OTTO ZIERER
BILD D E R J A H R H U N D E R T E GBSCHICHTE DES ABENDLANDES UND DER WELT Das groBt Werk, dessen einzelne...
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OTTO ZIERER
BILD D E R J A H R H U N D E R T E GBSCHICHTE DES ABENDLANDES UND DER WELT Das groBt Werk, dessen einzelne Binde bei ihrem Ersehe'nen an dieser Stelle angekündigt wurden, liegt jetzt geschlossen vor. Von packender Dramatik ist dieses neuartige, erregende Ceschichtswerk erfüllt. Hier sind nicht wie in Lehrbüchern oller Art die historischen Ereignisse mit trockener Sachlichkeit aneinandergereiht; wie in einem Roman wurde das Bild der Vergangenheit zu Glutvollem Leben erweckt. Aus dem p Geschehen eines jeden Jah hunderls sind jeweils die wesentlichen und fortwirkenden, dds Her« der Zeil treffenden Ereignisse ausgewählt und in einen Zusammenhang gebracht worden, der die Gesamtheit des geschichtlichen Ablaufs verständlich macht. Das. Bild der Jahrhunderte* öffnet dem bildungshungrigen La'en und dem Gebildelen, den Erwachsenen wie dar Ju;pnd, wail das Tor In die Vergan3enheit und stellt die Ereignisse der Gegenwart In den großen Zusammenhang der geschichtlichen Entwicklung der MenschheiL Jeder Doppelband rund 320 Seiten, feinstes Ganzleinen, Goldprägung, Kunstdrucktafeln, historisch« Karten, ausführliche Begriffserklärungen im Anhang. Gesamtumfang 8000 Seiten. Zu dem Werk gehörl ein historlsches Lexikon mit 680 Seiten, 12000 Stichwörtern, 500 Abbildungen.
* freite: Einzelband DM 3.60, Doppelband DM 6.60, Bind 41/44 DM 13.20, Historisches Lexikon DM 6.60 (Vorzugspreis für Bezieher des Gesarotwerkes, sonst UM 15.50). Die Qün$llgen Bezugsbedingungen: Monatlich braucht nur ein Band abgenommen zu werden. In diesem Fall wird das ,Historische Lexikon" nach Abnahme der 18 Einzelbande gelfeferL
Das vollständige Werk kann auch auf einmal, mit dem .Historischen Lexikon" und zw.*i Bu hstülzen aus Piexijla*., gegen beque-ne Ratenzahlung bezogen werden. Nähere Auskunft hierüber ertei.t Ihnen gern unverbindlich Ihr Buchhändler oder der. Verlag. Durch alle Buchhandlungen zu oezfenen. Mseitiger Prospekt mit Leseproben kostenlos vom
VERLAG SEBASTIAN LUX M U R N A U - M Ö N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEßOGEN NATUR-
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VERLAG SEBASTIAN LUX M U R N A U M U N C H E N I N N S B R U C K O L T E N
FLUCHT
INS VERGESSEN
Anno 1527 in Mitteldeutschland. Zwar sind weit üher 400 Jahre seit jenen Tagen verstrichen, doch welche Ähnlichkeit in den aufregenden Zeitereignissen damals und heute! Die unwissenden Mächtigen zermalmten die Erde und die Menschen; die Wissenden aber kamen, damals wie in den jüngstvergangenen Jahren, zwischen die Mühlsteine und wurden zerrieben. Oft ohne Spur ihres Schaffens .. . fast unauffindbar. Im Sommer jenes Jahres 1527 machte sich ein Mann, weit über fünfzig, auf. unter geheimnisvollen Umständen die Frei- und Reichsstadt Frankfurt am Main zu verlassen. Er schloß sich einem Zug von Kaufleuten an, deren Kähne das Ufer entlang von Schiffaleuten den Main aufwärts gezogen wurden. Die Kähne waren be2
lastet mit Gütern, die auf der Messe in Frankfurt erstanden oder getauscht worden waren; das Gepäck des Mannes aber war gering. Er gab sich den Reisegefährten und heim Zoll als Mathis Gothardt ans, der als Wasserkünstler nach O-ien zu reisen gezwungen sei; vielleicht wolle er nach Magdeburg gehen, sagte er. Auch wies er ihnen technische Zeichnungen von Wassermühlen vor — Kraftwerken, die, im Strom verankert, mancherlei industriellen Zwecken dienten. Darüber hinaus war der Mann Gothardt still in sich gekehrt und verlicli die Kahne bei Hanau, da wo der Main im Knick nach Süden abbiegt, gegen Spessart und Odenwald zu. Die Gerätschaften und die Mappe mit den Entwürfen im Felleisen, am Gürtel ein verkapselte* Tintenilä-ehchrn und Kielfedern im Köcher wiesen den am Ufer Zurückbleibenden ganz, als Mann der damaligen Technik aus. Mathis Gothardt verweilte noch, bis die Mastspitzen der Kähne in die Richtung von Seligenstadt zeigten, das oberhalb des Mainlaufs am linken Ufer geahnt wurde. Dort in Seligenstadt war Mathis Golbardts letzte Heimat gewesen. Dort war seine Werkstatt in Flammen aufgegangen, dort waren die Bürger, seine Mitarbeiter und Gehilfen wohl mit Not unmenschlicher Bedrängnis, vielleicht auch dem Tod entgangen. Da war auch seine Sorge zurückgeblieben: sein Adoptivsohn Andreas. Den hatte er in gutem Glauben der Pflege und der Lehre seines Bildschnitzers Arnold Rücker überlassen, als man ihn zwang — es lag schon ein Jahr zurück — die Stätte seines jahrzehntelangen Fleißes zu verlassen, vogelfrei und in Lebensgefahr. Damals, vor Jahresfrist, als die Welle blutiger Verfolgung und der Kampf gegen die aufständischen Bauern und Bürger die mainfränkische Gegend heimsuchten, als Plünderung und peinliches Verhör jedem Verdächtigten drohte, da war Meister Gothardt aus Seligenstadt nach Frankfurt entwichen. Die große reichsunmittelbare Stadt hatte den Befehlen der streitenden Parteien, die sich wechselvoll bekriegten, noch trotzen können. Als internationale Handels- und Messestadt gewährte sie den Flüchtlingen heider Seiten Asyl, sofern sie die „Urfehde" beschworen. Das war eine Versicherung, mit Frankfurter Zeugen bekräftigt, daß die Schwörenden sich innerhalb der Stadthoheit jeglicher politischer oder militärischer Tätigkeit enthielten. Mathis Gothardt besaß in dem Astronomen und Astrologen Johann Indagine, der ihm aus glücklicheren Tagen befreundet war, sowie in dem Seidensticker und Paramentenmacher Hans von Sarbrücken xwei Zeugen höchsten Grade«; denn Indagine war wegen seiner wissen3
sciiaffliehen Arbeit weit über die Grenzen des Frankfurter Landes hinaus hoch geachtet, und der Seidensticker hatte ein angesehene«, fahrikationsähnliches Gewerbe in der Stadt; auch war er mehrfacher Hausbesitzer und gewichtiger Bürger. Mathis hatte Logis in dem Messe-Gasthaus „Zum Einhorn" genommen, das dem Seidensticker üppigen Zins abwarf. So, in -einer Freiheit ziemlich unbeschränkt, olilag der Meister Mathis einem etwas absonderlichen Tun. Er sott und goß Seifenstiicke. die. mit dem privilegierten Wappen der Stadt versehen, auf Markt und Me-.se großes Aufsehen erregten. Denn, wenn damals gleichartig geformte Schönheitsmittel an und für sich schon etwas Neues waren, so konnte der Fabrikant Gothardt noch auf die besonders heilkräftige Wirkung seiner Seife hinweisen, zu der er eigene, jahrelang erprobte Rezepte besaß, die die Verwendung von Kräutern und milden chemischen Bestandteilen vorsahen. Doch das grimmige Tauziehen der Machthaber um die geflüchteten politischen Gegner ließ den Rat der Stadt Frankfurt nicht zur Ruhe kommen. Im Februar 1527 gelangte ein geharnischter Befehl des Kurfürsten und Reichskanzlers Alhrrcht aus dessen Residenz in Mainz an den Rat. „unverzüglich den Beschlüssen des Reichstages nachzukommen und die des Aufruhrs verdächtigten Flüchtlinge in Haft zu nehmen und der Gewalt seiner Gerichte auszuliefern". Die durch diese Drohung schwankend gewordene Haltung der Stadt, sowie ein Rechtsstreit, den der Seifenfabrikant im Interesse eines «einer Angestellten, des Seifensieders Lorenz Schnefenberger, gegen dessen Logisherren vor dem Niedergericht führte, zwangen Gothardt vor der ihm wohlwollenden Behörde über seine Persönlichkeit Auskunft zu geben und zu bekennen, wer er in Wirklichkeit war: „Meister Mathis Neithardt aus Würzburg, ehemaliger oberster Baubeauftragter, Hofmaler und Kammerherr des regierenden großen Kardinals Albrecht von Brandenburg". Man riet dem Neithardt-Gothardt. abermals zu fliehen, und er verschloß sich dieser Notwendigkeit nicht. Schnell wurde in der Kammer, die er im „Einhorn" bislang bewohnte, ein Bestandsverzeichnis des von ihm hinterlassenen Gutes gemacht. Vor zwei Ratsherren legte er sein Testament nieder, bestimmte die Hinterlassenschaft bis zur Mündigkeit seines Adoptivsohnes
