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Mr.BRONX FRANK REYNOLDS New York Detective
Eine Falle für Phil Stuart Der Captain wird das Opfer eines miesen Kompl...
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Mr.BRONX FRANK REYNOLDS New York Detective
Eine Falle für Phil Stuart Der Captain wird das Opfer eines miesen Komplotts aber dann schaltet sich Frank Reynolds ein...
Ein Krimi von Alfred Wallon
New York ist ein Schmelztiegel unterschiedlicher Rassen. Nirgendwo sind die Gegensätze zwischen Reich und Arm größer als in dieser Millionenstadt. Du gehst die Fifth Avenue entlang, vorbei an großen Schaufenstern, wo die Verlockung nur so winkt. Vorausgesetzt natürlich, dass deine Kreditkarte entsprechend seriös ist und du einen Job hast, der dir auch etwas einbringt. Dann kannst du ohne großes Nachdenken kaufen, was dein Herz begehrt. Egal, ob es Schuhe von Gucci sind oder ein Armband von Cartier ist – all diese Segnungen der westlichen Zivilisation sind greifbar nahe für dich. Alles was dich davon trennt, ist deine Kreditkarte, die du der netten Verkäuferin gibst. Aber schon in der nächsten Seitenstraße erwartet dich eine andere Welt. Du begreifst, dass du die gleißenden Lichter der Einkaufstempel hinter dir gelassen und eine Welt betreten hast, die du eigentlich gar nicht sehen willst. Aber du kannst die Augen nicht vor der Wirklichkeit verschließen und siehst die Entwurzelten und Gestrandeten, die sich in Gangs zusammenschließen und versuchen, irgendwie durchzukommen. Die Hemmschwelle derer, die nicht das Privileg haben, auf eine Schule gehen und etwas lernen zu können, sinkt von Tag zu Tag immer mehr. Die Zeitungen sind voll von unzähligen Gewalttaten und Verbrechen – und es wird immer schlimmer. Nachts hörst du pausenlos die auf- und abschwellenden Polizeisirenen in den Straßenschluchten heulen. Und es fallen immer wieder Schüsse. Du begreifst, dass dich dieser Sumpf fest in seinen Klauen hält und du ihm nur entkommen kannst, wenn du Geld und Einfluss hast. Nur dann schaffst du es, aus der Bronx oder aus Harlem zu entkommen und kannst ein neues Leben beginnen. Aber selbst dann bist du nicht sicher, dass dich die Schatten deiner eigenen Vergangenheit nicht eines Tages doch noch einholen. Ich weiß nicht, warum ich es in diesem Moloch New York überhaupt noch aushalte. Vielleicht habe ich mich schon zu sehr gewöhnt an diese Stadt, die so einzigartig und gefährlich ist wie kaum eine andere. Vielleicht brauche ich den Lärm und die Hektik, die
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mich pausenlos umgeben und mich selbst im Schlaf noch verfolgen. Aber es wäre nicht das erste mal, dass ich mitten in der Nacht aufwache, weil sich zwei rivalisierende Straßengangs drüben an der Ecke einen blutigen Kampf liefern. Einen Kampf, bei dem es Tote gibt. Das wird dann am nächsten Tag in den Gazetten stehen, und die Politiker werden sich wieder die Köpfe darüber zerbrechen, warum sie das Problem mit den Jugendlichen einfach nicht in den Griff bekommen. Aber sie haben sich schon zu weit von der Wirklichkeit entfernt, denn sie wissen nichts über die Sorgen der Jugendlichen in den Ghettos. Mein Name ist Frank Reynolds. Ich bin Privatdetektiv. Ich kümmere mich um Dinge, die anderen Leuten manchmal den Schlaf rauben. Es gibt Menschen, die mich als Schnüffler bezeichnen, weil meine Methoden nicht immer ganz legal sind. Aber sie führen zum Erfolg – und das ist wichtig. Jedes Verbrechen, das in New York aufgeklärt werden kann, ist eine Erleichterung. Zumindest sehe ich das so, sonst hätte ich in dieser Branche schon längst die Flinte ins Korn geworfen. Dies sind meine Aufzeichnungen. Fälle, an die ich auch heute noch denke und mir auch gleichzeitig vor Augen halte, dass mein Schutzengel verdammt viel zu tun hat. Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass ich immer noch auf ihn zählen kann...
seinen Alleingang. Und dabei hatte alles so gut geklappt! Das Heroin, das er von Morrison bekommen hatte, hatte er einfach ein bisschen mit Zucker und Strychnin gestreckt. Er wollte sich ein paar zusätzliche Dollar verdienen, und nun waren zwei Fixer daran gestorben. Morrison hatte natürlich sofort davon Wind bekommen. In der Bronx gab es nichts, was der Boss nicht wusste. Das hätte Robert Bailey eigentlich ahnen müssen. Trotzdem hatte er dem Befehl Folge geleistet, zum Treffpunkt an die Breakdance-Schule zu kommen. Und nun stellten sie ihn zur Rede. „Man pfuscht mir nur einmal ins Geschäft, Bailey!“ sagte der weißhaarige Mann zu dem Dealer. „Ein zweites Mal gibt es nicht. Pech für dich.“ Bailey wurde bleich, als sich die beiden Muskelprotze anschickten, auf ihn loszugehen. Er taumelte zurück und fasste gleichzeitig mit der Rechten in seine Jackentasche, wo er seinen Smith & Wesson verborgen hielt. Sie hatten ihn nicht nach Waffen abgesucht, das war nun seine Chance. Blitzschnell zog er den Revolver hervor, während sich die beiden Gorillas auf ihn stürzten. Sekunden später fielen zwei Schüsse, deren Echo an den feuchten
„Bailey, du gottverdammter Narr!“ Die raue Stimme Morrisons und der mitleidlose Blick seiner eiskalten Augen ließen den aschblonden Dealer zusammenzucken. Ängstlich senkte Bailey den Kopf und starrte mit regloser Miene auf den schmutzigen Fußboden. „Was hast du dir nur dabei gedacht, du dussliger Kerl?“ schimpfte Clay Morrison weiter auf Bailey ein. „Du bist so dumm, dass dich die Schweine beißen. Streckt der doch einfach den Stoff, den ich ihm gebe, und zwei unserer Kunden geh’n beim Spritzen drauf!“ Morrison warf den beiden muskulösen Gestalten, die neben ihm standen, einen eindeutigen Blick zu. „Taylor, Simpson, was sagt ihr dazu?“ fragte er. Einer seiner beiden Leibwächter räusperte sich kurz. Er lächelte, aber seine Augen blieben eiskalt. „Wir können uns so ‘ne Panne einfach nicht leisten, Mr. Morrison“, erwiderte er. „Das Geschäft ging bisher ganz gut, aber so was spricht sich ziemlich schnell rum. Ist nicht gut für die Branche, wenn man sich da behaupten will, oder?“ Robert Bailey wusste, was auf ihn zukam. Jetzt bekam er die Quittung für
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„Es ist alles ruhig“, murmelte Scotty Barber, der sich nur schwer in dem dunklen Treppenhaus zurechtfand. Aus Angst wagten sie nicht, das Licht einzuschalten. Die Tür zu den Kellerräumen stand einen Spaltbreit offen. Ein schwacher Lichtstrahl fiel auf den Flur hinaus. Ben hörte gedämpfte Stimmen, die sich etwas zuflüsterten. „Und jetzt rufe ich Stuart, diesen Bullen an“, sagte eine Stimme, die Ben Cairn irgendwie bekannt vorkam. „Er soll endlich dafür büßen, dass er meinen Bruder vor fünf Monaten aufs Kreuz gelegt hat.“ Der Junge riskierte einen kurzen Blick durch den schmalen Türspalt. Was er sah, ließ ihn kreidebleich werden. Zwei Männer beugten sich über eine Gestalt, die auf dem Boden lag und vor Schmerzen stöhnte. Ein vierter Mann stand hinter einem Schreibtisch und wählte eine Nummer. Morrison, wollte Ben Cairn aufgeregt rufen, als er den Leiter der BreakdanceSchule erkannte, aber er konnte sich noch im letzten Augenblick zurückhalten. Was zum Teufel tat Clay Morrison hier im Keller? Und wer war der Mann auf dem Boden? Erschrocken riss er den Kopf herum, als Scotty heftig zu niesen begann. In der Stille des Treppenhauses klang es wie eine Explosion. „Weg hier!“ rief Blake und drehte sich hastig auf dem Absatz herum. Die anderen beiden folgten ihm. Sie stolperten die Treppenstufen hinauf, so schnell sie konnten, während unten aus dem Keller leise Flüche erklangen. Die drei Farbigen erreichten in Sekundenschnelle die Tür ins Freie. Sie hasteten über die Straße zu einem anderen Häuserblock, wo sie ein Stück weiter in einer schmalen Seitenstraße verschwanden. Die beiden Männer, die ihnen nachliefen, bekamen sie nicht mehr zu fassen. „Scheinen herumstreunende Jugendliche
Kellerwänden widerhallte. * Ben Cairn riss den Kopf herum. Der junge Farbige, der sich mit seinen Freunden gerade zum Aufbruch rüstete, verharrte auf der Stelle. „Da hat doch jemand geschossen!“ entfuhr es ihm. „Ich hab’s auch gehört, Ben“, sagte Scotty Barber. „Scheint aus einem der unteren Stockwerke zu kommen.“ „Da wohnt doch niemand“, meldete sich Blake Winfield, der Dritte im Bunde, zu Wort. „Ihr müsst euch getäuscht haben. Da unten gibt’s nichts anderes als Ratten.“ „Red keinen Unsinn, Blake“, sagte Cairn, und Barber nickte. „Scotty hat’s auch gehört, und ich sag’ dir, da war was. Wir müssen nachsehen. Schließlich ist das hier unsere Schule, oder?“ Ben Cairn und seine Freunde stammten aus Harlem, einem der ärmsten Viertel von New York. Alles, was sie hatten, war ihre Musik. Breakdance und Rap hießen die Schlagworte. Hier in der Kensington Street in der Bronx hatten sie endlich eine Schule gefunden, die auch Farbige aufnahm. Zweimal in der Woche trafen sie sich abends, um dem Traum näher zu kommen, der sie alle ergriffen hatte: eine Karriere als Breakdancer oder Rapper. Ben, Scotty und Blake waren sogar zum dritten Mal in dieser Woche hier, um zu üben. Clay Morrison, der Leiter der Schule, hatte ihnen gesagt, dass sie alle Talent besäßen, und das ermutigte sie dazu, noch mehr zu arbeiten. „Gehen wir!“ forderte Ben Cairn die anderen auf. „Wenn hier wirklich was passiert ist, dann müssen wir nachschauen und es Mr. Morrison sagen.“ Die drei Jungens verließen den großen Raum, in dem sie vor wenigen Augenblicken noch zu heißen Rhythmen getanzt hatten. Die plötzlichen Schüsse lösten nun Furcht und Besorgnis in ihnen aus. Vorsichtig stiegen sie die ausgetretenen Treppenstufen nach unten. 4
Phil parkte den Wagen und stieg aus. Hohl klangen seine Schritte auf dem Kopfsteinpflaster, als er sich dem betreffenden Haus näherte. Eine fette Ratte, die sich neben einer überquellenden Mülltonne verborgen gehalten hatte, rannte davon, als Phil näher kam. Auf einem vergilbten Schild las Phil, dass sich hier die Breakdance-Schule befand. Bevor er auf den Eingang zuhielt, zog er seinen Dienstrevolver aus dem Schulterhalfter. Wenn jemand im Hinterhalt lauerte, dann war er wenigstens gewappnet. Stuart betrat das Haus. Der Flur lag im Halbdunkel. Feuchte Stufen führten nach unten, wahrscheinlich in den Keller. Von dort vernahm der Captain jetzt ein leises Stöhnen. Er hastete vorwärts, so schnell es sein massiger Körper zuließ. Die Tür zum Keller stand sperrangelweit offen, und Phil stürmte mit vorgehaltener Waffe hinein. Er sah einen Mann auf dem Boden und hörte ihn röcheln. „Bailey“, murmelte Stuart und ließ die Waffe sinken. Er beugte sich über ihn und stellte fest, dass man dem Burschen ganz schön zugesetzt hatte. Er hatte im ganzen Gesicht tiefe Platzwunden. Der Verletzte blickte den Captain aus großen Augen an. Seine Lippen zuckten. Er wollte Phil irgendetwas mitteilen, aber die Schmerzen nahmen ihm jede Kraft zum Sprechen. Im gleichen Augenblick vernahm Phil hinter sich ein leises Geräusch. Bevor er jedoch zur Seite springen konnte, traf ihn etwas mit voller Wucht am Hinterkopf. Vor seinen Augen explodierte die Welt in einem Meer aus Farben, und er stürzte polternd zu Boden.
gewesen zu sein“, meinte Taylor zu Clay Morrison, während er seine Waffe wieder im Schulterhalfter verstaute. „Auf und davon sind die Burschen. Haben’s wohl mit der Angst zu tun bekommen.“ „Hoffentlich“, erwiderte der Weißhaarige und starrte mit sorgenvoller Miene zur Decke, über der sich seine BreakdanceSchule befand. „Weshalb musste dieser blöde Bailey auch zu schießen anfangen? Na, egal. Er wird sowieso bald das Zeitliche segnen. Ich habe gerade Stuart angerufen. Der Bulle ist schon unterwegs. Geht auf eure Plätze. Es muss alles so klappen, wie ich es haben will.“ * Captain Phil Stuart starrte wütend durch die Windschutzscheibe seines Wagens, während die Scheibenwischer gegen den Regen ankämpften. Er ärgerte sich über den anonymen Anrufer, der ihn kurz vor Dienstschluss noch einmal zum Einsatz gerufen hatte. Der Bursche hatte behauptet, dass es in einer Breakdance-Schule in der Kensington Street eine Schießerei gegeben habe. Einer sei schon tot, außerdem habe ein Mann namens Robert Bailey damit zu tun. Das hatte Phil natürlich gleich auf hundertachtzig gebracht. Bailey war vor über etwa einem Jahr in einen zwielichtigen Mordfall verwickelt gewesen, wo man ihn mangels Beweisen hatte freisprechen müssen. Phil hatte getobt, aber ihm waren damals die Hände gebunden gewesen. Wenn er Bailey aber jetzt auf frischer Tat ertappte, sah die Sache anders aus. Deshalb war er auch sofort losgefahren und hatte erst von unterwegs einen Streifenwagen zur Verstärkung angefordert. Hinter der nächsten Abzweigung begann die Kensington Street. Hier war noch nichts von der gemeldeten Schießerei zu sehen. Die Straße war leer und vom Regen feucht.
„Der schläft erst mal für die nächste Zeit“, murmelte der bullige Taylor, der Phil Stuart im Hintergrund aufgelauert und ihn niedergeschlagen hatte. Er steckte die Waffe zurück in sein Schulterhalfter und grinste seinen Kumpan
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Verstärkung angefordert, bevor er losgefahren ist. Werden die Augen machen, wenn sie ihren Captain neben Bailey finden! Schließlich knallt nicht jeden Tag ein Bulle ‘nen wehrlosen kleinen Dealer ab.“ Taylor lachte rau. Dann gingen die beiden zu ihrem Buick hinüber und stiegen ein. Sekunden später heulte der Motor auf. Das Quietschen der Reifen durchbrach die Stille der Nacht, bevor der Wagen mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Norden davonfuhr.
an, der sich ebenfalls bei Phils Erscheinen verborgen gehalten hatte. „Und jetzt beginnt Teil zwei des Plans“, fuhr er fort. „Wer macht es, du oder ich?“ Simpson zuckte mit den Schultern. „Ist mir gleich, Taylor“, erwiderte er. „Kannst schon vorgehen. Ich übernehme die Sache hier.“ „Gut, aber dann mach es auch gründlich. Jeder soll glauben, dass der Bulle Bailey umgelegt hat, klar?“ Taylor warf dem stöhnenden Bailey einen vernichtenden Blick zu. Der Dealer hatte alles mit angesehen, auch, wie Stuart zusammengeschlagen worden war. „Also Mann, viel Spaß in der Hölle!“ Er lachte, als er das Kellergewölbe verließ. Simpson bückte sich zu Phil Stuart hinunter und griff unter dessen Jackett. Er zog die Dienstwaffe des Captains hervor. Wenn alles vorbei war, würden nur Phils Fingerabdrücke zu finden sein, denn Simpson trug Handschuhe. Nach kurzer Überprüfung richtete er den Lauf der Waffe auf den wehrlosen Bailey. „Nein, Simpson...“ keuchte der Dealer, als er begriff, dass er sterben sollte. „ Um Gottes willen, tu’s nicht...“ Nach diesen letzten Worten donnerte der Schuss los. Die Kugel aus Phil Stuarts Revolver verfehlte ihr Ziel nicht. Bailey war sofort tot. Simpson überzeugte sich noch ein letztes Mal davon, dass er gut getroffen hatte, dann beugte er sich über Stuart und drückte ihm die Waffe in die Hand. Es würde nun so aussehen, als wenn der Bulle den Dealer erschossen hätte. Simpson war ein Meister der Täuschung. Sein Boss konnte mit ihm zufrieden sein. Hastig entfernte er sich aus dem Kellergewölbe und ging nach draußen, wo sein Komplize bereits auf ihn wartete. „Alles klar?“ fragte Taylor. Simpson nickte’ „Wie besprochen. Hoffentlich hat niemand die Schüsse gehört. Aber um die Zeit pennt in dieser trüben Ecke sowieso jeder. Komm, machen wir, dass wir wegkommen! Stuart hat bestimmt
* Ben Cairn hatte nicht lockergelassen. Die Breakdance-Schule war sein Ein und Alles. Der Gedanke, dass Clay Morrison in schmutzige Geschäfte verwickelt war, brachte ihn fast an den Rand des Wahnsinns. Es ging um seine Laufbahn als Tänzer, die er sich hier aufbauen wollte. Jetzt schien sie in Gefahr. Deswegen war er auch geblieben und wartete ab, was weiter geschehen würde. Scotty und Blake waren inzwischen auf und davon. Der Farbige hatte den großen, kräftigen Mann ankommen und ins Haus gehen sehen. Augenblicke später war wieder ein Schuss gefallen. Kurz danach kamen die beiden Männer heraus, die Ben schon im Keller gesehen hatte. Er bekam einige Wortfetzen ihres Gesprächs mit, als sie an dem Müllcontainer vorbeigingen, wo sich Ben verborgen hielt. Zum Glück sahen sie ihn nicht. Wer weiß, was sonst geschehen wäre! Nicht lange, nachdem der Buick das Weite gesucht hatte, erklang in der Ferne eine Polizeisirene, die sich rasch näherte. Ben zitterte und fror in seinem Versteck. Die Nässe steckte ihm in den Knochen. Neugierig beobachtete er, wie der Polizeiwagen vor dem Haus der Breakdance-Schule stoppte und zwei Uniformierte ausstiegen. Mit gezogenen Waffen drangen sie in das Haus ein. Endlose Sekunden vergingen, bis einer
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hatte. „Kaum lässt man Mandy mal eine Stunde allein, da kommst du schon und flirtest hinter meinem Rücken mit ihr. Schäm dich, Mensch. So ein alter Knabe wie du!“ Frank brach ab, als er merkte, dass Phil überhaupt nicht zum Scherzen aufgelegt war. Außerdem hatte der Freund eine ziemlich blasse Gesichtsfarbe und machte einen sehr nervösen Eindruck. „Na, nun spuck schon aus, was du auf dem Herzen hast, Phil!“ forderte Frank ihn auf, während er ebenfalls Platz nahm. „Du passt so richtig zu dem Wetter da draußen.“ „Ich bin vom Dienst suspendiert, Frank“, sagte Stuart ernst. Frank blickte ihn an, als wenn der Freund ihm weismachen wollte, er habe eine fliegende Untertasse gesehen. „Du machst einen schlechten Scherz, Phil.“ „Ich wäre froh, wenn’s so wäre, Frank“, antwortete der Captain und sah bekümmert zu Boden. „Aber es ist nun mal die bittere Wahrheit. Ich stecke bis über beide Ohren in der Scheiße, und Attorney Brown hat mich deshalb vorerst freigestellt.“ Frank war sichtlich schockiert. Phil Stuart war ein Mann, dem sein Beruf alles bedeutete, und jetzt hatte man ihn einfach suspendiert! „Was hast du ausgefressen, Phil?“ „Nichts, das ist es ja“, antwortete Stuart kopfschüttelnd. „Gestern Abend bekam ich einen anonymen Anruf im Büro. Ein Mann erzählte mir, dass es in der Bronx ‘ne Schießerei gegeben habe. An für sich nichts Besonderes. Aber da war die Rede von Robert Bailey...“ „Der Dealer, der damals in den Mordfall Cunningham verwickelt war und dir durch die Lappen gegangen ist?“ „Genau der. Das war natürlich die Chance für mich, ihn auf frischer Tat zu ertappen und endlich einzubuchten. Ich fuhr sofort los. Als ich ihn dann gefunden hatte, bekam ich von hinten eins über die Rübe. Ein paar Minuten später war Bailey tot - und zwar erschossen mit meiner
von ihnen hastig zurück gerannt kam. Er riss die Tür des Wagens auf und fingerte an dem Funkgerät herum. Ben spitzte die Ohren und versuchte mitzuhören. Er verstand etwas von „Mord“ und „Captain Stuart hat geschossen...“ Der junge Farbige war völlig verwirrt. Er begriff nicht, was sich da abspielte, aber er hatte genug gesehen. Unbemerkt gelang es ihm, sein Versteck zu verlassen und sich an den dunklen Hausmauern entlang zu schleichen. Der zweite Cop kam jetzt mit dem großen Mann aus der Schule, der kurz davor allein hineingegangen war. Ben sah noch, wie er sich mit beiden Händen den Kopf hielt, und dass der Polizist ihn stützte. * Frank Reynolds stoppte seinen silbergrauen Mercedes CL 600 vor seinem Büro-Apartment in der Washington Avenue. Es war später Nachmittag, und noch immer ließ die Sonne sich nicht blicken. New York lag schon den ganzen Tag über unter einer Wolkendecke. Der Sommer fing ja gut an - verregnet und trübe. Wenn das nur kein schlechtes Omen war! „Du hast Besuch, Frank!“ begrüßte ihn seine reizende Mitarbeiterin Mandy Torrance, als der Detektiv sein Büro betrat. Ihm fiel auf, dass sie diesmal nicht lächelte. „Es ist Phil Stuart.“ „Hat er dich etwa zum Essen eingeladen, oder was könnte er sonst hier wollen?“ scherzte Frank in gewohnter Weise. Er begriff nicht, was Mandy die Laune verdorben hatte und ging in sein Zimmer. Phil hatte sich in einem der beiden Sessel niedergelassen und nickte, als er Frank erblickte. „Hallo, Phil“, begrüßte ihn der Privatdetektiv, der in einschlägigen Kreisen auch Mr.Bronx genannt wurde. Weil er sich in diesem Stadtteil wie in seiner Westentasche auskannte und dort schon so manchen Verbrecher aufgespürt
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irgendwie wichtig erschien. Der tote Dealer war eine Schlüsselfigur. Auf ihn musste er sich vor allem konzentrieren. „Lass mich das mal machen, Phil“, versuchte er seinem alten Freund die Sorgen zu nehmen. „Geh nach Hause – ich rufe dich an, sobald ich etwas weiß...“ Er brauchte Phil nur anzusehen, um zu wissen, dass der Captain am liebsten mitgekommen wäre. Aber sie hatten ihn kalt gestellt und erst einmal aufs Abstellgleis geschoben. Offiziell nannte man diesen Vorgang suspendieren. Und das bei einem verdienten Polizisten wie Phil Stuart...
