Der Bach war so schmal, daß der M a n n beide Ufer mit den ausgestreckten Armen erreichen konnte. Das Wasser w a r kalt...
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Der Bach war so schmal, daß der M a n n beide Ufer mit den ausgestreckten Armen erreichen konnte. Das Wasser w a r kalt und klar. Es hatte ihn erfrischt. Er saß da und blickte den langen Weg zurück, den er gekommen war. Irgendwo im fernen Dunst lag Amarillo. Eine Stadt am Rande des Llano Estacado, eine Stadt in Texas, die keinen Platz h a t te. Nicht für einen Mann, dessen H a u t dunkel war. Der heiße Atem des Llanos erreichte das Ufer des kleinen Baches. Er strich bis zur Grenze der Hügel und des Weidelandes, das an der Sangre de Cristo R a n ge auslief. Er saß noch so, einen Grashalm zwischen den Lippen, als zwei Reiter ein paar Schritte vor ihm anhielten. Sie sahen auf ihn herab. Er sah zu ih-
nen hinauf. Der eine w a r ein großer, dünner Mann. Er hatte ein schwindsüchtiges Rattengesicht, spitz und eingefallen. Alles an ihm w a r schwarz. Die Haare, die Augen, ein Oberlippenbart. Seine Lippen w a r e n so dünn, daß man sie nur vermuten konnte. Er mochte dreißig sein, eher älter. Der andere Mann war jünger, aber ebenso groß, nur doppelt so breit. Er hatte helle, farblose Augen, die ständig in Bewegung waren. Sein Haar w a r fast gelb. Es hing ihm weit in den Nacken. Der Dünne sagte: „Siehst du auch, was ich sehe, Phil?" „Was siehst du denn, Lefty?" Der Dünne rieb sich die Augen. Er bedachte den Mann am Boden mit einem nachdenklichen, forschenden 3
Neben ihm sagte Phil: „Laß ihn, Blick. Seine Strichlippen wölbten sich. „Ein Halbblut, Phil, ein gottver- Lefty. Wir sind jetzt schon spät dran. Irgendwann werden wir ihm wieder d a m m t e s Halbblut." Der Mann am Boden bewegte sich begegnen, dann können wir uns etk a u m . Die Haut über seinen Backen- was an ihm abkühlen." Sie zogen die Pferde herum. Lefty knochen spannte sich. In seinen blickte zurück. „Dein Gesicht werde dunklen Augen flackerte Feuer. ich mir merken, Halbblut." Sie ga„Steh auf, Halbblut!" „Weshalb?" Das Halbblut h a t t e die loppierten davon. Die Hufe ihrer Lippen gerade so weit geöffnet, um Pferde mußten frisch beschlagen dieses eine Wort hindurchschlüpfen sein. Sie rissen kleine Grasbüschel zu lassen, dann verschloß er sie w i e - aus dem Boden. Lobo nahm die der. Zügel seines Fal„Weil ich das Die Hauptpersonen des Romans: ben, der friedlich will. Los, hoch mit ein p a a r Salbeidir!" Lobo — Sie zwangen ihn zu einem blätter zwischen Kampf, den er nie gewollt hatte. „Was ist dann?" seinen gelben ZähVirginia Fargas — Sie konnte keine BaPhil, dessen w i e starde und Indianer ausstehen, und nen zermalmte. Sie selflinke Augen dennoch schenkte sie Lobo eine schmeckten ihm Nacht. nichts fanden, an nicht. Das Pferd Owen Longfield — Als er mit seinen dem sie sich festLeuten in Tucumcari auftauchte, war schob das weiche halten konnten, es mit dem Frieden in der Stadt vorMaul ins Wasser. bei. sagte: „Er hat soEs warf den Kopf Dean Garson — Er hatte nicht mehr die gar einen RevolKraft, sich gegen die skrupellosen zurück, etwa so, als Banditen zu wehren. ver, Lefty. Ob er wolle es sich den Charlie Jonas Blower — Er trug ein Gedamit auch schieheimnis mit sich herum, das ihm den bitteren Geßen kann?" Tod brachte. schmack aus dem Über Leftys Halse spülen. Lobo dünne Lippen schlüpfte ein Pfeifton. Seine Finger klopfte ihm den Hals. „Na komm. bewegten sich tastend zum Revolver, Bringen w i r diesen Teil des Landes etwa so wie die Fühler eines m i ß - hinter uns." Die besten Vorsätze nützen einem trauischen Insektes über einen faulen Pfirsich. „Ich denke, das w e r d e n Mann nichts, wenn andere eine B a r riere errichten, die unüberwindbar wir gleich wissen, Phil." Das Halbblut w a r aufgestanden. ist. Er prallt dagegen, wird zurückNicht etwa schnell. Langsam und geworfen und landet wieder dort, wo sehr behäbig. Seine Augen zeigten er nicht hin wollte. Man konnte das Schicksal nennen, Bestimmung oder ein frostiges Glitzern. „An Ihrer Stelle", sagte er mit ei- einfach n u r Pech. Ein Pech, das einem leisen, kehligen Grollen, „würde nem M a n n an den Stiefelsohlen festgenagelt ist, seit er geboren wurde. ich das nicht versuchen." Das Pech der Hautfarbe. Es w a r plötzlich sehr still. Phils Es w a r eine Blockhütte. Sie klebte großes Gesicht glänzte. Er begann zu schwitzen. Es gab keinen Grund, an einem Hügelrücken, gute dreiaber er schwitzte. Leftys Gesicht lief hundert Yards von einer Stadt entrot an. Langsam, aber stetig. Seine fernt, von der das Halbblut n u r den Finger blieben auf halbem Wege zum Namen kannte. Der Mann, der auf Revolver stehen. Er würgte an seiner einer rohen Bank vor der Hütte saß, eigenen Galle. Er h a t t e alle Mühe, sie war eine Sehenswürdigkeit. Zuerst sah das Halbblut n u r einen runden, hinunterzuschlucken. 4
W e r ist Lobo? Sein Name ist LOBO. Er ist ein Einzelgänger. Ein Mann ohne Freunde. Ein Ausgestoßener. Denn Lobo ist ein Halbblut. Sein Vater war ein Weißer, seine Mutter eine Squaw vom Stamme der Pima-Apachen. Sie wollten in Frieden leben, aber weiße Skalpjäger ermordeten sie. LOBO überlebte: ein Junge, der über Nacht begreifen mußte, daß er die falsche Hautfarbe hatte. Daß es nicht genügte, ein Mensch zu sein, sondern daß man weiß oder rot oder schwarz sein mußte, um einen Platz auf der Welt zu haben, wo man hingehörte. LOBO war weder weiß noch rot. Er gehörte nirgends hin. Ihn wollte niemand haben — weder die Weißen, noch die Indianer. An seinem Schicksal offenbart sich die starrköpfige Haltung der weißen Siedler in Amerikas Pionierzeit. Sie richtete sich gegen alles, was andersfarbig war. Gegen Schwarze ebenso wie gegen Chinesen, gegen Mexikaner wie gegen Indianer. Vor allem aber gegen Mischlinge. LOBO steht für alle, die in jenen harten Tagen, an denen das Faustrecht Gesetz war, zu denen gehörten, die aufgrund ihrer Herkunft aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen wurden. Die historische Tatsache, daß in der Gesellschaft der Pioniere meist das Recht des Stärkeren galt, war die Tragik der amerikanischen Minderheiten. Ihnen wurde das Lebensrecht, mehr noch, die Menschlichkeit abgesprochen. Sie waren vogelfrei. Heimatlos in einem riesigen Land, das Heimat für so viele war. Gedemütigt und geächtet, auf der Suche nach ihrer verlorenen Ehre. LOBO war einer von ihnen. Ein Mann, der sein Schicksal annahm und nach bitteren Erfahrungen unbeirrt seinen Weg ging. Eine gewalttätige Zeit und ein teilweise unmenschlich wildes und hartes Land ließen keine Alternativen: Alles in der Ära der Westwanderung war Kampf. Jeder, der den Mississippi überschritt, stieß in ein Territorium der Unsicherheit vor, in dem die nahezu totale Abwesenheit von Zivilisation markantes geschichtliches Merkmal war. Jeder neue Tag, jeder Fußbreit Land — buchstäblich alles mußte errungen werden. Männer wie LOBO kämpften um mehr, um das natürliche Lebensrecht. Sie standen mit dem Rücken an der Wand. Ihnen wurden die einfachsten Rechte vorenthalten: Sie wurden in vielen Städten nicht als Bürger geduldet, in vielen Gebieten nicht als Siedler. Sie waren weder vor Betrug noch vor Gewalt geschützt, es sei denn, sie schützten sich selbst. Mord an Farbigen wurde fast nie bestraft. Noch 1920 wurden öffentlich Farbige gelyncht, nur weil sie nicht weiß waren. Es gab Ausnahmen, aber das Unrecht war die Regel. Zum erstenmal ist mit LOBO ein Halbblut, einer jener Verachteten und Verfemten, in den Mittelpunkt einer Romanserie gestellt worden. Zum erstenmal im deutschen Western wird anhand dieses Mannes aufgezeigt, wie farbige Menschen in der Pionierzeit häufig zu leben gezwungen waren. Die LOBO-Redaktion versucht, auf diese Weise einen düsteren, vergessenen Aspekt der Eroberung des Westens darzustellen und gegen möglicherweise noch vorhandenen Ressentiments ein Zeichen zu setzen, Rassenvorurteile abzubauen. Dabei wird dem Kenner der Pioniergeschichte klar sein: Bei allem Bemühen um Realismus war die Wirklichkeit gewalttätiger und härter als jede Phantasie, als jede romanhafte Beschreibung es sein kann. Denn unsere heutige Zeit ist anders. Vorurteile haben abgenommen, wir sind aufgeklärter. Gewalt ist heute keine Lösung mehr. Was damals geschah, übersteigt häufig unsere Vorstellungskraft. Die Geschichten um das Halbblut LOBO spiegeln eine vergangene Zeit wider, in der andere Regeln herrschten. Eine Zeit, deren Schattenseiten nicht vergessen werden sollten, zur Mahnung für mehr Toleranz und gegen Rassenvorurteile.
steifen Hut, ein knallrotes, in der Farbe nachlassendes Hemd, das über den Hosen hing und sehr an ein Nachthemd erinnerte. Um einen spindeldürren Hals war ein von der Zeit zerfranstes, blaues Tuch geknotet. Wahrscheinlich zu dem Zweck, einen weit hervorstehenden Adamsapfel vor Zugluft zu schützen. Als das Halbblut nahe genug h e r a n war, hob der Mann den Kopf. Lobo sah ein Gesicht, das aus nichts als Falten bestand. Alles w a r faltig. Der Mund, die Nase, sogar die Ohren. Es w a r das Gesicht einer Mumie. Nur die Augen machten eine Ausnahme. Sie waren sehr hell und quicklebendig. Als der Mann den Mund öffnete, sah Lobo ein großes schwarzes Loch. Die Stimme, die ihn traf, erinnerte an die Versuche eines jungen Raben, einen ersten Laut von sich zu geben. „Hallo, junger Freund. Halt an und gestatte einem alten Mann einen fröhlichen Trunk. Du hast doch einen?" Lobo hielt an. Er stieg ab und lachte. „Nur noch einen kleinen Rest, Alter." „Erlabe dich an einem Tropfen. Weißt du, wer das gesagt hat?" „Keine Ahnung." Der Alte kicherte. „Es stammt von mir. Von Charlie Jonas Blower. Ein schöner Spruch. Gefällt er dir?" „Ja. Sehr gut." Lobo öffnete die Satteltasche. Er e n t n a h m ihr eine flache, halbgefüllte Flasche. Die d ü r ren, von der Gicht gekrümmten Finger des Alten griffen danach. Es w a ren seltsame ruhige Finger, trotz der Gicht. Seine hellen, scharfen Augen tasteten über den großen Mann vor ihm. „Halbblut, h ä ? " Er erhielt keine Antwort. W a h r scheinlich e r w a r t e t e er auch keine. Er gurgelte einen langen Zug d u r c h die Kehle, hielt die Flasche gegen das Licht, überprüfte den Inhalt und schluckte noch einmal. Mit einem wohligen Rülpser reichte er sie dem 6
Halbblut zurück. „Hast du auch einen Namen, mein F r e u n d ? " „Lobo." „Lobo?" Wenn es möglich gewesen wäre, h ä t t e sein Gesicht noch mehr Falten bekommen. Vor lauter Nachdenken. „Lobo", wiederholte er. „Irgendwann habe ich diesen Namen schon mal gehört. Irgendwann in irgendeinem Zusammenhang." Er w e delte etwas mit der Hand. „Du kannst mich Charlie Jonas nennen, Lob." „Danke, Charlie Jonas." Lobo blickte auf die Stadt hinunter. „Tucumcari, nicht w a h r ? " Der Alte nickte. „So heißt sie. Bist du schon einmal hier gewesen?" „Nein. Bestimmt noch nicht." Charlie Jonas Blower rückte etwas zur Seite. Sein Blick w u r d e schwärmerisch. „Früher", sagte er, „war Tucumcari eine schöne Stadt, eine lustige Stadt, eine Stadt voller Leben. Es war meine Stadt. Es gab ein Charlie Jonas Hotel, einen Charlie Jonas Saloon." Er klopfte sich an seine eingefallene Brust. „Und Charlie Jonas Blower fuhr n u r vierspännig durch die Straßen. Er hatte die schönsten Mädchen um sich, und n u r Freunde." Ein Hauch von Glück rutschte über seine Falten. Das Glück der Erinnerung. Er sah auf seine gichtigen Finger. „Aber das liegt alles schon endlos weit zurück. Weißt du, Lobo, ich w a r der erste, der die Nuggets aus dem Bach holte. Manche so groß wie T a u beneier. Ich gab dem Bach seinen Namen. Und dann k a m e n sie, die Geier, die Schurken und Tagediebe. Eines Tages gab der Creek nichts mehr her. Er war n u r noch ein friedlich plätscherndes Gewässer. Ich folgte ihm bis zur Quelle hinauf. Ich d u r c h w ü h l t e die Berge wie ein Maulwurf. Nichts, gar nichts. Und als ich nach zwei oder drei J a h r e n nach Tucumcari zurück kam, hatte ein Feuer die Stadt verwüstet. Kein
Charlie Jonas Hotel und kein Charlie Jonas Saloon und keine Freunde." Er gab einen tiefen Seufzer von sich. „Seit dieser Zeit sitze ich hier. Die Stadt w u r d e wieder aufgebaut, größer, aber nicht schöner, von fremden Männern." Die Erinnerung glitt von ihm. „Vorhin sah ich Phil Larswood und Lefty Roberts vom Nugget Creek heraufkommen. Bist du ihnen zufällig begegnet?" „Ich traf dort zwei Männer", sagte Lobo. „Weshalb fragst du, Charlie Jonas?" Der Alte drehte seinen Kopf so langsam, als hingen schwere Gewichte daran. Als er die beiden Namen nannte, w a r seine Stimme kalt vor Abscheu. „Larswood und Roberts. Ich weiß nicht, was dich hierher geführt hat. Ich weiß auch nicht, wie lange du bleiben willst. Aber eines weiß ich: Eine zweite Begegnung mit diesen beiden Schurken wirst du nicht ungeschoren überstehen. Sie lassen niemanden ungeschoren, dessen Haut nicht makellos weiß ist. Nimm dich vor ihnen in acht. Sieh dich vor, Lobo. Vor allem vor Roberts. Er hat soviel Moral wie eine vollgeschissene Unterhose. Allein von seinem Anblick wird mir übel." Der alte Charlie Jonas stand auf. Seine Bewegungen waren ü b e r r a schend flink. Der kleine Kopf wakkelte auf dem dünnen Hals beängstigend hin und her. „Owen Longfield hat sie mitgebracht. Sagt dir der Name etwas, Lobo?" Seine kleine, spitze Zunge huschte über die welken Lippen. „Nein. Nie gehört. Wer ist dieser Owen Longfield?" Er schenkte dem Halbblut ein kleines, zögerndes Lächeln. „Ein Riesenschurke mit einer weißen Weste. Wenn ich doch n u r drauf käme, in welchem Zusammenhang ich deinen Namen gehört habe. Hilf mir mal ein bißchen." Lobo stand auf. Er legte dem Alten
eine Hand auf die Schulter. „Zerbrich dir nicht den Kopf, Charlie J o nas. Wir sind uns zufällig begegnet. Wir werden uns wieder trennen und uns vergessen." „Dann bleibst du nicht in der Stadt?" „Nein, Charlie Jonas. Ich brauche ein paar Dinge. Danach werde ich davonreiten." Lobo stieg in den Sattel. Er lächelte dem Alten zu und winkte noch einmal. Dann trabte er den Hang hinunter. Charlie Jonas Blower sah ihn u n ten in die Hauptstraße einbiegen und zwischen den Häusern verschwinden. „Ein guter Junge", murmelte er, dann versank er wieder in die Erinnerung.
Die Stadt war von der gleichen Trägheit wie alle Städte um diese Tageszeit. Obwohl schon Ende September war, wehte die Luft heiß durch die breite, von Furchen zerfressene Fahrstraße. In ihr war der Duft von Salbei. Vor einem Store, der sich eng zwischen zwei ihn weit überragende Häuser preßte, hielt Lobo den Falben an. Es gab eine kleine, sehr schmale Veranda, auf der ein paar Kisten und Säcke standen. Die Eingangstür stand offen. Neben ihr hockte ein etwa zehnjähriger Junge, der flink auf die Beine sprang. „Ich k a n n auf Ihr Pferd aufpassen, Senor." Der kleine, schwarzhaarige Bursche griff nach den Zügeln. Lobo überließ sie ihm. Nach dem grellen Licht draußen empfand das Halbblut das Halbdunkel des Stores fast schmerzend. Die Luft w a r muffig. Es roch nach Staub und Gewürzen. Ein paar große schwarze Fliegen surrten an dem einzigen Fenster, das sich neben der 7
T ü r befand. Die Holzdielen k n a r r t e n u n t e r den schlurfenden Schritten eines Mannes. Er sah Lobo mürrisch an. „Wollen Sie was kaufen?", „Deshalb bin ich hier." Der Blick des Mannes w u r d e schärfer. „Sie haben doch hoffentlich Geld, was?" „Für das, w a s ich brauche, wird es reichen. Zwei Schachteln P a t r o n e n vierundvierzig für Winchester 66." Der Mann legte ihm die beiden P a tronenpäckchen auf den Tisch. Er beobachtete Lobo mißtrauisch. Erst als dieser ein kleines Bündel Geldscheine aus der Brusttasche zog, hellte sich sein Gesicht auf. „Wissen Sie", sagte er in entschuldigendem Ton, „es kommen öfter Fremde. Manche haben Geld, und manche haben keines. Möchten Sie noch was?" Lobo ging durch den kleinen L a den. Er kaufte noch ein paar Kleinigkeiten, nahm eine Flasche Whisky, bezahlte und verließ den Store. Der Junge d r a u ß e n blickte ihn erwartungsvoll an. „Ein schönes Tier, Senor. Ich habe gut aufgepaßt." Lobo packte die wenigen Sachen in die Satteltasche. Er gab dem J u n g e n ein paar Nickel. Überlegend betrachtete er die Whiskyflasche. Er w a r im Begriff, den Proviantsack abzuschnallen, als ein Schuß die friedliche Stille zerriß. Sein Echo prallte gegen die Häuser, rollte zurück. Es verlor sich n u r schwer in der aufgestauten Hitze. Die Flasche in Lobos Hand w a r zersplittert. Er hielt nur noch den Hals. Ein rauhes Lachen prallte gegen ihn. Der M a n n aus dem Store steckte den Kopf durch die Tür. Er zog ihn schnell wieder zurück, als er einen anderen M a n n erkannte, der auf der Veranda des Cattle and Horse Saloons stand und dieses brüllende Lachen ausstieß. Lobos Schritte hinterließen S p u 8
ren im Staub der Straße. Er hielt vor dem Saloon an. Der Mann trat langsam die vier Treppen herunter. Lobo hielt ihm den Hals der Flasche entgegen. „Du schuldest mir einen Dollar und fünfundachtzig Cents, Phil Larswood." „Ach, du kennst mich, Halbblut? Wieviel, sagtest du?" „Einen Dollar und fünfundachtzig Cents, Larswood." Phil Larswoods Gesicht w a r so glatt wie eine geschälte Kartoffel. „Bißchen viel für den kleinen Spaß. Meinst du nicht auch, Halbblut?" Er trat n ä h e r an Lobo heran, so nahe, daß sein Atem Lobo mitten ins Gesicht traf. Sein Blick ging über Lobo hinweg. Das Halbblut merkte zu spät, daß er in eine tückische Falle getappt war. Ein eisiger Hauch ber ü h r t e seinen Nacken, und eine eisige Stimme sagte: „Streck die Hände in den Himmel. Ganz hoch, noch höher!" Lobo spürte einen harten Druck im Rücken. Das war kein Finger oder ein Stück Holz. Das w a r die Mündung eines Revolvers. Er gehorchte. Unter der Saloontür stand ein mittelgroßer, schlanker Mann. Sein dunkelgetöntes, schmales Gesicht lag im Schatten. Er hielt beide Arme vor der Brust verschränkt. Phil Larswood grinste Lobo an. Es war ein Grinsen von verletzender D ä m lichkeit. Hinter ihm knurrte Lefty Roberts: „Wenn du versuchen solltest, die Arme auch n u r einen Zoll zu senken, blas ich dich weg. Hast du begriffen, Halbblut?" Lobo schwieg. Er wußte, was gleich folgen würde. Seine Zähne mahlten. Seine Augen wurden ganz schmal. Roberts sah das nicht, und Phil L a r s wood beeindruckte es nicht. Der Schlag, der Lobo traf, war von der Kraft eines mittleren Schmiedehammers. Lobo flog zurück, rutschte etwas zur Seite. „Weißt du", sagte Larswood, „ich
mag keine Halbindianer. Und solche, die friedliche Menschen bedrohen, schon gar nicht. Magst du sie, Lefty?" Der mochte sie auch nicht. Also schlug Larswood zu. Das Halbblut ging in die Knie. Phil Larswood ließ von ihm ab. Ein Mann stieß plötzlich gegen Lefty Roberts Revolver. Larswood wirbelte herum. „Du stehst schon lange auf meiner Liste, Garson", sagte er. „Ich bin gerade in Form. Reich ihn herüber, Lefty." Lefty Roberts blickte den Mann aus kalten Augen an. „Du weißt, daß ich dich nicht ausstehen kann, G a r son. Wenn ich mehr zu sagen hätte, wärst du schon längst tot. Ich werde bald mehr zu sagen haben. Richte dich ein, Garson. Dich wird d a n n nichts mehr schützen. Auch nicht der Blechstern." Er stieß den Mann vor die Brust. „Und nun hau ab!" Er stieg über Lobo hinweg. „Deine Menschenfreundlichkeit ist gefragt, G a r son. Hilf ihm auf die Beine." Der Mann vor der Saloontür hob leicht eine Hand. „Keinen Verdruß mit dem Gesetz, Lefty." Seine Worte w a r e n schlicht und endgültig. Leise und doch scharf. Die Saloontür pendelte aus. Ein paar Leute zeigten sich vor ihren Häusern. Die Neugier trieb sie heraus. Sie schlüpften zurück, als Garson sie anrief. Lobo versuchte, gliedweise auf die Beine zu gelangen. Sein Blick, noch nicht ganz klar, traf den mittelgroßen, stämmigen Mann, der vor ihm stand. Garson trug keinen Hut. Sein Haar w a r eisgrau. Er hatte seeblaue Augen, in denen nichts Anrüchiges war. Ein Mann von fünfzig Jahren, ohne Chancen und ohne Hoffnungen. Ein Hohn auf das geschriebene Gesetz, das er vertrat, und das es doch nicht gab. Nicht in dieser Stadt. Garson versuchte, Lobo zu schützen. Der wehrte ab. „Danke, es geht schon." Am Store weiter unten stand
immer noch der Junge neben Lobos Falben. Das Halbblut ging den Weg voll Bitterkeit zurück. Garson blieb neben ihm. Er fragte völlig überflüssig: „Wie geht es Ihnen?" „Wie einem ausgespuckten Priem, den man achtlos in den Sand tritt. Ich bin wieder okay. Danke, daß Sie sich für mich eingesetzt haben, Marshal." Marshal Dean Garson schluckte die spöttische Bemerkung, wie er so vieles schon geschluckt hatte. Er blieb hinter Lobo zurück. Schließlich drehte er sich um und versank im Häuserschatten.