und E h r e n k l e i d e r des ehemaligen Staatsbeamten, der Wappenring;, der ihm verliehen war. sowie der Wappenhrief. Zu linierst. hesonders verschnürt, die belastenden l ' r k u n d e n und Briefschaften üher den Bauernaufstand, die ..Zwölf Artikel*' der Aufruhrer, fast sämtliche lntheri-chcn Srliriflen. Lose liehen
M E N S C H E N
U N D
MÄCHTE
Die tragische Wendung im Lehen diese«, geheimnisvollen Mannes entspricht dem grundlegenden W andel. der sich in seinem Zeitalter vollzog. Wir wis-cii iiidit. wo und bei wcMicu Mei-lern und Lehrern der junge Mathi- in frühen Lehrjahren Belehrung und l'iitcrwci-iing erfuhr. Die Kinder- und Jüngling-jahrc «dic-es Manne- -ind in fast dasselbe Dunkel gehüllt wie -eine letzten Tage. Gcwitt i-t er in den V o r - t e l l u n g c n aufgewachsen, die in seiner Jugend noch die ahendläiMlische Welt erfüllt hatten: Der Y o r - t c l l u n g von d e m Nebeneinander zweier O r d n u n g e n : der irdi»chcn in ihrer Begrenzung von Zünften. Ständen. Gemeinschaften und eines fc»t gegründeten Brauchtums -•- und der geistlichen Ordnung, die \ o n der alten Kirche bestimmt wurde und die auch das Leben nach dem Tode in sich umschloU. Dann aber hatte er erfahren, wie diese Ordnungen sich auflösten, wie ein N e u e - heraufstieg, das d i e Men-chcn auf- tiefste erregte. Noch war d e r Glanz des mittelalterlichen Reichsgedaukcns
nicht ganz verblaßt. Kaiser und Päpste, Ritter und Mönche hatten die Welt Europas zu jener selbstverständlichen, einheitlichen Lebenshaltung geführt, die uns auch heute noch Ehrfurcht abfordert. Die letzte große äußere Tat beider Mächte, verkörpert in dem Orden der Mönche und Ritter, war da* Vorverlegen und Festhalten der Grenze im Osten gewesen. Aber der Ritter war seitdem zum Gewalthaber, vielerorts zum käuflichen Raufbold und Abenteurer geworden. Der Mond» aber war vielfach verweltlicht und folgte dem Vorbild vieler Kirchenfürsten, die ihr geistliches Amt vergaßen und als politisierende Landesherreu, Grundbesitzer und Anführer von militärischen Aufgeboten in den üblichen Landesfehden und Grenzkriegen rein weltlichen Geschäften erlagen und mit dem Kaiser um Macht und Rang feilschten. Nun hatte sich im Schutze der bergenden städtischen Mauern, durch den weit ausgreifenden Wagemut der Kaufherren und durch die ins Große anwachsenden Gewerbebetriebe der Handwerker e>in „Dritter Stand" entwickelt: der „Bürger", der, selbstbewußt auf seine Leistungen pochend, gerne der Bevormundung der beiden ersten Stände entraten konnte. Ein eigentümliches, erhitzendes Freiheitsstreben machte sich in diesem Stande breit, angerührt durch kühne und erfolgreiche Vorstöße in bislang unbekannte Bezirke durch Männer der eigenen Reihen, die den Umbruch der Zeit beschleunigten. Johann Gutenberg, auch Henne Gensfleisch genannt, brachte nach jahrelangen Versuchen um 1 WO in Mainz das erste mit beweglichen Lettern gedruckte Buch auf den Markt. Seine zwölf Gesellen, von Gensfleiseh ihres Berufseides entbunden, wanderten nach des Meisters wirtschaftlichem Zusammenbruch wie andere zwölf Apostel in die Welt, übten allerorten ihre Kunst —, und die Welt begann zu lesen. Martin Behaim. ein junger Kaufmann aus Nürnberg, wißbegierig dem daselbst lehrenden Astronomen und Geographen Jobannes Müller (Regiomontanus) lauschend, fuhr in portugiesischen Diensten die unbekannte Westküste Afrikas entlang, um den Seeweg nach Indien zu suchen. Die in der Jugend empfangenen Lehren bestätigten sich ihm. als er den breitesten Breitengrad der Erde, den Äquator, daran erkannte, daß die Sonne des Mittags nicht mehr im Süden, sondern im Norden stand. Nach Nürnberg zurückgekehrt, trug er alles, was die Erd- und Weltallkundigen seiner Zeit und was er selber beobachtet hatte, zusammen und schaffte 1492 den ersten Erdglobus, den Behaimschen „Erdapfel". Die Zeit war reif für diesen neuen, umstürzenden Gedanken; ein Globus nach dem anderen wanderte von Nürnberg in die Welt — 6
and die Menschen der Welt erkannten, daß sie auf einer Kugel lebten. Theophrastus Bomhastus aus Hobenheim (Paracelsus), Arzt und Denker, erkannte als erster in dieser Zeit die Bedeutung der chemischen und physikalischen Grundlagen alles Lebendigen. Er erklärte die Natur aus der Natur selbst. Aus den Belehrungen auf seinen Wanderungen durch die deutschen Lande uud aus seinen in frühem Hochdeutsch abgefaßten Büchern erkannten die Menschen, daß sie der gleichen Art waren wie die sie umgebende Schöpfung. Um die Zeit, da Paraeelsiis geboren wurde und Bebaim den ersten Erdglobus herausbrachte, landete im Oktober 1192 Christoph Kolumbus auf einer Insel in den Bahamas auf der westlichen Halbkugel — und die Menschen fanden Behaims „Erdapfel" bestätigt. Den größten Angriff auf die bestehende V tltvorstellung bereitete jedoch ein stiller Mann im sarmatiseJien Preußen vor. auf der von den „Mönchs-Rittern" befestigten Domburg zu Fraueuhurg, an der Grenze im Osten: Nikolaus Kopemiku«, dessen Lebenswerk von den „Himmlischen Evolutionen" Meister Mathis wohl gekannt haben kann und das den Beweis erbrachte, daß nicht die Erde und nicht die Menschenwelt von Gott zum Mittelpunkt des Weltalls geschaffen worden sei, sondern daß die Erde nur ein Planet und die Sonne die bewegende Mitte des Alls darstelle. Diese und viele andere wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden zur Zeit des Meister Mathis gewonnen, allgemein bekannt und wirkten allmählich auf den weiteren Entwicklungsgang der Menschen. Eine andere — angeblich zufällige — Erfindung an der Schwelle der Neuzeit aber war von unmittelbarer Wirkung: Die Erfindung der Feuerwaffen durch die Anwendung des Schießpulvers und die Aufrüstung der Zeit mit Feuerrohren, Donnerbüchsen, dann mit Feldschlangen, Bombarden und Mörsern. Diese Entwicklung ist bis beute nicht abgeschlossen, da von Jahr zu Jahr bedrohlichere Vernichtungswaffen der erschreckten Menschheit vor Augen geführt werden. DIE
BRENNENDE
ERDE
I Meister Mathis Gothardt war, bevor er heimatlos umherzuirren • gezwungen wurde, oberster Architekt, bestallter Hofmaler und I Kammerherr des Kurfürsten Albrecht von Brandenburg gewesen, der, obwohl er die Kardinalswürde trug, als ein weltlicher Fürst zu Mainz r e s i d i e r t e u n d i n viele u n w ü r d i g e H ä n d e l v e r s t r i c k t w a r .
