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Science-Fiction-Novelle Mechanistria .. ...
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Nr. 4
Preis DM 1,50
Science-Fiction-Novelle Mechanistria .. ....................................................................… . Eric Frank Russell
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Kurzgeschichten Terra – Alpha Centauri und zurück … … . ………………….. A E. van Vogt Der Zweck heiligt die Mittel … … … ………………………… Isaac Asimow Die Pflicht . ......................................................................... ….Edward W. Ludwig Wer zuletzt lacht................................................................…..Jesco von Puttkamer Nicht von dieser Welt ……………………………………….... David Grinnell Sackgasse … ................................................................................... …. . Rose Bert
50 71 97 107 116 122
Artikel Gravitation.......................................................................................... Willy Ley 46 Die Wahrheit über den Mars ......................................................... ..Edgar Mädlow 65 Rund um die Himmelskugel…… .............................................. … Harry F. Heide 88 Das Bild der Welt in 50 Jahren........................................................... …Peter Omm 90 Aus den Tiefen des Raumes . ....................................... ………….. Harry F. Heide 103 Über die Relativität von Raum und Zeit … Walter Ernsting und Ernst H. Richter 118
Regelmäßige Beiträge Unser Leitartikel – diesmal anders … ..................................................................... Hier spricht der SFCD ..................................................................................... . . UTOPIA-Science-Fiction-Bücherei......................................................................... Das Analytische Labor ............................................................................................. UTOPIA-Post, Leserbriefe ................................................................................... .
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Unser Umschlagbild zeichnete Karl Stephan. Illustrationen von Brück, gescannt von Brrazo 06/2004. UTOPIA-Science-Fiction-Magazin erscheint alle 2 Monate im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden) Pabel-Haus. (Mitglied des Remagener Kreises e. V.) E'inzelheftpreis: DM 1,50. Anzeigenpreise lt. Preisliste Nr. 4 vom 15. 7. 1955. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Alleinauslieferung für Österreich: Eduard Verbik, Salzburg, Gaswerkgasse 7. – Nachdruck in Wort und Bild, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manukript- und Bildsendungen wird keine Gewähr übernommen. Gedruckt in Deutschland.
In der 3. Ausgabe unseres Magazins brachten wir die Kurzgeschichte „Jay Score“. Auf den folgenden Seiten tauchen die bekannten Gesichter alle wieder auf. Der Waffensergeant, Jay Score, McNulty, die Marsbengel und die übrige Besatzung der „Upsydaisy“. Diesmal führt sie das Abenteuer hinaus in die Weiten des Alls auf einen Planeten, der nur von Maschinen bewohnt ist. Wer diese Roboter einst geschaffen hat, darüber berichtet uns der Autor nichts. Jedenfalls sind die Maschinen da, und wie wir gleich sehen werden, allen Lebewesen nicht besonders gut gesinnt
MECHANISTRIA von Eric Frank Russell Hier standen wir, im Mezzanin des Verwaltungsgebäudes von Terrastroport 7. Keiner von uns wußte, warum wir so unerwarteterweise vorgeladen worden waren, oder warum wir nicht wie gewöhnlich am nächsten Morgen zur Venus abbrausen würden. So lungerten wir herum, stellten uns gegenseitig mit den Augen unbeantwortbare Fragen und brachten es doch zu nichts. Ich habe einmal dreißig Venus-Guppis gesehen, die einen Aberdeen-Terrier namens Fergus in polypeneigener Stummheit anglotzten und ihre Erdnußgehirne abrackerten, um den Grund dafür zu finden, daß ein Ende wedelte. Sie hatten ziemlich genau so ausgesehen, wie wir jetzt. Gerade als wir einen Wettstreit im Nägelkauen beginnen wollten, kam Captain McNulty gemütlich wie immer angepilgert. Dicht hinter ihm folgten ein halbes Dutzend führender Techniker der „Upsydaisy“ und ein magerer Zwerg, den wir noch nie gesehen hatten.
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Den Abschluß bildete Jay Score, geschmeidig über die Bodenplanken schreitend, die unter seinen 280 oder mehr Pfund quiekten. Die elegante Grazie, mit der er seinen Kleiderschrank von einem Metallkörper bewegte, überraschte mich immer wieder. Seine Augen glühten, als er uns seinen alles umfassenden Blick zuwarf. Indem er uns bedeutete, ihm zu folgen, begab sich McNulty in einen Raum, kraxelte auf ein kleines Podium und begann in einer Weise zu uns zu sprechen, als ob er einen Haufen Schüler vor sich hätte. „Gentlemen und Vedras! Wir haben die Ehre, heute nachmittag den berühmten Professor Flettner in unserer Mitte zu haben.“ Er verbeugte sich vor dem Zwerg, der uns anstrahlte und eine Art Kratzfuß ausführte. „Der Professor sucht eine Mannschaft für sein Raumschiff ,Marathon', das außerhalb des Sonnensystems eingesetzt werden soll. Jay Score und sechs von unseren Ingenieuren haben sich freiwillig bereit erklärt, mit mir zu gehen. Wir sind angenommen worden und haben während Ihres Urlaubs das erforderliche Sondertraining absolviert.“ „Es war ein Vergnügen“, beeilte sich Flettner zu versichern, sichtlich bemüht, uns dafür auszusöhnen, daß er uns den Schiffer geklaut hatte. „Die terrestische Regierung“, fuhr Mc-Nulty geschmeichelt fort, „hat die Übergabe meines früheren Kommandos auf dem Venusfrachter ,Upskadaska City' an einen anderen Kapitän gutgeheißen. Ihr habt nun die Wahl. Diejenigen, die auf der ,Upskadaska City' bleiben wollen, können sich jetzt entfernen und den Dienst antreten. Die anderen, die es vorziehen, mich zu begleiten, mögen bitte eine Hand erheben.“ Sein umherschweifender Blick entdeckte die Martier, und er fügte hastig hinzu: „Oder einen Tentakel.“ 5
Sam Hignett, unser Neger-Schiffsarzt, streckte prompt seine Flosse in die Höhe. „Captain, ich werde lieber bei Ihnen bleiben.“ Er schlug uns übrigen um den Bruchteil einer Sekunde. Komische Sache, niemand von uns brannte besonders darauf, in Flettners Selbstmordkiste herumzugondeln. Wir waren bloß zu charakterschwach, um abzulehnen. Oder vielleicht hielten wir unsere Köpfe nur darum her, um den Ausdruck sehen zu können, der jetzt auf McNultys Gesicht erschien. „Danke, Männer“, sagte McNulty mit jener feierlichen Stimme, die bei Begräbnissen angebracht ist. Er schluckte hart und schnupfte krampfhaft. Sein Blick streifte beinahe liebevoll über uns, und wurde plötzlich verlegen, als er einen Martier entdeckte, der in einer Ecke hingeplumpst lag und sämtliche Tentakel schlaff und nachlässig auf dem Boden herumliegen hatte. „Aber, Sug Farn …“, hub er an. Kli Yang, der Häuptling der Bande vom roten Planeten, unterbrach ihn rasch. „Ich habe zwei Tentakel hochgehalten, Captain! Einen für mich, und einen für ihn. Er schläft. Er hat mich beauftragt, in seinem Namen zu handeln, ja oder nein zu sagen, oder ,Hänschen klein' zu singen, je nachdem, was verlangt wird.“ Alles lachte. Sug Farns unübertroffene Faulheit gehörte auf der „Upsydaisy“ zum festen Bestandteil des täglichen Bordlebens. Nur der Schiffer wußte nicht, daß nur eine sehr dringliche Außenreparatur oder ein Schachspiel Sug Farn wachzuhalten vermochten. Unser Gelächter verklang, und der Schläfer benutzte die Stille prompt zu einem jener schauerlich schrillen Pfiffe, die die marsianische Version des Schnarchens sind. „In Ordnung“, sagte McNulty und bemühte sich krampfhaft, ein Grinsen zu verbergen. „Melden Sie sich bitte morgen bei Tagesanbruch an Bord. Wir starten um zehn Uhr Westeuro6
päischer Zeit. Ich werde Jay Score hierlassen, der Ihnen weitere Informationen geben und alle Fragen beantworten wird.“ Die „Marathon“ war wirklich ein tolles Schiff! Von Flettner entworfen und von der Regierung gebaut, besaß es eine Linienführung, die ein Mittelding zwischen einem Kriegskreuzer und einer schnittigen Rennrakete war. Ihre Einrichtung konnte man im Vergleich zu dem Inneren der „Upsydaisy“ geradezu luxuriös nennen. Sie gefiel mir mächtig, und den anderen auch. Ich stand am oberen Ende der zusammenschiebbaren MetallLaufplanke und sah die letzten Nachzügler eintreffen. Jay Score ging hinunter und kehrte mit seiner riesigen Felltasche zurück. Man bewilligte ihm mehr Privatgepäck als drei gewöhnlichen Sterblichen zusammen. Kein Wunder: Denn unter den Habseligkeiten befand sich unter anderem sein Ersatz-Atommotor, der rund 40 Kilo wog. Er war sozusagen sein Reserveherz. Vier Regierungsexperten gingen an Bord. Ich hatte zwar nicht die geringste Ahnung, wer sie waren, oder warum sie mit uns kamen, aber ich wies sie zu ihren Privatkabinen. Der letzte Nachzügler traf in Gestalt Jung Wilsons ein, einem blonden, launischen Burschen von etwa neunzehn Jahren. Er hatte bereits am frühen Morgen drei große Kisten an Bord geschickt und versuchte nun, drei weitere hereinzuschleppen. „Was ist da drin?“ fragte ich. „Platten.“ Er betrachtete das Schiff mit unverhohlenem Widerwillen. „Reparaturplatten, Geschirrplatten oder Schallplatten?“ erkundigte ich mich. „Fotografische Platten“, schnappte er. „In Ordnung. Schmeißen Sie diese Kisten in den mittleren Lagerraum.“ Er runzelte die Stirn. „Sie werden weder geschmissen, noch geworfen, noch fallen gelassen, noch gestürzt. Sie werden hingestellt“, sagte er, „und zwar sanft!“ 7
„Haben Sie mich nicht gehört?“ Die Blicke des Jungen gefielen mir, nicht aber seine Art. Er setzte die Kisten am oberen Ende der Laufplanke ab, und zwar mit übertriebener Behutsamkeit. Dann betrachtete er mich sehr gemächlich, wobei sein Blick von meinen Füßen bis zum Kopf und den ganzen Weg wieder zurück glitt. Seine Lippen waren dünn und die Knöchel seiner Fäuste weiß. Er sagte: „Und wer sind Sie, wenn Sie keine Uniform anhaben?“ „Ich bin der Waffensergeant“, informierte ich ihn mit einer Mit-mir-ist-nicht-zu-scherzen-Stimme. „Und jetzt verstauen Sie, oder stellen Sie, oder schmeißen Sie Ihre Kisten irgendwo hin, wo sie nicht im Wege stehen, sonst werde ich sie dreißig Meter erdwärts befördern.“ Das traf ihn an seinem wunden Punkt. Ich glaube, wenn ich gedroht hätte, ihn selbst mit einem Tritt hinauszuwerfen, hätte er bestimmt versucht, mir eine zu verpassen. Aber jetzt, da er seine kostbaren Kisten in Gefahr wähnte, wich er nicht von ihnen. Indem er mir einen tödlichen Blick zuwarf, trug er die Kisten, eine nach der anderen, in den mittleren Lagerraum. Seiner Behutsamkeit nach zu schließen, hätten es Säuglinge sein können. Ich hatte den Jungen etwas zu streng 'rangenommen, erkannte es aber erst später. Einige Passagiere, die bereits angeschnallt waren, diskutierten erregt, bis kurz bevor wir starteten. Es gehört zu meinem Dienst, mich zu vergewissern, daß Neulinge ihr Zaumzeug richtig angelegt haben. Als ich ihre Gurte und Schnallen überprüfte, setzten sie ihre Debatte ruhig fort. „Sie können sagen, was Sie wollen“, meinte einer, „aber es funktioniert doch, oder etwa nicht?“ „Ich weiß verdammt gut, daß es funktioniert“, knurrte der andere erzürnt und verwirrt. „Das ist es ja gerade. Ich habe 8
Flettners verrückte Berechnungen tausendmal von vorne bis hinten durchgerechnet, bis mein Kopf von mathematischen Symbolen wirbelte. Die Logik ist in Ordnung. Die Berechnungen sind unanfechtbar. Nichtsdestoweniger ist die Voraussetzung völlig unmöglich. Völlig!“ „Na und? Seine ersten beiden Schiffe haben das Jupitersystem in Nullkommanix erreicht, oder nicht? Sie führten den Hin- und Rückflug in einer Zeit durch, in der ein normales Raketenschiff noch nicht einmal starten könnte. Das soll verrückt sein?“ „Es ist vollkommen hirnverbrannt!“ schimpfte der andere mit stetig steigendem Blutdruck. „Es ist Hexerei und Irrsinn! Flettner sagt, daß man alle astronomischen Entfernungsschätzungen zusammenkratzen und in den Abfalleimer werfen kann, weil es so etwas wie Geschwindigkeit in einem Kosmos nicht gibt, der selbst – sowohl Plasma als auch Äther – eine Serie von ungeheuren Bewegungen von unendlicher Variabilität ausführt. Er behauptet, daß man von einer Geschwindigkeit oder einer meßbaren Schnelligkeit nicht reden kann, wenn es außer einem absoluten Festpunkt, der rein imaginär ist und nicht existiert, nichts gibt, worauf man sie beziehen könnte. Er behauptet, wir würden nur deshalb an den Begriffen Geschwindigkeit und Entfernung kleben, weil unser Verstand an fest begründete Relationen im Inneren unseres pfenniggroßen Sonnensystems gewöhnt sei. Im größeren Kosmos gebe es jedoch keine begrenzten Maße, an die man unseren unzulänglichen Zollstock anlegen könnte.“ „Ich“, warf ich besänftigend ein, „ich habe mein Testament und Letzten Willen aufgesetzt.“ Er blickte mich durchbohrend an und wandte sich dann wieder wütend an den anderen: „Und nach wie vor bin ich der Meinung, daß es hirnverbrannt ist.“ „Genau wie Television und Tiefseetauchen“, entgegnete sein Opponent, „aber beides funktioniert.“ 9
McNulty kam in diesem Augenblick an der Tür vorbei, hielt an und sagte: „Diesen jungen Wilson schon überprüft?“ „Nein, Sir, ich werde gleich zu ihm gehen.“ „Versuchen Sie, ihn etwas aufzumuntern. Er sieht aus, als ob er sich zu Tode fürchtet.“ Als ich Wilsons Kabine betrat, fand ich ihn wie ein Häufchen Elend in seinen Gurten auf dem Bett sitzen. Er war bleich, seine Augen sahen glasig aus, und sein Körper bebte. „Schon mal zuvor in einem Raumschiff gewesen?“ „Nein“, knurrte er. „Nun, machen Sie sich darüber keine Sorgen. Ich gebe zu, daß es ab und zu mal vorkommt, daß ein Schiff in einem Stück hochsaust und in vielen wieder herunterfällt, aber gemäß offizieller Statistiken wurden vergangenes Jahr mehr Menschen von Autos überfahren.“ „Glauben Sie etwa, ich hätte Angst?“ fragte er und erhob sich so rasch, daß ich zusammenfuhr. „Ich? O nein!“ Ich suchte nach Worten, die ich nicht finden konnte. Seine sorgenvolle Miene war verschwunden, und er sah ziemlich energisch drein. „Hören Sie“, sagte ich, von Mann zu Mann sprechend, „erzählen Sie mir Ihren Kummer, und ich werde versuchen, Ihnen zu helfen.“ „Sie können mir nicht helfen.“ Er setzte sich wieder hin, entspannte sich und wurde verdrossen, wie zuvor. „Ich mache mir Sorgen um meine Platten.“ „Welche Platten?“ „Jene fotografischen Platten natürlich, die ich an Bord gebracht habe.“ „Nun, sie sind sicher aufgehoben. Überdies – was nützt es, sich Sorgen zu machen?“ „Eine Menge“, entgegnete er. „Als ich mich am Anfang nicht weiter um sie kümmerte, wurden sie mir in zwei aufeinander10
folgenden Unglücken zu Pulver zertrümmert. Und dann machte ich es mir zur Gewohnheit, mich um sie zu sorgen. Kurz vor jenem Zugunglück des Century-Expreß beunruhigte ich mich ganz besonders über sie und büßte nur zwei unbelichtete ein. Auf die gleiche Weise brachte ich meine sämtlichen Platten, außer sechsen, heil durch das große Erdbeben von Neapel. Es lohnt sich also, sehen Sie?“ „Zum Teufel!“ sagte ich verblüfft. „Lassen Sie mich allein, damit ich weitermachen kann“, schnappte er. Und er lehnte sich zurück, zog die Gurte seiner Halterung fest und fuhr fort, sich Sorgen zu machen. Können Sie das begreifen? Ich war noch immer verblüfft über die eigenartigen Tricks mancher Berufe, als ich am oberen Ende der Steuerbordlaufplanke auf der Szene eines Aufruhrs eintraf. McNulty war dabei, die Marsleute anzubrüllen. Sie hatten ihre Quartiere verlassen, in denen die Luft unter einem Druck von einer Fünftel Atmosphäre stand, wie sie es gewöhnt waren. Sie befanden sich nun draußen in der fremdartigen und – von ihrem Standpunkt – unzulässigen Atmosphäre des Schiffes. Jemand schritt feierlich die Laufplanke hinunter, damit beschäftigt, eine ungeheure Vase von abstoßender Form und unmöglichen, schreienden Farben erdwärts zu tragen. Der Protestchor der Marsleute stieg zu einem Crescendo an, und die Szene war belebt von schrillem Gezwitscher und wütend winkenden Tentakeln. Ich erfuhr, daß die Porzellan-Monstrosität Kli Morgs Schlachttrophäe darstellte, die marsianische Vorstellung eines Meisterschaftspokals. Vom terrestrischem Standpunkt war sie mehr als eine Geschmacklosigkeit. Auf jeden Fall waren die Befehle des Schiffers Befehle, und das Scheusal blieb auf der Erde. Im nächsten Augenblick heulten die Sirenen ihre DreißigSekunden-Warnung, und alle, die sich noch nicht angeschnallt hatten, eilten hastig davon. Die Schnelligkeit, mit der diese 11
