Robin Moore
Mission in Mituyan
scanned by ab corrected by Arachnida
Opium ist das Gold Mituyans. Wer es besitzt, hat ...
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Robin Moore
Mission in Mituyan
scanned by ab corrected by Arachnida
Opium ist das Gold Mituyans. Wer es besitzt, hat die Macht in dem heißumkämpften südostasiatischen Staat. Das erkennt auch der Amerikaner Mike Forrester, der als Pflanzer in dieses paradiesische Land kam. Mituyan ist ein brodelnder Hexenkessel der sozialen Revolution, gezeichnet vom fanatischen Ringen aller gegen alle. Mike Forrester hat eine Handvoll Idealisten, Abenteurer und Desperados um sich geschart. Er führt einen verzweifelten Dreifrontenkrieg gegen kommunistische Guerillas, wilde Bergstämme und eine korrupte Palastclique. Aber alles hängt davon ab, ob es dem Amerikaner gelingt, das Opium unter Kontrolle zu bringen und die Bergstämme für sich zu gewinnen. Das Land symbolisiert den grausamen, unerbittlichen Kampf, der sich in Südostasien wirklich abspielt. ISBN 3-453-00107-9 Amerikanische Originalausgabe: The Country Man Deutsche Übersetzung von Günther Martin 12. Auflage 1982 Wilhelm Heyne Verlag Umschlag: Ateliers Heinrichs, München
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Vom gleichen Autor erschienen außerdem als HeyneTaschenbücher Die grünen Teufel • Band 489 Bitterer Zucker • Band 574 Die Versuchung der grünen Teufel • Band 5023 Der Parasit • Band 5420 Das Syndikat • Band 5741 Dubai • Band 5774 Heroin - Cif New York • Band 5926 Die Schöne und der Mächtige • Band 5984
MITUYAN Die Republik Mituyan ist ein südostasiatischer Staat, der an Indien grenzt, daraus erklären sich die traditionellen Verbindungen mit dem britischen Empire. Sie endeten erst Anfang der fünfziger Jahre - unter den Klängen der Dudelsäcke und dem Rasseln der Trommeln zog die britische Besatzung ab, das Land erlangte seine Unabhängigkeit, nachdem es fast zweihundert Jahre lang unter britischem Protektorat gestanden hatte. Deshalb gibt es in Mituyan auch keine Sprachenbarriere wie fast überall sonst in Asien. Jeder Mituyaner, vom hohen Diplomaten und Staatsbeamten bis zum Dorfhäuptling, bedient sich bei Verhandlungen und im Verkehr mit den Behörden des Englischen. Für Europäer und Amerikaner ist die mituyanische Sprache unverständlich, ganz zu schweigen von den rätselhaften langen horizontalen Schriftzeichen, sonderbaren Peitschenschlingen und Haken, die kein Fremder auch nur annähernd zu entziffern vermag. Das Land hat ungefähr die Form eines gleichseitigen Dreiecks. Es erstreckt sich über die untere Hälfte einer Halbinsel, auf der auch die Republiken Yanna und Bardans liegen. Die Nordgrenze, die Basis des Dreiecks, ist 200 Meilen lang. Mituyan hat ein Küstengebiet in der Länge von 250 Meilen, vom nordwestlichen Grenzpunkt gegen Bardans den westlichen Schenkel des Dreiecks herunter bis zur Spitze der Halbinsel, dem ungefähr 500 Quadratmeilen großen Mündungsdelta des Tuyan. Nur das Mekongdelta in Südvietnam liefert einen höheren Jahresertrag an Reis und anderen landwirtschaftlichen Produkten. Der zweite Schenkel des Dreiecks verläuft vom Tuyandelta bis zum äußersten nordöstlichen Punkt des Landes über mehr als 100 Meilen Küstenstreifen und weitere 100 -3-
Meilen gebirgiges Dschungelgebiet, das an Yanna grenzt. Die Hauptstadt von Mituyan ist Tuyan, das 60 Meilen nördlich von der Deltamündung angelegt wurde. Mituyan könnte ein freier, in Wohlstand und Glück lebender Staat sein, aber Agitatoren, die aus den nominell »neutralen« Ländern Bardans und Yanna einsickern, stiften Unruhe und schüren den Haß gegen das Regime. In diesem Teil der Welt ist »Neutral« gleichbedeutend mit prokommunistisch. Die mituyanischen Kautschukplantagen ziehen sich in einem 50 Meilen breiten Gürtel parallel zur Grenze über den nördlichen Rand des Staatsgebietes, und die Arbeiter sind dem Einfluß der regierungsfeindlichen Propaganda besonders ausgesetzt. Für die 20 000 amerikanischen Soldaten und Zivilisten im Dienst der US-Militär- und Entwicklungshilfe ist Tuyan ein Dorado. Man trifft sie überall an, in den alten Vierteln mit den gewundenen Straßen, wo sich ein pittoresker Souvenirladen an den anderen reiht, den Restaurants und Bars, in den in leuchtendem Rot und Gelb bemalten und mit reichen Blattgoldornamenten verzierten Tempeln und Pagoden. Nicht zuletzt schätzen sie auch die Schneider von Tuyan, die, wie die Chinesen in Hongkong, einen erstklassigen Anzug beliebigen westlichen Schnitts innerhalb von zwölf Stunden liefern, und das zu einem für amerikanische Begriffe geradezu lächerlichen Preis. Die Stadt ist von Kanälen und Flüssen durchzogen, die alle in den mütterlichen Tuyanfluß münden oder dort ihren Ursprung haben. Der schwimmende Markt, eine Flotte von Hunderten Sampans, auf denen Waren und Nahrungsmittel aller Art verkauft werden, ist in seiner Buntheit eine der reizvollsten Fremdenattraktionen Asiens. Viele der beliebtesten typisch mituyanischen Lokale befinden sich auf dem Wasser, man bekommt dort exzellente Getränke und kann sich mit bezaubernden mandeläugigen Mädchen in einen der gedeckten Kähne zurückziehen, die an dem großen Barboot vertäut sind. Die Regierung von Mituyan, eine Familiendiktatur unter der -4-
Führung des Premiers KaritKi, scheint trotz ihrer skrupellosen Methoden fest im Sattel zu sitzen. Weiße, vor allem Amerikaner, genießen bei der Bevölkerung große Sympathien, besonders bei den schönen, aparten und keineswegs schwer zu erobernden Frauen. Der amerikanische Informationsdienst gibt jährlich mehr als eine Million Dollar aus, um die 15 Millionen Mituyaner davon zu überzeugen, daß ihre Wohlfahrt auf der amerikanischen Hilfe beruhe und daß diese durch Premier KaritKi, den starken Mann in der Regierung, und seine volksverbundene, fürsorgliche Zentralregierung zum Besten des Landes verwendet werde. Die amerikanischen Militärberater und die Tausende von Soldaten, die aus den anderen Einsatzgebieten in Südostasien nach Mituyan auf Urlaub kommen, bringen den Frauen und Kindern ganze Berge von nahrhaften Geschenken mit und behandeln im allgemeinen die Männer mit Achtung und gebührender Höflichkeit. Im Gebirge, 150 Meilen nordöstlich von Tuyan, liegt auf einem Hochplateau die Stadt Banthut. Sie hat das angenehmste Klima von ganz Asien, eine ziemlich konstante Jahrestemperatur von 23 Grad Celsius. Von Banthut aus, das auch das Zentrum des illegalen Opiumhandels ist, erfolgt die Verwaltung und Betreuung der zahlreichen Bergstämme, deren größter von der in sich geschlossenen Volksgruppe der Groats gebildet wird. Der Anbau von Mohn zur Opiumgewinnung ist die Haupteinnahmequelle der Gebirgsbewohner. Banthut wurde berühmt, weil sich in seiner Umgebung die besten Großwildreviere ganz Asiens befinden. Mituyans wichtigster Hafen ist Tiking an der Nordwestküste, nur 25 Meilen von der Grenze gegen Bardans entfernt. Tiking ist der Knotenpunkt des Seehandels mit Indien und dem Nahen Osten, die Kautschukplantagen versenden ihre Produkte über diesen Meereshafen in alle Welt. Mituyan ist eines jener »Paradiese auf Erden«, nach denen man sich immer wieder zurücksehnt, wenn man einmal ihren -5-
Zauber erlebt hat. Aber die führenden Politiker und die Amerikaner, die nun in Tuyan die Entscheidungen fällen, scheinen ganz bewußt ihre Augen vor der immer weiter um sich greifenden Unzufriedenheit unter den verarmten und besitzlosen Schichten zu verschließen. Eine soziale Revolution gegen das veraltete mituyanische Mandarinsystem bereitet sich vor. Es liegt auf der Hand, daß die kommunistischen Drahtzieher alle jene Kräfte, die radikale Änderungen anstreben, für ihre Pläne dienstbar zu machen suchen. Das plötzliche Ansteigen der Reispreise beweist, daß die gerissenen Reisspekulanten, durchwegs chinesische Kaufleute in Tuyan, Informationen besitzen, die sie veranlassen, ihre Vorräte zurückzuhalten, um zu einem späteren Zeitpunkt mehr Profit herauszuschlagen. Nur Massenkonskriptionen der Bauernschaft, sei es durch die Zentralregierung oder durch die revolutionäre Widerstandsbewegung, würden die Reisernte des nächsten Jahres vermindern und die Preise rasant in die Höhe treiben. In den größeren Städten Mituyans schnellte der Kurs der amerikanischen Währung von 90 auf 120 Metas pro Dollar. Dies bedeutet, daß die reichen Mituyaner ihre Ersparnisse in Dollar umwechseln und auf Banken in Hongkong oder in der Schweiz deponieren. Einige politisch erfahrene Amerikaner wissen, was dem Land droht, und wollen der Revolution durch Evolution zuvorkommen. Aber eine organische Entwicklung, die breiten Schichten des mituyanischen Volkes eine Hebung des Lebensstandards sichern würde, stößt auf solch schwerwiegende Fragen wie die einer gesetzlich verankerten Bodenreform oder der Durchführung freier Wahlen der Volksvertreter und Verwaltungsbeamten. Die mituyanische Staatsführung und deren amerikanische Berater in der Hauptstadt der kleinen Republik halten es offenbar für politische Klugheit, mit Notlösungen und unzulänglichen Provisorien Karit-Kis Machtapparat von einem Tag auf den anderen zu stützen. Doch -6-
es sind sehr dünne und schwache Pfähle, die die Last des einsturzgefährdeten Hauses tragen sollen. Die Männer, die in Tuyan am Ruder sind, sind wie das schwangere Mädchen, das hofft, der leidige Zustand werde von selbst vergehen, wenn man ihn nicht beachtet.
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ERSTER TEIL DIE PLANTAGE
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1 Der feine Duft der Teeblätter, die auf langen Holzrosten trockneten, wirkte beruhigend auf Mike Forrester, als er in seinem Landrover der Plantage zusteuerte. Die Sorgen, die ihn den ganzen Tag über bedrückt hatten, fielen von ihm ab, als verwehte sie der Wind, der vom Meer her über die kühle Hochfläche strich. Sooft sich Forrester seinem Besitz näherte, dem Haus mit dem weiten Blick über den Ozean, der gegen die felsige Küste brandete, überkam ihn ein Gefühl der Sicherheit. Und dennoch war ihm klar, daß sich das Unvermeidliche auch in Mituyan vollziehen würde. Dieses scheinbar so lethargische asiatische Land war ihm nach dem Zusammenbruch seiner Existenz Zufluchtsstätte geworden, in jahrelanger Arbeit hatte er sich eine neue Existenz geschaffen und im Betreiben der ertragreichen Pflanzungen eine neue Lebensaufgabe gefunden. In diesem Teil von Mituyan hatten die Unruhen nach der Taktik des schmutzigen Krieges vorläufig noch keine größeren Ausmaße angenommen, aber Mike sah schon die Sturmzeichen drohenden Unheils. Im fruchtbaren Reisanbaugebiet des Tuyandeltas im Süden kam es jede Woche zu Gefechten mit den Mitkoms, wie die Aufständischen hier bezeichnet wurden. Doch Mike glaubte, daß seine eigenen Plantagenarbeiter vorläufig noch zufrieden waren, und in den nördlichen Landstrichen bestellten die Reisbauern ihre Felder wie eh und je. Er fuhr an den langen Reihen der Holzroste vorbei und noch eine Meile weiter auf der Straße, deren schattige Bäume die direkt einfallenden Sonnenstrahlen von den Teesträuchern abhielten. Nun sah er vor sich das niedrige weiße Haus, das er und Luna sich durch den Handel mit Tee und Kautschuk und durch verschiedene günstige Transaktionen erwirtschaftet hatten. Mike wickelte seine Geschäfte immer in der 160 Meilen -9-
weiter südlich gelegenen Hauptstadt Tuyan ab. Der große Bungalow hier und das Plantagenhaus in Rishram, auf seiner Kautschukpflanzung im Norden, waren wohl Mikes wertvollster Besitz - neben dem zu einer Luxusjacht umgebauten alten Minenräumboot, das er vor dem Zugriff seiner Gläubiger in den USA gerettet hatte. Auf diesem Schiff, der Promise, hatte er nach dem Bankrott den Mut gefunden, neu anzufangen. Luna erwartete ihn in der Halle. Sie kam auf ihn zu, ihr straff gebürstetes ebenholzschwarzes Haar umrahmte das honigfarbene Gesicht mit den Mandelaugen und fiel unter der Silberklammer in lockeren Flechten über den Nacken. Sie trug, wie immer, wenn sie daheim war, ein Kleid westlichen Schnitts. »Guten Abend, Mike.« Sie küßte ihn, aber an ihrer starren Haltung merkte er, daß sie nervös war. Sonst schmiegte sie sich immer zärtlich an ihn. »Was ist denn los?« »Bangol erwartet dich im Arbeitszimmer.« Bangol war Mikes mituyanischer Verwalter auf der Kautschukplantage. »Was will er hier?« »Das hat er mir nicht gesagt.« »Ich bin gespannt, was es so Wichtiges gibt.« Mike betrat sein Arbeitszimmer, das die eine Ecke des Hauses einnahm und einen weiten Ausblick über das Meer gewährte. Es war ein nüchtern eingerichteter Raum ohne pittoreskes Aufgebot an exotischen Jagdtrophäen, Souvenirs, Bildern und Diplomen. Lediglich Bücher, die Mike aus Amerika mitgebracht oder in Mituyan gekauft hatte, füllten die eingebauten Regale. Bangol stand in der Mitte des Raumes. Mit seinem faltenlosen braunen Gesicht und dem fettschwarzen Haar wirkte er jugendlich, aber aus den Zeugnissen, die ihm der Mituyaner vor drei Jahren vorgelegt hatte, wußte Mike, daß Bangol mindestens fünfzig sein mußte. Für einen Südasiaten war er überdurchschnittlich groß, er überragte alle Gummiarbeiter. Wie -10-
es einem Plantagenverwalter zukommt, der den Besitzer aufsucht, trug Bangol einen schneeweißen Anzug, weiße Socken und Schuhe und eine gelbe Krawatte, ein gleichfarbiges Taschentuch steckte locker in der Brusttasche. Obwohl beide wußten, daß sie sich auch in Bangols Muttersprache unterhalten konnten, vermied es Mike, ihn auf mituyanisch anzureden. Er kannte seinen Verwalter, dieser wahrte streng die Formen, die seiner Stellung zukamen. Deshalb sprachen sie englisch. »Was ist los, Mr. Bangol?« fragte Mike ohne weitere Umschweife. Lunas Mitteilung hatte ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt. »Sie sehen gut aus, Sir«, erwiderte der Mituyaner. »Danke.« Mike ging auf die Floskeln ein, ohne die man keine Unterredung mit einem Menschen des Fernen Ostens beginnen kann. »Ich muß Ihnen auch ein Kompliment machen. Sie wirken sehr jugendlich.« Es entstand eine kurze Pause, dann legte Bangol, der offenbar meinte, daß damit der gebotenen Höflichkeit Genüge getan war, erbittert los. »Diese undankbaren Bauernhunde in Rishram! Die Gummizapfer fordern mehr Geld!« »Aber wir zahlen doch bereits höhere Löhne als alle anderen Plantagen! Deswegen habe ich mich bei den anderen Pflanzern ohnehin schon sehr unbeliebt gemacht.« »Gewiß, Sir. Das habe ich den Zapfern auch gesagt. Aber die Kerle sagen, die Amerikaner nehmen den armen Leuten alles Geld weg und könnten deshalb mehr bezahlen.« »Wer steckt dahinter? Wer spricht für die Arbeiter? Ist es ein Mann aus dem Norden?« Bangol nickte düster. »Sie kommen über die Grenze, aus Bardans und Yanna, sogar aus Nordvietnam, und wiegeln unsere Arbeiter auf.« -11-
Das war vorauszusehen, dachte Mike, bei den Zapfern hatten Agitatoren leichtes Spiel. Rishram lag kaum zehn Meilen von der bardansischen Grenze entfernt. Noch vor vier Jahren hatte in diesem Gebiet tiefer Friede geherrscht. Nach der Hochzeit in Tuyan war Mike mit seiner jungen Frau auf der Suche nach einer Plantage ins Kautschukland gefahren. Der frühere Eigentümer von Rishram, ein Engländer, der zehn Jahre Guerillaterror in Malaya, wo man seine Pflanzungen vor seinen Augen zerstört hatte, hinter sich hatte, verkaufte Mike den Besitz zu sehr günstigen Bedingungen. Vielleicht ahnte er Böses und trennte sich aus diesem Grund von der sehr ertragreichen Plantage. »Und wie haben Sie auf diese Forderungen reagiert, Mister Bangol?« »Ich habe die Lohnerhöhungen natürlich abgelehnt, Sir. Wie Sie sagten, die anderen Pflanzer machen uns bereits genug Schwierigkeiten, weil wir so viel bezahlen.« »Warum wenden sich diese Gewerkschaftsfunktionäre, oder was sie sonst sind, nicht an die anderen Plantagenbesitzer?« »Sir, Sie sind der einzige Amerikaner. Diese Bande will nur den Haß gegen die amerikanischen Imperialisten schüren.« »Sie haben abgelehnt, Mr. Bangol, schön. Und was war dann?« »Der Vietnamese Nguyen Van Kan hat mir angedroht, daß in jeder Nacht zwanzig Bäume vernichtet würden - so lange, bis wir die Löhne verdoppeln. Und tatsächlich wurden in den letzten beiden Nächten je zwanzig Bäume gefällt.« »Und was unternimmt die Polizei? Und die Truppen der Garnison? Schützen sie das private Eigentum nicht?« »Die Soldaten kommen jede Nacht einmal in Panzerspähwagen vorbei. Aber Kan weiß ihnen auszuweichen.« Mikes helle graue Augen sprühten. »Von den Arbeitern kann -12-
man nicht erfahren, wo sich der Kerl verbirgt?« Bangol schüttelte traurig den Kopf. »Die Arbeiter haben Angst, Sir. Vor einer Woche wurde einer meiner Vorarbeiter ermordet und geköpft, weil er der Polizei die Umtriebe gemeldet hatte. Die Soldaten haben wohl zwei der Unruhestifter gefangen, aber dadurch wird der Mann nicht mehr lebendig. Er hinterläßt eine Frau und fünf kleine Kinder.« Mike sah auf die Uhr. Nur mehr eine Stunde bis zum Einbruch der Dunkelheit, Die Fahrt über die 90 Meilen bis Rishram dauerte mindestens drei Stunden, da die letzten 30 Meilen der Strecke über Viehpfade führten. Abgesehen davon fuhr er ungern bei Nacht, besonders da er mit einem Überfall rechnen mußte. »Mr. Bangol, Sie bleiben bei uns, und morgen fahren wir nach Tiking und sprechen mit General Dandig. Dann fahren wir nach Rishram. Ich werde mich selbst von der Situation überzeugen, damit wir Gegenmaßnahmen ergreifen können.« »Morgen werden weitere zwanzig Bäume gefällt sein, Sir«, sagte der Verwalter eindringlich. »Das ist noch immer ein kleineres Übel, als wenn wir während der Nacht in einen Hinterhalt geraten.« Mike sann mit gefurchter Stirn nach. »Das Ganze klingt fast unglaublich. Die Mituyaner im Norden betrachten die Gummibäume als Gottheiten. Einen Gott zu töten, ist nach ihrem Glauben eine schwere Sünde.« Bangol, der zur anglikanischen Kirche übergetreten war, da man dies seiner Meinung nach von einem Plantagenverwalter erwartete, spann den Gedanken weiter. »Das ist wahr, Sir. Diese heidnische Baumverehrung hat uns immer eine gewisse Sicherheit geboten. Nur ein geeichter Terrorist würde Hand an einen Gummibaum legen. Deshalb mache ich mir so große Sorgen und habe Sie aufgesucht, statt selbst eine Lösung des Problems zu versuchen.« -13-
»Sie haben richtig gehandelt, Mr. Bangol. Und morgen werden wir weitersehen.« »Ich fahre mit, Mike!« In energischer Haltung stand Luna in der Tür. Die Kautschukplantage lief zwar unter seinem Namen, war aber in Wahrheit gemeinsames Eigentum des Ehepaares. KaritKi plante ein Gesetz, durch das der Wert und das Flächenausmaß ausländischen Grundbesitzes empfindlich beschnitten würde. Sollte er dieses tatsächlich in Kraft setzen, dann würde die Pflanzung zur Gänze auf Lunas Namen überschrieben werden müssen. »Gut. Bei Sonnenaufgang fahren wir los!« Die Küstenstraße von Tiking nach der Hafenstadt Raket, der nächsten größeren Ansiedlung in der Umgebung von Mikes Teeplantage, war eine 60 Meilen lange, ausgezeichnete Autobahn. Von den hohen Klippen boten sich herrliche Ausblicke auf das Meer. Für gewöhnlich hielten Mike und Luna irgendwo bei einem der schönen, kreideweißen Uferstreifen, um eine halbe Stunde lang in der Brandung zu schwimmen. Doch an diesem Morgen wollte Mike so früh als möglich in General Dandigs Büro sein. Dandig war Kommandierender General des mituyanischen 1. Korps, das die Aufgabe hatte, den Sicherheitsdienst im nordwestlichen Teil Mituyans durchzuführen und eine Invasion oder das Einsickern kleiner Guerillatruppen zu verhindern. Die Stadt Tiking umschloß an der dem Meer zugewandten Seite die bunte Szenerie einer Mole, an der rote und schwarze Fischerdschunken dicht nebeneinander vertäut waren, alle mit den zu beiden Seiten des Bugs aufgemalten zwei großen Augen. Beim Hauptdock lagen einige Schiffe der mituyanischen Kriegsmarine in der Größenklasse von Minenräumbooten vor Anker. Im Vorbeifahren sah Mike auf der Kommandobrücke eines der Schiffe einen als Militärberater fungierenden amerikanischen Marineoffizier. Er winkte ihm zu. Der Landsmann mit der goldbetreßten Khakimütze winkte -14-
freundlich zurück. Das Hauptquartier des I. Korps befand sich auf einer sanften Anhöhe oberhalb des Hafens. Die niederen, langgestreckten, fahlgelben Baracken sahen aus wie die militärischen Zweckbauten auf der ganzen Welt. Ein frisch verputzter Gebäudekomplex, vor dem die mituyanische Flagge im Wind flatterte, war sofort als Kommandogebäude erkennbar. Dort fuhr Mike mit seinem Landrover vor. Bangol, der ihm in seinem eigenen Wagen folgte, parkte dahinter. Sie stiegen aus und gingen an dem Doppelposten vorbei zum Portal. »Mr. Forrester von der Plantage in Rishram. Ich möchte General Dandig sprechen«, sagte Mike zu dem Sergeant der Wache, der im Vorraum an einem Schreibtisch saß, die scharlachrote Dienstschärpe nach britischem Vorbild quer über der Brust. Nach einem in knappem Ton auf mituyanisch geführten Telefongespräch legte der Sergeant mit strammer Gebärde den Hörer auf die Gabel, stand auf und führte Luna, Mike und Bangol in Dandigs Büro. Es war Punkt neun Uhr. Der General begrüßte sie mit ausgesuchter Höflichkeit, wobei er galant Lunas Hand küßte und mit Bangol blumenreiche Floskeln austauschte. Er war fünfunddreißig Jahre alt, sah aber jünger aus, vielleicht auch deshalb, weil er groß und schlank war. Von seinem gelblichbraunen Teint abgesehen, wirkte er wie der Abklatsch eines britischen Brigadiers. Die mituyanische Uniform, eine Kopie der britischen Tropengarnitur, unterstrich noch diesen Eindruck: Hemdbluse mit roten Kragenpatten und Ordensbändern, Shorts, breit umgeschlagene khakifarbene Wollstrümpfe und rotbraune Halbschuhe. Nicht einmal der kurze polierte Offiziersstock fehlte. Die amerikanischen Berater, die zur Gänze die Militärhilfe für Mituyan übernommen hatten, bemühten sich, die zweckmäßigeren schilfgrünen und tarngefleckten Dschungelgarnituren einzuführen, aber die Tradition wich nur langsam den Erfordernissen einer neuen, härteren Zeit. -15-
Dandig wies einladend auf die Fauteuils. Nach einigen Minuten förmlicher Konversation, während der eine Ordonnanz grünen Tee servierte, kam der General schließlich zum Thema. »Mr. Forrester, ich freue mich über Ihren Besuch«, sagte er. »Was ist in Rishram wirklich los?« Mike deutete auf Bangol. »Mein Verwalter sagte mir, daß er die Anschläge auf unsere Gummibaumbestände gemeldet hat.« Dandig nickte überlegen. »Gewiß, gewiß. Ich habe den Befehl erteilt, daß eine Kompanie des 1. Bataillons unseres 1. Infanterieregiments Ihren Besitz allnächtlich patrouilliert. Es wurden aber keine ungewöhnlichen Störaktionen gemeldet.« »Zu diesem Zeitpunkt werden sechzig Bäume vernichtet sein«, antwortete Mike scharf. »Wie mir Mr. Bangol berichtet, ist ein Nordvietnamese namens Nguyen Van Kan der Anführer des Rings.« Er hielt einen Moment inne. »Es hat den Anschein, als begänne nun in Mituyan nach bekanntem Muster die zweite Phase des kommunistischen Untergrundkampfes.« »Oh, das glaube ich nicht«, entgegnete Dandig. »Das sind nur einige Banditen, die Ihnen Angst einjagen und Geld abnehmen wollen.« »General, meine Plantage ist verhältnismäßig klein. Kaum mehr als sechs Quadratmeilen. Eine einzige Kompanie in voller Stärke, entsprechend im Gelände verteilt, müßte genügen, um jeden zu fassen, der sich an meinen Bäumen zu schaffen macht. Wenn die Schuldigen gefangen werden, könnte man von ihnen wertvolle Informationen erhalten. Was haben Sie von den Männern erfahren, die verhaftet wurden?« Dandig blickte auf seine Finger nieder, als suchte er nach Spuren von Trauerrändern an den Nägeln. »Die beiden starben während des Verhörs«, bemerkte er ganz beiläufig. »Bedauerlicherweise.« Mike war keineswegs überrascht, er hatte einige Erfahrung mit den Polizei- und Militärmethoden asiatischer Länder wie -16-
Mituyan. »Was sollen wir tun, General?« »Ich werde den Befehl geben, daß die Kompanie des 1. Bataillons Ihren Besitz weiterhin überwacht, Mr. Forrester. Wenn diese eine Kompanie nicht ausreicht, werden wir noch eine zweite einsetzen.« Dandig rückte in seinem Stuhl, ein diskretes Zeichen, daß er das Gespräch als beendet betrachtete. Die Besucher standen auf. In diesem Moment klopfte es. »Herein!« rief Dandig. Die Tür öffnete sich, und ein amerikanischer Colonel trat ein. Er war noch sehr jung für seinen hohen Rang, aber die zwei Reihen von Ordensbändern und das Silberne Fallschirmspringerabzeichen ließen darauf schließen, daß er nicht ohne Grund so rasch befördert worden war. »Ah, Colonel Lawton!« sagte Dandig freundlich zu dem Hünen, neben dem er plötzlich klein wirkte. »Darf ich Sie mit einem Landsmann bekannt machen - Mr. Mike Forrester und seine bezaubernde Frau Luna.« »Freut mich, Mr. Forrester.« Lawton hatte sich in Mituyan, in Paris oder weiß Gott wo im Umgang mit Damen die weltmännische Art eines europäischen Kavaliers alter Schule angeeignet. Er küßte Luna die Hand. »Es ist mir ein Vergnügen, Madame.« Mike nannte Bangols Namen, der Verwalter und der Colonel verbeugten sich voreinander. Dann erklärte Dandig in kurzen Zügen den Grund des Besuchs. Lawton zeigte sich sofort sehr interessiert. »General, ich wollte ohnehin einmal eine mituyanische Abteilung im Einsatz beobachten. Was halten Sie davon, wenn ich mir die Kompanie ansehe, die Mr. Forresters Plantage sichern soll?« »Ich würde es eigentlich nicht als Einsatz bezeichnen, Colonel«, antwortete Dandig vorsichtig. »Eine belanglose Sache - außer natürlich für Mr. Forrester, dessen Gummibäume bedroht sind.« -17-
»Colonel, meine Frau und ich werden wahrscheinlich nur einige Tage hierbleiben«, sagte Mike. »Kommen Sie doch zum Dinner. Rishram ist weit, Sie müssen sich schon darauf einrichten, bei uns zu übernachten.« Ein Lächeln erschien auf Lawtons Gesicht. »Danke für die Einladung. Ich würde mich gern auf Ihrer Plantage umsehen.« »Sehr gut«, warf Luna ein. »Wir erwarten Sie also, Colonel. Heute abend?« »Paßt genau in meine Pläne.« Diese Wendung verblüffte Dandig, aber er faßte sich rasch wieder. »Wunderbar!« rief er mit nicht ganz echter Fröhlichkeit. »So kommen zwei Amerikaner zusammen!« »Wenn Sie Ihr Weg einmal ins Gebiet der Kautschukplantagen führt, sind Sie jederzeit bei uns willkommen, General«, sagte Luna liebenswürdig. Mike unterdrückte ein Grinsen. Soviel er wußte, tauchte Dandig niemals bei seinen Truppen auf. Er verließ nicht einmal den sicheren Bereich von Tiking, außer zu kurzen Reisen in die Hauptstadt, wo er in regelmäßigen Zeitabständen im Palast seinen Kotau machte, um sich die Gunst des Premiers und seines allmächtigen Bruders Tator zu erhalten. »Ich erwarte die Kompanie also vor Einbruch der Dunkelheit, General«, schloß Mike die Unterredung. »Die Befehle werden sofort erteilt«, antwortete Dandig mit kaum merklichem brüskem Unterton. Colonel Lawton verließ mit den anderen den Raum. Mike half Luna in den Landrover und startete. Als sie die Straße von der Anhöhe hinunterfuhren, zwinkerte er ihr zu. »Sollen wir nicht noch rasch einen Sprung zu unserem Kahn machen, bevor wir nach Rishram fahren?« »Und ob!« rief Luna freudig. Mike bog zur Mole ab, und einige Minuten später hielten sie am Pier, wo die Promise vor Anker lag. Die Teakholzaufbauten schimmerten in der Sonne, -18-
die Reling aus Mahagoni war auf Hochglanz poliert, der Rumpf und die Aufbauten leuchteten im weißen Anstrich. Die Verwandlung der Promise aus einem unansehnlichen, stumpfgrau getarnten Minenräumboot der amerikanischen Kriegsmarine in eine smarte Luxusjacht hatte zwei Jahre gedauert, ein teures, aber anregendes Vergnügen für Mike. Die zusätzlichen Treibstofftanks verschafften dem Boot einen Aktionsradius von 4000 Meilen bei einer ständigen Geschwindigkeit von zwölf Knoten. Das Schiff war für schweren Seegang und Langstreckenfahrten bei einem Minimum an seemännischer Besatzung und einem Maximum an Komfort geeignet. Fast schien es, als hätte Mike beim Ankauf die Schwierigkeiten und harten Prüfungen geahnt, die ihm bevorstanden. In der entscheidenden Zeit hatte sich die Promise dann bestens bewährt. Batki, der mituyanische Kapitän, ließ das Fallreep herunter. Ober das ganze Gesicht strahlend, legte er die Hand an die weiße Mütze. »Guten Morgen, Skipper!« rief Mike herzlich. Zärtlich strich er über die blitzblanken Beschläge. »Wir wollen uns nur rasch an Bord umsehen, bevor wir nach Rishram weiterfahren.« Er stieg mit Luna auf die Kommandobrücke, überprüfte den Zustand der automatischen Steuereinrichtung und der Funk- und Radargeräte. Einen Moment blieb er stehen und legte nachdenklich die Hand auf das Steuerrad. Dann gingen sie durch die Vorderkajüte in die große Kabine am Heck. Dort stand ein riesiges Doppelbett. Der Raum hatte ein Deckenfenster und große Bullaugen nach Backbord und Steuerbord und eines auch nach achtern, von dem aus man das schäumende Kielwasser beobachten konnte, wenn das Boot auf See war. Luna seufzte auf, sie dachte an die glücklichen Tage der Reise über den Pazifik. Rasch warfen sie noch einen Blick in die beiden anderen -19-
luxuriös ausgestatteten Kabinen unter Deck und in die Koje mittschiffs, die Mike im Stil der Kapitänskajüte einer alten britischen Fregatte eingerichtet hatte. Dann stiegen sie wieder an Deck, nahmen wehmütig von der Promise Abschied und versprachen Kapitän Batki, so bald als möglich wiederzukommen. Nun begann die anstrengende Fahrt von Tiking nach Rishram. Die kurvenreiche Straße wies nur Steigungen und Gefalle auf, und auf jedem Kilometer boten sich Hunderte natürliche Möglichkeiten für einen Überfall. Wenn die Wühlarbeit der Kommunisten in diesem Teil Mituyans zu offenem Aufruhr führte, würde es unmöglich sein, Rishram auf diesem Weg zu versorgen - oder den Kautschuk abzutransportieren. Mike würde das gleiche tun müssen wie die französischen Pflanzer in Vietnam: den Kommunisten Tribut zahlen oder den Besitz aufgeben. Er nahm sich vor, die alte Landepiste auf der Plantage wieder instand zu setzen. Sie brauchten eineinhalb Stunden für die Strecke von 30 Meilen, aber schließlich kamen sie auf die lange, schnurgerade, zu beiden Seiten von Gummibäumen gesäumte Straße. Es waren mehr als 100 000 Stämme, und jeder einzelne Baum bedeutete einen jährlichen Ertrag im Wert von einem Dollar. Nach weiteren zwei Meilen erreichten sie das Ende der Kulturen. Das Haupthaus in Rishram war wesentlich einfacher gehalten als der Bungalow auf der Teeplantage. Aber für Bequemlichkeit war gesorgt. Es gab allerdings kein Telefon, und der mituyanische Aufseher, der Mike und Luna erfreut beim Tor begrüßte, konnte das Funkgerät nicht bedienen, weshalb er auch keine Ahnung gehabt hatte, daß der Herr und die Herrin der Plantage einen Besuch abstatten würden. Nach einem raschen Imbiß machten sich Mike und Bangol auf den Weg, um die bei den kommunistischen Racheakten entstandenen Verwüstungen zu besichtigen. Es war ein häßlicher Anblick. Wenige hundert Meter vom Haus entfernt -20-
waren zwanzig Stämme rücksichtslos mit Buschmessern umgesäbelt worden. Sie fuhren im Landrover eineinhalb Meilen weiter und gingen dann bis zu einer 100 Meter von der Straße entfernten Stelle, wo weitere zwanzig Bäume auf ähnliche Weise gefällt worden waren. Mike und Bangol holten einen Vorarbeiter, der ihnen in einem anderen Teil der Pflanzungen einen völlig zertrampelten Streifen zeigte, wo die zwanzig Bäume lagen, die die Kommunisten in der vorigen Nacht abgehackt hatten. Maßlose Wut packte Mike. Es hatte ihn lange und harte Mühe gekostet, die Kulturen anzulegen. Er liebte jeden einzelnen Baum und hätte jeden Kerl, der sich daran vergriff, bedenkenlos niedergeknallt. »Heute nacht gehe ich mit der Kompanie auf Patrouille«, stieß er hervor. »Ich hoffe nur, daß ich im richtigen Moment an der richtigen Stelle bin.« Bangol zuckte resignierend die Schultern. Es war ein großes Areal, und der Klang eines Buschmessers, das in einen Stamm eindringt, trägt nicht sehr weit. Um 7 Uhr abends, bei Sonnenuntergang, fuhr Colonel Lawton in einem Jeep vor. Am Steuer saß ein amerikanischer Unteroffizier. Mike schüttelte Lawton die Hand. »Ich habe Sergeant Jennessen mitgenommen, falls etwas nicht klappen sollte«, erklärte der Colonel. »Er ist Instruktor der mituyanischen Rangerschuleinheit. Ein erfahrener Dschungelkämpfer«, fügte er mit einem kameradschaftlichen Blick stolz hinzu. »Wir waren lange zusammen im Einsatz in Vietnam.« Jennessen legte die Hand salutierend an sein grünes Barett. Mike ergriff die hornige Pranke. »Ich freue mich immer, einen Soldaten der Special Forces kennenzulernen, Sergeant. Sie können den Jeep hier stehenlassen. Kommen Sie herein.« Eine halbe Stunde später, sie saßen alle auf der Terrasse, hörten sie das Rumpeln von Mannschaftslastern, die mit voll -21-
aufgeblendeten Scheinwerfern auf der Straße herankamen. Lawton und Jennessen waren sofort auf den Beinen. »Man könnte verzweifeln, Sir«, sagte der Sergeant. »Immer wieder schärfe ich den Burschen ein, sie sollen ihre Fahrzeuge mindestens einige Meilen vom Zielpunkt entfernt getarnt abstellen und geräuschlos zu Fuß weitermarschieren - und was tun sie? Brausen daher unter Festbeleuchtung, damit jeder gleich weiß, daß sie kommen!« »Genau wie in Vietnam«, murmelte Lawton. »Ich glaube, es ist überall das gleiche.« Er trat auf die Straße und ging dem ersten Wagen der Kolonne entgegen. Jennessen und Mike folgten ihm. Der Laster hielt, ein mituyanischer Captain stieg aus. Als er den silbernen Wappenadler sah - das Rangabzeichen eines Colonel -, der im Licht der Scheinwerfer auf Lawtons Hemdkragen aufleuchtete, salutierte er betont lässig. Der Amerikaner erwiderte den Gruß. Lawton sprach einige Minuten mit dem Offizier und wies ihn an, seine Leute zur Ruhe zu ermahnen und über das Gebiet der Plantage ausschwärmen zu lassen. Die Soldaten kletterten aus den Lastwagen, der Kompaniekommandeur erteilte in strengem Ton seine Befehle. Lawton, Jennessen und Mike kehrten auf die Terrasse zurück. Nun war es völlig dunkel. Luna rief zu Tisch. »Das wird eine lange Nacht werden«, sagte der Colonel, als sie gegessen hatten. »Ich werde ein paar Stunden schlafen. Machen Sie's auch so, Jennessen. Um Mitternacht gehen wir auf Spähtrupp.« »Ich gehe mit, Colonel.« Mike starrte verbissen vor sich hin. »Ich möchte mir die Kerle ansehen, die meine Bäume abschlachten!« Um 23.30 Uhr verließen die drei Männer das Haus. Auf dem Weg durch die kühle Nacht hörten sie da und dort in der Finsternis die Stimmen der Soldaten, die sorglos miteinander schwatzten. Plötzlich sahen sie eine halbe Meile vor sich auf der -22-
Straße, die die Kulturen teilte, ein Lagerfeuer. Sie gingen darauf zu und wurden nicht einmal angerufen. Neben dem Feuer, die Zigarette im Mund und ein Stück Fleisch auf einem Holzspieß bratend, saß der mituyanische Offizier. Als sich die Amerikaner bis auf wenige Schritte genähert hatten, hörten sie Musik. Der Kompaniekommandeur hatte ein Transistorradio neben sich auf dem Boden stehen. »Captain!« fuhr ihn Lawton an. »Nennen Sie das feldmäßige Disziplin? Treten Sie sofort das Feuer aus, schalten Sie das Radio ab und los, hinaus zur Schützenkette. Und sorgen Sie dafür, daß Ihre Leute nicht rauchen!« Der Mituyaner stand ganz langsam auf, als hätte er keine Eile. »Danke für den Rat, Colonel. Doch Sie kennen dieses Land nicht so gut wie ich. Es ist besser, wenn alle Terroristen wissen, daß wir hier sind. Dann wird sich keiner heranwagen.« »Aber wir wollen doch die Banditen fangen, die die Bäume fällen!« »Wenn sie kommen, werden wir sie fangen.« Der herausfordernde, hochmütige Ton des Captain war nicht zu überhören. »Entweder Sie löschen das Feuer, bevor es zu spät ist, und verbieten Ihren Leuten zu rauchen und zu quatschen, oder ich melde General Dandig, daß Sie völlig unfähig sind!« »Minister Branot ist der beste Freund meines Vaters. Er weiß, daß ich ein fähiger Offizier bin.« Branot war Innenminister, die Armee unterstand ihm persönlich, seine Nichte Dhana war Karit-Kis junge zweite Frau. Demnach war dieser überhebliche Laffe mit den Sternen auf den Schulterklappen nach mituyanischen Begriffen tatsächlich ein guter Soldat, dachte Mike mit grimmiger Ironie. »Wie heißen Sie, Captain?« fragte Lawton scharf. »Nuram«, antwortete der junge Mann. »Captain Nuram, AKompanie, 3. Bataillon, 1. Infanterieregiment, 2. -23-
Infanteriedivision.« »Nun, Captain Nuram, ich rate Ihnen dringend, diesen Sauhaufen, den Sie A-Kompanie nennen, straffer zu führen, und zwar schleunigst!« Der Colonel trat zum Feuer und stampfte es mit den dicken Sohlen seiner Fallschirmspringerschuhe aus. Sergeant Jennessen hob das Radio auf, schaltete es ab und übergab es dem verdrossen dreinblickenden Offizier. Einige Zeit später sah Mike auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr. Es war 2.30 Uhr. In diesem Moment erschütterte eine laute, peitschende Detonation die Luft. Aufschießende weiße Stichflammen erhellten die Dunkelheit. Sofort rannten Lawton und Jennessen zu der Stelle der Sprengung, Mike war ihnen auf den Fersen. Im Laufen riß der Sergeant den automatischen Karabiner von der Schulter, der Colonel zog die Pistole. Fluchend hastete ihnen Mike nach, er hatte keine Waffe bei sich. Sie hörten das trockene Bersten und Krachen stürzender Stämme. Gleich darauf stießen sie auf eine dicht zusammengedrängte Gruppe durcheinanderschnatternder Soldaten. Sie standen auf einer Lichtung, wo vorher keine gewesen war. Lawton und Jennessen leuchteten mit Taschenlampen das Zerstörungswerk ab. Glatte, weiße Baumstrünke schimmerten ihnen entgegen. Daneben lagen die Stämme, als hätte man sie durchgesägt und methodisch geordnet. »Sprengschnüre, Sir«, stellte der Sergeant nach kurzer Untersuchung sachlich fest. »Das haben keine gewöhnlichen Banditen gemacht.« »Sprengschnüre sind hochexplosive Kampfmittel«, erklärte Lawton. »Man kann damit Verschiedenes anfangen - auch Bäume wegrasieren.« »Jetzt sind es genau achtzig Stück, die ich verloren habe!« schrie Mike ganz außer sich. »Es muß doch eine Möglichkeit -24-
geben, diese Schweine zu fassen!« »Sie haben ja gesehen, wie gut man sich auf die mituyanischen Truppen verlassen kann«, antwortete der Colonel. »10 000 Amerikaner bemühen sich, der mituyanischen Armee beizubringen, wie sie ihr Land verteidigen kann«, fuhr er erbittert fort. »Aber fast jeder Offizier hat Verwandte oder zumindest gute Freunde im Palast! Das bedeutet, daß die Kerle nicht die harte soldatische Ausbildung durchzumachen brauchen, bevor ihnen die Sterne angeheftet werden. Und nachher sind sie große Herren, die keine Strapazen auf sich nehmen wollen. Scheiße!« Angewidert starrte er ins Dunkel. »Weiß Gott, da war es ja in Vietnam unter Präsident Diem noch besser«, murmelte er. Regungslos in dumpfes Brüten versunken, die geballten Fäuste in den Hosentaschen, hatte Mike keinen Blick von den vernichteten Bäumen gewandt. Das war nicht nur ein materieller Schaden, den man ihm persönlich zufügte, das war Mord, gemeiner Mord an lebendigen Wesen! Herrgott, wenn er nur einem dieser Guerillas an die Gurgel fahren könnte, mit bloßen Händen! Schließlich drehte er sich um, mit einer Bewegung, als wollte er eine schwere Last abschütteln. »Gehen wir, jetzt hilft nur ein kräftiger Schluck.« Die Worte drangen undeutlich zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wir können kaum etwas anderes tun«, pflichtete ihm Lawton bei. Zu Jennessen sagte er: »Suchen Sie Nuram und überreden Sie ihn, das Gelände zu durchkämmen, um die Mitkoms zu fangen. Wenn er seine Leute auf den Gegner angesetzt hat, soll er ins Haupthaus kommen. Ich möchte mit ihm sprechen.« »Jawohl, Sir«, sagte der Sergeant, die Hand am Barett. Vergeblich rief er den etwa dreißig Soldaten, die zwischen den gefällten Bäumen herumstanden, zu, sie sollten mit schußbereiten Waffen in die Finsternis vordringen und Feindberührung aufnehmen. Ein Lieutenant zuckte nur hilflos -25-
die Schultern und erklärte, er müsse Captain Nurams weitere Befehle abwarten. Als Mike und Lawton ins Haupthaus zurückgekehrt waren, gossen sie ihre Gläser voll und horchten auf das Sende- und Empfangsgerät, das auf die Wellenlänge des Polizei- und Armeefunkverkehrs eingestellt war. Doch der Apparat gab nur krachende und prasselnde Geräusche von sich. »Werden Sie den Vorfall nicht sofort der Polizei melden?« fragte der Colonel mit einem Blick auf den kleinen olivfarbenen Kasten. »Diese Brüder können im Moment gar nichts machen. Übrigens sind sie nicht viel besser als das Militär. Wir haben hier zwar einen amerikanischen Experten, der die Polizisten ausbilden soll, aber ich glaube, in Wirklichkeit läuft die Geschichte andersrum. Er wird verdorben und korrumpiert, ohne daß er es merkt. Als ich ihn das letztemal sah, trank er mit dem lokalen Polizeichef grünen Tee, während draußen Bauern mit Beschwerden oder Meldungen Schlange standen.« Lawton sann nach. Schließlich fragte er: »Und wer steckt Ihrer Meinung nach hinter dieser Schweinerei?« Dabei wies er mit dem Kopf vielsagend in die Nacht hinaus. »Aufrührerische Mituyaner, die in Nordvietnam, Peking und seit neuestem auch in unseren sogenannten ›neutralen‹ Nachbarländern Bardans und Yanna geschult worden sind.« »Wissen Sie schon, was Sie unternehmen werden, Forrester?« »Klar. Das gleiche wie die Franzosen in Vietnam. Verhandeln und möglichst günstige Bedingungen erreichen.« »Mit anderen Worten, Sie werden den Aufständischen finanziell helfen?« »Entweder das, oder es geht mir an den Kragen. Ich habe hier viel zu verlieren, Colonel. Das wissen die Mitkoms. Und nun ist es zu spät, um die ganze Sache zu verkaufen. Kein Mensch wird -26-
eine Gummiplantage auch nur zum halben Preis ihres tatsächlichen Wertes kaufen, wenn er sich dabei auf ein Pulverfaß setzt. Die Banken, die mir Kredite gewährt haben, werden mir wegen kommunistischer Unruhen die fälligen Zahlungen nicht erlassen.« Das Gespräch wurde unterbrochen, als Jennessen mit Nuram eintrat. Mike deutete auf zwei Stühle, der Sergeant und der mituyanische Offizier setzten sich. »Captain - welche Aufgaben haben die mituyanischen Truppen hier im Grenzbereich?« fragte der Colonel. »Wir haben die Aufgabe, die Befehle aus dem Palast zu befolgen«, erwiderte Nuram gleichmütig. Welche Antwort hatte Lawton denn von ihm erwartet, dachte Mike. Wie die meisten südostasiatischen Offiziere war dieser Mann nur darauf bedacht, so gut wie möglich zu leben und jede Gelegenheit wahrzunehmen, sich durch krumme Touren und Bestechung zu bereichern. Das war eine traditionelle Gepflogenheit in allen fernöstlichen Armeen, und keine Modernisierung würde daran je etwas ändern. Einzig die Japaner unterschieden sich durch ihre strenge soldatische Moral von ihren Rassengenossen in den übrigen Ländern. Plötzlich drangen aus dem Funkgerät laute mituyanische Worte, sie klangen wie Alarmrufe. Gespannt hörte Mike zu, sein entsetzter Blick glitt zu Nuram. Auch den Captain schienen die rasch aufeinanderfolgenden Meldungen aus seiner Bonzenruhe zu rütteln. »Colonel, das ist der Funker der Distriktsstation, zehn Meilen westlich von hier... Er sagt, der Polizeiposten wird von Banditen angegriffen und fordert Hilfe an«, rief Mike. Lawton war schon aufgesprungen. »Los, sprechen Sie, Nuram! Sagen Sie ihnen, sie sollen sich halten! Nuram, Sie haben eine Kompanie, damit können Sie den Posten entsetzen. Reden Sie schon, Mensch!« Widerstrebend ging der Captain zum Funkgerät und ergriff das -27-
Mikrophon. Einige Minuten lang wechselten Frage und Antwort. »Die Station ist von etwa fünfzig Guerillas umzingelt«, übersetzte Mike für Lawton. »... die Banditen fordern die Polizisten und Soldaten auf, alle Waffen auszuliefern und das Waffenlager zu öffnen... dafür garantieren ihnen die Mitkoms, daß sie nicht umgebracht werden, wenn sie sich ergeben... Nuram sagt ihnen, sie sollen hartnäckig Widerstand leisten und nicht kapitulieren... Aber es sind nur zehn Verteidiger«, fügte er tonlos hinzu. »Captain, sagen Sie den Leuten, sie sollen sofort losfahren!« befahl Lawton barsch. Nuram sah den Colonel aus den Augenwinkeln an und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich werde meine Kompanie nicht in einem Hinterhalt opfern, Sir. Sie sollten diesen alten Trick kennen. Die Banditen überfallen einen kleinen Vorposten, um eine größere Entsatzeinheit in einen Hinterhalt zu locken. Es ist besser, zehn Mann müssen dran glauben oder werden verschleppt und die Mitkoms erbeuten geringe Mengen von Waffen und Munition, als daß meine Kompanie aufgerieben wird.« »Sie haben genügend Leute zur Seitensicherung, um Hinterhalte aufzuspüren«, fuhr ihn Lawton an. Luna, die eingetreten war, hörte dem Funkgespräch aufmerksam zu. Plötzlich setzte das Gerät aus. Atemlos schwiegen alle. Nur das Rauschen und Knistern der atmosphärischen Störungen erfüllte überlaut den Raum. »Captain, Sie müssen die Eingeschlossenen retten!« rief Luna empört. »Die Familien der Polizisten leben in diesem Distrikt. Wie sollen sie noch Vertrauen zur Regierung und zur Armee haben, wenn sich der Kommandeur einer Kompanie weigert, ihren Männern und Vätern zu helfen?« In Nurams schmalen Augen blitzte es auf. »Ich kann nicht die Verantwortung übernehmen, ohne Befehl einzugreifen. Und -28-
mein Befehl besagt, daß ich bis zum Morgen auf der Plantage kampieren soll!« »Warum, zum Teufel, peilen Sie nicht sofort das Hauptquartier in Tiking an und melden, was vorgeht?« fragte Lawton, der sich nur mühsam beherrschte. »Ich werde meinen Funker suchen und Verbindung mit Tiking aufnehmen.« »Hier - mein Gerät.« Mike packte den Mituyaner beim Arm. Nuram wehrte ab. »Sie haben nicht die Wellenlänge des Hauptquartiers.« »Ich habe die Wellenlänge für Notrufe. Irgend jemand wird die Meldung empfangen, verdammt noch mal!« »Für die Funkverbindung mit General Dandig darf ich nur die Wellenlänge des Korpshauptquartiers benützen. Das ist ein Befehl.« Langsam drehte sich Nuram um und ging auf die Tür zu. »Ich werde versuchen, General Dandig zu erreichen«, murmelte er über die Schulter, ehe er im Dunkel verschwand. Die anderen sahen einander ratlos an. Lawton hieb mit der Faust auf die Stuhllehne, daß es krachte. »Feiges Aas, verfluchter Schweinehund! Und das sind unsere Verbündeten! Ha!« »Was geschieht mit den Eingeschlossenen?« fragte Luna beklommen. »Wenn sich die alte Taktik wiederholt, werden sie sich ergeben«, antwortete Mike. »Dann werden die Guerillas den Distriktschef abschlachten, denn er repräsentiert die Zentralregierung. Sie werden alle Waffen und Munitionsbestände kassieren und die anderen Polizisten und Soldaten auffordern, sich auf ihre Seite zu schlagen oder...« Er vollendete den Satz nicht, jeder wußte Bescheid. »Und wir können nicht helfen?« rief Luna entsetzt. -29-
Mike legte ihr den Arm um die Schultern und führte sie mit sanfter Gewalt aus dem Raum. »Schlaf jetzt, Liebling, Ich komme bald nach. Wir können gar nichts tun. Sollen Lawton, Jennessen und ich versuchen, allein den Vorposten freizukämpfen?« »Nein, Mike, alles, nur das nicht!... So habe ich es nicht gemeint... Bitte, versprich mir... komm so bald wie möglich!« Er sah ihr nach, als sie die Treppe hinaufging. Nicht einmal die schwerste Erschütterung kann diesen Geschöpfen des Ostens ihre Anmut rauben, dachte er, als er ihren Bewegungen mit den Blicken folgte. Dann trat er wieder in sein Arbeitszimmer. Der Sergeant war fort, aber Lawton hockte vorgebeugt da und schlürfte mit düsterer Miene den Rest des Whiskys. Mike goß im Stehen den ganzen Inhalt seines Glases hinunter, schenkte beide Gläser neuerlich voll und ließ sich müde in seinen Stuhl fallen. »Ich glaube, jetzt wird es ernst«, sagte er verbissen. »Zuerst Vietnam, nun Mituyan: ein ›nationaler Befreiungskrieg‹ nach dem anderen. Blut, Grausamkeit, Elend. Und kein Ende abzusehen!« Der Colonel blickte interessiert auf. »Ist das Ihre Überzeugung?« »Was denn sonst?« »Wären Sie bereit, mitzuhelfen, um zu verhindern, daß hier ein Krieg ausbricht und das gleiche passiert wie in Vietnam?« »Was wollen Sie damit sagen?« fragte Mike mißtrauisch. Lawton zog ein Päckchen Zigaretten aus der Brusttasche seines Uniformhemdes. »Was ich damit sagen will? Daß gerade Sie, Forrester, in der Lage wären, sehr viel zu unternehmen...«
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2 Mike überlegte rasch, ob er sich nun eine Blöße gegeben hatte. Bisher war er den amerikanischen Dienststellen in Mituyan grundsätzlich soweit wie möglich ausgewichen. Er schüttelte den Kopf, als der Colonel ihm eine Zigarette anbot, und wartete schweigend ab. Lawton nahm ein silbernes, mit Tempeltänzerinnen verziertes Feuerzeug heraus und zündete sich umständlich die Zigarette an. Er hatte keine Eile. Nach einem tiefen Lungenzug fragte er beiläufig: »Haben Sie je von unserer ›Abteilung für Entwicklungsprojekte‹ gehört?« Mike grinste. »Natürlich. ›Abteilung für Entwicklungsprojekte‹ - klingt gut, was? Zufällig weiß ich auch, daß das eine Gruppe des Geheimdienstes ist. Und Sie, Colonel? Sind Sie so eine Art James Bond?« Lawton verneinte. »Diese Abteilung führt nicht nur geheime Aufklärung durch. Ich zum Beispiel arbeite an bestimmten Spezialprojekten. Und ich glaube, Sie könnten uns dabei sehr wertvolle Hilfe leisten.« »Wie denn?« »Forrester, Sie wissen besser als jeder andere Amerikaner in Mituyan, was im Land wirklich los ist. An den neuralgischen Punkten, meine ich. Mit regelmäßigen Berichten könnten Sie uns bei unserer Arbeit wesentlich unterstützen.« »Wenn Sie nur Informationen brauchen, die können Sie gern haben, Colonel.« »Man hat auch daran gedacht, daß Sie vielleicht aktiv mitmachen«, sagte Lawton vorsichtig. »Mit anderen Worten, ich soll einen inoffiziellen Agenten des amerikanischen Geheimdienstes abgeben?« Lawton lächelte. »Man könnte es so bezeichnen. Der jetzige -31-
Leiter der ›Abteilung für Entwicklungsprojekte‹ in Mituyan ist ein guter alter Bekannter von Ihnen. Er ist sich im klaren, daß hier alles noch besser klappen muß. Wir bekommen nicht genug Informationen und haben vorläufig zuwenige verläßliche Agenten.« Mike nickte. »Ich bin mit Jack Cardinez schon da und dort zusammengetroffen. Sagen Sie ihm, er kann jederzeit alles erfahren, was ich weiß, aber ein Agent möchte ich nicht werden.« Der Colonel ignorierte diese Erklärung. »Forrester, Sie haben nach außen hin die denkbar beste Deckung. Kein anderer Amerikaner könnte wie Sie kreuz und quer im Land herumfahren, ohne sich verdächtig zu machen.« Mike blieb stumm, aber Lawton sprach weiter: »Soviel ich weiß, hat sich sogar schon das Country Team mit dieser Frage beschäftigt. Sie kennen doch die Bezeichnung?« »Kann man wohl sagen«, erwiderte Mike verdrossen. »Country Team - das sind fünf Männer, die in Tuyan am Hebel unserer Aktionen sitzen, isoliert in Büros mit Klimaanlage.« Er griff nach seinem Glas, trank einen großen Schluck und stellte es wieder nieder. »Zählen wir sie einmal auf: Da ist zunächst mein alter Freund, der Botschafter Whittelsie, der einfach die Augen vor allem verschließt und glaubt, damit seien die Probleme gelöst. Dann Cardinez oder wer sonst die Gruppe des Geheimdienstes leitet. Und dann General Macker, der den Sieg schon in der Tasche hat und zumindest als Statistiker unschlagbar ist. Ihm untersteht die Militärhilfe. Ich weiß nicht, wer der neue Propagandachef ist, der frisch vom Informationsdienst aus Washington gekommen ist - und der fünfte ist dieser Gewerkschaftsboß, der niemals Tuyan verläßt, aber darüber zu entscheiden hat, wie einlangende Güter im Wert von einer halben Million Dollar pro Tag draußen verteilt und verwendet werden sollen.« Mike zog eine Zigarre aus der Dose, die neben ihm stand, biß grimmig das Ende ab und spuckte es -32-
auf den Boden. »Ja, ich kenne das Country Team, Colonel.« Er entzündete die Zigarre und qualmte große Wolken vor sich hin. Lawton schwieg, er schien zu überlegen. Schließlich sagte er: »Wir stehen in Mituyan vor vielen - zu vielen - Problemen. Aber wir müssen versuchen, sie zu lösen. Und darum brauchen wir Ihre aktive Mitarbeit, Forrester.« Mike verbarg sein Unbehagen hinter einer aggressiven Frage: »Lawton, aus welchem Grund sind Sie wirklich hierher nach Rishram gekommen? Sie wollten doch mituyanische Truppen im Einsatz beobachten, oder?« Lächelnd schüttelte Lawton den Kopf. »Nein. Ich habe gehofft, daß ich mit Ihnen sprechen kann. Und Sie haben mir Gelegenheit dazu gegeben.« Der Colonel hielt kurz inne, ehe er fortfuhr: »Forrester, gerade Ihnen müßten die kommunistischen Umtriebe äußerst ungelegen kommen.« »Was wollen Sie damit sagen?« Lawton faßte ihn scharf ins Auge, bevor er antwortete. »Nach meinen Informationen haben Sie bereits zweimal schweren materiellen Schaden erlitten, als die Kommunisten in Ländern zur Macht kamen, in denen Sie, Forrester, beträchtliche Summen investiert hatten. 1953 war es Guatemala und 1960 Kuba.« Mikes Miene verriet, daß ihn der Colonel an seiner empfindlichsten Stelle getroffen hatte. Als er nicht gleich antwortete, bohrte Lawton weiter. Er sprach in einem Ton, als lese er aus einem Dossier vor. »Eis gegen Ende des Jahres 1960 waren Sie ein geachteter Geschäftsmann von Internationalem Format. Sie hatten alles - eine schöne Frau aus den besten Gesellschaftskreisen, die besten finanziellen Verbindungen. Und dann begannen die Kommunisten Sie zu hetzen. Sie mußten nicht nur Kuba verlassen, sondern auch Ihr Heimatland, die USA.« In Guatemala war der Großteil seines persönlichen Vermögens -33-
vom Regime des Kommunisten Arbenz über Nacht enteignet worden. Adriana, Mikes Frau, ein extravagantes, verwöhntes Luxusgeschöpf, hatte ihn vor Freunden bloßgestellt, weil er ihr aus eigenem den aufwendigen Lebensstandard nicht mehr zu bieten vermochte. Ständig ließ sie ihn fühlen, daß es ihre Familie war, die die hohen Hypothekenschulden für das Haus bezahlte und das Personal entlohnte, damit Mike nach außen weiterhin als erfolgreicher internationaler Finanzier auftreten konnte. Nach mehr als sechs Jahren hatte er sich schließlich durch überseeische Transaktionen wieder saniert, doch 1960 trafen ihn neuerlich schwere Verluste, als Fidel Castro sein in Kuba gebundenes Kapital für verfallen erklärte. »Ich kann es nicht leugnen«, sagte er. »Ich mußte fort. Damals haben wir alle geglaubt - und die amerikanische Regierung war sogar davon überzeugt! -, daß unter Castro normale Wirtschaftsbeziehungen bestehen bleiben würden. Sicherlich, ich mußte zusehen, wie ich mich am besten aus der Affäre zog. Als Castro die Zuckerplantagen und die Industriewerke, an denen ich beteiligt war, verstaatlichte, haben mir da die New Yorker Banken eine Chance gegeben? Nein! Sie kündigten die Kredite! Plötzlich war Besitz in Kuba keine ausreichende Sicherstellung mehr! Nur durch einen glücklichen Zufall erfuhr ich, daß sie alles, was ich besaß, pfänden lassen wollten. Wie hätten Sie, Colonel, wie hätte ein anderer gehandelt? Was war besser: In New York bankrott zu machen oder alles zusammenzuscharren, was noch greifbar war, und irgendwo neu anzufangen?« »So sind Sie darauf verfallen, es in Mituyan zu versuchen«, sagte Lawton. »Sie hatten eine gute Nase, damals war dieses Gebiet weit vom Schuß. 1960 wußten überhaupt nur Völkerkundler, Geographen und einige Beamte des Außenamtes, daß es Mituyan gibt.« Mike dachte an jenen Vortrag über Auslandsinvestitionen zurück, den er in der Internationalen Studentenliga der -34-
Columbia-Universität in New York gehalten hatte. Das war im Jahre 1959 gewesen; finanziell stand er damals gesichert da. Nach dem Vortrag kam die junge Eurasierin aus einem Land, von dem er kaum je gehört hatte, zum Pult, um einige Fragen zu stellen. Sofort war Mike von Luna Hargraves Anmut, ihrer exotischen Schönheit und ihrem ruhigen, ernsten Wesen bezaubert. Es war ein Spätnachmittag, und er lud sie zum Abendessen ein. Von da an waren sie oft zusammen. Adrianas Züge waren hart geworden, so hart wie ihr Charakter. Sie kannte nur einen Lebenszweck: mit vollen Händen Geld auszugeben und von einer Party zur anderen zu eilen. Sie und die beiden Töchter bildeten eine geschlossene Front gegen Mike, kein Wunder also, daß ihn Lunas sanfter Liebreiz und ihre Freude an kleinen Dingen immer wieder entzückten. Als sie zu Beginn des Jahres 1960 zwei Wochen Universitätsferien hatte, lud Mike sie ein, mit ihm nach Miami zu fliegen und auf der Promise eine Kreuzfahrt nach Havanna zu machen. Luna nahm ohne Zögern an. »Es wundert mich, daß Sie Ihre Anteile auf Kuba nicht retteten. Haben Sie nicht rechtzeitig erkannt, daß Castro Kommunist ist?« unterbrach Lawton Mikes Erinnerungen. Ja, heute fragte sich Mike selbst, ob er in seinem neuen Liebesglück mit der schönen Reisegefährtin so blind gewesen war, daß er die Machtergreifung Fidel Castros nicht in ihrer ganzen Tragweite erfaßt hatte. Das neue Regime zeigte sich am Fremdenverkehr und an amerikanischen Investitionen sehr interessiert. Castro persönlich gab verschwenderische Parties für die Vertreter amerikanischer Reisebüros, die gerade einen Kongreß in Havanna abhielten, die Landwirtschaft und die Zigarrenfabriken schienen auf Hochtouren zu laufen. Und dennoch, Mike hatte sich seither oft Vorwürfe gemacht. Hätte er sich die Zeit genommen, etwas tieferen Einblick in die Lage zu gewinnen, und berufliche Unterredungen geführt, statt in Havanna eine traumhafte Woche mit Luna zu verbringen, -35-
dann hätte er die Warnzeichen erkannt, und vielleicht wäre es ihm gelungen, sich ohne finanziellen Schaden ganz aus Kuba zurückzuziehen. Zumindest wäre er besser auf den Ansturm der Gläubiger und der Banken vorbereitet gewesen, die sich auf ihn stürzten, als während Castros Besuch in den USA im Herbst 1960 plötzlich offenkundig wurde, daß der bärtige Diktator in einen kommunistischen, antiamerikanischen, der freien Wirtschaft feindlichen Kurs einschwenkte. Es kam der Tag, an dem Mike aufgefordert wurde, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Luna fand die Lösung, auf die er gehofft hatte. »Nehmen wir das Schiff und das Geld, das dir verblieben ist, und fahren wir nach Mituyan.« Diese Seereise nach Südostasien, die ein volles Jahr dauerte, wurde die schönste und reichste Zeit seines Lebens. Da Besatzungen schwer anzuheuern waren, legten Luna und Mike allein mit dem getreuen Skipper, der in Mikes Dienst stand, seit das alte Minenräumboot umgebaut worden war, mit der Promise die ungeheure Strecke zurück. Nun bewährten sich die Verbesserungen, die Mike an dem Schiff hatte vornehmen lassen - die zusätzlichen Treibstoffbehälter, die neue automatische Steuereinrichtung, die auch bei schwerem Seegang funktionierte, und das hochwertige, präzise Funkgerät. All dies hatten sie oft und oft gebraucht, bis sie endlich auf dem Tuyanfluß nach Tuyan fuhren. Zu diesem Zeitpunkt hatte Luna ihrem Geliebten bereits die Grundbegriffe der mituyanischen Sprache beigebracht, die er in den folgenden Jahren so gründlich erlernte, daß er sie fließend beherrschte. Wieder riß ihn Lawtons Stimme aus seinen Gedanken. »Nun, wie steht's? Werden Sie mitmachen, Forrester?« Als Mike keine Antwort gab, versuchte der Colonel es mit Sarkasmus: »Was werden Sie anfangen, wenn die Kommunisten hier ans Ruder kommen? Werden Sie auch diese Frau sitzenlassen? Werden Sie flugs nach einem anderen unterentwickelten Land abdampfen?« -36-
»Ich habe Adriana nicht sitzengelassen.« Mike unterdrückte eine Aufwallung von Zorn. »Das war schon keine Ehe mehr, lange bevor ich Amerika verließ. Was steht in Ihrem Dossier über die finanzielle Lage meiner Frau und meiner Töchter?« »Oh, ich weiß alles über die unter Treuhandschaft stehenden Gelder. Sie haben das sehr gut geschaukelt. Natürlich bleibt noch eine Kleinigkeit unerledigt: Bigamie. In den USA sind Sie ein Bigamist, ganz gleich, welchen Anstrich von Legalität Ihre Freunde im Palast damals der neuen Verbindung gaben.« »Das ist nicht wahr!« Mike fühlte, daß er die Beherrschung verlor. »Adriana ist von mir geschieden und wieder verheiratet!« »Stimmt«, fuhr Lawton ungerührt fort. »Allerdings waren Sie mit Ihrer jetzigen Frau in Mituyan bereits über ein Jahr verheiratet, als die Scheidung ausgesprochen wurde. Aber...«, sein Blick wanderte zu der Zigarette, die er zwischen den Fingern hielt, »das ›dankbare Vaterland‹ wird vielleicht milde darüber hinwegsehen.« Der Colonel stand plötzlich auf. »Sogar bei schweren Fällen wie - na, nennen wir es überstürzte Abreise unter Mitnahme von Geldbeträgen, auf die die Gläubiger Anspruch hatten... Das Schiff, auf dem Sie hierher gondelten, fiel übrigens auch unter eine persönliche Bürgschaft, die Sie, wie Sie genau wußten, nicht erfüllen konnten...« »Ich habe schließlich alle meine Schulden in den USA in voller Höhe abgezahlt, noch dazu mit mörderischen Zinsen!« unterbrach ihn Mike hitzig. »Ja. ja. Aber Ihr Fall wird drüben noch immer in den Kriminalakten geführt. Doch wie ich schon sagte...« Lawtons Stimme wurde leise, »das dankbare Vaterland...« »Sie wenden also eine Art staatlich sanktionierter Erpressung an, um Agenten anzuwerben?« »Die meisten Amerikaner, die für uns arbeiten, tun es aus Patriotismus«, erwiderte Lawton ruhig. Viele Gegenargumente gingen Mike durch den Kopf. Und was -37-
hat mein Land für mich getan? Es bestärkte mich darin, Kapital in unterentwickelten Ländern zu investieren, was mich fast zugründe richtete. Und dann mobilisierte es den legalen Apparat mit seinen »Rechtsstandpunkten« gegen mich! - Aber er sagte diplomatisch: »Wir können noch darüber sprechen. Ich muß auch mit Luna reden. Es ist schon spät. Sie werden sowieso hierbleiben müssen, Colonel. Diese sogenannten Banditen liegen wahrscheinlich an den Straßen im Hinterhalt.« »Schönen Dank für die Gastfreundschaft, Forrester. Übrigens verstehe ich Ihre Haltung sehr gut. Ich habe hier nur einen Auftrag erfüllt. Aber ich weiß, daß Sie schwere Zeiten durchmachen mußten. Wir alle bewundern, was Sie hier geschaffen haben.« Mike murmelte etwas, das wie eine höfliche Entgegnung klang. Dann sagte er unvermittelt, als fiele ihm dieser letzte Einwand im Moment ein: »Außerdem bin ich gar nicht befähigt, in einer solchen Gruppe von Supermännern mitzuarbeiten. Mir fehlt die entsprechende Ausbildung dazu.« Lawton lächelte. »Lassen Sie mich einmal sehen: Infanterieoffizier im Kampfeinsatz in Italien, nach der Invasion quer durch Frankreich an den Rhein. Ardennenoffensive - ich nehme an, Sie haben sich Ihre Tapferkeitsauszeichnungen und die Verwundetenmedaille redlich verdient! Sie sprechen Mituyanisch wie ein Eingeborener.« Der Colonel nickte. »Also, ich würde sagen, Sie sind nicht bloß dafür geeignet, sondern Sie sind wahrscheinlich überhaupt der geeignetste Mann im ganzen Land.« Lawton sah den gequälten Ausdruck in Mikes Gesicht. »Hören Sie, Forrester, wenn wir Sie nicht dringend brauchen würden, wäre ich nicht hier. Das wissen Sie. Die Mituyaner haben Vertrauen zu Ihnen und werden Ihnen Informationen liefern, die für uns wichtig sind. Die Leute wissen, daß Sie das Beste für die arbeitende Bevölkerung wollen. Sie zahlen gute Löhne, und zum erstenmal in der Geschichte dieses Landes kümmert sich jemand -38-
um diese rechtlosen armen Teufel und gibt ihnen das Gefühl der Sicherheit. Forrester, Sie sind der erste große Plantagenbesitzer, der für seine Arbeiter Spitäler gebaut hat und aus eigener Tasche erhält. Sie haben das Schulwesen reformiert, so daß alle Familien in Ihrem Distrikt die Kinder unterrichten lassen können. Kein Pflanzer vor Ihnen hat sich mit solchen sozialen Fragen beschäftigt, geschweige denn, etwas getan.« Ohne zu antworten, starrte Mike in sein leeres Glas. Nach einigen Sekunden sagte der Colonel: »Sie wissen, wie man die Bevölkerung für sich gewinnt. Und das ist die schwierigste Aufgabe, die wir vor uns haben.« »Ich muß wirklich sehr beliebt sein, wenn meine Leute es zulassen, daß ich pro Nacht zwanzig Bäume verliere«, erwiderte Mike grimmig. »Das ist einzig und allein das Werk der kommunistischen Guerillas, und keiner weiß das besser als Sie, Forrester. Aber mit Ihrer Hilfe können wir die Kerle lahmlegen.« Lawton merkte, daß er fürs erste genug erreicht hatte. Er stand auf. »Jetzt werde ich nachsehen, was Captain Nuram macht. Morgen früh können wir dann weiterreden.« Er verschwand. Mike trat zu dem kleinen Tischchen und goß sich noch einen Whisky ein. »Mike, gehst du nicht schlafen?« Er wandte sich um, das Glas in der Hand. Luna war die Treppe heruntergekommen und stand in der Tür. »Doch. Ich habe nur nachgedacht.« »Was soll nun geschehen, Mike?« »Ich fürchte, für die Besatzung der Polizeistation kommt jede Hilfe zu spät.« Er seufzte. »Es sieht ganz so aus, als hätten wir nun in Mituyan die zweite Phase des sogenannten ›nationalen Befreiungskampf‹ zu gewärtigen.« Luna schüttelte den Kopf. »Ich habe nie geglaubt, daß es hier -39-
soweit kommen würde.« »Das glauben die Menschen in jedem Land, bis es plötzlich losgeht. Premier KaritKi hat freundschaftlich an uns gehandelt, aber er macht schwere Fehler und lebt mit seiner jungen Frau und all diesen Hof Intrigen in einer Traumwelt.« »KaritKi ist achtundfünfzig. Wie alt ist Dhana?« »Fünfundzwanzig.« Mikes Stimme wurde schärfer. »Einer jungen Frau muß sich ein älterer Mann besonders widmen - aber das ist keine Entschuldigung dafür, daß ein Staatsoberhaupt nicht merkt oder nicht wahrhaben will, daß es im ganzen Lande gärt. Wir leben auf einem Vulkan. Wenn wir die Insurrektion nicht im Keim ersticken, wird es hier bald zum offenen Krieg kommen, genau wie in Vietnam.« »Und unsere Gummibäume? Auf die Soldaten können wir uns nicht verlassen.« Mike nickte mit zusammengebissenen Zähnen. »Wir haben hier zu viel investiert, als daß wir alles im Stich lassen könnten. Nun stellt sich heraus, daß uns der alte Engländer nicht aus reinem Edelmut den Besitz zu so günstigen Bedingungen verkauft hat.« Luna warf ihm einen Blick zu, sagte aber nichts. »Die Franzosen mußten sich in Vietnam mit dem gleichen Problem herumschlagen, bis sie vor einigen Jahren doch zum Abzug gezwungen wurden. Wenn es mir auch gegen den Strich geht, so werde ich wahrscheinlich doch die Taktik der Franzosen anwenden müssen. Ich werde mit den Kommunisten verhandeln, und dann werden wir versuchen, aus dieser Plantage soviel wie möglich herauszupressen. Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als mit den Bäumen Raubbau zu treiben und dann das Ganze« - er machte eine müde Handbewegung - »nach Möglichkeit so günstig wie möglich zu verkaufen - wenn wir überhaupt noch einen Interessenten finden.« »O Mike!« Lima war den Tränen nahe. Sie hing mit ganzem -40-
Herzen an dieser Welt, die sie sich gemeinsam geschaffen hatten. »Bei KaritKis Politik haben wir keine andere Wahl. Du hast gesehen, wie sich seine Truppen den ›Schutz der Bevölkerung‹ vorstellen. Die Sozialreformen, die das mituyanische Volk davon abhalten könnten, mit der Mituyanischen Freiheitsfront (MFF) zu sympathisieren, sind längst fällig. Wie lange noch werden diese Menschen die Lügen über KaritKis großes Interesse an ihrer Wohlfahrt glauben, die ihnen der rührige amerikanische Informationsdienst erzählt? Sie wollen Taten, keine Worte. Die Mitkoms bieten ihnen nicht bloß Propagandaparolen, sie wehren sich durch Gewaltakte gegen den Tyrannen. Das Elend, die Erbitterung und der aufgestaute Haß der Massen erleichtern ihnen die Wühlarbeit.« Er schritt durch den Raum zu einem der großen Fenster und blickte zu den Gummibäumen hinaus. »Der Premier und deine Freundinnen im Palast haben uns einen guten Start ermöglicht, sie haben uns wichtige Steuerbegünstigungen gewährt und die Provinzchefs angewiesen, uns zu unterstützen... Und dennoch«, - Mike schüttelte langsam den Kopf - »KaritKi mit seinem veralteten System der Machtverteilung innerhalb der eigenen Familie und einer Mandarinkaste treibt die kleinen Bauern, das sind achtzig Prozent der Bevölkerung, den Aufständischen direkt in die Arme.« Luna schmiegte sich an ihn. Die Nähe seiner schönen eurasischen Frau wirkte beruhigend auf ihn. Er legte ihr den Arm um die Schultern. »Keine Sorge, Liebling. Ich habe schon zu viel durch Revolutionen verloren, ich möchte so etwas nicht nochmals erleben.« Sie umschlangen einander unter zärtlichen Küssen. »Komm, gehen wir hinauf«, flüsterte er, »ich glaube, jetzt werde ich schlafen können.«
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3 Zeitig am Morgen gingen Mike und Colonel Lawton wieder in jenen Teil der Plantage, wo die Mitkoms in der vergangenen Nacht am Werk gewesen waren. Sergeant Jennessen erwartete die beiden Amerikaner. Captain Nurams Kompanie biwakierte noch immer unter den Bäumen, das Frühstück wurde gerade gekocht. »Ganze Arbeit«, murmelte Lawton, als er die wie mit einer Motorsäge glatt abgeschnittenen Strünke nochmals untersuchte. »Kein Geräusch, bis es kracht; und da waren die Guerillas schon mindestens dreihundert Meter weit weg.« Jennessen musterte die mituyanischen Soldaten mit bösen Blicken. »Diese Scheißfiguren werden mit der Bande nie fertig werden.« Gemächlich schlenderte Captain Nuram über die Lichtung heran. »Guten Morgen, Colonel«, sagte er sehr freundlich. »Soeben habe ich den Befehl erhalten, die Distriktsstation zu entsetzen. Sobald meine Leute gefrühstückt haben, fahren wir los.« »Sie werden um einige Stunden zu spät kommen, glauben Sie nicht, Captain?« Nuram runzelte die Stirn. »Colonel, ich befolge meine Befehle.« »In Ordnung, Captain. Ich werde Ihnen mit Sergeant Jennessen im Jeep nachfahren.« »Wie Sie wünschen, Colonel.« Nuram drehte sich auf dem Absatz um und ging zu seinem Lagerfeuer zurück, wo eine Ordonnanz mit dem Frühstück wartete. Das Transistorradio plärrte Beatmusik in die Gegend. Kopfschüttelnd sah ihm Sergeant Jennessen nach. »Ich möchte -42-
keiner Einheit als Berater zugeteilt sein, die von dieser miesen Figur kommandiert wird.« »Wir werden wohl unser Zeug holen müssen«, sagte Lawton zu Mike. »Ich möchte noch vor Nuram bei der Distriktsstation sein.« »Ich fahre mit«, sagte Mike. »Das ist mein Distrikt. Vielleicht kann ich helfen - wenigstens bei den Vorbereitungen für das Begräbnis«, schloß er grimmig. »Los, steigen Sie ein!« »Haben Sie weiter über den Plan nachgedacht, den wir gestern abend besprochen haben?« fragte der Colonel, nachdem sie eine Weile schweigend dahingefahren waren und Nurams Kolonne mit Leichtigkeit überholt hatten. »Natürlich. Ich habe allerdings auch andere Probleme im Kopf, zum Beispiel, wie ich retten kann, was ich in den letzten vier Jahren hier geschaffen und aufgebaut habe.« »Versteht sich. Aber wenn hier alles wieder richtig läuft, werden Sie mich dann in Tuyan aufsuchen? - Sagen wir nächste Woche?« »Ich weiß nicht, ob das so rasch gehen wird, ich bin nicht sehr optimistisch. Aber ich werde mit Luna zu KaritKis Feier der ›Dekade des Aufbaus‹ kommen. Ist das früh genug?« »Einverstanden. In der Zwischenzeit...« »In der Zwischenzeit werde ich für Sie Informationen über die MFF sammeln, Colonel. Es sieht nämlich ganz so aus, als müßte ich sehr bald mit den Guerillaführern dieses Gebietes verhandeln.« Der Jeep holperte über den zerfurchten Viehpfad. Keiner sprach. Schließlich sagte Lawton: »Wenn Sie für unsere Abteilung arbeiten, werden wir Sie natürlich entschädigen, Forrester. Ich würde vorschlagen, mit einem Betrag in der Höhe der Zahlungen, die Sie den Kommunisten leisten müssen, damit die -43-
Bande Ihre Gummibäume in Ruhe läßt.« Mike dachte an die chinesischen Bankiers in Tuyan und Hongkong. Sobald die Hypothekenraten und Kredite abgezahlt waren, würden er und Luna eine gewisse finanzielle Bewegungsfreiheit haben, doch vorläufig bedeuteten die vierteljährlichen Zahlungen einen empfindlichen Aderlaß - und nun würden sie es noch schwerer haben als bisher. »Das klingt schon ganz anders als das, was Sie gestern abend gesagt haben«, erwiderte Mike. Lawton lächelte. »Wenn Sie in die Stadt kommen, bevor der Wirbel losgeht, können wir noch ausführlicher darüber sprechen. Dort gibt es auch einige Leute, mit denen ich Sie zusammenbringen möchte. Können wir Sie also vor der Feier in Tuyan erwarten?« »Wir werden kommen.« Der Colonel nickte. »Sehr gut.« Er wandte sich auf seinem Sitz um und überblickte die Kolonne. Nurams erster Mannschaftslastwagen hielt genügend Abstand, damit der Fahrer nicht den Staub einatmen mußte, den der Jeep aufwirbelte. »Wir sind gleich da. Nur noch eine Kurve«, sagte Mike. Er straffte sich. Er kannte die kommunistischen Terrormethoden. Sie würden ein Bild des Grauens sehen. Als der Jeep die letzte Biegung nahm und ins Dorf rollte, zuckten die drei Männer unwillkürlich zusammen. Das Gebäude der Polizeistation und des Distriktschefs war eine geschwärzte Brandruine. Noch immer stieg aus den Trümmern Rauch auf. Der Stacheldrahtgürtel war gesprengt und zerrissen. Auf einem Pfahl vor dem Haus steckte der Kopf des Distriktschefs. Der Rumpf hing an den Beinen vom zweiten Stockwerk herab. Zwei Leichen, von Geschossen zerfetzt, lagen vor dem zerstörten Stützpunkt. Und da waren auch die heulenden Weiber und die verstörten -44-
Kinder. Jennessen bremste den Jeep vor dem Gebäude, die drei Männer sprangen heraus. »Was steht auf dieser Tafel?« fragte Lawton. An den geköpften Körper war ein großes, mit krausen mituyanischen Schriftzeichen bedecktes Blatt geheftet. Mike las den Text. »Die alte kommunistische Phrase«, sagte er. »Da steht: ›Der Distriktschef war ein Werkzeug des Tyrannen KaritKi und seiner von den USA beherrschten Marionettenregierung. Jeder andere Distriktschef KaritKis muß mit einem ähnlichen Strafgericht rechnen‹.« Mike wandte sich von dem scheußlichen Bild ab und ging über die Straße zu den klagenden Frauen. Eine junge Mituyanerin mit starrem, maskenhaftem Gesicht näherte sich ihm und sprach ihn an. Mittlerweile fuhr die Kolonne heran und hielt. Captain Nuram stiefelte mit einer kleinen Gruppe seiner Soldaten umher und nahm die Verwüstungen in Augenschein, wich aber in weitem Bogen den Leichen aus. Mike berichtete Colonel Lawton, was ihm die junge Frau erzählt hatte. Die Besatzung hatte die Station fast die ganze Nacht verteidigt. Doch kurz vor Einbruch der Dämmerung war sie überwältigt worden. Von den zehn Mann im Gebäude waren vier gefallen, darunter der geköpfte Distriktschef. Drei Mann waren verwundet worden, und nachdem sich die Terroristen mit allen erbeuteten Waffen und Versorgungsgütern zurückgezogen hatten, schaffte man die Verwundeten in das Spital, das der Distriktschef zwei Jahre vorher mit Mikes Unterstützung errichtet hatte. Die Kommunisten hatten auch drei unverwundet gebliebene Verteidiger verschleppt, vermutlich, um sie zum Dienst in der Guerillatruppe zu zwingen. »Es war die Frau des Distriktschefs, mit der ich gesprochen habe«, erklärte Mike. Lawton streifte die hübsche junge Mituyanerin mit einem raschen Blick. Sie hielt die Augen ängstlich zu Boden gesenkt, um den verstümmelten Leichnam -45-
ihres Mannes nicht ansehen zu müssen. »Sie sagt, daß, wenn vor Tagesanbruch Hilfe gekommen wäre, ihr Mann noch am Leben sein würde.« Als sich der Colonel umwandte, sah er, daß Captain Nuram soeben einigen Soldaten befahl, den aufgehängten Körper loszuschneiden und den Kopf vom Pfahl zu holen. »Das ist der ganze Schutz, den die Regierung dem Volk bietet!« schnaubte er. »Kein Wunder, wenn sich diese Menschen auf die Seite der MFF schlagen!« Er schaute zu den weinenden Frauen und Kindern hinüber. »Sind das die Angehörigen der Gefallenen?« Mike nickte. »Die Frau des Distriktschefs ist am schwersten betroffen. Nach dem Volksglauben muß die Seele eines Geköpften bis in alle Ewigkeit ruhelos über die Erde wandern. Wenn seine Frau an den alten Überlieferungen hängt, wird sie keine ruhige Minute mehr haben.« »Können wir etwas für diese Leute tun?« Mike schüttelte den Kopf. »Kaum. Heute nachmittag werden wir die Toten begraben, dann werde ich feststellen, welche Sozialversorgung die Männer hatten. Wenn sie auch nur aushilfsweise auf meiner Plantage gearbeitet haben, dann sind die Frauen gegen Unfall und Tod versichert. Der Staat hat keine Versorgung für die Familien von Männern vorgesehen, die in Erfüllung ihrer Pflicht sterben.« Mike seufzte. »Immer wieder habe ich Innenminister Branot beschworen, den Familienschutz für Staatsangestellte einzuführen.« »Und?« Mike winkte ab. »Diese Bonzen begreifen gar nicht, wovon ich spreche.« Dann wechselte er das Thema. »Es wäre gut, wenn Sergeant Jennessen Luna holen würde - aber zuerst müssen wir die Toten wegschaffen. Meine Frau könnte sich um die Witwen kümmern.« Jennessen hatte zugehört. »Jederzeit, Sir«, sagte er, »aber Captain Nuram soll in einem Lastwagen eine Sicherungsgruppe -46-
mitschicken.« Mike nickte grimmig. Jahrelang war er völlig unbehelligt durch das ganze Land gefahren, kreuz und quer durch den weiten Dschungel von Mituyan. Nun war es so weit gekommen, daß er sogar in diesem Distrikt eine bewaffnete Eskorte brauchte. Als Jennessen mit Luna zurückkehrte, lagen die Toten bereits in den Särgen, die Mike vom lokalen Leichenbestatter gekauft hatte. Während er den vier Witwen bei den Vorbereitungen für die Beerdigung half, kam ihm überhaupt nicht zum Bewußtsein, daß die roh gezimmerten Holzkisten erstaunlich rasch vorhanden gewesen waren. Rote Ochsenkarren, denen die Angehörigen der Opfer folgten, zogen zum Rand des Dorfes, wo sich die Begräbnisstätte befand. Ein buddhistischer Mönch, den der Leichenbestatter in aller Eile herbeigeholt hatte, segnete die Toten ein. Die Witwen entzündeten die roten Kerzen, die ihnen Luna mitgebracht hatte, nur die junge Frau des Distriktschefs tat nichts dergleichen, da sie überzeugt war, daß der Geist ihres Mannes niemals zur Ruhe kommen werde. Als die Trauernden nach dem Begräbnis den Rückweg zum Dorf einschlugen, machte sich der Leichenbestatter an Mike heran, der schweigend am Ende des Zuges ging. Nach einigen gleichgültigen Floskeln sagte der Mann auf mituyanisch: »Mr. Forrester, Nowat möchte mit Ihnen sprechen.« »Nowat?« fragte Mike, »jener Nowat, der einmal im Ostabschnitt von Rishram Vorarbeiter war?« »Dieser Nowat.« »Er ist vor einem Jahr spurlos verschwunden.« »Jetzt ist er wieder da.« »Er war immer sehr klug - zu klug. Gehört er den MFF an?« Der Leichenbestatter zuckte die Schultern. »Ich soll Ihnen nur -47-
mitteilen, daß Nowat Ihnen helfen kann, Sir.« Der Kerl da war also auch ein Zwischenträger der kommunistischen Untergrundbewegung, dachte Mike. Durch seinen Beruf brachte er ja die besten Voraussetzungen dafür mit! »Wo kann ich mit Nowat zusammentreffen?« »Wenn Sie hierbleiben, Sir, dann wird er kommen, sobald die Soldaten fort sind. Aber Sie müssen allein sein, hat er gesagt niemand sonst darf hier sein, wenn er kommt.« Mike überlegte, ob er es riskieren könne, allein in einem Gebiet zurückzubleiben, das nun offenbar von den Mitkoms kontrolliert wurde. Aber schließlich erhoffte sich die MFF von ihm Geld, also würde sie ihm kaum ans Leben wollen. Er versuchte sich an alles zu erinnern, was er von Nowat wußte. Der frühere Vorarbeiter war Mike durch sein ungewöhnliches Bildungsstreben aufgefallen. Eigentlich war es dieser Nowat, der ihn von der Notwendigkeit überzeugt hatte, daß für die Kinder des Distrikts Schulen errichtet werden müßten, und es war Nowat, der Überstunden gemacht hatte, um beim Schulbau mitzuhelfen und Fibeln zu beschaffen. Nur Lunas Freundschaft mit KaritKis Frau Dhana hatte verhindert, daß Mike zur Verantwortung gezogen wurde, weil er eigenmächtig in das veraltete mituyanische Unterrichtssystem eingriff, das die Kinder der bäuerlichen Bevölkerung entlegener Gebiete überhaupt nicht berücksichtigte. Nun fiel ihm auch ein, daß Nowat gerade wegen dieser Fragen mit den Behörden in Konflikt gekommen war. Mike konnte sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern, aber er wußte, daß sich Nowat gegen eine behördliche Entscheidung aufgelehnt hatte und fliehen mußte, weil ihn der Provinzchef verhaften lassen wollte. »Ich bleibe. Hole Nowat her, so rasch wie möglich. Vor Einbruch der Dunkelheit muß ich in Rishram sein.« »Es wird geschehen«, versicherte der Leichenbestatter. In der Brandruine traf Mike Captain Nuram. Der Offizier sagte, er -48-
habe den Befehl, noch eine Nacht auf der Plantage zu kampieren und dann zum Bataillonskommando in Tiking zurückzukehren. In Staubwolken gehüllt brauste die Kompanie davon. Mike wies Luna an, mit Colonel Lawton nach Rishram zu fahren. »Schick mir den Landrover her, bevor es finster wird«, sagte er. »Sie lassen sich da in eine gefährliche Sache ein, Forrester«, gab Lawton ihm zu bedenken. »Wenn es nicht unbedingt nötig wäre, würde ich nicht bleiben. Außerdem glaube ich, daß ich hier sicher bin. Je rascher ihr verschwindet, desto schneller kann ich mein Vorhaben erledigen. Los also!« drängte er lächelnd. Jennessen hob salutierend die Hand ans grüne Barett. Der Colonel zuckte die Schultern. »Sie wissen wahrscheinlich, was Sie tun, Forrester, Sie sind ja schon lange genug hier. Fahren wir, Sergeant.« Der Jeep rollte in die langsam niedersinkenden Staubschwaden, Luna blickte sich ängstlich nach Mike um. Er winkte ihr aufmunternd nach, und als das Fahrzeug um die Kurve bog, schritt er wieder auf das ausgebrannte Stationsgebäude zu. Er brauchte nicht lange zu warten. Der Bote kam heran und führte Mike ins dichte Buschwerk. Auf einem schmalen Pfad gingen sie einige hundert Meter weit, dann blieben sie stehen. Nach wenigen Minuten tauchte ein Mituyaner auf. Er trug einen Dschungelhut mit weicher Krempe, einen schwarzen Pyjama, Sandalen, deren Sohlen aus einem alten Autoreifen geschnitten waren, und hatte einen M-1Karabiner umgehängt, die Handfeuerwaffe, mit der die amerikanischen Militärberater die mituyanischen Truppen ausrüsteten. Wortlos folgten Mike und der Leichenbestatter dem Mann auf dem Pfad, dann schwenkte dieser seitab, und sie standen in einem gut getarnten Lager neben einem Fluß. Eine Anzahl von Mituyanern in schwarzen Pyjamas hockte auf dem Boden, einige andere lagen auf primitiven Tragbahren, notdürftige -49-
Verbände um Arme, Beine, Leib oder Kopf. Unter einem dachartigen Schirm, verpackt in mit Tragstützen versehenen Kisten, sah Mike zwei Dutzend Gewehre verschiedener Typen, MG, Schrotflinten und Munitionsbehälter. »Mr. Forrester, ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind.« Mike blickte sich um und erkannte Nowat. Der frühere Vorarbeiter trug ein Khakihemd und eine Hose von gleicher Farbe, amerikanische Dschungelschuhe und eine Offiziersmütze ohne Abzeichen. Bevor Mike antwortete, musterte er angelegentlich die Waffen und die Verwundeten. Dann faßte er Nowat scharf ins Auge: »So kommst du also in deine Heimat zurück?« »Wir müssen das Volk befreien«, erwiderte Nowat. »Premier KaritKis von den Amerikanern gestützte Marionettenregierung muß weggefegt werden. Alle Macht dem Volk! Meine Aufgabe ist es, den Menschen in diesem Distrikt zu zeigen, daß sie ihr Los verbessern können, indem sie KaritKis Tyrannei stürzen.« »Und diese ›Schulung‹ beginnst du mit Mord und Terror!« »Der Distriktschef war ein korrupter Handlanger des korrupten Provinzchefs, den der korrupte Despot KaritKi eingesetzt hat. Zuerst versuchten wir, mit dem Distriktschef zu verhandeln, aber dann mußten wir ein Exempel statuieren.« »Und die drei anderen Männer, die sich in der Station befanden, was hatten sie verbrochen?« »Sie schützten KaritKis Kreaturen.« »Wo sind die drei anderen, die ihr verschleppt habt?« »Wir haben niemanden verschleppt, Mr. Forrester. Die drei Männer, die unverwundet blieben, kamen freiwillig mit, um für das mituyanische Volk zu kämpfen.« »Kann ich mit ihnen sprechen?« »Sie sind bereits auf dem Weg nach dem Norden, wo sie ausgebildet werden sollen.« -50-
»Im ›neutralen‹ Bardans, wie?« Nowat überhörte diesen Seitenhieb. »Mr. Forrester, wir wollen mit Ihnen über die Löhne sprechen, die wir für die ausgebeuteten Werktätigen Ihrer Kautschukplantage fordern.« »Ausgebeutet?« rief Mike empört. »In ganz Mituyan gibt es nirgends Arbeiter, die so gut entlohnt und versorgt werden wie auf meinem Besitz! Gerade du müßtest das wissen, Nowat. Du wurdest im Spital von Rishram gesundgepflegt. Du hast mir dabei geholfen, in Rishram und auf der Pflanzung Schulen zu errichten.« »In diesen Schulen wurde Treue zu KaritKi gelehrt«, antwortete Nowat starrsinnig. »Treue zur Zentralregierung«, berichtete Mike. »Und die Spitäler haben nichts mit Politik zu tun.« »Die gelieferten Medikamente waren in Propagandaflugblätter der Regierung verpackt.« »Der Staat hat uns den Großteil der Medikamente zur Verfügung gestellt«, konterte Mike. Ohne auf weitere Argumente einzugehen, erklärte Nowat: »Wir erwarten, daß ein bestimmter Prozentsatz des Ertrages von Rishram nun dem Volk direkt zugute kommt.« »Welche Lohnerhöhung fordert ihr?« »Zwanzig Prozent«, antwortete Nowat gleichmütig. »Aber das ist unmöglich! Du weißt es doch, du warst Vorarbeiter in Rishram.« »Mr. Forrester, Sie sind auf Kosten der mituyanischen Bevölkerung reich geworden. Sie können sich ein solches Zugeständnis leisten.« Mike zwang seine Erbitterung zurück. »Ihr Arbeiter glaubt immer, wir Plantagenbesitzer schwimmen im Geld! Wißt ihr denn gar nichts von Darlehenszinsen, Bankkrediten, chinesischen Kaufleuten, Geldverleihern?« -51-
»Wir werden alle diese Blutsauger töten, wenn Sie es wünschen, Mr. Forrester«, sagte Nowat sanft. »Ich zahle bereits um zehn Prozent höhere Löhne als die meisten anderen Pflanzer in diesem Land. Warum geht ihr nicht zu ihnen?« »Wir werden es tun, Mr. Forrester, verlassen Sie sich darauf. Aber Sie sind Amerikaner, Sie können mehr geben.« Hoffnungslos blickte sich Mike im Lager der Guerillas um. Wieder hatten ihn die Kommunisten in die Enge getrieben. Jetzt kam es nur noch darauf an, Zeit zu gewinnen, um entweder die Plantagen rasch zu verkaufen oder durch rücksichtslosen Raubbau in kürzester Zeit den größtmöglichen Ertrag herauszuschinden. »Ich kann auf keinen Fall mehr als eine weitere fünfprozentige Erhöhung aufbringen. Sonst wird Rishram überhaupt keinen Ertrag abwerfen.« »Gut, Mr. Forrester, da ich glaube, daß Sie das Beste des Volkes wollen, werde ich meinen politischen Vorgesetzten raten, eine zehnprozentige Erhöhung zu akzeptieren.« »Unmöglich!« »Nein, das ist nicht unmöglich«, fuhr ihn Nowat an. »Aber wenn Sie an jedem Morgen um zwanzig Gummibäume weniger haben, wird es sehr schwierig sein.« Mike wußte, daß ihm keine Wahl blieb. »Ich werde meine Buchhalter anweisen, den Arbeitern ab nächstem Samstag um zehn Prozent erhöhte Löhne auszuzahlen.« »Oh, wir erleichtern es Ihnen, Mr. Forrester. Ein Vertrauensmann unserer Organisation wird einen Betrag in der Höhe von zehn Prozent der Gesamtsumme der Wochenlöhne bei Ihnen beheben, und wir werden das Geld zum Wohle des Volkes verwenden, wie es uns am geeignetsten erscheint.« Mike biß die Zähne zusammen. »Schickt am nächsten Freitag euren Boten. Ich werde in Rishram sein«, murmelte er. -52-
»Ich wußte, daß Sie ein vernünftiger Mensch sind, Mr. Forrester. Aber denken Sie daran: Sollten Sie es sich anders überlegen, dann werden Ihre Bäume vernichtet, und zwar rückwirkend von heute abend an.« »Ich werde Wort halten.« »Davon bin ich überzeugt.« Nowat wurde etwas freundlicher, und als die anderen Guerillas bemerkten, daß ihr Führer sein Ziel erreicht hatte, schienen sie ihre feindselige Haltung aufzugeben. »Du mußt doch erkennen, daß eure MFFBewegung das Land wirtschaftlich zugrunde richten wird«, sagte Mike, der sich wieder einigermaßen gefaßt hatte. »Durch diese Unruhe gerät die Bevölkerung nur ins Elend. Seit mehr als zwei Jahren laufen in Vietnam die Soldaten aus dem Norden über, weil sie sehen, um wieviel besser es den Menschen im Süden geht - trotz des Krieges.« »Wissen Sie denn, wie gut es den Menschen in Mituyan geht, Mr. Forrester?« fragte Nowat. »Wissen Sie es wirklich? Ich meine nicht die Menschen in Ihrem privaten kleinen Wohlfahrtsstaat, in dem KaritKi Sie aus propagandistischen Gründen gewähren läßt. Ich meine die Menschen im ganzen Land.« »Sicherlich müssen und werden Reformen durchgeführt werden«, gab Mike zu. »Das sagen die amerikanischen Propagandaexperten. Aber wir merken nichts von Erleichterungen.« Mit einer ausholenden Handbewegung wies Nowat auf die Gruppe von etwa dreißig Guerillas. »Sehen Sie diese Männer, Mr. Forrester? Sie alle haben Mühen und Entbehrungen auf sich genommen, um zur MFF zu stoßen. Sie alle waren einfache Bürger dieses Staates, bis KaritKi sie zum Widerstand trieb. Sie alle erhoffen sich vom Kommunismus Hilfe.« Nowat blickte wieder Mike an. »Mr. Forrester, Sie sind wahrscheinlich der einzige Weiße in Mituyan, der mit diesen -53-
Leuten sprechen kann und in der Lage ist, selbst zu beurteilen, was in diesem Land vorgeht.« Er deutete auf einen einäugigen jungen Guerilla, dem auch noch das rechte Ohr fehlte. »Sie haben nichts zu befürchten, Mr. Forrester. Sprechen Sie mit Mung.« Mikes erste Reaktion war, brüsk jeden weiteren Kontakt mit Nowat und seiner Bande kommunistischer Mordbrenner abzulehnen. Aber dann dachte er an Lawton. Es war seine Pflicht, soviel als möglich über die MFF und deren Organisation auszukundschaften. Auf mituyanisch erlaubte Nowat dem Guerilla Mung, offen mit dem Amerikaner zu sprechen. Zu Mike gewandt, fügte Nowat hinzu: »Keiner von uns weiß von einem Tag auf den anderen, wo wir kampieren werden oder welche Aktionen uns die Führung der MFF befehlen wird.« Mike nickte und kauerte sich zu dem auf dem Boden hockenden Mung. Der war zuerst überrascht und etwas erschrocken, als er hörte, daß der Amerikaner die Landessprache so geläufig beherrschte, aber Mike gewann geschickt sein Vertrauen, indem er die Unterredung mit einigen Bemerkungen über die Reiskulturen in Mungs Heimat begann. »Wie bist du zur MFF gekommen?« fragte Mike schließlich. »Als ich aus dem Provinzgefängnis in Tiking entlassen wurde, erwartete mich ein Mann aus meinem Dorf. Ich kannte ihn nur flüchtig, aber er nahm mich in ein kühles Teehaus und ließ mir Tee geben, und wir sprachen den ganzen Tag und bis tief in die Nacht über Politik und über die Qualen, die ich hatte erdulden müssen. Dann bot er mir ein Nachtlager, und am nächsten Tag sprachen wir weiter. Bald darauf fragte ich ihn, wie ich der MFF nützlich sein könnte. Er schickte mich zu einem anderen Mann, und dann kam ich in ein Ausbildungslager im Norden.« »In Bardans?« warf Mike rasch ein. Mung zögerte und blickte zu Nowat hin. Mike hörte, wie der -54-
Guerillaführer hinter ihm sagte: »Du kannst ruhig alle Fragen des Amerikaners beantworten. Erkläre ihm aber auch, warum du im Gefängnis warst und was mit dir und deinen Mithäftlingen geschah.« »Ja, ich wurde zusammen mit anderen MFF-Rekruten in Bardans ausgebildet«, erklärte Mung. »Wir sind alle richtige Soldaten geworden«, fügte er voll Stolz hinzu. »Ich hoffe, daß ich hier in meiner Heimatprovinz bald einen Zug Freiheitskämpfer führen werde.« Sein Auge blitzte. »Ich will zuerst den Chef meines Heimatdistrikts hinrichten, dann den Provinzchef und schließlich Poramat, den Bruder des Tyrannen KaritKi, den Unterdrücker aller nördlichen Provinzen Mituyans. Doch sie werden nicht so leicht wegkommen wie der Distriktschef dieser Station. Er starb an seinen Wunden, bevor wir ihm den Kopf abhackten. Den nächsten Distriktschef werden wir aufhängen und ihm bei lebendigem Leib den Bauch aufschneiden, daß die Därme herausfallen. Dann werden wir ihm glühende Kohlen in den Bauch stecken. Und seine Frau und seine Kinder werden zusehen müssen, wie er elend verreckt!« Er hob die Stimme. »Und das gleiche werden wir mit Poramat und dem Provinzchef von Tiking machen!« »Hast du diese Methoden im Norden gelernt?« fragte Mike, obwohl er erwartete, daß Nowat dem jungen Guerilla nun ins Wort fallen würde. »Nein, das haben wir uns ausgedacht, meine Genossen und ich, als wir in Tiking eingekerkert waren.« »Warum warst du im Gefängnis?« »Ich konnte die Pacht für mein Grundstück nicht bezahlen. Seit meiner Heirat hatte ich Land in Pacht und entrichtete immer die ordnungsgemäßen Gebühren. Aber vor fünf Jahren amnestierte KaritKi viele Großgrundbesitzer und Politiker, die ins Ausland geflohen waren. Einer der reichen Herren kam in meinen Distrikt zurück. Vier Jahre war er fort gewesen, und er -55-
sagte mir, ich müsse ihm die Pacht für diese Zeit bezahlen. Der Distriktschef, der bis dahin die Pacht von mir bekommen hatte, half mir nicht. KaritKi hatte den Blutsauger wieder in Gnaden aufgenommen. Ich mußte die Pacht bezahlen, sonst hätte mir der Staat das Grundstück weggenommen, das ich bearbeitet hatte. Meine Frau und meine drei Kinder hätten kein Obdach gefunden, denn der Distriktschef sagte, er würde die anderen Grundherren warnen, mir Land zu verpachten.« Mike, der aufmerksam zuhörte, erinnerte sich an Gerüchte über rückwirkende Pachtforderungen zurückgekehrter Grundherren, aber es war das erstemal, daß er mit einem Mituyaner sprach, der tatsächlich solche Willkür zu erdulden gehabt hatte. Mit tonloser Stimme fuhr Mung fort: »Ich konnte nicht doppelt bezahlen. Es war ein Unrecht, mich dazu zu zwingen. Ich glaubte nicht, daß mich der Distriktschef von meinem Grundstück vertreiben würde. Als er mit zwei anderen Männern kam, um mich und meine Familie auszuweisen, weigerte ich mich. Da schleppten sie mich in den Distriktskerker und dann ins Provinzgefängnis - wegen Auflehnung gegen die Staatsgewalt. Meine Frau durfte mich nicht besuchen, aber Häftlinge, die später eingeliefert wurden, erzählten mir, daß der Grundbesitzer meine Frau vergewaltigt und dann zu den niedrigsten Arbeiten verwendet hatte. Dieses Schwein verkaufte meine Kinder. Als der Grundbesitzer entschädigt war, ließ mich der Provinzchef frei. Ich wußte nicht, wo meine Kinder waren, aber selbst wenn ich es gewußt hätte, ich hätte sie nicht zurückkaufen können. Meine Frau war todkrank. Im Gefängnis waren viele Männer wie ich, aus der ganzen Provinz. Einige hatten für das Land, das sie besaßen, die hohen Steuern nicht bezahlt. Der Provinzchef enteignete ihren Besitz. Die Grundherren teilten mit dem Provinzchef das Geld, das er für sie aus uns herauspreßte.« Mung seufzte. Das Leid hatte tiefe Furchen in sein junges Gesicht gegraben. Er schwieg. Endlich raffte er sich auf und -56-
sprach weiter. »Im Gefängnis war es so entsetzlich, daß ich einem Amerikaner nichts davon erzählen will, weil er es nicht glauben würde. Am schlimmsten war es, wenn Frauen eingeliefert wurden. Zuerst vergingen sich der Provinzchef und seine Schergen an ihnen, dann die Aufseher. Keiner der Häftlinge war wegen verbrecherischer Handlungen eingekerkert, alle nur wegen Widerstands gegen KaritKis Herrschaft. Nicht einmal die Hälfte der Gefangenen überlebte das erste Jahr.« Mung starrte zu Boden. »Meine Frau war glücklich, als ich mich der MFF anschloß. Sie konnte beruhigt sterben, weil ich nun gegen KaritKi kämpfe.« »Sag ihm, wieso du ein Auge und ein Ohr verloren hast, Mung«, drängte Nowat. »Ein Wächter stieß mir den Gewehrlauf ins linke Auge, als ich und andere Gefangene einer Frau zu Hilfe kommen wollten, die gemartert wurde, weil sie einen von Poramats Polizisten biß und kratzte, als dieser sie überwältigen wollte. Und das Ohr wurde mir zur Strafe dafür abgeschnitten, weil ich die anderen Häftlinge aufwiegelte und ihnen schilderte, wie wir KaritKi und Poramat stürzen würden. Ich hatte Glück, daß mir die Aufseher nicht die Zunge abschnitten - das habe ich mehrmals mit ansehen müssen.« Damit verfiel der Guerilla in Schweigen. »Du hast sehr viel gelitten, Mung«, sagte Mike. »Aber ist es richtig, daß du deshalb Menschen umbringst?« »Wir bringen nur KaritKis Handlanger und Werkzeuge um.« Mike erhob sich aus seiner kauernden Haltung. Nun wandte er sich an die ganze wüste Gruppe. »Es gibt einen gewaltlosen, legalen Weg, um die Reformen zu erreichen, die ihr anstrebt.« Nowat lachte verächtlich. »Reformen?« Er musterte seine Männer. »Wir wollen mehr als bloße Reformen. Wir wollen unsere eigene Regierung. Eine Volksregierung!« Ein zustimmendes Murren der anderen Mitkoms war die Antwort. »Wir werden KaritKi vernichten!« schrie Nowat. »Wir -57-
werden auch seine Brüder und deren Anhang töten. Die Machthaber werden keine der Änderungen oder« - er grinste höhnisch - »der Reformen zulassen, von denen Sie sprechen, Mr. Forrester. KaritKi und die anderen Imperialisten haben nur Nutzen von ihrem System, warum sollten sie daran rütteln? Die Provinzchefs haben die unumschränkte Gewalt über jeden einzelnen Mann und jede einzelne Frau in ihren Provinzen. Sie beuten das Volk aus, und KaritKi und seine Regierung - das ist seine Familie - bereichern sich daran. Nur durch einen gewaltsamen Umsturz und den Tod KaritKis und seiner Sippe kann es für das Volk besser werden!« »Ihr glaubt, durch Grausamkeit und scheußliche Mordtaten euer Ziel zu erreichen?« fragte Mike. »Nowat, du bist ein verständiger Mann, der sich aus eigener Kraft viel Wissen erworben hat. Es gibt andere Möglichkeiten, Änderungen herbeizuführen.« »Nennen Sie mir diese Möglichkeiten, Mr. Forrester! Ich höre.« Mike überlegte kurz. Die Mißstände des Regimes und die Not des Volkes waren nicht wegzuleugnen. KaritKi hatte tatsächlich alle Personen, die seiner Diktatur eine demokratische Opposition entgegenstellen wollten, einkerkern oder hinrichten lassen. Nun, da ihn seine amerikanischen Berater so weit gebracht hatten, daß er freie Wahlen gestatte, durfte eine Opposition auf den Plan treten - aber nur zum Schein, in Wirklichkeit war sie machtlos. »Es gibt gesetzliche Maßnahmen«, begann Mike, selbst nicht überzeugt von dem, was er sagte. »Ich meine die kommenden Wahlen. Ohne Blutvergießen und Terror könntet ihr eine politische Partei bilden und die Anerkennung erzwingen.« »Die Wahlen!« rief Nowat spöttisch. »KaritKi und seine von den Amerikanern bewaffnete Armee und Staatspolizei würden sehr rasch die Führer einer friedlichen, unbewaffneten -58-
Gegenpartei zu finden wissen und an die Wand stellen.« Er blickte Mung mitleidig an. »Ihr Amerikaner seid wie die Kinder. Seit Jahren unterstützt ihr Männer wie KaritKi in Mituyan und vorher Diem in Vietnam, seit Jahren schickt ihr Geld und Güter, um Tyrannen zu helfen. Ihr vergeudet das Geld amerikanischer Steuerzahler, um geknechtete Völker noch tiefer ins Elend zu stoßen! Warum überzeugt ihr euch nicht selbst, was wirklich im Land vorgeht? Nichts von dem, was ihr den Machthabern als Entwicklungshilfe für die Wirtschaft Mituyans bietet, kommt dem Volk zugute. Alles wird zu Geld, das in die Taschen korrupter Offiziere und korrupter staatlicher Funktionäre fließt, und den größten Anteil steckt KaritKi ein und deponiert ihn bei seinen Banken in Hongkong und in der Schweiz.« »Das war eine richtige Rede, Nowat«, sagte Mike sarkastisch. »Ich habe den Eindruck, daß dich die Terroristen aus dem Norden sehr gründlich geschult haben.« Der Guerillaführer schnitt eine böse Grimasse. »Ich sehe doch, daß ihr Amerikaner skrupellose Volksfeinde wie KaritKi unterstützt! Das beweist, daß euer Kapitalismus nur darauf abzielt, die Massen der Werktätigen zugunsten der wenigen Reichen bis zum letzten auszupressen!« Mike suchte nach Entgegnungen, aber langsam senkte sich die Dämmerung, und er wußte, daß er Nowat nicht zu überzeugen vermochte, selbst wenn er blieb und die ganze Nacht mit ihm diskutierte. Der Mann war - wahrscheinlich seit je - ein eingeschworener radikaler Kommunist. Mit einem letzten Argument deckte Mike seinen Rückzug. »Nowat, du bist ein belesener, intelligenter Mensch. Du hättest von innen her für Reformen arbeiten können, statt als Terroristenhäuptling deine Leute zu Greueltaten aufzuhetzen«, sagte er auf englisch. Ein sprödes Lachen brach aus Nowats Mund. »Ich sagte es schon, Mr. Forrester, ihr Amerikaner seid wie die Kinder.« -59-
Ungeduldig winkte er dem Leichenbestatter zu. »Leben Sie wohl, Mr. Forrester. An jedem Freitag wird einer meiner Verbindungsmänner zu Ihrem Lohnbuchhalter kommen.« »Eines noch, Nowat: Du sollst wissen, daß ich eure Bestrebungen begreifen und gutheißen könnte, wenn ich nicht den Verdacht hätte, daß hinter der MFF als Drahtzieher nordvietnamesische Kommunisten wie Nguyen Van Kan stehen.« »Das ist nicht wahr! Wir führen diesen Krieg, wir ganz allein, um das mituyanische Volk von KaritKis Tyrannei zu befreien!« schrie Nowat. Da Mike merkte, daß er ihn in die Defensive gedrängt hatte, stieß er weiter nach, diesmal sprach er laut und deutlich auf mituyanisch, damit ihn auch die anderen Guerillas verstanden. »Wenn ihr wirklich aus eigenem politische Aktivität entwickeln könntet, um Sozialreformen durchzusetzen, dann würden euch die Amerikaner vielleicht helfen. Aber wenn ihr euch von landfremden Terroristen wie Kan gängeln lassen müßt, die seit zehn Jahren einfache vietnamesische Bauern abschlachten, dann kann man euch und alle anderen Angehörigen der MFF nur als Mörder und Terroristen betrachten, dann seid ihr um kein Haar besser als eure Führer aus dem Norden!« Nowat überschüttete Mike mit haßerfüllten Beschimpfungen gegen die Amerikaner und KaritKi. Ruhig hörte sich der Pflanzer die eingedrillten Phrasen an. Er merkte, daß seine Worte bei manchen der Mitkoms, die sich wirklich für Freiheitskämpfer hielten, ihre Wirkung nicht verfehlten. Fragend blickten sie zu ihrem wütenden Anführer. Der riß eine amerikanische Pistole aus dem Halfter und fuchtelte damit Mike vor der Nase herum. »Wenn Sie mir nochmals über den Weg laufen, dann knalle ich Sie nieder - und wenn Sie mich noch weiterhin reizen, tu ich's gleich.« Er richtete die Waffe gegen Mikes Brust und brüllte auf -60-
mituyanisch: »Sie sind der Ausländer, der in unser Land kommt und zuläßt, daß ein Werkzeug der Imperialisten wie KaritKi das Volk zur Verzweiflung treibt!« Die Guerillas starrten ihren Führer an. Mike blieb unbeweglich stehen, sein Blick bohrte sich in Nowats brennende Augen, aber er vermied es, in die Mündung der Pistole zu sehen. Langsam gewann der Mituyaner seine Beherrschung wieder. »Sie können gehen, Mr. Forrester. Wir werden Sie nicht töten - noch nicht.« Wortlos Wandte Mike der Gruppe den Rücken und folgte dem Leichenbestatter ins Unterholz. Für den Rückweg zur Station brauchten sie eine halbe Stunde. Es dämmerte schon, als sie das ausgebrannte Gebäude erreichten. In seiner khakifarbenen Arbeitskleidung, den Buschhut auf dem Kopf, saß Bangol unruhig wartend am Steuer des Landrovers, der Motor lief. Forrester setzte sich neben seinen Verwalter. Sofort startete Bangol, wie katapultiert schoß der Wagen nach vorn weg und raste davon. Vor dem Haus erwartete ihn Luna mit angstvollem Gesicht. »Ich hatte keine ruhige Minute, Mike.« »Vorläufig werden sie uns in Ruhe lassen.« Die Furchen um seine Mundwinkel kerbten sich tiefer. »Lebendig und mit meiner florierenden Kautschukplantage bin ich ihnen mehr wert.« »Was ist geschehen?« »Setzen wir uns erst einmal auf die Veranda. Dann werde ich dir alles erzählen.« »Geh inzwischen hinaus, ich hole dir etwas zu trinken.« Mike nickte müde und ging mit schleppenden Schritten auf die Veranda, von der man die wie auf dem Reißbrett gezogenen Reihen der Gummibäume überblickte. Als Luna ihm das Glas in die Hand gab, war er ganz damit beschäftigt, zu überlegen, auf welche Weise er den Jahresertrag der Pflanzung verdoppeln könnte. -61-
4 Botschafter Norman Ashley Whittelsie, der die anderen Country-Team-Mitglieder erwartete, schritt zu den großen Fenstern seines geräumigen, vollklimatisierten Büros im sechsten Stock. Seit einem Jahr war er in Tuyan, aber noch immer begeisterte ihn das Panorama der Stadt, als sähe er es zum erstenmal. Von diesem Punkt in einem der höchsten Gebäude der Stadt überblickte er das Gewirr der sich vielfach kreuzenden Kanäle und Flußläufe, auf denen sich Sampans, Hausboote, Frachtkähne und der schwimmende Markt den Platz streitig machten. Die Innenstadt von Tuyan erstreckte sich über ein Gebiet von mehreren Quadratkilometern und war eines der bedeutendsten Wirtschaftszentren Asiens. Viele Europäer und Amerikaner ertrugen die Hitze und den Gestank nicht - auch seine Frau Connie hatte sich nicht einzuleben vermocht und war bald wieder nach den USA zurückgekehrt. Aber auf ihn wirkte diese fremde Welt noch immer faszinierend. Whittelsie ging zum Konferenztisch, als die Mitglieder des Country Team nacheinander eintraten. Jeden Monat hielt der Botschafter zwei offizielle Sitzungen ab. Um sie nicht allzusehr auszudehnen, setzte er sie jeweils für einen Freitagnachmittag um 16 Uhr an, was noch dazu den Vorteil hatte, daß viele Debatten und interne Reibereien unterblieben, weil häufig die anderen bereits weggefahren waren, um das Wochenende an der Küste zu verbringen, und deshalb Stellvertreter entsandten. An diesem Tag aber hatten sich die leitenden Köpfe doch für die Besprechung Zeit genommen, dachte Whittelsie, während er die vier Männer anlächelte, die um die spiegelnde Platte des runden Konferenztisches saßen. Der Botschafter war ein -62-
hagerer, sehniger Mann Anfang Fünfzig, mit gebräuntem Gesicht und kurzgeschnittenem, grauem Haar. Er trug einen hanffarbenen leichten Anzug, ein hellblaues Hemd mit angeknöpften Kragenspitzen, eine dunkelblaue, schmale Strickkrawatte und weiße Wildlederschuhe. General Willet Macker, Kommandeur der amerikanischen Militärhilfe in Mituyan, saß rechts von Whittelsie. Neben den markanten Zügen des Botschafters wirkte das klobige Gesicht des Generals auf dem massigen Körper noch derber als sonst. Mit seinen neunundfünfzig Jahren sollte Macker in etwa zehn Monaten pensioniert werden, deshalb behandelte ihn Whittelsie sehr nachsichtig. Eigentlich paßte der General trotz seiner ruppigen Art - er hielt nichts von Zivilisten, am wenigsten von solchen, mit denen er auf diesem Posten zwangsläufig zusammenarbeitete - sehr gut in die Policy des Botschafters. Den Berichten zufolge, die über Mackers Schreibtisch gingen, bevor sie nach Washington weitergeleitet wurden, stand in Mituyan alles bestens. Unter der Oberaufsicht der amerikanischen Militärberater schritt der Aufbau der von den USA ausgerüsteten und finanzierten mituyanischen Armee plangemäß fort, und die Truppen bekämpften wirksam die kommunistischen Insurgenten, die im Land Fuß zu fassen versuchten. »Meine Herren«, eröffnete Whittelsie die Sitzung, »es freut mich, daß Sie gekommen sind.« Er wandte sich nach links. »Das ist die erste Country-Team-Besprechung für unser jüngstes Mitglied, Mr. Theodore Baum, den neuen Leiter des Informationsdienstes. Herzlich willkommen, Ted!« »Danke, Sir. Ich habe mich schon auf diesen Posten gefreut.« »Falls jemand von Ihnen, meine Herren, nicht informiert ist Mr. Baum hat eine erfolgreiche Journalistenkarriere aufgegeben, um in den Staatsdienst einzutreten«, erklärte Whittelsie. Zu Baum sagte er: »Bei uns werden Sie am praktischen Beispiel lernen können, wie ein Country Team arbeitet, Ted.« -63-
Baum schwieg, aber der herablassende Ton des Botschafters ärgerte ihn. Immerhin hatte er zwanzig Jahre Berufserfahrung hinter sich; nach bescheidenen Anfängen als Polizeireporter bei der Tageszeitung einer Kleinstadt hatte er sich rasch emporgearbeitet und war schließlich nacheinander in den führenden Hauptstädten der Erde Leiter der Auslandsbüros der bedeutendsten Nachrichtenagentur der Welt gewesen. Daher fühlte er sich für seine neue Stelle als Chef des amerikanischen Informationsdienstes in Mituyan außerordentlich befähigt. Gleichzeitig wußte er, daß ihn seine journalistische Vergangenheit den meisten hohen Beamten des Außenamtes und auch diesem Country Team - das sich seit langem mit der Presse im Kriegszustand befand - besonders verdächtig machte. Brüsk unterbrach General Macker das Schweigen. »Es wird gut sein, wenn Sie die Korrespondenten in diesem Laden hier energisch an die Kandare nehmen, Mr. Baum. Die Burschen tun ja so, als ginge hier alles in die Brüche!« »Stimmt das etwa nicht?« gab Baum scharf zurück, ohne zu überlegen. Gleich darauf hätte er seine Worte gern zurückgenommen. Schließlich war er ein Neuling und mußte Zurückhaltung üben. Macker starrte ihn verblüfft an. Dann antwortete von der anderen Seite des Tisches eine ruhige Stimme: »Doch, es stimmt.« Dankbar blickte Baum in die zwinkernden blauen Augen im dunklen Gesicht von Jack Cardinez. Der General fuhr herum und funkelte den Repräsentanten des Geheimdienstes an. Whittelsie, der merkte, daß ihm die Kontrolle über diese Sitzung zu entgleiten drohte, versuchte rasch, seine Autorität auszuspielen. »Es ist mir eine Freude, daß auch Mr. Grady Rourke an dieser Besprechung teilnimmt.« Seine Augen ruhten auf dem bulligen Kerl, der links neben Ted Baum saß. »Entwickelt sich alles zur vollsten Zufriedenheit, Mr. Rourke?« fragte Whittelsie den Gewerkschaftsfunktionär, der, wie Baum, -64-
zeitweilig vom Außenamt verpflichtet war und der amerikanischen Mission in Mituyan angehörte. »Mit Volldampf.« Rourkes rauhe Sprache stand in deutlichem Gegensatz zu der patrizischen Art des Botschafters. »Jeden Tag setze ich mich im Palast mit diesem Branot zusammen. Sie wissen ja, er ist in diesem Kaff der Innenminister.« »Natürlich bin ich mit Minister Branot bekannt«, antwortete Whittelsie eisig. Wieder einmal überkam Rourke das fatale Gefühl der Unterlegenheit, das ihn seit seiner Ankunft vor drei Monaten nie ganz losgelassen hatte. Daheim, drüben in den Staaten, war er ein erfolgreicher Gewerkschaftsmanager gewesen. Die harte Tour, das war das einzige, worauf er sich verstand. Aber bei diesen Mituyanern versagte die Faust im Nacken, sie wichen einfach aus, er konnte sie nicht mit Gewalt dazu bringen, das zu tun, was er ihnen riet. Nein, Rourke mußte eine Enttäuschung nach der anderen hinnehmen, und darunter litt seine Selbstsicherheit, er zeigte es nur nicht. Er sehnte sich nach den Docks der großen Städte im Osten der USA zurück, die kannte er genau, die vermochte er zu beherrschen. Rourke war dafür verantwortlich, daß amerikanische Güter im Wert von fast einer Viertelmillion Dollar pro Tag - aus den Schiffen und Transportflugzeugen ausgeladen und dorthin geschafft wurden, wo sie zur Stützung der Volkswirtschaft benötigt wurden: in die Ansiedlungen und Agrargebiete des Landes. Aber er hatte sich schon lange mit der Tatsache abgefunden, daß er die mituyanische Mentalität niemals verstehen würde, und begnügte sich nun mit dem Pauschalurteil, fast alle Mituyaner seien Gauner. Er war einfach machtlos, er konnte nicht einmal feststellen, wie die Dinge aus den Lagerhäusern gestohlen wurden. Und die Sicherheitsbehörden waren so unfähig, daß die großen Kisten mit dem aufgemalten Freundschaftssymbol der im Handschlag verbundenen Hände -65-
jederzeit aufgebrochen und ausgeraubt werden konnten, wenn sie über Nacht im Dock stehen blieben. Rourke wollte gründlich durchgreifen, mußte aber immer vorsichtig sein und die mituyanischen Beamten schonen, denn durch eine direkte Beschuldigung verloren sie ihr Gesicht und damit ihr Ansehen als Beamte. Zum Teufel mit dem ganzen Scheißladen! Aber nun hieß es die Zähne zusammenbeißen und durchhalten bis zum letzten Tag dieser Verpflichtung, der Posten brachte immerhin großes Prestige. Nachher würde er wahrscheinlich Präsident seiner Union werden, der wichtigsten Schiffahrtsgewerkschaft im Küstengebiet des Ostens. »Also, meine Herren«, sagte Whittelsie in sachlichem Ton, »wir haben heute nur einen wichtigen Punkt auf der Tagesordnung: die Wahlen.« General Macker räusperte sich geräuschvoll. »Wenn diese miesen Burschen, die sich Journalisten schimpfen, nicht so viele unverantwortliche Sensationsartikel über die angeblichen Unterdrückungsmaßnahmen gegen Studenten und Buddhisten geschrieben hätten, wenn diese Korrespondenten, die sich Tag für Tag im Saint-George-Hotel besaufen, die Situation nicht so hinstellten, als würde eine unfähige Diktatur unter Premier KaritKi den Krieg gegen die Guerillas verlieren und alle demokratischen Opponenten ins Gefängnis werfen« - Mackers stark gerötete Hamsterbacken zitterten, als er tief Atem holte -, »... wenn dieses ganze Pack von Zeitungsschmierern, die sich einen Namen machen wollen, nicht wäre, dann brauchten wir uns nicht wegen der Wahlen den Kopf zu zerbrechen, sondern könnten alles daransetzen, um hier einen militärischen Sieg zu erringen!« Whittelsie überhörte diese kurze, hochbrisante Brandrede. »Meine Herren! Zunächst möchte ich Ihnen mitteilen, daß wir mit der neuen Haltung maßgebender Persönlichkeiten im Palast sehr zufrieden sein können. Premier KaritKi und sein Bruder und Berater Mr. Tarot sind durchaus bestrebt, die Wahl von -66-
Abgeordneten zur Konstituierenden Versammlung nach bestem Wissen und Gewissen zu organisieren. Ich glaube, wir können melden, daß die amerikanische und darüber hinaus die Weltöffentlichkeit in sechs Monaten eine unbeeinflußte, demokratische, völlig fair durchgeführte Wahl in Mituyan erleben werden. Das ist für uns sehr wichtig, denn damit werden die Bemühungen der amerikanischen Dienststellen und unsere rückhaltlose Unterstützung der legalen Regierung des Premiers vollauf gerechtfertigt. Ebenso werden wir die nächste, legal gewählte Regierung unterstützen, und niemand wird den Vorwurf erheben können, die neue Staatsführung entspräche nicht den Wünschen des mituyanischen Volkes.« Unwillkürlich griff General Macker an eine Tasche seiner Uniform, um eine Zigarette herauszuholen, da wurde ihm bewußt, was er tun wollte, und er faltete sofort wieder die Hände auf der Tischplatte. Whittelsie war Nichtraucher und hatte einen Horror vor Rauchschwaden in seinem Arbeitszimmer. Er verbot zwar niemandem das Rauchen während der Besprechungen, aber es gab im ganzen Raum keine Aschenbecher oder sonstige passende Gefäße, wie etwa Blumentöpfe, in die man Asche abstreifen und Zigarettenstummel hineinwerfen konnte. Schon der peinliche Gedanke, daß man die Asche entweder auf die spiegelblanke Tischplatte oder auf den sauberen Spannteppich fallen lassen müßte, genügte, daß jedem die Lust zum Rauchen verging. Während dieser langweiligen Sitzungen, bei denen so oft leeres Stroh gedroschen wurde, kam sich Macker immer wie ein Rauschgiftsüchtiger vor, der keinen »Stoff« mehr hat und unter Qualen auf die nächste Lieferung warten muß. Während der Botschafter alle Gründe darlegte, weshalb er dem Ergebnis der Wahlen optimistisch entgegensehe, und wortreich versicherte, daß man im Palast der diplomatischen Vertretung der USA sehr gewogen sei, rückte Grady Rourke auf seinem Stuhl hin und her und scharrte mit den Füßen. Er war es gewohnt, bei Konferenzen die erste Geige zu spielen und nicht -67-
nur dazusitzen und anzuhören, wie sich einer hochgestochen und professoral über Theorien verbreitete. Schließlich zog er ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche. Während die übrigen Mitglieder ihm wie hypnotisiert zusahen und Whittelsie, der bemerkte, was Rourke tat, den Faden verlor, entzündete der Gewerkschaftsboß in aller Ruhe eine Zigarette und sog den Rauch tief ein. Der Botschafter hörte überhaupt zu sprechen auf und starrte den gleichgültig vor sich hinblickenden hartgesottenen Burschen aus den Docks an. Alle schwiegen. Endlich raffte sich Whittelsie wieder auf. »Mr. Cardinez, vielleicht wollen Sie uns nun über Ihre Erhebungen, die Vorbereitungen der Wahl betreffend, Bericht erstatten.« »Es ist noch zu früh, um erschöpfendes Material vorzulegen, Sir. In dieser Woche gab es keine offenen Anzeichen dafür, daß Premier KaritKi Kandidaten der Opposition unterdrückt. Aber wahrscheinlich tut er es auf die eine oder andere Weise heimlich.« »Ich glaube, daß Sie unfaire, voreilige Schlüsse ziehen, Mr. Cardinez!« sagte Whittelsie erbost. »Vorhin habe ich die Einstellung des Palastes zu den Wahlen in allen Einzelheiten erörtert. Die Regierung bekundet in dieser Frage die denkbar beste demokratische Gesinnung!« Der Botschafter hielt inne, den entsetzten Blick auf die immer länger werdende Aschenschicht an Rourkes Zigarette gerichtet. »Seit mehr als einem Jahr verfolge ich die Entwicklung in Mituyan. Nach meinen Beobachtungen glaube ich nicht, daß Premier KaritKi freiwillig das Heft aus der Hand geben wird«, entgegnete Cardinez. Keiner schien diese Erklärung zu hören, alle sahen voll Spannung auf die lange, schon etwas gekrümmte Aschenstange, die nur noch wenige Sekunden an der Glut haftenbleiben konnte. Rourke drehte seinen Glimmstengel senkrecht, um noch -68-
Zeit zu gewinnen. Dann zog er das rechte Bein unter dem Tisch hervor, hob es, führte die Zigarette sorgsam an die Hosenstulpe und spreizte diese mit einem Finger weg. Gerade im richtigen Moment - die Asche fiel genau in die Falte. General Macker stieß einen hörbaren Seufzer aus, Whittelsie hatte den ganzen Vorgang mit ungläubigem Staunen verfolgt, Rourke schien überhaupt nicht zu merken, daß etwas Ungewöhnliches geschehen war. »Sir, Sie müssen bedenken, daß sich KaritKi nicht aus freien Stücken zur Abhaltung von Wahlen verstand«, ergriff Cardinez wieder das Wort. »Er wurde dazu gezwungen, als wir einen Teil des Hilfsprogramms einstellten.« »Ich glaube, er hat sich nun unserer Meinung angeschlossen«, erwiderte der Botschafter, die Augen noch immer wie gebannt auf die brennende Zigarette in Rourkes Hand gerichtet. »Sir«, widersprach Cardinez, »wir haben Meldungen über mindestens drei voneinander unabhängige Staatsstreichpläne gegen das KaritKi-Regime. Nicht einmal seine eigenen Generale glauben daran, daß er demokratische Wahlen gestatten wird. Sie sprechen davon, den Premier zu stürzen, eine Militärjunta zu bilden und die ordnungsgemäße Durchführung der Wahlen zu überwachen. Wenn dann eine frei gewählte Regierung zusammentritt, wollen sie dieser die Macht im Staat übergeben.« »Das ist das erstemal, daß ich von Verschwörungen höre. Welche Generale wollen sich gegen die Regierung erheben?« fuhr Whittelsie auf. Um Cardinez Mundwinkel zuckte ein Lächeln. »Sir, ein mituyanischer Offizier, der sich nicht mit Umsturzplänen trägt, ist so selten wie ein Franzose, der keine Mätresse hat.« Ted Baum lachte laut auf, was ihm einen kalten Blick des Botschafters eintrug, der dann wieder nervös zu Rourke hinsah. Dieser streifte gerade zum zweiten Mal Asche in seine Hosenstulpe. -69-
»Sie haben von einem ganz bestimmten Komplott gesprochen, Mr. Cardinez«, beharrte Whittelsie. »Jawohl. Natürlich muß meine Mitteilung als streng geheime Information betrachtet werden.« Cardinez musterte jeden einzelnen der Männer um den Tisch, sogar Grady Rourke, der mit neu erwachtem Interesse aufblickte. »General Dandig, der Kommandeur des mituyanischen 1. Korps, hat an der Art der Kriegführung vieles auszusetzen. Er ist militärischer Befehlshaber in jenem Korpsbereich, den Karit-Kis Bruder Poramat als sein privates Königreich betrachtet. Das erschwert die Dinge für den General. Die beiden sind nämlich keineswegs Freunde. Der General hält Verbindung zu einem meiner Agenten und hat bereits vorsichtig die Fühler ausgestreckt, um zu erkunden, wie sich die USA verhalten würden, falls die Armee KaritKi stürzt.« »Ich hoffe, Ihr Agent hat ihm gesagt, daß die amerikanische Botschaft und mit ihr die anderen amerikanischen Dienststellen auf Gedeih und Verderb zu KaritKi stehen«, ereiferte sich Whittelsie. »Mein Agent hat sich nicht festgelegt«, erwiderte Cardinez gleichmütig. »Sir, man muß wissen, daß Dandig nicht der einzige unzufriedene General in diesem Land ist. KaritKi und sein großer Kreis von Verwandten und Günstlingen sind bestrebt, die Armee für ihre persönlichen Zwecke zu mißbrauchen. Wenn wir KaritKi absägen wollen, dann genügt es, den Generalen einen Wink zu geben, daß wir ihren Mann als Premier einer Interimsregierung unterstützen werden, bis durch die Wahlen entschieden ist, wer an die Spitze der Regierung tritt.« »Und wen halten Sie für befähigt, das Amt dieses Premiers zu übernehmen?« fragte Macker skeptisch. »Ich weiß es nicht, General«, erwiderte Cardinez. »Gibt es Kandidaten, die als Gegner KaritKis und zugleich als -70-
Antikommunisten bekannt sind?« warf Ted Baum ein. »Nicht viele.« Cardinez streifte mit einem raschen Blick Gardy Rourke. Die Zigarettenglut näherte sich bedrohlich dessen Fingern. »KaritKi und Tarot schieben Oppositionsführer ohne viel Aufsehen auf die Felseninsel ab. Diese Wahl kann für das Regime Glück im Unglück bedeuten. Nun werden KaritKi und sein ganzer korrupter Clan wissen, wo sie ihre Gegner finden können, um sie rasch zu vernichten. Unser ganzes Konzept über freie Wahlen in diesem Land ist eine glatte Selbsttäuschung.« »Mr. Cardinez, wir pumpen Unsummen in dieses Mituyan hinein, daher haben die Regierung der USA und das amerikanische Volk ein Recht darauf, demokratische Entscheidungen zu fordern. Die Wahlen werden stattfinden«, erklärte Whittelsie. »Sicherlich gibt es einige unparteiische Kandidaten, deren Namen wir nennen können, damit die Welt sieht, daß wir auf freie Wahlen drängen.« »Ich glaube, Professor LakaLit von der Universität Tiking entspricht am ehesten Ihren Vorstellungen, Sir«, sagte Cardinez. »Er ist ein international anerkannter Wissenschaftler. Außerdem ist er Buddhist und bei der Bevölkerung der Provinz Tiking ebenso beliebt wie an der Universität.« »Ausgezeichnet!« rief Whittelsie erfreut. Aber sein Lächeln verschwand sofort wieder, als er sah, wie Grady Rourke den Zigarettenstummel vorsichtig zwischen den Fingern ausdrückte und in die Hemdmanschette steckte. Kein Stäubchen von Zigarettenasche verunzierte den Spannteppich. Macker hatte Rourkes Zigarette während der ganzen Prozedur keine Sekunde aus den Augen gelassen. Etwa eine Minute lang herrschte völliges Schweigen, Whittelsie mußte nach dieser ärgerlichen Ablenkung erst mühsam zum Thema zurückfinden. Er wandte sich an Baum. »Ted, ich glaube, damit ist Ihr erster Auftrag gegeben. Setzen -71-
Sie sich mit einem Journalisten in Verbindung - suchen Sie sich aber den bestinformierten Mann aus, der in Mituyan akkreditiert ist! - und schicken Sie ihn nach Tiking. Er soll einen Artikel über Professor LakaLit schreiben. Sie wissen, was wir brauchen - das Bild einer Persönlichkeit, die gegen KaritKi opponiert und dabei dennoch vollkommen freie Hand hat, da die Regierung bestrebt ist, der Bevölkerung die größtmögliche Entscheidungsfreiheit über die Wahl der Delegierten zu bieten, die über Mituyans künftige Verfassung zu bestimmen haben werden.« »Trifft den Nagel auf den Kopf!« stimmte Macker zu. »Schicken Sie Krakhaur hin, Baum. Er hat uns schon genug zu schaffen gemacht, nun soll er endlich einmal eine positive Geschichte vom Stapel lassen.« »Ganz meine Meinung«, pflichtete ihm Whittelsie eifrig bei. »Krakhaur ist genau der richtige Mann!« »Ich werde es versuchen, Sir.« »Was heißt ›versuchen‹?« bellte der General. »Sie haben doch die Aufgabe, diese Wichtigtuer zu überwachen!« Ted Baum brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, daß die Beziehungen zwischen den Auslandskorrespondenten in Tuyan und dem Country Team nur aus einem dauernden erbitterten Geplänkel bestanden. »Ich kenne Roger Krakhaur seit langem. Damals war er noch nicht der führende außenpolitische Berichterstatter des Star-Syndikates«, sagte er, »sicherlich wird er LakaLit interviewen, wenn ich ihn darum bitte.« »Gut, Ted. Genau das brauchen wir.« Whittelsie lächelte wieder. Es sah ganz so aus, als könnte er die Sitzung bald schließen. Seine Gedanken wanderten bereits zu dem roten Telefon in einem Fach seines Schreibtisches mit einer geheimen Leitung zu jener Frau, die er wahnsinnig begehrte, deren Nähe ihm aber immer wieder unheimlich war. Diesen Abend hoffte er -72-
sie zu sehen. »Sir« - der drängende Ton in Cardinez' Stimme riß den Botschafter aus seiner kurzen Träumerei -, »Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß ein Artikel über Professor LakaLit den gegenteiligen Effekt haben könnte, wenn KaritKis Bruder Poramat den Gelehrten durch - sagen wir -›Überredungskünste‹ von seiner Kandidatur abbringt.« »Unsinn, Mr. Cardinez.« Whittelsie gab sich keine Mühe, seinen Unmut zu verbergen. »Der Premier persönlich hat mir versichert, daß er diese Wahlen ohne Einschränkungen bejaht. Er ist ebenso wie wir fest davon überzeugt, daß Mituyan eine nach wahrhaft demokratischen Prinzipien gebildete Regierung braucht.« »Das stimmt, Sir. Aber nur dann, wenn diese Regierung aus KaritKi selbst und seinem Anhang besteht«, kommentierte Cardinez trocken. Feindselig maß Whittelsie den Leiter des Geheimdienstes, ersparte sich aber die Antwort. Sein Blick senkte sich auf die Aktennotiz, die vor ihm auf dem Tisch lag, dann sagte er laut: »Nächster Punkt der Tagesordnung: Die Feiern anläßlich der ›Dekade des Aufbaus‹ Das könnte eine weitere Gelegenheit für unseren neuen Informationschef sein, die Presse für die Leistungen der mituyanischen Regierung zu interessieren und dafür zu sorgen, daß Premier KaritKis zehnjährige Arbeit für den Fortschritt, den wirtschaftlichen Aufschwung und die innere Festigung Mituyans drüben in den Staaten in ausführlichen Artikeln gewürdigt wird. Wenn die Bevölkerung dieses Landes durch die Wahl entscheidet, daß KaritKi weiterhin Staatsoberhaupt bleiben soll - was ich persönlich für sehr wahrscheinlich halte -, dann soll der Premier wissen, daß wir schon immer auf seiner Seite standen.« Die vier anderen hörten mit ausdruckslosen Gesichtern Whittelsies Rede an, die in diesem Wortlaut offenbar bereits für -73-
seinen Bericht nach Washington bestimmt war. Cardinez fragte sich, ob der Botschafter tatsächlich so falsch über die wirkliche Einstellung der Mituyaner zum KaritKi-Regime informiert war. Glaubte dieser Berufsdiplomat allen Ernstes, daß KaritKi seine Macht einem vom Volk gewählten Führer übergeben würde? Daß die Ki-Sippe und ihre Kamarilla einen Rücktritt KaritKis zulassen würde, selbst wenn dieser persönlich zu einer solchen nach westlichen Begriffen demokratischen Geste bereit wäre? Jeder der beiden Brüder, sowohl Poramat wie Tarot, hatte durchaus die Macht, sich selbst zum Oberhaupt der Familie zu machen und Karit die Silbe »Ki« am Ende seines Namens zu entziehen, die seinen Status als Familienoberhaupt bezeichnete. Dann hätte Mituyan eben einen »Tarot-Ki« oder »PoramatKi« als Premier. Whittelsie wandte sich zu General Macker. »Willet, wie war die militärische Lage in dieser Woche? Die Presse behauptet, daß die Regierung mit jedem Tag an Territorium und Anhang verliert. Ich habe zwei Telegramme aus Washington erhalten, in denen tiefe Besorgnis darüber ausgedrückt wird.« »Es kam wohl im ganzen Land zu Aktionen gegen Guerillas«, gab Macker zu. »Aber von schweren Einbußen kann keine Rede sein. Im Gegenteil, Verteidigungsminister Xuat teilte mir mit, daß die Regierungstruppen bei geringen eigenen Verlusten dem Gegner hohen Blutzoll abgefordert haben.« »Hören Sie das von unseren Militärberatern im Feld?« fragte Whittelsie. »Die Journalisten, die von den Rückschlägen berichten, berufen sich auf die Aussagen von Personen, die an den Kampfhandlungen teilnahmen.« »Verbitterte Offiziere, die sich mit ihren mituyanischen Kommandopartnern nicht verstehen, schildern den Journalisten natürlich alles in den schwärzesten Farben!« erwiderte Macker erbost. »Ich habe alle Zeitungsberichte, die drüben in den Staaten erschienen sind, gesammelt. In der nächsten Woche führen wir Untersuchungen durch. Wir werden schon draufkommen, wer da etwas ausplaudert.« -74-
»Man muß den Reportern doch wenigstens einen Teil der Wahrheit sagen, wenn es schlecht steht«, protestierte Ted Baum. »Überhaupt nichts verlauten lassen!« konterte Macker scharf. »So lautet der Befehl an meine Leute.« Schulterzuckend beschloß Baum, seine Meinung für sich zu behalten, bis er besseren Einblick in die Situation hatte. »Wir gewinnen, verdammt noch mal!« Mackers Gesicht wurde rot wie eine Tomate. »Diese Scheißpresse soll uns nicht in den Rücken fallen, sondern die großen strategischen Zusammenhänge sehen, statt Greuelpropaganda zu verbreiten und vereinzelte kleine Rückschläge aufzubauschen.« Kühl musterte Whittelsie den Chef der Wirtschaftshilfe. »Mister Rourke, Sie waren heute außerordentlich schweigsam. Haben Sie im Einsatzgebiet Erfahrungen gesammelt, nach denen Sie uns vielleicht Anhaltspunkte über den voraussichtlichen Verlauf der Wahlen geben können?« »Wann waren Sie zum letztenmal draußen, Mr. Rourke?« fragte der General ironisch. Rourke blickte zwischen dem Botschafter und Macker hin und her. »Wie ich schon gesagt habe, ich arbeite achtzehn Stunden pro Tag hier in Tuyan am neuen Hilfsprogramm. Hier spielt die Musik! Als ich den Laden hier übernommen habe, waren die Dienststellen der Wirtschaftshilfe über die ganze Bildfläche verstreut. Dieser Minister Branot hat schon recht; er sagt, wenn wir den mituyanischen Behörden das Zeug hier in Tuyan übergeben, werden sie dafür sorgen, daß es dort hinkommt, wo es hingehört. Bei uns klappt alles prima. Die Brüder stehlen nur etwa zehn Prozent von dem, was aus den USA geliefert wird. Das ist besser, als es früher war«, fügte er zur Verteidigung hinzu. »Das heißt, Mr. Rourke« - Macker durchbohrte ihn mit seinen Blicken, als sei der Gewerkschaftsboß ein Soldat, der dabei ertappt wird, wie er vor dem Kriegsgericht eine falsche Aussage -75-
macht -, »das heißt, nur zehn Prozent werden auf dem Weg zwischen Tuyan und dem Sitz der Provinzchefs gestohlen, habe ich recht?« »Stimmt, General.« »Und was geschieht auf dem Weg vom Provinzchef zu den Menschen, für die das Material bestimmt ist?« »Das - wenn - wenn das Zeug bei den Provinzchefs landet, haben wir nichts mehr damit zu tun.« »Zu Ihrer Information, Rourke«, grollte der General, »die Hälfte der Versorgungsgüter, die den Bauern geliefert werden sollen - und die Bauern bilden immerhin achtzig Prozent der Bevölkerung des Landes! -, haben meine Offiziere und Soldaten im Einsatzgebiet zu verteilen! Und meine Leute melden, daß es von Tag zu Tag schwieriger wird, das Material, das unsere Regierung im Rahmen der Entwicklungshilfe nach Mituyan schickt, überhaupt ausfindig zu machen!« »Kann schon sein, daß Ihre Leute von vereinzelten kleinen Rückschlägen berichten - wenn ich mich Ihrer eigenen Worte bedienen darf«, gab Rourke bissig zurück. »Ich habe den Auftrag, mit Minister Branot zusammenzuarbeiten, und das tue ich.« Er wandte sich mit einem Bestätigung heischenden Blick an den Botschafter, der einsichtsvoll nickte. »Es stimmt, ich habe Mr. Rourke angewiesen, in engstem Einvernehmen mit dem Palast zu handeln.« »Na schön. Aber wenn es Mr. Rourke nicht egal ist, was mit Gütern geschieht, die täglich im Wert von einer Viertelmillion Dollar ins Land gepumpt werden, wenn ihm nicht gleichgültig ist, ob Steuergelder amerikanischer Bürger vergeudet werden, ganz zu schweigen vom Wohl der Menschen, denen wir zu helfen haben, dann soll er nicht in seinem angenehm kühlen Büro sitzen bleiben, sondern ein Paar Dschungelschuhe anziehen und hinausfahren, dorthin, wo es hart auf hart geht, ganz gleich, was Branot dazu sagt!« -76-
»Ich mache meine Arbeit, wie ich es für richtig halte, General, und ich meine, Sie halten es ebenso. Wenn Sie von mir einen militärischen Rat wollen, dann werde ich mich ausquatschen, aber nur, wenn Sie mich ausdrücklich darum fragen. Ansonsten halte ich die Klappe. Was dem einen recht ist, sollte dem anderen billig sein, oder nicht?« Macker lief dunkelrot an, sagte aber nichts. »Sie haben also keine Kommentare zu der Wahl?« fragte Whittelsie. Rourke dachte einen Moment lang mit gerunzelter Stirn nach, dann sagte er bedeutungsschwer: »Ich glaube, es ist eine gute Sache.« »Eben, eben!« sagte der Botschafter aufatmend. »Das war eine kurze, aber aufschlußreiche Sitzung. Ich glaube, wir haben jeden einzelnen Aspekt berücksichtigt. Alles in allem läuft die Wahlkampagne in voller Ruhe an.« Whittelsie bemerkte, daß Macker und auch Cardinez noch etwas sagen wollten, doch er war nun darauf bedacht, die Diskussion rasch zu beenden. »Wenn also keine anderen Fragen mit direktem Bezug auf die Wahl offenbleiben, dann schlage ich vor, daß wir die Besprechung beenden.« »Ein bestimmter Punkt wäre noch zu erörtern, Sir«, warf Cardinez ein. »Und zwar?« fragte Whittelsie etwas ungeduldig. »Was wird unternommen, um den Angehörigen des Groatstammes eine Stimme bei dieser Wahl zu sichern? Unsere Leute, die mit den Groats zusammenarbeiten, melden, daß sich in letzter Zeit die Quertreibereien der Mituyaner häufen. Nach den Vereinbarungen sollten wir die Entwicklungshilfe bei den Stämmen allein durchführen, ohne Beteiligung mituyanischer Behörden, aber die Provinzchefs versuchen, unsere Stützpunkte im Bergland zu kontrollieren.« »Mr. Cardinez, wir vermeiden es, an zwiespältige -77-
innenpolitische Probleme zu rühren. Die Spannungen zwischen den Bergvölkern und den Mituyanern sind eine heikle Sache, und ich ziehe es vor, mich da nicht einzumischen.« »Die Groats leben in dem Bergland, das fast ein Viertel des Staatsgebietes von Mituyan ausmacht, und nur sie allein stehen einer großangelegten Infiltration der Kommunisten aus Bardans im Weg.« Cardinez beugte sich über den Tisch zu Whittelsie. »Wir müssen dafür sorgen, daß sie loyal bleiben. Groats und Mituyaner hassen einander. Nur unsere Special Forces verhindern, daß sich die Groats zu den Kommunisten schlagen. Premier KaritKi muß den Bergvölkern die Gewißheit geben, daß sie in der neuen Regierung eine Stimme haben werden - sonst verlieren wir sie. Und dann können kommunistische Divisionen vom Gebirge aus mit Leichtigkeit das ganze Land überrennen!« Der Botschafter überlegte kurz. »Ja, das ist ein ernstes Problem, Mr. Cardinez. Nächste Woche werde ich eine private Unterredung mit Mr. Dickerson haben, wir werden sehen, was sich machen läßt.« Er blickte in die Runde. »Wenn das alles ist, dann erkläre ich die Sitzung für geschlossen.« Zu seinem Mißbehagen bemerkte Whittelsie, daß sich Macker nicht abschütteln ließ. Offenbar wollte er sich noch über eine bestimmte Frage Klarheit verschaffen. Jedenfalls blieb er ruhig stehen, als Cardinez, Baum und Rourke den Raum verließen, nachdem sie dem Botschafter ein angenehmes Wochenende gewünscht hatten. »Nun, was ist los, Willet?« »Es ist wie verhext, Whit! Immer, wenn ich im Palast vorsprechen will, hat niemand Zeit.« Whittelsie versuchte die Sache von der leichten Seite zu nehmen. »Sehen Sie, Willet, Sie haben eben nicht die richtigen Verbindungen, das ist das ganze Übel. Der richtige Weg zum Ziel führt über die Frauen, Willet. Diese bezaubernden Geschöpfe mit den verborgenen Krallen sind es, die im Palast -78-
die Fäden in der Hand halten!« Macker räusperte sich. Er war einer der wenigen in der USBotschaft, die wußten, daß Whittelsie von einem leidenschaftlichen Verlangen nach exotischen jungen Frauen beherrscht wurde. Tuyan war für solche Wünsche ein Dorado wie keine andere Stadt auf der Welt. »Ich glaube, ruppige alte Soldaten wie ich sollten die Boudoirdiplomatie geschickteren Händen überlassen.« Macker lachte dröhnend, mit einem verständnisinnigen, aufreizenden Blick. Als der Botschafter keine Miene verzog und nicht antwortete, ging der General zu einem konzilianteren Ton über. »Ganz im Ernst, Whit, ich erreiche es einfach nicht, daß mich KaritKi empfängt. Seit neuestem kursieren Gerüchte, daß Tarot eine neue militärische Elitetruppe aufstellen will. Wenn das stimmt, dann müßte ich zu Rate gezogen werden.« »Ich weiß nichts von neuen mituyanischen Einheiten«, erwiderte Whittelsie sehr bestimmt. »Warum empfängt mich KaritKi dann nicht?« Wahrscheinlich deshalb, weil du ihm auf die Nerven fällst, dachte der Botschafter. »Am Montag rufe ich Sie an, Willet«, versprach er. »Ich werde Ihnen so bald wie möglich einen Termin beim Premier erwirken.« »Danke, Whit. Schönes Wochenende.« Kaum war General Macker fort, ging Whittelsie zu seinem Schreibtisch, setzte sich nieder, lehnte sich zurück und entspannte sich für einige Minuten. Manchmal kam er sich wie ein Löwenbändiger vor, der die Großkatzen - die Mitglieder des Teams - daran hindern mußte, sich untereinander zu zerfleischen oder ihn selbst in Stücke zu reißen. Er mußte sie dazu bringen, dem Publikum eine eingespielte Dressurnummer zu bieten. Dieses Publikum waren die Leser der offiziellen internen Berichte. Und dann gab es noch ein viel größeres Publikum: die amerikanische Öffentlichkeit, die Whittelsies Team so sah, wie -79-
die Presse es schilderte. Er schloß eine Lade seines Schreibtisches auf und zog das rote Telefon heraus. Bevor ihn noch seine bösen Vorahnungen und Befürchtungen überkommen konnten, hob er den Hörer ab. Dabei sah er im Geist das Appartement im Palast vor sich, wo das Gegenstück zu diesem Gerät in einem mit Elfenbeinintarsien verzierten Mahagonischrank verwahrt war. Er wartete einige Sekunden, dann hörte er eine hohe Stimme am anderen Ende. »Whit, ist diese scheußliche Sitzung endlich vorbei?« »Schon erledigt, Mayna.« Er zögerte. Jetzt kam die innere Rechtfertigung für seine Liaison mit dieser Frau. »Hör zu, ich brauche für General Macker und mich selbst einen Termin für eine Besprechung mit dem Premier. Auf offiziellem Weg kann mich dein Schwager immer vertrösten, wenn ich darauf bestehe, der Unterredung den General beizuziehen. Kannst du es erreichen, daß er mich nächste Woche für eine halbe Stunde empfängt?« »Wird gemacht, Whit. Wann wirst du in Marashak landen heute abend?« »Wir sehen uns also heute noch?« fragte Whittelsie mit klopfendem Herzen. »Natürlich, Liebling.« »Ich dachte, daß Mr. Tarot vielleicht vorhat...« »Ich habe meinen Mann nicht eingeladen«, unterbrach ihn Mayna wegwerfend. »Außerdem fährt er nach Banthut. Ich bin überzeugt, er wird das Wochenende damit verbringen, politische Schachzüge auszuklügeln und Groatopium zu rauchen. Aber General Xuat wird in seiner Villa in Marashak sein. Du könntest mit ihm Tennis spielen« - sie kicherte - »wenn ich dir noch Kraft dazu lasse.« »Um acht Uhr abends bin ich auf der Landepiste von Marashak«, sagte Whittelsie. -80-
»Meine Limousine wird dich erwarten.« Mayna machte eine Pause, dann senkte sie die Stimme um eine Tiefenlage. »Jetzt ist es acht Tage her, Whit. Diese verlorene Zeit müssen wir einbringen. Ich zähle die Minuten bis heute abend.« Sie hängte ein, der Botschafter legte langsam den Hörer auf und schloß die Schreibtischlade. Dann blickte er auf den Brief seiner Frau nieder. Der lag schon seit dem Morgen ungeöffnet da. - Ich hätte dich gebraucht, Connie, dachte er, ja, ich hätte dich gebraucht, obwohl du von Jahr zu Jahr reizloser wirst, während ich immer potenter werde. Ein sonderbares Spiel der Natur? Er lächelte müde vor sich hin. Deshalb konnte ich nicht widerstehen, als mich Mayna verführte. Ja, sie hat mich verführt. Ich bin einfach ihren Lockungen erlegen. Tuyan ist kein Ort, wo ein hoher Diplomat in politisch unsicherer Position ohne seine Frau leben kann. Wenn du geblieben wärest, Connie, dann hätte ich mir wahrscheinlich eines dieser reizvollen Mischlingsmädchen, halb Mituyanerin, halb Europäerin, zugelegt, ganz diskret natürlich, aber auf keinen Fall hätte ich jetzt dieses fragwürdige Verhältnis mit der Frau des Bruders und politischen Ratgebers des Premiers. Whittelsie öffnete eine andere Lade und holte eine Flasche »Chivas Regal Scotch« hervor, seine Lieblingsmarke, die auf seine Veranlassung hin der Botschaft geliefert wurde. Er goß drei Fingerbreit der hellgoldenen Flüssigkeit in ein Glas, stellte die Flasche auf die Tischplatte, ohne die Kappe aufzuschrauben, und schlürfte in kleinen Schlucken gedankenvoll den starken, aromatischen Whisky. Maynas Mann war durch jahrelanges Opiumrauchen sowieso impotent; jedenfalls hatte sie das behauptet, und auch alle anderen sagten es. Whittelsie war überzeugt, daß Tarot genau wußte, daß der amerikanische Botschafter alle intimen Geheimnisse und raffinierten Liebesspiele der mannstollen Madame Mayna kannte. Wahrscheinlich begünstigte der schlaue Asiate sogar diese -81-
Affäre. Das war immerhin eine Möglichkeit, die US-Botschaft unmerklich zu gängeln. Zum Teufel mit der fernöstlichen Intrigenwirtschaft! Dieses Wochenende würde Whittelsie bis zur Neige genießen.