Charlie Jonas Blower hockte auf der rohgezimmerten Bank. Er schien seine Haltung um keinen Zoll verändert zu haben. Nur seine schwarze Melone hing ihm etwas weiter im Genick. Er saß n u r da und blickte dem Halbblut entgegen. Seine Lippen bewegten sich, aber er sagte nichts. Lobo hielt den Falben dicht vor ihm an. Er lächelte ein leeres Lächeln. Das Lächeln eines zerschlagenen Mannes. Charlie Jonas wies mit dem Daumen hinter sich. „Ich habe nichts a n deres erwartet. Geh hinter das Haus. Dort ist der Brunnen. Mach dich menschlich." Lobo tat das. Als er zurückkam, wirkte er erfrischt. „Und jetzt, Charlie Jonas?" Der Alte saß steif da und zog ein grimmiges Gesicht. „Würde es etwas nützen, wenn ich dich wegschicken würde?" „Ich w ü r d e nicht weit genug gehen." „Das habe ich mir gedacht." Er beleckte seine welken Lippen. „Sie haben dich in der Mangel gehabt. Wunden heilen erst; w e n n sie gerächt sind. Ist es nicht so, Lobo?" 9
„Vielleicht", sagte das Halbblut, „sollte ich das alles vergessen. Vielleicht wäre es am besten. Aber ich glaube, ich kann das nicht." „Du hast es nie gekonnt." Charlie Jonas stand auf Er ächzte, und Lobo hatte den Eindruck, als bewege er sich nur sehr ungern. „Du wirst das nie können. Sie werden dir immer wieder weh tun. Und du wirst zurückschlagen, so lange zurückschlagen, bis du auch das nicht m e h r kannst. Eines Tages werden sie dich verscharren. Irgendwo. Es wird niemand geben, der dich beweint. Einer weniger auf der Welt. Was macht das schon? Ein Halbblut weniger. Ist das nicht alles beschissen?" „Ich habe mir dieses Leben nie gewünscht, Charlie Jonas. Ich habe immer von einem Stück Land get r ä u m t . Freies, weites Land. Aber einem Halbblut ist das versagt. Ich k a n n weder seßhaft sein, noch zu den Besitzenden gehören. Ein Halbblut gehört zu den Herumgestoßenen, zu denen, die niemand haben will, weil ihre Haut nicht glatt und weiß ist. Das sind meine Probleme, Charlie Jonas. Und manchmal glaube ich, daß ich sie nicht bewältigen kann." Der Alte sank auf die Bank zurück. Seine hellen Augen blickten verloren. Die Worte des Halbblutes hatten tief in seinem Innern eine Wurzel geschlagen. Ein unsichtbares Band der Zuneigung w a r geknüpft. Es w a r fest und unzerreißbar. Sie saßen schweigend da. Der eine wälzte einen Priem in dem zahnlosen Hohlraum hinter den Lippen, der a n dere rauchte. Nach einer Weile hob Lobo den Blick. „Erwartest du Besuch, Charlie Jonas?" „Nein. Wie kommst du darauf?" Lobo wies auf einen Reiter, der sich in einem leichten Trab näherte. „Himmel, das Fargas-Mädel!" Der Alte hüpfte plötzlich herum, als w ä r e er aufgezogen. Er zupfte an seinem Halstuch, strich das Hemd glatt und 10
prüfte den Sitz seiner Melone. „Heimliche Liebe, was?" Lobo grinste. Charlie Jonas warf ihm einen giftigen Blick zu. Er fand es wahrscheinlich unter seiner Würde, darauf eine Antwort zu geben. Virginia Fargas. Sie w a r eine große, schlanke Frau um Ende Zwanzig. Sie sprang vor der Hütte aus dem Sattel. Ihre langen Beine steckten in einer graublau gezwirnten, groben Hose. Sie trug eine rotblau karierte Bluse, die sich eng um ihren geschmeidigen Körper schmiegte. Ihre Brüste zeichneten sich straff ab. Auf dem Kopf hatte sie einen braunen Stetson, der besser auf den Kopf eines Mannes gepaßt hätte. Dunkelbraunes Haar hing ihr weit über die Schultern. Ihr Gesicht war schmal. Über braunen, etwas schrägstehenden Augen wölbten sich die Brauen in einem dünnen Bogen. Über der kleinen Nase waren ein paar Dutzend Sommersprossen verteilt. Die Lippen waren voll und rot, das Kinn für eine Frau etwas zu kräftig. Virginia Fargas w a r anmutsvoll, ohne direkt schön zu sein. Von der Nasenwurzel zum Mundwinkel zeichneten sich kleine Falten ab. Nur winzig, aber sie w a r e n da. Im Gürtel steckte ein Revolver. Sie nickte dem alten Charlie Jonas zu, sah Lobo an und fragte ohne erkennbares Interesse: „Wer ist das denn, Charlie Jonas?" Der Alte konnte seine Unruhe nicht verbergen. „Lobo", sagte er. „Er ist nicht ganz in Ordnung. Muß sich etwas ausruhen. Das verstehst du doch, Virginia, nicht w a h r ? " Sie blickte über Charlie Jonas hinweg. „Seit w a n n beherbergst du Indianer?" „Er ist kein Indianer. Nur ein halber, Virginia." „Ob halber oder ganzer. Was macht das für einen Unterschied?" „Sie mögen keine Indianer,
Ma'am?" fragte Lobo. Sie sah ihn herausfordernd an, strafend. „Nein", sagte sie hart, „ich mag keine Indianer. Aus guten Gründen." Sie trat noch einen Schritt n ä h e r an Lobo heran. Ihre Blicke verfingen sich. Das Halbblut sah das Feuer in ihren Augen. Dies und noch etwas. Einen unversöhnlichen Haß. „Ich verabscheue Indianer. Ich hasse sie", stieß sie rauh hervor. „Ich verabscheue sie, auch wenn sie nur zur Hälfte Indianer sind. So wie Sie, Sie - Halbblut!" Sie löste den Blick von Lobo. „Sie brauchen Ihre Gefühle nicht zu bremsen, Ma'am", erwiderte er. „Ich bin das gewöhnt. Es tut zwar immer wieder weh, aber mit der Zeit setzt man sich darüber hinweg." „Ich kann mich nicht d a r ü b e r hinwegsetzen, daß die roten Horden meine Eltern und meinen Mann getötet haben. Niemals!" „Und deshalb hassen Sie alle Indianer?" „Deshalb hasse ich sie!" Der Geschmack von Bitterkeit war so stark in Lobo, daß es ihm den Mund verzog. Virginia Fargas stand bereits wieder neben ihrem Pferd, als Lobos Stimme sie traf. „Meine Eltern und mein Bruder wurden von weißen Männern ermordet, abgeschlachtet. Muß ich deshalb alle Weißen hassen?" Virginia ruckte herum. Ihre Blicke krallten sich abermals ineinander. Lobo machte eine weitausholende Armbewegung. „Dieses Land", sagte er, „gehörte einmal den Indianern. Den Comanchen, den Mescaleros oder den Kiowas. Ich weiß es nicht. Aber es gehörte Indianern. Glücklichen Menschen, die keinen Haß kannten. Dann kamen die Weißen. Sie raubten und töteten. Sie schlossen Verträge und brachen sie. Sie sperrten die Indianer in Reservate. Ihre Agenten lie-
ßen die Indianer verhungern. Sie wirtschafteten das von der Regierung zur Verfügung gestellte Geld in ihre eigenen Taschen. Hunger tut weh, Ma'am. Wenn Indianer ausbrachen, um ein paar Rinder zu stehlen, dann aus Not. Die Weißen nahmen das nicht hin. Sie holten Soldaten, die metzelten ganze Stämme nieder. Das ist ein Stück Geschichte, Ma'am, Indianergeschichte. Und ehe Sie alle Indianer verurteilen, dann sollten Sie einmal darüber nachdenken." Virginia Fargas Gesicht hatte etwas von der frischen Farbe verloren. Ihr Atem ging schwer, fast pfeifend. Der alte Charlie Jonas räusperte sich. Er hätte gern einen Priem ausgespuckt, aber vor der Frau traute er sich nicht. Schließlich nickte er zu Lobo hin. „Sieh ihn dir an, Virginia." „Weshalb? Er soll zum Teufel "gehen!" „Von dem komme ich gerade, Ma'am", sagte Lobo. „Sieh ihn dir doch an", wiederholte Charlie Jonas. Seine Stimme war etwas schärfer, ein wenig drängend. „Sie haben ihn in der Mangel gehabt. Er hat niemandem etwas getan. Aber sie sind auf ihn losgegangen, nur wegen seiner Hautfarbe. Das ist nicht recht, Virginia." Sie löste sich von dem Pferd, etwas unsicher, erschreckt. Ihr Haß und ihre Energie begannen leicht zu brökkeln. „Eigentlich", sagte sie, „wollte ich dich bitten, zu mir herüberzukommen, Charlie Jonas. Orbie hat ein paar Mavericks eingefangen. Er will sie bränden. Ich könnte dich auf dem Hof gebrauchen. Willst du?" Das Gesicht des Alten verklärte sich. „Du weißt doch, Virginia, Charlie Jonas ist immer da." Er nickte zu Lobo hin. „Er könnte Orbie beim Bränden helfen." „Ihn kann ich mir nicht leisten. Tut mir leid, Charlie Jonas." „Ich kann auf Bezahlung verzich11
ten, Ma'am." „Ja, können Sie das?" Sie blickte Lobo spöttisch an. „Nein, danke, Mister Halbblut." Sie schwang sich in den Sattel und ritt davon. Charlie Jonas blickte traurig auf Lobo. „So ist sie nun mal. Es sitzt zu tief in ihr, verstehst du das?" „Ich gebe mir gar keine Mühe, das zu verstehen, Charlie Jonas. Weshalb auch? Wenn du willst, kannst du mein Pferd nehmen."
Ein Tag verging und noch einer. Im späten Licht des zweiten Tages ritt Virginia Fargas an der Hütte vorbei. Sie führte Lobos Pferd am Zügel. „Charlie Jonas wird noch ein paar Tage bleiben. Er schickt Ihnen Ihr Pferd, falls Sie wegreiten wollen." „Ob er will, daß ich wegreite?" Lobo fragte das sehr steif und sehr formell. Virginia zuckte mit den Schultern. „Ich stecke nicht in seinem Kopf. Er hat die eigenartigsten Ideen. Zum Beispiel mit Ihnen." „Was gefällt Ihnen daran nicht, Ma'am?" „Alles!" Sie v e r g r u b sich in ein kurzes Schweigen, d a n n sagte sie u n vermittelt und völlig überraschend: „Ein klein wenig leid tut mir's schon, das von vorgestern. Charlie Jonas hat mir alles erzählt, jedenfalls das, was er wußte. Sie werden natürlich bleiben, nicht w a h r ? " Sie sah Lobo forschend an. „Männer müssen wohl so sein. Sie saugen sich voll Haß, und dann fallen sie übereinander her. Ist das der Sinn des Lebens? Ich bezweifle das." „Ich habe das alles nicht erfunden, Ma'am." „Dann reiten Sie. doch davon, a n statt sich immer weiter in Ihren H a ß zu steigern." Sie sahen beide den schmalen Pfad 12
hinunter, der sich bis zur Stadt hinzog. Sie sahen den Reiter, der sich gemächlich, aber stetig näherte, der vor Lobo anhielt und Virginia Fargas mit einem schrägen Blick streifte. „Es überrascht mich, dich in Gesellschaft eines Halbblutes zu sehen, Virginia", sagte der Mann. „Dich geht's nichts an. Whitham." Dieser Whitham w a r ein untersetzter Mann mit h a r t e m Kinn und stumpfsinnig blickenden Augen. „Nein", sagte er, „mich geht's nichts an, aber vielleicht Owen Longfield." Virginia wechselte die Farbe. „Nein", erwiderte sie schroff, „ihn auch nicht!" Whitham quälte sich ein Lächeln ab. „Das wird Owen aber gar nicht gern hören." Er ruckte, ohne sich weiter um Virginia zu kümmern, zu Lobo herum. „In der Stadt ist jemand, der dich sprechen möchte, Halbblut." „Ja? Dann schick ihn herauf. Wie war noch dein Name?" „Avery Whitham. Ich sagte, daß jemand in der Stadt ist, der dich sprechen möchte. Ich sagte nicht, daß dich jemand in der verlausten Hütte sprechen will. Zieh dir den Gürtel fest und komm mit." Whitham sah wieder zu Virginia hin. „Du reitest besser nach Hause. Wenn ich Owen sage, mit wem ich dich getroffen habe, wird er sehr wütend sein." Er sah sich wild um. „Wo ist denn der Alte? Na, was ist, Halbblut, kommst du jetzt mit, oder soll ich etwas nachhelfen?" „Nachhelfen", sagte Lobo. „Den Spaß laß ich mir nicht entgehen." Mit der Behendigkeit einer Wildkatze war Whitham aus dem Sattel. Ohne den Blick von Lobo zu nehmen, sagte er zu Virginia: „Er hat noch nicht genug. P a ß n u r fein auf. Du wirst deine Freude d r a n haben." Whitham zog den Kopf zwischen die Schultern. Er war ein paar Zoll kleiner als Lobo, aber breiter. Sein
mächtiger Kopf steckte voller Tricks und voller Boshaftigkeit. Er tänzelte herum. Für seinen Körperbau sehr leichtfüßig. Lobo hatte sich kaum bewegt, aber seine Muskeln waren gespannt. Es w a r gegen sein Prinzip, sich in Gegenwart einer F r a u zu schlagen. Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück. Im Grunde wollte er auch gar nicht. Virginia sah auf die beiden Männer, die dastanden und sich belauerten. Sie haßte Auseinandersetzungen dieser Art, und doch fieberte sie ihr entgegen. Sie hatte die Lippen fest aufeinandergepreßt. Ihre Augen brannten. Sie h a ß t e Indianer, aber ob sie Lobo noch haßte, da w a r sie sich nicht mehr so sicher. Diesen Avery Whitham haßte sie noch mehr. Sie w a r in Sorge, er könnte über das Halbblut triumphieren. Das erzeugte ein Angstgefühl in ihr, das sie selbst befremdete. Avery Whitham stieß seine starke Faust nach vorn. Lobo wich mit dem Oberkörper zurück. Seine Arme w a ren länger als Whithams. Er schoß einen Schlag ab. So schnell und überraschend, daß Whitham nicht mehr ausweichen konnte. Der untersetzte Mann schmeckte Blut auf den Lippen. Seine Augen glühten tückisch. Er schnellte vom Boden ab. Sein Kopf r a m m t e in Lobos Leib. Whitham versuchte, das Halbblut zu umklammern. Lobo setzte zwei, drei gezielte Schläge an. Whitham taumelte. Sein Blick war schon etwas glasig. Lobo langte noch einmal zu. Dieser Schlag riß Whitham von den Beinen. Er lag am Boden, kämpfte um Luft, von der er nicht genug bekam. Seine Hände verkrampften sich. Sie suchten den Revolver und sie fanden ihn. Lobo trug keine Waffe. Sein Gürtel hing in Charlie Jonas Hütte. Eine scharfe, unfrauliche Stimme d u r c h drang den sinkenden Tag.
„Wenn du ziehst, drücke ich ab. Whitham!" In Virginia Fargas' Faust blitzte eine Waffe. Avery Whithams Arm fiel schlaff herab. Er kam auf die Knie, d a n n sehr langsam auf die Beine. In seinen Augen w a r Haß, aber sein Mund blieb verschlossen. Es bereitete ihm viel Mühe, in den Sattel zu gelangen. Lobo blickte zu Virginia auf. „Das das hätten Sie getan?" „Ja", sagte sie knapp. Es lag etwas Bedrückendes zwischen ihnen, etwas, das nicht in Worte zu fassen war. Virginia wälzte es von sich herunter. „Zwischen mir und Owen Longfield gibt es nichts, gar nichts. Ich weiß nicht, ob es für Sie von Wichtigkeit ist, aber ich mußte es Ihnen sagen." Sie drückte ihr Pferd herum und galoppierte davon, ohne Lobo noch einen Blick zu schenken. Das Halbblut sah ihr lächelnd nach. Seine Gedanken machten einen Sprung. Er pfiff sie schnell wieder zurück. Diese F r a u war u n e r reichbar, unerreichbar für ein Halbblut. Seine Wünsche konnten nur Wünsche bleiben. Unerfüllte Wünsche. Die ersten Lichter der Stadt lockten. Lobo sattelte den Falben ab. Hinter dem Haus gab es einen kleinen, überdachten Verschlag. Es gab etwas Heu und etwas Hafer. Lobos Gedanken eilten hinter dem Mann her, der inzwischen die Stadt wieder erreicht hatte. Dreihundert Yards, dachte er, dazu benötigt man kein Pferd. Er spielte mit der Versuchung, und er unterlag.
Tucumcari empfing das Halbblut mit dem billigen Flitter einer abgehalfterten Hure. Darüber konnte auch das Treiben der aus dem Schlaf erwachten Menschen nicht hinwegtäuschen. Sie schoben sich auf den 13
Gehsteigen, sie drängten vor dem Horse and Cattle Saloon und gegenüber am Golden Call. Das gurrende Lachen der käuflichen Mädchen drang bis auf die Straße. Im Innern des Golden Call Saloons h ä m m e r t e jemand auf den Tasten eines Klaviers herum. Die Töne vermischten sich mit den Stimmen zu einem nicht zu entwirrenden Durcheinander. Lobo ließ sich mittreiben. Vor dem Bordell stemmte er die Füße fest auf den Boden. Fast gleichzeitig mit einem jungen Burschen stieß er die überall gleiche Pendeltür auf. Dieser halbe Knabe starrte Lobo unfreundlich an. Er hatte einen Schmutzfleck am Kinn, aus dem möglicherweise einmal ein Bart werden konnte. Er sollte seine Männlichkeit hervorheben. „Halbindianer lassen sie hier nicht rein." Er sagte es und kicherte. „Du bist doch ein Halbindianer. He, bist du vielleicht der, den sie vorgestern vor dem Horse and Cattle Saoon verdroschen haben?" Er betrachtete Lobo etwas intensiver. „Natürlich bist du das. Leugnen kannst du es jedenfalls nicht. Wer immer es auch getan hat, er hat jedenfalls ganz schön hingelangt." „Möchtest du auch mal, Kid?" „Sag nicht Kid zu mir! Was meinst du, hinlangen?" Lobo grinste mitten in das kindliche Gesicht. „Nein. Da hinein, meine ich." Der Junge warf sich in die Brust. „Na was denkst du denn? Die Puppen sind scharf auf mich, v e r d a m m t scharf. Jede, mit der ich's getrieben habe, will mich wieder haben. Ja, Halbblut, da staunst du, was?" „Mächtig, Kid. P a ß auf, daß du nicht irgendwo reinrutschst. Das könnte leicht möglich sein." Der Junge warf Lobo einen giftigen Blick zu, d a n n verschwand er in den Greifern einer dickbrüstigen Rothaarigen. Eine zierliche Blondine 14
lockte Lobo. Ihr Lächeln und ihre Augen konnten jedem Mann das Geld aus der Tasche ziehen. „Na, schwarzer Bär, wieviel bin ich dir wert? Du bist doch der schwarze Bär." Sie kicherte. Lobo nahm sie in den Arm. Er grinste sie breit an. „Wie wär's mit einem Drink? Dabei kannst du ja zeigen, was du für Qualitäten besitzt." „Mann, bist du stark." Sie schmiegte sich an ihn. Ihre smaragdgrünen Augen lockten. „Sind fünf Dollar ein guter Preis, schwarzer Bär?" „Das bist du immer wert. Aber für heute belassen wir es bei einem Drink, okay?" Sie zog ein Schmollmündchen. „Schade." Sie setzte sich auf einen Hocker. Ein Keeper schob ihnen eine Flasche über die Theke. Er streifte Lobo mit einem Blick müder Verachtung. Die Blondine sagte: „Manchmal ist es zum Kotzen, glaub mir das. Da kommen die nach Pferdemist stinkenden Böcke, reißen dir mit ihren bretterharten Pfoten das Fell auf, und dann feilschen sie noch um jeden Cent. Am liebsten w ü r d e ich sie anspucken. Kann ich noch einen trinken?" Sie griff nach der Flasche und füllte nach. Sie himmelte Lobo an. „Weißt du, schwarzer Bär, ich habe noch nie einen Burschen wie dich gehabt. Du m u ß t gut sein, was?" Lobo tätschelte ihr die Wange. „Wir werden es gelegentlich zusammen versuchen, ja?" „Morgen?" „Vielleicht morgen." Lobo streifte mit den Lippen die Wange der kleinen Blondine. Er zwinkerte ihr zu, d a n n drängte er zum Ausgang, genau auf den Mann zu, der ihn mit seiner ganzen Breite versperrte. „Versuch keine Tricks, Halbblut!" Lobo spürte den Druck eines Revolvers. Er sah in ein rüdes Gesicht, das er nicht kannte. Der Mann war ein
massiger Brocken, etwa wie Phil Larswood, nur kleiner. Er hatte kalte graue Augen. „Was willst du?" „Mit mir kannst du nicht so u m springen wie mit Avery Whitham. Wenn ich sage, du sollst mitkommen, dann kommst du mit. Ist das klar?" „Sehr klar. Und wohin soll ich kommen?" Er stieß Lobo nach vorn, dann über die Straße bis zum zweistöckigen Center Hotel, auf dessen Veranda Lefty Roberts stand. Der große, d ü n ne Mann trat einen Schritt auf Lobo zu. Der andere schob ihn zurück. „Laß ihn, Lefty. Du hast deinen Spaß gehabt, jetzt sind andere dran." Die Halle des Center Hotels w a r groß und viereckig. Auf dem Boden lagen Teppiche, nicht sehr dick, aber doch dick genug, daß sie jeden Schritt dämpften. Ein paar Sessel standen herum. Gegenüber des Einganges war die Rezeption. Ein Mann saß dahinter. Er hatte müde Augen und eingefallene Wangen. Lobo wurde nach oben dirigiert. Hier lagen keine Teppiche auf dem Boden. Die Schritte hallten hohl und schwer. Eine Tür wurde aufgestoßen. Ein Mann erschien, winkte Lobo herein. Er verschloß die Tür hinter dem Halbblut. Zu dem anderen sagte er: „Du kannst draußen warten, Turk." Auf dem glatten Gesicht des Mannes zeigte sich ein Lächeln. Lobo hatte diesen Mann schon einmal gesehen. Vorgestern. Auf der Veranda des Horse and Cattle Saloons. „Ich bin Owen Longfield", sagte er mit glatter, freundlicher Stimme. „Ich hatte bereits nach Ihnen geschickt." „Ich hasse Laufjungen, Longfield." Lobo betrachtete den Mann näher. Nicht sonderlich intensiv, aber doch so, daß er ihn einstufen konnte. Was er sah, sollte ihn eigentlich b e r u h i gen, aber es tat es nicht. Longfield w a r etwa Mitte Dreißig, vielleicht
auch etwas älter. Er w a r kaum mehr als mittelgroß, schlank, ohne dürr zu sein. Er h a t t e braune, leicht gewellte Haare. Sein Gesicht w a r dunkel und schmal. Die grünen Augen waren scharf. Er trug zwei Revolver. Zwischen seinen schmalen Schießerhänden drehte er eine kurze, geflochtene Peitsche aus Rinderhaut. Owen Longfield ließ ein kurzes, trockenes Lachen hören. „Sie sind ganz schön aufsässig, mein Freund. Wissen Sie, eigentlich wollte ich nur mal den Mann aus der Nähe sehen, der es fertiggebracht hat, abgebrühten Burschen wie Larswood und Roberts mit ein paar Worten die Lust am Schießen zu nehmen. Naja, und was sich dann abspielte", er zuckte mit den Schultern, „es tut mir leid, Halbblut." „Jedenfalls haben Sie Ihren Spaß dran gehabt, Longfield." Owen Longfield w e h r t e ab. „Das w a r mir zu rauh. Es gibt andere Dinge, die mir Spaß machen. Was vorgestern geschah, ganz bestimmt nicht." „Weshalb haben Sie d a n n zugelassen, daß mich Ihre Strolche zusammengeschlagen haben?" Die freundlichen Linien in Owen Longfields Gesicht wandelten sich in harte Falten. „Sie kommen sich wohl sehr schlau und findig vor, was?" Er stieß den Kopf etwas nach vorn. Sein Blick traf Lobo. Er w a r hart und grausam. „Ich sagte, daß es mir leid tut. Was verlangen Sie noch?" „Nichts, Longfield, denn Sie schulden mir nichts, noch nichts." „Sie sind kein Gentleman, Halbblut. Ich habe Sie hierher gebeten, um mein Bedauern zum Ausdruck zu bringen, und Sie beschimpfen mich." Longfield schüttelte betrübt den Kopf. „Sie sind wahrscheinlich kein Gentleman," „Sollte ich denn einer sein?" „Sie sollten es wenigstens versuchen." Lobo grinste Longfield breit an. 15
„Es gibt eine Menge Arten von Schuften. Ich kenne sie alle. Ich w ü r de gern wissen, zu welcher Art Sie gehören, Sie Gentleman." „Ach ja?" Longfield zog die Peitsche durch die Finger. Lobo sah d a r auf. „Vielleicht schaffen Sie es, Longfield. Versuchen Sie es, oder lassen Sie es bleiben. Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Daran wird auch der kurzbeinige Tölpel mit dem aufgeblasenen Gesicht und den hohlen Augen, den Sie draußen postiert haben, nichts ändern. Na, was ist?" Lobo kriegte unter Longfields Blick eine leichte Gänsehaut. Eine gewisse Anerkennung konnte er ihm jedoch nicht versagen. Dieser Mann hatte sich und seine Gefühle in der Gewalt. Und Lobo mochte ihn nicht. Er hatte das Gefühl schon gehabt, noch ehe er das erste Wort mit ihm gesprochen hatte. Es entsprang der Eifersucht. Virginia Fargas. Er bedeutete ihr nichts, hatte sie gesagt, aber, bedeutete er ihr wirklich nichts? Lobo wollte noch mehr Boshaftigkeiten ausspucken. Er wollte, aber er tat es nicht, weil Owen Longfield etwas sagte, das seinen Ursprung ebenfalls in der Eifersucht hatte. „Ich hörte, daß Sie um Virginia Fargas herumschleichen." Er zog die Brauen hoch. Sein Gesicht hatte einen angespannten Ausdruck. „Das ändert zwangsläufig meine Gefühle für Sie. Nehmen Sie einen Rat mit, Halbblut: Kommt mir noch einmal ähnliches zu Ohren, wird das Konsequenzen für Sie haben. Ich hoffe, Sie haben mich richtig verstanden. Und jetzt möchte ich, d a ß Sie gehen." Er drehte sich h e r u m und zeigte Lobo den Rücken. „Sagen Sie es doch deutlich, Longfield." „Es war deutlich genug. Gehen Sie, oder wollen Sie, d a ß Sie hinausgetragen werden? Ich meine, mit den Stiefeln zuerst?" 16
„Einer von uns beiden", sagte Lobo in einer Art, die sogar Owen Longfield aufhorchen ließ, „wird hier zerbrechen. Nicht an Virginia Fargas. Sie wird ihre Gefühle nicht an ein Halbblut verschwenden. Aber ich habe das Gefühl, daß einer von uns beiden auf der Strecke bleibt, und ich denke, daß Sie das sind, Longfield."