Mathia Gothardt luitt«- offen gegen seinen Herrn rebelliert, weil er mit lebenden Augen die Zeidien leiner Zeit in sich aufgenommen. Von Jugend in «in abseitiger, ein Grübler, bette er *'>i-t and Heri den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgetan und mit Verwunderung die auf rühre riacbe Stimme de« Mönch« von Wittenberg vernommen. Er Terglicb d -n Proteate mit >l<-r Wirklichkeit, die sich ihm am Hofe tu Maine und in den anderenRestdenaetadten ln>t: auch harte er den Weg dea Brandenburger Primen AJbrecht von di wen 20. Lebensjahr an bia tum Kurfürsten und Kanaler des Reichet verfolgen können. Schmerxlich bewegt muBte er beobachten, wie der Kurfiir-t sein höbe- \mt dazu mißbrauchte, Prunkbauten zu planen und au bauen und Lustbarkeiten au veranstalten. Da- alles erforderte ständig erhöhte Steuern und abgaben: Bodengeld von jeder Krume Erde —. Klauengeld, das von jedem einzelnen Stück Vieh au entrichten v%ar . I ngetd, das auf allem und jedem lag —, unbillige Zolle, die den Handel auf jeder StraBe beschwerten; und all das batte nicht ausgereicht, um die politischen W ünache und Bedürfuis.»e de- Landesherru /u befriedigen. I nd wie den Herrn im Großen, ao fand Matbia die Knechte im Kleinen, bis auf weuige, mit denen er sich auearamentat. Der Meister Mathia hatte sein Leben lang in seinen \\ erken nur die Stimme des Mitleiden« und der Liebe erhoben: d i r Liebe der jungen Mutter mm Kinde, dea Mitleiden« für die \ erfolgten und Bedrückten, dea höchsten Mitleidem lür den, der ans Kreuz, geichlagen wurde. Er veratand die Stimmen
ilur hörte
er
das
Echo
auf d i e
Stimmen
der
Zeit u n d
daa Rütteln des W ittenbergera: das aufbegehren der (lepreöten in den Städten und das unterirdische Grolleu der Entrechteten auf dem Lande. Noch ein a n d e r e « , B e d e u t s a m e s , k a m zu dein \\ u n d e l d e - M a n n e s
Matbia hin/u: seine Freundschaft mit dem Astronomen Indagine. Die Begegnuni mit diesem Manne batte ihm die Kenntnis von einem prophetischen Buche vermittelt, des Brigitte von Schweden im Jahre 1370 niedergeschrieben hatte. In diesem Huch war fast auf« Jahr genau der HiL! im Bau der Kirche vorhergeaagt mit allem, \s.i- deraus hervorgehen sollte. l'ir Schuldigen waren genannt und dii 1 olgen ihres \ eraagena festgelegt, da- Vufhegebren der Unterdrückten geschildert und die Greuel, die sich ergaben: »K er im Jahre 1527 mit dem bloBen Tode davon käme, der wäre glücklieh tu preisen.** Die grauenerri genden \ iaionen erfüllten sich bucho
'
Pumpwerk des Meisters Mathts. (Nach einer Zeichnung des V. Hirschvogel um 1530.)
itäblich in jenen Jahren, nun 1 radirecken der Mensehen, .il- clie Bauern unter dem Peldieichen des JBundsdrahs" aufbegehrten. Denn dieses Bucfa ging in vielhunderl Exemplaren N'>n Hand ra H.unl. wurde besprochen, bewiesen und wurde geglaubt. wie der Kündende Funke in da- gehäufte Pulverfaß geriet, bleibt tin Geheimnis. Im Mär/ 1525 versammelten sich in ganz Mittel* und Suddeutschland Bauernhaufen auf freien Feldern »or den Städten, \<»r Klöstern und Schlossern. Eigentlich war es die Zeil der Frühjahrsbestellung, doch der unerklärliche Befehl hatte sie alle erreicht auf ihren einsamen Höfen, in ihren Flecken, Weilern und Dörfern. I - fanden sieh überall leichtlich Anführer, des Schreibens und Lesens kundL'. Gastwirte, Stadtschreiber, auch Gelegenheitsmacher, die gerne im Truhen fischten. Klageschriften und Beschwerden wurden zu Papier gebracht. Sie wurden den Hüten der Städte, den \bten der Klöster und den Herrschaften auf den Schlössern überreicht. Die Bürger machten meist die Sache der Bauern au ihrer eigenen und hingen ihre Forderung! o an die 9
dei .Hund-chiili»" an. Die Haufen bewaffneten sich, um ihr Begehren nachdrückliiher durchzusetzen. Vereinzelt« Untaten beginnen das aufgeregte Bild zu verdüstern. Der rote Hahn lohte sul manchem Klosterdach und über zahlreichen Herrenhöfen. I ud d.iGeepenet lh>t: weiter am geröteten Himmel. In der Gegend südöstlich de* ()d< uwaldes begann es vor Rothenburg an der Tauber. Wie die Tauber in den Main fließt, so ergoß lieb eine- Tagea der ..helle, lichte Haufen", jetzt zum Heerwurin angewachsen, \i>r die Mauern Seltgeostadti am Main. Der Hauptmann dieaer unerhörten Demonstration, ihr militärischer Berater, war Götz von Berlicbingen, einer der letzten Hitler, an die der Meister Mathis glaubte. Die Zünfte der Stadt, die Mainanüller und die Schiffer, die Tischler und Bildschnitzer erklärten dem Hauptmann und seinen Beigeordneten ihren gleichen Sinn. Der Rat der Stadt reihte sieb ein, und die Zunft der Maler lieB ihre Fahne dem Zuge voranflattern: der Christ am Kreuze, der Erlöser vom Leide. So ging der Zag wieder mainaufwärt», und es ritt neben dem Ritter von Berlichingen der bedeutendste Meister der Malerzunft, Meister Matbis. Vor d e n ^schaffe nbarger Schloß ertönten dnmpf die Trommeln der Hauern und Bürger. Graf von Honstein, der Statthalter des Kurfürsten Albrecht im Schlosse, «ah sieb der erdrückenden ( hermacht ohnmächtig gegenüber. Er erkannte zum Schein da- B e g e h r e n der Hauern und Bürger an. er beschwor d i e
„Zwölf \rtikel"' mit den Forderungen der aufständischen. Die Fahne mit dem Gekreuzigten wehte über der Residenz. BLUTENDES
LAND
Heute nun hastet der Meister auf heimlieben V aldwegen dem I.auf der Kinzig entlang ostwärts und hall lieh für kurze Zeit an Züge von Planwagen, die. von Bewaffneten geschützt, Güter nach Sachsen bring« u tollen. Die bergende Leinwand des W agena über sich gesogen, sieht er, solange der Weg noch durch knrmainsisahes Gebiet geht, die abgelegenen Dörfer in hellen Flammen stehen. Musketen und Feldgeschütze haben die Bewohner in die brennenden Dinier zurückgetrieben oder haben sie tödlich auf den Gasaen getroffen. Er sieht zerlumpte, elende Gestalten, die von brandenburgischen Beitern westwärts gejagt und auf ihrem Qualenweg von 1U
Schinderknechten lutammengehauen werden. Wenn dann, nach gebotenem Hall \<>r einer größeren Ortschaft, die peinliche Visitation ' Bauern reihenweit den Nacken, und ihrer dreiBig oder vieriig haben in kür/«* den Kopf vor den FiiBen liegen. Bürger, denen m für die Mächtigen /n -iien.