Marsleute ihren Stehkonvent abbrachen und abhauten, war wirklich sehenswert. Ich selbst konnte mich gerade noch rechtzeitig anschnallen. Die Luftschleusen schlugen zu. WUMMMM! Eine riesige Hand bemühte sich, meine Hirnschale in meine Stiefel hinunterzuwürgen, und ich schaltete für kurze Zeit ab. Die Welt, die vor unserem Bug rasch anwuchs, war etwas größer als Terra. Der sonnenbeschienene Teil ihrer Oberfläche zeigte eine Mischung von Schwarz, Rot und Silber, statt des gewohnten Braun, Blau und Grün. Es war einer von fünf Planeten, die eine kleinere und weißere Sonne als unsere eigene umkreisten. Eine winzige, unbedeutende Gruppe von Asteroiden gehörte mit dazu, aber wir hatten keine Schwierigkeit, ihre Bahnkurven zu durchkreuzen. Ich weiß nicht, welchen Stern diese Sonne darstellen sollte. Jay Score erklärte mir, daß es ein untergeordneter Himmelskörper in der Gegend von Bootes wäre. Wir hatten ihn ausgewählt, weil er in diesem Bereich der einzige mit einem Planetensystem war, und wir hatten den zweiten Planeten auserkoren, weil seine gegenwärtige Position in netter, angenehmer Übereinstimmung mit unserer Bahnkurve stand. Was das betraf, so flogen wir viel zu schnell, um ihn umkreisen und einer genauen Inspektion unterziehen zu können, bevor wir an einem passenden Ort landeten. Wir trafen tangential auf seinen Bahnkreis, und er stand gerade vor unserer Nase. Wir vollführten eine direkte Landung, ein habichtartiger Sturzflug mit einem unterdrückten Gebet und ohne viel Gedöns. Die Art und Weise, mit der Flettners unorthodoxe Einfälle in Aktion traten, ließ einem das Herz in die Gurgel rutschen, bevor man es wieder hinunterschlucken konnte. Ich glaube, daß das Schiff noch weit mehr hätte leisten können, wenn seine Arbeitsweise nicht von den Grenzen der menschlichen Ausdauer 12
gehandicapt gewesen wäre. McNulty mußte diese Grenzen mit erstaunlicher Genauigkeit einkalkuliert haben, denn ich überstand die Bremsung und Landung lebend und zappelnd; aber die Abdrücke meiner Gurthalterung konnte ich noch nach einer Woche auf meinem geschundenen Körper sehen. Das Labor teilte mit, daß die Außenluft atembar war und unter einem Druck von 0,8 at stand. Wir zogen Lose, um die ersten zu ermitteln, die das Schiff verlassen durften. McNulty und sämtliche Regierungsexperten verloren. Das war ein Spaß! Kli Yangs Name tauchte zuerst aus dem Hut auf; dann folgte ein Ingenieur namens Brennand, ferner Jay Score, Sam Hignett und ich. Unsere bewilligte Ausflugsdauer war eine Stunde. Das bedeutete, daß wir uns nicht weiter als ein paar Kilometer von der „Marathon“ entfernen konnten. Raumanzüge brauchten wir nicht. Kli Yang hätte seinen Kopf- und Schulterhelm benutzen können, um seine gewohnte Fünftel Atmosphäre nicht entbehren zu müssen, aber er entschied, daß er vier Fünftel für eine Stunde ertragen konnte, ohne launisch zu werden. Wir hängten uns Ferngläser um den Hals und schnallten Nadelstrahlpistolen an. Jay Score schnappte sich ein winziges Zwei-Wege-Radiophon, damit wir mit dem Schiff in Verbindung bleiben konnten. „Keine Scherze, Männer!“ mahnte der Schiffer, als wir durch die Luftschleuse pilgerten. „Seht euch alles an und seid in einer Stunde wieder zurück.“ Kli Yang, der den Abschluß bildete, ließ seine Telleraugen über die neidvoll zurückbleibende Schiffsbesatzung gleiten und sagte: „Jemand sollte besser Sug Farn wecken und ihm mitteilen, daß die Flotte im Hafen vor Anker gegangen ist.“ Dann ließen vier von seinen zehn Tentakeln ihren Halt los, und er fiel zu uns herunter. Kinder, war dieser fremdartige Boden hart! Hier glänzte er schwarz und glasig, dort schimmerte er silbern und metallisch, 13
mit unregelmäßigen Flecken von dunklem Karminrot. Ich hob einen kleinen silbrigen Brocken auf; er war erstaunlich schwer und aus solidem Metall, soweit ich es zu beurteilen vermochte. Ich warf den Brocken durch die offene Luke der Luftschleuse, damit sich das Labor daran machen konnte, ihn zu analysieren, und prompt steckte Kli Morg wütend seinen Kopf heraus, funkelte den arglosen, nichtsahnenden Kli Yang mit seinen Glotzaugen böse an und bemerkte: „Ein Schlag auf die Hirnschale ist nicht komisch. Die Tatsache, daß du jetzt bei einer Bande von Terrestriern bist, gibt dir kein Recht, dich ebenso kindisch aufzuführen.“ „Warte, du dilettantischer Bauernschieber“, hub Kli Yang mit beachtlicher Hingabe an. „Ich wünsche, daß du zur Kenntnis nimmst …“ „Ruhe!“ schnappte Jay Score autoritär. Er schob in Richtung der untergehenden Sonne davon, wobei seine langen, geschmeidigen Beine ausgriffen, als ob er in einem Zuge den Planeten umkreisen wollte. Das Radio pendelte lässig an seiner mächtigen Hand. Wir folgten ihm im Gänsemarsch. Nach zehn Minuten war er uns etwa achthundert Meter voraus und blieb stehen, damit wir ihn einholen konnten. „Vergiß nicht, großer Bruder, daß wir nur aus Fleisch und Blut bestehen“, klagte Brennand, als wir die riesenhafte, kräftige Gestalt des Notpiloten erreichten. „Ich nicht“, wehrte sich Kli Yang. „Unsereiner besteht glücklicherweise nicht aus solch einem ekelerregenden Zeug. Rava sei Dank!“ Er ließ einen dünnen Pfiff des Abscheus hören und vollführte mit seinen Tentakeln Schwimmbewegungen in der Luft, die viermal so dick wie die auf dem Mars war. „Ich könnte ein Boot rudern!“ Nach diesem Zwischenspiel setzten wir unseren Weg etwas langsamer fort. Es ging hinunter in ein tiefes, schattiges Tal, auf 14
der anderen Seite wieder hinauf und über einen Hügelkamm. Keine Bäume, keine Büsche, keine Vögel, nicht das geringste Anzeichen von Leben. Nichts als der schwarze, silberne und rote halbmetallische Boden, eine Bergkette in bläulichem Dunst in der Ferne, und der glänzende Zylinder der „Marathon“ hinter uns. Ein schnell strömender Fluß kam uns auf der Sohle des nächsten Tales in die Quere. Als wir ihn erreichten, füllten wir eine Flasche, um dem Labor etwas Arbeit zu verschaffen. Sam Hignett riskierte einen Versuch und probierte das Wasser. Er sagte, daß es zwar nach Kupfer schmecke, aber trinkbar wäre. Wir ließen uns am Ufer nieder und betrachteten den Fluß, der viel zu tief und reißend war, als daß wir ihn hätten durchqueren können. Nach einer Weile kam ein kopfloser Leichnam dahergetrieben. Der verstümmelte Körper ähnelte dem eines riesigen Hummers. Er besaß eine harte, dunkelrote, chitinige Schale, vier krebsartige Beine, zwei Hummerscheren und war um die Hälfte größer als ein Mensch. Statt eines Halses wies er eine klaffende, blutlose Wunde auf, aus der weiße Fäden baumelten. Wie der fehlende Kopf ausgesehen hatte, blieb jedoch unserer Einbildungskraft überlassen. Voll stummer Drohung trieb und rollte der Kadaver vorüber, während wir in einer Reihe fasziniert dasaßen und ihn beobachteten, wobei unsere Augen von rechts nach links glitten und ihm folgten, bis er hinter der fernen Flußkrümmung verschwand. Was uns in erster Linie beschäftigte, war nicht die Frage, wie der Kopf ausgesehen hatte, sondern vielmehr, von wem er entfernt worden war, und aus welchem Grund. Niemand sagte etwas. Dieser schauerliche Anblick war kaum unserer Sicht verschwunden, als wir das erste Anzeichen von Leben bemerkten. Zehn Meter links von mir gähnte ein Loch in dem weichen Ufer.
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Ein Wesen glitt heraus, begab sich hinunter zum Wasser und trank in kleinen Schlucken. Vierbeinig und mit einem langen, dreieckigen Schwanz, ähnelte es einer Iguana-Echse mehr als irgend etwas anderem. Seine Haut glänzte schwarz, und seine Pupillen waren schwarze Schlitze in silbrigen Augäpfeln. Länge: etwa ein Meter achtzig, inklusive Schwanz. Nachdem es genug geschlürft hatte, wandte sich das Ding um, sah uns und hielt abrupt an. Ich tastete nach meinem Nadelstrahler für den Fall, daß es kriegerische Ambitionen verspürte. Es betrachtete uns sorgfältig und riß seinen Rachen weit auf, so daß wir einen weiten, kohlschwarzen Schlund und eine doppelte Reihe ebenso schwarzer Zähne erkennen konnten. Noch einige Male demonstrierte es uns sein Beißvermögen und überlegte sich dann, was es jetzt tun könnte. Nach kurzer Zeit – so wahr ich lebe! – kroch es das Ufer herauf, schloß sich am Ende unserer Reihe an, setzte sich hin und starrte auf den Fluß hinunter. Ich habe niemals einen verrückteren Anblick gesehen, als wir ihn in diesem Moment bildeten. Da war Jay Score, riesig und kraftvoll – sein rauhes Gesicht wie uraltes Leder. Daneben Sam Hignett, unser Negerchirurg – seine glänzenden Zähne ein weißer Kontrast zu seiner ebenholzschwarzen Haut. Dann Brennand, ein kleiner weißer Terrestrier, – und neben ihm Kli Yang, ein gummihäutiger, glotzäugiger Martier mit zehn Fangarmen. Dann ich, ein grauhaariger Terrestrier mittleren Alters – und endlich dieses schwarze und silberne Fremdgebilde. Alle betrachteten wir nachdenklich und sauertöpfisch den Fluß. Noch immer sagte niemand etwas. Es schien nichts zu geben, worüber man ein Wort hätte verlieren können. Wir starrten, das Wesen starrte – und alle so phlegmatisch, wie es nur irgend möglich war. Ich dachte an Jung Wilson und daran, wie sorgsam er eine Platte mit dieser Szene darauf bemuttert hätte. Schade, daß er nicht hier war, um sie für alle Zeiten festzuhalten. Und dann –
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noch während wir den Fluß betrachteten – kam ein zweiter Leichnam dahergetrieben, genau wie der erste. Kein Kopf. „Jemand scheint nicht besonders beliebt zu sein“, bemerkte Brennand, der Stille überdrüssig. „Sie sind unabhängig“, teilte das Iguana feierlich mit. „Wie ich.“ „Eh?“ Noch niemals sind fünf Leute mit größerer Promptheit aufgestanden, und noch niemals wurde ein Ausruf von einem Sprechchor derart genau abgepaßt. „Bleibt in der Nähe!“ riet die Echse. „Vielleicht bekommt ihr etwas zu sehen.“ Sie blinzelte Brennand zu und schlüpfte in ihr Loch zurück. Silber schimmerte in dem schwarzen Schwanz, als sie hinunterglitt. „Verdammt“, sagte Brennand und atmete tief ein. „Ist denn das die Möglichkeit?“ Mit einem verschwommenem Ausdruck in den Augen schritt er zu dem Loch, hockte auf die Fersen und brüllte: „Hen!“ „Er ist nicht zu Hause“, antwortete das Ding von irgendwo tief unten. Brennand befeuchtete seine Lippen und warf uns den erbarmungswürdigen Blick eines verletzten Spaniels zu. Dann erkundigte er sich, ein wenig irr: „Wer ist nicht zu Hause?“ „Ich“, sagte die Echse. „Habt ihr das gleiche gehört wie ich?“ fragte der verblüffte Brennand, indem er sich erhob und uns anstarrte. „Sie haben gar nichts gehört“, warf Jay Score ein, bevor einer von uns antworten konnte. „Es hat nicht gesprochen. Ich habe es genau beobachtet, und sein Mund hat sich kein einziges Mal bewegt.“ Seine harten, leuchtenden Augen blickten in das Loch. „Es hat rein animalische Gedanken gedacht, die Sie telepathisch aufgenommen und natürlich in menschliche Begriffe übersetzt 17
haben. Aber weil Sie normalerweise für telepathische Gedankenformen nicht empfänglich sind und bisher noch niemandem begegnet sind, der auf der menschlichen Wellenlänge sendet, glaubten Sie, es sprechen zu hören.“ „Bleibt in der Nähe“, wiederholte die Echse. „Aber nicht bei meinem Bau. Ich mag keine Publicity. Sie ist gefährlich.“ Jay Score entfernte sich und hob das Radiophon auf. „Ich werde ihnen von den verstümmelten Körpern berichten und nachfragen, ob wir ein oder zwei Kilometer stromaufwärts gehen sollen, um nachzuforschen.“ Er legte einen Schalter um. Prompt gab das Instrument ein Getöse von sich, wie der Niagarafall bei Hochkonjunktur. Man konnte nichts anderes hören. Er schaltete auf Sendung um und rief wiederholte Male in das Mikrophon. Dann knipste er zurück und erhielt als Dank nur den Lärm eines mächtigen Wasserfalls. „Atmosphärische Störungen“, vermutete Sam Hignett. „Versuchen Sie doch mal kleinere Wellenlängen.“ Das Radio besaß nur eine beschränkte Bandbreite, aber Jay drehte den Knopf über die ganze Breite. Der Wasserfall verstummte und wurde durch ein schauerliches, zitterndes Geräusch ersetzt, als ob eine Million Grillen „bitter-bitter-bitter“ schrien. Das machte einem hohen, schneidenden Pfeifen Platz, welches wiederum von einem anderen Wasserfall abgelöst wurde. „Das gefällt mir nicht“, meinte Jay und schaltete ab. „Dafür, daß diese Welt leer aussieht, sind viel zu viele Geräusche in der Luft. Wir kehren besser zurück. Los – wir wollen uns beeilen!“ Indem er das Radiophon an sich nahm, stampfte er eilig das Ufer hinauf und über den Kamm. Seine mächtige Gestalt sah wie die eines urzeitlichen Riesen aus, als sie sich als Silhouette gegen den Abendhimmel abhob. Er legte ein enormes Tempo vor, und es erwies sich als eine anstrengende Aufgabe, mit ihm Schritt zu halten. Wir brauchten
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jedoch nicht angespornt zu werden. Seine Unruhe hatte uns ganz erheblich angesteckt. Jene geköpften Kadaver … McNulty hörte unseren Bericht an, schickte nach Steve Gregory und befahl ihm, den Radioempfänger einzuschalten und den Äther abzuhören. Steve eilte in Richtung seines Radioraumes davon und kehrte nach wenigen Minuten zurück. Er sah verwirrt aus. „Schiffer, er ist voll von Geräuschen! Von zweihundert Metern abwärts bis zu den ultrakurzen Wellenlängen. Es ist noch nicht einmal Platz vorhanden, um ein Wort seitwärts hineinzuquetschen.“ „Nun“, knurrte McNulty, „was ist es für Zeug?“ „Drei verschiedene Arten“, erwiderte Steve. „Es gibt Pfeif töne, von der stetigen und anhaltenden Sorte, welches Richtungssignale sein können. Es gibt acht verschiedene Wasserfälle von beachtlicher Intensität. Ich schätze, daß es die Auswirkungen von drahtloser Energieübertragung sind. Zwischen diesen beiden Arten liegt eine Orgie von Geschnatter und Geschwatze, was darauf schließen läßt, daß dieser Planet von Leben nur so wimmelt.“ Er führte mit seinen Augenbrauen akrobatische Turnübungen aus. Seine Brauen waren von der buschigen Sorte, wie sie für derartige Vorstellungen äußerst geeignet sind. „Bilder konnte ich nicht empfangen, ausgenommen die typischen Interferenzmuster, die über den Schirm rasen.“ Einer der Regierungsexperten meinte, indem er besorgt durch die nächste Luke hinaussah: „Wenn dieser Planet wirklich so dicht bevölkert ist, müssen wir uns die hiesige Sahara ausgesucht haben.“ „Wir werden ein Beiboot verwenden“, entschied McNulty. „Wir werden drei gut bewaffnete Männer ausschicken und ihnen eine halbe Stunde Zeit geben, sich umzusehen. Sie sollten in der Lage sein, etwa achthundert Kilometer Gebiet zu erforschen und vor Anbruch der Dunkelheit zurückzukehren.“ 19
Die meisten von uns hätten gern noch einmal Lose gezogen, aber McNulty nominierte die drei Scouts. Einer von ihnen war ein Regierungsbiologe namens Haines; die anderen waren Techniker und besaßen beide das Steuermannpatent für Beiboote. Es dauerte nicht länger als vier Minuten bis eines der Rettungsboote an seinen automatischen Davits ausgeschwungen und auf den Boden herabgelassen war. Die drei kletterten hinein. Jeder trug eine Nadelstrahlpistole aus meiner Waffenkammer. Ferner führten sie ein halbes Dutzend Miniatur-Atombomben an Bord mit, zusammen mit einem mehrläufigen Pom-pom, das seinen Bund Läufe drohend aus einem Glassit-Turm im Bug des winzigen Schiffes herausstreckte. Die kleine Expedition war tatsächlich ausreichend bewaffnet. Zwar bezweckten wir nicht, einen Kampf vom Zaun zu brechen – aber wir zogen es vor, etwas mehr zu unternehmen, als nur ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken. Mit einem Miniaturgetöse schoß der Zwölf-Tonnen-Zylinder davon und kurvte himmelwärts. Er zischte in die Ferne und war kurz darauf verschwunden. Steve hatte das Radiophon des Beibootes neu eingestellt und stand nun mit ihm auf dem 24-Meter-Band in Verbindung. Biologe Haines befand sich am Beobachtungsfenster des Beibootes und spielte Reporter. „Neunzig Kilometer entfernt. Höhe neun Kilometer. Berge voraus. Wir steigen.“ Eine Minute lang Schweigen, dann: „In einer Höhe von zwanzig Kilometern überfliegen wir die Gipfel. Auf der anderen Seite werden die Hügel von einer langen, schnurgeraden Linie durchschnitten. Sie sieht aus, als ob sie künstlich angelegt wäre, Wir stürzen darauf zu – tiefer, tiefer … ja, es ist eine Straße!“ „Irgend etwas darauf zu erkennen?“ japste Steve, wobei seine Brauen wild auf und nieder tanzten.