Lobo stand auf der Straße. Er dachte an das blonde Mädchen im Golden Call Saloon. Er schickte ein Lächeln hinüber. Für diesen Abend nicht mehr. Charlie Jonas Blowers Haus w i r k te so tot wie ein verlassenes Museum für Schrumpfköpfe. Es war still. Zu still. Sogar die Luft w a r hier still. Lobo hatte bereits die Hand auf dem Türgriff. Der Griff fühlte sich w a r m an. Die Tür war nur angelehnt. Lobo wußte genau, daß er sie zugezogen h a t t e . Und jetzt war sie das nicht mehr. Er trat einen Schritt zur Seite. Das Fenster w a r neben ihm. Aber es gab nicht mehr her als den spiegelnden Reflex eines halben Mondes. Lobos angespannte Sinne hatten jenen P u n k t erreicht, an dem sie zu schmerzen begannen. Einen Punkt, bei dem man allzu leicht in Nervosität abrutschen konnte. Er ließ sich auf die Knie. Seine Finger erfaßten das Holz der Tür an der Unterkante. Er riß sie mit einem Ruck auf. Der sanfte Lufthauch wurde von einem Zischen übertönt. Es gab ein Geräusch, als hätte sich ein h a r t e r Gegenstand in die Türfüllung gegraben. Lobo tat, was ihm die Situation aufzwang. Aus seinem Army Colt r a sten zwei Flammenblitze und beleuchteten für Sekundenbruchteile einen riesigen Schatten, der zu taumeln begann. Er wuchs zu einem
Phantom. Und dann hörte Lobo einen schweren, dumpfen Fall. Lobo zündete eine Lampe an. Das unregelmäßig flackernde Licht beleuchtete ein braunes, verwüstetes Gesicht, das von Pockennarben zerfressen war. Es traf ein P a a r schwarze, leere Augen. Lobo nahm den Blick von dem Mann, den er nie zuvor gesehen hatte. Er wandte sich zur Tür um. Ein langes, spitzes Messer hatte das Holz in ganzer Tiefe durchbohrt. In Brusthöhe eines aufrecht stehenden Mannes. Und immer noch diese Stille. Die Schüsse hätten jedes noch so gute Pferd beunruhigt. Es hätte vielleicht nicht gewiehert, aber es h ä t t e mit den Hufen gescharrt, hätte vielleicht ausgeschlagen. Irgendwas. Lobo lief aus dem Haus, zu dem offenen Schuppen. Er erstarrte. Bleich vor Entsetzen. Der Falbe lag auf der Seite. Seine Beine sahen aus wie unförmige Keulen. Der halbe Mond blickte in u n wirklich weit aufgerissene Augen, kalte Augen, tote Augen. Lobo spürte, wie seine Augen feucht wurden, wie die Bitterkeit in ihm nagte und die Trauer um einen guten Freund ihn weich machte. Er blieb die ganze Nacht. Er spürte nicht die feuchten Nebel, die vom Nugget Creek heraufzogen, nicht die e m p findliche Kühle der frühen Herbstnacht. In ihm w a r alles tot, gestorben, wie der Mann in der Hütte, wie der Falbe neben ihm. Die Sonne kroch hinter den Llanos hoch. Glutrot, so, als wolle sie die Erde verbrennen. Ihre wärmenden Strahlen belebten das Halbblut. Er sah auf den Falben und dachte: Ich werde ihn begraben müssen. Er ging um die Hütte herum. Die Tür stand noch offen. Der Tote, ein Mexikaner, lag noch am gleichen Platz. Lobo stieß die Tür noch weiter auf. Er öffnete das Fenster, damit der Geruch von Schäbigkeit und Gemein-
heit abziehen konnte. Er fühlte sich elend, müde und alt, so alt wie Charlie Jonas, noch hundert J a h r e älter. Der weiche Grasboden verschluckte das Klopfen von Pferdehufen fast völlig. Der Reiter war kaum m e h r als zwanzig Schritt von Lobo entfernt, als er erst aufblickte. Es w a r Virginia Fargas. Sie trug keinen Hut. Das lange b r a u n e Haar hing ihr lose auf den Schultern. Sie hob grüßend die Hand, hielt an, war im Begriff, abzusteigen, als Lobo sagte: „Lieber nicht, Ma'am." Über Virginias glatte Stirn zogen ein p a a r Falten. „Wollen Sie mich daran hindern?" „Nicht, wenn Sie den Anblick eines toten Mexikaners und eines toten Pferdes ertragen können." „Was sagen Sie?" Virginia sprang vom Pferd. Lobo erfaßte ihren Arm. Er zog sie mit sich fort. Sie ließ es widerspruchslos geschehen. Virginia wich entsetzt zurück. „Nein, nein, das k a n n kein Mensch getan haben! Das doch nicht!" Lobo zeigte auf den Toten. „Kennen Sie ihn, Ma'am?" Virginia barg das Gesicht hinter den Händen. „Machako", murmelte sie. „Machako, er arbeitet für Owen Longfield." Lobo führte Virginia vom Platz des Grauens fort. Er setzte sich in das Gras. Sie zögerte einen Augenblick, dann setzte sie sich neben ihn. Sie verbarg ihren Blick, ihre Stimme war ohne jede Festigkeit, sie war leer und klanglos. „Was werden Sie jetzt tun, Lobo?" Sie hatte seinen Namen genannt. Wahrscheinlich unbewußt. Es machte ihn innerlich froh. „Owen Longfield", sagte er, „schuldet mir ein Pferd und", er zögerte etwas, „und ein paar Revolverkugeln." Virginia sprang blitzschnell auf die Beine. „Nein, nein, das werden Sie nicht tun. Das nicht, Lobo!" In ihren dunklen Augen war wieder das wi17
derspenstige Feuer. Lobo erhob sich ebenfalls. „Das Gesetz der Ehre verlangt das, Ma'am." „Es ist das Gesetz von ein paar Narren. Ich habe genug Pferde. Sie können eines haben." Sie ging zu ihrem eigenen Pferd. Lobo schüttelte den Kopf. „Nicht jetzt, Ma'am. Der Falbe war mir zu lieb, als daß ich ihn den Geiern ü b e r lasse." „Und den da drin?" „Er bedeutet mir nichts." Virginia senkte den Kopf. „Ich glaube, ich k a n n das verstehen. Ich m u ß zur Stadt hinunter. Der Leichenbestatter kennt Charlie Jonas' Hütte. Wenn ich zurück bin, werden Sie dann mit mir reiten?" Lobo sah sie zum ersten Male lächeln. Sie behielt dieses Lächeln lange genug, um ihn zu verwirren. „Ich hatte schon befürchtet, Ihre Lippen hätten das Lächeln verlernt, Ma'am. Sie sind schön, wenn Sie lächeln." Virginia erwiderte nichts. Nur ihre Wangen färbten sich etwas dunkler. Sie ritt den Hang hinab. Zwischen der Stadt und der Hütte hielt sie an. Sie drehte sich im Sattel herum, winkte und ritt weiter. Lobo sah ihr nach, bis er sie n u r noch ahnen k o n n te.
Im Schuppen fand Lobo Hacke und Schaufel. An, der Wand hingen das obligatorische Sieb und die Pfanne der Goldgräber. Das Halbblut besah sich die Ausrüstung. Er stieß einen leisen Überraschungspfiff aus. Keines der Teile w a r verrottet. Sie alle w a r e n intakt. Lobo nahm das Sieb von der Wand. Mit dem Messer kratzte er zwischen Siebwand und Boden. Aus einer Ecke löste sich ein Körnchen, etwas größer als ein Weizenkorn. Es w a r glanzlos und m a t t und sehr weich. P u r e s Gold. 18
Lobo hängte Sieb und Pfanne an die Wand zurück. Das kleine Goldkorn legte er lose auf den Siebrand. Irgendwo, dachte er, buddelt Charlie Jonas nach Gold, und nicht ohne Erfolg. Er vergaß für eine Weile das Gold und den alten Mann. An der Rückseite der Hütte, zum Nugget Creek hin, war der Boden weich. Die Erde ließ sich leicht ausheben. Nach einer knappen Stunde h a r t e r Arbeit warf Lobo die Schaufel beiseite. Er wischte den Schweiß aus dem Gesicht. Am Brunnen hinter dem Hause erfrischte er sich. Von der Stadt herauf kamen zwei Reiter. In dem einen e r k a n n t e er Virginia. Er kniff die Augen zusammen. Ein früher Sonnenstrahl traf die Brust des zweiten Reiters. Dort glitzerte es. Lobo erwartete beide etwas abseits der Hütte. Virginia trat auf ihn zu. „Ich habe den Marshal mitgebracht. Es ist vielleicht besser, wenn Sie ihn unterrichten, was passiert ist." Dean Garson stand hinter Virginia. Er sah nicht sehr frisch aus. Sein Gesicht w a r leer wie ein umgestülpter Eimer. Er bewegte sich etwas ratlos. „Ja", sagte er nach einer Weile. „Virginia hat es mir schon gesagt. Eine üble Sache. Wie heißen Sie eigentlich?" „Lobo." „Nur Lobo, sonst nichts?" „Sie könnten nichts damit anfangen, Marshal." „Nein, bestimmt nicht." Er ging auf die Hütte zu, warf einen Blick auf den Toten und kehrte schnell wieder um. Er blickte jetzt noch trübsinniger. Ein leichter Ekel würgte ihn. „Der Leichenbestatter wird bald hier sein. Sie kommen doch mit zur Stadt, Lobo, nicht w a h r ? " „Weshalb, Marshal?" „Es hat schließlich einen Toten gegeben." Dean Garson sah das Halb-
blut an. In seinen blauen Augen w a r eine tiefe Traurigkeit. Es war keine Trauer um den toten Machako. Es war die Trauer um sein eigenes, verlorenes Leben. Und die Furcht, daß auch er eines Tages so liegen könnte wie der Mexikaner. Seine Stimme w a r weder hart noch forschend, sie w a r fast duldsam. „Natürlich k a n n ich Sie nicht zwingen. Sagen Sie, wie es sich zugetragen hat. Ich m u ß es aufs Papier bringen. Der Ordnung halber, verstehen Sie?" „Ja, natürlich. Vorher möchte ich Sie bitten, mir bei einer notwendigen, aber sehr traurigen Arbeit zu helfen, Marshal." Virginias und Garsons Pferd schleiften den toten Falben in die ausgehobene Grube. Danach ließen sie Lobo allein. Die Sonne stand schon hoch, als das Halbblut zu den beiden zurückkehrte. Der Leichenbestatter hatte den toten Machako abgeholt. In Charlie J o nas' Hütte lag ein süßlicher Geruch, der Übelkeit erregte. Der alte Charlie Jonas tauchte auf einem Klepper auf, der fast so alt war wie er selbst. Der Alte rutschte ächzend vom Pferderücken. Er rieb sich sein knochiges Hinterteil. „Noch so ein Ritt, und ich habe Magengeschwüre. Zum Teufel auch!" Er hüpfte unruhig von einem Bein auf das andere. Schließlich fuhr er Marshal Garson wütend an. „Du hockst wie eine schlafende Katze in deinem Office, während Longfields Meuchelmörder herumschleichen und versuchen, brave Leute abzuschlachten. Herrje, ich dachte, mich trifft der Schlag, als ich davon hörte." Er klappte das zahnlose schwarze Loch zu. Virginia sagte: „Wenn Sie wollen, können wir jetzt reiten, Lobo." „Ich denke, ihr werdet noch etwas w a r t e n müssen." Charlie Jonas kicherte. Es hörte sich an, als w ü r d e mit einem Messer über Blech ge-
schabt. „Das habe ich mir gedacht", sprach Marshal Garson vor sich hin. „Männer wie Longfield lassen nie lange auf sich warten." Sie ritten den Hang herauf. Lefty Roberts, Avery Whitham und an der Spitze Owen Longfield. Sie bildeten einen halben Kreis um die kleine Gruppe. In Owen Longfields grünen Augen w a r ein h a r t e r Glanz. Er gab sich keine Mühe, seinen Zorn zu verbergen. Ein Zorn, der sich allein gegen Virginia richtete. „Ich h a t t e gehofft, dich hier nicht zu treffen", sagte er. „Du reitest jetzt besser auf deine Ranch. Ich sehe dich später." Lobo sah die Veränderung in Virginias Zügen. Er sah, wie das Gesicht hart wurde. Ihre Mundwinkel zogen sich herab. Ihre Worte waren ein boshaftes Zischen. „Wohin ich reite und wohin nicht, das bestimme ich allein. Finde dich endlich damit ab. Owen Longfield." „Wir werden sehen." Longfield zeigte Virginia den Rücken. Vom Rücken seines Pferdes blickte er auf Marsha Garson. „Das Halbblut trägt ja immer noch eine Waffe. Weshalb liegt er noch nicht in Fesseln, Garson?" Lobo hatte nur einen Blick für Lefty Roberts. Er sah, wie der große, dünne Mann unruhig wurde, wie seine rechte Hand immer wieder am Oberschenkel hin und her rutschte. Sie fand nirgends Ruhe. Lefty Roberts spitzes Gesicht w a r noch spitzer, seine schwarzen Augen noch schwärzer. „Es w a r Notwehr", hörte Lobo den Marshal sagen.. „So, Notwehr", höhnte Owen Longfield. „Hat er Ihnen das gesagt, Garson? Hören Sie zu, Mann, wenn das Halbblut bis heute nach Sonnenuntergang nicht im Loch sitzt, nehme ich mit meinen Leuten das Gesetz selbst in die Hand." Owen Longfield 19
stellte sich in die Steigbügel. Er ließ sich in den Sattel zurückfallen. Das w a r etwas Ungewöhnliches, jedoch nichts Besonderes. Mit dem Rückfall in den Sattel stieß die dem Halbblut abgekehrte Hand herab. Einen w i n zigen Augenblick zu spät. „Diese Tricks", sagte Lobo, „habe ich früher schon mit mehr Erfolg versucht, Longfield. Wenn Sie die Hand auch nur um einen Zoll b e w e gen, schieße ich Sie aus dem Sattel. Das gilt auch für dich, Whitham." Der alte Charlie Jonas lachte wie ein krankes Huhn. Marshal Garson stand nur da und schwitzte. Er fühlte sich als das w a h r e Opfer. Er w a r in das Mahlwerk der Gegensätzlichkeit geraten. Ganz allmählich begann er das Halbblut zu hassen. Longfield h a t t e ihm das Leben sauer gemacht, aber er hatte ihn doch einigermaßen in Ruhe gelassen. Und nun kam dieses Halbblut und stellte alles auf den Kopf. Er erschoß einen von Longfields Leuten, jonglierte mit dem Revolver und tat so, als hätte er hier das Sagen. Marshal Garson raffte die Reste eines längst gestorbenen Mutes zusammen. „Sie kommen mit!" fuhr er Lobo schroff an. „Wenn Sie sich weigern, sind Sie allein für die Konsequenzen verantwortlich." Lobo sah das Grinsen auf Longfields schmalem Gesicht. Er sah das Glitzern in Roberts' nachtschwarzen Augen, und er bemerkte Avery Whit h a m s verdächtige Handbewegung. Was er nicht bemerkte, war, d a ß der alte Charlie Jonas verschwunden war. Daß er plötzlich wieder auftauchte und eine langläufige Schrotflinte in seinen dünnen A r men hielt. „So ist das recht, so ist das schon recht. Longfield! Und Ihr anderen Schurken, ihr befindet euch auf meinem Land! Fort mit euch!" Er 20
schwenkte den Lauf der Schrotflinte herum. Einmal auf Longfield, einmal auf Roberts und einmal auf Whitham. „Das gilt auch für dich, G a r son. Du kannst wiederkommen. Aber erst dann, wenn du dir selbst den Nebel aus deinem hohlen Kopf geblasen hast." Der Alte kicherte. „Sammle mal die Waffen ein, Lobo." „Sie werden reiten", sagte das Halbblut. „Dein Alter schützt dich nicht, Blower." Owen Longfield gab seinen beiden Begleitern ein Zeichen. Sie ritten zur Stadt hinunter. Marshal Garson führte einen schweren innerlichen Kampf. Er w a r nicht bereit, sich diesem Halbblut zu opfern. Vielleicht gestern noch, heute nicht mehr. Er versuchte, seinem Blick eine gewisse Strenge zu geben, sich selbst eine Autorität zu verleihen, die er längst nicht mehr hatte. „Schnallen Sie ab und kommen Sie mit, Lobo!" . „Nun mach aber, daß du fortkommst, Garson. Führe mich nicht in Versuchung, Mann, tue es nicht. Wenn ich abdrücke, hat der Doc eine Woche lang zu tun, dir die Schrotkörner aus dem Arsch zu zupfen." Charlie Jonas' helle, lebendige Augen blickten Virginia an. „Tut mir leid. Ist mir so rausgeschlüpft. Lobo, wenn du dem N a r r e n von einem Marshal folgst, kriegst du die zweite Ladung." „Keine Angst, Charlie Jonas." Lobo wandte sich an den Marshal. Garson stand ein wenig hilflos und ein wenig dumm herum. „Ein Mann m u ß immer wissen, wo er steht, Marshal. Wenn er sich zwischen zwei Linien bewegt, wird er von der einen erschlagen. Das ist eine Regel, der auch Sie sich nicht entziehen können. Und jetzt ist es wirklich besser, wenn Sie gehen." Marshal Garson rückte ab. Virginias Stimme schmetterte den alten Charlie Jonas zu Boden. „Das w a r so ziemlich das Dümmste, was du tun
konntest, Charlie Jonas. Was glaubst du denn, was sie noch von dir übrig lassen? Und Sie?" führ sie Lobo w ü tend an, „welche Chance haben Sie denn?" Der alte Charlie Jonas lutschte an einem Priem. „Was sollte ich denn machen? Vielleicht zusehen, wie sie das Halbblut zerpflücken?" Der Blick des alten Mannes war ein bißchen zerbrechlich. Lobo sagte, an Virginia gewandt: „Jetzt könnte ich ein Pferd gebrauchen, Ma'am. Wenn Sie mir eines verkaufen könnten?" „Verkaufen?" „Ja, verkaufen. Eines Tages wird mir Owen Longfield den Kaufpreis erstatten."
