bevor er etwas sagte. "Der Reverend und ich standen uns nicht sehr nahe. Für ihn war die Geme inde die Familie. Er war hier Pastor." Stone dachte an die düstere Presbyterianer-Kapelle nordöstlich der Stadt und fragte sich, was für ein Mann das gewesen sein mochte, dessen Tochter vom ihm nur als vom "Reverend" sprach. Hatte sie deshalb damals so verloren gewirkt? "Was machst du beruflich?" fragte er. "Ich lehre Englisch an der High-School." Ihr Blick fiel auf die Waffe an seiner Hüfte. "Und du bist der ..." "Jagdaufseher. Seit Jahren in Franklin County und seit zwanzig Monaten auch im Wood County." "Das erklärt einiges. Ich verließ Texas nach Schulabschluß und bin erst zurückgekehrt, als mein Vater schwerkrank wurde." "Und wo hast du in der Zwischenzeit gelebt?" "In New England."
Die Auskunft war ziemlich vage. "Und? Planst du, zurückzugehen?" "Nein." Er wartete auf eine Erklärung. In ihren dunklen Augen stand Mißtrauen. In Memphis damals hatte er so etwas wie Melancholie bei ihr gespürt. "Bedeutet es ein Problem für dich?" "Was?" "Daß wir uns kennen." "Tun wir das? So würde ich das nicht nennen." Ihre direkte Art gefiel ihm, aber das hier war beinahe schnippisch! "Also gut: Gibt es einen Ehemann oder jemanden, der sich über das, was in Memphis passiert ist, aufregen könnte?" "Dann stünde ich jetzt nicht hier. Und was ist mir dir?" "Bei mir gibt es auch niemanden." Sie hatten also beide keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Obgleich die Leidenschaft damals seinen Verstand völlig ausgeschaltet hatte, hatten sie Kondome benutzt. Er könnte in seinen Wagen steigen und davonfahren. Es gab keine Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft oder sorgloser Ansteckung. "Ich weiß nicht mal deinen Namen", versuchte er, ein Gespräch in Gang zu halten. "Den wolltest du damals auch nicht wissen." "Hm. Dann frage ich dich jetzt." "Jordan. Jordan Leslie Mills." Der Name paßte zu ihr. Er wirkte sowohl streng als auch weiblich. "Und ich heiße Stone Demarest." Sie schwieg. Es interessierte sie offensichtlich recht wenig. "Ich weiß", sagte sie schließlich. "Ich meine, es wird mir klar, daß ich deinen Namen schon in der Zeitung gelesen habe." "Ah, ja, vermutlich in den wöchentlichen Verhaftungsberichten im ,Mount Liberty Journal'. Keine besonders interessante Lektüre."
"Spricht irgend etwas gegen Leute, die gern lesen?" erkundigte sie sich schroff. Nein, sicher nicht. Dabei sah sie nicht wie ein Bücherwurm aus. Eher wie ein Model. Irgendwie paßte nichts von ihr zu seiner Vorstellung von ihr. Er schaute sich um. "Macht es dir nichts aus, hier draußen so allein zu leben?" "Ich bin gern allein." Na, großartig. Eine neue Greta Garbo. "Ich will nur sagen, daß die Kriminalitätsrate steigt. Und auch ländliche Gegenden sind nicht mehr so sicher, wie sie mal waren." "Dann ist es doch egal, wo man wohnt, oder?" "Hör zu, die Situation ist für uns beide merkwürdig. Wir sollten uns etwas für den Fall überlegen, daß wir uns irgendwann noch mal über den Weg laufen." "Wohnst du hier in der Nähe?" "Nicht direkt. Ein paar Meilen westlich der Stadt." "Dann gibt es wohl kein Problem. Ich kaufe meistens in Tyler ein, und außerhalb der Schule habe ich keinen Umgang. Mit anderen Worten: Ich bin am liebsten allein." Das war deutlich. Stone nickte. "Ich ebenfalls. Dann gehe ich wohl besser." Er stieg in seinen Geländewagen. Das, was ihn dazu gebracht hatte, ihr zu folgen, hatte sich durch ihre kühle Art in Luft aufgelöst. Als er wendete, sah er im Rückspiegel, daß sie schon ins Haus gegangen war. Nun, Miss Mills konnte ihre Einsamkeit haben. Er war richtig erleichtert. Was in Memphis passiert war, war ein Fehler gewesen. Vorbei und vergessen. Sie konnte nach Herzenslust die Diva spielen oder von ihm aus eine alte Schachtel werden. Er hatte sich nichts vorzuwerfen! Sobald Jordan die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte sie sich zitternd dagegen. Sie hatte nicht so eiskalt klingen wollen, aber sein urplötzliches Auftauchen hatte sie total durcheinandergebracht!
Stone Demarest. Der Jagdaufseher war Stone Demarest! Alles, was sie sich seit dieser Nacht im April vorgestellt hatte trotz aller Bemühungen, nicht an ihn zu denken -, paßte nicht dazu. Während der letzten Wochen, die der Reverend noch lebte, in den langen Tagen und Nächten bei ihm, war sie machtlos gewesen gegen sehnsüchtige Gedanken, die ihre Phantasie belebten. Sie hatte gedacht, der Fremde wäre Rinderzüchter oder Ölmann. Zumindest jemand, der körperlich arbeitete, was die Schwielen an seinen Händen erklärte und die wettergebräunte Haut. Sie erbebte beim Gedanken an das Gefühl, wie er, mit diesen männlichen Händen ihren Körper erforscht hatte. Nicht in ihren wildesten Träumen hätte sie sich vorgestellt, daß er Staatsbeamter sein könnte, und dann ausgerechnet hier! Stöhnend ließ sie die Handtasche zu Boden fallen. Jetzt brauchte sie einen Schluck Wein. Wie betäubt ging sie in die Küche und öffnete die Kühlschranktür. Die kalte Luft, die ihr entgegenkam, fühlte sich angenehm an auf der erhitzten Haut. Während sie die Flasche entkorkte, zog sie ihr Jackett aus. Wie froh war sie, allein zu wohnen und zum Beispiel im Hemd herumlaufen zu können, ohne daß ein Nachbar ins Fenster spähte! Als sie zum erstenmal in der Zeitung den Namen Stone Demarest gelesen hatte, war er ihr aufgefallen. Er hätte zum Helden eines Romans gepaßt, und die Art, wie über ihn geschrieben wurde, ließ darauf schließen, daß er sehr tüchtig war und vehement für die Einhaltung der Gesetze eintrat. An der Tankstelle hatte sie einmal gehört, wie man ihn den "Stone Man" nannte, den mit dem "steinernen Gesicht". Das paßte zu ihm! Er trug eine Khakiuniform und sah aus, als könne er gut mit einer Waffe umgehen. War das derselbe, mit dem sie in Memphis geschlafen hatte und der mit seiner großen Sensibilität
bei ihr eine Leidenschaft entfacht hatte, die sie niemals in sich vermutet hätte? Beim Gedanken daran verschluckte Jordan sich beinahe, und ihre Augen wurden feucht. Sie setzte sich hin und stellte das Glas auf den Tisch. Oh, ja, sie erinnerte sich an alles, auch daran, daß er ihr den Eindruck vermittelt hatte, daß sie nicht nur seit langem die erste Frau für ihn war, sondern etwas ganz Besonderes, und daß ihr Vergnügen genauso wichtig für ihn war wie sein eigenes. "Verdammt noch mal", entfuhr es ihr. Erst hatte sie die Lügen von Brent erdulden, danach wieder den Reverend ertragen müssen, und nun begegnete sie auch noch demjenigen, der sie an den einzigen Ausrutscher ihres Lebens erinnerte! Hatte sie das verdient? Auch wenn der Reverend es anders dargestellt hatte, war sie doch eine brave Tochter gewesen, und mit Brent wäre sie nie so lange zusammengewesen, wenn sie die Wahrheit über ihn früher herausgefunden hätte. Sobald das geschah - ironischerweise nur Tage vor dem unvergeßlichen Anruf ihres Vaters -, beschloß sie, ihn zu verlassen. Deshalb hatte sie jetzt auch so spröde auf Stone reagiert. Sie wollte nicht an dieses Erlebnis erinnert werden! Jordan schlief schlecht in dieser Nacht. Zwischen den Geräuschen der Koyoten und ihren Träumen wachte sie mindestens jede Stunde auf. Um drei Uhr morgens gab sie es auf, machte sich einen Pulverkaffee und begann, Schulaufsätze durchzusehen. Als sie dann am nächste Morgen zur Arbeit kam, hatte sie das Gefühl, schon einen Achtstundentag hinter sich zu haben. Ihren Schülern ging es anscheinend ähnlich, denn sie benahmen sich wie Erstkläßler statt wie Teenager auf dem Weg zum Erwachsenwerden.
Gegen Ende des Tages fühlte sie sich wie ausgelaugt, und als sie auf dem Nachhauseweg auch noch Stone Demarests grauen Wagen im Rückspiegel entdeckte, gab ihr das den Rest. Auch das noch! Er folgte ihr bis zu ihrem Haus! Mit klopfendem Herzen stieg sie aus. Er ging auf sie zu. "Wir müssen miteinander reden", erklärte er und sah dabei genauso unglücklich aus wie sie.
2. KAPITEL Der Blick seiner eisblauen Augen hielt Jordan so gefangen, daß ihr beinahe entging, wie der Paketzusteller vorbeifuhr, der sicher sofort herumtragen würde, was er gesehen hatte. "Bitte", Jordan versuchte, Abstand von Stone zu bekommen, "könnten wir, was immer du zu sagen hast, im Haus besprechen? Hier draußen sieht uns jeder, und ich möchte Gerüchte vermeiden." Er drehte sich um und sah gerade noch den Paketwagen verschwinden. Dann folgte er ihr hinein, wobei Jordan seinen Blick auf ihrem Körper spürte. Sofort fiel ihr ein, daß ihr Haus noch nicht fertig renoviert war und er sicher einen schlechten Eindruck bekommen würde. So ein Unsinn, schalt sie sich innerlich, wirf die psychologischen Ketten weg! Außerdem - soll er doch denken, was er will. Drinnen begrüßten sie nicht nur Leiter, Farbtöpfe und Bettlaken zum Möbelabdecken, sondern auch warme, stickige Luft. Jordan stellte schnell die Heizung herunter. "Wie du siehst, bin ich noch am Einrichten", erklärte sie. "In der Küche sieht es ja schon prima aus", lobte er, nachdem er sich ein bißchen umgesehen hatte. Sie folgte seinem Blick. Die Wände waren weiß, die Schranktüren aus Rauchglas, kupfernes Kochgeschirr gab der Schlichtheit einen besonderen Charakter, und alles hob sich
schon deutlich vom Rest des Hauses ab, in dem dunkles, verwohntes Holz vorherrschte. "Danke. Kann ich dir etwas anbieten? Kaffee, Eistee? Bier habe ich leider nicht." "Wir haben ja auch keine offizielle Verabredung." "Wenn es so warm ist wie heute, würde ich jedem etwas zu trinken anbieten." Am liebsten hätte sie ihre Kostümjacke ausgezogen, ihr Haaransatz war schon ganz feucht. "Stimmt, wir haben noch immer Sommertemperaturen. Eistee hört sich gut an." Jordan war froh, irgend etwas tun zu können, um ihre Nervosität zu kaschieren, holte Gläser heraus und nahm einen Krug mit Eistee aus dem Kühlschrank. Am Fenster standen ein runder Tisch und zwei Stühle. "Setz dich." Angesichts der feinen Wildlederbezüge zögerte er. "Ich habe den Tag im Wald verbracht, bist du sicher, daß ich mich da hinsetzen soll?" "Das Leder ist unempfindlich." Ihre eher weibliche Einrichtung gefiel einem so männlich-kraftvollen Typ wie Stone vermutlich weniger. Außerdem hatte er sicher Mühe, seine langen Beine unter dem Tischchen unterzubringen. Jordan fügte noch Eis zum Tee, und beide setzten sich. "In welchem Wald?" erkundigte sie sich und schlug ihre schlanken Beine übereinander. Sein Blick ruhte sogleich auf ihnen, als würde ihm so ein Anblick nach jahrelanger Haft zum erstenmal wieder geboten. "Wie bitte?" fragte er zerstreut. "Du sagtest, du seist im Wald gewesen. Gibt es da Probleme? Oder warum bist du noch mal in diese Gegend gekommen?" Er blickte aus dem Fenster. Zum Glück war wenigstens der Rasen gemäht, dachte Jordan. Ansonsten sah der Garten noch etwas trostlos aus, ihr Vater hatte das Anpflanzen von Bäumen und Sträuchern für Geldverschwendung gehalten, und sie selbst hatte noch keine Zeit gehabt, das zu ändern.
Texas war eine wahre Fundgrube für Einzelgänger und Desperados. Das ganze Jahr über wurde gewildert, dazu gab es in einsamen Gegenden zunehmend versteckte Drogenlabors. Auch Einbrüche kamen vor, wenn die Bewohner den Winter in größeren Städten wie Tyler oder Longview verbrachten. "Nein, nichts dergleichen." Seine Miene war nicht sehr überzeugend. Jordan fiel auf, daß er keinen Ehering trug, nicht einmal eine Uhr. Vielleicht war er aber zumindest verlobt? "Hör zu, ich möchte nicht unhöflich erscheinen", sagte sie, nachdem sie lange genug gewartet hatte, "aber würdest du mir bitte sagen, was du willst? Ich hasse Spannungen, selbst in Filmen. Das war schon in meiner Kindheit so." "Na ja, ich habe gestern abend etwas herausgefunden, von dem ich dachte, daß wir darüber sprechen sollten." Er wirkte so verlegen, daß Jordan witzelte: "Falls du schwanger bist, stammt das Kind nicht von mir." Ihre Art Humor war weder von Brent noch vom Reverend geschätzt worden, und keiner von beiden hatte verstanden, daß er eine Art Überlebensmechanismus war. So war Jordan eher überrascht, als Stone den Mund zu einem breiten Grinsen verzog. "Ich bin wirklich schlecht im Reden. Laß es mich einfach direkt sagen: Ich habe eine Nichte, die bei mir lebt. Wir verstehen uns nicht sehr gut. Allerdings ist ihr Vater auch erst seit einigen Monaten tot. Er hatte Lungenkrebs. Es war ziemlich schlimm, und meine Nichte und ich bemühen uns noch immer, unsere persönlichen Verluste zu verarbeiten und uns aneinander zu gewöhnen." Das verstand Jordan. Ihr Vater war auch erst seit viereinhalb Monaten tot. Und obgleich sie sich nicht sehr nahegestanden hatten und er alles andere als ein Wunschvater gewesen war, hatte sie noch immer Mühe, mit dieser Lücke in ihrem Leben fertigzuwerden.
"Wo ist ihre Mutter?" wollte Jordan wissen, die am liebsten seine Hand tröstend berührt hätte. "Meine Schwester Janine lebt schon seit Jahren nicht mehr. Sie kam durch einen betrunkenen Autofahrer ums Leben." Obgleich Jordan sich vorgenommen hatte, sich nie mehr um anderer Leute Probleme zu kümmern, empfand sie tiefe s Mitleid mit dem Mädchen. "Das muß schlimm für euch alle gewesen sein." "Versteh mich nicht falsch, Kristen ist ein tolles Mädchen, aber meine Arbeit ist sehr aufreibend, und ich bin nie da, wenn sie jemanden zum Reden braucht. Außerdem weiß ich gar nicht, was in den Köpfen von Jugendlichen vor sich geht." Worauf wollte er nur hinaus? Was hatte das alles mit ihr zu tun? "Soweit ich das von meiner Arbeit her beurteilen kann, muß man dazu kein eigenes Kind haben. In deren Augen sind wir alle verdächtig, und der Versuch, sie zu verstehen, ist meistens sinnlos." "Ich hatte selbst Frau und Kind. Unser Haus ist knapp zwei Jahre, bevor mein Schwager Jackson starb, abgebrannt." Jordan rutschte fast das Glas aus der Hand, und der Tee schwappte über. "Wie ungeschickt!" schimpfte sie, sprang auf und holte einen Wischlappen von der Spüle. Eilig säuberte sie ihren Rock und den Tisch - was ihr Zeit gab, das Gehörte zu verdauen. Kein Wunder, daß er in Memphis so mitgenommen gewirkt hatte. Die gesamte Familie auf so schreckliche Weise zu verlieren und dann noch die Verantwortung für das Kind eines anderen zu übernehmen, das mußte verteufelt schwer sein. "Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll", murmelte sie, sobald sie wieder saß. "Alle Antworten erscheinen mir klischeehaft." "Deswegen habe ich es dir nicht erzählt." "Ist... Kristen heißt sie? ... in dem Alter, in dem deine Tochter jetzt wäre? Ist es das?"
"Nein. Billie Ann war drei, und Kristen ist jetzt fast achtzehn. Was mir Gedanken macht, ist mehr, daß sie in deiner Klasse ist." "Ach, Kristen Thomas ist deine Nichte?" Da gab es nicht die geringste Ähnlichkeit. Kristen war blond wie Jordan und auch figürlich ähnlich. Stone dagegen war dunkelhaarig und kräftig. "Die Welt ist klein." "Du wußtest es nicht?" "Wie sollte ich?" "Um so besser. Ich dachte schon, du hättest es gehört und würdest das, was zwischen uns passiert ist, vielleicht in deinem Verhalten zu ihr auslassen." "Wie bitte?!" "Nun, Kristen sprach über dich, bevor ich wußte, wer du warst. Sie bewundert dich. Du bist so, wie sie selbst sein möchte: selbstbewußt, nachdenklich, unabhängig.Angesichts dessen, was sie in ihrem jungen Leben schon durchmachen mußte, würde sie es wohl nicht verkraften, wenn du ihr auch noch Schwierigkeiten machtest." In Jordan stieg Ärger auf. "Du traust mir zu, einem jungen Mädchen weh zu tun, nur weil ich eine Dummheit mit seinem Vormund begangen habe?" "Das habe ich nicht gesagt. Was meinst du übrigens mit .Dummheit'?" "Wechsel nicht das Thema." "Ich sagte ..." Er stand so heftig auf, daß der Stuhl fast umfiel, und ging durch die Küche. "Ich wollte dich nur bitten zu vergessen, daß sie meine Nichte ist." "Ich habe eine bessere Idee: Ich vergesse lieber, daß du ihr Onkel bist." Ein Hauch von Röte überzog sein dunkles Gesicht. Er sah aus, als würde er gleich explodieren. "Wieso stehe ich vor dir eigentlich als böser Bube dar?" "Weil du mir etwas Ungeheuerliches unterstellt hast!"
"Was denn? Ich habe nur eine Befürchtung geäußert, über die wir wie Erwachsene diskutieren sollten." "Zu deiner Info rmation: In meiner Klasse befinden sich der Sohn des Bürgermeisters, des obersten Postrats, die Kinder von renommierten Geschäftsleuten. So ist das in einer Kleinstadt nun mal. Und das einzige, was mich interessiert, ist, daß sie dem Unterricht folgen." "Ich wollte dich nicht beleidigen und falsche Schlüsse ziehen." "Du vergißt das Wörtchen .wieder'." Auf einmal war sichtbar, warum man ihn den "Stone Man" nannte. Sein Gesicht nahm einen steinernen Ausdruck an, und seine blauen Augen hätten ein Inferno entzünden können. Jordan war froh, daß er nicht direkt in ihrer Nähe stand. "Wieder", korrigierte er sich eisig. "Leider kenne ich dich nur auf intime Weise und bin kein Hellseher. Ich habe bei Kristen einen Fehler nach dem anderen gemacht und gewagt, dir das anzuvertrauen. Wie konnte ich wissen, daß du auf dem Gebiet weit weniger zugänglich bist?" Eine halbe Stunde später war Stone noch immer zornig auf sich selbst. Er hatte sich wie ein Elefant im Porzellanladen benommen! Wäre er ihr doch bloß nicht hinterhergefahren! Als er zu Hause ankam, hatte er sich noch immer nicht beruhigt. "Zu Hause"! In Jacksons Ranchhaus fühlte er sich genauso wenig zu Hause wie in der Vaterrolle. Neben einem Pickup war das graugelbe Steinhaus das einzige, was sein Schwager hinterlassen hatte. Selbst nach Janines Tod hatte Jackson sich keine Gedanken über die Zukunft gemacht und weder am Haus noch am Garten etwas gemacht. Stone parkte auf der Einfahrt neben Kristens rotem kleinen Wagen, den Stone gegen Jacksons Pickup eingetauscht hatte, damit das Mädchen unabhängig war. Erschöpft lehnte er den Kopf zurück, aber die brennenden Gedanken ließen ihn nicht los.
Wieder hätte er diese unangenehm vertraute Gefühl, einen Schritt vorwärts und drei zurück gemacht zu haben. So wie in den ersten Wochen nach dem Feuer. Damals war es verständlich gewesen, daß er gegen alles und jeden anging. Und selbst als Jackson seinen Kampf gegen den Krebs verloren hatte, war es verständlich, daß Stone Ratlosigkeit darüber empfand, daß ihm plötzlich ein Teenager anvertraut war, den er großziehen sollte. Aber es gab keine Entschuldigung dafür, daß er so mit Jordan umgegangen war, nur weil sie ebenfalls ziemlich verschlossen war! Mit fünfunddreißig war er noch nicht alt, aber offenbar hinterließ das harte Leben, das er führte - Sechzehnstundentage in der Wildnis und ständiger Bereitschaftsdienst - seine Spuren. Und statt mit einem Baby hatte er es übergangslos mit einem Teenager zu tun, der sich für Jungs interessierte. Jordan hatte recht: Er hatte keine Ahnung, wie ma n mit dem weiblichen Geschlecht umging. Tracy hatte ihn verwöhnt, abgeschirmt, alles für ihn getan. Dadurch war er nicht auf die Frauen von heute vorbereitet. Nicht nach den psychischen Belastungen, die er durchgestanden hatte, und schon gar nicht auf eine komplizierte Frau wie Jordan Mills. Immerhin hatte sie ehrlich geklungen, als sie sagte, sie würde es nicht an Kristen auslassen, daß sie eine "Dummheit" begangen hatte. Stone hatte oft an die Nacht von damals denken müssen. Wenn er ehrlich war, sogar ständig. Sie hatte ihn die innere Leere vergessen lassen und seine Sexualität für einige Stunden wieder geweckt, wenn er auch keinen Versuch gemacht hatte, so etwas zu wiederholen. "Onkel Stone?" Kristen kam gerade abfahrbereit aus dem Haus auf ihren Wagen zu. Es war beinahe sechs Uhr, wohin wollte sie jetzt noch? "Habe ich einen Termin vergessen?" fragte er und stieg aus.
"Äh, Terry, Michelle und ich wollten noch schnell einen Burger essen und über neue Cheers beraten. Danach wollen wir noch etwas trainieren. " In diesem Aufzug? Sie trug ein kurzes T-Shirt und hautenge Shorts. Wußte sie nicht, wie schnell die Hormone eines halbstarken Jungen damit in Wallung gebracht wurden? "Ich dachte, wir wollten heute Abend deine Sachen fürs College sortieren und das, was zur Kleidersammlung soll." "Nicht heute, das ist zu deprimierend." "Aber Kris, je eher wir das tun, um so eher kannst du mit deinem normalen Leben fortfahren." "Onkel Stone, es ist Donnerstag Abend, morgen ist unser erstes Spiel. Wenn ich nicht trainiere, bin ich nicht in Form für all die Sprünge und Spagate." Wen wollte sie hier verulken? Der einzige Unterschied zwischen ihr und einem Gummiband war der, daß sie Korkenzieherlocken trug, die zu einem lustigen Pferdeschwanz gebunden waren. "Hör mal, Kleines, du bist doch in bester Verfassung." Um seinen Wangenkuß zu vermeiden, ging sie zu ihrem Wagen hinüber. Auch das war er schon gewohnt, und es schmerzte nur noch wenig. "Aber paß auf, daß ihr nicht zuviel macht, okay?" "Keine Sorge. Mrs. Tucker hat übrigens Essen für dich gebracht, es steht auf dem Herd." Eilig machte sie sich auf den Weg, so hübsch wie schuldbewußt. "Also gut", seufzte er. "Wenn du versprichst..." Ihm fiel auf, wie komisch sie ihre Tasche hielt, als wolle sie damit etwas verdecken. Unwillkürlich trat er zu ihr - und entdeckte, daß der rechte Scheinwerfer ihres Wagens kaputt war. "Es ist nicht, was du denkst!" rief sie ängstlich. "Ich hatte keinen Unfall, und Jack repariert die Sache heute abend. Er hat versprochen, in Mineola Ersatz zu besorge n." "John Nolan jr. tut nie etwas, das an Arbeit erinnert."
"Du kannst dich auch mal irren." Das bezweifelte Stone. "Wie ist es passiert?" Die Lampenfassung schien noch in Ordnung zu sein. "Jack ist dagegengestoßen." "Womit? Mit seinem dicken Kopf?" Kristen schaute ihn wütend an. Was ihn sogleich an Jordans Gesichtsausdruck denken ließ. Er machte wohl alles falsch! Als sie einsteigen wollte, nahm er Kristen beim Arm. "Der Wagen bleibt hier, bis er repariert ist." "Das wollen wir ja tun." "Ich will damit sagen, daß Mr. Quarterback hierherkommt und das hier erledigt. Ich freue mich schon auf seine Erklärung. Irgend etwas sagt mir nämlich, daß deine Geschichte ein Schwindel ist." Jack Nolan tat immer so, als gehöre Kristen ihm. Da er der älteste Sohn des Bürgermeisters war und Quarterback bei Mount Libertys erfolgreichstem Footballteam, hatte er in der Gemeinde eine Beliebtheit erreicht, die er gern ausnutzte. "Bitte, Onkel Stone, er will nicht hierher kommen, er weiß, daß du ihn dann fertig machst!" "Wenn er das verdient, hat er sogar recht. Um so mehr Grund hätte er, herzukommen und es wie ein Mann zu nehmen." "Aber er hat doch Ausgehverbot wegen des Spiels morgen Abend, dem ersten der Saison." In Texas schien sich alles nur um Sport zu drehen. "So, und damit hast du ebenfalls Ausgehverbot!" "Wieso denn das?" schrie Kristen mit hysterischer Stimme. "Weil du mich angelogen hast." Die ganze Sache ging Stone gegen den Strich, aber man mußte ja Prinzipien setzen. Wenn sie ihm den Unfall sofort gebeichtet hätte, wäre er nicht begeistert gewesen, hätte den Scheinwerfer aber gleich selbst repariert. Doch solange Jack jr. nicht demütig ankam, würde der Wagen hierbleiben, und damit Schluß.
Kristens Unterlippe zitterte, dann hob sie das Kinn, stürmte ins Haus und warf die Tür krachend hinter sich zu. Als Stone, dem jetzt seine volle Müdigkeit zu Bewußtsein kam, hinterherging, hörte er, wie Kristen in der Küche telefonierte. Am liebsten hätte er nach diesem anstrengenden Tag nur noch heiß geduscht, aber er mußte aufpassen, daß das Mädchen sich nicht hinausschlich. In seinem Büro fiel sein Blick auf ein Foto von Tracy und Billie, dem einzigen, das er noch besaß. Der schlimmste Schmerz war überwunden, die Einsamkeit aber so groß wie eh und je. Um so schwerer fiel es ihm, mit Kristen streng sein zu müssen. Er konnte sich genau vorstellen, was sie durchmachte, zumal sie einen ähnlichen Verlust erlebt hatte und von Jackson nicht gerade Fürsorglichkeit gewohnt gewesen war. Er schaute in den trostlosen Garten mit dem Holzzaun. Wievie l schöner war es bei Jordan! Allein wegen der hohen Bäume, die ihr Anwesen umgaben. Schon Kristen zuliebe mußte er hier etwas verändern, schließlich war es ihr Erbe. Sein Diensttelefon klingelte. Hoffentlich war es kein Notruf, der ihn wieder nach draußen zwang. Schon, weil er Kristen dann ohne Kontrolle lassen müßte. "Demarest", meldete er sich knapp. "Hallo? Bitte sprechen Sie." "Ich bin's", kam es zögernd, "Jordan Mills." Stone lehnte sich zurück. "Das klingt wie im Märchen, aber es überrascht mich wirklich." "Ich würde es dir nicht übelnehmen, wenn du auflegtest, aber ich möchte mich entschuldigen." Das gab es doch nicht! "Woher hast du denn meine Nummer?" "Aus dem Telefonbuch. Wenn ich vorher gewußt hätte, wer du bist, wäre dieser Anruf unnötig gewesen. " "Was heißt das?"
"Dann wäre ich nicht in Mount Liberty geblieben." "Vielen Dank. Das ist sicher der höflichste Schlag ins Gesicht, den ich je bekommen habe", bemerkte er sarkastisch. "Du weißt, was ich meine. Ich wollte mich entschuldigen, ich war sehr unfreundlich und bedaure das aufrichtig." "Schon vergessen. Aber wieso warst du das eigentlich?" Jordan schwieg eine Weile. "Du weißt genau, warum Du machst mich nervös." Stone beugte sich vor. "Das hättest du doch überspielen können." "Ich habe es versucht. Aber als du mir erneut nach Hause folgtest, dachte ich ... " "Das schlimmste." "Ich kann mir keinen Ärger leisten, ich bin noch nicht lange genug an der Schule." "Ich möchte auch keinen Ärger." "Dann laß uns Memphis einfach vergessen." Er packte den Hörer fester, wollte ihr die Antwort geben, auf die sie Wartete, brachte es aber nicht heraus. "Wer hat dir, außer deinem Vater, so weh getan, daß du so abblockst?" "Er hat mir gereicht, glaube mir." "Aber er war nicht der einzige." Wieder folgte beredtes Schweigen. Schließlich räusperte sie sich. "Was Kristen betrifft ... Ich ermutige meine Schüler nicht zu emotionaler Nähe, aber du brauchst dir keine Gedanken zu machen, daß ich irgendwie unfair bin. Sie ist eine gute Schülerin und gehört zu den wenigen, die nicht in die Klasse kommen, als gingen sie zu ihrer Hinrichtung." Stone beließ es dabei, daß Jordan seine Frage nicht beantwortete. "Freut mich zu hören, wobei ich glaube, daß du die Einstellung zu deinen Schülern überdenken solltest. Die Kinder sind hilfloser, als man denkt." "Niemand kann alles für jeden bedeuten. Das weißt du besser als andere."
Richtig, die Nacht mit ihr hatte ihn auch daran erinnert, daß es mehr gab als reines Vergnügen, und ihm noch andere Seiten von ihr gezeigt, ohne daß sie es ahnte. Vermutlich brauchte sie die Kinder so sehr wie die sie. "Was ist, wenn unsere Wege sich mal kreuzen? Soll ich so tun, als hätte ich dich noch nie gesehen?" "Das wäre wohl das Beste." "Ich weiß nicht recht." "Wir können es ja versuchen. Das ist alles, worum ich dich bitte. Vielen Dank, Stone." Noch bevor er antworten konnte, hatte sie aufgelegt. Wieso erschien ihm ihre Bitte so absurd? Weil er diese Frau nicht vergessen konnte? Weil sie ihn, ohne es zu wissen, damals davor bewahrt hatte, in eine Depression zu verfallen? Vielleicht konnte er jetzt ihr helfen.
3. KAPITEL "Also, hört zu", Jordan verschränkte die Arme und lehnte sich an den Schreibtisch, "da es nicht nur Freitag, sondern auch noch die letzte Stunde ist und da ich weiß, daß heute abend das Eröffnungsspiel ist, werde ich es euch ein wenig leichter machen." "Sie meinen, wir können jetzt gehen, Miss Mills?" Bo Sprädlin, der kräftig gebaute Neffe des Sheriffs, der ganz am Rand des Klassenzimmers saß, wollte sich schon erheben. "Nein, setz dich, Bo. Das meine ich nicht." "Och", stöhnte Bo enttäuscht und setzte sich schwerfällig wieder hin. "Lesen wir noch dieses alberne Zeug?" "Wenn du damit die Gedichte von Emily Dickinson meinst, nein, das nicht. Wir werden selbst ein paar Verse schreiben. " Alle Jungen stöhnten bei dieser Ankündigung laut auf, ebenso wie ein paar Mädchen. "Beruhigt euch, ihr sollt ja nicht die ,Ilias' oder Ähnliches verfassen. Aber ein Minimum von vier Zeilen. Oder natürlich mehr, wenn ihr Lust habt. Das kann ja nicht so schlimm sein." Einige Mitglieder des Footballteams grummelten so laut, daß Jordan wieder Zweifel erfaßten, ob es klug gewesen war, ihren College-Posten in Massachusetts aufzugeben, anstatt sich nur beurlauben zu lassen, wie Brent ihr geraten hatte. Wie sollte sie nur mit der Mentalität halsstarriger Kleinstadtbewohner fertigwerden?
Durch Kristens erschrockenen Blick war ihr klar, daß die gröbste Bemerkung von deren Freund stammte. "Jack Nolan, hast du ein besonderes Problem, das du der Klasse mitteilen möchtest?" Jack tat unschuldig. "Äh, nein, Madam." "Freut mich. Es wäre doch schade, wenn der Quarterback des Teams außerhalb des Spielfeldes ein so schlechtes Beispiel geben würde." "Miss Mills?" fragte Kristen, "müssen Gedichte sich reimen?" "Nicht unbedingt." Jordan verschränkte die Arme vor der Brust. "So, Leute, laßt eure Kreativität fließen. Denkt dran, was ich euch zu Semesterbeginn sagte: Nämlich daß es bei Poesie nicht notwendigerweise um Blumen oder Romantik geht, sondern um Gefühle, das heißt um Ehrlichkeit. Um die Wahrheit des Augenblicks." Darüber sollten sie sich nun den Kopf zerbrechen. Der Unmut und der wachsende Widerstand waren nichts Neues für Jordan, störten sie aber dennoch. In einer anderen Klasse hatte sie einen Aufsatz mit dem Titel "Mein Leben" schreiben lassen. Der sollte nicht nur dazu dienen, die Ausdrucksfähigkeit zu testen, sondern auch, um die Charaktere der Schüler etwas besser einzuschätzen. Aber das Ergebnis war mager, und besonders das Niveau der Sport-Asse war so schlecht, daß Jordan sich fragte, wieso die nicht alle sitzengeblieben waren. Und wie es aussah, würde es bei diesen - älteren - Schülern ähnlich Unangenehmes zu entdecken geben, denn sie zeigten offen, daß sie den Unterricht als Strafe empfanden. Jordan hatte längst die Illusion aufgegeben, das System ändern zu können. Und in dieser Klasse schon gar nicht. Nach Zehn Minuten fragte sie in die arbeitsame Stille hinein: "Also, wer liest vor?" Siebenundzwanzig Köpfe schössen entsetzt hoch. "Wieso seid ihr überrascht? Wozu soll Poesie gut sein, wenn sie nicht deklamiert wird?"