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„Nichts, soweit wir vorläufig sehen können. Sie befindet sich in ausgezeichneter Verfassung. Nicht verlassen, aber selten benützt. Ah, eine andere Straße am Horizont, vielleicht sechzig Kilometer entfernt. Wir fliegen darauf zu. Es scheint, als ob … als ob … sich darauf zahlreiche Gebilde rasch fortbewegen.“ Eine neue Pause trat ein, während der seine Zuhörer vor Ungeduld hopsten. „Um Himmels willen, das sind ja Dutzende von …“ Die Stimme brach unvermittelt ab. Nichts ließ sich mehr aus dem Äther hören, außer einem anhaltenden raschelnden Geräusch, wie von abgestorbenen Blättern, die in einem leichten Wind umherwirbeln. In wilder Hast stürzte sich Steve über seinen Empfänger, drehte, schaltete, machte, suchte, tat alles, was er konnte, um die Stimme zurückzubringen. Aber es kam nichts, nichts außer diesem stetigen, gruseligen Wispern auf vierundzwanzig, und dem alles übertönenden Aufruhr auf zweihundert und darunter. Die Mannschaft brannte darauf, ein zweites Boot auszuschicken. Wir besaßen vier von den kleinen Beibooten, und überdies die etwas größere und weitaus schnellere Pinasse. McNulty lehnte es jedoch ab, noch mehr Leute abzukommandieren. „Nein, Männer“, sagte er. Sein rundes, joviales Gesicht war völlig unbesorgt. „Eine Gruppe auf einmal ist genug. Wir werden hier warten – und zwar bis zum Morgen, um dem Boot die Möglichkeit zu geben, uns wiederzufinden. Wahrscheinlich ist ihm gar nichts zugestoßen. Vielleicht ist sein Radio defekt oder eines der Navigationsinstrumente.“ Ein hartes Glitzern trat in seine Augen. „Aber wenn es bis zur Morgendämmerung nicht zurück ist, werden wir nachsehen gehen.“ „Worauf Sie sich verlassen können“, kam das Gemurmel vieler Stimmen. Drum-Drum-Drum! Das Geräusch drang an unsere Ohren, als sich allgemeines Schweigen erhob. Wir erkannten nun, daß es schon seit mindestens einer Minute durch den Raum gedröhnt 21
hatte, aber uns erst jetzt zum Bewußtsein kam., Ein fremdartiges, und doch irgendwie vertrautes Geräusch, dieses stetige Pochen, und es stammte nicht von dem zurückkehrenden Beiboot. Noch niemals ist eine Mannschaft mit derartiger Geschwindigkeit aus einer Luftschleuse hinausgeströmt, wie wir in jenem Augenblick. Draußen blieben wir mit dem Rücken gegen die riesige, gewölbte Hülle der „Marathon“ stehen und starrten zum Himmel empor. Dort waren sie, drei, vier, fünf lange schwarze Raketenschiffe, die in exakter Pfeilformation flogen. Jung Wilsons Gesicht hellte sich sichtlich auf, er jauchzte: „O Himmel!“ und förderte aus dem Nichts eine Kamera zutage, mit der er auf die schwarzen Dinger über uns zielte. Niemand von uns war so geistesgegenwärtig gewesen, einen Feldstecher mitzubringen, aber Jay Score brauchte keinen. Er hatte seine langen Beine gespreizt, seinen riesigen Brustkasten vorgeschoben, den Kopf zurückgelegt und seine leuchtenden Augen auf das Schauspiel über uns gerichtet. „Fünf“, sagte er. „In einer Höhe von sechzehn Kilometern. Bewegen sich sehr schnell und steigen noch höher. Entweder sind sie schwarz angestrichen oder aus einem sehr schwarzen Metall hergestellt. Ähneln keinem terrestrischen Typ. Ihre Heckrohre liegen frei, statt im Heck eingelassen zu sein, und sie besitzen vorne und hinten sogar Steuerfinnen.“ Er blickte noch immer zu den fremden Schiffen hinauf, als ich schon lange einen Krampf im Genick hatte. Immer noch leise dröhnend, verschwanden die fünf aus unserer Sicht. Sie waren direkt über die „Marathon“ hinweggeflogen, ohne sie zu bemerken, in einer Höhe, aus der unser ruhendes Schiff noch unsichtbar war, wie eine Stecknadel. Kli Morg zwitscherte: „Wir sind ihnen am Ende doch nicht so überlegen, scheint es. Sie haben Raketenschiffe, sie köpfen Hummern und sie verhalten sich Fremden gegenüber aller Wahrscheinlichkeit nach feindselig. Ich kann sie mir vorstellen, 22
wie Sie uns einen riesigen Tentakel darbieten, ja, direkt unter das Kinn!“ „Hoffen wir lieber das Beste, statt das Schlimmste anzunehmen“, riet McNulty. Sein Blick streifte über seine Mannschaft, und dann zu dem schlanken Körper der „Marathon“ hinüber. „Zudem sind wir ganz erheblich schneller als irgend etwas anderes, das sich auf ein lächerliches Sonnensystem beschränken muß. Und überdies wissen wir ganz gut, wie wir auf unsere Sicherheit zu achten haben.“ Er tätschelte seinen Nadelstrahlprojektor bezeichnend. Ich habe unseren dicken, jovialen Schiffer noch niemals so draufgängerisch gesehen. Normalerweise besaß er ein äußerst weiches, gutmütiges Herz, aber im richtigen Augenblick und am richtigen Ort konnte er sehr hartgesotten sein. Keiner von uns jedoch vermochte halb so draufgängerisch und hartgesotten auszusehen wie Jay Score, der an seiner Seite stand. Es war etwas an der aufrechten, kräftigen und statuesken Haltung dieses Burschen, an seinen kurzen Reden und raschen Entscheidungen, und an seinen feurigen Augen, die in dem stählernen Gesicht wie Kohlen glühten, das ihm den Ausdruck ruhiger, schweigender Macht verlieh, wie sie ihn auf den phlegmatischen Zügen jener unbekannten Götter sehen können, die an exotischen, einsamen Orten ausgebuddelt werden. Jay grollte: „In Ordnung, gehen wir hinein, um bis zur Morgendämmerung zu warten.“ „Richtig“, pflichtete McNulty bei. „Morgen werden wir einigen dieser Mysterien heimleuchten, ganz gleich, ob das Boot zurückkehrt oder nicht.“ Er wußte nicht, daß er – zusammen mit uns anderen – derjenige war, dem morgen heimgeleuchtet werden würde. Auch von uns ahnte es keiner. Jung Wilson würde beim Entwickeln seiner Platte nicht halb so schrill und fröhlich gepfiffen haben,
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wenn er gewußt hätte, daß sie innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden für immer zerstört werden würde. Einer der Navigatoren der Nachtwache sah die Maschinen zuerst. Sie tauchten etwa eine Stunde vor Tagesanbruch plötzlich heimlich und verstohlen auf, geisterhafte Gebilde, die im Licht der verblassenden Sterne und in den schwarzen Schatten umherglitten. Zuerst hielt er sie für Tiere – vielleicht nächtliche Fleischfresser. Dann aber kamen ihm erhebliche Zweifel. Er betätigte den Hauptalarm, und wir rollten aus unseren Kojen und flitzten auf die Stationen. Ein Techniker rollte einen fahrbaren Scheinwerfer zu einer Luke und richtete den strahlenden Kegel in die Finsternis. Am anderen Ende des Strahls sprang prompt ein riesiges, glänzendes Etwas aus dem Lichtbereich. Seine Bewegung war so schnell, daß niemand von uns mehr als einen flüchtigen Blick erhaschen konnte – den vagen, ungewissen Eindruck von einer großen Kugel, die mit Fangarmen besetzt war und in der vertikalen Ebene von einem Reifen umkreist wurde, wie der eines Rades. Es schien auf diesem Reifen zu rollen, wobei es mit überraschender Behendigkeit hin und her kurvte und kurze Haken schlug. Der Lichtkegel konnte ihm nicht folgen, da er aus der Glassitluke hinausstrahlte und kein Raum vorhanden war, um ihn seitwärts zu schwenken. Wir warteten eine Weile angespannt und erwartungsvoll, aber es erschien nichts weiteres in der Lichtsäule, obgleich wir viele Dinge ahnen konnten, die sich außerhalb des Lichtkreises bewegten. Wir kramten noch einige Scheinwerfer hervor, brachten sie hinter zwei weiteren Luken in Stellung und versuchten, unsere Belagerer beim Mittagsschläfchen zu überraschen, indem wir die Suchlichter in unregelmäßigen Abständen an und ausschalteten. Diese Methode hatte mehr Erfolg. Wieder erhaschten wir einen 24
Schimmer von dem hakenschlagenden Kugeldings, als es eilig aus der Helligkeit des dritten Lichtes davonschoß. Eine Minute später erfaßte der zweite Scheinwerfer einen riesigen Metallarm, der gewichtig in die Höhe und in die dort herrschende Dunkelheit schwang. Am Ende dieses Arms saß etwas Großes, Brutales, und es war keine Hand. Das Ding erinnerte mich an einen riesigen Kran oder an einen Löffelbagger. „Sehen Sie das?“ grölte Steve. Sein Gesicht befand sich hinter den Scheinwerfern im Schatten, aber ich wußte, wohin sich seine Augenbrauen bewegten. Einem Gerücht nach sollen sie einmal geradewegs über den Scheitel und die Hälfte des Hinterkopfes hinunter geglitten sein. Neben mir atmete Brennand schwer, und ein leises, feines Summen kam von Jay Score weiter oben im Korridor. Die Scheinwerfer strahlten einen Geruch von warmer Luft und heißem Metall ab. Vom Heck her ließ sich ein Klopfen und Kratzen vernehmen. Dort lag unser schwacher Punkt. Das Heck war voll von auswechselbaren Antriebsrohren, und man konnte von innen nicht sehen, was draußen vorging. McNulty bellte einen Befehl. Zwei Ingenieure und ein Navigator fegten nach hinten. Wir hatten keine Ahnung über die Fähigkeiten dieser Dinger da draußen, aber wenn sie sich damit abgaben, unsere auswechselbaren Rohre abzumontieren, nun, dann war Matthäi am letzten, kurz gesagt. Die „Marathon“ hätte nie wieder starten können. „Es wird Zeit, daß wir uns entschließen“, schlug Jay Score vor. „Wozu?“ fragte McNulty. „Ob wir hinaus gehen und uns mit ihnen einlassen, oder ob wir abbrausen und uns nicht weiter um sie kümmern sollen.“ „Ja, ja, ich weiß.“ Der Schiffer war sorgenvoll und ein wenig gereizt. „Aber wir wissen noch immer nicht, ob sie freundlich oder feindselig eingestellt sind. Ich kann letzteres nicht annehmen, wage aber auch nicht, zu behaupten, daß sie 25
freundlich sind. Wir müssen behutsam vorgehen. Die terrestrischen Behörden würden uns ganz gehörig aufs Dach kommen, wenn wir Eingeborene ohne angemessene Gründe rauh behandeln.“ Er schnupfte angewidert. „Und das bedeutet, daß wir, falls sie tatsächlich feindselig eingestellt sind, entweder ausreißen müssen oder andererseits hierbleiben, bis sie uns angemessene Gründe für eine Gegenaktion verschafft haben.“ „Ich schlage vor“, meinte Kli Yang geistreich, „daß wir die Steuerbordschleuse öffnen und ihnen eine kleine Melodie vorpfeifen. Wenn einer von ihnen herankommt, zerren wir ihn herein und sehen ihn uns in Ruhe an. Wenn er – durchaus verständlich – Liebe für uns an den Tag legt, geben wir ihm einen Kuß. Wenn er es nicht tut, schmeißen wir ihn wieder hinaus, in einzelnen Stücken, versteht sich.“ Pr-r-r-ang! Der laute Knall kam vom Heck, und seine Echos hallten durch das ganze Schiff. McNulty zog den Kopf ein und verzerrte sein Gesicht schmerzlich, als er sich vorstellte, wie eines seiner kostbaren Antriebsrohre von seiner Patent-Steckdose sprang. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloß ihn aber rasch wieder, als sich aus dem Maschinenraum ein wahres Wutgebrüll vernehmen ließ. Im nächsten Augenblick setzten die Motoren für einen Moment krachend ein, und das ganze Schiff schoß zwanzig Meter auf dem Bauche rutschend vorwärts. Indem er dem niedergestürzten Schiffer auf die Beine half, meinte Jay Score: „Sieht aus, als ob Meister Andrews die Sache bereinigt hat. Niemand pfuscht an seinen Rohren herum!“ Ein zorniges Gemurmel drang aus dem Maschinenraum, ein stetiges, drohendes Grollen, wie von einem kleinen Vulkan. McNulty nahm wohlweislich davon Abstand, mit dem erzürnten Maschinenmeister in seiner augenblicklichen kriegerischen Laune anzubändeln. Als McNulty durch die nächstliegende Luke hinaussah, blitzte gerade wieder der dort postierte Scheinwerfer auf, und der 26
Schiffer erspähte einen fliehenden Mechanismus, der von dem Lichtkegel beinahe eingefangen worden wäre. Er runzelte die Stirn und wandte sich an Jay Score. „Wir haben die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Entweder hauen wir ab, oder wir hindern sie daran; das Schiff zu beschädigen. Die erstere Möglichkeit könnte bedeuten, daß wir das verschollene Beiboot für immer abschreiben müssen. So, wie die Dinge aussehen, wird die zweite Möglichkeit eine Menge Ärger und Unheil bringen.“ Sein schweifendes Auge entdeckte Steve Gregory. „Steve, gehen Sie und versuchen Sie noch einmal, das Beiboot zu erreichen. Wenn es Ihnen nicht gelingt, werden wir ihnen trotzdem Instruktionen senden, in der Hoffnung, daß sie sie empfangen können. Danach werden wir eine Schleuse öffnen.“ „Aye, Captain!“ Steve flitzte davon. Er kehrte nach fünf Minuten zurück. „Nichts zu machen, Schiffer.“ „Haltet die Waffen bereit, Männer. Bringen Sie den Scheinwerfer dort in die Steuerbordschleuse und richten Sie ihn auf die äußere Öffnung.“ Er hielt inne, als die „Marathon“ einen Stoß versetzt bekam. Sie schlingerte über einen Bogen von zehn Grad und rollte dann gemächlich wieder auf ebenen Kiel zurück. „Und bringen Sie neben dem Scheinwerfer ein Pom-pom in Stellung!“ Die Umstehenden spritzten mit höchster Geschwindigkeit auseinander und ließen ihn mit Jay Score und den beiden Ingenieuren, die den Scheinwerfer versetzten, zurück. „Hmmmpf“, schnaufte McNulty. „Ich denke nicht gerade gern an die Kraft, die es fertig bringt, unserem Schiff einen solchen Stoß zu versetzen wie eben.“ Klink-klink-klank! Das Getöse klang wie Gongschläge durch das Innere der „Marathon“ und dröhnte laut in der Waffenkammer, wo ich eifrig damit beschäftigt war, Kriegsinstrumente aller Art auszuteilen. Ein zweiter Ruck erschütterte das Schiff, 27
diesmal noch stärker als zuvor. Der Schlingerbogen war mindestens 15 Grad, aber wieder rollte das Schiff in die aufrechte Stellung zurück. Ich verließ die Waffenkammer in gestrecktem Galopp mit einem Armvoll Munitionsgurte für das Pom-pom, bog in gewagter Schräglage um eine Ecke und gewahrte Jay Score, der neben der inneren Luke der Luftschleuse wartete. Das Schiff kam mit einem leichten Beben wieder zur Ruhe. Jay sagte keinen Ton, sondern stand nur dort, seine schaumgummibesohlten Füße fest auf den Stahlplatten des Bodens gestemmt, seine riesige Gestalt reglos und aufrecht, und seine glühenden Augen auf die langsam rotierende Scheibe der äußeren Luke gerichtet. Alles stand bereit, als sich die gewichtige Rundtür entlang ihres Schraubengewindes nach innen wand und wie ein großer Metallpfropfen freikam. Der Tragarm rollte die schwere Masse beiseite, und gleichzeitig füllte der Scheinwerfer die gähnende Öffnung mit blendendem Licht. Aus der Dämmerung draußen kamen eine Menge rasselnder, klankender und schleifender Geräusche, aber es verstrich eine lange Zeit, ohne daß sich etwas im Eingang sehen ließ. Wahrscheinlich hielten sie die neue Öffnung für eine weitere Beobachtungsluke. Schweigend und angespannt vor Erwartung standen wir im Korridor und warteten, aber noch immer zeigte sich nichts. Tollkühn und mit bewundernswertem Mut trat ein FlettnerMathematiker namens Drake in die Lichtsäule, ging langsam durch die Schleuse zur äußeren Luke, blieb am Rand stehen und blickte hinaus. Im nächsten Moment stieß er einen erschreckten Schrei aus und wurde aus unserer Sicht geschnappt. Ein großer breitschultriger, krummbeiniger Ingenieur, der Drake gefolgt war, warf sich vorwärts, und ein dicker, behaarter Arm schoß mit affenartiger Geschwindigkeit nach vorn, um den verschwindenden Mathematiker zurückzureißen. Er verfehlte ihn und stand einen Augenblick lang unschlüssig im Eingang, bevor die Reihe an ihm war. Mit einem wütenden Löwengebrüll wurde 28
er in die Dunkelheit entführt. Inzwischen hatte Brennand die Hälfte des Schleusentunnels durchquert, als McNulty einen Warnruf ausstieß. Brennand wurde nicht geschnappt. Er stimmte in das allgemeine Gebrüll ein, als ihn etwas von draußen aus dem Tunnel reißen wollte, und schrie noch lauter, als sich ein schlangenartiger Marstentakel um seine Hüfte wand und ihn zurückzerrte. Der Art nach zu schließen, wie sich Kli Yangs zahlreiche große Saugnäpfe zur Verankerung an den Boden hefteten, mußte es ein ganz gehöriger Ruck gewesen sein. Mit finsterer Ruhe fragte McNulty: „Was war es, Brennand?“ Bevor der andere antworten konnte, ließ sich direkt vor dem Eingang ein ohrenbetäubendes Klirren und Klanken hören. Ein riesiges, viereckiges, glänzendes Ding kletterte in die Schleusenöffnung. Es stand mitten im Scheinwerferlicht, und ich sah deutlich seine kastenförmige Vorderseite mit der geringelten Kupferantenne, die sich auf seiner oberen Fläche wie die Karikatur einer Locke erhob, und ein Paar großer Linsen, die mit der Stumpfheit einer Kobra in das Licht blickten. Ohne auf McNulty zu warten, entschied der Schütze hinter dem Pom-pom, daß jetzt keine Zeit war, um über diese Angelegenheit an das Hauptquartier zu schreiben. Er feuerte los. Das Getöse war unbeschreiblich, als die acht Läufe der Waffe wie rasende Kolben loshämmerten und sich ein Strom von Zwerggranaten durch den Schleusentunnel ergoß. Das eindringende Wesen löste sich buchstäblich vor unseren Augen auf, wobei kleine Stücke zerrissenen Metalls, Splitter einer glasartigen Substanz und leere Geschoßhülsen nach allen Richtungen spritzten. Der Angreifer war kaum verschwunden, als ein zweiter auftauchte und ohne das geringste Blinzeln in das Inferno starrte. Die gleiche viereckige Form, die gleiche Kupferantenne, die gleichen kalten, ausdruckslosen Augen. Auch er löste sich in 29
einzelne Stücke auf. Ein weiterer, und noch einer. Der Schütze war wild vor Erregung und beschimpfte pausenlos einen seiner linksseitigen Gurtzuführer, weil er anscheinend hemmte. Eine kurze Stille folgte der Zertrümmerung des vierten Eindringlings, eine Stille, die nur das Klappern der frischen Munitionsgurte durchbrach, die in das Pom-pom eingeführt wurden. „Nun, die Behörden zu Hause können sich hierüber nicht aufregen“, entschied Captain McNulty. „Nicht, nachdem man mir zwei Männer gekidnappt hat, gar nicht zu reden vom Beiboot.“ Der Gedanke, daß sein Gewissen rein war, schien ihm enorm gut zu tun. Jemand polterte den Korridor herunter und in die Schleuse. „Scheinwerfer Nummer drei zeigte eben Drake und Minshull. Man hat sie fortgeschafft.“ „Sie befinden sich also nicht mehr in der Gefahrenzone?“ warf Jay Score ein. „Gut!“ Die Augen auf die äußere Türöffnung gerichtet, stand er lässig da, während er in seiner rechten Hand mit einem jener Hölleneier, bekannt als Taschen-A-Bomben, jonglierte. Auf und ab, auf und ab. Mit einer Nonchalance, daß ich beinahe laut geschrien hätte. „Um Himmels willen, laß das sein!“ protestierte jemand, der genau so empfand wie ich. Jay sah sich um, um festzustellen, wer ein Hasenfuß war. Seine Augen blickten kalt, eiskalt. Dann drückte er mit dem Daumen auf den Auslöser und warf das Ei in elegantem Bogen durch die gähnende Öffnung in die Dunkelheit hinaus. Jedermann legte sich sofort platt auf den Bauch und versuchte, sein Gesicht durch den Metallboden hindurchzudrücken und tief in das darunterliegende Erdreich zu wühlen, McNulty eingeschlossen. Ein Blitz von übernatürlicher Helligkeit blendete unsere Augen, und dann folgten ein Krach und ein Stoß, der das Schiff
