OTTO ZIERER
BILD D E R JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
ENTFESSELTE GEWALTEN Unter ...
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OTTO ZIERER
BILD D E R JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
ENTFESSELTE GEWALTEN Unter diesem Titel ist der Doppelband 29/30 der neuen Weltgeschichte erschienen. Der Doppelband behandelt das 17. Jahrhundert n. Chr. In Stücke gebrochen liegt die alte Einheit des Abendlandes. Die aufgespaltenen Nationen kämpfen um Vormacht und Handelsplätze. Sternförmig führen die Wege der neuen Wissenschaften vom Altar der Gottheit fort in die Grenzenlosigkeit desAlls. Entfesselte Gewalten erschüttern Glaube, Sitte und überkommene Ordnung. Die Beunruhigung der Völker ist tief und fortdauernd.Der kontinentweite Dreißigjährige Krieg pflügt alle bisherigen Verhältnisse um — an seinem Ende ist das Reich als Herz Mitteleuropas zerschlagen. Ein französisches Jahrhundert hebt an.
Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieder ausgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM6.60. Mit dem Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunsch werden auch die bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen Bänden nachgeliefert (Einzelbände 1—18 je DM 3.60.) Prospekt kostenlos vom VERLAG SEBASTIAN LUX - MURNAU • MÜNCHEN • INNSBRUCK
KLEINE
B I B L I O T H E K DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
Robert
Jungk
MOUNT PALOMAR Reise ans Ende der Welt
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VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU-MÜNCHEN-INNSBRUCK
HEFTE
Auf einer Höhe in Kalifornien, dem Mount Palomar, erhebt sich die riesenhafte Kuppel des Palomar-Observatoriums. Sie birgt das größte Teleskop der Welt, das fünf Meter Durchmesser hat. Mit seiner Hilfe erobern sich die Astronomen, unter ihnen der deutsche Prof. Baade, neue, großartige Ausblicke in den Makrokosmos. Hier, auf dem Mount Palomar, war der Verfasser dieses Lesebogens, Robert Jungk, dessen Buch „Die Zukunft hat schon begonnen" großes Aufsehen erregte, lange Zeit zu Gast. Mit den Astronomen „reiste" er bis „ans Ende der Welt", das neueste Forschungen ein bis zwei Milliarden Lichtjahre weit hinausgeschoben haben.
Friedliche Eroberer An der Wand meines engen kalifornischen Arbeitszimmers hängt seit ein paar Tagen neben der großen Weltkarte, auf der die meisten Flugrouten eingezeichnet sind, der folgende „Fahrplan", den ich von einem Besuch der berühmten Sternwarte auf dem Mount Palomar mitgebracht habe: Ein Raumschiff, das .mit Lichtgeschwindigkeit (300 000 Kilometer in der Sekunde) fliegt, braucht folgende Zeiten: Sphärel — Sonnensystem Von Los Angeles nach Berlin eine Dreißigstelsekunde; zum Mond ein und eine Viertelsekunde; zur Sonne acht Minuten; zum Planeten 2
Pluto fünfeinhalb Stunden; von zum anderen elf Stunden.
einem Ende des Sonnensystems
S p h ä r e II' — M i l c h s t r a ß e Zum nächsten der Sonne benachbarten Stern viereinhalb Jahre; von einem Ende der Milchstraße zum anderen hunderttausend Jahre. S p h ä r e III — U n i v e r s u m Zum nächsten Sternensystem (Andromedanebel) eine Million Jahre; zu der Galaxe „Messier 8 1 " drei Millionen Jahre; an die äußerste Sichtgrenze des 200-Zoll-Fernrohrs auf Mount Palomar mehr als eine Milliarde Jahre. („Galaxe" ist das aus dem Griechischen stammende, in der Astronomie übliche Wort für die Milchstraße. Es gibt außerhalb der unseren zahlreiche solche Systeme, die im Teleskop deutlich als „Spiralnebel" erscheinen.) Für Raumschiffe zu weit Immer, wenn ich wieder einen der jetzt so oft erscheinenden Aufsätze finde, in denen über Mond und Mars hinaus von einer „Eroberung des Weltalls" phantasiert wird, schaue ich auf diesen „Fahrplan". Wie jämmerlich sind selbst die schnellsten Raumraketen, gemessen an solchen Distanzen! Ein Mensch, der bei Beginn der letzten Eiszeit unseren Planeten verlassen hätte und mit Lichtgeschwindigkeit in Richtung auf den Andromedanebel, das uns nächstliegende Milchstraßensystem, losgeflogen wäre, hätte bisher erst ein Fünfzigstel seines Weges Zurückgelegt! Versuchte gar jemand mit einem der heute für herstellbar erklärten Weltraumschiffe eine solche Reise zu unternehmen, so würde er wohl bei Lebzeiten die Planeten unseres Sonnensystems erreichen, aber nie die Millionen und Millionen anderer Galaxen jenseits unserer Milchstraße. Phantasievolle Schreiber haben sich vorgestellt, daß vielleicht auf einem solchen Raumschiff Generation um Generation geboren werden könnte, bis schließlich ein später Enkel die Grenze des Andromedanebels erreichen würde. Aber inzwischen wäre der Ausgangspunkt der Reise, diese unsere Erde, vermutlich schon von der stsrbenden Sonne geschluckt und mit ihr e x p l o d i e r t . . . Vergessener Kosmos Es gibt keine bessere Schule der Bescheidenheit als den Umgang mit den Sternen. Und doch wiederum kaum eine Sache, die den Stolz auf des Menschen Geist so sehr fördern könnte. Als ich eine» 3
Abends über die Unmöglichkeit nachdachte, auch nur die Grenzen unseres eigenen Sternensystems je körperlich zu erreichen, wurde mir plötzlich klar, wie erstaunlich weit und schnell wir dagegen geistig reisen können. Diese vernachlässigte Binsenwahrheit ging mir auf, als ich einen illustrierten Sonderdruck aus dem „Astrophysical Journal" zu verstehen versuchte, den mir der auf dem Mount Palomar arbeitende Westfale Dr. Walter Baade mitgegeben hatte. Hier wurde etwa mitgeteilt, daß „die Mittelregion des Spiralnebels ,Messier 32' vollständig ausgebrannt" ist oder daß der„Andromedanebel bis zu seinem Kern aus Sternen besteht". Wie kann ein Gelehrter mit solcher Genauigkeit, mit so vielen Einzelheiten über eine Region berichten, die eine Million Lichtjahre und noch mehr von der Erde entfernt ist? Nun — er kann es, weil er nicht auf körperliche Eroberung dieser fernen Sterneninseln ausgegangen ist, sondern sich damit begnügt hatte, sie zu betrachten und über sie nachzudenken. Hier war einer jener erstaunlichen Siege des Geistes über Zeit und Raum, an denen ich durch Wort- und Bilddarstellung teilhaben' durfte. Meine Bewunderung für die von keinem Machtgedanken angetriebenen Pioniere der modernen Astronomie stieg noch mehr, als ich erfuhr, wie gewaltig sie im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts den menschlichen Horizont erweitert haben. Wir haben in diesen Jahren unsere Augen zu starr auf marschierende Heere gerichtet. Aber während sich unser Blick nach dem Sudetenland, nach Danzig, Polen, Frankreich, Nordafrika, Rußland, dem Rhein und schließlich Korea richtete, hat eine Handvoll Gelehrter, deren Namen meist nicht weit über einen Fachkreis hinaus bekannt sind, den Raum des bekannten Universums millionenfach erweitert. Noch ist es nicht einmal eine Generation her, seit wir wissen, daß jenseits unserer Milchstraße weitere andere „Milchstraßen" existieren. Noch 1924 vermuteten wir, daß die Grenze des uns sichtbaren Universums nicht weiter als hunderttausend Lichtjahre entfernt liege. Heute aber sehen wir eine Milliarde — nach neuesten Vermutungen des an der Universität Harvard arbeitenden Astronomen Shapley — 60gar zwei Milliarden Lichtjahre weit in den Weltenraum hinein. Der oberste „Feldherr" dieser friedlichen „Eroberer" ist der heute 63jährige Amerikaner Edwin P. Hubble, ein breitgebauter, glattrasierter Mann mit den sicheren, schnellen Bewegungen eines aktiven Sportlers, der selbst, wenn er an einem der großen Teleskope sitzt, die Pfeife im Mund behält. Es war Hubble, der durch seine Beobachtungen am 100-Zoll-Spiegelteleskop auf dem Mount Wilson über Los Angeles einwandfrei feststellte, daß der 1
Andromedanebel nicht innerhalb, sondern weit außerhalb unserer Milchstraße läge. Seither haben Hubble und seine Mitarbeiter, die Amerikaner Humason, Slipher und Wilson, der aus Deutschland stammende Walter Baade, der aus der Schweiz kommende Fritz Zwicky und der zu der berühmten polnischen Gelehrtenfamilie gehörende Rudolph Minkowski zusammen mit Mitarbeitern aller Nationen die vorher unbekannte Welt jenseits der Milchstraße erforscht. Sie entdeckten nicht nur zahlreiche neue Sternensysteme, die früher entweder nur als „Nebel" angesehen worden oder noch nicht einmal gesichtet worden waren, sondern haben darüber hinaus ganz neue Theorien über die Natur und das Gefüge unseres Universums formulieren können.