"Wozu ist sie überhaupt gut?" Jack Nolan verzog sein schönes Gesicht. "Poesie kann etwas vermitteln. Durch sie lernt der Leser zu hören. Er entdeckt, daß jemand Gedanken und Gefühle in Worte gekleidet hat, die seine eigenen widerspiegeln. Zum Beispiel Gefühle wie Verwirrung, Stolz oder Schmerz. Und plötzlich fühlt er sich weniger allein. Er sagt sich: ,Wenn diese Person weiß, wie ich mich fühle, vielleicht ist da draußen jemand, der mich versteht. Vielleic ht ist meine Situation nicht hoffnungslos. Auf einmal ist die Welt nicht mehr nur eine riesige Masse von Fremden, wie wir bislang dachten." Einigen Schülern, darunter Kristen, schien die Idee zu gefallen, anderen zumindest nicht unsympathisch zu sein. Aber keiner traute sich, als erster vorzulesen. "Also gut, dann fangen wir auf der linken Seite an und gehen die Gänge entlang. Bo Spradlin, bitte." "Wieso ich?" Seine Stimme überschlug sich beinahe. "Weil du ganz links außen sitzt." "Ich setze mich woanders hin." "Du bleibst, wo du bist." Er drückte sich in seinen Stuhl und schaute zu seinen Freunden, die hämische Geräusche von sich gaben. "Es reimt sich nicht richtig", wandte er ein. "Das macht nichts. Wir haben heute keine Prüfung, also entspann dich. Versuc he zu genießen, was du tust." "Lieber würde ich Blut spenden." Der Junge hatte offenbar Talent für flotte Sprüche. "Sieh es mal so, du bist auch als erster fertig. Sobald du fertig bist, kannst du dich setzen und dich freuen, daß die anderen dran sind." Das schien ihn zu beruhigen. Er fuhr durch seine losen Zettel. "Okay. Also, es geht etwa so: ,Das Feld ist grün. Unsere Uniformen sind weiß. Wir weichen nicht zurück. Wir sind hier, um zu kämpfen.'"
Kichern und Stöhnen waren zu hören. Bo riß wütend sein Blatt vom Block, knüllte es zusammen und warf es quer durch den Raum. Als es zurückgeflogen kam, rief Jordan sie zur Ordnung: "Jungs, das reicht!" Und zu dem verlegenen Schüler sagte sie: "Das ist genau, was ich wollte, Bo. Du hast ausgedrückt, was du im Kopf hattest, und warst ehrlich. Gut gemacht." Sie forderte den nächsten Schüler auf. Einige Gedichte waren lustig, andere nur lose aneinandergereihte abstrakte Gedanken, aber einige waren recht eindrucksvoll. Die überraschendsten Zeilen kam von Ridge Biggs, einem großen düsteren Jungen, der Jordan an den einsamen wilden Heathcliff aus dem Roman "Sturmhöhe" erinnerte. "Du kennst mich nicht, obgleich du es gern möchtest", begann er vorzulesen, und sein schwarzes Haar fiel ihm in die Stirn. "Du sprichst nicht, aber du schaust. Ich kann dich nicht berühren, aber ich träume von dir. Sollte Leben nicht mehr sein als das?" Einige Sekunden lang waren alle still. Dann nörgelte Jack: "Klingt wie von einem Mädchen." Er erntete einen Lacher von seinen Nachbarn, aber die Mädchen schossen ihm böse Blicke zu. Was Jordan betraf, so hatte sie genug von Jack. "Noch eine solche Bemerkung, Nolan, und du kannst dein Gedicht deinen Kumpels beim Nachsitzen vorlesen." Es war ihr egal, daß er der Sohn des Bürgermeisters und der Sportstar von Mount Liberty war. "Ridge, das war sehr tiefgründig und sensibel, vielen Dank." Bis zum Schlußläuten schafften sie zwei Drittel der Arbeiten. Kristen kam nicht mehr dran und schien deshalb ein wenig enttäuscht zu sein. "Vergeßt nicht, daß eure Kurzgeschichten Montag in einer Woche fertig sein müssen!" rief Jordan den hinausstürmenden Schülern nach.
Als alle verschwunden waren, kam es ihr vor, als wiche alle Energie von ihr. Dabei mußte sie sich noch um die Nachsitzer kümmern. "Miss Mills?" Kristen stand schüchtern in der Tür. Wann immer sie das Mädchen sah, mußte Jordan an Stone denken. "Was ist? Hast du etwas vergessen?" "Nein, ich ... Kann ich Sie mal sprechen?" "Natürlich. Ich will nur eben meine Tasche in den Wagen legen, bevor ich zu den Nachsitzern in die Cafeteria gehe. Du kannst mich begleiten, wenn du willst." Das Mädchen drückte ihre Bücher an sich. Sie trug Jeans, das rot-weiße T-Shirt der Moünt Liberty Lions und sah auf Anhieb wie jede andere Schülerin aus. Bei genauerem Hinsehen aber wirkte sie ganz anders. Eine gewisse Traurigkeit im Blick ließ sie reifer erscheinen, Jordan wußte, woher die stammte. "Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich die Themen, die Sie in diesem Jahr behandeln, besonders gut finde", sagte Kristen beim Hinausgehen. "Freut mich. Es ist nicht möglich, jeden zu inspirieren, darum bin ich froh, wenn die Themen wenigstens einigen von euch gefallen. Aber du gehörst sicher zur Minderheit." "Ja, vermutlich. Aber Ridge ... Sein Gedicht war ziemlich gut, nicht?" "Sehr gut", bestätigte Jordan. "Er, äh, scheint eigentlich nicht der Typ für so etwas zu sein." "Und welcher Typ ist das?" "Na ja, einer der sensibel und poetisch ist." Jordan schloß die Beifahrertür ihres Wagens auf. "Glaube mir, das Aussehen kann sehr täuschen. Selbst wenn man jemanden seit Jahren kennt, kann man sich gewaltig in ihm irren." Sie stellte ihre Tasche auf den Beifahrersitz und schloß die Tür wieder ab. "Galt das Gedicht von Ridge dir?"
Die direkte Frage schockierte Kristen. "Nein! Ich bin ... Jack Nolan und ich sind befreundet." Kristen wandte den Blick zur Seite. "Ich dachte, das wüßten Sie." Jordan wußte das tatsächlich, aber sie wollte mit dem Mädchen ins Gespräch kommen. Eine Menge war gegen diese Beziehung einzuwenden, aber sie durfte sich da nicht einmische n. "Weshalb wolltest du mit mir reden?" "Ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht mein Gedicht lesen würden. Sie haben im College unterrichtet und verstehen etwas vom Schreiben. Ich hoffte, Sie könnten mir sagen, ob ich Talent habe und ob mein Gedicht annä hernd so gut ist wie das von Ridge." "Man sollte seine Arbeit niemals mit der eines anderen vergleichen." "Aber sein Gedicht war so ... so real." Jordan fiel eine Zeile von Shaw ein: .Glauben Sie, daß die Dinge, für die Menschen sich zum Narren machen, weniger real und wahrhaftig sind als die, bei denen sie sich vernünftig verhalten?' "Alles ist real, Kristen. Und zwar genau dann, wenn es dir passiert. Und natürlich werde ich auch dein Gedicht lesen, das ist meine Aufgabe." "Nein, Sie verstehen mich nicht, Miss Mills. Ich glaube ... nein, ich weiß, daß ich schreiben möchte. Als Journalistin oder Schriftstellerin, das weiß ich noch nicht. Ich möchte wissen, ob Sie mir helfen können. Nicht nur mir", fügte sie hinzu. "Wir könnten einen Literaturclub gebrauchen. Mr. Etheridge kümmert sich mehr um die Verwaltung, Sie wären viel besser. Ich habe schon viel in Ihrem Unterricht gelernt und bin sicher, andere wären auch interessiert." Vielleicht einer wie Ridge? Genau so etwas hatte Jordan vermeiden wollen, und das hatte sie Direktor Fields auch gesagt, als sie die Stellung antrat. Sie wollte nur unterrichten. Ansonsten wollte sie ihre Ruhe haben.
"Das Ansinnen ist schmeichelhaft, ich fürchte allerdings, es ist mir nicht möglich, Kristen. Ich lese aber gern dein Gedicht und empfehle dir ein paar Bücher ..." Kristen unterbrach sie irritiert. "Bücher kann ich mir selbst besorgen, Miss Mills, das reicht nicht." "Tut mir leid, das ist alles, was ich dir anbieten kann." "Und was ist damit, daß Sie im Unterricht von der Bedeutung von Dichtung sprachen? Das stammte nicht aus einem Buch, das kam doch aus Ihrem Herzen!" Bevor Jordan antworten konnte, fuhr ein grauer, ihr nur allzu vertrauter Wagen auf den Parkplatz. Ihr wurde ganz anders. "Wir müssen unser Gespräch ein andermal fortsetzen", entschuldigte sie sich, "ich muß in die Cafeteria." "Ich muß auch gehen, das ist mein Onkel." Kristen fühlte sich sichtlich zurückgewiesen, und das tat Jordan leid. "Hör zu", der Wagen stoppte neben ihnen, und die Scheibe wurde heruntergekurbelt, "ich kann leider wirklich nicht mehr für dich tun." "Schon gut, vergessen Sie es." "Was soll sie vergessen?" Ob gleich Stones Frage an Kristen gerichtet war und er seine Augen hinter einer verspiegelten Brille hatte, spürte Jordan seinen Blick auf sich und blieb stehen. "Nichts." Kristen öffnete die Beifahrertür, hatte aber bemerkt, daß Stone Jordan zunickte. "Miss Mills, das ist mein Onkel, er ist der Wildwart." Und zu ihm sagte sie: "Das ist meine Englischlehrerin, Miss Mills." "Ma'am. Gibt es ein Problem? Ich hatte den Eindruck, daß das Gespräch ernst war." Jordan war sicher, daß er ein Stück Wild aus Hunderten von Metern Entfernung ohne Fernglas erkennen konnte. "Nein, Mr. Demarest, Kristen und ich diskutierten nur Schulstoff." "Woher wissen Sie seinen Namen?" fragte Kristen verblüfft.
Zu spät erkannte Jordan ihren Fehler. "Äh, ich ... muß wohl..." "Der steht dauernd in der Zeitung, Kris." Stone nahm seine Sonnenbrille ab, und Jordan konnte jetzt in seine spöttischen Augen sehen. "Ich bin sicher, daß Miss Mills als Englischlehrerin eine eifrige Leserin des lokalen Tageblattes ist." Jordan überhörte, daß er ihre eigenen Worte zitierte. Warum hatte sie nur keinen Lippenstift aufgelegt oder ihr Haar überprüft? Meine Güte, Jordan, du willst doch nichts mehr mit Männern zu tun haben! schimpfte sie innerlich auf sich. Sie sah von seinem sonnengebräunten Gesicht weg und sagte zu Kristen: "Aus der Zeitung bestimmt. Jetzt muß ich aber gehen. Viel Glück heute abend. Wiedersehen, Mr. Demarest." Sie sah sich nicht mehr um und war froh, als sie hörte, wie die beiden wegfuhren. "Heutzutage sehen die Lehrer viel besser aus als zu meiner Zeit." "Ich dachte, sie sei anders, aber das ist sie nicht." Stone sah fragend zu seiher Nichte hinüber. "Was meinst du?" Nachdem Jack gestern nicht mehr gekommen war, um den Wagen zu reparieren, hatte Stone ihm verboten, Kristen morgens zur Schule mitzunehmen. Statt dessen hatte er sie selbst hingebracht, mit dem Ergebnis, daß Kristen zutiefst schmollte. "Schwer zu erklären", meinte sie. "Wenn sie unterrichtet, ist sie ganz lebendig und voller Leidenschaft, ja sogar witzig, wie ich finde. Sie unterrichtet gern. Aber wenn man mit ihr allem ist, verschwindet das alles, und es ist, als spräche man mit einer ganz anderen Person," / "Sag mal ein Beispiel." "Ich bat sie gerade darum, einen Literaturclub zu gründen, und sie hat es glattweg abgelehnt." Stone wußte, wie kühl Jordan manchmal sein konnte. "Vielleicht hat sie keine Zeit", gab er zu bedenken.
"Sie lebt allein und unterrichtet nur zwei Klassen. Ich dachte immer, Lehrer kümmerten sich um ihre Schüler." Kristen seufzte. "Du hast mir nie erzählt, daß dich das Schreiben interessiert." "Du hast auch nie danach gefragt." "Das ist unfair." "Okay, du fragst schon ab und zu. Doch früher haben Dad und ich dich selten gesehen, so daß du mir ziemlich fremd warst. Und du mußt zugeben, daß es nicht leicht ist, mit dir zu reden." Kristen sah ihn schief an. Das stimmte. Er verlor sich oft in trüben Erinnerungen. "Ich sollte wohl mehr für dich da sein, was? Willst du dich denn im College auch aufs Schreiben konzentrieren?" "Ich weiß noch nicht, vielleicht." "Aber du hast dich doch schon bei einigen Colleges beworben, nicht?" "Können wir ein andermal darüber reden? Ich muß mich aufs Spiel heute abend konzentrieren." Er wollte sie noch daran erinnern, daß das fehlende Jahr bis zum College im Nu vorbei sein würde, war aber schon froh über dieses kurze Gespräch mit seiner Nichte. Und außerdem gab es noch vieles andere zu bedenken. Wieso hatte er auf Jordan wieder so stark reagiert? Ihre Vereinbarung, so zu tun, als würden sie sich nicht kennen, war doch zu dumm! Sobald er sie sah, stand er förmlich unter Strom. Und nun hatte sie Kristen gekränkt, obgleich sie versprochen hatte, das junge Mädchen neutral zu behandeln. War sie so verlogen wie verführerisch? "Ich muß noch mal weg", erklärte er, sobald sie vor dem Haus in die Auffahrt fuhren. Er müsse dem Sheriff noch einen Bericht vorbeibringen, behauptete Stone. "Wann bist du zurück?" "In etwa einer Stunde,"
"Das sagst du immer, und dann sehe ich dich erst, wenn ich zu Bett gehe. Ich wette, du hast vergessen, daß ich heute abend noch mal zur Schule muß." "Wenn ich sage, ich komme zurück, dann tue ich es auch!" "Das glaube ich erst, wenn ich es sehe! Vielleicht sollte ich mich von Michelle abholen lassen." Damit stürmte Kristen aufgebracht ins Haus. Bei dem Spiel am Abend war Jordan nicht unter den Zuschauern. In der Halbzeit ging Stone von den belagerten Ständen zum Haupteingang. Die Lions lagen weit vorne, und obgleich seine Nichte ihn ignorierte, hatte Kristen durchaus gesehen, daß er zugeschaut hatte, wie sie ihr Team anfeuerte. Er wußte, daß sie von Freunden nach Hause gebracht werden würde. So beschloß er, noch einmal bei Jordan vorbeizufahren. Nichts war gelaufe n wie geplant. Nachmittags hatte er nicht zu ihr fahren können, weil der Sheriff tatsächlich etwas von ihm gewollt hatte. Und als er nach Mount Liberty zurückfuhr, standen auf dem Schulparkplatz nur Wagen von Leuten, die mit dem Spiel zu tun hatten. Zu Hause fand er sie dann aber auch nicht. Stone kam es vor, als wiche sie ihm aus. Als er durchs Haupttor ging, war er so in Gedanken, daß er die Person, die neben der dicken Eiche am Sportplatz stand, auf Anhieb nicht erkannte. Sie trug Jeans, einen dicken Pullover und eine Windjacke. Das blonde Haar war offen. Stone stolperte beinahe. Diesmal wirkte sie ganz anders als die Eiskönigin, im matten Licht des Stadions hätte man sie für eine Schülerin halten können. "Was bringt dich dazu, dich unter die Massen zu wagen?" fragte er leicht ironisch, sobald er in Rufnähe war. "Unter die Massen?" "Ich war gerade auf dem Weg zu dir." Stone sah zum Parkplatz hinüber. "Wo ist dein Wagen? Oder wolltest du nicht
weg von hier? Nach Ende des Spiels wird es hier zum Verkehrschaos kommen." "Doch, ich will hier weg, ich bin nur wegen der Lichter und der Musik ausgestiegen." Als sie bei Jordans Auto ankamen und sie die Fahrertür aufschloß, sagte sie zu ihm: "Du bist wegen irgend etwas ärgerlich, weswegen denn nun diesmal?" Das Dämmerlicht, das ihr helles Haar wie ein Kranz umstand, ließ sie sehr zart erscheinen. "Das fragst du? Du hattest mir wegen Kristen dein Wort gegeben!" Sie runzelte die Stirn. "Das habe ich auch gehalten." "Nein! Sie bat dich um Hilfe, und du hast diese Hilfe abgelehnt." "Ich habe einen Teil ihrer Bitte abgelehnt, sie hat um ziemlich viel gebeten, hat sie dir das auch gesagt?" "Eine Extrastunde oder so nach Schulschluß, um Kindern zu helfen, einen Traum zu verwirklichen! Ist das etwa zuviel verlangt?" "Das ,oder so' ist es, das Zeit kostet. Glaubst du wirklich, damit wäre es getan?" "Du bist Lehrerin. Entweder hilfst du oder nicht." Jordans dunkle Augen funkelten. "Ich verstehe. Nun bestimmst du auch schon meinen Stundenplan und willst, mir sagen, wie ich mein Leben zu gestalten habe? Soweit ich weiß, gehört das nicht zu deinen Kompetenzen." Stone wußtet daß er zu weit gegangen war, aber Kristen war nun mal sein Fleisch und Blut. "Das Mädchen hat in wenigen Jahren mehr Schicksalsschläge hinnehmen müssen als andere in ihrem ganzen Leben." "Ihre Situation ist traurig, aber leider nicht einzigartig." Stone legte seine Hand auf die von Jordan. "Hör mal, es ist nicht fair." "Das ist nicht mein Problem:"
"Auch nicht, wenn ich dich darum bitte?" Sie senkte die dunklen Wimpern und sagte gequält: "Wieso kannst du mich nicht in Ruhe lassen?" "Ich wollte, ich könnte, glaube mir. Aber du bist Kristens Lehrerin und damit ausgesprochen wichtig für sie." Jordan lächelte bitter. "Es geht doch gar nicht um deine Nichte, sondern um uns. Du kannst diese eine Nacht nicht vergessen, stimmt's?" Damit hatte sie seinen wunden Punkt getroffen. "Stimmt. Und was nun?" "Es hat keinen Sinn. Nur weil wir beide hier leben, heißt es nicht, daß ich zu einer Fortsetzung der Affäre bereit bin." Das war genau das, wovon er heimlich träumte. "Beweise mir, daß du es nicht willst." Plötzlich drängte er sie so gegen das Auto, daß sie nicht ausweichen konnte, und küßte sie heftig und voller Leidenschaft. Oh, ja, genau das wollte er noch einmal haben: ihre Überraschung, die Fassungslosigkeit und die dann folgende Gefühlsglut! Sobald ihre Lippen sich berührten, war es, als bräche das Sonnenlicht durch die Dunkelheit. Und es war, als wäre es das erste Mal. Er preßte sie enger an sich, und sie drängte sich ihm entgegen. Seine Erinnerung trog ihn nicht! "Stone!" Er hatte sich von ihr gelöst, um Luft zu holen, und nur aus Angst, die Leidenschaft in ihrem Blick erlöschen zu sehen, küßte er sie nicht noch einmal. Ihm war, als hätte sie ihn verhext. Aber diese Wirkung schien ihr ganz und gar nicht zu gefallen. "Da hast du also deinen Beweis, läßt du mich jetzt bitte los?" "Ich weiß nicht, ob ich das kann." "Wie kann ich dir klarmachen, daß ich das alles trotz der sexuellen Anziehungskraft zwischen uns nicht will?"
"Glaubst du, für mich sei es leicht? Ich habe meine Frau geliebt, sie hat mir alles bedeutet. Ich war mit niemandem zusammen, bis ich dich traf. Und seitdem auch mit keiner Frau." Sie schaute ihn überrascht an. "Ist das ein Kompliment oder ein Vorwurf?" "Ich weiß nicht, was es ist. Jedenfalls existiert es noch immer, und ich weiß, daß wir uns damit auseinandersetzen müssen", antwortete er bestimmt.
4. KAPITEL Jordan verstand, was Stone meinte. Sie vergaß Zeit und Raum, alles um sich herum. Aber das schreckliche Gefühl, wieder manipuliert zu werden, das sie von Brent und von ihrem Vater kannte, lähmte sie. Wenn dieses auch ganz anders war als deren Versuche, sie in jeder Hinsicht zu beeinflussen. Dabei war ihr Stone ja eigentlich völlig fremd! "Willst du ehrlich behaupten, daß wir einen ruhigen Moment hatten, seitdem wir uns an der Ampel wiedersahen?" fragte er. "Das heißt doch nicht, daß wir uns verhalten müssen wie ..." "Tiere, die einem körperlichen Drang folgen?" Stone atmete hörbar aus, als erleichterte es ihn, das Offensichtliche ausgesprochen zu haben. "Ich stimme dir zu, es ist das Körperliche, das Probleme bereitet. Mein Arzt hat mir schon gesagt, daß eine Zeit käme, in der mein Körper Dinge fordern würde, die mein Verstand noch nicht akzeptieren würde." "Nun, bei mir ist es nicht so!" "Du lügst. Wenn das stimmte, wäre Memphis nicht passiert." "Das war eine Ausnahme, ein Zufall ..." "Das Leben kommt einem dazwischen", unterbrach er sie. "Und der Kuß eben beweist meine These." Er sollte ihr nicht die Verantwortung zuschieben! "Den hast du provoziert!" Und sie hatte versucht, ihn abzuwehren! Nur, gegen einen Bären wie ihn hatte sie nicht die geringste Chance!
"Du lügst schon wieder." Er umschmiegte ihr Gesicht mit den Händen. "Gib doch zu, daß du genauso durcheinander bist wie ich." Jordan wollte ihn zurückdrängen, aber sie sah in seinem Blick den Schmerz und den Konflikt, in dem er sich befand. Als er wieder den Kopf senkte, flüsterte sie nur: "Stone, bitte ..." Der Kuß war sanfter, aber nicht weniger überwältigend. Seine Lippen verschmolzen mit ihren, seine Zunge suchte und fand ihre, und sogleich dachte sie daran, wie er sie mit seinen kräftigen Händen ausgezogen hatte, wie er ihre empfindsamen Stellen gefunden, ihre Leidenschaft entfacht und ihren Körper so gierig in Besitz genommen hatte. Und viel später war da noch das Gefühl übergroßer Zärtlichkeit gewesen ... Sein Appetit war so groß wie sein kraftvoller Körper. Das hatte er in jener Nacht in Memphis immer wieder bewiesen. Auch wenn ihre Vernunft sich dagegen wehrte, so wollte ihr Körper doch noch einmal spüren, wie es gewesen war, so daß sie gar nicht anders konnte, als sich seinen fordernden Bewegungen entgegenzudrängen. Mit einem Seufzer preßte Stone seinen Mund in ihre Halsgrube. "Jordan, oh, Jordan ..." Sie merkte, wie ihr Widerstand schmolz. "Laß mich mit zu dir nach Hause fahren, nur für eine kurze Zeit." Das ernüchterte sie schlagartig. Sie schob ihn zurück. "Genug damit, hör auf!" Sein Atem ging noch immer stoßweise. Leise fragte er: "Was ist denn?" "Wenn dir dazu nicht ein halbes Dutzend Antworten einfallen, ist alles sinnlos, was ich sagen könnte. Bitte laß mich gehen." Es irritierte sie selbst, wie kühl sie das gesagt hatte. Er ließ sie los und trat zurück. "Ich werde mich nicht dafür entschuldigen."
"Das erwarte ich auch nicht. Aber ich möchte, daß du mich in Ruhe läßt." "Wir sind über einundzwanzig, Jordan. Wem zum Teufel würde es weh tun?" "Hör dir doch nur selbst zu! Es ist ekelhaft!" Entsetzt starrte er sie an, dann ging er. Jordan zitterten die Knie. Sie stieg in ihren Wagen und fuhr los. Erst als sie zu Hause war, überließ sie sich einer Woge von Scham und Demütigung, die zu den Erinnerungen mit Stone gehörten. Sie dachte an frühere Zeiten, als ihr Vater, der Reverend, sie beim ersten Kuß hinter der Kirche mit Marty Lake erwischt hatte. Sie erinnerte sich an die Szene, die er ihr danach gemacht hatte, an die grausame Strafe. Und daran, wie Brent sie außerhalb des Bettes behandelt hatte. Jordan eilte ins Bad, riß sich die Kleider vo m Leib und duschte heiß. Die Gedanken konnte sie nicht abwaschen, wohl aber Stones Berührungen. Ein für allemal. "Nie wieder", flüsterte sie und griff nach dem dicken Naturschwamm, der in einer Schale lag. Vergessen - das war leichter gesagt als getan, zumal die nächsten Tage alptraumhaft waren. Neben den vorwurfsvollen Blicken von Kristen mußte Jordan ertragen, daß die siebte Klasse aufsässiger war denn je. Außerdem lief sie Stone dauernd und überall über den Weg. Ihn zu ignorieren oder ihm auszuweichen war unmöglich. Wenn sie seinem steinernen Blick begegnete, fühlte sie sich wie entblößt. Oh, wie sie das haßte: Jeder Mann, den sie gekannt hatte, hatte versucht, sie zu beherrschen. Und bei Stone schien jeder Widerstand zwecklos. In der Schule prallte sie einmal beinahe gegen ihn, als sie ins Büro gehen wollte, und er hielt sie fest, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor. Selbst wenn sie ihn mal zwei Tage nicht traf, war sie gedanklich ständig mit ihm beschäftigt. Sobald sie
die Augen schloß oder Kristen sah oder einen Wagen, wie Stone ihn fuhr, flogen ihre Gedanken. Besonders die des ,Was-wäreWenn' irritierten sie. Und als Paul Nash, der neue Geschichtslehrer, nach dem sich alle Mädchen umdrehten, sie zum Essen einlud, fiel ihr nur ein glattes "Nein, danke!" dazu ein. Am Freitag mittag hielt Direktor Fields sie im Flur an. Stone stand neben ihm. "Ah, Miss Mills, Sie wollte ich sprechen. Haben Sie schon unseren Wild- und Sportwart kennengelernt, seitdem Sie wieder hier sind?" "Ich... Wir... " "Darf ich vorstellen, das ist Stone Demarest. Und das ist Miss Mills." "Wir sind uns schon ein- oder zweimal begegnet", erklärte Stone. "Gut, gut. Stone macht die Runde durch alle Schulen, um an die Spielregeln und Naturschutzgesetze zu erinnern. Außerdem hilft er der Feuerwehr und warnt vor möglichen Buschfeuern in der Trockenzeit. Wäre es Ihnen recht, wenn er auch in Ihrer Klasse die letzten zehn oder fünfzehn Minuten spräche?" Morris Fields bat natürlich nur zum Schein um Jordans Einverständnis. Also nickte sie wortlos. Unter normalen Umständen wäre Stones Besuch in der Klasse sicher ganz unterhaltend gewesen, denn in seiner Uniform, mit Schlips und Filzhut schien er nicht nur auf sie eine besondere Wirkung zu haben. Die Mädchen verschlangen ihn mit Blicken, die Junge n waren sichtlich beeindruckt. "Die meisten von euch haben ihr ganzes Leben hier oder zumindest in Texas verbracht", sagte Stone nach einer kurzen Erklärung für sein Kommen zu den Schülern. "Ich werde also die texanischen Lizenzregeln nur streifen." Nachdem er damit fertig war, sagte er: "Überflüssig zu erzählen, daß es jedes Jahr Fälle von Wilderei gibt. Denkt daran, daß ihr, wenn ich euch
erwische, nach allen Regeln des Gesetzes bestraft werdet. Und es spielt keine Rolle, wer euer Vater ist." "Damit bist du gemeint, Nolan", rief einer von dessen Freunden. Jack kippelte auf den Hinterbeinen seines Stuhles. "Na ja, jedenfalls nicht Biggs, was?" Er sah zu Ridge hin, der auf den Bleistift in seiner Hand starrte. "Dein Vater ist nicht nüchtern genug, um irgendwas zu schießen, es sei denn, es ist ausgestopft", bemerkte er in häßlichem Ton. "Jack Nolan!" warnte Jordan. Jack tat unschuldig. "Ich habe doch nur die Wahrheit gesagt." "Du solltest endlich erwachsen werden!" empörte sich Kristen, nahm ihre Bücher und stürmte aus dem Raum. "Und vergeßt nicht: Werft keine Zigarettenkippen aus dem Autofenster, und sorgt dafür, daß Lagerfeuer gründlich gelöscht sind", fügte Stone hinzu, während die Klasse nach Unterrichtsschluß aus dem Raum drängte. "Es herrscht Trockenheit, also seid vorsichtig." An der Tür rief jemand etwas von Smokey dem Bären. Ein anderer rief, man könnte schon Rauch im Flur riechen. BuhRufe und Zischen folgten. Stohe sah ihnen kopfschüttelnd hinterher. Erst dann drehte er sich zu Jordan um. Er sah erschöpft aus, denn er war offenbar von Schule zu Schule gefahren, wo die Schüler vermutlich überall ebenso desinteressiert reagiert hatten. Sie hätte ihm gern die unrasierte Wange gestreichelt. Verrückt! "Du könntest Kristen Bescheid gesagt haben, daß ich komme", sagte er. "Na, hör mal, wenn du Kommunikationsprobleme mit deiner Nichte hast, ist das deine Sache!" "Ich würde dich ja gern außen vor lassen, aber wenn sie überhaupt mal mit mir spricht, dann nur über dich." "Glaube mir, dazu ermuntere ich sie nicht." "Hmm, so wie du mich nicht ermuntert hast?"
Das Blut wich ihr aus dem Gesicht. "Geh bitte", flüsterte sie. Statt dessen trat er näher und stützte sich auf dem Schreibtisch ab. "Wie lange noch, Jordan? Muß ich dich auf Knien anflehen?" Jordan ballte die Fäuste. "Ich habe noch nie jemanden geschlagen. Aber wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich jetzt gehen, bevor ich gegen meine Prinzipien handele!" "Mit Vergnügen." Stone war froh, daß er Kristen erlaubt hatte, bei einer Freundin zu übernachten. Dieser kalte Krieg verdüsterte seine Stimmung zusehends. Erst spät fuhr er nach Hause. Dort fühlte er sich wegen der künstlichen Stille ohnehin nicht wohl. Das war ganz anders als im Wald, wo man Vögel und andere Tiere hörte, oder das Flüstern des Windes in den Wipfeln. Er fuhr am Lake Fork entlang, überprüfte die Anlegestellen und einige Fischerboote. Aber es machte ihm keinen Spaß zu beanstanden, daß einer keinen Angelschein hatte und ein anderer Barsche unter der vorgeschriebenen Mindestgröße gefangen hatte. Abends aß er etwas in einer Kneipe, stocherte aber nur im Essen herum. Jess Nugent und Stu Wiggins wollten ihn zu einem Billardspiel einladen, doch er lehnte ab und fuhr zurück. Und die ganze Zeit über dachte er nur an Jordan. Sie machte ihn wahnsinnig. Und es nützte nichts, daß er sich in die Arbeit stürzte. Er war müde und sexuell frustriert. Dem hätte er abhelfen können, aber er wollte keine andere, nur Jordan. Die Erinnerung an Memphis war wie ein ständig folgender Schatten. Hoffentlich würde seine Arbeit nicht beeinträchtigt. Er fuhr Stunde um Stunde herum. Plötzlich stellte er fest, daß er unwillkürlich in Jordans Straße eingebogen war. Ans Umkehren dachte er nicht. Auf sein Klopfen hin ging die Außenlampe an. Jordan öffnete. Sie stand in weißem Frotteemantel und mit frisch
gewaschenem Haar vor ihm, ungeschminkt und jung. Aber er wußte, daß in diesem Mädchenkörper, unter dieser schlichten Kleidung eine leidenschaftliche Frau steckte. Und er wollte sie. Als Stone an ihr vorbei ins Haus ging, nahm er den frischen Duft ihres Shampoos wahr. "Brauchst du einen Drink?" fragte sie keß. Kaum. Schon die Idee, bei ihr ,zu sein, berauschte ihn. Er schüttelte den Kopf und starrte sie an. "Daß du hier bist, wird noch mehr Probleme bringen, das weißt du." Sie versuchte, nicht die Nerven zu verlieren. Zweifellos. Aber immerhin hatte sie ihn ins Haus gelassen! Jordan stand in der Mitte des Raums, die Hände in die Taschen des Bademantels vergraben. Vermutlich hatte sie wenig darunter ... Seine Phantasie begann zu schweifen. "Ich weiß nicht, was ich tun soll." Mit einem Schritt war er bei ihr, nahm sie bei den Schultern. "Ich erinnere mich." Sie legte die Hand auf seine Brust. Um ihn abzuwehren? Erleichtert stellte er fest, daß sie nur den Stoff packte. "Ich erinnere mich", wiederholte er, bevor er nach ihrem Mund verlangte. Ein Teil ihrer selbst verweigerte sich ihm, ließ sie passiv verharren, trotz eines leichten Zitterns. Er aber hatte Verführung im Sinn. Und er wollte ihr Entgegenkommen. So vertiefte er den Kuß, und als sie ihn abwehren wollte, legte er einen Arm um ihre Taille und barg eine Hand in ihrem seidenweichen Haar, um sie festzuhalten. Sein Hunger nach ihr war so groß, daß er es kaum ertragen konnte. "Ich werde dich danach hassen", stöhnte sie, sobald er sich von ihrem Mund löste, um die seidenweiche Haut ihres Halses zu küssen. "Ich bin auch völlig durcheinander. So etwas habe ich noch nie erlebt. Aber ich akzeptiere es, mit den Schuldgefühlen werde ich schon fertig." Er ließ nicht ab davon, ihren Hals zu küssen.
