Atlan - König von Atlantis Nr. 461 Dorkh
Mord im Land der Magier von Marianne Sydow
Das Ende des Chirmor Flo...
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Atlan - König von Atlantis Nr. 461 Dorkh
Mord im Land der Magier von Marianne Sydow
Das Ende des Chirmor Flog
Atlans kosmische Odyssee, die ihren Anfang nahm, als Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, das Vorfeld der Schwarzen Galaxis erreichte, geht weiter. Während Pthor und die Pthorer es immer wieder mit neuen Beherrschern und Besatzern zu tun bekommen, ist der Arkonide zusammen mit seinen Gefährten Razamon und Grizzard auf Veranlassung von Duuhl Larx, dem Herrn des Rghul‐Reviers, nach Dorkh gebracht worden, um dort eine Mission im Sinne des Dunklen Oheims zu erfüllen. Doch Dorkh, das Pthor in vieler Hinsicht gleicht, ist eine Welt voller Schrecken und voller Gewalt, und den drei Männern von Pthor wird bald klar, daß sie eine fast unlösbare Aufgabe vor sich haben. Ihre Fähigkeiten, widrigen Umständen zu trotzen und selbst in aussichtslosen Situationen zu überleben, sind jedoch so ausgeprägt, daß sie bisher alles überstanden haben, was Dorkh gegen sie aufzubieten hatte. Während Atlan und seine Gefährten sich nun dem Machtzentrum von Dorkh nähern, blenden wir wieder um nach Pthor. Hier greift Duuhl Larx, der wahnsinnige Herrscher des Rghul‐Reviers, erneut in das Geschehen ein. Dabei kommt es zum MORD IM LAND DER MAGIER …
Die Hauptpersonen des Romans: Duuhl Larx ‐ Der Herr des Rghul‐Reviers sucht Rache zu nehmen. Chirmor Flog ‐ Ein ehemals Mächtiger ohne Macht. Koratzo ‐ Ein Magier wird geheilt. Copasallior, Querllo, Kolviss, Parlzassel und Glyndiszorn ‐ Koratzos Kollegen und Feinde.
1. Das kleine kunische Raumschiff hatte eine lange Reise hinter sich, und man sah es ihm an. Die Hülle war stumpf und zernarbt, die Triebwerke stotterten manchmal, und wer das Pech hatte, die Kontrollinstrumente im Innern der hohen, schmalen Zentrale betrachten zu müssen, den mußte das nackte Grauen beschleichen – vorausgesetzt, er verstand genug von der Raumfahrt, um zu begreifen, was all die extremen Werte bedeuteten. Der einzige Passagier, zugleich Besitzer des Schiffes und der Besatzung, hatte zum Glück von technischen Vorgängen dieser Art so wenig Ahnung, daß er die vielfältigen Warnzeichen gar nicht wahrnahm. Sein Interesse galt einzig und allein dem Weltenfragment, an das das Raumschiff sich herantastete. »Näher heran!« befahl der Passagier. »Das dürfen wir nicht wagen, Herr«, gab einer der drei Kunen zu bedenken, die die Mannschaft darstellten. »Es wird ein Unglück geben.« »Unsinn!« widersprach der Passagier und bewegte sich unruhig. Die feurige Hülle, in der er sich verbarg, spiegelte sich in einigen noch halbwegs blanken Metallteilen. Er hob vom Boden ab und schwebte lautlos näher an den Kunen heran. Der Kune wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über den goldfarbenen Hautkamm, der sein grau bepelztes Haupt krönte. »Wir werden es versuchen, Herr«, versprach er.
Die leuchtende Sphäre kam zum Stillstand. Der Kune duckte sich tief über die Geräte und arbeitete schweigend. Seine rosafarbenen Augen zitterten auf ihren kurzen Stielen, so daß er zeitweilig kaum noch fähig war, genaue Beobachtungen anzustellen. Als er einmal verstohlene Blicke auf seine Artgenossen warf, sah er, daß es ihnen kaum besser ging, aber das konnte ihn nicht trösten. Der Kune hatte eine Todesangst davor, an diesem fremden Ding, das vor dem Schiff im Weltraum schwebte, zu zerschellen oder darauf zu stranden. Er war so unvorstellbar weit von seinem Heimatplaneten Guhrno entfernt, daß seine Seele den Rückweg ganz sicher nicht finden würde. »Wenn wir an einer der flachen Stellen landen könnten …« begann der Kune vorsichtig, aber das Wesen, das in der flammenden Hülle steckte, unterbrach den Raumfahrer ärgerlich. »Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedacht!« fauchte es. »Ich will in die Barriere von Oth – nicht an irgendeinen anderen Ort in Pthor.« Der Kune bemerkte eine Spur von Hysterie in der Stimme dessen, den er nach Pthor zu transportieren hatte, und seine Nervosität wuchs. Mit dem Neffen Duuhl Larx war nicht zu spaßen. »Schleicht euch von unten her heran«, verlangte Duuhl Larx. Die drei Kunen warfen sich schnelle Blicke zu. Sie waren sich längst darüber im klaren, daß der Herr des Rghul‐Reviers wenig von ihrer Arbeit verstand. Aber auch wenn die Kunen klar und deutlich erkannten, daß man Unsinniges von ihnen verlangte, waren sie nicht imstande, sich Duuhl Larx zu widersetzen. Auch diesmal gehorchten sie. Das kleine Raumschiff näherte sich dem Weltenfragment bis auf eine sehr geringe Entfernung. Deutlich konnte man auf dem Bildschirm das erkennen, was unter dem »Rand« von Pthor lag. Zerrissene Felswände fielen steil in die Tiefe ab. Hier und da rann Wasser über das Gestein, und es verhielt sich sehr merkwürdig: Anstatt an den zahlreichen Überhängen in die Tiefe zu stürzen,
folgte es allen Unebenheiten im Fels – an einigen Stellen schien es sogar aufwärts zu fließen. Das Wasser verschwand in verschiedenen dunklen Höhlen und tauchte auch weiter unten nicht wieder auf. Als das Schiff noch näher an die Bruchkante herantrieb, entdeckten die Raumfahrer allerlei seltsames Gerümpel, das sich an überhängenden Felsblöcken verfangen hatte. »Wir sollten auf Schatzsuche gehen«, schlug einer der Raumfahrer hoffnungsvoll vor. »Wer weiß, was man in diesen Höhlen noch alles finden kann.« »Dein wertvollster Besitz ist dein Leben«, versicherte Duuhl Larx zynisch aus dem Schutz seiner Flammenaura heraus. »Nach diesem Schatz brauchst du nicht lange zu suchen – aber du wirst ihn sehr schnell verlieren, wenn du nicht tust, was ich dir befehle.« »Ich dachte bei meinem Vorschlag nur an dich, Herr!« stieß der Kune hastig hervor. »Wäre es denn nicht großartig, wenn du in deiner Sammlung auch Gegenstände hättest, die von einem der legendären Dimensionsfahrstühle stammen?« Duuhl Larx schien mit der Antwort zu zögern. Die Kunen schöpften ein wenig Hoffnung. Sie hätten nichts dagegen einzuwenden gehabt, in den düsteren Höhlen der pthorischen Unterwelt auf Schatzsuche zu gehen, wenn sie nur nicht am Rand der Barriere von Oth landen mußten. Duuhl Larx war einigemale im Verlauf der Reise in seine gesprächige Phase geraten und hatte all jene Geschichten zum besten gegeben, die die Gefangenen aus dem Lande Pthor über die Magier und die Berge von Oth während der Verhöre erzählt hatten. Die Kunen hielten nicht viel von Magie, und zu allem Überfluß schien es sich bei den Magiern von Oth um Wesen zu handeln, die ihr Handwerk verstanden, nicht um Scharlatane, wie sie auf allen bewohnten Planeten hier und da auftauchten. »Ich warte darauf, daß ihr endlich eine Landung zustande bringt!« sagte Duuhl Larx schließlich. »Meine Geduld nimmt allmählich ab!« Das Raumschiff glitt an den Felswänden nach oben, und keiner
der Kunen wagte es noch, ein neues Ablenkungsmanöver zu starten. Endlich erreichten sie den Rand. Vor ihnen lag ein Gebirge, dessen wilde, zerklüftete Berge düster und drohend wirkten. Die Berge reichten fast bis an die Bruchkante heran. Zwischen ihnen und der Kante gab es einen Streifen aus Fels, Geröll und Sand, der manchmal so schmal war, daß ein normal gewachsener Kune sich nur mit größter Vorsicht darauf hätte bewegen können, an anderen Stellen jedoch Buchten aller Größen bildete. »Dort ist ein günstiger Platz!« stellte Duuhl Larx fest. »Haltet euch nach rechts!« Das Schiff kroch über den Rand hinweg. Die überlasteten Triebwerke produzierten ein unheilverkündendes Rauschen. Aber es war ein kunisches Schiff, dazu geschaffen, dann, wenn es darauf ankam, millimetergenaue Manöver zu vollführen und extrem langsam dahinzugleiten. Die Landung verlief glatt, wenn auch eine Menge Sand und Staub aufgewirbelt wurden. Sobald die Sicht wieder klar war, sahen die Kunen sich neugierig um. »Dort ist eine Quelle«, stellte der eine erfreut fest, und ein anderer betrachtete fasziniert die seltsamen Schalen und Skelette, die im Licht der fremden Sonne bleichten. »Was für Reichtümer!« flüsterte er ehrfürchtig, denn die Kunen liebten derartige tierische Überreste. Die drei Raumfahrer warfen sich vielsagende Blicke zu, dann sahen sie sich vorsichtig nach Duuhl Larx um. Der Neffe, von seiner grell leuchtenden Aura umhüllt, schwebte gerade zum Schott hinaus auf den Gang, der die Zentrale mit der Hauptschleuse verband. »Hoffentlich will er uns nicht mitnehmen, wenn er hinausgeht«, murmelte der eine. *
Duuhl Larx hörte, wie sie miteinander flüsterten, und dank der komplizierten Sphäre, die ihn umgab, verstand er jedes Wort. Er empfand flüchtigen Ärger, aber dann glitt die Schleuse vor ihm auf, und die Kunen wurden für ihn unwichtig. Vorsichtig verließ er das Schiff. Er blickte zu den Gipfeln der Berge hinauf und triumphierte bei dem Gedanken, daß er sein Ziel erreicht hatte. »So leicht lasse ich mich von Pthor nicht fernhalten, Dunkler Oheim!« flüsterte er haßerfüllt. »Du magst dieses Spiel mit den anderen Neffen treiben, aber nicht mit mir!« Die Anspannung der vergangenen Tage, in denen das kleine Raumschiff unermüdlich der Spur des Dimensionsfahrstuhl gefolgt war, machte sich bemerkbar. Oft genug hatte er geglaubt, das Ziel verloren zu haben, und einmal wären sie fast von der Wachflotte eines fremden Neffen vernichtet worden. Der Flug nach Pthor war zur einen Hälfte ein ständiges sich Verbergen, zur anderen eine wilde Flucht vor dem Tod gewesen. Bis zuletzt hatte er fürchten müssen, daß man das kunische Schiff entdeckte. Wenn jemand ihn fand und ihn an den hier herrschenden Neffen auslieferte, dann war sein Schicksal besiegelt. Der Dunkle Oheim hatte etwas dagegen einzuwenden, wenn seine Neffen auf Reisen gingen, ohne von ihm einen Befehl dazu erhalten zu haben. Er hatte ihnen allen ein Schnippchen geschlagen. Duuhl Larx beschleunigte die Sphäre und jagte den Hang des nächsten Berges hinauf. Hoch oben fühlte er sich sicher. Er schüttelte sich in hysterischem Vergnügen, während er wie ein rasender Feuerball um die Felsen flitzte. Sein irres Gelächter hallte über die Hänge des Lichterfangs und kehrte als spöttisches Echo zu ihm zurück. Endlich ging der Anfall vorüber, und er spürte die Erschöpfung. Er hielt inne und sah sich um, und plötzlich entdeckte er ein paar kleine, plumpe Wesen, die ihn von einem Felsen herab beobachteten.
Sofort war er wieder nüchtern. Vorsichtig schwebte er auf die Fremden zu. Sie rührten sich nicht, starrten ihn nur an, zeigten aber auch keine Furcht. »Wer seid ihr?« fragte Duuhl Larx krächzend. Einer der Fremden sagte etwas und breitete dabei in einer Gebärde der Ratlosigkeit die Arme aus. »Ungebildetes Volk«, murmelte Duuhl Larx verächtlich und schaltete das winzige, halbmagische Gerät ein, das er noch rechtzeitig vor seinem überhasteten Aufbruch von Cagendar von den Robotern in seinem Palast hatte herstellen lassen. Man hatte während der Verhöre genug Gelegenheit gehabt, das Pthora ausreichend zu studieren. Allerdings war dem Neffen keine Zeit mehr geblieben, den Übersetzer auszuprobieren. Er wiederholte seine Frage und stellte zufrieden fest, daß die Fremden sich beeindruckt zeigten. »Ich bin Leythor, Mächtiger«, sagte der eine. Er deutete mit seiner mageren, kurzfingrigen Hand auf die anderen, die ihm erstaunlich ähnlich sahen. »Das sind meine Brüder Zanthor und Osthor, die anderen sind Kinder, die sich einen Namen noch verdienen müssen.« »Mächtiger!« wiederholte Duuhl Larx murmelnd. »Mir scheint, diese Leute sind gar nicht so übel. Wenigstens wissen sie, wie sie sich mir gegenüber zu benehmen haben.« Er konnte nicht wissen, daß er sich im Revier der Sterblichen befand, und daß dessen Bewohner jeden, den sie nicht kannten, vorsichtshalber mit diesem Titel bedachten. »Was tut ihr hier?« fragte Duuhl Larx neugierig. »Seid ihr Magier?« Leythor warf seinen Brüdern und den Kindern einen raschen Blick zu. Eine der kleineren Gestalten krümmte sich und kicherte unterdrückt, wurde aber von Osthor mit einem derben Stoß zurechtgewiesen. »Nein, Mächtiger«, sagte Leythor bescheiden. »Wir sind keine
Magier, aber einige von uns werden bald welche werden. Wir warten darauf, daß unsere Talente sich uns offenbaren.« Duuhl Larx konnte mit dieser Antwort nicht viel anfangen, da er zu wenig über die Verhältnisse in Oth wußte. »Woher kommst du?« fragte Osthor. »Bist du im Auftrag des Neffen Thamum Gha zu uns gekommen?« Duuhl Larx erschrak über die direkte Frage. Er zögerte mit der Antwort, und Osthor fuhr vertrauensselig fort: »Wir haben deine Ankunft beobachtet. Dein Schiff ist sehr klein, und du hast dir große Mühe gegeben, es so über den Rand zu bringen, daß man es im Innern der Barriere nicht bemerken konnte.« »Das hast du also gesehen?« fragte Duuhl Larx gedehnt. »Welche Schlüsse ziehst du aus deinen Beobachtungen?« Osthor kletterte von dem Felsen herunter und näherte sich vorsichtig der Sphäre. »Du bist gewiß in einer geheimen Mission nach Pthor geschickt worden!« raunte Osthor verschwörerisch, als er nur noch etwa fünf Meter von der flammenden Aura entfernt war. »Wir haben uns bereits darüber gewundert, daß Thamum Gha den Magiern so sehr vertraut. Sollst du sie auf die Probe stellen?« »So ungefähr«, murmelte Duuhl Larx ausweichend. »Es ist erstaunlich, wieviel du dir aus einer kleinen Beobachtung zusammenreimst!« »Oh, Mächtiger!« sagte Osthor erfreut. »Es ist unser Schicksal, daß man uns unterschätzt.« »Was weißt du über den Neffen Thamum Gha?« Osthor blähte sich förmlich auf vor Stolz. Sein Benehmen erregte den Zorn des Neffen in der Flammenaura, aber er nahm sich zusammen, denn er hatte das Gefühl, daß es wichtig sei, nicht sofort die Beherrschung zu verlieren. »Er ist der Herrscher des Guftuk‐Reviers«, berichtete Osthor eifrig. »Der Planet, in dessen Nähe wir uns befinden, heißt Lamur und ist Thamum Ghas Zentralwelt. Das Guftuk‐Revier liegt nicht in der
Randzone der Schwarzen Galaxis, sondern wir befinden uns bereits in der Nähe des Zentrums. Bald werden wir den Dunklen Oheim kennenlernen.« Duuhl Larx hätte beinahe laut aufgelacht. Bis zum Zentrum der Schwarzen Galaxis war es noch ein weiter Flug. Pthor hatte, nachdem es das Rghul‐Revier verlassen hatte, kaum ein Viertel der Strecke zurückgelegt, die es noch vom Dunklen Oheim trennte. Zudem klang Osthors Erklärung beinahe so, als fiebere er der Begegnung mit dem Herrscher dieser Sterneninsel entgegen. »Interessant!« sagte Duuhl Larx spöttisch. »Wie steht es um die Reinigung von Pthor?« »Nicht schlecht«, behauptete Osthor, aber jetzt war sein Bruder Leythor zur Stelle und mischte sich ungebeten in die Unterhaltung. »Nach außen hin scheint es gut zu stehen«, fuhr er dazwischen. »Aber Thamum Gha wird sicher bald feststellen, daß die Magier ein falsches Spiel mit ihm treiben.« »Weißt du das genau?« fragte Duuhl Larx sanft. »Ja!« behauptete Leythor fest. »Sie halten sich zum Schein an die Vereinbarungen, die sie mit dem Neffen getroffen haben, aber in Wirklichkeit wollen sie nur selbst die Herrschaft übernehmen. Sie unterwerfen sich ganz Pthor.« Duuhl Larx erinnerte sich daran, wie heimtückisch die Magier ihn hintergangen hatten. Sie, Atlan und Chirmor Flog hatten ihn betrogen, ihn um seinen Erfolg gebracht und dazu beigetragen, daß der Dunkle Oheim das Vertrauen zum Neffen des Rghul‐Reviers verlor. Dieser schändliche Verrat war einer der Gründe, die ihn dazu getrieben hatten, Cagendar zu verlassen und dem Dimensionsfahrstuhl zu folgen. Atlan konnte ihm nicht entkommen, er saß auf Dorkh fest. Selbst wenn es diesem gerissenen Fremden gelingen sollte, die Probleme von Dorkh zu lösen, konnte Duuhl Larx sicher sein, daß er seine Rache in aller Ruhe vollziehen konnte, denn niemand floh von
einem solchen Dimensionsfahrstuhl. Es hatte nichts zu sagen, daß der Arkonide auch von Pthor weggekommen war – die Verhältnisse lagen hier ganz anders. In Pthor war schon vorher einiges nicht in Ordnung gewesen, oder Atlan hätte niemals eine Rebellion anzetteln können. Schon Chirmor Flog und seine Scuddamoren hatten feststellen müssen, daß die Bewohner von Pthor etwas entdeckt hatten, was für die Kreaturen, die einen Dimensionsfahrstuhl bevölkerten, ganz und gar ungewöhnlich war: Sie hatten gelernt, in einem gewissen Rahmen zusammenzuarbeiten, sich einem gemeinsamen Feind gegenüber einheitlich zu verhalten. In Dorkh war alles anders. Seine Bewohner waren wie reißende Tiere, die über jeden Fremden herfielen. Und wenn keine Fremden verfügbar waren, führten sie untereinander Krieg. Duuhl Larx wußte das aus sicherer Quelle. Peleff hatte einen Gassuaren aus dem Rghul‐Revier benachbarten Terfen‐Revier ausgefragt, und der Valvke verstand sich auf so etwas. Im Terfen‐ Revier war Dorkh zum Stillstand gekommen, und der Neffe Germen Zurm hatte sich die Zähne an dem Dimensionsfahrstuhl ausgebissen. Zweifellos hätte der Dunkle Oheim ihm den Dimensionsfahrstuhl schon nach kurzer Zeit wieder entzogen, aber Dorkh gehorchte den Steuerimpulsen nicht mehr. Germen Zurms Gesandte waren zum Teil von den Dorkhern umgebracht worden, ehe sie noch das SCHLOSS aus der Ferne hatten sehen können. Von den anderen hatte offenbar kein einziger die Schutzschirme des SCHLOSSES von innen gesehen. Die Aufgabe, die Duuhl Larx dem Arkoniden und den beiden anderen gestellt hatte, war unlösbar – davon war der Neffe überzeugt. Es bereitete ihm Vergnügen, sich vorzustellen, wie sie allmählich die Wahrheit erkannten und daran verzweifelten. Es war der richtige Auftakt für die Art von Strafe, die er sich für sie ausgedacht hatte. Chirmor Flog und die Magier aber waren ihm zunächst entkommen. Wahrscheinlich lachten sie über ihn und seine
Dummheit. Sie hatten es darauf angelegt, Duuhl Larx beim Dunklen Oheim in Ungnade zu bringen, und es war ihnen gelungen. Die Magier hatten sich geweigert, mit dem Herrn des Rghul‐Reviers zusammenzuarbeiten – warum hätten sie es auch tun sollen, nachdem sie bereits in Chirmor Flogs Diensten standen? Duuhl Larx wußte, daß Chirmor Flog nicht nach Säggallo zurückgekehrt war. Es hieß, der Neffe sei verschollen, man behauptete sogar, die Magier von Pthor hätten ihn gewaltsam entführt. Inzwischen wußte Duuhl Larx auch, daß sein ärgster Konkurrent um die Gunst des Dunklen Oheims krank gewesen war, als man ihn nach Pthor brachte, und er hatte von den gefangenen Pthorern erfahren, welche Wunder die Magier von Oth mitunter vollbrachten, wenn sie in Stimmung waren. Er war überzeugt davon, die Wahrheit erkannt zu haben: Die Magier hatten Chirmor Flog geheilt, und dieser hatte seine Retter dazu überredet, zunächst den Neffen Duuhl Larx hereinzulegen, um dann gemeinsam mit Chirmor Flog die Herrschaft über Pthor zu erringen. Das ging nicht im Handumdrehen, und so paktierten die Magier zum Schein mit Thamum Gha. Später, wenn sie auch diesen Neffen abgehängt hatten, würden sie dem Dunklen Oheim ein sauberes, ordentliches Pthor präsentieren und seine Gunst damit gewinnen. Sie sollten sich verrechnet haben. »Mächtiger!« sagte Leythor vorsichtig. »Du solltest umkehren und schnell zu Thamum Gha fliegen, ehe es zu spät ist. Vergiß nicht, zu erwähnen, daß wir es waren, die dir geholfen haben!« Sie sind auf eine Belohnung aus, dachte Duuhl Larx belustigt, und ehe er es verhindern konnte, stieg erneut hysterisches Gelächter in ihm auf. Er kicherte schrill und tanzte unruhig zwischen den Felsen umher, bis ihn die Erschöpfung befiel. Er wurde sich wieder bewußt, wie schlimm es um ihn stand. Er war so alt wie Chirmor Flog – seit der Dunkle Oheim sie beide in ihre Reviere hatte bringen
lassen, führten sie ihren heimlichen Krieg gegeneinander. Sie hatten sich gegenseitig aufgerieben. Chirmor Flog war schneller als Duuhl Larx an die Grenzen dessen gelangt, was er seinem Körper und seinem Geist zumuten durfte, aber auch der Herr des Rghul‐Reviers war fast am Ende seiner Kraft. Wenn er als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen wollte, dann mußte er in erster Linie an seine Gesundheit denken, an das Leben. Genauer gesagt: An das ewige Leben. In Pthor konnte man es bekommen. Die Aussagen der Gefangenen waren eindeutig. Es gab in diesem Land mindestens zwei Gruppen von Unsterblichen. Da waren einmal die Kinder Odins, die es der Überlieferung nach schon immer gegeben hatte, die nie alterten und deren Kampfkraft nie erlahmte. Allerdings fand Duuhl Larx, daß diese Unsterblichen komplette Narren sein mußten, denn sie hatten es nicht verstanden, ihre Fähigkeiten in der für ihn einzig richtigen Weise einzusetzen. Die zweite Gruppe waren die Magier. »Werdet ihr unsterblich sein, wenn ihr zu den Magiern gehört?« fragte Duuhl Larx aus diesem Gedanken heraus. »Natürlich«, antwortete Leythor in einem Tonfall, der deutlich erkennen ließ, für wie einfältig er die Frage hielt. »Alle Magier sind unsterblich.« »Warum?« fragte Duuhl Larx gespannt. »Das wissen nur die, die über die Grenze am Lichterfang gegangen sind«, behauptete Leythor. »Es ist also ein Geheimnis damit verbunden?« Leythor hob seine seltsamen Hände, und Duuhl Larx beschloß, dies als Geste der Zustimmung zu werten. »Eines, das den Magiern bekannt ist?« »Ja.« »Sie können auch Krankheiten heilen?« »Sie können alles«, behauptete Osthor, und die anderen pflichteten ihm ehrfürchtig murmelnd bei. »Warum stellst du diese Fragen?«