Fahrt zum „Berg der T a u b e " „Als ich mich vor vierzig Jahren entschloß, die Astronomie zu meinem Forschungsgebiet zu machen, rieten mir fast alle meine Studienkollegen ab. Das Studium des Himmels schien keine großen neuen Entdeckungen zu bieten", erzählte mir Professor Dr. Baade. „Und heute präsentieren sich uns so viele neue Himmelserscheinungen, so viele erst unvollkommen gelöste Probleme und ungenügend bewiesene Theorien über das Weltall, daß man wünschte, der Tag hätte 48 Stunden." Das geistige „Raumschiff", auf dem Hubble und seine Gefährten ihre Vorstöße ins All unternehmen, liegt auf einem nicht ganz zweitausend Meter hohen Berg in der Südwestecke der Vereinigten Staaten. Die spanischen Eroberer nannten dieses Hochplateau „Palomar", den „Berg der Taube". Ich erreichte Mount Palomar an einem jener seltenen Tage, da die Gipfel Südkaliforniens sich mit Schnee krönen. Wir hatten Los Angeles am Morgen auf einer der großen neuen „freeways" verlassen, einer Autobahn, die kühn und schön über Brücken und erhöhte Rampen durch das abenteuerliche Zufallsgewirr dieser Millionenstadt hindurchschnitt. Bald öffnete sich hinter den blühenden Orangenhainen ein weiter Blick auf den Pazifischen Ozean, an dessen Horizont harmlos und klein wie ein Spielzeug in der Badewanne ein Kriegsschiff dem nahegelegenen Hafen San Diego zudampfte. Dann wandte sich die Route wieder landeinwärts. Der Turm einer spanischen Missionskirche, Indianer der nahegelegenen Reservation auf dem Spielplatz einer modernen Schule und nun ein Wegzeichen, das die Aufschrift trägt: „Highway to the stgrs". Wir waren auf der Straße zu den Sternen! 5
E r s t s p ä t e r h a b e ich e r f a h r e n , d a ß P r o f e s s o r H e i n z H a b e r , d e r M a n n a m S t e u e r u n s e r e s W a g e n s , auf d i e s e r R e i s e nach M o u n t P a l o m a r nicht n u r die v i e l f a r b i g e k a l i f o r n i s c h e A u t o k a r t e m i t g e n o m m e n h a t t e , s o n d e r n auch — ein F o t o d e s A n d r o m e d a n e b e l s . E s ist schon recht a b g e g r i f f e n , dieses Bild u n s e r e r s c h i m m e r n d e n N a c h b a r - G a l a x e , d e n n sein B e s i t z e r , ein g e b ü r t i g e r M a n n h e i m e r , h a t es in d e n l e t z t e n z e h n J a h r e n fast s t e t s an s e i n e r B r u s t m i t sich g e t r a g e n . Dieses l a n g e l e u c h t e n d e O v a l , a u s M i l l i o n e n S t e r n e n bes t e h e n d , w a r m i t H a b e r i n d e n W i r r s a l e n des russischen W i n t e r f e l d zuges u n d i n d e n B o m b e n n ä c h t e n d e s d e u t s c h e n Z u s a m m e n b r u c h s . E r h a t e s m i t g e n o m m e n , als i h n d i e A m e r i k a n e r z u s a m m e n m i t a n d e r e n d e u t s c h e n W i s s e n s c h a f t l e r n nach K r i e g s e n d e nach S a n A n t o n i e b r a c h t e n , w o e r e i n e n n e u e n F o r s c h u n g s z w e i g , die s o g e n a n n t e „ W e l t r a u m - M e d i z i n " , g r ü n d e n half. Ich e r w ä h n e d i e s e T a t s a c h e n u r d e s h a l b , weil H a b e r , wie zahlreiche d e r zeitgenössische n w i s s e n s c h a f t l i c h e n P i o n i e r e , m i r e i n e n n e u e n F o r s c h e r t y p d a r z u s t e l l e n scheint, d e r L e b e n u n d W i s s e n n i c h t als zwei gänzlich v o n e i n a n d e r a b g e s c h l o s s e n e G e b i e t e a n s i e h t . D i e W e i t e des W e l t a l l s l ä ß t M ä n n e r w i e H a b e r u n s e r Z e i t g e s c h e h e n i n a n d e r e r , g e r e c h t e r e r Sicht s e h e n . O b j e k t i v i t ä t u n d W a h r h e i t s l i e b e , Sinn für die wirklichen Wertverhältnisse, die Fähigkeit, über die Unz u l ä n g l i c h k e i t des A u g e n b l i c k s h i n a u s z u s c h a u e n — all das scheint m i r i n d i e s e r k l e i n e n Geschichte v o m M a n n e , d e r d a s F o t o des A n d r o m e d a n e b e l s ü b e r s e i n e m H e r z e n d u r c h d a s chaotische G e g e n w a r t s schicksal h i n d u r c h t r ä g t , a u s g e d r ü c k t z u sein. „ W e n n w i r oben sind, m ü s s e n Sie B a a d e f r a g e n , o b d e r A n d r o m e d a n e b e l w i e d e r g r ö ß e r g e w o r d e n s e i " , u n t e r r i c h t e t e mich H a b e r , d e r d e n g r o ß e n A s t r o n o m e n seit l a n g e m k e n n t . „ J e d e s m a l , w e n n ich i h n sehe, sagt e r : ,Die M i l c h s t r a ß e ist schon w i e d e r g e s c h r u m p f t u n d d e r A n d r o m e d a n e b e l schon w i e d e r g e w a c h s e n ' . E r m e i n t d a m i t natürlich, daß schärfere u n d empfindlichere Beobachtung ihm i m m e r m e h r E i n z e l h e i t e n ü b e r diese , e i n s t u n t e r s c h ä t z t e n N a c h b a r n u n s e r e r Milchstraße' vermitteln." M i t r a s e n d e m T e m p o ins All Während unser Wagen Kurve um Kurve der Straße zum Palomar n a h m , u n t e r h i e l t ich mich m i t H a b e r ü b e r d e n W a n d e l des W e l t b i l d e s . I m m e r k l e i n e r ist d e r Mensch g e w o r d e n , i m m e r m e h r r ü c k t e e r a u s d e m M i t t e l p u n k t w e g ! D i e Ä g y p t e r h a t t e n noch i h r N i l t a l f ü r d a s Z e n t r u m des U n i v e r s u m s g e h a l t e n u n d d i e S t e r n e n u r als e i n e A r t v o n h ä n g e n d e n L a m p e n a n g e s e h e n , d i e i h n e n d i e N a c h t verschönen sollten. D a s M i t t e l a l t e r h a t t e d i e g a n z e E r d e , K e p l e r schon <5
Schema des Palomar-Teleskops
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die Sonne als Achse der Schöpfung angesehen. Nun aber ist nicht einmal mehr unsere Milchstraße, in der die Sonne nur einer von Millionen Sternen war, von entscheidender Bedeutung. Sie ist selbst wieder nur eine von zahllosen Sterngruppierungen, die vermutlich in rasendem Tempo sich voneinander ins All hineinverlieren. Wir sind nur Bewohner eines vergleichsweise sandkorngroßen drittklassigen Planeten, der um eine Sonne vierter Größenordnung kreist, welche selbst wieder nur zu einem Sternensystem von mittelmäßigem Kaliber gehört. Aber wir sind imstande, die Natur des gewaltigen Universums zu studieren und nach und nach die eigene Nichtigkeit aufzudecken und doch mit dem Wissen um sie weiterzuleben.
Das „große A u g e " in der Kuppel Plötzlich tauchte jetzt vor uns die silberglänzende Kuppel des Observatoriums auf, ein schimmernder Metallhelm, auf einem gelbgestrichenen Rundgebäude- Im Innern dieses Gebäudes mußte sich das Teleskop mit seinem zweihundert Zoll weiten Spiegel befinden; in einem anderen Kuppelbau, den wir linker Hand durch den schneebedeckten Tannenwald schimmern sahen, befand sich zweifellos das zweite optische „Wunder" von Palomar, das „Schmidtsche Weitwinkelfernrohr". Wir hielten, streckten uns ein wenig in der Mittagssonne und betraten den Vorraum des Observatoriums. Dort sahen wir eine Tafel, deren in Bronze gegossener Text lautete: DAS 200-ZOLL-TELESKOP, BENANNT ZU EHREN VON GEORGE ELLERY HALE, 1868—1938, DESSEN PLANUNG UND ENERGIE ES SEINE ENTSTEHUNG VERDANKT Und während wir auf Professor Baade warteten, der uns das „große Auge" zeigen sollte, ließen wir uns die Geschichte des Mannes erzählen, der die größte Sternwarte der Welt gegen alle Widerstände, trotz aller Fehlschläge schließlich zur Wirklichkeit machte, nur um selbst — ein Moses der Astronomie — gerade vor der Vollendung seiner Aufgabe zu sterben . .. Abenteuer um das „große Auge" Am 15. Februar 1928 fand Wickliffe Rose, ein hoher Beamter der Rockef eller-Stiftung, in seiner Morgenpost einen besonders schweren Brief. Als er ihn öffnete, lagen darin die Druckfahnen eines Artikels, 8
