Mami, nimm doch den! Mollie Molay
Bianca 1163
14/2 1999
gescannt von suzi_kay korrigiert von Nadin
PROLOG "Und was...
6 downloads
571 Views
555KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Mami, nimm doch den! Mollie Molay
Bianca 1163
14/2 1999
gescannt von suzi_kay korrigiert von Nadin
PROLOG "Und was machen wir jetzt, Jeremy? In der ganzen Gegend hier gibt es keinen einzigen Mann, der den Mut hat, es mit Mom aufzunehmen." "Stimmt", bestätigte eine nachdenkliche Kinderstimme. "Ich schätze, da bleibt uns nur noch eins. Wir suchen uns einen Dad aus und kidnappen ihn einfach. Dann halten wir ihn so lange gefangen, bis ihm nichts anderes mehr übrig bleibt, als Mom einen Heiratsantrag zu machen." "Wow! Das ist ja eine Wahnsinnsidee!" "Und ob. Allerdings gibt es da noch ein Problem. Wie bringen wir Mom dazu ja zu sagen? Sie behauptet doch immer, dass die Männer aus der Umgebung nicht einmal das Pulver wert sind, das man braucht, um sie zur Hölle zu schicken." "Denkt sie das etwa auch von uns?" "Blödsinn. Überlege doch mal, Tim. Ich bin zehn, und du bist gerade acht geworden. Wir zählen nicht." "Und wo bekommen wir jetzt jemanden her?" "Keine Ahnung. Aber nächste Woche findet das Stadtfest statt. Dann kommen viele Touristen. Vielleicht ist ja zufällig ein passender Mann dabei." Leslie Chambers war gerade rechtzeitig aus der Tür ihres kleinen Ladens getreten, in dem sie tagsüber die meiste Zeit damit verbrachte, kunstvolle Quiltarbeiten anzufertigen, um das
Ende des angeregten Gesprächs ihrer Söhne mitzubekommen. Sie atmete dreimal tief durch, dann packte sie die beiden entschlossen am Kragen und zog sie ins Haus, um ihnen wieder einmal tüchtig die Leviten zu lesen.
1. KAPITEL Er stammte aus einem kleinen Dorf im Westen von Pennsylvania. Dort hatte er die ersten siebzehn Jahre seines Lebens Verbracht - ein eintöniges Leben ohne nennenswerte Höhepunkte. Um ihn herum hatte es nichts gegeben als Landwirtschaft und Langeweile. Für einen Jungen, der sich nichts sehnlicher wünschte, als endlich ein Mann zu werden und seiner Sehnsucht nach der weiten Welt nachzugeben, war das wenig. Er konnte es nicht erwarten, dem unscheinbaren Dorf den Rücken zu kehren und Felder und Weideland hinter sich zu lassen. Als er dann endlich genug Geld zusammen hätte, um auf eigenen Füßen stehen zu können, zog er fort von seiner Tante und seinem Onkel, die sich um ihn gekümmert hatten, nachdem seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Da er sich bei den beiden niemals richtig zu Hause gefühlt hatte, fiel ihm der Abschied allerdings leicht. Von dem Tag an, an dem er auf sich allein gestellt war, gab es keine Langeweile mehr. Sein Leben war das reinste Abenteuer, und er zog unermüdlich von Ort zu Ort. Erst seit einiger Zeit spukte ihm ein merkwürdiger Gedanke im Kopf herum. Er konnte ihn nicht genau definieren. Noch nicht. Es war, als wäre er auf der Suche nach irgendetwas. Manchmal glaubte er ganz fest daran, irgendwann einmal einen Schatz zu finden.
Drew hing noch seinen Gedanken nach, als er in einiger Entfernung eine junge Frau bemerkte, die ihm in eiligem Galopp entgegenritt. Obwohl sie einander nie vorgestellt worden waren, wusste er sofort, dass es sich um die neue Bürgermeisterin von Calico handeln musste. Sie war die einzige gewesen, die sich für den verantwortungsvollen Posten zur Verfügung gestellt hatte. Das aufbrausende Temperament dieser Frau war bis über die Grenzen von Calico hinaus bekannt, und wenn es um Männer ging, besaß sie angeblich ein Herz aus Eis. Als die junge Frau - sie mochte so Anfang Dreißig sein - jetzt auf seiner Höhe war, brachte, sie ihr Pferd mit einem entschlossenen Ruck zum Stehen. Ihr rotbraunes Haar glänzte in der heißen Mittagssonne, und über den hohen Wangenknochen war die makellose Haut leicht gerötet. Ein erregtes Funkeln in ihren Augen ließ keinen Zweifel daran, dass ihr plötzliches Auftauchen von äußerster Dringlichkeit sein musste. Drew blieb ebenfalls stehen und musterte unverhohlen die außergewöhnliche Erscheinung. Wie auch der Rest der Bevölkerung von Calico war sie nach der Mode des vorigen Jahrhunderts gekleidet. Sie trug ein Westernkleid, dessen weiter Rock mehr von ihrer weiblichen Figur verbarg, als er preisgab. Bei dem rasanten Haltemanöver wurde allerdings eine enganliegende Jeans darunter sichtbar, die auf seltsame Art und Weise zwei völlig verschiedene Welten miteinander verband. Die kleine Stadt im Wilden Westen hatte sich in den vergangenen Jahren in eine Art Touristenattraktion verwandelt. Hier schien die Zeit stehengeblieben zu sein, und jedermann wollte die 'Geisterstadt', wie sie genannt wurde, sehen. "Ich brauche Ihre Hilfe", erklärte die Frau, ohne zu grüßen. "Sind Sie immer so direkt?" fragte Drew trocken und schob seinen alten Texashut aus der Stirn in den Nacken. Er blinzelte
in ihre Richtung und war von dem kühlen abweisenden Ausdruck ihrer Augen beeindruckt. "Wissen Sie", fuhr er gelassen fort, "ich habe es mir zum Prinzip gemacht, mich immer zuerst nach den Namen der Leute zu erkundigen, mit denen ich ins Geschäft kommen möchte." Leslie Chambers atmete tief durch. Wenn sie diesen Mann nicht so dringend gebraucht hätte, hätte sie ihn spätestens jetzt zum Teufel gejagt. Genauso wie sie es mit der übrigen männlichen Bevölkerung der nachgebauten Silberminenstadt auch getan hatte. Doch diesmal musste sie behutsamer vorgehen. Sie hatte ein Anliegen, das keinen Aufschub duldete. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich höflich vorzustellen und sich für ihr ungehobeltes Benehmen zu entschuldigen, wenn sie nicht riskieren wollte, dass er sie abblitzen ließ. "Entschuldigen Sie bitte. Ich war wohl etwas voreilig. Mein Name ist Leslie Chambers. Mir gehört der kleine Laden am Ende der Straße." Sie wischte sich die staubige Hand an ihrem weiten Rock ab und streckte sie dem gutaussehenden Fremden einladend entgegen. "Drew McClain", erwiderte er und nahm ihre Hand. "Aber das wussten Sie sicher schon. Sonst hätten Sie mich ja wohl kaum erwartet." Stirnrunzelnd betrachtete Leslie den Fremden von Kopf bis Fuß. Ihr entgingen weder das dichte braune Haar noch die staubigen Cowboystiefel, und erst als sie das amüsierte Lächeln bemerkte, mit dem er sie beobachtete, errötete sie. Automatisch kämpfte sie gegen das seltsame Gefühl an, das dieser große, athletische Mann mit dem sonnengebräunten Gesicht in ihr auslöste. Trotz seiner gelassenen Haltung ging eine natürliche Autorität von ihm aus, die Leslie verunsicherte. Sie hatte das Gefühl, dass er ihre intimsten Gedanken lesen konnte, und das verstehende Lächeln um seinen Mund bestätigte diese Vermutung. Wäre sie nicht in einer Zwangslage gewesen, hätte sie ihr Pferd wortlos gewendet und ihn stehenlassen.
"Sie haben recht. Ich habe Sie erwartet, weil der Sheriff Ihr Kommen angekündigt hat. Sie werden also von jetzt an als Hilfssheriff für die Sicherheit in Calico sorgen?" "Ja, zumindest vorübergehend. Bis das Stadtfest vorbei ist." Er sah sie fragend an. Was wollte sie eigentlich von ihm? "Sehr gut", entgegnete sie und zwang sich zu einem Lächeln. "Ich brauche Ihre Hilfe in einer bestimmten Angelegenheit. Sie werden doch bestimmt mindestens eine Woche hierbleiben, oder?" "Eine Woche?" Nachdenklich holte Drew einen Zahnstocher aus seiner Westentasche. "Offen gestanden wollte ich meinen Aufenthalt hier nicht unnötig ausdehnen. Wieso muss es gleich eine Woche sein?" "Das werden Sie gleich erfahren, Mr. McClain." Sie deutete mit der Hand in Richtung Saloon, wo einige Männer Leslies Verhandlungen mit Drew beobachteten. "Könnten wir vielleicht irgendwo hingehen, wo wir ungestörter sind? Lassen Sie uns dort drüben ins Cafe gehen und einen Kaffee trinken." "Wie Sie wünschen, Madam", erwiderte er, und sein sehnsüchtiger Blick Richtung Saloon ließ keinen Zweifel daran, dass er ein anderes Getränk vorgezogen hätte. "Nun, was kann ich für Sie tun?" fragte Drew, nachdem sie an einem kleinen Tisch im Cafe Platz genommen hatten. Er ließ drei Stücke Zucker in seine Tasse fallen und sah Leslie erwartungsvoll an. "Ich liebe heiße süße Getränke, genauso, wie ich alles andere liebe, was heiß und süß ist", fuhr er vieldeutig fort, als sie immer noch schwieg. Er wusste selbst, wie anzüglich seine Bemerkung war, doch irgend etwas in ihm zwang ihn dazu, in dieser attraktiven Frau nicht nur die Bürgermeisterin zu sehen. Er hatte so eine Ahnung, dass dort unter diesem harten Kern eine echte Frau mit leidenschaftlichen Gefühlen verborgen war.
"Wenn Sie mich abschrecken wollen, müssen Sie sich schon etwas anderes einfallen lassen", kommentierte sie verächtlich. "Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie solche Bemerkungen in Zukunft unterlassen würden. Hier geht es ums Geschäft." "Also gut. Ich höre." "Ich brauche einen Babysitter", erklärte sie geradeheraus. "Für meine beiden Jungs", fügte sie nach einer kurzen Pause erklärend hinzu. "Einen Babysitter?" wiederholte Drew ungläubig und verschluckte sich prompt an seinem Kaffee. "Hey, Lady, ich befürchte, da sind Sie bei mir falsch. Meinen Sie nicht, dass eine Frau für diesen Job besser geeignet wäre?" "Auf gar keinen Fall", erwiderte sie energisch. "Nach allem, was ich mit diesen Jungs in der letzten Zeit durchgemacht habe, bin ich fest davon überzeugt, dass mir nur noch jemand helfen kann, vor dem sie großen Respekt haben. Und wer sonst sollte das sein, wenn nicht der Mann, der für Gesetz und Ordnung eintritt." Drew lächelte sie beinahe mitleidig an, während er sich den Kaffee vom Kinn wischte, den er gerade vor Schreck verschüttet hatte. Was immer die Jungen angestellt haben mochten, sie waren mit Sicherheit nicht schlimmer als er selbst in diesem Alter. Wie oft hatte man ihn ermahnt, ein anständiger Junge zu sein und sich von allem fernzuhalten, was nach Ärger aussah. Ersteres hatte er problemlos befolgt. Er war immer aufrichtig und anständig gewesen. Letzteres hatte ihm jedoch mit zunehmendem Alter häufig sehr zu schaffen gemacht. Außerdem schien die junge Frau, die ihm da gegenübersaß, zu den Menschen zu gehören, die den Ärger geradezu anzogen. Das zornige Funkeln in ihren grünen Augen faszinierte ihn. Er war nicht der Mann, der Problemen aus dem Weg ging, aber Babysitten war nicht unbedingt das, wozu er sich berufen fühlte. Wenn er sich überhaupt dazu entschloss, ihr weiter zuzuhören,
tat er es aus purer Neugier. Je wütender sie wurde, desto schöner fand er sie. Eins war sicher. Bei der Mutter konnten die beiden Jungen keine normalen Kinder sein. "Warum erzählen Sie mir nicht einfach, was los ist", forderte er sie schließlich höflich auf und beschloss, ihr fünf Minuten zu geben, bevor er sich bedauernd zurückziehen würde. Leslie atmete tief durch und überlegte kurz, wo sie anfangen sollte. Zu berichten gab es wahrlich genug. Nur den neuesten Plan ihrer beiden Söhne würde sie geflissentlich für sich behalten. Sie fürchtete, dass Drew sonst möglicherweise fluchtartig das Cafe verlassen könnte. "Seit die Ferien vor zwei Wochen begonnen haben ist bei uns die Hölle los." Drew, der sich Kaffee hatte nachschenken lassen, ließ weitere Zuckerstückchen in seine Tasse gleiten und zog gespannt die Augenbrauen hoch. "Darf ich fragen, wie alt Ihre Söhne sind?" "Jeremy ist zehn und Tim acht Jahre alt." Drew atmete erleichtert auf. In diesem Alter konnten sie wohl noch nichts allzu Gesetzwidriges angestellt haben, außer dass sie vielleicht ein paar Cent für Süßigkeiten stibitzt hatten. "Jeremy und Tim sind einfach eine Katastrophe. Sie werden kaum glauben, wozu die beiden in der Lage sind." "Na, dann erzählen Sie mal." Drew setzte seine Kaffeetasse ab und lehnte sich lässig zurück. "Sie haben beispielsweise Häute von Klapperschlangen gesammelt um sie an Touristen zu verkaufen." "Hoffentlich nicht von lebenden Klapperschlangen", meinte er und versuchte, ein Lächeln zu verbergen. "Nein. Aber wundern würde es mich nicht. Sie schleppen alles an, was sich bewegt. Sie spielen mit sämtlichen Tieren, die sie entdecken können. Ich finde, die Wüste ist ein ziemlich gefährlicher Spielplatz für kleine Jungen. Schließlich gibt es
dort auch lebende Klapperschlangen und wer weiß, was sonst noch alles." Drew nickte zustimmend. Auch er mochte keine Klapperschlangen. Dennoch schloss er aus ihrer Erzählung, dass Jeremy und Tim wohl eher kleine Abenteurer als echte Desperados waren. "Letzte Woche haben sie mein Auto genommen und sind damit in den Graben gefahren. Wir mussten einen Abschleppwagen holen, um es wieder herauszuziehen." "Ich finde, es gibt Schlimmeres", bemerkte Drew schmunzelnd. Er dachte daran, wie er sich seinerzeit den Wagen seines Onkels "geborgt" hatte, was ihm allerdings eine gehörige Tracht Prügel eingebracht hatte. Leslies Stimme wurde härter, als sie fortfuhr. "Und was halten Sie davon, dass die beiden letzte Woche beim Nachbarn ein Kalb ausgeliehen haben, um darauf zu reiten? Sie wollten für das Rodeo am Wochenende trainieren." Leslie schwieg einen Augenblick, um die Bedeutung ihrer Worte erst einmal sacken zu lassen. "Seien Sie froh, dass sie keinen richtigen Stier genommen haben. Ich finde, für Jungs in dem Alter ist das alles völlig normal." "Das ist noch nicht alles", winkte sie ab, bevor er weiterreden konnte. "Als sie das Kalb wieder zurückbrachten, haben sie vergessen, das Gatter wieder zu schließen. Sämtliche Tiere liefen frei in der Stadt herum und haben alles mögliche zertrampelt. Da war vielleicht eine Panik." "Hat es Verletzte gegeben?" fragte Drew ein wenig ernster. "Nicht direkt. Außer einem verstauchten Daumen und ein paar Kratzern ist nichts passiert." Leslie holte tief Luft und sah ihn herausfordernd an. "Ach ja, einige Fensterscheiben mussten noch dran glauben. Ich musste anschließend nicht nur für den ganzen Schaden aufkommen, sondern habe mir auch noch die Beschwerden der Leute anhören müssen."
Drew lachte schallend. "Wenn Sie wüssten, wie gut ich die Kinder verstehen kann. Jeder Junge in dem Alter träumt davon, beim Zirkus zu sein oder an einem Rodeo teilzunehmen." "Das ist keine Entschuldigung" Sie sah ihn wütend an. "Finden Sie denn nicht, dass es an der Zeit wäre, den Jungs beizubringen, dass es Grenzen gibt?" Nach einer kurzen Pause fügte sie geheimnisvoll hinzu: "Im Augenblick planen sie übrigens, jemanden zu kidnappen." "Kidnappen?" Drew schob die leere Kaffeetasse von sich. "Das ist allerdings schon etwas anderes", meinte er ernst. "Gibt es denn hier in der Gegend jemanden, der so wohlhabend ist, dass es sich lohnt, ein Lösegeld zu erpressen?" "Von Lösegeld war nicht die Rede", entgegnete Leslie und errötete bei dem Gedanken daran, wozu diese geplante Entführung dienen sollte. "Dann kann ich auch hierin nichts besonders Ungesetzliches entdecken. Es ist nicht mehr als ein Dumme-Jungen-Streich." "Aber aus so etwas kann leicht etwas Ungesetzliches werden", beharrte sie und ballte die Hände zu Fäusten. "Für mich ist diese Entführungsgeschichte das Witzigste, was ich je gehört habe." "Um ganz ehrlich zu sein, nach allem, was Sheriff Carrey über Sie erzählt hat, hatte ich ein wenig me hr als alberne Kommentare von Ihnen erwartet", entgegnete sie frostig. Drew sah sie nachdenklich an. Das war sie also, die "Eislady", von der die Leute sich hier erzählten. Er wusste nicht allzu viel über sie, aber er hatte gehört, dass es in der kleinen Stadt nicht einen einzigen Mann geben sollte, an dem sie auch nur das geringste Interesse hatte. Es wäre interessant herauszubekommen, wo ihre Abneigung gegen das starke Geschlecht herrührte. Leider würde es wahrscheinlich viel zu lange dauern. Und er war nicht gewillt, seine kostbare Zeit zu opfern.
Drew war ein Vagabund. Er hielt es nicht lange an einem Ort aus. Und das letzte, was er sich wünschte, war sich mit zwei abenteuerlustigen Jungen herumzuplagen. Er musste zusehen, dass er so schnell wie möglich von hier wegkam, denn er spürte deutlich, dass die Anziehungskraft, die diese Frau auf ihn ausübte, immer stärker wurde. "Tut mir leid, Mrs. Chambers. Wir können nicht ins Geschäft kommen. Zum einen habe ich bereits einen Job, und zum anderen kann ich nicht besonders gut mit Kindern umgehen." "Ist das Ihr letztes Wort?" Leslie kniff die Augen zusammen. "Sheriff Carrey, der zufällig ein guter Freund von mir ist, hat mich gebeten, in Calico so lange den Hilfssheriff zu spielen, bis das Stadtfest vorüber ist. Ich habe ihm zuliebe den Job angenommen, obwohl ich weiß, dass das Ganze nur eine Riesenshow ist. Trotzdem werde ich meinen Auftrag mit der gebührenden Ernsthaftigkeit ausführen." Leslies durchdringender Blick ließ ihm regelrecht die Nackenhaare zu Berge stehen. "Ihnen ist doch wohl klar, dass ich als Bürgermeisterin von Calico das Recht habe, Sie damit zu beauftragen, auf meine Kinder aufzupassen." Drew erwiderte ihren eisigen Blick, ohne mit einer Wimper zu zucken. Hatte er jemals so etwas wie Sympathie für diese Frau empfunden, so war diese jetzt wie weggeblasen. Es war an der Zeit, dieses unerfreuliche Zwischenspiel zu beenden. Er war kein Babysitter. Und damit Schluß. "Damit wir uns richtig verstehen, Mrs. Chambers, Ich lasse mir keine Befehle erteilen - von niemandem. Als mir zum letzten Mal jemand etwas befohlen hat, was ich nicht wollte, war ich vierundzwanzig Stunden später zweitausend Meilen entfernt." "Soll das eine Drohung sein, Mr. McClain?" "Nein, Madam." Er warf eine Fünf-Dollar-Note auf den Tisch und beugte sich dichter zu ihr hinüber. "Es ist ein Versprechen."
Mit einer solchen Reaktion hatte Leslie nicht gerechnet. Doch als Drew auf dem Absatz kehrtmachte und das Cafe verließ, blickte sie ihm trotz ihrer Enttäuschung bewundernd nach. Sie war es nicht gewöhnt, dass Männer so mit ihr umsprangen. Plötzlich wurde Leslie sich der Stille bewusst, die in dem Cafe herrschte. Sie sah sich um. Sämtliche Gäste starrten sie an. Sie hatten jedes Wort mitgehört. Sogar Maddie Hanks, die Inhaberin des Cafes und eine gute Freundin von ihr, sah sie fassungslos an. Bemerkte Leslie so etwas wie Schadenfreude in ihrem Blick? Leslie straffte die Schultern und sah den Kellner, der soeben das Geld vom Tisch nahm, kühl an. Der Malta wurde rot bis über beide Ohren. Frank Holliday, der Inhaber von Calicos einzigem Frisiersalon, war der erste, der sich wieder seinem Teller zuwandte, jedoch nicht, ohne vorher eine spaßige Bemerkung zu seinem Tischnachbarn Herb Strawberry, dem Herausgeber der Lokalzeitung gemacht zu haben. Warum musste es ausgerechnet Herb sein? Leslie rutschte das Herz eine Etage tiefer. Warum ausgerechnet der Mann, dessen Einladungen zum Tanzen sie schon unzählige Male abgelehnt hatte? Und wieso Frank Holliday, der ihr gerade an diesem Morgen gute Ratschläge hinsichtlich des Bürgermeisteramtes hatte geben wollen, und den sie so barsch zurückgewiesen hatte. In kürzester Zeit würde die ganze Stadt wissen, dass sie Drew McClain vergebens gebeten hatte, sich um ihre Söhne zu kümmern. Und es würde ein Triumph für die meisten Bewohner sein, dass Drew sie so abweisend behandelt hatte. Leslie ärgerte sich über sich selbst. Warum hatte sie ihr Temperament nicht zügeln können? Wieso musste sie sich dieser Blamage aussetzen? Jetzt konnte sie nur noch versuchen, wenigstens teilweise ihr Gesicht zu wahren. Ohne eine Miene zu verziehen, bestellte sie eine weitere Tasse Kaffee und blieb sitzen. Sie
dachte ja gar nicht daran, fluchtartig den Raum zu verlassen, obwohl ihr genau danach jetzt der Sinn stand. Auch wenn sie jetzt zweifellos zum Gespött von Calico werden würde, musste sie in erster Linie weiterhin an ihr vorrangiges Problem denken. Sie hatte immer noch niemanden für die Kinder. Statt dessen sah sie im Geiste schon die Schlagzeilen vor sich: Bürgermeisterin findet ihren Meister oder würden sie sogar wagen, Eislady zu schreiben? Leslie wusste, dass man sie allgemein so nannte, aber sie hatte es wohlweislich ignoriert. Dennoch verletzte sie die Meinung der Leute zutiefst. Mit gespielter Gelassenheit leerte sie ihre Tasse, erhob sich ruhig und ging offensichtlich mit der gewohnten Selbstsicherheit zur Tür. Diese hatte sich noch nicht ganz hinter ihr geschlossen, als im Cafe eine angeregte Unterhaltung laut wurde. "Anscheinend hat die Eislady ihren Typ gefunden", stellte Herb Strawberry verächtlich fest. "Wurde aber auch höchste Zeit." "Wetten, dass der neue Sheriff den Eisblock zum Schmelzen bringt", stimmte Frank Holliday zu. "Er wird nicht einmal eine Woche dazu brauchen." "Die Wette gilt." "Okay. Ich setze eine Rasur und einen Haarschnitt umsonst. Es wird keine Woche dauern, und sie frisst ihm aus der Hand." "Eine Rasur und ein Haarschnitt? Mir wären zwanzig Dollar lieber", entgegnete Herb. "Na gut, meinetwegen. Ich halte mit. Endlich ist hier mal was los. Vielleicht sollten wir McClain fragen, ob er mitmacht." "Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist, Frank. Soviel ich gehört habe, ist McClain ein Ehrenmann. Wir können ihn ja später am Gewinn beteiligen." "Wahrscheinlich hast du recht. Komm, wir gehen in mein Geschäft und eröffnen dort ein Wettbüro."
2. KAPITEL Die Explosion erschütterte das gesamte Gefängnisgebäude. Der Spiegel, der über dem Waschbecken an der Wand hing, fiel klirrend zu Boden und zersplitterte, und die Fensterscheiben vibrierten; Drew wusste nicht, wie ihm geschah. Danach herrschte wieder absolute Ruhe. "Was zum Teufel ...".stieß er hervor, schnappt ein Gewehr, band das Pistolenhalfter um und stürzte hinaus auf die Straße. Maddie Hanks, die Bratpfanne noch in der Hand, Frank Holliday, der gerade seinen Frisiersalon öffnen wollte, Ellas Broome, der soeben die kleine Poststelle betreten wollte, sie alle blieben wie vom Donner gerührt stehen. Plötzlich - wie auf ein geheimes Kommando - stürmten sie in die Richtung, aus der die Explosion gekommen war. Drew lief vorneweg, auf die riesige Rauchwolke zu, die sich langsam zum Himmel erhob. Maddie beeilte sich, Drew einzuholen. "Das war bestimmt wieder so ein verrückter Tourist, der den Eingang zu einer Mine freisprengen wollte, um nach Silber zu suchen", keuchte sie. "Das glaube ich nicht", entgegnete Drew skeptisch. "Zum Sprengen braucht man eine Genehmigung. Mir ist nicht bekannt, dass jemand eine beantragt hätte." "Es wäre nicht das erste Mal, dass irgendein Wahnsinniger versucht, an die stillgelegten Minen zu gelangen", meinte
Maddie nun völlig außer Atem. "Doc Parsons hat jedes Jahr alle Hände voll zu tun, um die Verletzten zu verarzten." Drew konnte jetzt erkennen, dass der Qualm hinter einem der Häuser hervorkam. Hoffentlich war niemand verletzt. Wie hatte das nur geschehen können? War Maddies Vermutung vielleicht doch richtig? Als der Qualm sich endlich verzog, tauchten drei Gestalten aus dem undurchdringlichen Nebel auf. Erst als die kleine Menschenmenge auf wenige Meter herangekommen war, hatte das Rätselraten ein Ende. Leslie Chambers, die zwei kleine schluchzende Jungen am Kragen gepackt hielt, blieb direkt vor Drew stehen. Bereits an ihrer Körperhaltung konnte man deutlich erkennen, wie wütend sie war. Drew ahnte, was vorgefallen war. Er fluchte leise vor sich hin. Sein schlimmster Alptraum wurde in diesem Augenblick wahr. Jetzt hatte er ein paar Kinder am Hals, und er wusste genau, dass er - solange er in Calico blieb - für deren Schutz verantwortlich war. Drew wollte gerade etwas sagen, doch Leslie kam ihm zuvor. "Nun, Mr. Sheriff, meinen Sie nicht, dass dieser neuerliche Streich Ihre Beachtung verdient?" Sie sah ihre Söhne wütend an und richtete anschließend ihren funkelnden Blick auf Drew. "Halten Sie es jetzt endlich für nötig, etwas zu unternehmen?" Leslie schüttelte die beiden Jungen, deren Schluchzen langsam verebbte. "Es ist ein wahres Wunder, dass ihnen nichts passiert ist. Der Schuppen hinter meinem Haus ist allerdings nicht so glimpflich davon gekommen." Es war offensichtlich, dass sie ihre Sorge um die Kinder hinter dieser Schimpftirade verbarg, doch plötzlich hielt sie inne. Sie erinnerte sich nur zu gut an Drews Auftritt im Cafe. Wenn diese Situation sich hier und jetzt wiederholte - vor den Augen der halben Stadt - nicht auszudenken! Sie musste sich also beherrschen.
Bevor Leslie sich den nächsten Schritt überlegt hatte, bemerkte sie, dass Drew offensichtlich nicht einmal Zeit gehabt hatte, sich anzuziehen. Er hatte sich in der Eile ein Handtuch um die Schultern geworfen und stand jetzt halbnackt vor ihr, so dass sie nur ihre Hand hätte ausstrecken müssen, um ihn zu berühren. Kleine Rinnsale von Wasser liefen über seinen kräftigen Oberkörper, auf dem sich die noch feuchten Brusthaare kräuselten, hinab in den Hosenbund, den er noch nicht einmal zugeknöpft hatte. Leslie wurde heiß und kalt. Hastig hob sie den Blick und sah ihm ins Gesicht, wo sie noch Reste von Rasierschaum entdeckte. Auch das braune Haar schimmerte feucht in der aufgehenden Sonne. Leslie konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor einem Mann begegnet zu sein, der so attraktiv war wie Drew McClain. Ein seltsames Gefühl, das sie schon beinahe vergessen hatte, machte sich in einem ganz bestimmten Teil ihres Körpers breit. Hoffentlich merkte niemand, was in ihr vorging. Ein rascher Blick in Drews Augen machte ihr jedoch klar, dass er Bescheid wusste. Auch ihm war nicht bewusst gewesen, dass er nur sehr notdürftig bekleidet durch die halbe Stadt gelaufen war barfuss, ohne Hemd, mit halboffener Hose ... Und Leslies offensichtliche Reaktion auf ihn trug nicht gerade dazu bei, die Angelegenheit zu entschärfen. Im Gegenteil, ihre Reaktion auf ihn brachte sein Blut in Wallung. Es war unbeschreiblich, welche Gefühle sie in diesen wenigen Sekunden in ihm ausgelöst hatte. Drew riss sich zusammen. Er murmelte eine Entschuldigung wegen seines Äußeren, knöpfte seine Hose zu, zog den Reißverschluss hoch und schloss den Gürtel. Er hatte sich in seinem ganzen Leben nicht so nackt gefühlt wie in diesem Moment. Ein Winziger Schnitt, den er sich kurz zuvor beim Rasieren zugefügt hatte, als der Lärm der Explosion ihn so sehr er
schreckt hatte, dass ihm die Klinge abgerutscht war, fing zu allem Überfluss auch noch an zu brennen, Leslie starrte ihn schweigend an. Sein Anblick verwirrte sie. Doch auch wenn eine Zerstreuung ihr gelegentlich ganz willkommen war, musste sie ja nicht gleich in Form eines Mannes auftreten, dessen erotischer Ausstrahlung man sich praktisch nicht entziehen konnte. Noch dazu, wenn sie ausgerechnet diesen Mann der ihr am Tag zuvor seine Unterstützung so ausdrücklich verweigert hatte, nun noch einmal um Hilfe bitten musste, "Wie ich Ihnen schon zuvor sagte; Mr. McClain", fing Leslie schließlich an, "werden Sie nicht umhinkönnen, sich diese beiden hier vorzuknöpfen. Ich habe es immer wieder versucht, aber - wie man sieht - ohne Erfolg." Drew antwortete nicht sofort. Zuerst beruhigte er die Leute, die ihm zu der Unglücksstelle gefolgt waren. Dann wandte er sich wieder Leslie zu. "Erzählen Sie mir erst einmal, was hier überhaupt passiert ist." "Was passiert ist?" schrie Leslie fassungslos. "Ja, reicht Ihnen das, was sie hier sehen, denn nicht als Erklärung? Wenn Sie auf mich gehört und von Anfang an ein Auge auf die Jungen geworfen hätten, wäre uns das hier zumindest erspart geblieben." "Sie hat recht", meldete sich eine Stimme aus der Menge zu Wort. Es war ganz still geworden, da niemand etwas von der Unterhaltung verpassen wollte. "Die beiden Jungs sind wirklich eine Plage. Und wenn sie tatsächlich für die Explosion verantwortlich sind, ist es Ihre Pflicht als Hilfssheriff, etwas zu unternehmen." "Ist das deine einzige Sorge, Paul?" wandte Maddie sich an den Sprecher. "Solltest du dich nicht zuallererst einmal fragen, ob jemand verletzt worden ist?" Paul Stevens, der in Calico eine Metzgerei besaß, schaute Maddie beschämt an. "Aber es ist doch offensichtlich, dass die
Kinder unverletzt sind", verteidigte er sich. "Und sie haben unverschämtes Glück gehabt." Das Murmeln, das jetzt laut wurde, bestätigte seine Worte. Drew überhörte die Einwände der Menge und wandte sich Maddie zu. "Keine Sorge", sagte er beruhigend. "Ich kümmere mich um die Angelegenheit." Drew war so erleichtert darüber, dass niemand zu Schaden gekommen war, dass er beschloss, die Jungen soweit als möglich zu verschonen. Doch ganz ungeschoren durften sie auch nicht davonkommen. Er wollte ihnen zumindest klarmachen, dass dieses "Verbrechen" hätte ins Auge gehen können. "Ihr kommt mit mir", forderte er die Jungen auf, während er sich den letzten Rest Rasierschaum vom Kinn wischte. "Was wollen Sie denn mit uns tun?" flüsterte Tim sichtlich eingeschüchtert. "Ja, was werden Sie mit ihnen tun?" fragte auch Leslie, längst nicht mehr so angetan von ihrer ursprünglichen Überzeugung, dass die Kinder eine starke Hand brauchten. "Ganz einfach", erklärte Drew und begann, die beiden vor sich herzuschieben. "Ich werde sie verhören." "Verhören?" wiederholte Leslie verständnislos. "Sie wissen doch alles. Die beiden haben im Graben hinter meinem Laden eine Stange Dynamit gefunden und damit gespielt. Und ehrlich gesagt reicht es mir langsam", fuhr sie fort. "Ich garantiere Ihnen, das war ihr letzter Streich." "Es muss alles seine Ordnung haben, Frau Bürgermeisterin", entgegnete Drew und hielt die Jungen fest. "Jeder ist solange unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist. Ich werde mir anhören, was die beiden zu sagen haben, bevor ich mir eine Strafe überlege. Eines versichere ich Ihnen, wenn sie wirklich schuldig sind, werden sie den heutigen Tag nie mehr vergessen." "Also gut, einverstanden. Aber ganz gleich, was Sie jetzt mit ihnen anstellen, sehen sie zu, dass es in ihrem Gedächtnis haften
bleibt. Ich habe diesen Sommer jeden Babysitter, den ich auftreiben konnte, ausprobiert, weil ich mich tagsüber um den Laden kümmern muss, aber keine r von ihnen hat es länger als einen oder zwei Tage ausgehalten." Ihre ehrliche Verzweiflung stimmte Drew milder. Er nickte ihr kurz zu und verschwand dann mit den Kindern in Richtung Gefängnis, ehe Leslie doch noch einen Rückzieher machen konnte. Was glaubte sie eigentlich, was er mit den Jungen anstellen wollte? Hielt sie ihn für ein Ungeheuer? Nur zu schade, dass die beiden keinen Vater hatten, der ihnen erklärte, dass es bestimmte Grenzen gab, die jeder einzuhalten hatte - auch kleine Jungen. Auch er, Drew, hätte gern einen solchen Vater gehabt. Doch er war noch klein gewesen, als seine Eltern starben. Von da an lebte er bei der Familie seiner Tante, der Schwester seines Vaters, die selbst fünf Kinder hatte, die jünger waren als er. Viel Zeit und Zuneigung blieb dabei nicht für ihn übrig. Da war es mehr als verständlich, dass Drew so schnell wie möglich sein eigenes Leben führen und, tun und lassen wollte, was ihm gefiel. "O Maddie, hoffentlich habe ich keinen Fehler gemacht", sagte Leslie zu der älteren Frau, nachdem alle anderen verschwunden waren. "Drew sah so ärgerlich aus. Hoffentlich bestraft er sie nicht zu hart." "Mach dir keine Sorgen, meine Liebe", tröstete Maddie sie. "Drew ist ein guter Freund des Sheriffs, und der hätte ihn nicht darum gebeten, uns auszuhelfen, wenn er nicht ein prima Kerl wäre. Drew tut deinen Kindern garantiert nichts Schlimmes. Er wird lediglich versuchen, ihnen ein wenig Vernunft beizubringen." "Ich bin mit meinem Latein am Ende, Maddie. Das war ihr schlimmster Streich. Glaubst du, dass Drew darauf besteht, sie dem Jugendrichter vorzuführen?" "Unsinn", entgegnete Maddie lächelnd. "Er wird ihnen die Leviten lesen und sie dann gehen lassen."