"Sehr schmeichelhaft ist das nicht." Er schaute sie an. "Ich bin nur ehrlich. Du hast noch schwer damit zu kämpfen, Pastorentochter zu sein und deine Vorbehalte zupflegen." "Das tue ich nicht! Ich habe nur mein ganzes Leben gegen Heuchelei gekämpft. Die ganze Situation beweist nur, daß du nichts von mir weißt und es dir auch egal ist." "Ich weiß bloß, daß ich dich will. Und du willst mich auch. Nur das zählt." Er küßte sie erneut. Und dabei rechnete er mit allem, auch mit heftigstem Widerstand. So war er erstaunt, als sie den Kuß erwiderte, und zwar deutlich. Sie erwachte förmlich zum Leben. Sie kämpfte nicht mehr gegen sich selbst, sondern drängte sich immer enger an ihn, schlang die Arme um seinen Hals, vergrub die Hände in seinem Haar und begegnete den aufreizenden Bewegungen seines Unterleibs mit eigenen, die ihn so erregten, daß er sofort mehr wollte. Während ihre Lippen miteinander verschmolzen, zog Stone den Gürtel ihres Morgenmantels auf. Er zitterte im Gedanken daran, ihre köstlich weiche Haut wieder spüren zu dürfen. Und als er den Stoff zur Seite schob, die heiße Haut und die sanfte, weibliche Weichheit erfühlte, stöhnte er beinahe schmerzvoll auf. Er spürte ein quälendes Verlangen, als er ihre wundervollen Brüste in Augenschein nahm. Wie oft hatte er von ihnen geträumt! Die Spitzen waren schon ganz fest, noch bevor er seine Lippen darum geschlossen hatte. Jordans unmißverständliche Reaktion erregte sein Bedürfnis, weiterzuforschen und mit den Händen das zu berühren, was sich ihm heiß und feucht entge gendrängte. Sie erschauerte, als er kleine Küsse auf ihr Dekollete' setzte, umfaßte begehrend seine Schultern und bog sich in den Arm,
der sie fest umfing. Stone ging auf die Knie und fuhr fort. Er hörte nicht auf, bis sie einen erstickten Schrei von sich gab. Als er sich erhob, mußte er sie nicht bitten, ihm das Hemd aufzuknöpfen oder das Jackett auszuziehen. Am Ende des nächsten Kusses stand er halbnackt da. Gleichzeitig hatte er Jordan den Morgenmantel ganz abgestreift, und er wußte, sie würden es nicht bis zur Treppe, geschweige denn bis ins Schlafzimmer schaffen. Er nahm sie hoch und trug sie zu dem Haufen von Laken, die beim Streichen als Bodenschutz gedient hatten. Gemeinsam sanken sie darauf. Nur einmal öffnete Jordan die Augen und begegnete Stones fiebrig glänzenden Blick. "Alles in Ordnung?" brachte er heraus. "Sprich nicht." Das war ihm recht. Reden brachte sie beide immer in Schwierigkeiten. Er wollte lieber nur fühlen, erforschen, besitzen. . Jordan war so unglaublich schön. Noch nie hatte eine Frau ihn so um den Verstand gebracht. Als sie nach seiner Gürtelschnalle tastete, war das wie ein erneutes Einverständnis. Und als sie sich wieder küßten, lag darin eine Intensität, die beinahe etwa Zorniges hatte. Gleichzeitig griffen sie nach dem Reißverschluß seiner Jeans. Die Berührung ihrer weichen Hände war fast zuviel für Stone. Er fürchtete, sich nicht länger zurückhalten zu können. Er packte ihre Handgelenke und drückte Jordan auf das Lager. Vorsichtig drang er tief in sie ein. Ihr erregtes Stöhnen sandte ihm einen Schauer über den Rücken, sein Körper paßte sich ihren begehrlichen Bewegungen nahtlos an. Als Jordan die Beine um ihn schlang, verlor er den letzten Rest Kontrolle. Nun gab es nur noch ungebremste Leidenschaft. Es war, als könne er ihr nicht nahe genug kommen, und Jordan, die die Hände um seine Hüften gelegt hatte, drängte sich ihm entgegen.
Sie sprachen kein Wort. Erst als sie gemeinsam den Höhepunkt erlebten, riefen sie gegenseitig ihre Namen. Ihr heftiger Atem beruhigte sich danach nur langsam. In der Luft lag ein seltsames, zitterndes Schweigen, das Anlaß zur Erinnerung barg. Stone aber hatte das Gefühl, noch nie etwas Derartiges erlebt zuhaben. Jofdan mochte die Augen nicht öffnen. Eine kleine Ewigkeit lang fuhr Stone fort, in ihr zu pulsieren, sie konnte kaum glauben, wie sehr sie selbst das genoß. Aber schön rasten die Gedanken. Schon jetzt fürchtete sie, daß er nun triumphierend sagen würde: ,Habe ich es dir nicht gesagt?" Es war kindisch, aber ein Teil von ihr wünschte sich, das Ganze nur geträumt zu haben. Als spüre er ihre Skrupel, stützte Stone sich auf. Ein Schweißtropfen fiel auf sie herab, was wie eine späte Liebkosung war. "Möchtest du, daß ich gehe?" Jordan öffnete nur kurz die Augen. "Das wäre wohl das beste." "Du bereust es schon jetzt." "Das habe ich nicht gesagt." "Aber du denkst es." "Hör zu, du hast, was du wolltest. Was für eine Rolle spielt es, was ich denke?" "Wir haben doch wohl beide bekommen, was wir wollten, oder?" sagte er leise. Jordan konnte es ihm nicht verdenken, wenn er ärgerlich war, denn er hatte recht. Sobald er sich erhob, rollte sie sich zur Seite und bedeckte sich mit einem Laken. Stone zog sich an, dann strich er ihr mit zärtlicher Geste das Haar aus dem Gesicht. "Du sagst nichts?" "Das ist nicht nötig. " "Jordan ..."
"Ich möchte jetzt allein sein."
Er atmete hörbar. "Wir sollten das nicht so stehen lassen."
"Laß mich jetzt bitte allein."
"Okay." Er stand auf und ging.
Sobald sie hörte, wie er wegfuhr, setzte Jordan sich auf und
drückte stöhnend die Stirn gegen die Knie. "Was bin ich nur für ein elender Dummkopf!"
5. KAPITEL "Was für ein elender Dummkopf!" Stone schüttelte den Kopf. Er stand neben Sheriff Ralph Spradlin und sah zu, wie der Abschleppwagen die mechanische Winde benutzte und Polizisten und Passanten den umgekippten Pickup wieder aufrichteten. Stone war zufällig am Unfallort vorbeigekommen und hatte sofort Hilfe angeboten, aber Ralph hatte genug Kollegen dabei, die er in seiner bulligen Art herumkommandierte. "Der Typ hätte andere Verkehrsteilnehmer umbringen können", meinte Stone kopfschüttelnd. "Allerdings." Der dicke Sheriff kaute an einem Zahnstocher. "Wir sagen den Jugendlichen schon immer, sie sollen besonders an diesem Hügel aufpassen, wegen der Kurve, die unvermittelt danach kommt. Aber wie kann man einen Erwachsenen dazu bringen, nicht wie ein Formel-1-Fahrer zu rasen?" Stone nickte. Sanitäter hoben den Fahrer auf einer Trage in den Krankenwagen. "Durch Strafmandate, bis er 's begreift, vermutlich." "Klar, aber das ersetzt mir und meinen Leuten nicht die Zeit. Du weißt, daß das Riley Biggs ist, nicht? Der ist garantiert nicht mal unfallversichert." "Sag mal, der blau-weiße Truck kommt mir bekannt vor. Den Fahrer habe ich erst vor einem Monat wegen seines fehlenden Ahgelscheins belangt."
"Hört sich nach Riley an. Der hätte nicht mal TÜV, wenn ich ihn nicht gewaltig unter Druck gesetzt hätte. Das wollte ich wenigstens für seine Familie tun, denn es ist das einzige Auto, das sie haben. Und daß die ein Dach überm Kopf haben, liegt nur daran, daß Georgia in der Schulkantine arbeitet." Der grauhaarige Mann seufzte. "Ich wette 'nen Sixpack, daß der auch keine Krankenversicherung hat für den gebrochenen Arm und die Gehirnerschütterung." "Glaube ich gern." Ralph war zwar schon seit fünfzehn Jahren Sheriff, aber Stone wunderte sich dennoch, wie gut er alle Bewohner kannte. Er und Tracy hatten auch einen großen Bekanntenkreis, aber nach dem Brand hatte Stone sich nur noch in die Arbeit gestürzt und kaum noch gesellschaftliche Kontakte gepflegt. Der Sheriff winkte die Wagen durch, der Stau begann, sich aufzulösen. Stone war überrascht, als Jordans Wagen plötzlich in der Schlange der Autos auftauchte. Es war eine Woche her, daß sie ihn aus dem Haus gewiesen hatte. Sobald ihre Blicke sich trafen, war klar, daß es auch für sie ein merkwürdiger Moment war. "Wartest du noch auf mich, Junge?" fragte Ralph. "Hey, seit ich dich kenne, gab es schon einige umwerfende Frauen, aber das ist das erstemal, daß dich eine zu interessieren scheint!" Stone suchte schnell nach einer Erklärung. "Sie ist die Lehrerin meiner Nichte." "Tatsächlich? Na ja, von so einer würde ich mich auch gern unterrichten lassen." "Und was würde Roseanne dazu sagen?" "Och, die wäre wahrscheinlich froh, Wenn mir jemand etwas Kultur beibrächte." "Aha." "Na ja, solange nichts weiter passiert, darf ich nach Herzenslust gucken." Er nickte dem weißen, davonfahrenden
Sedan hinterher. "Aber die da paßt nicht zu dir, die ist zu fein für dich. Kommt übrigens nicht von hier." "Kennst du sie vielleicht von früher? Ihr Vater war hier Pastor. Mit Familiennamen Mills." "Reverend Charles Franklin, oh, ja." "Was heißt das?" hakte Stone nach. "Nichts, nichts. Sehr engagierter Prediger." "Aber?" "Wenn das seine Tochter ist, hat ihr der Abstand vom Papa sicher gut getan. Soweit ich mich erinnere, war sie ein schüchternes kleines Mädchen. Sehr niedlich, aber sehr still. Ich hatte immer das Gefühl... Aber der Reverend war beliebt, hatte einen untadeligen Ruf." Ralph warf Stone einen neugierigen Blick zu. "Also die ist es, wie?" Stone dachte entsetzt daran, daß Gerüchte entstehen konnten. "Deine Phantasie geht mit dir durch. Sie ist äußerst kühl, hat sogar abgelehnt, Kristen nach der Schule zu helfen." "Und das wurmt dich." "Na ja, mich ärgert vor allem, daß sie es nicht begründet. Sie sagt einfach nur, was Sache ist, aber nicht, warum." "Das würde mich auch stören. Ich brauche immer jemand, der genausoviel redet wie ich." Der Sheriff schlug Stone lachend auf den Rücken. "Husch, zurück zu deinem Job, Alligatoren und Wilderer zu fangen. Aber vergiß unser Treffen morgen nicht." Im Revier gab es Informationen über ein weiteres Drogenlabor im Wald, und da Stone das Gebiet besser kannte als jeder andere, würde er mitkommen. "Du kannst dich auf mich verlassen. Ruf mich an, falls sich etwas ändert." Als Stone nach Hause fuhr, dachte er wieder an Jordan. Sie hatte etwas durcheinander gewirkt. Vielleicht hätte er sie nach dem Abend doch anrufen und fragen sollen, ob alles in Ordnung war.
Nein. Denn dann hätte er sie gefragt, ob er sie wiedersehen dürfe. Sie wollte den Abstand, und wenn er ihn nicht hätte, würde er durchdrehen. Er hatte seither mehr Zeit mit Kristen verbracht, um die Beziehung zu verbessern. Er hatte sie mehr mit einbezogen bei Haushalts- und Einrichtungsfragen, aber viel an Jordan gedacht. Mit wehmütigen Gedanken ... "Jordan? Kann ich dich einen Moment sprechen? Wir können doch du sagen, oder? Ich halte nicht viel von Förmlichkeiten." Jordan sah in den Pausenraum, wo sie sich eine Romankassette fürs Wochenende ausleihen wollte, da sie vorhatte, ihr Bad zu streichen. Sie nickte der zierlichen Frau mit wuscheliger Hochfrisur und Kreolen in den Ohren zu. "Gern. Du bist Barbara Flint, richtig?" "Ja, genannt Bess. Theater und Englisch in der Oberstufe." Die muntere kleine Person kräuselte die Nase. "Wenn es nach mir ginge, nur Theater, aber wir sind hier ja in Mount Liberty und nicht in Dallas oder Houston." Sie war der Typ, der perfekt zur Bühne paßte, hatte fröhliche braune Augen und wirkte intelligent. Jordan und sie hatten sich bei der Feier zum Schulbeginn kennen gelernt, waren sich dann aber kaum noch begegnet. "Größere Schulen haben ihre Vorteile", bestätigte Jordan. "Aber der Vorteil an den kleinen ist, daß man die Leute besser kennenlernt. Nur wir beide hatten noch keine Gelegenheit zu einem kleinen Schwatz." "Mir hat man die Ehre angetan, gleich von Anfang an die Nachsitzer zu überwachen", versuchte Jordan das zu erklären. "Da muß ich auch gleich hin, da ich jetzt dran bin. Aber ich wollte unbedingt mal mit dir reden, bevor noch mehr Zeit vergeht. Du warst auch nicht bei dem Fest nach dem Eröffnungsspiel." "Partys sind nicht so mein Ding." "Und mir liegt das Lehrerzimmer nicht so."
"Wenn ich eine freie Minute habe, bin ich im Pausenraum." Bess Flynn nagte an ihrer Unterlippe und schmunzelte. "Du bist Einzelgängerin, sagt man." "Man" hieß wohl das gesamte Kollegium, denn Jordan hatte bislang keinen Wert darauf gelegt, mit den anderen viel mehr als ein Kopfnicken auszutauschen. Aber das Energiebündel Bess würde sie wohl nicht so schnell loswerden. "Keine Sorge", scherzte sie, "es ist nicht ansteckend." "Oh, ich mache mir keine Sorgen. Ich gehöre nicht zu denen, die sich lange dem Leben verschließen können, dazu bin ich zu neugierig." "Gegen das Leben habe ich nichts, nur gegen Leute, die es einem schwer machen." Bess lachte. "Da hast du recht. Und weißt du was? Ich glaube, du bist nicht annähernd der Sauertopf, der du vorgibst zu sein." Die Bemerkung ließ Jordan an die von Stone denken. Sie lachte leise. "Da sind wir wieder am Anfang." "Na ja, ich bin ziemlich hartnäckig." Jordan gefiel die Offenheit der Frau. Bess war noch jung, höchstens fünfundzwanzig, und hatte sicher ein ganz anderes Leben geführt als sie selbst. "Worüber wolltest du denn mit mir sprechen?" fragte sie. "Über einen Literaturclub ganz allgemein", begann Bess, "und über Kristen Thomas im besonderen. Sie ist eine meiner früheren Schülerinnen und bat mich, ihn einzurichten. Nachdem du abgelehnt hattest." "Ich habe das Gefühl, daß mir nicht gefällt, was du sagen willst." "Nun, du hast nicht nur ein hübsches Gesicht. Das Problem ist, daß ich schon einen Theaterkurs leite und mich um die Cheerleader kümmere, da Marge Harding, die Sportlehrerin, auf Mutterschaftsurlaub ist. Außerdem scheinst du besser qualifiziert zu sein, du hast ja sogar schon etwas veröffentlicht!"
Jordan winkte ab. "Nur ein paar Gedichte in Zeitschriften und ein ganz kleines Buch." Nicht mal der Lebenslauf blieb hier geheim, sie mußte unbedingt mal ein Wörtchen mit den Schulsekretärinnen reden. "Die Kritiken waren gut! Morris Fields hat deinen Verleger angerufen, um ein paar Exemplare deines Buches zu bekommen. Eine Kleinstadt freut sich über eine Berühmtheit." Du liebe Zeit, das wurde ja zu einem Alptraum! Mr. Fields aufs Dach zu steigen, würde viel schwieriger sein als schwatzhaften Sekretärinnen. "Er wird es doch wohl nicht in die Schulbibliothek stellen, oder? Es ist nicht für Schüler geschrieben." "Nein, es ist recht erotisch, stimmt 's? Vielleicht sogar provokativ? Ich besitze ein Exemplar, das mir ein Freund zum Geburtstag geschenkt hat, bin aber noch nicht dazu gekommen es zu lesen. Vielleicht schreibst du mir mal ein Autogramm hinein. Inzwischen solltest du noch einmal darüber nachdenken, ob du nicht doch den Kurs leiten kannst. Wir haben ein paar Schüler, die wirklich gern schreiben würden." "Eine Handvoll Gedichte macht mich noch nicht zur Expertin. Zumal sie auch nur ... eine Art Therapie für mich waren." "Egal. Meinst du nicht, daß Kristen Talent hat?" "Doch, durchaus, aber..." "Als ich sie unterrichtete, war sie meine Lieblingsschülerin. Armes Mädchen. Du weißt, daß ihr Vater im Sommer starb? Es war schon schwer genug für sie, den Tod ihrer Mutter zu verkraften. Sie könnte den Einfluß einer Frau in ihrem Leben gut gebrauchen." "Dazu bin ich nicht geeignet. Meine Mutterinstinkte haben meine Teenagerjahre nicht überlebt." "Sie würde nehmen, was sie kriegen kann. Kristens Daddy war nicht gerade doll. Der mußte immer daran erinnert werden, daß er ein Kind hatte. Also denk noch ma l drüber nach, ja?"
"Ich kann nichts versprechen", wehrte Jordan ab. "Es müßte ja keine große Gruppe sein, vielleicht fünf Schüler. Kristen meinte, Ridge Biggs wäre auch interessiert. Du wirst bemerkt haben, wie talentiert er ist." "Das ist nicht zu übersehen, obgleich er es nicht betont. Er ist sich dessen bewußt, daß sein Anderssein manche Mitschüler irritiert." "Dir ist also auch aufgefallen, daß einige unserer Sportler sich nicht so verhalten, wie es ihrem Heldenruf in der Stadt entspräche." "Aufgefallen? Ich kann kaum glauben, daß manche von denen in der Oberstufe sind!" sagte Jordan empört. "Ich wollte ein paarmal mit Mr. Fields darüber sprechen, aber er vertröstet mich immer." "Das wird er auch weiterhin tun. Als ich hier anfing, war es das gleiche. Aber du weißt genau, daß manche Eltern nicht wollen, daß ihre Lieblinge gemahnt werden. Alles, was sie interessiert, sind die Sportstipendien und große Profiverträge. Als ich damit drohte, die Kinder 'rauszuschmeißen, sagte man mir, daß ich mir dann Sorgen um meinen Job machen müßte." "Wäre das unter den Umständen nicht egal?" .. . "Ich habe gerade erst angefangen und wollte nicht gleich als Störenfried abqualifiziert werden. Aber wenn wir zu zweit wären ... " "Na, großartig", seufzte Jordan, "erst soll ich Pflegemutter und Aufpasserin werden und nun auch noch mit dir zusammen gegen Windmühlen kämpfen." Bess grinste. "Laß uns bald mal ausführlicher reden. Und keine Sorge, ich bin keine Klette! Tschüs." Schon eilte sie davon zur Cafeteria, Jordan fluchte innerlich. Sie mochte diese lebhafte kleine Person, haßte es aber, gedrängt zu werden, besonders zu etwas, von dem sie wußte, daß es Probleme bereiten würde. Und was
würde Stone sagen, wenn sie seiner Nichte nun doch plötzlich half? Sie hatte ihn seit dem amourösen Zwischenfall neulich nicht mehr gesehen, jedoch dauernd an ihn gedacht. Oft, wenn sie gerade irgend etwas im Haus machte, mußte sie an eine Bemerkung von ihm denken oder daran, wie er sie berührt hatte, und schon war ihre Ruhe dahin. Oder sie las irgend etwas, und das Verhalten einer Person erinnerte sie an Stone. Zum Verzweifeln war das! In ihrer Kindheit hatte es Zeiten gegeben, als der Zorn auf den Reverend ihren gesamten Tag beeinträchtigt hatte. Mit Brent war es ähnlich gewesen. Aber keiner hatte je ihre Gedanken so beschäftigt wie Stone. Sie war richtig böse auf sich selbst. Dein erster großer Fehler seit Brent! schalt sie sich. Und deine Reaktion auf ihn beweist, daß du, was Männer betrifft, noch immer nichts dazugelernt hast! Jordan atmete tief durch. Sie würde Bess am Montag erklären, daß es ihr leid täte, sie den Literaturkurs jedoch nicht übernehmen könnte. Was Stone betraf, so würde sie zehn Mantren pro Tag sprechen, um ihn sich endgültig aus dem Kopf zu schlagen. "Sieh mal, wie der abhaut!" Ralph zeigte auf einen Mann. Und Stone rannte ihm hinterher, in der Hoffnung, daß Ralph sich um den zweiten Mann kümmern würde, der sein Jagdmesser hatte fallen lassen und die Hände über dem Kopf hochhielt. Als er am Samstag nachmittag telefonisch darum gebeten worden war, den Sheriff nahe der Upshur-Gebietsgrenze zu treffen, war Stone, der nur eine knappe Meile entfernt war, sofort losgefahren. Ralph hatte einen Tip über Wilderei bekommen, vielleicht waren die Leute noch am Tatort. Es stellte sich heraus, daß es sich um zwei Männer handelte. Sie hatten außerhalb der Jagdsaison drei Stücke geschossen,
dazu gab es so viele Beweise für Wilderei, daß ein Richter sie vermutlich zur Höchststrafe verurteilen würde. Stone, der den Mann in Tarnkleidung durch den dichten Wald jagte, hoffte, daß der vielleicht über eine Baumwurzel stolpern oder im Gestrüpp hängenbleiben würde. Wieso rannte er weg? Glaubte er, daß sein Kollege ihn nicht verraten würde, auch wenn der mit Strafmilderung rechnen konnte? Bei einem rostigen Stacheldrahtzaun holte er den Mann schließlich ein. Aber selbst dann leistete der Widerstand. Er packte einen dicken Ast und kam drohend auf Stone zu. "Was zum Teufel wollen Sie, Mister?" schrie Stone und ging vor dem Schlag in Deckung. "Sehen Sie nicht, daß ich bewaffnet bin?" "Ich ergebe mich nicht!" Die 357er Magnum hätte die Situation sofort geklärt, aber Stone hatte Tracy damals versprochen, daß er sie nur benutzen würde, wenn es absolut notwendig war. So mußte er einen zweiten Angriff mit dem Arm abwehren und handelte sich beim dritten einen schweren Schlag an der rechten Kopfseite ein. Fluchend und blind vor Schmerz schlug er selbst zu, so daß der Mann stürzte und er auf ihn fiel. Er schlug so lange zu, bis ihn jemand von hinten festhielt und ihn von dem anderen herunterriß. "Hey, bring ihn nicht um, Stone! Überlaß dem Richter den Rest!" versuchte Ralph ihn zu bremsen, und zu dem Wilderer sagte er: "Ihr Idioten, konntet ihr nicht noch drei Wochen warten, bis die Jagdsaison eröffnet wird?" Er legte dem Mann Handschellen an. Erst jetzt begriff Stone, wie sehr er die Kontrolle verloren hatte. "Verdammt noch mal", schimpfte er, griff sich an die Stirn und sah erschrocken das Blut an seinen Fingern. "Fall bloß nicht in Ohnmacht, Stone Man. Mit den beiden Wilderern habe ich schon genug am Hals. Ich habe wirklich keine Lust, dich zum Wagen zu tragen."
"Schon gut", brummte Stone, "ich bin nur ein bißchen durcheinander." "Aber du blutest gehörig!" Ralph zog den Gefangenen auf die Füße und schob ihn zum Wagen zurück. "Gehen wir, Quitman, du brauchst einen Arzt. Und sobald ich Speedo und seinen Kumpel beim Gefängnis abgeliefert habe, müssen wir beide miteinander reden." Eine Stunde später verließ Stone das Krankenhaus. Ralph wartete draußen und rauchte einen Zigarrenstumpen. Er zog die silber-grauen Augenbrauen hoch und betrachtete Stones Kopfverband. "Die haben dir hoffentlich vorm Zunähen kein Gehirn mit rausgeschnitten, wie?" "Würde gar nicht auffallen. Mir fehlt offenbar ohnehin schön der gesunde Mensche nverstand." Der Sheriff winkte ab. "Ach, sei nicht zu hart mit dir. Fehler passieren nun mal. Du hattest in letzter Zeit viel Streß." "Das ist keine Entschuldigung." Ralph schob den braunen Filzhut ein Stück zurück. "Stone, tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe." "Du hattest recht. Ich bin irgendwie ausgerastet. In letzter Zeit mache ich dauernd alles falsch und muß endlich auch die Verantwortung dafür übernehmen." Ein Krankenwagen fuhr am Eingang des Hospitals vor. Ralph legte den Arm um Stone und drängte ihn in Richtung ihrer Fahrzeuge. "Ich denke, du solltest nach Hause gehen und dich etwas hinlegen." "Und so tun, als sei nichts geschehen? Was meinst du, was der Kerl dazu sagt, den ich halb zu Brei geschlagen habe?" "Ach was, der ist total betrunken, außerdem hat er dich dazu provoziert, du hast in Notwehr gehandelt, Junge. Du hättest deine Waffe benutzen sollen und hast keinerlei Grund, dich schuldig zu fühlen." Als sie bei den Fahrzeugen anlangten, lehnte Stone sich gegen den Kühler. Trotz der Herbstkühle zog er die Jacke nicht
an, sie war blutbefleckt. Das grelle Licht tat seinen Augen weh, um ihn herum dröhnte der Verkehr. "Hier sind zu viele bekannte Gesichter", meinte Ralph. Ein vorbeikommendes Pärchen starrte sie an. Sie stiegen ein. "Möchtest du mit aufs Revier kommen? Wir könnten da noch ein bißchen plaudern." "Nein, ich muß eine Weile allein sein", lehnte Stone das Angebot ab. "Das warst du in letzter Zeit viel zu oft, Junge. Das Leben geht weiter." Unwillkürlich kam Stone Jordan in den Sinn. "Habe ich versucht. Aber manche schaffen es besser als andere." "Quatsch. Dieser Schlag auf deinen Kopf hat wohl mehr Schaden angerichtet als gedacht." Ralph versuchte witzig zu sein, doch Stone war nicht in der Stimmung dazu. Er mußte wirklich allein sein und schlafen und vergessen, was ihm immer wieder durch den Kopf ging. "Wieso rufst du an?" "Ich vermisse dich." Jordan sah auf ihre Hand, die voll weißer Farbe war. Sie war am Streichen im Bad und hatte sich gerade etwas zu trinken holen wollen. Jordan rieb die Hand am T-Shirt ab. "Wir haben uns nichts mehr zu sagen, Brent." "Leg bitte nicht auf, Jordan, sonst rufe ich gleich wieder an." "Das werde ich zu verhindern wissen." Jordan legte auf und riß das Kabel aus der Dose, wusch sich die Hände und dachte dabei, daß sie gern auch die Erinnerungen an Brent abwaschen würde. Als das Telefon im ersten Stock klingelte, schrie sie: "Wie kannst du es wagen, mir das anzutun." Nach all den Monaten hatte sie geglaubt, daß Brent begriffen hatte und endlich aus ihrem Leben verschwunden war, für immer. Nichts würde je ihre Meinung ändern. "Laß mich in Ruhe!" schrie sie zur Decke hinauf. Das Klingeln hörte auf.
Überrascht lachte sie. "Danke." Vielleicht hatte sie einen Schutzengel. Aber gleich darauf wurden ihre Gedanken wieder düster. Sie hatte so sehr daran gearbeitet, das Haus zu verändern, aber sie brauchte noch Zeit für sich selbst, um herauszufinden, wer sie selbst eigentlich war und was sie wollte. Wieso versuchte jeder, der in ihr Leben trat, sie zu verändern? Vor allem jeder Mann! Stone fiel ihr ein. Er war anders, aber er wollte ebenfalls zuviel. Jedenfalls mehr, als sie im Augenblick bereit war zu geben. Und das war Leidenschaft. Er machte ihr angst. Er brachte sie dazu, von Dingen zu träumen, von denen sie geträumt hatte, als sie noch jung und naiv war. Nun würde sie nicht mal in den wildesten Momenten übersehen, wie falsch es wäre, von einem Mann wie ihrem Vater oder Brent zu einem wie Stone zu gehen. Sie mußte sich erst mal um sich selbst kümmern und durfte sich nicht in einem Gefühlssturm verlieren. Sie drehte den Hahn zu und wischte sich die Hände trocken. Verglichen mit manchen Frauen, war sie in Beziehungsfragen sicher ein Neuling, aber sie neigte nicht zur Selbstzerstörung. Und niemand würde aus ihrem Herzen je wieder einen Schweizer Käse machen! Gerade wollte sie die Kühlschranktür öffnen, als sie draußen ein Geräusch hörte. Als sie durch die Fensterläden spähte, erschrak sie. "Ich glaube es nicht." Vielleicht würde er weggehen, wenn sie nicht reagierte? Dein Wagen steht draußen, du Schlaukopf, sagte sie sich im selben Moment. Außerdem spielte ihr Radio. Und da er Wildwart war, konnte er sicher Flöhe husten hören. Es klopfte. Jordan kämpfte mit sich. Und oben ging wieder das Telefon.
Sie öffnete die Haustür. Meine Güte, wie sah er nur aus? Sie starrte auf den Kopfverband, in sein blasses Gesicht und auf die Blutflecken an seinem Khakihemd. "Was ist passiert?" brachte sie schließlich heraus. Die kühle Oktoberbrise machte ihr bewußt, daß sie wenig anhatte. "Heute habe ich beinahe einen Mann zu Brei geschlagen, nur weil mir mein Leben nicht gefällt." Sie versuchte zu scherzen. "Und dann hat er wohl zurückgeschlagen, weil er keine Lust hat, Steuern zu zahlen." Ein Funken Humor blitzte in seinen erschöpften Augen auf und milderte den harten Ausdruck. "Ich wußte doch, daß ich einen Grund hatte, herzukommen. Wer sonst könnte verhindern, daß ich in Selbstmitleid zerfließe." "Als nächstes erzählst du mir, daß du in Ohnmacht fällst, wenn ich dich nicht hereinlasse." "Genau, ich wollte gerade so etwas sagen wie: Sonst wende ich Gewalt an.'"
6.KAPITEL "Für einen Verletzten hast du noch recht viel Humor", bemerkte Jordan und hielt Stone fest, der leicht schwankte. Dabei hatte sie sich doch vorgenommen, ihre Fürsorglichkeit endlich abzulegen! Als Stone auf dem Weg zum Wohnzimmer stehen blieb, überlegte Jordan, wie er das Haus wohl wahrnahm. Die dunklen Wände und Möbel des Reverends waren verschwunden, nun war alles elfenbeinfarben: die Couch gegenüber dem Kamin, der Lehnsessel und die Chaiselongue am Fenster. Nur der Schreibtisch am Fenster und die Beistelltische, Messinglampen sowie Grünpflanzen brachten etwas Farbe hinein. "Jordan, träume ich?" Sie lächelte. "Nein, keineswegs", antwortete sie amüsiert. "Ich glaube, du solltest ein paar Zeitungen auslegen? Ich möchte bei meinen vielen Sünden nicht auch noch deine Möbel ruinieren." In Anbetracht seiner staubigen und blutverschmierten Uniform legte Jordan ein Tuch auf die Couch. "Immerhin ist alles waschbar." "Ich bleibe auch nur eine Minute." Erschöpft setzte er sich, er wirkte ganz blaß unter seiner Bräune. "Bist du genäht worden?" "Ja, mehrere Stiche." "Hat der Arzt dir ein Schmerzmittel gegeben?"
"Nur ein Rezept. Hast du vielleicht etwas?" "Nur Brandy oder Scotch." "Großartig." "Was möchtest du?" "Am liebsten beides. Hauptsache, ich fühle mich besser." "Ich bin gleich zurück." Jordan verschwand in der Küche. Sie erinnerte sich, daß sie erst vor kurzem eine Flasche ausgezeichneten französischen Cognac gekauft hatte. Für besondere Gelegenheiten. Nun, war das nicht eine? Sie goß sich ebenfalls einen Drink ein und ging ins Wohnzimmer zurück. "Was ist denn passiert?" Stone nahm dankend das Glas entgegen. Jordan fiel auf, daß seine Hände nicht nur verschrammt waren, sondern auch zitterten. "Ralph und ich haben zwei Wilderer festgenommen", begann er zu berichteten. "Ralph? Du meinst Sheriff Spradlin?" "Mmm. Und der eine versuchte zu entkommen." Stone nahm einen Schluck und schüttelte sich leicht. Jordan setzte sich auf den Couchtisch vor ihn. "Entschuldige, ich möchte nicht arrogant wirken, aber der Cognac ist französisch. Du solltest ihn genießen und nicht wie Bier runterkippen." "Schatz, ich möchte vor allem den Schmerz betäuben." Das Wort "Schatz" gab ihr ein warmes Gefühl. "Weil dir dein Leben derzeit nicht gefällt?" Er lehnte sich zurück. "Ich hätte den Mann beinahe umgebracht, so außer mir war ich, ich wollte ihn mit den Fäusten in den Boden rammen." "Du warst wütend." "Verteidige mich doch nicht noch!" "Wieso bist du dann zu mir gekommen?"
Seine Antwort ließ so lange auf sich warten, daß sie dachte, er habe die Frage nicht gehört. Ist er schon zu betrunken, um noch fahren zu können? überlegte sie besorgt. "Du sorgst dafür, daß ich vergessen kann." Jordan bekam eine trockene Kehle. "Du meinst, deine Frau und dein Kind?" "Alles." "Und das ist gut? Wenn du herkommst, streiten wir uns doch nur." Die Muskeln um seinen Mund herum zuckten. "Mit dir zusammenzusein bedeutet mir sehr viel." Diese ruhige Erklärung verursachte bei Jordan eine Gänsehaut. "Das ist doch verrückt. Vielleicht hat deine Kopfverletzung ..." "Das habe ich heute schon mal gehört." Er lehnte sich zurück, schloß die Augen und war so still, daß Jordan schon glaubte, er sei eingeschlafen. Dann öffnete er sie wieder. "Alles in Ordnung mit mir. Weißt du, ich möchte nicht wieder so weggehen wie beim letzten Mal." Er sah sie traurig an. "Vergiß es, ich bat dich ja zu gehen." "Ja, aber davor war ich selbstsüchtig. Ich hätte dir mehr Genuß verschaffen sollen." Dann hätte sie ihm nicht standhalten können. "Jordan?" "Du hast mir genug gegeben." Ganz langsam beugte er sich vor, stellte das Glas ab, hob die Hände und umschmiegte ihr Gesicht. Als er seine Finger sah, verzog er das Gesicht. "Darf ich mal dein Bad benutzen?" "Stone, wenn du fähig bist, die Treppe hinaufzusteigen, bist du auch fähig, nach Hause zu fahren. Außerdem bin ich schon spät dran. Wartet Kristen nicht auf dich?" "Wenn ich mich nicht irre, ist sie bei der Familie eines Freundes in Dallas zu einem Konzert. Sie übernachtet da." "Na, deine Nichte ist ja ziemlich viel unterwegs."