I>i<- Rache der gedemütigteu Herren i-t überall %>it- «Irr Mutz tul «l.i- erste Zurückweichen gefolgt. Die cum Schein eingegangenen Verpflichtungen und Znaagen werden in den W ind geschlagen Der Kurfürst hat Truppen von seinem \ etter am der Mark Brandenburg erbeten, und der Brandenburger bat elend«- Gesindel ge-«•hii-kt. mörderische« \ olk. das in diesem wie in jedem Falle seine nheit wittert. Hauptleute nnd Pouriere, Kriegsrate nnd Rumormeister halten sich am geräuberten Gut schadloa, füllen sich ekel mit Blntgeld. Findet man in den Haueern «» B e t r o f f e n e n an H a u p t u n d G l i e d e r n , wie <•- d e m
grausigen Rechte- und Kri« gebrauch der Zeit entspricht. ..Ihr sollt nimmermehr \«>m \ufruhr sprechen können!" und ..Ihr sollt nimmermehr das lesen können, was ihr gelesen habt." I>i<- Schriften aber werden au StüM« ii gehäuft, mit Pech übergössen nnd angelandet, nnd in den gleichen Flammen verbrennen, an K«tten gebalten, die man für die geistigen Rädelsführer hält. Die soiiale Erhebung, durch die 1 m-tiinde hervorgerufen, durch religiöse und wissenschaftliche AnfkliirnnLT genährt — wahrscheinlich durch prophetische Vorhersagen ausgelött • er-ti«kt in einem Iffeef % «»ii Unheil. Tausende düngen fruchtlos mit ihrem Mint
Der flüchtende Wanderer Mathia, der 1«< i Kühlern im Thüringer Wahl genächtigt und «la- Gebirge hinter sich gebracht hat. i-t von den Geschehnissen /u Tode wund. Seine Augen brennen, »ie haben auviel des Furchtbaren gesehen; doch *vir«l gestaltende Hand 11
Diemali mehr in der Lage »ein, diese Martern abschreckend dar/u•teilen, auf daß solches nie mehr geschehen kann. Da er in dieaer Stunde dai kahle Feld der Hainleite durchidireitet, tappt und strauchelt ein Geblendeter am Rande der Straße. l>i<- toten Augenhöhlen blicken ini Leere, aui dem Munde quillt daa Blut der geschändeten Zunge. Der Flüchtende uetzl die Lippen • 1 • •- Gequälten aus leiner Fluche, er bettel den Sterbenden im Grase de« Rain«, n-i Tage später erreicht er heimlich dir Stadt Halle. Er findet l nterechlupf bei Freunden früherer lau«-, dem Salinenbeamten Glaier und dem Kunstschneider Johann Plock. Da ihm die Mittel ausgehen, sieht er von einer dürftigen Kammer zur anderen, au weiteren Bekannten. Doch die Luft in der Stadt Halle i-t frei, er i-t seines nackten Lebens sieher. 1- 1-1 da» leergewordene Leben einet Flüchtling«. LETZTE
BEGEGNUNG
Das armselige Leben wird schwerer von Ta^ zu Li:, die äußere Not klopft auf di<- Finger. Der Meister verhandelt von Halle au» mit dem Rat von Magdeburg, der die Mühlenwerke erneuert. Die Behörden sehen jedoch weniger auf das fachliche Können dei Bewerbers ab auf leine politische Vergangenheit: die Bemühungen werden verschleppt, verlaufen im Sande. Die Freunde in Halle, alle irgendwie mit dem Haupterzeugnil dieser Stadt, dem Sala, verbunden, verwenden lieh für ihn bei d r r technischen Kommission der Sslswerke. Die berühmt gewordene Wasseranlage de« Meisters im Schloß su Aschaffenburg wird erwähnt, als mustergültigei 1!> iipiel gerühmt. In A&chaffenburg hat Mathii Schöpfwerke im Main gebaut, Druckröhrensysteme bis auf <\fi* SchloBberg geleitet, dalelbst vielsrmige Springbrunnen gespeist und die Leitungen in Küchen und Kemenaten geführt, Ähnliches ich äff 1
Das Eras;nus-M«iuriliu»-Gein.ildo (München. Pinakothek): Der kühl berechi,Auftrag, den Mathis zu diesem Monumentaiwork erhalt, wandelt sich unter seinen Händen zu der ersten .Malerei* im vollen Sinne (siehe Seite 14).
winnungsanlagen gedrückt werden, damit da* salzhaltige Wasser verdunsten kann; da» Wasser d i r Saale niuÜ geschickt über da« S.I!/-I »tein in den Siedepfannen geführt werden. Die stürsenden \liwii--er liil.'.t er Pochwerke treiben und Sageblätter bewegen. Der Magistrat ordnet dem „Waeserknnetmacher Mathia" Steinmetzen, Röhrenhauer. Schlosser und Schreiner l>ei. Solche Minner sind -ein Alltagsumgang; tie wissen nicht, wer mit ihnen spricht. Eines Tage». inn< rlieh fa>t widerstrebend, hetritt Malhi« durch ein Seitenpförtchen die Stiftskirche. Sie i»t von seinem ehemaligen Herrn sli Triamphstätte tu erhofftem ewigem Ruhm erbaut wordin. Die hohen Bögen umfangen ihn, kühles Licht fällt auf die geplünderten Heiligen-Altäre. Die Zeugnisse der Yolksfrömmigkeil mit hundert Figuren au» vielen Legeoden sind entfernt, vernichtet durch Eiferer und Bilderstürmer. In einem Seitenschiff gegen dir Mauer gelehnt, iteht eine übergroße Lindenholxtafel, die wohl durch ihr Format und Schwere der Zerstörung entgangen ist. Meister Mathis li.it iie geschaffen; sie zei^t das Bild des Kurfürsten Albrecht NOII Mainz als Erasmns in der Begegnung mit dein heiligen Mohren Mauritius. Es i»t einer der letsten Aufträge gewesen, die der Meister von seinem Brotherrn empfangen hat. mit genauen Angaben ülier die Art iler Darstellung und die An« Drdnung di r swei Hanptgestalten, über ihre schmückenden Beigaben und die in den Schatten au stellenden Nebenpersonen ein Auftrag, einzig zur prunkhaften Zurschaustellung des Anftraggebers bestimmt. Die Verschmelzung der eigenen hohen ^ei«tliehen and weltlichen W iirde mit der des heiligen 1 rasmus sollte die Sonderstellung de« erlauchtesten <>efolg»manne« de? Kaisers \>>r den schon »türri»ch werdenden 1 otertanen betonen. Es war ein politischer Auftrag an einen wahrheitssuchenden Maler. Menschliches hat Auftraggeber und Aasführenden, hier \sic sonst, nicht verbunden. Der Meister prüft den Zustand «1er Farben. Welchen Fleiß hat er aufgewandt bei der Behandlung d e . Ornates! Wie i»t jede Perle de» überreich gestickten Gewandes voller Clane, wia i«t das Detail der Mitrs erkenntlich! Wie ist die Linke de. Kirchenfürsten mit dem Stab seiner Herrschaft genau in den Mittelpunkt de« Gescfaeh* Kt! I nd wie blickt dieser Mann an allem vorbei, was an ihn herantritt! Der Mohr eine frühchristliche Legendenfigar von eindringlicher Einfachheit, die ihr Lehen für ihren Glauben gegeben — ein Sinnbild der Opferwilligkeit! Da« vertrauende Hinneigen, die sprechende Geste der rechten Hand sind wie eine 14
• • Frage an den HoheiUvollen, eine Frage, die nicht gebort und die nicht beantwortet wird. Der schimmernde •- i-t kein „gezeich111 -1 r - - *' Bild, mit Farben ausgetuscht, es i-t „gemalt''. \ u - einem trockenen, sweckbeetimmteu Auftrag ist daa wesentlichste, erste „malerische Kunstwerk" auf deutschem Boden entstanden. Der Meister äberhliekl noch einmal das Gänse. Er sacht vergeblich im Vuge seines ehemaligen Herrn einen Blick des Ver-tflu IIS. Da fällt dem Mathi- erschreckend ein: Keines seiner von ihm je gebildeten Geschöpfe blickt den Betrachter an, blickt ..au- dem Rahmen" heran-! Sie leben alle in Isoliertheit, in Welten für sich! Entrückt dem MItag, vollenden lii alle auf der von ihm errichteten Bühne ihr Schicksal. Gut, Matbi« erwartet keinen Blick der Antwort. Es i-t kalt geworden in der leeren Stiftskirche. Der Meister sieht die Schaube fester um die Schultern, er wendet langsam -einem \\ erk den Rücken und verläßt den hellenden Raum. EINSAM KR
TOD
Ein paar Tage arbeitet Meister Matbi- mit dem Holzdreher 1 iin/i 1 /u-aiiinien an < iner Schnecke, die er aus einem Buchenst amm schniteen will. Am Fuße der schrägliegenden Schnecke denkt sieh Matbis ein Schaufelrad, des die Schnecke durch die Wasn rstromung in ständiger Drehung halten -oll und dadurch im umgebenden Rohr selbsttätig Wasser bis zur Höhe des Stamme.» fördern muß. Uso, er lälit das gleiche Element, das er bewegen will, die Bewegung auch ausfahren. Zur Mittagspau-e. als er über den Marktplatz am roten Turm vorübergeht, ersteht er von einem Feisenden Boten, der ..Neue Zeytungen" feilhält, ein Blatt, de« eini der Sensationsmeldungen enthält, wie sie in jenen Zeit« täglich sind. Diese ist für ihn von erschreckender Bedeutung, Wieder wird von furchtbaren Taten der Vergeltung berichtet, der immer noch die Parteigänger der Bauern zum Opfer fallen. Aufrechte Männer werden durch Verrat und Heimtücke ihres Leben« beraubt. Noch immer gehen die Hä-cher im Lande um und fahnden naeh den Rebellen. Die Menschen sind blutgierig wie Raubtiere. IS
Der Isenheimer Altar: Die Klapp-Flügel haben sich zur zweiten Schau geotfnot. In fünf Stationen wird das Geheimnis der .Menschwerdung* aulgezeigt. Von der
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Verkündigung, der jubelnden Erwartung, und den ersten Erdentagen fuhrt die Bildfolge bis zum Tode und der Auferstehung (siehe Seite 18 und 29).
