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IN DER SAMMLUNG HEYNE »WESTERN CLASSICS« ERSCHEINEN BERÜHMTE WESTERNROMANE DER KLASSISCHEN AUTOREN DIESER LITERATU...
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IN DER SAMMLUNG HEYNE »WESTERN CLASSICS« ERSCHEINEN BERÜHMTE WESTERNROMANE DER KLASSISCHEN AUTOREN DIESER LITERATURGATTUNG IN MODERNEN TASCHENBUCH-AUSGABEN
Buch: Terrill Lambeth reist mit ihrem Vater in das Gebiet westlich des Pecos Rivers, wo die beiden eine neue Heimat finden wollen. Colonel Lambeth hat eine Rinderherde gekauft und brennt darauf, endlich im Westen leben zu können. Auch seine Tochter hat viele Nächte von dem wilden Land und seiner unendlichen Schönheit geträumt. Doch das Land ist ganz anders, als es sich Colonel Lambeth und seine Tochter vorgestellt haben. Es ist unwirtlich und wild, und die beiden haben große Schwierigkeiten, eine neue Existenz zu gründen. Besonders ein Bandit mit dem Namen Pecos Smith macht ihnen zu schaffen. Dann stirbt Terrills Vater, und sie steht den Gefahren des Westens ganz allein gegenüber.
Autor: ZANE GREY (1872-1939) hat über 60 Westernromane geschrieben. Allein in Amerika beträgt die Gesamtauflage seiner Bücher mehr als 50 Millionen Exemplare. Taschenbuchausgaben dieses wohl berühmtesten Klassikers des amerikanischen Western erscheinen in deutscher Sprache exklusiv bei Heyne.
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Vom gleichen Autor erschienen außerdem als Heyne-Taschenbücher Betty Zane • Band 2049 Der eiserne Weg • Band 2054 In der Prärie • Band 2072 Männer der Grenze • Band 2078 Der Texasreiter • Band 2150 Die letzte Spur • Band 2164 Zwillings-Sombreros • Band 2210 Wildfeuer • Band 2219 Schatten auf der Fährte • Band 2228 Das Greenhorn • Band 2240 Die Weidekönigin • Band 2243 Das Mädchen aus Arizona • Band 2249 Dem Regenbogen nach • Band 2258 Wüstengold • Band 2261 Wirbelnde Wasser • Band 2267 Der singende Draht • Band 2270 Der Schäfer von Guadalupe • Band 2276 Ritter der Weide • Band 2285 Nevada • Band 2288 Der letzte Wagenzug • Band 2305 Kämpfende Karawanen • Band 2309 Das Goldgräbertal • Band 2318 Vollblut • Band 2327 Das Erbe der Wildnis • Band 2336 Majestys Randi • Band 2345 Der verlorene Fluß • Band 2354 30 000 auf dem Huf • Band 2363 Der letzte Präriejäger • Band 2372 Unter dem Tonto Rim • Band 2381 Der geheimnisvolle Reiter • Band 2393 Der Ruf des Canyon • Band 2406 Die Gesetzlosen • Band 2409 Der Wanderer in der Wüste • Band 2414
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ZANE GREY
MÄNNER AUS TEXAS Ein klassischer Western-Roman
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN -4-
HEYNE-BUCH Nr. 2419 im Wilhelm Heyne Verlag, München
Titel der amerikanischen Originalausgabe WEST OF THE PECOS Deutsche Übersetzung von Dr. Hansheinz Werner
Genehmigte Taschenbuchausgabe Printed in Germany 1975 Gesamtherstellung: Zettler, Schwabmünchen ISBN 3-453-20253-8
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1 An jenem Tag, als Theodor Lambeth von seiner Frau erfuhr, daß sie – wenn Gott ihnen weiter wohlgesinnt sei – nun doch den lang ersehnten Erben bekommen würden, klammerte er sich noch einmal an diese Hoffnung mit der Freude eines Mannes, der sein eigenes Glück schwinden sieht und der daran glaubt, daß ein Sohn die einst gehegten, abenteuerlichen Träume verwirklichen könnte – draußen auf den endlosen Texas-Weiden westlich des Pecos River. Noch am selben Tag nannte er den erwarteten Sohn vorzeitig nach seinem einzigen Bruder, an dem er sehr hing: Terrill. Sein Vater hatte jedem von ihnen bei seinem Tod eine Pflanzung vermacht; die eine lag in Louisiana, die andere in Ost-Texas. Terrill hatte sich mit seinen Fähigkeiten durchgesetzt, während Theodor kein Glück gehabt hatte. Und so lag in der Namenswahl also auch etwas Symbolisches. Dann kam das Baby an – aber es war ein Mädchen. Das war die zweite große Enttäuschung in Theodor Lambeths Leben, und zwar die größere. Er konnte sich nie ganz mit diesem – wie er fand – heimtückischen Streich des Schicksals abfinden. Deshalb entschloß er sich, aus der Kleinen einfach einen Sohn zu machen und sie als Knaben aufzuziehen. Auch den vorbestimmten Namen änderte er nicht, obwohl er für ein weibliches Wesen sehr ungebräuchlich war, und er freute sich, als das Mädchen im Laufe der Jahre lauter jungenhafte Eigenschaften entwickelte. Vom fünften Lebensjahr an ließ er sie unterrichten, ihre körperliche Erziehung aber leitete Lambeth selbst, so daß sie es als Zehnjährige mit jedem Jungen aufnehmen konnte. Besonders im Reiten leistete sie Hervorragendes. Terrill konnte nicht nur jedes Pferd reiten, sondern sie verstand es auch, jedes vierfüßige Tier auf der Plantage zu meistern. -6-
Dann kam im April 1861 der Bürgerkrieg. Theodor, der damals Mitte der Dreißig war, bekam ein Offizierspatent, während sein Bruder Terrill als Kriegsfreiwilliger in die Armee der Südstaaten eintrat. Während der Wohlstand des amerikanischen Südens langsam zerfiel, hatte Mrs. Lambeth Terrills Erziehung in die Hand genommen. Immer war sie von ihrem Mann gehindert worden, und sie hatte jene Eigenschaften nicht betonen können, die sie in ihrer Tochter entwickeln wollte. Sie kam aus einer alten Südstaatenfamilie französischer Abstammung, und nach ihrer Eheschließung hatte sie erst erfahren, daß sie nicht die erste Liebe ihres Gatten gewesen war. Stolz und Melancholie sowie ihre Sanftmut und ihre Zurückhaltung waren der Anlaß gewesen, daß sie nur wenig Widerspruch gegen Lambeths eigenartige Erziehungsmethode erhoben hatte. In der langen, verheerenden Kriegszeit versuchte sie dann Terrill alle jene fraulichen Dinge beizubringen, die sie nach ihrer Meinung entbehrt hatte. Terrill war fünfzehn, als ihre Mutter noch vor dem Ende des Krieges starb; sie hinterließ ihrer Tochter ein geistiges Erbe, das weder deren eigene Abenteuerlust noch der Einfluß ihres Vaters völlig austilgen konnten. Lambeth kehrte als Colonel zurück, und er war weniger betroffen über seinen Ruin als Pflanzer, als über den Gesundheitszustand seines Bruders. Terrill war im Feld an einem unheilbaren Leiden erkrankt und lange vor der Kapitulation General Lees im April 1865 entlassen worden. Der Tod seiner Frau – so nahe er ihm ging – und sein wirtschaftlicher Ruin erschienen ihm als Winke des Schicksals, seine Zelte im östlichen Texas abzubrechen und nach der Westgrenze zu ziehen, wo die freie Weide einem Mann, der arbeiten und kämpfen konnte, noch die Möglichkeit bot, sich ein neues Vermögen zu schaffen. Texas war eine Welt für sich. Vor dem Krieg hatte Lambeth bis zum Panhandle im Norden und bis zu den Büffelebenen -7-
zwischen dem Arkansas und dem Red River gejagt, aber er kannte das Land jenseits des Pecos nicht. Er hatte seine eigenen Ideen über die Zukunft dieses Gebietes, und er war vor allen Dingen der Baumwollpflanzung überdrüssig. Das wilde, unbekannte Land westlich des Pecos River schien neue und bessere Möglichkeiten zu bieten. Bei seiner Heimkehr ließ er als erstes die Sklaven frei, die jedoch mit ihrer Freiheit nichts anzufangen wußten. Dann suchte er sich seine Lieblingspferde, einen Wagen mit Ausrüstung und einige Besitzgegenstände aus, von denen er sich nicht trennen wollte. Und schließlich ließ er die Plantage mit allem Inventar versteigern. Allerdings brachte die Auktion nur einen geringen Erlös. Dann war die Nachricht vom Tod seines Bruders gekommen, und die Erbschaft hätte genügt, um weiterzumachen. Aber Lambeth hatte genug von dem ewigen Auf und Ab des Pflanzerlebens. Der Boden war schlecht, und er hatte kein Verlangen danach, es noch einmal zu versuchen. Mit verlockender Kraft zog ihn der ferne Westen an. Lambeth reiste also über den Mississippi nach Louisiana, verkaufte die Hinterlassenschaft seines Bruders und kam ziemlich niedergeschlagen, aber mit dem festen Entschluß zurück, seinen Plan unbedingt auszuführen und eine Ranch jenseits des Pecos River zu gründen. Zwei seiner ehemaligen Sklaven ließen sich im Gegensatz zu den vielen, die auch bei ihm bleiben wollten, nicht abweisen, und er erkannte, was für eine Hilfe sie für ihn bei seinem gewagten Vorhaben bedeuten würden. »Du bist jetzt aber ein freier Mann, Sambo«, gab er zu bedenken. »Ja, Sir, das stimmt schon, aber ich weiß nicht, was ich mit der Freiheit anfangen soll.« Das war ein quälendes Problem, das Sambo mit den anderen Sklaven gemeinsam hatte. Er war ein ernst aussehender, -8-
stämmiger Neger, der aus der Ebene von Nexas gekommen war. Lambeth hatte den zuverlässigen jungen Mann bereits auf seine letzte Büffeljagd mitgenommen, und er war einer der wenigen guten Vaqueros unter den Negern. Er selbst hatte Terrill beigebracht, ein Lasso zu werfen und wie eine Klette auf dem Pferderücken sitzen zu bleiben. Entscheidend für Lambeth war jedoch, daß er dem Mädchen mit einer fast hündischen Treue ergeben war. »Mauree und ich haben geheiratet, Sir, als Sie weg waren, und sie will auch mit. Sie ist eine verdammt gute Köchin, Sir.« Lambeth entschloß sich, das Paar mitzunehmen, aber den Bitten der anderen treuen Neger gegenüber blieb er taub. Am Morgen ihrer Abreise ging Terrill den alten Weg zwischen dem Kanal und den moosbewachsenen Eichen entlang, die das verwitterte Landhaus umgaben. Es war Vorfrühling. Die Luft enthielt den schweren, süßen Duft des Südens; Spottdrosseln sangen ihre melodiösen Lieder; Wiesenlerchen und Sumpfamseln flöteten ihren Abschiedsgesang, bevor sie nach Norden zogen. Der hohe Himmel war strahlend blau, die wohltuende Sonne schien warm und ließ die Tautropfen an den Gräsern wie glitzernde Diamanten auffunkeln. Jenseits der großen Rasenfläche stand eine Reihe baufälliger Häuschen an der Straße, deren leere Fenster trübselig wie erloschene Augen zu Terrill herüberstarrten. Nur noch aus wenigen kräuselte sich bläulicher Rauch zum Himmel. Die glücklichen, tanzenden und singenden Neger waren fort, und ihre weißgetünchten Häuser verfielen bereits. Terrill war traurig, daß sie Abschied nehmen mußte, und doch war sie froh, daß es keine Sklaven mehr gab. Der Krieg war für sie eine große, unverständliche Katastrophe gewesen, und sie hatte nur den einen Wunsch, all das Leid und die Bitterkeit zu vergessen. Als sie schließlich von ihrem letzten Spaziergang am Ufer des Kanals mit den Wasserlilien auf der stillen Oberfläche -9-
zurückkehrte, waren die Pferde schon im Hof, und Sambo trug gerade ihren kleinen, messingbeschlagenen französischen Koffer heraus. »Terrill, was ist da drin?« fragte ihr Vater. »Alle meine kleinen Schätze – wenig genug, Dad. Mein Schmuck, Spitzen, Bilder, Bücher und meine Kleider.« Er musterte sie erstaunt. Wie sie vor ihm stand, die Hosen in die hohen Reitstiefel gesteckt, die kurzen Locken unter dem Sombrero verborgen, hätte kein Mensch sie für etwas anderes als einen schlanken Jungen gehalten. »Kleider, Terrill? Die hättest du getrost hierlassen können; da wo wir hingehen, brauchst du keine Kleider.« »Nie?« fragte sie sehnsüchtig. »Ich glaube kaum. Wenn wir einmal von hier fort sind, bist du für mich mein Sohn Terrill. In dem neuen Land wäre ein Mädchen eine Behinderung – ja, eine Gefahr.« »Dad, ich laufe auch lieber als Junge herum. Aber ich bin doch nun mal ein Mädchen.« »Du kannst ja zu Tante Lambeth gehen«, sagte er streng. »Nein, Dad. Du weißt, wie ich mich nach dem Westen sehne. Und trotzdem ist es traurig, von daheim fortzugehen.« »Das stimmt, Terrill.« Auch Lambeths Blick war wehmütig geworden. »Aber wir haben hier keine Zukunft, wir wollen versuchen, in einem neuen Land Wurzeln zu schlagen und die Vergangenheit zu vergessen. Wenn alles stimmt, was man mir sagt, müssen wir auf unserem Weg gegen mexikanische Pferdediebe und räuberische Comanches kämpfen.« »Puh – es läuft mir eiskalt über den Rücken, wenn ich daran denke – aber ich möchte es doch nicht anders haben.« So brachen sie denn auf und verließen das graue Haus unter den riesigen Lebenseichen. Sambo richtete die sechs freien Pferde aus und ritt hinter ihnen her. Mauree fuhr den großen Wagen, der von den starken Apfelschimmeln gezogen wurde, und Terrill ritt auf ihrem schwarzen Vollblutpferd Dixie. -10-
Als sie nach einer Weile den Rand der Ortschaft erreicht hatten, wo Terrills Mutter begraben lag, blickte sie aus tränenverschleierten Augen zu der Plantage zurück, bis sie nichts mehr unterscheiden konnte. Am Tag zuvor hatte sie schon in einer stillen Stunde vom Grab ihrer Mutter Abschied genommen. An diesem ihr endlos erscheinenden Tag begleiteten Terrill die Erinnerungen an eine glückliche und doch kummervolle Vergangenheit.
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2 Lambeth reiste sehr gemächlich, um dieses neue Land kennenzulernen – dieses Texas, das einst der mexikanische Diktator Santa Ana eroberte, das sich dann von Mexiko losriß und 1837 in den Verband der Union eingetreten war, und von dem er bisher nur den kleinen Teil kannte, der an Louisiana grenzte, und das sich nun als ein neues werdendes Reich nach Norden und Westen dehnte. Er machte Bekanntschaften und schlug sein Lager häufig gerade dort auf, wo der Sonnenuntergang die kleine Gruppe überraschte. Terrill gefiel das. Sambo machte ihr Bett im Wagen, wo sie sich unter dem Leinwanddach sicher und geborgen fühlte. Während es ihr früher viel Spaß gemacht hatte, einen Jungenanzug zu tragen, kam ihr jetzt zum Bewußtsein, daß sie nicht war, was sie zu sein schien, und sie fürchtete, daß irgend jemand über kurz oder lang einmal dahinterkommen könnte. Bald hatte sie sich jedoch an das neue Abenteuer gewöhnt. In Austin blieben sie nur eine Nacht, und Terrill hatte nicht viel Gelegenheit, die Stadt kennenzulernen. Bis jetzt war New Orleans die einzige große Stadt gewesen, die sie gesehen hatte, und die französische Atmosphäre der Gassen mit den alten Häusern hatte ihr gefallen. Von Austin nach San Antonio führte eine verkehrsreiche Straße. Terrill fand es außerordentlich interessant, solange sie auf Dixie ritt und die Rolle einer Zuschauerin spielen konnte. Sie hätte immer so weiter reiten mögen. Als sie jedoch nach San Antonio kamen, schien Terrill in eine verwirrende, lebhafte und rauhe Welt gestürzt zu werden, die sie zugleich abstieß und doch seltsam erregte. Wenn sie nur wirklich ein Junge gewesen wäre! Es schien ihr unglaublich, daß jemand sie für einen Jungen hielt. Zwar verbarg die männliche -12-
Reitertracht ihre weiblichen Formen, aber ihr Gesicht machte ihr Kummer. Mißbilligend betrachtete sie sich in dem Spiegel des Hotelzimmers. Ihre hellen Locken, die blauen Augen und die mädchenhaft glatte Haut – all das versetzte sie in Verlegenheit und erschreckte sie sogar. Sie mußte da etwas unternehmen. Allerdings fühlte sie sich während der Reise vor Belästigungen sicher, da sie nie dieselben Leute zum zweiten Mal sahen. Lambeth schien in der Stadt etwas Bestimmtes vorzuhaben und war viel unterwegs. Gewöhnlich nahm er sie mit, oder er schickte sie mit Sambo in den Store. Das machte ihr besonders viel Spaß, weil sie einkaufen und Geld ausgeben konnte. Nur Sambo brachte sie immer wieder in Verlegenheit. »Nenn mich doch nicht immer Miß Terrill – nenn mich Master Terrill.« »Sicher, Miß Terrill, ich werde es machen, wenn ich daran denke. Aber Sie sind nun mal, was Sie sind, und Sie können auch nichts anderes sein.« Eines Morgens war sie wieder mit Sambo unterwegs. Ein kleiner Store lockte sie schließlich an, und sie trat ein. Im Trubel des Einkaufs vergaß sie Sambo. Als sie schließlich mit ihren Paketen ins Freie trat, war er nicht mehr da. Statt dessen hörte sie laute Stimmen, als sie die Straße entlangging. Plötzlich flog seitlich von ihr eine Saloontür auf. Ein Mann trat rückwärts heraus, prallte gegen sie und brachte sie zu Fall. Unwillig raffte sie sich wieder auf und sammelte ihre Pakete ein. Sie war mehr verärgert als erschreckt. Dann aber blieb sie wie erstarrt stehen. Der Mann hielt in jeder Hand einen Revolver, und die Mündungen waren auf die weit offene Tür des Saloons gerichtet. Der Lärm hatte aufgehört. Terrill sah, daß sich drinnen ein Mann am Boden wand. »Ich schätze, das ist alles«, sagte der Mann mit den Revolvern. »Das nächste Mal wirst du Pecos Smith keine falschen Karten mehr geben.« Er wich an Terrill vorbei zurück.
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»Binde doch mal mein Pferd los, Kleiner, den Braunen dort – und bring ihn mir her.« Terrill gehorchte wie benommen. Der Mann hatte einen der Colts wieder eingesteckt und wich weiter zurück, bis er gegen sein Pferd stieß. Er hatte ein junges, klargeschnittenes und kalt wirkendes Profil. Von dem hohen Gehsteig sprang er mit einem einzigen Satz in den Sattel. »Smith! Das nächste Mal kennen wir Sie!« schrie ein Mann. Dann flog die Tür zu. »Warum zitterst du denn so, mein Junge?« Smiths Stimme klang kühl und gedehnt und hatte einen leisen Anflug von Humor. »Ich – ich weiß nicht, Sir.« Terrill stammelte und ließ die Zügel los, die sie verwirrt in der Hand gehalten hatte. Das war ihre erste Begegnung mit einem dieser berüchtigten Texaner – und dieser hier hatte Augen, in die sie nur schwer hineinblicken konnte. Ein Lächeln machte sein hageres, kühnes Gesicht weicher, aber das änderte nichts an dem Glanz dieses durchbohrenden Blickes. »Keine Angst, ich habe ihm nur eines von seinen Ohren weggeschossen. Es stand ohnehin ab wie bei einem Kaninchen. Danke schön, Söhnchen. Jetzt muß ich weiter.« Im Galopp sprengte er davon, und Terrill starrte ihm mit gemischten Gefühlen nach. Fast im gleichen Augenblick sah sie Sambo und lief ihm entgegen. »Oh, Sambo! Ich hatte solche Angst! Wo warst du denn?« »Ich hatte selbst schlimme Angst. Einer dieser wilden Texaner kam angesprengt und schrie: ›Nigger, verschwinde aus meiner Nähe.‹ Das hab ich sehr schnell getan. Er ist dann in der Kneipe dort in einen Kampf geraten, und als er mit den beiden Colts herauskam, wurde meine Angst noch größer.« Die Straßen von Santone, wie die Eingeborenen San Antonio nannten, waren voller Menschen. Auf Terrill wirkten die Texaner wie große, geschmeidige Jünglinge in staubigen -14-
Stiefeln, mit schmalen Lippen und grauen Augen in stillen Gesichtern. Die gesetzteren Männer waren sicherlich die Väter dieser Jungen. Mit einem Male durchzuckte Terrill ein Schreck, als ihr klar wurde, daß einige der hübschen jungen Männer sie interessiert hatten. Und dieser Pecos Smith hatte ihr geradezu einen Schock versetzt, und sie konnte ihn nicht vergessen. Die Mexikaner, die Fuhrleute und Soldaten machten auf Terrill einen prächtigen Eindruck. Von ihrem Vater hatte sie gehört, daß diese Männer von überall her gekommen waren. Büffeljäger, die unterwegs zu den großen Büffelstraßen waren. Pferdehändler und Ranchers. Malerische Mexikaner mit ihren bunten Umhängen und den spitzen Hüten, und hin und wieder ein stolzer, geschmeidiger Mann mit wachsamem, festem Blick – ein Texas-Ranger. Terrill sah Reiter auf hageren, wilden Pferden, leichthändige Spieler in ihrer schwarzen Tracht, und dann den großen Schwarm heruntergekommener und oft betrunkener Männer, deren Blicke Terrill Angst einflößten. Als sie den dritten Tag in San Antonio waren, sagte Lambeth zu seiner Tochter: »Ich habe eine Stunde Zeit, Terrill, du wirst sicherlich das berühmte Fort Alamo sehen wollen. Solange Texas besteht, wird dieser Ort geheiligt sein, und jeder Junge sollte einmal an diesem Altar des Heldentums stehen.« Terrill war die Geschichte des Forts wohlbekannt. Ein entfernter Verwandter von Lambeth war hier im Kampf gefallen. Jetzt zeigte Lambeth seiner Tochter, wo die Belagerten die Angreifer so lange und unter so schweren Verlusten zurückgeschlagen hatten. »Santa Ana hatte viertausend mexikanische Soldaten – Elitetruppen. Er überraschte die Amerikaner durch einen Angriff vor dem Morgengrauen. Zweimal wurde er mit großen Verlusten zurückgeworfen, und es sah schon so aus, als ob sich die Greasers zurückziehen würden. In einem letzten verzweifelten Angriff trieb Santa Ana seine Männer jedoch auf -15-
die Wälle, wo sie ein mörderisches Feuer eröffneten. In die Südwand des Forts wurde eine Bresche geschossen – und dann war die Hölle los.« Sie schritten über den historischen Boden, und Lambeth erklärte. »Hier wurde der berühmte verwundete Bowie in seinem Bett ermordet, dort fiel Travis bei seiner Kanone und dort Davy Crockett inmitten toter Feinde. Die Texaner fielen bis auf den letzten Mann – hundertzweiundachtzig Männer. Aber sie hatten in dem letzten Kampf über sechshundert Mexikaner in die Hölle geschickt. Vergiß den Alamo nie. Vergiß nie das Erbe, das diese historische Schlacht uns hinterlassen hat. Die Südstaaten haben zwar den Krieg verloren, aber niemand kann uns je den Ruhm nehmen, daß wir einmal das spanische Joch zerbrochen haben.« Nachdenklich und tief bewegt ging Terrill mit ihrem Vater in die Stadt zurück. In einem großen Store kaufte er ihr einen schwarzen mexikanischen Sattel, silberbeschlagene Zügel und Sporen und einen Sombrero, der so groß war, daß Terrill beim Aufsetzen das Gefühl hatte, unter eine Wolke geraten zu sein. Obwohl Lambeth seine englischen Waffen mitgebracht hatte, kaufte er neue Waffen, Messer und Äxte. Terrill erhielt einen kleinen Derringer-Revolver. Inzwischen hatte Lambeth auch noch einen zweiten Wagen gekauft, der die neuen Vorräte und Ausrüstungsgegenstände aufnehmen sollte. »Ich habe übrigens den Plan aufgegeben, der Poststraße zu folgen«, eröffnete Lambeth seiner Tochter. »Wir fahren eine Weile lang mit Büffeljägern. Ich nehme dich auch mit auf die Jagd. Dabei lernen wir das Land kennen.« Zwei Tage später brachen sie dann mit einer größeren Karawane auf, zu der außer ihren eigenen noch sechs andere Wagen gehörten. Acht erfahrene Büffeljäger – zu Terrills Erleichterung war kein junger dabei – ergänzten die Reisegesellschaft. Sie fuhren nach Nordwesten, an einem kleinen Fluß entlang, der mit wunderbaren Pecan-Bäumen gesäumt war. Am ersten Tag mochten sie etwa dreißig Meilen -16-
zurückgelegt haben, denn die Texaner waren erfahrene Wagenlenker. Aber Sambo kam mit dem schweren Wagen erst nach Sonnenuntergang im Camp an, und diese Tatsache beruhigte Lambeth. Terrill war davon überzeugt, daß keiner der Jäger das Geheimnis ihres Geschlechtes erraten hatte. Am Abend war sie sogar so mutig, sich mit ans Lagerfeuer zu setzen, um zuzuhören. Die Männer waren in bester Laune. Einer erzählte, er sei Texas-Ranger gewesen, und seine blutrünstigen Geschichten ließen Terrills Haut prickeln. Ein Rancher aus der Gegend des Brazos River erzählte vom Llano Estacado und den Comanchen. Auf einer früheren Jagd am Red River hätte er beinahe den Skalp verloren. »Die Comanchen werden ungemütlich«, erklärte er. »Eines Tages wird Texas nicht nur die Comanchen, sondern auch die Arapahoes und Cheyennen besiegen müssen, die durch die Büffeljagden der weißen Männer gereizt sind.« Terrill hätte tatsächlich ein Junge sein können, so sehr weckten all diese Berichte ihre Abenteuerlust. Dann aber, wenn sie schlaflos auf ihrem Bett lag, erwachte wieder das Mädchenhafte in ihr, und sie erlebte Gefühle, die sie nie ganz unterdrücken konnte. Mehrere Tage später, als sie mit Sambo hinter dem Wagen ritt, glaubte sie etwas Ungewöhnliches gehört zu haben. »Ich höre nichts«, erwiderte Sambo auf ihre Frage. »Da! Ich höre es wieder.« »Ja, wirklich, Master Terrill – es klingt wie Donner.« »Sambo, aber das kann kein gewöhnlicher Donner sein. Hör nur, es wird immer lauter.« »Jetzt weiß ich es: das muß die Hauptherde der Büffel sein.« »Die Hauptherde? Dann hatte der Jäger Hudkins unrecht. Er sagte, die Hauptherde sei noch nicht fällig.« Das Grollen war deutlicher geworden, und es klang immer bedrohlicher. Lambeth und die Pferde waren in einem -17-
Staubnebel verschwunden. Die Büffel, die auf allen Seiten in weitem Abstand von der Karawane dahingezogen waren, schienen in eine schnellere Gangart zu verfallen, und Terrill kam es so vor, als ob sie näher an die Wagen herandrängten. »Sambo, ist das eine Stampede? Wo ist Dad? Was sollen wir tun?« fragte sie ängstlich. »Ich weiß nicht«, erwiderte Sambo. »Wenn es eine Stampede ist, wird es schlimm.« Sambo ritt zu Maurees Wagen und schrie dann Terrill zu, sie solle in den anderen Wagen klettern. »Was mache ich mit Dixie?« rief Terrill. »Führen Sie ihn, solange es geht.« Sie erreichte glücklich den Wagen. Als sie dann vom Bock aus Umschau hielt, sah sie mit Entsetzen, daß der Büffelstrom sich jetzt ganz geschlossen hatte und knapp hundert Yards zu beiden Seiten der Wagen dahinfloß. Dichter gelber Staubnebel quoll auf und verdeckte die Sicht. Auch hinter dem Wagen füllten sich die Lücken mit einer wogenden See von Büffelhöckern und Hörnern. Terrill spürte ihren Herzschlag beengend hoch im Hals. Das Trampeln der unzähligen Hufe war zu einem dumpfen Tosen angeschwollen. Sambo war aufgestiegen und versuchte, den schweren Wagen hinter den kleineren von Mauree zu bringen. Er hoffte, dadurch den Büffelstrom spalten zu können. Aber wie lange konnten die Pferde dieses Tempo durchhalten? Dixie hatte die Ohren gespitzt, warf den Kopf hoch und blickte wild um sich. Wenn Terrill seine Zügel nicht ganz fest gehalten hätte, wäre er ausgebrochen. Bald konnten die Gespanne nicht mehr mit den Büffeln Schritt halten. Die Wagen waren jetzt von einer Masse zottiger Leiber umgeben. Sambo rollte die Augen und schrie etwas, aber Terrill konnte kein Wort verstehen. Terrills Furcht wurde immer stärker. Sie war allein mit Sambo und Mauree – allein in dieser schweren See von -18-
massigen, dunklen Tierkörpern. Bald würden sie niedergestoßen und zu Brei zerstampft werden. Sie schloß die Augen und wollte beten, aber sie mußte einfach immer wieder aufblicken. Dann ging Maurees Gespann durch, und der Wagen schwankte gefährlich. Terrill wäre beinahe hinausgeschleudert worden, als auch ihr Wagen zu schwanken begann. Dixie rannte wie verrückt, und auch Sambos Gespann hielt sich großartig. Die Zunge hing den Pferden aus dem Maul, ihre Augen schienen zu glühen, aber sie hielten durch. Plötzlich drehte Sambo sich um und schoß in die anstürmenden Büffel hinein. Terrill hörte den Schuß nicht, aber sie sah das rote Mündungsfeuer aufblitzen. Entsetzt klammerte sie sich an die Seitenwand des Wagens. Der Staub wurde erstickend, und der Gestank der vielen Tiere verursachte ihr eine würgende Übelkeit. Sie kam sich vor wie ein Atom in einem riesigen, wirbelnden Strudel. Es konnte nicht mehr lange dauern, dann würden die Pferde versagen, dachte sie, und dann… Wieder sah sie das Mündungsfeuer aus Sambos Waffe züngeln. Mit einem Male schien die Herde etwas zurückzuweichen, und der Platz um den Wagen herum wurde größer. Terrills Wahrnehmungen wurden jetzt undeutlich. Sie schwankte zwischen Hoffnung und Verzweiflung, als sie vor sich ein undeutliches graues Etwas aufragen sah und bemerkte, wie der Strom der Büffel sich dort spaltete und an beiden Seiten weiterfloß. Dann hielt der Wagen plötzlich mit einem schwankenden Ruck, der ihn beinahe umgeworfen hätte. Terrill war einem Zusammenbruch nahe, aber es geschah nichts. Es gab kein Krachen, und es kamen keine angreifenden Büffel. Der Donner wurde leiser, und sie konnte wieder hören. Als sie die Augen aufschlug, stand der Wagen auf einem Hang. Mauree hatte die beiden Fahrzeuge in den Schutz eines felsigen Hügels geführt. Links und rechts strömte die Masse von Büffelkörpern in größerer Entfernung vorüber. Immer leiser -19-
wurde das Trampeln der Hufe. Der Boden zitterte nicht mehr. Dann, nach einer Weile, war die Stampede nichts weiter als ein in der Ferne verklingendes Grollen. »Miß Terrill, der Herrgott hat uns beigestanden«, sagte Sambo, der abgestiegen war und Dixies Zügel ergriffen hatte. Es dauerte jedoch lange, bis sie wieder in den Sattel steigen konnte. Als sich der Staub senkte, konnte sie weit voraus ihren Vater mit den Pferden erkennen.