Lobo gab dem Alten einen kleinen Wink. „Ehe du auf den Schinder kletterst und dir dein bißchen Verstand aus dem Kopf schütteln läßt, möchte ich dir was zeigen, Charlie Jonas." „Da bin ich aber neugierig." Er schlurfte hinter dem Halbblut her. Lobo n a h m das kleine Körnchen vom Siebrand. „Das reicht für eine ganze Flasche Whisky, Charlie Jonas." Der Alte w u r d e ganz giftig. „Hast wohl herumgeschnüffelt, was? Ha, ich sollte dich doch Longfield ausliefern." „Wer weiß davon, Charlie Jonas?" „Niemand. Das heißt, jetzt weißt du es." Er drehte das Goldkorn zwischen seinen gichtigen Fingern, d a n n ließ er es verschwinden. „Ich glaube", sagte er nach einer Weile, „ich m u ß mir eine andere Geschichte a u s denken. Du könntest eigentlich das Pferd zurückbringen. Es gehört dem alten Orbie Cortland. Du weißt schon, dem, der bei Virginia arbeitet. F ü r mich ist es wirklich besser, ich bleibe hier." „Und Longfield?" „Der kommt so schnell nicht wieder. Vorerst hat er mit Virginia zu
tun. Sie hat ihn ziemlich abfahren lassen. Und weißt du, was sich dieser Oberschurke immer eingebildet hat?" Er lachte still in sich hinein. „Er hat geglaubt, Virginia w ü r d e ihn eines Tages heiraten. Wirklich, das hat er geglaubt." „Er glaubt es immer noch", erwiderte Lobo. „Komm besser mit, Charlie Jonas." „Hau doch ab und laß mich in Ruhe." „Charlie Jonas will nicht zurück", sagte Lobo zu der Frau. „Ich glaube, im Kopf des Alten spukt irgendwas herum. Ich bringe das Pferd zurück." „Schon gut. Kommen Sie jetzt?" Der Llano Estacado w a r nicht weit genug entfernt. Der heiße Atem der Wüste blies über das wellige Grasland. Virginia sah besorgt zum Himmel. „Es wird ein Unwetter geben. Das ist nicht gut um diese J a h r e s zeit." Sie zeigte auf einen nördlich gelegenen Hügelkamm. „Da drüben ist Owen Longfields Ranchhaus." „Er hat eine Ranch?" „Eigentlich gehört sie Jack Dalhard. Longfield hat sich nur dort eingenistet." Sie ritten weiter. Das Land war nicht besonders gut. Die Zeit, in der es vom Treibsand der Llanos zugedeckt sein würde, w a r nicht mehr fern. Sie ritten in eine Senke, die sich nach hinten verengte. Zwei kahle, etwa sechzig Yards hohe Felsen riegelten die Senke gegen das Weideland ab. Der Durchbruch w a r n u r so groß, daß gerade zwei Reiter nebeneinander hindurchreiten konnten. Dahinter öffnete sich das Land. Eine weite Ebene zog sich nach Nordwesten, bis zur Sangre de Cristo Range hin. Ein paar hundert Rinder verliefen sich. Im Schutze von riesigen Cottonwoods, halb verborgen von ein paar Eichen, stand ein eher bescheidenes Haus. Virginia hielt an und zeigte hinüber. „Die Fargas Ranch. Land für 21
dreißigtausend Rinder. Ganze sechsh u n d e r t warten auf den Auftrieb. Eine erbärmliche Ausbeute." Sie zuckte mit den Schultern. „Manchmal weiß ich nicht, wie es weitergehen soll. Oft reicht das Geld nicht, um den alten Orbie zu bezahlen." „Owen Longfield weiß das, Ma'am?" Sie blickte überrascht auf. „Ja, n a türlich. Das wissen so ziemlich alle Leute." „Und der alte Charlie Jonas?" Sie lachte ein bißchen verlegen. „Was erwarten Sie denn von ihm?" „Oh, eine ganze Menge." Sie winkte ab. „Das ist doch alles Unsinn. Ich weiß nicht, aus welcher Quelle Sie Ihre Informationen schöpfen, aber glauben Sie mir, Lobo, es ist wirklich alles Unsinn." „Mister Charlie Jonas Blower", sagte Lobo, „ist ein alter, gerissener Hund. Ich habe hier ein paar Dinge in Ordnung zu bringen. Ich hoffe, es gelingt mir. Danach werde ich dem Alten ein wenig die Haut kitzeln." Er sah Virginia voll an. „Sie lieben dieses Land, nicht w a h r ? Sie w ü r d e n d a r u m kämpfen." „Ich liebe es, und ich würde alles tun, um es zu behalten. Wissen Sie, m a n schwebt immer zwischen Hoffen und Bangen. Ich meine, wer die Hoffnung aufgibt, der gibt sich selbst auf." Sie lachte, und das Lachen klang irgendwie befreit. Von dem Platz aus konnten sie den Pferdekorral nicht sehen. Und auch nicht den Mann, der auf der Verandatreppe saß und ihnen aus b r e n nenden Augen entgegenblickte. Sie ritten zum Haus hinunter. Der alte Orbie Cortland löste sich aus dem Schatten. Er schleppte gute sechzig J a h r e mit sich herum. Sein Gesicht sah aus wie eine gegerbte Rinderhaut. Er w a r knapp mittelgroß und genau so hager und klapprig wie Charlie Jonas. Alles an ihm w a r schon ein bißchen zittrig. Er 22
streifte Lobo mit einem knappen Blick, nickte Virginia zu und sagte: „Er ist hier, er wartet auf dich, Virginia. Nervös ist er auch und ziemlich ruppig." Der alte Orbie trat in den Schatten zurück. Owen Longfield kam ihnen ein paar Schritte entgegen. Er war gereizt und giftig wie eine Sandviper. „Ich dachte mir, daß du das Halbblut hierher schleppst." Er wandte den Kopf und begegnete Lobos starrem Blick. „Das ist kein Platz für Sie. Verschwinden Sie!" Virginia war abgestiegen. Sie stellte sich zwischen Longfield und das Halbblut. Sie gab sich alle Mühe, ihren Zorn zu unterdrücken. „Das ist mein Land, Owen Longfield, und es ist freies Land. Was gibt dir das Recht, so zu reden?" Ein Hauch von Spott veränderte Longfields dunkles Gesicht. Es hatte viel von seiner glatten Freundlichkeit verloren. Er schob Virginia beiseite. „Darüber reden wir später. Und nun zu Ihnen, Halbindianer: Ich hatte Sie gestern bereits gewarnt, und ich hoffte, Sie würden klug genug sein, diese Warnung ernst zu nehmen. Sie haben das nicht getan. Die Folgen haben Sie zu tragen." „Ihre beiden Revolver beeindrukken mich nicht, Longfield. Sie mögen schneller sein als ich. Möglich. Aber ich werde immer noch schnell genug sein, Sie mitzunehmen. Sie müssen mehr aufbieten als einen heruntergekommenen Mexikaner. Mehr als Roberts und Larswood und noch ein paar andere. Sie hatten mich gewarnt, gut, vielleicht hätte ich das akzeptiert. Aber gleichzeitig haben Sie einen Killer auf mich losgelassen. Einen hundsgemeinen Kerl, der sein Handwerk erst an einem wehrlosen Tier ausprobierte. Wissen Sie was, Longfield, Sie ekeln mich an. Sie sind ein großkotziger Schurke. Sie sind nicht mehr als eine Handvoll Pferdescheiße."
Lobo hatte diese Herausforderung hinausgeschleudert. Sie mußte zwangsläufig eine Auseinandersetzung mit dem Revolver zur Folge haben. Das Halbblut w a r bereit. Alles um ihn herum w a r wesenlos, verwischt, einfach nicht mehr v o r h a n den. Er war voller Konzentration. In diesem Augenblick bestand die Welt n u r noch aus ihm und Owen Longfield. Longfields Empfindungen u n t e r schieden sich in nichts von denen des Halbblutes. Die Zeit zwischen den beiden Männern schien stillzustehen. Sie standen n u r da. Fünf Schritte voneinander entfernt. Jeder w a r t e t e auf die Reaktion des anderen. Es w a r der bislang kritischste Augenblick zwischen diesen beiden Männern. Owen Longfields Atem k a m gepreßt über seine knapp geöffneten Lippen. „Nein", stieß er hervor. Er hatte seine Stimme n u r schlecht u n t e r Kontrolle. „Nein, Halbblut. Das w ä r e zu einfach. Dafür wirst du hängen." Er ruckte zu Virginia herum. „Du hast einen steinigen Weg vor dir. Steinig und steil. Du wirst es nicht schaffen." Die Frau stand hochaufgerichtet vor Longfield. Sie war gleichgroß wie der Mann. Ihr Blick war klar und wach, kalt und voller Abscheu. „Du bist n u r so gut, wie die anderen es zulassen. Das Halbblut hat dir deine Grenzen aufgezeigt. Dich umgibt ein fauler Geruch, Owen Longfield. Alles an dir ist faul. Und nun geh!" Longfield glotzte Virginia mit Eulenaugen an. Seine Lippen öffneten sich. Er wollte etwas sagen, doch H a ß u n d Zorn schnürten ihm die Kehle zu. Er ritt aus dem Hof. Das hügelige Grasland schluckte ihn, und es gab ihn nicht mehr frei. Virginia wischte mit einer müden Bewegung ihrer Hand durch die Luft. Der alte Orbie kam unsicher auf sie zu. Sein Blick war geprägt
von Traurigkeit. „Owen Longfield", sagte er, „gehört zu der Sorte von Männern, von denen man sich besser fernhält. Du hast ihn mit Hoffnung genährt, Virginia. Ich hatte dich gewarnt. Du hättest besser auf mich hören sollen." Sein Blick kroch zu Lobo. „Und du, Halbblut, hinterleg schon mal das Geld für deine Beerdigung bei dem Leichenbestatter." Der Alte zog eine Flasche aus der Tasche und brachte sich selbst ein Trunkopfer. Die Falte vom Nasenflügel zum Mundwinkel in Virginias Gesicht war tiefer geworden. Ihre erzwungene Selbstsicherheit w a r nichts mehr wert. „Es tut mir leid", sagte Lobo, „aber ich konnte nicht anders. Wenn Sie mir jetzt die Pferde zeigen könnten, Ma'am?" Orbie Cortland schob sich zwischen Lobo und Virginia. „Ein Pferd zwischen die Schenkel und dann a b hauen, was? Wenn du so mutig bist, weshalb hast du d a n n nicht gegen Longfield gezogen?" „Klapp den Mund zu, Alter", erwiderte Lobo barsch. Virginia winkte ihm, ihr zu folgen. Auch Orbie Cortland humpelte hinter ihnen her. Beim Anblick der Pferde machte Lobos Herz einen Hüpfer. Er vergaß für ein paar Minuten Owen Longfield, die Gefahren, den Tod, der überall auf ihn lauerte. Sein Blick ging immer wieder zu einem Rappen hinüber, der etwas abseits stand und feindselig und wild blickend mit den Hufen den Boden aufriß. „Sie können wählen, Lobo." Virginias Stimme riß ihn aus seinen T r ä u mereien. „Heute können Sie noch wählen", wiederholte sie. „Übermorgen, vielleicht auch schon morgen, kommt ein Aufkäufer von der Armee. Fünfundzwanzig von ihnen gehen weg. Ein paar behalte ich noch zur Zucht, hoffentlich", fügte sie ein wenig t r a u r i g hinzu. 23
Lobos Augen glänzten so wie die des Rappen. „Auch den da drüben, Ma'am?" „Sie haben einen guten Blick", sagte Virginia lächelnd. „Wenn Sie mögen, auch den Rappen." Hinter Lobo kicherte der alte Orbie. „Ausgerechnet den. Wetten, daß du keine fünf Sekunden bei ihm im Sattel sitzt?" Lobo sah den Alten herausfordernd an. „Die Wette gilt. Was setzt du, Orbie?" „Hm", Orbie Cortland schabte seine trockenen Wangen. „Wie wär's mit einer Flasche Whisky?" „Angenommen. Hat er schon einmal einen Sattel getragen?" Virginia nickte. „Schon, aber er mag keinen." „Na, dann versuchen wir es mal." Orbie brachte ein Lasso, Lobo ließ es ein paarmal durch die Hände gleiten. Dann überstieg er den Korralzaun. Die Pferde drängten zurück. Der Rappe, ein wilder Einzelgänger, löste sich aus der Gruppe. Lobo schwang das Lasso. Es sang durch die Luft. Die Wurfschlinge stand einen winzigen Augenblick über dem Kopf des Rappen still, dann senkte sie sich. Das Halbblut zog kräftig zu. Das Tier, in seiner Freiheit geengt, steilte auf. Es schüttelte wild den Kopf. Lobo gab nicht nach. Schritt um Schritt n ä h e r t e er sich dem Pferd. Vor dessen Maul standen Schaumflecken, so, als hätte es einen Zwanzig-MeilenRitt hinter sich. Das Halbblut rückte immer näher heran, so weit, daß er mit dem ausgestreckten Arm das schwarzseiden glänzende Fell b e r ü h r e n konnte. Orbie Cortland schleppte Lobos schweren Sattel heran. Während Lobo den Rappen ganz kurz hielt, legte Orbie zuerst die Satteldecke, und dann den Sattel auf. Der Rappe versuchte, mit der Hinterhand auszubrechen. Er warf den 24
Kopf hoch, schnappte nach dem Halbblut. Der alte Orbie schwitzte und fluchte. „Nimm die Leine, Alter", sagte Lobo. „Die Gebißkette lege ich ihm lieber selber an." Es w a r ein hartes Stück Arbeit. Orbie Cortland kletterte schnell aus dem Korral. „Mach das Gatter auf, Orbie!" „Hast du den Verstand verloren, Halbblut? Versuch es im Korral. Das ist seine gewohnte Umgebung. Da kannst du es vielleicht schaffen. Auf der freien Weide niemals." „Mach auf!" Orbie Cortland zog das Gatter zurück. Noch ehe er wieder aufblicken konnte, h a t t e sich Lobo auf den Rappen geschwungen. Die Berührung mit dem Reiter forderten die wilden Leidenschaften des Rappen. Zuerst raste er wie besessen davon. Unvermittelt hielt er an, stemmte die Hufe in den Boden. Lobo rutschte nach vorn über, hielt sich im letzten Augenblick, riß an der Longe. Der Rappe raste abermals los. Das gleiche irrsinnige Spiel. Es wiederholte sich bis zur völligen Erschöpfung von Reiter und Pferd. Die Sonne stand schräg, als Lobo mit einem friedlichen Rappen in den Hof trabte. Beide waren schweißnaß. Das Halbblut nahm den Sattel ab. Der alte Orbie kam mit einer frischen Decke und legte sie über. Virginia strahlte Lobo an. „Ich habe Ihnen viel zugetraut, aber daß Sie das schafften! Er gehört Ihnen, Lobo." „Danke, Ma'am. Und der Preis?" „Ich sagte, daß er Ihnen gehört." „Er ist mir zweihundert wert. Gilt das?" „Zweihundert für ein Pferd! Ich glaube, Sie kennen den Wert des Geldes nicht. Er gehört Ihnen", wiederholte sie. Der alte Orbie riß die Augen auf. „Hast du zweihundert gesagt, Halb-
blut?" „So ist es. Und von dir kriege ich eine Flasche Whisky. Du hast doch eine, oder?" Orbie Cortland zog eine flache Flasche aus der Tasche. „Im Augenblick ist das alles. Nimm schon mal." Die Flasche w a r noch k n a p p zur Hälfte gefüllt. Lobo nahm sie. Er blickte in das trübsinnige Gesicht des Alten, dann öffnete er die Flasche und n a h m einen kleinen Schluck. Er hustete und spuckte aus. „Willst du mich umbringen, Mann? Diese Art Whisky k a n n einen glatt vergiften." Er korkte die Flasche zu und reichte sie Orbie zurück. „Mir ist er gut genug", b r u m m t e der Alte. „Ich wußte gar nicht, daß ein Halbblut so verwöhnt ist." Virginia lachte. „Kommen Sie mit ins Haus, Lobo. Ich kann mich nicht erinnern, daß Sie heute schon etwas gegessen hätten. Du auch, Orbie."
„Nehmen Sie", sagte Lobo nach dem Essen. Er blätterte Virginia zweihundert Dollar in Scheinen auf den Tisch. „Der Rappe ist den Preis wert, und das Geld", er sah Virginia voll an, „ist nicht gestohlen. Außerdem", fügte er nach einer Weile hinzu, „ist es sehr fraglich, ob es mir morgen noch etwas nützen wird." Sie sah Lobo erschreckt an. „So dürfen Sie nicht reden." „Der Gedanke ist mir nicht fremd, Ma'am, also k a n n ich auch darüber reden. Außerdem, es gibt wohl niemand, der mich vermissen würde." „Sind Sie da so sicher?" „Absolut." „Steck's nur ein", sagte der alte Orbie. Er grinste breit und stand auf. Lobo folgte ihm. „Ich glaube, ich habe ein Bad nötig, und frische Wäsche auch. Der Brunnen w ä r e mir gerade recht. Ist es erlaubt, Ma'am?" Draußen blickte Lobo auf den viel
kleineren Orbie. „Was ist mit dir?" „Was soll schon sein? Ich zieh mich zurück und denke über die Folgen des vergangenen Tages nach. Reitest du zu Charlie Jonas zurück? Sag ihm, er soll seine Hände in Salbeiblättern baden. Das ist gut gegen die Gicht." „Ich werd's ihm ausrichten." Lobo erfrischte sich am Brunnen. Ehe er zurück ins H a u s ging, strich er dem Rappen über das seidig glänzende Fell. „Ich denke, wir beide werden Freunde. Was meinst du?" Das Pferd warf den Kopf zurück. Es wieherte leise, fast vertraulich. Die Sonne hatte sich hinter den fernen Manzona-Bergen verkro-
chen. Ein scharfer Wind wehte von der Sangre de Cristo Range herüber. Die Nacht kam schnell und übergangslos. Lobo ging in das Haus. Der Raum, in dem er mit Virginia und dem alten Orbie gegessen hatte, war leer. Eine Lampe stand auf dem Tisch. Der Docht w a r weit zurückgedreht. Das Licht w a r schwach. „Hallo, Ma'am?" Lobos leiser Ruf verhallte. Die Antwort ließ lange auf sich warten. Sie k a m aus dem angrenzenden Raum, dessen Tür der schwache Lichtschein nicht erreichte. „Hier bin ich. Wollen Sie nicht hereinkommen?" Lobo w u r d e es heiß. Das Blut pulsierte schneller durch seine Adern. Er t r a t zögernd an die Tür, öffnete 25
sie vorsichtig. Da stand sie. Groß und schön und sehr gerade, den schlanken Körper in einen Morgenmantel gehüllt. Sie öffnete ihn langsam. In ihren braunen Augen war ein lokkendes Verlangen. Sie streckte Lobo die Hände entgegen. „Komm, komm nur, du verrückter Halbindianer." Sie sank auf das breite Bett. Ihre Liebe w a r vollkommen, wild, leidenschaftlich und unersättlich. Sie versanken ineinander, ihre Leiber w a r e n eins.
Der Mond warf einen rechteckigen Fleck an die Wand. Er sah aus wie ein großes, milchiges Auge. Virginia löste sich behutsam aus Lobos Armen. Sie fiel zurück, lag flach, ein wenig zusammengerollt. Ihr Gesicht w a r frei von allen Empfindungen. „Es w a r gut, dich zu lieben, Lobo", sagte sie leise. „Ich hätte nie geglaubt, daß ich jemals wieder so empfinden könnte. Ich dachte, mein Inneres sei tot. Du hast es wieder zum Leben erweckt. Wenn du weggehst, wird es wieder tot sein." Sie lächelte ihn an. „Es w a r alles nur ein Traum, und es wird immer ein T r a u m bleiben." „Und die Wirklichkeit, Virginia?" Sie sah ihn lange an, dann schüttelte sie den Kopf. „Müssen wir jetzt von der Wirklichkeit reden? Sie ist grausam genug, und es tut gut, sie ein paar Stunden zu vergessen." „Bleiben nur die T r ä u m e ? " Sie richtete sich halb auf. Ihre Finger spielten in Lobos langen blauschwarzen Haaren. „Ja", sagte sie, „die T r ä u m e bleiben, weil man sie immer wieder träumen kann." In der Nacht war ein Regen niedergegangen. Der Morgen w a r kühl. Der Wind hatte gedreht, er wehte von den Bergen herüber. Die Sonne stand noch weit hinter den Llanos. Sie 26
durchbrach nur sehr zögernd den aufsteigenden Dunst des frühen Tages. Als Lobo zum Brunnen ging, vertrat ihm Orbie Cortland den Weg. Er betrachtete das Halbblut, ohne Gefühle zu zeigen. „Im allgemeinen", sagte er trocken, „werde ich morgens vom Schrei des Hähers geweckt. Heute waren es Schüsse. Hast du sie auch gehört?" „Was ist los?" „Schüsse", wiederholte der Alte. „Eine ganze Reihe, und sie waren v e r d a m m t nahe." „Wie nahe?" Lobo spürte eine Unruhe in sich aufsteigen, deren Ursache er nicht klären konnte. Orbie Cortland zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich? Vielleicht von der Poststraße, die nach Amarillo führt, vielleicht auch aus Richtung Santa Rosa. Man kann das nie so genau feststellen, wenn man auf einem Ohr im Bett liegt." Vom Hause her rief Virginia: „He, Lobo, Orbie, kommt herein! Das Frühstück ist fertig!" Lobo tauchte den Kopf in das kalte Brunnenwasser, er streifte das Hemd über. Am Tisch beäugte der alte Orbie Virginia mißtrauisch. Aber er behielt seine Gedanken für sich. Virginia wich dem Blick des Halbblutes aus. Orbie schob zuerst Teller und Kaffeetopf zurück. Virginia sagte: „Laß die Pferde im kleinen Korral, Orbie. Die Männer von der Armee haben sich angemeldet. Sie kommen heute oder morgen." Sie s t a n d ebenfalls auf. Dabei ber ü h r t e ihre Hand Lobo leicht an der Schulter. Ein glückliches Lächeln verschönte ihre Züge. Orbie Cortland stand immer noch an der Tür. „Heute oder morgen?" sagte er. Virginia nickte. „Ja. Ist was, Orbie?" „Nein. Ich habe n u r noch mal an die Schüsse gedacht." „Was denn für Schüsse?"
„Ach, einfach nur Schüsse. Sicher nichts besonderes." Er ging aus dem Haus. Virginia sah Lobo an. „Er ist sonderbar heute morgen. Weißt du, die Armee zahlt einen recht guten Preis. Achtzig, ohne Ausnahme. Ich werde vorerst keine Sorgen m e h r haben. Nach dem Viehauftrieb k a n n ich endlich d a r a n denken zu vergrößern, vielleicht noch einen zweiten Cowboy einzustellen. Ich habe mir immer gewünscht, eine große Herde zu haben. Schöne Pferde und endlos weites Land." Sie lachte, d a n n w u r d e sie plötzlich sehr schnell wieder ernst. „Hast du die Schüsse auch gehört?" „Nein. Orbie meinte, sie könnten auf der Fahrstraße gefallen sein. Ich werde mal hinaufreiten." „Kommst du zurück?" „Ich weiß nicht recht, Virginia. Vielleicht ist es besser, ich sehe mal nach Charlie Jonas. Der Alte war mir zu schrullig gestern. Und dann die Verrücktheit mit der Schrotflinte. Longfield hat ihm das nächtig übel genommen." Sie nickte ihm zu. „Okay. Zum Mittagessen bist du zurück, ja?" „Ganz sicher." Lobo sattelte den Rappen. Das Tier war noch etwas unruhig. Als es den Reiter spürte, versuchte es, seitlich auszubrechen. Es blieb bei dem einen Versuch. Lobo ritt zuerst zur Poststraße hinauf. Nur der knöcheltiefe Staub bewegte sich im schärfer blasenden Wind. Sonst nichts. In Jack Dalhards Ranchhaus, das von Longfield und seinen Leuten bewohnt wurde, war es ruhig. Lobo ließ den Rappen laufen. Er gab ihm die Zügel frei. Das Tier schoß über das Grasland. In Lobo brodelte das beglückende Gefühl der Freiheit. Er hatte fast schon den Falben vergessen. Zu Charlie Jonas' Hütte benötigte Lobo nicht länger als knappe z w a n zig Minuten. Er stieß einen Ruf aus,
wartete auf das Echo aus der Hütte, wenigstens auf einen Fluch. Nichts. Die ihn schon auf Virginias Ranch angefallene Unruhe w u r d e stärker. Sie breitete sich aus wie ein Ungeheuer. „Charlie Jonas!" Nur das Echo seiner eigenen Stimme prallte von der Hütte zurück. Es war seltsam hohl und fremd. Die Angst um den alten Charlie Jonas ließ Lobo seine Umgebung vergessen. Er sprang aus dem Sattel, hetzte zur Hütte. Die Tür wurde vom Wind etwas bewegt. Sie k n a r r t e in den Angeln. Unwilkkürlich griff Lobo zum Revolver. Er trat gegen die Tür und starrte in den Raum. Sein Blick w a r schmal und scharf. Sein Atem stockte. Auf dem Boden lag, was von dem alten Mann noch übrig war.