»Ich will die Magier auf die Probe stellen, bevor ich zu Thamum Gha zurückkehre«, log Duuhl Larx. »Ich muß einige von diesen Leuten kennenlernen. Wo finde ich die Magier?« »Das ist schwer zu sagen«, seufzte Osthor. »Sie haben sich über ganz Pthor verstreut.« »Was finde ich, wenn ich in diese Richtung gehe?« erkundigte sich Duuhl Larx und sorgte dafür, daß eine grelle, armähnliche Lichterscheinung aus seiner Aura hervorstach und nach Westen zeigte. »Dort liegt Wolterhaven«, erklärte er Leythor. »Es ist eine Stadt der Maschinen – antimagisches Gerät. Die Herren von Oth lieben die Robotbürger nicht gerade.« »Und wie sieht es in der anderen Richtung aus?« »Dort liegen die magischen Reviere, aber viele von ihnen sind jetzt bestimmt verlassen.« »Du weißt es nicht genau?« bohrte Duuhl Larx nach. Leythor wand sich vor Verlegenheit. »Es ist uns nicht erlaubt, über die Grenze am Lichterfang zu gehen«, gestand er schließlich, und Duuhl Larx stellte fest, daß diese Grenze die Magier von den Nichtmagiern zu trennen schien, wobei Leythor und die anderen dennoch einen besonderen Status genießen mußten, denn sonst hätte man sie sicher aus der Barriere gewiesen. »Du befindest dich hier im Revier der Sterblichen«, kam Osthor seinem Bruder zu Hilfe. »Wir und die anderen leben hier, bis unsere Talente sich offenbaren, dann erst können wir die Grenze passieren und echte Magier werden.« Duuhl Larx hörte die Sehnsucht in Osthors Stimme, und das Mißtrauen, das er niemals ganz ablegen konnte, erwachte zu voller Stärke. Er wurde sich der Gefahr bewußt, die ihm von diesen Wesen drohte. Sein schnell zurechtgelegter Plan lief darauf hinaus, daß er zu den Magiern ging und sich in deren Vertrauen schlich, bis sie ihn geheilt und ihm zur Unsterblichkeit verholfen hatten. Dann konnte
er seine Rache vollziehen – an ihnen und an Chirmor Flog. Aber diesen kleinen Wesen gegenüber hatte er sich als Beauftragter Thamum Ghas ausgegeben – zumindest hatte er ihnen nicht widersprochen, als sie diesen Verdacht äußerten. Sie konnten ihn verraten. Die Magier würden denen, die sie genau kannten, eher vertrauen als einem Fremden. Er wollte ihnen als lebender Feuerball begegnen, als eine fremde Lebensform, die durch einen Zufall nach Pthor verschlagen worden war und sich ihnen als nützlicher Helfer zeigte. Duuhl Larx geriet bei dem bloßen Gedanken an Verrat und Enttarnung in Panik. Er war schon seit langem nicht mehr normal, und er litt, wie schon Razamon hatte erfahren müssen, an Verfolgungswahn. In diesen Sekunden sah er deutlich vor sich, wie die Magier ihn zwangen, die Sphäre zu verlassen, wie Chirmor Flog anhand seiner eindeutigen Gewalt in ihm den Feind Duuhl Larx erkannte, und wie die Magier ihn an den Dunklen Oheim auslieferten. Die Bilder versetzten den Neffen in Wut und Angst, und es gab für ihn nur eine Möglichkeit, sich von der unerträglichen Spannung zu befreien. Er dehnte die Vernichtungsaura, die zu seiner Sphäre gehörte, auf einen Radius aus, der groß genug war, um die ganze Gruppe der kleinen Fremden zu erfassen. Er sah, wie sie zu Boden sanken, hörte die kurzen Schreie, die schnell erstickten, und gab sich der Erleichterung hin, die ihn nach vollbrachter Tat überfiel. Er vergewisserte sich, daß keine weiteren Beobachter existierten. Als er nach einem kurzen Rundflug an den Ort des Geschehens zurückkehrte, waren die Leichen bereits zu Staub zerfallen – die Aura der Vernichtung arbeitete schnell und absolut zuverlässig. Ein leichter Wind verwehte die Spuren seiner Tat. Er blickte nach Westen, wo sich Gipfel um Gipfel zum Wölbmantel hinauftürmte, Berge, die steil und abweisend waren. Er sah Hänge, die von dunklen Wäldern bedeckt waren, und daneben lagen Täler, in
denen ewiger Schnee lag. Die Naturgesetze waren in der Barriere von Oth auf den Kopf gestellt worden. Das war die Macht der Magier. Er brauchte nur diese Berge anzusehen, um zu wissen, daß er Erfolg haben würde. Oder hatte er etwas übersehen? Er zögerte, und als er sich langsam um seine Achse drehte, geriet das kleine Raumschiff in seinen Blickwinkel. Saßen nicht auch dort potentielle Verräter? Die Kunen waren zuverlässig, solange sie sich im Bereich der Planetenschleuse aufhielten. Aber so treu die Kunen auch sonst ihre Dienste taten – wenn man sie von Guhrno wegbrachte, wurden sie ängstlich und dachten nur noch daran, wie sie zu ihrem Heimatplaneten zurückkehren konnten. Sie hatten ihre Raumschiffe niemals gebaut, um auf fremde Planeten siedeln zu können, sondern einzig und allein, um die Möglichkeit zu haben, Raubzüge zu veranstalten. Sie waren Nomaden, die auf ihrem eigenen Planeten nicht zur Ruhe kamen, aber wenn sie Guhrno verließen, taten sie, als hätten sie mit ihrer Heimat fast auch schon ihr Leben verloren. Wenn man den Kunen versprach, sie nach Guhrno zurückzubringen, würden sie alles verraten. Duuhl Larx schwebte den Hang hinab und in die noch immer offen stehende Schleuse hinein. Er hörte ihre Stimmen. Sie unterhielten sich nur über die Schätze, die draußen im Sand lagen, und über den Reichtum, den sie nach ihrer Rückkehr genießen würden. Duuhl Larx fand in diesen Gesprächen die Bestätigung für seinen Verdacht. Sie hatten nur die Rückkehr im Kopf. Sie ahnten nicht, daß die beiden Maschinen im Lagerraum von Anfang an dazu bestimmt gewesen waren, dem Neffen den Rückweg zu ebnen, wenn die Kunen durch irgendeinen Zufall nicht mehr imstande waren, ihre Aufgabe zu erfüllen. Duuhl Larx schwebte lautlos bis zum Schott und blickte in den hohen, schmalen Raum hinein, in dem die vielen Instrumente und
Geräte untergebracht waren. Er überzeugte sich, daß alle drei Kunen dort beieinander saßen. Dann dehnte er abermals die Aura der Vernichtung aus. Danach glitt er in den Frachtraum. Zwei klobige, große Kästen standen dort. Ein Befehl des Neffen reichte aus, und die Umhüllungen zerbarsten unter den wuchtigen Schlägen der beiden Roboter, die unter dem tarnenden Überzug verborgen waren. »Paßt auf dieses Schiff auf«, befahl Duuhl Larx. »Säubert es gründlich und tötet jeden, der einzudringen versucht.« Als Duuhl Larx das kleine Raumschiff verließ, hörte er die Roboter hinter sich rumoren. Er schwebte auf die Felsen zu, und plötzlicher Übermut erfaßte ihn. In rasendem Tempo schoß er dem Gipfel eines Berges entgegen, der dem Lichterfang genau gegenüber lag. Als er oben war, empfing er den Impuls. Er spürte ihn zum erstenmal in seinem Leben, aber er wußte sofort, was es bedeutete: Chirmor Flog lebte und war nicht weit von ihm entfernt. Er fühlte ihn, und der Haß machte ihn vorübergehend blind und taub für seine Umgebung. Als er wieder zu sich kam, schwebte er über einem staubigen Pfad, der nach Westen führte. Die Impulse waren noch deutlicher geworden. Er konnte Chirmor Flog nicht mehr verfehlen. 2. »Es wird Zeit«, sagte Breckonzorpf düster, »daß wir die Entscheidung herbeiführen.« »Warum so eilig?« fragte Koratzo spöttisch. »Es kann nicht mehr lange dauern, bis Thamum Gha die Erfolgsmeldung an den Dunklen Oheim absetzt«, erklärte der Wettermagier bedächtig. »Zweifellos wird man in irgendeiner Form überprüfen, ob wir das Land Pthor wirklich fest im Griff haben. Du
wirst zugeben müssen, daß der Dunkle Oheim keinen besonders günstigen Eindruck von uns bekommen wird, wenn er dann auf lauter unfähige Narren trifft.« »Ich finde, er hat recht«, mischte Kolviss sich lautlos ein. Koratzo lachte. »Nein«, sagte er. »Das stimmt nicht. Diese sogenannten Narren machen ihre Sache sehr gut.« Die anderen starrten ihn fassungslos an. »Geht das schon wieder los!« stöhnte Parlzassel. »Koratzo, wenn du uns einen Vortrag über die positive Magie halten willst, dann mach dich auf etwas gefaßt. Ich werde mir das nicht mehr anhören!« »Fürchte dich nicht«, bat Koratzo sanft. Parlzassel sprang wütend auf. »Ich will dir erklären, was ich am Verhalten unserer lieben Freunde so erfreulich finde«, fuhr der Stimmenmagier unbeeindruckt fort. »Ist dir noch nicht aufgefallen, daß sie die Pthorer in Angst und Schrecken versetzen? Nimm zum Beispiel nur einmal Ontra. Sie teilt sich mit Glyndiszorn die Herrschaft über die Stadt Moondrag. Natürlich kann sie das nur, weil Glyndiszorn eine besondere Falte für sie errichtet hat, durch die sie ganz nach Belieben zwischen Oth und Moondrag hin und her wechseln kann.« »Stimmt das, Glyndiszorn?« fragte Breckonzorpf scharf. Der Knotenmagier warf Koratzo einen giftigen Blick zu. »Es stimmt«, bestätigte er mit Widerwillen. »Aber es ist eine sehr kleine Falte, nur ein kurzer Weg in Ontras Revier.« »Es verstößt gegen unsere Abmachungen!« regte Parlzassel sich auf. »Du unterstützt Ontra und verschaffst dir dadurch einen Vorteil. Du könntest die Bewohner von Moondrag mit deiner Magie wohl kaum besonders beeindrucken.« »Ich nannte Ontra nur als Beispiel«, mischte Koratzo sich ruhig ein. »Ich könnte ebensogut andere Namen nennen. Wie wäre es mit Antharia und einigen Mitgliedern jener Gruppe, die wir die kleinen dunklen Leute vom Rand nennen, Parlzassel?«
Der Tiermagier duckte sich erschrocken. »Halten wir fest, daß wir alle uns der Hilfe einiger Narren bedienen«, sagte der Weltenmagier Copasallior düster. »Das ist nichts Neues, Koratzo. Du hast Orxeya in drei Bezirke geteilt und jeden davon einem anderen Magier zur Kontrolle überlassen, und was sich im Blutdschungel abspielt … aber lassen wir das. Ich kann mir denken, worauf du hinauswillst, und ich stimme dir zu: Unsere Freunde flößen den Pthorern Respekt ein. Wir selbst brauchen kaum etwas dazu zu tun. Wir sparen unsere Kräfte und sind doch die wahren Herrscher, denn die anderen Magier sind von uns abhängig.« Koratzo nickte dem Weltenmagier zu. »Genau das«, sagte er lächelnd, »wird auch der Dunkle Oheim feststellen.« »Was habt ihr beide euch da ausgedacht?« erkundigte Kolviss sich mißtrauisch. »Es ist ein Komplott zwischen Copasallior und dem Stimmenmagier«, rief Glyndiszorn wütend. »Ich spüre es in allen Knochen. Sie haben etwas ausgeheckt, um alleine die Macht ausüben zu können.« »Dein Mißtrauen wird dich eines Tages umbringen«, sagte Copasallior gelassen. »Es gibt kein Komplott, auch kein Bündnis zwischen Koratzo und mir. Aber ein vernünftiger Gedanke bleibt auch dann vernünftig, wenn er von einem Gegner gedacht wurde.« »Vielen Dank«, sagte Koratzo spöttisch. »Um nicht für noch mehr Unruhe zu sorgen, sollte ich vielleicht meinen nächsten Vorschlag für mich behalten.« »Das ist eine sehr gute Idee«, knurrte Parlzassel. »Wie wäre es, wenn du dich dazu entschließen könntest, für immer den Mund zu halten?« Koratzo sah den Tiermagier nachdenklich an und zuckte schließlich die Schultern. »Eines Tages«, sagte er leise, »werde ich dir ein wenig Respekt
beibringen müssen, mein Lieber!« Beklemmende Stille breitete sich in dem hohen Saal im oberen Teil der großen FESTUNGs‐Pyramide aus. »Wir können keine Kämpfe zwischen den Mächtigen gebrauchen«, sagte Kolviss schließlich mit seiner Gedankenstimme. »Parlzassel, entschuldige dich.« »Du hast mir nichts zu sagen!« brauste der Tiermagier auf. »Trotzdem wirst du tun, was der Traummagier sagt!« Parlzassel sah erschrocken zu Copasallior hin. Die steinernen Augen des Weltenmagiers glühten unheilverkündend. »Also gut«, murmelte Parlzassel. Er sprach die überlieferte Formel der Entschuldigung, aber in seinen Augen lag blanker Haß. »Wenn ihr endlich fertig seid«, ließ Querllo sich vernehmen, »möchte ich gerne Koratzos Vorschlag hören.« Copasallior warf dem Lichtmagier einen schrägen Blick zu. »Du bist vorerst nur ein Gast in dieser Runde«, warnte er. »Etwas Zurückhaltung würde dir darum gut zu Gesicht stehen, aber ausnahmsweise hast du recht. Sprich, Koratzo.« »Wir sollten die Reviere neu verteilen«, sagte der Stimmenmagier. »Reg dich nicht auf, Breckonzorpf, ich weiß, was du vorhin gesagt hast, aber laß mich trotzdem ausreden.« Der Wettermagier brummte etwas Unverständliches vor sich hin. »Wir haben Pthor unter uns aufgeteilt«, fuhr Koratzo fort. »Das Land befindet sich jetzt fast lückenlos unter unserer Kontrolle. Wir haben alle Verschwörungen zerschlagen und Hunderte von Rebellen an Thamum Gha ausgeliefert. Entgegen unseren ursprünglichen Absichten sind fast alle Magier über das Land verstreut worden, und gerade das hat uns unerwartet schnell zu einem durchschlagenden Erfolg verholfen. Es wäre unsinnig und gefährlich, jetzt die bereits entstandenen Reviere einfach zu räumen, die Magier in die Barriere zurückzuschicken und von neuem zu beginnen.« »Was, beim Skatha‐Hir, willst du eigentlich?« fragte Glyndiszorn
ärgerlich. »Sollen wir nun neu verteilen, oder sollen wir es lassen, wie es ist?« »Beides«, antwortete Koratzo gelassen. »Wahrscheinlich kommst du dir sehr klug vor«, bemerkte der Knotenmagier vorsichtig. »Aber du mußt mir das trotzdem näher erklären.« »Gerne, Glyndiszorn. Wir sind sechs, und keiner von uns mag sich jetzt noch mit den Alltagsproblemen der Pthorer befassen. Wir haben Magier, die im Rang unter uns stehen, in unsere Dienste genommen. Sie erledigen die Arbeit für uns, stehen dabei aber ständig unter unserer Kontrolle. Es gibt in Pthor – außerhalb der Barriere – im Augenblick trotzdem noch gute hundert freie Reviere, die Magiern gehören, die sich bis jetzt auf keine Bündnisse eingelassen haben. Damit muß Schluß sein.« »Wie stellst du dir das vor?« fragte Kolviss gespannt. »Sollen wir mit diesen Dummköpfen kämpfen?« »Das bleibt jedem einzelnen überlassen«, meinte Koratzo nüchtern. »Aber bringt sie dazu, daß sie sich in das System eingliedern.« »Was versprichst du dir davon?« fragte Breckonzorpf. »Ist dir das denn nicht längst klar?« fragte Copasallior mißmutig. »Wenn die Kontrolleure des Dunklen Oheims kommen, werden ihnen sechs Herrscher gegenüberstehen, nicht gute zweihundert, wie es jetzt der Fall wäre.« »Die Herren der FESTUNG waren zu dritt«, nickte Koratzo. »Die drei Söhne Odins wurden von Thamum Gha akzeptiert. Die Kontrolleure werden sich auch mit sechs oder sieben Magiern abfinden – vorausgesetzt, sie können beweisen, daß sie zu herrschen verstehen.« »Unsere Freunde werden sich nicht so leicht den Mund verbieten lassen«, gab Querllo zu bedenken. Koratzo lächelte freundlich. »Das«, sagte er, »ist ein Problem, das jeder von uns für sich selbst
lösen muß.« »Was soll das heißen?« fragte Copasallior scharf. Kolvissʹ Gedankenstimme kicherte schrill. »Hast du es noch immer nicht begriffen, Weltenmagier?« fragte das blaue Medusenwesen belustigt. »Wie soll sich einer als Herrscher über Pthor aufspielen, wenn er nicht einmal imstande ist, seine eigenen Leute im Zaum zu halten?« »Das ist ein gemeiner Trick!« beschwerte Parlzassel sich wütend. »Außer Koratzo und Kolviss beherrscht keiner von uns die Magie der Beeinflussung.« Copasallior verschränkte seine sechs Arme nach einem komplizierten Muster vor der Brust. »Noch ist es nicht soweit, daß Koratzo über die Entscheidungen des Rates bestimmt«, sagte er eisig. »Dein Vorschlag ist abgelehnt, Stimmenmagier!« »Glaubst du etwa, daß er sich daraus etwas macht?« erkundigte Kolviss sich auf telepathischem Wege. »Auf welcher Seite stehst du, Traummagier?« »Dumme Frage«, antwortete Kolviss spöttisch. »Auf der des Stimmenmagiers natürlich. Seine Idee gefällt mir.« »Ihr seid zwei gegen sechs!« warnte Copasallior. »Sieh an!« murmelte Koratzo. »Ich dachte nicht, daß du Querllo so schnell als deinen Verbündeten akzeptieren würdest!« »Schweig!« herrschte Copasallior den Stimmenmagier an. »Querllo, entscheide dich!« Der Lichtmagier bewegte unruhig die rissigen Hände, und kleine Feuerblumen wuchsen zwischen seinen Fingern hervor. »Du läßt mir keine andere Wahl, Koratzo«, sagte er bedauernd. »Ich habe Bündnisse mit vierzehn Magiern geschlossen, und diese Bündnisse sind gut und haltbar. Ich werde bei meinem Prinzip bleiben. Du solltest es dir noch einmal überlegen. Du kannst nicht gemeinsam mit Kolviss die Gesamtheit aller Magier versklaven. So etwas übersteigt auch deine Kräfte. Du könntest immer nur ein oder
zwei von ihnen zur gleichen Zeit überwachen, und die anderen würden in der Zwischenzeit alles tun, um dich zu vernichten.« »Machst du dir etwa Sorgen um mich?« fragte Koratzo belustigt. »Du bist ein Narr!« sagte Querllo leidenschaftslos. »Wenn du nicht einsiehst, daß du drauf und dran bist, ins Verderben zu rennen, dann kannst du mir leid tun.« »Spare dir dein Mitleid«, empfahl der Stimmenmagier spöttisch. »Du wirst es noch brauchen – hauptsächlich für dich selbst.« Querllo ballte die Hände zu Fäusten, und die Feuerblumen erloschen. »Warte es nur ab!« flüsterte er haßerfüllt. »Wollt ihr nicht abstimmen?« fragte Kolviss voller Hohn. »Das dürfte sich erübrigen«, stellte Copasallior nach einem Blick in die düsteren Gesichter der anderen fest. »Die Beratung ist damit beendet.« »Du willst sagen, daß ihr vier jetzt gerne im geheimen Kämmerchen eure Gegenzüge beraten wollt«, sagte Koratzo. »Viel Spaß dabei und – gebt euch keinen falschen Hoffnungen hin. Ihr werdet verlieren!« * »Er ist eingebildet und größenwahnsinnig!« stieß Breckonzorpf hervor, als Koratzo und Kolviss den Raum verlassen hatten. »Wie konnte er es überhaupt wagen, uns einen solchen Vorschlag zu unterbreiten? Er mußte doch wissen, wie wir darauf reagieren würden!« Copasallior bewegte unbehaglich zwei seiner Hände. Noch war er offiziell der oberste Magier, und es war seine Aufgabe, für Ruhe im Rat der Mächtigen zu sorgen. Genau genommen hätte er Koratzo, der nicht bereit war, die Autorität des Weltenmagiers anzuerkennen, zum Zweikampf fordern müssen. Das aber durfte er
nicht wagen, denn Koratzo hatte ihn erst vor kurzer Zeit so schwer in Bedrängnis gebracht, daß am Ausgang des nächsten Kampfes kein Zweifel mehr bestehen konnte. »Er wird sich ganz von selbst das Genick brechen«, murmelte er. »Wir lassen ihn gewähren – das ist das beste Mittel, um mit ihm fertig zu werden.« »Meinst du das ernst?« erkundigte Glyndiszorn sich ärgerlich. Copasallior sah den Knotenmagier ratlos an. »Willst du gegen ihn antreten?« fragte er zurück. Glyndiszorn senkte den Kopf. Auch er hatte die Macht der Stimmenmagie zu spüren bekommen und war nicht darauf aus, noch mehr Erfahrungen auf diesem Gebiet zu sammeln. »Wir sollten mit den anderen reden«, schlug Parlzassel vor. »Sie sind nicht gut auf Koratzo zu sprechen. Wenn wir es geschickt anfangen, können wir sie alle gegen ihn aufhetzen.« »Oder es tritt das Gegenteil ein«, murmelte Glyndiszorn. »Wenn sie es mit der Angst zu tun bekommen, werden viele es vorziehen, sich mit Koratzo zu arrangieren.« »Warum schließen wir uns nicht zusammen?« fragte Querllo plötzlich. »Wir sind zu viert. Wenn wir im Verbund arbeiten, hat Koratzo keine Chance gegen uns. Sicherheitshalber könnten wir noch Haswahu und Howath dazuholen.« »Verbund!« sagte Breckonzorpf verächtlich. »Wenn ich das schon höre. Sollen wir eure Rebellen‐Sitten übernehmen?« »Wenn es uns gegen den Stimmenmagier hilft – warum nicht?« meinte Querllo. »Wir haben noch genug andere Möglichkeiten«, behauptete Glyndiszorn. »Wir übernehmen unsere Reviere und werfen die anderen Magier hinaus. Natürlich müssen wir den günstigsten Zeitpunkt abpassen. Wenn die Kontrolleure kommen, präsentieren wir uns als Herrscher über den größten Teil von Pthor – wir werden Koratzo schon dadurch überlegen sein, daß wir keine Hilfe von weiteren Magiern benötigen.«
»Wer sagt eigentlich, daß überhaupt Kontrolleure kommen werden?« fragte Copasallior nachdenklich. »Nun«, begann Glyndiszorn und schwieg dann verblüfft. »Ganz recht«, sagte der Weltenmagier. »Niemand weiß genau, wie das alles weitergehen wird. Der einzige, an den wir uns halten können, ist Thamum Gha.« »Setze dich mit ihm in Verbindung!« forderte Parlzassel. »Er soll uns sagen, was uns erwartet.« »Er wird uns höchstens auslachen«, meinte Querllo. »Er hält nichts von Leuten, die mit ihren eigenen Schwierigkeiten nicht fertig werden können.« »Vertagen wir diese Frage«, sagte Copasallior diplomatisch. »Wir brauchen alle etwas Zeit, um uns auf die neue Situation einzustellen. Morgen um diese Zeit treffen wir uns wieder.« »Morgen«, knurrte Querllo. »Wie stellst du dir das vor? Sollen wir tagtäglich hier herumsitzen?« Niemand antwortete ihm, und er verließ schlechtgelaunt den Saal. Seit Tagen saß er da, wo er schon seit langem hingehört hätte – im Rat der Mächtigen. Aber er hatte das dumpfe Gefühl, daß man ihn noch immer nicht recht ernst nahm. Vielleicht, spekulierte er, hatten sie ihn nur dazugeholt, weil sie seine speziellen Fähigkeiten brauchten. Schon die Rebellen der Tronx‐Kette hatten die heilenden Kräfte, die in seinen Händen wohnten, zu schätzen gewußt. Er trat ins Freie hinaus und entdeckte die lange Schlange von Pthorern, die vor dem Haupteingang stand. Es schien, als hätten die drei Odinssöhne wieder einmal eine Audienz angekündigt. Das taten sie oft und gerne, und sie glaubten auch noch immer, daß ihre »Untertanen« ihnen aus Überzeugung huldigten. Sie sahen sich als die legitimen Herrscher von Pthor, und sie waren überzeugt davon, daß sie weise und gerecht regierten. »Dummköpfe«, murmelte Querllo. »Wie kann man nur so leichtgläubig sein!« Aber gleichzeitig wußte er nur zu genau, daß die drei Söhne Odins