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3 Von der östlichen Uferhöhe aus glich der Colorado-Fluß einer grünen Riesenschlange mit einem hellschimmernden Streifen mitten auf dem Rücken. In der welligen Prärie waren dunkle Flächen und Punkte zu erkennen. Auf der Nordseite waren es nur wenige – im Süden jedoch erstreckten sie sich, so weit das Auge reichte. Diese schwarzen Flecke waren Büffel. In der zersprengten Spitze der Herde waren es Tausende, aber die große Masse in der südlichen Prärie mußte sich aus Millionen von Tieren zusammensetzen. Lambeths Augen glänzten, als er zu Terrill zurückgeritten kam. Er schien ein ganz anderer Mann zu sein. Sonne, Wind und Tätigkeit in der freien Natur löschten bereits die Anzeichen von Lebensüberdruß, die Leid und Mißgeschick in sein Gesicht gezeichnet hatten. »Nun, Terrill, was sagst du zu diesen Büffelherden?« »Es ist herrlich«, erwiderte sie etwas atemlos. »Aber auch sehr aufregend.« Sie saß auf dem Kutschsitz neben Sambo, weil Dixie etwas lahmte. »Miß Terrill, Sie werden heute sicherlich Ihren ersten Büffel erlegen«, sagte Sambo begeistert. »Aber Sie müssen das Henrygewehr fester fassen, sonst schlägt es Sie um.« Obwohl der Weg sich senkte, erreichten sie den Colorado erst am Nachmittag. Hudkins, der Anführer, wählte eine freie Fläche, die schon früher als Lagerplatz benutzt worden war. Während die anderen dann das Camp einrichteten, sagte Hudkins, er wolle einen Büffelhocker holen. Er ging mit seinem ›Nadelgewehr‹ – wie Terrill es nennen gehört hatte. Sie fragte sich, was das wohl bedeuten sollte, denn das Gewehr kam ihr eher wie eine kleine Kanone vor. -21-
Sie saß da und beobachtete vom Wagensitz aus die Männer. Das Einrichten eines Lagers enthielt für sie immer den gleichen Reiz des Abenteuerlichen. Für sie hatte das Leben im Freien keinen Schrecken. Vor allen Dingen war sie glücklich über den Wandel, den das Kampieren bei ihrem Vater bewirkt hatte. Obwohl er nicht übermäßig kräftig war, verrichtete er stets seinen Anteil an der Arbeit, und er schien nicht mehr an Leid und Mißerfolg zu denken. Sambo hatte sich am meisten geändert. Auf der Plantage hatte er sich nicht viel von den anderen Negern unterschieden. Hier aber war die Trägheit eines Baumwollpflückers von ihm abgefallen. Er trug die malerische Tracht eines Weidereiters und einen Revolver an der Hüfte. Wenn er eine Axt schwang, zeigte sich sein prächtiger Körperbau. Er pfiff meistens bei der Arbeit, und er hatte sich, ebenso wie seine Frau Mauree, mit Freuden diesem neuen Lebensstil angepaßt. Bald darauf trat Terrills Vater mit dem Henrygewehr zu ihr. »Terrill, von jetzt an trägst du das immer bei dir, und du nimmst es am besten auch mit ins Bett.« »Dad, ich fürchte mich ja vor dem schrecklichen Ding«, sagte sie, aber er blieb unerbittlich. »Wir kommen weiter westlich in die Badlands, die voll von Indianern, Banditen und Mexikanern stecken. Vielleicht müssen wir um unser Leben kämpfen. Red Turner war westlich des Pecos und hat davon berichtet. Es gibt dort Tausende von Rindern, die allmählich wieder etwas Wert bekommen. Übe dich im Schießen mit dem Gewehr, aber steck dir zuerst unter dem Hemd ein Polster gegen die Schulter, damit du den Rückstoß nicht so spürst.« Am Flußufer unterwies Lambeth dann seine Tochter im Gebrauch der Waffe. Sie mußte die Zähne zusammenbeißen, aber sie war von dem ehrlichen Willen beseelt, ihrem Vater wirklich einen Sohn zu ersetzen. Bei fünf Schüssen traf sie mit
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den beiden letzten bereits das Ziel. Sie bemerkte, wie ihr Vater sich freute, und wie ernst er das alles nahm. »Sambo wird das Gewehr für dich reinigen, obwohl du das auch lernen mußt. Ziele oft, ohne abzudrücken – so lernst du das Schießen sehr leicht und vergeudest nicht viele Patronen.« Hudkins kehrte von seiner erfolgreichen Jagd mit dem Höcker eines Büffels zurück, aus dem jetzt saftige Steaks herausgeschnitten und gebraten wurden. Als sie gegessen hatten, fragte er Terrill: »Nun, wie schmeckt dir das Büffelfleisch, Söhnchen?« »Gut, trotz dem Wildgeschmack«, erwiderte das Mädchen. Sie ging früh zu Bett. Die rüttelnde Fahrt während der Stampede hatte sie sehr angestrengt, und sie schlief schnell ein. Irgendwann in der Nacht wachte sie auf, was bei ihr ungewöhnlich war. Im Camp war es dunkel und still, aber über den Fluß herüber tönte ein Schrei, der ihr einen kalten Schauer den Rücken hinunter jagte. Ihr erster Gedanke war, dies sei der Kriegsschrei der gefürchteten Comanchen. Dann aber hörte sie den Laut wieder, und diesmal glich er mehr dem Bellen eines Hundes – nur war der Tonfall unendlich viel wilder und trauriger. Bald fielen andere Stimmen ein, und jetzt wußte sie, daß es Coyoten und Wölfe waren, die den Büffeln in Rudeln folgten. Erleichtert ließ sie sich wieder zurücksinken. Doch es dauerte lange, ehe sie wieder einschlafen konnte. * Schließlich war es Sambo, und nicht ihr Vater, der sie mit auf die erste Büffeljagd nahm. Kein Junge hätte eifriger als Terrill sein können, obwohl sie große Angst hatte. Sie schritt mit dem großen Gewehr neben Sambo her und hatte ihre Augen und Ohren überall. Sie sah Vögel und Kaninchen, und plötzlich bemerkte sie wilde Truthähne und Rehe. Dann hörte sie aus der Ferne das Krachen von Gewehrschüssen. Sambo zog sie -23-
plötzlich in die Deckung der Bäume und führte sie bis zu einem umgefallenen Baumstamm. Sie waren an einer nahen Flußbiegung, und ein Hang führte allmählich ansteigend zum oberen Uferrand. Plötzlich tauchte ein riesiges, fast elefantengroßes Tier dicht vor Terrill auf einer Sandbank auf. Es war ein mächtiger Büffelbulle, der aus dem seichten Wasser stieg, und bald darauf kamen die teils schwarzen, teils lohfarbenen Büffel zu Dutzenden auf die Sandbank. »Miß Terrill, legen Sie das Gewehr hier auf«, flüsterte Sambo und deutete auf den Baumstamm. »Halten Sie den Kolben fest und zielen Sie tief.« »Aber – das ist, als ob man Kühe ermordet«, protestierte Terrill. »Sicher ist es so, aber die Jagd wird Ihrem Vater gefallen.« »Werden sie uns nicht überrennen?« »Nein, nur keine Angst, Miß. Wir können uns hier verbergen.« Terrill wurde zwischen zwei widerstrebenden Gefühlen hin und her gerissen. Schließlich aber behielt das Jagdfieber die Oberhand – sie biß die Zähne zusammen, zielte und drückte ab. Der Rückstoß hätte sie beinahe umgeworfen, und der Rauch blendete sie. Dann krachte Sambos Gewehr. »Oh, hoffentlich habe ich gefehlt!« rief sie. »Bestimmt nicht. Der Büffel überschlägt sich schon.« Terrill konnte nicht hinschauen. »Alle beide sind tot«, jubelte Sambo. »Wir sind wirklich großartige Jäger. Der Colonel wird sich freuen.« »Wo sind die anderen Tiere?« fragte sie furchtsam. »Ausgerissen. Schauen Sie, der große Büffel dort gehört Ihnen. Wir wollen ihn gleich abhäuten – das gibt eine Büffeldecke für Sie.«
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Jetzt wagte Terrill endlich, einen Blick über die Deckung zu werfen. Kaum hundert Fuß von ihr entfernt lag ein riesiger, schwarzer Büffel reglos im Sand. »Helfen Sie mir, den Büffel abzuhäuten?« fragte Sambo. »Bestimmt nicht. Es war schlimm genug für mich, das arme Tier zu töten.« »Wie Sie wollen, Miß. Aber ich glaube, Sie sollten sich abgewöhnen, sich vor Blut und totem Wild zu fürchten.« Er ließ Terrill zurück und ging auf den Büffel zu. Sie sah noch, wie er sein breites Messer zog, dann wandte sie sich ab und schritt zurück. Im Gras, inmitten von blaßblauen Blumen sitzend, spürte sie, wie die Übelkeit und die Furcht langsam schwanden. Dieser Büffel war das erste lebende Geschöpf gewesen, das sie wissentlich getötet hatte. Sie erkannte die Richtigkeit von Sambos Worten, aber das war kein Trost für sie. Sie war kein Mann, und sie würde nie einer werden. Die Vögel und Eichhörnchen und Kaninchen verloren rasch die Scheu vor ihr. Ein wilder Truthahn stolzierte kollernd vorüber, und der träumerische Friede dieses offenen Waldstückes hüllte sie ein. Es tat ihr leid, als Sambo schließlich das paradiesische Treiben störte. Er taumelte fast unter seiner schweren Last und breitete dann die große Büffelhaut vor ihr aus. Terrill traute kaum ihren Augen, als sie das prächtige Stück sah. Sie kehrten ins Camp zurück, und bei Sonnenuntergang kam Lambeth staubig und müde zurückgeritten. Sambo hatte die Büffelhaut so ausgebreitet, daß sie sofort auffallen mußte. »Du hast wohl gejagt, Sambo?« fragte Lambeth. »Ja, Colonel. Und ist das Fell nicht schön?« »Willst du es mir schenken?« »Tut mir leid, Colonel, aber das kann ich nicht tun.« »Du hast es wohl schon Terrill geschenkt?« »Nein, aber Terrill hat den Büffel selbst mit einem einzigen Schuß erlegt. Den größten Büffel in der ganzen Herde.« -25-
»Terrill?« »Ja, Dad.« Terrill war aus ihrem Versteck getreten. »Lügt Sambo mich nicht an? Du hast selbst –?« »Ja, Dad. Das Jagen von Büffeln kommt mir gar nicht schwer vor. Es ist wie das Töten von Kühen.« Lambeth stieß einen Freudenruf aus und drückte Terrill an sich. Dann kamen auch die anderen Jäger und bewunderten das Fell. An diesem Tag hatte man neunzehn Büffel erledigt. Lambeth selbst hatte drei Büffel geschossen. Er liebte die Jagd und schien glücklich wie nie zuvor zu sein. Das Leben im Camp war immer schon lustig gewesen, aber an diesem Abend kam es Terrill wie ein fröhlicher Zirkus vor. Die Jäger hatten vielleicht einen zuviel getrunken, aber sie waren sehr spaßig. Bis Mitternacht wurden Büffelhäute gestreckt und aufgespannt. »Das ist ein richtiges Jägerleben nach meinem Herzen«, sagte Hudkins. »Zu schade, daß bei einem weiteren solchen Jagdtag unsere Wagen schon voll sein werden. Die Büffel machen es uns fast zu leicht.« * Am Morgen des dritten Tages nach diesem erfolgreichen Anfang hatten die Jäger alles für die Rückfahrt nach San Antonio bereit gemacht. Lambeths Pferde waren auf das Land westlich des Colorados gerichtet. Hier trennten sich die Wege der Jäger und der Pioniere. Für Lambeth begann von diesem Camp aus erst die richtige Reise. »Halten Sie die Richtung ein und kommen Sie nicht davon ab«, wies Red Turner ihn an. »Vier Tage wird es dauern, achtzig Meilen bis zum San Saba River. Dann schlagen Sie die westliche Richtung ein, und halten Sie die Augen offen.« Terrill bekam viele fröhliche und freundliche Abschiedsworte zu hören, aber eines davon, von dem alten Texaner Hudkins, würde sie wohl nie vergessen: -26-
»Lebewohl, Söhnchen. Achte stets auf dein Gewehr und deinen Lockenkopf.«
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4 Obwohl Lambeth sich vom Colorado abgewandt hatte, wurde er die Büffel nicht los. Immer wieder wurde die Karawane von ihnen aufgehalten. Oft waren die Tiere in bequemer Schußweite, und sie zeigten keinerlei Angst. Auch die Pferde hatten sich inzwischen an die zottigen Geschöpfe gewöhnt und scheuten nicht mehr bei ihrem Anblick. Nur Dixie spitzte noch die Ohren, wenn sich ein neues Rudel näherte. Lambeth ritt mit wachsamem Blick vor dem Zug. Nachdem Terrill einige Stunden lang geritten war, kletterte sie wieder neben Sambo auf den Wagensitz. Es dauerte nicht lange, bis sie wieder in eine riesige Herde gerieten. Lambeth war so weit vorausgeritten, daß ihn bald eine wogende See von dunklen Rücken vom Wagen trennte. Sambo rief Mauree beruhigend zu, es bestehe keine Gefahr, aber Terrill wollte das nicht so ohne weiteres glauben. Doch die Tiere waren so friedlich, daß auch ihre Angst bald schwand. Der Vorbeimarsch der Herde dauerte über eine Stunde. Dann verzog sich der Staub, und sie konnten Lambeth wieder vor sich sehen, der mit den Pferden schon auf sie wartete. Es dauerte jedoch noch bis Sonnenuntergang, ehe der Rest der Herde sie passiert hatte. Die Dämmerung sank schon über die wellige Prärie, als Sambo neben den Weiden in einer kleinen Mulde hielt. Dort hatte Lambeth den Pferden die Vorderfüße schon lose zusammengebunden, so daß sie nur noch hoppeln konnten. Auf diese Weise hatten sie genug Bewegungsfreiheit zum Weiden, konnten sich aber nicht zu weit vom Lager entfernen. Eine melancholische Einsamkeit umhüllte diesen Ort. Die hinter ihr liegenden Wochen erschienen Terrill wie Jahre. Sie seufzte in der Erinnerung daran, aber sie war begierig auf die Zukunft. -28-
Was für eine Arbeit und was für ein Leben lagen vor ihr! Als Terrill vom Wagen sprang, wurde ihr bewußt, daß ein unmerklicher Bruch sie bereits von der Vergangenheit trennte. Es war Zeit, daß sie ihre ganzen Kräfte einsetzte, um ihrem Vater bei seiner großen Aufgabe zu helfen. * Am Morgen wurde sie von Sambos Axtschlägen geweckt. Als sie mit den Lagerarbeiten begann, rollte Sambo erstaunt seine Augen und fragte, was sie schon so früh mache. »Ich will wie ein Mann arbeiten«, erwiderte sie. »Nenn mich nie wieder Miß Terrill. Ich bin ein Mann!« »Wirklich? Das ist lustig. Wie ist es denn dazu gekommen?« Unbemerkt war Terrills Vater hinzugetreten. Seine Augen leuchteten auf. Er schloß Terrill in die Arme und küßte sie. Aber dieser Kuß war wie der Abschluß einer vergangenen Lebensepoche. Er küßte sie nie wieder. Bei Sonnenaufgang fuhren sie bereits wieder über die weglose Prärie. Der Sommer war auf die Prärie gekommen. Das ausgebleichte Grama-Gras ragte über einem grünen Teppich auf. An schattigen Plätzen blühten bunte Blumen. Rehe ästen in den Bachgründen, und überall in der Nähe von Wasser regte sich vielfältiges Leben. Stunde um Stunde zogen die Wagen dahin, und die purpurne, lockende Ferne schien nie näherzurücken. Terrill ritt Dixie oder fuhr neben Sambo, und sie vergaß allmählich die Comanchen und die anderen Gefahren, von denen sie so viel gehört hatte. Im Laufe der Zeit verlor sie jede Zeitrechnung. Die einzigen Ereignisse waren ein starker Regen, der sie bis auf die Haut durchnäßte, und dann die Überquerung eines im Sand dahinziehenden Flusses, den Lambeth für den Llano hielt. Abends wurden am Lagerfeuer die wachsenden Schwierigkeiten besprochen. Quellen und Bäche wurden immer -29-
seltener. Bald würden sie Flüssen und Wegen folgen müssen und das bedeutete größere Gefahr. Die Comanchen lebten im Llano Estacado, die Kiowas weiter im Norden, und die JicarilloApachen im Westen. Es war Juli, als sie den San Saba erreichten, einen Fluß, der einen schönen Landstrich bewässerte, den Lambeth am liebsten nicht verlassen hätte. Sie fuhren am linken Ufer dahin, bis sie eine Furt fanden. Das war die Straße, von der Red Turner gesprochen hatte. Sie fanden Räderspuren und folgten diesem Weg tagelang. Schließlich erreichten sie kleinere Abzweigungen des Flusses, die die Nähe der Quellwasser anzeigten. Hier sichtete Lambeth Rinder auf der Ebene. Bei Sonnenuntergang lagerten sie in der Nähe einer Ranch. Lambeth schloß Bekanntschaft mit dem Rancher, einem Mann namens Hetcoff. Der Rancher berichtete ihm, er sei bisher nicht viel belästigt worden, obwohl er nur wenige Nachbarn hatte. Niemand tastete seine Rinder an, aber es sei schwer, die Pferde vor den plündernden Comanchen in Sicherheit zu bringen. Lambeth erhielt den Rat, seine Weide am San Saba zu suchen. Dort gäbe es auch einen Ort namens Menardsville. Das Land sei entwicklungsfähig. Terrill war von der Aussicht entzückt, eine Stadt zu erreichen, aber Menardsville war dann eine große Enttäuschung für sie. Ein Texaner namens Bartlett hatte dort eine Handelsstation errichtet, die von einigen Adobehütten umgeben war. Rinder gab es genug, und sie waren billig. Lambeth blieb eine ganze Woche in Menardsville. Er kaufte ein, bis seine beiden Wagen voll beladen waren und zog dann weiter. Terrill wohnte immer noch in dem kleineren Planwagen, aber sie hatte jetzt weniger Raum und Bequemlichkeit. Sie litt jetzt nicht mehr unter Sonne und Wind. Oft genug schaute sie verwundert auf ihre Hände, die immer noch wohlgeformt, aber tief gebräunt und von der Arbeit abgehärtet waren. Manchmal schnitt sie ihre rebellischen Locken ab, aber nie sehr kurz. -30-
Bekümmert war sie allerdings darüber, daß ihre Haut rauh wurde, und über den Ausdruck der blauen Augen, die ihr so ernst aus dem Spiegel entgegenblickten. Es gab in diesem Gebiet einige Ranches. Die Rinder waren jedoch so zahlreich, daß nicht alle ein Brandzeichen trugen. Lambeth entschloß sich, genug Rinder zu kaufen, daß er den Kern einer Herde bilden konnte. Wakefield, ein Rancher, der selbst nicht wußte, wie viele Rinder er besaß, verkaufte Lambeth eine Rinderherde zu geringem Preis und lieh ihm auch noch zwei Vaqueros. Terrill hatte ein eigenartiges Gefühl, als sie zum ersten Male einen Longhornstier sah. Den stärksten Eindruck auf sie machten die mächtigen Hörner, die dieser Rasse ihren Namen gaben. Bei jeder Ranch vergrößerte Lambeth seine Herde, und bei jedem Nachtlager gingen einige Rinder durch und liefen zu der vertrauten Weide zurück. Von Tag zu Tag wurde es schwieriger, die wachsende Herde zu treiben. Das Tempo des Marsches verlangsamte sich immer mehr. Ende August war die Karawane in den Badlands – einer der schlimmsten Gegenden von West-Texas. Der Südrand des Llano Estacado, den sie durchzogen, war ein Wüstengebiet ohne Bäume und ohne Wasser. Unterwegs stießen sie auf einen Wanderer, der Siedler werden wollte, und retteten sein Leben. Vom Panhandle her war er über die unfruchtbare Hochebene gekommen – halb verhungert und halb verdurstet. Er war froh, daß er mit Lambeth fahren konnte. Allmählich schlossen sich weitere Rinder der langsam ziehenden Herde an. Lambeth konnte das nicht verhindern. Er hatte kein eigenes Brandzeichen und konnte bald nicht mehr zwischen den Tieren, die er gekauft hatte, und den anderen unterscheiden. Ganz unfreiwillig und unschuldig wurde er auf diese Weise zum ›Rustler‹ – zum Rinderdieb. Wakefield hatte ihn davor gewarnt, seinen Worten aber dann dadurch den Stachel genommen, daß er lachend erklärte, alle Ranchers hätten es irgendwann so gemacht. -31-
Die beiden ausgeliehenen Vaqueros mußten so hart arbeiten, daß Terrill kaum mit ihnen in Berührung kam. Der eine war ein nicht mehr junger, dunkelhäutiger Mexikaner, dessen Schweigsamkeit eine Unterhaltung ohnehin erschwerte. Der andere war ein rauher Texaner, der Terrill aber doch irgendwie imponierte. Auf der letzten Ranch warb Lambeth schließlich noch einen Jungen an, der den Wagen lenkte, während Sambo jetzt bei der Herde half. So kam der September. Die Nächte wurden kühler, und am Morgen lag ein frischer, scharfer Hauch in der Luft. Nachts stand Terrill mit ihrem Vater jetzt oft auf Herdenwache. Es waren wunderbare Stunden des Erlebens. Der Mexikaner sang die seltsam fremdartigen Weisen seiner Heimat. Während die Rinder ruhten und schliefen, wechselten sich die Wachen regelmäßig alle vier Stunden ab, und Terrill machte mit, wie die anderen. Glücklicherweise hatte bisher nichts die Longhorns zu einer Stampede getrieben. Seit Tagen hatte Terrill am Horizont blaue Berge gesehen, die immer näher rückten. Steve hatte ihr gesagt, diese Berge lägen jenseits des Pecos, es müßten die Guadaloupes sein. Die blauen Hügel davor waren die Breaks des Pecos. * Und so wurde es Oktober! Lambeths Karawane schien in einem trostlosen, einsamen Land verloren zu sein. Sie hatten keine Wegzeichen mehr, denen sie folgen konnten – nur die allgemeine Richtung nach Westen. Man hatte Lambeth gesagt, er solle den Pecos bei der Horsehead-Furt überqueren, die schon die Spanier seit Jahrhunderten als Übergang benutzt hatten. Als die Situation bereits ernst zu werden begann, stießen sie auf Wasserlöcher, die ihnen weiterhalfen. Der Weg war längst auf dem felsigen Boden undeutlich geworden, aber der
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mexikanische Vaquero, der die Führung übernommen hatte, verlor keinen Augenblick lang die Zuversicht. Einmal hatten sie zwei Tage lang nur für die Pferde ausreichend Wasser, und die Rinder begannen schon unruhig zu werden. Dann kamen sie über eine Höhe und stießen auf einen alten Weg. Lambeth wollte nach Süden, aber der Mexikaner schüttelte den Kopf. »Sehr trocken, Señor. Morgen gibt es Wasser.« Er deutete nach Norden. »Rio Pecos.« Aber an diesem Abend befanden sie sich in einer schrecklichen Lage. Sie hatten nur noch zwei Feldflaschen mit Wasser, und die Pferde waren in schlechter Verfassung. Außerdem waren die ersten Rinder schon gefallen. Ein weiterer wasserloser Tag würde den Untergang für die Herde bedeuten. Am nächsten Morgen führte der Weg noch tiefer in die Wildnis. Es gab zwar reichlich Gras, aber die Rinder fraßen nicht mehr. Das Glück schien Lambeth jedoch noch nicht völlig im Stich gelassen zu haben. Ehe die Sonne heiß werden konnte, zogen schwere Wolken auf und verdeckten sie. Diese düstere Wolkendecke paßte ausgezeichnet zu dem trostlosen Anblick der Landschaft. Terrill, die den kleinen Wagen lenkte, bemerkte plötzlich eine merkwürdige Unruhe bei den Rindern. Eben noch waren sie mit hängenden Köpfen dahingetrottet, jetzt wurde ihr Tempo lebhafter. Der Mexikaner und Steve, die vorn ritten, winkten aufgeregt zu Sambo und Lambeth im Schlepp der Herde zurück. Irgend etwas schien nicht in Ordnung zu sein. Dann war es auch schon soweit. Die Rinder brachen plötzlich in eine Stampede aus und waren bald in einer Staubwolke verschwunden. Lambeth ritt mit gesenktem Kopf weiter. Sambo jagte zu ihm und redete auf ihn ein. Er schien seinen Boß trösten zu wollen. Terrill hatte ihren Vater und Sambo gerade erreicht, als sich der Mexikaner umwandte und ihnen etwas zurief. Sie konnten ihn allerdings nicht verstehen. Dann tauchten mehrere Reiter aus -33-
einem trockenen Flußbett, einem Arroyo, auf. Im ersten Augenblick dachte Terrill, es seien Indianer, so wild und hager sahen sie aus. Der Anführer trug ein Gewehr quer über dem Sattel und sah ihnen mißtrauisch entgegen. »Master, das ist ein Viehdieb, wenn ich je einen gesehen habe«, flüsterte Sambo. Als der Reiter wenige Schritt vor dem Wagen hielt, erkannte Terrill in ihm plötzlich den jungen Texaner Pecos Smith, den sie vor dem Saloon in San Antonio gesehen hatte. »Wer seid ihr und was sucht ihr hier?« fragte er und musterte sie durchdringend. »Ich heiße Lambeth. Wir haben uns verirrt, und meine Rinder sind durchgegangen.« »Wohin wollten Sie, ehe Sie sich verirrten?« »Zur Horsehead-Furt.« »Dann sind Sie vom Weg abgekommen. Die Furt liegt östlich von hier.« »Man sagte uns, wir sollten uns nach Norden halten.« Offenbar hatte der Reiter seinen Zweifel an dieser Gesellschaft. »Nigger, steig ab und komm her!« befahl er schließlich. Sambo gehorchte. »Wo habe ich dich schon gesehen? In San Antonio, nicht wahr?« »Ja, Sir. Ich stand vor einem Saloon, und Sie schickten mich weg.« »Ja, ich erinnere mich. Aber das beweist nichts.« Er wandte sich an Lambeth. »Sie mögen in Ordnung sein, Lambeth, aber dieser Vaquero bestimmt nicht. Wie sind Sie zu ihm gekommen?« Lambeth erklärte, daß er den Mann als Führer zum Pecos erhalten habe. Steif fügte er hinzu:
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»Ich bin Colonel Theodor Lambeth. Wofür halten Sie mich eigentlich?« »Hallo, Pecos Smith!« rief Terrill dazwischen. »Ja? Wer sind Sie?« Der Reiter blickte sie erstaunt an. »Er ist mein Vater.« »Und woher kennen Sie mich?« fragte Pecos weiter. »Ich war der Junge, den Sie in San Antonio umgestoßen haben und der Ihnen dann das Pferd geholt hat.« »Verdammt, jetzt erinnere ich mich, Junge, du hast dich aber sehr verändert.« Er wandte sich wieder an Lambeth. »Wir haben eine Bande von Viehdieben vom Rio Grande verfolgt. Es tut mir leid, Colonel, daß wir Sie belästigt haben. Wenden Sie Ihre Wagen und wir führen Sie zur Furt.« »Ist es weit?« fragte Lambeth besorgt. »Bei dem jetzigen Zustand Ihrer Pferde dürften Sie es gerade noch schaffen.« Auf der folgenden Wegstrecke wurde es Terrill klar, daß sie nie ohne Führung aus diesem Gewirr von Hügeln, Schluchten und Arroyos herausgefunden hätten. Die müden Pferde ließen sich kaum noch zu dem Einschnitt auf der Höhe eines grauen Felsens bringen. Der Reiter saß dort auf seinem Pferd und wartete auf die Karawane. »Rio Pecos!« rief er und deutete hinunter. Bei seinem Ruf galoppierten die Reiter vorwärts, und Terrill trieb das Gespann mit einem dankbaren Stoßseufzer an. Sambo stieg ab, wandte sich um und winkte Terrill zu. Sie mußte ihre ganze Kraft zusammennehmen, um die Pferde neben den Reitern zum Stehen zu bringen. »Der gute Gott hat uns geholfen!« rief Sambo. »Ja, Terrill, er hat uns zum Fluß geführt.« Lambeth deutete bewegt hinunter. »Und schau dort – die Herde!« Terrill blickte von der Höhe hinab. Eben jetzt stach ein bleicher Sonnenstrahl durch die Wolken und ließ das Silberband des Flusses aufleuchten. Er bildete hier eine Schleife, die, von -35-
oben gesehen, Ähnlichkeit mit einem Pferdekopf hatte, und der Fluß schien direkt aus einer Kerbe in der fernen Felswand zu kommen. Jetzt wußte Terrill auch, daß der Geruch des Wassers die Herde in die Stampede getrieben hatte. Die ersten Rinder hatten schon das Ufer erreicht und tranken friedlich. Terrill starrte atemlos ihren Vater und dann die Reiter an. In diesem Augenblick ritt Pecos Smith vorbei. »Adios!« rief er. »Und viel Glück!« Auf dem ganzen Weg, der sicherlich einst eine viel befahrene Straße gewesen war, hatten sie Schädel und Gebeine von Tieren gefunden. Auch die Furt selbst war ein trostloser Ort. Dahinter erstreckte sich eine endlos wirkende Wüste mit schmutzig verstaubten Riesenkakteen. Im Osten erhob sich ein bleicher Streifen – wahrscheinlich der schroffe Hang des Llano Estacado. Wo lagen die wogenden Ebenen, wo das frische, saftige Weideland, das sie hier finden wollten? Doch Terrill richtete ihren Blick nach Westen. Dort, westlich des Pecos, sollte ihre Zukunft liegen – dort sollte sie ihr Heim finden. An der Furt hatte der Fluß seinen Kurs gewechselt, aber er wandte sich bald wieder nach Süden. Im Westen und Süden ragten nackte Felskämme auf. Nirgends war das grasige Weideland zu sehen, auf das Terrill in ihren Träumen gehofft hatte. Nirgends gab es etwas anderes als grauen Stein, Kaktus und Fettholz auf den endlosen Hängen. Terrills Mut schwand bei diesem Anblick. Am Red, am Sabine und Colorado hatten sie weite Ebenen gesehen – Farbe, Leben und Schönheit. Hier jedoch schien der kalte, tückische Pecos in ein trostloses, unbekanntes Land weiterzuziehen. »Oh, Dad!« rief sie in einem Anfall von Mutlosigkeit. »Laß uns umkehren! Dieser schreckliche Pecos kann nie eine Heimat werden!«
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5 Bei den Cowboys auf der Heald-Ranch nannte er sich Pecos Smith. Sie hatten bald herausgefunden, daß er der beste Reiter, Schütze und Lassowerfer war, der je aus Südwest-Texas herübergeritten war. Das war aber auch alles, was sie über seine Vergangenheit erfuhren. Pecos war den Fluß herauf mit einem Treibherdenboß namens McKeever gekommen, der einen Kontrakt hatte, Vieh nach Santa Fé, Neu-Mexiko, zu bringen. Auf dem Rückweg rastete McKeever wieder bei den Brüdern Heald, aber diesmal mit einem Reiter weniger. Er berichtete, daß dieser Reiter, Pecos Smith, nach einer Schießerei in Santa Fé zurückgeblieben war. Er hatte sich anschließend betrunken, wie er das immer nach einer Schießerei tat, und sie hatten nicht auf ihn warten können. Er sei ein prächtiger Kerl, gerate aber immer in Streit und greife schnell zum Colt. So war Smith bei den Healds eingeführt worden. Mehrere Tage später kam er selbst: ein lächelnder, verwegener Texaner vom alten Schlag. Bill Heald faßte sofort Zuneigung zu ihm und bot ihm einen Posten an. »Gern«, erwiderte Smith gedehnt. »Mac wird es zwar nicht gefallen. Aber er war in Santa Fé gemein zu mir. Er hat mich furchtbar heruntergeputzt.« »Er sagt, Sie hätten in Santa Fé einen Mann niedergeschossen.« Der Rancher sah den Reiter prüfend an. »Der verdammte Mac muß immer über mich sprechen.« Trotz seiner Neugier ließ Bill das Thema fallen und stellte nur noch eine andere Frage. »Haben Sie je für einen Mexikaner gearbeitet?« wollte er wissen.
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»Ja, für Don Felipe Gonzales«, gab Smith bereitwillig zu. »Mein Vater ist im Krieg gefallen, und unsere ganze Familie wurde verschlagen. Don Felipe war ein alter Freund von uns. Ich habe vier oder fünf Jahre jenseits des Rio Grande für ihn gearbeitet. Ich weiß die Zeit nicht mehr genau – jedenfalls so lange, bis ich über den Fluß gejagt wurde.« Heald hielt Smith trotz seines jungenhaften Aussehens für über zwanzig, und für einen Weidereiter in Texas war das nicht mehr sehr jung. Er war etwas über Mittelgröße und nicht so schlank wie die meisten Reiter. Seine Schultern waren breit, und sein Körperbau muskulös. Er machte den Eindruck eines ausgezeichneten Reiters. Sein Lederzeug, vor allem aber die tiefausgeschnittenen Halfter waren abgenutzt, und der elfenbeinerne Griff seines Colts war gelb vor Alter. Sattel, Zügel und Sporen, ebenso wie sein schwarzer Sombrero waren von spanischer Machart. Wären sie nicht so alt gewesen, hätten sie manchen Vaquero zum Diebstahl verleitet. »Smith, Sie sind angenommen«, erklärte Bill Heald schließlich. »Sie haben ja ein prächtiges Pferd. Ich möchte wetten, daß es Araberblut hat.« Der Reiter streichelte sein staubiges Pferd. »Ja, Cinco ist noch in keinem Rennen geschlagen worden. Vielen Dank für den Posten.« »Nichts zu danken. Wir sind knapp an Leuten.« Healds Schwester, Mary, hatte das Gespräch unbemerkt hinter der Tür belauscht. Sie war erst sechzehn und mit ihren Brüdern vor kurzer Zeit verwaist. Sie war zugleich der Stolz und der stetige Grund zur Besorgnis für ihre Brüder. »Billy, das ist der hübscheste Reiter, den ich im Westen gesehen habe«, erklärte sie später mit blitzenden Augen. »Himmel, wenn ich das gewußt hätte!« rief Heald aus. »Ich hätte ihn dann nie angenommen. Mary, wenn du ihm schöne Augen machst, wird die Ranch vor die Hunde gehen.«
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Als er Smith das nächste Mal sah, nahm er ihn genauer in Augenschein. Der Junge war für einen Texaner an sich kein ungewöhnlicher Typ, aber die verschiedenen Merkmale dieser Rasse traten bei ihm gewissermaßen in verstärkter Form auf. Die meisten Texaner hatten sandfarbiges Haar und blaue oder graue Augen. Smiths Haar war flachsblond, und er trug es so lang, daß es sich unter seinem Sombrero einrollte. Außer wenn er sprach oder lächelte, war sein Gesicht wie eine bronzefarbene Maske. Seine Augen waren das Auffallendste an seiner ganzen Erscheinung. Sie waren seltsam durchdringend und von einem eigentümlich gefleckten Hellgrau. In der Ruhestellung wirkte sein Mund streng, ja, fast bitter. Da er aber meistens plauderte oder lachte, fiel das nicht auf. Am nächsten Tag fragte Bill seinen Bruder John, was er von dem neuen Cowboy halte. »Gefällt mir ausgezeichnet. Ein echter Texaner, wie mir scheint.« »Mary hat sich schon in ihn verliebt.« »Um Gottes willen!« rief John. »Sollen wir sie zur Tante zurückschicken?« »Natürlich nicht. Und wenn sie die ganze Mannschaft auf den Kopf stellt. Vielleicht kann dieser Pecos sie gewinnen.« »Ich weiß nicht recht. Mary soll einmal einen ordentlichen Burschen heiraten. Dieser Pecos hat eine schlimme Vergangenheit mit dem Colt. Sandy hat sechs Kerben am Griff seiner Waffe gesehen, und eine ist ganz frisch.« »Sechs?« erwiderte Bill. »Ich dachte, es seien mehr. Aber machen wir uns keine Sorgen. Vielleicht können wir gerade diesen Colt einmal gut gebrauchen.« Pecos gab also den Brüdern und den Cowboys reichlich Stoff zur Unterhaltung. Die Ansichten über ihn gingen jedoch weit auseinander, und sie kamen der Wahrheit wohl nicht sehr nahe. Über seine Leistungen als Cowboy waren sich aber alle einig. Sein Reiten und Lassowerfen glichen der Kunst des berühmten Rodriguez. Bald trug jeder Sombrero in der Mannschaft die -39-
Spuren von Pecos Schießkunst. Pecos konnte keine Wette ausschlagen, und er fehlte selten einen in die Luft geschleuderten Sombrero. Häufig traf er ihn sogar mit zwei Kugeln, ehe er wieder den Boden berührte. Lange bevor McKeever mit einer neuen Herde nach Norden zog, hatte sich Pecos die Achtung der H-Ranch der Healds und auch der Bar-Ranch, einer benachbarten Mannschaft, errungen. Besonders auffällig jedoch war, daß er – von seinen Kameraden und den Reitern der Nachbarranch abgesehen – jeden Kontakt mit Menschen vermied. Als Mary eines Tages eine Party gab, übernahm er für einen Kameraden die Herdenwache, da jemand bei den Rindern bleiben mußte. Mary war wütend darüber und schnitt ihn, als sie ihm am nächsten Morgen bei den Corrals begegnete. »Ich kann den Ladies einfach nichts recht machen«, beschwerte er sich später bei Sandy McClain. »Hm? Und ich sage, sie würden dir aus der Hand fressen, du geheimnisvoller Bursche, wenn du ihnen nur eine Chance geben würdest. Oder bist du etwa schon verheiratet?« »Verheiratet? Ich? Heilige Maria!« »Dann bist du also ein Weiberfeind. Hör mal, dein Lachen und Pfeifen kann mich nicht täuschen: im Grunde genommen bist du traurig.« Pecos lächelte. »Nein, Sandy, mein Herz ist noch nicht gebrochen, aber viel fehlt daran nicht.« Bill Heald und sein Bruder John fanden sich schließlich mit Pecos’ Zurückhaltung ab. »Zuerst habe ich gedacht, er sei einer der Burschen, die von den Texas-Rangers gesucht werden«, sagte Bill. »Aber ich glaube es nicht mehr. Er hat bestimmt in seinem Leben keine krummen Sachen gemacht. Er kommt aus einer guten Familie, davon bin ich überzeugt. Und er hat wohl Kummer gehabt.« »Ich glaube, du hast recht«, stimmte John zu. -40-
»Marys wegen haben wir uns getäuscht, nicht wahr? Eine sehr gute Lektion für unsere kleine Dame. Hoffentlich verliebt sie sich nicht unsterblich in ihn.« Bei seiner Rückkehr von Santa Fé wollte McKeever mit Pecos sprechen. Aber dieser war nicht aufzutreiben. »Ich glaube, es gefällt ihm hier«, sagte der Herdenboß gedehnt und warf Mary einen schnellen Blick zu, unter dem sie errötete. »Na, jedenfalls habt ihr von meinem Verlust profitiert. Einen besseren Mann als Pecos gibt es nicht.« Wenn in der H-Ranch noch Zweifel wegen Pecos Smith bestanden hatten, so wurden sie durch dieses Lob endgültig zerstreut. * Dann kam die Zeit, da Pecos Smith auch seinen Beinamen rechtfertigte. Wie ein Indianer prägte er sich jedes Landschaftsbild ein, das er einmal gesehen hatte. Der Rio Pecos vom Castle Cap Canyon bis zur Grenze von Neu-Mexiko wurde bald sein persönliches Revier. Da die Healds nicht wußten, ob sie zwanzigtausend oder dreißigtausend Rinder hatten, wurden Pecos’ Berichte über die ungebrannten Kälber in den einzelnen Schlupfwinkeln bald sehr wertvoll für sie. Wie alle Rancher jener Zeit waren die Brüder Heald mit dem Brennen ziemlich achtlos. Allerdings hatten sie auch meistens nicht genug Leute, um alle Schlupfwinkel durchzukämmen. Dabei stiegen die Rinderpreise allmählich, denn Texas erholte sich langsam von den Folgen des Krieges. Viehdiebe waren inzwischen auch schon aufgetaucht, aber bisher hatten weder die H-Ranch noch die anderen Ranches stark gelitten. Sie verloren zwar Vieh, aber diese Verluste waren nicht spürbar. Durch McKeever fanden die Healds dann auch einen guten Markt für ihre Rinder, den sie bis dahin vergeblich gesucht -41-
hatten. McKeever kaufte große Mengen Vieh von ihnen und trieb die Herden in die spanischen Siedlungsgebiete. Man munkelte schon davon, daß Eisenbahnen durch Texas und NeuMexiko gebaut werden sollten. Die Healds rechneten bereits mit großen Märkten und eigenen Treibherden. Aus diesem Grund hatten sie Pecos zum ›Außenagenten‹ befördert, einen Posten, den er nur zögernd annahm. Er meinte, die Aufgabe belaste ihn mit zuviel Verantwortung. Seine Tätigkeit bestand jetzt darin, durch das Land zu streifen und nicht nur das Vieh der eigenen Ranch unter Kontrolle zu halten, sondern sich auch über die allgemeinen Bedingungen des Rindermarktes zu orientieren und die Methoden der anderen Rancher zu studieren. Auf diesen Ritten erweiterte er noch seine jetzt schon ausgezeichnete Kenntnis des Landes. * Als er im Herbst seines zweiten Jahres bei den Healds von einem dieser Ritte heimkehrte, rannte er in eine jener Streitigkeiten hinein, die ihn unablässig zu verfolgen schienen. Er war früh am Morgen angekommen, hatte sich gerade gewaschen und mit einer Zigarette auf seinem Bett ausgestreckt, als Sandy McClain heraneilte. »Pecos, die Hölle ist los! Aber ich kann dir eines sagen: ich halte zu dir, wenn es zum Kampf kommt.« »Danke. Gewöhnlich erledige ich allerdings meine Kämpfe allein. Was ist denn eigentlich los?« »Kennst du Sawtell, den Vormann von Beckman?« »Sicher. Ich war vor zwei Monaten bei ihrem Round-up, und ich bin geblieben, obwohl Sawtell mir die kühle Schulter zeigte.« »Dieser Sawtell ist mit drei Männern seiner Mannschaft hier. Sie haben getrunken und benehmen sich reichlich gemein.« »Wieso denn?« -42-
»Ich habe es nicht gehört, aber ich kann es erraten. Bill ist jedenfalls ganz wild. Er hat mich zu dir geschickt.« Einen Augenblick lang blieb Pecos nachdenklich liegen. Dann richtete er sich auf, zog den Colt und lud eine leere Kammer der Waffe. Ohne ein weiteres Wort schritt er dann mit Sandy auf das Ranchhaus zu. Vier gesattelte Pferde standen mit hängenden Zügeln vor der Tür. »Sandy, misch dich nicht ein«, befahl Pecos. »Aber es sind vier gegen einen. Und dieser Sawtell mit seinem roten Gesicht spricht nicht so, wie wenn er dich besonders gern hat.« Pecos machte jedoch eine Gebärde, die Sandy dazu brachte, weit zur Seite auszubiegen. Als erste sah er Mary. »Geh ins Haus!« befahl Bill Heald gerade. Pecos sah sich die Lage an. Sawtell, ein großer Kerl mit einem roten Halstuch, stand vor den drei Cowboys, die sich nicht allzu wohl in ihrer Haut zu fühlen schienen. Da Mary anscheinend nicht gehen wollte, rief Bill seinem Bruder zu: »Bring sie weg! Das geht sie nichts an.« »Laß sie doch bleiben«, erwiderte John. »Vielleicht hört sie etwas.« »Ich habe schon etwas gehört!« rief Mary aufgebracht. »Und das war eine verdammte Lüge!« Als er sah, wie Pecos sich näherte, änderte Bills Haltung sich ein wenig. »Sawtell, hier ist Pecos. Er kann für sich selbst sprechen. Nach unserer Meinung sind Sie auf der falschen Spur. Und wenn Sie einen guten Rat wollen: seien Sie etwas vorsichtig.« »Zum Teufel, Bill Heald, wollen Sie mir drohen?« »Nein. Ich gebe Ihnen nur einen guten Rat.« »Den brauche ich nicht. Ich war schon vor Ihnen auf dieser Weide.« »Sicher. Aber Sie kennen Pecos Smith nicht.« Pecos war stehengeblieben. -43-
»Worum geht es eigentlich, Boß?« »Pecos, ich sage es ungern, und ich hätte es auch gar nicht erwähnt, wenn ich Sawtell zum Fortreiten hätte bringen können.« »Danke, Heald. Gehen Sie zurück und überlassen Sie die Sache mir.« Bill befolgte den Rat, und auch Sawtells Cowboys zogen sich zurück. »Smith, kennen Sie mich?« Sawtells Stimme klang laut und gebieterisch. »Ich habe nicht die Ehre, Señor«, erwiderte Pecos kalt. »Als ich Sie an der Furt aufsuchte, gaben Sie mir nicht die Chance, Sie kennenzulernen. Ich nehme an, ich habe nicht viel versäumt.« »Nun, vielleicht haben Sie nichts von dem Brennen fremder junger Kälber gehört, das hier vor sich geht?« »Nein. Davon habe ich nichts gehört.« Pecos trat zwei Schritte näher an Sawtell heran, und jeder – mit Ausnahme von Sawtell selbst – fühlte die Drohung, die darin lag. »Ist das der Grund, Sawtell, daß Sie mir bei Marbers Furt die kalte Schulter gezeigt haben?« fragte Pecos. »Darauf können Sie wetten.« »Wenn mein Boß nicht wäre, hätte ich Sie wegen dieser Beleidigung gestellt.« »Sie haben es ganz richtig aufgefaßt«, erwiderte Sawtell höhnisch. »Und wenn die Healds nicht gewesen wären, hätte ich Sie verjagt.« Das war deutlich. Die anderen Männer traten noch weiter zur Seite. Pecos schwieg, und diese unheilschwangere Ruhe schien selbst auf das vom Alkohol benebelte Gehirn von Sawtell Eindruck zu machen. Aber es war zu spät. »Mister Pecos Smith, kennen Sie die Cowboys der BarRanch Curt Williams und Wess Adams, die am Rio Grande für -44-
den Greaser Felipe geritten sind?« fragte Sawtell mit dröhnender Stimme. »Das habe ich auch getan«, erwiderte Pecos. »Das ist für Sie alle keine Empfehlung.« »Ich konnte nicht wählen – ich mußte meinen Unterhalt verdienen. Aber Sie gehen um den heißen Brei herum – los, was wollen Sie?« »Nun, ich habe Williams und Adams hinauswerfen lassen.« »Das ist mir nicht neu.« »Man hat sie auf meiner Weide Kälber brennen sehen.« »Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, Sawtell, daß die Kälber nicht Ihnen gehört haben«, erwiderte Pecos kühl. »Nein, das ist nicht ausgeschlossen. Aber ich beanspruche sie.« »Das ist Ihre Sache. Allerdings etwas heikel – am Pecos.« Sawtells Zorn schien noch zu steigen. »Ich bin hier, um Ihre Entlassung zu fordern.« »Nicht möglich. Ich habe schon gekündigt.« »So? Wann denn?« »Vor zwei Minuten.« »Pecos, Sie sind ein glattzüngiger Bursche. Aber ich werde Sie von dieser Weide verjagen – dorthin, wo Gauner ihrer Art hingehören.« Pecos schien sich wie unter einer ungeheuren Spannung zu straffen. »Sie Idiot! Sie wollen mich von hier vertreiben? Was soll denn das ganze Gerede bedeuten?« Jetzt gab es für Sawtell kein Zurückweichen mehr. Sein rotes Gesicht war bleiern grau geworden. »Sie waren mit den Kälberdieben befreundet.« »Wer beschuldigt mich?« fragte Pecos mit schneidender Stimme. Ein unartikuliertes Brüllen kam aus Sawtells Mund – Zorn über sich selbst war wohl ebensosehr die Ursache dafür wie die -45-
Wut über Pecos. Jetzt schien er endlich erkannt zu haben, daß er diesen Mann unterschätzt hatte. Sein Arm bewegte sich steif, und seine Hand riß die Waffe aus dem Halfter. Das Krachen von Pecos’ Revolver unterbrach die Bewegung. Sawtells Körper wurde schlaff. Sein Kopf sank herab, dann brach er zusammen. Mit einem Satz sprang Pecos an dem am Boden liegenden Körper vorbei und richtete seinen Colt auf die Cowboys. »Wollt ihr die Angelegenheit aufnehmen?« fragte er scharf. »Smith, es war nicht unsere Sache«, sagte der Sprecher der drei heiser. »Wirklich, wir wollten nicht, daß er so vorgeht.« Pecos vertrieb sie mit einer gebieterischen Geste und wartete, bis sie zu ihren Pferden geeilt waren. Als er sich abwandte, kniete Bill Heald neben Sawtell, und John versuchte, die bleich gewordene Mary wegzuziehen. »Tot.« Bill blickte auf. »Herzschuß. Das ist schlimm, Pecos.« »Sie haben ihn gehört«, sagte Pecos gepreßt. »Sicher. Aber ich habe nicht erwartet, daß Sie ihn töten.« Bill stand auf. »Glauben Sie etwa –« »Nicht einen Augenblick.« Bill Heald hob hastig die Hand. »John und ich schwören auf Sie, wie es auch McKeever getan hat. Der verdammte Narr muß betrunken gewesen sein.« Pecos senkte die Waffe, aber seine innere Erregung war immer noch spürbar. Zögernd trat Sandy auf ihn zu. »Du mußtest es tun, Pecos«, murmelte er. »Wir stehen alle zu dir.« Einer der davonreitenden Cowboys rief zurück: »Wir lassen ihn in einem Wagen holen.« »Gut. Aber schnell!« erwiderte Bill Heald. Pecos steckte den Colt weg, und im gleichen Augenblick schien seine innere Spannung einer völligen Erschlaffung zu weichen.