Waffe, Frank!“ „Das ist ja ein tolles Ding“, erwiderte Reynolds und fuhr sich nachdenklich übers Kinn. „Natürlich hast du es nicht getan, darüber brauchen wir erst gar nicht zu sprechen. Phil, hat er noch gelebt, als du ihn gefunden hattest?“ Der Captain nickte. „Er hat mir sogar noch was sagen wollen, der Bursche. Aber dann bekam ich ja die Mattscheibe. Als ich wieder zu mir kam, waren die beiden Cops schon da. Ich habe Attorney Brown schon alles erklärt. Aber diese Geier von Reporter haben bereits Blut gewittert. Ich sehe jetzt schon die Schlagzeilen. Bulle erschießt Dealer kaltblütig, wird es heißen, und das weiß auch der Alte. Die ganze Sache wird untersucht, und bevor kein Ergebnis feststeht, bin ich nicht im Dienst. Und das nach all den Jahren in diesem Laden.“ Frank konnte mitfühlen, wie es in dem Freund aussah. Kein Zweifel, da versuchte irgendjemand, Phil aufs Kreuz zu legen. Und wie es schien, war es demjenigen auch gelungen. „Hat dich irgendeiner auf dem Kieker, Phil?“ fragte Frank. „Mir ist nicht ganz klar, wer und was dahinter stecken könnte.“ „Jeder Polizist hat Feinde“, erwiderte Stuart. „Brown hat gesagt, dass ich abwarten soll, bis die Sache geklärt ist. Aber ich kann nicht so lange warten. Schließlich geht es um meinen guten Ruf.“ „Vergiss nicht, du bist suspendiert. Wenn du jetzt was auf eigene Faust unternimmst, dann steckst du noch mehr in der Klemme, Phil. Also werde ich mich um die Sache kümmern. Ist doch wohl selbstverständlich, dass ich dir helfe.“ Phil atmete erleichtert auf. Er war sehr froh darüber, dass Frank ihm seine Hilfe anbot, denn dem Detektiv standen Wege und Mittel offen, die für die Polizei fast unmöglich waren. Deshalb raffte Phil sich auf und erzählte Reynolds noch einmal haarklein, wie sich alles abgespielt hatte. Frank hörte schweigend zu und ließ Phil reden. Dabei registrierte er alles, was ihm
* Frank hatte seinen silbergrauen Mercedes in einem bewachten Parkhaus abgestellt und ging die restlichen dreihundert Meter zu Fuß. Dieser Bezirk war zu gefährlich, um den Wagen einfach in einer Seitenstraße zurückzulassen. Damit wäre er geradezu eine Verlockung für Autodiebe gewesen. Franks Ziel war Larry’s Pub, ein Nachtlokal mitten in der Bronx, Ecke Weatherton Street. Frank hatte dort einen Informanten, den er von Zeit zu Zeit aufsuchte, wenn er irgendetwas wissen wollte, das mit der Rauschgiftszene zu tun hatte. Leroy Whitney hatte ihm bis jetzt ganz gute Tipps gegeben. Das erhoffte Frank sich auch jetzt wieder, als er die Straße entlang schlenderte. Eine Prostituierte mit roten Haaren und stark geschminktem Gesicht versuchte, ihn mit ihren nicht mehr vorhandenen Reizen in ihr Bett zu locken, aber Frank schüttelte nur den Kopf und ging weiter. Die Prostituierte rief ihm etwas mit krächzender Stimme nach, was er nicht ganz verstand. Aber das war ihm auch egal. Larry’s Pub sah nicht gerade ansprechend aus, wenn man davor stand. Entsprechend war auch das Publikum. Penner, Säufer, Junkies und Nutten gaben sich hier die Klinke in die Hand.
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ein kleines Spielchen. Kann nicht mehr lange dauern, bis sie fertig sind. Einen Drink einstweilen?“ „Bourbon.“ Barry nickte und griff nach einer Flasche im Regal. Sekunden später schob er Frank den gewünschten Drink hinüber. Reynolds kippte den Bourbon in einem Zug hinunter. Der Alkohol explodierte in seinem Magen und verbreitete dort eine wohltuende Wärme. Gerade richtig bei diesem Hundewetter, dachte Frank. Er konnte von Glück reden, dass es wenigstens nicht mehr geregnet hatte, als er das letzte Stück zu Larry’s Pub zu Fuß gegangen war. Es dauerte nicht lange, bis die Männer aus dem Hinterzimmer erschienen. Frank erkannte Leroy Whitney sofort. Der AfroAmerikaner mit den wulstigen Lippen hatte sich um keine Spur verändert, auch wenn Frank ihn monatelang nicht mehr gesehen hatte. Whitney war ein Bursche, der sich gern wie ein Pfau kleidete. Er hatte meist schreiend bunte Klamotten an - und zwar in einer solchen Zusammenstellung, dass man nur mit Mühe einen Lachkrampf unterdrücken konnte. Auch jetzt konnte Frank ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken, denn Whitney trug zu seinen kanariengelben Schuhen blasslila Socken. Der Schwarze drückte seinen Freunden noch kurz die Hand, dann hatte er Frank auch schon erblickt. Sofort eilte er auf ihn zu. „Na, das gibt’s doch nicht!“ polterte er gleich los. „Unser Mr.Bronx. Wie ich dich kenne, willst du mal wieder was von mir. Nein, Frank, du brauchst gar nicht den Kopf zu schütteln - ich kenne dich zur Genüge. Also, dann komm mal mit, einverstanden?“ Während Frank dem farbigen Whitney ins Hinterzimmer folgte, entledigte sich die platinblonde Schönheit auf der Bühne gerade ihres letzten Kleidungsstückes, das sie mit einer lustlosen Bewegung ins Publikum warf. Die Kerle johlten vor Freude und brüllten dem Mädchen
Vor dem Eingang lungerten drei verwahrlost aussehende Typen in schäbigen Lederjacken herum, die Frank verächtlich musterten. Einer der drei, ein schwarzhaariger Kerl mit Sommersprossen und einem vernarbten Gesicht versuchte, sich Frank in den Weg zu stellen, aber es blieb bei dem Versuch. Frank blickte ihm nur einmal in die Augen, und der Bursche begriff. Das hier war keiner von der Sorte, die man so einfach vermöbeln konnte, wenn man gerade Lust dazu hatte. Frank achtete nicht mehr auf die Kerle, sondern betrat das Nachtlokal. Rauchgeschwängerte Luft schlug ihm entgegen. Larry´s Pub war nicht sonderlich groß, besaß aber die typischen Merkmale, die solchen Kaschemmen eigen sind: gedämpftes Licht, eine lange Bar aus dunklem Eichenholz, viele Spiegel und natürlich die dementsprechenden Gäste, die auf dem Standpunkt beharrten, dass käufliche Liebe ebenso gut sei wie echte. Während auf der kleinen Bühne im Vordergrund ein platinblondes Mädchen mit müden Bewegungen versuchte, so etwas wie einen Strip aufs Parkett zu legen, bahnte Frank sich einen Weg zur Theke, die ziemlich belagert war. Der Privatdetektiv fühlte die misstrauischen Blicke einiger Gäste hinter seinem Rücken, aber er kümmerte sich nicht darum. Stattdessen grinste er den glatzköpfigen Barry an, der schon seit einer halben Ewigkeit seinen Job hinter dem Tresen ausübte. Barry erkannte ihn jetzt ebenfalls und hielt in seiner Arbeit inne. Er setzte das Glas ab, das er gerade in den Händen hielt, und streckte seine schwielige Pranke aus. „Hallo, Frank!“ rief er mit kräftiger Stimme. Reynolds erwiderte den Händedruck. „Lange nicht mehr hier gewesen. Suchen Sie wieder Leroy?“ Frank nickte. „Ist er hier?“ „Im Hinterzimmer“, erwiderte der Keeper und wies mit dem Daumen über seine Schulter. „Sie kennen ja den Weg. Leroy und ein paar Jungs machen da drin
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„Woher hatte Bailey den Stoff, Whitney?“ unterbrach ihn Frank, der ahnte, dass der farbige Spitzel mehr wusste, als er ihm verraten wollte. „Wenn du das weißt, dann spuck’s endlich aus!“ „Du steckst deine Nase in Dinge, die vielleicht ‘ne Nummer zu groß für dich sind, Frank“, erwiderte der Schwarze. „Du weißt, dass mich das Kopf und Kragen kosten kann. Wenn auch nur einer von den Jungs mitbekommt, dass ich dir ab und zu mal ein paar Tipps gebe, dann fischen sie meine Leiche eines schönen Tages aus dem Hudson River. Ich will kein Fraß für die Fische sein, Frank.“ Er duckte sich und wagte nicht, Reynolds in die Augen zu sehen. Frank merkte, dass er so nicht weiterkam. Also griff er in seine Jackentasche und zog einige zerknitterte Geldscheine heraus. Whitney reagierte daraufhin äußerst seltsam. Die Angst war auf einmal wie weggeblasen. In seinen Augen funkelte es gierig auf. Verlangend streckte er die Finger nach den Dollarnoten aus. „Erst die Antwort, dann das Geld!“ erklärte Frank kühl. „Bailey wurde in der Kensington Street ermordet. Hatte er da Geschäfte zu erledigen, oder was wollte er dort?“ Whitney trug einen lautlosen Kampf in seinem Inneren aus, bevor er sich zu einer Entscheidung durchrang. Seine Stimme klang sehr leise, als er berichtete. „Ich weiß wirklich nicht viel, Frank. Ich habe nur gehört, dass es Bailey dort anscheinend öfters hingezogen hat. Ich weiß es von Horton, dem Bruder des toten Fixers. Der wollte ihn auch umlegen. Nun hat es ein anderer getan. Der Bursche kann froh sein, dass ihm jemand die schmutzige Arbeit abgenommen hat. Horton hat was von einer Tanzschule gemurmelt, aber ich bin nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe. Mehr kann ich dir nicht sagen, Mann.“ „Tanzschule“, wiederholte Frank. „Meinst du Breakdance oder Rap?“ „Was weiß ich denn? Ich will mit diesen
eindeutige Worte zu. „Dein Job muss dich ganz schön in Atem halten“, sagte Leroy Whitney, als er die Tür hinter sich schloss und Frank einen Platz anbot, „wenn man dem glauben kann, was in der Zeitung steht. Um was geht es diesmal?“ Frank wusste, dass Whitney ein zuverlässiger Bursche war. Er hatte alle maßgebenden Leute der Szene als Gäste in seinem Club und bekam fast alles mit, wenn es um Drogen ging. Er lieferte Frank gelegentlich den einen oder anderen Tipp, und der Detektiv revanchierte sich dafür, indem er Whitney Bescheid sagte, wenn man seinen illegalen Pokerrunden auf die Schliche kam. Ein gegenseitiges Einvernehmen also. „Was sagt dir der Name Robert Bailey?“ „Der Bursche ist tot“, erwiderte Whitney. „Habe davon in der Zeitung gelesen. Ein Bulle soll ihn abgeknallt haben. War da nicht die Rede von einem Captain der Mordkommission?“ „Red nicht um den heißen Brei herum, Leroy“, belehrte Frank ihn. „Was in der Zeitung steht, das weiß ich selbst. Ich will Einzelheiten über Bailey wissen. Ob er die Finger im Drogenhandel hatte, wenn ja, mit wem, und wer waren seine Kunden?“ Whitney schien einen winzigen Augenblick lang zu überlegen. Er fingerte sichtlich nervös an seiner grasgrünen Krawatte herum, bevor er sich äußerte. „Bailey war ein heißes Eisen, Frank“, sagte er. „Habe gehört, dass er in den letzten Wochen Heroin in größeren Mengen verteilt hat. Hat allerdings ein paar kleine Unfälle gegeben. Man munkelt, dass der Stoff nicht lupenrein gewesen ist. Jedenfalls sind zwei Fixer über die Klinge gesprungen. Gestreckter Schnee - was weiß ich?“ „Ich will Namen hören, Leroy“, bohrte Frank weiter. „Was weißt du noch?“ „Nicht viel. Letzte Woche saß einer bei mir am Spieltisch, dessen Bruder ist an dem gestreckten Heroin gestorben. Deswegen hatte der ‘ne Stinkwut auf Bailey und...“
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Keller geschlichen hatte? „Komm mal her, Ben, ich will dir was sagen!“ Der Junge warf Scotty und Blake, die wenige Schritte neben ihm tanzten, einen kurzen Blick zu und ging dann hinüber zu dem weißhaarigen Mann. „Ben, du bist einer meiner besten Schüler, aber heute baust du nur Scheiße“, hörte er Morrison sagen. „Du machst Fehler, die dir eigentlich gar nicht mehr passieren dürften. Hast du was ausgefressen, oder was ist los, he?“ Ben atmete innerlich auf. Clay Morrison war nach wie vor ahnungslos, und das war gut so. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn er die Wahrheit herausfand. „Ich habe ein bisschen Ärger, Mr. Morrison, Sir“, versuchte er es mit dieser Erklärung. „Gestern Nachmittag hätte ich beinahe ‘nen Job bekommen, und dann hat ihn mir einer vor der Nase weggeschnappt. War eher da, der Kerl. Jetzt gibt’s Ärger mit der Miete.“ „Ach so ist das.“ Morrison winkte ab. „Zerbrich dir mal nicht allzu sehr den Kopf darüber. Du wirst schon auch mal Glück haben. Solange kannst du hier ja noch üben, und zwar richtig, kapiert?“ „Ja, Sir.“ Ben nickte und drehte sich wieder um. Scotty und Blake schauten ihn fragend an, aber Ben erwiderte nichts. Stattdessen konzentrierte er sich ganz auf die fetzigen Rhythmen und legte einen Breakdance aufs Parkett, der sehenswert war. Morrison schien zufrieden zu sein. Er fixierte nicht mehr ausschließlich den Jungen, sondern beobachtete auch die anderen. Minuten anstrengender Tanzerei vergingen, bis die Musik verstummte. Es gab eine Pause für die zwanzig Jungen und Mädchen. Scotty und Blake liefen sofort zu Ben hinüber. „Was wollte er von dir, Ben?“ fragte Scotty aufgeregt. „Hat er was von gestern Abend gesagt?“ Ben schüttelte zuerst stumm den Kopf. Er hatte seinen beiden Freunden nichts von dem erzählt, was er sonst noch in der
schmutzigen Sachen nichts zu tun haben. Das ist Rauschgifthandel im großen Stil. Versuch selbst, was raus zu finden!“ Er nahm die Geldscheine aus Franks Händen und verstaute sie sofort in seiner Hosentasche. „Es ist besser, wenn du dich die nächste Zeit hier nicht blicken lässt, Frank.“ Das war deutlich. Leroy hatte Angst davor, dass man ihn umlegte. Also steckte doch eine ganze Menge mehr hinter der Sache. Phil Stuart war zum Spielball eines geplanten Unternehmens geworden und hatte bei passender Gelegenheit über die Klinge springen müssen. Da kam Bailey gerade rechtzeitig, weil er Mist gebaut hatte. „Nimm den Hinterausgang, Frank“, bat Whitney ihn. „Und wenn du wieder mal was wissen willst, dann ruf erst an, bevor du kommst. Es ist besser so.“ * Aus den beiden riesigen Lautsprechern erklang im hektischen Rhythmus ein Song von Eminem. In der Mitte des großen Saales tanzten sie, bis ihnen der Schweiß von der Stirn lief: Jungen und Mädchen verschiedenen Alters und verschiedener Rassen. Alle hatten sie nur eins im Sinn ihre Laufbahn als Breakdance- und RapStar so schnell wie möglich zu starten. Ben Cairn drehte sich in zuckenden Bewegungen auf der Stelle, aber diesmal war er nicht ganz bei der Sache. Er musste fortlaufend an das denken, was er in der vergangenen Nacht unten im Keller beobachtet hatte. „Was ist los, Cairn?“ riss ihn eine Stimme aus den Gedanken. „Konzentrier dich lieber auf das, was du jetzt tust, klar?“ Clay Morrison blickte ihn an. Seine Augen musterten ihn von Kopf bis Fuß. Ben erschrak unwillkürlich. Hatte der Leiter der Tanzschule etwa gemerkt, dass er mit den Gedanken ganz woanders war? Wusste Morrison vielleicht, dass er es gewesen war, der sich letzte Nacht in den
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paar Fragen wegen der Sache gestern Nacht.“ „Die Polizei war doch heute Morgen schon hier, Mr. Reynolds“, antwortete der Mann, der sich Frank als Clay Morrison vorgestellt hatte. „Ich wüsste nicht, was Sie hier noch zu suchen haben.“ Der Mann war alles andere als höflich, stellte Frank fest. Wahrscheinlich hatte er seine Gründe dafür. Irgendwie spürte Frank, dass der Bursche nicht ganz astrein war. Weshalb - würde er hoffentlich noch herausbekommen. „Ich ermittle aus persönlichen Gründen in dieser Sache, Mr. Morrison“, versuchte es Frank noch einmal. „Ich möchte nur ganz kurz mit einigen Ihrer Schüler sprechen. Es dauert nicht lange, das verspreche ich Ihnen.“ „Ich wüsste nicht, was die Ihnen noch sagen könnten“, antwortete Morrison mürrisch. „Also gut, kommen Sie rein, aber machen Sie schnell. Es hat weiß Gott schon genug Durcheinander hier gegeben. Das schadet dem Ruf meiner Schule!“ Morrison gab ihm den Weg frei. Frank ging über einen schmalen Flur voran zu einer Tür, hinter der BreakdanceRhythmen erklangen. Morrison öffnete die Tür, und die Musik schwoll an. Frank sah die Tanzenden, die bei seinem Anblick in ihren Bewegungen innehielten. Als Morrison dann die Stereoanlage abschaltete, wurde es still im Raum. „Das ist Mr. Reynolds, ein Privatdetektiv“ informierte Morrison seine Schüler. „Er hat noch Fragen wegen der Sache gestern Nacht, und er will mit euch darüber sprechen. Macht es kurz, ihr habt heute noch fleißig zu üben, klar?“ Er verließ den Raum und ließ Frank mit den Jugendlichen allein. Reynolds war der Mann unsympathisch, und außerdem sah er ganz anders aus, als man sich einen Lehrer, der seinen Schülern etwas beibringen wollte, eigentlich vorstellte. Frank spürte die Blicke der Jugendlichen, die sich auf ihn richteten. Er beschloss, gleich zur Sache zu kommen. „Wie ihr alle wisst, ist gestern Nacht in
letzten Nacht gesehen hatte. Es war zwar schlimm, es allein verkraften zu müssen, doch Scotty und Blake brauchten nichts davon zu wissen. „Er hat gemerkt, dass ich mit meinen Gedanken woanders war und bei den Figuren Mist gebaut habe“, antwortete Ben dann. „Das ist alles. Ihr vergesst am besten die Sache von gestern Abend. Wir sind hier zum Tanzen. Alles andere geht uns nichts an.“ Er spürte, dass die Freunde sich mit dieser Antwort eigentlich nicht zufrieden gaben, sondern mehr wissen wollten. Aber Ben schwieg hartnäckig. Er musste allein mit der Sache fertig werden. „He, nun schaut euch mal diesen Prachtschlitten an!“ rief plötzlich die schwarzhaarige Tina drüben vom Fenster her. „Mann, mit dem Typ möchte ich auch mal ‘ne Runde drehen.“ Die meisten liefen zum Fenster und schauten hinaus auf die Straße. Unmittelbar vor dem Eingang stand ein silbergrauer Mercedes CL 600. Der Fahrer war gerade im Begriff auszusteigen. „Will der zu uns?“ fragte Scotty staunend und runzelte die Stirn. „Der sieht aber nicht so aus, als ob er tanzen lernen wollte.“ „Vielleicht ein Bulle“, fügte der hagere Tony Ashford hinzu. „Ist ja schließlich genug passiert gestern Nacht.“ Jeder von den Jugendlichen wusste, was im Keller des Hauses geschehen war. Am frühen Morgen war die Polizei aufgetaucht und hatte Fragen gestellt. Fragen an Morrison und auch an die Tanzschüler. Ob der Typ da draußen auch noch was von ihnen wollte? * „Mr. Morrison, mein Name ist Frank Reynolds. Ich bin Privatdetektiv.“ Frank zog seine Legitimation aus der Tasche und hielt sie dem Weißhaarigen, der ihn hereingelassen hatte, unter die Nase. „Kann ich reinkommen? Ich hätte da ein
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„Mister, wir haben das auch schon den Bullen erzählt!“ rief jetzt ein Mädchen mit heftiger Stimme. „Wer unten im Haus ausund eingeht, wissen wir nicht, und es ist uns auch egal. Können wir jetzt weitertanzen, oder ist da noch was?“ Frank schüttelte den Kopf. Hier kam er nicht weiter. Nur der junge Bursche namens Ben verhielt sich ziemlich merkwürdig. Und wenn das wirklich stimmte, dass der mit seinen Freunden auch ab und zu mal abends herkam, dann musste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn der nicht irgendetwas mitbekommen hatte - wenn auch nur am Rande. Frank beschloss, mit diesem Jungen zu sprechen, aber nicht hier vor den anderen. Irgendwie sagte ihm sein Gefühl, dass dieser Farbige mehr wusste, als er verriet. Und auch seine Freunde waren zu nervös. Da musste doch etwas dran sein!
diesem Haus ein Mord passiert. Ich möchte wissen, ob einer von euch zur Tatzeit hier war und ob er was gesehen hat.“ „Mister, wir wollen mit der ganzen Scheiße nichts zu tun haben“, meldete sich jetzt eins der Mädchen zu Wort. „Wir tanzen hier, und zwar nur hier. Was im Keller geschieht, hören wir nicht. Nicht bei der flotten Musik.“ Frank beobachtete sämtliche Anwesenden. Einige der Mädchen lächelten ihm zu, andere wiederum musterten ihn gleichgültig. Nur der Bursche ganz links machte einen etwas nervösen Eindruck. „Hast du was gesehen, Junge?“ richtete Frank das Wort an ihn. „Denk doch mal nach!“ „Ja, denk doch mal nach!“ lästerte jetzt einer der anderen und grinste bis über beide Ohren. „Vielleicht hat unser Startänzer wirklich was gesehen - bei den vielen Überstunden, die er hier macht. Wolltest du nicht gestern mit Scotty und Blake noch üben. Ben?“ Frank bemerkte, wie der junge Bursche von Angst befallen wurde, aber nur ganz kurz. Dann hatte er sich schon wieder in der Gewalt. „Wir waren gestern Abend nicht hier“, antwortete der Junge verärgert. „Joe, du hältst besser deine große Klappe. Mach dich nicht zu wichtig, klar?“ Der Angesprochene schien seine Worte jetzt zu bereuen. Er schaute betreten vor sich hin. Ben dagegen blickte den Privatdetektiv offen an. „Es stimmt, was er sagt, Mister. Meine Freunde und ich trainieren wirklich hart hier. Manchmal kommen wir sogar abends her, um zu tanzen - aber nicht gestern Abend. Wir waren bei mir auf der Bude, und das ist die Wahrheit.“ Er schaute seine Freunde an, und die nickten eifrig. „Also hat niemand von euch was gehört oder gesehen“, sagte Reynolds. Er griff in seine Tasche und zog ein Foto von Robert Bailey heraus. „Kennt den jemand von euch? War der schon mal hier?“
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Morrison saß in seinem kleinen Büro und hatte den Hörer am Ohr. Er war sichtlich aufgeregt. Sein Gesicht war gerötet, und das war nicht nur dem Alkohol zuzuschreiben, den er gerade trank. „Sein Name ist Frank Reynolds!“ bellte er in die Sprechmuschel. „Taylor, der Bursche schnüffelt mir zuviel hier herum. Ich möchte wissen, wer er ist. Bleib ihm auf den Fersen, klar?“ „Da brauch’ ich gar nicht lange zu suchen, Mr. Morrison“, ertönte es am anderen Ende der Leitung. „Ich hab von dem Burschen schon gehört. Der wird auch Mr.Bronx genannt. Ist ein ganz scharfer Hund, das kann ich Ihnen sagen. Wenn der seine Finger im Spiel hat, dann müssen wir ganz gewaltig aufpassen.“ „Er hat unsere Jungen und Mädchen ausgequetscht!“ berichtete Morrison. „Und wenn du sagst, dass das ein Superschnüffler ist, dann verlierst du ihn auf keinen Fall aus den Augen, kapiert? Beschatte ihn mal ein bisschen unauffällig, bis ich weiß, woran ich bin. Ruf mich an, 13
auf ihn einredeten, aber Ben winkte heftig ab. Er drehte sich um und ging allein weiter. Frank wartete noch einen Moment, bis er sicher war, dass die anderen sich zerstreut hatten, dann folgte er dem Farbigen. Bens Weg führte die Kensington Street hinunter bis zur nächsten Subway-Station. Da Frank sichergehen wollte, dass der Junge ihn nicht bemerkte, achtete er auf den nötigen Abstand. Am Tunnel zur U-Bahn drängten sich einige Menschen, die den Feierabend sehnlichst erwartet hatten und schleunigst nach Hause wollten. Frank hatte Mühe, Ben in diesem Gedränge nicht zu verlieren. Für einen winzigen Augenblick schien es dann, als ob der Farbige spurlos verschwunden wäre, doch schließlich sah er ihn wieder. Ben Cairn stieg eben in die Subway ein. Frank musste sich beeilen, um noch mitzukommen. Er hastete in langen Sätzen vorwärts und erreichte den U-BahnWaggon gerade noch, bevor dieser die Türen schloss. Frank blieb direkt am Ausgang stehen. Aus Sicherheitsgründen mied er Bens Nähe. Durch die Menschenmenge hindurch konnte er den Jungen gut erkennen. Ben hatte sich auf einem Sitz niedergelassen und hörte mit verzücktem Gesichtsausdruck Walkman. Umso besser, dachte Frank. Wenn der Musik hört, dann achtet er nicht auf mich. Außerdem war sich Reynolds ziemlich sicher, dass Ben Cairn nicht damit rechnete, beobachtet zu werden. Wenn der Farbige wirklich was gesehen hatte, dann musste Frank mit ihm sprechen. Der Bursche hatte bestimmt keine Vorstellungen, was eventuell auf ihn zukam, wenn noch jemand das gleiche vermutete wie Frank. Die Subway fuhr in Richtung Harlem. Die Fahrgäste waren größtenteils farbig und sahen nicht gerade wohlhabend aus. New York war eine Stadt voller Gegensätze. Auf der Fifth Avenue verkehrte der Jetset und all das, was sich
wenn du was Näheres rausbekommen hast.“ Ohne die Antwort seines Gesprächspartners abzuwarten, legte er den Hörer auf. Seine zitternden Finger griffen nach dem Whiskyglas auf dem Tisch. In gierigen Zügen schüttete er die Flüssigkeit in sich hinein. Wie sollte das nur weitergehen? Er überlegte hin und her, was er unternehmen könnte. Auf jeden Fall musste er in der nächsten Zeit seinen Drogenhandel ganz gewaltig einschränken, solange die Polizei seine Schule in die Ermittlungen mit einbezog. Deshalb hatte er Taylor und Simpson auch aufgetragen, sich vorerst hier nicht blicken zu lassen. Alles wurde telefonisch besprochen, auch was weiter unternommen werden sollte. Trotz der prekären Lage musste Morrison grinsen. Es musste schon mit dem Teufel zugehen, wenn ihm einer auf die Schliche kam. Die Idee mit Stuart als Prügelknaben war einfach zu gut. Jeder musste glauben, dass der Bulle geschossen hatte. * Frank stand in einer Parallelstraße zur Kensington Street und wartete. Es hatte wieder zu regnen begonnen. Der Privatdetektiv zog den Kragen seines Mantels unwillkürlich höher. Trotzdem kroch die klamme und feuchte Kälte über seine Haut. Selbst die Marlboro, die er sich angezündet hatte, wollte nicht so recht schmecken. Reynolds wartete schon zwei geschlagene Stunden. Mittlerweile war es später Nachmittag. Der Stoßverkehr würde bald einsetzen. Nach einer halben Ewigkeit - wie es ihm schien - kamen die ersten Jugendlichen aus der BreakdanceSchule heraus. Jetzt wurde es interessant. Frank suchte den Jungen namens Ben, mit dem er unbedingt sprechen wollte. Er entdeckte ihn bei den anderen beiden, mit denen er getanzt hatte. Reynolds sah, wie die beiden
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Traum, auch wenn er noch in weiter Ferne lag. Für ihn wollte er kämpfen - mit allen Mitteln! Der Siebzehnjährige schlurfte hinüber zum Kühlschrank und wollte sich eine Büchse Bier holen. Da fiel sein Blick durch das Fenster hinunter auf den Hof. Dem Mann, der da gerade auf den Eingang zuhielt, den kannte er doch! Das war der Privatdetektiv, der heute Nachmittag in der Breakdance-Schule aufgetaucht war und unangenehme Fragen gestellt hatte. Was, zum Teufel, suchte der hier in diesem Haus? Wie ein Blitz aus heiterem Himmel durchzuckte ihn die Erkenntnis. Dieser Hundesohn von Joe! Warum hatte er auch seine Klappe so weit aufreißen und dem Schnüffler sagen müssen, dass Ben auch in den Abendstunden oft in der Schule war? Jetzt hatte sich der Bursche namens Reynolds bestimmt etwas zusammengereimt. Etwas, das Ben Nachteile einbringen konnte. Cairn überlegte nicht lange. Sein Blick huschte hinüber zum anderen Fenster, das zur Feuerleiter hinaus führte. Er ließ die Bierbüchse fallen und achtete nicht darauf, dass sie am Boden auslief. Der Farbige hastete in Windeseile zum Fenster und schob es hoch. Ein kurzer Blick hinaus ins Freie überzeugte ihn, dass die Luft rein war. Sekunden später kletterte er hinaus auf den Balkon, an dem die Stufen der Feuerleiter hinunterführten. Nur weg von hier, das war sein einziger Gedanke!