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seitwärts rollen ließ. Die Erde bebte, und wir schlingerten noch eine Weile hin und her. Ein verstümmeltes Stück eines Metalltentakels kam aus der Dunkelheit hereingeflogen und krachte mit ungeheurer Wucht gegen die Wand. Ein anderes Ding, das dem großen Ende eines nautischen Teleskops entfernt ähnelte, prallte am Schild des Pompoms ab, zischte über das dicke, hochgewölbte Hinterteil des Schiffers, schürfte eines von meinen Ohrläppchen und hinterließ einen langen, gelblichen Kratzer auf dem Stahlboden. Wenn wir erwarteten, daß draußen jetzt tiefste Stille eintreten würde, sahen wir uns getäuscht. Der Widerhall der Explosion war noch kaum verklungen, als das Getöse gewaltsam zerrissenen Metalls vom Heck der „Marathon“ kam, zusammen mit den Geräuschen metallischer Schritte und hämmernder Klauen. Weit hinten, jenseits des Maschinenraums, schrie jemand Mord und Totschlag. Fremdartige Greuelwesen drangen in die Luftschleuse ein, als wir uns der neuen Angriffsrichtung zuwandten. Der Pom-pomSchütze blieb auf seinem Posten und konzentrierte sich darauf, die äußere Lukenöffnung freizuschießen, ohne sich darum zu kümmern, was hinter ihm vorging. Aber jetzt stürzte, durch das beschädigte Heck kommend, durch die Gänge und Korridore des Schiffes ein metallener Zoo über uns herein. Die nächsten beiden Minuten verflogen wie zwei Sekunden. Ich sah eine Kugel hereinwirbeln, die von einem Radreif umgeben war, gefolgt von einem alptraumartigen Assortement metallener Dinger, manche mit gegliederten Beinen und zangenbewehrten Armen, manche mit Tentakeln, andere mit einer grotesken Auswahl außerirdischer Werkzeuge. Eine schnappende Kneifzange glühte rot und trennte sich von ihrem Gelenk, als ein gutgezielter Nadelstrahl ihre schwache Stelle fand. Aber ihr sargförmiger Besitzer drängte weiter, als ob nichts geschehen wäre, und seine Sichtlinsen starrten uns glasig 31
entgegen. Im unklaren Widerschein des Scheinwerfers sah ich Wilson, der ihm ein Auge ausbrannte, bevor er geschnappt und festgehalten wurde. Das Pom-pom stellte plötzlich sein hysterisches Hämmern ein und kippte zur Seite. Etwas Kaltes, Hartes und Schlüpfriges ringelte sich um meine Hüfte und hob mich in die Höhe. Ich fiel nach hinten und schwebte durch die Schleuse, im unnachgiebigen Griff meines Fängers. Ein Ding, das mit unzähligen Werkzeugen bewaffnet war, packte den wild um sich schlagenden Schiffer und trug ihn, mir nichts, dir nichts, aus der Schlacht. Das letzte, was ich von dem Getümmel sah, war eine wild gestikulierende Metallkugel, die zur Decke emporschwebte. Sie hing am Ende eines dicken, mit Saugnäpfen bedeckten Seiles, das sie trotz allen Krümmens und Windens nicht losließ. McNulty und sein Fänger verdeckten meine Sicht, aber ich erriet, daß sich einer der Marsbengel an die Decke gehängt hatte und quietschvergnügt in dem Mob unter ihm fischte. Das Ding, das mich in die Höhe hielt, setzte sich in Trab und steuerte auf den fernen Horizont zu. Der Morgen graute und die Sonne mußte in zwanzig Minuten aufgehen. Die Umgebung hellte sich rasch auf. Mein Träger hielt mich auf die ebene Fläche seines langen, horizontalen Rückens gepreßt, ein straffes Kabel um meine Brust, ein anderes um meine Hüfte. Ein vielgliedriger Arm hielt meine Beine. Meine Füße waren frei, so daß ich mit ihnen strampeln konnte, und meine rechte Hand umklammerte noch immer den schweren Nadelstrahler. Aber ich wurde viel zu fest gehalten, um die Waffe in Anwendung bringen zu können. Ein dutzend Meter hinter mir wurde McNulty wie ein Mehlsack abgeschleppt. Sein Träger unterschied sich von meinem; er war größer und schwerer, besaß acht vielgliedrige Beine und keine Tentakel, sondern ein dutzend Arme von unterschiedlicher Länge. Vier davon umklammerten den immer noch 32
um sich schlagenden Schiffer, die beiden vorderen imitierten die Beinstellung einer Gottesanbeterin, und die übrigen hingen zusammengefaltet an den Seiten. Ich bemerkte, daß die groteske Kupferlocke der Mißgeburt von Zeit zu Zeit senkrecht in die Höhe schnellte, einen Augenblick wie fragend stehenblieb und bebte und sich schließlich wieder abrupt zusammenringelte, wie eine Uhrfeder. Wir kamen an anderen Maschinen vorüber. Eine große Gruppe von ihnen lungerte am beschädigten Heck der „Marathon“ herum, große, kleine, breite, dünne. Unter ihnen ragte der riesige Automat mit dem Löffelbaggerarm empor. Er stand seelenruhig am Ende eines tiefen Kanals, der unterhalb der Heckrohre des Schiffes ausgehoben war. Ein halbes Dutzend Maschinen beschäftigten sich damit, die unteren Rohre herauszuziehen. Die oberen waren bereits entfernt und lagen wie gezogene Zähne auf dem Boden herum. Nun, dachte ich bitter, soviel über Herrn Flettner, dieses Genie. Wäre dieses Supergehirn doch nie geboren worden! Ich säße jetzt gemütlich an Bord der guten alten „Upsydaisy“. Das Ding, auf dem ich ungewollt per Anhalter mitfuhr, beschleunigte sein Tempo und eilte in rumpelndem Galopp auf den Horizont zu. Ich konnte mich nicht umdrehen, um es näher zu betrachten. Seine Arme hielten mich unnachgiebig und mit schmerzhaftem Druck. Ich hörte das metallische Stampfen seiner Füße, die mit lärmender Kraft über den halbmetallenen Boden dröhnten, aber alles, was ich sehen konnte, war eine hin und her pendelnde Beintülle, aus der ein stark riechendes Mineralöl sickerte. Hinter mir beschleunigte jetzt auch McNultys Reitesel sein Tempo. Es wurde immer heller. Ich reckte meinen Kopf in die Höhe soweit es ging und sah eine veritable Prozession beladener Maschinen, die sich bis zum Schiff zurück erstreckte. Aus meiner
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Unglückslage konnte ich jedoch die einzelnen Opfer nicht ausmachen. Ein Dröhnen im dämmrigen Himmel erregte meine Aufmerksamkeit. Die Nacht hatte jedoch ihre dunkle Hand noch nicht genügend zurückgezogen, so daß ich die Raketenschiffe nicht sehen konnte, die dem Geräusch nach auf ihrer Bahn von Norden nach Süden stetig dahinzogen. Nach mehr als einer Stunde hielt mein Freund an und setzte mich nieder. Wir mußten mindestens fünfzig Kilometer zurückgelegt haben. Mein ganzer Körper schmerzte. Die Sonne war inzwischen aufgegangen, und wir befanden uns am Rande einer breiten, glatten Straße, die mit einem dumpfen, bleifarbenen Metall überzogen war. Ein sargförmiger Gegenstand mit einer Länge von etwa zwei Metern, das phantastische Pferd, auf dem ich auf dem Rücken liegend geritten war, betrachtete mich mit seinen grauenhaft gefühllosen Linsen. Ohne seinen Griff zu lockern schob es mich in die Öffnung eines wartenden Vehikels. Es war eine große, kistenförmige Angelegenheit, die auf doppelten Raupenketten stand und deren Oberteil die unvermeidliche geringelte Kupferantenne aufwies. Bevor ich in die Finsternis gestoßen wurde, hatte ich gerade noch Zeit, ein Dutzend weiterer Karren zu bemerken, die sich dahinter aneinanderreihten. Der Schiffer folgte mir eine halbe Minute später. Dann trudelten Brennand, Wilson, ein Mathematiker und zwei Ingenieure ein. Der Schiffer grollte. Die Ingenieure bedienten sich mit erstaunlicher Geläufigkeit einer Mischung von terrestrischen, venerischen und marsianischen Flüchen. Die Tür knallte zu und verriegelte sich, anscheinend völlig selbsttätig. Die Maschine ruckte an, als ob ihr ein unsichtbarer Finger in die Rippen gestoßen hatte, und rollte mit beachtlichem Tempo vorwärts. Es stank nach Öl. Jemand schnüffelte und
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schnüffelte und murmelte im Finstern scheltend vor sich hin. Ich glaube, es war Brennand. Der Schiffer kramte sein automatisches Feuerzeug hervor, zippte es an, und wir sahen uns um. Unser rollendes Gefängnis erwies sich als eine Stahlzelle, zwei Meter siebzig lang, ein Meter achtzig breit. Nichts war vorhanden, noch nicht einmal ein Ventilator. Der Ölgestank erreichte die unerträgliche Schärfe, die bisweilen im Raubtierhaus im Zoologischen Garten herrscht. Immer noch schnüffelnd, schniefelnd und murmelnd, hob der beleidigte Brennand seinen Nadelstrahler und begann ein Loch in die Decke zu schneiden. Ich setzte meinen ebenfalls in Tätigkeit und konzentrierte mich auf den glühenden Kreis. Metall tropfte herunter. Die losgetrennte Platte fiel nach einigen Minuten heraus und fast dem Schiffer auf den Kopf. Wenn unser Fahrzeug Sinne besaß, so wurde es seiner eigenen Verstümmelung nicht gewahr; denn es rollte weiter geradeaus, ohne Pause und ohne Stocken. Aber die Sonne schien nicht durch das Loch. Nicht die geringste flockige Wolke grüßte uns. Über dem Loch in der Stahldecke lag eine dicke Schicht eines dunkelgrünen Stoffes, den unsere Nadelstrahlen nicht zu durchdringen vermochten. Wir konzentrierten alle unsere Projektoren darauf – ohne Erfolg. Ein Versuch an der Tür und an den Wänden brachte keine besseren Resultate, wieder grünes Zeug. Der Fußboden erwies sich jedoch als schwache Stelle unserer Grünen Minna. Während die Maschine weiter ihren Weg entlangdröhnte, schnitten wir ein Loch in den Boden und wurden für unsere Mühe belohnt, als helles Tageslicht hereinflutete. Durch die Öffnung starrten wir hinunter auf eine rasend schnell rotierende Welle, und auf ein Stück vorbeihuschender Straße. Brennand richtete seine Pistole nach unten, sagte stolz: „Kinder, seht, was ich kann!“ und durchschnitt die Welle. Die Maschine verlangsamte ihre Fahrt und hielt an. Wir machten uns auf einen gewaltigen Zusammenstoß gefaßt, der aber 35
nicht kam. Eine nach der anderen kurvten die nachfolgenden Maschinen um uns herum und rollten vorbei. Brennand und ich betrachteten das Loch im Boden, während die anderen auf die Tür achteten. McNulty und der Mathematiker hatten ihre Waffen im Schlachtgetümmel verloren, aber einer der Ingenieure besaß noch immer seinen Nadelstrahler, während sich der andere Ingenieur an seinen Ein-Meter-zwanzig-Schlüssel klammerte, der ihm – wie man allgemein munkelte – sogar nachts in der Koje nicht von der Seite zu weichen pflegte. Wir besaßen keinen Anhaltspunkt, um festzustellen, ob unsere Hundehütte einen Fahrer besaß, oder ob sie aus eigenem Willen oder unter Fernkontrolle funktionierte; aber wenn ein Fahrer oder jemand anders die Türe öffnen würde, waren wir gewillt, einen energischen Ausbruchsversuch zu unternehmen. Nichts geschah. Wir warteten fünf angespannte Minuten, während ich mich fragte, wer von unserer Mannschaft in den anderen vorbeifahrenden Maschinen eingeschlossen war, und welch grimmigem Schicksal sie entgegenfuhren. Schließlich vergrößerten wir die Öffnung im Boden und hatten sie schon fast weit genug gemacht, um hinauskriechen zu können, als etwas Riesenhaftes und Schweres die Straße entlanggedröhnt kam und unsere Maschine sanft anrempelte. Ein lautes metallisches Klicken ließ sich hören, und im nächsten Augenblick rollten wir vorwärts, zuerst langsam, und dann im Schweinsgalopp. Ein Abschleppgerät war eingetroffen. Das Stück der Straße, das wir durch die Öffnung sehen konnten, huschte bald mit einem Tempo vorüber, das unserem Fluchtplan ein Ende setzte. Jetzt durch das Loch hinauszuspringen, wäre alles andere als vernünftig gewesen; wenn uns nicht die rasenden Raupenketten zerkaut hätten, wären wir bestimmt von den nachfolgenden Maschinen zu Pfannkuchen gewalzt worden. „Dies“, bemerkte McNulty, „ist äußerst ärgerlich.“
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„Ärgerlich?“ wiederholte Brennand und blickte ihn recht eigenartig an. Er kniete ostentativ nieder, brachte sein Gesicht dicht an das Loch und genoß einige Atemzüge sauberer Luft. Einer der Ingenieure kicherte. „Ich habe eine Eulenauge-Kamera verloren, die siebenhundert Dollar wert war“, gab Jung Wilson mit einiger Wut bekannt. Seine Augen versuchten den Schiffer zu erdolchen. „Das ist verdammt mehr als ärgerlich! Ich werde ihnen ihre Metallhäute abziehen, bei der ersten Gelegenheit, die sich mir bietet!“ „Hier ist Ihre verfluchte Kamera“, verkündete Brennand. Er kletterte auf seine Füße, zog den Apparat aus der Tasche und reichte ihn Wilson, ein Gegenstand, etwas größer als eine Zigarettenpackung. „Sie haben sie fallen gelassen, als Sie aus dem Schiff geschleift wurden. Ich konnte sie gerade noch an mich nehmen, bevor man auch mich schnappte.“ „Danke … Sie sind wirklich ein guter Kamerad!“ Wilson betastete die Kamera mit liebevollen Fingern. „Ich habe mir Sorgen um sie gemacht.“ Er starrte mich bezeichnend an und wiederholte herausfordernd: „Jawohl, ich habe mir Sorgen um sie gemacht!“ Einer der Ingenieure blickte auf das Straßenstück hinunter, das unter uns vorbeihuschte. Die zerschnittene Welle rotierte natürlich nicht mehr. „Wir werden gezogen. Wenn ich genau wüßte, daß hinter uns nichts kommt …“ Er ließ es eine Minute lang in der Schwebe hängen und schloß dann: „Heh, setzen Sie sich mal auf meine Beine, damit ich meinen Kopf hinausstrecken und nachsehen kann!“ „Nein, kommt nicht in Frage“, schnappte McNulty. „Wir bewegen uns viel zu schnell, um das riskieren zu können. Wir bleiben zusammen und sehen den Ereignissen gemeinsam entgegen.“
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So setzten wir uns denn auf den Fußboden nieder, mit dem Rücken an die kalten, harten Wände gelehnt, und die Augen sehnsüchtig auf die helle Öffnung gerichtet. Jemand kramte eine luftdichte Packung Zigaretten hervor, öffnete sie und reichte sie herum. Wir rauchten in mürrischem Schweigen. Endlich hielt unser Vehikel an, und eine Vielzahl von mahlenden und rasselnden Geräuschen ließ sich rings um uns hören. Die ganze Maschine erschauerte, als auf der einen Seite ein unsichtbares Greuelwesen vorüberrumpelte und den Boden mit seiner Tonnage erzittern ließ. Auf der anderen Seite schnurrte etwas wie ein Dynamo und näherte sich unserer Tür. Wir standen angespannt bereit. Diejenigen, die noch über einen Nadelstrahler verfügten, gingen in Feuerstellung. Mit überraschender Schnelligkeit klickte die Tür und schwang auf. Ein großer, multigliedriger Arm langte durch die Öffnung und fühlte blindlings herum. Wie ein Tierladenbesitzer, der in einer Schachtel nach weißen Mäusen tastet. Ich glotzte das glänzende Glied noch immer an, meinen Nadelstrahler auf das hinterste Gelenk gerichtet, als sich einer der Ingenieure entschlossen duckte und mit herausforderndem Indianergebrüll hinausstürmte. Der phantastische Sucher schickte sich gerade an, den Schiffer zu ergreifen, als mein Nadelstrahl auf das hintere Gelenk traf und es zusammenschmolz. Der Arm verlor seine Beweglichkeit und wurde steif. Er zog sich linkisch zurück, und der zweite Ingenieur stürmte im Kielwasser des ersten hinaus. Es war der Bursche mit dem Ein-Meter-zwanzig-Schraubenschlüssel. Die blödesten Einfälle kommen einem bei den unpassendsten Gelegenheiten; während ich dem Mathematiker und McNulty dicht auf den Fersen des Ingenieurs folgte, erinnerte ich mich, daß er den Schraubenschlüssel bisher noch keinen Augenblick lang niedergelegt oder aus der Hand gelassen hatte. Die Schlacht draußen war kurz und hart. Wir fanden uns vierzig Maschinen von acht verschiedenen Typen gegenüber. Ein 38
halbes Dutzend davon waren nicht größer als Hunde und taten nichts anderes, als herumzuwetzen und die Vorgänge zu beobachten. Die größte Maschine war eine Monstrosität von der doppelten Größe eines Pullman-Wagens. Sie besaß einen riesigen, teleskopischen Arm, an dessen Ende eine gewaltige schwarze Scheibe saß. Fünf Meter von der Tür entfernt wand sich der Ingenieur, der zuerst ausgebrochen war, im Griff eines vielarmigen Sarges und versuchte, die nächstliegende Sichtlinse des Ungeheuers wegzubrennen. Der mit dem Schraubenschlüssel hatte mit einer Radreifen-Kugel angebändelt und hämmerte aus voller Kraft unverdrossen auf ihre Universalglieder, von denen die Tentakel sprossen. Er fluchte mit großem Nachdruck und bewundernswerter Geläufigkeit. Links von mir rannte gerade ein hochragendes Maschinenmonstrum, das der Vorstellung eines betrunkenen Surrealisten von einer Giraffe entfernt ähnlich sah, mit McNulty davon. Es besaß vier Arme, die den unglücklichen Schiffer fest umklammerten, vier Beine, die ungeschickt hin und her schwangen, und einen außerordentlich langen Hals, von dessen oberem Ende eine einzige riesige Augenlinse glänzte. Immer noch voller Widerstandsgeist, lieferte der Schiffer einen nutzlosen Kampf. Mit vorgetäuschter Zuneigung streckte ein glasig starrender Sarg sehnsüchtig seine Vorderglieder aus, als er heranpolterte, um mich an seinen Busen zu ziehen. Er näherte sich mit jenem dumpfen, schweren Dum-Dum-Dum, das man bisweilen in Afrika hört, wenn man von einem wildgewordenen Nashorn verfolgt wird. Das Ding war so nahe, daß ich seinen charakteristischen Gestank von warmem Maschinenöl spüren konnte. Ich trat zurück, wie ich annahm, aus der Reichweite seiner Arme. Und prompt schob es weitere fünfzig Zentimeter Gelenkglieder aus seinem Metalleib. Dieser Trick kostete mich beinahe meinen unvorsichtigen Kopf. Ich stolperte und ging zu 39
Boden, als seine Bärenfalle von einer Hand dicht über meine Scheitelhaare zischte. Die Lautlosigkeit dieser Schlacht war gespenstisch. Unsere Gegner ließen nicht den geringsten Ton hören. Außer unseren eigenen Flüchen und Grunzlauten war nichts zu vernehmen als das sanfte Schnurren verborgener Mechanismen, das Sausen von Metalltentakeln, das Klanken gegliederter Arme und das Dröhnen von massigen Metallfüßen. Mein Gegner grapste nach unten, als ich zu Boden ging, aber ich rollte, wie ich noch nie in meinem Leben gerollt war, und wich sowohl seinen Greifern, als auch seinen stampfenden Beinen aus. Mein Nadelstrahl stach in seine flache Unterseite und richtete nichts aus. Ich wälzte mich aus seiner Reichweite, sprang auf die Beine und blickte nach rechts. Ich sah den Körper des Mathematikers an einer Stelle liegen. Der arme Kerl würde nie wieder aufstehen. Als ich herumwirbelte, um den Sarg im Auge zu behalten, richtete das Pullman-Ding, das bisher noch nicht in Aktion getreten war, seine Scheibe auf mich und badete mich von Kopf bis Fuß in einem machtvollen Strahl blaßgrünen Lichtes. Theoretisch, so erfuhr ich später, hätte dieser Strahl meinen Radio-Aninismus stören und mich in Todesstarre versetzen sollen. Aber da ich einen eigenen, nicht-mechanischen Aninismus besitze, blieb der Strahl nichts anderes als blaßgrünes Licht. Die Kugeln waren bei weitem die schnellsten in diesem verrückten Assortement von Supermechanismus, und eine Kugel schnappte mich denn auch schließlich. Mein sargförmiger Gegner stampfte ungeschickt herum, um es noch einmal mit mir zu versuchen, ein zweiter Sarg galoppierte von der entgegengesetzten Seite auf mich zu, und als ich mich bemühte, meine Aufmerksamkeit zwischen beiden zu teilen, huschte eine Kugel hinterlistig von hinten heran und brachte mich zur Strecke.
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Mein Nadelstrahl war gerade dabei, im Körper des nächsten Angreifers herumzubohren, und über das Visier konnte ich McNulty und die Giraffe sehen, die sich weit hinten entfernten, als – bumm! – das Universum in meinem Schädel explodierte. Ich ließ meine Waffe los und brach zusammen. McNulty rief zum Appell auf. Zerlumpt und ausgepumpt, war seine kleine dicke Gestalt immer noch in einem Stück, und er hielt sich aufrecht und straff und überblickte uns gelassen. Jay Score stand neben ihm, groß und massig wie immer. Sein breiter Stallitbrustkasten war zwischen den Fetzen der Uniform sichtbar, aber seine Augen glitzerten mit dem alten, unauslöschlichen Feuer; „Ambrose.“ „Hier!“ „Armstrong.“ „Hier!“ „Bailey.“ Keine Antwort. Der Schiffer blickte stirnrunzelnd' auf. „Bailey. Weiß jemand, was mit Chefsteward Bailey los ist?“ Jemand sagte: „Habe ihn kurz vor dem Kampf im Schiff zum letzten Mal gesehen, Sir.“ Niemand wußte etwas Genaueres. „Hmmm!“ McNultys Stirnrunzeln vertieften sich. Er kreuzte den Namen auf seiner Liste an und machte weiter. Ich wunderte mich, als ich unsere arg verprügelte, aber immer noch kampflustige Rotte überblickte. Etwas stimmte nicht, etwas fehlte. Aber entweder merkte es der Schiffer nicht, oder er ignorierte es, denn er ging weiter methodisch seine Liste durch. „Barker, Bannister, Blaine, Brennand …“ Wieder hoben sich seine Augen, als keine Antwort kam.