"Ich sagte dir doch schon, daß sie mir nach Möglichkeit ausweicht." "Ich bin oben beim Streichen", sagte sie, "sei also vorsichtig, wenn du etwas anfaßt." Sein Schritt war einigermaßen sicher, wenn auch deutlich schleppender als sonst. Jordan verkniff es sich, ihm nachzugehen, und trug die Gläser in die Küche. Sie zog das Stirnband aus ihrem Haar und fuhr glättend mit den Fingern hindurch. Im Wohnzimmer wurde es allmählich dunkel, sie knip ste zwei Lampen an. Als Stone noch immer nicht zurückkam, wurde sie unruhig. Vielleicht war seine Verletzung schlimmer als gedacht? Hatten ihn die Farbdämpfe in Ohnmacht fallen lassen? Sie ging hinauf. Und dort fand sie ihn: Er lag quer auf ihrem Bett, die Füße hingen auf den Boden. Sie wollte ihm schon ihre Meinung sagen, aber er schlief tief und fest. Selbst im schwachen Licht des Flures konnte man sehen, wie erschöpft er war. Die Bartstoppeln ließen ihn hart aussehen, sein breiter Brustkorb hob und senkte sich. Die Blutflecken auf dem Hemd wirkten beängstigend. Jordan war froh, daß er nicht schlimmer verletzt war. Vielleicht konnte sie ihm wenigstens ein paar Minuten Ruhe gönnen. So würde er ausnahmsweise mal nicht versuchen, ihren Widerstand zu brechen. Über eine Stunde später - Jordan hatte zweimal nach ihm geschaut - hatte Stone sich noch immer nicht gerührt. Vielleicht hatte er eine Gehirnerschütterung und war ins Koma gefallen? Sie nutzte die Zeit, um aufzuräumen, eine Gemüsesuppe zu kochen und sich umzuziehen. Als sie ins Bad ging, klingelte das obere Telefon. Stone bewegte sich nur. "Hallo?" sagte sie leise in den Hörer. "Jordan, wenn deine schlechte Laune vorbei ist, würdest du mir bitte zuhören?"
Es war Brent! "Nein!" sagte sie wütend, "wir haben uns nichts mehr zu sagen, es ist vorbei. Hör auf, mich anzurufen!" Sie legte auf und riß das Kabel aus der Steckdose. Inzwischen war Stone wach geworden. "Das hörte sich an, als meintest du es ernst", sagte er mit einem Blick auf die Telefonschnur. "Tue ich auch." "Kenne ich ihn?" "Nein, er ist aus Massachusetts." "Ah, die geheimnisvolle Vergangenheit." "Überhaupt nicht geheimnisvoll. Es ist einfach nur vorbei. Er ist verheiratet." Die Worte hinterließen einen bitteren Geschmack in ihrem Mund. "Leider erfuhr ich das erst in der Woche, als mein Vater mich wegen seiner Krankheit anrief." "Eine Ehefrau ist ziemlich schlecht geheim zuhalten." "Das ist nicht allzu schwierig, wenn die Frau sich in der Psychchiatrie befindet. Niemand wußte es, nicht mal die Fakultät, an der er lehrt. Die wissen es vermutlich noch immer nicht, denn Brent ist sehr verschwiegen." "Du klingst, als seist du noch lange nicht über ihn weg." "Hör mal, Dr. Demarest, das ist nicht dein Bier. Ich war über ihn weg, sobald ich die Wahrheit erfuhr." Allerdings war sie zu feige gewesen, es gleich zu beenden. "Ich bin die letzte, die jemandem sein Privatleben übel nimmt. Aber ich raste aus, wenn mir jemand Lügen auftischt." "Selbst wenn er sie benutzt, um dich nicht zu verlieren?" "Dr. Brent Hilliard ist ein egoistischer, arroganter Kerl, der sich vor nichts fürchtet, weil er sich für den Größten hält! Und damit ist das Gespräch beendet. Ich wärme dir etwas Suppe, wenn du hungrig bist." "Ja, das bin ich!" Jordan dachte, er würde ihr nach unten folgen, aber plötzlich packte er sie und zog sie zu sich aufs Bett. "Stone! Was soll das!"
"Es gibt verschiedene Arten, hungrig zu sein." Als er Jordan an sich drückte, spürte sie sogleich seine Erregung. Doch bevor sie sagen konnte, daß sie das, was sie mal begonnen hatten, nicht beenden wurden, schob er ihr T-Shirt hoch. Erst spürte sie kalte Luft an ihrer Brust und dann seine gierigen Lippen. Sie erschauerte. "Stone, das meinst du doch nicht ernst", versuchte sie sich zu wehren. "Oh, doch!" Allerdings tat er das! Aber er sprach nicht, da er ihre aufgerichtete Brustspitze nur kurz losließ, um dann um so leidenschaftlicher daran zu saugen. Gleichzeitig wehrte er mit kräftigen Händen ihre Versuche ab, sich loszumachen, und erforschte den Rest ihres entblößten Körpers. Ihr Widerstand schmolz zusehends. "Was ist mit deinem Kopf?" fragte sie wie jemand, der im Treibsand nach einem Halt sucht., "Ich plane jetzt nicht, mich mit Mathematik zu beschäftigen." "Du solltest dich ausruhen, und zwar in deinem eigenen Bett. Oh...Mmm...'" Er wechselte zur anderen Brust, die Liebkosungen wurden heftiger, und Jordan schloß unwillkürlich die Augen. Stone erforschte ihren Körper, erregte sie, und da war kein Gedanke mehr, sondern nur noch Gefühl. Und Jordan wollte ihn. Seit Stone das Haus betreten hatte, waren die Erinnerungen da gewesen. Erinnerungen an seine physische Präsenz und das Unerklärliche, das sie miteinander verband. Noch nie hatte sie sich bei jemandem so lebendig gefühlt. Warum also sollte sie sich dagegen wehren? "Stone! Warte einen Moment, bitte. Ich muß eben 'runter und den Herd ausstellen." Er hielt sie fest. "Du versuchst doch nur, mir zu entkommen." "Ich will nicht, daß meine köstliche Suppe ruiniert wird."
Er sah sie zweifelnd an, aber der zärtliche Blick ihrer Auge n überzeugte ihn. Schließlich ließ er sie zögernd los. Nachdem sie den Herd ausgestellt hatte, ging sie wieder nach oben. Stone schob gerade die Kissen an das Kopfteil des Bettes. Im Licht, das vom Flur hereinschien, konnte man seinen muskulösen Körper erkennen und sein dunkles Haar. "Ich hätte dich fragen sollen, ob du durstig bist", sagte sie und zog ihre Jeans aus. "Selbst wenn ich in der Wüste wäre, würde ich nicht wollen, daß du noch einmal weggehst." Dafür daß er eher ein schweigsamer Typ war, sagte er recht provozierende Dinge. Jordan spürte ihr weiches T-Shirt an den aufgerichteten Brustspitzen, als würden sie schon von ihm liebkost. Sie empfand keinen Augenblick Scheu, obgleich sie dazu erzogen worden war. Als sie das T-Shirt über den Kopf zog, dachte sie nur daran, wie schön es sich anfühlen würde, nackt zu sein, die Luft auf der Haut zu spüren und die Kraft und die Hitze seines Körpers. Stone atmete hörbar auf, als sie das Hemd auf den Stuhl warf. "Ich kann kaum glauben, daß jemand, der so zierlich ist, solche Brüste hat." In jener Nacht in Memphis hatte er sie "schön" genannt, aber damals hatte er sie womöglich gar nicht richtig gesehen. Doch als sie sich nun ganz auszog, zeigte sein begeisterter Gesichtsausdruck, daß er gemeint, was er gesagt hatte. Er sah aus, als könne er kaum abwarten, sie zu nehmen, als sei sie die Frau, die er wirklich wollte. So, wie er der Mann war, den sie wollte! War es nicht riskant? Aber sie waren ja beide erwachsen und konnten verhindern, sich gefühlsmäßig allzu sehr zu engagieren. "Hörst du nie auf, nachzudenken?" fragte er, als sie zu ihm kam. "Merkt man das?"
"Wenn du ein Telegraph wärest, würden wir in Lochstreifen ersticken", scherzte er, legte den Arm um sie und zog sie an sich, "aber zum Glück bist du keine Maschine." Sobald ihre Körper sich berührten, sprachen sie nicht mehr, und herzklopfend hob Jordan den Mund, um Stone zu küssen. Und wie bei fast jedem Kuß, den sie bislang ausgetauscht hatten, verschwendete Stone nicht viel Zeit mit zarten Berührungen, sondern kam gleich zur Sache. Als sie den Mund öffnete, preßte er augenblicklich seine Lippen auf ihre. Sie ließen ihre Zungen miteinander spielen, während Stone ihren Nacken ergriff, als wolle er sichergehen, daß der Kuß endlos sein würde. Der Raum schien sich in einen Glutofen zu verwandeln. Stone schob das Laken weg und zog Jordan gleichzeitig an sich, als müsse sie ihn vorm Erfrieren bewahren. Sie genoß die Gefühle, die er in ihr weckte, und ihr wurde bewußt, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte, sich wieder so lebendig zu fühlen. Sie spürte, wie ungeduldig er war und in ihr sein wollte. So überraschte es sie, daß er sich, während sie sich weiterküßten, umdrehte und sie rittlings auf sich zog. Die Härchen seiner Beine kitzelten ihre Schenkel. Sie hielt sich an ihm fest, seine kraftvollen Muskeln boten den perfekten Sitz. Als er gierige Küsse auf ihr Gesicht und ihren Hals setzte, begriff sie, wie sehr er sich zurückhielt. "Oh, Jordan", ein Schauer durchrann ihn, "warum kann ich bei dir nie warten!" "Das macht nichts. Ich ... oh!" Er verlagerte sich erneut. "Laß mich, diesmal kommst du als erste dran." Sie wollte noch einmal sagen, daß es genug war, beinahe zuviel, ihn nur in sich zu spüren, aber als er begann, ihre intimste Stelle zu streicheln und zu liebkosen, verschlug es ihr förmlich den Atem. Sie dachte an nichts mehr, stöhnte nur noch genußvoll und wollte mehr ... und mehr. Und Jordan ließ sich
von ihm geben, was er wollte, und er war einfach überwältigend. Ein ihr beinahe Fremder - und ein unglaublicher Liebhaber. Stone hielt sie danach fest im Arm, ihr Kopf ruhte an seiner Schulter. Er brauchte diesen Moment Pause, denn wenn sie erst einmal aus seiner Umarmung herausging, dann würde er sich nicht mehr beherrschen können. "Und du beklagst dich über mangelnde Ausdauer?" scherzte sie mit leiser Stimme. " Er blickte sie an. "Das ist dir doch nicht unangenehm, oder?" "Na ja, du hast mich nur berührt, und schon war alles passiert." "Geht es dir sonst nicht so?" Jordan setzte sich auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. "Erwartest du einen Vergleichsbericht?" "Ich möchte nur wissen, ob du es genossen hast." "Sehr sogar." Es gefiel ihm, das zu hören. "Dann hör auf, dir Gedanken darüber zu machen, daß du eine normale Frau mit gesundem sexuellen Appetit bist. Zumal du mich genauso schnell erregst." "Tue ich das?" "Ich habe dir schon mal gesagt", er führ mit dem Daumen über ihre Unterlippe, "daß du dafür sorgst, daß ich vergessen kann." Der kleinen Liebkosung folgte ein heißer Kuß. Jordan inspirierte ihn zu vielen neuen Dingen, aber was immer er auch tat, wo oder wie er sie berührte, sie war immer auf derselben Wellenlänge mit ihm. "Es ist schon ziemlich spät, davon zu sprechen, aber du hast doch hoffentlich etwas dabei, um uns zu schützen", bemerkte sie, als beider Atem schneller wurde. "Wir dürfen nicht wieder ein Risiko eingehen wie damals in Memphis." Wortlos griff er ein Päckchen, das auf dem Nachttisch gelegen hatte. Ebenso wortlos bedeutete Jordan ihm, daß er ihr das Päckchen geben sollte. Sobald Jordan ihn berührte, fühlte er
sich wie in einer anderen Welt. Als sie dann den Kopf senkte, um ihn zu küssen und gleichzeitig spielerisch für den Schutz zu sorgen, konnte er sich nur noch den aufregendsten Empfindungen hingeben... Er packte ihre Hüften und küßte die Stelle zwischen ihren Brüsten, um ihren Herzschlag zu spüren. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Gesichtsausdruck zeigte, daß sie gänzlich der Lust hingegeben war. Er wollte, daß sie Teil von ihm war, und preßte seinen Mund auf ihren. Die Geister der Vergangenheit, die gerade auftauchen wollten, zogen sich augenblicklich wieder in die Dunkelheit zurück. Nur sie war noch da, diese wunderbare Frau. Er strich mit den Händen über ihren schlanken Körper, genoß die Weiche der Haut und das Bewußtsein, daß Jordan Wirklichkeit war, kein Traum, der sich in Nichts auflösen würde. Als er schließlich in die Kissen zurückfiel, zog er sie mit sich. Ihr Haar lag wie ein Schleier um sie herum, er nahm ihren köstlichen Duft wahr. Ihr Körper erweckte Sehnsüchte, die er niemals in einem kurzen, heißen Rausch würde befriedigen können. Was das alles bedeutete, war ihm unklar. Jordan tat ihm gut, sie heilte seine Wunden. Er wollte sein voriges Leben nicht vergessen, sehnte sich aber nach Erneuerung, nach Wirklichkeit. Ich will nicht nur deinen Körper, Jordan, dachte er. Aber ich weiß auch, daß du Zeit brauchst, dich an den Gedanken zu gewöhnen. Ich habe Geduld. Als Jordan die Augen öffnete, schaute er sie an. "Noch einmal", bat er und drückte sie zärtlich an sich.
7. KAPITEL Als Jordan am Montag nachmittag die Klasse betrat, spürte sie sofort die besondere Spannung. "Jack und Ridge, auseinander! Setzt euch, sofort!" "Dieser Ratte drehe ich nicht den Rücken zu!" brüllte Jack, der Ridge im engen Gang zwischen den leeren Sitzen gegenüberstand. In einer Faust hielt er ein zerknülltes Papier, in der anderen - ein Messer! Was war hier nur los? Jacks Kumpane schauten schadenfroh drein, die anderen Schüler eher angeekelt oder gelangweilt. Die einzige, die um Ridge besorgt schien, war Kristen, obgleich sie neben Jack stand. Ridge, ihnen gegenüber, hielt einen Stuhl hoch, als sei Jack ein wildes Tier, das gezähmt werden müßte. Geräuschvoll schloß Jordan die Tür. "So, Schluß jetzt! Alle außer Jack und Ridge gehen weiter nach hinten. Jack, klapp das Messer zu. Ridge, stell den Stuhl wieder hin!" Einige murmelten erleichtert. Jack und Ridge dagegen blieben wie angenagelt stehen, als seien sie Gegner aus der "Westside Story". "Macht schon, Jungs!" rief Jordan energischer, "oder ich schleppe euch eigenhändig zum Direktor und lasse euch beide aus der Schule werfen." "Miss Mills, ich stelle den Stuhl erst ab, wenn er das Messer 'runternimmt!" erklärte Ridge, ohne den Blick von Jack zu lassen.
"Und das wird nicht passieren", giftete Jack, "wege n dieses Zettels, den du an meine Freundin geschrieben hast!" Plötzlich begriff Jordan die Situation. Kristen schien ein Wunder von ihr zu erwarten. "Ich hätte Nonne werden sollen", stöhnte sie. "Miss Mills?" flüsterte Kristen, den Tränen nahe. Entschlössen ging Jordan durch den Raum und forderte Jack erneut auf: "Das Messer! Klapp es zusammen und gib es her! Sofort!" "Sie machen wohl Witze!" "Glaub das nicht!" Pfiffe und Buhrufe ertönten. Zum Glück erinnerten ein paar Besonnene an das Football-Spiel in vier Tagen. Das wirkte. So klappte Jack schließlich das Messer zusammen und reichte es Jordan. Sobald sie es hatte, wies sie auf seine Faust. "Den Zettel auch!" "Der ist Privatsache!" "In meiner Klasse gehen keine Zettel herum. Also gehört dieser mir, Jack Nolan, und du wirst ihn mir geben oder 'rausfliegen!" "Bekomme ich beides bei Schulschluß zurück?" "Nein!" "Das Messer war aber ein Geschenk." "In dem Fall solltest du dir erst recht überlegen, ob du es benutzt! Hör auf, den Unterricht zu stören, dann überle ge ich es mir bis Ende der Woche." Er schien alles abzuwägen. Nach einigen Sekunden murmelte er noch etwas Freches, reichte ihr aber den Zettel, Jordan wendete sich nun Ridge zu. "Stell den Stuhl ab, und setz dich ganz nach hinten." Ridge zögerte, aber nach einem Blick zu Kristen gehorchte er. Sobald er am anderen Ende des Raumes war, begannen Jacks Kumpane, beleidigende Bemerkungen zu machen.
"Es reicht!" schimpfte Jordan. Sie forderte alle auf, sich zu setzen. "Ich bin nicht Lehrerin geworden, um hier Gefängniswärterin zu spielen!" Die Hände auf den Hüften, starrte sie die Klasse an. "Seid ihr etwa stolz auf euer Benehmen? Wollt ihr für den Rest eures Lebens Konflikte auf diese Art lösen? Wenn ja, wüßte ich das gern, damit ich den Beruf wechseln kann. Denn ehrlich gesagt, werde ich zu schlecht bezahlt, als daß ich mir höhere Versicherungsraten leisten kann, die euretwegen nötig sein werden!" Aus dem Grinsen und den leisen Bemerkungen konnte man schließen, daß die Schüler es komisch fanden. Am liebsten hätte Jordan alles hingeschmissen, so sehr mißfiel ihr ihre Arbeit im Moment. Die Schulleitung hatte offensichtlich die Kontrolle verloren. Das stellte auch ihr Berufsleben in Frage! "Wenn ihr euch wie Kinder aufführen wollt, dann arbeiten wir eben wie im Kindergarten", erklärte sie schließlich so leise, daß einige sich vorbeugen mußten, um sie zu verstehen. "Es hat keinen Zweck, eure überanstrengten Köpfe mit Kunst oder Idealen zu belasten. Das ist nur etwas für intelligente Menschen, die an ihre Zukunft glauben. Für den Rest der Stunde schweigt ihr bitte." "Aber Miss Mills", meldete sich Andy Beckman, "nicht alle von uns waren daran beteiligt." "Andy, du bist bitte auch still, und laß es dir eine Lehre sein. Auch Nichteingreifen ist eine Form von Komplizentum!" Das kam ihr selbst ein wenig zu schart vor, aber nun war es einmal gesagt. "Ah, Miss Mills?" Bo hob seinen muskulösen Arm. "Sollen wir erst unsere Schreibtische leer räumen?" "Bo Spradlin, hast du ein Problem, mich zu verstehen? Kopf runter und Ruhe!" Sie schaute durch die Klasse. "Falls jemand daran zweifelt, daß ich es ernst meine, braucht er es nur auszuprobieren. Ihr fangt euch nicht nur eine schlechtere Note
ein - egal wie gut die nächste Arbeit ausfällt -, sondern könnt mit einer Woche Nachsitzen rechnen." Zornig ging sie durch den Raum. "Es reicht mir mit einigen von euch. Also hört gut zu: Ihr werdet ab jetzt füreinander verantwortlich sein. Wenn einer von euch absichtlich stört, werdet ihr es alle gemeinsam an den Abschlußnoten merken!" "Das können Sie doch nicht tun!" "Wir haben doch gar nichts gemacht!" "Das ist ungerecht!" "Ungerecht?" Jordan lachte höhnisch auf. "Seit wann wißt ihr etwas von Gerechtigkeit? Ist es gerecht, mich mit dieser Art Unsinn zu belästigen, wenn ich nur versuche, meinen Job zu machen? Ist es fair, denjenigen, die ordentlich arbeiten wollen, die Möglichkeit zu nehmen? Ist es gerecht, Steuergelder zu verschwenden, die eure Eltern dafür bezahlen, daß ihr eine gute Ausbildung bekommt? Also Ruhe jetzt. Ich will keine Störung mehr." Als die Klingel ertönte und einige Schüler aufstehen wollten, warf Jordan ihnen einen finsteren Blick zu. "Habe ich euch schon entlassen? Dir bleibt sitzen, bis ich euch erlaube, aufzustehen. Außerdem habt ihr eure Hausaufgaben noch nicht." "Aber Miss Mills, einige von uns haben schon Algebra und Geschichte auf!" protestierte einer. "Mir bricht das Herz. Bis morgen schreibt ihr einen Fünfhundertzeilenaufsatz darüber, was euch Erziehung bedeutet." Lautes Stöhnen ertönte. "Ihr könnt gehen." Die Klasse begann sich zu leeren. Als Jack aufstand und neben Kristen stehen blieb, zog sie ihren Freundschaftsring ab und reichte ihn Jack zurück. Der sah sie entsetzt an. "Soll das ein Scherz sein?" fragte er mit schriller Stimme. "Absolut nicht. Mit uns ist es aus, Jack." "Du läßt mich für den Typ fallen?"
"lch lasse dich für niemanden fallen. Ich trenne mich von dir, weil du nicht zum Aushalten bist. Und ich habe es satt, so zu tun, als bemerkte ich nicht, wie brutal und egoistisch du bist." "Ihr könnt mich mal alle!" schrie Jack und nahm den dicken Silberring mit dem roten Stein. "Macht nichts, Schätzchen, es gibt genug Ersatzmädchen für dich!" "Die tun mir jetzt schön leid", versetzte Kristen schnippisch. Jack verließ den Raum, gefolgt von seinen Freunden. Ridge wollte erst zu Kristen gehen und mit ihr reden, aber da sie ihn nicht anschaute, ging er lieber. Kristen nahm ihre Bücher und näherte sich Jordans Tisch. "Tut mir leid, Miss Mills, es ist alles meine Schuld. Wenn Sie jemanden durchfallen lassen, sollte ich es sein." Jordan bereute ihre Schärfe schon. "Ach, du meinst, du bist für all den Ärger hier verantwortlich?" Kristen lächelte. "Nein, nicht für alles." "Na ja, unterschätz dich nicht, immerhin hat einer ein Gedicht für dich geschrieben. Vielleicht sogar mehr als einmal." Das Mädchen zupfte nervös an seinen Locken. "Ridge ist nicht schuld, Miss Mills. Er hat nur diesen Zettel geschrieben. Aber wenn Sie das Mr. Fields melden, wird er ihn bestrafen, während Jack vermutlich mit einer Verwarnung vom Trainer davonkommt." "Weil sein Vater Bürgermeister ist?" "Wir leben in einer Kleinstadt, da gibt es viele Cliquen." Jordans schlimmste Befürchtungen bestätigten sich. "Nun, Mr. Nolan ist nicht der Schuldirektor." "Miss Mills, bitte, das habe ich Ihnen ganz im Vertraue n gesagt." "Keine Sorge, Kristen, ich bin dir dankbar dafür. Aber Jacks Verhalten heute ist unentschuldbar. Übrigens: Wenn du glaubst, daß er sich dadurch bessert, daß du ihm den Ring zurückgegeben hast, irrst du dich. Besonders wenn Ridge und du euch näher kommt."
Das Mädchen sah ernst drein. "Ich weiß, daß er mich mag, aber ... Sein Leben ist kompliziert, Miss Mills. Sein Vater trinkt und arbeitet nur unregelmäßig. Mrs. Biggs bringt die Familie mit dem durch, was sie in der Schulkantine verdient. Wenn Ridge nicht gerade auf seine jüngeren Brüder aufpaßt, dann jobbt er, soviel er kann, aber es reicht wohl nie." Kristen biß sich auf die Lippe. "Er wird nicht aufs College gehen, das kann seine Familie sich nicht leisten. Er muß irgendeine Arbeit annehmen, um ihr zu helfen." Jordan dachte an ihre Jugend. Ihr Vater hatte es auch nicht für nötig befunden, daß sie aufs College ging. Das hielt er für Zeitverschwendung, da sie ja ohnehin irgendwann schwanger werden würde. Dabei verbot er ihr, sich mit Jungen zu treffen, bis sie achtzehn war! Entschlossen, sich freizuschwimmen, hatte sie sich um ein Stipendium bemüht und dann damit das erste Jahr überbrückt. Sie hatte in einem schrecklichen Loch gehaust, zusammen mit einer anderen Studentin, und in einem exklusiven Re staurant gejobbt, wo es reichlich Trinkgeld gab. So hatte sie gelernt zu überleben. "Scheint so, als wüßtest du einiges über Ridge." "Ich ... Nun, wir haben uns mal im Supermarkt unterhalten, Wo er als Packer arbeitet. Und wir haben uns ein paar mal woanders getroffen." "Dann hat Jack also Grund zur Eifersucht?" Die grauen Augen des Mädchens blitzten auf. "Jack ist so unbeherrscht wie egoistisch. Ridge hat mich nur gewarnt." Jordan hatte schon bemerkt, wie Ridge das hübsche Mädchen betrachtet hatte. "Kristen", Jordan lehnte sich vor, "das nennt man gefühlsmäßige Irreführung." "Wieso? Nein." "So etwas kann gefährlich ausgehen. Stell dir vor, was passiert wäre, wenn ich nicht rechtzeitig aufgetaucht wäre."
"Er wollte Ridge nur einschüchtern, er hätte das Messer bestimmt nicht benutzt." "Meinst du? Hast du mir nicht gerade erzählt, wie unbeherrscht er ist?" Kristen schaute sie erschrocken an. Jordan mußte die Geschichte auch Stone erzählen, für den Fall, daß es irgendein Nachspiel gab. "Ich wollte nur, daß Sie begreifen, daß Ridge nicht noch mehr Schwierigkeiten verkraften kann. Sagen Sie es deshalb bitte nicht Mr. Fields. Außerdem möchte ich Sie noch mal bitten, uns mit dem Literaturkurs zu helfen." Das Mädchen wußte offenbar genau, was es wollte! "Ein Nachmittagskurs wird Ridge nicht helfen, Kristen. Außerdem sagtest du doch schon, daß er sehr beschäftigt ist." "Wieso versuchen Sie es nicht einfach?" "Selbst wenn ich Zeit dazu hätte, verkündet man nicht einfach, daß es einen Kursus gibt, und legt dann los. Ich müßte mit Mr. Fields darüber sprechen, und er müßte einen Raum zur Verfügung stellen. Dann geht es noch um Sicherheitsvorkehrungen, Unfallversicherung und dergleichen mehr." "Das sind doch Ausreden!" Kein Wunder, daß Stone sich mit seiner Nichte anlegte. "Zu deiner Information, junge Dame, heutzutage bekommt man schon Probleme wegen Energieverschwendung, wenn man nach Schulschluß die Lampen anläßt." "Ich wollte, beim Sportprogramm der Jungen wären die auch so streng." "Da gebe ich dir recht." Jordan stand auf. "Leider gilt unsere Meinung nicht viel, denn das ,T aus Texas steht auch für Testosteron, das männliche Hormon." Kristen gab nicht auf. "Sie sind doch Lehrerin, es ist Ihr Job." "Ja, das stimmt. Aber das heißt nicht, daß ich euch meine grauen Zellen und meine Energie jede Minute meines Lebens
widme. Ich muß eure Hausarbeiten korrigieren, am Wochenende Arbeiten vorbereiten und mir Extra-Aufgaben für eure Ferien ausdenken. Und nebenbei habe ich auch noch ein Privatleben." Jordan dachte an die ungelesenen Bücher zu Hause, die Gartenarbeit, die Kassetten mit italienischer Sprache, die Filme, die sie noch sehen, und den Kochkursus, den sie machen wollte. All die Dinge, zu denen sie immer noch nicht gekommen war, gingen ihr durch den Sinn. Kristen senkte den Kopf. "Das habe ich wohl vergessen. Ich dachte, da Sie allein leben ..." "Ja?" "Daß Sie auch einsam sind." "Eine Art alter Jungfer?" "Oh, nein, Sie sind kein bißchen alt! Und ich glaube, Sie sind die bestaussehende Lehrerin, die wir je hatten! Das ist sogar meinem Onkel aufgefallen." Jordan biß sich auf die Lippe. "Das ist ja nett von euch. Wie geht es ihm denn? Ich meine, wie läuft es mit euch? Kommt ihr jetzt besser miteinander klar?" Wenn sie nicht sofort an das Liebesspiel mit ihm gedacht hätte, hätte sie ihren Patzer wohl bemerkt. Kristen sah sie mißtrauisch an. "Woher wissen Sie, daß wir nicht so gut miteinander auskommen?" "Nun, Lehrer tauschen Informationen aus. Miss Flynn hat letzte Woche von dir geschwärmt und mir ein bißchen von deinem Hintergrund erzählt." Glücklicherweise war ihr das gerade noch eingefallen. "Also geht es nun besser?" "Wir versuchen, uns gegenseitig Raum zu lassen und nicht mehr soviel zu streiten. Und wir haben einiges zusammen am Haus gemacht, Bäume gepflanzt und so. Er denkt wo hl, wenn es außen gut aussieht, zieht das Innere nach." Jordan empfand Mitleid mit dem Mädchen. "Was stört dich an eurer Beziehung am meisten?" fragte sie spontan.
"Er zeigt nie Gefühle, es sei denn, er ist wütend. Ich weiß, er hat einen harten Job und noch immer großen Kummer wegen Tante Tracy und dem Baby, aber er vergräbt sich auch in seinem Schmerz. Wußten Sie, daß man ihn heimlich den Stone Man nennt?" "Davon habe ich gehört." Aber Jordan wußte auch, daß das nicht der Mann war, der schon nach der zweiten Liebesnacht eine intensive Beziehung mit ihr haben wollte. Im Bett war Stone leidenschaftlich, und wenn er auch schwierig war, so doch genauso warmherzig und großzügig. "Sie wollen also nicht. Ich weiß gar nicht, warum ich noch mit Ihnen darüber rede." "Warte. Es freut mich, daß wir miteinander gesprochen haben, aber die Situation ist kompliziert." "Was werden Sie tun?" "Zu Jacks Eltern gehen und mit ihnen sprechen." "Die werden nicht zuhören. Mrs. Nolan tut nur, was ihr Mann sagt, und Mr. Nolan hält sich für den König von Mount Liberty. Niemand kritisiert sie. Außerdem ist Mrs. Nolan mit dem dritten Kind schwanger und nur mit der Vorbereitung der Geburt und dem perfekten Familienbild beschäftigt, das sie vorführen möchte." Ah, so? "Wenn du die Leute nic ht magst, wieso bist du dann noch mit Jack befreundet?" Kristen senkte wieder den Kopf. "Weil sie die Familie von Mount Liberty sind und ..." Sie stockte mitten im Satz. "Na ja, das ist mir ziemlich peinlich, weil mir der Status gefiel, der dazugehört, und die Aufmerksamkeit, die die Familie bekommt." Wenige Erwachsene wären so ehrlich gewesen. "Es gehört eine Menge dazu, das zuzugeben. Danke für dein Vertrauen. Ich werde trotzdem mit den Nolans reden." Jordan nahm das zerknüllte Papier aus ihrer Tasche. "Hier, es gibt keinen Grund, warum du es nicht haben solltest."
In dem hübschen Gesicht des Teenagers ging die Sonne auf. "Miss Mills! Tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe. Sie sind wirklich toll! Wiedersehen!" Sie tanzte förmlich aus dem Raum. Jordan sah ihr wehmütig nach. In Kristens Alter hatte sie nie so sein dürfen. Ihr Vater hatte Tanzen und Lachen als etwas Teufliches gesehen. Was hätte er wohl angesichts der Nolan-Geschichte gesagt? Na ja, in Gegenwart des Reverends Charles Franklin Mills hätte niemand gewagt, ein Messer zu ziehen! Da hast du dich ja wieder mal an etwas Nettes erinnert, schimpfte Jordan innerlich und nahm ihre Sachen. Das Haus der Nolans war wirklich das eleganteste von Mount Liberty. Es wirkte nicht nur wegen seiner modernen Architektur beherrschend. Bürgermeister John Marshai Nolan sorgte für einen unkrautfreien Rasen, dekorierte sein Grundstück zu allen Festtagen, ließ am Nationalfeiertag eine Flagge wehen und die Unabhängigkeitserklärung mit Flutlicht beleuchten. Als Jordan in die Auffahrt fuhr, bemerkte sie, daß schon für Halloween dekoriert war, daß kunstvolle Gespenster und Hexen auf Besenstielen im Magnolienbaum hingen, ausgehöhlte Kürbisse sowie Chrysanthementöpfe den Weg säumten. Megan Nolan, platinblond, hochschwanger und modisch in taubengrauer Tunika, öffnete. "Miss Mills? Ich bin Megan Nolan. Kommen Sie herein." "Danke, daß ich gleich kommen durfte." Jordan betrat das Marmorfoyer, das durch Kristallüster beleuchtet war. "Sie sagten, es sei dringend und daß Sie über meine n Sohn sprechen müßten. Ich hatte also keine Wahl." Jordan überhörte die leise Kritik und setzte sich. "Das hier gehört Ihrem Sohn", sie reichte das Messer hinüber. "Er hat heute einen Schüler damit bedroht. Zum Glück tauchte ich auf, bevor etwas passierte, aber die Situation ist problematisch."
Megan Nolan hielt das Messer in der Hand, als sei es ein Silberkelch. "Wenn Jack junior das getan hat, muß er das Gefühl gehabt haben, sich verteidigen zu müssen, Miss Mills." Diese Antwort kam nicht überraschend. Dennoch ballte Jordan die Hände zu Fäusten. "Leider war es anders." Sie erklärte kurz das Geschehen. Und das unterschied sich sicher sehr von Jack Juniors Schilderung. Mrs. Nolan legte die Hände auf ihren Leib, als wolle sie demonstrieren, daß sie jegliches Leben schützen werde. "Miss Mills, mein Sohn ist Captain des Mount- Liberty-LionsFootballteams, Klassensprecher, ein guter Schüler und äußerst beliebt. Ridge Biggs ... na ja, er hat mir immer sehr höflich meine Lebensmittel aus dem Supermarkt getragen, aber wenn er meinen Sohn provoziert hat, dann lag das wohl an der ererbten Launenhaftigkeit." Gegen dieses Vorurteil wollte Jordan gar nicht erst angehen. Megan Nolan ahnte nicht, wie schlecht sich ihr Sohn oft verhielt und wie makellos das Verhalten von Ridge war. "Ich verstehe Ihre Einstellung, Mrs. Nolan, aber verstehen Sie bitte auch meine. Ich habe noch zweiundzwanzig andere Schüler, um die ich mich kümmern muß, und ich werde keine Gewalt dulden. Die Position, die Jack hat, bedeutet auch Verantwortung. Daran sollten Sie ihn erinnern." Mrs. Nolan drehte an ihrem Brillantring. "Miss Mills - darf ich Sie Jordan nennen? - Sie sind Einzelkind, wie ich hörte, und ich gebe zu, daß mein großer Sohn energisch und kraftvoll ist, wie auch mein anderer Sohn, aber ich versichere Ihnen, daß die beiden Jungs Gott und ihren Vater gleich stark fürchten. Ich verspreche Ihnen, daß es nicht wieder vorkommt. Können wir das Thema damit beenden?" "Das wird Mr. Fields entscheiden." Megan Nolans Lächeln verkrampfte sich etwas. "Das wird meinem Mann wenig gefallen." "Das heißt?"