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5 Die Universität Tiking war von jeher das eigentliche Zentrum des Geisteslebens und der liberalen Gesinnung in der Republik Mituyan. Vor dem Auftauchen amerikanischer Militärberater und der Aufnahme geregelter Flugverbindungen war Tiking von Tuyan aus sehr schwer zu erreichen gewesen, und das primitive Verkehrssystem hatte das Reisen so beschwerlich gemacht, daß sogar Premier KaritKi nur selten die nördlichste Stadt seines Landes aufgesucht hatte. Deshalb war in der Provinz Tiking der Einfluß der Zentralregierung nie sehr stark fühlbar gewesen, so daß sich dort eine gewisse Eigenständigkeit erhalten konnte. Die höchste Entscheidungsgewalt in Tiking, ebenso wie in den anderen Provinzen, die im Kommandobereich des mituyanischen I. Korps und somit in der Region Nord lagen, hatte KaritKis Bruder Poramat. Zwar übten die Provinzchefs in den einzelnen Territorien ihre Autorität aus, aber im Rücken spürten sie immer den drohenden Schatten des starken Mannes, und dieses Bewußtsein hemmte sie. Offiziell war Poramat der politische Berater des Premiers für den Korpsbereich I, doch er kontrollierte auch alle wirtschaftlichen und militärischen Aktionen. Er unterhielt sogar eine eigene Polizeitruppe, deren fliegende Kommandos oft überraschend in den größeren Ansiedlungen und Vorposten auftauchten, die Durchführung von Poramats Verfügungen erzwangen und die Provinzchefs bespitzelten. Es handelte sich dabei etwa um eine asiatische Spielart des gefürchteten »SD« der deutschen SS. Poramat hatte seinen Sitz in Tiking und lenkte über den Kopf des nominellen Provinzchefs, Lieutenant-Colonel Yunakit, hinweg die Geschicke dieses reichsten und wichtigsten nördlichen Landstrichs des Staates. Die Universität war bereits in der zweiten Hälfte des 18. -83-
Jahrhunderts gegründet worden, also noch bevor die Briten 1791 auf Wunsch des Königs Barkun II. das Protektorat über Mituyan übernommen hatten. Wenn man von dem kleinen, schlanken Körperbau und dem asiatischen Gesichtsschnitt der Studenten absah, wirkte Tiking etwa wie eine mittlere englische oder amerikanische Hochschule. Professor LakaLit, der Altphilologie und Geschichte vortrug, war die bedeutendste Persönlichkeit an der Universität und wurde von Kollegen und Schülern geachtet und verehrt. Der Gelehrte genoß mehr Ansehen, seine Stimme hatte mehr Gewicht als die des Rektors, der die meiste Zeit mit rein organisatorischen und finanzpolitischen Fragen beschäftigt war. LakaLits Vorlesungen übten große Anziehungskraft aus, er sprach immer vor einem bis auf den letzten Platz besetzten Auditorium. Furchtlos sagte er seinen jungen Freunden, was sie hören wollten - daß sie die einzige Hoffnung für ein freies, demokratisches Mituyan seien. Wenn Mike und Luna nach Rishram fuhren, versäumten sie nie, den Professor in Tiking zu besuchen. Doch diesmal hatte Mike vorher noch eine geschäftliche Erledigung - er wollte die erste Zahlung an die Mitkoms selbst überwachen. Pünktlich auf die Minute erschien der Sendbote der MFF zum vereinbarten Zeitpunkt im Lohnbüro von Rishram, als dieses am Freitagmorgen geöffnet wurde. Frakit, wie er sich vorstellte, hatte einen kurzen schwarzen Spitzbart, der seinem hageren Gesicht einen mephistophelischen Zug verlieh. Sein schwarzes Haar war glatt zurückgekämmt, er trug Sakko und Hose westlichen Schnitts, wie es bei mituyanischen Beamten üblich ist. Sehr höflich erbat der Mann Einsicht in die Bücher, um sich zu überzeugen, ob das Bündel Banknoten, das Mike für ihn bereithielt, tatsächlich die richtige Summe sei. Während er die Eintragungen sorgfältig durchging und bei Fragen mit dem langen Nagel seines rechten kleinen Fingers auf die Zahlen wies, erkannte Mike, daß er einen ausgezeichneten Buchhalter -84-
vor sich hatte. Nach der Überprüfung händigte Mike mit unverhohlenem Widerwillen Frakit den Betrag ein, der zehn Prozent der wöchentlichen Lohnsumme Rishrams entsprach. Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie abfällig er und andere Amerikaner über die französischen Pflanzer in Vietnam geurteilt hatten, weil diese dem Druck der Vietkongs nicht gewachsen waren und wohl oder übel zahlen mußten. »Warum wehren sie sich nicht gegen die Kommunisten?« hatten die Amerikaner gefragt. »Wir bieten ihnen Schutz.« Aber welchen Schutz konnte ein Plantagenbesitzer von militärisch minderwertigen einheimischen Truppen unter unfähiger Führung erwarten? Das hatte Mike nun am eigenen Leib erfahren. Am Frühnachmittag war er mit Luna an Bord der Promise. Er brauchte seine ganze Selbstbeherrschung - und ein paar tüchtige Schluck Scotch -, um sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Mit einer langen Zigarre saß er auf dem Achterdeck, da hörte er, wie ihn jemand rief. »Ahoi, Mr. Forrester!« Auf dem Pier stand ein großer, schlaksiger junger Mann mit dichtem schwarzem Haarschopf. In der einen Hand hatte er eine Reiseschreibmaschine, in der anderen einen karierten Seesack, über der Schulter hing eine Kamera. »Erbitte Erlaubnis, an Bord zu kommen, Sir!« sagte er wie ein angeheuerter Matrose zum Skipper. »Erlaubnis erteilt.« Mike sah zu, wie der Mann über das Fallreep heraufkam. Er kannte wohl das Gesicht, konnte sich aber nicht auf den Namen besinnen. Erst als der Besucher vor ihm stand und die Schreibmaschine auf die Deckplanken stellte, fiel Mike ein, wie er hieß. »Krakhaur! Was machen Sie in Tiking?« Er wies auf einen gepolsterten Korbstuhl. »Was trinken Sie?« Roger Krakhaur stellte auch seinen Seesack ab, setzte sich und streckte wohlig die langen Beine aus. »Gin und Tonic, wenn's -85-
recht ist.« Mike drückte auf einen Knopf, ein Steward in weißer Bluse trat heran und nahm die Order entgegen. Mike kannte Krakhaur flüchtig aus Tuyan, vorher waren sie einander in Lateinamerika begegnet. Er achtete den Journalisten, dessen Berichte immer direkt den Kern der Sache trafen. Harte, unkonventionelle, kompromißlose, aber absolut faire politische Reportagen waren seine Stärke. Kein Wunder freilich, daß Schönfärber und Beschwichtiger wie Whittelsie nicht viel Freude mit ihm hatten. »Der Chef des Informationsdienstes hat mich gebeten, hierherzukommen«, erklärte Krakhaur. »Ted Baum ist ein alter Freund von mir. Vermutlich wünscht der Botschafter, daß Artikel über die Kandidaten der antikommunistischen Opposition erscheinen. Der profilierteste ist natürlich Professor LakaLit von der Universität Tiking. Deshalb werde ich darüber schreiben, was KaritKi alles unternimmt, um freie Wahlen zu organisieren, aus denen die erste Verfassunggebende Versammlung in der Geschichte der Republik Mituyan hervorgehen soll.« »Interessant. Ich wußte gar nicht, daß der Professor kandidiert. Aber ich kümmere mich eben nicht um Politik«, sagte Mike. »Heute abend hält er seine erste Rede.« »Er hat Luna und mich eingeladen, ihn zu besuchen, aber wir dachten, es sei eine Vorlesung und nicht eine politische Ansprache.« Der Steward kam mit Krakhaurs Drink. »Aus dem Thema mache ich einen Drei- oder Vierspalter«, sagte der Journalist. Mike blickte ihn an. »Nachher wird der Professor bei uns an Bord zu Abend essen. Wenn Sie Zeit und Lust haben, sind Sie uns willkommen.« »Da sage ich nicht nein.« -86-
Mike lächelte. »Ich könnte mir vorstellen, daß sich der Professor freuen wird. Sie hier zu treffen. Er bringt nämlich eine junge Mituyanerin mit. Sie studiert Publizistik, und er hat mich über die beruflichen Möglichkeiten befragt, aber nun können ja Sie darüber Auskunft geben.« »Ich stehe gern zur Verfügung.« Auf dem Pier kreischten Autobremsen. Mike sah auf die Uhr. »Spät, aber doch. Meine Frau war noch auf dem Markt. Sie bereitet ein Dinner mit mituyanischen Spezialitäten vor. Frische Krabben. Roger, Sie haben sich wirklich einen günstigen Zeitpunkt ausgesucht!« Lachend standen die beiden auf und gingen Luna entgegen. Um 5.30 Uhr nachmittags betraten Luna, Mike und Krakhaur die große Halle der Studentenunion. Professor LakaLit wartete in dem Raum hinter dem Podium und begrüßte seine ehemalige Schülerin sehr herzlich. Er hatte ein bezauberndes Mädchen bei sich, sie sah wie eine jüngere Schwester von Luna aus. »Das ist Alana, meine begabteste Hörerin«, sagte er. Krakhaur schien von ihrer Schönheit sehr beeindruckt. Sie war Eurasierin, daher war ihr apartes Gesicht in den Konturen etwas kräftiger als bei den reinblütigen Mituyanerinnen. Das Kleid umschloß eine sehr weibliche Figur, der hohe Schlitz des Rockes ließ wohlproportionierte Beine mit schlanken Fesseln und einem makellos gerundeten, festen Schenkel sehen. Es dauerte einige Sekunden, bis Krakhaur merkte, daß sich die anderen über seine stumme Bewunderung amüsierten. »Roger wird Alana gern Ratschläge geben, wie man Journalistin wird«, sagte Luna. »Oh, die beiden werden sicherlich viel zu besprechen haben«, meinte der Gelehrte fröhlich. »Wenn Sie nun alle Platz nehmen wollen. Ich beginne gleich mit meinem Vortrag.« Sofort war Krakhaur wieder ganz Reporter. »Wird es eine -87-
Vorlesung sein oder eine Wahlrede?« fragte er. »Etwas von beiden«, erwiderte LakaLit. »Sie können dann in Ihrem Artikel nach eigenem Gutdünken hervorheben, was Ihnen wichtig erscheint, Mr. Krakhaur. Übrigens - es ist das erstemal, daß die amerikanische Presse über einen meiner Vorträge berichtet. Ich gestehe, daß ich mich geschmeichelt fühle.« »Worüber werden Sie sprechen, Professor?« fragte Lima. LakaLit hatte kleine, schwarze, blinzelnde Augen, glatt zurückgebürstetes graues Haar und den schütteren, faserigen Bart eines ehrwürdigen alten Weisen. Hätte er statt des weißen Leinenanzugs fernöstliche Kleidung getragen, dann hätte man ihn für Ho Tschi Minh halten können. »In der Provinz Tiking liegt vieles im argen. Und es wird noch schlimmer werden«, sagte er ernst. »Nicht nur hier, im ganzen Land gärt es. Man muß auf der Hut sein. Jeden Tag erhalte ich Drohbriefe und mehr oder minder deutliche Warnungen. Man will mir vorschreiben, was ich meinen Schülern sagen soll.« Der Gelehrte ließ ein trockenes Lachen hören. »Aber ich bin schon zu alt, mein Leben liegt hinter mir, ich fürchte mich nicht. Deshalb werde ich auch weiterhin aussprechen, woran ich glaube - die Wahrheit. So lange, bis die eine oder die andere Seite ihre Drohungen wahr macht.« »Die Regierung weiß, daß Sie das Beste für Mituyan wollen«, wandte Luna ein. »Und Dhana verehrt Sie, Professor. Sie würde niemals zulassen, daß KaritKi etwas gegen Sie unternimmt.« Der Gelehrte blickte sie mit einem milden, traurigen Lächeln an. »In diesem Land geschehen Dinge, die ich nie für möglich gehalten hätte.« Er legte seine knochige Hand auf Lunas Schulter. »Wir sehen uns also nachher.« Sie betraten das Auditorium. Die weitläufige Halle war fast bis auf den letzten Platz besetzt. Mike, der die Reihen der Zuhörer musterte, packte plötzlich Lunas Arm. »Nowat ist hier!« sagte er halblaut. »Anscheinend mit einer ganzen Gruppe von MFF-88-
Leuten. Frakit, der Kerl, der heute in Rishram das Geld holte, sitzt neben ihm. Mindestens zwei der Männer sind keine Mituyaner. Ich wette, es sind Nordvietnamesen. Auch Kan ist da. Ich möchte wissen, was die Bande vorhat.« Krakhaur hatte nur Augen für Alana, die neben ihm ging. Er merkte nichts von Mikes Bestürzung. Sie fanden noch vier leere Plätze, einige Reihen hinter Nowat und seinen Genossen. Ein Zittern lief durch Lunas Körper. »Ich kann mich an ihn erinnern. Er war mir schon nicht geheuer, als er noch bei uns arbeitete«, flüsterte sie Mike zu. Als LakaLit schließlich auf dem Podium erschien, begrüßten ihn die etwa tausend Studenten mit anhaltendem, begeistertem Applaus. Die Atmosphäre in der Halle vibrierte vor Spannung. Seit Tagen kursierten Gerüchte, daß der Professor unverblümt über politische Themen sprechen werde. Mit einem gütigen Lächeln überblickte LakaLit die Scharen junger Menschen, die Kopf an Kopf vor ihm saßen. Geduldig wartete er, bis der Beifall abebbte, dann begann er zu sprechen - auf englisch, in der Sprache der Universität. Mike teilte seine Aufmerksamkeit zwischen dem schmächtigen, eindringlich sprechenden Gelehrten und Nowats Gruppe, die mißtrauisch zuhörte. »In diesen schweren, wechselvollen Zeiten müssen wir uns auf unsere Geschichte besinnen«, sagte LakaLit. »Mituyan besitzt eine der ältesten Kulturen Asiens. Vor den Chinesen im Norden hatten wir bereits Stätten hoher Gelehrsamkeit, eine eigene Schrift und eine humane Regierung, und unser Seidenhandel verband uns mit vielen anderen Völkern. Doch vor mehr als zweitausend Jahren drangen die Chinesen über die Grenzen vor und besetzten Mituyan. Sie errichteten in diesem Land ihr Mandarinsystem, das unserem gegenwärtigen, manchmal ebenso rücksichtslosen System der Provinzchefs sehr ähnlich war. Die Chinesen regierten Mituyan mit eiserner Faust. -89-
Alle Mituyaner waren dem Mandarin ihres Gebietes zinspflichtig. Die Mandarine wiederum mußten die Hälfte der Steuergelder dem chinesischen Statthalter abliefern, dessen Residenz sich im heutigen Tuyan befand. Wir lehnten uns gegen diese Gewaltherrschaft auf, aber die Chinesen hatten eine große Armee landfremder Barbaren, mit der sie jeden Widerstand im Keim zu ersticken vermochten. Das mituyanische Volk blieb in Ketten. Manchmal sammelten mituyanische Führer in unwegsamen Gebieten entschlossene Männer um sich, und in Kämpfen, die wir heute als Guerillagefechte bezeichnen würden, gelang es ihnen, die Chinesen zu schlagen. Einer der großen Guerillaanführer wurde König, es war Barkun L, der die Chinesen in Tuyan besiegt hatte. Zehn Jahre lang herrschte er in unserer Hauptstadt an den Ufern des Tuyanflusses. Doch die Zwingherren aus dem Norden hielten ihre Positionen in den übrigen Teilen des Landes, und um die Zerstörung von Tuyan zu verhindern, das zu einer der bedeutendsten und schönsten Städte Asiens aufgeblüht war, schloß Barkun L, einen Vertrag mit den Chinesen. Mituyan sollte weiterhin nach dem Mandarinsystem regiert werden, er selbst aber blieb König, bei ihm lag die höchste Entscheidungsgewalt in allen Fragen, die sein Volk betrafen.« Der Professor lächelte traurig. »In unserer modernen politischen Terminologie würde man diese Situation als Interessenkonflikt bezeichnen. Die Chinesen gaben sich damit zufrieden, das Land wirtschaftlich bis zum letzten auszubeuten und Barkun in dem Glauben zu wiegen, er halte die Zügel fest in der Hand. Ein Kriegsheld ist nicht immer ein weiser Herrscher.« LakaLit schien Anzeichen der Unruhe zu bemerken, die die Studenten erfaßte. »Ich weiß, daß den meisten von Ihnen alles, was ich da sage, bereits bekannt ist. Aber ich wiederhole diese historischen Tatsachen aus einem bestimmten Grund. Sehr bald werde ich die unabweisbaren Vergleiche zur aktuellen Lage ziehen.« -90-
Der Gelehrte ließ zehn Sekunden verstreichen, in der großen Halle war es völlig still, als hielten alle Zuhörer den Atem an. »Gegen Ende des 17. Jahrhunderts betraten die ersten englischen Händler mituyanischen Boden. Durch schlaue Winkelzüge und wenn es sein mußte - massiven Druck erreichten sie bei den Mandarinen, daß sie in Mituyan Tauschgeschäfte betreiben durften. Das ganze 18. Jahrhundert hindurch empfand die chinesische Führungsschicht die Eingriffe britischer Kaufleute, hinter denen als Machtfaktor die britische Flotte stand, als einen Stachel im Fleisch. Der Kampf zwischen den Mandarinen und den einander überbietenden Engländern - es ging um unseren Reis und unsere Rohstoffe - wurde auf dem Rücken des politisch bevormundeten und wirtschaftlich ausgebluteten mituyanischen Volks ausgetragen. Und dann vollzogen sich gleichzeitig jene beiden Ereignisse, die den Lauf unserer Geschichte veränderten.« Wieder eine Pause. Obwohl die Studenten mit den historischen Fakten vertraut waren, die der Professor seiner Rede zugrunde legte, hörten sie nun aufmerksam zu. Gespannt warteten sie auf die Parallelen, die LakaLit angekündigt hatte. Das erste Stichwort war bereits gefallen: die gefährliche Anklage gegen KaritKi, die in der Andeutung mitklang, die gegenwärtige Regierungsform, die Hierarchie der Provinzchefs, sei ebenso verwerflich wie die verhaßte chinesische Zwingherrschaft, durch die es zur Erbfeindschaft zwischen Chinesen und Mituyanern gekommen war. »Der britische Abenteurer, der später als Lord Trowbridge in den Adelsstand erhoben wurde, kam in das östliche Bergland. Dort stellte er fest, daß die Erzählungen mituyanischer Händler auf Wahrheit beruhten. Die Gebirgsstämme, vor allem die größte Völkerschaft, die Groats, hatten die besten Mohnkulturen der Welt. Der getrocknete Mohnsaft war von einer bis dahin nicht gekannten Güte. Sofort führte Trowbridge ganze Gruppen von Desperados und Glücksrittern ins Gebirge, sie ließen sich in -91-
den Dörfern der Groats nieder, forcierten den Anbau des hochwertigen Mohns und sorgten dafür, daß der Ertrag ausschließlich an britische Händler geliefert wurde. Die Briten brauchten das Opium, um ihre erschütterte wirtschaftliche Position in China zu festigen. Im 19. Jahrhundert verfügte der Kaiser, daß China mit britischen Kaufleuten nur dann weiter Handel treiben dürfe, wenn diese in Gold- und Silberbarren bezahlten. Bald war ein großer Teil des Weltbestands an ungemünztem Gold und Silber in China angehäuft. Doch als die Briten Opium in großen Mengen einführten, kam die große Wende. Die chinesischen Händler in Kanton mißachteten den Erlaß des Kaisers und tauschten Tee und das kostbare Edelmetall gegen Opium ein. Sie konnten das Opium bis auf das letzte Gramm in Kanton absetzen. Bald stapelten sich wieder Goldund Silberbarren in den Gewölben der Londoner Banken. Die Chinesen unternahmen alles, um zu verhindern, daß das Opium aus dem Bergland die britischen Schiffe erreichte. Auf Befehl aus Peking sollten die Mandarine die Briten aus Mituyan vertreiben. Im Gebirge und auf den Pfaden zu den Häfen wurden viele Schlachten geschlagen. Zu diesem Zeitpunkt waren die irregulären Streitkräfte Barkuns II. einsatzbereit, und während die Chinesen im Kampf gegen die Briten und die kriegerischen Groats in den Bergen schwere Verluste erlitten, griffen die Guerillas des Königs die chinesischen Garnisonen in der Umgebung von Tuyan an. Die Lage blieb unentschieden, bis Barkun sich an London wandte und Königin Viktoria bat, Mituyan unter britischen Schutz zu stellen. Die Briten, die dadurch ihren Nachschub an Opium und somit ihren Chinahandel und die lebenswichtige Zahlungsbilanz in Form von Gold und Silber zu sichern hofften, zögerten nicht. Sie schickten Kriegsschiffe und gutbewaffnete Landungsdetachements. Die chinesischen Mandarine mußten mit ihrer Soldateska abziehen. Barkun verblieb auf dem Thron, -92-
aber Mituyan gehörte nun zum mächtigen britischen Empire und unterstand einem Generalgouverneur. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde das Land eigentlich von den Briten regiert und verwaltet, das Opium hatte im Kräftespiel längst seine entscheidende Rolle verloren, dafür waren Kautschuk, Zinn und der Reis aus unseren fruchtbaren Anbaugebieten im Süden auf dem Weltmarkt sehr gefragt und stärkten die Positionen des britischen Außenhandels. Doch während des Krieges wurde uns klar, daß wir England nicht brauchten und daß Mituyan seine staatliche Unabhängigkeit erlangen müsse. Unser Glauben an die Überlegenheit europäischer Truppen und Machtmittel schwand, als wir erlebten, wie rasch und leicht die Japaner die Briten besiegten. Wir sahen Engländer und Australier, die wie Tiere in schmutzstarrende Käfige gesperrt und von ihren Bezwingern aus dem Fernen Osten, den Japanern, erniedrigt und verhöhnt wurden. Die weiße Rasse hat in Asien für immer ihr Gesicht verloren. Wir wissen, daß eine stoßkräftige, straff geführte Armee von Asiaten ein europäisches Heer auf asiatischem Boden vernichten kann. Die meisten von Ihnen, meine Zuhörer, erinnern sich daran, wie erfolgreich die Aktionen mituyanischer Partisaneneinheiten - und auch der Groats - unter britischem und amerikanischem, doch ebensogut unter mituyanischem Kommando verliefen. Diese Kämpfe banden starke japanische Truppenkontingente, die sonst im pazifischen Raum gegen die Amerikaner zum Einsatz gebracht worden wären. Nach dem Krieg gingen viele unserer Partisanen unter mituyanischen Anführern wie KaritKi, seinen Brüdern Poramat und Tarot und anderen abermals in die Berge, in den Dschungel und ins Tuyandelta. Nun richteten sie ihre Waffen gegen die Briten. ›Mituyan den Mituyanern‹war ihre Parole. Ein erbitterter Guerillakrieg brach aus. Er dauerte bis 1950. In diesem Jahr wurde das Protektorat aufgehoben, und zum erstenmal in der -93-
Geschichte war Mituyan ein wahrhaft freies Land. Die Regentschaft Barkuns VI. war nur ein kurzes Zwischenspiel. Der Rat der Alten, unterstützt von der Armee, proklamierte die Republik, der Monarch wurde ins Exil geschickt und residiert fortan in Hongkong und an der Riviera, wo er soeben, wie ich heute in den Zeitungen las« - ein Gelächter lief durch die Reihen -, »ein Filmstarlet erobert und auf seine Jacht entführt hat, um ihm zu zeigen, was mituyanische Kühnheit ist.« Die Zuhörer applaudierten lebhaft, nur Nowat und die anderen MFF-Bonzen regten sich nicht. Als der Beifall verhallte, sprach LakaLit weiter. »Während der nächsten sieben Jahre hatten wir viele Präsidenten und›starke Männer‹aus der Generalität, die versuchten, dem Staatsschiff einen festen Kurs zu geben. Es ist Ihnen, meine lieben Freunde, nur allzu gut bekannt, daß die Kommunistische Partei große Anstrengungen unternahm, um in Mituyan an die Macht zu kommen. Doch sie erreichte ihr Ziel nicht. Allerdings war es nur mit Hilfe der amerikanischen Militärberater möglich, kommunistische Unruhen zu unterdrücken, die Amerikaner bildeten unsere Armee aus, lieferten ihr die nötige moderne Ausrüstung und unterwiesen unsere Soldaten im Gebrauch neuzeitlicher Kampfmittel. Leider ist Mituyan seiner geographischen Beschaffenheit nach nur allzu geeignet für einen Guerillakrieg. Tausende von bewaffneten Männern können in den Bergen untertauchen, wo die Groats immer noch Mohn pflanzen und Rohopium verkaufen. Tausende können in der riesigen Reisschüssel des Tuyandeltas verschwinden, wo ihnen der fruchtbare Boden alles bietet, was sie zum Leben brauchen. Und im Dschungel, nur wenige Meilen von diesem Podium entfernt, an dem ich nun stehe, können sich ohne Schwierigkeiten große Guerillagruppen verbergen und überraschend zuschlagen, wie es vor einigen Tagen geschah, als die Distriktsstation bei Rishram angegriffen und zerstört wurde. Aber ich weiche vom Thema ab. Im Jahre 1957 schließlich wurde KaritKi mit Hilfe des Generals Xuat Mituyans -94-
Staatsoberhaupt. Seither haben wir eine starke Zentralregierung, die wirtschaftlich und militärisch von den USA unterstützt wird. In der nächsten Woche feiert Premier KaritKi die Vollendung der ›Dekade des Aufbaus‹, der Dekade unter einer Führung, die sich in allen Krisen zu halten vermochte. Zum erstenmal in der aufgezeichneten Geschichte unseres Landes stand Mituyan zehn Jahre lang unter Selbstverwaltung. Dies ist an sich ein beachtlicher Fortschritt.« Ein undeutliches, vielstimmiges Gemurmel der Zuhörer war die Antwort. Mike bemerkte, daß Nowat und seine Leute mit raschen Blicken die Reaktion auf diese Erklärung, die wie ein Lob auf Premier KaritKi klang, beobachteten. Einige der Studenten machten Miene, aufzuspringen und LakaLit scharf zu erwidern. Aber der Gelehrte überblickte in stoischer Ruhe das Gewoge der Köpfe, bis sich wieder Stille über die Reihen senkte. Er wartete einige Sekunden, dann fuhr er in seiner Rede fort: »Soviel zunächst über unsere Geschichte. Lassen Sie mich nun Betrachtungen über die Äußerungen eines mächtigen, nein, des mächtigsten Staatsmannes Asiens anstellen - über die Worte Mao Tsetungs. Sein offen einbekanntes Ziel ist die kommunistische Weltrevolution. Zuerst will er den gesamten asiatischen Kontinent unterwerfen. Aber Mao war so gütig, seine Lehre von der Usurpation ausführlich niederzuschreiben, wir können sie nachlesen. Dies erinnert mich an jenen europäischen Diktator Adolf Hitler, der ebenfalls seinen Plan für die Welteroberung mit allen Einzelheiten in einem Buch niederlegte. Ich zweifle nicht daran, daß Hitler jede programmatische Erklärung in ›Mein Kampf‹ in die Tat umsetzen wollte - um jeden Preis. Ebenso bin ich überzeugt, daß auch Mao und sein politischer Apparat jedes Wort mit vollster Überlegung aussprechen. Der alte Mann in Peking gibt keine Parolen aus, es sind Befehle, Verpflichtungen, Richtlinien für einen gnadenlosen Kampf gegen die Freiheit des Menschen.« -95-
LakaLit machte eine Kunstpause, er spürte die Spannung, die nun alle erfaßt hatte. »Mao teilt die Strategie und Taktik des, wie er es nennt, ›nationalen Befreiungskrieges‹ in drei Phasen ein. Wir wollen den Modellfall kurz erörtern, und dabei erhebt sich die Frage, ob wir in Mituyan nicht bereits die zweite Phase miterleben! Die erste Phase ist ein Propagandafeldzug. Eine kommunistische Organisation wird gebildet, doch sie deklariert sich nicht als solche. Viele der Mitglieder wissen nicht einmal, daß die Gruppe unter kommunistischer Führung steht und die Vernichtung der freien Gesellschaftsordnung anstrebt. Während dieser Zeit werden - getreulich nach Maos Prinzipien - die Vorbedingungen für die weiteren, radikaleren Aktionen geschaffen. Das Terrain wird sondiert. Typisch für diese erste Phase ist, daß eine kleine Gruppe gegen die Majorität der Bevölkerung ausgespielt wird. Die kommunistischen Agitatoren wissen, wo die Unzufriedenen zu finden sind, sie malen ihnen demagogisch die Situation in der schwärzesten Farben. Damit beginnt die Verhetzung. Natürlich werden auch die Studenten aufgewiegelt.« Wieder steigerte der Professor die Wirkung seiner Worte durch eine Pause. Einige der Studenten rückten betroffen auf ihren Stühlen. »Vorige Woche kam es zu Demonstrationen buddhistischer Studenten gegen das Übergewicht der Anglikaner innerhalb des Staatsapparates. Diese Zwischenfälle mögen von universitätsfremden Unruhestiftern veranlaßt worden sein. Das gleiche kann auf die Gegendemonstrationen der anglikanischen Studenten zutreffen.« LakaLit blickte nun Nowat direkt an. »In diesem Saal sehe ich einige Personen, die nicht der Universität angehören. Es sind dieselben, die sich vorige Woche an den antiamerikanischen Demonstrationen beteiligten. Für Studenten einer großen Hochschule wie unserer in Tiking gibt es nichts Gefährlicheres, als sich von Unbekannten zum Aufruhr verleiten zu lassen. -96-
Die Verbreitung von Unzufriedenheit im ganzen Land paßt genau in die Pläne kommunistischer Wühlarbeit. Der nächste Schritt ist die Formierung politischer und bewaffneter Kader. Wenn dann ein Netz von Aktivistenzellen und Guerillagruppen das gesamte Staatsgebiet überzieht, beginnt die zweite Phase. Überfälle auf Polizeistationen und wehrlose Beamte, Raub von Waffen, grausame Fememorde verbreiten Schrecken, im sozialen Bereich wird der Haß gegen die ›Reichen‹ geschürt, Terror und Agitation machen das Land zum Krisenherd. Auf die raschen, schlagartigen Angriffe auf Vorposten folgen größere Guerillaaktionen: Hinterhaltgefechte gegen Truppen und Transportkolonnen, Überfälle auf Garnisonen, terroristische Tätigkeit in den Städten, systematische Ermordung von Provinzchefs, Distriktschefs und Dorfvorstehern. Vor allem die führenden Köpfe des akademischen Lebens haben keine Schonung zu erwarten. Maos Taktik zielt darauf ab, einen Zustand der Anarchie zu schaffen, in dem niemand es wagt, als Vertreter der Zentralregierung zu handeln, weil er sich schutzlos preisgegegeben weiß. Gelehrte, Universitätsprofessoren wie ich selbst stehen auf der kommunistischen schwarzen Liste ganz oben. Das ist einer der Gründe, weshalb ich heute abend zu Ihnen sprechen wollte. Es freut mich, daß eine große Anzahl von Studenten hier anwesend ist, um diese Rede zu hören, die vielleicht meine letzte sein wird.« In den Reihen erhob sich ein erregtes Flüstern. »Die zweite Phase des ›Befreiungskrieges‹ dauert so lange, bis die Streitkräfte der Regierung durch schwere Verluste geschwächt und demoralisiert sind und die Bevölkerung mit der Bewegung der Aufständischen sympathisiert oder zu verängstigt ist, um sich gegen den Druck zu wehren. Damit ist die Zeit reif für die dritte Phase: militärische und politische Großoffensiven, bis die Regierung gestürzt ist und die Revolutionäre die Macht im Staat übernehmen. Aus der Entfernung konnten wir die siegreiche Beendigung dieser dritten Phase eines kommunistischen -97-
Befreiungskrieges verfolgen, als die Vietminh 1953 die Franzosen nach der siegreichen Schlacht von Dien Bien Phu aus Nordvietnam vertrieben. In Südvietnam ist die dritte Phase noch immer im Gang, nur die 500 000 amerikanischen Soldaten haben bis jetzt verhindert, daß auch in diesem Land der Kommunismus zur Herrschaft kommt.« Lächelnd schlug LakaLit einen leichteren Ton an. »Im Sprachgebrauch der Amerikaner gibt es eine sehr treffende Wendung: ›Zum Tangotanzen gehören zwei.‹ Sie paßt auf unsere Situation.« Er wurde wieder ernst. »Um einen nationalen Befreiungskrieg mit Aussicht auf Erfolg führen zu können, müssen die Kommunisten einen Grund haben. Es müssen eindeutig definierbare Mißstände im Land herrschen - erlauben Sie mir einen physikalischen Vergleich: die Strahlen müssen sich in einem Punkt sammeln, einem Brennpunkt der Unzufriedenheit. Und wo ist in Mituyan der Grund für die allgemeine Unzufriedenheit zu suchen? Im Palast von Tuyan!« Es war, als prallten die Zuhörer zurück. Offene Kritik an der Regierung war etwas Ungeheuerliches. Zwar konnte kein Student oder Professor beweisen, daß jemals politische Gegner des Palastes verurteilt worden waren, dennoch blieb die Tatsache bestehen, daß viele Personen, die offen gegen KaritKi Stellung genommen hatten, einfach spurlos verschwanden. Doch der Gelehrte ließ sich nicht beirren. »Premier KaritKi und sein Anhang verfahren mit der Bevölkerung dieses Landes auf die gleiche Weise wie einst die Chinesen während ihrer langen Herrschaft in Mituyan. Statt der Mandarine haben wir nun die Provinzchefs. Der Chef dieser Provinz, LieutenantColonel Yunakit, und sein Vorgesetzter Poramat, der allmächtige Mann der gesamten nördlichen Region Mituyans, haben die unumschränkte Gewalt über uns alle, sie können über Leben und Tod entscheiden. Durch die Provinzchefs übt Poramat seine Macht aus, hebt nach eigenem Ermessen Steuern vom Volk ein, unterstützt die Großgrundbesitzer, wenn sie ihre -98-
Pächter zu erhöhten Zahlungen zwingen wollen, und verteilt das Hauptkontingent der amerikanischen Hilfsgüter an jene Provinzund Distriktschefs, die sich seiner Gunst erfreuen. Wenn Poramat oder die Distriktschefs die Nahrungsmittel, Maschinen, Baustoffe und die vielen anderen Dinge, die uns das amerikanische Volk zur Stärkung unserer Wirtschaft sendet, zu eigenem Nutzen verkaufen wollen, können sie es ungehindert tun. Wer sie deswegen kritisiert, muß ihre Rache fürchten. Unter KaritKi geht es den Menschen in Mituyan nicht besser als einst unter den Mandarinen und nicht so gut wie zu der Zeit, als die untadeligen britischen Kolonialbeamten das Land verwalteten. Wir sehen keine Anzeichen für die Durchführung so dringend nötiger Reformen wie die der Regelung der Pachtzinse und Steuern, der Garantie ordnungsgemäßer Gerichtsverfahren und der Einschränkung der Machtbefugnisse der Provinzchefs. Diese mißbrauchen ihre Stellung zur Ausübung persönlicher Willkür, die Leidtragenden sind Einzelpersonen oder ganze Familien, denen hoher Tribut abgefordert wird, sei es in Form von Geld, Gütern oder - und dies ist eines der größten Übel in unserem Land! - von Sklaven.« In der Halle herrschte Totenstille. Viele der Zuhörer, besonders jene gebildeten Mituyaner, die keine Studenten waren und daher nicht den Schutz der Immunität genossen, verfolgten mit wachsendem Unbehagen die unerwartet scharfen Kommentare des Professors. »Studenten, die zum Militär eingezogen werden, wissen genau, daß sie keine Aussicht auf Beförderung haben, wenn ihnen die Verbindungen zum Palast fehlen. Im Staatsdienst machen die Absolventen unserer Universität die gleichen Erfahrungen. Karit-Kis längst veraltetes Mandarinsystem entscheidet über die Besetzung der guten Posten und bestimmt über die Höhe der Gehälter. Wie soll sich ein junger Mann, der hier in Tiking alte Sprachen, Philosophie und vergleichende Religionswissenschaft studiert hat, damit abfinden, daß unter der -99-
gegenwärtigen mituyanischen Regierung nicht Wissen und Können, sondern Nepotismus und Protektionismus für den Aufstieg entscheidend sind?« Als LakaLit wieder schwieg, sah Mike, daß Nowat seinen Genossen grinsend zunickte. Dann fuhr der Gelehrte fort: »Alles, was ich Ihnen, meine Schüler und Freunde, nun über die Mißstände des KaritKi-Regimes sagte, werden die Kommunisten der Bevölkerung immer wieder vorhalten, um sie für jene Bewegung zu gewinnen, die sich Mituyanische Freiheitsfront oder kurz MFF nennt. Doch was würde die MFF wirklich bieten, wenn sie in Mituyan ans Ruder käme? Was geschah in Nordvietnam, was geschah im kommunistischen China? Gehirnwäsche, sogenannte Bodenreformen, die dem Bauern das stolze Bewußtsein nahmen, auf seinem eigenen Boden zu säen und zu ernten. Deshalb geht sein Ertrag zurück, er wird bestraft, die nächste Ernte ist noch geringer, und er wird erschossen. Wie ich bereits in meinen zeitgeschichtlichen Vorlesungen betont habe, ist im kommunistischen Staatswesen die persönliche Entscheidungsfreiheit völlig ausgeschaltet - und damit das Ideal der individuellen Freiheit zerstört, das seit Jahrhunderten, von Anbeginn an, das geistige Fundament unserer Universität bildet.« Nun schüttelten Nowat und die anderen MFF-Funktionäre drohend die Köpfe. Eine Sekunde lang traf sie LakaLits ruhiger, überlegener Blick, ehe er weitersprach: »Ihr, meine jungen Freunde, müßt genau wissen, wie ihr euch der großen Masse der Bevölkerung gegenüber zu verhalten habt. Es geht zunächst nur darum, dem Land seine Unabhängigkeit zu bewahren! Ihr müßt mit den Menschen sprechen und ihnen erklären, daß es trotz der Korruption in Tuyan die Pflicht jedes Staatsbürgers ist, die kommunistische Propaganda abzulehnen. Dies schuldet ihr als gebildete junge Männer und Frauen eurer Heimat! Gestützt auf die amerikanischen Hilfsaktionen, wird es der Intelligenz Mituyans gelingen, das Unrecht und die Mißwirtschaft unter der -100-
gegenwärtigen Regierung auf friedlichem Wege zu beseitigen und nicht durch einen gewaltsamen Umsturz, zu dem die kommunistischen Hetzer aufrufen. Ihr dürft die Menschen niemals belügen! Gebt unumwunden zu, daß das Regime KaritKis viele Fehler begangen und viel Schuld auf sich geladen hat. Doch vergeßt darüber nicht, im Volk den Glauben zu wecken, daß wir in den nächsten Jahren durch Selbstvertrauen und Tatkraft unsere wichtigsten nationalen Ziele erreichen können: die Bildung einer starken Zentralregierung, die wirklich alles unternimmt, um den Lebensstandard der breiten Bevölkerungsschichten zu heben, und die Schulen für alle Kinder, Spitäler für alle Kranken baut. Wir dürfen hoffen, daß nach den Wahlen die Diktatur der Provinzchefs ein Ende finden wird!« Der Professor lächelte der Schar seiner Zuhörer freundlich zu. »Die Wahrheit klingt jenen, die sie betrifft, niemals gut in den Ohren. Was ich sagte, sind unumstößliche, belegbare Fakten. Ihr müßt nun selbst entscheiden, wie ihr handeln werdet. Aber die Zeit der Gleichgültigkeit ist vorbei. Die MFF will, daß die Regierung in Rauch und Blut einer Revolution untergeht. Die Aufgabe der einsichtigen, patriotischen Mituyaner ist es, dafür zu sorgen, daß eine starke, aber demokratische Zentralregierung das Land sicher durch alle Fährnisse steuert. Während wir dem Druck der Kommunisten widerstehen, müssen wir gleichzeitig alles daransetzen, um durch umfassende Reorganisationen auf allen Ebenen ein besseres System der staatlichen Verwaltung zu schaffen - eine Politik der sauberen Hände vom einfachen Distriktschef bis hinauf zu den Spitzen in Tuyan. Dies ist eure Aufgabe!« Kein Laut unterbrach die rhetorische Pause. Alle waren von LakaLits Worten tief beeindruckt. - Alle bis auf die kleine Gruppe von Männern, die mit zusammengekniffenen Augen zum Podium emporsahen. »Das mituyanische Volk setzt seine Hoffnung in eine freie -101-
Wahl von Delegierten in die Verfassunggebende Versammlung von Tiking. Wenn es dieser Versammlung gelingt, eine Konstitution zu schaffen, durch die wir einen gerichteten Platz unter den freien Völkern der Welt erlangen, dann haben wir jenes hohe Ziel erreicht, von dem unsere freiheitsliebenden Führer seit zweitausend Jahren träumen.« In heiterer Gelassenheit fuhr LakaLit fort: »Ich selbst kandidiere für das Amt eines Vertreters der Provinz Tiking. Mein Gegenkandidat, den Poramat bis jetzt noch nicht nominiert hat, wird für das korrupte Regime des Premiers KaritKi eintreten. Ich werde meine ganze Kraft für die Bildung einer demokratischen, volksverbundenen Regierung einsetzen. Eines allerdings haben wir beide, mein Gegner und ich, gemeinsam: Wir wissen, daß ohne eine starke Zentralregierung in Mituyan alle Werte, die das Leben lebenswert machen, verloren sind. Deshalb bitte ich jeden Mann und jede Frau in diesem Auditorium, ich bitte alle, die die wahre Demokratie und den Wohlstand des mituyanischen Volkes wollen, mir ihre Stimme zu geben und überall dafür zu wirken, daß ich als Delegierter dieser Provinz in die Konstituierende Versammlung entsandt werde.« Mit einem leichten Kopfnicken ließ er die Hände sinken. »Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.« Einige Sekunden herrschte völlige Stille. Dann brach wie ein Orkan der Beifall los. Die Studenten applaudierten, brüllten und trampelten mit den Füßen. Stehend klatschten sie weiter. Sie wußten genau, daß ihr Professor sein Leben wagte. Er stand zwischen zwei Feuern. Es drohte ihm entweder ein Mordanschlag von selten der Kommunisten oder die Verhaftung durch Yunakits Provinzpolizei. Mike und Luna sahen einander bestürzt an. Mikes Blick fiel auf Nowat, der sich zu einem der Ausgänge drängte, mit finsteren Gesichtern folgten ihm die anderen MFF-Funktionäre. Die Studenten brachten ihrem Lehrer noch immer Ovationen -102-
dar. »O Mike, was wird nun geschehen?« Mike schüttelte ratlos den Kopf. »Gehen wir zu ihm.« Gegen den Strom der Menge, die sich in dichtem Gewoge auf die Türen zu bewegte, schob sich Mike mit Luna, Alana und Krakhaur am Podium vorbei in Richtung des kleinen Konferenzraumes. LakaLit erwartete sie bereits, allein. Die anderen Professoren und der Rektor waren verschwunden. »Ich glaube, keiner dieser Herren wird sich in nächster Zeit mit Professor LakaLit zeigen wollen«, bemerkte Mike leise. Zu Krakhaur sagte er: »Wenn es in dieser Provinz wirklich zu freien Wahlen kommt, wird er als Sieger hervorgehen - das heißt, wenn er dann noch am Leben ist.« Der Reporter nickte. »Morgen wird mich der Rektor rufen lassen«, sagte LakaLit. »O Professor, Sie waren so tapfer!« rief Alana. Sie trat auf den alten Gelehrten zu, legte die Hände auf seine schmalen Schultern und küßte ihn auf die Wange. Ein vergnügtes Lächeln erhellte sein ernstes Gesicht. »Dafür würde ich mit Freuden wieder auf das Podium steigen und noch eine Rede halten!«
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6 Nowat steuerte in dem kleinen alten Austin auf den Fotoladen zu, der der MFF in Tiking als Tarnung für ihre Umtriebe diente. Er dachte eben angestrengt nach. Die Unterredung mit Forrester hatte in ihm Zweifel geweckt, die er sich zwar nicht eingestehen wollte, aber er wurde das unangenehme Gefühl nicht los, daß man ihn nur nach außen hin als politischen Führer der Provinz Tiking gewähren ließ, während in Wirklichkeit... Neben ihm saß der Chinese Tsung, auf dem Rücksitz hockten eingeklemmt der Vietnamese Nguyen Van Kan und Nowats Stellvertreter, der mituyanische Buchhalter Frakit. Mike Forresters Feststellung, daß die MFF von Ausländern geführt werde, war nicht aus der Luft gegriffen. Tsung und Kan hatten sehr wohl die Macht, Befehle zu erteilen und zu widerrufen. Aber sie lieferten auch die Waffen und besaßen die militärischen Kenntnisse, über die keines der Mitglieder der Freiheitsfront verfügte. Die Fahrt zum Fotoladen dauerte nur kurz, und alle gingen in Nowats Raum hinauf, um dort die nächsten Aktionen zu besprechen. Li Tin erwartete sie, Nowats Gefährtin. Sie hatte heißen, grünen Tee bereitet, und als die Männer eintraten, rührte sie gerade in der Suppe auf dem eisernen Ofen. Nowat lächelte ihr zu. Li Tin war die einzige Freude, die er sich in seinem spartanischen Leben als oberster MFF-Aktivist der bedeutendsten Provinz nördlich von Tuyan gestattete. Tsung und Kan streiften das hübsche Geschöpf nur mit verächtlichen Blicken. Sie brauchten keine Frauen. Die Bewegung sei zu wichtig, als daß man Energie und Interessen noch auf etwas anderes als rastlose politische Arbeit verwenden könne, hielten sie Nowat immer wieder vor. Aber in diesem Punkt war er starrköpfig, von seiner Geliebten, einem Mischling - halb -104-
Chinesin, halb Mituyanerin -, trennte er sich nicht. Sie setzten sich rund um Nowats wackeligen Schreibtisch, und beim Tee sprachen sie über Professor LakaLits Vortrag. Es gab keine Verständigungsschwierigkeiten. Die kommunistischen Bonzen in Peking und Hanoi wählten ihre Emissäre klug aus. Sowohl Kan als auch Tsung sprachen fließend Englisch und Mituyanisch. »Was werden Sie gegen den Professor unternehmen, Nowat?« fragte Tsung. Nowat vermutete, daß der Chinese der oberste politische Führer in den nördlichen Provinzen Mituyans und Kan sein Stellvertreter sei, es konnte aber auch umgekehrt sein. Das wußte man nie. »Poramat wird das für uns erledigen«, erwiderte Nowat sehr selbstsicher. »Wenn er erfährt, was LakaLit über das System der Provinzchefs gesagt hat, wird er ihn verhaften lassen.« Er grinste. »Und dann wird Professor LakaLit einfach spurlos verschwinden und nie mehr auftauchen.« Nachdenklich schlürften die vier Männer den grünen Tee. »Und wie würden die Studenten reagieren, wenn Poramat LakaLit morgen verhaften ließe?« fragte Kan. »Man könnte sie leicht zu einer gegen KaritKi und Poramat gerichteten Demonstration aufhetzen«, antwortete Frakit automatisch. Nun setzte Nowat seinen Genossen seinen persönlichen Plan zur Lösung dieses Problems auseinander, wobei er die Notwendigkeit einer Sofortaktion besonders hervorhob. Tsung und Kan hörten ihm interessiert zu. Immer wieder nickten sie anerkennend. Nowat merkte, daß sie seinen Scharfsinn bewunderten. Seine Guerillatruppe, nun verstärkt und nach dem geglückten Oberfall auf die Distriktsstation besser bewaffnet als vorher, stand bereit, um noch in dieser Nacht eine seit langem geplante und vorbereitete Operation durchzuführen. Tsung und Kan äußerten sich lobend über Nowats taktisches -105-
Denken. Stolz lächelnd lehnte Li Tin in der Tür. Zehn Meilen von der Hafenstadt entfernt befand sich die entlegenste Polizeistation der Provinz Tiking, ein großes viereckiges Steingebäude, das von einem doppelten Stacheldrahtverhau umgeben war und stets unter starker Bewachung stand. Die Fenster waren klein wie Schießscharten und die Mauern dick. Eine Abteilung von etwa 25 Polizisten bildete die Besatzung dieses Vorpostens. Acht Mann waren ständig auf Patrouille. Der Sicherheitsdienst im Gebiet außerhalb der Polizeistation war Aufgabe der regulären mituyanischen Truppen. Nowat wußte, daß der Vorposten reichlich mit amerikanischen Waffen versehen war, einschließlich der »riot guns«, das sind die im Nahkampf sehr wirksamen kurzläufigen Schrotgewehre der amerikanischen Polizei, und einer großen Anzahl von Tränengasbomben. In den wenigen Tagen seit der letzten gelungenen Aktion hatten sich Nowats Guerillas im dichten Dschungel rund um die Polizeistation verteilt und die Situation genau erkundet. Sie wußten, wo die Wachen standen, und kannten die Positionen der beiden schweren MGs, die in Fenstern des zweiten Stockwerks aufgestellt waren. Der einäugige Mung, Nowats militärischer Unterführer, hatte für diesen taktischen Fehler nur ein verächtliches Lächeln. Er war für den tückischen schmutzigen Krieg ausgebildet worden. Offenbar hatten die mituyanischen Behörden niemals amerikanische Militärberater aufgefordert, die Station zu inspizieren. Diese hätten sofort veranlaßt, daß die MGs in Schießluken etwa dreißig Zentimeter über dem Boden postiert würden, um das Vorfeld zu bestreichen. Gegen solches Abwehrfeuer konnte man sich bei einem Angriff am schwersten durchkämpfen. Die erste Welle wurde unweigerlich niedergemäht. Um ein Uhr morgens, weniger als zwölf Stunden nach Professor LakaLits Rede, gab Nowat Mung den Befehl zum Angriff. Die vier 60-Millimeter-Granatwerfer der Guerillas -106-
eröffneten das Feuer - nicht mit Phosphorgranaten, sondern gleich mit Sprenggranaten. Jeder Werferschütze jagte drei Geschosse aus dem Rohr, packte dann seine Waffe und rannte mit seinen Munitionsträgern einige Meter weiter, um neuerlich in Stellung zu gehen, bevor die erste Granate im Gebäude krepierte. Beim hohlen Knallen der Granatwerfer begannen die MGs blindlings zu feuern. Zwölf Geschosse explodierten vor der Station, alle Polizisten feuerten nun ins Dunkel. Eine weitere Lage von zwölf hochbrisanten Granaten fetzte in den betonierten Stützpunkt, und diesmal wurde eines der MGs zum Schweigen gebracht. Mung wartete, bis seine Werfer noch vier Salven abgegeben hatten, dann führte er einen Zug schwarz gekleideter Guerillas durch Buschwerk und Gestrüpp bis nahe an die Polizeistation heran. Ein kurzer Befehlsruf, und drei Mann schoben lange, mit Plastiksprengstoff gefüllte Bambusstangen nacheinander über den Boden auf das Drahtverhau zu. Andere Guerillas lenkten durch Störfeuer die Polizisten ab, ein Scheinangriff trieb die Verteidiger in die entgegengesetzte Richtung. Eine Stange wurde an die andere gebunden, bald bildeten sie eine einzige lange, mit Sprengstoff gefüllte Röhre aus Bambus, die unter dem doppelten Drahtverhau hindurch wie eine dünne Schlange auf das eiserne Haupttor zukroch. Zufrieden beobachtete Mung den Vorgang. Er gab das Signal unter donnerndem Getöse detonierte der improvisierte Torpedo und riß eine Gasse durch den Stacheldraht direkt bis zum Tor. Sofort sprang ein Zug Guerillas auf und stieß unter dem Feuerschutz der MGs und der Werfer durch den freien Streifen vor. Drei der schattenhaften Gestalten sackten zusammen, aber die übrigen erreichten das Gebäude. Während fünf Mann Handgranaten in die Fensterluken schleuderten, brachten zwei andere am Tor eine Haftladung TNT an, sprangen mit großen Sätzen weg und drückten sich an die Mauer. Polizisten beugten sich aus den Fenstern, um die Angreifer durch Direktfeuer -107-
unschädlich zu machen. Darauf hatten die MitkomScharfschützen gewartet. Getroffen stürzte ein Polizist nach dem anderen kopfüber herunter. Nowat war kein für solche Einsätze geschulter Truppenführer, deshalb hielt er sich dicht neben Mung. Der Luftdruck einer ohrenbetäubenden Explosion warf ihn fast nieder. Er blickte auf und sah, daß die eisernen Torflügel der Polizeistation aufgerissen waren und schief in den Angeln hingen. Mung schrie einen Befehl und rannte mit einem Stoßtrupp auf das Gebäude zu, alle gaben im Laufen Feuerstöße aus ihren Maschinenpistolen ab. Nowat blieb in sicherer Entfernung, bis in der Station der Kampflärm erstarb. Als er das Triumphgeheul seiner Leute hörte, hetzte er keuchend durch den gesprengten Pfad im Stacheldraht und durch das offene Tor. Überall lagen tote Polizisten in weißen, blutbefleckten Uniformen. Zwei Beamte, der eine nach seinen Rangabzeichen offenbar der Kommandeur des Vorpostens, kauerten vor den Gewehrmündungen der Guerillas. »Rasch, rasch«, drängte Nowat. Dem leichtverwundeten Polizeichef brüllte er zu, er solle das Waffenlager öffnen. Schlotternd vor Angst gehorchte der Mann und führte Nowat, Mung und vier der anderen Mitkoms zu einer kleineren Eisentür. Als er vor der wuchtigen Platte mit den schweren Querriegeln stand, zögerte er etwas. »Los, mach auf, sonst jagen wir den Dreck in die Luft und dich dazu!« fuhr ihn Mung an. Sofort zog der Kommandeur einen Schlüsselbund aus der Tasche und fingerte an der Tür. Er brauchte fast zwei Minuten, um die Schlösser zu öffnen, alle bis auf eines, das drei Querriegel blockierten. Den Schlüssel dazu habe sein Stellvertreter gehabt, sagte der Polizeichef, aber er sei während des Kampfes verlorengegangen. »Er will uns nur hinhalten, bis Verstärkung kommt!« schrie -108-
Mung. »Wir werden die Tür aufsprengen und dich später ganz langsam töten!« zischte er dem Gefangenen zu. In panischem Entsetzen brachte der Mann einen weiteren Schlüssel zum Vorschein und öffnete zitternd die Riegel. Mungs Hand fuhr zum Abzug seiner MP. Mit einem Feuerstoß aus nächster Nähe in den Bauch riß er den Polizeichef buchstäblich in zwei Stücke, stieß die Tür auf und drang mit seinen Männern ein. Nowat, der hinter ihm ging, schaltete eine starke Taschenlampe ein. »Du hättest ihn erst umlegen sollen, nachdem er die Schlösser der Gewehrständer geöffnet hat«, rief er wie ein keifendes altes Weib. Mit einem Satz war Mung wieder draußen, brutal riß er die Schlüsselkette aus dem roten Brei, der die Mitte des toten Polizeichefs gewesen war, und stürzte wieder in die Waffenkammer. Widerwillig nahm Nowat die klebrigen Schlüssel, nach einigen Minuten gespannten Wartens gelang es, die Gewehrständer aufzuschließen. Hastig schleppten die Guerillas alle Waffen zur Straße hinaus. Dort kamen bereits Ochsenkarren heran, und andere Mitkoms stapelten die Beute auf die Ladeflächen. Nowat durchstöberte alle Räume, er suchte etwas, das für seine nächsten Pläne wichtiger war als Gewehre und Munition. Schließlich fand er, was er brauchte - das Bekleidungsdepot. Mit Hilfe einiger Guerillas plünderte er diese Kammer bis auf den letzten Knopf aus. Alles, was vorhanden war, ließ er wegschaffen: die glänzenden, gelbrot lackierten Helme, Waffenröcke, Hosen, Schuhe, Gürtel, Abzeichen - genug, um eine ganze Abteilung komplett in die schicken Uniformen der Provinzpolizei einzukleiden. Als das Depot leer war, befahl Nowat, Feuer zu legen und zu dem Sammelpunkt im Dschungel zurückzukehren. Sofort erschossen die Guerillas, ohne mit der Wimper zu zucken, die überlebenden Polizisten. Der kleine Vernichtungstrupp brauchte nur wenige Minuten, um das -109-
Stationsgebäude durch Beschuß mit Thermit- und Phosphorgranaten in ein weißglühendes Inferno zu verwandeln. Geduckt glitten die schwarzen Schemen ins Dunkel. Bald darauf hallten von der Straße nach Tiking drei laute Detonationen durch die Nacht. Mung verhielt einen Moment und grinste Nowat an. »Die Verstärkung ist auf unsere Minen aufgefahren. Wir hätten genug Zeit gehabt, die Polizisten langsam zu Tode zu foltern.« »Sparen wir unseren Haß für Poramat auf!« schrie Nowat wild. »Wir haben wenig Zeit, das Schwerste liegt noch vor uns!«
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7 »Am späten Abend, wenn die Stadt schläft, ist es auf Deck am schönsten«, sagte Luna. »Tut ganz so, als ob ihr zu Hause wäret, ihr beiden, aber ihr habt sicher nichts dagegen, wenn Mike und ich uns nun zurückziehen.« »Danke, Luna. Ich werde Alana wohlbehalten nach Hause bringen«, sagte Krakhaur, und seine Hand ruhte dabei leicht auf der Schulter des Mädchens. »Haben Sie die Schlüssel des Landrovers?« Roger hielt sie in die Höhe. »Gut. Und vergessen Sie nicht - hier fährt man links.« Luna winkte ihnen zu und verschwand über die Treppe, die zur Hauptkabine hinunterführte. »Gehen wir aufs Oberdeck«, schlug Krakhaur vor. »Von dort hat man einen weiten Ausblick über Tiking.« Er hatte sich auf der Promise schon eingelebt. Mike hatte ihm sogar freigestellt, das Funkgerät des Schiffes zu verwenden, falls er einen Bericht nach Tuyan durchgeben wollte. »Halten Sie mich fest, Roger, ich bin es nicht gewöhnt, so steile Treppen hinaufzusteigen«, sagte Alana mit einem leisen Lachen. Sie brauchte Krakhaur nicht zweimal darum zu bitten. Mit beiden Händen umspannte er ihre Schenkel, während sie vor ihm zum Steuerhaus hinaufkletterte. Sie traten auf die Kommandobrücke, Roger half Alana auf einen kleinen, hohen Aufbau des Achterdecks, von wo aus sie den Hafen überblicken konnten. Schweigend lehnten sie an der Reling, das weite Panorama vor Augen. Schließlich sagte Krakhaur: »Alana, wenn Sie ernstlich die Absicht haben, Journalistin zu werden, müssen Sie in Tuyan anfangen. Ein Mädchen bringt oft die besten Informationen. -111-
Weiblicher Liebreiz wirkt auch auf den härtesten Kommißkopf.« »Ich würde gern mitkommen, Roger«, antwortete Alana leise. »Aber meine Mutter braucht mich. Als ich noch auf dem College war, habe ich die ganze Zeit nebenbei als Dolmetscherin und Sekretärin gearbeitet. Mein Stiefvater wäre auf meine Mutter sehr böse, wenn ich nicht jede Woche Geld nach Hause brächte.« »Das klingt aber gar nicht freundlich. Was für ein Mensch ist er denn?« »Er hat meine Mutter und mich vor vielen Jahren aus der Schande gerettet, als mein wirklicher Vater, ein englischer Offizier, von nationalistischen mituyanischen Guerillas getötet wurde. Er starb, bevor er meine Mutter heiraten konnte«, sagte Alana ganz sachlich. »Das gibt aber Ihrem Stiefvater nicht das Recht, über Ihr Leben zu bestimmen, oder?« Alana wandte Krakhaur ihr ernstes Gesicht zu. »Er hat mir eine gute Erziehung und das Studium ermöglicht, und vor allem, er hat meine Mutter geheiratet, um ihr das Gesicht wiederzugeben, daher war er völlig im Recht, als er das Geld beanspruchte, das mein Vater mir hinterlassen hat.« »Der Engländer wollte Ihre Mutter wirklich heiraten?« fragte Krakhaur, wieder einmal bestürzt über die fernöstliche Logik. »Natürlich! Die Scheidungsverhandlungen liefen bereits, als er fiel. Er hatte eine Versicherung zu meinen Gunsten abgeschlossen und sein Geld aus England auf eine Bank in Tuyan überweisen lassen. Deshalb konnte seine englische Frau nach seinem Tod nur die Pension beziehen, alles Übrige bekam ich.« »Wieso glaubt Ihr Stiefvater dann, daß Sie ihm etwas schulden?« ereiferte sich Krakhaur. -112-
»Er hat meiner Mutter und mir das Gesicht zurückgegeben«, erklärte Alana mit ruhiger Selbstverständlichkeit. Krakhaur dachte einen Moment nach, dann sagte er: »Ich glaube, wenn Ihr Stiefvater wüßte, daß Sie in Tuyan mehr Geld verdienen könnten, dann würde er Ihnen nichts in den Weg legen.« Alana blickte gedankenverloren in die Nacht hinaus. »Ja«, sagte sie schließlich. »Da haben Sie wahrscheinlich recht. Ich glaube, sogar meine Mutter meint, daß es für mich gut wäre, wenn ich das Haus verließe. Aber sie bringt es nicht übers Herz, mir das zu sagen. Glauben Sie wirklich, daß ich in Tuyan Geld verdienen könnte?« »Ich weiß es. Ich brauche ab Freitag eine Assistentin oder Sekretärin oder wie Sie es nennen wollen. Ein Mädchen, das herumläuft und für mich Recherchen durchführt.« Sie lachte. »Also eine Art Redaktionsaspirantin?« »Ja, genau. Wie wär's mit morgen abend? Können wir dann nach Tuyan fahren?« Sie wollte antworten, packte aber plötzlich seinen Arm und deutete mit der anderen Hand über die dunkle Hafenstadt. »Dort brennt es!« Krakhaur sah das helle Flackern in der Ferne. »Was ist dort?« »Nichts. Nur die Straße nach Norden. Zehn Meilen weiter ist eine Polizeistation.« »Dann muß es ein Guerillaangriff auf diesen Posten sein«, schloß Krakhaur. »Da gibt es nur eines: Ich borge mir den Landrover aus und sehe nach, was geschehen ist!« »Nein, Roger! Es ist zu gefährlich, jetzt in der Nacht. Sie würden bestimmt in einen Hinterhalt geraten. Es wird von Tag zu Tag schlimmer.« »Aber ich muß hin. Ich bin Journalist, vielleicht der einzige, der darüber berichten kann.« -113-
In einer jähen Aufwallung schlang Alana beide Arme um seinen Hals und hielt ihn mit aller Kraft fest. »Soll ich nicht fahren, Alana?« Er mußte ein Lächeln unterdrücken. »Warum wollen Sie das riskieren, Roger?« Krakhaur forschte in ihren großen, erschrockenen Augen, dann beugte er sich nieder und küßte sie auf die Lippen. Sie entzog sich ihm. Er wollte sie nochmals küssen, aber sie wandte den Kopf zur Seite. »Also gut, Alana, ich warte bis zum Morgengrauen. Aber sobald es Tag ist, werden die Guerillas längst verschwunden sein.« »Wer weiß? Die Mitkoms werden immer kühner.« Plötzlich schien Alana zu bemerken, daß sie Krakhaur umklammert hielt, und sie ließ die Arme sinken. »Roger, ich muß jetzt gehen. Bitte, bringen Sie mich nach Hause.« Krakhaur stieg vor ihr die leiterartige Eisentreppe hinunter, und als er unten war, streckte er ihr die Arme entgegen, um ihr auf das Deck des Steuerhauses zu helfen. Sie lachte fröhlich, als seine Hände am Schlitz ihres Kleides hängenblieben. Kaum berührten ihre Füße das Deck, da umschlang er Alana und küßte sie wieder. Diesmal wehrte sie sich nicht. Bei Tagesanbruch hatte sich Krakhaur auf den Weg zur Polizeistation gemacht. Um neun Uhr morgens kehrte er wieder an Bord der Promise zurück. Während er in unheimlichem Tempo seinen Bericht herunterklapperte, erzählte er Mike und Luna mit allen Einzelheiten, was er gesehen und erfahren hatte. »Ein richtiges Massaker«, sagte er, das Blatt mit Schwung aus der Schreibmaschine ziehend. »Mike, kann ich meinen Text nach Tuyan drahten?« Als Krakhaur seinen Artikel durchgegeben hatte, war es fast elf Uhr - höchste Zeit für sein Interview mit Professor KakaLit Krakhaur, Mike und Luna fuhren zur Universität. Schon aus -114-
einiger Entfernung sahen sie, daß vor dem Haus, in dem der Gelehrte wohnte, Kopf an Kopf die Studenten standen. Mike, der die offenbar gespannt wartende Schar genau musterte, fielen zwei ältere Männer auf, die sich durch die rasch anwachsende Menge drängten und auf die Studenten einsprachen. »Ich möchte wissen, was sich da vorbereitet«, murmelte er. »Die jungen Leute scheinen friedlich zu sein - zumindest vorläufig. Aber es gibt Agitatoren unter ihnen.« Als sie läuteten, öffnete ihnen Professor LakaLit selbst die Tür. Er trug ein Sporthemd, eine leichte Hose und Sandalen. »Was tut sich da draußen?« fragte Mike. LakaLit machte ein ernstes Gesicht. »Einige der Studenten halten Schutzwache für mich. Meine jungen Freunde befürchten, daß man meine gestrige Rede zum Anlaß nehmen wird, mich zu verhaften. Ich habe sie gebeten, sich zu entfernen oder mir wenigstens zu versprechen, keinen Widerstand zu leisten, wenn tatsächlich die Polizei kommen sollte, um mich abzuholen und zu Poramat zu bringen. Leider verharren meine Freunde in ihrer drohenden Haltung gegen die Staatsgewalt.« Er lächelte sanft. »Aber was im Buch des Schicksals geschrieben steht, ist nicht abzuwenden.« »Gestern haben Sie doch weit in die Zukunft geblickt, Professor!« sagte Mike. »Sie haben über alle Pläne und Reformen gesprochen, die Sie in der neuen Verfassung Mituyans zu verankern hoffen.« »Es war für mich sehr wichtig, den Studenten all das zu sagen«, erwiderte der Gelehrte. »Ein anderer wird die Grundsätze verfechten, die ich darlegte. Aber ich persönlich darf keine Schonung erwarten.« Eine unendliche Ruhe und Gelassenheit schien von ihm auszustrahlen. »In der vergangenen Nacht habe ich viel gutes Karma erlangt. Ich bin glücklich und gestärkt für den Weg, den ich gehen muß. Begreifen Sie das, Mike? Wir erlangen in einem irdischen Dasein gutes und -115-
schlechtes Karma für das nächste Leben. Eine Art«, LakaLit lächelte, »himmlisches Konto mit einer Soll- und Haben-Seite. Mit unseren schlechten Handlungen schaffen wir schlechtes Karma, für das wir mit großen Qualen bezahlen. Aber gutes Karma macht unsere Wiedergeburt sinnvoll und schön.« Es klopfte. Der Gelehrte öffnete die Tür. Atemlos drängte sich einer seiner Schüler herein. »Professor, in der Nacht wurde wieder eine Polizeistation angegriffen!« rief er. »Die gesamte Mannschaft wurde niedergemetzelt, eine Entsatzabteilung geriet auf dem Weg in eine Falle, dabei kamen einige Soldaten durch Tretminen um!« »Das stimmt«, bestätigte Krakhaur. »Ich war am Morgen bei der Polizeistation. Ausgeplündert und niedergebrannt.« LakaLit warf Mike und Luna einen verzweifelten Blick zu. »So rasch beginnt die zweite Phase von Maos Wühlarbeit«, sagte er tonlos. »Nun ist der entscheidende Zeitpunkt gekommen. Nur die Amerikaner können uns helfen. Sonst müssen uns die USA trotz Johnsons Versicherungen später ganz abschreiben oder einen schweren, verlustreichen Krieg führen. Wenn ihr rasch handelt, könnt ihr die kommunistische Revolte im Keim ersticken. Zwingt KaritKi dazu, die Reformen durchzuführen, die der Propaganda der Mitkoms den Wind aus den Segeln nehmen. Das Volk von Mituyan ist noch nicht verloren« - in LakaLits erloschenen Augen glomm wieder ein Funke auf -, »aber es wird dem Kommunismus in die Arme getrieben - nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus Opposition gegen Unterdrückung und Terror eines rücksichtslosen hierarchistischen Systems. Wir müssen vor allem auf die Studenten einwirken. Sie sind jung und ungeduldig und wollen eine bessere Zukunft ohne politische Günstlingswirtschaft. Nur sofortige Änderungen können verhindern, daß Mituyan vom kommunistischen Machtblock aufgesogen wird!« »Wir fahren zu der Feier nach Tuyan. Mike und ich werden -116-
KaritKi und Tarot informieren«, sagte Luna. »Und ich werde diese Erklärungen in meinen Bericht aufnehmen«, versprach Krakhaur. »Tun Sie das«, erwiderte LakaLit eindringlich. »Luna, sprechen Sie mit Dhana. Sie hat mich immer verstanden.« »Ich werde sie aufsuchen und ihr alles sagen.« »Sagen Sie ihr, daß nicht mehr viel Zeit bleibt!« Der Student, er hieß Han, hatte mittlerweile zum Fenster hinausgesehen. »Professor! Die Provinzpolizei ist da!« Luna zuckte zusammen. »Poramat wird es nicht wagen, Sie zu behelligen, Professor. Er weiß, daß Sie einer der bedeutendsten Geister des Landes sind und hohes Ansehen genießen. Er weiß auch, daß Dhana Sie sehr schätzt.« »Ich hätte nicht geglaubt, daß Poramat hier im Bereich der Universität Tiking eingreifen würde«, gestand LakaLit. Er trat zum Fenster und blickte hinaus. Vor dem Haus hatte eine Gruppe von zwölf Mann der Provinzpolizei Aufstellung genommen, in leuchtenden rotgelben Helmen und weißen Uniformen mit rotgelben Leibschärpen und schwarzen Ledergürteln um die Mitte. Vor ihnen stand ein Offizier mit bunten Ordensbändern auf der Brust. Die Studenten empfingen die Polizisten mit Schmährufen und schrillen Pfiffen. »Die Kerle sind wirklich bis an die Zähne bewaffnet«, rief Krakhaur. »Riot guns, Tränengasbomben, Karabiner, sogar zwei Maschinenpistolen. Es sieht ganz so aus, als wären sie auf Zusammenstöße gefaßt!« Nun waren die Agitatoren unter den Studenten deutlich erkennbar. Sie schoben sich durch die immer größer werdende Menge. Sogar durch die geschlossenen Fenster hörte man die Rufe der Studenten. »Das habe ich befürchtet«, murmelte LakaLit. »Es ist ungeheuerlich, daß Poramats Polizei ohne Erlaubnis des Rektors den Boden der Universität betritt. Und der -117-
Rektor hätte mich zu sich bescheiden müssen.« Er horchte auf das immer lauter anschwellende Stimmengewirr, der Gram grub tiefe Furchen in sein hageres Gesicht. »Es wird einen Aufruhr geben. Ich muß versuchen, das Schlimmste zu verhüten.« Er schritt zur Tür, aber Mike vertrat ihm den Weg. »Gehen Sie nicht hinaus, Professor. Ich werde mit den Polizisten sprechen und sie fragen, warum sie gekommen sind.« »Offenbar sind sie gekommen, um mich zu verhaften. Je rascher ich mich füge, desto eher werden blutige Zusammenstöße vermieden.« Bevor ihn jemand davon abhalten konnte, riß Kaka-Lit die Tür auf und ging gelassen auf die Polizeiabteilung zu, die draußen wartete. Sofort erhoben die Studenten ein vielstimmiges Geschrei, sie bildeten nun zu Hunderten eine lebende Mauer auf der anderen Straßenseite, direkt vor den Polizisten, die wie ein Erschießungskommando in zwei Reihen von je sechs Mann am Rand von LakaLits Rasen angetreten waren, bereit, die geballte Menge in Schach zu halten. Krakhaur, der seine Kameratasche öffnete, und Mike folgten dem Professor auf dem Fuß, auch Han, Luna und Alana traten ins Freie. Es war klar, daß die Studenten von gerissenen Unruhestiftern aufgeputscht wurden. Und von einer Sekunde zur anderen wuchsen die Scharen immer noch weiter an. Rufe wie »Weg! Verschwindet!« gellten über das dumpfe Murren hinweg, aber die Polizisten blieben regungslos und wie angewurzelt stehen. LakaLit näherte sich dem Offizier. »Wenn Sie gekommen sind, um mich zu holen, dann gehen wir, bevor sich diese jungen Menschen zu unüberlegten Handlungen hinreißen lassen«, drängte er. »Ich gehe freiwillig mit. Ich werde auch versuchen, die Studenten zu beruhigen.« Er legte beide Hände an den Mund und rief: »Stille! Ich gehe mit, aber ich werde am Montag zu den Vorlesungen wieder zurück sein!« -118-
Wie Mike bemerkte, schien der Offizier keine Eile zu haben, den Gelehrten zu verhaften. Er überhörte sogar ganz bewußt LakaLits Worte und starrte gleichgültig an ihm vorbei, als warte er, bis der Siedepunkt erreicht war. »Vertreibt die Polizei! Nieder mit Poramat!« Mike sah genau, wie ein Agitator einen Stein aufhob und gegen die Polizisten ausholte. Das Geschoß landete vor der ersten Reihe, die keinen Millimeter zurückwich. Auch ein anderer Agitator schleuderte einen Stein - und da waren die Studenten nicht mehr zu halten, sie überschütteten ihre Gegner mit einem Hagel von Erdklumpen, Steinen, Büchern und was ihnen sonst in die Hände kam. »Nehmt mich mit, aber fahrt weg!« flehte LakaLit. Krakhaur machte eine Aufnahme nach der anderen, eigentlich erwartete er, daß er sich mit den Polizisten balgen müßte, um seinen Apparat zu retten. Er wunderte sich, daß diese vielmehr wie gedrillte Komparsen reagierten, die wissen, daß die Filmkamera surrt. Die Mündungen ihrer Waffen waren auf die Menge gerichtet. Das Gebrüll der Studenten schwoll zu ohrenbetäubendem Lärm an, und dann schob sich die Masse aus Menschenleibern bedrohlich gegen die zwölf Weißuniformierten heran. Mike konnte sich nicht erklären, daß keine Verstärkungen eintrafen, um den Aufruhr zu unterdrücken. Natürlich war die Mehrzahl der Mannschaften bei der Verfolgung der Guerillas eingesetzt, die den Polizeiposten überfallen hatten, aber dennoch mußten genügend Beamte im Dienst sein, um in der Stadt Tiking Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. »Mike, Mike!« LakaLits Rufe übertönten das Stimmengewirr. »Vorsicht! Das sind keine...« Unter einem Fausthieb des Offiziers sackte der Professor zusammen. Das war für die Studenten das Signal zum direkten Angriff gegen die Polizei. Auf ein Kommando schlugen die -119-
Polizisten ihre Waffen auf die Demonstranten an. Mit einem raschen Seitenblick zu Krakhaur wandte sich der Führer der Truppe diesem halb zu, um besser ins Bild zu kommen, und richtete die Pistole gegen die Studenten. Unter wilden Verwünschungen gegen KaritKi, Poramat und das Regime des Palastes wogte die Menge nach vorne. Plötzlich knallten die »riot guns« und versprühten eine volle Ladung von leichtem Schrot. Blut strömte über die Gesichter der Studenten in der vordersten Reihe, rote Flecken erschienen auf ihren weißen Hemden. Doch nun war die Menge losgelassen. Gleich darauf eröffneten die Männer mit den rotgelben Helmen das Feuer aus ihren Karabinern, es gab Verwundete und Tote. Mit beschwörend erhobenen Händen rief LakaLit in den Tumult: »Nein! Nein! Halt... ein schrecklicher Irrtum...« Mike versuchte, sich zu dem Gelehrten durchzudrängen, doch der Offizier schlug ihn mit dem Pistolenlauf zu Boden. Mike rappelte sich hoch, undeutlich hörte er Lunas Schreckensschreie. Nun hatten die Uniformierten den taumelnden LakaLit zwischen sich und schleppten ihn weg. Die Studenten, die erkannten, daß tatsächlich scharf auf sie geschossen wurde und daß Kameraden tot oder sterbend auf dem Pflaster lagen, wichen zurück. Mikes Schädel dröhnte, Blut floß ihm über die Augen, aber er wankte in die Richtung, wo er verschwommen das kreidige Weiß leuchten sah. Noch immer hetzten die Agitatoren die Studenten auf. »Laßt es nicht zu, daß Poramats Polizei den Professor entführt!« brüllten sie. »Wir werden sterben, wenn es sein muß, aber wir werden uns den Schergen der Tyrannei entgegenstellen!« Von den Demagogen angeführt, gingen Hunderte von empörten Studenten neuerlich zum Angriff auf die Polizei über. LakaLit, der aus dem Mund blutete und sich, halb geschleift, halb dahinstolpernd, im eisernen Griff seiner Häscher langsam entfernte, versuchte, die Demonstranten durch Gebärden zum Halten zu bringen. Es war völlig zwecklos. Die geschulten -120-
Agitatoren hatten die aufgeputschten Menschenmassen nun ganz in der Hand. Als die Studenten unter wildem Gebrüll gegen die linke Flanke der uniformierten Männer vordrangen, starrten ihnen die Mündungen der »riot guns« entgegen. Plötzlich waren die Hetzer wie vom Erdboden verschwunden, und als nur mehr fünf Meter die vorderste Welle von den Polizisten trennten, gellte ein Befehl, wieder krachte eine Salve, und zehn oder zwölf Studenten stürzten nieder. Eine weitere Welle fanatisierter junger Mituyaner warf sich den unerschütterlich wartenden Männern in den Polizeiuniformen und dem trotzig auf seinem Platz verharrenden Offizier entgegen. Auch diese Angreifer ließen sie, scheinbar absichtlich, bis auf wenige Schritte herankommen, die Studenten streckten schon die Hände aus, um sich in die weißen Waffenröcke zu verkrallen, da stürmten die beiden Reihen plötzlich mit einem Satz nach vorn und ließen Professor LakaLit los. Er taumelte den Anstürmenden in die Arme. »Wehrt euch gegen die Polizei!« tönte es von irgendwo aus dem Hintergrund, und von ihrer eigenen Schwungkraft wurde die Menge unaufhaltsam weitergetrieben. Ein Ruf des Offiziers - die ersten sechs knieten nieder, die zweite Reihe zielte über deren Köpfe. Elf Gewehre und eine Maschinenpistole schossen eine verheerende Salve. Dann rissen die Stehenden mit sicherem Griff Tränengasbomben vom Gürtel, warfen sie in das Gewühl, drehten sich gegen den Wind und rannten im Laufschritt, noch immer in tadellos ausgerichteter Doppelreihe, zu einem Zweieinhalbtonner mit Plachendach. Binnen weniger Sekunden war die letzte weiße Uniform verschwunden, der Lastwagen raste davon. Krakhaur, der während des ganzen Aufruhrs ununterbrochen fotografierte, wunderte sich, daß immer, wenn er gerade auf den Auslöser drücken wollte und ihm fast die Kamera aus der Hand geschlagen wurde, irgendeine Gestalt im Gedränge - manchmal erschienen sie ihm wie eine Ordnertruppe - die Studenten -121-
zurückriß, bevor sie ihm in den Arm fallen konnten. Sein Film war voll mit Bildern von Verwundeten und Provinzpolizisten, die in die Menge feuerten. Und dann öffnete sich, auf unbegreifliche Weise, gerade in dem Moment, als die Polizei ihre letzte Salve abgab, vor ihm eine Gasse, und er hatte den auf dem Boden liegenden Professor LakaLit im Sucher. Mike wollte rasch zum Schauplatz des Gemetzels, aber vom Tränengas wurde ihm übel. Fast blind und ohne zu wissen wie, rannte er durch die Schwaden zur Wohnung des Gelehrten zurück. Er sah kaum, wo er hintrat, Luna stürzte ihm entgegen und führte ihn hinter das Haus. Mike wußte, gegen Tränengas half nur eines: nicht die Augen zu reiben, sondern das Gesicht gegen den Wind zu halten, damit der Reizstoff aus den Lidern und der Nase geblasen wurde. Seine geröteten, schwimmenden Augäpfel blickten starr ins Leere, er wartete. »Wie konnte Poramat so etwas zulassen!« schluchzte Luna. Schließlich sah Mike wieder klar. »Wasser!« keuchte er. Mit fliegender Hast holte ihm Luna aus der Wohnung des Gelehrten ein Glas Wasser. Mike trank gierig, schüttete sich den Rest ins Gesicht und hetzte wieder davon, zurück zu der Stelle, wo er LakaLit zuletzt gesehen hatte. Es war ein grauenhafter Anblick. Auf der Straße lagen verwundete Studenten, andere knieten unter der Einwirkung des Tränengases zusammengekrümmt auf dem Boden und erbrachen sich. Dazwischen wie hingemähte, verstreute Halme die Toten und Sterbenden. Stumm vor Entsetzen stolperten die gehfähigen Überlebenden mit schleppenden Schritten vom Schauplatz des Gemetzels davon. Ein zweites Detachement der Provinzpolizei brauste heran. Beim Anblick der Uniformen versuchten die Opfer des Aufruhrs verzweifelt, zu fliehen, doch viele konnten nur kriechen. Andere hoben stöhnend in flehender Gebärde die Hände und baten um Gnade. -122-
Mitten auf dem Leichenfeld fand Mike den Reporter. Krakhaur war unverletzt geblieben und machte noch immer Fotos. Mitten unter den erschossenen Studenten, die in der vordersten Reihe gefallen waren, lag LakaLit. Sein Hemd war völlig vom Blut durchtränkt und klebte an seiner Brust. »Wie sind Sie hierhergekommen?« schrie Mike. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Krakhaur, wie vor den Kopf geschlagen. »Ich weiß es wirklich nicht. Auf einmal war ich hier - kein Tränengas, dafür aber der beste Punkt zum Fotografieren.« Beide blickten auf den Professor nieder. Seine Augen standen offen und starrten gläsern empor, dem Gesicht war die Maske namenlosen Grauens aufgeprägt. Im Tod wirkte der Gelehrte noch schmächtiger als im Leben. Ein Offizier der Provinzpolizei kam heran. »Was ist hier geschehen?« fragte der verblüffte Mann im weißen Waffenrock mit den Auszeichnungen. »Wer hat das getan?« »Hier werden Ärzte und Sanitätswagen dringender gebraucht als Polizisten!« fuhr ihn Mike an. »Los, tun Sie was! Helfen Sie! Wenn ich Sie wäre, dann würde ich mich hier nicht in dieser Schlächteruniform zeigen.« Der Offizier drehte sich um und trabte im Laufschritt zu seiner Mannschaft zurück. In der Ferne heulten Sirenen. Es gab viele Verwundete zu versorgen, einige würden ohne sofortige ärztliche Hilfe nicht zu retten sein. Mike hatte kein Verbandszeug bei sich, mit seinem Taschentuch versuchte er die Blutung aus dem von einer Schrotlandung zerfleischten Unterarm eines Jungen zu stillen. Die meisten Studenten wiesen Brust- und Bauchschüsse auf. Gezieltes Feuer, dachte Mike grimmig. Ein Ambulanzwagen nach dem anderen raste heran, fassungslos sahen die herbeigeeilten Professoren zu, wie die -123-
Verwundeten und Toten auf Tragbahren weggeschafft wurden. Stumm, mit aschfahlem Gesicht verfolgte der Rektor der Universität Tiking das tragische Geschehen. Mike wandte sich zu Krakhaur. »Sie werden sofort Ihren Bericht durchgeben wollen, wie?« Der Journalist antwortete nicht gleich. »Ich werde nicht klug daraus«, sagte er langsam. »Ich habe doch alles mit eigenen Augen mit angesehen! Auf der ganzen Welt war ich schon bei Unruhen mittendrin, dort wo es hart auf hart ging, aber das war das erstemal, daß eine erregte Volksmenge mir das Fotografieren so leicht gemacht hat. Und die Polizisten - es war, als würden sie das Ganze eigens für mich stellen. Irgendwas stimmt da nicht.« »Das hat uns der Professor zurufen wollen!« Mike schlug sich auf die Stirn. »Mein Gott! Als es losging, habe ich nicht daran gedacht! Eine Kriegslist! Es müssen Mitkoms gewesen sein - in Polizeiuniformen, die sie bei ihrem nächtlichen Überfall erbeutet haben!« »Wir sehen uns an Bord der Promise.« Krakhaur hielt ihm einen Kleinbildfilm hin. »Nehmen Sie das hier mit«, sagte er, während er eine neue Kassette einlegte. »Wenn diese Kerle meinen Film konfiszieren, dann sollen sie nicht den richtigen kriegen. Luna soll sich um Alana kümmern.« Der plötzliche Entschluß spannte seine jungenhaften Züge und ließ sie härter erscheinen. »Ich nehme das Mädchen nach Tuyan mit.«
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ZWEITER TEIL ZWISCHENFALL IN TUYAN
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8 Premier KaritKis Feier der »Dekade des Aufbaus« war eine große Attraktion für die im ost- und südostasiatischen Raum tätigen westlichen Journalisten. Scharenweise waren sie nach Tuyan gekommen, die Agenturchefs und Reporter aus Hongkong und Tokio, und stießen zu der Gruppe der ständig in der mituyanischen Hauptstadt akkreditierten Korrespondenten. Man konnte demnach mit einem weltweiten Presseecho rechnen. Roger Krakhaurs exklusiver Augenzeugenbericht über das Massaker von Tiking hatte im gesamten Westen sensationelle Schlagzeilen gemacht, und dies gab der Feier des Staatsoberhaupts zusätzlichen harten Nachrichtenwert. Wie war es um den Aufbau und den Fortschritt tatsächlich bestellt, wenn elf Studenten und ein berühmter Gelehrter, der für ein politisches Amt kandidierte, einfach niedergeknallt werden konnten? Krakhaur war der Sprecher der ausländischen Pressevertreter in Tuyan, und seinem Status gemäß gab er in der Villa, die er gemietet hatte, einen Empfang für jene Kollegen, die nur kurzfristig nach Mituyan gekommen waren. Eine breite Rasenfläche trennte das Haus von der hohen Gartenmauer, die den Besitz gegen die Straße zu abschloß. Die Glastüren des großen Mittelsalons standen offen, so daß die Gäste sich zwanglos im Freien und im Raum verteilen konnten, wo einige Diener erlesene mituyanische Spezialitäten und reichlich Getränke servierten. »Hier in Tuyan läßt sich's leben, Roger«, bemerkte Ben Morris, ein gutmütiger, bärenstarker Mensch, der erst vor kurzem die Leitung des United-Press-Büros in der Hauptstadt übernommen hatte. Dann fiel sein Blick auf Alana. Die schöne Eurasierin war für die Anwesenden eine kleine Sensation. Viele -126-
Journalisten versuchten sie in ein Gespräch zu ziehen, doch sie lächelte nur und ging mit anmutigen Bewegungen weiter. »Es gibt nichts Hübscheres auf der Welt als diese Mischlingsmädchen mituyanischeuropäischer Abstammung«, meinte Morris bewundernd. In diesem Moment tauchte auch Mike Forrester auf. »Mike!« sagte Alana und streckte ihm die Hand entgegen. »Es freut mich, daß Sie kommen. Wo ist Luna?« »Nach der langen, anstrengenden Fahrt in der Hitze hat sie sich im Schlafzimmer unserer Wohnung verkrochen. Dort ist es kühl.« »Schade, ich wollte ihr erzählen, wie rasch ich von Tiking hierhergekommen bin.« »Besuchen Sie sie doch morgen. Eigentlich haben wir damit gerechnet, daß Sie in der Wohnung sein werden, Alana, deshalb wollten wir uns ursprünglich bei Lunas Eltern einquartieren.« Das Mädchen lächelte etwas verlegen. »Hier in Rogers Villa ist es so bequem. Ich habe zwei reizende Zimmer ganz für mich allein. Auf diese Weise bin ich immer da, wenn er mich braucht - es sind so viele Recherchen durchzuführen.« Als Mike zufällig zu dem Tor blickte, das von der Straße in den Garten führte, war er plötzlich wie elektrisiert. Die junge Frau, die gerade eintrat, hatte langes, bis auf die Schultern fallendes blondes Haar. Ihre regelmäßigen, wie gemeißelten Züge wirkten eher kühl und distanziert, aber irgendwie strahlte dieses makellose Gesicht burschikose Heiterkeit aus. »Ich beneide dich um deine Assistentin«, sagte Morris freimütig zu Krakhaur. »Roger, Sie haben uns etwas vorenthalten«, mischte sich Mike ins Gespräch, »wer ist denn diese Blondine?« Krakhaur sah auf. »Ach, das ist Marlene Strahl, eine Deutsche. Sie ist noch nicht lange hier.« -127-
»Toll!« Mike sah dem Mädchen entgegen, das nun herankam. »Klasse!« gab Morris zu. »Aber mir sind die Mischlinge lieber.« »Es kommt darauf an, was man tagaus, tagein um sich hat«, erwiderte Mike. »Ist sie wirklich Reporterin?« »So was Ähnliches.« Krakhaur grinste. »Sie schreibt für einige deutsche und Schweizer Zeitschriften. Der große, weißhaarige Herr mit den Schmissen im Gesicht ist ihr Vater. Er leitet die westdeutsche Handelsmission in Mituyan, ist also ein viel wichtigerer Mann als der deutsche Gesandte. Strahl hat bei den mituyanischen Behörden erreicht, daß die neuen Busse für die Verkehrslinien ausschließlich von den Volkswagen-Werken geliefert werden.« Nun stand das blonde Mädchen mit der prachtvollen Figur vor ihnen. Fräulein Strahl trug ein Kleid im landesüblichen Schnitt, der raschelnde Seidenrock, der seitlich bis zum Oberschenkel geschlitzt war, zeigte das schönste Bein, das Mike je gesehen hatte. Oberhalb des Knies bemerkte Mike erregenden hellen Pfirsichflaum, der auf der gebräunten Haut kaum sichtbar war. »Mr. Krakhaur«, die deutsche Journalistin reichte ihm die Hand, »ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, daß ich meinen Vater mitbringe.« »Es ist uns eine Ehre.« Roger hielt Marlenes Hand und begrüßte mit einer leichten Verbeugung Herrn Strahl. Dann stellte er Mike, Ben Morris und die anderen vor. Der Raum war nun ziemlich voll. Krakhaur blickte sich um und lächelte perfid. »Die offizielle Reaktion auf meinen Bericht über das Massaker von Tiking konnte nicht ausbleiben. Meine Konfidenten haben mir zugetragen - unter dem Siegel der Verschwiegenheit, versteht sich -, unser Botschafter, der treffliche Whittelsie, habe seinem Informationschef Ted Baum nahegelegt, dieser solle dem US-Informationsdienst nahelegen, er möge dem Weißen Haus nahelegen, dieses wiederum möge dem Star-Syndikat -128-
nahelegen, mich irgendwo anders hinzuschicken. In Mituyan könne ich im Moment nur Verwicklungen heraufbeschwören.« Er wandte sich zu Mike und Marlene. »Wenn der Trubel hier vorbei ist und die Kollegen abziehen, weil sie alles kahlgefressen und leergesoffen haben, könnten wir vier eigentlich bei Frenchie zu Abend essen.« Mike sah Marlene fragend an. »Ich halte gern mit«, sagte sie ohne Zögern.
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9 »Ich dachte, alle Auslandskorrespondenten treffen sich in der Bar auf der Dachterrasse des Saint-George-Hotels«, sagte Marlene zu Krakhaur, als Mike den Landrover anspringen ließ. »Ja, wenn sie wiederkäuen wollen, was sowieso schon jeder weiß«, antwortete der Reporter. »Aber wirkliche Neuigkeiten erfährt man nur an einem einzigen Ort: das ist Frenchies ›PikAs‹- Bumslokal, Restaurant und Bar in einem und fast zur Gänze von unseren Special Forces mit Beschlag belegt. Sie kennen doch die Soldaten mit den grünen Baretten, Marlene?« »Natürlich.« Im »Pik-As« residierte eine fette Engländerin von schleierhafter Herkunft, mit Riesenbusen und scheußlich bonbonrosa gefärbtem Haar. Aus unerfindlichen Gründen wurde sie seit eh und je Frenchie genannt, vielleicht deshalb, weil sie in ihren besseren Zeiten eine Meisterin der französischen Liebeskunst gewesen war. An der Bar saßen hübsche junge Mituyanerinnen aufgereiht. Die dicke Frenchie wußte, was ihr ausgesuchter Kundenkreis erwartete, und bot Qualität. Sie wußte auch, daß viele der Männer, die hierherkamen, vermutlich in geheimer Mission in Mituyan und anderen Ländern Südostasiens tätig waren. Freundlich begrüßte sie Krakhaur, gab auch Mike, den sie flüchtig kannte, die Hand, und beäugte die beiden Mädchen. Die Blondine würde Aufsehen erregen. Frenchie hatte es nicht gern, wenn ihre Gäste Begleiterinnen ins Lokal mitbrachten, denn an den Gunstbezeigungen ihrer eigenen Mädchen verdiente sie am meisten. Aber Krakhaur war Stammgast, und Mr. Forrester war eine bekannte Persönlichkeit. Sie ging mit den Neuankömmlingen an der langen Theke -130-
vorbei, wo etwa dreißig Amerikaner in Zivil saßen, die ›Hostessen‹ mit kaltem Tee traktierten und daher mit den bezaubernden mandeläugigen Barmädchen flirteten. Wie Frenchie befürchtet hatte, drehte sich jeder Mann im Lokal um und starrte Marlene nach, als wären die willfährigen kleinen Mituyanerinnen plötzlich Luft. Manchmal kam es vor, daß ein Amerikaner den ganzen Abend lang kein Wort mehr mit den Asiatinnen sprach, wenn er eine schöne Weiße gesehen hatte. Krakhaur fühlte sich ganz in seinem Element. »Es gibt einige Offiziere, die mich noch immer schneiden, weil ich Journalist bin«, sagte er zu Mike. »Aber heute abend ist kein einziger in dieser Bude, der sich nicht gern von mir einladen und anquatschen ließe.« Er winkte einigen Männern an einem Ecktisch zu. »Dort sitzt Colonel Fritz Lawton... und ich müßte mich sehr täuschen, wenn nicht auch das alte Frontschwein Major Charlie Prescott in Reichweite wäre.« Mike nickte Lawton zu, der ihn überrascht anblickte. »Anscheinend wollen unsere Freunde mit mir sprechen«, sagte Mike beiläufig. »Da kommt der Colonel.« Lawton stand schon vor ihnen. »Hallo, Forrester. Freut mich, Sie in der Stadt zu treffen. Und Sie, Roger? Welchen Knüller wollen Sie heute hier aufreißen?« »Ich bin allen Vorschlägen zugänglich.« Krakhaur stellte den Colonel Alana und Marlene vor. »Meine Damen, haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen Mister Forrester für einige Minuten entführe? Ich schicke Ihnen als Ersatzmann Major Prescott, er wird Ihnen gern Gesellschaft leisten.« Dabei schnitt Lawton zu Krakhaur ein komisch strenges Gesicht. »Aber versuchen Sie erst gar nicht, Charlie die Würmer aus der Nase zu ziehen. Er kommt gerade aus den Bergen und will sich erholen.« »Aus den Bergen?« fragte Marlene. »Womöglich aus Banthut, wo diese wilden Stämme hausen?« -131-
»Stimmt«, bestätigte der Colonel, der tollen Blondine belustigt zuzwinkernd. Das Mädchen schien sich ja für alles zu interessieren, was in Mituyan vorging. Dann winkte er Prescott herbei. Der Major war ein Hüne mit hagerem Gesicht, kurzgeschnittenem Haar und tiefliegenden ernsten Augen. Er trug ein Sporthemd und eine leichte Hose. Der angespannte Ausdruck der Übermüdung verschwand aus seinen Zügen, er lächelte, als er den leeren Stuhl neben Marlene sah. Krakhaur begrüßte Prescott freundschaftlich und stellte ihn den Frauen als den »verwegenen Charlie« vor, den Helden vieler Gefechte in Vietnam, der sich freiwillig nach Mituyan verpflichtet hatte, um seine Erfahrungen mit Bergstämmen auch diesem Land nutzbar zu machen. Cardinez schüttelte Mike die Hand, als dieser mit Lawton an den Tisch kam. »Es ist lange her.« »Acht Jahre. Da ändert sich manches auf der Welt.« »Mr. Forrester - übrigens, wenn es recht ist, nenne ich Sie Mike, ich heiße Fritz. Gut? Also, Mike, wir beide, Mr. Cardinez und ich, wir haben gerade über Sie gesprochen«, sagte Lawton. »Ja, Mike. Nun, was halten Sie vom Vorschlag des Colonels? Wir brauchen Sie sehr dringend.« »Das ist eine sehr zwiespältige Sache«, erwiderte Mike. »Ich bin mir nicht ganz im klaren darüber, was ich tun soll. Und außerdem muß ich an Luna denken.« »Das Ganze ist ziemlich einfach, wie ich die Dinge sehe.« Cardinez' blaue Augen wurden lebhafter. »Sie machen weiterhin Ihre Geschäfte wie bisher, aber Ihre Bindung an uns geht grundsätzlich vor. Sogar hier in Tuyan gibt es manches, was nur Sie schaukeln können, doch vor allem können Sie uns draußen auf dem Lande helfen.« »Wieso? Was tut sich in Tuyan?« fragte Mike. »Diese ›Dekade des Aufbaus‹ wird uns schwer zu schaffen machen«, erklärte Lawton. »Die Mitkoms werden sich etwas ausdenken, -132-
um die Feier zu schmeißen.« »Dekade des Niedergangs sollte es heißen!« ereiferte sich Cardinez. »Ich bin jetzt genau vier Monate in Mituyan, und mir kommt das Kotzen, wenn ich sehe, was unser Country Team in diesem Land alles zuläßt, seit wir KaritKi vor zehn Jahren in den Sattel halfen. Mein Gott! Da wäre ja König Barkun noch besser!« Der Colonel feixte. »In den Quatschspalten habe ich gelesen, daß sich Barkun ein neues Filmstarlet geangelt hat, mit dem er an der Riviera und in Hongkong herumzieht.« Mike wußte genau, daß die Machthaber die Einstellung der mituyanischen Bevölkerung zu ihrem exilierten König völlig falsch beurteilten; das war einer der größten Fehler, die das KaritKi-Regime machte. »Zu Ihrer Information: Die Tatsache, daß der Premier und sein Bruder Tarot dauernd Skandalgeschichten über Barkun unter die Leute bringen, beweist nur, daß sie das Volk nicht verstehen. Je mehr die Mituyaner über das süße Leben ihres Exkönigs mit Weibern, Rennpferden, Sportwagen und Jachten lesen und hören, desto populärer wird er. Für diese armen Teufel sind Barkuns Playboyabenteuer sozusagen ein Ersatz für eigenes Glück. Davon können sie in ihrem Elend wenigstens träumen.« »Nach seiner Lebensweise zu schließen, muß Barkun der reichte entthronte Monarch der Welt sein«, warf Lawton ein. »Sein Vater deponierte schätzungsweise eine halbe Milliarde Dollar in Hongkong und der Schweiz, bevor die Japse während des Krieges das Land besetzten«, sagte Mike. »Sein ganzes Leben lang hat der alte König mit der britischen und der deutschen Schwerindustrie Geschäfte gemacht. Außerdem hatte er den gesamten Opiumhandel persönlich in der Hand - und die mituyanischen Bergstämme ziehen die besten Mohnpflanzen der Welt!« Cardinez und Lawton wechselten bedeutungsvolle Blicke. »Da -133-
ist auch so eine Sache, bei der Sie uns helfen können, später«, meinte Cardinez. »Ich bleibe einige Tage in Tuyan. Hier ist die Adresse und die Telefonnummer, unter der ich zu erreichen bin.« Cardinez beugte sich über den Tisch vor. »Werden Sie mit uns zusammenarbeiten, Mike?« »Sagen wir es so: Ich sympathisiere mit euch und euren Zielen.« Lawtons Stimme wurde hart. »Hören Sie, Mike, wir haben doch bereits auf der Plantage besprochen, um was es geht.« Mike hob die Hand. »Ich weiß noch genau, was Sie sagten, Fritz.« Er wich Cardinez' Blick aus. »Wenn ich mitmache, dann nur deshalb, weil ich davon überzeugt bin, daß es richtig und notwendig ist. Meine - Vergangenheit hat damit gar nichts zu tun, und es wird mich in meiner Entscheidung kaum beeinflussen, wenn mir jemand dunkle Punkte ankreiden will. Verstehen wir uns?« »Okay, Mike. Wir werden Sie morgen anrufen. Wie ich schon sagte: Wir brauchen Sie, Mike!«
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10 Einen Tag vor der Militärparade und der Eröffnung der Industrieausstellung gab Premier KaritKi im Palast Audienz. Tarot nahm alle Fragen des Protokolls wahr. Der Sitz der Regierung, ein weitläufiger Repräsentationsbau im europäischkolonialen Allerweltsstil der Jahrhundertwende, stand inmitten eines großen, von abweisenden eisernen Lanzengittern umschlossenen Parks zwischen den Hauptstraßen der Stadt Tuyan, dem Disraeli Boulevard und der Bismarck Avenue. Die Namen dieser beiden parallel verlaufenden Prachtstraßen erinnerten an die Hilfe, die das britische Empire und das Deutsche Reich zu gleichen Teilen während der Gründerzeit Mituyan gewährt hatten, um aus dem Land den ersten modernen Staat Südostasiens zu machen. Tarot hatte sich ein raffiniertes Kontrollsystem ausgedacht. Bismarck Avenue war als Einbahn nur in Richtung Nord-Süd, Disraeli Boulevard nur in Richtung Süd-Nord befahrbar. Sämtliche Nebenstraßen, die in diese beiden Hauptverkehrswege mündeten, waren ebenfalls Einbahnen, so daß Autos, die die Erlaubnis hatten, beim Ostflügel des Palastes vorzufahren, fast eine Meile von denen entfernt waren, die beim Westportal parken durften. Da ein zentral gelegener, ovaler Salon als Konferenzzimmer des Premiers diente und sich daran im Westund im Osttrakt die Vorräume reihen, konnte Tarot, der Mann hinter den Kulissen, bei den Auftritten und Abgängen der Besucher unmerklich Regie führen. Zufällige Begegnungen, die er vermeiden wollte, waren so gut wie ausgeschlossen. Die Ministerbüros und die Repräsentationsräume befanden sich in dem leuchtendweißen dreistöckigen Mitteltrakt. Die beiden Seitenflügel, nach Osten zum Disraeli Boulevard und nach Westen zur Bismarck Avenue, beherbergten die Appartements. -135-
Premier KaritKi wohnte im Osttrakt, Tarot im Westtrakt. Botschafter Whittelsie und General Macker fuhren entsprechend dem Vermerk auf der Einladung, die sie am Vorabend erhalten hatten, beim Portal des Ostflügels vor. Der Botschafter übergab die goldgeränderte Karte dem Kommandeur der Wachmannschaft. Dieser war prächtig anzusehen in seiner weißen Uniform, die Brust von Auszeichnungen bedeckt, eine scharlachrote Schärpe und einen goldbetreßten Gürtel samt blankem Säbel um die Mitte des Waffenrocks. Als der Offizier einen Blick auf die Karte geworfen hatte, legte er die weiß behandschuhte Hand stramm salutierend an den funkelnden goldenen Helm mit dem dunkelroten Haarbusch und führte die beiden Amerikaner unverzüglich zu Tarot, der sie in einem pompös in Weiß und Gold ornamentierten Vorraum erwartete. Tarot war ein schmächtiger Mann mit hagerem Gesicht. Er hatte schlechte Zähne, deshalb lächelte er selten. Die kleinen schwarzen Pupillen glühten fanatisch. Ein dünner Schnurrbart, nicht breiter als ein Bleistiftstrich, betonte den verkniffenen Mund und die kurze, gerade Nase. Der Berater des Premiers trug einen hellgrauen Anzug westlichen Schnitts und eine schmale schwarze Krawatte. Er sieht wie ein Rauschgiftsüchtiger aus, dachte Macker. Whittelsie fühlte sich in Tarots Gegenwart immer unbehaglich. Mayna hatte ihm wohl versichert, ihr Gatte sei kein Mann mehr und habe nichts dagegen, wenn sie, ein unerhört triebhaftes Weib, sich anderswo schadlos halte, falls sie ihn nicht kompromittiere, dennoch machte sich der Botschafter immer wieder Gedanken darüber, wie Tarot sich zu dem Verhältnis stellte. Sicherlich argwöhnte er, wer die Gunst seiner Frau genoß. »Gentlemen, der Premier wird Sie sofort empfangen«, sagte Tarot. Whittelsie und Macker folgten ihm in KaritKis ovalen Salon. Der Premier saß in einem wuchtigen handgeschnitzten -136-
Stuhl hinter einem blankpolierten ovalen Tisch. Nichts als eine rotlederne Schreibmappe lag auf der schimmernden Platte. In der geschwungenen Wand hinter KaritKi waren vier bis zum Boden reichende Fenster mit roten Vorhängen, durch die man in die üppige Vegetation des sorgsam gepflegten Gartens sah, der nur dem Premier, seiner engsten Umgebung und seinen Gästen vorbehalten war. Für Whittelsie war es immer wieder eine Überraschung, wenn er die Gemächer des Staatsoberhaupts betrat. Der strenge weiße Raum ohne Teppiche stand in krassem Gegensatz zu der sonstigen luxuriösen Einrichtung des Palastes. Ebenso wie sein Bruder kleidete sich auch der Premier immer westlich. KaritKi erhob sich. Im Gegensatz zu Tarot war er korpulent, und sein Gesicht war bartlos und glattrasiert. Sein schwarzes Haar, kaum angegraut, war straff aus der faltenlosen Stirn gebürstet. Sonderbar, fast unglaublich, daß sein von Kämpfen und Intrigen erfülltes Leben keine Spuren in den Zügen hinterlassen hatte, dachte der Botschafter. »Mayna hat mir mitgeteilt, daß Sie mich bereits früher zu sprechen wünschten«, begann KaritKi. »Wir bedauern diese Verzögerung und bitten Sie um Ihr Verständnis, aber die Vorbereitungen für die Feier der ›Dekade des Aufbaus‹ haben unsere Zeit voll in Anspruch genommen.« Die prüfenden Blicke des Premiers glitten über die beiden Amerikaner. »Vielleicht können wir nun die Fragen erörtern, die Sie, Herr Botschafter, und Sie, General Macker, so dringend mit mir zu besprechen wünschen.« Mit unmerklichem Nicken zog er Tarot der Beratung bei. »Vielleicht sollte ich zunächst dem General das Wort lassen, Exzellenz«, sagte Whittelsie. »Jawohl, Euer Exzellenz. Das Kommando der amerikanischen Militärhilfe in Mituyan verfolgt, wie Sie wissen, das Ziel, Ihre Regierung dabei zu unterstützen, starke, gutausgebildete und -137-
gutausgerüstete Streitkräfte aufzustellen. Die Regierung der USA und unser Präsident haben mir die oberste Verantwortung dafür übertragen, aus der mituyanischen Armee ein wirksames Machtinstrument in Südostasien zu machen. Keine andere amerikanische Dienststelle in Mituyan hat die Befugnis oder die Mittel, Ihnen Militärhilfe zu gewähren.« KaritKi nickte, er hörte Macker mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu. Der General fuhr fort: »Exzellenz, ich habe erfahren, daß Sie erwägen, im Rahmen der mituyanischen Streitkräfte eine neue Truppengattung zu bilden. Deshalb wollte ich mit Ihnen die Formierung solcher neuer Einheiten besprechen und vor allen Dingen klären, welche Rolle das Kommando der Militärhilfe dabei spielen soll.« KaritKi blickte seinen Bruder fragend an. »Werden neue Truppenteile aufgestellt?« Tarot schüttelte den Kopf. »Davon ist mir nichts bekannt. Vielleicht handelt es sich um ein Projekt des Verteidigungsministers, das er uns noch nicht vorgelegt hat.« Macker ließ sich nicht so rasch vom Thema abbringen. »Wir haben erfahren, daß das Verteidigungsministerium Vorbereitungen trifft, um nach dem Muster unserer amerikanischen Special Forces eine mituyanische Sondereinheit zu bilden. Stimmt das, Exzellenz?« KaritKi überlegte diese Frage, ehe er antwortete. Dann sah er dem General lächelnd in die Augen. »Nun merke ich, wo das Mißverständnis liegt. Zur Zeit wird wohl keine Erweiterung der Armee um eine neuartige Truppengattung in Betracht gezogen, aber meine Minister erwägen, völlig getrennt von der Armee eine mituyanische Special-Forces-Einheit zu bilden. Es wäre eher eine paramilitärische Formation und würde nicht einem Offizier, sondern einem Zivilisten unterstehen. Genau gesagt war es mein Bruder Tarot, der diese Idee als erster zur Sprache -138-
brachte. Und wenn - ich betone wenn - eine solche Formation aufgestellt werden sollte, dann hätte er den Oberbefehl. Sie sehen also, General« - wieder lächelte der Premier milde -, »es handelt sich gar nicht um einen Truppenteil der Armee.« »Aber diese Formation ist als bewaffnete Einheit gedacht, oder nicht?« KaritKi wich aus. »In diesem Land unterstehen nicht einmal die amerikanischen Special-Forces Ihrem Kommando, General.« »Aber sie gehören zur amerikanischen Armee«, beharrte Macker. »Gewiß. Dennoch werden sie für eine Zivildienststelle eingesetzt«, entgegnete der Premier in sanftem Ton. »Das war eine Fehlentscheidung, doch da wird sich bald einiges ändern«, gab Macker hitzig zurück. Whittelsie lächelte innerlich, als sich der General immer mehr in den Fallstricken von KaritKis fernöstlicher Verhandlungstaktik verfing. Nach einer langen Pause sagte der Premier gönnerhaft: »Wenn wir es als geboten erachten, diesen Plan weiter zu verfolgen, und tatsächlich beabsichtigen, eine mituyanische Sondereinheit zu formieren, werden wir diese Frage gewiß mit Ihnen beraten, General. - Wünschen Sie noch andere besondere Punkte mit mir zu besprechen?« KaritKi sah Macker lange an, dann wandte er sich zu Whittelsie. »Im Augenblick nicht, Exzellenz«, antwortete der Botschafter. »Alle Berichte deuten darauf hin, daß die Wahlkampagne plangemäß vorbereitet wird.« »Sicherlich«, pflichtete ihm KaritKi bei, lehnte sich in seinen Stuhl zurück um einen Moment gedankenverloren in den Garten hinauszublicken, dann drehte er sich rasch wieder um, beugte sich vor und faßte Whittelsie scharf ins Auge. Diesen psychologischen Trick des Premiers kannte Whittelsie bereits zur Genüge, doch immer wieder wirkte das Überraschungsmoment, und die unerfreulichen Eröffnungen, die -139-
folgten, trafen ihn immer unvorbereitet. »Herr Botschafter«, begann KaritKi, seine Stimme war nun um einige Grade kühler. »Mit großem Befremden erfuhren wir von unserem Gesandten in Washington, daß überall in den USA, und nicht nur das, auch in der ganzen Welt, dieses sogenannte Massaker von Tiking von der Presse sehr ausführlich geschildert und kommentiert wurde. Ein einziger Mann, der sensationslüsterne amerikanische Journalist Roger Krakhaur, ist für diesen empörenden Bericht verantwortlich. Ich wünsche daher, daß Sie, Herr Botschafter, dem Präsidenten der USA nahelegen, er möge die amerikanische Presse anweisen, nicht mehr solche Hetzartikel über mein Land zu veröffentlichen.« »Euer Exzellenz, ich selbst bin immer bestrebt, und glauben Sie mir, jeder amerikanische diplomatische Vertreter in jedem Land, das ein Unruheherd ist, bemüht sich...« »Herr Botschafter!« unterbrach ihn KaritKi, »Mituyan wehrt sich gegen den Kommunismus, gewiß, aber es ist kein ›Unruheherd‹, trotz aller Lügenmeldungen, die Leute wie dieser Krakhaur verbreiten.« Whittelsie suchte ihn zu beschwichtigen. »Ich bitte um Verzeihung, Exzellenz. Ich wollte sagen, daß die amerikanischen Country Teams auf der ganzen Welt, so wie unseres hier, sehr froh wären, wenn wir die amerikanische Presse kontrollieren könnten. Wir haben den Eindruck, daß sie ihre Macht oft mißbraucht, aber es ist eine unumstößliche Tatsache unserer Lebensweise in den USA, daß wir Pressefreiheit haben, und wir können nichts anderes tun, als gütlich auf die Journalisten einzuwirken, damit sie die Probleme aus unserem Blickwinkel sehen.« KaritKi starrte Whittelsie an. Der Botschafter hatte ihn nicht überzeugt. »Jede starke Regierung kontrolliert die Presse.« Er legte die Hand auf die rote Mappe. »Ich habe die Weisung erteilt, zwei der in der Landessprache geschriebenen Zeitungen -140-
und die englisch erscheinenden ›Mituyan Daily News‹ wegen falscher und irreführender Meldungen über dieses ›Massaker‹ zu verbieten.« »Exzellenz, ich werde das Außenamt in Washington informieren, daß Sie die Art der Berichterstattung über Mituyan schärfstens mißbilligen. Aber ich muß um Ihr Verständnis bitten nicht einmal der Präsident der USA kann die amerikanische Presse zwingen, bestimmte Themen zu forcieren oder unliebsame Ereignisse totzuschweigen. Die Zeitungen handeln völlig nach eigenem Ermessen.« KaritKi lächelte schlau. »Aber wurde dieser Krakhaur, der diese üble Sache verschuldete, nicht auf Betreiben der amerikanischen Regierung von seinem Pressesyndikat aus Vietnam in mein kleines, ruhiges Land - abgeschoben?« Peinlich berührt rückte Whittelsie auf seinem Sitz. »Mag sein, daß das Star-Syndikat dem Außenamt eine Gefälligkeit erweisen wollte«, gab er zu. »Aber ich muß nochmals betonen, wir haben keine Pressezensur in Amerika.« »Eines kann ich tun«, sagte der Premier. »Ich kann Krakhaur ausweisen lassen, zum warnenden Beispiel für alle anderen ausländischen Korrespondenten in Mituyan. Soviel ich erfahren habe, plant er nun eine Artikelserie über die angebliche Not der Bevölkerung und die rücksichtslosen Methoden meiner Provinzchefs, Mißstände, die, wie er sagt, beim Volk Sympathien für die MFF wecken. Ich wünsche, daß er mein Land verläßt.« »Sie haben das Recht, ihn auszuweisen, Exzellenz. Allerdings darf man dabei eines nicht außer acht lassen: Die öffentliche Meinung in Amerika ist ein sehr empfindlich reagierendes Instrument. Kongreßmitglieder werden durch ihre Wählerschaft von diesem Schritt Kenntnis erhalten. Eine Überprüfung der amerikanischen Wirtschafts- und Militärhilfe für Mituyan könnte die Folge sein. Mächtige Stimmen - uninformierte -141-
Stimmen, möchte ich hinzufügen - fordern bereits jetzt die völlige Aufgabe unserer Verpflichtungen in Südostasien. Ein Vorfall wie die Ausweisung eines prominenten amerikanischen Journalisten aus einem Land, dem wir beträchtliche Hilfe gewähren, gibt jener Gruppe, die auf unseren Rückzug aus diesem Teil der Welt drängt, großes Gewicht.« Whittelsie hatte sich bemüht, neutrale Worte zu wählen und sachlich zu sprechen. Der Ausdruck milder Überlegenheit schwand langsam aus KaritKis Gesicht. Seine Augen wurden schmal und funkelten den Botschafter an. »Es ist unglaublich, es ist unfaßbar, daß ein einzelner Mann, ein Journalist, so mächtig sein kann«, sagte der Premier schließlich. »Vielleicht haben Sie recht, Herr Botschafter. Vielleicht kann ich Krakhaur im Moment nicht ausweisen lassen.« »Es gibt andere Maßnahmen.« Tarots hohe Stimme klang schrill über den Tisch. Whittelsie und Macker warfen ihm unruhige Blicke zu. Jeder ahnte, welche Maßnahme er im Sinn hatte. »Eure Exzellenz«, setzte Whittelsie in seiner besten diplomatischen Weise das Gespräch fort, »die - verständliche Abneigung des Palastes gegen Krakhaur ist in Journalistenkreisen wohlbekannt. Es wäre äußerst bedenklich, wenn Krakhaur - und sei es auch durch eigene Schuld! - einen äh - Unfall erlitte, der ihn arbeitsunfähig machen würde. Alle Bemühungen der amerikanischen Vertretung in Mituyan und des Außenamtes in Washington könnten nicht den Verdacht entkräften, daß ein solcher Unfall vorsätzlich herbeigeführt wurde. Sie hätten die gesamte Presse der freien Welt gegen sich, Exzellenz. Ein solches Ereignis könnte den Sturz Ihrer Regierung zur Folge haben.« KaritKi sprang auf. »Mr. Whittelsie, wollen Sie mir drohen?« Auch der Botschafter erhob sich, der Schweiß rann ihm über den -142-
Rücken. »Exzellenz, ich und jedes andere Mitglied des US Country Team in diesem Land haben ebensoviel zu verlieren wie Sie. Auch bei uns stehen soundso viele Karrieren auf dem Spiel, und man wird uns unbarmherzig kaltstellen, wenn uns die Situation über den Kopf wächst und Mituyan zu einem zweiten Vietnam wird. Darüber müssen Sie sich im klaren sein, Exzellenz! Aber wenn Sie sich gegebenen Tatsachen der amerikanischen Lebensweise und der daraus resultierenden amerikanischen Politik verschließen, dann kann ich oder mein Team Ihnen wirklich nicht helfen.« Whittelsie und KaritKi standen einander Aug in Auge gegenüber. Langsam setzte sich der Premier nieder. »Gibt es noch weitere Fragen, die wir heute erörtern müssen, Herr Botschafter?« fragte er, wieder in gleichmütigem Ton. »Nein, Exzellenz. Ich hatte bereits ein langes Gespräch mit Krakhaur. Ich glaube, in Zukunft wird er mehr Verständnis für unsere Probleme aufbringen.« KaritKi konnte sogar wieder freundlich lächeln. »Dann danke ich Ihnen für Ihren Rat. Nach Möglichkeit werde ich mich daran halten.« Tarot erhob sich - das Zeichen, daß die Unterredung beendet war. Whittelsie und Macker verabschiedeten sich und verließen hinter der Grauen Eminenz Mituyans den Salon. Tarot hatte die beiden Besucher bis zum Portal begleitet. Nun ging er raschen Schrittes durch die Halle. Wenn Whittelsie und Macker gewußt hätten, wer ihn im Westflügel des Palastes erwartete! Als er den Vorraum betrat, standen zwei Amerikaner auf: der stellvertretende Botschafter Filmore Dickerson und Jack Cardinez. Dickerson sah aus wie ein Büromensch, und das war er auch. Sogar in jüngeren Jahren, während des Zweiten Weltkrieges, als Angehöriger des Geheimdienstes, hatte er an einem Schreibtisch gesessen. Trotz seines wuchtigen Körpers, um den sich der -143-
hellgraue Anzug spannte, wirkte er weich und resigniert, fast etwas schlaff. Seine fleischigen Hände hätten eher zu einem Prälaten gepaßt als zu einem Mann, der die Härten des Untergrundkampfes kannte. Dennoch hatte er seine eigene Gruppe amerikanischer und mituyanischer Agenten, deren Identität er sogar vor Cardinez geheimhielt. »Mr. Dickerson!« begann Tarot mit öliger Verbindlichkeit. »Meine Frau hätte gerne einige Minuten mit Ihnen gesprochen.« »Es wird mir ein Vergnügen sein.« Wie auf ein Stichwort rauschte Mayna in den Raum. Ihr Kleid war ein anliegender Seidenschlauch mit dem traditionellen Schlitz, der ihr berühmtes Bein zeigte, das die Fotografen mit Vorliebe aufnahmen. Das schwarze Haar fiel glatt auf ihre Schultern herab. Lächelnd und selbstsicher wie immer setzte sie sich auf einem prall gepolsterten Fauteuil Dickerson und Cardinez gegenüber in Pose. Tarot zog sich diskret zurück. »Hallo, Fil! Mr. Cardinez, ich freue mich, auch Sie wiederzusehen. Meine Herren, warum besuchen Sie mich nie?« »Ich hatte in letzter Zeit in der Botschaft Berge von Arbeit.« Ein silbriges Lachen war Maynas Antwort. »Aber Fil! Vor mir brauchen Sie doch nicht so zu tun als ob! Ich weiß doch, was los ist. Paßt es Ihnen morgen abend, zum Dinner?« Sie sah ihn vielsagend von der Seite an. »Dinner in meiner Villa in Marashak - weit weg von der Stadt mit ihrer Bruthitze. Ich hätte Ihnen vieles zu erzählen.« »Ich werde kommen, Mayna«, sagte Dickerson. »Schön. Nun möchte ich Sie um Ihre Hilfe bitten - Sie, Fil, und auch Sie, Mr. Cardinez.« Dickerson lächelte ihr aufmunternd zu. »Seit zwei Jahren widme ich meine ganze Kraft der Errichtung und Führung von Rehabilitationslagern für gefährdete Mädchen«, begann sie. »Viele dieser Mädchen waren -144-
Prostituierte oder stammen aus politisch unzuverlässigen Familien, die wir verschicken mußten. Andere kamen wegen Schwarzmarktgeschäften mit dem Gesetz in Konflikt, und manche waren richtige Diebinnen. Ich habe persönlich die 200 Besten ausgewählt und aus ihnen einen Kader gebildet. Jedem einzelnen dieser Mädchen kann ich blindlings vertrauen. Ich habe so etwas wie ein paramilitärisches Frauenbataillon formiert. Aber mein Arsenal ist klein, es umfaßt nur veraltete Gewehre und eine geringe Anzahl moderner Waffen, die ich mir beschaffen konnte. Ich brauche automatische Karabiner, Maschinengewehre, Ausbilder, Geräte, Jeeps und Lastwagen. Aus meinen Mädchen könnte man einen der schlagkräftigsten Selbstschutzverbände Mituyans machen. Die MFF geht von Tag zu Tag unverhüllter zu Gewaltakten über. Meine Truppe könnte wirksam dagegen eingesetzt werden. Nehmen wir an, die MFFBanden überfallen ein, wie sie glauben, wehrloses Dorf, während die meisten Männer fort sind. Hundert meiner Mädchen könnten den Feind vernichten. Aber ich brauche Unterstützung. Würde die CIA meine Truppe militärisch ausbilden und bewaffnen?« »Haben Sie schon mit dem Premier darüber gesprochen?« fragte Dickerson. Mayna lachte verächtlich. »Mein armer Schwager verliert immer mehr den Kontakt mit der Wirklichkeit. Er sagt, eine Armee von Frauen sei wertlos. Er scheint zu vergessen, daß die Mituyanerinnen sehr energisch und kämpferisch sind. Im Wirtschaftsleben, in der Politik und in militärischen Belangen spielen wir Frauen bei den Entscheidungen eine viel wichtigere Rolle, als ihr amerikanischen Berater und Experten glaubt. Was halten Sie also davon, Fil?« Der bittende Ausdruck in ihren Augen, die Art, wie Mayna die Hände ausstreckte, der weiße Schenkel, den der Schlitz freiließ, all das schien tiefe Wirkung auf Dickerson zu üben. »Vielleicht ist der Plan nicht so absonderlich, wie er klingt«, antwortete er. -145-
»Lassen Sie mich darüber nachdenken, Mayna.« »Sie können mir morgen abend in meiner Villa Bescheid sagen, Fil...«
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11 Die Tribünen für die Feier der »Dekade des Aufbaus« waren auf der Bismarck Avenue, mitten im Zentrum von Tuyan, errichtet worden. Ein Podium mit Flaggenschmuck war der Regierung und den offiziellen Ehrengästen vorbehalten, daneben befand sich der Pressesektor mit einer erhöhten Plattform für die TVKameras. Mayna war der Mittelpunkt des Interesses. Selbstsicher, in ihrer ganzen aparten Schönheit, stand sie auf dem Podium, das rechte Knie etwas gebeugt, so daß ihr weißes Bein durch den hohen Schlitz des scharlachroten Kleides schimmerte, das sie instinktiv gewählt hatte, als sie erfuhr, daß die Amerikaner Aufnahmen für das Farbfernsehen machen würden. Sofort stellte der Kameramann das Objektiv auf sie ein, bildfüllend würde sie auf den Fernsehschirmen Mituyans und der ganzen Welt erscheinen. Dhana, der eigentlichen First Lady des Landes, hatte das Protokoll einen Platz zugewiesen, wo sie nicht ins Kreuzfeuer der Fotografen und TV-Reporter geriet. Obwohl alle Einheiten der mituyanischen Armee für die Parade zusammengezogen worden waren, so daß man den Kampf gegen die Mitkoms für kurze Zeit hatte unterbrechen müssen, wiesen die Truppen weder die Mannschaftsstärke noch die entsprechende Bewaffnung und Ausrüstung auf, um eine besonders eindrucksvolle militärische Machtdemonstration bieten zu können. Abgesehen von der Tatsache, daß sämtliche Waffen, Panzer und Fahrzeuge amerikanischer Herkunft waren, gab es für die Korrespondenten wenig darüber zu berichten. Nur die Möglichkeit sensationeller Überraschungen, die Wahrscheinlichkeit von Zwischenfällen hatte die internationale Presse auf den Plan gerufen. Die mituyanische Luftwaffe, wesentlich verstärkt durch -147-
amerikanische Piloten, gab eine Flugschau mit Düsenjägern, Hubschraubern und leichten Bombern - einige zynische Reporter meinten, daß die einzelnen Staffeln wahrscheinlich mehrmals die Runde machten. Wieder nahmen die Fotografen Mayna von unten groß ins Bild, und hoch oben am Himmel brummten ganz klein die Maschinen über sie hinweg. Der Militärparade folgte eine Wagenkolonne, die den industriellen Aufschwung des Landes veranschaulichen sollte. Mähmaschinen, Modelle neuer Fabrikanlagen, Regierungsgebäude, der Staudamm und die Brücke über den Tuyanfluß - all das rollte en miniature an den Tribünen vorbei. Dann kam eine andere Gruppe, sie zeigte als lebende Bilder mituyanische Bauern, die bei der Wahl ihre Stimmzettel in die Urne warfen. Schließlich, auf geschmückten Fahrzeugen, die die verschiedenen Regionen des Staates symbolisierten, fuhren die Kandidaten für die Konstituierende Versammlung vorbei, die Mituyans neue Verfassung beschließen sollte. Und da ereignete sich der Zwischenfall, auf den die Journalisten gewartet hatten. Aus einer Seitenstraße schob sich ein riesiger Tieflader mit durch Tücher verdeckten Aufbauten in die Kolonne der Kandidaten. Als der Wagen in voller Sicht der Tribüne war und die Fotografen unwillkürlich die Kameras darauf richteten, fielen die Hüllen. Die Gruppe aus dem Palast starrte in unverhohlenem Entsetzen die kulissenhafte Szenerie an, die langsam vorbeiglitt. Sie zeigte die Klippen einer wüsten Insel. Vier abgezehrte Männer und zwei Frauen, in Fetzen, mit Ketten an Händen und Füßen, starrten die Zuschauer trotzig an. Über die ganze Länge des Tiefladers war ein Transparent gespannt. Darauf stand in großen Blockbuchstaben auf englisch: »Die Opposition schmachtet auf der Felseninsel.« Mit angehaltenem Atem verfolgten Mike und Luna, die auf Dhanas Veranlassung auf die Haupttribüne eingeladen worden waren, diese Demonstration. Nervös fuchtelten die Soldaten der -148-
Palastwache mit ihren Gewehren in der Luft herum. KaritKi und Tarot sahen einander an, dann wandten beide die Köpfe zur Nebentribüne, Unsicherheit und Wut malten sich in ihren Gesichtern. Im Pressesektor war der Teufel los. Aufgeregt fragten die Korrespondenten, die nicht in Mituyan akkreditiert waren, ihre informierten Kollegen, was das zu bedeuten hätte, Krakhaur erklärte ihnen, die Felseninsel sei ein berüchtigtes Gefangenenlager bei Tiking, in dem hauptsächlich politische Häftlinge festgehalten würden. Aller Augen waren nun auf die Gruppe aus dem Palast gerichtet. KaritKi und Tarot überlegten, was sie tun sollten. Ihr natürlicher Impuls war, die Menschen auf dem Tieflader und den Fahrer einfach abschießen zu lassen, aber sie wußten, daß sie dadurch vor der Presse des Westens als rücksichtslose Unterdrücker und grausame Diktatoren entlarvt wären. In diesem Moment war KaritKi nicht Herr in seinem eigenen Land. Sogar er fürchtete einen Sturm der Empörung in der öffentlichen Meinung der ganzen Welt. »Das ist ungeheuerlich!« rief Dhana aus. »Mein Mann tut alles für das Volk, er gibt den Bürgern Gelegenheit, in einer freien Wahl ihren Willen zu bekunden, und so stören unverantwortliche Elemente diesen Ehrentag!« Langsam, ganz langsam entfernte sich der Tieflader von den Tribünen, und dann, noch im vollen Blickfeld der Reporter, brauste ein offener Jeep heran, die sechs Demonstranten und der Fahrer sprangen hinein, und der Jeep raste davon. Das war zu viel für die an rasche, brutale Reaktionen gewöhnte mituyanische Polizei. Obwohl KaritKi und Tarot in ihrer Verblüffung noch keine Befehle gegeben hatten, eröffneten einige der »Kaninchen«, wie die weißuniformierten Polizisten bezeichnet wurden, das Feuer auf den flüchtenden Jeep. Wie auf ein Signal begann auch die Palastwache zu schießen, und die Zuschauer am Straßenrand warfen sich nieder. -149-
Tief über das Steuer gebeugt, riß der Fahrer des Jeeps seinen Wagen um eine Ecke und in falscher Richtung in eine Einbahn, doch als er gerade mit jaulendem Motor in der Kurve war, trafen einige der Kugeln ihr Ziel. Ein Mann und eine Frau kollerten auf das Pflaster. Die Schwungkraft schleuderte die Körper hart gegen eine Hausmauer. Fotografen und Kameramänner drängten bereits von der Tribüne herunter und rannten auf die Leichen zu. Aber bevor sie die Stelle erreichten, schloß ein Trupp Polizisten eine lebende Mauer um die Opfer und stieß die Journalisten grob zurück. Mike zwängte sich bis zu Tarot durch. »Mr. Tarot, wenn Sie kein totales Fiasko wollen, dann rufen Sie die Polizei zurück!« Tarot brüllte seiner persönlichen Leibwache Befehle zu. Stämmige Schlägergestalten stürmten hervor, als gerade ein Polizist im Gewühl einem Reporter die Kamera aus der Hand schlug. Und dann brach der Aufruhr ab, so plötzlich, wie er begonnen hatte. Der gewitzten Polizei war es gelungen, die Toten in ein Fahrzeug zu verfrachten, das nun davonsauste. Scharfe Weisungen und derbe Püffe von Tarots Leibwächtern zerstreuten Polizisten und Soldaten, und im Handumdrehen standen die Journalisten allein auf der Straße, kein einziger von ihnen hatte die Leichen fotografieren können. Ted Baum erschien zusammen mit dem mituyanischen Informationsminister auf dem Schauplatz des Geschehens. Vergebens flehten die beiden die Presseleute an, auf die Tribüne zurückzukehren, der Festzug ginge weiter, und nachher warte im Palast ein erlesenes Büfett. Aber die Reporter hatten es sehr eilig, in ihre Büros und Hotelzimmer zu kommen, um sofort Berichte über den Vorfall, dessen Zeugen sie geworden waren, herunterzuklopfen. Die Agenturfotografen brausten davon, um ihre Aufnahmen zu entwickeln und per Bildfunk rund um die Welt zu senden, während die TV-Kameraleute auf der Plattform ihre Filmrollen bereits aus den Apparaten nahmen und Assistenten zuwarfen, die sie auf dem schnellsten Weg zum -150-
Flugplatz brachten, von wo sie mit Maschinen der Pan American und der BOAC nach dem Westen geflogen werden würden. »Schluß ohne Jubel«, sagte Mike zu Luna. »Los, verschwinden wir.« »Bitte, bleibt hier!« bat Dhana. »Ich weiß nicht aus noch ein.« Luna blickte Mike fragend an, er zuckte die Schultern. »Na schön, Dhana, wenn es Sie beruhigt, dann bleiben wir natürlich.« Erst drei Stunden später fanden Mike und Luna Gelegenheit, sich aus dem Palast zurückzuziehen. Sie hatten Tarot versprechen müssen, daß sie der Presse einreden würden, dies sei eine typische Aktion der Mitkom-Terroristen und keine politische Demonstration gewesen.