"Na, das wird sie wohl kaum sonderlich beeindrucken. Wie oft habe ich das schon selbst getan." Leslie seufzte. "Ich glaube, ich gehe besser nachsehen, was los ist." Drew zog sich gerade ein Hemd über, als Leslie das Gefängnis betrat. Suchend sah sie sich nach ihren Söhnen um, bis sie die beiden schließlich aneinandergekuschelt auf einer Pritsche in einer der Zellen bemerkte. "Sie haben sie tatsächlich eingesperrt?" fragte sie. "Natürlich", bestätigte Drew, während er sich das Hemd in die Jeans steckte. "Ich bin hier für Recht und Ordnung verantwortlich. Haben Sie das vergessen?" Drew deutete einladend zu einem Holzstuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches. "Setzen Sie sich doch. Sie können selbstverständlich bei dem Verhör dabei sein." Beim Klang seiner harten Stimme wurde Leslie sehr ungemütlich zumute. Sicher, sie ärgerte sich über Jeremy und Tim, aber sie hätte nie geglaubt, dass Drew so Weit gehen würde. "Sie werden sie doch nicht dem Jugendrichter vorführen", fragte sie ängstlich. "Nun, das ist ein interessanter Gedanke. Aber ich denke, darauf werde ich verzichten", sagte er nachdenk lich. "Habe ich es eigentlich richtig in Erinnerung, Frau Bürgermeisterin, dass Sie selbst mich vor wenigen Minuten noch gebeten haben, den Kindern Respekt einzuflößen?" "Ich weiß, Sie haben ja recht. Ich hätte es allerdings niemals für möglich gehalten, dass sie die beiden gleich einsperren wie zwei Schwerverbrecher." Drew betrachtete Leslie einen Augenblick, zuckte mit den Achseln und ging zur Zellentür, um sie zu öffnen. "Die Tür war nicht abgeschlossen", meinte er gelassen. "Und die beiden wussten, dass sie jederzeit herausspazieren konnten, nicht wahr, Jungs."
Die Kinder nickten einträchtig. Jeremy hatte seinen Cowboyhut tief in die Stirn gezogen und blickte ängstlich zu Drew hinüber, während Tims Haare wild zu Berge standen. Zwei Tränen rollten über das schmutzige Kindergesicht. Wie angewurzelt blieben sie beide auf der Pritsche sitzen. "Ich hatte eigentlich die Absicht, von Mann zu Mann mit ihnen zu reden, sobald ich mit dem Anziehen fertig wäre. Aber wenn Sie die beiden mit nach Hause nehmen wollen, können sie selbstverständlich gehen. Entscheiden Sie sich, Gnädigste." Leslie zögerte. Ein Gespräch von Mann zu Mann? Aber die beiden waren doch noch Kinder. Drew und die Jungen tauschten Blicke - eine stille Unterhaltung zwischen Männern, die eine Frau offensichtlich nicht verstehen konnte. Dass sie das Gefängnis nicht sofort verlassen hatten, nachdem Drew die Tür geöffnet hatte, bewies, dass sie ihn als Autorität akzeptierten und bereit waren, für ihr Vergehen geradezustehen. Drew McClain kannte die Kinder nicht so gut wie sie. Sie wusste, dass sie immer schnell bereit waren, sich zu entschuldigen und sie, Leslie, mit guten Vorsätzen zu besänftigen versuchten. Die guten Vorsätze waren jedoch nie von langer Dauer. Im Handumdrehen schlitterten die beiden jedes Mal ins nächste Abenteuer. Aber vielleicht konnte ein echter Sheriff ja mehr als eine Mutter bewirken. Und vielleicht hätten die Einwohner von Calico auf diese Weise wenigstens ein paar Tage Ruhe vor den beiden. "Also gut", stimmte Leslie schließlich zu. "Ich lasse die Jungen hier. Versuchen Sie Ihr Glück, denn auf mich hören sie sowieso nicht." Nachdem Leslie das Gefängnis verlassen hatte, betrat Drew die Zelle und setzte sich den Jungen gegenüber auf die zweite Pritsche.
"Also gut Jungs. Dann wollen wir mit dem Verhör anfangen. Zuerst sagt ihr mir eure vollen Namen." "Ich heiße Jeremy Chambers", begann Jeremy ein wenig unbehaglich. "Und du bist älter als dein Bruder?" "Ja, ich bin zehn." "Und du?" wandte er sich an Tim. "Timothy Chambers, Sir. Ich bin acht." "Alt genug, um es besser zu wissen. Hat euer Dad euch denn nicht beigebracht, was man darf und was man nicht darf?" "Wir haben keinen Dad", antwortete Jeremy für seinen Bruder. "Er ist von uns weggegangen, als wir noch ganz klein waren. Unsere Eltern haben sich scheiden lassen." Drew fühlte so etwas wie Mitleid mit den Kindern. Seit Jahren lebten sie in dem Bewusstsein, von ihrem Vater im Stich gelassen worden zu sein. Trost wäre in dieser Situation wohl eher angebracht als Zurechtweisungen. Doch die Gefahr, in die sie sich gebracht hatten, zwang ihn, sie härter anzupacken. "Trotzdem müsstet ihr selbst Verstand genug haben, um zu sehen, dass ihr eurer Mutter nichts als Scherereien macht und dass sämtliche Bewohner von Calico in euch die reinste Landplage sehen. Und dieses Mal seid ihr wirklich zu weit gegangen. Ihr hättet euch und ändere umbringen können." "Wir haben die alte Stange Dynamit gefunden", erklärte Jeremy. "Und ich habe mich gefragt, was passiert, wenn ..." Drews hochgezogene Augenbrauen brachten Jeremy zum Schweigen. "Rede weiter", forderte Drew ihn auf. "Was habt ihr dann gemacht?" "Wir haben Steine auf die Stange geworfen um zu sehen, ob sie explodiert." "Wessen Idee war das?" "Meine", gab Jeremy mit gesenktem Blick zu. "Tim kann nichts dafür. Er macht mir immer nur alles nach."
"Hast du dir noch nie überlegt, dass du dir und anderen mit deinen verrückten Ideen schaden könntest?" "Nein, Sir. Aber es wurde doch niemand verletzt, oder?" fügte er hoffnungsvoll hinzu. Drew betrachtete ihn ernst. "Du hast recht, wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt." Er machte eine kurze Pause, um den Kindern Zeit zu geben, den Sinn seiner Worte zu begreifen, bevor er fortfuhr. "Habt ihr eigentlich aus dieser Dummheit, die ihr heute gemacht habt, irgendetwas gelernt?" Tim nickte begeistert. "Ja. Wir dürfen nie mehr wieder Steine auf Dynamitstangen werfen." "Und was macht ihr, wenn ihr wieder einmal eine Stange findet?" "Dann kommen wir sofort zu Ihnen und geben Ihnen die Stange", meinte Jeremy dienstbeflissen. "Richtig", erwiderte Drew. "Und was habt ihr noch gelernt?" "Dass wir versuchen müssen, nicht mehr in Schwierigkeiten zu geraten", antwortete Tim, dem die Unterhaltung Spaß zu machen begann. "Wieder richtig", entgegnete Drew, ohne jedoch die geringste Hoffnung, dass sich die beiden danach richten würden. "Ihr habt euch des groben Unfugs schuldig gemacht. Normalerweise stehen darauf sechs Monate Gefängnis." Es fiel ihm schwer, nicht zu lächeln, als er die Betroffenheit der Kinder sah. "Ich würde allerdings sagen, dass ihr beide jetzt erst einmal nach Hause geht und saubere Sachen anzieht. Und sorgt dafür, dass ich euch nicht noch einmal hierher bringen muss. Habt ihr mich verstanden." "Aber wollen Sie uns denn gar nicht bestrafen?" fragte Tim verblüfft. "Mom denkt sich immer etwas aus, das wir machen müssen." Er zuckte zusammen, als Jeremy ihm unsanft mit dem Ellbogen in die Rippen stieß. Wieder musste Drew sich zwingen, ernst zu bleiben. "Keine Angst, ihr werdet eure gerechte Strafe schon bekommen. Aber
erst einmal geht ihr jetzt nach Hause and bleibt dort, bis ihr meine ausdrückliche Erlaubnis bekommt, wegzugehen. Ich erwarte, dass ihr euch zur Verfügung haltet. Ich komme nachher vorbei, um euch mitzuteilen, welche Strafe mir angemessen erscheint. Und nun ab mit euch." "Jawohl, Sir." Jeremy rannte auf den Ausgang zu, Tim direkt auf seinen Fersen. Drew blieb allein zurück und schmunzelte vor sich hin. Wie ähnlich ihm diese Kinder doch waren. Wenn die Lage, in die sie sich gebracht hatten, nicht so gefährlich gewesen wäre, wäre er während, des "Verhörs" in schallendes Gelächter ausgebrochen. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass alles Reden wenig Einfluss auf die Jungen haben würde. Seine Worte würden nur so lange in ihren Köpfen haften bleiben, bis sie der nächsten abenteuerlichen Idee Platz machten, Leslie Chambers konnte einem wahrhaftig leid tun. Es würde nicht lange dauern, bis die beiden wieder hier vor ihm sitzen würden. Drew seufzte. Leslie Chambers. Während er sich mit den Kindern unterhalten hatte, hatte er kaum an sie gedacht. Doch jetzt tauchte sie wieder vor seinem geistigen Auge auf - die funkelnden grünen Augen, das rotbraune Haar, das ihn an einen Sonnenuntergang erinnerte, der schlanke, durchtrainierte Körper, von dem jeder Mann sich nur wünschen konnte, ihn in den Armen zu halten. Voraussetzung war allerdings, dass der entsprechende Mann nicht wie er, Drew, ein Vagabundenleben führte. Drew wusste nicht, warum Leslie geschieden war. Er konnte sich allerdings sehr gut vorstellen, dass sie eine Frau war, die auf Beständigkeit setzte. Sie machte nicht den Eindruck, als würde sie sich aus einer Laune heraus zu einem so schwerwiegenden Entschluss hinreißen lassen.
Maddie ging zu einer Gruppe von Männern hinüber, die sich vor dem Saloon angeregt unterhielten. "Na, habt ihr nichts Besseres zu tun, als hier herumzustehen und zu tratschen?" "Sag uns doch deine Meinung, Maddie. Wir haben uns gerade über unsere Wette von gestern unterhalten. Leslie hat nicht mehr sehr viele Stimmen auf ihrer Seite. Die meisten von uns glauben, dass Drew McClain sie und die Kinder zähmen wird." "Das ist doch wohl nicht euer Ernst", meinte Maddie unwillig. "Leslie ist eine Frau mit Rückgrat, und intelligent ist sie obendrein." "Der Hilfssheriff auch", bemerkte Elias lachend. "Deshalb wette ich auf ihn. Ich habe die Einsätze sogar erhöht. Du hast Leslie doch hoffentlich nichts von unserem kleinen Spielchen verraten?" "Nein. Aber was meinst du damit, wenn du sagst, dass du die Einsätze erhöht hast?" murrte Maddie. "Da ich beinahe die einzige bin, die für Leslie gestimmt hat, sollte ich doch wohl ein Wörtchen mitzureden haben." "Nein", entgegnete Elias. "Es ist beschlossene Sache. Aber noch hast du die Möglichkeit auszusteigen." "Ich bleibe dabei", erwiderte Maddie finster. "Ihr habt ja alle keine Ahnung, wozu eine Frau in der Lage ist. Der Schuss könnte ebenso gut nach hinten losgehen. Ihr werdet schon sehen." Nachdem Drew den beiden Jungen genügend Zeit gelassen hatte, über ihre Sünden nachzudenken, machte er sich auf den Weg zu Leslies kleinem Laden, um die Bestrafung mit ihnen zu besprechen. Die Unruhe in der Stadt hatte sich gelegt, die kleinen Geschäfte und die Post hatten inzwischen geöffnet, und die Touristen spazierten wie gewöhnlich durch die Straßen. Drew tippte an seinen Westernhut, wenn er die Damen grüßte, und
nickte Peter Lord, dem neuen Apotheker zu, als er an dessen Geschäft vorbeikam. Schließlich öffnete Drew die Tür zu Leslies Laden. Alles roch nach Sauberkeit und nach den vielen verschiedenen Stoffen, die auf den Regalen gestapelt lagen. Garnrollen, Nadeln, Rahmen, alles was man für Quiltarbeiten benötigte, war reichlich vorhanden. Die kleineren Artikel lagen in einem gläsernen Schaukasten. Einige wertvolle alte Stoffe wären zur Dekoration an der Wand befestigt, Während die neuen Stoffe fein säuberlich auf Theken ausgelegt waren. Auf einem Holzständer befanden sich zahlreiche Arbeitsmuster und Bücher. Leslie saß vornübergebeugt über ihrer neuesten Arbeit. Sie lauschte auf die leise Musik aus dem CD-Player und machte geduldig winzige Stiche. Sie hatte sich in der Zwischenzeit umgezogen. Das selbstgeschneiderte Kleid mit dem enganliegenden Oberteil, ganz nach der Mode des vorigen Jahrhunderts, betonte die tadellose Figur, und das frische Band, das sie in den französischen Zopf eingeflochten hatte, war farblich perfekt auf die Kleidung abgestimmt. Leslie arbeitete schnell und ruhig, doch ihre bewegten Züge sprachen Bände. Sie war keineswegs so gelassen, wie es nach außen hin den Anschein hatte. Drew konnte den Blick nur schwer von ihr lösen, um sich nach den Kindern umzusehen, die schließlich der eigentliche Anlass seines Besuches waren. Er räusperte sich. Hatte er nichts Wichtigeres zu tun, als wie ein dummer Schuljunge hübsche Frauen anzustarren? Leslie sah von ihrer Arbeit hoch, da sie sich beobachtet fühlte. Sie hätte viel darum gegeben, seine Gedanken lesen zu können, doch sie hatte keine Idee, was sich hinter seiner gerunzelten Stirn verbarg.
"Hallo", begrüßte sie ihn und zwang sich zu einem Lächeln, denn schließlich hatte er ihr einen Gefallen getan. Dann stand sie auf und strich automatisch den langen Rock glatt. "Ich bin gekommen, um mit Jeremy und Tim über ihre Strafe zu reden. Wir hatten es so abgemacht." "Ja, natürlich", antwortete sie. "Danke, dass Sie sich um die beiden gekümmert haben." "Gern geschehen", entgegnete er und wich ihrem besorgten Blick aus. "Hier verbringen Sie also Ihre Zeit", wechselte er das Thema. "Ja, wenn ich nicht gerade damit beschäftigt bin, meinen Söhnen aus der Klemme zu helfen. Übrigens, was Sie den Kindern erzählt haben, muss einen ungeheuren Eindruck auf sie gemacht haben. Sie waren, seit sie zu Hause sind, so still und nachdenklich wie nie zuvor. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar. Sie können sich nicht vorstellen, was für Sorgen ich mir oft mache." "Wenn Kinder still sind, wird es höchste Zeit, sich zu fragen, was sie gerade anstellen", bemerkte Drew trocken. "Wo sind die beiden denn jetzt?" "Sie sind hinter dem Haus und sammeln die Reste von dem Schuppen zusammen." Leslie ging zur Hintertür. Hoffentlich hatte Drew nicht recht. Sie waren wirklich ganz erstaunlich still. Leslie rief nach den Jungen, und zu ihrer großen Erleichterung kamen die beiden sofort herein. "Hallo, Jungs, hier bin ich - wie versprochen", begann Drew und blickte in zwei erwartungsvolle junge Gesichter. "Wollt ihr hören, welche Strafe ich mir für euch ausgedacht habe?" Die beiden nickten und tauschten einen kurzen Blick mit Leslie, die nicht weniger gespannt war. "Erstens entschuldigt ihr euch bei sämtlichen Bewohnern von Calico, die euch in der nächsten Zeit über den Weg laufen, für den Ärger, den ihr gemacht habt."
Leslie sah bei seinen Worten äußerst zufrieden aus. Die Jungen machten dagegen eher den Eindruck, als hätten sie in eine Zitrone gebissen. "Zweitens", fuhr Drew fort, "fegt ihr eine Woche lang jede Zufahrt in der ganzen Stadt." "Was ist das für eine Art von Strafe?" fragte Leslie neugierig. "So etwas nennt man Dienst an der Gemeinschaft. Ich würde sagen, dass die beiden es den Bewohnern von Calico schuldig sind." Leslie nickte zustimmend. "Ich denke, das ist eine angemessene Strafe." "Ach ja, und da ist noch etwas. Ihr werdet den Schuppen hinter dem Laden wieder aufbauen." "Aber wie sollen wir das machen", fragte Jeremy, der sich schon über die so milde ausgefallene Bestrafung gefreut hatte, "Ganz einfach", erwiderte Drew. "Mit Holz, Hammer, Nägeln und sehr viel Arbeit. Diese Arbeit wird euch so in Anspruch nehmen, dass ihr nicht mehr auf dumme Gedanken kommt." "Ich glaube nicht, dass die Jungen den Schuppen aufbauen können", schaltete Leslie sich nun ein. "Er ist ja vollkommen zerstört. Sie wüssten nicht einmal, wo sie anfangen sollen. Das ist eine Arbeit für einen erwachsenen Mann." "Kein Problem", erwiderte Drew, "dann werde ich ihnen eben helfen." Leslie sah ihn überrascht an, und wenn Drew ehrlich gegenüber sieh selbst war, musste er zugeben, dass er selbst von seinem Angebot nicht weniger überrascht war. Wieso hatte er das getan? War es, weil Leslie ihm für seine Hilfe gedankt hatte, eine Hilfe, die Pflicht eines jeden Sheriffs war? War es die Art und Weise, wie sie über ihre Arbeit gebeugt dagesessen hatte, mit dem wunderschönen rotbraunen Zopf, der mit einem blauen Band verziert war, das so perfekt zu ihrem Kleid passte? Oder war es die plötzliche Erkenntnis, dass sie eine faszinierende Frau war, auch wenn sie sich aufbrausend
und ungestüm gab? Suchte er vielleicht nur einen, Grund, in ihrer Nähe zu sein? Eislady sei verflucht, dachte er, als er sich mit den Kindern für den nächsten Tag verabredete. Er war weit genug herumgekommen, um beurteilen zu können, ob er eine heißblütige Frau vor sich hatte oder nicht. Und in diesem speziellen Fall war er ganz sicher.
3. KAPITEL Mit gemischten Gefühlen betrat Drew das Rathaus - ein altes, morsches Gebäude - über dessen Eingang ein Schild mit der Aufschrift "Rathaus, Calico, Kalifornien, 1880" prangte. Leslie Chambers hatte ihm ausrichten lassen, dass sie ihn zu sehen wünschte, und obwohl er die attraktive Bürgermeisterin mit ihrer couragierten und schlagfertigen Art äußerst anziehend fand, gefiel es ihm keineswegs, dass sie ihn herumkommandierte. Das erste, was Drew ins Auge fiel, als er den kleinen Rathaussaal betest, waren zwei riesige Flaggen, eine amerikanische und daneben die von Kalifornien mit dem obligatorischen Bären darauf. Im Gegensatz zu dem verwitterten äußeren Erscheinungsbild des Hauses, das genau den Vorstellungen von einer 'Geisterstadt' entsprach, war die Inneneinrichtung überraschend gut in Schuss. Alles roch nach frisch verarbeitetem Holz und Farbe. Neue Pinienbänke standen vor einer Theke in Reih und Glied. Das Geräusch leiser Schritte riss Drew aus seinen Betrachtungen. Leslie tauchte hinter ihm auf. Auch diesmal war sie ganz nach der nicht gerade körperbetonten Mode des neunze hnten Jahrhunderts gekleidet, und Drew konnte nicht anders, als sich vorzustellen, wie sie wohl in enganliegenden Jeans und T-Shirt aussehen mochte.
"Sie haben mich herbestellt", sagte er gelassen, obwohl er die Vorstellung, ihre weiblichen Rundungen nicht nur erahnen zu müssen, äußerst erregend fand. "Was auch immer Sie von mir wollen, machen Sie es bitte kurz. Ich habe zu tun." Leslie sah ihm forschend ins Gesicht. Natürlich wusste sie, dass er log. Calico war ein verschlafenes Nest, und die Touristensaison lief gerade erst an. Egal. Er hatte offensichtlich keine Lust, sich länger als nötig mit ihr zu unterhalten. Auch gut. Als sie nicht sofort antwortete, sah Drew sich erneut im Zimmer um. "Von wo wollen sie denn die Amtsgeschäfte leiten?" fragte er. "Von dort drüben." Leslie deutete auf einen hohen Stuhl, der auf der anderen Seite der Theke stand. An der Wand dahinter hing ein gigantisches Gemälde mit einer üppigen halbnackten Schönheit, deren intimste Stellen lediglich von einem hauchdünnen Schal bedeckt waren. "Ihr Platz ist hinter der Theke?" fragte Drew verblüfft. "Wieso nicht? Dann kann ich zumindest sicher sein, dass mir jeder zuhört." Drew war sich dessen längst nicht so sicher. An sich war der Gedanke nicht schlecht. Doch sobald alle etwas zu trinken hatten, würden sie nur noch Augen für das Bild haben. "Vielleicht haben Sie recht", meinte er skeptisch. "Und eines muss man Ihnen lassen. Das Rathaus ist wunderbar geworden." "Und alle haben freiwillig bei der Gestaltung mitgeholfen", berichtete Leslie stolz. "Freiwillig?" Drew sah sie ungläubig an. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass auch nur einer der Männer, denen er bisher in Calico begegnet war, aus freien Stücken seine Mitarbeit anbieten würde. "Ja, freiwillig", erwiderte Leslie zuckersüß. "Sie hatten die Wahl, entweder selbst mit Hand anzulegen oder die Stadt bei der Finanzierung der Renovierungsarbeiten zu unterstützen."
"Und das nennen Sie freiwillig?" grinste Drew. "Ich würde es eher Erpressung nennen." Leslie lächelte sche lmisch. "Wenn Sie so weitermachen, Frau Bürgermeisterin, werden die Einwohner von Calico es sich demnächst vielleicht doch noch anders überlegen und lieber auf das verzichten, was man allgemein hin unter Recht und Ordnung versteht. Bislang sind sie doch auch ohne Bürgermeister ausgekommen." "Sie haben aber eingesehen, dass es bei der ständig wachsenden Zahl der Touristen so nicht weitergeht. Deshalb wurde ich ja auch gewählt. Und es war meine Idee, den Sheriff um einen Hilfssheriff zu bitten. Bisher hatten war nämlich keinen." Also war Leslie diejenige, der er sein Amt hier zu verdanken hatte. Kein Wunder, ihre Kinder waren ja auch die einzigen in der Gegend, die ständig Ärger machten. Seltsam, dass die Wahl ausgerechnet auf ihn gefallen war. Während er ihrem forschenden Blick standhielt, dachte er darüber nach, ob er froh darüber sein sollte oder nicht. "Und was wollen Sie jetzt von mir?" kam Drew schließlich zum eigentlichen Thema. "Morgen abend findet unsere erste Gemeindeversammlung hier im Rathaus statt", entgegnete sie. "Und was habe ich damit zu tun?" "Ich wollte sicher sein, dass Sie zu der Versammlung kommen und zwar ordentlicher als es Ihre Art ist." "Ordentlicher? Was soll das denn heißen?" Drew vergewisserte sich hastig, ob er wieder vergessen hatte, seine Hose zu schließen. "Erstens sind Sie nicht rasiert." "Genau das wollte ich eben tun, als ich Ihre Nachricht bekam", entgegnete Drew ärgerlich. "Außerdem sollten Sie sich etwas Vernünftiges anziehen."
"Könnten Sie mir freundlicherweise erklären, was es an meiner Kleidung auszusetzen gibt?" "Im Prinzip nichts", beantwortete Leslie seine Frage. "Zumindest nicht, wenn man im zwanzigsten Jahrhundert lebt. Aber wir hier in Calico befinden uns schließlich im neunzehnten Jahrhundert." Missbilligend betrachtete sie seine enge verwaschene Jeans und das kurzärmelige T-Shirt, das sieh über dem muskulösen Oberkörper spannte, um dann doch hastig den Kopf zu Boden zu senken, als sie merkte, dass der Anblick dieses athletischen männlichen Körpers ihre Hormone gewaltig durcheinander brachte. Wie ein Vertreter des Gesetzes sah dieser Mann beim besten Willen nicht aus. "Als Bürgermeisterin bestehe ich darauf, dass jeder hier die Rolle spielt, die ihm zugedacht ist, und sich entsprechend kleidet. Solange Sie der Hilfssheriff von Calico sind, erwarte ich, dass Sie ein Kostüm tragen." Bevor Drew auch nur ein Wort sagen konnte, redete sie hastig weiter. "Ich würde sagen, eine Levis Jeans mit einen breiten Ledergürtel und einer riesigen Westernschnalle wäre genau das Richtige. Dazu ein kariertes Baumwollhemd und ein schwarzes Tuch um den Hals. Ich möchte, dass Sie aussehen, als lebten Sie im Jahre 1881." "Was möchten Sie?" fragte Drew mit einer leisen Drohung, die Leslie jedoch geflissentlich überhörte. "Sie haben mich schon richtig verstanden", erwiderte sie gereizt. "Und diese Socken sind auch unpassend", fügte sie noch hinzu und deutete auf seine Sportsocken. "Das ist doch wohl der Gipfel", stieß Drew kaum hörbar zwischen den Zähnen hervor, ohne Leslie jedoch auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Er wusste, dass es Situationen gab, in denen man eine Frau nur mit einem Kuss zum Schweigen bringen konnte. Und Drew hatte das Gefühl, dass genau jetzt ein solcher Augenblick gekommen war. Ohne weiter zu überlegen, gab er einer Regung nach, die ihm bereits
bei der ersten Begegnung in den Sinn gekommen war, die er aber bis zu diesem Moment unterdrückt hatte. Er nahm Leslie ohne jede Vorwarnung an den Schultern, riss sie in die Arme und unterbrach ihren Redeschwall mit einem Kuss. Ihre Lippen waren genauso weich und süß, wie er es sich vorgestellt hatte. Sein Kuss wurde drängender. Überrascht von diesem Angriff versuchte Leslie, sich zunächst zur Wehr zu setzen, doch sein Verlangen löste unbeschreibliche Gefühle in ihr aus. Seine fordernden Lippen erweckten ihren totgeglaubten Körper wieder zum Leben. Ohne es zu wollen, entspannte sie sich in seinen Armen und schmiegte sich unbewusst an ihn. Für wenige Sekunden genoss sie die Berührung dieses harten männlichen Körpers, das Gefühl seines muskulösen Oberkörpers an ihren weichen Brüsten. Drew erweckte unerwünschte Sehnsüchte in ihr. Es war drei Jahre her, dass sie zuletzt die Arme eines Mannes um sich gespürt hatte. Aber nie zuvor hatte jemand sie so geküsst wie jetzt Drew. Als ihr bewusst wurde, was sie gerade tat, worauf sie im Begriff war, sich einzulassen; zog sie sich entsetzt von ihm zurück. Mit den Fingern fuhr sie sich über die glühenden Lippen. "Was machen Sie da eigentlich?" fauchte sie ihn an. "Das wüsste ich selbst gern", entgegnete er nicht minder erstaunt über sich selbst. Leslie ließ Drew nicht eine Sekunde aus den Augen. Das schlimmste an der Sache war, dass sie so intensiv auf ihn reagiert hatte. Wieso hatte sie ihm nicht eher Einhalt geboten? War die Idee, den Sheriff um einen Hilfssheriff zu bitten, vielleicht doch nicht so gut gewesen? Seit Drews Anwesenheit in Calico war es nicht nur um ihren Seelenfrieden geschehen, jetzt hatte er bei ihr etwas in Gang gesetzt, was sie absolut nicht wollte. So verzweifelt sie es auch wünschte, sie durfte sich auf gar keinen Fall mit ihm einlassen. Sie war schon einmal auf einen Vagabunden hereingefallen. Und das genügte.
"Ich wünsche Ihnen viel Glück für Ihre Versammlung", brach Drew schließlich das Schweigen, das endlos zu dauern schien. Dann wandte er sich ab und ging zur Tür. "Werden Sie denn nicht dabei sein?" "Ich glaube kaum", erwiderte er knapp. Er hatte nicht die Absicht, sich von ihr Vorschriften machen zu lassen. Soweit kam es noch, dass er ihretwegen hier in einem alberne n Kostüm herumlaufen würde. "Ich habe einen Vertrag als Hilfssheriff unterschrieben und nicht, dass ich mich als Schauspieler zum Narren mache. Und außerdem gibt es da noch ein Problem ...'" Er sah sie wieder direkt an. "Welches?" fragte sie irritiert. "Wer garantiert mir, dass Ihre Kinder nicht gerade wieder irgendeinen Blödsinn aushecken. Einer muss ja schließlich auf sie aufpassen." Selbstzufrieden verließ er den Saal. Er würde ihr schon zeigen, dass er nicht so mit sich umspringen ließ. Als Drew auf die Straße trat, stand die Sonne hoch am Himmel. Es war Mittag. Er sollte wirklich einmal nach den Kindern sehen. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, hatten sie vor Maddies Cafe gesessen, um sich bei einem Berg Schokoladenkekse von ihrem Dienst zum Wohl der Gemeinde zu erholen. Er hielt die Hand schützend über die Augen, um nicht geblendet zu werden, und hielt nach allen Seiten Ausschau. Es dauerte nicht lange, und er hatte die beiden entdeckt. Sie kamen gerade aus dem Saloon, jeder von ihnen einen Stapel roter Blätter im Arm. Was hatten die Kinder bloß im Saloon zu suchen? Wenn es so etwas wie einen siebten Sinn gab, dann schlug dieser bei Drew in diesem Moment Alarm. Er ging zielstrebig auf die beiden Jungen zu, die ganz offensichtlich versuchten, ihm aus dem Wegzugehen. "Na, ihr zwei, seid ihr mit dem Fegen fertig?" fragte er. Jeremy und Tim nickten, doch es war deutlich zu sehen, dass sie
ein schlechtes Gewissen hatten. Irgend etwas stimmte da nicht. "Wollt ihr mir nicht erzählen, was ihr im Saloon gemacht habt?" Jeremy sah mit einem Mal so abwesend vor sich hin, als hätte er von einer Sekunde auf die andere sein Gedächtnis verloren. Tim trat einen Schritt zurück und hielt sich hilfesuchend am Hemdzipfel seines Bruders fest, der ihn jedoch unwillig abschüttelte. Drew seufzte unmerklich. Steckten sie etwa schon wieder in Schwierigkeiten? Hoffentlich kam er nicht schon zu spät. "Ihr solltet es mir aber erzählen. Ich finde es sowieso heraus", ermunterte er die Kinder. Er war sicher, dass ihm die Geschichte, die sie ihm jetzt vortragen würden, nicht besonders gefallen würde. "Wir haben Flugblätter verteilt", antwortete Jeremy, wobei er Drews Blick auswich. "Flugblätter?" Drew wollte sich schon entspannen, als er den Blick auffing, den die beiden Jungen sich heimlich zuwarfen. "Es geht sicher um die Versammlung morgen abend?" forschte er deshalb vorsichtshalber weiter. "Nicht direkt." Jeremy versuchte noch immer Tims Hand abzuschütteln. "So, und worum geht es direkt?" Drew zog einige Blätter aus dem Stapel und erstarrte, als er die ersten Zeilen las. BELOHNUNG stand fettgedruckt als Überschrift auf dem leuchtend roten Zettel. Für denjenigen, der unsere Mom heiratet und unser Dad wird . Gezeichnet war dieser kurze Text mit Jeremy und Timothy Chambers. "Wer hat das für euch gedruckt?" fragte Drew, als er sich wieder ein wenig gefangen hatte. "Mr. Strawberry. Er druckt auch unsere Tageszeitung." "Und warum hat er das getan?" forschte Drew immer noch fassungslos.
"Wir haben ihm fünf Dollar dafür gegeben." Die beiden Jungen entfernten sich ein paar Schritte von Drew, der aussah, als würde er gleich explodieren. "Und die Belohnung?" Als er bemerkte, dass die Kinder ängstlich wurden, riss er sich zusammen. "Was für eine Belohnung meint ihr denn?" "Wir haben zwanzig Dollar gespart", erklärte Jeremy stolz. "Eigentlich waren es sogar fünfundzwanzig, aber fünf sind ja leider für die Flugblätter drauf gegangen." "Und ihr meint, das reicht aus, um irgendeinen Mann dazu zu bringen, eure Mutter zu heiraten?" "Nicht irgendeinen Mann. Wir beide müssen ihn auch mögen, schließlich wird er unser Dad." Ein Vater! Das war es also, was die Jungen wollten. Drew zweifelte daran, dass die beiden sich noch an ihren Vater erinnerten. Und doch war es so wichtig für sie, eine komplette Familie zu haben, dass sie alles daran setzten, dieses Ziel zu erreichen. Mit einem Mal erinnerte er sich wieder ganz deutlich an seine eigene Kindheit. Als seine Eltern bei dem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatte er eine solche Wut verspürt, weil sie ihn allein gelassen hatten, dass er die größten Dummheiten machte. Er hatte das Gefühl gehabt, sich irgendwie dafür rächen zu müssen. Allmählich begann er zu verstehen, was in diesen Jungs vor sich ging. Die beiden taten ihm leid. Aber ebenso besorgt war er um Leslie. Wenn sie von den neuesten Unternehmungen ihrer Söhne erfuhr, würde mit Sicherheit ein Unglück geschehen. "Ich mache euch einen Vorschlag", erklärte Drew ruhig. "Wir werden versuchen, die Flugblätter, die ihr schon verteilt habt, zurückzubekommen. Ich glaube, es wäre nicht besonders gut, wenn eure Mutter etwas davon erfährt. Was haltet ihr davon?" Jeremy sah Drew ernst an und nickte.