der sechs Wochen später in der bekannten Monatszeitschrift „Harpers Magazine" erscheinen sollte. Der Aufsatz trug den prosaischen Titel: „Die Möglichkeiten großer Fernrohre". Sein Verfasser, George Ellery Haie, damals Direktor des Observatoriums auf dem Mount Wilson hoch über Los Angeles, wußte schon, weshalb er seine Ausführungen so frühzeitig an Mister Rose schickte. Denn das Loblied auf eine noch nicht existierende Sternwarte war im Grunde nur für diesen einen Leser geschrieben worden, und der wirkliche Preis, nach dem Haie angelte, waren natürlich nicht die hundert Dollar Honorar, sondern — sechs Millionen Dollar, die Mister Rose für die Verwirklichung seines Astronomentraumes spendieren sollte. Später hat Spencer Jones, königlicher Astronom in London, erklärt: „Selten hat ein Magazinartikel ein so herrliches Ergebnis gehabt". Aber fast wäre es nie soweit gekommen. Denn der zerstreute Rockefeller-Kurator vergaß erst einmal den Vorabdruck in einer seiner Schubladen. Als er dann eines Tages zufällig darauf stieß, las er Haies Zeilen in einem Zug durch und kabelte sofort: „Bin interessiert". So begann die an Abenteuern, Unfällen, Rückschlägen und Triumphen aller Art so reiche Geschichte von Mount Palomar. Es sollte fast zwanzig Jahre dauern, ehe das 200-Zoll-Spiegelteleskop, das Haie vorgeschwebt hatte, wirklich auf dem Gipfel eines südkalifornischen Berges stand. Er selbst hat diesen Tag nicht mehr erlebt. Vom Umgang mit Dollarkönigen Haie war zu dieser Zeit bereits ein Spezialist im Umgang mit Dpllarkönigen. Er hatte seinen Charme und seine Überzeugungskraft früh an seinem eigenen, nicht unvermögenden Vater ausprobiert, der dem 13jährigen Sohn das Geld zum Bau eines eigenen Fernrohrs schenkte. Vom Dach der Familienvilla in Chikago aus machte der kommende große Himmelsforscher seine ersten Gehversuche am Firmament. Noch während seiner Schulzeit entdeckte er den „Spektro-Heliograph", mit dessen Hilfe er das erste Bild von der chemischen Zusammensetzung der Sonne entwarf. Sein Gesellenstück als Spendensammler für wissenschaftliche Zwecke legte er ab, als es ihm gelang, den wegen seines Geizes bekannten Chikagoer Millionär Charles Yerkes für den Bau einer Universitätssternwarte zu interessieren. Haie erreichte es, daß man ihn bei einem offiziellen Essen neben den reichen Mann setzte, und er verließ die Dinnertafel mit einem Scheck über 20 000 Dollar in der Tasche. Yerkes ahnte noch nicht, daß dies nicht, wie er wohl 9
annahm, eine einmalige endgültige Stiftung war, sondern von Haie als eine erste Anzahlung angesehen wurde. Im Laufe der Jahre wurden die Beziehungen zwischen dem Astronomen und seinem Mäzen so gespannt, daß Haie das Haus des Millionärs verboten wurde. Aber er holte doch nach und nach eine halbe Million Dollar aus Mister Yerkes heraus, schmeichelte, hielt begeisterte Reden, drohte schließlich sogar mit einer Pressekampagne, die die merkwürdigen Quellen der Yerkes-Millionen aufdecken sollte, und — baute schließlich sein Observatorium an der Williamsbucht im Staate Wisconsin. Es enthielt damals um die Jahrhundertwende das größte aller bestehenden Fernrohre. Später hat Haie oft bitter darüber geklagt, wieviel Zeit er in seinem Leben verschwenden mußte, um die finanziellen Mittel für seine immer größeren Projekte zu bekommen. Den alten Stahlkönig Andrew Carnegie hatte er durch Witze bei guter Laune zu halten, um die Warte auf dem Mount Wilson bauen zu können. Mit dem freundlichen, aber höchst seltsamen kalifornischen Mister Hooker mußte er Abend für Abend in Unterhaltungen über Pferdezucht und Rennsport verbringen, weil er Geld für sein 100-Zoll-Spiegelteleskop brauchte. All das zehrte an seiner Gesundheit, hielt ihn von seinen Forschungen ab. Um so begeisterter war Haie, als diesmal nach der kleinen Anfangsschwierigkeit alles so glatt zu gehen schien. Da holte ihn ein Telegramm aus den Sternen zur Erde zurück. Ein Freund kabelte: „Tut mir leid traurige nachricht mitzuteilen stop traf heute rose im cosmos club stop sagte er habe gerade mit merriam gesprochen, der ausgaben fuer so grosses instrument nicht gerechtfertigt halte ende." Finanzielles Hoch und Tief Der in dem Telegramm erwähnte Merriam war der Präsident der Carnegie-Stiftung, die Haie um die Bereitstellung der Mittel für don Unterhalt des neuen Observatoriums und die Gehälter der Mitarbeiter gebeten hatte. Ohne diese Zusage der Carnegie-Stiftung wollten die Rockefellers ihre bereits zugesagten sechs Millionen Dollar nun auch nicht geben. Aber Haie ging nach einem kurzen Anfall von Entmutigung sofort auf die Suche nach einem neuen Millionär, fand ihn auch tatsächlich in der Person von Henry Robinson, der durch Spekulationen in der Nachkriegskonjunktur reich geworden war. Er ließ sich dazu überreden, einen Fonds zu errichten, der jährlich die auf 150 000 Dollar veranschlagten Betriebskosten der neuen Sternwarte abwerfen würde. Diese Zusage veranlaßte die Rockefeller-Stiftung, ihr Spen10
denangebot aufrechtzuerhalten: das große Werk konnte beginnen! All das geschah im Jahre 1928, als der amerikanische „Boom" auf seinem Höhepunkt angelangt war. Ein Jahr darauf verlor der reiche Gönner Robinson fast sein ganzes Vermögen, konnte also sein Versprechen nicht einlösen. Als „Ersatz" überließ er dem Observatorium ein Stück scheinbar wertlosen Landes, Überbleibsel einer der vielen Spekulationen des bankrotten Millionärs. Und dann .. . dann wurde plötzlich auf diesem Terrain ein besonders ergiebiges Erdölvorkommen gefunden. Heute noch werden die laufenden Kosten des Mount-Palomar-Observatoriums aus den Einnahmen finanziert, die ein paar unaufhörlich Tag und Nacht pumpende Petroleumbrunnen hervorbringen: die Schätze der alten Erde ermöglichen so die Entdeckung neuer Himmelsfernen. Suche nach einem Bauplatz Der neue Kolumbus hatte seine „Isabella" gefunden. Die Reise in unbekannte Himmelssphären würde beginnen können, sobald das „Gefährt" gezimmert war. Haie wußte sehr wohl, wie viele ungelöste technische Probleme seiner noch harrten. Beim Bau des Mount-Wilson-Observatoriums hatte er schon einen Vorgeschmack davon bekommen. Da war erst einmal die Frage des Bauplatzes. Er mußte weit genug von einer Stadt weg liegen, aber wieder doch nicht zu weit. Mount Wilson war bereits schwer durch die von Jahr zu Jahr zunehmende Lichtfülle der Millionenstadt Los Angeles gehandikapt. Anderseits durfte man sich auch nicht zu weit von der Zivilisation entfernen. Denn eine moderne Sternwarte ist undenkbar ohne einen ganzen Hilfspark von Masdiinen, Akkumulatoren, Generatoren. Der „200-Zöller" würde fünfmal so viel wiegen wie das „100-Zoll"Instrument. Allein der Spiegel würde zwanzig Tonnen schwer sein. Legte man das Observatorium zu niedrig an, so würden atmosphärische Störungen das Bild beeinträditigen, verankerte man es auf einem zu hohen Gelände, waren Kälte und widriges Wetter zu befürchten. Haie fand in seinen Verhandlungen mit Behörden, Geologen, Physikern, Ingenieuren Trost, wenn er sich, die nächsten Jahre einfach überspringend, vor ein Blatt Papier setzte und aufzeichnete, welche Aufgaben er dem neuen Instrument zu stellen gedachte. Da schrieb er mit seiner interessanten Schrift folgende Punkte hin: »Erstens: Die Bauweise des Universums muß genauer untersucht werden. Zweitens: Die hunderttausende Spiralnebel sollen exakter studiert 11
werden. Mit dem 100-Zoll-Gerät haben erst zwei ,Nebel' ihre wahre Natur — daß sie nämlich eigene Sternensysteme sind — preisgegeben. Drittens: Die Entwicklung der Sterne, ihr Herkommen, ihre Existenz, ihre physikalische und chemische Lebensgeschichte ist zu erforschen. Viertens: Die Natur aller Materie kann am Himmel weit besser als im Laboratorium erkannt werden. Masse, Temperatur, Dichtigkeit und Druck sind im natürlichen ,Laboratorium des Himmels' größer als unter künstlichen Bedingungen auf der Erde." Um diese Aufgaben erfüllen zu können, mußte der größte aller Spiegel gegossen werden. Er durfte das unendlich ferne, schwache Licht anderer Sternen-Inseln nicht um ein Winzigstes verzerren. Seine Aufgabe war es ja, nicht ein größeres, sondern ein schärferes Bild jener noch unbekannten Welten zu geben. Wo frühere Fernrohre nur einen einzigen leuchtenden Fleck gezeigt hatten, würde dieser Spiegel den Fleck „auflösen" in zahlreiche winzige Punkte.