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12 Mike setzte Luna bei ihren Eltern ab, dann fuhr er zu Jack Cardinez' Büro. Der JRB-Chef begrüßte ihn freundlich, und nachdem er den Augenzeugenbericht über den Zwischenfall gehört hatte, rief er Lawton herein. »Nun, Mike, haben Sie sich entschlossen?« fragte der Colonel. Mike wandte sich zu Cardinez. »Ja, ich mache mit.« Der Geheimdienstmann und der Offizier grinsten ihn zufrieden an. »Aber ich bin nicht davon überzeugt, daß die Mitkoms unsere einzigen Feinde sind«, nahm Mike den Gedanken auf. »Das schwierigste Problem ist die ganze Haltung im Palast. Für diese Schießerei gibt es keine Entschuldigung. Obwohl es nicht KaritKi war, der den Feuerbefehl gab, hat sich nun gezeigt, daß die Palastwache scharf auf den Mann dressiert ist. Und diese Schlächtergesinnung trichtert ihnen Tarot ein!« »Wann können wir mit Ihnen rechnen, Mike?« fragte Lawton. »Jederzeit. Wenn es sein muß, sofort.« »Heute ist Dienstag«, sagte Cardinez. »Wir haben einen Auftrag für Sie. Die Sache wird nächste Woche aktuell. Waren Sie jemals im Land der Groats?« »Ich war einige Male in Banthut. In diesem Teil der Welt gibt es nirgends ein besseres Klima und ein besseres Jagdgebiet als dort.« Cardinez ging durch den Raum, trat zu einer Wandkarte von Mituyan und deutete auf den Punkt, wo Banthut lag: »Das hier ist die neuralgische Zone der kommunistischen Infiltration aus dem Norden. Und genau hier müssen wir ansetzen. Ein Viertel des gesamten Staatsareals wird von verschiedenen Bergstämmen bewohnt. Durch Terror und Propaganda werden sie auf die Seite der Kommunisten gezogen. Wir sind bestrebt, die Groats - den -152-
größten Stamm - und die anderen Gruppen wieder für die Zentralregierung zu gewinnen. Gleichzeitig haben wir die Aufgabe, die Mißstände des KaritKi-Regimes zu bekämpfen.« Er warf Mike einen vielsagenden Blick zu. »Wahrscheinlich werden neue Männer ans Ruder kommen müssen, damit wirklich freie Wahlen abgehalten werden können. Nach den Meldungen meiner Agenten besteht kaum ein Zweifel, daß der Premier und sein Bruder versuchen, alle politischen Opponenten auszuschalten.« »Soll das heißen, daß wir einen Staatsstreich gegen KaritKi anzetteln?« fragte Mike. »Wir werden tun, was nötig ist, damit Mituyan ein freies Land bleibt«, antwortete Cardinez. »Und was soll ich in Banthut?« »Sie sind ein allgemein bekannter amerikanischer Geschäftsmann. Demnach können Sie sich ohne weiteres für den Opiumhandel interessieren. Wir wissen, daß sowohl die Kommunisten als auch bestimmte Günstlinge des Palastes daran beteiligt sind. Mike, Ihr erster Auftrag ist es, einen lückenlosen Bericht über alle Aspekte des Opiumgeschäfts zu liefern.« Mike stieß einen leisen Pfiff aus. »Das ist eine harte Sache, Jack.« »Stimmt. Und Sie sind der einzige, der sich exponieren kann, ohne bei Tarot den Verdacht zu erwecken, daß die amerikanischen Dienststellen ihre Nase in diese schmutzige Geschichte stecken.« »Von unseren Leuten können Sie jede Hilfe erwarten, Mike«, sagte Lawton. »Wir werden Sie über die Situation im Land der Groats genau informieren. Übrigens werden Sie sehr eng mit Charlie Prescott zusammenarbeiten.« »Versteht er sich gut mit Marlene?« »Er verdient es, daß sich einmal ein Mädchen seiner eigenen Rasse um ihn kümmert - nach allem, was er dort oben in den Bergen durchmachen mußte. Sie werden ja selbst sehen«, sagte -153-
Lawton. »Marlene ist ein feiner Kerl«, meinte Mike. »Oho, die junge Dame scheint Sie ja zu interessieren!« rief Cardinez lachend. »Natürlich interessiert sie mich. Aber nicht so, wie Sie denken, Jack. Ich führe eine sehr glückliche Ehe.« Cardinez stand auf, schloß seine Akten ein und verließ mit Mike und dem Colonel das Büro. »Freitag oder Samstag steigt die Lagebesprechung.«
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13 Die zweimotorige amerikanische Militärmaschine nahm von Tuyan Kurs nach Osten, in Richtung auf die Küstenstadt Marashak. Es wurde bereits dunkel, aber das Gewirr der Kanäle und Flüsse des oberen Tuyandeltas war noch immer deutlich erkennbar, ein labyrinthisches Mosaik von braunen Wasserwegen, grünen Schilfgürteln und rechteckigen fahlen Flecken - den eingedämmten Reisfeldern, die in dieser Jahreszeit trocken lagen. Aber bald wird der große Regen kommen, dachte Botschafter Whittelsie. Und damit in vollem Ausmaß die Guerillatätigkeit. Die Probleme Mituyans gingen über seine Kraft, er fühlte, daß er sie nicht zu bewältigen vermochte, besonders seit überall in den USA, und damit auf der ganzen Welt, die Berichte über die Schießerei mit Schlagzeilen groß aufgemacht auf den ersten Seiten erschienen waren. Whittelsies Ruf war schwerstens gefährdet, er hatte nicht weniger als drei in scharfen Worten gehaltene Anfragen des Außenamtes in Washington erhalten. Im Kongreß herrschte Empörung darüber, daß eine von den USA gestützte Regierung mit brutaler Gewalt gegen nichtkommunistische politische Gegner vorgegangen war. Ted Baum hatte sich redlich bemüht, in Kommentaren vor den Pressevertretern die Kraßheiten zu mildern, aber an der Tatsache ließ sich nichts beschönigen. Die Reporter schilderten, was sie erlebt hatten, und da sie mit wenigen Ausnahmen gegen KaritKi eingestellt waren, zeichneten sie für die Weltöffentlichkeit das Bild eines skrupellosen Tyrannen. In Amerika wurde bereits eine Untersuchungskommission gebildet, um genau zu überprüfen, ob die kommenden Wahlen in Mituyan nach demokratischen Prinzipien durchgeführt werden würden. Nach dem Zwischenfall hatte die Bevölkerung von Tuyan die -155-
Feier der »Dekade des Aufbaus« stillschweigend boykottiert. Daraufhin hatte die Presse, allen voran Krakhaur, erklärt, in einer freien Wahl würden KaritKis Kandidaten eine vernichtende Niederlage erleiden. Am meisten ärgerte sich Whittelsie über die, wie er meinte, ungerechtfertigte Behauptung der Journalisten, ein Sieg des Premiers würde nur beweisen, daß die Wahlen eine Farce gewesen seien. Der Botschafter lächelte vor sich hin, als er an den einzigen Lichtblick der Feier dachte. Kaum eine Zeitung auf der Welt, die nicht auch das Foto der verführerischen Second Lady von Mituyan gebracht hatte, die, das wußte nun jenseits des Pazifik selbst der Mann auf der Straße, die Zügel in der Hand hielt. Und die TV-Kameras hatten Maynas Bild eingefangen und sie sozusagen mit einem Tastendruck weltberühmt gemacht. Vor dem Flugzeug schimmerte der Ozean auf, Whittelsie ließ die Fragen des Tages hinter sich. Bald würde ihn Maynas Limousine auf dem kleinen Flugplatz abholen. Zwanzig Minuten später, bei Einbruch der Dunkelheit, setzte die Maschine glatt auf der Landepiste auf und rollte vor dem Verwaltungsgebäude aus. Whittelsie schwang sich auf die Tragfläche und sprang auf den Betonboden. In diesem Augenblick fuhr ein schwarzer Rolls-Royce vor. Der Fahrer öffnete den Schlag. Whittelsie stieg ein, und der Wagen schoß davon. Maynas Villa, die sogar ihr Mann niemals aufsuchte, ohne sich vorher anzumelden, war von einer hohen Mauer umgeben. Aus der Mauerkrone ragten Glasscherben, darüber war Stacheldraht gezogen. An zwei Seiten fielen die Mauern steil zum Meer ab, an der dem Land zugewandten Seite standen Posten, um Schwimmer und Neugierige in sicherer Entfernung zu halten. Fast wie der Eiserne Vorhang in Europa, dachte Whittelsie. Eines von Maynas Mädchen, mit der MP auf dem Rücken, öffnete das Haupttor, als die Limousine heranbrauste. -156-
Schweigend führte die Amazone den Botschafter zum Eingang der Villa. Zwei weitere junge Mituyanerinnen in hautengen, tarngefleckten Dschungelgarnituren, in denen sie trotz der umgehängten Karabiner sehr weiblich wirkten, öffneten die Doppeltür, und er betrat die lange, getäfelte Halle, die quer durch das ganze Haus zum Strand führte. Im Licht der Scheinwerfer leuchtete die Brandung phosphoreszierend auf. Ein sehr reizvolles Mädchen in einem Kleid mituyanischen Schnitts kam über die Treppe am Ende der Halle herunter und verbeugte sich anmutig. »Madame Mayna erwartet Sie, Sir.« Whittelsie folgte der Dienerin über die Stufen hinauf, dabei hatte er den im Rhythmus der Bewegung aus dem Schlitz hervorschimmernden weißen Schenkel und das kleine runde Gesäß dicht vor den Augen. Maynas Wohnräume nahmen die gesamte Breite der Front gegen das Meer zu ein. Rechts von dem Foyer, das er nun betrat, befand sich der Salon mit den hohen Fenstern, durch die von der See eine kühle Brise hereinwehte. Links war das Schlafzimmer. Das Mädchen schloß diskret von außen die Tür. In der Mitte des Salons stand die Herrin. Das lange, ebenholzfarbene Haar war nicht zu einer kunstvollen Frisur gewunden, sondern fiel glatt herunter und bedeckte ihre Schultern. An diesem Abend trug Mayna ein schimmerndes, aquamarinblaues Kleid, das von gravierten goldenen Schließen in Form chinesischer Drachen knapp zusammengehalten wurde und eng anliegend ihren wunderbaren Körper modellierte. Whittelsie bemerkte, daß dieses Gewand, das fast bis zum Boden reichte, auf beiden Seiten von der Hüfte bis zum Saum offen war. Der Botschafter hatte ihr gleich bei seinem Eintreten sagen wollen, daß dies die letzte Nacht sei, die er mit ihr verbringen könne, doch als sie auf ihn zukam, vergaß er seine Vorsätze. »Hallo, Whit! Sag - wo oder was ist die Seventh Avenue?« fragte sie lächelnd. -157-
»Wie bitte?« »Seventh Avenue. Ich habe von einem Mr. Grubman einen reizenden Brief bekommen. Er macht mir Komplimente über meine eleganten Kleider und schreibt, er und alle seine Mitarbeiter hätten sich am Fernsehapparat in mich verliebt.« »Die Seventh Avenue in New York City ist das Zentrum des amerikanischen Textilhandels.« »Eben. Mr. Grubman ist sehr galant und schreibt mir auch, er sei einer der größten Damenkonfektionäre in der Seventh Avenue. Whit, er will mir sehr viel Geld bezahlen, gute amerikanische Dollars, wenn ich meinen Namen« - sie zögerte und rümpfte die Nase - »für seine neue Kollektion hergebe. Er will seine Modelle ›Empress Mayna Originals‹ nennen.« Sie lächelte boshaft. »Wäre das nicht zugkräftige Publicity?« »Wenn du mich fragst - nein. Du solltest nicht irgendwelchen Plunder kreieren wie irgendein Filmstar.« »Aber ich habe den Antwortbrief bereits geschrieben«, wandte Mayna ein. »Hast du ihn schon befördern lassen?« Mayna blickte zu ihm auf. »Nein, ich wollte dich um Rat fragen, welchen Betrag ich von Mr. Grubman fordern kann.« »Ach du lieber Gott! Das ist doch nicht dein Ernst, Mayna!« »Doch! Ihr gebt uns ja keine richtigen Dollars, sondern grundsätzlich nur die Güter, die man mit Dollars kaufen kann. Wie soll ich auf diese Weise zu einem hohen Bankkonto in der Schweiz kommen?« Whittelsie merkte, daß sie das nicht im Spaß sagte. »Wozu brauchst du ein Bankkonto, Mayna?« »Jeden Tag gibt es eine Verschwörung gegen KaritKi und Tarot. Wo steht geschrieben, daß ihr Amerikaner uns immer unterstützen werdet?« »Du weißt ganz genau, daß ich euch immer helfen werde, -158-
solange ich Botschafter in Mituyan bin.« Mayna ließ einige Sekunden verstreichen, ihr Schweigen sagte mehr als Worte. Dann legte sie ihre kühlen Finger an Whittelsies Stirn, strich über die Furchen und zog ihn zu dem bequemen Sofa vor einem Kaffeetischchen, auf dem eine Flasche seiner Lieblingsmarke, »Chives Regal Scotch«, stand. »Also gut, Whit«, sagte Mayna, als sie sich setzten. »Mach dir keine Sorgen. Ich weiß, was ich meiner Würde schuldig bin.« Dabei zuckte es spöttisch um ihre Mundwinkel. »Es wird in der Seventh Avenue keine ›Empress Mayna Originals‹ geben. Armer Mr. Grubman! Und ich werde mir meine Dollars weiterhin auf dem Schwarzmarkt kaufen müssen.« »Es wird zu keinem Umsturz kommen. Mayna. Die Zukunft dieses Landes wird durch die Wahlen entschieden. Und selbst wenn ich abberufen werden sollte - mein Nachfolger wird an dieselben politischen Richtlinien gebunden sein.« Langsam lösten sich Maynas Finger von seiner Stirn und seinem Nacken. »Willst du einen Schluck trinken?« »Bitte.« Sie goß Whisky und Soda ein, dankbar nahm Whittelsie das Glas. Mayna betrachtete ihn forschend, dann schmiegte sie sich eng an ihn. »Ganz im Ernst, Whit« - ihre dunklen Augen waren tieftraurig -, »KaritKis Regime ist in Gefahr. Wir wissen nicht, welche Generale hundertprozentig loyal sind. Deshalb brauchen wir eigene mituyanische Special Forces unter Tarots Befehl. Nur so können wir uns eine verläßliche Elitetruppe scharfen.« Mayna sah, wie sich die Falten tiefer in sein Gesicht gruben, sie schob die rechte Hand hinter seinen Nacken und begann ihn zu streicheln, während sie mit der linken seine Krawatte aufknotete. »Ihr Amerikaner tragt so enge heiße Kleidung. Und die armen mituyanischen Männer müssen sich genauso anziehen, wenn sie zu Geld, Macht und Ansehen in der Welt kommen wollen. Das haben die Engländer bei uns eingeführt, -159-
und ihr seid genauso formell«, schnurrte sie. Der Botschafter ließ sich zurücksinken, als sie die Krawatte aus dem Kragen zog, das Hemd öffnete und spielerisch die Haare auf seiner Brust kraulte. Ein Gefühl wohliger Entspannung überkam ihn. Er hatte eigentlich mit Mayna einige Fragen über KaritKi und Tarot klären wollen, aber das hatte Zeit. »Wirst du uns unterstützen, Whit?« Im Moment wollte er keine sachlichen Gespräche führen. »Ja, Mayna«, seufzte er, »Ihr werdet eure eigenen Special Forces bekommen. Bei der nächsten Sitzung des Country Team werde ich zur unverzüglichen Aufstellung der Einheit raten.« Maynas Finger vibrierten leicht über seine Stirn, und sein Herz schlug rascher. »Noch etwas, Whit«, flötete sie, »du mußt dich auch mit KaritKis Forderung einverstanden erklären, daß bei allen militärischen Aktionen im Land mituyanische Offiziere den Oberbefehl haben. Wir brauchen die amerikanischen Berater, sie sind unsere Freunde, aber wir müssen die Zügel fest in der Hand behalten.« Mit einem Ruck setzte sich der Botschafter auf und sah Mayna ins Gesicht. Er begehrte sie so sehr, daß er alle Energie aufbieten mußte, um mit ihr ein ernstes Wort zu reden. »Du weißt doch ganz genau, daß unsere Militärs hier von Anfang an nie etwas anderes waren als Berater der mituyanischen Armee. Und fast immer mißachten eure Offiziere die Ratschläge der Amerikaner und lassen die Guerillas lieber entkommen, als sie zu einem Feuergefecht zu stellen, bei dem es Verluste geben könnte!« »Aber Whit, im ganzen Land der Groats führen die Amerikaner ihre Projekte allein durch.« »Das hat damit nichts zu tun, Mayna. Dir brauche ich doch nichts über die alte Feindschaft zwischen Mituyanern und -160-
Groats zu erzählen! Wenn ihr im Bergland mituyanische Soldaten einsetzt, dann werden sich die Stämme erheben. Und was wäre die Folge? Die Kommunisten würden das gesamte Gebiet kampflos erobern!« »Laßt es doch auf einen Versuch ankommen, Whit. Schließlich ist es unser Land. Unsere besten mituyanischen Special-Forces-Teams könnten mit den Groats und den anderen Stämmen zusammenarbeiten, denen die Amerikaner Entwicklungshilfe leisten. Seit je wollten die Groats die Bevölkerung des Tieflandes ausrotten. Nun, da ihr Amerikaner sie ausbildet und bewaffnet, werden sie sehr bald dazu in der Lage sein, wenn sie nicht unter der straffen Kontrolle loyaler mituyanischer Offiziere stehen.« Mayna sah die Anspannung in seinem Gesicht und in der Haltung seiner Schultern; Whittelsie war irritiert. Wieder ließ sie die Finger der einen Hand über seine Stirn vibrieren, die andere glitt in den geöffneten Hemdkragen und streichelte mit sanften, kreisenden Bewegungen seinen Nacken. Als sie den Botschafter so weit hatte, daß er sich ihren Reizspielen selbstvergessen hingab, flüsterte sie sanft: »Nicht wahr, Whit, du wirst darüber nachdenken? Wir kennen unser Land besser als die Fremden.« Whittelsie zweifelte zwar daran, aber eines konnte er nicht bestreiten: es war nun einmal das Land der Mituyaner. Sein Gesicht hellte sich auf: »Gut, Mayna, ich werde neuerliche Untersuchungen empfehlen, mit dem Ziel, die Leitung der Projekte bei den Bergstämmen befähigten mituyanischen Offizieren und Beamten zu übertragen. Ich weiß allerdings nicht, wie sich Fil Dickerson dazu stellen wird.« Er wunderte sich über Maynas rätselhaftes Lächeln. »Mister Dickerson wird deine Vorschläge gutheißen - ich weiß es.« Sie ergriff das Whiskyglas und reichte es ihm, er sah ihre lockenden, verschleierten Augen dicht vor sich. »Du bist sehr -161-
nervös, Whit.« »Ja.« »Komm!« Sie erhob sich und streckte ihm die Hand entgegen. Mit einem Schlag war Whittelsies Müdigkeit verschwunden, sofort stand er auf. Sie gingen in Maynas Boudoir hinüber. Ihr Bett war breit und sehr hoch über dem Boden, zudem nach westlichen Begriffen ziemlich hart, aber die meisten Mituyaner schliefen auf mit dünnen Matten bedeckten Holzpritschen. Mayna erklärte oft, daß vom Schlafen auf einem harten Lager der Rücken gerade bleibe, und tatsächlich gab es trotz der vielen Krankheiten, die in Mituyan seit Generationen verbreitet waren, keine Fälle von Verkrümmungen der Wirbelsäule. Neben dem Bett stehend, ließ sich Whittelsie von Mayna das Hemd und das Unterhemd ausziehen. Dann gab sie ihm spielerisch einen Stoß vor die Brust, er ließ sich auf das Bett fallen. Zuerst schnürte sie seine weißen Schuhe auf und streifte sie ab, dann zog sie ihm die weißen Socken von den Füßen. Schließlich war sie bei der Hose. Heimlich hatte er den Gürtel aufgeschnallt und die beiden obersten Knöpfe geöffnet. »Du bist heute ungeduldig«, flüsterte sie. »Laß mich machen.« Gleich darauf saß er in der Unterhose da, während Mayna seine Hose aus feinem weißem Tennisflanell sorgsam über einen Bügel hängte. Dann war sie wieder neben ihm und schob ihn sanft ganz auf das harte Bett. Er schloß die Augen. Mayna knöpfte seine Unterhose auf. Als er nackt lang ausgestreckt dalag, begann sie mit den Fingerspitzen sein Gesicht und seine Stirn zu streicheln. Er verspürte keinen Druck, nur die weichen Fingerspitzen, die zuerst auf seinen geschlossenen Lidern vibrierten, dann auf seinen Lippen, den Wangen und im Nacken. Er fühlte, wie ihre Lippen einen Kuß auf seinen Mund hauchten. Das Bewußtsein seines Alters, die Sorgen, Bedenken und quälenden Gedanken, alles versank. Dann tasteten ihre Finger -162-
über seine rechte Brustwarze, leicht wie Schmetterlingsflügel. Sie beherrschte die Liebeskunst meisterhaft und bediente sich ihrer wie eines kostbaren Instruments. Als Whittelsie die Augen öffnete, sah er, wie sie mit der anderen Hand die goldenen Drachenschließen aufhakte, die das Kleid so eng zusammenhielten. Es fiel auseinander, ihre nackten Brüste wurden sichtbar, sie waren klein und hart wie die eines jungen Mädchens. Das asiatische Gewand raschelte zu Boden, darunter trug sie nichts als ihren Slip aus schwarzer Spitze. Nun wurde das Liebesspiel, das sie ihn gelehrt hatte, intensiver. Ihre Zunge schnellte heraus und wirbelte mit zitternden kleinen Schlägen um seine linke Brustwarze, ihre Hände streichelten seine Lenden. Wilde Zuckungen schüttelten ihren ganzen Körper. In diesem Spiel mußte er stark bleiben, so lange, bis er sich, fast besinnungslos vor Erregung, nicht mehr beherrschen konnte, ihr den Slip herunterzog und sie nahm. Es war der uralte Kampf der Geschlechter, der aller erotischen Begegnung zugrunde liegt. Mayna trieb ihn dazu, sie mit Gewalt zu unterwerfen, und er wehrte sich gegen die Begierde, die in ihm tobte. Ihre Fingerspitzen, Lippen und Zunge fanden alle empfindlichen Stellen seines Körpers und reizten ihn bis zum Wahnsinn, und dann - er wußte nicht, waren es Sekunden, war es eine Stunde - ertrug er die Anspannung nicht länger. Er riß ihr die letzte dünne Hülle von den Hüften. Mayna lachte und schrie vor Schmerz und Leidenschaft auf, als sie fühlte, wie sich tief in ihr Whittelsies ganzes aufgestautes Sehnen und Begehren nach diesem prachtvollen, schrecklichen Weib unter wilden Stößen entlud. Nachher, als er wieder zur Besinnung kam, begann sein Geist mit einer fast peinigenden Klarheit zu arbeiten. Er mußte Mayna sagen, daß es so nicht weitergehen könne. Sie lag neben ihm. Er sah sie an. Und da wußte er, daß er nicht die Kraft hatte, sich von ihr zu trennen. -163-
DRITTER TEIL DAS LAND DER GROATS
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14 Die DC-3 der Air Mituyan nahm Kurs auf Banthut, die größte Stadt des mituyanischen Berglandes. Durch das Fenster sah Mike Forrester am Horizont die ersten Höhenzüge und Vorberge, die aus der weiten Ebene der Reisfelder emporstiegen. Nun gab es für ihn kein Zurück mehr. Er war Agent. Doch wenigstens war er auf sich selbst gestellt, ein Einzelkämpfer im schmutzigen Krieg. Die Lagebesprechung mit Jack Cardinez hatte nur eine halbe Stunde gedauert, der Auftrag war klar: Eroberung des Opiummarktes, Aktionen zur Sprengung des Monopols der Mitkoms, Zusammenarbeit mit Major Prescott bei den Verhandlungen mit den Stämmen und Meldungen über jene mituyanischen Regierungsbeamten, die den Gerüchten zufolge mit den Kommunisten Opiumgeschäfte tätigten. »Schaffen Sie sich Ihre eigenen Kontakte, Mike«, hatte Cardinez gesagt. »Werben Sie Agenten und Kundschafter an. Doch grundsätzlich eines: Nichts, was Sie unternehmen, darf mit den amerikanischen Behörden hier in Verbindung gebracht werden! Wenn Sie Geld brauchen, dann verständigen Sie uns, und Sie werden welches bekommen.« Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich Mike die Hilfe eines einzigen Mannes in Tuyan gesichert. Dieser war unter dem Namen Jimmy Brillant allgemein bekannt, er verkaufte zu erschwinglichen Preisen Schmuck und genoß bei den Amerikanern in ganz Asien den Ruf eines kulanten Geschäftsmannes und Edelsteinexperten ersten Ranges. Wie er zu den Juwelen, dem Gold und den kostbaren Antiquitäten kam, die er anbot, das stand auf einem anderen Blatt. Der Großteil seiner Einkünfte stammte aus dem Zwischenhandel mit -165-
Kunstwerken, die der Staat zu nationalen Kulturdenkmälern erklärt hatte. Jimmy organisierte den Schmuggel über die Grenzen, die Objekte gelangten schließlich in den Besitz ausländischer Museen und reicher Privatsammler. Jimmy hatte drei Frauen, jede mit eigener luxuriöser Wohnung, und unzählige Freundinnen. Er lebte gern aus dem vollen, also mußte er viel Geld verdienen. Opium? Es wäre einen Versuch wert. Mike hatte den Juwelenhändler so weit ins Vertrauen gezogen, daß er durchblicken lassen konnte, er verfolge solche geschäftliche Projekte nicht nur aus finanziellen Erwägungen. Aber gerade dies bildete für Jimmy den größten Anreiz. Spontan bekannte er sich als Freund der Amerikaner und nannte Mike den Namen eines Verbindungsmannes in Banthut: Charlie Tiger. Das Flugzeug schlingerte, als es in die Luftströmung über den Ausläufern des Berglandes geriet. Banthut lag auf einem Hochplateau, das wegen seines gleichmäßigen Klimas geschätzt wurde und viele Großwildjäger anzog. Viele reiche Mituyaner und Ausländer hatten Villen in dieser Stadt. Die prächtigste von allen war das Jagdhaus des Königs Barkun, doch weil es außerhalb jenes Gebietes lag, das die Provinzpolizei und die Truppen überwachten, hatte sich niemand hingewagt, bis die »Abteilung für Entwicklungsprojekte« den Bau für Major Prescott mietete, der dort seine Dienststelle einrichtete. Mike war vorher nur einmal in Banthut gewesen, damals, als Luna an einer fiebrigen Erkrankung litt, die nach Angabe der Ärzte nur durch einen längeren Aufenthalt in kühlem Klima völlig ausgeheilt werden konnte. Während die Maschine über der Stadt eine Kurve beschrieb, versuchte er, markante Punkte zu entdecken. Das größte Hotel, früher »King Barkun«, jetzt »National«, war ein moderner vierstöckiger Bau in leuchtendem Weiß. Rundherum waren Tennis- und Golfplätze angelegt, überdies Bungalows, die man jeweils für vierzehn Tage mieten konnte, und ein großes Schwimmbad. In ganz Asien gab es -166-
kaum einen Ort, wo es sich besser leben ließ als in Banthut. Mike bedauerte, daß Luna nicht mitgekommen war. Doch er hatte noch keine Erfahrungen im Agentengeschäft, und wenn er einen Fehler machte, dann würde er nicht nur sich, sondern auch Luna in Gefahr bringen. Er zweifelte nicht daran, daß es in Banthut von kommunistischen Agenten wimmelte. Die DC-3 landete und rollte vor dem weißen Betonblock des Kontrollgebäudes aus. Auf der Piste wartete eine große Schar von Mituyanern, darunter viele Mönche in safrangelben Gewändern. Nun fiel Mike wieder ein, daß in Tuyan drei buddhistische Mönche das Flugzeug bestiegen hatten. Sie mußten wohl sehr wichtige Persönlichkeiten sein, wenn es ihretwegen so etwas wie einen »großen Bahnhof« gab. Der Pilot drosselte die Motoren, Mike beobachtete, wie die Mönche würdig und langsam über die Gangway hinabschritten. Einer von den dreien kam ihm bekannt vor. Vielleicht war er jener Bonze, den man als den »Eiferer von Tiking« bezeichnete. Mike hatte Han Li Phang zweimal in Tiking gesehen. Die buddhistischen Mönche wurden von den Wartenden sehr ehrerbietig begrüßt und durch den Sondereingang bis auf die Straße geleitet. Mike und die übrigen Passagiere gingen in den allgemeinen Abfertigungsraum, um ihr Gepäck zu holen. Nach der sengenden Hitze in Tuyan wirkte die ziemlich gleichmäßige Temperatur von etwa 23 Grad direkt belebend. Wenn wir schon gegen die Kommunisten kämpfen müssen, dann lieber in einem solchen Klima, dachte Mike. Er behob seine Koffer und fuhr im Taxi zum Hotel. Dort mietete er einen Bungalow, dann nahm er wieder ein Taxi und ließ sich ins Geschäftsviertel von Banthut bringen. Die meisten Läden waren auf landeseigene Raritäten und Souvenirs spezialisiert: Tierfelle, Elefantenstoßzähne und Erzeugnisse der Groats. Es gab auch eine Anzahl kleiner, nun meist verwahrloster Reisebüros, die Jagdausflüge arrangierten. Seit die Aktivität der Mitkoms im Bergland zunahm, kamen wenige -167-
Jagdgäste. Hin und wieder gingen mit grotesk stelzenden Schritten Groats in Lendenschurz und schwarzen Pyjamablusen vorbei. Schließlich fand Mike den Laden, den er suchte, und trat ein. Eine kühne, dekorative Komposition an der Rückwand beherrschte den ganzen Raum: zwei riesige gekrümmte Elefantenstoßzähne, deren Spitzen sich beinahe berührten. Darunter hing die alte Fahne der Barkun-Dynastie Mituyans. Der einzige Unterschied zwischen dieser und der jetzigen Staatsflagge, die drei vertikale Streifen zeigte, der mittlere rot, die beiden äußeren gelb, bestand darin, daß die Könige im roten Mittelfeld auch noch die beiden weißen Elefantenzähne geführt hatten. Dies hier war eine gefährliche Demonstration monarchistischer Gesinnung, dachte Mike. Die heraldische Figur der Elefantenzähne, die den Sieg Barkuns I. über die Chinesen durch Einsatz von Kriegselefanten symbolisierte, war von KaritKi verboten worden. Als Mike die Fahne angelegentlich betrachtete, kam der Besitzer heran. »Wollen Sie echte Königsflagge von Mituyan als Souvenir, Sir?« Charlie Tiger war ein großer, kräftig gebauter Chinese, wenn er lächelte, leuchteten in seinem Mund einige Goldzähne auf. »Sehr alt, jaja.« Er senkte die Stimme. »Sehr selten.« »Ich dachte, es sei gesetzwidrig, die königliche Fahne zu zeigen.« Charlie Tiger zuckte die Schultern. »Vielleicht in Tuyan. Aber hier« - er grinste Mike verständnisinnig an - »stört niemand.« Liebevoll strich er mit der Hand über das Fahnentuch. »Wollen Sie kaufen, Sir?« Mike verneinte höflich. »Ich habe mächtige Freunde im Palast, ich muß vorsichtig sein.« Charlie Tiger brach in ein schallendes Gelächter aus. »Minister Branot schenkt Königsflagge amerikanischen Freunden als seltenes Souvenir. Ich weiß. Ich mache für ihn, -168-
jaja. Aber diese hier« - er schnalzte mit der Zunge - »sehr alt, Sir!« Mike streckte dem Chinesen die Hand entgegen. »Ich bin Mike Forrester. Jimmy Brillant schickt mich zu Ihnen!« »Oh! Jaja!« Charlie Tiger strahlte über das ganze Gesicht. »Kommen Sie in mein Büro, Sir.« Er führte Mike zu einer Tür und rief einige chinesische Worte in den Nebenraum. Sofort erschien eine hübsche junge Chinesin in einem Chongsam mit dem bis zur Hüfte geschlitzten Rock. »Das ist Peone«, erklärte Charlie, »meine dritte Tochter. Jaja, drei Töchter, keine Söhne.« Voll Stolz wies er auf den Besucher. »Das ist der Mann, wir haben erwartet, Mr. Mike Forrester.« Lächelnd verbeugte sich das Mädchen vor dem Amerikaner. »Es ist eine Freude und eine Ehre, Sie hier begrüßen zu dürfen, Sir«, sagte sie in fließendem Englisch. »Wir haben schon viel von dem berühmten amerikanischen Pflanzer Mr. Forrester gehört. Nun ist es uns sogar vergönnt, ihn persönlich zu sehen.« »Peone ging auf englische Schule. Sehr teuer, jaja«, bemerkte der Händler. »Ich werde dir alles zurückerstatten, Vater« - die Tochter blinzelte Mike zu -, »mit Zinsen und Zinseszinsen.« »Gehen wir in mein Büro«, sagte Charlie einladend. »Später, zur Stunde des Tat, wir werden essen.« Mike folgte ihm in sein Arbeitszimmer, das private kleine Reich eines außerordentlich begüterten chinesischen Kaufmanns. Mike verstand genug von den darin befindlichen Kostbarkeiten, um sie entsprechend würdigen zu können. Seine Blicke wanderten über die kostbaren Jadeschnitzereien, die mit Elfenbein intarsierten Möbel und den beleuchteten Glasschrank, in dem blaue und schwarze Saphire, Rubine und schwarze und weiße Perlenketten lagen. Charlie weidete sich an dem Entzücken, mit dem sein Gast all die ausgebreiteten Schätze betrachtete. Schließlich setzte er sich an seinen Schreibtisch und -169-
wies auf den gepolsterten Mahagonistuhl davor. »Vor zwei Tagen sandte Jimmy Brillant Telegramm. Schreibt, Sie kommen. Schreibt nichts sonst.« Aus einer Geheimtasche, die innen in sein Sporthemd eingenäht war, zog Mike eine schweißdichte Wachstuchbrieftasche, öffnete sie und nahm ein gefaltetes Pergamentblatt heraus, das er dem Chinesen reichte. »Lesen Sie das. Da steht alles drin. Jimmy Brillant ist ein alter Freund von mir. Ich habe den Schmuck für meine Frau bei ihm gekauft. Wir haben viele Geschäfte miteinander gemacht. Seit vielen Jahren.« Charlie Tiger studierte eingehend die chinesischen Schriftzeichen. Dann atmete er tief und legte das Blatt auf den Tisch. »Jaja, jaja, sehr, sehr gefährlich!« »Aber sehr viel Geld«, sagte Mike. »Sie sind großer Mann, Sir - viel Kautschuk, viel Tee. Aber das ist sehr schwer, sogar für Sie.« »Ich schaff' es schon«, sagte Mike zuversichtlich, obwohl er innerlich Zweifel hegte. »Ich habe nun bei den Groats viele Freunde.« Charlie Tiger wiegte den Kopf. »Gibt nur eine Sache, wo KaritKis Beamte und Kommunisten zusammenarbeiten und gemeinsam auf Außenseiter schießen: Opiumgeschäft. Ich weiß, jaja. Habe versucht. Wurde fast umgebracht.« »Vor den Gewehren fürchte ich mich nicht. Ich habe mehr und bessere Gewehre. Aber ich brauche die Organisation, um hundert vielleicht zweihundert Kilo Heroin pro Monat zu transportieren und zu verkaufen.« Mike blickte in entsetzte Augen. »Jimmy Brillant will mitmachen. Und Sie?« »Vielleicht Jimmy Brillant weiß nicht, wie schwer ist«, wich Charlie Tiger aus. »Provinzpolizei, MFF, mituyanische Armee starke Organisation, zu stark.« -170-
»Die Organisation nützt ihnen nichts, wenn sie kein Opium kriegen«, erwiderte Mike eindringlich. »Ich habe Flugzeuge. Ich habe gut ausgebildete und bewaffnete Groatabteilungen unter amerikanischer Führung. Ich kann mir das Opium in den Dörfern verschaffen, an der Quelle - wie die anderen. Noch dazu kann ich die Hälfte davon legal verkaufen, vielleicht hundert Kilo pro Monat. Aber ich möchte alles, den gesamten Opiumertrag.« »Mr. Forrester«, der Chinese musterte ihn mit listigen Blicken, »Sie sind großer Händler, aber diese Sache mit Opium - ich glaube, Sie wollen was anderes, nicht Geld verdienen. Sagen Sie Charlie Tiger ehrlich, was Sie wollen.« »Charlie, erzählen Sie mir zuerst, was Sie über das Opium wissen. Dann werde ich Ihnen sagen, welche Absichten ich habe.« Der Chinese nickte. »Okay. Mein Geschäft ist vor allem Gold, Edelsteine. Meine Leute schmuggeln Saphire, Smaragde, Jade, Gold hierher. Ich verschicke - an Jimmy Brillant, an andere. Die verkaufen. Meine Leute kennen Opiumgeschäft. Viele Veränderungen in letzten Jahren, jaja. Hier in Banthut die Kommunisten verkaufen das Opium. TrangTi, der Provinzchef, wird sehr reich. Mitkoms bekommen Konserven, Medizin, Maschinen, das aus USA kommt, manchmal sogar Jeeps. Kisten mit Bild von Händen! So!« Er deutete den Handschlag an. »Wissen Sie?« »Natürlich. Das ist das Symbol der amerikanischen Entwicklungshilfe. Damit sind alle Güter gekennzeichnet, die in Mituyan verteilt werden.« »Eben, jaja. Kommunisten nehmen Opium sehr billig von Groats und beschaffen alles, was sie für starke Armee brauchen. Tauschen Opium gegen Material, das TrangTi von Amerikanern bekommt, weil er an die Menschen in dieser Provinz verteilen soll.« »Diesen TrangTi werde ich mir genauer ansehen«, sagte Mike. -171-
»Meine Frau und ich, wir haben Freunde im Palast in Tuyan. Diese werden Colonel TrangTi befehlen, daß er mir helfen soll.« »Sie sind ein Freund von Palast?« fragte Charlie Tiger etwas zurückhaltend. »Ich bin ein Freund Mituyans. Zur Zeit ist es günstig, gute Verbindungen zur Regierung zu haben.« »Auch für mich, jaja«, gab der Chinese zu. »TrangTi bekommt viel Geld, viel verschiedenes. Ich übernehme Geld, ziehe ab fünfzig Prozent, manchmal sechzig Prozent, und gebe TrangTi Gold. Natürlich, wenn amerikanische Dollars, ich kann nur abziehen zehn Prozent, jaja. Für ihn ist noch immer gutes Geschäft. Ich schicke Geld mit meinen Leuten nach Hongkong. Meine Bank gibt mir US-Dollars oder Gold, zieht nur ab zwanzig, vielleicht dreißig Prozent bei mituyanischen Metas, Peseten aus Bardans, Yanna-Dollars, vietnamesischen Piaster. Gold kommt zu mir zurück, und alles beginnt von neuem. Ja.« Charlie zuckte mit den Schultern. »Großes Geschäft nun in Mituyan, den Leuten amerikanische Dollars und Geld verkaufen, die glauben, kommt Revolution und sie verlieren ihr Geld. Sogar hohe Persönlichkeiten. Jaja.« Beide schwiegen. Nun erst dämmerte es Mike, daß Cardinez fast Unmögliches von ihm forderte. Er seufzte. »Na schön, Charlie Tiger. Ich glaube, wir werden nicht viel miteinander unternehmen, Sie machen sowieso Ihren Profit.« »Jimmy Brillant hat gewußt, als er Sie zu mir geschickt, Sir«, antwortete der Chinese mit undurchdringlicher Miene. »Aber er hat Sie geschickt, jaja.« »Was wollen Sie damit sagen?« »Bis jetzt ich habe erzählt nur über halbe Monatsernte. Wissen Sie, wohin andere Hälfte, vielleicht mehr, geht?« Als Mike stumm verneinte, sprach Charlie Tiger lächelnd weiter. »Okay, ich sage Ihnen. Kommunisten schaffen Hälfte von Opium an Grenze von Yanna. Yanna neutral.« Der Händler grinste sein -172-
Gegenüber an. »Wir wissen, was neutral heißt.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Heißt, daß Rotchinesen und Vietkongs haben viele große Lager dort, jaja. Mitkoms tauschen viel Opium bei Chinesen und Vietnamesen ein, bekommen dafür chinesische und russische Gewehre und Munition.« Er machte ein schlaues Gesicht, Charlie Tiger kannte den Lauf der Welt. »Sehen Sie, Sir, Opium macht Mitkoms stark. - Aber noch nicht alles. Chinesische Kommunisten nehmen Opium, das sie für Waffen bekommen. Und wissen Sie, wohin Opium geht?« »Nein, wohin?« »Nach New York! Vielleicht nach Kuba zuerst. Opium wird zu Dollars, Dollars kommen wieder zurück, bringen Rotchina aktive Handelsbilanz mit Westen. Das ist Wirklichkeit, jaja.« Und da gab es Amerikaner, die in Mituyan Aufbauarbeit leisten und die Ausbreitung des Kommunismus verhindern wollten, dachte Mike. Männer, die in bester Absicht und in gutem Glauben handelten. Sie taten ihm fast leid. Doch es gab auch die anderen, die Schönfärber, die Beschwichtiger, die Karrieremacher, die einfach die Augen verschlossen hielten und alles laufen ließen, wie es lief, wenn sie dabei nur nicht die eigene Haut riskierten. Zum Beispiel dieser Grady Rourke! Wenn dieses fette, faule Schwein endlich einmal von seinem bequemen Bürostuhl aufstünde und sich persönlich davon überzeugte, daß die amerikanischen Steuerzahler indirekt den Rauschgifthandel und die kommunistische Infiltration finanzierten. Mit leisem Lachen sah Charlie Tiger in Mikes entgeistertes Gesicht. »Okay, ich habe Ihnen gesagt. Nun sagen Sie mir. Warum sind Sie wirklich hier? Um Geld zu verdienen an Opium? Ich habe oft gehört Namen Mike Forrester nennen. Ich weiß, er macht nie Geschäft, das er nicht kennt, jaja.« Nun war es Mike, der den Chinesen angrinste. »Ich glaube, Sie wissen sowieso Bescheid, Charlie. Vom Opiumhandel habe ich -173-
keine Ahnung. Hat mich auch nie interessiert. Und je mehr ich davon höre, desto weniger gefällt mir die ganze Sache.« Genußvoll betrachtete er die Juwelen im Glasschrank. »Ob Sie es glauben oder nicht, Charlie, gewisse Amerikaner in Tuyan meinen, man könne den Mitkoms dadurch entgegenwirken, daß man ihnen das gesamte Opiumgeschäft wegnimmt. Und Ihre Mitteilungen beweisen nur, daß meine Freunde recht haben. Ich muß hier und in Tuyan eine Organisation aufbauen, um mir das Monopol zu sichern. Meine Kontaktmänner sind in der Lage, mehr als die Hälfte legal an pharmazeutische Fabriken in der ganzen Welt zu verkaufen. Aus dem übrigen Ertrag wäre wahrscheinlich so viel herauszuschlagen, daß ich eine gut funktionierende, mit allen Hilfsmitteln ausgerüstete Untergrundgruppe bilden und einsetzen könnte. Meine Verbindungsleute glauben, daß die lautesten Schreier den Kommunisten am nächsten stehen.« »Lautes Geschrei wird sicher aus Palast kommen, jaja«, warf der Händler ironisch ein. Mike nickte. »Sie haben recht, Charlie«, sagte er ernst. »Hat es überhaupt einen Sinn, etwas zu unternehmen?« »Vielleicht, wenn manche Leute etwas unternehmen, Mituyan ist noch nicht verloren.« »Würden Sie als Chinese mitmachen?« »Das hier ist mein Land. Kommunisten haben China erobert, weil niemand...«, er suchte nach dem richtigen Wort, »niemand Ordnung gemacht hat. Jeder stahl, überall. Ich liebe Mituyan. Für mich ist auf ganzer Welt kein anderer Ort als Banthut. Gute Luft hier, beste in Asien, jaja.« »Heißt das, daß Sie mir helfen werden, den Kommunisten das Opium der Groats wegzuschnappen?« »Wir sprechen später. Nun ist Tat. Tochter macht uns Tee und gutes Essen.« Als Mike am Spätnachmittag Charlie Tigers Laden verließ, -174-
war er optimistischer als wenige Stunden vorher. Nun sah er konkrete Möglichkeiten, das Opiumgeschäft zu überwachen, zumindest lange genug, so daß sich alle dunklen Ehrenmänner, die mit den Kommunisten zusammenarbeiteten, früher oder später verraten mußten. In seinem Hotelbungalow angelangt, warf Mike die Kleider aufs Bett, trat unter die Dusche und ließ das lauwarme Wasser über den Körper rieseln. Dann zog er einen leichten Anzug an. Um sechs Uhr brachte ihn ein Taxi zum Haus Jasmin. Die große, nunmehr baulich veränderte Villa hatte früher einem nun ebenfalls exilierten Onkel König Barkuns gehört und war einer der beliebtesten Treffpunkte der Männerwelt von Banthut. Im Parterre befanden sich einige abgeschlossene Speiseräume, eine Bar und ein Restaurant. Etwa zehn Mädchen - manchmal mehr, manchmal weniger, je nach der Jahreszeit - hatten ihre Zimmer in den Obergeschossen. Der Duft der Jasminbüsche, die in dichten Beständen rund um das Gebäude wuchsen, hatte dem Haus seinen Namen gegeben. Mike, der zum erstenmal dort war, blickte sich suchend um. Sofort stand eine junge Mituyanerin vor ihm und wollte sich auf einen Drink einladen lassen, doch er lehnte höflich ab. Er ging durch drei Räume, erst in der vollbesetzten Bar sah er Major Prescott, der in Sporthemd und Baumwollhose auf einer gepolsterten Bank lümmelte. »Darf man sich setzen?« »Nur zu!« antwortete der Offizier. Ein Mädchen kam heran und nahm Mikes Bestellung entgegen. »Hat alles geklappt?« fragte Prescott ganz beiläufig. »Die Sache läuft an«, erwiderte Mike. »Können Sie in zwei Tagen in Barkuns altem Jagdhaus sein?« »Ohne weiteres. Mein Kontaktmann heißt Charlie Tiger. Er hat einen Vetter namens Johnny Elephant. Mit dem werde ich einen Jagdausflug machen. Übermorgen geht es los.« »Gut. Ich werde dafür sorgen, daß Sie mit den Groats -175-
Verbindung aufnehmen können.« »Morgen werde ich Colonel TrangTi einen Höflichkeitsbesuch abstatten.« »Dieses Aas!« schnaubte Prescott. »Mir geht es furchtbar gegen den Strich, wenn ich mit diesem Schlächter und Blutsauger freundlich tun muß.« »Das ist aber nicht zu vermeiden.« Ein volles Glas wurde vor Mike hingestellt, er hob es. »Auf gutes Gelingen!« Der Major nickte mit düsterer Miene. Schließlich fiel die Frage, die Prescott schon lange bewegte. »Was macht Marlene? Haben Sie sie gesehen, Mike?« »Ja, erst gestern waren wir mit ihr zusammen, meine Frau und ich. Ich habe Marlene gesagt, daß ich nach Banthut fliege. Sie läßt Sie schön grüßen, Charles.« »Sie ist das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe.« »Wenn man lange im Fernen Osten lebt, findet man jede Blondine schön«, sagte Mike, mehr zu sich selbst als zu Prescott. »Kann sein. Aber ich erinnere mich noch sehr gut an weiße Frauen. Marlene schlägt alle!« Mike blickte sich im Raum um. »Recht ordentlicher Laden hier«, sagte er, das Thema wechselnd. »Wir sind zufrieden.« »Wieso ›wir‹?« »Das Haus Jasmin gehört der Abteilung für Entwicklungsprojekte.« »Das hat mir niemand gesagt. Es wurde nur als Treffpunkt angegeben.« »Mein Vorgänger war kein Offizier, sondern ein Zivilagent. Bevor er in die ›Agency‹ eintrat, hatte er eine Bar in Maryland. Als er nach Banthut versetzt wurde, richtete er hier natürlich -176-
sofort eine Bar und ein Hurenhaus ein.« Prescott lachte. »Ja, gerade hier bekommen wir oft die wichtigsten Informationen. Wenn Sie später mit uns Verbindung aufnehmen wollen, Mike, dann wenden Sie sich nur an Madame Susie. Ich werde Sie der Dame vorstellen.« Verwundert schüttelte Mike den Kopf. »Ich glaube, für so ein Leben bin ich nicht geschaffen. Ich habe das Gefühl, daß ich das alles träume, daß es nicht wirklich ist.« »Gewöhnung, mein Lieber, alles Gewöhnung. Das größte Problem hier ist, was man mit dem Gewinn anfangen soll. Glücklicherweise gibt es in der Gegend einen Missionar. Reverend Maynard hat hier einige Dinge laufen. Er bekommt den Großteil des Geldes: für seine Leprastation, sein Waisenhaus und einige Spitäler und Ambulanzen, die er errichtet hat. Wir verraten ihm nicht, woher der Mammon stammt, doch ich glaube, das ist ihm gleichgültig, wenn er damit nur seine Projekte durchführen und seine Anlagen finanzieren kann. Übrigens kriegen wir auch von ihm sehr wertvolle Informationen, da er ständig mit den Eingeborenen zusammenlebt. Halten Sie sich an ihn, er wird Ihnen in manchem behilflich sein können.« Eine hübsche Eurasierin um die Mitte der Dreißig trat auf die beiden zu. Der Major strahlte sie an. »Das ist Susie, unser Prachtstück! Sie kann mich oder meine Leute jederzeit über das Funkgerät erreichen, das wir im Dachgeschoß stehen haben.« Prescott stellte Mike vor. »Er gehört zu uns, Susie«, fügte er hinzu. »Kommen Sie her, sooft Sie Lust dazu haben, Mike«, sagte die Puffmadame. »Haben Sie im Moment eine Frage?« »Es würde mich interessieren, weshalb der buddhistische Bonze, den man den ›Eiferer von Tiking‹ nennt, nach Banthut gekommen ist.« »Ich werde meine Mädchen auf die Spur setzen«, versprach -177-
sie. Ein hünenhafter blonder Amerikaner in Zivil schob sich mit rudernden Bewegungen durch den Raum und baute sich neben der kleinen, zierlichen Susie auf, die er fast um zwei Kopflängen überragte. »Sir, der Pilot der U-10 möchte vor Einbruch der Dunkelheit zum Jagdhaus zurückfliegen. Sind Sie bereit?« »Sergeant Barton - Mr. Forrester.« Der Riese ergriff Mikes Hand und schüttelte sie kräftig. Prescott stand auf. »Dann sehe ich Sie also übermorgen, Mike. Können wir Sie nirgendwohin fahren?« »Vielleicht zu Reverend Maynards Missionsstation?« »Ganz nach Wunsch, Sir!« Barton grinste. »Kommen Sie morgen vorbei, Mike«, erinnerte ihn Susie. »Ich werde sicherlich Nachrichten für Sie haben.« »In Ordnung, Susie. Bis morgen!« sagte Mike und verließ mit dem Sergeant und Prescott das Haus Jasmin.
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15 Zeitig am nächsten Morgen holte Reverend Maynard seinen Besucher im kleinen Lastwagen der Evangelischen Mission ab, um ihm alle Anlagen zu zeigen, die man ohne Gefahr besuchen konnte. Die Mitkoms wagten sich mit Angriffen, Überfällen und Terror immer näher an die großen Städte heran. Maynard trug einen Tropenhelm, ein khakifarbenes Hemd und ebensolche Hosen und bis über die Knöchel reichende Schnürschuhe. Er mußte bereits in den Fünfzigern sein und war so hager wie ein alter Truppenoffizier. Ihm unterstand die gesamte Evangelische Mission. Im Groatland waren drei Missionsärzte tätig, und in den Dörfern der Eingeborenen hatte der Priester eine Anzahl von Kirchen bauen lassen »vorgeschobene Stützpunkte im Dschungel«, nannte er sie. Zuerst fuhren sie zur Leprastation, fünf Meilen von Banthut entfernt an der Bergstraße in Richtung zur Grenze gegen Yanna. Ein Stacheldrahtverhau umschloß das Gebiet im Ausmaß von 20 Morgen, das die Regierung der Mission zur Verfügung gestellt hatte. »Den Stacheldraht haben wir von Major Prescott. Einer seiner Soldaten hat mit einer Gruppe von Groats den Verhau angelegt.« Er steuerte das Fahrzeug durch ein Tor und über eine lange, ungepflasterte Straße bis zu dem sauberen, weißen Hauptgebäude aus Beton, das zwei lange Seitenflügel hatte. »In den Ecktrakten sind die Frauen- und die Männerabteilung untergebracht. Wir leiden bereits unter Platzmangel. Aber wir erreichen wenigstens, daß die Kranken zu uns kommen. Waren Sie schon einmal in einer Leprastation?« Mike verneinte. »In unserem Teil des Landes gibt es keine, die Aussätzigen werden überhaupt nicht behandelt. - Ich sollte ein -179-
Lepraspital errichten.« »Unser Bestreben geht dahin, die Krankheit im Anfangsstadium zu behandeln, wenn sie noch geheilt werden kann. Die Missionsärzte untersuchen alle Personen, die zu ihnen kommen, und bei zweifelhaften Fällen raten sie den Leuten, zur Beobachtung hierzubleiben.« Maynard führte Mike in den weitläufigen Mittelsaal des Gebäudes. Auf den Bänken saßen Mituyaner und Groats und starrten mit ängstlichen Gesichtern die beiden Weißen an. Sie betraten einen Raum, wo ein Missionsarzt und eine mituyanische Schwester eine junge Groatfrau untersuchten. Sie trug einen schwarzen Wickelrock, die Schultern bedeckte eine lose übergeworfene Decke, die nackten Brüste waren groß und fest. Die Schwester hatte eine Vogelfeder in der Hand, und während der Arzt die Frau ablenkte und sich mit ihr im Groatdialekt unterhielt, strich ihr die Pflegerin über Fußknöchel, Rist und die Wölbung der Sohlen. Reverend Maynard sah gespannt zu. Kein einzigesmal reagierte das junge Weib auf die Berührung. »Angesteckt!« konstatierte der Missionar. »Gefühllosigkeit in den Füßen und den Knöcheln, das deutlichste Symptom. Glücklicherweise wurde sie rechtzeitig hergebracht, ich glaube, daß die Behandlung noch Erfolg haben kann.« Maynard nickte dem Arzt und der Schwester zu und führte Mike in die Männerabteilung. »Unter klinischer Kontrolle ist die Lepra nicht wirklich ansteckend. Sonst hätte ich sie schon längst«, sagte er beruhigend. »Jeder Mann, den Sie hier sehen, steht in Behandlung. Wenn wir noch etwa zehn solche Stationen hätten, verteilt im ganzen Gebirgsland, wo die Lepra häufig auftritt, dann könnten wir die Krankheit vielleicht völlig ausrotten.« Aus wulstig verdickten Zügen blickten Mike seelenvolle Augen an. Bei manchen der Aussätzigen waren die Ohrmuscheln oder der Nasenknorpel von der Krankheit fast völlig zerfressen. »Und die hoffnungslosen Fälle?« fragte Mike. -180-
»Weiter draußen gibt es für sie eine Kolonie. Wir unterstützen auch diese Station. Die Kommunisten machen einen weiten Bogen um das Gebiet«, fügte der Missionar grimmig hinzu. Sie gingen durch den Warteraum. Die Patienten, die zur Untersuchung oder zur Behandlung gekommen waren, sahen ihnen furchtsam und zugleich hoffnungsvoll entgegen. - »Ich wollte Ihnen nur zeigen, was wir hier machen«, sagte Maynard, als sie die Leprastation verließen. »Nun sollen Sie noch unser Waisenhaus sehen, wo die Kinder in der Landessprache unterrichtet werden und auch Englisch lernen, damit sie später höhere Schulen besuchen können.« Als es Mittag war, hatte Mike das Waisenhaus, zwei Kirchen, eine allgemeine Klinik und eine Schule besichtigt. Er war tief beeindruckt und sprach Maynard seine Anerkennung aus. »Es ist schade, daß nicht mehr Leute wissen, was die christlichen Missionare in Ländern wie Mituyan leisten.« »Man braucht eine Menge Geld, um all diese Anstalten zu finanzieren«, erwiderte Maynard. »Ich wollte nur, daß Sie sich selbst davon überzeugen können, daß das Geld zu einem guten Zweck verwendet wird. Natürlich wissen meine Leute und ich, welches Risiko wir eingehen, wenn wir für den Geheimdienst arbeiten. Aber die frömmsten Konvertierten unter den Groats, jene, die wirklich zu Jesus Christus finden und ihn zu ihrem Volk bringen, werden von den Kommunisten ermordet oder verschleppt. Deshalb ist es notwendig, daß wir aktiv mittun.« »Auf diesem Gebiet habe ich noch keine Erfahrungen, Reverend«, sagte Mike. »Ich wurde wegen besonderer Kenntnisse und Möglichkeiten angeworben - genau wie Sie. Es ist das erstemal, daß ich mich am Kampf gegen die Kommunisten beteilige. Darum würde es mich interessieren, ob es hier ein erfolgreich durchgeführtes Projekt der Entwicklungshilfe gibt, das wir uns ansehen könnten?« »Mein Freund Mr. Alvaro - er stammt von den Philippinen -181-
und ist für die Entwicklungshilfe tätig - hat die Aufsicht über die staatlich geschützten Ansiedlungen der Bergstämme. Wir werden ihn suchen.« Sie fuhren drei Dörfer ab, bis sie Alvaro fanden, einen kleinen, dunkelhäutigen, lebhaften Filipino Mitte Vierzig. Er führte Mike und den Missionar durch das ganze Groatdorf. Die Frauen waren fleißig, sie stampften Maniok und schleppten Bauholz herbei, aber die Männer schienen untätig einfach in den Tag hineinzuleben. Alvaro, der bemerkte, daß Mike die lethargisch herumlümmelnden Eingeborenen musterte, erklärte: »Die Groats sind Jäger. Wenn wir sie aus ihren Jagdgebieten wegholen und für ihre Verpflegung sorgen, werden sie faul und besaufen sich. Major Prescott rekrutiert Angehörige der Bergstämme für Milizeinheiten, die er bewaffnet und ausbildet, aber diese Groats wollen sich nicht von ihren Frauen trennen. Das hier ist nur eine Durchgangsstation; sobald die Groatfamilien untersucht und registriert sind, werden sie in den befestigten Lagern angesiedelt, die als Stützpunkte zur Bekämpfung der kommunistischen Infiltration angelegt wurden.« »Das klingt ja so, als liefe alles wie geölt«, meinte Mike. »Ja, aber die amerikanischen Dienststellen in Tuyan verfallen immer wieder in die alten Fehler. Erst gestern habe ich mit TrangTi gesprochen und ihn gebeten, Versorgungsgüter für dieses Dorf zu liefern. Mr. Grady Rourke, unser Chef in Tuyan, war niemals selbst hier, er hat keine Ahnung, mit welchen Problemen wir uns hier herumschlagen müssen.« Sofort hakte Mike ein. »Darüber wollte ich Sie eigentlich befragen.« »Mr. Rourke stellt das gesamte Material den mituyanischen Behörden in Tuyan zur Verfügung. Wir müssen darum betteln und das Zeug manchmal vom Provinzchef zurückkaufen! So hat sich TrangTi nach langem Bitten gnädig herbeigelassen, mir den -182-
Reisvorrat zu verkaufen, der gerade reicht, um hier eine Woche lang alle Münder zu stopfen. Ich habe mit Geldern der Wirtschaftshilfe bezahlt!« Alvaro seufzte. »Die gleichen Fehler wie damals in Vietnam. Und nun spricht TrangTi bereits davon, unseren Amerikanern bei den Bergstämmen mituyanische Offiziere und Soldaten zuzuteilen. Genau das gleiche geschah, als ich im zentralen Bergland von Vietnam eingesetzt war. Wir hatten das gesamte Territorium unter Kontrolle, aber unser Country Team in Saigon ließ Diem und Madame Nhu nach eigenem Gutdünken handeln. Daraufhin ging mehr als die Hälfte der Stammesbevölkerung zu den Kommunisten über, und die anderen, die sich nicht zu den Guerillas schlugen, wurden dennoch unversöhnliche Feinde der Vietnamesen. Ich kann sagen, daß die schweren Verluste der Amerikaner bei den Kämpfen im Zentralgebirge von Vietnam nur auf die apathische Haltung amerikanischer Funktionäre zurückzuführen sind. Das Country Team ließ der Familie Ngo Dinh freie Hand und spielte dadurch das Bergland den Kommunisten in die Hände.« Der Filipino begleitete seine Besucher zum Wagen. Auf dem Rückweg fragte Mike den Missionar, ob die buddhistischen Mönche von Banthut eine Aktion vorbereiteten. »In dem Flugzeug, mit dem ich herkam, waren auch drei Bonzen. Ich glaube, einer davon war unser großer Agitator in Tiking. Werden wir zu allem anderen auch noch religiöse Probleme haben?« »Das kann ich nicht ohne weiteres beurteilen.« »Wenn die mituyanischen Buddhistenführer so sind wie ihre vietnamesischen Glaubensbrüder - und warum sollte hier nicht ein zweiter Tich Tri Quang frei herumlaufen -, dann wird der Bonze von Tiking wahrscheinlich zu einer politischen Besprechung hergekommen sein. Wir sollten uns über die Leute genau informieren.« -183-
»Ich werde die buddhistische Abteilung meiner Gruppe auf die Fährte ansetzen«, sagte Maynard lachend, als Mike beim Hotel ausstieg. In seinem Briefkasten fand er eine Notiz, er werde gebeten, so bald wie möglich das Büro des Provinzchefs anzurufen. Mike hatte sich gleich nach seiner Ankunft routinemäßig bei der mituyanischen Dienststelle gemeldet, weil er gehofft hatte, Colonel TrangTi sprechen zu können. Nun rief er wieder an, und obwohl gerade Zeit des Tat war, wurde er direkt mit dem Provinzchef verbunden. TrangTi lud Mike zum Essen ein. Der knappe Tonfall dieser Einladung klang eher wie ein Befehl. Mike setzte sich ins nächste Taxi. Der Provinzchef residierte in der enteigneten Villa eines Mitglieds der Herrscherfamilie. Wie Mike richtig vermutete, stammte alles bis auf den letzten Stuhl noch von dem früheren Bewohner. TrangTi hatte sicherlich von allen Provinzchefs den prunkvollsten Amtssitz. Ein Posten führte Mike durch einen Hof zu jenem Trakt der Villa, in dem sich TrangTis Wohnräume befanden. Der Provinzchef wartete bereits in einem großen, elegant eingerichteten Salon und begrüßte Mike mit ausgesuchter Höflichkeit. Er war von kleiner Gestalt, trug einen für den Ostasiaten auffallend dichten Schnurrbart, seine dunklen Augen hatten einen etwas starren, glotzenden Ausdruck, der durch die buschigen Augenbrauen noch verstärkt wurde. Das glatt aus der Stirn gekämmte Haar wirkte wie eine Perücke. »Es ist mir eine Ehre, mit Ihnen Tat zu halten, Colonel«, sagte Mike. »Als ich in der vorigen Woche im Palast war, erklärte der Premier, Sie seien einer seiner wichtigsten Provinzchefs.« TrangTi strahlte über das Lob. »Der Palast hat mich von Ihrem Kommen verständigt. Ich hoffe, daß ich Ihnen bei Ihren Bemühungen behilflich sein kann.« Mike verneigte sich dankend und erwiderte, im Moment könne er noch wenig unternehmen. »Meine Reise ist eher so etwas wie -184-
eine Informationsfahrt.« TrangTi wies auf einen Stuhl bei einem Kaffeetischchen. »Informationsfahrt, sagten Sie?« »Ja. Ich glaube, daß es in diesen Gebirgsprovinzen ungenützte wirtschaftliche Möglichkeiten gibt. Ich werde versuchen, Handelsbeziehungen mit den Groats anzubahnen, das heißt, ich möchte typische Erzeugnisse ihrer Stammeskultur aufkaufen, die sich in den Städten als Souvenirs gut absetzen lassen. Wenn die Groats Geld verdienen und es ihnen bessergeht, dann werden die Kommunisten viel schwerer unter ihnen Anhänger finden.« »Die Groats sind ein dreckiges, faules, primitives Gesindel!« fuhr TrangTi auf. Er bemühte sich gar nicht, die tief verwurzelte Verachtung des Mituyaners gegen die Bergstämme zu verbergen. »Man kann ihnen nicht helfen. Wir können sie nur mit eiserner Faust militärisch unter Kontrolle halten.« »Aber Sie wollen doch verhindern, daß die Groats auf der Seite der Mitkoms kämpfen?« wandte Mike ein. »Wir versuchen, sie von den Kommunisten zu isolieren. Haben sie schon die Dörfer gesehen, die wir ihnen bauen, Mr. Forrester?« »Ja, heute vormittag war ich in einem. Wie ich feststellen konnte, wehren sich die Groats dagegen, daß man sie in solchen Lagern zusammenpfercht.« »Die Groats werden tun, was man ihnen befiehlt! Nach den bevölkerungspolitischen Plänen der Regierung sollen alle Groats die Möglichkeit haben, sich in unseren Dörfern, die gleichzeitig militärische Stützpunkte sind, niederzulassen. Das ist eine völlig legale Umsiedlung, Mr. Forrester, wie sie in der Geschichte schon mehrmals praktiziert wurde. Wenn Sie wollen, so können Sie darin Parallelen zu einer Aktion sehen, die 1914/15 in Kleinasien durchgeführt wurde. Damals siedelten die Türken eine nicht ganz zuverlässige Minderheit ihres Reiches um: die Armenier.« -185-
Mike erinnerte sich an ein Buch über dieses Thema, den Roman des nach den USA emigrierten berühmten europäischen Schriftstellers Franz Werfel »Die vierzig Tage des Musa Dagh«. »Viele der Armenier gingen dabei zugrunde.« TrangTi zuckte gleichgültig die Schultern. »Krisenzeiten erfordern drastische Maßnahmen. Wir geben den Groats eine Frist von sechs Monaten. Nach diesem Termin werden alle Stammesangehörigen, die nicht in den Lagern leben, als Anhänger der Mitkoms betrachtet, und wir werden entsprechend mit ihnen verfahren. Unsere Luftwaffe wird ihre Dörfer bombardieren, und was dann noch übrig ist, werden unsere Truppen dem Erdboden gleichmachen.« Mike wußte, daß er mit Einwänden auf taube Ohren stoßen würde, aber er hatte ein ungutes Gefühl im Magen, als er von dieser geplanten »Endlösung« der Groatfrage hörte. Es war nicht so sehr die kaltblütige Grausamkeit, mit der hier ein Völkermord vorbereitet wurde, als vielmehr die völlige Sinnlosigkeit einer solchen Aktion und die Tatsache, daß der Provinzchef dadurch das gesamte Bergland an die Kommunisten verlieren würde. Vorsichtig sondierte TrangTi das Terrain. »Und welche Geschäfte wollen Sie mit diesen Wilden tätigen, Mr. Forrester?« »Ich weiß es noch nicht, Colonel. Zunächst mache ich eine achttägige Safari ins Groatland, um es gründlich zu erkunden. In Tuyan gibt es sehr viele ausländische Touristen, und die Zahl der amerikanischen Soldaten und Offiziere ist ständig im Wachsen. Vielleicht ließen sich Elefantenzähne, Tigerfelle, Groatarmbrüste und ähnliche Dinge gut verkaufen. Doch davon ganz abgesehen, haben mich amerikanische Beamte und auch Minister Branot gebeten, die Lage aus der Sicht des Geschäftsmannes zu prüfen.« »Ein gefährliches Vorhaben. Es gibt viele Mitkom-Banden, die mit den Groats zusammenarbeiten.« »Ich habe einen guten Führer: Charlie Tigers Vetter Johnny -186-
Elephant. Er kennt die Groats. Wir werden auch trachten, stets vor Einbruch der Dunkelheit ein Special-Forces-Lager zu erreichen. Ich glaube nicht, daß wir in Gefahr kommen werden.« Mike verschwieg allerdings, daß er während der ganzen Zeit eine Schutzmannschaft von gut bewaffneten, unter amerikanischem Kommando stehenden Stammeskriegern haben würde. Der Provinzchef klingelte, eine hübsche junge Mituyanerin erschien mit einer Teekanne und zwei Tassen. TrangTi stellte sie als seine Frau vor, sie verbeugte sich anmutig, dann verschwand sie wieder. »Ich könnte Ihnen eine Abteilung Soldaten mitgeben«, schlug TrangTi vor, während sie den grünen Tee schlürften. »Ich weiß Ihre Hilfsbereitschaft zu schätzen, Colonel, aber es wird auch so gehen. Wenn ich mit militärischer Eskorte in ein Groatdorf komme, würden das die Bewohner falsch auffassen. Es ist wichtig, daß sie mir absolut vertrauen.« »Widerliches Pack«, sagte TrangTi giftig. »Ich bin sehr gegen diese sogenannte...«, er machte eine Pause, in seinen vorstehenden Augen glomm ein Funke auf, Verschlagenheit und Ironie sprachen aus dem schiefen Lächeln unter dem dichten Schnurrbart - »gegen diese ›Informationsfahrt‹.« Er betonte dieses Wort. »Doch da mich der Palast auffordert, Ihnen behilflich zu sein, kann ich nur sagen, daß Sie ein großes Risiko eingehen, Mr. Forrester. Ich werde meine Ansichten in einem Brief zum Ausdruck bringen, der Ihnen heute nachmittag übermittelt werden wird. Wenn Ihnen irgend etwas zustößt, muß ich einen schriftlichen Beweis haben, daß ich Ihnen von dem ganzen Unternehmen abgeraten habe.« »Ihre Besorgnis ist durchaus begreiflich«, versicherte Mike. Der lauernde Ausdruck verschwand nicht aus TrangTis Augen. »Gibt es außer Fellen und Elefantenzähnen noch andere« - er zögerte, als suche er nach dem richtigen Wort - »Produkte des -187-
Groatlandes, an denen Sie interessiert sind?« »Ich interessiere mich für alles, was ich« - nun war es an Mike, eine Kunstpause einzulegen - »legal verkaufen kann, Colonel.« TrangTi starrte Mike prüfend an, dann erhellte ein Lächeln seine Züge, offenbar fühlte er wieder sicheren Boden unter den Füßen. »Nun - dann gute Reise, Mr. Forrester, und sobald vielleicht sollte ich sagen, wenn Sie zurückkehren, werde ich Sie bitten, mir zu berichten, was Sie entdeckt haben. Die Groats sind meinem Schutz anvertraut, sie sind zwar primitive Wilde, dennoch habe ich die Pflicht, ihnen zu helfen.« Die Frau des Provinzchefs trat ein und meldete, daß angerichtet sei. TrangTi führte Mike in ein prächtiges Eßzimmer. Über der langen Mahagonitafel hing ein Kristallüster. Die beiden Männer nahmen einander gegenüber Platz. »Möchten Sie Bier zum Essen?« fragte TrangTi. »Das ist eine amerikanische Gepflogenheit, die ich mir angewöhnt habe.« »Da sage ich nicht nein.« TrangTi läutete, ein Diener brachte zwei eiskalte Flaschen Bier und beschlagene Gläser. »Auf eine gute Reise!« sagte TrangTi freundlich mit erhobenem Glas. Sie aßen nach fernöstlicher Art, in der linken Hand eine Schüssel mit Reis, in den sie mit Eßstäbchen, die sie in der Rechten hielten, kleine Fleischbrocken und Fischtunke mengten. Mike nahm einen Schluck Bier, bevor er fragte: »Wirkt sich die amerikanische Entwicklungshilfe hier günstig aus?« »Ich kann mit gutem Gewissen erklären, daß diese Provinz ihren Anteil von der Entwicklungshilfe bekommt.« TrangTi konzentrierte sich ganz auf sein Reisgericht, zwischendurch trank er Bier. Mehr hatte er über das Thema Entwicklungshilfe nicht zu sagen. -188-
Mike wollte noch ein Thema zur Sprache bringen, bevor er endlich aufgab. »Gestern sind mir im Flugzeug drei Mönche aufgefallen. Finden hier von Zeit zu Zeit buddhistische Zusammenkünfte statt?« »Ich selbst bin anglikanischer Christ, Mr. Forrester. Aber falls es Sie interessiert: Banthut und Tiking sind zwei Zentren des Buddhismus in Mituyan. Banthut wäre also der geeignete Treffpunkt für hohe Würdenträger. Mein Beamter auf dem Flugplatz hat mir sehr wohl gemeldet, daß Han Li Phang - ich glaube, man nennt ihn auch den ›Großen Eiferer von Tiking‹gestern hier eingetroffen ist. Wir behalten ihn im Auge. Er ist für seine staatsfeindlichen Tendenzen bekannt. Doch soviel ich weiß, verhielt er sich in letzter Zeit ziemlich passiv.« »Gibt es unter den Groats auch Buddhisten?« TrangTi lächelte. »An dieser Frage merke ich, daß Sie die Groats nicht kennen, Mr. Forrester. Die Gebirgsbewohner sind fast durchwegs Animisten, sie verehren Felsen, bestimmte Bäume, Flüsse und andere Erscheinungsformen der Natur. Aber Buddhisten?« Er lachte verächtlich. »Die Groats haben überhaupt keine Religion, sie leben in tiefstem Heidentum. Dieses Volk ist nichts anderes als menschliches Ungeziefer, Sie werden selbst drauf kommen, Mr. Forrester.« »Ein amerikanischer Missionar hat mir erzählt, daß er manche Groats zum Christentum bekehren konnte.« »Viele Missionare haben das versucht. Doch ich bezweifle, ob diese Bekehrten dann auch Christen geblieben sind. Es wäre wahrscheinlich sehr günstig, wenn man die Groats zu einem christlichen Glaubensbekenntnis bekehren könnte. Aber sie gehören zu den primitivsten Völkerschaften der Welt, sie starren vor Schmutz und Unrat und sind wandelnde Krankheitsherde. Ich war dagegen, daß das erste Groatdorf so nahe bei Banthut errichtet werden sollte, aber die Amerikaner bestanden darauf mit der Begründung, die regulären Truppen müßten die -189-
umgesiedelten Bergbewohner schützen können.« Schweigend beendeten Mike und der Provinzchef die Mahlzeit. TrangTi rülpste und erhob sich. »Mr. Forrester, es war mir eine große Freude, daß Sie an meinem bescheidenen Tat teilnahmen.« »Ich danke Ihnen sehr für die Einladung, Colonel. Es war sehr interessant, Ihre Ansichten über die Groats zu hören. Wenn ich von meiner Safari zurückkomme, werde ich Ihnen vielleicht einige neue Hinweise geben können.« »Ich werde Sie gern erwarten, Mr. Forrester.« Sie verließen das Eßzimmer. »Leider bin ich mit Arbeit überbürdet. Ich würde mich gern noch länger mit Ihnen unterhalten, aber ich bin zu beschäftigt, um zur Tat-Zeit eine längere Pause einzulegen. Natürlich ist dies bei unserem kühlen Klima nicht so nötig wie in der Bruthitze des Südens.« TrangTi stellte Mike für die Rückfahrt zum Hotel National seinen eigenen Wagen zur Verfügung. Mike fand einen kurzen Brief vor, Reverend Maynard bat ihn, so rasch wie möglich in die Evangelische Mission zu kommen. »Mittlerweile habe ich einiges über die Buddhisten in Erfahrung gebracht«, sagte Maynard lächelnd, als Mike eintrat. »Meine buddhistische Sektion ist sehr tüchtig.« »Versuchen die Buddhisten die Groats zu bekehren?« fragte Mike. »Soviel ich weiß, nicht. Sie verhalten sich passiv - zum Glück für uns christliche Missionare. ›Kommt zu uns, und wir werden euch von der Weisheit Buddhas erzählen‹, sagen sie, oder: ›Vernehmt die Lehren des Konfuzius‹, wenn sie Konfuzianer sind. Doch sie missionieren niemals systematisch. Deshalb werden die Groats nur zum Christentum bekehrt.« »Und was haben Sie erfahren, Reverend?« »Es hat ganz den Anschein, daß dieser Mönch in Ihrem -190-
Flugzeug, Han Li Phang, nach Banthut gekommen ist, um mit dem obersten Bonzen dieses Gebiets in Verbindung zu treten. Phang vertritt eigentlich nur eine kleine Zahl der Buddhisten. Er führt eine militante politische Sekte an und hat seit den Zeiten König Barkuns einige Regierungen gestürzt. Er versteht es meisterhaft, Demonstrationen zu organisieren und die Massen aufzupeitschen. Obwohl Barkun Buddhist ist, wandte sich Phang gegen ihn. Die verschiedenen Politiker und Minister, die nach Barkuns Verbannung an die Macht kamen, bekamen die Umtriebe des ›Großen Eiferers‹ zu spüren.« »Was bezweckt Phang wirklich? Wäre es möglich, daß er mit den Mitkoms sympathisiert?« »Im Grunde ist er Anarchist. Er negiert jede Form der Regierung und der Autorität, mit Ausnahme seiner persönlichen Auslegung des Buddhismus. Aber ich habe gehört, daß Tarot mit Phang ein Abkommen traf, kurz bevor KaritKi seinen Staatsstreich durchführte. Aber nun wollen KaritKi und Tarot nichts mehr mit ihm zu tun haben. Offenbar versucht Phang seine Stellung als Sprecher und Exponent aller hohen buddhistischen Würdenträger in Mituyan zu festigen. Ich vermute, es wird ihm gelingen, weil die meisten gläubigen Buddhisten eine Abneigung gegen Politik und politische Agitation haben.« »Die Bonzen werden es also lieber zulassen, daß ein Verrückter - und das ist Phang doch, wie man allgemein hört die buddhistische Bevölkerung in der Hand hat, als daß sie selbst aus dem friedlichen Bereich ihrer Pagoden ins wirkliche Leben treten?« »So ungefähr. Ich hoffe, daß Sie mit meinen Informationen etwas anfangen können, Mr. Forrester.« »Ich werde sie an die richtigen Stellen weitergeben«, versprach Mike. »Jetzt ist es Zeit für mich, ich habe heute noch vieles vor.« -191-
»Viel Glück, Gott mit Ihnen«, sagte der Missionar, als Mike abfuhr, um sich mit Charlie Tiger und Johnny Elephant zu treffen. Er wollte noch verschiedene Einzelheiten für die geplante Aktion besprechen, die am nächsten Tag starten sollte.
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16 Um sieben Uhr morgens kam Mike in Charlie Tigers Laden. Der Händler und Johnny Elephant erwarteten ihn bereits. Peone setzte ihnen heißen Tee vor. Johnny Elephant war Feuer und Flamme für die Safari, die sie vor sich hatten, obwohl die Jagd nicht Hauptzweck der Expedition war. Der quecksilbrige, drahtige kleine Bursche führte seinen Namen nicht ohne Grund: Vor dem Überhandnehmen der Guerillatätigkeit war er einer der besten Elefantenjäger des Berglandes gewesen. »Bis zu König Barkuns altem Jagdhaus brauchen wir nicht länger als sechs Stunden«, sagte er. »Ich kenne das Gebiet gut. Der König hat oft mit mir gejagt.« Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Uns allen ginge es bedeutend besser, wenn König Barkun wieder hier wäre.« »Abwarten, darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, Johnny«, erwiderte Mike. »Wir brauchen nicht zu befürchten, daß uns die Mitkoms oder kommunistische Groats aus dem Hinterhalt überfallen. Sobald wir in der Gefahrenzone sind, werden wir auf der ganzen Strecke Seitensicherung haben. Und wenn es wirklich knallen sollte, dann ballern wir einfach mit diesen Elefantenbüchsen zurück. Unsere Eskorte wird immer so nahe sein, daß sie sofort eingreifen kann.« Johnny Elephant strich zärtlich über das 40-MillimeterGewehrgranaten-Gerät, das wie eine ungewöhnlich klobige einläufige Schrotflinte aussah. Diese neuartige Handfeuerwaffe, offiziell als M-79 bezeichnet, von den Soldaten aber dankbar Elefantenbüchse getauft, hatte sich bereits in Vietnam als wirksamstes Kampfmittel gegen Hinterhaltstellungen bewährt und vielen Amerikanern das Leben gerettet. Die M-79 hat absolute Treffsicherheit gegen Punktziele, wer sich im Umkreis von 25 Meter von der Aufschlagstelle der Gewehrgranate -193-
befindet, wird unweigerlich von den sprühenden Splittern zerfetzt. »Johnny, ich verlasse mich darauf, daß deine Leute mit Waffen umgehen können«, sagte Mike, der Jäger antwortete nur mit einer großartigen Geste. »Vielleicht werden sie schießen müssen. In meinem Gepäck sind zwei automatische Gewehre M-16 und tausend Schuß Munition.« »Sehr gut«, rief Johnny. »Ich weiß zwar nicht, wo du das Zeug herhast, Sir, aber es ist sehr gut, daß du es hast!« Mike wandte sich zu dem schlau blinzelnden Händler. »Okay, Charlie, in acht oder neun Tagen sind wir wieder zurück und bringen ein paar hundert Kilo Rohopium mit.« »Hauptsache, Mitkoms kriegen die Ware nicht, jaja.« Mike nickte. »Stimmt haargenau, Charlie. Das ist das Wichtigste! Kein Opium, kein Geschäft. Wir lassen nicht mit uns spaßen.« Sie tranken den Tee aus, dann traten Mike und Johnny auf die Straße und gingen zu dem Landrover. »Johnny Elephant Großwildjagd« stand in weithin sichtbaren Lettern an beiden Seiten der Karosserie. Auf der Kühlerhaube waren zwei Elefantenstoßzähne befestigt, was dem Fahrzeug eine verwegene Note verlieh. Der Amerikaner und sein neuer Freund schwangen sich in die Rücksitze, vorne saßen bereits Johnnys zwei Gehilfen, die sich während der Fahrt über die schlechten Dschungelstraßen am Steuer abwechseln sollten. Als sie in Richtung auf das gebirgige Dschungelgebiet davonbrausten, erwachte die Provinzhauptstadt gerade aus dem Schlaf. Fünf Meilen außerhalb von Banthut ging die Straße in Viehpfade über, der Wagen holperte durch tiefe Furchen und über eine endlose Kette von Schlaglöchern. An dem Landrover waren außen überall große Benzinkanister festgeschnallt; schon drei oder vier Meilen nach dem Start mußte Mike halten lassen und die Gurte, die sich durch die dauernde Erschütterung -194-
gelockert hatten, straffziehen. Nach zweistündiger Fahrt kamen sie zu einer kleinen Dschungellichtung, auf der ein Dutzend Bambushütten auf Pfählen standen. Johnny stieß Mike leicht in die Seite. »Ein neues Dorf, hoffentlich loyal.« »Keine Sorge. Unser Begleitschutz schläft nicht.« Der Landrover erregte bei den Bewohnern großes Aufsehen, sie starrten ihn an wie ein Weltwunder. Die Männer hatten als Lendenschurz einen Zeugstreifen, der so schmal zusammengedreht war, daß sein Träger von hinten nackt wirkte. Die Frauen trugen lange, um Hüften und Beine gewickelte schwarze Kittel, Ketten mit blauen und roten Perlen schlenkerten über ihren wippenden nackten Brüsten mit den großen, gewölbten Brustwarzen. Viele trugen Säuglinge auf dem Rücken. Einige Männer hatten. Armbrüste geschultert, andere stützten sich auf Groatäxte, jene seit Jahrhunderten bei den Bergstämmen gebräuchlichen Gabelstöcke mit den in den Gabelungen festgebundenen, primitiv geschmiedeten Beilklingen. »Die scheinen recht friedlich zu sein«, bemerkte Mike. »Die Groats sind immer friedlich, wenn nicht gerade Kommunisten kommen und sie zum Kampf gegen KaritKi aufhetzen.« Mike folgte Johnnys Beispiel und winkte lächelnd den Menschen zu, als der Wagen durch das Dorf rumpelte. Einige Minuten später waren sie wieder im dichten Dschungel, zwischen grünen Mauern, die bis dicht an den Rand des hellen, zerpflügten Erdstreifens reichten, über den sie dahinfuhren. Nirgends ein Anzeichen menschlichen Eingriffs in die Natur außer diesem Pfad durch ineinander verfilzte und verschlungene Vegetation. Langsam lockerte Mike den festen Griff um das automatische Gewehr, legte den Lauf der Waffe aufs Knie und ließ sich auf die Lehne des schaukelnden Sitzes zurücksinken. Jede Stunde hielt der Landrover, und die beiden Fahrer -195-
wechselten die Plätze. »Hier gibt's viele Panther«, sagte Johnny. »Bald kommen wir ins Land der Tiger. Vielleicht sehen wir einen auf der Straße.« Er hatte sein großkalibriges Jagdgewehr schußbereit in den Händen und würde sein Ziel nicht verfehlen, falls sich eine Raubkatze auf dem Weg zeigte. »Der Tiger und die meisten anderen wilden Tiere ziehen oft auf der Straße dahin, das ist leichter, als durch den Dschungel zu kriechen«, erklärte er. »Sieht ganz so aus, als wären wir schon tief im Bergland«, sagte Mike etwas später und blickte sich um. »Ich kann nur hoffen, daß unsere Freunde nicht den Kontakt mit uns verloren haben.« »In diesem Gebiet wimmelt es von Mitkoms und Groatkoms, Sir«, meinte Johnny. Vorsichtshalber legte er das Jagdgewehr weg, nahm die Elefantenbüchse und schlug sie an, um die eine Seite des Pfades zu sichern. Mike tat das gleiche auf der anderen Seite. Der Mann auf dem Vordersitz neben dem Fahrer hielt den Lauf seines automatischen Karabiners unter der hochgezogenen Windschutzscheibe geradeaus direkt auf die Straße gerichtet. »Wie lange werden wir noch fahren müssen?« fragte Mike. »Es dauert länger als vor zwei Jahren. Der Pfad ist schon sehr schlecht.« Johnny sah auf seine Uhr. »Vielleicht noch zwei Stunden.« Mike unterdrückte ein schmerzliches Aufstöhnen, innerlich verfluchte er Cardinez, Colonel Lawton und den ganzen amerikanischen Geheimdienst! Sein Hintern war von dem ständigen Rütteln wie gerädert, er spürte die Stöße des dahinholpernden Landrovers bis in Leber und Nieren. Mike war fest entschlossen, den ganzen Kram hinzuschmeißen, sobald er diese fürchterliche Fahrt über Stock und Stein hinter sich hatte! Scheiße! Wenn er nur schon wieder bei Luna wäre, auf seiner Teeplantage oder irgendwo am sonnigen Meeresstrand. Verdammt, das waren ja Schlaglöcher so groß wie Fallgruben! Die Stunden dehnten sich, es schien unendlich lange bis zu der ersehnten Pause, wenn die beiden Lenker einander ablösten. Zu -196-
Mittag unterbrachen sie die Fahrt für zwanzig Minuten, holten ihre Marschverpflegung hervor und kauten im Stehen. Mit steifen Beinen kletterten sie wieder in den Wagen, und weiter ging es durch den Dschungel, bergauf, bergab. Manchmal mußten sie bremsen, weil herabgefallene Äste die Fahrbahn versperrten. Ein Mann räumte sie aus dem Weg, während die anderen drei mit schußbereiten Waffen das Gelände absicherten. »Bald sind wir dort«, sagte Johnny Elephant fröhlich. »Ich kann mich kaum mehr rühren. Hat Barkun auch immer eine solche Tortur auf sich nehmen müssen, wenn er in sein Jagdhaus fuhr?« fragte Mike. Der Jäger winkte ab. »Vor zehn Jahren war die Straße viel besser. Manchmal ist der König auch geflogen. Er hatte zwei Maschinen und ließ beim Jagdhaus einen Landeplatz anlegen.« Schließlich verbreiterte sich der Dschungelpfad und ging in eine Schotterstraße über. »Nur mehr ein paar Minuten«, verkündete Johnny. Der Landrover hüpfte nun nicht mehr wie ein bockiges Pferd, sondern rasselte in glatter Fahrt zügig über den Belag. Die Strecke wurde von Meter zu Meter besser. Plötzlich trat der Dschungel zu beiden Seiten zurück, als öffnete sich überraschend ein großes Tor. Sie befanden sich auf einer großen, freien Fläche. In der Mitte erhob sich auf einem hohen Betonfundament ein imposantes zweistöckiges Gebäude, das mit seinen Veranden an ein Schweizer Chalet erinnerte. Die Holzkonstruktion bestand aus braunen, roh behauenen Balken, dazwischen leuchtete weißverputztes Mauerwerk. Hinter dem Jagdhaus diente ein langer Rasenstreifen als Rollfeld. Unter einem getarnten Netzdach am Rand der Piste waren zwei Flugzeuge abgestellt, eine zweimotorige Maschine und eine einmotorige mit ungewöhnlich großem, vertikalem Höhenruder und sehr hoch angesetzter Tragfläche. Mike kannte diese Flugzeugtype, es war die berühmte U-10, auch »Heliocourier« genannt, ein Vogel, der sich überall und unter den härtesten Bedingungen bewährt hatte. -197-
Als sie näher herankamen, sah Mike auf den Veranden, die dem Dschungel zugewandt waren, etwa zwei Dutzend Bewaffnete, die offenbar Wache hielten. Alle trugen die »Tigeranzüge«, braun und grün gefleckte Garnituren, in die alle landeseigenen Milizeinheiten unter dem Kommando der amerikanischen Special Forces eingekleidet wurden. Breitkrempige weiche Buschhüte, aus dem gleichen Stoff oder aus schilfgrünem Fatigue-Köper gesteppt, beschatteten die Gesichter. Die Hosen steckten in bis über die Knöchel reichenden Schnürschuhen aus hellem Segeltuch mit Gummibesatz, den bei den Dschungelkämpfern in ganz Südostasien begehrten »Batas«. Vietkongs und Mitkoms trachteten stets, solche Schuhe zu erbeuten. Zwei große Amerikaner in kurzärmeligen grünen Unterhemden, Arbeitshosen und ledernen Schnürschuhen traten auf die mittlere Veranda und gingen über die Stufen dem Landrover entgegen. Mike erkannte sofort Major Prescott und winkte ihm zu. Die drei Chinesen schwangen sich aus dem Wagen, auch Mike kletterte heraus, mit schmerzlich verzogenem Gesicht preßte er beide Hände auf die wundgeriebenen Hinterbacken und begann die verkrampften Muskeln zu massieren, während er die eingeschlafenen Beine streckte und beugte, daß die Gelenke knackten. Prescott stellte den anderen Amerikaner als Captain Jenkins vor. »Wenn ich gewußt hätte, was das für eine Fahrt ist, dann hättet ihr es nie erlebt, daß ich im Auto hierherkomme«, preßte Mike zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Major grinste unverschämt. »Ich weiß Bescheid, Mike. Jeder muß das einmal durchmachen, damit er versteht, was ihm alles erspart bleibt, wenn er die Strecke fliegen kann.« »Was haltet ihr von einem Schluck eisgekühltem Bier zur -198-
Begrüßung?« fragte Captain Jenkins. »Ja, Bier! Das ist jetzt genau das richtige!« rief Johnny Elephant, der bewundernd das Gebäude musterte. »Das Haus ist noch immer so wie damals, als der König hier mit mir jagte. Schade, daß es der König jetzt nicht sehen kann.« »Innen hat sich manches verändert. Kommt herein«, sagte Prescott. Mike und seine Begleiter folgten Prescott über die Treppe in die große Halle, in der nun das Kommando des Stützpunktes untergebracht war. Die Wände waren mit Landkarten, Tabellen und Dienstplänen bedeckt, die einzelnen Schreibtische trugen gedruckte Bezeichnungen - »Nachschub«, »Transport«, »Schwere Waffen«, »Aufklärung« - wie in einem Regimentsstab. Amerikaner und einige Mituyaner und Groats, alle in sauberen, frisch gebügelten Dschungelgarnituren, saßen über ihrer Arbeit oder steckten Positionen auf den Landkarten ab. Aus einer Ecke des Raumes kam das Summen und Tuten von Funkgeräten. »Von hier aus leiten wir alle Aktionen bei den Bergstämmen«, erklärte Prescott voll Stolz. »Noch ein Jahr, und wir werden alle Kommunisten aus dem Land der Groats vertrieben und die meisten Stämme als Verbündete gewonnen haben.« »Müßt ihr hier nicht auf Mitkom-Überfälle gefaßt sein?« fragte Mike. »Wir haben immer mindestens zwei Kompanien Groatmiliz auf Streife oder in Hinterhaltsstellungen in den angrenzenden Dschungelgebieten. Jetzt kann ich es Ihnen ja sagen, Mike« der Major lächelte -, »wir hatten euch die ganze Strecke lang per Funk unter unseren Fittichen, seit ihr das Groatdorf passiert habt, das unser entlegenster Vorposten in Richtung Banthut ist.« »Habt ihr oft Feindberührung mit Guerillagruppen?« fragte Mike. »Die Brüder krebsen natürlich hier herum. Manchmal läuft uns eines ihrer Sabotagekommandos in den Hinterhalt. Aber wir -199-
haben eine viel wichtigere Aufgabe: Fühlung und Zusammenarbeit mit den Groats in ihren angestammten Dörfern. Nun haben wir auch schon in dem Dorf mit dem größten Ertrag an Rohopium Fuß gefaßt. Ein Team von sechs Amerikanern führt dort verschiedene Aktionen der zivilen Entwicklungshilfe durch. Nächste Woche werden auch Sie sich dort umsehen können, Mike. Mein Gott, wenn es Ihnen gelingt, mit dem Häuptling und seinen Leuten Freundschaft zu schließen und sie dazu zu bewegen, daß sie Ihnen den Ertrag der Mohnfelder verkaufen, dann wird aus Ihnen noch der größte Rauschgiftschieber von Asien, Mike Forrester!« »Danke für die Vorschußlorbeeren«, erwiderte Mike trocken. »Das ist auch wirklich ›ein Ziel, aufs innigste zu wünschen‹, wie Shakespeare so schön sagt. Darum lohnt es sich, zu kämpfen.« »Ich glaube, dazu werden Sie Gelegenheit haben, Mr. Forrester«, warf Captain Jenkins ein. »Unsere Agenten melden uns, daß die Mitkoms mit ihrem Kanonenfutter, den Groatkoms, von Yanna her unterwegs sind, um sich das Rohopium zu holen. Wir werden rasch handeln müssen, um ihnen zuvorzukommen.« Ein Amerikaner ohne Rang- und Truppenabzeichen gab Bierflaschen aus. »Wie erreicht man denn dieses Dorado der Opiumschmuggler?« fragte Mike und ließ dabei das Bier ins Glas gluckern. »Vorläufig zu Fuß, es ist ein Tagesmarsch durch den Dschungel. Wir legen bereits eine kleine Landepiste für die U10 an. In einigen Tagen werden wir bis zum Dorf fliegen können.« Mike trug es mit Humor. »Ich komme eben nie zur Eröffnung der Fluglinie zurecht. Prost! Aber ich darf mich nicht beklagen. Schließlich kann ich bei dem Coup reich werden, da muß man schon einen kleinen Spaziergang riskieren. Und bevor ich mir auf diesen miesen Viehpfaden nochmals den Arsch verstauche, latsche ich lieber.« -200-
»Natürlich, immerhin ist die Gegend sehr schön. Manchmal knallt's eben«, fügte Prescott gleichmütig hinzu. »Es sind hier irgendwo Mitkoms unterwegs.« »Und wie steht's mit der Jagd?« »Gut. Einer unserer Sergeanten hat vorige Woche einen Tiger geschossen. Aber es war keine besonders rühmliche Sache.« Der Major trank sein Glas auf einen Zug halb leer. »Der Sergeant, ein bewährter Vietnamkämpfer, erschrak so vor dem Tiger, daß er ihm das ganze Magazin seiner M-16 in den Leib jagte. Das Fell war wie ein Sieb. Keine Trophäe, die man an die Wand hängen kann, schade drum.« »Trophäen, das ist das Stichwort!« rief Mike. Er wandte sich zu Johnny Elephant. »Johnny, du wirst jeden Tag auf die Jagd gehen und reiche Beute heimbringen müssen, damit wir genug Trophäen haben, denn irgendwie muß ich doch motivieren, warum ich da oben im Bergland im Dschungel herumgekrochen bin.« »Okay, das macht mir Spaß.« Johnny sah Prescott erwartungsvoll an. »Major, gibt es hier Kino?« »Jeden Abend, Charlie.« »Wildwestfilme?« »Heute abend haben wir sogar einen ganz großen Technikolorschinken«, antwortete Captain Jenkins. »Die dienstfreien Groats werden sich um die Plätze balgen.« »Jetzt werde ich Ihnen zeigen, wo Sie heute nacht schlafen können, Mike«, sagte Prescott. In diesem Moment tauchte Barton in voller Länge auf. »Sergeant, Sie kommen wie gerufen«, rief der Major. »Führen Sie Johnny Elephant und seine Leute ins Quartier.« Mike folgte Charlie Prescott durch eine lange Zimmerflucht. »Ein Luxus wie in einer Traumvilla an der Riviera!« rief Mike. Er staunte über die kostbaren Tapeten, die Bilder, die Teppiche, -201-
besonders entzückten ihn die mit Elfenbein intarsierten Möbel. In der Bibliothek sah er auf langen Regalen Bücher in vielen verschiedenen Sprachen. Die Fenster gaben den Ausblick auf den Dschungel und die Täler frei, denn das Jagdhaus des Königs war auf der höchsten Erhebung des Berglandes errichtet worden. »Das war Barkuns Appartement. Auf Befehl von ›oben‹ wird alles von mituyanischen Spezialisten und Handwerkern restauriert und im ursprünglichen Zustand erhalten. Ich weiß nicht, warum. Wenn Sie Lust haben, können Sie heute nacht in Barkuns Bett schlafen, Mike.« Prescott grinste. »Ein königliches Schlafgemach mit allen Schikanen, dazu zwei Badezimmer, das eine für Damen; es fehlt nicht einmal das Bidet.« Von Barkuns Schlafzimmer aus bot sich einem ein unbeschreiblich schönes Panorama von Höhenzügen. Gedankenverloren blickte Mike durch die großen Fenster in die Weite, schließlich wandte er sich wieder um und betrachtete interessiert die Einrichtung des Raumes. Der Boden aus Edelhölzern war mit unschätzbar wertvollen Perserteppichen bedeckt. Zwei schwellende Ruhebetten waren so gestellt, daß man auch im Liegen die Konturen der grünen Berge vor Augen hatte. Die Platten der kleinen Tischchen neben den Betten waren aus Elfenbein, von einem Baldachin an der Wand hing eine gebauschte, königsblaue Draperie bis zu den Kopfenden nieder. »Das ist etwas zu pompös für meinen Geschmack«, sagte Mike. »Hier zu schlafen macht nur dann Spaß, wenn man die Nacht mit einer Sexbombe verbringt.« Prescott nickte. »Ich wüßte eine, mit der ich gern eine Woche hier wohnen würde. Aber ein altes Frontschwein wie ich hat bei so einer Frau nichts zu melden.« Mike lächelte. »Ich kann verstehen, daß Ihnen Fräulein Strahl gefällt, Charlie... Ich werde mir irgendeinen Winkel suchen, wo ich mich für die paar Nachtstunden ausstrecken kann. In der Atmosphäre dieses Raumes hier fühle ich mich nicht wohl, das -202-
alles ist zu prunkvoll für einen Mann, der am nächsten Tag in den Dschungel muß und nicht weiß...« »Okay, Mike, in meinem Quartier ist noch eine leere Pritsche, es ist ein ehemaliges Dienerzimmer, aber hier haben sogar die Diener des Königs sehr komfortabel gewohnt.« Um sechs Uhr morgens, als die Sonne gerade über den Bergen aufging, verschwanden Major Prescott, Sergeant Barton und Mike mit einer fünfzig Mann starken Abteilung der Groatmiliz im Dschungel, auf dem Marsch zu jenem Dorf, das den höchsten Ertrag an Rohopium in diesem Teil des Berglands aufzuweisen hatte. Der Umkreis des Jagdhauses war zwar gegen Überraschungsangriffe gesichert, dennoch bestand die Möglichkeit, daß die Mitkoms das Gelände von einem meilenweit entfernten Gipfel mit Fernrohren unter Beobachtung hielten. Deshalb war Prescott darauf bedacht, vor Tagesanbruch das schützende grüne Dach zu erreichen, damit die Guerillas nicht die Stärke und Marschrichtung der Patrouille feststellen konnten. Im Dschungel drohte dem Detachement keine Gefahr, wenn der Kommandeur sich genügend gegen Überfälle der Mitkoms absicherte. Neben Prescott ging ein klug und aufgeweckt wirkender Groat; der Unterführer, dessen Dienststellung etwa der eines Sergeants entsprach. Der Major und der Eingeborene verständigten sich in einer auf Stichworte beschränkten Sprache. »Seite, Seite, Gowin«, sagte Prescott und wies dabei auf den Pfad, der vor ihnen durch Unterholz und Gestrüpp führte. Im abgehackten, kehligen Ton des Groatdialektes gab Gowin einige Befehle, zwölf Milizsoldaten traten aus der Kolonne und marschierten in raschem Schritt voraus, sechs Mann verschwanden rechts im Dschungel, die anderen sechs schlugen sich links ins dunkelgrüne Gewirr der üppigen Vegetation. »Wenn die Mitkoms irgendwo im Hinterhalt liegen, werden -203-
unsere Leute sie aufstöbern und uns rechtzeitig warnen.« »Keine Kleinigkeit, sich durch unwegsames Gelände vorzuarbeiten«, bemerkte Mike. »Die Seitensicherung wird stündlich während der Marschpause abgelöst.« Sergeant Barton, der in der Reihe hinter Mike und Major Prescott marschierte, räusperte sich. »Entschuldigen Sie, Sir, aber an der Art, wie Sie das Gewehr halten, sehe ich, daß Sie Linkshänder sind«, sagte er zu Mike. »Stimmt, Sergeant.« »Manche Bergstämme fassen es als Beleidigung auf, wenn man etwas mit der linken Hand ergreift. Für sie ist es eine Mißachtung oder Geringschätzung der Geschenke, die sie einem Gast anbieten, wenn dieser sie mit der linken Hand entgegennimmt. Und wenn Sie den Eingeborenen etwas schenken, Sir, dann achten Sie bitte auch darauf, daß Sie es den Leuten mit der rechten Hand hinhalten. Ich weiß nicht, worin die Groats in diesem Dorf besonders empfindlich sind, das wechselt von einer Ansiedlung zur anderen, doch bis wir es herausbekommen haben, sollten wir lieber vorsichtig sein.« »Danke, Sergeant. Reverend Maynard hat mich zwar über vieles informiert, aber das hat er zu erwähnen vergessen.« »Lieutenant Panton ist seit zehn Tagen mit einem halben ATeam - also sechs Mann - im Dorf. Er und der Sanitäter, Sergeant Cavanaugh, werden uns über die Gebräuche der Bewohner aufklären können«, sagte Prescott. »Vor allem dürfen wir das Dorf nur sehr langsam und gemessenen Schrittes betreten und nichts anrühren. Man weiß nie, welcher Stein oder welcher Baum den Groats heilig ist. Cavanaugh wird uns dann sagen, wie wir uns verhalten sollen.« »Ich werde mich einfach nach Ihnen richten, Charlie«, versprach Mike. »Gut so. Sie werden wahrscheinlich mit hohen Ehrungen empfangen werden, Mike. Cavanaugh hatte den Auftrag, den -204-
Häuptling darauf vorzubereiten, daß ein großer weißer Händler aus dem Land jenseits der Berge das Dorf besuchen wird.« »Ich werde mich bemühen, niemanden zu enttäuschen«, erwiderte Mike schmunzelnd. Stündlich hielt die Kolonne zehn Minuten Rast. Infolge der Höhenlage war es nicht drückend heiß, und das dichte, grüne Laubdach des Dschungels schützte vor direkter Sonnenbestrahlung. Der Marsch war nicht so anstrengend wie am Vortag die Gewalttour im Landrover. Dennoch wäre Mike viel lieber auf seiner Tee- oder Kautschukpflanzung gewesen, als hier immer weiter ins Land der Groats vorzudringen und jede Sekunde einen Überfall aus dem Hinterhalt zu gewärtigen. Die vierte Marschpause dauerte eine Stunde, denn die Milizsoldaten kochten feldmäßig, aßen und lagerten sich dann auf dem Boden, um auszuruhen. »Im Gebirge sind diese Leute sehr gut in Form«, sagte Barton, während die drei Amerikaner im Schatten saßen und warteten, bis die Groats sich wieder formieren würden. »Wenn sie von Kind auf gut ernährt worden wären, könnten sie mit uns in allem Schritt halten. Aber sie haben eben nicht unsere Ausdauer. Die Mituyaner natürlich - du lieber Gott! -, die sind genauso schlapp wie die Vietnamesen. Zu Mittag wollen sie drei Stunden rasten, und um fünf Uhr nachmittags ist für sie Feierabend, da wollen sie kampieren und pfeifen auf Dienst und Postenstehen. Ich möchte nicht mit einer mituyanischen Patrouille unterwegs sein, wenn Groatkoms hinter uns her sind.« Schließlich erhoben sich die kleinen, drahtigen Gestalten in den tarngefleckten Garnituren, zwei neue Gruppen übernahmen die Seitensicherung, und die Kolonne setzte sich wieder in Marsch, immer tiefer in den Dschungel hinein. Von Zeit zu Zeit ergriff Major Prescott den Hörer des Tornisterfunkgerätes, das ein Milizsoldat trug, der vor ihm dahintrottete. Der Offizier drückte die Muschel ans Ohr und versuchte mit dem Lieutenant im Dorf Verbindung aufzunehmen. Gegen vier Uhr nachmittags -205-
meldete sich Panton am anderen Ende. »Wir haben nur noch knappe fünf Meilen vor uns«, erklärte Prescott nach dem kurzen Gespräch. »Alles in Ordnung.« Kaum zwei Stunden später kam die Kolonne aus dem Dschungel in gerodetes Gelände und näherte sich ihrem Ziel. Es war ein großes, am Ufer eines reißenden Bergflusses angelegtes Dorf: etwa fünfzig Bambuslanghäuser auf Pfählen, alle in derselben Richtung stehend, die Schmalseite gegen Sonnenuntergang gerichtet. Ein Palisadenzaun umschloß die ganze Ansiedlung, das Haupttor befand sich ebenfalls auf der Seite nach Sonnenuntergang. »Was ist denn dort los?« fragte Mike, zum Dorf weisend. Vor dem linken Torpfosten stand in unnatürlich gestraffter Haltung ein junger Mann, fast noch ein Knabe, nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Seine Hände waren auf den Rücken gebunden, um den Hals hatte er einen Strick, der sich von seinem Nacken zum Pfahl spannte. Wenn der Junge in den Knien einknickte, würde er sich durch sein eigenes Gewicht unweigerlich strangulieren. Ein Mädchen in schwarzem Mieder und schwarzem, langem Rock, war auf ähnliche Weise an den anderen Pfosten gefesselt. Die Sonne brannte erbarmungslos auf die beiden herunter, ihre Lippen waren trocken und aufgesprungen, ermattet schlossen sie die Augen, wehrten sich aber mit schwindender Kraft gegen die Erschöpfung, um nicht zusammenzusinken und in der Schlinge zu sterben. Prescott, der an der Spitze der Kolonne marschierte, ließ fünfzehn Meter vor dem Tor halten und wartete auf ein Zeichen aus dem Dorf. Voll Mitleid betrachtete er den jungen Groat und das Mädchen. Alle Qual der grausamen Folter stand in ihren verzerrten Zügen. »Das ist eine Stammesgruppe, die noch streng die alten Sitten wahrt«, sagte der Major. »Die beiden müssen Geschwister oder nahe Verwandte sein - jedenfalls gehören sie zur selben Familie. Vermutlich wurden sie beim Ficken -206-
erwischt.« Er schüttelte den Kopf. »Nach dem Glauben der Groats ist Blutschande der schlimmste Frevel gegen die Gottheiten der Flüsse und der Bäume und bringt Unglück über das ganze Dorf. Der junge Kerl mußte wahrscheinlich am Flußufer eine Ziege als Sühneopfer mit dem Messer langsam abmurksen. Dann wird die gesamte Habe der Eltern beider Frevler unter den übrigen Bewohnern der Ansiedlung verteilt, um den Yang oder bösen Geist zu versöhnen, den diese beiden Kinder erzürnt haben.« »Hoffentlich halten uns die Groats nicht für Yangs«, sagte Mike. »Das muß man bei diesen primitiven Menschen immer riskieren. Wenn zum Beispiel die Frau des Häuptlings in der Nacht von einer roten Decke geträumt hat, dann sind wir geliefert. Träume von roten Decken bedeuten, daß von Fremden Unheil droht. Man kann nie wissen. Wir müssen verdammt aufpassen.« Nach fünf Minuten stummen Wartens erschien im Tor ein Amerikaner in braungrün getigerter Dschungelgarnitur, neben ihm ging ein stämmiger, brauner Mann mit breiter, gewölbter Brust, seine Bekleidung bestand aus einem schmalen dunklen Lendenschurz, und um den Hals trug er etwa ein Dutzend blaue Glasperlenketten. »Das ist Lieutenant Panton; der andere ist wohl der Häuptling der Gruppe«, sagte Prescott. Als die beiden heraustraten, wandte sich der Häuptling zur Seite, stieß wie ein Raubvogel den Kopf vor und spuckte dem Mädchen vor die Füße. Beim Gehen streckte er sich, dadurch brachte er sein für einen Groat ungewöhnliches Maß von 1,65 Meter voll zur Geltung. Beide Ohrläppchen waren von den darin steckenden großen, flachen Elfenbeinscheiben zu grotesker Mißform ausgeweitet. Panton und der Häuptling kamen heran, blieben stehen und hoben beide die rechte Hand hoch. Major Prescott, Sergeant -207-
Barton und Gowin, der Unterführer, taten das gleiche. Daraufhin bauten sich der Lieutenant und sein Begleiter dicht vor Prescott auf und ließen die Hände sinken. Der Major und die anderen antworteten mit der rituellen Geste. »Sir, das ist Häuptling Bemir - wenigstens klingt sein Name so ähnlich«, sagte Panton. »Er ist das Oberhaupt dieses Dorfes, das sie Ba To nennen. Die Begrüßung erfolgt durch den üblichen Handschlag der Groats, Sir.« Prescott verbeugte sich vor dem Mann im Lendenschurz, dann streckte er ihm die Rechte entgegen, seine Linke umschloß dabei das Handgelenk. Mit der gleichen Gebärde schlug der Häuptling ein. Als nächsten begrüßte er den Groatunterführer, mit dem er auch einige Worte wechselte; schließlich ergriff er auch Mikes dargebotene Hand. Panton sagte halblaut etwas zu ihm, offenbar eine Erklärung, denn der Häuptling ließ die Hand des amerikanischen Pflanzers nicht sofort wieder los, sondern drückte sie, während er Mike neugierig von oben bis unten musterte. Schon allein dessen ragende Größe schien ihm zu imponieren. Bemir sprach Prescott und Mike im Groatdialekt an. »Er bittet Sie, Sir, und Mr. Forrester, ins Dorf zu kommen«, übersetzte Panton. Sie folgten dem Häuptling. Als sie das Tor passierten, spuckte dieser wieder vor dem jungen Mann aus, der den langsam zusammensackenden Körper verzweifelt aufbäumte. »Die meisten Gruppen der Bergstämme halten nicht mehr so streng an den überlieferten Sitten fest«, erklärte Prescott. »Aber bis zu dieser Ansiedlung sind die Auswirkungen der Zivilisation eben noch nicht vorgedrungen.« Er hob die Stimme. »Hallo, Panton, wo ist denn Cavanaugh?« »Er hat in seiner Sanitätsstation zu tun, Sir.« »Die möchte ich mir ansehen«, rief der Major. »Ich habe diesen Burschen mit seinem Karottenschädel gerne bei -208-
Verhandlungen mit Groats dabei, besonders wenn es so wilde Gesellen sind wie diese da!« »Ich werde den Häuptling fragen, Sir.« Einige gutturale Worte, ergänzt durch Zeichensprache, Bemir nickte grinsend und wies auf eine offenbar neugebaute kleine Bambushütte. »Okay, Sir. Bitte, kommen Sie mit zum ›Massachusetts General Hospital‹ - so nennt Cav seine Bude. Er hat auch versucht, den Groats diese Bezeichnung beizubringen, und es klappt. Wenn sie sich krank fühlen oder sich verletzt haben, sagen sie nur ›Mass Dschenak‹« »Cavanaugh stammt aus Boston«, erklärte Prescott. »Hier in der Wildnis ist er viel mehr wert als jeder Mediziner von der Harvard Universität.« Als sie sich der Sanitätsstation näherten, die das einzige Haus war, das nicht auf Pfählen stand, tauchte plötzlich wie ein Springteufel ein verrunzelter, alter, mit vielen blauen und roten Glasperlenketten behängter Groat in der Tür auf. In der Hand hielt er einen Hahn mit durchtrenntem Hals und bespritzte einen wartenden jüngeren Groat, die Bambuswände und den Boden mit dem Blut des Tieres. Er hob das getötete Tier an den Füßen in die Höhe und ging langsam, einen blutigen Kreis in den Staub ziehend, um das Haus herum. Als er wieder zur Tür kam, ergriff der andere Mann den Hahn und besprengte den Boden vor dem Eingang so lange, bis der Kadaver völlig ausgeblutet war. Der Major meinte zu Mike, daß der Alte zweifellos der Medizinmann des Dorfes sei, der Cavanaugh bei der Behandlung eines Kranken helfe. Sie waren nur noch wenige Schritte vom Massachusetts General Hospital entfernt, da hörten sie das dünne Krähen eines neugeborenen Kindes. Prescott lachte in sich hinein. »Aha, Cavanaugh betätigt sich schon wieder als GeburtsHelfer! Wenn der eine Schwangere sieht, geht er ihr nicht mehr von den Fersen, bis sie entbindet.« Sie steckten die Köpfe in den Raum. Ein rothaariger -209-
Amerikaner in grünem Unterhemd und Khakihosen beugte sich gerade über eine nackte Frau. Der jüngere Groat folgte mit angstvollen Blicken seinen Bewegungen. Auf der Stirn der Frau leuchtete ein großer Fleck von gestocktem Blut, auch auf dem Boden waren überall Blutlachen. Der Medizinmann zog ein scharfes Messer und schnitt das eine Bein des Hahnes ab. Alle, sogar Cavanaugh, sahen interessiert zu, wie sich infolge der Muskelreflexe die Krallen zusammenzogen. Der alte Zauberer stieß ein Triumphgeschrei aus, Cavanaugh sagte etwas zu ihm und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, doch sein Gesicht drückte ernste Besorgnis aus. Dann wandte er sich um und erblickte Prescott. »Hallo, Sir! Das ist eine problematische Geschichte. Die Frau bekommt Zwillinge. Das zweite Kind wird gleich da sein. Aber nach dem Glauben der Groats bringen Zwillinge Unglück. Der Vater hier sagt, eines von beiden muß er töten. Deshalb auch das Blutopfer. Der Zauberer will die übrigen Dorfbewohner vor den bösen Geistern schützen, die bei der Geburt von Zwillingen die Gemeinschaft heimsuchen. Nun berät er mit dem Vater, welches Kind geopfert werden soll.« »Können Sie das nicht verhindern?« fragte der Major entsetzt. »Vielleicht, Sir. Die Hahnenkrallen haben angezeigt, daß das erste, ein Junge, ein großer Jäger werden wird. Oho, da kommt schon das zweite! Verdammt, das wird schwierig! Der Kopf liegt schlecht.« »Sir, der Häuptling möchte mit Ihnen sprechen«, sagte Panton vor der Tür. Prescott trat wieder ins Freie. »Werden wir uns überhaupt mit ihm verständigen können?« fragte er den Lieutenant. »Ich selbst kann nur ein paar Brocken des Groatdialekts, aber Gowin versteht genug Englisch, um als Dolmetsch zu fungieren.« »Panton, glauben Sie, daß wir beim Häuptling erreichen, daß -210-
er die jungen Leute losbinden läßt, bevor sie elendiglich verrecken?« fragte Prescott. »Sagen Sie ihm, daß wir die beiden mitnehmen und in einem anderen Groatdorf unterbringen.« »Wir können es versuchen, Sir«, entgegnete Panton nicht sehr zuversichtlich. »Aber Sie wissen, wie die Groats über blutschänderische Beziehungen denken. In diesem Dorf darf die Schwiegertochter nicht einmal aus derselben Schüssel essen wie der Schwiegervater, die gleiche strenge Trennung gilt für den Schwiegersohn und die Schwiegermutter. Vielleicht, wenn Sie mit dem Häuptling sprechen und ihm unseren Standpunkt klarmachen...« Er zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, jetzt sollten wir Bemir die Geschenke überreichen«, sagte der Major zu Mike, der seinen schweren Seesack geschultert hatte und Prescott, Panton und Sergeant Barton zum Langhaus des Häuptlings folgte. Die Schätze auf der Veranda vor der Tür gegen Osten - denn die aufgehende Sonne war ein überaus mächtiger Geist - zeugten von Bemirs Reichtum: einige große, bunte Krüge, vier Messinggongs, jeder im Durchmesser von etwa dreißig Zentimeter, ein alter Eisenspeer und mehrere Becken, die an Sehnen an einem Bambusgestell hingen. Der Häuptling lud die Fremden ein, über den gekerbten Steigbaum, der bei den Groats statt einer Leiter gebräuchlich war, zu ihm hinaufzukommen. Dann zeigte er ihnen stolz seine Hauptfrau. Wie sich bald erwies, hatte er außer dieser noch zwei wesentlich jüngere Nebenfrauen, doch waren sie für ihn nichts anderes als Kebsweiber, die seiner Hauptfrau als Sklavinnen dienen mußten. Sie hatte noch immer feste Brüste, die sich zwischen den Glasperlenketten spitz vorwölbten. Die ledigen Mädchen des Stammes trugen Blusen oder Mieder, doch kaum waren sie verheiratet, durften sie den Oberkörper entblößen. Mike verbeugte sich vor der Hauptfrau und öffnete seinen Seesack. Bei der Auswahl der Geschenke hatte er sich von -211-
Reverend Maynard beraten lassen. Er zog ein Päckchen heraus, gespannt sahen Bemir und sein Weib zu, als der weiße Mann langsam den Papierumschlag öffnete. Die Frau stieß einen leisen Entzückensschrei aus - mit der rechten Hand hielt ihr Mike eine schwere Kette aus drei Reihen blankpolierter Silber-, Gold- und Kupfermünzen entgegen. Mit staunend geweiteten Augen betrachtete der Häuptling die funkelnde Pracht. Er hob die zitternden Hände, um diesen Schatz zu berühren. Münzen waren Geld, und Geld war jenseits der Berge der Inbegriff des Reichtums, das wußte er. »Na, das ist ja genau das Richtige!« sagte Prescott anerkennend. Die Frau rief eine der hübschen jungen Sklavinnen, ließ sich von ihr die Glasperlenkette vom Nacken lösen und legte sofort die neue Kette aus Münzen an, dabei hob sie voll Stolz den Kopf, damit die anderen Männer und Weiber, die neugierig vor der Veranda zusammengelaufen waren, den Schmuck gebührend bewundern konnten. Nochmals langte Mike in den Sack und brachte das Geschenk für den Häuptling ans Licht. Reverend Maynard hatte betont, daß die Nächte im Bergland sehr kalt seien. Weil die Groats keine warme Kleidung trugen, war bei ihnen Bronchitis ein weitverbreitetes Leiden und hatte in vielen Fällen Lungentuberkulose zur Folge. Mike überreichte Bemir eine dicke, buntgemusterte Wolldecke. Dieser suchte seine Freude und Dankbarkeit in der Zeichensprache verständlich zu machen und strich lächelnd über das starke Gewebe. Auch die Hauptfrau befühlte mit Kennermiene die Decke und nickt befriedigt. »Okay, Mr. Heroin«, sagte Prescott grinsend, »Ich glaube, Sie kommen zum Zug.« Als Bemir seine Decke genügend bewundert hatte, sagte er in seinem Dialekt einige Worte zu Lieutenant Panton. Der wandte sich an Gowin und ließ sich verdolmetschen, was der alte Groat gesagt hatte. »Sir, der Häuptling freut sich sehr über die -212-
Geschenke«, sagte Panton schließlich zu Mike. »Er möchte wissen, was er Ihnen als Gegengabe schenken kann. Er will sich erkenntlich zeigen. Ich vermute, er will nicht in Ihrer Schuld stehen, wenn Sie später mit ihm geschäftliche Dinge besprechen.« »Sollte Bemir durch diese Geschenke nicht verpflichtet werden? Wenn er jetzt das Zeug nimmt, kann er nachher Mr. Forresters Vorschläge nicht einfach ablehnen«, sagte Prescott zu Panton. »Vielleicht, Sir. Aber ich glaube, Mr. Forrester wird beim Häuptling mehr erreichen, wenn er jetzt ein Gegengeschenk akzeptiert.« »Ganz meine Meinung«, sagte Mike. »Ob Bemir wohl Mituyanisch versteht?« »Kaum, Sir. Aber wir wissen, daß er Verbindung mit den Mitkoms hatte. Sie können es ja versuchen, Sir.« Mike sprach Bemir auf mituyanisch an, der Häuptling straffte sich und blickte den weißen Mann überrascht an. Mike, der aus dieser Reaktion schloß, daß Bemir vielleicht doch die Landessprache beherrschte, redete weiter und flocht lobende Worte über den Zustand des Dorfes ein. Er wisse, daß er es mit einem reichen Mann zu tun habe, der großes Ansehen genieße, sagte er. Kein Zweifel, der Häuptling hörte aufmerksam zu und verstand ihn. Dies war für Mike günstig und zugleich auch bedenklich. Wenn Bemir Mituyanisch sprach, mußte man daraus schließen, daß er mit den Bewohnern des Tieflandes längere Zeit engen Kontakt gehabt hatte. Blieb noch festzustellen, ob es Kommunisten oder loyale Mituyaner gewesen waren... In der Landessprache sagte Mike: »Häuptling, du hast mir angeboten, daß ich aus deinem Besitz ein Geschenk auswählen kann. Ich danke dir dafür.« Er tat so, als überlegte er. Reverend Maynard hatte ihn genau über die Mentalität der Groats unterrichtet, bei ihnen durfte man nichts übereilen. »Ich möchte -213-
zwei Sklaven, einen Mann und eine Frau, sie sollen in meinem Haus jenseits der Berge für mich arbeiten. Verstehst du mich?« Bemir nickte. »Du willst zwei Sklaven, einen Mann und eine Frau«, wiederholte er auf mituyanisch. »Herr, du kannst alles haben, was du verlangst, aber meine Sklaven dürfen das Dorf nicht verlassen. Das habe ich versprochen, als ich sie bekam.« »Ich möchte zwei Sklaven, einen Mann und eine Frau«, beharrte Mike. Er sah, daß er Bemir in die Enge getrieben hatte. Einerseits wollte sich der Häuptling nicht undankbar zeigen, andererseits galt es bei den Groats, die ihre Sklaven sehr gut behandelten, als krasse Grausamkeit, solche Menschen in die Fremde zu verbannen, und die Fremde war alles, was jenseits der Berge lag. Mike wartete einige Sekunden, ehe er Bemir aus der Verlegenheit half. »Ich nehme die beiden, die ans Tor gefesselt sind«, sagte er schließlich. Bemir blickte auf. Das war der einzige und beste Ausweg. Doch die Sitte gebot, daß er sich nicht sofort einverstanden erklärte. Er erwog den Vorschlag des Weißen. »Der Knabe und das Mädchen würden die Nacht auf keinen Fall überleben«, begann der Häuptling. »Deshalb wird das Dorf nichts dagegen einwenden. Wenn du die Frevler mitnimmst, Herr, dann wird der erzürnte Geist des Flusses besänftigt sein.« Lächelnd nickte er, als habe er soeben ein schwieriges Problem gelöst. »Ich gebe dir die beiden, sie sollen dir als Sklaven dienen.« Bemir trat an den Rand der Plattform und rief einige Befehle. Männer rannten zum Tor. Vom Haus des Häuptlings konnte man den Palisadenzaun gut überblicken, und Mike sah, daß die Groats das halb bewußtlose Mädchen hochhoben und den Strick durchschnitten. Das Mädchen sank sofort zu Boden. Dann wurde der junge Mann losgeschnitten, auch er fiel wie tot hin. Die Hände noch immer auf dem Rücken gebunden, wurden die beiden bis in die Mitte des Versammlungsplatzes geschleift. Mit scharfer Stimme rief Bemir neuerlich seine Weisungen, daraufhin holte einer der Männer einen vollen Eimer herbei und -214-
klatschte den Liegenden Wasser in die aufgerissenen Münder. Prescott sah Mike überrascht an: »Was ist los?« »Ich bin stolzer Besitzer von zwei Sklaven.« »Toll! Und was werden Sie mit ihnen anfangen?« »Das weiß ich noch nicht. Wenigstens habe ich sie fürs erste vor einem schrecklichen Tod bewahrt.« Er warf dem Major einen ernsten Blick zu. »Der Häuptling spricht sehr gut Mituyanisch. Das verheißt nichts Gutes. Er muß sehr lange mit den Mitkoms zu tun gehabt haben.« »Das heißt, daß die Bande bald wieder hier auftauchen wird. Nächste Woche kann es verteufelt kritisch werden. Wir müssen uns auf manches gefaßt machen.« Panton hatte sich mittlerweile, so gut es ging, mit Bemir unterhalten. Zu Prescott sagte er: »Der Häuptling wird Ihnen ein Langhaus als Quartier anweisen, Sir. Übrigens - Mr. Forrester hat tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Bemir weiß natürlich, was Mr. Forrester will. Ich glaube, es wird klappen.« Als sie das Haus des Häuptlings verließen, schlug Prescott vor, einmal im ›Mass General‹ nachzusehen, ob Cavanaugh das Groatweib schon von dem zweiten Kind entbunden hatte. Das quäkende Geschrei verriet ihnen schon von weitem, daß die Geburt bereits vorüber war. Sie blickten durch die Tür. In ein ernstes Gespräch vertieft, kauerten der Sanitäter und der Vater neben der auf dem Boden hingestreckten jungen Mutter. Der Zauberer stand sichtlich unbeteiligt abseits. Cavanaugh hielt gerade den rechten Arm abgewinkelt mit geballter Faust empor und schlug mit der linken Hand auf den geschwellten Bizeps, dabei stieß er die Faust mit einem Ruck in die Luft. Der Vater nickte grinsend, während die Frau zwei winzige rote Neugeborene ängstlich an die Brust drückte. Dann wandte sich Cavanaugh nach dem Medizinmann um und wiederholte die Gebärde. Der Alte verzog die dünnen Lippen zu einem albernen, senilen Lächeln und neigte bekräftigend den Kopf. -215-
»Na, mir scheint, Sie haben die Sache geschaukelt, Cay«, sagte Prescott. »Was ist geschehen?« Der Sanitäter blinzelte ihnen verschmitzt zu: »Alles in Ordnung, Sir. Beim zweiten war es eine verdammt schwierige Geburt, aber das Kind lebt und ist gesund. Der Vater wollte es glattweg abmurksen. Er sagt, Zwillinge bringen den Fluch des bösen Geistes der Berge über ihn. Und außerdem, sagt er, kann seine Frau nur ein Kind ernähren. Daraufhin sage ich, ich kann das zweite mit meinen Medizinen aufpäppeln. Die Mutter möchte beide behalten.« Strahlend schlug sich der Groat mit einem stolzen Blick auf den Zauberer auf die Oberarmmuskeln und heimste ein anerkennendes, zahnloses Grinsen ein. »Schließlich habe ich den Vater überzeugt, daß Zwillinge ein Zeichen für die außergewöhnliche Potenz eines Mannes sind. Ein durchschnittlicher Mann kann seiner Frau nicht zwei Kinder zu gleicher Zeit machen, sagte ich. Da horchte er auf. Ich sagte ihm, die Zwillinge seien der lebendige Beweis für seine Manneskraft...« Cavanaugh feixte. »Mit ein paar Wortbrocken und Zeichensprache habe ich ihm das beigebracht, Sie haben es ja gesehen, Sir. Es gefällt ihm. Denn wie steht er jetzt da! Das ganze Dorf wird ihn bewundern, weil er sein Weib gleich doppelt schwängern konnte. Der Kerl wird sich vielleicht fühlen, wenn er merkt, daß auch die anderen Weiber gern den Riesenpint ausprobieren möchten, den er im Lendenschurz hat. Zum Glück ist auch der Medizinmann darauf eingestiegen. Beide Kinder werden am Leben bleiben.« »Saubere Arbeit, Cav.« Prescott legte seinem Sanitäter kameradschaftlich die Hand auf die Schulter. »Gibt es sonst noch viel zu tun?« »Jawohl, Sir. Heute habe ich fast hundert Personen verarztet. Es war wieder einmal alles dabei, von Darmwürmern, Hautekzemen und Augeninfektionen bis zu Leprafällen. Ich habe dem Zauberer gesagt, daß die Aussätzigen das Dorf -216-
verlassen müssen, und er hat alles weitere veranlaßt. Es gibt hier in der Nähe eine Art Leprakolonie, dorthin werden die Kranken gebracht.« »Pfuscht Ihnen der alte Quacksalber nicht dauernd ins Handwerk, Sergeant?« fragte Mike. »Er muß doch glauben, daß Sie ihn verdrängen wollen.« Cavanaugh schüttelte den Kopf. »Seit fünf Jahren bin ich immer wieder bei Bergstämmen eingesetzt, Sir. Ich war in Laos, dann in Vietnam, und nun bin ich hier. Die Medizinmänner können eine große Hilfe sein, man muß sie nur richtig zu nehmen wissen. Wenn ein Patient kommt, macht ihm der Alte ein Kreuz über den Kopf, reibt ihm den Bauch mit einer Silbermünze oder tut sonst was. Dann beginne ich mit der Untersuchung und der Behandlung. Die Leute merken sehr bald, wer sie wirklich kuriert, aber der Zauberer ist eben dabei und wahrt dadurch sein Gesicht.« Der Sanitäter sagte einige Worte zu dem verwitterten Alten. Der zeigte sich sehr zugänglich. »Mein Freund hier unterstützt mich redlich«, erklärte Cavanaugh. »Kein Kollegenneid, wie?« Er grinste den Groat an. »Es wirkt beruhigend auf die Patienten, wenn sie herkommen und es bemühen sich gleich zwei ›Doktoren‹ um sie, der dürre Medizinmann mit seinem Brimborium und ich mit meinen Injektionsspritzen, Pflastern und Antibiotika.« »Ich habe auch Arbeit für Sie, Sergeant«, sagte Mike. »Wenn Sie meine Sklaven untersuchen und auf die Beine bringen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.« »Ihre - was, Sir?« »Meine Sklaven. Der Häuptling hat mir vorhin die beiden jungen Leute geschenkt, die ans Tor gefesselt waren.« Cavanaugh lachte über das ganze Gesicht. »Meine Hochachtung, Sir! Wie haben Sie das zuwege gebracht? Ich selbst habe alles mögliche versucht, aber wir sind schließlich -217-
hier, um diese Menschen als Verbündete zu gewinnen und nicht, um sie zu zivilisieren. Wenn ich könnte, würde ich ihnen manche ihrer Gebräuche verbieten.« Der Major stimmte zu. »Wir müssen verdammt auf der Hut sein, daß wir die Groats nicht vor den Kopf stoßen. Der Junge und das Mädchen liegen beim Tor. Jetzt sehe ich nach, was Brandt und Teeter machen. Später komme ich wieder vorbei. Bis dahin, Cav.« Prescott und Mike folgten Lieutenant Panton über den Versammlungsplatz, wo die neuen »Sklaven« noch immer regungslos im Staub lagen, wie sie hingeworfen worden waren. Dann passierten sie das Tor und gingen um das Dorf herum bis zu einer Lichtung. Dort trafen sie auf einen amerikanischen Sergeant und etwa zwei Dutzend junge Groats. Neben dem Amerikaner stand ein Soldat der Groatmiliz in getigerter Dschungelgarnitur und Bata-Schuhen, er war als Dolmetscher und Unterführer bei der Ausbildung eingesetzt. In den Händen hielt er einen halbzerlegten Karabiner. Die Eingeborenen waren gerade dabei, die Schlagbolzen aus den Verschlüssen zu holen, je drei Mann an einer Waffe. Der Amerikaner schritt zwischen den einzelnen Gruppen umher und half da und dort mit einigen Handgriffen. »Diese jungen Kerle fassen sehr rasch auf«, sagte Panton. »Heute ist der Zweite Zug zum erstenmal bei der Waffenausbildung. Vorige Woche war der Erste Zug dran, wir konnten schon Schießübungen mit scharfer Munition abhalten, doch dann mußten die Rekruten wieder auf die Reis- und Mohnfelder zurück. Der Häuptling ist riesig geschmeichelt, weil wir eine militärische Truppe für ihn aufstellen. Er hat freilich keine Ahnung, gegen wen seine Leute kämpfen sollen.« Prescott Wüte still in sich hinein. »Wahrscheinlich glaubt er, daß er dann Banthut angreifen kann. Aber mit dieser Einheit und Gowins Zug werden wir den Mitkoms eine verteufelt unangenehme Überraschung bereiten, wenn sie wieder -218-
herkommen, um ihr Rohopium zu holen.« »Möchten Sie nun die Landepiste sehen, Sir?« fragte Panton. »Und ob. Wie geht es Brandt?« »Es läuft ziemlich flott, Sir. Er hat freilich nicht so viele Arbeitskräfte zur Verfügung, als er brauchen würde, denn jetzt ist Mohnernte.« Panton ging zum Landeplatz voraus, der einige hundert Meter weiter parallel zum Fluß angelegt war. Ein hochgewachsener, sehniger Amerikaner in grünem Unterhemd und Köperhose beaufsichtigte eine Gruppe von Groats, die Gestrüpp abhackten, das am Rande der Piste wucherte. Andere füllten Löcher aus oder ebneten kleine Erdhügel ein. Prescott trat auf den hageren Sergeanten zu. »Wie ist die Lage, Brandt? Wir möchten so bald wie möglich Flugzeuge herholen.« »Morgen kann schon die U-10 kommen, Sir«, erwiderte Brandt. »Wir haben hundertzwanzig Meter festgestampfte Landepiste. Allerdings wird es noch eine Weile dauern, bis hier auch andere Maschinen landen und starten können.« »Für unsere Zwecke genügt die U-10«, sagte der Major. »Es scheint sich alles planmäßig zu entwickeln.« Als die Gruppe in das Dorf zurückkehrte, lagen der Junge und das Mädchen nicht mehr auf dem Boden. Panton führte Prescott und Mike zu dem Langhaus, das ihnen der Häuptling als Quartier zugewiesen hatte. Vor der Behausung stand Barton im Gespräch mit einem schmalen, jugendlich wirkenden Amerikaner, der als Sergeant Minelli, der Funker des Teams, vorgestellt wurde. »Wo ist Cav?« fragte Prescott. »Er hat dieses Liebespaar von einigen Groats zum Fluß hinuntertragen lassen. Die beiden haben einen Hitzschlag erwischt - nicht allzu schlimm, aber immerhin...« Barton runzelte die Stirn. »Sauerei, halbe Kinder so zuzurichten.« »Sergeant Minelli, können Sie mit dem Jagdhaus Verbindung -219-
aufnehmen?« fragte der Major. »Normalerweise schon, Sir. Was soll ich durchgeben?« »Sagen Sie dem zugeteilten Offizier der Heeresfliegertruppe, er soll morgen die U-10 mit dem Filmprojektor, ein paar Wildwestfilmen in Technikolor und dem Generator hierherschicken.« »Jawohl, Sir«, erwiderte Minelli voll Freude. »Ich hoffe, daß es neue sind, die wir noch nicht gesehen haben.« »Tut nichts zur Sache. Die Groats haben sie bestimmt noch nicht gesehen.« Prescott wandte sich zu Mike. »Wir sollten nochmals mit dem Häuptling sprechen. Da Sie sich mit ihm verständigen können, wird es für uns viel leichter.« Bemir kauerte auf der Plattform seines Hauses, ganz in die Bewunderung seiner bunten Decke versunken, die er vor sich ausgebreitet hatte. Die Sonne war im Untergehen, und von den Gipfeln wehte bereits die Kälte der Nacht herab. Der Häuptling winkte den Amerikanern zu. Als sie über den Steigbaum heraufgeklettert waren, deutete er ihnen, sich rund um die Decke zu hocken. Wenn man es nicht gewohnt ist, längere Zeit in kauernder Stellung zu verharren, ermüdet man leicht, die Füße schlafen ein, die Beinmuskeln beginnen zu schmerzen, und der Oberkörper schwankt, weil er keine Stütze findet. Doch Prescott, der in den letzten Jahren oft bei den Bergstämmen gewesen war, beherrschte diesen Balanceakt auf den Fußspitzen vollkommen. Mike wußte, daß dieses Hocken bei vielen asiatischen Völkerschaften untrennbar zum Zeremoniell eines ernsten Gesprächs gehört. Schweigend kauerten die drei Männer im schwindenden Licht des Tages. Dann griff der Major in die Brusttasche, zog ein Päckchen Zigaretten heraus und bot Bemir eine an. Obwohl Mike eigentlich nur Zigarren rauchte, nahm er auch eine und entzündete mit Prescotts Feuerzeug zuerst die Zigarette des Häuptlings, dann die des Majors und zuletzt seine eigene. -220-
Prescott steckte das Päckchen nicht ein, sondern gab es Bemir, der es dankbar entgegennahm und in seinem Lendenschurz verschwinden ließ. Nachdenklich qualmte der Häuptling große Rauchwolken vor sich hin. »Ihr seid die ersten Fremden, die Ba To helfen. Die anderen Fremden sind oft sehr schlecht«, sagte er auf mituyanisch. »Was wollen die anderen Fremden von euch?« fragte Mike. »Sie kommen ins Dorf, manchmal bedrohen sie uns mit Gewehren. Sie sagen, sie werden mich, den Häuptling umbringen, wenn wir ihnen nicht allen Mohnsaft verkaufen, den wir ernten. Die chinesischen Händler bezahlen mehr dafür, aber sie kommen nicht mehr.« Mike übersetzte Bemirs Mitteilungen. »Sagen Sie ihm, daß er und seine Leute sich nicht mehr vor den Fremden zu fürchten brauchen, die das Opium requirieren wollen«, sagte Prescott. »Er wird bewaffnete junge Stammeskrieger zur Verfügung haben, und unsere Amerikaner werden hierbleiben und ihn im Kampf gegen alle Eindringlinge unterstützen.« Mike faßte Prescotts Erklärungen in einfache mituyanische Ausdrücke. Ein Hoffnungsschimmer erhellte Bemirs Gesicht. »Zeigt ihr deshalb meinen Männern, wie man mit euren Waffen umgeht?« »Nur deshalb, Häuptling«, bestätigte Mike. »Wir wollen euch stark machen, damit ihr selbst entscheiden könnt, mit wem ihr Handel treiben wollt.« »Und wenn ich dir nichts verkaufen will?« fragte Bemir mit einem verschlagenen Seitenblick. »Wir werden abziehen und unsere Waffen mitnehmen, wenn du uns dazu aufforderst«, antwortete Mike. »Dann wird niemand die anderen Fremden daran hindern, dir, dem Häuptling, Befehle zu geben, dich zu demütigen und am Leben zu bedrohen.« -221-