"Okay, Jeremy. Du gehst die Straße entlang und sammelst die Flugblätter wieder ein, die du dort verteilt hast, während ich die Sache mit dem Saloon erledige. Tim, du wartest hier auf uns." In dem Augenblick, als Drew den schummerigen Saloon betrat, wusste er, dass es bereits zu spät war. Eine Handvoll Männer hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und beugte sich lachend über eines der Flugblätter. Warum lachten sie? Was war an dem Gedanken, Leslie Chambers zu heiraten, so komisch, dass man darüber in schallendes Gelächter ausbrechen musste? Tim tauchte hinter ihm auf und riss ihn aus seinen Gedanken. "Lassen Sie uns von hie r verschwinden", flüsterte der Kleine ihm zu. "Es ist doch sowieso zu spät." "Merk dir eins", entgegnete Drew. "Es ist niemals zu spät, etwas Unrechtes wieder in Ordnung zu bringen, Tim. Wichtig ist nur, dass du es richtig anstellst." Drew ging schnurstracks auf die kleine Gruppe zu. "Wie es scheint, haben die Kinder sich einen dummen Scherz erlaubt", begann er und blieb neben Keith Andrews, dem Fotographen von Calico stehen. "Ich finde, es ist wert, darüber nachzudenken", meinte Andrews grinsend. Er las den Zettel zum wiederholten Mal. "Immerhin ist eine Belohnung ausgesetzt." Er sah Tim, der jetzt neben Drew auftauchte, tragend an. "Wie hoch soll die Belohnung denn sein?" "Ganz schön hoch", antwortete Tim stolz. "Höher als Sie sich vorstellen können." Drew legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter und brachte ihn so zum Schweigen. "Es gibt keine Belohnung", wandte er sich dann an Andrews. "Nicht einen Penny. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass alles nur ein Scherz war." "Ein Scherz?" wiederholte Herb Strawberry. "Der einzige Scherz, den ich hier entdecken kann, ist, dass tatsächlich jemand zu glauben scheint, dass irgendein Mann aus unserer Gegend
Interesse daran haben könnte, die Mutter dieses Kleinen zu heiraten. Sie wohnt jetzt schon seit zwei Jahren hier und hat bisher jeden Mann abblitzen lassen." "Sie eingeschlossen?" fragte Drew betont freundlich. Strawberry wurde rot, die anderen Männer grinsten schadenfroh. "Sie haben die Flugblätter für die Kinder doch nur gedruckt, um Leslie eins auszuwischen, oder?" Strawberry richtete sich zu seiner vollen Größe von einem Meter und fünfundachtzig Zentimetern auf. "Es gehört zu meinem Beruf, Flugblätter zu drucken. Und die Kinder haben dafür bezahlt." "Dann kann ich Ihnen nur raten, in Zukunft besser aufzupassen, was sie drucken." "Und was ist mit der Belohnung oder der Wette?" fuhr Keith beharrlich fort. Er kniff die Augen zusammen und beobachtete Drew herausfordernd. "Sie wollen anscheinend alles für sich haben. Erst bringen Sie die Kinder auf Ihre Seite, dann ho len Sie sich den Rest. Was geht da eigentlich vor?" Drew fiel es äußerst schwer, ruhig zu bleiben. "Wenn ich Ihnen die Wahrheit erzählen würde, würden Sie sie sowieso nicht glauben. Lassen Sie uns die ganze Angelegenheit doch einfach vergessen." "Nie im Leben"; erwiderte Keith. "Wie Sie wollen", entgegnete Drew mit einem Achselzucken. "Aber wenn Sie irgend etwas unternehmen, was Mrs. Chambers ärgert, bekommen Sie es mit mir zu tun", warnte er. "Haben Sie mich verstanden?" Er nahm Tim bei der Hand, drehte sich um und verließ mit dem Jungen gemeinsam den Saloon. Keith Andrews Gesicht war jetzt beinahe lila vor Wut. "Die Belohnung vergessen", schrie er außer sich. "Was denkt der Kerl denn, wer er ist?" "Er ist der Mann, der unsere Bürgermeisterin zähmen wird, hast du das vergessen?" sagte ein anderer. "Irgendwie wird es
ihm gelingen. Vielleicht will er sie ja für sich. Auf jeden Fall erhöhe ich meinen Einsatz." Der Mann zog ein Bündel Dollarscheine aus der Tasche. "Vergiss die alberne Wette", ließ sich Andrews Stimme erneut vernehmen. "Leslie wird mir gehören. Ich habe schon immer geahnt, dass es auf ihrem Grundstück eine Silbermine gibt. Und die wird auch mir gehören. Genauso wie die ausgesetzte Belohnung." Drew, der die abfälligen Worte mitbekommen hatte, war kurz davor, umzukehren. Leslie Chambers zähmen? Eine Wette? Andrews Unverschämtheiten gingen entschieden zu weit. Drew wusste zwar, dass es weit und breit keine gewinnbringenden Silberminen mehr gab. Aber die niederträchtige Art und Weise, in der Andrews Profit machen wollte, ärgerte ihn über alle Maßen. Er sah in Tims verschlossenes Gesicht. Der Junge hatte Tränen in den Augen, und obwohl Drew fest entschlossen war, dafür zu sorgen, dass in seiner Gegenwart niemand mehr in einem solchen Ton von Leslie reden würde, sah er ein, dass es im Augenblick wichtiger war, sich um die Kinder zu kümmern. "McClain, Sie müssen unbedingt etwas wegen der Jungen unternehmen." Alan Little, der in Calico den einzigen größeren Pferdestall besaß, betrat empört das Gefängnis. "Welche Jungen?" fragte Drew, der bereits ahnte, um wen es ging. "Die Chambers." "Haben sie vor Ihrem Haus nicht vernünftig gefegt?" "Machen Sie keine dummen Witze, McClain. Die kleinen Schurken sind mit zwei meiner besten Pferde durchgebrannt. Ich möchte, dass Sie sie zurückbringen, bevor den Tieren etwas passiert." Drew seufzte, Er hatte sich eingeredet, dass die Lektion, die er den Jungen am Vortag erteilt hatte, auf fruchtbaren Boden gefallen war, und dass sie zunächst mit den kleinen Aufträgen,
die sie hatten ausführen sollen, so beschäftigt waren, dass sie nicht auf dumme Bedanken kamen. Er hätte es besser wissen müssen. Drew warf einen sehnsüchtigen Blick auf das herrliche Essen, das Maddie ihm hatte herüberschicken lassen. Es würde leider noch einige Zeit warten müssen. "Was zögern Sie denn noch?" Alan Little trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. "Ich will meine Pferde zurück. Je eher, desto besser." "Immer mit der Ruhe", erwiderte Drew beschwichtigend, während er die Hand nach einem Sandwich ausstreckte, das er unterwegs essen konnte. In diesem Augenblick flog die Tür zum Gefängnis erneut auf, und Drew hielt mitten in der Bewegung inne. "Schnell!" rief Leslie atemlos. "Ich habe Jeremy und Tim gerade in Richtung Berge reiten sehen. Wir müssen sie zurückholen, ehe ihnen etwas zustößt!" "Was Sie nicht sagen", brummte Drew, ließ das Sandwich Sandwich sein, nahm die Autoschlüssel für seinen Wagen aus der Schreibtischschublade und stand auf. "Ich wollte gerade los." "Gut. Ich komme mit Ihnen", sagte Leslie sofort. "Nein, Sie warten zu Hause, für den Fall dass sie inzwischen zurückkommen", befahl Drew. "Ich brauche keine Hilfe. Die beiden können ja noch nicht allzu weit sein." "Ich lasse mir keine Vorschriften machen", protestierte Leslie. "Ich komme mit. Schließlich bin ich die Mutter." Ihr vor Aufregung gerötetes Gesicht und die funkelnden Augen erinnerten Drew daran, wie sie auf seinen Kuss reagiert hatte. Wie konnte er in diesem Moment an so etwas denken? "Es ist mein Job, die beiden Pferdediebe einzulangen", beharrte Drew. "Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich dazu keine Hilfe benötige."
"Pferdediebe?" Leslie wurde blass, "Jetzt weiß ich, dass mich nichts davon abbringen kann mitzukommen" "Nein, das werden Sie nicht! Alan sehen Sie zu, dass Leslie unversehrt nach Hause kömmt; Ich komme nach, sobald ich die Kinder gefunden habe." Drew lenkte den Wagen Richtung Hügellandschaft. Soweit das Auge reichte, überzögen farbenfrohe Blumenrabatten die Landschaft. Die Baumwollpflanzen standen in voller Blüte. Alle Farbschattierungen von Rot bis Lavendel bedeckten die Hügel und verliehen der Gegend eine unvergleichliche Schönheit. Die Hügelketten nahmen kein Ende. Alles sah gleich aus, nur dass verschiedene Hügel höhlenartige Eingänge hatten, die darauf schließen ließen, dass hier früher einmal Minen gewesen sein mussten. Er hatte gehört, dass einige der Bergleute sogar darin gewohnt hatten. Vor einer baufälligen Holzhütte, die direkt neben einem Eingang zu einer Mine stand, blieb Drew stehen. Der Eingang zu der Mine lag offen. Die Bretter, mit denen sie anscheinend vernagelt gewesen war, lagen auf der Erde. Drew fluchte, als er Leslies altes Auto vor der Hütte stehen sah. Er hätte sich seine Worte sparen können. Leslie Chambers hielt sich offenbar grundsätzlich nicht an Anweisungen. Hoffentlich war den dreien nichts passiert. So eine Mine konnte heimtückisch sein. Wie leicht konnte man in die Tiefe stürzen! Besorgt stieg Drew aus seinem Land Rover. Zuerst wollte er die Hütte genauer untersuchen. Vor dem Eingang bemerkte er drei verschiedene Fußspuren und zahlreiche Abdrücke von Pferdehufen. Doch weit und breit war niemand zu sehen. Drew schlug das Herz bis zum Hals. "Dieses verfluchte Frauenzimmer", schimpfte er vor sich hin. Sie konnte genauso schlecht hören wie ihre Kinder. Das bedeutete, dass er jetzt auf drei Leute aufzupassen hatte. Drew ging zum Wagen zurück und holte eine Taschenlampe.
Dann versuchte er, die Tür zur Hütte zu öffnen. Vergebens. Sie klemmte. "Ich bin es, Drew McClain", rief er für den Fall, dass sich jemand in der Hütte befand. Er wollte niemanden ängstigen. Dann stemmte er sich mit der Schulter gegen die Tür und versuchte, sie gewaltsam zu öffnen. Knarrend gab sie seinem Gewicht nach. Er leuchtete mit der Taschenlampe in das Innere der Hütte, als sich eine Gestalt auf ihn stürzte und ihn beinahe zu Boden riss. Um sich vor dem unerwarteten Angriff zu schützen, riss er instinktiv die Arme hoch. "Ein Glück, dass Sie gekommen sind!" Es war Leslie, die sich stürmisch in seine Arme warf. "Ich hatte solche Angst, dass ich niemals mehr hier herauskommen würde." Drew versuchte, sie zu beruhigen. In ihrem aufgewühlten Zustand hatte es nicht besonders viel Sinn, ihr auch noch Vorwürfe zu machen. "Sind die Jungen bei Ihnen?" "Nein", schluchzte Leslie. "Als ich ankam, standen zwei Pferde von dem Eingang. Aber von Jeremy und Tim war nichts zu sehen. Ich wollte gerade wieder hinausgehen, als die Tür zugeschlagen wurde." Drew hörte ein Geräusch hinter sich. Bevor er jedoch reagieren konnte, war es bereits zu spät. Jemand hatte die Tür erneut geschlossen. Ein Riegel wurde vorgeschoben. "Das kann doch wohl nicht wahr sein!" Drew warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür. Sie bewegte sich jedoch keinen Millimeter. Um Hilfe zu rufen, hatte in dieser Einöde wenig Sinn. Es würde sie niemand hören, außer demjenigen, der sie eingeschlossen hatte. Drew schaltete die Taschenlampe an, um die Hütte genauer zu inspizieren. Es war ein kleiner Raum. Die Wände waren mit Teerpapier beklebt, und hoch oben an einer Wand befand sich ein winziges zerbrochenes Fenster. Ein schiefer Tisch stand mitten im Zimmer, ansonsten gab es nichts weiter als einen alten
Holzstuhl sowie eine schmale Liege mit einer dünnen Decke und einem einzigen Kissen. Auf dem Tisch standen eine Flasche Wasser, ein paar Dosen Orangensaft, ein paar Äpfel und eine Packung Kekse. Es war genau das, was ein Kind unter einer perfekten Mahlzeit verstand. Es gab keinen Zweifel. Derjenige, der Leslie und ihn hier eingesperrt hatte, hatte die Sache sehr wohl im voraus geplant. Drew musste zugeben, dass er sich von zwei Dreikäsehoch an der Nase hatte herumführen lassen. Sie waren vielleicht halb so groß wie er, aber doppelt so gerissen. Er hatte sie unterschätzt.
4. KAPITEL Leise fluchend sah Drew sich noch einige Zeit in der Hütte um. Allerdings begrub er seine Hoffnung, doch noch einen Fluchtweg zu entdecken, recht schnell. Er wusste, wann er sich geschlagen geben musste. Nachdenklich klopfte er sich einige Spinnweben von den Schultern und sah zu Leslie hinüber, die immer noch verzweifelt an dem Türgriff rüttelte, als könnte sie damit irgendetwas bewirken. Als sie merkte, dass Drew sie beobachtete, hielt sie sofort inne. Sie fühlte sich unbehaglich und fror. Auch die Tatsache, dass sie im Augenblick nicht allein war, schien sie nicht im mindesten zu trösten. Drew konnte es ihr nicht einmal übel nehmen. Er fühlte sich ebenfalls nicht wohl in seiner Haut. Den Schock hatte er zwar schnell überwunden, aber er ärgerte sich über seine eigene Dummheit. Er wahrte seine kühle Gelassenheit nur, weil er wusste, dass es sinnlos war, in dieser Situation auch noch die Nerven zu verliefen. "Sind Sie okay?" fragte er Leslie besorgt. "Ich habe mich schon besser gefühlt", antwortete sie. "Ich bin so wütend, dass ich nicht mehr klar denken kann. Aber eines weiß ich genau. Wenn ich hier wieder herauskomme, werde ich den Jungs so den Hosenboden versohlen, dass sie eine Woche lang im Stehen essen müssen."
Drew konnte ihre Wut gut nachvollziehen. Aber sollte sie nur wütend auf die Jungs sein. Das war immerhin besser, als wenn sie sich um die Kinder ängstigte. "Sieht so aus, als wären wir für eine Weile Zimmergenossen", meinte er mit einem schelmischen Grinsen. Er versuchte, sie auf andere Gedanken zu bringen. " Zimmergenossen?" Sie sah ihn verständnislos an. "Ich würde uns eher als Gefangene betrachten. Schließlich hält man uns gegen unseren Willen hier fest. Ich verstehe auch nicht, wie Sie in einer solchen Situation noch Witze machen können. Bald wird es dunkel, und die Jungen sind allein unterwegs. Es könnte ihnen etwas zustoßen." "Das kann ich mir kaum vorstellen", entgegnete Drew gelassen und warf einen kurzen Blick auf die verriegelte Tür. "Nach dem, was sie sich hier geleistet haben, traue ich ihnen durchaus zu, ein paar Stunden auf sich selbst aufzupassen." Drew warf einen sehnsüchtigen Blick auf den gedeckten Tisch. Selbst wenn nichts dabei war, was seinen Riesenhunger wirklich hätte stillen können, so war es doch besser als gar nichts. Im nachhinein ärgerte er sich, dass er Maddies Sandwich nicht eingesteckt hatte. "Sehen Sie nur", rief Leslie plötzlich. "Auf dem Tisch liegt eine Nachricht." Sie zog einen Briefumschlag unter der Packung mit den Keksen hervor und wurde rot, als sie las, was darin stand. Drew nahm ihr den Brief aus der Hand, nachdem sie zu Ende gelesen hatte. "Es steht nur drin, dass wir morgen befreit werden und dass die beiden versprechen, pünktlich ins Bett zu gehen." "Na wunderbar", meinte Drew, der den Brief jetzt ebenfalls las und plötzlich verstand, was Leslie zum Erröten gebracht hatte. "Damit ihr euch besser kennenlernt", las er gerade leise vor sich hinmurmelnd und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Deshalb hatten sie diese Entführung geplant. Die Kinder spielten Schicksal. "Jetzt verstehe ich." Drew schlug sich gegen
die Stirn. "Wahrscheinlich bleiben sie die ganze Nacht auf, um Teil zwei ihres Plans vorzubereiten." Leslie sah ihn verblüfft an. "Was meinen Sie mit Teil zwei?" Drew überlegte, wie er Leslies Frage beantworten sollte, ohne die Aktion mit den Flugblättern zu verraten. "Das ist doch ganz einfach. Der erste Schritt ist das Kennenlernen, der zweite ist die Heirat. Auf diese Weise hätten sie es dann endlich geschafft, sich einen Dad zu angeln." "Einen Dad?" fragte Leslie fassungslos und erkannte im selben Moment, dass Drew recht hatte. Sie hätte selbst darauf kommen müssen, nachdem sie vor ein paar Tagen Zeugin des schicksalhaften Gespräches geworden war. Sie hatten ihre Strategie nur geringfügig geändert. Sie hatten den Mann ihrer Wahl nicht einfach gekidnappt, sie waren noch einen Schritt weitergegangen. Aber wie waren die zwei auf Drew McClain gekommen? Er war wirklich der letzte Mann, der als Ehemann für sie in Frage kam. Zumindest nicht solange er der Typ war, der es liebte, heute hier und morgen dort zu sein. "Wie haben die Jungs es nur geschafft, einen solchen Plan auszuhecken, ohne dass ich auch nur die geringste Ahnung hatte?" Leslie kämpfte gegen aufkommende Schuldgefühle an. Schließlich war sie die Mutter der Kinder. Sie hätte mit ihnen reden müssen, anstatt Drew zu bitten, sie auf den rechten Weg zu führen. "Tja, da müssen Sie sie schon selber fragen. Ich weiß nicht, was in den Köpfen von zehn- und achtjährigen Kindern vor sich geht. Ich wäre nie im Leben auf eine solche Idee gekommen." Leslie sah Drew scharf an. Okay, er war ein erwachsener Mann. Mit kurz geschnittenem braunem Haar und dunkelbraunen Augen - und er war unverschämt attraktiv. Sein durchtrainierter Körper ließ auf einen Lebenswandel schließen, in dem es kaum Platz für Zärtlichkeit gegeben hatte. Und doch
strahlte dieser Mann eine Sinnlichkeit aus, die die seltsamsten Gefühle in einer Frau wecken konnte. Leslie biss sich auf die Unterlippe. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, an Dinge zu denken, die ihr Leben nur noch komplizierter machen würden, als es ohnehin schon war. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke. Bildete sie sich das schadenfrohe Lächeln nur ein? Leslie war sich nicht ganz sicher. Auch der funke von Interesse, den sie in seinen Augen entdeckt hatte, konnte genauso gut Einbildung gewesen sein. Dennoch wurde ihr bei dem Gedanken, Drew könnte Interesse an ihr haben, heiß und kalt. Sie fragte sich, ob sie sich tatsächlich zu ihm hingezogen fühlte, oder ob die Ereignisse des Tages so zermürbend gewesen waren, dass sie einfach jemanden brauchte, der sie tröstete. Ihre Reaktion auf diesen Fremden war völlig unerklärlich. Leslie wusste es genau. Und doch, es fiel ihr schwer, auch nur einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Sie fühlte sich mit einem Mal so verletzlich wie nie zuvor in ihrem Leben. Dummerweise spiegelte sich die Verwirrung, die sie empfand, so deutlich auf ihren Zügen, dass Drew problemlos erraten konnte, was in ihr vor sich ging. Sein verstehender Blick ließ keinen Zweifel daran. Eine Sehnsucht, die sie glaubte, längst hinter sich gelassen zu haben, brach so unerwartet und mit solcher Macht aus, dass sie völlig aus der Bahn geworfen wurde. Es war keinesfalls so, dass Leslie nicht wusste, was sexuelle Anziehungskraft bedeutete schließlich war sie sechs Jahre glücklich verheiratet gewesen, bevor Walt, ihr Ex-Mann, mit vierzig Jahren so eine Art Torschlusspanik bekam und sich von seiner Familie trennte, um noch einmal von vorn anzufangen - mit einer Frau, die um etliche Jahre jünger war als Leslie. Von dem Tag an hatte Leslie keinem Mann mehr vertraut. Und in all den Jahren hatte es auch keinen Mann gegeben, der sie auch nur in Versuchung geführt hätte. Bis ihr Drew begegnet war...
Diese Tatsache sprach nicht gerade für ihre Menschenkenntnis. Wie konnte sie sich nach allem, was ihr zugestoßen war, noch einmal zu einem Mann hingezogen fühlen, der so offensichtlich durchs Leben vagabundierte? Leslie wollte, Drews Blick ausweichen, doch seine dunklen Augen erschienen ihr in diesem Augenblick noch geheimnisvoller als sonst. Sie hielten sie gefangen. "Somit wären wir also bei Schritt Nummer zwei des Planes angelangt." Drew unterbrach das Schweigen, das seit einiger Zeit zwischen ihnen herrschte. "Drew, ich kann das nicht... Und schon gar nicht zu diesem Zeitpunkt." "Was auch immer du jetzt sagen wolltest, Leslie, sag es nicht. Nicht jetzt." Die Intimität der Situation ließ Drew unmerklich zum vertrauten Du übergehen. Er legte die Taschenlampe sowie den Brief der Jungen auf den Tisch und zog Leslie liebevoll in die Arme. Er hob ihr Kinn leicht in die Höhe und erstickte jedes weitere Wort in einem Kuss, bevor sie auch nur wusste, wie ihr geschah. Zu ihrer Überraschung war die Berührung seiner Hände ungeheuer zärtlich. Und trotz der Kälte, die in der Hütte herrschte, waren seine Lippen weich und warm. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Leslie völlig vergessen hatte, dass sie diesem Mann, der sie so leidenschaftlich küsste, eigentlich nicht trauen durfte. Er wollte nur diese eine Nacht. "Du hast doch den Brief gelesen. Ich glaube, es ist an der Zeit, den nächsten Schritt zu tun", flüsterte er zärtlich an ihrem Hals. Dann küsste er sie wieder. Leslie zitterte, als sein Kuss leidenschaftlicher, seine Umarmung fester wurde. Sie konnte sich weder bewegen noch sprechen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich in seine Arme zu schmiegen und die Berührung seiner Lippen zu genießen. Leslie kannte diesen Mann erst seit wenigen Tagen, und doch war es ihm gelungen, sie alles um sich herum vergessen zu
lassen. Sie spürte nur noch seine Arme, mit denen er sie eng umschlungen hielt, und seine Lippen, mit denen er sie leidenschaftlich küsste. Wenn sie ihn doch nur so küssen könnte wie er sie, wenn sie ihn nur auf die gleiche Weise berühren, ihm zeigen könnte, welche Gefühle er in ihr erweckte. Doch dafür war der Preis zu hoch. Sie lief Gefahr, sich unglücklich zu machen. "Du bist wundervoll, Leslie Chambers", flüsterte er und streichelte behutsam ihren Hals. Er beugte ihren Oberkörper ein wenig zurück, um ihr in die Augen sehen zu können. "Ich weiß gar nicht, wie die Jungs darauf kommen, dass sie einen Mann für dich suchen müssen. Du hast doch in den letzten Jahren sicher sämtlichen Männern in der Gegend den Kopf verdreht." "Kann schon sein." Leslie wand sich aus seiner Umarmung. "Aber ich konnte keinem von ihnen trauen und schon gar keinen lieben." Dir Blick wies auf die schmale Liege. "Ich glaube übrigens nicht, dass die Jungen das, was du im Sinn hast, mit Schritt zwei gemeint haben. Sie wollten einfach nur, dass wir uns kennenlernen." "Ich finde, dass es durchaus eine angenehme Art ist, sich kennen zu lernen." Drew suchte ihren Blick und gab sie widerwillig frei, als er die Unsicherheit darin bemerkte. Leslie entfernte sich sofort ein paar Schritte von ihm. "Ehrlich gesagt beunruhigt mich das wenige, das ich von dir weiß, zutiefst." "Was habe ich denn Beunruhigendes an mir?" War es nicht eher ihre eigene Reaktion auf seine Nähe gewesen, die sie verunsicherte? Hatte er ihren rasenden Pulsschlag und das gerötete Gesicht denn so falsch gedeutet? "Mein Ex-Mann hat uns sitzenlassen." Leslie sah Drew offen ins Gesicht, als sie genau das aussprach, was sie in ihrem Leben am meisten fürchtete. "Ich möchte nicht, dass mir das noch einmal passiert."
Aber da war noch mehr. Leslies Sorge für die Kinder musste für sie an erster Stelle stehen. Sie war wichtiger als ihre Zuneigung zu Drew. Wenn sie heute Nacht ihrer Sehnsucht nachgab, war sie auf dem besten Weg, sich noch einmal in einen Mann wie Walt zu verlieben. Und ein gebrochenes Herz war das letzte, was sie gebrauchen konnte. Drew biss sich fest auf die Unterlippe. Er musste die Signale seines Körpers ignorieren, musste versuchen, seine für ihn typische Gelassenheit wiederzufinden. Leslie hatte recht. Er hatte bereits so lange ein Nomadenleben geführt, dass er nicht einmal mehr wusste, wie es war, sich an einem Ort fest niederzulassen. Nicht, dass er es bedauerte. Seit er als Teenager aus dem täglichen Einerlei ausgebrochen war, hatte er es nie bereut. Aber seit einiger Zeit wünschte er sich immer häufiger, dass sein Leben anders verliefe. Und er hatte sich nie zuvor so allein gefühlt wie in diesem Moment. Es war völlig normal, davon zu träumen, eine Frau wie Leslie zu haben. Das weiche braune Haar, die grünen Augen und ihre schlanke Figur hätten keinen Mann kalt gelassen. Aber Drew war ein Realist. Er wusste, dass er nicht in ihr Leben passte, genauso wenig wie sie sich in seinem zurechtfinden würde. Er konnte die Situation natürlich ausnutzen. Leslie wirkte mit einem Mal ängstlich und schwach. Er würde leichtes Spiel haben. Und doch - wenn er einer Laune des Augenblicks nachgab, würde er sich in eine schwierige Lage bringen. Bei einer Frau wie dieser hier lief er zu schnell Gefahr, sich verpflichtet zu fühlen. Drew zwang sich, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen. Selbst wenn Leslie und er gut zusammenpassten, würde es für sie keine gemeinsame Zukunft geben. Er liebte seine Freiheit viel zu sehr, als dass er sie aufs Spiel setzen wollte. Und Leslie wollte jemanden, der bereit war, sie bis ans Ende aller Tage zu beschützen.
Wenn Drew auch nur noch einen Funken Vernunft besaß, musste er spätestens in diesem Augenblick einen Rückzieher machen. "Tut mir leid", brach er endlich das lange Schweigen und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Ich habe anscheinend für einen Moment die Kontrolle verloren." "Nun gut. Dann sind zumindest alle Missverständnisse zwischen uns geklärt", entgegnete sie und wandte sich von ihm ab. "Dann müssen wir ja jetzt nur noch nach einem Weg aus der Hütte suchen." "Ich fürchte, da werden wir kein Glück haben. Ich habe alle Möglichkeiten durchgespielt, und ich sehe absolut keinen Ausweg." Drew setzte sich auf den einzigen Stuhl und nahm den Brief der Kinder erneut in die Hand. "Hast du keine Idee?" Leslie schüttelte den Köpf. Was ist wichtiger, die Zukunft oder die Anziehungskraft dieses Mannes? flüsterte ihr eine verborgene Stimme zu. Ihr innerer Aufruhr war so groß, dass sie einige Sekunden überlegte, ob sie Drews indirektes Angebot, sie zu trösten, nicht annehmen sollte. Ganz egal, was sich daraus entwickeln würde. Doch der Gedanke, dass sie die Folgen einer einzigen schwachen Stunde für den Rest ihres Lebens allein tragen musste, hielt sie davon ab. "Vielleicht sollten wir einfach damit anfangen, uns kennen zu lernen", schlug sie schließlich vor. "Wir könnten immerhin versuchen, Freunde zu sein und unsere Freundschaft mit einer gemeinsamen Mahlzeit beginnen." Sie deutete lächelnd auf die Apfel und die Kekse. Drew dachte an die Flugblätter der Jungen. "Freundschaft" war mit Sicherheit nicht das, was sie gemeint hatten. Sie hatten eine Belohnung für einen Dad ausgesetzt, doch das konnte Leslie natürlich nicht wissen, und er würde es besser für sich behalten. Wozu sollte er sie unnötig aufregen? Aber war sie
wirklich so naiv zu glauben, dass, die Kinder sich mit einer Freundschaft zwischen ihr und ihm zufriedengeben würden? "Also gut, was möchtest du über mich wissen?" fragte Drew und biß in ein Keks. Er konnte sich zwar Interessanteres vorstellen, als über sein Leben zu reden, aber irgendwie musste man die Zeit ja totschlagen. "Mich würde beispielsweise interessieren, was dich nach Calico verschlagen hat. Ich weiß, dass du ein Freund von Sheriff Carey bist, aber wieso Calico? Das paßt absolut nicht zu dir." "Wieso nicht? Calico ist nicht mehr als ein weiterer Meilenstein auf meiner Wanderschaft." Er hätte noch hinzufügen können, dass es keine Rolle für ihn spielte, wo er war, solange er nur unterwegs war. Früher hatte er stets eine Antwort auf diese Frage parat gehabt. Er hatte einfach behauptet, dass er das Leben bei Onkel und Tante nicht hatte ertragen können, doch heute wusste er, dass das nur die halbe Wahrheit war. Er war auf der Suche nach irgend etwas. Allerdings wusste er selbst nicht, wonach. "Es gibt kein Geheimnis um meine Person", fuhr er fort, als er ihren fragenden Bück bemerkte, "Ich bin einfach nur ein unsteter Mensch." Drew gefiel ihr misstrauischer Blick nicht. Hatte er nicht vor wenigen Minuten beteuert, dass sie nichts von ihm zu befürchten hatte? Wieso konnte sie ihm nicht glauben? Ich bin weder vorbestraft, noch werde ich polizeilich gesucht. Glaubst du wirklich, Sheriff Carey hätte mich sonst zum Hilfssheriff gemacht? Wenn du irgend etwas Konkretes über mich wissen willst, dann frag' mich jetzt. Ansonsten bin ich an der Reihe." "Okay", stimmte Leslie zu, während sie an einem Keks knabberte. "Aber es ist auch nicht einfach, etwas aus dir herauszubekommen. Also, ich würde gern wissen, wo du herkommst, und was das Ziel deiner Wanderschaft ist." "Der erste Teil ist leicht zu beantworten", begann Drew und lehnte sich, so bequem es eben ging, auf dem viel zu kleinen
Stuhl zurück. "Ich bin in einem Dorf in Pennsylvania geboren und mit siebzehn Jahren von dort abgehauen." "Und du hast die Absicht, dein Nomadenleben fortzusetzen." "Ich denke schon. Zumindest solange, bis ich gefunden habe, was ich suche." Unter Leslies abschätzendem Blick fing Drew allmählich an, sich unbehaglich zu fühlen. "Jetzt bin ich aber an der Reihe", sagte er hastig, um das Gespräch von sich abzulenken. "Da anscheinend alle Menschen in Calico Zugezogene sind, würde mich interessieren, wo du herkommst." "Ich komme aus Barstow. Das liegt südlich von hier. Dort habe ich bis zu meiner Scheidung gelebt. Danach bin ich nach Calico gezogen, um hier mein Geschäft zu eröffnen. Ich dachte, es wäre ein guter Platz, um die Kinder großzuziehen. Nach allem, was sie allerdings in der letzten Zeit hier angestellt haben, bin ich da nicht mehr ganz so sicher." "Ich glaube kaum, dass das Verhalten der Jungen etwas mit Calico zu tun hat", meinte Drew. Leslie nickte. "Wahrscheinlich hast du recht", stimmte sie mit einem schwachen Lächeln zu. "Es liegt nicht an Calico oder Barstow. Wahrscheinlich habe ich einfach nicht genügend Zeit, mich um die beiden zu kümmern." Drew konnte seine Gedanken nicht länger für sich behalten. "Du tust bestimmt alles, was in deiner Macht steht. Aber hast du vergessen, wie sehr die beiden sich einen Vater wünschen?" Leslie sah erstaunt auf, blieb ihm aber die Antwort schuldig. "Wo hast du Tom Carey kenne n gelernt?" wechselte sie das Thema. "Bei einem Rodeo. Ich hatte mich den Leuten, die mit dem Rodeo von Ort zu Ort zogen, damals für ein paar Monate angeschlossen, und Carey war geschäftlich unterwegs. Er erzählte mir eine Menge über Calico und meinte, ich sollte mich doch mal bei ihm melden, wenn ich die Absicht hätte, sesshaft zu werden."
"Aber du hast doch gar nicht die Absicht, sesshaft zu werden." "Stimmt", bestätigte Drew. "Obwohl - im Augenblick sieht es ja so aus, als hätte ich gar keine andere Wahl", schmunzelte er. Dann schwiegen sie eine Weile. Plötzlich zerriss ein lautes Donnerkrachen die Stille in der Hütte. Blitze erhellten das kleine Fenster für Sekunden. Ein Windstoß pfiff durch die Ritzen in der Tür und rüttelte an dem wackligen Tisch. Die Taschenlampe fiel polternd zu Boden. "Na wunderbar", brummte Drew. "Genau die richtige Zeit für ein Unwetter." Er bückte sich nach der Taschenlampe und probierte, ob sie noch funktionierte. "Ich bin gespannt, wie lange diese verfluchten Batterien noch halten. Aber ..." Bevor er fortfahren konnte, bemerkte er, dass Leslie am ganzen Körper zitterte. "Warte!" Er setzte sich neben sie auf die Liege und legte ihr die einzige Wolldecke um die Schultern. "Gleich wird dir wärmer." "Danke", sagte Sie und seufzte tief. "Langsam fange ich doch an, mir Sorgen um meine Söhne zu machen. Stell dir vor, sie irren bei dem Unwetter irgendwo in der Wüste herum..." "Sie sind bestimmt in Sicherheit", beruhigte Drew sie. "Wahrscheinlich liegen sie längst brav in ihren Betten. Be i so einem Wetter geht doch kein Mensch freiwillig aus dem Haus. Außerdem können sie sich gegenseitig trösten." Draußen donnerte es erneut. Die baufällige Hütte bebte in ihren Grundfesten. Leslie rückte vorsichtshalber näher zu Drew. Blitze und Donner folgten einander Schlag auf Schlag. Das Unwetter schien genau über der Hütte zu stehen. Leslie stöhnte auf und verkroch sich noch tiefer unter die Decke. "Frierst du immer noch?" "Ja. Und Angst habe ich auch", erwiderte sie ehrlich. "Ich gebe es zwar nicht gern zu, aber ich hatte von jeher Angst vor
Gewitter; Ein Glück, dass die Jungs nicht hier sind und sehen, was für ein Feigling ich bin." Drew wusste, dass diese Frau über einen ungeheuren Stolz verfügte und dass es ganz anderer Katastrophen bedurfte als eines Sommergewitters, um sie aus der Fassung zu bringen. Er legte den Arm um sie und zog sie dicht an sich. Es fiel ihm schwer, dem Verlangen zu widerstehen, das ihre Nähe bei ihm auslöste. "Lass mich dich wärmen", bot er sanft an, woraufhin Leslie den Kopf gegen seine Schulter lehnte und erleichtert aufseufzte. Ihr warmer Atem an seinem Hals ließ Drews Gedanken abschweifen. Er erinnerte sich wieder an den leidenschaftlichen Kuss, den sie vor wenigen Minuten getauscht hatten. Während er beruhigende Worte in ihr weiches, duftendes Haar flüsterte, dachte er an etwas ganz anderes, viel Intimeres. "Was sagtest du, wie lange es her ist, dass dich zum letzten Mal ein Mann in den Armen hielt?" fragte er zärtlich. "Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern", erwiderte Leslie. "Aber ich glaube, es ist ewig her." Drew strich ihr sanft über die Wange und dachte nach. Entweder, er gab seiner Leidenschaft nach und ließ sie auf diese Weise die Angst vor dem Gewitter vergessen. Oder er hielt sie die ganze Nacht in den Arme n. Die Antwort lag auf der Hand. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, dass Leslie als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern genügend Probleme hatte, wenn sie ein neues Leben aufbauen wollte. Er hatte nicht das Recht, ihr noch weitere Schwierigkeiten aufzubürden. Als Leslie wieder zu zittern begann, drückte er sie behutsam auf die Liege und legte sich neben sie. Sie wollte protestieren, doch er beruhigte sie. "Bleib ganz ruhig, und vertraue mir. Solange wir hier eingeschlossen sind, will ich nichts weiter als dich wärmen." "Wirklich nichts weiter?" fragte sie zweifelnd.
"Wirklich nicht", bestätigte er. "Und jetzt versuche einfach zu schlafen." "Ist dir wärmer?" fragte er, als Leslie sich einige Zeit später in seinen Armen entspannte. "Ein bisschen", murmelte sie schon im Halbschlaf. Drew zog die Decke noch fester um ihre Schultern und strich beruhigend über ihr Haar. Es kostete ihn unglaubliche Kraft, sie nicht an sich zu reißen und leidenschaftlich zu küssen. "Ist es so besser?" fragte er statt dessen besorgt. "Viel besser. Und wie geht es dir? Du musst doch auch frieren. Die Nächte in der Wüste sind schrecklich kalt, und es war so ein anstrengender Tag." Kalt? Drews Verlangen nach ihr war so überwältigend, dass ihm eher kochendheiß war. Er versuchte, an etwas anderes zu denken, stellte sich vor, dass er in einer Woche wieder auf Tour sein würde, dass es nichts gab, was ihn an einem Ort wie Calico halten würde, und dass sein Leben als Tramp das Non-plus- ultra war. Doch nichts half. "Mir geht es gut", log er nach längerem Schweigen. "Die Decke wärmt mich auch." Und Leslies warmer Atem, die schlafwarme, leicht gerötete Haut taten das übrige, als sie sieh näher an ihn kuschelte. "Wir können die Decke meinetwegen teilen", flüsterte sie. "Auf keinen Fall", wehrte er hastig ab. "Schlaf jetzt einfach. Es ist schon bald morgen." Sekunden später verriet ihr tiefer gleichmäßiger Atem, dass sie endlich eingeschlafen war. Wenn die Dinge zwischen ihnen anders gestanden hätten, wäre er nicht so zurückhaltend gewesen. Er hätte die Möglichkeit; sie zu lieben, nicht ungenützt verstreichen lassen. Sie hätte ihm gehört, und für ein paar Tage wären sie vielleicht glücklich gewesen. Leslie verkörperte alles, wovon Drew je geträumt hatte. Wäre er jünger gewesen, so jung, dass er noch an ein Happy-End glaubte, wäre wahrscheinlich alles anders
verlaufen. Doch heute glaubte er weder an Happy-Ends noch an Märchen. Eigentlich sollte er jetzt auch nicht neben ihr liegen und sie in den Armen halten, sondern nach einem Ausgang aus der Hüt te suchen. Aber dazu war es zu dunkel. Er würde warten müssen, bis es hell wurde. Drew schmiegte sein Gesicht in Leslies duftendes Haar. Warum belog er sich eigentlich selbst. Leslie wollte nichts von ihm. Seine Träume waren nichts als Seifenblasen. Er durfte sie nur in den Armen halten, weil sie sich um die Jungen sorgte, das Gewitter ihr Angst machte und sie außerdem auch noch fror.