dazu zählte, und hier unten in der Subway hielten sich oft Menschen auf, die nicht wussten, wovon sie am nächsten Tag leben sollten. Der Junge stieg erst an der vierten Station aus. Frank nahm die zweite Tür und mischte sich unter die weiteren aussteigenden Fahrgäste. Wieder war es geglückt. Ben sah ihn nicht, während er in Richtung Ausgang marschierte. Seine Gedanken waren bei den flotten Breakdance-Rhythmen im Walkman. Frank beeilte sich, aus dem U-BahnSchacht nach oben zu kommen. Hier unten herrschte ein penetranter Gestank von Abfall und Kot, und die Gesichter, die ihn anschauten, drückten auch nicht gerade herzliche Freundlichkeit aus. Ben Cairn überquerte die Straße und bog in einen kleinen Seitenweg ein. Frank folgte ihm hastig auf die andere Seite und sah, wie der Junge auf ein abbruchreifes Wohnhaus zuhielt, das neben einem staubigen Platz voller Mülltonnen und Abfallhaufen stand. Augenblicke später war er im Eingang verschwunden. * Ben Cairn warf die Tür hinter sich zu und setzte den Walkman ab. Gedankenverloren legte er sich aufs Bett und starrte vor sich hin. Hier in dieser kleinen Welt, die sein Zimmer bildete, hatte er immer von einer großen Karriere als Breakdancer geträumt. Und nie war sein Traum in Erfüllung gegangen. Seufzend blickte Ben auf die Wanduhr an der schäbigen Tapete. Gleich sechs Uhr, und er hatte noch nichts zu essen besorgt. Ben wohnte allein in diesem kleinen Zimmer. Seine Mutter war vor einem Jahr gestorben, und seinen Vater hatte er nie kennen gelernt. Seit dem Tod seiner Mutter hatte es Ben weiß Gott nicht leicht gehabt. Er schlug sich mehr schlecht als recht durchs Leben - aber da war der
* Muffiger Gestank schlug Frank entgegen, als er im Hausflur stand. Eine ältere Frau mit verhärmtem Gesichtsausdruck bemühte sich verzweifelt, den dreckigen Fußboden zu säubern, aber Franks Meinung nach war das vergebliche Mühe. Bei Franks Erscheinen drehte sich die Frau um und musterte ihn neugierig von Kopf bis Fuß.
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einem „verrückten Hundesohn“. Frank entdeckte Ben Cairn, der die Feuerleiter inzwischen hinter sich gebracht hatte und jetzt lief, was er konnte. „Junge, so warte doch!“ rief Frank ihm nach. „Ich will doch nur mit dir sprechen!“ Der Junge hörte nicht, sondern gab Fersengeld. Es blieb Frank nichts anderes übrig, als die Verfolgungsjagd fortzusetzen. Reynolds sprintete los und heftete sich an Bens Fersen. Cairn blickte sich gehetzt um und erschrak, als er sah, dass ihm der Schnüffler folgte. Da er jedoch die Kondition eines geübten Tänzers besaß, fiel es ihm nicht schwer, das Tempo zu halten, ja sogar noch zu steigern. Er rannte um eine Ecke und stieß dort gegen eine Mülltonne. Das Ding geriet ins Wanken und fiel mit einem scheppernden Geräusch auf das Pflaster. Der schmutzige Inhalt verstreute sich über die Straße. Durch den Zusammenprall war Ben ebenfalls ins Wanken geraten. Er taumelte vorwärts und versuchte, das Gleichgewicht zu halten, aber seine Füße gehorchten ihm nicht mehr. Er rutschte aus und fiel lang hin. Das war die Chance für Frank Reynolds. Noch bevor Cairn es schaffen konnte, sich wieder aufzurappeln, hatte der Detektiv ihn erreicht. Seine rechte Hand schoss vor und packte Ben am Kragen seines Sweatshirts. „Lass mich los!“ rief Ben verzweifelt. „Ich hab’ nichts gesehen. Lassen Sie mich doch gehen, Mister!“ Frank verstärkte den Druck in Bens Nacken, weil der junge Farbige sich jetzt mit Händen und Füßen zu wehren begann. Es half alles nichts, er musste ihm eine kräftige Ohrfeige versetzen. Das wirkte. Ben Cairn zuckte zusammen und ließ von seiner Gegenwehr ab. Aus ängstlichen Augen starrte er Frank an und duckte sich aus Furcht vor einem weiteren Hieb. Aber Frank setzte nur ein leichtes Grinsen auf, um den Jungen nicht noch mehr aufzuregen. „Bist du jetzt vernünftig, Ben?“ fragte er
„Suchen Sie was Bestimmtes, Mister?“ Frank nickte. „Einen siebzehnjährigen Burschen namens Ben Cairn. Der wohnt doch hier, oder?“ „Oben im dritten Stock. Letzte Tür rechts. Wenn Sie mit ihm sprechen, dann sagen Sie ihm gleich, dass ich noch für diesen Monat Miete kriege. Wenn er in den nächsten Tagen nicht bezahlt, dann setz’ ich ihn an die frische Luft!“ Die Frau war sichtlich aufgeregt. Sie schimpfte immer noch, als Frank schon auf dem Weg zur Treppe war. Die ausgetretenen Stufen knarrten unter Reynolds’ hastigen Schritten. Sofort fand er die betreffende Wohnung. Vor der Tür blieb er stehen und klopfte kurz an. Niemand antwortete ihm. Er versuchte es noch einmal. Wieder Stille. „Hallo, Ben!“ rief er jetzt. „Ich möchte mit dir reden. Mach auf. Junge!“ Im Inneren der Wohnung vernahm Frank ein leichtes Poltern, als ob jemand etwas fallen gelassen hätte. Frank drehte am Türknopf, stieß jedoch auf Widerstand. „Ben, mach auf!“ rief er noch einmal. „Ich muss mit dir reden. Es ist besser für dich, wenn du mich reinlässt.“ Mr.Bronx warf einen kurzen Blick nach hinten. Hoffentlich hörte ihn niemand sonst. Schließlich konnte er nicht die ganze Etage in Aufregung versetzen, nur weil Ben Cairn nicht aufmachen wollte. Im gleichen Augenblick vernahm er etwas. Etwas, das von draußen zu kommen schien. Frank lief zum Fenster am Ende des Ganges unmittelbar neben Ben Cairns Wohnungstür und spähte hinaus. Gerade noch rechtzeitig stellte er fest, dass der junge Farbige stiften gehen wollte. Er war auf den Balkon geklettert und versuchte jetzt, über die Feuerleiter abzuhauen. Frank fackelte nicht lange, sondern rannte zurück zur Treppe, so schnell er konnte. Mit großen Sätzen lief er hinunter in den Flur und aus dem Haus. Die Frau, die immer noch putzte, schaute ihn staunend nach und murmelte etwas von
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nichts. Ich hab’ keine Lust über die Klinge zu springen.“ „Das hatte Captain Phil Stuart von der Mordkommission ja auch nicht.“ Frank wurde langsam wütend. Der Junge wusste was, das ihm weiterhelfen konnte, aber die Angst saß ihm im Nacken, und deshalb blieb er stumm wie ein Fisch. „Phil ist mein Freund, Junge. Man hat ihn reingelegt und es so gedeichselt, dass er den Schwarzen Peter in der Tasche hat. Er soll den Typ namens Bailey umgelegt haben. Ben, willst du zusehen, dass die wahren Schuldigen leer ausgehen und…“ Cairn unterbrach ihn; „Sie haben gut reden, Mr. Reynolds. Ich schlag’ mich gerade so durchs Leben, dass ich nicht verhungere, und die Breakdance-Schule ist mein einziges Sprungbrett auf dem Weg nach oben. Ich müsste ja beknackt sein, wenn ich das aufgebe.“ Frank begriff. Der Junge war ziemlich fertig. Er schien Dinge gesehen zu haben, die unmittelbar mit der Schule zu tun haben mussten, und deshalb sagte er nichts, Frank gab aber nicht auf und bohrte weiter. Er erzählte ihm von Phils auswegloser Situation, die ihn wahrscheinlich seinen Job kostete. „Sieht nicht gut aus für Ihren Freund“, gab Ben mit leiser Stimme zu. „Aber für mich auch nicht, wenn ich was sage. Wie kann ich sichergehen, dass die nichts erfahren von mir und dass ich was gesehen habe?“ „Die Unterhaltung geht nur uns beide was an, Ben“, sagte Frank und hoffte, dem Farbigen dadurch Mut zu machen. „Wie ich meine Fälle aufkläre, ist einzig und allein mein Bier, und die Polizei wird den Mund halten, okay?“ Das schien den Jungen ruhiger zu stimmen, Frank merkte, dass Ben kurz vor dem Auspacken stand, und er bestellte deshalb noch einmal zwei Drinks. Der Alkohol verfehlte seine Wirkung nicht. Ben wurde gesprächiger. „Viel hab’ ich nicht gesehen, Mr. Reynolds“, begann er dann und schilderte Frank sein Abenteuer im Keller. Der
nur. Der Junge nickte. „Na also. Warum nicht gleich so. Ich möchte mich ein bisschen mit dir unterhalten, und so wie’s jetzt aussieht, hast du gar keine andere Wahl, als ja zu sagen, oder?“ * Die kleine Bar zwei Häuserblocks weiter war zu dieser Stunde noch fast leer. Nur einige ganz versessene Säufer hingen schon an der Theke und schütteten den Alkohol in sich hinein. Frank bestellte bei dem griesgrämigen Mann hinter der Bar zwei Whisky und blickte dann Ben genau an. „So, mein Junge!“ sagte er, während der Keeper die Drinks auf den Tisch stellte und gleich abkassierte. „Wir beide haben jetzt alle Zeit der Welt für ein kleines nettes Gespräch unter vier Augen. Und ich bin sicher, dass du mir was zu sagen hast. Du weißt doch was über den Mordfall Bailey, das seh’ ich doch deiner Nasenspitze an!“ „Bitte, Mr. Reynolds, lassen Sie mich doch in Ruhe“, flehte Ben und stürzte den Drink hinunter. „Ich hab nichts gesehen und gehört, das ist besser so.“ „Red doch keinen Unsinn, Ben“, entgegnete Reynolds. „Wenn du was weißt, dann machst du dich mitschuldig an der ganzen Sache. Das ist dir doch wohl klar, oder? Mit deiner Karriere als Breakdancer ist es aber dann aus und vorbei.“ Ben winkte ab und blickte betroffen zu Boden. Im Hintergrund ertönte aus der Jukebox ein Soulsong von Marvin Gaye. Ben achtete nicht darauf. „Mister, ich bin ein Nigger!“ stieß er aufgeregt hervor. „Und für einen wie mich ist’s besser, wenn er beide Augen zudrückt. Ich hab’ Dinge gesehen, die mich weiß Gott nichts angehen, und mit denen ich nichts zu tun haben will. Mister, ich will Breakdancer werden, und sonst
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Kneipengäste wandten überrascht die Köpfe, als der Junge aufsprang. Sie begriffen nicht, was los war. Frank wollte den Farbigen beschwichtigen, aber Ben hörte ihm nicht mehr zu. Er riss sich los und lief davon. Reynolds versuchte ihm noch etwas nachzurufen, aber Ben rannte wie ein Gehetzter davon. Mr.Bronx musste mit ansehen, wie sein einziger Zeuge das Weite suchte. Ben hastete über die Straße und war Augenblicke später zwischen einigen Häuserblocks verschwunden. „Hatten Sie Streit mit dem Jungen?“ fragte der Barkeeper ihn. „Mister, ich will hier drin keinen Ärger haben, klar? Ich ruf sonst die Bullen.“ „Schon gut“, erwiderte Frank und drückte dem Mann einen zerknitterten Geldschein in die Hand. Das anfängliche Misstrauen verwandelte sich augenblicklich in ein breites Grinsen. Er rief Frank noch etwas hinterher, als dieser die Kneipe verließ. Ben Cairn konnte er vorerst abschreiben. Frank war wütend bei dem Gedanken daran, dass der Junge soviel Angst hatte, aber er konnte ihn auch verstehen. Der Farbige war in Verhältnissen aufgewachsen, in denen jeder nur an sich selbst dachte. Ein erbarmungsloser Kampf ums Überleben... Nun, wenigstens hatte er Informationen von Ben bekommen, die ihm weiterhalfen. Die Namen der beiden Burschen, von denen wahrscheinlich einer Bailey umgebracht hatte, waren Taylor und Simpson. Hier musste er ansetzen, wenn er Morrison auf die Schliche kommen wollte. Mit gemischten Gefühlen machte er sich auf den Rückweg zur U-Bahn-Station. Die ganze Zeit zerbrach er sich den Kopf darüber, was Morrison mit Phil Stuart zu tun hatte. Doch er würde den Weißhaarigen im richtigen Augenblick danach fragen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Zuerst einmal galt es, Taylor und Simpson auf die Schliche zu kommen. Wenn er die beiden Burschen hatte, dann
Detektiv hörte genau zu. Was ihm Ben da erzählte, war ja eine heimtückische Sache! „Ich hab’ das Foto des Toten in der Zeitung gesehen“, fuhr Ben fort. „Und das war der, den die im Keller fertig gemacht haben, ganz sicher!“ Wieder nahm er einen kleinen Schluck und erzählte dann weiterer. „Morrison war noch unten im Keller, und das hat mich am meisten gewundert. Die zwei Typen, die den anderen fertig gemacht haben, was die wohl mit ihm zu tun hatten? Wir haben’s mit der Angst zu tun bekommen und sind auf und davon, Scotty und Blake sind weggerannt, aber ich bin noch geblieben. Deswegen hab’ ich auch noch den Rest gesehen. Es war nicht Ihr Freund, der Bailey umgebracht hat, Mr. Reynolds.“ Mr.Bronx atmete auf. Das war sie, die Spur, auf die er schon so lange gehofft hatte. „Die beiden Burschen, die bei Morrison waren - hast du irgendwelche Namen verstanden?“ Ben nickte. „Simpson hieß der eine, der andere Taylor oder so ähnlich. Bin mir aber nicht sicher. Die sahen aus wie professionelle Killer aus irgendwelchen schlechten Krimis. Mann, ich bin gerannt, was ich konnte!“ „Danke, Ben“, sagte Frank aufrichtig, „Es ist dir nicht leicht gefallen, mir das zu sagen, das seh’ ich dir an. Trotzdem hast du mir einen großen Gefallen getan. Du hast mit deiner Aussage dazu beigetragen, dass ich meinen Freund Phil Stuart von diesem schlimmen Mordverdacht entlasten kann. Ich werde...“ „Sie werden gar nichts, Mister!“ unterbrach ihn Ben jäh und sprang von seinem Platz auf. „Sie haben gesagt, dass die Sache unter uns bleibt. Wenn Morrison hochgeht und vor Gericht kommt - denken Sie vielleicht, dass man einem Nigger mehr glaubt als einem Weißen? Nein, Mister! Morrison wird freigesprochen, und dann bin ich derjenige, dem sie ans Leder wollen. Aber nicht mit mir!“ Die letzten Worte hatte er fast heraus geschrien. Einige der wenigen
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Chefs. Aber die würde sich wohl nie ändern! „Noch bevor ich in die Nähe der Schule kam, hab’ ich ihn schon entdeckt. Auf einen der Nigger hat er gewartet und ist ihm dann gefolgt. Ich bin aber gleich hinterher. Zu der U-Bahn-Station nach Harlem ist er gegangen, der Schnüffler. Genau dahin, wo der Junge wohnt. Da hab’ ich sie dann aus den Augen verloren, in dem Gewühl…“ Am anderen Ende der Leitung war eine Schimpfkanonade zu hören, die eine Zeitlang dauerte. Taylor wartete ab, bis Morrison sich beruhigt hatte, dann fuhr er fort. „In einer Kneipe hab’ ich Reynolds und den Nigger dann wieder gesehen. Sie gingen rein, und wenig später kam der Junge wieder raus gerannt. Da stinkt was zum Himmel.“ „Welcher von den Schülern war es, Taylor?“ „Weiß ich nicht genau. Mr. Morrison. Sie wissen doch, dass ich die Kerle nicht kenne und mich oben nie hab’ blicken lassen. Aber ich würde ihn wieder erkennen, ganz sicher und...“ „Dann kommst du heute Abend vorbei“, unterbrach ihn sein Boss ungeduldig. „Ich will wissen, was los ist. Und um Reynolds müssen wir uns auch noch kümmern. Der Bursche wird allmählich zu einem Problem. Und ich mag keine Probleme, Taylor!“
bekam er bestimmt auch Morrison zu fassen. Frank wusste, dass er behutsam vorgehen musste, denn seine Erfahrungen in der Drogenszene sagten ihm, dass man an die Bosse nur sehr schwer rankam. Die kleinen Fische dagegen erwischte man immer. Frank aber wollte den ganzen Verein auffliegen lassen, und das brauchte seine Zeit. Zuerst einmal wollte er mit Phil darüber sprechen. Vielleicht hätte sich vieles anders entwickelt, wenn Frank der bullige Mann auf der anderen Straßenseite aufgefallen wäre, der in einem Hauseingang verharrte und dem Privatdetektiv schweigend nachblickte. * Als Frank im Zugang zur U-Bahn-Station verschwunden war, wurde der Beobachter mit einemmal von plötzlicher Unruhe ergriffen. Er eilte auf eine Telefonzelle zu, die nur wenige Meter von seinem Beobachtungspunkt entfernt stand. Er riss die Tür auf, zwängte sich in die Zelle und wählte mit zittrigen Fingern eine Nummer. Ungeduldig wartete er darauf, dass am anderen Ende der Leitung abgehoben wurde. Schließlich knackte es, und die Stimme seines Chefs war zu hören. „Ja, hier Morrison.“ „Ich bin’s, Taylor, Mr. Morrison, Sir!“ begann der Mann in der Telefonzelle aufgeregt. „Ich bin diesem Reynolds auf den Fersen geblieben, wie Sie’s mir gesagt hatten. War ‘ne ziemliche Mühe, ihn nicht zu verlieren, und…“ „Mach keine großen Worte, Taylor!“ unterbrach Clay Morrison ihn rau. „Ich bezahl’ dich nicht fürs Reden, sondern für deine Arbeit. Was ist dabei raus gekommen?“ „Ich bin ihm gefolgt, Mr. Morrison“, begann Taylor erneut und ärgerte sich im Stillen über die schlechte Laune seines
* Phil war nicht zu erreichen. Frank versuchte es ein halbes Dutzend Mal, aber der Freund hob nicht ab. Wahrscheinlich hatte Brown, der Anwalt, noch einiges mit ihm zu besprechen. Frank konnte sich gut vorstellen, dass Stuart im Moment in einer schwierigen Situation steckte. Wenn seine Vorgesetzten ihn verdächtigten, dann war es umso schlimmer. Kurzerhand trat Reynolds den Rückweg zu seinem Büroapartment an. Er sah die Post durch und klärte Mandy kurz über den Stand der Dinge auf. Falls Phil im
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Rauschgifthandel. Du musst vorsichtig sein, Frank, aber nur dort kannst du sie finden.“ „Arbeiten die Burschen allein, oder wer steckt noch dahinter?“ „Ich weiß nichts Genaues“, erklärte Whitney. „Aber angeblich haben da einige Leute ihre Finger im Spiel. Tut mir leid, Frank, wenn ich jetzt Schluss mache. Aber ich hab’ dir ja schon mal gesagt, dass ich mit der Sache nichts zu tun haben möchte. Und wenn du schlau genug bist, dann lässt du die Finger davon, klar?“ Whitney legte den Hörer auf, ohne Franks Antwort abzuwarten. Frank dachte sich seinen Teil. Nun, die Spur führte zum Hafen, also musste er dorthin. „Willst du schon wieder weg. Frank?“ fragte Mandy ihn. Er war schließlich noch keine zwanzig Minuten hier. Frank nickte. „Ich mach’ mal eine kleine Hafenrundfahrt“, antwortete er. „Mandy, ruf doch bitte Phil an und erzähl ihm das. Versuch es so lange, bis du ihn selbst an der Strippe hast. Er soll mal im Archiv nach den Namen Rick Taylor und Dean Simpson suchen, okay?“ Er wollte gerade das Büro verlassen, als Mandys Stimme ihn zurückhielt. „Was ist denn eigentlich los, Frank? Kann ich dir helfen? Soll ich nicht besser mitkommen? Vielleicht sehen vier Augen mehr als zwei.“ Frank winkte ab. „Das ist kein Job für dich, schöne Frau. Bleib mal schön hier und versuch Phil zu erreichen. Das ist nämlich genauso wichtig.“ Bevor Mandy noch etwas erwidern konnte, war er schon draußen. Die blonde Assistentin fügte sich Schulter zuckend, griff zum Telefonhörer und wählte Phils Nummer.