niemals eine Chance gehabt hatten, die Wahrheit zu erkennen und sich gegen den magischen Bann zu wehren. Sie waren Marionetten, die nur das zu tun vermochten, was die Magier ihnen befahlen. Eisiger Schrecken erfaßte den Lichtmagier, als ihm bewußt wurde, daß ihm und allen anderen, sogar den Mächtigen von Oth, ein ähnliches Schicksal drohte. Wenn Koratzo und Kolviss ihr Ziel erreichten – es war nicht auszudenken. Sie bringen das nicht fertig, dachte er. So weit reichen ihre Fähigkeiten nicht. Pthor ist groß, und die Magier sitzen überall. Wie wollen sie uns alle unterwerfen? Es war unmöglich – oder vielleicht doch nicht? Querllo kannte Koratzo lange und gründlich genug, um zu wissen, daß der Stimmenmagier immer für eine Überraschung gut war. Es mochte sein, daß er eine neue Entdeckung gemacht hatte. Oder es handelte sich um eine Finte, mit der er die anderen Mächtigen von seinen wahren Plänen abzulenken versuchte. Ich werde ihn ein bißchen im Auge behalten, dachte Querllo. Es kann nicht schaden, ihm in den nächsten Tagen auf die Finger zu sehen. Er blickte sich nach allen Seiten um, während er durch den inneren Bezirk der FESTUNG ging, aber Koratzo und Kolviss waren nirgends zu sehen. Querllo erreichte eine Lichtung, die von alten, knorrigen Bäumen umstanden war. Die südlichste der kleineren Pyramiden lag nur wenige hundert Meter hinter ihm. Dennoch war es hier erstaunlich still und friedlich. Während um die FESTUNG herum ständig Pthorer kamen und gingen und Technos und Dellos Tag und Nacht damit beschäftigt waren, die »Gäste« unterzubringen und für Ordnung zu sorgen, war der Park im Süden völlig menschenleer. Der Lichtmagier sah sich sichernd um, ehe er an ein dichtes Gebüsch herantrat und die Zweige auseinanderbog. Umrahmt von Dornensträuchern stand dort ein Zugor. Querllo stieg in die Flugschale und steuerte sie vorsichtig aus dem Gesträuch hinaus. Er ließ den Zugor rasch steigen und beobachtete
von oben das Gelände. Seine Hoffnung, daß niemand ihn an Bord des antimagischen Fahrzeugs entdeckte, schien sich zu erfüllen – es wäre ihm auch sehr unangenehm gewesen. Aber er konnte nicht, wie Copasallior und Glyndiszorn, mit einem Schritt durch einen fremden Raum an jeden Punkt Pthors gelangen. Er hätte sich auf ein Yassel verlassen können, und das war auch bis vor kurzem seine bevorzugte Art des Reisens gewesen. Dann aber hatte er bei der Verfolgung des Stimmenmagiers erfahren müssen, daß Koratzo die Yassels zu beeinflussen verstand. Seitdem verließ er sich lieber auf einen Zugor, denn auf den hätte höchstens die junge Halbmagierin Islar Einfluß nehmen können. Der Gedanke an Islar brachte ihn dazu, den Fahrthebel heftiger als notwendig zu bewegen. Der Zugor schoß so schnell und steil in die Luft, daß Querllo fast den Halt verloren hätte. Mühsam balancierte er das Fahrzeug aus und zwang sich zur Ruhe. Vor dem Schwarzschock hatte er noch hoffen können, daß er Islar für sich gewinnen würde. Sie hatte zwar nie gezeigt, daß ihr viel an dem Lichtmagier lag, ja, wenn man es genau nahm, schien es eher so, als würde sie Koratzo eine Menge Zuneigung entgegenbringen. Aber der Stimmenmagier war viel zu vertieft in seine Arbeit gewesen, um so etwas auch nur zu bemerken, und außerdem hatte es auch noch Antharia gegeben, die Koratzo eifersüchtig bewachte. Jetzt, nach der großen Umstellung, interessierte Antharia sich nicht mehr dafür, was mit dem Stimmenmagier geschah, und Koratzo hatte ganz überraschend begonnen, sich seinerseits um Islar zu bemühen. Zu Querllos größter Freude hatte die Halbmagierin es strikt abgelehnt, sich mit dem Stimmenmagier zusammenzutun. Querllo wußte nicht, warum Islar ihre Meinung so plötzlich geändert hatte, aber wenn er es recht bedachte, lag es vielleicht daran, daß sie nachträglich ihre Liebe zu ihm entdeckt hatte. Ihm fiel ein, daß Islar in der Barriere von Oth geblieben war. Ihre Behausung war nicht weit von Koratzos Wohnhalle entfernt. Wenn Koratzo wirklich etwas Neues ausgeheckt hatte, dann hatte
er die Arbeit nicht hier in der FESTUNG getan, sondern in der Schlucht unterhalb der Wohnhalle, in den Höhlen, in deren Nachbarschaft noch immer einige Mitglieder der früheren Horden der Nacht hausten. Querllo hielt vor lauter Überraschung den Zugor mitten in der Luft an. Wie hatte er nur so blind sein können! Koratzo würde in die Barriere zurückkehren. Das war so sicher wie der nächste Tag. Er mußte dorthin, um sein Vorhaben durchführen zu können. Und vielleicht – der Gedanke ließ den Lichtmagier zittern vor Haß – würde er in den Höhlen unterhalb der Wohnhalle Islar treffen. Islar, die magische Maschinen bauen konnte und aus einem von dem Bera Kolphyr zusammengebastelten Apparat jenes Gerät hergestellt hatte, das den Magiern nacheinander den ersten Schwarzschock, dann die beschämende Phase der Sanftmut und danach den zweiten Schwarzschock gebracht hatte. Islars Begeisterung für solche Maschinen war bekannt. Querllo hatte ihr oft genug bei ihren Experimenten zugesehen und ihr geholfen, denn das war für ihn die einzige Möglichkeit, sich unauffällig in ihre Nähe zu schmuggeln. Er wußte, wie geschickt sie die verschiedenen Elemente der Magie mit denen der Antimagie zu verbinden wußte. Querllo war felsenfest davon überzeugt, daß Islar gerade jetzt, in diesem Augenblick, an einem Gerät bastelte, mit dessen Hilfe Koratzo seinen verwegenen Plan durchsetzen konnte. Eine Maschine, die es ihm erlaubte, ganz Pthor zu beherrschen und alle Magier in das zu verwandeln, was die Odinssöhne bereits waren: in Marionetten. Sollte er die anderen warnen? Nein, entschied er. Das ging nur ihn und Koratzo etwas an. Er drehte den Zugor nach Südwesten und raste mit Höchstgeschwindigkeit auf die Barriere von Oth zu.
3. Querllo hatte wenigstens in einer Beziehung recht: Islar bastelte tatsächlich an einer Maschine herum, aber das Ziel, das sie verfolgte, hatte nichts mit Koratzos hochfliegenden Plänen zu tun. Ganz im Gegenteil. Als die Magier das Tal der Schneeblume verließen, um sich über ganz Pthor zu verteilen, da waren zwei zurückgeblieben: Islar und ein fettes Individuum namens Heix. Heix war kein Magier. Er besaß überhaupt keine Fähigkeiten. Wenigstens war dies die Meinung all derer, die jemals etwas mit ihm zu tun gehabt hatten. Er war der Alterenkel des Bodenmagiers Gofruun, wobei niemand, nicht einmal Heix und Gofruun selbst, genau zu wissen schien, welche Art von Verwandtschaft durch die Bezeichnung »Alterenkel« ausgedrückt wurde. Die beiden hatten wie die Kletten aneinander gehangen, obwohl sie ständig miteinander stritten und sich über nichts einig werden konnten. Erst nach dem Schwarzschock war Gofruun seiner eigenen Wege gegangen. Heiz war streitsüchtig und gefräßig, er log und stahl und war auch sonst ein unangenehmer Zeitgenosse. Er konnte und wußte nichts, behauptete aber mit Vorliebe, ein Experte auf allen nur denkbaren Gebieten zu sein, nur um die betreffenden Magier zu ärgern. Wahrscheinlich hätte irgend jemand ihm längst den Hals umgedreht, hätte es nicht einige unlösbare Rätsel um den Alterenkel gegeben. Erstens hatte Heix die Unsterblichkeit der Magier erlangt – und das war alarmierend genug. Zweitens waren ausgerechnet Heix und Gofruun wach geblieben, als der VONTHARA mit seinem mißtönenden Geheul ganz Pthor in Schlaf versetzte. Immerhin war er es gewesen, der das Budella aufhielt, ehe die
schlafenden Magier diesem Ungeheuer zum Opfer fallen sollten. Und er war es auch gewesen, der während des großen Krieges der Magier am Skatha‐Hir Verbindung mit den Robotbürgern von Wolterhaven aufgenommen und am Ende die Entscheidung zugunsten der positiven Magier herbeigeführt hatte. Zugegeben, auch Gofruun hatte bei diesen Ereignissen eine Rolle gespielt, aber der Alterenkel war der Ansicht, daß Gofruuns Beteiligung eher dem Zufall zu verdanken war. Heix entdeckte unter den Magiern eine Person, die ebenfalls nicht oder nicht vollständig dem Schwarzschock verfallen war: Die Halbmagierin Islar. Sofort nahm er Verbindung zu ihr auf, aber Koratzo kam dahinter und erteilte dem armen Alterenkel eine höchst schmerzhafte Lehre. Heix wäre daraufhin fast zu dem Entschluß gelangt, daß er für das Schicksal der hochmütigen Magier nicht verantwortlich sei und daß Leute wie Koratzo gefälligst selbst die Suppe auslöffeln sollten, die sie sich eingebrockt hatten. Aber nach dem überhasteten Aufbruch der Magier erschien Islar bei ihm. »Begleite mich in die Tronx‐Kette«, bat sie ihn. »Ich möchte versuchen, den Schwarzschock rückgängig zu machen. Ich habe die erste Maschine nicht ganz und gar selbst gebaut, und ich weiß, was der Bera getan hat und welche Teile ich brauche. Es muß mir gelingen, eine zweite Maschine herzustellen, die diese negativen Kräfte in sich aufsaugt.« »Wozu brauchst du mich dabei?« fragte Heix mißmutig. Er hatte seit Tagen keine einzige Nektarknolle mehr zu Gesicht bekommen und steckte infolge Hungers in einem seelischen Tief. »Ich werde dich nur stören.« »Du mußt auf mich aufpassen!« sagte Islar drängend. »Ich habe schon mehrere Versuche unternommen, aber jedesmal habe ich nach kurzer Zeit alles zerstört, was ich bereits aufgebaut hatte. Der Schwarzschock steckt auch in mir, er zwingt mich, Dinge zu tun, die ich gar nicht tun will.«
»Tut mir leid«, murmelte Heix düster. »Aber ich tauge nicht zum Beschützer. Ich bin am Verhungern.« Islar betrachtete den Alterenkel, der so rund und dick war wie ein Faß. »Wovon ernährst du dich?« fragte sie vorsichtig. Heix erklärte ihr, was es mit dem Plasma auf sich hatte, das Gofruun unter Mitwirkung des Alterenkels in den düsteren Höhlen unterhalb des Gnorden züchtete. »Nur mit meiner Hilfe kann Gofruun das Plasma zum Wachsen bringen«, sagte er zum Schluß. »Und nur wenn er in der Nähe ist, produziert das Plasma ausreichende Mengen von Nektarknollen. Du siehst, die Sache ist hoffnungslos.« »Ich werde Früchte für dich besorgen«, versprach Islar zögernd. »Auch Fleisch, wenn du magst.« Heix leckte sich die Lippen. »Hast du auch Wein?« fragte er gierig. »Nein. Ich vertrage ihn nicht.« »Eine von denen also«, murmelte Heix enttäuscht. Es gab viele Magier, die keinen Alkohol zu sich nehmen durften, weil sonst ihre magischen Fähigkeiten durcheinander gerieten. »Ich könnte dir Wein besorgen«, sagte Islar unsicher. »Der Schwertmagier Taldzane und seine Gefährtin Ajyhna wohnen nicht weit von mir entfernt, und sie trinken oft welchen. Sicher sind sie jetzt mit den anderen unterwegs in Pthor. Es dürfte nicht schwer sein, an ihre Vorräte heranzukommen.« »Du würdest für mich stehlen?« fragte Heix erschüttert. »Was bleibt mir anderes übrig? Es muß etwas geschehen, oder die Magier stürzen ganz Pthor ins Unglück, und ich bin daran schuld, denn ich habe die Maschine umgebaut und bedient!« Ihre Verzweiflung war echt, und Heix fühlte sich gerührt. Abgesehen davon war Islar jung und hübsch. »Gut«, sagte er. »Ich komme mit. Unter einer Bedingung!« »Sie ist so gut wie erfüllt«, versicherte Islar.
»Du darfst mich niemals nach meiner Herkunft fragen!« »Ach das!« rief Islar erleichtert aus, denn sie hatte mit allerlei unerfüllbaren Forderungen gerechnet. »Du kannst ganz beruhigt sein, ich werde dich nicht danach fragen.« »Interessiert es dich etwa nicht?« erkundigte Heix sich mißtrauisch. »Oh doch, sehr!« sagte die Halbmagierin hastig. »Aber ich verspreche dir, dieses Thema nicht zu berühren.« »Dann ist es gut«, murmelte Heix beruhigt. So kam es, daß er mit Islar zur Tronx‐Kette zog. Es war ein beschwerlicher Ritt, denn die Yassels mochten den dicken Alterenkel nicht. Islar bekam während der langen Reise einen Vorgeschmack auf das, was sie für die Zeit der Zusammenarbeit würde erdulden müssen, denn Heix jammerte und fluchte fast ununterbrochen vor sich hin. Dennoch mühte sie sich weiter mit ihm ab, denn sie brauchte ihn wirklich. Sie hatte, nachdem Koratzo ihr das Angebot unterbreitete, in der Tronx‐Kette zu bleiben und in Ruhe ihre Fähigkeiten zu vervollkommnen, die Behausung der Höhlenmagierin Wa bezogen. Wa lebte nicht mehr. Sie war verunglückt, als sie dem Stimmenmagier half, den Knotenmagier Glyndiszorn aus einer Falle zu befreien, in die dieser sich selbst hineinmanövriert hatte. Islar meinte anfangs, in jedem einzelnen Raum die Anwesenheit der Höhlenmagierin zu spüren, und so errichtete sie bei der erstbesten Gelegenheit ein einfaches Gebäude, in dem sie fortan wohnte. Was geräumige Höhlen dienten ihr als Werkstatt. Heix fiel nach der Ankunft von seinem Yassel herunter. Das Tier machte sich schleunigst aus dem Staub, zweifellos fest entschlossen, diesem ebenso gewichtigen wie ungeschickten Reiter für alle Zeiten aus dem Weg zu gehen. Der Alterenkel blieb schnaufend liegen, rieb sich sein Hinterteil und malte sich in glühenden Farben aus, was er mit Gofruun anstellen würde, sollte der Bodenmagier jemals wieder normal werden. Da Heix stets irgendeinen Sündenbock brauchte,
auf Islar aber nicht zu schimpfen wagte, weil sie sonst ganz sicher nicht Taldzanes Weinvorräte für ihn plündern würde, gab er einfach Gofruun die Schuld an dem schrecklichen Schicksal, das er hatte erdulden müssen. Islar war nahe daran zu verzweifeln, und am liebsten hätte sie Heix davongejagt und sich an seiner Stelle einen Sterblichen geholt. Aber sie wußte zu gut, daß sie die Barriere nicht verlassen durfte. Solange sie sich vorsichtig verhielt und in der Tronx‐Kette blieb, würden die Magier sie – nun, vielleicht nicht direkt vergessen, aber doch auch nicht mit besonderer Aufmerksamkeit beobachten. Sie schaffte Heix mit einiger Mühe in das Wohngebäude, schärfte ihm ein, daß er nicht draußen herumlaufen durfte, ehe sie ihn über die Gefahren dieser Gegend aufgeklärt hatte, und eilte dann zu Taldzanes Heimstatt. Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung war der Schwertmagier tatsächlich nicht da. Mühelos öffnete sie die einfachen magischen Siegel an der Tür zum Vorratskeller, holte einen großen Krug mit Kromyat und einen anderen mit Kräuterwein, wie die Dalazaaren ihn brauten, stellte die Siegel wieder her und hastete zu Heix zurück. Der Wein half dem Alterenkel über alle Beschwerden hinweg, und schon bald wurde er munter – sogar so munter, daß Islar es mit der Angst zu tun bekam. Sie begriff sehr schnell, daß auch Heix zu jener Kategorie von Bewohnern der Barriere gehörte, die keinen Alkohol zu sich nehmen durften. Leider schien der Alterenkel das noch nicht eingesehen zu haben. Heix hatte das Wohngebäude schon weitgehend demoliert, ehe es der jungen Magierin endlich gelang, dem Alterenkel den Krug abzunehmen. Danach randalierte Heix noch schlimmer, so daß sie ihm gezwungenerweise den Wein zurückgeben mußte. Sie beschloß, ihm sogar noch den zweiten Krug auszuhändigen, denn von dem Gebäude war sowieso nicht mehr viel vorhanden, und wenn das Zeug alle war, mußte Heix ja irgendwann wieder zur Vernunft kommen. Einen vollen Tag hindurch trank Heix genußvoll Schluck um
Schluck und sah einfältig lächelnd zu, wie alles um ihn herum, was bearbeitet oder künstlich hergestellt war, in seine Bestandteile zerfiel. Was auch immer an magischen Fähigkeiten die ganze Zeit über in ihm geschlummert haben mochte, es war rein destruktiv. Islar verzweifelte fast bei dem Gedanken, wieviel Zeit sie verlor. Sie wußte nicht genau, was in Pthor inzwischen vorging, aber sie konnte es sich recht gut vorstellen. Als Heix in tiefen Schlaf fiel, wagte sie es, ihn alleine zu lassen, schlich in die Höhlen und unternahm noch einmal den Versuch, jenes Gerät nachzubauen, dem man den ganzen Ärger zu verdanken hatte. Sie kam anfangs gut voran, wurde dann aber müde und schlief neben dem halbfertigen Werk ein. Als sie wieder erwachte, stand sie vor einem Trümmerhaufen, eine schwere Metallstange in der Hand. Resignierend kehrte sie ans Tageslicht zurück und rüttelte Heix wach. Der Alterenkel zerfloß fast vor Reue, und Islar, die den Dicken noch längst nicht durchschaute, lenkte ihn von seinem Mißgeschick ab. Sie erklärte ihm, daß sie in der vergangenen Nacht einige Teile zerschlagen hätte, für die sie keinen Ersatz mehr hatte. »Ich muß zu der Höhle, in der die erste Maschine stand«, sagte sie. »Wenn ich Glück habe, sind noch einige Stücke ganz geblieben. Kommst du mit?« »Müssen wir reiten?« fragte Heix sofort. »Nein. Wir benutzen die magischen Wege.« »Sie tragen mich nicht«, sagte Heix weinerlich. »Sie werden dich tragen, wenn ich dich an der Hand halte«, versicherte Islar. Die Aussicht, von der bildhübschen Magierin an der Hand geführt zu werden, wirkte auf den Alterenkel beinahe so belebend, als hätte sie ihm einen neuen Krug Wein in Aussicht gestellt. Sie reisten auf die in der Tronx‐Kette übliche schnelle, bequeme Weise, und Islar stellte schon bald fest, daß Heix die magischen Wege sehr wohl auch ohne ihre Hilfe zu benutzen vermochte. Um
den Alterenkel jedoch nicht schon wieder zum Jammern zu bringen, machte sie gute Miene zum unfairen Spiel und half dem Dicken auch noch, den Hang hinunterzuklettern, der zu der Höhle führte. »In diesem engen Loch hat die Maschine gestanden?« fragte Heix mißtrauisch. »Es ist drinnen größer«, antwortete Islar und stutzte, denn ihr war, als hätte sie eine Stimme gehört. »Ich bleibe lieber draußen!« verkündete Heix. »Sei still!« flüsterte sie. »Hörst du das?« Heix lauschte angestrengt. Aus der Schlucht der gläsernen Felsen drang das Poltern einiger Steine herauf, und die Sternblumen auf den Hängen ringsum beugten sich raschelnd im Wind. Irgendwo schrie ein großer Vogel. Ein Bach rauschte in der Nähe, sonst aber … Er wollte gerade sagen, daß er nichts hörte, was ihm ungewöhnlich vorgekommen wäre, als er die dünne Stimme vernahm. »Helft mir! Haltet ihn auf. Er wird mich umbringen!« »Das kommt aus der Höhle!« murmelte Heix verblüfft. Er drehte sich zu Islar um und sah mit Entsetzen, daß sie eines ihrer schmalen, unerhört scharfen Messer in der Hand hielt. »Ich sehe nach!« sagte sie leise. »Paß gut auf. Wenn du etwas siehst, dann rufe mich!« »Worauf du dich verlassen kannst!« knurrte Heix und verbarg sich hinter dem nächstbesten Felsen, kaum daß Islar ihm den Rücken gewandt hatte. Sie schlich in die Höhle und blieb sprachlos vor Staunen stehen, als sie das Wesen sah, das darin auf dem Boden lag. »Chirmor Flog!« stieß sie hervor. »Hilf mir!« bettelte der Neffe. »Du hast ein Messer. Bleib bei mir und bring ihn um, wenn er kommt.« »Von wem redest du?« fragte Islar und schüttelte sich vor Abscheu. Dieses Wesen, von dem ein Hauch abgrundtiefer Bosheit
ausging, hatte den Schwarzschock in die Barriere getragen. Islar hatte nicht geglaubt, daß sie jemals imstande sein könne, irgendein lebendes Wesen wirklich zu hassen, aber die unerwartete Konfrontation mit Chirmor Flog belehrte sie eines Besseren. Sie steckte ihr Messer weg, weil sie Angst hatte, sie könnte es sonst in einem Augenblick der Unbesonnenheit auf den Neffen richten. »Von Duuhl Larx!« krächzte Chirmor Flog. »Wir haben das Rghul‐Revier schon vor vielen Tagen verlassen.« »Er ist mir gefolgt. Er will mich töten!« »Unsinn!« sagte Islar verächtlich, riß sich zusammen und ging an dem Neffen vorbei auf die Reste der magischen Maschine zu. »Du mußt mir glauben!« rief Chirmor Flog mit schwacher Stimme. »Ich spüre, daß er da ist. Er kommt immer näher!« »Du leidest an Verfolgungswahn!« sagte Islar nüchtern. »Wenn er mich erreicht, wird es ein Unglück geben.« Islar lachte bitter auf. »Schlimmer kann es gar nicht mehr werden«, murmelte sie und zerrte einige Teile aus dem Trümmerhaufen hervor. »Die Magier sind negativ, und ganz Pthor leidet unter dem, was mit deiner Ankunft begann.« »Du wirst an meine Worte denken!« flüsterte Chirmor Flog erschöpft. »Du wirst dir wünschen, du hättest jetzt auf mich gehört. Ich flehe dich an, besinne dich, solange du noch Zeit dazu hast!« »Ich habe keine Zeit, mich mit dir zu befassen«, erklärte Islar kalt und sammelte die kostbaren Einzelteile der zerstörten Maschine ein. »Ich muß versuchen, meinen Fehler wiedergutzumachen. Wenn die Magier nicht bald wieder Vernunft annehmen, werden die Folgen fürchterlich sein.« »Ich kann sie normalisieren!« behauptete Chirmor Flog. »Ich weiß, wie sich der Schwarzschock rückgängig machen läßt. Rette mich vor Duuhl Larx, und ich verrate dir das Geheimnis.« Für einen Augenblick war die junge Magierin unschlüssig. »Nein!« sagte sie dann fest. »Ich spüre, wie du versuchst, mir
deinen Willen aufzuzwingen. Du wirst keinen Erfolg haben, denn meine magischen Sperren neutralisieren deine Kräfte. Dein Versuch zeigt mir jedoch, was du wirklich vorhast: Du willst Macht über mich gewinnen und mich für deine Ziele einsetzen. Du hast gelogen, Chirmor Flog. Du brauchst keine Hilfe, sondern neue Untertanen. An diesem Ort wirst du sehr lange warten müssen, bis du welche findest.« Sie hörte, wie er mit seiner dünnen, kraftlosen Stimme schrie, als sie die Höhle verließ, aber sie kümmerte sich nicht mehr darum. Sie rief Heix, der eilig aus seinem Versteck hervorkrabbelte. »Wer war es?« fragte er ängstlich. »Der Neffe«, sagte sie verächtlich. »Chirmor Flog?« »Wer denn sonst? Copasallior hat ihn offenbar in diese Höhle zurückgeschickt, als man ihn in der FESTUNG nicht mehr brauchen konnte. Kümmere dich nicht um das, was er ruft. Er ist nicht mehr ganz normal.« »Das gefällt mir nicht«, flüsterte Heix. »Der Skatha‐Hir ist dieser Höhle zu nahe. Der Neffe sollte sich nicht so dicht neben den Speichern aufhalten …« »Er kann absolut nichts tun«, fiel Islar ihm ärgerlich ins Wort. »Komm jetzt, ich möchte weg von hier.« »Was wollte er von dir?« bohrte Heix beharrlich nach, während sie den Hang hinaufstiegen. »Er hat dich um Hilfe gebeten!« »Er leidet unter Wahnvorstellungen, das ist alles. Er bildet sich ein, Duuhl Larx wäre hinter ihm her.« »Duuhl Larx!« murmelte Heix, und seine Stimme klang so merkwürdig, daß Islar sich unwillkürlich umdrehte, um sein Gesicht sehen zu können. Er sah ganz anders aus als sonst, fremd und entrückt. Seine gelben Augen schienen etwas zu sehen, was außerhalb der erfaßbaren Wirklichkeit lag. »Was siehst du?« fragte Islar leise.