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»Habe ich Ihnen nicht gleich gesagt, Bill, Sie sollten mir den Außenposten nicht geben?« murmelte er. »Ja. Es tut mir leid. Aber ich weiß nicht, ob es etwas daran geändert hätte.« »Doch. Ich habe zuviel gesehen, Bill, und ich habe versucht – ach, lassen wir das. Jedenfalls danke ich Ihnen, daß Sie mich behalten haben und daß Sie mich gegen den feigen Lügner verteidigten.« Bill Heald begriff, was die Andeutung zu sagen hatte. Pecos hatte Williams und Adams bei einer unsauberen Sache ertappt, aber sie nur zurechtgewiesen und dann den Mund gehalten. »Pecos, hören Sie. Sawtell muß Williams und Adams gestellt haben, und jetzt wollte er Sie dazu bringen, die beiden zu verraten.« »Haben Sie etwas von den beiden gehört?« »Ja. Mehr als einmal. Und ich habe da meine Zweifel.« Pecos machte eine Geste der Ratlosigkeit. »Diese Narren!« Im gleichen Augenblick machte Mary sich von ihrem Bruder frei und lief zu Pecos. Sie war noch bleich, aber sie hielt sich tapfer. »Pecos, ich weiß, daß Sie kein Dieb sind.« Sein Gesicht erhellte sich. »Danke, Miß Mary. Wenn ich wieder auf dem großen Weg mit langen Zügeln reite, wird es gut tun, zu wissen, daß Sie und Ihre Brüder an mich geglaubt haben.« »Pecos, warum wollen Sie uns verlassen?« »Ich kann nicht bleiben. Ich würde Ihren Brüdern nur schaden.« »Mary, er hat recht«, sagte Bill. »Er muß fort. So sehr ich es auch bedauere.« »Sicher. Und ich kann die Schuld ebensogut gleich auf mich nehmen«, sagte Pecos bitter. »Sag das nicht, Junge«, erwiderte Bill Heald beschwörend. -47-
»Nein, Sie dürfen nicht so denken!« brach Mary leidenschaftlich los. »Es ist Unrecht gegen Sie und gegen uns alle. Lassen Sie sich durch die Tötung dieses – dieses Schurken nicht aus der Bahn werfen. Er war so gemein. Ich hätte ihn selbst niederschießen können.« Pecos sah sie erstaunt und mit einem traurigen Lächeln an. »Ich danke Ihnen, Miß Mary, und ich verspreche Ihnen, daß ich auf dem richtigen Weg bleiben werde. Adios!« Er schien ihre Hand ergreifen zu wollen, wandte sich dann aber schnell ab. »Adios, Pecos!« rief das Mädchen. »Bleiben Sie, wie Sie sind – und kommen Sie eines Tages zurück!«
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6 Aber es zeigte sich schnell, daß weder die Erinnerung an Mary Healds Worte, noch Pecos Smiths eigene Verachtung für Viehdiebe, oder das Versprechen, das er gegeben hatte, ihn auf dem richtigen Weg halten konnten. Das Brennen von ungebrannten Kälbern war in dieser Frühzeit in Texas kein Verbrechen. Alle Männer taten es, auch wenn sie nicht sicher waren, daß ihnen das Tier gehörte. Wenn ein Kalb nicht eine Kuh mit Brandzeichen begleitete, gab es auch keinen positiven Beweis. Als zwei Rancher erklärt hatten, sie brauchten keinen neuen Reiter, wäre es für Pecos am besten gewesen, zu McKeever zurückzugehen, sein Stolz ließ ihn aber einen anderen Weg einschlagen. Er hatte sich entschlossen, mit Williams und Adams zusammenzugehen, die tatsächlich mit ungebrannten Kälbern handelten. Es gab dagegen kein Gesetz, und das einzige Hindernis war ein fremder Colt. Aber solche tollkühnen Manöver wie die von Sawtell waren mehr die Ausnahme als die Regel. Pecos sagte sich, wenn er ungebrannte Kälber mit einem eigenen Brandzeichen versah und sich auf diese Weise eine eigene Herde aufbaute oder den Erlös sparte, würde er diese fragwürdige und ihm widerwärtige Tätigkeit nicht mehr lange tun müssen. Williams und Adams hatten nicht über ihre Verkaufsmöglichkeiten gesprochen, und Pecos hatte nicht gefragt. Rancher in Neu-Mexiko und sogar Regierungsaufkäufer schlossen direkte Verträge mit Viehdieben ab, ohne Fragen zu stellen. Das Viehgeschäft stand im Südwesten vor einer großen Blüte. Pecos erkannte das so genau, daß er es bedauerte, nicht schon eine eigene Herde zu besitzen. Er folgte also den beiden Cowboys in die Breaks des Pecos. Die beiden hatten ein Rudel Pferde und die notwendige -49-
Ausrüstung. Mit Pecos zusammen waren sie eine beachtliche Bande, denn dieser konnte mehr ungebrannte Kälber aufstöbern als irgendein Cowboy in ganz Texas. Die Dickichte in den Canyons waren voll von Rindern, die nie mit einem Brandeisen in Berührung gekommen waren. »Hört zu«, sagte er zu den beiden. »Ich kann südlich von hier Tausende von ungebrannten Rindern finden. Es kostet viel Arbeit und Zeit, aber wir können dabei keine Unannehmlichkeiten haben.« »Wir nehmen sie, wie sie kommen«, sagte Wess Adams, ein junger Mann mit kantigem Gesicht und einem Zug von Rücksichtslosigkeit um den Mund. »Das ist eine gute Idee von Pecos«, widersprach Williams, der nicht so haltlos und verwegen war. »Wenn ihr schon in diesen Breaks arbeiten wollt, dann dürfen wir nicht mehr als hundert Stück zusammentreiben, und ihr müßt sie einmal im Monat zu eurem Käufer bringen«, schlug Pecos vor. »Hundert? Und nur einmal im Monat?« stieß Adams hervor. »Ich bin derselben Meinung wie Pecos«, sagte Williams nachdenklich. »Und selbst dann ist es immer noch keine sichere Sache.« »Wenn es zu gefährlich für uns wird, müssen wir die Taktik ändern«, erklärte Pecos. »Wir brennen den Rindern ein neues Zeichen auf, das noch niemand hier gesehen hat und treiben die Herde auf die Weide. Keiner von den Ranchern wird wissen, daß es unser Brandzeichen ist. Später, wenn die Brandzeichen dann alt sind, können wir ein Round-up machen und ohne besonderes Risiko eine große Herde wegtreiben.« »Ja, die Idee ist gut«, sagte Williams, und Adams stimmte schließlich mürrisch zu. Dann machten sich die drei an die Arbeit. In wenigen Tagen hatten sie eine Herde von über hundert Stück zusammen, und
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Adams und Williams trieben die Herde nach Norden zu ihrem Käufer, den sie in einer Woche erreichen wollten. Inzwischen arbeitete Pecos allein weiter. Seine Kameraden kamen auch rechtzeitig zurück, und er erhielt etwas über zweihundert Dollar – mehr Geld, als er je auf einmal besessen hatte. Allerdings wurde seine Freude durch quälende Gewissensbisse getrübt. Er hatte das Geld nicht durch ehrliche Arbeit verdient. Nach drei Wochen schon drängte Adams auf ein weiteres Treiben, bei dem sie alle gefangenen Rinder mitnehmen wollten. Pecos widersprach energisch. Er hatte erkannt, daß er bald vor eine Alternative gestellt werden würde. Entweder er suchte Streit mit Adams und erschoß ihn, oder aber ließ die beiden ohne jeden Widerspruch weitermachen. Die zweite Möglichkeit sagte ihm mehr zu. Er war ehrlich bestrebt, seiner seltsamen Revolverleidenschaft Widerstand entgegenzusetzen. Auch von diesem zweiten Treiben kehrten Williams und Adams unbehelligt zurück, obwohl Pecos schon schlimme Befürchtungen gehabt hatte. Die beiden waren harte und listige Burschen, die wohl unterwegs auch Verbündete haben mußten. Die Situation änderte sich also vorerst für Pecos nicht – nur sein Bündel Dollarnoten war beträchtlich gewachsen. Vom Spätsommer bis in den Winter hinein trieben die unermüdlichen Reiter zehnmal Rinderherden nach Neu-Mexiko. Im Frühjahr wurden sie daher, wie es bei ihrem Charakter zu erwarten war, immer dreister. Außerdem roch Adams, wenn sie heimkehrten, stark nach Whisky. Als die beiden daher im April von einem Treiben nicht rechtzeitig zurückkamen, war Pecos weder überrascht noch besonders bekümmert. Für ihn sollte dieses Treiben ohnehin das letzte sein – so hatte er sich entschlossen. Er besaß jetzt so viel Geld, daß er es gar nicht zu zählen wagte; bestimmt genug, um eine Ranch zu gründen. Als möglicher Platz dafür schwebte ihm die Gegend der Mündung des Pecos in den Rio Grande vor. Dort hausten jedoch -51-
mexikanische Plündererbanden, und er hatte reichlich genug von den Mexikanern. Als seine beiden Kameraden länger als eine Woche überfällig waren, war Pecos davon überzeugt, daß sie Pech gehabt haben mußten. Vielleicht hatten sie aber auch die letzte Herde verkauft und dann einfach ›vergessen‹, Pecos seinen Anteil zu überbringen. Adams war dazu jederzeit in der Lage, wenn auch Williams nicht diesem Typ entsprach. Auf alle Fälle verlegte Pecos seinen Lagerplatz um einige Meilen in ein zerklüftetes und fast unzugängliches Buschgelände. Er brachte den größten Teil seiner Vorräte dorthin und ließ Cinco und die Packpferde dort. Das Dickicht war schwer zu finden und kaum zu durchdringen. Es war anzunehmen, daß Verfolger hier eindringen würden. Jeden Tag machte Pecos mit seinem Gewehr und den Taschen voller Munition den Weg zum alten Camp zurück. Am vierten Morgen seit der Verlegung des Camps sichtete er auf dem Ostufer des Flusses ein Rudel von Indianern. Er konnte nur einen flüchtigen Blick auf die wilden Gestalten und die zerzausten Mustangs werfen, die einen der Kämme jenseits des Hochufers überquerten, aber das reichte ihm. Seine Wachsamkeit hatte sich endlich gelohnt. Es war zu erwarten, daß die Kiowas oder Comanchen jetzt im Frühling ihre Reservationsgebiete verlassen und Raubzüge überall in WestTexas machen würden. Pecos überlegte. Vielleicht kehrten die Indianer schon von einem Raubzug zurück? Auf jener Seite befand sich ein alter Indianerweg. Das Camp der drei Kälberjäger war in einem flachen Canyon gewesen, der von der Westseite des Pecos aus gut verborgen lag, aber von der anderen Seite aus eingesehen werden konnte. Falls Adams und Williams zurückgekehrt waren, hatten sie sicherlich die Nacht dazu gewählt, und in diesem Falle hätten ihr Lagerfeuer und die Pferde sie den Rothäuten verraten. -52-
Vorsichtig pirschte Pecos sich an das alte Camp heran. Nach zwei Meilen entdeckte er eine Bewegung an der Mündung einer der Schluchten auf dem Ostufer. Er zählte achtzehn halbnackte Krieger, die eben über den Fluß setzten. Sie überquerten ohne Mühe den Fluß und verschwanden. Sicherlich hatten sie nichts Gutes im Sinne. Vorsichtig klomm er aus dem Flußgrund zur Höhe und bis in die Nähe jener Schlucht, die die Comanchen nach seiner Meinung passieren mußten. Sie kamen aber nicht, und jetzt war er fast sicher, daß sie sich dem alten Camp näherten. Wenn er selbst über offenes Gelände vorging, konnte er sicherlich den Ort vor den Indianern erreichen. Er wollte seine Kameraden unbedingt warnen, falls sie wirklich angekommen waren. Doch dann überlegte er sich, daß er sie auch von der Felsenhöhe aus warnen und ihnen aus dieser Position auch besser Hilfe leisten konnte. Er zwang sich dazu, nicht zu hastig vorzugehen und sogar kleine Umwege zu machen, um immer in Deckung zu bleiben. Wenn er erst nahe der Südwand des Canyons war, befand er sich in Sicherheit. Als er sich dem Lagerplatz näherte, glaubte er das Wiehern eines Pferdes zu hören. Er wartete gespannt. Der Morgen war schon fortgeschritten. Keine Wolke schwebte am Himmel, und die Luft war sommerlich warm. Geier segelten durch die Luft, und diese unheimlichen Vögel erweckten in ihm immer ein eigenartiges Gefühl. Ein Gegner hatte einmal zu ihm gesagt, er werde eines Tages als Geierfutter enden. Zwar war dieser Feind selbst gestorben, aber Pecos hatte die Prophezeiung nie vergessen können. Geier schienen ein merkwürdiges Ahnungsvermögen dafür zu haben, wo bald Aas zu erwarten war. Gespannt und vorsichtig schlich er weiter, und dann vermittelte ihm seine Nase die Bestätigung für die Richtigkeit seiner Vermutung. Er roch Rauch. Das bedeutete, daß Adams und Williams tatsächlich zurückgekehrt waren. Er arbeitete sich schneller vor, bis er den -53-
Rand des Canyons erreicht hatte. Zwischen Felstrümmern und tückischen Dornenbüschen bahnte er sich weiter seinen Weg, bis er eine blaue Rauchwolke hochquirlen sah. Auf Händen und Knien kroch er auf den Felsrand zu, und in diesem Augenblick erschreckte ihn ein furchtbarer Schrei. Was war das gewesen? Ein Pferd – oder ein Mensch? Dann hörte er zornige Stimmen. Was dort unten auch vor sich gehen mochte, die Comanchen hatten jedenfalls noch nicht eingegriffen. Er kroch schnell weiter, bis er eine mit Buschwerk bedeckte Einbuchtung am Felsrand erreicht hatte. Er konnte nicht gesehen werden und sich schnell entfernen; eine Verfolgung war außerdem fast unmöglich. Pecos richtete sich auf, um hinunterzuspähen, und bei dem Anblick, der sich ihm bot, traten ihm nahezu die Augen aus den Höhlen. Vier Mann hielten den fluchenden Adams auf einem Pferd fest. Sie hatten ihm eine Lassoschlinge um den Hals gelegt und das Ende des Seils über einen Ast geworfen. Am anderen Ast war ein Mann bereits aufgehängt. Williams! Einen Augenblick starrte Pecos wie gelähmt auf die Szene. Adams und Williams waren also von Ranchern überrascht worden. Pecos hatte schon davon gehört, daß man jetzt auch hierzulande Viehräubern gegenüber zur Lynchjustiz griff. Plötzlich und blitzschnell kam ihm die Erkenntnis, daß Adams sein Verbündeter war. Er hatte die Gewinne mit den beiden geteilt. In diesem Augenblick stand er vor einer schlimmen Entscheidung. Er hatte seinerzeit Sawtell getötet, weil dieser ihn ungerecht beschuldigt hatte. Wenn er aber jetzt tötete, um einen Geächteten zu verteidigen, dann ächtete er sich selbst. Pecos traf seine Entscheidung sofort. Sein Ehrenkodex ließ ihm keine andere Wahl. Er spannte das Gewehr und senkte die Mündung. Doch im gleichen Augenblick ertönte rechts unter Pecos die Explosion einer Büffelflinte. Der Anführer der Lynchabteilung stieß einen heiseren Schrei aus und stürzte mit -54-
ausgebreiteten Armen ins Gras. Gleich darauf knatterte eine heftige Salve, und das Kriegsgeschrei der Comanchen rollte durch das Tal. Ein weiterer Rancher fiel. Adams Pferd wurde getroffen und stürzte mit ihm. Bei dem Fall schien er verletzt worden zu sein. Mit dem Lasso um den Hals versuchte er weiterzukriechen, wurde aber sofort von mehreren Kugeln getroffen und fiel nach vorn aufs Gesicht. Der dritte Rancher sprang hinter einen Baum. Der vierte wurde verwundet, ehe er eine Deckung erreichte, aber gleich darauf schob er seinen Gewehrlauf über das tote Pferd. Pecos kroch weiter, bis er die Comanchen sehen konnte. Der Überraschungserfolg hatte sie kühn gemacht, und sie griffen jetzt offen an. Ihr Feuer war so heftig, daß Pecos die Schüsse der beiden Rancher kaum hören konnte. Er schaltete sich selbst in den Kampf ein und nahm einen der Indianer aufs Korn. In weniger als zwei Minuten feuerte er sieben Schuß ab. Als er nachlud, sah er, wie die Indianer aus den Büschen brachen. Pfeile sausten durch die Luft und trafen das tote Pferd oder blieben zitternd im Baum stecken. Plötzlich sprang der Rancher hinter dem Baum hervor. Ein Pfeil hatte ihn in den Leib getroffen. Er schoß die drei vordersten Indianer nieder, und die anderen wandten sich zur Flucht. Wieder begann Pecos zu schießen und streckte den nächsten Indianer nieder. Das war aber ein Fehler gewesen, denn die anderen entdeckten jetzt seine Position. Sie flohen kreischend. Auch die restlichen vier oder fünf verschwanden im Busch. Unvermittelt hörte das Schreien der Indianer auf. Sicherlich dachten die Comanchen, Verstärkung sei gekommen, und es wurde still im Canyon. Der Verwundete mit dem Pfeil im Leib war in die Knie gesunken und brach jetzt zusammen. Pecos hielt nach dem Mann hinter dem Pferd Ausschau, aber er war nicht zu sehen. Sein Gewehr war jedoch zur Seite geglitten – ein bedenkliches Zeichen. -55-
Das war das Ende des kurzen, wilden Kampfes.
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7 Es bestand keine Gefahr, daß die Comanchen zurückkehren würden. Sie banden jetzt sicherlich ihre Verwundeten auf die Pferde und verschwanden. Als Pecos sein Gewehr geladen hatte, stieg er zu dem schauerlichen Schauplatz der Lynchjustiz hinunter. Sie war gespenstischer, als er erwartet hatte. Der Gehenkte – das mit Pfeilen gespickte Pferd – der Rancher, dem die Pfeilspitze aus dem Rücken ragte – es war ein furchtbarer Anblick. Plötzlich hörte er ein rasselndes Stöhnen, und er fuhr herum. Der Rancher mit dem Pfeil im Leib war es gewesen. Pecos beugte sich über ihn und drehte ihn auf die Seite. Der Mann war ihm fremd. Er stand im mittleren Alter und war offenbar kein Texaner. Er war bei Bewußtsein, lag aber im Sterben und verlangte stöhnend nach Wasser. Pecos holte einen Topf aus ihren verborgenen Vorräten und füllte ihn an der Quelle. »Sind sie fort?« fragte der Mann, als er getrunken hatte. »Ja. Sie sind bestimmt über den Fluß geflohen.« »Diese Höllenhunde – sie haben uns unsere Hängeparty verdorben. Aber Sie haben ihnen auch ihr Spiel verpatzt. Waren Sie allein?« »Ja. Aber ich war hinter ihnen zwischen den Felsen.« »Sind meine Leute alle tot?« fragte der Rancher. Pecos nickte. »Lassen Sie mich noch einmal trinken.« »Wollen Sie irgendeine Nachricht übermitteln?« fragte Pecos. »Nein. Es sei denn, Sie treffen diesen Pecos Smith.« »Das bin ich selbst.« »Ich habe es mir gedacht. Aber haben Sie mit Williams und Adams Brandzeichen gefälscht?« -57-
»Nein. Also deswegen habt ihr sie hängen wollen. Dann haben die beiden mich betrogen. Wir wollten nur gemeinsam Kälber brennen.« »Sicherlich haben die beiden Sie betrogen. Die Healds haben gut von Ihnen gesprochen, Smith. Aber Breen Sawtell, der Bruder von Beckmans Vormann, den Sie erschossen haben, der hat es auf Sie abgesehen.« »Breen Sawtell? Den kenne ich nicht. Wie sieht er aus?« »Er ähnelt seinem Bruder sehr. Und da ich jetzt im Sterben liege, kann ich Ihnen etwas verraten. Er hat seinen eigenen Bruder bestohlen und ihn deshalb auf Ihre Fährte gesetzt – wie er es auch bei anderen getan hat. Kann ich noch etwas zu trinken haben?« »Natürlich. Und warum hat er ausgerechnet mich ausgesucht?« »Man sagt, er sei hinter Mary Heald her gewesen, bis Sie gekommen sind.« »Bill hat mir das nie gesagt«, murmelte Pecos verwirrt. »Smith – ich gebe Ihnen einen Rat. Lassen Sie das Kälberbrennen sein. Alle, die davon wußten, sind tot, und niemand wird je davon erfahren. Geben Sie das Spiel auf.« Der letzte bewußte Blick des Sterbenden sollte für Pecos unvergeßlich bleiben. Gleich darauf sank der Kopf des Mannes zurück. Er war tot. Pecos ließ den Blick über den Ort gleiten. Wahrscheinlich würde man die Fährte der vier Rancher bis hierher verfolgen. Ein geschickter Spurenleser würde wahrscheinlich das Eingreifen eines Außenseiters erkennen, trotzdem war es besser, alles so zu lassen. Er nahm das Geld von Adams und Williams, steckte es ein und nahm nach kurzem Nachdenken auch Adams’ Colt, ein Kistchen Munition und einen Sack Proviant. Mit seinem eigenen Gewehr zusammen war das eine beträchtliche Last, die er zum neuen Camp schleppen mußte.
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Indem er öfter rastete, schaffte er die drei Meilen in etwas weniger als zwei Stunden, so daß er gegen Mittag in seinem Lager war. Pecos entschloß sich, sofort nach Süden aufzubrechen. Er hatte in Eile gesattelt und war dabei, das Geld zu verstauen. Er konnte nicht alles am Körper tragen, das wäre aufgefallen. So wählte er die größten Scheine aus und verstaute sie in tiefen Taschen, während er die übrigen im Futter seines schweren Überrocks verbarg und diesen hinter dem Sattel festband. Als er mit diesem Geld hantierte, brach ihm der Schweiß aus. Er konnte sich nicht weismachen, daß er es ganz ehrlich erworben hatte – obwohl es auch kein gestohlenes Geld war. Schließlich lief es auf eine Tatsache hinaus: einige Rancher in Texas hatten zusammen eine Menge verlaufener Rinder verloren, von denen sie nichts wußten, und er hatte dafür ein kleines Vermögen gewonnen. Nie war er wachsamer zu einem Ritt aufgebrochen. Er konnte erst freier atmen, wenn er eine ganze Anzahl von Meilen vom Camp entfernt war. In dieser Nacht kampierte er in der Nähe des Alkali Lake auf dem Ostufer des Flusses. In einem weiteren Tag erreichte er Adobe Wells. Fraziers Furt passierte er vorsichtshalber bei Nacht, und so erreichte er schließlich nach einigen Tagen den für ihn gefährlichsten Punkt: die alte Furt der Spanier – die Horsehead-Furt. Er kampierte dort nicht einmal, sondern er ritt gleich südwärts weiter. Nach einem Tagesmarsch stieß er zum ersten Male auf Rinder, aber bezeichnenderweise sah er nur wenige Kälber. Von den Ranchern selbst entdeckte er keine Spur. Zweifellos mußten Cowboys hier zu einem Round-up über fünfzig Meilen reiten. Je weiter er nach Süden kam, um so mehr Rinderspuren fand er. Seiner Überzeugung nach näherte er sich jetzt der Gegend, die für die Ausführung seiner Pläne geeignet war. Dabei war ihm jedoch die ganze Zeit über klar, daß er sich -59-
monatelang still verhalten mußte, ehe er als Rancher anfangen konnte. * Er hatte diesmal einen anderen Weg benutzt als den, auf dem er seinerzeit nach Norden gekommen war. Als er daher aus einer Senke auf höheren Grund ritt und die roten Adobehütten und grauen Steinhäuser von Eagles Nest zwischen den Bäumen erblickte und dahinter das riesige, steile Felsufer des Rio Grande aufragen sah, war er weder überrascht noch beunruhigt. Vielleicht war es gerade recht so: das Unvorhergesehene hatte schon oft in seinem Leben eine Rolle gespielt. Auf den ersten Blick schien der Ort sich nicht verändert zu haben. Bald sah er jedoch manches Adobehaus, an das er sich nicht erinnern konnte. Neben Dale Shevlins Handelsposten ragte ein neues, niedriges graues Bauwerk auf. Jetzt war die Stunde der Siesta, und auf den Straßen regte sich nichts; nur an den Haltegeländern dösten einige schläfrige Pferde. Im Schatten einiger Bäume stieg er ab. Shevlin würde sich kaum an ihn erinnern, und es war auch nicht wahrscheinlich, daß er Don Felipe hier treffen würde. Sein Proviant war nahezu verbraucht, und auf die Dauer konnte er Ansiedlungen nicht umgehen. Er setzte sich in den Schatten, und gleich darauf kamen mehrere Männer aus dem Store. Ein barfüßiger Junge lief an ihm vorüber, und Pecos sprach ihn an. »Hat Dale Shevlin noch den Store?« fragte er. »Nein – er ist nicht mehr da«, erwiderte der Junge. »Was du nicht sagst. Und was ist aus ihm geworden?« »Jemand hat ihn in den Rücken gestochen.« »Das ist schlimm. Er war ein guter Mann. Hat er denn keine Familie?« »Doch. Aber die hat Don Felipe vertrieben. Er führt jetzt den Saloon und den Store.« -60-
»Das ist eine Neuigkeit. Ist er denn da?« »Nein, Sir. Er ist viel in Rockport und verkauft dort Rinder.« »Und wer führt den Store und den Saloon?« »Ein Mann aus New Orleans. Wir nennen ihn Frenchy, aber er heißt Conrad Brasee. Zwei Mexikaner und ein weißer Barkeeper arbeiten für ihn.« »Komm her, Johnny, ich bin ein Reiter aus Texas und dein Freund. Ich habe einen Dollar, der mir in der Westentasche brennt. Willst du ihn?« »Das will ich meinen«, sagte der Junge und kam mit großen Augen näher. »Dann ist also Don Felipe der große Mann«, fuhr Pecos fort und drückte dem Jungen das Goldstück in die Hand. »Er ist wohl ein Greaser?« »Er ist mehr Weißer als Mexikaner. Aber er ist trotzdem ein Greaser.« Der Junge schien alle Mexikaner zu hassen; er warf Pecos einen bezeichnenden Blick zu. »Und wie sieht es in Eagles Nest aus?« »Der Ort gehört ihm praktisch, aber niemand kann ihn leiden. Er hat sieben Männer getötet – davon drei Weiße.« »Heiliger Bimbam, dann muß er ja ein schlimmer Bursche sein.« Pecos war wirklich überrascht, denn zu seiner Zeit hatte Felipe nur vier Männer auf dem Gewissen gehabt. »Was ist mit McKeever? Er hat hier früher seine Herden vorbeigetrieben.« »Mein Dad sagt, er benutzt jetzt den Chisholm-Weg.« »Ich verstehe. Don Felipes Ranch liegt flußabwärts?« »Ja. Am Devils River, aber seine Vaqueros streifen bis über Eagles Nest hinaus.« »Hat dein Vater gesagt, daß sie Brandzeichen ändern oder Kälber brennen?« Der Junge zögerte. »Um Himmels willen, Mister – ich – ich –« »Schon gut, Junge. Ich habe nur laut gedacht. Vergiß das. Arbeitet noch ein Rancher hier?« -61-
»Ja. Einer aus Neu-Mexiko. Er heißt Sawtell.« Pecos wäre beinahe zusammengezuckt. Er hatte so eine Ahnung, daß er mit dem Namen Sawtell noch nicht fertig war. Jedenfalls hatten seine Fragen aber zu einem gewissen Ergebnis geführt. »Wer ist denn der Neger dort drüben?« fragte er, um das Gespräch aufrechtzuerhalten. »Ist er betrunken?« »Nein, Sir. Das ist Sambo – er ist ein guter Kerl. Er kam als Vaquero von Colonel Lambeth hierher, der vor einem Jahr getötet wurde.« »Lambeth? Ja, ich habe schon von ihm gehört. Und warum sieht der Neger so ramponiert aus, wenn er nicht betrunken ist?« »Man hat Sambo heute morgen aus dem Store geworfen. Terrill Lambeth hat nämlich die Schulden nicht bezahlen können, die er im Store hat, und Brasee hat ihm den Kredit gesperrt.« »Wer ist denn dieser Terrill?« »Der Sohn von Colonel Lambeth. Sie haben eine Ranch irgendwo am Pecos und hatten viele Rinder. Aber Lambeth wollte nicht das Stück für sechs Dollar verkaufen, und jetzt sind die Rinder fort. Sie sind so arm, daß sie ihren Proviant nicht bezahlen können.« »Wo sind denn die Rinder hin?« Der Junge lachte. »Wissen Sie nicht, Sir, daß Sie hier westlich des Pecos sind?« »Das scheine ich wirklich vergessen zu haben«, sagte Pecos gedehnt. »Da, Junge, hast du noch einen Peso.« »Oh, danke. Aber wenn Sie so reich sind, dann bezahlen Sie doch Terrills Rechnung und lösen Sie ihn aus!« »Was soll denn das heißen. Hier gibt es doch kein Gefängnis?« »Doch. Brasee nennt es wenigstens so. Der Barkeeper sperrt dort betrunkene Greaser ein. Terrill steckt jetzt mit einem dort.«
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»Junge, Junge, jetzt wird mir warm. Ist denn dieser Brasee auch Sheriff?« »Das nicht – aber er tut so. Er kann Texaner nicht leiden.« »Ich verstehe. Na gut, dann werde ich deinen Freund Terrill auslösen.« Der Junge warf ihm einen dankbaren Blick zu und huschte davon. Pecos stand auf und schlenderte auf den betrübten Sambo zu. Die Verachtung eines Südstaatenmannes für Neger lag ihm im Blut, aber er wußte, daß es in dieser Rasse viele gab, die ebensoviel wert waren wie ein Weißer. Mit einem Male erinnerte er sich auch an den Mann. Neger als Vaqueros waren immerhin ziemlich selten. »Hallo, Sambo, worum geht das alles?« fragte er freundlich. Der Neger schaute mit einem dumpfen Blick auf. Er maß Pecos vom Scheitel bis zur Sohle und starrte einen Augenblick lang auf den Colt an dessen linker Hüfte. »Ja, Sir. Ich bin Sambo. Was haben Sie gesagt?« »Ein Junge erzählte mir, daß du in Not bist.« »Ja, Sir, das bin ich wirklich. Aber ich kenne Sie nicht.« »Nun, Sambo, vielleicht bin ich ein Freund in der Not.« Er legte Sambo die Hand auf die Schulter. Ein Mexikaner und ein Weißer, die vor dem Store gestanden hatten, traten daraufhin hastig in den Laden zurück. »Wenn Sie mir einen Colt leihen, dann glaube ich Ihnen, daß Sie ein Freund sind«, sagte Sambo. »Wozu, Sambo?« »Ich will diesen Brasee durchlöchern.« »Dadurch kommst du nur in weitere Schwierigkeiten. Erzähle mir lieber, was los ist. Aber ehrlich und schnell.« Der Neger raffte sich zusammen. »Jetzt weiß ich, wer Sie sind. Sie haben uns damals in der Nähe der Furt gefunden und zum Fluß geführt. Vor zwei Jahren haben wir Rinder aus dem Osten hierher getrieben, und wir hatten schließlich fast zehntausend Stück. Dann sind Viehräuber -63-
über uns hergefallen, und eines Tages haben sie Colonel Lambeth, meinen Boß, erschossen. Jetzt sind wir arm. Brasee hat Master Terrill eingesperrt, und als ich davon erfuhr und ihn holen wollte, hat Brasee mir etwas über den Kopf geschlagen. Master Terrill ist dort in der Adobehütte. Leihen Sie mir Ihren Revolver, dann –« »Nur mit der Ruhe, Sambo. Weshalb hat er Terrill eingesperrt?« »Brasee behauptet wegen Geld, das der Colonel schuldig gewesen sei, aber das ist nur eine Ausrede. Breen Sawtell und sein Partner Don Felipe stecken dahinter. Sie wollen Master Terrill von der Ranch vertreiben. Ich glaube, sie haben auch Colonel Lambeth erschießen lassen. Meine Frau weiß es, sie hat es im Traum gesehen. Sie haben unser Vieh gestohlen, und jetzt sind sie hinter Master Terrill her.« »Gut, Sambo. Komm mit mir.« Pecos hatte sich schon entschlossen. Er hatte sich von Sambo nur noch einmal die Geschichte erzählen lassen, um die Wahrheit bestätigt zu bekommen. Er wandte sich jetzt um, schritt über die Straße und betrat den Store. Seit seinem letzten Besuch war der Raum erweitert worden, und alle Regale waren vollgestopft mit Waren aller Art. Ein Mexikaner tat so, als arbeite er, aber der schräge Blick, den er Pecos zuwarf, bewies, daß er wachsam war. Hinter der Theke stand ein Mann in Hemdsärmeln. Er war dick und blaß, und das strähnige schwarze Haar fiel ihm in die Stirn und fast über die Augen. Seine Nase war lang und schmal, und er hatte einen kleinen Mund und ein spitzes Kinn. Jahrelang hatte Pecos sich damit beschäftigt, Männer mit wenigen Blicken richtig einzuschätzen – und das war auch der Hauptgrund dafür, daß er noch am Leben war. »Hallo. Sind Sie Brasee?« fragte Pecos gedehnt.
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8 Der neue Storekeeper von Eagles Nest machte auf Pecos den Eindruck eines kreolischen Spielers aus New Orleans. »Ja. Ich bin Brasee. Was wollen Sie?« Er sprach mit einem leichten Akzent, der allerdings nicht auf farbige Vorfahren hindeutete. »Nun, ich stehe der Familie Lambeth nahe«, erklärte Pecos kühl. »Nicht direkte Blutsverwandtschaft, aber ich komme eben aus Ost-Texas und höre zu meinem Kummer, daß der Colonel tot und der junge Terrill eingesperrt ist. Was ist damit?« »Das geht Sie nichts an.« »Aber sicher, Mister Brasee. Ich bin weit gekommen, um den jungen Terrill zu sehen. Ich möchte ihn sprechen.« »Das können Sie nicht.« »Mit welchem Recht haben Sie ihn mit einem betrunkenen Greaser zusammen eingesperrt?« »Lambeth schuldet mir den Winterproviant.« »Wieviel?« Brasee starrte Pecos an, konnte sich aber über den Fremden nicht klar werden. Er war noch nicht lange westlich des Pecos. »Nicht wichtig, Señor«, sagte er. »Doch. Das ist sehr wichtig. Zeigen Sie Ihr Schild, wenn Sie ein Texas-Ranger sind.« Brasee konnte das natürlich nicht, und Pecos hatte es genau gewußt. »Aha, Sie spielen also das Gesetz hier? Das habe ich in Texas schon erlebt. Es bedeutet aber kein langes Leben. Wieviel schuldet der Junge?« »Zweihundertelf Dollar.« Brasee schluckte schwer. Pecos zählte den Betrag ab und warf ihn Brasee hin. Dabei entging ihm nicht der gierig glitzernde Blick des Mannes. Auch -65-
andere Dinge bemerkte er. Shevlins achtbarer Store war zu einem fragwürdigen Ort geworden. Ein anderer Mann lauschte hinter der Tür des Saloons. »Schreiben Sie eine Quittung.« Pecos griff hinter sich, packte einen zehn Pfund schweren Salzsack und schleuderte ihn gegen die Tür. Der Sack knallte gegen die Füllung, die Schwingtür sauste nach außen und prallte gegen einen Körper. Als sie zurückschwang, sah Pecos einen Mann im Saloon am Boden sitzen und seine blutende Nase betasten. »He, Sie! Wie kann ich wissen, daß Sie hinter der Tür lauschen! Was für eine Höhle führen Sie eigentlich, Brasee?« Brasee schrieb gerade mit nicht ganz ruhiger Hand die Quittung aus. »Hier ist Ihre Quittung, Señor. Aber ich halte den jungen Lambeth doch fest, bis Don Felipe kommt.« »Das werden wir schon sehen«, sagte Pecos kühl. »Sambo, nimm die Axt und komm mit.« Pecos empfand tiefe Verachtung für die Männer, die Don Felipe neuerdings um sich gesammelt hatte, aber er wurde deshalb doch nicht unvorsichtig. Draußen sagte er zu Sambo: »Zeig mir jetzt das Gefängnis.« Sambo führte ihn zu einer neuen Adobehütte, deren Tür mit einer Kette und einem Vorhängeschloß versperrt war. Er hämmerte gegen die Tür und fragte: »Master Rill, sind Sie da?« »Sambo, ich sterbe, wenn du mich nicht bald herausholst«, ertönte von drinnen eine klagende Stimme. »Sag ihm, er soll von der Tür wegtreten, wir schlagen sie ein.« Sambo gab die Mitteilung nach innen weiter, und Pecos trat etwas zur Seite, um die Hintertür des Store im Auge behalten zu können. Es geschah jedoch nichts, während Sambo mit wilden Schlägen die Tür zerschmetterte.
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Pecos hatte Terrill noch als einen Jungen in Erinnerung, statt dessen taumelte jetzt ein schlanker Jüngling ins Sonnenlicht. Er trug einen zerlumpten, grauen Überrock, Overalls und Stiefel. Seine Kleidung war schmutzig, und den schwarzen Sombrero hatte er tief ins Gesicht gezogen. »Sambo, ich bin da drin fast erstickt«, keuchte Terrill. »Wo ist der Greaser, mit dem zusammen man Sie eingesperrt hat?« fragte Pecos. »Er wurde heute morgen entlassen.« Terrill sah Pecos an und zuckte zusammen. Dann blickte sie zu Sambo. »Master Terrill, Sie müssen diesem Gentleman danken.« »Oh, ich danken Ihnen, Sir.« Die Stimme des vermeintlichen Jungen verriet echte Dankbarkeit, obwohl er Pecos dabei scheu und mit einem seltsamen Blick ansah. Sambo berichtete kurz, was geschehen war, und Terrill unterbrach ihn mit einem erstaunten Ausruf. »Bezahlt?« Sie wandte sich an Pecos. »Sie haben meine Schulden bezahlt?« Sie streckte ihm ihre kleine, feste Hand hin. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Erinnern Sie sich noch an mich? Wir haben uns bereits in San Antonio und an der Horsehead-Furt getroffen.« »Doch, ich erinnere mich.« »Bitte sagen Sie mir, wo ich Sie finden kann. Wie soll ich je meine Schuld zurückbezahlen!« »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen.« »Nein. Sagen Sie mir die Adresse.« »Ganz einfach: Pecos Smith, westlich des Pecos.« »Sie sprechen doch nicht im Ernst?« »Doch, es ist so.« Er wandte sich ab. »Ich muß jetzt nach meinen Pferden schauen.« Sie gingen alle drei um den Store, und Pecos sah seine Pferde noch dort stehen, wo er sie verlassen hatte. Eine plötzliche Idee
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machte ihm zu schaffen, und als sie im Schatten der Bäume ankamen, sagte er: »Lambeth, ich möchte etwas mit Ihnen besprechen, setzen wir uns doch in den Schatten.« »Ja, gern.« Terrill wandte sich an Sambo. »Geh zu Bobby, Sambo, und schau nach, ob er noch mein Pferd hat. Ich bin auf dem Schecken hergeritten.« Sambo ging, und als die beiden sich gesetzt hatten, sagte Pecos: »Ich bin neugierig geworden, Lambeth. Darf ich einige Fragen stellen?« »Schießen Sie los. Viele Leute sind meinetwegen neugierig. Aber bei Ihnen ist es etwas anderes.« »Sie sind aus Ost-Texas?« Terrill erzählte ihm von ihrer Jugend, von den Schicksalsschlägen ihres Vaters, und wie sie schließlich versucht hatten, hier Fuß zu fassen. Sie berichtete, wie die Viehdiebstähle begonnen hatten. »Dad hatte sich mit einem Rancher namens Don Felipe verfeindet«, schloß sie. »Zuerst wurde Sambo zweimal angeschossen und dann – dann fand man meinen Vater mit einem Pfeil durch den Leib. Felipe und seine Vaqueros sagten natürlich, es seien die Comanchen gewesen. Aber der Fluß ist hier viel zu breit. Sie hätten in unserer Gegend nicht übersetzen können. Seither ist es ganz schlimm geworden. Felipe und sein neuer Partner Sawtell machen mir das Leben zur Hölle. Ich habe keine Leute, um mein verstreut weidendes Vieh zu sammeln, und ich weiß genau, daß Felipes Vaqueros mich überall bestehlen. Aber ich kann es nicht beweisen. Es stimmt, daß Dad Schulden für Vorräte hatte, aber Brasee wollte keine Rinder in Zahlung nehmen, und gestern hat er mich einfach in dieses stinkende Loch gesperrt.« Sie hielt inne und seufzte rief. »So, Mister Smith, habe ich jetzt Ihre Fragen vorweggenommen?«
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»Sie können mich Pecos nennen«, erwiderte er nachdenklich. »Eine sehr traurige Geschichte – fast so schlimm wie meine eigene. Aber eines kann ich nicht verstehen. Sie sind doch Texaner und mindestens sechzehn Jahre alt: warum haben Sie diesen Felipe und seinen Partner nicht getötet?« »Ich habe schon alle möglichen Tiere gejagt, aber noch nie auf einen Menschen geschossen. Ich hätte es vielleicht doch getan, wenn man mir nicht alle meine Waffen gestohlen hätte.« »Nun gut, Terrill, dann werde ich die beiden für Sie erschießen.« »Mister – Pecos, Sie können das nicht ernst meinen.« »Ich war noch nie so ernst. Schwören Sie, daß Sie nicht verraten, was ich Ihnen jetzt sagen werde?« »Ich schwöre es, Pecos«, sagte Terrill erregt. Jetzt begann Pecos zu berichten. Zuerst von seiner Jugend, und wie er begonnen hatte, als Vaquero zu arbeiten. Er scheute auch nicht, die letzte trübe Entwicklung seines Schicksals zu enthüllen und ihr von seiner Verbindung mit Viehdieben zu erzählen. »Ich habe Kälber gebrannt«, fuhr er fort. »Und Sie wissen auch, daß das kein Verbrechen ist. Jeder Rancher in Texas hat das getan. Nur wußte ich genau, daß keines der Kälber mir gehörte. Diese Arbeit hat mich zum Viehdieb gemacht, obwohl ich in Wirklichkeit keiner bin.« Er hielt inne und zögerte. »Was halten Sie nun von mir?« »Sie sind auch in Wirklichkeit kein Viehdieb«, erwiderte Terrill ernst. »Dad hat auch Kälber gebrannt, und ich tue es auch.« »Das ist großartig, Junge. Jetzt fühle ich mich schon viel wohler, und so kann ich Sie um Arbeit bitten.« »Um Arbeit?« wiederholte Terrill verblüfft. »Sicher. Ich kann mit dem Lasso umgehen, und ich würde auch viele Kälber in den Breaks finden.« »Sie wollen mein Vaquero werden?« -69-
»Ja. Ich glaube, Sie brauchen einen.« »Es wäre wunderbar, aber ich habe ja kein Geld.« »Das spielt keine Rolle. Ich möchte endlich wieder ein Heim finden und vergessen können.« »Aber wenn Sie nun noch von Ranchern verfolgt werden?« »Das kann wohl sein«, sagte Pecos düster. »Da ist dieser Breen Sawtell, von dem der sterbende Rancher mir gesagt hat, daß er seinen eigenen Bruder bestohlen hat. Aber was spielt das für eine Rolle? Ich werde Ihren Vater rächen, wenn Sie mir den Posten geben. Wie ist es nun?« Terrill zögerte und streckte ihm dann die Hand hin. »Sie haben den Posten schon, und ich hoffe, daß ich einen Freund gewonnen habe.« Eine seltsame Wärme floß durch Pecos Adern, als er die kleine, feste Hand drückte. »Sicher. Und ich hoffe, das mit dem Freund beruht auf Gegenseitigkeit. Würden Sie mich als Partner aufnehmen, wenn ich mich zur Hälfte in die Ranch einkaufe und Ihre Herde aufbaue?« »Pecos, ich glaube, Gott hat Sie –« Sie begann zu stammeln. »Oh, es ist gleich! Ich sage, ja – ja – ja!« Gleich darauf kam Sambo mit Terrills Pferd und reichlich Proviant. Terrill war halb verhungert, aber Pecos aß nur wenig. Er war nachdenklich. Die Überzeugung setzte sich in ihm durch, daß er eben eine wichtige Entscheidung getroffen hatte. Williams und Adams waren tot, und er war frei. Was bedeutete ihm schon ein prahlerischer Schurke wie dieser Breen Sawtell. Seit zehn Jahren hatte er in einem dauernden Kampf gelebt. So war das Leben in Texas nun einmal. Jedenfalls würde dieser Zwischenfall hier sein ganzes Leben ändern. Vielleicht wäre er sonst wurzellos weitergetrieben. Aber er hatte das Gefühl, daß Terrill einen Beschützer und Lehrer brauchte, der die in ihm schlummernden Eigenschaften eines
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echten Texaners weckte. Zu dieser Aufgabe fühlte Pecos sich jetzt berufen. Als sie mit dem Essen fertig waren, ritten sie sofort los. Auf dem Weg blickte Pecos noch einmal zurück. Eine Gruppe von Menschen stand vor dem Store, und Brasee sprach aufgeregt auf die anderen ein.