Büro anrief, konnte ihm seine Sekretärin ja sagen, was Frank herausgefunden hatte. Vielleicht beruhigte ihn der Gedanke etwas, dass Frank einer heißen Sache auf der Spur war. „Wenn jemand anruft - ich bin im Moment nicht zu sprechen, Mandy“, sagte Frank und zog sich in sein Allerheiligstes zurück. Dann wählte er Leroy Whitneys Nummer. Es dauerte lange, bis jemand den Hörer abhob, aber dann hatte er gleich den Richtigen an der Strippe. „Was willst du denn schon wieder, Frank?“ fragte Whitney erstaunt, als er Reynolds’ Stimme vernahm. „Ich hab’ dir doch alles gesagt, was ich weiß.“ „Nicht ganz“, entgegnete der Privatdetektiv. „Jetzt weiß ich nämlich ein bisschen mehr als beim letzten Mal, mein Freund. Was sagen dir die Namen Taylor und Simpson im Zusammenhang mit dem Mord in der Breakdance-Schule?“ Für einen Augenblick war es am anderen Ende der Leitung still. Trotzdem glaubte Frank zu hören, wie Whitney aufgeregt nach Luft schnappte. „Wirst du eigentlich nie schlau?“ kam ausweichend Whitneys Gegenfrage. „Ich hab dir doch gesagt, dass die Sache gefährlich ist. Willst du unbedingt heißes Blei schlucken?“ „Ich hab’ dich was gefragt“, konterte Frank. „Und ich will ‘ne Antwort von dir haben. Wenn du was weißt, dann will ich das hören.“ „Es ist deine Beerdigung“, erwiderte Whitney, „und da gehe ich ganz gewiss nicht hin. Also, die Burschen heißen Rick Taylor und Dean Simpson. Sind harte Schläger und haben ‘nen schlimmen Ruf. Für ein Bündel Greenbacks bringen die ihre eigene Großmutter um, wenn’s sein muss. Nimm dich in Acht, Frank.“ „Wo finde ich die Burschen?“ „In der Nähe vom Hudson River gibt’s bei den Verladerampen ein paar zwielichtige Bars und Kneipen“, erklärte Whitney mit leiser Stimme, als habe er Angst, dass jemand sein Gespräch mithörte. „Die Kerle haben ihre Finger im
* Die
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Dämmerung
warf
ihre
ersten
Whisky ertränkten. Frank verschaffte sich freie Bahn, und es gelang ihm, einen Platz an der Theke zu ergattern. Der Mann hinter der Bar fragte nicht lange, sondern schob Frank ein halbgefülltes Glas zu. „Einen Dollar!“ verlangte er mit krächzender Stimme, und Frank bezahlte. Während er das Glas nahm, fühlte er die Blicke seines Nachbarn auf sich gerichtet. Der Mann neben ihm war klein und untersetzt. Sein Gesicht war unrasiert und spiegelte seinen verkommenen Lebenswandel wider. „Spendierst du mir einen, Kumpel?“ fragte er und schaute gierig auf den Whisky. „Bin im Moment ein bisschen abgebrannt. Ich hab’ keinen Cent mehr in der Tasche, aber meine Kehle ist immer noch trocken.“ „In Ordnung“, erwiderte Frank und bestellte bei dem Keeper einen zweiten Drink. Der brachte dem Untersetzten ein Glas, und dieser schüttete die bernsteinfarbene Flüssigkeit sofort in sich hinein. Er rülpste kurz. „Tut das gut, Kumpel“, sagte er. „Wie wär’s mit noch einem?“ Frank grinste. „Ich bin kein Wohlfahrtsinstitut. Brauch’ meine Dollars selbst dringend genug, Mann. Das Leben ist ganz schön teuer.“ „Wem sagst du das?“ erwiderte der andere. „Ich krieg’ am Monatsende gerade so viel raus, dass ich nicht verhungere, aber ich brauch’ die Bucks nun mal. Arbeitest du auch bei den Docks, Kumpel? Ich hab’ dich noch nie hier gesehen.“ „Bin mit der Queen of Pattaya gestern angekommen“, erwiderte Frank ausweichend und band dem Mann den Bären auf, dass er zu der Mannschaft eines Frachtschiffes gehörte, das aus Thailand kam und hier vor Anker lag. „Jetzt hab´ ich ein paar Tage frei und seh’ mich hier um, verstehst du?“ Der andere nickte. Frank wartete ab und nahm einen weiteren Drink, bevor er fort fuhr. „Ich kenn’ mich nicht aus hier“, sagte er.
Schatten über die baufälligen Häuser des Hafenbezirks, als Frank seinen Mercedes in der Nähe der Verladepiers stoppte. Dichte Nebelschleier hingen über dem Hudson River, und ein unbestimmbarer Gestank drang in Franks Nase. Es war ein Geruch von Abfall und Tod. Hier am Hudson River zeigte sich New York von seiner hässlichsten Seite. Die faszinierende Skyline der Wolkenkratzer und Banken schien unendlich weit entfernt zu sein. Es war kalt. Wind kam auf und zerrte an Franks Jacke, als er ausstieg und seine Blicke umherschweifen ließ. Zu dieser Stunde erwachte der Hafenbezirk zu einem eigenen Leben. Wo tagsüber Hunderte von Tonnen Fracht ver- und entladen wurden, da herrschte nun ein geheimnisvolles Treiben. Schrilles Gelächter einer Frau und das polternde Lachen eines Mannes drang an Franks Ohren, als er sich auf den Weg zum Vergnügungsviertel machte. Frank hatte seinen Anzug gegen ein paar verwaschene Jeans und eine schäbige Lederjacke vertauscht, damit er nicht allzu sehr auffiel. Er wirkte jetzt wie einer von hundert Hafenarbeitern, die nach Feierabend die Kneipen unsicher machten. Das Hafenviertel sei ein Treffpunkt für den Drogenhandel, hatte Leroy Whitney ihm gesagt. Frank war sicher, dass er Taylor und Simpson hier finden würde. Und wenn er sie entdeckt hatte, dann musste er unauffällig auf ihrer Fährte bleiben. So würde er auch Morrison auf die Schliche kommen. Vor einer der Bars blieb Frank stehen. Es war ein altes Haus, aus dem laute Musik erschallte. Männer kamen und gingen, teilweise in Begleitung von käuflichen Damen oder allein. Hier wollte er anfangen. Dicke, rauchgeschwängerte Luft schlug ihm entgegen, als er die Kneipe betrat. Obwohl es noch früh am Abend war, herrschte schon ziemlicher Betrieb. Der Alkohol floss in Strömen, und die Theke wurde von Männern mit verkniffenen Gesichtern belagert, die ihre Sorgen in
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mal kurz was erledigen...“ Ohne auf Freddys Antwort zu warten, verschwand der Keeper in Richtung Hintertür, wo er sich mit einem stiernackigen Mann kurz unterhielt. Freddy sah aus den Augenwinkeln, wie der Mann nickte und die Kneipe dann durch die Hintertür verließ. Augenblicke später kam der Barkeeper wieder zurück. Er war sichtlich erleichtert und gab Freddy sogar noch einen Drink aus. Der Säufer verstand die Welt nicht mehr. Heute schien wohl sein Glückstag zu sein. Jeder meinte es gut mit ihm, und er begriff nicht, woran es lag. Dass er mit seiner Redseligkeit Frank bösen Ärger bereitet hatte, wusste er nicht, sonst hätte er bestimmt den Mund gehalten. *
„Aber ich bin ein halbes Jahr in Thailand gewesen und hab’ mich da an verschiedene Dinge gewöhnt. Dinge, die einen alle Sorgen vergessen lassen.“ Franks Miene hatte jetzt’ etwas Verschwörerisches an sich, als er näher an den Trunkenbold heranrückte. „Mann, ich brauch’ Stoff, und zwar dringend. Wo krieg’ ich was davon?“ Der andere wollte erst nichts sagen, aber als Frank ihm noch einen Drink bestellte, da lockerte sich seine Zunge wie von selbst. „Geh zwei Straßen weiter zum Pier 17“, antwortete der Mann leise. „Dort steht eine alte Lagerhalle. Wenn du Glück hast, triffst du dort Leute, die dir weiterhelfen.“ „Du bist ein echter Freund, Kumpel“, sagte Frank und klopfte ihm dankbar auf die Schulter. „Hier - trink noch einen auf mein Wohl!“ Der Detektiv zog eine Dollarnote aus der Jackentasche und drückte sie dem Mann in die Hand. Dann verschwand er in der Menge, bevor dieser noch etwas sagen konnte. Der Fremde hatte Spendierhosen an, daran bestand kein Zweifel. Und so eine Chance bekam man nicht alle Tage. Deshalb bestellte der kleine Mann gleich einen weiteren Drink. „Du hast schon genug, Freddy“, sagte der Barkeeper. „Wenn du nicht bald aufhörst, dann kannst du nicht mehr gerade stehen.“ „Ich kann’s doch bezahlen“, erwiderte Freddy erbost und warf die Note auf den Tresen. „Mein Freund hat mir einen ausgegeben, und ich werd’ auf sein Wohl einen trinken. Und jetzt gib mir endlich den Drink.“ „Kanntest du den Burschen?“ fragte der Barkeeper, der sah, wie Frank die Kneipe verließ. Freddy schüttelte den Kopf. „Er kommt von ‘nem thailändischen Schiff“, sagte er. „Und er ist wohl ein Junkie. Der hat wissen wollen, wo’s Stoff gibt, und das weiß doch jeder hier. Also hab’ ich’s ihm gesagt Was guckst du denn so blöd aus der Wäsche, Charly?“ „Nichts“, erwiderte der Keeper. „Du kriegst gleich deinen Drink. Ich muss nur
Die Lagerhalle wirkte alt und verkommen. Wahrscheinlich stand sie nur noch deswegen hier, weil keiner diesen Schuppen abreißen wollte. Frank blieb einen Augenblick am Ende der Straße stehen und warf einen Blick hinter sich. Das rote Licht eines Bordells leuchtete schwach durch die Nebelschwaden und zeigte denjenigen den Weg, die käufliche Liebe suchten. Erleichtert stellte Frank fest, dass er nicht verfolgt wurde. Unmittelbar neben der alten Lagerhalle schloss sich der Pier an, wo einzelne Boote vor Anker lagen. Es waren meist kleine Boote, die nicht viel besser aussahen als die alte Lagerhalle. Das eigentliche Hafenleben spielte sich weiter östlich ab. Wer hierher kam, hatte andere Dinge im Sinn, das spürte Frank instinktiv. Der Säufer hatte ihm gesagt, dass hier mit Drogen gehandelt wurde. Also musste er fündig werden. Taylor und Simpson waren bestimmt nicht mehr weit. Deswegen musste Frank umso vorsichtiger sein. Franks Schritte klangen hohl und dumpf auf dem nassen Pflaster, als er auf die
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unter dem Fenster Posten bezogen hatte. Jetzt konnte er die Stimmen schon deutlicher hören. Es mussten mehrere Männer sein, die sich dort aufhielten. Frank wagte es, den Kopf für einen kurzen Augenblick zu heben. Sein Blick blieb auf der Petroleumlampe hängen, die an einem Pfosten baumelte und den Innenraum schwach erhellte. Einige Kisten waren an den Wänden aufgestapelt, nach deren Bestimmungsort bestimmt kein Mensch mehr fragte. Vier Männer zeichneten sich im Lichtschein ab. Einer war groß und bullig und sah wie ein Rausschmeißer aus. Der Bursche neben ihm war dagegen eher schmächtig. In seiner Hand hielt er einen kleinen Aktenkoffer, an dessen Inhalt die beiden anderen wohl sehr stark interessiert waren. Frank bekam mit, wie einer der Männer aus der Jackentasche ein Geldbündel holte und es dem Bulligen in die Hände drückte. Daraufhin öffnete sein Kumpan den Koffer und holte drei kleine Beutel heraus. Heroin! In Sekundenschnelle wechselte der weiße Stoff seinen Besitzer, und das Geschäft war besiegelt. „Okay, Simpson“, hörte Frank den Käufer sagen, der die Beutel eingesteckt hatte. „Ich brauch’ nächste Woche noch mal soviel. Kannst du liefern?“ Simpson war also der Bullige, wie Frank nun bemerkte. Also konnte auch Taylor nicht weit sein. Jetzt musste er sich nur noch an die Fersen dieses Burschen heften, dann war auch Morrison dran. Frank hörte, wie Simpson dem Mann versprach, nächste Woche um die gleiche Zeit wieder hier zu sein, um das Geschäft abzuschließen. Damit war die Sache perfekt. Frank wollte sich gerade etwas weiter vorbeugen, um alles mitzubekommen, als er hinter sich Schritte hörte. Reynolds warf den Kopf herum und blickte in das grinsende Gesicht eines mächtigen Burschen. Die beiden Typen in seinem Schatten sahen aus wie Geier, die sich jeden Moment auf ihre Beute stürzen
Lagerhalle zuhielt. Den Kragen seiner schäbigen Lederjacke hatte er hochgeschlagen, und in seinem Mundwinkel hing ein Zigarettenstummel. Er versuchte, den Eindruck eines Mannes zu erwecken, der dringend Stoff brauchte. Das Tor zur Lagerhalle stand halb offen. Unmittelbar neben dem Eingang zeichnete sich eine hagere Gestalt ab. Der Mann schien ihn jetzt entdeckt zu haben und richtete sein Augenmerk auf ihn. Zum Glück hatte Frank ihn ebenfalls rechtzeitig bemerkt. Der Detektiv strebte mit unsicheren Schritten auf den Pier zu und senkte dabei den Kopf. Vor einem Stapel leerer Fässer blieb er stehen und fingerte an seiner Hose herum. Für den Mann im Eingang der Lagerhalle sah es so aus, als wenn Frank nicht mehr rechtzeitig den Weg zur Toilette gefunden hatte. Franks Plan funktionierte. Der Mann, der die Gegend beobachtet hatte, wandte sich ab und verschwand im Inneren der Lagerhalle. Reynolds nutzte diesen Moment und versteckte sich hinter den Fässern. Geduckt schlich er weiter und achtete stets darauf, nicht entdeckt zu werden. Er hielt es für besser, vorsichtig zu sein, denn bevor er sich in die Höhle des Löwen wagte, wollte er erst einmal wissen, was da auf ihn zukam. Die Nebelschwaden wurden immer dichter, und das bleiche Licht des Mondes wurde von den milchigen Schleiern fast vollständig verschluckt. Es war eine regelrechte Waschküche, bei der man kaum fünfzig Meter weit sehen konnte, aber für Frank war es geradezu ideal. Augenblicke später hatte er die Wand der Lagerhalle erreicht. Der Detektiv presste sich an die morschen Bretter, bis er in die Nähe eines Fensters kam, dessen Scheiben schon längst das Zeitliche gesegnet hatten. Stattdessen hatte eine dicke Spinne dort ihr Netz gewoben. Frank schlich sich näher heran und hörte jetzt gedämpfte Stimmen. Er hob den Kopf, konnte jedoch immer noch nichts verstehen. Also musste er noch näher heran. Frank duckte sich, bis er direkt
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das Weite zu suchen, wenn er mit dem Leben davonkommen wollte. Seine Lungen brannten, und er rang gierig nach Luft. Schnell und keuchend kam der Atem, aber er hatte keine Zeit, zu verschnaufen. Plötzlich tauchten am Ende der kleinen Seitenstraße zwei Gestalten auf, die ihm den Weg versperrten. Einer von ihnen hielt einen Knüppel in der Hand, und das Lächeln auf seinem Gesicht war alles andere als freundlich. „Gib auf, du Schnüffler!“ rief er Frank zu und schwang den Knüppel in seinen großen Händen. „Oder ich mach’ dich kalt!“ Frank hatte in seinem abenteuerlichen Dasein als Detektiv gelernt, dass Angriff immer noch die beste Verteidigung war. Deshalb wartete er nicht ab, bis der Kerl zu Ende gesprochen hatte. Reynolds duckte sich und wich dem Schlag aus. Trotzdem streifte etwas schmerzhaft seinen Schädel. Dann war Frank an der Reihe. Er holte von unten aus und versetzte dem Burschen einen kräftigen Kinnhaken. Der Kerl stöhnte dumpf auf und taumelte zurück. Währenddessen stürzte sich der andere auf Frank. Es gelang ihm, Mr.Bronx einen Schlag in den Nacken zu versetzen, aber Frank verbiss den Schmerz. Stattdessen wirbelte er herum und verpasste dem Gegner einen Schlag, der ihn jede Feindseligkeit vergessen ließ. Der Mann brach zusammen und legte sich sofort schlafen, während sein Kumpan mit dem Prügel noch zu überlegen schien, ob er aufgeben sollte oder nicht. Frank nahm ihm die Entscheidung ab. Er setzte nach und schickte ihn mit einem gezielten Boxhieb ins Reich der Träume. Dann wollte er weiter rennen, aber es war schon zu spät. Während er mit den beiden Kerlen gekämpft hatte, waren die anderen näher gekommen und hatten ihn nun eingeholt. Bevor Frank seine Flucht fortsetzen konnte, hatten sie ihn umstellt. Reynolds blickte in ausdruckslose Gesichter, was
konnten. „Was schnüffelst du denn hier herum, Mister?“ rief er. „Das hier geht dich nichts an, verstanden?“ Dann rief er nach Simpson. „He, Dean, wir haben hier ‘nen Schnüffler erwischt!“ Frank ließ den Mann nicht ausreden. Er wusste, dass jede Erklärung zwecklos war. Deshalb handelte er. Er versetzte einem der beiden Kerle, die sich auf ihn stürzen wollten, einen kräftigen Tritt, der ihn gegen seinen Kumpan schleuderte. Diesen Augenblick der Verwirrung nutzte Frank, um loszusprinten. Gerade im richtigen Moment, denn jetzt kamen die anderen aus der Lagerhalle. Simpsons krächzende Stimme rief: „Hinterher! Der Bursche darf uns nicht entwischen!“ Ein Schuss peitschte kurz und trocken auf, und Frank hörte das Zirpen der Kugel, die haarscharf an seinem Kopf vorbeizischte. Er hatte Glück gehabt! Simpson brüllte, dass nicht geschossen werden sollte. Anscheinend wollten sie nicht, dass die Polizei diesen Platz entdeckte. Lieber wollten sie Frank lautlos erledigen. Reynolds wusste, dass es jetzt um Kopf und Kragen ging. Er hatte die Hölle mit einem Eimer Wasser angegriffen, und jetzt musste er sehen, wie er da mit heiler Haut wieder herauskam. Während Frank in eine Seitenstraße rannte, hörte er hinter sich die hastigen Schritte seiner Verfolger. Sie waren ihm dicht auf den Fersen. Als Nachteil erwies sich außerdem, dass Frank sich im Hafenviertel nicht gut auskannte. Dichte Nebelschleier hingen zwischen den baufälligen Schuppen. Die bunten Lichter des Vergnügungsviertels schienen irgendwo in unendlicher Ferne zu liegen. Frank war allein, und er hatte einen ganzen Trupp Verfolger auf dem Hals. Der Detektiv wandte den Kopf. Der Mann, der ihn entdeckt hatte, und seine beiden Kumpane waren ihm dicht auf den Fersen. Ungefähr zwanzig Meter hinter ihnen folgten Simpson und dessen Leute. Frank tat gut daran, so schnell wie möglich
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nichts Gutes verheißen konnte. Simpson, der Killer mit dem Bürstenhaarschnitt, sagte nur drei Worte. „Macht ihn fertig!“ Und dann stürzten sie sich auf Reynolds. Von allen Seiten fielen sie über ihn her. Der Detektiv kämpfte wie ein Löwe und verteidigte sich so gut er konnte, aber gegen diese Übermacht kam er nicht an. Ein Schlag auf den Hinterkopf beendete diesen ungleichen Kampf und vor Franks Augen explodierte die Welt in grellroten Farben. Er spürte nicht mehr, wie er auf dem feuchten Kopfsteinpflaster aufschlug.
Der Schock des eiskalten Wassers riss Frank wieder ins Bewusstsein zurück. In Sekundenschnelle begriff er, dass er ertrank, wenn er nicht schleunigst an die Oberfläche kam. Noch während er wild um sich schlug und mit den Armen ruderte, riss er unter Wasser die Augen auf. Das Licht war grau und trübe, aber es zeigte ihm die Pfosten des Piers, von wo sie ihn hinuntergeworfen hatten. Frank hatte einen eisernen Überlebenswillen. Auch wenn er kaum noch Luft in den Lungen hatte und Wasser in seinen Mund ganz langsam eindrang, tauchte er doch nicht gleich auf, denn er wusste, dass seine Gegner nur darauf warteten. Stattdessen schwamm er unter Wasser auf die Pfosten des Piers zu, während seine Lungen fast zu zerbersten drohten. Erst als er sicher war, dass er sich direkt unter dem Pier befand, tauchte er auf. Frank bemühte sich, leise zu sein, denn sie durften nicht wissen, dass er noch am Leben war. Gierig sog er die frische Luft ein. Sein Herz hämmerte wie verrückt. Frank klammerte sich an einen der massiven Pfosten und wartete ab. Irgendwo über sich hörte er die Stimmen der Männer, die ihn eiskalt hatten umbringen wollen. „Der ist fertig!“ vernahm Frank die Stimme Simpsons. „Uns stört der nicht mehr. Und jetzt weg von hier, Jungs!“ Polternde Schritte erklangen direkt über ihm. Die Kerle suchten das Weite. Obwohl Frank vor Kälte so fror, dass seine Zähne klapperten, hielt er es dennoch in seinem nassen Versteck so lange aus, bis er drüben bei der Lagerhalle Motorengeräusche vernahm. Augenblicke später quietschten Reifen auf, und der Wagen brauste davon. Frank atmete auf. Er war noch einmal mit heiler Haut davongekommen. Er
* „Dieser Hundesohn!“ keuchte einer der Schläger und rieb sich wütend das schmerzende Kinn. Er wollte dem bewusstlosen Frank einen Tritt in die Seite versetzen, aber Simpson hielt ihn zurück. „Lass das!“ knurrte er. „Du brauchst dich nicht übermäßig anzustrengen. Der Bursche landet doch sowieso bei den Fischen. Los, packt ihn. Wir müssen uns beeilen. Wenn jemand den Schuss gehört hat, dann haben wir auch bald die Bullen auf dem Hals.“ Das wirkte. Die Männer schienen nun zu begreifen, dass die Zeit drängte. Zwei von ihnen bückten sich. Einer packte Frank an den Schultern, der andere an den Füßen. Keuchend schleppten sie den bewusstlosen Detektiv hinüber zum Pier. Simpson ging voran und versicherte sich, dass kein Zeuge in der Nähe war. „Werft ihn da runter!“ befahl der Dealer und deutete auf die dunklen Fluten des Hudson River. „Die Fische sollen ihren Spaß an ihm haben, falls es in dieser Dreckbrühe überhaupt noch Fische gibt!“ Er lachte böse. Die beiden Männer schwangen Frank wie einen Sack hin und her und ließen ihn dann los. Augenblicke später klatschte der Körper im Hudson River auf und versank in den öligen Fluten.
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Es ging nicht nur um das Leben des Jungen - der Farbige war auch der einzige Zeuge für Captain Phil Stuarts Unschuld.
schwamm zum Anfang des Piers und zog sich dort an der Leiter hoch. Mit wackeligen Knien stand er da und atmete noch einmal tief ein, bevor er sich auf den Weg zu seinem Wagen machte. Er wusste nicht, wie lange er gebraucht hatte, bis er die Straße erreicht hatte, in der er seinen Mercedes abgestellt hatte. Die ganze Zeit über quälte ihn ein einziger Gedanke. Wie hatten die Burschen nur herausfinden können, dass er ihnen auf der Fährte war? Während Frank in seiner Jackentasche nach dem Wagenschlüssel suchte, war ihm klar, dass Morrison und seine Leute noch viel gefährlicher waren, als er zu Anfang gedacht hatte. Leroy Whitney hatte recht gehabt. Er hatte in ein Wespennest gestochen und selbst was dabei abbekommen. Der Motor sprang sofort an, als Frank den Zündschlüssel herumdrehte. Das beruhigende Geräusch ließ Frank aufatmen. Er musste es sich selbst zuschreiben, dass er nicht genügend aufgepasst hatte. Wahrscheinlich hatten sie ihn schon beobachtet, als er die Breakdance-Schule verlassen und Morrison dort das erste Mal gesehen hatte. Plötzlich durchfuhr es Reynolds siedendheiß. Wenn diese Vermutung stimmte - und es sprach eine ganze Menge dafür, dass es so war -, dann wussten sie auch, dass er sich mit Ben Cairn getroffen hatte. Frank legte den ersten Gang ein und gab Gas. Mit einem gewaltigen Satz schoss der Mercedes nach vorn. Natürlich, das war es! Ben Cairn war der nächste, der auf der Abschussliste stand. Sie mussten davon ausgehen, dass Ben mit drinsteckte, und sie würden ihn fragen, was er wusste. Wenn sie es herausgefunden hatten, würden sie den Jungen aus dem Weg räumen. Eiskalt und gnadenlos. Reynolds krampfte die Fäuste ums Lenkrad, während er das Gaspedal voll durchtrat. Jetzt begann der Wettlauf, mit der Zeit. Er musste es einfach schaffen, Ben rechtzeitig zu warnen!