Er zuckte zusammen und war von einem Augenblick zum anderen wieder genau der, als den sie ihn kannte. »Was stehen wir hier hoch herum?« fragte er nörgelnd. »Hilf mir endlich, damit ich diesen scheußlichen Weg erreiche. Was für eine idiotische Idee, hier draußen herumzulaufen.« Sie zog ihn schweigend weiter. 4. Querllo näherte sich der Tronx‐Kette unter Beachtung aller Vorsichtsmaßnahmen, die ihm einfielen. Er fand heraus, daß Islars Wohnhaus zerstört war. Islar selbst war nicht aufzufinden, auch Was Höhlen waren leer. Querllo brauchte nur einen Blick auf die zu Krümeln zerfallenen Wände und Einrichtungsgegenstände des Hauses zu werfen, um zu wissen, wer hier zugeschlagen hatte. Er war oft genug dabei gewesen, wenn Koratzo Hindernisse aller Art aus dem Wege räumte, indem er sie in Schwingungen versetzte und so zum Zerfall brachte. Er kannte die Spuren. Er wußte auch, wie genau der Stimmenmagier das Ausmaß der Zerstörungen zu kontrollieren wußte. Wenn er nur die Absicht gehabt hätte, Islar aus dem Gebäude herauszuholen, so hätte Koratzo nicht das ganze Haus mitsamt der Einrichtung zerstören müssen. Daß er es dennoch getan hatte, ließ nach Querllos Meinung nur eine Deutung zu: Koratzo war der Ansicht, daß Islar nie wieder an diesen Ort zurückkehren würde. Die krümeligen Überreste würden binnen kurzer Zeit vollends zerfallen und von den Pflanzen überwachsen werden. Unwillkürlich sah Querllo zum Skatha‐Hir hinüber, der seine narbenbedeckten Zwillingsgipfel in den Himmel reckte. Auch Kir Ban hatte Behausungen zerstört. Immer dann, wenn er eines seiner Opfer in jenes grauenerregende Gebilde steckte, das man später den Strahl der Verbannung nannte, hatte er auch dafür
gesorgt, daß alle Spuren vernichtet wurden. In vielen Fällen gelang es ihm sogar, die Erinnerung an seine Opfer zu verwischen. Kir Ban war der wohl mächtigste Magier gewesen, der jemals gelebt hatte, und Koratzo war sein Sohn. Querllo spürte eine Gänsehaut auf seinem Rücken, und zum erstenmal geriet er in Versuchung, den Schwarzschock mit all seinen Begleitumständen zu verfluchen. Wenn dieses Ereignis dazu führte, daß Koratzo sich auf sein unheilvolles Erbe besann und Kir Bans Nachfolge antrat, dann wäre es besser gewesen, alle Magier von Oth hätten weiterhin in dem beschämenden Zustand positiven Irrglaubens verharrt. Aber die negative Magie hatte ihre eigenen Moralvorstellungen, und sie ließ es nicht zu, daß ihre Anhänger an sich selbst zu zweifeln begannen. Eine Eigenart aller negativen Magier war es stets gewesen, ihre Gegner gewissermaßen durchs umgekehrte Fernglas zu sehen: Als einen winzig kleinen Störenfried, ein Insekt, das man zertreten konnte. Auch Querllo kam sehr schnell zu dem Schluß, daß es mit Koratzos Macht nicht weit her sein konnte. Wahrscheinlich war alles, was man sich darüber erzählte, reine Übertreibung. Beherrschte Querllo selbst denn nicht die mächtige, kraftvolle Lichtmagie? Er würde Koratzo besiegen. Das stand fest. Zum Glück war Querllo noch so vernünftig, daß er nicht einen lauten Kriegsschrei über die Berge sandte. Er würde sich hüten, dem Stimmenmagier offen entgegenzutreten. Ein paar kleine Fallen, die Koratzo schwächten, sollten es dem Lichtmagier leichter machen, den verhaßten Rivalen um Islars Gunst aus dem Weg zu schaffen. Nebenher erhoffte Querllo sich natürlich einen gewaltigen Aufstieg in der Hierarchie derer von Oth. Er sah sich bereits als neues Oberhaupt der Mächtigen. Er lenkte den Zugor in die Nähe der Wohnhalle und verbarg ihn unter einem überhängenden Felsen, ehe er sich zu Fuß auf den Rest
des Weges machte. Er wunderte sich darüber, daß Koratzos Revier noch immer nicht durch deutliche Grenzmarkierungen abgesichert war. Die Grenzen waren schließlich das Wichtigste an einem Revier. Sie wehrten Eindringlinge ab und sorgten dafür, daß der Besitzer des Reviers sich in Ruhe seiner Arbeit widmen konnte. Ohne seine Grenze war ein Magier ständig gezwungen, seine Aufmerksamkeit zu teilen: Einmal auf seine Arbeit, zum anderen aber auch auf seine Umgebung zu achten. Für einen Augenblick wurde Querllo in seiner Überzeugung schwankend. Vielleicht hatte Koratzo doch nichts vorbereitet, vielleicht war er auf einen Trick hereingefallen. Was, wenn der Stimmenmagier es gerade auf Querllo abgesehen hatte? Sie kannten sich seit so langer Zeit, daß sie meist schon im voraus wußten, wie der andere auf etwas reagierte. Querllo näherte sich der Wohnhalle mit größter Vorsicht. Er untersuchte jeden Fußbreit des Bodens, aber er fand keine Spur von Fallen. Natürlich stieß er direkt an der Halle auf die üblichen Absicherungen. Daran, daß Koratzo einen hohen Rang in Oth hätte einnehmen können, wenn er nicht darauf verfallen wäre, den Rebellen zu spielen, waren sich die meisten Magier im klaren. Dementsprechend stark waren die Mittel, mit denen der Stimmenmagier sich gegen seine zahlreichen Feinde schützte. Es war reines Glück für Querllo, daß er nie zu diesen Feinden gehört hatte. Er war fassungslos vor Staunen, als er merkte, daß alle diese Sperren noch aus der Zeit vor dem Schwarzschock stammten, aus jener Zeit also, in der Querllo und Koratzo dem Wahnbild der positiven Magie gehuldigt hatten. Dem Lichtmagier hatte Koratzo vertraut wie keinem anderen, und niemals hatten diese beiden ein Geheimnis voreinander gehabt. Querllo kannte jede einzelne Sperre und wußte, wie man sie zu lösen hatte, er war der einzige, der jederzeit Zutritt zur Wohnhalle und selbst zu den verborgenen
Höhlen am Grund der Schlucht hatte. Und Koratzo hatte keine einzige von diesen Sperren verändert, geschweige denn neue hinzugefügt. Der Lichtmagier fragte sich vergeblich, was seinen ehemaligen Freund dazu veranlaßt haben konnte, derart unvorsichtig zu handeln. Vergeßlichkeit konnte es nicht sein, denn darunter hatte Koratzo noch nie gelitten. Wahrscheinlich, so sagte sich Querllo, war es der Hochmut, der den Stimmenmagier zu Fall bringen würde. Koratzo mochte mittlerweile so sehr von seiner eigenen Macht und dem Ruf, den er sich erworben hatte, überzeugt sein, daß er meinte, die bloße Nennung seines Namens würde ausreichen, um jeden Gegner abzuschrecken. Obwohl die Zeit ihm auf den Nägeln brannte, ging Querllo systematisch vor. Er legte eine Falle in der Schlucht aus, eine zweite am Grund der Stimmenhöhle, eine dritte am Einstieg zu diesem Schacht. Rückwärts arbeitete er sich nach oben, durchquerte die Wohnhalle und hinterließ seine größtenteils tödlichen Andenken an jeder Stelle, die ihm als geeignet erschien. Er brachte die Siegel in Ordnung und verließ den Bannkreis der Halle. Ein paar Meter entfernt blieb er stehen und blickte zurück. Er stellte sich vor, wie Koratzo die Tür öffnete und direkt in die Lichtlanzen hineinlief. Er zweifelte nicht daran, daß Koratzo diesen ersten Angriff überstehen würde. Lief der Stimmenmagier tiefer in die Halle hinein, dann war es auf jeden Fall um ihn geschehen. Sprang er indessen zurück – Querllo errichtete eine letzte Bastion an einem Punkt, den Koratzo seiner Meinung nach beim besten Willen nicht würde erkennen können. Vorsichtig zog er sich in Richtung auf den Zugor zurück. Er bedauerte es aufrichtig, daß er nicht hinter einem Felsen liegen und die Ankunft des Stimmenmagiers beobachten konnte, aber er kannte die Fähigkeiten seines Gegners zu genau, um diesen Wünschen nachzugeben. Koratzo vermochte in dieser Einöde das Schlagen eines Herzens auf eine Entfernung wahrzunehmen, die andere nicht
einmal mit einem Schrei zu überbrücken vermochten. Während er weiterschlich, beobachtete er unruhig den Himmel und seine Umgebung. Er hatte seine Sperren verstärkt und zog sie dicht um sich, um sich so weit wie möglich unsichtbar zu machen. Er hielt Ausschau nach einem winzigen Punkt, der über den Paß geschwebt kam oder aus der Schlucht heraufstieg. Als er wirklich etwas sah, erschrak er so sehr, daß er für einen Augenblick wie erstarrt stehenblieb. Da schwebte etwas. Es kam aus der Richtung, in der die Schlucht der Seelenlosen lag, und es hielt sich an den Pfad, der von Howaths Grenzstation am diesseitigen Ende der Brücke in die Tronx‐Kette hineinführte. Aber dieses Etwas war nicht dunkel, sondern es leuchtete. Querllo war so verblüfft, daß er nicht einmal daran dachte, in Deckung zu gehen. Er stand hoch aufgerichtet auf einem Felsen und beobachtete das leuchtende Ding, das zielstrebig dahinschwebte. Er wußte, daß dieses Etwas nichts mit Koratzo zu tun haben konnte. Das leuchtende Ding war etwas ganz anderes – etwas Fremdes. Ein seltsames, fast vergessenes Gefühl überkam den Lichtmagier. Fremde in der Barriere von Oth – das bedeutete Gefahr, nicht nur für die Magier, sondern möglicherweise für ganz Pthor. Im Reich der Magier wurde mit Kräften manipuliert, die das Land buchstäblich in Stücke zerreißen konnten. Wenn sie in die falschen Hände gerieten und freigesetzt wurden, war die Katastrophe nicht mehr abzuwenden. Querllo brauchte nur an das zu denken, was er selbst in seinen Lichtgewölben aufbewahrte, und ihm lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ich muß Alarm geben, dachte er. Wir müssen diesen Fremden fangen und unschädlich machen, ehe ein Unglück geschieht. Die drei Gordys, die vor dem Tage Ragnarök mit magischen Schilden durch die Barriere zogen, haben nur einen von Breckonzorpfs Speichern erwischt, und es gab einen Sturm, den ich so schnell nicht vergessen werde. Es war so schlimm genug, was damals geschah. Trotzdem konnten wir alle froh sein, daß es so
glimpflich abging. Diesmal könnte es schlimmer werden. Wonach, bei den Höhlen des Kir Ban, sucht dieses Wesen? Das leuchtende Etwas, das von Querllos Standort aus winzig klein aussah, kam an die erste Abzweigung, folgte jedoch unbeirrbar dem Hauptpfad. Wenn er in diesem Tempo weiterzog, würde der Fremde schon bald Querllos Behausung erreichen. Der helle Punkt verschwand hinter den Felsen, an denen der Pfad sich entlangzog. Querllo tat einen Schritt in die Richtung, in der sein Heim lag, dann erst kam ihm zu Bewußtsein, daß er sich in einer Zwickmühle befand. Die Fallen, die er ausgelegt hatte, konnten den Stimmenmagier mit etwas Glück umbringen. Aber mindestens ebenso wahrscheinlich war es, daß ein Magier von Koratzos Format mit diesen Dingen fertig wurde, mehr oder weniger verletzt und geschwächt, aber immer noch kampffähig. Die Fallen waren verräterisch – Koratzo würde sofort wissen, wem er die Überraschung zu verdanken hatte. Querllo hatte in diesem Fall nur eine Chance: Er mußte zur Stelle sein und das Werk vollenden, ehe der Stimmenmagier seine Kräfte sammeln und zurückschlagen konnte. Vor dem Schwarzschock hätte Querllo keine Fallen ausgelegt, aber selbst wenn er durch bestimmte Umstände gezwungen gewesen wäre, so und nicht anders zu handeln, hätte es in diesem Augenblick kein Zögern für ihn gegeben. Er hätte keinen Gedanken mehr an Koratzo verschwendet, sondern wäre ohne Rücksicht auf seine eigene Sicherheit und sein Leben dem Fremden nachgeeilt. Weil er aber negativ dachte und handelte, stellte er seine eigenen Interessen über die der Gemeinschaft. Er überzeugte sich davon, daß Koratzo noch immer nicht in Sicht war, und kehrte eilig in sein Versteck unter den Felsen zurück. Während er dort hockte und wartete, ging ihm dieser leuchtende Fremde nicht aus dem Kopf.
* Islar sah den Zugor, der aus der grasbewachsenen Mulde vor Was Höhlen aufstieg, und sie zog Heix hastig in Deckung, von dem offenen Pfad weg hinter einen Felsen. »Was ist nun schon wieder los?« fragte der Alterenkel ärgerlich. »Sei still!« fauchte Islar ihn an. Sie robbte vorsichtig ein Stück nach vorne und sah dem Zugor nach, der in westlicher Richtung davonflog. Sie konnte nicht erkennen, wer in der Flugschale saß. Koratzo konnte es zum Glück nicht sein, denn der hätte sich nie und nimmer einem antimagischen Fahrzeug anvertraut, nachdem er seine seltsame Kristallscheibe entdeckt hatte. »Wann gehen wir weiter?« fragte Heix mißmutig. »Ich habe Hunger.« Der Zugor kam außer Sicht, und Islar erhob sich nachdenklich. »Ich würde zu gerne wissen, wer das war«, murmelte sie. »Vielleicht finden wir ein paar Spuren.« »Von wem redest du überhaupt?« Sie antwortete nicht, und Heix folgte ihr schlechtgelaunt. Islar hatte es plötzlich sehr eilig. Sie zerrte den Alterenkel hinter sich her. Er beschwerte sich bitter über diese rücksichtslose Behandlung, aber sie schien ihn gar nicht zu hören, und so hielt er schließlich doch den Mund, beschloß aber, sich bei Gelegenheit zu rächen. Islar verbot ihm, die Mulde zu betreten, ehe sie alles nach Spuren abgesucht hatte. Seine Laune sank auf den Nullpunkt. Er setzte sich auf einen Stein und beobachtete die junge Magierin, die langsam dahinschritt, sich hier und da bückte und den Boden untersuchte. Er war sicher, daß sie nichts finden würde. Zu seiner Überraschung rief sie ihn schon nach kurzer Zeit zu sich. »Wer war es?« fragte er – eigentlich nur, um sie zu ärgern. »Querllo«, antwortete sie nachdenklich. »Der Lichtmagier. Es scheint, als hätte er nach mir gesucht. Das gefällt mir nicht.«
»Mir auch nicht«, murmelte Heix. »Aber noch weniger gefällt es mir, daß ich am Verhungern bin.« Sie deutete ärgerlich auf die Büsche am Rand der Mulde. Sie brachen unter der Last süßer Früchte fast zusammen. »Pflück dir etwas«, empfahl sie. »Ich gehe später auf die Jagd. Jetzt habe ich keine Zeit dazu.« »So ungefähr habe ich mir das vorgestellt«, murrte Heix, aber sie hatte sich bereits umgedreht und verschwand in den Höhlen. Als er nach einiger Zeit zu ihr hineinsah, war sie völlig in ihre Arbeit vertieft. Sie sortierte die Teile, die sie aus Chirmor Flogs Höhle mitgebracht hatte, polierte und streichelte sie, redete sogar mit ihnen, als wären es lebende Wesen. Heix zog sich kopfschüttelnd zurück. »Sie sind verrückt«, sagte er zu sich selbst. »Alle miteinander. Was für ein Glück, daß ich kein Magier bin.« Unterdessen bereitete Islar sich darauf vor, den nächsten Versuch zu unternehmen, und sie ging mit noch größerer Sorgfalt als sonst zu Werke. Allmählich wurde das Material knapp. Wenn sie wieder versagte und auch Heix sie nicht daran zu hindern vermochte, alles zu zerschlagen, würde sie auf die Suche nach Ersatzteilen gehen müssen. Sie wußte, wo sie das entsprechende Material finden würde – in den Dunklen Tälern, denn dort hatte auch der Bera sich mit allem versorgt. Aber die Suche in den verlassenen Revieren war mühsam, und gefährlich konnte es obendrein für sie werden. Als sie alles vorbereitet hatte, trennte sie sich widerstrebend von den blitzenden, teilweise bereits zu magischer Aktivität erweckten Teilen. Sie mußte sich um Heix kümmern. Sie fürchtete, daß der Alterenkel störrisch werden könnte, wenn sie ihn nicht mit einer guten Mahlzeit versorgte, bevor sie Forderungen an ihn stellte. Es wurde bereits dunkel. Heix saß neben dem Eingang zu den Höhlen, regungslos wie eine Statue, mit geschlossenen Augen und über dem Bauch gefalteten Händen. Sie sprach ihn an, aber er reagierte nicht.