Glas, wie leicht bricht das . . . Gab es eine Glasart, deren Fläche sich auch bei einem Durchmesser von über 5 Meter nicht unter dem Einfluß von Druck oder Temperatur verzog? Gab es Glas, das nicht sprang, das keine Myriaden von Luftblasen in ein durchsichtiges Gefängnis sperrte? „Es gibt eine solche Sorte", versicherte Professor Elihu Thomson, ein Pionier der amerikanischen Industrie. „In Jena machen sie daraus Linsen für Mikroskope. Das ist — Schmelzquarz." Es war ein Traum im Innern eines Traumes, der da Wirklichkeit zu werden versprach. Seit Jahren hatte Thomson auf die Chance gehofft, eine solche große Glasscheibe aus Quarz herstellen zu lassen. Nun war die Wirklichkeit da. Die Laboratorien der „General Electric" in Lynn standen zur Verfügung: ein ganzes Stockwerk wurde ausgeräumt, quarzhaltiger Sand tonnenweise bestellt, besondere Schmelzöfen, Kontrollräume eingerichtet. Über hundert Menschen arbeiteten anderthalb Jahre angestrengt an den Vorbereitungen. Dann kam der Tag des Gusses. Ein Kurzschluß setzte gegen Mitternacht den Ofen außer Betrieb. Die glühende Glasmasse erkältete. Ein dumpfes Geräusch — die neue Scheibe war gesprungen, 600 000 Dollar, Monate und Monate von Arbeit verloren . .. Das geschah zu Weihnachten 1931. Amerika war auf dem Tiefpunkt der Wirtschaftskrise angelangt. Ein viel zu großer Teil des 12
Stiftungsvermögens war bereits für nutzlose Experimente ausgegeben worden. Der Augenblick war für Haie entscheidend. Entmutigt durch die Mitteilung der Experten, daß die Glasindustrie offensichtlich noch keine Möglichkeit kenne, einen so großen Spiegel in verlangter Qualität herzustellen, war er nahe daran, das ganze Projekt aufzugeben. Chronische Krankheit zehrte an ihm. „Die Sterne wollen nicht, daß man ihr Geheimnis verletze", sagte er in einem Augenblick der Entmutigung zu seinem Assistenten Anderson. Dann schüttelte er, wie erschreckt über die eigenen Worte, den Kopf. „So ein Unsinn . .. Das ist ja reiner Aberglaube. Die Sterne haben keinen Willen. Sie sind da für den, der sie findet, der sie sehen und prüfen kann." Es mußte ein Material geben, das besseren Erfolg versprach. Während des ersten Weltkrieges hatten die Amerikaner in Anknüpfung an die Arbeiten deutscher und österreichischer Glasmacher ein neues temperaturfestes Glas entdeckt. Sie nannten es „Pyrex", und es wurden daraus Küchengeräte aller Art gemacht. Die Firma Corning erklärte nach langen Vorverhandlungen, sie sei bereit, das Experiment zu wagen. Hätten nicht damals gerade Krise und Arbeitslosigkeit den Fabrikanten mehr Zeit gelassen, als sie in Tagen der Vollbeschäftigung zur Verfügung hatten, so wären sie kaum so energisch an diese nicht sehr profitable Aufgabe herangegangen. Aber so stand die halbe Fabrik leer, und man machte sich mit Feuereifer an die Sache . . . Der große Guß Sonntag, den 25. März 1934, der Tag, an dem in den ComingWerken nicht weit von New York der große Fernrohrspiegel gegossen werden soll! Tausende von Besuchern sind in der kleinen Glasmacherstadt eingetroffen. Die Reklameabteilung der Firma zieht das Ereignis wie eine Zirkusvorstellung auf. Berühmte Wissenschaftler, Künstler, Sportler, Stars von Film und Theater sind eingeladen worden. Dutzende von Reportern, Kameraleuten, Radiosprechern kamen, um das große Ereignis mitzuerleben und darüber zu berichten. Der Leiter des Experimentes, Dr. McCauley, gibt einem Mann in Asbestschürze mit großen schweren Handschuhen über den Händen und umständlichen Stiefeln ein Zeichen, daß begonnen werden kann. Das ist Charlie Wilson. Die Tradition verlangt, daß er vor Beginn seinen Schutzhelm zwischen den Zähnen hält. Vor einigen Wochen empfahlen Ärzte, die den wackeren Vorarbeiter wegen einer Infektion behandelten, daß er sich alle Zähne ziehen lasse. Er prote13
stierte: «Nicht bevor der 200-Zoll gegossen ist". Aber die Ärzte konnten nicht warten: Lebensgefahr! Wilsons Beißinstrumente mußten gehen, seine Kollegen haben eine Art Maske erfunden, mit deren Hilfe Wilson das Helmband „beißen" kann. Wenigstens sieht es so aus. Die Abergläubischen meinen: „Das kann nicht gut gehen. Das ist Betrug .. ." In der Mitte des Saales befindet sich der Schmelzofen, ein niedriger Bau aus Backstein. Die Türen öffnen sich, der Widerschein des Feuers springt über die Gesichter der Zuschauer. Die Arbeiter stoßen den riesigen „Suppenlöffel" in die Glut. Ihre dunklen Umrisse heben sich gegen weißblau glühendes, flüssiges Glas ab. Mit einem Zuruf schwingen sie den „Löffel" hinüber zu dem zweiten Ofen, der wie ein Eskimohaus aussieht. Hier soll die Glasscheibe Form gewinnen. Alles scheint zu klappen. Dr. McCauley geht in sein Büro, um die lelephonische Anfrage einer großen englischen Zeitung zu beantworten. Da kommt jemand hineingestürzt: „Einer der Formkerne ist losgebrochen". McCauley wirft den Hörer hin und rennt zurück zu dem Ofen. Durch die dunkle Sichtscheibe sieht er auf der glühenden Flut ein dunkles Stück schwimmen. „Versucht es herauszufischen, schnell! Sonst ist alles verloren!" ruft er. Die Sterne leuchten für alle Menschen „Sonst ist alles verloren . . .", wie oft noch erklangen diese Worte im Laufe des Baus der großen Sternwarte auf dem Mount Palomar in Südkalifornien. Aber wenn eine Moral aus der Geschichte dieses größten wissenschaftlichen Friedensprojejstes gezogen werden kann, so heißt sie: „Es ist nie ,alles' verloren". Höchstens Zeit und Geld gehen verloren. Alles verloren? Ja, so schien es, als Dr. McCauley einen losgebrochenen Formkern auf der Glut von geschmolzenem Glas tanzen sah, aus dem der 200-Zoll-Spiegel für das große Teleskop entstehen sollte. Er schloß sofort, daß weitere Kerne sich vom Grund des Kessels, in dem diese Feuersuppe gekocht wurde, loslösen mußten. Die Stahlverankerungen würden der gewaltigen Hitze einfach nicht widerstehen können. Vielleicht aber gab es doch noch eine Notlösung. „Schlagt das Ding in kleine Stücke", rief der Glasmacher seinen Helfern zu. „Dann bleibt alles an der Oberfläche, und wir können es später wegpolieren." Auf flog die Ofentür. Eine Hitzewelle schlug über die ZuschauerU
menge, die gekommen war, um dem Guß des größten Glasobjektes beizuwohnen. Zwei Männer näherten sich maskiert dem Inferno im Innern des „Iglus". Sie schlugen mit langen Metallstäben in die Lohe hinein, duckten sich, um den Feuerspritzern zu entgehen, wandten sich ab, um ihre brennend heißen Gesichter zu kühlen. Jetzt hatten sie den tanzenden Klumpen erwischt. Sie schlugen mit ihren Instrumenten darauf ein. Vergebens. Die Stabenden hatten zu schmelzen begonnen. Es hatte keinen Sinn, weiter zu versuchen. Der Guß der größten Glasscheibe aller Zeiten war mißlungen.
* „Alles verloren . . .", so hieß es wiederum, als im Sommer 1935 die Fluten des Flusses Chenung alle Dämme überrannten, alle Sandsäcke derb beiseiteschoben, alle Schutzbarrikaden, die um den Elektromotor des Kühlofens der Corning-Werke aufgebaut waren, niederbrachen. Der neue Guß des Spiegels war erfolgreich gewesen; aber nun drohte eine Naturkatastrophe den delikaten Kühlprozeß entscheidend zu stören. 72 Stunden dauerte es, ehe McCauley den Strom wieder einschalten konnte. Drei Tage und Nächte, in denen er im Schlamm watete, bis zum Bauch im Wasser stand, um „seinen" Spiegel zu retten. Aber diese Zeit rücksichtsloser Selbstaufopferung war nichts im Vergleich zu den nächsten drei Monaten müßigen Wartens, ehe der Kühlofen geöffnet, die Schutzhülle abgelöst werden konnte und der „Vater" des Experimentes erfahren konnte, ob sein Sorgenkind durch die dreitägige Panne gelitten hatte oder nicht. Das „Baby" ist o. k. Als McCauley schließlich Zentimeter um Zentimeter mit seinen Prüfinstrumenten über die grüngelbe Glasfläche gegangen war, ohne die geringste Verzerrung zu entdecken, wollte er es kaum glauben. „Ich finde nichts", sagte er kopfschüttelnd zu seinem Assistenten Hofstetter. „Rein gar nichts." „Dann ist unser Baby o. k.", meinte der. McCauley war unendlich glücklich, und doch wieder^ unsäglich traurig. Seine Aufgabe war zu Ende, sein Beitrag geleistet. Der große Spiegel konnte seine schwierige Reise über den ganzen Kontinent nach dem optischen Laboratorium in Pasadena antreten, wo er in jahrelanger Kleinarbeit auf ein raillionstel Millimeter genau geschliffen werden würde. Entlang der ganzen Strecke, die sorgfältig von anderem Verkehr und Hinternissen befreit war, standen Menschen, um dem sorgfältig verpackten Riesending auf seinem offenen Frachtwagen zuzuwinken. IS