IT
Meister Mathis läßt die Hand mit dem Blatt -inken. taumelnd sticht er Halt an der rauhen Turmwand. Als er zu sich kommt, verständigt er den Holadreher Gabriel Tnnsel von seiner Schwäche and begibt lidb in teine Kammer, wo er sich angekleidet auf eein Bett legt. Tunzel ersdieint incfa li.ihl danadb mit Meister Johann Plock und dem Salinenbcamtcn Glaser, und die gesandten der Hölle und peinigen ihn mit Krallen und reißenden Sdtnäbcln! Da versuchen sie ihn mit grün-glühenden Glotzaugen, daß er Flüche ausstoße gegen die Verderber! Da treten ihm plumpe Dickhäuter fuße gegen das Her/, und -dieußlirhr Fkelsgestalten bredien in Hohngelüchter über seine Wehrlosigkeit aus. So hat er den Angriff des Boten gesehen, so hat er die Ausgeburten de* Abgrunde- mit erschreckender Deullidikeit schon einmal geschildert: Auf der rechten Seitentafel des Sdireinaltares, den er in der General-Priizeptorei zu Isenheim im Elsaß geschaffen hat. Das war.n höchst erfüllte Jahre gewesen, als er in dem Vogesenkb>-ter da-; größte Werk seines Lebens schaffen durfte. In völliger Übereinstimmung mit dem Anreger und geistigen Uberwacher, dem Präseptor Gnido Guerai, hat Meister Mathis hier, an der bedeutenden Handelsstraße nördlich der bnrgundischen Pforte, ein \\ andelbiid mit vielen Flügeln von gigantisdien Ansmaßen aufgeriditet. das seinesgleidien nirgendwo findet. Der vielbundertköpfigen Menge, die sich bei oft wiederkehrenden Anlässen in der Klosterkirche einfand, hat er hier eine Bikrnnterweiannsj vor Augen geführt, die von der Geburt bi- zum Tode, von der Glii
Tröstungen, die auf diesem Wege warten. In den Fieberphantasien des Kranken verwischen sidi die \ orstelluugcu höllischer Qualen, er lieht den Helden Sankt Midi.nl aus zartem Gewölk hervoreilen und mit der Kreu/e-lan/e den eindringenden Dämonen Einhalt gebieten. Um! nun kreisen die Farbpunkte, füllen »icb mit den Gesichten aller Menschenwesen, die das Erdenrund bevölkern und sidi der Kchtenfiillten, überirdischen Gestalt zukehren, die im Eingang eines Tabernakels kniet. Und sie kniet vor einer ihr ähnlichen Gestalt, der Mutter, die ihren Sohn zum schmeralichgütigeu Antlitz emporhebt. Und es i-t Meister Mathis, als wende sidi das Autlitz der Madonna gütig zu ihm herüber, als kehrten sidi alle Madonnen, die er gemalt hat. die leidserrissenen und die glückseligen Marien -einer Altarbilder, tröstend seinem Heraen an. Tiefe, tödlidie Blässe überzieht plötzlich das zerfurchte Antlitz des Meisters, sein Kopf sinkt auf das Kissen. AI- nach geraumer Zeit die Freunde die Kammer wieder betreten, da i-t der Meister Mathis stumm und kalt. Es i-t der letzte Tag im \ugust des Jahres 1528. VERSCHÜTTETER
BRUNNEN
Es gibt noch einige Sehreibereien nach Mathis Gothardts Tode wegen der Frankfurter Erbschaft. Der Seiden-tieker Sarhrückcn, in dessen Haus „Zum Einhorn" die Habseligkeiten verwahrt «erden. erweist sidi als unzuverlässig, .il- grober Betrüger. Zerrende Streitigkeiten um ein Petschaft, um Seifenaioderkeesei, um nicht bezahlte I nterhaltakoaten für den verwaisten Andreas Neithardt lasseD den Adoptivsohn nicht in den Genull der Hinterlassensdiaft kommen. Der Leben,weg des Sohnes verliert sidi danadi im Dunkel, selbst die Erinnerung an seinen Namen ist ausgelöscht. Das tragisdie Geschick, da- in den folgenden Jahrzehnten die deutschen Laude heimsucht, laut audi das Gesamswerk des Meister Mathis in den Sdiatten des Vergessen* treten. Seine Werke wandern, werden von aufgehetzten Bilderstürmern von ihren Standorten heruntergerissen. Mit den Flammen, die die \\ erkatatt in Seligenstadt vernichtet haben, sind auch die Möglichkeiten, dali Spätere eine «Schule des Meisters Mathis" bilden und in seinem Geiste weiter wirken könnten, erloschen. Oh dieser Einmalige überhaupt Lehrlinge und Gesellen bei seinem Sdiaffen 19
zugelassen hat, ist nicht mehr zu ermitteln. Er hediente »ich der Hilfe anderer nur hei vorbereitenden Arbeiten: dem Zurichten der hölzernen Tafeln, dem Grundieren, der Gestaltung der Bahnten und zur Mithilfe bei den von ihm geühten rein technischen Verrichtungen. In der Folge werfen mir wenige Vorgänge ein wenig Licht auf da? Schicksal seiner Werke. Zehn Jahre nach dem Tode des Meisters versucht Kurfürst Joadiim von Brandenburg, einen in Frankfurt befindlichen Altar, den zu gleichen Teilen Albrecht Dürer und Meister Malhis gestaltet haben, zu erwerben, ohne daß dabei de» Mathis Namen erwähnt wird. I m ' 1600 beabsichtigt Kaiser Rudolf II., die „sdiön gemalte Tafeln, die mit sonderer Kuu«t von einem außerordentlichen Heister gemacht sind", von Iaenheianer München käuflich zu erwerben. Der Oberstallmeister des Kaisers, Graf Fürstenberg. lälit von Prag aus in Freiburg und Umgebung vergeblich nachforschen „wie der Maler, so den Altar zu Iseuheim gemalet, geheißen habe". Man kennt um diese Zeit selbst an der Stätte seiner größten Wirkung nidit mehr den Namen des Sdiöpfers. Der Streit der Konfessionen und die Gegeneätse der Nationen werden zum Streit der Völker, stürzen die Länder in einen dreißig Jahre währenden Krieg, in drei mal zehn Jahre Vernichtung. Da ist keine Zeit mehr, Werke früherer Gläubigkeit zu aditen. Was nidit brennt, wird zerschlagen, was äußeren Wert hat, wird gestohlen. Bin schwedisches Sdiiff mit gerauhtem Kunstgut, darunter Werke des Mathis aus dein Mainzer Dom, geht im Sturm auf der Ostsee unter. Das Rad der Gesdiidite dreht sidi fort; vier Generationen nach Mathis' Tode wird nadi jahrelangen Vorverhandlungen 1618 der Friede zu Münster geschlossen; Mensdien mit neuem Mut wachsen heran. Schutt und Unrat werden beseitigt, mandies Verlorengeglaubte unter Trümmern wiedergefunden. Im erwadienden Lebensgefühl des Barock erkennen einzelne Männer — selbst von ausgeprägter Eigenart — in seltsam erregenden Kunstwerken, die hier und da auftaudien, die geheimnisvolle Handsdirift eines Einzelnen, die von unerhörter Ausdrueksgewalt ist. Das Rätselraten um den Urheber dieser Werke beginnt. Bei dein als höchst zuverlässig geltenden Landsdiaftssdiilderer Matthäus Merian. der von 1650 an in einem großen Kupfer-tiihwerk Städteansiditen von ganz Europa geschaffen uud herausgegeben hat. findet man eine Aufzählung namhafter deutscher Künstler des 20