»Dann eben nicht«, murmelte sie und ging an ihm vorbei. Sie ging nur ungern in der Tronx‐Kette auf die Jagd. Es gab – besonders in der Nähe von Koratzos Wohnhalle – sehr viele zahme Tiere, die ihr ohne jeden Argwohn entgegenkamen. Sie brachte es nicht fertig, ein solches Wesen abzuschlachten. Nahe der Schlucht der gläsernen Felsen war es etwas besser, und sie benutzte einen der magischen Pfade, um sich in rasendem Tempo in dieses Gebiet zu begeben. An der Schlucht wandte sie sich nach Osten. Mittlerweile war es völlig dunkel geworden. Die leuchtschwachen Sterne der Schwarzen Galaxis, die durch den Wölbmantel schienen, gaben nur wenig Licht ab. Islar konnte jedoch – wie fast alle Magier – ausgezeichnet im Dunkeln sehen, und sie entdeckte schon bald ein kleines Rudel hochbeiniger Bergschweine. Die Jagd auf diese Tiere war nicht ungefährlich. Sie stammten von den Raubschweinen ab, die den Blutdschungel unsicher machten. Islar suchte sich einen günstigen Platz am Rande der Schlucht. Im Notfall konnte sie sich blitzschnell in die Steilwand zurückziehen, wohin die Schweine ihr nicht folgen würden. Islar war im Revier der Sterblichen aufgewachsen, einem der wildesten Teile der Barriere von Oth, und sie hatte von frühester Kindheit an gelernt, sich diesem Gelände anzupassen. Sie beobachtete die Tiere und suchte sich eines aus, das noch jung war und einen guten Braten abgeben würde. Geduldig wartete sie, bis es sich in der günstigsten Position befand, dann warf sie ihr Messer. Das Bergschwein war sofort tot. Die anderen Tiere brauchten einige Sekunden, um zu begreifen, was geschehen war, denn das Tier war völlig lautlos gestorben. Erst als sie das Blut rochen, erwachte ihr Kampfgeist. Sie hoben die langen Rüssel und schnüffelten geräuschvoll. Da aber der Wind von der Tronx‐Kette zur Schlucht hinstrich, konnten sie die Magierin auch nicht wittern. Sie drehten sich unsicher im Kreis, liefen hin und her und versuchten, den verborgenen Gegner durch schnelle, ungezielte
Vorstöße in verschiedene Richtungen aus der Reserve zu locken. Wenn auch das nicht zum Erfolg führte, würden sie sich zurückziehen. Islar glaubte bereits, ohne weitere Schwierigkeiten an ihre Beute gelangen zu können, als etwas geschah, womit sie nicht hatte rechnen können. Ein leuchtendes Etwas schoß vom weiter oben vorbeiführenden Pfad herab, und gleichzeitig dröhnte ein wahnsinniges Gelächter über die Berge, daß der Magierin fast die Haare zu Berge standen. Das lachende, leuchtende Ding bewegte sich direkt auf die Bergschweine zu. Zwei oder drei besonders mutige Tiere gingen sofort in Angriffsstellung, die anderen duckten sich oder suchten nach Deckung. Eines verlor die Nerven, preschte blindlings davon und stürzte in die Schlucht. Das Unglück wollte es, daß das Tier so nahe an Islar vorbeikam, daß sie gezwungen war, allzu hastig auszuweichen. Sie trat auf einen lockeren Stein, verlor für einen Augenblick das Gleichgewicht und konnte sich gerade noch abfangen, ehe sie dem Schwein in die Tiefe gefolgt wäre. Sie klammerte sich an die zähen Zweige eines Schluchtbeerenstrauchs und begann sofort, hin und her zu schwingen, um sicheren Halt in den Felsen zu finden. Das leuchtende Ding war inzwischen unter immer noch anhaltendem Schreien und Kichern weitergezogen, und die Geräusche, die Islar verursachte, waren für die nun endgültig aus ihrer Ruhe gebrachten Bergschweine einfach nicht zu überhören. Grunzend wandten sie sich der Schlucht zu. Irgendeines von ihnen war intelligent genug, um die Bewegungen, die die oberen Äste des Beerenstrauchs vollführten, richtig zu deuten. Wütend begann es den zähen Stamm des Strauches zu bearbeiten. Islar spürte, wie das Gewächs sich neigte, und setzte alles auf eine Karte. Sie stieß sich kräftig ab und landete auf einem kaum fußbreiten Sims. Der Ast, an dem sie gehangen hatte, riß ab und krachte rauschend an ihr vorbei. Augenblicke später folgte der Rest des
Strauches. Vorsichtig schob sie sich weiter, bis sie einen Spalt erreichte, in den sie sich kauern konnte. Auch dabei ließen sich schwache Geräusche nicht ganz verhindern. Die Bergschweine lauschten gespannt und gaben mit wütendem Grunzen bekannt, daß sie das Manöver ihrer Gegnerin durchschaut hatten. Resignierend machte Islar es sich so bequem wie möglich. Die Schweine würden viele Stunden lang darauf warten, daß sie aus der Schlucht herauskam. Sie konnten unglaublich hartnäckig in solchen Dingen sein. Sie hätte sich auch in der Dunkelheit bis zu einer Stelle vorarbeiten können, an der sie die Schlucht einigermaßen gefahrlos verlassen konnte. Aber erstens war es nicht sicher, ob die Schweine nicht auch dieses Spiel durchschauten und ihr folgten, und zweitens wollte sie die Beute nicht im Stich lassen. Bevor die Tiere sich zurückzogen, würde sie an das erlegte Schwein ohnehin nicht herankommen. Unter diesen Umständen war es besser, die Nacht an diesem Platz zu verbringen. Voller Unruhe dachte sie an Heix und die wertvollen Teile, die in den nicht versiegelten Höhlen lagen. Dann wandten sich ihre Gedanken dem leuchtenden Etwas zu, dem sie den ganzen Ärger zu verdanken hatte. Sie hatte keine Ahnung, wo dieses verrückte Ding hergekommen war und was es darstellte. Sie wußte nur, daß sie eine geradezu unvernünftige Wut auf den Störenfried hatte. 5. Koratzo war sich der Tatsache bewußt, daß sein Trick nur einmal gelingen konnte. Beim nächsten Versuch dieser Art würden die anderen ihn sofort durchschauen. Dann blieb ihm nur noch die Möglichkeit, sie zu verunsichern, indem er ihnen erklärte, daß er diesmal nicht bluffte – er machte sich keine großen Sorgen um die
Zukunft, was die Intrigen betraf, mit denen er die Magier in Unruhe versetzte. Aber dieses eine Spiel war ihm besonders wichtig, denn es würde eine Vorentscheidung bringen. Zum einen mußte er Kolviss ausschalten. Es wunderte ihn nicht, daß die anderen die Veränderung, die mit dem Traummagier vorgegangen war, nicht bemerkt hatten. Sie waren zu unachtsam, und sie steckten voller vorgefaßter Meinungen. Sie spürten selbst die Auswirkungen des Schwarzschocks und nahmen automatisch an, daß alle anderen Magier das gleiche fühlten. Möglicherweise hatte Kolviss selbst noch nicht gemerkt, was in Wirklichkeit geschehen war. Im übrigen war Kolviss nicht der einzige, den es betraf, aber er war der mächtigste in dieser speziellen Gruppe. Es gab Magier, die aus Überzeugung für die positive Magie eingetreten waren. Querllo war ein gutes Beispiel dafür. Seit Jahrtausenden hatte Koratzo versucht, zu verhindern, daß die negative Gesinnung sich noch stärker in der Barriere von Oth ausbreitete, und er hatte keinen zuverlässigeren Kampfgefährten als den Lichtmagier kennengelernt. Für jeden Außenstehenden hatte es scheinen müssen, als gäbe es zwischen Querllo und der negativen Magie nicht die Spur einer Verbindung. In Wirklichkeit war der Lichtmagier jedoch eher ein Typ, der zwischen diesen beiden Richtungen stand – und das galt für die überwältigende Mehrheit der Magier von Oth. Es hatte nur wenige gegeben, die nie eine Möglichkeit gehabt hatten, sich frei für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Jarsynthia, Wortz und Karsjanor zum Beispiel waren rein negativ veranlagt. Sie hätten sich selbst dann nicht grundlegend ändern können, wenn sie es gewollt hätten. Bestenfalls wäre es ihnen gelungen, einen halbwegs neutralen Standpunkt einzunehmen. Ähnliches galt für Koratzo und Kolviss, nur waren sie positiv veranlagt. Auch die Feldermagierin Rischa gehörte dazu und eine
Handvoll anderer, die aber im Augenblick keine so wichtige Rolle spielten, daß Koratzo sich ohne Umschweife mit ihnen hätte beschäftigen müssen. Kolviss hatte weder den Willen noch den Mut dazu aufgebracht, sich offen zur positiven Magie zu bekennen. Er wählte eine verschwommene Neutralität. Manchmal war es mit ihm durchgegangen, und er hatte Koratzo in Situationen unterstützt, in denen er sich damit bereits in Schwierigkeiten bringen mußte. Sobald alles vorüber war, kehrte er zu seiner alten Position zurück. Koratzo hatte das alles schon seit langem gewußt, diesen Tatsachen aber keine besondere Bedeutung beigemessen und im übrigen die Entscheidung der Betroffenen respektiert. Erst der Schwarzschock hatte ihm bewußt gemacht, daß durch die unterschiedliche Veranlagung der Magier zusätzliche Probleme entstanden. Der Dunkle Oheim konnte nicht gewußt haben, daß die negativen Magier aus der Barriere von Oth verbannt worden waren. Es hatte in der Geschichte dieses Gebirges nur einmal mehr als vierhundertfünfzig Magier gegeben, und sie hatten sich auf eine höchst erschreckende Weise selbst dezimiert – oder, besser ausgedrückt, die Beschaffenheit der Berge hatte dafür gesorgt, daß die überzähligen Magier verschwanden. Seitdem war die Zahl der Magier in sehr engen Grenzen konstant geblieben. Diejenigen, die gelegentlich als Repräsentanten zur FESTUNG gingen, waren fast ausnahmslos Vertreter der negativen Magie gewesen. Die SchwarzschockEnergie war zweifellos so berechnet, daß sie zur Beeinflussung von vierhundertfünfzig Magiern reichte. Aber nicht alle mußten – wenn die Verhältnisse noch so gewesen wären, wie man es aus der Vergangenheit kannte – wirklich voll beeinflußt werden. Diejenigen, die negativ veranlagt waren, konnten nicht mehr negativer werden. Sie hätten höchstens beginnen können, ihre Möglichkeiten nunmehr, da die anderen Bewohner von Oth ihnen keinen Widerstand mehr leisteten, voll
auszuspielen. Koratzo wußte nicht, wie gut oder schlecht der Dunkle Oheim gerade über die Magier von Oth informiert war, aber er war mit Copasallior im Archiv des Schreckens gewesen und konnte sich lebhaft vorstellen, daß man in der Schwarzen Galaxis auf umfangreiches Datenmaterial zurückgreifen konnte. Sicher war auch bekannt, daß die negativen Magier Gegenspieler mit genau umgekehrter Veranlagung hatten. Wenn der Schwarzschock den gewünschten Erfolg bringen sollte, dann mußten vor allem diese Gegenspieler beeinflußt und umgepolt werden. Und genau das war geschehen. Koratzo hatte schon nach kurzer Zeit gemerkt, daß nicht nur seine Einstellung der Magie gegenüber verändert worden war. Er hatte darüber hinaus einen Anstieg seiner Kräfte und Fähigkeiten verzeichnet. Anfangs waren ihm Fehler unterlaufen, die ihn beunruhigten, weil er noch nicht wußte, daß er vorsichtiger mit seinen Kräften umgehen mußte, wollte er keine Überreaktionen erzielen. Zuerst hatte er angenommen, daß es den anderen genauso ginge. Der Kampf mit dem Weltenmagier hatte ihn eines Besseren belehrt: Copasallior hatte nichts dazugewonnen. Daraufhin entschloß sich der Stimmenmagier, sich selbst als Ausnahme zu sehen. Erst als er im Tal der Schneeblume auf Rischa traf, erkannte er die Wahrheit. Seine Kräfte wuchsen immer noch. Besonders dann, wenn er sich in der Barriere aufhielt, spürte er, wie die SchwarzschockEnergie auf ihn überging und seine Fähigkeiten sich steigerten. Er wußte, daß es dem Traummagier und den anderen positiven Veranlagten nicht anders erging. Solange der Abstand zwischen ihm und ihnen ungefähr gleich blieb, hätte ihn das nicht sehr beunruhigen können, aber es gab Anzeichen dafür, daß er selbst sich den Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit näherte. Er durfte nicht riskieren, daß Kolviss ihn einholte und ihm ebenbürtig wurde. Bevor es dazu kam, mußte er den Traummagier vernichten – ihn,
und danach alle anderen ehemals rein positiven Magier. Unglücklicherweise mußte Koratzo sich trotz all der Macht, die er dazugewonnen hatte, gewissen Gesetzmäßigkeiten beugen. Das Gleichgewicht der magischen Kräfte in der Barriere von Oth war aufs höchste gefährdet. Wenn es zusammenbrach, verlor auch Koratzo die Unsterblichkeit, genau wie alle anderen Magier, und er gehörte zu denen, die einen solchen Vorgang nur um wenige Stunden, bestenfalls ein oder zwei Tage überleben würde. Er durfte seine Feinde nicht einfach töten, sondern er mußte dafür sorgen, daß ihre magischen Energien erhalten blieben und in genau berechneter Dosierung an die Berge von Oth abgegeben wurden. Wenn er aber Kolviss schon nicht umbringen konnte, so wollte er ihn doch wenigstens kaltstellen, bis er eine endgültige Lösung für das Problem gefunden hatte. Es gab in der Barriere von Oth einen Ort, an dem man jeden noch so mächtigen Magier einsperren konnte. Um einen Magier gefangenzuhalten, brauchte man mehr als vier Wände und eine stabile Tür. Es gab nur diesen einen Ort, der alle Anforderungen erfüllte: Die Verliese am Skatha‐Hir. Koratzo wollte Kolviss dorthin bringen. Zu diesem Zweck hatte er den haarsträubenden Vorschlag gemacht, der die anderen so sehr in Unruhe versetzte. Er hatte im Tal der Schneeblume bewiesen, daß es ihm ohne weiteres möglich war, sämtliche Magier unter seinen Einfluß zu zwingen – die vier Mächtigen hätte er ebenfalls dazu bringen können, daß sie sich ihm unterwarfen. Allerdings waren dort alle Magier an einem Fleck versammelt gewesen. Trotzdem – nachdem er seinen angeblichen Plan preisgegeben hatte, würden alle, vor allem Kolviss, annehmen, daß er sich gute Chancen ausrechnete. Kolviss war ein Meister der Beeinflussung. Er würde alles daransetzen, um zu beweisen, daß er den Stimmenmagier auf diesem Gebiet schlagen konnte. Nach den letzten Ereignissen mußte er jedoch zu dem Schluß kommen, daß es besser war, wenn er seine Kräfte noch einmal auffrischte, ehe er sich auf das Spiel um die
Macht einließ. Es gab nur einen Ort, an dem er diese Vorbereitungen durchführen konnte: Die Große Barriere. Kolviss hatte nicht die Möglichkeit, sich einfach von einer Umgebung zur anderen zu versetzen. Er konnte nicht einmal einen Zugor bedienen oder ein Yassel benutzen, denn sein medusenhafter Körper eignete sich nicht dazu. Wahrscheinlich würde er einen der von ihm beeinflußten Magier dazu bringen, ihn zu begleiten und zu transportieren. Aber auch dann würde er wesentlich später eintreffen als Koratzo, der es in der Handhabung seiner kristallenen Flugscheibe inzwischen zu wahrer Meisterschaft gebracht hatte. Der Stimmenmagier hatte jedenfalls ausgerechnet, daß ihm genug Zeit blieb, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Mit Höchstgeschwindigkeit näherte er sich seiner Wohnhalle in der Tronx‐Kette. * Als er am späten Abend sein Ziel erreichte und die Kristallscheibe sanft vor der Wohnhalle aufsetzen ließ, hatte er für einen Augenblick das Gefühl, als hätte irgend etwas in der Barriere sich verändert. Er blieb sekundenlang stehen und lauschte. Es war noch stiller als sonst. Selbst als er seine magischen Sinne zu Hilfe nahm, hörte er nichts als das Rauschen des Wassers und der Bäume, das Singen des Windes und die vielen kleinen Geräusche, die die Berge selbst und die in diesem Gelände lebenden Tiere verursachten. Weit und breit schien sich kein einziger Magier aufzuhalten – wenigstens keiner, der auch nur einen Ton von sich gab. Als er dann doch etwas hörte, erschrak er beinahe, so unerwartet traf es ihn. Er vernahm Islars Stimme. »Heix!« sagte sie. »Schläfst du? Willst du nicht lieber hineingehen?
Es wird kalt in der Nacht.« Und nach einer kurzen Pause: »Dann eben nicht.« Islar – sie war also doch in der Barriere geblieben. Er hatte sich nicht mehr um sie gekümmert, denn er hatte anderes im Kopf gehabt. Später, so hatte er sich vorgenommen, würde er es noch einmal versuchen. Sie hatte ihn vor dem Schwarzschock gemocht, und auch wenn Koratzo genau wußte, daß er sich sehr verändert hatte, so konnte er doch beim besten Willen nicht verstehen, warum sie ihn nun plötzlich zurückwies. Er hatte sie zwar vermißt, war aber zu der Überzeugung gekommen, daß sie sich irgendwo in Pthor ein kleines Revier gesucht hatte. Daß sie in Oth geblieben war, überraschte ihn. Neugierig versuchte er, mehr herauszufinden. Als er erfaßte, womit sie sich beschäftigte, hätte er beinahe laut aufgelacht. Eine magische Maschine wollte sie bauen und damit die Auswirkungen des Schwarzschocks beseitigen – die Idee war absurd, aber auch typisch für Islar. Sie war noch zu jung, um zu begreifen, daß es Dinge gab, an denen sich nichts mehr ändern ließ. Sie würde die Maschine nicht bauen, dessen war er sich sicher. Daran würde sich auch dadurch nichts ändern, daß sie sich den Alterenkel Heix zu Hilfe geholt hatte. Wer sich von diesem Fettwanst Hilfe erhoffte, der war entweder nicht ganz bei Trost oder ungeheuer naiv. Trotzdem würde Koratzo sich um Heix und Islar kümmern, aber nicht jetzt, sondern später, wenn er die Sache mit Kolviss hinter sich gebracht hatte. Der Stimmenmagier verließ endlich die Kristallscheibe und ging auf die Wohnhalle zu. Seine Gedanken galten allein den Dingen, die er erledigen mußte, bevor der Traummagier in der Barriere auftauchte. Er achtete kaum auf die Sperren, die er durchschritt. Erst als er die Tür erreichte und das Siegel berührte, wurde er aufmerksam.
Da war etwas Fremdes. Jemand hatte sich in seiner Abwesenheit an dem Siegel zu schaffen gemacht. Es war zu spät, um zurückzuweichen oder die Tür genauer zu untersuchen, denn die Berührung hatte den magischen Mechanismus bereits in Gang gesetzt: Das Siegel löste sich, und die Tür schwang nach innen. Koratzo reagierte ungeheuer schnell. Nie zuvor in seinem Leben hatte er seine magischen Sperren mit solcher Geschwindigkeit um sich herum errichtet. Trotzdem war es schon fast zu spät. Grelles Licht schoß auf ihn zu, und seine Sperren, die noch nicht die volle Stärke erreicht hatten, flammten auf. Koratzo wurde von der Tür weggeschleudert, überschlug sich in der Luft und landete auf allen vieren am Rand der Schlucht. In dem Augenblick, in dem seine Hände den Boden berührten, erkannte er, daß es ihn genau in die verkehrte Richtung davongetragen hatte – er kauerte genau in der Falle. Er hatte noch genug Geistesgegenwart, um sich zur Seite zu werfen und seine Sperren zu verstärken, dann schoß das nächste Dutzend Lichtlanzen auf ihn zu, und er wurde zum Mittelpunkt einer Serie von lautlosen Entladungen. Trotz der Sperren drang mehr als genug zu ihm durch. Er wurde gerüttelt und geschüttelt, bis jeder Muskel und jeder Nerv in seinem Körper vibrierte. Es war, als wollte ihm das Fleisch von den Knochen fallen. Die Hitze sengte ihm die Haare an, und die grelle Helligkeit machte ihn fast blind, obwohl er die Augen geschlossen hielt. Er konnte nichts mehr hören, weil auch seine Trommelfelle vibrierten und in seinem Kopf ein Dröhnen erzeugten, als laufe der Heraskawanu auf seinen mehr als fünfzig antimagischen Stelzenbeinen darin herum. Selbst das Denken fiel ihm schwer. Er glaubte zu spüren, wie sein Gehirn sich in einen funktionsunfähigen, schmerzenden Klumpen verwandelte. Durch all diese Qualen drang plötzlich ganz klar ein Gedanke: Er würde sterben, wenn es ihm nicht augenblicklich gelang, das
Zentrum der Entladungen zu verlassen. Die Erkenntnis erfüllte ihn mit Wut und Haß. Er hatte keine Ahnung, in welcher Richtung die Schlucht lag und wie groß die Entfernung dorthin war, aber ihm wurde auch gar nicht recht bewußt, daß ein Sturz in die Tiefe ihn ebenfalls töten konnte. Er zwang seine vibrierenden, schmerzdurchfluteten Muskeln, sich zusammenzuziehen und wieder zu strecken, und irgendwie gelang es ihm, die Hülle aus Licht und Hitze zu durchstoßen. Blind und taub, am ganzen Leibe zitternd, mit noch immer vibrierenden Muskeln und fast wahnsinnig vor Schmerzen kroch er aus der Falle heraus, bis seine rechte Hand ins Leere tastete. Da wußte er, daß er den Rand der Schlucht erreicht hatte. Es gelang ihm noch, sich ein Stück zur Seite zu bewegen, dann brach er zusammen. * Querllo hatte sich nicht mehr gerührt, seitdem er in sein Versteck zurückgekehrt war. Regungslos saß er in dem Zugor. Über ihm wölbte sich grauer Fels, und um ihn herum wisperte der Wind in den schmalen Blättern der Sträucher, die ihn zusätzlich vor neugierigen Blicken schützten. Wer den Lichtmagier in diesem Augenblick gesehen hätte, wäre sich im Zweifel darüber gewesen, ob überhaupt noch Leben in diesem Körper war. Nicht einmal die Augen, die weit offen standen, bewegten sich. Querllo konzentrierte sich völlig auf das, was seine magischen Sinne ihm verrieten. Er war fast fünf Kilometer von Koratzos Wohnhalle entfernt. Wäre er näher daran geblieben, so hätte es geschehen können, daß der Stimmenmagier seine Atemzüge oder die Schläge seines Herzens auffing. Querllo durfte es nicht einmal wagen, eine Verbindung zu seinen Fallen aufrechtzuerhalten, denn auch damit hätte er sich verraten können. Koratzo war kein gewöhnlicher Gegner, und wer gegen ihn
antreten wollte, der durfte sich keinen noch so winzigen Fehler erlauben. Wenn der Stimmenmagier die erste Falle auslöste, würde es ein charakteristisches Echo in der magischen Struktur seiner Umgebung geben. Dieses Echo, das auf so weite Entfernung denkbar schwach war, mußte Querllo auffangen. Die Zeit verging. Es wurde dunkel unter dem Felsen. Querllo wartete immer noch. Ab und zu spürten blutsaugende Insekten den regungslosen Magier auf. Sie konnten ungestört ihren Durst stillen. Eine Spinne begann, ein Netz zwischen dem überhängenden Felsen und dem Kopf des Lichtmagiers zu spannen. Ein Reptil fand heraus, daß Querllo ein guter Ersatz für die sonnendurchwärmten Steine war, die es gerade hatte verlassen müssen. Es schmiegte sich eng an den Hals des Magiers. Und dann, von einem Augenblick zum anderen, sprang diese regungslose Gestalt auf. Das Spinnennetz zerriß, und das Reptil wurde über Bord geschleudert, ohne daß Querllo etwas davon merkte. In fieberhafter Eile sprang er auf den Steuerblock des Zugors und setzte die Flugschale in Betrieb. Das Fahrzeug schoß schräg unter dem Felsen hervor und raste auf die Wohnhalle zu. Koratzo war in die Falle hineingetappt. Es mochte sein, daß er schon jetzt tot war, aber Querllo zog es vor, sich nicht darauf zu verlassen. Es galt, schnell zu sein, denn wenn der Stimmenmagier es noch einmal schaffte, sich zu retten, dann blieben seinem Mörder bestenfalls einige Minuten, um ihn vollends umzubringen. Als er das Versteck verließ, sah Querllo das gleißende Licht am Rand der Schlucht, und er stieß einen triumphierenden Schrei aus. Er wußte sofort, was geschehen war. Koratzo war überrascht worden und hatte es nicht vermocht, den Lichtlanzen hinter der Tür zu widerstehen. Er war zurückgeschleudert worden oder freiwillig ausgewichen und genau in die Richtung geraten, in der Querllo am Rand der Schlucht seine letzte Falle errichtet hatte. Sie hatte es in sich. Die Lichtlanzen, die dort verborgen waren,
trugen besonders viel Energie in sich, und sie entfalteten über viele Sekunden volle Wirkung. Sie hatten außerdem die Eigenschaft, sich im Notfall sogar um ihr Opfer herum zu bewegen und es einzukreisen. Wenn Koratzo in die Nähe der Falle geraten war und nicht sofort hatte davonrennen können, dann mußte er jetzt in einer Hülle mit so vernichtenden Eigenschaften stehen, daß selbst seine Sperren ihn nicht mehr retten konnten. Vor lauter Begeisterung vergaß Querllo, daß man einen Zugor zuerst abbremsen mußte, wenn man ihn zum Stillstand bringen wollte. Er schoß über sein Ziel hinaus und verfluchte das Fahrzeug, während er wütend in einer engen Kurve zum Rand der Schlucht zurückkehrte. Dann sah er Koratzo. Der Stimmenmagier lag regungslos am Rand des felsigen Plateaus, kaum einen halben Meter von der Kante entfernt. Seine Körperhaltung war unnatürlich und verkrampft. Querllo vergaß alle Vorsicht. Er erzeugte eine Lichtwolke und dirigierte sie an den Stimmenmagier heran. Er ließ den Zugor langsam an Koratzo vorbeifliegen und beugte sich weit vor, um besser sehen zu können. Danach suchte er sich einen günstigen Platz zum Landen. Er hatte es plötzlich nicht mehr eilig. Langsam ging er zur Schlucht. Die Lichtwolke wurde schwächer, und er lud sie ungeduldig auf. Nachdenklich sah er auf Koratzo hinab. Irgend etwas hinderte ihn daran, den Magier zu berühren, und in den wilden Triumph, den er im ersten Augenblick empfunden hatte, mischte sich Beklommenheit. Er hockte sich in etwa zwei Meter Entfernung auf den Boden und starrte den Stimmenmagier an. Es gab keinen Zweifel mehr – Koratzo war tot. Querllo wurde sich allmählich der Folgen seiner Tat bewußt. Er dachte an die Speicher am Skatha‐Hir und das gefährdete Gleichgewicht der magischen Energien, und ihm wurde klar, daß
man ihn zur Rechenschaft ziehen würde. Mit wachsender Verzweiflung überlegte er, was er tun mußte, um seine Tat zu vertuschen. 6. Unbeirrbar war Duuhl Larx der Spur gefolgt. Die Impulse, die von Chirmor Flog ausgingen, führten ihn durch die ganze Länge der Barriere, und oft genug war er gezwungen, Umwege in Kauf zu nehmen, denn es zeigte sich, daß das ganze Gebirge in lauter verschieden große Reviere unterteilt war, deren Grenzen selbst für den Neffen des Dunklen Oheims mitunter nicht durchdringbar waren. Noch unangenehmer war es, daß einige dieser Grenzen Chirmor Flogs Impulse verzerrten oder sogar verschluckten. Sein Zorn auf die Magier bekam neue Nahrung. Er nahm sich vor, keine weitere Zeit zu verlieren. Er würde Chirmor Flog töten und die Magier zwingen, ihm die Unsterblichkeit zu geben – was danach kam, darüber konnte er sich später den Kopf zerbrechen. Am Abend des zweiten Tages erreichte er ein Gebiet, in dem es keine hinderlichen Grenzen gab – und wenn doch, so erwiesen sie sich als harmlos für den Neffen – und in dem er die Impulse immer deutlicher und stärker fühlte. Siegessicher schwebte er weiter. Er drang längst nicht mehr so schnell in dieses unbekannte Land vor wie am Anfang seiner Suche, denn er war vorsichtig geworden. Ab und zu hielt er an, um sich völlig auf Chirmor Flog konzentrieren zu können. Bei einer solchen Pause, kurz nach Einbruch der Dunkelheit, spürte er zum erstenmal neben den Impulsen etwas anderes. Er hatte Mühe, es zu verstehen. Als er endlich begriff, was er auffing, rastete etwas in ihm aus. Chirmor Flog wußte, daß er in Gefahr war. Er spürte seinen Mörder immer näher kommen, und er fürchtete sich fast zu Tode.