„Bleib wo du bist, Halbblut! Keine Faxen, Mann. Du wirst tot umfallen, noch ehe du auch nur eine halbe Drehung gemacht hast!" Es w a r eine bekannte Stimme, die das sagte, und es waren viele Stiefel, die hinter Lobo den Boden zertraten. Jemand zog von hinten seinen Revolver aus dem Holster. Eine hafte Faust packte ihn an der Schulter und riß ihn herum. Lobo blickte in das starre Gesicht von Owen Longfield, er blickte in ein halbes Dutzend Revolvermündungen, und sein Blick streifte Marshal Garson, der eine recht ärmliche Figur machte. Der starke Phil Larswood legte seine Riesenhand um Lobos Genick. Er schleifte ihn ein paar Schritte vor sich her und stieß ihn Garson entgegen. Owen Longfield sagte: „Legen Sie ihm Fesseln an, Garson, und dann weg mit ihm." Ein paar Männer w a r e n dabei, die Lobo nicht kannte. Seine Gedanken machten einen Sprung zu dem alten 27
Charlie Jonas. „Helfen Sie dem Alten, Ma'rshal. Irgendwer hat ihn böse zugerichtet, vielleicht sogar u m g e bracht." „Irgendwer? Sind der Irgendwer vielleicht Sie?" Garson war anzusehen, daß er nicht glaubte, was er eben gesagt hatte. Er gab zwei Männern ein Zeichen. „Kümmert euch um ihn. Und Sie nehmen die Hände auf den Rücken." Der Marshal konnte nicht v e r h i n dern, daß Lobo dem Rappen kräftig auf die Hinterhand schlug. „Lauf, lauf nach Hause!" Das Tier galoppierte davon. Niemand konnte es aufhalten. Lobo hielt Garson grinsend die Hände hin. „Auf den Rücken habe ich gesagt!" Lobo gehorchte. Eiserne A r m b ä n der schnappten zu. Owen Longfield saß auf seinem Pferd. Er blickte auf Lobo. Die Lederpeitschte aus geflochtener Rind e r h a u t glitt d u r c h seine schlanken Finger. Sein Blick war von überheblicher Arroganz, von nicht übersehbarem Haß. Das Leder riß die H a u t in Lobos Gesicht auf. Das Halbblut stand reglos. In seinem mißhandelten Gesicht zuckte kein Muskel. Alles, was er empfand, war aus seinen Augen abzulesen. Marshal Garson atmete hastig. „Das", sagte er, „hätten Sie nicht t u n sollen, Longfield." Owen Longfield schoß einen schnellen Blick auf den Marshal. „Nein? Dann versuchen Sie doch, mich daran zu hindern." Noch einmal zog die Peitsche eine blutige Schramme. Sie reichte von der Stirn bis zum Kinn hinunter. Lobo taumelte einen Schritt zurück. Longfield riß sein Pferd herum. „Er ist ein Teufel, eine gottverd a m m t e Mißgeburt. Kommen Sie!" zischte Garson so leise, daß Longfield es nicht hören konnte. Es war ein m ü d e r Zug, der keinerlei Aufmerksamkeit verdiente. Sie 28
brachten Lobo zur Stadt. Der Marshal und ein halbes Dutzend Männer. Sie wollten einen Triumphzug, und es war doch nur ein Haufen armseliger, von Owen Longfield beherrschter Kreaturen. Die Zelle w a r ein viereckiger Käfig. Links neben der Tür war eine Holzpritsche in die Wand eingelassen. Es gab keine Decken. Die gegenüberliegende Wand w a r nichts als ein kahler, weißer Fleck, an dem Lobos Vorgänger die abzubrummenden Tage eingeritzt hatte. Auf der Rückseite, bis zur Decke reichend, befand sich ein rechteckiges Loch mit zolldicken Eisenstäben. Der Fußboden war aus Stein. „Eigentlich", sagte Marshal G a r son, „dürfte ich Ihnen die Fesseln nicht abnehmen. Aber hier ist noch keiner rausgekommen." Er löste die Handfesseln. Hinter Lobo schlossen sich die starken Gittertüren. Der Blick des Marshals w a r weniger t r i umphal. „Ihr Eigensinn wird Sie an den Galgen bringen. Weshalb, zum Teufel, haben Sie diese verrückte Stadt nicht verlassen?" „Sagen Sie mir lieber, weshalb ich hier bin." „Heute morgen", sagte Garson, „wurden drei Männer erschossen. Keine gewöhnlichen Männer. Der eine von ihnen war ein Lieutenant, der andere ein Sergeant und der dritte ein Regierungsbeauftragter." „Ach." Lobo stand von der Pritsche auf. „Und ich habe sie erschossen?" Garson nickte. „Es gibt Zeugen, Lobo." „Was für Zeugen, Marshal?" Garson blickte sich schnell um. „Roberts und Larswood. Genügt Ihnen das?" „Ja, vollkommen. Sie, Garson, wissen, daß ich diese Männer nicht erschossen habe. Und trotzdem spielen Sie dieses Spiel mit. Haben Sie auch auf Longfields Karte gesetzt?" Marshal Garsons Gesicht hatte viel
von seiner Frische verloren. In seinen blauen Augen stand offene Ablehnung. Er zuckte mit den Schultern. „Was soll ich denn machen? Sie einfach laufenlassen? Mann, glauben Sie mir, ich wäre in weniger als zehn Minuten tot. Es kommt nicht darauf an, was ich weiß und was ich glaube. Richter Lee ist kein Mann, der leichtfertig hängt. Ihn müssen Sie überzeugen, Lobo." Avery Whitham betrat das Office. Er durchschritt es und kam in den Zellentrakt. „Was hast du denn mit diesem Bastard zu quatschen, G a r son? Longfield will wissen, ob der Richter verständigt ist. Der Speiseraum des Center Hotels ist bereits geräumt. Nach Longfields Willen soll die Verhandlung heute nachmittag stattfinden. Und morgen wird gehenkt. Mann, ich könnte mich totlachen." „Longfields Wille zählt hier nicht, Whitham. Sag ihm das. Es ist Sache von Richter Lee, w a n n und wo die Verhandlung stattfindet." „Da wird sich Longfield aber freuen. Für dich ist allerdings kein Grund zur Freude, Garson." Er zog ab.
Marshal Garson hatte keine Möglichkeit, sich dem Druck von Owen Longfield und seinen Leuten zu widersetzen. Und Richter William Lee w a r es so ziemlich egal, ob und w a n n eine Verhandlung stattfand. Und so sagte er: „Weshalb nicht heute nachmittag? Sagen wir um drei? Such ein paar Leute als Geschworene aus, Dean. Es m u ß alles seine Ordnung haben. Sag mal, hat denn dieser Halbindianer die Leute abgemurkst?" „Wenn du mich so direkt fragst, Richter, nein. Aber es gibt zwei Zeugen, und die werden beschwören, daß es das Halbblut war."
„Vielleicht hat das Halbblut auch ein p a a r Zeugen. Es m u ß doch jemand geben, der ihn gesehen hat. Naja, w a r t e n wir's ab." Marshal Garson kehrte zum Office zurück. Ein paar Männer hatten sich angesammelt. Sie bedrängten Garson. Unter der Tür des Office stand Lefty Roberts. Er t r u g keinen Hut. Seine schwarzen Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Seine Rechte ruhte auf dem Revolvergriff. Die Linke hielt eine Whiskyflasche. Über seinen fast schwarzen Augen lag der Schleier der Trunkenheit. Er t a u melte Garson entgegen, stützte sich gegen das Verandageländer, setzte die Flasche an und schluckte. Der Whisky wirkte wie ein Schlag. Er riß Roberts von den Beinen. Aber der Mann soff weiter. Er soff, als wolle er das ganze Elend dieser Welt und sein eigenes hinwegspülen. Garson stieg über ihn hinweg. Im Office stand Owen Longfield. Er hielt die Arme über der Brust gekreuzt. „An Ihrer Stelle", sagte er, „wäre ich weniger aufsässig, Garson. Irgendwann könnte das einmal Folgen haben. Wann ist die Verhandlung?" „Um drei heute nachmittag. Zufrieden, Longfield?" „Ja, sehr." Er ging zur Tür, blieb stehen und drehte sich um. „Ach, lassen Sie doch Roberts ins Hotel bringen. Ich glaube, er hat heute seinen schlechten Tag." „Er wird einen schlechten Zeugen abgeben, Longfield." „Meinen Sie?" Owen Longfield grinste, jedenfalls verzog er die Lippen, und man konnte es als Grinsen auslegen. „Ich werde ihn schon wieder flott kriegen. Nur keine Sorge, Garson."
Der Speisesaal des Center Hotels w a r gerammelt voll. Garson hatte 29
viel Mühe, mit dem gefesselten Lobo durchzukommen. An der breiten Rückwand w a r eine Art Podium aufgebaut. Zwei Schritte davor befanden sich zwei Stühle. Einer für den Gefangenen, einer für seinen Wächter. Oben neben dem Podium h a t t e n kluge Leute eine Barriere errichtet. Dahinter stand wieder ein Stuhl. Der Zeugenstand. Ein Raunen ging durch den weiten Raum, als Richter William Lee seinen Platz einnahm. Lobo sah den Richter zum ersten Mal. Er schenkte ihm seine ganze Aufmerksamkeit. Er war ein kleiner Mann mit einem runden Kopf, auf dem keine Haare sprossen. Die fleischige Nase war gerötet. Er schleppte eine beträchtliche Wölbung vor sich her. Er war ein Mann, der ein gewisses Maß Gemütlichkeit ausstrahlte. Richter William Lee klopfte mit einem kleinen Holzhammer auf den Tisch. „Ruhe! Ruhe bitte!" Das Raunen verstummte. Schräg links vor dem Richter saßen zwölf Männer. Sie saßen da, weil sie teils der Marshal und teils Owen Longfield dazu bestimmt hatten. G e schworene. Männer mit mehr oder weniger ablehnenden Gesichtern. Die meisten von ihnen hatten selbst schon einmal vor dem Richter gestanden. Kleine Dinge, wie sie in einer Stadt wie Tucumcari immer w i e der vorkamen. Und jetzt w a r e n sie auserwählt, einen Spruch zu fällen. Schuldig oder nicht schuldig. „Angeklagter!" Lobo erhob sich. Marshal Garson stellte sich neben ihn. Vorn in der e r sten Reihe sah Lobo Longfield, Whitham, Larswood u n d Roberts, dessen Kopf auf die Brust gesunken w a r und der von Turk Kilcook gestützt wurde. Also w a r e n sie alle da. Das ganze wilde Rudel. „Ihren Namen", hörte Lobo den Richter fragen. „Lobo Gates, Euer 30
Ehren." „Aha, Lobo Gates. Sie sind angeklagt, heute morgen zwischen vier und fünf U h r Lieutenant Brownsville, Sergeant McAllester und den Regierungsbeauftragten, Mister Henry Everts, in einem provisorischen Nachtcamp eine halbe Meile von der Poststraße Tucumcari - Santa Rose entfernt erschossen zu haben. Bekennen Sie sich schuldig?" „Nein, Euer Ehren." „Na, w e r bekennt sich schon schuldig. F a n g e n wir also mit den Zeugen an. Ich rufe den Zeugen Phil L a r s wood." Phil Larswood stand auf. Groß und massig schob er sich an den Richtertisch. „Larswood, erzählen Sie mir, w a s Sie gesehen haben." „Ja, Euer Ehren, das w a r so, Lefty Roberts und ich ritten von Mister Longfields Ranch . . ." „Moment mal, seit w a n n hat Longfield eine Ranch?" unterbrach ihn der Richter. „Eigentlich gehört sie Jack Dalhard. Aber Mister Longfield und wir . . ." „Schon gut. Was war weiter?" „Wie gesagt, wir ritten von der Ranch, um uns etwas umzusehen. Plötzlich hörten wir Schüsse. Wir sahen das Halbblut, wie er einen Hügelrücken hinunter ritt. Wir sahen, wie er sich über drei Männer beugte, die am Boden lagen. Wir nahmen an, daß er sie ausplünderte. Lefty Roberts und ich ritten sofort zu den Männern hinüber. Als wir ankamen, w a r das Halbblut natürlich auf und davon. Die drei Männer w a r e n tot." „Wo ritt er denn hin, Larswood?" „In Richtung der Berge." „So. Und d a n n kehrte er wieder um, um sich von Marshal Garson verhaften zu lassen." Der Richter blickte Lobo an. „Sehr gescheit war das aber nicht von Ihnen. Wie ging es dann weiter, Larswood?"
„Das war eigentlich schon alles, Euer Ehren." „Und du hast das Halbblut genau erkannt?" „Aber ja. Es gibt gar keinen Zweifel. Er war es." „Hm", der Richter betastete mit den Fingerspitzen sein glattes, r u n des und sehr rosiges Gesicht. „Hat der Angeklagte mit einem Revolver oder einem Gewehr geschossen?" „Mit einem Revolver wahrscheinlich. Gesehen habe ich das nicht." Der Richter winkte ab. „Du kannst dich wieder setzen, Larswood. Hat er eigentlich den Eid geleistet?" Die Frage richtete William Lee wohl m e h r an sich selbst. Er winkte L a r s wood zurück. „Leg die Hand auf die Bibel und sprich den Eid. Schwöre, d a ß du die reine Wahrheit gesagt hast." „Ich schwöre es", murmelte Phil Larswood. „Der Zeuge Lefty Roberts!" Roberts hatte alle Mühe, die w e n i gen Schritte zum Tisch des Richters in gerader Haltung zurückzulegen. Er sah elend und k r a n k aus. „Was ist los, Roberts? Herrje, der Kerl ist ja besoffen." „Mir ist nicht gut, Euer Ehren, deshalb habe ich einen Whisky getrunken. Wissen Sie, ich bin ein sehr sensibler Mensch. Wenn ich darüber nachdenke, d a ß ein Mann durch meine Aussage vielleicht schuldig gesprochen und gehenkt wird . . ." Roberts griff sich an den Hals. „Ich glaube, ich m u ß gleich noch einen trinken." „Einen Dreck werden Sie. Also, was haben Sie gesehen, Roberts?" „Genau das, was Phil Larswood auch gesehen hat. Genau das gleiche, Euer Ehren." Richter Lee schob Roberts die Bibel hin. „Schwören Sie. Oder wollen Sie das nicht?" Roberts langte nach der Bibel. „Aber ja, Euer Ehren. Ich schwöre.
Das bin ich dem Gesetz schuldig.'' Lefty Roberts brabbelte seinen Spruch. Fast wortgetreu sprach er nach, was vor ihm schon Phil Larswood gesagt hatte. Richter Lee rief Lobo auf. „Sie haben gehört, was die beiden Zeugen ausgesagt haben. Wie ist Ihre Version?" „Die beiden Zeugen haben gelogen, bewußt gelogen, Euer Ehren. Ich habe die drei Männer nicht erschossen. Ein einzelner gegen drei. Glauben Sie, daß das ein Mann allein schaffen kann? Nein, Euer Ehren, Sie glauben das nicht. Niemand in diesem Raum glaubt das." „Dann sagen Sie, wo Sie zur Zeit waren, als die Schüsse fielen." Das ständig schwache Raunen der Masse w a r verstummt. Es war so still, d a ß man das Fallen eines Blattes hören konnte. Marshal Garsons gepreßter Atemzug hörte sich an wie ein Trompetenstoß. Der Richter sah Lobo an. „Was ist, wollen Sie nicht reden?" „Nein", sagte Lobo fest, „nein, Euer Ehren." „Mann", der Richter wurde ganz aufgeregt. „Sie schweigen sich um Ihren Kopf. Ist Ihnen das bewußt?" „Ich weiß, ich k a n n es trotzdem nicht sagen." „Mörder!" Der Ruf k a m aus der Menge. „Aufhängen, an den Galgen mit ihm! Hängt das Halbblut!" Das w a r die Reaktion der Masse. Richter Lee zerklopfte mit dem Holzhammer fast die Tischplatte. „Ruhe! Wenn ihr keine Ruhe gebt, laß ich den Raum r ä u m e n ! Ruhe, verdammt!" „Sagen Sie um Gotteswillen, wo Sie waren", zischte neben Lobo der Marshal. „Die Geschworenen haben sonst gar keine andere Wahl. Sie müssen Sie schuldig sprechen. Verflucht, machen Sie doch endlich den Mund auf!" Lobo kniff die Lippen fest aufein31
ander. Hinter dem Tisch erhob sich Richter William Lee. „Das Wort geht an die Geschworenen. Haben sie sich entschieden?" „Jawohl, Euer Ehren. Der Spruch der Geschworenen lautet . . ." „Halt!" Es w a r der schrille Ruf einer Frau, der das ungeduldige Gemurmel der vielen Menschen durchbrach.
„Ich verstehe das nicht", sagte Virginia. „Lobo wollte doch zum Mittag zurück sein." Orbie Cortland bewegte sich ein wenig ungeschickt auf dem Stuhl, auf dem er saß. „Du magst ihn sehr, Virginia, nicht w a h r ? " Die F r a u verbarg den Blick. Eine leichte Röte zog über ihre Wangen. „Schon gut, Virginia. Du bist keine Rechenschaft schuldig, weder mir noch sonstwem." Orbie Cortland w a r aufgestanden. Er t r a t auf die schmale Veranda. Zwischen seinen welken Lippen hing eine Maiskolbenpfeife. Graue Wolken hüllten ihn ein. Orbie wedelte sie mit der Hand davon. Er w a r plötzlich so zittrig, daß er sich stützen mußte. „Virginia, komm doch mal raus, Virginia." Die F r a u stellte sich neben ihn. „Mein Gott, der Rappe." Sie lief auf den Hof. Ihre Hände griffen nach den Zügeln. „Orbie, sattle mein Pferd!" Sie schlang die Zügel des Rappen n u r lose um das Verandageländer. Der alte Orbie hastete davon. In seinem Kopf bewegten sich die eigenartigsten Gedanken. Sie w a r e n ganz durcheinander, und es gelang ihm nicht, sie zurechtzurücken. Virginia galoppierte davon, Lobos Rappen am Zügel mit sich führend. Vor Charlie Jonas' Hütte traf sie auf Doktor Copper und zwei Männer aus der Stadt. Der Atem des kleinen, fettleibigen Doktors w a r röchelnd 32
wie der eines Asthmatikers. Für seine Kurzatmigkeit gab es noch einen anderen Grund. „Viel", sagte er zu Virginia, die vor ihm abgestiegen war, „haben sie von Charlie Jonas nicht übrig gelassen. Vielleicht überlebt er, vielleicht auch nicht." Er gab einen langsamen, geduldigen Seufzer von sich. „Wer immer das getan hat, er w a r vom Teufel besessen." Er sah Virginia an. „Hast du eine Erklärung?" „Ja, ich glaube ja. Was ist mit dem Halbblut, Doc?" Einer der beiden Männer sagte: „Sie haben ihn in die Stadt gebracht. Wie m a n hört, soll er drei Männer umgebracht haben. Soldaten und einen Beauftragten der Regierung. Es steht schlimm um ihn. Was ist nun, Doc, sollen wir Charlie Jonas zu Ihnen bringen, oder soll er in der Hütte bleiben? Wir wollen schließlich auch noch etwas von der Verhandlung mitkriegen." Virginia faßte den Mann an den Schultern. „Was für eine Verhandlung?" „Gegen den Halbindianer. Für die drei Morde gibt es Zeugen. Möglich, daß er heute noch gehenkt wird. Wer läßt sich ein solches Schauspiel schon gern entgehen." Der Mann zeigte Virginia ein ödes Lächeln. „Was ist, Ma'am, Sie sehen ja ganz gelb aus." Virginia lehnte am Leib ihres Pferdes. Sie w a r so zittrig wie der alte Orbie, der jetzt erst angeritten kam. „Wo", preßte sie heraus, „wo ist die Verhandlung?" „Im Speiseraum des Center Hotels." Sie sahen ihr kopfschüttelnd nach, wie sie den Hang zur Stadt hinunter galoppierte. Orbie Cortland massierte seine Bartstoppeln. Er warf einen Blick auf Charlie Jonas. „Das ist die Handschrift des gelbhaarigen Schurken Larswood. Er wird's doch schaffen, Doc, was?" Der alte Orbie wartete keine Antwort ab. Ein wenig äch-
zend kletterte er auf sein m ü d e s Pferd. Als er das Center Hotel betrat, sah er Virginia an der Tür des Speiseraumes stehen, und er hörte ihren scharfen, schrillen Ruf.
Die Falten auf der Stirn von Richter Lee zogen sich bis weit über den ganzen Kopf. Die Sekunden tropften dahin, sie schienen ins Leere zu fallen. J e m a n d hustete. Es klang schmerzend. Der Richter e r k a n n t e Virginia. Er lächelte säuerlich. „Ich möchte eine Aussage machen, Euer Ehren." „Die Verhandlung ist abgeschlossen, Missis Fargas. Das Wort haben die Geschworenen." „Ich m u ß die Aussage machen, ehe die Geschworenen ihren Spruch fällen." Richter Lee zuckte mit den Schultern. „Wenn Sie meinen, daß es w i c h tig ist? Treten Sie in den Zeugenstand, Missis Fargas." Unter den Zuhörern setzte ein Raunen ein. Owen Longfield stand auf und t r a t an den Richtertisch. „Was soll der Unsinn, Lee? Die G e schworenen sollen ihr Urteil sprechen!" „Halten Sie den Mund und setzen Sie sich hin, Longfield. Sie sind zwar mächtig hochgeschossen in letzter Zeit, aber hier bestimme ich allein." Die Stimme des Richters w a r beißend, scharf und abweisend. Longfield kaute an den Worten herum. Sein schmales Gesicht wurde ganz spitz. Virginia saß auf dem Stuhl hinter der provisorischen Barriere. Sie sah Longfield voller Verachtung an. Richter Lee klopfte mit dem H a m m e r auf dem Tisch herum. „Ruhe, zum Teufel! Was haben Sie zu sagen, Missis Fargas?" Virginia stand auf. Mit der ihr eigenen Bewegung warf sie das lange b r a u n e Haar in den Nacken. Ein
Pfeil a u s Sonnenlicht traf ihr Gesicht. Sie hob die Hand und zeigte auf Lobo. „Dieser Mann dort ist unschuldig. Er h a t die drei Männer nicht erschossen, er nicht!" Richter William Lee h a t t e alle Mühe, einen Tumult zu verhindern. Sein runder Kopf w a r ganz rot vor Aufregung. Er schwitzte. „Das werden Sie beweisen müssen, Missis Fargas." „Das k a n n ich, Euer Ehren!" Ihr Blick suchte Lobo. Auf ihren Lippen lag ein kleines, hochmütiges Lächeln. „Lobo w a r die ganze Nacht in meinem Haus." Richter Lee dachte sehr sorgfältig über Virginias Worte nach. Dann schüttelte er den Kopf. „Das beweist nichts, Missis Fargas. Er kann davongeschlichen sein, ohne daß Sie es bemerkt haben." „Ich h ä t t e es bemerkt, Euer Ehren, denn er lag neben mir im Bett. Die ganze Nacht!" Richter Lee schluckte, er schluckte so schwer, daß er k a u m ein Wort hera u s b r a c h t e . „Was denn, wollen Sie etwa sagen . . ." „Ja, Euer Ehren, das will ich sagen. Lobo h a t mit mir geschlafen. Ich schäme mich nicht, das zu bekennen!" Jetzt konnte Richter Lee den ausbrechenden Tumult nicht mehr verhindern. Soviel Mühe er sich auch gab, es gelang ihm nicht, die Ruhe wieder herzustellen. Er zerhackte fast den Tisch mit seinem Holzhammer. Seine Stimme überschlug sich. Marshal Garson stellte sich vor Lobo. Das Halbblut zischte: „Schließen Sie endlich die verdammten Dinger an meinen Handgelenken auf!" Die Zweifel in Garsons blauen Augen w a r e n verwischt. Der Sprecher der Geschworenen versuchte vergeblich, sich Gehör zu verschaffen. Marshal Garson riß den Revolver heraus und feuerte u n t e r die Decke. Diese Methode war wirkungsvoll und allen verständlich. 33
Die plötzlich eintretende Stille schaffte eine Atmosphäre der Explosivität. Owen Longfields Füße scharrten über den Boden. In diesem Augenblick bestand die Welt für ihn n u r noch aus der hochaufgerichteten F r a u hinter der Barriere des Zeugenstandes. „Du miese, dreckige Indianerhure!" Die geschmeidige Lederpeitsche glitt durch seine Finger. Marshal Garson trat mit einem schnellen Schritt hinter Longfield. „Wenn Sie das tun, schieße ich, Longfield." Lobo ließ keinen Blick von dem schmalen, schlanken Mann. Fast u n bewußt rieb er über seine leicht geschundenen Handgelenke. Longfield spürte den Druck von Garsons Revolver in seinem Rücken. Er drehte sich herum und beäugte den Marshal mit kalter Aufmerksamkeit. In seinen grünen Augen spiegelte sich das Unheil. „Das werden Sie nicht überleben, Garson!" Schritt um Schritt wich er zurück. Der Marshal sagte über die Schulter: „Machen Sie n u r weiter, Richter." Richter Lee klopfte völlig unnötig mit dem Hammer auf den Tisch. Er stand auf. Seine Stimme verhallte in dem Raum. „Durch die entlastende Aussage von Missis Fargas stellt das Gericht das Verfahren gegen Lobo Gates ein." Er beugte sich weit über den Tisch. Seine schwarzen Knopfaugen brannten Löcher in Larswoods und Roberts' Gesichter. „Ihr zwei h a b t falsch geschworen. Marshal, sperr sie ein!" Garson machte einen Schritt auf Larswood zu. Irgend jemand drängte sich zwischen Lobo und den Marshal. Owen Longfield zog reaktionsschnell beide Revolver zugleich. Die Detonation eines Schusses r ü t 34
telte an den vier Wänden des großen, viereckigen Raumes. Eine Kugel schlug vor Owen Longfield in den Fußboden. „Wirf die Waffen weg, wirf sie weg, oder die nächste Kugel trifft dich, Owen Longfield!" Virginias Revolverhand w a r ganz ruhig. Aus der Mündung der Waffe kräuselte ein dünner Rauchfaden. Owen Longfield stieß beide Colts in die Holster zurück. Langsam drehte er sich herum. Die Worte tropften einzeln über seine Lippen. „Deine Weiblichkeit wird dir nichts mehr nützen, Indianerhure. Dir nicht, und dem Bastard auch nicht!" Der geschmeidige Mann durchbrach die um ihn errichteten Schranken mit kühler Gelassenheit. Sie respektierten seine Revolver. Niemand wagte, sich gegen ihn zu stellen, und schon gar nicht wegen eines Halbblutes und wegen einer Frau, die alle gültigen Regeln m i ß achtet hatte.