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9 Bald hatten sie einen wenig benutzten Weg erreicht, und Sambo übernahm die Führung in die Breaks. Pecos hätte sich hier schnell verirrt. Keine Wagen waren diesen Weg gefahren und keine Rinderherden ihn entlanggezogen. Meistens ritten sie durch Schluchten und trockene Flußbetten. Dann kamen sie auch wieder auf Höhenzüge, von denen man einen weiten Fernblick hatte. Dies war das wilde Land am Pecos – eine Landschaft, in der unfruchtbare Strecken mit Grasflächen wechselten und wo Fettholz und Kakteen sich von den grauen Felswänden abhoben. Der Lauf des Pecos zeigte sich von der Höhe aus nur als dunkle, gewundene Linie, die mitunter geheimnisvoll verschwand. Gegen Mittnachmittag sahen sie die ersten wilden Rinder, die hier so scheu wie Rehe waren. An dem L-Brandzeichen erkannte Pecos, daß die Tiere Lambeth gehören mußten. Er hielt scharf nach weiteren gebrannten Rindern Ausschau, sah jedoch nur wenige. Colonel Lambeth war zweifellos mit dem Brennen nicht zurechtgekommen. Aber selbst ein Old-Timer hätte mit einem einzigen Vaquero und einem Jungen als Hilfe nicht auch nur den zehnten Teil seiner Rinder und Kälber brennen können. Die Lebensbedingungen in Texas hatten sich schnell geändert. Da die Rinderpreise ständig weiter stiegen, würden bald eine Million Rinder westlich des Pecos stehen. Darin sah Pecos für Terrill und sich eine Möglichkeit, ein Vermögen zu erlangen. Er hatte genug Geld, um die Herde zu ergänzen, und er verstand sich auf die Aufzucht von Rindern. Außerdem hatte er den Willen und die Kraft, sich großen Viehdiebstählen zu widersetzen. Während er mit diesen Gedanken dahinritt, fühlte er sich glücklicher als seit langer Zeit.
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Sambo und Terrill waren vorausgeritten, und gegen Sonnenuntergang wartete der Neger in einer flachen Felsenschlucht auf Pecos, der mit seinen Pferden nur langsamer folgen konnte. »Hier biegen wir ab«, sagte Sambo. »Ich hätte nichts gesehen«, sagte Pecos verblüfft. »Wie weit ist es denn zum Fluß?« »In der Luftlinie nicht sehr weit, aber wir müssen Umwege machen.« Der Weg wand sich zwischen Felswänden dahin, die immer höher wurden. Tiefer und tiefer ging es hinab, bis der Himmel über ihnen nur noch ein breites blaues Band war. Der Boden der Schlucht war jetzt völlig trocken, aber in Flutzeiten floß hier ein Wildbach. Die Pferde schienen Wasser zu wittern, und bald spürte Pecos es auch. Die Luft wurde weich und warm und begann nach Blumen und Gras zu duften. Trotzdem war er nicht auf den Anblick vorbereitet, als er um eine Biegung kam und unvermittelt hellen Sonnenschein und einen offenen Canyon vor sich sah. »Hier ist es«, sagte Sambo stolz. »Master Terrills Ranch ist sicherlich der einzige schöne Fleck am Pecos.« Pecos hatte sein Pferd gezügelt und schaute auf das schöne Bild. Hinter ihm versank die Sonne jenseits der Kämme und Schluchten, und die letzten goldenen Strahlen fielen in den Canyon und tauchten die Terrassen der aufstrebenden Felswände in schimmernden Glanz. Gegenüber ragte eine gewaltige Felsmauer in die Höhe. »Dort drüben reiten die Comanchen hin und her und schreien und schießen«, erklärte Sambo. »Aber sie können nichts erreichen. Sie kommen nicht herunter.« Dort, wo sie jetzt standen, öffneten sich die steilen, unersteigbaren Felsterrassen oval nach beiden Seiten. An der breitesten Stelle mochten sie etwa eine halbe Meile voneinander entfernt sein. Dann schlossen sie sich wieder und ließen nur eine -73-
Mündung offen, die immerhin breit genug war, um einen Blick auf den Pecos und die jenseits aufragende, schroffe Wand zu gestatten. Der ganze Canyon war etwa doppelt so lang wie breit. Pferde und viele Rinder standen auf der Weide, und als die Sonne versank, fielen purpurne Schatten über den fruchtbaren Garten inmitten des düsteren, öden Landes nieder. »Die große Quelle ist auch fast ein Fluß«, erklärte Sambo weiter. »Sie trocknet nie aus. Deshalb haben wir gutes Wasser, selbst wenn der Pecos niedrig ist und viel Alkali mitführt.« Sie ritten weiter in den Canyon hinein, und erst als der Sonnenuntergang völlig erloschen war, schien dieser Canyon auch zu einem Teil des grauen Pecos-Landes zu werden. Unter den Bäumen am Fluß tauchte in der Dämmerung eine Hütte auf. Sie stand ziemlich hoch und beherrschte die Aussicht auf den Fluß. Eine kleinere Hütte stand etwas dahinter. »Gott sei Dank, wir sind da!« rief Sambo. »Mauree, du nachlässige, unaufmerksame Frau, wo bist du?« Eine große Negerin mit hübschem Gesicht und einem roten Kopftuch erschien an der Tür. »Da bist du ja wieder, du fauler Neger. Daß du Terrill heimgebracht hast, hat dir das Leben gerettet.« »Ja. Wir sind wieder daheim – dank diesem Gentleman, einem echten Texaner, Mr. Pecos Smith.« »Ich bin glücklich, Mr. Smith, Sie willkommen zu heißen. Kommen Sie nur herein, ich habe genug für hungrige Männer bereit.« »Danke, Mrs. Sambo.« Pecos stieg aus dem Sattel, schnallte seinen Überrock los und legte ihn zusammen mit dem Gewehr auf die Steinstufen, die zur Veranda führten. Dann sattelte er Cinco ab, während Sambo sich um die Packpferde kümmerte. Die Hütte war ein langgestreckter Bau, von dem aus sich drei Türen auf die Veranda öffneten. Das Haus war primitiv, aber haltbar aus Balken gezimmert, deren Ritzen mit Lehm -74-
verstrichen waren. Mehrere Fenster schienen zugleich als Schießscharten zu dienen. Das Dach mit dem niedrigen First überdeckte auch die Veranda, berührte aber nicht ganz die Seitenwand, so daß für den Speicher reichlich Luft blieb. Auf einer Bank sah Pecos einen Wasserkrug, Seife, eine Schüssel und saubere Handtücher. Zuerst trank Pecos von dem Wasser, das eiskalt und völlig geschmackfrei war. Als er sich dann gewaschen hatte, sah er Terrill barhäuptig in der Tür stehen. »Willkommen auf der Lambeth-Ranch«, sagte Terrill scheu. »Gefällt Ihnen mein einsamer Canyon?« »Er ist ein Paradies. Ich hätte nie geglaubt, daß es einen solchen Ort am Pecos gibt.« Das Innere der Hütte war dunkel, wie in allen Blockhäusern. Nur in der Nähe des offenen Feuers war es hell. Offenbar war der große Raum eine Verbindung von Küche und Wohnzimmer. Pecos setzte sich an einen Tisch, der mit einem weißen Tischtuch und Silberbestecken gedeckt war. Terrill scheint eine gute Erziehung zu besitzen, stellte Pecos fest. Aber von neuem fiel ihm das eigenartig scheue Wesen des Jungen auf. Er hätte ihm gern lachend auf die Schulter geklopft, aber irgend etwas hielt ihn davon zurück. Vielleicht war es besser, das gegenseitige Vertrauen langsam wachsen zu lassen. Jedenfalls wollte er sich alle Mühe dazu geben. Das Essen war ausgezeichnet, und als Pecos sich zurücklehnte, sagte er seufzend: »Noch einige Mahlzeiten wie diese, und ich bin restlos für alles andere verdorben.« »Wir haben reichlich zu essen, auch wenn wir arm sind«, sagte Terrill stolz. »Das meiste ziehen wir selbst.« »Es war ein aufregender aber guter Tag für mich«, sagte Pecos. »Ich habe die beste Weide gefunden, die es am Pecos gibt, und Sie haben einen Mann gefunden, der reiten und mit der Waffe umgehen kann. Nach meiner Schätzung haben Sie noch tausend Rinder. Mit dem Brennen der Kälber wird sich die Zahl in einem Jahr verdoppeln. Vielleicht kommt sie sogar auf -75-
zweitausendfünfhundert. Dann im folgenden Jahr auf fünftausend – im dritten auf zehntausend – im vierten auf zwanzigtausend – und so weiter. Zweijährige bringen jetzt schon einen Preis von sechs Dollar. Selbst wenn die Preise nicht steigen, ist unsere Ranch in vier Jahren über hunderttausend Dollar wert. Ich möchte aber eher das Doppelte annehmen.« »Mein Gott, Pecos!« rief Terrill aus. »Sprechen wir nicht mehr davon«, sagte er hastig. »Sie sind noch zu aufgeregt.« Er rief Sambo herein. Sambo tauchte so unvermittelt auf, daß man meinen konnte, er habe gelauscht. Mit seiner Hilfe richtete sich Pecos auf dem Speicher sein Bett. Dann streckte er sich auf den Decken aus und schaute in die Richtung des Flusses, der nur als matt schimmerndes Band zu sehen war. Irgendwo im Canyon war der klagende Ruf einer Eule zu hören. Die Rinder und Pferde ruhten. Über der hohen Felswand schimmerten fern und kühl die Sterne. Das leise Murmeln des Flusses, das aus der Weite herüberdrang, schläferte ihn schließlich ein. Er erwachte ziemlich spät – ein Zeichen dafür, daß er sich zum ersten Male wieder sicher fühlte. Sambo kam eben mit frischem Brennholz in Sicht. »Sambo, wo ist unser Boß?« »Er scheint noch zu schlafen. Sonst ist er aber immer früh auf.« Pecos beugte den Kopf über den Rand vor. Die offene Tür der Hütte war etwas rechts von ihm. »He, Terrill!« rief er. »Ja, ja!« ertönte die hastige, etwas verwirrt klingende Antwort aus dem dahinterliegenden Raum. »Komm! Der Morgen ist angebrochen, und es gibt Arbeit, Junge.« Pecos kletterte die Leiter hinab. Terrills Mustang war bis zur Veranda gekommen, und zahlreiche Hühner meldeten sich ebenfalls geräuschvoll zum Frühstück an. -76-
»Sambo, führt ein Fahrweg aus dem Canyon?« »Sicher. Wir können mit dem Wagen auf die Felshöhe fahren, wir haben es oft gemacht.« »Ist denn ein Wagen da?« »Ja. Wir haben ihn mit dem Geschirr zusammen oben im Busch versteckt.« »Warst du damit je in Eagles Nest?« »Ja, aber das dauert lange. In zwei Tagen können wir aber am Fort sein.« »Dann werden wir gleich aufbrechen.« Schritte ertönten, und Terrill erschien. »Guten Morgen, Terrill Lambeth«, sagte Pecos. »Wenn du mit mir kommen willst, mußt du dich beeilen.« In diesem Augenblick rief Mauree zum Essen in die Hütte. Jetzt erst schaute Pecos sich richtig um und gewann dabei den Eindruck, daß die Lambeths zwar den Geist, nicht aber die Erfindungsgabe der echten Pioniere besaßen. Die Einrichtung der Hütte war ziemlich armselig und unpraktisch. »Hast du eben gesagt, daß du aufbrechen willst?« fragte Terrill, als sie am Tisch saßen. »Ja, wir könnten alle zusammen zum Fort reiten und dort deinen Wagen beladen, bis er zusammenbricht.« »Pecos, du bist doch der erstaunlichste Vaquero, den ich je gesehen habe. Aber ich muß dir leider sagen, daß ich in Camp Lancaster keinen Kredit habe.« »Nun, dein Partner hat etwas Geld.« »Du würdest es mir leihen?« »Nein. Ich investiere es in deiner Ranch. Ich werde alles kaufen, was man in diesem gottverlassenen Land kaufen kann.« Terrill senkte den Kopf, aber Pecos hatte gesehen, wie ihre Wangen sich gerötet hatten. »Nicht beleidigt sein, Terrill«, sagte er zuredend. »Ich will dir helfen, und ich weiß, daß ich dabei nichts verlieren kann. Du
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sagst doch, daß du mir vertraust – obgleich das ja für westlich des Pecos ziemlich schnell gegangen ist.« »Ich vertraue dir, und du sollst mich auch nicht für undankbar halten. Es ist fast zuviel für mich. Ich könnte schreien und fluchen.« »Dann fluch doch, wenn es dir hilft.« Sambo lachte schallend, als Terrill gehorchte. »Hast du das gehört, Frau?« rief er. »Ich bin erstaunt«, sagte Mauree vorwurfsvoll. »Terrill hat nie geflucht.« »Tut mir leid, Mrs. Sambo, daß ich Terrill schlechte Manieren beibringe«, sagte Pecos lächelnd und wandte sich wieder an Terrill. »Hol Papier und Bleistift, Junge. Kannst du überhaupt schreiben?« »Ich bin nicht so unwissend, wie es den Anschein hat.« »Du weißt doch, daß ich gern Späße mache«, sagte Pecos besänftigend. »Aber wenn du sechzehn bist und fünf Jahre hier lebst, wie kannst du dann viel Schulbildung haben?« »Wer hat denn gesagt, daß ich sechzehn bin?« »Du kannst doch nicht älter sein.« »Ein wenig schon. Aber laß nur, ich hole jetzt Papier und Bleistift.« Als sie dann die Liste der notwendigen Vorräte aufzustellen begannen, offenbarte sich bei Terrill die lange geübte Sparsamkeit. Sie war durchaus nicht immer mit Pecos’ großzügigen Vorschlägen einverstanden. Aber schließlich schrieb sie alles nieder. Als sie fertig waren, jubelte Sambo vor Freude, und Terrill war in fast ehrfürchtiges Schweigen verfallen. Mauree blieb mit ihrem Baby zu Hause. »Aber bring mir ja Schuhe und Strümpfe mit«, sagte sie mahnend zu Sambo. »Und wenn ich nichts zu rauchen bekomme, dann brauchst du mir nie mehr schön tun, merk dir das.« -78-
Ehe sie die Pferde gesattelt hatten, aus der Schlucht zum Felsrand emporgeklommen waren und dann den Wagen angeschirrt hatten, war es Mittag geworden. Da Terrill den Weg nicht kannte, ritt sie mit Pecos hinter dem von Sambo gelenkten Wagen her, und Pecos benutzte diese Gelegenheit, um seine ›Erziehung‹ des ›Jungen‹ zu beginnen, indem er ihm – was er noch nie getan hatte – seinen eigenen Revolver gab und damit schießen ließ. Mit den ersten Ergebnissen war er recht zufrieden, obwohl Terrill behauptete, noch nie vom Pferd aus mit einem Revolver geschossen zu haben, und beim ersten Schuß auch beinahe abgeworfen worden wäre. Nach fünfzehn Meilen lagerten sie für die Nacht am Ende einer Schlucht, in der es Wasser gab. Gleich nach dem Abendessen rollte Terrill das Bett im Wagen aus und zog sich zurück. Pecos plauderte noch eine Stunde lang mit Sambo und erfuhr auf diese Weise alles, was der Neger über das Land wußte. Am nächsten Tag stießen sie auf eine gute, viel benutzte Straße. Sie wand sich an den Hängen entlang und führte die meiste Zeit abwärts. Spät am Abend schlugen sie ihr Camp am Westufer des Flusses auf. Pecos war erleichtert, als er das Rieseln von seichtem Wasser hörte. Das versprach ein leichtes Durchfurten für den nächsten Morgen. Noch bevor der Himmel sich in der Frühe rot färbte, waren sie über dem Fluß und fuhren auf einer guten Straße in die Richtung des Militärlagers.
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10 Von einem alten Sergeanten erfuhr Pecos, daß Camp Lancaster ein Stützpunkt des 4. Kavallerieregiments war. Von hier aus wurde gegen die Indianer im Llano Estacado operiert. Der Posten war bereits alt. Schon 1849 hatte Leutnant Smith hier gelagert, und Leutnant Michler hatte 1863 den Weg abgesteckt, auf den Pecos westlich des Flusses gestoßen war. Während Pecos beim Einkaufen war, hielt er gleichzeitig die Augen offen. Indianer lungerten im Store und auf den Steinstufen davor herum. Sie sahen mürrisch und verschlossen aus, waren aber angeblich friedlich. Es waren keine Comanchen, aber Pecos traute ihnen trotzdem nicht. Nach dem Bericht des Sergeanten griffen die Comanchen selten unterhalb der Horsehead-Furt an. An der Furt selbst plünderten sie jedoch häufig Treiberherden aus, die vom unteren Texas heraufkamen. »Erst im letzten Monat haben sie dort Cowboys massakriert und eine ansehnliche Herde versprengt. Der Pecos ist tückisch. Viele Rinder gehen in dem Treibsand zugrunde. Aber in den Breaks stecken Tausende von Rindern, die niemand beanspruchen wird.« Nach dem Einkauf hielten sie sich nicht länger in dem Armeeposten auf, und am Abend des dritten Tages waren sie wieder auf dem Felsrand über der Lambeth-Ranch. Am folgenden Tag kam Pecos auf die Idee, die Vorräte mit dem Lasso über die Felswand herabzulassen – eine Methode, die ihnen viel Zeit und Arbeit sparte. Südlich der Lambeth-Ranch befand sich eine Weide, die von Don Felipe schon vor seiner Verbindung mit Sawtell beansprucht worden war. Als sie sich dann zusammengetan hatten, forderten sie offen alles Weideland bis hinunter zum Devil River für sich. Sambo hatte berichtet, daß mehrere -80-
Rancher zu beiden Seiten des Flusses Herden weiden ließen. Die verschiedenen Brandzeichen mischten sich immer, und überall gab es ungebrannte Kälber. Pecos erklärte Terrill und Sambo heiter: »Jedesmal, wenn wir einem Kalb unser Brandeisen aufdrücken, sind wir um sechs Dollar reicher.« So ritten sie gemeinsam los. Zunächst brannten sie am Tage nur etwa sechs Rinder, aber damit schien Pecos zufrieden zu sein. Terrill war so begeistert, daß sie mit jedem Tag etwas von ihrer Zurückhaltung verlor. Pecos jedoch schien sich nur um das Wachsen der Herde zu kümmern. Er wußte, wo Kälber zu finden waren, die Don Felipes Reiter nicht entdeckt hatten, und seine früheren Erfahrungen kamen ihm dabei zugute. * Der Sommer kam mit seiner Hitze und seinen Unwettern. Die Arbeit wurde jetzt schwerer. Lambeth hatte nur zwölf Pferde, und das war – mit den beiden zusammen, die Pecos gehörten – nicht genug. Von Zeit zu Zeit mußte man daher einen Rasttag für die Pferde einlegen. Pecos arbeitete dann mit Terrill und Sambo auf der Ranch, wo es genug Reparaturen zu erledigen gab. Es zeigte sich, daß Terrill weniger hart und ausdauernd war, als sie aussah. Trotzdem lobte Pecos sie häufig; denn schließlich war sie nach seiner Meinung ja ein Junge, der noch nicht voll erwachsen war und der die harte Arbeit der Vaqueros nie kennengelernt hatte. An einem sengendheißen Augustnachmittag rasteten sie nach der schweren Morgenarbeit an einem schattigen Fleck am Fluß. Pecos war erhitzt, und Sambo keuchte, aber Terrill war am meisten mitgenommen. »Du kleiner Narr, warum reitest du denn nicht in Hemdsärmeln?« schalt Pecos. -81-
»Ich habe keine so dicken Hemden wir ihr. Wenn ich durch den Busch reite, wären sie sofort zerfetzt.« Unmittelbar am Fluß war ein flacher Felsen, und Terrill hatte sich an den Rand gelegt und den Kopf zum Trinken ins Wasser geneigt. Pecos sprang hinzu und drückte Terrill neckend den Kopf unter Wasser. »Verdammter Narr!« rief Terrill pustend. »Ich kann doch nicht schwimmen!« »Schwimmen! Das ist eine Idee. Ich war nur zu faul, um daran zu denken. Wir gehen ins Wasser.« »Nein, das tun wir nicht«, sagte Terrill hastig. »Badest du denn nie, du Schmutzfink?« »Doch, aber heute nicht.« »Komm, Terrill, ich verspreche dir auch, dich nicht unterzutauchen.« Er begann sich auszuziehen, aber ehe er noch sein Hemd abgelegt hatte, war Terrill schon zwischen den Bäumen verschwunden. Pecos lachte, weil er dachte, er habe den empfindlichen Jungen gekränkt. Als er dann gebadet hatte und sich wieder anzog, war Terrill immer noch nicht zu sehen. Erst nach einer halben Stunde tauchte sie auf. »Terrill, es tut mir schrecklich leid, daß ich deinen Kopf untergetaucht habe«, entschuldigte sich Pecos. »Aber willst du denn nicht schwimmen?« »Doch, ich wollte mich nur nicht vor dir und Sambo ausziehen.« »Ach so, Terrill. Das habe ich natürlich nicht gewußt. Wir reiten dann weg und lassen dich schwimmen.« Dieser Vorfall erinnerte Pecos an verschiedene Dinge, die ihm an Terrill ebenfalls aufgefallen waren. Auf der einen Seite war Terrill zurückhaltend, aber bei der Arbeit war der vermeintliche Junge bestrebt, Pecos’ Anerkennung zu finden. Allerdings schien es unmöglich zu sein, Terrill zu einem richtigen rauhen Vaquero zu machen. -82-
Pecos gewann daher allmählich die Überzeugung, er müsse bei Terrill Vormunds- und Vaterstelle vertreten. Manchmal kam es ihm so vor, als sei Terrill in seiner Nähe fast glücklich, und das Gefühl ihrer Kameradschaft und Verbundenheit wurde auf diese Weise immer stärker. Terrill konnte viele Neckereien vertragen. Eines Tages jedoch, als sie während einer Rast auf dem Bauch lag und ganz in die Betrachtung einiger Blumen versunken war, hörte sie nicht, wie Pecos heranschlich und sich dann mit einem lauten Schrei auf ihren Rücken setzte, um sie zu kitzeln. Zuerst hielt Pecos Terrills heftige Gegenwehr nur für Empfindlichkeit gegen das Kitzeln, dann aber sah er, daß Terrill nicht lachte, sondern sich verzweifelt wehrte. Als er aufstand, sprang Terrill wütend auf. »Wenn du das je wieder tust, werfe ich dich hinaus!« schrie sie. »Mich hinauswerfen?« stammelte Pecos entgeistert. »Du weißt, daß mich das Kitzeln verrückt macht.« »Aber kannst du denn nicht wie jeder andere Junge sein?« »Ganz bestimmt nicht«, erwiderte Terrill entschieden. »Und du würdest mich hinauswerfen?« »Ich – ich muß etwas tun, um mich zu schützen«, stammelte Terrill. »Aber die Lambeth-Ranch ist mir zur Heimat geworden, und ich habe dich sehr gern, Terrill«, sagte Pecos betrübt. »Es war auch nur eine Lüge. Ich könnte gar nicht mehr ohne dich sein.« In einer unerklärlichen Aufwallung wandte Terrill sich ab und rannte ins Haus. Pecos blieb erleichtert und froh – wenn auch reichlich verwirrt – zurück. Terrill war in dieser Zeit starken Stimmungsschwankungen unterworfen. Manchmal, wenn sie sich allein glaubte, sang sie, und wenn Pecos die schöne, klare Altstimme hörte, durchzog ihn ein Gefühl von Sehnsucht, das er sich nicht erklären konnte. -83-
Dann wieder konnte Terrill plötzlich ausgelassen fröhlich sein, und wenn sie sich vor einem Gegenangriff sicher fühlte, quälte sie mitunter Pecos auch recht unbarmherzig. Dann wieder war Terrill so in sich gekehrt und melancholisch, daß Pecos sie gern in Ruhe ließ. Später wieder, vor allem, wenn es dunkel war, horchte sie Pecos nach Liebesaffären aus. »Verdammt, Junge, ich sagte dir schon, daß ich keine hatte«, sagte Pecos mit gutgelaunter Ungeduld. »Ach, du lügst. Ein so hübscher Vaquero wie du. Vielleicht hast du keine Frau – aber sicherlich viele Liebsten. Und von den hübschen Mexikanermädchen will ich gar nicht sprechen.« »Das sind ja feine Reden von einem Jungen, der sich nicht einmal vor Männern zum Baden ausziehen will. Du beurteilst mich falsch, Terrill. Ich hatte nie eine Mexikanerin als Liebste, ich habe auch keine Frau. Auf der H-Ranch hat mir die kleine Mary zwar gut gefallen, aber ich habe es ihr nie gesagt. Vielleicht hatte sie mich auch gern. Aber ich mußte einen Mann erschießen und bin dann wieder fort.« »Verzeih, Pecos. Ich war nur neugierig. Sobald du also Felipe oder Breen Sawtell erschossen hast, wirst du wieder weiterreiten.« Pecos spürte die leise Bitterkeit in den Worten. Sie ritten durch den dunklen Canyon heim, und er legte die Hand auf Terrills Schulter. »Habe ich nicht gesagt, daß ich dich nie verlassen würde? Es wäre doch nicht ehrlich, eine Partnerschaft einzugehen, wenn man sie eines Tages einfach wieder auflösen will. Falls ich Sawtell oder Felipe erschieße, geschieht es doch nur deinetwegen.« Terrill schwieg und schien wieder melancholisch und mürrisch zu werden. In dieser Stimmung konnte sie so widerwärtig sein wie ein verzogenes Schoßhündchen. An diesem Tag ist auch alles schiefgegangen, dachte Pecos düster. Er hatte sich den Daumen am Brenneisen verbrannt, und das war -84-
ziemlich ernst, denn es war sein ›Abzugsdaumen‹. Er konnte zwar auch linkshändig schießen. Das war jedoch gefährlich, wenn er auf feindliche Vaqueros stoßen sollte. Nach kurzer Zeit gab es auch schon Streit wegen einer weiteren Fahrt nach Fort Lancaster. Pecos wollte die Fahrt – vor allen Dingen wegen seines verbrannten Daumens – aufschieben, aber Terrill war dagegen. Sie wollte dann allein mit Sambo fahren, erklärte sie. »Das wirst du nicht«, sagte Pecos kurz. »Doch. Wer will mich hindern?« »Nun, der kleine Pecos Smith – wenn du so halsstarrig sein willst.« »Dummkopf! Jetzt möchte ich doch wissen, wer der Boß der Ranch ist!« »Du bist der Besitzer, weil ich nur einen halben Anteil am Vieh habe. Aber deshalb kannst du mich doch nicht herumkommandieren.« »Ich bin dein Boß«, sagte Terrill erbost. »Dann geh endlich und laß mich in Frieden. Siehst du nicht, daß ich arbeite?« Terrill ergriff den breiten Ledergürtel, an dem Pecos arbeitete, und schleuderte ihn weit weg. »Oh, du kleiner Teufel!« rief Pecos ärgerlich. »Gib mir keine Schimpfnamen, wenn ich ernst mit dir rede.« »Was? Du kannst gleich noch mehr haben. Du bist ein sturer Esel und schrecklich aufgeblasen. In Wirklichkeit könntest du nicht einmal Boß von einem Rudel Kälber sein. Ich habe direkt Lust, dich durchzuhauen.« »Mich durchhauen? Da!« Terrill gab ihm eine klatschende Ohrfeige. Blitzschnell packte Pecos Terrill bei den Schultern. Er war ernstlich entschlossen, die Drohung durchzuführen. Dann erinnerte er sich jedoch an seinen verletzten Daumen. Er drehte Terrill um und versetzte ihr einen Tritt auf die Sitzfläche, und -85-
dieser Tritt war keine Kleinigkeit. Er riß Terrill glatt vom Boden weg und warf sie vornüber ins Gras. Mit erstaunlicher Schnelligkeit war sie wieder auf den Beinen, und der Blick in ihren dunkelblauen Augen raubte Pecos fast den Atem. »Ich bring dich um!« »Ach, mach daß du wegkommst, du kleiner Dickschädel!« Terrill lief auch davon und war geraume Zeit nicht mehr zu sehen. Erst im letzten Schein des Sonnenunterganges ließ sie sich wieder blicken. »Pecos.« Die Stimme klang bittend. »Ja?« »Ich – ich entschuldige mich. Ich habe es verdient. Ich habe Dad gegenüber auch manchmal meinen Kopf verloren. Es tut mir leid.« * In den folgenden Wochen wurden Pecos’ Hoffnungen mehr als erfüllt. Über siebenhundert Kälbern hatten sie das LBrandzeichen aufgedrückt, und Pecos war schon darauf gefaßt, daß dieser Erfolg Don Felipe und die anderen Rancher dazu veranlassen würde, bald einen großen Round-up zu veranstalten. Während der heißen Sommermonate hatte Pecos keine Indianerspuren entdeckt, aber er wußte, daß die Rothäute den Herbst und das Frühjahr für ihre Operationen bevorzugten. Die Zeit für einen ausgedehnten Ritt flußaufwärts rückte näher, aber zuvor wollte Pecos die Pferde eine Woche lang ruhen lassen. In dieser Woche verdämmte er mit den beiden anderen den Bach oben im Canyon und schuf einen kleinen Stausee, von dem Kanäle zu sämtlichen Teilen der Ranch abzweigten. Terrill behauptete, ihr Vater habe das schon immer tun wollen. Dann machten sie sich auf den Weg. Die Strecke, die sie jetzt erkunden wollten, war die wildeste und gefährlichste am ganzen Fluß. An den wenigen Stellen, wo das möglich war, führten -86-
Rinderspuren aus den Breaks direkt ans Ufer. Das waren vermutlich die Tiere aus den Herden, die von den Comanchen bei ihren Angriffen versprengt worden und dann zu Tausenden nach Süden gewandert waren. Die drei Wochen der Erkundungsritte in dem schwierigen Gelände brachten zwar nicht viele Kälber ein, aber die drei fanden die Weideplätze vieler Rinder und konnten sich ein Bild von der Lage am Fluß machen. Am Independence Creek allein standen genug ungebrannte Rinder, um Terrill und ihn reich zu machen. Wenn Pecos abends am Lagerfeuer Terrill über seine Pläne berichtete, hatte er in ihr einen begeisterten Zuhörer. »Pecos, ich reite jetzt schon mehr auf Wolken als im Sattel!« rief Terrill überschwenglich. »Im Frühling werden zweitausendfünfhundert Rinder das LBrandzeichen tragen«, prophezeite er. »Wir haben die Ranch, das Gras und das Wasser. Das Land kann noch hundertmal mehr Rinder ernähren als jetzt.« »Aber du vergißt Sawtell und Don Felipe«, erwiderte Terrill düster. »Ich fürchte, die glücklichen Tage dauern nicht ewig. Wir werden noch einen Rückschlag erleben, ehe der Oktober vorbei ist.« Pecos schwieg lange. Terrills Worte waren vernünftig. Alles mögliche konnte geschehen. Aber er hielt es für besser, Terrills Optimismus etwas zu beleben. »Im Frühling werden wir Sawtell und Don Felipe los sein«, verkündete er. »Dann reiten wir nach Süden zum Rio Grande und holen uns ein paar richtige Vaqueros. Dazu kaufen wir Pferde und ausgesuchte Bullen und treiben sie selbst hierher.« »Aber das kostet doch eine Unmenge Geld.« »Sicher. Aber ich habe es eben.« »Wo?« rief Terrill ungläubig. »Du solltest es eigentlich wissen«, sagte Pecos nachdenklich. »Es könnte mir etwas zustoßen, und dann solltest du es -87-
wenigstens bekommen. Die kleinen Scheine habe ich in einer Blechbüchse auf dem Speicher versteckt, und die großen Scheine trage ich immer bei mir.« Er öffnete sein Hemd und zog den breiten Geldgürtel hervor, den er sich angefertigt hatte. »Du wirst dich wohl noch an den Gürtel erinnern. Als ich an ihm arbeitete, hast du ihn mir einmal aus der Hand gerissen. Schau jetzt hinein.« Terrill tat es und blickte dann Pecos aus großen, dunklen Augen an. »Das ist ja ein Vermögen.« »Nicht schlecht für uns junge texanische Cowboys«, erwiderte Pecos fröhlich und schnallte den Gürtel wieder um. »Du scheinst aber mehr erschreckt als froh zu sein.« »Pecos, es wäre sehr schlimm für mich, wenn du ein Dieb wärst.« »Um Gottes willen, ich habe dir doch erzählt, daß ich kein Bankräuber oder Viehdieb bin«, erwiderte Pecos scharf. Er war zu verletzt, um die seltsame Bedeutung von Terrills Worten zu beachten. * Der Oktober schwand dahin. An sonnigen Tagen war es immer noch heiß, wenn man diese Hitze auch nicht mit dem Mittsommer vergleichen konnte. Die grauen Felswände änderten sich nie. Sie waren abweisend und unersteigbar wie immer, aber an ihrer Basis leuchteten die Farben aus dem satten Grün, und am Eingang zur Schlucht rankte sich Wein über die schroffen Klippen, und zwischen den braunen und bronzefarbenen Blättern leuchtete es rot. Das war die Jahreszeit, in der die Zugvögel auf ihrem Wege nach Süden hier rasteten. Auf dem kleinen blauen See -88-
schwammen Enten, und die Luft war erfüllt vom Schwirren vieler Flügel und vom Zwitschern der Singvögel. Da Pecos sein Pferd überall hinbringen konnte, wohin ein Rind gewandert war, fanden die drei Kälberbrenner Stellen, an denen noch kein Weißer gewesen war. Zu Dutzenden stöberten sie Rinder auf. Terrill erhitzte die Eisen, und Sambo und Pecos drückten den Tieren das Brandzeichen auf. Mit wenigen Ausnahmen wurden die Tiere dann flußabwärts auf die Ranch zugetrieben. Jedesmal, wenn Pecos Smith das Lasso warf – jedes zweite oder dritte Mal, wenn Sambo es warf – und einmal von einem Dutzend Würfen, die Terrill versuchte – immer dann war sie tun sechs Dollar reicher. Die Lust zur Arbeit wuchs mit dem Erfolg. Eines Abends erklärte Pecos, er wolle am nächsten Tag mit Sambo über den Fluß. Terrill solle zurückbleiben. »Du könntest den kleinen Canyon absuchen, während wir drüben arbeiten«, sagte Pecos. »Hmhm«, erwiderte Terrill lakonisch. »Ich reite dort, wo du reitest.« Pecos, der Terrill nur vor möglichen Gefahren bewahren wollte, erkannte die Hoffnungslosigkeit seines Vorhabens. »Schön, du bist natürlich mein Boß. Dann brennen wir eben die Kälber jenseits des Flusses nicht. Mir liegt zu viel an dir. Ich möchte nicht, daß du etwas versuchst, was Sambo und ich dann ewig bedauern würden.« Diese Bemerkung hatte eine augenblickliche Wirkung. Terrill wandte das Gesicht ab und schluckte schwer. »Dir liegt also etwas an mir?« »Sicher, wenn du brav bist«, erklärte er. »Verdirb nicht alles durch ›Wenns‹. Ich werde also tun, was du willst.« Am nächsten Morgen hatten sie die Pferde schon bereit, ehe Mauree noch zum Frühstück rief. Gleich nach dem Essen
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brachen sie auf und ritten in der Morgendämmerung am Fluß entlang. Schwärme von Wildenten flogen auf, und die Zweige der Salzzedern waren voller Singvögel. Bussarde schwebten in der klaren Morgenluft über den Felsrändern des Canyons, und Rinder stoben bei der Annäherung der Reiter davon und verschwanden in einem der Breaks. Schließlich erreichten sie die Stelle, die Pecos als leichte Furt festgestellt hatte. »Also, Junge, wir trennen uns hier«, sagte Pecos. »Du hast den ganzen Tag zu tun und erwartest uns hier bei Sonnenuntergang.« »Junge – immer Junge!« stieß Terrill empört hervor. »Ach, entschuldige, ich habe wieder einmal vergessen, daß du mein Boß bist«, sagte Pecos sarkastisch. »Du vergißt vieles. Beispielsweise, daß Sawtell und Felipe kommen und mich niederschießen könnten.« »Nein, ich habe das nicht vergessen«, erwiderte Pecos. »Aber sie können nicht hier herauf, ohne daß ich sie sehe.« »Sie könnten aber trotzdem kommen. Und wenn sie mich fangen, wirst du mich nie wiedersehen.« »Willst du mich etwa einschüchtern, damit wir dich mitnehmen?« fragte er mißtrauisch. »Nein. Ich habe einfach Angst. Es ist so beruhigend, bei dir zu sein.« »Schön, dann komm also mit«, sagte Pecos gepreßt; aber er war dabei weder mit sich noch mit Terrill zufrieden. »Nehmt die Gewehre hoch, wenn das Wasser tief wird«, befahl er, und dann lenkte er sein Pferd in den Fluß. Cinco war ausgeruht und ein guter Schwimmer. Bald hatte er seinen Reiter auf das andere Ufer hinübergetragen. Sambo stieg im Wasser ab, um es seinem Pferd leichter zu machen. Er watete durch den Fluß und führte Terrills Pferd am Zügel.