Bemir schüttelte den Kopf. »Ihr seid gute Fremde. Ihr sollt bleiben.« »Wir werden so lange bleiben, wie du willst, Häuptling. Und wir werden euch gegen die schlechten Fremden verteidigen und viele von ihnen töten.« Bemirs Augen funkelten. »Wir werden die schlechten Fremden lebendig verbrennen! Das wird die bösen Geister der Berge verscheuchen.« Mike erkannte, daß sich der Häuptling nun in grausame Bilder abscheulicher Martern verlieren würde, und war bestrebt, rasch das Thema zu wechseln. Prescott kam ihm zu Hilfe. »Noch eins, Mike. Sagen Sie ihm, daß wir das Dorf in Verteidigungszustand bringen müssen. Wir können die Wachmannschaften zu den nötigen Arbeiten heranziehen. Ich will nur, daß er sich im klaren darüber ist, was vorgeht. Ba To muß ein richtiger Stützpunkt gegen die Mitkoms werden.« Wieder übersetzte Mike Prescotts Worte in leichtverständliche mituyanische Wendungen. Bemir hörte aufmerksam zu, dann stieß er einige kehlige Laute aus. »Der Häuptling möchte zuerst mit mir den Verkauf besprechen«, sagte Mike. »Warten Sie ein paar Minuten, Charlie. Inzwischen werde ich versuchen, mit ihm handelseins zu werden. Dann können wir weiter über die Mitkoms palavern.« »Jetzt sind Sie dran, Mike.« Der Major setzte sich auf den Boden und beobachtete gespannt den Pflanzer und den Groat, die mit wiegenden Oberkörpern einander gegenüberkauerten. »Etwa zwanzig Dollar pro Kilo wären ein angemessener Preis, also ungefähr zweitausend Meta. In der Türkei bekommen die Mohnpflanzer fünfzig Dollar pro Kilo, und die Käufer übernehmen außerdem den Transport. Aber unsere Freunde hier sind doch etwas schwieriger zu erreichen.« »Nur zu«, warf Prescott aufmunternd ein. -222-
Mike begann die Verhandlungen. »Die Mitkoms geben dir nur Glasperlen, einige Kochtöpfe und vielleicht hundert Meta für deinen Mohnsaft. Was verlangst du von mir?« »Einen Krug, zwei Gongs, zehn Kochtöpfe, tausend Meta«, erwiderte Bemir. »Ich kann dir keine Krüge bringen«, wandte Mike ein. »Gut. Keine Krüge. Zweitausend Meta.« »Aber das ist zwanzigmal soviel, als dir die Mitkoms geben!« rief Mike empört. Er wußte genau, daß der Häuptling enttäuscht und mißtrauisch wäre, wenn sie so rasch zu einer Einigung kämen. »Die Mitkoms schießen uns tot und zerstören unser Dorf, wenn wir ihnen keinen Mohnsaft verkaufen.« »Doch nun haben wir deine jungen Männer bewaffnet, wir haben ihnen gezeigt, wie sie die Mitkoms bekämpfen können. Ich biete dir fünfhundert Meta für ein Kilo.« »Ich verkaufe für eintausendfünfhundert Meta - ohne Krüge und ohne Gongs. Wenn wir den Mohnsaft den Mitkoms verkaufen, brauchen unsere jungen Männer nicht zu kämpfen. Sie können viel Mohn anbauen, wir verkaufen die Hälfte der Ernte den Chinesen, die andere Hälfte schaffen wir selbst nach Banthut, dort bezahlen die Chinesen zweitausend Meta für ein Kilo.« »Tausend Meta. Du hast genug Geld, um Krüge und Gongs zu kaufen. Es ist zu gefährlich für euch, den Mohnsaft nach Banthut zu bringen. Der Provinzchef wird euch alles wegnehmen und es selbst behalten.« Bemir wippte nachdenklich auf den Fußballen. Mike sah sich nach Sergeant Barton um, der bei dem großen Gepäcksack vor der Plattform des Häuptlingshauses stand. »Hallo, Barton, da drin ist ein Gewehrfutteral aus Segeltuch. Geben Sie mir es doch bitte herauf.« -223-
Der Groat und Mike blieben in hockender Haltung, einer maß den anderen mit prüfenden, lauernden Blicken. Der Sergeant schwang sich auf die Plattform und reichte Mike das Gewehr in der wasserdichten Hülle. »Hier, Häuptling Bemir, wir besiegeln unseren Handel«, sagte Mike. Er öffnete das Futteral und zog eine automatische Schrotflinte mit reichverzierter Silberauflage heraus. »Tausend Meta pro Kilo, außerdem schenke ich dir dieses schöne Gewehr.« Bemir starrte die Waffe begehrlich an. »Eintausendzweihundert Meta pro Kilo - keinen Gong, keinen Krug, keinen Kochtopf.« Der Häuptling war nicht mehr ganz so sicher wie vorher, die prächtige Waffe stach ihm in die Augen. Mike wußte, daß er das Rohopium schließlich um 1000 Meta pro Kilo bekommen könnte. Doch er schnitt eine Grimasse, als sei er des Verhandeins müde und gebe sich geschlagen. Und plötzlich warf er die Flinte dem freudig überraschten Bemir zu. »Gut. Eintausendzweihundert Meta!« Der Groat sprang auf und stieß einen Siegesschrei aus. Rasch drückte er das Gewehr einem seiner Söhne in die Hand und wandte sich wieder Mike zu. Ein fester Handschlag bekräftigte die Vereinbarung. Prescott blickte fragend auf. »Erledigt, Charlie! Zwölfhundert Meta pro Kilo. In der zivilisierten Welt würde man das einen Gelegenheitskauf zu tief reduzierten Preisen nennen!« sagte Mike. Bemir rief über die Schulter ins Langhaus. Zwei junge Männer tauchten in der Tür auf. Mit einem Wortschwall, der wie das Raspeln einer groben Feile auf Metall klang, deutete er auf einen Punkt auf dem Boden neben dem Steigbaum. Beide Burschen ergriffen primitive Hauen, die an der Bambuswand lehnten, glitten flink wie Wiesel hinunter und begannen mit wuchtigen -224-
Hieben die Erdkruste aufzubrechen. Nach einigen Minuten legten sie die spitzen Werkzeuge beiseite und gruben mit bloßen Händen weiter. Schließlich bekamen sie einen großen Krug zu fassen und hievten ihn aus dem Erdreich. Das Gefäß schien einen Meter hoch zu sein. Sorgsam wischten die jungen Groats die anhaftenden Klumpen von der Bauchung und dem verschlossenen Hals, dann kletterten sie wieder auf die Plattform, verbeugten sich vor dem Häuptling und verschwanden im Haus. Bemir sagte einige Worte zu Mike, doch bevor dieser übersetzen konnte, hob der Major grinsend die Hand: »Ich weiß schon. Die beiden Jungen sind seine Söhne, und der Krug wurde vergraben, damit der Reiswein darin fermentieren kann, bis er so stark wie Schnaps ist. Und nun ist der würdige Anlaß da, für den er aufgehoben wurde! Wir werden das Zeug saufen müssen Gott steh' uns bei!« Der Häuptling ging ins Haus, gleich darauf kam er mit einem kleinen irdenen Topf voll langer, dünner Bambushalme zurück. Mike und Prescott ansehend, schnatterte er etwas im Groatdialekt. »Ich weiß, was er will«, sagte der Major. »Er lädt uns auf einen Umtrunk ein. Da gibt's kein Kneifen. Haben Sie einen guten Magen?« »Keine Sorge«, erwiderte Mike sehr selbstsicher, obwohl ihm gar nicht danach zumute war. Der Häuptling stieg als erster hinunter, trat zu dem Krug, stellte das Gefäß mit den Halmen daneben auf den Boden und machte sich an dem Pfropfen zu schaffen, der aus Baumblättern bestand, die in einer dicken Lage fest um eine Holzscheibe gewickelt waren. Bald hatte er diesen absolut dichten Verschluß entfernt, mit geblähten Nasenflügeln sog er den penetranten Hefegeruch ein, der in einer Schwade aus dem Hals des Kruges drang. -225-
Dann reichte Bemir seinen Gästen Trinkhalme, nahm selbst einen, steckte ihn in die Öffnung, saugte Flüssigkeit an und spuckte sie vor sich auf den Boden. »Tun Sie das gleiche«, riet Prescott. »Das ist die Giftprobe. Wenn die Groats jemanden vergiften wollen, laden sie ihn zum Trinken ein. Vorher geben sie Gift in das Bambusröhrchen. Durch den ersten Zug säubert man den Halm und zeigt damit, daß er nicht vergiftet ist.« Der Major folgte dem Beispiel des Häuptlings, auch Mike spuckte den ersten Schluck aus. »Jetzt wird's ernst«, sagte Prescott grimmig. »Es gilt als unhöflich, wenn man zu trinken aufhört, bevor der Häuptling absetzt.« Bemir schloß die Lippen um den dünnen, hohlen Bambusschößling und sog den in der Erde gereiften, vergorenen Reiswein ein, seine Blicke wanderten dabei zwischen Mike und Prescott hin und her. Vorsichtig sog Mike an seinem Halm, schmeckte das Gebräu auf der Zunge. Es war stark, die Gärung übertönte jedes andere Aroma, doch Mike hatte Schlimmeres erwartet. Das Gesöff war wenigstens halbwegs genießbar. Während er langsam weitertrank, beobachtete er den Häuptling, der mit entzückter Miene in sich hineinpumpte, was nur ging. Ein Teil der Flüssigkeit rann ihm aus den Mundwinkeln über das Kinn hinab. Prescott sog unverdrossen an seinem Röhrchen. Mike zählte die Sekunden. Nach etwa zwei Minuten nahm Bemir schließlich mit einem schmatzenden Laut seinen Halm aus dem Mund, sofort setzten auch die beiden anderen ab. »Verstößt es gegen die Gebräuche, wenn wir nicht mehr weitersaufen?« fragte Mike. »Reden Sie mit ihm«, antwortete der Major. »Wir haben gezeigt, daß wir die Ehre zu schätzen wissen, die er uns erweist. Sagen Sie ihm, was Sie wollen, irgend etwas, das glaubhaft klingt.« Mike teilte dem Häuptling auf mituyanisch mit, daß Prescott -226-
und er nun gern zu den anderen Amerikanern zurückkehren würden, die nicht das Vergnügen gehabt hätten, solch gutes Getränk zu kosten. Mit einem verständnisvollen Nicken entließ Bemir gnädig seine Gäste. Als sie sich ihrem Langhaus näherten, sah Mike das junge Groatpaar. Die beiden hatten sich einigermaßen von den Qualen ihrer grausamen Strafe erholt, und das Mädchen, dem Cavanaugh nach einem Bad im Fluß saubere Kleidung beschafft hatte, wirkte nun keineswegs unhübsch. Der Bursche, im Lendenschurz, hockte ergeben unter den Pfählen, sein weiteres Schicksal war ungewiß, doch wahrscheinlich pries er sich glücklich, daß er nicht tot am Torpfosten hing. »Was werden Sie nun mit den beiden anfangen, Sir?« fragte Cavanaugh Mike. »Wir müssen sie so rasch als möglich aus dem Dorf bringen. Sonst werden die Leute für alles, was passiert, ihnen die Schuld zuschieben und sagen, die Frevler hätten den Zorn der bösen Geister über Ba To heraufbeschworen.« »Wir können sie immerhin mit der U-10 abschwirren lassen«, warf Prescott ein. »Im Kommando kann man sie einquartieren und verpflegen, bis Mr. Forrester zurückkommt und entscheidet, was mit ihnen geschehen soll.« »Reverend Maynard sagte mir, daß er in der Nähe des Jagdhauses einen vorgeschobenen Dschungelstützpunkt hat, wie er es nennt«, meinte Mike. »Das stimmt. Dort arbeitet ein sehr fähiges Missionarsehepaar mit den Groats zusammen. Reverend Starrett spricht den Groatdialekt, außerdem ist er für uns ein sehr wertvoller Kontaktmann.« »Wir werden ihm und seiner Frau diese beiden jungen Leute anvertrauen. Ich glaube, es wird nicht allzu schwer sein, sie zu bekehren. Der Schreck über die heidnische Grausamkeit hat sie sicherlich für die mildere Lehre des Christentums aufnahmebereit gemacht.« -227-
Der Major nickte zustimmend. »Eine gute Idee. Bei den Starretts können die beiden Englisch lernen, und eines Tages werden sie vielleicht soweit sein, das Wort Gottes ihren Stammesbrüdern zu verkünden.« Sergeant Barton lachte. »Sie sprechen selbst schon wie ein Missionar, Sir.« »Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wieviel Gutes diese Leute tun. Und damit meine ich jetzt nicht, daß sie uns als Dolmetscher behilflich sind und uns Informationen liefern...«
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17 Prescott und Panton verbrachten den nächsten Tag damit, das Terrain rund um Ba To zu erkunden und zu mappieren. Gegen Abend waren bereits Trennwände im Langhaus aufgestellt, der abgeteilte Raum diente als improvisiertes Kommando. »Das Dorf ist eine natürliche Verteidigungsposition, Panton«, sagte der Major am Spätnachmittag. »Sie werden einige Monate hierbleiben müssen, um den Stützpunkt auszubauen. Ba To muß so etwas Ähnliches werden wie die alten Forts im Wilden Westen, eine befestigte Anlage, in die sich alle Groats des Gebietes zurückziehen können, die vor dem Mitkom-Terror flüchten. Wir werden Ihnen einen zweiten Sanitäter schicken, damit Cavanaugh entlastet ist. Die beiden können dann zusammen eine große ›Poliklinik‹ mit allen Schikanen einrichten. Auch eine Schule muß her, in der die Groats Mituyanisch und Englisch in Wort und Schrift lernen und wo man ihnen beibringt, einfache Rechenaufgaben zu lösen. Darüber werde ich mit den Missionaren sprechen. Es wäre möglich, von Ba To aus ein Territorium im Umkreis von fünfundzwanzig Meilen zu sichern. Wenn es uns gelingt, acht oder zehn solche Wehrdörfer anzulegen, hätten wir die gesamte mituyanische Gebirgsregion entlang der Grenze gegen Yanna unter Kontrolle.« Panton blickte zweifelnd auf die Karte. »Aber das Gelände ist sehr unwegsam, Sir. Ein Gebiet von diesem Ausmaß wird sehr schwer zu patrouillieren sein.« »Wir können es, wenn die Groats erst richtig ausgebildet sind und begreifen, worum es geht. Von der Agency haben wir schon jetzt jede Unterstützung, und ständig kommen neue Kräfte nach, Männer mit gründlicher Vietnamerfahrung.« Prescott wandte sich um. »Ich werde dem Häuptling unsere Pläne -229-
auseinandersetzen, ich glaube, auf ihn können wir zählen.« Inzwischen führte Bemirs ältester Sohn Mike durch den Dschungel zu einer Mohnpflanzung. Nur die Bewohner von Ba To wußten, wo diese Felder lagen, und hüteten dieses Geheimnis streng. Weder die Drohungen noch die Überredungskünste und Bestechungsversuche der Mitkoms hatten den Häuptling zu bewegen vermocht, sein ertragreichstes Anbaugebiet preiszugeben, er hatte den Guerillas immer nur die kleineren Felder rund um das Dorf gezeigt. Während Mike Radam folgte, dachte er darüber nach, wie hier Klima, Höhenlage, Bodenbeschaffenheit und die Erfahrungen, die eine Generation von Groats der nächsten vererbte, so zusammenwirkten, daß Mohnpflanzen gediehen, die an Qualität alle anderen asiatischen Arten stets weit übertrafen. In Asien gab es Kulturen mit einer Gesamtfläche von Millionen Quadratmeilen, doch dieses Areal - ein kleiner dreieckiger Fleck auf der Landkarte - war die eigentliche Schatzkammer. Trowbridge und seine Desperados hatten genau gewußt, warum sie dieses Gebiet mit Waffengewalt für den britischen Handel verteidigten. Das Opium, und damit auch das Heroin, hatte den höchsten Lösungsfaktor. Zwei Stunden lang führte Radam Mike über düstere Pfade. Dann standen sie plötzlich im Freien, am Rand eines weiten, offenen Geländes, das ein einziger roter Teppich von Mohnblüten war. Bemirs Sohn zeigte Mike die feinen Einschnitte in der gewölbten Kapsel unterhalb der Blütenblätter. Aus jedem Schnitt war etwas Saft gedrungen und hing nun als gestockter schwarzbrauner Tropfen an der Schale. Die männlichen und weiblichen Bewohner von Ba To ernteten mehrmals pro Jahr, wobei sie jeden einzelnen Tropfen sorgfältig lösten und in eigens für diesen Zweck geformten irdenen Krügen auffingen. Der Häuptling verwahrte den Ertrag und verhandelte mit den Käufern. Den Großteil des Rohopiums holten sich die Guerillas, doch manchmal machte sich eine -230-
Gruppe aus dem Dorf auf, zog zu Fuß bis nach Banthut und tauschte dort den getrockneten Mohnsaft gegen Geschirr und Textilien ein. Aus den wenigen Worten, die er mit Radam wechselte, entnahm Mike, daß dies nicht das einzige geheime Feld war, es gab noch viele andere. Die Groats wußten aus Erfahrung, daß ein Grundstück nur zwei Jahre lang gute Ernten lieferte, dann mußte neuerlich gerodet werden, um neuen Boden zu gewinnen. Die alten Felder blieben Brachland. Demnach mußten die Groats immer weiter von ihrem Dorf entfernt ihre Kulturen pflegen. Und hin und wieder kam es vor, daß neue Pflanzungen aus irgendeinem unerklärlichen Grund nur eine geringe Ausbeute an minderem, unbrauchbarem Mohnsaft lieferten. Mike wurde nun klar, daß Zähigkeit und harte Arbeit erforderlich waren, bis man die Flüssigkeit aus den Kapseln abzapfen konnte. Vor Sonnenuntergang hielten Prescott und Mike mit Bemir auf dessen Plattform eine neuerliche Beratung ab. Schweigend hörte der Häuptling zu, als ihm der Major mit allen Einzelheiten erklärte, wie er das Dorf zu einer starken Festung gegen die kommunistischen Terroristen ausbauen wolle. Zunächst weigerte sich Bemir, andere Groats in seiner Ansiedlung aufzunehmen, doch Prescott überzeugte ihn mit dem Argument, je größer die Besatzung an ausgebildeten, bewaffneten Kämpfern sei, desto mächtiger sei auch der Häuptling des Dorfes. Mike erörterte die wirtschaftlichen Bedingungen. Die Bewohner von Ba To würden ihm zum Preis von 1200 Meta pro Kilo die gesamte Opiumernte verkaufen - die Mitkoms bezahlten nur ein Zehntel dieser Summe, genauer gesagt, sie requirierten den Mohnsaft und warfen den Groats dafür ein paar schmierige, fast wertlose Geldscheine vor die Füße. Als Bemir im Kopf ausgerechnet hatte, daß sich sein Verdienst innerhalb eines einzigen Jahres verdoppeln und im Laufe der Zeit immer weiter anwachsen würde - somit könnte er sich eine junge Nebenfrau leisten, die er schon lange im Auge hatte -, ließ er -231-
sogleich einen vollen Krug Reiswein holen. Aber Mike und Prescott lehnten dankend ab, der Major zog sich sehr geschickt aus der Affäre, er sagte, an diesem Abend wollten die Amerikaner den Häuptling und alle anderen Dorfbewohner einladen, um ihnen etwas zu zeigen, was ihnen sicherlich gefallen werde. Mike verdolmetschte, Bemir war sofort Feuer und Flamme. »Na, ich glaube, in Ba To haben wir unser Nahziel erreicht«, meinte Prescott triumphierend, als sie über den Versammlungsplatz gingen. »Ich hoffe es«, erwiderte Mike. »Ein recht altes Haus mußte ich werden, um es zum Geheimagenten und Rauschgifthändler zu bringen.« »Alles für einen guten Zweck«, lachte der Major. »Minelli bereitet schon die Apparaturen vor.« An der Bambuseinzäunung hatte der Funker eine große weiße Leinwand befestigt, der Tonfilmprojektor stand auf einem tragbaren Gestell, der Generator war angeschlossen. »Startklar, Sir. Mit einem Zeichentrickfilm möchte ich anfangen. Da werden sie gleich mitgehen. Dann zeigen wir den Wildwester, in Technikolor und Cinemascope, und - man glaubt es kaum - diesmal haben sie sogar die Cinemascopelinse für den Projektor mitgeschickt, so daß wir diesmal keine in die Länge gezogenen, schmalspurigen Cowboys und Indianer sehen werden. Den Groats würde es so und so gefallen.« Prescott sagte Minelli, daß die Vorstellung gleich nach dem Abendessen beginnen solle. Doch als die Amerikaner wieder zurückkamen, hockte bereits eine Gruppe von Groats erwartungsvoll auf dem Platz, manche mit dem Gesicht zur Leinwand, andere zum Projektor mit der großen Filmrolle gewendet. Minelli wartete, bis der Generator warmgelaufen war, dann schaltete er ein. Mit einem Schlag setzte die Musik ein, und Donald Duck erschien auf der vorher leeren Fläche, begrüßt -232-
von einem Freudengeheul der Zuschauer. Aus den Langhäusern stürmte alles herbei, was zwei Beine regen konnte, alte Männer, Weiber und Kinder. Dicht zusammengedrängt kauerten ganze Familien auf dem Boden, gebannt von den Klängen und den bunten lebenden Bildern. Ungläubig rieben sich die Groats die Augen, sogar Bemir samt seinem Gefolge von Hauptfrau, Nebenfrauen, Söhnen und Töchtern wußte sich vor Staunen kaum zu fassen. Auf den Zeichentrickfilm folgte der Hauptfilm. Nach Art der modernen großen Wildwester begann er nicht mit dem Titel, sondern mit einem szenischen Vorspann. Untermalt vom Dröhnen eines Monsterorchesters, in das sich der Originalton mischte, rollte auf breiter Front eine Kavallerieattacke ab. Entsetzensschreie der Groats gellten in das Getöse. Es kam fast zu einer Panik. Der Häuptling prallte zurück, sprang auf und machte Miene, vor den herangaloppierenden Pferden zu flüchten. Doch schließlich erkannten er und seine Stammesgenossen, daß alles nur Täuschung war, und hockten sich wieder nieder. Der Dialog war unwichtig, die Zuschauer begriffen auch so, worum es sich handelte, und identifizierten sich sofort mit den weißen Soldaten und den Pionierfamilien, die über die Prärie zogen. Etwa in der Mitte des Films sammelten sich die Indianer zum Angriff. Die Groats verstanden, was nun kommen würde, und wollten die Ahnungslosen durch Zurufe warnen. Unter schrillem. Geschrei preschten die Rothäute aus ihren Deckungen vor, überschütteten ihre Gegner mit einem Hagel von Lanzen und Pfeilen, schossen im Reiten ihre Gewehre ab und schwangen wild ihre Tomahawks. Die Groats antworteten mit lautem Gebrüll - und plötzlich zerriß die Leinwand an vielen Stellen. Die Bergbewohner trennten sich fast nie von ihren Armbrüsten, sie hatten sie auch zu der Filmvorführung mitgenommen und im entscheidenden Moment gepackt, um sich gegen die Feinde zu wehren. Die Leinwand war von Pfeilen -233-
durchsiebt. Erst als das Bild von der zerfetzten Fläche verschwand, beruhigten sich die Groats. Doch dann merkten sie, daß auch das erregende Geschehen mitten im Ablauf unterbrochen war. Enttäuscht schnatterten sie durcheinander. »Was tun wir jetzt?« rief Panton. »Ich hab' noch ein paar Bildwände, Sir«, antwortete Minelli gleichmütig. »Aber wenn die Brüder immer drauf schießen, werden wir bald keine Filme mehr zeigen können.« Prescott befahl dem Funker, rasch eine andere Projektionsfläche zu holen, und bat Mike, auf den Häuptling einzuwirken. »Machen Sie ihm klar, daß es nur Bilder sind.« Während Minelli die neue Leinwand aufspannte, kauerte sich Mike neben Bemir nieder und sprach leise auf ihn ein. Schließlich erhob sich der Häuptling zu voller Höhe und wiederholte mit lauter Stimme im Groatdialekt, was er soeben von dem großen weißen Händler gehört hatte. Unter dem beifälligen Gemurmel der Dorfbewohner ging Bemir wieder in die Hocke und blickte gespannt auf das große, weiße Rechteck am Bambuszaun. Der Projektor ratterte los, die Indianerschlacht tobte weiter, diesmal ohne Gegenangriffe der Groats, die aber wieder wacker mitschrien und einander in die Rippen boxten, ohne auch nur eine Sekunde die Augen von dem Gemetzel der Hollywoodkomparsen zu wenden - nicht anders als die Halbwüchsigen der zivilisierten Welt. »Schreiben Sie bei der nächsten Anforderung auch ein Dutzend Projektionsflächen auf«, sagte Prescott zu Panton. »Und in Zukunft müssen wir darauf achten, daß die Kerle ihre Armbrüste zu Hause lassen.« Als der Film zu Ende war, blieben die Zuschauer einige Minuten wie versteinert hocken und starrten mit offenen Mündern auf die leere Fläche. Mike trat zum Häuptling. »Morgen abend zeigen wir einen -234-
anderen großen Krieg«, sagte er auf mituyanisch. »Okay.« Soviel Englisch hatte Bemir bereits gelernt. Dann rief er auf mituyanisch: »Morgen abend sollen alle wieder herkommen.« In den folgenden Tagen gingen die Arbeiten auf den Mohnfeldern und die militärische Ausbildung ihren gewohnten Gang. Doch Prescott sorgte für erhöhte Wachsamkeit, da er über Funk aus dem Kommando im Jagdhaus die Meldung erhalten hatte, die Luftaufklärung sichte Guerillagruppen, die aus dem neutralen Yanna in Richtung auf Ba To vorrückten. Prescotts Groatmiliz durchstreifte täglich das Gelände, um eingesickerte Feindkräfte aufzustöbern, und mit Bemirs Einverständnis wurde die Schulung der wehrfähigen männlichen Dorfbewohner rasch vorangetrieben. Nach fünf Tagen meldeten Brandt und Barton, ein Zug Groatrekruten sei zur Verteidigung einsatzbereit. Der Major forderte vom Kommando vier 60-MillimeterGranatwerfer an, gleichzeitig ließ er an den taktisch wichtigen Punkten Granatwerferstellungen bauen und mit Sandsackwänden abdecken. In den irdenen Gefäßen brachten die Groats von Ba To den getrockneten Mohnsaft. Bemir nahm die Schalen entgegen und schüttete den Inhalt in einen großen verzierten Krug, den er in seinem Haus aufbewahrte. Um dem Häuptling zu beweisen, daß er nun viel mehr an der Ernte verdienen würde als je zuvor, rechnete ihm Mike in mituyanischen Metas genau den Wert der Waren vor, die die Groats in der Stadt gegen Opium eingetauscht hatten. Bemir überschlug die Zahlen im Kopf und stellte fest, daß er demnach ein scharfes Messer im Tauschhandel weit überzahlt hatte. Nun, da die Bevölkerung von Ba To in den Besitz von Bargeld kam, würde sie alles, was sie benötigte, zu normalen Preisen kaufen können. Mike versprach, die Güter per Flugzeug heranzuschaffen. Er hatte sich ein neues Verfahren für den Transport des Rohopiums ausgedacht. Als er es den Groats erklärte, waren sie sofort -235-
begeistert bei der Sache. Unter den vielen Maschinen, welche die amerikanische Entwicklungshilfe in Mituyan einsetzte, war auch eine tragbare Ziegelpresse. Mike demonstrierte den Groats, wie man statt Lehm und Zement den schwarzen, teerartigen, gestockten Mohnsaft in die Formen strich, sodann den langen Hebelarm niederdrückte und schließlich die säuberlich gepreßten glatten Ziegel heraushob. Da alle Ziegel dasselbe Gewicht hatten, war eine rasche und genaue Mengen- und Wertbestimmung der Opiumvorräte möglich. Am Abend des siebenten Tages machten sich Prescott, Mike und Sergeant Barton reisefertig, um in Barkuns Jagdhaus zurückzukehren. Mike zählte die Opiumausbeute, die in einem gegrabenen Gelaß unter Bemirs Langhaus aufgestapelt war. Die Ernte ergab 150 Kilo, Mike blätterte von dem dicken Banknotenbündel, das er mitgebracht hatte, 18 000 Meta vor dem kauernden Bemir auf den Boden - das waren umgerechnet 1800 Dollar. »Es hat keinen Sinn, zu warten, ob sie noch mehr von den Pflanzungen hereinbringen«, sagte Mike zu Prescott und wies auf die Ladung schwarzer Ziegel, die einen starken Moschusgeruch verbreiteten. »Hundertfünfzig Kilo - das ist fast ein Viertel des Jahresertrages dieses Gebietes.« »Finde ich auch«, erwiderte der Major. »Man weiß nicht, was mit dem Zeug geschieht, wenn es hier zum Kampf kommt. Morgen früh werde ich eine U-10 anfordern. Wollen Sie mitfliegen?« »Nein. Aber das Opium muß weg. Übrigens, wenn Sie das Kommando anfunken, dann sagen Sie bitte, mein Begleiter Johnny Elephant soll mit der Maschine herkommen. Mittlerweile wird er genug Wild geschossen haben, um uns ein Alibi für unsere ›Jagdsafari‹ zu verschaffen, und ich möchte ihn mit Bemir zusammenbringen. Johnny Elephant und sein Vetter Charlie Tiger werden nämlich Schlüsselfiguren in meiner Schmugglerorganisation sein.« -236-
»In Ordnung, Mike. Aber ich rate Ihnen dennoch, so rasch wie möglich von hier zu verschwinden. Wenn die Guerillas auftauchen, um ihren Anteil an Rohopium einzutreiben, dann kracht es, darauf können Sie Gift nehmen. Und wir müssen jeden Tag damit rechnen, daß sie kommen. Es wundert mich ohnehin, daß bis jetzt keiner unserer Spähtrupps Feindberührung hatte. Die Kommunisten wissen ganz genau, wann hier geerntet wird. Außerdem haben unsere Kontaktmänner gemeldet, daß unser Freund TrangTi Unmengen von Versorgungsgütern der Entwicklungshilfe hortet. Grady Rourke, dieses Arschloch, hat ein glorreiches neues System ausgeklügelt: Das Büro der Entwicklungshilfe in Tuyan rüstet alle Distrikts- und Polizeistationen mit Funkgeräten aus. Wer bekommt die Apparate? Natürlich der Provinzchef, denn er kann sie ja ›richtig‹ verteilen - glaubt Rourke. Wie Sie wissen, Mike, ist das größte Problem der Mitkoms die Nachrichtenverbindung. Ich vermute also, daß nächste Woche in Banthut die wichtigsten Tauschartikel für Opium amerikanische Funkgeräte sein werden.« Mike grinste. »Wenn aber kein Opium auf den geheimen Markt kommt, werden vielleicht doch wenigstens ein paar Geräte dort landen, wo sie gebraucht werden.« Am nächsten Vormittag gondelte die U-10 heran und landete holpernd auf der kurzen Piste von Ba To. Mit strahlendem Gesicht schwang sich Johnny Elephant heraus, sein Jagdgewehr liebevoll wie ein Kind in der Armbeuge. Mike und Sergeant Barton schoben die vier Jutesäcke voll Opiumziegel in den Laderaum. »Da sind hundertfünfzig Kilo beste Ware drin, Johnny.« »Fein. Und ich habe viel geschossen, Tiger, Panther«, brüstete sich der kleine Kerl, »aber noch keinen Elefanten.« »Vielleicht bekommst du hier ein kapitales Stück vor die -237-
Büchse«, sagte Mike. »Oder möchtest du lieber einen ausgestopften Mitkom-Kopf?« »Jeden Mitkom, den ich sehe, knalle ich ab.« »Verstehst du den Groatdialekt?« fragte Mike, als sie zum Dorf zurückgingen, während die U-10 mit ihrer kostbaren Fracht davonschwebte. »Klar. Man muß mit den Groats sprechen können, wenn man in ihrem Land jagt.« »Gut. Von nun an bist du der wichtigste Mann in unserer Aktion. Du kaufst das Zeug von Häuptling Bemir und schaffst es zu Charlie Tiger. Charlie schickt es an Jimmy Brillant in Tuyan, Jimmy und ich verkaufen es. Okay?« »Okay. Bringt viel Geld ein.« »Viel Geld, aber auch viele Gefahren. Die Mitkoms glauben, das Opium gehört ihnen.« »Johnny Elephant fürchtet sich nicht vor den Mitkoms.« Bemir und der Jäger freundeten sich sehr rasch miteinander an. Johnny bekam einen Bambushalm, und während einer angeregten Unterhaltung im Groatdialekt sogen sie Reiswein aus einem Krug, der auch seine Zeit in der Erde gelegen hatte. Mike ließ die beiden allein und ging zum Quartier der Amerikaner. Major Prescott erwartete ihn mit düsterer Miene »Mike, Sie hätten mit gutem Wind absegeln sollen. Vorhin hat sich Sergeant Teeter gemeldet, er ist mit einer Patrouille draußen. Er sagt, er mußte einen ganzen Zug schwerbewaffneter Mitkoms an seinem Hinterhalt vorbeimarschieren lassen. Mit seiner schwachen Gruppe konnte er nicht losschlagen, er hat fast nur Leute, die wir hier in aller Eile ausgebildet haben.« »Wann werden die Guerillas das Dorf erreichen?« »Schwer zu sagen. Vielleicht vor Einbruch der Dunkelheit.« Panton trat heran. »Sir, ich könnte mit einigen Gruppen unserer Groatmiliz im Dschungel vorgehen. Die meisten haben -238-
Elefantenbüchsen. Das genügt für einen wirksamen Feuerüberfall.« Prescott schüttelte den Kopf. »Es darf keine Überlebenden geben. Bei jedem Hinterhaltsgefecht gelingt es einigen, zu entkommen. Das wäre in unserer Situation zu gefährlich. Wer nicht tot ist, muß gefangen werden. Wir müssen den Häuptling alarmieren. Sobald es knallt, sollen alle Unbewaffneten sich in den Erdlöchern unter ihren Häusern verkriechen.« Am Nachmittag war Ba To in Verteidigungszustand. Gowin verteilte drei Gruppen von je zwölf Mann im Dschungelgelände vor dem Dorf. Eine vierte Gruppe, die auf Patrouille war, hatte per Funk den Befehl erhalten, auf Schleichwegen zum Stützpunkt zurückzukehren oder in den Kampf einzugreifen und den Gegner von der Flanke her aufzurollen. Leichtbewaffnete Groats aus Bemirs Schar hockten hinter dem Bambuszaun, der durch Brustwehren verstärkt worden war. An den Eckpunkten befanden sich getarnte, durch Sandsäcke geschützte MG-Nester. Da vom Fluß her kaum ein Angriff zu erwarten war, hatte Prescott seine Mannschaften auf der dem Dschungel zugewandten Seite konzentriert. Die Groats fieberten dem Feind entgegen, endlich sollten sie ihre neuen Waffen im Einsatz erproben. Auch Bemir fühlte sich als großer Krieger. Die Spannung wuchs. Prescott war in den Gefechtsstand geklettert, der sich über die Bambushäuser erhob und einen guten Überblick über das Terrain bot. Die vier amerikanischen Sergeanten waren auf dem Sprung, um je nach der taktischen Situation jene Granatwerferstellungen zu besetzen, von denen aus der wirksamste Beschuß erfolgen konnte. Mike kauerte hinter dem MG im Eckbunker beim Haupttor, Panton hatte sich im anderen MG-Nest postiert. Neben dem Torpfosten lauerte verwegen Johnny Elephant, ein automatisches Gewehr im Anschlag. Dreimal klickte es leise in Prescotts Sprechfunkgerät; mit diesem Zeichen meldete ein Groatfunker, daß die Mitkoms an -239-
einer von Gowins Gruppen vorbeimarschiert waren. Die drei kurzen Geräusche bedeuteten, daß der Spähtrupp die Kommunisten auf dem vom Norden zum Haupttor führenden Pfad gesichtet hatte. Offenbar würden die Guerillas ahnungslos herankommen, um sich ihr Rohopium zu holen, dachte der Major. Wenn es irgend möglich war, wollte er die Offiziere lebend fangen, um sie zu verhören. Er hoffte, daß die Kommandeure ihre Abteilung vor dem Dorf halten ließen und allein die Ansiedlung betraten, um mit Bemir zu verhandeln. Aber bei dem grundsätzlichen Mißtrauen der Kommunisten war dies sehr unwahrscheinlich. Einige Minuten nach dem Funksignal tauchte 150 Meter vor dem Tor die Vorhut aus dem Dschungel auf. Die Mitkoms trugen schwarze Pyjamas, die für Guerillas typischen Sandalen mit Gummisohlen aus Autoreifenfragmenten und kegelförmige Strohhüte. Bis auf einige, die Maschinenpistolen am Halfter trugen, waren alle mit Gewehren bewaffnet. Als der ganze Zug in Marschordnung das gerodete Gelände erreichte, waren die vordersten Reihen kaum hundert Meter vom Dorf entfernt. Zwei Männer, die sich in ihrer Bekleidung von der Mannschaft unterschieden, waren vermutlich die Anführer. Sie trugen khakifarbene Uniformen und erbeutete Bata-Schuhe, wie sie die Amerikaner den südostasiatischen Armeen lieferten. Prescott wartete noch immer darauf, daß die Offiziere allein vorausgehen würden, doch es schien, als wollten die Kommunisten Ba To nach erprobter Taktik gewaltsam besetzen, um die Bevölkerung durch Terror gefügig zu machen. Die amerikanischen Sergeanten hockten in den Granatwerferstellungen und visierten ihre Ziele an, um den Mitkoms durch Sperrfeuer den Rückzug in den Dschungel abzuschneiden, Prescott ließ die Guerillas bis auf fünfzig Meter herankommen. Sie fühlten sich völlig sicher, hielten es für unmöglich, daß sie hier, in ihrem Territorium, in eine Falle laufen könnten. Die MPs hingen locker an den Gurten, das -240-
Gewehr trug jeder, wie er wollte. Die ganze Truppe machte den Eindruck, als sei sie von einem langen Marsch ermüdet. Prescott gab ein Zeichen. Die Werferbedienungen schoben die ersten Granaten in die Rohre. In diesem Moment eröffneten Mike, Johnny Elephant und Panton das Feuer. Mit einem Freudengeheul begannen auch die Groats zu schießen, sie hatten sich im gefährdeten Sektor zu einer Schützenkette formiert und jagten Schuß um Schuß aus den Läufen, so rasch sie konnten. Die größren Verheerungen richteten die MGs an, die vordersten Reihen der Mitkoms gerieten direkt in die fast aus Bodenhöhe emporsprühenden Geschoßgarben. Wie Puppen wurden sie zurückgeworfen, kollerten verkrampft übereinander, das Vorfeld bedeckte sich mit hingemähten schwarzen Gestalten. Von ihrem Dschungelversteck aus griff Gowins Gruppe ein und packte die Kommunisten mit vernichtendem Feuer in der Flanke. Überlebende, die, besinnungslos vor Schreck, flüchten wollten, taumelten in die Detonationen der Werfergranaten. Einzelne Guerillas hasteten geduckt durch das Inferno auf das schützende Gestrüpp zu, doch ehe sie die Deckung erreichten, fielen sie unter gezielten Schüssen. Bemir schwang brüllend seine neue Flinte and verpulverte unzählige Schrotladungen in die von Toten und Verwundeten übersäte Lichtung vor dem Zaun. Mike, Johnny Elephant und Panton wußten, daß Prescott die Anführer der Mitkoms gefangennehmen wollte, und schossen nicht mehr auf diese. Dadurch entgingen ihnen auch mehrere Mitkoms, denen es schließlich doch gelang, in den Dschungel zu entkommen. Aber dort warteten Gowins Milizsoldaten - einige Feuerstöße aus den automatischen Karabinern, und es gab keine Augenzeugen mehr, die der MFF von dem Blutbad berichten konnten. Einer der Männer in Khaki, der blutbesudelt vor dem Tor lag, hob schwach den Arm, zum Zeichen, daß er sich ergab. Der andere war ein dutzendmal getroffen worden, nicht von den MGs, sondern von den Kugeln der Groats aus Ba To. -241-
Der mörderische Feuerüberfall hatte kaum zwei Minuten gedauert. Verblüfft ließen die eingeborenen Verteidiger die Gewehre sinken, sie waren enttäuscht, weil sich ihnen plötzlich keine Ziele mehr boten. Der Feind hatte in diesem Feuerüberfall nur mit einigen Schüssen ins Leere erwidern können, im Dorf gab es keinen einzigen Verwundeten oder Toten. In die jähe Stille fielen klagende Laute und halbersticktes Stöhnen vom Vorfeld, da und dort regte sich etwas zwischen den vielen, in grotesken Verrenkungen auf dem Boden liegenden, durchsiebten Leichen. »Cavanaugh!« rief Prescott, »versorgen Sie den einen Anführer, vielleicht ist er zu retten, er lebt noch!« Der Sanitäter rannte hinaus, das ganze Dorf folgte ihm auf dem Fuß. Prescott schätzte die vernichtete kommunistische Einheit auf fünfzig Mann. Aus dem Dschungel kamen Gowins Leute stramm heranmarschiert. Als sie sich dem Gefechtsgelände näherten, löste sich die Einteilung auf, rudelweise rannten sie auf die Toten zu, im Laufen ihre Messer ziehend. Kopfschüttelnd beobachtete Prescott das Gewühl. »Panton! Warum verlassen die Kerle die Deckung? Verdammt noch mal, wie können sie wissen, ob nicht eine zweite Mitkom-Abteilung auf der Lauer liegt, um überraschend loszuschlagen? Wir müssen den Groats bessere Disziplin beibringen. Laut Befehl sollten sie bis zum Einbruch der Dunkelheit in Stellung bleiben und erst dann unauffällig zurückkommen!« Panton nickte. »Jawohl, Sir. Das habe ich ihnen mehrmals eingeschärft. Die Sergeanten übrigens auch. Aber ich glaube, es ist ihnen nicht auszutreiben, daß sie immer sofort herauskommen, wenn es zu knallen aufhört, um nachzusehen, wie viele Guerillas sie umgelegt haben. Erst wenn sie dabei einmal in eine Falle gehen, werden sie vorsichtiger werden.« »Was tun sie dort draußen?« fragte Mike, der zu den -242-
Offizieren getreten war. Prescott berichtete: »Als der dritte Amerikaner unserer Einheit in einem Hinterhaltsgefecht gefallen war, beschloß einer meiner Vorgänger hier, Major Talltree, den Groats einen besonderen Anreiz zu geben, damit sie möglichst viele Mitkoms aufstöbern und erledigen. Talltree ist zu drei Viertel Indianer, er hat Gowin und dessen Leute die edle Kunst des Skalpierens beigebracht. Für einen Skalp bekommen sie zehn Dollar. Das entspricht einem Monatslohn.« Cavanaugh kniete bereits neben dem schwerverwundeten Guerillaoffizier und untersuchte ihn. »Es steht ziemlich schlecht, Sir«, sagte er zu Prescott. »Können Sie ihn zusammenflicken, Cav?« »Ich glaube schon, Sir. Er wird auf jeden Fall Invalide bleiben, aber sprechen wird er können.« »Das genügt für uns.« Angewidert wandte sich Mike ab, als die Groats über die Leichen herfielen. »Die Gefahr, skalpiert zu werden, war für die Vietkongs die größte Abschreckung, als wir den vietnamesischen Bergbewohnern zeigten, wie es nach alter Indianersitte gemacht wird«, sagte Prescott. »Ich werde die Szene nie vergessen, die sich mir bot, als es zum erstenmal geschah. Am Tag zuvor hatten wir zwei Kameraden aus unserem Special-Forces-Stützpunkt gefunden. Sie waren von den Guerillas zu Tode gemartert worden. Auf die übliche Tour: an den Beinen aufgehängt, den Bauch aufgeschlitzt und glühende Kohlen hineingesteckt, die Hände abgehackt, Schwanz und Eier abgeschnitten und in den Mund gesteckt. Als wir das nächstemal auf Vietkongs stießen, skalpierte unser Sanitäter einige von den Kerlen - und der war kein Indianer! Seither tun es die Bergbewohner, ich glaube, bis heute.« Die Groats von Ba To begleiteten das scheußliche Werk der Milizsoldaten mit lautem, freudigem Gejohle. Das hatten sie -243-
noch nie gesehen, all ihre grausamen Instinkte wurden wachgerufen. Mike seufzte. »Die Welt ändert sich nicht.« Prescott nickte. »Diese Groats haben nun Blut geleckt. Eigentlich bedaure ich, daß sie überhaupt keine Verluste hatten. Nun werden sie glauben, daß alle Gefechte so verlaufen, und werden dann nicht begreifen, wieso es plötzlich Gefallene und Verwundete gibt. Und dieser Tag ist nicht mehr weit, fürchte ich. Die Kommunisten werden bald feststellen, daß ein ganzer Zug Guerillas hier aufgerieben wurde, und dann werden sie versuchen, Ba To zu überrollen.« Nur widerwillig machten sich die Groats schließlich daran, auf Prescotts Befehl mehrere Massengräber auszuheben. Es war sinnlos, ihnen erklären zu wollen, daß im Freien verwesende Leichen für das Dorf eine schwere gesundheitliche Gefährdung bedeuteten. Erst als Johnny Elephant, der sich für seine Trophäensammlung einen Skalp holte, zum Häuptling sagte, Menschenfleisch sei der beste Köder, um Tiger anzulocken, gruben die Groats wie die Besessenen, denn die Bergstämme fürchten den Tiger, er ist einer ihrer schlimmsten Feinde. Prescott, der die Arbeiten überwachte, bemerkte, daß sich unter den Gefallenen etwa zehn Groatkoms befanden. Sie waren nicht skalpiert worden. Nur mit Mühe konnten der Major und Lieutenant Panton die Groats davon überzeugen, daß auch weiterhin größte Wachsamkeit erforderlich sei und die Postenkette sogar verstärkt werden müsse. Das begriffen die Dorfbewohner nicht recht. Sie hatten die Terroristen getötet und in die Erde geworfen, nun wollten sie feiern. Nach langem Palaver erreichte Prescott, daß der geregelte Wachdienst aufrechterhalten wurde und Bemir anordnete, die bewaffneten Männer dürften keinen Schnaps trinken, sondern müßten einsatzbereit bleiben. Der Häuptling fühlte sich nun als Krieger und großer Held und freute sich darauf, in einem neuerlichen Gemetzel wieder seinen -244-
Mut zu beweisen. Prescott verschwieg ihm allerdings, daß beim nächstenmal die Mitkoms die Groats hinschlachten könnten. »Ich glaube, es ist höchste Zeit, daß wir zu Barkuns Jagdhaus zurückfliegen, Mike«, sagte der Major am Abend. »Wir haben unseren Auftrag erfüllt. Panton kann den Laden hier allein in Schwung halten, außerdem ist Johnny Elephant mit dem Häuptling einig. Was meinen Sie?« »In Ordnung. Fordern Sie die U-10 an. Wissen Sie, Charlie, ich muß immer daran denken, daß heute alles ganz anders verlaufen wäre, wenn die Mitkoms über unseren Stützpunkt hier so gut informiert gewesen wären, wie sie es sonst sind.« »Lassen Sie sich eines sagen, Mike - ich habe diese Erfahrung in Vietnam gemacht: Wenn man eine Aktion vor den Kommunisten geheimhalten will, muß man sie auch vor den asiatischen Verbündeten geheimhalten. Hätte ich drüben im Stab einen mituyanischen Offizier als Kommandopartner, dann hätte dieser unweigerlich seinem Vorgesetzten gemeldet, was hier vorgeht. Der Vorgesetzte wiederum hätte dem Provinzchef Bericht erstattet - das hätte schon genügt. Auf einmal wäre aus heiterem Himmel der Feuerzauber losgegangen, mit Granatwerfern, rückstoßfreien Geschützen und Sturmkolonnen das wäre dann das Ende von Ba To gewesen, und uns allen täte sicherlich kein Knochen mehr weh.« Prescott verzog den Mund, als schmecke er Galle auf der Zunge. »Wenn diese Schreibtischhengste in Tuyan zulassen, daß es hier genauso kommt wie in Vietnam - wenn uns diese beschissenen ›Experten‹ auch hier einen Apparat von Kommando-Partnern und damit dieses ganze verdammte Mandarinsystem als Klotz ans Bein binden -, dann schmeiße ich alles hin und ziehe die Uniform aus.« Der Major redete sich immer mehr in Hitze. »Unser Botschafter Whittelsie, der schöne Graukopf, denkt vor allem daran, wo und wie er exotische Weiber ficken kann. Und der General sitzt auf seinem dicken Arsch, läßt markige Tagesbefehle vom Stapel und vertuscht -245-
alles, weil er als Held von Mituyan in Pension gehen will. So wird hier Politik gemacht! Dafür müssen amerikanische Soldaten verbluten!« Er winkte müde ab. »Na, für heute Schwamm drüber... Gute Nacht, Mike.« Mike legte sich auf seine Matte und starrte gedankenverloren ins Dach des Bambuslanghauses, unter dem er nur noch diese eine Nacht zubringen würde.
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18 Erleichtert atmete Mike auf, als Johnny Elephants Landrover durch das Groatdorf rollte, das Prescotts letzter Vorposten bei Banthut war. Er fühlte sich wieder wie gerädert. Der Wagen war mit Groaterzeugnissen beladen, die Mike von Bemir gekauft hatte - ein Schnapskrug, Armbrüste, Messinggongs und einige Becken, die an den Seiten der Karosserie herunterhingen. Das Fell des Tigers, den Johnny Elephant erlegt hatte, war auf dem Dach festgeschnallt. Sie sahen wirklich wie Jäger aus, die mit reicher Beute heimkehrten. In den Metallkisten unter Mikes Füßen waren die gepreßten Rohopiumziegel verstaut. Der Major konnte Mike nicht in einer Militärmaschine nach Banthut fliegen lassen, denn der Flugplatz stand immer unter strenger Kontrolle. Und Cardinez' wichtigste Regel lautete: Niemand, weder ein Journalist noch ein amerikanisches Kongreßmitglied und am wenigsten ein mituyanischer Regierungsbeamter, durfte Mikes Opiumgeschäfte jemals mit den Aktionen des Geheimdienstes im Groatland in Verbindung bringen. Zumindest hatten sie die beruhigende Gewißheit gehabt, daß ein Flugzeug sie die ganze Strecke vom Jagdhaus des Königs bis hierher zu diesem Vorposten begleitete, um Mitkom-Überfälle zu vereiteln. Außerdem zog nur wenige Meilen entfernt eine Patrouille durch den Dschungel und hielt dauernd Funkkontakt mit der Maschine, die mit schweren MGs für Tiefangriffe ausgerüstet war. Nach allem, was Mike auf sich genommen hatte, um den Kommunisten und TrangTi das Opiummonopol zu entreißen, wäre es nun ein schwerer materieller und moralischer Rückschlag, wenn die kostbaren Ziegel den Guerillas in die Hände fielen. Um die Beziehung zum Geheimdienst zu -247-
verschleiern, hatte Mike das Opium auch von seinem eigenen Geld gekauft, das er vorher von seinem Konto bei der Bank in Tuyan abgehoben hatte. Ein bedeutender Teil seiner Barschaft war in den vier Kisten unter seinen Füßen gebunden - Geld, das er nicht verlieren durfte. Über das ganze Gesicht grinsend, erwartete sie Charlie Tiger, als der vollbeladene Landrover, der möglichst auffällig durch die bevölkerten Straßen von Banthut gefahren war, vor seinem Laden bremste. Rasch wurde die Fracht ausgeladen. Vorbeigehende blieben stehen und betrachteten neugierig die seltsamen Dinge. Die vier mit Pantherfellen bedeckten Metallkisten trugen Johnny und Mike zum Tresor in Charlie Tigers Hinterzimmer. Als alles geborgen war, setzten sich die beiden Vettern und Mike zum Tee, den Tochter Nummer drei auf einem Tischchen serviert hatte. »Viele amerikanische Güter zu Provinzchef gekommen«, sagte Charlie schmatzend und schlürfend. »Vielleicht großer Handel, Mr. Mike, jaja.« »Und wir haben das Zeug hier.« Mike wies zum Tresor. »An dieser Menge Rohopium hätte TrangTi bei den Opiumhändlern in Tuyan mehr als 10 000 Dollar verdient. Charlie, in nächster Zeit werden Sie keine großen Wechselgeschäfte für ihn tätigen.« Der Chinese wiegte den Kopf. »Sehr schade!« Es war fast fünf Uhr nachmittags, als Mike ins Hotel zurückkehrte. Er holte seine Post ab, ging in seinen Bungalow und ließ die Wanne mit heißem Wasser vollaufen. Während er darin plätscherte, las er die Briefe. Er lächelte über die wenigen Zeilen, in denen ihm Reverend Maynard dafür dankte, daß Mike zwei bekehrbare junge Groats zu ihm geschickt hatte. Die beiden seien bereits mit Feuereifer dabei, Englisch zu lernen, schrieb der Missionar. Der zweite Brief war ein kurzer Bescheid aus dem Büro des Provinzchefs: Mr. Forrester werde ersucht, sich sofort nach seiner Rückkehr -248-
mit Colonel TrangTi in Verbindung zu setzen. Ein Telegramm mit dem Datum des Tages besagte nur: »Erwarte Sie heute abend im Haus Jasmin. Jack.« Cardinez war also in Banthut! Nun, Mike hatte ihm viel zu erzählen. Frisch gebadet und in sauberen Kleidern begab er sich in die Hotelhalle, um über das einzige vorhandene Telefon die Provinzverwaltung anzurufen. Es war fast sieben Uhr abends. Er hoffte, TrangTi hätte erst am nächsten Tag Zeit. Doch kaum hatte Mike seinen Namen genannt, klickte es in der Leitung, und sofort meldete sich der Provinzchef, der ihn höflich, aber unmißverständlich aufforderte, sogleich in die Villa zu kommen. Fünfzehn Minuten später saß Mike vor TrangTis Schreibtisch und mußte ein Verhör über sich ergehen lassen. »Und Sie wurden niemals von Mitkoms behelligt?« fragte TrangTi ungläubig. »Nie«, erwiderte Mike. »Vielleicht hielten es die Brüder für klüger, mir auszuweichen.« »Mr. Forrester, haben Sie Leute gesehen, die anders gekleidet waren als die Groats - und vielleicht auf der Straße in Richtung Banthut zogen?« »Nein, Colonel, keinen einzigen Menschen.« »Sonderbar.« Der Provinzchef überlegte kurz. »Nun, und wie sehen Sie nun die Möglichkeiten eines systematischen Handels mit den Groats?« »In den Dörfern gibt es nicht viel, was sich verkaufen läßt«, begann Mike ganz harmlos. »Allerdings« - er beugte sich vor, mit Genugtuung bemerkte er, daß der gerissene Mituyaner auf der anderen Seite der Tischplatte zusammenzuckte -, »allerdings habe ich gehört, daß einige der Stämme Opium gewinnen. Haben Sie eine Ahnung, wie die Leute das Zeug verkaufen, Colonel?« -249-
»Was haben Sie gehört?« TrangTis Kugelaugen schienen noch weiter aus den Höhlen zu treten. »Und von wem? Von ihren amerikanischen Special Forces?« »Ach, ich glaube, jeder, der sich einmal da draußen im Bergland umgesehen hat, vermutet, daß viel Rohopium umgeschlagen wird«, antwortete Mike leichthin. »Mr. Forrester!« stieß TrangTi ärgerlich hervor, »wenn Sie glauben, daß ich, der Provinzchef, mir weismachen lasse, daß ein Geschäftsmann Ihres Formats seine Zeit damit verschwendet, unter Mühen und Beschwernissen Groatarmbrüste und Gongs einzuhandeln, dann kommt dies einer Beleidigung gleich!« »Ich kann nicht abstreiten, daß es für mich lukrativ wäre, ins Opiumgeschäft einzusteigen, besonders da die Mitkoms nach und nach alles zerstören, was ich bisher in diesem Land aufgebaut habe«, sagte Mike, ohne sich durch TrangTi aus der Ruhe bringen zu lassen. »Aber ich habe die Erfahrung gemacht, daß es sehr schwer wäre, bei den Groats die richtigen Verbindungen herzustellen. Außerdem bin ich überzeugt, wenn Opium aus dem Land der Groats kommt, dann wird es von einer gut bewaffneten Organisation transportiert. Ein einzelner Mann - sagen wir ich - tut also gut daran, die Finger von dieser heißen Ware zu lassen.« Der Provinzchef musterte Mike mit unverhohlenem Mißtrauen. Zweimal setzte er zu einer Frage an, schien sich aber eines Besseren zu besinnen und schwieg. Mike lehnte sich wieder zurück und wartete ganz gemächlich auf TrangTis nächsten Schachzug. In der Stille des Raumes knisterte die Spannung. Schließlich fragte der Provinzchef: »Machen die amerikanischen Special-Forces-Teams Fortschritte bei ihren Bemühungen, die Groats von den Kommunisten zu isolieren?« »Es scheint zu klappen«, erwiderte Mike vorsichtig. »Besonders die Sanitätsaktionen haben offenbar viel Erfolg. -250-
Jeder Groat, der in ein vom Staat angelegtes Dorf kommt und dort behandelt wird, ist ein lebendiger Beweis für die guten Absichten der mituyanischen Regierung.« TrangTi schüttelte den Kopf. »Nein. Dann glauben die Groats nur, daß die Amerikaner im Kampf gegen das mituyanische Volk auf ihrer Seite stehen.« Mike begriff diese Logik nicht, aber er wollte nicht widersprechen, deshalb schwieg er. Der Provinzchef starrte ihn an. »Hier in der Gebirgsregion wird sich bald manches ändern. Mituyanische Offiziere werden die Aufsicht über die Groatlager übernehmen. Die Amerikaner werden dann nur noch für den Nachschub sorgen.« »Ich hoffe, man wird nur Mituyaner einsetzen, die Verständnis für die Probleme der Groats haben und sie wie Menschen behandeln, nicht wie dreckige Wilde.« »Die Groats werden so behandelt werden, wie sie es verdienen«, erwiderte TrangTi brüsk. »Als Provinzchef habe ich die oberste Entscheidungsgewalt darüber, wie die Groatlager verwaltet werden sollen.« Mein Opiumgeschäft ist beim Teufel, dachte Mike. Und was noch schlimmer ist, die Mitkoms werden dadurch profitieren. »Ein guter Rat, Mr. Forrester: Vergessen Sie nicht, daß ich hier Provinzchef bin«, erklärte TrangTi abschließend. »Wenn Sie geschäftliche Pläne haben, die dieses Gebiet betreffen, dann wäre es günstig, wenn Sie alles mit mir besprechen.« »Ganz meine Meinung, Colonel.« »Wie lange werden Sie noch in Banthut bleiben?« »Das Klima sagt mir zu. Ich habe sogar daran gedacht, meine Frau für einige Tage nachkommen zu lassen.« »Das sollten Sie nicht versäumen.« Im Handumdrehen verwandelte sich TrangTi vom Inquisitor in den liebenswürdigen Gastgeber. »Es wäre mir ein Vergnügen, Mrs. -251-
Forrester kennenzulernen. Mittlerweile werde ich mir überlegen, wie Sie Geschäftsverbindungen anbahnen könnten, die Ihrem Rang als international anerkannte Persönlichkeit des Wirtschaftslebens angemessen sind, Mr. Forrester. Sobald ich persönlich das Groatgebiet besser unter Kontrolle habe - das wird in den nächsten zwei oder drei Monaten der Fall sein -, werden wir vielleicht verschiedene Themen erörtern können.« Nun bin ich wieder im Opiumgeschäft, noch dazu mit einem neuen Partner, dachte Mike. Die Ironie der ganzen Situation war fast erheiternd. »Ich danke Ihnen, Colonel.« Er ließ sich direkt zum Haus Jasmin fahren. In der Bar blickte er sich um, und da er Jack Cardinez nicht sah, ging er auf eine der abgeschlossenen Logen zu, in denen man völlig ungestört war. Er setzte sich und bestellte bei der mituyanischen Hosteß einen Drink. Lässig kam Susie herangeschlendert. »Hallo, Mike.« Sie schob ihm einen schmalen Papierstreifen zu. »Haben Sie einen besonderen Wunsch? Wollen Sie vielleicht nach oben gehen?« Sie kniff ein Auge zu und strich mit beiden Händen verlockend über die helle Seide ihres Kleides, das sich knapp um ihren schönen Busen spannte. »Im Moment bin ich wunschlos glücklich, Susie.« Er griff nach dem kleinen Blatt und warf einen Blick darauf. »General Dandig traf gestern abend in Banthut mit Li Phang und anderen buddhistischen Würdenträgern zusammen«, las er. Er lächelte die Mituyanerin an. »Danke, Susie.« Sie nickte und rauschte davon. In Zivil betraten Cardinez und Colonel Lawton das Lokal und setzten sich zu ihm. »War die Woche einträglich?« fragte Cardinez. »Wir hatten Glück. Alles hat geklappt. Die Organisation läuft schon. Und an Rohstoff schein kein Mangel zu sein. An diesem Tisch können wir doch offen reden, oder?« fügte er hinzu. -252-
»An jedem Tisch, an jedem Bett und sogar an der Bar gibt es Abhörgeräte«, sagte Cardinez fröhlich. »Aber Sie können ganz ohne jede Zurückhaltung sprechen, Mike. Die ganze Anlage gehört uns.« »Um es kurz zu machen: Das Geschäft geht schief, bevor ich noch richtig angefangen habe.« »Wieso?« entfuhr es Lawton. »Ich hatte eine Unterredung mit TrangTi. Er sagte, daß jedes US-Special-Forces-Lager im Groatgebiet bald dem Kommando der Mituyaner unterstellt werden wird.« Cardinez nickte mit steinernem Gesicht. »Das versuchen die Kerle. Dann können wir mit unseren Aktionen einpacken. Ich wehre mich dagegen, aber KaritKi und Tarot bestehen darauf. Unsere eigenen Leute, allen voran natürlich der Botschafter, haben zugestimmt.« »Dann hat die Glückssträhne also nur eine Woche angehalten. Es sieht ganz so aus, als hätten die Kommunisten und TrangTi wieder das Heft in der Hand. Übrigens, ich habe einige Souvenirs für Sie, Jack. Charlie Prescott meinte, die könnten uns in unserem privaten Untergrundkampf gegen den Palast und das Country Team nützlich sein.« Mike griff in die Tasche und zog ein Bündel Geldscheine heraus, die er auf den Tisch legte. »Das da und eine Menge Papiere, die nun draußen im Jagdhaus des Königs überprüft werden, haben wir gefallenen Mitkoms abgenommen. Können Sie Mituyanisch lesen?« Cardinez, der die Noten genau betrachtete, nickte. »So halbwegs, aber ich kann leider nicht alles übersetzen, was auf diesen Scheinen steht.« »Jeder dieser Tausendmetascheine der Mitkoms ist gegen hundert Gramm Opium einzulösen«, erklärte Mike. »Das heißt, das Opium ist die Basis dieser Währung. Und die Umrechnung -253-
stimmt haargenau. Fünfzig Dollar für das Pfund ist der Handelspreis in Tuyan. Demnach kostet eine Unze etwas über drei Dollar, und hundert Gramm Rohopium kosten zehn Dollar oder tausend Meta.« Cardinez drehte das Mitkom-Geld nach allen Seiten. »Ich habe schon davon gehört, aber es ist das erstemal, daß ich solche Zertifikate sehe.« Er zuckte die Schultern. »Wenn Whittelsie und sein Team ihre politische Klugheit so weit treiben wollen, daß wir dem Feind helfen, seine Währung zu stützen...« »Ich nehme an, Ihre Leute haben Ihnen gemeldet, daß die buddhistischen Bonzen hier zusammenkamen und daß Lawtons Freund General Dandig mit ihnen gesprochen hat.« Der Geheimdienstmann lächelte. »Das ist bekannt. Übrigens Fritz wird in einigen Tagen in Tiking sein. Wollen Sie auch hinkommen, Mike?« »Ich würde gern nachsehen, was auf meiner Kautschukplantage los ist - das heißt, wenn mich die Agency im Moment entbehren kann.« »Leider nicht. Es wäre gut, wenn Sie nach Tiking kämen.« »Darf ich wissen, warum?« »Es hat keinen Sinn, Sie mit überflüssigen Informationen zu belasten, Mike. Sagen wir nur soviel: Fritz will in Tiking eine neue Taktik einschlagen, und dazu werden wir Sie möglicherweise brauchen.« »Okay. Ich werde meine Frau in Tuyan abholen.« »In Ordnung. Das Dinner lassen wir uns im Oberstock servieren. Dabei können Sie uns einen ausführlichen Bericht über die Situation bei den Groats geben.« »Weil es mir gerade einfällt, Jack, haben Sie etwas dagegen, wenn ich in Tuyan diesem Grady Rourke einmal auf den Zahn fühle?« »Weswegen?« -254-
»Als Privatmann und amerikanischer Bürger würde es mich interessieren, warum er zuläßt, daß so viele Versorgungsgüter der Entwicklungshilfe einfach ›verteilt‹ werden - gestohlen ist wohl das richtige Wort. Wenn er endlich einmal selbst...« Cardinez ließ ein verächtliches Schnauben hören. »Vorsicht! Überlegen Sie genau, was Sie ihm sagen. Wenn Sie durchblicken lassen, daß wir über TrangTis krumme Touren Bescheid wissen, wird Rourke es Branot brühwarm weitererzählen, und dann wird unsere gesamte Groataktion abgeblasen werden. Die Kerle stecken doch alle unter einer Decke.« Schweigend starrte Mike auf die schmierigen, zerknitterten Geldscheine nieder, dann schob er sie wieder in die Tasche. Cardinez' durchdringende blaue Augen blickten ihn ruhig an. »Ich wünsche nicht, daß Sie zu irgendeiner amerikanischen Behörde oder zu Privatpersonen über die Dinge sprechen, die Sie gehört und gesehen haben oder vermuten. Auch nicht zu Ihrer Frau. Ist das klar?« Mike nickte. »Gehen wir nach oben. Ich habe seit acht Tagen nichts Anständiges gegessen.«
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VIERTER TEIL DIE FELSENINSEL
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19 Roger Krakhaur und Alana winkten Luna Forrester nach, die in ihrem Wagen auf der schwach erleuchteten Straße davonfuhr. »Luna ist ein feiner Kerl. Es ist die beste Lösung, wenn du an Bord der Promise wohnen kannst, solange du in Tiking bist«, sagte Roger, als er mit dem Mädchen zum Haus zurückging. »Ich werde mich zweimal am Tag über das Funkgerät des Schiffes bei dir melden - das verspreche ich.« Es klang wie ein Zugeständnis, zu dem sich Alana erst nach langen Erörterungen hatte bewegen lassen. »Du hast mir auch versprochen, daß du nicht unvorsichtig sein wirst. Also keine Extratouren!« schärfte er ihr ein. »Wenn Poramat Verdacht schöpft, daß du Material gegen ihn sammelst, könnte er sehr unangenehm werden.« »Ich werde schon aufpassen, Roger.« »Geh jetzt schlafen, du hast morgen einen langen Tag vor dir, dein Flugzeug startet ganz zeitig.« Die Schlafräume waren im ersten Stock. In den drei Wochen, seit Alana in der Villa wohnte, hatten sie sich immer mit einem Gutenachtkuß vor der Tür getrennt. Nun betrat Alana ihr Zimmer, wandte sich aber noch einmal um. »Du wirst mir fehlen.« »Bleib nicht lange in Tiking«, sagte er. »Ich brauche dich hier.« Er umschlang sie und bedeckte ihr Gesicht mit leidenschaftlichen Küssen. »Roger, du weißt...« Sie entzog sich den stürmischen Liebkosungen. »Ja, ich weiß, aber ich liebe dich so.« »Ich liebe dich auch, aber es ist nicht richtig.« Sie beugte sich in seinen Armen zurück und blickte ihm fest in die Augen. -257-
»Jeder glaubt, daß wir schon ganz zusammengehören, nur wir beide wissen, daß es nicht so ist...« »Ja, ja«, antwortete Roger, nicht sonderlich begeistert. »Aber wenn du willst, heirate ich dich morgen.« »Nicht morgen, aber sobald als möglich...« Er ließ sie los. »... Ich muß meine Mutter und meinen Stiefvater um Erlaubnis bitten.« »Bildet sich der Kerl womöglich ein, daß er noch immer von dir Geld kriegen sollte?« Sie legte ihm die Finger auf den Mund. »Ich werde alles mit meinen Eltern besprechen, bevor ich nach Tiking fliege. Wenn ich zurückkomme, wird alles geklärt sein, glaube mir, Roger.« Widerwillig zog er sich aus ihrem Schlafzimmer zurück. »Dann sehen wir uns also noch morgen früh.« »Du verstehst mich, Roger, nicht wahr?« Ängstlich sah sie ihn an. »Ich will, daß alles klar und geordnet ist, wenn wir heiraten. Ich habe miterlebt, wie schwer alles sein kann.« Ihre Stimme wurde leise. »Meine Mutter...« Roger schämte sich, weil er sie bedrängt hatte. »Natürlich verstehe ich dich, Liebling. Verzeih.« »Es gibt nichts zu verzeihen. Ich liebe dich. Gute Nacht.« Als Alana am nächsten Morgen auf dem Flugplatz von Tiking aus der DC-3 der Air Mituyan stieg, fielen ihr die beiden Männer mit Sonnenbrillen nicht auf. Es waren Mituyaner in Sporthemden und leichten hellen Hosen. Sie bemerkte auch nicht, daß ein Jeep dem Taxi folgte, in dem sie sich zum Kai fahren ließ, wo die Promise vor Anker lag. Captain Batki erwartete Alana an Bord. Sie begab sich sofort in den Funkraum, peilte Krakhaur an und meldete ihm ihre Ankunft. Nach einem raschen Imbiß fuhr sie in einem Taxi zur Universität, besuchte einige ihrer alten Studienkolleginnen und -258-
begann dann mit dem Sammeln von Material. Am Spätnachmittag war sie mit ihrer Arbeit in der Universität fertig und nahm wieder ein Taxi. Und da sah sie den Jeep, der ihr nachfuhr. Die beiden Männer beobachteten Alana, als sie an Bord der Jacht ging. Auch Batki hatte die verdächtigen Zivilisten erblickt. »Das sind Agenten von Poramats Sonderpolizei«, sagte er. »Verständigen Sie Mr. Krakhaur.« »Das werde ich tun«, versprach sie. Doch sie wollte Roger nicht beunruhigen. Als sie sich am Abend per Funk wieder mit ihm in Verbindung setzte, verschwieg sie, daß sie beschattet wurde. Der nächste Vormittag verging mit Interviews in der Universität. Um zwölf Uhr trat Alana wieder auf die Straße und sah sich nach einem jener gelben Volkswagen um, die in Tiking als Taxis verwendet wurden. Da bremste knapp vor ihr eine schwarze Limousine, ein Mann mit Sonnenbrille stieg aus und packte sie beim Arm. »Kommen Sie, wir bringen Sie zurück«, sagte er. Sie versuchte sich loszureißen, wollte um Hilfe rufen, aber der Fremde legte ihr die Hand vor den Mund und schob sie grob durch die geöffnete Tür in den Fond. Einige Studenten wurden Zeugen des Vorfalls, doch keiner wagte es, ihr beizuspringen. Nur Poramats Polizei fuhr schwarze amerikanische Limousinen. »Wohin bringen Sie mich?« rief Alana, die zwischen ihren beiden Entführern eingepfercht war. Statt einer Antwort betastete der eine Agent ungeniert ihre Brüste, der andere ließ die Hand unter ihren Rock gleiten. Als Alana sich voll Ekel wehrte, grinsten die beiden nur. »Lassen Sie mich, ich bin ein anständiges Mädchen!« schrie sie Empört und schließlich schluchzend beteuerte sie ihre Jungfräulichkeit, als die Geheimpolizisten noch immer an ihrem Busen und ihren Schenkeln herumfingerten. Der Straßenkreuzer -259-
fuhr beim Sitz des Provinzchefs vor. Sofort ließen die Häscher Alana los. Sie stiegen aus, nahmen sie in die Mitte, führten sie über die Steintreppe in das Gebäude und brachten sie in ein Büro im ersten Stock. Nicht einmal ein Ruhebett und eine Klimaanlage fehlten in dem modern eingerichteten Raum. Ein schielender Mann mit bleistiftstrichdünnem Schnurrbart trat ein. Auf den Achselklappen seiner Uniform blinkten die Rangabzeichen eines Lieutenant-Colonel. Er stellte sich als Provinzchef Colonel Yunakit vor. Ohne Umschweife begann er Alana mit Fragen über den Zweck ihres Aufenthalts in Tiking zu überschütten. Sie erwiderte, sie wohne auf der Jacht eines befreundeten Ehepaares namens Forrester und trage sich mit dem Gedanken, wieder an der Universität zu inskribieren. Daß sie für Krakhaur arbeitete, erwähnte sie nicht. »Warum haben Sie dann gestern nachmittag einige Professoren aufgesucht und heute vormittag mit einem Führer der Studentenunion gesprochen, um zu erfahren, wie viele Verhaftungen pro Woche auf Mr. Poramats Betreiben durchgeführt würden?« »Es hat mich interessiert«, antwortete Alana. »In Tuyan kursieren solche Gerüchte.« Empört funkelte sie den Provinzchef an. »Sie haben kein Recht, mich hier festzuhalten. Ich bin eine freie mituyanische Bürgerin. Ich verlange, daß ich mit meiner Freundin Mrs. Forrester in Tuyan telefonieren kann.« »Wollen Sie nicht lieber den Journalisten Krakhaur anrufen?« Yunakit beugte sich vor, Alana bemerkte, daß er sie mit den Augen verschlang. Lähmendes Entsetzen befiel sie, doch sie hatte sich noch immer in der Hand. »Sie sind hierhergekommen, um ihm Material für seine Hetzartikel zu liefern«, schleuderte er ihr entgegen. »Ich kenne Mr. Krakhaur«, gab Alana zu. »Ebenso wie alle anderen amerikanischen Korrespondenten. Ich habe an der -260-
Universität Publizistik studiert.« »Sie werden uns zu gegebener Zeit alles sagen«, zischte der Provinzchef. »Sie werden für uns eine schriftliche Anzeige gegen Krakhaur abfassen und darin die Gründe anführen, warum er in der amerikanischen Presse sensationelle Lügen veröffentlicht.« »Davon weiß ich nichts!« schrie Alana. Yunakit stand auf, packte das Mädchen bei den Schultern und glotzte ihr geil in den Ausschnitt des Kleides. Mit einer Handbewegung entließ er die beiden Polizeiagenten, doch der eine trat heran und sagte so laut, daß es Alana hören konnte: »Colonel, sie behauptet, noch Jungfrau zu sein. Wenn das wahr ist, sollte Mr. Poramat verständigt werden.« Er grinste vielsagend. Der Provinzchef trat unwillkürlich einen Schritt zurück. »Du hast recht«, erwiderte er etwas ernüchtert. »Wenn es stimmt, werden wir belobigt werden«, drängte der Mann. »Wartet«, sagte Yunakit zu den beiden, Alana beim Arm ergreifend. »Kommen Sie mit. Wir fahren zu Mr. Poramat. Vielleicht können Sie ihn davon überzeugen, daß Sie nichts mit Krakhaurs staatsfeindlichen Umtrieben zu tun haben.« Erleichtert atmete Alana auf. Immerhin war Poramat der Bruder des Premiers, von ihm war mehr Verständnis und Überlegenheit zu erwarten. Sie betete im stillen, daß sie sich nicht täuschen möge. Willig ging sie mit Yunakit und den beiden Geheimpolizisten wieder zu der schwarzen Limousine hinunter. Während der Fahrt zu Poramats Amtssitz fragte der Provinzchef sie weiter über ihre Beziehungen zu der amerikanischen Presse aus. Immer wieder kam er darauf zurück, Alana sei nicht nur die Mitarbeiterin, sondern auch die Geliebte Krakhaurs. Entrüstet verwahrte sie sich gegen solche Anwürfe und wiederholte, sie habe sich noch niemals einem Mann hingegeben. -261-
»Wir werden bald feststellen können, ob Sie die Wahrheit sprechen«, sagte Yunakit, als sie das streng bewachte Gebäude betraten und die Treppe hinaufgingen. Die Posten öffneten die Doppeltüren, Alana wurde als erste in den Raum gestoßen, der Provinzchef und die beiden Agenten folgten ihr auf den Fersen. Instinktiv spürte Alana, daß Yunakit und die Geheimpolizisten einander mißtrauten und bis zu einem gewissen Grad fürchteten - in Poramats Machtapparat nichts Ungewöhnliches, wie sie wußte. Der unumschränkte Herrscher der nördlichen Region von Mituyan wartete bereits. »Exzellenz«, begann Yunakit, »diese junge Dame, fast noch ein Mädchen« - er lächelte vielsagend »wurde von zwei unserer fähigsten Beamten verhaftet.« Die Genannten strafften sich voll Stolz und verharrten in strammer Haltung. »Sie hat in der Universität Befragungen darüber durchgeführt, wie Sie, Exzellenz, die Provinzen Ihres Bereiches verwalten. Es ist uns bekannt, daß Miß Alana enge Verbindungen zur amerikanischen Presse hat, vor allem zu dem notorischen Hetzer Roger Krakhaur.« Poramat nickte interessiert, seine kleinen Augen tasteten Alanas Körper ab. Sie erschauerte, plötzlich war ihr klar, daß sie von KaritKis Bruder kaum Gnade erhoffen durfte. »Wurde sie schon verhört?« »Ich dachte... wir dachten, daß zuerst Sie ihr einige Fragen stellen wollten, Exzellenz. Sie ist sehr jung und hat, wie sie angibt, keine Erfahrungen mit Männern. Deshalb glaube ich, daß Sie, Exzellenz, berufener sind als wir, diesen Fall zu behandeln.« »Sehr klug gedacht, Colonel.« Er nickte den beiden Geheimpolizisten anerkennend zu. »Wenn ich mit dieser jungen Dame gesprochen habe, werde ich Sie wieder rufen lassen.« Yunakit schob die beiden Agenten vor sich her und schloß von -262-
außen die Tür. Kaum waren sie allein, stand Poramat hinter seinem Schreibtisch auf und trat auf Alana zu. Sein glattes, rundes Gesicht, seine kleinen, stechenden Augen, der rohe Zug um die wulstigen Lippen, all das erfüllte sie mit Angst und Abscheu - aber sie versuchte, ruhig zu bleiben. »Sie sind also hier, um mich in Krakhaurs Auftrag zu bespitzeln«, begann Poramat ohne Groll. »Eigentlich bin ich gar nicht so interessant.« »Ich will niemanden bespitzeln«, erwiderte Alana sehr bestimmt. »Wir müssen den Dingen auf den Grund gehen«, sagte er. Ohne Unterlaß glitten seine abschätzenden Blicke über ihr Gesicht und ihre Figur. »Ich will die Wahrheit wissen. Sie sind viel zu jung und zu hübsch, um von Colonel Yunakits Leuten verhört zu werden. Sie brauchen mir nur alles zu sagen und ein kurzes, unbedenkliches Geständnis zu unterschreiben, und Sie werden zu einer mituyanischen Nationalheldin. Geben Sie uns die Handhabe, diesen Krakhaur auszuweisen! Wir wissen doch, daß Sie für ihn arbeiten!« »Ich habe für viele amerikanische Journalisten gearbeitet«, gab Alana zurück. »Außerdem bin ich eine persönliche Freundin von Madame Mayna«, fügte sie hinzu. Sie wußte, daß sie damit sehr viel wagte. Alana kannte Mayna und hatte sogar einen sehr positiven Artikel über sie geschrieben, der dann in den ›Mituyan Daily News‹ erschienen war, doch Tarots Frau war nun auch über Alanas Beziehungen zu Roger sehr genau informiert. Dennoch, vielleicht würde es Mayna, deren Dankbarkeit in Tuyan fast sprichwörtlich war, nicht zulassen, daß ihr Schwager... Poramat betrachtete sie schweigend. Klar und fest klangen Alanas Worte durch den Raum. »Es wäre günstig, wenn Sie Madame Mayna anrufen würden, bevor Sie mich einem Verhör unterziehen.« Sie wußte selbst nicht, -263-
woher sie die Selbstbeherrschung nahm, um diesen gefährlichen Menschen über ihre Furcht hinwegzutäuschen. Poramat nickte und griff nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch. »Ich habe eine direkte Leitung zum Palast, sie wurde vor einigen Wochen von amerikanischen Technikern gelegt.« Mit wachsendem Entsetzen starrte Alana auf den dicken Zeigefinger, der die Wählscheibe drehte. Krampfhaft versuchte sie sich selbst zu suggerieren, daß Mayna sie retten würde. Die Telefonzentrale im Palast meldete sich und schaltete das Gespräch sofort auf die Klappe in Maynas Appartement. »Nun drücke ich auf diesen kleinen Knopf auf diesem kleinen schwarzen Kasten, und Sie werden selbst hören, was Mayna sagt.« Vielfach verstärkt tönte aus dem Lautsprecher ein Knistern und gleich darauf das Signal. »In der Politik sind die Amerikaner wie die Kinder, aber auf technische Geräte verstehen sie sich.« Schneidend drang Maynas vertraute hohe, etwas affektierte Stimme über die weite Entfernung von Tuyan deutlich in den Raum. Alana zuckte zusammen, was Poramat zu einem glucksenden Lachen reizte. Nach einigen gleichgültigen Höflichkeitsfloskeln kam er zur Sache. Alana ließ er dabei keine Sekunde aus den Augen. »Wir haben eine junge Dame namens Alana angehalten. Sie sagt, daß sie mit dir befreundet ist. Wir vermuten, daß sie im Auftrag des amerikanischen Journalisten Krakhaur nach Tiking kam. Nach unseren Erhebungen sammelt sie Material, das dieser Mr. Krakhaur dann propagandistisch verzerrt in seinen regierungsfeindlichen Artikeln auswerten will. Was weißt du von Miß Alana?« »Sie arbeitet für Krakhaur, das ist richtig«, erwiderte Mayna. »Ich wollte dich nur fragen, was ich mit ihr tun soll.« »Was willst du mit ihr tun?« Auf diese Worte folgte ein -264-
Geräusch, das wie ein leises Lachen klang. »Ich möchte ein Geständnis von ihr. Sie soll erklären, daß Krakhaur sie verführte und ihr viel Geld gibt, damit sie seine Mätresse blieb. Außerdem soll in dem Dokument stehen, daß sie sich sensationelle Falschmeldungen ausdachte, um ihm gefällig zu sein und weil er sie gut bezahlt.« Poramat zögerte. »Aber wenn du willst, daß ich Miß Alana auf freien Fuß setze, werde ich natürlich sofort ihre Enthaftung anordnen.« »Tarot wird sich über die Gesinnung seines Bruders sehr freuen. Doch es ist besser, wenn wir im Palast die Anklage gegen Krakhaur formulieren. Das wird wirksamer sein. Alana kann dann unterschreiben. Tarot wird dir das Schriftstück noch heute abend durch einen verläßlichen Kurier senden. Ich werde von den Amerikanern dafür ein Flugzeug anfordern.« »Dann bist du also nur daran interessiert, daß das Mädchen dieses Geständnis unterschreibt?« fragte Poramat mit deutlicher Betonung auf jedem Wort. »Ja... laß sie übrigens schön grüßen.« »Nein, nein!« rief Alana. »Bitte nicht!« »Ist das Alana?« fragte Mayna. »Ja. Sie ist in meinem Büro.« »Immerhin ist sie nach Tiking geflogen, um sich Informationen zu beschaffen, und da glaube ich, du bist der richtige Mann, um sie über alles aufzuklären.« Mayna kicherte. »Auf Wiedersehen, lieber Schwager.« Poramat legte den Hörer auf und trat auf Alana zu. Zitternd klammerte sie sich an ihrem Stuhl fest. Er strich ihr über die Wange. »Es ist alles nicht so schlimm. Wenn Sie die Anzeige gegen Krakhaur unterschrieben haben, sind Sie frei.« Er beugte sich ganz nahe zu ihr, sie sah, wie der Adamsapfel in seinem dicken Hals auf- und niederhüpfte. Dann spürte sie seine Hände, die sich in ihrem jungen, prallen Fleisch -265-
verkrallten. Poramat riß sie in die Höhe, zog die Widerstrebende mit sich durch eine kleine Tür in einen Nebenraum. Plötzlich stolperte Alana und fiel auf eine riesige, dicke Matratze. »Alles ist viel leichter, wenn du dich nicht wehrst«, flüsterte Poramat heiser. Doch sie wehrte sich, wehrte sich mit aller Kraft, stieß ihm die Fäuste vor die Brust, stemmte sich gegen seine widerliche Umarmung. Aber schließlich warf er sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie, mit raschen Griffen hatte er seinen locker sitzenden Anzug geöffnet, keuchend und stöhnend fetzte er Alana die Kleider vom Leib. Schon hatte er die Hand zwischen ihren Schenkeln und zwang sie roh auseinander. Als er merkte, daß Alana wirklich noch unberührt war, steigerte sich seine Erregung zu tierischer Ekstase. Mit Gewalt zwängte er seine breiten Hüften zwischen ihre Schenkel, in rasendem Schmerz schrie sie gellend auf. Ehe sie erlahmte, wand sie noch einmal mit einem Ruck Kopf und Schultern unter der schweren Last hervor, nun hatte sie Poramats Ohr dicht vor sich, und ohne zu wissen, was sie tat, schlug sie ihm die Zähne ins Ohrläppchen und biß es fast ganz durch. In diesem Augenblick drang Poramats Glied tief ein und entlud sofort in zuckenden Stößen den Samen in ihren Körper. Zuerst schien er in seiner Ekstase den Biß nicht zu spüren. Doch dann fühlte er jählings den tobenden Schmerz. Seine Hand fuhr ans Ohr, als er sie blutbefleckt zurückzog, schlug er Alana brutal ins Gesicht. Die eine Hand an die verletzte Ohrmuschel gepreßt, zog er mit der anderen die leichte Seidenhose über seinen fetten Wanst hinauf. Das nackte blutende Mädchen ließ er achtlos auf der Matratze liegen, watschelte eilig in sein Büro hinüber zum Telefon und ließ einen Arzt holen. Am selben Abend wurde Alana, noch im Dämmerzustand ihres Schocks, von Yunakit und den beiden Geheimpolizisten, die sie entführt hatten, mißbraucht. Erst dann begann das wirkliche »Verhör«. In Alanas Geist verschmolz alles qualvolle Geschehen zu -266-
einem einzigen, nicht enden wollenden Wechsel von klaren Momenten und Augenblicken getrübten Bewußtseins. Jeder der Männer, die sie verhörten, verging sich an ihr. Sie fiel in tiefe Ohnmacht, kam wieder zu sich und sah, daß sie nackt auf einer Bank lag. Neben ihr hockte ein Wachtposten, der eifrig an den Handgriffen eines Generators kurbelte. Plötzlich schoß ihr ein brennender Stromstoß durch die Glieder, glühende Nadeln bohrten sich in ihre Schädeldecke, ihr Körper bäumte sich auf. Sie hörte sich kreischen. Der Polizeisoldat hatte mit zwei Elektroden ihre Brustwarzen berührt, knisternd zuckten blaue elektrische Funken über ihre Haut. Wieder überschüttete sie einer von Yunakits Folterknechten mit Fragen. Lallend stieß sie abgerissene Worte hervor, jene Worte, an die sich ihr zermartertes Gehirn von Poramats Telefongespräch mit Mayna erinnerte. Alles, alles wollte sie sagen, um nur den grauenvollen Torturen zu entgehen. »Bitte... laßt mich unterschreiben«, stöhnte sie. »Hat der Amerikaner Krakhaur dich gezwungen, gegen die Regierung zu arbeiten? Hat er unwahre Berichte an die amerikanische Presse weitergegeben und dich gezwungen, sie zu bestätigen?« »Nein!« schrie Alana. Dann, zu spät, leise: »Ja... ich habe für ihn... gelogen.« Und wieder die Elektroden. Halb besinnungslos warf sie sich auf der Bank hin und her. Die Tür des Raumes wurde geöffnet, Yunakit trat ein. »Die Anzeige gegen Krakhaur ist da. Wirst du nun unterschreiben, du Luder?« »Ich... unterschreibe...«, röchelte Alana. »Zuerst lese ich dir den Text vor.« »Ich unterschreibe«, flüsterte sie, streckte mühsam die gefesselten, zerschundenen Hände nach dem Blatt aus. »Losbinden!« befahl Yunakit. -267-
Als Alana die Hände frei hatte, faßte sie der Provinzchef bei den Schultern und setzte sie auf. Dann hielt er ihr eine aufgeschlagene Mappe hin, darin lag das schriftliche Geständnis, auf englisch säuberlich mit der Maschine getippt. Alana griff nach der Feder, doch sie entglitt den schlaffen Fingern und kollerte auf den Boden. Die Mappe in der einen Hand, packte Yunakit Alana am Oberarm. Kaum stand sie schwankend auf den Beinen, knickten ihr die Knie ein. Roh riß der Provinzchef die Taumelnde hoch und schleppte sie aus der Zelle in einen kleinen Raum mit Klimaanlage, mehreren Pritschen und einem Waschbecken - das Quartier der Wachmannschaft. Yunakit ließ das Mädchen auf eine der Pritschen fallen, sagte ihr, sie solle nun schlafen, und deckte sie mit einem dünnen, verdreckten Kotzen zu. In derselben Sekunde verlor Alana das Bewußtsein. Sie wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war, als sie erwachte. Ein Polizeisoldat brachte ihr eine Schale voll warmer Reissuppe und stützte sie, damit sie trinken konnte. Dabei betrachtete er mit gierigen Blicken Alanas schönen nackten Körper, den er so verlockend nahe vor sich hatte. Doch er verschwand, ohne sie anzurühren. Als Yunakit wieder kam, hatte sich Alana soweit erholt, daß ihre Hände nicht mehr von konvulsivischem Zucken geschüttelt wurden. »Jetzt kannst du unterschreiben«, sagte er brüsk. »Werde ich dann freigelassen?« »Von mir aus kannst du gehen, aber ich muß warten, bis Poramat die Erlaubnis gibt«, entgegnete er. Ohne auch nur ein Wort des Textes zu lesen, setzte Alana mit zitternden Fingern in unsicheren, doch halbwegs leserlichen Schriftzügen ihren Namen auf das Blatt. Als auch alle Durchschläge unterschrieben waren, nickte der Provinzchef befriedigt, drehte sich um und wollte den Raum verlassen. »Bitte... bin ich jetzt frei?« flehte Alana. »Ich muß diese Dokumente Poramat übergeben. Mittlerweile wirst du in eine andere Zelle gebracht.« -268-
»Ich will fort... nur fort!« schrie Alana. Ein höhnisches Lächeln der schmalen Lippen unter dem schmalen Saum des Schnurrbarts war die Antwort. Yunakit hatte schon die Tür von außen geschlossen, als Alana wieder auf die Pritsche zurückfiel. Neuerlich stürzte sie in Dunkel und Vergessen. Nach einer Ewigkeit tauchte sie wieder ins Leben empor und fand sich in einer anderen Zelle, von deren Wänden das Wasser rann. Ein Unbekannter stand vor ihr. Sogar in diesem düsteren Gelaß trug er eine Sonnenbrille. »Du hast Poramat tätlich angegriffen und schwer verletzt. Er hat daher befohlen, dich weiterhin zu verhören und dann auf die Felseninsel zu deportieren.« Die Worte brachen durch Alanas dumpfes Denken bis ins innerste ihres Seins. Verhör, Felseninsel... Verhör, Felseninsel... Das war die völlige Vernichtung. »Wir wissen, daß du uns vieles verschweigst«, sagte Poramats Agent drohend. »Ich habe doch unterschrieben!« schrie Alana, fast von Sinnen. Zwei Polizeisoldaten kamen herein, rissen sie hoch, schleiften sie durch einen dunklen Gang und stießen sie in einen anderen Raum. Von dem Gestank in der Zelle wurde Alana übel. Brechreiz würgte sie in der Kehle. Dann sah sie, daß zwei Wachen und ein Geheimpolizist mit einer jungen Frau beschäftigt waren, die, nach dem Zustand ihrer Kleidung zu urteilen, offenbar erst vor kurzem eingeliefert worden war. »Kennst du dieses Mädchen?« fragte der Agent Alana. Sie schüttelte nur den Kopf. »Wir sind davon überzeugt, daß sie der kommunistischen Untergrundbewegung der Universität angehört. Keine Sorge, wir kriegen es aus ihr heraus!« Die Fremde lag auf eine Bank festgeschnallt. In trotzigem Schweigen starrte sie zu ihren Häschern empor. Der Geheimpolizist, ein Mann in einem peinlich sauberen weißen -269-
Anzug, beugte sich über sie und stellte seine erste Frage. Alana hörte die Entgegnung des Mädchens, sie arbeite in Tiking und besuche nur einige Vorlesungen. An einer Studentendemonstration habe sie lediglich aus Solidarität mit den Kollegen teilgenommen. Unversehens hob einer der Folterknechte einen Eimer voll Unrat auf und schüttete ihr einen Schwall des Inhalts ins Gesicht. Ein zusammengeballter großer Bausch aus porösem Gewebe wurde ihr auf Mund und Nase gepreßt, der Wächter goß nochmals Menschenkot über sie. Verzweifelt rang das Mädchen nach Atem. Als sie fast das Bewußtsein verloren hatte, wurde der durchtränkte Knebel entfernt. Keuchend sog die Gefolterte die verpestete Luft ein. Wieder hämmerte der Mann im sorgfältig gebügelten weißen Anzug mit seinen Fragen los, und wieder wurde die abscheuliche Tortur vollzogen. »Du kommst als nächste dran«, versicherte mit sadistischer Freude der Geheimpolizist der vor Angst und Ekel schlotternden Alana. Schließlich konnte das andere Mädchen nicht mehr sprechen, die Wächter schleppten das halb bewußtlose menschliche Wrack aus der Zelle. Der Inquisitor näherte sich Alana, die schreiend zurückwich. Derb packten er und der eine seiner Helfer die bis zum Wahnsinn Verstörte und schleuderten sie auf die Bank. Doch in diesem Augenblick trat ein tadellos gekleideter Offizier der Armee ein, das parfümierte Taschentuch vor der Nase. »Sofort gründlich reinigen und ankleiden!« befahl er. »Eine Infanterieeinheit ist aus den Bergen zurückgekommen. Die Burschen wollen Weiber.« Mit Kennerblicken maß er Alana. »Schade um so ein schönes, junges Mädchen«, sagte er bedauernd. »Rasch, rasch, und Durchführung melden!« »Du hast Glück gehabt«, murmelte der Mann im weißen Anzug. Einen Tag, vielleicht auch zwei oder drei - sie hatte keinen Zeitbegriff mehr - wurde Alana in einer Villa nördlich von Tiking festgehalten. Immer wieder nahmen sie die Männer, -270-
zuerst die Offiziere, dann die Unteroffiziere. Einer löste den andern ab. Sie sah nicht mehr die ständig wechselnden Gesichter, sie wußte nicht mehr, was mit ihr und um sie her vorging. Schließlich verfrachtete man sie in einen Wagen der Geheimpolizei und brachte sie zu einem Pier des Hafens Tiking. Dort wurde sie inmitten einer Schar verzweifelter, klagender Männer und Frauen auf das offene Deck eines Fährbootes getrieben. Undeutlich war ihr das Ziel der Fahrt bewußt: die Felseninsel.
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20 Botschafter Whittelsie und General Macker maßen Roger Krakhaur mit ärgerlichen Blicken. »Sie und die anderen Reporter schieben auch im Zweifelsfall alle Schuld auf Premier KaritKi und seine Familie. Warum das?« fragte Whittelsie mürrisch. »Ihr stellt ihn immer so hin, als sei er ein feudaler Diktator.« »Sir, wie ich Ihnen schon sagte, meine mituyanische Assistentin, Miß Alana, ist abgängig. Ich mache mir große Sorgen um sie. Der Kapitän von Mr. Forresters Jacht, wo sie sich aufhielt, hat sie seit zwei Tagen nicht mehr gesehen. Er weiß nur, daß Poramats Geheimpolizei Alana beschattet hat. Sir, ich bitte Sie nur, eine offizielle Anfrage an die mituyanischen Behörden zu richten und die Aufklärung des Falles zu verlangen.« »Jetzt sollen wir Ihnen helfen!« schnaubte Macker. »Dabei haben Sie selbst das Mädchen in Gefahr gebracht. Sie geben zu, daß Sie Ihre Assistentin nach Tiking geschickt haben, damit sie dort spioniert...« »Das stimmt nicht«, berichtigte Krakhaur den General zum vierten- oder fünften Mal. »Alana sollte einige Recherchen durchführen - für eine Story, die ich schreiben will.« »Wieder ein Hetzartikel gegen KaritKi?« Macker schüttelte mißbilligend den Kopf. »Sie scheinen es für Ihre Lebensaufgabe zu halten, die guten Beziehungen zwischen dem Country Team und der legalen Regierung von Mituyan zu stören. Verdammt noch mal, Krakhaur, warum müssen Sie denn immer Schwierigkeiten machen?« Ohne darauf einzugehen, wandte sich der Journalist an Whittelsie: »Sir, die Polizei wagt es nicht, gegen mich -272-
vorzugehen, deshalb wurde meine Assistentin verschleppt. Das ist nichts als ein gemeiner Racheakt. Wenn Sie, Sir, in aller Form eine Anfrage an die Behörden richten, dann müssen Ihnen die Mituyaner Auskunft geben.« »Mr. Krakhaur!« - der Botschafter ließ alle diplomatische Höflichkeit beiseite -, »Mr. Krakhaur, ich kann den Palast nicht jedesmal mit offiziellen Anfragen bestürmen, wenn eine junge Mituyanerin, die bei einem Amerikaner angestellt ist« - er betonte dieses Wort mit deutlicher Ironie -, »plötzlich verschwindet.« Krakhaur sah ein, daß er auf diese Weise nichts erreichte. »Okay, lassen wir's. Aber wenn diesem Mädchen irgend etwas zugestoßen ist, dann werden Sie Artikel zu lesen bekommen, die für KaritKi und die amerikanische Vertretung in Mituyan schlimme Folgen haben werden. Ich werde der Welt zeigen, was hier wirklich gespielt wird! Die politische Reaktion wird für Sie vernichtend sein, Sir, und dieser KaritKi wird sich dann hoffentlich genauso das Genick brechen wie Ngo Dinh Diem in Vietnam.« Er versuchte seiner Erregung Herr zu werden, aber sein Temperament ging mit ihm durch. »Und Sie können sich auf eine Kongreßuntersuchung gefaßt machen, deren Folgen Ihnen niemand mehr abnimmt!« Mit krebsrotem Gesicht sprang Macker auf. »Wollen Sie dem Botschafter der USA drohen? Versuchen Sie, ihn aus persönlichen Motiven zu erpressen?« »Wenn die Bitte, er möge eine intelligente mituyanische Patriotin retten, Erpressung ist, dann kann ich nur sagen: Ja!« »Aber, aber, Mr. Krakhaur«, beschwichtigte ihn Whittelsie, »Sie sind natürlich außer sich, doch es gibt keinen Beweis, daß überhaupt etwas vorgefallen ist, noch viel weniger, daß KaritKi oder Poramat etwas gegen dieses Mädchen unternommen haben.« -273-
»Ihre kleine Freundin wird sicher wieder auftauchen«, sekundierte ihm Macker, ebenfalls in gemäßigtem Ton. Plötzlich überkam Krakhaur große innere Müdigkeit, sein Zorn verrauchte. »Ich danke Ihnen, daß Sie mir Ihre Zeit gewidmet haben, Sir, und auch Ihnen, General.« »Keine Ursache, Mr. Krakhaur«, sagte Whittelsie verbindlich. »Wenn Sie mich zu sprechen wünschen, werde ich nach Möglichkeit immer Zeit für Sie erübrigen.« Doch als auch Macker sein Zimmer verlassen hatte, öffnete der Botschafter rasch die Lade mit dem roten Telefon. Einige Sekunden später hörte er Maynas Stimme. »Whit! Das ist aber eine freudige Überraschung!« »Mayna, soeben war Krakhaur bei mir. Er hat noch schärfere Artikel angedroht als bisher, wenn ich nicht feststelle, was mit einer jungen Mituyanerin namens Alana geschehen ist. Die Kleine ist seine Assistentin, oder was man so nennt. Natürlich beschuldigt er Poramat und den Palast, daß man das Mädchen als Geisel verwenden will, um einen Druck auf ihn auszuüben.« Seufzend blickte Whittelsie durch das große Fenster über die malerischen Kanäle. »Ich werde versuchen, herauszubekommen, was wirklich los ist«, versprach Mayna. »Solche Schwierigkeiten macht dir dieser Sensationsjäger? Mein armer Whit!« Krakhaur sprang in eines der Taxis, die vor der Botschaft parkten, und gab dem Fahrer die Adresse von Major Hargraves, Luna Forresters Vater. Er wußte, daß Luna gute Beziehungen zum Palast und zu Poramat hatte. Hargraves kam selbst zum Tor und ließ ihn ein. Er war ein pensionierter britischer Offizier und sah so aus, wie man sich nach den vielen Karikaturen und Filmlustspielen eben einen pensionierten britischen Offizier alten Schlags vorstellt: Wanst, Stiernacken, Glatze, ein gerötetes Säufergesicht, Seehundschnurrbart. Eine schwarze Augenklappe ließ ihn noch -274-
martialischer erscheinen. »Ah, Krakhaur, kommen Sie 'rein!« Wenn er lächelte, zeigte sich unter dem sandblondgraumelierten Schnauzer ein gelbliches Pferdegebiß, das helle, porzellanblaue, wäßrige Auge leuchtete fröhlich auf. »Sie haben hier ganz schön umgerührt, wie? Haha!« Auch das dröhnende Lachen war typisch Old England. »Ist Luna hier?« fragte der Reporter. »Muß irgendwo in der Gegend sein.« Der Major klatschte in die Hände, ein mituyanischer Boy trat heraus. »Hole Mrs. Forrester«, befahl Hargraves. Gleich darauf kam Luna über die Treppe herunter, durch ihr Erscheinen bewahrte sie Krakhaur davor, sich einen langen Vortrag über die Aufgaben der Militärpolizei in einem Protektorat oder einer Kronkolonie anhören zu müssen. Luna bemerkte die Enttäuschung ihres Vaters, deshalb bat sie ihn, Krakhaur etwas zu trinken zu holen. Sofort war Hargraves auf den Beinen. Seine Frau und seine Tochter wandten alle nur erdenkbaren Listen an, um ihn von der Flasche fernzuhalten, und die Gelegenheit, auf schickliche Weise zu einem tüchtigen Schluck zu kommen, ließ sich das alte Schlachtroß natürlich nicht entgehen. »Ich fürchte, Poramat hat Alana verhaften lassen«, sagte Krakhaur zu Luna. »Whittelsie unternimmt gar nichts. Luna, Sie wissen, was mit ihr geschieht, wenn sie tatsächlich in einem von Poramats Gefängnissen ist.« Entsetzt starrte ihn Luna an. »Und was kann ich tun?« »Jemand aus dem Palast müßte eingreifen, sonst...« »Ich werde sofort anrufen.« Der Major war bereits bei seinem dritten Scotch, als Luna zurückkam. »Dhana erwartet Mike und mich heute um 18.30 Uhr zu einem zwanglosen Gespräch im Palast«, eröffnete sie -275-
Krakhaur. »Mike hat aus Banthut telegrafiert, er kommt heute nachmittag hier an. Dhana hat mir versprochen, daß sich auch eine Unterredung mit dem Premier ergeben wird. Abends werden wir wieder in unserer Wohnung sein. Kommen Sie doch um etwa 20.30 Uhr zu uns, dann kann ich Ihnen alles erzählen.« »Ich komme«, sagte Krakhaur. Impulsiv ergriff er ihre Hand. »Danke, Luna. Ich wußte nicht, wer mir sonst helfen könnte.« »Wir werden Alana finden«, sagte sie zuversichtlich. Doch sie selbst glaubte nicht daran. Einige Stunden später hörte Krakhaur aufmerksam Mikes Bericht über die Begegnung mit KaritKi an. »Wie Sie sich wohl vorstellen können, ist der Name Rogei Krakhaur im Palast keine besondere Empfehlung«, begann Mike. Der Journalist nickte und langte nach seinem Glas. »Zuerst bestritt KaritKi, daß er irgend etwas über Alana wisse«, sagte Luna. »Ständig wiederholte er, daß Sie, Roger, in Ihren Artikeln den Eindruck erwecken, als ob seine Brüder Poramat und Tarot in der kommenden Wahl alle oppositionellen Strömungen unterdrücken würden.« »Das stimmt ja auch«, warf Krakhaur ein. »Nun lassen Sie sich eines gesagt sein, Roger«, fuhr Mike ihn an, »wenn Sie Alana jemals lebendig wiedersehen wollen, dann vergessen Sie für eine Weile, daß Sie Reporter sind, und denken Sie nur daran, das Mädchen zu retten. Weiß Gott, Luna und ich, wir beide haben heute einiges für Sie riskiert!« »Ich werde tun, was Sie mir raten«, erwiderte Krakhaur in ehrlicher Zerknirschung. »Gut so«, lenkte Mike ein. »Wir mußten uns KaritKis zweistündige Brandrede gegen die bitterbösen Amerikaner anhören, die sich in die inneren Angelegenheiten Mituyans einmischen. Und immer wieder kam der Premier auf einen Punkt zurück: Roger Krakhaur beteiligt sich an der Wühlarbeit, -276-
die auf einen von den Amerikanern unterstützten Staatsstreich gegen die jetzige Regierung abzielt.« Krakhaur zuckte nur stumm die Schultern. »KaritKi machte auch mir Vorwürfe, weil ich mich für Sie einsetze«, fuhr Mike fort. »Schließlich sagte er zu seiner Frau Dhana, wenn sie uns helfen wolle, dann möge sie sich selbst an Poramat wenden und ihn befragen, er aber wolle mit der ganzen Sache nichts zu schaffen haben.« »Dhana hat mir versprochen, daß sie mich morgen so bald als möglich anrufen wird«, erklärte Luna. »Sie wird versuchen, uns zu helfen, weil sie meine Freundin ist. Doch ich glaube, wir, Mike und ich, werden nach Tiking fahren müssen, wenn wir wirklich feststellen wollen, was geschehen ist.« Mit einem Ruck setzte sich Krakhaur auf. »Ich fahre mit«, sagte er entschlossen. »Aber folgen Sie meinem Rat. Unter allen Umständen!« schärfte ihm Mike ein. »Sie sind ein ausgezeichneter Reporter, Roger. Doch in diesem Land stehen Sie auf der Abschußliste, das wissen Sie, und Sie werden nur in Schwierigkeiten kommen, wenn Sie auf eigene Faust handeln. Ihre Feinde würden an Alana Rache nehmen.« »Es ist nur - ich kann diese Angst um Alana nicht mehr ertragen. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll!« Lunas Hand ruhte auf Krakhaurs Schulter. »Überlassen Sie alles uns, Roger.«
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21 Luna betrat die palastartige Villa, in der Poramat residierte. Äußerlich wirkte sie ruhig und selbstsicher, doch mit jedem Schritt, den sie tat, wuchs ihre Angst. Mike hatte sich nur widerstrebend dazu verstanden, Luna allein zu jenem Mann gehen zu lassen, den er für den größten Schurken und grausamsten Tyrannen in Mituyan hielt. Aber es galt klug und rasch zu handeln, um Alana zu retten, bevor es zu spät war... KaritKis Bruder nahm in der politischen Hierarchie eine mächtige, wenn auch nicht genau definierbare Position ein. Die Provinzchefs der fünf Nordprovinzen, einschließlich Banthut, waren ihm unterstellt und mußten seine Weisungen befolgen. Obwohl Poramat keinen militärischen Rang besaß, hätten nur wenige Generale gewagt, ihm den Gehorsam zu verweigern. Mituyanische Unternehmer und Großkaufleute, besonders jene in Tiking, wo Poramats Einfluß am stärksten fühlbar war, zogen ihn vor allen wichtigen Transaktionen zu Rate und beteiligten ihn am Gewinn. Geschäftsmänner, die ihm den erwarteten Tribut versagt hatten, verschwanden spurlos, ihr Besitz wurde enteignet und ging in die Verwaltung einer Dachgesellschaft über, hinter der wieder Poramat stand. Furcht und Mißtrauen gegen den Nächsten waren die Regungen, die das Leben der Bevölkerung bestimmten. Niemand wagte ein offenes Wort über die Verhältnisse auszusprechen, denn überall lauerten Spitzel, und der gute Nachbar konnte in Wahrheit ein Zuträger der Geheimpolizei sein. Diese Tatsache führte zu der grotesken Situation, daß nur die Kommunisten ungestört gegen Poramat konspirieren konnten, weil sie einander kannten und einem System verschworen waren, das sich an Abtrünnigen noch entsetzlicher rächte als das despotische Regime. So kam es, daß der Bruder des Premiers nicht die Mitkoms, sondern die -278-
demokratischen Opponenten - oder solche, die dazu gestempelt wurden - mit aller Strenge verfolgte. Poramats Residenz in Tiking und sein riesiger Besitz, der das größte Kautschukgebiet des Landes umfaßte, wurde von seiner persönlichen Leibgarde bewacht. Von den Amerikanern ausgebildet und bewaffnet und mit amerikanischen Geldern bezahlt, war dieses Korps die beste Polizeitruppe des nördlichen Teiles Mituyans, wenn nicht des ganzen Landes. Beim Tor trat ein Offizier auf Luna zu und begleitete sie über einen pompösen, breiten Treppenaufgang bis zu Poramats Büro im zweiten Stockwerk. Auf den Treppenabsätzen und in den Korridoren standen Polizisten in den charakteristischen weißen Uniformen. Die beiden Posten an der wuchtigen hohen Doppeltür waren mit automatischen Karabinern bewaffnet. Sie präsentierten, als der Offizier klopfte und den einen Türflügel öffnete. Poramat stand vor seinem Schreibtisch. Wie immer trug er die traditionelle Kleidung der mituyanischen Oberkaste: weite weiße Seidenhosen und einen schwarzen, bis zu den halben Schenkeln reichenden hochgeschlossenen Rock mit Stehkragen. Als Luna den Raum betrat, erhob sich aus einem Fauteuil ein Offizier der mituyanischen Armee, sein Schnurrbart war so dünn wie ein Bleistiftstrich. Schweigend maß Poramat die Besucherin mit abschätzenden Blicken. Nach einer kurzen, formellen Begrüßung stellte er ihr Colonel Yunakit vor, den Provinzchef von Tiking. »Oh, ich kenne den Colonel seit der Zeit, als mein Mann und ich die Kautschukpflanzung in Rishram kauften.« Luna lächelte Yunakit gewinnend an. »Vor drei Tagen rief mich meine Schwägerin Dhana sehr aufgeregt an und teilte mir Ihr Anliegen mit, Mrs. Forrester«, begann Poramat. »Da die Justiz dem Provinzchef untersteht, habe ich Colonel Yunakit zu mir gebeten.« Luna atmete auf. »Dhana hat Sie also bereits über die Situation -279-
aufgeklärt, Exzellenz. Dann brauche ich Ihnen den Fall nicht mehr zu schildern.« »Im Gegenteil. Der Fall muß noch genau erörtert werden«, antwortete er eisig. »Ich habe Premier KaritKi und Dhana alles erzählt, was ich über Alana weiß«, wandte Luna ein. »Sie gehört zu der neuen Generation gebildeter, patriotischer junger Mituyanerinnen. Zudem ist sie eine überzeugte Gegnerin der Kommunisten.« »Aber ist sie auch eine Anhängerin KaritKis?« fragte Poramat scharf. »Natürlich. Wie wir alle.« »Warum arbeitet sie dann für diesen regierungsfeindlichen Journalisten Roger Krakhaur?« »Krakhaur ist nicht gegen die Regierung eingestellt, Exzellenz. Doch für ihn als amerikanischen Reporter ist die Pressefreiheit eine Selbstverständlichkeit, er bemüht sich, objektiv über die Ereignisse zu berichten. Seine Reportagen finden in den USA sehr viel Anklang.« »Hat Ihnen mein Bruder gesagt, warum diese loyale junge Frau nach Tiking gekommen ist?« »Vielleicht, doch ich erinnere mich nicht.« »Diese Patriotin wollte Material gegen mich sammeln - mit dem Ziel, mich und meinen Bruder gegeneinander auszuspielen und die Regierung anzugreifen!« Bevor Luna überlegen konnte, was sie darauf erwidern sollte, steigerte sich Poramat in einen wilden Haßgesang. Er verwünschte die amerikanische Presse, die Amerikaner im allgemeinen, und schließlich wetterte er in höchster Empörung gegen jene Mituyanerinnen, die sich mit Amerikanern einließen. Dieser reaktionäre Mandarin, der noch wie ein Asiate vergangener Jahrhunderte dachte, war für das Land eine größere Gefahr als der Kommunismus, das erkannte Luna nun mit aller -280-
Deutlichkeit. Doch sie widersprach ihm nicht, sondern nickte zu seinen Worten, als teile sie seine Ansichten. Als Poramat für einen Augenblick innehielt, fragte sie rasch: »Aber was ist mit dem Mädchen geschehen? Die Frau des Premiers macht sich große Sorgen um Alana.« Poramat wandte sich zum Provinzchef: »Ja, was ist mit dem Mädchen geschehen, Colonel?« »Sie hat gestanden, daß sie auf den Sturz der Regierung hingearbeitet hat«, entgegnete Yunakit gleichgültig. »Daher wird sie bis auf weiteres in Gewahrsam gehalten.« Poramat musterte Luna mit durchbohrenden Blicken. »Sie sind Mituyanerin, Mrs. Forrester. Sie wissen ganz genau, welche Strafe auf Hochverrat steht, besonders in Kriegszeiten.« »Alana wollte dem Staat nicht schaden«, sagte Luna flehentlich. »Sie führte nur Recherchen durch, so wie sie es gelernt hat. Sie hat hier an der Universität Tiking Publizistik studiert. Ziehen Sie den Amerikaner zur Verantwortung, aber nicht eine von uns Mituyanerinnen.« »Wie gern würde ich gegen den Amerikaner vorgehen.« Poramats Augen funkelten bedrohlich. »Aber meine Brüder sagen, das sei nicht möglich. Doch wenigstens wird er sehen, wie wir mit Mituyanern verfahren, die regierungsfeindliche Handlungen begehen.« »Übergeben Sie mir das Mädchen«, bat Luna. »Ich werde dafür sorgen, daß sie nicht mehr mit den Behörden in Konflikt kommt. Die Frau des Premiers und ich selbst, deren Loyalität außer Frage steht, wir verbürgen uns für Alanas Besserung.« Diese Worte hätte sie nicht gebrauchen sollen. Wie ein Raubvogel stieß Poramat zu. »Besserung? Dann geben Sie also zu, daß sie sich schuldig machte und Bestrafung verdient?« »Ich weiß nicht, was Alana unternommen hat, aber ich verspreche, daß sie nie mehr gegen Premier KaritKi arbeiten wird - wenn sie es überhaupt je tat.« -281-
»Sie hat ein Geständnis abgelegt«, warf Yunakit ein. »Freiwillig oder unter Zwang?« Poramat sah sie tief gekränkt an. »Mrs. Forrester, der Premier und seine Regierung müssen beträchtliche innere Schwierigkeiten überwinden, um in diesem Land Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Wir wollen das Beste für die Bevölkerung. Eine Person, die das Staatsgefüge zu untergraben versucht, gefährdet jeden einzelnen loyalen mituyanischen Bürger. Dieses Mädchen Alana erstrebte einen Umsturz in Mituyan und müßte daher zum Tod oder zu lebenslänglicher Haft verurteilt werden. Dennoch werde ich Colonel Yunakit bitten, die Gefangene zu entlassen und Ihnen zur Beaufsichtigung auszuliefern. Doch falls sich das Mädchen wieder hochverräterisch betätigt, dann werden Sie zur Rechenschaft gezogen, Mrs. Forrester!« »Ich danke Ihnen, Exzellenz, ich danke Ihnen...«, stammelte Luna überglücklich, »und ich verspreche Ihnen, daß Alana immer eine treue Anhängerin des Premiers sein wird.« »Colonel Yunakit persönlich wird Sie zu ihr führen, Madame. Noch eines: Da diese Miß Alana verbrecherische Handlungen gegen den Staat eingestanden hat, werden Sie verstehen, daß sie gewissen - Härten unterworfen wurde.« Das traf Luna wie ein Schlag. Sie mußte sich beherrschen, um diesem fetten Bonzen ihren Haß nicht laut ins Gesicht zu schreien. »Wann... wann kann ich Alana sehen?« »Oh, sehr bald«, sagte Poramat. »Colonel Yunakit wird Sie zu ihr bringen, wie ich schon erwähnte. Sie werden allerdings begreifen, daß wir diese loyale Staatsbürgerin weiterhin im Auge behalten müssen, und wenn sich der Verdacht ergibt, daß sie neuerlich gegen die Regierung arbeitet, dann hat sie das Anrecht auf Milde endgültig verwirkt. Wir verstehen uns doch?« »Völlig. Ich kann nur wiederholen, daß ich für Alana bürge.« »Hm - in diesem Fall würden auch Sie verhaftet werden, wenn -282-
Miß Alana wieder strafbare Handlungen beginge, sei es aus eigenem Antrieb oder auf Veranlassung des Journalisten Krakhaur.« Nun haben sie uns als Geiseln, um Roger unter Druck zu setzen und mundtot zu machen! Poramat las in ihren Zügen, was sie dachte. Seine dicken Lippen schürzten sich zu einem ironischen Lächeln. »Ich bedaure es, Mrs. Forrester, doch wir müssen Sie und Ihren Mann für Alanas künftiges Verhalten verantwortlich machen. Man mag dies gewissermaßen als Sippenhaftung bezeichnen, aber leider sind wir gezwungen, zu solch drastischen Mitteln zu greifen, um staatsgefährdende Umtriebe im Keim zu ersticken. Sie werden sehr bald selbst sehen, auf welche Weise Colonel Yunakit den Feinden Mituyans begegnet.« »Bringen Sie mich zu ihr.« Mit seiner berüchtigten machiavellistischen Taktik hatte Poramat nun nicht nur Alana und Krakhaur, sondern auch Luna und Mike in die Hand bekommen. Zusammen mit dem Provinzchef verließ Luna Poramats Büro. Ihr Wagen wartete vor dem Gebäude, aber Yunakit schob sie mit sanfter Gewalt in seine Limousine und bedeutete dem anderen Lenker, ihm nachzufahren. Das Eisentor vor dem Amtsgebäude des Provinzchefs wurde geöffnet. Yunakits Fahrer brauste in den Hof - und ehe Lunas Wagen folgen konnte, schlossen sich die schweren Torflügel wieder. Die Limousine hielt bei einem großen, ungepflegten Betonkasten mit zum Teil abgeblättertem, verwaschenem Verputz. Sie gingen hinein. Auf den quietschenden dicken Gummisohlen seiner Fallschirmspringerschuhe schritt Yunakit über den Zementboden des Korridors auf einen Posten zu, der an einem Tisch saß. Sofort sprang der Mann auf und salutierte stramm. Wortlos nahm der Provinzchef einen Schlüsselbund -283-
entgegen und führte Luna über eine Steintreppe in einen feuchten Kellerraum. In einem Winkel dieses Gelasses saß wieder ein Wärter, über seinem Tisch hing von der Decke eine brennende Glühbirne herab. Luna hörte dumpfes, klagendes Gemurmel, und als sich ihre Augen an das trübe Licht gewöhnt hatten, sah sie die Menschen. Es waren Männer und Frauen aller Altersstufen und in unterschiedlicher Kleidung. Sie saßen auf langen Bänken, manche hockten auf dem Steinboden, weil sie anderswo keinen Platz mehr gefunden hatten. Zu ihrem Entsetzen erblickte Luna viele junge Mädchen, offenbar aus begüterten Familien, mit vom Weinen geröteten und verschwollenen Lidern. Ständig gingen mit Gewehren und Polizeiknüppeln bewaffnete Posten zwischen diesen Unglücklichen umher. »Das sind Häftlinge, die verhört werden sollen«, erklärte Yunakit. »Alle haben sich staatsfeindlicher Akte schuldig gemacht. Manchmal sitzen sie drei Tage und drei Nächte hier, bis sie drankommen. Das ist bestimmt kein Vergnügen, aber es kürzt das Verhör ab.« »Bitte, bringen Sie mich zu Alana.« Die schlechte, verbrauchte Luft legte sich beklemmend auf die Brust. »Bleiben Sie immer dicht neben mir.« Yunakit schloß eine Eisentür neben dem Tisch des Wärters auf. Ein gellender Schrei hallte durch den kalten Gang, den sie nun betraten. Vor einer Tür mit aufgemalter Nummer blieb Yunakit stehen. Er drehte den Schlüssel, und stieß mit dem Fuß die Tür auf. Luna prallte zurück. Unerträglicher Gestank schlug ihr entgegen. Im grellen, erbarmungslosen Schein starker Deckenlampen sah sie nackte Männer und Frauen, die in menschlichem Unrat saßen oder lagen. Einer der Männer öffnete die Augen, beschattete sie mit der Hand und stierte empor. Als er die Uniform und das funkelnde Emblem an der Mütze des Provinzchefs erblickte, warf er sich kreischend zu Boden und wühlte das Gesicht in den ekeln Brei. -284-
»Wenn die Gefangenen eine Uniform sehen, werden sie vor Schreck fast wahnsinnig«, sagte Yunakit leichthin. »Ist Ihre Freundin darunter?« Er drückte sein stark parfümiertes Taschentuch an die Nase. Bevor Luna die Verdammten genauer betrachten konnte, hörte sie das Geräusch schwerer Schritte, die sich durch den Gang näherten. Im Türrahmen tauchte der Wärter auf und rief: »Colonel, das Mädchen das Sie suchen, ist nicht hier. Es wurde auf die Felseninsel abtransportiert.« Yunakit blieb völlig gelassen. »Dann brauchen wir hier keine Zeit zu verlieren, Mrs. Forrester.« Er ergriff Lunas Arm, zog sie mit sich aus der Zelle und versperrte die schwere Tür wieder. Sie gingen in den ersten Kellerraum zurück. »Doch Poramat wollte, daß Sie mit eigenen Augen sehen sollten, wie es Hochverrätern ergeht.« Das helle Tageslicht blendete Luna, als sie aus dem Provinzgefängnis ins Freie traten und rasch in den parkenden Wagen stiegen. »Die Felseninsel ist sonst für Außenstehende gesperrt«, bemerkte Yunakit mit drohendem Unterton. »Wenn Poramat für Sie persönlich dieses Verbot aufhob, dann ist dies wohl ein weiterer Beweis dafür, daß er Ihnen ohne Beschränkungen zeigen will, wie die Feinde seines Bruders, des Premiers, für ihre Verbrechen büßen müssen.« Zitternd vor Angst und Erschöpfung saß Luna im Fond der Limousine, die nun zu den Docks fuhr. Wenn nur Mike bei ihr wäre! Der Wagen hielt auf einem überdachten Pier. Es war vermutlich eine Laderampe. Yunakit führte Luna zu einem kleinen Motorboot, das dort vertäut war. Der Provinzchef schwang sich aufs Deck hinunter und streckte Luna die Hände entgegen, um sie beim Einsteigen zu stützen. »Natürlich nicht mit der Jacht Ihres Gatten zu vergleichen, Mrs. Forrester, aber ich versichere Ihnen, noch immer viel bequemer als der Seelenverkäufer, auf dem wir die Gefangenen -285-
befördern.« Zwei bewaffnete Polizisten fuhren mit. Der Skipper in der Uniform eines Offiziers der mituyanischen Kriegsmarine legte ab und steuerte den Hafen an. Mit einem Motorboot dauerte die Fahrt von den Docks bis zum Ende des Hafens fünfzehn Minuten. Weiter draußen sah Luna die in der Sonne leuchtende Felseninsel, auf die das Fahrzeug knatternd zurauschte. Wenn die Promise in See stach, beschrieb sie um das Eiland immer einen weiten Bogen. Rund um die berüchtigte Strafkolonie war ein Sperrkreis von drei Meilen gezogen. Patrouillenboote sorgten dafür, daß kein fremdes Schiff die verbotene Zone berührte. Zwanzig Minuten später näherte sich Luna zum erstenmal der Felseninsel. Gewaltige steinerne Zinnen ragten wie Stalagmiten in die flirrende Luft. Eine unsichtbare Wolke von Unheil, Hoffnungslosigkeit und Tod hing über der Ödnis. »Hier sind nur sehr wenige Wachen erforderlich«, erklärte Yunakit sachlich. »Die Gewässer wimmeln von Haien. Kein Flüchtling hat je lebendig das Festland erreicht.« Luna schauderte. »Ja, Mrs. Forrester, das ist kein angenehmer Ort. Doch da Sie uns garantieren, daß Alana und ihr amerikanischer Hintermann, dieser Krakhaur, sich nicht mehr staatsfeindlich betätigen werden, brauchen Sie nicht zu befürchten, daß Sie eines Tages auf - andere Weise hier landen werden als jetzt.« Das Boot glitt zu einem aus Holzplanken bestehenden Anlegeplatz auf einem flachen Felsvorsprung. Zwei Posten mit lässig über die Schulter gehängten Gewehren kamen heran. Weiter vorne stand ein großer, kahler Bau, aus dem das laute Rattern eines starken Dieselmotors herüberklang. »Das ist eine Neuerung, Mrs. Forrester«, sagte der Provinzchef. »Unsere Destillationsanlage, die einzige Möglichkeit, hier zu Frischwasser zu kommen. Vorher mußten wir das Wasser in den Schiffen herbringen. Nur die zähesten -286-
Häftlinge hatten Aussicht zu überleben. In alten Zeiten bekamen die Gefangenen einen Krug voll Wasser, dann überließ man sie ihrem Schicksal.« »Wo ist Alana?« fragte Luna mit schwankender Stimme. »Die Insel hat ein Ausmaß von zwei Quadratmeilen. Wo Alana ist?« Er zuckte nur gleichgültig die Schultern. »Irgendwo.« »Gibt es denn keine Zellen?« »Doch, einige. Für Einzelhaft. Aber dort werden wir sie sicherlich nicht finden. Nur widerspenstige Gefangene kommen in die« - er warf ihr einen lauernden Blick zu - »Röstöfen.« Luna war den Tränen nahe. »Bitte, helfen Sie mir suchen, Colonel.« Yunakit ging zu einem gekalkten Verwaltungsgebäude voians. stieß die Tür auf und trat ein. An einem Schreibtisch lümmelte ein Mituyaner in offenem Khakihemd und Shorts, sein struppiges Haar war nicht gekämmt, die fahlen Wangen und das kurze fliehende Kinn beschattete ein Stoppelbart. »Das ist Lieutenant Lit«, sagte Yunakit verächtlich. Schwerfällig erhob sich Lit und glotzte Luna und den Provinzchef aus geröteten, schwimmenden Augen an. Ein Schwaden von Alkoholdunst mischte sich mit der stickigen Luft des Raumes. »Lieutenant, ich bin gekommen, um eine Gefangene nach Tiking zurückzubringen. Sie wurde vor einer Woche eingeliefert und heißt« - er grinste - »oder hieß Alana.« »Sie ist - irgendwo«, lallte Lit. »Los, herholen!« Lit starrte ihn verblüfft an. »Herholen? Da müßte man - den ganzen Tag suchen. Ich kümmere mich nicht darum - wo die Häftlinge Unterschlupf finden.« »Dann geben Sie das Signal mit dem Wasserhorn«, befahl Yunakit. -287-
Lit schlurfte zur Tür und blinzelte in die Sonne, die aus einem wolkenlosen Himmel niederbrannte. »Noch zu früh«, murmelte er. »Idiot!« schrie der Provinzchef, schob den Lieutenant mit einem derben Rippenstoß beiseite und trat wieder ins Freie. »Besoffenes Schwein, glauben Sie, ich will den ganzen Tag hierbleiben?« Er packte den Eisenring, der an einer Kette von einem turmartigen Aufbau herunterhing, und riß mit einem Ruck daran. Ein tiefes klagendes Röhren drang aus dem Hörn, es war die Stimme dieser Insel der Verdammten. Yunakit zog noch immer wütend am Ring, und bald tauchten zwischen den Felsblöcken und Zinnen ausgemergelte Gestalten auf. Wie auf ein Kommando formierten sich die Gefangenen zu einem Zug. Die Füße mühsam nachschleifend, näherten sie sich dem Salzwasserdestillator, jeder von ihnen hatte eine Schüssel oder einen Krug in der Hand. »Stellen Sie fest, wo Alana ist!« herrschte Yunakit den Lieutenant an. Lit ging zum Tank. Er befragte jeden Gefangenen, der sein Gefäß in das Frischwasser tauchte, ob er wisse, wo das Mädchen aus dem letzten Transport sei, doch immer war die Antwort ein verlorenes Kopfschütteln und ein leerer Blick aus eingesunkenen Augen. Luna bemerkte, daß manche der Häftlinge zwei Schüsseln trugen. Yunakit verzog höhnisch die Lippen. »Wenn eine Frau auf die Insel kommt, kämpfen die Männer um sie. Der Sieger erhält dann auch ihre Ration an Wasser und Verpflegung. Die Kerle mit zwei Schüsseln haben Weiber.« »Kann ich mit ihnen sprechen?« fragte Luna. »Sicherlich. Aber machen Sie sich keine großen Hoffnungen. Wenn Alana einem dieser Burschen gehört, wird er es Ihnen nicht sagen, weil er befürchtet, daß wir sie ihm wegnehmen.« Luna trat auf die Gruppe zu. Sofort lösten sich einige Männer, von denen jeder nur ein Gefäß hatte, aus der Reihe und hasteten -288-
taumelnd heran. Ein Posten sprang dazwischen, teilte mit dem Gewehrlauf Schläge aus. Meistens traf er die Häftlinge ins Gesicht. Zwei stürzten nieder, Blut rann ihnen aus dem Mund. »Damit dieses Gesindel weiß, daß Sie nicht mehr zu haben sind!« Yunakit lachte. Luna mußte ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um nicht die Fassung zu verlieren. Behutsam und deutlich richtete sie an die Gefangenen die Frage, ob sie wüßten, wo Alana sei, das neue Mädchen, Alana. Manche der menschlichen Wracks senkten die Augen, aber sie schwiegen mit ängstlichen, verstohlenen Seitenblicken auf die Männer, die zwei Schüsseln trugen. »Wir standen noch nie vor dem Problem, eine einzelne Frau von der Insel wegzuholen«, erklärte der Provinzchef. »Hin und wieder haben Premier KaritKi oder Poramat in ihrer Güte ganze Familien amnestiert, aber ich kann mich nicht erinnern, daß wir jemals ein Mädchen freigelassen haben. Die Häftlinge mit zwei Schüsseln halten zusammen. Wenn nun einer verrät, welcher Gefangene sich Alana erobert hat, werden sie ihn umbringen.« »Bitte, helfen Sie mir doch, ich muß Alana finden!« flehte Luna. Yunakit nickte. »Lit, Sie Stück Dreck, holen Sie das Büffelhorn!« rief er. »Die Wachen sollen die Männer in Schach halten, während wir das Mädchen suchen.« Lit grölte Befehle, daraufhin bildeten die Posten eine Kette, die schweren alten amerikanischen Infanteriegewehre quer vor dem Leib, drängten sie die Gefangenen zusammen, die ihre Gefäße bereits gefüllt hatten und sich wieder in ihre Schlupfwinkel verkriechen wollten. Mittlerweile verschwand Lit kurz im Kommandogebäude und kam mit dem Büffelhorn wieder. »Folgen Sie mir, Mrs. Forrester.« Er half ihr über verstreute Steintrümmer. »Ich fürchte, es wird länger dauern, als ich glaubte. Dieses Hörn dient als Megaphon, damit können Sie -289-
Alana rufen.« Schritt für Schritt arbeiteten sie sich zwischen Geröll und erratischen Blöcken ins Innere der Insel vor. Um nicht auszugleiten oder über Felsbrocken zu stolpern, tastete Luna mit den Zehen den Boden ab, ehe sie auftrat, die Hitze des Gesteins drang durch die dünnen Sohlen ihrer leichten Schuhe. Bis zu Skeletten abgemagerte Männer und Frauen, die zu schwach waren, um selbst Wasser zu holen, hatten sich in die schmalen Schattenstreifen der Felszinnen geflüchtet. Aber in dieser Landschaft, die in ihrer grauenhaft bizarren Verödung und gespenstischen Stille wie ein Alptraum wirkte, gab es kein Entrinnen. Der nackte Fels strahlte sengende Hitze aus. Luna hob das Büffelhorn an die Lippen. »Alana! - Alana! - Komm! - Du bist frei! - Frei! - Alana! Komm! - Alana!« Mit den mühsamen Bewegungen eines Krüppels humpelte eine junge Frau auf rindenartig verhornten Füßen heran. »Nimm mich mit, nimm mich mit!« keuchte sie. »Bitte, nimm mich mit! In Tiking bekommst du Geld, viel Geld, wenn du mich mitnimmst!« Lunas Herz krampfte sich zusammen. Aber sie unterdrückte die aufkommenden Tränen, ging weiter, rief immer wieder nach Alana. Als Yunakit hinter einem Riff hervorkam, scheuchte er einen Schwarm Bussarde auf. Mit knatterndem Flügelschlag erhoben sich die Tiere in die Luft. Luna wollte schreien, doch der Schrei erstarb ihr in der Kehle. Sie sah, über welche Beute die Vögel hergefallen waren. »Die Bussarde halten die Insel sauber, und die Sonne tut ein übriges«, bemerkte der Provinzchef ungerührt. Überall lagen gebleichte menschliche Gebeine und Schädel. Angewidert blickte Yunakit über das Gelände. »Hier war ich schon sehr lange nicht mehr. Aber wenn wir Alana nicht bald finden, müssen wir wieder zurück. Ich werde eine Meldung -290-
schreiben, daß die Internierte namens Alana vermutlich gestorben ist.« »Nein, nein!« schluchzte Luna. »Sie haben versprochen, mir zu helfen, Colonel. Auch Poramat...« »Wenn sie tot ist, kommt jede Hilfe zu spät.« »Nur noch ein paar Minuten, bitte!« bettelte Luna. Wieder, immer wieder schrie sie gellend Alanas Namen. Yukanit packte sie beim Arm, riß sie herum und zog die sich verzweifelt Wehrende in die Richtung zur Küste. Die beiden Wachen hinter ihnen grinsten, sie waren froh, daß sie endlich dieses Inferno verlassen konnten. Da traf Lunas über die Felsen irrender Blick auf einen Mann, der sich langsam näherte. Fetzen schlotterten um seinen Körper, aber dieser Fremde war nicht so verwildert und abgezehrt wie die anderen Häftlinge. Er winkte Luna zu. Sie versuchte sich Yunakits Griff zu entwinden, doch der Provinzchef hielt sie fest. »Der Mann will mir etwas sagen!« rief sie. »Vielleicht weiß er, wo Alana ist.« Yunakit blinzelte den Gefangenen an, der in etwa zwanzig Meter Entfernung in der grellen Sonne stand. Nochmals deutete die Gestalt auf Luna. »Bitte, ich möchte mit ihm sprechen«, flehte Luna, »vielleicht...« »Na schön, sprechen Sie mit ihm. Aber wenn auch er nichts über das Mädchen weiß, dann verschwinden wir sofort von hier!« Luna stolperte über den unwegsamen Boden auf den Mann zu. »Wissen Sie, wo Alana ist? Die Frau aus dem letzten Transport!« Der Häftling nickte. »Ja. Ich habe sie in meine Hütte aufgenommen.« Elend und Verzweiflung gruben tiefe Furchen in das noch junge, sonnverbrannte Gesicht. »Ich habe befürchtet, daß Alana weggeholt wird. Als ich das Wasserhorn hörte, ging ich nicht zum Tank. Ich habe nur an mich gedacht, ich wollte sie nicht verlieren.« -291-
»Bitte, bringen Sie mich zu ihr! Ist sie gesund?« »Ich weiß es nicht, aber ich glaube schon. Seit sie bei mir ist, hat sie nur einmal gesprochen. Sie nannte ihren Namen. Ich habe ihr Wasser- und Reisrationen gebracht. Kommen Sie mit.« Der Mann ging mit schleppenden Schritten auf eine Gruppe von Felsblöcken zu, Yunakit und die beiden Wachen folgten ihm und Luna in einigem Abstand. »Wer sind Sie?« fragte Luna. »Ich heiße Baliwit und bin ein Neffe des exilierten Königs Barkun VI. Nach dem Sturz der Dynastie bin ich in Mituyan geblieben. Als ausgebildeter Techniker wollte ich meinem Land nützen. Techniker wurden gebraucht. Aber Tarot glaubte, ich sei ein Verschwörer, und ließ mich deportieren. Ich bin seit drei Jahren hier. - Dort, auf der anderen Seite des Felsens!« Unter einer natürlichen Schräge des Gesteins befand sich ein notdürftiger, aber halbwegs geschützter Verschlag. Davor standen einige Kochtöpfe, morsche, ausgedörrte Bohlen bedeckten den Felsgrund. Luna blickte sich um, sie sah Alana nicht. »Wo ist sie?« Traurig wies Baliwit auf ein zusammengesunkenes Bündel Mensch. Das schmutzverkrustete Wesen starrte aus hohlen Augen vor sich hin. »Nein, nein!« Luna stürzte auf die Gestalt zu, warf sich neben ihr auf die Knie nieder. Es war wirklich Alana. Haltlos weinend umschlang Luna die knochigen Schultern. »Alana, ich bin es, Luna! Ich nehme dich mit, du bist frei! Roger wartet auf dich!« Geistesabwesend schaute Alana auf. Langsam schien sie aus den fernen Tiefen der eigenen Seele emporzutauchen. »Verstehst du mich, Alana? Du bist frei! Wir fahren zurück nach Tiking!« »Nein!« stöhnte Alana leise mit rauher Stimme. »Nicht zu Roger. Nie mehr!« »Komm mit.« Vorsichtig zog Luna das verstörte Mädchen in -292-
die Höhe. Baliwit stand mit düsterer Miene abseits, als Alana, auf Luna gestützt, wankend einige Schritte machte. »Ich danke Ihnen«, sagte Luna zu ihm. »Geben Sie die Hoffnung nicht auf. Bald wird sich alles ändern.« »Ist das wahr?« Baliwit klammerte sich an jede schwache Hoffnung. »Werden uns die Amerikaner endlich helfen? Ich habe bei ihnen gearbeitet, bevor ich verhaftet wurde. Ein Jahr lang wartete ich darauf, daß sie mich herausholen würden. Aber dann habe ich mich gefügt«, sagte er mehr zu sich selbst als zu Luna. Er ging noch ein Stück über das Geröll mit, gemeinsam führten sie Alana, die wie eine Blinde weiterschlurfte. »Es wird nicht mehr lange dauern«, sagte Luna, aber sie glaubte ihre eigenen Worte nicht. »Hoffentlich, ich bin bald am Ende.« Sie schwiegen, denn Yunakit kam heran. »Sie haben sie also gefunden«, sagte er, ohne Baliwit zu beachten. Er faßte Alanas mageren Arm und schob die Stolpernde weiter, sie näherten sich bereits dem Kommandogebäude. Die Jammergestalten, die sich mit ihren Schalen noch immer um den Wasserdestillator drängten, sahen ihnen mit stumpfen, erloschenen Blicken entgegen. Wenige Minuten später waren sie im Boot. »Los, so rasch als möglich zurück«, befahl der Provinzchef. Luna hielt Alana umschlungen, das Mädchen schien leicht wie ein Kind. Über der Insel der Verdammten flimmerte die Hitze, die Felszinnen erhoben sich als ragende Male tiefster menschlicher Erniedrigung in den blauen Himmel unter glühender Sonne. Alana vermochte sich nicht zu beruhigen. »Bitte, bring mich nicht zu Roger«, wimmerte sie. »Ich darf ihn nie mehr sehen« »Roger liebt dich« Zärtlich drückte Luna die Zitternde an die Brust. »Er liebt dich, Alana!« -293-
Als das Boot angelegt hatte, ließ Yunakit die beiden Frauen ungehindert in Lunas Wagen steigen, der am Pier wartete. Er öffnete ihnen sogar die Türen. Die Klinke noch in der Hand, beugte er sich halb in den Fond und sagte ruhig, aber sehr bestimmt: »Auf die Gefahr hin, daß ich mich wiederhole, Mrs. Forrester darf ich Sie daran erinnern, daß wir keine Sekunde zögern würden, Sie in die Zelle zu sperren, die Sie heute vormittag gesehen haben, oder auf die Felseninsel zu deportieren, falls der amerikanische Journalist Krakhaur nochmals einen gegen die Regierung gerichteten Artikel veröffentlichen sollte.« Er warf die Tür zu und drehte sich scharf auf dem Absatz um. Lunas Fahrer trat auf den Gashebel, mit aufheulendem Motor schoß der Wagen davon.