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„Brennand war in unserer Hundehütte“, erinnerte ich ihn. „Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.“ „Sie können also nicht definitiv sagen, daß er tot ist?“ „Nein, Sir.“ „Brennand ist überhaupt nicht aus jener Maschine herausgekommen“, meinte eine Stimme. Es war der Herr mit dem Schraubenschlüssel. Er stand neben dem augenbrauenwedelnden Steve Gregory, und sein Gesicht sah wie eine halbverzehrte Orange aus, aber er hing noch immer an seinem Eisenträger. Wahrscheinlich hatten ihm die Maschinen den Schraubenschlüssel gelassen, weil sie ihn irrtümlich für ein Stück seines Armes hielten. Er sagte: „Ich war der letzte, der in jenem Freistilturnier erledigt wurde. Brennand hat nicht daran teilgenommen. Auch Wilson nicht.“ McNulty verzog sein Gesicht schmerzlich; Jay Score zeigte etwas Interesse. Der Schiffer malte zwei Kreuze auf seine Liste und setzte den Appell fort. Erst als er den Buchstaben K erreichte, entdeckte ich den fehlenden Faktor, der an meinem Unterbewußtsein genagt hatte. „Kli Dreen, Kli Morg, Kli … wo ist Kli Dreen?“ Wir starrten herum, die ganze Bande. Kein einziger Martier unter den Anwesenden! Nicht einer. Kli Yang, Sug Farn und der Rest – im ganzen neun – fehlten. Und niemand konnte sich daran erinnern, sie nach der Schlacht in der „Marathon“ noch einmal gesehen zu haben. Der letzte Mann, der das Schiff verlassen hatte, war Murdoch, der Regierungsexperte, und er schwor, daß die Marsleute immer noch aktiv gewesen wären und wie die Wilden gekämpft hätten, als man ihn entführte. Auch war keiner von ihnen in sein Vehikel geworfen worden, das letzte der langen Kolonne. Wir vermochten uns nicht zu erklären, wie die Marsbande der Gefangennahme entronnen sein konnte, und wo sie sich jetzt befand. Vielleicht hatten sie die Metallungeheuer mit ihrer 42
ungeheuren Kraft in die Flucht geschlagen, obgleich das recht unwahrscheinlich schien. Meine private Überzeugung, die ich aber strikt bei mir behielt, war die, daß sie den bösen Feind an ihrem Leib- und Magenspiel Schach begeistert hatten, und daß beide Seiten in diesem Augenblick atemlos beobachteten, wie jemand einen Läufer zwei Felder vorrückte. Die Martier waren solch einer Einseitigkeit durchaus fähig. McNulty kreuzte alle marsianischen Namen an und ging die Liste weiter durch, bis hinunter, wobei er den sechsten Ingenieur Zeigler auf die gleiche Weise überging, wie er Meister Andrews übergangen hatte, und aus dem gleichen Grund. Von diesen beiden wußte man, daß sie nicht mehr lebten. Sie waren dem ersten Ansturm durch das Heck unterlegen. McNulty zog die Bilanz. Sieben Männer tot, fünf vermißt, ohne die Marsleute. Die Vermißten waren Haines mit seinen zwei Leuten im Beiboot, ferner Brennand und Wilson. Das bedeutete für unsere kleine Gesellschaft einen schweren Verlust, und unser einziger Trost lag in dem Gedanken, daß die Fehlenden nichtsdestoweniger am Leben waren. Ich durchforschte unser Gefängnis, während der Schiffer traurig seine Liste betrachtete. Wir befanden uns in einer Metallschleuse, einem großen leeren Raum von einer Länge von etwa 30 Metern, einer Breite von 18 Metern und einer Höhe von 12 Metern. Die Wände waren glatt, lehmfarben und ohne Fenster. Die stark gewölbte Decke, ebenso lehmfarben, wies nicht die kleinste Öffnung auf, aber von ihrem höchsten Punkt hingen drei große Kugeln aus durchscheinendem Kunststoff herunter, die ein orangefarbenes Licht ausstrahlten. So sorgfältig ich die Wände auch untersuchte, konnte ich auf ihrer harten, glatten Oberfläche doch nichts entdecken, was einer Schweißnaht oder einer anderen Verbindung glich. „Nun, Männer …“, begann McNulty.
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Er kam nicht weiter. Dünn und unbeschreiblich schauerlich drang ein langgezogener Schrei durch die schmalen Spalten an der einzigen Tür des Gefängnisses. Es war ein spitzer, schriller Ton, der bis zum höchsten Gipfel unerträglicher Agonie anstieg, und der immer und immer wieder nachhallte, als ob er durch einen langen, metallenen Korridor entfliehen würde. Das Fürchterlichste: Es war eine menschliche Stimme, oder die Stimme dessen, was von einem Menschen übrig geblieben war. Die Männer drängten sich mit schweißglänzenden Stirnen durcheinander. Murdoch war weiß wie ein Leintuch. Sam Hignetts schwarze Finger öffneten sich, schlossen sich, als ob sie sich sehnten, dem Leidenden zu Hilfe zu eilen. Der Ingenieur mit dem Schraubenschlüssel rollte seine Ärmel auf und enthüllte auf dem Muskel seines linken Unterarms eine tätowierte Nackttänzerin. Die Tänzerin zappelte vergnüglich, als er seinen Griff am Schraubenschlüssel wechselte und verstärkte. Sein Gesicht sah noch immer arg zerschunden aus, aber seine Augen waren hart. Jay Score drückte das allgemeine Empfinden aus, als er langsam sagte: „Wenn wir einen von diesen Automaten in unseren Händen hätten, würden wir ihn auseinandernehmen, um nachzusehen, was für ein Mechanismus seinen Kuckuck die Stunden ausrufen läßt.“ Er blickte über unsere Köpfe hinweg. „Ich fürchte, daß sie uns in dieser Beziehung ähneln und die gleiche Neugier verspüren. Jeder von euch, der es vorzieht, nicht in Stücke zerlegt zu werden, um außerirdische Neugier zu befriedigen, sehe sich besser vor, daß sie ihn hier niemals lebend rauskriegen!“ Wieder der entsetzliche schrille Schrei. Er brach in dem Moment abrupt ab, als er seinen höchsten Gipfel erreichte, und die nachfolgende Stille war mindestens ebenso furchtbar, wie der gräßliche Laut. Ich konnte sie mir jetzt vorstellen, wie sie klickend und surrend aufgeregt herumsausten und vergeblich nach der fleischigen Maschine suchten, die den Ton erzeugt hatte. 44
„Gibt es hier Akrobaten?“ fragte Jay plötzlich. Er schritt zur Wand, legte seine großen Hände dagegen und stemmte seine Füße auf den Boden. Armstrong, ein kraftvoller Mann von einem Meter achtzig, kletterte und stellte sich auf seine Schultern. Bis hierher war es einfach. Mit unserer Unterstützung gelang es Petersen endlich nach vielen Anstrengungen, auf Armstrongs Schultern festen Fuß zu fassen. Aber alle unsere Bemühungen, die menschliche Leiter zu verlängern, erwiesen sich als fruchtlos. Jay Score stand wie ein Felsen, aber die glatte Wand bot den beiden oberen Männern keine Gelegenheit, sich festzuhalten, wenn ein vierter Mann an ihnen hochzuklettern versuchte. Wir mußten es aufgeben. Ohne Zweifel hätte Jay die sieben Männer tragen können, die erforderlich gewesen wären, um die Decke zu erreichen, vorausgesetzt, daß Armstrong nicht unter seiner Last zusammengebrochen wäre. Ich begriff zudem nicht ganz, was es genützt hätte, die Decke zu erreichen. Jedenfalls hielt dieser vergebliche Versuch unsere Hände und Gehirne für kurze Zeit beschäftigt. Blaine richtete seinen Nadelstrahl gegen die Wand, zweifellos in der. Absicht, eine Reihe von Trittlöchern zu schneiden, – aber dieses Zeug erwies sich als sehr verschieden von dem, aus dem die Grünen Minnas bestanden. Es erhitzte sich recht normal, wurde bei maximaler Temperatur primelgelb, aber weigerte sich hartnäckig, zu schmelzen oder sich zerschneiden zu lassen. Dieses Bemühen brachte den Schiffer auf die Idee, eine Inventur der vorhandenen Waffen aufzustellen. Alles in allem besaßen wir sieben Nadelstrahlpistolen, eine uralte automatische Westentaschenpistole, deren Besitzer steif und fest behauptete, daß sie sein Vater im letzten Krieg verwendet hätte, einen EinMeter-zwanzig-Schraubenschlüssel und zwei Tränengas-Bleistifte. Die Geschehnisse hatten uns gezeigt, daß die Strahlenpistolen für unsere gepanzerten Feinde sehr fatal sein konnten. Das 45
restliche Zeug war nichts wert. Aber die Inventur enthüllte eine interessante Besonderheit der Psychologie unseres Feindes. Denjenigen, die sich grimmig an ihre Waffen geklammert hatten, waren sie nicht weggenommen worden. Was vermuten ließ, daß sie von unseren Waffen nichts wußten und keine Ahnung hatten, daß es so etwas gab. Wir waren gerade mit der Inspektion dieses unzulänglichen Waffenarsenals fertig geworden, als die Tür mit einer Plötzlichkeit aufschnellte, die uns alle zusammenfahren ließ. Zwei hummerähnliche Wesen wurden in unser Gefängnis geschoben. Die Tür schloß sich mit einem wütenden Knall, so daß wir keine Gelegenheit fanden, einen Blick hinaus zu werfen. Die Hummern rutschten hilflos über den Metallboden und prallten gegen eine Wand, wo sie platt auf dem Bauch liegenblieben. Einen Augenblick lang ruhten sie sich dort aus, während wir sie fasziniert anstarrten, und sie ebenso schweigend zurückglotzten. Sie erholten sich rasch und stellten sich auf ihre Beine. Man konnte jetzt sehen, daß ihre Köpfe mehr denjenigen von Insekten ähnelten, als von Hummern, denn sie besaßen Facettenaugen und Schmetterlingsantennen. Als sie ihre Verblüffung verdaut hatten, sprachen die Wesen zu uns, nicht mit einer Stimme, sondern mit einer halb telepathischen Sprache, die im Inneren unserer Gehirne aus dem Nichts zu entstehen schien. Ihre seltsamen Münder öffneten sich nicht ein einziges Mal, und doch waren die projizierten Gedanken derart klar und deutlich, daß wir uns nur mühsam zu der Überzeugung durchringen konnten, daß sie nicht in unserer eigenen Sprache zu uns redeten. Einer von ihnen – ich konnte, nicht feststellen, welcher – sagte: „Ihr seid Fremde aus weiter Ferne. Ihr seid Wesen mit weichen Körpern, ganz anders als die hartschaligen Wesen unseres Sonnensystems. Könnt ihr uns verstehen?“ „Ja“, erwiderte McNulty und betrachtete sie verwundert. „Wir verstehen euch.“ 46
„Schallwellen!“ Das seltsame Paar blickte, sich verblüfft an, und ihre feinen Antennen zitterten. Fast konnte ich das Ausrufezeichen am Ende ihrer Bemerkung hören. „Sie unterhalten sich mit Hilfe modulierter Schallwellen!“ Aus einem Grunde, den nur sie kannten, grenzte diese Eigenart ans Unglaubliche. Sie glotzten uns an, als ob wir ein grundliegendes Naturgesetz mißachten würden, und meinten dann: „Es ist schwer, mit euch zu sprechen. Ihr helft unseren Gehirnen nicht. Wir müssen unsere Gedanken hineinschieben und eure herausziehen.“ „Es tut mir leid“, entschuldigte, sich McNulty. Er schluckte und riß sich zusammen. „Gedankenübermittlung ist nicht unsere Spezialität.“ „Es tut nichts zur Sache. Wir schaffen es auch ohne eure Hilfe.“ Beide machten die gleiche unbestimmte Geste mit dem gleichen Bein. „Trotz unserer Unterschiede in Gestalt und Wesen befinden wir uns offensichtlich im gleichen Mißgeschick.“ „Im Augenblick, ja“, stimmte McNulty bei, sich weigernd, unsere Lage als permanent anzusehen. Er begann, sich allmählich als eine Art universeller Verbindungsmann zu betrachten. „Habt ihr eine Ahnung, was sie mit uns machen werden?“ „Sie werden euch sezieren.“ „Uns sezieren? Ihr meint, sie werden uns zerschneiden?“ „Ja.“ McNulty runzelte finster die Stirn und fragte: „Warum?“ „Sie sezieren alles Individualistische. Sie tun es schon seit Jahren, seit Jahrhunderten, in dem Bemühen, die Ursache persönlicher Unabhängigkeit zu entdecken. Es sind intelligente Maschinen, aber ihre Intelligenz ist vollständig kommunal,“ Der Hummer, oder was es auch immer war, sann einen Augenblick nach und fuhr dann fort: „Auf unserem eigenen Planeten Varga gibt es winzige Wasserlebewesen, die ihnen insofern sehr ähnlich sind, als sie als Einzelwesen nichts Bemerkenswertes leisten, aber 47
eine erstaunliche Intelligenz an den Tag legen, wenn, sie in organisierten Gruppen auftreten. Sie teilen sich in einen Rassenverstand.“ „Wie Termiten“, meinte der Schiffer. „Ja, wie Termiten“, bestätigte derjenige, der das Wort führte, oder waren es beide? Ich begriff nicht, warum er – oder sie – etwas über Termiten wissen konnten, bis mir einfiel, daß sich das geistige Gedankensymbol des Schiffers auch in ihren Gehirnen eingeprägt hatte. „Seit vielen, vielen Sonnenumkreisungen versuchen sie, die benachbarte Wasserwelt Varga, unseren Heimatplaneten, zu erobern. Unser Volk wehrt sich mit einigem Erfolg, aber hin und wieder werden einige von uns gefangengenommen, in schwarzen Raumschiffen hierher gebracht und seziert!“ „Es sind doch Maschinen, oder?“ „Es sind Maschinen von einer großen Zahl funktioneller Typen, alle Arten von Kriegsmaschinen, alle Arten Arbeiter, ja sogar Wissenschaftler und Spezialisten. Aber es sind und bleiben Maschinen.“ Er hielt inne und erschreckte uns zu Tode, als er plötzlich mit einem langen Vorderbein anklagend auf den schweigenden Jay Score deutete. „Genau so, wie er eine Maschine ist! Er besteht aus Metall, und sein Geist ist uns verschlossen! Wir mögen ihn nicht!“ „Jay ist eine verteufelte Menge mehr als eine bloße Maschine“, erklärte Mc-Nulty in offener Entrüstung. „Er besitzt etwas, was so ein stinkender Mechanismus noch nie gehabt hat. Ich kann nicht erklären, was es ist, aber … nun … er ist eine Persönlichkeit!“ Ein gedämpftes Beifallsgemurmel zeigte, daß er die zwar irrationale, aber nichtsdestoweniger unerschütterliche Einstellung seiner ganzen Mannschaft ausgedrückt hatte. „Was ich besitze, ist das, was die Automaten suchen“, meinte Jay, ohne zu lächeln. „Ich bin unabhängig. Was mich neben den übrigen ebenfalls zu einem Kandidaten für die Schlächter macht.“ 48
Er seufzte und fügte hinzu: „Ich schätze, daß ich den Weg allen Fleisches gehen werde.“ McNulty lächelte über diesen pessimistischen Scherz und wandte sich an das verlegene Hummerding: „Wenn ihr tatsächlich so empfänglich für unsere Gedanken seid, könntet ihr uns vielleicht sagen, ob sich menschliche Emanationen in unserer weiteren Umgebung feststellen lassen. Einige von meinen Männern fehlen, und ich würde gerne wissen, ob sie noch am Leben sind.“ Die beiden seltsamen Kreaturen von der Varga verstummten, und ihre Antennen bebten, als ob sie sich bemühten, ein Stück des Äthers jenseits unserer Reichweite und Vorstellung abzusuchen. Etwas polterte geräuschvoll den Korridor entlang und passierte unsere Tür ohne anzuhalten, aber sie nahmen keine Notiz davon. Nach einer Weile sagte einer von ihnen – oder beide: „Unsere Reichweite ist beschränkt, außerordentlich beschränkt. Wir können euch mitteilen, daß ein Geist, wie eurer, dahingegangen ist, für immer. Er war am Versiegen, als wir uns vorhin unterhielten. Innerhalb unserer Reichweite befinden sich keine anderen Wesen eurer Art.“ „Oh“, sagte McNulty enttäuscht. Sie deuteten mit den Vorderbeinen zur Decke empor und fuhren fort: „Aber dort oben sind andere Wesenheiten, deren Geist sich sowohl von eurem, als auch von unserem himmelweit unterscheidet. Sie sind einzigartig. Wir hätten niemals für möglich gehalten, daß es so etwas gibt. So unglaublich es erscheinen mag: Sie können sich gleichzeitig auf zwei Sachen konzentrieren!“ „Eh?“ meinte McNulty und kratzte sich am Kopf. Offensichtlich sagte ihm diese Bekanntgabe nichts. „Zwei Sachen auf einmal! Äußerst beachtlich! Sie befinden sich hoch oben in der Luft, kommen aber zum Dach herunter. Einer von ihnen denkt gerade an viele kleine Götter, die in 49
ausgerichteten Reihen auf einem Quadrat aus kleineren farbigen Quadraten stehen, und gleichzeitig denkt er an dich!“ „Was?“ brüllte McNulty verblüfft. Ich sah, wie Steve Gregorys buschige Brauen auf den Scheitel rutschten, als wild nach oben blickte. Wir alle glotzten mit aufgerissenen Augen zur Decke. Im nächsten Augenblick erfolgte ein ungeheurer Stoß, der das Gebäude bis in seine Grundfesten erbeben ließ, und in der gewölbten Decke erschien eine gewaltige Beule. Etwas begann gewaltsam auf die Metallplatten loszuhämmern, als draußen auf dem Korridor ebenfalls ein ohrenbetäubendes Getöse anhub. Der kombinierte Lärm war entsetzlich; ich kam mir vor wie ein Käfer in einem Dampfkessel, dessen Nähte von einem halben Dutzend Niethämmern bearbeitet wurden. Unser inoffizieller Schraubenschlüsselträger zeigte seltene Beobachtungsgabe und Initiative. Er hatte bemerkt, daß sich die Tür nach innen öffnete. Ohne sein gewichtiges Ein-Meterzwanzig-Instrument aus der Faust zu legen, stopfte er die andere Hand in eine Gesäßtasche, fummelte eine Weile darin herum und ließ schließlich erkennen, daß es ihm nichts ausgemacht hatte, auf zwei kurzen, dicken Schraubenziehern und einem kleinen Metallkeil zu sitzen. Diese Geräte hämmerte er in den Bodenspalt der Tür. Schließlich hatte er die Tür gut und fest verkeilt. Er war kaum damit fertig geworden, als das Getöse im Korridor zunahm und ein mächtiges Gewicht gegen die Tür prallte. Es sah aus, als ob unser Stündlein geschlagen habe, durch die verklemmte Tür nur um einige kostbare Minuten verzögert. Jene klankenden Greuelwesen dort draußen dürsteten nach weiteren Versuchskaninchen, um sie zu zerschneiden. Unser vielgepriesener Individualismus sollte also unser Unheil werden. Auf dieser Ebene schoß es mir durch den Kopf, daß der Schraubenschlüsselhalter und Sam Hignett für die erste Schnitzelei auserwählt werden würden, wenn die Schnitzer die Methode der Meistbegünstigung kannten. Es würde sie bestimmt außerordent50
lich reizen, festzustellen, warum der ersteren einen halbmetallenen Arm von doppelter Länge besaß, und warum die Haut des letzteren schwarz war, im Gegensatz zu der weißen Haut von uns übrigen. Ich fragte mich ebenfalls, wie sie wohl reagieren würden, wenn sie Jay Score näher unter die Lupe nahmen. Die Tür erbebte unter einem ungeheuren Schlag, sprang aber nicht auf, sondern beulte sich in der Mitte ein. Blendendes Licht drang durch die klaffenden Spalten an den Rändern der Tür. Raupenketten rasselten draußen vorüber, während der Mechanismus, der gegen die Tür drückte, seinen mächtigen Druck verstärkte. „Erst schießen, wenn das Grün ihrer Zähne zu sehen ist!“ grinste der Türverkeiler. Er spuckte auf den Boden und stützte sich auf seinen Schraubenschlüssel, wie ein wartender Ritter, der sich auf seine Eisenkeule lehnte. Seine tätowierte Nackttänzerin sah in dieser Stellung geradezu unanständig aus. Plötzlich kam von oben ein lautes Geräusch von zerreißendem Metall, als eine große Sektion der Decke zur Seite gezogen wurde. Reines, strahlendes Sonnenlicht ergoß sich über unsere aufwärtsgewandten Gesichter. Ein mächtiger knolliger Körper mit vielen riesigen, saugnapfbewehrten Pangarmen wälzte sich über den zackigen Rand des Loches, klammerte sich mit drei reiner schlangenartigen Glieder fest und baumelte grotesk mitten im Raum. Es war Sug Farn. Drei weitere Tentakel gesellten sich den ersten Armen bei, die an der Decke festsaßen, und die übrigen vier langten zu uns herunter. Sug Farns volle Spannweite betrug neun Meter achtzig, die jetzt um eine Länge von ein Meter fünfzig bis ein Meter achtzig reduziert war, weil die Tentakel an der Decke klebten. Die Enden seiner Fangarme ringelten sich lockend in einer Höhe von mindestens vier Metern. Die Beule an der Tür vergrößerte sich mit alarmierender Schnelligkeit, während Sug Farn dort oben baumelte und wir mit hoffnungsvollen Gesichtern hinaufblickten. Die Hummerwesen glotzten ihn bestürzt an. 51
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Und dann kam er plötzlich weitere drei Meter herunter, packte vier Mannschaftsmitglieder und schwang sie zu dem Loch in der Decke empor. Wie Mahouts, die von ihren Elefantenbiestern mit dem Rüssel in die Höhe gehoben werden. Als ich hinaufstarrte, sah ich, daß sich Sug Farn nicht mehr selbst festhielt. Seine oberen Tentakel hatten sich mit den ebenso starken, seilartigen Gliedern eines anderen Martiers, der auf dem Dach außerhalb meiner Sicht verankert saß, eng verstrickt. Sug Farn hob die vier bis auf wenige Meter an das Loch heran, worauf sich andere Tentakel von oben herunterringelten und ihm die Männer abnahmen. Dann weitere vier, und nochmals vier. Da ich damit beschäftig war, meine Aufmerksamkeit zwischen diesem Zirkusakt und der langsam nachgebenden Tür zu teilen, hatte ich die Varganer nicht besonders beachtet. Aber jetzt stellte ich fest, daß sie mit McNulty erbittert argumentierten. „Nein“, erklärte der Schiffer entschieden. „Wir geben nicht nach. Wir sehen dem Unvermeidlichen nicht ins Auge. Wir werden uns hüten, ohne Aplomb zu sterben, wie ihr es ausgedrückt habt.“ Er schnupfte angewidert. „Es gab auf unserer Erde einen Volksstamm, der die Dinge so ansah wie ihr. Sie feierten ihr Mißgeschick, indem sie sich lässig den Bauch aufschlitzten. Hat ihnen niemals etwas eingebracht.“ „Aber man entflieht doch nicht!“ beharrten die Varganer, als ob sie über eine unvorstellbare Greueltat sprachen. „Es ist feige. Es widerstößt dem Hergebrachten und der guten Sitte. Es ist eine schandbare Verhöhnung der gebräuchlichen Kriegsregeln. Jedes Kind weiß, daß ein Gefangener seine Ehre bewahren muß, indem er klaglos sein Schicksal akzeptiert.“ „Quatsch!“ schnaubte McNulty. „Unsinn! Wir haben niemandem unser Wort gegeben. Wir haben niemandem etwas versprochen und beabsichtigen auch nicht, es zu tun.“ Er sah zu, als weitere vier zur Freiheit hinaufsegelten.