* Taylor fröstelte. Diese verdammte feuchte Witterung ging ihm auf die Nerven. Wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, dann hätte er sich ins nächste Flugzeug gesetzt und zwei Wochen in Miami verbracht. Aber so wie es im Moment aussah, war daran gar nicht zu denken. Morrison hatte es mit der Angst bekommen, und das mit Recht. Zuerst diese Sache mit Bailey, und nun schnüffelte dieser Reynolds zuviel herum. Um Reynolds würde sich sein Kumpan Simpson kümmern. Er selbst hatte die Aufgabe, den Burschen aus der Breakdance-Schule zu übernehmen, den er bei Reynolds gesehen hatte. Den Nigger hatte er sofort wieder erkannt. Die Adresse stand in Morrisons Kartei, die er über jeden Schüler führte. Schließlich führte sein Boss ja eine ordentliche Breakdance-Schule. Jeder herumlungernde Jugendliche konnte froh sein, wenn er da unterkam. Bei dem Gedanken an Morrisons wohltätige Ader musste Taylor grinsen. Er vergaß die Kälte um sich herum, denn er wusste ja, was wirklich hinter der Sache steckte. Jetzt kam es darauf an, ob der Nigger auch was wusste, und wenn ja, dann hatte Taylor dafür zu sorgen, dass der Junge nichts davon ausspuckte. Das Haus, in dem der Farbige wohnte, sah abbruchreif aus. Taylor schüttelte den Kopf, denn er begriff nicht, wie da drin überhaupt noch jemand hausen konnte. Ringsherum Schutt- und Müllhalden, und die Abfallcontainer quollen fast über vor Dreck. Taylor drängte diesen Gedanken beiseite und marschierte auf den Hauseingang zu. Von seinem Beobachtungspunkt aus hatte er gesehen, wie der junge Schwarze vor einer halben Stunde im Haus
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die sich der Türe näherten.
verschwunden war. Augenblicke später war in einem der Zimmer das Licht angegangen, so dass Taylor wusste, in welchem Stock er zu suchen hatte. Der Killer umfasste seine Waffe in der Jackentasche. Wenn der Junge nicht spurte und erzählte, was er wusste, dann bekam er gleich heißes Blei zu schmecken. Taylor wollte kein großes Aufsehen machen. Sich den Typ vornehmen und ihn ausquetschen - dann eine Kugel. So einfach war das. Die Tür quietschte schrill in den Angeln, als er sie öffnete. Der Flur lag im Halbdunkel, und es roch muffig; Hinter einer Tür hörte Taylor die keifende Stimme einer Frau, die sich offensichtlich mit ihrem Ehemann zankte. Taylor ging mit leisen Schritten die Treppe hinauf. Cairn hatte seine Wohnung im dritten Stock, das hatte er ja bereits herausgefunden. Hauptsache, der Bursche merkte nicht, dass er ihn verfolgt hatte. Niemand begegnete ihm im Treppenhaus. Es war die Stunde, in der die meisten Leute entweder zu Abend aßen oder schon vor der Mattscheibe hockten. Taylor hatte noch keinen Feierabend. Zuerst musste er seinen Job erledigen. Jetzt hatte er den Flur erreicht. Sein Gefühl sagte ihm, dass die Wohnung des Farbigen am Ende des Ganges lag. Ohne einen Laut ging er weiter. In Sekundenschnelle registrierte er die Namensschilder an den Wohnungstüren. Schließlich entdeckte er Ben Cairns Namen. Er blieb vor der Tür stehen. Ein Konzept hatte er sich schon zurechtgelegt Es musste alles schnell gehen. In solchen Dingen war Taylor ein Experte. Leise klopfte er an die Tür. „Wer ist da?“ hörte er eine Stimme. Ben Cairn! „Gideon“, erwiderte Taylor mit undeutlicher Stimme, denn das war der Name des Mannes, der die Nachbarwohnung besaß. So konnte Ben nicht misstrauisch sein. Ein boshaftes Grinsen huschte über Taylors Gesicht, als er Schritte vernahm,
* Ben Cairn legte den Walkman beiseite, mit dessen Innenleben er sich gerade beschäftigt hatte. Die Batterien waren schon ziemlich schwach gewesen, und es war höchste Zeit, dass er sie auswechselte. Da klopfte jemand an die Tür. Ben ruckte hoch. Wer, zum Teufel, störte ihn denn jetzt wieder? Wahrscheinlich war es wieder diese alte Hexe, die die Miete verlangte. Deshalb wollte er nicht öffnen, sondern erst fragen. Erleichtert atmete er auf, als er hörte, dass es der alte Gideon war. Der Sechzigjährige, der ebenfalls allein in der Wohnung neben ihm hauste, lebte von der Hand in den Mund und war notorischer Alkoholiker, aber er hatte das Herz auf dem rechten Fleck. „Ich komme!“ rief Ben zurück und legte die Batterien auf den Tisch. Einsetzen konnte er sie ja immer noch. Gideon wollte bestimmt nur eine Kleinigkeit. Er drehte den Schlüssel im Schloss herum und öffnete die Tür. Im gleichen Augenblick prallte etwas mit vehementer Wucht gegen ihn, und Ben taumelte mit einem erstickten Aufschrei zurück. Verzweifelt ruderte er mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten, aber der Stoß war zu stark gewesen. Der Junge prallte mit dem Rücken gegen den Tisch und fiel zu Boden. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er sprachlos auf den Mann, der die Tür hinter sich zuschloss und mit kaltem Blick auf ihn herabsah. Das war doch nicht Gideon, das war doch einer der beiden Burschen aus dem Keller in der Breakdance-Schule! Ben schluckte unwillkürlich, und ein Schauer der Angst lief seinen Rücken hinunter. Jetzt war es soweit. Nun hatten sie doch herausgefunden, dass er was gesehen hatte! Und alles wegen diesem Schnüffler Frank Reynolds, dem er das
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Höhnisch schaute er auf den zitternden Ben, der ängstlich auf die Waffe starrte. Er wusste, dass der Junge Angst hatte, und er würde reden, so oder so! „Was ist? Bist du stumm?“ Ben schüttelte den Kopf. „Reynolds hat mich nur gefragt, ob ich was gesehen habe an dem Abend, wo der Mord passiert ist, Mister. Und ich hab’ ihm gesagt, dass das nicht der Fall ist.“ „Du willst mich wohl verarschen, du kleiner Nigger!“ knurrte Taylor. Seine Augen funkelten wütend. „Weshalb bist du dann aus der Kneipe gerannt, als wärst du auf der Flucht? Ich hab’ beobachtet, wie Reynolds mit dir gesprochen hat. Abgehauen bist du, Ratte. Das tun nur Leute, die ein schlechtes Gewissen haben. Und ich denke mir, dass du ein verdammt schlechtes Gewissen hast. Was hattest du in der Nacht unten im Keller zu suchen, he? Jetzt sag ja nicht, dass du es nicht gewesen bist! Ich versteh keinen Spaß mehr.“ Ben ließ den Kopf sinken. Dem Mann konnte er nichts mehr vormachen. Durch seine elende Neugier war er zwischen zwei gewaltige Mühlsteine geraten, die ihn nun zu zerquetschen drohten. Mist, verdammter! Manchmal war es doch besser, den blöden Nigger zu spielen und so zu tun, als wäre man blind und stocktaub. So hätte er wenigstens keinen Ärger bekommen. Aber den hatte er nun, und das nicht zu knapp. Der Bursche würde ihn eiskalt aus dem Weg räumen, genauso wie den armen Hund im Keller. Ben wusste nicht, dass es Taylors Kumpan Simpson gewesen war. Er wusste nur, dass sein Traum von einer Karriere als Breakdancer geplatzt war wie eine Seifenblase. „Okay, Mister. Ich war unten im Keller und hab’ alles mitbekommen. Aber ich schwör’ Ihnen, dass ich den Mund halten werde. Ich will tanzen und sonst nichts und...“ „Wenn dieser verdammte Schnüffler nicht mit dir gesprochen hätte, dann würde ich dir deinen guten Willen ja noch
wahrscheinlich zu verdanken hatte. „Wenn du schreist, bist du tot, Nigger“, sagte der Mann mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Er griff in seine Jackentasche und zog einen Revolver mit aufgeschraubtem Schalldämpfer hervor. „Ich knall’ dich ab, hast du das verstanden?“ Ben schloss die Augen vor Angst „Was wollen Sie von mir, Mister?’’ fragte er. „ Ich hab Ihnen doch gar nichts getan. Ich kenne Sie doch nicht einmal und...“ Mit schnellen Schritten eilte der Killer auf Ben zu und verpasste ihm eine Ohrfeige. „Red keinen Unsinn“ Nigger!“ fauchte er. „Mich kannst du nicht reinlegen. Versuch es besser erst gar nicht, sonst geht’s dir schlecht. Also - du hast fünf Minuten, um zu sagen, was dieser Schnüffler Frank Reynolds von dir wollte!“ Das war es, was Ben schon lange befürchtet hatte. Er und der Detektiv waren gesehen worden. Verdammt noch mal, warum hatte er sich überhaupt darauf eingelassen, mit Reynolds zu sprechen? Jetzt hatte er den ganzen Ärger und die Scherereien auf dem Hals. Scotty und Blake konnten froh sein, die waren raus aus der Sache, aber dieser verrückte Bursche mit seinem Revolver sah ganz so aus, als sei nicht gut mit ihm Kirschen essen. Taylor hob die rechte Hand. Der Lauf der Waffe zielte genau auf Bens Brust. „Junge, dieser Revolver hier hat einen Schalldämpfer’’, sagte er und grinste wieder. „ Wenn ich abdrücke, wird den Schuss kein Mensch hören. Willst du jetzt auspacken oder nicht, he? Dann möchtest du wohl unbedingt sterben?“ Natürlich war es für Taylor schon längst beschlossene Sache, dass er den Farbigen aus dem Weg schaffte, aber das sagte er ihm nicht. Er wollte in Ben die Hoffnung wecken, dass er, wenn er auspackte, noch mit einem blauen Auge davonkam.
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Gesicht, und der Mann wich unwillkürlich zurück. Seine Finger krümmten sich um den Abzug, und der Schuss fiel. Ein leises Ploppen, mehr nicht. Ben war schon längst nicht mehr an der Stelle, wo er sich noch eben befunden hatte. Wieselflink war er aufgesprungen und vorwärts gehechtet, sonst hätte ihn die Kugel getroffen. Ben war ein flinker Bursche, und das rettete ihm das Leben. Er stürzte sich auf Taylor, der unwillkürlich die Augen geschlossen hatte, und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Dann versetzte er dem Killer einen Stoß, dass dieser zurücktaumelte. Ben sah nicht mehr zurück, sondern rannte so schnell er konnte zur Tür. Hastig drehte er den Schlüssel im Schloss herum und riss die Tür auf. Wie von allen Teufeln gehetzt, stürmte der junge Farbige die Treppe hinunter. Hinter sich hörte er einen wilden Fluch und kurz darauf polternde Schritte. Der Killer hatte die Verfolgung aufgenommen, und Ben wusste, dass er jetzt keine Fragen mehr stellen würde. Er würde ihn eiskalt über den Haufen schießen, ohne mit der Wimper zu zucken. Sekunden später hatte Ben den schmutzigen Hausflur im Erdgeschoß erreicht. Zum Glück stand die Tür weit offen. Ben schoss mit einem einzigen Satz ins Freie, ohne nach links und rechts zu schauen. Dann spurtete er los, mit keuchendem Atem. Und die Angst im Nacken trieb ihn vorwärts.
abkaufen. Junge“, erwiderte der Killer. „Aber Frank Reynolds ist bekannt wie ein bunter Hund. Wenn der erst mal eine Fährte gewittert hat, dann gibt der nicht so schnell auf. Deshalb muss ich dafür sorgen, dass alle Spuren verwischt werden. Ich hab’ nichts gegen dich, das kannst du mir glauben. Aber du hast nun mal Pech gehabt und Dinge gesehen, die dich nichts angehen. Tut mir Leid für dich, aber Mr. Morrison kann kein Risiko eingehen. Das musst du verstehen. Es ist schon viel zuviel passiert. Na ja, vielleicht kannst du im Himmel ‘ne Karriere als Breakdancer machen. Hier jedenfalls nicht mehr.“ Über den Laut des Revolvers blickte er Ben eiskalt an. Der Finger schien sich allmählich um den Abzug zu krümmen. Gleich würde er abdrücken und Ben über den Haufen schießen. Nein! schrie es in Ben. Alles bäumte sich in ihm auf. Entsetzt huschte sein Blick im Zimmer umher. Plötzlich fiel sein Blick auf eine halbvolle Bierbüchse, die auf dem Fußboden stand, ganz in seiner Reichweite. Der Teufel mochte wissen, weshalb sie sich nicht auf dem Tisch befand. Wahrscheinlich hatte Ben sie in Gedanken dort abgestellt und vergessen. Das war die allerletzte Chance, die ihm noch blieb. „Schießen Sie nicht, Mister!“ rief Ben verzweifelt und versuchte, den Killer abzulenken .während seine rechte Hand vorsichtig nach der Bierbüchse tastete. „Ich schwöre Ihnen, dass ich nichts sagen werde. Einem Nigger glaubt ja doch keiner!“ Jetzt hatte er die Büchse in der Hand. Seine Finger drückten zu. Gerade noch rechtzeitig, denn der Mann mit dem Revolver schüttelte den Kopf. „Hör auf zu jammern, Junge!“ sagte er rau. „Es nützt dir ja doch nichts mehr. Und jetzt halt den Mund. Du wirst nichts spüren. Ich ziel’ genau.“ Noch während Taylor die letzten Worte sprach, schleuderte Ben die halbvolle Bierbüchse auf den Killer. Das Wurfgeschoß traf Taylor genau im
* Taylor fluchte wie ein Rohrspatz, als ihn die Bierbüchse im Gesicht trat und die Flüssigkeit sich über seinen Kragen ergoss. Unwillkürlich drückte er ab, wusste aber, dass er nicht getroffen hatte. Dann spürte er plötzlich einen Schlag und einen Stoß. Taylor stolperte und fiel zu Boden. Verzweifelt rieb er sich die vom Bier verklebten Augen. Als er endlich wieder klar sehen konnte, war der Junge
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nicht mehr im Zimmer. Aber er hörte auf dem Flur eilende Schritte. Taylor griff nach seiner Pistole, die ihm dieser Bursche aus der Hand geschlagen hatte. Der Killer raffte sich in Windeseile auf und hastete ebenfalls hinaus auf den Flur. „Du dreckiger Nigger!“ brüllte er außer sich vor Wut „Ich krieg“ dich!“ Gerade als er seinen Kopf aus dem Zimmer steckte, sah er, wie Ben die Treppe hinunterhastete. Sofort riss Taylor den Revolver hoch und drückte ab. Die Kugel bohrte sich in die verschmutzte Wand. Ben war zu flink gewesen. „Scheiße!“ knurrte Taylor und rannte vorwärts zur Treppe. Im gleichen Augenblick wurde die Tür zum Nachbarzimmer aufgerissen, und ein Mann mit runzligem Gesicht spähte ängstlich hinaus auf den Flur. Als er jedoch den wütenden Taylor mit der Waffe in der Hand erblickte, schlug er die Tür hastig wieder vor sich zu. Taylor merkte nichts von dem Beobachter. Es war ihm auch vollkommen egal, ob von diesen Hungerleidern jemand mit zusah oder nicht. Ben Cairn musste zum Schweigen gebracht werden. Das war das einzig Wichtige. Der Killer rannte die Treppe hinunter und verlor dabei fast das Gleichgewicht. Er hatte es ungemein eilig, den Jungen zu erwischen. Sekunden später hatte er den Flur erreicht und stürzte hinaus ins Freie. Seine Blicke schweiften umher und entdeckten den Jungen, der lief, als sei der Leibhaftige hinter ihm her. Cairn rannte die Straße hinunter auf die Wohnblocks zu. Dort war die Gegend schon ein wenig lebhafter. Taylor musste alles daransetzen, dass der Junge sein Ziel nicht erreichte. Er musste ihn ausradieren. Der Killer rannte los, mit der Waffe in der Hand. „Bleib stehen, du Ratte!“ schrie er, denn die Wut darüber, dass ihn ein Siebzehnjähriger ausgetrickst hatte, verletzte seine Eitelkeit und machte ihn fast verrückt. Im Laufen hob er die Waffe.
* Ben Cairn hörte die Stimme des Killers. Sie spornte ihn noch mehr an, alles aus seinem Körper herauszuholen. Wieder einmal zahlte sich sein BreakdanceTraining aus. Der Farbige besaß einen Körper, der sportlich durchtrainiert war. Deshalb konnte er laufen wie eine Gazelle. Vor sich entdeckte Ben die anderen Wohnblocks. Die Dämmerung setzte allmählich ein. In weiter Ferne schimmerten die Neonlichter der Paläste von Manhattan. Ich muss es einfach schaffen, durchfuhr es ihn. Er darf mich nicht erwischen. Diese innere Stimme gab ihm Kraft, während er weiterhetzte. Plötzlich spürte er ein leises Zischen dicht neben seinem Kopf und er wusste, dass ihn die Kugel nur knapp verfehlt hatte. Der Killer machte blutigen Ernst. Diesmal hatte er noch vorbei geschossen, aber beim nächsten Mal würde er vielleicht sein Ziel treffen. Plötzlich vernahm Ben Motorengeräusche, die sich rasch näherten. Augenblicke später sah der Junge einen silbergrauen Mercedes mit überhöhter Geschwindigkeit aus einer Seitenstraße hervor schießen. Der Wagen fuhr direkt auf ihn zu. Im selben Moment traf ihn etwas mit ungeheurer Wucht hoch in der rechten Schulter und schleuderte ihn nach vorn. Cairn schrie auf, als er den brennenden Schmerz in seinem Körper spürte. Mit seinem zweiten Schuss hatte der Killer getroffen. Der Farbige taumelte weiter nach vorn, genau auf den heranrasenden Mercedes zu. Ben wusste, dass er verloren war, wenn der Fahrer des Wagens ihm nicht half. Und als er weitertaumelte, erkannte er plötzlich den Mann am Steuer des Autos - Frank Reynolds! „Hilfe!“ schrie Ben aus vollem Halse und hob die linke Hand. Gleichzeitig schaute er
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Frank bog mit singenden Reifen in eine Seitenstraße ein, um nicht ganz um den Block herumfahren zu müssen. Kurz vor der Einmündung in die 135th Street bremste er noch einmal ab. Trotzdem hatte der Mercedes immer noch ein viel zu hohes Tempo drauf. Und dann sah er plötzlich Ben Cairn. Der Junge taumelte gehetzt auf ihn zu, und sein Blick sprach Bände. Er hatte Angst. Sekunden später sah Frank auch, weshalb. Ein Mann mit einem Revolver in der Hand rannte hinter dem Siebzehnjährigen her. Frank bremste seinen Mercedes sofort ab und brachte den Wagen zum Stehen. Er riss die Wagentür auf. „Hilfe!“ hörte er die Stimme Bens, der ihn jetzt erkannt hatte. „Mr. Reynolds, helfen Sie mir!“ „Wirf dich zu Boden, Ben!“ rief Frank zurück, der nun sah, dass Ben verwundet war. „Schnell!“ Noch während der Junge Franks Befehl ausführte, riss der Detektiv seinen Colt aus dem Schulterhalfter. Er sah den Killer, der erneut auf Ben zielen wollte, um ihn endgültig abzuschießen. Frank erkannte den Burschen. Leroy Whitney hatte ihn so weit beschrieben, dass es nur Taylor sein konnte. Der Killer sah jetzt Frank und erkannte auch, dass dieser ebenfalls eine Waffe in der Hand hielt. Da riss er den Revolver herum, wollte abdrücken, aber Frank kam ihm zuvor. Die Kugel aus Reynolds’ Waffe traf Taylor und stieß ihn zurück. Mr.Bronx ließ die Waffe sinken. Taylor war zusammengebrochen und rührte sich nicht mehr. Ben Cairn lag wenige Schritte neben Frank auf dem Boden, kreidebleich vor Schmerzen und Angst, Man sah ihm an, dass er Todesangst gehabt hatte. „Es ist vorbei. Junge“, versuchte Frank, den Farbigen zu beruhigen. Er steckte die Waffe ein und ging hinüber zu Ben. Der Junge stöhnte vor Schmerz, und als Frank sich über ihn beugte, verstand er auch, warum. Die Kugel aus Taylors Waffe hatte ihm eine böse Wunde zugefügt. Drüben aus den Häusern tauchten auf
ängstlich hinter sich. Er entdeckte den Killer, der stehen geblieben war und mit der Waffe direkt auf ihn zielte. Nun würde er ihm endgültig den Fangschuss versetzen. * Frank Reynolds fuhr wie ein Besessener. Obwohl ihm jeder Knochen im Leib schmerzte, schonte er sich nicht. In seinem Kopf tobte ein ganzes Hornissenheer, während er mit Bleifuß weiterfuhr. Die Tachonadel hatte die zulässige Geschwindigkeitszahl schon längst überschritten, aber Frank kümmerte sich nicht darum. Sein Gefühl sagte ihm, dass Ben Cairn in Gefahr war. An der Hauptkreuzung am Columbus Circle sprang die Ampel auf Gelb. Frank war mehr als hundert Meter davon entfernt, da wechselte die Anlage auf Rot. Mr.Bronx trat das Gaspedal noch einmal durch, und der Mercedes schoss wie ein geölter Blitz voran. Ein Hupkonzert ertönte, und Bremsen quietschten, als andere Fahrzeuge plötzlich anhalten mussten, um den Verkehrssünder passieren zu lassen. Frank grinste schuldbewusst und spähte in den Rückspiegel. Aufatmend stellte er fest, dass es weder Unfälle noch sonstige Zusammenstöße gegeben hatte. Und weiter ging die Höllenfahrt. Das Nachtleben in Manhattan hatte mittlerweile begonnen. Entsprechend heftig war der Verkehr, der sich über die Hauptzufahrtsstraßen wälzte. Frank schaffte es dennoch, schnell voranzukommen. Nach einer halben Stunde hatte er es geschafft, den Verkehr hinter sich zu lassen. Über die Triborough Bridge gelangte er nach Harlem, wo Ben Cairn wohnte. Aufgrund seines guten Orientierungsvermögens schaffte er es sofort, den Bezirk zu erreichen, in dem der Junge lebte.