Duuhl Larx verlor die Beherrschung über sich und die Sphäre, in der er sich befand. Er konnte nichts gegen den Anfall unternehmen. Unter irrsinnigem Gelächter verließ er den Weg, der zu Chirmor Flog führte, und raste auf eine tiefe Schlucht zu. Es wäre der geeignete Augenblick für den Neffen gewesen, sich den Hals zu brechen, aber seine Sphäre war so konstruiert, daß sie im äußersten Notfall gegen die Befehle ihres Insassen handelte und dessen gröbste Fehler ausglich. Auf diese Weise kam Duuhl Larx mit dem Leben davon und fand sich etwas später wieder in der Nähe des schmalen Pfades, erschöpft und ausgelaugt, aber relativ klar im Kopf, was sich darin äußerte, daß er als erstes nachprüfte, wieviel Zeit er verloren hatte. Verblüfft stellte er fest, daß der Anfall nur wenig mehr als eine Stunde gedauert hatte. Das war ungewöhnlich. Im Gegensatz zu seinen sonstigen Erfahrungen auf diesem Gebiet bereitete es ihm diesmal auch keine Mühe, sich wieder auf die Realität einzustellen. Ihm fiel ein, daß er seit zwei Tagen den ersten Anfall erlebt hatte, während es ihm sonst mindestens einmal pro Tag erwischte, seit sein Zustand sich vor einigen Wochen rapide verschlechtert hatte. Und täuschte er sich, oder fühlte er sich wirklich auch körperlich bereits viel wohler? Er fragte sich ernstlich, ob vielleicht schon der Aufenthalt in diesem Land ausreichte, um ihn gesund zu machen. Dann wurde ihm bewußt, daß er Zeit verschwendete. Er suchte nach Chirmor Flog und stellte fest, daß er seinen Gegner fast erreicht hatte. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm zum erstenmal auf, daß der andere Neffe allem Anschein nach keinen Versuch unternahm, sich in Sicherheit zu bringen. Er schien sich überhaupt nicht vom Fleck zu bewegen, und das, obwohl er vor Angst wie von Sinnen war. Duuhl Larx, der gerade wieder hatte vorwärtsschweben wollen, hielt verwundert inne. Was ging da vor? Warum floh Chirmor Flog nicht einfach vor
ihm? Warum empfing er zwar Impulse der Angst, daneben jedoch nichts, was darauf hätte hindeuten können, daß der andere sich zum Kampf rüstete? Stellte man ihm eine Falle? Er kicherte vor sich hin. Wenn diese Vermutung zutraf, dann würden Chirmor Flog und die Magier eine Überraschung erleben. In der Sphäre war er unangreifbar, und er würde gnadenlos alles vernichten, was sich zwischen ihn und Chirmor Flog zu stellen versuchte. Der Gedanke berauschte ihn förmlich, und er erkannte gerade noch rechtzeitig, daß er im Begriff war, sich in einen neuen Anfall hineinzusteigern. Ernüchtert setzte er seinen Flug fort, über dieses wilde, zerrissene Gelände hinweg, durch das sich der absurde Pfad zog. Duuhl Larx versuchte vergeblich, sich vorzustellen, wie ein Wesen beschaffen sein mochte, das diesen Pfad benutzen wollte. Es mußte imstande sein, mehrere Meter senkrecht in die Höhe zu laufen, durch Wasserfälle zu tauchen, Wildbäche zu durchwaten und Bodenspalten zu überwinden, die man eigentlich nur noch überfliegen konnte. Aber er sagte sich, daß die Magier ihre Gründe haben mochten, derartig verrückte Wege anzulegen. Die Ungeduld trieb ihn dazu, die Geschwindigkeit zu erhöhen. Er mußte sich dazu zwingen, einen Rest von Vorsicht zu bewahren. Bisher war er keinem einzigen Magier begegnet, aber er sagte sich, daß sich das schon im nächsten Augenblick ändern konnte. Auch wenn er sich auf seine Sphäre verlassen durfte, mußte er sich in acht nehmen. Die Magier hatten es verstanden, sich und ihr Land unter einem undurchdringlichen Schutzschirm zu verbergen. Wenn sie sich selbst genauso gut abzuschirmen verstanden, konnte auch Duuhl Larx in Schwierigkeiten kommen. Endlich erreichte er jene Stelle, an der er den Pfad verlassen mußte. Es war stockfinster, nur seine Sphäre spendete ihm Licht. Er sah die Felsen in dieser Beleuchtung in seltsamen Farben glühen. Einige waren rot, andere grün, und manche waren durchscheinend.
Dazwischen wuchsen niedrige Kräuter und Büsche, die voller Früchte hingen. Ein noch schmalerer Weg führte in die Tiefe. Er folgte ihm und gelangte in eine Mulde, die von Felsen gesäumt war. Ratlos hielt er an. Chirmor Flog war ihm ganz nahe, das fühlte er, aber er konnte den Neffen nirgends entdecken, und es gab auch um ihn herum nichts, was einem Gebäude glich. Er suchte die Mulde sorgfältig ab und entdeckte schließlich den Eingang zu einer Höhle. »Chirmor Flog!« rief er laut. »Du weißt, wer ich bin und warum ich dich gesucht habe. Komm heraus und stell dich zum Kampf.« Er lauschte. Lange Zeit blieb es still, dann vernahm er ein schwaches Wimmern. »Du bist ein Narr!« rief er sofort. »Komm und kämpfe mit mir. Ich gebe dir eine Chance, dich zu verteidigen.« Aber Chirmor Flog kam nicht. Duuhl Larx schwebte unruhig vor dem engen Eingang auf und ab. Er hätte es vorgezogen, den Neffen ins Freie zu locken, denn er fürchtete, drinnen auf unangenehme Überraschungen zu treffen. Der Eingang war so schmal, daß er Mühe haben würde, sich hindurchzuquetschen, zumal er nicht beabsichtigte, auch nur für den Bruchteil einer Sekunde seine Sphäre abzuschalten. Wenn er zwischen den Felsen steckte, war er für einen Augenblick hilflos, und dieser Gedanke bereitete ihm großes Unbehagen. »Du bist ein Schwächling!« schrie er wütend. »Du bist dumm und feige, Chirmor Flog. Glaubst du, du kannst mir entkommen, indem du dich in diesem Loch verkriechst? Beim Kreis des immerwährenden Lebens, ich schäme mich, daß ich gegen einen Feigling wie dich gekämpft habe!« Der andere Neffe rückte und rührte sich nicht. Nur das schwache Wimmern drang wieder aus der Öffnung zwischen den Felsen. Duuhl Larx verlor die Geduld. Er schob sich ein kurzes Stück in das enge Loch hinein, und plötzlich geriet etwas in den Lichtkreis der Sphäre, etwas, das auf dem Boden des sich nach hinten
vergrößernden Hohlraums lag.
Duuhl Larx hielt an und starrte entgeistert auf dieses Ding, das wie eine sonderbare Pflanze aussah, die man aus dem Boden gerissen hatte. Er sah einen großen Kopf mit zwei Augen, von denen jedes drei verschieden geformte und gefärbte Pupillen hatte, und einem winzigen, zitternden Mund. Unter dem Kopf gab es weder einen Rumpf noch Gliedmaßen, sondern nur ein Gewirr von blassen, wurzelähnlichen Strängen, die sich zuckend zusammenzogen und umeinanderschlangen, als suchten sie einer beim anderen Schutz. »Was ist das?« flüsterte Duuhl Larx. »Eine Falle? Etwas, das mich vernichten soll?« Der zitternde Mund in dem einsamen Kopf oberhalb der Wurzeln öffnete sich, und das dünne Wimmern ließ den Neffen zurückzucken. Dann erkannte er die Wahrheit. »Du bist Chirmor Flog«, sagte er. Er kicherte irre und schlüpfte vollends in die Höhle hinein. »Du bist mein Konkurrent!« fuhr er fort, und sein Kichern steigerte sich zu brüllendem Gelächter. »Ein Krüppel, ein Kopf ohne Körper! Gegen dich habe ich die ganze Zeit hindurch gekämpft. Dich hat der Dunkle Oheim lange Zeit hindurch mit seiner Gunst überhäuft, um mich zu demütigen …« Er war nicht mehr fähig, weiterzusprechen. Er irrte lachend und schreiend durch die Höhle. Die Sphäre bewahrte ihn davor, sich selbst an den steinernen Wänden den Schädel einzurennen. Atemlos hielt er schließlich inne. Er schwebte zu dem Torso und betrachtete ihn, als könne er sich an diesem Anblick nicht sattsehen. »Sag etwas, verehrter Chirmor Flog!« forderte er höhnisch. Der winzige Mund bewegte sich zitternd. Chirmor Flog sprach so leise, daß Duuhl Larx ihn kaum verstand. »Ich«, sagte der Herrscher des Marantroner‐Reviers, »habe zwar keinen Körper mehr, aber dafür ist mein Verstand in Ordnung.« Duuhl Larx stieß einen zornigen Schrei aus und schnellte sich mit seiner Sphäre nach vorne, als wolle er den anderen unter dem
glühenden Gebilde begraben. Im letzten Augenblick riß er sich zusammen. So schnell wollte er das Spiel nicht beenden. »Dein Verstand nützt dir nichts«, verkündete er voller Haß. »Ich werde dich töten. Was für ein unrühmliches Ende für den Herrn von Säggallo! Du stirbst in einer fremden Welt, Chirmor Flog, weit entfernt vom Marantroner‐Revier. Ich wollte, ich könnte deine Gedanken lesen!« »Dein Ende wird noch unrühmlicher ausfallen«, zischte Chirmor Flog, und seine Stimme klang jetzt viel kräftiger. »Ich sterbe nur als Versager, aber dich wird der Dunkle Oheim persönlich töten. Warum kommst du nicht aus dieser Hülle heraus? Ich will wenigstens wissen, wie der Verräter aussieht, dessen Namen man in allen Revieren mit Abscheu nennen wird!« Duuhl Larx lachte höhnisch auf. »Was kann dich das schon noch interessieren!« stieß er hervor. »Was kann es dir schaden?« konterte Chirmor Flog. »Wir sind beides Neffen. Wir kennen das Geheimnis unserer Entstehung. Ich weiß, wie du aussehen müßtest. Wenn du dich noch weiter versteckst – ich glaube, du bist noch schlimmer dran als ich. Ich hatte es niemals nötig, mich zu verbergen.« »Das ist in deinem Fall ein Zeichen von Dummheit«, bemerkte Duuhl Larx. »Jetzt begreife ich, warum deine Untertanen so wenig Respekt vor dir hatten. Wer fürchtet sich schon vor einem Wesen wie dir!« Aus Chirmor Flogs Augen leuchtete der Haß. Er setzte zu einer wütenden Antwort an, riß sich dann aber zusammen. »Einem Wesen wie mir, das seinen Verstand zu gebrauchen weiß«, sagte er gedehnt, »gehorcht man sicher eher als einem verrückten Unsichtbaren.« Duuhl Larx schwieg lange Zeit. Die Sphäre zuckte vor und zurück – der Neffe schwankte zwischen dem Wunsch, seine Rache zu vollziehen und dem Bedürfnis, seinen Triumph bis zur Neige auszukosten.
»Mit dir«, sagte er schließlich, »kann ich mich jederzeit messen.« Er ließ die Sphäre erlöschen. »Ich bin der Sieger!« sagte er. Sie starrten einander an, und ihr Haß wuchs bis zu einem Punkt, an dem er die Grenzen ihres Verstandes zu sprengen drohte. Duuhl Larx verlor die Kontrolle über sich selbst. Er berührte das winzige Gerät, das die Aura der Vernichtung erzeugte. Der Haß explodierte förmlich in seinem Gehirn. 7. Islar kauerte noch immer in dem Felsspalt. Über sich hörte sie ab und zu die Bergschweine. Die Tiere zogen sich jetzt bereits gelegentlich zurück, kamen jedoch in unregelmäßigen Abständen zur Schlucht, um sicherzugehen, daß ihr Gegner sich inzwischen nicht aus dem Staub machte. Die junge Magierin vermied jede Bewegung, wenn die Tiere oben herumschnüffelten. Es war eine Frage der Geduld, und sie wußte, daß sie davon mehr aufbringen konnte als die Bergschweine. Es war bereits nach Mitternacht. Spätestens beim Morgengrauen würden die Tiere sich endgültig verziehen. Als die Schweine sich wieder einmal enttäuscht von der Schlucht entfernten und die Magierin sicher sein konnte, in den nächsten Minuten ungestört zu bleiben, begann sie vorsichtig, sich noch tiefer in die Spalte hineinzuschieben. Sie wollte versuchen, ein wenig zu schlafen, denn dann war die Versuchung, sich zu bewegen und Geräusche zu verursachen, am geringsten. Die Tiere würden Wache halten, bis sie das Interesse verloren. Der geringste Hinweis darauf, daß ihr Gegner noch immer vorhanden war, reichte aus, um ihren Eifer erneut aufzustacheln. Hörten sie dagegen nichts mehr, dann kamen sie allmählich zu der Überzeugung, daß ihr Opfer sich heimlich davongestohlen hatte.
Islar erreichte eine Stelle, an der sie sich lang ausstrecken konnte. Allerdings mußte sie dazu den Kopf unter einen vorspringenden Stein schieben. Es war gerade noch Platz genug, daß sie sich nicht die Nase plattdrückte. Sie machte sich deswegen keine Sorgen. Sie war an solche Unannehmlichkeiten gewöhnt. Sie wußte, daß sie sich im Schlaf weder bewegen, noch Geräusche von sich geben würde. Sie war gerade am Einschlafen, als sie plötzlich das Gefühl bekam, in tödlicher Gefahr zu stecken. Dieses Gefühl war so intensiv, daß sie sich verkrampfte und nur mit größter Mühe das Bedürfnis unterdrückte, aufzuspringen und sich zu wehren. Sie fragte sich, was um alles in der Welt in sie gefahren war. Sie hatte manchmal Angst gehabt, aber nicht diese Sorte, die jetzt auf sie eindrang – eine betäubend starke, panische Furcht, gemischt mit wildem, intensivem Haß. Im nächsten Augenblick wurde dieser Haß so unglaublich intensiv, daß er wie mit Messern in Islars Gehirn schnitt. Sie vergaß, wo sie sich befand, und fuhr in die Höhe – das heißt, sie wollte sich aufrichten, aber der Stein über ihrem Kopf wich um keinen Millimeter von der Stelle. Islar sackte schwer in ihre ursprüngliche Lage zurück. Über ihre Stirn lief Blut. Die Bergschweine, die gerade eben wieder am Rand der Schlucht erschienen waren, hörten einen schwachen Aufschrei und antworteten mit wütendem Grunzen. Islar hörte es nicht mehr. Die Tiere wichen nicht mehr von der Stelle, und als zu allem Überfluß der Geruch nach frischem Blut zu ihnen hinaufdrang, versammelte sich auch der Rest des Rudels. * Kurz vor Mitternacht kam Koratzo wieder zu sich.
Erstaunlicherweise wußte er sofort, was geschehen war, und er rührte sich nicht. Er fühlte sich, als wäre er unter eine ganze Yasselherde geraten. Jeder Muskel, jeder Knochen, jedes Organ schienen ihre eigenen Schmerzsignale in sein Gehirn zu senden, und dieses Gehirn fühlte sich an, als wäre es bis zur letzten Zelle von einem sengenden Feuer erfüllt. Er hatte sich nie zuvor in seinem langen Leben dem Tode so nahe gewußt. Und trotzdem rührte er sich nicht. Er unterdrückte sogar das Bedürfnis, die kalte, nach Schnee duftende Nachtluft tief in seine brennenden Lungen zu saugen. Erst viel später begriff er, daß er dem Schwarzschock sein Leben verdankte. Die positive Denkweise hatte ihn niemals daran gehindert, am Leben zu hängen und um seine Existenz zu kämpfen, aber nur die negative Denkweise verlieh ihm in diesem Augenblick jene Kraft, die ihn am Leben erhielt. Koratzo spürte trotz der Schmerzen einen so unbändigen Haß auf seinen Gegner, daß er fähig war, die Qualen zu ignorieren. Er hatte nie zuvor jemanden so intensiv gehaßt. Er sondierte, so gut es ihm in seinem Zustand möglich war, seine Umgebung. Er spürte, daß jemand bei ihm war. Er wußte, wem er die Fallen und die Schmerzen zu verdanken hatte. Es tat weh, wenn er versuchte, seine magischen Fähigkeiten zu aktivieren. Aber er stellte fest, daß der Schmerz ihn abstumpfte. Nach einiger Zeit fing er die ersten Gedanken auf. Ich stoße ihn in die Schlucht. Die Bestien werden ihn fressen. Wer sollte in ihren Mägen nachsehen? Koratzo empfand es als bitteren Hohn, daß er ausgerechnet bei den Bestien aus der Ebene Kalmlech enden sollte, aber er erkannte auch, daß diese Art der Information ihm nicht weiterhalf. Allmählich gewann er die Fähigkeit zurück, logisch zu denken. Er wußte ungefähr, wo er sich befand. Er lag auf dem Plateau vor seiner Wohnhalle, direkt am Rand der Schlucht. Gut. Dort führte eine Gesteinsader entlang, die heilsame Kräfte in sich trug und mehr
magische Energie speicherte, als es sonst bei den Gesteinen der Barriere üblich war. War er dieser Ader nahe genug? Er hatte, als er fiel, die Hände vor dem Magen verkrampft und sie seitdem nicht bewegt. Wenn er sie flach auf den Boden legte und die Ader unter ihm entlang führte, wenn ihm genug Zeit blieb, Kraft zu schöpfen … Wenn! dachte er verzweifelt. Wie lag er? Konnte Querllo seine Hände sehen? Er versuchte erneut, die Gedanken des Lichtmagiers für sich hörbar zu machen. Er erfuhr, daß Querllo ihn für tot hielt, und es wunderte ihn nicht. Er war selbst erstaunt darüber, daß er noch lebte. Er schwor sich, daß er Querllo diese Qualen heimzahlen würde. Dann erkannte er, wie irrational dieser Gedanke war, und er konzentrierte sich wieder auf sein Vorhaben. Ich könnte ihn auch in den Zugor laden, dachte der Lichtmagier. Wohin bringe ich ihn? Er muß für immer verschwinden. Niemand darf ihn finden. Querllo blickte dabei zu der Flugschale hin, und Koratzo erfuhr auf diese Weise, daß das antimagische Ding sich irgendwo hinter seinem Kopf befinden mußte. Das bedeutete, daß Koratzo selbst mit den Füßen zur Wohnhalle hin lag. Oder doch hinunterstoßen, dachte Querllo weiter. Ein einziger Tritt, ein halber Meter, und ich bin alle Sorgen los. Er lag also tatsächlich direkt auf der betreffenden Gesteinsader. Aber wie stand es mit seinen Händen? Wenn Querllo sah, daß er sich bewegte, war es aus mit ihm. Er hatte niemals Schwierigkeiten gehabt, im übertragenen Sinne mit den Augen eines Gegners zu sehen. Jeder Eindruck, den das Auge erfaßte, wurde in Form von Gedanken reflektiert. Es war eine Sache des Trainings, diese oft sehr flüchtigen, schnellen Gedanken zu erfassen und genauso schnell auszuwerten, wie sie wieder
verschwanden. Als er es jetzt versuchte, lieferte sein malträtiertes Gehirn ihm ein Feuerwerk von grellen Funken. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte aufgeschrien vor Schmerzen. Er überlegte, ob er die Augen öffnen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Es hatte den Anschein, als würde Querllo noch eine Weile brauchen, um zu einem Entschluß zu gelangen. Mit dem Zugor käme ich überall hin, dachte Querllo. Es gibt in Pthor genug Orte, an denen man eine Leiche für immer verschwinden lassen kann. Die Stahlquelle im Blutdschungel zum Beispiel. Oder die kleinen runden Seen beim Wachen Auge. Die Dunkle Region. Die schnellwandernden Dünen in der Wüste Fylln. Nein, das ist alles zu riskant. Jemand könnte mich sehen. Sieh mich an! dachte Koratzo verzweifelt. Denke doch bloß mal ein paar Sekunden lang darüber nach, wie du mich hochheben willst, um mich in den verdammten Zugor zu bekommen! Ich habʹs! dachte Querllo statt dessen. Der Rand! Wenn ich ihn durch die Barriere transportiere, wird mich mit Sicherheit kein Magier bemerken. Ich werfe ihn über den Rand. Von dort ist noch nichts zurückgekehrt! Koratzo raffte seine verbliebenen Kräfte zusammen und versuchte, seine magischen Laute zu formen. Es war ihm völlig egal, welche Sorte es war, ob die der Vernichtung oder jene, die Querllo zum Zwerg hätten schrumpfen lassen, den er mit der bloßen Hand zerquetschen konnte. Der glühende Schmerz in seinem Schädel zeigte ihm, daß er weder das eine, noch das andere fertigbringen würde. Er merkte, daß der Lichtmagier sich unruhig bewegte. Schließlich stand Querllo auf. Er trat an den Stimmenmagier heran und stieß ihn mit dem Fuß an. Um ein Haar hätte Koratzo sich verraten, denn ihm ersten Augenblick fürchtete er, sein Gegner würde alles wieder umwerfen, was er sich gerade überlegt hatte, und ihn doch noch in den Abgrund befördern. Aber Querllo zog den Fuß wieder zurück. »Tot«, murmelte er. »Ich habe Koratzo besiegt. Und ich kann
diesen Sieg nicht einmal feiern. Verdammter Kir Ban!« Koratzo konnte durchaus verstehen, warum der Lichtmagier so wütend war. Hätte Kir Ban den Strahl der Verbannung nicht geschaffen, so hätte man sich auch weiterhin mit der Anwesenheit der negativen Magier um Wortz und Jarsynthia abfinden müssen, und es wäre niemals soweit gekommen, daß schon der Tod eines einzelnen das Gleichgewicht der Kräfte in Gefahr zu bringen vermochte. Erst als Querllo sich wieder ab wandte, begriff Koratzo, daß er eben den lange ersehnten Hinweis erhalten hatte. Querllos Fußspitze hatte ihn im Rücken getroffen! Er hörte, wie der Lichtmagier sich von ihm entfernte und in die Wohnhalle eindrang. Schnell, aber vorsichtig, ließ er die Hände sinken. Er berührte das glatte, kalte Gestein. Fast im selten Augenblick fühlte er, wie die Schmerzen nachließen. Gute alte Berge von Oth! dachte er dankbar. Gebt mir meine Kräfte zurück, damit ich diesen Bastard bestrafen kann! Und die Berge von Oth erfüllten ihre Pflicht, wie sie es seit vielen tausend Jahren getan hatten, wann immer ein Magier ihrer Hilfe bedurfte. * Koratzo saugte die magischen Energien in sich auf wie ein Schwamm das Wasser, und allmählich kehrte ein Teil seiner Kräfte zurück. Er gab sich keinen falschen Illusionen hin – bis er soweit war, daß er wieder einen Kampf bestehen konnte, würde noch viel Zeit vergehen. Selbst wenn er stundenlang auf dieser Gesteinsader hätte liegen können, wäre er dem Lichtmagier nicht gewachsen gewesen. Aber er hoffte auf einen Zufall, der ihm half. Nach einiger Zeit begann er sich zu fragen, was Querllo so lange Zeit hindurch in der Wohnhalle treiben mochte. Hatte er auch dort
Fallen installiert, die er nun beseitigte, um seine Spuren zu verwischen? Der Lichtmagier mußte den Verstand verloren haben, wenn er sich einbildete, auf so leichte Weise davonkommen zu können. Abgesehen davon beging er einen Fehler nach dem anderen. Der größte Fehler bestand darin, daß er seiner Magie blind vertraute. Er rechnete offenbar nicht im Traum damit, daß jemand den Lichtlanzen lebend entkommen könnte. Warte nur! dachte Koratzo. Wenn ich das hier überstehe, dann will ich dir zeigen, wie man so etwas richtig macht. Er an Querllos Stelle hätte den vermeintlich toten Gegner untersucht. Der Lichtmagier hätte nur seine rissigen Hände auf Koratzos Körper legen müssen, um das Leben darin zu spüren. Natürlich wäre das ein Wagnis gewesen, denn manchmal bestanden die Sperren eines Magiers auch noch über dessen Tod hinaus, und dann konnte es geschehen, daß sie zurückschlugen und den Mörder noch im Nachhinein besiegten. Er hörte Geräusche und schob die unnötigen Gedanken zur Seite. Jetzt kam es darauf an, keine Chance zu verpassen. Querllo ging zum Zugor. Die Maschine summte leise auf – der Lichtmagier manövrierte die Flugschale noch näher an Koratzo heran. Als er danach aus dem Zugor stieg, stieß er mit dem Fuß gegen Koratzos Schulter. Der Stimmenmagier spannte sich an. Er wußte, daß ihm nur noch ein oder zwei Sekunden blieben. Er formte in Gedanken die Laute, mit denen er Querllo lähmen wollte, wobei er damit rechnete, daß seine Kräfte noch nicht ganz ausreichten. Wahrscheinlich würde er den Lichtmagier nur für einen Augenblick der Orientierung berauben können. In dieser Zeitspanne mußte er aufspringen und Querllo niederschlagen. Die magischen Kampfregeln waren ihm in diesem Zusammenhang gleichgültig. Querllo bückte sich, und im selben Augenblick drang etwas aus der Gesteinsader, etwas, das fremd und unheimlich war: Koratzo fühlte die panische, von Haß durchsetzte Furcht eines fremden