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22 Es war ein ernster, nachdenklicher Mike Forrester, der zur vereinbarten Besprechung in Lawtons neues Quartier kam. Der Colonel bewohnte nun in Tiking eine Villa. Mike wußte alles über Alanas fürchterliche Erlebnisse. Nach der Befreiung aus dem Internierungslager hatte das Mädchen eine schwere Nervenkrise durchgemacht, zerquält von Verzweiflung und unablässigen Selbstanklagen, weil sie das Geständnis unterschrieben und damit Roger Krakhaur verraten hatte, wie sie immer wieder sagte. Nach allem, was geschehen sei, könne sie ihm nie wieder unter die Augen treten, sei er für sie verloren. Trotz Alanas flehentlicher Bitten hatte Mike sich per Funk mit dem Reporter in Verbindung gesetzt und ihm schonungslos die volle Wahrheit gesagt, allerdings mit der Versicherung, daß Luna sich ganz der Pflege Alanas widme, die nun vor allem völlige Ruhe brauche. »Ich bin schuld«, hatte Krakhaur erschüttert gesagt. »Ich muß sofort zu ihr!« »Es ist noch zu früh, Roger«, hatte Luna geantwortet. »Wir bringen Alana nach Rishram, warten Sie einige Tage, bis sie wieder etwas zu Kräften gekommen ist.« »Bitte, laßt mich wenigstens in ihre Nähe«, drängte Krakhaur. »Ich muß einen Artikel über diesen Han Li Phang, den Bonzen von Tiking, schreiben. Ich verspreche euch, daß ich Alana erst dann besuchen werde, wenn ihr es mir erlaubt.« Das konnte ihm Luna nicht abschlagen. »Also gut, kommen Sie, an Bord der Promise ist genug Platz für Sie. Aber überlegen Sie sich genau, was Sie schreiben wollen.« »Keine Sorge, die Story über den Großen Eiferer recherchiere ich auf ausdrücklichen Wunsch von KaritKis -295-
Informationsminister«, beteuerte der Journalist. »Im Palast wird man damit zufrieden sein.« Zwei Posten in Dschungelgarnitur, wohl zur von den Amerikanern ausgebildeten landeseigenen Miliz gehörig, hielten Mike beim Gartentor von Colonel Lawtons Villa an. Er zeigte seinen Sonderausweis vor, daraufhin konnte er ungehindert bis zum Portal des Gebäudes vorfahren und dort parken. Lawton erwartete ihn bereits in einem Raum des Obergeschosses. Bei ihm war ein dunkelhaariger junger Mann, mittelgroß, mit regelmäßigem Gesicht und auffallend dunkler Haut, die entweder von der Sonne so tief gebräunt oder von Natur so pigmentreich war. »Ich glaube, Sie kennen Scott MacWhorter noch nicht«, sagte der Colonel. »Und das ist Mike Forrester, er war vor kurzem zehn Tage im Gebiet der Groats bei Charlie Prescott.« »Ach so?« MacWhorter lächelte. »Wie geht es dem alten Frontschwein?« »Gut, soviel ich weiß«, erwiderte Mike. Interessiert blickte er sich im Zimmer um. »Ist das hier ein neuer Schlupfwinkel für Agenten?« »Das werden Sie gleich erfahren.« Mike und MacWhorter setzten sich vor Lawtons Schreibtisch. »Scott ist seit drei Monaten im Land. Er gehört dem amerikanischen Informationsdienst in Saigon an. Hier in Mituyan untersteht er offiziell Ted Baum. Aber Ted hat mit Jack Cardinez ein kleines Tauschgeschäft gemacht - bis auf weiteres arbeitet Scott für uns.« Ein Beamter des Informationsdienstes, der an den geheimen Aktionen des Colonels teilnahm - dies erregte Mikes Neugierde. »Scott ist kein gewöhnlicher USIS-Mann«, sagte Lawton. »Er wendet die wirksamste Waffe der Kommunisten gegen diese selbst an: die Idee des ›Volkskrieges‹. In Vietnam hat er schon bewiesen, daß das möglich ist, und nun hoffen wir auf die -296-
Erlaubnis des Country Team in Tuyan, damit die Geschichte auch hier anlaufen kann.« Das war für Mike völlig neu. »Ein Volkskrieg?« Nach den Theorien von Mao Tsetung, Ho Tschi Minh und Giap? »Das sind keine Theorien mehr«, wandte MacWhorter sehr entschieden ein. »Die Kommunisten haben China, Nordvietnam, und den Großteil von Südvietnam nach der Taktik des Volkskrieges erobert, und nun wollen sie auch in Mituyan die Macht an sich reißen.« »Scott hat in Vietnam Agit-Prop-Kader formiert, um die kommunistischen Agitatoren auf ihrem eigenen Feld zu schlagen«, erklärte Lawton. »Er führt eine Sondereinheit von etwa fünfzig sehr gut ausgebildeten und absolut verläßlichen vietnamesischen Soldaten, diese setzen sich gruppenweise im Vietkong-Territorium fest, leben in den Ansiedlungen mit der Zivilbevölkerung, versorgen sich aus den Dörfern, helfen den Bewohnern beim Hausbau und bei der Ernte und wachsen schließlich ganz in die Gemeinschaft hinein. Sie diskutieren auch mit den Leuten, und nach und nach kommen die vietnamesischen Bauern von selbst darauf, daß die Regierung in Saigon zwar nicht ideal ist, daß man sie aber dennoch so lange unterstützen muß, bis die Kommunisten aus dem Land vertrieben sind.« »Das erinnert ja an die psychologische Kriegführung der Mitkoms.« »Es ist genau dasselbe System«, sagte MacWhorter ernst. »Meine Kader in Vietnam folgten bis in die geringste Einzelheit Maos Prinzipien. Wir hielten mit der Bevölkerung Versammlungen ab, in denen Selbstkritik geübt wurde, und erörterten die vier Grundsätze und die acht Regeln, die für uns als Vertreter der legalen Regierung bindend sind. Natürlich waren es dieselben Richtlinien, die Mao festlegte und in China realisierte. Jeder Angehörige meiner Kader trug eine Karte bei -297-
sich, auf der einen Seite standen auf vietnamesisch die Grundsätze und Regeln, die andere zeigte das Wappen von Südvietnam.« Er zog eine solche Karte aus der Tasche und reichte sie Mike. Die eine Seite trug eine verkleinerte Wiedergabe der mituyanischen Flagge Gelb-Rot-Gelb mit dem nach KaritKis persönlichen Anregungen entworfenen Wappen der Republik: einem aufsteigenden Drachen über einem knienden Elefanten. Die Rückseite trug mituyanischen und englischen Text: Maos Prinzipien, die Vo Nguyen Giap, der berühmte nordvietnamesische Guerillaführer und spätere Verteidigungsminister Ho Tschi Minhs, erfolgreich in die Tat umgesetzt hatte. »Wenn ein Mituyaner in meinen Kader aufgenommen wird, dann bekommt er diese Karte, sie ist Ausweis und gleichzeitig Zeichen der Verpflichtung zum bedingungslosen Kampf gegen den Kommunismus. Unser Haufen nennt sich ›Staatliches Sonderkommando‹. Mit Hilfe eines anderen Amerikaners - er ist Captain der Special Forces - und eines Australiers, der das Land gründlich kennt, haben wir zwei Kader aufgestellt. Der eine befindet sich bei den Special Forces im Tuyandelta, der andere wird sehr bald hier in Tiking bereitstehen. Das Country Team braucht nur noch den Startschuß zu geben.« Mike betrachtete die Karte genau. »Was da steht, ist eigentlich völlig unanfechtbar«, sagte er und las laut vor: »Die vier Grundsäze. Erstens: Achte die Menschen. Zweitens: Hilf den Menschen. Drittens: Schütze die Menschen. Viertens: Befolge die Befehle.« Mike blickte auf. »Das könnte in einem Pfadfinderhandbuch stehen.« Dann las er weiter. »Die acht Regeln. Erstens: Sei höflich und ehrlich. Zweitens: Bezahle für alles, was du erwirbst, den angemessenen Preis. Drittens: Gib Entliehenes zurück. Viertens: Komme für Schäden auf, die du verursacht hast. Fünftens: Vermeide Willkür und Unrecht. Sechstens: Schone den Ertrag -298-
des Bodens. Siebentens: Tu keiner Frau Gewalt an. Achtens: Behandle Gefangene gut.« Mike schob MacWhorter die Karte zu. »Wenn sich die Kommunisten wirklich daran hielten, könnte man mit ihnen in Frieden leben.« »Den breiten Schichten der Bevölkerung gegenüber richten sie sich nach diesen Regeln«, warf Lawton ein. »Wenigstens so lange, bis sie wissen, wo ihre politischen Gegner zu finden sind. Dann arbeiten sie mit gezieltem Terror. Scotts Kader geht genauso vor. Deshalb haben wir ja Schwierigkeiten mit dem Country Team. Der Botschafter befürchtet natürlich, daß die amerikanische Öffentlichkeit etwas über diese Kommandos erfährt, die von Erpressung bis zum Fememord alle nur erdenklichen Gangstermethoden anwenden.« »Meine Leute können jederzeit losschlagen«, sagte MacWhorter. »Ungefähr fünfundzwanzig Mann sind bereits in Tiking, die übrigen kommen mit meinem mituyanischen Partner Major Song.« »Wir müssen aber das Einverständnis des Botschafters abwarten«, betonte der Colonel. »Im Country Team gibt es deswegen noch immer ein großes Tauziehen.« »Jeder Tag, den wir verlieren, kann unschuldige Menschen das Leben kosten und den Mitkoms territoriale Vorteile bringen«, beharrte MacWhorter. »Immer und überall wollen mir unsere Diplomaten und Generale einen Strich durch die Rechnung machen!« fügte er verdrossen hinzu. Die Zornröte färbte sein Gesicht noch dunkler. »Die Kerle werden niemals begreifen, was im Kampfraum wirklich los ist, sie denken nur an die Weltmeinung und an die Reaktion der braven amerikanischen Bürger daheim. Wenn diese braven amerikanischen Bürger daheim wüßten, wie wir uns die Hände beschmutzen müssen, um zu verhindern, daß ihnen die Kommunisten über den Zaun in den Hinterhof steigen...« -299-
»Scott MacWhorter ist wahrscheinlich einer der besten amerikanischen Kenner der Volkskriegstaktik«, erklärte Lawton gelassen. »Um einen solchen Krieg wirksam zu führen, muß man wissen, wie man einen entschlossenen, unnachgiebigen Feind packen kann. Scott und seine Leute sind harte Killer, die härtesten in ganz Mituyan, sie übertreffen sogar die ärgsten kommunistischen Mordbrenner.« Der Schwarzhaarige zog noch eine Karte aus der Tasche. Sie war schwarz, mit einem unheimlichen, starrenden weißen Auge in der Mitte. »Sieht auch nicht gerade wie ein Glückwunschtelegramm aus«, bemerkte Mike. »Davon hat der amerikanische Informationsdienst in Vietnam für uns zwanzigtausend Stück gedruckt«, sagte MacWhorter. »Sobald wir in einem Dorf oder einer Stadt die kommunistischen Agenten entlarvt hatten, erledigten wir sie und hefteten den Leichen solche Karten an. Das wirkte als Abschreckung für die anderen. Personen, die im Verdacht standen, mit den Vietkongs zu sympathisieren, fanden die Karten an ihrer Tür und wußten, daß sie beobachtet wurden. Daraufhin sprangen sie sofort aus, und die Kommunisten fanden bei ihnen keine Unterstützung mehr.« Mike nickte nachdenklich. »Aber was habe ich mit Scotts Aktionen zu tun?« »Sagen Sie es ihm, MacWhorter.« »Sie sind für mich sehr wichtig, Mike. Vor allem, weil Sie die Bevölkerung und die Dörfer dieses Gebietes gut kennen. Ich möchte meinen Kader in eine für die Aktion geeignete Ansiedlung im Mitkom-Territorium schicken. Unsere Operationen würden sich so abwickeln, wie ich es vorhin geschildert habe. Wir würden uns sehr rasch in den Lebensrhythmus dieser Menschen einfügen, so daß sie unsere Anwesenheit sehr bald als eine Selbstverständlichkeit empfinden. Während der Nacht durchstreifen unsere Patrouillen -300-
das Gelände und legen Hinterhalte gegen die Mitkom-Guerillas. Innerhalb der Dorfgemeinschft rekrutieren wir wehrfähige junge Männer, die wir in antikommunistischer Propaganda und im Gebrauch der Waffen ausbilden.« »Rishket!« rief Mike. »Das ist ein Dorf mit etwa sechshundert Einwohnern, fünf Meilen von meiner Kautschukplantage Rishram entfernt. Ich weiß, daß es im Gebiet um Rishket Mitkom-Banden gibt. Vielleicht will sich Scott einmal in der Gegend umsehen, vorerst allein, bis seine Gruppe nachkommen kann.« Er blickte Lawton fragend an. »Ein sehr guter Plan«, meinte der Colonel. »Aber zunächst muß Scott zusammen mit Major Song einen anderen Auftrag durchführen. Wir wollen den politischen Apparat der Mitkoms hier in Tiking außer Gefecht setzen, das heißt, wir müssen möglichst viele Spitzenfunktionäre der sogenannten Mituyanischen Freiheitsfront erledigen.« »Kennt ihr sie?« fragte Mike. »Am besten wäre es, einige Leute meines Kaders auf Ihre Plantage einzuschleusen, ganz unauffällig«, ergriff Scott wieder das Wort. »Wenn dann am Freitag die Verbindungsmänner der MFF kommen, um ihren Anteil zu beheben, lassen wir die Falle zuschnappen und verhören die Kerle. Wir bringen schon aus ihnen heraus, wer die Führer der Untergrundbewegung in Tiking sind, und die legen wir um. Das können wir auf unsere eigene Kappe nehmen, Mike. Kein Mensch wird wissen, wer die Mitkoms kaltgemacht hat, und wir brauchen uns nicht darum zu kümmern, ob es dem Country Team in den Kram paßt.« Lawton zuckte mit den Schultern. »Cardinez hat uns freie Hand gegeben. Die Sache hat nur einen Schönheitsfehler: Rishket steht - wie alle anderen Ansiedlungen - unter der Kontrolle der Wirtschaftshilfe, und Grady Rourke fürchtet einen Skandal, der weite Kreise ziehen könnte, wenn das Country Team den Einsatz von Scotts Kader in einem Dorf offiziell -301-
genehmigt. Jeder weiß, daß er sich hinter die Provinzchefs steckt und die Mituyaner schalten und walten läßt, wie sie wollen.« »Ebensogut könnte er mit der nächsten Maschine absegeln und das Land den Kommunisten überlassen«, fuhr Mike auf. »Was halten Sie davon? Ich möchte die Aktion sofort starten«, sagte MacWhorter. »Dann muß ich darauf gefaßt sein, daß pro Nacht nicht zwanzig, sondern fünfzig Gummibäume gefällt werden. Und eines Tages explodiert in meinem Haus eine Bombe«, erwiderte Mike grimmig. »Keine Sorge«, beruhigte ihn Lawton. »Wir werden zum Schutz Ihrer Pflanzung Gegenterroristen einsetzen, fünfzig Mann, speziell für Stoßtrupps im Dschungel ausgebildet sozusagen eine Art Feuerwehr. Ich will nicht behaupten, daß nicht trotzdem da und dort ein paar Bäume draufgehen werden, aber wir kriegen die Mitkoms zu packen. Und wenn die Kommunisten merken, daß sie es nicht mit Einheiten der mituyanischen Armee zu tun haben, sondern mit harten Guerillakämpfern, dann ist das für sie ein Rückschlag, der sich auf ihre Kampfmoral auswirken wird, um so mehr, wenn ihre Anführer der Reihe nach erledigt werden.« »Von mir aus könnt ihr die Mitkoms wie Hasen abknallen«, sagte Mike. »Doch meine Frau und ich haben Alana versprochen, sie heute nachmittag nach Rishram zu bringen das heißt, wenn Sie nichts dagegen haben, Fritz -, und ich möchte die beiden Frauen nicht gefährden.« »Das leuchtet mir ein. Aber Rishram wird gut abgesichert sein. Scotts Kommandopartner bei dieser Aktion, Major Song, ist einer der höchsten Offiziere von Tarots Geheimpolizei.« Mike schüttelte den Kopf. »Mit solchen Leuten müssen wir uns verbünden? Dieser Song hat vermutlich auch bei Yunakits Justiz die Hand im Spiel.« »Anzunehmen. Doch für unsere Zwecke ist er sehr gut -302-
geeignet, stimmt's, Scott?« »Es gäbe keinen besseren Mann dafür«, pflichtete MacWhorter dem Colonel bei. »Hält sich an seinen Auftrag. Nun, können wir mit Ihnen rechnen, Mike?« Mike blickte von einem zum anderen, dann hob er mit einer Geste der Resignation die Hände und ließ sie wieder sinken. »In Ordnung. Ich mache mit. Aber nicht gern.« »Gut so. Was halten Sie davon, wenn ich heute nachmittag zu Ihnen nach Rishram komme?« fragte MacWhorter. »Von mir aus«, erwiderte Mike verdrossen. »Ob ich jetzt oder erst später wieder einmal alles an die Kommunisten verliere, das ist schon gleichgültig.« »Nur Mut, Mike«, sagte Lawton. »Ich persönlich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie den erforderlichen Schutz haben werden.« »Danke Fritz«, entgegnete Mike. Es klang nicht sehr überzeugt.
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FÜNFTER TEIL GEZIELTER TERROR
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23 Der Chinese Tsung gestattete stillschweigend, daß Nowat seine Geliebte, das Mischlingsmädchen Li Tin, zu den geheimen Besprechungen im Restaurant Golden Dragon in Tiking mitbrachte. Dieses chinesische Lokal diente als unverfängliche Tarnung für den Sitz des kommunistischen Hauptquartiers in der nördlichen Region von Mituyan. In der Hierarchie des Machtapparates der Mitkoms nahm Tsung die gleiche Stellung ein wie Poramat im anderen Lager. Der Chinese war der starke Mann der Freiheitsfront im gesamten Kommandobereich des I. Korps. So gab es für jeden politischen Funktionär und jeden hohen Offizier in Karit-Kis Führungsgarnitur ein »Gegenstück« bei den Mitkoms. Nowat als kommunistischer Organisator der Provinz Tiking war demnach direkter Widerpart von Colonel Yunakit. Der Nordvietnamese Nguyen Van Kan, militärischer Befehlshaber der Nordregion, entsprach dem Korpskommandeur General Dandig. Mung, nun Anführer der zahlenmäßig stärksten und am besten bewaffneten Guerillaeinheit des Gebietes, die in einem Lager bei Rishket konzentriert war, fungierte als kommunistischer Provinzchef. Wohl war Nowat für die Koordinierung aller militärischen und politischen Aktionen in der Provinz Tiking verantwortlich und unterstand direkt Tsung und Kan, doch das Hauptziel seiner Wühlarbeit war die Bildung von Mitkom-Zellen in der Hafenstadt. Sein Fotoladen diente als MFF-Zentrale. Die Kommunisten trafen stets im großen Spielzimmer des »Golden Dragon« zusammen, wo allnächtlich beim Mah-Jongg dicke Bündel von Metascheinen den Besitzer wechselten. Weder Yunakits Geheimpolizei noch Poramats Sonderkommandos waren bisher diesen geheimen Treffen der Mituyanischen Freiheitsfront auf die Spur gekommen. -305-
Nowat betrat mit Li Tin den Raum, der vom unablässigen Klappern der Mah-Jongg-Blättchen erfüllt war. Eine nackte Glühbirne hing über dem runden Tisch, um den sich Spieler und Kiebitze drängten. Tsung blickte kurz auf und erhob sich mit einem unauffälligen, stummen Wink. Sie gingen in ein kleines Nebenzimmer. Li Tin hatte sich bereits als Organisatorin einer kleinen Hilfsgruppe von Frauen bewährt, denen es gelungen war, in Tiking amerikanische Medikamente zu stehlen und in Verstecke der MFF zu schmuggeln. Deshalb durfte sie an gewissen Besprechungen teilnehmen. Tsung, Nguyen Van Kan und der Guerillaführer Tsgret setzten sich an einen Tisch, Nowat und Li Tin holten sich zwei dünnbeinige Stühle herbei. Tsung kam sofort zur Sache. »Tsgret hat unangenehme Neuigkeiten«, begann er. »Es ist unmöglich, in Rishket Fuß zu fassen. Die Amerikaner haben dort gute Arbeit geleistet. Der Dorfhäuptling, die beiden Lehrer, der buddhistische Bonze der Pagode, vor allen Dingen aber der amerikanische Missionar und das mituyanische Oberhaupt der christlichen Gemeinde üben auf die Bevölkerung so starken Einfluß aus, daß man uns weder Nachrichten noch Lebensmittel liefert. Tagret meldet, daß Mungs Truppe fast alle Vorräte aufgebraucht hat. Hundert Mann, entschlossene, todesmutige Kämpfer der Freiheitsfront, sind am Verhungern! Wir müssen Rishket besetzen.« Tsgret, ein überdurchschnittlich großer Mituyaner mit Galgenvisage, nickte energisch. »Wir brauchen auch Waffen«, fügte er sehr entschieden hinzu. »Bis jetzt kommt auf drei Mann ein Gewehr.« »Sobald wir Rishket eingenommen haben, werde ich General Phat verständigen«, sagte Tsung. »Er wird dafür sorgen, daß Ihre Einheit neue Gewehre und MGs aus unserem großen Mutterland China erhält, Genosse.« -306-
»Natürlich bin ich über die Lage in Rishket genau informiert«, betonte Nowat. »Meine Agenten haben mir sogar gemeldet, daß bald eine Schutzmannschaft aufgestellt werden wird.« »Um so rascher müssen wir zuschlagen«, erklärte Kan. »Ich werde die Operation persönlich leiten.« »Das ist meine Provinz, deshalb sollte ich den Oberbefehl haben«, wandte Nowat eifersüchtig ein. »Es wäre ungünstig, wenn ein Ausländer an der Spitze unserer Leute in Rishket einmarschierte.« Der Nordvietnamese blieb hart. »Sie übernehmen das Kommando, Genosse Nowat - unter meinem Oberbefehl. Diese Aktion hätte bereits früher durchgeführt werden müssen. Ich war es, der den Genossen Tsung darauf hinwies, daß wir die Ansiedlung überrollen müssen, bevor die Verteidigungsanlagen weiter ausgebaut sind.« »Heute hat General Phat den Befehl zur Eroberung von Rishket erteilt«, sagte Tsung. »Dieses Dorf ist das erste Angriffsziel im Zuge der neuen Aktion des gezielten Terrors. Darum wird Kan den Einsatz leiten, denn er hat die meiste Erfahrung in diesen Dingen.« »Wieviel Geld steht uns zur Verfügung?« fragte Kan. »Ich habe mit einem Sergeant der Regierungstruppen Verbindung aufgenommen. Er ist bereit, uns Zugang zu einer Waffenkammer der Polizei am Ostrand der Stadt zu verschaffen.« Tsung warf Tsgret einen prüfenden Blick zu. »Ihre Gruppe treibt in Rishram die Gelder ein.« »Jawohl, Genosse Kommandeur. Aber manchmal ist es zu gefährlich, solche Beträge von unserem Lager bis hierher in die Stadt zu bringen.« »Von nun an werden Frakit, Mung und Sie für alle Tributzahlungen persönlich haften, Genosse. Außerdem fordere ich Belege dafür, daß wir tatsächlich eine Summe in der Höhe -307-
von zehn Prozent der Gesamtlöhne der Plantage Rishram erhalten. Die Gelder kommen sehr unregelmäßig herein, und die Beträge wechseln ständig.« »Auch die Anzahl der entlohnten Arbeiter wechselt jede Woche, Genosse Kommandeur«, versicherte Tsgret. »Doch ich werde dafür sorgen, daß von nun an nur verläßliche Führer und Unterführer unserer Einheit den Tribut holen. In Rishram droht keine Gefahr. Der Amerikaner will nicht riskieren, daß wir seine Pflanzungen zerstören.« Tsung wandte sich zu Kan. »Wieviel verlangt dieser Sergeant?« »Fünftausend Meta.« »Am nächsten Montag, wenn wir das Geld aus Rishram haben, werden wir ihn bestechen«, sagte der Chinese. »Schon vorher aber müssen wir das Dorf in die Hand bekommen.« Er nickte Tsgret zu. »Wir erwarten also zum Wochenende die Ablieferung des Tributs - auf jeden Fall.« »Mung und ich werden Frakit nach Rishram begleiten. Alles wird plangemäß verlaufen.« Nowat schlürfte grünen Tee. Er hielt es für klug, an seine früheren Verdienste zu erinnern. »Wenn wir Glück haben, wird es ein ebensolcher Erfolg wie unser gelungenes Täuschungsmanöver, bei dem wir Professor LakaLit erledigten.« »Das war eine sehr wirksame Aktion, Genosse Nowat«, lobte Tsung. »Aber nun müssen wir noch härter und präziser durchgreifen. Morgen nacht besetzen wir Rishket, sobald es hell wird, beginnt das Strafgericht über die Volksfeinde und Knechte Karit-Kis!« »Wir haben Besuch, Mike«, sagte Luna, als sie beim Wohnhaus von Rishram vorfuhren. Zwei Jeeps standen vor dem Tor. »Anscheinend hat sich Scott MacWhorter hierher verirrt«, bemerkte Mike, der seinen Landrover neben einem der beiden -308-
Jeeps parkte. Es war ein verdrecktes Vehikel mit arg verbeulter Karosserie. »Und der da gehört Jerry Otis. Daß die Karre überhaupt noch anspringt, ist ein Wunder, irgendwann wird sie ihm unterm Hintern zerfallen. Jerry ist der Leiter der Entwicklungshilfe für die Provinz Tiking«, erklärte er Alana. »Ich kenne niemanden, der über die Verhältnisse in den Dörfern so gut Bescheid weiß wie er.« »Ich möchte jetzt lieber nicht unter Menschen«, flüsterte Alana. Nach zwei Tagen völliger Ruhe an Bord der Promise konnte sie nun wieder feste Nahrung zu sich nehmen, doch sie war noch immer sehr geschwächt, das Kleid schlotterte um ihren abgezehrten Körper, in ihrem unsteten Blick spiegelte sich noch immer das Grauen. »Natürlich nicht. Für dich haben wir ein stilles, kühles Schlafzimmer bereit«, sagte Luna liebevoll. Zwei Boys luden das Gepäck aus, Luna führte Alana sofort ins Obergeschoß, während Mike auf die Terrasse ging, um Scott MacWhorter und Jerry Otis zu begrüßen. Otis war ein sehr hagerer junger Mann mit gegerbter Haut, er trug ein Sporthemd, leichte Hosen und landesübliche Sandalen. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, daß zwei müde Wanderer Ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen.« Der Entwicklungshelfer schmunzelte. »Fein, daß Sie da sind, Jerry.« Mike schlug ihm auf die Schulter. »Wo waren Sie? - Wohl in Rishket?« »Stimmt. Ich brauche Fotos und genaue Angaben für einen Bericht, den ich an Mr. Grady Rourke schicken will. Er traut uns nicht recht, aber wir wollen weiterarbeiten wie bisher. Rishket ist eines meiner erfolgreichsten Projekte.« »Ich muß es mir einmal ansehen. Die meisten meiner Plantagenarbeiter stammen aus Rishket oder haben Verwandte dort.« »Kommen Sie doch morgen mit. Wir sind nun so weit, daß -309-
alles läuft wie geölt«, sagte Otis voll Stolz. »Jede Familie hat einen betonierten Schweinestall, und ich habe Prachtexemplare von Ebern herschaffen lassen, um die einheimische Zucht zu heben. Alle Bauern verwendeten meine Düngemittel, daraufhin steigerte sich der Ertrag um die Hälfte. Ich habe eine neue Schule errichtet und zwei Lehrer verpflichtet. Sie werden aus dem Fonds der Entwicklungshilfe besoldet. Der anglikanische Pastor wollte eine Kirche bauen, der buddhistische Bonze eine Pagode. Beiden habe ich unter die Arme gegriffen, Kirche und Pagode stehen bereits. Rishket ist zu einem glücklichen Gemeinwesen geworden, die Leute wissen nun, wofür sie arbeiten. Dorfhäuptling ist ein sehr tüchtiger Mann, ein absolut verläßlicher Anhänger der Zentralregierung. Und nun, da Wahlen abgehalten werden sollen, haben die Menschen das Bewußtsein, daß sie die Geschicke ihres Landes mitbestimmen können. Die Kommunisten finden hier keine Anhänger.« »Und wie sind Sie mit Yunakit ausgekommen, Jerry?« fragte Mike. »Er ist natürlich ein Schurke, wie die meisten Provinzchefs. Rourke will alles vertuschen, doch wir wissen, daß für jeden Sack Zement, für jedes Schwein, jedes Pfund Kunstdünger, jede Ladung Baumaterial, die nach Rishket geliefert wurden, Colonel Yunakit die gleiche Menge für sich behalten hat, mit anderen Worten: nicht mehr und nicht weniger als die Hälfte des Gelieferten steckt Yunakit ein. Ich mußte so tun, als merkte ich nichts.« Jerry nahm einen großen Schluck. »Aber trotzdem klappt nun alles, die Bevölkerung ist gesund, wohlhabend, glücklich, loyal und - reif für einen Angriff der Mitkoms.« »Ich möchte meinen Kader in Rishket einsetzen, bevor es zu spät ist«, sagte MacWhorter. »Doch im Notfall kann das Dorf nun wenigstens Hilfe herbeirufen.« Otis runzelte die Stirn. »Eben nicht! Der beschissene Distriktschef hat keine Funkgeräte ausgegeben, weil er sagt, beschädigte Apparate müsse er dann aus seiner eigenen Tasche -310-
bezahlen. Deshalb sind alle Funkgeräte in der Distriktsstation unter Verschluß.« »Morgen sehe ich mir das Dorf an, Jerry, und dann werde ich mir diesen Yunakit vorknöpfen, der Kerl soll sofort mit den Apparaten herausrücken!« MacWhorters Augen funkelten. »Grüßen Sie Captain Cunningham von mir«, sagte Otis. »Er ist der Berater des mituyanischen Infanteriebataillons. Ein ausgezeichneter Mann, der es nicht leicht hat.« »Können Sie nicht mit mir fahren, Jerry?« fragte MacWhorter. »Ich muß morgen nach Tiking zurück, von dort nimmt mich das tägliche Transportflugzeug nach Tuyan mit. Dann knalle ich Grady Rourke meinen Bericht auf den Schreibtisch. Er möchte mich absägen.« »Diese Null hat doch keine Ahnung, was ihr hier draußen leistet«, ereiferte sich Mike. »Seien Sie vorsichtig auf den Straßen«, warnte MacWhorter. »Wie ich die Kommunisten kenne, stehen Sie bei denen schon längst auf der Abschußliste.« »Sie sind nicht gefährdet?« »Nicht so wie Sie, Jerry. Erstens habe ich mich hier noch nicht exponiert, und zweitens schleppe ich immer eine schwedische K-MP und eine Kiste Handgranaten mit mir herum. Aber Ihnen kann ich nur raten: Passen Sie verdammt auf, Jerry!« Am nächsten Tag vor Einbruch der Dunkelheit sammelte sich die MFF-Gruppe aus Tiking auf dem Berg über der großen, blühenden Ansiedlung Rishket. Grüne Streifen fruchtbarer Reisfelder umgaben das Dorf, das zweihundert Familien als Heimstätte diente. Der Sicherungsgürtel aus Drahtverhau nötigte Mung und Tsgret nur ein mitleidiges Lächeln ab. Völlig nüchtern erörterten sie die Foltermethoden. Die Einzelheiten waren so fürchterlich, daß der Büromensch Frakit nicht zuhören konnte und flehentlich bat, man möge ihn von der Verpflichtung -311-
entbinden, mit der Truppe zu gehen. »Gut, Genosse Finanzminister«, sagte der Nordvietnamese mit nachsichtiger Ironie. »Weil Sie der Front mit Ihren Rechenkünsten und Statistiken so treu dienen, haben wir eine andere Verwendung für Sie. Sie werden nicht bei der Bestrafung der Volksfeinde zusehen müssen.« Mit einer Handbewegung unterbrach er Frakits gestammelten Dank. »Sie verstehen doch etwas von Funktechnik?« »Ja. Ich kann Funkgeräte der verschiedensten Typen betätigen.« »Eben. Wir haben hier ein sehr starkes Sendegerät, einer unserer Helfer hat es von Colonel Yunakits Mittelsmann gekauft. Wir senden auf der Standardfrequenz, die man mit jedem Apparat empfangen kann, sogar mit Transistorradios. Frakit, Sie werden die Stimme der Mituyanischen Freiheitsfront sein und den Menschen in diesem Teil des Landes über unsere erfolgreiche Aktion in Rishket berichten. Wir werden Ihnen die Meldungen über unsere Funkgeräte durchgeben, und Sie werden unsere Botschaft dem Volk verkünden.« »Ich bin bereit, Genosse Kommandeur«, erwiderte Frakit erleichtert. »Wo ist der Amerikaner?« knurrte Kan. Jerry Otis wurde herbeigeführt. Er hatte einen Strick um den Hals, eines der beiden Enden hielt ein Guerilla, die Hände waren Otis auf den Rücken gebunden. »Wenn Sie keinen Fluchtversuch machen, werden wir Sie nicht töten«, sagte Nowat völlig sachlich. »Ihr amerikanischen Sklavenhalter seid widerrechtlich in unser Land eingedrungen! Ihr unterstützt den Bluthund KaritKi und seine Sippe und belügt das Volk!« »Bald werden die Wahlen...« Ein fester Ruck am Strick nahm Jerry die Luft, sein Gesicht lief dunkelrot an, die Augen traten ihm aus den Höhlen. Kan trat vor und schlug den voreiligen -312-
Guerilla brutal ins Gesicht, daß er zurücktaumelte. Rasch lockerte der Nordvietnamese die Schlinge. Der junge Entwicklungshelfer rang nach Luft. »Hast du Büffelmist im Schädel?« zischte Kan dem verblüfften Guerilla auf mituyanisch zu. »Dem Amerikaner darf kein Haar gekrümmt werden, nur lebend und unverletzt ist er für uns wichtig! Suche einen anderen, besseren Wächter aus!« fuhr er Mung an. Dann wandte er sich zu der Gruppe der Guerillas. »Es war gut, daß ihr den Amerikaner auf der Straße nach Tiking gefangen habt. Wo ist sein Jeep?« »Keiner von uns kann fahren, darum haben wir ihn auf der Stelle verbrannt«, antwortete Tsgret. »Falsch. Ihr hättet den Jeep abschleppen und irgendwo verstecken sollen«, rügte Kan. »Wenn der ausgebrannte Wagen gefunden wird, werden die Amerikaner General Dandig zwingen, Suchkommandos auszuschicken, um den Gefangenen zu befreien. Andererseits« - ein tückisches Lächeln glitt über seine Züge -, »vielleicht locken wir gerade dadurch die Regierungstruppen hierher, und das würde in unsere Pläne passen.« Als es dunkel war, verließen die schlechtbewaffneten, aber zu allem entschlossenen Guerillas ihr Lager auf der Höhe des Berges und arbeiteten sich durch das Tal geräuschlos an Rishket heran. Alle waren abgemagert, sie hatten seit einem Monat nur von Hungerrationen gelebt, aber die Aussicht, im Dorf große Reisvorräte, Schweine und Geflügel zu erbeuten, gab ihnen neuen Auftrieb und steigerte ihren Mut. Beim Tor schritten zwei Posten auf und ab, junge Männer mit schweren amerikanischen Grand-Gewehren. Die Wachen riefen die drei Gestalten an, die vor ihnen aus der Finsternis auftauchten. »Wir sind Freunde des Volkes«, antwortete Nowat. »Wir wollen ins Dorf kommen und mit den Bewohnern über ihre -313-
Probleme sprechen.« »Hier gibt es keine Probleme«, erwiderte der eine der beiden Bewaffneten. Mung trat einen Schritt auf ihn zu. Ein Messer blitzte auf und fuhr dem jungen Mann in den Leib. Mit einem gurgelnden Schmerzenslaut krampfte er sich zusammen. »Jetzt hast du keine Probleme mehr!« sagte Mung heiser und riß mit einer scharfen Drehung das Messer aus den Gedärmen. Der Getroffene kollerte verblutend zu Boden. Der andere Posten ließ sein Gewehr fallen und hob die Hände, Todesangst in den starren Augen. »Das ist besser«, grinste »Junge Männer nur dann erledigen, wenn sie Widerstand leisten«, riet Kan leise. »Die anderen nehmen wir mit und schicken sie zur politischen Schulung nach dem Norden.« Die Guerillas drangen in das schlafende Dorf ein und verteilten sich rasch. Die Bewaffneten unter ihnen besetzten die taktisch wichtigen Punkte entlang der niederen Lehmwälle. Die wenigen Wachen wurden geräuschlos entwaffnet und gefesselt, Guerillas, die mit leeren Händen gekommen waren, griffen sofort nach den Gewehren und Magazinen. Als die gesamte Ansiedlung sicher in der Hand der MFF-Einheit war, befahl Kan, die Feuer auf dem Versammlungsplatz zu schüren, daß die Flammen hoch aufloderten, dann wurde eine Salve abgefeuert, um die Bevölkerung zu wecken. Nowat, Tsgret, Mung und einige andere Guerillas stellten sich vor den neuen gemauerten Häusern auf. Der Dorfhäuptling, die beiden Lehrer und der Anführer der Schutzmannschaft, der auch das kleine, gering bestückte Arsenal in Verwahrung hatte, wurden herausgeholt und in die Mitte des Platzes getrieben, die übrigen Bewohner erschienen schlaftrunken in den Türen und liefen aufgeschreckt herbei. Kaum erblickte der Dorfoberste Nowat und seine Gruppe, überschüttete er sie mit wilden Verwünschungen. Er selbst und die Bevölkerung von Rishket würden sich niemals der -314-
MFF anschließen, schrie er empört. So laut, daß es alle hören konnten, erwiderte Nowat, ob der Häuptling vergessen habe oder verheimlichen wolle, daß dem Premier und seinem Bruder das Wohl des Volkes gleichgültig sei, daß sie arme Bauern enteigneten und durch drückende Steuern zugrunde richteten. Die MFF wolle dem Volk nur zu seinen Rechten verhelfen und das Land von dem blutsaugerischen Ungeheuer Poramat befreien. Der Häuptling hielt ihm jenes Argument entgegen, das ihm von den Amerikanern und den mituyanischen Funktionären eingedrillt worden war: daß in den Wahlen eine Entscheidung und Wendung zum Besseren herbeigeführt werden würde. »Poramat wird alle Gegenkandidaten ermorden oder auf die Felseninsel deportieren lassen«, beharrte Nowat. »Denkt daran, was mit Professor LakaLit geschah!« Unter der Menge, die sich auf dem Platz drängte, erhob sich ein Gemurmel, doch der Häuptling ließ sich von den Kommunisten nicht einschüchtern. »Wir wissen, daß die Mitkoms den Professor umgebracht haben, Mitkoms in gestohlenen Polizeiuniformen!« »Das behaupten die Amerikaner, die Mituyan unterjochen wollen. Hier ist ein Amerikaner. Er wird es euch sagen.« Jerry Otis wurde zum Feuer gestoßen, wo ihn alle sehen konnten. »Sagen Sie diesen Menschen hier, daß sogar die Amerikaner wissen, wie korrupt und grausam das Regime KaritKis und seines Bruders Poramat ist«, herrschte Nowat ihn an. Jerry blickte in die vielen ihm vertrauten Gesichter. »Vielleicht sind KaritKi und Poramat wirklich korrupt«, sagte er. Nowat nickte befriedigt. »Vielleicht ist es wahr, daß sie viele der Güter stehlen, die das amerikanische Volk ins Land schickt, um der Bevölkerung in Dörfern wie diesem hier zu helfen.« Ein vielstimmiges, überraschtes Raunen war die Antwort. Bisher hatte kein Amerikaner jemals auch nur andeutungsweise an der Regierung in Tuyan Kritik geübt. »Aber die Menschen in Rishket und in ganz Mituyan werden sehr bald die Möglichkeit -315-
haben, die Verhältnisse zu ändern.« Nowat runzelte die Stirn und gab einem seiner Männer einen Wink. »Auf friedlichem Weg, durch die Wahlen«, rief Otis laut, »nicht mit Hilfe dieser Mordbrenner, die...« Ein Guerilla sprang vor und klatschte Otis frischen Wasserbüffeldung ins Gesicht. »Seht euch euren Amerikaner jetzt an!« schrie Nowat. »Er ist ein Schurke. Er weiß, daß euch KaritKis amerikahörige Marionettenregierung versklaven wird, und dennoch belügt er euch immer noch!« Vereinzelte Neinrufe schallten aus der Menge, Kopf an Kopf schlossen sich die Bewohner von Rishket zusammen. »Der Amerikaner ist gut. Er hat uns beim Bau unserer Häuser geholfen. Er hat uns Schweine gebracht.« Ein Stockhieb in die Kniekehlen warf Jerry zu Boden, wieder regnete Büffeldung auf ihn nieder. »Seht ihn jetzt, den amerikanischen Imperialisten, der das Volk ins Joch der Kolonialsklaverei zwingen will!« hetzte Nowat weiter. »Denkt immer daran, wie ihr ihn gesehen habt: auf den Knien, mit Kot beschmutzt. Und so wird es allen Amerikanern in Mituyan ergehen, die sich uns entgegenstellen!« Otis wurde in die Höhe gerissen und abgeführt, doch Nowat war mit seinem propagandistischen Vorspiel noch nicht zu Ende. In einer zwanzig Minuten dauernden Brandrede nannte der Agitator die Gründe, warum die Bevölkerung des Dorfes zur MFF übergehen solle. Plötzlich drehte sich der Häuptling um und schritt auf sein Haus zu. Die anderen folgten ihm, es schien, als würde sich die Menge rasch wieder zerstreuen. »Genug geredet«, rief Nguyen Van Kan gereizt. »Es ist Zeit, das Exempel zu statuieren!« »Holt den Häuptling her«, befahl Nowat. Zwei Guerillas rannten dem Mann nach, packten ihn bei den Armen, rissen ihn herum und schleppten ihn auf den Versammlungsplatz zurück. -316-
»Zur Strafe dafür, daß euer Häuptling das Volk an die amerikanischen Kolonialisten und ihren Knecht, das Scheusal Karit-Ki, verraten hat, wird er von der Mituyanischen Freiheitsfront hingerichtet.« Aus dem Gewühl löste sich ein großer, hagerer, weißhaariger Amerikaner und trat vor Nowat hin. Auf mituyanisch, so daß ihn alle verstehen konnten, sagte er: »Ich bin Reverend Athol. Den Menschen in diesem Dorf, ob Christen oder Buddhisten, geht es gut. Sie brauchen euch nicht. Sie wollen nichts mit euch zu tun haben. Ihr werdet bei ihnen überall auf Widerstand stoßen. Diese Menschen finden Kraft in ihrem Glauben und fürchten euch nicht.« Er wandte sich zu den Reisbauern um. »Ist das wahr?« »Es ist wahr, Reverend Athol«, antworteten sie wie aus einem Mund. Der mituyanische Pastor und ein buddhistischer Mönch mit geschorenem Kopf schoben sich durchs Gedränge heran und stellten sich trotzig neben den Amerikaner. Diese stumme Demonstration machte Nowat plötzlich unsicher. Kan, der merkte, daß der Demagoge einer solchen Situation nicht gewachsen war, stieß ihn beiseite und trat auf den großen Missionar zu. »Sie sind der religiöse Führer in Rishket?« fragte er herausfordernd. »Ich bin es, zusammen mit Reverend Hakalut und dem ehrwürdigen Han Letit.« »Euer Gott ist allmächtig? Wie?« Der Nordvietnamese grinste höhnisch. »Er kann alles?« »Er stärkt sein Volk mit Zuversicht. Wer an ihn glaubt, hat nichts zu fürchten« antwortete Reverend Athol mit laut schallender Stimme. Eine befehlende Geste von Kan, und ein Guerilla schleuderte -317-
dem Missionar mit einer Holzlatte Büffelmist ins Gesicht. »Diesem Gott scheint es einerlei zu sein, ob ein frommer Mann erniedrigt wird«, lachte Kan. »Wir werden sehen, ob dieser allmächtige Gott der amerikanischen Imperialisten seinem Jünger in Rishket helfen wird.« Zwei Guerillas stießen Reverend Athol spitze Stöcke in die Kniekehlen, mit einem halberstickten Schrei stürzte er zu Boden. »Mung!« rief Kan gebieterisch, »zeig, was du bei uns gelernt hast!« Der Einäugige kam heran. Tsgret reichte ihm ein langes, dünnes, zugespitztes Bambusstück. Unterhalb der Spitze waren Späne abgespalten und bildeten eine stachelige Krause um das Holz. Während Reverend Athol trotz der Fleischwunden in den Kniekehlen sich aufzurichten versuchte, machte Mung aus Daumen und Zeigefinger der linken Hand einen engen Ring und ließ den Bambus durchgleiten. Dann zog er ihn zwischen den schwieligen Fingern rasch hoch, und aus den Spänen wurden Widerhaken. Entsetzt wichen die Umstehenden zurück. Sie ahnten, was nun geschehen würde. Tsgret und zwei andere Guerillas zogen dem Missionar die blutbefleckte Hose herunter. Er betete laut, allein, denn die Furcht vor der Rache der Mitkoms verschloß den Christen von Rishket den Mund. Reverend Athols nacktes Gesäß wurde angehoben, und plötzlich schlugen seine Worte in schrilles, gellendes Geschrei um. Langsam bohrte Mung die Bambusspitze in den After. Schaudernd wandten sich die Reisbauern von dem grausigen Schauspiel ab - einer seit alters her in ganz Südostasien gebräuchlichen Folter -, doch die Guerillas rissen sie brutal herum und zwangen sie zuzusehen. Der Missionar wand sich stöhnend auf dem Boden. »Warten wir ab, ob sein Gott ihm den Bambus wieder herauszieht!« rief Kan. »Wir werden es selbst sehen, denn wir bleiben einen oder -318-
zwei Tage hier.« Die Lehrer und der Häuptling wurden mit den Handgelenken an die Fußknöchel gefesselt und auf dem Versammlungsplatz liegengelassen. Den Dorfbewohnern befahl Kan, ein reichliches Mahl für die tapferen Kämpfer der Freiheitsfront zu bereiten. Verängstigt hasteten die Bauern zu ihren Häusern. Als alle Guerillas gesättigt waren und sie die Reisvorräte von Rishket geplündert und auf Traglasten verteilt hatten, wurden die wehrlosen Menschen wieder auf den Platz getrieben. Sie mußten sich eine politische Rede anhören. Neben dem gepeinigten Missionar kniete Jerry Otis. Nowat übertönte mit seinen Propagandaphrasen Athols dumpfes Wimmern. Die MFF werde in Mituyan die Macht ergreifen und eine wahre Volksherrschaft errichten, erklärte er. Die Wahlen verwarf er als Spiegelfechterei, um die Welt glauben zu machen, die Mituyaner legitimierten mit demokratischen Mitteln nach ihrem Willen den Tyrannen und Mörder KaritKi als Staatsoberhaupt. Nowat drohte mit der Zerstörung des Dorfes und der Ausrottung seiner Bewohner, falls diese sich an der Wahl beteiligen würden. Rishket müsse seinen Beitrag zur Befreiung des Landes leisten, verkündete Nowat, es gelte, alle Anstrengungen zu verdoppeln, um einen baldigen Umsturz herbeizuführen. Die MFF werde beim Abzug die zehn kräftigsten jungen Männer mitnehmen und für den Kampf gegen KaritKi und Poramat ausbilden. Die Frauen des Dorfes brachen in lautes Wehklagen aus. »Für die Befreiung des Volkes ist kein Opfer zu groß!« bellte der Agitator. Doch der Terror ging weiter. Verächtlich auf die gekrümmte Gestalt des Häuptlings niederblickend, rief Nowat: »Dieser Mann ist ein Volksfeind. Er sagt auch, es sei recht, daß KaritKi das Land unterdrückt und ausbeutet. Jeder Dorfhäuptling, der in diesem Kampf auf KaritKis Seite steht und gegen die Freiheitsfront arbeitet, ist ein Verräter und wird den schimpflichen Tod eines Verräters erleiden. Im Namen des -319-
Volkes von Mituyan ist dieser Tyrannensöldling dazu verurteilt, nach der seit Jahrhunderten überlieferten Todesart für Verräter zu sterben: durch Verbluten.« Einige Männer wollten aufbegehren, sie wurden mit Gewehrkolben niedergeschlagen. Totenstille senkte sich über den Platz. »Denkt immer daran, daß die Kämpfer der Freiheitsfront in dieses und in jedes andere Dorf Mituyans kommen werden, um alle ihre Feinde zu bestrafen«, schrie Nowat in die Stille. Starr vor Schrecken verkrochen sich die Menschen in sich selber, keiner wagte einen Laut, als der häßliche Guerillaführer mit Vollzug der scheußlichen Exekution begann, die zwei Tage und zwei Nächte dauern konnte. Mit einem haarscharfen Messer schnitt Mung von einem Bambusrohr lange, feste, nadelspitze Späne ab. Dann trat er auf den stöhnenden Häuptling zu, der nun ausgestreckt zwischen zwei Pfählen lag. Blitzschnell stieß er ihm einen Span ins Ohr. Kreischend bäumte sich das Opfer auf, Blutstropfen rannen aus dem zerrissenen Trommelfell. Gleich darauf stak auch im anderen Ohr einer der teuflischen kleinen Spieße. Jerry Otis, der noch immer neben dem stumm leidenden, halb bewußtlosen Missionar kniete, mußte hilflos zusehen. Es war wie ein wüster Alptraum von unfaßlicher Grausamkeit. Bedächtig versenkte Mung lange Bambusspäne in jede Körperöffnung, sogar in die Harnröhre. Wenn sich der pausenlos brüllende Gefolterte bewegte, um den rasenden Schmerz einer Spitze zu lindern, trieb er dadurch zwei andere nur um so tiefer in seinen Körper. Kan überließ den Häuptling dem langsamen Martertod, den beiden Lehrern blieb das gleiche Schicksal vorläufig erspart, denn der Nordvietnamese hatte nun andere Sorgen. »Eine Gruppe soll so viele Lebensmittel und Schweine, als sie tragen kann, ins Lager hinaufschaffen. Eine zweite Gruppe eskortiert die jungen Männer, die wir ausheben werden. Die eine Gruppe bleibt als Besatzung im Lager, die andere kommt so rasch als -320-
möglich wieder nach Rishket zurück. Morgen früh werden wir jeden Mann auf den Wällen brauchen, ihr müßt also beide Strecken im Eilmarsch zurücklegen.« Während Mung die Gruppen einteilte und genau instruierte, ging Kan mit Nowat und Tsgret durch die scheu zurückweichende Menge und hielt Musterung. Immer wenn sie einen geeigneten Rekruten gefunden hatten, bezeichneten sie ihn durch einen leichten Schlag auf den Scheitel, Guerillas packten den Unglücklichen, drehten ihm die Arme auf den Rücken und schleppten ihn auf den Platz. Bald waren zehn Mann beisammen. Als die Mitkoms die Reissäcke aufgestapelt und frisch geschlachtete Schweine an Tragestangen gebunden hatten, verließen die beiden Gruppen das Dorf und verschwanden in Richtung auf das Berglager. »Das Dorf sofort in Verteidigungszustand setzen«, sagte Kan zu Mung. Der Guerillaführer postierte seine Leute an den taktisch günstigsten Punkten der Brustwehren. Er befahl jedem einzelnen Kämpfer, hinter seinem Platz einen zweiten Wall aus Lehm aufzuschichten oder ein Schützenloch zu buddeln, um gegen im Rücken krepierende Granaten gedeckt zu sein. Den ganzen Tag verbrachten Mung und seine Mannschaft damit, die Befestigung von Rishket zu verstärken und vor ihren Stellungen selbstverfertigte Claymore-Minen einzugraben, die elektrisch gezündet werden konnten und die vordersten Reihen der Angreifer mit einem vernichtenden Hagel von Metallsplittern überschütten würden. Bei Einbruch der Nacht meldete Mung stolz, daß seine Truppe das Dorf mindestens vierundzwanzig Stunden gegen ein Bataillon der regulären Armee halten könne, sogar länger, falls Munition erbeutet würde. Schwärme von Fliegen sammelten sich über den beiden in der Mitte des Versammlungsplatzes liegenden Opfern des Terrors. Schutzlos der glastenden Sonne preisgegeben, litten der -321-
Häuptling und der amerikanische Missionar unbeschreibliche Qualen. Jerry Otis durfte dem Häuptling keinen Tropfen einflößen, obwohl der Gefolterte den ganzen Tag nach Wasser heulte, zuerst laut, dann immer leiser. Infolge des Blutverlustes und der rasenden Schmerzen wurde der Häuptling von Stunde zu Stunde schwächer. Vor der Morgendämmerung des zweiten Tages kehrte die eine Gruppe der Guerillas zurück. Sie hatte beobachtet, daß tatsächlich zwei Infanteriekompanien, vielleicht sogar ein ganzes Bataillon auf der Suche nach Jerry Otis war und jeden Moment vor Rishket auftauchen mußte. Kan und Nowat quittierten diese Meldung mit einem befriedigten Nicken. »Nun wird sich keine Ansiedlung in der Provinz Tikung vor uns sicher fühlen«, grinste Nowat. »Und unsere Agit-PropKader werden die Leute nicht vergebens davor warnen, zu den Wahlurnen zu gehen.« »Und ob!« stimmte ihm Kan bei. »Die Bevölkerung von Rishket ist für die Regierung verloren. Dies um so eher, wenn die Reisbauern erleben, wie ihre Beschützer heute kämpfen werden. Wir haben bloß den Verräter gefoltert und dem Missionar Gelegenheit zu einem Gottesbeweis gegeben. Die Truppen aus Tiking aber werden die unschuldigen Menschen töten, nicht uns!« Als sich bei Sonnenaufgang auf dem Karrenweg, der zum Dorf führte, das Motorengeräusch schwerer Lastwagen näherte, warteten die Guerillas bereits, hinter den Wällen verschanzt. Mungs wirksamste Waffe, eine amerikanische rückstoßfreie Kanone vom Kaliber 57 Millimeter, war auf das letzte Stück der Strecke unmittelbar vor dem Tor gerichtet. Aufwirbelnde Staubwolken wälzten sich heran, laut brummend kam das erste Fahrzeug in Sicht, es hielt direkt auf das Haupttor zu. Dahinter schwankten mehrere andere Laster, Reihen von Stahlhelmen ragten über die Verdecke. -322-
In unvermindertem Tempo rollten die Wagen über den zerfurchten Boden. Mung gab dem Schützen ein Zeichen. Der Guerilla äugte gespannt durch das Teleskop der Waffe, und als der erste GMC nur mehr 50 Meter vom Tor entfernt war, riß er den Abzugsbügel durch. Das Geschoß rauschte aus dem Rohr und detonierte mit einem Donnerschlag im vordersten Wagen. Eine riesige Stichflamme erfaßte auch den nächsten, Sekunden später waren beide eine einzige ungeheure Brandfackel. Bis hinter die Wälle des Dorfes drangen die Schreie der Verwundeten und Verbrennenden.
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24 Mit einem Ruck hielt die Lastwagenkolonne der Regierungstruppen. Soldaten sprangen herab und gingen außer Schußweite der Guerillas hinter den Deichen der Reisfelder in Stellung. Major Nuram, erst vor kurzem befördert und zum Bataillonskommandeur ernannt, bezog seinen Gefechtsstand 50 Meter hinter der Kompanie, die das Haupttor des Dorfes anzugreifen hatte. Der amerikanische Berater, Captain Ralph Cunningham, wich nicht von der Seite des mituyanischen Offiziers. Auch Scott MacWhorter hatte sich Nurams Bataillon angeschlossen, um seinen Freund Jerry Otis zu suchen. »Vielleicht ist Jerry in diesem Kaff«, dachte er laut. »Die Mitkoms haben den alten Vietkong-Trick übernommen, gefangene Amerikaner herumzuschleppen und vor der ganzen Bevölkerung des Dorfes zu demütigen, um zu zeigen, wie schwach die Amerikaner in Wirklichkeit sind.« »Kann sein«, erwiderte Cunningham. »Die ganze Aktion erinnert mich an Vietnam.« »Wenn der Häuptling ein Funkgerät gehabt hätte, wäre es gar nicht erst soweit gekommen«, stieß MacWhorter wütend hervor. »Wie oft ist Jerry diesem beschissenen Grady Rourke in den Ohren gelegen, er solle dafür sorgen, daß die Geräte in den Ansiedlungen und Stützpunkten verteilt werden! Die Entwicklungshilfe hat doch weiß Gott genug von dem Zeug nach Mituyan geliefert!« »Wir sollten die Granatwerfer einsetzen«, sagte Nuram nachdenklich. »Dann treffen wir die Bewohner«, wandte Cunningham ein. -324-
»Wir werden nur die Wälle beschießen.« »Nein, wir müssen das Dorf im Nahkampf erobern«, riet der amerikanische Offizier. Der Sergeant des Stabskompaniefunktrupps baute sich vor Nurams Jeep auf: »Die Mitkoms senden auf ihrer normalen Frequenz Meldungen und Parolen, die man mit Geräten im ganzen Land empfangen kann.« »Welche Meldungen?« »Daß die Guerillas Rishket zwei Tage lang gegen die kampfunfähigen, von feigen Offizieren geführten mituyanischen Truppen halten werden.« Das wirkte. Nuram durfte nicht das Gesicht verlieren. Er blickte Cunningham an. »Wir müssen sie noch heute vertreiben.« Der Captain stimmte zu. »Bajonett aufpflanzen, durch die Reisfelder vorgehen und, wenn wir nahe genug heran sind, Sturm auf die Wälle. Es gibt keinen Drahtverhau und, soviel wir wissen, auch keinen Minengürtel. Nach meiner Schätzung sind wir in der drei- oder vierfachen Überzahl.« »Unter allen Häusern wurden Unterstände angelegt, dort sind die Bewohner vor Gewehr- und MG-Feuer sicher«, fügte MacWhorter hinzu. »Sir, die Mitkoms melden auch, daß sie den Häuptling als Volksfeind und Verräter hingerichtet haben«, sagte der Sergeant. Wütend fuhr MacWhorter auf. »Er war ein guter, verläßlicher Mann. Immer erwischt es die Besten! Wahrscheinlich werden die Schweine auch die Lehrer, den Anführer der Dorfwehr und den Pastor umlegen. Ich hoffe nur, daß Reverend Athol nichts passiert. Wenn er den Mund hält, werden sie ihn wahrscheinlich in Ruhe lassen.« »Greifen wir an, Major!« drängte Cunningham. -325-
Major Nuram gab über das Funkgerät den Befehl an seine drei Kompaniekommandeure: »Granatwerferfeuer auf die Wälle!« »Falsch, Major! Damit töten Sie nur die Bewohner«, beschwor ihn Cunningham. Zu spät. Entlang der ganzen Linie des Bataillons hörte man das hohle Krachen der Granaten, die aus den Rohren fetzten. Gleich darauf detonierten sie dröhnend auf und hinter den Barrieren. MacWhorter und Cunningham mußten zusehen, wie der Werferbeschuß fortgesetzt wurde. Der Captain schüttelte verzweifelt den Kopf. »Immer dieselbe alte Geschichte. Ganz gleich, wer gewinnt, die schwersten Verluste hat die Zivilbevölkerung.« Nach fünf Minuten verstummte das Getöse. Nuram befahl zwei Kompanien zum Angriff durch die Reisfelder, die dritte Kompanie blieb in Reserve. Cunningham straffte sich. »Ich gehe mit.« »Nein, es ist zu gefährlich«, antwortete Nuram. Gespannt beobachteten die beiden Amerikaner die Einheiten, die ausschwärmten und sich, die Deichwälle als Deckung benutzend, geduckt gegen das Dorf vorarbeiteten. Als sie bis auf Gewehrschußweite vorgedrungen waren, eröffneten die Guerillas das Feuer. Eine der Claymore-Minen detonierte, die hoch aufsprühende Fontäne schleuderte einen Hagel von Splittern um sich. Doch die kriechenden Soldaten befanden sich im toten Winkel. »Los, weiter, weiter!« brüllte Cunningham. Der Vorstoß geriet ins Stocken, und in diesem Moment verstärkten die Mitkoms ihr Abwehrfeuer, um die beiden Kompanien niederzuhalten. Die Claymore-Minen hatten eine verheerende moralische Wirkung auf die Soldaten. Zuerst gingen nur einzelne zurück, dann ganze Gruppen. Sofort erstarb auch der Beschuß zu einem dünnen Geknatter. -326-
»Die Kerle wollen nur Munition sparen!« rief Cunningham. »Jetzt müssen wir zuschlagen!« Er starrte dem Major ins Gesicht. »Der Angriff darf nicht liegenbleiben. Wir kommen bis zu den Wällen durch.« »Es sind zu viele Mitkoms«, erwiderte Nuram. Er winkte seinen Funker heran. »Artillerieunterstützung anfordern! Dringend! Rishket muß noch heute genommen werden.« »Sie können das Dorf doch nicht von den 10,5-Haubitzen eindecken lassen!« schrie der Captain entsetzt. »Die Werfergranaten haben schon genug Schaden angerichtet, aber nach dem Artilleriebeschuß wird von Rishket nichts mehr übrig sein. Greifen wir nochmals an, ich führe die beiden Kompanien.« Nuram lächelte herablassend. »Das ist zu gefährlich.« »Und wenn Sie fallen, Captain? General Dandig will Verluste vermeiden.« »Verdammt noch mal, Major, wie wollen Sie dann diesen Krieg gewinnen?« Schweigend sah Nuram zu, wie die zwei Kompanien in ihre Ausgangsstellungen zurückkehrten, dann kletterte er in den Rücksitz des Jeeps, legte die Füße auf die Lehne des Vordersitzes und streckte sich wohlig aus. »Sobald die Artillerie eingreift, stoßen wir vor«, gähnte er. »Major!« brüllte ihn Cunningham an, »das ist eine erprobte kommunistische Taktik, ich habe es Dutzende Male in Vietnam erlebt. Den Kommunisten ist es nur recht, wenn das Dorf beschossen wird. Die Leidtragenden dabei sind die wehrlosen Zivilisten, ihr Haß richtet sich gegen die Regierung, und die Guerillas haben dann leichtes Spiel bei ihnen. Gehen wir nochmals durch die Reisfelder vor. Wir können Rishket im Sturm erobern.« -327-
Nuram würdigte ihn keiner Antwort. Cunningham blickte MacWhorter an. »Wenn Jerry drin ist, könnten wir ihn retten, wenn Nuram gleich angreift. Die Mitkoms würden jeden Mann für die Verteidigung brauchen. Und wie ich die Kommunisten kenne, würden sie sich nach kurzem Widerstand rasch zurückziehen und im Dschungel verschwinden. Aber so wissen sie ganz genau, daß die mituyanischen Truppen den Nahkampf scheuen!« MacWhorter zuckte nur resignierend die Schultern. Den ganzen Vormittag und bis in den Nachmittag hinein verblieb das Bataillon untätig in seinen Stellungen vor Rishket. Es herrschte völlige Feuerstille. Eigentlich deutete nichts darauf hin, daß sich, einige hundert Meter voneinander getrennt, zwei feindliche Parteien gegenüberlagen. Am Spätnachmittag schließlich dröhnte das dumpfe Motorengeräusch schwerer Lastwagen durch den Dschungel. Der Funker kam zum Jeep. »Sir, ich habe Verbindung mit der Batterie.« Nuram öffnete die Kartentasche an seinem Gürtel und zog die Karte heraus. Gleich darauf reichte er sie Cunningham. »Geben Sie der Artillerie die Koordinaten durch!« Widerwillig ging Cunningham zum Funkgerät und hob den Hörer auf. Drüben meldete sich der amerikanische Berater der Batterie. Er verstand Cunninghams Bedenken, die wehrlose Bevölkerung durch Geschützfeuer zu gefährden, mußte aber den Befehl befolgen, nach den Angaben des vorgeschobenen Beobachters das Dorf zu beschießen. Einer von Nurams mituyanischen Offizieren begab sich in die vorderste Linie, um von dort den Einsatz der Haubitzen zu leiten. Cunningham, der das Gelände gut überblickte, sah, wo sich der Beobachter postiert hatte. »Major, der Mann ist zu weit von den Wällen entfernt, er kann die Zielpunkte nicht genau bestimmen.« -328-
»Abwarten«, sagte Nuram gleichgültig. »Fordern wir wenigstens Sanitäter an. Wir werden genug Schwerverletzte versorgen müssen, sobald wir in Rishket eingedrungen sind.« Der Major zuckte die Schultern. »Tun Sie, was Sie für richtig halten.« »In der Distriktsstation gibt es eine Ambulanz unserer Entwicklungshilfe. Holen Sie die doch her«, sagte MacWhorter. »Sie brauchen nur den Distriktschef zu verständigen.« »Danke für den Rat. Wird gemacht.« Bei Einbruch der Dunkelheit waren die 10,5er in Stellung und begannen sich auf die Mauern einzuschießen. Cunningham mußte machtlos zusehen. Die ersten Treffer lagen weitab, doch die nächsten bestreuten den Sektor in immer dichterer Folge. Cunningham und MacWhorter zuckten zusammen, als schwere Granaten mitten im Dorf detonierten. Die Guerillas in Rishket erwiderten das Feuer nur mit vereinzelten Schüssen aus der rückstoßfreien Kanone. Eine Granate schlug ziemlich knapp neben dem Jeep ein. Nuram sprang aus dem Fahrzeug. Mit einem Satz war er in dem Schützenloch, das er sich hatte graben lassen. »Major, die Haubitzen treffen das Dorf und nicht die Wälle!« überschrie Cunningham das Donnern und Jaulen der Kanonade. »Der vorgeschobene Beobachter muß näher 'ran!« Nuram gab keine Antwort. Wieder stiegen in Rishket Erdfontänen hoch, Bambus und Holzteile wirbelten durch die Luft. Der Captain fuhr herum. »Genau das wollten wir verhindern!« brüllte er MacWhorter zu. »Ich löse diesen Armleuchter ab!« Cunningham wollte vorgehen, doch Nuram packte ihn beim Arm. »Wohin?« »Ich übernehme die Feuerleitung!« -329-
»Sie sind mein Berater und bleiben hier. Der Lieutenant ist als Artilleriebeobachter ausgebildet.« »Er zerstört Rishket und alles, was wir in einem Jahr aufgebaut haben«, mischte sich MacWhorter energisch ein. »Los, Ralph!« Mit einem jähen Ruck schüttelte Cunningham den Major ab und rannte tief gebückt in Richtung auf die vorderen Linien. Nuram schrie ihm Drohungen nach. Bald hatte der amerikanische Offizier die Stellung des Bataillons erreicht. Der vorgeschobene Beobachter hockte in einem Erdloch, streckte ab und zu kurz den Kopf heraus, spähte zum Dorf hinüber und gab seine Korrekturen an die Batterie durch. Bevor er überhaupt begriff, was geschah, war Cunningham in das Loch gesprungen, hatte ihm das Sprechfunkgerät entrissen und war schon wieder weg. Meter um Meter arbeitete sich der Captain durch die Reisfelder gegen das Dorf vor. Es war dunkel, aber die Guerillas merkten vermutlich, was er vorhatte, und empfingen ihn mit wütendem Gewehrfeuer. Cunningham robbte durch die Furchen, hinter Deichen gedeckt. Das Mikrophon dicht vor dem Mund, sprach er seine Angaben ins Gerät. Schließlich war er bis auf wenige Meter an die Brustwehr heran, ein niederer Erdwall schützte ihn vor den Kugeln der Mitkoms. Nun konnte er das Artilleriefeuer so leiten, daß es mit mathematischer Genauigkeit die Ziele traf. Die Granaten rissen große Lücken in die Barriere, nach jedem Treffer hörte Cunningham deutlich die Schreie der Verwundeten. Als die Batterie genau eingeschossen war, schaltete Cunningham auf die Frequenz von Nurams Gefechtsstand um. »Sagen Sie dem Major, daß ich fast auf der Mauer bin. Feindliche Gegenwehr sehr schwach. Die beiden Kompanien sollen rasch vorstoßen. Ich werde die Truppe führen!« Der Funker bestätigte den Empfang der Meldung, doch die Antwort blieb aus. Plötzlich sah der Captain vor sich Männer in -330-
Bauernkleidung und schwarzen Pyjamas. Sie kletterten über die Trümmer und kamen auf ihn zu. Cunningham hob sein automatisches Gewehr M-16, schoß aber noch nicht. Auch das konnte eine Kriegslist sein, die die Mitkoms von den Vietkongs gelernt hatten. Wenn die Vietkong-Terroristen ein Dorf wie Rishket besetzten, brachten sie den Häuptling sofort um und trieben die Funktionäre und Lehrer zusammen, um sie später hinzurichten. Wenn dann die Regierungstruppen angriffen, versuchten diese Todgeweihten, die nichts mehr zu verlieren hatten, im Gewirr des Kampfes zu flüchten. Sie stiegen über die Mauern und liefen den Stürmenden entgegen. Doch immer wurden sie von den primitiven, ziellos um sich ballernden Soldaten niedergemäht, was nur den Haß der überlebenden Dorfbewohner gegen die Armee schürte. Angestrengt starrte Cunningham in die Dunkelheit. Der Detonationsblitz einer Granate gab ihm Gewißheit - die Gestalten waren unbewaffnet. Sofort knatterte hinter ihm Gewehrfeuer auf, geduckt hetzten die Flüchtlinge in das Reisfeld hinaus. Die Guerillas jagten ihnen keine einzige Kugel nach. »Nicht schießen!« rief Cunningham in das Sprechfunkgerät. »Feuer einstellen! Das sind unsere eigenen Leute!« Aber die Ziele waren zu verlockend für die Soldaten. Sie knallten, was das Zeug hielt. Der Captain sprang auf und brüllte zu, sie sollten das Feuer einstellen, er stand mitten im Geschoßhagel, zwischen den Truppen und den Mitkoms. Ein harter Schlag traf ihn in die rechte Schulter, dann ein zweiter in den rechten Arm. Gleich darauf warf ihn ein glühender Stich in die Seite vom Deich herunter. MacWhorter hatte Cunninghams alarmierende Meldung gehört. Maßlose Wut packte ihn, als er sah, daß Nuram diesen Notruf nicht beachtete. Er schrie den gelassen am Jeep -331-
lehnenden Major an. »Verdammt noch mal, sagen Sie doch den Kompaniekommandeuren, sie sollen mit dieser Schlächterei aufhören.« »Nach diesem Gefecht wird mein Berater enthoben, darauf bestehe ich«, sagte Nuram mit steinerner Ruhe. »Bald werden wir die Mitkoms vertrieben haben.« »Die Artillerie hat fast das ganze Dorf zerstört, ist Ihnen das noch nicht genug?« brüllte MacWhorter. »Sollen alle krepieren?« »Sie sind nicht Militärberater, sondern nur Zivilist. Aber ich werde dafür sorgen, daß der Innenminister sich bei Ihrer Dienststelle beschwert und auch Ihre Enthebung durchsetzt.« MacWhorter wurde vom Zorn fast übermannt, Selbstdisziplin und Willenskraft hielten ihn davon ab, diesen kleinen Mituyaner zu packen und auf der Stelle zu erwürgen. Der Artilleriebeschuß dauerte noch eine weitere Stunde an. Seit der Lieutenant, der sich in den Kompaniegefechtsstand gerettet hatte, wieder das Feuer leitete, gingen die meisten Granaten daneben. Verworrenes Geschrei von den Mauern und eine weiße Fahne, die deutlich sichtbar geschwenkt wurde, bewogen Nuram schließlich, der Batterie die Meldung »Feuer einstellen!« durchzugeben und den beiden Kompanien zu befehlen, mit schußbereiten Waffen vorzustoßen und beim geringsten Anzeichen neuerlichen Widerstandes den Gegner mit allen Mitteln niederzukämpfen. Beim ersten Tageslicht marschierte Nurams Bataillon, das minimale Verluste erlitten hatte, stramm wie eine siegreiche Truppe in die rauchende Trümmerstätte ein, die von Rishket noch übrig war. Überall lagen Tote und Verwundete. Im Reisfeld, knapp vor dem Tor, fand MacWhorter Captain Cunningham. Der Offizier lebte, er hatte sogar noch die Kraft gehabt, die Mullbinde aus seinem Verbandspäckchen zu fingern und auf die Einschußwunde an der Hüfte zu pressen. Kurz -332-
nachdem Nurams Soldaten das Dorf besetzt hatten, raste die Ambulanz der amerikanischen Entwicklungshilfe heran, gefolgt von einem Jeep, aus dem zwei Special-Forces-Sanitäter mit grünen Baretten sprangen. Sie kamen aus einem 15 Meilen entfernten Camp. Die Regierungstruppen fanden keinen einzigen lebendigen oder gefallenen Mitkom vor. Die Guerillas hatten ihre Toten mitgenommen. Und wie die Kommunisten vorausgesehen hatten, waren ihre Geiseln, die Lehrer, die dörflichen Regierungsfunktionäre und der Amerikaner ausgebrochen. Die Mitkoms hatten ihnen ein fürchterliches Ende angedroht, und sie alle waren unter den Kugeln der ersehnten Befreier gestorben. Keine der Leichen wies eine Schußwunde im Rücken auf. MacWhorter fand auch Jerry Otis, sein Körper war von Geschossen durchsiebt. Sie stammten aus den automatischen Gewehren der Soldaten. MacWhorter stand noch über seinen toten Freund gebeugt, als die Sanitäter vorbeigingen. Mit einem kurzen Seitenblick eilten sie weiter. Cunningham wurde in einem Hubschrauber ins Lazarett von Tiking gebracht. MacWhorter versprach, ihn am nächsten Tag zu besuchen. »Du mußt rasch kommen«, stöhnte der Captain, mühsam die Schmerzen verbeißend. »Denn mich schicken sie todsicher nach Hause, und sobald ich wieder halbwegs auf den Beinen bin, stellen sie mich vors Kriegsgericht.« »Wenn sie das wirklich tun, dann kann mich die Regierung am Arsch lecken. Sollen sie diesen Scheißkrieg doch ohne mich weiterführen«, gab McWhorter hitzig zurück. »Na, dann schau dich jetzt schon nach einem anderen Posten um.« MacWhorter blickte dem aufsteigenden Hubschrauber nach, bis dieser ratternd verschwand, dann schritt er langsam auf das verheerte Dorf zu. In der Mitte des Trichterfeldes, das einmal der -333-
Versammlungsplatz gewesen war, lagen die blutbesudelten Leichen des Dorfobersten und des amerikanischen Missionars. Schaudernd wandte sich MacWhorter von dem grauenhaften Anblick ab. Er kannte beide Foltermethoden aus eigener Anschauung, doch wie alle Vietnamveteranen in Mituyan hatte er gehofft, daß die Greueltaten des schmutzigen Krieges diesem Land erspart bleiben würden. Der Splitterhagel der Haubitzengranaten hatte die Opfer von ihren Qualen erlöst. Bei allem Unheil noch das einzige Gute an diesem sinnlosen Artilleriebeschuß, dachte MacWhorter. Auf dem Weg über die Hauptstraße der Ansiedlung blieb er vor einem der größeren, gemauerten Häuser stehen, das wie durch ein Wunder der Vernichtung entgangen war. Zuerst vermutete er, daß es nun als Notspital eingerichtet werden würde, doch dann sah er den strahlenden Nuram, umgeben von seinen drei lächelnden Kompaniekommandeuren. Der Major war gerade dabei, sein provisorisches Quartier in dem Haus aufzuschlagen, und erstattete per Funk seinen Vorgesetzten in Tiking Bericht. Die Einheit hatte einen größeren Sieg errungen, die Mitkoms waren aus Rishket vertrieben - ohne nennenswerte eigene Verluste, so lautete seine Version. Nuram sagte auch, daß er einen Kurier nach Tiking mit dem schriftlichen Antrag schicken werde, beim Kommando der amerikanischen Militärhilfe eine Disziplinaruntersuchung gegen Captain Cunningham zu veranlassen. Weitere Einzelheiten würden folgen, schloß Nuram, als er bemerkte, daß MacWhorter in der Tür stand und seine Ausführungen mit anhörte. »Ich habe auch Ihr Verhalten nicht vergessen«, sagte der Major drohend, »und kann Ihnen nur raten, sofort von hier zu verschwinden. Vielleicht denke ich dann nicht mehr daran, daß ich Ihre Versetzung aus Mituyan betreiben wollte.« MacWhorter drehte sich auf dem Absatz um und ging wortlos davon. Der Geruch nach verbranntem Fleisch drang ihm in die Nase, und plötzlich verschwamm alles vor seinen Augen. -334-
MacWhorter, der harte Killer, weinte, weinte stumm und mit zusammengebissenen Zähnen über das fürchterliche Elend ringsum. Als er sich dem Ende dieser Straße durch das Chaos näherte, sah er Mike und Luna Forrester, beide mit umgehängten großen weißen Sanitätstaschen. Sie kamen im Laufschritt heran, neben ihnen trabte ein großer magerer junger Mann in der schilfgrünen, baumwollenen Feldgarnitur der amerikanischen Armee. Unter der zurückgeschobenen Schirmmütze sah ein dichter schwarzer Haarschopf hervor. Sofort machten sich Mike und Luna an die Arbeit, es gab so viele verwundete Kinder. Der junge Mann fotografierte und schrieb fast pausenlos. »Scott, das ist Roger Krakhaur«, sagte Mike, während er Wunden säuberte und verband. Von allen Seiten humpelten und krochen die Überlebenden von Rishket zum Hilfsplatz. »Roger schreibt für das Star-Syndikat, seine Artikel erscheinen drüben in vielen großen Zeitungen.« »Schade, daß Sie nicht früher gekommen sind, Roger. Das ergäbe eine sensationelle Story.« »Erzählen Sie mir alles.« Auf der Fahrt vom zerstörten Dorf zur Kautschukplantage beantwortete MacWhorter alle Fragen Krakhaurs nach bestem Wissen und Gewissen. Ein Rätsel blieb freilich noch immer, wie Jerry Otis in Gefangenschaft geraten war. Über seine eigenen Aufgaben ließ sich MacWhorter nicht weiter aus. Am hohen Nachmittag erreichten sie das Wohnhaus von Rishram. Krakhaur hatte es sehr eilig. »Entschuldigt mich bitte, ich möchte noch rasch zu Alana«, sagte er. »Und dann muß ich sofort nach Tiking, um meinen Bericht durchzugeben. Irgendwie wird es schon gehen.« »Roger, Sie wissen, was auf dem Spiel steht, wenn Sie eine Story publizieren, die ein schlechtes Licht auf die mituyanische Armee wirft. Sie wissen es doch - oder haben Sie es schon -335-
vergessen?« fragte Luna warnend. »Der Bericht ist zu wichtig, er muß hinaus«, erwiderte Krakhaur. »Außerdem habe ich unlängst sowieso eine Geschichte vom Stapel gelassen, mit der man im Palast zufrieden sein wird. - Über den Großen Eiferer von Tiking. Danach können sich unsere Leute daheim ein Bild davon machen, wie schwer es die mituyanische Regierung hat.« »Es ist dennoch ein großes Risiko«, beharrte Luna. »Aber gehen Sie nur hinauf zu Alana.« Krakhaur nickte und war schon bei der Treppe. Zwei Stufen auf einmal nehmend, lief er ins Obergeschoß. Leise klopfte er an Alanas Tür. Stille. Dann zögernd: »Komm herein, Roger.« Alana stand beim Fenster mit dem Ausblick über die Kulturen der Gummibäume, bis weit hinüber zu den Hügelzügen von Rishket. Sie war noch immer blaß und wirkte zerbrechlich, doch langsam kam sie wieder zu Kräften und würde wieder so schön werden wie früher. Eine Blüte leuchtete in ihrem Haar. Alana trug eines von Lunas mituyanischen Kleidern mit geschlitztem Rock. Krakhaur trat auf sie zu und wollte sie in die Arme schließen, aber sie wich ihm aus. »War es sehr schlimm in Rishket?« fragte sie. »Ja. Ich muß so rasch wie möglich nach Tiking. Wie ich den Bericht durchbringe, weiß ich noch nicht.« »Geht es wieder darum. Mißstände in unserer Armee und unserem ganzen Regierungssystem aufzuzeigen?« »Ich fürchte ja. Aber die Meldung ist sehr wichtig.« »Dann gib sie durch«, sagte sie, plötzlich sehr energisch. »Hat niemand anders die Story?« »Nein. Das Informationsministerium in Tuyan wird einen großen Sieg der mituyanischen Truppen über die Mitkoms bekanntgeben, und in diesen Tenor werden dann die anderen -336-
Korrespondenten einstimmen.« »Sei vorsichtig, wenn du telegrafierst.« »Vielleicht fliege ich nach Bangkok, gebe dort alles durch und komme nach Tuyan zurück, bevor meine Story drüben Schlagzeilen macht.« Er stand wieder dicht vor ihr. »Ich liebe dich, Alana. Das weißt du doch?« »Du bist sehr lieb, Roger.« Ihre Augen flackerten wie die eines gehetzten Tieres. Mit sanfter Gewalt nahm er sie bei den Schultern, so daß sie ihn ansehen mußte. Er forschte in ihrem Gesicht. »Liebling, ich weiß, was du durchgemacht hast. Aber deswegen liebe ich dich um so mehr. Ich möchte dich heiraten.« Hoffnungslos schüttelte sie den Kopf. »Nein, Roger, du kannst es nicht wissen... es läßt sich nicht mit Worten sagen, wie... Ich werde nie eine Ehe führen können, nie...« »Aber ich liebe dich doch, Alana. Ich brauche dich.« Er wollte sie küssen, doch sie wandte das Gesicht ab. Seufzend ließ er die Hände sinken. »Ich komme zurück, sobald der Bericht draußen ist. Und dann werde ich immer für dich da sein.« Luna erwartete ihn am Fuß der Treppe. »Sie wollten Alana sehen, Roger.« »Wird sie den Schock völlig überwinden?« »Ich weiß es nicht. Wir können nur hoffen.« »Wie kommen Sie von Tiking weiter?« fragte MacWhorter. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich mit der Air Mituyan. Ich glaube, es gibt eine Linie Tiking-Tuyan. Sonst muß ich zusehen, daß ich mit einer Transportmaschine nach Tuyan fliegen kann, von dort bin ich rasch in den anderen südostasiatischen Zentren. Die Story ist hochbrisant, die muß hier 'raus, bevor was in die Luft geht.« »Wenn Sie gesehen hätten, wo Alana gefangen war, dann würden Sie überhaupt nicht mehr nach Mituyan zurückkehren«, -337-
sagte Luna tonlos. »Die Kerle können doch nicht euch für meine Artikel verantwortlich machen!« entgegnete Krakhaur, felsenfest von seinen Worten überzeugt. »Wer sollte sie daran hindern? Der tapfere amerikanische Botschafter?« meinte Luna sarkastisch. Krakhaur dachte an seine ergebnislose Besprechung mit Whittelsie und Macker. »Natürlich, Sie haben recht.« Er begann nervös seine Hände zu kneten und überdachte die Situation. »Vielleicht ist es besser, wenn ich mich aus der ganzen Sache heraushalte. Es ist nur - ich finde, daß einer aufstehen und frei heraus sagen müßte, was hier wirklich geschieht.« Er zog eine Grimasse. »Rhisket - ein großer Sieg der mituyanischen Truppen!« »Haben Sie Alana gesagt, daß Sie den Bericht durchgeben wollen?« »Ja. Sie war dafür, doch...« Er zuckte die Schultern. »Ach, ich weiß einfach nicht.« »Tun Sie, was Sie für richtig halten«, sagte Luna. Krakhaur blickte MacWhorter an. »Soll ich die Bombe platzen lassen?« »Wenn Sie mich fragen, Roger: Für uns ist dieses Country Team in Tuyan nur ein Klotz am Bein. Falls Aussicht besteht, daß Ihr Bericht in Washington hohe Wellen schlägt und hier endlich Ordnung gemacht wird, dann kann ich nur sagen: lassen Sie die Bombe platzen - je schneller, desto besser. Meinen Segen haben Sie jedenfalls.« Krakhaur straffte sich. »Ich schreibe meine Story.«
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25 Am Freitagmorgen saß Mike mit MacWhorter und dessen Kaderführern beim Frühstück auf der Terrasse von Rishram. Sie waren am Vorabend angekommen: die beiden Amerikaner und drei Mituyaner - Major Song, Lieutenant Drit und Sergeant Tsap. Die mituyanischen Offiziere trugen die Kleidung von Plantagenvorarbeitern, lose Buschhemden verbargen die griffbereit umgeschnallten Pistolen. Major Song schien Mike zu mißtrauen, immer wieder musterte er ihn mit prüfenden Blicken durch die Sonnenbrille. Und Mike faßte sofort eine instinktive Abneigung gegen diesen Geheimpolizisten. Nur die Tatsache, daß sie gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen mußten, überbrückte die Kluft zwischen den beiden Männern. Doch Mike hatte Luna und Alana streng verboten, während der Anwesenheit der Kaderleute ihre Zimmer im Obergeschoß zu verlassen. »Zwölf Mann bewachen als Plantagenarbeiter unauffällig das Haus und das Lohnbüro«, erklärte MacWhorter, auch er im schwarzen Pyjama der mituyanischen Bauern. »Wenn wir den kommunistischen Kontaktmann haben, werden wir ihn sofort verhören, und dann verschwinden wir von hier. Aber keine Sorge, ein ganzer Zug harter Dschungelkämpfer bleibt als Schutzmannschaft in Rishram.« »Wenn Frakit entkommt und meldet, was los ist, dann sind wir geliefert, meine Frau und ich, da nützt uns auch die beste Wachtruppe nichts«, antwortete Mike nervös. »Mr. Forrester, ich versichere Ihnen, kein Kommunist, der heute auf dieser Pflanzung auftaucht, wird seine Genossen je wiedersehen«, erklärte Song. -339-
»Wann kommt der MFF-Bote um das Geld?« fragte MacWhorter. »In der ersten Zeit war es ganz verschieden - manchmal sehr zeitig am Morgen, dann wieder erst am Nachmittag. Da es niemals einen Zwischenfall gab, kommen sie jetzt immer um acht Uhr morgens, wie mir mein Manager sagte. Frakit selbst überprüft die Eintragungen, um festzustellen, wie viele Arbeiter in der Woche Löhne beziehen, dann läßt er sich den prozentuellen Anteil ausbezahlen. Er hat immer mindestens zwei Wächter mit.« Nach dem Frühstück fuhr Mike mit den drei Mituyanern und MacWhorter zu dem eine halbe Meile vom Wohnhaus entfernten Büro der Plantage. Kein MitkomBeobachter konnte Verdacht schöpfen, denn es war üblich, daß die Vorarbeiter am Freitag bei der Auszahlung an die Gummizapfer anwesend waren. Bangol, der Manager, blickte die Fremden verwundert an, doch da sie in Mr. Forresters Begleitung kamen, erübrigte sich jede Frage. Song und Drit kauerten sich geduldig auf den Boden des Lohnbüros und unterhielten sich leise miteinander, Sergeant Tsap blieb vor der Tür stehen. Der Vorarbeiter, der mit Bangol gesprochen hatte, wollte sich rasch davonmachen, doch Song bedeutete ihm in sehr bestimmtem Ton, im Raum zu bleiben. Der Mann sah seinen Herrn an, Mike nickte und wies auf eine Ecke, dann setzte er sich neben MacWhorter an den Schreibtisch. Schweigend warteten sie. Um Punkt acht Uhr erschien Frakit, er trug ein elegantes kleines Köfferchen. Hinter ihm gingen der einohrige Guerilla Mung und ein anderer, ebenso wüst aussehender Mituyaner, beide in schwarzen Pyjamas und mit amerikanischen automatischen Karabinern bewaffnet. Die beiden auf dem Boden hockenden Männer fielen ihnen offenbar nicht weiter auf, sie postierten sich hinter Frakit, der zum Schreibtisch trat und seinen Koffer öffnete. Erst in diesem Moment sah er zu seiner Überraschung, daß er Mike vor sich hatte. -340-
»Guten Morgen, Frakit. Ich bin mit dem Schutz sehr zufrieden, den die MFF meiner Plantage gewährt. Es ist zwar kostspielig, aber notwendig.« Den verstümmelten Guerilla sprach Mike auf mituyanisch an: »Ah, Mung, ich freue mich, auch dich zu sehen.« Unsicher fingerte Mung an seiner Waffe. Die drei Kommunisten starrten noch immer verblüfft Mike an. Sie bemerkten nicht, daß sich Major Song und Lieutenant Drit lautlos aufrichteten und mit schußbereiten Pistolen katzenhaft heranglitten. »Wann wirst du an Poramat Rache nehmen, Mung?« fragte Mike in verbindlichem Ton. »Du weißt doch, daß er auch meinen Freund Professor LakaLit auf dem Gewissen hat.« Mung öffnete den Mund, um zu antworten. Er kam nicht mehr dazu. Krachend sausten die Pistolenläufe auf die Schädel der Guerillas nieder. Beide sackten zusammen. Frakit fuhr herum, wollte seine eigene Waffe ziehen. Doch da blickte er in zwei drohend auf ihn gerichtete schwarze Mündungen. Langsam hob er die Hände. »Was soll das bedeuten, Mr. Forrester?« fragte er. »Sie werden doch nicht so töricht sein, zu glauben, daß Sie der Freiheitsfront keinen Tribut mehr zu zahlen brauchen, wenn Sie mich fangen. Wenn Sie und Ihre Leute mich nicht sofort freilassen, dann wird Ihre Plantage dem Erdboden gleichgemacht werden, und Sie, Mister Forrester, werden sterben. Selbst wenn Sie mich nun töten, werden Sie Ihrem Schicksal nicht entgehen, und Ihre Frau wird den Tod als Erlösung herbeisehnen!« Ein knirschender Pistolenhieb Lieutenant Drits brachte ihn zum Schweigen. Gegen den Kiefer getroffen, taumelte Frakit zurück. »Sachte, sachte. Dieser Mann muß noch viel reden«, beschwichtigte Song seinen Kameraden. -341-
»Ich werde euch nichts sagen«, lallte Frakit. »Du wirst, und ob du wirst!« erwiderte der Major mit unerschütterlicher Zuversicht. »Drit, sagen Sie Sergeant Tsap, er soll erkunden, ob noch andere Guerillahunde in der Nähe sind. Und dann holt unseren Lastwagen.« Während MacWhorter und Song die auf dem Boden liegenden Mitkoms entwaffnete, schärfte Mike seinem Manager Bangol ein, im Haus zu bleiben, er selbst trat ins Freie hinaus. Drit gab gerade Tsap und zwei anderen Männern in schwarzer Bauernkleidung Weisungen. Sie verschwanden unter den Kautschukbäumen. Drit und Mike fuhren im Landrover zum Wohnhaus zurück, dort stieg Drit in den Mannschaftslaster der Mituyaner um, und beide brausten wieder zum Lohnbüro. Brutal rissen Song und Drit die niedergeschlagenen und noch völlig benommenen Guerillas in die Höhe. Mungs heiles Auge glühte haßerfüllt, doch keiner der Kommunisten sprach ein Wort. Frakits Mund und Kinn waren verschwollen, er spuckte immer wieder Blut aus. Unter Püffen und Stößen wurden die Mitkoms zum Lastwagen getrieben, sie mußten auf das Verdeck und unter das Plachendach klettern und sich geduckt auf den Boden kauern. Drit und zwei von Tsaps Leuten, die Karabiner der Guerillas umgehängt, schwangen sich hinauf und hielten die Gefangenen in Schach. »Okay, Mike, fahren Sie voraus!« rief MacWhorter. Mike steuerte seinen Landrover. Er fuhr zu einem entlegenen Teil der Pflanzung, wo die Kommunisten durch ihr Vernichtungswerk eine große Lichtung inmitten der Kulturen geschaffen hatten. Man mußte damit rechnen, daß es unter den Zapfern Kundschafter der MFF gab, deshalb wollten MacWhorter und Song die Gefangenen an einem Ort verhören, wo man unbeobachtet war. Schließlich bremste Mike vor einer leeren Arbeiterbaracke. Unter der Dachtraufe stand eine mit Wasser gefüllte Regentonne. Mike hatte seinen Arbeitern die -342-
Grundbegriffe der Hygiene beigebracht und verhielt sie dazu, sich die Hände zu waschen, ehe sie heimgingen. Song stellte den Laster hinter dem Landrover ab. Zufrieden überblickte er das verlassene Gelände. »Her mit dem Kassier!« befahl er. Frakit wurde vom Verdeck heruntergerissen, ein Tritt beförderte ihn vor den mituyanischen Major. »Wenn dir dein Leben lieb ist, dann beantworte alle Fragen«, sagte Song völlig ruhig. »Wir wissen, daß Nowat der MFFFührer der Provinz Tiking ist. Wir wissen auch, daß ausländische Drahtzieher hinter ihm stehen, der Nordvietnamese Nguyen Van Kan und ein Rotchinese. Mit ihnen möchten wir sprechen. Und du sollst uns sagen, wo sie zu finden sind.« Frakit beobachtete Song nicht, drohend funkelte er Mike an. »Sie werden sterben, Ihre Plantage wird zerstört, Ihre Frau...« Ein wuchtiger Pistolenhieb in den Bauch, und Frakit klappte zusammen, krümmte sich, nach Luft ringend, auf dem Boden. »Bringt den Einohrigen.« Auch Mung weigerte sich, etwas zu verraten, doch der Major verlor nicht die Geduld. MacWhorter, der die Szene gespannt verfolgte, sagte zu Mike: »Dieser Song ist ein richtiger asiatischer Geheimpolizeiprofi. Jeder andere würde wütend werden und die Kerle einfach abmurksen lassen.« Ein halblauter, kurzer Befehl Songs, und Drit legte Mung Handschellen an. Dann band er einen Strick an die Kette und verknotete das andere Ende um die hintere Stoßstange des Lasters. Der Guerilla wußte, was ihn nun erwartete, dennoch beantwortete er Songs weitere Fragen nur mit trotzigen Blicken. Der Major zuckte die Schultern, als bedauere er diesen verstockten Menschen. »Holt den Generator!« Zwei Mann hievten die Maschine und das dreibeinige Gestell vom Laster herunter und schleppten beides zu der Regentonne. -343-
Frakit, der noch immer halb bewußtlos im Staub lag, wurde gepackt und wieder aufs Verdeck gehoben. Mit schwankendem Kopf sah er zu Mung hinab, ein Schauder schüttelte ihn. »Nun, weiß vielleicht jetzt jemand interessante Dinge, die auch mich interessieren könnten?« fragte Song in sanftem, bittendem Ton. Keine Antwort. »Auch gut. Paß jetzt genau auf, Frakit. Du kommst auch gleich dran.« Mike und MacWhorter sahen, wie der Lastwagen ganz langsam anfuhr. Mung wurde in die Höhe gezerrt, er trabte nach, um nicht hinzustürzen. Als der Fahrer mehr Gas gab, mußte auch Mung sein Tempo beschleunigen, er lief, lief immer rascher. Da stolperte er und fiel vornüber aufs Gesicht. Instinktiv wälzte er sich sofort auf den Rücken. Nun kam er nicht mehr auf die Füße. Der Wagen raste im Zickzackkurs zwischen den Bäumen durch. »Song ist ein verdammt harter Bursche«, bemerkte MacWhorter. »Aber er wird die Kerle zum Sprechen bringen.« Der Laster hielt. Ganz gemächlich schlenderte der Major zu der blutbeschmierten, staubverkrusteten Gestalt, die langausgestreckt am Seil hing. Mit der Fußspitze stieß er das regungslose Bündel an, dann kauerte er sich nieder. Mung versuchte sich aufzurichten, sank aber wieder zurück. Song schien auf ihn einzureden. Schließlich stand der Major auf, ging zur Rückseite des Wagens und sprach mit Frakit, dann stieg er selbst ein. Der Fahrer startete. Verzweifelt bäumte sich Mung auf, doch ein Ruck, und er wurde neuerlich geschleift. Fünf Minuten später hielt der Transporter wieder vor der Baracke, und Song sprang heraus. Ohne weitere Umstände holten die Mituyaner den völlig erschlafften Frakit herunter und warfen ihn neben den Geschundenen. Entsetzt wich Frakit vor dem scheußlichen Anblick zurück. Unwillkürlich trat Mike -344-
einen Schritt vor, in einer plötzlichen Aufwallung von Mitleid mit einem Mann, den nur Poramats Tyrannei in die Reihen der kommunistischen Guerillas getrieben hatte. »Nein, Frakit«, sagte Song, »dein Freund ist nicht tot. Möchtest du auch so aussehen?« Er ließ dem Mitkom einen Moment Zeit zum Überlegen. »Nun - wo ist Nowat?« »In Tiking«, entgegnete Frakit heiser, den starren Blick noch immer auf den lebenden Leichnam gerichtet. »Und wo in der Stadt? Die genaue Adresse.« »Ich weiß es nicht.« »Wem lieferst du das Geld ab?« »Nowat.« »Gut so. Und wo triffst du dich mit ihm?« Frakit straffte sich, er schloß die Augen. »Ich weiß es nicht.« Er schüttelte verloren den Kopf. »Irgendwer führt mich zu ihm.« »Weich mir nicht aus, Frakit. Du bist ein wichtiger Mann der MFF. Du weißt, wo Nowat sich aufhält.« Frakit schwieg hartnäckig. Song ließ zwei Minuten verstreichen, dann befahl er: »Zieht ihn aus, und hinein in die Regentonne mit ihm!« Mit wenigen Griffen rissen die Leute des Majors dem haltlos Schwankenden die Kleider vom Leib, mit Handschellen fesselten sie ihm die Hände hinter dem Rücken und ließen ihn in den Behälter plumpsen. Auf einen Wink Drits begann einer der Männer den Generator anzukurbeln, nahm die Elektroden und steckte sie ins Wasser. Frakit schrie gellend auf, als der Stromstoß seinen Körper schüttelte. Song hob die Hand, eine der Elektroden wurde aus der Tonne gezogen. »Bitte, wo in der Stadt?« fragte er mit der unbarmherzigen Höflichkeit eines Inquisitors. »Im Fotoladen«, stöhnte Frakit. Stammelnd nannte er die Adresse der MFF-Zentrale von Tiking. -345-
»Und wie heißt der Chinese? Wo ist er zu finden?« Zögernd verriet der Gefolterte seinen Peinigern, daß der »Golden Dragon« Tsung als Unterschlupf diene. Song bohrte weiter. »Es muß doch viel mehr Anhänger und aktive Helfer euerer Freiheitsfront geben! Los, rede schon, wir wollen alle Namen und Adressen wissen!« »Ich weiß nichts!« schrie Frakit. Der Major wandte sich brüsk um und trat zu Mike und MacWhorter. »Wir haben die Chance, die gesamte MFFOrganisation von Tiking zu zerschlagen. Wenn wir alle Namen und Verstecke aus ihm herausbekommen und den Ort, wo sich das Guerillalager befindet, dann retten wir Hunderten von Regierungsfunktionären und Lehrern das Leben, die sonst von den Terroristen der Reihe nach liquidiert werden würden.« »Das ist unsere Aufgabe«, sagte MacWhorter knapp. »Nach meinen Erfahrungen weiß der Finanzverwalter einer organisierten Guerillagruppe immer über jedes einzelne Mitglied der Bande genau Bescheid - besonders im Anfangsstadium des Untergrundkampfes. Er kennt den Aufbau des ganzen Apparats, von der Spitze angefangen bis zu den Dschungelkämpfern wie diesem Einohrigen dort.« »Es gibt ein letztes Mittel, um alles von einem Gefangenen zu erfahren«, sagte der Major und näherte sich wieder der Tonne. »Um Gottes willen, Scott...« Mike ahnte, was nun geschehen würde, das war zuviel für seine Nerven. »Ich weiß, Mike«, sagte MacWhorter verständnisvoll. »Ich will nicht einmal sagen, daß sie mit uns das gleiche - oder noch Schlimmeres - machen würden, wenn es umgekehrt wäre. Ich möchte gar nicht davon reden, was sie mit Jerry Otis und Reverend Athol gemacht haben.« Scott fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich will auch gar nicht sagen, daß wir in Asien sind, in einer völlig anderen Welt, wo Barbarei und Grausamkeit regieren und das Leben eines einzelnen überhaupt -346-
nichts gilt. Zum Teufel, Mike, was glauben Sie, wie mir zumute ist, wenn ich Tag für Tag solche Dinge mit ansehe? Und wenn ich sehen muß, was von unseren eigenen Leuten noch übrig ist, wenn sie den Mitkoms lebendig in die Hände fallen und wir finden sie später... Nein, ich denke nur an eines - ich hämmere es mir ein: Es ist Krieg, ein scheußlicher, primitiver Krieg, und solange die MFF-Organisation nicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet ist, solange die Guerillas nicht zersprengt und aufgerieben sind, wird immer wieder ein neuer Anführer aufstehen, und der Kampf geht weiter.« Mike nickte müde. »Frakit verrät, wer der Boß der Bande ist, aber er weiß, die Organisation bleibt intakt. Und um das zu verhindern, müssen wir ihn bis zum letzten auspressen.« Schrille Laute gellten von der Regentonne herüber. »Nun, willst du uns jetzt die MFF-Mitglieder deines Aktionsbereichs aufzählen? Einen nach dem andern, Name und Adresse. Los!« sagte Song. »Ich habe euch gesagt... was ich weiß«, keuchte Frakit. Der Major ergriff die freie Elektrode und näherte sie den Augen des Opfers. Frakits Gesicht verzerrte sich in namenlosem Grauen. »Mein Koffer«, flüsterte er. »Deinen Koffer haben wir schon durchsucht.« Die Elektrode vibrierte knapp vor Frakits Pupillen. »Unter dem Lederfutter des Deckel?!« schrie der Gefolterte. Song holte den Koffer aus dem Lastwagen und riß ihn auf. Mit einem Taschenmesser tastete er die Innenseite des Deckels ab, fand eine Stelle, wo sich die schmale Klinge hineinschieben ließ, und hob das Futter ab. Mit einem zufriedenen Grunzen zog er einige dicht beschriebene Blätter Seidenpapier heraus. Es waren Namensverzeichnisse. Scott und Mike sahen Song über die -347-
Schulter. Ganz oben auf der Liste standen Nowat, Tsung und Nguyen Van Kan. Der Major las alles genau durch, dann faltete er behutsam die Papiere, steckte sie in die Brusttasche und ging wieder zu der Tonne. »Du hast uns sehr geholfen, Frakit, wir müssen dir dankbar sein. Nun ist nur mehr eines zu klären...« »Ich weiß nicht, wo das Guerillalager ist«, kreischte Frakit. »Mung hat es gewußt. Und der andere weiß es. Aber ich weiß nichts, nichts!« Song nickte. »Ich glaube dir.« Ein Wink, und der völlig gebrochene Mitkom wurde aus dem Behälter gehoben. »Bringt jetzt den anderen!« befahl Song. Mike blickte MacWhorter an. »Hier kann ich sowieso nichts tun. Verständigt mich, bevor ihr nach Tiking zurückfahrt. Mir langt es, ich möchte zu meiner Frau.« »Kein Wunder. Mich kotzt das alles auch an. Seit fünfzehn Jahren mache ich es mit. Erst in Korea, dann in Laos, in Vietnam, in Mituyan und in ein paar anderen Wetterwinkeln, über die ich nichts verlauten lassen darf. Hunderte, Tausende Amerikaner verrecken irgendwo im Dschungel.« In MacWhorters Gesicht spiegelte sich seine ganze Enttäuschung und Skepsis. »Wissen Sie, daß es heute in den USA kaum einen aktiven Soldaten gibt, der als Sieger heimgekehrt ist? Ich selbst war während des Zweiten Weltkrieges noch zu jung, aber in Korea war ich dabei und habe auch gesehen, was in Laos geschehen ist. Wir hatten die Gefahr schon fast völlig eingedämmt, und was war das Ende? Verhandlungen. Die Politiker haben uns den totalen Sieg in Vietnam vermasselt, ebenso wie vorher in Korea. Damit hier in Südostasien nicht alles zum Teufel geht, liefern wir Hinhaltgefechte nach den Taktiken von Kopfjägern und Gangstern. Terror und Gegenterror. Schmutzige Kriege im Verborgenen, von denen die Leute daheim nicht einmal etwas ahnen.« -348-
Einen Moment lang ließ Mike seine Hand kameradschaftlich auf MacWhorters Schulter ruhen, dann ging er rasch zu seinem Landrover.
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26 Am Samstag versammelte sich MacWhorters Kader zu einer letzten Einsatzbesprechung in Lawtons Villa. Der große Straßenplan von Tiking im Arbeitsraum des Colonels war mit vielfarbigen Stecknadelköpfen gespickt. »Normalerweise würde Yunakits Geheimpolizei eine solche Aktion durchführen«, sagte Lawton zu Mike, »aber wir wollen vermeiden, daß irgend etwas schiefgeht, deshalb erledigen wir die Sache selbst. Tarot persönlich ist darüber informiert und hat uns freie Hand gegeben.« »Präzise, saubere Arbeit«, sagte MacWhorter anerkennend zu Major Song. Der mituyanische Kommandeur des »Staatlichen Sonderkommandos« lächelte den Amerikaner an. Diese beiden Männer verstanden einander, sie verband die gegenseitige berufliche Achtung, wenn auch ihre Anschauungen in grundsätzlichen Fragen sehr auseinandergingen. Besonders über die nötigen Reformen zur Hebung des Lebensstandards dachten sie völlig verschieden. Song stammte aus einer reichen Mandarinfamilie und bekannte sich bedingungslos zu der Politik KaritKis, dem er diente. Vergebens hatte MacWhorter ihn zu überzeugen versucht, daß nur durchgreifende demokratische Veränderungen - er spielte dabei auf die Wahlen an - die Republik Mituyan im Innern so weit festigen würden, daß ein wirksamer, von der ganzen Bevölkerung unterstützter Widerstand gegen die Kommunisten möglich wäre. Doch diesen Argumenten verschloß sich der Reaktionär Song. Er und MacWhorter studierten nun genau den Situationsplan. Jede Stecknadel mit rotem Kopf bedeutete ein Todesurteil. Eine Nadel bezeichnete die Stelle, wo sich Nowats Fotoladen befand, die andere das Restaurant Golden Dragon. Zwei rote Köpfe bezeichneten Nowats wichtigsten Agenten in Tiking und seinen -350-
Verbindungsmann zu jenen Personen, die sich zwar nicht aktiv am Kampf beteiligten, aber der MFF wertvolle Unterstützung leisteten: Lastwagenfahrer, Männer und Frauen, die Zugang zu Medikamentendepots hatten, Bauern, die den Guerillas Reis und Fleisch lieferten und Angestellte der lokalen Telefon- und Telegrafenämter. Gerade letztere waren für die Mitkoms besonders wichtig, weil sie als erste die Meldungen aus der Hauptstadt und dem Ausland erfuhren. So spannte sich ein Netz von Helfern der Untergrundbewegung über das ganze Gebiet, in dem die Kommunisten operierten. Mehr als ein Dutzend blauer Nadelköpfe markierten die Adressen von Mitläufern, die man vielleicht durch Drohungen einschüchtern oder durch Dialektik bewegen konnte, sich von der MFF zu distanzieren. Vorerst würden Angehörige des Kaders sehr höflich bei solchen Familien vorsprechen und mit den Leuten reden. Nach dem Besuch würden die Bewohner an ihrer Tür die schwarze Karte mit dem weißen Auge finden. Die gleiche Karte würde aber auch an die Leichen Ermordeter geheftet sein, als nicht zu übersehendes Zeichen für die noch lebenden Mitkom-Helfer. Die erste Gruppe des »Staatlichen Sonderkommandos« verließ die Villa und schlug zu Fuß den Weg ins Stadtzentrum von Tiking ein. Sergeant Tsap und Lieutenant Drit trugen frisch gewaschene Sporthemden und tadellos gebügelte leichte Hosen. Beide hatten Kameras umgehängt, sie wirkten wie zwei junge Mituyaner, die sich einen vergnügten Nachmittag machen wollten. Die Zeit der Tat war gerade vorbei, und viele Mädchen in hochgeschlitzten Röcken flanierten durch die alte Hafenstadt. Am Samstagnachmittag konnte man in Tiking leicht Bekanntschaften schließen. Um vier Uhr erreichten Sergeant Tsap und Lieutenant Drit ihr Ziel. Es wurde schon allmählich kühler. Mit einem raschen Blick streifte Drit einen Soldaten seines Teams, der an einem Erfrischungsstand Juice trank. Der Mann nickte unmerklich und -351-
hielt zwei Finger hoch, was bedeutete, daß beide Opfer im Haus waren. Drit und Tsap schlenderten weiter und betraten unauffällig Nowats Fotoladen. Li Tin stand allein hinter dem Pult. Tsap fragte, ob jemand rasch nachsehen könne, was mit seiner Kamera los sei, der Verschluß funktioniere nicht. Sie erwiderte, im Moment sei der Besitzer beschäftigt, er entwickle in der Dunkelkammer Filme. Drit, ganz vertrauenerweckender Kunde, meinte, vielleicht sei es doch möglich, den Apparat sogleich zu überprüfen, und legte hundert Meta auf das Pult. Verächtlich sah Li Tin auf den Geldschein nieder. Es gebe in der Nähe noch einige andere Fotoläden, sagte sie. Daraufhin zog Drit Frakits MFF-Ausweis aus der Gesäßtasche und legte ihn neben die Banknote. Li Tin erfaßte sofort die Situation. »Warten Sie hier«, sagte sie. »Wir möchten lieber hinaufgehen. Es betrifft Frakit«, entgegnete Drit. Li Tin riß die Augen auf, sie blickte nochmals den Ausweis an. Drit wollte Nowat nach Möglichkeit überraschen. Auf keinen Fall wollte er mit ihm vor dem Laden stehen. Die Killer mußten damit rechnen, daß Mitkom-Spitzel das Haus bewachten und sofort Alarm schlugen, wenn sie Verdacht schöpften. »Es ist sehr dringend«, beharrte Drit. »Mit den Zahlungen von der Plantage in Rishram klappt es nicht mehr. Frakit hat uns gebeten, Nowat zu informieren, bevor Tsung etwas erfährt. Bitte, führen Sie uns zu ihm.« Li Tin nickte, mit ängstlichem Gesicht bedeutete sie Drit und Tsap, ihr zu folgen. Sie gingen durch einen Nebenraum und über eine Treppe ins Obergeschoß. Das Mädchen klopfte an eine Tür und trat ein. Nowat saß an seinem Schreibtisch, eine Landkarte der Provinz Tiking vor sich ausgebreitet, und machte Notizen. Über die Störung verärgert, blickte er unwirsch auf, doch Li Tin beeilte sich, ihm wortreich zu erklären, warum sie diese beiden Mitglieder der Front heraufgebracht hatte. Drit merkte, daß Nowat bereits mißtrauisch war. -352-
»Frakit würde mir keine Boten schicken«, sagte er, seine rechte Hand fuhr in eine Lade. Rasch hielt ihm Drit die MFFKarte unter die Nase. Fürs erste gelang das Täuschungsmanöver, Nowat ließ die Hand wieder sinken. »Was ist los?« Mit einer Kopfbewegung wies Drit fragend auf die Frau. »Wir können vor Li Tin sprechen. Sie gehört zu uns«, sagte Nowat. »Ich habe einen Brief, den Frakit heute morgen schrieb.« »Wo ist das Geld? Er sollte es bis spätestens heute mittag dem Korpskommandeur Tsung überbringen.« »Alles steht in diesem Brief«, sagte Drit. »Das Geld ist weg, aber wir werden es schon wieder herschaffen.« »Weg?« Aufgeregt griff Nowat nach dem Umschlag. Blitzschnell packte Drit die ausgestreckte Hand, riß Nowat über den Schreibtisch und verdrehte ihm mit einem Ruck den Arm. Krachend landete der Mitkom-Funktionär auf dem Boden. Drit setzte ihm den Fuß auf die Kehle, so daß Nowat keinen Laut von sich geben konnte. Tsap hatte Li Tin im würgenden Schluß der Armbeuge und hielt sie eisern fest. »So, und jetzt heraus mit den Geheimakten der MFF! Wo sind sie? Zeig mit dem Finger, du Hund!« Nowat preßte die Lippen zusammen, trotzig starrte er zu dem Offizier empor. Drit senkte den Fuß eine Spur, ein ersticktes Gurgeln brach aus Nowats Mund. Mit einer raschen, fast tänzerischen Bewegung hob Drit die Sohle auf, holte aus und schmetterte dem Mann den metallenen Beschlag der Spitze wuchtig gegen die Schläfe. Der MFF-Provinzchef lag wie tot da. Nun näherte sich Drit der Frau. »Wo sind die Papiere?« Er ließ die Klinge eines Schnappmessers herausflitzen. »Wenn du schreist, schneide ich dir die Kehle durch.« Tsap lockerte den Griff um Li Tins Hals. »Ich weiß nichts«, -353-
keuchte sie. Sachte fuhr ihr Drit mit der Messerspitze über die Haut. Sie wollte zurückweichen, Haß loderte in ihren Augen, doch sie schwieg. »Ich könnte sie zum Reden bringen, doch wir haben nicht viel Zeit«, sagte Drit. »Aber soviel ich weiß, liebt sie diesen Kerl. Wir werden gleich sehen, ob er ihr wirklich etwas bedeutet...« »Wir wollen nur das Material über die politische Tätigkeit deines Freundes.« Er blickte sich im Raum um. »Die Geheimpolizei wird alles durchsuchen, so lange, bis sie das Zeug findet. Dieser Untergrundkampf wird bald vorbei sein und es hängt ganz von dir ab, was mit Nowat geschieht.« Er richtete da& Messer gegen die regungslose Gestalt auf dem Boden. »Du willst doch nicht, daß er entmannt wird, oder? Was würde er sagen, wenn er sprechen könnte?« Li Tin war totenblaß, aber sie schwieg noch immer. Drit wußte, was in dieser Frau nun vorging. Sie befürchtete, daß sie auf jeden Fall sterben müsse, ganz gleich, ob sie das Versteck verriet oder nicht. »Ihr seid beide noch jung«, fuhr Drit fort. »Wir wollen euch nicht töten. Wir würden euch nicht einmal trennen. Ihr würdet zusammen in ein Reformlager gebracht werden, weit weg von hier, damit sich die MFF nicht an euch rächen kann, und dort könntet ihr euch in aller Ruhe Gedanken darüber machen, ob die Weltanschauung der freien Völker nicht doch menschenwürdiger ist als das kommunistische System, dem ihr jetzt dient.« Er merkte, daß seine Worte wirkten. In den Augen der Frau glomm ein Hoffnungsfunke auf. Auf einen Wink näherte sich Tsap dem noch immer bewußtlosen Nowat und klatschte ihm die blanke Messerklinge auf die Leistengegend. »In einem Jahr wird kein Mensch mehr wissen, ob du uns heute nachmittag geholfen hast oder nicht«, sagte der Lieutenant suggestiv. »Aber er wird es nie vergessen. -354-
Willst du daran schuld sein, daß dein Freund für sein ganzes weiteres Leben seine Männlichkeit einbüßt?« Li Tin schüttelte den Kopf. »Die Papiere sind im Vergrößerungsapparat in der Dunkelkammer. Dort, die Tür.« Drit öffnete und verschwand im Nebenraum. Wenige Sekunden später kam er zurück, in der Hand hatte er einen schmalen Stoß Blätter und eine Schreibmappe. »Sie hat die Wahrheit gesagt. Anscheinend sind das die Verzeichnisse der gesamten Mitkom-Organisation.« Er warf Li Tin einen mitleidigen Blick zu. »Fertig und 'raus hier!« »Wir haben noch etwas Zeit«, erwiderte Tsap mit lüsternem Blick. »Sergeant!« Bevor Li Tin begriff, was nun geschah, hatte Tsap die Pistole mit dem langen Schalldämpfer gezogen und die Frau in die Schläfe geschossen. Schwer sackte sie aus Tsaps Arm, neben ihrem Geliebten kollerte sie zu Boden. Tsap beugte sich über Nowat, der gerade zu sich kam, und erledigte ihn ebenso rasch. Drit heftete den Leichen die schwarzen Karten an. Dann gingen die beiden gemächlich die Treppe hinunter, als wäre nichts gewesen, die MFF-Geheimpapiere trugen sie ganz offen, es hätten irgendwelche unverfängliche Schriftstücke sein können. Unauffällig steckte Drit eine schwarze Karte an die Tür des Ladens und winkte einem klapprigen Taxi, das, stinkende Auspuffwolken hinter sich herziehend, auf der Straße heranratterte. Der Auftrag war ausgeführt. Es war früh am Abend, als Major Song einige hundert Meter vor seinem Ziel aus einem desolaten alten Auto unbestimmbarer Type stieg. Die Karosserie und die Nummernschilder waren von einer dichten Staubschicht bedeckt. Song trug die einfache Kleidung der Bauern und Guerillas, sein Gesicht und seine Hände waren schmutzig, als käme er geradewegs aus dem Dschungel. In der Hand hatte er Frakits Koffer mit dem -355-
winzigen schwarzen Stern, dem Zeichen der MFF. Der Major betrat den Gang des Restaurants ›Golden Dragon‹. Aus dem Hinterzimmer klang das beständige helle Klappern der Mah-Jongg-Blättchen. In der linken Hand hielt Song den Koffer, in der rechten die MFF-Karte, die man Mung abgenommen hatte, rotgelb mit einem schwarzen, fünfzackigen Stern in der Mitte. Unter seinem weiten, sackartigen schwarzen Pyjama hing eine kurze Maschinenpistole, doch Song hoffte, keinen Gebrauch davon machen zu müssen. Als er die Tür des Raumes öffnete, blickte ein Mann vom Mah-Jongg auf. Der Major erkannte ihn sofort als Vietnamesen und vermutete, daß es Nguyen Van Kan sei. Er schob sich durch das Gedränge der Spieler. Ein Chinese hielt ihn an. »Was willst du hier?« »Ich komme von Frakit.« Song zeigte ihm die Karte. »Ich habe den Befehl, diesen Koffer bei Tsung und Kan abzuliefern. Sind sie hier?« Er bekam keine Antwort, aber ein zweiter Chinese baute sich vor ihm auf. »Wer bist du?« herrschte er Song an. Auch ihm wies der Major die Karte vor. »Ich komme von Mung und Frakit. Ich soll den Koffer hier abgeben. Frakit sagte, er würde so bald wie möglich die Schlüssel bringen.« »Warum kommt er nicht selbst her?« »Sind Sie Tsung, Genosse?« »Ja, gib mir den Koffer.« »Ich habe Ihnen meine Karte gezeigt. Jetzt möchte ich Ihre sehen. Frakit und Mung haben mir angedroht, daß sie mich abschlachten wie ein Schwein, wenn ich das Zeug einem Falschen gebe.« »Du hast recht.« Tsung zog seine Karte hervor und hielt sie dem vermeintlichen Guerilla vors Gesicht. »Frakit sagte auch, daß der Vietnamese Kan dabei sein muß, -356-
wenn ich den Koffer abliefere.« »Warum?« murrte Tsung. »Meine Anführer in den Bergen haben mir gesagt, daß um dieses Geld Gewehre für unsere Leute gekauft werden sollen. Deshalb muß ich es Kan zeigen, denn er ist der Kommandeur.« Lachend winkte Tsung den Vietnamesen heran und erklärte ihm die Situation. Auch Kan lachte. »Die Burschen verdienen die Gewehre. Das wird ein gutes Geschäft! Der Sergeant der Regierungstruppen führt uns in das Waffenlager, wir räumen es aus, und wenn er das Geld will - bums! - legen wir ihn um.« »Was ist mit Frakit los?« fragte Tsung mißtrauisch. »Auf dem Weg hierher sind wir zu einer Straßensperre der KaritKi-Banden gekommen. Da hat er den verschlossenen Koffer mir gegeben, denn ich konnte ihn unter meiner Bluse verbergen und passieren, ohne daß jemand Verdacht schöpfte. Er würde sich bei den Kontrollposten schon irgendwie herausreden können, sagte er. Und wenn er kommt, bringt er die Schlüssel mit.« »Seit unserem Überfall auf Rishket sind die Regierungstruppen wachsamer als im ganzen vorigen Jahr«, sagte Kan. »Aber es hat sich trotzdem gelohnt.« Er lachte verächtlich. »Die Amerikaner und ihre mituyanischen Söldlinge behaupten, sie hätten einen Sieg errungen und uns innerhalb weniger Stunden in die Flucht geschlagen.« Rasch griff er nach dem Koffer. »Gib her, ich breche ihn auf.« »Nein, nein. Frakit würde mich bestrafen, wenn das schöne Stück kaputt ist. Er wird bald hier sein.« Song bemühte sich, den getretenen willfährigen armen Teufel zu spielen, der auf jeden Fall die Knute fürchten muß. »Bitte, warten Sie noch eine Stunde.« Tsung und Kan musterten ihn skeptisch. Schließlich sagte Tsung: »Du bleibst hier, bis Frakit kommt. Und wenn er nicht bald da ist, dann öffnen wir den Koffer mit Gewalt. Du sollst -357-
dabei sein, wenn wir nachsehen, was darin ist... und wenn wir ihn leer finden...« »Wenn ich die Freiheitsfront bestehlen wollte, wäre ich dann hierhergekommen?« fragte Song, scheinbar tief gekränkt. »Du wartest!« befahl nun auch Kan. »Kann ich etwas zu essen kriegen? Seit dem Morgen habe ich nichts im Magen.« Tsung nickte. »Wenn es wahr ist, was du sagst, dann hast du dir große Verdienste um die Freiheitsfront erworben. Iß, was dir schmeckt.« Er rief einen der Spieler von den Mah-JonggTischen herbei. »Du weichst diesem Mann nicht von der Seite. Sorge dafür, daß er zu essen bekommt, was er will, aber laß ihn nicht aus den Augen.« Song und sein neuer Begleiter, unter dessen losem Buschhemd drohend die Mündung einer Pistole hervorblinkte, gingen auf die Straße hinaus und begaben sich in den Speiseraum des ›Golden Dragon‹. Song äußerte den Wunsch, nahe bei der Tür zu sitzen, dort sei es kühl. Nun begann eine harte Nervenprobe, jeden Moment mußte eine gewaltige Explosion das Restaurant erschüttern. Während der Major die heiße Suppe schlürfte, überlegte er den weiteren Verlauf der Aktion. Er war überzeugt, daß Kan und Tsung nicht warten würden, bis Frakit käme. Innerlich vor Anspannung zitternd, bestellte Song einige Gerichte und aß so langsam und bedächtig wie noch nie in seinem Leben. Der Wächter rückte ungeduldig auf seinem Sitz hin und her, er wollte rasch wieder zu seinen Mah-Jongg-Partnern zurück. Es konnte höchstens einige Minuten dauern, bis sich Kan und Tsung über den Koffer hermachten, dachte Song. An der Seite fühlte er das kalte Metall seiner Waffe. Er war wenigstens nicht wehrlos. Plötzlich schleuderte ihn eine dröhnende Detonation im Bogen durch die Luft. Eine Sekunde lang war völlige Mattscheibe. -358-
Dann fand sich Song mitten auf der Straße liegend, mit brummendem Schädel und einem tauben Gefühl in den Ohren, doch unverletzt. Er rappelte sich hoch und spähte angestrengt in die aufwirbelnden Staubwolken des zerstörten Restaurants. Den Mitkom hatte die Druckwelle gegen die Mauer geworfen. Verputz und Ziegelbrocken regneten auf ihn herab. Er glotzte Song verblüfft an, schüttelte benommen den Kopf und griff unter das Hemd, wo er die Pistole trug. Aber Song, der seine Maschinenpistole hervorgeholt und hinter dem Rücken verborgen hatte, war schneller. Er schlug an und drückte auf den Abzug. Ein kurzer Feuerstoß, und der Gegner kippte mit dem Oberkörper wieder in Schutt und Splitter. Er regte sich nicht mehr, aus den Brustwunden quoll das Blut. Die Maschinenpistole noch immer im Anschlag, stieg der Major über die Trümmer. Der Spielsaal bot ein Bild völliger Verwüstung. In einer Wirrnis von geborstenen Tischen und Teilen des eingestürzten Gemäuers lagen Leichen verstreut. Es war ausgeschlossen, daß auch nur ein einziger Mensch die Explosion überlebt hatte. Vier Pfund Plastiksprengstoff, mit Hunderten von Metallsplittern und etlichen Schrotladungen zusammengetan und dadurch gezündet, daß der Koffer gewaltsam geöffnet wurde, hätten auch einen Raum von der doppelten Größe pulverisiert. Alle Toten waren bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Song ließ die schwarze Karte auf einen Haufen zerbrochener Ziegel fallen, hastete wieder auf die Straße hinaus und mischte sich unter die erregte Menschenmenge, die sich rasch vor dem Restaurant ansammelte. In der Villa hörten Lawton, Mike und MacWhorter den fernen dumpfen Donnerschlag. Drit und Tsap waren mit den erbeuteten Papieren bereits zurückgekehrt. »Das war Nummer zwei«, sagte MacWhorter. »Wieder ein Volltreffer! Ich hoffe, Major Song konnte rechtzeitig -359-
verschwinden, bevor der Zauber losging.« Der Colonel und ein mituyanischer Aufklärungsoffizier hatten inzwischen mit wachsender Spannung Nowats Geheimmaterial überprüft. Schließlich sprang Lawton impulsiv auf. Triumphierend schwenkte er das Bündel Blätter. »Scott, das ist ein unbezahlbarer Fund! Damit werfen wir die Mitkoms um Jahre zurück! So ungern ich es tue, aber ich glaube, wir werden Poramat einschalten müssen. Nur durch einen Großeinsatz seiner gesamten Geheimpolizei kann man alle Personen schnappen, die hier angeführt sind.« Er wies auf die listen. »Und ich kann meinen Kader endlich ins Guerillagebiet einschleusen, wo er hingehört«, erwiderte MacWhorter erfreut. Lawton trat zum großen Straßenplan der Stadt Tiking. »Ich glaube, nun sollten Ihre Diskussionsgruppen die Runde machen.« MacWhorter grinste. »Ich bin vielleicht nicht der höchste Beamte des amerikanischen Informationsdienstes in Mituyan, doch wahrscheinlich habe ich die besten Argumente zu bieten. Hieb und stichfeste - wenn es sein muß, mit Hieb und Stich.« Der Colonel nickte. »Und ob, Scott!«
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27 In sehr übler Laune bestieg Botschafter Whittelsie das Auto, das ihn zu Mayna bringen sollte. Vorhin, noch zwischen Tür und Angel, hatte ihm Ted Baum Krakhaurs neuesten Artikel gezeigt, einen groß aufgemachten Bericht über den Angriff auf Rishket. Captain Cunninghams selbstloser Einsatz wurde darin besonders hervorgehoben, Major Nuram allerdings kam ziemlich schlecht weg. Schon dies allein war eine böse Überraschung, doch Whittelsies Verstimmung hatte einen tieferen Grund. Am Vormittag hatte er ein hochbrisantes Telegramm erhalten. In dürren Worten teilte ihm sein unmittelbarer Vorgesetzter, Robert Hartland, Staatssekretär für Fernostfragen im USAußenministerium mit, daß sich auf Anordnung des Präsidenten eine Untersuchungskommission nach Mituyan begeben werde, um festzustellen, ob gewisse beunruhigende Meldungen aus Tuyan auf Wahrheit beruhten. Nach kurzer, rascher Fahrt betrat er den Palast und wurde sofort zu Mayna geführt. »Tarot speist beim Premier«, sagte sie, auf das breite Sofa in ihrem Salon deutend. »Ich habe also viel Zeit für dich.« Sie setzte sich neben ihn. »Ich weiß alles über Mr. Krakhaurs...« Whittelsie zuckte zusammen - »kleine Freundin. Doch zuerst: Willst du etwas trinken?« Er nickte, erleichtert, weil sie offenbar noch nichts vom neuesten Streich des Journalisten wußte. Mayna goß Whisky in ein Glas, durch den hohen Schlitz ihres dunkelroten Kleides schimmerte ihr nacktes Bein, wie zufällig berührte das prachtvoll geformte Knie die sandfarbene Hose des Botschafters. »Dieses Mädchen, sie heißt Alana, hat schriftlich in aller Form Beschuldigungen gegen Krakhaur erhoben. Ich habe einen Durchschlag hier, du kannst ihn lesen. Nicht genug, daß er die -361-
Situation gemein ausnützte und Alana die Bedingung stellte, sie müsse seine Geliebte werden, wenn sie ihren Posten behalten wolle, hat er sie auch gezwungen, ihm für seine Enthüllungen über den Premier und dessen Brüder unwahre und verzerrte Informationen zu beschaffen.« »Meiner Meinung nach liegt hier ein schweres Mißverständnis vor«, bemerkte Whittelsie trocken. »Aber die Behauptungen können nicht überprüft werden, außerdem hat uns Krakhaur schon genug Scherereien gemacht, wenn also der Premier seine Ausweisung verfügen kann, ohne dadurch unangenehme Folgerungen für die mituyanische Regierung und die amerikanische Botschaft heraufzubeschwören, werde ich nur formell Protest einlegen. Ich bin froh, wenn der Kerl endlich verschwindet, ihm verdanke ich, daß mich das Außenamt in Washington immer wieder mit Anfragen bombardiert.« In diesem Moment ertönte das diskrete Summen von Maynas Telefon. Sie hob den Hörer ab, nahm offenbar eine Meldung entgegen, sagte nur: »Ja, sofort!« und legte wieder auf. Der Botschafter blickte sie fragend an. »Das war das Fernamt«, sagte sie. Whittelsie fuhr der Schreck sofort in den Magen. »Offenbar wird soeben wieder ein Hetzartikel von Mr. Krakhaur durchgegeben. Wir werden den Durchschlag bekommen. Das Original geht an den Premier... Der Beamte war sehr aufgeregt.« Nachdenklich blieb Mayna in der Mitte des Raumes stehen. »Ich habe keine Ahnung, was es diesmal ist«, murmelte sie. »Das Fernamt hat den strikten Befehl, alle Berichte der ausländischen Korrespondenten entweder Tarot oder mir zu zeigen, bevor sie gesendet werden. Natürlich üben wir keine Zensur aus, aber wir können die Meldungen zumindest einen oder zwei Tage zurückhalten.« Mayna machte es sich auf dem Sofa bequem. »Nun, wir werden ja sehen, was Krakhaur wieder auf der Platte hat.« -362-
Lächelnd blickte sie den Botschafter an. »Schau doch nicht so ängstlich drein, Whit! Wenn dich etwas bedrückt, dann komm zu mir, hier kannst du deine Sorgen für eine Weile vergessen.« Sie rückte näher und begann seinen Nacken zu streicheln. Da klopfte es leise an der Tür. Mayna öffnete nur einen Spalt weit, streckte die Hand durch, kam gleich darauf mit zwei langen Fernschreiberbogen zurück und setzte sich wieder neben den Botschafter. Dieser blickte ihr mit sehr gemischten Gefühlen über die Schulter, während sie las. Bei jedem Satz stieß sie einen Entrüstungsschrei aus. Wütend warf sie die Blätter zu Boden. »Das ist eine empörende Beleidigung der mituyanischen Armee und der Regierung! Hör zu, Whit, hör dir das an, mit welchen Schmähungen euer famoser Mister Krakhaur seinen Erguß abschließt! Und nach solchen Gemeinheiten sollen sich die Amerikaner eine Meinung über die Verhältnisse in Mituyan bilden!« Sie packte den raschelnden Bogen, suchte die Stelle und las laut, mit überschnappender Stimme: »Das tragische Geschehen in Rishket ist kein Einzelfall. Ähnliches ereignet sich immer wieder im ganzen Land. Ansiedlungen, die unter Aufwand beträchtlicher Summen aus amerikanischen Steuergeldern ausgebaut wurden, gehen durch die Feigheit mituyanischer Truppenführer und die Unfähigkeit der Regierung für die freie Welt verloren, nicht selten treibt der Haß die Bewohner zwangsläufig den Kommunisten in die Arme. So werden hier Amerikaner verheizt, sterben eines schrecklichen Todes, und die Hilfsaktionen, die aus einem rückständigen, unterentwickelten Land ein vollwertiges Mitglied der Völkergemeinschaft machen sollen, sind umsonst.« Zornig hieb Mayna den dichtbeschriebenen Bogen auf die Lehne. »Was wirst du nun unternehmen, Whit?« »Glaubst du, daß das wahr ist?« -363-
»Das ist dabei völlig gleichgültig. Er sagt, daß wir feige und korrupt sind. Oh!« Ihre Augen sprühten Feuer. »Diesen Krakhaur möchte ich in die Finger kriegen und selbst zum Verhör bei unserer Geheimpolizei schleppen! Eine ganze Woche müßten sie ihn so foltern, daß er um den Tod winselt und bettelt.« »Das ist sehr ernst, wirklich sehr ernst.« Der Botschafter stand auf, plötzlich wollte er nur fort von Mayna, fort aus dem Palast. »Bitte, teile dem Premier mein tiefstes Bedauern mit.« »Wahrscheinlich fahndet die Polizei bereits nach Krakhaur.« Maynas Stimme zitterte. »Bitte, sage Kanzler Tarot und Premier KaritKi, daß mir sehr daran gelegen wäre, alle Aspekte überprüfen zu können, bevor sie übereilte Entscheidungen treffen. Wir sollten unliebsame Zwischenfälle vermeiden.« »Zwischenfälle?« schrie Mayna. »Und wie nennst du diesen Artikel? Dafür kommen Luna Forrester und Alana ins Gefängnis!« »Mayna, sei bitte nicht unvernünftig. Wartet, bis ich mit Krakhaur gesprochen habe, bevor ihr etwas unternehmt. Ob er nun hier zugrunde geht oder sich rettet und auf seine Weise zurückschlägt - dieser Mann hat so viel Macht, daß seine Stimme bis zum Weißen Haus dringt, und es könnte sein, daß die Regierung der USA ernstlich erwägt, die Wirtschaftshilfe für Mituyan einzustellen. Bitte, vergiß das nicht.« Wie eine Natter fuhr sie auf ihn los. »Ihr Amerikaner habt Wasser in den Adern. Bei uns wird jeder Verschwörer zu Tode gefoltert, und ihr behandelt einen Mann wie Krakhaur, der auf unseren Untergang hinarbeitet, wie einen Helden!« Maynas Verwünschungen waren noch zu hören, als Whittelsie längst hastig und formlos den Rückzug angetreten hatte.