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Beim Übergang hatte Pecos bemerkt, daß das Wasser trübe war. Zuerst dachte er, sein eigenes Tier habe den Schlamm aufgewühlt, aber die Trübung reichte, so weit er schauen konnte. Vielleicht wateten weiter oben Rinder durch den Fluß. Jedenfalls gefiel ihm die Sache nicht. Das Ostufer unterschied sich in diesem Gebiet beträchtlich vom Westufer. In bewaldeten Terrassen stieg das Gelände zu den Felswänden auf, die zwar nicht so hoch wie am jenseitigen Ufer, aber auch unersteigbar waren. Sie ritten am Ufer entlang, bis sie von vorspringenden Felsen aufgehalten wurden. Sie brauchten gar nicht erst in das Dickicht einzudringen, wie es in den Breaks weiter unterhalb nötig gewesen war. Von hier aus sahen sie schon im Freien Kälber, Jährlinge, zweijährige Stiere und alte Mooshörner. »Mach Feuer, Junge, und laß die Eisen glühend werden!« rief Pecos. »Hier gibt es ja Tausende von Kälbern. Kein guter Platz zum Reiten und Lassowerfen, aber man kann sie gut in die Enge treiben.« Sie begannen in wildem Eifer mit der Arbeit. Terrill lief mit dem glühenden Eisen von einer Stelle zur anderen, und Pecos trieb kleine Rudel in eine Felsnische, aus der die Tiere nicht mehr entkommen konnten. »Achtundsiebzig Dollar in ebensovielen Minuten«, jubelte er. Sambo arbeitete so gut wie nie zuvor. Terrill mußte nicht nur die Eisen erhitzen und zu den jeweiligen Fangstellen bringen, sie sollte auch die gebrannten Tiere zählen. Die Arbeit war anstrengend, und schließlich rief Terrill: »Pecos, ich falle gleich um. Machen wir keine Pause?« »Nein. Heute machen wir ganze Arbeit, weil wir erst im nächsten Sommer wieder hier herüberkommen. Sei tapfer, Terrill, alter Kamerad.« Terrill sparte ihren Atem und arbeitete weiter. Erst als es dunkler wurde, merkten sie, wie die Zeit verstrichen war. Die Sonne sank hinter die Felswand. Drei -91-
Viertel des Tages waren vorbei. Pecos wischte sich über das schweißnasse Gesicht, und Terrill taumelte fast vor Müdigkeit. Als Pecos zum Fluß blickte, erschrak er. Die Farbe des Wassers schien sich noch mehr verändert zu haben. Dann durchzuckte ihn ein eisiger Schreck. Er hörte ein leises Grollen, und jetzt wußte er auch, was die Trübung des Flusses zu bedeuten hatte. Eine Flutwelle war im Anziehen. Im nächsten Augenblick war er schon im Sattel. »Aufsitzen! Aufsitzen!« rief er. »Was ist los?« fragte Terrill bestürzt. »Schau den Fluß an! Wenn er noch einen Fuß steigt, sitzen wir hier fest!« Im Galopp ritten die drei den Weg zur Furt zurück. Als sie ankamen, durchfuhr Pecos ein neuer Schreck. Baumstämme und Buschwerk trieben schon im Wasser dahin, und der Fluß, der Himmel und die grauen Felswände strahlten eine düstere Drohung aus. Er war eine ernste Sache, von der Ranch abgeschnitten zu werden. Da sie Fleisch und Wasser hatten, konnten sie zwar nicht verhungern, aber die Aussicht, vielleicht monatelang hier festgehalten zu werden, war durchaus nicht erfreulich. Das konnte alle ihre Hoffnungen zerschlagen, wenn inzwischen ihre Rinder auf der anderen Seite des Flusses gestohlen wurden. Terrill kam herangaloppiert und hielt neben Pecos an. »Kannst du es schaffen, Junge?« fragte Pecos erregt. »Bestimmt. Wenn wir uns beeilen. Der Fluß steigt schnell, Pecos!« »Noch ist es nicht so schlimm!« rief Pecos. »Bleib oberhalb von mir!« Noch einmal schaute er sich um und orientierte sich, dann lenkte er sein Pferd ins Wasser. Terrills Pferd mußte schon schwimmen, wo Cinco noch waten konnte. Schließlich erreichten sie die große Sandbank in der Mitte des Flusses, und Pecos zügelte sein Pferd. -92-
Terrill geriet in Schwierigkeiten in der schnellen Strömung, und Pecos wollte ihr schon zu Hilfe eilen. Aber in diesem Augenblick hatte ihr Mustang schon die Sandbank erreicht. Das Wasser war jedoch auch hier sehr reißend, und Pecos ergriff schnell die Zügel von Terrills Pferd. »Ich habe es geschafft! Ich habe es geschafft!« jubelte Terrill. »Vielleicht haben wir es geschafft«, sagte Pecos. »Aber jetzt kommt die schlimmste Stelle, falls sich der verdammte Fluß nicht geändert hat. Bleib über mir, damit ich dir helfen kann, wenn dein Pferd sinkt.« Das Wasser war jedoch um volle zwei Fuß gestiegen und so reißend, daß die Pferde nicht in gerader Richtung gehalten werden konnten. Auf halbem Weg glitt der Mustang aus, fiel zur Seite und warf Terrill aus dem Sattel. Es gab einen furchtbaren Aufruhr im Wasser, ehe Terrill wieder auftauchte. Mit dem Gesicht nach oben trieb sie reglos an der Oberfläche. Beim Stürzen mußte der Mustang sie mit dem Fuß getroffen haben. Es forderte große Anstrengung, um Cinco in dieser reißenden Strömung zu wenden. Aber Pecos brachte es fertig, und er konnte Terrill gerade noch zu fassen bekommen, ehe sie abgetrieben wurde. Die Kraftanstrengung, den Körper hochzuziehen, hätte Pecos fast aus dem Sattel geworfen. Aber Cinco hielt sich auf den Beinen, und als er erst wieder in Richtung auf das Ufer ging, reagierte er ausgezeichnet auf jede Zügelbewegung. Pecos wagte es nicht, Terrill ganz über den Sattel zu ziehen, weil er das Pferd nicht zu stark belasten wollte. Er hielt nur mit einem kräftigen Griff am Rock Terrills Kopf über Wasser. Sie erreichten mit einem Male ein tieferes Stück, und Cinco wurde von der Strömung mitgerissen. Aber er kam gleich wieder hoch und schwamm kräftig voran. »Ruhig, alter Junge!« redete Pecos seinem Pferd zu. »Das ist doch eine Kleinigkeit für dich.« -93-
Mit eisernem Griff drehte er den Kopf des Pferdes etwas nach rechts. Doch es wurde immer deutlicher, daß die Aufgabe selbst für dieses wunderbare Pferd zu schwer war. Das Wasser schoß mit unglaublicher Wucht dahin. Wenn sie jedoch nicht über die Stelle hinausgetrieben wurden, auf die Pecos hinlenkte, dann waren sie immer noch gerettet. Pecos ließ sich aus dem Sattel gleiten und hielt sich mit der Linken am Schweif des Pferdes fest, während er mit der Rechten Terrill hochhielt. Es fiel ihm sehr schwer, Terrills Kopf über Wasser zu halten, und dabei war er schon viel zu oft und zu lange unter Wasser gewesen. Plötzlich stieß Cinco gegen etwas Hartes. Er schnaubte und sprang vorwärts. Das gelbliche Wasser schäumte um ihn her. Er hatte das felsige Ufer erreicht. Wieder sprang das Pferd, und das Wasser sprühte hoch. Pecos spürte, daß er jetzt auch im Wasser stehen konnte. Er hob Terrill auf und schritt aufs Trockene. Dann sah er, daß es Sambo viel besser ergangen war. Er war weiter oben ins Wasser gekommen und hatte die Sandbank soeben erreicht. Terrill hatte die Augen geschlossen und lag wie tot in Pecos’ Armen. Pecos bettete den Körper ins Gras und knöpfte schnell den Rock auf, um nach dem Herzschlag zu fühlen. Terrill lebte noch. Aber was war das! Er öffnete mit zitternden Händen Terrills Hemd und starrte auf die marmorweiße Haut des mädchenhaften Busens. »Mein Gott! – Eine Frau!« In diesem Augenblick begann sich die Brust zu heben und zu senken. Das Bewußtsein kehrte zurück. Pecos erwachte aus seiner Betäubung und knöpfte blitzschnell Hemd und Rock wieder zu. Terrill regte sich langsam und schlug die Augen auf. Obwohl er seine ganze Beherrschung zusammennahm, war Pecos doch nicht auf den wunderbaren Blick der blauen Augen vorbereitet.
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»Pecos«, flüsterte Terrill schwach. »Ich erinnere mich. Ich bin untergegangen – alles wurde schwarz. Wo sind wir?« »Du liegst am Ufer, Terrill«, sagte Pecos gepreßt. »Aber ich weiß nicht, ob ich nicht doch im Himmel bin.« Sambo erschien. Er watete durch das seichte Wasser und führte sein Pferd hinter sich her. Terrill richtete sich benommen auf und griff sich unwillkürlich an die Brust. »Pecos, ich schulde dir so viel«, murmelte sie träumerisch. »Zuerst in Eagles Nest – dann auf der Ranch und jetzt in diesem schrecklichen Fluß. Ich weiß nicht, wie ich –« »Nun, wozu ist denn ein Partner da?« Pecos hatte seine ruhige Gelassenheit wiedergefunden. »Ich hole dein Pferd, und dann reiten wir heim. Alles geschah in einem Tagesritt, Junge – das hat sich alles an einem Tag abgespielt.«
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11 Die melancholischen Novembertage waren gekommen. Die Enten und anderen Zugvögel waren schon längst davongezogen, und die Coyoten pirschten sich von der öden Weide in den Canyon hinunter. Am Tag hielten sie sich im Dickicht und zwischen den Felsen verborgen, und in der Nacht durchschnitten ihre heiseren Rufe die Einsamkeit. Ein Nordwind wehte, der erste in dieser Saison, und er stöhnte und heulte um die Felswände. Dunkle, tiefhängende Wolken zogen nach Süden, und der Regen prasselte auf das Dach der Hütte. Terrill stand in der Hüttentür und hielt nach Pecos Ausschau – wie immer, wenn sie allein war. Er war irgendwo im Canyon. Seit die Flutwelle das Brennen der Kälber unterbrochen hatte, blieb er in der Nähe der Ranch. Irgendwann um diese Zeit hatte Terrill Geburtstag. So unglaubhaft es ihr auch vorkam, sie wurde neunzehn – oder wurde sie schon zwanzig? »Mauree, wie alt bin ich?« fragte sie, als die Negerin von ihrer Hütte her vorüberkam. »Achtzehn, Liebling.« »Nein, ich bin mindestens neunzehn oder zwanzig.« »Wie kommst du jetzt darauf?« »Ich fühle mich so schrecklich alt«, gestand Terrill. »Unsinn, Terrill, du bist doch nicht alt.« Mauree sah sich vorsichtig um und sagte dann: »Liebling – willst du denn immer als Junge herumlaufen, wo du doch ein Mädchen bist?« Terrill wußte, daß sie selbst das verbotene Thema angeschnitten hatte. Sie konnte Mauree daher nicht tadeln, obwohl die bloße Erwähnung ihres Geheimnisses ihr einen Schrecken einjagte. -96-
»Mauree, du darfst das nicht einmal flüstern«, sagte sie beschwörend. »Ich würde vor Scham in die Erde sinken, wenn er es je herausfindet.« »Aber Kind, das ist doch unnatürlich. Du bist eine Frau – man sieht es ja.« Terrill preßte unwillkürlich die Hände gegen die Brust. Auch in ihren Gefühlen ließ sich ihr Geschlecht nicht länger verleugnen. Diese starke, seltsame Empfindung war in ihrem Innern gewachsen und gewachsen, bis sie die Erkenntnis ihrer Liebe vor sich selbst nicht mehr verbergen konnte. »Mauree, ich muß es geheimhalten – ich muß«, flüsterte sie. »Aber du närrisches Kind, du kannst es nicht verbergen. Vielleicht bist du im Kopf noch nicht erwachsen – aber dein Körper ist es. Ich nähe mich fast blind, damit deine Kleidung die Figur verbirgt. Nun, wenn dieser Pecos nicht selbst blind und einfältig wäre, weil er keine Frauen kennt, dann hätte er es schon längst erraten.« »Oh, du glaubst etwa, daß er es herausfindet?« »Sicher. Früher oder später bestimmt.« »Was in aller Welt kann ich nur tun?« fragte Terrill verstört. »Ich weiß nicht. Wäre es denn so schlimm, wenn er es wüßte?« »Es wäre schrecklich!« »Kind, du liebst ja diesen Pecos. Das ist es, was dir zusetzt.« »Still«, flüsterte Terrill und floh ins Haus. In ihrem dunklen Zimmer erlebte Terrill die Qualen bohrender Gedanken. Würde Pecos nicht zornig und angewidert sein von der Komödie, die sie ihm vorgespielt hatte – wenn er es erfuhr? Würde er sie nicht gleich verlassen? Dann begann wieder die alte, entsetzliche Einsamkeit. Und zu all dem kam jetzt noch dieses unbegreifliche Verlangen, Pecos immer nahe sein zu wollen. Nein, sie konnte es nicht ertragen, ihn zu verlieren. Sie mußte einfach dieses erbärmliche Geheimnis so
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lange wie möglich zu wahren versuchen. Wenn sie klug war, würde er es vielleicht nicht herausfinden. Dann glitt ein neuer Gedanke mit erschreckender Klarheit durch ihren Sinn. Wollte sie nicht eigentlich, daß er es herausfand? Sie sehnte sich danach – fast ebensosehr, wie sie sich davor fürchtete. Auf der Veranda erklangen in diesem Augenblick Schritte – jene Schritte, bei deren Klang sie immer erbebte. »Mauree, wo ist der verdammte Terrill?« hörte sie Pecos fragen. »Ich weiß nicht«, log Mauree unbekümmert. »Verteufelt, keiner weiß hier etwas. Ich schufte mich zu Tod, während Sambo auf die Jagd geht und der Junge schläft oder faulenzt. Ich werde die Mannschaft verlassen.« »Wirklich?« fragte Mauree. »Ja«, schnaubte Pecos in nicht ganz echtem Ärger. »Es geht dir doch gut hier, Pecos. Du wärst ein richtiger Idiot, wenn du jetzt gehen würdest.« »Ach, es ist ja auch wahr, Mauree«, brummte Pecos. »Ich könnte Terrill einfach nicht mehr verlassen.« »Warum redest du dann so?« »Weil ich meinem Ärger irgendwie Luft machen mußte, sonst wäre ich geplatzt. Sambo rennt auf die Jagd, und Terrill setzt mir den lieben langen Tag über zu.« »Master Pecos, du brauchst eine Frau, die dich liebt.« »Haha, das ist ein guter Witz. Wer will mich schon haben?« »Du bist doch ein hübscher Vaquero.« »Nun, das hat mir bisher noch nichts genützt. Ich hatte nie eine Frau.« »Allmächtiger, kannst du lügen.« »Es ist wahr, Mauree.« »Pecos, ich glaube keinem Mann – ob weiß oder schwarz.« »Ob du es glaubst oder nicht – ich würde die Hälfte meines Besitzes dafür geben, wenn ein Mädchen mich liebt.« -98-
»Ich könnte dir für weniger eine Mexikanerin besorgen«, sagte Mauree. In diesem Augenblick kam Sambo heran und verkündete stolz, daß er ein Reh geschossen habe. »Ist das Essen schon fertig?« fragte er. »Ich habe Hunger wie ein Bär.« »Terrill!« rief Pecos. »Es gibt Essen!« »Ja«, murmelte sie mit gespielter Schläfrigkeit und trat in den Raum. »Was soll das Geschrei?« Gähnend reckte sie die Arme und schaute Pecos in die Augen. Er warf ihr jedoch nur einen kurzen Blick zu und setzte sich dann mürrisch an den Tisch. Noch keine Mahlzeit hatte Terrill soviel Spaß gemacht wie diese. Sie schwelgte im Gefühl einer neuen Überlegenheit und spürte die prickelnde Gefahr ihrer Situation und ihre eigene Falschheit wie einen fremdartigen Reiz. Nach dem Essen zog sie sich in einen Lehnstuhl am Feuer zurück. Pecos stopfte sich eine Pfeife, schaute noch einmal in die Nacht hinaus und schloß dann die Tür. »Hörst du den Wind und den Regen, Junge?« murmelte er. »Wenn ich nicht auf die verdammten Viehdiebe warten würde, wäre ich hier bei dir wirklich glücklich.« »Ich auch«, erwiderte sie. »Ich habe Don Felipes Mannschaft fast vergessen. Glaubst du, daß seine Vaqueros es jetzt wagen werden, unsere Rinder zu stehlen?« »Bestimmt. Nur wenn sie wüßten, daß Pecos Smith an der Arbeit ist, würden sie auf der Hut sein. Wir haben fast jedes Kalb in den Breaks gebrannt. Das wird Felipes Mannschaft reizen, und sie werden sich ans Umbrennen machen.« »Aber wir könnten doch jede Brandzeichenfälschung erkennen«, sagte Terrill. »Ja, wenn wir es sehen«, erwiderte Pecos. »Aber sie werden keine umgebrannten Rinder stehenlassen, sondern sie in einer Herde wegtreiben.« -99-
»Wir müßten am Fluß beobachten. Sie müssen dort vorbei, tun in die Breaks zu kommen.« »Sicher. Sobald der Nordsturm vorbei ist, werden wir es tun. Übrigens solltest du dich lieber um dein Gewehr kümmern. Der verdammte Sand ist immer noch nicht draußen, obwohl ich es wenigstens vor dem Verrosten gerettet habe.« Sambo brachte schweigend das Gewehr, und Pecos arbeitete an dem Mechanismus. Immer noch war das Knirschen von Sand zu hören. »Wir brauchen etwas kochendes Wasser«, sagte Pecos. »Kannst du mir kein kleineres Gewehr besorgen?« bat Terrill. »Dies hier schlägt mich immer halb tot.« »Du bekommst eines, wenn wir im Frühling mit einer Herde ziehen.« »Das dauert noch so schrecklich lange. Reiten wir doch jetzt.« »Damit die Bande unser Vieh wegholt, wie?« sagte Pecos ironisch. »Nein, wir reiten im Frühjahr, nachdem wir selbst etwas aufgeräumt haben.« Auf diese kaltblütige Ankündigung hatte Terrill keine Antwort bereit. Sie konnte einen Schauer nicht unterdrücken. Dieser Vaquero sprach so sorglos von einem Kampf wie von einem Spazierritt. Um Pecos nicht sehen zu lassen, daß sie niedergeschlagen war, ging sie bald zu Bett. Sie lag aber noch lange wach, und ihre Gedanken kreisten wieder um diesen geheimnisvollen Pecos, der jetzt ihr ganzes Leben ausfüllte. Am nächsten Tag blies der Nordsturm über einen blankgefegten Himmel, und die geschützten, sonnenbeschienenen Stellen im Canyon waren der schönste Aufenthalt. Terrill machte sich wieder an ihre gewohnte Arbeit. Sie versuchte, jene Stimmungen abzuschütteln, die ihr nur Kummer und Verdruß gebracht hatten. Als Pecos sich ihr jedoch freundlich, geduldig, aber irgendwie verändert näherte, mußte -100-
sie gegen das wilde Verlangen ankämpfen, sich in seine Arme zu werfen. Eines Tages würde sie es tun – sie wußte das. Danach dann die Sintflut! Als der Nordsturm sich legte, wurde es wieder warm, und herrliches Wetter setzte ein. Die Arbeit auf der Ranch war jetzt ein Vergnügen. Terrill war beglückt über die verschiedenen Verbesserungen, und sie wünschte sich nur, daß ihr Vater das noch hätte erleben können. Pecos hatte Geschick zu allem. »Wann werden wir den Fluß hinunter reiten?« fragte sie mehr als einmal. Pecos wich jedoch aus und wurde jetzt noch wachsamer als er es schon zuvor gewesen war. Die Zeit verstrich. In den Nächten kämpfte Terrill mit den widerspruchsvollen Gefühlen in ihrer Brust, und am Tag glich sie es dadurch aus, daß sie Pecos neckte und stichelte. Aber er war jetzt merkwürdig geduldig, so daß ihr das Ganze bald keinen Spaß mehr machte. Eines Tages, als Sambo Maiskolben erntete und Pecos sie enthülste, hörte Terrill, die in ihrem Zimmer war, plötzlich eine fremde Stimme und eilte an die Tür. Sambo half eben einem Reiter vom Pferd. Er war verwundet oder verletzt worden, denn sie sah Blut. Sie hatten den Mann schon irgendwo – wahrscheinlich in Eagles Nest – gesehen. Es mußte einer der Rancher vom Pecos sein. Doch der Anblick von Pecos’ Gesicht beunruhigte Terrill mehr als der Fremde. Jetzt war er also ausgebrochen – der Rinderkrieg, den Pecos erwartet hatte. »Sind Sie schwer verletzt?« fragte Pecos. »Ich glaube nicht. Aber ich habe viel Blut verloren.« »Sambo, hilf ihm auf die Bank«, befahl Pecos. »Terrill, hol die Verbandstasche deines Vaters – und Mauree soll einige Decken bringen!« Als Terrill eilig den Befehl ausgeführt hatte, ging sie nicht wieder hinein, sondern lauschte auf der Veranda.
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»Nun, für eine Verwundung dieser Art haben Sie wirklich viel Blut verloren«, sagte Pecos. »Ist es bestimmt nicht mehr?« »Nein.« »Dann sind Sie in ein paar Tagen wieder in Ordnung«, sagte Pecos. »Wir können Sie hier pflegen.« »Ein Glück, daß ich es geschafft habe«, seufzte der Fremde. »Ich wußte den Weg zu euch, aber er schien so weit zu sein.« »Wie wäre es mit einigen Fragen?« »Schon recht. Aber geben Sie mir noch etwas zu trinken.« »Wasser oder Whisky?« fragte Pecos. »Diesmal würde ich gern Whisky nehmen. – Danke. Mein Name ist Watson. Hal Watson. Ich komme von Rockport. Seit zwei Jahren treibe ich Vieh aus Eagles Nest dorthin. Sie sind wohl der junge Mann, der Terrill Lambeth im Frühling aus Brasees Hütte befreite?« »Ja. Ich heiße Smith.« »Sie waren seither nicht mehr in Eagles Nest?« »Nein. Sie halten Rinder hier am Fluß?« »Ja. Ich habe mit einer Herde von tausend Stück angefangen.« »Wie ist Ihr Brandzeichen?« »Es war ein Rhombus, aber jetzt sieht es wie ein Stern aus.« »Ein Rhombus? Ich habe im Frühling viele Ihrer Rinder gesehen. Vielleicht haben wir auch einige Ihrer Kälber gebrannt. Ich habe aber keinen in einen Stern umgefälschten Rhombus gesehen.« »Das ist alles erst vor kurzer Zeit geschehen. Die Mannschaft arbeitet noch nicht lange.« »Welche Mannschaft?« »Ich weiß nicht. Einige weiße Cowboys und mexikanische Vaqueros. Sie sind von Osten her über den Pecos gekommen.« »Haben Sie Don Felipes Mannschaft gesehen?«
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»Man sagt mir, daß sie flußabwärts arbeitet und Stafford schwer zusetzt. Er hat seine Rinder mit dem Y-Brandzeichen verkauft und hält nur noch sein altes X-Brandzeichen.« »Ich habe dieses Brandzeichen auch schon in unserer Herde gefunden.« »Es sind einige neue Brandzeichen da, die Ihnen zu denken geben werden. Aber lassen Sie mich erzählen, wie ich hierher komme. Vor einer Woche bin ich von daheim mit einem Mexikaner und einem neuen Mann, einen gewissen Charley Stine, aufgebrochen. Mit zwei Packpferden kamen wir in die Breaks oberhalb von Staffords Ranch. Ich war überrascht. Es gab sehr viel Vieh, aber mein eigenes Brandzeichen war so knapp wie Gold. Als wir fünfzig Stück in einer Schlucht eingezäunt fanden, gingen mir die Augen auf. Mein kleiner Rhombus war in einen plumpen, großen Stern umgefälscht worden. Stine riet zur Umkehr, ich aber wurde wütend. Kennen Sie die großen Breaks etwa zehn Meilen unterhalb von hier? Dort rannten wir mitten in Pferde, Rinder, fliegende Lassos und glühende Brandeisen. Als ich auftauchte, war die Mannschaft wirklich überrascht.« »Mann, sie hätten aus der Deckung schießen sollen«, warf Pecos ein. »Seit einiger Zeit trage ich keine Waffe mehr. Nun, sie schossen jedenfalls, ehe wir heran waren. Stine verschwand, und der Mexikaner wurde aus dem Sattel geschossen. Ich flüchtete, und zwei Cowboys verfolgten mich über eine Meile weit. Ich bin geritten, aber erst als ich die Feuchtigkeit spürte, erkannte ich, daß ich angeschossen worden war.« Pecos schritt auf der Veranda auf und ab, und Terrill erschrak beim Anblick seines Gesichts. Er lächelte nicht mehr – seine Züge waren hart und finster. Jetzt erinnerte sie sich daran, wie sie ihn damals in Eagles Nest gesehen hatte. Diesem düsteren Pecos von damals glich er jetzt.
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Die Abenddämmerung setzte ein. Sambo fachte das erlöschende Kaminfeuer an und half seiner Frau dann bei den Vorbereitungen zum Abendessen. Pecos schritt immer noch auf der Veranda auf und ab. Dann rief Sambo zum Essen herein, und sie setzten sich schweigend zu Tisch. »Ich glaube, wir werden in der nächsten Zeit Vieh verlieren, Terrill«, sagte Pecos nach einer Weile düster. »Ich habe jedes Wort gehört, das ihr gesprochen habt«, erwiderte Terrill hastig. »Wenn wir weiter nichts verlieren als Vieh, dann bin ich froh.« »Das ist vernünftig gedacht, Terrill. Vielleicht wirst du jetzt doch erwachsen.« Pecos sagte nichts mehr, er aß nur wenig und ging bald wieder hinaus. Sambo hatte Watson auf der Veranda eine Liegestatt bereitet und ihm auch zu essen gebracht. »Wie fühlen Sie sich, Watson?« fragte Pecos jetzt. »Nicht so schlecht.« »Morgen werden Sie schon wieder aufstehen können. Ich will in aller Frühe ausreiten und möchte Ihnen noch einige Fragen stellen. Ich möchte meinen Gewehrlauf über den Rand des YCanyons schieben. In zwei Stunden kann ich dort sein.« »Oh, ich möchte gern mit.« »Sie brauchen Ruhe. Sagen Sie mir nur, wo die Mannschaft lagert.« »Etwa in der Mitte zwischen den beiden Abzweigungen.« »Aha. Das ist zwar eine weite Schußentfernung vom Nordrand, aber es wird schon gehen. Ich nehme zwei Gewehre mit. Vielleicht kann ich sie in den Fluß treiben. Haben die Kerle Gewehre bei sich?« »Ich habe keine gesehen. Es ist auch unwahrscheinlich – sonst wäre ich kaum entkommen.« Watson machte eine schnelle Geste. »Da fällt mir etwas ein. Sie kannten doch auch diesen Brasee. Er ist tot. Jade, der Barkeeper, hat ihn getötet. Das war aber auch schon wieder ein neuer Mann. Brasee oder einer -104-
seiner Greaser hatte den alten Barkeeper ermordet. Es sind also wieder neue Leute in dem Geschäft. Sie würden Eagles Nest fast nicht wiedererkennen.« »Was Sie nicht sagen. Hat jemand Gold gefunden?« »Nein, aber Stafford hat mir gesagt, daß es mit Texas bergauf geht. Der Rinderpreis ist auf zehn Dollar gestiegen. Als die Rinder noch ganz billig waren, hat es nicht viele Viehdiebe gegeben. Aber seit dem Herbst ist alles anders geworden. Große Treibherden ziehen auf dem Chisholm-Weg und über die Pferdekopf-Furt nach Norden. Die Comanches sind auf dem Kriegspfad. Texaner kaufen Vieh in Mexiko, und ein großer Teil davon wird ihnen gleich wieder gestohlen. Alles ist in Bewegung. Vieh- und Pferdediebe, Revolvermänner, Soldaten, leichte Frauen und dazu Siedler und Cowboys – dieses ganze Gemisch der Hölle treffen Sie in den Rinderstädten.« »Aber das hat doch keinen Einfluß auf unser Gebiet westlich des Pecos.« »Sicher. Das Land am Pecos hat zwar einen schlechten Ruf, und es ist abgelegen, aber wenn Texas ein Rinderreich wird, dann wird es auch in West-Texas in Zukunft Hunderttausende von Rindern geben, wo jetzt nur Tausende stehen.« »Zehn Dollar pro Stück! Ich habe meinem jungen Partner schon immer gesagt, daß die Preise steigen werden.« »Auch wenn Sie nur ein Drittel Ihrer Herde behalten können, Smith, dann sind Sie reich.« »Noch ist es nicht soweit«, erwiderte Pecos mit einem schwachen Lächeln. »Aber was ist mit Eagles Nest geschehen?« »Der Ort ist aufgewacht. Über zwanzig neue Familien – noch ein Store – Fuhrleute – und ein Vertreter des Gesetzes.« »Was meinen Sie damit?« fragte Pecos scharf. »Die TexasRangers oder ein Sheriff?« »Nein, ein fetter kleiner, alter Mann, der sich Richter Roy Bean nennt. Er hat sich ein Haus gebaut und ein Schild daran
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gehängt mit der Aufschrift: ›Richter Roy Bean – Gericht westlich des Pecos‹.« »Ein Gericht westlich des Pecos. Um Himmels willen, hat dieser Bean den Verstand verloren?« »Es sieht so aus. Er hat sich selbst als Sheriff, Richter und Gerichtshof eingesetzt. Niemand weiß, ob er von der Regierung ermächtigt ist. Als jemand fragte, hat er dem Mann einen großen Sechsschüsser gezeigt. Er führt einen Saloon, unterbricht den Verkauf von Whisky, um Gericht abzuhalten, und umgekehrt. Ich hätte es beinahe vergessen: er verheiratet auch die Leute.« »Ein Pfarrer ist er auch?« »Nein, das behauptet er nicht. Er sagt, es sei ein richterliches und moralisches Amt.« »Richter Roy Bean.« Pecos lächelte träumerisch. »Jetzt könnte ich also heiraten – wenn Mary Heald mich haben möchte.«
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12 Terrill, die im Wohnzimmer alles mit angehört hatte, preßte die Hand auf den Mund, um nicht zu schreien. Vielleicht wäre es ein hysterisches Gelächter geworden, aber nur sie selbst hätte gewußt, wie wenig fröhlich es im Grunde genommen war. Sie floh in ihr Zimmer, schloß die Tür und entdeckte neue weibliche Eigenschaften an sich. »Eine Frau finden!« flüsterte sie wild vor sich hin, als sie an der Bettdecke zog und wütende Schläge ins Nichts führte. »Das Heald-Mädchen! Und ich habe gedacht, er hat sie vergessen. Dieser kaltblütige, herzlose Schurke. Aber ich bin sein Boß. Er arbeitet für mich. Er kann niemand heiraten. Oh!« Sie vergrub den Kopf in den Kissen. Pecos hatte ja keine Ahnung, daß sie ein Mädchen war, daß sie seine Frau werden konnte. Wer sollte ihm denn sagen, daß sie ihn liebte und vergötterte? Wieder machte ihr die alte Qual zu schaffen, und eine neue trat hinzu: die Eifersucht. Sie war mitten im schlimmsten Aufruhr von Gefühlen, als an die Tür geklopft wurde. »Terrill, bist du schon im Bett?« fragte Pecos. »Ich – ich – ja«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Was ist mit dir? Deine Stimme kling ja so heiser?« Terrill nahm ihre ganze Beherrschung zusammen. »Ich habe den Kopf unter der Decke gehabt. Was ist los?« »Ich wollte nur etwas mit dir besprechen. Dieser Watson hat mich beunruhigt.« »Ja, ich ziehe mich an und komme hinaus.« »Nein, ich komme hinein.« Sie schlüpfte hastig unter die Decke und spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß, als Pecos den Raum betrat.