5. KAPITEL Das Geräusch von berstendem Holz drang entfernt in Drews Bewusstsein. Zwei Kinderstimmen und die tiefe raue Stimme eines älteren Mannes folgten. Drew musste sich erst einmal sammeln. Widerstrebend öffnete er die Augen. "Ihr müsst den Riegel ganz rausbrechen", brummte die Männerstimme. "Cool", antwortete die eine Kinderstimme begeistert. "Ja, echt cool", echote die zweite. Drew wachte allmählich auf. Es kostete ihn geraume Zeit, bis er die verfallene Hütte, den schmutzigen Fußboden und die alten Einrichtungsgegenstände zuordnen konnte. Richtig, Leslie und er waren in der Hütte gefangen. Er hatte also nicht geträumt. Der Schmutz, die Spinnweben, alles war noch da. Und neben ihm lag Leslie Chambers. Sie hatte sich im Schlaf eingerollt und noch dichter an ihn geschmiegt, um seine Wärme zu spüren, und er hatte wie selbstverständlich die Arme um sie gelegt und sie fest ah sich gedrückt. Eine verflixt ungünstige Zeit für eine Rettungsaktion, dachte er, als drei Gestalten im Türrahmen erschienen. Drew hielt den Atem an und erhob sich vorsichtig, um Leslie nicht aufzuwecken. Leise fluchend öffnete er dann den Gürtel seiner Hose und steckte das Hemd, das im Schlaf herausgerutscht war, wieder an seinen Platz. Anschließend ging
er zur Tür und gab den drei Störenfrieden, die ihm die ganze Zeit über interessiert zugesehen hatten, schweigend zu verstehen, dass sie mit ihm vor die Hütte kommen sollten. Die Jungen starrten ihn gebannt an, wirkten jedoch äußerst selbstzufrieden und hatten die stürmische Nacht offensichtlich ausgesprochen gut überstanden. Alan Little, der Stallbesitzer, sah aus, als hätte er soeben im Lotto gewo nnen. "Was haben Sie denn hier zu suchen, Little?" fragte Drew, während er Jeremy und Tim finster anstarrte. "Wir haben die Tür nicht mehr aufbekommen", antwortete Jeremy an Alan Littles Stelle, "Deshalb haben wir Mr. Little gebeten, uns zu helfen." "Ich habe Mr. Little gefragt", wies Drew den Jungen zurecht. "Ihr seid später dran." Drew kam sich ziemlich lächerlich vor. Welchen Anblick hatten Leslie und er Alan Little geboten, wie sie da aneinander geschmiegt auf der engen Liege gelegen hatten - und dann noch dieses verfluchte Hemd, das ihm aus der Hose gerutscht war. "Ich war gerade auf dem Weg zu Maddie, um zu frühstücken, als die Jungs mich ansprachen", erklärte Alan Little. "Sie sagten, es wäre ein Notfall, und baten mich, mit zu der Hütte zu kommen." Dann grinste er unverschämt. "Aber ich habe nicht den Eindruck, dass Sie meine Hilfe brauchen." "Was zum Teufel wollen Sie damit sagen?" fragte Drew drohend. "Nichts, nichts." Alan Little zuckte regelrecht zusammen. "Es war ja nur Spaß." Drew nickte, obwohl ihn Littles Antwort in keiner Weise befriedigte. Er wollte die Angelegenheit jedoch nicht in Gegenwart der Kinder bereinigen. Er würde sich den unverschämten Stallbesitzer später noch einmal vorknöpfen und zwar unter vier Augen.
"Haben die Kinder Ihnen die Pferde wohlbehalten zurückgebracht?" wechselte er jetzt das Thema. "Ja, das haben sie. Sie haben sich sogar dafür entschuldigt, dass sie die Tiere ohne zu fragen aus dem Stall genommen haben, und mir zwanzig Dollar Leihgebühr gegeben." "So, haben sie das?" Drew betrachtete die Kinder, die wie zwei Unschuldsengel dastanden. Es war kaum zu glauben, dass sie gestern abend ihr Meisterstück geliefert hatten. Und sie waren sich ihrer Sache anscheinend ziemlich sicher, wenn sie die Zwanzig- Dollar-Belohnung ohne Zögern bereits für die Leihgebühr opferten. "Möchten Sie Anzeige gegen die beiden Pferdediebe erstatten?" wandte Drew sich erneut an Alan Little, der immer noch das Brecheisen in der Hand hielt, mit dem er die Tür geöffnet hatte. Drew beobachtete Jeremy und Tim aus den Augenwinkeln, um zu sehen, welche Reaktion seine Worte bei ihnen hervorriefen. Sie sollten wissen, dass sie nicht ungeschoren davonkommen würden. "Nein", entgegnete Alan erleichtert darüber, dass nun die Jungs Zielscheibe von Drews Unmut waren. "Zwanzig Dollar für einen Nachmittag ist ein guter Preis. Mich würde übrigens interessieren, wieso Sie hier eingesperrt waren." Alan versuchte, über Drews Schulter hinweg in die Hütte hineinzusehen, wo Leslie allmählich anfing, sich zur rühren. "Das ist eine lange Geschichte", erwiderte Drew und versperrte Alan mit seinen breiten Schultern den Blick. "Und ich bin überzeugt, dass sie Sie überhaupt nicht interessieren würde." "Oh, da wäre ich an Ihrer Stelle nicht so sicher", entgegnete Alan Little mit einem breiten Grinsen. "Außer mir sind auch noch ein paar andere mächtig daran interessiert zu erfahren, was heute nacht hier vorgefallen ist." "Drew?" Leslies Stimme drang aus dem Innern der Hütte zu ihnen nach draußen. "Ist jemand bei dir? Hast du die Tür endlich aufbekommen?"
"Nein. Aber deine Kinder haben es geschafft. Und sie haben auch gleich Hilfe mitgebracht." Als Leslie vor die Tür trat, verschlug es ihr zunächst die Sprache. Mit Alan Little hatte sie wahrhaftig nicht gerechnet. Dennoch fing sie sich schnell wieder, eilte zu den Kindern und schloss sie in die Arme. Dabei traten ihr Tränen der Erleichterung in die Augen. "Guten Morgen, Mrs. Chambers", grüßte Alan Little immer noch unverschämt grinsend. "Wir haben uns gestern abend schon Sorgen gemacht, weil sie nicht zu der Sitzung erschienen sind." Um Himmels willen! Die Sitzung! Leslies Erleichterung wich ihrem Ärger. Sie hatte tatsächlich ihren ersten offiziellen Auftritt als Bürgermeisterin von Calico versäumt. Und was noch schlimmer war, sämtlichen Einwohnern von Calico hatte sie gleich das Gesprächsthema für die kommenden Wochen gratis dazugeliefert. Ein Blick in Alan Littles grinsendes Gesicht bestätigte ihre Befürchtungen. Es würde keine halbe Stunde dauern, bis ganz Calico wusste, dass sie die Nacht in den Armen des Hilfssheriffs verbracht hatte. "Wie konntet ihr mich nur hier einsperren", fuhr sie die Jungen an. "Ich hatte euch doch von der Sitzung erzählt." "O je, Mom, die Sitzung hatten wir ganz vergessen. Wir dachten, dass du dich freust, wenn du eine Nacht mit Mr. McClain verbringen könntest." "Wie bitte? Wieso sollte ich mich freuen?" Leslie wurde immer wütender. "Weil ich mich vielleicht gern zum Gespött der Leute mache?" Zum ersten Mal meldete sich Tim zu Wort. "Nein, im Ernst, Mom, wir haben nur gedacht, dass du Mr. McClain einmal richtig kennenlernen solltest", verteidigte er sich. "Er ist wirklich cool. Jeremy und ich mögen ihn sehr." Drew zuckte regelrecht zusammen. Cool? Sie fanden ihn cool, obwohl er ihnen die Leviten gelesen hatte, sie gezwungen
hatte, sich bei allen möglichen Leuten für die Aktion mit dem Dynamit zu entschuldigen, und dafür gesorgt hatte, dass sie ihre Strafe abarbeiteten? Außerdem hatte er ihnen auch noch die Sache mit den Flugblättern vermasselt. Drew konnte sich nicht erinnern, jemals so eigenwillige Kinder gesehen zu haben. Wenn sie ein Ziel verfolgten, war ihnen jedes Mittel recht, es auch zu erreichen. "Ist ja auch egal, Mom", meinte Tim schließlich eifrig. "Auf jeden Fall könntet ihr jetzt beide die Wette gewinnen." "Wette? Welche Wette?" fragte Leslie scharf. Tim hatte sich verplappert. Er warf Drew einen hilfesuchenden Blick zu. Alan Little räusperte sich verlegen und wollte gerade anfangen zu erklären, als Drew ihm zuvorkam. "Halten Sie den Mund, Alan. " Drews Stimme duldete keinen Widerspruch. Er wollte um keinen Preis riskieren, dass Leslie etwas von dieser albernen Wette zu Ohren kam, über die die Männer im Saloon gesprochen hatten, als er und Tim versucht hatten, die Flugblätter zurückzubekommen. "Entschuldigt mich bitte, Leute", sagte Alan Little endlich, immer noch mit einem hämischen Grinsen. "Ich muss zurück, um meinen Laden aufzumachen. Soll ich die Jungs gleich mitnehmen?" "Nein", lehnte Drew bestimmt ab. "Die beiden kommen mit mir. Aber wir beide rechnen später noch miteinander ab," Little nickte, setzte sich den Hut auf den Kopf, warf Leslie noch einen letzten abschätzenden Blick zu und ging. Als er außer Hörweite war, schickte Drew die Jungen in die Hütte. "Ich möchte eine Minute mit eurer Mutter reden. Ich rufe euch, wenn wir fertig sind, und dann kommt ihr erst einmal mit mir." "Auf keinen Fall", protestierte Leslie, sobald die Kinder die Tür hinter sich geschlossen hatten. "Ich weiß, dass die Situation für dich ebenso unangenehm ist wie für mich, aber trotzdem werden die beiden jetzt erst einmal mit mir nach Hause
kommen. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, mit ihnen zu diskutieren." "O doch", entgegnete Drew energisch. "Das ist genau der richtige Zeitpunkt. Ich habe es satt, den freundlichen, verständnisvollen Burschen zu spielen. Ich habe noch ein Hühnchen mit ihnen zu rupfen. Du gehst inzwischen nach Hause, und wartest dort auf sie." "Nein. Ohne die Jungen gehe ich nicht nach Hause", erwiderte Leslie schnippisch. "Wenn du besser auf sie aufgepasst hättest, wäre das alles ja gar nicht passiert." Leslie bereute ihre ungerechten Worte sofort. Sie biss sich verlegen auf die Unterlippe. Der Ärger und die Sorge um die' Kinder machten es ihr nahezu unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie hatte kein Recht, ihm Vorwürfe zu machen. Er hatte sie eine Nacht in den Armen gehalten und sie gewärmt, ohne auch nur den geringsten Versuch zu unternehmen, ihre Hilflosigkeit auszunutzen. Wie schwer war es ihr gefallen, ihrer Sehnsucht nach Erfüllung nicht nachzugeben, nicht auf seine überwältigend männliche Ausstrahlung zu reagieren. Er hätte ein leichtes Spiel mit ihr gehabt. Und er hatte es gewusst. Hätte sie sich ihm in der vergangenen Nacht hingegeben, würde ihre Zukunft von diesem Augenblick an völlig anders verlaufen und seine ebenfalls. Drew sah sie entgeistert an. Nach allem, was er für sie und die Jungs getan hatte, gab sie ihm die Schuld an den Ereignissen der vergangenen Nacht? "Willst du damit sagen, dass das alles meine Schuld war?" fragte er hitzig. "Zum Teil", entgegnete Leslie unbehaglich. "Ich meine, wenn du besser auf die Jungs aufgepasst hättest, dann ..." Das Wort blieb ihr im Halse stecken, als Drew ihr einen vernichtenden Blick zuwarf. Entschlossen setzte er seinen Hut auf. War das tatsächlich die Frau, die er die ganze Nacht in den
Armen gehalten hatte? Wieso beschuldigte sie ihn völlig grundlos? Das mindeste, was er von ihr erwartet hatte, war ein wenig Dankbarkeit, allein dafür, dass er ihre Schwäche nicht ausgenutzt hatte. Aber alles in allem hatte er noch nicht viele nette Worte von Leslie Chambers gehört. Wieso sollte sich das also nach dieser gemeinsamen Nacht geändert haben? "Na gut", sagte er endlich und ging zur Hütte hinüber, um die Jungen zu holen. "Du sollst deinen Willen haben. Tim und Jeremy, ihr könnt jetzt 'rauskommen." Dann wandte er sich wieder an Leslie. "Von jetzt an sind die Jungen ganz allein deine Angelegenheit. Allerdings zweifle ich daran, dass du mit ihnen fertig wirst. Was dir in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist, wirst du wohl jetzt auch nicht fertig bringen." Er ging zu seinem Wagen, stieg ein und knallte die Tür zu. "Ihr könnt mit eurer Mutter nach Hause fahren", rief er den Jungen zu, als sie zielstrebig auf seinen Land Rover zuliefen. Die ängstlichen Blicke, die sie Leslie dabei zuwarfen, schnitten ihm ins Herz. Ein Jammer, dass sich alles so entwickelt hatte. Er hatte zumindest gehofft, dass Leslie und er Freunde werden könnten vielleicht sogar mehr als das. Drew gab Gas und raste durch die malerische Hügellandschaft, die er jetzt keines Blickes würdigte. Zurück blieb nur eine Staubwolke. Sicher, sie hatte ihm von Anfang an zu verstehen gegeben, dass sie für Männer wie ihn kein Interesse hatte. Anscheinend hatte sie dem anderen Geschlecht sogar vö llig abgeschworen. Er konnte es ihr nicht einmal verübeln. Leslie kannte ihn ja kaum. Allerdings hatte sie sich auch nicht die Mühe gemacht, ihn kennenzulernen. Nur eins wusste er mit Sicherheit. Selbst wenn er ihr nicht das geringste bedeutete, es gefiel ihr, von ihm geküsst zu werden. Hastig verwarf er den Gedanken. Diese Frau hatte ihn glatt verhext. Wer eine Frau wie Leslie begehrenswert fand, konnte
nur verlieren. Von jetzt an würde er nur noch seinen Job als Hilfssheriff erledigen, und wenn die paar Tage, die er Carey versprochen hatte, vorüber waren, würde er weiterziehen, als wäre nichts gewesen. Nur eins musste er vorher noch erledigen. Die Wette. Er musste diese unerfreuliche Angelegenheit aus der Welt schaffen, bevor Leslie Wind davon bekam. Als Drew seinen Wagen hinter dem Gefängnis zum Stehen brachte, waren bereits einige Männer auf dem Weg in Richtung Saloon. "Moment mal, Andrews", rief er dem Fotografen zu, der soeben an ihm vorbeistürmte. "Ich muss mit Ihnen reden." "Hat das nicht Zeit bis nachher?" erwiderte Keith Andrews ungeduldig. "Ich hab's eilig." "Was Sie nicht sagen." Drew holte ihn ein. "Was ist denn los?" "Wenn Sie's unbedingt wissen wollen", erklärte er unwillig. "Ich bin gerade auf dem Weg zu einer Zusammenkunft." "Zu einer Zusammenkunft?" hakte Drew nach. Also hatte Little keine Zeit verloren. In Calico angekommen hatte er als erstes alle Männer der Stadt zusammengetrommelt. Die Neuigkeiten verbreiteten sich hier wie ein Lauffeuer. "Tun Sie doch nicht so unschuldig, McClain", antwortete Andrews mit einem spöttischen Grinsen. "Sie wissen doch so gut wie ich, dass eine Wette im Gange ist. Und wenn ich Littles Andeutungen richtig interpretiert habe, ist heute der Tag der Wahrheit." "Da wäre ich mir an Ihrer Stelle nicht so sicher." Drew packte den Fotografen bei den Schultern und zwang ihn, stehenzubleiben. "Zufällig weiß ich nicht so viel über die Wette, wie ich gerne wüsste. Wie war's mit ein paar Einzelheiten, so dass ich mitreden kann?" "Verflixt." Andrews blickte ungeduldig zum Saloon, wo sich schon einige Männer versammelt hatten. "Einzelheiten spielen
keine Rolle. Wichtig ist nur, dass Leslie und Sie eine Nacht allem in einer Hütte verbracht haben." "Eine Nacht, in der nichts geschehen ist, was für irgend jemanden hier von Interesse sein könnte. Und wenn Sie mir nicht sofort sagen, was es konkret mit der Wette auf sich hat, dann ..." Drew kam nicht einmal dazu, seine Drohung auszusprechen. "Also gut", gab Andrews nach. "Meinetwegen können Sie alles erfahren. Meinen Gewinn kann ich ja auch später noch abholen." "Reden Sie endlich", drängte Drew. "An dem Tag, als Leslie und Sie sich bei Maddie unterhalten haben, sind Herb und Frank auf die Idee gekommen zu wetten, dass Sie in der Lage sein würden, unsere Bürgermeisterin zu zähmen und sie zu erobern", stieß Andrews ohne Umschweife hervor. Drew sah ihn vernichtend an. "Hey, es war nicht meine Idee." Das ärgerliche Funkeln in den Augen des Sheriffs machte ihm Angst. "Ich habe nur mitgewettet, weil ich an dem Geld interessiert war. Nehmen Sie es doch nicht gleich persönlich." "Das ist die dümmste Geschichte, die ich je gehört habe", gab Drew ungehalten zurück. "Und wer wettet gegen euch?" "Maddie Hanks und ein paar andere Frauen." Geringschätzig betrachtete Drew den Fotografen. Das anzügliche Grinsen erweckte bei ihm geradezu ein Gefühl von Übelkeit. "Tja, dann muss ich euch leider enttäuschen. Dir habt die Wette verloren. Zwischen der Bürgermeisterin und mir hat sich nicht mehr zugetragen als zwischen ihr und einem von euch." "Moment mal. Das glaubt Ihnen doch kein Mensch, nachdem Little euch beide im Bett überrascht hat, und Sie noch dazu nur halb angezogen waren. Das ist der eindeutige Beweis."
Drews Gedanken überschlugen sich. Er konnte die vergangene Nacht nicht ungeschehen machen, aber der Gedanke, dass man Leslies guten Ruf absichtlich und ungerechtfertigterweise in den Schmutz zog, gefiel ihm überhaupt nicht. Vielleicht würde man ihr ja glauben, wenn er Calico in ein paar Tagen wieder verließ; "Nicht, dass es euch etwas angeht, aber ic h garantiere euch, dass letzte Nacht absolut nichts geschehen ist. Wenn ich meinen Job hier erledigt habe, ziehe ich sowieso weiter.'' Drew sah Andrews durchdringend an. "An eurer Stelle würde ich die Sache mit der Wette schleunigst vergessen. Es gibt nichts zu wetten. Und wenn Sie Ihren Freunden einen Gefallen tun wollen, dann sagen Sie's gleich weiter." "Nun." Andrews unverschämtes Grinsen vertiefte sich. "Zu wetten gibt es immer etwas." "Was wollen Sie damit sagen?" Drew gefiel der anmaßende Gesichtsausdruck seines Gegenübers absolut nicht. "Ich will damit sagen, dass ich die Absicht habe, Leslie den Hof zu machen. Das gibt ausreichend Stoff für eine neue Wette. Unsere Bürgermeisterin ist immerhin eine tolle Frau, und unter der harten Schale verbirgt sich mit Sicherheit die pure Leidenschaft. Man muss nur die richtigen Worte finden." "Na, dann wünsche ich Ihnen viel Glück", meinte Drew betont gleichgültig, obwohl er so etwas wie Eifersucht verspürte. Das war für ihn eine ganz neue Erfahrung. "Bei Leslie können Sie das gut gebrauchen." "Sagten Sie, Leslie“? Seit wann nennen Sie sie beim Vornamen? Vielleicht kann ich ja zwei Wetten gewinnen." Drew ballte die Faust in der Tasche. "Was wollen Sie damit sagen, Andrews?" Andrews rückte seinen steifen Hemdkragen zurecht. "Vielleicht ist heute nacht in der Hütte ja doch mehr vorgefallen, als Sie zugeben wollen. Dann hätte ich die ursprüngliche Wette doch noch gewonnen. Und wenn Leslie Chambers die
zukünftige Mrs. Andrews wird, kassiere ich auch noch die ausgesetzte Belohnung, ganz zu schweigen von der Silbermine. Ich würde sagen, ein recht einträgliches Geschäft. Und was die beiden Jungen anbelangt, die würden endlich einmal eine saftige Tracht Prügel bekommen." Drew schauderte bei dem Gedanken. "Ich habe keine Lust, mich ständig zu wiederholen, Andrews. Haben Sie immer noch nicht kapiert, dass diese Frau kein Freiwild ist? Genauso wenig wie ihre beiden Söhne." "Halten Sie sich da heraus, McClain. Ihr Job ist es, sich um das Gesetz zu kümmern, und ich wüsste nicht, dass es ein Verbrechen ist, Leslie Chambers heiraten zu wollen." Er drehte sich auf dem Absatz um und verschwand im Saloon. Drew ging energisch auf das Gefängnis zu. Auch wenn er nicht daran dachte, seinen Aufenthalt in Galico zu verlängern, so war er doch entschlossen, ein Auge auf Leslie und die Kinder zu haben, solange er in der Stadt war.
6. KAPITEL Schwer bepackt mit Holzbrettern machte Drew sich auf den Weg zu Leslie. Er wollte endlich mit der Wiederaufbau des Schuppens hinter dem Laden anfangen. Den Zimmermannsgürtel, der ihm auf seinen Reisen oft gute Dienste geleistet hatte, wenn er sich hier und da mit kleinen Handlangerdiensten seinen Lebensunterhalt verdiente, hatte er locker um die Hüften geschwungen. Drew atmete tief die frische Morgenluft ein. Eine leichte Brise schob die weißen Schönwetterwolken am strahlend blauen Himmel vor sich her. Der Morgen war wie dafür geschaffen, die Arbeit am Schuppen aufzunehmen. Außerdem sollten die Kinder endlich ihre Strafe abarbeiten, und er, Drew, hatte einen Grund, sich in Leslies Nähe aufzuhalten. Obwohl Drew Leslie in der ersten Wut gedroht hatte, sich nicht mehr um ihre Angelegenheiten zu kümmern, quälte ihn doch das schlechte Gewissen. Nicht zuletzt wegen der Jungen. Er konnte sich sehr gut in die beiden hineinversetzen. Hatten ihm nicht selbst im Laufe der Jahre genügend Leute den Rücken gekehrt? Und dann sah er wieder Leslie vor sich. Ihr rotbraunes Haar, die grünen Augen und ihr zügelloses Temperament hatten es ihm angetan. Wie sehr hatte er die Nacht in der ungastlichen Hütte genossen, obwohl es ihm so schwer gefallen war, sein unbändiges Verlangen im Zaum zu halten. Das Gefühl, sie in
den Armen zu halten, das gleichmäßige Auf und Ab ihrer Brüste an seinem Oberkörper, ihre weiche, warme Wange an seiner, all das würde er niemals vergessen. Wäre die Situation anders gewesen, hätte er sich nicht so zurückhaltend benommen. Er hätte sie so leidenschaftlich geliebt, bis sie beide erschöpft und doch zufrieden miteinander hätten einschlafen können. Er wusste nicht, wie lange es her war, dass er einem anderen Menschen so nahe gewesen war. Nach dem Tod seiner Eltern hatte er in der vergangenen Nacht zum ersten Mal ein Gefühl der Zugehörigkeit und Verantwortung gehabt. Drew blieb für kurze Zeit vor der Ladentür stehen. Nicht einmal Leslies Abfuhr, nachdem die Jungen wohlbehalten wieder aufgetaucht waren, hatte ihn davon abhalten können, diese eigenwillige Frau zu begehren. Sie zähmen? Nein, das war das letzte, was er sich wünschte. Er mochte sie so, wie sie war. Drew legte die Bretter, auf der Veranda vor dem Haus ab und betrat den Laden. Leise vor sich hinsummend ging Leslie ihrer gewohnten Arbeit nach. Sie trug ein grünes Kleid, das ausgesprochen gut zu der Farbe ihrer Augen passte, und das ebenmäßige Gesicht war von dicken Zöpfen umrahmt. Zum ersten Mal sah er die zarten Sommersprossen, die sich über die obere Wangenpartie zogen. Sie ließen ihre ernsten Züge weicher erscheinen. Drew mochte sogar die Art, wie sie sich auf die Unterlippe biss, während sie sich auf die Handarbeit in ihrem Schoß konzentrierte. Nachdem Drew Leslie ein paar Minuten bei ihrer Arbeit zugesehen hatte, räusperte er sich, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Leslie blickte auf und errötete. Sie fühlte sich ertappt, weil sie seit geraumer Zeit an diesen großen, schlanken, so verflucht männlichen Mann, der da jetzt vor ihr stand, gedacht hatte. Die Erinnerung an die vergangene Nacht kam wieder hoch. Das Gefühl, in seinen Armen zu liegen und seinen festen,
warmen Körper so dicht an ihrem zu spüren. Sie hatte sich nach mehr gesehnt, und sie wusste genau, dass es ihm ebenso ergangen war, Leslie wich seinem Blick aus. Wie leicht hätte er ihre Gedanken sonst erraten können. "O hallo!" brachte sie endlich mühsam hervor. "Nach allem, was vorgefallen ist, hatte ich nicht erwartet, dass du noch in Calico bist." "Hatte ich dir nicht versprochen, eine ganze Woche zu bleiben?" fragte er lächelnd. "Gewöhnlich stehe ich zu meinem Wort." Drew kam noch näher und blieb direkt vor ihr stehen. Irgendetwas führte er im Schilde. Diesen seltsamen Gesichtsausdruck kannte sie nur zu gut von Jeremy und Tim. Sie wollte gerade danach fragen, als ihr Blick auf sein frischgewaschenes Haar fiel, das nur wenige Zentimeter von ihr entfernt war. Außerdem nahm sie den Duft seines männlich herben Rasierwassers viel zu deutlich wahr. Selbst der kleine Schnitt, den er sich beim Rasieren versehentlich am Kinn zugefügt hatte, irritierte sie. "Ich hatte versprochen, den Jungs zu zeigen, wie sie den Schuppen reparieren können. Und hier bin ich. Werkzeug habe ich vorsichtshalber auch mitgebracht, weil ich nicht wusste, ob du alles im Haus hast." Leslie wandte den Blick widerstrebend von seinen sinnlichen Lippen und betrachtete den Gürtel mit dem gut sortierten Zimmermannswerkzeug. Unglücklicherweise konnte sie sich nicht auf das eigentliche Anliegen konzentrieren. Sie hatte ständig das Bild vor Augen, wie er gestern morgen, nach der Explosion, neben Maddie die Straße entlanggelaufen war. Der nackte Oberkörper, noch feucht vom Duschen, war ihr so nah gewesen, dass sie nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um ihn zu berühren. Alles in allem war Drew McClain ein gefährlicher Mann. Gefährlich für sie, für ihr wohlgeordnetes Leben, das sie sich mit so viel Mühe aufgebaut hatte, und in dem kein Platz für
einen Mann war, der ihr nichts weiter bieten konnte als eine kurzfristige sexuelle Beziehung. Wie konnte sie nur ein solches Verlangen nach diesem Mann haben, der wirklich der letzte auf dieser Welt war, an dem sie Interesse haben sollte? Dennoch wollte sie fair bleiben. Sie hatte ihm bitter unrecht getan, und sie würde sich jetzt bei ihm entschuldigen, so schwer es auch fiel. "Übrigens, wegen gestern abend ..." Leslie hielt mitten im Satz inne, als Drew verwundert die Augenbrauen hochzog. "Was ist mit gestern abend?" fragte er erwartungsvoll, und Leslie bemerkte ein beunruhigendes Funkern in seinen dunklen Augen. Was sie in ihnen las, würde besser ungesagt bleiben. "Benimm dich", sagte sie deshalb vorwurfsvoll, musste aber trotzdem lächeln. "Du bist genauso wie die anderen Männer hier in der Gegend. Die denken auch nur an das eine. Ich wollte mich lediglich für das Benehmen der Jungen entschuldigen." Sie zögerte kurz. "Und für mein Benehmen von heute morgen. Ich weiß, dass ich Dinge gesagt habe, die ich nicht hätte sagen dürfen und die ich auch nicht so gemeint habe." Drew sah sie verwundert an. Damit hatte er nicht gerechnet. Es faszinierte ihn jedesmal, wie schnell diese Frau die Stimmung wechseln konnte. In einem Augenblick noch wutschna ubender Drache, im nächsten Augenblick so süß und weiblich, die Freundlichkeit in Person. In solchen Momenten konnte man sich kaum vorstellen, wie sie zu dem Spitznamen "Eislady" gekommen war. "Ich bin davon überzeugt, dass die Jungs die besten Absichten hatten, als sie uns in der Hütte eingesperrt haben. Und ich weiß auch, dass du mir teilweise Dinge an den Kopf geworfen hast, die du nicht so gemeint hast. Du warst schließlich nach allem, was geschehen ist, völlig außer dir." "Stimmt", gab Leslie zu. "Aber das ist keine Entschuldigung." Sie sah ihm in die Augen.
"Lass uns die ganze Angelegenheit vergessen", meinte Drew schließlich. "Ich bin nur gekommen, um die Jungs an die Arbeit zu kriegen." Es fiel ihm schwer, den Blick von ihren Lippen zu lösen, auf denen im Moment ein dankbares Lächeln lag. "Du brauchst das nicht zu tun", meinte sie verlegen und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. "Ich kann sehr gut einen Handwerker damit beauftragen." "Für das, was ich mir vorstelle, brauchst du keinen Handwerker. Zumindest nicht, solange du mich hast." Leslie wurde rot. Wie schaffte er es nur, sie jedesmal so aus der Fassung zu bringen. Was sollte das nun wieder heißen: "Solange sie ihn hatte". Verbotene Bilder machten es ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. "Und was stellst du dir so vor?" fragte sie unbehaglich. "Nicht, was du denkst", grinste er. "Ich hatte nur die Reparatur des Schuppens im Sinn." "Oh!" Leslie versuchte, sich zu konzentrieren. "Wo sind eigentlich die Jungen? Ich hoffe, sie sind nicht wieder durchgebrannt." "Nein, ich habe sie losgeschickt, damit sie Einladungen zur Gemeinderatssitzung verteilen. Wir holen das Treffen heute abend nach. Ich hoffe, du kommst." "Dann sollten wir uns allerdings vorsichtshalber von der Hütte fernhalten", scherzte er, und seine unschuldige Bemerkung war nicht so unschuldig, wie es zunächst den Anschein hatte, denn der seltsame Glanz in seinen Augen löste in Leslie die widersprüchlichsten Gefühle aus. "Wir müssen endlich über das bevorstehende Fest reden", versuchte sie, wieder auf sicheren Boden zu gelangen. "Bis auf ein paar vage Vorschläge liegt nämlich bisher nichts vor. Außerdem ist es an der Zeit, ein paar Regeln aufzustellen, nach denen man sich in dieser Stadt zu richten hat." "Regeln?" fragte Drew. "Aber wieso denn? Bisher sind die Leute hier doch auch ohne Regeln ganz gut klargekommen."
"Bisher schon. Aber du vergisst, dass Calico immer größer wird. Und gerade zu diesem Stadtfest kommen Hunderte von Touristen, die alles durcheinanderbringen. Wir brauchen Verordnungen. Jede Stadt braucht sie." Regeln, Verordnungen. Das war nichts für Drew. Bei seiner Tante und seinem Onkel hatte er genug davon mitbekommen. Vielleicht war es doch ganz gut, dass er Calico bald für immer den Rücken kehren würde. Bevor Drew jedoch die Gelegenheit bekommen sollte, Leslie zu widersprechen, stürmten Jeremy und Tim in den Laden. Nachdem die beiden Drew freudestrahlend begrüßt hatten und er ihnen erklärt hatte, warum er gekommen war, verließen sie gemeinsam und voller Tatendrang Leslies Laden. Sie trugen die Holzbretter hinters Haus und machten sich an die Arbeit. So sehr die Kinder sich auch bemühten, es schien zunächst ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein. Jeremy ließ sich als erstes den Hammer auf den Zeh fallen, und Tim fing sich einen großen Splitter im Daumen ein. Sein lautes Weinen lockte Leslie nach draußen. "Meinst du nicht, dass die Kinder überfordert sind?" fragte sie vorwurfsvoll. "Unsinn", entgegnete Drew, während er behutsam den Splitter entfernte. "Aller Anfang ist schwer. Komm' in einer Stunde wieder, Und du wirst dich wundern, was wir schon alles geschafft haben." Leslie war nicht überzeugt. Sie schlug gerade vor, dass Tim hereinkommen sollte, um seinen Daumen in warmem Seifenwasser zu reinigen, als die Ladenklingel an der Eingangstür ging und Kundschaft ankündigte. "Guten Morgen, Leslie." Keith Andrews stand, den Hut in der Hand, lächelnd vor ihr. "Ich habe gehört, dass Sie für heute Abend eine neue Sitzung einberufen haben, und wollte meine Hilfe anbieten, falls noch irgend etwas zu erledigen ist."
Leslie sah ihn überrascht an. Nie zuvor hatte Keith Andrews sie beim Vornamen genannt, geschweige denn, seine Hilfe angeboten. Was war plötzlich in ihn gefahren? "Vielen Dank für Ihr freundliches Angebot, Mr. Andrews", entgegnete sie kühl und setzte sich an ihren Arbeitstisch. "Ich denke, ich habe alles im Griff." "Warum nennen Sie mich nicht Keith?" schlug er eine Spur zu freundlich vor. "Wir kennen uns jetzt schon so lange, dass ich es ganz selbstverständlich finde." "Wie Sie wünschen, Keith", willigte sie ohne jede Begeisterung ein und beugte sich über ihre Arbeit. "Sind Sie sicher, dass Sie meine Hilfe nicht brauchen? Vielleicht kann ich irgend etwas anderes für sie tun?" Andrews falsches Lächeln war ihr zuwider. In seiner Nähe fühlte Leslie sich unbehaglich. "Ich bin ganz sicher, Mr. Andrews, äh, Keith", verbesserte sie sich. "Wissen Sie eigentlich, dass sie wunderschön sind, Leslie. Und die Farbe Ihres Kleides passt hervorragend zu Ihren roten Haaren." Er streckte die Hand aus, um eine Haarsträhne zurückzustreichen, die sieh aus ihrem Zopf gelöst hatte. Leslie wich ihm unwillkürlich aus. "Wie ich schon sagte, ich brauche Ihre Hilfe nicht. Es ist alles vorbereitet" "Hoffentlich hält Sie unser Hilfssheriff nicht wieder vom Kommen ab", meinte er mit einem anzüglichen Grinsen. "Wir sollten ihn aus der Stadt schmeißen, damit Sie mehr Zeit für die Männer in Calico haben. Mich eingeschlossen natürlich." "Mr. Andrews ..." begann Leslie betont ruhig. Sie wollte sich nicht von diesem Mann provozieren lassen. Aber was ging ihn ihre Beziehung zu Drew eigentlich an. "Keith", verbesserte er sie sofort. "Ich dachte, wir wollten uns beim Vornamen nennen." "Mr. Andrews." Leslie ignorierte seine Worte. "Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, aber ich brauche Ihre Hilfe nicht."