Im Marshal's Office händigte Dean Garson Lobo den Army Colt aus. Richter Lee schob sich einen Stuhl zurecht und setzte sich. Virginia war an der Tür stehengeblieben. Vor dem Office hielt der alte Orbie Lobos Rappen am Zügel. Richter Lee w e delte mit der Hand ein p a a r Fliegen vom Kopf. Seine schwarzen Knopfaugen trafen das Halbblut. „An Ihrer Stelle", sagte er, „würde ich so schnell wie möglich aus der Stadt verschwinden." Er sah Marshal Garson an. „Für dich wäre es auch am besten, Dean. Der Stern auf deiner Brust ist keine Gewähr für Sicherheit." Virginia stand immer noch an der Tür. Lobo trat zu ihr. „Ich komme mit zur Ranch, Virginia." In den Augen der F r a u lag ein stumpfes Glitzern. Ihre vollen, roten
Herr J uns:
F
aus Messet schrieb
„Da Sie um die Meinung zu dem Brief von Frl. J. M aus der Nr. 335 gebeten haben, möchte ich mich dazu äußern: Die Reihe ,Der neue RONCO' ist mindestens ebenso gut wie die vorhergehenden Bände. Ich muß aber sagen, daß LOBO, Marido, Mahon Tabor u. a. etwas abrupt aus der Serie verschwunden sind. Die besten Autoren sind meiner Meinung nach noch immer JOHN GREY, EARL WARREN und KEN CONAGHER, die aber leider viel zuwenig in Erscheinung treten. Daß RONCO nicht zu Einzelabenteuern wird, deutet sich schon dadurch an, daß Samuel Hollister in zwei Zyklen in Erscheinung trat und ihm nichts zu beweisen war." Herr H
N
aus Dortmund schrieb uns:
„Nachdem ich seit sehr langer Zeit Leser Ihrer beiden RONCO-Reihen bin, möchte ich auch meine Kritik nicht für mich behalten. Im großen und ganzen bin ich mit den Serien zufrieden. Sie sind spannend und zeitvertreibend. Was mich jedoch seit längerem ärgert, ist folgendes: Manche Ihrer Autoren scheinen sich nicht mit ihren ,Vorgängern' besprochen zu haben, bzw. sie kennen die Folgen vor ihrem eigenen Roman gar nicht. So entstehen unmögliche Situationen. Die Autoren müßten mehr an die Leser denken, die nicht alles ,fressen', was ihnen vorgesetzt wird. Eine besondere Kritik aber muß ich an
der in den Heften abgedruckten Werbung üben. Dazu hat mich gerade Ihre 2. Auflage Nr. 154 veranlaßt. Seite 29: Eine Zumutung für den guten Geschmack Sollten derartige ,Witzseiten' öfters erscheinen, verzichte ich auf die weitere Lektüre von Erzeugnissen Ihres Verlags. Über die Urteile Ihrer jungen Leser freue ich mich immer sehr, und manchmal wundere ich mich auch über die Ansichten der jungen Leser. Dazu will ich Ihnen auch mein Alter angeben: Ich bin 73 Jahre alt. Ich hoffe, Ihnen mit meiner Kritik auch einen Gefallen getan zu haben. Vielleicht regt Sie sie auch zum Nachdenken an." RONCO-Freund H S ärzt-Siegsdorf schrieb uns:
aus Eisen-
„Ich bin 12 Jahre alt und finde die RONCO-Serie sehr gut. Ich bin durch Zufall auf Band 107 und Band 149 gestoßen. Seitdem lese ich die RONCO-Serie und zugleich auch die 2. Auflage. Die Sonderbände von JOHN GREY sind einfach Spitze. Auch die Titelbilder sind enorm, z. B. das Bild auf dem Roman ,Menschenjagd' von E. Jones. Nur weiter so!" RONCO-Freund T schrieb uns:
Z
aus Lörrach
„Ich, 12 Jahre alt, bin ein begeisterter RONCO-Leser. Leider besitze ich die Serie erst seit Nr. 17. Darum bin ich sehr an einer 3. Auflage interessiert, denn in der 2. Auflage sind die ersten Romane auch nicht mehr zu kriegen. Die Autoren sind einfach Klasse. Am besten finde ich KEN CONAGHER und JOHN GREY."
ALTE FORTS — Vl Fort Reno in Oklahoma verdankte sein Entstehen einem drohenden Cheyenne-Aufstand. Es war Ende des Jahres 1874, das Gebiet, tellerartig und flach wie große Teile des heutigen Oklahoma noch immer, war noch kein US-Staat, war auch noch kein Territorium. Es war Indianerland, Reservation u. a. der Cheyennes, und es gab einen Regierungsposten zur Betreuung der Indianer, die Darlington-lndianer-Agentur, die allerdings wenig Arbeit hatte, da die bestehenden Verträge mit den Cheyennes doch nur äußerst selten eingehalten wurden. Der Agent wurde gewarnt, daß aufgebrachte junge Cheyennekrieger bereit seien, die Agentur zu überfallen. — Der Agent zog es vor, schleunigst seinen Posten zu verlassen und ins sichere Wichita, Kansas, zu flüchten. Von hier aus alarmierte er die Armee. — Von Fort Sill und Fort Leavenworth aus setzten sich Truppen in Marsch. General Sheridan gab die Anweisung, nicht nur nach aufständigen Cheyennes, sondern auch nach einem Platz zu suchen, der sich zum Bau eines Militärpostens eignete. Am 7. April 1875 wurden für den Bau des neuen Forts 20 000 $ genehmigt. Zunächst erhielt die Garnison den Namen „Posten bei der Cheyenne Agentur". Die ersten Gebäude entstanden sehr schnell. Im Februar 1876 erhielt die Garnison ihren richtigen Namen: Fort Reno. — Fort Reno erhielt keine Palisade, die ohnehin bei den meisten Forts nicht obligatorisch war. Die Besatzung hatte die Aufgabe, die Cheyennes der Umgebung unter Kontrolle zu halten. Nach den Unruhen im Jahre 1874 wurden 1875 die Führer der Cheyennes nach Fort Marioan in Flo-
rida deportiert und der Stamm auf diese Weise „befriedet". Ende 1876 wurden von Norden her über 900 Cheyennes in das Gebiet um Fort Reno umgesiedelt — zwangsweise natürlich — und ihre Kontrolle oblag einem Lieutenant, 17 Soldaten und 20 Maultiertreibern. — Ab 1880 gab es noch einige Male Schwierigkeiten mit den Indianern, die von der noch immer anwesenden Agentur nicht ausreichend versorgt wurden. Probleme dieser Art wurden mit Gewalt gelöst, die Reservationsindianer — inzwischen hatte das ganze Gebiet den Namen „Indian Territory" erhalten hatten der geballten militärischen Macht nichts entgegenzusetzen. Als Oklahoma Stück um Stück für die Landbesiedelung geöffnet wurde und sich die Nachwehen des „Wilden Westens" hier noch einmal abspielten, erfüllten die Soldaten in Fort Reno die Aufgabe, die ordnungsgemäße Besiedelung zu kontrollieren und die Freigabe des Landes zu überwachen. Die wilden Jahre der „Grenze" aber waren vorbei. Für die Besatzung von Fort Reno gab es keine Indianerkriege mehr. Anfang des neuen Jahrhunderts waren nur noch kleine Ausbildungs- oder Strafabteilungen in Fort Reno untergebracht. Während und nach dem 2. Weltkrieg schließlich war Fort Reno Kriegsgefangenenlager für deutsche Soldaten. Noch heute gibt es hinter den Ruinen des alten Forts einen Friedhof von Deutschen, die hier gestorben sind. 1948 wurde Fort Reno endgültig geräumt. Bis zur nächsten Woche! Ihre RONCO-/LOBO-Redaktion
Ein interessantes Foto aus Fort Reno: Nebeneinander sind angetreten eine Kompanie Infanterie und eine Abteilung Indianerpolizei. Bei stammespolitischen Auseinandersetzungen der Choctaws, 1892, spielte die Besatzung von Fort Reno eine zentrale Rolle. Archiv D. Kügler.
Lippen verzogen sich. Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann's allein d u r c h stehen." Sie blickte über Lobo hinweg, drehte sich um und ging davon. Lobo versuchte nicht, sie aufzuhalten. Hinter ihm sagte Marshal G a r son: „Man k a n n wohl niemandem ohne Risiko auf dem Bauch h e r u m trampeln. Ich bin dieses Risiko eingegangen und bin keineswegs verwundert, wenn andere z u r ü c k t r a m peln." Er w a n d t e sich direkt an den Richter. „Es ist gut von dir gemeint, William, aber ich glaube, es w ä r e sinnlos, einfach davonzulaufen. Als Marshal bin ich an die Stadt gebunden. Ich habe eine Verpflichtung." „Große Worte, mein Lieber, v e r d a m m t große Worte." Der Richter grinste ein wenig. „Wann ist dir denn diese Erleuchtung gekommen?" Sein Blick tastete zu Lobo. „Haben Sie etwas damit zu tun?" „Sollte ich?" Lee zuckte mit den Schultern. „Es w a r n u r so ein Gedanke." Er strich sich den Schweiß von dem kahlen, runden Kopf. „Hätten Sie sich wirklich hängen lassen? Ich meine . .." „Ich habe Sie verstanden, Richter", unterbrach Lobo den Mann. „Ich h a be auch die Menschen in dieser Stadt verstanden." „Auch Owen Longfield, Halbblut?" Die Frage des Richters entfachte eine allgemeine Spannung. Lässig hingeworfen, konnte die Antwort von entscheidender Bedeutung sein. Die Blicke der beiden Männer hingen an Lobos Lippen. Die Luft schien zu knistern. „Ja", erwiderte das Halbblut, „auch Owen Longfield." Richter Lee und Marshal Garson wechselten einen schnellen Blick. William Lee strich sich wohlgefällig über die beträchtliche Wölbung seines Leibes. Auf seinem runden Gesicht lag ein glattes Lächeln. „Longfield", sagte er, „wäre uns fünfhundert Dollar wert." Er hob
schnell und abwehrend beide Hände. „Lassen Sie mich erst zu Ende reden, mein Freund." Richter Lee pumpte sich voll Luft. „Dieser Longfield ist eine Plage für die Stadt. Niemand weiß, woher er kam. Plötzlich w a r er da. So vor zwei J a h r e n oder etwas länger. Über die Art seiner Geschäfte wissen wir nichts, es gibt nur Vermutungen. Er und seine Schurken beherrschen die Stadt, sie terrorisieren sie." Richter Lee machte eine Pause. Er sah Garson an. „Es gibt niemanden, der ihnen gewachsen ist. Auch der Marshal nicht. Seine Hände sind nicht mehr so schnell. Wenn man den Zenit des Lebens überschritten hat, ist man nicht m e h r so wild darauf, sich einem Revolvermann zu stellen. Verstehen Sie mich?" Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort: „Tucumcari war eine friedliche Stadt. Und wir alle wünschen, daß sie es wieder wird. Wir wissen, wer die drei Männer w a ren, die erschossen wurden. Wir wissen um ihren Auftrag, und wir wissen, wer sie erschossen und ausgeraubt hat. Es gibt keine Beweise. Und wenn es welche gäbe, wer hätte wohl den Mut, die Mörder zu stellen?" Richter Lee schüttelte betrübt seinen kugeligen, kahlen Kopf. „Es ist schon schlimm, sehr schlimm." Der Blick a u s seinen Knopfaugen w u r d e plötzlich h a r t und scharf. „Wir wissen auch, wer Sie sind. Wir kennen Ihre Qualitäten und, ich sag das ganz offen, wir wollen das für uns nutzen." Er grinste aufsässig. „Sie werden tun, was wir von Ihnen verlangen. Ein Mann, der sich einen Feind wie Longfield geschaffen hat, der hat gar keine andere Wahl." Er hielt Lobo seine kleine, fette Hand hin. „Schlagen Sie ein, Mann. Fünfhundert Dollar locken und . . .", er blinzelte lüstern, „ . . . eine große, schöne Frau." 37
Lobo gab einen Laut von sich, der an das Fauchen eines Raubtieres erinnerte. Am liebsten h ä t t e er dem kleinen, fetten Mann eine Ohrfeige v e r setzt. In seinen d u n k l e n Augen glühte ein widerspenstiges Feuer. Seine Stimme war kalt u n d ablehnend. „Vor einer Stunde w a r e n Sie bereit, mich hängen zu lassen, Sir. Und jetzt sind Sie bereit, mich für einen Mord anzuwerben. Ich bin v e r d a m m t kein Kopfgeldjäger. Wenn Sie Probleme mit Longfield und seinem r a u h e n Rudel haben, d a n n ist das Ihre Sache, sie zu lösen. Und noch eines, Richter, Geld h a t auf mich keine Wirkung. Auch nicht fünfhundert Dollar." Lobo drehte sich zu Marshal G a r son herum, auf dessem dunklen G e sicht sich helle Flecken abzeichneten. Richter Lee w a r vom Stuhl geschlüpft, quicklebendig, voller E n e r gie, von Ehrgeiz gestachelt. „Meine Antwort auf Ihr Angebot ist ein glattes Nein, Gentlemen." Lobo betastete sein von Longfields Peitsche gezeichnetes Gesicht. „Sie w i s sen beide sehr gut, d a ß ein Mann das nicht vergessen k a n n . Meine Art, das zu bereinigen, unterscheidet sich doch wesentlich von Ihrer Art." Er richtete das Wort direkt an Garson. „Versuchen Sie nicht, mich an Dingen zu hindern, die außerhalb Ihres Einflusses liegen, Marshal." Richter Lee stellte sich vor das Halbblut. Klein u n d rund und dick. „Sie sind ein Dummkopf, Lobo. Sie wissen, ich k a n n Ihnen eine Menge Schwierigkeiten machen. V e r d a m m te Schwierigkeiten." Lobo schob den kleinen Mann beiseite. „An Ihrer Stelle würde ich das gar nicht erst versuchen, Sir." Marshal Garson drängte sich zwischen das Halbblut und den Richter. Die weißen Flecken in seinem G e sicht w a r e n größer geworden. In seinen blauen Augen flackerte etwas, das n u r Angst sein konnte. „Sie h a ben gehört, was Longfield gesagt hat. 38
Sie wissen, daß ich allein keine Chance habe, daß ich jetzt schon so gut wie tot bin. Soll ich mich einfach abschlachten lassen?" „Das Gesetz steht doch hinter Ihnen, Marshal. Rufen Sie die Armee. Wenn es gegen die Indianer ging, w a ren die Blauröcke immer sehr schnell zur Stelle. Weshalb nicht einmal, wenn es gegen Weiße geht? Gegen Weiße, die einen Lieutenant und einen Sergeanten umgebracht haben. Was hindert Sie denn, die Armee um Hilfe anzurufen?" „Er ist ein starrköpfiger, alter Esel", fuhr Richter Lee dazwischen. „Wir werden ein p a a r Leute als Deputies vereidigen. Ich setz das schon durch." Marshal Garson ließ ein gereiztes Lachen hören. „Deputies? Mach dir doch selbst nichts vor, William. Kein Mensch läßt sich einen Stern an die Brust kleben, wenn es gegen Longfield geht. Und, zum Teufel auch, ich habe auch keine Lust, diesen Stern noch länger zu tragen." Garson nestelte am Hemd herum. Richter Lee legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Vor ein paar Minuten hast du noch von Verpflichtungen gesprochen, Dean. Mann, beiß dich doch nicht selbst." „Scheiße", sagte Garson wütend. Er plumpste auf einen Stuhl, starrte vor sich hin und schien sich und die Welt aufgegeben zu haben. Stiefel polterten über die Veranda. Ein Mann steckte den Kopf durch die Tür. „Ist das Halbblut da?" Lobo w a n d t e sich dem Mann zu. „Was ist los?" „Missis Fargas und der alte Orbie sind bei Charlie Jonas oben. Charlie Jonas h a t nach dir verlangt. Ich glaube, er macht's nicht mehr lange." „Wer ist noch bei ihm?" , , A u ß e r Doc Copper hab ich niemanden gesehen. Hast wohl Schiß, Halbblut, was?". Hinter Lobo sagte der Marshal:
„Warten Sie, ich komme mit." Lobo wehrte ab. „Nicht nötig. Bleiben Sie n u r hier und brüten Sie etwas Gescheites aus. Sie und der Richter."
„Geh zu, ihm", sagte Virginia. Sie gab die Tür frei. In dem Raum, in den das Tageslicht nur schlecht Zutritt fand, sah Lobo den Doc vor Charlie Jonas' Bett sitzen. Doktor Copper winkte das Halbblut heran. „Ich glaube, er will Ihnen etwas sagen. Seine Stimme ist schon recht schwach." „Was ist mit ihm, Doc?" Der Arzt zuckte mit den Schultern. „Eine Rippe ist durch die Lunge gedrungen." Doktor Copper ging hinaus. Lobo n a h m seinen Platz ein. Er beugte sich zu Charlie Jonas herab. Der Alte er-
kannte ihn. Sein faltiges Gesicht hellte sich etwas auf. „Lobo", rasselte es matt über die welken Lippen. Das Halbblut nickte. „Du m u ß t nicht reden, Charlie Jonas." „Ich m u ß reden, mein Freund." Er versuchte, seine Lage zu verändern. Lobo drückte ihn zurück. Charlie J o nas zeigte auf seine Füße. „Die Stiefel, zieh sie mir aus, Lobo. Den linken." Lobo tat, was der Alte verlangte. Charlie Jonas äugte, soweit das noch möglich war,' mißtrauisch zur Tür. „Greif hinein, mein Freund. Greif n u r hinein." Lobo tat auch das. Es überraschte ihn keineswegs, als er ein gefaltetes Papier herauszog. Er wollte es öffnen. Charlie Jonas w e h r t e ab. „Nicht hier, Lobo." Er hustete. Sein faltiges Gesicht verzog sich schmerzhaft. „Gold", murmelte er, „viel gutes, rei-
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nes Gold. Du wirst reich sein, mein Freund. Du kannst dir die Freiheit erkaufen." Seine Stimme war immer schwächer geworden. Mit den letzten Worten hauchte er das bißchen L e ben, das ihm noch geblieben war, aus. Lobo blieb noch eine Weile am Bett des alten Mannes sitzen. Die Stille lockte Doc Copper an. Lobo winkte ihn h e r a n . „Danke, d a ß Sie mich h a ben rufen lassen, Doc. Ihre Arbeit hier ist getan." Virginia blickte Lobo aus großen Augen entgegen. Das Halbblut m a c h t e eine vage Handbewegung. Orbie Cortland sagte: „Sie haben versucht, alles aus ihm herauszuleiern. Weil er schwieg, haben sie ihn erschlagen. Wer das getan hat, der hat keinen Anspruch auf Menschlichkeit." Er sah Lobo aus seinen alten, traurigen Augen an. Lobo nickte. „So ist es, Orbie. Sie werden dafür bezahlen." Orbie Cortland zeigte eine schwache Zufriedenheit. „Charlie Jonas wird jetzt besser schlafen können. Ich wünschte, ich könnte dir helfen, Halbblut. Bei Gott, das wünschte ich." Neben Orbie Cortland sagte Virginia: „Sie waren Freunde, solange ich denken kann. Es h a t Orbie hart getroffen. Ich glaube", sie versuchte ein Lächeln, „du solltest doch mit zur Ranch kommen. Wenn du noch magst", fügte sie hinzu. Die Sonne stand schon tief über den Manzona-Bergen, als sie die Ranch erreichten. Virginia kochte ein Essen. Später saßen sie zusammen. Die Frau, ein alter Mann und ein Halbindianer. Die Ereignisse h a t t e n sie einander nähergebracht. Sie kannten ihre Situation und w u ß ten um die Gefahren, die sie belauerten. Sie waren eine kleine Gemeinschaft ohne Illusionen. Nach einem träge dahintropfenden Schweigen sagte Lobo: „Charlie J o nas' Geheimnis w a r keines mehr. 40
Das w a r der Grund, weshalb sie ihn erschlagen haben." Er nahm das zusammengefaltete Papier und breitete es auf dem Tisch aus. Es war eine Zeichnung, die den Lauf des Nugget Creek wiedergab. An verschiedenen Stellen w a r e n kleine Kreise gezogen. Virginia fragte: „Was ist das?" Lobo zeigte auf die kleinen Kreise. „Das sind die Stellen, an denen Charlie Jonas das Gold aus dem Creek gewaschen hat." Er nahm das Papier und faltete es zusammen. „Es gehört dir, Virginia." „Mir?" Sie schüttelte den Kopf. „Weshalb, Lobo?" „Mir w ä r e es nicht von Nutzen." „Wem w a r Gold je von Nutzen? Charlie Jonas ist doch das beste Beispiel. Nein, Lobo, ich mag es nicht." „Nein?" Das Halbblut nahm das Papier und hielt es über den Zylinder der Lampe. Es w u r d e schwarz, es kräuselte sich, dann schleckten kleine rote Flammen darüber. Hinter Lobo sagte der alte Orbie: „Es ist bitter mit ansehen zu müssen, wie die T r ä u m e eines Mannes von den Flammen aufgefressen werden." „Träume?" Virginia nahm das Wort auf. Sie sah Lobo an und sie lächelte. „Träume sind etwas Wunderbares, etwas unvergleichbar Schönes. Aber es sind eben n u r Träume." Sie stand auf und verließ den Raum. Orbie Cortland vergrub sich in seine Gedanken. Seit das Halbblut hier war, hatte seine Welt ein Leck. Er hatte Virginia in seinen Bann gezogen, er hatte einen Krieg entfacht, dessen Folgen leicht abzusehen w a ren. Irgendwann w ü r d e das Schicksal zuschlagen, hart und grausam, so, wie es bei Charlie Jonas zugeschlagen hatte. Der Blick Orbie C o r t l a n d s traf das Halbblut mit der schwachen Kraft eines alten Mannes. Lebensm u t flackerte darin, etwas von Stär-
ke, die es längst nicht mehr gab. „Wann immer meine Uhr stehenbleibt, sie darf nicht aufhören zu tikken, bis Charlie Jonas' Mörder ihre Strafe haben", sagte er. „Du hast es versprochen, Halbblut, und du bist es Charlie Jonas schuldig. Ihm - und Virginia." Er n a h m den Blick von Lobo. Seine zittrigen Finger stopften eine Maiskolbenpfeife. Virginia kehrte zurück. Alle T r ä u me waren verwischt. Ihre braunen Augen blickten hart, unfraulich. „Ich glaube", sagte sie mit trockener Stimme, „das Haus bietet keine Sicherheit mehr. Orbie, hol die Winchester aus dem Schrank." Sie schraubte den Docht der Lampe ganz zurück. Die Dunkelheit war tief und vollkommen. „Longfield?" fragte Lobo durch die greifbare Finsternis. „Drei Männer", gab Virginia zurück. Ihre Stimme vibrierte etwas. „Es ist nicht weniger, als ich e r w a r t e t habe." Orbie tastete heran. „Ihre Schatten heben sich schwach gegen die Nacht ab. Sie stehen oberhalb der Poststraße." Das Halbblut verschwand aus dem Raum, er tauchte im Dunkel unter, ohne daß auch n u r eine Spur von Bewegung oder ein Geräusch zu bemerken gewesen wäre. Ihre Schatten hatte die Nacht aufgesaugt. Nichts war um Lobo als eine gleichmäßige, tiefe Stille. Der Mond w a r nur noch eine dünne Sichel, die sich verschämt hinter treibenden Wolken verbarg, die n u r gelegentlich hervorlugte und der Erde kein Licht gab. Unter den Cottonwoods und den Eichen im großen Hof war die Finsternis greifbar. Lobo drückte sich an einen der dikken Stämme. Sein Atem war lautlos, ruhig. In ihm w a r keinerlei E r r e gung. Und wieder tropfte die Zeit dahin, wurden Sekunden zur Ewigkeit. Sie strapazierte die schwachen Nerven starker Männer. Irgendwo aus
dem Nichts drang ein schwacher Ruf. Ein Schatten huschte auf Lobo zu, lautlos wie eine Fledermaus. Er spannte die Muskeln. Er duckte sich zusammen, hielt instinktiv die Hand mit dem Bowiemesser vor und spürte, wie jemand dagegenlief Ein Mann sank zu Boden. Vom Haus her fielen Schüsse. Nach der offenen Weide zu wieherte ein Pferd. Ein Mann schrie auf. Kugeln flogen wie Glühwürmchen durch die Nacht. Und dann nichts mehr. Kein Laut. Kein Stöhnen, kein Fluch, nur dumpfes, hohles Klopfen, Pferde, die über weichen Grasboden galoppierten. Der alte Orbie k a m mit' einer Lampe aus dem Haus. Lobo trat hinter den verbergenden Bäumen hervor. „Avery Whitham", sagte er und wies auf den leblosen Mann vor sich. „Ein Verlust für Longfield. Aber nicht groß genug, um ihn umzuwerfen." Er ging an Orbie vorbei. Er sattelte den Rappen. Die Nacht schluckte ihn, wie sie die Männer vor ihm geschluckt hatte.