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»Es ist aber dunkel hier«, sagte er gedehnt. »Das erste Mal, daß ich hier bin. Na ja, du bist ja so ein komischer Junge.« Terrill wußte nicht, wie sie es geschafft hatte, aber als Pecos ans Bett stolperte und sich auf den Rand sinken ließ, lag sie – mit einer Decke über sich – ganz am anderen Ende. »Ich möchte dir nur sagen, daß ich morgen wegreite.« »Du solltest es nicht tun, Pecos«, erwiderte sie heftig. »Hör zu, wir stehen vor schlimmen Zeiten. Aber was nützt es, Rinder zu halten, wenn wir nicht dafür kämpfen wollen? Falls ich es für gefährlich hielte, dich hierzulassen, würde ich dich ohnehin mitnehmen. Aber du weißt ja, wie schnell ich reiten kann. Ich werde bald wieder zurück sein. Und, Terrill – ich sage es ungern –, aber wenn ich nicht zurückkehre, dann wartest du eine angemessene Zeit, und dann gehst du mit Watson und den Sambos nach Eagles Nest. Hast du verstanden?« Terrill blieb stumm. Sie mußte sich beherrschen, um nicht die Arme um seinen Hals zu schlingen und ihn auf diese Weise hier festzuhalten. »Ich dachte mir, daß es dir einen Stoß versetzt«, fuhr er fort. »Hier ist mein Geldgürtel. Versteck ihn unter dem Bett. Falls ich nicht wiederkomme, rate ich dir, das Pecos-Land zu verlassen.« »Mein Heim zu verlassen?« stieß sie hervor. »Ach, du Dummkopf, ich sage ja nur, falls etwas passieren sollte.« Er zögerte. »Ich – ich habe dich mächtig gern gehabt, Terrill – das ist alles. Adios, und schlaf gut.« Seine Hand griff nach ihrem Kopf, und seine Finger fuhren durch ihr Haar, wie er es vorgehabt hatte. Dann war er schon fort und ließ Terrill mit Gefühlen zurück, von denen sie glaubte, sie würde sie bis zu ihrem Tod nicht vergessen. Aber diese Gefühle töteten sie jetzt nicht, und sie schloß daraus, daß sie ziemlich zäh sein mußte. Der schwere Geldgürtel lag auf ihrem Bett, und Terrill betastete ihn. Schließlich schob sie ihn unter ihr Kopfkissen und
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wartete auf den Schlaf, während sie dalag und in die Dunkelheit starrte. Es dauerte lange, ehe sie einschlief, aber schließlich träumte sie, Pecos sei gefangen worden und sollte als Viehdieb gehängt werden. Aber sie kam auf Cinco angeritten und rettete ihn im letzten Augenblick. Sie erwachte, als die draußen leise Schritte hörte. Pecos kam vom Speicher herunter. Ihr kleines Fenster war noch ein mattgraues Viereck, und ein bleicher Stern schimmerte im rechten oberen Winkel. Bald darauf hörte sie Hufschlag, der in der Morgendämmerung schnell verklang. Pecos war zu einer tödlichen Aufgabe ausgeritten. Weder ihr Vater, noch Sambo oder einer der anderen Rancher hatte den Viehdieben bisher Widerstand leisten können. Doch Pecos war von einem anderen Schlag. Nach dem Frühstück kümmerte Terrill sich um ihren verwundeten Gast, der eben bei seiner Tasse Kaffee saß. »Guten Morgen, Mister Watson. Wie geht es Ihnen?« »Hallo, Junge. Ziemlich gut – mir ist nur noch etwas schwindlig. Ich hatte Glück – vor allen Dingen ein gutes Pferd, das nicht zu schlagen war.« »Ich habe Ihr Pferd gesehen. Ein prächtiges Tier – aber Cinco ist besser.« »Ist Cinco Ihr Pferd?« »Nein, er gehört Pecos.« »Welchem Pecos?« fragte Watson interessiert. »Nun, Pecos Smith, meinem Partner.« »Ah, jetzt verstehe ich. Er hat seinen Vornamen nie erwähnt.« »Haben Sie je von Pecos gehört?« fragte sie unruhig. »Ich versuche, mich zu erinnern, aber mein Schädel brummt zu stark. Jedenfalls habe ich Ihren Vater gekannt. Wir haben Geschäfte miteinander abgeschlossen. Ein prächtiger Mann. Ist es wahr, daß er von Indianern getötet wurde?« -109-
»Nein, Mister Watson«, erwiderte Terrill traurig. »Er ist an einem Comanchenpfeil gestorben, aber dieser Pfeil wurde nie von einem Comanchen abgeschossen.« »Das wußte ich nicht«, murmelte Watson betroffen. »Ich glaube, am Pecos muß es noch viel schlimmer werden, ehe es besser werden kann.« »Wir sollten zusammenhalten.« »Keine schlechte Idee, Lambeth, aber wir sind noch nicht so weit. Das Land ist zu dünn besiedelt, und die Weide ist zu groß. Wir sind alle zu arm, um genug Hilfe anzuwerben. Mir scheint, vorerst können wir nur aufpassen, daß wir nicht selber erschossen werden.« Terrill seufzte. Vielleicht hatte Watson recht, dachte sie in plötzlicher Mutlosigkeit. »Bis Sie gestern kamen, haben wir seit Monaten keinen Reiter gesehen«, berichtete sie. »Ich hatte fast vergessen, daß wir am wilden Pecos leben.« »Ich hoffe, ich bin kein Unheilsvogel«, erwiderte Watson lächelnd. Dann wurde sein Gesicht ernst. »Hallo, was ist denn mit Ihrem Neger los?« Sambo kam vom Corral her gelaufen, und Terrill erkannte sofort, daß etwas nicht stimmte. »Master Terrill, da kommen Reiter!« rief er von weitem. Terrill trat an die Brüstung der Veranda und blickte den Canyon hinauf. Sie sah fünf Reiter und mehrere Packpferde. Ein wilder Schock durchzuckte sie im ersten Augenblick. Aber sie sagte sich, daß es ihr nichts helfen würde, wenn sie ihre Angst verriet – und Pecos auch nicht. Der Außenwelt gegenüber war sie der junge Lambeth, Colonel Lambeths Sohn, und sie konnte diese Rolle auch spielen. »Das sind keine Vaqueros«, sagte Sambo, als er herantrat. »Ich glaube es auch«, erwiderte Watson. »Aber Sie müssen sie empfangen.«
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Terrill lief in die Hütte und zog sich hastig um. Sie steckte den langen Revolver in die Rocktasche. Der Lauf ragte durch ein Loch nach unter heraus, aber vielleicht war es gut so. »Wo sind sie?« fragte sie, als sie wieder auf die Veranda trat. »Sie scheinen zu beratschlagen«, erwiderte Watson. »Da kommen sie zu Fuß«, sagte Sambo. »Sie sind ein wanderndes Waffenarsenal.« Er setzte sich auf die Verandastufen. »Master Terrill, das ist kein freundlicher Besuch.« Gleich darauf kamen die Männer in Terrills Blickfeld. »Ich kenne den Großen«, stieß sie hervor. »Das ist Breen Sawtell.« »Ich auch«, erwiderte Watson erregt. »Ich bin ihm im Sommer in Eagles Nest begegnet. Ich kann nicht behaupten, daß ich ihn gern habe, Lambeth.« Terrill lachte leise und schüttelte damit den letzten Rest von Nervosität ab. »Ich kann auch nicht behaupten, daß ich ihn liebe.« »War er jemals hier?« »Zweimal. Das letzte Mal habe ich mich im Busch versteckt. Er ist der neue Partner von Don Felipe.« Watson pfiff leise vor sich hin, dann wurde nichts mehr gesprochen. Terrill konnte sich noch gut an Sawtell erinnern; an seine schwarze Weste, den langen Schnurrbart und die tiefliegenden, schwarzen Augen. Rechts von ihm ging ein kleiner, stämmiger Mann von ziemlich pompösem Auftreten. Die anderen drei waren gewöhnliche junge Cowboys, unrasiert und mit harten Gesichtern. Sie waren alle schwer bewaffnet, bis auf Sawtell, der nur einen Colt umgeschnallt hatte. Zehn Schritt vor der Veranda blieb er stehen und ließ den scharfen Blick seiner tiefliegenden, schwarzen Augen über Watson, Terrill und Sambo gleiten. »Hallo, Leute.«
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Weder Sambo noch Terrill erwiderten den Gruß, nur Watson antwortete. »Kenne ich Sie nicht?« fragte Sawtell und trat mit dem dicken, kleinen Mann einige Schritte näher heran. »Ich heiße Watson. Wir haben uns im Sommer getroffen.« »Sicher. Wir sprachen über Rinderkäufe. Aber Sie wollten Bargeld.« Er sah Watson prüfend an. »Sie sehen aber blaß aus.« »Kein Wunder. Ich wurde gestern von Brandzeichenfälschern angeschossen, die mein Vieh stahlen.« Obwohl Sawtells Gesichtsausdruck nur unmerklich wechselte, erkannte Terrill es doch. »Angeschossen? Brandzeichenfälscher? Wo war das, Watson?« »Zehn Meilen flußabwärts. Ich bin hierher entkommen.« »Ich verstehe. Sie sind ganz allein, wie?« »Nein, ich hatte zwei Cowboys, aber sie sind nach den ersten Schüssen verschwunden.« Sawtell wandte sich plötzlich Terrill zu. »Hallo, Lambeth. Ich höre, Sie haben einen gewissen Hod Smith als Partner aufgenommen.« »Nicht Hod – er heißt Pecos.« »Wo ist er?« »Fort«, sagte Terrill lakonisch. »Wann wird er zurück sein?« »Weiß ich nicht – in einer Woche vielleicht.« »Bill, ich schätze, das ist der Smith, den wir suchen«, sagte Sawtell zu seinem stämmigen Begleiter. »Die Cowboys bei Heald nannten ihn Pecos.« »Mir scheint, da gibt es einen Hod und einen Pecos«, sagte der andere gewichtig. »Wir wollen die Brandzeichen nicht verwechseln. Wir suchen den Mann, der Ihren Bruder erschossen und mit Williams und Adams Brandzeichen gefälscht hat.«
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»Sicher. Und wir sind auf der richtigen Spur«, erwiderte Sawtell zuversichtlich. »Entschuldigen Sie, aber ich glaube, Sie sind auf der falschen Spur«, warf Watson ein. »Sind Sie ein Freund von Hod Smith?« fragte Sawtell. »Ich kenne keinen Hod Smith.« »Wir hätten wissen können, daß wir auf Ausreden stoßen werden«, sagte Sawtell ärgerlich. »Macht es euch bequem, Leute.« Er versetzte Sambo einen Tritt. »Fort, Nigger, du kannst uns später füttern.« »Das wird Master Terrill bestimmen«, erwiderte Sambo mürrisch. »Junge, befiehl deinem Schwarzen, er soll für uns kochen«, sagte Sawtell barsch. »Geht zum Teufel!« sagte Terrill scharf. »Dann gibt es hier wohl keine Gastfreundschaft?« »Nicht für Sie!« »Gut. Wir werden uns selbst bedienen.« Sawtell machte eine spöttische Geste. »Bill, das ist der junge Terrill Lambeth, und das hier ist Bill Haines, Sheriff aus Neu-Mexiko.« Terrill betrachtete den Mann. Er hatte ein forsches Auftreten, aber seine unsteten, grauen Augen wichen ihrem Blick aus. »Freut mich, Sie kennenzulernen, junger Mann«, sagte er mit gekünstelter Herzlichkeit. »Sind Sie ein Ranger?« »War ich, Söhnchen. Jetzt stehe ich in privaten Diensten.« »Wollen Sie Pecos Smith verhaften?« »Ja, wenn er Hod Smith ist.« »Dann reiten Sie lieber wieder, ehe Sie Unannehmlichkeiten bekommen, denn hier gibt es nur einen Pecos Smith.« »Breen, der junge Mann ist reichlich vorlaut«, grollte Haines. »Nun, Sie können ihn auch gleich verhaften«, sagte Sawtell lachend. »Er steckt mit Smith unter einer Decke.«
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»Entschuldigen Sie, ist das ein gesetzliches Vorgehen?« wandte Watson ein. »Es geht mich nichts an, und ich kenne Lambeth und Smith nicht weiter, aber ich habe noch von keinem Sheriff westlich des Pecos gehört.« »Nun, zu Ihrer Unterrichtung und Erbauung will ich folgendes berichten.« Sawtell trat noch näher heran. »Dieser Smith ritt für den Rancher Heald und machte dabei krumme Geschäfte mit zwei Cowboys, Adams und Williams. Mein Bruder ritt zu Heald und forderte Smiths Entlassung. Aber er wurde für seine Bemühung von Smith erschossen, und dieser floh dann in die Breaks, von wo aus seine Partner kleinere Herden nach gewissen Märkten in Neu-Mexiko trieben. Es waren teilweise ungebrannte Kälber gewesen und teilweise Rinder mit gefälschten Brandzeichen. Beckman, der Rancher, für den ich damals Vormann war, verlor am meisten. Als es ihm zuviel wurde, hat er mit drei Cowboys die Verfolgung von Adams und Williams aufgenommen. Dann hörte man nichts mehr von ihm. Haines und ich nahmen dann mit unseren Leuten die Fährte auf. Wir fanden die verwesenden Leichen von sechs Männern. Einen, der noch den Strick um den Hals hatte, erkannten wir als Williams. Adams identifizierten wir an seinen Schneidezähnen. Beckman hatte einen Pfeil im Leib, aber er ist bestimmt von keinem Comanchen erschossen worden. Neben ihm lag ein mit Pfeilen gespickter Pferdekadaver. Wir glauben folgendes. Smith hat seine Kumpane zurückerwartet. Er war unterwegs, und als er zum Camp kam, bemerkte er, daß die beiden eben aufgehängt werden sollten. Smith nahm den Kampf auf und blieb als einziger übrig. Dann verschoß er eine Menge Comanchenpfeile, damit es so aussah, als wären Indianer am Werk gewesen. Anschließend durchsuchte er die Toten nach Geld und ritt davon. In Eagles Nest erfuhren wir, daß Smith den jungen Lambeth befreit hat, der dort eingesperrt war. Das übrige ließ sich leicht zusammenreimen.«
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»Sawtell, ich sage Ihnen, dieser Pecos Smith ist nicht Ihr Mann«, wandte Watson ein. »Und warum nicht?« »Es muß ein Irrtum vorliegen.« »Zum Teufel, er hat für den jungen Lambeth einen großen Schuldbetrag bezahlt und hatte eine dicke Geldrolle bei sich. Und woher wollen Sie wissen, daß es nicht der gesuchte Smith ist?« »Nun, ich kann es nicht beweisen, aber ich möchte wetten, daß er es nicht ist.« »Watson, das ist keine überzeugende Antwort«, sagte Sawtell ärgerlich. »Vielleicht stecken Sie mit Smith unter einer Decke?« »Sie sind ein verdammter Narr, Sawtell! Ich bin ein achtbarer Rancher, wie jeder am Fluß weiß.« »Das sagen Sie, aber wir wissen nicht –« »Breen, Sie sind etwas zu voreilig«, warf Haines mürrisch ein. »Wir müssen genau Bescheid wissen, ehe wir handeln.« Sawtell stapfte wütend auf und ab und sagte nichts. Aber Terrill wurde in dieser Sekunde von einer erschreckenden Erkenntnis heimgesucht. Pecos war wirklich ein Viehdieb, und all das Geld in ihrem Besitz war das Kapital der drei Brandzeichenfälscher. Bei seinem Bericht hatte Pecos einige wesentliche Einzelheiten ausgelassen, die Sawtell jetzt enthüllt hatte. Ein wilder Schmerz tobte in ihrer Brust. »Haines, fürchten Sie sich etwa, weiterzumachen?« fragte Sawtell in diesem Augenblick. »Nein. Aber ich verhafte keinen unbekannten Vaquero, darauf können Sie wetten.« Die Anwesenheit der anderen war Sawtell zweifellos hinderlich. Er schien innerlich zu kochen vor Wut. »Schließlich sind wir vor allem hinter dem Geld her!« In seiner Wut ließ er endlich die Maske fallen. »Ja. Das kann ich mir vorstellen, daß Sie hauptsächlich das Geld haben wollen«, erwiderte Haines kühl. -115-
»Ich habe eine Ahnung, daß es in der Hütte versteckt ist, und wenn wir es finden, haben wir Hod Smiths Identität festgestellt«, fuhr Sawtell unbeirrt fort. »Sie sind sehr zuversichtlich, aber mir genügt dieser Beweis auch nicht.« »Aber ich war doch der Käufer für Adams und Williams. Ich habe für sie die Rinder bezahlt. Ich kenne jeden HundertdollarSchein, den ich ihnen gegeben habe!« Sawtell schien plötzlich zu begreifen, daß er etwas zu weit gegangen war, und lachte gezwungen. »Was sagen Sie nun?« Haines schien nicht nur verblüfft zu sein, sondern auch zornig zu werden. »Das ist schon eine verdammt komische Erklärung, die Sie da abgeben.« »Ich habe den Handel nur gemacht, um die Viehdiebe zu überführen«, sagte Sawtell hastig. »Ja. Vielleicht war es gut, gestohlenes Vieh als Beweis zu kaufen. Aber Sie haben es schließlich lange Zeit hindurch weitergemacht. Was werden die Rancher sagen, deren Vieh Sie gekauft haben?« »Zum Teufel, wenn es zu einer Entscheidung kommt, können sie sich ihre Rinder heraussuchen. Haben Sie sonst noch Einwände?« »Das würde mir wenig nützen.« »Wir sind hergekommen, um das Geld zu finden und diesen Hod Smith zu hängen, und das werden wir auch tun!« rief Sawtell wütend. »Ich glaube, wir haben wenig Chancen, beides durchzuführen, wenn Sie die Sache so leiten«, sagte Haines spöttisch. Sawtell riß plötzlich den Colt heraus und richtete ihn auf Sambo. »Nigger, willst du erschossen werden?« »Nein, Sir, ich habe kein Verlangen danach.« -116-
»Dann dreh dich mit deiner schwarzen Schnauze zu dem Pfosten herum«, befahl Sawtell. »He, Sam, nimm ein Seil und binde den Nigger am Pfosten fest. Aber richtig.« Als Sambo gebunden war, wies Sawtell auf Watson. »Fesselt dem Mann Hände und Füße.« »Hören Sie, das geht zu weit!« protestierte Watson. »Ich bin verwundet, und außerdem bin ich völlig neutral.« »Zum Teufel mit Ihrer Neutralität! Bindet ihn!« Die Proteste nützten nichts, auch er wurde auf seinem Bett festgebunden. »Sam und Jack, ihr reitet am Fluß entlang bis zu dem Weg drüben an der Felswand. Verbergt euch im Busch und haltet jeden einzeln kommenden Reiter auf. Und du, Jerry, schwingst dich auf dein Pferd und reitest den Canyon hinauf, bis zu dem Dickicht, wo der Weg aus der Schlucht kommt. Versteck dein Pferd und dich selbst und halte mir ja jeden Reiter auf, der kommt. Verstanden?« »Hmhm. Aber ich glaube, wir sollten auch lieber unsere Pferde nehmen«, erwiderte Sam. »Meinetwegen, wenn ihr es so wollt. Beeilt euch jetzt.« Sawtell steckte die Waffe ein. »Und jetzt kämmen wir beide die Hütte durch, Bill.«
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13 Terrill hatte die Szene mit düsterem Blick verfolgt. Der neue Zweifel an Pecos lähmte ihre Entschlußkraft, aber als Sawtell seine Absicht verkündete, die Hütte zu durchsuchen, hatte sie ihre Schwäche bereits besiegt. Was Pecos auch in der Vergangenheit gewesen sein mochte – jetzt war er gut und ehrlich. Er hatte sie gerettet und war ihr Partner. Und vor allem: sie liebte ihn und wollte für ihn kämpfen. »Los, Bill!« befahl Sawtell. »Ich nicht – durchsuche die Hütte selbst.« »Zum Donner, warum sind Sie plötzlich so querköpfig?« »Ich habe mich verdingt, einen Verbrecher zu verhaften, nicht um eine Hütte durchzuschnüffeln. Und wenn Sie nicht aufpassen, wird Ihnen dabei noch jemand den Colt in den Leib rammen.« »Sie Dickkopf, die Jungens bewachen doch die beiden Zugangswege.« »Das sagen Sie. Ich denke jetzt aber anders über Ihre Urteilsfähigkeit.« »Aha, Sie wollen kneifen.« »Sawtell, diese Worte helfen Ihnen gar nichts.« »Ich kann die Sache auch allein machen.« Haines lachte nur, und dadurch wurde die Kluft zwischen den beiden noch breiter. Terrill war jetzt fest davon überzeugt, daß es zwischen den beiden zu einer Auseinandersetzung kommen würde. »Haines, der Mann hat Sie getäuscht und will Sie betrügen«, sagte sie. Der Sheriff warf ihr einen schnellen Blick zu. »Sie sagen nicht viel, Junge, aber was Sie sagen, ist des Nachdenkens wert.« -118-
»Lambeth, das reicht mir!« rief Sawtell wütend. »Seien Sie still, oder ich schlage Sie nieder, wenn Sie weitersprechen!« »Sawtell, seien Sie nicht verrückt!« rief Haines. »Wenn dieser Hod Smith das Geld hatte, ist es längst fort!« »Die Hoffnung ist gering – aber Sie bekommen jetzt keinen Dollar mehr, wenn wir etwas finden.« Er stapfte auf die Tür zu. »Sie werden sich vielleicht wundern!« Doch in diesem Augenblick hatte Terrill den Colt gezogen und hielt Sawtell die Mündung entgegen. »Sie können hier nicht herein!« schrie sie. »Aha! Jetzt haben Sie sich verraten, Lambeth! Sie sind der Kumpan eines Mörders und Viehdiebes.« »Ja, ich bin der Partner von Pecos Smith –« Sie drückte ab, doch der Hahn fiel mit einem metallischen Klicken auf eine leere Kammer. Terrill spannte wieder. Aber im gleichen Augenblick fuhr Sawtells Ann hoch, und als Terrill zum zweiten Male abdrückte, ging der Schuß in die Luft. Sawtell hatte sie am Arm gepackt. Er entriß ihr den Colt und stieß sie in die Hütte zurück. Als sie hinfiel, schlug sie hart mit dem Kopf auf dem Boden auf. Beim Erwachen aus der kurzen Betäubung fand sie sich an einen Stuhl gefesselt. Sawtell stand vor ihr im Wohnzimmer und nahm eben einen langen Schluck aus einem Whiskykrug. Dann begann er mit der Durchsuchung des Raumes. Es ging ziemlich schnell, denn es gab nicht viele Möglichkeiten für ein Versteck. Terrill war wieder voll zur Besinnung gekommen und stellte durch vorsichtige Bewegungen fest, daß sie ziemlich achtlos gefesselt war. Mit einer Hand konnte sie einen der Knoten erreichen. Im Wohnzimmer waren zwei Gewehre – wenn sie zu ihrem eigenen gelangen konnte, das geladen war. Aber selbst wenn sie ihre Hände befreite, konnte sie nicht aufstehen, weil ihre Füße ebenfalls gefesselt waren. Doch dann sah sie Sambos Messer auf dem Tisch liegen. Wenn sie es
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erreichen konnte, war sie frei. Sie arbeitete mit verdoppelter Anstrengung an den Knoten. Jetzt war Sawtell schon mit dem Wohnzimmer fertig und riß die Tür zu ihrem eigenen Zimmer auf. Warum habe ich den Geldgürtel nicht in einer Felsspalte versteckt, dachte Terrill bitter. Sie lauschte aufgeregt und hörte auch gleich darauf ein wildes Lachen. Sawtell trat durch die Tür und schwenkte grinsend den dicken Geldgürtel. »Bei Gott, ich habe es gefunden! Und noch alles Geld ist da! Hod Smith war wirklich sparsam!« Haines erschien an der Außentür und starrte entgeistert auf den Geldgürtel. »Sie haben es tatsächlich gefunden!« »Sicher«, erwiderte Sawtell mit grimmigem Jubel in der Stimme. »Es sind mindestens zwanzigtausend, und das war der Ritt wohl wert.« Er legte den Geldgürtel auf den Tisch und hob den Whiskykrug. »Auf Ihr Pech und auf Ihre schlechte Urteilskraft, Haines.« Keiner der beiden schien auf Terrill zu achten. Haines trank ebenfalls, aber sein Blick ruhte die ganze Zeit über auf dem Geldgürtel. »Guter Whisky«, murmelte er. »Ich hatte unrecht, Breen. Sie haben die richtige Ahnung gehabt. Aber ich hatte nur Angst, dieser Hod Smith sei vielleicht wirklich Pecos Smith.« »Warum denn, Bill?« »Sie scheinen etwas nicht zu wissen. Wenn er tatsächlich dieser Pecos Smith ist, dann wird nicht leicht mit ihm umzugehen sein.« Sawtell lachte sorglos. »Unsere Leute werden ihn am Weg abfassen, ehe er noch weiß, was los ist.« »Es kann aber etwas schiefgehen«, wandte Haines ein. »Lassen Sie doch die verrückte Idee fallen, ihn aufzuhängen.« »Er hat meinen Bruder erschossen.« -120-
»Und wenn schon. Hören Sie auf mit Ihrer sogenannten Treue. Sie haben ihn ja selbst betrogen.« »Sie verdammter Lügner!« schrie Sawtell. »Leugnen Sie doch nicht, was Sie selbst genau wissen«, erwiderte Haines verächtlich. »Was ich weiß, ist meine Sache. Aber wenn Sie vor Fremden darüber sprechen, dann ist das wieder etwas anderes. Sie haben keinen Beweis dafür, daß ich meinen Bruder betrogen habe!« »Es ist nur eine Ahnung, aber Sie können darauf wetten, daß dieser Smith Bescheid weiß. Deshalb wollen Sie ihn wohl auch aufhängen, wie?« »Halten Sie endlich den Mund.« »Nun ja, ein Streit hat ja auch keinen Zweck, jetzt, wo wir das Geld haben«, sagte Haines einlenkend. »Wir?« fragte Sawtell spöttisch. »Sie haben richtig gehört. Ich bin Ihretwegen in dieses gottverlassene Land geritten und bin daher an allem beteiligt.« »An gar nichts. Ich habe Ihnen das eben gesagt.« »Sie wollen das Geld nicht teilen?« fragte Haines gepreßt. »Raus mit Ihnen«, sagte Sawtell und schob den Mann zur Tür. »Ihr fettes Gesicht beleidigt meine Augen.« Terrill sah, wie seine Rechte auf den Colt zuglitt. Verzweifelt arbeitete sie an den Knoten. Die Männer achteten jetzt nicht auf sie, und an der Wand lehnte ihr geladenes Gewehr. »Breen Sawtell, ich will meinen Anteil!« schrie Haines draußen. Sawtell war jetzt ganz auf die Veranda getreten. Terrill konnte nur seine linke Seite sehen. Er hielt die Linke steif nach unten, nur die Finger zuckten nervös. »Sie wollten mir nicht helfen, ich brauche also nicht mit Ihnen zu teilen.« »Ich werde Sie in ganz Neu-Mexiko anschwärzen!« zischte Haines. »Nein, das werden Sie nicht.« -121-
»Meinen Sie wirklich, Sie können mich ungestraft betrügen?« »Ich meine vor allen Dingen, daß Sie nicht zurückreiten werden.« »Zum Teu-« Ein Krachen unterbrach Haines’ Wutschrei. Dann folgte Knall auf Knall – bis beide Männer anscheinend ihre Waffen geleert hatten. Terrill hatte unwillkürlich die Augen geschlossen, und als sie sie wieder aufschlug, hörte sie ein Stöhnen von der linken Seite der Tür her. Sambo oder Watson mußte getroffen worden sein. Dann krachte noch ein Schuß, und anschließend ertönten Schritte. Sawtell erschien an der Tür und steckte den rauchenden Colt in den Halfter. Terrill wußte, daß er ihn nicht wieder geladen hatte. Sein Gesicht war verzerrt, und aus seiner linken Schulter quoll Blut. »Er hat mich angekratzt«, stöhnte er. »Ist er tot?« schrie Terrill. »Haines? Ich glaube. Verbinde mir den Arm.« Er nahm das Messer vom Tisch und durchschnitt Terrills Fesseln an den Händen, ohne zu bemerken, daß eine Hand bereits frei war. »Was zitterst du denn so, Junge? Vor einer Weile warst du ziemlich ruhig.« Terrill gelang es schließlich, ein Halstuch um die Wunde zu binden. Sawtell hatte das Messer in den Tisch gestoßen und machte keinen Versuch, Terrills Hände wieder zu fesseln. Als er den Krug von neuem an die Lippen setzte, handelte Terrill. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie sie blitzschnell die Fußfesseln durchschnitt, dann den Geldgürtel ergriff und damit fliehen wollte. Im nächsten Augenblick hatte er sie am Rock gepackt und zurückgezerrt. Bei dem Ruck riß er ihr fast Jacke und Hemd vom Leibe.
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»Du kleiner Teufel, muß ich dich auch töten?« Er entriß ihr den Gürtel und warf ihn auf den Tisch zurück. Terrill war gegen die Wand gesunken, und im nächsten Augenblick schrie Sawtell auf. »Um Gottes willen!« Er starrte sie an. »Ein Mädchen!« Er trat zu ihr, packte sie an den Schultern und schüttelte sie. Wie bei einer Puppe schwankte ihr Kopf hin und her. »Tu nur nicht so! Laß dich anschauen, Terrill Lambeth! Du kamst mir für einen Jungen schon immer verdammt hübsch vor!« »Lassen Sie mich los«, jammerte sie. »Dieser Don Felipe hat es gewußt!« rief Sawtell triumphierend. »Deshalb wollte er mich nicht hierherkommen lassen. Heute scheine ich meinen Glückstag zu haben!« Terrill riß sich los und zog das Hemd über der Brust zusammen. »Du verdammte kleine Katze, du schämst dich wohl? Dabei lebst du mit diesem Viehdieb zusammen. Ich sollte dich nackt aus dem Canyon treiben.« Er hatte sie wieder bei den Schultern ergriffen. »Du bist nicht mit ihm verheiratet, aber du liebst ihn – ist es so? Hat er dir auch gesagt, woher das Geld kam?« »Ja. Aber er hat nur ungebrannte Kälber gebrannt.« »Oh, du bist doch kein Dummkopf. Das hast du doch nicht etwa geglaubt?« »Doch, ich – ich habe ihm geglaubt.« »Nun, ich habe ihm das Geld selbst bezahlt.« »Aber Sie sagten doch zuvor, Pecos sei nie bei den Männern gewesen?« wandte sie ein. »Ich habe da nur gelogen, um Haines zu täuschen. Damit du es weißt, du hast mit einem ganz gemeinen Viehdieb zusammengelebt. Wenn er kommt, werde ich ihn aufhängen. Heute nacht bleibe ich bei dir, und morgen nehme ich dich mit.« Plötzlich hielt er inne und lauschte. Auch Terrill hörte schnellen Hufschlag. -123-
»Ein Pferd. Das muß Sam sein«, brummte er. »Warum hat er es denn so eilig?« Er ließ Terrill los und ging auf die Veranda hinaus. Das Mädchen schlich zur Tür und spähte in den Canyon. Ein Reiter kam in vollem Galopp herangejagt. Sie erkannte sofort das Pferd: es war Cinco. »Mein Gott, es ist nicht Sam!« schrie Sawtell in diesem Augenblick. Dann war der Rappe auch schon heran. Pecos sprang aus vollem Galopp ab und landete vor dem entsetzten Sawtell. Er hatte keinen Hut auf. Ein blutiges Tuch war um seinen Kopf geschlungen, und sein Hemd zeigte ebenfalls Blutspuren. Bis auf das schreckliche Leuchten in seinen Augen war sein Gesicht steinern grau. »Wer, zum Teufel, sind Sie?« rief er. »Breen Sawtell«, erwiderte der Mann heiser. »Was machen Sie hier?« »Wir wollen einen gewissen Hod Smith verhaften.« »Und wer hat die Männer hier erschossen?« »Es war ein schrecklicher Kampf. Wir –« »Terrill!« rief Pecos, ohne auf Sawtell zu achten. »Ich bin gesund, Pecos!« »Und was ist mit dir, Sambo?« »Ich habe eine Kugel abbekommen, und Watson wurde in dem Kampf auch getötet.« »Sie haben Haines gefordert und in Stücke geschossen, nicht wahr?« fragte Pecos scharf. »Ja, wir hatten ein kleines Duell«, gab Sawtell zu. »Warum das, wenn ihr mich verhaften wolltet?« »Wir wollten einen Hod Smith verhaften.« »Den gibt es nicht. Ich bin Pecos Smith.« »Pecos Smith?« Sawtell erbleichte. »Dann haben Sie meinen Bruder erschossen und waren der Partner von Adams und Williams!« -124-
»Ja.« »Sie sind der Mann, den ich suche!« »Mag sein. Und was wollen Sie tun?« »Pecos, er hat geschworen, dich aufzuhängen!« schrie Sambo. Sawtell zuckte zusammen. Jetzt schien er zu ahnen, wovor ihn Watson und Haines gewarnt hatten. Er raffte seinen ganzen Mut zusammen und rief: »Ich habe Sie aufgestöbert, Smith! Und ich habe noch mehr herausgefunden! Sie haben so getan, als ob dieses Mädchen Terrill ein Junge sei. Sie haben mit ihr zusammengelebt. Don Felipe hat das geahnt. Sie hätten wenigstens das Mädchen heiraten sollen. Schließlich war sie einmal anständig.« »Wollen Sie noch weitersprechen?« fragte Pecos in einer seltsamen, fast unhörbaren Stimme. Vielleicht spornte diese scheinbare Schwäche den verzweifelten Sawtell an. Vielleicht klammerte er sich an den Strohhalm einer unvorhergesehenen Möglichkeit. Wenn er diesen Pecos Smith zu äußerstem Zorn trieb, gewann er vielleicht den Vorteil eines winzigen Augenblicks. »Aber was sie auch war!« stieß er heiser hervor. »Jetzt ist sie eine Dirne! Und sie weiß, daß Sie ein Viehdieb sind und Brandzeichen gefälscht haben. Sie hat es zugegeben.« »Terrill – hat das – geglaubt?« »Sicher. Sie weiß auch, was mit dem Geld los ist. Sie ist fertig mit Ihnen.« Jetzt hielt Sawtell den Augenblick für gekommen. Er machte eine blitzschnelle Bewegung. Aber im gleichen Augenblick fuhr ein roter Blitz auf ihn zu, und eine Explosion folgte. Die Mündung von Sawtells Waffe deutete in die Höhe, als der Körper nach hinten fiel und mit einem dumpfen Aufprall auf die Veranda stürzte. Über seinem Herzen färbte sich das Hemd rot.
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14 Pecos raffte sich aus seiner zusammengekrümmten Haltung auf. Als er Umschau hielt, entdeckte er die beiden Männer, die an der Westwand des Canyons herangelaufen kamen. Ihre ungeschickten Bewegungen kennzeichneten sie als Cowboys, die das Laufen nicht gewöhnt waren. Das erklärte auch die Anzahl der gesattelten Pferde, die Pecos erspäht hatte. »Boß, möchtest du mich jetzt nicht losschneiden?« sagte Sambo. Pecos steckte den Revolver in den Halfter, nahm sein Messer und wandte sich Sambo zu, der aus einer Schußwunde an der Schulter blutete. »Bist du sonst noch verletzt?« fragte er, als er die Wunde untersucht hatte. »Hier oben ist es nur ein Streifschuß.« »Boß, wenn ich nicht tot gespielt hätte, wäre ich es jetzt bestimmt. Dieser Gentleman mit dem schwarzen Schnurrbart wollte uns alle umbringen.« »Wie viele waren es?« »Fünf – soviel ich gesehen habe.« »Dann sind das dort drüben die beiden letzten. Wir wollen sie nicht erst hier in die Nähe lassen. Nimm mein Gewehr, Sambo, treib die Pferde den Weg hinauf und schieße den Burschen nach.« Pecos warf noch einen Blick auf das schaurige Bild auf der Veranda und trat dann ins Haus. Terrill kauerte auf einem Stuhl und hatte ihre zerrissene Kleidung zusammengerafft. »Pecos«, flüsterte sie. »Bist du wirklich gesund?« fragte er scharf und hob mit der Hand ihr Kinn. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Er schaute ihr durchdringend in die Augen und atmete dann erleichtert auf. Mit -126-
einem Male umklammerte Terrill mit einer wilden Bewegung Pecos Arm und lehnte den Kopf dagegen. »Was hast du für eine Beule dort an der Schläfe?« fragte er besorgt. »Er hat mich geschlagen.« Terrill begann mit bebender Stimme zu berichten, aber sie wurde bald von Mauree unterbrochen, die mit angstvoll rollenden Augen eintrat. »Terrill, Liebling, hoffentlich bist du nicht verletzt! Die Teufel haben das ganze Haus verwüstet.« »Nein, Mauree, ich bin gesund.« »Kümmere dich um Terrill«, sagte Pecos kurz. »Pecos, geh nicht!« rief das Mädchen. Er brachte es nicht fertig, in ihre flehenden Augen zu schauen. »Kind, ich gehe nicht weit«, sagte er hastig. »Ich muß hier nur aufräumen.« Er machte mit einer sanften Bewegung seinen Arm frei und trat hinaus. Pferde und Reiter stürmten in wilder Flucht durch den Canyon. Dann hörte er Sambo schießen. Cinco kam wiehernd herangelaufen, als er seinen Herrn witterte. Sofort untersuchte Pecos das Pferd und fand an der linken Flanke einen langen Riß im Fell. »Ein Glück, daß du schnell laufen kannst, alter Junge«, murmelte er erleichtert. Pecos eilte zu der Stelle hinter den Bäumen, von der aus er den ganzen Canyon überblicken konnte. In diesem Augenblick kam Sambo schon keuchend zurückgerannt, und Pecos sah gerade noch, wie der letzte von Sawtells Reitern verschwand. »Boß, ich habe einen angekratzt!« »Dann werden sie sich alle verziehen. Ich habe den einen, der mir auflauern sollte, auch erwischt.« »Hast du ihn entdeckt, Pecos?« »Ich habe die Spuren gesehen, die hierher führten, und als ich in den Canyon einbog, muß Cinco das fremde Pferd gewittert -127-
haben. Ich schlug mich also seitwärts in die Büsche, und das war gut so, denn dort war der Kerl verborgen, der mir auflauern sollte. Er schoß auf mich, und ich schoß zurück und dabei habe ich gut gezielt. Dann lud ich meinen Revolver nach und galoppierte her.« »Ich habe zu dem guten Gott gebetet, daß du noch rechtzeitig kommst.« »Du mußt mir alles erzählen. Aber zuerst müssen wir auf der Ranch wohl einen Friedhof anlegen.« Sie waren inzwischen wieder an die Hütte herangekommen, und Pecos befahl: »Durchsuche sie alle und nimm ihnen die Wertsachen und Papiere ab. Wir stecken alles in einen Sack und geben die Sachen Verwandten oder Bekannten, wenn wir sie finden. Es tut mir leid um Watson.« »Das war kein Zufall, Boß.« »Was?« »Nein. Ich habe mich nach der Schießerei vorsichtig umgedreht. Watson hat noch gelebt. Aber dann fiel noch ein Schuß, und er sank zurück.« »Ja. Sawtell hatte gedacht, daß Watson zuviel wußte. Wenn er nicht mehr da war, konnte er alles auf einen tragischen Zufall schieben.« »Du bist ja selbst auch angeschossen, Boß«, sagte Sambo, der Pecos zum ersten Male richtig anschaute. »Ich habe den Kopf etwas über den Rand des Y-Canyons gesteckt, und einer der Vaqueros hat mich dabei ein wenig angekratzt. Aber das stört meinen Appetit nicht. Der andere Riß hier stammt von einem Ast. Sambo, altes Haus, hol jetzt ein Packpferd, alte Zeltbahnen und Schaufeln, und dann beginnen wir zu graben.« »Nimm dein Gewehr mit, Boß. Man kann nie wissen.« »Sobald du die Toten weggeschafft hast, Sambo, soll Mauree das Blut wegschrubben.« -128-
Pecos glaubte zwar nicht, daß er das Gewehr brauchen würde, er nahm es aber mit. Dann machte er sich an die Arbeit, während Sambo die Toten heranschaffte. Er hatte einen Platz in der Nähe des Dickichts gewählt, in dem er überfallen worden war, und bald hatte er drei flache Gräber ausgehoben. Die harte körperliche Arbeit war ihm im Augenblick willkommen, denn sie half ihm, über die düstere Stimmung hinwegzukommen, die ihn befallen hatte. Schließlich kam Sambo mit einem Packpferd, das einen in eine Zeltbahn gehüllten Körper trug. »Wer ist das?« fragte Pecos. »Sawtell.« Sambo ließ den Körper zu Boden fallen. »Er hatte einen dick gespickten Geldgürtel um.« »Wirklich? Das erinnert mich an meinen eigenen. Wo ist er?« »Den hat Terrill. Boß, du hättest sehen sollen –« »Hol den nächsten«, unterbrach Pecos ihn. Er war noch nicht in der Stimmung, sich einen langen Bericht anzuhören. Pecos machte sich an die Arbeit, den Körper in das Grab zu legen und es zuzuschaufeln. Dann suchte er nach einem geeigneten Felsblock, den er darauf wälzen konnte. Später wollte er den Namen in den Stein ritzen. Sambo kam noch zweimal mit seiner grausigen Last, und dann half er Pecos und sprach mit ihm ein kurzes Gebet für das Seelenheil der Toten. Es war schon spät am Nachmittag, als sie zur Hütte zurückkehrten. Pecos fühlte sich schon wieder etwas besser. Nur noch ein schwaches Gefühl von Übelkeit saß ihm im Magen. Der Kampf war notwendig gewesen. Er hatte einen weiteren Angriff in diesem wilden Grenzland abwehren müssen. Jetzt erfüllte er hier die Aufgabe eines Pioniers, und er wußte genau, was alles geschehen mußte, ehe Männer friedlich in diesem rauhen Lande am Pecos leben konnten. Doch eine weit schwierigere Aufgabe stand ihm bevor, und vor ihr schrak er zurück. Er wußte nicht, wie er Terrill gegenübertreten konnte. Nur eine Tatsache war ihm ganz klar: -129-
seine Zuneigung zu dem Jungen Terrill hatte sich in eine wunderbare Liebe zu dem Mädchen Terrill verwandelt. Am liebsten hätte er diese Enthüllung noch weiter hinausgeschoben. Er war mit seinem Geheimnis auf eine melancholische und entsagende Art glücklich gewesen. Jetzt aber war ein großer Wandel eingetreten. Als Junge hatte sie zu ihm aufgesehen und ihm vertraut. Aber wie würde sie sich als Mädchen verhalten? Der erste Fremde, der Terrills Geschlecht erkannt hatte, war es auch gewesen, der ihr den Glauben an Pecos’ Schuld wieder eingeflößt hatte. Das war eine schmerzliche Erkenntnis für ihn. Vielleicht waren auch seine ganzen Gedankengänge unlogisch und beschönigend gewesen – vielleicht war er wirklich ein Viehdieb? Er mußte die Entscheidung darüber Terrill überlassen, und er wollte jetzt gleich Klarheit schaffen. Allerdings fiel es ihm nun schwerer, sich der Hütte zu nähern, als wenn zehn Männer von Sawtells Schlag dort gewesen wären. Sambo und Mauree hatten inzwischen alle Spuren des Kampfes beseitigt, und als Pecos herantrat, fragte Sambo: »Was sollen wir mit all den Wertsachen anfangen?« Pecos mußte jetzt, ob er wollte oder nicht, in die Hütte treten. Auf dem Tisch lagen Waffen, Patronengurte, Uhren, Messer, Brieftaschen und ein breiter, schwarzer Geldgürtel. »Sawtell und dieser sogenannte Sheriff waren gut ausgestattet«, sagte Sambo. »Aber Watson hatte nichts bei sich.« »Hältst du ihn wirklich für einen Sheriff, Sambo?« »Vielleicht war er einmal einer. Ich hörte ihn etwas von Kansas sagen. Aber jetzt war er bestimmt kein Sheriff mehr; sie haben sich ja selbst verraten.« »Gut. Dann schaff das Zeug weg, damit wir die Sache vergessen können.« »Boß, ich möchte nicht für das Geld verantwortlich sein.« »Dann werde ich es selber verstecken.« Pecos schaute sich um, und Sambo sagte ihm, daß am Kamin ein Stein locker sei. Sie hoben ihn heraus und verbargen die -130-
Besitzgegenstände der Toten in der Höhlung. Dann atmete Pecos erleichtert auf. Jetzt erst kam ihm zum Bewußtsein, daß die Wunde und sein Blutverlust ihn geschwächt hatten. Er ließ sich auf einen Stuhl sinken. Mauree, die am Herd hantierte, rief in den Nebenraum hinein: »Beeil dich, Liebling. Du mußt dich um Pecos kümmern. Dann ist das Essen fertig.« Pecos hörte leise Schritte, und dann fragte eine seltsam veränderte weiche Stimme: »Pecos, darf ich deine Wunden verbinden?« »Wunden? Ach, darum brauchst du dich nicht kümmern.« »Aber du siehst mit dem blutigen Verband so schrecklich aus.« »Oh, das habe ich ganz vergessen«, sagte er verwirrt. Terrill ging hin und her und legte verschiedene Gegenstände auf den Tisch. Er wagte nicht, aufzuschauen. Es war Terrill – und doch wieder nicht. Die gleichen kleinen Stiefel, in die die Hose gesteckt war, aber statt des weiten Überrocks trug sie etwas Weißes. Er sah es, ohne wirklich hinzublicken. »Hast du ein zweites Hemd, Pecos?« fragte sie, als sie seinen Ärmel aufschnitt. »Ja, auf dem Speicher. Ich ziehe es nachher an.« »Das hier ist erledigt. Heute war ein schlimmer Tag für unsere Hemden.« Sie lachte leise, und dieser Laut war wie ein feiner Stich in Pecos’ Herz. »Das kann aber kein Kugelloch sein«, sagte sie, als sie den Ärmel unter der Schulter abgeschnitten hatte. »Nein, ich habe mich an einem Ast gerissen; ich sagte dir ja, daß die ganze Geschichte nicht der Rede wert sei.« Vorsichtig und geschickt wusch Terrill die Wunde aus, bestrich sie dann mit Salbe und band einen Streifen Leinwand darüber. -131-
»Das da an deinem Kopf trau ich mich gar nicht anzusehen. Ich fürchte mich fast –« »Laß nur, Terrill, das kann ja auch Sambo machen.« »Nein, das ist meine Sache«, entgegnete sie. Sie weichte vorsichtig mit heißem Wasser den Verband auf. »Oh, mein Gott«, flüsterte sie leise. »Einen halben Zoll tiefer, und das Leben wäre für mich zu Ende gewesen.« Pecos Smith sah sie verständnislos an. »Aber Terrill, es ist doch mein Kopf«, sagte er verwirrt. Diese Bemerkung des Mädchens machte ihn sehr nachdenklich. Er spürte die Finger an seiner Schläfe, und einmal streifte ihn ihr Arm. Er sehnte sich danach, ihre Arme um seinen Hals zu spüren. »So, wenn du dich im Schlaf nicht herumwälzt, dann wird der Verband halten«, sagte Terrill schließlich. »Im Schlaf?« Wer weiß, ob ich hier Schlaf finde, dachte er, aber laut sagte er: »Danke, Terrill, besser hätte es ein geschickter Arzt auch nicht machen können.« Pecos schritt ins Freie hinaus, ohne ein besonderes Ziel zu haben. Die Sonne versank in einem wunderbaren Farbenspiel. Der Fluß war jetzt ein gewundenes, purpurn glühendes Band mit silbernen Rändern, und auf der hohen Felswand lag der goldene Schimmer des Sonnenunterganges. Der ganze Canyon ruhte wie unter einem Baldachin funkelnder Strahlen und Schleier von rötlichem und violettem Licht. Pecos stand da und dachte an seine eigene bittere Vergangenheit und an die schweren Kämpfe, die ihm noch bevorstanden, ehe auch in sein Leben Ruhe, Zufriedenheit und Glück einkehren konnten. War es möglich, daß hinter dieser überwältigenden Schönheit dauernd drohende Gefahr, Mord und Totschlag lauerten? Mit einem Male hatte er eine Vision von einer Zeit, in der dieses Weideland aufblühen würde – von einer Zeit, die nicht mehr die Härte und Brutalität jener Ära kennen würde, in der der Colt, das Lasso und das Eisen des -132-
Brandzeichenfälschers das Leben auf der Weide bestimmt hatten. In dem goldenen Glühen des Sonnenunterganges schien ein Versprechen zu liegen für eine bessere Zukunft. Es mußte ja auch so sein – wozu wäre sonst all das Hoffen, der Kampf und das Streben gewesen? In diesem Augenblick wurde Pecos Smith sich seiner Bestimmung klar. Das Schicksal, das seine Schritte trotz allen scheinbaren Umwegen immer geradlinig geführt hatte, verlangte von ihm, Wegbereiter zu sein, das Tal des Flusses, dessen Namen er trug, säubern zu helfen von allem Gesindel, damit es Wohnstätte und Heimat werden könne für viele, viele Menschen. Als ihn eine Stimme zum Abendessen rief, drehte er sich um und sah gerade noch etwas Weißes von der Tür weghuschen. Terrill hatte ihn also schon länger beobachtet. Er schritt langsam auf die Hütte zu und nahm sich vor, ganz unbefangen und natürlich zu sein. Sambo hatte Feuer im Kamin gemacht, und Terrill saß an ihrem alten Platz – aber doch war alles irgendwie verändert. Sie hatte das gekräuselte Haar in der Mitte gescheitelt, und ihr Gesicht war bleich, als wäre es nie von der Sonne gebräunt worden. In den großen, dunkel wirkenden Augen schienen sich unnennbare Gefühle widerzuspiegeln. Terrill trug eine weiße Bluse, die nicht mehr gut saß. Sie war einmal für ein Mädchen angefertigt worden, und Terrill war jetzt eine voll erblühte Frau. Als sie Pecos’ langen Blick auf sich ruhen fühlte, errötete sie. Dann saßen sie schweigend da, versuchten zu essen und wußten doch, daß sie sich beide durch ihr Benehmen verrieten. Sambo, der vor dem Kamin kauerte, kam ihnen zu Hilfe. »Boß, ich bin sehr neugierig, wie du den Streifschuß am Kopf abbekommen hast.« »Ja, bitte, erzähle!« rief Terrill eifrig. »Also gut«, sagte Pecos. Er zündete sich eine von den mexikanischen Zigaretten an, die er sich in Fort Lancaster -133-
gekauft und von denen er seit ihrer Fahrt nur wenige geraucht hatte. »Ich habe gegen Sonnenaufgang den Y-Canyon erreicht und fand die Mannschaft auch an dem Platz, den Watson mir genannt hatte. Ich feuerte sieben Schüsse ab, als die Bande gerade beim Frühstück saß. Einen der Greaser habe ich auch getroffen. Dann rannte ich zurück, warf mich aufs Pferd und ritt so weit wie möglich am Rand des Canyons entlang. Mit dem zweiten Gewehr kroch ich wieder an den Rand und schoß, so schnell ich laden konnte. Natürlich haben die Kerle gehört, daß es ein anderer Typ von Gewehr war und die Schüsse auch aus einer anderen Richtung kamen. Sie dachten, der ganze Canyon sei umzingelt. Ihre Pferde standen schon für die Tagesarbeit bereit, aber jetzt jagten sie zum Fluß hinunter, so schnell sie konnten. Sie schossen dabei zurück, und einer hat mich angekratzt. Aber ich schätze, die Burschen werden nicht so bald zurückkommen.« Als er seinen Bericht beendet hatte, stand Pecos unvermittelt auf und trat auf die Veranda hinaus. Er hatte die Blicke des Mädchens nicht mehr ertragen können. Was hatten sie zu bedeuten? Erkannte sie, daß sie in ihrem Glauben an ihn versagt hatte? Oder war es etwas anderes? Plötzlich erklangen leise Schritte neben ihm. Terrill kam heraus und trat an seine Seite. »Pecos, darf ich mich zu dir setzen?« fragte sie leise. »Ja.« Sein ruhiger Tonfall war eine Verstellung. Sie setzte sich neben ihn und blickte in die Nacht hinaus. Wenn ihr dieser Platz neben den Geschehnissen, die sich hier abgespielt hatten, Schrecken einflößte, so verriet sie es jedenfalls nicht. In der Dunkelheit sah Pecos nur undeutlich ihr klares, schönes Profil neben sich, und seine Sehnsucht wurde immer stärker. »Terrill, geh zu Bett«, sagte er unvermittelt. Die Worte überraschten sie. »Muß ich?« -134-
Der eigenwillige Junge Terrill schien für immer verschwunden zu sein. Es war so, als sei sein Wort Gesetz für diese neue Terrill, und als dürfe sie ihm nie mehr ungehorsam sein. »Du siehst so blaß und erschöpft aus«, fuhr er fort. »Es wäre besser, wenn du schlafen gehst.« »Pecos, ich könnte nicht schlafen.« Sie zögerte. »Darf ich nicht noch ein wenig bleiben?« »Ja.« Ein heller Schimmer erschien am jenseitigen Rande des Canyons. Der Mond ging auf. Terrill rückte näher zu Pecos hin, und er spürte ihren Blick auf sich ruhen, während er starr geradeaus schaute. Die Linie des Mondlichtes war zu einem breiten Band geworden. Irgendwo im Canyon schrie eine Eule, und das Rauschen des Flusses klang undeutlich herüber. Was soll ich tun? fragte sich Pecos. Was sollte er sagen? Er hatte so wenig Erfahrung im Umgang mit Frauen. Vielleicht war es das Beste, sie schroff anzufassen. Dann würde er erfahren, ob sie ihn wirklich liebte. »Du hältst mich also für einen Taugenichts und gemeinen Räuber, Terrill?« fragte er barsch. »Ja, ich kann es nicht leugnen«, sagte sie kleinlaut. »Dieser Sawtell hat geschworen, er habe dir selbst das Geld für die gestohlenen Rinder gegeben. Gott verzeihe mir, ich hielt es für die Wahrheit.« »Schon gut«, murmelte Pecos gepreßt. »Jetzt ist es heraus«, sagte sie erleichtert. »Es hat mich fast umgebracht. Aber schau doch nicht so finster, Pecos. Als du kamst, wußte ich gleich, daß Sawtell in Wirklichkeit ein Schuft und Verbrecher war.« »Aber du hast es erst geglaubt, was er dir vorgelogen hat«, sagte er starrsinnig.