„Ein paar Gramm von hauchdünn aufgetragenem Aluminiumbelag und lichtempfindlicher Photoemulsion bilden die eigentlichen optischen Oberflächen des 200-Zoll-Fernrohrs. Damit aber diese Flächen richtig eingesetzt werden können, waren 35 000 Pfund Glas und 1000 000 Pfund Stahl notwendig", so hat G. H. Fröbel, ein amerikanischer Nachkomme des großen deutschen Pädagogen, der als Ingenieur der Firma Westinghouse am Bau des großen Teleskops teilnahm, das Paradox dieser riesigen Präzisionsmaschine formuliert. Damit ein Astronom in einer günstigen Nacht mit diesem gigantischen Spiegel das Licht erst halb oder ganz unbekannter Sonnen einfangen kann, verzichtete Bauleiter Captain McDowell auf das Ziel seines Lebens, die Beförderung zum Admiral, sperrte sich Martus H. Brown, der Chefoptiker, dem der Schliff der verschiedenen Spiegel aufgetragen war, jahrelang wie ein Mönch in seine Werkstatt ein, versäumte Sinclar Smith eine Operation, die sein Leben hätte verlängern können. Er wußte, daß der Krebs an seinen Eingeweiden fraß und zuerst regelmäßige Strahlenbehandlung, dann der Eingriff mit dem Messer ihm eine längere Gnadenfrist auf Erden verschaffen konnten. Aber er hatte keine Zeit „für solche Spielereien". Man hatte ihm aufgetragen, den komplizierten elektrischen Kontrollapparat zu bauen, der automatisch die Position des Teleskops auf seinem, mit hoher Geschwindigkeit durch den Weltenraum reisenden „Träger" Erde regulieren würde. Da es damals kaum einen anderen, ähnlich geeigneten Spezialisten zum Bau eines solchen „Elektronengehirns" in den USA gab, schien ihm das „Nervensystem" des Fernrohrs wichtiger als seine eigenen, todesbedrohten Organe. Den Kontrolltisch, den der im Alter von 39 Jahren schließlich von seinem Leiden hingeraffte Mister Smith gebaut hatte, zeigte uns Dr. Walter Baade zuerst auf seiner Führung durch das Innere des Observatoriums. Wir standen unter der großen metallenen Kuppel, deren Wölbungsmaße fast genau denen des römischen Pantheons entspricht. Über uns das Metallgewirr von Röhren, Streben, Kränen, mit grauer Schutzfarbe gestrichen, leblose, willenlose Glieder eines Giganten, der dem kleinsten Schalter auf dem Instrumentenbrett vor uns gehorcht. Die zahlreichen Touristen, die nach Palomar hinaufreisen, dürfen diese „Kommandobrücke" nicht betreten. Nur von einem verglasten Beobachtungsstand aus sehen sie ins Halbdunkel des runden Raumes hinein. „Obwohl sie uns manche Ungelegenheiten bereiten, wollen wir die Besucher nicht ganz ausschließen", erzählte uns Dr. Baade. „In einer Demokratie muß der Mann aus dem Volke Gelegenheit haben, 16
Mt. Palomar hat uns den Mond noch näher gerückt: Hier der 242 km breite Krater „Clavius", in den die vergleidibare „irdische" Strecke'Stuttgart—München mit 10 km-Punkten eingezeichnet ist. Die Kraterwände ragen 3660 m hoch auf, die Sonne fällt von rechts ein und liegt auf den linksseitigen Kraterhängen,
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zu sehen, was die Wissenschaftler tun. Vielleicht, so meinen die Direktoren der Stiftung, wird einer von diesen Tausenden und Tausenden von Unbekannten einmal reich genug sein, um dieses oder ein anderes astronomisches Projekt durch Schenkungen lebensfähig zu erhalten." Diese in solchen Worten ausgedrückte Haltung steht im Gegensatz zu der auf vielen anderen Gebieten wissenschaftlicher Forschung befolgten Geheimhaltungspolitik. Die Astronomie ist glücklicherweise noch kein Gegenstand materiellen Machtstrebens geworden. Das ist einer der Gründe, weshalb sie in den letzten Jahrzehnten solche rapiden Fortschritte machen konnte. Die Himmelsforscher können ihre Resultate vorläufig ohne Furcht vor staatlicher oder privater Zensur veröffentlichen. Sie müssen nicht Monopole und Patente berücksichtigen und können sogar durch die ideologischen „Vorhänge", die unsere Gegenwartswelt zerteilen, miteinander verkehren. Das Firmament ist noch nicht in Interessensphären aufgeteilt. Es „gehört" noch allen Menschen . . . ' Die Kuppel öffnet sich Sobald die Sonne untergegangen ist und die letzten Touristen den Mount Palomar verlassen haben, drückt der „Nachthelfer" auf einen der vielen Knöpfe auf dem Instrumentenbrett. Mit einem kaum hörbaren Geräusch Öffnet sich die Kuppel, ein sogenanntes ..Phantom-Teleskop" — nichts anderes als eine Nadel auf einem Zifferblatt — zeigt genau an, wie weit der Himmelsspalt ist und in welcher Position sich das Fernrohr befindet. Ein neues Schalterknipsen: jetzt beginnen die Ventilatoren den großen Spiegel allmählich zu kühlen. Ist die Abkühlung nämlich zu plötzlich, so entstehen winzige Veränderungen, die die Schärfe des Bildes beeinflussen. Der „Nightassistent" hat vor sich ein Blatt, auf dem ihm der heute nacht arbeitende Sternbeobachter genau angegeben hat, welche bestimmte Stelle er am Firmament beobachten möchte. Langsam und fast unhörbar beginnen die kleinen Servo-Motoren ihre Arbeit. Nicht mehr als ein zwölftel Pferdekraft ist notwendig, um das einhalbtausend Tonnen schwere Teleskop zu bewegen. Es gleitet auf einer riesigen hufeisenförmigen „Schiene" von West nach Ost, dann von Süden nach Norden, bis es genau „seine" gewünschte Stelle erreicht hat. Das „Elektronengehirn" sorgt dafür, daß es in dieser Position für jede gewünschte • Zeitlänge der Erdbewegung automatisch nach Westen mitfolgt. Jetzt erscheint Dr. Baade. Er darf das Fernrohr in diesem Monat während sechs „guter Nächte" benutzen. Die übrigen drei Wochen wird er dazu verwenden, die in dieser Zeit gemachten Aufnahmen
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im kleinen Arbeitszimmer des Instituts in der Santa Barbara Street von Pasadena zu erläutern. Der immer gutgelaunte, ungemein beliebte Forscher gibt in seiner schnellen, abgehackt klingenden Sprache, der man noch den deutschen Akzent anmerkt, die letzten Anweisungen. Er ist sehr warm angezogen, denn in der kalten Nacht muß er ohne Heizung oben in einem kleinen Käfig verbringen, der sich direkt im offenen Ende des Teleskops fast genau an der Stelle des Brennpunktes befindet. Über die Schulter bat der Bilderjäger seinen „Kodier" gehängt. Eine Tasche, in der sich die überempfindlichen Photoplatten befinden, die er heute nacht einlegen will. Der Gelehrte betritt eine offene Plattform, die sich auf Kommando hebt und ihn an seinen engen Beobachtungsposten hinaufträgt. In wenigen Sekunden hat man ihn aus den Augen verleren, aber jetzt erklingt über ein Lautsprechersystem seine Stimme: „Ready!" Jagd auf unsichtbares „Wild" Nun öffnen sich langsam, ganz langsam wie die Blätter einer seltsamen Blüte die Schutzdeckel über dem großen Spiegel, in dessen Höhlung die Lichtbotschaft ferner Welten gesammelt, zusammengefaßt und zu dem Mann im Sichtkäfig zurückgestrahlt wird. Baade sucht, stellt das Fadenkreuz seines „Guckers" auf einen Leitstern ein. Sein wirkliches Wild aber ist ein Stern, der sich seiner eigenen Sicht entzieht. Er liegt, wie er weiß, in der Nähe des Leitsterns, aber statt des zu schwachen menschlichen Auges wird dieErsatz„sehfläche" einer hodiempfindlichen Fotoplatte geduldig warten, bis der Unbekannte auf der hauchdünnen Fotoschicht seine Spur hinterlassen hat. Noch einmal fragt Bjiade: „Alles in Ordnung, Joe?" „Hier alles fertig . . ." „Dann können wir ja zu zählen anfangen . . ." Der „Nachthelfer" zählt die Sekunden: „Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier . . . z w e i . . . eins . . . los!" Baade hat das Objektiv des „großen Auges" geöffnet. Zwanzig Minuten lang wird es offenbleiben. Währenddessen hört man das leise Klicken der Feinregulierung. Baade ist berühmt dafür, daß er schärfere Himmelsbilder bekommt als irgendein anderer Astronom. Er hat das „Gefühl" dafür, wie man das Fernrohr immer wieder gerade-im richtigen Augenblick mit dem Sternbild mitführt. Denn diese minimalen Verschiebungen kann das „künstliche Gehirn" des regulierenden Automaten eben doch nicht rechtzeitig wett19
machen. Dazu gehört besonders schnelle Auffassungsgabe, sicherer Instinkt und eine beinahe künstlerische Sinnenschärfe. Baade „bewegt" sich mit den Sternen, sagte mir einer seiner Kollegen. Er „fühlt" sie. Das ist eine Fähigkeit, die sich kaum erlernen läßt. Eine Minute vor dem Ende der Belichtungszeit schrillt eine Glocke. Wieder wird gezählt, und genau auf die Sekunde schließt sich das Objektiv. Das Fernrohr schwingt langsam an eine andere Himmelsstelle. Die nächste „Fahrt" zu einem unbekannten Stern kann beginnen. Gegen Mitternacht gibt Baade Weisung, ihn herunterzuholen. Er vertritt sich die steifgewordenen Beine, geht in die kleine, mit hellrotem Linoleum ausgeschlagene Küche und braut sich Tee. Dann beginnt er, zu ungeduldig, um den nächsten Tag oder gar die nächste Woche abzuwarten, eine besonders wichtige Platte zu entwickeln. Auf der grauweißen Schicht der Platte erscheinen die Sterne im Negativ als kleine schwarze Punkte. Sie gleichen derart winzigen dunklen Mücken, wie man sie wohl an Sommerabenden auf dem Glasschirm einer Lampe findet. Und doch, wie der Forscher jetzt mit dem Vergrößerungsglas die „Beute" übersieht, wie er ein „Aha" ausruft, wissen wir, daß er einmal mehr Neues, Unbekanntes, Niegesehenes erblickt hat und ein Stück weiter in die Unendlichkeit des Universums eingedrungen i s t . . .