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„Es ist unrecht, durch und durch unrecht! Es ist beschämend. Ein Gefangener ist für immer verloren. Ja, sogar unser eigenes Volk würde uns aus reiner Scham töten, wenn wir entfliehen würden. Hast du denn gar kein Gewissen?“ „Aber, verdammt noch mal“, fluchte McNulty, „eure Regeln sind idiotisch. Wir erkennen sie nicht an und haben damit gar nichts zu tun. Ganz gleich, was ihr auch immer sagt, es ist unser gutes Recht, wenn wir …“ „Einen Augenblick“, warf Jay Score ein. Seine glühenden Augen schwenkten von dem predigenden Schiffer zu der teilweise zertrümmerten Tür, die jeden Moment zusammenbrechen mußte. „Jetzt ist wohl kaum die Zeit, um über auseinandergehende Auffassungen von Ethik zu debattieren, oder?“ „Gewiß, Jay, aber diese hartschaligen Dummköpfe … Autsch!“ Sein überraschter Gesichtsausdruck war äußerst komisch, als der unerschütterliche Sug Farn nach ihm fischte, ihn schnappte und ihn geradewegs aus der Diskussion hob. Die Tür gab endlich nach. Sie platzte mit einem Knall auf, der unsere Trommelfelle zu zerreißen drohte. Ohne die varganischen Defätisten zu zählen, waren wir noch sieben Mann auf dem Metallboden unseres Gefängnisses, als die Tür einbrach und ein Ding, das einem Fünfzig-Tonnen-Panzer glich, kopfvoran in den Raum hereingepoltert kam. Dicht hinter ihm drängte sich eine klickende, surrende Masse von Särgen, Kugeln und anderen alptraumartigen Vorrichtungen. Der führende Eindringling war so groß, daß er die riesige Türöffnung vollständig ausfüllte und auf jeder Seite nur wenige Zentimeter frei ließ. Fasziniert und zu entsetzt, um mich bewegen zu können, sah ich seine gewaltigen Raupenketten über die vorderen Zahnräder abwärtsströmen, als er auf mich zudröhnte, ein ungeheurer Opfergötze.
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Sam Hignetts schwarzes Gesicht überzog sich mit einem eigenartigen Leuchten, als er Sug Farn zurief: „Mich zuletzt!“ Unser Negerchirurg hätte seinen Wunsch erfüllt bekommen können, aber er rechnete ohne das tentakelte Individuum, das über uns baumelte. Eine rasende Kugel schoß durch die Türöffnung, überholte den Opfergötzen und schnappte nach Sam. Es kam etwa zwei Sekunden zu spät. Geräuschlos – ohne ein Wort zu verlieren und ohne die geringste Erregung zu zeigen, löste Sug Farn drei seiner haftenden Arme von der Decke, umschlang uns alle sieben auf einmal und hob uns mit einer mächtigen Anstrengung aus der Reichweite der Maschine. Als ich langsam zum Loch hinaufschwebte, konnte ich in dem Glied, das mich umfaßt hielt, ein feines Zittern spüren, als Sug Farn sein Äußerstes hergab, um die schwere Last zu heben. Ein anderer Tentakel langte herunter, ringelte sich um mich und übernahm einen Teil des Gewichtes. Als ich durch das Loch schwebte, erhaschte ich einen Blick auf eine andere Marsgestalt, die an der Unterseite des durchbrochenen Daches zur nächsten Wand hinüberkroch, und dann befand ich mich im Sonnenlicht und stand auf meinen Füßen. Die Pinasse lag auf dem Dach und ruhte in der eingedrückten Delle, wie eine Henne auf ihrem Nest. Ihre kraftvollen Antriebsrohre warteten startbereit, und ihr glatter, stromlinienförmiger Rumpf war ein Anblick, der unser Herz höher schlagen ließ. Nichts hätte die Lebensgeister der müden Männer in diesem Augenblick schneller erwecken können. Metallgebäude türmten sich rings um uns auf. Bei den meisten lagen die Dächer weitaus höher als die Dachplattform, auf der wir uns befanden. Mit quadratischem oder rechteckigem Grundriß, waren sie alle reine Zweckbauten, finster, erdrückend und ohne irgendwelche Fenster oder Verzierungen. Nirgendwo stieg Rauch oder Qualm auf, abgesehen von vereinzelten Schwaden farbigen Dampfes aus unsichtbaren Quellen.
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Zahlreiche der Gebäude trugen Radiomaste, einige andere besaßen komplizierte Drahtgestelle, die an Richtantennen erinnerten. Wir befanden uns in einer riesigen metallenen Metropole. Tief unter uns zogen sich breite, kerzengerade Straßen in geometrischer Anordnung dahin; sie wimmelten von entlanghastenden Maschinen von mindestens hundert verschiedenen Typen. Die einzige, die unseren Vorstellungen und Begriffen etwas näher kam, war ein langes, halbflexibles Ding, das mich an einen überdimensionalen Tausendfüßler erinnerte. Es besaß an seiner Vorderseite eine dreifache Reihe rotierender Schneidemesser und bildete offensichtlich eine Art Tunnelbohrer oder unterirdischer Exkavator. In der Menge konnte ich einige Särge und Kugeln erkennen, ferner ein paar Giraffen und zahlreiche jener neugierigen, anscheinend zwecklosen Geräte, die uns während des Schlachtgetümmels am Morgen dauernd zwischen den Beinen herumgewetzt waren. Ich überblickte diesen Mischmasch fremdartiger Formen und begann mir einzubilden, daß die Kugeln und Särge verschiedene Arten von Kriegern darstellten, während die Giraffen Polizeidienst verrichteten und die naseweisen kleinen Maschinen Reporter oder Kriegsberichterstatter waren, die dauernd aufpaßten und pausenlos Berichte entweder an eine koordinierende Zentrale oder an die Gemeinschaft als Ganzes übermittelten. Aber bei den Giraffen, war ich doch nicht ganz sicher. Während zwei Drittel der befreiten Mannschaft in die Pinasse kletterten, womit das kleine Schiff vollbeladen war, stand ich mit Jay Score an dem scharfzackigen Rand der Dachöffnung und schaute in unser ehemaliges Gefängnis hinunter. Es war ein erstaunlicher Anblick. Die beiden Hummerdinger hatte man fortgeschafft, vermutlich zu ihrem erwarteten Geschick. Direkt unter uns befand sich der Fünfzig-Tonner, der durch die Tür geplatzt war. Wie ein riesiger eiserner Frosch hockte er in der Mitte des Raumes. 56
Um ihn herum wirbelten die glasäugigen Kugeln hierhin und drrthin, wobei sie uns ab und zu mit ihren Tentakeln wütend zuwinkten, falls ein Automat eines Wutgefühls fähig ist. Verschiedene Särge hatten ihre gegliederten Hinterbeine zusammengefaltet, saßen und starrten zu uns herauf, in der phantastischen Imitation einer wartenden Hundemeute. Trotzdem sie nichts besaßen, was man Gesicht nennt, konnte ich im Geist ihre klaffenden Kinnladen und heraushängenden Zungen sehen. Die meisten der herumsausenden Maschinen ließen ein andauerndes Klicken und Klanken hören. Ihr beißender Ölgeruch stank zum Himmel. Neun Meter über diesem Pöbel hatten sich Sug Farn und Kil Yang hoch oben an gegenüberliegenden Wänden sicher angeheftet und angelten nun nach dem Feind. Sug Farn schnellte einen Tentakel hinunter, der so aussah, als ob er ein Schlachtschiff hätte verankern können, und legte die Endsaugnäpfe auf den flachen, glatten Rücken eines hockenden Sarges, der – seiner Haltung nach zu urteilen – geduldig darauf wartete, daß wir wie überreife Trauben herunterfallen würden. Sug Farn hob den Sarg in die Höhe, der prompt alarmierend zu klanken anfing und mit seinen Gelenkbeinen wild strampelte. Eine wachsame Kugel wirbelte zu Hilfe. Kli Yang mischte sich ohne weiteres ein und schnappte sich die Kugel mit der pokergesichtigen Nonchalance eines Chamäleons, das mit seiner Zunge nach einer fetten Fliege klatscht. Der Sarg schwebte acht Meter über dem Boden, als die Sauger ihren Halt lösten. Er stürzte auf den Rücken des Fünfzig-Tonners hinunter und schmetterte von dort mit einem Gerassel von zersprungenen inneren Organen auf den Boden, wo er unbeweglich liegenblieb. Die leichtere Kugel kämpfte wild in Kli Yangs Griff, als sie unbarmherzig hochgehoben wurde, und dann holte der Tentakel weit aus und schleuderte sie hinunter, plattwegs auf eine andere Kugel. Die geworfene blieb tot liegen.
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Die getroffene erlitt irgendeine Verletzung an ihrem Steuermechanismus und begann, wie irrsinnig im Kreise herumzurasen. Kli Yang blickte verlangend auf das Tankungeheuer hinunter, das noch immer unbeweglich und gleichgültig wie eine zusammengebrochene Nuckelpinne auf einem Autofriedhof unter uns saß, und meinte: „Genau so haben wir die Schlacht im Schiff gewonnen. Wir klebten an der Decke, wo sie uns nicht erwischen konnten, hoben sie hoch, warfen sie hinunter und überließen den Rest der Natur. Sie können nicht klettern. Und sie konnten auch keine Maschine in die ,Marathon' bringen, die groß genug gewesen wäre, um uns zu erreichen.“ Er richtete ein Glotzauge auf Jay und mich und rollte das andere abwärts, um den Feind zu beobachten. Wenn die Marsbengel ihre voneinander unabhängigen Augen derart drehten, bekam ich. jedesmal eine Gänsehaut, und es wird auch immer so bleiben. Er fügte zu Sug Farn gewandt hinzu: „Kli Morg hätte seinen Läufer opfern sollen.“ Als ob es eine logische Fortführung des gleichen Gesprächsthemas gewesen wäre. „Ja, ich bin auch gerade auf diese Lösung gekommen“, stimmte Sug Farn zu, indem er eine Kugel dazu benützte, den Schädel einer Giraffe zu knacken. „Mog neigt gerne dazu, sich in seinen Spielen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit zu irren. Es dauert deshalb bei ihm eine Zeitlang, bis er erkennt, daß das Opfer eines Läufers durchaus zu empfehlen ist, wenn man zehn Züge später zwei Türme erobern kann.“ Er seufzte, sagte: „Schau her!“ schnappte blitzschnell nach einem gestikulierenden Objekt, das aus einer Menge schauerlicher Werkzeuge zu bestehen schien und packte es an einem dicken, knolligen Auswuchs an seiner Vorderseite. Krachend schmetterte er es gegen die gegenüberliegende Wand, an deren oberem Rand Kli Yang saß. Wumm! Schmerzhafte Hitze badete meine Beine, als die Pinasse abbrauste, und in den Himmel hinauf dröhnte. Auf dem Dach standen jetzt nur noch elf Mann, plus die doppelhirnigen 58
Marslümmel, die sich damit amüsierten, unser Gefängnis in ein Schrottlager zu verwandeln. Ich wandte mich um und blickte der Pinasse nach, die auf einem Feuerstrahl noch Norden davonflitzte. „Sie werden bald zurückkehren, um uns abzuholen, wenn wir dann noch hier sind.“ Jay Scores strahlende Augen studierten die Martier und den Metallpöbel unter uns. „Kli irrt sich, wenn er meint, daß sie nicht klettern können. Wie haben sie denn diese Gebäude errichtet?“ „Niemand von denen sieht so aus, als ob er es könnte“, meinte ich unruhig und deutete auf den Mob hinunter. „Nein, aber ich wette, sie haben so etwas wie Baumaschinen irgendwo verstaut, eine Art mechanischen Turmarbeiter vielleicht. Zehn zu eins, daß sie sie herausholen werden, sobald sie sich beruhigt haben. Offensichtlich hat unsere Mißachtung ihrer hergebrachten Kriegsregeln eine ganz gehörige Verwirrung angerichtet.“ Er wies auf die benachbarten Straßen, auf denen sich noch nicht die geringste Aufregung feststellen ließ. „Es dauert lange Zeit, bis es einsickert. Ich bezweifle, daß jemals ein Gefangener ausgebrochen ist, solange sie sich erinnern können, sollten sie ein Gedächtnis besitzen. Vorläufig stehen sie verblüfft einer Situation gegenüber, die sie kaum begreifen können.“ „Ja, wir haben es entschieden mit einer vollkommen fremdartigen Mentalität zu tun“, stimmte ich zu. „Es sieht aus, als ob ihr Verstand zu starr ist, um das Abnormale zu erfassen und damit fertig zu werden.“ Ich sprach es nicht aus, weil Jay eine zu ausgeprägte Persönlichkeit besaß, aber ich überlegte, daß er uns übrigen gegenüber insofern im Vorteil war, als er die Dinge vom Standpunkt unserer mechanischen Gegner aus zu betrachten vermochte. Kli Yang kletterte durch das Loch herauf, gefolgt von Sug Farn. Der letztere glotzte umher, ließ sich in der von der Pinasse 59
erzeugten Delle nieder, wickelte sich in seine Tentakel und schlief ein. Von Zeit zu Zeit ließ er hohe, weiche und langgezogene Pfiffe hören. „Er pennt!“ schimpfte Kli Yang. „Er ist unfähig, etwas auszuführen, ohne nicht zwischendurch zu schlafen.“ Er hielt ein zürnendes Auge auf den schnarchenden Martier gerichtet und rollte das andere auf Steve Gregory. Angesichts seiner exzentrischen Augen und Steves tanzenden Brauen fragte ich mich, welch versteckte Talente eigentlich ich besaß. „Ich nehme an“, sagte Kli Yang finster, „daß niemand in der Pinasse auf die Idee gekommen ist, ein Schachbrett zurückzulassen.“ „Nein, niemand“, gestand Steve, im Innern über diese Unterlassungssünde erfreut. „Sieht ihnen ähnlich“, grollte Kli Yang. Er zog sich angewidert von uns zurück, förderte eine winzige Flasche mit Huluparfüm zutage und schnüffelte bezeichnend daran. Ich nehme an, daß ihm die Luft von vier Fünftel Atmosphäre Druck allmählich auf die Nerven ging. Jenen unfeinen marsianischen Beschreibungen des menschlichen Körpergeruchs habe ich niemals glauben können. „Wieso wußtet ihr, in welchem Gebäude wir saßen?“ fragte Jay. „Als wir in der Pinasse herüberkamen“, berichtete Kli Yang, „hatten wir nicht viel Hoffnung, euch in diesen unzähligen Bauwerken zu finden. Wir kreisten einige Male über der Stadt und stellten mit großer Überraschung fest, daß niemand von dem Pöbel auf den Straßen die geringste Notiz von uns nahm. Schließlich entdeckten wir jene Fahrzeuge, die in einer langen Kolonne parkten, und auf einem davon standen Brennand und Wilson und winkten wie irrsinnig. Na ja, wir lasen sie halt auf und landeten auf dem nächsten Dach, diesem hier. Die Landung war etwas ungeschickt, weil die Pinasse mit ihren Kontrollen, die für menschliche Glieder gemacht sind, schwer zu steuern ist.“ 60
„Brennand und Wilson befinden sich also in Sicherheit?“ warf ich ein. „Ja. Kli Dreen fischte sie ins Boot. Sie erzählten, daß sie aus ihrem Metallfahrzeug durch das Loch im Boden entflohen waren, statt die Tür zu benützen. Sie wurden von da ab vollkommen ignoriert. Sie wunderten sich sehr darüber, als man sie später in Ruhe ließ, und konnten es nicht begreifen.“ Jay warf mir einen Blick zu und sagte: „Siehst du – Flüchtlinge! Der abnormale Faktor! Niemand wußte etwas mit ihnen anzufangen. Sie mißachteten die hier gültige Ethik, ein Problem, dessen Lösung viel Zeit erforderte, weil es neu und völlig unbekannt ist.“ Er schlenderte zum Dachrand, wobei seine Schaumgummisohlen seine massige Tonnage elegant und geräuschlos über die glatte Fläche trugen. Neben unserer Plattform lag ein zweites Dach, auf einer tieferen Ebene. Er schaute mit glühenden Augen hinab. „Jene Schreie kamen von irgendwo dort unten. Komm, wir wollen versuchen, ob wir eine Ecke aufreißen und hineinsehen können!“ Er sprang anderthalb Meter auf die andere Plattform hinunter, gefolgt von Armstrong, mir und den anderen. Gemeinsam zogen wir an einer überlappenden Ecke des Blechdaches und zerrten sie in die Höhe. Sie gab mit überraschender Leichtigkeit nach. Dieses Metall war ein verdammt komisches Zeug, ziemlich hart, durch Hitze unangreifbar und doch leicht biegbar. Kein Wunder, daß die Marsbande ein Loch in die Decke hatte reißen können. Als wir durch die entstandene Öffnung spähten, erblickten wir einen langen, schmalen Raum, der entweder ein Laboratorium oder einen Operationssaal darstellen konnte. Apparate aller Art lagen darin herum, einschließlich Bestrahlungslampen, Sterilisierkästen, Glasschränke mit eigentümlichen Instrumenten, Rolltische 61