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»Ja. Aber ich glaube es jetzt nicht mehr. Kannst du nicht menschlicher und freundlicher sein?« »Doch, ich bin so menschlich, daß es mich im Innern furchtbar schmerzt«, erwiderte er mit dumpfer Stimme. »Du hast mich, deinen Kameraden, verraten.« »Nicht wirklich.« »Doch, du bist eine Betrügerin.« »Nein, das bestreite ich. Ich hätte zu dir gehalten, selbst wenn es wahr gewesen wäre.« Pecos starrte sie wie gebannt an. Der Mond war inzwischen über den Rand des Canyons gestiegen, und in seinem bleichen Silberlicht sah er deutlich ihre Gesichtszüge. Trotz der grausamen Schranke, die Pecos absichtlich zwischen ihnen aufgerichtet hatte, ließ sie sich nicht zurückweisen. Aus ihren Augen schimmerte ein echtes, tiefes Gefühl. »Terrill Lambeth, du hast in der Stunde der Not versagt«, murmelte er, und der Schmerz, den er ihr damit verursachte, schnitt ihm selber ins Herz. »In meinem Herzen nie«, widersprach sie. »Ich bin ein Texaner und hasse Rinderdiebe und Pferdediebe. Und du hast mich für einen von diesen Leuten gehalten.« »Aber ich habe es dir doch gestanden!« rief sie verzweifelt. »Ich hätte dich einfach belügen können.« »Das ist mir gleich.« »Oh, Gott! Pecos, ich habe dich geliebt, schon als ich dich zum ersten Male sah.« »Vielleicht wie einen großen Bruder.« »Nein. Als ein Mädchen, das ihre wahre Natur verbergen mußte. Hätte ich dieses Geheimnis nicht mit mir herumtragen müssen, so hätte ich die Liebe nie so empfinden können.« »Terrill, du hast so lange als falscher Junge gelebt, so lange eine Lüge mit dir herumgetragen, daß du jetzt auch nicht die Wahrheit sprechen kannst.« »Aber – ich liebe dich wirklich.« -136-
»Du schöne Betrügerin.« Sie umklammerte seinen Arm. »Wenn du mich nicht liebst, bleibt meine letzte Zuflucht der Fluß.« »Lügnerin.« »Pecos, wie kannst du nur so unbarmherzig sein.« »Du hast mich verraten.« »Dann habe wenigstens Erbarmen mit mir Sünderin.« »Du hast mich für einen Dieb gehalten.« »Verzeih mir, Pecos! Ich habe doch nur dich auf der Welt.« Jetzt konnte Pecos die schlimme Komödie nicht mehr weiterspielen. Er zog sie an seine Brust und hob ihre schlaffen Arme um seinen Hals. »Nun, ich glaube, das war alles«, sagte er mit so veränderter Stimme, daß man glauben konnte, ein Fremder habe gesprochen. Er sah die großen, dunklen Augen vor sich, spürte die Wärme ihres Körpers in den seinen hinüberfließen und fühlte ihren Herzschlag. »Pecos«, flüsterte sie. »Ja?« »Du verzeihst mir?« »Ich habe dich nur für deinen Mangel an Vertrauen bestrafen wollen, Terrill.« »Oh, warte. Das ist zuviel für mich! Du hast es wirklich nicht so gemeint? Diese schrecklichen Namen, die du mir gegeben hast?« »Nun, im Augenblick habe ich sie schon so gemeint. Ich war wirklich gekränkt. Aber ich habe mir noch einen anderen Namen aufgehoben.« »Welchen?« »Liebste.« »Dann – liebst du mich also?« Seine Antwort war ein Kuß. Als sich ihre Lippen trafen, zerbrachen mit einem Male alle jene Schranken, die Terrill -137-
künstlich um ihr Mädchentum errichtet hatte, und es war so, als brächen sich Gefühle Bahn, die sie jahrelang in ihrem Innern verbergen mußte. Immer wieder suchte ihr Mund seine Lippen, und als sie endlich ihr Gesicht hob, war es nicht mehr bleich. »Pecos, wie kannst du mich nur so lieben«, murmelte sie. »Du weißt doch erst seit kurzem, daß ich ein Mädchen bin.« »Ich liebe dich schon, seit ich es herausgefunden habe.« Überrascht richtete sie sich auf. »Pecos, du Schuft!« rief sie verwirrt. »Um Gottes willen, wann war denn das?« »Es ist an dem Tag gewesen, an dem du beinahe ertrunken wärst, Terrill.« »An jenem Tage also.« Sie verbarg ihr glühendes Gesicht an seiner Brust. »Aber es ist ja jetzt gleich – da du mich liebst.«
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15 Pecos wäre Rockport ebenso recht für einen Besuch gewesen wie eine andere Stadt. Die Rinderstadt am Golf von Mexiko war jedoch in ihrer jetzigen Blütezeit nicht der richtige Ort für Terrill. Pecos hatte noch keine Stadt wie diese gesehen. Sie schien an drei Seiten von brüllenden Rinderherden umgeben zu sein und sie wurde an der vierten Seite vom Golf von Mexiko begrenzt. Auf der Hauptstraße herrschte bis tief in die Nacht hinein ein wüstes Durcheinander von Reitern, Wagen und Fußgängern. Das Golf-Hotel, in dem Pecos Zimmer zu einem enormen Preis bekam, glich einem summenden Bienenkorb. Die Gäste waren vom gleichen Schlage wie die Straßenpassanten; es waren Siedler, Ranchers, Auswanderer, Cowboys, Viehhändler, Büffeljäger, Soldaten, Reisende, Desperados und jene bunt zusammengewürfelte Schar von Schmarotzern, die eine solche Stadt anzog, wie das Licht die Motten. Selbst an diesem Dezembertag war es heiß und staubig in Rockport. »Terrill, das hier ist großartig«, sagte Pecos. »Hier sind die jungen Menschen, die das Land besiedeln werden, und ich sehe es ihren Augen an, daß sie es schaffen werden.« »Pecos, mir schlägt das Herz bis zum Hals«, gestand Terrill. »Hoffentlich können die jungen Männer kämpfen. Sie wissen doch nicht, was ihnen bevorsteht. Schau, wer sind die ganz in Schwarz gekleideten Männer und die bemalten Frauen dort in den auffallend bunten Kleidern?« »Ich habe keine Ahnung. Aber ich schätze, sie taugen nicht viel, Terrill. Weiche keinen Augenblick von meiner Seite, oder sperr dich in dein Zimmer ein, wenn ich fort muß.« »Glaubst du etwa, ich lasse einen so hübschen, verwegenen Cowboy wie dich auch nur einen Augenblick lang allein mit -139-
diesen Menschen? Schließlich sind wir aufeinander angewiesen.« »Sicher. Wenn ich dich nicht hätte, würde ich trinken und spielen. Aber das ist alles vorbei.« »Ich bin so glücklich, daß ich fast Angst habe«, sagte Terrill träumerisch. »Ich wollte, Richter Roy Bean wäre in Eagles Nest daheim gewesen vor unserer Abreise, dann hätte ich nicht solche Angst«, erwiderte er lachend »und außerdem hätten wir auch noch ein Zimmer gespart.« »Was meinst du damit?« fragte sie errötend. »Wir sind hergekommen, um Rinder zu kaufen.« »Oh, ich habe nichts gemeint. Komm. Schauen wir, ob wir in einem Laden Kleider für dich finden.« Sie fanden allerdings keine fertigen Kleider, dafür jedoch gute Stoffe. Fröhlich kehrten sie ins Hotel zurück, mit neuen verzierten mexikanischen Stiefeln, Silbersporen, bunten Cordsamthemden, einer Jacke und anderen Dingen. Während Terrill sich noch wie ein beschenktes Kind mit ihren Einkäufen beschäftigte, sagte Pecos, sie solle sich umziehen, während er in die Halle hinunterginge. Er war etwas beunruhigt, weil ihm zwei Männer gefolgt waren. Das kannte er aus seiner Vergangenheit; was ihn aber besorgt machte, war, daß die beiden wie Texas-Rangers aussahen. Warum folgten sie ihm? Er wollte der Sache auf den Grund gehen. In der Portiersloge fragte er, ob Texas-Rangers in der Stadt seien. »Captain McKinney ist mit einigen Leuten bei der Bearbeitung des Big Brewster Viehdiebstahls.« »Wo kann ich ihn finden?« »Ich habe ihn eben hier gesehen.« Pecos ließ sich den Captain zeigen. Er war ein mittelgroßer Mann mit einem gutgeformten, strengen Gesicht und einem -140-
durchdringenden Blick. Pecos wartete, bis der Captain ein Gespräch mit einem Fremden beendet hatte, und trat dann zu ihm hin. »Nun, Sir?« »Sind Sie Captain McKinney?« Der Captain zögerte ein wenig, ehe er bejahte. »Zwei Ihrer Rangers folgen mir durch die ganze Stadt«, sagte Pecos. »Wer sind Sie?« »Pecos Smith.« »Kommen Sie in mein Zimmer«, sagte McKinney unvermittelt. Pecos hatte ein sehr feines Empfinden für Begegnungen mit fremden Männern. Dieses Zusammentreffen schien unter einem günstigen Stern zu stehen, denn sonst wäre ein Captain der Texas-Rangers nicht vor einem Verdächtigen den Gang entlanggegangen. »Ich bin froh, daß Sie mich aufgesucht haben«, sagte McKinney, nachdem er Pecos in seinem Zimmer einen Stuhl angeboten hatte. »Was hat es zu bedeuten, daß ich verfolgt werde?« Die beiden Texaner sahen sich in die Augen. Selten war Pecos so scharf und durchdringend gemustert worden wie jetzt. »Würden Sie mir Ihren Colt zeigen?« »Das tue ich eigentlich nie. Aber in Ihrem Fall –« Er reichte die Waffe mit dem Kolben voran hinüber. »Sieben Kerben, alle alt«, sagte der Captain nach einem flüchtigen Blick auf die Waffe. »Ich hätte kürzlich drei weitere hinzufügen können, aber ich habe es aufgegeben.« Der Captain reichte ihm den Colt in der gleichen Weise zurück. »Smith, ich habe Gutes und Schlechtes über Sie gehört.«
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»Ja. Ich habe ein ziemlich hartes Vaqueroleben geführt«, gestand Pecos. »Sind Sie etwa mit Bradington Smith verwandt, der vor dem Krieg bei den Rangers diente?« »Das war mein Onkel.« »Interessant. Smith, ich habe einen Brief, der Sie betrifft, von einem Rancher an der Grenze von Neu-Mexiko, einem gewissen Breen Sawtell. Kennen Sie ihn?« »Ich kannte ihn«, erwiderte Pecos ruhig. »Möchten Sie den Brief lesen?« »Nein, ich weiß auch so, was darin steht.« »Das ist der Grund, weshalb Sie beobachtet wurden«, erklärte McKinney. »Aber einer meiner Leute, Jeff Slinger, kennt Sie und schwört, daß an dem Brief kein wahres Wort ist.« »Ist Jeff jetzt Ranger?« »Seit zehn Jahren.« »Komisch, daß er mir das nicht gesagt hat«, murmelte Pecos erstaunt. »Ich half ihm gegen einige Pferdediebe am Rio Grande.« »Was halten Sie von Sawtells Brief?« »Er will seine eigene unsaubere Fährte vertuschen«, sagte Pecos und berichtete kurz die Zusammenhänge. »Das stimmt mit den Informationen überein, die ich von einem Herdencowboy bekommen habe«, bestätigte McKinney. »Wir werden uns diesen Sawtell etwas genauer ansehen.« »Dazu müssen Sie ihn ausgraben.« »Wieso?« fragte Kinney, obwohl er sehr wohl begriff. »Er ist tot.« »Sie haben ihn erschossen?« »Ich mußte es tun.« »Dann sprechen Sie.« Als Pecos alles ausführlich berichtet hatte, fragte McKinney, ob er Zeugen für seine Aussagen habe, und Pecos erwiderte, er
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könne Terrill Lambeth gleich vernehmen. Er lief erleichtert zu Terrills Zimmer und klopfte an die Tür. »Terrill, beeil dich.« Sie öffnete die Tür. Bis auf einen Stiefel war sie schon völlig neu angekleidet. »Wie sehe ich aus?« fragte sie kokett. »Ich sage es lieber nicht, weil es dir sonst in den Kopf steigt.« »Wohin willst du mich denn bringen?« fragte sie, als sie in den zweiten Stiefel schlüpfte. »Terrill, ich habe Glück gehabt. Ein Captain der TexasRangers will den jungen Lambeth sehen. Man hat dich mit mir zusammen beobachtet, und ich habe nichts verraten. Sei nett zu ihm, es wird mir nichts schaden.« Bald darauf waren sie wieder im Zimmer des Captains. »Captain McKinney, hier ist mein Partner Terrill Lambeth.« »Wie geht es Ihnen, Captain«, grüßte Terrill freundlich. McKinney stand hastig auf. »Smith, das ist doch kein Junge?« »Ich habe es auch nicht behauptet, Captain. Terrill Lambeth ist ein Mädchen.« »Oh, dann war es mein Irrtum. Miß Lambeth, ich bin entzückt.« Er verbeugte sich galant. »Wollen Sie heute beim Rodeo reiten?« »Ich habe so lange als Junge gelebt, Captain«, erwiderte sie etwas verlegen. »Und weil wir keine fertigen Kleider finden konnten, habe ich mich wieder als Junge angezogen.« »Terrill Lambeth?« murmelte der Captain nachdenklich vor sich hin. »Sind Sie etwa mit meinem Freund, dem Colonel Lambeth, verwandt?« »Ich bin seine Tochter.« »Du meine Güte! Wir waren gute alte Freunde. Aber seit dem Krieg habe ich nichts wieder von ihm gehört. Wie geht es ihm denn?« -143-
»Er ist tot – er wurde ermordet.« Terrill berichtete und erwähnte auch ihren Verdacht gegen Don Felipe und seine Helfer. »Das ist sehr traurig«, murmelte McKinney, als sie geendet hatte. »Dann mußten Sie als Mädchen drei Jahre lang ganz allein in der Wildnis leben. Das ist fast unglaublich.« »Ja, ich habe nur mit einem Negerehepaar auf meiner Ranch gelebt, bis Pecos kam. Niemand hat aber gewußt, daß ich ein Mädchen bin.« Pecos schaltete sich ins Gespräch ein. »Captain, Terrill wird bald Mrs. James Pecos Smith werden.« »Terrill, ich gratuliere Ihnen und wünsche Ihnen Glück«, sagte McKinney herzlich. »Ich glaube, mein alter Freund würde sich auch freuen.« Er streckte Pecos die Hand hin. »Sie bekommen eines der besten und schönsten Mädchen, die ich je gesehen habe. Erkennen Sie, welches Glück Sie haben?« »Ich weiß es«, sagte Pecos so feierlich, daß Terrill laut lachen mußte. Später machte Pecos weitere Einkäufe. Vor allen Dingen kaufte er Waffen, Munition und zwei neue Sättel. Er begegnete Jeff Slinger und erneuerte die alte Freundschaft mit ihm. Captain McKinney bot ihnen seine Unterstützung an und war besonders freundlich zu Terrill. Als er seine Aufgabe in Rockport beendet hatte, ließ er Slinger und einen anderen Ranger, einen erfahrenen Indianerkämpfer namens Johnson, zurück, damit die beiden Pecos auf dem langen Treiben begleiten konnten. Slinger stellte ihm dann auch einen alten, erfahrenen Ranger namens Hudson vor, der sich zur Ruhe setzen und sein Vieh verkaufen wollte. Hudson hatte noch zweitausend gute Longhornrinder, und Pecos machte ihm den Vorschlag, sie ihm abzukaufen. »Ich hätte es schon getan, wenn ich wüßte, was ich mit den Jungens anfangen soll. Ich habe nämlich zwei Neffen, die mit den Rindern aufgewachsen sind, und zwei weitere Cowboys. Ich -144-
würde nur ungern sehen, daß sie den Weg nach Dodge City oder Abilene hinaufziehen. Das ist nicht gut für solche Jungens.« »Würden die vier in eine Mannschaft passen, wie ich sie mir vorstelle?« fragte Pecos eifrig. »In eine gut reitende, kampflustige Mannschaft, wie man sie westlich des Pecos braucht?« »Nun, ich glaube, die vier sind in ganz Texas nicht zu schlagen.« »Sie würden mir also die Rinder verkaufen, wenn ich die vier Jungens nehme?« »Ja. In Dodge City kann ich zehn Dollar pro Stück bekommen.« »Aber wir sind in Rockport.« »Nun gut, Smith, sagen wir acht Dollar.« Der Handel wurde auf dieser Basis abgeschlossen, und Jeff Slinger Versprach, noch zwei weitere Cowboys zu finden, für die er garantieren konnte. Die beiden sollten mit Hudson heimreiten und beim Round-up der Herde helfen. Pecos sollte dann auf die Ranch kommen, den Betrag bezahlen und die Herde mit der neuen Mannschaft heimtreiben. »Das würde bedeuten, daß wir über die Pferdekopf-Furt ziehen müssen«, sagte Pecos nachdenklich. »Das ist der beste Weg«, sagte Hudson. »Meine Weide liegt an der Quelle des Frio. Sie haben gute Bedingungen, wenn Sie dem alten spanischen Weg folgen. Mit acht gut bewaffneten Männern brauchen Sie selbst die Comanchen nicht zu fürchten. Sie werden keinen Stier verlieren.« »Gemacht, Hudson. Ich bin Ihnen sehr verbunden.« Viel mehr Zeit brauchte Pecos, um zu überlegen, was er sonst noch für die Ranch brauchte. Zwei Tage lang summte Terrill der Kopf von dem vielen Auswählen, Bestellen und Kaufen. Schließlich erwarb Pecos noch einen neuen und zwei gebrauchte Wagen und zwölf Pferde. Als sie beladen waren, repräsentierten sie einen Wert von mehreren tausend Dollar. -145-
»Mir sträuben sich die Haare, wenn ich daran denke, wie ich mit dieser Ladung über den Fluß kommen soll«, sagte Pecos bedenklich. »Nun, vielleicht sträubt sich Ihnen schon vorher das Haar«, erwiderte der Ranger Johnson trocken. Als sie Rockport an einem frühen Morgen verließen, lenkten Slinger und Johnson je einen Wagen. Pecos führte den dritten. Cinco hatte er hinten angebunden. Terrill trug wieder ihre alte Kleidung, und sie hatte sogar einen verwitterten, alten Sombrero aufgetrieben. Vor den Augen aller Welt ritt sie jetzt wieder als Junge neben Pecos.
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16 Hudsons Weide lag in einer schönen Gegend an den Quellwassern des Rio Frio. Als Pecos mit seinen drei Wagen dort ankam, sichtete er in dem wunderbar geschützt liegenden Tal, in dem die zweitausend Longhorns standen, auch Büffel, die langsam nach Westen wanderten. Hudsons Ranchhaus war das eines Junggesellen, der an ein rauhes, einfaches Leben gewöhnt war. Es lag in einem Paß, durch den beständig der Wind strich. Terrill sagte, dieses ewige Heulen und Winseln des Windes würde sie verrückt machen. »Der Wind?« fragte der alte Rancher überrascht. »Ohne den würde ich mich ja nicht zu Hause fühlen.« Pecos war sehr neugierig auf die Mannschaft, aber sie befriedigte ihn vollauf. Die beiden Brüder, Abe und John Slaughter, waren typische Texaner. Sie waren im Weideland geboren, sechs Fuß groß und sahen wie Zwillinge aus. Texas Jack war ein krummbeiniger Cowboy mit einem kugelrunden Kopf, den man wohl gern zum Freund, aber schwerlich zum Feind haben mochte. Lovelace Hall schließlich war ein außerordentlich großer, rotköpfiger und dunkeläugiger Texaner. Diese beiden waren Treibherdencowboys gewesen, und Slinger hatte sie ausgesucht. Hudsons weitere zwei Männer waren sehr unterschiedlich. Der Mexikaner Lano war dunkler als ein Indianer und ein schlanker, gewandter Reiter. Der Neger hörte auf den Namen Louisiana. Er war nur mittelgroß, aber sehr muskulös, und er hatte ein angenehmes, freundliches Gesicht. Das waren die sechs, und Pecos, der sich immer auf seine Menschenkenntnis verließ, war sehr zufrieden. »Leute, ehe ihr euch verpflichtet, für mich zu reiten, möchte ich euch noch folgendes sagen«, erklärte Pecos vertraulich. »Es wäre unehrlich, wenn ich euch nicht sagen würde, daß unsere -147-
Ranch am Pecos sehr einsam liegt. Es gibt Comanchen und Viehdiebe, und wir werden kämpfen müssen. Außer Richter Roy Bean, der in Eagles Nest sitzt und ein Halsabschneider ist, gibt es in diesem Gebiet kein Gesetz. Aber das Land westlich des Pecos ist das beste Rinderland auf Gottes weiter Erde. Ich will dort eine große Ranch aufbauen und habe alles, was ich dazu brauche: Geld, Gras, Wasser und den Grundstock der Herden. Was ich aber außerdem noch brauche, ist eine harte kampfbereite Mannschaft. Ich wäre euch schon dankbar, wenn ihr nur die Herde für mich hintreibt, aber ich will, daß ihr bleibt. Für die richtige Art von Männern bietet das Land eine großartige Zukunft, und ich werde euch, wenn ihr wollt, entweder an der Ranch beteiligen oder zu einem neuen Start verhelfen. Im Augenblick bezahle ich euch jedenfalls mehr, als ihr hier verdienen könnt.« Hudson erzählte Pecos später, er habe Hall zu seinen Kameraden sagen hören: »Leute, wir haben hier nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. Ich finde, die Rede von unserem neuen Boß war hochanständig, und sie trifft genauso ins Schwarze, wie er es, nach dem, was Jeff Slinger mir gesagt hat, stets mit dem Revolver zu tun pflegt.« Am nächsten Tag jagte man Büffel. Zehn Bullen wurden erlegt, davon zwei von dem Ranger Johnson, der sich auf diese Jagd verstand. Die Cowboys erlegten drei, und Pecos und Terrill gemeinsam einen. »Was ist mit den Häuten und dem Fleisch?« fragte Hudson. »Ich kann sie nicht brauchen. Ich ziehe nach San Antonio.« »Verdammt, daran habe ich nicht gedacht. Aber wir haben keinen Platz mehr, Hudson. Können Sie uns noch einen Wagen mit Gespann verkaufen?« »Nein, das werde ich nicht tun, aber als Zugabe gebe ich Ihnen einen zu unserem Handel dazu.«
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Der nächste Tag wurde damit verbracht, die Büffel abzuhäuten und zu zerlegen. Am folgenden Tag dann begann der Zug der Herde und der Wagen. Pecos lenkte einen der Wagen, und Terrill saß neben ihm. Sie plauderten und schmiedeten Pläne für die Zukunft. Vor ihnen zogen die langen Reihen der Rinder dahin, die nicht so wild waren, wie es sonst bei Longhorns der Fall war. Lange vor Sonnenuntergang wurde das Lager aufgeschlagen. Der Platz war ideal. Weit im Westen konnte Pecos die schattenhaften Umrisse der Berge sehen und davor die niedrigen Breaks am Fluß. Die Cowboys, die sich ablösten und in Gruppen zu dreien aßen, waren mit dem Zustand der Herde sehr zufrieden. Gras und Wasser waren reichlich vorhanden. Der nächste Tag verlief ähnlich wie der erste, und so reihte sich ein Tag an den anderen, ohne daß größere Zwischenfälle das Vorankommen aufgehalten hätten. Das Wetter blieb gut. Die Nächte waren ziemlich kalt. Am Morgen war es frisch, aber tagsüber wurde es immer wieder warm. »Pecos, hast du dir eigentlich schon überlegt, wie gewohnt einem so ein Treiben werden kann?« fragte Terrill eines Tages träumerisch. »Und ob. Mit dir ist es der reine Himmel für mich.« »Pecos, ich glaube, ich kann nicht einmal Biscuits backen, ohne dich sentimental zu machen.« »Das mußt du mir erst zeigen«, brummte er. Aber er verstand, was sie meinte. Etwas Wunderbares entwickelte sich bei einer solchen langen Fahrt durch das wilde Land. Allmählich versanken die Eindrücke, die sie in der Stadt empfangen hatten, und die große, freie Natur, der ständige Wechsel von kleinen Geschehnissen und Erlebnissen schuf eine Vertraulichkeit, die sonst nicht so schnell entstanden wäre. Pecos träumte oft auf seinem Fahrersitz vor sich hin. Er wäre weit lieber geritten, denn der Sitz war hart, und er war kein guter Fuhrmann. Trotzdem war noch keine Fahrt durch die Wildnis -149-
für ihn so erfüllt und so reich an innerem Erleben gewesen. Tag um Tag verstrich in dieser beschaulichen Weise. Die Herde war gut ausgerichtet und machte fast gar keine Mühe. Allmählich vollzog sich ein Wandel in der Landschaft. Eine Meile war sehr wenig auf dieser gewaltigen, langsam ansteigenden Fläche, und doch konnte ein gutes Auge immer wieder erkennen, daß man sich dem unfruchtbaren Gebiet näherte, das sich nach Norden in den Llano Estacado und nach Westen in die Breaks des Pecos erstreckte. Wasser und Gras blieben jedoch weiterhin gut. Pecos’ Herde hatte sogar an Gewicht gewonnen. Gelegentlich erinnerte jedoch ein ausgebleichter Rinderschädel an weniger glückliche Treibherden. Schließlich kam ein Tag, der sich bedeutsam von den anderen unterschied. Vom alten Fort McKavett bog der Zug in die Richtung der alten Militärstraße ab, die nach Westen zur Horsehead-Furt führte. »Pecos, ich kenne diesen Weg!« rief Terrill plötzlich mit strahlenden Augen. »Ich erinnere mich an die Hügel! Hier sind wir früher vorbeigekommen. Ich könnte dir alle unsere alten Lagerplätze zeigen!« Einen ganzen Tag lang fuhren sie hangabwärts, und die Rinder zogen schneller über das dünner werdende Gras dahin. Am dritten Tag erreichten sie den Dove Creek, einen sehr klaren Wildbach, der in dem üppigen Dickicht seiner Uferauen eingebettet war. Hier ließ Pecos die Herde rasten, da sie am vorigen Abend zum ersten Male ein trockenes Camp hatten machen müssen. Terrill zeigte Pecos die Stelle, wo sie im Wagen geschlafen hatte. Sie erinnerte sich sogar noch an einen Baum, unter dem sie in der Abenddämmerung in melancholische Grübeleien versunken war. Damals hatte sie furchtsam in das immer unwirtlicher werdende Land hinausgeschaut.
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»Oh, ich habe so geweint«, sagte sie, als sie sich an diese Stunde erinnerte. »Es war ein Tag, an dem auch wirklich alles schiefging. Sogar Dad, der sich selten entmutigen ließ, war an diesem Tage mutlos. Ich konnte keinen Hoffnungsstrahl in unserer Zukunft sehen, nur Furcht, Einsamkeit und Trauer. Pecos, wie schrecklich unrecht hatte ich damals. Wenn ich gewußt hätte, daß ich dir später begegnen würde, hätte ich mich nicht so geängstigt.« »Und was denkst du, was ich wohl getan hätte, wenn ich je geträumt hätte, dir zu begegnen? Aber ich habe etwas davon gespürt, sonst wäre ich in meinem bewegten Leben wohl doch auf den falschen Weg geraten.« Am nächsten Tag erreichten sie die alte Militärstraße. Die Sonne drang wie durch einen Nebelschleier, und ein Hauch von Kälte lag in der Luft. Kein lebendes Wild kam Pecos mehr vor die Augen, und sogar die Coyoten verfolgten die Herde nicht mehr. Pecos spürte eine leichte Unruhe. Trotz der vielen zurückgelegten Meilen war der Weg immer noch lang. An diesem Abend am Kinway Creek, nach der besten und längsten Tagesreise der ganzen Fahrt, sangen die Cowboys nicht bei der Herdenwache, und am Lagerfeuer wurde nicht gescherzt. Johnson hatte Mustangspuren gefunden, die nicht sehr alt waren. Am nächsten Tag übergab Pecos die Zügel des Wagens an Louisiana und schwang sich in den Sattel. Er sprach mit Jeff und Johnson, den beiden Rangers. »Hier in der Gegend haben Indianerspuren nicht viel zu bedeuten«, erklärte Slinger. Johnson war jedoch weder fröhlich noch gesprächig, und auch Pecos war der Ansicht, daß die Möglichkeit eines Scharmützels mit Indianern durchaus gegeben war. Die beiden Slaughters und Hall waren auf Nachtwache. Texas Jack schlief neben dem Feuer, während Lano und Louisiana davor kauerten und sich wärmten. -151-
Pecos schritt vom Lager weg auf die Herde zu. Im großen und ganzen waren die Tiere ruhig, nur unterwegs geborene Kälber, denen das Treiben beschwerlich wurde, klagten leise. Die Posten ritten leise singend am Rande der Herde auf und ab. Als Pecos zurückkam, rief Terrill, die noch wach war, ihn zu sich. Ihr kleines Zelt war kaum groß genug für ihr Bett. Sie griff nach seiner Hand, als er sich vor das Zelt setzte. »Pecos, machst du dir Sorgen?« »Keineswegs, ich bin nur vorsichtig, Liebste.« »Das sind alle Männer im Camp. Ich habe gehört, wie Johnson mit Slinger sprach. Aber wieviel leichter ist alles als damals, als wir hier mit Dad kampierten.« »Du bist tapfer, Liebste, aber schließlich bist du eine Frau, und kein Mann sollte dich auf diesen verteufelten HorseheadWeg schicken.« »Dad hatte es auch getan, und alle Siedler nehmen ihre Frauen und Töchter mit. Ich kann reiten und schießen. Ich habe keine Angst, und ich werde auch niemandem im Weg sein. Wetten, daß ich einen kühleren Kopf behalte als du?« »Das ist es ja gerade, Terrill! Dein Mut und deine Zuversicht machen mich ganz krank. Ich bete, daß Gott dich sicher geleitet. Gute Nacht, mein Liebling.« Am nächsten Abend, nach einem trüben, düsteren Tag erreichten sie das Dead Man Wasserloch. Pecos hielt die erste Wache. Er wurde um Mitternacht von Slinger abgelöst. Auf den Kämmen über der unruhigen Herde heulten die Wölfe. Vier Cowboys hielten Wache. Terrill war noch wach, als Pecos an ihrem Zelt vorüberschlich. Sie wünschte ihm gute Nacht, und dann suchte er sein eigenes Bett unter einem Baum auf. Ein weiterer Tag brachte sie zu dem Wild China Wasserloch, und dann lag noch ein langes Treiben bis zur Horsehead-Furt vor ihnen. Dieser zweite Tag würde am gefährlichsten sein. Spuren von Indianerpferden hatten Pecos von neuem beunruhigt. Am nächsten Morgen berichtete Johnson, daß über -152-
zwanzig Comanchen oder Kiowa an der gleichen Stelle gelagert hatten, und zwar höchstens vor drei Tagen. »Übernimm du das Kommando, Johnson«, erwiderte Pecos kurz. Lano holte die Reitpferde, während Texas Jack heute Küchendienst hatte. Slinger schmierte die Wagenräder, und Johnson schritt mit dem Fernglas zu einem hohen Punkt. Das Vieh graste den Weg entlang. Die Wintersonne leuchtete durch düsteres Gewölk. Vor ihnen zeigten sich dunkel gefleckte Hügel mit leeren Stellen und hellen Streifen. Das war das abweisende, drohende Antlitz des Pecos-Landes. Beim Frühstück machte Johnson die erste überraschende Eröffnung. »Leute, wir bleiben den Tag über hier liegen. Schlaft soviel ihr könnt, wir machen das Treiben zur Furt nachts.« Die Idee war zweifellos klug, aber sie verstärkte noch das Gefühl der Spannung. Pecos mußte sich eine Arbeit suchen, um seine innere Unrast zu bekämpfen. Er war kein Herdentreiber, und er bewunderte die geduldigen Texaner, die alle Beschwerlichkeiten des Treibens auf dem Chisholm-Weg ertragen hatten. Terrill verschlief den halben Tag. Als sie dann erschien, war sie wohl auch etwas erregt, aber sie lächelte ruhig, als sie Pecos sah. Bei Sonnenuntergang brach man auf. Die Rinder waren bereits weit voran. Auch Terrill saß jetzt im Sattel und hielt sich dicht neben Pecos. Die Sonne versank in einem düsteren, roten Nebelglanz. Als dann die Nacht hereinbrach, leuchtete kein Stern, und die schwarzen Hügel ragten schemenhaft gegen den dunklen Himmel auf. Die Wagen rollten hangabwärts, und manchmal war das Kreischen einer Bremse zu hören. Die Herde legte etwa drei Meilen in der Stunde zurück, und man ließ ihr keine Zeit zum -153-
friedlichen Grasen. Eine dumpfe Ruhe lag über der Herde, als wüßten auch die Tiere über das Unheil von Stampeden und Massakern Bescheid, das oft längs dieser Strecke lauerte. Ohne zu klagen hielt Terrill sich zehn endlos wirkende Stunden im Sattel, und als der Morgen graute, begrüßte sie Pecos mit einem zuversichtlichen Lächeln. Dann wurde der Befehl nach hinten durchgegeben, die Wagen halten zu lassen. »Die Furt, Terrill«, sagte Pecos gepreßt. »Wenn wir jetzt noch heil hinüberkommen, erbitte ich mir nichts mehr vom Schicksal.« Es war inzwischen fast hell geworden, als Johnson zurückgeritten kam. Pecos brauchte nur einen Blick in sein Gesicht zu werfen, um Bescheid zu wissen. »Wir können die Herde nicht halten«, sagte er. »Sie wittert das Wasser und wird zur Tränke laufen. Vielleicht geraten sie sogar in eine Stampede.« »Was sollen wir tun?« fragte Pecos. »Fahrt die Wagen von der Straße weg – dort unten, hinter jene Büsche. Nimm Terrill, Louisiana, Jack und Hall und steige auf den Felsen dort. Verbergt euch zwischen den Klippen, bis wir zurückkommen.« * Wenige Minuten später wurden in der grauen Dämmerung die ersten Einzelheiten der Landschaft in der Ferne erkennbar. Pecos hatte inzwischen seine Gruppe auf der niedrigen Felsenhöhe versammelt. Der flache Gipfel mit dem zerklüfteten Felsrand bot gerade sechs Personen Platz. Pecos erkannte sofort die natürlichen Verteidigungsmöglichkeiten. Einige gute Schützen konnten den Platz mit genügend Munition ohne Gefahr eine beträchtlich lange Zeit behaupten. Die Felshöhe ragte hundert Fuß über dem Weg auf. Dahinter lag eine tiefe -154-
Schlucht, und im Westen fiel das Land zu dem mit Dickicht bewachsenen Tal des Pecos ab. »Terrill, leg dich hinter den Felsen dort«, befahl Pecos. »Und wenn du unvorsichtig wirst, kann dein hübscher Kopf leicht etwas abbekommen.« »Keine Sorge, Pecos.« »Nun, ich bin doch besorgt. Jack, du beobachtest die Flußseite.« »Si, Señor«, erwiderte Texas Jack und kroch zu dem Beobachtungsposten. »Hall und Louisiana, ihr beobachtet in Richtung des Weges«, befahl Pecos. »Wir wollen sehen, was Johnson vorhat.« Der Tag war inzwischen angebrochen. Obwohl die Sonne noch nicht schien, herrschte gute Sicht. Pecos spähte über seine Deckung und sah vor sich die wohlbekannte, pferdekopfähnliche Flußschleife liegen. Das Wasser schimmerte als bleiches Band herauf. Etwas Drohendes schien von der Landschaft auszuströmen, so, als wäre sich der Fluß seiner Macht bewußt. Hier war die einzige Stelle, an der Menschen und Tiere ihn überqueren und wo sie ihren Durst löschen konnten. Aber nie hatte ein Indianerzelt oder das Haus eines Ranchers an der Furt gestanden. Männer hatten sie überquert, aber sie hatten im übrigen die Stelle gemieden wie die Pest. Selbst der heiterste Tag konnte den düsteren Bann nicht brechen, der über dieser Einöde zu liegen schien. »Boß, schau«, flüsterte Texas Jack. Pecos kroch sofort zu ihm hin. »Kiowas«, flüsterte Jack. Durch eine Felsspalte konnten sie in die Schlucht sehen, die parallel mit dem Weg verlief. Jack deutete auf die Stelle, die zweifellos immer von den Indianern als Hinterhalt benutzt wurde, wenn sie auf Treibherden lauerten. »Ein Rudel schleicht die Schlucht herauf und führt die Pferde mit. Sie sind jetzt hinter dem Busch.« -155-
Pecos winkte Louisiana und Hall zu sich, hielt aber Terrill mit einer beschwörenden Geste zurück. »Wo, zum Teufel, mögen Johnson und seine Männer stecken?« fragte Pecos ungeduldig. »Sie können wetten, Boß, daß er die Indianer beobachtet«, erwiderte Texas Jack. »Johnson ist Büffeljäger und Indianerkämpfer gewesen, ehe er Ranger wurde. Er hat an dieser Furt schon gegen die Comanchen gekämpft und kennt ihre Tricks. Das Nachttreiben war richtig. Die Rothäute haben uns bestimmt erst heute abend erwartet. Sie haben jetzt erst unser Vieh entdeckt, und nun schleichen sie an, um zu erfahren, was eigentlich los ist.« »Die Köpfe herunter, ich sehe sie«, unterbrach ihn Hall. »Ich auch«, sagte Louisiana. Pecos’ Erregung und Ungeduld stieg, als er erkannte, daß seine Männer vor ihm die Indianer entdeckt hatten, obwohl sie nicht mehr überblicken konnten als er auch. Doch dann kroch eine Horde hagerer, kupferbrauner Gestalten plötzlich in sein Blickfeld, und er mußte einen lauten Ausruf unterdrücken. »Jetzt bin ich sicher«, flüsterte Jack. »Es sind Kiowas. Ich kenne die Vögel. Sie sind mir lieber als Comanchen.« »Wartet, Jungens«, warnte Pecos. »Wir könnten Johnsons Plan verderben.« »Es sind nicht so viele«, flüsterte Hall. »Etwa ein Dutzend«, erwiderte Jack. »Aber vielleicht stecken hinter der Biegung noch mehr.« »Schaut doch!« rief Hall in diesem Augenblick leise. »Schaut!« »Ja, ich sehe. Irgend etwas hat sie erschreckt«, flüsterte Pecos. Sie mußten irgendwo eine Gefahr bemerkt haben. Zuerst hatte es so ausgesehen, als wollten sie die Herde am Fluß überfallen, jetzt aber schienen sie es sich zu überlegen. Ein großer, hagerer Kiowa war um die Biegung gehuscht. Nach -156-
seinen eindrucksvollen Gesten zu urteilen, schienen sie sich umzingelt zu fühlen. Aus den Jägern wurden sie zu den Gejagten. Aber sie glaubten, noch nicht entdeckt worden zu sein. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich vor allen Dingen auf die Schlucht und den Fluß. Pecos’ Stellung schien ihnen unbekannt und deshalb ungefährlich zu sein. »Jetzt bekommen die Rothäute vielleicht eine Dosis ihrer eigenen Medizin zu schlucken«, sagte Texas Jack. »Aber das ist auch einmal nötig. Wenn Johnson sie hierher treibt –« »Boß, ich habe etwas Schwarzes gesehen«, flüsterte Louisiana. »Ich glaube, es war einer der Slaughters.« »Wo?« fragte Pecos ärgerlich. Was war denn mit seinen Augen los? »Dort, unten in der Schlucht.« »Paßt auf, daß ihr sie nicht für Rothäute haltet«, warnte Pecos. »Ah – das ist Abe Slaughter, er winkt mit dem Sombrero.« »Ja, um uns seine Position zu zeigen. Gut, Abe, wir haben es ja verstanden, aber wir können jetzt nicht für dich hier oben herumtanzen.« »Es sind zwei dort, Boß«, sagte Hall. »Die beiden Slaughters.« »Dann stecken Johnson, Slinger und Lano woanders.« Pecos schaute zu Terrill zurück, die flach auf dem Bauch lag und durch eine Felsspalte in die Schlucht hinunterspähte. Als er sie anschaute, warf sie ihm aus ihren dunkelblauen Augen einen leuchtenden Blick zu. »Terrill, ich glaube, jemand wird den Ball gleich eröffnen, aber wir wollen uns noch vom ersten Tanz fernhalten.« »Ausgezeichnet, Boß«, sagte Texas Jack. »Wenn die Rothäute aber dann durch die Schlucht den Weg herauflaufen, wird es schlimm für sie.« »Sie werden gleich erkennen, woher die Schüsse kommen und in die andere Richtung fliehen«, meinte Hall. -157-
Die ganze Lage ließ sich jetzt einfach genug erklären. Die Kiowas hatten die Karawane entdeckt und sich an der Horsehead-Furt auf die Lauer gelegt. Den ganzen Tag über hatten sie Ausschau gehalten, aber das nächtliche Treiben hatte sie verwirrt. Sie waren in ihrem Camp überrascht worden, als die Vorhut der Rinder am Fluß erschien. Hastig hatten sie Stellung bezogen, dann waren sie jedoch sofort auf neue verwirrende Dinge gestoßen und hatten festgestellt, daß die weißen Männer die Jäger und nicht die Gejagten waren. Offensichtlich waren die drei Fluchtwege die Schlucht hinauf und hinab und der hohe, buschbewachsene Hang zur Straße. Aber sie scheuten sich, einen dieser Wege einzuschlagen, weil sie auf diese Weise in die Sicht von Feinden kommen konnten, die hinter der hohen, kahlen Anhöhe am Fluß verborgen sein mochten. Pecos bemerkte einen Kiowa, der schnell dahinkroch. Zweifellos erkundete der Mann die Schlucht hinunter. Texas Jack stieß einen leisen Laut aus, und gleich darauf sah Pecos eine kleine, bläulich-weiße Rauchwolke hinter der Anhöhe am oberen Ende der Schlucht aufsteigen. Im nächsten Augenblick war der Donner des Gewehrschusses zu hören. »Es geht los, Jungens«, sagte Pecos grimmig. »Wählt eure Tanzpartner«, ergänzte Hall. »Nein, wartet!« rief Pecos gedämpft. Fünf oder sechs Schüsse peitschten die Schlucht entlang, und im gleichen Augenblick brach die Hölle los. Mustangs wieherten wild auf, und Pecos sah, wie ein Indianer taumelnd in einen Busch fiel. »Sie werden fliehen, und wir bekommen keine Chance«, sagte Texas Jack enttäuscht. »Doch. Sie werden hier vorbeikommen«, widersprach Louisiana. »Pecos, komm her, da brechen Pferde durch den Busch«, sagte Terrill in diesem Augenblick seelenruhig. -158-
Er kroch zu Terrill und sah hinter der Biegung Rauch aufsteigen. Johnsons Leute jagten ein wahres Schnellfeuer in die aufsteigende Staubwolke. Terrill deutete ruhig die Schlucht hinunter. Ihr Zeigefinger zitterte nicht. Dann sah auch Pecos zwischen den Büschen die dunklen Köpfe der Mustangs. »Je, Jungens, sie werden bestimmt auf dieser Seite einen Durchbruch versuchen!« rief Pecos scharf. Die Männer kamen sofort herübergekrochen. »Seht ihr dort den gelben Felsen mit dem Rinderschädel? Hundert Schritt dahinter etwa ist es.« »Ich sehe es«, keuchte Texas Jack erregt. »Wenn sie nur näher wären.« »Für mich sind sie nahe genug«, sagte Louisiana trocken. »Ich liebe diese roten Teufel nicht.« »Terrill, du bist ein großartiger Scout«, lobte Pecos sie stolz. »Ja, sie ist wirklich eine echte Texanerin«, sagte Jack. »Von jetzt an wird sie Texas-Terrill heißen«, verkündete Hall. Das Schießen hörte auf. Johnson erwartete sicherlich, daß die Kiowas irgendwo aus dem Staubschleier hervorbrechen würden. Doch mit einem Male galoppierten die dunklen Mustangs auf den Weg. »Sie kommen!« rief Pecos. »Aber warten wir, bis sie mit uns auf einer Höhe sind.« Die Kiowas jagten, tief über die Rücken ihrer Pferde geduckt, den Weg entlang. In Einzelreihe waren sie aus der Schlucht hervorgebrochen, und ihre Gesichter waren nach rückwärts gewandt. Alle zeigten sie in Vollendung jene wunderbare indianische Reitkunst. »Mein Gott, wie sie reiten können!« rief Pecos aus. »Los jetzt, Jungens!« Als die Schüsse krachten, schienen die hageren Gestalten wie auf Kommando hinter den Pferderücken zu verschwinden. Sie hatten sich an der abgewandten Seite ihrer Mustangs
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herabgleiten lassen, und nur ein Arm und ein Fuß waren noch sichtbar. Nach wenigen Sekunden hatten sie bereits die Gefahrenzone passiert. Kugeln schlugen hinter den dahingaloppierenden Mustangs ein, dann waren die Kiowas schon in der nächsten Deckung verschwunden. Pecos richtete sich aus seiner knieenden Haltung auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Nicht einen haben wir erwischt.« »Das wäre auch verdammt schwer gewesen, Boß«, erwiderte Jack. »Sie sind wirklich vorbeigesaust wie ein geölter Blitz.« Pecos schaute Terrill an, die sich die ganze Zeit über nicht bewegt hatte. »Hast du geschossen, Terrill?« fragte Pecos. »Nein, überhaupt nicht. Ich war viel zu fasziniert davon, wie herrlich sie geritten sind.« »Jungens, Johnson ruft uns«, sagte Texas Jack. »Und die Slaughters zeigen sich schon in der Schlucht.« »Ja, wir müssen uns beeilen. Hinunter zu den Wagen, Männer. Terrill, gib mir die Hand, wir rennen zu unseren Pferden.« Gleich darauf waren sie im Sattel. Die Pferde waren kaum zu halten. Und das Reservepferd brach sofort aus, als sie es losgeknüpft hatten, und rannte den Weg hinunter. Doch unten zeigten sich schon die anderen Männer, und gleich darauf waren beide Teile von Pecos’ Mannschaft wieder vereinigt. Johnsons Gesicht war pulvergeschwärzt. Während er den Sattelgurt seines Pferdes anzog, berichtete er. »Es hat so funktioniert, wie ich es geplant hatte. Es müssen etwa zwanzig gewesen sein. Aber das wollen wir jetzt nicht feststellen. Fahrt jetzt die Wagen sofort über die Furt und bindet die Sattelpferde hinter den Wagen an. Dann laßt die Wagen drüben und kommt zurück, um uns beim Hinübertreiben der
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Herde zu helfen. Wir wollen uns beeilen, solange unser Glück anhält. Ich habe kein gutes Gefühl auf dieser Seite des Flusses.« Die Wagen rollten schnell den Hang zum Fluß hinunter, und Pecos stellte fest, daß die Rinder überall hin ausgeschwärmt waren, aber an keiner Stelle weiter als eine Viertelmeile. Die Furt war breit und flach und hatte Kiesgrund. Die Wagen sanken kaum über die Nabe ein. Bald waren sie am anderen Ufer. »Los, Texas-Terrill!« rief Pecos, als sie die Pferde losbanden. »Jetzt reiten wir zurück!« Das Übersetzen der Herde machte viel weniger Mühe, als Pecos erwartet hatte. Als die Leitstiere erst einmal im Fluß waren, hatten sie die größte Schwierigkeit schon überwunden. »Terrill, erinnerst du dich noch an die Farbe des Wassers, als wir damals am anderen Ufer waren und die Flutwelle kam?« »Ich glaube, ich habe Grund, mich zu erinnern«, sagte Terrill und warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. In einer knappen halben Stunde war die ganze Herde übergesetzt. »Wissen Sie, Smith, daß wir zweihundert Rinder mit einem XS-Brandzeichen aufgelesen haben?« fragte Johnson. »Ich nehme an, die Mannschaft wurde vernichtet. Ich habe auch verbrannte Wagen gesehen.« Bald darauf zog die Karawane am Westufer des Flusses weiter. Von dem nächsten hochgelegenen Punkt aus schaute Pecos zurück. Die Landschaft wirkte von hier aus ebenso wie von der anderen Seite. Die Horsehead-Furt schimmerte stählern bleich unter der Wintersonne. Kein Anzeichen von Leben war zu erblicken. Die weißen Gebeine von Rindern betonten die düstere Atmosphäre des Ortes. Die Natur war grausam und großzügig zugleich. Sie hatte Pecos’ Karawane den Durchgang gestattet.