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28 Roger Krakhaur ergriff seine arg mitgenommene, aber unverwüstliche Schreibmaschine und schob sie unter seinen Sitz in der amerikanischen Transportmaschine, die täglich mit Versorgungsgütern und Personen zwischen den wichtigsten Punkten Mituyans unterwegs war. Der Journalist hatte das Nötigste und Wichtigste in seinem grollen Seesack und in einer geräumigen Reisetasche verstaut, da er nicht damit rechnen konnte, wieder nach Tuyan zu kommen, solange KaritKi an der Macht war. Ein Lastwagen der Armee brachte ihn vom Militärflugplatz von Tiking zur Innenstadt, dort stieg er in eines der Minitaxis und ließ sich bis zu dem Hafenkai fahren, wo die Promise vor Anker lag. Als er die Hauptkajüte betrat, prallte er überrascht zurück. Mike saß gemächlich beim Frühstück. »Willkommen an Bord, Roger. Wo waren Sie so lange?« fragte Mike lächelnd »Ihr Frühstück ist schon seit einer halben Stunde fertig.« »Die Milchkiste hatte Verspätung.« ›Milchkiste‹ war der gebräuchliche Ausdruck für das alte Flugzeug, das tagaus, tagein seinen Kurs flog, und eine Station nach der anderen abklapperte. »Wieso wußten Sie, daß ich komme?« »Seit gestern abend haben sich sehr viel Leute über Sie den Kopf zerbrochen, Roger«, antwortete Mike. Ein Boy in weißer Jacke stellte eine Tasse Kaffee vor Krakhaur hin. »Ich denke, nur Ted Baum weiß Bescheid«, sagte der Reporter zwischen zwei Schlucken. »Ted Baum hatte die gute Idee, gleich Jack Cardinez anzurufen, als Sie gestern abend absegelten. Die beiden arbeiten -365-
nämlich bei gewissen Projekten zusammen. Cardinez verständigte Lawton, und der Colonel schickte mir mitten in der Nacht eine starke Patrouille, mit der ich dann hierher nach Tiking fuhr. - Wir haben große Dinge mit Ihnen vor, Roger.« »Ich werde aber nicht mehr lange hier sein.« »Darüber sind wir uns alle im klaren. Ihnen bleiben noch etwa sechs Stunden.« »Verdammt, sonst hat man doch immer vierundzwanzig Stunden Zeit, um das Land zu verlassen«, rief Krakhaur empört. »Außerdem muß ich noch zu Alana. Deswegen bin ich gekommen.« »Alana erwartet Sie in Rishram. Wir fahren sofort hin, samt der Eskorte.« Krakhaur seufzte erleichtert auf. »Die Geheimpolizei macht mir mehr Sorgen als die Mitkoms.« »Deshalb die Sicherungsgruppe - falls Poramat oder Yunakit Gelüste verspüren, Sie zu schnappen. Aber wir rechnen damit, daß man im Palast die Kopien nicht vor Nachmittag in Händen hat. Dadurch gewinnen wir Zeit.« Der Reporter sprach die Frage nicht aus, die ihm auf den Lippen brannte: Wofür Zeit? Seit er vor drei Tagen in Tiking gestartet war, hatte er weite Strecken zurückgelegt. Zeit war etwas sehr Relatives. Zeit wofür? Nach dem Frühstück verabschiedeten sich Mike und Krakhaur von Skipper Batki und fuhren im Landrover los. An der Peripherie des Hafens schwenkte ein offener Zweieinhalbtonner mit zwanzig Mann Besatzung hinter ihnen ein. Alle Insassen trugen die weinroten Barette der mituyanischen Miliz. An der Spitze der kleinen Kolonne fuhr ein Jeep, ebenfalls von einem Milizsoldaten gesteuert, auf dem Rücksitz hockten ein amerikanischer Sergeant und ein mituyanischer Offizier. »Wir sind in guten Händen. Da vorne, das ist Sergeant -366-
Jennessen mit einem Offizier der neuen mituyanischen Special Forces. Rishram ist zur Zeit ein wahres Heerlager. Es stehen dort ein halbes A-Team unserer eigenen Special Forces - ein Lieutenant und fünf Sergeanten unter dem Kommando von Colonel Lawton -, verstärkt durch eine Milizkompanie und sechs Soldaten der mituyanischen Special Forces.« »Wie funktioniert die Zusammenarbeit?« fragte Krakhaur interessiert. »Ich habe sehr schlechte Prognosen gehört.« »Ich weiß nicht, wie es bei anderen Einheiten ist, Lawton jedenfalls hat sehr lange gesucht, um einen tüchtigen mituyanischen Kommandeur zu finden. - Er sitzt im Jeep. Wenn Sie ihn dann später näher ansehen, werden Sie bemerken, daß er schon Mitte der Dreißig sein muß und noch immer Lieutenant ist. Ein sehr gutes Zeichen - der Mann hat keine politischen Verbindungen. Schließlich ist Dandig mit Fünfunddreißig bereits General. Und ein anderer junger General, ein besonderer Günstling Maynas, ist sogar erst achtundzwanzig. Natürlich eine komplette Null.« Mit einer Hand zog Mike eine lange dünne Zigarre aus der Brusttasche und steckte sie in den Mund. Krakhaur gab ihm Feuer. Mike paffte, bis die Zigarre richtig brannte, dann sagte er beiläufig: »Roger, Sie haben einmal erwähnt, daß Sie das Agenturbüro in Hongkong übernehmen könnten, wenn Sie von hier verschwinden müßten. Gilt das noch immer?« Krakhaur nickte. »Gestern in Bangkok hat man mir den Job neuerlich angeboten.« »Gut so. Was ich Ihnen jetzt sage, muß streng geheim bleiben. Nicht einmal Whittelsie weiß davon. Sie können noch nein sagen, Roger. Vielleicht wollen Sie sich nicht mit Informationen belasten, über die Sie schweigen müssen, bis es soweit ist.« »Keine Sorge. Reden Sie schon. Was ist los?« »Okay. Passen Sie genau auf: General Dandig in Tiking ist die Schlüsselfigur eines Komplotts gegen KaritKi. Der -367-
Verschwörergruppe gehören der Große Eiferer und eine Anzahl buddhistischer Führer an, außerdem einige Generale der mituyanischen Armee, teils Buddhisten, teils Anglikaner.« Krakhaur zeigte sich von diesen Eröffnungen kaum überrascht. Mike sprach weiter. »Aber etwas sehr Wichtiges fehlt noch: die Zentralgestalt, der Nationalheld, um den sich das Volk einmütig scharen kann, wie es so schön heißt. Er muß sein Gewicht für die Wahlen in die Waagschale werfen. Dieser starke Mann wurde bereits gefunden, er lebt in Hongkong.« »Barkun!« rief Krakhaur aus. »Stimmt. Gewisse mituyanische Kreise haben bereits Fühlung mit ihm aufgenommen. Offenbar würde Barkun mit Freuden als König zurückkommen, um hier den Garanten der Sicherheit zu spielen, während Wahlen abgehalten werden, aus denen eine neue demokratische Regierung als tatsächlicher Machtfaktor hervorgehen soll.« »Das nenne ich vernünftig!« Der Journalist schien ehrlich begeistert zu sein. »Die Bevölkerung braucht den Glanz des Königtums, besonders in den entlegenen Landstrichen, wo es kein Symbol für die Zentralregierung gibt. Und was soll ich dabei tun?« »Da Sie sich jetzt nach Hongkong absetzen, könnten Sie Barkun interviewen. Nun, was halten Sie davon?« »Daran hätte ich auf jeden Fall gedacht, Mike.« »Eben. Sie schreiben also eine Serie über Barkun, den weisen, bedeutenden Staatsmann, den exilierten Vater des Vaterlandes. Er verfolgt mit großem Interesse die Entwicklung in Mituyan und hat nur das Wohl des Volkes im Auge. Doch hegt er die Befürchtung, die demokratischen Kräfte des Landes könnten dem Machtkampf zwischen KaritKi und den Mitkoms zum Opfer fallen. - Ungefähr in dieser Tonart. Merken Sie, worauf die Geschichte hinausläuft?« »Genau. Mein Syndikat und ich mit meinem Namen sollen als -368-
Königsmacher Barkun zugkräftig aufbauen. Barkun wieder auf den Thron!« rief Krakhaur ironisch. »Kennen Sie seine Weiberaffären? In Banthut spricht man noch immer davon, wieviel er den Eltern für fünfzehnjährige Mädchen bezahlte.« »Die Sache gefällt Ihnen also nicht?« Mike blickte Krakhaur scharf von der Seite an. »Gut, dann vergessen Sie einfach alles, was ich Ihnen gesagt habe.« »Normalerweise schreibe ich nichts gegen meine persönliche Oberzeugung. Aber in diesem Fall mache ich mit - sogar mit Begeisterung. Jedes Mittel ist recht, um KaritKi zu stürzen, bevor es zu spät ist.« »Gut so.« Mike war sichtlich erleichtert. »Wir haben noch eine zweite Aufgabe für Sie, und da werden Sie keine inneren Vorbehalte überwinden müssen. Schreiben Sie die volle Wahrheit über das KaritKi-Regime, was Sie aus eigener Anschauung kennen. Schildern Sie auch Alanas fürchterliche Erlebnisse. Hämmern Sie der amerikanischen Öffentlichkeit ein, daß KaritKi ein Unheil für Mituyan, für Südostasien, ja für das gesamte freie Asien ist, weil die Kommunisten hier todsicher immer mehr Einfluß gewinnen und schließlich an die Macht kommen werden, wenn seine Diktatur noch länger bestehen bleibt.« »Das habe ich immer geschrieben, und gerade deswegen hat mir das Country Team die Hölle heiß gemacht! Ich möchte wirklich wissen, warum unsere amerikanische Spitzengarnitur in Tuyan uns Journalisten sofort als sensationslüsterne Schwarzseher, Hetzer und Lügner angeifert, wenn wir pessimistische Berichte durchgeben. Warum überprüfen die Brüder nicht sachlich und unvoreingenommen, ob unsere Behauptungen, daß wir immer mehr zurückgedrängt werden, nicht doch auf Wahrheit beruhen?« »Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, Roger. Ich weiß genausogut wie Sie, daß das Country Team bestrebt ist, den -369-
Bossen in Washington das zu melden, was man, wie Whittelsie und seine Leute meinen, dort gerne hört: Märchen, in denen alles gut ausgeht. Aber es ist möglich, daß sich beim Country Team bald manches ändert.« »Okay, Mike. Noch eines - was geschieht mit Alana? Wenn ich das System anprangere, wird sie wieder verhaftet, das ist klar. Außerdem haben die Schweine das von ihr unterschriebene Geständnis...« Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, er blickte auf die Uhr. »Es gäbe nur einen Ausweg...« Mike lachte. »Wir haben vorgesorgt, Roger. Alana ist reisefertig, sie weiß es nur noch nicht. Sie hat sogar einen amerikanischen Paß. Um ein Uhr mittags wird eine kleine, zweimotorige Maschine der Global Air Charter Company in Rishram landen und zwei Passagiere an Bord nehmen. Flugziel: Hongkong. Es genügt, wenn Sie dem Piloten einen Scheck geben. In Hongkong werden Ihnen dann alle Spesen bis auf den letzten Cent in bar ersetzt.« Außer sich vor Freude packte Krakhaur Mike an der Schulter, weil er den Lenker nicht umarmen konnte. »Das vergesse ich dir nie!« schrie er ihm ins Ohr. Doch dann verdüsterten sich seine Züge. »Aber wird Alana mitkommen? Entführen kann ich sie nicht, wenn ich es auch am liebsten täte.« Mike zuckte die Schultern. »Ich persönlich glaube, daß nur ein neues, blitzartig eintretendes und tiefgreifendes Erlebnis, eine plötzliche Wendung zum Guten sie von ihrem Schock völlig heilen kann.« Nach eineinhalbstündiger Fahrt erreichte die Kolonne die langen, symmetrischen Reihen der Kautschukkulturen. Bald darauf fuhr Mikes Landrover beim Wohnhaus der Plantage vor. Der Jeep blieb stehen, und Sergeant Jennessen sprang heraus und hob salutierend die Hand ans grüne Barett. »Colonel Lawton hat erhöhte Alarmbereitschaft angeordnet, Mr. Forrester.« Er blickte sich nach dem Laster um, der 20 Meter -370-
weiter hinten hielt. »Gut zu wissen, Sergeant.« Der mituyanische Offizier kam heran, stellte sich als Lieutenant Pakitlat vor und ging wieder zu dem Fahrzeug zurück, um die Milizsoldaten antreten zu lassen, die vom Verdeck herunterstiegen. »Ein Prachtkerl«, sagte Jennessen. »Wenn nur alle mituyanischen Special-Forces-Offiziere so wären wie er!« Damit trabte er davon. »Roger, du hast nicht mehr viel Zeit, und Alana ist allein auf der Terrasse. Sprich gleich mit ihr«, drängte Mike. Krakhaur nickte und ging rasch durch das geräumige Wohnzimmer auf die Steinterrasse hinaus. Alana saß in einem Schaukelstuhl, vor dem Hintergrund der hohen breiten Lehne wirkte ihr Gesicht noch schmäler. »Ich habe die Story durchgegeben«, sagte er mit gezwungener Fröhlichkeit. »Das freut mich.« Sie wandte den Blick nicht, starrte noch immer verloren über die Gummibäume zu den fernen Bergen. Lange schwiegen beide. Schließlich sagte Krakhaur in die Stille: »Ich werde aus Mituyan ausgewiesen, das steht fest. Doch ich übernehme das Agenturbüro des Star-Syndikats in Hongkong.« »Das freut mich.« Krakhaur zog einen Fußschemel heran, setzte sich vor Alana hin und blickte tief in ihre eingesunkenen Augen. »Ich möchte, daß du mitkommst.« Nun erst löste sie sich aus ihrem dumpfen Brüten. Verwundert sah sie ihn an. »Warum, Roger?« »Weil ich dich brauche, Alana, nur dich. Ich liebe dich.« Um ein Uhr hörten sie das Motorengeräusch einer in geringer Höhe anfliegenden Maschine. »Es ist soweit«, sagte Mike. »Je rascher ihr beide Mituyan -371-
endgültig den Rücken kehrt, desto besser für uns.« »Wir holen Alanas Gepäck von oben.« Luna war schon bei der Treppe. »Okay, aber rasch. Ich möchte nicht, daß der Pilot zu lange auf dem Landeplatz allein ist.« »Ist die Piste bewacht?« fragte Krakhaur. »Ja, Jennessen hat einige Posten aufgestellt. Aber ich denke nicht an die Mitkoms, sondern an die Geheimpolizei.« »Jetzt schon?« »Sobald sich KaritKi entschieden hat, werden sie keine Zeit verlieren.« Mike blickte auf die Uhr. »Es wird auf keinen Fall mehr lange dauern.« Zehn Minuten später stiegen Roger und Alana in die schnelle kleine Cessna-310. Mike und Luna sahen zu, wie das Flugzeug über die Piste anrollte und sich gegen den Wind drehte, sie hörten das Aufheulen der Motoren hinter den immer schneller kreisenden Propellern, ein letztesmal winkten sie den Freunden zu, als sich die Maschine in die Luft hob und sofort das Fahrgestell einzog. »Es ist wie der Abschied von einem Brautpaar, das auf Hochzeitsreise geht«, flüsterte Luna mit Tränen in den Augen. »Ich fürchte, die beiden haben schwere Zeiten vor sich«, sagte Mike. »Wir müssen uns jetzt auf den Besuch der Geheimpolizei gefaßt machen.« In nachdenklichem Schweigen fuhren sie zum Wohnhaus zurück. Sie wurden bereits erwartet - allerdings nicht von Agenten, sondern von MacWhorter und Major Song. »Scott! Ist was geschehen?« »Ich habe schlechte Nachrichten für Sie, Mike.« Mike warf Luna einen Blick zu. Sie war ganz Energie und Entschlossenheit. »Reden Sie schon«, sagte er. -372-
»Wenn sich einer unserer Kader irgendwo festsetzt, wird sofort ein Kundschafter- und Aufklärungsdienst organisiert, ein Netz von Spähern, die das gesamte Gebiet rund um unseren Zielpunkt unter ständiger Beobachtung halten. Die Guerillas befinden sich natürlich noch immer in den Bergen bei Rishket.« »Das überrascht mich nicht«, entgegnete Mike. »Aber ich wollte Ihnen etwas noch Wichtigeres sagen. Gestern abend meldete einer von Major Songs Agenten, daß eine AgitProp-Gruppe der Mitkoms in einem kleinen Dorf nördlich von Rishket auftauchte. Song zog mit einer Patrouille los und brachte zwei Gefangene zurück. Sie wurden getrennt verhört, aber beide sagten dasselbe aus.« »Und zwar?« »Beide Gefangenen erklärten, ihr Anführer sei ein Nordvietnamese.« Song blickte beschämt zu Boden. »Ich mache nicht oft Fehler«, sagte er. »Doch irgendwie muß der vietnamesische Kommunist im ›Golden Dragon‹ dem Tod entgangen sein. Ich begreife das Ganze nicht. Vermutlich hat er vor der Explosion den Raum verlassen. Aber warum? Ich kann es mir nur so erklären, daß er Frakit suchen ging.« »Wir müssen unbedingt damit rechnen, daß er nun ziemlich genau Bescheid weiß und Rishram direkt angreifen wird«, ergänzte MacWhorter. Mikes Hand krampfte sich um Lunas Schulter. »Das habe ich befürchtet.« »Ist die Plantage geschützt?« fragte MacWhorter. »Ich stelle Ihnen mit Freuden meinen halben Kader zur Verfügung, Mr. Forrester«, machte sich Song erbötig. Mike schüttelte den Kopf. »Wir haben ein halbes A-Team der amerikanischen Special Forces und eine landeseigene Milizkompanie als Besatzung. Ich hoffe nur, daß die -373-
mituyanischen Truppen rasch zuschlagen und die Mitkoms vernichten.« »Major Song hat den Standort der Bande ziemlich genau ermittelt«, erwiderte MacWhorter. »Wahrscheinlich wird auch mein eigener Kader eingreifen. Ich weiß nicht, warum bis jetzt kein Angriff erfolgt ist.« »Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind und mich informiert haben. Ich werde sofort den Kommandeur des ATeams verständigen.« Mike zwang sich zu einem Lächeln, als sich MacWhorter und Song verabschiedeten. Beide hatten es offenbar sehr eilig. Mike ließ Sergeant Jennessen holen und berichtete ihm von Kahns Flucht. »Das bedeutet: die Hälfte der Mannschaft während der Nacht in Alarmbereitschaft«, sagte der Hüne mit dem grünen Barett. »Außerdem müssen wir das Haus hier besser bewachen.« »Und ich muß meine Frau in Sicherheit bringen«, sagte Mike. »Ich bleibe hier!« Luna straffte sich. An ihrem Entschluß war nicht zu rütteln, das wußte Mike. Er seufzte. »Ich hatte gehofft, ein paar Tage ausspannen zu können, mich meinen Kulturen zu widmen, bevor ich mich wieder in einen Geheimagenten verwandle.« Von der Straße her hörten sie das helle Motorengeräusch von sich nähernden Personenkraftwagen. Gelassen blickte Mike auf seine Uhr. »Um diese Zeit habe ich die Kerle erwartet. Sergeant, sind Sie bewaffnet?« »Ich habe ein automatisches Gewehr in meinem Jeep vor dem Haus.« »Ich glaube, es wäre ratsam, wenn Sie die Kanone griffbereit hätten.« »Wird gemacht.« Lautlos glitt Jennessen zu seinem Jeep hinaus und kam genau in dem Moment zurück, als das erste von -374-
drei Autos draußen vorfuhr. »Sie werden mich nicht sehen, Mr. Forrester, aber ich bin da, falls Sie mich brauchen.« »Danke, Sergeant. Ich hoffe, daß alles friedlich ablaufen wird, doch Poramats Leute versuchen es gern auf die harte Tour.« Es klopfte an der Tür, laut und sehr bestimmt. Mike öffnete und sah sich zwei mituyanischen Geheimpolizisten gegenüber, leicht erkennbar an den typischen Sonnenbrillen, die mit ihren Gesichtern verwachsen zu sein schienen. Mike blickte den Agenten rasch über die Schulter - in zwei der Autos saßen je drei Männer, im dritten lümmelte nur der Fahrer am Steuer. »Mr. Forrester?« »Ja, ich bin Mike Forrester. Und wer sind Sie?« »Wir kommen aus Colonel Yunakits Provinzstation«, sagte einer der beiden. Sie trugen weiße Hemden, Khakihosen und hatten Schulterhalfter mit automatischen Pistolen umgeschnallt. »Wir möchten Ihnen einige Fragen stellen.« »Bitte, kommen Sie herein.« Mike führte sie nicht auf die Terrasse, sondern blieb im Wohnraum stehen und deutete auf zwei Stühle. Die Geheimpolizisten setzten sich nicht. »Und was kann ich für Sie tun?« fragte Mike sehr verbindlich. »Wir haben einen Fahndungsbefehl, lautend auf den Namen des amerikanischen Journalisten Roger Krakhaur.« »Schade, daß Sie nicht früher gekommen sind«, sagte Mike. »Mr. Krakhaur ist zwischen 13.30 Uhr und 14 Uhr abgereist.« »Das ist ausgeschlossen. Wir haben die Straße von Rishram seit 14 Uhr gesperrt.« »Er ist geflogen«, erklärte Mike. »Sie kommen zu spät leider!« »Colonel Yunakit hat uns schriftlich die Genehmigung erteilt, Ihr Haus zu durchsuchen.« Der Geheimpolizist zog ein gefaltetes Blatt aus der Tasche und reichte es Mike. Es war -375-
tatsächlich ein englisch abgefaßter Brief, gerichtet an Mr. Forrester oder seine Vertreter, und enthielt im Namen von Premier KaritKi die Aufforderung, einer Haussuchung auf dem Besitz des besagten Mr. Forrester stattzugeben. Mike machte sich erbötig, Poramats Agenten durch alle Räume zu führen. Der Sprecher der beiden verlangte, daß sich zwei der draußen wartenden Geheimpolizisten an der Stöberei beteiligen sollten. »Nein, ich erlaube nicht, daß ihr vier Mann hoch in meinem Haus herumtrampelt!« Mike war nun wirklich wütend. Schließlich einigte man sich auf einen Helfer, er wurde rasch hereingeholt, und Mike führte das unsympathische Trio durch alle Zimmer des Erdgeschosses und dann in den Oberstock. Sie schauten unter die Betten und in die Schränke, zogen Vorhänge beiseite, klopften die Wände ab - ohne Ergebnis. »Wenn Sie mir sagen, was Sie suchen, kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein«, sagte Mike scheinbar bereitwillig. »Wir haben den Befehl, Mr. Krakhaurs Freundin Alana mitzunehmen, wenn wir ihn selbst nicht finden. Miß Alana ist Ihr Gast.« »Ach so! Wenn Sie mir das gleich gesagt hätten, dann hätten wir uns viel Zeit erspart. Miß Alana ist zusammen mit Mr. Krakhaur abgereist.« »Wohin?« »Ich glaube, Mr. Krakhaur erwähnte Hongkong als Reiseziel.« »Hat er eine Maschine der US Air Force benutzt?« »Nein, ein Zivilflugzeug«, erwiderte Mike, der genau wußte, daß seine gönnerhafte Art den Geheimpolizisten maßlos reizte. »Eine rote, zweimotorige Maschine, soviel ich mich erinnere.« Einer der Agenten war auf die Terrasse getreten und rief nun die beiden anderen herbei. Sie eilten ins Freie, verblüfft blieben sie stehen - bequem im Schaukelstuhl ausgestreckt, blätterte -376-
Luna in einer Illustrierten und trank zwischendurch aus ihrem Cocktailglas. Mike war den dreien gefolgt. Noch immer behielt er den weltmännischen Ton bei. »Gentlemen, darf ich Sie meiner Frau vorstellen. Luna, diese drei Herren hat Colonel Yunakit zu uns geschickt. Sie haben mir nicht geglaubt, daß Roger zusammen mit Alana heute von hier abgeflogen ist.« Der Anführer der Geheimpolizisten näherte sich Luna. »Ah, Mrs. Forrester - natürlich! Wir haben den Befehl, Sie in die Distriktsstation zu bringen, wenn wir weder den amerikanischen Journalisten noch seine Freundin vorfinden.« Höhnisch grinsend wandte er sich zu Mike um. »Ich bedaure, doch wir müssen Ihre Frau zum Verhör mitnehmen. Mrs. Forrester hat sich dem Provinzchef und Mr. Poramat ehrenwörtlich für das Verhalten des Reporters und seiner Freundin verbürgt.« Plötzlich funkelte Mike ihn aus gefährlichen schmalen Augen an. »Das werde ich nicht zulassen!« Ohne diesen Protest zu beachten, ging der Geheimpolizist auf Luna zu und löste ein Paar Handschellen vom Gürtel. Blitzschnell stürzte sich Mike auf ihn - zwei harte Handkantenschläge auf den Hals, und der Agent sackte zusammen, die Handschellen klirrten auf den Steinboden. Als er wieder zu sich kam, hatte ihn Mike bereits entwaffnet. Geifernd vor Zorn schrie der Geheimpolizist seinen beiden Begleitern zu, sie sollten den Amerikaner abknallen, aber sie hatten die Hände gehoben. Starr vor Schreck glotzten sie wie gebannt in die Mündung von Sergeant Jennessens AR-15. »Das werden Sie bereuen, Mr. Forrester. Ich handle auf persönlichen Befehl von Mr. Poramat!« »Wenn Sie und Ihre Komplicen nicht sofort von hier verschwinden, werden Sie wohl kaum noch Gelegenheit haben, ihm darüber zu berichten«, erwiderte Mike drohend. Er hob die Handschellen auf und fesselte damit den Geheimpolizisten. -377-
Dessen Pistole schußbereit in der Hand, durchsuchte er die Taschen des Mannes und fand einen Schlüsselbund. »Im Provinzgefängnis sehen wir uns wieder«, zischte der Agent. Mit voller Wucht drosch ihm Mike die linke Faust mit den Schlüsseln aufs Ohr. Wie ein gefällter Baum schlug Poramats Abgesandter lang hin. Mike prüfte die Schlüssel der Reihe nach, bis er den einen hatte, der in die Handschellen paßte. Diesen schob er in die Tasche, die anderen steckte er dem halb Bewußtlosen zu. Dann stieß und rüttelte er ihn, bis er wieder klar war und sich mühsam aufrichtete. »Hört mir jetzt genau zu«, sagte Mike. »Meine Leute haben die Straße vermint und Hinterhaltsstellungen bezogen. Wenn ihr nicht auf schnellstem Weg direkt nach Tiking fahrt, dann kracht es, und diesen Feuerzauber werdet ihr nicht überleben, denn wir sind in der Übermacht. Solltet ihr aber versuchen, auf der Strecke umzukehren und hierher zurückzukommen, dann werdet ihr in einen Hinterhalt geraten, und auch das geht auf jeden Fall für euch schlecht aus. Habt ihr mich verstanden?« Der Anführer der Geheimpolizisten nickte stumm, mit haßerfülltem Blick. Mike nahm den beiden anderen Agenten ihre Pistolen ab und warf sie auf den Rasen unter der Terrasse. »Jennessen«, sagte er, »damit es keine Panne gibt: Einige Ihrer Leute sollen die Fahrzeuge so lange umstellt halten, bis diese Kerle weg sind.« »Jawohl, Sir.« Der Sergeant stieß einen leisen Pfiff aus, plötzlich tauchten aus der Dunkelheit schwarzgekleidete, schemenhafte Gestalten mit schußbereiten Gewehren auf. Die Agenten begannen zu schlottern. »Was meinen Sie, Jennessen«, sagte Mike im Ton eines Filmgangsters, »wäre es nicht besser, wenn wir die Burschen gleich auf der Stelle umlegen? In Tiking wird man glauben, daß es die Mitkoms waren.« »Richtig, Sir.« Der Sergeant zielte mit der Miene eines -378-
gedungenen Killers. Da fielen alle drei Geheimpolizisten auf die Knie und flehten um Gnade. Mike und Jennessen taten so, als überlegten sie. Dann sagte Mike: »Die Kerle heulen ja zum Steinerweichen. Und weil sie beteuern, daß sie nichts verraten werden, sollten wir sie vielleicht doch laufen lassen. Wenn wir sie beseitigen wollen, können wir noch immer unsere Leute draußen auf der Strecke anfunken.« Mike maß verächtlich den Anführer, der mit leichenblassem Gesicht emporstarrte. »Wir lassen euch frei. Aber denkt daran, die Straße nach Tiking ist von unseren Stellungen gesäumt. Wenn auch nur eines eurer Fahrzeuge das Tempo verlangsamt, um zu wenden, werden alle drei Wagen von unseren rückstoßfreien Kanonen abgeschossen. Los, 'raus jetzt!« Mike folgte den Geheimpolizisten vors Haus. Sie sprangen in ihre Autos, starteten und jagten wie katapultiert davon. Sekunden später verschwanden die Stopplichter zwischen den Gummibäumen. »Was wird nun geschehen, Sir?« Jennessens Gesicht wurde hart. »Ich treibe mich nun schon einige Zeit in diesem Winkel der Welt herum, und eines habe ich dabei gelernt: ein toter Feind kann einem nicht mehr schaden.« »Wahrscheinlich haben Sie recht, Sergeant. Aber jetzt ist es zu spät. Ich werde Lawtoi anpeilen.« »Kann ich mitkommen, Sir? Ich möchte auch mit dem Colonel sprechen.« »Klar.« Er blickte sich nach Luna um. Sie zitterte noch immer am ganzen Körper. »Willst du auf der Terrasse bleiben? Die frische Luft wird dir nach diesem Schrecken guttun.« »Nein, ich möchte bei dir sein«, sagte sie mit schwankender Stimme. »Oh, Mike, der Gedanke, daß sie mich mitnehmen würden, war so fürchterlich...« -379-
Er seufzte. »Ja, daran läßt sich nichts ändern - wir haben nun zwei Feinde: KaritKi und die Mitkoms.« »Sie haben aber auch einige gute Freunde, Sir«, warf Jennessen ein. »Zum Glück. Ich bin sehr froh, daß Sie hier sind, Sergeant.« Luna und Jennessen folgten Mike ins Obergeschoß, wo das Funkgerät stand. Er stellte auf die Frequenz ein, die Lawton benützte, sie konnte von den Mituyanern nicht abgehört werden. Sehr rasch bekam Mike Verbindung mit dem Colonel und schilderte ihm die Ereignisse der letzten Stunden. »Sie haben das einzige getan, was man an Ihrer Stelle tun konnte, Mike.« Es war beruhigend, Lawtons Stimme zu hören. »Ich selbst hätte sicherlich genauso gehandelt. Aber für Sie und Luna wird die Situation nun verdammt brenzlig. Wie kann ich euch am besten helfen?« »Ich halte es für das vernünftigste, wenn wir nach Tuyan fahren und versuchen, ob wir mit KaritKi oder Dhana sprechen können«, antwortete Mike. »Ich glaube nicht, daß der Premier meine Frau verhaften ließe. Ich bin nicht einmal überzeugt, ob der alte Schurke Poramat tatsächlich den Befehl erteilt hat. Aber ich hätte auf jeden Fall verhindert, daß diese Schweine sie mitnehmen. Nun werden sie mir die Geheimpolizei auf den Hals hetzen, weil ich Agenten in Ausübung ihrer Pflicht tätlich angegriffen habe, wie das so schön heißt.« »Morgen werden die Mituyaner die Straße gesperrt haben. Ich schicke Ihnen bei Tagesanbruch ein Zivilflugzeug, das Sie und Luna herausholt.« »Danke, Fritz. Übrigens, es wäre gut, wenn auch Sergeant Jennessen von hier verschwindet. Heute nacht kommen die Kerle nicht zurück, aber morgen werden sie vermutlich in Bataillonsstärke anrücken.« »In Ordnung. Das Kontingent soll auf Posten bleiben und die Plantage bewachen.« -380-
»Wird gemacht, Fritz. Wir erwarten das Flugzeug bei Sonnenaufgang.«
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SECHSTER TEIL WASHINGTON GREIFT EIN
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29 In den Ländern, die von den USA Wirtschafts- und Militärhilfe erhalten, hat sich in den letzten Jahren das Protokoll für den Empfang von Delegationen aus Washington nicht nennenswert geändert. Als bekannt wurde, daß der amerikanische Verteidigungsminister in Begleitung des Staatssekretärs für Fernostfragen eine Informationsreisenach Mituyan unternehmen würde, herrschte bei den ausländischen Pressevertretern in Tuyan sofort Hochbetrieb. Berichterstatter und Leiter der internationalen Agenturbüros in Hongkong und Tokio kamen nach Mituyan und verstärkten das Kontingent der dort akkreditierten Korrespondenten. Die Welt war auf Mituyan aufmerksam geworden. Krakhaurs nachträglich ausgesprochene Landesverweisung und die Geschichte der dramatischen Rettung des Mädchens Alana aus den Klauen von KaritKis Geheimpolizei waren überall auf großes Interesse gestoßen und hatten lebhaftes Echo gefunden. Der rücksichtslose Diktator der kleinen asiatischen Republik am amerikanischen Gängelband bestand sehr schlecht vor dem Urteil der Weltöffentlichkeit, man verdammte ihn und seine Methoden im Westen wie im Osten. Die mituyanische Regierung arbeitete mit allen Druckmitteln, um in Washington und London Alanas Auslieferung aus Hongkong zu erreichen. Als Begründung wurde angeführt, sie habe das Land ohne Ausreisevisum verlassen. Natürlich spielte KaritKi einen Trumpf aus, mit dem er das amerikanische Außenamt in arge Verlegenheit brachte: Alana hatte sich einen gültigen amerikanischen Paß zu verschaffen gewußt. Doch dann heirateten Roger und Alana. Im Kreuzfeuer der Blitzlichter, umlagert von Reportern und TV-Kameraleuten, wechselten sie die Ringe - und das wenige Stunden, bevor der Generalgouverneur der Kronkolonie Hongkong gezwungen -383-
gewesen wäre, der Forderung der mituyanischen Regierung stattzugeben. Aber als Frau eines Amerikaners konnte Alana nicht ausgeliefert werden. Whittelsie, Macker und Rourke hatten die Sturmzeichen zu spät erkannt. Nun blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich auf das Unabwendbare innerlich vorzubereiten und persönlich zu retten, was noch zu retten war. Um elf Uhr vormittags stand der Botschafter mit den übrigen Mitgliedern des Country Team auf dem neuen Flughafen, der auf Kosten der Wirtschaftshilfe erbaut worden war. Neben dem roten Teppich, der vom Empfangsgebäude bis zur Betonpiste reichte, parkte ein langer Tieflader, auf dem Verdeck drängten sich die Pressefotografen. Auch der Bürgermeister von Tuyan hatte sich eingefunden, und als offizieller Repräsentant der Regierung war Innenminister Branot erschienen. Vergebens hatte Whittelsie KaritKi und Tarot beschworen, ebenfalls auf den Flugplatz zu kommen. Doch Tarot mußte sein Gesicht wahren. Wenn die fremden Gäste den Premier und seinen Bruder zu sprechen wünschten, dann müßten sie sich in den Palast bemühen. Eine Ehrenkompanie der Palastwache in ihren pittoresken Uniformen präsentierte das Gewehr, und die Militärkapelle, deren Instrumente und Noten aus den USA stammten, intonierte mit vollem Blech und rasselnden Trommeln ein rauschendes Maestoso, als die weißblaue Boeing 707 der amerikanischen Regierung mit dröhnenden Düsentriebwerken landete und ausrollte. Whittelsie und General Macker schritten über den roten Teppich bis vor die Gangway, die zu der Tür des Klippers geschoben wurde. Die Delegation aus Washington stieg in der Reihenfolge der Rangordnung aus. Der Botschafter schüttelte dem Verteidigungsminister die Hand, etwas befangen begrüßte er den Staatssekretär Robert Hartland, seinen unmittelbaren Vorgesetzten. Dann geleitete er die beiden in die -384-
Empfangshalle, wo eine Pressekonferenz abgehalten werden sollte. Macker defilierte an der Seite des Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs und des Generalstabschefs der Armee an den Kameras vorbei, Ted Baum ging neben dem Stellvertretenden Leiter des Informationsbüros im Verteidigungsministerium, während Grady Rourke, mit forciert bulliger Herzlichkeit sein schlechtes Gewissen überspielend, von zwei höheren Funktionären der Wirtschaftshilfe flankiert, das Empfangsgebäude betrat. Die Pressekonferenz dauerte eine halbe Stunde und verlief eher flau. Dann brauste eine Kavalkade chromblitzender Straßenkreuzer in die Innenstadt. »Gentlemen, ich fürchte, Sie haben einige anstrengende Tage vor sich. Um diese Zeit ist es in Tuyan am heißesten«, sagte Whittelsie verbindlich zum Verteidigungsminister und dem Staatssekretär, als sie am Ziel, dem privaten Wohnsitz des Botschafters, angelangt waren. Whittelsie führte die beiden in den geräumigen, angenehm kühlen Salon und wies mit einladender Geste auf die reichlich assortierte Hausbar. Der Minister lehnte dankend ab, doch Hartland trat zu der Batterie mit den bunten Etiketten. Mit sicherem Blick hatte er in den Reihen eine gebauchte Whiskyflasche entdeckt und hob sie auf. »Wie ich sehe, gibt es in diesem Etablissement meine Lieblingsmarke, Whit«, sagte er anerkennend. Der Botschafter lächelte. »›Chivas Regal‹ ist einer der wenigen Luxusartikel, die wir uns hier gönnen.« Hartland goß zwei Fingerbreit Scotch ein, spritzte mit Soda auf, ließ sich mit dem Glas in der Hand in einen Fauteuil fallen und angelte sich einen Schemel, auf den er seinen rechten Fuß legte. »Haben Sie nach so vielen Jahren noch immer Beschwerden?« fragte Whittelsie besorgt. »Dann ist es gut, daß ich ein Stützkissen ans Fußende Ihres Bettes legen ließ.« -385-
»Schönen Dank für die Aufmerksamkeit, Whit, aber diesmal werde ich Ihre Gastfreundschaft nicht in Anspruch nehmen«, erwiderte Hartland. Der Botschafter starrte ihn verblüfft an. »Aber in allen Listen steht, daß Sie hier wohnen werden. Sie wollen sich doch nicht etwa in einem Hotel einmieten?« Hartland schüttelte den Kopf. »Nein, Whit, ich wohne bei einem alten Kriegskameraden aus den Zeiten, als wir zusammen im Geheimdienst waren und den Japsen hier die Hölle heiß machten. Übrigens, jetzt ist er ein großes As in Ihrem Country Team - ich meine Jack Cardinez.« »Ach so! Ich wußte nicht, daß Sie Jack kennen«, hauchte Whittelsie. Dann, erklärend zum Minister gewandt: »Cardinez ist der Leiter unserer Abteilung für Entwicklungsprojekte« »Ich kenne ihn«, antwortete der Minister einsilbig. »Wir hielten es für klüger, vorher nichts davon verlauten zu lassen, wo ich wohnen werde.« Hartland trank einen tüchtigen Schluck und blickte dann versonnen auf seinen hochgelagerten rechten Fuß. »Jack war dabei, als ich auf eine japanische Mine trat. Das war schon nach der Kapitulation, wir holten mit unseren Groatpartisanen die Gefangenen aus ihren Stellungen. Wenn Jack nicht gewesen wäre, dann hätte ich wahrscheinlich keine Beine mehr oder säße im Rollstuhl.« Bisher hatte Whittelsie nur gewußt, daß das leichte Gebrechen des Staatssekretärs die Folge einer Kriegsverletzung war. »Natürlich steht Ihnen ein Wagen zur Verfügung, Bob«, sagte er. »Der Fahrer ist absolut verläßlich, die mituyanische Geheimpolizei hat ihn gründlich durchleuchtet.« »Danke für den Hinweis, Whit. Dann werde ich sehr vorsichtig sein. Übrigens, wenn Sie und der Minister nichts dagegen haben, werde ich nicht am Lunch teilnehmen.« Der Verteidigungsminister gab mit einem Nicken schweigend sein Einverständnis. »Oh, keine Sorge, Whit, zu den Besprechungen -386-
bin ich rechtzeitig wieder da. Sie werden sicherlich nur ein paar Minuten brauchen, um mich darüber zu informieren, was wichtig ist und was ich mir schenken kann.« »Haben Sie andere Pläne als die auf der Tagesordnung angegebenen?« fragte der Botschafter etwa- beunruhigt. »Ach, nichts Definitives. Ich werde mich nur da und dort ein bißchen umsehen. Wenn Sie nun den Fahrer rufen, lasse ich euch beide eine Weile allein.« »Sollen wir eine Polizeieskorte anfordern?« »Wozu denn? Oder greift der Terror schon auf die Städte über?« »KaritKis Geheimpolizei ist auf dem Posten. Hin und wieder gibt es allerdings Zwischenfälle. Unlängst flog ein chinesisches Restaurant in Tiking in die Luft - Amerikaner kamen dabei nicht zu Schaden. Aber es könnte sein, daß die Kommunisten Anschläge versuchen, solange sich die Delegation hier aufhält.« »Ich werde schon auf mich aufpassen - außerdem werde ich Ihnen immer sagen, wo ich zu finden bin, Whit.« Hartland stand auf und ging zur Tür. Nun sah man deutlich, daß er leicht hinkte. Whittelsie begleitete ihn bis zum Wagen. Der Fahrer zeigte grinsend seine Goldzähne, als ihm Hartland die Adresse angab. Jack Cardinez begrüßte den Staatssekretär wie einen guten alten Freund, mit dem man durch viele gemeinsame Erlebnisse verbunden ist. Auch Betty Cardinez hieß den Gast herzlich willkommen, dann zogen sich die beiden Männer in das Arbeitszimmer zurück, das durch eine Klimaanlage angenehm temperiert war. »Der Raum ist schalldicht, Bob. Jeden Abend, wenn ich nach Hause komme, sehe ich überall genau nach, ob mir ein freundlicher Besucher Abhörgeräte eingeschmuggelt hat. Was trinken Sie?« »Scotch mit Soda, ein Viertel zu drei Viertel, bitte.« Hartland -387-
setzte sich in den wuchtigen Ohrenfauteuil und legte den Fuß auf einen niederen Hocker, der davor stand. Cardinez goß die Gläser voll und setzte sich Hartland gegenüber. »Wie hat Whittelsie reagiert, als Sie ihm sagten, daß Sie hier wohnen werden?« »Er war nicht sehr erbaut davon, ich habe es ihm angemerkt. Wir werden rasch handeln müssen, Jack.« »Von mir aus kann's losgehen, Bob. Übrigens habe ich einen Begleiter für Sie gefunden, einen sehr fähigen Amerikaner, der das Land genau kennt und fließend Mituyanisch spricht.« »Ausgezeichnet, ich selbst kann nur ein paar Brocken.« »Außerdem steht Ihnen einer von den neuen Turbo-PropHeliocouriers zur Verfügung. Nun brauche ich nur noch Ihren Zeitplan.« »Den werde ich mir heute abend festlegen können. Sorgen Sie nur dafür, daß das Flugzeug und dieser Begleiter jederzeit greifbar sind. Wie heißt er übrigens?« »Mike Forrester. Er wartet im Nebenzimmer, falls Sie mit ihm sprechen wollen.« »Später um auf Whittelsie zurückzukommen: Wir wissen schon seit einiger Zeit, daß er zuwenig Durchschlagskraft für solch einen problematischen Posten hat. Die Frage war nur, wie man ihn möglichst schmerzlos entfernt. Die Brüder seiner Frau haben sehr gute Verbindungen zum Weißen Haus, und Conny Whittelsie selbst phantasiert immer davon, welche Erfolge ihr Mann hier hat und wie nahe er dem Palast steht.« Cardinez konnte ein höhnisches Grinsen nicht unterdrücken. Hartland lehnte sich zurück. »Holen Sie jetzt Mr. Forrester herein.« Gleich darauf stand Mike vor dem Staatssekretär. »Sir, glauben Sie mir, wir können es gar nicht hoch genug einschätzen, daß ein Mann in Ihrer Stellung sich dafür -388-
interessiert, was in Mituyan wirklich vorgeht.« »Ich interessiere mich für sehr vieles und weiß sehr wenig«, erwiderte Hartland. »Aber wenn ich mich Ihnen und Jack anschließe, werde ich wahrscheinlich bei den Konferenzen in Washington mit härteren Fakten aufwarten können als die anderen Mitglieder der Delegation.« »Haben Sie Mr. Hartland schon darüber informiert, was wir ihm zeigen wollen?« fragte Mike. Cardinez trat zu einer leeren, getäfelten Wand und zog von der Rolle an der Decke eine große Landkarte von Mituyan herunter. »Zuerst sollte Bob die Situation bei den Groats kennenlernen.« Er lächelte seinem alten Kriegskameraden zu. »Wir beide haben einige Erfahrung mit asiatischen Bergvölkern.« »In letzter Zeit hören wir sehr wenig über die mituyanischen Bergstämme«, bemerkte Hartland. Cardinez schnitt eine Grimasse. »Wenn es nach Whittelsie ginge, würden die Groats bei den Besprechungen überhaupt nicht erwähnt werden. Aber...« - er umriß mit der Hand den nordöstlichen Teil des Territoriums - »... die Groats sind der entscheidende Faktor in einem Viertel des Staatsgebietes - des wichtigsten Teiles von Mituyan, denn die im Norden geschulten kommunistischen Kader sickern durch das Land der Groats ein. Wenn sich die Bergstämme der MFF anschließen, können die Mitkoms wie eine Lawine das ganze Land überrollen.« Die Lagebesprechung dauerte zwei Stunden, und schon die rein theoretischen Erörterungen bestätigten dem Staatssekretär, daß man in Washington die Lage in Mituyan völlig falsch beurteilte. Schließlich sah Hartland auf die Uhr. »Nun muß ich in die Botschaft zurückfahren, aber ich betrachte es als meine Aufgabe, mich in den nächsten Tagen persönlich davon zu überzeugen, was draußen geschieht.« Es zuckte ironisch um seinen Mund. »Dort, wo Whittelsie und Konsorten keine Potemkinschen Dörfer für die Besichtigung durch die -389-
Delegation errichtet haben.« Er humpelte zu der Landkarte und studierte einige Minuten lang Lage und Größe des Einsatzgebietes. »Gut, morgen rekognoszieren wir das Land der Groats.«
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30 Am frühen Morgen des folgenden Tages flogen Mike Forrester und Robert Hartland in einer U-10 ohne Hoheitszeichen nach Banthut. Zum Glück kannten nur die Spitzen der mituyanischen Regierung den Staatssekretär, deshalb konnte er in den Provinzen als amerikanischer Geschäftsmann auftreten, der in Mituyan Geld investieren wollte. Vom Landeplatz in Banthut fuhren sie direkt zu TrangTi. Der Provinzchef zeigte sich sofort sehr interessiert. »Mr. Hartland und ich haben bereits mehrere große Transaktionen gemeinsam durchgeführt«, erklärte Mike. »Und nun hat er plötzlich eine beträchtliche Summe verfügbar, die außerhalb der konventionellen westlichen Wirtschaftsräume angelegt werden müßte.« Mike kniff ein Auge zu, der Provinzchef grinste schlau zurück. »Natürlich möchten wir Sie beteiligen, falls sich in dieser Provinz lohnende Möglichkeiten bieten.« TrangTi, der sich für seine Person beträchtlichen Profit erhoffte, wenn er die fragwürdigen Geschäfte dieser beiden Amerikaner deckte, war sehr höflich und aufgeschlossen. Mike brachte das Gespräch geschickt auf die Bergstämme, TrangTi hakte sofort ein und schilderte eine volle Stunde lang seine Maßnahmen zur Unterdrückung und politischen Entmündigung der Groats. Mikes kleine Organisation hatte offenbar den Opiumhandel empfindlich getroffen, denn der Provinzchef betonte, falls Mr. Forrester und Mr. Hartland den Plan hätten, im Groatterritorium Verbindungen anzuknüpfen, sollten sie mit der Tatsache rechnen, daß er, TrangTi, seinen persönlichen Einflußbereich immer weiter ausdehne, »Ansiedlungen außerhalb des kontrollierten Gebietes werden auf meinen Befehl von der -391-
amerikanischen und der mituyanischen Luftwaffe bombardiert«, sagte er befriedigt. »Noch einen Monat, und ich werde alle Groatdörfer der Provinz unter Kontrolle haben.« Sein Lächeln verhieß nichts Gutes. »Wenn wir zusammenarbeiten sollen, kann ich Ihnen nur raten, mich über Ihre Tätigkeit genau zu informieren. Verstehen wir uns?« »Ich glaube schon«, erwiderte Mike ausweichend. »Prägnanter ausgedrückt: Sehr bald wird es für jedes amerikanische Special-Forces-Team, das bei den Bergstämmen eingesetzt ist, ein entsprechendes mituyanisches Special-ForcesTeam geben, das mir oder Kanzler Tarot in Tuyan direkt untersteht. Ihre Freunde im Jagdhaus haben nicht mehr das letzte Wort bei allen Groataktionen, Mr. Forrester. Doch wir sind den Amerikanern für ihre Ratschläge und ihre großzügige Hilfe dankbar.« Die nächste Station war Charlie Tigers Laden. »Wahrscheinlich werden wir sowieso beschattet«, sagte Mike. »Die Brüder würden sich sehr wundern, wenn wir nicht gleich geradewegs zu Charlie gingen. TrangTi weiß, daß ich mit dem Chinesen unter einer Decke stecke.« Im Verkaufsraum stand die Tochter Nummer drei, sie führte die Besucher in das prächtig eingerichtete Arbeitszimmer ihres Vaters. Diesmal stellte Mike seinen Begleiter wahrheitsgemäß als hohen amerikanischen Politiker vor. »Hier nicht gut jetzt. Wahlen machen alles schlecht, jaja«, sagte Charlie. »Waren zwei gute Männer hier, wollten Wahlen machen, ein Exilchinese und ein Mituyaner, ein - wie sagt man? - Missionar, der bekehrt Groats. Beide, sie sprechen gegen KaritKi, jaja. Jetzt nicht mehr da.« »Wurden die beiden verhaftet?« Charlie zuckte die Schultern. »Nicht mehr da.« -392-
Hartland schüttelte ungläubig den Kopf. »Und gestern nachmittag wurden wir im Palast in einer vierstündigen Sitzung von Tarot darüber informiert, welche Anstrengungen die Regierung unternimmt, um der Bevölkerung die demokratischen Spielregeln beizubringen und freie Wahlen zu gewährleisten! Dabei beseitigt KaritKi die Kandidaten der Opposition.« »In dieser Provinz keine Opposition mehr«, erklärte Charlie. Seine kleinen, verschmitzten Augen wanderten zu Mike. »Sehr schlimm für uns. Johnny Elephant seit zehn Tagen fort. Wollte vor fünf, sechs Tagen zurückkommen. Und meine Leute sehen viele, viele Kisten, amerikanisch, außen mit Händen drauf. Werden aus Provinzstation in Dschungel getragen. Wissen Sie, was bedeutet, Mike?« »Die Mitkoms holen sich wieder das Opium und tauschen es gegen Versorgungsgüter der Wirtschaftshilfe ein.« Mike wandte sich zu Hartland. »Ich habe Ihnen berichtet, wie die Sache funktioniert.« Hartland nickte. »Das möchte ich mir selbst ansehen.« »Es könnte klappen«, sagte Mike. »Mr. Forrester, Sie finden Johnny?« fragte Charlie erregt. »Wohin ist er gefahren?« »Selbes Dorf. Häuptling hat neue Ladung. Sie finden meinen Vetter?« »Ich werde es zumindest versuchen, Charlie. Wir fliegen zu Barkuns Jagdhaus. Vielleicht weiß man dort etwas über Johnny.« »Sie suchen, Mike, okay?« »Ja, ich werde ihn suchen. Vielleicht sehen wir uns noch heute abend, Charlie.« »Ich warte«, entgegnete der Chinese. Bald darauf war die kleine Maschine unterwegs zu Barkuns Jagdhaus. Eine halbe Stunde später kreiste sie über dem -393-
Gebäude und setzte auf dem Rollfeld auf. Für das ganze Landemanöver genügte dem Heliocourier eine Strecke von 15 Metern. Im selben Moment brauste ein Jeep heran, ein amerikanischer Sergeant mit grünem Barett sprang heraus. »Ach, Sie sind es, Sir! Wir wußten nicht, wer kommt, Major Prescott hat heute niemanden erwartet.« Mike schüttelte dem Special-Forces-Mann die Hand. »Mr. Hartland, das ist Sergeant Minelli, wir waren zusammen im Groatland. Minelli, ich darf Sie mit Mr. Hartland bekannt machen, dem Staatssekretär für Südostasien.« Der Sergeant riß Augen und Mund auf. Doch sofort besann er sich und salutierte stramm. »Guten Tag, Sir. Leider wußten wir nicht, daß Sie uns besuchen werden. Wir waren nicht darauf vorbereitet. Major Prescott wird überrascht sein, und wie!« Mike kletterte auf den Rücksitz, Hartland verstaute seinen langen Korpus neben dem Lenker, das rechte Bein außen gegen die Karosserie gestemmt. Sie fuhren bis vor das Portal des Jagdhauses und folgten dem Sergeant in die große Halle, die nun als Einsatzzentrum diente. Mit verblüfftem Gesicht kam Major Charlie Prescott herein. Er schüttelte dem Staatssekretär die Hand. »Das nenne ich einen Überfall, Sir. Glauben Sie mir, von den Mitkoms lassen wir uns nicht so überrumpeln. Vor zwei Tagen hat mich General Macker aus Tuyan wieder hierher verbannt, um zu vermeiden, daß ich vielleicht der Delegation aus Washington über den Weg laufe und etwas ausplaudere. Und nun kommen Sie selbst zu uns, Sir.« Hartland blinzelte ihm zu. »Eben deshalb. Ich bin besonders neugierig auf alles, was man vor uns verbergen möchte.« Prescott nickte. »Unsere Arbeit hier. Eine richtige Front gibt es nicht in diesem Krieg, und es gibt uns neuen Auftrieb, wenn wir wissen, daß ein Politiker aus Washington als Beobachter hierherkommt und sich nicht in Tuyan mit lausigen Propagandaphrasen und frisierten Berichten abspeisen läßt. -394-
Verzeihen Sie meine offenen Worte, Sir.« Ein verlegenes Lächeln glitt über sein Gesicht. »Wenn Ihr Besuch geheimgehalten werden soll, Sir, dann müssen wir vorsichtig sein. Wir haben eine ausländische Journalistin hier, sie sammelt Material für einen Artikel über die gute Zusammenarbeit zwischen den amerikanischen und den mituyanischen Special Forces. Der Informationsdienst in Tuyan fordert mich auf, sie bei ihren Recherchen in jeder Weise zu unterstützen.« Mike grinste den Major unverschämt an. »Wenn es sich um die Korrespondentin handelt, die ich meine, dann werden wir ihr sehr rasch klarmachen können, daß sie in ihrer Story nichts vom Besuch des Staatssekretärs erwähnen darf.« »Kein Problem bei Marlene«, bekräftigte Prescott. Auf Hartlands fragenden Blick erklärte ihm Mike, wer Marlene Strahl sei. Hartland lächelte. »Es ist sicherlich ein Trost, in dieser Wildnis ein weißes Mädchen zu Gesicht zu bekommen, besonders, wenn sie hübsch ist.« Er wurde wieder ernst. »Nun möchte ich mich hier rasch umsehen, Major.« »Jawohl, Sir!« Prescott führte Hartland durch das Einsatzzentrum und durch das ganze weitläufige Haus, wobei er genau schilderte, wie von diesem Hauptstützpunkt aus die Aktionen der im ganzen Groatland verteilten Soecial-ForcesTeams koordiniert würden. Schließlich betraten sie den Arbeitsraum des Majors. Prescott schloß die Tür. »Haben Sie noch weitere Fragen, Sir?« »Ja. Gelingt es uns, die Groats tatsächlich für die Sache der Regierung zu gewinnen?« »Jetzt nicht mehr, Sir.« »Und warum nicht?« »Es ist immer dieselbe alte Geschichte. Ich habe der Agency bereits gemeldet, daß die Groats sich entweder auf die Seite der Mitkoms schlagen oder gegen das bestehende Regime rebellieren werden. Alles lief wie geölt, bis KaritKi und Poramat -395-
uns die neuen mituyanischen Special Forces auf den Hals schickten.« »Charlie, haben wir noch Zeit genug, um Mr. Hartland Bemirs Dorf zu zeigen?« fragte Mike. »Es läßt sich machen - das heißt, wenn Sie wollen, Sir.« »Und ob ich will.« Hartland hievte sich aus seinem Stuhl und hatte schon die Klinke in der Hand. Der Flug bis nach Ba To dauerte 25 Minuten mit glatter Landung auf der kleinen Piste hinter der Ansiedlung. »Jeden Moment muß uns Lieutenant Panton oder einer seiner Leute abholen«, sagte Prescott. Er blickte zum Dorf hinüber. »Da kommt der Jeep. Anscheinend ist Cavanaugh am Steuer, unser Sanitäter, Sir«, erklärte er Hartland. »Man kann ruhig sagen, daß nur noch unsere Gesundheitsfürsorge die ganze Groataktion zusammenhält. Es ist soweit, daß die Eingeborenen den Sanitätern mehr vertrauen als ihren Medizinmännern.« Der große, rothaarige Sergeant wurde dem Staatssekretär vorgestellt. »Sir, hier werden Sie sich am besten überzeugen können, mit welchen Problemen wir zu kämpfen haben«, sagte Cavanaugh. Und zu Prescott gewandt: »Soll ich bei dieser Besichtigung den Fremdenführer machen, Sir? Lieutenant Panton ist auf Patrouille.« »Nur zu!« »Jawohl, Sir! Mr. Forrester, Sie werden wohl zuerst mit Häuptling Bemir sprechen wollen. Er ist in letzter Zeit ziemlich sauer. Kein Wunder!« Neugierige Groats säumten den Weg des Jeeps zum Versammlungsplatz. »Die Leute wirken jetzt gesünder«, bemerkte Mike, als sie auf das Langhaus des Häuptlings zuschritten. »Auch diese eigenartige, stumpf rote Tönung des Haares ist verschwunden.« »Stimmt, Sir. Zum Unterschied von meinem Haar war diese rote Farbe ein Anzeichen von Vitaminmangel. Ich habe den Frauen beigebracht, daß sie Vitaminpräparate ins Essen -396-
mischen. Außerdem haben wir die Schweinezucht angekurbelt, das trägt auch dazu bei. Die Groats hatten früher nie genug Fleisch.« »Auch die Kinder gedeihen gut«, sagte Hartland. »Früher hatten die Kinder der Bergstämme spindeldürre Beine und aufgetriebene Bäuche.« »Ich betätige mich eben auch ein bißchen als Kinderspezialist, Sir«, meinte Cavanaugh in stolzer Bescheidenheit. Vor der Plattform rief Mike den Namen des Häuptlings. Er hörte eine undeutliche Antwort aus dem Inneren des Hauses, dann tauchte Bemir selbst auf. Er trug einen Lendenschurz und ein schwarzes Hemd und qualmte große Rauchwolken aus einer Groatpfeife. Unfreundlich blinzelte er herunter, um zu sehen, wer ihn aus seiner Ruhe aufstörte. Mike winkte seinem alten Freund zu. Schließlich erkannte Bemir den Amerikaner. Mit einem freudigen Ausruf glitt er über den Steigbaum herunter, zahnlos grinsend schlug er Mike auf die Schulter. Der schob Hartland heran und stellte ihn als den wichtigsten Berater des obersten Häuptlings aller Amerikaner in den USA vor. Tief beeindruckt lud Bemir seine Gäste ein, sich zum rituellen Palaver auf die Plattform zu kauern. Mike erklärte ihm, daß Hartland während des Krieges am Bein verwundet worden sei und nicht in der Hocke verharren könne, sondern mit hochgelagertem Bein sitzen müsse. Bemir rief ins Haus, gleich darauf brachte einer seiner Söhne Matten und eine Kiste heraus. Dankbar ließ sich Hartland nieder. »Manchmal ist das kaputte Bein schon verdammt hinderlich«, ächzte er. Mike und Bemir begannen ihr Gespräch auf mituyanisch und mit jenem bescheidenen Wortschatz an Groatausdrücken, die sich Mike angeeignet hatte. Zwischendurch dolmetschte er. Sehr bald fragte er den Häuptling, was es Neues gebe. Verdrossen sog Bemir an seiner Pfeife. »Zum erstenmal in unserer Geschichte kommen die Leute aus dem Tiefland als -397-
Herren in unsere Dörfer. Wir nehmen sie auf. Meine Krieger kämpfen für sie, weil uns die Amerikaner dazu auffordern. Aber die Männer aus dem Tiefland mißachten uns und unsere Gebräuche. Sie lachen über uns. Sie kaufen Groatmädchen und bezahlen mit Perlen und Silberketten. Und sie bestrafen meine Leute sehr grausam wegen Nichtigkeiten. Einer der Männer ist bereits in der Grube gestorben.« Mike übersetzte mit einem forschenden Blick zu Cavanaugh. »Das ist wahr«, bestätigte der Sanitäter. »Die Mituyaner haben einen Groat, den wir als Unterführer der Dorfwehr einsetzten, in die Grube gesteckt, zwei Tage und zwei Nächte lang blieb er drin. Bei Tag wurde er gebraten und bei Nacht tiefgekühlt. Als sie ihn schließlich wieder herausholten, konnte ich ihm nicht mehr helfen.« Mike sondierte vorsichtig weiter. »Worüber hast du dich noch zu beklagen, Bemir?« »Die Tiefländer essen unsere Vorräte auf und bezahlen zu wenig dafür. Wir bleiben oft hungrig. Wenn meine Krieger im Dschungel auf Streife gehen, befehlen ihnen die Anführer der Tiefländer, Wild zu erlegen, statt auf Mitkoms Jagd zu machen. Und wenn dann die Beute ins Dorf gebracht wird, nehmen sie uns alle Tiere weg und lassen das Fleisch und die Felle in Banthut verkaufen. Wir selbst dürfen nichts behalten. Wir lieben die Amerikaner«, fuhr der Häuptling nach kurzem Schweigen fort. »Sie geben uns Schweine und sagen, es seien Geschenke der Regierung im Tiefland. Aber wir wissen Bescheid. Die Amerikaner haben hier viele Menschen gerettet, Erwachsene und Kinder.« Er lächelte Cavanaugh zu. »Der rothaarige Medizinmann ist gut. Deshalb tun wir, was die Amerikaner sagen, aber warum gelten die Mituyaner mehr als die Amerikaner, warum haben sie mehr Gesicht als diese?« »Will jemand diese Frage beantworten?« Mike blickte von einem zum anderen. -398-
»Die Antwort liegt in Tuyan«, murrte Prescott. »Vielleicht sollte der Botschafter hierherkommen und mit dem Häuptling sprechen.« Hartland nickte ernst. »Forrester, fragen Sie ihn, ob er weiß, daß im gesamten Staatsgebiet Volksvertreter gewählt werden sollen, um in Tuyan eine neue Regierung zu bilden.« Es dauerte einige Minuten, bis Mike die Antwort übersetzen konnte. »Bemir sagt, davon habe er nichts gehört. Er meint auch, daß die Groats niemals die Möglichkeit hätten, bei Entscheidungen mitzubestimmen, selbst wenn KaritKi Wahlen durchführen ließe.« Mike schwieg, er schien zu überlegen, dann faßte er Hartland scharf ins Auge. »Und noch etwas hat Bemir gesagt: daß nur die Amerikaner seinen Stamm zusammenhalten. Viele der jüngeren Männer wollen sich mit den Groats der anderen Dörfer vereinigen und die Mituyaner aus den Bergen vertreiben. Sein Sohn Radam, dort sitzt er, ist ein Wortführer dieser Gruppe. Es könnte zu einer offenen Rebellion gegen die Mituyaner kommen. Die jungen Männer erwägen, sich den Mitkoms anzuschließen, die den Groats die Unabhängigkeit versprechen.« Hartland sah ihn bestürzt an. »Eine Revolte der Bergstämme wäre eine Katastrophe.« Doch Bemir war noch nicht zu Ende. »Die Tiefländer wollen uns unseren Mohnsaft wegnehmen und bezahlen nur mit billigem Kram.« Mike horchte auf, dieses Thema interessierte ihn am meisten. »Du hast uns gelehrt, was unsere Ernte wert ist und hast uns gut bezahlt, aber die Eindringlinge wollen uns den Ertrag unserer Felder stehlen.« Er grinste wie ein alter Fuchs. »Wir haben viel Mohnsaft im Dorf versteckt, aber die Mituyaner finden ihn nicht. Vielleicht werden wir wieder das gleiche tun wie die Leute in den anderen Dörfern - den Mohnsaft euren Feinden verkaufen. Die Mitkoms bezahlen mehr als die -399-
Tiefländer. Ein Bote des Provinzchefs war hier, um den Mohnsaft mitzunehmen, den der Offizier uns gestohlen hat.« Der Häuptling lachte. »Der Bote war sehr wütend, weil es so wenig Mohnsaft gab.« »Wieviel hast du im Versteck, Bemir?« fragte Mike prompt. »Fünf Säcke, vielleicht auch sechs.« »Ich kaufe dir sofort alles ab, zum alten Preis.« »Gemacht!« rief Bemir. »Können deine Leute die Säcke in dem kleinen Wagen des rothaarigen Medizinmannes verstauen?« »Es wird geschehen.« »Sie sollen gleich an die Arbeit gehen, solange der mituyanische Offizier noch in seinem Haus ist.« Bemir rief seinen Söhnen Befehle zu, flink kletterten sie über den Steigbaum hinunter und rannten davon. Mike erklärte den anderen, worüber er mit dem Häuptling verhandelt hatte. »Und was tun Sie mit dem Zeug?« fragte Hartland. »Ich bin im Auftrag des Geheimdienstes Rauschgiftschieber geworden, um den Kommunisten das Opium wegzuschnappen. Wir verkaufen es legal zum festgesetzten Preis an pharmazeutische Fabriken. Ich selbst streiche bei der ganzen Transaktion einen kleinen Gewinn ein, keine Reichtümer, ungefähr so viel, daß meine Spesen gedeckt sind.« Mike zog ein dickes Bündel Metascheine aus der Tasche. Grinsend sah der Häuptling zu, als Mike ihm ein Bündel davon hinblätterte. »Sechs Säcke, Bemir. Zähle nach.« »Wie gut, daß wir den Mohnsaft für dich aufgespart haben«, sagte Bemir vergnügt. »Der Chinese wollte zu uns kommen, aber die Mituyaner haben ihn gefangen.« »Was?« schrie Mike. »Warum hast du mir das nicht früher gesagt?« -400-
»Ich habe geglaubt, du weißt es.« »Ist der Chinese hier in Ba To?« »Ja. Die Tiefländer haben ihn erwischt.« Mike fuhr herum. »Cavanaugh, wußten Sie, daß die Mituyaner Johnny Elephant geschnappt haben?« »Nein, Sir. Wir dachten, es seien verkappte Mitkoms, die einer Patrouille in die Arme liefen.« »Habt ihr die Gefangenen nicht verhört?« »Nein, Sir, in solchen Fällen dürfen wir uns nicht einmischen, das ist ein Befehl. Wenn die Mituyaner Verdächtige aufgreifen, werden diese zum Verhör in die Provinzhauptstadt gebracht.« »Cav hat recht, Mike«, bestätigte Prescott. »Laut strikter Order von General Macker sind wir jetzt nur noch Berater. Gott behüte, daß wir unsere empfindlichen Alliierten verstimmen...« Mike wandte sich an Hartland. »Sir, Johnny war mein Helfer, ich muß ihn herausholen«, sagte er eindringlich. »Und was soll ich dabei tun?« fragte Hartland. »Schicken Sie mir die Maschine, mit der Sie zum Jagdhaus fliegen, wieder hierher zurück. Sobald sie landet, befreie ich Johnny und segle mit ihm ab. Auf diese Weise sind Sie nicht kompromittiert, Sir.« »Darf ich fragen, wie Sie das anfangen wollen? Das möchte ich mir nämlich gern ansehen. Major, ich bleibe.« Prescott zuckte die Schultern. »Wie Sie wünschen, Sir.« »Okay«, sagte Mike. »Cavanaugh, schaffen Sie meine sechs Säcke Rohopium in den Laderaum des Flugzeugs. Dreihundert Kilo zusätzliches Gewicht sind für die Turbo-Prop eine Kleinigkeit.« »In Ordnung, Sir.« »Außerdem brauchen wir zwei Jeeps.« »Haben wir. Sergeant Jones wird den anderen Karren fahren.« -401-
»Gut. In fünfzehn Minuten sollen beide Wagen startbereit auf dem Versammlungsplatz stehen. Nun werde ich mich noch kurz mit Bemir unterhalten. Ihr anderen könnt dann die unbeteiligten, überraschten Zuschauer spielen.« Häuptling Bemir lachte laut auf, als ihm Mike seinen Plan auseinandersetzte. Bereitwillig holte er die Doppelflinte, Mikes Gastgeschenk. Die Waffe war in tadellosem Zustand, in jedem Lauf steckte eine Schrotpatrone. Mike reichte das Gewehr Bemirs ältestem Sohn Radam, nunmehr Sergeant der Schutzmannschaft von Ba To. Dieser war Feuer und Flamme für das Vorhaben, den mituyanischen Special Forces eins auszuwischen. Prescott schüttelte den Kopf. »Sie sind verrückt, Mike.« »Sie glauben nicht, daß es gelingt?« »Doch. Aber was geschieht, wenn Sie nach Tuyan zurückkehren? Tarot wird Sie deportieren lassen.« »Keine Sorge.« Er wandte sich Radam zu, der in voller Ausrüstung neben ihm stand, in getigerter Dschungelgarnitur, Bata-Schuhen und mit breitkrempigem Buschhut, die Schrotflinte unterm rechten Arm. »Los, Radam!« Der junge Groat trieb Mike mit schußbereiter Waffe vor sich her zu den käfigartigen Gefängniszellen am Rand des Dorfes, wo die mituyanischen Special Forces - kurz MSF bezeichnet mit amerikanischer Hilfe einen befestigten Stützpunkt angelegt hatten. Bei der Drahtverhaueinzäunung wurden sie von einem MSFPosten angehalten. Radam erklärte, dieser Amerikaner habe versucht, Mohnsaft aufzukaufen, und müsse Captain Narit übergeben werden. Der Posten ließ die beiden passieren, Radam eskortierte Mike bis zu den Käfigen. Zwei Groats und ein Chinese befanden sich -402-
darin, bei Tag waren sie schutzlos der sengenden Sonne ausgesetzt, bei Nacht der strengen Kälte des Berglandes. Keine der zusammengekrümmten Gestalten blickte auf. »Johnny, Johnny Elephant!« rief Mike leise. Der Chinese, der in seinem engen Gelaß weder aufrecht sitzen noch ausgestreckt liegen konnte, rollte den schwankenden Kopf in die Richtung der Stimme. Die erloschenen Augen blickten den Mann an, der vor dem Gitter stand. »Haben... sie dich auch erwischt, Mike...«, stöhnte Johnny. »Erledigt... auch du... schade...« »Noch nicht, Johnny. Ich will dich befreien.« Neue Hoffnung leuchtete im Gesicht des chinesischen Jägers auf. »Glaubst du.. daß es gelingt?« »Paß auf, was nun geschieht, Johnny. Kannst du gehen?« »Wenn ich hier 'rauskomme, kann ich sogar rennen«, er versuchte, sich aus seiner verkrampften Stellung aufzurichten. Aus den Augenwinkeln sah Mike, daß der MSF-Captain Narit mit einem Sergeant eilig herankam, um festzustellen, warum der kleine Groat den hochgewachsenen Amerikaner in Schach hielt. Bevor der Offizier etwas sagen konnte, fuhr ihn Mike energisch an: »Captain, Sie haben einen guten Freund von mir eingekerkert, ich verlange, daß er sofort freigelassen wird!« »Wer sind Sie?« fragte Narit. »Ich bin Mike Forrester, ein amerikanischer Pflanzer und Händler, seit langem in Mituyan ansässig. Dieser Mann arbeitet für mich.« »Sie sind also der Opiumschieber!« rief Narit. »Das ist nun vorbei, wir werden Sie zu Ihrem Freund in den Käfig stecken und euch beide an Colonel TrangTi ausliefern.« Mit höhnischem Grinsen maß Mike den Captain von oben bis unten, dann sagte er auf mituyanisch, laut und deutlich, daß es alle MSF-Soldaten hörten: »Du Sohn einer Hure, ich pisse auf das Grab deiner Großmutter und Urgroßmutter. Mein Kot ist zu -403-
gut, um damit die Gräber deiner Ahnen zu düngen!« Der Offizier wurde blaß bis in die vor Wut zitternden Lippen. Wenn er diese Beleidigung nicht mit Blut rächte, hatte er unrettbar das Gesicht verloren. »Jage dem Amerikaner die ganze Ladung in den Leib, wenn er sich regt!« schrie er mit überschnappender Stimme Radam zu. Er näherte sich dem vermeintlichen Gefangenen, im Gehen ein schmales Stilett aus dem Gürtel ziehend. Mike hatte richtig vermutet: Narit gehörte der Lodung- oder Ahnenverehrersekte der mituyanischen Buddhisten an. Der fürchterliche Schimpf hatte ihn völlig aus der Fassung gebracht. Er hob das Stilett - in dieser Sekunde erfaßte Mikes rechte Hand den Lauf der Flinte, die Radam ganz locker hielt, die Finger des Amerikaners glitten blitzschnell zum Schaft, er packte auch mit der Linken zu, riß die Waffe an sich und setzte Narit die Mündung an die Kehle. Wie gebannt erstarrte der mituyanische Offizier in der Bewegung des Zustoßens, die Spitze des Dolches funkelte in der Sonne. »Messer fallen lassen, oder ich schieße dir den Schädel weg!« zischte ihm Mike zu. Sprachlos starrte Narit den Amerikaner an. Dann fiel der erhobene Arm schlaff herunter, das Stilett klirrte zu Boden. »Wenn einer von euch auf mich losgeht, knalle ich den Captain ab!« rief Mike den MSF-Soldaten zu. »Nicht schießen!« krächzte Narit. »So, Captain - und nun befehlen Sie Ihren Leuten, den Chinesen freizulassen.« Schlotternd vor Angst gab Narit einen Wink. Der Riegel wurde geöffnet und die Kipptüre des Käfigs hochgeklappt. Sofort sprang Johnny Elephant heraus. »Hören Sie mir genau zu, Narit«, sagte Mike. »Wenn Sie alles tun, was ich Ihnen sage, wird Ihnen nichts geschehen. Aber eine einzige drohende Bewegung, und Sie sind ein toter Mann. Sagen Sie das Ihren Leuten.« -404-
»Keinen Widerstand!« schrie der Captain den Soldaten zu. Gehorsam wichen sie zurück. »Befehlen Sie Ihrem Team, im Lager zu bleiben, bis Sie zurückkehren.« Narit tat es. »Und nun gehen Sie ganz langsam neben mir her bis zum Versammlungsplatz.« Narit setzte sich in Bewegung, den Blick starr nach vorn gerichtet, mit der Mündung der Flinte an seiner Halsschlagader. Groats eilten herbei, bald säumte ein dichtes Spalier den Weg der Gruppe. Alle wollten sehen, wie der verhaßte mituyanische Offizier gedemütigt wurde. Plötzlich erstarb das laute, schnatternde Stimmengewirr, das den Alltag der Ansiedlung beständig untermalte, tiefe Stille fiel über Ba To, die Bewohner drängten nach, zum Versammlungsplatz. Dort standen zwei startbereite Jeeps. Mit einer Hand ergriff der amerikanische Hüne den kleinen Mituyaner, ein fester Stoß beförderte ihn auf den Rücksitz. Dann schwang sich der Mann mit dem Gewehr hinein, und beide Fahrzeuge brausten davon, in Richtung auf die Landepiste. »Das hätten wir, Cavanaugh«, sagte Mike fröhlich, als Hartland, Johnny Elephant und die anderen bereits in der Maschine saßen. »In knappen zwei Stunden werde ich bei TrangTi sein und ihn über alles informieren.« Streng faßte er den schweigenden Narit scharf ins Auge. »Captain, wenn Sie die Ratschläge der Amerikaner genau befolgen, werden Sie vielleicht nicht Ihres Kommandos enthoben. Denken Sie immer daran, daß Colonel TrangTi und ich als Partner hier Geschäfte abwickeln, die Sie in Ihrer Dummheit und Kurzsichtigkeit fast vereitelt hätten.« Als er sah, daß Narits Verwirrung in lähmende Furcht umschlug, fügte er überlegen hinzu: »Ich werde Colonel TrangTi nicht erzählen, wie leicht ein einzelner unbewaffneter Mann ein ganzes Team der mituyanischen Special Forces überrumpeln kann - und es wird vernünftig sein, wenn auch Sie nichts verlauten lassen. Es könnte Sie sonst die Offizierssterne und wahrscheinlich noch mehr kosten...« -405-
Damit ließ Mike den beschämt zu Boden starrenden MSFCaptain stehen und stieg ins Flugzeug. Sofort warf der Pilot den Motor an. »Das war das tollste Bravourstück, das ich je gesehen habe«, sagte Hartland, als die Maschine bereits in der Luft war. »Aus bloßer Neugierde, Mike, wieviel würde man für diese Ladung in New York bekommen?« Mike wies auf die sechs Säcke im Frachtraum. »Das sind etwa dreihundert Kilo Rohopium. Der Preis im Zwischenhandel liegt bei einem Minimum von hundert Dollar pro Kilo, macht also dreißigtausend Dollar. Natürlich gibt es in Banthut und Tuyan illegale Labors, die aus dem Rohopium die Morphiumbasis gewinnen können, im Verhältnis von ein Kilo Morphiumbasis zu zehn Kilo Mohnsaft. Außerdem steht ein Kilo Morphiumbasis mehr als doppelt so hoch im Kurs als zehn Kilo Rohopium, und die geringere Menge läßt sich viel leichter nach Hongkong oder auf die Philippinen transportieren.« »Welchen Preis würde man also in New York City erzielen?« Mike zuckte die Schultern. »Das ist schwerlich genau zu beziffern. Die asiatischen Rauschgiftschmuggler verschieben das Zeug an die Mafia in den USA, dort wird daraus in einem ziemlich Komplizierten Verfahren Heroin gemacht. Die Menge vermindert sich dabei nicht, ein Kilo Morphiumbasis ergibt ein Kilo Heroin. Ein Pfund Rohopium von der Beschaffenheit, wie wir es hier haben, wäre in New York ungefähr fünfundzwanzigtausend Dollar wert, alle Kosten der Verarbeitung und Spannen des Zwischenhandels einkalkuliert. Demnach könnte man dreihundert Kilo um runde fünfzehn Millionen Dollar losschlagen.« Prescott ließ einen lauten Pfiff hören. »Ich hätte nie gedacht, einmal fünfzehn Millionen Dollar einfach so in ein paar Säcken beisammen zu sehen.« »Aber das schönste ist: Wenn TrangTi draufkommt, was ich -406-
habe, wird er sofort Geschäfte mit mir machen wollen, denn er kriegt kein Opium mehr, seit die MSF in den Groatdörfern eingesetzt sind. Das war ein Bumerang, der ihn selbst trifft. Und ich kann ihn mit dreihundert Kilo ködern! Wetten, daß es ihm unter diesen Umständen nicht das geringste ausmacht, daß ich Johnny Elephant befreit habe?«
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31 Einen Tag mußte Hartland wohl oder übel bei den mit vollendeter diplomatischer Höflichkeit abgewickelten Roundtable-Gesprächen und bei durchaus auf Optimismus gestimmten Konferenzen verbringen. Heikle Themen kamen überhaupt nicht zur Sprache oder wurden bagatellisiert, weil es sich dabei - so erfuhr die Delegation aus Washington - um unwesentliche, lokal begrenzte Begleiterscheinungen handle, die den großen Aufschwung Mituyans unter der Führung Premier KaritKis nicht beeinträchtigen. Am nächsten Morgen bestieg Hartland mit Mike wieder den Heliocourier, der Kurs auf Tiking nahm. Die beiden Männer waren in der kurzen Zeit bereits Freunde geworden. Versonnen blickte der Staatssekretär auf die Reisfelder und Dörfer hinunter. »Gestern wurde uns versichert, daß die Bevölkerung auf dem flachen Land - besonders hier in den nördlichen Provinzen, die Poramat verwaltet - einmütig hinter der Regierung und den Amerikanern steht.« »Heute abend werden Sie anders darüber denken, Bob. Sie werden sich selbst davon überzeugen können, welch treue Anhänger KaritKi und Poramat hier haben.« Mike streifte mit einem Blick den auf dem Vordersitz hochgelagerten Fuß des Unterstaatssekretärs. »Wie geht's? Schmerzen?« »Kaum. Das war das einzige Gute gestern: Während ich stundenlang Quatsch anhörte, konnte ich wenigstens das Bein ausruhen.« Die U-10 landete auf dem Militärflugplatz von Tiking. Colonel Lawton wartete bereits mit einer schwarzen Limousine. »General Dandig scheint das Haupt der Verschwörung zu sein«, erklärte er, nachdem er durch vorsichtig sondierende -408-
Fragen erfahren hatte, daß Hartland über das Komplott informiert war. »Meiner Meinung nach gestehen ihm die anderen Generale deswegen so viel Einfluß zu, weil sie wissen, daß er nicht Premier, Präsident oder König werden will - oder wie die Mituyaner ihren neuesten obersten Boß bezeichnen werden.« Er lächelte den Staatssekretär ironisch an. »Wenigstens zeigt er im Moment noch keine Ambitionen. Er hat die Entwicklung in Vietnam sehr genau verfolgt und weiß sehr wohl, daß mehrere Führungsgarnituren ausgewechselt werden, bis der wirklich starke Mann die Macht ergreift und nicht mehr hergibt.« Im Kommando des mituyanischen 1. Korps wurden sie von Dandig sehr herzlich begrüßt. Nach einleitenden allgemeinen Erörterungen über die militärische und politische Situation fragte Hartland unumwunden: »Glauben Sie persönlich, General, daß die Kandidaten in der Provinz Tiking tatsächlich verschiedene Richtungen vertreten? Mit anderen Worten: Gibt es einen Kandidaten der Regierungspartei und einen der Opposition?« Dandig lachte auf. »Der sogenannte Oppositionskandidat ist ein treuer Gefolgsmann Poramats, seit das gegenwärtige Regime existiert. Seine Wahlreden gegen KaritKi schreibt Tarot.« »Und wie steht die Bevölkerung zu KaritKi?« »Die große Masse des mituyanischen Volkes hat nur sehr vage oder überhaupt keine Begriffe von der Zentralregierung.« Hartland schätzte Dandig richtig ein. Dieser junge General war einer der vielen ehrgeizigen Offiziere aus kultivierter, reicher Familie, er und seine Kameraden waren an der britischen Militärakademie Sandhurst ausgebildet worden und hatten sich das englische Denken aus der Epoche des Empire angeeignet. »Gestern bei den Besprechungen in Tuyan wurde betont, die überwältigende Mehrheit in Ihrem Korpsbereich sei für KaritKi, dennoch hätten die Exponenten anderer Gruppen die -409-
Möglichkeit, für die Wahl in die neue Gesetzgebende Versammlung zu kandidieren.« Um Dandigs Mundwinkel zuckte es. »Oh, gewiß, Gegenkandidaten haben die Möglichkeit, ihre Ziele zu verkünden - im Internierungslager auf der Felseninsel.« Sein forschender Blick ruhte auf Hartland. »Sir, wie würde die amerikanische Regierung auf die Absetzung KaritKis und die Machtergreifung durch einen neuen Mann reagieren, der die Streitkräfte hinter sich hat?« »Würde sich dieser Umschwung in der Form eines Militärputsches vollziehen?« fragte Hartland arglos. »Wir sehen keinen anderen Ausweg«, sagte Dandig ernst. »Ich kann natürlich keine bindenden Erklärungen darüber abgeben, ob die Regierung der USA ein neues Regime sofort anerkennen würde. Nach all den aufsehenerregenden Berichten über KaritKis Terror ist es aber ziemlich sicher. Der Reporter Roger Krakhaur hat einer demokratischen, antikommunistischen Widerstandsbewegung große Dienste erwiesen, falls eine solche überhaupt existiert.« »Das Problem besteht darin, einen Mann zu finden, den das Volk rein gefühlsmäßig bejahen würde, eine Persönlichkeit, die die Phantasie der Menschen beschäftigt«, sagte Dandig. »In der staatlich gelenkten Presse darf kein Politiker und kein militärischer Führer zuviel Publicity haben, weil KaritKi und seine Brüder fürchten, daß ihnen daraus Rivalen erwachsen. Diese drei haben sozusagen das Monopol auf den Personenkult. Doch es gibt einen Mann, auf den zutrifft, was ich eben erwähnte... überdies gehört er der stärksten religiösen Gruppe des Landes an.« »Und wer ist es?« fragte Hartland. »Sie werden vielleicht entsetzt sein, aber...« Danzig zögerte, er scheute sich weiterzusprechen, doch Mike und Hartland beugten sich vor und nickten ihm gespannt zu. »Trotz seiner -410-
Skandalgeschichten oder vielleicht gerade deshalb ist König Barkun im ganzen Land noch immer populär. Wir glauben, daß er das Volk im Sturm für sich gewinnen könnte, wenn er zurückkehrte.« »Nicht zuletzt sprechen auch religiöse Gründe für ihn«, bemerkte Hartland. Daß er über den Barkun-Plan bereits informiert gewesen war, verschwieg er. »Die Amerikaner betrachten fälschlicherweise die Buddhisten immer als eine einheitliche, in sich geschlossene Gemeinschaft. Außer den beiden Hauptsekten, den Lodung und den Dikut, gibt es viele kleine Splittergruppen, die sich voneinander ebenso deutlich unterscheiden wie etwa die Katholiken von den Protestanten.« »Doch als buddhistischer Herrscher wäre Barkun nicht nur der oberste staatliche, sondern auch der religiöse Repräsentant Mituyans. Wäre dies nicht der schwerwiegendste Grund für seine Rückberufung?« Ein Lächeln glitt über Dandigs verschlagenes Gesicht. Nun sieht er so aus, wie sich Hollywood einen asiatischen Verschwörer vorstellt, dachte Mike. »In dieser Stadt lebt ein buddhistischer Mönch, der sich zu keiner bestimmten Sekte oder Richtung bekennt - Han Li Phang, der ›Große Eiferer von Tiking‹. Obwohl er eine an sich ziemlich unbedeutende Gruppe von Außenseitern vertritt, wurde er durch seinen Fanatismus und sein demagogisches Talent zur Schlüsselfigur des mituyanischen Buddhismus. Ihm gelang - zum erstenmal in der Geschichte dieses Landes! - eine weitgehende Einigung der vielen Sekten, freilich unter dem Druck der politischen Verhältnisse, doch er hat es zuwege gebracht, daß die Anhänger der verschiedenen Richtungen vor allem als Buddhisten denken und erst in zweiter Linie als Reinkarnationisten oder als Ahnenverehrer. Seit einem Jahr arbeitet Han Li Phang im Untergrund und schürt den Haß, um alle Buddhisten zu Demonstrationen gegen KaritKi zu sammeln.« -411-
»Diesen Mönch möchte ich mir ansehen«, sagte Hartland. »Als Buddhist, der an die Seelenwanderung glaubt, muß ich betonen, daß dieser Bonze die Religion verfälscht und nur als Mittel zum Zweck benutzt, um die Massen nach seinen Intentionen zu lenken. Er hat in verschiedenen Teilen des Landes ganze Kader von Reinkarnationisten organisiert, die bereit sind, auf seinen Befehl als Protest gegen KaritKis Terror auf gräßliche Art Selbstmord zu verüben. In Vietnam schritten einzelne Buddhisten zur Selbstverbrennung, auch Han Li Phang hat Anhänger, die sich freiwillig in menschliche Fackeln verwandeln werden, wenn er es ihnen gebietet. Doch es gibt noch viel abscheulichere Methoden des Opfertodes, und der Große Eiferer wird nicht zögern, die Welt damit zu schockieren.« Hartland hörte interessiert zu. Da er schwieg, fuhr General Dandig fort: »Li Phang redet seinen ihm blind ergebenen Anhängern ein, daß sie durch die Selbstaufopferung so viel gutes Karma erlangen, daß sie nach einigen Wiedergeburten ins Nirwana und in die ewige Harmonie eingehen werden. Doch das böse Karma, das er sich selbst schafft, wird ihm hundert qualvolle Wiedergeburten bereiten. Das aber wird sich nicht hier ereignen... Was uns betrifft, Sir, wir werden das Signal zum Putsch geben, sobald wir die Zusicherung haben, daß uns die amerikanische Regierung ihre volle Unterstützung gewährt.« »General, ich werde dem Präsidenten einen ungeschminkten Bericht über die wahren Verhältnisse in Mituyan vorlegen und eindringlich darauf hinweisen, daß das KaritKi-Regime untragbar ist. Wenn meine Intervention Erfolg hat, können Sie mit unserer Hilfe rechnen.« »Ich danke Ihnen, Sir. Ich hoffe, dieser Tag ist nicht mehr fern, denn KaritKi, Tarot und Poramat argwöhnen bereits eine Verschwörung der Generale. Eine Verhaftungswelle würde den ganzen Plan vereiteln.« -412-
»Ich werde keine Zeit verlieren, General. Die Delegation fliegt morgen abend nach Washington zurück.« »Okay, nächste Station: der zweifelhafte Bonze von Tiking«, sagte Hartland, als sie wieder im Wagen saßen. Zwanzig Minuten später nahm die schwarze Limousine die letzte scharfe Kurve der Bergstraße und hielt vor dem Portal der Pagode, einem unansehnlichen Gebäude in verwaschenem Braun und mit schadhaftem Dach, das zum Teil mit Zinkplatten gedeckt war. »Dieser Tempel ist eines der größten Heiligtümer des Landes«, erklärte Mike. Vorbei an kahlgeschorenen Mönchen in braunen und gelben Gewändern führte er Hartland und Lawton in den Innenraum. Modergeruch schlug ihnen entgegen, die Augen mußten sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen. Vor ihnen, unter dem notdürftig geflickten Dach, ragte eine gewaltige sitzende Buddhastatue empor, die Beine gekreuzt, die Fußsohlen nach oben gekehrt. Die Vergoldung war zum größten Teil abgeblättert, dennoch gerieten die drei Weißen in den Bannkreis der unendlichen Ruhe und Erhabenheit, die von dem Bildwerk ausstrahlte. Einige Minuten blieben sie so stehen, in die Betrachtung des Buddha versunken. Ihre Blicke wanderten über die nackten Wände und über die Mönche ringsum, die in der Haltung des Gotamo meditierten oder lang ausgestreckt vor der Statue auf dem Gesicht lagen. Ein Mönch trat heran und fragte in halbwegs verständlichem Englisch, ob die Fremden die Pagode zu besichtigen wünschten. Mike legte eine 100-Meta-Note in die Geldschüssel, die ihm der Buddhist hinhielt, und stellte - zum Erstaunen des Mönchs auf mituyanisch - die Gegenfrage, ob Han Li Phang ihn und seine beiden Freunde empfangen würde. Wortlos raffte der Alte die Falten seines Gewandes enger um den Körper und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Sie stiegen über eine Treppe aus zerbröckelnden Ziegeln und gelangten auf eine -413-
Galerie, die von Zellen gesäumt war. Mike stieß Hartland an, als sie an einigen Räumen vorbeigingen, aus denen rhythmisches, metallisches Rasseln tönte. Der Staatssekretär blickte hinein und sah einen Hektrographierapparat, der Blatt um Blatt ausspie. Im nächsten Raum klapperte eine buddhistische Nonne eifrig auf einer Schreibmaschine, und zwei Mönche betätigten ein Vervielfältigungsgerät. »Der Informationsdienst des Großen Eiferers!« flüsterte Mike. Vom Ende der Galerie führte eine Treppe in ein Turmgemach mit Ausblick nach allen vier Windrichtungen. Auf einer Matte saß Han Li Phang, offenbar in tiefer Meditation, den Oberkörper starr aufgerichtet, die Beine gekreuzt. Sein gelbes Gewand aus schlechtem Stoff war verschmutzt, der rasierte Schädel, das glatte Gesicht ohne Furchen und die breite, gewölbte Stirn verrieten nicht sein Alter, die Jahre schienen an dem Zeitlosen vorbeizugleiten, ohne Spuren zu hinterlassen. Der Mönch mit der Geldschüssel setzte sich neben andere meditierende Brüder und kreuzte die Beine. Mike, Lawton und Hartland bleiben befangen stehen. Als Mike den Bonzen auf mituyanisch ansprach, blitzten in den mandelförmigen Augen die kleinen schwarzen Pupillen auf. Han Li Phang erkannte den Amerikaner und hörte ihm aufmerksam zu. Dann musterte er nachdenklich und prüfend Lawton und Hartland. Sein Blick verweilte auf dem Staatssekretär. »Ich habe ihm gesagt, wer Sie sind, Bob. Das scheint Eindruck auf ihn zu machen. Sie sind der erste hohe amerikanische Beamte, der ihn besucht.« Mit hoher, fast eunuchenhafter Stimme begann der Große Eiferer zu sprechen. »Er sagt, die Buddhisten haben unter KaritKis Regime besonders zu leiden«, verdolmetschte Mike. »KaritKi hat bei seinem Amtsantritt vieles versprochen und nichts erfüllt. Han Li Phang bekämpft im Namen des gesamten Volkes den Tyrannen, der politische Gegner einkerkern und foltern läßt.« -414-
»Glaubt er nicht, daß aus den Wahlen eine humane und demokratische Regierung hervorgehen wird?« Mike formulierte die Frage im gehobenen Mituyanisch der buddhistischen Bonzen. Han Li Phang blickte Hartland an, ein mitleidiges Lächeln entblößte zwei Reihen von Goldzähnen, er schüttelte den Kopf. »Hundert meiner Brüder werden sich aufopfern, zweihundert, wenn es sein muß, um KaritKi die Maske herunterzureißen und der Welt sein wahres Gesicht, die Fratze des Henkers, zu zeigen.« »Doch bei den Demonstrationen wird es zu Aufruhr und Zusammenstößen kommen, viele Menschen werden einen sinnlosen Tod sterben«, wandte Hartland ein, Mike übersetzte. »Für manche von uns ist es das Ziel des gegenwärtigen Lebens, unter den Kugeln oder den Martern von KaritKis Polizei zu sterben.« Wie zwei Leuchtfeuer glühten die fanatischen Augen in dem wuchtigen, kahlen Haupt. »Ich danke Ihnen, daß Sie mir Ihre Zeit gewidmet haben, es war eine sehr aufschlußreiche Begegnung«, sagte Hartland, dem sein Bein wieder zu schaffen machte. »Vielleicht sehen wir uns wieder, wenn eine neue Regierung die Geschicke Mituyans bestimmt.« Es war das erstemal, daß der Staatssekretär andeutete, er werde die Verschwörer unterstützen. Der Bonze neigte den Kopf. »Wollen die amerikanischen Besucher die Höhlen sehen?« fragte er Mike. »Dann werden sie besser verstehen, warum wir die Gewalt, den Schmerz und selbst den Tod nicht fürchten. Han Grang wird euch begleiten.« Hartland und Lawton nickten. Sie verließen Li Phangs spartanischen Turmraum, der Mönch führte sie durch eine Tür hinter der Buddhastatue und über Stufen in einen Stollen im Inneren des Hanges, an den die Pagode angebaut war. Sie schritten durch einen von Öllampen erhellten Tunnel, vorbei an Mönchen, Bauern und europäisch gekleideten Männern und Frauen aller Altersstufen. Der Gang -415-
bog im rechten Winkel ab, und plötzlich standen sie in einer großen Höhle. Überall ragten Stalagmiten aus dem Boden, Stalaktiten hingen von der Decke, unablässig und in auffallend rascher Folge tropfte Kalziumkarbonat herab. Entlang der Wände, die so starke Karbonatkrusten aufwiesen, daß sie selbst zu Stalagmiten geworden waren, lehnten mumifizierte menschliche Leichen. Neben jedem Toten loderte eine Fackel. Vor einem Leichnam blieb der Mönch stehen. Unter der durchsichtigen Sinterschichte hatten sich die Zähne und die lederartige Haut erhalten, sogar die Augenbrauen über den eingesunkenen leeren Lidern waren noch erkennbar. Stolz wies der Buddhist auf die menschliche Hülle und wandte sich erklärend an Mike. »Er sagt, das sei der Leib, in dem seine Seele vor zweihundert Jahren wohnte - als jene Wesenheit, die nun Han Grang ist. Zum erstenmal entsagte diese Wesenheit damals dem weltlichen Leben, um sich einem Leben der Betrachtung zu widmen. Durch vier Wiedergeburten gelangte sie zu immer höherer geistiger Läuterung. Han Grang hoffte, nach diesem Leben die Grenzen des Nirwana zu erreichen. Deshalb wird er der erste sein, der sich opfert.« Mike blickte grimmig vor sich hin. »Er verbringt nun sehr viel Zeit damit, sich die grauenhafteste Art des Selbstmords auszudenken, und wir können sicher sein, daß er seinen Entschluß ausführt - vor den Fernsehkameras, denn das krasseste Kampfmittel, das die Buddhisten einsetzen, ist die Selbstvernichtung, in diesem Fall im Angesicht der ganzen Welt.« »Du lieber Gott, Mike«, rief Hartland aus, »wie soll ich dem Sicherheitsausschuß eine solche Geisteshaltung verständlich machen? Alle werden glauben - na, einerlei.« »Han Grang fragt, ob Sie einige Körper sehen wollen, die Han Li Phang auf seinem Weg der Wiedergeburt zurückließ.« »Doch. Vielleicht verstehen wir dann den Großen Eiferer -416-
besser.« Sie folgten dem Mönch durch einen feuchten, engen Gang in eine andere, tiefer gelegene große Grotte. »Auch diese Höhle ist ein Heiligtum, denn hier sind die sterblichen Überreste von Seelen bestattet, die bereits ins Nirwana eingegangen sind, sie kehren nicht mehr in die Niederungen dieser Welt zurück, sondern sind eins mit dem All geworden.« »Mike, Sie sprechen schon wie ein Buddhist«, bemerkte Hartland. »Aber wieso wissen sie, welchen Körper ihre Seelen einst besaßen?« »Das ist ein berechtigter Einwand. Ich werde fragen.« Han Grang führte sie zu einem Stalagmiten, in dem der Leichnam kaum mehr sichtbar war, obwohl zu beiden Seiten Fackeln brannten. Nach einer längeren Erklärung des Mönchs übersetzte Mike. »Es ist ganz einfach. Einige sehr fromme Mönche haben die Gabe, die über einem Menschen schwebende Wesenheit als ein schimmerndes, nebelartiges Gebilde wahrzunehmen. Die meisten buddhistischen Mönche erreichen durch Versenkung die Fähigkeit, mit einem dritten Auge zu sehen, wie sie es nennen, aber nur sehr wenige haben die visionäre Kraft, alle früheren leiblichen Manifestationen einer Wesenheit zu erkennen. In diesem Kloster lebt solch ein Mönch, er besucht alle Pagoden der Dikut-Buddhisten.« »Und wer war das hier?« »Das ist der älteste auffindbare Leichnam, dem einst jene Wesenheit innewohnte, die wir nun als Han Li Phang zum unbequemen Zeitgenossen haben.« Hartland betrachtete das dick überkrustete Antlitz aus der Nähe. Dann blickte er sich um. »Mike, danken Sie diesem guten Geist und sagen Sie ihm, daß wir weitermüssen.« Sie verließen die Pagode. Hartland stieg in die Limousine, lehnte sich gegen die Polsterung des Rücksitzes und lagerte sofort sein Bein hoch. -417-
»Okay, nächste Station: das Dorf Rishket.« Zwei Stunden später landete der Heliocourier auf einer neuangelegten Piste in einer frischen Dschungelrodung einige Meilen nordöstlich von Rishket. Als sie ausstiegen, glaubte Hartland einen Moment, sie seien den Mitkoms in eine Falle gegangen. Etwa dreißig verwegen aussehende Gestalten in schwarzen Pyjamas, flachen, mit Stoff überzogenen Helmen aus Rohrgeflecht und Sandalen aus Autoreifensohlen umdrängten die Maschine. Di Bewaffnung der Gruppe bestand größtenteils aus alten britischer. Lee-Enfield-Karabinern und französischen M-36, wie sie die Vietminh während des Kampfes gegen die Franzosen in großer Zahl erbeutet hatten. Der Anführer trug eine schwedische Maschinen Pistole vom Typ K, eine Waffe, die beide Seiten sehr schätzten. Bei näherer Betrachtung sah Hartland, daß sich mitten unter de Bande ein Weißer befand, er war genauso gekleidet wie die anderen. Der Mann schob sich zwischen den Mituyanern durch und kam heran. »Das ist Scott MacWhorter, er gehört zur USIS, leitet aber Sondereinsätze. Diese Leute hier sind sein Kader für Gegenpropaganda und Jagd auf verkappte Mitläufer der Kommunisten.« MacWhorter, der ebenfalls mit einer K-MP bewaffnet war, reichte Hartland die Hand. »Sie wollen sich von der Einstellung der Bevölkerung zu den Amerikanern überzeugen, Sir?« »Stimmt.« »Können Sie eine längere Strecke zu Fuß gehen, Sir?« Hartland nickte mit zusammengebissenen Zähnen. »Gut. Wir sind etwa zwei Meilen von dem ziemlich großen Dorf Rishket entfernt. Einmal in der Woche kommt eine Patrouille der Regierungstruppen durch, dann bilden die Bewohner Spalier, winken und rufen ›Es lebe KaritKi! Es lebe Poramat! ‹Aber wir hegen den Verdacht, daß das Dorf kommunistisch verseucht ist. Der Häuptling mag ein loyaler -418-
Anhänger der Zentralregierung sein, aber auch die Mitkoms haben einen politischen Organisator in Rishket. Wir hoffen ihn heute entlarven zu können. Dieser kleine Ausflug kann verdammt gefährlich werden. Angenehm ist er auf keinen Fall.« »In Ordnung. Los!« erwiderte Hartland. »Jawohl, Sir.« MacWhorter wandte sich zu Lawton. »Sie und Forrester bleiben hier beim Flugzeug. Ich kann mich ohne weiteres für einen Mitkom ausgeben, aber ihr beide würdet herausstechen wie Polizisten auf einem Kongreß der Taschendiebe.« »Okay, aber Mr. Hartland hat einen kaputten Fuß. Wenn er nicht unbedingt marschieren muß...« »Für den Rückweg werden wir eine Sänfte improvisieren«, meinte MacWhorter. »Nicht nötig. Gehen wir.« Das Bein schmerzte, doch der Staatssekretär überwand die Beschwerden durch seine Energie und hielt sogar halbwegs mit MacWhorter und Major Song Schritt, die ihn über alles informierten, was er wissen mußte. »Wir sind bald dort«, sagte der Amerikaner nach einer knappen Stunde. »Ich reihe mich nun hinten ein. Major Song übernimmt die Führung. Es muß völlig echt wirken. Viel Glück, Sir.« »Danke.« Hartland war ganz ruhig. Song und einer seiner Sergeanten banden dem Staatssekretär einen Strick um den Hals, dann fesselten sie ihm die Hände auf den Rücken, fetzten tiefe Risse in seine Buschbluse, beschmutzten ihn von oben bis unten und zerwühlten sein Haar. »So behandeln die Mitkoms ihre Gefangenen. - Entschuldigen Sie, Sir, aber es muß sein. Fertig! Marsch!« Für Hartland war dies alles irgendwie unwirklich, als gelte es, eine Filmszene zu drehen. Die als Guerillas verkleideten Mituyaner stießen ihren -419-
»Gefangenen« vor sich her, als sie aus dem Dschungel in das gerodete Vorfeld des Dorfes kamen. Bauern, die auf den Reisund Kornfeldern arbeiteten, folgten dem traurigen Zug mit furchtsamen Blicken. Hartland brauchte sich nicht zu verstellen, er spürte die tobenden Schmerzen des überanstrengten Beines bis in die Hüfte und tat sich nun keinen Zwang an. Mit qualvoll verzerrtem Gesicht humpelte er dahin. Sie marschierten durch das Tor ins Dorf ein. Sofort waren die vermeintlichen Mitkoms von einer jubelnden Menschenmenge umringt. Plötzlich sprang ein schwarzgekleideter junger Kerl mit widerlicher Visage den Amerikaner an und schleuderte ihm eine Handvoll Büffeldung auf die Brust. Stockhiebe trafen Hartlands Kopf und Schultern, haßerfüllt schrien ihm die Schläger zu, es konnten nur antiamerikanische Propagandaphrasen der Mitkoms sein. Dann trat ein hagerer, asketisch wirkender junger Mann auf Song zu, die beiden sprachen miteinander und wiesen wiederholt auf Hartland. Schließlich ergriff Song seine MP. Auf einen Wink des Kommunistenführers von Rishket näherte sich eine Rotte junger Männer dem Amerikaner, der kaum mehr stehen konnte. Jeder von ihnen hatte einen schweren Knüppel in der Hand. Kein Zweifel, sie wollten ihn erschlagen. In diesem Moment richtete Song mit einer jähen Bewegung seine MP auf den Agitator. Ein kurzer Feuerstoß in den Bauch, und der Mitkom lag wie abgeknickt auf dem Boden. Mit raschen, gezielten Schüssen erledigte Song alle, die sich mit ihren Knüppeln auf Hartland stürzen wollten. Mittlerweile packten die Soldaten des Kaders die anderen - den jungen Burschen, der Hartland mit Dung beworfen hatte, und die Männer, die ihn mißhandelt hatten. Keiner entkam dem raschen, methodischen Strafgericht Alle anderen Bauern, die sich nicht feindselig gezeigt hatten, blieben unbehelligt. Entsetzt starrte Hartland in das kurze, kaltblütige Gemetzel. »Schon seit mehreren Wochen wollten wir dieses Dorf -420-
säubern«, sagte Song. »Die meisten Bewohner sympathisieren mit den Kommunisten, das ist uns klar, aber die geeichten Mitkoms haben wir nun liquidiert, soviel ist sicher. Der politische Anführer« - er wies auf den Leichnam - »wollte Sie langsam zu Tode foltern lassen, Sir. Rishket liefert den Mitkoms große Mengen an Verpflegung und ist in jeder Hinsicht typisch für die Ansiedlungen in ganz Mituyan. Die Männer sind alle potentielle Guerillas.« Der Major erörterte dies völlig nüchtern, als säße er an einem Konferenztisch. Dabei mußte der Lauf seiner MP noch heiß sein. »Wollen Sie damit sagen, daß alle Dörfer dieses Gebietes kommunistisch durchsetzt sind?« fragte Hartland, noch immer erschüttert von dem blutigen Schauspiel. »Mike Forrester hat beton, daß Rishket ein starker Stützpunkt loyaler Kräfte war.« »Mehr als das«, erklärte MacWhorter. »Es war ein friedliches, blühendes, freies Gemeinwesen. Haben Sie Krakhaurs Bericht über die Belagerung gelesen?« »Wir alle haben ihn gelesen.« »Jedes Dorf, das nicht Tag und Nacht von Regierungstruppen geschützt wird und amerikanische Entwicklungshilfe erhält, gehört zum Aktionsbereich der Kommunisten«, sagte MacWhorter ernst. Song nickte stumm. Der Kader hatte Rishket nach Waffen durchsucht und etwa zwei Dutzend Gewehre verschiedener Modelle und eine geringe Anzahl von Handgranaten gefunden. Die Waffen wurden zum Abtransport verstaut, die Handgranaten häuften Soldaten in einem Reisfeld außerhalb des Dorfes auf, um sie zu sprengen. In einer kurzen Ansprache forderte Song die Dorfbewohner eindringlich auf, die Anhänger der Mitkoms aus der Gemeinschaft zu verstoßen. Dann gingen draußen donnernd die Handgranaten hoch. Mühsam hinkte Hartland über den schmalen Dschungelpfad. Doch er spürte fast nichts von den Schmerzen im Bein, in -421-
Gedanken war er bereits wieder in Washington, er sah das Weiße Haus vor sich, hörte sich vor all denen, die keine Ahnung von den wahren Zuständen in Mituyan hatten, sagen: »Ich kenne nun die Wahrheit über Mituyan, die nackte, grausame, blutige Wahrheit!«
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32 Major Prescott saß in der Funkzentrale des Jagdhauses und hörte gespannt die Meldungen ab, die Sergeant Minelli aus Ba To durchgab. Es war früher Morgen. »Sir, ich hatte Kontakt mit Lieutenant Pantons Patrouille im Dschungel. Sprechfunk fiel aus, aber die Morsesignale waren gut zu empfangen. Ich glaube, wir stecken bis zum Hals in der Scheiße, Sir.« »Was ist los?« »Lieutenant Panton und Sergeant Barton wollten mit einer Groatkompanie Captain Holloways Einheit entsetzen, die den Vorposten beim Dorf Baks hielt. Die Stellungen waren aber leer« - Minelli zögerte - »bis auf die Leichen von Captain Holloway, Sergeant Matthews und ihrer beiden MSFKommandopartner.« Prescotts Gesicht spannte sich. »Und wie erklärt sich Panton die Lage?« »Er vermutet einen Aufstand, Sir. Wahrscheinlich haben die Groats von Baks die Mitkoms in den Vorposten geführt. Lieutenant Panton hat für Ba To Alarmbereitschaft befohlen, weil auch hier eine Revolte ausbrechen könnte, er befürchtet, daß sich der Aufstand über das ganze Bergland ausbreitet.« »Wo ist Panton jetzt?« »Auf dem Weg nach Ba To - er bringt die Leichen mit. Er wird sich jede Stunde melden, bis zum Nachmittag müßte die Einheit hier sein. Das ist alles, Sir.« »Bleiben Sie in Funkverbindung mit mir, Minelli.« »Jawohl, Sir. Zu Ihrer Information: Der MSF-Funker hier hat Kontakt mit dem mituyanischen Special-Forces-Kommandeur im Jagdhaus. - Ende.« -423-
»Danke, Minelli. Ende.« Prescott wandte sich um. Während des Gesprächs war Marlene eingetreten. »Ich glaube, Sie werden statt einer Insiderstory einen Kriegsbericht schreiben können. Wenn nicht ein Wunder geschieht, werden wir eine Revolte der Bergstämme erleben. Und wir stecken mitten drin zwischen den Unruheherden.« Prescott schritt zum Fenster und blickte in die prachtvolle, sonnige, scheinbar so friedliche Landschaft hinaus. »Ich habe es prophezeit«, murmelte er. »Wenn die Idioten in Tuyan...« Er brach ab. Major Darat, sein Kommandopartner und nomineller neuer Leiter der Hilfsaktionen für die Groats, stand in der Tür. Überrascht und mißtrauisch musterte er Marlene. »Guten Morgen, Major«, sagte Prescott freundlich. »Da Fräulein Strahl eine Reportage über die einwandfreie Zusammenarbeit der amerikanischen und mituyanischen Dienststellen schreibt, zeige ich ihr auch unsere Funkzentrale. Sie haben doch nichts dagegen?« Der MSF-Offizier begrüßte Marlene sehr höflich. Dann sagte er zu Prescott: »Mein Funker meldet, daß die Situation immer kritischer wird.« Er streifte das Mädchen mit einem fragenden Blick. »Ja, das stimmt«, erwiderte Prescott. »Und nur in einer Krisensituation kann sich Fräulein Strahl ein richtiges Bild davon machen, wie es hier bei uns klappt.« Darat zuckte die Schultern. »Wir haben keine Meldungen aus Baks. Dort sind zwanzig Mann der mituyanischen Special Forces eingesetzt - außer den zwei Mann, die zusammen mit Captain Holloway und Sergeant Matthews ermordet wurden.« »Auch vier Amerikaner sind noch in Baks, Major«, sagte Prescott ruhig. »Ausrotten muß man dieses Groatgesindel!« stieß Darat haßerfüllt hervor. »Ich werde Bomber anfordern. Zuerst alles in Grund und Boden stampfen, und was übriggeblieben ist, -424-
erledigen die Fallschirmeinheiten, das ist die einzige Möglichkeit.« »Dadurch retten wir unsere Leute nicht - wenn sie überhaupt noch am Leben sind«, hielt ihm Prescott entgegen. »Und jede friedliche Regelung ist dann ausgeschlossen.« »Ihr Amerikaner!« schnaubte der Mituyaner verächtlich. »Ihr päppelt diese dreckigen Wilden auf und verhätschelt sie so lange, bis dieses Geschmeiß frech wird und Gleichberechtigung verlangt. Habt ihr noch immer nicht begriffen, daß die Groats eine minderwertige Rasse sind?« Diese Frage überhörte Prescott. »Nach den Meldungen waren es die Mitkoms, die unsere Leute abschlachteten. Wenn wir beide, Sie und ich, zusammen in die Dörfer gehen, den Bewohnern versprechen, daß die wichtigsten Reformen rasch durchgeführt werden, und Captain Narit, der allgemein verhaßt ist, von seinem Posten ablösen...« »Ich löse keinen mituyanischen Offizier ab, weil er seine Pflicht tut«, gab Darat scharf zurück. »Nur so können wir eine Rebellion in Ba To verhindern.« Ein Krachen und Knistern im Funkgerät, dann drang Minellis erregte Stimme in den Raum. »Ba To ruft Jagdhaus, Ba To ruft Jagdhaus. - Hören Sie mich, Jagdhaus? - Jagdhaus, bitte kommen!« »Hier Jagdhaus, Verstanden. - Ba To, bitte kommen«, antwortete Prescott. »Es ist soweit. Gerade ist eine Gruppe Baksgroats aufgetaucht. Sie sind nun bei Bemir und seinem Sohn Radam.« »Haben Sie Kontakt mit Panton, Minelli?« »Verbindung besteht, Sir. Neue Meldung: Sie marschieren zum Dorf, aber es besteht Gefahr, daß die Kompanie Groats aus Ba To meutert und unsere Leute angreift.« »Minelli, ist der Sicherungsgürtel um das Special Forces -425-
Camp am Nordrand von Ba To okay?« »Ziemlich, Sir.« Der Sergeant schien zu zögern, dann sprach er rasch und eindringlich weiter. »Bemir kommt mit einem Haufen Bewaffneter, mindestens einer davon ist ein Mitkom. Wahrscheinlich wollen sie das Funkgerät.« Prescott wandte sich zu Darat um. »Soll ich meinen Leuten befehlen, sich in den Stützpunkt Ihres Special-Forces-Teams zurückzuziehen?« Der Mituyaner überlegte kurz. »Unbedingt. Dort können sie sich halten, bis wir sie entsetzen. Und auf das Dorf werfen wir Napalmbomben ab.« »Minelli«, rief Prescott ins Mikrophon, »das Funkgerät dem Gegner überlassen. Alle Amerikaner in den MFS-Stützpunkt. Ich glaube nicht, daß die Groats angreifen werden. Weitere Verbindung mit mir über das mituyanische Funkgerät. Versuchen Sie Kontakt mit Lieutenant Panton, er soll nicht ins Dorf zurückmarschieren, sondern in den Stützpunkt.« »Verstanden, Sir. Ich nehme über das MFS-Gerät mit Ihnen und Lieutenant Panton Kontakt auf. Jetzt stehen Bemir und Radam neben mir.« »Sagen Sie Radam, daß ich mit ihm sprechen möchte. Inzwischen verschwindet ihr im Camp.« Wieder Stille. Dann hörte Prescott Radams Stimme. »Major Prescott sprechen?« »Sprechen, Radam!« »Hier schlecht. Vielleicht Mituyaner gehen. Dann gut hier.« »Mituyaner bleiben, aber gut für euch.« »Nicht gut für uns!« rief Radam. »Groats brauchen Groats, nicht Mituyaner.« »Heute komme ich zu euch. Spreche mit euch, okay?« »Okay. Kommen sprechen.« -426-
»Nicht töten! Ich spreche mit euch.« »Nicht töten Amerikaner. Töten viele Mituyaner.« »Radam!« rief Prescott beschwörend, »keinen Mann töten. Ich komme zu euch sprechen, okay?« Undeutliches Gemurmel tönte aus dem Gerät, der Häuptlingssohn schien mit den anderen zu reden. Dann war die kehlige Stimme wieder da. »Okay. Keinen Mann töten. Du kommen.« »Ich komme.« Prescott straffte sich mit einem Seufzer der Erleichterung. »Kommen Sie mit, Major?« »Es ist heller Wahnsinn, nach Ba To zu fliegen«, erklärte Darat. Prescott stellte sich dicht vor den kleinen Mituyaner. Er betonte jedes Wort mit voller Bedeutungsschwere. »Major, in diesem Augenblick stoßen die Mitkoms und die Baksgroats durch den Dschungel gegen Ba To vor. Sollen Ihre und meine Leute geopfert werden und die Groats mit der MFF eine geschlossene Front gegen die Zentralregierung bilden? Das, nur das müssen wir verhindern, Major! Und wir müssen auch verhindern, daß Bemir und Radam abfallen. Mein Platz ist in Ba To, Major, und auch der Ihre sollte dort sein.« Darat schüttelte den Kopf. »Sobald unsere gesamten Kräfte den Stützpunkt besetzt haben, wird das Dorf ausradiert, und wenn die Mitkoms angreifen, werden sie durch Bomber und Tiefflieger vernichtet.« »Mit dem Gegenschlag bin ich einverstanden, mit der Racheaktion gegen Ba To nicht. Wir werden uns alle Bergstämme zu Feinden machen, wenn wir ein Dorf bombardieren, weil es sich gegen die Willkürakte der mituyanischen Offiziere auflehnt. Und wenn wir das Bergland verlieren, überlassen wir den Mitkoms ein Viertel des Staatsgebietes von Mituyan als riesigen Aufmarschraum. Alle Groats gehen dann zu den Kommunisten über, nahezu eine -427-
Million Menschen - Männer, Frauen und Kinder. Wollen Sie das?« »Wir brauchen die dreckigen Wilden nicht«, sagte Darat verächtlich. »Ich mache mich fertig.« Marlene verließ mit Prescott die Funkzentrale. »Kommen Sie mit«, sagte Prescott, »Ich habe ein kleines Gerät, es sendet auf einer Frequenz, die von den Mituyanern nicht empfangen werden kann.« Gespannt hörte Marlene zu, als Prescott Kontakt mit Jack Cardinez in Tuyan herstellte und ihm die Situation schilderte. »Aktion durchführen«, sagte Cardinez. »Ich setze mich sofort mit dem ranghöchsten amerikanischen Berater des II. Korps in Verbindung, um euch die nötige Verstärkung zu sichern. Viel Glück, Charlie!« »Danke, Jack, das werden wir brauchen - und Verstärkung, falls wir angegriffen werden.« »In Ordnung. Ende.« Als nächstes holte Prescott den Piloten der Heeresfliegertruppe, der mit seiner Maschine, einer U-10 älterer Bauart, dem Hauptstützpunkt zugeteilt war. Um zehn Amerikaner samt Waffen und größerem Munitionsvorrat nach Ba To zu bringen, müsse er dreimal fliegen, erklärte er. »Maschine startbereit machen«, befahl Prescott. »Ich suche neun Freiwillige aus, und los geht's.« »Charlie, müssen Sie wirklich mit?« »Natürlich, Marlene. Ich gebe Ihnen meinen Schlüssel, Sie können auf meinem Gerät den Funkverkehr abhören, da kriegen Sie genug Material für eine sensationelle Reportage.« »Ich werde hier auf Sie warten, Charlie.« »Ist das ein Versprechen?« -428-
»Ja, Charlie.« Prescott wurde mit dem ersten Transport nach Ba To eingeflogen. Während zwei seiner schwerbewaffneten Sergeanten langsam und sichernd durch die Hauptstraße des Dorfes gingen und hinter dem Drahtverhau im Stützpunkt der mituyanischen Special Forces verschwanden, machte sich Prescott, selbst waffenlos, auf die Suche nach Radam. Der junge Groat stand vor dem Haus seines Vaters. Das ernste Gespräch in einem auf Schlagworte vereinfachten Englisch dauerte fast eine Stunde. Radam und Bemir ergriffen für ihre rebellierenden Stammesbrüder Partei, sie forderten von der Zentralregierung die Garantie, daß das Land der Groats nach dem Sieg über die Kommunisten als autonome Region anerkannt werde. Momentan sei eine neutrale Haltung in diesem Konflikt ausgeschlossen, denn wenn die Groats die Weisungen aus Banthut nicht befolgten, würden sie von der mituyanischen Luftwaffe bombardiert, und wenn sie sich den Mitkoms widersetzten, würden die Ansiedlungen terrorisiert und die jungen Männer nach Norden verschleppt. Nun wollten sich die meisten Groats zu den Kommunisten schlagen, erklärte Radam. Bisher habe nur der Einfluß der Amerikaner die Bergstämme davon abgehalten, sich gegen die Regierung zu erheben. Doch nun sei die Stunde der Entscheidung da. Die Mitkoms marschierten bereits durch den Dschungel heran. Die Führer der Revolte in Baks hätten Radam befohlen, alle Amerikaner gefangenzunehmen und mit mituyanischen Soldaten niederzumachen. »Nicht gut, Radam!« sagte Prescott eindringlich. »Wir Amerikaner gehen in Camp, Mitkoms kommen, wir kämpfen.« »Zu viele Mitkoms«, entgegnete der Häuptlingssohn. »Wir kämpfen. Viele, viele Soldaten kommen, helfen uns.« Vergeblich bemühte sich Prescott, den jungen Groat umzustimmen und als Verbündeten für die Abwehr der -429-
Guerillas zu gewinnen. Noch zweimal landete die U-10 und setzte jedesmal drei Special-Forces-Sergeanten ab. Radam wußte, daß die Amerikaner zur Verstärkung des mituyanischen Stützpunkts kamen, doch er schien sich nicht darum zu kümmern. Es war Nachmittag, als plötzlich im Dorf einige Bewegung entstand. Am Rand des Dschungels tauchten Lieutenant Panton, Sergeant Barton und zwei Züge Groats auf. In geschlossener Marschordnung, stramm und genau ausgerichtet wie auf dem Exerzierplatz, schwenkten die Stammesangehörigen von Ba To ab und zogen durch das Haupttor ins Dorf, während die Amerikaner mit der Abteilung der Groatmiliz dem MSF-Camp zustrebten. Prescott atmete erleichtert auf. Wenigstens war es zwischen den Groats von Ba To und ihren amerikanischen Beratern und der loyalen Miliz nicht zum offenen Konflikt gekommen. Pantons Einheit marschierte durch den geöffneten Drahtverhau und über den schmalen freien Streifen im Vorgelände, das Sergeant Teeter, das »Sprengkommando« des Stützpunkts, in aller Eile vermint hatte. Ein letztesmal stellte Radam den amerikanischen Major vor die Wahl, das Dorf aufzugeben oder unter Bewachung die nächste Wendung der Revolte abzuwarten. Widerwillig erklärte sich Prescott zum Abzug bereit, aber nur unter der Bedingung, daß der Abzug auch Captain Narit und dessen Team gewährt würde. »Nein!« antwortete Radam sehr bestimmt. »Mituyaner alle bleiben, Amerikaner gehen.« »Nicht gehen!« erklärte Prescott ebenso fest. Er setzte dem Sohn des Häuptlings auseinander, daß die Amerikaner nicht vor aufständischen Bergstämmen kapitulieren könnten, die von den Kommunisten unterstützt würden. Schließlich sagte Radam: »Mitkoms bald hier, Baksgroats bald -430-
hier. Kämpfen gegen euch.« »Und du, Radam? Auch kämpfen gegen Amerikaner?« »Radam traurig. Nichts wissen. Jetzt gehen...« Er wandte sich um. Mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern schlug er den Weg zum Versammlungsplatz ein. Prescott blickte ihm nach. Dann gab er sich einen Ruck, mit zusammengebissenen Zähnen schritt er auf den Drahtverhau zu. »Es wird ernst«, sagte er zu seinen Leuten. »Minelli, erreichen Sie über das Funkgerät der Mituyaner das Jagdhaus?« »Jawohl, Sir. Auch Colonel Gruen, oberster Berater des II. Korps, hat Verbindung mit dem Hauptstützpunkt und wird wahrscheinlich mit uns direkt Kontakt aufnehmen.« »Wurde etwas über die Bereitstellung von Verstärkungen gemeldet?« »Vorläufig noch nicht, Sir.« »Panton, kommen Sie mit, mal nachsehen, ob wir dem MSFCaptain ein Korsett anlegen müssen.« Sie trafen Narit in seinem Quartier, er saß in einem Klappstuhl und ließ sich von einer Ordonnanz Tee servieren. Prescott und Panton merkten sofort, daß er mühsam seine panische Angst zu verbergen suchte. »Captain, als Kommandeur dieses Camps werden Sie unverzüglich den Verteidigungszustand überprüfen müssen. Jeden Moment kann ein Angriff von Mitkoms und Groats in Bataillonsstärke erfolgen. Wir dürfen keine Zeit verlieren.« Narit antwortete nicht. »Als ranghöherer Offizier könnte ich das Kommando übernehmen«, drängte Prescott. »Ich habe in Laos und Vietnam viele solcher Angriffe mitgemacht.« Schließlich raffte sich der Mituyaner zum Sprechen auf. »Die Amerikaner sind nur unsere Berater. Ich führe das Kommando!« sagte er tonlos. »Dann gebe ich Ihnen den Rat, sofort zu handeln!« -431-
Langsam, wie in Trance, erhob sich Narit und ging mit tastenden Schritten aus dem Raum. Prescott blickte ihm kopfschüttelnd nach. »Wir werden die Sache in die Hand nehmen müssen.« Panton nickte. »Sorgen Sie dafür, daß unsere Leute so postiert sind, daß sie nicht von unseren mituyanischen Verbündeten abgeknallt werden können. Ich habe es schon erlebt, daß Regierungstruppen überliefen, nachdem sie die amerikanischen Berater erschossen hatten.« »Wir werden auf der Hut sein, Sir.« »Okay. Jetzt gibt's nur eines: in Stellung gehen und warten. Für heute nacht volle Alarmbereitschaft der gesamten Besatzung, Panton.«
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33 Seit die ersten Phosphorgranaten des Gegners im Stützpunkt krepierten, saß Captain Narit im sicheren, durch Sandsackabdeckungen verstärkten Gefechtsstand verschanzt und gab über das Feldtelefon zusammenhanglose Befehle an die mituyanischen Stellungen durch. Zehn Mituyaner und fünfzehn Amerikaner bildeten die Besatzung des Camps, verstärkt durch etwa dreißig loyale Groats, die an den Wällen im Norden, Osten und Westen postiert waren. Der Angriffsplan der Mitkoms sparte die Südseite aus, um das Dorf Ba To zu schonen. Mehrmals nahm Prescott von der Funkstelle aus mit Radam Kontakt auf, nur 200 Meter trennten die beiden. Radam versicherte immer wieder, daß sich seine beiden gutbewaffneten Groatkompanien neutral verhalten würden, weil sie nicht gegen ihre amerikanischen Freunde kämpfen wollten. Doch könne er, Radam, mit seiner Einheit nicht den Amerikanern helfen, solange diese die Revolte der Bergstämme verwarfen. Prescott versuchte ihm klarzumachen, daß die Baksgroats unter dem Einfluß der Mitkoms standen und Verhandlungen ablehnen würden, doch Radam und Bemir weigerten sich, gegen ihre Stammesbrüder vorzugehen. Die Amerikaner und Mituyaner schossen fast pausenlos Leuchtraketen, um das Vorfeld zu erhellen. Es war knapp vor Mitternacht, und Major Prescott erwartete jeden Moment einen Großangriff. Er gab laufend Meldungen an Captain Jenkins im Jagdhaus durch. Jenkins war einer der wenigen Amerikaner, die Mituyanisch, Vietnamesisch und auch Dialekte der Bergstämme beherrschten. »Ba To, hier spricht Jagdhaus. Ba To, bitte melden.« Blechern, fern und von knisternden Geräuschen untermalt, drang die Stimme aus dem Gerät. -433-
»Hier Ba To, sprechen Sie!« rief Prescott, an die Sandsackmauer der Funkstelle gepreßt, während es draußen Werfergranaten hagelte. »Zwei Guerillaführer sprechen vietnamesisch miteinander«, meldete Jenkins. »Wir versuchen nun, die Standorte festzustellen. Der eine muß ziemlich nahe beim Lager sein, der andere westlich von hier, in den Bergen auf halbem Weg zwischen dem Jagdhaus und Tiking.« »Verstehen Sie, was gesprochen wird?« »Ja. Der Standort im Westen scheint das kommunistische Hauptquartier für die gesamte Nordregion des Landes zu sein. Der Kommandeur meldet sich als Van Kan und hat dem Truppenführer vor Ba To befohlen, ohne Rücksicht auf Verluste anzugreifen, den Stützpunkt zu überrollen und alle Amerikaner zu erledigen.« »Danke, Jenkins«, sagte Prescott. »Wann kommt Verstärkung?« »Colonel Gruen beim Kommando des II. Korps in Banthut bemüht sich, mit Hubschraubern Entsatz heranzubringen. Aber General Bannort macht ihm Schwierigkeiten.« »Sagen Sie Gruen, jede Minute ist kostbar, sonst kann er morgen früh unsere Köpfe von den Stangen herunterholen. Noch eins, Jenkins: Auf keinen Fall sollen die Mituyaner oder unsere eigenen Leute Ba To bombardieren! Sogar die Mitkoms verschonen das Dorf und beschießen nur unseren Stützpunkt.« »Werde es sofort weitergeben.« Donnernd detonierte eine Serie von Werfergranaten. »Hier wird es verdammt brenzlig. Minelli bleibt am Gerät. Ich muß raus.« Er zögerte einen Moment, dann sagte er auf deutsch: »Auf Wiedersehen, Marlene.« Rasch schaltete er auf die Frequenz des Geräts um, das im Dorf geblieben war. -434-
»Hallo, Radam, hallo, Radam!« rief er ins Mikrophon. Sofort antwortete der Häuptlingssohn. In kurzen, einfachen und unmißverständlichen Worten erklärte ihm Prescott, es bestehe nun kein Zweifel darüber, daß Kommunisten aus dem Norden die Anstifter der Groatrevolte seien. Nordvietnamesen hetzten die Bergstämme dazu auf, gegen ihre amerikanischen Freunde zu kämpfen. Dies gab Radam zu, doch beharrte er darauf, daß es keine andere Möglichkeit gebe, das Land der Groats von den mituyanischen Unterdrückern zu befreien. Unter dem Dröhnen krepierender Granaten beschwor Prescott Radam, seine zwei Kompanien in den Kampf zu werfen und gemeinsam mit den Amerikanern und Mituyanern den Angriff abzuwehren. Ein Zugeständnis machte Radam: Da er sich nicht aus eigenem Antrieb, sondern nur auf Drängen der Baksgroats des amerikanischen Funkgerätes bemächtigt hatte, war er bereit, Hilfe für den Stützpunkt herbeizurufen. Prescott dankte ihm, sagte aber, er habe selbst Verbindung mit dem Jagdhaus. Dann machte er die Runde durch das Camp, immer wieder mußte er in Deckung gehen, wenn Werfergranaten heranheulten. Das gezielte Feuer der Mitkoms bewies, daß der Gegner keine rasch zusammengetriebenen Bauern, sondern gut ausgebildete Soldaten einsetzte - kein einziges Geschoß gefährdete die Bewohner des Dorfes. Im Sanitätsbunker wartete Cdanaugh mit Instrumenten und Verbandzeug. Er war auch bei dem Granatwerfer eingeteilt, der neben dem mit hohen Sandsackwällen abgedeckten Bunker stand. Bis jetzt gab es keine Schwerverwundeten. Die Mitkoms streuten den Stützpunkt ab, noch war ihnen kein Volltreffer gelungen, die Verteidiger hockten in ihren Schützenlöchern und Granatwerferstellungen. In einem gepanzerten, durch Sandsäcke verstärkten Auslug oberhalb des Gefechtsstandes überblickte Sergeant Teeter das Gelände rund um das Camp. Das grelle gelbe Licht der Leuchtraketen hinderte die Mitkoms daran, sich -435-
unbemerkt an die Wälle heranzuarbeiten. Teeter hatte ein elektrisches Schaltgerät griffbereit, damit konnte er die Minen, die er während des Tages im Vorfeld gelegt hatte, zünden. Die Sergeanten Barton und Crenshaw bedienten den 81Millimeter-Granatwerfer, der das Feuer der Kommunisten erwiderte und den Rand des Dschungels unter Beschuß hielt. Die loyalen Groats waren hinter den Wällen postiert, die Soldaten der mituyanischen Special Forces hingen in einer Menschentraube rund um den Südwestbunker, wo die wenigsten feindlichen Geschosse krepierten, weil dieser Punkt sehr nahe am Dorf lag. »Sie kommen!« schrie Teeter. Der erste Angriff erfolgte vom Westen her, etwa in Kompaniestärke. Guerillas, teils in Schwarz, teils in Khaki, rannten über das Vorfeld direkt auf das Lager zu. Prescott schwang sich zu Teeter hinauf, um seinen Granatwerferschützen über das Feldtelefon Entfernung und Höhe durchzugeben. Das kleine Camp spie den heranwogenden Kommunisten dichte Salven von Werfergranaten entgegen. Schwarze Gestalten kippten um wie Säcke - doch die Hauptmacht der Angreifer drang weiter vor. Als sie sich bis auf Schußweite genähert hatten bellten die MGs auf und mähten die vordersten Linien nieder ohne den Vorstoß dadurch zum Stehen zu bringen. Während die Groats und die Amerikaner die Guerillas mit gezieltem Gewehrfeuer packten, beobachtete Teeter, daß sich die stark gelichtete Einheit zusammenschloß. Prescott schätzte, daß die Hälfte der Kompanie - mehr als sechzig Mann - den Minengürtel erreichen würde. Plötzlich stiegen mitten unter den anrennenden Mitkoms Erdfontänen hoch. Teeter hatte die Minen gezündet. Mit verheerender Wirkung. Jählings verlor der Angriff an Stoßkraft. Die erschreckende Gewißheit, daß der nächste Schritt den Tod bringen könnte, lähmte die Guerillas, sie schossen vor sich in den Boden, um die Minen aus sicherer Entfernung krepieren zu lassen. Dafür wurden sie von den -436-
amerikanischen Scharfschützen abgeknallt. Beim Schein der Leuchtraketen sah Prescott, daß viele der Schwarzgekleideten sich ins Dorf retteten. Die Verteidiger hatten den strikten Befehl, nicht auf Ba To zu schießen, deshalb blieben die Überlebenden der ersten Welle verschont. In der Kampfpause, die nun eintrat, funkte Prescott das Jagdhaus an und berichtete über den bisherigen Verlauf des Gefechts. Captain Jenkins meldete zurück: »Sir, wir haben mittlerweile den weiteren Funkverkehr der Vietnamesen abgehört. Dieser Van Kan hämmert dem Guerilla, der vor Ba To das Kommando führt, immer wieder ein, das Camp müsse erobert werden, weil die Mitkoms sonst die Kontrolle über die Groatrevolte verlieren. Van Kan scheint überhaupt ein sympathischer Zeitgenosse zu sein. Er hat genaue Anweisungen gegeben, was mit den gefangenen Amerikanern geschehen soll.« »Kann ich mir denken«, erwiderte Prescott. »Was ist mit der Verstärkung?« »Alle sind dafür, Einsatz heranzubringen, nur General Bannort macht nicht mit. Er will, daß die Luftwaffe das Dorf restlos zerstört.« »Sagen Sie den Klugscheißern beim Stab, daß wir lieber bis zum letzten Mann kämpfen, als daß Ba To samt seinen Bewohnern vernichtet wird.« »Jawohl, Sir.« »Ba To, Ende.« Wieder schaltete Prescott auf Radams Frequenz um. Die Stimme des jungen Groats klang erregt, er schien von der entschlossenen Abwehr der Amerikaner sehr beeindruckt zu sein. »Viele Männer aus Baks nicht mehr schießen, kommen nach Ba To, bleiben hier«, sagte er. »Prescott, du bester Krieger.« »Radam, hilfst du Amerikanern?« -437-
»Kann nicht«, entgegnete Radam. Kopfschüttelnd blickte Prescott Minelli an. »Er glaubt wirklich, daß er dadurch die Mituyaner zum Abzug aus dem Bergland zwingen kann. Jetzt ist alles total verfahren.« Eine Feuerglocke von Werfergranaten bereitete der zweiten Welle den Weg. Diesmal wurde der Stützpunkt von Osten und Westen her in die Zange genommen. Vom Norden griffen die Kommunisten nicht an, weil sie dabei über die Wälle hinweg ins Dorf hätten schießen müssen, und dies lag nicht in ihrem Plan, denn sie gaben sich noch immer als Freunde und Helfer der Bergstämme. Bisher hatten die Verteidiger nur leichte Verluste erlitten. Eine Werfergranate war in den Stellungen der Groats krepiert und hatte einen der Schützen in Stücke gerissen. Sergeant Barton meldete, er habe »einen kleinen Kratzer« an der Schulter, doch trotz der Zielgenauigkeit der Mitkom-Werferbedienungen hatte Cavanaugh nur eher harmlose Splitterwunden zu versorgen, so daß er immer wieder Zeit fand, mit seinem eigenen Werfer ins Abwehrfeuer einzugreifen. Unaufhaltsam drangen nun zwei neue Wellen gegen das Camp vor. In das Dröhnen der Granateinschläge mischte sich das Knattern der MGs und das dumpfe Knallen erbeuteter amerikanischer »Elefantenbüchsen«. Prescott horchte gespannt auf. Aus der Ferne tönte ein scharfes, peitschendes Rauschen. Die Guerillas hatten rückstoßfreie 57-Millimeter-Kanonen! Ein Sprenggeschoß fetzte in den MG-Bunker an der äußersten Nordostecke und brachte die Waffe zum Schweigen. Geduckt rannte Prescott hinüber. Neben dem umgekippten MG lag ein blutüberströmter Amerikaner. Barton! »Cavanaugh!« Schon war der Sanitäter im Bunker, packte den Verwundeten und schleppte ihn hinaus. Prescott hob die schwere Waffe wieder in ihre Position, richtete den Lauf und begann selbst in -438-
die Reihen der Angreifer hineinzupfeffern. Weitere Geschosse aus der rückstoßfreien Kanone barsten auf den Wällen, die Wucht der Einschläge schleuderte mehrere der Verteidiger aus ihren Schützenlöchern, rasch hechteten sie wieder in ihre Deckungen zurück, um nicht vom Gewehrfeuer des Gegners erfaßt zu werden. Die Kommunisten hatten den äußeren Sicherungsgürtel des Stützpunktes erreicht, an mehreren Stellen war der Drahtverhau durch Granattreffer aufgerissen. Vorsichtig streckte Sergeant Teeter den Kopf über die Sandsackbarriere seines Beobachtungsstandes, dann ließ er seine Claymore-Minen eine nach der anderen hochgehen. Jede Explosion überschüttete die Guerillas mit einem tödlichen Sprühregen von Metallsplittern, das Vorfeld übersäte sich mit Toten und Verwundeten, vor den Wällen türmten sich Leichen, die nachfolgende Welle wurde am weiteren Vordringen gehindert. In dieses Chaos der Vernichtung warfen die Verteidiger Handgranaten und deckten die wenigen Anstürmenden mit gezieltem Gewehrfeuer ein. Erneut geriet der Angriff ins Stocken, die Mitkoms zogen sich auf allen Linien zurück. Viele der dunklen Gestalten wankten auf das Dorf zu. Noch mehr Groats, die den Kampf aufgaben! dachte Prescott triumphierend. Er sprintete zum Gefechtsstand zurück. »Wie viele Claymore-Minen haben wir noch?« rief er zu Teeter hinauf. »Ich habe fast alle gezündet, Sir«, antwortete der Sergeant. »Vielleicht sind noch eine oder zwei übrig. Ein paar sind nicht losgegangen. Wahrscheinlich haben die Treffer die Leitungen unterbrochen.« Der Major hetzte zur Funkstelle. Minelli hatte Verbindung mit Jenkins. Der Sergeant blickte auf und zuckte hoffnungslos die Schultern. »General Bannort weigert sich, Hubschrauber für den Transport von Verstärkungen einzusetzen. Er will Ba To und das ganze Gelände mit Spreng- und Napalmbomben belegen.« Prescott riß das Mikrophon an sich. »Und was macht Gruen?« -439-
schrie er hinein. »Können wir uns nicht gegen so einen beschissenen mituyanischen General durchsetzen?« »Soviel ich aus Tuyan weiß, Sir, befürchtet Colonel Gruen, daß er sich den ersten Generalsstern vermasselt, wenn er Krach mit seinem Kommandopartner hat. Bannort ist berühmt dafür, daß er sehr rasch die Geduld verliert, außerdem haßt er die Bergstämme wie die Pest. Also eine sehr ungünstige Situation für einen Colonel, der General werden möchte.« »Aber wir können uns nicht mehr lange halten!« rief Prescott. »Wir haben dem Gegner schwere Verluste zugefügt, vor unseren Wällen müssen mehr als hundert Tote liegen. Doch noch ein paar solche Angriffe, und wir sind erledigt.« »Der Chef läßt Ihnen sagen, er unternimmt alles, was in seiner Macht steht, Sir.« »In Ordnung, Jagdhaus. Ba To, Ende.« Der Major verließ die Funkstelle gerade in dem Moment, als aus den Stellungen der Mitkoms eine laute Stimme herübertönte, sie sprach mituyanisch durch ein Büffelhorn, das im Land der Groats als Megaphon dient. Prescott hörte genau zu, verstand aber nur einige Worte. Er ging auf die Soldaten der mituyanischen Special Forces zu, die sich verschreckt in den sicheren Winkel des Camps an der Trennwand zum Dorf gedrückt hatten. Manche richteten sich auf, ein Hoffnungsschimmer erhellte ihre von Angst verzerrten Gesichter. Einer der Männer hob den Hörer des Feldtelefons ab und rief den im sicheren Gefechtsstand verschanzten Captain Narit herbei.. Plötzlich stand Panton neben Prescott. Seine MP war drohend auf die MSF-Gruppe gerichtet. »Sir, wissen Sie, was der Kerl da drüben sagt?« Der Major verneinte stumm. »Irgend etwas von Kapitulation und Schonung.« »Ja, ich weiß, Sir. Die Mitkoms sichern den MSF Schonung zu, wenn sie gegen uns kämpfen und sich dann ins Dorf -440-
zurückziehen.« Verächtlich musterte Panton die nun völlig verwirrten Mituyaner. »Und mich würde gar nicht überraschen, wenn diese Scheißfiguren wirklich auf uns losgehen!« Aus dem Gefechtsstand tauchte Captain Narit auf und wollte sich rasch zu seinen Leuten verkrümeln. Prescott packte den kleinen mituyanischen Offizier an der Hand und hielt ihn mit eisernem Griff fest. »Hören Sie zu, Narit, machen Sie jetzt keine Dummheiten! Wenn ihr aus dem Camp verschwinden wollt, werden euch die Groats massakrieren, ganz gleich, was euch die Mitkoms versprechen. Von den Groats habt ihr auf keinen Fall Gnade zu erwarten, das wissen Sie doch, Narit.« Der MSF-Captain starrte ihn verständnislos an. Als Prescott ihn losließ, ging er mit schleppenden Schritten zu seinem Team. Der Major sah, daß Narit mit den Soldaten verhandelte. Noch immer trug das Büffelhorn den röhrenden Klang der Stimme über das Gelände. Prescott rannte in die Funkstelle und schaltete auf Radams Frequenz um. Es dauerte fast zwei Minuten, bis er den jungen Groat am Gerät hatte. »Radam«, rief Prescott, »Mitkoms sagen, mituyanische Soldaten können zu euch kommen, können nach Ba To kommen, nicht töten. Mitkoms sagen, töten nur Amerikaner. Du Amerikaner töten, Radam?« An Radams Zögern und dem Ton seiner Worte merkte Prescott, daß Bemirs Sohn unsicher geworden war. Wahrscheinlich hatte ihm sein Vater den Aufruf der Kommunisten übersetzt. »Nicht Amerikaner töten. Nur Mituyaner töten.« »Mitkoms sagen, nicht Mituyaner töten. Amerikaner töten... Du uns helfen, Radam!« flehte der Major. Aber Radam glaubte noch immer verbissen an die Unabhängigkeit der Bergstämme und die Ziele des Aufstandes. »Groats nicht gegen Groats kämpfen«, erklärte er, »kämpfen gegen Mituyaner.« Stille. Dann: »Prescott, du kämpfen gut. -441-
Viele töten. Viele Groats nicht mehr kämpfen bei Mitkoms, kommen nach Ba To. Mitkom-Führer sprechen mit mir, sprechen mit Bemir, sagen, wir kämpfen gegen Amerikaner. Helfen Mitkoms. Radam sagen nein. Du kämpfen. Mitkoms bald weg.« »Hoffentlich hast du recht, Radam.« Prescott suchte Teeter. Der Sergeant überprüfte seine Sprengkörper auf den Wällen. »Eine Geheimwaffe haben wir noch, Sir. Dann ist es aus.« Aus einem Bunker schleppten Teeter und Crenshaw fest zusammengedrehte Stacheldrahtrollen herbei, die sie vor dem Beschuß gesichert hatten. Eine Rolle nach der anderen ließen sie über den Wall hinab, jede unterhalb eines der großen Rohre, die wie alte Festungsgeschütze über die Barriere ragten. »Auf der Nordseite liegen noch eine ganze Menge ClaymoreMinen eingegraben, aber die Kerle greifen nicht vom Norden an«, erläuterte Teeter. »Mit diesen Feuerschlünden können wir noch eine Welle zurückschlagen, aber dann...« Als vor jeder Mündung eine Stacheldrahtrolle hing, überprüfte der Sprengstoffexperte nochmals alle Leitungsdrähte, dann stieg er wieder in seinen Auslug. Prescott ging in den Sanitätsbunker. Cavanaugh verarztete im Eiltempo Verwundete. Barton hatte Verbände um Kopf und Schulter, aber den rechten Arm schien er noch gebrauchen zu können. »Gleich bin ich wieder an meinem Granatwerfer, Sir«, sagte der Hüne mit heiserer Stimme. »Alle Amerikaner hier sind noch kampffähig, Sir«, bestätigte der Sanitäter stolz. »Danke, Leute«, sagte Prescott tief bewegt. »Ich fürchte, wir werden alle ins Gras beißen. Nehmen wir so viele mit, als wir können. Ich glaube, wenn wir den Stützpunkt bis zum letzten halten und ein Bataillon Mitkoms vernichten, wird die ganze Groatrevolte in sich zusammenbrechen. Die -442-
Kommunisten sind drauf und dran, bei den Groats völlig das Gesicht zu verlieren. Radam beginnt an dem Aufstand zu zweifeln. Die Mitkoms werden niemals wieder das Vertrauen der Bergstämme gewinnen können, wenn wir jetzt alles durch die Fleischmaschine drehen, was herankommt - solange einer von uns noch eine Hand regen kann. Noch eines: Vorsicht vor unseren Verbündeten!« Prescott verließ den Sanitätsbunker und inspizierte nochmals das Camp. Bei jedem der treuen Groats, die hinter den Wällen in Stellung lagen, blieb er stehen und legte ihm kameradschaftlich die Hand auf die Schulter. Dann trat er zu der MSF-Gruppe. »Narit, es wäre besser, wenn sich Ihre Soldaten an den Brennpunkten verteilen, statt wie zerzauste Hühner hier an der Mauer zu hocken. Die Mitkoms werden nicht vom Dorf her angreifen und in die Groats hineinknallen, sie wollen Ba To kommunistisch machen, und das wird ihnen auch gelingen, wenn wir sie nicht hier und jetzt zurückschlagen.« »Mein Funker meldet, daß die Amerikaner General Bannort daran hindern, uns Verstärkung zu schicken«, sagte Narit anklagend. »Das ist nicht wahr!« fuhr ihn der Major an. »Wir wollen nur verhindern, daß die Bomber alles zusammenschmeißen und wehrlose Zivilisten in Grund und Boden stampfen. Was wir brauchen, sind amerikanische Tiefflieger, die in den Erdkampf eingreifen.« Der MSF-Captain blickte seinen Kommandopartner mißtrauisch an. »Ihr Amerikaner werdet uns alle ans Messer liefern«, stieß er gereizt hervor. »Wenn wir den Feind besiegen können, ist es gleichgültig, ob die Groats da drüben verrecken.« Vom Rand des Dschungels hörte Prescott das hohle Krachen der Granatwerfer. »Alles in Stellung!« brüllte er. Als die ersten Geschosse der Feuerwalze den Stützpunkt trafen, war der Major schon bei Teeters Beobachtungsstand. Und wieder das -443-
abscheuliche Heulen der rückstoßfreien Kanonen. Im Lichtkreis der Leuchtraketen tauchten neue Wellen der Mitkoms auf, sie drangen gegen den Ost- und den Westwall vor. Über das Knattern der Gewehre erhob sich mächtig die Stimme des Büffelhorns, Narit und seine Leute wurden abermals aufgefordert, die Amerikaner niederzumachen und sich zu ergeben. Wie zur Antwort begannen die MSF-Soldaten, mit dem Rücken zur Mauer, plötzlich wild im Camp herumzuschießen und Groats und Amerikaner mit ziellosem Feuer einzudecken. Teeter, der eine Handgranate ergriffen hatte, konnte rasch abziehen und schmiß das kleine stählerne Ei von seinem erhöhten Standort aus direkt in die Gruppe der Mituyaner. Er wollte noch eine zweite werfen, aber Prescott packte ihn bei der Schulter. »Nein, Teeter!« schrie er dem Sergeant ins Ohr, »es sind unsere Verbündeten. Die Kerle können nicht viel Schaden anrichten, bevor sie abhauen!« Einige Geschosse fetzten in die Seitenwände des Gefechtsstands, blitzschnell duckten sich Prescott und Teeter hinter die Sandsäcke. Die Männer an den Wällen waren in Deckung gegangen, als sie nun von zwei Seiten unter Feuer genommen wurden. Zoll um Zoll schob der Major den Kopf wieder in die Höhe. Er sah gerade noch, wie die MSF-Soldaten über die Mauer krochen, den Drahtverhau durchschnitten und auf das Dorf zuliefen. Manche der Groats auf den Wällen wandten sich um und schossen den Deserteuren nach. »Nicht auf Ba To feuern!« schrie Prescott hinunter. Der Anführer der Groats verstand und gab den Befehl weiter. Prescott blickte sich um - eben verschwanden die letzten Mituyaner in der Dunkelheit. Nun hatten die brüllenden, schwarzgekleideten Guerillas zum dritten Mal den teilweise zerstörten äußeren Sicherungsgürtel erreicht und warfen in hohem Bogen Handgranaten in die Schützenlöcher. Von Splittern zerfetzt oder durchsiebt sackten -444-
etliche der Verteidiger zusammen. »Zum Teufel, woher kommen sie in solchen Massen?« schrie Prescott. »Sie kommen auf der ganzen Breite des Ost- und Westteils!« Teeter äugte über die Brustwehr, mit einem raschen Blick erfaßte er die Situation. Rasch duckte er sich wieder, denn nun war über dem Beobachtungsposten die Hölle los. »Los geht's, Sir«, rief er und kippte die Schalter seines Zündgerätes um. Nacheinander spieen die aufblitzenden Rohre ihre tödlichen Ladungen aus. Sie waren mit Schweröl und Benzin gefüllt, dazu kam ein Pfund Plastiksprengstoff pro Rohr. Ein Feuerstrom wälzte sich in Sekundenbruchteilen über die Wälle und verschlang die Angreifer, und gleichzeitig fuhr ein dichter Hagel von Stahlspitzen der durch die Detonationen zerfetzten Stacheldrahtrollen in die Leiber der anstürmenden Feinde. Das Geheul verbrennender Guerillas übertönte den Kampflärm. Wieder brach der Angriff zusammen. Wieder hatte die kleine Besatzung den Vorstoß aus zwei Richtungen abgeschlagen und eine weitere Kompanie Mitkoms vernichtet. Amerikaner und Groats erhoben ein wildes Triumphgeschrei. »Das war das letzte As, Sir«, sagte Teeter. »Von jetzt ab geht es Mann gegen Mann. Ich gehe über den Wall und werde versuchen, die Claymore-Minen an der Nordseite anders zu legen. Vielleicht nützt das noch etwas.« Prescott sah den wenigen Überlebenden nach, die unter dem Beschuß seiner Scharfschützen taumelnd zum Rand des Dschungels flüchteten. »Ich weiß nicht, ob die Mitkoms noch weitere Kräfte einsetzen können, Teeter, aber so lange auch nur einer von uns am Leben ist, müssen wir die Stellung halten. Ich nehme wieder Funkverbindung mit dem Jagdhaus auf.« Völlig bestürzt hatte Major Ding von der vietnamesischen Volksarmee mit ansehen müssen, wie die dritte Kompanie seines Bataillons in einem Inferno von Flammen und -445-
Geschoßgarben untergegangen war. Alle Lageberichte hatten ein günstiges Bild ergeben. Nur eine Handvoll Amerikaner und eine Gruppe der Mituyaner von zweifelhaftem Kampfwert verwehrten den mituyanischen Guerillas und ihren nordvietnamesischen Beratern den Griff nach dem wichtigen Groatdorf Ba To. In Baks waren die Amerikaner rasch überwältigt und niedergemacht worden. Dann hatte Ding die Führung der Groats an sich gerissen und die seit langem schwelende Glut zum offenen Aufruhr entfacht. Doch nun mußte er Oberst Nguyen Van Kan einen neuerlichen Fehlschlag melden. Zögernd und widerstrebend ging er zu der improvisierten Funkstelle zurück. Mit einem sehr flauen Gefühl im Magen befahl er seinem Adjutanten, mit dem Oberst Verbindung aufzunehmen. Das große, leistungsfähige Funkgerät war amerikanischer Herkunft, Dings Mittelsmänner hatten es gegen Groatopium eingetauscht. Ein mituyanischer Guerilla kurbelte den Generator an. Gleich darauf berichtete der Major von der Vernichtung seiner letzten Angriffswelle. »Morgen früh müssen die Köpfe der Amerikaner vor Ba To aufgespießt sein«, brüllte Kan. »Wenn wir den Groats nicht beweisen, daß wir jeden Amerikaner töten können, der ins Bergland kommt, werden wir ihr Vertrauen verlieren. Der Aufstand wird im Sande verlaufen, statt daß wir eine neue Gruppe aufständischer Groats gegen KaritKi mobilisieren!« »Genosse, ich habe ein ganzes Bataillon eingebüßt. Mir bleibt nur mehr eine schwache Kompanie.« »Setzen Sie die Groats von Ba To gegen die Amerikaner ein. Wenn es Ihnen gelungen ist, die Mituyaner zum Überlaufen zu bewegen, werden Sie auch die Groats dazu bringen, den Stützpunkt anzugreifen.« »Die Groats weigern sich zu kämpfen«, erwiderte Ding. »Alle Groats in Ba To weigern sich?« fragte Kan mit -446-
schneidender Stimme. »Ihr Anführer, der Sohn des Häuptlings, will nicht losschlagen.« »Dann stellen Sie hinter den Groats MGs auf und treiben Sie die Wilden gegen die Wälle!« schrie Kan. »Der amerikanische Stützpunkt muß genommen werden - um jeden Preis! Das ist ein Befehl, Genosse Ding! Nächste Woche habe ich geheime Besprechung in Tuyan. Ich muß berichten können, daß wir in den Bergen einen vollen Erfolg errungen haben. Melden Sie sich wieder, wenn die Köpfe der Amerikaner auf den Palisaden stecken.« »Jawohl, Genosse Oberst.« Die plötzliche Funkstille zeigte an, daß Kan den Kontakt unterbrochen hatte. Verdrossen ließ Ding den Rest seiner Guerillas antreten. Nach jedem mörderischen Vorstoß war das Kontingent der Groats mehr zusammengeschmolzen. Doch Ding wußte genau, daß Kan recht hatte. Wenn er die Amerikaner nicht vor Tagesanbruch überrollte, waren die jahrelangen Anstrengungen der Mituyanischen Freiheitsfront und ihrer Hintermänner in Hanoi umsonst gewesen, hatte man sich vergeblich bemüht, durch zielstrebige Ausbildung von Stammesführern die Eroberung des mituyanischen Berglandes zu beschleunigen. Wenn Ding vom Dorf her angriff, konnte er den Stützpunkt nehmen, aber dann würde die Bevölkerung ins Abwehrfeuer geraten, und der Haß der Groats würde sich nicht gegen die Amerikaner richten, sondern gegen die MFF. Kan hatte ihm versichert, die mituyanische Luftwaffe und die Amerikaner würden ohne Rücksicht auf Ba To das gesamte Gelände bombardieren, doch kein einziges Flugzeug hatte bisher in den Erdkampf eingegriffen. Ding fand den Führer der Baksgroats, Grak, inmitten der kleinen Gruppe Überlebender. Grak hatte genug vom Kampf und warf dem nordvietnamesischen Offizier anklagende Blicke -447-
zu. Doch Ding war zu einem letzten Entschluß gekommen, und diesen wollte er durchführen. Er befahl Grak, seine Leute zu sammeln und der bisher in Reserve gehaltenen zahlenmäßig schwachen Guerillakompanie zum Dorf zu folgen. Ding würde die bewaffneten Einheiten der Groats von Ba To - immerhin in der Stärke von zwei Kompanien - dazu zwingen, zusammen mit den kommunistischen Guerillas zum Angriff anzutreten, und in unaufhaltsamem Vorstoß, in vielfacher Übermacht, müßte es gelingen, den Stützpunkt zu überrollen. Widerwillig gehorchte Grak. Die Granatwerfer der Mitkoms blieben in den Stellungen, um den Feind periodisch mit einem Granatenhagel einzudecken, während die Kolonne von Groats und Mituyanern unter Umgehung des erleuchteten Vorfeldes in Richtung auf das Haupttor von Ba To vorrückte. Bald darauf führte Ding seine abgekämpfte Schar in das Dorf, Grak ging neben ihm. »Wo ist Radam, der Sohn des Häuptlings?« fragte der Nordvietnamese. Einige Männer wiesen ihm den Weg zu der Hütte, die einst als amerikanische Funkstelle gedient hatte. Radam sprach eben in das Mikrophon. Er wandte sich um, als Ding und Grak eintraten. Brüsk forderte der Kommandeur den jungen Groat und dessen Vater auf, sich der MFF und den aufständischen Baksgroats anzuschließen, um die Amerikaner zu vernichten, die den Tyrannen von Tuyan stützten. Doch Radam erklärte, Häuptling Bemir habe sich in sein Haus zurückgezogen, weil er nichts mehr mit der Rebellion zu tun haben wolle, die nun unter kommunistischer Führung stehe. »Die Amerikaner haben den Bewohnern von Ba To geholfen«, betonte Radam. »Wir hassen nicht sie, sondern die Mituyaner. Diese sind übergelaufen, dennoch haben wir sie nicht alle getötet, sondern nur ihren Anführer. Sein Kopf steckt auf der Stange.« -448-
»Aber nun müssen wir die Amerikaner töten«, wandte Grak ein. »Warum? Auch die Amerikaner sind keine Freunde der Mituyaner«, erwiderte Radam. Diese Feststellung verblüffte Grak, er wußte kein Gegenargument. Auch ihm und seiner Gruppe hatten die Amerikaner geholfen. Fragend blickte er zu Ding. Der Kommunist hatte sofort die propagandistische Antwort bereit: »Nur die Amerikaner verhindern den Sturz der mituyanischen Regierung. Wenn die Amerikaner hier nicht eingegriffen hätten, wäre die Mituyanische Freiheitsfront an der Macht und die Groats eine unabhängige Nation. Wenn wir die Amerikaner besiegen, werden niemals wieder Mituyaner in diese Berge kommen.« Grak übersetzte Dings Entgegnung in den Groatdialekt. Radam dachte kurz nach, dann erklärte er mit erhobener Stimme und in entschlossenem Ton: »Die Amerikaner haben uns geholfen. Wenn die Amerikaner bleiben und die Mituyaner abziehen, sind wir zufrieden. So will es mein Vater, Häuptling Bemir, und so will ich es. Die Amerikaner sollen bleiben, und die Mituyaner sollen wieder ins Tiefland zurückkehren, sie haben hier nichts zu suchen. Wir werden nicht auf eurer Seite kämpfen.« Während Grak übersetzte, wandte sich Radam wieder zum Funkgerät. »Hallo, Prescott! Noch sprechen?« »Sprechen, Radam.« Laut tönen Prescotts Worte aus dem starken Empfänger. Instinktiv wußte Ding, daß er die Stimme seines Gegenspielers hörte. Gespannt starrte er das Gerät an. »Mitkom-Führer hier. Sagt, Radam muß kämpfen. Radam sagt nein.« Der Häuptlingssohn sprach nun rasch und eindringlich. »Ba-To-Groats nicht kämpfen gegen Amerikaner. Mitkoms hier in Ba To. Vorsicht, Prescott. Mitkoms wollen...« Da verlor Ding die Nerven und machte jenen Fehler, der ihn -449-
später das Leben kosten sollte. Er zog seine Pistole P 38 und schoß Radam in den Rücken. Der junge Groat sackte zusammen, beide Hände ans Funkgerät geklammert. Noch hatte er die Kraft, drei Worte ins Mikrophon zu stöhnen: »Gut kämpfen, Prescott.« Dann jagte ihm der Nord Vietnamese eine Kugel durch den Kopf. »Grak, befiehl allen Groats, mir zu folgen!« schrie Ding. »Tod den Amerikanern!« Entsetzt blickte der Häuptling der Baksgroats auf den Toten nieder. Ding packte den wie benommenen Grak und rüttelte ihn derb. Und Grak las in diesen gnadenlosen Augen und wußte, daß dieser Mann den stärkeren Willen hatte. Widerspruchslos gehorchte der Groatführer, mit lauten Rufen sammelte er seine Leute um sich. »Befiehl auch den Groats von Ba To, mit uns anzugreifen!« schrie Ding triumphierend. Grak trat zur Tür und rief hinaus, Radam sei tot, er selbst sei nun der Anführer aller Groats im Kampf gegen die Amerikaner. Dings Guerillas warteten vor der Hütte. Der Nordvietnamese befahl ihnen, im Dorf auszuschwärmen und gegen die Mauer vorzugehen. Unter dem Einsatz von Handgranaten und der rückstoßfreien Kanone sollte die letzte Barriere genommen werden. Drüben, in der Funkstelle des Camps, blickte Prescott Lieutenant Panton an, der neben ihm stand. »Ich glaube, der Mitkom hat Radam umgelegt.« »Scheint so. Das Dümmste, was er tun konnte. Jetzt haben die Kommunisten bei den Groats ausgespielt.« »Okay, wenigstens wissen wir, daß der nächste Vorstoß vom Dorf her erfolgt. Alles in Stellung.« »Sollen wir die paar Claymore-Minen hochgehen lassen?« Prescott schüttelte den Kopf. »Nein, damit würden wir das halbe Dorf wegblasen. Wir werden uns im Nahkampf wehren, solange wir können.« Er grinste Panton an. »Ich glaube, wir -450-
haben hier einen großen Sieg errungen. Es muß sehr schlimm bei den Mitkoms stehen, wenn sich ihr Kommandeur zu einer solchen Kurzschlußhandlung hinreißen ließ. Ich vermute, daß wir den Großteil seiner Einheit aufgerieben haben. Ich gebe einen Bericht ans Jagdhaus durch, und Sie, Panton, postieren mittlerweile die gesamte noch kampffähige Mannschaft an der Brustwehr gegen Ba To. Keiner soll Handgranaten direkt in das Dorf werfen. Wahrscheinlich werden alle Frauen und Kinder auf die andere Seite hinüber evakuiert worden sein. Los, Panton! Wir hatten vielleicht Glück, daß uns Radam warnte, sonst wäre uns die Bande todsicher in den Rücken gefallen.« Als Panton die Funkstelle verließ, schaltete Prescott auf die Frequenz des Hauptstützpunktes. Am anderen Ende meldete sich Captain Jenkins. In knappen Worten schilderte der Major den weiteren Verlauf des Gefechtes und fragte, wann mit Verstärkung zu rechnen sei. »General Bannort und der Provinzchef haben sich schließlich einverstanden erklärt, daß bei Tagesanbruch bewaffnete Hubschrauber herangebracht werden. Colonel Gruen wird selbst mitfliegen und im Dorf landen, sobald das Gelände gesäubert und gesichert ist. Sir, sagen Sie Ihrem Funker, daß der Pilot Verbindung aufnehmen wird, sobald es hell ist. Wenn keine Gefahr besteht, daß er mitten in einen Feuerzauber gerät, wird er landen.« »Bis zum Sonnenaufgang dauert es noch fast zwei Stunden«, erwiderte Prescott. »Ich habe noch etwa zwölf kampffähige Groats und zehn Amerikaner gegen rund 100 Mitkoms. Sagen Sie dem Colonel, er darf nicht erwarten, daß wir zu seinem Empfang antreten.« Das scharfe Zischen einer Rakete, gefolgt von einer dröhnenden Detonation, die den Boden erbeben ließ und Prescott zu Boden warf, war das Signal zum letzten Angriff. »Die Mitkoms beschießen uns mit der Siebenundfünfziger«, rief der Major ins Mikrophon. Dann leiser und ganz ruhig auf -451-
deutsch: »Auf Wiedersehen, Marlene. Ich liebe dich, Marlene, ich liebe dich...« »Was?« fragte Jenkins verblüfft. »Das hat nicht Ihnen gegolten. Ba To, Ende.« Prescott drehte sich nach Minelli um. »Los, 'raus hier, Sergeant. Das Gerät wird uns nichts mehr nützen.« Er zog das Bajonett aus der Scheide und pflanzte es an der Mündung seiner M-16 auf. Der Sergeant tat das gleiche. Beide lockerten die Handgranaten, die sie an den Schultergurten trugen. An der Einschlagstelle in der Mauer züngelten Flammen hoch. Mit grotesk verrenkten Gliedern hingen zwei tote Groats aus ihren Schützenlöchern, eine der Leichen hatte Feuer gefangen. Ein Amerikaner jagte ununterbrochen Leuchtraketen hoch, die das Dorf in fahles Licht tauchten. Die Pfahlbauten warfen breite Schlagschatten über Ba To und das Vorfeld. Angestrengt starrten die Verteidiger ins Dunkel, es war unmöglich, festzustellen, ob sich die Mitkoms heranarbeiteten oder noch in der Bereitstellung warteten. Der Granatwerferbeschuß hielt unvermindert an. Teeter sprang von seinem Beobachtungsstand herunter, mit ein paar Sätzen war er neben Prescott, beide drückten sich gegen die Mauer, rund um sie sangen die Splitter durch die Luft. »Sir«, rief der Sergeant, »wir können sie etwas länger niederhalten, wenn wir sie mit unseren Granatwerfern direkt unter Feuer nehmen.« »Nein, damit rotten wir das halbe Dorf aus. Dann wäre alles umsonst gewesen...« Plötzlich brachen aus den Schatten die Mitkoms und Baksgroats hervor. Prescotts Besatzung empfing sie mit Handgranaten und Geschoßgarben. Die vordersten Reihen blieben im Feuer liegen, doch neue Angreifer folgten nach. »Nicht nachlassen, Leute!« überschrie Prescott den Kampflärm. »Das sind die letzten!« Er schlug sein -452-