"Sind Sie da wirklich so sicher? Ich würde sagen, dass ich allemal mehr wert bin als McClain." "Sie haben doch gehört, dass Mrs. Chambers Ihre Hilfe nicht braucht." Drew hatte unbemerkt den Laden betreten und legte Leslie beruhigend eine Hand auf die Schulter. "Sehen Sie endlich zu, dass Sie von hier verschwinden." Andrews umklammerte seinen Hut jetzt so krampfhaft mit den Händen, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. "Was ist los, McClain? Meinen Sie, Leslie kann nicht für sich selbst antworten?" "Das hat sie ja getan, aber Sie haben es offensichtlich nicht begriffen." "Sie tun ja gerade so, als sei Leslie Ihr Eigentum. Vorhin haben Sie noch genau das Gegenteil behauptet", brummte Keith ärgerlich. "Was stimmt denn nun? Außerdem gehören Sie nicht einmal hierher. Was bilden Sie sich eigentlich ein?" Drew wusste ganz genau, dass er kein Recht hatte, Andrews so zu behandeln. Aber das Bewusstsein, dass er sich nur des Geldes wegen an Leslie heranmachte, ließ ihn jede Zurückhaltung vergessen. "Wenn Sie nicht in dreißig Sekunden den Laden hier verlassen haben, passiert ein Unglück", sagte er drohend. "Einen Moment mal." Leslie schüttelte Drews Hand ab. "Hört beide sofort auf, euch wie zwei Kampfhähne zu benehmen. Ich bin niemandes Eigentum, und ich kann sehr wohl selbst auf mich aufpassen." Andrews zögerte, holte tief Luft und wollte gerade zu sprechen anfangen. "Noch zwanzig Sekunden." Drew deutete auf seine Armbanduhr. "Das wagen Sie nicht." "Lassen Sie es doch einfach darauf ankommen. Noch zehn Sekunden."
"Mr. Andrews, ich glaube, Sie sollten tun, was er sagt. Das ist kein Spaß mehr." "Und er?" fragte Andrews beleidigt. "Darum kümmere ich mich schon", gab Leslie gelassen zurück. "Noch drei Sekunden." Leslie verschränkte die Arme vor der Brust und betete insgeheim. "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, McClain", fauchte Andrews wütend. "Warten Sie nur, bis die Wahrheit ans Licht kommt, dann will Leslie auch mit Ihnen nichts mehr zu tun haben." "Für Sie ist sie immer noch Mrs. Cha mbers, vergessen Sie das nicht." Drew ging drohend auf Andrews zu, doch dieser hatte bereits kehrtgemacht und ließ hastig die Tür hinter sich ins Schloss fallen. "Was hat er damit gemeint, als er sagte, dass die Wahrheit herauskommen würde? Welche Wahrheit?" "Es ist nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest. Er lässt einfach nur Dampf ab." "Bist du dir da ganz sicher?" fragte sie zweifelnd. "Ganz sicher. Oder sehe ich aus, als ob ich lüge?" Sie ließ ihn nicht aus den Augen. "Warum bist du überhaupt hereingekommen? Ich wäre sehr gut auch ohne dich klargekommen." "Tim ist als erster ins Haus gegangen, um sich die Hände zu waschen und seinen Daumen zu verarzten. Genau, wie du es ihm gesagt hattest. Da hat er gehört, dass Andrews dich belästigte, und hat mich vorsichtshalber geholt. Als ich euch hier zusammen sah, hatte ich den Eindruck, du könntest meine Hilfe tatsächlich sehr gut gebrauchen." Leslie sah ihn zweifelnd an. Dennoch, was er sagte, klang durchaus plausibel. Wie kam es nur, dass er immer zur Stelle war, wenn sie ihn brauchte?
7. KAPITEL Drew lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch. Auf Leslies ausdrücklichen Wunsch hin hatte er sich bereits vor Sonnenaufgang auf den Weg nach Barstow gemacht, um Kopien der Verordnungen zu holen, die allgemein für das Land Kalifornien gültig waren. Im Archiv des Rathauses von Barstow hatte er sogar noch eine Fassung aus dem Jahre 1881 gefunden. Die kleine Stadt hatte zu jener Zeit in voller Blüte gestanden, aber die Moral der Einwohner hatte damals sehr zu wünschen übriggelassen. Drew musste unwillkürlich lachen. Frank Holliday hatte am Abend zuvor auf der Versammlung mit seiner spöttischen Bemerkung über "das Spucken auf den Gehwegen" gar nicht einmal so unrecht gehabt. Es war tatsächlich ausdrücklich verboten gewesen. An Sonntagen hatte man sich sogar einem bestimmten Kleidungszwang zu unterwerfen, und es war ausdrücklich verboten, Clara Beiles Bordell an Sonn- und Feiertagen zu besuchen. Drew konnte es kaum erwarten, Leslie die Liste zu zeigen. Erlaubte Prostitution war bestimmt nicht das, was sie sich für Calico vorstellte. Doch dann wurde er wieder ernst. Seine Gedanken gingen zu Leslie. Je öfter er an sie dachte, desto begehrenswerter erschien sie ihm. Die Vorstellung, dass sie mit einem der Männer in Calico verheiratet wäre, machte ihn
wahnsinnig. Wenn sie überhaupt einem Mann gehören sollte, dann war er es. Drew verzog unwillkürlich das Gesicht. Hatte er sich nicht stets gerühmt, unabhängig zu sein und jeder Frau aus dem Weg zu gehen, die eine feste Bindung wollte? War dieses Weltbild nun plötzlich ins Wanken geraten? Er konnte nur noch an Leslie Chambers denken, und er musste verflixt aufpassen, wenn er ihrer Anziehungskraft entkommen wollte. Drew biß nachdenklich an einem Zahnstocher herum und balancierte auf zwei Beinen seines Schreibtischstuhles. Sein Instinkt sagte ihm, dass er die Beine in die Hand nehmen und laufen sollte - weit weg von Calico. Dennoch tat er es nicht. Ein leises Klopfen an der offenen Tür zu seinem Büro riss ihn aus den Gedanken. Tim und Jeremy standen wie zwei Unschuldslämmer auf der Schwelle und zögerten einzutreten. Drew winkte sie herein. Wenn jemals zwei Jungen die feste Hand eines Vaters gebraucht hatten, dann waren es diese beiden hier. Tapfer näherten sie sich seinem Schreibtisch. Wenn ihre Aktion mit der Hütte ihn nicht so maßlos geärgert hätte, hätte er jetzt lächeln müssen. Aber er war wirklich wütend gewesen, als er festgestellt hatte, dass sie Leslie und ihn einfach eingesperrt hatten. "Hat eure Mutter euch geschickt?" "Ja, sie hat gesagt, Sie würden uns bestimmt noch wegen der Sache mit der Hütte bestrafen wollen." Jeremy lächelte Drew zögernd an, doch der war nicht in der Stimmung, darauf anzusprechen. "Offen gestanden frage ich mich, was das bringen soll. Ihr tut ja doch nicht, was man euch sagt." "Sie mögen uns wohl nicht besonders, Mr. McClain, was?" stellte Tim traurig fest, während er Drew mit zur Seite geneigtem Kopf beobachtete. "Ich bin mir nicht ganz sicher", entgegnete Drew. "Aber Sie mögen unsere Mom, oder nicht?"
"Sie ist sehr nett", gab Drew zu, versuchte aber aus Angst, dass die Jungen seine Gedanken erraten könnten, nicht weiter an Leslie zu denken. "Cool!" rief Jeremy begeistert. "Wir dachten, wenn Sie unsere Mom mö gen und wir Sie gern haben, wäre es vielleicht eine gute Idee, wenn Sie unser Vater würden." Drews finsterer Blick ließ Jeremy einen Schritt zurücktreten. "Ich habe die Nase voll von euren Streichen", donnerte er los. "Zeigt doch endlich mal, dass ihr noch etwas anderes könnt als Dummheiten machen." Drew war ärgerlich, aber daran waren nicht die Kinder schuld, sondern ihre Mutter. Sie war der eigentliche Auslöser seiner miserablen Stimmung. Deshalb war es nicht seine Absicht, die Jungen zu ängstigen. Nur, was sollte er mit ihnen anfangen? Endlich kam Drew die große Erleuchtung. Das Rodeo! "Vielleicht müsst ihr ja noch viel mehr arbeiten, um keinen Ärger zu machen." Er sah die Jungen nachdenklich an. "Habt ihr nicht bei einem Nachbarn einmal ein Kalb ausgeliehen, um für das Rodeo zu trainieren?" "Stimmt", gab Jeremy ohne Umschweife zu. "Aber wir haben es wieder zurückgegeben." Drew hatte eine ausgezeichnete Idee. Während des Stadtfestes sollte in Calico ein Rodeo stattfinden. Jeder Junge träumte davon, daran teilzunehmen, doch bei vielen kam die Ernüchterung schon nach kurzer Zeit. Bei einem Rodeo mitmachen bedeutete, Ställe ausmisten und harte körperliche Arbeit. Die meisten gaben ihren Traum schnell auf. Doch Drew gefiel der Gedanke, dass die beiden Tunichtgute auf diese Weise sehr gut ihre überschüssigen Energien loswerden konnten. "Ich habe eine Idee", sagte er schließlich zu den Kindern. "Kommt, wir müssen mit eurer Mutter darüber reden." "Was willst du tun?" Leslie war gerade mit einer kunstvollen Stickerei für einen neuen Quilt beschäftigt, als sie mitten in der
Arbeit innehielt und Drew ungläubig anstarrte. "Das ist doch nicht dein Ernst?" . "Natürlich ist es mein Ernst. Ich möchte die Kinder mit zum Rodeo nehmen. Sie können sich dort wirklich nützlich machen. Natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast", fügte er vorsichtig hinzu, als er ihre gerunzelte Stirn sah. "Ich weiß nicht recht..." Leslie überlegte. "Es ist nur ein Rodeo, Leslie, wo Cowboys auf wilden Pferden reiten und auf Stieren, die angeleint..." "Hör auf mit dem Quatsch, Drew. Ich weiß sehr gut, was ein Rodeo ist. Aber hast du dir überlegt, was Jeremy und Tim dort alles anstellen können?" "Reg dich ab, Leslie. Was hast du gegen Cowboys?" Drew grinste jungenhaft. "Überhaupt nichts", entgegnete Leslie und errötete leicht. "Solange du keine Cowboys aus meinen Jungs machst. Es ist viel zu gefährlich." "Wenn es gefährlich wäre, würde ich die beiden nicht mitnehmen. Ich habe nicht die Absieht, sie als erstes auf einen wilden Stier zu setzen. Wie du siehst, habe ich auch schon einige Rodeos unversehrt überlebt." Vielleicht hatte Drew ja recht, und sie war einfach übervorsichtig. "Also gut", stimmte sie schließlich schweren Herzens zu. "Nimm sie mit, aber versprich mir, gut auf sie aufzupassen." "Super! Danke Mom!" Jeremy strahlte übers ganze Gesicht. "Ja, total super", echote Tim. "Okay", sagte Drew. "Dann kann es jetzt losgehen. Aber zuerst müsst ihr mir hoch und heilig versprechen, genau das zu tun, was ich euch sage. Ich erwarte, dass ihr bei mir ble ibt. Verstanden?" "Klar", bestätigten sie, ohne zu überlegen. "Wir versprechen es." Dem Gesichtsausdruck der beiden war zu entnehmen, dass sie sich im Geiste schon auf dem Rücken eines wilden Stiers
sahen. Sie würden sich wundern. "Können wir jetzt endlich gehen, Mr. McClain?" Die beiden Jungen schoben Drew zur Tür, von wo aus er Leslie gerade noch zuwinken konnte. Sie saß da und lächelte ihnen nach. Es war kaum zu glauben, sie lächelte, und nicht eine zurechtweisende Bemerkung kam über ihre Lippen. Sie erinnerte ihn nicht einmal daran, welche Verantwortung er auf sich geladen hatte. Und er, Drew, hatte sie nicht einmal überreden müssen! Leslie stand in der Tür ihres Ladens und blickte den dreien nach, als sie die Straße hinuntergingen. Sie sah, wie Drew Tim liebevoll eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn strich und freundschaftlich den Arm um ihn legte. Diese Geste überraschte Leslie. Wenn er so viel für die Kinder empfand, wieso hatte er sich dann immer gesträubt, auf sie aufzupassen? Leslie machte sich auf den Weg zu Maddies Cafe und dachte nach. Hatte sie sich in Drew geirrt? Hätten Jeremy und Tim so schnell Vertrauen zu ihm gefasst, wenn er es nicht verdiente? Vielleicht steckte doch mehr in diesem Drew McClain, als sie gedacht hatte. "Wenn ihr wollt, erzähle ich euch, wie ich zum ersten Mal bei einem Rodeo reiten durfte." Drew sah die Jungen fragend an, Die beiden nickten begeistert. "Super, Mr. McClain, erzählen Sie." "Als ich eines Tages in Texas war, kam ich durch eine Stadt, wo auf dem Marktplatz ein Rodeo in vollem Gange war. Ich dachte, dass es interessant sein müsste, für ein paar Tage mit echten Cowboys zusammen zu sein, und beschloss, mir einen Job zu suchen." "Haben Sie auch ein eigenes Pferd bekommen?" Tim strahlte vor Aufregung übers ganze Gesicht.
"Nicht sofort", erklärte Drew. "Zuerst musste ich beweisen, dass ich auch für ein Pferd sorgen konnte. Das müsstet ihr beide doch wissen. Schließlich hattet ihr doch auch mal ein Pferd." "Ja", erwiderte Jeremy gedehnt, "bis Mom es uns weggeno mmen hat." "Und warum hat sie das getan?" Drew bemühte sich, ein Lächeln zu unterdrücken. "Weil sie uns beim Reiten ohne Sattel erwischt hat." Jeremy sah Drew schuldbewusst an. Diese Eröffnung überraschte Drew keineswegs. "Und wo ist euer Pferd jetzt?" fragte er, obwohl er die Geschichte längst kannte. "In Mr. Littles Stall. Als wir uns vorgestern ein Pferd von ihm geborgt haben, hatten wir überlegt, dass es nicht einmal ein Unrecht war. Es hätte ja genauso gut unser eigenes sein können," "So einfach geht das allerdings nicht", erklärte Drew. "In unserem Land nennt man das, was ihr getan habt, Pferdediebstahl. Und auf Pferdediebstahl stehen hohe Strafen. Wahrscheinlich hat Mr. Little euch ungeschoren davonkommen lassen, weil er wusste, dass euch eigentlich eines der Pferde gehört." "Kann sein", erwiderte Tim. "Mom hat gesagt, dass Aladdin so lange bei Mr. Little bleiben muss, bis wir mehr Verstand haben." Die Offenheit, mit der Tim Leslies Warnung wiedergab, und sein tiefer Seufzer ließen es Drew warm ums Herz werden. "Ich weiß nicht, wie es euch geht, Kinder", lenkte er von dem traurigen Thema ab, "aber ich habe Hunger. Wie wäre es, wenn wir kurz bei Maddie einkehren und nachsehen, ob sie noch etwas von dem köstlichen Apfelkuchen übrig hat. Ein paar Flaschen Limonade wären auch nicht schlecht. Rodeo macht ganz schön durstig."
Maddie beobachtete die beiden Jungen wohlwollend, als sie sich mit Heißhunger über den Kuchen hermachten. "Ich wusste, dass Sie die Kinder früher oder später ins Herz schließen würden", wandte sie sich freundlich an Drew. "Man muss sie einfach gern haben. Das einzige, was ihnen fehlt, ist die starke Hand eines Mannes." Drew nickte zustimmend. "Damit könnten Sie recht haben." "Und was halten Sie von der Mutter der Kinder, Mr. McClain?" fragte Maddie beiläufig. "Das ist ein völlig anderes Kapitel." Drew sah Maddie scharf an. Er wollte nicht, dass das Gespräch in diese Richtung ging. "Unsere Frau Bürgermeisterin hat mir deutlich genug zu verstehen gegeben, dass ihr nichts an mir liegt." Er zuckte die Achseln. "Ich weiß allerdings nicht, was sie gegen mich hat. Ich bin ein ehrlicher Mann, respektiere das Gesetz und zahle regelmäßig meine Steuern. Genau wie jeder andere auch." Maddie dachte einen Augenblick über seine Worte nach. Obwohl Drew versucht hatte, sein Interesse an Leslie ins Lächerliche zu ziehen, spürte die mitfühlende Maddie sofort, dass Leslies abweisende Haltung diesen sehr irritierte. "Ich denke, es gibt eine ganz einfache Erklärung für Leslies Verhalten. Sie wird so sehr von ihren Pflichten als Bürgermeisterin, Geschäftsfrau und Mutter beansprucht, dass sie darüber vergisst, dass sie auch noch eine Frau ist." "Daran, dass sie eine Frau ist, zweifle ich allerdings keine Sekunde", bestätigte Drew mit einem jungenhaften Grinsen. "Was sie braucht, ist ein starker Mann, der sie liebt und der ihr hilft, ihr hohes Maß an Verantwortung zu tragen." Maddie seufzte. "Es ist alles viel zuviel für sie allein." Drew nickte zustimmend. Mit ihrer Beschreibung von Leslie traf Maddie genau ins Schwarze. Aber was nützte ihm das? "Ich habe Leslie schon so oft gesagt, dass sie sich sehr einsam fühlen wird, wenn die Jungen später aus dem Haus
gehen. Aber es scheint sie nicht zu interessieren. Was Männer angeht ist sie äußerst skeptisch." "Spielen Sie dabei auf mich an?" Maddie sah ihm in die Augen. "Ja. Und ich muss zugeben, dass ich ihr sogar geraten habe, vorsichtig zu sein. Heute weiß ich, dass ich ein völlig falsches Bild von Ihnen hatte. Und ich glaube, wenn Leslie Sie erst besser kennt, wird sie darüber genauso denken wie ich." Maddie drückte den Kindern noch ein Stück Kuchen für unterwegs in die Hand und wandte sich anschließend noch einmal an Drew. "Glauben Sie mir, Mr. McClain." Drew tippte zum Abschied mit dem Finger an den Hut. Er wusste nicht ge nau, ob er Maddie für ihre ermutigenden Worte danken sollte, oder ob er sie besser ignorierte. Auf dem Weg zum Rodeo waren bereits zahlreiche Plakate aufgestellt, die für die verschiedenartigsten Vergnügungen warben. Neben Wettschießen und Hufeisen-Weitwur f war auch ein offizieller Wettkampf im Weitspucken vorgesehen. Wenn Leslie auf den Verordnungen bestand, die er besorgt hatte, würde man dieses harmlose Vergnügen wohl streichen müssen. Eine Gulaschkanone war für den Samstagnachmittag vorgesehen und ein großes Barbecue mit anschließendem Tanz für den Abend. Nach Maddies aufmunternden Worten waren Barbecue und Tanzveranstaltung das einzige, was Drew interessierte. Er würde Leslie dazu einladen, denn nur beim Tanzen hatte er die Möglichkeit, sie ohne jeglichen Protest ihrerseits in den Armen zu halten. "Hi, Ben!" rief Drew McClain. Er steckte den Kopf in einen alten Wohnwagen, der dem Rodeoleiter als Büro diente. Ein großer, schlanker, braungebrannter Mann kam die Stufen hinunter und hielt zum Schutz gegen das grelle Sonnenlicht eine Hand über die Augen.
"McClain! Wir haben uns ja seit einer Ewigkeit nicht gesehen." Die beiden Männer schüttelten sich freundschaftlich die Hände. "Ich habe dir ein Angebot zu machen, das du unmöglich ausschlagen kannst." Drew grinste seinen alten Freund an. "Da bin ich aber gespannt. Du willst dich uns doch nicht etwa wieder anschließen?" "Nein danke", lachte Drew. "Von wilden Pf erden habe ich die Nase voll, und verrückte Rindviecher habe ich reichlich gejagt. Ich habe genügend Narben, mit denen ich das zur Not belegen könnte“, Ben Rubard zog die Augenbrauen hoch, als er den glänzenden Sheriffstern an Drews Brust entdeckte. "Schade, du warst ein echtes Talent. Hast du dich jetzt endgültig dafür entschieden, das Gesetz zu vertreten?" "Nicht ganz. Ich tue Tom Carey lediglich einen Gefallen und spiele für ein paar Tage hier den Hilfssheriff. Ich komme hauptsächlich zu dir, um dir ein paar Freunde von mir vorzustellen. Das sind Jeremy und Tim Chambers. Jungs, das ist Ben Rubard." Rubard schüttelte den Jungen feierlich die Hand. "Was kann ich für euch tun?" "Die Jungen würden gerne mithelfen. Sie sind auch nicht teuer", fügte Drew noch hinzu, womit er Ben zu verstehen gab, dass er, Drew, für die Bezahlung der beiden aufkommen wollte. "Tja, wenn das so ist", entgegnete Rubard und strich sich nachdenklich übers Kinn. "Könnt ihr denn mit Pferden umgehen?" "Ja", antwortete Jeremy mit Feuereifer. "Wir hatten sogar einmal ein eigenes Pferd." "Und was ist mit dem passiert?" fragte Ben. "Das ist eine lange Geschichte, Ben", schaltete Drew sich ein. "Ich glaube nicht, dass sie besonders interessant für dich ist,"
Ben tat so, als dächte er nach. "Was hattet ihr euch denn so vorgestellt? Wäret ihr damit einverstanden, den Leuten im Stall zu helfen?" "Das ist eine ausgezeichnete Idee", entgegnete Drew anstelle der Jungen. "Findet ihr nicht, Jungs?" "Dürfen wir denn auch wie richtige Cowboys reiten?" "Alles zu seiner Zeit", erwiderte Ben auf seine gelassene Art, während Drew hustete, um ein Lachen zu unterdrücken. "Wie sollen wir denn dann richtige Cowboys werden?" Jeremy rümpfte unzufrieden die Nase. "Es ist ganz allein eure Entscheidung. Aber eins ist klar. Jedes Handwerk will von der Pike auf gelernt sein." " "Haben Sie denn auch so angefangen?" fragte Tim ungläubig. "Ehrlich gesagt hat es bei mir nicht zu einem echten Cowboy gereicht. Aber eines versichere ich euch: Ich habe wochenlang nichts anderes gemacht, als Ställe auszumisten." "Also gut, Mr. Rubard, wir sind bereit", sagte Jeremy schließlich entschlossen. "Dann kommt mit." Rubard sah die Kinder ernst an. "Bis später, McClain." Drew winkte ihnen noch hinterher und wollte gerade in eine andere Richtung gehen, als er Leslie am Gatter stehen sah. Er atmete tief durch und schlenderte zu ihr hinüber. "Na, bist du hier, um mich zu kontrollieren?" "Keineswegs", erwiderte sie überraschenderweise. "Wenn ich dir nicht vertrauen würde, hätte ich dir die Kinder nicht bedenkenlos überlassen. Ich bin hier, weil ich zusehen wollte, wie so ein Rodeo aufgebaut wird. Schließlich gehört das auch zu meinem Job." "Das ist mir allerdings neu. Gehört alles, was in Calico passiert, zu deinem Job?" "Selbstverständlich. Überrascht dich das etwa?" "Dann ist es kein Wunder, dass du immer so gereizt bist. Dir bleibt ja kein bisschen Zeit für dein Privatleben."
Unter Drews forschendem Blick wurde Leslie rot. Verflixt, was hatte dieser Mann nur an sich, dass es ihm immer wieder gelang, sie zu verunsichern. Lag es daran, dass Drew McClain ein ausgezeichneter Schauspieler war, der sich in jeder Rolle zu Hause fühlte und der sich jeder Situation problemlos anpasste? Kleidete er sich wie ein Sheriff aus dem vorigen Jahrhundert, so verkörperte er diesen auch, lümmelte er bei einem Rodeo herum, unterschied er sich nicht im geringsten vo n den übrigen Cowboys. Und in jeder dieser Rollen war er genau der Mann, von der eine Frau nur träumen konnte. So sehr Leslie auch versuchte, sich einzureden, dass sie sich in Acht nehmen musste, so sehr fühlte sie sich zu Drew hingezogen. Es war vollkommen klar, dass sie beide nicht an eine Dauerbeziehung dachten, aber was sprach dagegen, Freunde zu sein und sich zu amüsieren. Eine Freundschaft mit Drew wäre eine willkommene Abwechslung in dem öden Einerlei ihres Alltags. Außerdem hatte sie nichts zu verlieren, den schlechten Ruf hatte sie sowieso bereits weg. Warum also nicht den Stier bei den Hörner packen und Drews Einladung annehmen? Oder war es gar keine Einladung? "Spielst du etwa auf etwas Bestimmtes an Drew McClain?" fragte sie beherzt. Drew dachte an sein Gespräch mit Maddie. Vielleicht würde Leslie wirklich lockerer, wenn sie ihn besser kannte und es ihm gelang, ihr Vertrauen zu gewinnen. "In der Tat: Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, am Samstag abend mit zum Tanzen zu kommen?" "Vielen Dank für die Einladung. Ich komme gerne mit", erwiderte Leslie, ohne groß zu überlegen. "Du nimmst die Einladung an?" "Ja, warum nicht? Wann holst du uns ab?" "Uns?"
"Natürlich uns. Oder was dachtest du, wer auf die Jungen aufpassen soll, wenn ich mit ihrem Aufpasser verabredet bin?" Aus Drews verblüfftem Gesichtsausdruck schloss Leslie, dass es eine völlig neue Erfahrung für ihn war, eine Frau mit Kindern auszuführen. Aber da Maddie der einzig mögliche Babysitter in Calico war und sie die Aufsicht über das Barbecue hatte, blieb Leslie nichts anderes übrig, als die Jungs mitzunehmen. "Noch kannst du deine Einladung zurückziehen", sagte Leslie, nachdem sie beide für kurze Zeit geschwiegen hatten. Hatte sie sich doch in Drew geirrt? War er nicht besser als die anderen Männer in Calico, die keinen Hehl daraus machten, dass sie Jeremy und Tim nicht gerade wohlgesonnen waren. Egal. Auch damit würde sie fertigwerden. Die Kinder waren eben das Wichtigste für sie. "Nie im Leben", entgegnete er mit einem jungenhaften Grinsen. "Wer weiß, was die Jungs alles anstellen, wenn ich nicht auf sie aufpasse. Unser Handel gilt also?" "Unser Handel gilt", antwortete Leslie, und ihr Herz machte einen Sprung. "Wann sollen wir fertig sein?" "Ist gegen sechs Uhr zu früh?" Sie sahen sich in die Augen, und Drew lächelte zufrieden.
8. KAPITEL Leslies Widerstand schmolz schnell dahin. Es war lange her, dass sie sich mit einem Mann verabredet hatte. Drew hatte sie mit seiner Einladung überrascht. "Sechs ist in Ordnung", antwortete sie und fühlte sich mit einem Mal jung und unbeschwert. "Ich habe allerdings Maddie versprochen, ihr ein wenig zur Hand zu gehen. Ich müsste vorher bei ihr vorbeigehen." "Kein Problem. Das können wir auch zusammen erledigen." "Okay, dann sehen wir uns morge n um sechs." Leslie drehte sich um und wollte davongehen, als sie plötzlich noch einmal stehen blieb und über die Schulter zurücksah. "Ich nehme an, wir sehen uns vorher noch?" Drew zögerte nur eine Sekunde. "Ich wollte eigentlich noch ein wenig hierbleiben und ein paar Freunde besuchen, aber wenn du möchtest, begleite ich dich erst nach Hause." "Und die Jungs?" "Die hole ich später ab." "Dann nehme ich dein Angebot dankend an", sagte sie zu Drews großer Erleichterung. "Macht es dir etwas aus, auch jetzt kurz bei Maddie vorbeizuschauen? Sie hat in ihrem Keller ein paar alte Stoffballen gefunden, die ich für das Hochzeitskleid, an dem ich gerade arbeite, gut gebrauchen könnte." "Alte Stoffe?" fragte Drew, froh darüber, ein unverfängliches Gesprächsthema gefunden zu haben.
"Ja, Maddie hat sie dort entdeckt, und sie meinte, sie wären noch völlig in Ordnung." "Also gut. Dann lass uns gehen." Drew bot ihr den Arm und hielt einige Sekunden die Luft an, als sie zögerte, sich bei ihm einzuhängen. War er mit dieser Geste zu voreilig gewesen? Hatte er ihrem freundschaftlichen Gespräch zuviel Bedeutung beigemessen? Andererseits konnte er es nicht erwarten, endlich wieder die Berührung ihres warmen Körpers zu spüren. Endlich steckte sie die Hand durch seinen Arm und errötete leicht. "Gehen wir?" Gemächlich spazierten sie die Hauptstraße entlang. Frank Holliday, Herb Strawberry und Keith Andrews, die zufällig vor der Bank standen, blickten ihnen nach und unterhielten sich angeregt, sobald sie vorbei waren. Andrews wurde ganz aufgeregt. Als Leslie merkte, was für ein Aufsehen sie erregten, musste sie unwillkürlich lächeln. "Ich habe das Gefühl, wir liefern den Einwohnern Gesprächsstoff für die nächsten paar Wochen." Leslie hatte recht. Und Drew fragte sich, wie die Wette wohl ausgehen mochte. Zu welchem Ergebnis würden sie kommen? Wer hatte wen gezähmt? Oder hatte vielleicht sogar jemand darauf gewettet, dass sie sich gegenseitig zähmen würden? Drew warf einen flüchtigen Blick auf Leslie. Nein, sie konnte nichts von der Wette wissen. Anderenfalls hätte sie längst dafür gesorgt, dass er, Drew, die Stadt verließe. Maddie strahlte, als sie gemeinsam das Cafe betraten. Als sie Drew vor etwa einer Stunde geraten hatte, Geduld mit Leslie zu haben, hatte sie Sich garantiert nicht träumen lassen, dass sie die beiden so schnell Arm in Arm sehen würde. Aber es war offensichtlich, dass ihr die Entwicklung der Dinge ausgesprochen gefiel. "Fürs Mittagessen ist es ja ein wenig zu spät, aber wenn ihr Hunger habt, könnte ich noch etwas auf treiben."
"Das wäre prima, Maddie. Aber gegen drei muss ich wieder im Laden sein. Ich erwarte jemanden, der einen fertigen Quilt abholen will." "Lass dir bloß keine Schecks oder Kreditkarten andrehen. Ich bin in der letzten Zeit ein paarmal übers Ohr gehauen worden." "Wenn Sie wollen, gehe ich der Sache nach", bot Drew sofort an. "In der kurzen Zeit, die Ihnen hier noch bleibt, wird das wohl kaum möglich sein. Aber an dem Tag, wo Sie sich entschließen als fester Hilfssheriff in Calico zu bleiben, werde ich Sie darum bitten. Carey wird nicht umhinkönnen, dafür zu sorgen, dass wir einen ständigen Hilfssheriff haben, wenn die Stadt weiter so wächst. Ach, übrigens, Drew, könnten Sie die Kiste mit den Stoffen heraufholen, die unten an der Kellertreppe steht?" Als Drew mit der Kiste zurückkam, unterhielten die beiden Frauen sich angeregt. Bei seinem Erscheinen wandte sich Leslie allerdings sofort den Stoffen zu, und Maddie brachte einige Sandwichs und Limonade, die sie vor ihm auf den Tisch stellte. Wenn Drew es nicht besser gewusst hätte, hätte er glauben können, dass er selbst Thema dieser Unterhaltung gewesen war. Maddie war tatsächlich mit allen Wassern gewaschen. Er traute ihr sogar zu, dass sie den Ablauf der Dinge von vornherein so geplant hatte. Leslie dagegen war viel zu aufrichtig, um eine solche Entwicklung bewusst in Gang setzen zu können. Und doch, wie kam es, dass sie ihn tagelang so abweisend behandelt hatte und dann plötzlich über Nacht so sanft, so weiblich und anschmiegsam geworden war, dass ein jeder Mann nur davon träumen konnte, sie in den Armen zu halten? "Kommen Sie doch herein, Mr. McClain", begrüßte Jeremy Drew, als dieser Punkt sechs Uhr klingelte. "Mom muss nur noch Tim zu Ende anziehen." "Nur keine Eile", entgegnete Drew gutgelaunt. "Wir haben genug Zeit." Er folgte Jeremy zu einer schmalen Treppe, die aus
dem Laden heraus nach oben in eine winzige Dachwohnung führte, wo Leslie und die Kinder lebten. Drew hatte die Treppe bei seinen vorherigen Besuchen nie bemerkt. Jetzt blieb er oben in der Tür stehen und sah sich um. Alles war genau so, wie er es sich vorgestellt hatte. Während Drew Jeremys aufgeregtem Geplapper über das bevorstehende Fest zuhörte, sah er sich in der Wohnung um. Außer über drei kleine Zimmer verfügte sie über eine winzige Küche und ein ebenso winziges Badezimmer. An den schmalen Fenstern hingen Vorhänge in warmen Pastellfarben, und auf dem Sofa lag eine farblich genau abgestimmte Quiltdecke. Die alten, aber gepflegten Ahornmöbel passten hervorragend in diese Umgebung ebenso wie die kindlichen Gemälde, die an den Wänden des Wohnzimmers hingen. "Tut mir leid, dass du warten musst", sagte Leslie ein wenig atemlos. "Aber es war etwas schwierig, Tim zurecht zu machen. Er ist aus seinen Sonntagssachen herausgewachsen." "Ich finde, ihr seht alle drei phantastisch aus", entgegnete Drew und ließ seinen Blick einige Sekunden auf Leslie ruhen, die in ihrem handgearbeiteten Kleid zerbrechlich wie eine Rose wirkte. Die winzigen Perlenohrringe erweckten in Drew sogleich das Bedürfnis, die empfindliche Haut mit den Lippen zu berühren. Die beiden Jungs waren frisch geduscht und trugen saubere Jeans sowie weiße, gestärkte Baumwollhemden. Tatsächlich schaute ein ziemlich großes Stück von Tims weißen Socken unter seiner viel zu kurzen Jeans hervor. "Mir ist übrigens auch ein kleines Malheur passiert", fuhr Drew fort, nachdem ihm das sekundenlange Schweigen zu ungemütlich wurde. Leslie sah ihn überrascht an. Auf Anhieb konnte sie nichts an ihm entdecken, was nicht in Ordnung war. Er trug einen gut sitzenden schwarzen Anzug, ein strahlend weißes Hemd und ein rotes Halstuch. Auch der Westernhut schien neu zu sein, zumindest hatte sie ihn noch nie an ihm gesehen.
Drew hielt ihr einen Hemdenknopf unter die Nase. "Hier. Der dritte Knöpf an meinem Hemd ist eben abgesprungen. Könntest du ihn für mich annähen?" Leslie nahm den Knopf aus seiner Hand. "Kein Problem. Das ist in einer Minute erledigt." Leslie bückte sich nach dem Nähkorb neben dem Sofa und stellte ihn auf den Couchtisch. Dann winkte sie Drew näher heran. "Soll ich mein Hemd besser ausziehen", fragte er, während sie einen Faden einfädelte. "Nein, das ist nicht nötig", wehrte sie hastig ab. Im Gegenteil, für ihr eigenes Seelenheil war es weitaus besser, wenn er sein Hemd anbehielt. Wenn sie in den nächsten Minuten nicht vollends den Kopf verlieren wollte, musste sie dafür sorgen, dass er sein Hemd auf keinen Fall auszog. Sie fuhr mit der Hand in die Öffnung seines Hemdes. Die Wärme seiner nackten Haut machte es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Auch der angenehme Zitronengeruch seines Rasierwassers erleichterte es ihr keineswegs. Jede Sekunde wurde ihr die Sinnlichkeit dieses Mannes bewusster. Sie lächelte ihn unsicher an und bemühte sich, dem Hemd ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Glücklicherweise war Drew so in die Betrachtung eines von Tims Kunstwerken versunken, dass er ihre Unsicherheit nicht bemerkte. In Wahrheit machten ihn der verführerische Duft ihres Parfüms und die weiche, im Augenblick allerdings zitternde Hand auf seiner Brust reichlich nervös. Unter ihrer Berührung fing sein Puls an zu rasen, er konnte kaum noch atmen. Seine Reaktion auf ihre Berührung war so offensichtlich, dass auch Leslie es bemerken musste. Einmal mehr hatte er das Gefühl, dass diese Frau, die so sanft und weiblich war und deren Sinnlichkeit ihn anzog wie ein Magnet, die echte Leslie war. Die Eislady war nichts als eine Fassade, die sie zu ihrem eigenen Schutz brauchte. Er hatte es ja geahnt, und doch, wie war es zu dieser Verwandlung gekommen?