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aufgerauchte Zigarette weg. „Komm mit aufs Revier. Dort reden wir weiter.“ Frank schüttelte den Kopf. „Wir sollten besser ins Krankenhaus fahren, Tom“, meinte er. „Ben hat was abgekriegt, und ich möchte sehen, wie’s ihm geht. Ich schlage vor, dass du Phil und deinen Chef informierst. Dann treffen wir uns im Hospital, okay?“ „Eigentlich müssten wir erst noch ein Protokoll schreiben“, überlegte Dillon laut. „Aber ich will Phil einen Gefallen tun und den bürokratischen Kram für ‘ne Weile vergessen, Reynolds. Okay, ich verständige die Zentrale. Captain Stuart wird mitkommen. Ob der Anwalt zusagt, werden wir sehen.“
einmal Menschen auf, die natürlich die Schießerei beobachtet hatten und jetzt neugierig zusahen, was weiter geschah. „Vielleicht ruft von euch endlich mal jemand die Polizei!“ rief er zu den Schaulustigen hinüber. „Der Junge hier braucht dringend einen Arzt!“ Als er dann wieder Ben ansah, war dieser bewusstlos geworden. * Lieutenant Tom Dillon blickte kopfschüttelnd auf die beiden Krankenwagen, die mit Blaulicht zur Klinik rasten, während die Kollegen noch den Schauplatz der Schießerei untersuchten. „Reynolds, was zum Teufel hast du hier wieder angestellt?“ fragte er Frank. „Kaum ist im Revier wenigstens mal für eine halbe Stunde Ruhe, dann sorgst du schon wieder für Schlagzeilen. Ich will hören, was hier gespielt wird. Und nun sag ja nicht, dass du das alles nur tust, um dem Captain aus der Patsche zu helfen.“ „Genauso ist es aber.“ Frank zog eine Packung Marlboro aus der Tasche und bot Lieutenant Dillon eine Zigarette an. Genüsslich sog er den Rauch seiner eigenen Zigarette ein, während er Phils Stellvertreter ansah. „Vielleicht mag die Geschichte unglaubwürdig klingen, Tom“, begann er. „Aber es ist wirklich so. Dieser Junge namens Ben Cairn, der ins Krankenhaus gefahren wird, ist der einzige Zeuge, der gesehen hat, dass Phil mit dem Mord in der Kensington Street nichts zu tun hat.“ In wenigen Worten erklärte er dem Polizeibeamten, was er in den letzten Stunden alles herausgefunden hatte. Dillon hörte sich das Ganze mit verkniffener Miene an. Er überlegte einen Augenblick, bevor er sich zu einer Antwort entschloss. „Das ist ‘ne Sache, über die ich Brown informieren muss“, sagte er. „Reynolds, es ist in unserem Interesse - falls das stimmt, was du sagst. Und Captain Stuart wäre raus aus der Sache.“ Er warf die
* Frank hatte vielleicht eine halbe Stunde gewartet, als am Ende des Ganges die Polizisten auftauchten: Tom Dillon an der Spitze, gefolgt von Phil Stuart und zwei uniformierten Dienstpolizisten. „Dillon hat mir von der Sache erzählt, Frank“, begrüßte ihn der Captain. „Mensch, warum hast du mich denn nicht eher angerufen?“ „Mandy und ich haben’s mindestens ein Dutzend Mal versucht, Phil“, erwiderte der Detektiv. „Aber du warst einfach nicht an die Strippe zu bekommen. Nun ja, die Spur war heiß, und ich musste was unternehmen. Deshalb konnte ich dich nicht mehr rechtzeitig verständigen. Aber wo steckt denn eigentlich Brown? Ich dachte, er wollte mitkommen?“ Bevor Stuart dazu Stellung nehmen konnte, ergriff Lieutenant Dillon das Wort. „Brown hat gerade eine wichtige Sitzung“, berichtete er. „Heute Abend findet ein Gespräch mit einigen Politikern statt, und als Leiter der Mordkommission muss er mit dabei sein. Er hat mich beauftragt, in diesem Fall zu ermitteln. Reynolds, gehen wir jetzt zu diesem Jungen?“ Frank nickte. Es war immer das gleiche
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„Hören Sie doch auf mit diesem offiziellen Kram, Dillon“, meldete sich Phil zu Wort; „Frank hat mit dem Jungen schon gesprochen, bevor wir ins Krankenhaus gekommen sind.“ Ein kurzer Blick zu Reynolds sagte ihm, dass er mit seiner Vermutung recht gehabt hatte. „Junge, der Kerl hat dir ‘ne ganz schöne Wunde verpasst.“ Ben nickte. „Umbringen wollte er mich, Captain, Sir. Nur weil ich mitbekommen habe, wie er und sein Kumpan einen anderen umgelegt haben. Zuerst wollte ich nichts gehört und gesehen haben, aber jetzt reicht es mir. Die wollten mich eiskalt aus dem Weg räumen. Mr. Reynolds, Captain, ich bin Ihr Zeuge, und ich werde auch vor Gericht aussagen, wenn es sein muss.“ „Danke, Ben“, erwiderte Stuart, dem ein Stein vom Herzen gefallen war. „Du hilfst uns vielleicht, dass wir endlich einen Rauschgiftring hochgehen lassen können und...“ Er brach ab, als die Tür des Krankenzimmers geöffnet wurde und Officer Sloane den Raum betrat. Sein Gesicht drückte deutlich Erregung aus. „Captain Stuart, Lieutenant“, begann er dann. „Der Chefarzt hat uns gerade mitgeteilt, dass der Mann namens Taylor seinen Verletzungen erlegen ist. Der Mann ist tot, Sir!“ „Mist, verdammter!“ fluchte Dillon. „Die Aussage dieses Burschen hätten wir gut gebrauchen können.“ Er drehte sich um zu dem Farbigen, der das Gespräch ebenfalls mit angehört hatte. „Junge, jetzt bist du der einzige, der uns helfen kann. Deine Aussage ist mehr wert als Gold.“ „Ben muss Polizeischutz bekommen“, warf Frank ein. „Phil, kannst du nicht dafür sorgen, dass wenigstens einer der Beamten über Nacht hier blieben kann?“ Phil warf Dillon einen kurzen Blick zu, und dieser nickte. Der Lieutenant bat Officer Sloane, vor Bens Zimmer bis zum nächsten Morgen Wachposten zu beziehen. Eine Ablösung würde dann erfolgen. „Dieser Junge ist ein Kronzeuge für das
mit diesen Schreibtischhengsten. Brown war ein gutes Beispiel dafür. Der Generalstaatsanwalt kümmerte sich nur noch um offizielle Dinge, und Privatdetektive waren ihm sowieso ein Dorn im Auge. Wahrscheinlich verließ er sich darauf, dass Dillon alles regelte. Nur abwälzen auf die anderen! Dabei musste er doch ein Interesse daran haben, dass ein guter Polizist von dem schmutzigen Verdacht des Mordes freigesprochen wurde! „Officer Sloane - Sie und Masterson beziehen hier Posten“, trug Dillon den Polizisten auf. „Bitte sprechen Sie mit dem Stationsarzt auch über diesen angeschossenen Taylor. Ich möchte wissen, wann er vernehmungsfähig ist.“ Er folgte Reynolds und dem Captain ins Krankenzimmer, wo Ben lag. Als Frank die Tür öffnete, hatte der Junge ihn sofort erkannt. Er versuchte zu grinsen, aber es fiel ihm noch schwer. „Hi, Ben“, begrüßte Frank ihn. „Das hier sind Captain Phil Stuart und Lieutenant Max Curtis. Den Captain dürftest du ja kennen.“ Der Siebzehnjährige, der einen Pressverband um die rechte Schulter trug, versuchte, sich im Bett aufzurichten, aber er war noch zu schwach dazu. Lange blieb sein Blick auf Phil haften, bevor er nickte. „Das ist der Mann, der im Keller der Breakdance-Schule war, wo Morrison und die beiden Killer den Mann umgebracht haben.“ Captain Stuart blickte seinen Stellvertreter triumphierend an. In diesen Minuten war er Frank sehr dankbar, denn der Freund hatte bewiesen, dass man sich auf ihn verlassen konnte. Er hatte ihm aus der Patsche helfen wollen, und dies war ihm auch offensichtlich gelungen. „Junge, ich möchte dich auf deine Rechte aufmerksam machen“, begann Dillon den üblichen Spruch. „Wenn du eine Aussage machen willst, dann möchte ich dich belehren, dass jedes Wort wichtig ist. Sagst du wirklich die Wahrheit, dann ist ein angesehener Beamter frei von Schuld.“
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Zögern Browns nicht dulden konnte. „Sie ist zwar noch nicht zu Protokoll gegeben, dürfte aber ausreichen, um eine vorläufige Verhaftung zu bewirken. Lieutenant Dillon hat die Wohnung des toten Taylor durchsuchen lassen, wie er mir sagte. Dort hat er Morrisons Telefonnummer und Rauschgift gefunden. Wenn das nicht ausreicht, dann weiß ich auch nicht weiter.“ Brown dachte einen Moment nach. Schließlich nickte er. „Okay, Gentlemen! Ich nehme die Sache auf meine Kappe. Dillon, Sie gehen zurück ins Hospital und nehmen die Aussage des Jungen zu Protokoll, damit wir’s zumindest schriftlich haben. Captain, Ihre Suspendierung ist hiermit vorläufig aufgehoben. Bitte, halten Sie sich im Präsidium zur Verfügung. Ich werde dafür sorgen, dass der Haftbefehl umgehend ausgestellt wird. Dann nehmen Sie die Verhaftung vor, aber ich reiße euch allen den Kopf ab, wenn sich herausstellt, dass die Sache ein Windei war.“
Gericht“, sagte Dillon draußen auf dem Gang zu Frank, nachdem sie das Zimmer verlassen und sich von Ben verabschiedet hatten. Reynolds hatte Ben versprechen müssen, am nächsten Mittag wieder vorbeizuschauen. „Jetzt haben wir endlich eine Aussage. Frank, du hast gesagt, dass der tote Taylor und sein Freund Simpson mit Rauschgift zu tun haben. Wenn dieser Morrison ihr Boss ist, können wir vielleicht ein größeres Nest ausheben. Ich rufe gleich den Brown an, und es ist mir egal, ob ich ihn in seiner Sitzung störe. Kommen Sie, Captain, die Sache ist wichtig. Du bist morgen früh im Präsidium, Reynolds?“ Es war eine Frage, deren Antwort Dillon vorausgeahnt hatte. Natürlich war Frank damit einverstanden. Er hatte die Spur entdeckt. Jetzt war die Polizei an der Reihe. * Brown warf Frank einen unwilligen Blick zu. Irgendetwas schien er gegen Privatdetektive zu haben, und von dieser Meinung war er nicht abzubringen. Trotzdem musste er anerkennen, was Frank geleistet hatte. „Ist die Aussage des Jungen glaubwürdig?“ fragte er Lieutenant Dillon und Captain Stuart. „Sie wissen, dass ich Beweise haben will, bevor ich einen Haftbefehl ausstelle.“ „Die Sache ist doch klar wie Kloßbrühe“, entgegnete Phil. „Frank hat Ihnen doch schon erzählt, was hier gespielt wird. Dieser Morrison hat wohl seine Finger im Rauschgifthandel, und diese Männer namens Taylor und Simpson sind seine Dealer.“ „Taylor ist tot, und Simpson noch nicht verhaftet“, antwortete Brown. „Ich weiß nicht, ob das für einen Haftbefehl ausreicht. Uns fehlen eindeutige Beweise, Stuart.“ „Sie haben eine Zeugenaussage, Sir“, meldete sich nun Frank zu Wort, der das
* Phil Stuart wartete schon seit über zwei Stunden in seinem Büro. Mittlerweile war es Mittag geworden, und die Sonne bemühte sich. die dichte Wolkendecke zu durchbrechen. Frank war auf dem Weg ins Krankenhaus, um Ben zu besuchen, während er selbst auf den Haftbefehl wartete. Die Zeit verrann nur träge. Stuart studierte seine Notizen, die er sich gemacht hatte und verglich sie mit den Informationen, die ihm Frank gegeben hatte. Clay Morrison - dieser Name ging ihm beim besten Willen nicht aus dem Kopf. Wieder und wieder studierte er seinen Zettel. Es gab absolut nichts Auffälliges an diesem Mann. Er war nicht in der Polizeikartei registriert, und Fingerabdrücke besaßen sie auch nicht von ihm.
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der Haftbefehl steckte. Lieutenant Dillon stand hinter ihm. „Ich habe mit dem Staatsanwalt gesprochen, Captain“, begann Brown. „Hier ist der Haftbefehl für Clay Morrison. Sie und Dillon machen sich sofort auf die Socken, klar?“ „Mr. Brown, ich habe noch etwas herausgefunden, was diesen Haftbefehl rechtfertigt. Hören Sie zu...“ Und dann schilderte er Brown, was er aufgrund seiner Unterlagen festgestellt hatte. Der Anwalt und der Lieutenant machten große Augen. Insgeheim wurmte es Brown, dass noch niemand darauf gekommen war. „Gute Arbeit, Captain“, sagte er knapp, und darin steckte schon viel Lob, denn der Staatsanwalt war ein Mann ohne viele Worte. „Verhaften Sie diesen Morrison, und dann sehen wir weiter. Aufgrund dieser Aussagen müssten wir ihn eigentlich kriegen. Viel Glück, Gentlemen.“
Geboren in Bangor/Maine, anschließend nach einer erfolglosen Lehre gleich zur Army. Aus Vietnam zurückgekehrt, hatte er sich mehr schlecht als recht durchs Leben geschlagen. Schließlich hatte er diese Breakdance-Schule eröffnet, die aber ganz gewiss nicht zu den besten zählte. Ein Bursche aus Maine, dachte Phil. Ich kenne diesen Mann nicht. Und Frank sagt, dass er es aber auf mich abgesehen hat! Warum denn, zum Teufel? Die Sache ließ Phil keine Ruhe. Noch einmal studierte er alle Unterlagen, die ihm zur Verfügung standen. Wieder vertiefte er sich in die Daten und vergaß alles um sich herum. Er war so beschäftigt mit der Sache, dass er nicht merkte, wie schnell die Zeit verging. Geboren in Maine. Der Vater hieß Hank Morrison und die Mutter Sarah, geborene Hayes. Die Ehe ging nicht gut, auch nicht, als das zweite Kind unterwegs war - Bill. Nach der Scheidung nahm die Frau das zweite Kind mit sich und Clay selbst ging zur Army. Zurückgekehrt aus dem Vietnamkrieg, begann er dann... Plötzlich durchfuhr es Phil wie ein Blitz. Natürlich, das war es! Er schalt sich einen Narren, weil er nicht gleich darauf gekommen war. Vor ungefähr fünf Monaten hatte er in der Bronx einen jungen Kerl erwischt, der einen Drugstorebesitzer überfallen und tödlich verletzt hatte. Der Name des Burschen war Bill Hayes gewesen. Jetzt saß er in der Strafanstalt und verbüßte eine zehnjährige Haftstrafe wegen Totschlags. Der Mann war Clay Morrisons Bruder. „Natürlich“, sagte Phil zu sich selbst. „Das ist das Motiv. Der Bursche will sich an mir rächen, weil ich seinen Bruder vor fünf Monaten erwischt habe.“ „Sprechen Sie mit sich selbst, Captain?“ riss ihn die Stimme Browns aus den Gedanken. „Beschäftigt Sie der Fall so sehr?“ Phil erkannte erst jetzt, dass er nicht mehr allein in seinem Büro war. Vor seinem Schreibtisch stand Brown, in der Hand einen Umschlag, in dem sicherlich
* Clay Morrison war sichtlich erregt, als er Simpsons Worten lauschte. Der bullige Mann mit dem Bürstenhaarschnitt erzählte ihm, dass Frank Reynolds den Treffpunkt am Pier 17 entdeckt hatte. Zum Glück war man ihm noch rechtzeitig auf die Schliche gekommen. „Wir haben ihn zusammengeschlagen und in den Hudson River geworfen, Mr. Morrison“, sagte Simpson triumphierend. „Dort füttert er jetzt die Fische.“ Er lachte boshaft. Morrison wollte gerade etwas erwidern, als das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte. Der Weißhaarige nahm den Hörer ab. Für einen kurzen Moment hörte er der Stimme am anderen Ende der Leitung zu. Dann wurde sein Gesicht immer länger, und am Schluss des Gespräches war es eine einzige Grimasse aus Wut und Zorn. „Danke, Jeffries“, sagte er mit einer
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„Hat er aber!“ brüllte der Weißhaarige. „Und dieser schlaue Hund ist sofort nach Harlem zurückgefahren. Gerade noch rechtzeitig, um Taylor dabei zu stören, den Jungen umzulegen. Es gab einen Schusswechsel, und dabei hat es Taylor erwischt Der Nigger ist ebenfalls verletzt und liegt im Krankenhaus. Was das bedeutet, kannst du dir wohl an zehn Fingern abzählen, oder?“ „Verdammter Mist“, entfuhr es Simpson. „Die Bullen werden uns bald auf die Schliche kommen. Mr. Morrison, wir müssen zusehen, dass wir von hier verschwinden, bevor alles auffliegt!“ „Gar nichts werden wir!“ schnitt ihm der Weißhaarige das Wort ab. „Taylor ist tot, und der einzige, der uns jetzt noch gefährlich werden kann, ist dieser Nigger. Und dagegen weiß ich schon ein Mittel. Simpson, du verziehst dich jetzt von hier. Am besten, du versteckst dich eine Zeitlang, falls die Bullen dich suchen. Ich rufe jetzt gleich meinen Anwalt an. Higgins ist ein gerissener Bursche. Jetzt kann er endlich mal zeigen, dass er das Geld wert ist, das ich ihm monatelang gezahlt habe.“ Simpson nickte stumm und wandte sich ab. Bevor er die Tür öffnete, sah er sich noch einmal kurz um. Morrison hatte den Telefonhörer schon in der Hand und wählte eifrig. Der bullige Mann wandte sich ab und verließ das Büro. Mit hastigen Schritten ging er die Treppe hinunter, bis er den Ausgang erreicht hatte. Augenblicke später überquerte er die Straße und ging zu seinem Buick. Schwer ließ er sich in die Polster fallen. Er drehte den Zündschlüssel im Schloss herum, löste die Handbremse und gab Gas. Aufgeregt schoss er davon, während ihm tausend Dinge durch den Kopf gingen. Die Situation stand auf des Messers Schneide, aber Simpson verließ sich auf Morrison. Bis jetzt hatte der Boss immer einen Ausweg gefunden, und insgeheim hoffte er, dass das auch diesmal der Fall war.
Stimme, die den Ärger nur mühsam zurückhalten konnte. „Melde dich vorerst nicht bei mir. Wir bleiben in Verbindung.“ Dann legte er auf und sah Simpson durchdringend an. „Das war Jeffries. Er hat mir gerade erzählt, dass er zu Taylor wollte, um die Rauschgiftbeutel abzuholen. Nun rate doch mal, was ihm passiert ist!“ „Ich weiß nicht, Boss“, erwiderte Simpson Schulter zuckend, aber er ahnte, dass jetzt ein Donnerwetter folgte. Er kannte Morrison und wusste, wann er kurz vor der Explosion stand. „Taylor ist tot, Mann!“ brüllte Morrison und schlug erregt mit der Faust auf den Schreibtisch. „Er war hinter diesem Ben Cairn her, um ihn auszuquetschen.“ Simpson, der von nichts wusste, erfuhr von seinem Boss in wenigen Worten, was sich abgespielt hatte. Er hörte, dass Taylor Reynolds und Cairn zusammen gesehen hatte, und dass dies ein Grund für Taylor gewesen war, einmal nachzuhaken, was dieser Junge eigentlich wusste und ob er ihnen gefährlich werden konnte. „Was ist passiert, Boss?“ fragte Simpson, der nicht begriff, dass sein Kumpan Taylor nicht mehr am Leben war. „Hat ihn jemand von der Konkurrenz über den Haufen geschossen? Sie wissen doch, Howie Bronson und seine Jungs aus der Bronx haben uns schon lange auf dem Kieker.“ „Quatsch!“ erwiderte Morrison heftig. „Noch viel schlimmer. Jeffries hat sich umgehört Weißt du, wer Taylor auf dem Gewissen hat? Frank Reynolds, den du und deine Freunde angeblich in den Hudson River geworfen habt. Simpson, ich frage mich ernsthaft, mit welchen Holzköpfen ich es hier eigentlich zu tun habe. Ja, zum Teufel, habt ihr denn nicht nachgeschaut, ob der Bursche wirklich ertrunken ist?“ „Er ist nicht mehr aufgetaucht, Mr. Morrison“, versuchte sich Simpson zu verteidigen. „Wir haben ihn richtig fertig gemacht. Der hätte es eigentlich nicht mehr schaffen dürfen!“
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* * „Frank, ich habe Captain Stuart am Apparat“, rief Mandy zu Frank hinüber. „Soll ich durchstellen?“ „Ja!“ gab Frank zurück und hatte wenige Sekunden später seinen Freund an der Strippe. „Phil, was ist los?“ „Ich wollte dir nur sagen, dass Lieutenant Dillon und ich gerade auf dem Weg zu Morrison sind. Ob du’s glaubst oder nicht - Attorney Brown hat uns tatsächlich ‘nen Haftbefehl besorgt. Man kann über den Alten sagen, was man will, aber diesmal ist er auf unserer Seite.“ „Macht’s dir was aus, wenn ich mit von der Partie bin?“ fragte Frank. „Das war eigentlich meine Bitte“, antwortete Phil. „Schließlich bist du ja an den Ermittlungen beteiligt. Also ist auch klar, dass du bei der Verhaftung anwesend bist. Dillon und ich fahren jetzt los. Können wir uns in einer halben Stunde bei der Breakdance-Schule treffen?“ „Geht klar“, erwiderte Frank und legte auf. Er erhob sich aus seinem Sessel und griff nach seinem Jackett. Mandy schüttelte den Kopf, als Frank an ihr vorbeiging. „Sag mal, du kommst auch nur noch vorbei, weil du weißt, dass immer eine Tasse Kaffee für dich bereitsteht, oder? Frank, du bist noch nicht mal eine Viertelstunde hier, und schon haust du wieder ab.“ „Das ist nun mal mein Job, Mandy“, erwiderte Frank lächelnd. „Aber ich hab’ ja eine verständnisvolle Mitarbeiterin, das macht es mir leichter. Mandy, wenn der ganze Kram vorbei ist, dann gehen wir beide mal wieder abends aus, okay?“ „Ich werde dich daran erinnern, wenn’s soweit ist“, sagte Mandy und lächelte Frank noch einmal zu, als dieser das Büro verließ. Augenblicke später befand er sich schon im Fahrstuhl und war auf dem Weg zur Tiefgarage.