Zuschauer bei einem Weltuntergang Was Doktor Baade in dieser Nacht auf der mit der Riesenkamera des 200-Zoll-Fernrohrs auf dem Mount Palomar aufgenommenen Platte zum ersten Male sah, war das Foto einer Himmelskatastrophe von unvorstellbar gewaltigem Ausmaß. Hundert Millionen Lichtjahre von uns entfernt, im Sternbild des Schwans, waren zwei „extragalaktische Nebel", Sternensysteme so groß, wenn nicht noch größer als unsere Milchstraße, miteinander in Kollision geraten. Wie viele Sonnen, größer als unsere Sonne, wie viele Planeten — einige von ihnen vielleicht bewohnt von lebendigen Wesen — von diesem ungewöhnlichen Ereignis zum Flammentod verurteilt wurden, können wir vermutlich nie feststellen. Schon die einfache Tatsache aber, daß Menschen überhaupt je von diesem kosmischen Ereignis erfuhren, das Trillionen und Trillionen Kilometer von uns entfernt lange vor dem Beginn unserer eigenen Geschichte stattgefunden haben muß, ist erstaunlich genug. 20
Es begann damit, daß Karl G. Jansky, ein Elektroingenieur der Bell Telephone Company, vor noch nicht einmal zehn Jahren in seinem Radioapparat Nebengeräusche hörte, die von keiner Störungsquelle auf der Erde herrühren konnten. Er kam zu dem überraschenden Schluß, daß er einen „Sender" hörte der sich außerhalb unserer Atmosphäre „irgendwo im Universum" befinden mußte. Das klang zuerst viel zu phantastisch, um ernst genommen zu werden. Aber ein anderer Radiobastler namens Grote Reber, der in seinem Gärtchen eine „Tellerantenne" aufstellte, wie man sie unter anderm für „Radar" verwendet, bestätigte Janskys Behauptung. Wirkliches Fachinteresse fanden diese „Spielereien" erst, als 1948 zwei Bastler in Australien statt einer einzigen nunmehr zwei einige hundert Meter voneinander entfernte Antennen gegen den Sternenhimmel richteten, die beide mit dem gleichen Empfangsapparat verbunden waren. Es gelang auf diese Weise (mit Hilfe des sogenannten „Interferenz-Effekts") die Region, aus der die jeweilige Sendung kam, genauer zu umschreiben. Aber zum Erstaunen der Astronomen entdeckten die Empfänger jener ungewöhnlichen „Sternenmusik" Sender, die bisher von keinem Fernrohr gesichtet worden waren. Ihre sogenannten „Radiosterne" waren also anscheinend sehr kräftig in der Ausstrahlung von hörbaren, schwach dagegen in der Sendung von sichtbaren Wellen. Professor Baade stand von Anfang an mit den von seinen meisten andern Berufskollegen kaum beachteten „Sternenhörern" in Verbindung. Weshalb, so sagte er sich, sollte es dem Ohr nicht möglich sein, einiges am Firmament zu finden, was dem gegen atmosphärische Bildverzerrungen und kosmische Staubwolken ankämpfenden „Überauge" der optischen Teleskope entgangen war? Besonders beschäftigte ihn eine Mitteilung von Graham Smith, einem Mitarbeiter des Cavendish Laboratoriums in Cambridge, der ihm unlängst aus England die nach neueren präzisen Methoden errechnete Position von drei besonders lauten „Radiosternen" mitgeteilt hatte. Baade ließ sein 200-Zoll-Fernrohr nacheinander jeweils genau auf die angegebenen Positionen einstellen. Und wirklich: Exakt in der Mitte seiner Platten fand er die vorher nur durch ihre Geräusche vernehmbaren Himmelserscheinungen. Himmels-Detektive Nun allerdings begann erst die wirkliche Arbeit. Der moderne Astronom hat es nicht mehr so leicht wie Galilei, der, nachdem er sein erstes Fernrohr gebaut hatte, die Entdeckungen nur so vom Himmel aufklauben konnte wie ein Forschungsreisender, der in 21
eine allen seinen Vorgängern verschlossene Schatzkammer eingedrungen ist. Heute genügt es nicht mehr, die Position von Sternen zu entdecken. Wichtiger ist es, aus ihrer Zusammensetzung, ihrem Gewicht, den Spuren, die sie hinterlassen, aus dem winzigen Bruchstück ihrer Geschichte, das wir bewußt mitverfolgt haben, gültige Schlüsse zu ziehen. Der Astronom oder genauer gesagt der „Astrophysiker" kommt zu seinen Resultaten durch äußerst langwierige Berechnungen und Vergleiche, durch detektivischen Scharfsinn, der nach immer neuen Indizien sucht und stets bereit ist, das Urteil von gestern angesichts der Beweise von heute zu revidieren. Astronomie ist kein Beruf für Rechthaber, aber auch nicht für Gutgläubige. Weder „Diktatoren" noch „Untertanen" haben hier Platz. Eine der vielen neuen Künste, die die Himmelsforschung in den letzten Jahren so außerordentlich weitergebracht haben, ist die Spektroskopie. Genau wie wir das Licht auf unserer Erde zerlegen und dadurch wertvolle Rückschlüsse auf seine Quelle ziehen können, ist es möglich, das Licht fernster Sterne durch ein Spektroskop zu schicken und das seltsame Spektralband mit seinen verschiedenfarbigen, verschieden breiten Linien zu verdolmetschen. Es war ein solches „Spektrogramin", das Dr. Baade den Beweis in die Hand lieferte, daß der „Radiostern" im Schwan, den man zuerst gehört, dann mit dem 200-Zoll-Fernrohr gesichtet hatte, in Wirklichkeit zwei ganze Sternensysteme umfassen mußte, die aus irgendeinem Grunde in der Himmelsweite und unter katastrophalen Begleiterscheinungen, die lange andauerten, zusammengestoßen waren. „Ich hatte so eine Ahnung, als ich die photographischen Platten zum erstenmal genauer untersuchte", erzählte mir Baade in seinem Büro in Pasadena. „Die Struktur dieses Objektes war ganz ungewohnt. Beim Lunch erzählte ich meinem Freund und Mitarbeiter Dr. Minkowski von meiner Vermutung. Er sah mich an, schüttelte den Kopf und meinte: „Unglaublich. Wenn das stimmt, ,spendier' ich eine Kiste Whisky." Baade lacht noch heute, wenn er daran denkt: „Ich vergaß die ganze Sache. Es gab genug andere Arbeit. Ein paar Wochen später kommt Minkowski in mein Büro und fragt: ,Welche Sorte soll's denn sein?' Ich verstand gar nicht, wovon er eigentlich sprach. .Whisky meine ich, welche Sorte Whisky soll ich denn nun kaufen?' sagte er. ,Sie haben gewonnen. Das Spektrum zeigt, daß dieses Ding im Schwan sich im Zustande höchster atomischer Erregung befindet. Die Spektrallinien verraten: ,Neon V vorhanden. Das gibt es nur, wenn ein Atom vier seiner äußeren Elektronen verloren hat. Eine solche Ionisierung kommt nur bei Atomkollisionen zustande, in 22
denen die Atome mit mindestens tausend Kilometer Geschwindigkeit aufeinanderprallen... A l s o . . . welche Sorte Whisky gefällig??'" Die „Super-Novae" Der noch junge Zweig der „Radio-Astronomie" wird nach neuesten Mitteilungen von Dr. William H. Ramsey von der Universität Manchester vermutlich interessante Aufschlüsse über das Schicksal der sogenannten „Super-Novae" geben, jener Sterne, die in enormen Explosionen am Firmament aufflammen und für kurze Zeit zehnbis hundertmillionenfach so hell scheinen wie unsere Sonne. Die Astrophysiker haben sich für diese „Über-Explosionen" der „Super-Novae" und der noch häufigeren „Novae" aus verschiedenen Gründen stets besonders interessiert. Es handelt sich hier zweifellos um eine Fehlentwicklung — man hat auch von einer „Erkrankung" gesprochen, die bewirkt, daß chemische Umwandlungen, die sonst hunderttausende Jahre brauchen, plötzlich in rasender Beschleunigung vor sich gehen. Wäre es möglich, so hat man sich gefragt, daß unsere eigene Sonne plötzlich einen solchen „Rappel" bekommt? Eine der Antworten, die Professor Baade und seine Mitarbeiter, der Schweizer Dr. Fritz Zwicky sowie Dr. Minkowski, aus dem Studium der „Super-Novae" gewonnen haben, ist die beruhigende Konstatierung, daß ein solches Schicksal unserer Sonne kaum blühen dürfte. Aber über diese „praktische Aufgabe" hinaus, die der „Super-Novae"-Forschung gestellt war, ergaben sich Dutzende anderer Fragen im Zusammenhang mit dem Ereignis des „Weltenunterganges" oder „Sternentodes", den wir hier beobachten. Ist es möglich, wie Hoyle behauptet, daß zum Beispiel unser eigenes Planetensystem das „Überbleibsel" einer „Super-Nova" ist, die vor dreieinhalb Milliarden Jahren neben unserer Sonne explodierte, einen Gasrest ausstieß, der um die Sonne zu wandern begann und sich schließlich zu Planeten verdichtete? Vom Wert alter Dokumente Diese und zahlreiche andere Probleme haben die Astrophysiker fasziniert. Da innerhalb unseres eigenen Sternensystems zwei, vielleicht sogar drei „Super-Nova"-ExpIosionen stattgefunden hatten, begann Baade alte Dokumente und Bücher zu wälzen, in denen über diese Beobachtungen berichtet worden war. Ein chinesischer Astronom, dessen Namen unbekannt ist, hatte im Jahre 1054 einen „ungewöhnlich hellen Stern" am Firmament gesehen. In japanischen und koreanischen Schriften fanden sich ähnliche Mitteilungen, aus denen 23
die ungefähre Himmelsgegend, in der die Explosion stattfand, ermittelt werden konnte. Daraus ließ sich ziemlich einwandfrei ableiten, daß der sogenannte „Krabben-Nebel", eine stark leuchtende, sich allmählich ausdehnende Gaswolke, die seit hundert Jahren das Interesse der Sternbeobachter erregt, das Überbleibsel einer „SuperNova" sein mußte. Noch genauer waren die Angaben, die Baade in den Werken des Dänen Tycho Brahe und des Deutschen Kepler über die von ihnen im Jahre 1572, beziehungsweise 1604 beobachteten „neuen Sterne" fand. In seinen „Progymnasmata" hatte Tycho berichtet: „Als wir sie zuerst sahen, schien die Nova heller als alle Fixsterne, die Vega und den Sirius eingeschlossen. Sie war sogar ein wenig heller als Jupiter . .. An klaren Tagen sahen viele Beobachter sie sogar um die Mittagszeit.. . Nachts schien sie oft durch die Wolken hindurch, die alle anderen Sterne verdeckten." Aber auch das Vergehen der Himmelserscheinung, ihr allmähliches Schwächerwerden bis zum Verschwinden beschrieb der dänische Astronom genau. Baade konnte auf Grund dieser Angaben, die er den Beobachtungen anderer weniger berühmter Zeitgenossen zur Kontrolle gegenüberstellte, Größenordnung und Helligkeit der „schröcklichen Sterne", die unsere Vorfahren am Beginn der Neuzeit mit Furcht erfüllten, auf moderne astronomische Maßeinheiten bringen und dann mit den heute noch wahrnehmbaren Überresten am Himmel, den „Trümmern" einer fast vier Jahrhunderte zurückliegenden Katastrophe, vergleichen.