Drew suchte ihren Blick. Vielleicht fand er darin die Antwort auf seine Fragen. Doch Leslie wich ihm aus. Nachdem sie ihren letzten Nadelstich getan hatte, riss sie geschickt den Faden ab. "So, du bist fertig. Dieser Knopf hält jetzt bis in alle Ewigkeit." "Schade", meinte Drew mit belegter Stimme. "Ich könnte mich glatt daran gewöhnen, von dir zusammengeflickt zu werden." Beim Klang seiner Stimme und dem unwiderstehlichen Lächeln wurden Leslie die Knie weich. Wie1 hatte es ihm nur gelingen können, ihre Schutzmauer zu durchbreche n? Wieso war gerade er es, der ihr zu Bewusstsein brachte, was sie in all den Jahren der Zurückgezogenheit versäumt hatte? Leslie hatte mit einem Mal das Gefühl, einen Weg eingeschlagen zu haben, auf dem es kein Zurück mehr gab. Und wenn sie ehrlich gegenüber sich selbst war, bereute sie es keine Sekunde. Die Hauptstraße von Calico hatte sich in einen riesigen Picknickplatz verwandelt. Farbenfrohe Plakate luden ein, an den verschiedenartigsten Wettkämpfen teilzunehmen. Mitten auf der Straße hatte man eine Tanzfläche aufgebaut, und an ein Kinderkarussell hatte man ebenfalls gedacht. Einige Männer waren allerdings noch mit dessen Aufbau beschäftigt. "Wow!" rief Jeremy begeistert. "Dürfen wir beim Aufbauen zusehen, Mom?" bettelte er. "Ich habe nichts dagegen. Aber bleibt bitte in Sichtweite." "Versprochen", willigte Jeremy ein und zog Tim hinter sich her, nachdem er Drew noch mit einem freundschaftlichen Grinsen bedacht hatte. "Die wären für die nächste Zeit beschäftigt", meinte Leslie zufrieden. "Und wo sollen wir unseren Picknickkorb abstellen? Ich möchte nicht, dass sich jeder, der vorbeigeht, selbst bedienen kann." "Ich glaube, da habe ich eine gute Idee. Ich lege unsere Decke direkt vor das Gefängnis. Dort wird wohl keiner wagen, etwas wegzunehmen. Und wenn, ist es mir heute auch egal. Ich
bin außer Dienst. Heute abend bleibt Calico sich selbst überlassen." Leslie sah Drew wenig überzeugt an. "Als Vertreter des Gesetzes ist man vierundzwanzig Stunden lang im Dienst", erklärte sie in geschäftsmäßigem Ton. "Alles klar, Frau Bürgermeisterin. Ich habe den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als zu beten, dass heute nacht nichts passiert, was mein Eingreifen erforderlich machen würde." Beten? Ein Blick in seine Augen genügte, um Leslie zu verstehen zu geben, dass er nicht nur für die Ruhe und den Frieden in Calico betete. In seinen Augen entdeckte sie noch ein ganz anderes Interesse - und das galt zweifellos ihr, Leslie. Nicht, dass sie etwas dagegen hatte. Nein, in keinster Weise. Sie fühlte sich so sehr zu ihm hingezogen, dass sie fest entschlossen war, diese eine Nacht zu genießen und an nichts anderes zu denken als an sich selbst. "Ich gehe kurz zu Maddie hinüber, um ihr ein wenig zu helfen." Leslie versuchte krampfhaft, auf andere Gedanken zu kommen. "Dann begleite ich dich", bot Drew bereitwillig an. "Für mich gibt es sicher auch etwas zu tun." Gemeinsam schlenderten sie zu Maddies Cafe. Vor dem Haus waren mehrere Barbecues aufgebaut, die Maddies ungeteilte Aufmerksamkeit zu fordern schienen. "Hey, Drew!" rief sie ihm schon von weitem zu. "Würden Sie wohl die Fässer mit dem Apfelcidre für mich öffnen?" Mit einem Blick auf Leslie meinte Drew grinsend: "Als Vertreter des Gesetzes muss ich jetzt fragen, ob in den Fässern auch wirklich Cidre ist. Denn alkoholische Getränke sind nach unseren Statuten von 1880 strengstens verboten;" Maddie verschränkte empört die Arme vor der Brust. "Wenn Sie sie jetzt öffnen, können Sie sich ja gleich selbst davon überzeugen. Als ob ich etwas Ungesetzliches tun würde."
"Und ob ich das werde, Maddie. Ich werde beide Augen offen halten." Er zwinkerte ihr freundschaftlich zu, als ihm von hinten jemand auf die Schulter klopfte. Es war Ben mit seinen Rodeo Cowboys. "Hi, Ben!" begrüßte Drew seinen alten Freund, und Maddie, die ihm gerade die passende Antwort auf seine unverschämte Bemerkung geben wollte, blieb das Wort im Hals stecken, als sie den großen, hageren Mann sah, den Drew soeben begrüßt hatte. Drew, der vergeblich auf ihre schlagfertige Entgegnung wartete, sah verblüfft zwischen den beiden hin und her. Beinahe hätte er gelacht, doch die Feierlichkeit des Augenblicks verbot es ihm. Man hätte Maddie problemlos für eine weibliche Ausgabe des Rodeoleiters halten können. Beide waren groß und hager und voll gesunder Lebensfreude. Maddie hatte die vor der Brust verschränkten Arme längst wieder gelöst und ihr ohnehin rosiges Gesicht, das heute durch die Hitze der Barbecues noch röter war als sonst, glühte geradezu. Ben nahm den Hut ab und hatte nur noch Augen für Maddie. Drew wusste instinktiv, dass in diesem Augenblick eine Freundschaft geboren war, die ein Leben lang halten sollte. "Maddie, darf ich Ihnen Ben Rubard vorstellen? Ben ist ein alter Freund von mir. Ihm gehört das Rodeo. Ben, das ist Maddie Hanks. Sie ist die Besitzerin des Cafes hier in Calico." Maddie wischte sich die Hand an der Schürze ab und streckte sie Ben entgegen. "Nett, Sie kennenzulernen", sagte sie beinahe schüchtern, Maddie und schüchtern. Drew konnte es nicht glauben. Leslie und sie waren die beiden einzigen couragierten Frauen, die er bisher in Calico kennen gelernt hatte. Er hätte im Traum nicht daran gedacht, dass auch diese Frau irgendwo tief verborgen in ihrem Innern zarte weibliche Züge versteckt hielt. "Gleichfalls", erwiderte Ben und hielt ihre Hand länger in seiner als notwendig. "Die Jungs und ich wollten einmal sehen,
was hier heute abend so los ist. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn wir ein wenig mitfeiern?" Maddie schüttelte den Kopf. Seit Drew sie kennengelernt hatte, war es das erste Mal, dass es ihr die Sprache verschlug. "Wie wäre es, Ben, wenn du und deine Männer Maddie beim Ausschank behilflich wäret. Sonst müsste ich meinen Job als Sheriff vernachlässigen. Und ich will unter allen Umständen vermeiden, dass heute abend irgend jemand Dummheiten macht." Eine äußerst diplomatische Lösung. Leslie lächelte. Vorhin hatte Drew noch daran gedacht, seinem Amt für eine Nacht den Rücken zu kehren, und jetzt ... Das war eine ganz neue Seite, die sie bisher noch nicht an ihm kennengelernt hatte. Er schien sehr zufrieden darüber zu sein, bei Maddie und Ben Schicksal gespielt zu haben. Nachdem Leslie und Drew die Reste ihres Picknicks in Leslies Korb verstaut und die Jungen zu Maddie und Ben hinübergeschickt hatten, damit sie den beiden ein wenig zur Hand gingen, setzten sie sich auf die Bank vor dem Gefängnis. Geigen, Banjos und Schifferklaviere spielten zum Tanz auf. "Möchtest du tanzen?" Drew sah Leslie erwartungsvoll an. "Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt noch tanzen kann. Es ist ewig lange her, dass ich zum letzten Mal getanzt habe." "Dann ist es erst recht Zeit, wieder damit anzufangen." Drew nahm ihre beiden Hände und zog Leslie entschlossen auf die Füße. "Du wirst dich wundern, wie schnell du es wieder kannst." "Ja, aber ..." "Kein Aber, Frau Bürgermeisterin." Er zog sie auf die Tanzfläche und nahm sie in die Arme. Zärtlich strich er über den kunstvoll geflochtenen Zopf. Traumbilder von dichtem rotbraunen Haar, das auf einem schneeweißen Kissen ausgebreitet war, ließen sein Herz schneller schlagen. "Trägst du dein Haar eigentlich manchmal offen?"
"Wie meinst du das?" fragte Leslie mit einem spröden Lächeln. "Es ist nicht ganz fair, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten", beschwerte sich Drew scherzend. "Sag schon, hast du vielleicht etwas zu verbergen?" Die Musik begann von neuem, und Drew riss Leslie mit sich. Sie verloren sich voll und ganz in den schnellen Walzerklängen. "Vergiss, was ich gesagt habe", meinte er nach einiger Zeit freundlich. "Es war nur ein dummer Witz. Ich mag dich so, wie du bist" Obwohl sie die rhythmische Bewegung genoss und obwohl sie sich an diesem Abend zehn Jahre jünger fühlte als sonst, wirkte Leslie nachdenklich. Drew hatte tatsächlich recht. Hinter der strengen Frisur verbarg sie ihre Verletzlichkeit und die Einsamkeit der letzten drei Jahre. Der Zopf gehörte genauso zur Eislady wie die kalte Fassade, die ihr zu dem Namen verhelfen hatte. In Drews Armen fühlte sie sich zum ersten Mal wieder als Frau, und wenn sie ehrlich war, genoss sie dieses Gefühl so sehr, dass sie enttäuscht war, als die Band zum Abschied ein schwermütiges "Good Night Ladies" spielte. "Ich wünschte, dieser Abend würde nie zu Ende gehen", bedauerte sie, als sie den Picknickkorb hochhob. "Zum Glück ist morgen Sonntag, und wir können ausschlafen." Leslie nickte zustimmend. Dann machten sie sich gemeinsam auf den Weg zu Maddies Cafe. Maddie und Ben saßen im Eingang auf den Treppenstufen, Jeremy und Tim zu ihren Füßen. Gemeinsam hatten sie die Barbecues gereinigt und alles weggeräumt, was nicht über Nacht draußen bleiben konnte. Nun unterhielten sie sich angeregt. Drew konnte sich nicht erinnern, Ben jemals so viel auf einmal hatte reden hören. "Sie scheinen bei ihm einen Stein im Brett zu haben, Maddie", bemerkte Drew lächelnd und stellte verblüfft fest, dass Ben bis über beide Ohren rot wurde. "Hoffentlich ist es nicht nur Seemannsgarn."
"Ben würde mich niemals belügen", entgegnete Maddie empört. Und diesmal war es an ihr zu erröten. "Er will seinen Aufenthalt hier vielleicht sogar um ein paar Tage verlängern." "Eine gute Idee", meinte Drew. "Du wirst dich in ein paar Tagen so an Maddies Kochkünste gewöhnt haben, dass du nie mehr von hier weg willst." Leslie hatte sich inzwischen über ihre Söhne gebeugt, die schon halb eingeschlafen waren. "Kommt, Jungs", forderte sie die beiden liebevoll auf. "Wir wollen nach Hause." "Die armen Kinder", warf Maddie ein. "Sie sind viel zu müde, um jetzt noch nach Hause zu gehen. Lass sie doch einfach hier schlafen. Dann sind sie morgen früh wieder fit, und Ben kann sie bei mir abholen und sie mit zum Rodeo nehmen. Ein gutes Frühstück würde auch dabei herausspringen." Ben war sofort einverstanden. Er und Drew trugen die Jungen ins Haus, während Leslie draußen wartete. Drew hatte darauf bestanden, sie nach Hause zu bringen; und obwohl sie problemlos hätte allein gehen können, nahm sie sein Angebot an. Der heutige Abend war etwas ganz besonderes. Leslie wusste, dass sie ihn nie würde vergessen können. Sie hatte nicht nur jeden Augenblick mit Drew genossen, sie wollte mehr. Vor der Ladentür blieben sie stehen. "Soll ich noch mit dir 'reinkommen und nachsehen, ob alles in Ordnung ist?" "Es ist nicht das erste Mal, dass ich spät abends nach Hause komme." Leslie zögerte. . "Aber sonst sind die Jungen bei dir. Man kann nie wissen, was für ein Ungeziefer sich häuslich bei dir niedergelassen hat." Leslie blickte ihn ernst an. "Du meinst das im Ernst, nicht wahr?" fragte sie. Drew nickte. Sie hatte ja keine Ahnung, wie ernst er es meinte. Ein völlig neues Gefühl hatte ihn beinahe über Nacht gepackt. Er verspürte das dringende Bedürfnis, Leslie zu
beschützen. Er fühlte sich für ihre Sicherheit verantwortlich. So etwas hatte er nie zuvor erlebt. Unsinn! Drew belog sich selbst. In dem Moment, als er den seltsamen Ausdruck in Leslies Augen bemerkte, wusste er es ganz genau. Es war nicht sein Beschützerinstinkt. Er wollte nicht wirklich nach Schlangen und anderem Ungeziefer suchen. Er wollte mit Leslie allein sein. Er wollte ihr zeigen, wie groß sein Verlangen war, wie sehr er sich danach sehnte, ihren verführerischen Mund zu küssen, sie seine Leidenschaft spüren zu lassen und sie eine ganze Nacht in den Armen zu halten und sie zu lieben. "Also gut", willigte sie schließlich ein und gab ihm den Haustürschlüssel. "Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass du etwas finden wirst." Leslie musste unwillkürlich lächeln. Sie wusste genau, was er vorhatte. Aber im Gegensatz zu Keith Andrews benahm er sich bis zuletzt wie ein Gentleman. Es war nicht Drews Art, mit der Tür ins Haus zu fallen. Der Übereifer, mit dem er jede Ecke, jeden Winkel genauestens inspizierte, war zu komisch. Als er schließlich immer zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufstürmte, konnte sie ein Kichern nicht unterdrücken. Er war fest entschlossen, in ihre Wohnung mitzukommen, genauso wie Leslie fest entschlossen war, ihn nicht daran zu hindern. "Alles in Ordnung", verkündete er schließlich. "Ich habe nichts Verdächtiges entdecken können." Sie gingen die Treppe wieder hinunter und blieben an der Ladentür noch einmal stehen. "Macht es dir denn gar nichts aus, hier allein zu bleiben?" Drew hatte die Hand schon auf der Klinke, zögerte aber, die Tür zu öffnen. Leslie schüttelte den Kopf. "Dann gehe ich jetzt wohl besser." Drew öffnete die Tür einen Spaltbreit, beugte sich aber zu Leslie hinab, bevor er den
Laden verließ. Zärtlich berührten seine Lippen ihre. Als sie sich nicht wehrte, legte er die Arme um sie und zog sie fe st an sich. Sein Kuss wurde drängender. "Danach habe ich mich den ganzen Abend lang gesehnt", gestand er heiser. "Ich mich auch", flüsterte Leslie, legte ihm die Arme um den Hals und schloss die halb geöffnete Tür.
9. KAPITEL Drew traute seinen Ohren nicht. So gern er ihren Worten auch Glauben geschenkt hätte, so unsicher fühlte er sich plötzlich. Er hatte nicht die Absicht, sich zum Narren machen zu lassen. War diese warmherzige, leidenschaftliche Frau nicht vor zwei Tagen noch die von allen ge fürchtete Eislady gewesen? "Soll das heißen, du möchtest, dass ich heute nacht bei dir bleibe?" fragte er vorsichtig. Leslie nickte lächelnd. "Bist du ganz sicher?" "Ganz sicher", erwiderte sie scheu und schlang die Arme noch fester um seinen Hals. "Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass du bei mir bleibst." Drew drückte sie fest an sich. Er spürte ihren rasenden Herzschlag an seiner Brust. Er wusste, dass er sich vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben in einer Situation befand, in der er nicht umhin kam, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Leslie war eine ganz besondere Frau. Sie verdiente seine Achtung mehr als jede andere, die er vor ihr kennengelernt hatte. Er durfte sie nicht als Spielzeug benutzen, das man nach ein paar Tagen in die Ecke legt. Selbst wenn er seinen Aufenthalt in Calico noch um ein paar Wochen verlängerte, früher oder später würde der Tag kommen, an dem seine Wanderlust ihn wieder packte. Und er wusste genau, dass er sich
bis an sein Lebensende schuldig fühlen würde, wenn er sie einfach verließ. Jetzt, wo er die echte Leslie kennengelernt hatte, fiel ihm die Entscheidung unsagbar schwer. Er wusste, dass er keinerlei Rechte auf sie hatte. Er wollte nur noch kurze Zeit ihren angenehmen weiblichen Duft einatmen, ihren weichen, perfekt geformten Körper spüren, der sich so vertrauensvoll an ihn schmiegte. Drew atmete tief durch und zog Leslie mit sich ins Ladeninnere. "Ich glaube, wir müssen miteinander reden, ehe es zu spät ist." Leslie war verwirrt. "Sagtest du, du willst mit mir reden?" Drew küsste sie zärtlich auf die Nasenspitze. "Sagen wir, ich möchte dir etwas erklären. Es gibt Dinge, die du über mich wissen solltest, bevor wir weitermachen." "Drew", protestierte sie und fuhr mit dem Zeigefinger verführerisch über seine Lippen. ,,Es gibt nichts zu erklären. Ich weiß genau, was ich tue." Leslie errötete. "Schließlich war ich schon einmal verheiratet." "Das meine ich nicht", erklärte Drew, der in der Tat nicht genau wusste, wie er ihr seine Bedenken verständlich machen sollte. "Was meinst du dann?" fragte Leslie ungeduldig. "Reicht es denn nicht, dass wir einander begehren?" "Nein, Leslie. In diesem Fall reicht es nicht." "Heißt das, du willst mich nicht?" Leslie löste sich aus seinen Armen und sah ihn unglücklich an. "Doch. Ich will dich sogar sehr. Aber es ist mehr als das. Du bedeutest mir so viel, dass ich dir nicht weh tun möchte." "Wie könntest du mir weh tun, wenn du mich liebst?" Drew sah sie verzweifelt an. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er versuchte, einer Frau seine Gefühle zu erklären. Und es war verflixt schwierig. Wenn Leslie heute abend ja
sagte, würden sie ohne Zweifel eine unvergessliche Nacht miteinander verbringen. Aber was kam danach? "Ich glaube, du verstehst mich nicht", sagte er seufzend. "Und es ist alles so schwer zu erklären." Er sah sich nachdenklich um. "Dies alles hier ist deine Welt, eine Welt der Sicherheit und der Beständigkeit. Meine Welt ist ganz anders. Ich bin ruhelos und weiß heute nicht, was morgen sein wird. Ich will damit sagen, dass ich mir im Augenblick nicht vorstellen kann, auf die Dauer in deiner Welt zu leben. Wenn du einen Vater für deine Jungs suchst und einen Mann, der dir verspricht, bis ans Ende seiner Tage bei dir zu bleiben, dann bist du bei mir an der falschen Adresse. Wenn dir die Liebe reicht, die ich dir anbieten kann, wäre ich der glücklichste Mann der Welt. Aber ich kann dir nichts versprechen, außer dass ich immer ehrlich zu dir sein würde und dich so sehr liebe wie keine Frau vor dir. Wie lange ich jedoch bei dir bleiben kann, weiß ich nicht." Drews Offenheit beeindruckte Leslie zutiefst. Selbst auf die Gefahr hin, dass sie jetzt einen Rückzieher machen könnte, hatte er ihr schonungslos die Wahrheit gesagt. "Habe ich dich gebeten, mir irgendwelche Versprechungen zu machen?" fragte sie zärtlich. "Ich wollte nur, dass du bei mir bleibst, weil ich es nicht ertragen könnte, wenn dieser wunderschöne Abend schon vorbei wäre." "Mir geht es genauso. Aber ich wollte auf keinen Fall, dass du dir falsche Hoffnungen machst." "Wenn das so ist", flüsterte Leslie dicht an seinem Ohr, "sollten wir jetzt aber keine Zeit mehr verlieren und dafür sorgen, dass wenigstens diese eine Nacht ewig dauert." Ohne zu zögern, fing sie an, sein Hemd aufzuknöpfen. "Was morgen ist, spielt keine Rolle." Sie fühlte, wie sein Körper sich anspannte, als sie einen Knopf nach dem anderen öffnete. Als nächstes knotete sie sein Halstuch auf und warf es achtlos beiseite. Dann riß sie ihm Jacke und Hemd regelrecht vom Leib und wandte sich dem
Cowboygürtel zu, nicht jedoch, ohne Drew vorher mit einem kurzen provozierenden Blick bedacht zu haben. Unter der engsitzenden Jeans spürte sie seine wachsende Erregung deutlich. Ungeduldig hantierte sie an der Gürtelschnalle. Vergebens. Doch Leslie konnte jetzt nicht aufgeben. Sie begehrte ihn so sehr, dass es weh tat. "Lass mich dir helfen", sagte Drew. "Diese Cowboygürtel haben es in sich. Es ist unmöglich, sie zu öffnen, wenn man es eilig hat. Aber unsere Bürgermeisterin hat darauf bestanden, dass wir sie tragen." Ihre Finger kamen sich in die Quere. Leslies Körper schien unter Strom zu stehen. "Sie konnte ja nicht ahnen, wie schwierig es in einem Notfall wie diesem hier ist, ihn zu öffnen", erwiderte sie atemlos. Jedesmal, wenn sie dachte, sie hätte es geschafft, waren seine Finger erneut im Weg. Leslie fragte sich bereits, ob er sie absichtlich auf die Folter spannte, um ihr heimzuzahlen, dass sie niemals bereit war, einmal getroffene Anordnungen erneut zu überdenken, geschweige denn zurückzunehmen. Endlich gab sie auf. Sie trat einen Schritt zurück, und sah ihn fragend an. "Ich glaube, du musst das selbst erledigen. Das heißt, wenn du es überhaupt willst." "Und ob ich will", neckte er sie. "Ich wollte dich nur nicht stören und sehen, wie weit du in deinen Bemühungen gehen würdest:" "Drew McClain", sagte sie vorwurfsvoll. "Wenn du jetzt nicht ein bisschen kooperativer bist, wirst du es niemals erfahren." Zart strich er über die empfindliche Haut an ihrem Hals und verfolgte zielstrebig seinen Weg bis zu ihren vollen Brüsten. Leslie erschauerte unter der kaum wahrnehmbaren Berührung. Genau so musste man sich im siebten Himmel fühlen. Sie stöhnte leise auf, als er mit der Hand eine ihrer Brüste umfing. Er spielte so lange mit der vor Erregung aufgerichteten Brustspitze, bis Leslie beinahe den Verstand verlor.
Ermutigt von ihrer offensichtlichen Reaktion auf seine Berührung, zog er das Oberteil ihres Kleides bis auf die Hüften hinunter. Leslies Körper stand bald völlig in Flammen. Sie schloss die Augen und genoss seine Nähe, schmeckte ihn, wie er sie schmeckte, und atmete sehnsüchtig seinen männlichen Geruch ein. Als er ihre nackten Brüste schließlich mit kleinen federleichten Küssen bedeckte, wurde es ihr unmöglich, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Sie wusste bloß eins. Sie wollte sich in diesem Mann verlieren, der plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war, um in ihr, Leslie, nach so langer Zeit wieder die Sinnlichkeit zu wecken, die sie längst tot geglaubt hatte. Er würde sie in eine echte Frau aus Fleisch und Blut verwandeln. Maddie hatte recht gehabt. Sie hatte tatsächlich vergessen, wie es war, eine begehrenswerte Frau zu sein. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, die Arme des Mannes um sich zu spüren, den man liebte. Und in diesem Moment war sie tatsächlich verrückt genug, sich einzureden, dass auch er sie liebte. Schließlich war Drew der Mann, der trotz der Schutzmauer aus Kälte und Überheblichkeit die Frau entdeckt hatte, die sich nach Liebe und Zärtlichkeit sehnte. Es dauerte nicht lange, und Leslie fand sich auf ihrem Bett wieder. Drew war immer noch mit den Bändern ihres Kleides beschäftigt, aber er hatte sich immerhin des entsetzlichen Gürtels entledigt. Wie war sie nur auf den albernen Gedanken gekommen, dafür zu sorgen, dass er sich so lächerlich kostümieren sollte? Seine Ausstrahlung war so überwältigend und unabhängig von Äußerlichkeiten, dass er es nicht nötig hatte, sieh als Mann zu verkleiden. Drew entging es nicht, dass Leslie mit den Gedanken nicht bei der Sache war. "Hör auf, nachzudenken, Leslie", bat er, während er ein kleines Päckchen aus der Hosentasche zog und es auf den Nachttisch zu legen. "Schalte ein einziges Mal deinen
Verstand aus." Er beugte sich über sie und sah ihr in die Augen. "Lass dich einfach gehen. Ich möchte, dass du heute nacht alles und jeden vergisst. Du sollst nur mir allein gehören." Leslie sah ihm in die Augen und wusste, dass er es ernst meinte. Sie öffnete die Arme und zog ihn fest an sich. Endlich lagen sie beide auf dem Bett. Drew hatte recht. Heute nacht würden sie alles andere vergessen und nur in ihren Träumen und Phantasien leben. Im Mondlicht sah sie in Drews braune Augen. Er schien sie mit bewundernden, sehnsüchtigen Blicken zu verschlingen. Und dann betrachtete sie den sinnlichen Mund, um den jetzt ein zärtliches Lächeln spielte. Leslie zog ihn so dicht an sich heran, dass sie ihn schließlich überall spürte. Zärtlich fuhr sie mit dem Finger über seine Lippen, seine Wangen, seinen Hals und hob den Kopf leicht an, um seinen Mund auf ihrem zu spüren. Sein Kuss war so leidenschaftlich, dass Leslie beinahe den Verstand verlor. Mit seinen Händen schien er ihren herrlichen Körper überall gleichzeitig zu berühren und entfachte ein Feuer in ihr, das unbedingt gelöscht werden musste. Er massierte und streichelte sie an den intimsten Stellen, und Leslies Sehnsucht wurde unerträglich. Sie stöhnte. Ihre Brüste verlangten nach seinen Lippen. Drew wusste genau, was sie wollte. Er nahm eine Spitze zwischen die Lippen und saugte daran, dann tat er dasselbe mit der anderen. Leslie konnte nicht länger warten. Sie bog ihm ihre Hüften entgegen und berührte ihn so intim, dass auch er die Beherrschung verlor. Während er ihr ins Ohr flüsterte, wie sehr er sie begehrte, schob er sich endlich über sie und drang in sie ein. Wenn das nicht Liebe ist dachte Leslie, bevor sie mit Drew gemeinsam einen überwältigenden Höhepunkt erreichte, der sie für eine kurze Zeit aus der Wirklichkeit in eine andere Welt entführte, die sie längst vergessen hatte. Das erste Licht der Morgendämmerung stahl sich ins Zimmer. Drew öffnete verschlafen die Augen und versuchte,
sich zu orientieren. Wo war er? Ein Blick zur Seite brachte die Erinnerung schnell zurück. Er war nicht allein. Neben ihm lag die leidenschaftlichste Frau, die ihm je begegnet war. Es war also kein Traum gewesen. Die wundervollste Nacht, die er je erlebt hatte, war Wirklichkeit gewesen. Er hätte im Leben nicht gedacht, dass Leslie sich ihm hingeben würde. Und er hätte es auch nicht für möglich gehalten, dass er, Drew, sich in ihren Armen so würde verlieren können. Beinahe ehrfürchtig betrachtete er die Frau neben sich. Völlig entspannt lag sie da. Die langen schlanken Beine waren leicht angezogen, und die Wange ruhte auf dem Handrücken. Sie wirkte im Dämmerlicht noch anziehender als sonst. Zärtlich zog Drew sie näher an sich heran und deckte sie beide zu. Nur noch ein paar Minuten, dann musste er gehen. Er dachte an ihre gemeinsame Nacht in der Hütte zurück, als Alan Little ihn und Leslie eng umschlungen auf der schmalen Liege vorgefunden und voreilige Schlüsse gezogen hatte. In jener Nacht war nichts geschehen, so schwer es ihm auch da schon gefallen war, die Finger von dieser Frau zu lassen. Und doch würde er diese Nacht niemals vergessen, weil in ihr der Grundstein seiner Gefühle für Leslie gelegt worden war. Und nun hatte sie sich ihm hingegeben - so vollkommen hingegeben, wie er es in seinen geheimsten Träumen nicht für möglich gehalten hatte. Drew beugte sich über sie. Er küsste sie zärtlich, was Leslie veranlasste, sich noch enger an ihn zu schmiegen. Drew hatte das ungute Gefühl, dass sie genauso überrascht sein würde, ihn in ihrem Bett vorzufinden, wie er es noch vor wenigen Minuten gewesen war. Er lachte leise, als sie widerstrebend die Augen öffnete und ihn verblüfft ansah, Er küsste die halb geöffneten Augenlider und strich ihr zärtlich übers Haar. "Guten Morgen, du kleine Schlafmütze", flüsterte er. Leslie starrte ihn ungläubig an. Sie schlug die Hand vor den Mund und wusste nicht, was sie sagen sollte. Drew musste sich
dringend etwas einfallen lassen, um die Situation zu retten. Wenn ihnen noch genug Zeit blieb, konnte er sie vielleicht sogar noch einmal lieben. "Bereust du es?" fragte er besorgt. "Nein", erwiderte sie mit einem spitzbübischen Lächeln. "Ich war nur überrascht. Normalerweise liegen morgens keine fremden Männer in meinem Bett." "Ich muss gleich gehen", kündigte er schließlich zögernd an. "Aber nicht ohne einen letzten Kuss von dir." Drew schlug die Decke zur Seite und betrachtete Leslie fasziniert. Er hatte geglaubt, dass seinen Blicken in der vergangenen Nacht nichts verborgen geblieben war, doch nun wurde er eines Besseren belehrt. Es gab da noch einige sehr intime Stellen, die er in seine Liebkosungen nicht miteinbezogen hatte. "Du bist so wunder schön", murmelte er heiser und küsste diese Stellen so lange, bis sie sich in seinen Armen wand und sich sehnsüchtig an ihn drängte. . "Hör nicht auf. Zeig mir die Stellen noch einmal", forderte sie ihn auf, und ihr samtweicher Körper entflammte erneut unter seiner Berührung. Für Drew war es ein erregendes Gefühl, solche Reaktionen in ihr auslösen zu können. Er warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr. Eigentlich hätte er längst im Dienst sein sollen, aber schließlich war er auch nur ein Mann aus Fleisch und Blut. Er brachte es nicht über sich, Leslie in diesem Zustand höchster Erregung zu verlassen, um sich in sein leeres, ungemütliches Zimmer gleich neben dem Gefängnis zurückzuziehen. "Wenn du es möchtest, zeige ich sie dir noch einmal." Er zog die Decke ganz weg, und küsste dann ihre Brüste, den Nacken, die Ohrläppchen und entfachte erneut ein unglaubliches Feuer der Leidenschaft. "Halt!" rief Leslie schließlich atemlos aus. "Du mogelst. Diese Stellen hatten wir schon. Jetzt bin ich an der Reihe." Leslie ließ die Lippen und Hände zärtlich über seinen
angespannten Körper gleiten. Auch sie ließ keine Stelle aus, und als sie ihn ganz intim berührte, war es Drew unmöglich, sich auch nur eine Sekunde länger zu beherrschen. Er hielt ihre Hände fest und drehte sie hastig auf den Rücken. "Das hast du jetzt davon", sagte er erregt. "Jetzt musst du für das büßen, was du mit mir angerichtet hast." Sie sahen sich in die Augen, und Drew wusste, dass Leslie dasselbe wollte wie er. Er schob sein Knie zwischen ihre Beine und senkte sich auf sie, um langsam und tief in sie einzudringen. ; Leslies lustvolle kleine Schreie brachten ihn beinahe um den Verstand. Alles andere spielte keine Rolle mehr. Er hatte es geahnt. Die leidenschaftliche, hingebungsvolle Leslie war eine Versuchung, der kein Mann widerstehen konnte. Ihr Verlangen und ihre Bereitschaft ließen ihn alle Vernunft vergessen. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Drew sich schließlich auf den Weg ins Gefängnis machte. In etwa einer Stunde, würde ganz Calico auf den Beinen sein. Die Tanzfläche hatte man in der Nacht noch abgebaut, um mehr Platz für die an diesem Tag anstehenden Wettkämpfe zu haben. Das leise, eintönige Geräusch einer Lokomotive drang aus einiger Entfernung zu Drew hinüber. Wahrscheinlich ließen neugierige Touristen sich von einem einheimischen Führer in die Welt der Silberminen entführen. Also war es sogar noch später, als er gedacht hatte. Aber Leslie und er waren so unersättlich gewesen, dass sie glatt die Zeit vergessen hatten. Drew wollte gerade die Tür zum Gefängnis aufschließen, als er mitten in der Bewegung innehielt. Jemand hatte ein Polaroidfoto an die Tür geheftet. Einen Schnappschuss, der Leslie und ihn in leidenschaftlicher Umarmung im Eingang zu ihrem Laden zeigte. Wenn unter den Dorfbewohnern bisher bezüglich seiner und Leslies Beziehung noch irgendwelche Zweifel geherrscht hatten, mit diesem Foto würden diese Zweifel schlagartig aus dem Weg geräumt. Es war eindeutig
nachts aufgenommen, und es war ebenso offensichtlich, dass sie auf dem Bild gerade im Begriff waren, Leslies Haus zu betreten. Drew stöhnte auf. Natürlich wusste er, wer dahinter steckte: Keith Andrews. Er war der einzige in Calico, der so eine Polaroidkamera besaß. Er benutzte sie in der Regel, um Touristen zu fotografieren und ihnen dann seine Schnappschüsse zum Kauf anzubieten. Wenn er Leslie nicht versprochen hätte, nach dem Duschen gleich bei Maddie und den Jungs vorbeizugehen und darauf zu achten, dass in der Stadt alles in Ordnung war, hätte er diesen unverschämten Burschen am liebsten an den Haaren aus seinem Bett gezerrt und zur Rede gestellt. Der Gedanke, dass Andrews ihn mit einem breiten Grinsen an die Wette erinnerte, machte Drew wütend. Er selbst wusste genau, dass seine Beziehung zu Leslie nicht im entferntesten etwas damit zu tun hatte, wer wen gezähmt hatte. Aber wussten das die Einwohner von Calico ebenfalls? Maddie würde ihm glauben - daran bestand kein Zweifel. Aber die anderen? "Gut, dass Sie kommen, Mr. McClain." Maddie zog theatralisch die Stirn in Falten. "Die beiden Jungs essen mir doch glatt die Haare vom Kopf. Die Pfannkuchen verschwinden rascher in ihren Bäuchen, als ich sie überhaupt backen kann." Drew lächelte. Es war natürlich klar, dass Maddie scherzte. Doch als er sich umdrehte und Ben Rubard die Straße entlangeilen sah, fiel ihm siedendheiß ein, dass die beiden sich ja für heute morgen zum Frühstück verabredet hatten. "Los, Jungs, beeilt euch", drängte er, denn sowohl Maddie als auch Ben machten den Eindruck, als würden sie ganz gern ein paar Stunden ungestört sein. "Eure Mutter macht sich bestimmt schon Sorgen um euch." Nicht, dass er selbst an die Richtigkeit seiner Worte glaubte. Als er Leslie vorhin verlassen hatte, hatte sie eher so ausgesehen, als würde sie am liebsten den ganzen Vormittag im Bett bleiben.