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17 Pecos verteilte sein Vieh auf dem ganzen Gebiet vom Independence Creek bis zur Ranch. Als das letzte Rudel von müden Rindern freigelassen worden war, kehrten Pecos und seine Cowboys zum Fluß zurück, um sich wieder den Wagen anzuschließen. Acht Tage waren sie seit der Überquerung der HorseheadFurt schon wieder unterwegs. Und wie diese Tage verflogen waren! Jetzt war der lange Marsch vorüber. Noch vor Sonnenuntergang würden sie den Rand des Canyons über der Ranch erreichen. Von einem hohen Punkt auf einem Bergkamm konnte Pecos auf den Fluß hinuntersehen. Sein Blick glitt über die graue Eintönigkeit der Breaks. Dort irgendwo lag der Canyon der Lambeth-Ranch eingebettet. Er war wieder westlich des Pecos! Und dort vor ihm, vor den Wagen, ritt jene kleine Frau, die ihn auf den richtigen Weg zurückgeführt hatte. Das Leben erschien ihm mit einem Male so schön und so großartig, daß ein Gefühl von ehrfürchtiger Dankbarkeit in ihm aufstieg. Die Sonne stand noch über den Bergkämmen, als die Wagen den Rand über der Lambeth-Ranch erreichten. Aber im Canyon war schon Sonnenuntergang. Terrill war abgestiegen und eilte an den Rand der Felswand. Pecos folgte ihr langsam. Dort unten lagen die Hütten, und die Rinder und Pferde grasten friedlich auf der Weide. Aus dem Kamin der einen Hütte kräuselte sich blauer Rauch empor. »Es sieht so aus, als wenn alles in Ordnung wäre, Terrill«, sagte Pecos bewegt. Terrill drückte ihm stumm den Arm. Einer nach dem anderen traten die Männer an den Rand. Und im gleichen Augenblick wurde der goldene Schein auf der mächtigen Felswand jenseits -162-
des Flusses röter, und der wunderbar warme Farbschimmer färbte den ganzen Canyon mit einem weichen Licht. Die purpurnen Schleier auf dem Grunde schienen dichter zu werden, und das Laub der Bäume und Büsche leuchtete im letzten goldenen Glanz des verlöschenden Lichtes. Von der gegenüberliegenden, zerklüfteten Wand des Canyons floß der rötlich goldene Schein wie in flüssigen Kaskaden über Klippen, Terrassen und bis zu den grasigen Hängen hinab, auf denen einzelne Felsblöcke bizarre, blaue Schatten warfen. Der Bach im Canyon funkelte und sprühte, und das Laub der Büsche an seinen Ufern schuf eine schimmernde Einfassung zu dem gleißenden Band im Grün der Weide. Eine Weile lang blickten die Männer wie gebannt hinunter. Dann begann der Glanz des Sonnenunterganges zu verblassen, und die praktischen Texaner wandten sich den notwendigen Aufgaben zu. »Smith, Sie hätten mir nie klarmachen können, daß es einen so schönen Fleck am Pecos gibt«, sagte Johnson. »Es ist mehr als schön, es ist eine Goldgrube«, erwiderte Slinger. »Das ist besser als am Rio Grande, Boß«, verkündete Texas Jack. »Wir bleiben hier.« »Danke, Jungens.« Pecos wußte nicht, was er sagen sollte. »Spannt aus und macht es euch bequem. Wir kampieren heute nacht hier oben.« »Wie sollen wir je die Wagen hinunterbekommen?« fragte Hall. »Den alten nehmen wir auseinander und lassen ihn stückweise hinunter, und die beiden anderen bleiben hier oben. Wir bauen für sie einen Schuppen.« »Mauree – Samb – oo!« rief Terrill. Pecos trat an ihre Seite und stimmte in die Rufe ein. »Da sind sie schon« sagte Terrill aufgeregt.
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»Boß, bist du das?« hörte man Sambos Baß aus der Tiefe grollen. »Sicher. Wir sind da!« »Ist Miß Terrill gesund?« rief Mauree. »Ja, hier bin ich, Mauree!« »Bist du schon mit Pecos verheiratet?« »Nein, noch nicht, Mauree!« »Wie steht alles?« rief Pecos fröhlich. »Boß, ich habe viel Kummer gehabt – neue Kälber, neue Füllen und kleine Babys außerdem!« Pecos und Terrill stießen zur gleichen Zeit Rufe der Freude und Verwunderung aus. Mauree war um die Ecke verschwunden und kam jetzt mit zwei kleinen Bündeln im Arm zurück. »Da sind sie, Boß!« brüllte Sambo stolz. »Zwei weitere schwarze Cowboys!« »Wuupii!« Mit diesem Cowboyschrei schuf Pecos ein Ventil für all die Gefühle, die sich in ihm angesammelt hatten. Louisiana war, wie die anderen Cowboys, neugierig an den Rand getreten, und als die Echos der Rufe verklungen waren, schrie er hinunter: »Heda, Neger!« »Heda, du selbst!« rief Sambo kriegerisch zurück. »Ich glaube, ich kenne dich! Ist dein Name Sambo Jackson?« »Ja, der bin ich!« »Ich freue mich sehr, dich wiederzusehen!« * In der Abenddämmerung saßen Pecos und Terrill am Rande des Canyons. Lano sang ein spanisches Liebeslied, die Männer lachten am Lagerfeuer, und von der Weide drang das leise Muhen einer Kuh herauf. Terrill hatte den Kopf an Pecos’ Schulter gelehnt, und schließlich begann sie leise zu weinen. -164-
»Liebling, warum weinst du denn jetzt?« fragte er sanft und streichelte über ihr Haar. »Wir sind daheim.« »Oh – Pecos – ich bin so – so glücklich! Wenn nur mein Vater es wissen könnte.« Der letzte Nachglanz des Sonnenunterganges erlosch auf dem Fluß. Schwarze Klüfte kennzeichneten die Breaks des Pecos. Nacht sank über das einsame Land. Das leise Murmeln von Wasser drang herauf. Allmählich wurde die Luft kühl, und der Wind begann in den Büschen zu flüstern. Der zunehmende Mond tauchte über dem dunklen Rand des Canyons auf. Und tief unter ihnen floß der Pecos: melancholisch und einsam – ohne auf das kleine Leben und Lieben der Menschen zu achten.
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18 Am nächsten Tag begann Pecos die Vorräte ins Tal zu schaffen. Das war eine schwere Aufgabe, die wenig Zeit für jene sentimentalen Regungen ließ, wie sie ihn bei der Heimkehr auf die Ranch hätten überfallen können. Am nächsten Tag saß er im Sattel und führte seine fröhliche und kühne Mannschaft in die Breaks am Fluß. An diesem Abend, als Terrill schon schlief, dachte er an jene große Aufgabe, die noch vor ihm lag. Aber er beschloß, ihr noch nichts davon zu sagen. Er schritt in der Dunkelheit auf und ab, lauschte auf die Laute der Nacht und sah, wie der Mond jenseits der Felswand versank. Er wunderte sich, warum Gott so gut zu ihm gewesen war. Vergessene Gebete, die er einst auf den Knien seiner Mutter gelernt hatte, kamen ihm in Erinnerung. Sein Glücksgefühl und das Bewußtsein der Verantwortung, das er nun auch für ein anderes Menschenleben trug, erweckte alle seine inneren Kräfte. Jetzt mit einem Male schien er die hohe Bedeutung von Liebe, von einem Heim, von Kindern – überhaupt das Wesen von Leben und Tod – zu erkennen. Er, der so sorglos mit seinem eigenen Leben und dem Leben anderer Männer umgegangen war! »Seltsame Gedanken für einen Vaquero«, murmelte er im Selbstgespräch, als ihn das erregende Gefühl dieser neuen Lebenserkenntnis durchzog. Der Gesang der Spottdrossel in einem Mesquitegebüsch eröffnete einen wunderschönen Tag. Der Fluß glitt dahin wie ein rotgoldenes Band. Pecos rief die Männer an die Arbeit und ging selbst zu den Pferden. Cinco reagierte auf jeden Pfiff, aber die Mustangs mußten erst eingefangen werden. Allmählich hatte Pecos diese kleinen zottigen Pferde achten gelernt. Ein Mustang wurde nie müde; er kam mit wenig Wasser und Gras aus und -166-
kletterte selbst dort noch sicher, wo ein Pferd wie Cinco versagte. »Ist Terrill schon auf?« fragte Pecos, als er wieder die Hütte betrat. »Ich habe sie gerufen«, sagte Mauree. »Das Frühstück steht schon auf dem Tisch.« Schnelle Schritte erklangen, und er drehte sich um. »Morgen, Pecos«, ertönte Terrills frohe Stimme. »Schlafmütze.« »Oh, ich habe tausend Stunden Schlaf nachgeholt.« Tatsächlich schienen die Spuren der langen Wanderung in ihren Zügen bereits ausgelöscht zu sein. Die Jugend hatte triumphiert. Ihre Haut war frisch, und ihre Augen leuchteten. Sie war fröhlich, sie war hungrig, und eine Frage nach der anderen drängte sich auf ihre Lippen. Aber er gab keine Antwort, bis er sie nach dem Essen zu ihrem Lieblingsplatz unter einem Baum geführt hatte. Hier zog er sie plötzlich an sich. »Pecos, jemand könnte uns sehen!« rief sie atemlos. »Terrill, wir müssen unser Problem endlich lösen«, sagte er ernst. »Ich bin die halbe Nacht wachgeblieben und habe nachgedacht. Komm, setz dich zu mir, damit wir über alles sprechen können.« »Pecos, Lieber, du bist so ernst«, sagte sie, fast stammelnd. »Nun, ich habe auch guten Grund«, erwiderte er. »Wann willst du mich heiraten?« Sie errötete. »So schnell wir nach Eagles Nest reiten können. In drei Stunden, wenn wir die Pferde scharf laufen lassen.« »Ah, Liebling, ich sehe, du willst dich nicht herausbluffen lassen. Aber ich meine es ganz ernst. Willst du wirklich meine Frau werden?« »Si, Señor! – Oh, Pecos – ja – ja.« »Gut. Wir werden die Pferde nicht zuschanden reiten, aber wir reiten heute noch.« -167-
»Heute?« flüsterte sie. »Sicher. Das ist der erste Schritt zur Lösung unseres Problems. Nach allem, was wir gehört haben, kann uns dieser Richter Roy Bean trauen. Übrigens, Terrill, wie alt bist du eigentlich?« »Rate einmal.« »Als ich dich kennenlernte, habe ich auf fünfzehn geschätzt und dabei bleibe ich.« »Ganz falsch, Pecos. Ich bin neunzehn.« »Nein!« »Doch. Frag Mauree. Ich bin tatsächlich mein eigener Herr, falls du dir darüber Gedanken gemacht haben solltest.« »Ich bin dein Boß, Kind. Du bist also ein erwachsenes Mädchen. Das ist der zweite Punkt unseres Problems gewesen, und er hat sich leicht gelöst. Der nächste ist aber schlimmer.« »Puuh!« »Dieses verdammte Geld. Wir haben noch so viel übrig. Ich wollte es schon verbrennen, aber das ist Unsinn. Benutze deine weibliche Klugheit, Terrill Lambeth, und entscheide für mich. Ich selbst habe nur ungebrannte Kälber gebrannt, ich bin also ehrlich geblieben. Aber dann ist mir auch das Geld von Adams und Williams zugefallen. Was können wir besseres tun, als eine Ranch damit aufbauen? Es stammt von Sawtell, der Adams und Williams zu Viehdieben gemacht hat. Und dann wollte er sie ermorden, um das Geld zurückzubekommen.« »Pecos, wir haben das Geld behalten und vergessen, woher es kam«, sagte Terrill ohne Zögern. »Dad hätte es auch so gemacht.« »Liebste, du hilfst mir. Ich bin froh. Wir werden einen Teil des Geldes verschwenden, wenn du willst.« »Wo?« »Nun, meinetwegen in San Antonio.« Sie quietschte vor Vergnügen, küßte ihn und begann wild zu plappern. In Sekundenschnelle nannte sie eine endlose Zahl von -168-
Dingen, die sie kaufen wollte, und jetzt erst wurde es Pecos klar, welchen Luxus sie in ihrer alten Heimat gewöhnt gewesen war. »Hör, Liebste, wenn es dir soviel bedeutet, können wir das meiste Geld aufheben und hin und wieder in die Stadt fahren«, schlug er vor. »Ach, nein, ich war nur so hingerissen von dem Gedanken«, erwiderte sie. »Natürlich wollen wir nicht alles kaufen. Aber ich brauche doch endlich Kleider.« »Natürlich, ich verstehe. Spitzen, Seide, Samt und Leinen. Und wenn du willst, eine ganze Satteltasche voll Zahnbürsten und Kämme.« »Pecos, wenn ich daran denke, daß ich meine Flitterwochen in Jungentracht beginnen soll.« »Sicher, und du wirst in dieser Tracht auch zurückkommen.« »San Antonio!« rief sie überschwenglich. »Ganz ernsthaft, Terrill, wollen wir immer hier bleiben?« »Aber Pecos?« Sie schien plötzlich wieder auf die Erde zurückversetzt zu werden. »Liebst du diesen Canyon?« »Ich liebe meinen Pecos-Fluß und meinen Pecos-Vaquero. Ich habe hier viel durchgemacht, aber ich habe auch gelernt, die Natur und die Einsamkeit zu lieben. Ich habe im Freien gelebt und könnte nie mehr in einer Stadt glücklich sein. Ich will nicht unter so vielen Menschen wohnen. Wenn ich entscheiden darf, dann soll hier für immer unser Heim sein.« »Terrill, das hast du ganz allein zu bestimmen«, sagte er ernst. »Aber ich habe immer gehofft, daß die Entscheidung so ausfallen wird. Und jetzt, kleines Mädchen, wollen wir die Lage einmal betrachten. Unsere Weide ist für die Rinderzucht ausgezeichnet geeignet. Wir haben bestes Wasser und im YCanyon noch außerdem eine prächtige Quelle. Das bedeutet, daß wir fünfzigtausend Rinder halten können. Unser Glück ist also gemacht.«
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»Pecos, ich glaube dir. Vergiß aber die vielen großen Hindernisse nicht, die wir noch überwinden müssen.« »Es gibt nur eine wirklich große Gefahr«, erwiderte er. »Und das sind die Viehdiebe. Sie werden in den kommenden Jahren an Zahl zunehmen wie die Rinder. Wenn du meine Frau bist, werde ich nicht mehr soviel riskieren wie in der Vergangenheit. Aber ich werde meine Mannschaft in eine harte Schule nehmen, und, bei Gott, wir werden den Viehdieben das Leben sauer machen.« »Pecos, das war der Traum meines Vaters. Es wäre herrlich, wenn er jetzt durch mich verwirklicht werden könnte. Ich darf doch deine rechte Hand, dein erster Vaquero sein, nicht wahr?« »Terrill, du bist vor allen Dingen meine Frau.« »Sicher. Aber ich will auch mit dir reiten. Wenn ich das nicht darf, will ich auch nicht deine Frau sein. So – da hast du es.« »Meinetwegen, du sollst dir deinen hübschen kleinen Dickschädel ruhig wegreiten«, sagte er nachgiebig. »Terrill, Liebste, du bist ja noch ein großes Kind und weißt noch nicht, was es heißt, verheiratet zu sein. Du weißt ja nicht, was – was alles geschehen kann.« »Ich glaube, doch.« »Du kannst also nicht immer ein Vaquero bleiben.« »Nein?« fragte sie widerspenstig. »Wir wollen doch – weißt du – es wäre doch nett –« Er begann zu stammeln. »Wovon in aller Welt sprichst du eigentlich?« fragte sie scheinheilig. »Terrill, willst du keinen – kleinen Pecos?« Mit einem erstickten Schrei sprang sie auf und wollte davonlaufen. Dann blieb sie stehen und wandte sich ihm zu. »Pecos Smith, in einer halben Stunde bin ich zu allem bereit.« * -170-
Um die Mittagsstunde ritten Pecos und Terrill in Eagles Nest ein. Pecos war kaum abgestiegen, als ihm klar wurde, wie sehr sich der Ort seit seinem letzten Besuch verändert hatte. Vor dem neuen Store standen sechs Männer, die ihm ihre Texanergesichter zuwandten. Auf einem der Gesichter erschien plötzlich ein warmes Licht. Der Mann war etwa so alt wie Pecos – blauäugig und sonnenverbrannt. »Pecos Smith!« rief er. »Oder bin ich kurzsichtig!« »Hallo, Jerry Brice!« rief Pecos zurück. »Wie ich mich freue, dich wiederzusehen!« »Hattest dich wohl versteckt, du Schurke?« fragte Brice grinsend. »Ich habe allerhand über dich gehört. Was machst du hier? Wer ist der Junge mit den großen Augen?« »Junge? Das ist kein Junge, Jerry, das ist ein Mädchen. Terrill Lambeth. Wir werden jetzt heiraten, und du wirst mir dabei helfen.« Er wandte sich an das Mädchen. »Terrill, steig ab, das ist einer meiner alten Kameraden. Ich hätte Angst, ihn dir zu zeigen, wenn heute nicht unser Hochzeitstag wäre.« Terrill trat neben ihn und schob die Hand unter seinen Arm. »Pecos, du bist schon ein ganz verdammter Glückspilz!« rief Brice überrascht. »Terrill – das ist Jerry Brice, ein alter Freund.« »Miß Lambeth, das ist wirklich ein Vergnügen.« Brice zog den Hut und verbeugte sich vor ihr. »Ich bin glücklich, Sie kennenzulernen.« »Danke, ich freue mich auch«, erwiderte Terrill errötend und schüchtern. Brice half ihnen beim Unterstellen der Pferde und aß mit ihnen zu Mittag. Er erzählte dabei von den Plänen zum Aufbau einer Ranch in Neu-Mexiko, die sein Bruder und er in Angriff genommen hatten und die langsam aber sicher vorankamen. Dann berichtete er eine Unzahl von Neuigkeiten, und Pecos war -171-
erstaunt, wie sehr das schläfrige Eagles Nest zum Leben erwacht war. Brice lachte und sagte, er solle nur abwarten, dann könne er etwas sehen. Texasstiere seien auf dem Weg nach Norden. Die Rinderpreise stiegen auch weiterhin. Pecos stellte noch zahllose Fragen, dann aber kam er zu dem für Terrill und ihn wichtigsten Punkt. »Was ist mit diesem Richter Roy Bean?« »Ein komischer Kauz«, erklärte Brice. »Friedensrichter, Richter, Saloonbesitzer – alles in einer Person.« »Kann er Trauungen vornehmen?« »Natürlich kann er das. Und so gut, Miß Lambeth, daß Sie nicht mehr entkommen können.« »Ausgezeichnet. Aber sicherheitshalber wollen wir die Sache wiederholen, wenn wir einmal in San Antonio sind.« Die Männer machten ihre Späße darüber, und Terrill versuchte, ihr Erröten zu verbergen. »Kommt. Wollen wir es hinter uns bringen«, sagte Pecos schließlich. Pecos brauchte nicht erst die neuen Häuser zu sehen, um zu erkennen, wie Eagles Nest gewachsen war. Selbst um die warme Mittagsstunde drängten sich Pferde und Wagen an den Haltegeländern. Auf jeden Weißen trafen etwa zehn Mexikaner. Pecos schätzte, daß die Gesamtbevölkerung des Ortes auf über zweitausend Seelen angestiegen sein mußte. Er sah einige bekannte Gesichter, und eines davon verschwand schnell wieder. Das war ihm ganz recht. Er wollte an seinem Hochzeitstag keine unerfreulichen Zwischenfälle haben. Terrills Schritt war nicht zögernd. Ihr Gesicht glühte, und ihre Augen funkelten. Sie hatte sich an Pecos’ Arm gehängt und ging schweigend neben ihm dahin, während die Männer sich unterhielten. »Hör einmal, Jerry, erinnerst du dich noch an Don Felipe?« fragte Pecos, dem sein früherer Arbeitgeber eingefallen war. »Hast du etwas über ihn gehört?« -172-
»Sicher. Er wurde aus Rockport verjagt. Er ist, glaube ich, so ziemlich am Ende.« »Ich dachte es mir«, sagte Pecos nachdenklich. »Das ist keine schlechte Nachricht.« »Ich habe einen Herdenboß namens Lindsay getroffen, der eine Ranch am San Saba hat. Er sagte mir, Felipe habe eine Mannschaft, die halb aus Weißen und halb aus Greasers besteht. Er arbeitet jetzt angeblich in den östlichen Breaks des Pecos. Lindsay sagte auch, Felipe habe im vergangenen Sommer in Braseda einen Zusammenstoß mit den Rangers gehabt.« Sie hatten inzwischen das Haus des Richters erreicht. Es schien etwas im Gange zu sein. Mehrere Mexikaner lungerten herum. Einige ritten auf Eseln, andere waren zu Fuß. »Das ist die Rückseite«, erklärte Brice. »Wir müssen nach vorn. Er hält entweder Gericht ab, oder er schenkt Whisky aus.« Das Haus war aus Brettern zusammengezimmert und stand auf Pfosten hoch über dem Boden. Auf der Vorderseite war eine breite Veranda, auf der offenbar eben eine Gerichtssitzung stattfand. »Der Mann am Tisch ist der Richter«, raunte Brice ihnen zu. »Die anderen sind alle Mexikaner.« Der Richter war ein kleiner, stämmiger Mann, Anfang der Sechzig, mit einem langen, grauen Bart, der halbkreisförmig zugeschnitten war. Er war in Hemdsärmeln, trug einen riesigen, leichten Sombrero und hatte den Colt an der Hüfte. Ein mexikanischer Peon stand barhäuptig vor ihm. Etwas im Hintergrund saßen drei weitere Mexikaner. An einem Pfosten neben dem Richter lehnte ein Gewehr. Auf einem Brett, an einem Pfosten hinter ihm stand das Wort: Saloon. Am Dach der Veranda hing über den Stufen ein weiteres, viel größeres Schild. Dort stand geschrieben: Gericht – westlich des Pecos. Darüber war ein drittes Schild mit dem Namen des Richters.
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In diesem Augenblick kamen zwei Cowboys angeritten und stiegen im Hof ab. Sie hatten hagere, rote Gesichter und trugen Colts und staubige ›Chaparejos‹, die ledernen Beinschützer der mexikanischen Vaqueros. Der erste Reiter zog den Hut. »Hallo, Richter, können Sie die Sitzung nicht so lange vertagen, bis Sie zwei Männer vor dem Verdursten gerettet haben?« »Kommt nur, Jungens.« Der Richter trat die Kiste zurück, die ihm als Sitz gedient hatte. »Das Gericht vertagt sich!« rief er. Er winkte den beiden Reitern zu und trat mit ihnen ins Haus. Der Peon, über den Gericht gehalten wurde, blieb wartend stehen. »Verdammt, das ist schon das Beste, was ich auf diesem Gebiet je gesehen habe«, sagte Pecos vergnügt. »Ja. Ist er nicht ein komischer Bursche?« flüsterte Terrill. »Und ausgerechnet der soll uns verheiraten.« Gleich darauf kam das durstige Paar wieder heraus, und der Richter, der sich die Lippen wischte, folgte ihnen. Als er wieder am Tisch Platz genommen hatte, schlug er mit der Faust auf die Platte. Im Saloon, beim Whiskyausschenken, mußte er zu einer Entscheidung gekommen sein. »Fünfzig Pesos!« schrie er. Einer der Mexikaner legte Silbermünzen auf den Tisch. Dann gingen sie alle, und der Richter schloß sein großes Buch. »Jetzt kommt unsere Chance.« Pecos drückte Terrills Arm. »Jerry, bleib ja bei uns.« Er schritt mit Terrill die Veranda hinauf, und bei der letzten Stufe zögerte das Mädchen etwas. Richter Roy Bean schaute auf. Er hatte scharfe, kluge Augen und ein gutmütiges Gesicht. Pecos gewann sofort den Eindruck, daß der Gentleman, der sich als ›Gericht westlich des Pecos‹ etabliert hatte, vielleicht etwas exzentrisch sein mochte, daß er aber bestimmt kein Narr war. »Hallo, Richter«, sagte Pecos.
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»Hallo. Wer sind Sie denn?« Der Blick des Richters war durchdringend geworden. »Richter, ich habe viele Namen, aber mein richtiger lautet James Smith.« »Also gut, James Smith, was wollen Sie vor Gericht?« »Können Sie mich verheiraten?« »Können? Hören Sie, junger Mann, ich kann Sie trauen, scheiden und aufhängen lassen.« »Nun, ich will nur das erste«, sagte Pecos grinsend. »Wo ist Ihre Frau? Ich habe heute viel zu tun. Wenn Sie es so eilig haben, dürfen Sie nicht ohne Frau kommen.« »Hier ist sie«, sagte Pecos, der nur mit Mühe seinen Ernst bewahrte. »Wo?« »Hier.« Pecos wies auf Terrill. »Sind Sie betrunken? Das ist doch ein Junge!« »In diesem Punkt irren Sie sich, Richter.« Pecos nahm Terrill den Sombrero ab. »Heb den Kopf, Terrill.« Richter Roy Bean starrte sie an. Zuerst war er stumm vor Erstaunen, dann aber begann er zu strahlen. »Aber sicher sind Sie ein Mädchen – und sogar das hübscheste, das je vor dieses Gericht gekommen ist. Wie heißen Sie?« »Terrill Lambeth.« »Den Namen habe ich doch schon gehört?« »Mein Vater war Colonel Lambeth.« »Wie alt sind Sie, Terrill?« »Neunzehn.« Der Richter wandte sich an Pecos. »Smith, ich werde Sie trauen. Wieviel ist es Ihnen wert, mit diesem jungen Mädchen zusammengeschmiedet zu werden? Es kann sonst nirgends im Lande geschehen.« Pecos durchschaute den alten Räuber.
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»Nun, mir wäre es eine Million Dollar wert, aber soviel kann ich mir nicht leisten. Sagen wir zwanzig?« »Geben Sie her«, sagte der Richter schnell und streckte die Hand aus. Pecos wurde verlegen. Er hatte vergessen, einzelne Scheine vorher in die Westentasche zu stecken. Die Augen des Richters quollen heraus, als er das dicke Banknotenbündel sah. »Haben Sie etwa eine Bank ausgeraubt?« »Nein, ich habe lange für diesen feierlichen Anlaß gespart.« »Ich habe vergessen, die Gebühr für die Heiratslizenz in Rechnung zu stellen. Das sind weitere zehn Dollar.« »Machen Sie zwanzig daraus, Richter.« »Gut. Es sind zwanzig.« Roy Bean nahm blitzschnell den zweiten Schein an sich. Dann nahm er ein Buch und begann daraus einen HeiratsVertrag vorzulesen. Unwichtige Stellen überflog er; als er jedoch zu den entscheidenden Punkten kam, wurde er langsamer. Er stellte die Frage laut und betont. Pecos wäre bei seinem eigenen Ja beinahe erstickt. Dann hörte er Terrills leise Antwort. »So erkläre ich euch denn als Mann und Frau«, verkündete der Richter. »Was Gott zusammengefügt hat, soll kein Mensch je trennen!« Dann setzte er sich schnell hin und füllte die Heiratsurkunde aus. »Unterschreibt jetzt«, befahl er. Pecos’ Hand war sicher, aber Terrills Finger bebten. Brice war der erste, der ihnen fröhlich gratulierte. »Pecos, alter Junge, viel Glück und ein langes Leben. Und Ihnen, Mrs. Pecos, wünsche ich auch alles Gute, viel Freude und –« Eine laute Stimme mit leicht fremdländischem Akzent rief dazwischen: »Señor Richter, unterbrechen Sie die Trauung!« -176-
Brice fuhr herum und starrte den Störenfried an. Es war ein großer, dünner Mann mit schwarzem Sombrero. Pecos schien zu erstarren beim Anblick dieses Mannes. »Don Felipe, was fällt Ihnen ein, so in meinem Gericht zu schreien?« protestierte der Richter. »Ich erhebe Einspruch gegen die Trauung. Señorita Lambeth ist –« »Zum Teufel, Sie können gegen gar nichts Einspruch erheben!« brüllte Roy Bean. »Diese beiden sind von mir als Mann und Frau zusammengegeben!« »Oh, Pecos, es ist Don Felipe«, flüsterte Terrill. »Jerry, nimm sie zur Seite«, zischte Pecos, indem er sich aufrichtete und die beiden zum Richtertisch zurückschob. Dann sprang er mit einem einzigen Satz die Stufen hinunter. Felipe war gerade dort angekommen. Ein Fuß in dem mit Stickerei verzierten Stiefel blieb mitten in der Luft hängen und sank langsam herab. »Hallo, Don Felipe! Der Bräutigam ist zufällig Pecos Smith!« »Santa Maria!« Das hagere, schmale Gesicht von Don Felipe verzerrte sich. Er zeigte die Zähne, und seine Gestalt straffte sich. Dann griff er ruckartig nach seinem Colt. Als die Waffe aus dem Halfter glitt, schoß Pecos. Er wollte ihm den Arm zerschmettern, die Kugel traf aber den Revolver, so daß die Waffe wirbelnd in den Sand flog. Im nächsten Augenblick vollzog sich in Don Felipe ein weiterer, noch viel schnellerer Wandel. Er schien in sich zusammenzusinken, nur seine runden, perlenartigen Augen funkelten. »Es scheint, Don Felipe, Sie haben ein schlechtes Gedächtnis«, sagte Pecos sarkastisch kühl. »Ein Glück für Sie, daß heute mein Hochzeitstag ist.« Pecos hob den Revolver auf, zielte kurz und drückte wieder ab. Der Sombrero flog von Felipes Kopf, ohne daß die Kugel ein
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Haar berührt hätte. Dann zielte Pecos auf die silberbestickten Stiefel. »Los, tanze!« Die nächste Kugel riß ein Stück Leder vom Schuh, und Felipe begann groteske Tanzschritte zu machen, bis seine Kraft oder sein Wille versagten. »Nun, Sie sind ein ebenso schlechter Tänzer wie Schütze. Stillgestanden jetzt! Hören Sie zu, ich stelle Sie vor diesen Männern und vor dem Richter zur Rede. Sie sind ein ganz gemeiner Viehdieb. Sie werben unwissende Vaqueros an und lassen sie später umbringen, um ihnen keinen Lohn zahlen zu müssen. Ich weiß, daß sie Colonel Lambeths Vieh gestohlen haben und seine Tochter rauben wollten. Ich habe Sie über den Fluß gejagt, als Sie meine Brandzeichen fälschen wollten. Watson hat Sie ebenfalls ertappt, und er wurde von Ihrem Kumpan Breed Sawtell erschossen. Ehe ich Sawtell erschossen habe, erfuhr ich alles. Und jetzt fort, Sie feiger Greaserhund – fort über den Fluß! Denn wenn ich Sie wieder zu Gesicht bekomme, dann bringe ich Sie um!« In dem dumpfen Schweigen, das über dem Platz lag, drehte Don Felipe sich um, bahnte sich seinen Weg durch die Menge und verschwand. Pecos entspannte sich und steckte den rauchenden Colt weg. Dann wandte er sich Roy Bean zu und schritt wieder die Stufen hinauf. »Richter, das stand eigentlich nicht auf unserem Programm«, sagte er gedehnt. »Teufel nein, und auf meinem Gerichtsprogramm auch nicht!« rief der Richter mit einer Wut, die wohl seine innere Heiterkeit verbergen sollte. »Wer Sie auch sein mögen, Pecos Smith, Sie sind jedenfalls etwas voreilig.« »Aber ich habe Ihnen einen Gefallen erwiesen, falls Sie das noch nicht wissen«, erwiderte Pecos. »Dieser Mann war der Fluch des ganzen Ortes. Sie haben gehört, warum ich ihn nicht gleich erschossen habe.« -178-
»Smith, ich habe nichts dagegen, daß Sie ihn verjagen, aber es wäre besser gewesen, Sie hätten ihn durchlöchert, als daß Sie Muster in seinen Aufputz geschossen haben.« »Aha, und was stört Sie dann?« »Es ist gegen das Gesetz, hier zu schießen. Ich muß Sie wegen Verächtlichmachung des Gerichts bestrafen.« »Was?« rief Pecos, völlig verblüfft. Terrill trat schnell zu ihm und ergriff seinen Arm. »Oh, Pecos –« Mehr brachte sie nicht heraus. »Ich habe gesagt: Verächtlichmachung des Gerichts«, wiederholte der Richter. »Ich muß Sie bestrafen.« »Heiliger Strohsack! Und wieviel, Richter Roy Bean, Gericht westlich des Pecos, Friedensrichter, Barkeeper, Pfarrer und weiß der Kuckuck was sonst noch alles?« »Ich wollte eben sagen fünfzig, jetzt sind es fünfundsiebzig.« »Und was hätte es gekostet, wenn ich diesen Felipe durchlöchert hätte?« fragte Pecos spöttisch. »Jetzt sind es hundert.« »Dafür bekommen Sie Don Felipe auf einem silbernen Tablett serviert!« rief Pecos. »Nach Beratung kommt das Gericht zu dem Entschluß, die Strafe wegen weiterer Verächtlichmachung des Gerichts auf hundertfünfundzwanzig Dollar – nicht Pesos – zu erhöhen.« »Das ist ja gemeiner Straßenraub!« »Verbreitung einer erweislich unwahren Behauptung; kostet abermals fünfzig Dollar – im ganzen also einhundertfünfundsiebzig!« schrie Roy Bean mit purpurrotem Gesicht. Terrill zog Pecos mit einem Ruck zu sich herum. »Bezahle ihn, bevor er uns ruiniert!« rief sie, und Pecos wußte nicht, ob sie vor Vergnügen oder Schreck so außer sich war. »Hallo, Liebling! Herrjeh, ich habe dich ganz vergessen. Natürlich werde ich ihn bezahlen«, sagte er und zog mit -179-
großartiger Gebärde eine Geldscheinrolle aus der Tasche, um die Summe abzuzählen. »Ich werde mich nie wieder verheiraten, das wird mir zu teuer. Hier Richter, kaufen Sie sich ein paar Gesetzbücher dafür, und lassen Sie sich ein neues Schild machen und mit großen Buchstaben daraufschreiben: ›Heraus mit dem Geld, Fremder, oder du kannst hier nicht in Frieden leben, und du kommst auch niemals in den Himmel – der Ehe‹.«
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