16. Jahrhundert*; in der Reihe mit Dürer, Hollieiii, Cranach, Vitdorfer taucht auch der Name einet „Mathen- Grün von Asdiaffenburg" auf, der his dahin aicht bekannt gew n iat. Da der Name neben -»loh erlauchten Künstlern genannt i-t. glaubt man in diesem „Mathen- Grün" den Schöpfer jener erstaunlichen \\ erki- entdeckt zu liahen. Wahrscheinlich hierauf fußend, bezeichnet der Kunstichriftsteller und GeachichtsichreibeT Joachim ron Sandrart 1675 in -einer „Deutschen Akademie" • - einer mehr rom Hörensagen aK aus eigener Anschauung geschriebenem Sammlung von KünstlerI,i bensbildern den eifrig Gesachten mit dem Namen „Mathaue Grünetrwald von ^schaffenburg, Mahler" oder Mathaens Grünwald Mrinan" oder einfadi „Grünwall". 1 r fügt aber hinzu: „ 1 - i-l IU bedauern, daß dieser aushändige Mann dertnassen in \ ergessi nheit gerahten, daß idi nidit einen Menschen mehr bej Leben weiß, der Mm (einem Thun nur eine geringe Schrift oder mündliche Nachricht gaben könnte." Die durch Sandrart angestiftete Verwirrung lö-t da- Rät-el dt großen l nbekannten nicht. Grunewald — nicht- als ein Name! Man schreiht deshalb die wenigen W erke, die als von diesem Künstler stammend erkannt werden, hald diesem, bald jenem Meister au. Christian Lerse. ein Jugendfreund Goethes, glauht 1781, nach eigenem An-tliauen des Isenheimer Altars, daü diese. \\ erk von einem Meister ..Martin Schön", vielleidit sogar von Mb recht Dürer geschaffen sei; da- i-t 2.">0 Jahre nach dein Tode dos Geheimnisvollen. 1810 deutet der begeisterte Kenner der Hochgotik, der Kölner Sulpiz Boisseree, auf dessen Betreiben der Dom SU Köln uadi Jahrhunderten de- Bau-till-taiulo- der Vollendung entgegengefahrt wird, angesichts des Altare- zu I-cnhcim auf einen Mahr namens Stimmer, lehnt aber Dürer als Schöpfer ab. Miermals 100 Jahre später, also bis in unsere Zeit, i-t der alt.Name „Grunewald" die allgemeine, aber immer nodi al- ungewiß empfundene Bezeichnung für den Meister einer spärlichen Reihe höchst bemerkenswerter ^uadrucks-Kunstwerke geworden. Hatte der Meister zu Lebzeiten schon einen verschleiernden Wechsel seines Namen* vorgenommen, -o i-t jetzt -ein er-ter wie «ein zweiter Name gänzlich verschollen. Seine arbeiten aber heben -idi immer einsamer zwischen den gleichaltrigen W erken heraus. Die Verwirrung i-t vollkommen geworden.
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LÖSUNG DES RÄTSELS Das Geheimnis um diesen Großen, der ebenbürtig neben den erhabensten Meutern der Kunstgeschichte stellt, läßt die Forschung nicht nihen. Kann aber
an den Rat der Stadt Frankfurt verfolgt, den Tod eine« „Meister Mathis inaler" betreffend. Die Bestandsaufnahme ist, wie «ich au« den Akten ergibt, durch eine Erb* ehe!t-klage de» Seligenstädter Tischlerlehrlings Andreas Neithardt veranlaßt worden, und man liest von berechtigten Zweifeln an der Treuhänderscbaft de« Verwalter- des Gute*, eines Man- \on Sarbrücken. Die Aufzählung der Hintirl.i--tii-ili.ilt aber läßl den ursprünglichen Besitzer als einen ehemaligem Hofbeemten und Hofmaler des Kurfürsten Albrecht erkennen, all einen vielseitigen Künstler-Gelehrten und als einen .. Abtrünnigen", also einen Revolutionär. Der Schreiber der Aufstellung aber \ «rriit ungewollt — über die Zeiten hinaus —, daß der Maler Mathis srueh ..Nithardt oder Gothardt" genannt worden sei. Ein Meister ..Grünewald'" i-t gerueht worden, ein Meister Nithardt = Gothardt wird gefnnden! Nun, nachdem man einen Anhaltspunkt hat. beginnt die Sache in den alten Papieren erneut, jetzt aber rückläufig. Doch hier i-t ein Archiv, da- Aufschlüsse hätte geben können, serbombt, verbrannt, dort sind die Akten eine- anderen Archivs zu Altpapier eingestampft. Tastend gehl der Finger des Forschers über die kreuz und IJIMT im mitteldeutschen Land noch zu lindenden, «renigen erhaltenen alten Aufseicbnungen, vergleichend, erwägend, immer dir vermuteten Wege des Gesuchten vor Augen und alles Erforschte mit den Werken vergleichend, die die Zerstörung der Zeiten überdauert haben. Langsam, in Jahren, reiht lieh Stein an Stein zu dem immer noch unvollkommenen Mosaik eine- bewegten Leben-, und es ergibt sich, daß es, lusnindestens ha -einen letzten Jahren, so ver> laufin i-t. wie es auf den v oranges, ingenen Seiten dieses Lese* bogens geschildert worden i-t. Da- Geschiek scheint aber auch heute noch mit die-em Leben zu spielen. Nachdem die Schlammfluten des letzten Krieges verebbt sind, entdeckt man in einer Abfallgrube unweit der Stadt Marburg an der Lahn weggeworfene alte Zeichnungen, die auf den Meister hindeuten. Vielleicht sind es leitgenosaische Kopien von Werken des Mathis. Noch überraschender i-t der Fund von drei Blättern, Propheten und Aposteln in der typisch malerischen Zeichnungsweise de» Mathis. Die Blätter entdeckt man eingeklebt in eine Lutherbibel von 1541, die der Wirbel der Nachkriegsaeit zum Vorschein bringt. Mit anderen Bibliotheksbeständen ist die Bibel während des Kriege« in die Tschechoslowakei ausgelagert worden. Die Bibliothek wird erstmalig genau gesichtet. Auf dem Einbanddeckel der Bibel 23
findet m a n d:i« BesiBserseichen e i n e - „ J o h a n n P l o r k . S e i d e n s t i c k e r SO H a l l e " . J o h a n n Ploek a h e r ist, wie wir wissen, e i n e r d e r Vert r a u t e n de« M e i s t e n M a t h i s G o t h a r d t w ä h r e n d t e i n e r E m i g r a t i o n und t e i n e r l e i s t e n E r d e n s t u n d e o g e w e s e n . Die B i l d b l i t t e r k ö n n e n also wohl e i n d e u t i g d e m M e i s t e r M a t h i s r o g e t p r o c h e n w e r d e n .