Wesens. Er hatte es noch nie erlebt, daß eine solche Gesteinsader derartige Gefühle übertrug, aber er kam auch nicht dazu, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er hörte Querllo aufstöhnen und erkannte, daß der Lichtmagier es ebenfalls spürte. Dann verschwand die Furcht, und eine Welle intensiven Hasses überschwemmte die Tronx‐Kette. Der Haß übte eine erstaunliche Wirkung auf den Stimmenmagier aus. Er sprang auf, sah Querllo taumeln und schickte ihm die lähmenden Laute entgegen. Der Lichtmagier hatte beide Hände um seinen Kopf gelegt. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Es schien, als hätte er noch gar nicht bemerkt, daß sein Opfer sich bewegte. Ohne jede Gegenwehr ging er zu Boden. Koratzo stand sekundenlang regungslos da. Noch immer fühlte er den Haß der fremden Kreatur. Es konnte kein Magier sein, der diese Gefühle verbreitete. Aber was war es dann? Chirmor Flog! dachte er. Es war die einzige logische Antwort. Der Neffe war voll von Haß und Bosheit. Die Frage war nur, warum er beides plötzlich in so verschwenderischer Fülle über die Barriere verbreitete. Der Haß verlor sich allmählich. Koratzo stand immer noch neben dem Zugor und lauschte. Es war totenstill in der Barriere. Selbst die Tiere schwiegen. Es war, als hielten die Berge selbst den Atem an. Er sah zum Wölbmantel hinauf, hinter dem die fremden Sterne flimmerten. Unwillkürlich wartete er darauf, daß etwas geschah, etwas Furchtbares, Großes … Nach einigen Minuten bückte er sich, um Querllo zu untersuchen. Der Lichtmagier war bewußtlos und würde es auch noch für einige Zeit bleiben. Haßerfüllt stieß Koratzo ihn an und überlegte, ob er ihn nicht besser sofort tötete. Aber gleichzeitig stieg ein heftiges Schwindelgefühl in ihm auf, und ihm wurde übel. Die Welle von Haß hatte ihm vorübergehend die Kraft verliehen, diesen Kampf zu entscheiden, aber sein Körper konnte die
entstandenen Verluste doch nicht so schnell ausgleichen. Er brauchte Ruhe und etwas Zeit. Zögernd ging er zur Tür der Wohnhalle. Am Eingang sah er deutlich die Spuren, die die Lichtlanzen hinterlassen hatten. Er spähte in den Raum hinein. Das Dumme an magischen Fallen wie denen, die Querllo ausgelegt hatte, war, daß man sie nicht sehen konnte. Er fühlte sich auch völlig außerstande, jetzt dort drinnen herumzusuchen. Wenn er nur ein einzigesmal nicht rechtzeitig reagierte, konnte es geschehen, daß das Blatt sich erneut zu Querllos Gunsten wendete, und es war nicht sehr wahrscheinlich, daß Koratzo noch einmal eine Chance bekommen würde. In dieser Situation fiel ihm Islar ein. Sie hatte ihm zu verstehen gegeben, daß sie ihn nicht mehr sehen wollte. Sie war sehr deutlich dabei geworden – die Wunde an seinem Bein schmerzte ihn bei der Erinnerung daran noch immer. Aber er kannte sie gut genug. Wenn er so bei ihr ankam, verletzt und schwach, dann würde sie ihm helfen. Sie mußte es tun. Wenn sie sich ernsthaft weigerte, mußte er eben doch mit magischen Mitteln gegen sie vorgehen. Islar war noch nicht soweit, daß sie sich gegen seine Art der Beeinflussung wehren konnte. Selbst in seinem derzeitigen Zustand sollte es ihm gelingen, sie gefügig zu machen. Er verließ die Wohnhalle, ging zu einer Quelle, die wenige Meter entfernt aus dem felsigen Boden sprudelte, und füllte einen Becher, den er dort fand. In seinem Gürtel trug er eine kleine Dose mit Sternblumenextrakt bei sich. Er lehrte den ganzen Inhalt in den Becher und wartete, bis das Zeug sich gelöst hatte. Als er den stärkenden, leicht berauschenden Trank in sich hineingeschüttet hatte, wurde ihm etwas wohler. Er kehrte zu Querllo zurück, hievte den kleinen Lichtmagier in den Zugor und band ihn mit einigen Stricken, die in dem Fahrzeug lagen, am Steuerblock fest. Die geballte Ansammlung antimagischer Geräte würde den Lichtmagier zusätzlich schwächen und die Ohnmacht verlängern. Bis zum Mittag des nächsten Tages würde er das
Bewußtsein wiedererlangen, aber bis dahin würde auch Koratzo wahrscheinlich zurückgekehrt sein. Erschöpft ließ sich der Stimmenmagier auf seiner Kristallscheibe nieder. Die Scheibe war mittlerweile so gut auf seine Befehle eingestimmt, daß ein einziger Impuls genügte, um sie vom Boden wegzubringen. Er nahm Kurs auf das ehemalige Revier der Höhlenmagierin Wa, in dem Islar hauste. 8. Heix wartete ungeduldig auf die Rückkehr der Halbmagierin. Als Islar fortging, hatte er keineswegs geschlafen. Er hatte nur keine Lust gehabt, mit ihr zu reden. Er fühlte sich überflüssig, bei Gofruun war es wenigstens so gewesen, daß der Bodenmagier ohne sein Alterenkel das Plasma nicht erzeugen konnte. Damit hatte er Heix stets ein Alibi für sein faules Drohnendasein liefert. Er brauchte den Alterenkel, und Heix fand es nur gerecht, daß Gofruun ihn durchfütterte. Islar dagegen kam offenbar auch ohne den Alterenkel zurecht. Wenigstens bildete sie sich das vorläufig noch ein. Es würde an Heix liegen, sie eines Besseren zu belehren, und er hatte sogleich begonnen, über ein umfangreiches Erziehungsprogramm nachzudenken. Zuerst, das wußte er noch vom Umgang mit Gofruun her, war es wichtig, die Halbmagierin zu verunsichern. Sie fühlte sich dem Alterenkel überlegen und war fest davon überzeugt, daß sie ihn im Grunde nicht brauchte. Sie hatte ihn mitgenommen, weil außer ihm niemand da gewesen war. Als Islar verschwunden war, schlich Heix vorsichtig in die Höhlen hinein. Er kannte die Angewohnheit der Magier, die wertvollsten Dinge verborgen zu halten und lieber allerlei Unannehmlichkeiten
auf sich zu nehmen, als sich ihrer Kostbarkeiten zu bedienen, die durch die Benutzung einen Teil ihrer Kräfte verlieren mochten. Islar hatte ihm gesagt, daß sie keinen Wein besaß, aber sie hatte auch erwähnt, daß diese Höhlen vorher einer anderen Magierin gehört hatten, und es mochte ja sein, daß diese einen guten Tropfen zu schätzen gewußt hatte. Zunächst sah Heix nur einen Haufen Gerümpel. Da waren die Überreste jener magischen Maschinen, die Islar vor der Fertigstellung zerschlagen hatte, und an einer anderen Stelle waren die erbeuteten Teile ausgebreitet. Heix musterte sie aufmerksam, ohne sie zu berühren, kam aber schnell zu dem Schluß, daß sie alle miteinander zur Erzeugung von Wein nicht taugten. Enttäuscht wandte er sich ab und durchstöberte den Hintergrund der ersten Höhle. Bis auf einige große Kristalle fand er nichts. Vorsichtshalber untersuchte er die Kristalle näher, befingerte sie, versuchte, ob sie auf Klopfen oder vorsichtiges Anhauchen reagierten und sprang entsetzt zurück, als zwei von ihnen sich summend von ihrer Unterlage erhoben und auf ihn zugeschwebt kamen. »Geht weg!« rief er. Die Kristalle kümmerten sich nicht um ihn. Sie schwebten an ihm vorbei bis zu einem steinernen Sockel, der aus dem Boden der Höhle ragte, setzten sich zufrieden summend darauf fest und rührten sich nicht mehr. Heix wandte sich verächtlich schnaufend der nächsten Höhle zu. Dort wurde es schon interessanter. Es gab eine ganze Reihe von sehr verheißungsvoll aussehenden Krügen und Töpfen, die, in Regalen nebeneinander aufgereiht, nur darauf zu warten schienen, daß man ihren Inhalt inspizierte, womit Heix auch sofort begann. Der erste Krug war mit einer Wachshaut verschlossen. Dem Alterenkel lief das Wasser im Mund zusammen, als er daran dachte, was sich unter solchen Häuten normalerweise zu verbergen pflegte. Er riß das Zeug auseinander – und schrie empört auf. Aus dem
Krug flitzte etwas heraus, das wie eine aus lauter kleinen Kristallen zusammengesetzte Schlange aussah. »Geh wieder hinein!« forderte der Alterenkel. Die kristallene Schlange ringelte sich auf dem Boden zusammen und zischte ihn böse an. »Tu mir nichts!« stotterte Heix. Aber die Schlange blieb, wo sie war, und sie zog sich zwar nicht zurück, traf aber auch keine Anstalten, den Alterenkel anzugreifen. »Laß mich ja in Ruhe!« sagte Heix. »Wenn du nicht brav bist, werfe ich mit den Krügen nach dir!« Die Schlange schien sich köstlich über ihn zu amüsieren. Sie sah wirklich so aus, als lachte sie. Heix beschloß, das seltsame Tier zu ignorieren. Er öffnete den nächsten Behälter. Diesmal bohrte er nur ein kleines Loch in die Wachshaut. Drinnen begann es sofort zu rumoren. »Oh nein!« sagte Heix grimmig und verstopfte das Loch mit Wachs. »Diesmal nicht!« Er stellte den Krug zurück und warf der Schlange einen triumphierenden Blick zu. Er stutzte. Irrte er sich, oder war das Biest tatsächlich gewachsen? Er nahm den nächsten Behälter. Im nächsten Augenblick war die Schlange bei ihm. Sie ringelte sich um seine Handgelenke und versuchte offenbar, ihn daran zu hindern, diesen Behälter zu öffnen. Der Körper des kristallenen Tieres war eiskalt, und Heix ließ zunächst los, aber dann packte ihn der Zorn. Er griff mutig nach dem Tier und schleuderte es zur Seite. Es schlug auf dem Boden auf und zersprang in mehrere Teile. Zufrieden riß Heix den umkämpften Behälter an sich und öffnete ihn. Er sah eine mattrosa Wolke daraus hervordringen, dann wurde es schwarz vor seinen Augen, und er sank zu Boden. Als er wieder zu sich kam, stand Koratzo vor ihm und musterte ihn mit kalten Augen. Heix erschrak so sehr, daß er sich nicht zu rühren wagte.
»Wo ist Islar?« fragte Koratzo. »Auf der Jagd«, stotterte Heix. Koratzo strich sich mit der Hand über die Stirn. Die Geste wirkte müde und enttäuscht, und der Alterenkel bemerkte endlich, daß es um den Stimmenmagier nicht besonders gut stand. Haar und Kleidung waren angesengt, und im Gesicht und an den Händen saßen häßliche Wunden. »Sie ist bei Einbruch der Dunkelheit weggegangen, nicht wahr?« fragte der Stimmenmagier. Heix wollte nicken, stellte aber entsetzt fest, daß es nicht ging. Er konnte sich überhaupt nicht bewegen. »Hilf mir!« krächzte er entsetzt. »Du bist selbst schuld daran«, bemerkte Koratzo nüchtern. »Warum mußtest du in Was Vorräten herumschnüffeln? Nicht einmal Islar hat diese Sachen angerührt.« »Ich werde sterben!« »Unsinn. Du wirst eine Weile dort liegen, das ist alles. Morgen kannst du wieder gehen. Denke solange darüber nach, was es einbringt, sich in andere Leute Angelegenheiten zu mischen. Wo wollte Islar jagen?« »Ich weiß es nicht. Hilf mir hier heraus, und ich helfe dir, sie zu suchen!« Koratzo drehte sich wortlos um. Heix sah, daß der Stimmenmagier sich zu den Resten der kristallenen Schlange hinabbeugte. »Der Wächter«, murmelte Koratzo. »Dieser Narr hat ihn verletzt. Ich sollte ihm den Hals umdrehen!« Heix zitterte innerlich vor Furcht, und er kämpfte verzweifelt um die Kontrolle über seinen Körper, aber er konnte nicht einmal einen Finger bewegen. Koratzo fügte unterdessen behutsam die Teile der Schlange wieder aneinander. Der Alterenkel erwartete bereits, daß das Tier wieder zum Leben erwachen und sich auf ihn stürzen würde, aber es geschah gar nichts. »Nun gut«, sagte Koratzo nachdenklich. »Damit werde ich mich
später befassen.« Er ging zu einem der Regale, nahm einen Krug, öffnete ihn und trank. Dem Alterenkel quollen die Augen aus den Höhlen. »Ist da Wein drin?« fragte er. Koratzo antwortete nicht, sondern verließ die Höhle in der Richtung, in der es tiefer in den Berg hineinging. Als er wieder zum Vorschein kam, sah er geradezu furchterregend aus – sein Gesicht und seine Hände waren mit einer grünlichen Paste bedeckt, und dieselbe Paste leuchtete auch durch einige Löcher in der Kleidung des Stimmenmagiers. Aber er fühlte sich offenbar etwas wohler, denn er bewegte sich wieder einigermaßen normal. »Hilf mir«, versuchte Heix es noch einmal. »Ich verspreche dir …« »Sei still!« befahl Koratzo eisig, und dann war er fort. * Es war genau das, was ihm jetzt noch gefehlt hatte. Islars Jagdgewohnheiten waren ihm bestens bekannt. Sie brauchte niemals mehr als eine Stunde, um mit einer Beute zu ihrer Behausung zurückzukehren. Da er gerade an ihre Behausung dachte – Koratzo sah sich an, was daraus geworden war, und er schüttelte verständnislos den Kopf. Den Spuren nach zu urteilen, hätte man zu dem Schluß kommen können, er selbst hätte sich hier betätigt. Er überlegte, was er tun sollte. Nach Islar suchen – das war nicht besonders schwierig, denn sie jagte wahrscheinlich wie üblich unten an der Schlucht der gläsernen Felsen. Darüber hinaus konnte er mit einiger Sicherheit sagen, daß sie in Schwierigkeiten war. Koratzo setzte sich auf seine Kristallscheibe und dachte nach. Er hatte für seine Wunden getan, was ihm unter diesen Umständen möglich war. Islar würde ihm nicht mehr helfen können, denn die anderen Folgen von Querllos Angriff ließen sich nicht so leicht verarzten. Das einzige, was die Halbmagierin ihm
hätte bieten können, war ein sicherer Unterschlupf. Wenn er aber bedachte, daß sie die Höhlen mit einem Individuum wie dem Alterenkel teilte, dann zog er es vor, im Freien zu schlafen. Es war seltsam mit Heix. Manchmal schien es, als hätte er verborgenen Fähigkeiten, die ihn gefährlich und geheimnisvoll machten. Dann wieder benahm er sich wie ein Trottel, der nur Unheil stiften konnte. Er beschloß, Heix zu vergessen und doch nach Islar zu suchen. Wenn er ihr half, änderte sie vielleicht ihre Meinung über ihn. Danach würde er so schnell wie möglich zu Chirmor Flogs Höhle fliegen. Es ließ ihm keine Ruhe, endlich herauszubekommen, was dort geschehen war. Er hatte bis zum Mittag des nächsten Tages Zeit, und an seine Rache konnte er dann immer noch denken. Er stutzte bei diesem Gedanken. Ich werde schon wieder übermütig, dachte er. Ein Zeichen dafür, daß es mir besser geht. Er ließ die Kristallscheibe starten und flog zur Schlucht hinunter. Zu seinem Erstaunen entdeckte er Islar beinahe sofort. Das heißt: Von ihr sah er noch nichts, aber er hörte schon von weitem die wütenden Bergschweine, und es war nicht schwer, daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Als er das getötete Tier entdeckte, wurde sein Verdacht zur Gewißheit. Er beugte sich über den Rand der Scheibe und musterte die Schweine, die ihn noch nicht bemerkt hatten. »Schert euch weg!« befahl er, und wenn er auch noch nicht sehr viel magische Kraft in diese Worte legen konnte, so reichte es doch völlig aus, um die Tiere zu verjagen. Sie rasten davon, als wären Geister und Dämonen hinter ihnen her. Koratzo steuerte die Kristallscheibe über den Rand der Schlucht. »Islar!« rief er. »Wo steckst du?« Er erhielt keine Antwort. Seufzend versuchte er, sie mit seinen magischen Sinnen aufzuspüren. Er fand sie auch nach einigen Minuten und erschrak.
Sie war verletzt, ziemlich schwer sogar. Er hatte große Mühe, sie aus der Felsspalte herauszubekommen, in der sie lag, und dann betrachtete er die Wunde an ihrer Stirn. Jeden anderen hätte eine solche Verletzung nicht gleich außer Gefecht gesetzt, aber auf Islars Stirn saßen acht schwarze Augenperlen, die sehr empfindlich waren. Wenn Querllo bereit gewesen wäre, die Halbmagierin mit seinen seltsamen Händen zu behandeln … Koratzo nahm Kurs auf die Höhlen, in denen Heix lag. Er bettete Islar vorsichtig auf den Boden, dann löste er den Bann, dem der Alterenkel die Lähmung verdankte. »Du wirst auf sie aufpassen!« sagte er zu Heix. »Ich hole Querllo. Wenn du einen Fehler machst …« »Nicht ich, sondern du bist im Begriff, einen Fehler zu begehen!« sagte Heix. Koratzo fuhr hoch und starrte den Alterenkel an. Heix hatte sich nicht verändert, nur seine Augen blickten anders als sonst. »Wie meinst du das?« fragte er vorsichtig. »Was ist in dich gefahren?« »Querllo wird Islar nicht heilen.« »Oh doch!« sagte Koratzo grimmig. »Er wird es tun, denn ich werde ihn dazu zwingen!« »Ich werde ihr helfen!« Koratzo unterdrückte das Bedürfnis, den Alterenkel auszulachen. »Du?« fragte er spöttisch. »Was willst du tun? Ihr Wein einflößen?« Heix würdigte ihn keiner Antwort. Er streckte seine rechte Hand aus und legte sie auf Islars Stirn. Dann nahm er die Hand wieder weg. Koratzo riß die Augen auf. Die Wunde hatte sich bereits geschlossen. Heix lächelte triumphierend. »Siehst du?« sagte er und schnippte mit den Fingern. Islar schlug die Augen auf, blinzelte benommen und erblickte den
Stimmenmagier. Im ersten Augenblick erkannte sie ihn nicht wegen der Flecken in seinem Gesicht, aber dann richtete sie sich ruckartig auf, und ihre Hand glitt an ihren Gürtel. Koratzo wandte sich wortlos ab und ging davon. Er hörte nicht auf das, was hinter ihm geschah. Als Islar begriff, daß der Stimmenmagier eine Bewegung, die ihr in Fleisch und Blut übergegangen war, falsch verstanden hatte, war Koratzo bereits unterwegs zur Höhle des Neffen. 9. Duuhl Larx erinnerte sich sehr deutlich an den Augenblick, in dem er die Aura der Vernichtung aktiviert hatte. Danach jedoch war alles in tiefe Finsternis gehüllt. Als er wieder zu sich kam, entdeckte er, daß er noch immer ohne die Flammenaura war. Hastig schaltete er die Sphäre wieder ein und sah sich erst dann unsicher nach allen Seiten um. Es schien, als sei niemand in der Zwischenzeit in die Höhle gekommen. Duuhl Larx betrachtete Chirmor Flog, der bereits zu zerfallen begann. In einer Stunde würde nur noch Staub von ihm übriggeblieben sein. Er lachte laut auf und verstummte gleich darauf, denn er spürte etwas in sich, was ihn beunruhigte. Er drehte sich langsam im Kreis, bewegte im Schutz der Sphäre seine Gliedmaßen und wunderte sich darüber, wie leicht ihm jede Bewegung fiel. »Was ist das?« fragte er und erschrak abermals. Es war ihm schon beim Lachen aufgefallen – seine Stimme klang viel kräftiger in seinen Ohren. »Ich bin stärker geworden!« flüsterte er. Ein unheimliches Echo antwortete ihm aus der Tiefe der Höhle. »Stärker und gesünder!« Er drehte sich wieder zu Chirmor Flog um, und er fühlte sich
versucht, die Sphäre abzuschalten und die Reste des Neffen zu untersuchen. Gleichzeitig schalt er sich einen Narren. Die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, konnte auf keinen Fall etwas mit dem Tod Chirmor Flogs zu tun haben. Oder doch? Was geschah, wenn ein Neffe des Dunklen Oheims starb? Er starrte Chirmor Flog an und dachte über dieses Problem nach. Er wußte nichts darüber, und seine Unwissenheit erschreckte ihn. Er war stets so sehr damit beschäftigt gewesen, am Leben zu bleiben, daß er über den Tod nicht hatte nachdenken mögen. Vielleicht war das ein Fehler gewesen. Er hätte versuchen sollen, Informationen aus anderen Revieren zu bekommen – aber andererseits war es fraglich, ob die auf diese Weise gewonnenen Kenntnisse ihm in dieser besonderen Situation etwas hätten nützen können. Nie zuvor hatte ein Neffe einen anderen Neffen ermordet. Oder war es doch geschehen, und er hatte nur nichts davon erfahren? Unsicher wich er zurück, schwebte um Chirmor Flog herum und begab sich in den hinteren Teil der Höhle. Er wollte diesen Ort nicht verlassen, ehe er nicht mit sich selbst im Reinen war, aber es war ihm auch plötzlich unangenehm, sein Opfer so nahe vor Augen zu haben. Die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, ließ ihn zwischen Hoffnung und Furcht schwanken. Einerseits fühlte er sich um vieles jünger. Sein Körper und sein Verstand arbeiteten wieder präziser, er erinnerte sich an Dinge, die weit zurücklagen und die er längst vergessen hatte. Er glaubte, wieder völlig normal zu sein und konnte es sich nicht vorstellen, daß er jemals wieder einen dieser Anfälle erleiden würde. Das stimmte ihn fast euphorisch, aber immer wieder mußte er daran denken, daß es sich ebensogut um eine tödliche Falle handeln mochte. Er selbst pflegte sich bisweilen an seinen Gegnern zu rächen, indem er sie in Sicherheit wiegte, ihnen vorgaukelte, das höchste Glück erreicht zu haben – um sie dann niederzuschmettern, wenn sie es am wenigsten erwarteten. Er fürchtete, der Dunkle Oheim
könnte ebenfalls eine Vorliebe für dieses Verfahren haben. Wenn das der Fall war, dann hatte er sicher dafür gesorgt, daß der Mörder eines seiner Neffen eines besonders grausigen Todes starb. Duuhl Larx vernahm ein Geräusch und drehte sich hastig um. Er erstarrte fast in seiner Sphäre. Ein Wesen stand am Eingang der Höhle, ein Zweibeiner, der eine gewisse Ähnlichkeit mit den Verrätern hatte, die jetzt im Land Dorkh ihrem Ende entgegensehen mochten. Der Fremde stand mit dem Rücken zum Eingang da und blickte auf die Überreste des toten Neffen hinab. Dann sah er Duuhl Larx an, und der Neffe hatte das unangenehme Gefühl, daß diese fremdartigen blauen Augen die flammende Sphäre mühelos durchdrangen. »Hast du ihn getötet?« fragte der Fremde. Duuhl Larx wollte bereits die Aura der Vernichtung ausdehnen, um dieses Wesen, das die Tat entdeckt hatte, ebenfalls auszulöschen, als ihm etwas zu Bewußtsein kam, was ihn diesen Plan vergessen ließ. Der Fremde hatte in Gonex gesprochen! »Woher kennst du diese Sprache?« fragte er, und er merkte erschrocken, daß seine Stimme viel zu schrill klang. »Woher weißt du, daß ich sie spreche?« Der Fremde machte eine abfällige Handbewegung. »Ich bin Koratzo, der Stimmenmagier«, antwortete er selbstbewußt. »Ich beherrsche die Sprachen aller Völker, die jemals mit Pthor in Berührung gekommen sind. Du hast in der Sprache gedacht, die du Gonex nennst. Du bist der Neffe Duuhl Larx aus dem Rghul‐Revier.« Duuhl Larx fragte sich, ob dieser Magier ahnte, in welche Gefahr er sich mit seinen unbedachten Äußerungen begab. An seiner Stelle hätte der Neffe die Beine in die Hand genommen und wäre davongerannt, bis an das andere Ende von Pthor oder doch wenigstens so weit, wie seine Kräfte reichten. Koratzo lachte bitter auf.