"Ich wüßte nicht, warum wir das nicht zwischen Eltern und Kindern regeln können. Bevor Sie kamen, habe ich mit Kristen telefoniert. Sie ist ein nettes Mädchen, und wir finden, daß sie und Jack junior ein schönes Paar sind. Ich bin sicher, sie versteht, daß Jack junior das nur getan hat, weil er in sie verliebt ist." Jordan mußte daran denken, daß so viele Frauen, die gefühlsmäßig oder physisch mißbraucht wurden, ihre Ehe mit diesem Glauben rechtfertigten. "Das muß sie entscheiden, aber ich bin nicht sicher, daß Mr. Demarest das gutheißt. Und als Kristehs Vormund muß er ebenfalls informiert werden." Mrs. Nolan blickte auf die Uhr. "Ich werde es natürlich meinem Mann sagen. Ach, meine Liebe, wenn das alles ist... Jordan, ich muß diesen Besuch leider abbrechen und meinen jüngeren Sohn Jeffrey zu seinem T'ai-Chi-Kursus bringen."
8. KAPITEL "Dreißig Jahre alt und noch immer nichts dazugelernt", schimpfte Jordan auf dem Heimweg vor sich hin. In den vergangenen zwölf Jahren hatte sie versucht, sich ein psychologisches Kettenhemd zu stricken, um sich gefühlsmäßig unverwundbar zu machen. Und schon legte sie ihren Kopf wieder auf den Richtblock. Es schockierte sie nach wie vor, wenn Menschen nicht an Prinzipien glaubten, sondern nur an ihre eigenen Interessen dachten. Gerade fuhr sie bei Winifred Graves vorbei, die in ihrem Briefkasten nachsah und Jordan sogleich den Rücken zudrehte, als sie sie entdeckte. Jordan konnte nicht widerstehen, bremste und kurbelte das Fenster herunter. "Hallo, Mrs. Graves, wollen Sie nicht an einer kleinen Umfrage teilnehmen? Die aktuelle Frage ist: Wessen Tag haben Sie heute ruiniert?" "Also wirklich!" , Die Frau verschwand und Jordan fuhr weiter. "Ungezogen, Jordan, du bist wirklich ungezogen!" Aber sie konnte sich ein fröhliches Grinsen nicht verkneifen. Kaum zu Hause, rief Morris Fields an. "Jordan, was höre ich da über die Drohung, Jack Nolan aus der Schule zu werfen?" Gerüchte verbreiteten sich in der Kleinstadt immer rasend schnell. Jordan zog die Nadeln aus ihrem Haar. "Damit habe ich
nicht gedroht, Mr. Fields, aber ich schließe daraus, daß Sie mit Jacks Mutter gesprochen haben." "Mit Jack senior. Überflüssig zu sagen, daß er sprachlos ist, und ehrlich gesagt, ich auch. Zumal Sie es nicht für nötig hielten, mich zu informieren." Das hätte sie tatsächlich tun sollen, sie hatte aber erst an eine unmittelbare Schadensbegrenzung gedacht. So mußte sie diplomatisch sein. "Ich dachte, es sei klüger, Sie erst heute abend zu Hause anzurufen, wenn sich bis dahin die Aufregung gelegt hätte." "Ah, so. Äh, aber selbst wenn ... Sie kennen Jacks Stand in Mount Liberty?" "Meinen Sie seinen schulischen oder seinen sportlichen, Sir?" "Na ja, beide. Die Sache ist die, wenn er und der Biggs-Junge sich wegen der kleinen Thomas in die Wolle ..." "Was immer Sie zu dem Thema sagen wollen, bitte kommen Sie nicht mit der Kleine-Jungen-Ausrede." "Haben wir es denn nicht damit zu tun?" "Ich habe den Eindruck, Ihnen ist nicht ganz klar, worum es sich handelt, Sir." Jordan versuchte, ruhig zu bleiben. "Ich bin keine Psychologin, Mr. Fields, aber ich weiß nicht, wie ruhig, geschweige denn beschützend Sie noch wären, wenn Jack seinen Mitschüler aufgeschlitzt hätte." "Schon gut, schon gut. Ich gebe zu, das war ein unschöner Zwischenfall, aber zum Glück wurde ja kein Blut vergossen." Fields räusperte sich. "Ich wollte Sie nur wissen lassen, daß Jack Nolan mit seinem Sohn reden wird, und ich spreche morgen mit Mrs. Biggs über Ridge." "Wieso? Der hat doch nichts verbrochen!" "Der Bürgermeister meinte, und ich gebe ihm recht, daß es besser wäre, wenn beide Jungen den Rat eines Älteren hörten." "Wie demokratisch gedacht", bemerkte Jordan bitter. "Nun, die Ordnung muß gewahrt werden. Ich möchte dem Rest der Eltern und dem Kollegium nicht den Eindruck
vermitteln, als könnten wir eine solche Sache nicht schnell aus der Welt schaffen." "Aber das tun Sie doch gar nicht! Und Sie versuchen es nicht einmal! Sie lassen sich vom Bürgermeister dazu bringen, seinen Sohn zu schützen und Ridge Biggs anzuschwärzen!" Morris Fields schnaubte. "Jordan, Sie waren eine ganze Zeit nicht in dieser Stadt, und ich vermute, daß Sie auch was den Lehrberuf betrifft, noch eine Menge lernen müssen. Natürlich nur, wenn Sie vorhaben, in Mount Liberty zu bleiben. Nun, der junge Biggs ist in Ihrer Klasse. Schicken Sie ihn zu mir, ich werde ..." "Das kann ich nicht, Sir." "Wie bitte?" "Das wäre ungerecht. Er hat nichts getan, außer seinem Herzen zu folgen, und er hat ohnehin genug auf den Schultern." "Haben Sie nicht gesagt, Sie wollten keine außerschulischen Aktivitäten und nichts mit dem Privatleben der Schüler zu tun haben? Wenn Sie Ihre Meinung geändert haben, gibt es genug Dinge, mit denen ich Sie beschäftigen kann. Bis dahin schlage ich vor, daß Sie Disziplin und Politik mir überlassen." Er hängte ein. Jordan knallte den Hörer auf die Gabel. "Verdammt noch mal! Du mieser...! In der Auffahrt war ein Wagen zu hören. Es war Stone. Also war er schon informiert. "Kristen hat mich übers Autotelefon angerufen. " Mit diesen Worten trat er ins Haus. "Ich wollte gerade nach Hause fahren. Jetzt möchte ich die ganze Geschichte aber erst einmal von dir hören und dann Jack Nolan die Meinung sagen." "Wem? Dem Vater oder dem Sohn?" "Dem Vater. Ich war draußen bei Lake Fork und hatte Zeit, ihn nach dem Gespräch mit Kristen anzurufen. Der Idiot meinte, er hätte Verständnis dafür, daß sein Sohn sein Eigentum beschützte. Sein Eigentum! Kannst du das glauben!" Stone war
außer sich. "Ich habe das Benehmen dieses Jungen satt. Und er ist schön viel zu lange damit durchgekommen. Ich habe beide gewarnt. Jack junior hält sich besser von Kristen fern, sonst werde ich es ihm zeigen!" Er beruhigte sich etwas. "Eigentlich wollte ich nur sehen, wie es dir geht und deine Version der Geschichte hören." "Nun, ich bin schon zu den Nolans gefahren." "Tatsächlich? Nach dem, was Kristen sagte, dachte ich, du würdest gar nichts unternehmen. Sie meinte, du habest ihr auch einen Verweis gegeben." "Ich habe sie davor gewarnt, ein gefährliches Spiel zu treiben." "Wieso?" "Noch bei einem Jungen zu bleiben, wenn man sich schon für einen anderen interessiert." Stone schien das neu zu sein. "Ist das nicht Mit-Steinen werfen, wenn man selbst im Glashaus sitzt?" "Wenn du auf den Anruf neulich abend anspielst: Darf ich dich daran erinnern, daß ich Brent sagte, er solle mich in Ruhe lassen?" Das stimmte. "Ich wollte wohl nur wissen, ob dein Standpunkt klar ist. Hat er seitdem wieder angerufen?" "Nein. Was sonst noch? Ob ich auflege, wenn er es doch tut?" "Gegen eine gute Nachricht zur Abwechslung hätte ich nichts einzuwenden." Sie standen nahe beieinander, und an seinem Blick sah man, daß er sie küssen wollte. "Betrachte sie als Tatsache", entgegnete sie Weich. Er berührte sanft ihr Haar. "Ist es das, was Kristen gerade erlebt? Daß sie sich einem neuen Jungen zuwendet?" Männer! "Worüber sprecht ihr beiden eigentlich, wenn ihr zusammen seid?"
"Jedenfalls nicht über ihr Liebesleben. Worüber hast du mit deinem Vater gesprochen?" "Über gar nichts. Er hielt Vorträge, und ich hörte zu. Oder er las vor, und ich hörte zu. Oder er predigte, und ich hörte zu." Wohl niemand, der das nicht erlebt hatte, konnte nachvollziehen, wie wenig sie dem Reverend bedeutet hatte. "Nur zur Information: Deine Nichte interessiert sich für Ridge Biggs. Sie scheinen viel gemeinsam zu haben. Sie lesen und schreiben gern, sind sensibel und gegen den Anschein ziemlich introvertiert. Am wichtigsten scheint mir die gemeinsame Erfahrung, kein heiles Zuhause zuhaben." "Sei vorsichtig, sonst hört es sich noch an, als machtest du dir Gedanken um sie", warnte er liebevoll. "Das liegt daran, daß ich zu oft mit dir zusammen bin. Aber jetzt solltest du dich um Junior und Senior kümmern. Ich werde inzwischen ein heißes Bad nehmen und einen Kräutertee trinken." Er nahm sie in den Arm. "Gleich. Es gibt noch einen anderen Grund für mein Kommen." Er küßte sie, und in Sekunden hatte Jordan vergessen, daß sie sich vorgenommen hatte, die Beziehung langsam anlaufen zu lassen. Als er ihre Bluse aus dem Rockbund zog, ging sie auf die Zehenspitzen, um seinen hungrigen Küssen entgegenzukommen. Als seine kräftigen Hände unter der Seide über ihren Rücken fuhren, stöhnte sie an seinen Mund, und als seine Hände ihre Brüste streichelten, hatte sie das vertraute Gefühl, innerlich zu schmelzen. "Du stellst ein wandelndes Problem dar, Stone Demarest", sagte sie und nahm sich vor, nach seinem Weggehen eher eine kalte Dusche als ein heißes Bad zu nehmen. "Und du bist wunderbar. Vielleicht ist einmal pro Woche doch nicht genug." Wenn sie ihn nicht gleich rausschmiß, würden sie wieder am Boden landen.
"Oh, Jordan, du bist das einzig Positive in dieser unmöglichen Welt." "Und du wirst gleich ganz unglücklich sein, wenn du nicht aufhörst und gehst." Sie schob ihn sanft weg. Er seufzte. "Ich weiß. Aber erst sagst du mir, daß du nicht ärgerlich bist. Und ob du deine Meinung über unser Arrangement geändert hast." Sie hatten beschlossen, ein Verhältnis miteinander einzugehen, um ihre körperlichen Bedürfnisse zu stillen. Ohne Verpflichtungen und Erwartungen. Das paßte zu beider Einzelgängerleben. "Freitag abend, wenn der Rest der Stadt beim Spiel ist, werde ich hier sein", versprach er. Jordan versuchte, sich von ihm zu lösen. "Versprichst du mir, unauffällig zu parken?" Er küßte die Haut hinter ihrem Ohr. "Du machst dir unnötig Sorgen." "Später wirst du es mir danken. Was ist, wenn sich herumspricht, daß Kristens Onkel und ihre Lehrerin miteinander schlafen?" "Jeder Mann in der Stadt würde mich beneiden." "Du bist verrückt. Geh nach Hause, Mr. Wildwart, deine Nichte braucht dich." "Sofort." Aber er ging nicht ohne einen erneuten Kuß. "Bis Freitag", wiederholte er und öffnete die Tür. "Vielleicht sagst du mal Bescheid, wie es Kristen geht." "Ich rufe dich an. Und wenn du etwas hörst, rufst du mich an." Am nächsten Morgen befahl Direktor Fields die beiden Schüler Jack und Ridge in sein Büro. Niemals würde Jordan den Blick vergessen, mit dem Ridge sie ansah, als er zur Tür ging. Sie sagte zu ihm: "Was immer passiert, Ridge, bleib ruhig, laß dich nicht aus der Fassung bringen." "Es ist nicht richtig, Miss Mills."
"Ich weiß." Ridge hatte den Blick eines weit reiferen Menschen, dem Ehre und Respekt etwas bedeuteten. Am liebsten wäre Jordan mitgegangen. "Ich habe getan, was ich konnte, Ridge, nun bist du dran. Verlier nur nicht die Beherrschung." "Sagen Sie Kristen, daß es mir leid tut, ihr Schwierigkeiten gemacht zu haben." "Kristen weiß, daß du ein anständiger Junge bist, Ridge." "Danke, Miss Mills." An dem Tag sah sie Ridge nicht mehr. Gerüchte kursierten. Jordan nutzte ihre Mittagspause, um ins Lehrerzimmer zu gehen, wo sie erfuhr, daß das Treffen nicht lange gedauert hatte. Morris Fields selbst teilte Jordan mit, daß er Ridge ,ungern' zwei Tage suspendiert hatte, da er unfähig gewesen sei, auf die einfachsten Fragen zu antworten, während Jack höflich und aussagebereit gewesen sei. So ungerecht das war, so sehr hoffte Jordan, daß die Sache damit erledigt war. Aber als die Jungs hinausgingen, hatte Jack offenbar noch etwas zu Ridge gesag. Daraufhin hat der ihn zu Boden geschlagen, so daß Ridge eine volle Woche Schulverbot hatte und ironischerweise nun Jack der Verletzte war. Er zeigte überall seine aufgeplatzte Lippe herum und genoß den Zuspruch seiner Kameraden sowie die Aufmerksamkeit der Mädchen. Obgleich Kristen Cheerleader und sehr beliebt war, nahm man ihr übel, daß sie dem Helden der Schule den Rücken gekehrt und Sympathie für einen Jungen ,von der falschen Seite' gezeigt hatte. Jordan, die sich gern aus allem herausgehalten hätte, bemerkte, daß die Ereignisse auch sie irgendwie mitnahmen. Als Kristen jedoch, nur um Bemerkungen und Blicke zu umgehen, in der Pause draußen in der Kälte saß, ging sie hinaus und setzte sich neben das Mädchen. "Jedesmal wenn ich in der menschlichen Rasse etwas Positives sehe, entdecke ich jemanden, der mich enttäuscht",
sagte Jordan und schlug ihren Jackenkragen gegen den eisigen Wind hoch. "Wenn Sie mich meinen, tut es mir leid, Miss Mills, aber ich kann nicht reingehen." Jordan hätte Kristen am liebsten in den Arm genommen. "Ich meine nicht dich, Kleine, ein Dutzend anderer. Wie fühlst du dich?" "Ich überlege, ob es mir den Streß wert ist, den ich mit meinem Onkel bekomme, wenn ich den Rest des Tages fehle." "Ich weiß, er würde es gut finden, wenn du durchhieltest. Nicht weil das so ehrenvoll wäre, sondern weil er weiß, wieviel mehr Kraft es kostet, am nächsten Tag und an den folgenden wiederzukommen, bis die anderen ein neues Thema finden, über das sie sich den Mund zerfetzen können." "Meinen Sie?" Kristens Gesichtsausdruck erinnerte Jordan daran, daß sie zuviel von Stone sprach. "Ich glaube, so würde er denken." "Vorhin beim Rausgehen aus der Turnhalle hat einer ein großes rotes V wie Verräter an meinen Pullover geheftet. Ich hörte, daß es deswegen war, weil Jack behauptet, wir schliefen miteinander. Und daß ich ihn mit Ridge betrogen hätte!" Jordan Wollte nicht darüber nachdenken, wer von den Schülerinnen noch Jungfrau war Und wer nicht, aber bei der Plumpheit der Jungen sah sie rot! "Wer hat das gesagt? Mit dem würde ich gern ein Wörtchen reden!" "Nein, Miss Mills, damit würden Sie alles noch schlimmer machen", wehrte Kristen ab, die von einem Vorbeigehenden neugierig gemustert wurde. "Am besten lassen Sie mich in Ruhe." Die Worte waren nicht so scharf gemeint, wie sie klangen, das wußte Jordan. Aber Kristen jetzt allein zu lassen, fiel ihr schwer. Jack kam ganz unbefangen in die Klasse, während Kristen blaß und mitgenommen aussah. Sie setzte sich nicht wie
gewohnt neben Jack, sondern in die Nähe der Tür, wo sie prompt von Jacks Freund Bo gehänselt wurde. "Bo Spradlin", warnte Jordan ihn beim zweitenmal, "ich denke, das reicht. Du läßt Kristen jetzt in Ruhe." Die Situation erinnerte Jordan nur allzugut an früher, als ihr Vater mal eine junge Frau wegen eines Seitensprungs öffentlich bloßgestellt und gemaßregelt hatte, woraufhin die von ihrem Mann verlassen und von ihren Kindern getrennt wurde. Diese böse Erinnerung ließ ihr die Stunde endlos erscheinen. Sie konnte sich gut vorstellen, wie Kristen zumute war. Als die Schlußklingel ertönte, war ihr richtig schlecht, und ihr Kopf schmerzte. Sobald sie konnte, eilte Jordan in den Pausenraum und kühlte sich mit einem nassen Papiertuch die heiße Stirn. "Alles in Ordnung?" fragte Bess Flynn, die ihr gefolgt war, mit besorgter Stimme. "Ja, der Tag war nur ziemlich lang." Bess stellte sich neben Jordan vor den Spiegel. "Das sieht man. Gelbgrün um die Nase, selbst wenn man von der häßlichen Beleuchtung hier drinnen absieht." "Das ist nichts dagegen, wie ich mich innerlich fühle." "Ich hörte von deinen Problemen mit den Schülern. Ziemlich übel. Besonders für jemanden, der Konflikten nach Möglichkeit ausweicht." "Ob du es glaubst oder nicht, das war keine Absicht." "Na ja, ein Gutes hat die Sache: Du brauchst dir keine Gedanken mehr um den Literaturkurs zu machen. Morris Fields wird das verhindern, da du das Bild des friedlichen Mount Liberty ruiniert hast." Der Geruch nach Formaldehyd ließ erneut Übelkeit aufsteigen. Jordan hielt sich am Waschbecken fest." "Hey, bist du sicher, daß alles in Ordnung mit dir ist?" "Ich habe nur einen nervösen Magen. Ich habe nicht zu Mittag gegessen."
"Ach, so." Bess hielt ihr noch ein feuchtes Papiertuch hin. "Was mit den Kindern passiert ist, ist hart, aber in den meisten Fällen regelt sich so was von selbst. Nur Ridge macht mir Sorgen, Vielleicht kommt er nicht mehr zurück, Sobald sein Vater hört, daß er suspendiert ist, wird er toben und Ridge womöglich ganz aus dem Haus schmeißen." Jordan mußte daran denken, wie stolz Ridge auf die Eins im Aufsatz gewesen war und ihren Rat, ihn doch beim ,Mount Liberty Journal' einzuschicken. "Er hätte Jack nicht schlagen dürfen." "Das kommt darauf an, was der zu ihm gesagt hat. Oh, ich könnte mir vorstellen, daß ich unter bestimmten Umständen manchen von diesen Widerlingen in der Stadt auch mal eine reinhauen könnte." Bess klopfte Jordan auf den Rücken. "Wir hätten zusammenarbeiten sollen, schade, daß du so dagegen warst. Mach 's gut." Jordan hatte nicht die Kraft, etwas darauf zu entgegnen. Als sie zu ihrem Wagen ging, fühlte sie sich nicht besser. Nicht mal die ersten Regentropfen, die das Ende der langen Trockenheit bedeuteten, konnten sie aufheitern. Sie wollte nur nach Hause, sich in eine Decke wickeln und sich vom Geräusch des Regens und des durch die Kiefern streiche nden Windes in den Schlaf lullen lassen. Aber als sie eine tiefgebeugte Gestalt die Straße entlangschlurfen sah, lenkte sie das von ihrem eigenen Befinden ab. Durch den weißen Kittel, der unter der Jacke hervorlugte, wurde ihr klar, daß es nur Mrs. Biggs sein konnte. Sie hatte das gleiche schwarze Haar wie Ridge. Jordan hielt neben der Frau an und kurbelte das Fenster herunter. "Mrs. Biggs? Ich bin Jordan Mills, Ridges Englischlehrerin. Ich fahre Sie schnell nach Hause, bevor Sie völlig naß werden." Ehemals mußte die Frau mal schön gewesen sein, aber die vielen Jahre harter Arbeit und Enttäuschungen hatten ihre
Spuren hinterlassen, und das Lächeln fiel ihr schwer. Sie zog die Jacke enger um sich und schaute sehnsüchtig auf den ledernen Beifahrersitz. "Ich ... Danke, aber mein Mann wird bald kommen. Er hat sich verspätet." Er würde sehr spät kommen, wenn man an den beschädigten Wagen dachte. Stone hatte Jordan von dem Unfall erzählt. "Sie können doch trotzdem mit nur fahren." Jordan öffnete die Beifahrertür. "Es macht mir keine Mühe, und falls sollten wir Mr. Biggs irgendwo sehen, können wir uns ja bemerkbar machen. Kommen Sie, Mrs. Biggs, Sie erkälten sich sonst noch. Und wegen Ihres Sohnes wollen Sie doch sicher bald zu Hause sein." Erleichtert stieg die Frau ein. "Vielen Dank. Sein Vater wird ausrasten, wenn er hört, daß Ridge suspendiert ist." "Es tut mir so leid, Mrs. Biggs." Die Worte kamen Jordan ganz hohl vor. "Er hat es mir erzählt, bevor er ging. Er ist sensibel und stark und läßt sich nicht aus der Ruhe bringen. Das habe ich ihm beigebracht. Auch daß Schulbildung und Freiheit Dinge sind, zu denen ihm seine Jugend verhelfen kann, Und nun droht er beides zu verlieren. Was kann er machen, wenn er den HighschoolAbschluß nicht bekommt, Miss Mills? Ohne den wird er nicht mal beim Militär genommen. Und vielleicht verliert er auch den Job im Supermarkt, wenn sich herumspricht, daß er den Sohn des Bürgermeisters geschlagen hat." Jordan litt bei den Worten mit. "Sie müssen mir sagen, wo Sie wohnen, Mrs. Biggs. Wo muß ich abbiegen?" "An der Ampel links und dann die erste Abzweigung links nach der Tankstelle. Wir wohnen im Wald. Vielleicht bereuen Sie es, mich mitgenommen zu haben, da ist kaum noch eine Straße, aber wir... Na ja, Sie wissen vermutlich, daß wir nicht reich sind, Miss Mills." Die Ehrlichkeit der Frau berührte Jordan. "Halten Sie mich für überheblich und reich, Mrs. Biggs? Ich wohne auch hier
draußen. Und ich weiß, was es heißt, einfach zu leben. Mein Vater war Pastor der Gemeindekirche, und ich besaß nie ein neues Kleid, bis ich alt genug war, es mir selbst zu kaufen." "Entschuldigen Sie, aber Sie wirken so selbstsicher und elegant." "Ich bin eine Kleinstadtpflanze, die das Glück hatte, Stipendien zu bekommen und durch hartes Arbeiten eine Ausbildung zu schaffen." Jordan versuchte, mit diesen persönlichen Informationen Vertrauen zu schaffen. "Ridge sprach von Ihnen. Er sagt, Sie wären Autorin." "Keine sehr erfolgreiche." Und in letzter Zeit war sie gar nicht zum Schreiben gekommen. "Ridge sagt, Sie seien die beste Lehrerin, die er je hatte." Das Lob empfand Jordan als unverdient. "In den letzten beiden Monaten habe ich ihn ja kaum unterrichtet, Mrs. Biggs." "Lange genug, um sich eine Meinung zu bilden. Und was halten Sie von ihm?" Jordan schaute kurz in die dunklen Augen von Mrs. Biggs, die sie irgendwie geheimnisvoll aussehen ließen. "Ich. mag Ridge sehr, halte mich aber nach Möglichkeit aus Problemen heraus." "Ich würde Sie nie bitten, Ihre Karriere zu riskieren. Aber ich habe drei Kinder, Miss Mills", sagte Georgia Biggs, "Ridge ist mein Ältester, und wenn mir etwas passieren sollte, möchte ich sicher sein, daß er in der Lage ist, für seine jüngeren Brüder zu sorgen." "Das ist aber eine schwere Belastung für einen Teenager." "Ich weiß. Aber als ich Gelegenheit hatte, meinen Mann zu verlassen, habe ich es nicht getan, und jetzt habe ich zuviel Angst und bin zu alt." "Sie sind nie zu alt, um sich und Ihre Familie zu beschützen, Mrs. Biggs." Die Frau antwortete nicht. Zum Glück waren sie bald da. "Das Haus da hinten, das ist unseres. Sie können mich hier
absetzen, da sind genug Bäume, unter denen ich Schutz vorm Regen finde." Jordan leugnete nicht, Erleichterung zu verspüren. Ihr Vater hatte sie oft zu Gemeindemitgliedern geschickt, wo sie Mahlzeiten von Le uten annehmen mußte, die selbst kaum etwas hatten und in verfallenen Häusern lebten. "Sie halten mich sicher für egoistisch und feige, Miss Mills." "Nein, Madam, ich bin die letzte, jemanden zu verurteilen. Ich habe selbst Fehler gemacht und halte es nur für wichtig, was man mit den Lektionen macht, die man erhält." "Bringen Sie das Ridge bei. Helfen Sie meinem Sohn, Miss Mills, denn ich kann es nicht." Damit er in Mount Liberty blieb, unter dem Dach eines Alkoholikers, der vermutlich gewalttätig wurde, wenn er trank? Dafür würde Ridge sicher nicht dankbar sein. Aber irgend etwas mußte geschehen. "Sagen Sie Ridge, daß ich hoffe, ihn nächsten Mittwoch wieder im Unterricht zu sehen, Mrs. Biggs."
9. KAPITEL "Schlechte Neuigkeiten. Ich werde es wohl heute Abend nicht schaffen, Kristen geht es nicht besser." Stone hatte Jordan Donnerstag abend angerufen. Seine Nichte habe eine schlimme Erkältung und sei deshalb nicht zur Schule gekommen. Heute hätte das arme Mädchen gar keine Stimme, dafür einen entsetzlichen Husten. Anstatt Mrs. Tucker zu bitten, war er selbst zu Hause geblieben. Daß Kristen das egal war, zeigte, wie schlecht es ihr ging. "Sie muß sich schrecklich fühlen, denn sie verpaßt das Spiel heute abend." "Mmm. Hast du einen Arzt angerufen?" "Das will ich noch. Aber sie hat gedroht, sich einzuschließen, wenn ich hereinkäme." "Aha. Sie hat also noch Kraft genug, sich mit dir anzulegen." Er hörte förmlich, wie Jordan lächelte, und klemmte den Hörer an die Schulter - genau dort, wo er sie gern gehabt hätte. "Das hört sich ja an, als wärest du froh, daß ich nicht kommen kann." "Wenn du um Sympathie bettelst, so ist meine schon auf Kristen konzentriert." Das machte ihn beinahe eifersüchtig. Deshalb gab er nur ein Brummen von sich. "Bist du nicht zu alt, um zu schmollen?" Dir neckender Ton ähnelte dem, den Tracy hatte, wenn er nicht schon vor Ankunft des Besuches ein Stück vom frischen
Kuchen essen sollte. Die Erinnerung schmerzte ihn und ließ seinen Blick auf das Foto auf dem Schreibtisch fallen. "Stone, ich wollte dir nicht weh tun." Er seufzte, hin- und hergerissen zwischen bitteren Gedanken und dem Genuß, Jordans weiche Stimme zu hören. "Es liegt nicht an dir. Es ist... ach, reden wir nicht davon." "Es liegt vermutlich an mir", sagte sie so leise, daß er sie wegen des Regens, der gegen die Fensterscheiben seines Büros prasselte, kaum verstehen konnte. "Ich habe mich wohl noch nicht an unser Arrangement gewöhnt. Wie ich mich da verhalten muß. Und im Flirten war ich nie gut." Oh, was sie darin draufhatte, war gut genug! Vergangene Nacht hatte er von ihr geträumt. Deshalb wäre er am liebsten jetzt gleich zu ihr gefahren. "Vielleicht gewöhnen wir uns daran." "Vielleicht lassen wir es ganz, solange es noch geht." "Ist es das, was du willst?" fragte er entsetzt. "Und du?" "Du hast den Vorschlag gemacht." "Weil du so ... so gleichgültig klangst." "Jordan, glaube mir, mir ist ganz und gar nicht gleichgültig zumute." "Ah, so." Sie schwieg eine Weile, dann lachte sie kurz auf. "Vielleicht brauchst du eine von diesen einschlägigen Telefonnummern?" "Ich brauche nur dich." Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. "Das ist schön, Demarest", sagte sie schließlich leise. Und sie meinte es aufrichtig. Schön? Er hatte diese vier Wörter aus der Tiefe seines Inneren geholt, und alles, was sie dazu sagte, war schön? "Sehr gesprächig bist du nicht gerade." "Romantisch und provokativ auch nicht?" "Vielleicht ist es dir unangenehm."
"Na ja, ich bitte um mildernde Umstände, ich telefoniere nicht gern. Ich habe die betreffende Person lieber vor mir." "Und was ist mit deinem Ex? Hast du ihn ebenfalls davon überzeugt?" "Er ist nicht mein Ex, und es ist mir egal, was er denkt." "Dein Ex- Liebhaber." "Warum sagst du das?" "Weil du mir nie von ihm erzählst, und ich habe gele rnt, daß das, was eine Frau nicht sagt, mehr bedeutet als das, was sie tut." Jordan stöhnte leise. "Er war einer meiner Tutoren, und ich war beeindruckt von seinem Verstand. Aber ich war zu jung, um zu sehen, wie er sonst noch war. Als ich es dann begriff, hatte er meinem Selbstbewußtsein schon genug Schaden zugefügt. In anderen Worten: Von meinem Vater dem Reverend zu Brent zu gelangen war, wie vom Regen in die Traufe zu kommen. Bist du nun zufrieden?" Nicht sehr, dachte er. Es tat nicht gut zu wünschen, daß die Dinge anders gelaufen wären. Als sie das erlebt hatte, hatte er von einem langen Leben mit Tracy geträumt. Aber das hieß nicht, daß er jetzt nicht auch ihretwegen litt und eifersüchtig war. "Ich begreife allmählich, daß ich nicht gern teile", erklärte er einsichtig. "Stone, ich hatte immer nur eine Beziehung zur Zeit. Das wäre auch bei dir nicht anders." "Danke." Er schloß beruhigt die Augen. "Bevor ich es vergesse: Kristen erwähnte etwas davon, sie anzurufen, sollte es eine größere Hausarbeit geben. Das nur als Warnung, falls du mal wieder das Telefonkabel herausziehen willst." "Es gibt tatsächlich eine größere Aufgabe." "Aha. Und ich habe ihr versichert, daß sie sich nur darum sorgen solle, wieder gesund zu werden."
"Richtig. Andererseits könnte die sie von ihren Problemen ablenken. Ich habe die Klasse angewiesen, ein Gedicht, einen Zeitungsartikel, einen Essay und eine Kurzgeschichte über ein und dasselbe Thema zu verfassen. Es wird zu fünfzig Prozent für das Schlußexamen zählen. Die Anleitung habe ich heute verteilt." "Hör mal, Frau Lehrerin, du stellst aber hohe Ansprüche." Jordan lachte. "Na, sie haben ja auch bis April dafür Zeit." Stone glaubte dennoch, daß es Kristen in Panik bringen würde. "Ich wollte, ich könnte auch eine Anleitung bekommen. Dann würde Kristen wenigstens nicht das Wochenende mit Nägelbeißen verbringen, wie sie es bislang tut." "Na ja, wenn du meinst, daß es hilft ... und wenn du nichts dagegen hast, könnte ich vorbeikommen und ihr eine bringen." "Das ist bei dem Wetter eine Zumutung." "Das stört mich nicht, und da die meisten heute zum Spiel der Woche nach New Diana gefahren sind, ist der Verkehr erträglich. Aber wenn du es vorziehst..." "Ich möchte nur, daß du weder deine Gesundheit noch deine Sicherheit riskierst." "Wenn es dich beruhigt, verspreche ich dir, meine dicksten Stiefel anzuziehen, langsam zu fahren und nur ein paar Minuten zu bleiben." Er beschrieb ihr den Weg zu seinem Haus und ging dann gleich zu Kristen, um es ihr zu erzählen. Das Mädchen hatte apathisch im Bett gelegen, aber sobald sie es erfuhr, setzte sie sich kerzengerade auf. "Sie kann nicht herkommen!" "Wieso nicht? Ich dachte, du würdest dich über Besuch freuen." "Aber nicht von ihr!" "Ich denke, du magst sie." "Sie ist prima! Wieso tust du mir das an?" Stone verstand Sie nicht. "Hey, was ist los? Du hältst eine Menge von ihr, willst aber nicht..."