automatisches Gewehr an. »Auf Einzelfeuer schalten! Wir müssen Munition sparen!« Im vollen Lauf schleuderten die Mitkoms Handgranaten gegen die Mauer. Einige der Verteidiger sanken von Splittern getroffen von der Brustwehr. Dort, wo die rückstoßfreie Kanone Breschen in den Drahtverhau gerissen hatte, drangen haufenweise die Guerillas ein. Nun, da der Feind nur noch wenige Meter entfernt war und das vielstimmige Geschrei »Kill Yankees!« schrill über das Knattern und Ballern der Waffen hinweg den Amerikanern und ihren wenigen treuen Groats in den Ohren gellte, wußte Prescott, daß es keine Rettung mehr gab. »Über die Mauern!« brüllte er. »Mann gegen Mann!« Obwohl er an der Schulter und am Rücken blutete, schwang er sich auf die Brustwehr, und an der Spitze seiner Grünen Teufel und Groats warf er sich den Mitkoms entgegen. Mit Nahschüssen, Bajonettstichen und Kolbenhieben hielten die Verteidiger erneut blutige Ernte unter den schwarzen Gestalten. Im erbarmungslosen Handgemenge entging Prescott dennoch nicht, daß fast keine Groats mehr auf Seiten der Guerillas kämpften. Die Mitkoms wichen vor dem erbitterten Gegenangriff zurück. »Hinter die Mauer!« keuchte Prescott. Fünf Amerikaner und acht Groats verschwanden hinter der Brustwehr, erschöpft ließen sie sich zu Boden fallen, wortlos warteten sie, jeder für sich allein, auf den allerletzten Vorstoß des Feindes. Erst jetzt bemerkte Prescott, daß aus tiefen Stichen in beiden Beinen das Blut über seine Hose rann, der linke Arm hing schlaff und gefühllos herab, doch mit der rechten Hand konnte er noch immer schießen. Da stand der wie durch ein Wunder unversehrte rothaarige Sergeant neben ihm. »Ich kann nur versuchen, die Blutung zu stillen, Sir«, sagte er. Schon hatte er den schilfgrünen Baumwollstoff aufgeschlitzt und drückte die Mullkompresse -453-
gegen die Wunde. »Danke, Cavanaugh.« Prescotts Zunge gehorchte nicht mehr. »Lassen Sie... die Verwundeten... Wir krepieren sowieso alle... Aber wenn schon, dann... im Kampf. Sie wissen, was... passiert, wenn uns die Mitkoms lebendig erwischen.« Cavanaugh nahm seine MP von der Schulter und legte sich in Deckung neben seinen Kommandeur, den Blick zum Dorf, wo sich der Gegner im Schatten der Langhäuser umgruppierte. Eine Rakete zischte heran und riß knapp neben ihnen eine Bresche in die Mauer. Prescott fühlte einen jähen, rasenden Schmerz in der Seite, aber er verlor nicht das Bewußtsein. Dann hörte er die peitschenden Feuerstöße aus Cavanaughs MP und richtete seine eigene Waffe gegen die herankommenden kleinen Gestalten. Schließlich erkannte er im Gewühl den Anführer der Guerillas, der seine Leute brüllend weitertrieb. »Hineinpfeffern, Cav«, flüsterte er heiser. »Das ist der letzte Zug, den sie haben.« »Ich fürchte, er genügt, Sir.« Alles verschwamm vor Prescotts Augen, doch angestrengt starrte er in den zuckenden Wechsel von Licht und Dunkelheit hinaus. Etwa 40 Mitkoms hatten den zerfetzten Drahtverhau durchstoßen. Der Anführer hatte eine Handgranate abgezogen und holte aus, um sie gegen Prescott und Cavanaugh zu schleudern, da kippte er plötzlich, wie vom Blitz gefällt, vornüber. Schwer lag sein Körper auf der Handgranate. Ohne recht zu begreifen, was nun geschah, beobachtete Prescott, wie sich der Verwundete auf die Seite zu wälzen versuchte, um den Sprengkörper von sich zu werfen. Dann nur noch ein dumpfer Knall, die Detonation riß den Guerillaführer hoch, eine halbe Sekunde lang sah Prescott den grauenhaft zerfleischten Oberleib. Gleich darauf schlug die Finsternis über dem Toten zusammen. Ganz nahe tauchte ein Mitkom auf, dann noch einer -454-
und noch einer, sie schwangen sich über die Mauer. Mit letzter Kraft schoß Prescott auf die von oben kommenden Angreifer. Nun kamen sie an der gesamten Brustwehr zum Vorschein. Aber warum kollerten die meisten getroffen in den Verteidigungsgraben? Das wäre doch nur möglich, wenn... Da löschte eine Mitkomm-Kugel alle Gedanken aus. Bei Sonnenaufgang sammelten sich die Überlebenden der Schlacht von Ba To. Mit finsterem Gesicht stützte Bemir den verwundeten, aber gehfähigen Cavanaugh, während die fünf Amerikaner, die dem Gemetzel entronnen waren, ihre Gefallenen für den Abtransport per Hubschrauber nebeneinanderlegten. Nur mit Mühe unterdrückte Sergeant Barton eine Aufwallung von sinnlosem Zorn. Am liebsten hätte er Bemir ins Gesicht gebrüllt, daß Major Prescott noch am Leben wäre, wenn sich der Häuptling nur fünf Minuten früher zum Handeln entschlossen hätte. Als der Kopfschuß Prescott getroffen hatte, waren die Groats auf Bemirs Befehl den Mitkoms bereits in den Rücken gefallen und hatten sie reihenweise niedergemäht. Lieutenant Panton, der eine sehr schmerzhafte, aber nicht lebensgefährliche Verwundung davongetragen hatte, übernahm das Kommando des amerikanischen Detachements. Kein einziger hatte den Kampf mit völlig heiler Haut überstanden, doch alle wußten, daß ihr Major Prescott, um den sie stumm trauerten, einen Sieg errungen hatte. Das Dorf hatte nur einen einzigen Toten zu beklagen - Radam. Panton sprach lange mit Bemir, der noch immer verbohrt an den Zielen der Revolte festhielt und die gefangenen Soldaten der mituyanischen Special Forces ohne Gnade sofort liquidieren lassen wollte, aber der Offizier entgegnete ihm, es sei der letzte Wille des Majors gewesen, daß die Deserteure geschont wurden. Vom Westen her näherte sich ratterndes Motorengeräusch, und -455-
bald kam die Staffel von vier Hubschraubern in Sicht. Drei der bewaffneten Maschinen kreisten über dem Dorf und der Landepiste, während die vierte sich langsam senkte und mit kreisenden Rotorblättern aufsetzte. Aus der Kabine schwang sich ein Colonel in tadellos gebügelter schilfgrüner Garnitur, den gestickten Adler auf der Feldmütze mit großem Stoff schirm. Hinter ihm stiegen ein mituyanischer Colonel und einige andere Offiziere aus. Ohne Eskorte gingen sie vom Hubschrauber durch das Haupttor des Dorfes auf Panton zu, der nicht salutieren konnte, weil sein rechter Arm bis zur Schulter hinauf in dicken Verbänden steckte und geschient war. »Guten Morgen, Sir«, sagte er. »Lieutenant Panton, zur Zeit Kommandeur von Gruppe A, Team 9, Ba To.« »Guten Morgen, Lieutenant. Colonel Gruen, ranghöchster Berater beim mituyanischen II. Korps. Wir sind stolz darauf, daß Sie den Stützpunkt gehalten haben.« »Danke, Sir. Aber das verdanken wir Häuptling Bemir. Die Mitkoms hatten uns bereits überrannt, als Bemir und seine Groats durch einen Feuerüberfall im allerletzten Moment die Bande erledigten.« Gruen runzelte die Stirn. »Ist der Mann nicht einer der Rädelsführer der Rebellion?« »Jawohl, Sir.« »Die Mituyaner wollen hier ein Fallschirmbataillon absetzen, um Ordnung zu schaffen und ihn zu verhaften.« »Lassen Sie das nicht zu, Sir«, sagte Panton eindringlich. »Es ist Major Prescotts Verdienst, das die Groats nicht zu den Mitkoms übergegangen sind. Er hat sich selbst dafür geopfert, Sir. Ich habe vier Monate in diesem Dorf gelebt, mitten unter den Leuten. Bemirs Forderungen sind berechtigt. Er hat von den mituyanischen Special Forces viele Demütigungen erdulden müssen.« »Sagen Sie ihm, daß wir mit ihm verhandeln werden, doch -456-
zuerst muß er die Gefangenen ausliefern, wir nehmen sie nach Banthut mit.« Panton übersetzte, aber der Häuptling schüttelte nur starrsinnig den Kopf. »Sir, Bemir will die Gefangenen als Geiseln behalten, bis er eine schriftliche Erklärung hat, daß die Forderungen der Bergstämme erfüllt werden.« »Sagen Sie ihm, daß ich die Gefangenen mitnehme. Er hat mein Wort, daß wir verhandeln werden, überdies werde ich mich dafür verwenden, daß seine Verhaftung unterbleibt.« Nach einem kurzen Gespräch mit dem Häuptling wandte sich der Lieutenant wieder an Colonel Gruen. »Er weigert sich, Sir. Und wenn mituyanische Truppen kommen, wird er das Dorf evakuieren, sich mit der gesamten Bevölkerung in die Berge zurückziehen und alle Groats zum Kampf aufrufen.« »Die Gefangenen kommen mit, machen Sie ihm das klar«. sagte Gruen gereizt. »Ich gebe ihm mein Ehrenwort, daß ich mich bemühen werde, Strafmaßnahmen gegen ihn zu verhindern. Sie können ihm auch sagen, wenn er versucht, einem amerikanischen Offizier, der seine Pflicht tut, in den Arm zu fallen, werden die mituyanischen und amerikanischen Flugzeuge seinen Stamm zu finden wissen und bis auf den letzten Mann vernichten.« Panton übersetzte diese Drohung, allerdings ziemlich entschärft. »Nun, wo sind die Gefangenen?« fragte Gruen ungeduldig. Panton führte den Colonel zu den käfigartigen Zellen neben dem Langhaus des Häuptlings. Zwei amerikanische und zwei mituyanische Offiziere folgten ihnen auf den Fersen. Alle fuhren entsetzt zurück, als sie an der Spitze eines Pfahls Captain Narits Kopf sahen. »Wie konnte das geschehen?« sagte Gruen empört. -457-
»Sir, wir hatten keine Ahnung davon. Die Mituyaner begannen uns zu beschießen und desertierten ins Dorf.« »Der Amerikaner lügt!« schrie der mituyanische Colonel. Panton war zu geschwächt, um ihm energisch zu antworten. »Ich sage nur, was ich erlebt habe«, murmelte er. »Die übrigen Gefangenen werden jetzt sofort abtransportiert«, sagte Gruen drohend. Bemir stand mit dreißig bewaffneten Groats den Zellen zugewandt. Schweigend beobachteten sie den fremden amerikanischen Offizier. Die beiden Mituyaner machten Miene, rasch zu verschwinden. »Wir werden wiederkommen - mit der Fallschirmeinheit«, sagte der eine halblaut. »Nein, wir werden jetzt Klarheit schaffen!« Gruen faßte den waffenlosen Bemir fest ins Auge. »Panton, sagen Sie ihm, daß ich ihm meinen Karabiner gebe. Wenn er es riskiert, einen amerikanischen Offizier niederzuknallen, wird er und mit ihm sein ganzes Dorf die Konsequenzen tragen müssen. Sagen Sie ihm auch, daß ich ihn vor der Rache der mituyanischen Truppen schützen werde, obwohl die Groats den MSF-Captain getötet haben - unter einer Bedingung: Er muß die Gefangenen sofort freilassen!« Damit streifte Gruen den Gurt seines kurzen automatischen Karabiners von der Schulter, ergriff die Waffe beim Lauf und hielt den Kolben Bemir entgegen. Wortlos nahm der Häuptling den Karabiner. Der Colonel kehrte ihm den Rücken. Die beiden mituyanischen Offiziere wichen erschrocken zurück, als Gruen auf das Gefängnis zuschritt, zwei Posten beiseite stieß und die Tür aufriß. Verängstigt drängten die MSF-Soldaten aus dem engen Gelaß. Zitternd vor Wut sah Bemir alldem zu, doch dann hob er die Waffe und zielte genau auf den Colonel. Gespannt blickten die Groats auf ihren Häuptling, bereit, die Mituyaner und die fremden Offiziere zu massakrieren, sobald er losdrückte. -458-
»Bemir!« schrie Panton ihn an. »Prescott ist gestorben, um die Groats zu retten. Bespucke nicht seinen Leichnam, indem du den Colonel umbringst! Um Prescotts willen, schieß nicht!« Langsam, ganz langsam senkte der Häuptling den Karabiner, regungslos verharrte er auf seinem Platz, während Gruen mit dem Trupp Gefangener das Dorf verließ und die kreisenden Hubschrauber durch Armzeichen herbeiholte. Bemir sah zu, wie die Offiziere und die befreiten MSF-Soldaten hastig hineinkletterten und die Maschinen senkrecht in die Höhe stiegen. Colonel Gruen kam allein zurück. »Panton, sagen Sie dem Häuptling, ich bin bereit, mit ihm zu verhandeln!«
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34 Ben Morris, der Leiter des UPI-Büros in Tuyan, blickte von dem laut ratternden neuen Fernschreiber auf, der mit einer Geschwindigkeit von 60 Worten pro Minute via Tokio Meldungen und Berichte an die New Yorker Zentrale der Agentur sandte. Verblüfft sah der bullige Kerl die blonde deutsche Journalistin an, die so schön war, daß keiner der ausländischen Presseleute in Tuyan ihr berufliche Qualitäten zutraute. »Hallo, Marlene!« rief er erfreut. »Was führt denn Sie in diese Bude? Ist es Ihnen auf den diplomatischen Empfängen zu langweilig geworden?« Marlene trat zu dem Apparat. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen, Ben.« Nun sah er, daß ihre Lider rot und verschwollen waren, als hätte sie eine schlaflose, durchweinte Nacht hinter sich. Sie schien zum Umfallen müde. Morris wurde aufmerksam. »Ich habe eine Story, die die Welt erfahren muß«, sagte sie. »Im Flugzeug zwischen Banthut und Tuyan habe ich sie rasch heruntergeklopft. Der Text muß noch redigiert werden, mein Englisch ist nicht sehr gut, aber die Fakten sind drin.« Sie zog fünf dicht mit Schreibmaschine beschriebene Blätter aus ihrer Handtasche. »Sie brauchen meinen Namen nicht darunterzusetzen. Lesen Sie einmal.« Müde sank Marlene auf einen Stuhl, während Morris sich das Manuskript vornahm. Die ersten Zeilen überflog er, doch dann setzte er sich plötzlich mit einem Ruck auf und las gespannt Wort für Wort. Marlene war weit weg, immer wieder klangen ihr Charlie Prescotts letzte Worte in den Ohren, diese ferne Stimme, die aus dem Lärm der Schlacht von Ba To zu ihr gesprochen hatte, ohne daß sie antworten konnte. Gleich am nächsten Tag war Marlene mit jener Maschine -460-
geflogen, in der die Leichen der amerikanischen Gefallenen aus Ba To zum Jagdhaus des Königs gebracht wurden. Lieutenant Panton hatte ihr mit allen Einzelheiten den Verlauf des Gefechtes geschildert. Sie hatte auch Colonel Gruen interviewt. Von ihm und seinen Offizieren bekam sie allerdings nur eine sehr subjektiv gefärbte Version zu hören, nach der niemand anderer als Gruen selbst der große Held war. Von Barkuns Jagdhaus war eine Maschine nach Banthut gestartet. In letzter Minute hatte Marlene noch einen Platz bekommen. Kaum war sie in Banthut, raste sie im Minitaxi zu General Bannort und dann zum Provinzchef TrangTi. Was sie von den beiden erfuhr, bestätigte nur ihre Vermutungen. Rechtzeitig erreichte sie das Kursflugzeug der Air Mituyan. Und ihr erster Weg in Tuyan führte sie ins UPI-Büro. Ben Morris rief seinen Texter und gab ihm die Blätter in die Hand. »Auf Agenturstil umschreiben, Titel darüber und dazu: ›Von Marlene Strahl‹, Strahl.« Er lehnte sich über den Schreibtisch. »Marlene, stimmt das alles, was Sie da geschrieben haben?« »Ich war selbst dort. Es ist ein Augenzeugenbericht«, sagte sie einfach. »Wissen Sie, was das ist, Marlene?« rief Morris. »Dynamit ist das, eine Atombombe!« In seinem schalldichten Arbeitszimmer erwartete Jack Cardinez mit Colonel Lawton und Mike Forrester den Staatssekretär. Am nächsten Morgen sollte die Kommission nach Washington zurückkehren, um dem Präsidenten und dem Sicherheitsausschuß über ihre Erhebungen zu berichten. Doch vorher wollte Hartland nochmals die Situation erörtern. »Er hat gesagt, beim Dinner des Botschafters wird er durch Abwesenheit glänzen, aber von der Sitzung kann er sich nicht loseisen«, erklärte Cardinez mit einem Blick auf seine Uhr. »Ich -461-
habe Marlene Strahl gebeten, herzukommen und mit Hartland zu sprechen. Da erfährt er alles aus erster Hand. Niemand weiß, was sie schreiben wird.« »Ist das so wichtig?« fragte Mike. »Bis die deutschen und Schweizer Zeitungen ihren Artikel bringen, ist er schon ein alter Hut.« Cardinez grinste ihn perfid an. »Ausgerechnet Sie unterschätzen dieses Fräulein Strahl?« »Wieso?« »Nun, mir hat sie gesagt, die Geschichte muß sofort raus. Mittlerweile wird sie ihren Artikel der AP oder der UPI gegeben haben, vielleicht auch beiden. Morgen steht der Bericht in allen amerikanischen Zeitungen.« »Um so besser für Marlene«, sagte Mike. »Endlich wird die Wahrheit offen ausgesprochen. Immer wieder haben wir alle den Botschafter gewarnt, aber die Wahrheit wollte er ja nicht hören, nach seiner Meinung waren das heikle Angelegenheiten, an die man nicht rühren sollte.« »Etwas anderes macht mir Kopfzerbrechen, Mike. Als der Funker die auf vietnamesisch durchgegebenen Meldungen abhörte, fiel ihm eine kurze Bemerkung auf - unser Freund Kan sagte, er habe in Tuyan eine Mission zu erfüllen. Können Sie sich denken, was er plant?« »Wahrscheinlich will er mir an den Kragen. Wenn ich wüßte, wie der Kerl aussieht, wäre mir leichter.« »Ich habe Major Song verständigt. Er kennt Kan«, sagte Lawton. Cardinez trat zum Fenster und blickte hinaus. »Ich glaube, das ist Bob Hartland.« Er ging hinunter, um das Haustor zu öffnen. Gleich darauf kam er mit dem Staatssekretär zurück. »Guten Abend, Gentlemen, es tut mir leid, daß ich Sie warten ließ.« Seufzend setzte er sich in den Fauteuil und lagerte das verletzte Bein hoch. »Whittelsie gebärdet sich wie eine -462-
aufgeregte Glucke. Es würde mich nicht wundern, wenn er plötzlich zu gackern anfinge und mit den Flügeln schlüge.« Doch Hartlands Gesicht verriet, daß ihm nicht nach Scherzen zumute war. Er griff nach dem Glas, das Cardinez für ihn gefüllt hatte, trank einen großen Schluck, stellte es nieder und blickte von einem zum anderen. »Jack, das war die ereignisreichste, interessanteste und wahrscheinlich tragischste Woche in meiner ganzen bisherigen Laufbahn im Außenamt. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie tief mich Prescotts Tod trifft. Alles kam genauso, wie er es mir vorhergesagt hatte - nur einen Tag später. Wie konnte es geschehen, daß unsere Leute einfach nicht sahen, was in diesem Land wirklich vorgeht?« Die rhetorische Frage blieb unbeantwortet. Hartland schlürfte nachdenklich seinen Whisky. »Mein Entschluß ist gefaßt. Hier wird sich sehr vieles ändern, nicht nur bei den Amerikanern, sondern auch bei den Mituyanern. Sonst lehne ich jede weitere Verantwortung für unsere Politik in Südostasien ab.« »Bob, mit uns können Sie rechnen. Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht. Und wir schrecken auch nicht vor dem Opfer zurück, das Prescott brachte.« Hartland beugte sich vor. »Der Plan steht fest«, begann er ernst. »Vor allem, bereiten Sie Barkuns Comeback vor, Fritz. Sie können General Dandig zu verstehen geben, er soll zusammen mit den anderen Generalen den Widerstand weiterorganisieren und sich auf jeden Fall die Hilfe dieses verrückten Bonzen sichern. Ganz wohl ist mir nicht bei der Sache, aber wir brauchen den Buddhistenführer, um KaritKi zu stürzen. Nachher werden wir ihm genau auf die Finger sehen müssen.« Er wandte sich zu Mike. »Mike, Sie sind der beste Kenner des Landes. Halten Sie es für möglich, daß man Barkun bis zum Ausbruch des Staatsstreichs in Mituyan aufs Eis legt?« »Kaum, denn jeder Mituyaner weiß, wie der Exkönig aussieht.« Mike dachte nach, plötzlich erhellte sich sein Gesicht. »Aber ich weiß, wie man ihn unauffällig einschmuggeln kann.« -463-
»Wie?« fragte Cardinez gespannt. »Ich könnte mit der Promise rund um die Halbinsel bis nach Marashak fahren. Von dort erreicht man Tuyan mit dem Flugzeug in 20 Minuten. Oder noch besser« - Mikes Augen leuchteten auf -, »ich könnte Barkun auf dem Tuyanfluß bis hierher bringen und das Schiff an meinem privaten Landeplatz vor Anker legen. Das würde nicht auffallen, man ist daran gewöhnt, daß die Promise manchmal in Tuyan ankert. Gestern im Palast hat mich Dhana sogar gefragt, ob wir bald wieder mit der Jacht kommen. Dadurch wäre das Ganze noch unverfänglicher!« Cardinez überlegte. »Das klingt ganz vernünftig.« Er nickte. »Ja, ich glaube, der Plan wäre durchführbar. Ein Wagnis, gewiß - aber das ganze Unternehmen ist ein einziges großes Wagnis. Viel gefährlicher ist es, wenn KaritKi weiterhin an der Macht bleibt.« »Und wann wird der Stein ins Rollen gebracht?« fragte Hartland. »Gelockert ist er schon«, antwortete Cardinez. »Roger Krakhaur hat uns sehr geholfen. Die Geschichte mit dieser jungen Mituyanerin, die er in Hongkong heiratete, hat wie eine Bombe eingeschlagen. Nun sieht die Welt endlich KaritKis wahres Gesicht.« »Ja, unser Freund Krakhaur schrieb einige Artikel über Barkuns staatsmännische Fähigkeiten, die den Leuten in Washington zu denken gaben«, erklärte Hartland. »Wenn nun der Große Eiferer seine Buddhisten gegen KaritKi und Tarot aufwiegelt, ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit, eine buddhistische Führerpersönlichkeit auf den Plan treten zu lassen, die das Land vor dem Chaos bewahrt, bis freie Wahlen abgehalten werden können.« »Okay, der nächste Schritt ist also klar: Ein Mittelsmann nimmt in Hongkong Verbindung mit Barkun auf und veranlaßt -464-
alles Weitere.« Cardinez' Augen blickten forschend in die Runde. »Keine offizielle Persönlichkeit«, sagte Hartland rasch. »Natürlich nicht.« Der Blick blieb an Mike hängen. »Das ist Forresters Aufgabe.« »Ich bin dazu bereit... natürlich...« Das sagte er so zögernd, daß Hartland und Lawton aufmerksam wurden und ihn überrascht anblickten. »Was ist los, Mike?« fragte Hartland. »Ich habe schon vorhin erwähnt, daß wir gestern Dhana im Palast besuchten. Meine Frau bemüht sich um ein Ausreisevisum, aber bis jetzt hat sie es noch nicht bekommen.« »Und allein wollen Sie nicht nach Hongkong fliegen?« fragte Cardinez. »Doch, wenn es sein muß. Aber offen gestanden - ich fürchte für Lunas Sicherheit. Nicht nur die Mitkoms, sondern auch gewisse Elemente in KaritKis Regime möchten mich ausschalten. Und jetzt muß ich mich auch gegen Kan vorsehen. Er weiß genau, welche Rolle ich bei der Zerschlagung der MFFOrganisation in Tiking gespielt habe. Und vor allem habe ich Tarot und Mayna gegen mich, die beiden werden mir nie verzeihen, daß ich Roger und Alana zur Flucht verhelfen habe.« Schulterzuckend trank er einen großen Schluck Scotch mit Soda. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Luna und ich, wir beide kennen unsere Pflicht in diesem Kampf. Sie wird es verstehen, wenn ich sie allein lassen muß. Wir waren schon einmal zehn Tage getrennt, als ich meine Expedition durch das Land der Groats unternahm. Doch wäre es mir natürlich lieber, wenn Luna mitkommen könnte.« Hartland hob sein Glas und blickte durch die helle, goldbraune Flüssigkeit. »Gentlemen, wir haben nicht mehr viel Zeit. -465-
Übrigens - hat diese junge Deutsche tatsächlich den tragischen Zwischenfall von Ba To miterlebt?« »Am Funkgerät«, bestätigte Cardinez. »Wollen Sie mit ihr sprechen, Bob? Ich habe Marlene Strahl gebeten, sich zur Verfügung zu halten.« »Wunderbar! Mike, würde es Ihnen etwas ausmachen, die junge Dame abzuholen? Nehmen Sie meinen Wagen und bringen Sie sie auf raschestem Wege hierher.« »Wird besorgt, Bob.« »Es gibt da einiges, was ich vor ihm nicht erwähnen wollte, obwohl er inoffiziell zu uns gehört«, sagte Hartland, als Mike fort war. »Wenn ich übermorgen wieder in Washington bin, werde ich sofort Whittelsies unverzügliche Ablösung beantragen. Und ich glaube, wenn ich im Sicherheitsausschuß über meine persönlichen Beobachtungen und Erlebnisse berichte, wird auch eine seit längerem schwebende Frage entschieden werden - es handelt sich um General Mackers Pensionierung.« Zwanzig Minuten später betrat Mike mit Marlene wieder den Raum. »Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, Fräulein Strahl«, sagte Hartland, ihr die Hand reichend. »Ich weiß, was Sie hinter sich haben, doch leider reise ich morgen früh wieder ab, es ist daher jetzt die einzige und letzte Möglichkeit für mich, von Ihnen zu erfahren, was in Ba To geschah. Wir alle haben Major Prescott sehr geschätzt.« Marlene setzte sich neben den Staatssekretär. »Er war der wahre Held von Ba To«, sagte sie ruhig. Cardinez fragte, ob sie einen Durchschlag ihres Reports bei sich hätte. Marlene öffnete eine große, strohgeflochtene Tasche und übergab ihm die gefalteten Blätter. »Hier. Aber ich habe Mr. Morris von der UPI gebeten, nicht meinen Namen zu nennen. Ich muß an meinen Vater denken, er könnte sonst Schwierigkeiten haben.« -466-
Hartland nickte zustimmend. »Sehr klug von Ihnen. Obwohl man im Palast wahrscheinlich wissen wird, daß die Story von Ihnen stammt.« »Wenn Sie meinen Rat hören wollen, Miß Strahl«, sagte Cardinez nachdenklich, »schützen Sie einen dringenden Auftrag vor und fliegen Sie für einige Zeit nach Tokio oder Bangkok. In zwei, drei Wochen wird Gras über die Geschichte gewachsen sein, und keinem unserer Freunde im Palast wird es einfallen, Sie oder Ihren Vater zu behelligen.« Marlene lächelte. »Ich wollte ohnedies einige Artikel über Bangkok schreiben.« Hartland blickte sie aufmerksam an. »Miß Strahl, in Washington wird man mich fragen, ob die Mituyaner tatsächlich auf unsere Leute geschossen haben und desertiert sind. Ich bin jetzt schon überzeugt, daß die Aussagen der überlebenden Amerikaner in den offiziellen Berichten verfälscht und abgeschwächt wiedergegeben werden. Deshalb würden Sie mir einen großen Dienst erweisen, wenn Sie mir alles erzählten, was Sie am Funkgerät mit angehört und später mit eigenen Augen gesehen haben - alles, jede Einzelheit, an die Sie sich erinnern können. Sie beginnen am besten mit Ihrem Bericht von da an, als ich mich vor zwei Tagen von Ihnen und Prescott verabschiedete. Ich glaube, daß jedes Detail für mich von Bedeutung ist...«
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SIEBENTER TEIL HONGKONG
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35 Von seinem Fenstersitz im BOAC-Düsenklipper blickte Mike Forrester auf Hongkong hinunter. Immer schon hatte ihn diese farbenreiche, pulsierende Metropole des Fernen Ostens fasziniert, aber diesmal erwartete ihn hier das größte Abenteuer seines Lebens. Nur eines bedrückte ihn, Luna war nicht mitgekommen. Erst vier Tage waren vergangen, seit er Hartland versprochen hatte, die wichtige Mission in Hongkong zu erfüllen. Mike kam es vor, als läge die Begegnung mit dem Staatssekretär viel länger zurück, denn während der vergangenen drei Tage hatte er sich dauernd bemüht, für Luna ein Ausreisevisum zu bekommen. Cardinez hatte sich strikt geweigert, ihn dabei zu unterstützen, Luna illegal über die Grenze zu bringen, und Mike verstand die ablehnende Haltung des Geheimdienstmannes. Wenn Luna ohne Visum aus Mituyan verschwunden wäre, hätte man dies im Palast als schwere Brüskierung, mehr noch, als offene Kriegserklärung aufgefaßt und gegen Mike Repressalien ergriffen. Doch bei diesem Auftrag durfte er durch nichts behindert werden. Er hatte Roger Krakhaur nicht mitgeteilt, mit welcher Kursmaschine er in Hongkong eintreffen würde, denn er mußte damit rechnen, daß er vom Moment der Landung an beobachtet wurde - obwohl er als Zweck seiner Reise Kreditverhandlungen mit den Zentralen seiner Bankinstitute in Tuyan angegeben hatte. Am Nachmittag betrat Mike das Empfangsgebäude des Flughafens. Er staunte, wie rasch und leicht hier alle Zoll- und Einreiseformalitäten erledigt wurden, im Gegensatz zu den meisten anderer Weltzentren. Gleich darauf saß er in einem Taxi, das ihn in flotter Fahrt durch Kaulun zur Fähre brachte, die -469-
wenig später drüben in Hongkong anlegte. Seine Ankunft im Hotel Mandarin war wie eine Heimkehr. Der Portier erkannte ihn sofort wieder, der Boy nahm freundlich grinsend seine Koffer auf, und in der Rezeption wurde er überschwenglich begrüßt. Als er zum Lift ging, stürzte aus einem der kleinen Läden in der Halle ein behäbiger Chinese mittleren Alters auf ihn zu. »Mike! Wie schön, daß Sie wieder da sind! Brauchen Sie einen neuen Anzug?« Einige Minuten unterhielt sich Mike mit dem Kaufmann. Dann betrat er den Lift und ließ sich in eines der obersten Stockwerke fahren. Von seinem Zimmer aus bot sich ein weiter Blick über Hongkong und bis hinüber zum Festland. Mike griff zum Telefon und wählte Krakhaurs Nummer. Am anderen Ende meldete sich Alana. »Mike!« rief sie freudig überrascht. »Seit wann bist du in Hongkong?« »Eben erst angekommen. Wie geht es dir?« »Gut. Das Leben hier ist wunderbar.« »Und wo ist Roger?« »Im Agenturbüro. Ich gebe dir seine Nummer...« Mike notierte sie, rief Krakhaur an und vereinbarte mit ihm einen Treffpunkt auf der Dachterrasse des Hotels. Dann packte er seine Koffer aus, seine Aktenmappe ließ er offen, für den Fall, daß sein Gepäck heimlich durchsucht würde. Er hatte vor Tarots Agenten nichts zu verbergen, sollten sie ruhig alle seine Schriftstücke lesen. Für diese Mission brauchte er weder Geheimdokumente noch Waffen, sondern nur seine gründliche Kenntnis der Republik Mituyan und seine Überredungsgabe, wenn Barkun plötzlich wankend werden sollte. »Ich bin sehr froh, daß du hier bist, Mike«, sagte Krakhaur, als sie an einem etwas abseits stehenden Ecktisch Platz nahmen, das prachtvolle Panorama der ganzen Stadt vor Augen. »Jetzt -470-
brauche ich wenigstens nicht mehr James Bonds kleinen Bruder zu spielen, das geht mir ohnedies sehr gegen den Strich.« »In nächster Zeit werde ich aber sehr deine Hilfe brauchen, Roger.« »Also schön«, sagte der Journalist, nicht sonderlich begeistert. »Übrigens, wo ist Luna?« Mike erzählte ihm die ganze Geschichte. Krakhaur runzelte die Stirn. »Machst du dir keine Sorgen um sie?« »Doch, und ob! Aber wir beide, Luna und ich, wir wissen, daß diese Trennung nötig ist.« Mike versuchte zu lächeln. »Nun sitzt sie in Tuyan und hält mir die Daumen.« Krakhaur schüttelte den Kopf. »Jetzt, da ich Distanz gewonnen habe und die Entwicklung in Mituyan aus der Ferne verfolge, kann ich nur sagen: Hoffentlich klappt es.« »Das hoffen wir alle. Und wie befindet sich Seine Majestät?« »Er kann es gar nicht mehr erwarten, wieder zurückzukehren und den Thron zu besteigen. Er ist schon sehr ungeduldig, weil ihn noch keiner der Königsmacher aufgesucht hat.« »Wann kann ich ihn sprechen?« »Jederzeit. Er hat eine Villa auf dem Berg, eine richtige Residenz mit kleiner Hofhaltung und allem Drum und Dran. Natürlich auch Weiber. Laß aber beim ersten Besuch noch nichts von den Plänen verlauten, Barkun hält sehr viel auf gesellschaftlichen Anstrich...« »Glaubst du, daß er mich heute abend empfängt?« »Ich werde seinen Sekretär anrufen. Ein sehr wichtiger Mann das heißt, Mann ist nicht ganz das richtige Wort. Barkun ist nämlich nebenbei auch andersrum...« Krakhaur hatte Barkuns Wohnsitz im Exil richtig beschrieben, die große Villa mit ihrer prunkvollen Fassade auf der Höhe des Berges im elegantesten, exklusivsten Wohnviertel von Hongkong war tatsächlich eine fürstliche Residenz. Ein -471-
femininer junger Engländer in weißem Anzug und weißen Schuhen geleitete die Besucher aus der Vorhalle in einen riesigen Empfangssalon mit großen, bis zum Boden reichenden Fenstern, die den Blick auf die Stadt und das Meer freigaben. Dicke Orientteppiche bedeckten das aus kostbaren Hölzern gelegte Parkett, und neben dem gedämpften Licht elektrischer Deckenleuchten erhellten den Raum armdicke Kerzen in schweren Bronzekandelabern. Vor der Stirnwand saß auf einem von zwei gewaltigen Elefantenstoßzähnen flankierten thronartigen Stuhl ein dicker, eher komisch wirkender Mann unbestimmbaren Alters. Mike wußte, daß König Barkun Mitte Vierzig war. Das glatte, feiste Genießergesicht bot einen sonderbaren Kontrast zu den wachen, nur leicht schräg geschnittenen Augen, das schwarze Haar war straff nach hinten gebürstet. Zwei weibliche Wesen in photogener Pose saßen an Barkuns Seite, die eine war ein sehr hübsches Mädchen mit schimmerndem, kupferrotem Haar und grünen Augen, die andere eine sonnengebräunte skandinavische Schönheit, deren blondes Haar in einem kunstvollen Aufbau von Wellen und Toupierungen über ihrem Kopf emporgetürmt war, zweifellos von einem Meister der Haarkunst, der für dieses Werk Stunden gebraucht haben mußte. »Ah, mein Freund Krakhaur, wir freuen uns, Sie zu sehen«, sagte der Exkönig. Neugierig beäugte er den anderen Amerikaner. »Und Sie haben noch einen Gast mitgebracht...« Er gab dieser Feststellung den Ton einer vorsichtigen Frage. Krakhaur nannte Mikes Namen, und Barkun stellte die beiden Mädchen vor. »Rechts von mir Letitia Jenes aus Amerika.« Die Rothaarige ließ sich zu einem distanzierten Lächeln herbei. »Links Birgit Danielsen aus Dänemark.« Auch Birgit lächelte. »Leider ist Mademoiselle Francine Tourion aus Frankreich nicht unter uns.« Er blinzelte vielsagend. »Ein alter Freund aus Cannes hält sich zur Zeit in Hongkong auf, deshalb haben wir sie für heute abend beurlaubt.« -472-
»Mademoiselle Francine ist wahrscheinlich eine Brünette, Majestät?« fragte Mike, bereitwillig auf das Geplauder des Exkönigs eingehend. »Ganz richtig. Die Mädchen bilden ein in der Haarfarbe wunderbar aufeinander abgestimmtes Trio.« Barkun wies auf die leeren Stühle vor seinem Thronsessel. Mit einer Handbewegung stellte er einen schlanken, geschniegelten Franzosen vor. »Henri ist wahrscheinlich der beste und einfallsreichste Coiffeur von Paris. Ich habe ihn entführt, damit er meine Mädchen betreut.« Nun war der Höflichkeit Genüge getan. Barkun faßte Mike fest ins Auge. »Und Sie bleiben nur kurz in Hongkong, Mr. Forrester? In Geschäften?« In fehlerlosem klassischem Mituyanisch der Mandarinkaste erwiderte Mike: »Majestät, ich habe in Hongkong die Aufgabe, mich ausschließlich Ihnen zu widmen.« Barkun richtete sich in seinem Thronsessel auf, plötzlich strahlten seine Haltung und Miene königliche Würde aus. »Wir haben Kenntnis von Ihrer Mission, Mr. Forrester«, antwortete er in der Sprache des Hofes. »Doch darüber morgen.« Ein Lächeln verwandelte ihn wieder in den weltmännischen Gastgeber. »Heute abend wollen wir uns aber nicht allzusehr mit ernsten Gedanken beschweren.« Er klatschte in die Hände. Zwei beturbante chinesische Boys erschienen, um die Besucher nach ihren Wünschen zu fragen. Später machte sich der König erbötig, seine Gäste durch die Villa zu führen. »Majestät, kann ich in meinem nächsten Artikel über alles berichten, was Sie uns zeigen werden?« »Über die Mädchen können Sie schreiben, soviel Sie wollen. Aber ich muß Sie bitten, über manches andere vorläufig noch Stillschweigen zu bewahren.« Barkun ging durch eine grüne Tür voraus. Zu ihrer Überraschung standen Mike und Krakhaur in einem komplett -473-
eingerichteten Coiffeursalon. »Das ist Henris Reich. Die Damen fühlen sich hier sehr wohl.« Dann kamen sie durch ein Billardzimmer, wo Barkun sofort seine Geschicklichkeit mit dem Queue unter Beweis stellte. Als nächstes in der Flucht der Gemächer folgte die Bibliothek, die aus drei Räumen bestand, in denen die Bände nach Sprachen geordnet in den Regalen standen. Sie betraten den pompösen Speisesaal und durchschritten im ersten Stockwerk die Luxusappartements der drei Mätressen. »Die Mädchen leben in denkbar bestem Einvernehmen«, bemerkte Barkun. »Kein Wunder, wenn jede eine Traumwohnung a la Hollywood hat«, meinte Krakhaur trocken. Sie folgten dem König durch die Halle, mit einer großartigen Gebärde öffnete der Exmonarch die portalartige Tür zu seiner eigenen Suite. Voll Stolz zeigte er den Besuchern seinen Salon, der auch als Lesezimmer diente. Die neuesten Zeitschriften und die wichtigsten Neuerscheinungen aus allen Ländern der Welt lagen dort auf. Dann gingen sie durch einen kleinen Speiseraum zu einer einladend geöffneten hohen Doppeltür. Sie standen im Schlafzimmer, das sich im Ecktrakt des Gebäudes befand, im Stil etwa dem französischen Zweiten Rokoko nachempfunden, mit vergoldeten Rocailleornamenten auf elfenbeinfarbenen Wänden und einem riesigen Prunkbett mit Baldachin. Die mit schweren purpurnen Samtdraperien umrahmten Fenster gaben den Blick auf Hongkong und das Meer frei. Barkun weidete sich am Staunen seiner Gäste. »Aber Sie haben noch nicht alles gesehen.« Er wurde wieder ernst, seine Augen ruhten auf Mike. »Es gibt noch einige Räume, die Sie besonders interessieren werden, Mr. Forrester.« Er bedeutete Krakhaur und Mike, ihm zu einem Lift zu folgen. »Der Zutritt zum obersten Geschoß ist Fremden strengstens untersagt. Man gelangt nur mit diesem Aufzug hinauf.« Von einer Kette, die er unter dem Hemd um den Hals trug, löste er einen Schlüssel und öffnete damit die Tür des Lifts. -474-
Als sie ausstiegen, fanden sie sich in einem Raum von ungefähr den gleichen Maßen wie der Empfangssalon im Erdgeschoß. Nur herrschte hier die völlig nüchterne Atmosphäre eines Bürohauses oder eines militärischen Hauptquartiers. Durch Glaswände sah man in eine Reihe kleinerer Büros, in denen trotz der späten Stunde Männer und Frauen arbeiteten - nicht nur Asiaten, sondern auch Weiße. Die Stirnwand der Halle bedeckte in ihrer gesamten Länge und Breite eine Generalstabskarte von Mituyan. Auf einigen über die Karte gespannten Azetatfolien war mit Fettkreide ein Gewirr vielfarbiger Linien, Markierungen und Schraffuren eingezeichnet. Vor einer großen Funkanlage saßen ein Europäer und ein Asiate. Letzterer war vermutlich ein Mituyaner. Beide hatten Kopfhörer um und tippten auf Schreibmaschinen die Meldungen mit, die sie empfingen. Ununterbrochen rasselten drei Fernschreiber. Während sich Mike und Krakhaur interessiert umsahen, trat aus einem der Büros ein Europäer und überlas die Texte auf den langen Papierstreifen, die sich aus den Apparaten schoben. Über die eine Längswand spannte sich eine gewaltige Weltkarte, darüber waren vierundzwanzig elektrische Uhren angebracht, die für jeden Punkt der Erde die genaue Ortszeit anzeigten. »Wie Sie sehen, Mr. Forrester, brauchen Sie mich nicht über die Lage in meinem Land zu informieren«, sagte Barkun überlegen. »Ich erhalte stündlich Bericht über die Ereignisse in Mituyan, doch nicht nur das: Ich erhalte Berichte aus der ganzen Welt, soweit politische Aktionen oder Entscheidungen außerhalb der Grenzen Mituyans mein Land betreffen. Mein Nachrichtenzentrum ist pausenlos an der Arbeit, Tag und Nacht. Wir bekommen ein- bis zweimal täglich Agentenmeldungen aus allen Provinzen Mituyans.« Er führte die Amerikaner an den einzelnen Bürotüren vorbei. Bei der ersten sagte er: »In jedem Raum arbeitet ein Experte, der auf eine bestimmte Zone oder einen bestimmten Punkt in Mituyan spezialisiert ist. Dieser hier« - er öffnete die Tür, und -475-
sie erblickten einen bebrillten Mituyaner, der eben einen Fernschreibertext las - »beschäftigt sich ausschließlich damit, Informationen über den Palast zu sammeln und zu überprüfen. Ich habe diese Aufgabe Mr. DakatLi übertragen. Einer seiner Leute folgt Tarot wie ein Schatten... Eine Frau hält alles genau fest, was Mayna sagt und tut, ihr gelingt es sogar, Intimitäten über Madame Mayna in Erfahrung zu bringen. Gerade das ist für uns sehr wichtig, denn KaritKis Schwägerin hält hinter den Kulissen sehr viele Fäden in der Hand.« Er lächelte ironisch. »Sie treibt Politik vor allem im Boudoir.« DakatLi blickte auf und begrüßte höflich die Gäste, mit denen ihn Barkun bekannt machte. »Etwas Neues?« fragte der König. Grinsend reichte ihm der Mituyaner eines der Blätter. Barkun lachte laut auf, als er las. »In diesem Augenblick befindet sich der amerikanische Botschafter bei Mayna in ihrer Villa in Marashak. Ihm steckt noch immer der Schreck über den Besuch der Delegation aus Washington in den Knochen, aber Mayna versteht es sehr gut, den armen Whittelsie auf andere Gedanken zu bringen.« Sie gingen zum nächsten Büroraum. »Dieser Mann ist damit beschäftigt, Agentenberichte über Poramat und seine Provinzchefs im Kommandobereich des I. Korps in Evidenz zu halten.« So erfuhren Mike und Krakhaur, daß es für jeden Korpsbereich Mituyans in Barkuns Hauptquartier einen eigenen Sachbearbeiter gab, der mit einem Kader von Kundschaftern und Informanten in Verbindung stand. Die Augen des Reporters wurden immer größer. »Majestät, dieses Nervenzentrum haben Sie mir noch nie gezeigt, dabei mache ich seit Wochen Interviews mit Ihnen.« »Nein, mein Freund. Das habe ich mir aufgespart bis zur Ankunft einer Mittelsperson, die mehr oder minder offiziell die amerikanischen Interessen in Mituyan vertritt«, erwiderte der König. »Ich verstehe sehr gut, warum die Wahl auf Sie fiel, Mr. -476-
Forrester. Aber ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß auch Colonel Fritz Lawton sehr bald hier eintreffen wird. Er hat nun einen wohlverdienten und längst fälligen Urlaub erhalten, und den will er in Hongkong verbringen.« »Davon hatte ich keine Ahnung!« rief Mike. »Es wurde allerdings erwogen, Fritz hierherzuschicken. Aber dann wurde dieser Plan fallengelassen, weil man weitere Weisungen aus Washington abwarten wollte.« »Heute morgen ist Colonel Lawton von seiner Dienststelle in Tiking abgereist. Er hat allen gesagt, wie sehr er sich auf diese Ruhepause freue. Seine Freunde haben ihn gebeten, aus Hongkong Uhren und Seide mitzubringen«, erklärte Barkun mit augenscheinlichem Gleichmut. Er blieb bei einer Tür stehen. »Hier studieren wir die wirtschaftliche Situation in Mituyan. Wir sind sehr genau über alles informiert, was dort vorgeht. Heute zum Beispiel stieg der Schwarzmarktkurs des Dollars in den illegalen Wechselstuben der indischen Schneider an der Bismarck Avenue von hundertdreißig auf hundertfünfzig Meta. Dies deutet darauf hin, daß immer mehr Leute ihr Geld in Dollars anlegen. Manche transferieren ihr Vermögen, weil sie politische Verfolgung durch KaritKi befürchten - das sind jene, die sich während der Vorbereitungen zu den Wahlen, die unter dem gegenwärtigen Regime niemals durchgeführt werden, allzusehr exponiert haben. Andere wieder wollen sich finanziell rechtzeitig absichern, weil sie zu KaritKis Anhang gehören und bei seinem Sturz alles verlieren würden. In wenigen Tagen werden mir meine Kontaktmänner in den Banken die Namen jener Mituyaner mitteilen, die große Dollarbeträge in Hongkong deponiert haben. Danach werden wir den allgemeinen Trend in der Geschäftswelt und der Oberschicht von Tuyan beurteilen können.« Barkun steckte den Kopf in den Raum und warf einen Blick auf die große Schreibtafel. »In den letzten vier Tagen war in -477-
Tuyan bei Holzkohle ein Preisauftrieb von fünfundzwanzig Prozent zu verzeichnen«, stellte er sachlich fest. »Das heißt, daß die kommunistischen Guerillas ihre Tätigkeit im Tuyandelta intensivieren und bei den Kohlenbrennern erhöhten Tribut einheben. Für diese Bauern aber ist Tuyan der Hauptumschlagplatz, auf Flüssen, Kanälen und Straßen schaffen sie ihre Ware dorthin - voila!« Sichtlich erheitert wandte sich der König nun zu Mike. »Mister Forrester, es wird Sie sicherlich interessieren, daß auch der Preis von Rohopium in Tuyan im Steigen begriffen ist. Anscheinend haben Sie mit Ihren zwei kleinen Beutezügen ins Land der Groats jene Händler, die Tarot tributpflichtig sind, in arge Verlegenheit gebracht.« Schließlich führte Barkun die beiden zu der Generalstabskarte von Mituyan. »Ein Umstand bereitet mir allerdings sehr große Sorgen«, sagte er zu Mike. »Es wäre wichtig, wenn Sie Mister Cardinez darauf aufmerksam machen könnten, daß Emissäre Pekings in den letzten zwei Wochen Goldbarren im Wert von mehr als zehn Millionen Dollar in Hongkong verkauften. Es gibt nur eine Erklärung dafür: Rotchina plant eine neue größere Offensive in Südostasien, und ich fürchte, das Ziel dieses Vorstoßes wird der nördliche Teil Mituyans sein. Den Bergstämmen gegenüber ist KaritKi in den alten Vorurteilen seiner Kaste befangen und betreibt eine völlig verfehlte Politik. Zwangsläufig schlagen sich die Groats zu den Kommunisten, keineswegs aus Überzeugung, o nein, sondern weil sie sonst zwischen zwei Feuer geraten und zwischen den Fronten zerrieben werden. Das reale Ergebnis dieser bedenklichen Entwicklungen: Das Bergland wird immer mehr unserem Einfluß entzogen und geht schließlich verloren.« »Majestät, Ihr Nachrichtendienst schlägt alles, was ich bisher auf diesem Gebiet gesehen habe«, sagte Mike. »Muß eine verdammt kostspielige Sache sein«, warf Krakhaur ein. -478-
»Das wohl. Ich muß den gesamten Zinsenertrag jenes Vermögens dafür aufwenden, das mein Vater klugerweise vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in der Schweiz anlegte. Außerdem muß ich von jenen Geldern Beträge zuschießen, die ich in verschiedenen Banken in Hongkong deponieren konnte, bevor der erste in der Reihe unrühmlicher Staatsoberhäupter der Republik Mituyan mein Kapital und meine Güter für verfallen erklärte. Um ganz ehrlich zu sein: Manchmal bin ich sogar gezwungen, mich an riskanten finanziellen Operationen zu beteiligen oder die Substanz meines Vermögens anzugreifen, um diesen Apparat erhalten zu können.« Obwohl es bereits ziemlich spät geworden war, dachte Barkun noch nicht daran, seine Gäste zu entlassen. Sie mußten ihn wieder in seinen Thronsaal begleiten, wo die beiden Mädchen, in angeregter Konversation mit dem schwulen Engländer und dem Pariser Coiffeur begriffen, ihn erwarteten. Mit vollendeter fernöstlicher Höflichkeit lud der König die beiden Amerikaner zur allabendlichen Teezeremonie ein. »Der aromatische Tee, den ich selbst bereite, wird Ihnen besonders schmecken.« Er setzte sich nicht auf den imposanten Stuhl zwischen den Elefantenzähnen, sondern wies auf einige Kissen, die im Halbkreis auf dem Boden lagen. Davor stand ein bronzenes Becken, in dem ein Holzkohlenfeuer brannte. Barkun nahm auf dem mittleren Kissen Platz, Mike mußte sich zu seiner Rechten setzen, die rothaarige Letitia ließ sich links vom König nieder, neben ihr machte es sich Krakhaur bequem, soweit dies im Türkensitz möglich war. Die blonde Dänin hatte sich wortlos zurückgezogen. Als alle saßen - im Schein der flackernden Kerzen und der glühenden Kohlen, die auf dem schimmernden Becken funkelnde Lichtreflexe erzeugten -, klatschte Barkun leise in die Hände. Es klang nicht lauter als der Flügelschlag eines Nachtvogels. Ein Boy kniete neben dem König nieder und hielt ihm ein silbernes Tablett entgegen, auf dem die Geräte für die -479-
Zubereitung des Tees lagen. Barkun nahm ein Silbergefäß mit langem Ebenholzgriff und füllte es aus einer Silberkanne mit Wasser. Als er sich vorbeugte, um das Gefäß auf die Holzkohlen zu stellen, fragte er den Journalisten: »Mr. Krakhaur, ich hoffe, Ihre Frau ist nun bei bester Gesundheit?« »Ja, Majestät. Sie hat sich wieder völlig erholt.« »Es freut mich, das zu hören.« Mit den edlen Gesten einer uralten Rasse von hoher Kultur nahm er winzige Schalen und setzte sie der Reihe nach vor seinen Gästen auf den Boden. »Diese Tassen sind aus jenem Stoff gemacht, den man das Himmelsporzellan der Tang-Dynastie nennt«, erklärte er. »Man war bestrebt, bei der Glasur des Porzellans die wunderbare Tönung des Jadesteins hervorzubringen. In einem solchen Gefäß, über dem dunklen Grund der Schale, bietet der Tee dem Auge ein erlesenes Vergnügen, einen beruhigenden Anblick, wie es bei weißen Schalen nicht möglich wäre. Sie wissen, daß die buddhistische und konfuzianische Bevölkerung meines Landes in eine verwirrende Vielzahl von Sekten aufgespalten ist«, fuhr er fort. »Ich selbst wurde als Taoist erzogen, und für uns Taoisten ist das Teetrinken am Morgen und am Abend eine kultische Handlung. Ich werde versuchen, Ihnen die taoistische Teezeremonie zu erläutern und die schriftlich niedergelegten Gedankengänge zu übersetzen, obwohl die Übersetzung der weisen Schriften des Ostens in eine Sprache des Westens im besten Fall der Kehrseite des Brokats gleicht, alle Fäden sind sichtbar, doch der Zauber der Farben und der Bilder bleibt verborgen.« Nach einem Augenblick schweigender Versenkung begann er: »Tao bedeutet eigentlich Pfad. Es gibt ein geheimnisvolles geistiges Sein, das alles in sich schließt, es entstand noch vor der Erschaffung des Himmels und der Erde. In Stille und Einsamkeit besteht es für sich allein und wandelt sich nicht. Es kreist in sich, ohne sich zu verlieren, es ist die schöpferische Kraft, die das All gebiert. Ich weiß seinen Namen nicht, deshalb -480-
nenne ich es ›Den Pfad‹. Tao offenbart sich eher im Übergang als im Beharren. Es ist die geistige Wurzel der kosmischen Verwandlung, der ewige Ursprung, der in sich selbst zurückströmt, um neue Formen zu schaffen. Wir sprechen von Tao als der ›Großen Wende‹. Subjektiv betrachtet ist es das Walten des Alls. Für den Taoisten ist der Begriff des Absoluten im Relativen beschlossen.« Er blickte versonnen in die Runde. »Das mag für Sie nicht ganz leicht verständlich sein. Wenn ich sage, daß nach der Lehre des Tao das Relative das Absolute ist, dann meine ich damit, daß für uns Taoisten in ethischer Beziehung die Konventionen und moralischen Grundsätze der menschlichen Gesellschaft nicht bindend sind. Für uns sind Recht und Unrecht nur relative Begriffe. Nun, wir sehen, daß die Definition den Begriff immer in eine beengende Form preßt. Das ›Feste‹ und das ›Unwandelbare‹ - das sind bloße Eingeständnisse verkümmerten Wachstums. Oder wie der amerikanische Denker Ralph Waldo Emerson sagte: Beständigkeit ist der Popanz kleiner Geister. Wir bekennen uns daher zu einer Lehre der Umwandlung. Wir glauben, daß sich der Mensch verändern muß, ohne Rücksicht auf die moralischen Regeln, die uns die Gemeinschaft auferlegt. Das Ziel ist, ein Leben zu führen, das den einzelnen seiner Bestimmung möglichst nahebringt.« Letitia sah gelangweilt ins Leere. Sie hatte diese Betrachtungen wohl schon sehr oft gehört, und sicherlich fehlte ihr überhaupt das Verständnis dafür. Barkun blickte in das silberne Gefäß auf dem Feuerbecken. »Beim Kochen durchläuft das Wasser drei Phasen«, sagte er. »Nun sehen wir es im ersten Stadium, kleine Blasen schwimmen wie Fischaugen an der Oberfläche.« Er nahm ein silbernes Salzfaß vom Tablett und streute einige Körner hinein. »Salz ins erste Aufwallen«, sprach er in fast priesterlichem Ton. Dann ergriff er einige sehr kleine Schüsseln mit Teeblättern und Kräutern und stellte sie vor sich auf den Teppich. Mit einer -481-
schmalen, filigranen Zange hob er eines der Teeblätter heraus, betrachtete es genau und blickte wieder ins Gefäß. »Nun, da das Wasser die zweite Phase erreicht, wenn die Blasen dahinrollen wie kristallene Perlen in einem Brunnen, legen wir den Tee und die aromatischen Kräuter hinein.« Er ließ ein Blatt nach dem anderen in das nun siedende Wasser fallen. »Der Tee muß beigefügt sein, bevor das dritte Stadium eintritt, wenn die Blasen im nun bewegten Wasser wild durcheinanderwirbeln.« Barkun wartete einige Sekunden, bevor er einen Silberkrug ergriff und frisches, kaltes Wasser in den Tee goß. »Und so erwecken wir das Wasser zu neuer Jugend«, erklärte er feierlich. Dann hob er das silberne Gefäß am langen Ebenholzgriff von der Glut und füllte alle Schalen. Nun hob Barkun die Schale an die Lippen. Andächtig schlürften alle in kleinen Schlucken den Tee. Nur Letitia trank ihn, als sei er ein rasches Gebräu aus dem nächstbesten Drugstore in Philadelphia. Dieses Luxusweibchen muß ein entsetzlich phantasieloses Geschöpf sein, dachte Mike. Der König füllte die Schalen wieder. »Meine aromatischen Kräuter verleihen ihm diese Feinheit und Fülle des Geschmacks«, sagte er. »Sie sollen hören, was Lo Tung, ein Dichter aus der Zeit der Tang-Dynastie, über das Teetrinken sagte.« Er nahm noch einen Schluck und begann: »Die erste Schale befeuchtet mir Lippen und Kehle, die zweite Schale nimmt meine Einsamkeit hinweg, die dritte dringt in mein Inneres und hebt den reichen Schatz des Vergessens und des Ungedachten an die Schwelle meines Bewußtseins. Die vierte Schale versetzt mich in leichten Schweiß - alles Böse des Lebens gleitet durch meine Poren ab. Bei der fünften Schale bin ich geläutert, die sechste Schale hebt mich ins Reich der Unsterblichen. Die siebente Schale - oh, ich kann nichts mehr trinken. Ich fühle nur den Anhauch des kühlen Windes. Ich möchte mich von diesem sanften Wehen dahintragen lassen und -482-
vergehen...« Barkun verfiel in Schweigen. »Ich glaube, mir ergeht es ebenso wie diesem Dichter«, sagte Mike, nachdem sie mehrere Schalen getrunken hatten. »Ich kann nicht mehr.« Trotz seiner Körperfülle erhob sich der König leicht und gewandt aus seiner sitzenden Haltung. Die anderen folgten seinem Beispiel. »Sehe ich Sie morgen, Mr. Forrester?« fragte er beiläufig, als sie im Empfangssalon standen. »Wann Sie wollen, Majestät.«
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36 Eine Woche lang belagerte Krakhaur seinen Freund Forrester, bombardierte ihn mit Anrufen - und alles nur, um Näheres über die Verhandlungen mit König Barkun zu erfahren. Immerhin hatte der Journalist durch seine Artikelserie über den exilierten Monarchen wertvolle Vorarbeit geleistet. Nun wollte er seiner Agentur auf jeden Fall die Priorität sichern, sobald der Zeitpunkt gekommen war, die sensationelle Meldung über den Fernschreiber zu jagen. Schließlich gelang es ihm durch seine zähe Beharrlichkeit, Mike festzunageln. Nach einem exzellenten Mahl saßen sie nun in bequemen Fauteuils auf der großen Dachterrasse des Hotels Mandarin. »Du kennst ja den Plan«, antwortete Mike auf die Fragen des Reporters: »Nun arbeiten wir daran, alle Einzelheiten festzulegen.« »Das dauert aber lange«, bemerkte Krakhaur. Mike nickte. »Wir warten noch immer auf den Startschuß aus Tuyan. Heute nachmittag kommt Jack Cardinez. Ich rufe dich abends an und sage dir Bescheid.« Im Büro der Importfirma, die als Tarnung für die amerikanische Geheimdienstzentrale in Hongkong diente, traf Mike mit Fritz Lawton und Jack Cardinez zusammen. Cardinez platzte sofort mit der großen Neuigkeit heraus: »Gestern ist der neue Botschafter in Tuyan eingetroffen!« Mit langen Schritten ging er aufgeregt im Raum auf und ab. »Whittelsie wurde zu einer Konferenz nach Honolulu berufen, und dort präsentierte man ihm Sheldon J. Täte als Nachfolger. Dem guten Whit blieb nichts anderes übrig, als Haltung zu bewahren und Täte in informativen Gesprächen die nötigen Erklärungen über die Verhältnisse in Mituyan zu geben.« Mike pfiff durch die Zähne. »So rasch? Nun, jedenfalls ist Täte der harte Bursche, den uns -484-
Hartland versprochen hat.« Mike dachte kurz nach, was er über den neuen Botschafter wußte. Täte, einer von den ›unbequemen‹ Politikern, genoß als profilierte Persönlichkeit in den USA und der gesamten westlichen Welt großes Ansehen. Als Präsidentschaftskandidat hatte er allerdings Schiffbruch erlitten. In seinen Wahlreden hatte der temperamentvolle, vitale Fünfziger kein Blatt vor den Mund genommen, die Manager seiner Partei standen Qualen aus, wenn Täte ans Pult trat, um ›auszupacken‹. Manche meinten, er gefalle sich in dieser hemdsärmeligen, draufgängerischen Rolle eines modernen Theodore Roosevelt. Tatsache blieb, daß seine Vorhersagen über die weltpolitische Entwicklung sich bewahrheitet hatten. Selbst politisch desinteressierte Wähler beigriffen nun, daß viele der von ihm verfochtenen unpopulären einschneidenden Maßnahmen auf politischem, diplomatischem und militärischem Gebiet zwingende Notwendigkeit geworden waren. Wie so viele Amerikaner, die in den neuralgischen Zonen des Erdballs das kommunistische Expansionsstreben aus nächster Nähe erlebten, war auch Mike ein großer Bewunderer Tates. Seine Niederlage hatte er bedauert, überrascht hatte sie ihn freilich nicht. »Und was ist mit den anderen Mitgliedern des Country Team?« fragte Mike. »Täte hat bei seinen Entscheidungen völlig freie Hand«, entgegnete Cardinez. »Was geschieht mit mir, Jack?« »Sie machen mit Barkun weiter wie bisher. Sie verstehen es, ihn richtig zu nehmen, Mike. Sobald wir wissen, wann wir losschlagen können, werden wir Sie verständigen.« »Ich bin nun schon eine Woche hier!« »Keine Sorge, es wird nicht mehr lange dauern. In einigen Wochen werden wir Barkun nach Mituyan bringen können. Gestern kam es in Tiking und Tuyan City zu Demonstrationen der Anhänger des Großen Eiferers. KaritKi geht rücksichtslos -485-
gegen die Demonstranten vor, was die ausländische Presse zum Anlaß sensationell aufgemachter Berichte nahm. Die Ki-Sippe sägt eifrig an dem Ast, auf dem sie sitzt.« »Aber meine Frau ist allein in Tuyan.« »Glauben Sie mir, Mike, Ihre Frau ist nicht allein. Wir haben Ihnen versprochen, daß wir auf Luna aufpassen, und das tun wir. Ihr kann nichts geschehen.« »Ihr könnt sie nicht vor Tarot oder Poramat beschützen, wenn die Bande sie verhaften will.« »Täte ist aus anderem Holz als Whittelsie. Ihm ist es ohne weiteres zuzutrauen, daß er die amerikanischen Hilfsaktionen für den Palast glatt einstellt, wenn er sich brüskiert fühlt. Frauen amerikanischer Bürger in Mituyan genießen den vollen Schutz der diplomatischen Vertretung - selbst dann, wenn diese Frauen Mituyanerinnen sind.« Mike zuckte nur die Schultern. »Hoffen wir es.« »Wir alle halten es für die beste Lösung, Barkun auf Ihrem Schiff nach Tuyan zu schmuggeln«, fuhr Cardinez fort. »Ihr Einverständnis vorausgesetzt, habe ich bereits einige Veränderungen auf der Promise vornehmen lassen. Die Funkstelle ist in Ordnung, aber wir haben noch einige Spezialgeräte eingebaut. Außerdem bestücken wir die Jacht ganz unauffällig natürlich.« »Na schön, alles für das große Ziel«, sagte Mike verdrossen. »Wird aus der Promise eben wieder ein Kriegsschiff. Sie ist ja als Minenräumboot vom Stapel gelaufen.« »Ich wußte, daß Sie so denken würden«, erwiderte Cardinez. »Und nun fahren wir zu Barkun. Es ist Zeit, den Schlachtplan zu entwerfen!«
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37 Vor jedem Platz an dem Konferenztisch in Botschafter Sheldon J. Tates Büro stand ein Aschenbecher, überdies lagen in zwei einladend geöffneten Silberkassetten Zigaretten und Zigarren bereit. Befriedigt nahm Täte zur Kenntnis, daß die Mitglieder des Country Team diese Veränderungen bemerkt hatten und gebührend würdigten. »Gentlemen«, begann er, »diese erste Sitzung wird nicht lange dauern. Überdies habe ich nicht die Absicht, das Country Team noch einmal einzuberufen. Ich halte das für bloße Zeitverschwendung.« Er blickte von einem zum anderen. »Von nun an wird kein Mitglied meines Teams mit seiner vorgesetzten Dienststelle in Washington direkt verkehren, außer in reinen Routinefragen. Alle Schriftstücke müssen mir vorgelegt werden, und ich werde sie, mit meinem persönlichen Kommentar versehen, weiterleiten oder dem Verfasser zur nochmaligen Überprüfung der Situation zurückgeben. So werden wir es ab jetzt halten.« Täte lehnte sich abwartend zurück. General Macker ließ fast die Zigarette fallen, die er sich eben anzünden wollte, die allererste, die er im Büro des Botschafters rauchen durfte. Verblüfft starrte er Täte an. »Aber das gilt doch gewiß nicht für meine Verbindung zum Verteidigungsminister, Sheldon. Ich habe immer direkt mit ihm zusammengearbeitet, über den Generalstabschef natürlich.« »Von nun an werden Sie direkt mit mir Kontakt halten, Willet. Und ich werde in Ihrem Namen dem Minister, dem Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs und dem Stabschef der Armee Bericht erstatten.« »Aber über diese Dinge kann doch nur ein militärisch -487-
geschulter Sachverständiger entscheiden.« »Willet, ich bin General der Reserve. Ich glaube, meine militärischen Kenntnisse reichen aus, die gegenwärtige Lage und die Einsatzmöglichkeiten zu beurteilen. Hier ist kein Krieg wie in Vietnam - noch nicht. Übrigens, Willet, Sie bekommen einen Stellvertreter: Lieutenant-General Tom Gordon. Seine Ernennung habe ich persönlich dem Minister und dem Präsidenten empfohlen. Ihr beide werdet euch gut vertragen.« Wie ein gescholtener Schuljunge saß Macker mit roten Ohren da und senkte den Blick auf die Tischplatte. Auf diese Weise wurden unfähige Generale abgesägt. Man gab ihnen einen Stellvertreter bei, der dann ein oder zwei Monate später das Kommando übernahm. Nervös hob Macker die Zigarette an die Lippen und sog den Rauch tief ein. Tates helle Augen sahen Rourke durchdringend an. »Auch bei Ihren Arbeitsmethoden sind sofort radikale Veränderungen geboten, Mr. Rourke. Von nun an wird amerikanisches Personal die Verteilung der Hilfsgüter überwachen, und zwar bis hinunter zu den Distriktschefs, wenn nötig bis zu den Bauernhütten. Das heißt, daß Sie die meiste Zeit im Landesinneren verbringen werden, um dafür zu sorgen, daß das neue System an Ort und Stelle funktioniert.« Dem dicken Gewerkschaftsboß wurde sehr unbehaglich zumute, verlegen rückte er auf seinem Stuhl hin und her. »Darauf geht Innenminister Branot nie im Leben ein. Und Sie können Gift darauf nehmen, daß auch der Präsident und sein Bruder Tarot nicht mitmachen.« Der verächtliche Zug um Tates etwas breiten Mund verstärkte sich. »Der Präsident wird sich meiner Meinung anschließen, sonst ist es mit den Hilfsleistungen zu Ende. Und Ihnen, Mr. Rourke, kann ich nur den guten Rat geben: Packen Sie gleich das Notwendigste in einen Tournister, hängen Sie ihn über die Schulter, fliegen Sie ins Einsatzgebiet und verfolgen Sie genau, -488-
wie jeder Sack Reis, jedes Funkgerät, jede Kiste Düngemittel, jedes Schwein, jede landwirtschaftliche Maschine, überhaupt alle Waren und Steuergelder des amerikanischen Volkes hier verwendet werden. Die Unterschrift der Provinzchefs auf den Empfangsbestätigungen genügt mir nicht. Ich will wissen, welcher Bauer und welches Dorf die Versorgungsgüter erhält, die Tag für Tag hier eintreffen.« »Mein Schreibtisch biegt sich unter dem Papierkram, den ich erledigen muß«, wandte Rourke schwach ein. »Damit bin ich gut für einen Monat verpflegt. Außerdem will meine Frau nicht gern allein in Tuyan bleiben.« »Täglich startet hier ein Düsenklipper der Pan American nach San Francisco, Mr. Rourke... Ich erwarte, daß Sie sich, während Sie die Republik Mituyan von Norden nach Süden und von Osten nach Westen bereisen, mehrmals in der Woche über Funk bei mir melden und mich über Ihre Beobachtungen auf dem laufenden halten! Nun zu etwas anderem, meine Herren: Morgen habe ich eine Besprechung mit Premier KaritKi. Ich werde genau auseinandersetzen, auf welchen unverzüglichen Reformen der mituyanischen Politik ich als Repräsentant der amerikanischen Regierung bestehen muß. Sie kennen ihn besser, wenn Sie mir also dazu irgendwelche Hinweise geben können, bin ich Ihnen dankbar, denn ich möchte den Präsidenten keine Sekunde im Zweifel darüber lassen, daß wir es diesmal verdammt ernst meinen und keine Verschleppungstaktik dulden werden.« Prüfend blickte der Botschafter alle der Reihe nach an. Keiner meldete sich zu Wort. Daraufhin legte er in bündigster Form sein Forderungsprogramm dar. Er sah nur entsetzte Gesichter, die sich verwischt und fahl auf der blanken Tischplatte spiegelten. Nun wußte Täte, daß er so rasch wie möglich fast das gesamte Team auswechseln mußte. »Aber das geht nicht, Sir. Wir sind noch nie mit dem Wunsch -489-
an den Präsidenten herangetreten, uns die Gefängnisse zu zeigen oder uns Gespräche mit politischen Gefangenen zu ermöglichen.« Fil Dickerson beugte den Oberkörper weit vor, als bereite ihm der bloße Gedanke Bauchgrimmen. »Keinem Amerikaner in offizieller Funktion wurde je erlaubt, den Fuß auf die Felseninsel zu setzen!« »Na, dann ist es ja höchste Zeit. Wenn hier Wahlen abgehalten werden sollen, muß auch die wirkliche Opposition zum Zug kommen - keine gelenkte. Und wenn alle Gegner KaritKis hinter Gittern sitzen, dann werden wir eben die Gefängnistore aufsperren und sie herauslassen.« Dickersons Stimme zitterte, er war völlig durcheinander. »Sir, wir haben die Aufgabe, gute Beziehungen zu KaritKi und Tarot zu pflegen. Ich selbst finde seit zwei Jahren im Palast sehr viel Entgegenkommen. Wenn man nun den Premier mit einem« - er mußte schlucken - »Ultimatum, möchte ich sagen, vor den Kopf stößt, wird Tarot uns Schwierigkeiten machen, wo er kann, das steht fest.« Täte hakte prompt ein. »Sie geben mir ein Stichwort, Mr. Dickerson. Ich werde KaritKi nachdrücklich empfehlen, seinen Bruder als Botschafter in eine der neuen afrikanischen Republiken zu entsenden!«
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38 In dumpfes Brüten versunken saß Nguyen Van Kan in einem der VW-Busse, die in Mituyan als öffentliche Verkehrsmittel eingesetzt waren. Kans gesamte Organisation in Tiking war gesprengt, die wichtigsten Funktionäre hatte der Gegner planmäßig erledigt. Die Vernichtung von Major Dings Bataillon bei Ba To war ein weiterer schwerer Schlag für die nördliche Gruppe der Mituyanischen Freiheitsfront. Zwei Amerikaner waren die gefährlichen Feinde, die Kan diese Niederlagen bereitet hatten: Major Prescott - doch der war gefallen - und Mike Forrester, der noch lebte. Kan wurde nur von einem Gedanken beherrscht: Forrester mußte sterben. Da der Amerikaner sich nicht auf seiner Kautschukplantage und nach Meldungen verläßlicher Agenten auch nicht auf seiner Teepflanzung bei Port Raket aufhielt, konnte er nur in Tuyan sein, und dorthin fuhr Kan nun. Irgendwann und irgendwie würde er seinen Todfeind schon zu fassen kriegen. Er wußte genau, daß es für seine Mißerfolge im Norden keine Entschuldigung und keine Beschönigung gab. Kan selbst hätte in solchen Fällen mit seinen Unterführern keine Nachsicht gehabt und erwartete daher auch kein Verständnis von Mao Tsetungs persönlichem Emissär in Tuyan, General Quang, dem obersten Berater und Waffenlieferanten der MFF. Doch eines blieb Kan: Rache, tödliche Rache an Forrester. Während der Kleinbus dahinrollte und immer wieder auf der Strecke hielt, um Bauern, die Geflügel mit sich trugen, aufzunehmen oder abzusetzen, überlegte Kan, auf welche Weise er Mike Forrester ins Jenseits befördern könnte. Es mußte offenkundig werden, daß Forrester einem geplanten Anschlag zum Opfer gefallen war. Gezielter Terror war eine sehr wirksame psychologische Waffe im Kampf gegen die -491-
Zentralregierung und deren ausländische Berater. Die Agenten des MFF-Ringes in Tuyan würden dem überall bekannten Amerikaner rasch auf die Spur kommen. Nur langsam rumpelte das Fahrzeug über die schlechte Straße. Doch dies störte Kan nicht. Er wäre der Befragung durch die MFF-Führer gern ausgewichen, und da dies nicht möglich war, war er froh, daß die Begegnung durch die langsame Fahrt etwas hinausgezögert wurde. Dreißig Kilometer vor Tuyan war er in den Bus zugestiegen, der ihn ins Zentrum der Stadt bringen sollte. Dort, im Straßenlabyrinth des Chinesenviertels, erwarteten ihn die Führer der Freiheitsfront. Kan überließ sich weiterhin seinen düsteren Gedanken, bis der Wagen schließlich die Bismarck Avenue erreichte und ostwärts abschwenkte. Mit einem flauen Gefühl im Magen stieg der Nordvietnamese bei der Konfuzius-Pagode aus und schritt durch eine enge Gasse, in der es erbärmlich stank. Er folgte den Nummern auf den verwahrlosten Gebäuden und winzigen Läden bis zu jenem Haus, das er suchte, klopfte zuerst zweimal rasch hintereinander, dann noch einmal und öffnete die Tür. Vor sich sah er eine Treppe, er ging zwei Stockwerke hoch, stand wieder vor einer Tür und klopfte nochmals. Lautlos glitt der Türflügel zurück, ein junger Chinese verbeugte sich vor Kan und führte ihn durch einen kurzen Gang zu einer weiteren Tür, die er öffnete, indem er drei Knöpfe drehte. General Quang saß an der Schmalseite eines langen Tisches in einem modern eingerichteten Raum mit Klimaanlage. Wohltuende Kühle wehte Kan entgegen. Um den Tisch saßen noch fünf Männer, aber er kannte nur einen von ihnen, den Kommandeur der Guerillaeinheiten im Tuyandelta. Es war eine Konferenz der MFF-Führung, und Kan würde die Demütigung nicht erspart bleiben, über seine Niederlagen Bericht zu -492-
erstatten. Doch Quang schien in guter Laune. Lächelnd wies er auf einen leeren Stuhl. Kan setzte sich, hüllte sich aber in Schweigen. Er hatte den festen Entschluß gefaßt, erst dann das Wort zu ergreifen, wenn er dazu aufgefordert wurde. »Nun sind wir vollzählig, um die Lage in Mituyan zu erörtern und uns über die Fortschritte der Mituyanischen Freiheitsfront zu informieren«, sagte Quang angeregt. Nacheinander schilderten die obersten MFF-Führer aus den vier Korpsbereichen den Untergrundkampf in ihren Territorien, wobei sie besonders hervorhoben, durch welche Propagandaund Terrormethoden sie die Wahlen torpedierten. Kan berichtete als letzter. Er stand auf und erklärte in dürren Worten, unumwunden und ohne Ausflüchte, wie seine Organisation in Tiking zerschlagen worden war. Nur durch einen Zufall, durch eine rätselhafte Fügung des Schicksals war Kan bei dem Bombenanschlag dem Tod entgangen. Seine Ungeduld hatte ihn dazu getrieben, Frakit, den Besitzer des verhängnisvollen Koffers, zu suchen, weil er vermutete, der Mittelsmann habe sich zuerst bei Nowat gemeldet. Deshalb hatte Kan den ›Golden Dragon‹ verlassen und war zum Fotoladen gegangen. Wenige Sekunden, bevor die Gewalt der Explosion die ganze Innenstadt von Tiking erschütterte, hatte er die beiden Leichen und die unheimlichen schwarzen Karten mit dem weißen Auge gefunden. Eine hatte er bei sich und legte sie nun auf den Tisch. Sie wanderte von Hand zu Hand, alle MFF-Führer nickten einander grimmig zu. Sie kannten dieses Symbol des Gegenterrors bereits aus der Zeit ihres Untergrundkampfes in Vietnam. »Der amerikanische Pflanzer Mike Forrester ist der Anstifter«, stellte Kan sachlich fest. »Er ist nun in Tuyan, und ich werde dafür sorgen, daß er liquidiert wird.« Dann berichtete er über das Gefecht von Ba To, wo eine Hand voll Amerikaner ein Bataillon gutausgebildeter Guerillas unter Major Ding, einem von Kans besten Offizieren, aufgerieben -493-
hatte. »Wenn die Amerikaner nicht wären, hätten wir das ganze Bergland erobert«, sagte er. »Wenn die Amerikaner nicht wären, hätten wir in Mituyan schon längst die Macht ergriffen, und der Palast wäre der Sitz einer Volksregierung«, erwiderte Quang höhnisch. Im nächsten Moment war das Grinsen von seinem Gesicht verschwunden, er funkelte Kan drohend an. »Wir können es uns nicht leisten, bei einer mißglückten Aktion ein Bataillon unserer besten Guerillas zu verlieren. Wenn Major Ding das amerikanische Camp überrollt hätte, wären die hohen Blutopfer durch den Sieg gerechtfertigt.« Er schwieg, doch Kan war es, als lastete diese Stille auf ihm allein. Beschämt senkte er den Kopf. Ihm war plötzlich, als trüge er die Schuld für alle bisherigen Mißerfolge der Mitkoms. »Deshalb werden wir zu einer neuen Taktik übergehen«, sagte Quang, der sich am Thema erwärmte. »Wir müssen alles daransetzen, um die Moral der Amerikaner zu untergraben nicht nur draußen im Kampfgebiet, sondern auch in Tuyan.« Er hob nochmals die schwarze Karte mit dem weißen Auge auf. »Zum erstenmal seit dem Beginn der nationalen Befreiungskriege in Südostasien kämpft der Feind mit wirksameren Terrormethoden als wir. Das wird sich ändern.« Er faßte die MFF-Führer einen nach dem anderen scharf ins Auge. Dann fuhr er fort: »Vor einigen Tagen kam Oberst Fing von der Guerillaschule in Peking nach Tuyan. Er hat einen sechsmonatigen Einsatz in Hanoi hinter sich. Genosse Oberst, wollen Sie bitte aufstehen?« Ein drahtiger Chinese mit Narbengesicht, der bisher still und unauffällig in der Runde gesessen hatte, erhob sich und lächelte dünn in die Runde. »Oberst Fing und seinem Kader ist es gelungen, die sinnreichste und gefährlichste Waffe nach Tuyan zu schmuggeln, die uns bisher für Aktionen des gezielten Terrors zur Verfügung steht. Leider haben wir vorläufig nur ein -494-
Exemplar dieser komplizierten Apparatur, deshalb werden wir sie ausschließlich gegen Amerikaner hier in der Hauptstadt verwenden. Genosse Oberst, bitte führen Sie uns das Gerät vor.« Fing klatschte in die Hände, und aus einer Tür trat ein Kuli in sackartigem Pyjama und mit kegelförmigem Strohhut. Der Mann ging quer durch das Zimmer. Auf seinen Schultern ruhte das allgemein gebräuchliche Tragejoch, von dessen beiden Enden Körbe mit Gemüse niederhingen, die die Tragstange im Gleichgewicht hielten. »Ein Lastträger, wie man ihn in unseren Ländern alltäglich sieht. Einer von Millionen«, sagte der Oberst. Er bediente sich bei seinen Ausführungen des Chinesischen der Mandarinkaste, einer Sprache, die alle kommunistischen Spitzenfunktionäre in Mituyan beherrschten. »Dennoch sehen Sie hier die wirksamste Waffe, die unsere Elektronentechniker in Peking für den gezielten Terror entwickelt haben.« Er trat zu dem Kuli und fuhr mit dem Finger über die Tragstange. »Das ist eine Sendeantenne«, sagte er. Dann nahm er einige Kohlköpfe aus dem einen der Körbe und wies auf den kleinen schwarzen Metallkasten, der sichtbar wurde. »Das ist ein Sendegerät.« Er ging um den Mann herum und deutete auf den anderen Korb. »Darin ist die Stromquelle verborgen. Eine normale Sechs-Volt-Autobatterie.« Wieder klatschte er in die Hände. Daraufhin schob ein Chinese ein Fahrrad herein. Hinter ihm folgte ein zweiter in weißem Hemd, naturfarbenen Leinenhosen und Stoffschuhen mit Gummisohlen. Über der rechten Schulter trug er an einer Stange eine Kohlenpfanne, Töpfe und Küchengeräte. »Auch dies sieht man überall«, kommentierte Fing. »Aber die Rohre des Fahrradrahmens sind mit Plastiksprengstoff gefüllt.« Er trat zu dem Rad. »Diese Verbindungsstange zwischen Sattel und Lenker ist eine Empfangsantenne. Unter dem Sattel sind ein Transistorgerät und ein Zünder eingebaut, beides in -495-
kleinsten Abmessungen. Auf einen Impuls des Senders« - Fing deutete auf die Antenne und auf den Apparat im Korb des Kulis - »detoniert das Fahrrad. Die Kraft der Explosion ist von absolut tödlicher Wirkung für alle im Umkreis von fünfzehn Meter befindlichen Personen!« Fing legte dem anderen Mann die Hand auf die Schulter. »Diese tragbare Küche wird niemandem weiter auffallen, in fast jeder Straße gibt es Dutzende davon. Aber das Kohlenbecken und die Tasche sind beide mit Sprengstoff gefüllt, und in einem von beiden befindet sich ein Transistorempfänger. Die Tragstange dient natürlich als Empfangsantenne. Die Straßenküche ist besser einzusetzen als das Fahrrad. Aus zwei Gründen: In den Städten von Vietnam, wo wir seit Jahren Anschläge durchführen, erregen abgestellte Räder sofort Verdacht, außerdem wirkt das Metallbecken wie eine Sprenggranate, und die Splitterwirkung ist dementsprechend sehr groß.« Mit einem Wink entließ der Oberst die drei Männer und setzte sich wieder. Kan war den Erläuterungen mit großer Spannung gefolgt. Sein Entschluß stand fest: Er würde darum bitten, ihm die Sprengkörper für das Attentat auf Forrester zu übergeben. Doch dann erinnerte er sich an General Quangs Mitteilung, daß nur eine einzige Apparatur in Mituyan vorhanden sei. Bedeutete dies, daß nur ein Anschlag geplant war? Er stellte die Frage, und zu seiner Beruhigung antwortete der Oberst, es stehe wohl nur ein Sender zur Verfügung, aber er, Fing, habe mehr als ein Dutzend solcher mit Zündsätzen gekoppelter Transistorenempfänger ins Land geschmuggelt. Kan sprach seinen Wunsch aus. Quang überlegte kurz. »Sie können sich keinen neuerlichen, Mißerfolg leisten«, sagte er streng. »Andererseits glaube ich, daß die Geräte absolut sicher funktionieren. Ich werde Oberst Fing bitten. Sie genau zu instruieren. Sie werden der erste sein, der unsere neue Terrorwaffe verwendet. Haben Sie Ihr Ziel bereits festgestellt -496-
und seine Gewohnheiten studiert?« »Ich werde mit der Aufklärung Verbindung aufnehmen, um die günstigste Möglichkeit zu erkunden«, entgegnete Kan. »Gut. Einsatz sofort vorbereiten. Wenn es soweit ist, wird Oberst Fing mit Ihnen zusammenarbeiten.« Anfänglich war Kan bitter enttäuscht, - als er erfuhr, daß der Amerikaner Mike Forrester vor einigen Tagen Mituyan per Flugzeug verlassen hatte doch ein Agent meldete, daß Mrs. Forrester nun bei ihren Eltern in Tuyan wohnte. Allerdings hatte der Amerikaner Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um Anschläge zu verhindern. Das Haus des pensionierten britischen Majors, seines Schwiegervaters, wurde dauernd bewacht Kan lieh sich ein Rad und fuhr durch die Straße, die ihm die Kundschafter bezeichnet hatten. Als er am Haus der Hargraves vorbeikam, sah er mituyanische Geheimpolizisten, die davor auf und ab gingen. Sogar auf der anderen Straßenseite waren unauffällig Wächter postiert. Versuchsweise lehnte Kan sein Rad an die Mauer des Vorgartens und entfernte sich einige Schritte. Sofort stand einer der Männer in den weißen Sporthemden vor ihm und fragte, was er hier zu suchen habe. Mißtrauisch besah der Geheimpolizist das Rad von allen Seiten und tastete vorsichtig Rahmen, Sattel und Lenker ab, erst dann durfte Kan weiterfahren. Um die nächste Ecke war ein Fahrradständer, dort stellte Kan sein Rad ab, versperrte es und ging zu Fuß zum Haus zurück. Schräg gegenüber, aber nicht so nah, daß die Wächter auf ihn aufmerksam wurden, kauerte er sich vor eine Mauer und wartete geduldig. Er wußte, daß es viele Stunden dauern konnte, bis er sein Opfer zu Gesicht bekam. Je mehr er darüber nachdachte, desto wirksamer erschien ihm sein Racheplan. Wenn er zuerst Forresters Frau tötete, traf es seinen Feind viel schwerer, als wenn er zuerst diesen selbst ermordete. Außerdem wäre es ein empfindlicher Schlag für die -497-
Kampfmoral der Amerikaner. Familienväter, die um ihre Frauen und Kinder bangen müssen, sind in ihren Entscheidungen gehemmt. Es erwies sich also noch als glückliche Fügung, daß Forrester nicht in Tuyan war. Nun brauchte Kan nur das Verhalten seines neuen Opfers zu studieren. Seine Zähigkeit wurde belohnt, am Spätnachmittag sah er Luna Forrester. Zwei Männer traten aus dem Tor, spähten in beide Richtungen und gaben dann ein Zeichen, worauf die großen Torflügel geöffnet wurden. Eine kleine, schwarze Limousine rollte auf die Straße und fuhr direkt an Kan vorbei. Auf dem Rücksitz sah er eine Frau zwischen zwei Männern. Neben dem Fahrer saß eine ältere Mituyanerin. An der nächsten Kreuzung bog der Wagen zum Disraeli Boulevard ab. Kan blickte dem Fahrzeug nach. Ihm fiel ein, daß alle Straßen Einbahnen waren. Ein Auto, das beim Haus startete, mußte demnach immer dieselbe Richtung nehmen: etwa hundert Meter geradeaus und dann links zum Disraeli Boulevard. In der Kurve näherte sich der Wagen dem Gehsteig bis auf Armlänge. In diesem Moment befand sich das Opfer im Wagen in direkter Ziellinie. Aus alldem ergab sich, daß das Auto auch nur auf einem einzigen Weg zum Haus fahren konnte. Kan erhob sich und ging zur Bismarck Avenue, einer Einbahn in entgegengesetzter Richtung. Mit ziemlicher Sicherheit konnte man damit rechnen, daß der Wagen auf dieser Straße zurückkehren und dann nach links abbiegen würde. Auf diese Weise hatte Kan die Möglichkeit, an beiden Ecken seine Sprengkörper anzubringen, so daß der Anschlag auf jeden Fall gelingen würde, sei es bei der Abfahrt oder bei der Ankunft. Er hockte sich an der Ecke hin, wo er am nächsten Tag seine Straßenküche aufstellen würde, und wartete auf die Rückkehr des Wagens. Eine Stunde verging, dann noch eine, es war Abend geworden. Kan starrte angestrengt in die Dunkelheit. Selten fuhr ein Auto durch diese Straße, doch schließlich flitzte die kleine, schwarze -498-
Limousine um die Kurve, und eine Sekunde lang sah Kan durch das offene Fenster Luna Forresters Gesicht.
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39 Luna fand keine Ruhe, sie fühlte sich wie eine Gefangene. Obwohl Mike ihr eingeschärft hatte, das Haus ihrer Eltern nicht zu verlassen, war sie am Vorabend mit ihrer Mutter und den beiden Wächtern in die Innenstadt gefahren, um sich einen Film anzusehen. Dauernd patrouillierten Major Song mit zwei seiner Agenten durch das Haus und den Garten. Wenn Luna auf die Terrasse trat, tauchten sie lautlos neben ihr auf und hefteten sich wie Schatten an ihre Fersen. Immer wieder kam ihr die Ironie dieser Situation zum Bewußtsein. Hier stand sie unter dem persönlichen Schutz eines Spitzenfunktionärs von KaritKis Geheimpolizei, während ihr Mann auf den Sturz des Präsidenten hinarbeitete... Um so mehr beunruhigte sie die Tatsache, daß sie kein Ausreisevisum bekommen hatte. Der alte Hargraves saß wieder einmal bei der Flasche und hielt gerade genießerisch ein Glas mit Scotch in der Hand. Major Song machte die Runde, ausdauernd wie ein Wachhund umkreiste er das Gebäude. Luna ertrug die nervliche Anspannung nicht mehr. Wäre sie nur in Rishram oder auf der Teeplantage! Dort hätte sie sich beschäftigen und ablenken können. Sie schritt Song entgegen, der, nach beiden Seiten blickend, langsam herankam. »Ich möchte gern auf die Dachterrasse des Saint-George-Hotels. Ist das möglich?« Song zuckte die Schultern. »Mrs. Forrester, Sie wissen, was Ihr Mann und Colonel Lawton gesagt haben. Ich bedaure, daß es mir nicht gelungen ist, den Nordvietnamesen Kan in Tiking zu erledigen, das war ein unverzeihlicher Fehler, ich schäme mich. Aber solange er frei herumläuft, kann ich Sie nicht auf die Straße lassen. Wenn ich gestern abend hier gewesen wäre, hätte ich Ihnen nicht erlaubt, ins Kino zu gehen. Das war sehr -500-
unvorsichtig, Mrs. Forrester.« »Ich weiß, ich weiß«, sagte sie beschwichtigend, »aber dieses untätige Warten halte ich nicht mehr aus.« »Wir dürfen kein Risiko eingehen, Mrs. Forrester.« Song setzte sich wieder in Bewegung, die rechte Hand an der Pistole unter dem Buschhemd. Luna sah ihm nach, dann drehte sie sich um und trat ins Haus. Sie wollte nochmals Dhana anrufen. Wenn sich die Freundin bei KaritKi für sie verwendete, würde sie vielleicht doch das Visum erhalten und könnte am nächsten Nachmittag mit der Kursmaschine nach Hongkong fliegen. Die Telefonzentrale des Palastes verband sie mit Dhanas Sekretärin, die sich auf Lunas inständige Bitten schließlich gnädig dazu herbeiließ, das Gespräch in Dhanas Privaträume umzulegen. Zehn Minuten lang schilderte Luna der jungen Frau des Präsidenten, wie deprimiert sie sei, weil sie ihren Mann nicht nach Hongkong habe begleiten dürfen, und daß sie nun praktisch unter Hausarrest stehe. Dhana versprach, KaritKi zu bitten, das Visum zu erteilen, doch Luna war nicht ganz sicher, ob dies ehrliche Bereitschaft war oder bloß der Wunsch, sie durch einige Floskeln loszuwerden. Den ganzen Abend saß sie neben dem Telefon, aber es kam kein Anruf. In dieser Nacht fand sie wenig Schlaf. Als es hell wurde, stand sie auf und ging ruhelos in ihrem Zimmer auf und ab. Erst am Vormittag meldete sich Dhana wieder. Tarot sei sehr mißtrauisch, weil Luna um jeden Preis das Land verlassen wolle, erklärte sie. Er glaube nicht, daß sie nur Sehnsucht nach ihrem Mann habe. »Und was sagt der Präsident?« fragte Luna. »Er überläßt die Entscheidung Tarot«, erwiderte Dhana. »Ich habe getan, was ich konnte. Seit du und Mike für die Freundin dieses schrecklichen amerikanischen Journalisten interveniert habt, halten euch KaritKi und Tarot für politisch unzuverlässig.« -501-
»Aber ich möchte doch nur bei Mike sein!« rief Luna flehentlich. »Ich habe das Gefühl, daß er mich dringend braucht. Könnt ihr das nicht verstehen?« »Tarot wird mich verständigen, ich rufe dich an, sobald ich etwas weiß.« Die Stunden dehnten sich, langsam, unendlich langsam rückte der Zeiger der Uhr vor, es wurde Nachmittag. Um drei Uhr klingelte das Telefon. »Tarot will, daß du in den Palast kommst«, sagte Dhana. »Er möchte mit dir sprechen. Aber ich fürchte, er wird dir das Ausreisevisum nicht geben. Ich glaube, es ist besser, wenn du sagst, daß du nicht kommen kannst. Ich traue meinem Schwager nicht. Er wird mit jedem Tag tückischer und argwöhnischer. Wenn du meinen Rat hören willst: Fahre nach Tiking und erwarte Mike dort.« Luna wußte nur allzu gut, daß Dhana recht hatte. Es war gefährlich, Tarots Einladung zu folgen. »Ich danke dir für alles, Dhana.« Etwa zwanzig Minuten später schrillte das Telefon nochmals. Am anderen Ende meldete sich Tarots Sekretärin, sie bat Luna, in den Palast zu kommen und persönlich mit dem Kanzler über die Erteilung des Visums zu sprechen. Eingedenk Dhanas Warnung antwortete Luna ausweichend. Sie habe keinen Wagen zur Verfügung und fühle sich nicht wohl. Es konnte sein, daß ihr Tarot eine Falle stellte. Sie hörte, wie die Sekretärin aufstand, dann war es still in der Leitung. Einige Minuten verstrichen, bis ihr die sanfte Stimme mitteilte, der Kanzler werde Mrs. Forrester eine Limousine samt Eskorte schicken. Die Sekretärin deutete an, daß das Visum vielleicht ausgestellt würde, wenn Luna dem Kanzler einleuchtende Gründe darzulegen vermöchte. Wider besseres Wissen und gegen eine instinktive Regung sagte Luna zu. Sie zog ihr schlichtestes Kleid an. Nun war sie ganz die junge -502-
Ehefrau, die von ihrem geliebten Mann getrennt war, sie hatte keine Ahnung von Politik und geschäftlichen Dingen und wollte nur eines: nach Hongkong fliegen, um in die Arme ihres Gatten zu eilen. Während sie auf den Wagen wartete, studierte sie die Flugpläne. Falls ihr Tarot wirklich das Visum erteilte, konnte sie noch immer das Nachtflugzeug der Air Cathay erreichen, das vor Tagesanbruch in Hongkong landete. Ganz zuletzt packte sie die wichtigsten Dinge in einen Koffer, den Flugplan schob sie in ihre Handtasche. Dann rief sie Major Song. Als er hörte, daß Tarot persönlich Luna zu sich bestellt hatte und einen Wagen mit Eskorte schickte, erhob er keinen Einwand mehr. »Einer der Diener soll diesen Koffer im Auto verstauen. Wenn ich das Visum bekomme, fahre ich direkt zum Flughafen.« Auf der Straße näherte sich das Motorgeräusch einer schweren Limousine. Luna ging dem Offizier der Palastwache entgegen, der in Galauniform den Garten betrat. »Im Regierungsfahrzeug sind Sie sicher«, sagte Song. »Aber nehmen Sie für die Rückfahrt auf keinen Fall ein Taxi!« Luna dankte ihm. Der Offizier salutierte und geleitete sie durch das Tor zu dem funkelnden schwarzen Rolls-Royce Morgen bin ich vielleicht schon in Hongkong, dachte sie glücklich. Beim ersten Tageslicht stellten die Straßenhändler von Tuyan an allen wichtigen Punkten der Stadt ihre tragbaren Küchen auf, wo man ganz billig warme Suppe und Reis bekommen konnte. Schon viel früher hatte Nguyen Van Kan mit Pings Hilfe die beiden Sprengkörper gelegt. Nun mußten sie nur noch auf das Opfer warten. Das Joch trug Kan selbst. Ping hatte ihm den kleinen Knopf gezeigt, durch den die Bombe gezündet wurde. Die transistorisierten Zündsätze waren gesichert. Sobald sich das Opfer der Ecke am Disraeli Boulevard näherte, würde der -503-
Suppenverkäufer auf ein Signal Kans entsichern und ebenso rasch wie unauffällig verschwinden, damit der Nordvietnamese auf den Knopf drücken konnte. Den ganzen Vormittag trieb Kan sich in einiger Entfernung vom Haus umher und behielt es ständig im Auge. Zu Mittag wurde plötzlich das Tor geöffnet, und der schwarze Wagen schoß wie katapultiert aus der Garage auf die Straße heraus. Rasch gab Kan das Zeichen und tastete mit dem Daumen vorsichtig nach dem Knopf. Die Garküche mit ihrer tödlichen Ladung befand sich direkt an der Ecke, schon durch eine leichte Erschütterung würde sie auf die Fahrbahn kippen. Als die Limousine vorbeirollte, sah Kan, daß das Opfer nicht darin saß. Erst zehn Minuten später wagte sich sein Helfer wieder zu dem wackeligen Herd und sicherte den Zünder. Das Opfer verließ das Haus nicht, weder im Verlauf des Tages noch am Abend. Um Mitternacht schleppte Kan mit zwei Mann von Pings Terroristenkader die Geräte wieder in Quangs Schlupfwinkel im Chinesenviertel. Sie konnten sich nur wenige Stunden Schlaf gönnen, denn in der Morgendämmerung mußten sie wieder auf dem Posten sein. Müde und unausgeschlafen lud der Nordvietnamese wieder den Sender und die Batterie auf die Schulter, es schien, als wäre die Last viel schwerer geworden. Abermals stellten sie ihre Geräte an den Straßenecken auf und warteten. Kan bemerkte, daß im Haus eine sonderbare Unruhe herrschte. Ein Mituyaner, der Kan irgendwie bekannt vorkam, trat mehrmals vor das Tor und blickte nach beiden Seiten. Am späteren Nachmittag schließlich fuhr ein schwarzer Rolls-Royce vor. Ein Offizier in weißer Uniform mit Leibschärpe, Orden, Säbel und dunkelroter Tellermütze stieg aus und verschwand durchs Tor. Nach wenigen Minuten kam er in Begleitung einer jungen Frau zurück. Kan klopfte das Herz bis zum Hals hinauf - das Opfer! Der Offizier öffnete den Schlag, half der jungen Frau beim Einsteigen, ging dann um den Wagen herum und setzte sich -504-
neben sie in den Fond. Ohne es zu wissen, deckt dieser Mann Luna Forrester mit seinem Leib, dachte Kan. Aber die Sprengkraft reicht aus, um die Limousine in kleine Teile zu zerreißen. Er gab dem Mann an der Ecke zum Disraeli Boulevard ein Zeichen. Innerlich vor Erregung zitternd, beobachtete er, wie sich Luna zurücklehnte und der Lenker zum Starter griff. Kans Helfer war nicht mehr zu sehen. Der Nordvietnamese ließ die Hand zum Auslöseknopf gleiten, als der Rolls-Royce anrollte und die Richtung zum Disraeli Boulevard nahm. Nun näherte sich das Gefährt der Ecke. Mit angehaltenem Atem sah Kan, wie die Vorderräder langsam nach links einschlugen - und dann, genau in dem Augenblick, als der Wagen in die Kurve ging, drückte er auf den Auslöseknopf. Dröhnend zerriß die Detonation die Stille des Nachmittags. Metalltrümmer prasselten aufs Pflaster, schrill gellten die Schreie der Verletzten in das Chaos aus Lärm, Qualm und Verwirrung. Kan rannte auf die Explosionsstelle zu, wäre er in eine andere Richtung gelaufen, hätte dies wie Flucht ausgesehen, und sofort wären ihm die Verfolger auf den Fersen gewesen. Selbst den hartgesottenen nordvietnamesischen Terroristen packte das Grauen angesichts der fürchterlichen Verwüstung. Die Seitenwand der Limousine war aufgerissen und wie von einer Riesenfaust zerknüllt. Kan starrte auf die Frau nieder, die verkrümmt und regungslos auf der von Glassplittern und Blechfetzen übersäten Fahrbahn lag, so wie sie von der Gewalt der Explosion hingeschleudert worden war. Unter dem Körper im fraisfarbenen Kleid breitete sich eine Blutlache aus, die unversehrte rechte Hand hielt noch immer eine Handtasche umklammert. Kan zählte im nächsten Umkreis mindestens zehn Tote, aber der entsetzlichste Anblick waren die Verwundeten und gräßlich Verstümmelten, die sich schreiend und stöhnend auf dem Boden wälzten und versuchten, sich aufzurichten. Der Schweiß brach -505-
Kan aus, er schob den Strohhut aus der Stirn, wandte sich um und hetzte die Straße hinunter - wie ein harmloser Kuli, der eben Zeuge eines schrecklichen Blutbades wurde und in seinem Schock einfach davonläuft. In diesem Augenblick sah er die drei Männer, die aus dem Haus des Opfers stürzten und auf ihn zurannten. Kan hatte keine Angst. Er sah aus wie einer der vielen Bauern, die auf dem Markt Gemüse einkauften und es nach Hause trugen. Die Geheimpolizisten beachteten ihn nicht, sie rannten an ihm vorbei zur Explosionsstelle. Auf seinen flachen Sandalen schlurfte Kan mit wiegendem Körper rasch weiter. Immer wieder fuhr er sich über die Augen, um den Eindruck zu erwecken, daß er nicht fassen könne, was geschehen war. Plötzlich stockte ihm der Herzschlag. Er spürte den eisernen Griff um den linken Arm, dann wurde auch sein rechter Arm gepackt und nach hinten gedreht. Ein Hieb ins Genick warf den Nordvietnamesen auf die Knie nieder. »Oberst Kan«, sagte eine Stimme, »das ist das Ende, Sie werden um den Tod betteln und winseln!« Er blickte auf, neben ihm stand der Mann, den er am Vortag beim Tor gesehen hatte. Schwankend rappelte sich Kan hoch. Er sei nur ein armer Bauer, beteuerte er, ein friedlicher Mensch, den der Schreck kopflos gemacht habe. Hart traf ihn ein Schlag ins Gesicht, das Blut schoß ihm aus der Nase. »Schau mich genau an, Kan. Erkennst du mich nicht?« schrie Song. »Ich bin der Guerilla, der dir den Koffer in den ›Golden Dragon‹ brachte!« Kan glotzte den Fremden an und erinnerte sich - und wußte, daß in diesem Augenblick die Todesqualen eines fürchterlichen Sterbens begannen.
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40 »Während Ihrer Abwesenheit kam für Sie ein dringendes Ferngespräch aus Tuyan, Sir.« Der Empfangschef reichte Mike, der nach einer langen Besprechung mit Barkun spätabends ins Hotel zurückkehrte, einen schmalen gelben Papierstreifen. »Die Fernleitung Hongkong-Tuyan wird um 21 Uhr abgeschaltet. Sie werden morgen früh wieder angerufen, Sir.« Mike warf einen Blick auf das Blatt. Darauf stand nur, daß Major Cecil Hargraves versuchen werde, Mr. Forrester um sieben Uhr zu erreichen. Nichts sonst - keine Erklärung, keine Mitteilung. Mike fühlte den jähen Schreck wie einen Schlag. Warum hatte sein Schwiegervater angerufen? In seinem Zimmer öffnete er die Seitentür des Schreibtisches und nahm eine Flasche »Chivas Regal« heraus. Stehend füllte er das Glas und trank es auf einen Zug leer. Wäre es möglich, daß Luna schließlich doch das Ausreisevisum erhalten hatte? Nein, dann hätte sie telegrafiert. Warum dann plötzlich dieses dringende Ferngespräch? Die bohrende, quälende Ungewißheit nahm er in seinen unruhigen Schlaf mit. Es war noch dunkel, als er erwachte. Er stand auf, ließ das laue Wasser der Dusche über den Körper rinnen, rasierte sich sehr sorgfältig, und als der Himmel sich färbte, warf er den Bademantel über, trat zum breiten Fenster und erlebte versonnen die Geburt eines neuen Tages über Hongkong. Lange blieb er so stehen. Schließlich sah er auf die Uhr. Es war 6.30 Uhr, eine halbe Stunde bevor die Fernleitung wieder eingeschaltet wurde. Plötzlich klingelte das Telefon. Schon hatte er den Hörer abgehoben. »Hallo?« »Mike, ich bin es, Roger, kann ich dich sprechen?« -507-
»Jetzt? So früh schon?« »Es ist sehr wichtig, Mike. Ich bin mit Alana hier in der Halle. Sollen wir hinaufkommen?« »Nein, laßt mir ein paar Minuten Zeit. Ich komme gleich hinunter.« Hastig kleidete Mike sich an und ging zum Lift. Roger und Alana blickten ihm mit ernsten Gesichtern entgegen, als er ausstieg. »Einen Augenblick!« rief er ihnen zu. »Ich erwarte um sieben Uhr ein Ferngespräch aus Tuyan. Ich sage nur dem Mann in der Rezeption, daß wir frühstücken.« Als er zurückkam, deutete Krakhaur auf das Sofa in einer Ecke der Halle. »Setzen wir uns, ich muß mit dir reden, Mike.« Sie nahmen Platz, Mike neigte sich gespannt vor. »Nun, was führt euch um ein Viertel vor sieben Uhr zu mir?« »Mike, der Nachtredakteur unserer Agentur hat mich angerufen«, begann Krakhaur. »Gestern um elf Uhr wurde eine Meldung aus Tuyan durchgegeben.« Er zögerte. »Ich glaube, es ist besser, wenn wir es dir sagen. Die Nachricht ist noch nicht bestätigt, aber...« »Was ist los?« stieß Mike heiser hervor, die Hände ineinander verkrampft, um nicht zu zeigen, daß sie zitterten. Er hatte plötzlich Angst, ganz entsetzliche Angst vor dem, was nun kommen mußte. »Die Meldung besagt, daß Terroristen an der Ecke Disraeli Boulevard-Pangit Road einen Bombenanschlag verübten.« Verschwommen wie durch angeregnetes Glas sah Mike die knapp 200 Meter von Hargraves' Haus entfernte Straßenecke vor sich. »Es gab neun Tote und fünfzehn Verwundete... In dem Bericht steht auch, daß die Frau eines Amerikaners den Tod fand - Mrs. Luna Forrester, Sie fuhr in einem Auto vorbei, als der Sprengkörper explodierte.« Er hatte es gewußt, seit gestern abend. Aber er hatte es nicht -508-
glauben wollen, hatte sich in die trügerische, schwache Hoffnung geflüchtet, daß es nicht wahr sein könne. »Ich habe ihr das Versprechen abgenommen, daß sie das Haus nicht verlassen würde, bis ich wiederkäme.« Das war alles, was er hervorbrachte. Er saß da und starrte ins Leere, langsam senkte sich die schwere Last des Unabänderlichen auf ihn herab. Der Anruf seines Schwiegervaters. Bald würde er hören, was geschehen war. Alana ergriff tröstend seine Hand. »Mike, mir ist, als hätte ich eine Schwester verloren, ich kann es noch gar nicht fassen. Wenn wir dir helfen können, Mike - wir sind für dich da.« »Ich werde noch heute zurückfliegen müssen«, sagte er mit tonloser Stimme. Krakhaur zog eine Karte aus der Tasche. »Ich habe den Flugplan. Die günstigste Verbindung ist die BOAC-Maschine um 11.30 Uhr.« »Die nehme ich.« »Wenn ich irgend etwas für dich tun kann, Mike, dann sage es mir bitte.« Tränen rannen über Alanas Wangen. »Sie war so gut zu mir. Sie hat mir das Leben gerettet.« Mike erhob sich und schritt zum Lift, fuhr ins sechste Stockwerk, durchquerte die Vorhalle und öffnete die Tür, alles wie in Trance. Schwer ließ er sich auf das Bett fallen. Auf dem Nachttisch stand das Telefon. Mechanisch rief er die Rezeption an und teilte dem Empfangschef mit, daß er nun auf seinem Zimmer erreichbar sei. Dann wählte er Jack Cardinez' Nummer, die er aus Sicherheitsgründen nicht aufgeschrieben, sondern im Kopf behalten hatte. »Jack, können Sie rasch in mein Hotel kommen? Ich muß fort. Etwas Schreckliches ist geschehen.« »Was?« fragte Cardinez. »Was ist geschehen?« »Luna ist tot.« -509-
Keine Antwort. Nur die Stille stummen Entsetzens. Dann die leise Frage: »Wann, Mike?« »Gestern, wahrscheinlich gegen Abend. Das Star-Syndikat hat die Meldung.« »Ich hole Fritz. Wir kommen sofort, Mike. Warten Sie auf uns. Mein Gott, Mike, alles, was man in einem solchen Fall sagen kann, klingt so... Warum gerade sie?« Er zögerte, wußte auch keinen anderen Ausweg als die Flucht in die Sachlichkeit. »Ich fahre gleich los, Mike.« Nie mehr Luna wiederzusehen, nie mehr mit ihr auf der Terrasse zu stehen und die langen Reihen der Kautschukkulturen zu überblicken. Nie mehr mit ihr die kleinen Sanitätsstationen zu besuchen, die er auf ihren Rat in den Ansiedlungen der Arbeiter errichtet hatte. Nie mehr sie zu belauschen, wenn sie sich allein wähnte, vor den Spiegel hintrat und voll Stolz zu ihrem Spiegelbild sagte: »Mrs. Michael Benning Forrester junior, das bin ich.« Sie war dreißig Jahre alt gewesen. Siedend heiß stieg es ihm in die Augen, aber er verbiß die Tränen. Mit einem Ruck raffte er sich auf. Nur nicht nachdenken! Rasch packte er seine Koffer und verschloß sie. Es war nun sieben Uhr vorbei, die Fernleitungen funktionierten wieder. Er wartete. Nichts. Schließlich trat er zum Fenster, starrte auf Hongkong hinunter. Er zuckte zusammen, als das Telefon schrillte. Mit einem Satz war er beim Apparat und hob ab. Undeutlich hörte er Hargraves' Stimme. »Mike, bist du es?« »Ich weiß alles, Vater«, rief Mike in das Rauschen und Knistern in der Leitung. »Ich komme heute nachmittag zurück! Wie ist es geschehen?« Die Verbindung mit Tuyan war schlecht, er mußte angestrengt horchen, um halbwegs zu verstehen, was der Major sagte. Dann wiederholte Mike den Termin seiner Ankunft auf dem -510-
Flughafen und legte auf. Abermals klingelte das Telefon. Cardinez meldete sich und sagte, er sei mit Lawton in der Halle. Mike nahm seine Koffer und fuhr nach unten. Cardinez und Lawton drückten ihm stumm die Hand. »Wissen Sie nun, was sich ereignet hat?« fragte Cardinez. »Ja, obwohl ich nicht alles gehört habe. Mein Schwiegervater sagt, es war ein geplanter Anschlag gegen Luna. Einer der Terroristen wurde gefaßt. Mehr weiß ich nicht.« »Mike, ich begreife das Ganze nicht - wie konnte das geschehen? Wir hatten die strengsten Sicherungsmaßnahmen getroffen«, sagte Lawton erschüttert. »Gegen diesen Terror kann man sich nicht schützen, Fritz«, erwiderte Mike müde. »Ich weiß es, Luna hat es gewußt. Wir waren Kameraden in diesem Kampf. Wir wußten beide, daß es auf Leben und Tod ging... Laßt mir noch einige Tage Zeit.« Sein Gesicht wurde hart. »Dann bin ich wieder einsatzbereit. Jetzt erst recht!«
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41 Luna wurde in aller Stille nach anglikanischem Ritus bestattet. Fünf Tage später verließ Mike die Teeplantage bei Port Raket, auf die er sich zurückgezogen hatte, um über seine Zukunft nachzudenken. Als er seine Wohnung in Tuyan betrat, fand er einen Brief im offiziellen Umschlag der amerikanischen Botschaft vor. Es war ein kurzes, sehr persönliches Schreiben von Sheldon J. Täte. Der Botschafter drückte ihm in herzlich gehaltenen Worten sein Mitgefühl aus und kondolierte im Namen von Staatssekretär Hartland. Er bat Mike, sich so rasch als möglich mit ihm in der Botschaft oder in seinem Haus in Verbindung zu setzen. Es war 21 Uhr, aber Mike rief dennoch an. Zu seiner Überraschung schaltete der Sekretär das Gespräch sofort in Tates Wohnung weiter. Täte lud Mike für den nächsten Tag zum Lunch ein. Mike sagte zu. Unter der übrigen Post, die er rasch überflog, waren auch einige Beileidsschreiben aus dem Palast und ein sehr langer, in gewandendem Stil abgefaßter und von Beteuerungen und Selbstanklagen strotzender Brief von Song. Der Major stellte Mike anheim, ihn im Kommando der Sonderpolizei zu besuchen, wo der Mörder von Mrs. Forrester eingekerkert sei. »Okay«, murmelte Mike grimmig, das Blatt mit den Fingernägeln zu scharfen Kanten faltend, »Ich möchte ihn sehen, bevor er krepiert.« Um zehn Uhr vormittags war er in der streng bewachten Zentrale der Sonderpolizei, dem Machtbereich von Tarot und Madame Mayna. Mike hoffte, weder dem Bruder noch der Schwägerin des Präsidenten zu begegnen. Niemand wußte genau, welche Gründe Tarot bewegen hatten, Lima ein Regierungsfahrzeug zu schicken. Tarot selbst behauptete, er sei -512-
bereit gewesen, ihr ein Ausreisevisum zu erteilen, doch habe er es für nötig erachtet, einige fragliche Punkte mit ihr zu klären. Mike aber vermutete, daß der alte Schurke Luna nur in die Klauen bekommen wollte, um sie als Geisel gegen ihren Mann zu verwenden, dessen Verhalten bei der allmächtigen Grauen Eminenz schweren Argwohn erregt hatte. Mike wurde in einen Vorraum geführt, der Posten bedeutete ihm, dort zu warten. Bald trat Song ein. Völlig zerknirscht wollte er wieder Entschuldigungen vorbringen und Mike versichern, in bester Absicht gehandelt zu haben. »Sie konnten es nicht verhindern«, sagte Mike. »Niemand hätte geglaubt, daß Luna in einem Wagen der Regierung nicht sicher war.« »Dagegen war ich machtlos. Ich konnte nicht gegen einen ausdrücklichen Befehl von Kanzler Tarot Einspruch erheben.« Song bot Mike Platz an, dann beschrieb er genau, wie die MFFTerroristen den Anschlag mit einer neuen, heimtückischen Apparatur durchgeführt hatten. Mike zwang sich, mit sachlichem Interesse zuzuhören, als schildere der Major nicht Lunas tragischen Tod, sondern das gewaltsame Sterben eines völlig fremden Menschen. »Ich kann Ihnen dieses Scheusal zeigen, wenn Sie wollen«, sagte Song, »es ist Ihr alter Todfeind.« »Ja, ich möchte Nguyen Van Kan sehen.« »Er wird sehr bald auspacken. Heute oder spätestens morgen ist es soweit.« Der Major stand auf und läutete einem Aufseher. Dieser führte sie durch einen Korridor und über eine Steintreppe hinab. Schließlich, etwa zwei Stockwerke tief unter der Erde, kamen sie zu einer Gittertür. Der uniformierte Wächter öffnete, als er Song sah. Mike mußte seinen Namen in das Protokollbuch eintragen. Eine zweite Eisentür wurde geöffnet. Sie betraten einen erleuchteten, hochgewölbten, tunnelartigen Gang mit langen Reihen von Türen zu beiden Seiten. -513-
Im Vorbeigehen blickte Mike rasch durch die vergitterten Gucklöcher. Die meisten Zellen waren überfüllt, er sah zahlreiche kahlgeschorene Mönche in gelben und braunen Gewändern und auffallend viele Halbwüchsige. »Sie wissen vielleicht noch nicht, daß seit einer Woche immer wieder Unruhen ausbrechen, Mr. Forrester«, erklärte Song. »Die Buddhisten unter der Führung dieses verdammten Bonzen aus Tiking ziehen Tag und Nacht durch die Straßen. Agitatoren hetzen die Massen gegen die Regierung auf, es kommt zu Ausschreitungen, die Demonstranten plündern Läden, greifen Beamte an und werfen mit Steinen, Flaschen, ja sogar mit Molotow-Cocktails auf Autos. Zwei Polizisten wurden bereits getötet. Aber wenn wir in Notwehr zurückschießen oder mit Knüppeln zuschlagen, werden wir angeprangert, weil wir angeblich eine religiöse Gruppe verfolgen und grausam unterdrücken. Ich bin selbst Dikut-Buddhist und schäme mich unserer Mönche, die sich einem Demagogen wie Phang anschließen, der keiner Sekte angehört. Im Vertrauen, wir rechnen jeden Tag damit, daß die Geheimpolizei den Befehl erhält, ihn zu verhaften. Er richtet mehr Schaden an als die Mitkom-Terroristen!« »Aber was geschieht mit diesen Kindern?« fragte Mike. »Sie werden nach strenger Verwarnung in die Obhut ihrer Eltern entlassen. Wenn wir einen dieser jungen Kerle nochmals erwischen, wird sein Vater eingesperrt, das wissen diese Burschen. Es ist eine Schande, daß ein einziger kahlköpfiger Schurke das ganze Land in Aufruhr bringt! Ich schwöre Ihnen, Mr. Forrester, wenn wir ihn in die Finger bekommen, wird er noch vor seinem Tod alle buddhistischen Mönche in Mituyan inständigst anflehen, Premier KaritKi sofort und bedingungslos Gefolgschaft zu leisten!« Wie zur Bekräftigung von Songs Worten drangen aus einem Raum hinter einer schweren Holztür markerschütternde Schreie. Der Major blickte Mike zweifelnd an. »Unser größtes Problem -514-
in der Zusammenarbeit mit den Amerikanern ist deren mangelndes Verständnis für die Tatsache, daß in einem Land wie Mituyan, das eben eine andere Entwicklung und ein anderes gesellschaftliches Gefüge hat als die Länder des Westens, unsere Methoden wirksam sind, die Methoden westlicher Staaten jedoch versagen. Mit den Briten gab es niemals Konflikte deswegen, sie haben mehr Erfahrung mit fremden Völkern und wissen sich den andersgearteten Gegebenheiten anzupassen.« »Keine Sorge, Major«, entgegnete Mike auf mituyanisch, »ich sehe die Dinge hier schon seit einigen Jahren mit den Augen der Mituyaner.« »Ja, das vergesse ich immer wieder«, sagte Song auf englisch. Angehörige der mituyanischen Oberschicht vermieden es stets, mit Ausländern in ihrer Muttersprache zu sprechen. Am Ende des langen Korridors standen sie wieder vor einer schweren Eisentür. Der Wärter schloß auf, Mike und der Major betraten einen großen weißen Raum. Neonröhren verbreiteten eine fast unerträgliche Helligkeit, unwillkürlich schlossen die beiden einige Sekunden lang die Augen, um sich an das grelle Licht zu gewöhnen. Eine Klimaanlage regelte die Temperatur, die Luft war angenehm kühl und rein, im Gegensatz zu der stickigen, verpesteten Atmosphäre im Korridor. Mike hatte von den raffinierten Foltermethoden der Geheimpolizei gehört. Er wußte, daß er in einer modernen Folterkammer stand, in der völlig nüchtern und mit wissenschaftlicher Präzision gearbeitet wurde. Der Raum sah eher aus wie das mit allen technischen Hilfsmitteln ausgestattete Ordinationszimmer eines Zahnarztes, an den Wänden reihten sich Stühle und Tische mit steigbügelartigen Fußstützen und Armklammern. »Ich habe noch keinen so hartnäckigen Fall erlebt wie diesen Nordvietnamesen«, bemerkte Song. »Er hat Martern ertragen, die bis jetzt noch jeden zum Sprechen brachten. Dr. Malakit hatte große Mühe, zu verhindern, daß Kan halb wahnsinnig wurde, weil dann seine Angaben für uns wertlos wären. Er muß -515-
bei klarem Verstand bleiben, bis er alles gesagt hat.« Eine Tür öffnete sich, und ein gelehrtenhaft wirkender Mituyaner mittleren Alters mit dick geschliffenen Gläsern schlurfte herein. Der weiße Mantel hüllte ihn vom Hals bis fast zu den Zehen ein. Song machte Mike mit Dr. Malakit bekannt. Der Arzt nickte. »War es Ihre Frau, die der Nordvietnamese tötete?« fragte er. Mike bejahte. »Ich erwarte noch heute das lückenlose Geständnis«, erklärte Dr. Kalakit zuversichtlich. »Die Namen seiner Komplicen, ihre Schlupfwinkel, eben alles, was wir wissen wollen.« »Noch immer in Nummer eins«, erwiderte der Arzt gleichmütig. »Gehen Sie nur hinein. Es wird ein Schock für ihn sein, wenn er merkt, daß der Mann seines brutal ermordeten Opfers gekommen ist, um zu sehen, wie wir mit kommunistischen Schlächtern verfahren.« Song ging auf den Raum Nummer eins zu. »Major, die Brillen!« rief ihm Dr. Kalakit nach. Song nahm zwei dunkle Brillen von einem Bord, eine gab er Mike. Beide setzten die fast schwarzen Gläser auf, dann klopfte der Major an die Tür. Ein Mann in Unterhemd und Shorts öffnete, auch er trug eine Brille. Der Raum war ein Inferno blendenden Lichtes. Überall strahlten eingebaute Bogenlampen weißglühende Helligkeit und Hitze aus: vom Boden, von der Decke und von den vier Wänden. Nirgends gab es auch nur die Spur eines Schattens. Mit eingeknickten Beinen hing Kan an den Handgelenken angekettet. Die Lider waren ihm an die Augenbrauen genäht worden, er warf den Kopf hin und her, um dem grellen Licht der Lampen auszuweichen. »Er verweigert die Nahrungsaufnahme, deshalb ernähren wir ihn künstlich durch intravenöse Injektionen. Vor vier Tagen hatten wir ihn fast so weit, daß er gestand, aber auf Dr. Kalakits -516-
Rat ließen wir ihn zwischendurch ein paar Stunden schlafen, damit er nicht irrsinnig wird. Seit drei Tagen ist er hier. Heute versucht es der Arzt mit dem elektrischen Draht, der in die Harnröhre eingeführt wird. Wie mir Dr. Malakit versichert, ist dies der fürchterlichste Schmerz, der sich für den menschlichen Körper denken läßt.« Auf mituyanisch sagte Song: »Kan, da steht der Mann, dessen Frau du umgebracht hast!« Der Nordvietnamese wandte die feuerrot entzündeten Augäpfel in die Richtung der Stimme. Sein Gesicht war eine Maske aus straff über die Knochen gespanntem Pergament. Er murmelte etwas auf vietnamesisch und stieß, sich krampfhaft aufrichtend, den Kopf nach vorn, um auszuspucken. Doch über die trockenen, aufgesprungenen Lippen kam nur ein pfeifendes Zischen. In mituyanischem Dialekt keuchte er heiser: »Ich ficke dein Weib in den Arsch und scheiße ihr ins Maul!« Song trat dicht vor ihn hin. Ein wohlgezielter Handkantenhieb auf den Hals knapp unter dem Kehlkopf, und Kan bäumte sich in den Fesseln auf. Sein halbersticktes stoßweises Röcheln klang wie das Brechen dürrer Äste. Zuckend, mit haltlos hin- und herpendelndem Schädel, sackte er wieder zusammen. Schweigend verließ Mike den Raum. Draußen nahm er die Schutzbrille ab und wandte sich zu Malakit. »Ich fürchte, Kan wird sich eher unter den entsetzlichsten Qualen zu Tode martern lassen, als daß er etwas verrät.« Der Arzt schüttelte den Kopf. »O doch. Es gibt einen Punkt, an dem die Erschöpfung des menschlichen Organismus die Schwelle des Todes erreicht. Und in diesem Zustand sagen die Häftlinge all das, was sie um jeden Preis verschweigen wollten. Und Kan wird diesen Punkt sicherlich heute erreichen, davon bin ich überzeugt.« »Viel Glück, Doktor«, seufzte Mike. Major Song trat heran. »Ich begleite Sie zum Ausgang.« -517-
Im Vorraum standen etwa dreißig verängstigt um sich blickende Männer und Frauen vor dem Schreibtisch des Beamten Schlange. »Das sind Eltern, die ihre Söhne abholen. Der Vater muß eine Erklärung unterschreiben. Wir wissen, daß Phang weitere Demonstrationen plant, und rechnen damit, daß es heute nachmittag zu neuerlichen Zusammenstößen kommt.« Das waren Songs Abschiedsworte. Nach der Gefängnisatmosphäre empfand Mike die feuchte, schwüle Tropenluft als eine Wohltat. Er atmete tief ein. Ein Taxi brachte ihn zu der Bar in der Nähe der amerikanischen Botschaft. Dort kippte er in düsterem Schweigen einige Cognacs. Um Punkt zwölf Uhr ließ er sich bei Tates Sekretär anmelden, der ihn sofort ins Arbeitszimmer des Botschafters führte. Täte kam Mike entgegen und schüttelte ihm herzlich die Hand. »Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, Mr. Forrester. Ich weiß dies um so mehr zu schätzen, da Sie erst vor kurzem diesen schweren Verlust erlitten haben.« »Ich stehe wieder voll und ganz im Einsatz, Sir.« »Gut so. Wenn es Ihnen recht ist, fahren wir in meine Privatwohnung hinüber. Dort können wir ungestört sprechen. Übrigens, Bob Hartland war ganz begeistert von Ihnen.« »Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit. Er hat sehr rasch erfaßt, was hier wirklich los ist.« Mike hatte sofort menschlichen Kontakt mit dem Botschafter. Täte sah genauso aus wie auf den Fotos: betont hohe Stirn, schütter werdendes graues Haar, randlose Brille und eine muskulöse, hochgewachsene Gestalt. Im Salon zogen beide Männer die Sakkos aus und machten es sich in den breiten Fauteuils bequem. »Was trinken Sie, Mike?« war Tates erste Frage. »Mein Vorgänger hat mir einen großen Vorrat an Scotch hinterlassen. Eine ausgezeichnete Marke.« Mike lächelte, als er die wohlbekannte bauchige Flasche -518-
›Chivas Regal‹ sah. »Ich könnte einen Schluck vertragen.« »Bedienen Sie sich. Ich persönlich trinke zu Mittag lieber Gin.« Mit dem Glas in der Hand blickte der Botschafter Mike ruhig und prüfend an. »Wie mir Bob Hartland sagte, kann ich mit Ihnen offen reden.« »Ich glaube, wir sind uns alle darüber klar, daß wir in Mituyan das Steuer herumreißen müssen, ehe es zu spät ist«, antwortete Mike. »Stimmt. Erzählen Sie mir nun, wie Sie die Dinge hier sehen. Ich möchte Ihre Ansichten über alles hören, über das Country Team, über KaritKi und Tarot, diese ominöse Madame Mayna, die buddhistische Frage und über Ihre Reise nach Hongkong.« »Das läßt sich nicht mit wenigen Worten sagen, Sir.« »Ich habe Zeit für Sie, Mr. Forrester.« Zweieinhalb Stunden lang berichtete Mike von seinem Leben in Mituyan, seinen persönlichen Problemen und Beobachtungen, die in ihm die Oberzeugung gefestigt hatten, daß nur die radikale Beseitigung des KaritKi-Regimes dem Land den Weg zu einer demokratischen Entwicklung öffnen könne. Ein Diener schob diskret auf einem Servierwagen ein Kaltes Büfett herein, er legte vor, aber Mike, im Bestreben, ein abgerundetes Bild der Situation zu geben, aß sehr wenig. Er schloß mit einer Schilderung des Kerkers, den er am Vormittag besucht hatte. Als sie im vollklimatisierten Cadillac zur Botschaft zurückfuhren, sagte Täte: »Ich habe General Macker gebeten, mir einen Kommandowagen zu leihen. Ich möchte selbst sehen, wie die Bevölkerung lebt, hier in Tuyan und vor allem draußen in den Dörfern. Hitze und Strapazen machen mir nichts aus« - er lächelte -, »meine Reisen während der Wahlkampagne waren ein gutes Training. Ich glaube, ich bin viel zu sehr Politiker, um nicht die unmittelbare Beziehung zu den Menschen zu suchen, für die ich mich einsetzen soll.« Mike nickte zustimmend. -519-
»Die Zeit drängt«, spann Täte seinen Gedanken weiter. »Wir haben erkannt, daß die Lage in Mituyan bisher völlig falsch beurteilt wurde. Überall sind die Kommunisten im Vormarsch. Wenn wir nicht rasch und energisch zurückschlagen, ist es zu spät.« Eine Menschenansammlung schob sich etwa fünfzig Meter weiter vorne der Limousine in den Weg. Die Menge lauschte einem kahlgeschorenen Mönch in gelbem Gewand, der auf dem Dach eines geparkten Wagens stand. Als sie näher herankamen, rief Mike: »Sir, das ist Han Li Phang, der ›Große Eiferer von Tiking‹!« Täte beugte sich vor und beobachtete gespannt durch die Windschutzscheibe den Bonzen, der seine Rede mit ausholenden, anfeuernden Gesten unterstrich. »Hartland hat mir von ihm erzählt.« Der Botschafter ließ halten. »Ich möchte ihn mir genauer ansehen und hören, was er sagt. Soviel ich weiß, sind Sie ein ausgezeichneter Simultandolmetsch, Mr. Forrester.« Die beiden stiegen aus, Phang bemerkte dies sofort und steigerte sich noch mehr in seine wilden Tiraden hinein. »Ich verstehe ihn nicht, Forrester, aber diese Augen und diese Stimme! Bei Gott, Forrester, dieser Mann ist ein Demagoge!« »Er beherrscht die Psyche der Massen wie eine Klaviatur, Sir. Diese Menschen werden bedenkenlos alles tun, was er ihnen befiehlt.« Mike horchte aufmerksam zu. »Er sagt ihnen, daß Tausende Buddhisten in KaritKis Kerkern schmachten. - Die Buddhisten werden nicht wahlberechtigt sein und keinen Kandidaten aufstellen dürfen. Das ist natürlich eine glatte Lüge. - Jetzt verbreitet er sich über die geplante Bodenreform und erklärt, die Ländereien, die den Bauern versprochen wurden, sollen den Günstlingen des Palastes, den Großgrundbesitzern, zugeschanzt werden. Daran ist allerdings viel Wahres.« »Und die Reporter sind auch schon da!« rief Täte. »Alle ausländischen Korrespondenten samt Fotografen und TV-520-
Kameras! Gibt es momentan nichts Wichtigeres in Tuyan?« »Sie müssen wissen, Sir, daß Phang und die meisten seiner Anhänger den englischen Text auf den Protesttafeln nicht einmal lesen können, geschweige denn verstehen.« »Also ist das Ganze für die Presse gestellt, wie?« »Für die Presse und für Sie, Sir. Infolge des Einbahnsystems müssen Sie auf dem Weg von Ihrer Wohnung zur Botschaft hier vorbeikommen. Damit hat der Große Eiferer gerechnet.« Die Erregung der Zuhörer hatte fast den Siedepunkt erreicht, als Mannschaftswagen der Stadtpolizei von Tuyan heranrasten. Uniformierte sprangen heraus. Mit lauter Stimme übertönte Phang das Gemurmel der Menge, das Getrampel heraneilender Schritte und die halblauten Kommandos der Offiziere. »Er fragt, wer bereit ist, seinen Protest gegen KaritKis Tyrannei durch die Tat zu besiegeln«, übersetzte Mike. Ein Mönch mit fanatisch glühenden Augen rannte zu dem Auto, auf dem Phang stand. Er packte ein schweres Hackmesser, das ihm ein anderer Mönch entgegenhielt, legte die linke Hand vor den Füßen des Großen Eiferers auf das Wagendach - das Messer blitzte auf und sauste mit voller Wucht auf das Handgelenk nieder, das glatt durchtrennt wurde. »Was tut er? Ist er verrückt?« schrie der Botschafter. Ehe Mike antworten konnte, hatte ein anderer Mönch das Messer ergriffen und seinem Glaubensbruder auch die rechte Hand abgehackt. Nun reckte der Fanatiker beide Stümpfe empor, aus denen das Blut hervorsprudelte und sich über die Umstehenden ergoß. Die Fernsehkameras surrten, die Verschlüsse der Fotoapparate klickten, die Menge geriet in einen orgiastischen Taumel. Der Selbstopferer wurde aschfahl und begann zu wanken, andere Mönche stützten ihn, damit er nicht umsinke. Vergebens versuchte die Polizei, durch die dicht -521-
zusammengerotteten Buddhisten zu dem Sterbenden vorzudringen. Wie Trophäen wurden die abgehackten Hände über den wogenden Köpfen geschwungen. Doch plötzlich waren sie in den Falten gelber Mönchsgewänder verschwunden, die Verwirrung geschickt ausnützend, tauchte Phang mit dem Kreis seiner engsten Jünger mitten in der Menge unter, ließ sich vom Gewühl weitertragen und rettete sich unbemerkt in eines der Häuser am Straßenrand. Rücksichtslos hieb sich die Polizei mit ihren Knütteln eine Gasse durch den Hexenkessel der Massenhysterie. Doch als sie bis zu dem nun auf dem Boden Liegenden kamen, war es bereits zu spät. Im Kreuzfeuer der Kameras verblutete der Mönch. Reporter balgten sich mit Polizisten, die ihnen die Apparate mit den sensationellen Aufnahmen entreißen wollten. In dem Moment, als eben einer der Uniformierten ausholte, um einen Fernsehkameramann niederzuschlagen, brach sich Täte Bahn mitten ins ärgste Gedränge. In allen Zeitungen von Tuyan war sein Bild auf der ersten Seite groß aufgemacht erschienen, der Polizeioffizier, der den Diplomaten daher sofort erkannte, rief einen Befehl, sofort sank der erhobene Arm mit dem Knüttel herab, aber einige Fotografen hatten die Szene bereits festgehalten: der amerikanische Botschafter allein gegen KaritKis Polizei, ein Bild, das innerhalb weniger Stunden die Runde um den Erdball machen würde. »Gentlemen«, erklärte Sheldon J. Täte, seinen Ton mühsam beherrschend, in sehr bestimmten Ton, »ich persönlich protestiere gegen diesen empörenden, brutalen Angriff auf amerikanische Berichterstatter. Premier KaritKi und Kanzler Tarot werden einsehen müssen, daß sich die Presse der freien Welt durch Willkürakte nicht einschüchtern läßt« Zu dem Polizeioffizier gewandt, der seine Mannschaft sammelte, sagte er auf mituyanisch: »Ich danke Ihnen im Namen des amerikanischen Volkes.« Die Journalisten jubelten dem Botschafter zu. -522-
Lächelnd blickte Täte den völlig verblüfften Mike an. »Diesen Satz habe ich heute vormittag gelernt. Habe ich ihn richtig ausgesprochen?« Mike grinste. »Ich habe noch nie ein besseres Mituyanisch gehört!«
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42 Obwohl der Botschafter seinem Vorsatz treu blieb und seit seinem Einführungsvortrag tatsächlich keine Country-TeamSitzungen mehr einberufen hatte, trommelte er sofort nach seiner Rückkehr, noch unter dem frischen Eindruck des Erlebten, die Spitzengarnitur zu einer Sonderkonferenz zusammen, um die Haltung der amerikanischen Vertretung zu den blutigen Buddhistendemonstrationen zu präzisieren. Gerade in dem Moment, als Macker seine Erörterungen mit einigen markigen Sätzen abschließen wollte, öffnete sich die Tür, auf Zehenspitzen kam der Sekretär herein und übergab dem Botschafter eine Notiz. Täte las sie. Dann fragte er: »Wo ist er?« »In der Anmeldung, Sir. Die Marines bewachen den Eingang der Botschaft, jeden Moment kann es zu einer Schießerei kommen, Sir.« »Dann werde ich wohl hinuntergehen und Ordnung schaffen müssen.« Alle Blicke hingen gespannt an Täte, als er seinen Stuhl zurückschob und sich zu seiner ganzen Länge erhob. »Gentlemen, der buddhistische Agitator, von dem wir soeben sprachen, befindet sich im Botschaftsgebäude. Offenbar will er um Asyl ansuchen, aber eine Abteilung von Tarots Special Forces fordert seine Auslieferung. Unsere Marines sind auf Posten.« Er trat zur Tür. Bevor er hinausging, wandte er sich noch einmal um, nun waren auch die anderen aufgestanden. »Ich glaube, wir haben alles besprochen, Gentlemen. Willet, es wäre ein guter Schachzug, die Marines durch ein Einsatzkommando Infanterie zu verstärken. Wir müssen zeigen, daß wir hart bleiben.« »Jawohl, Sir.« Mit zwei Schritten war der General beim Telefon. -524-
Als Täte in die Vorhalle kam, sah er draußen einen Zug der mituyanischen Special Forces in Dschungelgarnituren, die Gewehre schräg nach vorn gerichtet, bereit, sie anzuschlagen. Die Botschaftswache des US-Marinekorps, ein kleines Kontingent, das vor allem Repräsentationsaufgaben hatte, war in ihren tadellos gebügelten hellkhakifarbenen Uniformen und weißen Mützen im Portal angetreten und hatte die Pistolen gezogen. »Waffen versorgen!« befahl Täte. Sein Blick streifte Han Li Phang, mit höhnisch herausfordernder Miene stand der Große Eiferer im Anmeldungsbüro. Der Botschafter wußte, daß er nun die vielleicht schwerwiegendste Entscheidung seiner ganzen Laufbahn zu treffen hatte. Wenn er den Bonzen den Mituyanern übergab, identifizierte er sich mit KaritKis und Tarots Standpunkt, Phang und dessen Anhänger seien Fanatiker und anarchistische Unruhestifter mit verwerflichen politischen Zielen. Wenn er andererseits dem Agitator Asyl gewährte und die berechtigte Empörung der Buddhisten offiziell anerkannte, bestätigte er dadurch die Berichte über die Demonstrationen und Verhaftungen, und in den Augen der Weltöffentlichkeit wäre der mituyanische Premier neuerlich als ein rücksichtsloser Diktator gebrandmarkt, der in seinem Land religiöse Gruppen grausam unterdrückte. Nichts würde der Westen schärfer verurteilen als die Mißachtung der Religionsfreiheit. Täte war entschlossen, diesem Mönch trotz aller inneren Vorbehalte den Schutz der amerikanischen Regierung zu bieten. Vor dem Botschaftsgebäude hatten sich bereits die Journalisten versammelt, die TV-Kameraleute hatten die mituyanischen Soldaten und das Portal der Botschaft im Sucher. Da kam der Botschafter ins Bild, allein, völlig gelassen. Langsam schritt er die flachen Stufen herab und ging auf den MSF-Zug zu. Der Kommandeur der Truppe trat ihm entgegen. All das hielten die surrenden Kameras fest. Sheldon J. Täte war zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden Held des Tages. -525-
»Auf wessen Weisung handeln Sie, Captain?« fragte Täte energisch. »Ich komme auf persönlichen Befehl Kanzler Tarots, um den Mönch Han Li Phang zu verhaften, Sir«, erwiderte der Offizier in akzentfreiem Englisch. »Als Han Li Phang erfuhr, daß nach ihm gefahndet wird, flüchtete er in die amerikanische Botschaft. Ich muß Sie ersuchen, ihn auszuliefern, Sir.« »Das kann ich nicht, ohne den Fall vorher zu überprüfen.« »Dann muß ich ihn aus seinem Versteck holen, wenn nötig mit Waffengewalt.« Täte maß den Offizier von oben bis unten. »Captain, Sie hätten die Stirn, mit einer bewaffneten Abteilung in amerikanisches Territorium einzudringen? Sie würden die Verantwortung für einen Angriff auf die USA übernehmen?« Betroffen senkte der Offizier den Blick, in seiner Verlegenheit murmelte er etwas von »ausdrücklichem Auftrag« und »Pflicht«. Aber der Botschafter unterbrach ihn. »Captain, ich rate Ihnen dringend, Ihre Einheit zurückzuziehen, bis Präsident KaritKi und ich über das weitere Schicksal des Mönchs entschieden haben!« »Ich habe meine Befehle, Sir«, beharrte der Mituyaner. »Sie werden sich nicht auf Ihre Befehle berufen können, wenn Sie in einer Kerkerzelle sitzen, weil Sie einen Zwischenfall mit den USA heraufbeschworen haben!« Täte merkte, daß der Captain unsicher wurde, und überrollte ihn nun vollends mit seinen Argumenten. »Der Mönch verbleibt vorläufig im Botschaftsgebäude. Wenn ich im Einvernehmen mit Präsident KaritKi verfüge, Han Li Phang an die mituyanischen Behörden zu übergeben, werden wir ihn freiwillig ausliefern. Fahren Sie nun in den Palast zurück und melden Sie Ihren Vorgesetzten meine Antwort.« Ohne weiteres Wort der Entgegnung ließ der Mituyaner seine -526-
Truppe schultern, wenden und abmarschieren. Als der Zug stramm ausgerichtet um eine Ecke verschwunden war, drehte sich Täte auf dem Absatz um und ging ins Haus zurück, nun fest entschlossen, den Mönch unter keinen Umständen auszuliefern. Er hegte keinerlei Sympathien für Han Li Phang, wußte genau, daß dieser Mann die Rolle eines Halbgottes spielen wollte und mit zynischer Berechnung die aufgeputschten Massen nach rein machtpolitischen Erwägungen lenkte. Daher vermied es Täte, mit dem Großen Eiferer zu sprechen, sondern ordnete nur an, diesem bis auf weiteres ein Zimmer einzuräumen. Die Journalisten drängten in die Vorhalle nach und bestürmten den Botschafter mit Fragen. Mit einer Handbewegung verschaffte sich Täte Ruhe. »Gentlemen, ich weiß, daß Sie alle so rasch als möglich Ihre Berichte durchgeben wollen, aber mein Kommentar zu diesem Vorfall muß sich im Moment auf eine einzige Feststellung beschränken: Die amerikanische Regierung weigert sich, ohne gründliche Untersuchung der Sachlage den Führer einer konfessionellen Gruppe, der auf amerikanischem Boden um Asyl gebeten hat, an ausländische Truppen auszuliefern, die ihn offenbar wegen seiner religiösen Überzeugung verfolgen.«
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ACHTER TEIL DER PUTSCH
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43 An diesem Morgen sah Mike ernste, gespannte Männergesichter um seinen Frühstückstisch. Die Verschwörer waren auf seiner Teeplantage in Rishram versammelt, auch General Dandig hatte sich nun eindeutig und unwiderruflich entschieden. Für ihn gab es nur Sieg oder Tod. Jack Cardinez und Colonel Lawton gingen schon durch ihre bloße Anwesenheit ein großes Risiko ein, das mit ihren offiziellen Befugnissen kaum vereinbar war. Das erwartete Flugzeug aus Hongkong mußte bald auftauchen, doch Botschafter Täte hatte die strenge Weisung erteilt, daß kein Mitglied der diplomatischen und militärischen Mission der USA in Mituyan - so bezeichnete er das Country Team neuerdings mit Barkun Verbindung aufnehmen dürfe, bis dieser nominell Herrscher des Landes sei. Mike setzte seine Kaffeetasse nieder. »Sie werden den König kaum wiedererkennen, General«, sagte er zu Dandig. »Er hat sich sehr verändert. Seit er weiß, daß er nach Mituyan zurückkehren wird, hat er seine Playboyallüren weitgehend abgelegt. Er kommt mit den besten Absichten für sein Volk. Ich betrachte Barkun als einen persönlichen, wenn auch etwas extravaganten Freund.« Er zuckte die Schultern. »Hoffentlich überlebt unsere Freundschaft diese Schiffsreise.« »Ich hoffe, daß ihr alle die Aktion überlebt!« warf Cardinez ein. »Ich bin eher optimistisch«, entgegnete Mike. »Bis zum Start deckt uns General Dandig. Im Palast hegt man nicht den geringsten Verdacht. Ich habe von Minister Branot unterschriebene offizielle Papiere. Und KaritKi ist es nur recht, wenn ich nach Tuyan komme, damit er die Promise beschlagnahmen lassen kann. Nein, die größte Gefahr droht uns von den Mitkoms.« -529-
»Die automatische 20-Millimeter-Kanone und die überschweren MGs müßten als Bewaffnung ausreichen. Überdies haben Sie Captain Jenkins und drei meiner besten Leute an Bord: Jennessen, Cavanaugh und Barton.« »Nach der Schlacht von Ba To hätte Cav eigentlich einen langen Urlaub verdient, und Barton...«, Mike blickte zu dem anderen Tisch hinüber, wo die drei in Unterhemden und Arbeitshosen frühstückten, »ist er eigentlich schon ausgeheilt?« »Ach, dieser Bulle ist längst schon wieder auf dem Damm. Er sagt, er möchte unbedingt mitmachen - als Belohnung für seinen Einsatz in Ba To.« Hinter den Bergkämmen näherte sich das Dröhnen eines Düsenmotors. Die Kaffeetassen auf dem Tablett, das General Dandig gerade hielt, begannen leise zu klirren. Cardinez blickte zum Himmel. »Es ist soweit. Nun gibt es kein Zurück mehr.« Die Maschine landete glatt auf dem Rollfeld der Pflanzung. DakatLi, Barkuns Nachrichtenchef und persönlicher Vertrauter, stieg als erster aus. Vorsichtig blickte er sich im Gelände um. Sein Mißtrauen schwand sofort, als er Mike, Cardinez, Lawton und den Korpskommandeur sah. Inzwischen hatte sich auch Henri, der famose Pariser Haarkünstler, herausgewagt. Mike brauchte nicht lange zu rätseln, welche von den drei Mätressen der König mitgebracht hatte. Laut strikter Abmachung mußte sich Seine Majestät auf zwei beschränken. Hinter dem Coiffeur glitt die reizende französische Brünette Francine graziös aus der Kabinentür, gefolgt von Birgit, der hinreißend schönen, fotogenen, aber ansonsten ziemlich öden Blondine. Schließlich schwang sich Barkun mit einer bei seiner Körperfülle überraschenden Behendigkeit auf den Boden seiner Heimat. Er trug einen weißen Anzug. Raschen Schrittes kam er auf die wartende Gruppe zu. »Er scheint ziemlich gut in Form zu sein«, bemerkte Cardinez. -530-
»Und hat gute Formen mitgebracht«, warf Lawton ein. Mike grinste. »Damit uns an Bord nicht langweilig wird.« Die drei Sergeanten, die in einem Jeep herangefahren waren, rissen Mund und Augen auf, als sie die zwei Sexbomben sahen. Schon stand Barkun vor Mike und schüttelte ihm herzlich die Hand. »Forrester! Auch mich hat diese Tragödie tief getroffen. Sobald ich an der Macht bin, werde ich Ihrer Frau in Tuyan ein Denkmal errichten.« Mike nickte schweigend. »Majestät«, sagte General Dandig, »ein Bataillon steht in voller Stärke bereit, um Sie zu Mr. Forresters Jacht in Tiking zu eskortieren. Kein einziger Soldat oder Offizier weiß genau, wem dieser Begleitschutz gilt. Außerdem sind die Fenster Ihres Fahrzeuges dicht verhängt.« »Gut so. Verlieren wir keine Zeit.« Zusammen mit den beiden Mädchen bestieg der König den Landrover, die anderen folgten in zwei Wagen. Damit begann für Barkun die erste Etappe des Weges zum Palast von Tuyan. Unter militärischer Bedeckung erreichte die Gruppe ohne Zwischenfall Mikes Ankerplatz. Dort salutierte der Bataillonskommandeur stramm vor den Amerikanern und fuhr mit seiner Einheit ab. Mike bat die Mädchen, vorerst einmal auszusteigen und sich am Kai die Beine zu vertreten. Damit wollte er zufällige Beobachter ablenken, jeder würde nur Augen für die beiden Schönen haben und den dicken Mann im weißen Anzug nicht bemerken, der flink über den Bootssteg lief. Von diesem Moment an war Mike als Führer der Aktion völlig auf sich allein gestellt. Zehn Minuten später legte die Promise ab und nahm Kurs aufs offene Meer. Mike überprüfte den Steuermechanismus, der vom getreuen Skipper Batki von der Kommandobrücke aus bedient wurde. Dann ging er in die Mittelkabine hinunter, wo Barkun Cercle -531-
hielt, und machte sich erbötig, dem König seine Kajüte zu zeigen. Wie elektrisiert sprang Barkun auf, die anderen erhoben sich ebenfalls und schlossen sich an. »In der einen Kajüte könnten wir die Mädchen unterbringen, die zweite steht Dr. DakatLi zur Verfügung«, sagte Mike. »Es ist hier wohl nicht so luxuriös wie in der Villa in Hongkong, aber in der ganzen Republik Mituyan findet sich momentan kein besseres Schiff.« Barkun nickte. »Ich bin sehr zufrieden, Forrester.« »Danke, Majestät. Darf ich Sie nun in Ihre Kabine führen.« Es war der prächtige, große Schlafraum am Heck mit großen Bullaugen nach backbord, steuerbord und achtern. »Wenn Sie nach oben blicken, sehen Sie bei Nacht die Sterne und bei Tag den blauen Himmel.« Mike wies zu dem in die Decke eingelassenen großen, rechteckigen Fenster empor, das sich direkt oberhalb des ungewöhnlich breiten, mit einem riesigen Bengaltigerfell bedeckten Bettes befand. »Wahrhaftig, ein königliches Schlafgemach, Forrester«, erklärte Barkun huldvoll. »Die Sache hat nur einen Haken, Majestät. Falls wir angegriffen werden sollten, wird durch eine Luke in dem Deck, auf dem Sie nun stehen, eine 20-Millimeter-Kanone heraufgekurbelt und in Stellung gebracht, und das Bullauge nach achtern dient als Ausschußluke. Die Promise wurde für diese Fahrt entsprechend ausgerüstet.« »Ungemein sinnreich! Und was tun wir im Fall eines Angriffs?« »Der Maschinenraum im Vorschiff ist gepanzert. Dort sind Sie sicher.« »Ich muß Ihnen gratulieren, Forrester, Sie haben wirklich an alles gedacht!« Der Lunch war ein königliches Mahl mit erlesenen Genüssen. -532-
Mike sah Barkun zu, wie dieser gierig nach den Scheren der Riesenkrebse griff, die auf Eiswürfeln serviert wurden. Ohne den Brecher zu Hilfe zu nehmen, knackte er die Schalen mit den Händen, sog geräuschvoll das weiße Fleisch heraus und spülte es mit eisgekühltem Champagner hinunter. Obwohl Mike seine Besatzung über die Identität seines Gastes völlig im unklaren gelassen hatte, spürte er an der Spannung, die das Schiff von der Brücke bis zur Kimm erfaßt hatte, daß alle wußten, daß der frühere König auf der Promise in sein Land zurückkehrte. Der Abend brachte beunruhigende Nachrichten. Offensichtlich witterte man nun im Palast die Gefahr eines Staatsstreichs. DakatLis Agenten meldeten, General Dandig sei am Nachmittag zu Poramat beordert worden und werde möglicherweise dort festgehalten. Aus der amerikanischen Geheimdienstzentrale in Tuyan verlautete, General Thannit, der wichtigste Mann der Putschisten, habe im Palast sehr lange mit dem Präsidenten und Tarot konferiert, sei aber nachher nicht mehr mit den anderen Verschwörern in Verbindung getreten. Es wurden keine Instruktionen für die Promise durchgegeben, aber alle Anzeichen deuteten auf Schwierigkeiten hin. Nach dem Dinner war eine Lagebesprechung mit Barkun vorgesehen. Der König präsidierte an der Tafel, die unerhört raffiniert frisierte Birgit, dann Mike, Francine, DakatLi und Meister Henri bildeten die übrige Tischgesellschaft. Barkun sparte nicht mit Lob über die köstlichen Schildkrötensteaks und die exzellenten Weine, die an Bord mitgeführt wurden. Nach dem Dessert fragte Mike den Exmonarchen, ob die nun folgende Besprechung geheim abgehalten werden sollte. Genießerisch strich sich der gesättigte König über den Wanst, den ein weißes Smokingjackett bedeckte. »Nein. Wir sitzen alle im selben Boot, also sollen auch alle wissen, was wir zu gewärtigen haben.« Ein Wink, und DakatLi klappte einen Ständer auf, an dem eine Landkarte von Mituyan hing, überdeckt von einer Azetatfolie -533-
mit eingezeichneten Markierungen. »Majestät, KaritKi und Tarot wissen, daß ein Staatsstreich vorbereitet wird. Der Schachzug, mit dem der Palast dieser Entwicklung begegnen will, ist typisch für den Intriganten Tarot. Heute nachmittag wurde General Thannit zu einer Konferenz berufen. Offenbar zweifelt man an seiner Loyalität, doch wie der General unserer Zentrale später berichtete, konnte er die beiden Brüder von seiner bedingungslosen Treue zur legalen Regierung überzeugen. KaritKi und Tarot befragten ihn immer wieder, wie er über die Loyalität der anderen Generale denke. Thannit erwiderte, er könne nicht die Gedanken seiner Kameraden lesen.« »Dieser Thannit ist ein Kerl!« warf Barkun ein. »In meiner Guerillaarmee war er Lieutenant. Er hat den Japanern die Hölle heiß gemacht.« »Thannit soll einen Scheinputsch starten und mit seinen Truppen den Palast umzingeln. Dann werden KaritKi und Tarot jeden einzelnen der anderen Generale zu Hilfe rufen. Thannit seinerseits wird sie auffordern, sich den Verschwörern anzuschließen. Wer das tut, wird sofort verhaftet und hingerichtet. Wir wissen nicht, ob dieser Plan von Tarot oder von Thannit stammt. Vermutlich hat der General den Kanzler mit Andeutungen geködert, und das genügte, um in Tarots machiavellistischem Gehirn diese Lösung reifen zu lassen.« »Ausgezeichnet!« rief Barkun. »Den Palast mit Truppen umzingeln, die auf keinen Widerstand stoßen werden! Ein geniales Manöver! Dieser Thannit! Aber hat Tarot nicht bedacht, daß er dem General eine sehr gefährliche Waffe in die Hände spielt, wenn dieser trotz seiner Beteuerungen doch nicht loyal sein sollte?« »Thannit erklärte heute nachmittag unseren Mittelsmännern in Tuyan, warum sich die Regierung in Sicherheit wiegt: Tarot ist fest davon überzeugt, daß es in Mituyan keine Führerpersönlichkeit gibt, um die sich alle militärischen -534-
Befehlshaber und das Volk einmütig scharen würden.« Barkun lachte laut auf. »Völlig richtig! Auf mituyanischem Territorium gibt es keinen solchen starken Mann. Die Bevölkerung kennt nur zwei führende Köpfe: KaritKi und jenen alten Schlemmer und Weiberhelden, ihren Exkönig Barkun VI., der in Hongkong oder an der Riviera mit seinen DolcevitaEskapaden dankbaren Stoff für die Klatschspalten liefert!« »Auch wir dürfen nicht in den Fehler verfallen, die Situation allzu optimistisch zu beurteilen«, sagte DakatLi ernst. »Ich hatte heute mit General Dandig Funkverbindung. Poramat hat ihm empfindlich auf den Zahn gefühlt. Natürlich versicherte der General seine absolute Loyalität, aber er fürchtet dennoch, daß Poramat ihm nicht traut.« »Und was ist daraus zu folgern?« fragte der König interessiert. »Dandig hegt ernste Befürchtungen, daß Thannit ein Doppelspiel treibt und die führenden Köpfe der Verschwörung ans Messer liefert, wenn die regierungsfeindlichen Kräfte in Schwierigkeiten geraten. Mit anderen Worten: Thannit gehört zu den Siegern, ganz gleich, welche Seite die Oberhand behält.« »Thannit würde mich nicht im letzten Moment verraten!« erklärte Barkun sehr bestimmt. »Hoffentlich haben Sie recht, Majestät«, antwortete DakatLi zweifelnd. »Doch als Mr. Forrester für morgen Begleitschutz der Marine und der Luftwaffe anforderte, weigerte sich der General Thannit, den Einsatz von Verbänden zu veranlassen.« »Gibt er Gründe für sein Verhalten an?« fragte der König. »Er behauptet, daß er zu diesem kritischen Zeitpunkt nicht die Aufmerksamkeit auf uns lenken will.« Stirnrunzelnd dachte Barkun nach. »Ja, meine schlauen Landsleute -› das persönliche Interesse geht ihnen über alles«, murmelte er versonnen. »Schon entzweit das Mißtrauen die beiden wichtigsten Männer unseres Staatsstreichs.« -535-
DakatLi nickte. »Es ist möglich, daß einer oder beide Sie bereits verraten haben, Majestät... Auf jeden Fall hat Mr. Forrester für heute nacht totale Verdunklung des Schiffes angeordnet. Wir müssen damit rechnen, daß Flugzeuge nach uns suchen.« »Wenn alles verraten ist, werden sie uns morgen sowieso finden«, sagte Barkun völlig sachlich. »Wir könnten den Kurs ändern und die ganze Nacht hindurch mit Höchstgeschwindigkeit fahren, dann würden wir am späteren Vormittag die Hoheitsgewässer des neutralen Yanna erreichen«, schlug Mike vor. »Wenn aber Thannit und Dandig mich nicht verraten haben, dann vereiteln wir durch ein solches Ausweichen ihre Putschplane«, beharrte Barkun. »Ich wünsche, daß wir unseren Kurs halten.« »Ich dachte nur an Ihre Sicherheit, Majestät«, sagte Mike. »Sie werden es vielleicht nicht glauben, Mr. Forrester, aber an meine persönliche Sicherheit denke ich zuletzt. Wir müssen auf irgendeine Weise nach Tuyan kommen. Wenn dieser Plan fehlschlägt, werden wir es mit einer anderen Taktik versuchen. Ich werde in meinem Land die Herrschaft wieder antreten oder auf mituyanischem Boden um meinen Thron kämpfen, solange ich lebe. Das Volk wird auf meiner Seite stehen, daran zweifle ich nicht!« DakatLi ging zur Karte und wies auf die Mündung des Tuyan in der Mitte des 200 Kilometer breiten Deltas. »Nach unseren Informationen operiert in diesem Gebiet eine Mitkom-Flotte von etwa 200 Einheiten in der Größenordnung von Zweimannbooten bis zu bewaffneten Dschunken. Sie wurden zum Waffenschmuggel und zum Transport von Guerillagruppen eingesetzt, die diese fruchtbarste Region unseres Landes erobern sollen.« »Wußten Sie das, als wir heute von Tiking abfuhren?« fragte -536-
Barkun. »Wie ich Ihnen bereits in Hongkong meldete, wußten wir, daß die Mitkoms eine Flußflotte zu formieren versuchten, Majestät. Doch erst heute nachmittag wurden zwei Patrouillenboote der Regierung angegriffen. Beide Fahrzeuge konnten sich mit leichten Havarien flußabwärts zurückziehen. Weder meinem Agentenring noch KaritKis Geheimdienst gelang es, in das vielfältig verzweigte Deltagebiet vorzudringen, um festzustellen, wo die Kommunisten ihre Dschunken verborgen halten und welche Feuerkraft sie entwickeln können. Deshalb sehen wir dem morgigen Tag mit großer Besorgnis entgegen, Majestät. Wir werden uns ohne Begleitschutz durch den Unterlauf des Tuyan durchkämpfen müssen. Mit dem Auftauchen der Promise ist das Signal gegeben. vom Scheinputsch zum wirklichen Angriff auf den Palast überzugehen. Der Endkampf beginnt!« »Wenn es sein muß, werden wir kämpfen!« erklärte Barkun unerschütterlich. »Noch andere Meldungen?« »Unter den Bergstämmen gärt es neuerlich. Alles, was dieser etwas voreilige amerikanische Colonel Gruen ihnen versprochen hat, wird ihnen nun streitig gemacht. Als der Häuptling der BaTo-Groats in gutem Glauben nach Banthut kam, wurde er verhaftet.« »Dabei hat dieses Gesindel den Groats Amnestie zugesichert!« empörte sich Captain Jenkins, den Colonel Lawton als Funkoffizier des Schiffes eingeteilt hatte. Gleich darauf schämte er sich jedoch seiner hitzigen Äußerung, die man als Beleidigung aller Mituyaner auffassen konnte. »Nichts für ungut«, murmelte er mit verlegenem Lächeln. »Keine Ursache, ich bin ganz Ihrer Meinung«, sagte Barkun. »Ja, wir müssen mit Höchstgeschwindigkeit fahren, aber mit Kurs auf Tuyan - bevor Mituyan eine kommunistische Volksrepublik wird!« Nach der Lagebesprechung sagte Mike: »Da wir verdunkeln, -537-
rate ich allen, sofort die Kajüten aufzusuchen. Es ist lebensgefährlich, auf dem unbeleuchteten Deck herumzugehen. Also während der Nacht niemand an Deck, unter keinen Umständen!« Barkun nickte zustimmend und hob die Tafel auf. Mike stieg ins Steuerhaus hinauf. Nur die roten Instrumentenlichter glühten in der Finsternis, als er leise mit Batki sprach. Der Skipper fand nun den Mut, seinem Herrn zu sagen, die ganze Besatzung wisse, daß König Barkun auf dem Schiff nach Tuyan fahre, um KaritKi zu stürzen. »Wollt ihr, daß wieder der König im Land regiert?« fragte Mike. »Ja, Sir. Wir alle lieben die Barkun-Dynastie. Unter dem König wird Mituyan seine alte Größe wiedererlangen. Wir haben immer darauf gehofft, daß er zurückkehrt. KaritKi denkt nicht an das Volk, aber alle Herrscher der Barkun-Dynastie waren Freunde des Volkes.« »Denkt die ganze Besatzung so?« »Ja, sogar die jungen Männer, die selbst keine Erinnerung mehr an den König haben, meinen, daß jeder andere Führer besser wäre als KaritKi.« Dies erleichtere vieles, wenigstens konnte sich Mike auf seine Leute verlassen. Er steckte den Kopf durch die Tür der Funkstelle. »Was Neues?« fragte er Jenkins, der an den Geräten saß. »Keine Funkverbindung, Sir.« Neben Jenkins saß Sergeant Barton, das klobige Gesicht in das breite Gummiokular des Radarschirms gedrückt. »Sehen Sie etwas Verdächtiges, Barton?« Der bärenstarke Kerl blickte auf. »Nein, Sir, normaler Luftverkehr über der Küste. Beobachtungsflugzeuge der legalen mituyanischen Streitkräfte auf der Suche nach MitkomWaffenschmugglern.« -538-
Mike nickte. »Ich bleibe noch eine Weile auf dem Achterdeck. Ruft mich, wenn etwas los ist.« Er trat auf die Kommandobrücke, einige Minuten blieb er versonnen so stehen, atmete die Nachtluft ein und blickte zum Bug hinunter, der mit leisem Rauschen durch die phosphoreszierend aufleuchtenden Wellen pflügte. Während der langen Überquerung des Pazifik war er oft mit Luna hier gestanden. Die automatische Steuereinrichtung hielt das Schiff auf Kurs, Mike brauchte sich nur hin und wieder durch einen Blick auf den außen montierten Kompaß vom Funktionieren des empfindlichen Mechanismus zu überzeugen. Hier waren sie gestanden, in stundenlangen Gesprächen hatten sie sich eine glückliche Zukunft in dem friedlichen Land Mituyan ausgemalt. Und nun - was war aus all diesen Plänen geworden, was hatte ihm die mühevolle Aufbauarbeit, das zähe Beharren gegen alle Widrigkeiten und der Kampf gegen die Kommunisten schließlich gebracht? Leid, Einsamkeit und diese Fahrt ins Ungewisse. Langsam stieg er die Eisentreppe hinunter. Auf dem Weg zum Achterdeck sah er den hellen Lichtschein, der durch das Deckenfenster von Barkuns Kajüte drang. »Ein Flieger sieht das aus zehn Meilen Entfernung«, murmelte er. Vorsichtig pirschte er sich heran und blickte durch das Glas in den erleuchteten Raum. Nun begann Mike zu begreifen, warum Barkun von Frauenhaar - besonders blondem oder rotem - so fasziniert war. Birgit saß nackt auf dem Bett. Sie hafte einen atemberaubend schönen Körper. Barkun stand über ihr, er schien ihr Haar zu streicheln, aber nicht mit den Händen. In der direkten Draufsicht wölbte sich sein Wanst wie ein Ballon vor und verdeckte den Unterleib. Immer tiefer wühlte sich der König in die Frisur der Dänin, unter seinen immer wilder werdenden Stößen lockerte sich der kunstvolle Aufbau der Flechten. Schließlich warf Barkun im Niederstürzen Birgit auf das Bett zurück, mit den schwammigen Schenkeln hielt er ihren Kopf umklammert, seine Hände rissen an der aufgetürmten -539-
goldenen Pracht. Mit einem letzten Stoß fiel er zuckend aufs Gesicht. Birgit wartete einige Sekunden, dann wand sie sich unter der regungslos daliegenden fetten Gestalt hervor und verschwand mit aufgelösten, herabhängenden Strähnen. Unbemerkt hatte Mike die ganze Szene beobachtet. Kopfschüttelnd ergriff er eine Persenning und breitete die schwere Plache doppelt zusammengelegt über das Fenster. Nun war es auf dem Achterdeck stockdunkel.