»Du kannst mir keine Angst einjagen«, bemerkte er. »Nicht nach dem Kampf, den ich gerade hinter mir habe. Außerdem ist das Gerät, das du da benutzt, ein halbmagisches Erzeugnis. Du könntest keinen von uns damit töten.« »Meinst du?« fragte Duuhl Larx grimmig und dehnte die Aura der Vernichtung aus. Zu seinem Entsetzen blieb Koratzo ganz ruhig stehen. »Da siehst du es«, sagte er nach einigen Sekunden. »Spare deine Energie. Was willst du in der Barriere von Oth?« Die Erkenntnis, daß er den Magier nicht zu töten vermochte, ernüchterte den Neffen, aber er überwand die Enttäuschung schnell. Hatte er nicht bereits einen Teil seiner Ziele erreicht? Er war wieder gesund, er war stark – alles, was ihm nun noch fehlte, war die Unsterblichkeit. Koratzo zuckte leicht zusammen, dann lachte er. »Du bist ein Narr, Duuhl Larx«, murmelte er. »Die Unsterblichkeit erwirbt man sich, indem man zum Magier wird.« »Dann lerne ich es!« rief der Neffe trotzig. »Das kannst du nicht.« »Ich bin der Herrscher über das Rghul‐Revier …« »Vergiß es«, empfahl der Magier. »Es nützt dir nichts. Es hätte nicht einmal einen Sinn, dir zu erklären, was dir alles fehlt und warum du dieses Ziel nicht erreichen kannst. Aller Reichtum der Schwarzen Galaxis kann dir in diesem Fall nicht helfen, und selbst ein Befehl vom Dunklen Oheim könnte die Gesetze nicht ändern, nach denen diese Vorgänge ablaufen.« Duuhl Larx starrte den Magier an. Er sah ein vergleichsweise kleines, zerbrechliches Wesen, das von einem schweren Kampf gezeichnet war. Die Kleidung des Magiers war zerrissen und versengt, von seinem Gesicht bröckelte eine grüne Masse ab, die Hände waren mit Brandwunden bedeckt. Wie konnte ein solches Wesen es wagen, in diesem Ton mit einem Neffen des Dunklen Oheims zu reden?
»Ich werde mit anderen Magiern reden!« zischte Duuhl Larx. »Mit denen, die mächtig sind und die wirklich etwas zu bestimmen haben …« »Ich bin der mächtigste Magier in diesem Land!« Der Neffe verstummte. In seinem Gehirn rastete etwas aus. Es gab keinen Beweis dafür, daß Koratzo ihm die Wahrheit sagte, aber das spielte jetzt auch gar keine Rolle mehr. Er würde die Unsterblichkeit bekommen. Wenn die Magier sie ihm nicht freiwillig gaben, so würde er sie sich eben mit Gewalt holen, und er wollte jetzt gleich damit anfangen. Der Aura der Vernichtung mochte dieses Wesen gewachsen sein. Aber sein Aussehen allein bewies, daß es nicht unverwundbar war. Es hatte Verletzungen davongetragen, und diese Verletzungen waren durch Hitze entstanden – so gut kannte Duuhl Larx sich zumindest aus, daß er Wunden dieser Art beurteilen konnte. Nun – Hitze als Waffe stand auch ihm zur Verfügung. Er schwebte auf Koratzo zu. Der Magier sah ihn kommen und verzog sein von der bröckeligen Masse entstelltes Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. »Gib dir keine Mühe«, sagte er. »Du wirst mich nicht erreichen.« Duuhl Larx schwebte weiter – und dann brach Koratzo wie vom Blitz getroffen zusammen. Es ging alles so schnell, daß Duuhl Larx die Sphäre gerade noch im letzten Augenblick stoppen konnte. Er starrte auf den Magier hinab, den er noch längst nicht mit der heißen Hülle der Sphäre berührt hatte, und im nächsten Augenblick ging etwas wie ein Schlag durch seinen Körper. Er schrie auf vor Wut und Schrecken, denn er dachte bereits, daß diese Kreatur es gewagt hätte, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Dann spürte er, daß dieser Schlag eine ganz andere Bedeutung besaß, und er verstummte. Vorsichtig zog er sich ein wenig zurück. Obwohl er sich sehr behutsam in der Sphäre bewegte, wäre er beinahe gegen die Wand geprallt. Er begriff, daß er von nun an noch besser aufpassen mußte.
Gleichzeitig überfiel ihn das Bedürfnis, es auf dem direkten Weg auszuprobieren. Unsicher blickte er zu Koratzo hin. Der Magier regte sich immer noch nicht. Duuhl Larx schwebte in den hinteren Teil der Höhle, und nach einem letzten Blick auf den Magier schaltete er die Sphäre aus. Er sah an sich herab – selbst äußerlich glaubte er jetzt bereits eine Veränderung zu bemerken. Er sah einen großen Stein auf dem Boden liegen, bückte sich blitzschnell, hob ihn auf und schmetterte ihn gegen eine Wand. Der Stein zersprang in unzählige Splitter. Duuhl Larx stand ganz still da, und die Erkenntnis, daß seine Stärke abermals gewachsen war, betäubte ihn fast. Ein schwaches Stöhnen brachte ihn zur Besinnung. Hastig schaltete er die Sphäre ein und kehrte zu dem Magier zurück, der gerade erst wieder zu sich kam und ihn offenbar nicht ohne die flammende Hülle gesehen hatte. »Du warst zu siegessicher«, sagte Duuhl Larx höhnisch. »Ich hätte dich mit Leichtigkeit töten können.« Koratzo richtete sich langsam auf. Er blickte den Neffen an, und Duuhl Larx stellte beunruhigt fest, daß sich irgend etwas verändert hatte. Ein fremder Ausdruck lag in den blauen Augen. »Ich wollte, du hättest es getan!« sagte Koratzo leise. »Du hättest diesem Land keinen größeren Gefallen tun können. Hole es nach, Duuhl Larx. Komm und töte mich!« * Der Neffe schwebte unruhig auf und ab, dann zog er sich wieder ein Stück zurück, und Koratzo erkannte resignierend, daß er den falschen Weg gewählt hatte. Er hätte sich auf Duuhl Larx stürzen und einen Angriff vortäuschen sollen. Einer solchen Herausforderung konnte der Neffe nicht widerstehen, und er hätte zugeschlagen. Auf eine Bitte dagegen würde dieses Wesen nie in der
Weise reagieren, wie der Bittsteller es sich wünschte. »Was ist denn auf einmal in dich gefahren?« erkundigte Duuhl Larx sich mißtrauisch. Koratzo antwortete nicht. Er wußte selbst nicht genau, was geschehen war, denn er war noch zu benommen von dem Schock der Erkenntnis. Er wollte auch nicht unbedingt den Rest der Wahrheit erfahren, denn was er bis zu diesem Augenblick wußte, das reichte ihm vollauf. Er stand langsam auf, drehte dem Neffen achtlos den Rücken zu und verließ die Höhle. Er hörte, daß Duuhl Larx ihn aufforderte, zu bleiben und ihm Rede und Antwort zu stehen, aber er kümmerte sich nicht darum. Mit schleppenden Schritten ging er den Weg entlang, der zur Schlucht führte. Der Abgrund lag nur ein kurzes Stück entfernt, aber in diesen Augenblicken wünschte er sich, der Boden hätte sich direkt unter seinen Füßen aufgetan, um ihn zu verschlingen. Mit jedem Schritt wurden die Erinnerungen an das, was er getan hatte, deutlicher, und er stöhnte auf und ging schneller. Es gab nur eine Möglichkeit, der tiefen Scham und der Schande zu entkommen: Er mußte sterben, und zwar jetzt gleich, ehe er in die Versuchung geriet, für sich selbst Entschuldigungen zu erfinden. Ehe auch jemand etwas erfuhr. Unsinn, dachte er müde. Die anderen sind immer noch in diesem negativen Zustand. Sie finden es völlig normal, andere Wesen zu quälen und zu demütigen. Wie, um alles in der Welt, hat es nur soweit kommen können? Haben wir denn alles vergessen? Offenbar war es so. Aber was die anderen taten, ging ihn jetzt nichts mehr an. Er war zu allererst für sich selbst verantwortlich. Die anderen hatten sich schließlich auch nicht selbst zu Wächtern der positiven Magie aufgeworfen, und wenn sie die Regeln brachen, so war das nur ein Verstoß gegen etwas, woran sie sich zwar im allgemeinen gehalten hatten, was sie aber niemals für alle Ewigkeit zum unumstößlichen Gesetz erheben wollten. Er selbst dagegen …
Er ging noch schneller. Er versuchte, seine Gedanken auszuschalten und sich nur noch auf den Abgrund zu konzentrieren, der vor ihm lag. In seinem Gehirn bohrte beharrlich der Gedanke, daß er einen Fehler machte, aber er wehrte sich verbissen gegen alles, was nicht unmittelbar mit dem Weg, den er gehen wollte, in Zusammenhang stand. Endlich erreichte er sein Ziel. Er sah die Dunkelheit vor sich, aus der sich weit entfernt, auf der anderen Seite der Schlucht, der Skatha‐Hir erhob. Der Anblick ließ ihn an Kir Ban denken, an seinen Vater, der der mächtigste unter allen negativen Magiern gewesen war. Koratzo hatte selbst geholfen, Kir Ban unschädlich zu machen – er hätte es sich niemals träumen lassen, daß er eines Tages in die Fußstapfen dieses Verbrechers treten würde. Immerhin aber würde man ihn nicht bestrafen – er zog es vor, diese Angelegenheit selbst zu bereinigen. Als er den letzten Schritt tun wollte, tauchte etwas grell Leuchtendes vor ihm auf. Er blinzelte verwundert, dann erkannte er, wer sich ihm in den Weg stellen wollte. »Laß mich in Ruhe!« bat er. »Mit Vergnügen«, antwortete Duuhl Larx. »Aber erst, wenn du meine Fragen beantwortet hast!« Koratzo verschwendete keine Zeit mit weiteren Überredungsversuchen, sondern formte ein paar magische Laute, die den aufdringlichen Neffen hätten vertreiben sollen. Duuhl Larx wich nicht von der Stelle. »Verschwinde endlich!« schrie der Magier zornig. »Du hast mich die Wahrheit erkennen lassen, und ich bin dir dankbar dafür, denn ohne dich hätte ich noch mehr Unheil angerichtet. Aber jetzt laß mich mit Anstand sterben!« »Was ist mit dir passiert?« fragte Duuhl Larx ungerührt. »Warum hast du dich verändert? Ich fühle mich kräftiger seit diesem Augenblick.« »Das wundert mich nicht«, stieß Koratzo hervor. »Die
Schwarzschock‐Energie stammt schließlich vom Dunklen Oheim. Einem Neffen wie dir muß sie großartig bekommen.« »Schwarzschock‐Energie«, wiederholte Duuhl Larx aufmerksam. »Was ist das?« »Das, was uns negativ machte.« »Aha«, bemerkte der Neffe sanft und schwebte dichter an Koratzo heran. »Du solltest ein paar Schritte zurückweichen, sonst wirst du noch ein paar Wunden dazubekommen.« »Das kann mich nicht zurückhalten«, antwortete der Magier verbissen und versuchte an dem Neffen vorbeizukommen. Aber Duuhl Larx handhabte seine Sphäre geschickter denn je zuvor. Er schob Koratzo förmlich vor sich her und drängte ihn in einen Winkel zwischen hohen Felsblöcken, wo er nach keiner Seite mehr ausweichen konnte. »So«, sagte Duuhl Larx freundlich. »Nun wirst du antworten müssen.« Koratzo stellte fest, daß er in der Falle saß. »Was willst du wissen?« fragte er resignierend. »Alles!« forderte der Neffe. »Wie kam es zu diesem Schwarzschock?« Koratzo setzte sich auf den Boden und sah die leuchtende Kugel hoffnungslos an. »Wir holten Chirmor Flog zu uns«, erklärte er leise. »Er war krank, und wir wollten ihm helfen. Aber der Neffe war mit einer bösen Kraft aufgeladen worden, die sich von ihm löste, als er sich in der Barriere befand. Diese Kraft verteilte sich auf alle Magier und machte sie negativ. Wir vergaßen unsere Gesetze und begannen, um die Macht in Pthor zu kämpfen.« »Das reicht fürs erste«, meinte Duuhl Larx. »Die Einzelheiten kannst du später erzählen.« Koratzo zuckte zusammen, aber Duuhl Larx fuhr ungerührt fort: »Das war also der Schwarzschock. Durch ihn wurdet ihr so, wie ihr eigentlich immer hättet sein sollen. Ich verstehe nicht, warum ihr
in diesem Zustand nicht bereit wart, mit mir zusammenzuarbeiten.« Koratzo sah ein, daß ihm nichts anderes übrigblieb, als auch die weiteren Fragen des Neffen zu beantworten, und er berichtete von Islars Maschine und den Folgen, die diese Manipulationen gehabt hatten. Während er sprach, tauchten Gedanken in seinem Gehirn auf, die er zunächst zu verdrängen versuchte, aber sie erwiesen sich als äußerst hartnäckig. Islars Maschine – die Idee, die Schwarzschock‐Energie dem Neffen Chirmor Flog wieder zuzuführen, damit die Magier wieder normal, also positiv reagierten! »Was ist oben in der Höhle mit dir geschehen?« fragte Duuhl Larx. »Diese Energie muß auf dich übergegangen sein«, murmelte Koratzo, und seine Gedanken arbeiteten fieberhaft. Direkt vor ihm schwebte der Ersatz für die zerstörte Maschine. Wenn man noch andere Magier mit Duuhl Larx in Kontakt bringen konnte – wurden sie dann auch wieder in das verwandelt, was sie einmal waren? Oder war alles nur auf einen Zufall zurückzuführen, der sich nicht wiederholen ließ? »Das klingt, als könnte es wahr sein«, sagte Duuhl Larx nachdenklich. »Verrate mir eines: Könntest du ein paar Magier herbeischaffen? Ich brauche noch mehr von dieser Energie.« Koratzo hob überrascht den Kopf. Eben noch hatte er darüber nachgedacht, wie er den Neffen zu einem solchen Versuch überreden konnte. Nun unterbreitete ihm Duuhl Larx selbst diesen Vorschlag. War sich der Neffe wirklich darüber im klaren, welche Folgen es haben konnte, wenn er auch die anderen Magier von der negativen Kraft befreite? Der Stimmenmagier fühlte sich hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, nie wieder gegen die Gesetze der positiven Magie zu verstoßen, und der verzweifelten Hoffnung, dieses entsetzliche Unglück, das ganze Pthor betraf, rückgängig machen zu können. Es wäre seine Pflicht gewesen, Duuhl Larx darauf hinzuweisen, daß er
gegen die Interessen des Dunklen Oheims verstieß, wenn er die Magier normalisierte. Aber indem er das tat, hätte Koratzo gegen die Interessen der Pthorer verstoßen – und auch gegen die der positiven Magie, deren Ziel es schließlich nicht war, zur Vertiefung des Elends beizutragen. Wenn er dem Neffen die Wahrheit teilweise verschwieg, konnte er möglicherweise Pthor retten. Diese Erkenntnis gab den Ausschlag. »Ja«, sagte er leise. »Ich kann dir zumindest einen der mächtigeren Magier bringen. Er befindet sich in der Barriere, und er ist mein Gefangener.« »Ist er negativ?« Koratzo lachte verzweifelt auf. »Ja«, murmelte er. »Das ist er wirklich.« »Nun«, sagte Duuhl Larx und tanzte unruhig auf und ab, »du wirst ihn kaum zu mir bringen können, wenn du vorher in diesen Abgrund dort springst.« »Ich werde es nicht tun«, versicherte Koratzo seufzend. »Es war eine dumme Idee. Der Schock hat mich sehr schlimm getroffen.« Vermutlich konnte Duuhl Larx das nicht recht verstehen, und sicher durchschaute er die Motive des Magiers auch sonst nicht genau. Für ihn mußte es ein schrecklicher Gedanke sein, von seinen ganz speziellen Fähigkeiten befreit zu werden. Aber er sprach nicht darüber, und auch Koratzo zog es vor, diese komplizierten Fragen nicht zu diskutieren. Er wartete geduldig, bis Duuhl Larx ihm den Weg freigab. »Ich möchte dich begleiten«, sagte der Neffe. »Nur um sicher zu gehen, daß du nicht unterwegs den nächsten Schock erleidest.« »Das brauchst du nicht zu befürchten«, sagte Koratzo. »Und so leid es mir tut – du kannst mich nicht begleiten. Du würdest auf magische Sperren treffen, die dir Schaden zufügen könnten.« Der Neffe akzeptierte diese Erklärung, und Koratzo flog mit seiner Kristallscheibe davon, geplagt von seinen Erinnerungen und einem schlechten Gewissen, weil er den Neffen belogen hatte. Die Sperren,
die es bei der Wohnhalle gab, waren nach Querllos Überfall völlig wertlos. Die Wahrheit war, daß der Stimmenmagier den Gedanken nicht ertrug; dieses abgrundtief böse Geschöpf könne sich im Kern der Tronx‐Kette häuslich niederlassen. * Querllo war noch immer ohne Bewußtsein, und Koratzo verzichtete wohlweislich darauf, den Lichtmagier aufzuwecken. Er fürchtete, daß Querllo sich gegen das, was ihm bevorstand, zur Wehr setzen könnte. Seine Kräfte reichten zwar schon wieder aus, um sich gegen Nichtmagier zu verteidigen oder sie geringfügig zu beeinflussen, aber auf einen erneuten Kampf mit seinem Freund wollte er es nicht ankommen lassen. Er benutzte den Zugor. Jetzt, im Nachhinein, wunderte er sich über sich selbst, denn er wäre früher nie auf die Idee gekommen, seine Magie für die Kontrolle einer fliegenden Kristallscheibe einzusetzen. Unwillkürlich empfand er tiefen Abscheu gegenüber diesem »Transportmittel«, denn mit dem bloßen Anblick der Kristallscheibe verbanden sich Erinnerungen, die noch jetzt geeignet waren, den Stimmenmagier in tiefe Verzweiflung zu stürzen. Das Morgengrauen zog gerade herauf, als Koratzo mit dem Zugor nahe bei Chirmor Flogs Höhle landete. Duuhl Larx tanzte wie ein ungeduldiger Feuerball heran. »Wo ist er?« rief der Neffe ungeduldig. »Ich bringe ihn dir«, antwortete Koratzo tonlos, denn ihn befiel plötzlich die Angst, daß etwas schiefgehen könnte. Wer garantierte ihm, daß Querllo wirklich als der erwachte, der er einmal gewesen war? Was geschah, wenn die Nähe des Neffen noch ganz andere Folgen hatte? Er würde es sich nie verzeihen können, wenn dem Lichtmagier durch seine Schuld etwas zustieß. Er band Querllo los, trug ihn aus dem Zugor und legte ihn auf
einen weichen Grasflecken. »Geh ein Stück zurück!« forderte Duuhl Larx. »Nun mach schon, worauf wartest du noch?« »Du darfst ihm nicht zu nahe kommen«, warnte Koratzo nervös. »Du könntest ihn sonst verletzen. Wäre es nicht besser, du würdest aus dieser heißen Hülle heraussteigen?« »Können alle Magier meine Gedanken erfassen, solange ich hier drin bleibe?« fragte der Neffe. »Nein.« »Na also. Niemand soll wissen, wie ich aussehe. Und jetzt Schluß mit der Rederei. Geh zurück!« Koratzo kehrte zum Zugor zurück. Beklommen beobachtete er, wie Duuhl Larx sich dem regungslosen Lichtmagier näherte, langsam und vorsichtig. Als Duuhl Larx bis auf etwa fünf Schritte an den Lichtmagier heran war, hielt er an. »Ich spüre es!« schrie er begeistert. »Das ist es – diese Kraft! Ich werde immer stärker! Bringe mir mehr Magier, Koratzo, und sie werden alle so werden wie du!« Der Stimmenmagier hörte den Unterton des Wahnsinns in der Stimme des Neffen, aber er fühlte sich außerstande, Mitleid mit diesem Wesen zu empfinden. Duuhl Larx war immer noch krank, nicht körperlich, aber geistig. Der Neffe zog kichernd enge Kreise um den Lichtmagier, dann wich er plötzlich zurück. »Er gibt nichts mehr her«, stellte er fest. »Wie ist es, wirst du die anderen herschaffen?« »Erst muß ich ihn aufwecken«, erklärte Koratzo. »Du bist mißtrauisch, wie? Du denkst, er könnte den Verstand verloren haben oder etwas in dieser Art?« »Ich will nur sichergehen«, sagte Koratzo ruhig. »Halte dich im Hintergrund, bis ich ihm alles erklärt habe. Er ist ein Lichtmagier, und es wäre möglich, daß er eine Affinität zu deiner Hülle besitzt.«
Dieser Hinweis vertrieb den Neffen erfolgreich aus der Nähe des Zugors. Koratzo wartete, bis Duuhl Larx hinter einigen Felsen verschwunden war, dann ging er zu Querllo, setzte sich ins Gras und formte die Laute, die den Bann aufheben sollten. Es vergingen einige Sekunden, bis die Wirkung eintrat. Es dauerte lange, bis Querllo über den Schock hinwegkam. Am schlimmsten belastete ihn das, was in der letzten Nacht geschehen war, und nur die Tatsache, daß Koratzo überlebt hatte, konnte ihn ein wenig beruhigen. Wenn er aber daran dachte, was inzwischen draußen in Pthor geschah, dann wurde ihm beinahe übel. »Ich kann mich nie wieder in Zbohr oder in Donkmoon blicken lassen«, murmelte er. »Was habe ich diese armen Technos traktiert!« »Hör auf damit«, bat Koratzo. »Laß uns darüber nachdenken, wie wir die anderen in die Barriere und zu Duuhl Larx bringen.« »Sie werden sich wehren.« Koratzo verzog das Gesicht, und die letzten Reste der getrockneten Paste bröckelten ab. Querllo, der bis dahin kaum gewagt hatte, den Stimmenmagier anzusehen, erschrak, als er die Wunden sah. »Ehe du weitersprichst, laß mich das beseitigen«, bot er bedrückt an. »Ich kann das gar nicht sehen. Diese verdammten Lichtlanzen …« Koratzo stellte seufzend fest, daß es geraume Zeit dauern würde, bis Querllo sich von diesem Thema zu lösen vermochte. Eines war klar: Keiner der Negativen würde freiwillig zu Duuhl Larx gehen. Sie würden sich auch nicht so leicht mit einer List anlocken lassen, denn dazu mißtrauten sie Koratzo und dem Lichtmagier zu sehr. »Wir können nicht einmal Duuhl Larx nach Pthor hinausbringen«, sagte Koratzo nachdenklich. »Die Gefahr, daß die Ugharten ihn zu fassen bekommen, ist zu groß. Die Söldner Thamum Ghas werden sowieso viel zu früh Verdacht schöpfen.« »Wir sorgen uns um einen Neffen des Dunklen Oheims«,
bemerkte Querllo bitter. »Wir machen uns Gedanken um seine Sicherheit – wer weiß, was dieses Wesen anstellt, wenn es erst die gesamte Energie in sich aufgenommen hat.« »Wir brauchen ihn vorerst«, stellte Koratzo nüchtern fest. »Wenn alle Magier normalisiert sind, können wir uns über diese Dinge immer noch den Kopfzerbrechen.« Querllo lächelte schief. »Wo fangen wir an?« fragte er. »Bei den Mächtigen?« »Bei denen, die uns zuerst über den Weg laufen«, entschied Koratzo grimmig. Er stand auf und rief Duuhl Larx herbei. Er war bereit, den Handel mit dem Neffen perfekt zu machen. ENDE Weiter geht es in Atlan Band 462 von König von Atlantis mit: Die Negativen von Marianne Sydow