Nachdem er die Jungen wohlbehalten abgeliefert hatte, machte Drew sich auf den Weg zu Herb Strawberry, der gerade damit beschäftigt war, die Schlagzeilen einer Ausgabe der "Gazette" aus dem Jahre 1881 zu reproduzieren. Drew war zwar der Ansicht, dass Strawberry nicht gerade das war, was man allgemein unter einem Ehrenmann verstand - wie sonst hätte er mit Keith Andrews befreundet sein können? - aber für Strawberry sprach, dass er zumindest nichts mit Andrews üblen Machenschaften in bezug auf Leslie zu tun hatte. "Haben Sie eine Minute Zeit für mich, Herb?" fragte Drew. "Aber wirklich nur eine Minute", willigte Strawberry ein. "Ich stecke bis über beide Ohren in Arbeit." "Also gut. Dann komme ich eben gleich zur Sache", sagte Drew mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. "Was hat es mit der Wette auf sich?" "Mit welcher Wette?" fragte Herb zurück. "Es gibt keine Wette. Sie wissen doch, dass die Bürgermeisterin das Wetten verboten hat." "Los, Herb, tun Sie nicht so scheinheilig. Sie und ich, wir wissen genau, dass es eine Wette gibt, die Leslie Chambers und mich betrifft. Was ich von Ihnen wissen möchte, ist, wer nimmt an der Wette teil und wie weit ist das ganze gediehen." Herb Strawberry zögerte. "Fragen Sie mich in Ihrer Funktion als Sheriff?" "Nein, von Mann zu Mann." "Na gut, dann kann ich es Ihnen wohl erzählen. Die meisten Männer in Calico wetten gegen eine Handvoll Frauen, allen voran Maddie. Können Sie mir nicht sagen, wer gewinnt? Dann hätte ich meine Information aus erster Quelle." "Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Strawberry. Fordern Sie Ihren Einsatz zurück und sparen Sie Ihr Geld lieber. Es wird keinen Sieger geben. In dem Moment, wo ich Calico verlasse, löst sich alles in Wohlgefallen auf. Und dieser Moment ist nicht mehr allzu fern." Mit einem kurzen Kopfnicken ließ Drew den
verdutzten Mann stehen. Er wusste genug. Herb hatte keine Ahnung von Andrews Machenschaften. Die Sache mit dem Photo hatte Andrews ganz alleine angezettelt. Drew fluchte leise vor sich hin. Sollte sich Andrews doch an ihm rächen, wenn er nur Leslie aus dem Spiel ließ. Es würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als solange in Calico zu bleiben und über sie zu wachen, bis er sicher sein konnte, dass man sie in Ruhe ließ. Drew sah nachdenklich hinter der kleinen Lok her, die die ersten Touristen aus Calico hinaus zu den Silberminen beförderte. Calico war nie eine reiche Stadt gewesen. Was man vor hundert Jahren an Edelmetallen hier aus der Erde geholt hatte, war gerade genug gewesen, um davon zu leben. Leslie hatte recht. Calico war eine Stadt, die vom Tourismus lebte, in der man keine andere Wahl hatte, als die Vergangenheit wieder auferstehen zu lassen. Denn genau das war es, was die Leute wollten. Und genau deshalb hatte sie einen guten Grund gehabt, auf seiner Kostümierung zu bestehen. Drew lächelte. Doch mit einem Mal verblasste Drews Lächeln. Irgend etwas störte seine wunderbare Vision. Irgend etwas war nicht so gewesen, wie es hätte sein sollen. Richtig. Er war so sehr in seiner Liebe zu Leslie gefangen gewesen, dass er es erst jetzt bemerkte: Selbst auf dem Höhepunkt der Leidenschaft hatte sie ihren obligatorischen Zopf nicht für ihn gelöst. Gab es doch noch etwas, was Leslie vor ihm verbarg?
10. KAPITEL Leslies Zopf ging Drew nicht aus dem Sinn. Er hätte es sich ja denken können. Der Wandel von der Eislady zum leidenschaftlichen Vamp hatte sich für seine Begriffe viel zu schnell vollzogen. Dabei hatte er absolut keinen Grund, sich zu beklagen. Leslie war eine hingebungsvolle Geliebte gewesen. Sie war ihm nichts schuldig geblieben. Und doch, wenn auch ihre Leidenschaft echt gewesen war und daran bestand für Drew kein Zweifel, warum konnte sie nicht genauso ehrlich ihm gegenüber sein wie umgekehrt? Hatte er nicht sogar riskiert, sie zu verlieren, indem er ihr offen vo n seiner Vergangenheit und einer Ungewissen Zukunft berichtete? Drew konnte es nicht ertragen, wenn ihm jemand misstraute, schon gar nicht, wenn dieser Jemand Leslie war. "Morgen, Sheriff." Drew war so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, dass er Alan Little, der seine Ponies zum Ponyreiten für Kinder brachte, glatt übersehen hatte. "Sie sollten sich mal beim Tabakspucken blicken lassen. Da kommt es demnächst zum Finale." "Was interessiert mich das Tabakspucken. Ich finde es offen gestanden genauso widerlich wie unsere Frau Bürgermeisterin." "Kann schon sein. Aber im letzten Jahr ist es gerade beim Tabakspucken zu üblen Zwischenfällen gekommen. Zwei der Teilnehmer wären beinahe in eine Schießerei verwickelt worden. Deshalb hat Sheriff Carey ja auch eingesehen, dass man
das Stadtfest unbedingt überwachen lassen sollte. Wussten Sie das denn nicht?" "Nein. Carey hat mir nicht gesagt, dass ich die Wettkampfteilnehmer daran hindern soll, sich gegenseitig umzubringen. Aber ich werde mich um die Sache kümmern." "Gut", meinte Little erleichtert. "Dann ist ja alles geregelt. Doc Parsons passt übrigens beim Pfannkuchenwettessen auf, weil die Leute sich dort erfahrungsgemäß den Magen verderben." "Na, wunderbar", murmelte Drew vor sich hin. Immerhin erwartete man nicht von ihm, dass er an zwei Orten gleichzeitig war. Drew machte sich sogleich auf den Weg. Als er an Keith Andrews Fotogeschäft vorbeikam, trat dieser zufällig gerade aus der Tür. Andrews sah aus wie ein Dandy aus dem neunzehnten Jahrhundert. Und der selbstzufriedene Gesichtsausdruck, mit dem er die anerkennenden Blicke der weiblichen Touristen zur Kenntnis nahm, war geradezu widerwärtig. "Hallo Andrews", begrüßte Drew ihn kühl. "Muss eine arbeitsreiche Nacht für Sie gewesen sein." "Na ja, ziemlich. Aber Fotografieren ist schließlich mein Job." "Und der Schnappschuss von gestern abend? Ist das auch Ihr Job?" fragte Drew verächtlich. "Ich weiß nicht, wovon Sie reden", erwiderte Andrews, doch das Lächeln schwand von seinem Gesicht. "Dann wissen Sie ja auch nicht, wovon ich rede, wenn ich Ihnen jetzt den guten Rat gebe, das Foto keiner Menschenseele zu zeigen, weil ich Ihnen andernfalls bei lebendigem Leib die Haut abziehen müsste." "Das kommt ganz auf Sie an, Mr. McClain." Andrews hatte sich anscheinend schnell wieder gefangen. "Was soll das heißen?" Drew, der sich schon ein paar Schritte entfernt hatte, horchte auf.
"Lassen Sie endlich die Finger von Leslie." Das anmaßende Grinsen war auf das Gesicht des Fotografen zurückgekehrt. "Ich höre wohl nicht richtig", entgegnete Drew drohend. "Wenn einer die Finger von Leslie lässt, dann sind Sie es. Sie hat Ihnen doch wohl deutlich genug gezeigt, dass sie keinerlei Interesse an Ihnen hat." "Das liegt nur daran, dass Sie uns immer im Weg sind." Andrews sah den Hilfssheriff finster an. "Die Sache ist doch ganz einfach. Nachdem Sie es endlich geschafft haben, bei ihr das Eis zu brechen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie den nächsten Mann an sich ranlässt. Und sobald Sie Calico wieder verlassen haben, ist mir dieser Sieg sicher." "Ich warne Sie, Andrews. Lassen Sie Leslie in Ruhe. Sie und die Kinder sind kein Freiwild, nur weil zufällig kein Mann im Hause ist." "Aber Sheriff, was unterstellen Sie mir da", entgegnete Andrews mit gespielter Empörung. "Ich werde die Dame selbstverständlich heiraten. Und das ist mehr, als Sie ihr bieten können." Drew hielt die Luft an. Ihm wurde regelrecht übel. Dabei hatte Andrews ja recht. Der Gedanke, Leslie zu heiraten, war ihm bisher nicht in den Sinn gekommen. So sehr er sich zu Leslie hingezogen fühlte, eine Heirat kam für ihn nicht in Frage. Andrews triumphierender Blick war mehr, als Drew ertragen konnte. Und doch, er musste zugeben, dass die Aussichten für den verabscheuungswürdigen Fotografen gar nicht so schlecht standen. Leslie setzte auf Beständigkeit. Warum also sollte sie Andrews Angebot, eine Familie zu gründen, nicht in einer schwachen Stunde annehmen? Die Vorstellung, seine zärtliche, leidenschaftliche Leslie könnte in den Armen dieses Mannes oder überhaupt eines anderen Mannes aufwachen, machte Drew wütend.
"Vergessen Sie's!" wies er Andrews zurecht. "Wenn Sie weiter so dummes Zeug reden, garantiere ich Ihnen, dass ich Calico nie mehr verlassen werde." "O doch", konterte Andrews. "Sie werden Calico verlassen. Und zwar spätestens, wenn ich Leslie anvertraut habe, dass Sie der Erfinder der besagten Wette gewesen sind." . Drew stand schlagartig wie angewurzelt da. Als Vertreter des Gesetzes konnte er es sich nicht leisten, diesem niederträchtigen Halunken auf der Stelle eine Tracht Prügel zu verabreichen. "Das ist nicht Ihr Ernst", stieß Drew zwischen den Zähnen hervor. "Sie würden es nicht wagen, solche Lügen zu verbreiten." Er packte Andrews am Kragen und hielt ihm die geballte Faust unter die Nase. "Worauf Sie sich verlassen können." Er versuchte vergeblich, sich aus Drews Griff zu befreien. "Und das Schöne daran ist, Leslie wird mir glauben. Schließlich bin ich ein alteingesessener, angesehener Geschäftsmann, während Sie nur zufällig auf der Durchreise sind." Drew war fassungslos. Wie konnte ein Mensch nur so tief sinken, dass er um des Geldes Willen vor nichts zurückschreckte. Wenn er wüsste, dass die ausgesetzte Belohnung nicht mehr als zwanzig Dollar betrug, ganz zu schweigen von der Silbermine, die schon vor Jahrzehnten stillgelegt worden war ... Drew hatte zwar keineswegs die Absicht, seinen Widersacher über den Irrtum aufzuklären, andererseits würde er auch nicht zusehen, wie Andrews sich an Leslie heranmachte. "Stimmt etwas nicht?" fragte Maddie, als Drew kurze Zeit später über einer starken Tasse Kaffee und einem frisch gebackenen Doughnut saß. "Das kann man wohl sagen." Drew brütete finster vor sich hin. "Was ist passiert, Mr. McClain, schießen Sie schon los." "Keith Andrews", brummte Drew.
"Was ist mit Andrews?" Maddie ließ nicht locker. "Er will Leslie einen Heiratsantrag machen." "Sieht ihm ähnlich." Maddie runzelte die Stirn. "Wahrscheinlich lockt ihn die Belohnung." "Die Belohnung? Woher wissen Sie das mit der Belohnung?" Drew war ziemlich sicher, dass er sämtliche Flugblätter aus dem Verkehr gezogen hatte, außer dem einen, das Andrews, in die Finger gefallen war. Also gab es nur noch einen, der Bescheid wusste: Herb Strawberry, der die Blätter gedruckt hatte. "Man redet in der ganzen Stadt davon", meinte Maddie beiläufig, und Drew merkte sofort, dass sie nicht gewillt war, auch nur ein weiteres Wort über die Ereignisse, die sich da offensichtlich hinter seinem Rücken zutrugen, verlauten zu lassen, "Aber eines muss man den beiden Jungs lassen. Sie haben tolle Ideen." "Sie wollen mir nicht mehr erzählen, Maddie, stimmt's?" "Natürlich nicht. Wenn ich daran denke, wie wutentbrannt Sie eben hier hereinkamen, ist es wahrscheinlich auch besser so. Sie sahen aus, als wollten Sie jemanden umbringen. Also schütze ich Sie vorsichtshalber vor sich selbst." Sie betrachtete Drew mit einem verstehenden Lächeln. "Schade, McClain, dass Sie nur auf der Durchreise sind. Ich finde, Sie sind ein netter Kerl." "Wie kommen Sie darauf, dass ich auf der Durchreise bin? Wer hat Ihnen gesagt, dass ich die Absicht habe, Calico wieder zu verlassen?" Drew war es leid, von jedem ständig daran erinnert zu werden, dass sein Aufenthalt hier nur noch von kurzer Dauer sein würde. "Sie selbst haben es gesagt. Sie haben hier mit Leslie am Tisch gesessen. Es ging ziemlich hoch her bei dieser Unterhaltung, und ich zweifle nicht daran, dass halb Calico Zeuge geworden ist. Sie haben meiner Freundin zu verstehen gegeben, dass Sie nach dem Stadtfest nicht einen Tag länger hierbleiben werden. Ich kann mich soga r noch erinnern, wann
diese Unterhaltung stattgefunden hat: Es war am Tag Ihrer Ankunft.“ "Sie haben recht", gab er zu. "Aber es wird nichts so heiß gegessen, wie's gekocht wird. Wer weiß, ob nicht alles ganz anders kommt." Drew blickte auf die Uhr und stand auf. "Es ist Zeit, dass ich Leslie abhole. Ich habe ihr versprochen, Sie und die Kinder zum Rodeo zu begleiten." Als Drew den Quiltladen erreichte, war Leslie gerade dabei abzuschließen. Die Jungen hatte sie schon vorausgeschickt. Da sie es eilig hatte hinterherzukommen, blieb jetzt keine Zeit für ein ernsthaftes Gespräch. Also würde er mit der Wettangelegenheit warten müssen, obwohl es ihn nach der Unterhaltung mit Keith Andrews drängte, ihr endlich reinen Wein einzuschenken. "Musst du wirklich jetzt schon gehen?" fragte er schmeichelnd. "Im Prinzip nicht." Leslie lächelte ihn an. "Aber ich habe es den Jungs versprochen. Sie warten schon auf mich." "Glaubst du, ich hätte nicht darauf gewartet, dich wiederzusehen?" Er betrachtete sie sehnsüchtig. In ihrer heutigen Aufmachung gefiel sie ihm noch besser als sonst. Modische Jeans sowie ein eng anliegendes T-Shirt mit einem Logo vom diesjährigen Stadtfest brachten ihre weiblichen Rundungen phantastisch zur Geltung. Leslie hatte die Haare frisch gewaschen und erneut zu einem festen Zopf geflochten, aber das war so ziemlich das einzige, was noch an die Frau Bürgermeisterin erinnerte. "Hast du etwas an meiner Aufmachung auszusetzen?" fragte sie lächelnd, als sie seinen bewundernden Blick bemerkte. "Du siehst großartig aus", sagte er ehrlich. "Du bist eine völlig andere Frau." "Heißt das, dass dir die Frau von gestern heute nicht mehr gefällt?" fragte Leslie ängstlich. "Unsinn", gab Drew hastig zurück. "Mir ist die Verpackung völlig egal. Nur was darin ist, zählt."
Wie gern hätte er sie jetzt in die Arme genommen. Aber die allmählich eintrudelnden Touristen, die sich bereits auf den Weg zum Rodeo machten, machten dies unmöglich. Schlagartig ergriff Drew die Panik. Die Wette ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Was war, wenn Andrews seine Drohung wahr machte? Würde das das Ende seiner Beziehung zu Leslie sein? Instinktiv nahm er eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, zwischen die Finger. Ein zarter Duft von Parfüm stieg ihm in die Nase. Leslie sah ihn zärtlich an. Er war derjenige gewesen, der diese Zärtlichkeit, diese Weichheit in ihr geweckt hatte. In ihren Augen lag ein warmer Glanz, der am Vortag noch nicht dagewesen war. Wie sollte er es ertragen, wenn ein niederträchtiger Kerl wie Andrews diesen Zaub er zerstörte? Drew hatte das ungute Gefühl, dass seine Zeit beinahe abgelaufen war. Er hatte nur eine Chance. Er musste Leslie die Wahrheit sagen, bevor Andrews Gelegenheit hatte, schändliche Lügen über ihn, Drew, zu verbreiten. Lügen, die ihm bislang nie etwas angehabt hätten, die ihn lediglich dazu veranlasst hätten, sich einmal mehr aus dem Staub zu machen. Aber Leslie bedeutete ihm etwas. Nein, es war mehr als das. Er hatte sich in sie verliebt, und er wollte unter keinen Umständen, dass sie ihn zu Unrecht verdächtigte. "Leslie", fing er schließlich an. "Können wir noch für ein paar Minuten ins Haus gehen? Ich möchte dir etwas sagen, was ich dir schon gestern hätte sagen sollen." Drews Herz klopfte laut, während er ungeduldig auf ihre Antwort wartete. "Stimmt etwas nicht?" fragte Leslie besorgt, doch als sie seinen sehnsüchtigen Blick auf sich gerichtet sah, schloss sie ohne Zögern die Tür zum Laden auf und zog Drew hinein. Bevor er auch nur ein Wort hatte sagen können, hatte sie sich an ihn geschmiegt. "Erzähl" es mir später", flüsterte sie und sah ihn verführerisch an. Drew konnte nicht anders, als sie fest in seine Arme zu nehmen und so leidenschaftlich zu küssen, dass ihnen beiden die
Luft wegblieb. Ihre Reaktion auf seine Nähe, seine Leidenschaft war so offensichtlich, dass er für ein paar Sekunden mit dem Gedanken spielte, sie hochzuheben, in ihr Schlafzimmer zu tragen und den Rest der Welt einfach auszuschließen. Er wusste, dass er kurz davor war, dieser Versuchung nachzugeben. Aber irgendwo in seinem Kopf hatte er noch so viel Verstand, dass er sich widerwillig von ihr löste. Leslie sah ihn überrascht an. "Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?" "Es ist alles in Ordnung", stöhnte er, während er gegen seine Erregung ankämpfte. "Es gibt eben nur ein paar Dinge, über die ich mit dir reden muss. Wenn ich dich allerdings so in den Armen halte, vergesse ich, was ich eigentlich wollte." Leslie lachte, immer noch völlig außer Atem. "Dann kann es ja nicht allzu wichtig gewesen sein. Halt mich noch eine Minute fest, und dann lass uns gehen. Wir haben später noch genug Zeit zum Reden." Drew atmete tief durch. Ein Leben lang hatte er auf diese Frau gewartet, da würden ein paar Stunden mehr ihm auch nichts ausmachen. "Du hast recht. Wenn wir jetzt nicht vernünftig sind, werden die Leute noch mehr Gerüchte über dich in die Welt setzen, als sie es ohnehin schon tun." "Gerüchte interessieren mich nicht", erwiderte Leslie gelassen. "Lass die Leute nur reden. Außerdem gehe ich heute nicht als Bürgermeisterin zum Fest, sondern als Leslie Chambers." "Und warum muss ich dann aussehen wie Wyatt Earp?" fragte er grinsend. "Weil du schließlich das Gesetz vertrittst." Sie warf einen Blick auf den Sheriffgürtel. "Allerdings halte ich die Waffe für etwas übertrieben." "Die Dinge haben sich geändert", entgegnete Drew ausweichend. Er wollte sie nicht mit den unerfreulichen Entwicklungen belasten, die sich im Dorf anbahnten. "Aber
keine Sorge, die Waffe ist nicht geladen. Sie ist nur dazu gedacht, einige Halbwilde in die Schranken zu verweisen." "Mom! Mr. McClain!" Tim warf sich seiner Mutter übermütig in die Arme. "Rate mal, was Mr. Rubard uns erlaubt hat?" Leslie gab ihrem Sohn einen Kuss, hielt ihn aber dann auf Armeslänge von sich entfernt und rümpfte die Nase. "Ich glaube, ich kann es mir denken. Aber bevor du mir alles haarklein erzählst, solltest du dich erst einmal waschen." Da Geduld nicht gerade eine von Tims stärksten Eigenschaften war, sprudelte er trotzdem los, als hätte er den Einwand seiner Mutter gar nicht gehört. "Nachdem wir die Ställe ausgemistet .hatten, durften wir reiten. Die Pferde sollten schon einmal warmgeritten werden. Und jetzt sitzen wir bei den Cowboys und sehen zu." "Ich halte das für keine allzu gute Idee", meinte Leslie ahnungsvoll. "Los, Tim, hol' Jeremy. Ich möchte, dass ihr beide bei mir bleibt, damit ich euch besser unter Kontrolle habe. Wenn ihr bei den Cowboys sitzt, macht ihr doch nur Dummheiten." "Aber ich will doch auch ein Cowboy werden", protestierte Tim. "Noch bist du aber keiner", gab Drew streng zu bedenken. "Tu jetzt bitte, was deine Mutter gesagt hat, und hol' Jeremy." Drews Aufforderung duldete keinen Widerspruch. Tim drehte sich auf dem Absatz um und lief los. "Danke." Leslie lächelte Drew dankbar an. "Ich wollte nachsehen, ob auf der Tribüne noch Plätze frei sind. Kommst du mit?" "Ich komme gleich nach", antwortete Drew. Aus den Augenwinkeln heraus hatte er Andrews in der Menschenmenge verschwinden sehen und war fest entschlossen, ihn noch einmal unmissverständlich zu warnen. "Pass inzwischen gut auf dich auf."
"Rechnest du denn mit Ärger?" fragte sie verblüfft. "Ich weiß es nicht genau. Auf jeden Fall werde ich versuchen, ihn zu vermeiden." Auf der Suche nach Andrews stieß Drew auf Ben. "Was ist denn mit dir los?" fragte er besorgt, als sein alter Freund ihn unbehaglich ansah. "Es ist wegen Madelyn." Ben schluckte schwer. "Wer ist Madelyn?" fragte Drew verständnislos. "Ich meine Maddie. Weißt du, ich glaube, ich habe mich in sie verliebt. Und natürlich in ihre Kochkünste." "Aber wo liegt dann dein Problem?" "Ich befürchte, dass sie mich fragen wird, ob ich mein Rodeo nicht aufgeben will." Drew nickte mitfühlend. "Eine unangenehme Situation." Wäre die Lage des Freundes nicht so ernst gewesen, hätte er mit Sicherheit über den besorgten Gesichtsausdruck lächeln müssen. "Und wie hast du dich entschieden?" "Für mich ist es zu spät. Aber du bist noch nicht zu alt, um ein neues Leben anzufangen." "Gib's zu, Ben. Maddie hat dich zu mir geschickt, um mit mir zu reden?" Drew musste unwillkürlich lächeln. Ben nickte verlegen. "Sozusagen. Aber trotzdem. Dass du und die Bürgermeisterin zusammengehört, das sieht wirklich ein Blinder." "Ich werde darüber nachdenken", versprach Drew schließlich. "Und du?" "Für Hochzeitsglocken bin ich zu alt. Aber ich habe Maddie versprochen, immer zum Essen zu ihr zu kommen, wenn ich in der Gegend bin." Vielleicht hatte Ben ja recht. Drew war sich jedoch mit einem Mal ganz sicher, dass er keine Lust hatte, ein Leben lang hinter einer verpatzten Gelegenheit herzutrauern. Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Hatte er nicht endlich das gefunden, wonach er immer gesucht hatte? Eine Familie,
Kinder, eine Frau, die er liebte und die ihn liebte, eine Frau, für die es sich lohnte sein Leben als Tramp aufzugeben. Drew sah vergnügt zum strahlend blauen Himmel hinauf, an dem kein Wölkchen zu sehen war. Eilig machte er sich auf den Weg zur Tribüne. Leslie würde bereits warten. Doch was er dort sah, ließ ihn wie versteinert stehen bleiben. Neben Leslie saß ein Mann, den er nur allzu gut kannte: Keith Andrews. Und er hatte sich zu ihr hinübergebeugt und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
11. KAPITEL Andrews zufriedener Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, was er Leslie soeben ganz im Vertrauen mitgeteilt hatte. Er hatte seine Drohung tatsächlich wahrgemacht. Da seine Beziehung zu Leslie noch so jung war, hatte Drew ernsthafte Befürchtungen, dass sie den Worten dieses widerlichen Kerls Glauben schenken könnte. Drews Herzschlag setzte für eine Sekunde aus. Was war, wenn er zu spät kam? Wenn er ihr Vertrauen bereits verloren hatte und ihm die Erkenntnis, dass er sie liebte und bei ihr bleiben wollte, nichts mehr nützte? Leise vor sich hinfluchend und immer drei Stufen auf einmal nehmend bahnte er sich den Weg zu Leslies Sitzplatz. Wenn Andrews ihn schon auf eine hinterhältige verlogene Tour auszutricksen versuchte, wollte Drew wenigstens zur Stelle sein, um sich zu verteidigen. "Wollen Sie mir nicht die Ehre erweisen und heute mit mir zu Abend essen?" biederte Andrews sich gerade an. "Die Lady ist bereits vergeben", antwortete Drew noch atemlos an Leslies Stelle. "Ich erinnere mich nicht, Sie um Ihre Meinung gebeten zu haben, McClain. Ich habe Leslie eingeladen, nicht Sie. Warum lassen Sie Leslie nicht für sich allein antworten?"
"Sie hat Ihnen doch schon einmal zu verstehen gegeben, dass sie nichts mit Ihnen zu tun haben will. Warum kapieren Sie das eigentlich nicht?" "Jetzt reicht es mir aber!" Leslie trat zwischen die beiden Männer. "Was fällt euch eigent lich ein, so über mich zu reden, als wäre ich euer Eigentum. Sie, Mr. Andrews, können mir gestohlen bleiben. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass ich kein Interesse habe." Dann wandte sie sich ärgerlich an Drew. "Und nun zu dir, Drew McClain. Was gibt dir das Recht, dich in meine Angelegenheiten zu mischen. Ich treffe meine Verabredungen jederzeit ohne deine Einwilligung." "Entschuldige, Leslie, du hast ja recht." Drew verfluchte seine eigene Unbeherrschtheit. Wie hatte er nur so gedankenlos sein können. Eine gemeinsame Nacht gab ihm noch lange nicht das Recht, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen. Vielleicht hatte er all dem ja eine viel zu große Bedeutung beigemessen. Vielleicht würde er nie mehr dazu kommen, ihr zu sagen, dass er sie liebte und dass er geglaubt hatte, seine Liebe gäbe ihm das Recht, sie zu beschützen. Drews Blick fiel auf Jeremy und Tim, die ihre Mutter ängstlich anstarrten und sie bei der Hand nahmen. In diesem Moment steigerte sich seine Wut auf Andrews ins Unermessliche. Wieso hatte er diese öffentliche Konfrontation herbeigeführt? Wieso hatte er Leslie die Peinlichkeit dieser Situation nicht ersparen können? Drew wusste, dass dies nicht der richtige Augenblick war, die Fronten zu klären, doch bevor er sich in Richtung Gefängnis zurückzog, klopfte er den Kindern beruhigend auf die Schulter. "Macht euch keine Sorgen, Jungs, es kommt alles wieder in Ordnung." Drew durchmaß sein Büro mit großen Schritten. Was sollte er jetzt, nachdem Andrews schmutzige Lügen über ihn verbreitet hatte, tun? Sollte er einfach seine Sachen zusammenpacken und gehen? Nein, das war keine gute Idee. Dann hätte Andrews genau das erreicht, was er wollte. Drew blieb nichts anderes
übrig, als seinen Widersacher zur Rede zu stellen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Bevor Drew auch nur Zeit genug hatte, konkrete Pläne zu fassen, stürmte Leslie ins Zimmer. "Wie konntest du mir so etwas antun? Ausgerechnet du!" fuhr sie ihn an. Und die vor Wut funkelnden Augen ließen es Drew zunächst sinnvoll erscheinen, sich solange zurückzuhalten, bis Leslie sich wenigstens halbwegs wieder abgeregt hatte. "Vielleicht könntest du mir ja zuallererst einmal erzählen, was ich angeblich getan haben soll", entgegnete er ruhig in eine ihrer Atempausen hinein. Er wusste zwar, dass Andrews böswillig sein Gift versprüht hatte, aber er wusste nicht, wie weit er dabei gegangen war. "Andrews hat mir alles über die Wette erzählt." Leslies Gesicht war dunkelrot vor Zorn. "Wie konntest du nur so tief sinken? Hast du mich nur geliebt, um die Wette zu gewinnen? Hoffentlich war der Einsatz wenigstens hoch genug." So schmerzhaft es für Drew auch wahr, dass Leslie solche Verdächtigungen aussprach, eines wurde durch ihre heftige Reaktion deutlich: Ihre gemeinsame Nacht musste auch ihr etwas bedeutet haben. "Hör auf, Leslie. Sei einen Moment still, und hör mich an." Drew musste sich zwingen, nicht einfach zu ihr hinüberzugehen, sie in die Arme zu nehmen und zu beruhigen. "Andrews hat dir nichts als Lügen erzählt." "Willst du etwa leugnen, dass du damit geprahlt hast, dass du der einzige Mann wärest, dem es gelingen würde, das Eis der Eislady zum Schmelzen zu bringen?" schrie sie ihm verzweifelt ins Gesicht. "Es gibt eine Wette", erklärte Drew ruhig. "Aber ich habe nicht das geringste damit zu tun. Wenn du mir nur ein paar Minuten zuhören könntest, würde ich dir alles sagen, was ich darüber weiß." "Also gut", forderte sie Drew hitzig auf. "Ich gebe dir fünf Minuten, bevor ich dich endgültig aus der Stadt schmeiße."
"Fünf Minuten? Mehr bin ich dir nicht wert?" " "Unter den gegebenen Umständen ist das wohl mehr als genug", sagte sie immer noch verärgert. Drew erzählte ihr seine Version, aber Leslie schüttelte nur mit dem Kopf. "Ich habe etwas ganz anderes gehört", sagte sie, nachdem er mit seinem Bericht am Ende war. "Natürlich. Du hast deine Informationen ja auch von Andrews. Tut mir leid, wenn du mir nicht glaubst. Aber an jenem Nachmittag, als wir zum ersten Mal in Maddies Cafe gesessen haben, hat alles angefangen. Und ich selbst habe es auch erst später erfahren." "Und warum hast du es mir dann nicht erzählt?" Drew dachte krampfhaft nach. An dieser Stelle hätte er ihr von der Flugblätteraktion ihrer Söhne erzählen müssen. Allerdings wollte er das unter allen Umständen vermeiden, da er wusste, dass die Tatsache, dass die Kinder sie ungewollt dem Gespött der Leute ausgesetzt hatten, sie nur noch mehr verletzt hätte. Außerdem wollte er die Kinder da nicht auch noch mit hineinziehen. Drew hob feierlich die linke Hand. "Ich schwöre, dass ich nichts mit der Wette zu tun habe. Wenn du mir nicht vertrauen kannst, frag alle Bewohner von Calico - außer Keith Andrews." Drew sah, dass sie ernsthaft über seinen Vorschlag nachdachte. Schließlich hatte sie ja nicht umsonst ein so tiefes Misstrauen gegen die gesamte männliche Bevölkerung von Calico gehegt, Ein Misstrauen, das seit Jahren andauerte und das Drew als erster Mann nach ihrer Trennung ins Wanken gebracht hatte. "In Ordnung", willigte sie schließlich zögernd ein. "Ich gehe jetzt nach draußen und packe mir den ersten Mann, den ich zu fassen bekomme. Wenn er deine Version der Geschichte bestätigt, glaube ich dir." Drews Stimmung sank auf den Nullpunkt, als sie mit Alan Little zurückkam. Der Stallbesitzer war, genauso wie Andrews
und die anderen Geschäftsleute in der Gegend, nicht gerade das, was man einen Ehrenmann nannte. Und seine Sympathie für Drew hielt sich außerdem in Grenzen. Da allerdings die meisten Bewohner der Stadt dem Rodeo beiwohnten, standen im Augenblick nur die Geschäftsleute zur Verfügung. "Los, Alan, erzählen Sie uns etwas über die Wette, die in Calico im Umlauf ist. Wer hat damit angefangen?" "Ich kann mich an nichts erinnern", erwiderte Little verschreckt. "Außerdem muss ich jetzt zurück zum Ponyreiten. Die Kinder warten schon auf mich." "Habe ich die Wette eröffnet, Little?" fragte Drew. "Sagen Sie uns die Wahrheit." Aber Alan Little war schon fast an der Tür. Er würde den Verursacher um keinen Preis verraten, dafür hatte er viel zuviel Angst vor Strawberry. "Ich kann mich an nichts erinnern", sagte er noch einmal und stürzte nach draußen. "Für mich ist der Fall eindeutig klar", schnaubte Leslie, als sie wieder allein waren. "Little hatte Angst, die Wahrheit zu sagen." Mit diesen Worten verließ sie das Büro des Sheriffs. Leslie wollte nur noch allein sein. Sie ging in ihren Laden, wo die Arbeit an ihren Quilten sie von allem ablenken sollte. Wie oft war es ihr schon gelungen, ihre Gefühle, ganz gleich ob Wut, Trauer oder Verzweiflung, in der intensiven Arbeit mit ihren geliebten Stoffen zu vergessen. Es würde ihr auch diesmal gelingen. Zunächst ging sie allerdings in die Wohnung hinauf, um sich umzuziehen. Das zerwühlte Bett in ihrem Schlafzimmer rief Erinnerungen an die vergangene Nacht in ihr wach. Drews Lippen auf ihren, sein fester männlicher Körper, der dem ihren so nahe gewesen war, dass sie seihe Haut an jeder Stelle ihres Körpers hatte spüren können, sein Herzschlag, der männliche Geruch, der ihre Sinne verwirrt hatte. Sie konnte es kaum ertragen, sich auch nur eine Sekunde länger in ihrem Schla fzimmer aufzuhalten. Sie vertauschte Jeans
und T-Shirt gegen eines ihrer obligatorischen Kostüme, warf einen letzten Blick in den Spiegel und befestigte die Haarsträhne, die Drew heute morgen so liebevoll zurückgestrichen hatte, wieder in ihrem Zopf. Sie hätte es besser wissen müssen. Es war von vornherein klar gewesen, dass ein Mann wie Drew Ärger machen würde. Statt ihm aus dem Weg zu gehen, hatte sie sich ihm regelrecht in die Arme geworfen. Und warum das alles? Die Antwort auf diese Frage lag auf der Hand: Sie hatte sich in ihn verliebt. Neben einer Regentonne hinter dem Gefängnis versteckt, hatten Tim und Jeremy einiges von dem mitbekommen, was sich zwischen Leslie und Drew zugetragen hatte. "Was ist, wenn Mr. McClain Calico wirklich verlässt?" fragte Tim verzweifelt. "Was ist, wenn er gar nicht unser Vater werden will." "Natürlich will er das", beruhigte ihn Jeremy. "Er weiß es nur noch nicht. Keine Sorge, ich habe schön einen Plan." Jeremy sah seinen kleinen Bruder aufmunternd an. "Komm, wir wollen keine Zeit verlieren." "Ich möchte lieber zuerst mit Mr. McClain sprechen. Er hat uns doch verboten, noch einmal Ärger zu machen." "Und was willst du ihm sagen?" fragte Jeremy ungeduldig. "Dass wir ihn gern haben und dass wir möchten, er solle unser Dad werden." "Das Weiß er doch, du Dummkopf. Außerdem ist Mr. McClain nicht unser Problem, wir müssen Mom überzeugen. Los, jetzt beeile dich. Da hinten kommt Maddie. Wenn sie uns erwischt, wird nichts aus meinem Plan." "Was ist hier los?" Maddie stürzte, ohne anzuklopfen, ins Sheriffbüro. "Nichts Besonderes", erwiderte er mit einem gequälten Lächeln, aber Maddie ließ sich grundsätzlich nicht an der Nase herumführen.
"Nichts Besonderes? Erzählen Sie mir keine Märchen, Drew. Zuerst schleift Leslie Alan Little hier he rein, der kurze Zeit später wieder herausstürzt, als sei der Leibhaftige hinter ihm her. Dann verlässt Leslie Ihr Büro, scheinbar so außer sich, dass sie nicht einmal auf mein Rufen reagiert." "Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit", entgegnete Drew ausweichend. Er wusste, dass er Maddie früher oder später die Wahrheit sagen musste, aber im Augenblick hatte er die Nase voll von irgendwelchen Auseinandersetzungen. "Unsinn." Maddie sah ihn scharf an, und er hielt ihrem Blick stand. "Aber wie ich sehe, wollen Sie mir nichts erzählen." "Auf jeden Fall nicht mehrmals Sie mir neulich erzählt haben." "Wenn Alan Little in die Sache verwickelt ist, muss es sich um die Wette handeln", meinte Maddie nachdenklich. "Los, McClain, reden Sie. Die Zeit des Schweige ns ist vorüber. Geht es um die Wette?" "Vielleicht." Drew blieb stur. "Ein Vielleicht lasse ich nicht gelten", entgegnete sie aufbrausend. "Ich weiß, dass die Wette der Grund für den Streit sein muss. Nach der letzten Nacht wüsste ich nichts, was eure Beziehung sonst noch hätte zerstören können. Warum also haben Sie mich nicht gerufen? Ich hätte Leslie alles erklären können." "Sie? Auf einmal? Jetzt wollen Sie reden?" "Ja. Alles zu seiner Zeit." Drew sah sie fragend an. "Ist Ihnen eigentlich schon einmal in den Sinn gekommen, dass Sie und die anderen Frauen die Wette verlieren würden, wenn es mir gelänge, Leslie zu zähmen?" "Manchmal ist eine Wette es eben auch wert, verloren zu werden. Wissen Sie was, Drew, Sie sind das Beste, was Leslie in den letzten Jahr en passiert ist. Und ich hielte es für eine gute Idee, wenn Calico auf Dauer einen Hilfssheriff bekäme."