"Sie ist intelligent und schön!" rief Kristen, und ihre heisere Stimme überschlug sich fast. "Sie hat ... oh, je, sie hat schon was veröffentlicht, Onkel Stone! Wir können doch nicht eine richtige Schriftstellerin in diese Bude hier einladen, und dann sehe ich auch noch so aus!" "Hey, hey", Stone hielt das Mädchen fest, das die Decke zurückwarf und aufstehen wollte, fest. "Du gehst nirgendwohin, junge Dame." "Ich muß duschen und irgend etwas mit meinen Haaren anstellen!" "Hör auf herumzuschreien, sonst geht deine Stimme ganz kaputt. Außerdem ist alles in Ordnung mit unserem Haus. Man kann nicht gerade vom Fußboden essen, aber Kakerlaken gibt es zumindest keine. Das wichtigste ist, daß sie angerufen hat, um zu fragen, wie es dir geht, und ..." "Ich habe das Telefon nicht klingeln hören." Oh, verdammt, er hatte ja Jordan angerufen! "Es war eine von diesen komischen Situationen. Ich nahm den Hörer ab, und da war sie schon dran." "Tatsächlich?" "Ja, wirklich. Sie ist wohl etwas distanziert, aber für dich scheint sie eine Schwäche zu haben. Wieso würde sie sonst bei diesem Wetter herkommen, um dir die Hausaufgabe zu bringen." "Ob Ridge schon davon weiß?" Stone strich ihr das Haar aus der blassen Stirn. "Das kannst du sie ja selbst fragen." In weniger als einer Stunde war Jordan da. Stone hatte die Zeit genutzt, aufzuräumen, Spinnweben zu entfernen und ein gebügeltes Hemd anzuziehen. Bald waren die Scheinwerfer durchs Vorderfensterzusehen. "Ich werde in deinem Wohnzimmer eine Pfütze hinterlassen", warnte Jordan, als sie ins Haus trat.
"Keine Sorge, die Titelfotos für Schöner Wohnen machen wir erst nächste Woche." Sie hatte die Kapuze heruntergeschoben und sah ihn forschend an. "Das ist doch ein Scherz oder?" "Ein etwas mißglückter Versuch. Bei einer veröffentlichten Autorin..." Jordan setzte die Leinentasche ab. "Kristen hat es dir also erzählt." Sie ließ sich aus der Jacke helfen. "Es ist nur so eine Ahnung, aber ich fürchte, du wirst enttäuscht sein, wenn du glaubst, daß es irgend etwas Besonderes bedeutet." Stone legte von hinten die Arme um sie. "Ich bin beeindruckt, ist das eine akzeptable Bemerkung?" "Poesie ist etwas sehr Persönliches. Jedenfalls für mich. Und sie wurde es erst recht, als Brent meine Gedichte las und sie als .neumodischen Dunst' einordnete. Seitdem war ich nicht mehr fähig, etwas zustande zu bringen." Stone hatte an ihrer Stimme gehört, wie verletzt sie war, drehte sie herum und entdeckte Tränen in ihren Augen. Er nahm sie wieder in die Arme, diesmal voller Mitgefühl. Vielleicht verstand er nicht, was man seelisch brauchte, um ein Autor zu sein, aber er verstand, daß hier eine Seele verletzt war, und das berührte ihn. "Der Mann ist nicht nur ein Mistkerl, er ist auch ein Dummkopf." "Weißt du was? Ich glaube, du hast recht." Beide lachten. Jordan machte sich los. In ihrem roten Pulli und den Jeans sah sie sehr jung aus, auf Nase und Wimpern lag noch feine Nässe, an ihrer Haut klebten Haarsträhnen. Die Kombination aus Mädchenhaftigkeit, Reife und kühlem Geheimnis erschien ihm unendlich reizvoll. Aber diese Frau war auch kompliziert. Er umschmiegte ihr Gesicht und küßte sie zart auf die Lippen. "Danke fürs Herkommen." Sie lächelte ebenfalls. "Wie geht es Kristen? Etwas besser?"
"Wesentlich besser. Sie ist wütend auf mich, daß ich deinen Besuch nicht abgewimmelt habe, weil ihr Haar nicht sitzt und das Haus nicht perfekt ist." Jordan nahm ihre Tasche. "Mal sehen, ob ich sie nicht davon ablenken kann." Er hätte ihr einfach Kristens Zimmer zeigen und sie dann allein lassen können, aber er war neugierig darauf, die beiden zusammen zu sehen. Jordan in der Rolle der Lehrerin wie in der einer Frau, die intelligent war, gut erzogen, die selbstsicher auftrat und ihm so ungeheuer reizvoll erschien, "Kristen?" fragte Jordan schon von der Tür aus, "na, wie geht's?" "Hallo, Miss Mills. Kommen Sie mir lieber nicht zu nahe, ich bin sicher noch entsetzlich ansteckend." Das Mädchen sah tatsächlich richtig krank aus. Aber Jordan schlug die Warnung in den Wind und setzte sich auf den Rand des großen Bettes, das mit Laura-Ashley-Stoff bezogen war. "Ich werde nicht lange bleiben. Armes Ding, du siehst wirklich aus, als fühltest du dich miserabel. Ich wollte nur wissen, wie es dir geht, und dir die Hausaufgabe bringen." Außer der hatte sie noch Zeitschriften, ein Taschenbuch sowie einen kuscheligen rosa Teddybären zum Zeitvertreib für Kirsten mitgebracht, und die war ganz überwältigt. "Miss Mills, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ganz herzlichen Dank!" "Bei dem Buch habe ich einfach geraten. Die Autorin gehört zu meinen Favoriten." "So etwas lesen Sie?" "Ich lese alles. Wie viele Frauen. Wir gelten als wesentlich vielseitiger als Männer, wußtest du das?" Kristen, in dicke Kissen ge lehnt, strahlte. "Hast du das gehört, Onkel Stone?" "Danke für den Hinweis. Ich gehöre also zu denen, die die Statistik bestätigen", murmelte er, insgeheim amüsiert.
Jordan zog ein paar Blätter aus einem Umschlag. "Über das hier wirst du weniger begeistert sein." Während sie Kristen die Hausarbeit erklärte, staunte Stone, wie gut sie den Berg Arbeit als spannende Aufgabe verkaufte. Und obgleich es Kristen sichtlich schlecht ging, glänzten deren Augen nicht nur vom Fieber. "Englische Aufsätze mag ich am liebsten", erklärte sie, als Jordan fertig war. "Aber auf diese Aufgabe freue ich mich richtig, das ist bestimmt interessant." Jordan nickte. "Freut mich, daß du das auch findest. Ich hoffte, daß noch mehr von euch das ebenso sehen." Kristen fragte sogleich: "Was ist mit Ridge, Miss Mills? Haben Sie von ihm gehört? Wie kommt er an die Hausaufgabe?" "Ich habe nichts von ihm gehört", gab Jordan zu. "Neulich habe ich aber seine Mutter nach Hause gefahren. Eine nette Frau. Ich bin sicher, daß sie, wenn ich ihr die Aufgabe Montag gebe, sie an Ridge weiterreicht." "Ob er wieder zur Schule kommt? Denn wenn er es nicht kommt, bin ich nicht sicher, ob ich es tue." Das waren Neuigkeiten für Stone. "Warte mal, junge Dame..." ' Jordan warf ihm einen warnenden Blick zu und wandte sich wieder an Kristen. "Mach dir darüber keine Sorgen, Erst mußt du wieder gesund werden." Sie erhob sich. "Jetzt möchte ich dich aber nicht länger stören." "Oh, Sie stören gar nicht! Bitte gehen Sie noch nicht." "Wenn ich bleibe, überanstrengst du deine Stimme womöglich." Sie strich dem Mädchen übers Haar. "Gute Besserung. Und ruf mich an, falls du Fragen wegen der Hausaufgabe hast." "Oder auch sonst?"
Stone staunte über Kristens Kühnheit und über Jordans Gelassenheit. Die nickte schließlich. "Du hast ja meine Nummer." Hm, hm, dachte er, als er ihr in den Flur folgte. Bevor sie ihre Jacke vom Haken nehmen konnte, schob er sie in die andere Richtung. In der Küche umfaßte er ihre Schultern. "Meintest du das ernst? Sie darf dich anrufen?" "Ich meine immer, was ich sage." "Ich wollte mich nur vergewissern." Er wusste, daß ihr das nicht leichtgefallen war. "Möchtest du etwas trinken? Kaffee?" Sie legte eine Hand auf den Bauch. "Nein ... Aber hast du vielleicht Milch? Kalt oder heiß, egal. Ich habe irgendwie Probleme mit dem Magen." "Mit dem Magen?" hakte er nach und holte Milch aus dem Kühlschrank. "Ja, ist nicht so schlimm." "Du schluckst zuviel hinunter, das ist dein Problem." "Entschuldige, aber du bist doch derjenige, der eine Affäre mit mir haben will, weil er weiß, daß ich nicht mit unvorhersehbaren Komplikationen aufwarte." Stone stellte die Milch ab und schob Jordan in die dunkle Nebenkammer. "Deine Schülerin hat Ohren wie ein Luchs. Im übrigen", er drängte Jordan gegen den Trockner, "stellst du die reinste Komplikation dar." Er betonte das mit einem Kuß, den er ihr schon lange hatten geben wollen. Ihre Lippen gaben unter seinen nach, was er sogleich dazu ausnutzte, den Kuß zu vertiefen. Jordan gab einen genießerischen Laut von sich und drängte sich an ihn. Das genügte ihm als Einladung. Er wickelte das lose Haar ihres Zopfes um seine Hand, bog ihren Kopf zurück und gab dem Verlangen nach, das ihn gepackt hatte, sobald sie das Haus betreten hatte. Ihre Wärme, ihr süßer Geschmack erfüllten ihn, wischten allen Streß der vergangenen Woche weg und ließen ihn nur noch
an sie denken. Als Jordan ihre Hände über seinen Rücken gleiten ließ und ihre Finger in seinem Haar vergrub, wurde seine Begierde noch größer. "Ich würde dich am liebsten auf dieses Ding hier heben, dir die Kleider vom Leib reißen und dich gleich hier nehmen", flüsterte er und küßte sie erneut. "Wenn du so küßt wie eben, hast du kaum noch eine Wahl." "Die Wände hier sind zu dünn." Jordan legte das Gesicht an seine Schulter. "Oh, je, du hättest mich gleich gehen lassen sollen." "Ach was." Der Gedanke, sich noch mehrere Tage lang den einfachsten Kontakt mit ihr zu verbieten, brachte ihn dazu, seinem Impuls nachzugeben und sie auf den Trockner zu setzen. "Bist du verrückt?" flüsterte sie. "Nur eine Minute." Er schob ihren Pullover hoch, unter dem sie nichts als ein Hemdchen trug. Stöhnend barg er das Gesicht zwischen ihren Brüsten, es war alles so weich, so verlockend. Er liebkoste sie und atmete gierig ihren Duft ein. "Ich will deinen Mund", flüsterte sie. Das Seidenhemdchen verschob sich und entblößte mehr, als es bedeckte. Stone klopfte das Herz. Kein Wunder, daß Künstler lieber Armut ertrugen, als auf den Anblick weiblicher Formen zu verzichten. Die Mischung aus Anmut und Stärke, Reinheit und Erotik hatte für alle Sinne etwas Betäubendes. Er nahm die Brustspitze zwischen die Lippen, obgleich der dünne Stoff ihn von der festen Knospe trennte. Als sie die Beine um seine Taille schlang, zog er sie immer enger an sich, und das Verlangen stach wie ihn wie feine Nadeln. Mir ihren schlanken Händen strich sie über sein Haar, seine Ohren, seinen Nacken, hatten etwas Besänftigendes und gleichzeitig Erregendes. "Vielleicht könnten wir in die Garage gehen", flüsterte er an ihrer feuchten Haut. "Dein Wagen steht doch draußen,"
"Ich glaube, da ist irgendwo ein Schlafsack oder ein Liegestuhl." Jordan lachte leise. "Laß mich runter, Stone. Was ist, wenn Kristen... Oh!" Er richtete sich auf, ließ sie aber nicht gleich los, sondern preßte ihren Unterleib an seinen. "Du fühlst dich so gut an." "Ich hätte nicht kommen dürfen, du wirst dich schlecht fühlen." "Du nicht?" "Ich mich auch." Schließlich lehnte er sich an die Waschmaschine. "Wir sollten eine Zeit ausmachen." "Vielleicht fühlt Kristen sich in ein, zwei Tagen besser." "In der nächsten Zeit werde ich viel zu tun haben. Selbst wenn ich rund um die Uhr arbeite, reicht es nicht." "Du hast einen Siebentagejob, nicht?" "Und einen Vierundzwanzigstundentäg." "Ich habe ein schlechtes Gewissen, daß ich dich so lange von Kristen fern halte." Er nahm ihre Hand an seine Lippen. "Ich glaube, das gefällt mir." "Und ich verschwinde lieber, solange es noch geht." Auf dem Weg zum Wohnzimmer fragte er: "Was ist mit der Milch?" "Ich habe zu Hause welche." Als er protestieren wollte, legte sie ihm den Zeigefinger auf die Lippen. "Wenn ich bleibe, wird es problematisch. Ich möchte nicht, daß Kirsten so herausfindet, wie es um uns steht." "Ich werde es ihr sagen und ..." "Nein, dafür ist die Zeit noch nicht reif." Stone lief die halbe Nacht unruhig auf und ab. Fast jede Stunde ging er zu Kristen, um ihr Hustensaft oder schwarzen Tee einzuflößen. Um vier Uhr morgens fiel sie erschöpft, aber
endlich fieberfrei, in tiefen Schlaf. Er dagegen konnte keine Ruhe finden und stand wieder auf. Fünf Minuten später saß er im Wagen, und nach weiteren fünf Minuten stand er vor Jordans Haus. "Ich bin es!" rief er, als sie oben das Fenster öffnete. Wie gut, daß ihr nächster Nachbar eine Meile weit weg wohnte. "Was ist los?" fragte sie mit gedämpfter Stimme. "Ist was mit Kristen?" "Laß mich bitte rein." Der schwere Regen hatte nachgelassen, aber es tröpfelte noch. Er stand mit hochgeschlagenem Kragen vor der Tür. Jordan schob den Riegel beiseite. "Wenn es das ist, was ich vermute, bist du nicht bei Trost." "Gut, dann müssen wir darüber nicht mehr diskutieren." Kaum war er drinnen, riß er sie in die Arme und küßte sie, als sei das Erklärung genug. Blind griff er nach hinten, um den Riegel vorzuschieben, dann schob er sie zur Treppe. "Die Anklage kannst du später verlesen." Jordan war sprachlos. "Du hast deine kranke Nichte allein zu Hause gelassen, um mit mir zu schlafen?" "Sie ist jetzt fieberfrei und schläft fest." In Jordans Schlafzimmer blieb er stehen. Der elegante, helle Raum schien die Gegenwart eines Engels zu atmen, etwas Unberührbares zu vermitteln. Wieso war ihm das vorher nicht aufgefallen? Als hätte sie seine Gedanken gelesen, berührte Jordan ihn. "Schon gut, ich habe genauso an dich gedacht." Erleichtert wollte er nach ihr greifen, aber sie schob ihn weg. "Nein, laß mich das machen." Sie zog ihm die Jacke aus und ließ sie zu Boden fallen, schob ihm das T-Shirt hoch und küßte die entblößte Haut. Die federleichten Liebkosungen auf seiner Brust, seinen Rippen, seinen Brustwarzen ließen ihn ganz stillhalten. Als Jordan ihm das Hemd ganz ausgezogen hatte, war ihm, als würde das Blut in seinen Adern glühen.
Er ahnte, daß sie nichts unter ihrem Bademantel trug, und zog den Gürtel auf. Schon die Idee erregte ihn so sehr, daß er seine Hand unter den Stoff schob, bevor sie ihm die Jeans öffnen konnte. Dann zog er sie an sich. "Oh, fühlst du dich gut an!" "Stone, laß uns ins Bett gehen, hier ist es so kalt." "Ich werde dich wärmen." Er begann, ihr Gesicht zu küssen, und bald seufzte sie vor Genuß. Als er zur Halsgrube kam, ließ er seine Hand zwischen ihre Schenkel gleiten und streichelte das Zentrum iher Weiblichkeit. Er wunderte sich, wieviel Geduld er aufbrachte, denn er war so erregt, daß es fast schmerzte. Die geringste Berührung löste immer neue Empfindunge n in ihm aus. Er nahm wieder von ihrem Mund Besitz und ließ die Berührung seiner Finger immer intensiver werden. Jordan murmelte, seufzte, packte seine Arme und drängte sich enger an ihn. Ihre Geschmeidigkeit verführte ihn, lockte ihn, ihre Hitze entfachte seine, und er bewegte sich langsam auf das Bett zu, wo die zerknüllten Laken zeigten, daß Jordan genausowenig hatte schlafen können wie er. Mit offenen Augen und Armen lag Jordan da und beobachtete, wie er sich ganz auszog. Beinahe hätte er wieder den Schutz vergessen, so stark war sein Verlangen. Aber als er sich zwischen ihre Schenkel drängte, hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er streichelte sie von den Schultern bis zu den Hüften. Als er ihre Brustspitzen berührte, zog sie hörbar den Atem ein. Diesmal war sie sensibler denn je. "Sag es mir, falls ich zu stürmisch bin", bat er und rieb seine Wange an ihrer Brust. "Nein, sie sind nur sehr empfindlich. Ich bin bald soweit." Wieder strich er mit der Zungenspitze über die empfindsamen Knospen. "Sag mir, was du möchtest." Er nahm ihre Hand und legte sie um sein Handgelenk. "Zeig es mir."
Sie wollte ihn überall spuren und hatte absolut keine Scheu, ihm das auch zu zeigen. Sie reagierte mit jeder Pore ihres Körpers und bewies ihm, daß auch sie sich nicht im geringsten scheute, seinen zu erforschen. Beide waren hocherregt, als er endlich den Schutz überstreifte und begehrend und besitzergreifend in sie eindrang. Jordan schrie vor Lust leise auf, während Stone sich mit einem tiefen, wohligen Seufzer in ihr verlor. Wortlos blickten sie sich an und verschlangen die Hände miteinander. Dann ließ er die Bewegungen rhythmischer und härter werden. Wenn er jetzt einen erfüllbaren Wunsch hätte haben dürfen, wäre es der gewesen, diesen Moment auf ewig zu leben. Aber sobald er spürte, daß Jordan sich der Erfüllung näherte, folgte sein Körper ihrem zu einem atemlosen, erschütternden Höhepunkt.
10. KAPITEL "Ich sollte ihn nicht mehr treffen." Jordan wischte sich mit einem Taschentuch das feuchte Gesicht ab. Sie hatte das Gefühl, der Boden schwanke unter ihr. Bess Flynn betrat die Damentoilette - wieder mal im falschen Moment. Jordan schnaubte energisch ins Taschentuch. "Na, das hört sich ja schlimm an. Du solltest dich zu Hause auskurieren." "Stimmt", bestätigte Jordan. Ihre Kollegin sah neben ihr frisch und strahlend aus. "Aber der gute alte Morris ist noch immer wütend auf mich, weil ich Ridge verteidigt habe, und hat deutlich gemacht, daß er darauf pfeift, ob ich halb Mount Liberty anstecke oder nicht. Ich muß weiter unterrichten." "Rache ist süß, meint unser Bürgermeister." Bess verstand sie wenigstens. Jordan warf das Papiertuch in den Abfallkorb. "Das kann man laut sagen. Es reicht anscheinend nicht, daß Jack junior beim Spiel am Freitag trotz Regen und Schlamm vierzehn Punkte gemacht hat." Inzwischen war es Mittwoch nachmittag, und Jordan fühlte sich, als sei sie zwischen Mühlräder geraten. Falls sie es bis nach Hause schaffte, würde sie sofort mit einer Wärmflasche ins Bett gehen. "Hast du dich bei Kristen angesteckt? Die Arme klingt kaum besser als du. Sie hat mir erzählt, daß du sie und Ridge mit den
Hausarbeitsunterlagen versorgt hast. Finde ich prima, daß du das gemacht hast", meinte Bess. Jordan kämpfte mit einem Niesen und wischte sich die heiße Stirn. "Was Ridge angeht, so denken einige, daß eine Suspendierung gegen das Schülerrecht ist. Charleton vom Naturkundeunterricht gibt ihm wegen der verpaßten Bio-Arbeit zum Beispiel eine schlechte Note!" "Mel Charletons Frau ist vor kurzem mit einem anderen durchgebrannt. In seiner derzeitigen Stimmung würde er am liebsten nur um sich schlagen. Du solltest Ridge raten, in nächster Zeit hart zu arbeiten und auch Extraaufgaben nicht zu scheuen." "Das ist doch Sache des Tutors." Eine Welle von Übelkeit sorgte dafür, daß Jordan sich über das Becken beugte. "Setz dich lieber hin, Jordan. Soll ich versuchen, Ersatz für deine letzte Unterrichtsstunde zu bekommen?" "Und Kristen und Ridge den Geiern überlassen, die schon über ihnen kreisen? Dazu habe ich nicht all meine Prinzipien umgestoßen." Bess zog ein Gesicht. "Aber das muß ja nicht gleich dazu führen, daß du todkrank wirst." "Ich muß nur noch diese Stunde schaffen, dann kann ich nach Hause und mich ausschlafen." "Schau mal in den Spiegel, Mädel, du brauchst mehr als Schlaf, und du brauchst einen Arzt." In der vergangenen Woche hatte Jordan abgenommen, da ihr beim bloßen Gedanken an Essen schlecht wurde. Ihre Haut sah grau aus, das Haar hing schlaff herab. "Wenn es am Wochenende nicht besser wird, gehe ich zum Arzt." "Dann kannst du auch gleich die Farbe deines Sarges aussuchen" , bemerkte Bess scherzend. Jordan mußte trotz allem lächeln. "Ich möchte verbrannt werden, aber danke." Hoffentlich müßte sie nicht neben dem Reverend liegen!
Bess nahm sie am Arm. "Hör zu, Feldmarschall Flynn bringt dich jetzt zumindest in deine Klasse. Dann muß ich wenigstens nicht fürchten, daß du in Ohnmacht fällst und dir deine hübsche Nase auf dem Flur aufschlägst." Jordan war dankbar für die Hilfe. "Hol mich sofort, falls etwas ist", sagte Bess, bevor sie ging. Jordan mußte ihr das versprechen. Sobald die Schüler eintrafen, gab sie sich Mühe, Haltung zu bewahren. Als Kristen und Ridge den Raum betraten, entstand spürbare Spannung. Erst recht, als Jack, Bo und deren Kumpane hereinkamen. "Sieh mal, wer da ist", lästerte Bo, "der Sträfling und der Lehrerliebling." Bevor jemand antworten konnte, schlug Jordan mit dem Lineal auf die Oberfläche des Schreibtisches. "Es reicht, Bo Spradlin. Alle setzen. Wir haben ein dickes Pensum für diese Stunde, und laßt euch daran erinnern, daß ihr das, was wir jetzt nicht schaffen, als Hausaufgabe aufbekommt." Kristen sah nach ihrer Krankheit noch ziemlich mitgenommen aus, und Jordan hoffte, daß Ridge, der neben ihr saß, seinen ersten Schultag nach der Suspendierung nicht dazu benutzen würde, sich provozieren zu lassen. Wenn die Jungs handgreiflich werden würden, würde Jordan sie vermutlich nicht voneinander trennen können. "Halten wir eins fest: Ich dulde keine wilden Ausbrüche oder höhnische Bemerkungen. Wenn einer glaubt, nicht darauf verzichten zu können, dann soll er es lieber sofort sagen." "Ich!" rief einer von hinten mit Falsettstimme. Einige kicherten, "Mel Dodd", sagte Jordan ärgerlich, "du hast doch wohl gehört, daß ich so etwas nicht dulden werde!" Jack Nolans Gefolgsmann errötete. "Entschuldigung, Miss Mills."
"Falls du eine Woche lang nachsitzen mußt, dürfte sich deine Abwesenheit vom Fußballteam bemerkbar machen. Ridhtig, Jack Nolan?" Jack schien wenig Interesse daran zu haben, in die Diskussion einbezogen zu werden. "Sei, ruhig, Mel", raunzte er den an. Danach wurde es ruhig, und der Unterricht ging leidlich vonstatten. Nach dem Klingeln entließ Jordan die Klasse ohne Hausaufgaben, schon um sich selbst Extraarbeit zu ersparen, und alle eilten fröhlich hinaus. Vor Kristen blieben zwei Mädchen stehen, Cassie McAndrews und Sheila Todd vom Cheerleader-Team. An Kristens Gesicht konnte man sehen, daß nichts Erfreuliches diskutiert wurde. Als Kristen eine Anstecknadel von ihrem Pullover riß und sie Cassie hinschleuderte, ging Jordan zu ihr. Cassie hatte sie aufgehoben und war mit dem anderen Mädchen gegangen. "Was ist los?" fragte sie Kristen, die auf einen Stuhl gesunken war und zu Boden starrte. Ridge rieb ihr beruhigend den Rücken. "Sie haben sie aus dem Team geworfen", erklärte Ridge "Weil sie das Spiel versäumt hat. Dabei war sie krank und konnte gar nichts dafür!" "Deswegen ist es nicht, sondern weil ich mich von Jack getrennt habe", meinte Kristen. "Dann ist es noch unfairer!" fand Ridge. "Wißt ihr was?" Kristen hob das Kinn. "Es ist mir egal. Ich möchte nicht mehr zu einer Gruppe gehören, die so verlogen ist und sich nicht um die Wahrheit schert." "Können Sie nicht irgend etwas tun?" fragte Ridge besorgt. "Damit solltest du Miss Mills nicht belasten", wandte Kristen ein, bevor Jordan antworten konnte. "Es ist meine Entscheidung, ob ich was dagegen unternehme oder nicht. Was mich betrifft, so haben die mir einen Gefallen getan. Ich muß mich auf meine
Zukunft konzentrieren und nicht auf diesen Kinderkram." ... Aber ihr Lächeln sah dennoch eher gequält aus. Die Jugend konnte ganz schön hart sein, dachte Jordan auf dem Weg nach Hause. Um nichts in der Welt wollte sie noch mal in deren Situation stecken. Ihre eigenen Teenagerjahre, als die große Kluft zwischen ihr und ihrem Vater spürbar wurde, waren schwer gewesen. Damals hatte sie gelernt, sich nur auf sich selbst zu verlassen. Ridge könnte das auch, aber Kristen? Nun, die hatte Stone, der trotz gelegentlicher Streitigkeiten zu ihr halten würde, Das hatte er in den letzten Tagen bewiesen. Der Gedanke an ihn war ausgesprochen beruhigend. Zu Jordans Überraschung wartete er vor ihrem Haus auf sie. Seit seinem Besuch am Samstag morgen hatte sie dauernd an ihn gedacht, an seine Zärtlichkeit und die wundervollen Liebesstunden mit ihm. "Laß mich raten", sagte sie, als er ihr aus dem Wägen half. "Kristen hat dich übers Autotelefon angerufen." "Sie erzählte mir, daß du so schlimm aussähest wie sie neulich. Deshalb wollte ich schnell mal nach dir schauen." "Das ist lieb von dir, Stone, aber ich brauche eigentlich nur..." Er berührte ihre Stirn. "Hör mal, du glühst ja, wieso bist du überhaupt zur Arbeit gegangen?" "Um meinen Job zu behalten. Wenn ich anfange, den Unterricht zu versäumen, bin ich spätestens nächsten Mai arbeitslos, wie Fields mir gegenüber nur zu unmißverständlich angedeutet hat." "Wenn du nicht besser auf dich aufpaßt, wird es egal sein, was dann ist", schimpfte er, "du brauchst dringend einen Arzt!" Jordan wollte ihm gerade antworten, als sie zwei Stones sah und sich alles um sie drehte. "Stone ... ?" "Jordan!" "Jordan? Nun kommen Sie schon, strengen Sie sich an, die blauen Augen zu öffnen."
Blaue Augen? Sie hatte doch braune! Es kostete Jordan enorme Mühe, die Augen aufzumachen. Wo war sie nur? Über sie gebeugt, stand eine Frau in weißer Tracht, die ihr zulächelte. "Ah, sie sind gar nicht blau. Aber es ist gut, daß Sie wieder wach sind, Sie haben ziemlich lange geschlafen. Gut drei Stunden, seitdem Sie eingeliefert wurden." "Eingeliefert? Wer ... Was ist denn passiert?" "Sie sind ohnmächtig geworden und jetzt im Krankenhaus. Mr. Demarest hat Sie hergebracht. Er war sehr besorgt um Sie und wartet im Besucherzimmer. Bleiben Sie liegen, ich sage dem Doktor, daß Sie wach sind." Als die Schwester verschwunden war, ve rsuchte Jordan, sich an den Gedanken zu gewöhnen, im Krankenhaus zu sein. Wieso war sie ohnmächtig geworden? Hatte sie sich den Kopf gestoßen und womöglich eine Gehirnerschütterung, einen gebrochenen Arm? Nein - Jordan tastete ihren Körper ab -, es schien alles in Ordnung zu sein. Da war kein Gips, kein Verband. Dafür eine Kanüle im Arm! "Nicht herausziehen!" rief die Schwester. "Sie hatten viel Flüssigkeit verloren und brauchten etwas Glucose. Aber später dürfen Sie wieder nach Hause, sagt der Doktor." Genau in diesem Moment tauchte der Arzt auf. Es war ein bärtiger Mann mit müden, aber freundlichen Augen, bewaffnet mit einem Stethoskop. An seinem Kittel stand der Name "Gray". "Doktor, ich möchte nach Hause." "Wieso sagt das bloß jeder Patient?" fragte er und lächelte amüsiert. "Na ja, in Ihrem Fall werden wir Ihnen wohl den Wunsch bald erfüllen können, aber nur, wenn Sie versprechen, die nächsten Tage im Bett zu bleiben und sich tüchtig auszuruhen. Werden Sie das tun?" "Das verspreche ich." "Brav. Ich werde Ihnen eine Kopie des Testergebnisses für Ihren Hausarzt mitgeben, aber ich bin sicher, daß Ihre Erkältung
Sie unter den Umständen nicht weiter beeinträchtigen wird. Nur bitte: keine Medikamente, nicht mal Aspirin. Bis Ihnen Ihr Arzt das Okay dazu gibt." "Den Umständen?" Seine dunklen Brauen wölbten sich. "Ach, Sie wissen nichts davon? Na ja, dann ist es wohl gut, daß Sie nicht stehen. Sie sind schwanger, Miss Mills." Stone wünschte sich beinahe, Raucher zu sein. Dann hätte er wenigstens etwas mit den Händen zu tun. Wieder schaute er auf seine Armbanduhr. Es war fast sieben, und soweit er wußte, war Jordan noch immer ohne Bewußtsein. Wieso behauptete der Arzt dann, daß es ihr soweit gut ginge? . Er hatte einen bleiernen Geschmack im Mund. Zu sehr erinnerte ihn das alles an die Nacht, als Tracy und Billie Arm gestorben waren. Er würde doch wohl nicht auch Jordan verlieren? "Mr. Demarest?" Er sprang auf. Jordan kam ihm entgegen, gestützt von der mütterlichen Schwester. Sie war bleich und ging unsicher, aber immerhin auf den eigenen Beinen! "Hey, da bist du ja!" Er zwang sich zu lächeln. "Ich dachte schon, du würdest dich zur Hintertür hinausschleichen." "Es geht ihr wieder gut, aber Sie muß zu Hause gleich wieder ins Bett", erklärte die Schwester. "Dafür werde ich sorgen." Stone legte den Arm um Jordan und küßte ihre Schläfe. "Wie fühlst du dich?" Jordan wartete, bis die Schwester außer Hörweite war. "Schrecklich. Bring mich bloß hier "raus", flüsterte sie. "Kein Problem. Hier entlang. Kannst du gehen, oder soll ich dich tragen?" "Dann können wir auch gleich laut herausbrüllen, daß wir liiert sind." Stone war es ganz egal, wer das wußte oder nicht. Im Gegenteil, er stand zu ihr.
Draußen war es inzwischen dunkel geworden und schon unangenehm kalt. Sobald sie im Wagen saßen, fragte er: "Nun, was meint der Arzt?" "Dir hat niemand etwas gesagt?" "Nein, nur daß du Ruhe brauchst. Ich gehöre ja nicht zur Familie, und du hast ein Recht auf Diskretion, nicht?" Jordan holte tief Luft. "Es ist nichts weiter", sagte sie schließlich. "Ich bin nur erschöpfter, als ich dachte. Vielleicht reicht eine Vitaminkur." Stohe hatte ein schlechtes Gewissen, weil er ihr wegen Kristen Vorwürfe gemacht hatte. Ihr Tagespensum war offenbar anstrengender, als er gedacht hatte. Dazu kam die Enttäuschung über Leute, die sie verletzt hatten. Kein Wunder, daß das ihre Kraft überstieg. Jordan war zarter, als ihm bewußt gewesen war. Das hatte er neben all seinen Problemen nicht realisiert. Er streichelte ihr die Wange. "Es tut mir leid." Jordan zuckte zusammen. "Was?" "Ich saß da die ganze Zeit herum und rechnete mit dem Schlimmsten. Da wurde mir bewußt, wie wichtig du mir bist. Es fällt mir noch immer schwer, mich daran zu gewöhnen, eine Beziehung zu haben. Aber ich bin glücklich, daß es dich in meinem Leben gibt." Jordan schloß die Augen. "Schlechtes Timing, Stone Man." Sie hatte das so leise gesagt, daß er es beinahe nicht verstanden hatte. "Bitte?" "Ich möchte nicht undankbar scheinen, aber ich furchte, wenn du mich nicht sofort nach Hause bringst, falle ich gleich wieder in Ohnmacht." Er gab ihr einen zarten Kuß und fuhr los. "Du, hast recht. Zumal Kristen erst Ruhe gibt, wenn ich ihr Bericht erstattet habe." "Kristen, ach ja! Hast du gehört, was heute in der Schule passiert ist? Wie geht es ihr?"
"Nun, sie ist deprimiert, macht sich aber mehr Sorgen um dich. Ich habe auch Morris Fields angerufen und ihm gesagt, was passiert ist. Und dann habe ich ihm geraten, dir endlich Zeit zur Erholung zu geben." "Oh, nein!" Jordan war entsetzt. Nun mußte der Direktor mutmaßen, daß zwischen ihr und Stone etwas lief. Und womöglich mußte sie um ihre Anstellung fürchten. "Oh, doch. Was ist falsch daran?" "Wir wollten nicht, daß unsere Affäre bekannt wird. Nun kann er sie ahnen." "Ist das so schlimm?" fragte Stone irritiert. "Hör zu, deine Nichte ist in meiner Klasse, und sie hat im Moment genug am Hals, da kann sie nicht noch Gerüchte über uns beide brauchen." So wie Kristen sich Jordan gegenüber verhielt, würde ihr die Tatsache, daß Stone sich für ihre Lehrerin interessierte, Gelegenheit geben, ihr selbst näher zukommen. Das Mädchen brauchte einen weiblichen Einfluß in seinem Leben. An Gerüchte hatte er allerdings nicht gedacht. "Ich schätze, ich schulde dir eine weitere Entschuldigung." "Das nützt nichts, Stone. Ich bin es einfach leid, daß immer andere Menschen für mich Entscheidungen treffen." "Andere Menschen?" "Na ja, Männer! Du hättest es wenigstens vorher mit mir absprechen können, bevor du dich in mein Privatleben einmischst!" Das saß. "Es war doch keine böse Ab sicht." "Das macht es nicht besser! Sogar mein Vater, der Reverend, sprach immer von dem Weg zur Hölle, der mit guten Absichten gepflastert sei. Aber das hielt ihn nicht davon ab, alles umzudrehen und im Namen der Religion auf den Gefühlen von Menschen herumzutrampeln."