Jack Dalhards Ranch lag auf einem Hügel, der nach allen Seiten flach abfiel. Es gab keine Bäume. Nur weiter unten, am Fuße des Hügels, ein paar Büsche. Das große Ranchhaus w a r weiß gestrichen. In der Dunkelheit sah es aus wie ein riesiger, heller Klecks. Im Hause b r a n n t e kein Licht. Jedenfalls war keines zu sehen. Es w a r eingehüllt in das tiefe Schweigen der Nacht. Lobo hielt" am Fuße des Hügels, verborgen von Salbeibüschen, deren würzig strenger Geruch einen bitteren Geschmack im Munde erzeugte. Die Nacht w u r d e kühler, das Schweigen eindrucksvoller. Das Halbblut verließ den Platz. Er lenkte den Rappen nach Nordwesten, dem scharfen Nachtwind entgegen, der 41
seinen Kopf kühlte, seine Gedanken ordnete. Die Sangre de Cristo Range war ein riesiger schwarzer Klumpen. Ihre Ausläufer schoben sich weit in das Grasland vor. Der Boden w u r d e steinig. Vereinzelt Krüppelkiefern, ein p a a r vergessene Sommereichen, das w a r die Vegetation. Hin und wieder etwas Buschgras. Es gab keinen Grund, weshalb das Halbblut in die Berge ritt. Er wollte allein sein, die letzten Stunden vergessen, den Mann vergessen, den er tot auf der Fargas Ranch zurückgelassen hatte. Longfield und die vom Teufel besessene Horde wollte er vergessen, und auch Virginia. Aber sie alle holten ihn ein. Sie ließen ihn nicht los. Sie w a r e n ein Stück von ihm geworden. Der Rappe kletterte geduldig und ohne Eile einen felsigen Hügel hinauf. Die Kuppe w a r flach. Ein knorriger Cottonwood streckte seine Äste fächerförmig aus. Nach der anderen Seite fiel das Land sanft ab. Der H ü gel endete in einem schmalen Tal, auf dessen G r u n d ein einzelnes Licht einen buttergelben Schein verbreitete. Lobo hielt überrascht an. Ein Siedler, vielleicht ein Fallensteller, dachte er. Das Licht irritierte ihn. „Was geht's mich an", murmelte er für sich. Er wollte umkehren, aber irgend etwas hielt ihn fest, etwas, für das er keine Erklärung hatte. L a n g sam ritt er den sanften Hang hinab. In kurzer Entfernung von einer Hütte, die ihn sehr an Charlie Jonas' Behausung erinnerte, hielt Lobo an und stieg ab. Das Licht brannte u n verändert hell. Aus dem Innern der Hütte drang ein unmelodisches, gleichmäßiges und eintöniges Geräusch. Das Schnarchen eines Mannes. Das Halbblut v e r h a r r t e ein p a a r Augenblicke bewegungslos, dann zog er die Tür auf. Es war eine jener primitiven, roh zusammengehauenen Hütten, wie sie 42
die Cowboys auf weit abgelegenen Weiden zum Schutz vor Unwetter benutzten. Die Inneneinrichtung bestand aus zwei Pritschen, die gleichmäßig an den beiden Längswänden standen. In der Mitte war ein Tisch, zwei einfache Hocker. Sonst nichts. Auf einer der Pritschen w a r e n Dekken ausgebreitet. Ein Mann hatte sich hineingerollt. Sein Schnarchen riß unvermittel ab. Der Mann richtete sich halb auf. Er hatte wirre b r a u ne Haare, einen wochenalten, rötlichen Bart und wildblickende, dunkle Augen. Er roch nach Schnaps und menschlichen Ausdünstungen. „Hallo", sagte Lobo. Er hob etwas die Hand und ließ sie wieder fallen. Sie ruhte dicht neben dem Griff des Army Colts. Der Mann rieb sich die Augen, dann spuckte er aus und versuchte, sich vollends aufzurichten. „Jack Dalhard?" fragte Lobo. Die Frage war ein Schuß ins Blaue. „Wen hast du denn erwartet?" Der Mann kniff die Augen zusammen, riß sie wieder auf. „Ein Halbblut, wenn ich richtig sehe. Du bist wohl neu, was? Hat dich Owen geschickt?" Er starrte Lobo an, dunkel und störrisch. Das Halbblut nickte. „Ja. Owen schickt mich." Jack Dalhard setzte die Beine auf den Boden. Er griff nach einer neben der Pritsche stehenden Flasche, beäugte sie, stellte fest, daß sie leer war, stieß sie mit dem F u ß gegen die Wand und schickte einen Fluch hinterher. „Hast du Schnaps mitgebracht, Halbblut?" „Nein, Jack. Owen hat gesagt, du solltest mit dem Saufen Schluß machen." „Owen, Owen, nichts als Owen. Das höre ich schon, solange ich denken kann. Er soll zum Teufel gehen! J a wohl, zum Teufel! Weshalb bist du hier, Halbblut?" Er schob den Kopf vor und starrte Lobo an. Nicht feindselig, noch nicht einmal aufsässig
oder böse. „Weshalb bist du hier?" wiederholte er. Das Halbblut zuckte mit den Schultern. „Ich wollte nur mal reinschauen, Jack." Lobo blickte sich um. Er sah nirgends eine Waffe, keinen Gürtel mit Patronen, nur ein einfaches Messer. „Warum hast du keinen Schnaps mitgebracht, Mann? Owen hat mir welchen versprochen. Ohne Schnaps ist das Leben hier nicht auszuhalten. Es ist ein Scheißleben, ein Hundeleben." „Vielleicht hat er es vergessen, Jack." Lobo lächelte Dalhard geduldig an. „Vielleicht will er auch, daß du zur Ranch zurückkommst. Bestimmt will er das, Jack." Unter den Bartstoppeln war Dalhards Gesicht rot angelaufen und schwitzte. In seinen dunklen Augen spiegelte sich ein schwacher Irrsinn. Seine Zunge fuhr schnell über die Lippen. „Zur Ranch zurück?" Er lachte wie ein Verrückter. Er riß sich das Hemd vom Leibe, zeigte Lobo seinen zerschundenen Rücken. „Ich hab das schon einmal versucht. Das ist das Ergebnis, Halbblut." Er fuhr sich erregt mit der Hand über das Gesicht. „Einmal komme ich zurück. Ganz bestimmt." Sein Blick saugte sich in Lobos Gesicht fest, das noch deutliche Spuren von Longfields Peitsche trug. „Er hat dich gezeichnet, Halbblut. Er zeichnet alle, die aufsässig sind. Er duldet keinen Widerspruch. Schon früher nicht." „Wann früher?" fragte Lobo schnell. „Früher", sagte Jack Dalhard, d a n n verschloß er die Lippen für einen Augenblick. Ganz überraschend zeigte er ein gelassenes, unerforschliches Lächeln. „Nein", sagte er, „nein, dich hat Owen nicht geschickt. Wer bist du, was willst du, Halbblut? Mich umbringen, ausplündern?" Er lachte wieder dieses verrückte L a chen. Dann riß es urplötzlich ab.
Jack Dalhard sank auf die Pritsche zurück. Er gab einen L a u t von sich, als bereite ihm das Atmen Mühe. „Vielleicht", sagte Lobo, „will ich dich hier rausholen, Jack." „Rausholen? Wohin, Halbblut?" „Zur Fargas Ranch, Jack." Jack Dalhard schnellte hoch, als hätte ihm jemand einen Kaktusstachel in den Hintern getrieben. Er stand da und zitterte. Er starrte Lobo mit kahlen Augen an, seine Stimme war von einer durchsichtigen Leere. „Die Fargas Ranch! Mein Gott, wie lange ist das her?" „Über zwei Jahre, Jack." Jack Dalhard nickte geduldig. „Ja. über zwei Jahre." Dann schüttelte er verzweifelt den Kopf. „Weißt du, ich habe es früher schon mal versucht." Er schwieg und blickte an Lobo vorbei, „Was hast du versucht, Jack?" „Virginia", sagte er. „Wir waren Nachbarn, weißt du, gute Nachbarn. Bis Owen kam. Nein, nein, ich will nicht zurück. Er wird mich zu Tode peitschen und dich auch. Vielleicht sogar Virginia. Er ist unberechenbar. Er w a r schon immer unberechenbar." „Wie lange kennst du ihn, Jack?" Der große, völlig heruntergekommene Mann wich einen Schritt zurück. Er grinste Lobo an. Es war ein verunglücktes, kein sehr fröhliches Grinsen. „Du willst mich aushorchen, was? Ich lasse mich nicht aushorchen. Wenn Owen dahinterkommt, wird er mich an die Wand nageln und mir das Fell in Streifen vom Leibe schneiden. Weißt du was, Halbblut? Geh lieber. Schade, daß du keinen Schnaps hast." „Vielleicht kommst du doch mit, Jack. Ich w ü ß t e schon einen sicheren Platz, wo dich Owen nicht findet." „Owen findet mich überall. Er hat mich auch hier gefunden. Ihm kann man nicht davonlaufen. Glaub mir das, Halbblut." 43
Lobo glaubte ihm. Er legte Dalhard eine Hand auf die Schulter. „Wenn ich wiederkomme, bring ich dir eine Flasche mit, Jack. Eine von mir und eine von Virginia Fargas. Okay?" „Kommst du bald, Halbblut?" „Bestimmt, Jack." Lobo ließ den verzweifelten, vom Irrsinn befallenen Mann. Während des Rittes durch die Kühle des e r w a chenden Tages hatte er viel Zeit, über Jack Dalhard nachzudenken. Dalhard und Longfield mußten sich von früher kennen. Longfield w a r der Stärkere. Er hatte Macht über Dalhard, er beherrschte ihn. Longfields Macht m u ß t e irgendeinen dunklen Ursprung haben, den zu erforschen weit a u ß e r h a l b von Lobos Möglichkeiten lag. Vielleicht w ü r d e Dalhard einmal reden. Vielleicht.
Bei Lobos Rückkehr zur Fargas Ranch traf er eine Armee-Eskorte an. Der alte Orbie gab ihm ein Zeichen. „Sie sind von Santa Rose herübergekommen. Sie wollen eine Menge wissen, verstehst du?" „Ja. Wo ist Virginia?" „Im Hause. Wenn ich alles recht verstanden habe, wollen sie auch die Pferde mitnehmen. Wo hast du dich eine Nacht lang herumgetrieben?" Ein paar Soldaten sahen m i ß trauisch herüber. Sie redeten m i t einander. Ein Corporal löste sich aus der Gruppe und t r a t auf Lobo zu. „Bist du das Halbblut, dem sie den Prozeß gemacht haben?" „So ist es." „Der Captain möchte dich sprechen. Er ist im Haus." Er faßte Lobo am Arm. „Ich bring dich zu ihm." Das Halbblut streifte die Hand des Corporals ab. „Ich k a n n gut alleine laufen." „Er ist okay", sagte der alte Orbie. „Man darf ihn n u r nicht wild m a chen, Corporal." 44
Virginia empfing Lobo an der Tür. Sie sah übernächtigt aus. Die Falten von der Nase zu den Mundwinkeln hatten sich vertieft. Unter ihren braunen Augen lag ein Schatten. „Ich war sehr in Sorge", sagte sie. „Marshal Garson w a r schon hier. Er wollte dich sprechen. Komm mit rein." Der Captain w a r ein mittelgroßer, hagerer Mann mit einer scharfen, geraden Nase, schmalen Lippen und stechendem Blick. Er winkte Lobo heran. „Sie sind das Halbblut, von dem so viel geredet wird, was?" Er wies auf einen Stuhl. „Setzen Sie sich. Lobo ist Ihr Name, stimmt's?" „Ja, Sir." Lobo setzte sich. Er beugte sich etwas vor und betrachtete die vielen, kleinen Falten rund um die Augen des Captains. Ein kühler, fähiger und gefährlicher Mann, dachte er, behielt aber seine Gedanken für sich. „Ja", sagte der Captain, „eine schlimme Sache." Er sah Virginia an. „Meine Leute können also bei Ihnen Quartier machen, Missis Fargas?" „Weshalb?" fragte Lobo. Der Captain ruckte zu Lobo herum. „Weshalb? Mann, in der Nähe dieser Ranch wurden zwei meiner besten Leute ermordet. Dazu ein Regierungsbeauftragter. Sie wurden ermordet und ausgeraubt. Dreitausend Dollar. Der Preis für fünfundzwanzig gute Pferde." „Ich weiß, Sir." Lobo wechselte einen schnellen Blick mit Virginia. Die F r a u zuckte mit den Schultern. Sie wußte mit diesem Blick nichts anzufangen. Lobo drehte sich so, d a ß er dem Captain voll ins Gesicht sehen konnte. „Ich kenne die Mörder Ihrer Leute, Sir. Sie haben m e h r gemordet, als nur Ihre Männer. Und sie sind bereit, weiter zu morden." Lobo zeigte auf Virginia. „Die Frau dort, Sir. Den alten Mann draußen auf dem Hof und mich." Die Stille im Raum w a r so dicht
wie Morgennebel. Der Captain knöpfte den obersten Knopf seiner Uniformjacke auf. Die Luft w u r d e ihm knapp. Er schwitzte. Nach einer Weile brachte er einen rauhen Zischer über die Lippen. „Sie allein können wenig ausrichten, Halbblut." „Ich w a r immer allein, Sir. Nehmen Sie Ihre Männer mit. Sie haben schon zwei geopfert. Noch mehr, das w ä r e zu viel." Der Captain stand auf. „Das Geschäftliche ist ja wohl a b gewickelt, Ma'am", sagte er. Lobo beobachtete, wie sie die Pferde einfingen, sie aneinander koppelten und davontrieben. Virginia stand neben dem Korral. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, ihre Gefühle jedoch ahnen. Sie liebte die Pferde. J e des einzelne von ihnen. Sie liebte sie und mußte sie doch hergeben. Virginias Augen glänzten feucht, als sie den Raum betrat. Lobo wollte ihr etwas Tröstendes sagen, ein paar gute Worte, irgend etwas, das ihr über den Schmerz hinweg half. „Was wollte Garson?" fragte er jedoch nur heiser. Virginia setzte sich neben ihn. Mit einer matten Bewegung wischte sie die Augen trocken. „Er wollte dich sprechen. Es gäbe etwas, das du w i s sen solltest." „Und was ist das?" „Das hat er nicht gesagt." Das Halbblut nickte. „Sie werden wiederkommen. Vielleicht heute, vielleicht morgen. Du solltest die Ranch verlassen, Virginia." „Du meinst, ich soll fortgehen?" „Ja. Wenigstens für ein paar Tage. Ich werde nicht immer hier sein, w e n n sie kommen. Sie werden dir das Dach über dem Kopf anzünden, sie werden alles niederreißen und niederbrennen. Glaub mir, es ist besser, wenn du von hier fortgehst." In Virginias Augen lag wieder j e ner widerspenstige Blick, den Lobo bereits kannte. „Es ist meine Ranch,
es ist mein Boden! Niemand wird mich hier fortbringen. Wenn es sein muß, werde ich kämpfen." Sie hob etwas die Hand. „Jedes weitere Wort wäre Verschwendung." Der' alte Orbie t r a t ein. Das Schweigen zwischen Virginia und Lobo mißfiel ihm. „Was ist los, he?" Sein Blick glitt über das Halbblut. „Du siehst ziemlich beschissen aus. Eine Handvoll Schlaf w ü r d e dir guttun. Ein unausgeschlafener Mann ist nur ein halber Mann, und halbe Männer sind meist tote Männer." „Wie recht du hast, Orbie." Lobo sah Virginia an. Sie nickte ihm zu. „In Orbies K a m m e r stehen zwei Betten. Ich mach dir eines zurecht." Sie ging hinaus. Orbie tupfte sich ein paar Schweißtropfen von den Tränensäcken unter den Augen. „Du w a r s t eine lange Nacht unterwegs", sagte er, und er erwartete eine Antwort. „Der Weg zu Jack Dalhard ist lang, Orbie." Der Alte riß die Augen auf. „Wo warst du?" Er schluckte aufgeregt. „Hat dich, ich meine, hat dir Virginia gesagt, wo sie Dalhard verborgen halten?" „Weiß sie es denn?" Die F r a u kam zurück. „Das Bett ist gerichtet", sagte sie. Lobo überging die unausgesprochene Aufforderung. Seine dunklen Augen hatten sich in Orbie gekrallt. „Ich hatte dir eine Frage gestellt, Alter." „Frag sie selbst, Halbblut." „Was sollst du mich fragen?" Virginia schaute Lobo an. Lobo spürte die Mauer, die Virginia zwischen sich und ihm errichtet hatte, eine Mauer, die er wohl nie mehr zum Einsturz bringen konnte. Sie war wieder die Frau, die er damals vor Charlie Jonas' Hütte kennengelernt hatte. Stolz, ein wenig hochmütig, unnahbar. Sie hat ihren T r a u m zu Ende geträumt, dachte er. Einen zweiten Traum wird es nicht 45
mehr geben. Wegen eines Halbblutes hatte sie sich vor einer ganzen Stadt bloßgestellt. Sie h a t t e es getan, um das Leben eines Mannes zu retten, mit dem sie eine lange Nacht im Bett verbracht hatte. In ihr w a r keine Reue. Sie war stark genug, um es zu tragen. Sie w a r auch stark genug, um es zu vergessen, es aus ihrem Leben zu streichen. Die zwischen ihr und ihm errichtete Mauer machte für beide eine Rückkehr unmöglich. Jetzt und heute und für immer. „Was sollst du mich fragen?" Sie wiederholte es und wartete auf eine Antwort. „Du weißt, wo sich Jack Dalhard verborgen hält. Was weißt du noch, Virginia?" Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne und biß darauf. Sie erbleichte ein wenig. Die Sommersprossen auf ihrer Nase sahen aus wie kleine gelbe Tupfer. „Was k ü m m e r t dich Jack Dalhard, Lobo?" „Nichts. Ich bin n u r zufällig auf ihn gestoßen. Draußen in den Bergen. Hör zu, Virginia", Lobos Stimme w a r drängend, rauher, „ich weiß nicht, weshalb du mir das verschwiegen hast. Eines aber weiß ich: Zwischen Dalhard und Longfield gibt es irgendwelche Verbindungen, die weit zurückreichen. Und ich glaube, du weißt das auch." Virginia stand still da. Sie w a r ganz ruhig. „Was h a t dir Jack Dalhard erzählt?" „Nichts. Jedenfalls nichts, was mit dir in Zusammenhang zu bringen wäre. Jack Dalhards Geist ist v e r wirrt. Das einzige, was ihn noch am Leben hält, ist Schnaps. Er hat von früher geredet, von ganz früher. Da m u ß er Longfield schon gekannt h a ben. Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Dalhard und Longfield? Dalhard war doch Rancher. Wo sind sein Vieh und seine Leute? Und du, Virginia, was hast du mit Dalhard zu tun?" 46
„Dalhard", sagte Virginia, ihre Stimme w a r gedämpft und weit weg, „ist Longfields Bruder." Sie warf den Kopf in den Nacken. Ihr Blick w a r leer, ausdruckslos und kalt bis ins Herz hinein. „Was willst du noch wissen? Frag nur, frag nur immer. Ich werde alles vor dir ausbreiten. Es ist eine Menge, eine verdammte Menge." Sie beugte sich nach vorn, sank aber sofort wieder auf ihren Stuhl zurück. Die kalte, ausdruckslose Leere w a r aus ihrem Blick gewichen. Sie wirkte hilflos, ausgelaugt. „Die Zeit", murmelte sie matt und kaum verständlich, „macht alles runzlig, schäbig und gemein. Die Zeit hält nicht an, und die Zeit läßt sich nicht zurückdrehen." Sie schlug die Hände vor das Gesicht und verbarg es vor dem drängenden Blick des Halbindianers. „Nichts ist so tot wie die Vergangenheit, Virginia", sagte Lobo. Sie n a h m die Hände vom Gesicht und sah ihn an. Auf ihren Lippen lag ein gequältes Lächeln. „Wirklich?" Sie schüttelte den Kopf. „Weshalb sagst du so was? Vor der Vergangenheit k a n n niemand davonlaufen, Lobo. Gerade du solltest das wissen." Ein tiefer Atemzug hob ihre runden, fraulichen Brüste. „Ich bin noch nicht fertig", sagte sie. „Dalhard und ich . . ." Lobo schnitt ihr das Wort ab. „Es ist genug." „Das denke ich auch. Es ist schon viel zuviel geredet worden. Was geht dich das eigentlich an, Halbblut?" fragte Orbie Cortland. Lobo w a n d t e sich um. Sein Blick kreuzte sich mit dem des alten Orbie. In den Augen des Alten lag ein öliger Glanz. „Es w a r alles friedlich hier. Nicht sehr friedlich, aber immerhin so friedlich, daß man keine Angst haben mußte, getötet zu werden. Und d a n n kamst du, und mit dir kam das Unheil. Der Teufel m u ß dich
hierher gespuckt haben. Aber w a r um gerade hierher?" „Halt den Mund", sagte Virginia scharf, „halt den Mund, Orbie!" Der Alte spuckte aus. „Ich bin ja schon still." Er ging an Lobo vorbei zur Tür. „Es war nicht so gemeint. Aber manchmal versagen auch die Nerven eines alten Mannes. Du verstehst das doch, Halbblut, oder?" „Ja, sicher. Ich glaube, wir sind alle ein bißchen nervös." Er wandte sich direkt an Virginia. „Wäre es dir recht, wenn ich Jack Dalhard hierher brächte?" „Das - das würdest du tun, Lobo?" Er lächelte sie an, nickte. „Gewiß. Weshalb sollte ich es nicht tun?" Etwas traurig fügte er hinzu: „Man k a n n einen T r a u m n u r einmal t r ä u men, Virginia. Unser Traum ist zu Ende."