Clay Morrison beobachtete die Jugendlichen im großen Übungsraum, die zu den fetzigen Rhythmen tanzten. Sie gaben ihr Bestes, denn sie wollten den Durchbruch schaffen, um dadurch endlich eine Chance zu bekommen, die ihnen die Gesellschaft nicht gab. All das wusste der Mann, der vorgab, nur aus gemeinnützigen Gründen diesen Jungen und Mädchen zu helfen. Die Breakdance-Schule war eine ideale Tarnung für seine schmutzigen Geschäfte, die er sich in all den Jahren aufgebaut hatte, und sie kostete nur einen Bruchteil an Miete. Alles wäre so weitergelaufen, wenn dieser dusselige Bailey nicht alles verpatzt hätte. Die Musik brach ab und riss Morrison in die Wirklichkeit zurück. Die Jungen und Mädchen hielten in ihrer Tanzerei inne und bildeten kleine Gruppen. Morrison fiel auf, dass Barber und Winfield, zwei Freunde dieses Farbigen, ihm verstohlene Blicke zuwarfen. Sie wussten wahrscheinlich schon, was mit Cairn geschehen war. Schließlich waren sie ja eng befreundet gewesen. Ob dieser Bursche ihnen was erzählt hatte? Ein leichtes Gefühl von Panik überkam den Weißhaarigen. Hatte er wirklich alles unternommen, um alle Spuren zu verwischen? Wahrscheinlich hätte er geflucht wie ein Rohrspatz, wenn er gewusst hätte, dass Ben Cairn noch zwei Mitwisser hatte. Aber Scotty Barber und Blake Winfield waren nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt wie ihr Freund. Sie besaßen nicht den eisernen Willen, den Ben hatte. Ihre Hautfarbe stempelte sie ihrer Meinung nach automatisch zu Menschen zweiter Klasse, und sie besaßen einfach nicht den Mut, um über ihren eigenen Schatten zu springen. Mit diesem Verhalten und ihrem Schweigen halfen sie Morrison. Aber das
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„Was wollen Sie hier, Captain?“ fragte Morrison ihn. „Ich habe zwölf Jugendliche oben und bin eigentlich sehr beschäftigt. Falls Sie noch irgendwelche Fragen haben, dann beeilen Sie sich bitte. Ich habe viel zu tun.“ „Clay Morrison, ich habe hier einen Haftbefehl gegen Sie!“ Phil ließ den Weißhaarigen keine Sekunde aus den Augen, als er das amtliche Dokument aus der Tasche zog und es Morrison entgegenhielt. „Sie werden des Rauschgifthandels und der Anstiftung zum Mord beschuldigt. Wir haben eindeutige Beweise gegen Sie. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie das Recht haben, die Aussage zu verweigern. Sie können auch einen Anwalt verständigen. Auf jeden Fall sind Sie verhaftet. Kommen Sie mit ins Präsidium und machen Sie bitte keine Schwierigkeiten, Sir!“ Es fiel Phil schwer, ruhig zu bleiben, denn er hatte ja den Mann vor sich, der ihm eins hatte auswischen wollen. Trotzdem blieb er gelassen, als er Morrison am Arm fasste und ihn mehr oder weniger drängte mitzukommen. Morrison schwieg verbissen, weigerte sich jedoch nicht, den Aufforderungen der Beamten Folge zu leisten. Er griff nach seinem Mantel und wollte gerade die Treppe hinuntergehen, als er oben Stimmen hörte. Stuart und Dillon hoben die Köpfe. Eine Treppe höher standen einige von Morrisons Schülern, die offensichtlich die Neugier dazu getrieben hatte, nachzusehen, was die Polizisten von ihrem Lehrer wollten. „Macht euch keine Sorgen, Jungs!“ rief ihnen der Weißhaarige zu. „Diese Polizisten tun nur ihre Pflicht, dafür werden sie bezahlt. Ich bin bald wieder hier. In der Zwischenzeit könnt ihr natürlich die Räume weiterbenutzen, ist doch klar!“ Zu mehr kam er nicht, denn Stuart drängte ihn weiter. Frank verharrte auf der Treppe. Phil drehte sich um und schaute
konnten die beiden Jungen ja nicht ahnen. „He, da kommt ein Polizeiwagen!“ rief die schlanke Susy aufgeregt, die die ganze Zeit am Fenster gestanden und hinausgeblickt hatte. „Die halten genau vor unserem Haus. Und ein zweites Auto ist auch dabei. Mann, das ist ja dieser Detektiv, der schon mal hier war.“ Auch Clay Morrison hatte die Worte des Mädchens vernommen. Er schob einige seiner Schüler beiseite und verschaffte sich einen Platz am Fenster. Aus dem Streifenwagen stiegen zwei Männer aus. Einer davon war Captain Stuart, der seinen Bruder erwischt hatte. Den anderen kannte Morrison ebenfalls. Lieutenant Dillon war sein Name gewesen. Und diesen Schnüffler Reynolds hatten sie ebenfalls dabei. „Ihr bleibt alle hier im Saal!“ befahl Morrison seinen Schülern und wandte sich ab. „Wahrscheinlich wollen die nur noch ein paar Fragen stellen.“ Er versuchte sich selbst mit dieser Antwort zu beruhigen, aber im Stillen wusste er, dass es nicht so war. Sie waren wegen ihm gekommen. Morrison verließ den Übungsraum und ging eine Etage tiefer, wo er sein Büro hatte. Noch bevor er es erreicht hatte, klingelte es an der Tür. Schweren Herzens ging Morrison, um zu öffnen. Jetzt nur nicht aufregen, sagte Morrison zu sich selbst. Die können dir absolut nichts beweisen. Noch haben sie dich nicht. Und wenn sie dich wirklich vor Gericht bringen wollen, dann hast du noch Anwalt Higgins, der dich schon rauspauken wird. Morrison, jetzt zeig diesen Bullen, dass du gerissener bist als sie! Als er die Tür öffnete, war seine Miene ausdruckslos und gefasst. Er blickte in das Gesicht des massigen Captains, den er aufs Kreuz hatte legen wollen. „Mr. Morrison, ich bin Captain Phil Stuart von der Mordkommission Manhattan C/II. Meinen Stellvertreter Lieutenant Dillon und Mr. Frank Reynolds kennen Sie ja bereits.“
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lassen. Auch Frank stellte das fest. Stuart wollte gerade etwas sagen, als Lieutenant Dillon ins Büro kam, gefolgt von einem kleinen, unscheinbaren Mann in grauem Anzug. Der Mann trug eine alte Hornbrille auf der Nase. Morrison erkannte den Mann sofort. Er stand auf und gab ihm die Hand. „Gott sei Dank, dass Sie so schnell gekommen sind, Mr. Higgins“, sagte er erleichtert. „Ich werde hier von einem lächerlichen Westentaschen-Captain in die Mangel genommen und auch noch beleidigt. Muss ich mir das bieten lassen?“ Der Mann mit der Hornbrille schüttelte den Kopf. Er stellte seinen Aktenkoffer neben Morrison und griff in seine Jackentasche. Er hielt Stuart eine Visitenkarte entgegen, die dieser zögernd entgegennahm. „Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle, Gentlemen“, sagte er dann. „Mein Name ist Horatio Higgins. Ich bin Mr. Morrisons Anwalt und von ihm beauftragt, hier seine Interessen wahrzunehmen. Mein Mandant wird selbstverständlich nur in meinem Beisein weitere Aussagen machen. Ist Ihnen das klar, Captain?“ Phil warf Frank einen kurzen Blick zu. Die beiden Freunde wussten sofort, was hier gespielt wurde, aber sie mussten Higgins notgedrungen gewähren lassen. Frank gab dem Captain ein Zeichen, den Anwalt weiterreden zu lassen, und signalisierte ihm gleichzeitig, dass er anschließend mit ihm reden wollte. Stuart beruhigte sich und fuhr mit der Vernehmung fort. „Sie geben also zu, dass es sich bei dem Mann auf diesem Foto um Rick Taylor handelt. Dies ist ein Polizeifoto, Morrison. Taylor ist vorbestraft wegen Rauschgifthandels und schwerer Körperverletzung. Er hat drei Jahre im Staatsgefängnis gesessen, bevor er für Sie arbeitete. Und von Ihnen hat er auch den Befehl bekommen, den jungen Cairn umzubringen!“ Morrison lachte kurz auf. „Es ist geradezu unglaublich, was Sie mir
den Freund fragend an. „Ich werde noch mal mit den Jugendlichen sprechen“, erklärte er Phil. „Fahrt schon mal voraus - ich komme später nach.“ * „Schauen Sie sich das an, Morrison!“ sagte Stuart und deutete auf ein Foto auf seinem Schreibtisch. „Nun los, machen Sie schon!“ „Ihr Umgangston passt mir nicht, Captain“, erwiderte der Weißhaarige. „Meinem Anwalt wird das auch nicht gefallen. Eigentlich dürfte ich ohne ihn überhaupt nichts sagen, aber ich will Ihnen meinen guten Willen beweisen.“ Er griff nach dem Foto auf dem Tisch und registrierte nebenbei, wie sich die Tür von Stuarts Büro öffnete und dieser verdammte Frank Reynolds eintrat. Für einen winzigen Augenblick war ein leichtes Aufblitzen in den Augen des Verhafteten zu erkennen, dann hatte er sich schnell wieder in der Gewalt. „Nun, was ist, Morrison?“ fragte Stuart erneut. „Kennen Sie den Mann?“ „Natürlich“, gab Morrison lässig zu. „Das ist Rick Taylor. Was soll das, Captain. Sie wissen doch schon längst, wer das ist. Weshalb also diese unnötige Fragerei?“ „Dieser Mann hat in Ihrem Auftrag versucht, einen jungen Schwarzen namens Ben Cairn umzubringen!“ erklärte Phil Stuart, dem es gar nicht passte, wie aalglatt dieser Kerl reagierte. „Wir haben in seiner Wohnung belastendes Material gefunden. Packen Sie doch endlich aus, Mann! Sie haben die Finger im Rauschgifthandel, und ich kriege Sie, genau wie Ihren verkommenen Bruder!“ Morrison wurde bleich. Für einen Moment sah es so aus, als wollte er aufspringen und dem Captain an die Gurgel gehen, aber er behielt sich in der Gewalt. Morrison war ein ausgezeichneter Schauspieler, das musste man ihm schon
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hochkam. „Bringen Sie Morrison in Untersuchungshaft und nehmen Sie diesen Mr. Higgins gleich mit. In der Zelle kann er sich mit seinem Mandanten aussprechen. Geben Sie ihnen eine halbe Stunde Zeit, klar?“ Dillon nickte und forderte Morrison auf, ihm zu folgen. Der Mann erhob sich und warf Stuart und Reynolds wütende Blicke zu. Wenig später waren Frank und Phil im Büro allein. „So ein schmieriger Winkeladvokat!“ schimpfte der Captain und schob aufgebracht einen Papierstapel auf seinem Schreibtisch beiseite. „Am liebsten würde ich den gleich mit einsperren. Der hat doch genauso viel Dreck am Stecken wie Morrison.“ Frank griff nach einer Marlboro und steckte sie sich an. „Den darfst du nicht unterschätzen, Phil“, sagte er dann. „Horatio Higgins ist ein Bursche, der bis jetzt einige Köpfe aus der Unterwelt vor Gericht verteidigt hat. Ich hab’ den Burschen vor drei Jahren in Brooklyn erlebt, wie er einen Mörder vor Gericht wieder rausgepaukt hat.“ „Aber wir haben doch Ben Cairns Aussage. Sie wird ihm bei einem Prozess das Genick brechen!“ warf Phil ein. Frank winkte ab. „Noch hat der Prozess nicht stattgefunden, Phil. Es ist doch wohl klar, dass wir jetzt alle auf unseren einzigen Kronzeugen gut aufpassen müssen. Schließlich ist Simpson, der andere Killer, noch frei, und wir müssen mit ihm rechnen. Morrison weiß das genauso gut wie wir auch. Du solltest den Jungen im Krankenhaus rund um die Uhr bewachen lassen. Ich hab’ mit dem Arzt gesprochen, Phil. Ben muss bestimmt noch gute zwei Wochen dort bleiben, bis die Verletzung auskuriert ist. Und in den zwei Wochen müssen deine Leute höllisch aufpassen.“ „Wem sagst du das?“ erwiderte der Captain. „Ich sag’ dir eins - ich muss als Polizeibeamter die vorgeschriebenen Gesetze befolgen. Darauf hab’ ich einen Eid geleistet. Aber jedes Mal wenn solche
hier vorhalten, Captain. Es ist zwar richtig, dass Taylor für mich gearbeitet hat, aber ich habe ihm vor gut drei Wochen den Laufpass gegeben. Der Mann war schlampig und unzuverlässig, und solche Leute beschäftige ich nicht. Wenn Sie also irgendwelche Fragen wegen eines versuchten Mordes an einem Farbigen haben, dann stellen Sie sie ihm doch selbst!“ „Das können wir nicht mehr, Mr. Morrison“, meldete sich Frank zu Wort. „Taylor ist tot. Er kann uns nichts mehr sagen. Mich wundert allerdings, dass Sie den Namen Ben Cairn nicht kennen. Schließlich ist er doch ein Schüler von Ihnen.“ „Ach, den meinen Sie!“ stieß Morrison aufgeregt hervor. „Ich hatte den Namen nicht richtig verstanden. Hören Sie zu, Reynolds. Ich leite eine BreakdanceSchule, und was meine Schüler in ihrer Freizeit treiben, interessiert mich einen feuchten Dreck. Die Jungen und Mädchen kommen zu mir, um dort das Tanzen zu lernen, und ich gebe ihnen die Hilfe, die sie brauchen. Richtig, Ben Cairn. Er fehlt übrigens schon seit zwei Tagen. Ist er etwa...“ „Nein!“ unterbrach ihn Stuart. „Ihr Killer hat zu schlecht gezielt. Ben Cairn lebt, und er hat seine Aussage bereits zu Protokoll gegeben. Sie wird ausreichen, um Ihnen das Genick zu brechen. Wir werden Ihnen den Prozess machen. Und Ihren anderen Schläger Simpson kriegen wir auch noch!“ „Muss ich mir das bieten lassen, Higgins?“ rief jetzt Morrison. „Das ist doch Nötigung und Einschüchterung. Ich will mit Ihnen reden, und zwar jetzt gleich. Ich sage kein Wort mehr.“ Der Anwalt beruhigte den aufgebrachten Morrison und wandte sich dann an Phil. „Captain Stuart, ich beantrage, mit meinem Mandanten ungestört sprechen zu können. Weitere Aussagen werden Sie nicht mehr bekommen!“ „Dillon!“ rief Phil erregt, denn diese beiden schleimigen Burschen brachten ihn dazu, dass ihm vor Wut die Galle
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aber dafür umso gemütlicheres Lokal. Wenn man an einem der Tische saß, hatte man nicht den Eindruck, dass sich draußen der Hauptverkehr auf der Lexington Avenue entlang wälzte. Stavros, der Besitzer, war ein waschechter Grieche, der die Gastfreundlichkeit seiner Heimat mit nach Amerika genommen hatte. Frank war schon zweimal hier gewesen, und es hatte ihm jedes Mal gut gefallen. Das Essen schmeckte vorzüglich und war ausgezeichnet gewürzt. Frank ging mit Mandy zu einem Tisch am offenen Kamin. „Ich hab’ heute meine Spendierhosen an“, sagte er lächelnd. „Du hast nun die einzigartige Chance, meinen Geldbeutel zu plündern.“ „Wenn das so ist, dann brauchst du das nicht noch mal zu sagen“, erwiderte Mandy und schaute sich in Ruhe die Speisekarte an. Die Auswahl war reichlich, und Augenblicke später hatten die beiden sich dazu entschlossen, eine Platte mit verschiedenen Fleischsorten zu bestellen. Vom Holzkohlengrill versteht sich! „Ist der Fall eigentlich abgeschlossen, der dich in den letzten Tagen so sehr beschäftigt hat?“ fragte Mandy, nachdem sie bestellt hatten. „Du wirkst zwar ziemlich gelassen, aber irgendwas geht dir durch den Kopf, hab’ ich recht?“ „Manchmal frag’ ich mich wirklich, ob ich dich nicht doch als Partnerin einstelle, Mandy“, gab Frank zurück. Und in der Tat, seine Mitarbeiterin hatte recht. Frank grübelte im Stillen darüber nach, dass der Killer, der ihn hatte zusammen schlagen und in den Hudson River werfen lassen, immer noch auf freiem Fuß war. „Okay, du hast recht“, sagte er dann. „Aber wir sollten jetzt nicht darüber reden. Schließlich haben wir das Büro dazu. Ist schon eine Zeitlang her, dass wir zusammen essen waren, da sollte man nicht über das Geschäftliche sprechen.“ Damit war das Thema vorläufig vom
Schweine wie Morrison eine Lücke im Gesetz finden oder ahnen, dann wird mir kotzübel. Dass dieser Higgins mit allen Wassern gewaschen ist, weiß ich auch. Ich muss dringend mit Brown über die Sache reden. Frank, vorerst kann ich dir nur danke sagen für all das, was du getan hast. Ohne dich säße ich nicht an diesem Schreibtisch und wäre wohl immer noch vom Dienst suspendiert. Dafür helf’ ich dir auch mal wieder aus der Klemme - darauf kannst du dich verlassen!“ Frank nickte. Er wusste, dass der Fall vorläufig beendet und der Rest Sache der Polizei war. Captain Stuarts Leute würden eine Menge zu tun haben, um diesen Morrison festzunageln. Aber die Beweise waren ja alle hieb- und stichfest. Es musste nur zur Gerichtsverhandlung kommen, in der Ben Cairn persönlich seine Aussage machen konnte. Dann war Clay Morrison endgültig geliefert. Reynolds verließ Phils Büro und das Präsidium. Und doch - irgendwie hatte er ein schlechtes Gefühl in der Magengegend. Ein altes Sprichwort ging ihm die ganze Zeit lang nicht aus dem Kopf. Vor einem Gauner hat man erst Ruhe, wenn er hinter Schloss und Riegel sitzt! Und genau das war sicher auch jetzt der Fall. * Der nächste Tag war Routine für Frank. Es lag nichts Besonderes vor. Die üblichen Telefonate sowie zwei Ermittlungen. Alles in allem konnte man sagen, dass diesmal keine Hektik im Spiel war. Deshalb entschloss sich Frank kurzerhand am späten Nachmittag, Mandy zum Essen einzuladen. Das Versprechen einzulösen war sowieso schon längst fällig gewesen, und nun ergab sich dazu die beste Gelegenheit für Frank. Mandy war hocherfreut über Franks Einladung. Gemeinsam fuhren die beiden in ein griechisches Restaurant in der Nähe der Lexington Avenue. Es war ein kleines,
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da sich weder Mandy noch du gemeldet haben, musste ich annehmen, dass ihr beide essen gegangen seid. Ich hab’ doch da mal was mitbekommen, dass du deine Mitarbeiterin mal ausführen wolltest.“ „Und weshalb ausgerechnet dieses Lokal?“ fragte Mandy lächelnd. „Du hättest uns doch in tausend anderen suchen können.“ „Ich kenne den Geschmack deines Chefs und meinen recht gut, Mandy“, gab Phil zurück. „Außerdem ist dieses Lokal bekannt und in Gourmet-Kreisen ein Geheimtipp. Aber deswegen bin ich nicht gekommen. Frank, ich hab’ eine Nachricht für dich, und ich bin gleich losgefahren, um sie dir persönlich zu sagen.“ „Es hängt mit Morrison zusammen, nicht wahr?“ fragte Mr.Bronx. „Stimmt’s?“ „Ja“, bestätigte Phil. „Du hast mich zwar vor diesem schmierigen Horatio Higgins gewarnt, aber ich habe es einfach nicht wahrhaben wollen. Frank, der Bursche hat Kaution für Morrison beantragt und hat es wahrhaftig geschafft, das durchzubringen. Morrison ist jetzt auf freiem Fuß und muss sich so lange zur Verfügung halten, bis der Prozess beginnt. Der ist übrigens nächste Woche. Selbst Brown hat es nicht verhindern können, dass Morrison gehen konnte. Higgins hat in seinen Gesetzbüchern irgendeinen verstaubten Paragraphen gefunden, mit dem er es geschafft hat. Verdammte Scheiße, Mann!“ Frank verging der Appetit, als er Phils Worte vernahm. Sein Gefühl hatte ihn auch diesmal nicht betrogen. Er hatte so etwas geahnt. Und jetzt war es tatsächlich passiert. „Phil, jetzt wird es brenzlig. Ich hoffe, du hast schon etwas unternommen, oder?“ „Natürlich“, erwiderte der Captain. „Ich lasse Morrison beschatten, was glaubst denn du? Er wird keinen Schritt machen, ohne dass ich etwas davon weiß und...“ „Was ist mit Ben Cairn?“ unterbrach ihn Frank. „Du weißt doch wohl auch, dass er jetzt noch stärker bewacht werden muss. Morrison wird alles daransetzen, um
Tisch. Während der Kellner eine Flasche feurigen, schweren Rotwein brachte, wies Mandy Frank darauf hin, dass ihr Urlaub eigentlich schon lange fällig war. „Urlaub?“ Frank staunte. „Weshalb willst du denn bei diesem Hundewetter Urlaub machen. Seit zwei Wochen gibt es hier nur Nebel und Regen.“ „Ich will ja nicht hier bleiben, Frank. Nein, ich möchte runter nach Mexiko. Da hab’ ich ein paar Bekannte, die ich schon lange nicht mehr besucht habe. Es wird also höchste Zeit.“ „Okay“, stimmte Frank zu. „Wenn der ganze Kram vorbei ist, dann geht dein Urlaub klar. Bitte warte aber noch zwei Wochen, Mandy. Ich bin erst beruhigt, wenn der Fall Morrison geklärt ist, und danach hab’ ich gar nichts dagegen, wenn du ein paar Mexikanern die Köpfe verdrehst.“ Mandy kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern, denn in diesem Augenblick kam die Grillplatte. Frank lief das Wasser im Munde zusammen, als er diese Köstlichkeiten sah, die auch noch verlockend dufteten. Sie ließen es sich schmecken und tranken dazu den Wein, den Mandy ausgesucht hatte. Während Frank herzhaft in ein Stück Fleisch biss, schaute er aus dem Fenster und entdeckte zu seinem Erstaunen die massige Gestalt Phil Stuarts, der aus seinem Wagen stieg und direkt auf den Eingang des Restaurants zuhielt. Augenblicke später stand Phil im Eingang und ließ seine Blicke schweifen. Es dauerte nicht lange, bis er Frank und Mandy entdeckt hatte. Mit der Grazie eines Elefanten bahnte er sich einen Weg durch die Tischreihen. „Hallo, Phil!“ begrüßte ihn Frank und stellte mit Vergnügen fest, dass sein Freund einen verlangenden Blick auf die Grillplatte warf, oder besser gesagt, was noch davon übrig geblieben war. „Nun sag’ ja nicht, dass du zufällig hier bist. Du hast mich doch gesucht, stimmt’s?“ Stuart nickte. „Seit einer Stunde versuche ich, dich an die Strippe zu kriegen. Aber
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gehört, war aber von. Simpsons hastigen Bewegungen aufgewacht. Mit schläfrigen Augen starrte sie auf den breiten Rücken des Mannes, mit dem sie eine heiße Nacht verbracht hatte. „Wer ist das, Darling?“ fragte sie mit zuckersüßer Stimme, als sie sah, dass Simpson den Hörer in der Hand hatte. „He, sag’ ihm, er soll später noch mal anrufen.“ Um ihre Worte zu verstärken, kraulte sie Simpson im Nacken und versuchte, ihn zu sich zuziehen. „Lass das, verdammt noch mal!“ knurrte Simpson unwirsch und schüttelte die Hand der Frau ab. „Nein, Mr. Morrison“, fuhr er dann fort. „Das ist kein Problem. Ich kann das sofort erledigen. Ja, selbstverständlich weiß ich, um was es geht, und ich tu’s ja auch. Sie können sich auf mich verlassen. Ich rufe an, wenn die Sache vorbei ist.“ Dann legte er auf. Für einen winzigen Augenblick gingen ihm tausend Gedanken durch den Kopf. Das Mädchen schien nicht ganz zu begreifen, was mit Simpson los war. Wieder streckte sie ihre Hand nach ihm aus, als sich Simpson umdrehte. „Okay, Baby, das war’s dann“, sagte er gleichgültig. „Komm, zieh dich an und verschwinde. Ich hab’ keine Zeit mehr für dich!“ Das Mädchen riss erstaunt die Augen auf. „Sag mal, du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank? Erst machst du mich an, und jetzt das? Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“ „Du sollst dein Maul halten und dich anziehen!“ Simpsons Stimme klang jetzt gefährlich leise, und die Frau erkannte, dass der große Mann nicht mit sich spaßen ließ. Er meinte es ernst. „Verdammter Kerl!“ schimpfte sie und sprang mit einem Satz aus dem Bett. Es machte sie doppelt wütend, dass Simpson keinen Blick für ihre prächtige Figur übrig hatte. Der Bursche hatte Gott weiß was im Kopf, was sie nicht begriff. Nun, Spinner gibt es überall, dachte sie und fuhr hastig in ihren kurzen Jeansrock. Anschließend fuhr sie sich vor dem Spiegel noch einmal
unseren einzigen Zeugen aus dem Weg zu räumen. Wie viele Polizeibeamte hast du abstellen lassen?“ „Officer Sloane bewacht das Krankenzimmer“, antwortete Phil. „Und morgen kommt Ablösung. Frank, da kann nichts passieren, sag’ ich dir.“ „Du kennst mich, Phil“, warf Frank ein. „Ich bin von Natur aus misstrauisch, und deswegen werde ich noch heute Abend ins Hospital fahren. Ich will mich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass alles in Ordnung ist.“ Er wandte sich an Mandy. „Tut mir leid, dass das Essen geplatzt ist, Mandy, aber ich muss sofort weg. Ich weiß, dass du’s verstehst. Phil, könntest du Mandy bitte nach Hause fahren? Ich möchte gleich ins Krankenhaus, okay?“ Stuart wusste, dass sich Frank in diesem Fall persönlich engagiert hatte. Zuerst, weil es anfangs um Phils Karriere gegangen war. Jetzt aber stand das Leben des Jungen auf dem Spiel, und Frank wollte, dass Ben eine Chance bekam, vor Gericht auszusagen. Deshalb machte er auch nicht mehr viel Worte, als Frank zahlte und hastig das Restaurant verließ. * Das Telefon riss Simpson aus dem bleiernen Schlaf. Es klingelte so schrill, dass ihm der Kopf zu zerspringen drohte. Nur langsam fand der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt wieder in die Wirklichkeit zurück. Vielleicht lag es daran, dass er einen zuviel über den Durst getrunken hatte. Oder war das Mädchen daran schuld, das sich neben ihn im Bett wohlig räkelte? „Ja!“ murmelte Simpson, als er den Hörer ans Ohr schob. „Was ist?“ Augenblicke später war er hellwach. Denn er hörte Morrisons Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ja, ich kann Sie gut verstehen, Mr. Morrison“, sagte er. Das schwarzhaarige Mädchen neben ihm hatte zwar das Klingeln des Telefons nicht
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„Ich wollte noch mal mit dir sprechen, Ben. Was hat übrigens Doc Fletcher gesagt? Wann kommst du raus?“ „Es dauert noch fast zwei Wochen“, erwiderte Ben. „Die Wunde war doch ziemlich schlimm, Mr. Reynolds. Ich hab’ zwar gutes Heilfleisch, sagt der Doc, aber er will auf Nummer Sicher gehen. Ist doch nett von ihm, oder?“ Frank wusste nicht, wie er es dem Jungen beibringen sollte. Aber irgendjemand musste es ihm sagen, deshalb ließ er schweren Herzens die Katze aus dem Sack. „Ben, Clay Morrison ist wieder auf freiem Fuß. Sein Anwalt hat ‘ne Kaution durchbringen können. Es ist nur fair, dass ich dir reinen Wein einschenke. Morrison weiß, dass du der einzige bist, der ihm noch gefährlich werden kann und...“ „Scheiße!“ unterbrach ihn der Farbige. „Ich hab’ doch gewusst, dass es Ärger gibt. Mann, ich hätte die Finger von all dem lassen sollen. Sagen Sie mir, was ich jetzt tun soll, Mr. Reynolds! Ich kann meine Breakdance-Schule wohl vergessen. Und obendrein ist ein Rauschgifthändler noch wütend auf mich. Oh Mann, hätte ich doch nur den Mund gehalten!“ Frank versuchte, den aufgebrachten Jungen zu beruhigen. „Ich kann dich gut verstehen, Ben“, sagte er. „Mach dir aber keine Sorgen. Captain Stuart hat Polizeibeamte für dich abgestellt. Dein Zimmer wird rund um die Uhr bewacht. Draußen vor der Tür steht Officer Sloane, und er bleibt die ganze Nacht über dort. Morgen früh wird er dann abgelöst. Und ich bin ja auch noch da. In dieses Zimmer kommt keiner, hast du das kapiert?“ Mr.Bronx fühlte sich irgendwie verantwortlich für den Jungen, weil er ihn zu dieser Zeugenaussage veranlasst hatte. Dass Morrison wieder auf freiem Fuß bis zum Prozess kam, damit hatten weder er noch Phil gerechnet, und deswegen war die Situation alles andere als harmlos. Frank wusste, dass der Farbige mit den Nerven am Ende war. Wahrscheinlich
kurz durch die wilde Mähne und rauschte dann mit hocherhobenem Kopf davon. Hinter ihr schlug die Tür mit einem Knall zu. „Dumme Gans“, sagte Simpson. Dann hatte er das Mädchen aus seiner Erinnerung gestrichen. Solche wie die konnte er zu Dutzenden haben, wenn er nur wollte. Was zählte, war die Tatsache, dass Clay Morrison ihn brauchte. Sein Anwalt hatte ihn rausgepaukt. Gegen Kaution selbstverständlich. Aber solche Männer wie Morrison hatten ja dazu das nötige Kleingeld, und das wusste auch Simpson. Morrison hatte ihn bisher immer gut bezahlt. Auch diesmal wieder. Er hatte einen Auftrag bekommen, und den würde er ausführen. Langsam stand der Killer auf und zog sich an. Seine Bewegungen waren bedächtig und ruhig. Wie jedes Mal, wenn er einen wichtigen Auftrag ausführen musste, war er die Ruhe selbst. Er konzentrierte sich ganz auf sein Vorhaben. Als er sich fertig angezogen hatte, warf er noch einen prüfenden Blick in den Spiegel. Zufrieden nickend griff er nach dem Schulterhalfter mit dem Colt. Sein einziger und zugleich zuverlässigster Freund. Wenig später verließ er die Wohnung. Sein Ziel war das Central Hospital, in dem auch Ben Cairn untergebracht war. Sein Auftrag war klar - er sollte den Siebzehnjährigen mundtot machen! Clay Morrison konnte bei Eröffnung des Prozesses gegen ihn keine Zeugen gebrauchen. Deshalb sollte Ben Cairn sterben. * „Mr. Reynolds!“ Ben strahlte, als er Frank im Türrahmen erblickte. „Mann, es ist schon spät! Was machen Sie denn um diese Zeit noch im Krankenhaus?“ Frank schloss die Tür hinter sich, angelte sich einen Besucherstuhl und nahm neben Bens Bett Platz.