Stone krallte die Hände ums Steuerrad. "Ich bin nicht dein Vater", entgegnete er mit zusammengebissenen Zähnen, "und auch nicht dein Ex-Freund." "Nein. Aber du bist mal wieder ein Mann, der tut, was er will, und der seine Meinung für die allein richtige hält." Jordan seufzte. "Ich habe keine Illusionen über uns, aber was hast du dir dabei gedacht?" "Ich habe nur an Kristen gedacht." "Ah, so. Und was hast du für mich geplant? Soll ich so eine Art großer Schwester sein, Tante, Mentorin, um mich an dich zu binden? Oh, Stone, wie ich schon sagte, das ist ein schlechter Zeitpunkt. Sie wird es dir nicht danken." Stone schwieg. Als sie bei Jordans Haus ankamen, bestand er darauf, sie hineinzubringen. "Ich werde nicht gehen, bevor ich nicht weiß, daß alles in Ordnung ist mit dir." Schon hatte er sie auf die Arme gehoben und trug sie hinein. Jordan protestierte vergeblich. In ihrem Zimmer setzte er sie auf ihrem Bett ab. "Ich wiederhole: Es tut mir leid, daß ich dir Probleme bereitet habe. Wenn ich irgend etwas tun kann, um es wieder gutzumachen, sag es mir. Nicht nur wegen Kristen, sondern vor allem deinetwegen." "Stone, ich erwarte nicht, daß du dich änderst. Genausowenig wie du erwarten kannst, daß ich bin wie ..." "Was weißt du über Tracy?" unterbrach er sie ahnungsvoll. "Nichts. Du erwähnst sie ja kaum, da sie wohl alles war, was du immer gewollt hast." "Hör mal gut zu", begann er mit unterdrücktem Zorn, "Tracy ist tot, und eine lange Zeit nach ihrem Tod und dem des Kindes wollte ich auch lieber tot sein. Aber ich bin nicht gestorben, und jetzt lebe ich wieder gern, und weißt du auch, wieso?" "Nein."
"Ich werde es dir zeigen." Er beugte den Kopf zu ihr hinunter. Das war ein Weg, sie zu erreichen, und da konnte sie lange auf ihre Unabhängigkeit pochen, denn sobald sie sich berührten, knisterte es zwischen ihnen. Als er spürte, wie ihre Lippen unter seinen nachgiebig wurden, spürte er eine tiefe Wärme durch seinen Körper ziehen. Ein Gefühl des Zu-Hause-seins. Jordan war zu erschöpft für mehr, aber er wollte ihr etwas zum Träumen geben - und ein bißchen auch für sich ... Er liebkoste sie sanft. In ihren Augen standen Tränen, aber diesmal keine zornigen. "Das ist nicht fair, Stone Man." "Gib uns etwas Zeit, Jordan, wir werden das schon hinkriegen." "Einige Dinge ..." Er legte den Finger auf ihre Lippen. "Nicht jetzt, erhol dich erst mal. Ich melde mich morgen. Aber ruf an, solltest du etwas brauchen, versprochen?" Er küßte sie noch einmal, dann ging er. Kristen war noch im Pyjama in der Küche. "Wie geht es Miss Mills?" wollte sie wissen, sobald er hereinkam. "Sie ist erschöpft, aber sonst ist alles in Ordnung. "Ein Glück! Aber nun möchte ich endlich wissen, was eigentlich zwischen euch beiden vorgeht!"
11. KAPITEL Stone hatte gehofft, Kristen erst am nächsten Morgen auf das vorbereiten zu können, was sie am folgenden Tag in der Schule erwarten würde. Das Mädchen putzte sich kräftig die Nase und sah ihn erwartungsvoll an. "Du solltest ebenfalls im Bett sein junge Dame", mahnte er und hängte seine Jacke auf. Oder möchtest du einen Bückfall erleiden?" "Lenk nicht vom Thema ab." Kristen stopfte die Taschentücher in ihren flauschigen Bademantel. "Nachdem du mich vom Krankenhaus anriefst, um mir zu sagen, daß du später kämst, fiel mir auf, wie vage du dich in bezug auf Miss Mills ausgedrückt hast. Weißt du noch, daß ich dich fragte, wieso du bei ihr gewesen seist? Da hast du so eine flaue Ausrede benutzt." "Wenn ich nicht bei ihr gewesen wäre, wer hätte sie dann ins Krankenhaus gebracht?" versuchte er auszuweichen. "Michelle und ihre Mutter fuhren nach der Schule nach Tyler und an Miss Mills" Haus vorbei. Es wird dich interessieren, daß sie dich mit ihr Arm in Arm gesehen haben." Stone holte ein Bier aus dem Kühlschrank. "Welche Michelle?" "Eine von der Cheerleadertruppe."
Ihm fiel ein, was Kristen erlebt hatte. "Meine Güte, Schatz, es tut mir so leid, was dir passiert ist. Du bist sicher ..." "Schon gut, Onkel Stone. Ich bin daran gewöhnt, dir nicht immer als erstes einzufallen. Hat Michelle also richtig ge sehen? Warst du mit Miss Mills,... na, du weißt schon." Ihr schnippischer Ton ärgerte ihn etwas. "Ich hielt sie tatsächlich, denn sie wurde ohnmächtig, als sie aus ihrem Wagen aussteigen wollte. Sie konnte kaum erzählen, was dir heute in der Schule passiert ist, und ..." "Terrys Schwägerin arbeitet im Krankenhaus." Stone verstand. "Ah, noch so eine Freundin von dir?" "Meine Freunde interessieren dich ja nicht, du kritisierst höchstens die, mit denen ich mich treffe." "Da hast du recht. Ich bin als Erzieher ein Versager. So wie ich mich wegen Jack geirrt habe, nicht?" Kristen wurde rot. "Terrys Schwägerin sagt, du seist im Warteraum auf und ab gelaufen." "Stimmt. Na, und?" Seine Nichte lächelte triumphierend. "Terrys Schwägerin sagte, du seist da so nervös 'rumgelaufen wie ein werdender Vater." Nun war es aber gut! "Sag Terrys Schwägerin, sie soll doch für Revolverblätter schreiben. Oder besser noch, daß sie sich um ihren eigenen Kram kümmern soll!" "Beantworte meine Frage, Onkel Stone." Kristen ließ nicht locker. "Ja, okay, wir kennen uns ziemlich gut." "Wie kannst du nur!" rief Kristen und stemmte die Fäuste in die Seiten. "Ausgerechnet meine Lehrerin!" "Glaub mir, Jordan ist da noch empfindlicher. Und wir haben wirklich versucht, es geheim zuhalten." "So sehr, daß ihr mich angelogen habt!" "Damit wollten wir dich nur schützen."
"So kann man es auch nennen, wie? Ihr habt alles hinter meinem Rücken gemacht!" "Nun ist es aber gut. Was du von mir denkst, ist eine Sachen in deinen Augen mache ich ohnehin alles falsch. Aber laß dir nicht einfallen, Jordan den nötigen Respekt schuldig zu bleiben!" Das Mädchen verschränkte die Arme. "Sag mir nur eins: Schlaft ihr miteinander?" Es war gut, daß er den Mund nicht gerade voller Bier hatte. "Entschuldige mal, junge Dame, das geht dich ja wohl nicht das geringste an!" "Es reicht, ich gehe von der Schule ab!" Und damit stürmte Kristen aus dem Raum. "Das tust du nicht!" brüllte Stone ihr nach und folgte ihr. "Über mich lacht sowieso schon die ganze Klasse, aber wenn das hier herauskommt, bin ich fertig! Ich kann mich nie wieder in Mount Liberty zeigen!" Sie schlug ihre Zimmertür zu und schloß hinter sich ab. Stone fuhr sich völlig entnervt durch die Haare, ging in die Küche zurück und trank sein Bier in zwei Schlucken aus. Jordan hatte es gut, die konnte wenigstens ruhig schlafen, bevor der ganze Rummel losging. Sobald sie glaubte, sich aufrecht halten zu können, verließ Jordan das Bett und ging ins Bad. Sie schaute in den Spiegel. Am Bauch war natürlich nichts zu sehen, zumal sie immer noch angezogen war. Aber sie war schwanger! Das konnte doch gar nicht sein! Seit Jahren nahm sie die Pille und hatte sie noch gar nicht lange abgesetzt. Und sie waren nur ein einziges Mal unvorsichtig gewesen! Sie ließ die dunkelblaue Jacke zu Boden fallen. Ihre Sachen waren zerdrückt, die weiße Seidenbluse wies einen großen Fleck auf. Vermutlich daher, daß Stone, der verschmutzt von der Arbeit gekommen war, sie aufgefangen hatte, bevor sie ohnmächtig wurde.
Sie zog sich bis auf die Unterwäsche aus. Man sah deutlich, daß sie abgenommen hatte. Die zerrissene Strumpfhose warf sie in den Mülleimer. Der Arzt hatte sie gefragt, ob sie wisse, seit wann sie schwanger sei. Aber als die Regel ausgeblieben war, hatte sie den Gedanken an den möglichen Grund verdrängt. Schon deshalb, weil sie niemals Kinder gewollt hatte. "Meine Güte!" murmelte sie und betastete ihren Bauch. Natürlich sah man nichts. Oder? Es fühlte sich an wie eine kleine Beule, war das Einbildung? Plötzlich kamen ihr die Tränen. "Das darf doch nicht wahr sein", rief sie weinend und ließ sich zu Boden sinken. "Ich kann nicht! Ich kann einfach nicht!" Am nächsten Morgen war Kristen nicht dazu zu bewegen, ihre Zimmertür zu öffnen, geschweige denn zur Schule zu gehen. Stone bat Mrs. Tucker noch, ein Auge auf seine Nichte zu haben, bevor er endlich wegkam, um zu Jordan zu fahren. Daß ihr Auto nicht vor der Tür stand, beunruhigte ihn. Sie war in der Verfassung doch hoffentlich nicht zur Arbeit gefahren? Bei der Schule stand ihr Wagen dann aber auch nicht. So fuhr er ins Büro, um seine Post und Telefonnachrichten zu überprüfen. Durch die gestrige Fahrt zum Krankenhaus war er arg in Verzug mit allem. Die Jagdsaison für Weißschwanzwild war in vollem Gange, und die öffentliche Jagd begann in wenigen Wochen, Bis Jahresende konnte er froh sein, wenn er pro Nacht sechs Stunden Schlaf fand. Was sein Privatleben betraf ... Na ja, Jordan und er müßten sehen, wieweit ihre beiderseitigen Pläne aufeinander abzustimmen waren. Er parkte hinter dem alten Gefängnis. Ralph Spradlins Wagen stand schon da. Wenn irgend jemand ihn von seinen privaten Sorgen ablenken konnte, dann war es der Sheriff. "Hallo! Gut, daß du da bist", meinte Ralph, als Stone die Treppe heraufkam. "Ich muß mit dir reden."
Kurz darauf saßen sie in Stones etwas muffigem Büro auf knarrenden Stühlen. Der Schreibtisch war mit Akten übersät. "Die solltest du am besten gleich in den Müll werfen", meinte Ralph angesichts der Papierflut. "Ich bin stolz darauf, daß keine Akte älter ist als eine Woche", erklärte Stone. "Nun, da ich bald in Rente gehe, fange ich übrigens an, deine Arbeitsmethoden gutzuheißen", sagte der Sheriff. "Also, was ist los?" "Weißt du noch den schlimmen Unfall in Mount Liberty, als du kamst, um zu helfen?" "Oh, ja, Riley Biggs. Gebrochene Rippen und Schnittwunden, aber er war nicht so verletzt, wie anfangs vermutet. Was ist mit, ihm?" "Seine Frau Georgia hat heute morgen seinetwegen Vermißtenanzeige erstattet." "Ach, du meine Güte. Wir fliegen wohl besser gleich in die Karibik oder sonstwohin." "Gute Idee. Aber schlechte Nachrichten holen einen immer ein, egal wohin man rennt." Stone erzählte Ralph schnell von Ridge und Kristen. "Wundert mich, daß meine Nichte nichts gesagt hat." "Verständlich. Der Typ verschwindet vermutlich so oft und wird dann irgendwo betrunken aufgefunden, so daß man sich kaum noch darüber wundert." "Hort sich ja nach einer Traumfamilie an. Vielleicht sollte ich Kristen gleich aufs College geben, nur um sie von denen fernzuhalten." Der Sheriff kratzte sich sein silbriges, unrasiertes Kinn. "Könnte ich verstehen. Ich weiß nicht, wieso seine Frau diesen Tunichtgut nicht schon vor Jahren rausgeschmissen hat. Aber ich bin kein Psychiater. Allerdings finde ich es schlimm, wie wenig Menschen sich Gedanken darüber machen, wie sehr so ein Kerl das Leben seiner Kinder beeinträchtigt."
"Hast du eine Ahnung, wo Riley ist?" "Du hast doch gesagt, daß er gern angelt. Vielleicht war er an irgendeinem See und ist reingefallen." "Meinst du, daß da was schiefgelaufen ist?" "Wer weiß. Bei einem wie Riley weiß man nicht, was der für seinen nächsten Drink tut." "Das Boot, in dem ich ihn erwischte, wäre das richtige, falls er Probleme sucht. Es hatte genug Löcher, um als Zielscheibe gedient zu haben. Er war gerade dabei, sie mit Stofffetzen und Kautabak zuzustopfen. Aber er ist ein ausgezeichneter Angler." Ralph zupfte an seiner buschigen Braue. "Das ist das Tragische. Ein kaltblütiger Killer kann vielleicht hinreißende Bilder malen, ein Kinderschänder ein begabter Redner und beliebtes Gemeindemitglied sein, ein Einbrecher, der zahlreiche Wohnungen verwüstet hat, ist womöglich ein Technik-As. Ich habe nie begriffen, was Menschen ihre Naturbegabungen vernachlässigen und zu Kriminellen werden läßt." "Vielleicht bist du kein Psychiater, aber philosophieren kannst du, Ralph", bemerkte Stone. Der Ältere sah ihn durch die Brillengläser an. "Hältst du mal deine Augen offen, besonders wenn du an die Alligator-Plätze kommst?" "Und die, wo man Raubtiere findet." Die vielen Alligatoren waren Ergebnis zu milder Winter und rigoroser Tierschutzbestimmungen. Im Süden sollte ein Puma gesichtet worden sein, der angeblich ein paar Kälber, Schafe und Ziegen gerissen hatte. Aber nur die Leute, die weder Wasserski fuhren noch Jet-Ski machten sich Gedanken über die Probleme der Wildwarte in den texanischen Naturschutzparks. , "Du wärst wohl doch lieber Zimmermann geworden, was?" scherzte Ralph. "Na, und du? Hättest du geglaubt, daß du Baumdiebe jagen müßtest?" konterte Stone, der auf Leute anspielte, die sich
wegen der ho hen Baumpreise auf privaten Grundstücken bedienten. "Ist das Leben nicht schön?" Ralph stand auf, "Laß es mich wissen, wenn du unseren Freund irgendwo entdeckst. Und paß da draußen auf, Stone Man." Der Sheriff ging. Kaum war er weg, dachte Stone an Kristen. Wie würde sie die neuesten schlechten Nachrichten aufnehmen? Jordan schenkte sich heiße Milch ein und blätterte Arztbroschürren durch. Sie mußte erst noch den Schock des Testergebnisses überstehen. Nach einer schlaflosen Nacht hatte sie in der Schule angerufen und sich krank gemeldet, war dann zu ihrer Hausärztin gefahren und hatte ihr von dem Dilemma berichtet. Und Dr. Colby bestätigte das Ergebnis von Dr. Gray. "Dir Blutbild zeigt, daß Sie im Moment unter Streß leiden", erklärte Evelyn Colby, aber wenn Sie Ihren Lebensstil etwas ändern, gibt es keinen Grund, warum Sie kein gesundes Baby bekommen sollten. Falls Sie sich aber gegen das Kind entscheiden, ist es noch Zeit." Jordan hatte Mühe gehabt, alles zu verdauen. Sie war froh, daß sie sich an Thanksgiving etwas erholen und in Ruhe darüber nachdenken könnte. Sie schaute sich die Abbildungen von Embryos an und war erstaunt, wie bald schon sie menschliche Gestalt bekamen. Wie konnte man daran denken, einem solchen Wesen Schaden zuzufügen? Trotz ihres Wollkleides bekam sie eine Gänsehaut. Und Panik! Sie wußte doch nichts übers Mutter-Sein! Und sobald Morris Fields und die anderen herausfanden, daß sie ein uneheliches Kind bekäme, würde ihr sicher sofort gekündigt werden. In dieser Kleinstadt war eine unverhe iratete Lehrerin mit einem Kind undenkbar.
Als sie draußen ein vertrautes Geräusch hörte, stöhnte sie auf. Eilig sammelte sie die Broschüren zusammen, stopfte sie in ihre Aktentasche und ging zur Tür. "Sag mal, ich versuche seit Stunden, dich zu erreichen! Hörst du deinen Anrufbeantworter nie ab?" "Tut mir leid, ich bin noch nicht dazu gekommen", erklärte Jordan. "Als ich deinen Wagen nicht vor deinem Haus und auch nicht an der Schule sah, habe ich mir Sorgen gemacht. Ist dir klar, in welchem Zustand du gestern warst?" "Deshalb war ich heute bei meiner Ärztin in Tyler." Stone nahm sie erleichtert in die Arme. "Ach so. Und wie geht es dir? Was hat die Ärztin gesagt?" Sollte Jordan es ihm sagen? Er hatte ein Recht darauf! Nein, sie brauchte noch Zeit, um alles zu durchdenken. "Stone, deine Besorgnis ist rührend, aber du solltest mir nicht zu nahe kommen, um dich nicht auch noch anzustecken." "Wenn man bedenkt, daß Kristen den gleichen Infekt hat, ist es wohl sinnlos, mich zu warnen." Er strich ihr durchs offene Haar. "Du siehst fiebrig aus und solltest nicht auf den Beinen sein. Hast du irgendwelche Tabletten bekommen?" Wegen der Schwangerschaft hatte Dr. Colby lieber darauf verzichtet und zu Hausmitteln wie Inhalieren, Pfefferminztee und Vitaminen geraten. "Ich bin gegen allerhand allergisch, so daß ich lieber keine nehmen möchte. Kann ich dir etwas anbieten?" "Wie wäre es mit vierundzwanzig Stunden, ohne etwas anderes zu tun, als mit dir dort auf dem Sofa zu liegen?" Er seufzte. "Siehst du, was du mit mir machst? Aber du bist nicht in Form dafür, und ich fühle mich für dich verantwortlich." Jordan war darüber fast ein wenig erleichtert. Um das Thema zu wechseln, fragte sie: "Wie geht es Kristen? Besser? War sie in der Schule?"
"Nein, sie hat sich gestern abend eingeschlossen, und Mrs. Tucker sagte, sie habe sich den ganzen Tag nicht gerührt." "Sie war wohl wütend, daß du so spät nach Hause kamst und nicht mit ihr darüber geredet hast, daß man sie aus der Cheerleadermannschaft geworfen hat." "Ja, aber da ist noch mehr. Sie weiß über uns Bescheid", berichtete er seufzend. "Oh, nein!" rief Jordan entsetzt, "du hast ihr doch nicht etwa die ganze Wahrheit gesagt?" "Key, beruhige dich." Stone führte sie zur Couch. "Du siehst völlig mitgenommen aus, komm, setz dich." Er nahm ihre Hände in seine. "Das hätten wir auf Dauer ohnehin nicht für uns behalten können, ob Morris Fields nun redet öder nicht. Freunde von Kristen haben uns zusammen gesehen, und sie wollte von mir nur die Bestätigung." "Stone, du Armer." Jordan berührte seine Wange. "Kein Wunder, daß sie wütend ist. Wie soll ich ihr nur morgen gegenübertreten?" "Vielleicht mußt du das gar nicht. Es gibt noch eine weitere Bombe: Sie will überhaupt nicht mehr zur Schule gehen." "Das kann sie doch nicht tun!" Jordan war fassungslos. "Das denken wir, aber daran hält sie im Augenblick fest. Dazu kommt, daß Ridge Biggs Vater vermißt wird. Seine Frau hat Anzeige erstattet. Wenn Kristen es noch nicht weiß, wird sie sicher alle Aufmerksamkeit auf Ridge konzentrieren und jeden Gedanken an Schule und erst recht ans College darüber vergessen." "Übertreib nicht. Sie mag Ridge, und ich glaube, er ist ein netter Junge." Jordan suchte sorgfältig nach Worten. "Wenn du von jemandem wüßtest, daß er großes Verständnis braucht, würdest du nicht alles tun, um ihm zu helfen?" "Natürlich." Er lächelte und reichte ihr die Müch. "Komm, trink, bevor sie kalt ist."
Bei seinem intensiven Blick konnte Jordan kaum schlucken. "Und was ist mit Riley Biggs? Wird nach ihm gesucht?" "Nein, die Meldung wird zwar per Computer verbreitet, aber bei einem Mann wie ihm dürfte wohl keine Suchaktion gestartet werden wie bei einem verirrten Kind. Auch wenn es ungerecht ist. Du solltest das nur wissen, sollte Kristen sich bei dir melden. Wärest du in dem Fall für sie da?" "Selbstverständlich." Jordan lächelte. "Das Mädchen weiß, wie man Zuneigung gewinnt." "So wie ihr Onkel?" Genauso, dachte Jordan. Aber als er sie an sich ziehen wollte, protestierte sie. "Stone, du sagtest doch, du müßtest gehen." "Muß ich auch, ich möchte dich nur eine Minute halten. Du weißt gar nicht, was es bei mir bewirkt, wenn ich das Gefühl habe, daß die innere Mauer, die du um dich aufgebaut hast, schwächer wird." Stone streichelte ihr Haar. "Aber ich will mich nicht in dein Leben drängen. Für Tracy war es schrecklich, daß ich ständig unterwegs war und meine Arbeit immer Vorrang hatte. Ich habe meine Lektion gelernt und weiß, daß ich keine normale Beziehung führen kann. Und wann immer ich ein bißchen Zeit habe, muß ich sie Kristen widmen, bis sie auf eigenen Füßen steht und ins College geht. Aber diese Momente mit dir", seine Stimme wurde ganz heiser, "die geben mir ein Gefühl..." "Sag es nicht, Stone." Jordan hatte Angst vor dem, was er sagen würde, "Warum nicht, wenn es die Wahrheit ist?" Er zo g ihr Gesicht näher an seines heran. "Sie geben mir das Gefühl, ich könnte wieder träumen." Jordan hatte nicht mehr die Kraft, seinem Drängen zu widerstehen, besonders wenn er sie so küßte, als trüge er die Last der Welt auf seinen Schultern und als sei sie die einzige Quelle der Freude, des seelischen Friedens. Ihr kamen beinahe die Tränen. Sie strich über seine unrasierte Wange und sehnte
sich nach der Liebe, die so nahe zu sein schien aber durch die Umstände dennoch so weit weggerückt war. Stoiie bewegte sich. "Worauf sitze ich denn? Oh je, ich zerknülle deine Arbeit." Er griff hinter sich. Zu Jordans Entsetzen hatte er einen der medizinischen Prospekte in der Hand, der zwischen die Kissen gerutscht sein mußte. Ausgerechnet den, der am eindeutigsten war! Sie hielt den Atem an. ".Sich aufs Baby vorbereiten'", las er, und langsam machten sich erst Verständnis und dann Schock auf seinem Gesicht breit. "Sag mir, daß es nicht wahr ist!"
12. KAPITEL Wenn er losgebrüllt hätte, wäre es nicht so schlimm gewesen, aber sein plötzliches Schweigen war bedrückend! Die inneren Mauern, von denen er gesprochen hatte, waren bei Jordan im Nu wieder da. Im Moment war Stone verwirrt, aber sobald er wieder klar denken könnte ... "Ich fürchte, das kann ich nicht." Wie in ihrer Kindheit preßte sie die Hände in ihrem Schoß zusammen, als betete sie darum, daß ihr Vater aufhören möge, sie zu kritisieren, sie mit dieser Stimme zu verdammen. "Das war der Grund, warum ich heute beim Arzt war." "Du wußtest es also schon?" fragte er scharf. "Nein. Es gab Anzeichen, aber bislang dachte ich nur, ich sei erschöpft. Dr. Gray hat mir gestern abend gesagt, was los ist." Sein steinernes Gesicht machte seinem Spitznamen alle Ehre. "Gestern abend? Und du hast es nicht für nötig gehalten, mich zu informieren?" Ihre verkrampften Hände schmerzten. "W ... wärst d ... du dann glücklicher darüber gewesen?" Es war ihr peinlich, daß sie stotterte wie ein Schulmädchen. Stone antwortete nicht. Überlegte er, ob er als Vater in Frage kam? "Es war der Abend, nachdem du meiner Klasse einen Vortrag gehalten hattest", erklärte Jordan und sprach sorgfältig, um nicht wieder zu stottern.
"Ah, ja." Er schüttelte den Kopf. "Es klingt sicher schrecklich, aber ich hatte mir geschworen ..." "Ich ...ich möchte es nicht hören." "Ich hatte mir geschworen, nie wieder ein Kind in die Welt zu setzen." Das klang wie ein Schwur, der ihm unerträglich weh tat. "Ich möchte, daß nie wieder passieren kann, was mit Tracy und Billie Ann passiert ist." "Das muß es auch nicht." In Jordan stieg Zorn auf. "Ich erwarte nichts von dir, Stone." "Ich bin immerhin zu fünfzig Prozent verantwortlich." "Aber ich bin diejenige, die schwanger ist! Und ich stöhne schließlich nicht darüber, daß das mein Leben zerstört, oder? Dabei geht es mich ja wohl am meisten an. Und ich habe keine Wahl." "Du hast eine Wahl, obgleich sie mir nicht unbedingt gefällt." Jordan sprang von der Couch auf, leerte ihre Aktentasche auf dem Boden und fischte aus dem Wust eine Abbildung. "Siehst du das?" Sie hielt es ihm unter die Nase. "Das ist mein Baby. Noch nennt man es Embryo, aber so sieht es etwa zu dem Zeitpunkt aus, bis zu dem ich die ,Wahl' habe. Für mich hat es schon verdammt viel Ähnlichkeit mit einem menschlichen Wesen. Und du redest von ,Wahl'..." "Ich würde nicht zulass ... " Stones Funkgerät piepte. Fluchend zog er es aus seinem Gürtel. "Ich muß mal telefonieren." Er ging in die Küche. Jordan sank auf die Couch. "Am Lake Fork hat man ein gekentertes Boot entdeckt", erklärte er, als er zurückkam. "Einer der Insassen fehlt. Ich muß hin." Jordan nickte. "Ich hasse es, jetzt zu gehen, aber es geht nicht anders. Ich komme zurück, sobald ich kann." Von der Tür aus sah er noch einmal zurück, dann war er verschwunden. Jordan sank in sich zusammen und brach in Tränen aus.
An dem Tag hörte sie nichts mehr von Stone. Am nächsten Morgen erfuhr sie aus den Fernsehnachrichten von dem Vorfall. Sie rief in der Schule an, um sich erneut krank zu melden. Ruby, die Schulsekretärin, sagte, Morris Fields werde zurückrufen. Danach trank Jordan Pfefferminztee mit Honig und versuchte, Mrs. Biggs zu erreichen. Als es an der Haustür klopfte, erschrak sie so sehr, daß sie Tee verschüttete. Sie öffnete die Tür. "Kristen und Ridge!" rief sie. "Kommt herein." Die Herbstkälte war durch dichten Nebel verstärkt. Jordan fröstelte. Die beiden Teenager wirkten nervös. "Wir wissen, daß es noch früh ist und Sie krank sind. Wenn Sie möchten, daß wir später kommen ..." Kristen sah unsicher drein. Ridge betonte: "Wir bleiben nicht lange." "Seid nicht albern, kommt herein. Freut mich, euch beide zu sehen. Wir geht es dir, Kristen? Ridge, ich hörte von deinem Vater. Es tut mir sehr leid." "Danke, Miss Mills. Mom hält sich einigermaßen. Sie versucht, uns das Dach über dem Kopf zu erhalten. Nur meine jüngeren Brüder begreifen nicht, wieso die Polizei ein- und ausgeht. Wir möchten nur endlich wissen, was mit Dad passiert ist." Jordan empfand die Tragik der Familie. "Wann habt ihr zuletzt etwas gegessen?" fragte sie mütterlich. "Oder möchtet ihr etwas Warmes zu trinken?" Ridge bat um Kaffee, Kristen wollte nichts. Als Jordan in die Küche ging, hörte sie trotz der leisen Bach-Musik, wie die beiden flüsterten. Mit einem Tablett und Kaffee, Keksen und Orangensaft kam sie zurück. Jordan war gerührt über den Anblick der beiden in ihren Skijacken, die dicht beieinander saßen. "Was macht deine Erkältung, Kristen?"
Das Mädchen hatte das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und sah besonders zerbrechlich aus. "Gut. Ich weiß, daß ich eigentlich in der Schule sein sollte." "Wenn man sich weder seelisch noch körperlich gut fühlt, gibt es keinen Grund, sich dazu zu zwingen." "Sie fühlen sich auch nicht besonders, nicht?" "Na ja, es geht." Jordan fragte sich, was die beiden wohl auf dem Herzen hatten, wartete aber ab. "Miss Mills", begann Kristen unsicher, "ich weiß nicht, wie ich es sagen soll..." Jordan lächelte aufmunternd. "Schon gut, dein Onkel hat mir erzählt, daß du weißt, daß er und ich befreundet sind." "Darum geht es nicht nur." Jordan stellte die Tasse ab und legte die Hände auf den Bauch. Und genau dorthin schaute Kristen. "Stimmt es, daß Sie ein Baby bekommen?" , Jordan stieg Röte in die Wangen. Sie zwang sich, Kristen anzusehen. "Wir geben kein gutes Beispiel, nicht? Er hat es dir also gesagt." "Nein, er war die ganze Nacht nicht zu Hause. Er hilft immer noch bei der Suche nach dem Fischer. Ich habe es durch Freunde herausgefunden, die Verwandte im Krankenhaus haben." Was sagte man dazu? Den beiden Teenagern schien alles genauso peinlich zu sein wie ihr. "Ich vermute, daß die Verwaltung nicht glücklich wäre zu erfahren, wie indiskret das Personal ist, aber das ist im Moment wohl weniger wichtig. Ehrlich gesagt, bin ich ganz froh. Das sind nicht gerade Nachrichten, die man leicht übermittelt." "Und wie stehen Sie dazu? " "Keine Ahnung. Ich befinde mich noch in einem Zustand des Schocks." "Werden Sie es behalten?" "Daran gibt es keinen Zweifel. Ja."
"Wird Onkel Stone Sie heiraten?" Ein merkwürdiges Gefühl durchlief Jordan. "Du weißt, was dein Onkel durchgemacht hat, Kristen. Er ist nicht mehr zu einer festen Beziehung bereit, geschweige denn zu einer Ehe und erst recht nicht dazu, Vater zu sein. Also um deine Frage zu beantworten: ganz bestimmt nicht." "Und die Schule? Wird man Sie dort lassen?" "Das weiß ich nicht. Gesetzlich gibt es keine Handhabe, mir zu kündigen, aber man könnte mich unter Umständen als inkompetent bezeichnen ..." "Das würden die doch wohl nicht wagen!" rief Kristen. "Ich könnte auch vor Gericht gehen, aber das würde ich nicht tun." "Miss Mills, Sie dür fen nicht gehen! Sie sind die beste Lehrerin, die wir je hatten! Das finden wir beide, nicht, Ridge?" Der hübsche Junge mit seinem dunklen Gesicht nickte scheu. "Die Schule war für mich immer hart. Sie wissen, daß ich nicht in diese Supertruppe passe, aber Ihr Unterricht, das war etwas anderes. Es geht weniger darum, was Sie unterrichten, sondern wie Sie es tun, wie Sie Ihre Erfahrung, Ihre Menschlichkeit einbringen. Sie lassen uns nicht einfach etwas lesen, sondern zwingen uns, alle Bedeutungen zu erfassen Und Entscheidungen für uns selbst zu treffen." Jordan war gerührt. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Aber vielen Dank. Euch beiden!" Sie lachte leise. "Und ich dachte, ihr seid wütend auf mich." "Das war ich auch", gab Kristen zu, "Aber dann habe ich mit Ridge geredet, und er hat mir gezeigt, wie dumm das von mir war." Sie sah verlegen zu Boden. "Du hast rein gefühlsmäßig reagiert." Ridge berührte ihr Haar. "Aber du müßtest sehen, daß es auch etwas Gutes für dich hatte." Jordan hörte erstaunt zu.
"Miss Mills ... Oh, das ist zu komisch", rief Kristen lachend. "Das Baby ist dann mein Cousin! Darf ich nicht du sagen?" "Na ja, wieso nicht. Allerdings nur außerhalb der Schule." "Natürlich!" Das Mädchen strahlte. "Also, dann habe ich eine Idee: Wie wäre es, wenn ich hierher zöge?" Jordan bekam einen Hustenanfall und konnte erst nach einem Schluck Tee wieder sprechen. "Einfach so? Wir kennen uns doch kaum!" "Aber du bist doch jetzt meine Tante, oder so gut wie. Und ich möchte da sein, wenn das Baby kommt und du meine Hilfe brauchst." "Das ist sehr lieb von dir, aber ..." "Außerdem: Bei all den Gerüchten, die es geben wird, wirst du das gar nicht allein durchstehen können. Und zum Schwangerschaftsunterricht komme ich dann gleich mit." Jordan war gerührt von der Be geisterung des Mädchens. "Und was ist mit dem College?" "Das ist erst in einem Jahr." "Also gut. Aber eins müssen wir klarstellen: Dein Onkel wird nicht damit einverstanden sein." "Wieso, du bekommst doch sein Baby!" "Hör mal, du möchtest anscheinend, daß wir heiraten. Wieso? Ihr beiden streitet euch doch dauernd." Kristen schaute peinlich berührt drein. "Ich muß gestehen, ich gebe ihm auch keine wirkliche Chance. Ich war wohl zu durcheinander wegen vieler Sachen und habe mir nicht klargemacht, daß Onkel Stone neben allem einen wahnsinnig anstrengenden Job hat." "Daran würde sich auch durch eine Heirat nichts ändern." "Das hat also nichts mit deinen Gefühlen für ihn zu tun?" "Ich mag ihn sehr! Darum geht es nicht." "Er hat mit dem Tod von Tante Tracy und Billie Ann viel durchgemacht, und er hatte riesige Schuldgefühle, weil er nicht da war."