Der „ G r o ß e Schmidt" Natürlich konnten solche historischen Beobachtungen nicht die Selbstbeobachtung ersetzen. Sollte es nicht möglich sein, in irgendeiner der Millionen Sternensysteme, die durch die modernen Fernrohre ins Sichtfeld des modernen Menschen getreten waren, eine „Super-Nova"-Explosion auf ihrem „Höhepunkt" zu „erwischen" und dann mit neuesten Meßgeräten, unter Einsatz zum Beispiel der Spektroskopie, das „Sterben" dieses Sternes zu beobachten? Die Aufgabe war leichter gestellt als gelöst. Die großen Fernrohre, die es bis Mitte der dreißiger Jahre gab, konnten zwar sehr tief in den Weltraum eindringen, aber sie vermochten nur einen winzigen Ausschnitt des Himmelszeltes zu überblicken; das 200-Zoll-Fernrohr versprach da keine Änderung. Es sieht am Himmel jeweils nur einen so kleinen Teil, daß es etwa 24
5000 Jahre dauern würde, wenn es den ganzen Riesenraum systematisch abtasten würde. Ein „Weitwinkel-Fernrohr" also, das größere Räume überblicken würde? Ja, das war der Traum der Astronomen. Aber dem stand entgegen, daß solche weiten Aufnahmen nur in der Mitte scharf waren, an den Seiten dagegen derart verzerrt, daß an wissenschaftliche Verwertung nicht zu denken war. Da kam den Sternenforschern ein Eigenbrötler, ein Sonderling, ein „verrücktes Genie" zu Hilfe. Er hieß Bernhard Schmidt und war, als er wenige Jahre nach seiner großen Entdeckung in Hamburg starb, selbst seinen Landsleuten kaum b e k a n n t . . . Sohn einer schwedischen Mutter und • eines deutschen Vaters, wurde Schmidt 1879 auf der baltischen Insel Nargen geboren. Als er ungefähr elf Jahre alt war, experimentierte der Junge mit einer selbstangefertigten „Bombe", deren Explosion ihm die Hand und den Vorderarm abriß. Das verringerte seinen Wissensdurst und seine Bastelfreude aber keineswegs. Er schliff den Boden einer Bierflasche so fein, daß er daraus eine primitive Photolinse machen konnte. Von da an ließ ihn die Ergriffenheit für die Geheimnisse der Optik nicht mehr los. Scheu, einsam, unabhängig arbeitete er in Mittweida an Fernrohrlinsen gerade lange und intensiv genug, um das bißchen Geld, das er brauchte, zu verdienen. Alle Versuche großer optischer Firmen, sich ihn fest zu verpflichten, lehnte er ab, weil er „Zeit zum Nachdenken" haben wollte. Es war das Verdienst des Direktors Schorr von der Sternwarte Bergedorf, daß er auf Schmidts „Schrullen" einging und ihn durch das Versprechen völliger Ungebundenheit bei einem Minimum finanzieller Sicherheit nach Hamburg brachte. Und es war die historische Leistung von Professor Baade, daß er seinen merkwürdigen Kollegen, den er auf einer Expedition zur Beobachtung der Sonneneklipse nach den Philippinen im Frühjahr 1929 näher kennenlernte, zur Erfindung einer lichtempfindlichen, zerrfreien Weitwinkellinse anregte. Schmidt ließ sich nicht drängen. Er verschwand tagelang aus Bergedorf und dachte auf einsamen Spaziergängen in der Umgebung Hamburgs über „sein Problem" nach. Dann aber gelang es ihm, durch eine Kombination von Linse und Spiegel in 36stündiger ununterbrochener Arbeit die „komafreie Spiegelkamera" in Gedanken zu entwickeln. Noch bevor das 200-Zoll-Fernrohr auf Mount Palomar eingebaut wurde, installierte man im Jahre 1936 auf Drängen Baades dort oben die erste 18-Zoll-Schmidt-Kamera, der später eine 48-ZollKamera folgte. Mit Hilfe dieses Instruments konnten Baade und Zwicky noch im Jahre 1937 erstmals zwei „Super-Novae" unmittel25
har vor, während und nach der Explosion in den Sternensystemeri IC 4182 und NGC 1003 beobachten. Erstmal hatten Menschen dem Schauspiel eines Weltuntergangs beigewohnt, der zwar vor Milliarden Jahren stattfand, aber erst jetzt sein unendlich fernes Feuerfanal den Bewohnern des Planeten Erde sichtbar machen konnte . . . In einem Keller von Pasadena, der kalifornischen Universitätsstadt unweit von Los Angeles, liegen erdbebensicher, drei Stockwerke unter dem Boden, etwa 1500 gläserne Fotoplatten, die mehr wert sind als ihr Gewicht in Gold. Bis zum Ende dieses Jahres werden es 1870 sein: der große Himmelsatlas, der nach einem Ausspruch von Rektor DuBridge „die astronomische Bibel der nächsten hundert Jahre" sein wird, geht der Vollendung entgegen. Dieses neueste Porträt der Schöpfung, mit der Sdimidt-Weitwinkelkamera aufgenommen, ist mit keiner ähnlichen Bestandsaufnahme des Universums an Ausführlichkeit und Schärfe zu vergleichen. Erstmals wird es nun möglich sein, drei Viertel des gesamten Firmaments bis zu einer Entfernung von dreihundert Millionen Lichtjahren zu überblicken. Gewiß —— es gibt Fotos des 100-ZollFernrohrs auf dem Mount Wilson und des 200-Zoll-Fernrohrs auf dem Mount Palomar, die noch weiter in den Raum hineinreichen, aber wegen des geringen Weitewinkels dieser „Überkameras" zeigen sie insgesamt nur ein Prozent der Himmelsfläche jenseits der Milchstraße. Mit dem „Großen Schmidt" auf dem Mount Palomar, der Nacht um Nadit ein anderes Himmelsquadrat aufnimmt, entsteht nun ein großartiges Tiefenpanorama, in dem buchstäblich Tausende und Tausende bisher nie gesichteter Himmelskörper auftauchen. „Wir Astronomen sind über diese Entdeckungen so erregt, wie die Geographen gewesen wären, wenn Kolumbus ihnen 1492 Luftaufnahmen von ganz Nordamerika mitgebracht hätte", meint Dr. Albert G. Wilson, ein ernster, junger Wissenschaftler, der jede Woche zweimal auf einem großen, in 1870 regelmäßige Vierecke aufgeteilten Lageplan diejenigen Regionen schraffiert, die „erledigt" wurden, d. h. auf der hochempfindlichen Schicht der Fotoplatte nun ihren meßbaren, erkennbaren Eindruck hinterlassen haben, der Trillionen von Kilometern durch den Weltenraum reiste, ehe er hier „gefangen" wurde. Sind Astronomen romantisch? Die Namen der meisten Männer und Frauen, die mit dieser großartigen astronomischen Bestandsaufnahme beschäftigt sind, werden der Welt kaum je bekannt werden. „Wenn wir Filmsterne aufnähmen, wüßte man sicher mehr von uns", meinte einer von. 26
ihnen spöttisch zu mir, aber ohne Bitterkeit. Er lebte, wie die meisten Himmelskartographen auf dem Mount Palomar, in dem sogenannten „Kloster", einem nüchternen sauberen Unterkunftsgebäude für Himmelsforscher, wo es bei Tag so leise ist wie in einer Trappistenkartause, damit die „Nacht arbeit er" nicht gestört werden. Die freundlichen Vogel aus den Wäldern der Umgebung hielten sich allerdings lange nicht ai> diese Weisung. Sie versteckten ihre Beute am frühen Morgen in den Rillen des Kupferdachs und pickten dann mit beträchtlichem Lärm tagsüber darauf herum. Erst als das Dach mit einem für die Vogelwelt weniger anziehenden Belag neu gedeckt worden war, kamen die nervös gemachten Astronomen wieder zu ihrer verdienten Ruhe. Es ist für den Laien, wenn er mit diesen Menschen spricht, zunächst etwas erstaunlich, daß sie für die Romantik des Sternenhimmels, für die Poesie ihrer einzigartigen Tätigkeit eigentlich sehr wenig Empfindung haben. Für sie sind die meisten Sterne'Punkte, Zahlen, große und kleine, helle oder dunkle Objekte einer kühlen, wie es mir anfangs erscheinen wollte, zu kühlen Betrachtungsweise. Ich sprach mit Dr. Baade darüber. Er meinte, genau so müsse es aber sein. „Sehen Sie, da ist eine strebsame und sogar tüchtige Astronomin, deren Arbeit ich seit Jahren verfolgte'*, sagte er. „Aber sie kommt wissenschaftlich nicht recht weiter. Lange wußte ich nicht weshalb. Dann schickte sie mir unlängst ihr neuestes Buch. Jetzt weiß ich, was nicht stimmt: sie ist viel zu gefühlsbetont. Das steht einem klaren und sauberen Denken im Weg." Miß S. sortiert Sonnen Ich muß bei dieser Gelegenheit besonders an die feine Miß S. denken, der ich in einem Arbeitszimmer des zu den Sternwarten von Mount Wilson und Mount Palomar gehörenden Institutes in Pasadena bei der Arbeit über die Schulter schauen durfte. Sie hatte eine Himmelsphotographie vor sich, die wie ein Röntgenfoto vor eine Lichtquelle gespannt war, und brachte ein wenig Ordnung in eine Ecke des Universums. Sie versuchte die verschiedenen kleinen schwarzen Kleckse, die sie da vor sich hatte, nach ihrer Größe einzuteilen. Keine einfache Sache, wenn man mit Dingerchen zu tun hat, die meist nicht viel größer sind als der Punkt am Ende dieses Satzes. Jeder Stern, denn das stellten die nadelkopf- bis sandkörnchengroßen Abbilder dar, wurde dann schön nach Dimension und Position in einen Katalog eingetragen. Manche erhielten einen Kreis. Das waren, wie sich bei mühseligem Vergleich mit einem 27
zu anderer Zeit aufgenommenen Foto der gleichen Region zeigte, die „Wandelbaren", die „Außenseiter", die an Licht zugenommen oder abgenommen hatten. Dem Astronomen sind diese räudigen Schafe meist lieber als die braven himmlischen Herdentiere, weil er aus ihrem besonderen Verhalten mehr über die Natur ihrer Umgebung erfährt. Als Arbeit ist ein solches Sortieren nicht amüsanter oder gar anregender als das Verlesen von Erbsen. Ich fragte Miß S., ob sie eigentlich wenigstens manchmal daran denke, daß jedes dieser infusoriengroßen Objekte eine Sonne sei, manche davon ungleich größer als unsere Sonne. Sie dachte nach. Doch, manchmal sei es schon so, aber immer seien solche Gedanken natürlich nicht möglich. Sie lenkten nur ab. Vermutlich stumpft der berufsmäßige Umgang mit dem Kosmos auf die Dauer genau so ab wie der Umgang mit Kranken. Mir, dem Laien, schien es zum Beispiel irgendwie traurig, daß die zahllosen Sterne, die mit den neuen Instrumenten der kalifornischen Observatorien entdeckt werden, meist gar keine Namen mehr bekommen. Sie sind eben nur Punkte in einem mathematischen Koordinatensystem: eine Nummer, ein griechischer Buchstabe — das ist das Höchste, was man ihnen zubilligt. Findet man einen geduldigen Führer durch die scheinbar so karge Welt der astronomischen Fachveröffentlichungen, einen Dolmetscher, der die mathematischen Verschlüsselungen auflöst, so erfaßt einen die Ahnung ganz großartiger neuer Visionen, wie sie zeitgenössischen Dichtern und Denkern während des letzten Vierteljahrhunderts kaum gelungen sind. Da erscheint dann das prosaische Registrieren von dunklen Stäubchen, die in Wahrheit blaue Riesensonnen oder rote Feuerbälle oder weißgelb sprühende Alchimistenwerkstätten sind, in denen sich die Materie verwandelt, mit einem Male unentbehrlich als der Grundstein gewaltiger kosmologischer Vorstellungsbilder.