und ein reichhaltiges Assortement von sonstigem Schrott, unter dem wir uns nichts vorstellen konnten. Ein halbes Dutzend auf Hochglanz polierter und superb gearbeiteter Maschinen beschäftigte sich in diesem. Raum, ihre glänzenden, ausdruckslosen Linsen intensiv auf ihre Arbeiten gerichtet. Sie besaßen gewandte Glieder. Was sie damit taten, ließ mir einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. Zwei Hummerwesen lagen im ganzen Raum verstreut, ein Stück von einem auf einem nahen Tisch, zwei Köpfe auf einem anderen, ein Haufen Eingeweide auf einem dritten. Ob es die beiden waren, die sich mit uns unterhalten hatten, oder ob es sich um zwei andere handelte, konnten wir nicht feststellen. Die Maschinen fummelten an den Stücken herum, legten Teile davon unter höchst eigenartige Mikroskope und steckten andere Stücke in verschiedene Arten von Apparaten. Die Hummern besaßen nichts, was wie Blut aussah, aber aus ihren verstümmelten Teilen sickerte ein öliger, farbloser Saft. Nichtsdestoweniger bemerkten wir eine rote Lache auf einem der unbesetzten Tische, rote Flecken auf dem Boden, rote Spritzer auf einigen der mechanischen Vivisektionisten. In einem Drahtkorb, achtlos zur Seite geworfen, lag ein goldener Siegelring. Er hatte Haines gehört! Armstrong fluchte aus vollem Halse und sagte: „Gott, was würde ich dafür geben, diesen Ort in Fetzen sprengen zu können!“ „Wir können noch nichts unternehmen, noch nicht“, meinte Jay Score, anscheinend völlig unberührt. „Es ist zu spät, um jemandem zu Hilfe zu eilen.“ Er beäugte das nächste Dach, das auf gleicher Ebene lag und etwa siebeneinhalb Meter entfernt war. Wie dasjenige, auf dem wir standen, sprang es auf einem größeren und höheren Gebäude hervor, welches von einem langen Radiomast überragt wurde. Zwei Antennendrähte liefen von diesem Mast zu einem anderen auf gleicher Höhe, eine 62
Entfernung von hundert Metern überbrückend. „Ich glaube, ich schaffe es“, murmelte Jay. „Immer mit der Ruhe“, meinte Armstrong und blickte über den Rand in den Abgrund unter der Siebeneinhalb-Meter-Spanne. „Warten Sie, bis die Pinasse zurückkommt. Wenn Sie versuchen, über diesen Abgrund zu springen und verfehlen das andere Dach nur um wenige Zentimeter, dann ist es aus. Sie werden sich in tausend Andenkenstücke verwandeln, die sich über die ganze Straße verstreuen.“ Jay kehrte zu dem Loch im Dach zurück und blickte hinunter. „Sie warten noch immer“, berichtete er, „aber es wird nicht mehr lange dauern, bis sie sich in Tätigkeit setzen.“ Er kam zurück, wobei die zerfransten Fetzen seiner Uniform um seine mächtigen Stallitbeine flatterten. „Darum setze ich mich jetzt besser meinerseits in Tätigkeit.“ Bevor ihn einer von uns daran hindern konnte, hatte er seinen Anlauf abgeschätzt und raste los. Einmal in Bewegung, hätte ihn keiner von uns aufhalten können. Seine soliden, kraftvollen 280 und mehr Pfund bildeten für menschliche Muskeln eine zu große Masse. Kli Yang hätte es vielleicht geschafft, versuchte es aber nicht. Nach einem rasenden, gut abgepaßten Anlauf schnellte sich Jay vom Rand unseres Daches ab, segelte in weitem Bogen durch die Luft und landete einen Meter vom Abgrund entfernt. Ein zweiter und einfacherer Sprung brachte ihn auf die obere Plattform, wo er mit langen Schritten auf den Radiomast zueilte. Wie ein Affe kletterte er daran in die Höhe und riß die Antennen ab. Dann kehrte er zurück und schaffte den gleichen erstaunlichen Sprung mit dem gleichen Erfolg. „Eines Tages“, meinte Kli Yang beruhigend, „wirst du dich mit elektrischem Strom umbringen, wenn du nicht vorher deinen Hals brichst.“ Er wies zur Straße hinunter. „Es kann Zufall sein
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oder auch nicht, aber einige jener Maschinen sind stehengeblieben.“ Es stimmte. Mitten im Gewühl dort unten waren eine Anzahl Automaten zu Statuen erstarrt, und zwar alle vom gleichen Typ. Die anderen Spielarten blieben unberührt und eilten wie zuvor ihres Weges. Särge, Kugeln, wurmartige Dinger und große, polternde Bulldozermaschinen gingen ihren Geschäften nach, als ob nichts geschehen wäre, aber die wenigen Exemplare dieser besonderen Gattung – ein eiförmiges, spinnenbeiniges Gerät – standen wie versteinert. „Ich glaube, sie haben RadioAninismus“, sagte Jay. „Jeder Typ besitzt sein eigenes Wellenband und seine eigene Station, von der er die Energie bezieht.“ Er wies auf die anderen Mäste, die überall über der Stadt emporragten. „Wenn wir die anderen auch außer Tätigkeit setzen könnten, glaube ich, daß wir sämtliche Maschinen vorübergehend lahmlegen würden.“ „Warum vorübergehend?“ fragte ich. „Wenn wir sie ihrer Energie berauben, können sie sich doch nie wieder in Bewegung setzen, oder?“ „Nicht unbedingt. Es gibt hier eine so große Anzahl voneinander verschiedener Maschinen, die für jede erdenkliche Funktion gebaut sind, daß sie – zehn zu eins – auch eine Radioreparaturmannschaft besitzen, die ihre Energie von einer unabhängigen Kraftquelle bezieht und in dem Augenblick aktiv wird, wenn alles andere stehenbleibt.“ Jemand warf ein: „Falls ihr Radiomechaniker wie ein wandelnder Leuchtturm aussieht, dann ist bereits einer nach hier unterwegs.“ Er wies mit dem Daumen über seine Schulter nach Norden. Wir wandten uns nach dieser Richtung. Das Objekt, das die nordwärts führende Straße herunterkam, war phantastischer als alles, was wir bisher gesehen hatten. Es bestand aus einer langen Metallplattform, die auf ungeheuren Rädern von drei bis 64
dreieinhalb Meter Durchmesser lief. Vom Zentrum dieser Plattform erhob sich ein röhrenförmiger Körper, der sich nach oben allmählich verjüngte und in einer Höhe von mehr als achtzehn Metern in einem viellinsigen, vielarmigen Kopfstück endete. Das Ding schien größer als ein Leuchtturm und überragte einige der Gebäude. „Beifallklatschen! – Hier kommt Charlie!“ sagte der Herr mit der antiken Pistole. Er umklammerte das Kuriosum mit großer Entschlossenheit. Verglichen mit dem nahenden Koloß, war die Pistole vollkommen absurd. Man hätte genauso gut versuchen können, einen rasenden Elefanten mit Tennisbällen umzulegen. „Eine automatische Aufrichtmaschine, denke ich.“ Jay beobachtete sie kühl und gelassen. „Wahrscheinlich hat man sie herangerufen, um uns vom Dach zu pflücken.“ Die kleine Gruppe Menschen schien sich an den Geschehnissen völlig unbeteiligt zu fühlen und blickte reichlich gleichgül tig drein. Vielleicht versuchten sie, in ihrem Inneren solche Gefühle zu verbergen, wie sie in mir selbst brodelten. Als das ungeheure Monstrum langsam und unaufhaltsam näherrollte, zog sich mein Magen zu einem kleinen, harten Ball zusammen. Unten auf den Straßen strömte die mechanische Horde weiter ihres Weges, während unterhalb der Dachöffnung eine weitere hungrige Meute wartete. Jay hatte vielleicht mit seinen riesigen Sprüngen von Dach zu Dach entkommen können, aber uns blieb nichts übrig, als wie Rinder in einem Schlachthaus zu warten. Und dann erschien ein ferner Punkt am Himmel, und ein schrilles Wimmern verkündete uns, daß die Pinasse zurückkehrte. Wie ein schnelles, kleines Geschoß stürzte sie pfeifend zu uns herunter, und, soweit ich die Lage beurteilen konnte, mußte sie unsere Plattform knapp vor der drohenden Turmmaschine erreichen. Aber ich bezweifelte, daß es ihr gelingen würde zu landen, die Luftschleusen zu öffnen, uns an Bord zu nehmen und wieder zu starten, bevor das Unheil hereinbrach. Unsere Pulse 65
arbeiteten mit Überstunden, als wir die heranrasende Pinasse und den gewichtig näherrollenden Leuchtturm im Königsformat beobachteten und beider Fortschritte miteinander verglichen. Gerade, als ich die Überzeugung gewonnen hatte, daß es die eine Hälfte von uns auf Kosten der anderen Hälfte schaffen würde, bemerkten die Männer in der Pinasse den näherrückenden Turm. Das Schiff setzte nicht zur Landung an. Es beschrieb eine enge U-Kehre, schoß mit einem brüllenden Luftstoß über uns hinweg und raste dicht am Kopf des Turmes vorüber, der noch etwa fünfzig Meter entfernt war. Eine Zwerg-Atombombe mußte sich gelöst haben, wenn ich sie auch nicht hinunterfallen sah. „Hinlegen!“ brüllte Jay Score. Wir klatschten auf unsere Gesichter. Das Getöse erschütterte das ganze Gebäude, und ein ausgesuchtes Assortement von Metallwaren aller Art kam in einer Fontäne von der Straße heraufgeflogen. Einige Sekunden lang herrschte unheimliche Stille, die nur vom gemischten Klanken und Klicken der überlebenden Metallbevölkerung und dem abklingenden Heulen der Pinasse durchbrochen wurde. Dann kam ein ungeheurer Krach, als der turmartige Mechanismus der Länge nach hinstürzte. Das Gebäude erzitterte von neuem. Ich kletterte auf meine Füße. Der Turm lag auf der Straße hingestreckt, seine Plattform zerstört, sein langer, tubulöser Körper verdreht und geknickt, und sein vielarmiger Kopf mit den Sehlinsen bis zur Unkenntlichkeit entstellt und bar jeglichen Aninismus. Der gestürzte Gigant hatte mit seinem Zusammenbruch ein Dutzend kleinerer Maschinen erledigt. „Verdammt noch mal“, zwitscherte Fug Farn, der gewaltsam geweckt worden war. „Was soll denn der Krach bedeuten? Fangen sie schon wieder an?“ Er streckte seine Tentakel und gähnte. „Schau, daß du aus der Delle rauskommst“, befahl Kli Yang und blickte ihn mißbilligend an. „Mach Platz für die Pinasse.“ 66
Ohne sich sonderlich zu beeilen, zottelte Sug Farn zu der Dachecke herüber, auf der wir eine kleine, hoffnungserfüllte Gruppe bildeten. Die Pinasse zog dicht über uns eine Schleife, sank herunter und landete. Die Beule im Dach vergrößerte sich unter ihrem Gewicht ein wenig. Nur die ungeheure Tragkraft des Gebäudes und die Exaktheit der Landung bewahrten uns davor, samt des Daches in die Hände des Feindes hinunterzustürzen. Mit einem intensiven Gefühl der Dankbarkeit kletterten wir in das Boot. Der Schiffer war nicht an Bord, auch Brennand nicht. Zweiter Navigator Quirk saß an den Kontrollen und hatte eine Mannschaft von fünf Terrestriern und einem Martier unter sich, das Minimum für ein Schiff dieser Größe. Der Martier war Kli Dreen. Er sprach kein Wort mit seinen schlangenarmigen Kollegen, als sie sich durch die Luftschleuse zwängten, sondern glotzte sie bloß an und schnüffelte. „Ich wette zwölf interplanetarische Dollars“, sagte Kli Yang säuerlich zu ihm, „daß dein minderwertiges Gehirn nicht daran gedacht hat, unsere Niederdruckhelme mitzubringen, so daß wir uns von diesem infernalen Gestank erholen können.“ „Hört ihn an!“ rief Kli Dreen und drehte ein Auge auf mich. „Er erforscht das Universum und beklagt sich dann über ein bißchen Luftdruck!“ Das Auge rollte zu Kli Yang zurück, als er triumphierend hinzufügte: „Kli Morg wäre Sieger geworden, wenn er nicht darauf bestanden hätte, seinen Läufer zu retten.“ „Ha, ha!“ lachte Kli Yang gekünstelt. Er versuchte, Sug Farn wissend zuzublinzeln, aber es gelang ihm nicht. Die Marsleute bemühten sich ab und zu, die terrestrische Angewohnheit, ein Auge bedeutsam zu schließen, zu imitieren; sie versuchten es immer wieder, trotz der traurigen Tatsache, daß es ohne Augenlider unmöglich fertiggebracht werden kann. „Kommt wieder eine Woche zu spät auf die Lösung, wie gewöhnlich.“ Ich fand Jung Wilson bei der vorderen Beobachtungsscheibe neben Pilot Quirk vor. Die Kamera lag schußbereit in seinen 67
Händen, und er war vor lauter Begeisterung nahe am Geifern. Zwei weitere Kameras hingen an der Wand festgeschnallt, eine davon ein Kasten mit einer Optik von der Größe einer Untertasse. „Oh, Sergeant“, ereiferte er sich. „Schnappschüsse, Schnappschüsse … dutzendweise!“ Sein Gesicht war eine interessante Mischung von Scharlachrot und berufsmäßiger Glorie. „Und ich habe jenes Turmding erwischt, im gleichen Augenblick, als wir es umlegten. Sehen Sie, diese beiden kriege ich ebenfalls!“ Über seine Schulter warf ich einen Blick durch die Luke. Richtig, zwei weitere wandelnde Leuchttürme kamen die Straße herunter, schwankend, wie betrunkene Matrosen. Hinter mir hörte ich, wie die Luftschleuse zugedreht wurde. Wilsons Kamera machte klick-klick. Die Pinasse hob sich ab, entfernte sich von dem Dach und schoß unter Quirks geübten Händen mit rasch steigender Geschwindigkeit in den Himmel. Kein Martier konnte ein Boot so ausgefeilt steuern, wie ein gut trainierter Terrestrier. Ich machte mich auf die Suche nach Jay Score und fand ihn über den kleinen Bombenschacht im Bauch des Bootes geneigt. Er hielt einen der Kracher in der Hand und ließ ihn gerade fallen. Als ich durch die nächste Luke hinausspähte, bauchten sich die Wände des Gebäudes, das sich direkt neben unserem ehemaligen Gefängnis befand, gewaltsam nach außen, und das Dach flog zu den Wolken empor. Das Innere muß ein einziger Schrotthaufen gewesen sein. „Soviel für ihren Operationssaal“, grollte Jay. Seine Augen glühten wie Kohlen. „Diesmal sind sie es, die in Stücke gerissen werden!“ Ich konnte seine Gefühle verstehen, aber – verdammt noch mal! – man erwartete von einem Robot nicht, daß er eine derart menschliche Emotion wie Rachedurst empfindet. Und trotzdem hielt es niemand von uns für nötig, sich über die völlig unrobotischen Gefühle überrascht zu zeigen, die er ab und zu an 68
den Tag legte. Den mathematischen Berechnungen und sämtlichen bestehenden Gesetzen nach hätte er nicht mehr Gefühl aufweisen sollen als eine Kleiderpuppe, aber die Tatsache blieb bestehen, daß er es trotzdem besaß, wenn auch in einer kalten, phlegmatischen Art und Weise. „McNulty wird sich darüber nicht freuen“, erklärte ich. „Er wird sagen, daß es die terrestrischen Behörden trotz unserer Verluste als eine unnötige Zerstörung bezeichnen werden. Sein Gewissen wird ihn während der ganzen Heimfahrt quälen.“ „Natürlich“, stimmte Jay mit verdächtiger Munterkeit zu. „Daran habe ich gar nicht gedacht. Jammerschade!“ Seine Stimme hatte ihre Geschmeidigkeit nicht um den geringsten Bruchteil verändert, während sein Gesicht selbstverständlich vollkommen ausdruckslos blieb. Ich konnte seine Gedanken ebenso leicht lesen, wie die eines Steingötzen. Er ging nach vorn, um mit Quirk zu sprechen. Kurz danach begann das Boot eine Serie enger Schwenkungen zu beschreiben, während es gleichzeitig stetig nach Norden weiterdröhnte. Jedesmal, wenn es hinuntertauchte, kam von draußen ein scharfer, tönender Knall. Ich begab mich also schleunigst erneut zur Luke und fand, daß wir auf unserem Weg so nebenbei Antennen kappten. Ich benötigte kein übersinnliches Wahrnehmungsvermögen, um zu wissen, daß Jay hinter dieser Verrichtung stand, ganz gleich, ob McNulty damit einverstanden war oder nicht. Die riesige Metropole zog schnell unter uns hinweg, ihre Straßen von hastenden Maschinen besät, plus einer guten Zahl unbeweglicher, erstarrter Metallstandbilder. Weit hinten in der Ferne konnte ich gerade noch die beiden Türme erkennen, die inzwischen unseren ehemaligen Zufluchtsort erreicht erreicht hatten. Sture Gehirne! Man hatte ihnen befohlen, eine Arbeit zu verrichten, und sie bemühten sich noch immer, zu gehorchen, eine volle Minute nach unserem Verschwinden.