DAS
W E R K
O b e r 100 J a h r e h a t e s also g e d a u e r t , h i - d i e s e r M e i s t e r M a t h i i G o t h a r d t / u m echten N a c h r u h m g e k o m m e n j«t. Die mit d e t e k t i vischem S c h a r f s i n n in T e i l e n a u f g e h e l l t e L e h e n s g e s c h i c h t e d e s Meister» beweist a h e r , d a ß er SU dl /u L e b s e i t e n schon h o h e A c h t u n g -• nossen h a t . Doch was w a r das für eine Z e i t ! E i n e i n d e r Geschichte n u r s e l t e n e r r e i d i t e F ü l l e schöpferischer G e i s t e r w a r in ganz E u r o p a am W i r k . Es w a r d i e . . S t e r n e n - t u n d e " ili » E r d t e i l e s . Die V o r s t ö ß e auf wissenschaftlichen] Gebiet h a b e n wir schon e r w ä h n t . Doch die Zeit w a r d a r ü b e r h i n a u s d i e E p o c h e z a h l r e i c h e r , e r s t e r e i g e n s t ä n d i g e r k ü n s t l e r i s c h e r G e « t a l l e r . Die H o c h b l ü t e d e r mystischen G o t i k w a r von den k l a r e r e n F o r m e n d e r R e n a i s s a n c e a b g e l ö s t . Ging d i e s e r S t i l w a n d e l auf d e m kl.i--isohen Hoden I t a l i e n s in d e m B e m ü h e n um die D a r s t e l l u n g d e s Menschen und d e r Dinge in i h r e r n a t ü r l i c h e n S c h o n h e i l vor sich, so vollzog sich d e r I b e r g a n g zu e i n e r n e u e n K u n s t a u f f a s s u n g im deutschen R a u m durch die grüblerischen E i g e n a r t e n der hier W i r k e n d e n nach e i g e n e n \\ ach«tuinsge»ctzen. In D e u t s c h l a n d lag d a s b e s t ü r s e n d N e u e , . . M o d e r n e " , d a r i n . d a ß nicht s o «ehr das Schöne, s o n d e r n das von i n n e n h e r B e w e g t e , d e r A u s d r u c k , d i e \ e r i n n e r l i c h u n g u n d \ e r g e i s t i g u n g uncl d i e seihst die N a t u r f o r m e n S p r e n g e n d e Fülle das B e m ü h e n u n d d i e L e i s t u n g d e r K ü n s t l e r war. Z e n t r a l f i g u r dieses S t r e b e n ! w a r A l b r e c h . D ü r e r ; e r s t a n d iirhen S c h a f f e n s g e a o s s e n wie- A l t d o r f e r . B a i d u n g G r i e n , Wolf H o h e r , d e m P l a s t i k e r Veit S t o ß , d e r i m R ä u m e von N ü r n b e r g his nach K r a k a u t ä t i g w a r , u n d u n z ä h l i g e n w e i t e r e n m a r k a n t e n M e i s t e r n , bis zu d e m hoch im N o r d e n D e u t s c h l a n d s a r b e i t e n d e n Holzschnitzer Hans Brüggemann. G r o ß «etand u n t e r d i e s e n d e r M e i s t e r M a t h i s . O f f e n h a r t e sich i n D ü r e r s W e r k bei a l l e r V e r i n n e r l i d i u n g viel von s ü d l i c h e r
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Schimtieitsfreude - hatte er
DAS
EIGENTÜMLICHE
Jeder ausdrucksvolle Meister zeigt eioe unverkennbare Handschrift und nicht verwechselbare F.igenarten. In Mathis' Bildern i-t besonders kennzeichnend die meist geringe Tiefe der Schauplätze, die er für die Anordnung der wichtigsten Gruppe seiner Bilddarstellungen gewählt hat: Bis an den unteren Bildr.iml i-t die K r e a u s e o e dei [eenheioiier Mlares mit all ihren Perjonen gerückt; Maria mit dem Kinde auf dem gleichen Altarbild, die Fi garen der Verkündigung, die Ssene der Auferstehung - - bei allen ist es das gleiche: Alle stehen sie ganz im Vordergrund. Zu Mei-ter Mathis' Eigenarten g< hört auch die Verwendung de* „Schwanen Vorhangs", wie er mit ähnlichen Absichten beutautage gern von den Regisseuren auf der Bühne zur Steigerung der Bühnenwirkung benutzt wird. Dieses Mtsetzen der entscheidenden Vorginge vom Hintergrund übernahm der Meister vermutlich aus der Bühnentechnik seiner Zeit, als man auf offenen Plätzen fromme Mysterieoetücke ipielte und der Vorhang die Bühnenwelt von der alltäglichen Umgehung dei Marktes, des Kirchplatzes oder der unfrommen Außenwelt abheben sollte. Meister Mathis aber gelingt es. durch dieses Trennen geradezu gegensätzliche Wirkungen zu erzielen. Im Bilde der Verkündigung wie im Bilde des Engelkonzertes und der Maria mit dem Kinde ist der quer oder schräg gehängte Vorhang nur scheinbar Trennung von Vorder- und Hintergrund; er führt den Blick des Besthauers geradezu auf diesen Hintergrund hin, um ihn mit einstimmen n lassen in das Leben der Heiligen und Meu,dien. Denn auch das gehört zu de* Meisten Besonderheiten, wie er Räume oder Landschaften in einen geheimnisvollen und doch zwingenden Wesen-zu-ammenhang zu den Bildinhalten hrinu't. die in den Vordergründen der Bilder dargeboten werden. Gewittrige Himmel, wilde Gebirge sind hineinverwoben in schwere Schicksale; klare Himmel, Wald und Wiesen mit äsenden Tieren •
Diese Einzeltiguren sind Met gegenübergestellt, um die Ausdruckskraft der Bewegung zu beweisen, deren die Meister der damaligen Zeit durch Übersteigerung fähig waren. mit nicht geringerer Meisterschaft erfallt er in liehevoller Versenkung die Kleitrwell der Natur, die Pflancen, einen blähenden RosenStock, Grashalme, Lilien und das friedliche Getier. Auch das Geringste klingt mit. In seiner \uffassung der Natur i-t Mei.-ter Hathis, wie man gesagt hat, einer der „Geeeaageber iler europäischen Landschaftsmalerei" geworden. W eiche Genauigkeit der Maler in der Wiedergabe von Naturvorgängen walten liil.it. dafür mag die Darstellung der Finsterniauf der Golgathatafel ein Beispiel sein; die von ihm zusammen mit dem Freund Iudagine genau beobachtete Sonnenfinsternis des Jahres 1502 ist ihm dabei Vorbild gewesen. Es ist bei seiner Hin27
neigung cu astronomischen Dingen auch nicht verwunderlich, wenn «1 >-r geturnte Himmel hinter dem Lichtkreis
blieben, daB er Tier- und Menschengestalten nicht um ihrer selbst willen darstellte, sondern am in ihnen die ihn bewegenden inneren Anschauungen, die Tiefenvorgänge in »einer Seele und die unbegreiflichen Geheimnisse des Ewigen ausdrucksstark zu verkünden. Wenn er. ergriffen von seinem Glauben, erschauernd vor der Gebeimnistiefe des Göttlichen, gedrängt von Mitleid mit der Menschenkrearur ans Werk ging, um die ihn überwältigenden Gedanken und Gemütsbewegungen in Formen und Farben sichtbar werden zu lassen, so mittachtete er doch oft die Naturtreue in Linie und Farbe um eben dieses Zieles willen: der äußersten Vuedruckasteigerung. Fa»t jede seiner Gestalten weist eine ( berstergerung auf. Diese Veränderung des natürlichen Menschenbildes füllt dem unbefangen 23
S c h a u e n d e n k a u m ,mf: ihn e r g r m f t — u n h e w u Q t . durch welche k ü n s t l e r i s c h e n Mittel d a s geschieht •Hein d i e G e w a l t d e r Dars t e l l u n g . D e r a u f m e r k s a m S u e h e n d e a h e r s i e h t di>' b e a b s i c h t i g t e A b w e i c h u n g von d e r W i r k l i c h k e i t , e t w a auf d e m K r e u s n g n o g s b i l d den ü b e r g r o ß e n , w e i s e n d e n Zeigefinger des J o h a n n e s , d e r a n k l a g e n d u n d b e k e n n e n d die G ö t t l i c h k e i t d e s G e k r e u z i g t e n b e a e n g t . Die menschliche H a n d erscheint h i e r wie ein Schicksalsseichen, u n ü b e r s e h b a r vor d e r d ü s t e r e n F l ä c h e de* H i m m e l s g r n n d e s — vielleicht auch als d e r Ausdruck d e r H o f f n u n g , d i e aus d e m H o r i z o n t als ein lichter S c h i m m e r h e r a u f s t e i g t . — Die im S c h m e r s g e r u n g e n e n H ä n d e d e s St. J o h a n n e s auf d e m K l e i n - K r u z i f i x zu H a a r l e m scheinen im G e l e n k g e b r o c h e n , d e r err.ielte A u s d r u c k ist d i e V e r z w e i f l u n g . I nd wer e r k e n n t auf den e r s t e n Blick, d a ß d i e fünf Menschen d e r Kenh e i m e r K r e u z i g u n g fünf v e r s c h i e d e n e G r ö ß e n v e r h i i l t n i s s e aufweisen, o b w o h l sich alle fünf G e s t a l t e n in d e r s e l b e n B i l d e b e n e b e f i n d e n ? Vielleicht w o l l t e d e r M e i s t e r d u r c h d i e s e G r ö B e n v e r s c h i e b n n g auf d i e W e l t e r s c b ü t t e r u n g h i n w e i s e n , d i e d e n T o d des E r l ö s e r - begleitet hat. W i e in d e r E i n z r l f i g u r u n d in d e n V e r h ä l t n i s s e n , 10 k o m p o n i e r t e d e r M e i s t e r auch seine G e s a m t t a f e l n nach d e m G e s e t z s e i n e r i n n e r e n S p r a c h e . Die z w e i t e S c h a u s e i t e d e s I s e n h e i m r r Altäre« — e i n e Bildfläche von d r e i e i n h a l b M e t e r H ö h e u n d sechs M e t e r B r e i t e — zeigt von links nach rechts, ü b e r d i e Seitenflügel h i n w e g : auf d e m l i n k e n F l ü g e l , i n d e r H a l l e d e r „ V e r k ü n d u n g " , d i e l a s t e n d nach u n t e n d r ü c k e n d e n L i n i e n d e r G e w ö l b e r i p p e n ; d a n n i m l i n k e n Mittelfeld d i e a u f g e l o c k e r t s p i e l e r i s c h e n O r n a m e n t e des T a b e r n a k e l » i m „ E n g e l k o n z e r t " ; i m r e c h t e n M i t t e l f e l d , i m B i l d e d e r „Menschw e r d u n g " , d i e h e r a b s t ü r z e n d e n Licht- u n d F e l s l i n i e n h i n t e r d e r M u t t e r m i t d e m K i n d e , u n d als \ u » k l a n g die «ich aus d e m S-Schwung des G r a h t u c h c s e n t f a l t e n d e L i c h t g l o r i o l e u m d a s H a u p t des Aufe r s t a n d e n e n . Dieses E m p o r s t e i g e n l ä ß t sich als d e r A u s d r u c k eines „Überhöhten Menschenlebens" deuten. Auch d i e s e h i e r k u r z a u f g e z e i g t e n K u u s t m i t t e l des M a t h i s k e n n seichnen s e i n e S o n d e r s t e l l u n g i n d e r Schar s e i n e r Z e i t g e n o s s e n . E r w a r d e r v e r g e i s t i g t e n S i n n b i l d k r a f t d e r U r v ä t e r e b e n s o mächtig wie der meisterhaft angewendeten neuen, klaren Formaprache; d a r ü b e r h i n a u s w a r e r d e r e r s t e g r o ß e M e i s t e r d e r W u n d e r d e s farbigen Lichte«.