Modelle des Weltalls Denn seit Einstein im Jahre 1915 seine allgemeine Theorie der Relativität der Öffentlichkeit übergab, sind die Astronomen, Astrophysiker und „Kosmologen" wieder dabei, die einst so leidenschaftlich debattierten Fragen über Entstehung, Sein und mögliches Ende der Schöpfung auf Grund neuer am Himmel entdeckter Tatsachen zu diskutieren, 28
Ist das Weltall endlich? Ist es grenzenlos? Ist es zu einem vorausberechenbaren Tod verurteilt? Wird es sich immer wieder erneuern und ewig währen? Regiert der Zufall oder ein großes allgemeingültiges Gesetz, das alle Erscheinungen von der Millionen
Ein Lichtpunkt, scheinbar zwischen den Sternen der Milchstraße, wird durch das Auge des PalomarRiesen selber zu einer Milchstraße, die Millionen Lichtjahre entfernt ist und Millionen Sterne in sich sammelt. Sonnen umfassenden Galaxe unter Millionen andern Spiralnebeln bis zu den Vorgängen im Atom erklären könnte? „Ich glaube nicht, daß Gott mit dem Kosmos Würfel spielt" hat Einstein, ein tiefreligiöser Mensch, unlängst erklärt, als er am 30. März 1953 (ein Datum, das unsere fernen Nachfahren sich vermutlich länger merken werden als den 11. November 1918 und den 8. Mai 1945) die vierte Ausgabe seines Werkes „Die Bedeutung der Relativität" erscheinen ließ. Demgegenüber steht die Schule, die das All als uneinheitlich, unsicher und unendlich ansieht. Welcher Auffassung mehr Wahrscheinlichkeit zukommt — das wird unter anderm durch die langwierige statistische Auswertung der durch die großen kalifornischen Teleskope gewonnenen Beobachtungen am Himmel über uns entschieden werden. • Die modernen kosmologischen Theorien, die seit noch nicht vierzig Jahren entwickelt wurden, sind oft Gedankengebäude von großer Schönheit oder erstaunlicher Klugheit. Da gibt es „Modelle", die das Universum in fortwährender Vermehrung und Vergrößerung zeigen, fortschreitend von der am Weltenbeginn vor etwa drei bis vier Milliarden Jahren stehenden Explosion eines „Überatoms" bis zu heute und vielleicht für immer verborgen bleibenden, immer weiterstürmenden Vorhuten einer fortwährenden Schöpfung, die niemals mehr halten wird. 29
Da gibt es den Entwurf des „asymptotischen Weltalls", das sich in einer allerdings nur theoretisch faßbaren Zukunft einem Endzustand der Vollendung nähert. Da ist — erinnernd an die alten indischen Legenden vom Gotte Brahma, der durch die Bewegung seiner Nüstern von Äon zu Äon das Universum einatmet und ausatmet — die Auffassung, daß sich der Kosmos wechselnd ausweitet und wieder zusammenzieht und abermals weitet und abermals konzentriert bis in Zeiten und Zeiten. Was ist hier Wahrheit? Was Vermutung, die widerlegt werden kann? Ein Mann, der stundenlang über den Spektrogrammen fernster „Nebel" gebeugt sitzt und die sogenannte „Rotverschiebung" in immer weiter entfernteren Sternensystemen konstatiert wie der berühmte Astrophysiker Dr. Milton L. Humason, mag darauf die Antwort finden. Heißt dieses stärkere Auftauchen von Spektrallinien am roten Ende des Spektrums wirklich, daß sich jedes Sterngebilde der Schöpfung von dem anderen mit gewaltiger Geschwindigkeit wegbewegt? Hat Dr. Hubble, der zuerst diese Theorie des sich „ausdehnenden Universums" entwickelte, die Daten richtig ausgelegt? Oder ist das Licht, das aus den fernsten Fernen zu uns kommt, vielleicht einfach „ermüdet" und bewirkt dadurch die „Rotverschiebung"? Oder aber handelt es sich hier um eine noch ganz andere Naturerscheinung, deren wirkliche Bedeutung wir noch nicht erfassen? Das Universum dehnt sich aus Es kann aber auch sein, daß einer jener geduldigen Statistiker wie Miß S. einen entscheidenden Beitrag zur Klärung dieser Fragen stiftet. Sollte es sich durch Vergleich von Bildern des 100-ZollFernrohres und des 200-Zoll-Fernrohres aus der gleichen Region herausstellen, daß die Verteilung des Sternensystems eine gewisse Gleichmäßigkeit besitzt, daß zum Beispiel dem achtmal größeren Raum, den das „200 Zöller" gegenüber dem „100 Zöller" einfängt, auch eine ungefähr achtmal so große Anzahl von Sternensystemen entspricht, so würden die Anhänger des „endlichen Universums" dies als entscheidenden Beweis für ihre Theorie ansehen können. Vielleicht aber ist es überhaupt so, wie Dr. Baade behauptet, daß die Zeit für den Entwurf großartiger Modelle des Kosmos so lange nicht gekommen sei, wie Größeneinheiten und Maße, die von den Astronomen verwendet werden, nicht wirklich sicher sind. Er selbst hat ja durch seine Entdeckung, daß es zwei grundverschiedene „Sternenbevölkerungen" gibt, so manche bis dahin als „sicher" angesehene Auffassung wieder in Frage gestellt.
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r Was bist du, Mensch? Faßt man den Stand der Weltallforschung zusammen, so ist der Eindruck für den Außenstehenden recht verwirrend. Wie in unserem näheren Bereich, so ist auch hier vieles, vielleicht alles unsicher geworden. Die Kosmologie spiegelt die Krise des modernen Geistes wider. Nichts ist mehr wirklich fest, wirklich sicher, wirklich endgültig. Die Himmelsforschung kann vielleicht schon in naher Zukunft ein alles ordnendes und erklärendes System wie das von Albert Einstein durch ihre Beobachtungen bestätigen und damit nach Jahren der Krise wieder ein „festes Dach" über den Kosmos spannen. Die so gewonnene neue Sicherheit wäre um so größer, als sie auf dem Wege über die Vernunft und die dem Menschen wahrnehmbare Wahrheit wieder jedermann, selbst dem größten Zweifler, eine Art „göttlicher Vernunft" glaubhaft machen würde. Aber es ist ebenso möglich, daß neue Entdeckungen und neue darauf basierte Ideen abermals das Einsteinsche „Gewand der Schöpfung" auftrennen, bis es dann nochmals in veränderter Form entsteht. Schon eine Sternwarte auf dem Mond, die außerhalb des Staubes der Atmosphäre arbeiten würde, könnte zum Beispiel alle bisherigen Beobachtungen und Theorien umwerfen. Warum, so kann man sich fragen, warum denn eigentlich dieses scheinbar nie endende „Spiel"? Weshalb dieses emsige Forschen, die Geburt immer anderer Gedankenwelten, die doch wohl wieder einmal widerlegt, vergehen und sterben werden wie die Menschen? Es gibt darauf eine Antwort, die der Franzose Andre Malraux vor Jahren formulierte: „Das größte Geheimnis" so schrieb er, „ist es nicht, daß wir zufällig zwischen der Ausbreitung von Materie und der Ausbreitung von Sternen ins Leben geworfen wurden, sondern daß wir in diesem Gefängnis imstande sind, Bilder zu entwerfen, die mächtig genug sind, unsere Unbedeutendheit zu verneinen." Das ist wohl der Sinn dessen, was auf Mount Palomar und auf zahlreichen anderen Sternwarten in aller Welt geschieht, obwohl den meisten Sternenforschern selbst viel nähere, greifbarere und endgültigere Ziele vorschweben mögen. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky L u x - L e s e b o g e n 157 ( A s t r o n o m i e ) H e f t p r e i s 2 5 Pfg. Natur- und kulturkundlidle Hefte — Bestellungen (vierteliäbrl. 6 Hefte DM1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murna», München, Innsbruck — Druck: Buchdruckerei Mühlberger, Augsburg 31
Der Mount Everest bezwungen ... Ägypten wird Republik ... Grönland wird dänische Staatsprovinz... Selbst die jüngsten Ereignisse in der Welt sind im
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