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44 Im Zwielicht des frühen Morgens sah Mike, der mit Jennessen, Barton und Cavanaugh auf der Kommandobrücke stand, steuerbord in der Ferne die Mangrovendschungel des Tuyandeltas. »In knapp zwei Stunden schwenken wir in den Strom ein und haben die Sonne im Rücken«, sagte er. »Dann haben wir keine andere Wahl, als mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Tuyan zu dampfen.« »Sehen Sie zu, daß Sie den König aus den Federn kriegen, Mr. Forrester. Es könnte sein, daß wir uns sehr bald bei seinem Himmelbett verschanzen müssen«, sagte Jennessen. »Werde ich tun. Alle anderen Positionen gefechtsklar?« »Ich habe die Sanitätsstation in der Mannschaftskajüte im Vorschiff eingerichtet«, meldete Cavanaugh. »Zwei behelfsmäßige Operationstische, einen auf Backbord, den anderen auf Steuerbord. Darüber je ein MG, das durch eine Luke schießt. Auf diese Weise kann ich zu gleicher Zeit feuern und Wunden versorgen.« »Hoffen wir, daß wir ein Gefecht vermeiden können«, sagte Mike. »Die zusätzliche Panzerung verringert unsere Geschwindigkeit um 20 Prozent.« »Wenn wir an eine Mitkom-Flotte geraten, würde uns die Geschwindigkeit sowieso nichts nützen«, meinte Jennessen. »Ich habe einmal so etwas erlebt, im Mekongdelta in Vietnam. Die Kommunisten hatten die ganze Flußbreite mit Sampans so vollgerammelt, daß uns nichts anderes übrigblieb als Augen zu und mitten durch!« Mike nickte ernst. »Okay, ich hole Barkun heraus, damit ihr eure Kanone in Stellung bringen könnt. Alle Mann in Alarmbereitschaft!« -541-
Als er wieder auf die Kommandobrücke trat, empfing ihn Captain Jenkins mit einem triumphierenden Lächeln. »Gute Nachrichten, Sir. Agentenmeldungen deuten darauf hin, daß sich die meisten bewaffneten Mitkom-Dschunken aus dem Hauptstrom in einen der Nebenflüsse zurückgezogen haben, um sich dort vor den Patrouillenbooten zu verbergen.« »Beruhigend. Haben Sie etwas aus der Zentrale der Putschisten erfahren?« »Nein, Sir. Aber DakatLi war die ganze Nacht hindurch mit Agenten in Funkverbindung.« »Ich glaube, wir sind nun ganz auf uns gestellt.« Skipper Batki änderte den Kurs. Mike prüfte den Kompaßstand und blickte zu dem breiten, von Hunderten Wasserläufen und Flüssen durchzogenen Uferstreifen, aus dem gewaltige Schlammassen des riesigen Reisanbaugebietes herangeschwemmt wurden und das tropisch blaue Meer gelbbraun färbten. Mike ließ Batki am Steuer völlig freie Hand, der Skipper hatte viele Jahre den Tuyan als Lotse befahren und kannte alle gefährlichen Strömungen, Untiefen und kritischen Stellen bis zur Hauptstadt. »Wie lange brauchen wir noch bis zum Hauptstrom?« fragte Mike. »Etwa eine halbe Stunde, Sir«, antwortete Batki. In gespanntem Schweigen sah Mike, wie sich die Promise allmählich der eineinhalb Meilen breiten Mündung des Tuyan näherte und ungezählte schmale Nebenflüsse passierte, welche die ungefähr 1000 Quadratmeilen große Reisschüssel des Landes bewässerten. Nach einer Weile rief der Skipper in singendem Ton: »Wir sind im Hauptstrom!« Mike warf einen Blick auf seine Uhr. »Also noch fünf Stunden?« -542-
Batki nickte. »Bei manchen Kehren, wo die Tiefe des Strombetts ständig wechselt, müssen wir das Tempo ziemlich verlangsamen, sonst gehen wir auf Grund.« Ruhig glitt die Promise auf dem Tuyan dahin. Zwei Stunden später standen Mike und Batki über die Stromkarte gebeugt im Steuerhaus. Manchmal rauschten Patrouillenboote vorbei, in den seichten Gewässern wimmelte es von Sampans und kleinen Dschunken, auf Pfählen gebaute Dörfer säumten die Ufer. Je näher sie der Hauptstadt kamen, desto dichter waren die Landstriche am Strom besiedelt. Mit dem langen Nagel seines rechten kleinen Fingers deutete Batki auf den eingezeichneten Verlauf eines der größeren Nebenflüsse. Diesen Punkt würden sie in einer knappen Stunde passieren, erklärte er und fügte hinzu: »Dort verstecken viele Mitkoms ihre Boote.« Sorgenvoll schüttelte er den Kopf. Mike sah sich nach DakatLi und Jenkins um. »Haben Sie unsere Position durchgegeben?« »Ja, Sir. DakatLi spricht soeben mit der Zentrale.« Der Mituyaner war so aufgeregt, daß ihm fast die Kopfhörer herunterrutschten. »Der Scheinputsch hat begonnen!« schrie er. »Thannit und Dandig wissen, daß wir unterwegs sind, dennoch weigert sich Thannit noch immer, uns Begleitschutz zu schicken.« DakatLi starrte finster vor sich hin. »Ich habe ihm nie vertraut. Er kann sein Doppelspiel bis zum letzten Moment weitertreiben. Alle anderen Generale haben sich bereits deklariert, sie ziehen rund um Tuyan Truppen zusammen, um im äußersten Fall jeden Widerstand im Keim zu ersticken.« »Wie begründet Thannit seine Haltung?« fragte Mike. »Wieder mit seiner alten Ausrede. Er will die Aufmerksamkeit nicht auf uns lenken, um zu verhindern, daß uns regierungstreue Einheiten kapern.« »Es hat keinen Sinn, bei Lawton und Cardinez Hilfe anzufordern«, murmelte Mike. »Die amerikanische Mission in -543-
Mituyan wird den Staatsstreich offiziell erst dann zur Kenntnis nehmen, wenn die Verschwörer gesiegt haben.« »Jedenfalls wissen die Führer des Putsches, daß wir unterwegs sind«, wandte DakatLi ein. »Sobald die Promise von Tuyan aus gesichtet wird, beginnt der wirkliche Angriff zur Besetzung des Palastes, der Rundfunk- und Fernsehstation, des Hauptpostamtes und der Polizeistationen. Ich muß dem König Bericht erstatten. Er wird sich freuen.« Mike blickte dem Mituyaner nach, der hastig über die Stiegen im Schiffsbauch verschwand. Während der nächsten Stunde würden sie den gefährlichsten Teil der Strecke passieren. Wenn es ihnen gelang, von der Einmündung des Nebenflusses an auch nur eine einzige Meile unbehelligt zurückzulegen, waren sie in Sicherheit. »Die nächste Biegung, Batki?« fragte er. »Die nächste Biegung, Sir«, bestätigte der Skipper. »Ich muß sehr nahe ans linke Ufer heran. Hier gibt es überall Sandbänke«, murmelte er. Gespannt suchte Mike den Uferstreifen ab, auf den sie langsam zusteuerten. Er rief Jenkins aus der Funkstelle herbei. »Ich will nicht Alarm schlagen, aber wenn uns die Mitkoms angreifen, dann aller Wahrscheinlichkeit nach in diesem Sektor. Alle Mann auf Gefechtsstation!« »Jawohl, Sir.« Jenkins, im Ernstfall auch Feuerleitoffizier, griff zum Feldtelefon und gab den Befehl an Barton, Jennessen und Cavanaugh weiter. »Feuerbereit, Sir!« meldete Barton. Hart am Ufer manövrierte die Promise um die Krümmung des Stromlaufs, hinter der der Nebenfluß mündete. »Also Steine wirft niemand auf uns«, bemerkte Jenkins trocken. »Wenn die Mitkoms angreifen, dann oberhalb der Mündung, dort können sie rasch im seichten Nebenfluß verschwinden, falls -544-
Patrouillenboote aus Tuyan herankommen. Die Guerillas legen unter Wasser Minensperren, aus diesem Grund wagen sich ihre Verfolger kaum in die seitlichen Wasserläufe... Da sind wir schon!« »Und da sind die Mitkoms!« schrie Jenkins. Als die Promise den Nebenfluß passierte, der links abzweigte und dann etwa parallel mit dem Tuyan verlief, wurde das dichte Buschwerk des Ufers mit einem Schlag lebendig. Plötzlich wimmelte es in der Mündung von Booten aller Größen und Bauarten: Sumpans für zwei und drei Mann, mit den wirbelnden Schrauben der Außenbordmotoren an Stangen, damit sie im seichten Wasser leicht gesteuert werden konnten, große Frachtkähne mit sich öffnenden Stückpforten, ähnlich wie bei alten Fregatten, hochragende Dschunken und kleine Boote verschiedenster Art, insgesamt vielleicht hundert Fahrzeuge schoben sich gleichzeitig in den Hauptstrom, um der Promise den Weg ins Landesinnere abzuschneiden. »Verdammt, damit kann die Bande eine Sperre in einer Tiefe von mehreren hundert Metern legen!« murmelte Mike zwischen den Zähnen. »Bleiben Sie am Steuer, Jenkins. Ich alarmiere den König.« Barkun saß mit seinen Mätressen und dem sehr nervösen Henri im Salon. »Ich fürchte, unsere Reise wird nicht ganz ereignislos verlaufen«, sagte Mike ernst. »Majestät, ich muß Ihnen raten, mit Ihrem Gefolge den Maschinenraum aufzusuchen. Dort ist es heiß und unbequem, ich weiß, aber es ist der sicherste Ort auf dem ganzen Schiff.« »Was ist los, Forrester?« fragte Barkun völlig gelassen. »Sehen Sie selbst hinaus, Majestät.« Mike wies zum Fenster, das den Ausblick über den Bug freigab. Ein harter, entschlossener Zug spannte das glatte Genießergesicht des Königs, als er die Flotte der feindlichen Dschunken und Sampans sah, die sich unaufhaltsam aus ihren getarnten -545-
Positionen heranschoben, um die gesamte Breite des Hauptstroms zu blockieren. Francine und Birgit schrien entsetzt auf, Monsieur Henris gepflegte Meisterhände begannen heftig zu zittern. »Wir müssen uns auf einen harten Kampf gefaßt machen.« Mike starrte grimmig dem Feind entgegen. »Wir werden per Funk Hilfe anfordern, obwohl es wenig Sinn hat.« »Glauben Sie, daß wir uns allein durchkämpfen können?« fragte Barkun. »Es bleibt uns nichts anderes übrig, Majestät. Jetzt geht es hart auf hart.« Der König trat aufs Deck, um die Lage abzuschätzen. Gleich darauf kam er wieder herein. »Die Bande weiß nicht, daß wir gut bewaffnet sind. Wahrscheinlich lassen sich die Mitkoms täuschen und halten die Promise für eine Luxusjacht. Wir werden durchbrechen... Doch es wäre verfehlt, unserem Hauptquartier den Zwischenfall zu melden und Hilfe anzufordern, Forrester. Wenn Thannit glaubt, daß König Barkun nicht nach Tuyan kommt, um wieder die Macht zu übernehmen, wird er wahrscheinlich die Verschwörung in ihrem ganzen Ausmaß aufdecken und sich als Retter des KaritKi-Regimes gebärden.« »Sie haben recht, Majestät«, sagte Mike. Immer wieder wunderte er sich über Barkuns Ruhe und dessen völlig logische Erwägungen angesichts fast auswegloser Situationen. »Wir fahren mit voller Kraft weiter und stoßen durch. Es kann nur mehr wenige Minuten dauern, Majestät. Bitte, gehen Sie mit Ihren Damen und Monsieur Henri schnellstens bei den Dieselmaschinen in Deckung!« »Forrester, Sie vergessen, daß ich ein alter Guerillakämpfer bin und mich über die weiteren Entwicklungen auf dem Gebiet der Waffentechnik auf dem laufenden gehalten habe. Ich kann noch immer mit MG, automatischen Gewehren und -546-
Elefantenbüchsen umgehen. Auf dem Schiff wird sich sicher eine Waffe für mich finden.« »Davon bin ich überzeugt, Majestät. Doch wir alle kämpfen nur für ein Ziel: Sie lebendig und unversehrt nach Tuyan zu bringen. Sonst könnten wir noch immer wenden und uns zurückziehen. Die Mitkoms würden uns nicht einholen.« »Also gut, Forrester«, erwiderte Barkun resignierend. »Mädchen, kommt, und auch Sie, Henri. Los, auf unsere Gefechtsstation!« Als Mike wieder die Kommandobrücke betrat, kam Captain Jenkins mit einer sonderbaren klobigen Schußwaffe aus der Funkstelle. »Das neueste Geschenk des guten Onkel Colt«, sagte er. »Oben ein normales automatisches Gewehr AR-15 und unten ein fünfschüssiges automatisches Granatengerät. Die ideale Waffe für eine solche Schlacht.« Er lehnte das gefährliche Ding an die Reling und schleppte aus dem Steuerhaus eine schwere Holzkiste herbei. »Da sind Handgranaten drin. Von der Brücke aus können wir die Boote am besten aufs Korn nehmen.« »Sind Ihre Leute einsatzbereit?« fragte Mike. »Alle, Sir. Und Ihre Besatzung wird sofort auf dem Vorschiff in Stellung gehen, wenn wir den Befehl geben.« Vor Angst schwitzend starrte Batki durch die Glasscheibe des Steuerhauses auf das unglaubliche Gewühl der Boote, dem sich die Promise nun sehr rasch näherte. Mike öffnete seinen eigenen Waffenschrank und nahm ein leichtes MG heraus. Die Webstofftasche mit zwanzig Magazinen zu je dreißig Schuß hängte er über die Schulter. Nur noch 80 bis 100 Meter trennten die Promise von der dichtgedrängten Masse der Mitkom-Boote, als eine Stimme auf englisch durchs Büffelhorn über den Strom rief: »Forrester, wir haben auf Sie gewartet! Im Namen des Volkes von Mituyan, an dem Sie und die anderen Kapitalisten dieses Landes sich -547-
bereichert haben, fordert die Mituyanische Freiheitsfront Sie auf, Ihr Schiff bis zur siegreichen Beendigung des Kampfes gegen den Tyrannen KaritKi der mituyanischen Volksarmee zur Verfügung zu stellen. Sobald wir es nicht mehr brauchen, werden wir es Ihnen zurückgeben. Liefern Sie uns Ihr Schiff aus! Die Mituyanische Freiheitsfront garantiert Ihnen und allen anderen Personen, die Sie an Bord haben, sichere Passage bis Tuyan, wenn Sie unserer Aufforderung Folge leisten.« Mike holte sein eigenes Büffelhorn aus dem Steuerhaus. Blitzschnell überlegte er, wie er einem Kampf ausweichen und Barkun durch die Blockade schmuggeln könnte. Es gab nur eine Möglichkeit. Das Hörn an den Lippen, antwortete er den Kommunisten auf mituyanisch. »Wenn ihr meine Jacht so dringend braucht, muß sie in gutem Zustand sein«, begann er. »Ich bin bereit, sie der MFF zu übergeben - aber nur unter der Bedingung, daß ich zuerst meine Gäste unbehelligt nach Tuyan bringen kann. Sobald alle in der Hauptstadt an Land gegangen sind, werde ich euch die Promise ausliefern.« Höhnisches Gelächter gellte herüber. Der Abstand zwischen der Mitkom-Flotte und dem mit voller Kraft der bereits überbeanspruchten Dieselmaschinen weiterfahrenden Schiff wurde immer kürzer. »Wir wissen, daß wir Ihnen nicht trauen können, Forrester. Sie haben der Freiheitsfront in Rishram und Tiking schwere Verluste zugefügt. Dennoch versprechen wir Ihnen, freies Geleit zu geben, wenn Sie sich der Beschlagnahme Ihres Schiffes nicht widersetzen.« »Ich halte mein Wort, auch Kommunisten gegenüber«, rief Mike zurück. »Ich werde euch das Schiff überlassen. Doch erst, wenn meine Gäste in Tuyan sind.« »Dann zwingen Sie uns zur Gewalt. Wir werden niemanden schonen, Forrester«, war die zornige Antwort. Unaufhaltsam fuhr die Promise weiter, immer näher auf die -548-
Mitkom-Boote zu. »Die Kerle wollen das Schiff möglichst unbeschädigt kapern - durch ein Entermanöver der Guerillas. Sie wissen nicht, daß sie sich da an eine Beute heranmachen, die ihnen im Hals steckenbleiben kann.« »Sollen sie's nur versuchen!« grinste Jenkins. »Der arme Charlie Prescott hat mir die Schlacht von Ba To erspart, aber das werde ich jetzt nachholen!« Er überblickte die Breite des Stroms, die drohende Masse der sich nähernden feindlichen Fahrzeuge hatte alle Lücken geschlossen. »Mein erstes Gefecht zu Wasser!« lachte er grimmig. Am linken Ufer sammelten sich jetzt etwa dreißig Sampans, manche von ihnen mit bis zu zwanzig Mann Besatzung. In jedem Boot hielten zwei bis drei Mann Enterhaken bereit. Nun, da die Promise mit unvermindertem Tempo bis auf 30 Meter an die sonderbare Armada herangefahren war, formierten sich die Mitkoms zum Entermanöver. »Erst auf kürzeste Distanz das Feuer eröffnen!« befahl Mike. »Wenn die Kommunisten schwere Waffen einsetzen wollten, hätten sie uns schon längst in den Grund bohren können. Sie wollen das Schiff kapern, wenn sie es aber nicht bekommen, werden sie es zusammenschießen.« Jenkins nickte. Über das Feldtelefon gab er die Weisung an die drei Sergeanten weiter. Und dann, genau in dem Moment, als die Guerillas ihre Haken schwangen, zielte er auf den vordersten Sampan und feuerte eine 40-Millimeter-Granate ab. Als das Boot in Stücke zerbarst, erledigte Jenkins schon den zweiten Sampan. Mit einem Donnerschlag verschwand dieser in einer hohen Sprengfontäne aus Wasser und Feuer. Mike, der neben dem Captain kauerte, jagte den anderen Booten Geschoßgarben entgegen. Die Guerillas erwiderten mit heftigem Abwehrfeuer aus dem Gewimmel der Fahrzeuge, die sich immer näher an die Promise heranschoben. Die Jacht stampfte weiter. -549-
Nun waren die Sampans hart an der Kimme. »Die glauben noch immer, sie können uns ausräuchern, ohne das Schiff zu zerstören!« brüllte Mike im Gefechtslärm Jenkins zu. »Ich decke die Bande von Backbord aus ein, schießen Sie über den Bug, Captain!« Hinter die Panzerung der Kommandobrücke geduckt, feuerte er aus den Luken, die für diesen Zweck eingeschnitten worden waren. »Jenkins, jetzt kommen immer mehr!« schrie er. »Sie werden uns das Steuerhaus über dem Kopf zusammenschießen, 'runter!« Jenkins drückte auf einen Signalknopf. Unter Deck öffnete Cavanaugh eine bisher gut getarnte Schießscharte, und plötzlich ragte aus der Schiffswand der Lauf eines überschweren MGs M60. Mündungsfeuer zuckte auf, der erste 250er-Gurt mit 7,62NATO-Munition war rasch durch, die bewaffneten Sampans gerieten knapp oberhalb der Wasserlinie in einen vernichtenden Geschoßhagel. Vor Mikes und Jenkins' Augen barsten die Bootsrümpfe, die sich der Promise bis auf wenige Meter genähert hatten. Ganze Klumpen toter und verwundeter Guerillas stürzten in den Strom. Auf solch kurze Distanz wirkte die M-60 verheerend, die Treffer erfaßten zwei oder drei Reihen hintereinander gestaffelter Sampans. In Sekunden war die Flottille der ersten Angriffswelle, etwa dreißig Boote, zerschlagen, aber die Hauptmacht der Mitkoms versperrte noch immer dichtgeschlossen den Weg, nur noch wenige Minuten, und die Jacht würde sich nach allen Seiten zur Wehr setzen müssen. »Bis jetzt keine Schäden«, sagte Mike nach einem prüfenden Blick über die Kommandobrücke. »Hoffen wir, daß die Mitkoms das Schiff noch immer in manövrierfähigem Zustand schnappen wollen«, antwortete Jenkins. »Die verdammten Dschunken da vorn könnten durchaus mit großen Kalibern bestückt sein.« -550-
»Und ob. Aber nun wissen die Kerle nicht, was wir noch an Bord haben. Gott sei Dank liegt hinter der Sperre eine völlig gerade Strecke.« Mike, der noch immer hinter der Panzerung hockte, stieß die Tür zum Steuerhaus auf. Batki hatte seine Furcht überwunden, mit grimmigem Gesicht stand er am Rand und hielt stur den Kurs. »Auf Automatik umschalten!« befahl Mike. Aus der Funkstelle rief DakatLi nach ihm. »Ich habe den Zwischenfall nicht nach Tuyan gemeldet, Mr. Forrester. Der Palast ist abgeriegelt, aber es kam natürlich zu keinem Feuerwechsel.« Als würden Erbsen gegen die Panzerplatten geworfen, sprühten MG-Geschosse über die Kommandobrücke. Mike deckte sich hinter der schweren Armierung. »Jetzt sind sie auf allen Seiten!« schrie Jenkins, als hätten es die anderen nicht bemerkt. »Feuer aus allen Rohren! Vielleicht erwischen wir die großen Kisten, bevor sie noch aufs Ganze gehen und uns lieber versenken als durchlassen!« »Drauf!« schrie Mike zwischen den Zähnen hervor. Von Luke zu Luke rennend, schoß er mit seinem leichten MG in die Sampans hinein, die die Promise zu entern versuchten. Dann hörte er das Splittern von Holz und sah, wie sich erst einer, dann mehrere der Haken in den Deckplanken festbissen. Sofort griff er in die Kiste und warf mehrere Handgranaten in rascher Folge direkt in die Sampans. Krachend brach die Hölle los, schwarze Körper wurden durch die Luft geschleudert und klatschten ins Wasser, während die auf automatische Steuerung geschaltete Promise die Wracks der zerstörten Boote an den Enterhaken hinter sich herzog. Plötzlich bellten am Bug die überschweren MGs auf. Barton hatte die beiden Schießscharten in der Backbord- und Steuerbordwand geöffnet, und nun bohrten die beiden Waffen -551-
alles, was ihnen vor die Mündung kam, mit tödlichem Kugelregen in den Grund. Vom Heck feuerte Jennessen mit der automatischen Kanone auf eine der großen Dschunken, die sich nur mit wenigen Schüssen wehren konnte, bevor sie mit aufgerissenem Rumpf langsam in den Fluten versank. In diesem Augenblick entdeckte Mike ein Fahrzeug, welches das Flaggschiff der Mitkoms sein mußte. Eine Dschunke, viel größer als die Promise, mit Signalwimpeln an der primitiven Takelung und riesigen, drohenden, zu beiden Seiten des Bugs aufgemalten Augen. Dieses Schiff manövrierte etwa fünfhundert Meter backbord von der Jacht entfernt, wahrscheinlich hatte es sich bis zum entscheidenden Moment hinter der Dschungeltarnung verborgen gehalten, um erst im äußersten Fall einzugreifen. Doch nun mußte sich der Kommandeur der Mitkom-Flotte entschlossen haben, die Promise, die nicht zu kapern war, zu erledigen. Schon drang das Rattern eines von den Guerillas erbeuteten amerikanischen überschweren MGs herüber. Ein Geschoß schmetterte in die Deckaufbauten, ein anderes fetzte ein Stück der Kommandobrücke weg. Jenkins packte das Feldtelefon. »Von links greift ein großer Kasten mit 50er-Kaliber an!« schrie er Barton zu. Der lange Sergeant blickte sich um und sah, daß Cavanaugh bereits visierte und mit der M-60 auf die Dschunke feuerte. Als Mike und Jennessen vorsichtig über die Panzerplatten spähten, streute der Mitkom-Schütze die Promise wieder mit einer Geschoßgarbe ab. Das Schiff erzitterte unter den Einschlägen. Plötzlich verstummte die M-60. Der Captain preßte den Hörer des Feldtelefons ans Ohr. »Scheiße, Sir!« schrie Barton am anderen Ende. »M-60 ausgefallen, Cav ist getroffen!« Jenkins blickte Mike an. »Können Sie den Kahn nach links wenden?« Mike verstand. »Barton soll an die MGs im Vorschiff!« rief er und hatte schon den linken Knopf der automatischen Steuerung -552-
gedrückt. Die Promise reagierte sofort, mit voller Kraft änderte sie den Kurs. Der Feind, der dieses Manöver nicht erwartet hatte, konzentrierte sein Feuer auf die Kommandobrücke. Unter ohrenbetäubendem Getöse zerbrach klirrend die große Glasscheibe des Steuerhauses, die beiden Amerikaner warfen sich hinter der Armierung zu Boden. Als Mike durch eine der Luken blickte, sah er, daß das Schiff nun, die kleinste Zielfläche bietend, direkt auf die kommunistische Dschunke zuhielt. Andere Dschunken griffen die Promise von hinten an, doch Jennessen hielt die Verfolger mit wohlgezielten Salven aus der automatischen Kanone in sicherem Abstand. Nun wurde der Kampf zu einem Duell der beiden überschweren MGs. Ein Feuerstoß riß die obere Hälfte des Steuerhauses weg, Trümmer und Splitter sausten durch die Luft. Mike und Jenkins hoben die Köpfe und blickten wieder durch die Luken. Ihr Triumphgeschrei ging im Knattern des plötzlichen Gegenschlags unter. Auf dem Vorschiff wütete Barton mit dem überschweren Zwillings-MG. Kaum einen halben Meter über der Wasserlinie sägte er den Rumpf der Dschunke buchstäblich durch. Vor ihren Augen barst das starke Schiff wie dünnes Bretterwerk, die Waffe des Gegners war endgültig zum Schweigen gebracht. Mike drückte auf den rechten Knopf. Trotz der Havarien funktionierte das Steuer. Barton feuerte pausenlos weiter, er schoß alle Dschunken und Sampans zusammen, die während des Wendemanövers in seinen Zielbereich kamen. Nun pflügte der Bug bereits stromaufwärts, das Schiff nahm wieder Kurs auf Tuyan. Einige andere Dschunken, die auf der Lauer gelegen waren, stießen zur Mitte des Stroms vor und überschütteten die Promise von hinten mit einem Geschoßhagel. Kugeln jaulten um die Kommandobrücke, und plötzlich verstummte die Maschinenkanone am Heck. Dies nützten die feindlichen Fahrzeuge aus, um näher an die Jacht heranzukommen. Hinter der durch viele Treffer beschädigten Funkstelle -553-
verschanzt, versuchten Mike und Jenkins mit ihren leichten MGs die Dschunken abzuwehren. Das Achterdeck der Promise bot ein Bild der Verwüstung. Immer näher kamen die Dschunken heran, um der Promise den Rest zu geben. »Ich muß zur Kanone!« brüllte Mike dem Captain zu. »Wir sind schon fast durch - aber ohne die Kanone sind wir geliefert, die Schweine werden uns den Kahn zu Kleinholz schießen!« Kriechend erreichte Mike die Eisentreppe, die von der Kommandobrücke zum Deck führte, da, er traute seinen Ohren nicht - rums, rums, rums! - begann die wirksamste Waffe der Promise wieder zu feuern. Die vorderste der Dschunken explodierte, als wäre sie auf eine Mine aufgefahren. Ehe noch die anderen Mitkom-Schiffe abdrehen konnten, gerieten sie ins Schußfeld, systematisch vollendete die Maschinenkanone ihr Zerstörungswerk, keine der Dschunken entkam in den schützenden Nebenfluß. Mit einemmal war es wieder still über dem Tuyanfluß, vor der Jacht verlief schnurgerade das Bett des Stroms, in ihrem Kielwasser trieben die Wrackteile der vernichteten Guerillaflotte. Mike arbeitete sich über die Trümmer und verbogenen Metallfetzen der arg mitgenommenen Kommandobrücke zum Steuerhaus vor und stieß die Tür auf. Eisiger Schreck durchfuhr ihn, als er Batki erblickte. Gegen die Stahlschotten geschleudert, lag der Skipper ausgestreckt auf dem Boden. In diesem Moment sah Mike die Sandbank, die sich weiß leuchtend aus dem Wasserspiegel hob. Mit seinem ganzen Gewicht riß er das angesplitterte Steuerrad nach backbord herum. Er spürte den Widerstand der Automatik, doch keuchend stemmte er die Handgriffe immer weiter nach links. Ein jäher Ruck erschütterte das Schiff vom Kiel bis zum Heck. Aufatmend straffte sich Mike, das Manöver war gelungen, die Promise wich der Sandbank aus, rasch brachte er sie wieder auf Kurs. Mittlerweile kam Batki, der nur durch den Anprall betäubt -554-
worden war, wieder zu sich und rappelte sich hoch. »Um ein Haar wären wir auf Grund gelaufen«, rief ihm Mike zu. Über herabgestürzte Trümmer steigend, kam der Skipper heran, Mike überließ ihm das Rad. »Ich sehe unten nach«, murmelte er und kletterte mehr als er ging die verbogenen Eisenstufen hinab. Die Kombüse wies viele Treffer auf, doch die ärgste Verwüstung hatte der feindliche Beschuß in Barkuns Kabine angerichtet. Die Panzerung rund um die Schießscharte war durchlöchert, aus den meisten Stücken der einst so luxuriösen Einrichtung konnte man nur noch Brennholz machen. Der erste, den Mike sah, war Cavanaugh. Er hatte notdürftige Verbände um Kopf und Arme. Auf dem Bett lag Jennessen, aus Wunden an der Stirn und beiden Schultern blutend. Barkun saß neben ihm und sprach leise auf ihn ein. Mit gezwungenem Lächeln blickte Cavanaugh Mike an. »Da staunen Sie, Sir. Ein bißchen lädiert zwar, aber immer noch zu brauchen.« »Wird er wieder ganz gesund werden, Sergeant?« fragte Barkun besorgt. »Der? Den bringt nichts um, Majestät!« rief Cavanaugh. »Das ist schon das zweite Mal in diesem Monat, daß ich ihn zusammenflicke.« »Ich bleibe auf dem Posten«, sagte Jennessen schwach. »Ich wollte... euch nicht im Stich lassen... Aber...« »Im Stich lassen?« fiel ihm Jenkins ins Wort, der ebenfalls in die Kabine gekommen war, »Jennessen, Sie haben uns im letzten Moment gerettet! Wenn Sie nicht eingegriffen hätten, dann wäre es ausgewesen.« »Nein, Sir«, flüsterte Jennessen heiser, »das war der König.« Aller Augen waren nun auf Barkun gerichtet, es schien fast unglaublich. Schließlich fragte Mike zögernd: »Ist das wahr, Majestät?« -555-
»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich mit den meisten modernen Feuerwaffen umgehen kann, Forrester. Als junger Mann kämpfte ich mit meiner Guerillaarmee gegen die Japaner. Das hier ist gar nicht der Rede wert. Vom Maschinenraum aus hörte ich das Rattern der Maschinenkanone, da plötzlich - die Mädchen und Henri werden es Ihnen bestätigen - bebte das ganze Achterschiff, und wir hörten das Jaulen von Querschlägern. Dann war die Kanone verstummt. Ich wußte, daß wir nur diese eine Waffe hatten, um uns gegen Angriffe vom Heck her zu verteidigen. Die Rückendeckung ist immer sehr wichtig.« Er lächelte. »Darum habe ich mich zum Sergeant nach hinten gearbeitet. Ich finde ihn verwundet auf dem Boden, hebe ihn aufs Bett und nehme seinen Platz ein. Im Gurt war noch genügend Munition, die Richtung stimmte - ich brauchte also nur auf den Abzug zu drücken. Es war wie in alten Zeiten!«
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45 An jedem anderen Tag hätten sich um diese Nachmittagsstunde Scharen von Neugierigen am Ufer gedrängt, um die schwer havarierte Jacht zu sehen, die auf dem Tuyan durch die Hauptstadt fuhr. Doch nur General Dandig mit einem Adjutanten und zwei Infanteristen erwarteten die Promise, als sie am Kai anlegte. Nervös mit seinem kurzen Offiziersstock spielend, musterte der General die vielen Treffer und Verwüstungen an Rumpf und Aufbauten. Mike und einer seiner Matrosen klappten den Bootssteg aus, rasch kam Dandig an Bord. Schweigend betrachtete er die Einschläge in den Planken und die durchsiebten Schotten. Schließlich stellte er seine Frage, zögernd, als befürchte er eine Hiobsbotschaft: »Ist der König unverletzt?« Wie zur Antwort erschien Barkun an Deck, er trug die pompöse Galauniform eines Marschalls des mituyanischen Heeres. »Majestät!« »Dandig!« Barkun umarmte seinen treuen General. »Haben Sie den Putsch fest in der Hand?« »Nun, da Sie hier sind, Majestät, ist der Erfolg gesichert. Wir brauchen dringend Thannits Hilfe, aber ich konnte ihm nicht restlos vertrauen.« »Ich hätte auf dem Luftweg nach Tuyan kommen sollen. Wir haben eine Stromschlacht mit den Kommunisten hinter uns, Dandig. Schade um Forresters schöne Jacht.« Der General schüttelte den Kopf. »Das wäre unmöglich gewesen, Majestät. Tarot hegt den Verdacht, daß Sie im Land sind. Ich weiß nicht, ob er sich auf bloße Vermutungen stützt -557-
oder ob er durch seine Agenten in Hongkong gewarnt wurde, jedenfalls haben seine Special Forces alle Flugplätze in Mituyan besetzt. Jede Maschine wird genau durchsucht. Die Geheimpolizei überwacht sogar den Betrieb in den Kontrolltürmen und in den Funkzentralen. Deshalb nahmen wir mit DakatLi nur dann Verbindung auf, wenn es unbedingt nötig war.« »Gut so. Und was nun?« »KaritKi und Tarot glauben noch immer, daß es sich um einen fingierten Staatsstreich handelt, aber sie werden unruhig, weil keiner der Generale auf ihre Alarmrufe antwortete - weder im negativen noch im positiven Sinn, wir waren einfach nicht erreichbar. Doch wir haben alle wichtigen Positionen der Stadt besetzt: die Rundfunk- und Fernsehstation, das Hauptpostamt, das Telegrafenamt, das Generalstabsgebäude, den Palast, die Polizeistationen und den Tuyan Citv International Airport. Alle erwarten Sie, Majestät.« »Und wie lautet der Plan?« beharrte Barkun. »Es ist vorgesehen, daß Sie mit mir in einem Panzer zur Rundfunk- und TV-Station fahren und über das Fernsehen dem mituyanischen Volk in einer Proklamation verkünden, daß Sie mit Hilfe der Armee ins Land zurückgekehrt sind, um wieder den Thron zu besteigen. KaritKi wird für abgesetzt erklärt und aufgefordert, sich widerstandslos zu ergeben - gegen Zusicherung eines fairen Prozesses. Ein weiterer wichtiger Punkt der Proklamation, Majestät, ist die Garantie freier und unbeeinflußter Wahlen.« Francine und Birgit kamen mit Henri an Deck. »Wie viele Personen haben in dem Panzer Platz?« fragte Barkun. Peinlich berührt blickte Dandig die beiden Mädchen an. »Majestät, ich hielte es für ratsam, daß Sie sich dieses erstemal dem Volk, hm, sozusagen solo zeigen.« »Sie haben recht, General. Aber meinen Freund Mr. Forrester -558-
werde ich doch mitnehmen dürfen?« Dagegen hatte Dandig nichts einzuwenden. Mit dem König, DakatLi und Mike stieg er in den Panzerwagen. Durch die schmalen Schlitze sahen sie den Aufruhr auf den heißen Straßen von Tuyan. Überall Panzer, Truppen und Menschenmengen. »So geht es schon den ganzen Tag«, sagte Dandig. »Niemand weiß, was wirklich geschieht. Die amerikanische Botschaft ist ständig in Kontakt mit General Thannit und mir. Zwei Regimenter des II. Korps haben einen Kordon um die Stadt gezogen, und auf dem Flugplatz von Tiking steht auf meinen Befehl ein kriegsstarkes Fallschirmregiment samt Transportern einsatzbereit.« Der General lachte auf. »Tarots Special-ForcesOffiziere in Tiking glauben, es ist eine regierungstreue Einheit, die KaritKi im Notfall zu Hilfe kommen soll.« Nach einer Fahrt von zehn Minuten erreichten sie die TVStation. »General Thannits Truppen halten das Gebäude besetzt«, erklärte Dandig. »Aber auf der anderen Straßenseite ist eine MSF-Kompanie in Stellung gegangen. Wenn der Kommandeur Eure Majestät erkennt, könnte eine Schießerei entstehen. Unsere Kräfte sind so postiert, daß sie Ihnen unter Umständen Feuerschutz geben können.« Der Panzerwagen bremste. Dandig spähte hinaus. »Wir sind da, Majestät. Bitte, betreten Sie so rasch und unauffällig als möglich das Haus!« Der General öffnete die hintere Luke, zuerst stieg er selbst mit DakatLi aus. Dann sprang Barkun mit jener überraschenden Behendigkeit, die er in kritischen Momenten entwickelte, zu Boden und war mit wenigen Sätzen über die Treppe im Gebäude verschwunden. Mike folgte dem König, die Soldaten ließen ihn ungehindert passieren. In der prunkvollen, großen Marmorhalle schloß sich sofort ein schützender Ring Bewaffneter um den König. Mike brauchte nur der leuchtendblauen Uniform -559-
inmitten der khakifarbenen Gestalten nachzugehen. So gelangten sie zu den Studios im ersten Stock. Eine körperlose Stimme tönte durch den Raum und gebot Ruhe. Sofort gehorchten alle Umstehenden, die Generale und auch der Herrscher dem Befehl des anonymen TV-Technikers. An einer der Kameras leuchtete ein rotes Signallämpchen auf. Der Studioleiter gab dem dicken Mann in Blau und Gold ein Zeichen. Aufrecht in einem Fauteuil sitzend, blickte Barkun direkt ins Objektiv und begann zu sprechen: »Mituyaner! Ihr kennt mich alle, ich bin euer König Barkun VI., der aus seiner Verbannung zurückgekehrt ist, um euch die ersehnte Befreiung von der Tyrannei KaritKis zu bringen. Seit Jahren schmachtet Mituyan unter dem Joch des grausamen Unterdrückers, geknechtet vom Machtapparat seiner Brüder und Günstlinge, die dem Volk das Blut aussaugten wie die Blutegel des Tuyandeltas. Ich erkläre den Premier für abgesetzt und fordere ihn auf, den Palast zu verlassen. Ich werde die Kerker der politischen Häftlinge öffnen und jene Tapferen befreien, die es wagten, ihre Stimmen gegen die Gewaltherrschaft zu erheben. Ich werde unverzüglich Schiffe zu der Felseninsel entsenden. Diese Schiffe werden KaritKis Söldlinge und Sklavenhalter in das berüchtigte Straflager deportieren und die Patrioten zurückbringen, die für freie Wahlen eintraten und deshalb das bittere Los der Gefangenschaft und Verfemung auf sich nehmen mußten. Sie mußten wegen ihrer ehrlichen Gesinnung in den Lagern schmachten. Ich betrachte es als meine erste und wichtigste Aufgabe als euer König, die Durchführung demokratischer und unbeeinflußter Wahlen zu gewährleisten, aus denen eine nach den Entschlüssen des Volkes gebildete Verfassunggebende Versammlung hervorgehen soll. Kein Kandidat hat nun Willkür und Verfolgung zu befürchten!« Der Studioleiter kniete unter der Kamera, er deutete auf das -560-
Telefon, das vor Barkun auf einem Tischchen stand. »Für jene, die mich nur über den Rundfunk hören, aber nicht auf dem Bildschirm sehen, möchte ich erwähnen, daß ich nun zum Telefon greife. Ich bin mit dem Exkanzler Tarot verbunden, dem Bruder des abgesetzten Präsidenten. Ihr werdet hören, was ich zu ihm sage.« In barschem Ton rief er in die Muschel: »Tarot, die Aktion, die Sie für einen nur zum Schein inszenierten Putsch hielten, ist ein wirklicher Umsturz. Ich fordere Sie und Ihren Bruder zur Kapitulation auf. Ich garantiere für Ihre persönliche Sicherheit...« Gellend drang Tarots haßerfüllte Stimme aus dem Lautsprecher ins Studio: »Noch in dieser Stunde werden Sie als Rebell hingerichtet werden! Premier KaritKi hat die Armee hinter sich.« Das Signallämpchen erlosch, die Kamera glitt lautlos heran. »Wenn Sie Ihr Fernsehgerät eingeschaltet haben, Tarot, dann werden Sie sich überzeugen können, daß Sie die Armee nicht hinter sich haben!« Thannit und Dandig traten ins Bildfeld und pflanzten sich rechts und links vom Fauteuil auf. »Im Namen der mituyanischen Armee begrüßen wir den zurückgekehrten König Barkun als Herrscher des Landes!« rief Dandig laut und deutlich. »Die mituyanische Armee steht bereit, um das geknechtete und geschundene Volk vor neuerlichen Gewaltakten des Tyrannen KaritKi zu beschützen«, setzte Thannit die programmatische Erklärung fort. »Wenn Sie Blutvergießen vermeiden wollen, dann stellen Sie sich den königlichen Truppen«, sagte Barkun eindringlich. »Wenn aber die Palastwache Widerstand leistet, wird sie im Namen des Volkes überrollt werden.« Barkun starrte drohend in die Kamera. »Wie lautet Ihre Antwort, Tarot?« Ein klickendes Geräusch zeigte an, daß die Graue Eminenz Mituyans den Hörer in die Gabel gelegt hatte. -561-
»Mein Volk, die gestürzten Diktatoren bieten deinem König die Stirn«, sagte Barkun in bedauerndem Ton. »Die Armee wird nun auf meinen Befehl vorrücken, um den Palast zu nehmen und alle Funktionäre KaritKis zu verhaften.« Er blickte in die Kamera, die auf Naheinstellung heranfuhr. »Mituyaner! Ich verbleibe hier in der Fernsehstation, um euch über den Ablauf der Geschehnisse zu berichten, bis KaritKi und seine blutdürstigen Kreaturen in unserer Hand sind. Inzwischen werde ich euch meine Reformpläne darlegen, die jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind in Mituyan ein besseres Leben sichern sollen.« Dandig und Thannit salutierten dem König, der ihren Gruß stramm erwiderte. Die beiden Generale traten aus dem Bildfeld. Barkun begann seine Marathonrede über die politische Zukunft des Landes. Mike folgte Dandig in den Vorraum und befragte ihn über die nächsten militärischen Aktionen. »Wir werden den Palast besetzen. Ich fürchte, es wird dabei nicht ohne Verluste abgehen. Auf der Gegenseite steht ein Bataillon der Special Forces, und, was noch schlimmer ist: Mayna hat ihre weibliche Leibwache in den Flügel des Palastes verlegt, wo sich ihr Privatappartement befindet. Ich hoffe, daß sie die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage einsehen und sich ergeben. Der Anblick unserer aufgefahrenen Panzer müßte genügen, um sie von unserer Überlegenheit zu überzeugen.« Doch bevor sie ins Erdgeschoß kamen, hallten die Feuerstöße leichter MGs durch das Marmorfoyer. »Die Special-ForcesKompanie muß den Befehl zum Angriff auf die Fernsehstation erhalten haben«, rief Thannit. »Glatter Irrsinn!« Klatschend schlugen Kugeln in die Mauern, irgendwo klirrte eine zerschossene Scheibe. Die beiden Generale mit ihren Adjutanten und Ordonnanzen preßten sich flach an die kalten Steinwände. -562-
Der Feuerwechsel dauerte nur kurze Zeit. Als einige Minuten vergangen waren, ohne daß ein weiterer Schuß fiel, wagten sich die Generale ins Freie. Die Straße bot ein blutiges Bild. Auf der breiten Fahrbahn verstreut lagen tote und sterbende MSFSoldaten. Auch einige von Thannits Infanteristen waren in ihren Stellungen auf der Steintreppe gefallen. Verwundete hockten auf dem Boden und warteten auf die Sanitäter. Alle Oberlebenden der MSF-Einheit hatten ihre Waffen weggeworfen und standen mit erhobenen Händen zusammengedrängt vor den drohenden Mündungen der Gewehre. »Das erste Gefecht siegreich beendet!« sagte Thannit. »Nun kommt der Palast dran! Meine Truppen haben den Befehl, keinen Pardon zu geben, aber ich glaube, die Polizei wird nicht so unklug sein wie Tarots Leibwache.« Mike stieg hinter Dandig in einen Schützenpanzer, Thannit fuhr in seinem Kommandowagen voraus. Als sie sich in schneller Fahrt durch die Bismarck Avenue dem Palast näherten, war beim hohen eisernen Lanzenspitzenzaun eine Schießerei im Gang. Etwa hundert Meter weiter schwangen sie sich aus den Fahrzeugen. Sie standen vor einem hohen Bürogebäude. »Das ist unser Gefechtsstand«, sagte Dandig. »Von oben haben wir den gesamten Palast im Blickfeld. Hoffentlich funktioniert die Telefonverbindung. Ich werde mit KaritKi und Tarot verhandeln, während General Thannit den Angriff leitet.« Sie stiegen auf das Flachdach, wo Offiziere und Soldaten hinter einer durch Sandsackbarrieren verstärkten Brustwehr einen feldmäßigen Gefechtsstand eingerichtet hatten. Die Sonne des Spätnachmittags zeichnete lange, dunkle Baumschatten über die hellgrünen, wohlgepflegten Rasenflächen des Palastgartens. Von diesem strategisch sehr günstigen Punkt konnte Mike die Operation genau verfolgen. General Thannits Einheiten, reguläre Infanterie, hatten den -563-
Palast umzingelt und hielten den Gegner durch ständiges Geplänkel der leichten Waffen nieder. Die Palastwache und Tarots Special Forces erwiderten das Feuer aus den Bunkern, die rund um den großen Bau angelegt worden waren. Auf der Straße waren vier Panzer aufgefahren, die Mündungen ihrer Geschütze drohend auf die pompöse Fassade gerichtet. »Wir könnten jederzeit losschlagen«, sagte Dandig. »Aber wenn es uns gelingt, KaritKi zur Kapitulation zu bewegen, bleibt uns dieser abscheuliche Bruderkampf erspart. Außerdem müssen wir an Maynas und Tarots Kinder denken. Die Weltmeinung stempelt uns zu Mördern, wenn den Kindern etwas geschieht.« Dandig wandte sich an einen Ordonnanzoffizier und fragte, ob eine Telefonverbindung mit dem Palast bestünde. Die Ordonnanz nickte. Der General griff zum Hörer und sagte, er wünsche den Expräsidenten zu sprechen. In KaritKis Salon im Westtrakt des Palastes war die gesamte Familie versammelt. Alle starrten wie gebannt auf den Bildschirm. Barkun hielt noch immer mit unverminderter Energie seine Dauerrede. Tarot las eine Meldung und blickte seinen Bruder an, »Poramat hat ein kriegsstarkes Regiment in Richtung Tuyan in Marsch gesetzt«, sagte er. »Warum schickt er es nicht auf dem Luftweg nach Tuyan?« fragte KaritKi gereizt. »Dandig hat mit Fallschirmeinheiten den Flugplatz von Tiking abgeriegelt. Poramat wollte einen zeitraubenden Kampf in Tiking vermeiden und entschloß sich daher, die Truppen so rasch wie möglich heranzubringen, solange die Straßen noch frei sind...« Tarot ging nervös im Raum auf und ab, seine mageren Finger zerknitterten die dünnen Blätter Papier, die er in der Hand hielt. »Unser Bruder verhandelt mit General Kit, dessen 8. -564-
Luftlandedivision Dandig vor einigen Tagen ganz plötzlich ins Grenzgebiet verlegte. Niemals haben die Verschwörer versucht, Kit für ihre Umsturzpläne zu gewinnen. Seine Loyalität stand nie außer Frage.« Er lächelte Dhana traurig an. »Dein Vetter bemüht sich nun, seine Division in Tiking umzugruppieren. Dann wird er den Flugplatz von Tiking im Handstreich nehmen und mit Transportmaschinen seine Fallschirmtruppen direkt über dem Palastbereich absetzen.« »Wo bleibt die 12. Infanteriedivision aus Banthut? General Bakalit war als Captain eine obskure Persönlichkeit, bevor Mayna seine besonderen militärischen Fähigkeiten erkannte«, fuhr Karit-Ki auf. »Auf ihn können wir doch auch zählen!« Tarots verkniffene Lippen waren so dünn wie eine Messerschneide. »Ich hätte das abgekartete Spiel durchschauen müssen. Gerade Bakalits Division wurde vorige Woche ins Bergland beordert, um›die Groats zu befriedigen‹, ha! Es wird zwei Tage dauern, bis er uns zu Hilfe kommen kann.« »Gerede, nichts als Gerede!« warf Mayna unwillig ein. »Wie stark sind wir wirklich?« »Zwei motorisierte Infanterieregimenter sind unterwegs, das eine von Norden her - auf Poramats Befehl -, das andere aus dem Tuyandelta. Keines von beiden kann vor heute spätnachts oder morgen früh eintreffen. Vielleicht gelingt es General Kit, im Verlauf des morgigen Tages seine Fallschirmregimenter nach Tuyan einzufliegen - das heißt, wenn er vorher den Flugplatz erobert...« »Dann müssen wir uns heute allein verteidigen.« »Wir haben nur dreihundertfünfzig Mann unserer Special Forces zur Verfügung, größtenteils Rekruten«, erwiderte Tarot. »Und meine zweihundert Mädchen!« ereiferte sich Mayna. »Die 1. Infanteriedivision unter General Thannit hat die Stadt -565-
besetzt«, sagte Tarot, düster ins Leere starrend. »Zweifellos hat er die 2. Infanteriedivision in Reserve.« »Wenn wir uns nur heute und während der Nacht halten können«, beharrte Mayna, »die regierungstreuen Kräfte werden sich rasch sammeln. Oh, wenn nur Whit noch Botschafter wäre! Er könnte den verräterischen Generalen mit der Einstellung der Hilfslieferungen drohen!« Wie auf ein Stichwort trat ein Adjutant ein und meldete: »Botschafter Täte ist am Apparat. Er wünscht den Präsidenten zu sprechen.« KaritKi nickte. »Schalten Sie das Gespräch auf den Lautsprecher um. Wir alle wollen hören, was er uns zu sagen hat.« »Täte allein ist der Drahtzieher dieses Putsches.« Tarot furchte die Stirn. »Du hättest ihm die Akkreditierung verweigern sollen. Ich hatte sofort das dunkle Gefühl, daß er uns an den Galgen liefern würde.« »Ich werde auf seiner Abberufung bestehen, wenn diese Krise überwunden ist«, entgegnete KaritKi müde. Ein Wink, und der Adjutant drückte auf einen Knopf. Das Kontrollicht leuchtete auf. Täte war in Verbindung mit der Familie Ki. »Sie wünschen mich zu sprechen, Herr Botschafter?« »Exzellenz, ich will Ihnen das Asyl der amerikanischen Botschaft anbieten«, sagte Täte. »Ich fürchte, Sie befinden sich in einer unhaltbaren Situation. Das Militär und die Volksmassen reißen die Macht an sich, Tuyan wird zum Hexenkessel der Revolution. Der aufgestaute Haß entlädt sich überall dort, wo man Regierungsfunktionäre vermutet. Der Mob zerrt sie aus den Häusern und trampelt sie auf offener Straße zu Tode. Jede Minute ist kostbar, Exzellenz. Ich verbürge mich dafür, daß Sie und alle Ihre Angehörigen unbehelligt in die Botschaft gebracht werden, und dort das Asylrecht genießen können.« »Damit Ihre Marionette, König Barkun, den wir vor Jahren -566-
davongejagt haben, hier den Herrscher von Amerikas Gnaden spielen kann?« schrie KaritKi außer sich. »Dieser Eindringling hat mich ja bereits abgesetzt, mich, das rechtmäßige Staatsoberhaupt von Mituyan!« »Ich bin nur um Ihre persönliche Sicherheit besorgt.« Tates Stimme blieb völlig sachlich. »Sobald Sie alle unter dem Schutz der Botschaft stehen, können wir auf dem Verhandlungsweg mit den aufständischen Generalen und König Barkun ein Abkommen treffen. Machen Sie sich keine Illusionen, Exzellenz, der König gewinnt rapid alle Schichten der Bevölkerung für sich. Der Palast kann Ihnen nicht länger Schutz bieten.« »Wenn wir den Palast verlassen, geben wir alle Macht aus der Hand!« kreischte Mayna hysterisch. »Wir bleiben! Loyale Truppen sind bereits unterwegs, um den Premier zu befreien.« »In Ihrem Interesse hoffe ich, daß Sie recht haben«, antwortete Täte kühl. »Aber mein Angebot bleibt aufrecht. Sollten Sie es vorziehen, sich in die amerikanische Botschaft zu retten, werde ich Ihnen Asyl gewähren.« »Sie haben diesen Putsch angezettelt!« Mayna stand auf und trat dicht vor den Lautsprecher. »Sie haben uns verraten! Die Amerikaner, die sich als unsere Freunde und Verbündeten ausgaben, haben die ganze Zeit über auf unseren Sturz hingearbeitet und die Verschwörer unterstützt. Wir brauchen die Hilfe der Amerikaner nicht. Wir wollen mit ihnen nichts mehr zu tun haben. Ihr seid schuld an allem!« Rasch drückte Tarot auf den Knopf, der den Telefonkontakt mit dem Lautsprecher unterbrach. Sein Blick fiel auf den Bildschirm. Etwas vorgeneigt, den dicken Hals vom bestickten Stehkragen des Waffenrocks eingezwängt, harrte Barkun noch immer in der Scheinwerferhitze aus und sprach zum mituyanischen Volk. Mit einem unterdrückten Fluch schaltete -567-
Tarot das Gerät aus. »Wie ist dieser Fettwanst nach Tuyan gekommen?« zischte er wütend. »Ich wußte, daß er aus Hongkong abreiste. Alle unsere Flugplätze wurden strengstens kontrolliert. Mit dem Auto kann er auch nicht gekommen sein... wie also dann?« »Wie? Das ist doch belanglos. Er ist hier«, sagte KaritKi milde. »Ich schlage vor, daß du ein Peloton deiner Special Forces für seine Hinrichtung abkommandierst.« Seine verschleierten Augen ruhten auf Dhana, doch er sah durch seine junge Frau hindurch in unerreichbare Fernen. Tarot starrte seinen Bruder an. Er hatte es schon oft erlebt, daß sich KaritKi aus der harten Realität in eine Traumwelt flüchtete, wenn eine Krise drohte. Es war kein jäher Stimmungsumschwung, sondern ein für Fremde fast unmerkliches Entgleiten und Sichverlieren in utopische Wunschvorstellungen. Aber nun, da alles auf dem Spiel stand? Auch Tarot lechzte danach, sich auf seiner Matte auszustrecken und einige Opiumpfeifen zu rauchen, doch er widerstand der Lockung. Wieder betrat ein Adjutant den Raum. »General Dandig wünscht den Präsidenten oder Kanzler Tarot zu sprechen.« KaritKi bedeutete Tarot, die Anlage einzuschalten. Das Kontrollicht leuchtete auf. »Was haben Sie uns zu sagen, bevor wir über Ihr weiteres Schicksal entscheiden?« fragte der entmachtete Diktator plötzlich wieder mit klarer, fester Stimme. »Hören Sie genau zu, KaritKi«, antwortete Dandig entschlossen. »Wir bieten Ihnen Sicherheit. Wir garantieren auch Ihrer gesamten Familie Sicherheit, wenn Sie sich jetzt stellen. Aber wenn Sie uns zum Kampf zwingen, können wir für nichts garantieren. Wir wollen nicht, daß Tarots und Maynas Kinder sterben müssen. Aber wir werden kämpfen, wenn Sie unserer Aufforderung nicht Folge leisten, KaritKi.« -568-
Unbewußt blickte Mayna ihre drei Kinder an, die sich verängstigt in die Polsterung einer breiten Sitzbank drückten. Der natürliche Mutterinstinkt lag im Widerstreit mit ihrem fanatischen Ehrgeiz, den endgültigen Sturz der Ki-Sippe zu verhindern. »General Dandig!« Maynas Stimme war eine Peitsche. »Ihre rasche Karriere haben Sie uns, nur uns zu verdanken. Und nun lohnen Sie es mit Verrat. Wir werden uns nicht ergeben! Die loyalen Generale haben bereits ihre Truppen in Marsch gesetzt. Wenn Sie die Belagerung nicht sofort aufheben, werden Sie für diesen Angriff auf die rechtmäßige Regierung Mituyans teuer bezahlen!« »Die Zeit drängt«, antwortete Dandig sachlich, ohne auf Maynas haßerfüllte Drohungen einzugehen. »Aber ich gebe Ihnen fünf Minuten, sich freiwillig zu stellen. Die Einheiten, auf die Sie hoffen, KaritKi, werden auf jeden Fall zu spät kommen, um Sie zu befreien. Die fünf Minuten beginnen in diesem Moment. Wenn Sie nicht innerhalb von fünf Minuten den Palast beim Westtrakt verlassen - in vier Minuten und fünfzig Sekunden -, werden die Panzer Sie ausräuchern.« Bevor Mayna eine Entgegnung schreien konnte, hatte Tarot ausgeschaltet. »Wir müssen kämpfen!« rief sie. »Solange wir fest bleiben, werden unsere Special Forces und meine Mädchen Widerstand leisten.« »Aber die Kinder?« kam es leise von Dhana, die bisher geschwiegen hatte. »Wir dürfen sie doch nicht dieser schrecklichen Gefahr aussetzen.« Mayna überlegte kurz. »Nein, die Kinder müssen gerettet werden, sie müssen am Leben bleiben. Eines Tages werden sie über Mituyan herrschen.« »Dann mußt du mit ihnen sofort durch einen der Tunnels flüchten«, drängte Dhana. »Rasch, bevor die Geschütze das -569-
Feuer eröffnen!« »Nein, ich bleibe hier und werde meine Mädchen ins Gefecht führen. Wir werden den Palast so lange halten, bis die Entsatzkolonnen kommen. Überall im ganzen Land werden sich die regierungstreuen Kräfte zum Kampf sammeln. Sollen wir vor den Rebellen kapitulieren, die nur das Überraschungsmoment ausnützen?« Die Kinder starrten sie mit großen, erschrockenen Augen an, zu sprechen wagten sie nicht. »Dhana, bringe Para Bilot und Kewit aus dem Palast weg. Wir haben Freunde. Flüchte ins Chinesenviertel, der Großkaufmann Yen ist durch uns reich geworden, er wird dir und den Kindern Unterschlupf geben. Wenn der Putsch niedergeschlagen ist, könnt ihr wieder in den Palast zurückkehren.« Dhana blickte ihren Gatten an, der wieder in seinen sonderbaren Trancezustand versunken war und nicht ganz begriff, was um ihn herum vorging. Sie wußte, daß Mituyans starker Mann in Wahrheit keine schweren Belastungen ertrug. Er lebte bereits im Reich seiner Illusionen. Aber Dhana wußte auch, daß, wenn sie nun den Palast verließ, selbst im Fall eines Sieges ihre Rolle als First Lady des Landes ausgespielt war. Mayna, die tapfer ausharrte und kämpfte, würde zur Nationalheldin werden. Nochmals trat der Adjutant ein. »Ein Anruf für Madame Dhana«, meldete er. »Der Amerikaner Mike Forrester ist am Apparat.« Schon die bloße Nennung dieses Namens gab ihr ein gewisses Gefühl der Sicherheit. »Ich möchte mit ihm sprechen! - Mike, wo sind Sie?« »Ganz in der Nähe, Dhana. - Sie müssen sich sofort retten, sonst sind Sie verloren. Die Belagerer sind in der Übermacht, sie werden den Palast zusammenschießen.« »Aber ich kann nicht fort, Mike. Mein Mann braucht mich.« »Hören Sie mir zu, Dhana. Ich bin eben erst in Tuyan -570-
angekommen, die Promise liegt im Hafen vor Anker. Sie kennen den Platz. An Bord meines Schiffes sind Sie sicher, Dhana. Doch nur 'raus aus dem Palast! Nehmen Sie irgendeinen geheimen Fluchtweg, der noch offen ist, aber rasch! Ich stehe für Ihre persönliche Sicherheit ein.« Plötzlich fuhr Tarot wie elektrisiert herum: »Forrester, hier spricht Kanzler Tarot. Sie sind uns also in den Rücken gefallen! Sie haben Barkun auf Ihrer Jacht nach Tuyan gebracht, mit Papieren, die ich Ihnen ausstellte!« »Mr. Tarot, ich weiß nicht, wovon Sie reden«, kam Mikes Stimme brüsk zurück. »Ich will nur die Freundin meiner toten Frau retten.« »Sie lügen, Forrester!« schrie Tarot. »Nur so konnte er unbemerkt bis Tuyan geschmuggelt werden, nur so!« »Dhana«, wandte sich Mike wieder an die Frau des Expräsidenten, »an Bord der Promise kann Ihnen nichts geschehen - Ihnen nicht und niemandem, den Sie mitbringen.« »Verräter!« bellte Tarot wütend. »Wir haben Sie reich gemacht, und Sie liefern uns ans Messer!« »Dhana, denken Sie daran...« Mit einem Hieb auf den Schalter unterbrach Tarot die Verbindung. »Ihr wißt nicht, ob er es wirklich getan hat!« rief Dhana. Dann zu Mayna: »Ich bringe die Kinder in Sicherheit.« »Nicht zu diesem Judas!« schrie Tarot empört. Durch die geschlossenen Fenster des Salons drang Dandigs Stimme, dröhnend verstärkt durch ein Büffelhorn. »Genau eine Minute, dann,greifen wir an!« Vor Schreck aufweinend, sprangen die Kinder vom Sofa und liefen zu ihrer Mutter. Mayna umarmte das Mädchen und die beiden kleinen Knaben, küßte sie und schob sie zu Dhana. »Nimm sie mit. Sobald der Palast freigekämpft ist, bringst du sie wieder zurück.« -571-
KaritKi lächelte seiner Frau zu. »Ja, bring die Kinder weg. Es wird nicht lange dauern. Wenn ihr zurückkehrt, ist alles wieder in Ordnung.« Wieder hallte Dandigs Stimme in den Raum. »Dreißig Sekunden, neunundzwanzig Sekunden...« Die Arme schützend um die Kinder geschlungen, verließ Dhana die Wohnung und hastete zum Eingang des unterirdischen Fluchttunnels. »... fünf Sekunden... vier Sekunden... drei... zwei... eine... Feuer!« Mit einem Schlag zerriß der scharfe Knall einer Panzerkanone die gespannte Stille. Vom Gefechtsstand auf dem Dach konnte Mike die Operation genau verfolgen. Die vier Panzer beschossen systematisch den Haupt- und die Nebentrakte des Palastes, eine Granate nach der anderen detonierte in den Mauern und riß unter sprühenden Schuttfontänen große Löcher in die prunkvolle Fassade. Auf den Rasenflächen formierten sich die Palastwache und die Special Forces in Feuerlinie und nahmen die Angreifer, die mit geballten Ladungen Breschen in die Ummauerung sprengten, unter heftiges MG- und Gewehrfeuer. »Wenn nur wenigstens Dhana in Sicherheit wäre«, sagte Mike zu General Dandig. »Alle könnten in Sicherheit sein, wenn sie sich ergeben hätten«, erwiderte Dandig. »Aber wenn wir sie mit Gewalt herausholen müssen, hat kaum einer die Chance, lebend davonzukommen. Die Soldaten und selbst die Offiziere fiebern, die Familie Ki auszurotten. Unsere Mannschaften sind zum Großteil Buddhisten, sie glauben, daß Mayna buddhistische Mönche foltern ließ, um sich an ihren Qualen zu weiden. Das hat Han Li Phang den Soldaten gesagt.« »Vielleicht hat sich die Familie schon aus dem Palast abgesetzt«, sagte Mike. »Dhana erzählte meiner Frau und mir einmal, daß vom Palast viele unterirdische Gänge ins Freie -572-
führen, manche sind bis zu einer halben Meile lang.« »Mayna muß jedenfalls noch drin sein. - Da!« rief Dandig plötzlich. Mehr als hundert junge Mituyanerinnen in enganliegenden Tarngarnituren und mit Karabinern und leichten MGs bewaffnet, brachen aus dem Westtrakt hervor. Mit wildem Geschrei stürmten die Mädchen gegen die zertrümmerten Umfassungsmauern. Unter ihren Feldmützen wehten die langen schwarzen Mähnen. Verblüfft starrten die Soldaten dieser sonderbaren Truppe entgegen, keiner schoß - bis mehrere von ihnen getroffen zu Boden stürzten. Da eröffneten Thannits Einheiten rücksichtslos das Feuer. Krepierende Handgranaten rissen große Lücken in die vordersten Reihen von Maynas Elite. »Diese Megäre schreckt vor nichts zurück. Es ist ein Verbrechen, Flintenweiber einzusetzen!« schrie Mike über das Kampfgetöse Dandig zu. »Mituyanische Frauen sind Tigerinnen«, sagte der General. »Schade um die vielen hübschen Mädchen.« Im Handumdrehen hatten die disziplinierten, gutausgebildeten Soldaten fast die ganze Kompanie aufgerieben. Die Überlebenden suchten sich zu der Bunkerlinie zu retten, wo die mituyanischen Special Forces und die Palastwache in Stellung gegangen waren. Einigen gelang es, aber die meisten von ihnen fielen vornüber ins Gras und blieben liegen. Der Angriff der Putschisten begann von neuem. Das Kampfgeschehen konzentrierte sich auf die südliche Hälfte des Palastgartens, wo die Panzer mit ihren schweren MGs der langsam vordringenden Infanterie ununterbrochen Feuerschutz gaben. »Nun wird es nicht mehr lange dauern!« rief Dandig triumphierend. Zwei der Panzer senkten die Geschützrohre und nahmen die Bunker, aus denen den Angreifern heftiges Abwehrfeuer leichter Waffen entgegenschlug, unter Direktbeschuß. Ein dröhnender Volltreffer, dann noch einer -573-
und zwei der Bunker waren zerborsten. Kopflos vor Schreck verließen die stark dezimierten Verteidiger die anderen Stellungen und rannten auf die Portale zu. Thannits Truppen stießen sofort nach. »Das ist das Ende des Palastes«, murmelte Mike. In diesem Augenblick änderte sich jählings die Situation. Mitten in den rollenden Angriff der Infanterie stieß eine zweite Mädchenkompanie, die an der Nordseite des Gebäudes in Reserve gehalten worden war und nun vom Westtrakt aus überraschend angriff. An der Spitze der ersten Welle lief eine Frau in rotem Kleid, an die Hüfte einen automatischen Karabiner gepreßt, aus dem sie kurze Feuerstöße abgab. Der Anblick der schießenden und schreienden Mayna, die ihre weibliche Truppe mit kreischender Stimme zu erbittertem, erbarmungslosem Kampf aufpeitschte, ermutigte auch die flüchtenden Soldaten der Palastwache, sie wandten sich um und schlossen sich den Stürmenden an. Der Angriff von Thannits Einheiten kam ins Stocken, knatternd streuten MGs die Reihen ab, dann waren die Verteidiger heran und warfen sich mit aufgepflanzten Bajonetten auf die Putschisten. Mayna selbst stürzte sich ins dichteste Kampfgewühl und machte alles nieder, was ihr vor die Mündung kam. In ihrer Verwirrung ließen sich die Truppen abdrängen, sie verloren an Boden, schließlich löste sich die feste Ordnung in Gruppen von Flüchtenden auf, die ihre Reservestellungen vor der Umfassungsmauer des Palastes zu erreichen suchten. Von der Schwungkraft ihres Vorstoßes weitergetragen, nahmen die Mädchen und die Palastwache, verstärkt durch die Reste der Special Forces, die Verfolgung auf. Die Rasenflächen bedeckten sich mit Verwundeten und Toten. »Es ist unfaßlich!« stieß Dandig zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. »Die Frau ist ein Teufel!« Als die zurückgeschlagenen Angreifer auf der Straße hinter Barrikaden in Deckung gingen, eröffneten die Panzer und die -574-
Reserveeinheiten mit ihren schweren MGs erneut das Feuer. Die heranstürmenden Verteidiger des Palastes, die sich bereits als Sieger wähnten, gerieten unversehens in einen vernichtenden Geschoßhagel. Mayna wurde von einer Garbe eines Panzer-MGs voll getroffen und buchstäblich in Stücke gerissen. Sofort erfaßte die Mädchen panischer Schrecken. Sie wandten sich um und hetzten zum Palast zurück, viele warfen im Laufen die Waffen weg. Auch die Palastwachen und MSF-Soldaten gaben den Kampf auf, mit erhobenen Händen rannten sie ziellos umher. Kaum einer entging den MG-Garben. »Feuer einstellen!... Feuer einstellen!« brüllte General Dandig durch das Büffelhorn, aber niemand hörte auf seinen Befehl. Die Soldaten wüteten unter den letzten Verteidigern, nur mit Mühe gelang es den Offizieren, dem grausamen Gemetzel schließlich Einhalt zu gebieten. Doch nun drang hinter den Truppen eine schreiende, johlende Meute von Zivilisten in den Palastgarten ein. In heiseren Sprechchören forderten die fanatisierten Massen KaritKis und Tarots Tod. Unter Triumphgeheul stürzten sie sich auf Maynas Leichnam, banden einen Strick an das eine Bein der Toten und schleiften sie zur Straße. »Die Stunde der Rache.« Dandig blickte auf die Greuelszenen hinab, die sich vor dem Palast und auf der Straße abspielten. Er wußte, daß sich hier etwas vollzog, wie es seit Bestehen der Menschheit nach allen blutigen Revolutionen vollzogen worden war. Mike hielt es nicht länger auf dem Dach aus. In der Nähe des Generalstabsgebäudes entdeckte er ein Minitaxi. Der Fahrer war nirgends zu sehen. Alle parkenden Taxis waren leer. In seiner Aufregung hatte der Lenker den Zündschlüssel steckengelassen. Mike stieg ein, startete und schlängelte sich mit dem kleinen Wagen durch die von Menschenmassen fast zur Gänze blockierten Straßen zur amerikanischen Botschaft. -575-
Täte begrüßte ihn freudig. In seinem Arbeitszimmer klingelte fast ununterbrochen das Telefon. Das Fernsehgerät war eingeschaltet, Barkuns Dauerrede ging nun bereits in die dritte Stunde. Mike berichtete dem Botschafter über Maynas Tod und fragte ihn, ob die diplomatische Vertretung der USA mit seiner weiteren Mitarbeit rechne. »Und ob. Suchen Sie KaritKi und Tarot!« sagte Täte. »Offenbar sind beide aus dem Palast entkommen. Aber sie werden sich nicht verborgen halten können.« Barkun selbst rief nun das mituyanische Volk zur Wachsamkeit auf, die Fahndung nach dem gestürzten KaritKi und dessen Bruder begann. Schweißperlen standen auf der breiten Stirn des Königs, er blickte direkt in die Kamera und sagte: »KaritKi und Tarot, ihr sollt es wissen: Mayna ist gestorben, um euch Männern zur Flucht zu verhelfen? Schämt ihr euch nicht vor euch selbst? Wenn ihr euch irgendwo zeigt, werden euch die empörten Bewohner von Tuyan wie tolle Hunde erschlagen und eure Leichen durch die Gosse schleifen. Wenn ihr aber unbehelligt in Gewahrsam genommen werden wollt, um euch in einem ordentlichen Gerichtsverfahren zu verantworten - in einem politischen Prozeß, dem keine Folterungen vorausgehen werden, wie es unter eurem Regime üblich war -, dann stellt euch endlich freiwillig! Ihr braucht nur hier im Fernsehstudio oder im Hauptquartier der königlichen Truppen anzurufen. Wir garantieren euch sicheres Geleit und Schutz an Leib und Leben.« »Mike, glauben Sie, daß die beiden dieser Aufforderung Folge leisten?« fragte Täte. »Schwer zu sagen, Sir. Wenn KaritKi und Tarot einsehen, daß ihre Lage hoffnungslos ist, wäre es möglich.« »Und wovon hängt das ab?« »Von der offiziellen Anerkennung König Barkuns durch die -576-
USA, Sir.« Täte starrte ihn verblüfft an. »Meinen Sie damit, daß ich in der Fernsehstation erscheinen soll, um als amerikanischer Geschäftsträger dem mituyanischen Volk Barkun als rechtmäßiges neues Staatsoberhaupt zu bestätigen?« Als Mike darauf nichts erwiderte, wandte Täte energisch ein: »Aber das kann ich nur, wenn ich Vollmacht aus Washington erreiche.« »Sir«, sagte Mike sehr ruhig, »sobald Sie in aller Form erklären, daß die USA Barkun anerkennen werden, ist für KaritKi der Rückweg endgültig versperrt.« »Ich habe Washington telegrafisch um Weisungen gebeten. Aber drüben ist es jetzt erst sechs Uhr früh. Es wird einige Stunden dauern, bis der Sicherheitsausschuß zusammentreten und mir per Kabel seine Entschließungen mitteilen kann. Vorher kann ich nichts tun.« »Inzwischen vergeht kostbare Zeit. Die Truppen loyaler Generale marschieren auf Tuyan. In der gegenwärtigen unklaren Situation wäre eine schwere blutige Auseinandersetzung unvermeidlich.« »Glauben Sie wirklich, daß es zu einem Bürgerkrieg kommen könnte?« »Die Gefahr besteht, Sir. Den Generalen Dandig und Thannit ist es gelungen, Divisionskommandeure, die als Günstlinge und Gefolgsleute KaritKis bekannt sind, durch Einsätze in entfernten Gebieten zunächst auszuschalten. Doch wie lange? Überdies wissen wir nicht, in welchem Lager die Marine steht. Die Admirale sind samt und sonders auf KaritKi eingeschworen. Ihr militärisches Potential ist gering, aber sie könnten zumindest die Hafenanlagen zerstören und das Tuyandelta blockieren.« »Mit anderen Worten: Sie verlangen von mir, daß ich der Regierung der USA durch eine offizielle Anerkennung Barkuns eigenmächtig vorgreife - ohne Rücksicht auf die weltpolitischen -577-
Folgen, ohne Rücksicht auf meine eigene Karriere, die ich durch einen solchen Schritt schwerstens gefährde.« »Sie könnten die Frage mit dem Country Team beraten, Sir«, sondierte Mike scheinbar harmlos. Die erwartete scharfe Reaktion blieb aus. »Forrester«, rief Täte, »in Mituyan gebrauchen wir nicht mehr die Bezeichnung Country Team. Wir sind die diplomatische und militärische Mission der USA! Außerdem ist eine Entscheidung von solcher Tragweite einzig und allein meine Sache.« »Jawohl, Sir«, sagte Mike. Der Botschafter durchschaute den Schachzug. »Sie sind schon ebenso verschlagen wie alle anderen Verschwörer, Mike. Wenn Sie wollen, können Sie ins Studio mitkommen. Ich werde Barkun unsere Unterstützung zusichern.« »Darf ich Ihnen einen Rat geben, Sir: Nehmen Sie den Bonzen Han Li Phang mit, auch er soll im Fernsehen sprechen. Später wird Barkun ihm die Fittiche stutzen müssen, aber im Moment ist der Große Eiferer von größtem Nutzen!« »Gute Idee. Fahren wir.« Es war bereits dunkel, als der Botschafter in der Fernsehstation eintraf. Barkun und die Generale begrüßten ihn wie einen Retter. Die Putschisten schienen, wenigstens im Augenblick, Oberwasser zu haben, allerdings marschierte Meldungen zufolge eine volle Division auf Tuyan, um für KaritKi die Hauptstadt des Landes wiederzuerobern. Zufällig wurde Mike Ohrenzeuge der auf mituyanisch geführten Verhandlungen zwischen Han Li Phang und DakatLi. Der Mönch erklärte, er werde öffentlich für den König Partei ergreifen - unter einer Bedingung: für seine Dienste fordere er als Gegenleistung die sofortige Aburteilung und Hinrichtung Poramats. DakatLi blickte nervös um sich, Barkun konnte er nicht stören, der saß noch immer vor der TV-Kamera. So gab er als engster Vertrauter des Königs sein Wort, daß der Statthalter -578-
der Nordregion justifiziert werde. Phang nickte befriedigt und machte sich für seinen Fernsehauftritt bereit. Plötzlich stand Dandig neben Mike. »Mr. Forrester, wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Sie haben den Botschafter bewogen, dem König schon jetzt amerikanische Hilfe zu versprechen. Nun müssen wir KaritKi haben, tot oder lebendig. Nach dem endgültigen Sturz des Diktators und mit der Rückendeckung durch die USA bekäme ich sehr rasch die gesamte Armee unter Kontrolle.« »Vielleicht kann ich Ihnen dabei helfen...«, sagte Mike nachdenklich. »Das könnte die Wiedervereinigung des in zwei Lager gespaltenen Landes bedeuten!« meinte der General sehr ernst. Sogar im Dunkeln bot die Promise einen trostlosen Anblick. Doch die schwersten Havarien schienen mittlerweile notdürftig behoben worden zu sein. Aufgeregt erwartete Batki seinen Herrn am Bootssteg. »Die junge Frau ist mit den Kindern an Bord des Schiffes gekommen.« »Gut.« Mike atmete erleichtert auf. »Wo sind sie?« »Wir haben die Hauptkajüte so gut es eben ging instand gesetzt, Sir. Im Salon wären sie sicherlich vom Kai aus leicht zu sehen.« Maynas drei Kinder lagen schlafend auf dem breiten Bett, Dhana saß in einem Fauteuil. Lächelnd erhob sie sich, als Mike eintrat. Er legte ihr den Arm um die Schulter. »Ich bin froh, daß Sie auf das Schiff gekommen sind. Hier kann Ihnen nichts geschehen.« Dhana bestürmte ihn sofort mit Fragen. »Ist mein Mann in Sicherheit? Und was ist mit Mayna? Ich habe sie angefleht, nicht im Palast zu bleiben.« Behutsam brachte Mike ihr bei, Mayna sei tot, aber KaritKi und Tarot seien nicht im Palast gewesen, als die Truppen das -579-
halb zusammengeschossene Gebäude besetzten. »Gott sei Dank! Ich flüchtete, als das Feuer eröffnet wurde. Es war schrecklich... Doch mein Mann und Tarot waren entschlossen, auszuharren. Sie hofften auf Hilfe.« »Aber wo könnten sie sich nun verborgen halten, bis Hilfe kommt?« fragte Mike gespannt. »Bei einem reichen chinesischen Kaufmann namens Yen. Auch ich hätte dort Unterschlupf gefunden, doch...« Sie schlug sich mit der Hand auf den Mund, ihre schönen dunklen Augen blickten Mike erschrocken an. »Tarot behauptet, Sie hätten uns verraten, Mike. Ich glaube es nicht... aber ich hätte nicht sagen dürfen, wo mein Mann ist. Wenn ihm keine andere Wahl bleibt, wird er sich stellen. Doch wir wissen, daß von allen Seiten regierungstreue Truppen im Anmarsch sind, um Tuyan zu befreien. Vielleicht wird er morgen schon wieder die Macht im Staat übernehmen können.« Es hatte keinen Sinn, Dhana zu erklären, daß der Zusammenstoß zweier großer feindlicher Gruppen in Tuyan nur der Auftakt zu einem fürchterlichen, das ganze Land erfassenden Bürgerkrieg wäre. Es war wie eine Schicksalsfügung, daß sich Dhana doch auf sein Schiff gerettet hatte, die einzige, die wußte, wo sich die Brüder verborgen hielten. Nun galt es, sofort zu handeln. Und das Schicksal - oder war es der Zufall? - führte weiterhin Regie. Batki trat ein und ermöglichte Mike einen unverfänglichen Abgang. »Captain Jenkins möchte Sie sprechen, Sir.« Mike stieg an Deck und kletterte in die schwerbeschädigte Funkstelle hinauf. Jenkins hockte vor dem behelfsmäßig fixierten Pult. »Abend, Mike. Freut mich, daß Sie den Feuerzauber in der Stadt gut überstanden haben. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß die meisten Geräte wieder funktionieren. Auch die Telefonverbindung klappt.« »Wie auf Bestellung«, murmelte Mike, griff zum Hörer und -580-
rief die Fernsehstation an. Am anderen Ende meldete sich ein Studiotechniker und holte sofort den amerikanischen Botschafter an den Apparat. »Sir, ich kenne KaritKis und Tarots Versteck«, flüsterte Mike erregt in die Muschel. »Aller Wahrscheinlichkeit nach sind sie noch dort. Aber bedenken Sie, Sir, die Generale werden nicht zögern, KaritKi umlegen zu lassen, wenn sie einen Gegenputsch zu seiner Befreiung befürchten müssen.« »Der König und die Generale haben mir ihr Wort gegeben«, antwortete Täte unwillig. »Wo ist er?« Mike nannte dem Botschafter den Namen des Chinesen. Sicherlich wüßten die Generale oder DakatLi die genaue Adresse des prominenten Händlers. »Das war Präzisionsarbeit, Forrester!« frohlockte Täte. Aber Mike hatte schon aufgelegt. Auch der Fahrer des Kommandowagens, den ihm Dandig zur Verfügung gestellt hatte, wußte auf Anhieb, wo Yen wohnte. »Er ist sehr reich und hat eines der größten Häuser im Chinesenviertel«, sagte der Mann, als sie starteten. Zehn Minuten lang kurvten sie durch das Gewimmel der Menschen, ganz Tuyan war auf der Straße, aus ungezählten Transistorradios gellten vervielfacht Barkuns Worte. Das Auto verlangsamte seine Fahrt. »Das ist Yens Haus«, sagte der Fahrer schließlich. »Parken Sie hier.« Mike beugte sich vor und musterte das von einem Gitterzaun umschlossene zweistöckige Gebäude. Die Räume waren erhellt, das Haus bot ein völlig friedliches Bild. Nichts deutete darauf hin, daß sich hier KaritKi und Tarot verbargen. Plötzlich brausten von allen Seiten Militärautos heran und riegelten alle Zufahrtswege hermetisch ab. Scheinwerfer tauchten die Fassade in grelles Licht. Aus einem Straßenpanzer -581-
stieg General Dandig, ein Büffelhorn in der Hand. Er hob es und rief auf mituyanisch: »KaritKi, Tarot! - Wir wissen, daß ihr in Yens Haus seid. Der Putsch ist vorbei. Der amerikanische Botschafter hat die neue königliche Regierung bereits anerkannt. Wenn ihr euch widerstandslos ergebt, ist euch humane Behandlung sicher. Andernfalls müssen wir euch mit Gewalt aus dem Haus holen. Ergebt euch!« Auf einen stummen Wink ging ein junger Offizier strammen Schrittes auf das Tor zu und zog energisch an der Klingel. Schlotternd vor Angst erschien ein Diener und öffnete. Zwei Sergeanten in tadellosen, frisch gebügelten Uniformen mit den roten Schärpen und umgehängten automatischen Karabinern folgten dem Offizier. »KaritKi!« röhrte das Büffelhorn, »Kommen Sie mit der Eskorte heraus - sonst greifen wir an! Wenn Sie und Ihr Bruder freiwillig den Schlupfwinkel verlassen, werden wir über euren Fall verhandeln.« Dandig grinste Mike zu, der nun neben ihm stand. »Auch der Präsident verhandelte mit Vorliebe, wenn er seine Partner unter Druck setzen konnte.« Aller Augen waren wie gebannt auf das Tor gerichtet. Und dann traten langsam und schleppend die beiden Brüder heraus, der mit so viel Spannung erwartete Moment verlief völlig undramatisch. Sie wirkten erschöpft, ihre weißen Anzüge waren zerknittert und beschmutzt, das schwarze Haar, sonst immer glatt über den Kopf gebürstet, hing ihnen zerwühlt an den Schläfen herab. Dandig ging ihnen entgegen und pflanzte sich dicht vor ihnen auf. Schweigend wies er zu dem Panzerwagen. KaritKi und Tarot stiegen durch die Klapptür ein, der Offizier und die Sergeanten drängten nach. Die Tür wurde von innen geschlossen, und das Fahrzeug rollte davon. Dandig blickte dem Gefangenentransport nach. »Forrester, ich -582-
glaube, nun müssen wir beide so schnell als möglich in die Fernsehstation zurück.« Ungeduldig erwartete Täte sie im Studio. »KaritKi und Tarot wurden gestellt, Sir«, meldete ihm Mike triumphierend. »Gottlob! Dann sind wir noch einmal hart an einem Bürgerkrieg vorbeigekommen.« »Es scheint so, Sir. Wofür sollten KaritKis Anhänger nun kämpfen? Ich glaube, die beiden Brüder haben schließlich eingesehen, daß alles verloren ist. Ihnen blieb nur mehr die Kapitulation.« Der Botschafter wandte sich an Dandig. »Wo befinden sich KaritKi und Tarot?« »Sie wurden in einem Panzer zum Generalstabsgebäude gebracht, dort werden sie bis zum Prozeßbeginn in Gewahrsam gehalten.« Mike bemerkte den raschen, vielsagenden Blick, den Barkun und der General tauschten. Er verstand genau, was dies zu bedeuten hatte. »Majestät, ich weiß, daß Sie ein gründlicher Kenner alten und neuen politischen Schrifttums sind«, begann er unvermittelt. »Haben Sie jemals Machiavelli gelesen?« »Natürlich. Ein bewunderungswürdig scharfer Geist mit sehr vernünftigen Maximen.« »Was sagt er über die Vernichtung politischer Gegner? Man töte sie sofort nach dem erfolgreich durchgeführten Staatsstreich, und binnen kurzer Zeit wird kein Mensch mehr daran denken. Einen gestürzten Herrscher am Leben zu lassen, in lange währender Haft zu halten und über ihn zu Gericht zu sitzen, dies ist das gefährlichste politische Risiko, das seine Bezwinger eingehen können.« »Worauf wollen Sie hinaus, Forrester?« fragte Täte ihn -583-
mißtrauisch. Barkuns Gesicht war eine undurchdringliche, lächelnde Maske. »Ein sehr interessanter Gedankengang. - Doch nun muß ich dem Volk verkünden, daß KaritKi und Tarot unsere Gefangenen sind.« Damit entfernte er sich und nahm wieder seinen Platz vor den Kameras ein. »Was sollte das, Forrester?« schnauzte der Botschafter Mike an. »Mittlerweile müßte der Panzerwagen eigentlich schon am Ziel sein. Fragen Sie doch, ob Sie mit dem Premierminister sprechen können, Sir.« »Das werde ich auch tun!« Täte faßte Dandig ins Auge. »General, können Sie im Hauptquartier anrufen und mich mit KaritKi verbinden lassen? Ich selbst möchte ihm mitteilen, daß ich im Namen meiner Regierung den König anerkannt habe. Er soll jene militärischen Führer, die ihm noch die Treue halten, auffordern, sich dem Herrscher zu unterstellen, damit sinnloses Blutvergießen vermieden wird. Wenn das mituyanische Volk sich aus freien Stücken für KaritKi entscheiden will, hat es bei den Wahlen Gelegenheit, seine Kandidaten in die Konstituierende Versammlung zu berufen. Ich halte es unter den gegebenen Umständen für notwendig, ihm das zu sagen.« »Ich werde es versuchen, Sir«, erwiderte Dandig kühl. »Aber es wird vielleicht schwierig sein.« Die abweisende Miene des Generals verhieß nichts Gutes. »Nur General Thannit kann die Erlaubnis für ein Gespräch mit dem Gefangenen erteilen«, fügte er erklärend hinzu. Es dauerte volle zehn Minuten, bis sie Thannit an der Leitung hatten. Mehrmals hatte sich Dandig zum Botschafter gewandt und mit zugehaltener Muschel gesagt, im Hauptquartier scheine plötzlich große Verwirrung ausgebrochen zu sein. Mike beobachtete diese ganze Szene mit unverhohlener Skepsis. Er wußte, was nun kommen würde. -584-
Nun folgten lange Erörterungen auf mituyanisch. Täte, der kein Wort verstand, warf Dandig und Mike fragende Blicke zu. Schließlich sagte Dandig zum Botschafter: »Wollen Sie selbst mit General Thannit sprechen, Sir? Es hat einen schrecklichen Zwischenfall gegeben.« Tates Augen trafen den grimmig vor sich hinstarrenden Mike. Mit bösem Vorgefühl ergriff er zögernd den Hörer. »Ja, General. Ja...« Tates Gesicht spiegelte wider, was er nun erfuhr. Sein Kinn klappte herunter, als fasse er nicht, was ihm Thannit sagte, doch dann spannten sich Tates Züge, unter zornig gerunzelten Brauen funkelte er Dandig an, sein suchender Blick fiel auf Barkun und saugte sich an der goldschimmernden blauen Uniform fest. Der König war bereits wieder in voller Fahrt, er unterstrich seine Rede mit pathetischen Gesten. Wortlos gab der Botschafter den Hörer an Dandig zurück. Dann drehte er sich langsam um und schaute Mike hilflos an. »Diese Wendung hat Sie doch nicht überrascht, Sir«, sagte Mike ruhig. »Aber alle haben mir doch ihr Wort gegeben!« Täte, der harte Politiker, war wie vor den Kopf geschlagen. »KaritKi und Tarot versuchten offenbar aus dem Panzerwagen zu fliehen - beide wurden erschossen.« »Ich weiß, Sir. Ich habe alles verstanden, was Dandig auf mituyanisch sagte.« Täte wollte auf die TV-Kamera zu, besann sich aber und trat in den Schatten zurück. »Ich muß sofort mit dem König sprechen! Holen Sie ihn her!« befahl er barsch. Dandig trat zum Studioleiter und flüsterte ihm die Weisung zu. Gleich darauf kam Barkun heran, ganz lächelnder Weltmann. Sie gingen in einen leeren Raum. »Nun, Sir«, sagte der General aufreizend gönnerhaft, »was wünschen Sie Seiner Majestät mitzuteilen? Wir haben mit großer Genugtuung zur Kenntnis -585-
genommen, daß Sie als diplomatischer Vertreter der USA die neue Regierung in Mituyan anerkannt haben. Damit haben Sie vielen Menschen das Leben gerettet, Sir.« »Aber nicht KaritKi und Tarot«, fuhr ihn Täte an. »Majestät, Sie haben mich vorsätzlich getäuscht!« »Was hat das alles zu bedeuten?« fragte Barkun, scheinbar perplex. »Der Expräsident und sein Bruder versuchten zu entfliehen«, erklärte der General mit Nachdruck. »Als sie während der Fahrt zum Generalstabsgebäude die Tür des Panzerwagens aufrissen, um ins Freie zu gelangen, wurden sie von den unüberlegt handelnden Wachen erschossen.« »Das ist eine Katastrophe!« Barkun mimte Entsetzen. »Ich habe dem Botschafter mein Wort gegeben... Ich ordne eine unverzügliche gründliche Untersuchung des Falles an!« »General Thannit führt bereits Erhebungen durch, Majestät«, versicherte Dandig. »Die Aussagen der Beteiligten werden ein klares Bild ergeben. Vermutlich bedrohten die beiden den Offizier, und als es ihnen gelungen war, die Tür zu öffnen, verwickelte Tarot die Eskorte in ein Handgemenge, während KaritKi aus dem fahrenden Wagen springen wollte. Uns ist die ganze Sache äußerst unangenehm.« »Schluß jetzt!« brüllte Täte. »Ich glaube kein Wort. Das Ganze war ein abgekartetes Spiel. Diese beiden Männer waren Schurken, ja, trotzdem ist es ungeheuerlich, sie einfach niederzuknallen, ohne auch nur den Schein des Rechts zu wahren! Die Weltöffentlichkeit wird die Vereinigten Staaten für diesen Gewaltakt verantwortlich machen.« »Die Nachforschungen werden erweisen, daß es ein Zwischenfall war. Wir werden die Wachen bestrafen und...« »Ihr Königtum ist von den USA abhängig«, unterbrach Täte ihn schroff, »und ich werde meiner Regierung empfehlen, die Wirtschafts- und Militärhilfe zur Gänze einzustellen und sich -586-
vom neuen Regime dieses Landes zu distanzieren. Ein politischer Affront dieser Art...« »Exzellenz!« Klar und scharf klang Barkuns Stimme durch das Studio, zum erstenmal gebrauchte er die traditionelle Anrede für ausländische Geschäftsträger. »Ich bin jetzt König und Staatsoberhaupt von Mituyan! Sie sind der amerikanische Botschafter. Es wäre möglich, daß ich Ihre Akkreditierung widerrufe, wenn Sie die Eigenart unserer Verhältnisse und unserer Verwaltung nicht verstehen wollen. Während der letzten zehn Jahre hatte ich sehr viel Zeit, über Mituyan nachzudenken, und ich habe - ohne geistige Mithilfe amerikanischer Berater! Reformpläne ausgearbeitet, die sich mit Ihren Vorschlägen, Exzellenz, fast völlig decken. Innerhalb weniger Monate wird das gesamte mituyanische Volk bis zum letzten Reisbauern zu der Überzeugung kommen, daß der König und seine Minister das Wohl aller Staatsbürger im Auge haben. Schon vor zwei Jahren erkannte ich die Notwendigkeit, Wahlen abzuhalten, falls es mir je wieder vergönnt sein sollte, auf den Thron zurückzukehren. Demokratische Wahlen von Delegierten für eine Konstituierende Versammlung, deren Aufgabe es sein würde, eine neue Verfassung zu schaffen, die dem Willen des Volkes entspräche. Aus einer weiteren Wahl, sei es durch das neue Parlament oder auf allgemeiner Basis, würde der erste Ministerpräsident meiner parlamentarischen Monarchie hervorgehen. Es war auch meine Idee, diese Wahlen unter der Aufsicht einer unparteiischen Kommission der SEATO-Mächte durchzuführen, um der Bevölkerung und der westlichen Welt die Gewißheit zu geben, daß alles fair und nach den Grundsätzen der Demokratie abläuft. Ich habe bereits den Befehl erteilt, alle politischen Gefangenen zu befreien. Was ich vor der Fernsehkamera über meine persönliche Rolle im weiteren Schicksal Mituyans gesagt habe, sind keine rhetorischen Phrasen. Sobald der neue Präsident und die Mitglieder der Regierung ihre Ämter antreten, werde ich mich -587-
auf meine verfassungsmäßig festgelegten Rechte und Pflichten beschränken und darüber hinaus nicht in die aktive Politik eingreifen. Beginnen Sie mich nun zu verstehen, Exzellenz?« Zum erstenmal in seinem Leben war Täte sprachlos. Barkuns Rede war in der Tat eine eindrucksvolle Demonstration. Barkun ließ ihm keine Zeit zum Überlegen. »Ihr Rat wird mir immer willkommen sein, mehr noch, ich bitte Sie, mir aus Ihrer reichen Erfahrung in der Politik eines großen, freien Landes Hinweise zu geben, die zur wahren Demokratisierung und zur Hebung des Lebensstandards in Mituyan anwendbar erscheinen. Aber ich bin kein Marionettenkönig, der das tut, was ihm sein Drahtzieher in der amerikanischen Botschaft eingibt! Vergessen Sie nie das eine, Exzellenz: Ich habe die Absicht, dieses Land nur so lange zu regieren, bis ich die Entscheidungsgewalt mit ruhigem Gewissen dem Volk selbst übertragen kann. Vielleicht werden Sie manchen meiner Schritte nicht gutheißen, das werde ich bedauern« - ein mildes Lächeln zog über das runde, glatte Gesicht -, »aber es wird meine Verfügungen nicht beeinflussen. Denn ich bin der König!« »Durch politischen Mord?« wandte Täte schließlich ein; doch kein Zweifel, diese schillernde Persönlichkeit hatte den gewiegten Praktiker fürs erste überrundet. »Es war ein Zwischenfall, eine Art von Notwehrakt der Wachen, oder wie Sie es nennen wollen«, sagte Barkun ungerührt. »Eine Wendung jedenfalls, welche die Geschichte, wie ich glaube, als glückliche Lösung werten wird. Wenn KaritKi am Leben geblieben wäre, hätte immer die Gefahr bestanden, daß die Nutznießer seines despotischen Regimes, jene skrupellosen Ehrgeizlinge, die es unter seiner Ära zu hohen Positionen in der militärischen und politischen Hierarchie brachten, Mituyan durch eine Revolution ins Chaos stürzen -588-
wollten, um KaritKi wieder zur Macht zu verhelfen. Ein Diktator bleibt bis zum letzten Atemzug Diktator, und wenn er die ganze Welt mit sich in den Abgrund reißt. Das ist eine oftmals bestätigte historische Tatsache. Denken Sie an Hitler! Und nun frage ich Sie nochmals, Exzellenz: Herrscht zwischen uns Klarheit? Ich fürchte nichts, denn ich weiß, wie ich mein Volk einigen kann - wenn es sein muß auch ohne amerikanische Unterstützung.« Eine lange Pause folgte auf diese improvisierte Rede, bevor der Botschafter langsam und gewichtig sagte: »Majestät, ich glaube, daß wir zusammenarbeiten können... Solange ich Ihre Worte für bare Münze nehmen kann.« »Sehr bald werden Sie meine Worte in die Tat umgesetzt sehen, Exzellenz. Doch ich muß wieder vor die Kamera, um der Bevölkerung über den Zwischenfall zu berichten, der den früheren Präsidenten und seinen Bruder das Leben kostete.« Mit einer knappen Verbeugung verließ Täte völlig demoralisiert den Raum. Barkun grinste Mike zu. »Es wird nicht allzu viele geben, die um KaritKi und Tarot trauern werden. Morgen schon werde ich mit allen positiven Kräften des Landes ans Werk des Neuaufbaues gehen, und angesichts dieser alle Schichten erfassenden rasanten Entwicklung wird das Sterben der Familie Ki sehr bald als Episode am Rand erscheinen.« »Mag sein, Majestät«, sagte Mike ruhig. »Vielleicht für alle Mituyaner bis auf KaritKis Witwe und Tarots drei Kinder, die sich im Moment auf der Promise befinden.« »Von Dhana wußten Sie also, wo sich KaritKi versteckt hielt?« »Ja. Ich habe ihren Mann verraten und bin schuld an seinem Tod. Jetzt muß ich zu ihr, obwohl ich noch nicht weiß, wie ich gutmachen soll, was ich ihr angetan habe.« Barkun legte ihm die Hand auf die Schulter. »Forrester, -589-
vergessen Sie nicht, daß KaritKi und Tarot Ihre eigene Frau auf dem Gewissen haben! Hätte Tarot ihr ohne Hintergedanken das Ausreisevisum erteilt, wäre sie zu Ihnen nach Hongkong geflogen und noch am Leben.« »Das Schicksal geht sonderbare Wege, Majestät.« Barkun straffte sich. »Kopf hoch, Forrester! Wir bleiben doch in Verbindung, wie?« In stolzer Siegerhaltung ging der König raschen Schrittes in das große Studio zurück.
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46 Die Sonne brannte auf die Schar von Journalisten und Zuschauern nieder, die Augenzeugen der öffentlichen Hinrichtung werden sollten. »Wenn das alles nur schon vorüber wäre!« murmelte Mike verdrossen. »In Mituyan geschieht immer alles mit Verspätung. Nicht einmal Todesurteile werden zur festgesetzten Zeit vollzogen.« »Er kann nicht erschossen werden, bevor die Gruppe aus Tiking hier eintrifft«, erklärte Roger Krakhaur, der mit Alana neben Mike stand. »Um 13 Uhr sollte in Tiking Colonel Yunakit hingerichtet werden. Danach sollten die befreiten politischen Gefangenen und überlebenden Opfer Poramats in Transportflugzeugen hierhergebracht werden, weil um 16 Uhr der letzte der Brüder Ki seine verdiente Strafe erleidet. Um 16 Uhr! Und jetzt ist es fast 17 Uhr.« Die gesamte ausländische Presse in Tuyan war in einem abgeteilten Sektor am Rand des Fußballplatzes im Stadtgefängnis versammelt. Die Hitze trieb allen den Schweiß aus den Poren, viele der Korrespondenden standen schon seit Stunden in der prallen Sonne und wurden bereits ungeduldig. In den Agentur und Redaktionsbüros warteten die Fernschreiber auf die Nachricht von der Vollstreckung, ein paar Zeilen im Routinestil, und dann endlich eine kühle Bar... Ted Baum trat zu Krakhaur. »Wie fühlst du dich jetzt in Tuyan, Roger?« »Ausgezeichnet, Und ich freue mich, daß du noch immer hier bist.« »Ja, die Zeiten ändern sich. Ich wurde als letzter Whittelsies altem Country Team zugeteilt, und nun bin ich ein alter Hase -591-
und außer Cardinez der einzige, den Täte nicht nach Hause geschickt hat. Die ganze übrige Garnitur wurde in die Staaten zurückgeschickt.« Kopfschüttelnd blickte Baum zu dem weißen Pfahl hinüber, der in der Mitte des Feldes eingerammt war. »Ich mußte herkommen, weil Barkuns neuer Informationsminister die ganze Sache arrangiert hat. Aber mich kotzt das Ganze an.« Er wandte sich zu Mike. »Wie ist das, Forrester, werden Sie das Amt übernehmen, das man Ihnen angeboten hat?« »Sie sind der Leiter des Informationsdienstes, Ted. Sie müssen es wissen.« »Ach, tun Sie doch nicht so geheimnisvoll, Mike. Aus Washington verlautet, daß Sie zum Sonderbevollmächtigten für Südostasien im Rang eines Botschafters ernannt werden sollen.« »Das habe ich auch gehört, Mike«, sagte Krakhaur. »Ich habe dich deswegen seit zwei Tagen immer wieder zu erreichen versucht, um von dir selbst zu erfahren, ob es stimmt.« Mike lachte. »Eben. Und wo trifft sich nun die vornehme Welt von Tuyan? Bei der Hinrichtung der Staatsfeinde!« »Ganz im Ernst, Mike, ist es wahr?« »Die prinzipielle Möglichkeit besteht wohl, lassen wir's vorläufing dabei.« Mehr gab Mike nicht zu. Ted Baum grinste. »Ich werde jedenfalls besser schlafen, wenn ich weiß, daß Mike Forrester in diesem Wetterwinkel der Welt ein gewichtiges Wort mitzureden hat.« Am anderen Ende des Feldes tauchte eine lange Reihe von VW-Bussen auf, fuhr am Rand bis zur Höhe des Pfahls heran und stoppte. Langsam stiegen die Insassen aus, es waren Mituyaner und Mituyanerinnen aller Altersstufen. »Da sind sie«, rief Krakhaur, »Angehörige von Poramats Opfern und die wenigen, die die Gefangenschaft in seinen Kerkern lebendig überstanden haben - wie Alana.« Seine Frau -592-
ergriff seinen Arm und drückte sich fest an ihn. »Nun werden wir nicht mehr lange zu warten brauchen.« Botschafter Täte lehnte sich in den Fauteuil zurück. Am Rauchtischchen seines Arbeitszimmers saßen ihm Jack Cardinez und Lieutnant-General Thomas Gordon gegenüber. »Sie sind also der Meinung, daß der Einsatz weiterer amerikanischer Kontingente erforderlich ist, um die kommunistische Insurrektion einzudämmen?« - »Jawohl, Sir.« Gordon war ein sehr selbstsicherer und energisch wirkender, hagerer Soldatentyp, der die Fünfzig knapp überschritten hatte. »Zwei Jahre lang vertrat General Macker den Standpunkt, daß die vorhandenen Kräfte völlig ausreichen würden«, wandte Täte ein. »Ich glaube, deshalb haben Sie mich für diesen Posten vorgeschlagen, Sir«, antwortete Gordon mit ironischem Lächeln. »Die Mitkoms greifen überall an, sie planen eine Großoffensive ihrer Terroristenkader für die Zeit der Wahlen, und die mituyanische Armee ist noch immer in zwei Lager gespalten. Mit der heutigen Hinrichtung schwindet für die noch immer treu zum abgesetzten Regime stehenden Generale die letzte Hoffnung, ein Mitglied der Familie Ki in den Sattel zu heben, aber das Heer und die Marine werden dennoch längere Zeit sehr zweifelhafte Faktoren sein. Diese innere Zerrüttung werden sich die Mitkoms zunutze machen, um weiter an Boden zu gewinnen.« Täte seufzte. »In zehn Minuten werde ich über die direkte Leitung aus Washington angerufen werden. Drüben ist wegen der Hinrichtungen der Teufel los. Überall kommt es zu Protestkundgebungen. Als ob ich darauf Einfluß nehmen könnte! Und die ehemalige First Lady, Dhana, für die wir mit Mühe die Freigabe eines Teiles des beschlagnahmten Vermögens KaritKis erreichen konnten, hat sich an die -593-
anglikanische Kirche gewandt. Nun hagelt es auch aus England ganze Berge von Protestschreiben an den Präsidenten.« Mit einem Blick auf die Uhr griff der Botschafter zum Telefon und wählte die Geheimnummer, über die er sofort mit Barkun persönlich verbunden wurde. »Ein letztesmal muß ich noch versuchen, in dieser üblen Geschichte den Retter zu spielen«, murmelte er. Am anderen Ende meldete sich der König. »Guten Tag, Majestät. Hier Täte«, sagte der Botschafter. »Ja, Exzellenz?« »Majestät, ich wollte Sie fragen, ob Sie das Todesurteil einer Revision unterzogen haben.« »Yukanit wurde zwei Stunden nach der festgesetzten Zeit erschossen, nachdem das Sondergericht alle Berufungen verworfen hatte.« »Und Poramat, Majestät?« »Poramat wird hingerichtet. Während wir hier sprechen, teilt der Informationsminister der provisorischen Regierung den ausländischen Journalisten mit, daß der König und sein Kabinett auf Grund nachdrücklicher Interventionen der amerikanischen Botschaft in letzter Stunde über eine Verschiebung der Exekution beraten. Wir lassen durchblicken, daß die Möglichkeit einer Begnadigung zu lebenslänglicher Haft besteht. Damit, Exzellenz, sind Sie, wie ich hoffe, vor dem Präsidenten und der amerikanischen Öffentlichkeit einigermaßen gedeckt. Aber ganz unter uns, Täte: Ich muß Poramat hinrichten lassen, das wissen Sie genau. Wir haben es am Abend des Putsches Han Li Phang versprochen, weil wir seine Unterstützung brauchten. Und vor den Wahlen können wir uns keine neuerlichen Buddhistendemonstrationen leisten, das begreifen Sie doch.« Der Botschafter unternahm eine letzte Anstrengung, um seinen Standpunkt durchzusetzen. »Majestät, meine Regierung stellt mit wachsender Besorgnis fest, daß dieses Todesurteil, dem kein -594-
juridisch einwandfreies Verfahren vorausging, in der gesamten westlichen Welt als Gewaltakt betrachtet wird. Die amerikanische Mission in Mituyan wird schärfstens kritisiert, weil sie einen solchen... Mord geschehen läßt.« »Täte, ich habe Ihnen eindeutig erklärt, daß ich mich nicht gängeln lasse!« rief Barkun mit zornig erhobener Stimme. »Ich kenne mein Volk. Es fordert Poramats Tod, er wird sterben, und zwar sehr rasch - zu rasch für seine Verbrechen. Das ist unwiderruflich! Es wird eine Hinrichtung werden, die keiner vergißt, der sie sieht. Schade, daß Sie nicht dabei sind.« »Ich glaube, dann erübrigt sich jedes weitere Wort über dieses Thema, Majestät.« Abrupt wechselte der König zu einem freundschaftlichen Ton. »Täte, Sie sind überarbeitet, Sie reiben sich auf. Spannen Sie doch einmal zwischendurch aus. Besuchen Sie mich doch an einem der nächsten Abende - ganz inoffiziell. Von Mann zu Mann, Täte, Sie werden bei mir eine bezaubernde Schwedin kennenlernen, ein junges Talent, möchte zum Film.« Ein glucksendes Lachen tönte aus dem Hörer. »Da werden Sie Ihre Nervosität verlieren, und vielleicht sehen Sie dann die Dinge endlich aus einer anderen Perspektive. Bis dahin also.« Ein Klicken in der Leitung, König Barkun VI. hatte aufgelegt. Mit ernstem Gesicht blickte der Botschafter Gordon und Cardinez an. »Ich werde Unterstaatssekretär Hartland sagen müssen, daß die mituyanische Regierung trotz aller Interventionen nach gründlicher Prüfung aller Gesichtspunkte das Todesurteil aufrechterhält.« Cardinez nickte. »So endet ein grausames diktatorisches Regime. Wir haben unsere Aufgabe erfüllt.« Täte schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nein, Jack, ich fürchte, unsere schwerste Aufgabe liegt noch vor uns...«
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47 Die Hitze war unerträglich. Die Journalisten begannen in der eben ausgelieferten neuesten Nummer des »Time Magazine« zu blättern, das geschäftstüchtige Zeitungsjungen auf der Straße vor dem Gefängnis verkauften. Die Titelseite zeigte das Porträt König Barkuns VI. Der Termin für die Hinrichtung war bereits um eindreiviertel Stunden überschritten, als sich schließlich mit einem hallenden Geräusch das große Eisentor des festungsartigen Gebäudes öffnete. Aus dem Dunkel des gähnenden Eingangs tauchten vier Wärter auf, die unter Anspannung aller Kräfte einen großen kubischen Zementblock trugen. Langsam schleppten sie ihn bis zur Mitte der freien Fläche und setzten ihn neben dem Pfahl zu Boden. Im Pressesektor erhob sich ein aufgeregtes Gemurmel, denn niemand wußte, was das zu bedeuten hatte. Stumm vor Staunen starrten die Zuschauer aus Tiking den Block an. Kaum eine Minute später erhob sich lautes Stimmengewirr. Im Tor war ein Elefant erschienen und zog nun langsam auf das Feld hinaus. Eine schwarze, silberbestickte Schabracke bedeckte Kopf und Körper des Tieres bis auf die kleinen Augen, die durch Kreisrunde, kostbar gesäumte Ausschnitte blickten. Auf dem breiten Nacken saß rittlings ein Mann, ebenfalls in Schwarz. Hinter dem Elefanten, an der Spitze einer Abteilung von speertragenden Kriegern in den leuchtend rotgelben seidenen Prunkgewändern der frühen Barkun-Dynastie, marschierte ein Bannerträger. Hoch über seinem Kopf wehte das riesige Königsbanner Mituyans: Gelb-Rot-Gelb mit den weißen Stoßzähnen auf rotem Grund. Der Zug bewegte sich bis zur Mitte des Feldes und hielt vor dem Zementblock. Der Offizier in Helm und Federschmuck schritt zum Tor zurück und nahm davor Aufstellung. Zwei -596-
Soldaten führten Poramat heraus, seine Arme mit eisernem Griff festhaltend. Die strahlende Helle nach den Stunden der Düsternis in der Zelle blendete den zum Tod Verurteilten. Schwankend blieb er stehen und schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete und den Elefanten erblickte, sackte er laut aufstöhnend zusammen. Auf einen Wink des Offiziers schleppten ihn die beiden Wachen zum Richtblock, das scharrende Geräusch der nachschleifenden Füße war bis in die letzten Zuschauerreihen zu hören. Die Soldaten warfen den schlaffen Körper auf den Boden und rüttelten Poramat, bis er wieder zu sich kam. Halb wahnsinnig vor Angst stierte er zu den gewaltigen Stoßzähnen des Tieres empor. Gurgelnde Schreie brachen aus seiner Kehle, verzweifelt bäumte er sich auf und stieß mit den Beinen um sich. Ein Zeichen des Kommandeurs, und zwei der Krieger rammten ihre Speere mit den Spitzen in die Erde. Die Exekution nach überliefertem mituyanischem Zeremoniell begann. Zwei dünne Schnurschlingen wurden dem sich Windenden über den Kopf gestreift, dann zwang man ihn auf die Knie. Jeder der beiden Krieger hielt eines der beiden Schnürenden in den Händen und zog es straff. Die Schlingen schnitten tief in den Hals ein, Poramats Gesicht lief dunkelrot an, die Augen traten fast aus den Höhlen. Er mußte den Kopf auf den Betonblock legen, um nicht zu ersticken. Ein krampfhaftes Zucken durchlief seinen Körper. Mit wachsendem Entsetzen verfolgten die Journalisten das grausige Schauspiel. Eine Frau wandte sich ab und vergrub das Gesicht in der Schulter eines Mannes, der neben ihr stand. Wieder ein Wink. Gehorsam hob das große Tier den einen Vorderfuß und hielt ihn gebeugt in die Höhe, die breite, runde Sohle schwebte knapp über Poramats Kopf. In dieser Stellung verharrte der Koloß regungslos wie eine Statue. Die Sekunden -597-
wurden zur Ewigkeit. Auch Poramat war in seiner knienden Haltung erstarrt. Lähmende Stille senkte sich über den weiten Platz. Schließlich hob der Offizier seine kurze Lanze, die Spitze blitzte in der Sonne auf. Ein leichter Stoß mit dem Stock des Treibers, und der Elefant verlagerte das Gewicht seines massigen Leibes auf das erhobene Bein, das sich auf den Richtblock senkte. Die gebannten Zuschauer fühlten mehr das leise Geräusch, als sie es hörten, nicht lauter als der Hufschlag eines Pferdes auf dem Straßenpflaster. Dann setzte das Tier mit einer ruhigen Bewegung den Fuß wieder auf den Boden. Der Offizier trat an den Block heran, warf einen kurzen Blick auf die Fläche und nickte. Der letzte der Brüder Ki war gerichtet. Eine scharfe Wendung des Mannes in rotgelber Seide, ein Kommandoruf, und mit militärischer Präzision trat die Abteilung an. Der Wind bauschte das Banner. In strammer Ordnung marschierten die Soldaten ab. Langsam trottete der königliche Elefant hinterdrein. ENDE
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