"Wenn Sie mich meinen, Maddie, muss ich Sie enttäuschen. Es ist leider zu spät. Andrews hat Leslie faustdicke Lügen über die Wette aufgetischt, und die haben meiner Beziehung zu Leslie nicht unbedingt gut getan." "Blödsinn. Wir alle wissen doch, wie es gewesen ist. Ich werde Leslie schon wieder beruhigen." "Nein, Maddie. Ich weiß, dass Sie es gut meinen, aber ich möchte nicht, dass Sie sich einmischen. Wenn Leslie mir nicht vertrauen kann, hat alles keinen Sinn. Und offensichtlich vertraut sie Andrews mehr als mir." "Und das nach der letzten Nacht?" Maddie sah ihn ungläubig an. "Ja, es sieht ganz danach aus." Drew stieg das Blut in die Wangen, und Maddie musste unwillkürlich lächeln. "Sie sehen nicht aus wie jemand, der schnell aufgibt. Haben Sie Leslie eigentlich schon gesagt, dass Sie sie lieben?" "Leider nein. Ich wollte es heute tun, aber da kam mir Andrews in die Quere." "Ich verstehe", antwortete Maddie. "Nun, dann wird es jetzt höchste Zeit, Leslie alles zu erklären." Maddie stützte die Hände auf den Schreibtisch und suchte seinen Blick. "Und vergessen Sie nicht ihr zu sagen, dass Sie sie heiraten möchten." Zwei Stunden später rannte Leslie die Haup tstraße entlang direkt auf das Gefängnis zu. Sie schien völlig außer sich zu sein. Was konnte Andrews ihr noch erzählt haben? Vor Drew blieb sie schließlich stehen und sah ihn verzweifelt an. Mit einem Mal wurde ihm klar, dass weder er noch Andrews der Anlass für ihre innere Erregung waren. Mit der Frau, die er heute nacht in den Armen gehalten und die er so leidenschaftlich geliebt hatte, hatte diese Leslie nichts zu tun. Trotz des Kostüms, das sie gegen die Jeans von heute morgen getauscht hatte, hatte sie allerdings auch nichts mit der Frau Bürgermeisterin zu tun, als die er sie nur allzu gut kannte.
Drew sträubten sich die Nackenhaare. Schlagartig wusste er, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste. "Sind die Jungen bei dir?" fragte sie mit Tränen in den Augen. "Ich suche sie seit über einer Stunde, aber keiner hat sie gesehen." "Beruhige dich erst einmal. Und erzähle mir alles von Anfang an." Drew sah, dass es Leslie schwer fiel, Haltung zu bewahren. Es musste sie eine ungeheure Überwindung gekostet haben, ausgerechnet zu ihm zu kommen. Und doch schien sie zu wissen, dass Drew der einzige war, der den Jungen helfen konnte. Sie hob die Augen und begegnete seinem forschenden Blick. "Ich habe die beiden bei Ben gelassen, nachdem wir ..." Leslie zögerte, "d u weißt schon, nachdem wir ..." "Ja, ich weiß", sagte Drew ruhig "Aber darüber reden wir später. Im Augenblick sind die Jungen wichtiger." "Ich habe Ihnen erlaubt, sich zu den Cowboys zu setzen, weil sie so traurig aussahen. Und dann bin ich zu dir gekommen, weil ich dachte, ich müsste dir eine Chance geben. Doch dann hat mich das Verhalten von Alan Little völlig verunsichert. Ich hatte so sehr gehofft..." Sie hatte also gehofft, dass Alan Little ihm, Drew, recht gab. Drews Herz machte einen .Sprung. Vielleicht war es ja doch noch nicht zu spät. "Was ist dann passiert?" lenkte er auf das eigentliche Thema zurück. "Zum Abendessen wollte ich die beiden nach Hause holen, aber sie waren nicht mehr da, und keiner hatte sie gesehen." Drew war kurz davor, sie in die Arme zu nehmen und ihre Tränen zu trocknen, doch er wusste, dass er seinen klaren Verstand benötigte, um die Kinder wiederzufinden. "Hast du alle Leute gefragt, ob sie die Jungen gesehen haben?" "Nein, nur ein paar. Ich hatte eine solche Panik, dass ich sofort zu dir gelaufen bin."
"Das war wahrscheinlich das beste, was du machen konntest." Drew dachte einen Moment nach. "Was hältst du davon, wenn du in meinem Büro auf mich wartest, während ich nach den Jungen suche?" Leslie sah ihn so ängstlich an, dass er den Vorschlag gleich wieder verwarf. ,"Wie wäre es dann, wenn du zu Maddie gehst?" "Nein. Bitte lass mich mit dir gehen!" bat sie eindringlich. Drew nickte zustimmend. "Also gut." Gemeinsam gingen sie von Haus zu Haus und befragten die Leute. Keiner hatte die Kinder gesehen. Eine schlimme Vorahnung erfasste Leslie. Was war, wenn sie diesmal zu weit gegangen waren? Was sollte sie tun, wenn den Kindern etwas zugestoßen war? Leslie stöhnte. "Wir werden die Kinder finden." Drew nahm ihre Hände in seine und drückte sie tröstend. "Ich verspreche es dir", fügte er zärtlich hinzu." Anstatt sich zu fürchten, glaubte sie Drew. Hatte er nicht immer seine Versprechen gehalten? Wieso war sie nur so blind gewesen? Auch Tim und Jeremy hatten ihr doch gesagt, wie sehr sie ihn mochten. Hätte sie Drew nicht so schmählich behandelt, wäre all das gar nicht erst passiert. Leslie schwor, sich zu ändern, wenn sie nur die Jungen wohlbehalten zurückbekam. Seit Drew in Calico war, hatte er sich vorbildlich verhalten. Er hatte sich Respekt verschafft und mehr als einmal bewiesen, dass er ein Mann war, der zu seinem Wort stand. Plötzlich wusste Leslie, warum sie Andrews geglaubt hatte. Es war die Angst davor, sich selbst ihre wahren Gefühle einzugestehen. Sie hatte geglaubt, es nicht ertragen zu können, mit einem gebrochenen Herzen zu leben. "Ich möchte, dass du eine Rettungstruppe anforderst", erklärte Drew, als sie einige Zeit später ohne jeden Hinweis über den Verbleib der Kinder zurückkehrten. "Du glaubst doch nicht etwa, dass sie in eine der Minen gestürzt sind?"
"Nein", beruhigte Drew sie. "Aber irgendwo müssen wir ja anfangen. Und niemand kennt die Stollen so gut wie diese Leute." Leslie raste ins Feuerwehrhaus und erklärte dem wachhabenden Feuerwehrmann die Situation. Minuten später durchschnitt das schrille Geräusch des Martinshorns die Stille. Leslie, die inzwischen zu Drew zurückgekehrt war, wurde plötzlich von einer Art Panik ergriffen: "Keine Angst. Wir werden die Jungs finden." Drew lächelte Leslie aufmunternd an, als er einen etwa dreizehnjährigen Jungen in der Nähe stehen sah, der das ganze Unternehmen gespannt verfolgte. "Wie heißt du, mein Junge?" sprach er ihn an. "Lucas Harding, Mr. McClain. Kann ich irgendwie behilflich seih?" "Ja", erwiderte Drew. "Lauf zum Rodeo, und sag Ben Rubard Bescheid, dass er mit einigen seiner Cowboys hierherkommen soll. Aber mach bitte schnell." Es dauerte nur wenige Minuten, bis alle Männer versammelt waren. Drew erklärte in wenigen Worten die Lage. "Sie wollen doch wohl nicht sagen, dass die ChambersJungen schon wieder verschwunden sind?" fragte Doc Parsons, der sich dem kleinen Menschenauflauf neugierig genähert hatte. "Sieht ganz danach aus", entgegnete Drew knapp. "Ich dachte, Sie hätten den Chambers endlich gezeigt, wo's lang geht." Bevor er weiterreden konnte, fuhr Maddie ihn barsch an. "Glauben Sie nicht, Parsons, dass es im Augenblick Dinge gibt, die wichtiger sind, als sich den Mund über die Belange anderer Leute zu zerreißen?" "Ben, du und deine Männer, ihr reitet über die Hügel und durchkämmt die Wüste, solange es noch hell ist", teilte Drew die Cowboys ein und ignorierte das dumme Gerede Parsons.
"Geht in Ordnung. Los Jungs, lasst uns sofort aufbrechen." Er nickte Leslie aufmunternd zu und bedachte Maddie mit einem zärtlichen Lächeln. Maddie strahlte vor Stolz, als die Cowboys in schnellem Galopp Richtung Wüste davonritten und wenige Sekunden später nicht mehr als eine Riesenstaubwolke zurückblieb." "Und jetzt zu der Rettungsmannschaft." Drew wandte sich an den Einsatzleiter. "Wenn einer mit den Minen in dieser Gegend vertraut ist, dann sind es doch Ihre Leute. Haben Sie irgendeine Idee, wo die Jungs hingegangen sein könnten?" Bevor der Mann antworten konnte, meldete sich Alan Little zu Wort. "Da fällt mir gerade etwas ein. Ich habe die Jungen vor ein paar Stunden in der Nähe der Minenbahn gesehen." "Und warum haben Sie das nicht gleich gesagt?" schrie Leslie den Stallbesitzer an. "Sie wussten doch, dass wir die Kinder suchen." "Ich habe nicht daran gedacht. Ich war so mit dem Kartenverkauf fürs Ponyreiten beschäftigt", verteidigte er sich. Bevor Leslie sich wutentbrannt auf Little stürzen konnte, hielt Drew sie zurück und legte beschützend die Arme um sie. Es spielte keine Rolle mehr, was die anderen dachten. Er wusste nur eins, Alan Little war es nicht wert, dass man kostbare Zeit mit ihm verschwendete. "Wenn die Kinder sich in den letzten Zug geschmuggelt haben, können sie nur zur Sweet Sue gefahren sein", schaltete sich Clement O'Reilly, der Bahningenieur, ein. "Sehr gut", sagte Drew. "Dann wissen wir wenigstens, wo wir anfangen können."
12.. KAPITEL Leslie schmiegte sich eng an Drew, als der kleine Zug mit seinen offenen Waggons langsam und mit großer Mühe die Schwelle zur Sweet Sue überrollte. Das einzige Licht in der tiefen Dunkelheit der Mine kam von der Lok des Zuges und den Taschenlampen, mit denen Drew und die Leute der Rettungsmannschaft suchend in alle Richtungen leuchteten. Es war nichts Besonderes zu entdecken. Alle schwiegen bedrückt. In gleichmäßigen Abständen ließ O'Reilly die Lokomotive pfeifen, um die Aufmerksamkeit der Jungen zu erregen - falls diese sich in der Nähe aufhielten. Ansonsten hörte man nur das gleichmäßige Fahrgeräusch der Lok. Angestrengt starrten sie in die Dunkelheit. Sie entdeckten einige Eingänge zu weiteren Stollen, die allerdings zugenagelt waren, da dort die Einsturzgefahr zu groß war. Aber die Bretter waren alt und verwittert und offensichtlich seit Jahrzehnten nicht mehr verändert worden. "Halt, da ist etwas!" rief Drew plötzlich und sprang aus dem Zug, noch bevor O'Reilly ihn zum Stehen gebracht hatte. Drew hatte bemerkt, dass an einer der zugenagelten Stollenöffnungen einige Bretter gewaltsam entfernt worden waren. "Seht nur, dort im Schmutz sind Fußspuren. Die Jungs müssen ganz in der Nähe sein. Ich gehe in den Stollen. Wartet hier auf mich." "Sie sollten nicht allein gehen", meinte Parsons besorgt. "In diese" Stollen besteht höchste Einsturzgefahr. Man kann nie
wissen, was Sie dort drinnen vorfinden. Wir sollten alle zusammen gehen." "Vielleicht solltest du besser draußen bleiben, Leslie", schlug Drew besorgt vor, doch Leslie schüttelte nur den Kopf. Drew schickte ein Stoßgebet zum Himmel, als sie einer nach dem anderen den Stollen betraten. "Wir sollten so wenig wie möglich spreche n", riet Lucas Miller, der Anführer der Rettungsmannschaft. "Wir dürfen kein unnötiges Risiko eingehen." Drew nickte. "Sie haben recht. Ich schlage vor, dass ich vorangehe." "Kennen Sie sich denn mit Minen aus?" fragte Miller skeptisch. "Nein, eigentlich nicht, aber wenn die Jungs mich sehen, kommen sie wahrscheinlich am ehesten freiwillig aus ihrem Versteck." "Also gut", stimmte Miller zu. "Versuchen wir es. Aber ich bleibe dicht hinter Ihnen. Wollen Sie nicht doch lieber draußen warten, Leslie?" Ein Blick in Leslies entschlossene Miene war Antwort genug. "In Ordnung", räumte Miller sofort ein, "aber bleiben Sie immer in meiner Nähe. Die anderen folgen dann im Abstand von zwei Minuten. Sollten wir verschüttet werden, ist immer noch jemand da, der Hilfe holen kann." Verschüttet? Hilfe holen? Das wurde ja immer schlimmer. Drew schauderte. Eins wusste er genau. Wenn es ihm wirklich gelingen sollte, die Jungen heil hier herauszuholen, würde er von nun ah dafür sorgen, dass sie keine Chance mehr bekämen, irgend eine Dummheit zu machen. Und wenn er sie Tag und Nacht beschäftigen musste. "Tim! Jeremy!" flüsterte er laut. "Ich bin's, Drew, kommt 'raus." Kleine Steinchen und Staub rieselten von der Decke des Stollens herab. Drew leuchtete sorgfältig nach allen Seiten. Es musste Jahre her sein, seit das letzte Mal ein Mensch hier
entlanggegangen war. Plötzlich stolperte er über einen größeren Felsbrocken. Die Taschenlampe fiel auf den Boden, und er bückte sich, um sie wieder aufzuheben. O'Reilly, der immer noch dicht hinter ihm war, leuchtete mit seiner Lampe, als Drew plötzlich eine kleine verborgene Höhle entdeckte. Er sah genauer hin und bemerkte Tim und Jeremy, die eng aneinandergekuschelt in dem Gemäuer kauerten und fest schliefen. Drew gab den anderen das verabredete Blinkzeichen, als erneut sandige Erde von der Decke herabrieselte. Hastig weckte er die Kinder. "Tim, Jeremy, schnell, wacht auf. Ich komme, um euch nach Hause zu bringen." Die Erleichterung der Kinder, als sie Drew erkannten, war unbeschreiblich. Sie krochen aus ihrem Versteck und ließen sich widerspruchslos von den Männern auf den Arm nehmen. Kurz bevor sie das Ende des Stollens erreicht hatten, hörten sie ein verdächtiges Knarren und Bumpeln. Es klang wie zerberstendes Holz. Drew hielt den Atem an. Es würde nur noch Sekunden dauern, und der gesamte Stollen würde über ihren Köpfen zusammenbrechen. Würden sie den Ausgang noch rechtzeitig erreichen? Er hatte Leslie doch versprochen, ihr die Kinder unversehrt zurückzubringen. Er musste sein Versprechen halten. In diesem Augenblick sah er, dass O'Reilly den Haupttunnel erreicht hatte. Tim lag bereits wohlbehalten in den Armen seiner Mutter. Drew gab sich einen Ruck. Nur jetzt nicht aufgeben. Er presste Jeremy an sich, rannte die verbleibenden Meter ohne Rücksicht auf eventuelle Erschütterungen und zwängte sich in letzter Sekunde durch die Öffnung nach draußen. Hinter ihm stürzte der alte Stollen unter lautem Getöse ein. "Mom, ich hab' solchen Hunger", klagte Tim, als sie kurz darauf in die Lok einstiegen. Leslie lachte erleichtert und küsste das mit Dreck überkrustete Gesicht ihres Sohnes. Wenn er trotz der
ausgestandenen Angst und der Gefahr, der sie mit Mühe und Not entgangen waren, ans Essen denken konnte, schien ja wirklich alles in Ordnung zu sein. "Lass uns gleich zu Maddie fahren. Sie hat bestimmt etwas Gutes für uns." Maddie stürzte überglücklich aus ihrem Cafe, doch die tränenfeuchten Wangen zeigten deutlich, wie sehr sie sich um die Kinder gesorgt hatte. "Mom?" Es war Jeremys erstes Wort, seit sie die Kinder gefunden hatten. "Du kannst mich bestrafen, aber Tim hat nichts mit der Sache zu tun", sagte er leise. "Darüber reden wir später." Sie strich den Kindern zärtlich durchs Haar. "Ihr müsst mir nur versprechen, nie mehr wegzulaufen. Wenn es irgend etwas gibt, was euch bedrückt, dann sagt es mir bitte. Wir können doch über alles reden." "Das haben wir ja versucht, Mom. Aber du hast ja nie zugehört", sagte Tim unter Schluchzen. "Von jetzt an werde ich immer zuhören. Darauf gebe ich euch mein Wort." Sie zog die Kinder fest in die Arme. "Und ganz egal, was auch geschieht, vergeßt niemals, wie lieb ich euch habe." Maddie räusperte sich gerührt. "So", sagte sie, "Jetzt habt ihr genug geredet. Die Jungen brauchen erst einmal einen Teller heiße Suppe und ein paar Schokoladenkekse. Und wie war's mit einem heißen Kaffee für die Erwachsenen?" "Danke, Maddie", antwortete Doc Parsons. "Aber ich bin so kaputt, dass ich nur noch in mein Bett möchte. Ich glaube, für solche Abenteuer bin ich allmählich zu alt. Und was euch betrifft", wandte er sich an die Kinder, "ich erwarte, dass das euer letzter Streich war. Ich habe nämlich keine Lust mehr, euretwegen in Angst und Schrecken versetzt zu werden." Die anderen Männer nickten zustimmend und zogen sich ebenfalls zurück. Drew hatte sich selten so einsam gefühlt wie in dem Moment, als Leslie, Maddie und die Kinder in Maddies Cafe
verschwanden. Trotzdem ging er in sein Büro und ließ Leslie mit den Kindern allein. Er wollte nicht, dass sie sich ihm gegenüber zu Dank verpflichtet fühlte. Als Jeremy und Tim am nächsten Morgen mit gesenkten Köpfen im Büro des Sheriffs auftauchten, schrieb Drew gerade an seinem Rettungsbericht für Sheriff Carey. Er versuchte ihn so zu formulieren, dass die Kinder und somit auch Leslie möglichst glimpflich davonkamen. "Na, kommt ihr mal Wieder, um euch zu entschuldigen?" "Ja, das ist der erste Teil unserer Strafe", erklärte Jeremy kleinlaut. "Eine Entschuldigung ist immer ein guter Anfang", schmunzelte Drew. "Und wie sieht der zweite Teil eurer Strafe aus?" "Das hat Mom uns noch nicht gesagt", meinte Tim. "Sie hat nur gesagt, wir sollten erst einmal gründlich über das nachdenken, was wir getan haben." Drew nahm eher an, dass Leslie keine vernünftige Bestrafung eingefallen war. Bei den vielen Dummheiten, die ihre Söhne machten, mussten einem ja irgendwann die Ideen ausgehen. "Ehrlich gesagt, bin ich es langsam leid, euch ständig aus irgendwelchen Klemmen zu befreien. Wisst ihr eigentlich, was alles hätte passieren können, wenn Alan Little euch nicht zufällig in der Nähe der Eisenbahnschienen gesehen hätte? Ihr würdet immer noch in dieser verfluchten Mine stecken. Bisher habe ich ja alles, war ihr so angestellt habt, als eine Art DummeJungen-Streich abgetan. Aber diesmal seid ihr wirklich zu weit gegangen. " Drew sah die Kinder ernst an. "Warum schafft ihr es eigentlich nicht, eure Versprechen einzuhalten?" Jeremy ließ den Kopf hängen und betrachtete eingehend seine Stiefelspitzen. "Würdet ihr mir freundlicherweise erzählen, wozu dieser Unfug gut sein sollte?"
Jeremy zögerte kurz. "Das war so", fing er schließlich an. "Ich habe neulich, Tom Sawyer' gelesen. An einer Stelle dachten alle, dass Tom und Huck im Fluss ertrunken wären, und da tat es ihnen plötzlich leid, dass sie immer so gemein zu den beiden gewesen waren." Drew forderte Jeremy auf, weiterzuerzählen. "Hinterher waren dann alle nett zueinander." "Und was hat das mit eurem Verschwinden zu tun?" "Wir dachten, wenn wir weg sind, würden Sie Mom helfen, uns zu finden. Wir haben gehofft, dass sie anschließend endlich merken würde, wie gern wir Sie haben und dass wir uns wünschen, dass Sie unser Dad werden. Und vielleicht hätte sie ja auch eingesehen, dass sie Sie auch gern hat." Trotz des Ernstes der Lage fiel es Drew schwer, ein Lächeln zu unterdrücken. Da sollte doch einer die kindliche Logik begreifen. "Und hattet ihr auch schon geplant, zu eurer eigenen Beerdigung zu kommen - für den Fall, dass wir euch nicht gefunden hätten?" Jeremy wurde kreidebleich, und Tim fing an zu weinen. "Weißt du was, Jeremy? Ich schlage vor, du liest das Buch noch einmal. Ich habe das Gefühl, du hast ein paar Kapitel überschlagen." "Aber wir wussten ganz genau, dass Sie uns finden würden, Mr., McClain", beharrte Jeremy. Der Junge hatte recht. Drew hätte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um die Kinder zu finden. "Und wenn ich zu spät gekommen wäre?" fragte er ernst. Jeremy und Tim standen verlegen da. "Kommt her, ihr beiden", verlangte Drew schließlich und winkte sie näher zu sich heran. Er zog eine Schreibtischschublade auf und fing an, darin herumzuwühlen. Endlich hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte. "In der Hoffnung, dass ihr beiden keinen Blödsinn mehr macht, wenn ihr auf der Seite des Gesetzes steht, ernenne ich
euch ab heute offiziell zu Hilfssheriffs." Feierlich steckte er den beiden Jungen einen Sheriffstern ans Hemd. "Sind wir jetzt echte Hilfssheriffs?" Tims Stimme zitterte nicht mehr. "Echte Hilfssheriffs", bestätigte Drew. "Mensch, cool!" rief Tim aufgeregt. "Ja, echt cool", wiederholte Drew die Worte des Kindes. "Jetzt müsst ihr nur noch euren Eid ablegen. Hebt die rechte Hand und sprecht mir nach. Ich verspreche, nie wieder wegzulaufen, meiner Mutter zu gehorchen und das Gesetz zu achten'." Der feierliche Akt war gerade vorüber, als von der Feuerstation laut Alarm ertönte. "Ein Glück, dass ihr diesmal nicht die Übeltäter sein könnt", meinte Drew und blickte die Kinder erleichtert an. "Ich gebe euch jetzt euren ersten Auftrag. Ihr beide bleibt hier im Gefängnis und seht nach dem Rechten, bis ich wieder zurückkomme." Jeremy und Tim nickten, und diesmal war Drew sicher, dass sie seinen Befehl ernst nehmen würden. Drew stürzte auf die Straße und rannte in die Richtung, aus der dicke Rauchwolken kamen. Diesmal war es Keith Andrews Fotogeschäft, aus dem hohe Flammen schlugen. "Was ist passiert?" fragte Drew den Fotografen, der ein wenig abseits stand. "Was passiert ist?" schrie Andrews aufgebracht. "Jemand hat mein Haus angezündet." "Sind Sie sicher, dass es kein Kurzschluss war?" fragte Drew ruhig. "Natürlich bin ich sicher. Es waren diese schrecklichen Kinder. Sie wollten sich rächen." "Wofür hätten sie sich bei Ihnen rächen sollen? Gibt es einen bestimmten Grund?"
"Ich habe ihnen gesagt, sie sollen zusehen, dass sie von der Bildfläche verschwinden, wenn ich Leslie besuche", gab er unwillig zu. "Nicht gerade die geschickteste Methode, Leslie den Hof zu machen" entgegnete Drew trocken. "Was geht hier vor?" Leslie tauchte plötzlich hinter den beiden Männern auf. Sie hatte den größten Teil der Unterhaltung mitbekommen. "Sie wollen doch wohl nicht behaupten, dass meine Söhne dieses Feuer gelegt haben?" "Regen Sie sich bloß nicht auf, Leslie", mischte sich Frank Holliday in die Unterhaltung. "Ihren Kindern ist doch wirklich alles zuzutrauen." "Irrtum." Drew konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen. "Für dieses Mal haben die Jungen ein perfektes Alibi. Sie waren die ganze Zeit über bei mir im Gefängnis. Und Sie, Andrews sollten Ihre elektrischen Leitungen vorsichtshalber doch noch einmal überprüfen, vor allem aber sicherstellen, dass Sie Ihren letzten Versicherungsbeitrag fristgemäß gezahlt haben." Leslie funkelte Keith Andrews wütend an. "Ich hoffe, Sie wagen es nicht, mich noch einmal zum Essen einzuladen. Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass ich auch nur einen Funken Interesse an Ihnen haben könnte?" Leslie hatte sich aufgrund ihres Amtes als Bürgermeisterin stets bemüht, die Männer aus, Calico kühl, aber höflich zu behandeln, und bisher war ihr das auch gelangen, obwohl sie die meisten von ihnen nur wenig schätzte. Aber diese offensichtliche Attacke gegen ihre Söhne hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Leslie wandte Andrews den Rücken zu. "Sind die Jungs wirklich bei dir im Büro?" flüsterte sie Drew zu. "Allerdings. Oder hältst du mich für fähig, einen Meine id zu leisten?"
"Nein, natürlich nicht", erwiderte sie kurz. "Würdest du sie mir bitte nach Hause schicken? Ich habe noch Kundschaft im Laden, sonst würde ich sie selbst abholen." "Ich schicke sie dir nach Hause, sobald ich mit ihnen fertig bin." "Sobald du mit ihnen fertig bist? Was soll das heißen?" Drew steckte beide Hände in die Hosentaschen, um der Versuchung zu widerstehen, Leslie so kräftig zu schütteln, bis ihr Zopf, der für ihn mehr und mehr zu einer Festung wurde, sich endlich auflöste. "Frau Bürgermeisterin, dieses Thema hatten wir doch schon. Du hast mir zu verstehen gegeben, dass du an mir ebenso wenig Interesse hast wie an den übrigen Männern hier in Calico. Soviel zu uns beiden. Aber die Angelegenheit mit den Jungen hat damit nicht das geringste zu tun. Du hast mich gebeten, anständige Menschen aus ihnen zu machen, und genau das habe ich vor. Aber damit bin ich noch nicht fertig. Wenn ich Calico in etwa zwei Tagen verlasse, bekommst du die Kinder wieder. Und bis dahin werde ich ihnen beigebracht haben, wo ihre Grenzen sind." "Hoffentlich überschreitest du deine Grenzen dabei nicht, Mr. McClain." Leslie stemmte empört die Hände in die Hütten. "Keine Angst, ich kenne meine Grenzen. Du hast sie mir deutlich genug aufgezeigt, auch wenn es mich gelegentlich irritiert, dass du sie je nach Bedarf verschiebst." Drew atmete tief durch und erwiderte ihren forschenden Blick. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging. Er wollte weder, dass Leslie ihm ansah, wie enttäuscht er über die Entwicklung der Dinge war, noch hatte er die Absicht, diese Unterredung fortzuführen, solange halb Calico Zeuge ihrer Streitigkeiten wurde. Leslie blieb wie angewurzelt stehen. Sie war kurz davor, ihm nachzulaufen und sich für ihr ungerechtes Benehmen zu entschuldigen. Was war nur mit ihr los? Warum provozierte sie jedesmal einen neuen Streit, obwohl sie sich doch nichts
sehnlicher wünschte, als von ihm in die Arme genommen und geliebt zu werden. Drew hatte ihr mehr als einmal bewiesen, dass sie sich auf ihn verlassen konnte und dass sie ihm viel bedeutete. Warum hatte sie Drew bewusst die Chance verweigert, ihr seine Liebe zu gestehen und ihr sein Versprechen für eine gemeinsame Zukunft zu geben. Und warum besaß sie nicht den Mut, ihm ihre Liebe einzugestehen? "Drew! Haben Sie einen Augenblick Zeit?" Maddie trat aus dem Cafe, als er vorbeiging. "Ben möchte sich von Ihnen verabschieden." Drew war froh über die Ablenkung von seinen trüben Gedanken. Er gab Ben die Hand. "Willst du wirklich schon weiter? Ich dachte, du bleibst noch eine Weile hier." "Ich habe so lange nicht mehr im Sattel gesessen, dass es höchste Zeit für mich ist", meinte Ben mit einem wehmütigen Lächeln. "Aber ich werde bestimmt öfter hier in die Gegend kommen." "Ich wünsche dir viel Glück, Ben." Drew verließ das Cafe. Der Gedanke daran, dass auch er bald wieder auf Wanderschaft gehen würde, hatte für ihn jede Anziehungskraft verloren. Als Drew kurze Zeit später das Gefängnis betrat, saßen Tim und Jeremy genau da, wo er sie zurückgelassen hatte. "Na, ihr beiden, alles in Ordnung?" Mit einem Schwung warf er den Sheriffstern auf den Schreibtisch. Die Jungs sahen ihn schweigend an. "Ihr könnt jetzt nach Hause gehen", fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. "Eure Mutter wartet schon auf euch." Immer noch keine Antwort. Drew runzelte die Stirn. Die beiden führten doch etwas im Schilde, er ahnte es. "Habt ihr nicht gehört, was ich gesagt habe? Eure Mutter wartet." "Das wissen wir", antwortete Tim.
Was hatte dieser seltsame Gesichtsausdruck nur zu bedeuten? "Aber es scheint euch nicht besonders zu interessieren?" "Doch, schon", entgegnete Jeremy und spielte an seinem Stern. "Aber wir mussten zuerst etwas Wichtiges erledigen." "Und das wäre?" Drew drehte sich langsam um und folgte dem Blick der Jungen. Sie starrten wie gebannt auf die Gefängniszelle hinter ihm. Drew glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Leslie war hinter Gittern. "Was hat das denn nun wieder zu bedeuten? Warum habt ihr eure Mutter eingesperrt?" "Wir sind schließlich Hilfssheriffs!" erklärte Jeremy bestimmt. "S ie ist im Gefängnis, weil wir sie verhaftet haben." "Ihr habt eure Mutter verhaftet?" Drew sah Leslie entgeistert an. Sie war die letzte, die er hinter Gittern erwartet hatte. "Was hat sie denn verbrochen?" "Wir haben ihr gesagt, sie soll Sie fragen, ob Sie sie heiraten wollen, und sie hat sich geweigert. Deshalb musste sie hinter Gitter. Vielleicht fragt sie ja jetzt. Sonst lassen wir sie nicht mehr raus." "Normalerweise ist es doch Sache der Männer, die Frauen zu fragen, ob sie sie heiraten wollen. Aber im Falle eurer Mutter mag das vielleicht tatsächlich ein wenig anders sein." Drew stellte sich dicht vor das Gefängnisgitter und betrachtete Leslie interessiert. "Und was hältst du vom Heiraten, Frau Bürgermeisterin?" "Glaubst du im Ernst, die Kinder könnten mich gegen meinen Willen hier festhalten?" Leslies grüne Augen funkelten. Würde einmal mehr ihr Temperament mit ihr durchgehen? "Aber ich werde dir garantiert nicht den Vorschlag machen, mich zu heiraten." "Das kann ich sehr gut verstehen. Heiratsanträge sind wirklich Männersache." Erst jetzt bemerkte Drew, dass Leslie zu Hause gewesen sein musste, um sich umzuziehen, während er sich von Ben verabschiedet hatte. Sie hatte das Kleid von vorhin
gegen Jeans und T-Shirt getauscht und - Drew glaubte zu träumen - das rotbraune, seidige Haar fiel ihr in Locken bis auf den Rücken und war nur durch ein loses Band zusammengehalten, das zur Farbe ihrer Augen passte. Leslie sah ihn an. Das wütende Funkeln war aus ihrem Blick gewichen. Sehnsucht und unendliche Zärtlichkeit waren darin zu lesen. Die sinnlichen Lippen forderten es geradezu heraus, geküsst zu werden. Drew war sich nicht sicher, ob' das alles nur ein Wunschtraum war. "Ich glaube, Maddie hat noch ein paar Schokoladenkekse für euch übrig", sagte er zu Tim und Jeremy, die auf diesen Wink mit dem Zaunpfahl hin auch prompt das Gefängnis verließen. "Die Kinder haben irgendwie recht gehabt. Es war eine gute Idee, dich hier gefangen zu halten. Jetzt kannst du wenigstens nicht mehr weglaufen, bevor du meine Frage beantwortet hast." "Welche Frage?" erkundigte Leslie sich neugierig. "Wenn ich dir erzählen wurde, dass ich mein Leben als Tramp an den Nagel hänge, würdest du mir dann glauben?" "Kommt ganz darauf an, was du als nächstes vorhast." Ein Blick in Drews Augen war Antwort genug. Zum ersten Mal seit vielen Jahren fühlte Leslie sich glücklich und frei. Die Liebe und das Verlangen in seinen Augen sagten mehr als Worte. Plötzlich hatte sie keine Zweifel mehr. Drew hätte sich verändert. Er würde auch dieses Mal sein Versprechen halten. Doch auch Leslie hatte sich verändert. Das Herz der Eislady hatte sich erwärmt. Sie wusste genau, dass sie diesen Mann lieben und ihm vertrauen konnte. "Also gut. Wenn du es genau wissen willst, ich möchte mich auf einen Full- Time-Job als Hilfssheriff bewerben - und zwar hier in Calico. Allerdings nur, wenn du dich entschließen kannst, mich zu heiraten." "Dich heiraten?" Leslie klopfte das Herz bis zum Hals. Konnte es möglich sein, dass ihr größter Wunsch in Erfüllung
ging? Sollte sie tatsächlich den Mann heiraten, der der einzige war, mit dem sie sich eine Ehe vorstellen konnte? Leslie war geradezu froh, dass das Gitter zwischen ihnen war. Ansonsten hätte sie sich, ohne zu überlegen, in seine Arme geworfen, ihn dafür um Verzeihung gebeten, dass sie sich die ganze Zeit über wie eine Närrin aufgeführt hatte, und ihm gesagt, dass sie die glücklichste Frau der Welt war, weil er sie gebeten hatte, ihn zu heiraten. Doch vorher gab es noch etwas zu klären. "Tust du das alles wegen der Wette?" "Nein, weil ich mich in dich verliebt habe. Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe. Du bist der Schatz, nach dem ich in all diesen Jahren gesucht habe." Während er sprach, nahm Drew den Zellenschlüssel aus der Hosentasche und schloss die Tür auf. "Ich glaube, dass wir eine ganze Menge Leute ganz schön an der Nase herumgeführt haben." Leslies Augen füllten sich mit Tränen, als Drew zu ihr in die Zelle kam und die Tür hinter sich schloss. "Die Einwohner von Calico werden niemals erfahren, wer wen gezähmt hat." "Dabei ist die Erklärung so einfach." Drew zog sie in seine Arme. "Eigentlich hat ja auch niemand die Wette gewonnen, weil keiner den anderen gezähmt hat. Ich möchte dich gar nicht anders haben, und ich hoffe, du denkst genauso von mir. Also, wie lautet deine Antwort? Ja oder nein?" Leslie warf ihm die Arme um den Hals. Er war zwar im Unrecht, denn ihrer Meinung nach hatten sie sich auf gewisse Weise gegenseitig gezähmt, und somit hatten alle die Wette gewonnen, aber darüber konnte man schließlich später noch diskutieren. Jetzt wollte sie nur mit ihm Zusammensein, seine Nähe spüren und sich seinen leidenschaftlichen Küssen hingeben. Der letzte vernünftige Gedanke, an den Drew sich erinnern konnte, galt Leslies selbstgeschneidertem Hochzeitskleid mit
den kunstvollen Quiltmustern, das jetzt genau rechtzeitig zu ihrer eigenen Hochzeit fertig wurde. Das leise Geräusch vor dem Fenster des Gefängnisses, das daher rührte, dass Jeremy und Tim aus Versehen ein kleines Fass umgestoßen hatten, mit dessen Hilfe sie von draußen hatten beobachten können, was sich dort hinter Gittern abspielte, nahmen die beiden in der Zelle nicht mehr wahr. "Cool! Ich hab dir doch gesagt, dass es diesmal klappen wird, Tim."
-ENDE