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DAS LEBEN DES MEISTER MATHIS Um 1460 Meister Mathls in Würzburg qeboren. Seine Familie und sein.« Lohrund Gesellenzeit sind nicht aufzuhellen. Um 1485—1490 Meister Mathis wirkt in Aschaffenburg, neben Mainz die zweite Residenzstadt der Mainzer Kurfürsten. 1490—1501 Wo der Meister sich in diesen Jahren aufgehalten hat, ist unbekannt: vielleicht in Italien n.J, r in den Niederlanden, wo der Maler Hans Memling aus Seligenstadt tätig war, der Meister Mathis vielleicht auf Seligenstadt hingewiesen hat. 1501—1512 Der Maler arbeitet neben vielen anderen Künstlern in dem wirtschaftlich aufstrebenden Seligenstadt am Main. Von hier aus wirkt er bei Wasserkraftwerken und in Bergwerken mit. Von Seligenstadt aus ei auch als Hofbeamter und Baumeister
DAS WERK DES MEISTERS Neben rund 40 Zeichnungen sind von Meister Mathis folgende Gemälde erhalten: 1. .Selbstbildnis" des 20jährigen Neithardt (umstritten); Größe 32 X 45 cm; 1929 in Schweden entdeckt; heute in ausländischem Besitz. 2. .Undenhardter Altar" (nicht allgemein anerkannt): zwei Altarflügelbilder mit den Abbildungen der Vierzehn Nothelfer; Größe 68 X 159 cm; urspr. in Lindlach, seit 1685 in Lindenhardt bei Bayreuth. 3. .Münchener Verspottung", ein Totengedäditnisbild; Größe 73 X 109 cm; urspr. in der Aschaffenburger Stiftskirche, heute in der Alten Pinakothek In München. 30
4. .Basler Kreuzigung", Teil eines verlorenen Altai werk*; Größe 54X75 cm; heute In der Öffentlichen Kunstsammlung in Basel. 5. .Frankfurter Diakone", zwei erhaltene Bilder von urspr. fünf Tafeln eines Frankfurter Altars, Darstellungen des hl. Laurentius und des hl. Cyriakus; Größe 43 X 99 cm; heute in Frankfurt, Historisches Museum. 6. .Klein-Kruzihx", Teil eines Hausaltars; Größe 61 X 45 cm; in deutschem Privatbesitz. 7. .Der Isenheimer Altar"; das Altarwerk vom Hochaltar des Anton klosters zu Isenheim im Elsaß wurde 1793 bis 1795 von französischen Revolutionären zerstört; die erhaltenen Tafeln befinden sich heute im Museum Unterlinden in Kolmar im Elsaß. Der Altar selbst ist rekonstruiert; Größe der Mittelfeldbilder 307 X 269 cm; der Tafeln der S flügel 141 X 265 cm; der Staffelbilder unter dem Mittelfeld 341 X 67 cm. 8. .Magdalenenklage", nur in einer in Donaueschingen aufbewahrten Kopie erhalten; Größe 76 < 156 cm. 9. .Maria-Schnee-Altar", früher in der Stiftskirche Aschaffenburg; von Bildern sind nur erhalten das .Schneewunder", Größe 91 X 179 cm, heute in der Städtischen Galerie Freiburg, und die .Stuppacher Madonna", einst das Altarmittelbild, Größe 150 X 180 cm, heul rfkirche Stuppach bei Mergentheim. 10. .Begegnung des Erasmus und St. Mauritius", früher in der Stiftskirche in Halle; Größe 176 X 226 cm; heute in der Alten Pinakothek, München. 11. Altar aus der Stadtkirche Tauberbischofsheim, mit .Kreuzigung" (152 X 192 cm) und .Kreuztragung" (154 X 193 cm); heute in der Gemäldegalerie Karlsruhe. 12. Beweinung Christi, früher und heute in der Stiftskirche Aschaffenburg; Größe 136 X 36 cm.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky — Textzeichnungen: Hans Gröninger Die Bilder auf dem Umschlag zeigen: auf der Vorderseite das .Erlanger Selbstbildnis" des Meisters, um 1514; auf der Rückseite die Madonna aus dem Bilde der musizierenden Engel des Isenheimer Altares (siehe Seite 16/17). — Wer sich eingehend mit der Zeit des frühen 16. Jahrhunderts und der Bauernkriege beschäftigen will, dem sei aus Otto Zierers .Bild der Jahrhunderte" der Band .Die große Empörung" (Bd. 27/28) empfohlen (Verlag der Lux-Lesebogen). — Die neuesten Forschungsergebnisse über Meister Mathis sind in dem Werk .Mathis GothardtNeithardt" von W. K. Zülch zu finden, das den Leser mit allen Lebensdaten des historischen Grünewald vertraut macht.
L u x - L e s e b o g e n 174
(Kunst)
- H e f t p r e i s 2 5 Pfg.
Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau« München, Innsbruck, Ölten — Druck: Buchdruckerei Mühlberger, Augsburg
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ORION Die führende illustrierte Zeitschrift für Natur und Technik
In einer Sprache, d i e j e d e r versteht, immer interessant, l e b e n d i g und zuverlässig, führt der O R I O N seine Leser in d i e W u n d e r und Rätsel der w e i f e n W e l t ein. Der O R I O N vermittelt ein Wissen, das j e d e r besitzen sollte, um mitreden zu können und unterrichtet zu sein. Der O R I O N berichtet in einer Sprache, d i e j e d e r versteht, v o n d e n N a t u r w u n d e r n unserer Erde, v o n den neuesten Erkenntnissen der Physik und Chemie, der M e d i z i n u n d Biologie, der G e c l c g i e , M i n e r a l o g i e und K r i s t a l l o g r a p h i e , v o m technischen Fortschritt des Maschinenbaues und der Feinmechanik, des Verkehrs auf Strafje u n d Schiene, auf d e m O z e a n u n d in der Luft sowie v o n der Synthese neuer Roh- u n d Werkstoffe. Beiträge über d i e Geheimnisse des Universums w e r d e n g e n a u so sorgfältig ausgewählt und g e p f l e g t w i e solche, die v o n der Schönheit ferner Länder u n d v o n d e n Kulturen fremder V ö l k e r berichten. Reich illustriert, mit Tiefdruck- und m e h r f a r b i g e n Kunstdruckbeil a g e n , bereitet jedes über 100 Seiten starke Heft v o n neuem Freude. In d i e schönen E i n b ä n d e g e b u n d e n b l e i b t j e d e r Jahrg a n g v o n d a u e r n d e m Werf.
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