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Die Stadt bedeckte fünfzig Quadratkilometer und bestand nur aus Metall. Ich habe noch niemals so viel Metall auf einem Fleck gesehen und glaube auch nicht, daß ich es jemals wieder sehen werde. Hier draußen in den Außenbezirken standen zahlreiche eiförmige Maschinen, zusammen mit drei anderen Typen, zu Salzsäulen erstarrt. Auch auf den breiten Hauptstraßen, die von Norden nach Süden liefen, bemerkte ich viele außer Gefecht gesetzte Individuen. Peng! machte eine weitere Antenne, und dann stiegen wir auf sechstausend Meter Höhe. Am südlichen Horizont ließen sich jetzt die feinen Umrisse von den Hochbauten und Radiomasten einer zweiten Stadt erkennen, Wie eine herrliche goldene Spindel ruhte die „Marathon“ auf der schwarzen und karminroten Ebene. Der größte Teil der Mannschaft war an ihrem Heck beschäftigt. Die Pinasse legte an ihrer Steuerbordflanke an, und wir strömten hinaus. Erst in diesem Augenblick fiel mir ein, daß mein Magen schon seit Stunden leer war. Während eines raschen und mehr als willkommenen Mahls hörten wir uns den Rest der Geschichte an. Demnach hatten die Marsleute so lange alle Angriffe abgeschlagen, bis sich die Kugeln und Särge zurückzogen. Die Maschinen bauten sich daraufhin in kurzer Entfernung vom Schiff auf und warteten. Worauf sie warteten, wußte allerdings keiner von uns. Vielleicht darauf, daß die Martier ins Freie kommen und sich ergeben würden, oder möglichenfalls auf die Ankunft irgendwelcher anderer Maschinen, die mit den Verteidigern besser fertig würden. Die Marsleute benützten diese Gelegenheit dazu, mit der Pinasse abzuhauen. Sobald sie in der Luft waren, schwärmten die Belagerer von allen Seiten ins Schiff. Jetzt allerdings, als wir zurückkehrten, war die ganze feindselige Horde verschwunden, 70
abgesehen von zahlreichen herumliegenden zertrümmerten Exemplaren. „Sehen Sie“, meinte Jay Score nachdenklich, „es scheint, als ob ihre Definition von intelligentem Leben die reine Bewegung an sich ist. Es bewegt sich, also lebt es. Die „Marathon“ besitzt keinen eigenen Aninismus, deshalb beachteten sie sie nicht weiter. Sie hatten es auf die Mannschaft abgesehen. Als die ganze Besatzung verschwunden war, kümmerten sie sich nicht weiter um das Schiff.“ Seine Augen betrachteten uns nachdenklich. „Niemand hat daran gedacht, es auszuprobieren, aber es ist möglich, daß sie einen völlig ungeschoren lassen, wenn man vollkommen unbeweglich stehenbleibt. Ja, ich bin überzeugt, davon! Aber sobald man sich bewegt, stürzen sie sich auf einen.“ „Keine zehn Pferde könnten mich dazu bringen, diesen Unbeweglichkeitstrick zu versuchen“, sagte eine Stimme trocken. „Ich brauche jederzeit meine Füße. Und zwar müssen sie sehr schnell sein, Mister!“ „Ob sie uns wohl wieder angreifen, bevor wir die Reparaturarbeiten beendet haben?“ fragte ich unruhig. „Keine Ahnung. Meiner Meinung nach besitzen sie eine äußerst eigenartige Mentalität, wenn man es so nennen kann“, meinte Jay. „Sie akzeptieren das Vertraute und verhalten sich dem Ungewohnten gegenüber feindselig, spontan und instinktiv. Das Schiff wurde nur deshalb angegriffen, weil es einen ungewohnten Eindringling darstellte. Inzwischen weiß ihr Gemeinschaftsverstand möglicherweise von ihm als von einem bekannten Wrack ohne besondere Bedeutung. Wir werden so lange unsere Ruhe haben, bis ein paar vorüberkommende Maschinen von der ungewohnten Betriebsamkeit berichten. Dann wird man darüber nachgrübeln, was zu unternehmen ist, und schließlich an die Ausführung schreiten.“ Er blickte durch eine Luke zu den staubigen Hügeln, hinter denen die Sonne am Untergehen war. „Wir beeilen uns besser.“
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Also drängten wir uns hinaus und gesellten uns der übrigen Mannschaft bei, die sich damit abmühte, die Heckrohre wieder in ihre Steckdosen zu bringen. Es war eine höllische Aufgabe, da uns nur ein unzulänglicher Drehkran zur Verfügung stand, mit dem wir die schweren Rohre herumjonglieren mußten. In der Zwischenzeit reparierten die Marsleute das zerrissene Heck. Ihre Schweißmaschinen spuckten strahlend blaue Flammen. Eine Kolonne Ingenieure nahm sich die Brennkammern vor und prüfte sie auf ihre Wirksamkeit. Drei weitere behoben den Schaden in der Luftschleuse, der hauptsächlich durch das Pom-pom angerichtet worden war. Quirk flog mit der Pinasse zu der weit entfernten Straße hinüber, während wir in unsere Arbeiten vertieft waren. Der Schiffer hatte ihm von dem Risiko abgeraten, aber Quirk hing hoch oben in den Wolken, bis die Straße eine Zeitlang völlig frei von Verkehr war. Er schoß hinunter und entdeckte bald das fehlende Beiboot. Drei Leute seiner Mannschaft brachten es zurück, zusammen mit den Leichen von Haines' beiden Begleitern. Augenscheinlich war das Beiboot offen und in freundlicher Absicht gelandet, ohne zu bemerken, daß ein wartendes Pullmanding Haines' Radiokanal gestört und lahmgelegt hatte. Haines wurde gefangengenommen. Die anderen beiden mußten sich jedoch bis zuletzt ihrer Haut gewehrt haben. Als man endlich von innen abließ, waren sie – bewegungslos. Wir begruben sie am Abend gemeinsam mit Meister Andrews und den anderen. Noch lange nach Einbruch der Dunkelheit schnitten die blauen Flammen der marsianischen Schweißmaschinen durch die Nacht, und aus verschiedenen Teilen des Schiffes klang ein ununterbrochenes Hämmern. Wir taten wirklich unser Äußerstes, unsere Gegenwart laut kundzugeben, aber Risiken sind nun einmal dazu da, um eingegangen zu werden. Während dieser ganzen Zeit pendelte McNulty zwischen schlechtverhülltem Trübsinn und strahlendem Unternehmungs72
geist hin und her. Ich schätze, der erstere ließ sich auf die Möglichkeit eines zweiten Angriffes zurückführen. Der letztere jedoch hätte entweder durch die Tatsache erzeugt sein können, daß wir bald startbereit waren, oder vielleicht bildete seine Ursache unsere Ladung von erstaunlichen Musterexemplaren in Gestalt dreier zerstörter Kugeln und zweier zerschmetterter Särge. Unsere Angreifer hatten allen möglichen Schrott entfernt, oder – um es feiner auszudrücken – sie hatten den Rest ihrer Verwundeten vom Schlachtfeld weggeschafft. Am nächsten Nachmittag um zwei Uhr wurde die lästige Arbeit mit einigen lauten Hurras und vereinzelten saftigen Flüchen beendet. Wir brausten ab. Unten im Kargoraum weideten sich die Regierungsexperten an unserer Ladung. Die „Marathon“ zog hoch über dem Schauplatz der glücklich überstandenen Abenteuer hinweg, und bald erreichten wir die zweite Stadt im Süden, wo wir dicht an den Außenbezirken landeten. „Hier sollten wir einen neuen Faktor darstellen“, bemerkte Jay Score. „Wollen mal sehen, wie sie reagieren.“ Ich behielt meine Uhr im Auge. Der Angriff kam nach genau 37 Minuten. Diese Stadt besaß eine andere Taktik. Zuallererst trafen die Reporter ein, inspizierten uns sorgfältig mit viel Herumwetzerei und hasteten dann zur Stadt zurück. Als nächstes watschelten ein Dutzend Pullmangestalten heran, richteten ihre Scheiben auf uns und badeten das ganze Schiff in ihren Strahlen. Steve Gregory schoß prompt aus seinem Raum heraus und beschwerte sich, sein Radio sei irrsinnig geworden. Er illustrierte den Schaden, indem er kraftvoll mit seinen Augenbrauen fächelte. Draußen gesellten sich den unnützen Scheibenspezialisten weitere Streitkräfte bei. Dinger mit ungeheuren Händen, Dinger mit einer Vielzahl eingebauter Werkzeuge, alle strebten sie auf unser Heck zu. Die unvermeidlichen Schlachtkolonnen von
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Särgen und Kugeln zogen ebenfalls heran und paradierten wachsam auf und ab. Zwei Giraffen tauchten auf und posierten unwissentlich für Jung Wilson. Der Schiffer entschied jetzt, daß wir lange genug gewartet hätten und der Opposition besser keine Gelegenheit geben sollten, an den Heckrohren herumzupfuschen. Mit einem ungeheuren Wuuusch, der die Landschaft vernebelte, schossen wir himmelwärts und ließen sie verwirrt und unbefriedigt zurück. Zwanzig Minuten später gingen wir dicht neben einer breiten, aber kaum benützten Straße nieder und warteten wie die Wegelagerer darauf, daß jemand allein seines Weges gezogen käme. Der erste Ankömmling erwies sich als ein galoppierender Sarg mit acht stetig stampfenden Beinen, vier gefalteten Armen, zwei Tentakeln an der Vorderseite und seiner idiotischen Kupferlocke, die diesmal nicht geringelt war, sondern wie ein einzelnes Haar in die, Höhe ragte. Ein halbes Dutzend von uns versperrten ihm den Weg, unsere Strahlenpistolen mehr aus Gewohnheit auf ihn gerichtet, als zu irgendeinem anderen Zweck. Wie wir nur zu gut wußten, konnten wir diese Metalldinger damit nicht ins Bockshorn jagen. Das Ganze war Jays Idee, und McNulty hatte nur sehr widerstrebend eingewilligt. Der Schiffer gestattete den Überfall allein unter der Bedingung, daß wir ihn nahe genug am Schiff inszenierten, um von einem der Pom-poms der „Marathon“ gedeckt werden zu können. Ich bemerkte die acht Läufe der Schnellfeuerwaffe, die aus der nächstliegende Schleuse herausspähten, als der Sarg sein Tempo verringerte und schließlich stehenblieb. Sechs weitere Mannschaftsleute eilten auf die Straße hinter unser Opfer, und eine dritte Gruppe bewachte die Seite gegenüber der „Marathon“. Der Sarg betrachtete uns mit seinen harten, glänzenden und völlig ausdruckslosen Linsen. Seine Kupferantenne bebte fragend. Ich empfand den unangenehmen Gedanken, daß seine Horde bereits von seinem Dilemma wußte und dabei war, 74
das Überfallkommando zu alarmieren. Ich wußte ferner, daß wir ihn durch nichts aufhalten konnten, wenn es ihm einfiel, blindwütig vorwärtszustürmen. Diese Metallmasse wäre durch unsere Reihen hindurchgegangen wie ein Messer durch einen Käse. Während einiger atemloser Augenblicke starrte uns die fremde Wesenheit an, und wir starrten zurück. Dann wandte sie sich klumpfüßig um, mit der klaren Absicht den Rückzug anzutreten, und fand ihren Weg abgeschnitten. Sie drehte sich weiter, bis ihre Vorderseite wieder in die ursprüngliche Richtung wies. Wir glotzten einander an, bis die Stille und die Spannung unerträglich wurden. Noch immer rührte das Ding kein Glied. „Genau wie ich dachte! Ein metallener Tölpel“, sagte Jay, wobei er seelenruhig die Tatsache ignorierte, daß auch er nicht aus Haut und Knochen bestand. Kühn schritt er bis auf einen Meter an den Sarg heran, deutete auf die „Marathon“, winkte und marschierte davon. Ein Wink bedeutet in jeder Sprache und auf jeder Welt dasselbe. Ich erwartete aber durchaus nicht, daß das groteske Ding der Geste folgen würde. Aber, so wahr ich lebe! es gehorchte. Seinen breiten Rücken dem Sarge zugewandt, marschierte Jay zum Schiff, und der Sarg bewegte sich und zottelte mit der langsamen, demütigen Gangart eines niedergeschlagenen Gaules hinter ihm her. Es war das einzige Mal, daß ich den Schraubenschlüsselhalter den Mund aufsperren und sein Werkzeug loslassen sah. Jay traf an der Schleuse auf einen verblüfft gaffenden McNulty und sagte: „Sehen Sie, das Ding hat eine verrückte Ethik. Es glaubt, daß es mein Gefangener ist und deshalb seinem Schicksal entgegengehen muß.“ Er leitete es hinein, führte es zum Lagerraum und parkte es in einer Ecke, wo es gehorsam stehenblieb und sich nicht mehr rührte. „Ich wette, daß es in dem 75
Augenblick leblos wird, wenn wir die Reichweite der Energiestrahlung, die es anzapft, überschreiten. Steve könnte eigentlich ein wenig daran herumspielen, vielleicht gelingt es ihm, es mit Hilfe eines tragbaren Akkus wiederzubeleben.“ „Hmmpf!!“ sagte McNulty und starrte wie eine Eule auf den Sarg. Er wandte sich an Blaine. „Sagen Sie Steve, er solle herunterkommen.“ Während wir die Schleusen verschlossen und den endgültigen Start vorbereiteten, beschäftigten sich unsere Gedanken mit der Tatsache, daß sich ausgerechnet solch ein machtvolles, leistungsfähiges Maschinenexemplar ergeben hatte. Anscheinend wehrten sich diese Dinger nur „en masse“ und nicht als Einzelwesen. Wir konnten die Gedanken jenes Sarges nicht lesen, wenn er eigene Gedanken, und nicht die der Gemeinschaft besaß, aber wir fragten uns, ob auch er, wie die Hummer, durch die Hände seiner eigenen Kollegen den Tod erleiden müßte, wenn er jemals zu ihnen zurückkehren würde. Die Art und Weise, wie sie die Dinger betrachteten, war verrückt, aber am verrücktesten war die Intoleranz, die sie jeglicher Initiative entgegenbrachten, wie wir oder die Hummer sie besaßen. Oder sah es tatsächlich nur so verrückt aus, weil wir es vom Standpunkt menschlicher Ethik aus betrachteten? Vielleicht hängt alles davon ab, was man mit „menschlich“ meint. Ich bin kein tiefsinniger Scholar und kein Geschichtsexperte, aber es war mir so, als ob ich mich an einen sehr lange zurückliegenden Krieg in den finsteren Tagen erinnern konnte, in welchem die Japaner nicht ums liebe Leben zugeben wollten, daß sie Vermißte hatten und sie einfach für tot erklärten. Es dauerte jedoch nicht lange, bis wir erfuhren, daß eine Gemeinschaftsmentalität, wie sie diese Maschinen besaßen, neben ihren Nachteilen auch Vorteile hat. Wir starteten von dem schwarzen und blutroten Boden, schossen zum letzten Mal auf dieser schieläugigen Welt himmelwärts, brachen durch die Wolken und begegneten prompt vier langen, schwarzen Raketen76
schiffen. Es waren Schiffe, wie wir sie schon früher gesehen hatten, und sie zogen in schnurgerader Linie ihre Bahn. Ihre Taktik entsprach ihrer Mentalität. Da gab es keinen Anführer, der uns ausmachte und dann den anderen Befehle zukommen ließ. Sie sahen uns alle zur gleichen Zeit, reagierten alle zur gleichen Zeit und manövrierten in bewundernswerter und eindrucksvoller Eintracht. Sie wichen gemeinsam von ihrem Kurs ab, schnitten uns in Staffelformation den Weg ab und badeten uns mit den gleichen nutzlosen Strahlen, die ihren Zweck schon vorher verfehlt hatten, Steve Gregory jedoch von neuem erzürnten. Ich habe niemals solch eine perfekte Zusammenarbeit gesehen. Es brachte ihnen allerdings nichts ein. Wir schossen durch den Strahlenkranz und zischten in den Weltraum hinaus. Sie folgten uns, indem sie sich mit mathematischer Präzision nebeneinander aufreihten und mit identischen Steigwinkeln hinter uns herfegten, als ob sie von einem einzigen Mann durch Fernkontrolle gesteuert würden. Gemeinsam betätigten sie ihre Hilfsdüsen, spurteten in unserem Kielwasser vorwärts und holten rasch auf. „Recht schnell“, kommentierte Jay. „Ungefähr so schnell wie wir, wenn wir mit normalem Antrieb fliegen. Ich würde etwas darum geben, ihre Motoren und Piloten ansehen zu können.“ „Ich verspüre kein Verlangen danach“, brummte McNulty. „Vorläufig habe ich von ihnen mehr als genug. Für diese Reise jedenfalls.“ Er brüllte in das Maschinenraum-Mikrophon. Die „Marathon“ kippte nach vorn, stürzte rasend hinunter und schoß wieder in die Höhe. Glasware zerbrach klirrend in der Schiffsküche, und jemand gab laute und unfeine Ansichten über kippende Schiffe bekannt und über Kapitäne, die sie kippen ließen. Das verfolgende Quartett kippte, stürzte und richtete sich hinter uns einträchtig wieder auf.
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Noch einmal langten grünliche Strahlen nach uns, flackerten ohne Erfolg, und dann huschten vier lange Feuerstreifen an einer Seite der „Marathon“ vobei. Sie verfehlten sogar ihr Ziel mit genau dem gleichen Abstand! „Das ist genug des Guten“, erklärte McNulty, nicht gewillt, das Schicksal herauszufordern. Unter seiner Führung beschrieb die „Marathon“ eine S-Kehre, und dann sagte er kurz: „Gurte!“ Wir hatten kaum noch Zeit, in den Harnisch zu springen, bevor er auf Flettner-Antrieb umschaltete. Ich behielt das Quartett nicht im Auge, weil man in langausgestreckter Lage gewöhnlich nicht durch eine Beobachtungsluke spähen kann, aber es mußte innerhalb eines Herzschlages zu winzigen Punkten im Raum zusammengeschrumpft sein. Wir verließen jenes Sonnensystem mit unfaßbarer Geschwindigkeit, wobei wir die Wasserwelt Varga so ungeheuer schnell passierten, daß sie von niemandem gesehen wurde. Dieser Brocken aus kosmischem Plasma und amphibischen Einwohnern mußte sich gedulden, bis wir wieder einmal in jene Gegend kommen würden. Während des ganzen Heimwegs blieben die Marsleute in der Steuerbordschleuse, wo sie sich an dem Luftdruck von einer fünftel Atmosphäre und an ihrem ewigen Schach erfreuten. Jay verbrachte den größten Teil seiner Zeit mit Steve im Kargoraum, wo sie vermutlich den sturen Sarg pflegten. Aber die Marsbande überredete ihn zu siebzehn Spielen, von denen er drei gewann. Sie weideten sich köstlich daran und veröffentlichten die Ergebnisse im ganzen Schiff. Wilson blieb mißmutig in seiner Kabine. Ich war nicht so dumm, ihn nach seinem Kummer zu fragen oder ihn trösten zu wollen. Die ungeschickten Krieger von Mechanistria hatten seine ersten paar Platten während des Getümmels im Schiff zu feinen Splittern zerschlagen, aber seine späteren Schnappschüsse waren von großer Zahl und wunderbarer Ausführung. Er beschäftigte 78
sich jetzt damit, sich so lange um sie Sorgen zu machen, bis sie sicher zu Hause angelangt waren. Zwei Kreuzer empfingen uns außerhalb der terrestrischen Atmosphäre und eskortierten uns hinunter. Das vertraute Braun, Blau und Grün der Erde bildete den lieblichsten Anblick, den ich je gesehen habe, wenn die Marsleute auch ein schmutziges Rosa vorzogen und diese Tatsache auf beinahe beleidigende Art und Weise kundtaten. Sie stritten noch immer wütend über einen verlorenen Bauern, als wir landeten. Die ganze Welt sah und hörte uns über das internationale Fernsehnetz. McNulty hielt die Rede, die man von ihm erwartete. „Wir hatten einige kleine Schwierigkeiten … spontane Feindseligkeit, die sehr beklagenswert ist … diese ungemütliche Episode.“ Und so weiter und so weiter. Flettner wurde an unserer Spitze ebenfalls zur Schau gestellt, wie es sich gehörte. Er errötete jedesmal wie ein Mädchen, wenn sich McNulty auf die Tüchtigkeit des Schiffes berief, ohne jedoch diesmal seine gewöhnlichen Untertreibungen zu verwenden. Im Hintergrund der Begrüßungsmenge entdeckte ich den greisen Knud Johannsen, den Robotmeister. Er suchte ängstlich nach Jay und versuchte, sich durch die Menge zu drängen. Manchmal frage ich mich, ob es so etwas wie eine Vorahnung gibt, denn – obwohl ich nicht wußte, was noch geschehen würde – erinnerte mich jener weißhaarige alte Hexenmeister, der auf seine letzte und größte Schöpfung zustrebte, an einen liebevollen Vater, der seinen Sohn sucht. Die Reden gingen schließlich zu Ende, und wir begannen, unsere Ladung zu löschen. Kanister mit kupfrigem Wasser, Flaschen mit komprimierter fremder Luft, Hunderte von Gesteinsproben und Metallen wurden herausgeschleppt. Wir förderten die zertrümmerten Automaten zutage, und die Regierungsexperten rasten damit davon, als ob es die Kron79
juwelen von Asien gewesen wären: Wilson zog noch schneller Leine, zusammen mit seinen Platten und zahlreichen Filmkassetten. Der alte Knud entwand sich der gaffenden Menge und kam auf mich zugeeilt. „Hallo, Sergeant … wo ist Jay?“ Er trug keinen Hut, und seine silbrigen Locken glänzten in der Sonne. In diesem Augenblick verließ Jay die Schleuse. Seine strahlenden Augen fanden die weißhaarige Gestalt sofort, die auf ihn wartete. Wissen Sie, Robots können keine Witze machen, sie können es einfach nicht, und auch von Jay hatten wir seit seinem Bestehen noch nie einen gehört, jedenfalls keinen als solchen erkenntlichen. Dieses Mal jedoch machte er einen der besten, die ich jemals vernommen habe, und es war mir plötzlich, als ob mich ein zu großer Bissen im Hals am Schlucken hindern würde. Indem er Knuts dünne, geäderte Hand in seine ungeheure Metallpfote nahm, sagte er: „Hallo … Paps!“ Ich konnte Knuds Gesicht nicht sehen, aber ich hörte, wie Jay hinzufügte: „Ich habe dir ein interessantes Andenken mitgebracht.“ Er wies zur Schleuse. Dort ertönte jetzt ein lautes Klanken, und die Luft brachte den stechenden Geruch eines mineralischen Öles herüber. Der gefangene Sarg erschien in der Öffnung und marschierte auf uns zu, seine Kupferlocke zusammengerollt und durch einen Draht mit einem schwarzen Kasten auf seinem Rücken verbunden. Steve Gregory stolzierte hinter ihm her, wobei sich seine buschigen Brauen vor Befriedigung überschlugen. Arm im Arm schlenderten Jay und Knud davon, dicht hinter ihnen marschierte der außerirdische Automat, und dann – als Abschluß der Prozession – folgte Steve. Ich verlor sie aus den Augen, als sich zwei gigantische Möbelträger anschickten, eine ungeheure Vase von grauenhafter Form und abstoßenden Farben die Laufplanke heraufzuschleppen.
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Oben angelangt, förderte einer von ihnen ein Blatt Papier zutage, betrachtete es mit schlecht verhüllter Abscheu und sagte: „Dieses Supermonstrum ist für einen Schlangenarm namens Kli Morg.“ „Ich werde ihm Bescheid sagen.“ In weiser Voraussicht fügte ich hinzu: „In der Zwischenzeit bringen Sie es besser wieder hinunter. Der Schiffer wird es an Bord nicht dulden.“ Auf dem Weg hinunter zerbrachen sie es. Aus dem Amerikanischen von Jesco von Puttkamer
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