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genau, wohin er zu gehen hatte. Der Haupteingang war auch zu dieser Stunde noch hell erleuchtet. Wenn jemand von den Bullen auf ihn wartete, dann hatte der sich bestimmt dort postiert. Simpson musste natürlich mit der Polizei rechnen. Morrison hatte es ihm am Telefon kurz angedeutet. Aber der Killer war ein Profi und ließ sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen. In all den Jahren, in denen er für Morrison tätig gewesen war, hatten ihn die Bullen noch nie erwischt, und sie würden ihn auch diesmal nicht zu fassen bekommen. Ben Cairn musste sterben, das war beschlossene Sache. Der Killer näherte sich einem der Nebeneingänge. Er kannte den Zugang für das Personal, und genau darauf hielt er zu. Bei den Hunderten von Menschen, die im Hospital beschäftigt waren, war die Chance sehr gering, dass ihn jemand fragte, was er hier zu suchen hatte. Außerdem war jetzt die Stunde, in der die Schicht wechselte. Die Leute hatten bestimmt andere Dinge im Kopf. Entweder wollten sie so schnell wie möglich nach Hause oder waren zu spät zum Arbeitsbeginn. Simpson lächelte kurz, als er sich all das durch den Kopf gehen ließ. Es war ein perfekter Plan, und bevor einer der Bullen zufällig auf den gleichen Gedanken kam, war alles schon erledigt. Der Killer betrat den Nebeneingang. Zwei Männer kamen ihm entgegen, einer mit Brille, und der andere in einem verwaschenen T-Shirt. Offensichtlich zwei Krankenpfleger, die Feierabend hatten. Sie nickten Simpson nur kurz zu und gingen an ihm hastig vorbei. Simpson atmete auf. Es war tatsächlich so wie er es sich vorgestellt hatte. Niemand würde ihn anhalten oder ansprechen. Er näherte sich einem der Lifts, die in die oberen Sektionen führten. Während er auf den Fahrstuhlknopf drückte, dachte er darüber nach, wie der Nigger wohl untergebracht war. Nun, der Bursche hatte eine mittlere Schussverletzung, also lag er ganz gewiss
dachte er, niemals wieder auf einen grünen Zweig zu kommen. Doch Frank nahm sich vor, Ben zu helfen. Wenn dieser ganze Mist vorbei war, dann würde er versuchen, ihn in einer anderen Breakdance-Schule unterzubringen. Das war das Mindeste, was er für ihn tun konnte. „Also, Ben“, sagte Frank abschließend. „Du weißt also, dass hier keiner reinkommen kann. Es ist schon spät. Du solltest besser ein wenig schlafen. Morgen früh sieht die Sache schon ganz anders aus. Wenn du noch einen Wunsch hast, dann rufst du am besten nach Officer Sloane. Er sitzt draußen vor der Tür. Kopf hoch, Freund!“ Er zwinkerte dem Jungen zu und verließ das Krankenzimmer. „Wie hat er es aufgenommen, Reynolds?“ fragte ihn der Polizeibeamte, der draußen vor der Tür gewartet hatte. „Er ist ziemlich aufgeregt, Sloane“, erwiderte Frank. „Die nächsten Tage werden alles andere als leicht für ihn und für uns werden. Wir müssen höllisch aufpassen.“ * Das Central Hospital war eines der größten Krankenhäuser von Manhattan. Es war ein gigantischer Betonbau mit unzähligen Gängen und Zimmern, und das Personal, das dort beschäftigt war, glich in ihren weißen Kitteln einer großen Horde weißer Mäuse. Diese Gedanken gingen Simpson durch den Kopf, als er seinen Buick in einer Seitenstraße abstellte und die restlichen Meter zum Krankenhaus zu Fuß ging. Er warf noch einen kurzen Blick auf seine Seiko. Elf Uhr nachts. Genau die richtige Zeit, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Der Killer kannte sich im Central Hospital ein wenig aus. Das war sein Vorteil. Einer seiner Kumpel hatte vor gut einem Jahr mal eine Woche dort zugebracht. Deswegen wusste Simpson
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schlecht getroffen. Lässt sich aushalten. Also, da drüben im Schrank ist Kleidung. Ich muss jetzt gehen, vielleicht sehen wir uns nachher mal in der Kantine, okay?“ Simpson nickte und atmete auf, als der Dicke den Umkleideraum verließ. Das war gerade noch mal gut gegangen. Jetzt musste er sich aber beeilen. Hurtig kleidete er sich um und verließ den Raum. Er schritt wieder zum Fahrstuhl. Sein Ziel war der Westflügel.
nicht auf der Intensivstation. Wahrscheinlich stationäre Behandlung im Westflügel. Der Lift hielt an, und Simpson betrat die Kabine. Als sich die Tür hinter ihm schloss und der Fahrstuhl nach oben sauste, wusste er, dass es jetzt kein Zurück mehr für ihn gab. Endlose Sekunden vergingen, bis der Lift abbremste und die Tür sich öffnete. Der Blick auf einen hell erleuchteten Flur war frei. An seinem Ende waren zwei Krankenschwestern damit beschäftigt, Wäsche in große Körbe zu sortieren. Was Simpson jetzt brauchte, war weiße Kleidung, denn er wollte sich als Krankenpfleger tarnen. Umso weniger würde er auffallen. Für wenige Sekunden ließ der Killer seine Blicke den Flur entlang schweifen. Dabei registrierte er jede Kleinigkeit. Er hatte schnell die Umkleideräume für das Personal entdeckt, hielt darauf zu und betrat einen der Räume. Woher bekam er jetzt ein weißes Hemd und eine Hose? „Bist wohl neu hier, wie?“ riss ihn plötzlich eine Stimme aus seinen Gedanken. Simpson drehte den Kopf herum und blickte in das Vollmondgesicht eines dicken Pflegers, der bis über beide Ohren grinste. „Dein erster Tag heute, wie? Du brauchst nichts zu sagen, Mann. Ich seh’ dir das an. Du weißt nicht, wo du Klamotten herbekommst, hab’ ich recht?“ Verdammter Idiot, dachte Simpson, ließ sich aber von seiner Panik nichts anmerken. Er grinste nur und zuckte mit den Schultern. „Tja, Kumpel, ist ein ziemlich großer Laden hier...“ Der Dicke winkte ab. „Mach dir mal keine Sorgen. Tully Craven kennt sich hier aus wie kein anderer. Bin schon zehn Jahre in diesem Bau und weiß Bescheid. Wo fängst du an?“ „Station C“, murmelte Simpson und hoffte, dass sich der Bursche endlich verzog. „Ach, das ist Doc Fletchers Truppe!“ sagte Craven. „Da hast du’s gar nicht so
* Die Zeit verrann träge. Frank war ziemlich kaputt, aber er wollte die Nacht durchhalten. Sein Gefühl sagte ihm, dass er hier sein musste, auch wenn er sich jetzt am liebsten aufs Ohr gelegt hätte. Officer Sloane ging es nicht viel besser. Der Mann war genauso müde und wartete auf seine Ablösung. Aber das dauerte noch fast acht Stunden. Zu dieser Stunde ließ die Hektik im Central Hospital etwas nach. Doch noch immer gingen Menschen in weißen Kitteln die Flure entlang, um ihre Patienten zu beobachten oder zu pflegen. Franks Kehle war wie ausgedörrt. Die Luft im Hospital war steril und unglaublich trocken. „Ich glaube, ein heißer und starker Kaffee täte uns beiden gut“, sagte Frank. „Ich besorg’ uns was zu trinken, Officer.“ „Gute Idee, Reynolds.“ Frank nickte dem Beamten kurz zu und erhob sich. Irgendwo am Ende des Flurs musste sich die Küche befinden. Schließlich konnten die Pfleger ihre Patienten ja nicht verdursten lassen. Während er den Gang entlang schritt, schaute er auf die Uhr. Es ging schon auf Mittemacht zu. Hoffentlich bekam er noch einen starken Kaffee. * Simpson zuckte im letzten Augenblick zurück, als er am Ende des Ganges eine
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drunter und drüber. Und das nur, weil sie da auf einen aufpassen müssen. Soll ein wichtiger Zeuge für die Polizei sein. Auf jeden Fall bewachen sie sein Zimmer. Wenn du dahinten den Gang entlang gehst, siehst du schon den Typ in Uniform. Vielleicht ist Doc Fletcher dort auch irgendwo. Was weiß ich? Also viel Glück!“ Simpson bedankte sich und ging weiter den Gang entlang. Er musste die günstige Gelegenheit nutzen, solange Reynolds weg war. Innerlich war er ganz ruhig und gelassen. Eine Kampfmaschine, bereit, um zu töten. Als er um die Ecke bog, entdeckte er einige Schritte weiter den Cop, der vor einer Zimmertür in einem Sessel saß und in einer abgegriffenen Zeitung herumblätterte. Sein Kopf ruckte hoch, als er Simpson entdeckte, senkte sich aber wieder, als er die weiße Uniform sah. Simpson musste unwillkürlich lächeln. Genauso hatte er es sich vorgestellt. Die Bullen erwarteten einen gnadenlosen Killer mit Hut und Mantel. Aber keiner dachte daran, dass er in der Uniform eines Krankenpflegers auftauchen könnte. „Officer, da ist ein wichtiges Ferngespräch, für Sie“, begann Simpson jetzt. „Da vorn im Büro des Stationsarztes. Ein Captain Stuart möchte Sie sprechen.“ „Verdammt!“ riet Officer Sloane und legte die Zeitung beiseite. „Ich kann doch nicht weg von hier, Mister. Sagen Sie das dem Captain.“ Sturer Hund, dachte Simpson und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Das sollten Sie Ihrem Boss besser selbst klarmachen, Officer“, erwiderte er schlagfertig. „Klang ziemlich aufgeregt, der Captain. Wenn das so wichtig ist, dann kann ich ja hier warten, okay?“ Sloane schien einen Augenblick lang zu überlegen. Dann hatte er einen Entschluss gefasst. „Gut, Mister. Aber Sie bleiben hier und achten darauf, dass keiner dieses Krankenzimmer betritt, ist das klar? Wo,
Gestalt entdeckte, die ihm nur zu bekannt vorkam. Verdammt, Frank Reynolds war das! Was, zum Teufel, machte der Bursche um diese Zeit noch im Krankenhaus? Der Killer kam nicht umhin, Mr.Bronx zu bewundern. Reynolds hatte wahrscheinlich geahnt, dass der Junge in Gefahr war. Also musste Simpson mit diesem Schnüffler auch noch rechnen. Das erschwerte zwar die Sache, machte sie jedoch nicht unmöglich. Simpson drückte sich in eine Nische. Reynolds durfte ihn auf keinen Fall entdecken. Dort wartete er ab, bis der Detektiv stehen blieb und einen der Pfleger ansprach, der ihm aus einem anderen Gang entgegenkam. Simpson hörte, wie er den Weißgekleideten nach Kaffee und etwas zu essen fragte. „Tut mir leid, Mister“, erwiderte der Mann. „Im Moment ist niemand in der Küche. Versuchen Sie’s doch eine Etage tiefer. Da finden Sie bestimmt noch jemanden. Sorry, aber im Moment ist hier zu viel los, um ein Kaffeekränzchen zu halten.“ Simpson hörte, wie sich Reynolds bei dem Mann bedankte. Er riskierte einen Blick nach vorn und stellte zufrieden fest, dass Reynolds im Fahrstuhl verschwand. Augenblicke später schloss sich die Tür und der Lift sauste nach unten. Das war der Augenblick zum Handeln. Simpson verließ sein Versteck und schlenderte auf dem Gang entlang. Dabei traf er auf den Pfleger, den Reynolds nach Kaffee gefragt hatte. Der Mann murmelte etwas vor sich hin und blickte auf, als ihm der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt begegnete. „Pass auf, dass dich da vorn der Typ in Uniform nicht auch noch nach Kaffee fragt, Mann“, sagte er. „Diese Bullen gehen einem vielleicht auf den Nerv.“ Simpson spielte den Ahnungslosen. „Hab’ keine Ahnung, von was du redest. Ich gehör’ zur Station A. Soll bei Doktor Fletcher nur was abholen.“ „Ich weiß nicht, wo der steckt“, erwiderte der Pfleger. „Hier geht im Moment alles
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aufpasst. Ein Krankenpfleger. Derselbe, der mir gesagt hat, dass ich Captain Stuart anrufen soll. Machen Sie sich keine Sorgen. So groß und bullig wie der Bursche ist, kommt so schnell keiner an ihm vorbei und...“ „Verdammt, das ist Simpson!“ stieß Frank hastig hervor. „Und Sie haben sich reinlegen lassen, Sloane. Los, kommen Sie!“ Frank sprintete los. Er hastete in langen Sätzen den Gang entlang. Jede Sekunde zählte jetzt. Wenn Simpson mit dem Jungen allein war, dann brachte er ihn eiskalt um, ohne mit der Wimper zu zucken. Reynolds lief gehetzt weiter. Jetzt hatte er die Biegung des Ganges erreicht, von dem aus man Bens Zimmer erreichte. Eisiger Schreck überfiel ihn, als er sah, dass niemand mehr vor der Tür stand. Im gleichen Moment hörte er ein dumpfes Poltern, das aus dem Inneren des Krankenzimmers zu kommen schien. Frank spurtete vorwärts. Er zog seinen Revolver aus der Jackentasche und riss die Tür auf. In Sekundenschnelle erkannte er die Situation. Frank sah den Killer, der sich über Ben Cairn gebeugt hatte und nun versuchte, ihn mit einem Kissen zu ersticken. Ben war aufgewacht und schlug wild mit den Armen um sich, doch gegen die Bärenkräfte des Killers kam er natürlich nicht an. Mr.Bronx sprang Simpson an, der im gleichen Moment herumwirbelte. Der Killer hatte Frank bemerkt und musste jetzt von Ben ablassen. Frank machte kurzen Prozess. Der Laut seines Revolvers traf Simpson an der Schläfe und ließ ihn zurücktaumeln. Reynolds setzte nach und verpasste dem Killer einen kräftigen Hieb, der ihn schließlich ins Reich der Träume schickte. Schließlich drehte er sich zu Ben um, der heftig nach Luft schnappte. Seine Augen waren weit aufgerissen vor Angst. „Es ist alles okay, Ben“, beruhigte Frank ihn und schaute zu Officer Sloane, der sprachlos in der Tür stand und auf
zum Teufel, ist das Büro des Stationsarztes?“ „Den Gang um die Ecke entlang, und dann die siebte Tür auf der linken Seite“, erklärte Simpson und rieb sich innerlich die Hände über die Dummheit dieses Bullen. „Gehen Sie nur, Officer. Ich versprech’ Ihnen, dass niemand in dieses Zimmer geht, okay?“ Officer Sloane atmete spürbar auf und marschierte dann los. Augenblicke später war er hinter der Biegung des Ganges verschwunden. Simpson wartete noch einen Moment, dann öffnete er leise die Tür, hinter der Ben Cairn lag. Der Junge schlief und merkte nicht, wie jemand das Zimmer betrat. Umso besser, dachte der Killer. Er wird erst gar nicht mehr aufwachen. Auf leisen Sohlen schlich sich der bullige Simpson zum Bett des Farbigen und griff nach einem Kissen, das auf einem Stuhl lag. Er wollte ihn im Schlaf ersticken. Ein Schuss war zu gefährlich, denn den hörte man vielleicht. Ein Kissen war da eine viel sauberere Methode. Langsam hob Simpson das Kissen auf und drückte es dann auf den Kopf des Jungen! * Frank sah Officer Sloane den Gang entlanggehen, während er verzweifelt nach links und rechts blickte. Mr.Bronx begriff nicht, was das bedeutete. Er ahnte nur, dass etwas Schlimmes sich anbahnte. „He, Reynolds!“ rief Sloane, als er Frank sah. „Wo ist denn das Büro des Stationsarztes? Captain Stuart hat angerufen, und ich find’ mich hier bei diesen vielen Türen nicht zurecht!“ In Franks Hirn schrillte eine Alarmglocke. Hastig stellte er die beiden Becher mit heißem Kaffee ab. „Warum sind Sie nicht auf Ihrem Posten, Sloane?“ „Keine Panik, Reynolds“, erwiderte der Beamte. „Ist ja jemand da, der auf Cairn
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Simpson starrte, den er für einen Krankenpfleger gehalten hatte. „Rufen Sie Captain Stuart an, Officer. Das Büro des Stationsarztes ist übrigens eine Etage tiefer.“
„Schade, dass die Breakdance - Schule jetzt schließen muss“, sagte der Junge traurig. „Ich hab’ nun keine Gelegenheit mehr zum Tanzen.“ „Irrtum!“ klärte Frank ihn auf. „Ich wollte dich damit überraschen, Ben. Ich hab’ ‘nen Breakdance-Lehrer für dich und deine Truppe aufgetrieben. Der hat in dem Kinostreifen ‘Beatstreet’ mitgespielt, und er hat sofort ja gesagt, als ich ihn gefragt habe. Wollen wir hinfahren und ihn uns ansehen, Ben?“ Bens Augen wurden groß vor Freude. Der Junge war so aufgeregt, dass er zuerst keine Worte mehr fand. „Mr. Reynolds!“ rief er dann. „Sobald ich wieder gesund bin, versprech’ ich Ihnen, dass ich üben werde wie ein Verrückter. Das ist ja - das ist ja umwerfend!“ „Wie sieht’s aus, Phil?“ fragte Frank den Freund, während Ben im Mercedes Platz nahm. „Willst du nicht auch mitkommen? Ich kann dich beim nächsten BreakdanceKurs noch anmelden. Tut dir bestimmt ganz gut.“ Bevor Stuart antworten konnte, war Frank ebenfalls eingestiegen. Augenblicke später fuhr der Mercedes los. Sein Ziel war die Kensington Street, wo Ben eine neue Chance bekam.
* Ben Cairn strahlte, als er endlich das Krankenhaus verlassen konnte. Frank war gekommen, um ihn abzuholen. Der Junge trug den Arm noch in der Schlinge, aber sonst war er wohlauf. Frank geleitete den Jungen hinaus ins Freie. Er hatte dort den Mercedes abgestellt, denn er wollte es sich nicht nehmen lassen, Ben selbst nach Hause zu fahren. Vor Franks Wagen wartete Captain Stuart. „Na, Ben. Alles okay?“ fragte er. Der Junge nickte. „Hauptsache, der Prozess ist glatt über die Bühne gegangen. Captain, mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, als ich die Aussage hinter mich gebracht habe. Was wird jetzt aus Morrison und Simpson?“ „Das Gericht hat beide wegen Mordes und Rauschgifthandels schuldig gesprochen, Ben“, erklärte Stuart. „Zehn Jahre bleiben die hinter Gitter. Die werden dir nichts mehr tun können, Ben!“
Ein gelöster Fall ist immer etwas wie ein erleichtertes Aufatmen. Danach fühlt man sich – irgendwie leichter und unbeschwerter. Auch wenn man weiß, dass man dem Teufel gerade noch einmal von der Schippe gesprungen ist. Dieses mal ist es gerade noch mal gut gegangen – aber das ist keine Garantie, ob das am nächsten Tag auch noch so sein wird. Recht und Gesetz in solch einer großen Stadt haben es nicht leicht. Es ist so, als wenn man mit bloßen Händen versucht, gegen einen sehr starken und verdammt heimtückischen Gegner zu kämpfen, der dazu noch bis an die Zähne bewaffnet ist. Manchmal frage ich mich, warum ich mir das eigentlich noch antue, mich jeden Tag aufs Neue in dieses Getümmel zu stürzen und auf meine Weise zu versuchen, dass die Welt wenigstens ein bisschen besser wird. Es gibt Leute, die mich für einen unverbesserlichen Optimisten halten – und wahrscheinlich haben sie Recht. Ich habe Ben Cairn nie wieder gesehen. Ich kann nur hoffen, dass er seine Chance genutzt hat und dass aus ihm ein anständiger Kerl geworden ist. Aber irgendwie habe ich da so 49
meine Zweifel, denn die Breakdance-Schule wurde ein Jahr später geschlossen, und die Jugendlichen mussten aufhören. Ich habe leider erst zu spät davon erfahren und konnte nichts mehr tun. Als ich dann vor dem leeren abbruchreifen Haus stand, habe ich mich gefragt, wie es Ben jetzt wohl ergeht. Er wohnt nicht mehr unter seiner alten Adresse – und seine ehemaligen Nachbarn wissen nicht, wohin er jetzt gezogen ist. Vielleicht hat er New York auch schon verlassen. Ich hoffe es für ihn, denn sonst wird ihn diese Stadt in ihre dunklen Abgründe ziehen. Ein Junge seiner Herkunft hat wohl nie das Glück gepachtet...
ENDE
Im April erscheint Mr. Bronx Nummer 2:
TERROR AN BORD von Alfred Wallon
Mr. Bronx erscheint bei vph Verlag & Vertrieb Peter Hopf, Goethestr. 7, D-32469 Petershagen. © Copyright aller Beiträge 2003 bei Alfred Wallon und vph. Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Verlag gestattet.
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