Jordan hatte das schon vermutet, aber das schien immer ein Tabuthema für ihn zu sein, so daß sie nicht daran hatte rühren mögen. "Du könntest ihn verändern", sagte Kristen. "Ich habe gesehen, wie er dich angeschaut hat, als du mich besuchen kamst." Jordan errötete wieder. "Und bedenke, wie schön es wäre, wenn wir übers Schreiben und über Bücher reden könnten. Ridge könnte immer herkommen ... " Nun verstand Jordan. "Ach so, ihr braucht eine Bezugsperson", meinte sie lächelnd. "Wir wollen so leben, wie du lebst, Jordan. Du bist Transzendentalistin wie Emerson und Thoreau und lebst das, was Jo in ,Little Women' sagt. Du suchst nach Besonderheit und Selbstverwirklichung. Hör mal, die Musik!" Kristen wies zur Stereoanlage. "Weißt du, was Ridge zu Hause durchmachen müßte, wenn er solche Musik hören wollte?" "Ich mußte auch dreißig werden, bevor ich mir eine Anläge leistenkonnte." "Aber du hattest jemanden, der dich führte, oder?" Ja, das hatte Jordan tatsächlich gehabt. Brent hatte ihren Horizont sehr erweitert. Aber dafür war er auch selbstherrlich und arrogant gewesen. "Das muß dein Onkel sein", sagte Ridge. Man hörte draußen Stones Wagen vorfahren. "Vielleicht hat er Neuigkeiten über deinen Vater", meinte Kristen. Jordan fürchtete eine Szene vor den beiden Teenagern und ging zur Tür, als Stone schon hereinstürmte. "Wie geht es dir?" fragte er besorgt. Wie konnte sie wütend auf ihn sein, wenn er so erschöpft dreinschaute? Jordan hätte ihm am liebsten über die immer noch verbundene Stirn gestrichen.
"Gut", sagte sie leise, "und dir?"
"Wir haben den Fischer gefunden. Er trug keine
Schwimmweste." "Oh, Stone, es tut mir leid." Er sah seine Nichte an. "Was machst du denn hier? Jordan muß das Bett hüten, und du solltest in der Schule sein!" "Mir geht es besser, Onkel Stone. Aber ich gehe nicht ohne Ridge und Jordan zurück." "Jordan?" "Sie hat mir erlaubt, sie so zu nennen." Stone sah drein, als wolle er sagen: Was habe ich sonst noch verpaßt? "Haben Sie etwas von meinem Vater gehört, Sir?" erkundigte Ridge sich mit besorgter Stimme. "Nein, leider nichts. Ich habe alles mögliche überprüft." "Er hat immer gesagt, er würde mal zum Gulf fahren und nicht mehr wiederkommen", erinnerte Ridge sich bedrückt. Jordan und Stone tauschten einen Blick aus. "Du solltest hier wirklich nicht so herumsitzen, Jordan, dazu geht es dir nicht gut genug", mahnte Stone. Und zu seiner Nicht gewandt: "Wieso schaust du eigentlich so fröhlich drein?" "Ich habe Jordan gefragt, ob ich zu ihr ziehen darf." Stone verzog keine Miene. "Du hast doch ein Zuhause." "Ich habe ein Haus, ja, aber ich möchte eine wirkliche Familie. Da Jordans Baby mein Cousin ist..." "Du weißt es schon?" unterbrach er sie. "Ja, ich habe da so meine Quellen." "Und was sagst du zu Kristens Idee?" fragte er Jordan. "Solange ich krank bin, weigere ich mich, irgendeine Entscheidung zu fällen." "Ich bin froh, daß du nicht böse bist, Kristen, aber ..." "Das habe ich nicht gesagt! Ich bin wütend darüber, daß du mich offenbar nicht für erwachsen genug hältst, alles zu verstehen."
"Das nächstemal, wenn du die Tür hinter dir zuknallst, werde ich dich daran erinnern." Ridge räusperte sich und berührte Kristens Hand. "Ich muß nach Hause und mich um meine Brüder kümmern. Ich glaube, dein Onkel und Miss Mills haben noch einiges miteinander zu bereden." Er lächelte Jordan schüchtern zu. "Vielen Dank. Für alles." Jordan erhob sich und umarmte ihn wie selbstverständlich. "Ich hoffe, es wird alles gut, Ridge. Wir bleib en in Verbindung. Und wenn du etwas brauchst, ruf mich an." "Darf ich das auch?" bat Kristen mit unwiderstehlichem Charme. Sobald die beiden gegangen waren, wollte Stone sich für sein gestriges Verhalten entschuldigen. Aber Jordan sagte etwas kühl: "Du mußt nicht bleiben, weißt du." "Wirfst du mich raus?" "Das täte ich gern." "Jordan, wir müssen miteinander reden." "Wir haben uns schon genug weh getan." "Setzen wir uns." Er streckte die Hand aus. "Komm schon, ich beiße nicht." "Es gibt ein herrlich morbides Gedicht von Vachel Lindsay: ,Die Spinne und der Geist der Fliege'. Die Spinne hat die Fliege nicht nur gebissen, und Mr. Lindsays Ende war auch nicht gerade glücklich." "Wenn jemand der Meinung ist, daß man sich ändern kann, bist du es." Obgleich Jordan protestierte, zog Stone sie auf seinen Schoß und barg ihren Kopf an seiner Schulter. "Darum bin ich wiedergekommen", murmelte er zärtlich. "Und daran dachte ich, als wir gestern den See absuchten, uns die halbe Nacht den Hintern abfroren und ich dann sah, wie der Überlebende seine schwangere Frau, die mit einem Streifenwagen gekommen war, in den Arm nahm und in Tränen ausbrach."
"Im Theater ist es leicht, den Wert großer Momente zu begreifen, aber im täglichen Leben ist unser Blick meist ziemlich vernebelt." Er hob ihr Kinn. "Seitdem ich dich kenne, kommt mir nichts mehr alltäglich vor, Jordan. Und ich schwöre bei allem, was mir lieb ist, daß ich dir nie weh tun wollte." "Das ist ja das Dumme, ich weiß, daß du ein guter Mensch bist, Stone, aber du bist noch in deinem Schmerz gefangen." "Du etwa nicht? Weißt du, bei solchen Suchaktionen gibt es viel Zeit nachzudenken, besonders nachts. Mir fiel plötzlich ein, wie du auf dieser Couch gesessen hast, etwas sagen wolltest und es nur mühsam herausbrachtest. Wer hat dir vermittelt, daß das, was du sagst, wertlos ist? So wertlos, daß du stotterst?" "Mein Vater, der Reverend." "Du meine Güte!", flüsterte Stone und drückte sie an sich. "Aber es geht mir besser." "Das denke ich auch. Mein erster Eindruck von dir war, daß du mit dem sprichwörtlichen silbernen Löffel im Mund geboren wurdest." "Du bist lustig." Er küßte ihre Stirn. "Sag mal, meinst du, ich könnte dich davon überzeugen, mich zu heiraten?" Jordan richtete sich auf. "Stone, du wolltest doch nie wieder heiraten." "Nun, ich habe meine Meinung geändert. Unser Kind sollte nicht unehelich geboren werden. Ich schleppe eine Menge seelischen Ballast mit mir herum, aber ich werde dich niemals anlügen, dir nie wieder weh tun und mich auch nicht der finanziellen Verantwortung für das Kind entziehen." "Aber wirst du es lieben?" Er schwieg, aus Angst vor der Antwort. Jordan stand auf und ging hin und her. "Denken wir doch mal praktisch. Du hast schon ein Haus, und ich möchte meins nicht aufgeben."
"Wir könnten hier einziehen und das von Kristen verkaufen. Dann hätte sie ein hübsches Nest, bis sie das College verläßt." "Mein Haus hat nur drei Zimmer, wo sollte das Baby hin?" "Wir bauen an. Ich bin kein armer Mann." "Aber schau dich doch um, ich habe gerade erst angefangen, es so herzurichten, wie es mir gefällt." "Und das hast du wunderbar gemacht." "Alles hier ist weiß! Und dann kommst du mit deinem Job, bei dem du ständig draußen bist, dann ein unordentlicher Teenager und ein Kleinkind, das herumkrabbelt und immer klebrige Händ chen hat... Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich unabhängig, und es gefällt mir! Vielleicht klingt es egoistisch, aber es ist wunderbar!" "Du brauchst dich nicht zu ändern." Stone war aufgestanden und umschmiegte Jordans Gesicht mit den Händen. "Sag ja", murmelte er, bevor er sie küßte. Sie zitterte und drängte sich gleichzeitig gegen ihn. Auf erotischem Gebiet harmonierten sie unglaublich. Jordan hatte sicher recht mit dem, was sie gesagt hatte. Vielleicht konnte sie nicht damit umgehen, daß seine Arbeit so fordernd war. Und vielleicht wäre er den Vaterpflichten nicht gewachsen. Aber sie hatte eine seelische Kraft, die ihn inspirierte. Und er würde sie nicht dem Kleinstadtgeklatsche aussetzen. Egal welche Erinnerungen ihn quälten, er würde sie niemals im Stich lassen! "Warum?" flüsterte sie, sobald sie wieder zu Atem kam. "Weil ich dich will. Vielleicht weil wir beide dazu ausersehen sind, uns zu lieben, Heirate mich." Oh, Stone, was ist, wenn du dich irrst? Wenn wir uns gegenseitig das Herz brechen?" "Niemand, der es so weit gebracht hat wie du, kann das glauben. Sag ja, Jordan." "Ja!"
13. KAPITEL Hocherhobenen Kopfes verließ Jordan das Büro des Direktors. Morris Fields oder sonstwer konnten ihr nichts anhaben. Wenige Tage vor der Hochzeit und der größten Umwälzung ihres Lebens wurde ihr mitgeteilt, daß sie in dieser Woche erneut die Nachsitzer zu beaufsichtigen hatte. Das war offenbar eine Art Bestrafung dafür, daß sie wegen ihrer Erkältung ein paar Tage gefehlt hatte. Aber sie hatte sich nichts anmerken lassen. Nicht daß sie um ihren Arbeitsplatz bangte, irgendeinen neuen Job würde sie schon finden, schließlich war sie eine gute Lehrerin. Aber Kristen und Ridge brauchten ihren Schutz, und die durfte sie nicht diesen Haien ausliefern. In der Stadt kursierten Gerüchte. Die Bibliothekarin wies Kristen auf Broschüren über Empfängnisverhütung hin. "Du wurdest zu Hause sicher nicht gut beraten", bemerkte die alte Jungfer spitz. Kristen war schockiert. "Die glauben alle, Ridge und ich schlafen miteinander!" empörte sie sich. Sie waren nach Tyler gefahren, um Vorhangstoff für ihr neues Zimmer zu besorgen. "Wenn ich noch mit Jack zusammen wäre, würde niemand was sagen. So, als hätte der ein Recht auf mich!" "Vielleicht glauben die Leute das", meinte Jordan. "Jack hat eine Position wie einer der Lieblingsgladiatoren im alten Rom,
dem man dadurch Verehrung erweist, daß man ihm eine der vestalischen Jungfrauen überlässt, in diesem Fall dich." Kristen hatte verlegen gelacht, obgleich sie die Vorstellung interessant fand. "Aber wo steht Ridge bei alldem?" "Er sieht" vielleicht die andere Hälfte in dir, die verborgene, geheimnisvolle." "Meinst du, Onkel Stone kennt die bei dir?" Jordan lächelte. "Nein, aber er hat, eine Ahnung davon. Frauen sind sehr komplexe Wesen. Mich haben Ungerechtigkeit und Grausamkeit beinahe zerstört. Ich vertraute naiv dem freundlichen Augenschein, der in Wirklichkeit Bitterkeit enthielt. Wenn ich dir etwas mit auf den Weg geben kann, Kristen, dann folgendes: Gib dich nie auf, und vertrau nur dir selbst." Kristen umarmte Jordan. "Auf jemanden wie dich habe ich mein ganzes Leben gewartet", flüsterte sie. "Es ist mir egal, was sonst passiert. Ich weiß, daß wir alle zusammen glücklich sein werden." Dank einiger Kirchenmitglieder aus der Geme inde des Reverends wurde Ridge aus dem Lebensmittelladen entlassen, in dem er jobbte. Dabei brauchte er das Geld dringend, um seiner Mutter zu helfen. Stone hatte jedoch eine Idee. Er riet Ridge, sich an das ,Mount Liberty Journal' zu wenden. Der Angestellte, der regelmäßig die Wildwartberichte schrieb, war zu einer größeren Zeitung abgewandert. Der Verleger Saul Houston hatte sich schon wegen eines Nachfolgers an die Schule wenden wollen, aber Jordan legte ihm Arbeitsproben von Ridge vor, und Saul stellte ihn sofort ein. So begann Ridge, Artikel für das .Journal' zu schreiben. Am Wochenende halfen alle, den Umzug vorzubereiten. Am Montag, fünf Tage vor der Hochzeit, ahnte Jordan, kaum hatte sie die Klasse betreten, daß Unheil drohte. Jack Nolans
Anhänger umringten angriffslustig den Schreibtisch von Kristen und Ridge. "Los, ihr Lehrerlieblinge, wann heiratet ihr nun? Wir fragen ja gar nicht nach den Flitterwochen oder so." "Die brauchen sie nicht mehr", meinte ein anderer, "alles, was da passieren kann, ist ja schon passiert." Als Jordan sich laut räusperte, hielten alle erschrocken inne. "Wenn ihr mit eurer Theaterszene fertig seid, können wir vielleicht anfangen?" Kichernd gingen alle an ihre Plätze. Dann meldeten sich mehrere, sie müßten zum Arzt. "Ach, und was habt ihr?" fragte Jordan. "Morgendliche Übelkeit", erklärten sie frech. Jordan bewahrte die Fassung. Kristen und Ridge schäumten vor Wut. "Ich hoffe, ihr habt euch nicht die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, um euch einen so müden Witz auszudenken", bemerkte Jordan kühl. "Falls ihr kein Sportstipendium bekommt, könnt ihr ja immer noch als Komiker auftreten. Nur, werdet ihr den Schulabschluß schaffen? Das ist hier die Frage", meinte sie süßlich lächelnd. Im Raum wurde es ganz still. "Drohen Sie uns etwa, Miss Mills?" fragte Jack Nolan kampflustig. "Nein, Mr. Nolan. Ich erklärte nur, was ich von euch erwarte. Wenn ihr damit Probleme habt, können wir es gern nach der Schule weiterdiskutieren. Ach ja, und euer größter Alptraum wird wahr. Ich überwache erneut die Nachsitzer." Der restliche Unterricht verlief bis auf wenige Bemerkungen störungsfrei. Danach eilten Kristen und Ridge zu Jordan. "Diese widerlichen Kerle!" empörte sich Kristen. "Sie sind eben jung", meinte Jordan. "Wie können wir es am Freitag nur bis um fünf zur Trauung schaffen, wenn du die Nachsitzer betreust? Sollen wir die Trauung verlegen?"
"Nein. Ich habe mit Bess Flynn geredet, sie vertritt mich. Aber bitte kein Wort zu irgendwem!" Am Freitag nachmittag stand Stone nervös vor Jordans Haus. Trotz der milden Temperatur schwitzte er. Niemand war da, dabei war es schon kurz nach drei! Hatte Jordan es sich anders überlegt? Er würde es ihr nicht mal verdenken. In den letzten beiden Wochen war er ihr keine große Hilfe gewesen, da er dauernd auf Achse hatte sein müssen. Als der weiße und der rote Wagen endlich auftauchten, atmete er tief durch. Alle waren aufgeregt. Stone hatte nur Augen für Jordan und beugte sich zu ihr, um sie zu küssen. "Ich dachte schon, du würdest mich versetzen", raunte er. "Schön zu wissen, daß dich das beunruhigt hat." Sie lächelte. "Gib mir zwei Minuten, ich bin gleich wieder da." Als sie kurz darauf mit Kristen aus dem Haus kam, waren beide in bester Stimmung, ihre Kleidung jedoch eher schlicht als festlich. Stone war noch in Khakiuniform mit Schlips und Filzhut. Die jungen Leute trugen Schuluniformen, nur Jordan hatte ein seidenes Kostüm an. "Ich bin nervös wie ein Fallschirmspringer", bekannte Stone unterwegs. "Du wirst es schon überstehen, Onkel Stone." Seitdem sie beschlossen hatten, nach der Hochzeit zu Jordan zu ziehen, war Kristen wie umgewandelt. "Wir haben deinen Text gelernt für den Fall, daß du Nachhilfe brauchst." Stone wollte vor allem darum beten, daß das Schicksal ihm keinen Schlag verpassen würde. "Noch ist Zeit", sagte Jordan, die ihn beobachtet hatte. Er nahm ihre Hand. Eine Stunde später standen sie vor dem Friedensrichter, einem freundlichen kleinen Mann, der die Zeremonie nicht in die Länge zog. Als Stone Jordan den Ring überstreifte, zitterte sie. Er nahm sie fest in die Arme und küßte sie, bis der Richter
sich diskret räusperte und dann in seiner Ansprache fortfuhr. Kristen sagte hinterher scherzhaft "Tante Jordan" zu ihr und reichte ihr einen Strauß champagnerfarbener Rosen, den Stone heimlich besorgt hatte. Anschließend gingen sie essen und kamen erst spätabends wieder zurück. Stone drängte es, mit Jordan allein zu sein, sie aber schien das verhindern zu wollen, und schlug Kristen vor, doch schon im Haus zu übernachten. "Nein, Mrs. Tucker erwartet mich. Ich komme morgen", erklärte das Mädchen. "Dann können wir Ridge und seiner Familie beim Umzug helfen." Kristen hatte, sobald sie hörte, daß Mrs. Biggs die Scheidung eingereicht hatte, vorgeschlagen, das Haus für eine bescheidene Miete an Familie Biggs zu vermieten. Stone war stolz auf seine Nichte. Sie hatte eine menschlich reife Entscheidung getroffen. Nachdem sie schließlich gegangen waren, fragte Jordan, wieso er diese Rosenfarbe gewählt habe. "Wegen deiner porzellanfarbenen Haut, wegen des Lichts in deinem Haar bei Mondlicht, wegen deines sonnigen Lächelns und der hellen Laken, auf die ich dich das erste Mal bettete." Im dämmerigen Licht wirkte der Raum beinahe romantisch. Erwartung lag in der Luft. "Bist du nervös?" fragte er leise. "Eher aufgeregt. Ich fühle mich, als hätte mich ein Tornado abgesetzt und als müsse ich mich erst wieder sammeln. Und ich möchte dich nicht enttäuschen." Stone zog Jordan in die Arme und drückte sie fest an sich, um ihr zu zeigen, daß sie keinerlei Grund zur Sorge hatte. Dann löste er ihr Haar, so daß es wie ein seidiger Fächer auf dem Rücken lag. "Gehen wir nach oben?" fragte er und küßte sie immer wieder. "Ich träume davon, die ganze Nacht mit dir zu verbringen und gemeinsam mit dir zu frühstücken." "Meinst du, wir kommen dazu zu frühstücken?" neckte sie ihn.
Im Schlafzimmer zog Stone Jordan auf seinen Schoß und begann mit großer Zärtlichkeit, sie überall zu liebkosen. Sie zogen sich gegenseitig aus. Als er ihren Atem an seinem nackten Bauch spürte, zog er sie hoch und flüsterte: "Sie haben schon Ihr Dessert gehabt, Mrs. Demarest, jetzt bin ich dran."
14. KAPITEL Trotz aller Umstellung fand Jordan es himmlisch, verheiratet zu sein. Sie liebte es, nach Hause zu kommen und dort Stimmen und Gelächter zu hören. Die laute Musik gefiel ihr sogar manchmal, ebenso die vielen Fragen und Entscheidungen, die zu fällen waren. Stone schien es ähnlich zu gehen. Er versuchte nach Möglichkeit, nicht allzu spät von der Arbeit zu kommen, um Jordan noch wach anzutreffen. Wenn er das nicht schaffte, spürte sie im Halbschlaf, wie er sich mit seinem kräftigen Körper an sie kuschelte. Auch Kristen schien aufzublühen. Ihr Verhältnis zu Stone hatte sich enorm gebessert. Ridge kam, sooft seine Arbeit bei der Zeitung es ihm erlaubte und er nicht zu Hause gebraucht wurde. Jordan und Stone hatten Georgia Biggs bei der Scheidung, dem Umzug in Kristens Haus und dem Antrag auf die Sozialhilfe geholfen. Georgia hatte ein preiswertes gebrauchtes Auto gefunden, und ihr Leben hatte neue Würde gewonnen. Und Jordans Haus entwickelte sich zu einer Art literarischem Salon, in dem über Kunst und Bücher debattiert wurde. Am meisten genoß Stone die Nächte mit Jordan. Wenn sie sich geliebt hatten, lagen sie umarmt da und erzählten sich die Neuigkeiten des Tages oder sprachen über Persönliches, Vergangenes. Seine Eltern waren wundervoll gewesen, von ihnen hatte er die Liebe zur Natur geerbt und war in seiner
Ausbildung gefördert worden. Erst als sie, zusammen mit Kristens Mutter, bei einem Autounfall getötet wurden, erlebte er den ersten schweren Schicksalsschlag. Der zweite war der Tod von Tracy und Billie Ann und hatte dazu geführt, daß er sich innerlich verhärtete und seinen Spitznamen bekam. Jordan hoffte, daß er sich durch ihre Liebe mit der Zeit wieder öffnen und das Baby sie tiefer aneinander binden würde. Trotz aller Aufgaben und Zeitnot schafften sie es, ihr Leben harmonisch zu gestalten. Nur die Außenwelt störte. Es fielen gehässige Bemerkungen über ihre Heirat, und Jordan wurde durch Morris Fields immer wieder mit unbequemen Zeitplänen und schulischen Bestimmungen konfrontiert. So begann sie, sich bei anderen Schulen zu bewerben. Und auch Stone wurde angegriffen und mit anonymen Drohanrufen belästigt. Zornig über einen Vater, der sich des Notrufs bediente und sich dann nur über die schlechten Zensuren seines Sohnes beklagte, verhaftete Stone den Mann kurzerhand wegen Mißbrauchs einer amtlichen Einrichtung. Sheriff Spradlin war ratlos und riet zur Geduld. Auch die Schüler verhielten sich aufsässig. In der Thanksgiving-Woche mußten sieben Mitglieder des Footballteams nachsitzen, drei drohten sitzen zubleiben. Bo und Jack Nolan gehörten dazu. Mr. Spradlin erklärte, daß, wenn diese Situation eskalierte, die Kleinstadt einen Aufruhr zu erwarten habe. Jordan wurde von Nolan senior an der Tankstelle angebrüllt, und Stone konnte mit Müh und Not von Kristen und Jordan daran gehindert werden, den Bürgermeister zusammenzuschlagen. Zwei Tage vor Thanksgiving brachte ein eisiger Wind aus Kanada einen schweren Sturm mit Eis und Schnee. Es gab schulfrei. Jordan machte sich Sorgen um Stone, der bei dem Wetter ständig unterwegs war. Er genoß ihre Fürsorge, versuchte aber auch begreiflich zu machen, daß die Notrufe es
erforderlich machten. Schon nachts waren sie kaum zur Ruhe gekommen. Stone montierte Schneeketten und legte Äxte, Schaufeln und Sandsäcke bereit, falls sich trotz aller Warnungen doch einer nach draußen wagte. Jordans leidenschaftlicher Kuß machte es ihm schwer zu gehen. "Meine Güte, Schatz, du bist die Versuchung schlechthin!" stöhnte er. "Sobald ich zurückkomme ..." "Ich nehme dich beim Wort." Jordan gab ihm heißen Kaffee und Brote mit, und Stone streichelte mit liebevoller Hingabe ihren runden Bauch." "Ob das Football-Spiel wohl abgesagt wird?" fragte Kristen. "Das wäre himmlische Gerechtigkeit", murmelte Jordan. Billiger wäre es auch. Die Temperaturen sollten am Wochenende unter Null bleiben, und wenn man an die Unfälle dachte, die es dann gibt! "Bist du zum Essen zurück?" fragte Jordan, die Stone zur Tür begleitete. "Schöner Gedanke, aber ich kann nichts versprechen." . Er sah so männlich-schön aus, daß Jordans Augen sich plötzlich mit Tränen füllten. "Hey, was ist?" fragte er und strich ihr übers Haar. "Ach, nichts." Sie klammerte sich eng an ihn. "Versprich mir, besonders vorsichtig zu sein, ja?" Jordan machte sich große Sorgen um ihre frischgebackenen Ehemann. "Du genauso", sagte er zärtlich. Nachdem er gegangen war, fragte Kristen ängstlich: "Ist alles in Ordnung mit dir?" Jordan bemühte sich zu lächeln und ihre eigenen Vorahnungen zu verdrängen. Es gab genug zu tun. Zu Thanksgiving würden Ridge und seine Familie kommen, dazu Mrs. Tucker und Saul Houston, der als Junggeselle lebte und Ridge sehr förderte. "Wie sollen die bei dem Wetter nur herkommen?" fragte Kristen sich.
"Wenn es nicht anders geht, holt Stone sie mit dem Geländewagen ab." Wenige Stunden später tauchte Ridge auf, mit frischgebackenem Karottenkuchen von Mrs. Tucker und Kartoffelauflauf von Georgia Biggs. Er wurde gleich dazu aufgefordert, bei den Essensvorbereitungen zu helfen. Als Stone später zurückkam, erzählte er von seinem Tag. Ein Wagen war von der Straße abgekommen und in einen See gerutscht. "Zum Glück war ich direkt hinter ihm und konnte den Fahrer rechtzeitig herausziehen." Als er sie in die Arme nahm, spürte Jordan, daß er mehr als nur einen Kuß wollte. Aber in dem Moment hörten sie Kristen draußen rufen: "Onkel Stone, komm schnell! Ein Wagen ist in der Kurve verunglückt, wir glauben, es ist Mrs. Nolan!"
15. KAPITEL Jordan benachrichtigte die Polizei. Stone zog seine Jacke über und lief nach draußen, Jordan eilte ihm hinterher. Wie konnte Mrs. Nolan sich bei solchem Wetter - nur auf die Straße trauen, zumal sie inzwischen hochschwanger war! Jordan lief zur Kreuzung. Als sie Oben ankam, waren Schuhe und Strümpfe schon durchnäßt, sie selbst war völlig außer Atem. Mrs. Nolans Wagen war in die Büsche gerutscht und hing dort wie am seidenen Faden über einem Abgrund. Ihr blondes Haar war zu sehen, aber sie rührte sich nicht. "Stone, was ist, wenn sie Wehen bekommt? Oder gar nicht mehr atmet?" fragte Jordan besorgt. Plötzlich hörten sie einen Jungen um Hilfe schreien. "Das ist Jeffrey!" rief Kristen. Der Wagen bewegte sich leicht, die Äste knackten. Der Junge drinnen schrie lauter. "Kristen, lauf hinüber und sag ihm, er soll sich still verhalten! " rief Stone. Zusammen mit Ridge rannte er zu seinem Truck. "Wir können nicht auf die Feuerwehr warten. Bei dem Wetter brauchen die ewig!" Als Jordan sah, was sie vorhatten, rief sie ängstlich: "Das geht doch nicht, ihr seid zu schwer!" "Das ist mein Job", erklärte Stone, "aber du kannst mir etwas mit auf den Weg geben: Sag mir, daß du mich liebst."
In seinem Blick lag so viel Gefühl, daß Jordan beinahe schwindelig wurde. "Stone, du liebst mich?" "Du hast es also begriffen." "Seit wann?" "Schon lange. Vielleicht seit der ersten Nacht. Und wenn ich nachher zurückkomme", er wies zu dem verunglückten Wagen hinüber, "möchte ich nichts lieber, als dasselbe von dir zu hören." "Ich liebe dich auch", flüsterte sie. "Ja, ich liebe dich." Er küßte sie hastig, dann ging er, Ridge kletterte schon mit einem Seil an einem kräftigen Baum neben der Unfallstelle hoch. Als Jeffrey Nolan wieder um Hilfe schrie und zappelte, geriet der Wagen erneut in Gefahr abzustürzen. Ridge redete auf ihn ein, bis er ruhig war. Mrs. Nolan blutete an der Stirn, schien aber nur betäubt zu sein. Stone und Ridge wanden eilig das Seil um den Baum und um ihre Taille. Würden sie gemeinsam stark genug sein, das Auto hochzuziehen? Die Fahrertür öffnete sich. "Stone! Helfen Sie mir, das Baby kommt!" schrie die Frau. "Ganz ruhig, Mrs. Nolan, bitte vermeiden Sie jede abrupte Bewegung!" Jeffrey geriet erneut in Panik, als nun der Streifenwagen mit Sirenengeheul heranbrauste. Sheriff Spradlin packte sofort mit an. Bürgermeister Nolan war mitgekommen und kreidebleich. Allmählich dunkelte es, und die Temperaturen sanken. Als Ridge, der Jeffrey vorsichtig aus dem Auto herausgezogen hatte, vom Baum herunterkletterte, machte der Sheriff Nolan darauf aufmerksam, wer da sein Leben für seine Familie riskiert hatte. Der Bürgermeister antwortete nicht, aber sobald Ridge unten war, nahm er glücklich seinen Sohn in Empfang. Die Leute von der Feuerwehr, die inzwischen auch eingetroffen waren, klopften dem Jungen begeistert auf den Rücken.
Stone versuchte nun, Mrs. Nolan aus dem Wrack zu befreien und ein Seil unter ihren Armen zu befestigen. Doch plötzlich rutschte der Wagen tiefer, und Mrs. Nolan hing hilflos in der Luft und schrie. Stone war auf dem glatten Untergrund gestürzt und versuchte, sich an den vereisten, knackenden Zweigen festzuhalten. "Nein!" schrie Jordan und rannte zu ihm hin. Die Feuerwehrleute hatten Mrs. Nolan herausgezogen und legten sie auf eine Trage. "Stone, bitte ..." Auf allen vieren kroch Jordan zu ihm hin. Und sie war selig, als er die Augen öffnete. Er fluchte: "Die verdammte Tür!" Jordan lachte und weinte gleichzeitig und half Stone, sich aufzusetzen. Er hatte sich nichts gebrochen, blutete aber im Gesicht. "Wenn ich in Zukunft nicht vorsichtiger bin", scherzte er, "bist du bald mit Frankensteins Monster verheiratet." Zwei Sanitäter kümmerten sich um ihn. Mrs. Nolan wurde in einen Krankenwagen geschoben. Ihr Mann war sichtlich mitgenommen, .."Sie haben wenig Grund, mit mir zu reden, aber ich möchte Ihnen danken für das, was Sie für meine Frau und meinen Sohn getan haben", sagte er zu Stone. "Es war gut, daß wir zur Stelle waren, als wir gebraucht wurden", erwiderte der sachlich. "Bitte richten Sie auch dem jungen Biggs meinen Dank aus." "Sein Name ist Ridge, und er steht direkt hinter Ihnen." Der Bürgermeister drehte sich zu Ridge und Kristen um und streckte die Hand aus. "Vielen Dank für alles." Dann fuhr er dem Krankenwagen hinterher. Jordan schaute ihm nach. "Ob die Dinge sich ändern werden?" murmelte sie. "Wir haben bald Weihnachten, da könnten wir es uns wünschen", meinte Stone und drückte sie an sich. Seine mutige Tat brachte Stone noch einmal neun Stiche ein. Saul Houston rief an und berichtete, daß Megan Nolan ein Mädchen geboren und darauf bestanden habe, es Jordana Kristen zu taufen.
Thanksgiving war ziemlich aufregend. Wegen Stones Verletzungen übernahm ein Kollege seinen Dienst. Als Gäste kamen Familie Biggs, Saul sowie Mrs. Tucker. Jack Nolan hatte wunderbare Blumen schicken lassen, und Ralph Spradlin brachte eine Torte sowie eine Flasche Whisky, die gleich angebrochen wurde. Saul bot die schönste Überraschung: Er hatte beschlossen, Ridge die Ausbildung zu finanzieren. Als Jordan am Montag zusammen mit Kristen und Ridge die Schule betrat, gab es donnernden Applaus von Mitschülern, die im Flur Spalier standen. Und Jack Nolan trat vor und bot Ridge die Hand. "Schon gut, schon gut", dämpfte Morris Fields lächelnd die Begeisterung. "Es sind noch keine Weihnachstferien, und wir haben noch viel zu tun." Abends, in Stones Armen, meinte Jordan: "Stell dir vor, die grantige Mrs. Graves hat mir heute nachmittag selbstgebackenes Brot für die Biggs mitgegeben. Sie sei durch den Artikel von Saul über die Familie von Ridge zu Tränen gerührt gewesen. Dabei wußte sie doch schon vorher genau über sie Bescheid." "Na ja", Stone küßte ihre Stirn, "solange etwas Gutes dabei herauskommt." Jordan wollte das "alte Krokodil" nicht so leicht davonkommen lassen, war aber durch Stones Liebkosungen zu milde gestimmt. "Alles wird gut werden, weißt du, einfach wunderbar." Er beugte sich hinab, um ihre hart gewordenen Brustspitzen zu liebkosen. "Ich glaube, seitdem du schwanger bist, bist du empfindsamer denn je. Übrigens: Sonst träume ich nie, aber vergangene Nacht habe ich von einem Sohn geträumt." Seihe Augen strählten. "Er wird groß sein wie ich und blond und schön wie du. Und weißt du, wie er heißt?" "Er hat dir seinen Namen gesagt?" "Ja, Blue."
"Na hör mal, du hast dir bei dem Sturz vom Baum wohl eine Gehirnerschütterung zugezogen. Ich würde meinem Kind nie einen so albernen Namen geben." Aber Jordans Gedanken wurden bald abgelenkt durch die tiefe Zärtlichkeit und das heiße Begehren, das in Stones eisblauen Augen zu lesen war. So brachte sie nur noch heraus: "In jedem Fall werde ich ihn lieben." "Mich auch?" fragte Stone. "Natürlich. Von ganzem Herzen." "Dann wird Blue ein glücklicher Junge." Ihr leises Lachen verging in lustvollen Seufzern und geflüsterten Aufmunterungen. Und eine lange, lange Zeit kam keiner von beiden auf die Idee, das Licht zu löschen.
-ENDE