Es w a r Mittag, als Lobo den Rappen sattelte und zur Stadt ritt. T u cumcari empfing ihn mit der müden Trägheit eines heißen Tages. Die Straße w a r so leer wie eine ausgeleckte Futterkirppe. Ein Hund lag im Schatten eines Gehsteiges und blinzelte Lobo schläfrig an. Sonst war nichts. Die Stille w a r tief und beängstigend. Marshal Dean Garson saß auf einem Stuhl im Office. Er hatte das Hemd bis zum Bauch hinunter aufgeknöpft. Der Revolvergurt hing über der Stuhllehne. Auf dem Schreibtisch lagen ein paar erschlagene Fliegen. Aus einer dicken schwarzen Zigarre paffte er Rauch in die Luft und sah zu, wie er sich auflöste. Er blickte Lobo entgegen. Er lächelte, aber seine Augen lächelten nicht mit. „Ich w a r in aller Frühe auf der Fargas Ranch und habe dort einen Toten gefunden. Irgendwer hat ihn mit einem Messer getötet. Waren Sie
das zufällig?" Garson stieß eine weitere dicke Wolke über die Lippen. Er blinzelte. „Bewahre, Marshal", sagte Lobo. „Nein?" Er zeigte keinerlei Überraschung. „War nur so ein Einfall von mir." „Sie haben wohl öfter solche Einfälle, was? Sie wollten mich sprechen, Garson. Heraus damit." Der Marshal rüttelte sich etwas zurecht. Er zupfte sich an seiner breiten Nase. „Was h a t Ihnen Charlie Jonas hinterlassen?" fragte er plötzlich scharf. Er stieß den Kopf vor. Seine blauen Augen bohrten sich tief in die des
Halbbluts, als könne er etwas in ihnen lesen. Lobo lehnte sich gegen die Wand. Er verschränkte die Arme vor der Brust und dachte, daß irgend etwas den Marshal verändert hatte, und zwar grundlegend. „Wollten Sie mich deshalb sprechen, Marshal?" „Das ist einer der Gründe. Also was?" Lobo schnippte mit den Fingern. „Charlie Jonas hatte ein kleines Geheimnis, Garson. Und wie ich sehe, sind Sie so scharf darauf wie ein Zuchthengst auf eine rossige Stute." Marshal Garson w a r aufgestanden. Wie zufällig langte er nach dem Revolvergurt über der Stuhllehne. Lobos Lippen kräuselten sich. „Was hat Sie so verwandelt, Marshal?" fragte er. „War es Longfield?" „Sie sind ja verrückt, Mann!" „Nun, ausgeschlossen wäre das nicht. Aus diesem oder jenem G r u n 47
de ist es Longfield heiß geworden. Sie, Garson, sind ihm im Weg. Aber nachdem zwei Soldaten und ein Regierungsbeauftragter bereits u m g e bracht wurden, w ä r e ein Marshal ein zu großes Risiko. Also, versucht er, Sie als Partner zu gewinnen. Wie gefällt Ihnen das, Marshal Garson?" Lobo hatte sich von der Wand gelöst. Mit der Lautlosigkeit eines Panthers bewegte er sich auf Garson zu. „Was hat Ihnen Longfield versprochen? Los, Mann, reden Sie!" „Ich sage ja, Sie sind verrückt!" „Garson", Lobo blickte sich um, „wir zwei sind hier ganz allein." Dean Garson wich zurück. „Sie h a ben doch gehört, was Longfield nach der Verhandlung gesagt hat. Was soll ich denn machen? In dieser verdammten Stadt gibt es keine N e u t r a lität. Blinzelst du nach der einen Seite, kommt die andere und will dich zurechtstutzen, oder es ist umgekehrt. Sagen Sie doch ein einziges, kleines Wort von dem, was Charlie Jonas preisgegeben hat. Sagen Sie es, Ihnen nützt es doch sowieso nichts mehr. Meine H a u t ist zu wertvoll, um sie mir wegen eines Halbblutes vom Leibe ziehen zu lassen." Garson verschloß sofort den Mund. Er hatte einen Satz zuviel gesagt, und er w u ß t e das. Er sackte völlig in sich zusammen. Sein Atem traf Lobo ins Gesicht. Er roch nach Schnaps. „Sie stellen Charlie Jonas Hütte auf den Kopf. Alle sind oben. Auch Longfield." Aus Lobo brach ein fast fröhliches Lachen. „Sie sind Narren. Auch Sie, Garson. Es gibt nichts, was sie finden werden. Und was es einmal gab, das existiert nicht mehr. Mußte deshalb der alte Charlie Jonas sterben?" Garson nickte schwach. „Das w a r wohl mit der Grund. Was soll ich jetzt tun?" „Klemmen Sie sich ein Pferd zwischen die Schenkel und reiten Sie zur Fargas Ranch. Garson?" 48
„Was?" „Ich w ü ß t e gern etwas über Longfields Geschäfte. Sie wissen doch einiges, nicht w a h r ? " „Ich weiß nichts. Niemand weiß etwas. Lassen Sie mich doch in Ruhe, Mann. Haben Sie mich nicht schon genug gequält?" „Und über Jack Dalhard wissen Sie natürlich auch nichts." Dean Garson sank noch mehr in sich zusammen. „Sie haben recht", sagte er, und in seiner Stimme war das ganze Elend eines verzweifelten Mannes, „es ist egal, welche Kugel einem das Licht ausbläst. Ob aus Ihrem Revolver oder aus dem von Longfield. Was macht das schon aus?" „Wenn Sie sich schon erschießen lassen, d a n n für eine gute Sache", sagte Lobo sarkastisch.
Lobo verließ die Stadt kurz nach Marshal Garson. Er ritt nach Osten, schlug weit draußen einen Bogen, hielt auf einen verdeckten Hügel zu und beobachtete von hier aus die Männer, die Charlie Jonas' Hütte inzwischen völlig niedergerissen hatten. Sie w a r e n alle da. Phil Larswood und Lefty Roberts, Turk Kilcook und Owen Longfield. Das Gold, dachte Lobo, raubt ihnen den Verstand. Selbst so kühle Burschen wie Longfield sind ihm verfallen. Und der alte Charlie Jonas führt sie im Tode noch alle an der Nase herum. Möglich, daß es irgendwo am Nugget Creek noch ein paar Körner gab, aber sicher nicht genug, um Wölfe wie Longfield zu befriedigen. Lobo lachte still in sich hinein. Er sah ihnen noch eine Weile zu, dann zog er den Rappen herum. Die freie Weide lag vor ihm. Der Rappe lief, als ginge es darum, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmen Platz zu
sein. Hinter dem Weideland der Fargas Ranch lenkte Lobo den Rappen gegen die Berge. Er fand die Hütte, auf die er in der Nacht durch Zufall gestoßen war, nicht sofort. Eine schwach gegen den klaren Himmel steigende Rauchfahne wies ihm den Weg. Jack Dalhard saß auf einem Hokker und kaute auf irgend etwas herum. Es konnte ein Stück Fleisch oder auch ein Stück Holz sein. Er blickte noch nicht einmal auf, als Lobo eintrat. Jetzt, bei Tageslicht, offenbarte sich die ganze Armseligkeit dieses Mannes. Er w a r nicht mehr als ein Schatten an der Wand mit einem w i r r e n Geist. Ein menschliches Wrack. „Hallo, Jack." „Was willst du?" Dalhard starrte Lobo finster an. In seinem Blick w a r kein Erkennen. „Ich will dich abholen, Jack. Du weißt doch, wir haben in der Nacht d a r ü b e r gesprochen. Owen meinte, es wäre gut, wenn du zur Fargas Ranch umsiedeln würdest. Virginia w a r t e t auf dich." „Virginia?" In seinem bärtigen, verwüsteten Gesicht standen Zweifel. „Virginia ist tot. Owen hat gesagt, sie sei tot. Weshalb nennst du mich Jack?" „Aber Jack." Lobo berührte den Mann an der Schulter. Dalhard fuhr zurück. „Faß mich nur nicht an, du! Jetzt e r k e n n e ich dich. Du bist doch das Halbblut. Hast du mir Schnaps mitgebracht?" Er leckte sich die Lippen. Urplötzlich stand er auf. Seine Haltung hatte etwas Drohendes an sich. „Eigentlich müßte ich dich u m b r i n gen, Halbblut. Owen hat gesagt, ich m u ß alle Männer umbringen, die hier eindringen. Aber dich bring ich nicht um, weil du mir Schnaps bringst. Du bringst doch welchen?" So plötzlich wie er aufgestanden
war, so plötzlich sank er auf den Hocker zurück. Mit einer fahrigen Bewegung wischte er über die Augen. „Manchmal", murmelte er, „glaube ich selbst, d a ß ich verrückt bin." Sein Blick traf Lobo. Es war ein ganz normaler Blick. Ohne Boshaftigkeit und frei von Irrsinn. „Du kennst Virginia? Wie geht es ihr?" „Sie w a r t e t auf dich, Jack." „Wirklich?" Lobo nickte. „Ich bin gekommen, um dich abzuholen, Jack." „Hurensohn!" schrie er, sprang auf und krallte beide Hände um Lobos
Hals. Aber dieser ausgemergelte Mann hatte keine Kraft mehr. Lobo stieß ihn zurück, packte ihn und rüttelte ihn durcheinander. „Komm zur Vernunft, Jack, hörst du?" Er schleifte Dalhard vor die Tür und warf ihn quer über den Rappen. Der Mann zappelte etwas, dann lag er still. Lobo warf einen Blick auf die Hütte und ging zurück. Er n a h m die Petroleumlampe vom Tisch, warf sie auf den Boden, zündete ein Streichholz an a n d ließ es fallen. Eine blaugelbe Flamme schoß hoch. Sie leckte über den Boden, zum Tisch, zur Wand. Lobo verließ die Hütte. Dalhard w a r vom Pferd gerutscht. 49
Er saß auf dem Boden und starrte gegen die Flammen. Der wirre Ausdruck w a r aus seinen Augen gewichen. „Ein hübsches Feuer", sagte er. „Ich befürchte, Owen wird dich dafür zu Tode peitschen. Reiten wir jetzt?" Er stand auf und stellte sich neben den Rappen. Lobo half ihm hinauf. Sie galoppierten gegen den sinkenden Tag. Der Himmel weit hinter ihnen lag in einem purpurnen Licht.
„Die Fargas Ranch, Jack", sagte Lobo, als sie auf das Haus zuritten. Ein kehliges Lachen drang aus Dalhards Mund. „Glaubst du, ich hätte sie vergessen? Es ist lange her, daß ich da war, was?" „Sehr lange, Jack." Virginia empfing sie vor der Tür. Der alte Orbie stand etwas abseits. Marshal Garson kam vom Schuppen herüber. Alle versuchten krampfhaft, ihre Gefühle und Gedanken zu verbergen. In Virginias Augen glitzerte es feucht. „Mein Gott", murmelte sie, „das soll Jack Dalhard sein?" Lobo half Dalhard vom Pferd. Er führte ihn ins Haus, wie man ein krankes Kind führt. „Am besten", sagte er zu Virginia, „wir schrubben ihn erst mal ab." Die Frau nickte schweigend. Sie ging hinaus. Ihre Bewegungen w a ren eckig und unkontrolliert. Dalhard hockte nur da und starrte vor sich hin. Lobo gab dem alten Orbie ein Zeichen, dann folgte er Virginia. „Schlimm?" fragte er und er e m p fand diese Frage als sehr albern. Virginia drehte sich herum. Sie warf sich an Lobos Brust. Ihr Schluchzen war hemmungslos. „Er hat ihn gemordet und doch am Leben gelassen. Was m u ß das für ein Mensch sein, der so was tut." Sie löste sich von dem Halbblut und trat einen 50
Schritt zurück. „Dafür", sagte sie hart, „wird Owen Longfield büßen!" Sie lief davon. Lobo folgte ihr. Sie stieß ihn beiseite, riß das Korralgitter auf, krallte sich in die Mähne eines Pferdes, schwang sich hinauf und raste davon. „Virginia!" Lobos Ruf prallte an ihr ab. Sie verschmolz mit der Nacht. Der alte Orbie hatte Lobos Rappen bereits abgesattelt. Das Tier duldete keinen Reiter auf seinem nackten Rücken. Es bockte und schlug aus. Lobo fluchte. Marshal Garson schleppte den Sattel heran. „Kümmern Sie sich um Dalhard!" rief Lobo ihm zu, dann saß er auf.
Turk Kilcook lümmete sich im Marshal's Office herum. Über seinen Knien lag eine sechziger Henry Rifle. Manchmal spielte er am Abzug herum, und manchmal t r a n k er einen kleinen Schluck aus einer Flasche. Er saß direkt unter der Lampe. Sie verbreitete nicht nur Licht, sondern auch eine empfindliche Wärme. Kilcook hatte den Hut abgenommen. Ab und zu wischte er mit der Hand über sein schütteres, aschfarbenes Haar. Irgendwie fühlte sich dieser massige Mann mit den kalten grauen Augen nicht wohl. Er war schon zu alt geworden und zu erfahren, um nicht zu spüren, daß etwas in der Luft lag. Etwas, das man fast greifen, aber nicht sehen konnte. Und das beunruhigte Turk Kilcook. Vor dem Fenster tanzte ein Schatten herum. Schritte übertönten den nahen L ä r m der Stadt. Turk Kilcook riß die Henry Rifle hoch. Ein kleiner, kahlköpfiger und sehr fülliger Mann mit schwarzen Knopf augen stand an der Tür. Er wedelte mit einer Hand. „Hallo, Kilcook. Kannst die Kanone ruhig weglegen. Eigentlich hatte ich gehofft, Marshal Garson zu treffen. Du weißt nicht zufällig, wo er ist?"
„Richter Lee?" Kilcook war ehrlich verwundert. Er senkte den Lauf der Henry Rifle. „Was wollen Sie denn?" „Sagte ich das nicht?" „Doch, ja, natürlich. Ich w a r t e ebenfalls auf Garson." „Na fein, Turk, d a n n können wir ja gemeinsam warten. Meinst du, daß er bald kommt?" T u r k Kilcook w u ß t e nicht so recht, woran er war. Er zeigte dem Richter ein säuerliches Lächeln. „Sie machen mich doch wohl nicht zum Affen, Richter?" „Aber Turk, weshalb sollte ich? Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mich setze?" Richter Lee blinzelte nach der Flasche auf dem Tisch. „Wie wär's mit einem Schlückchen für mich, Turk?" „Richter", sagte Turk Kilcook und lächelte William Lee so an, wie man eine Klapperschlange anlächelt, „wenn Sie eine Teufelei im Sinn haben, k a n n ich ziemlich eklig werden. Haben Sie mich richtig verstanden, Sir?" Richter Lee lächelte zurück. Freundlich, wohlwollend, ein bißchen dämlich vielleicht. „Aber sicher, Turk." Er schüttelte seinen kahlen, runden Kopf. „Wie Menschen doch einen Menschen verderben können. Früher, ich kann mich noch gut erinnern, als du für Jack Dalhard geritten bist, warst du doch ein ganz brauchbarer Bursche. Was ist nur aus dir geworden, T u r k ? Raub, Mord, und das an Soldaten." Richter Lee lächelte immer noch. Kilcook fuhr in die Höhe. „Damit habe ich nichts zu tun! Hören Sie, Richter, versuchen Sie bloß nicht, mir so was anzuhängen. So was nicht, Mann!" „Nein?" Die gelassene Ruhe des Richters brachte Kilcook zum Schwitzen. Etwas in William Lees Augen schlief ein, der ganze Mann saß da, als würde er schlafen. „Zum Teufel, nein! Ein paar ausge-
hauene Zähne, ein paar plattgedrückte Nasen, aber keinen Mord, Richter, verstehen Sie?" Turk Kilcook lachte plötzlich r a u h auf. „Und wenn schon, was könnten Sie denn damit anfangen?" Die runden Knopfaugen des Richters wurden wieder lebendig. „Dich hängen, Turk. So mit einem Strick um den Hals." „Hören Sie auf, Mann!" Kilcook griff sich unwillkürlich an den Hals. „So groß ist mein Schuldkonto nicht." „Aber es wächst mit jedem Tag, Turk." „Quatschen Sie nur so weiter, Sie kleiner, aufgeblasener Himmelhund. Quatschen Sie so weiter, und ich drücke auch Ihre Nase platt wie einen Silberdollar. Scheiße verfluchte, Sie machen mich ganz nervös!" Der fette Bauch des Richters hüpfte vor Vergnügen. Der kleine Mann war voll strahlender Freude. „Auch Longfield ist nervös, Turk, und Roberts, und Larswood auch. Dieses Halbblut ist schon ein rechter Teufel. Was der so alles anstellt. Übrigens, hast du dir Avery Whitham angesehen?" „Aufhören! Aufhören, gottverdammt! Sie führen mich in Versuchung, Lee, in eine schlimme Versuchung." „Ja, ja", Richter Lee strich sich wohlgefällig über die Wölbung seines Leibes, „es ist schon ein rechtes Kreuz, w a s ein Schurke so alles aus einem anständigen Menschen machen kann." Lee kratzte sich hinter den leicht abstehenden Ohren. „Denk mal drüber nach, Turk. Es würde sich schon lohnen." Der Richter stand auf. „Ach ja", sagte er und griff nach der Flasche auf dem Tisch, „du h a s t mir doch einen zugestanden." Er ließ einen gehörigen Schluck durch die Gurgel laufen, setzte ab und sah lächelnd und freundlich auf Kilcook. „Der beste Whisky ist das aber auch nicht, Turk. 51
Zahlt denn Longfield so schlecht? Aber sicher ist Longfield wie alle a n deren auch, die kleinen Scheißer werden mit ein p a a r Dollars abgespeist. Wenn's d a n n aber ans Hängen geht, sind die Kleinen die ersten, die baumeln. Scheißwelt, was?" Turk Kilcooks Augen waren groß und weit. Er glotzte den Richter an. Er öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu. Als er d a n n doch sprach, da w a r seine Stimme so trocken wie der Wind der Llanos. „Ich bin nicht so, wie Sie glauben, Richter, ich habe ein Herz . . ." „Das hat eine Schlange auch, Turk", unterbrach ihn Lee. Er w i n k te Kilcook zu, ging zur Tür und blieb stehen. Ein p a a r Leute stoben auf der Straße auseinander. Männer fluchten, als ein schwarzes Ungeheuer mit wilden Augen und schweißglänzendem Fell an ihnen vorbeiraste. Der Reiter klebte über dem Hals des Tieres. Vor dem Marshal's Office sprang er ab und stürmte hinein. Turk riß sein Gewehr hoch und bohrte den Lauf in Lobos Bauch. Die Stimme des Richters klang sanft, als er sagte: „Mach n u r keine Dummheiten, Turk. Das kleine Ding in meiner Hand w i r k t tödlich." Turk Kilcook spürte den Druck einer doppelläufigen Derringer an Seiner Schläfe. Zögernd und sehr w i derwillig ließ er die Henry Rifle fallen. „Abgekartert, was, Richter?" „Aber nein, Turk." Lee sah den Mann an, in dessen dunklem Gesicht ein P a a r noch dunklere Augen blitzten. „Irgendwas nicht in Ordnung, mein Freund?" Lobo blickte den Richter an, d a n n trafen seine Augen Turk Kilcook. Für ein paar Sekunden schien er vergessen zu haben, weshalb er hier war. „Sieh an, einer von dem Mordgesindel." Lobo t r a t die auf dem Boden liegende Henry Rifle zur Seite. „Ich habe mir immer schon ge52
wünscht, dir einmal allein zu begegnen, Kilcook." Er schob die doppelläufige Derringer, die Lee immer noch gegen Kilcooks Schläfe preßte, beiseite. Seine sehnigen Fäuste erfaßten Kilcook vor der Brust und rissen ihn auf die Beine. „Ein paar F r a gen, Kilcook!" „Mann, sind Sie aber wütend." Richter Lee kicherte. Das Halbblut schob den Richter beiseite, wie er vorher dessen Derringer beiseite geschoben hatte. Kilcooks Augen waren weit aufgerissen. Sein Blick flakkerte. Sein Mund war ausgetrocknet, er hatte keinen Speichel mehr, den er hinunterschlucken konnte. „Wo sind Longfield, Roberts und Larswood?" fragte Lobo. Weder Kilcook noch der Richter hatten gesehen, wie das Halbblut das lange Bowiemesser gezogen hatte. Sie sahen nur die Klinge blitzen. Und Kilcook spürte die Spitze an seinem Hals. „Nicht", winselte er, „nicht doch, Mann. Ich will ja reden. Aber nimm dieses scheußliche Messer weg." Der Druck an Kilcooks Hals gab nach. Der geplagte Mann sagte: „Sie sind nicht in der Stadt. Sie sind zur Hütte in den Bergen geritten, und dann . . ." Kilcook schluckte verzweifelt, aber die Trockenheit im Munde war so groß, daß es schmerzte. „Und d a n n ? " fragte das Halbblut. „Dann wollen sie zur Fargas Ranch." Das Halbblut ließ Kilcook los. Der schwere Mann plumpste auf einen Stuhl, stöhnte und verbarg das Gesicht in beiden Händen. Er spürte das Gewicht des Revolvers an der Seite. Mit zitternden Fingern löste er die Schnalle. Gurt und Waffe polterten auf den Boden. „So ist's recht, Turk", sagte der Richter mit sanfter, freundlicher Stimme. „Und nun hol dein Pferd und reite ein bißchen. Vielleicht findest du einen besseren Platz als Tucumcari und einen besseren Boß als
Owen Longfield." Lobo schleuderte mit dem Fuß Gürtel und Henry Rifle hinter Kilcook her. Erdrückt von der Angst, verfolgt von dem Gedanken an das Halbblut, verließ Turk Kilcook w e nig später die Stadt. „Nicht sehr liebenswürdig, dafür um so wirkungsvoller. Eine nachahmenswerte Methode." Der kleine, fette Mann lachte, und es war ein befreites Lachen. „Kilcook war soweit, daß er auch ohne Ihr kleines Spielchen die Stadt verlassen hätte, Lobo. Wissen Sie, ich kenne ihn lange genug. Er ist nicht ganz schlecht. Longfield hat ihn verdorben." „So wird's wohl sein", erwiderte das Halbblut. Die Sorge um Virginia verdrängte alle anderen Gedanken. Lee sagte: „Wegen Kilcook sind Sie doch nicht in die Stadt gekommen, Was?" „Nein, nicht seinetwegen. Virginia F a r g a s hat die Ranch verlassen. Sie sucht Longfield und will ihn töten." Diese Eröffnung vertrieb das Lächeln auf Richter Lees Gesicht. „Hat sie den Verstand verloren, oder ist es der Haß?" „Ich glaube, beides, Sir. Hören Sie, ich hatte gehofft, Virginia in der Stadt zu treffen. Sollte sie irgendw a n n noch auftauchen, halten Sie sie fest. Sie wissen, wer zur Fargas Ranch unterwegs ist. Es wird heiß werden in dieser Nacht." Lobo ließ den Richter allein. Er sprang draußen in den Sattel seines schwarzen Hengstes und galoppierte davon.
Die Nacht war tief und schwarz. Die dünne Sichel des Mondes hatte sich völlig aufgelöst. Die Sterne w a ren zu weit, um Licht zu geben. Sie w a r e n nur winzige gelbe Punkte im schwarzsamtenen Tuch des Himmels. Die Gebäude der Fargas Ranch
waren hinter den Cottonwoods und Sommereichen nur zu ahnen. Für den Bruchteil eines Augenblickes brannte die Glut einer Zigarre ein Loch in die Dunkelheit. Irgendwo knackte ein Gewehrschloß. Das Halbblut stieß einen leisen Pfiff aus. Füße scharrten über harten Boden. „Orbie?" „Bist du es, Lobo?" „Okay, Orbie." Das Halbblut ritt in den Hof. Der Alte kroch aus der Nacht und folgte ihm. „Du hast - ich meine, du bist ihr nicht begegnet?" Die Stimme des Alten w a r so zittrig wie alles an ihm. „Nein, Orbie. Laß den Sattel drauf, verstehst du?" „Schon gut. Ich mach mir mächtig Sorgen, Halbblut. Bleibst du auf der Ranch?" „Ich werd's wohl müssen. Wir bekommen Besuch, Orbie. Was ist mit Dalhard?" „Du lieber Himmel! Hättest du ihn bloß gelassen, wo er war. Zuerst hat er gefressen wie ein Wolf. Dann wollte er Whisky. Weil er keinen bekam, hat er meine ganze schöne Kammer demoliert. Schließlich hat ihm Garson eins über den Schädel gezogen. Wir mußten ihm Hände und Füße zusammenbinden. Ich glaube", fuhr er betroffen fort, „ihm kann niemand m e h r helfen. Was denn für Besuch, Lobo?" „Longfield und seine wilde Horde, Orbie." Der Alte spuckte den Rest der Zigarre auf den Boden und zertrat ihn. „Diese Nacht schon wieder? Junge, sind die aber wild darauf, eine Kugel einzufangen. Woher weißt du das denn, he?" „Kilcook", sagte Lobo. „Kilcook? Hast du ihn . . ." „Denk nicht immer so schlimm, Orbie. Kilcook ist ein friedlicher Mensch, und er hat ganz friedlich die Stadt verlassen." Die Augen des Halbblutes funkelten in der Dunkel53
heit. „Wohin k a n n sie denn geritten sein, Orbie? Denk doch mal nach." Der Alte kratzte sich. „Mir schmerzt schon der Schädel vor lauter Nachdenken. Ich komm einfach nicht drauf." Er ging vor Lobo ins Haus. Marshal Garson blickte dem Halbblut erwartungsvoll entgegen. Lobo schüttelte den Kopf. Es w a r die verzweifelte Bewegung eines verzweifelten Mannes. „Wir werden sie suchen müssen", sagte der Marshal. „Wo wollen Sie denn suchen, G a r son? Auf der Weide, vielleicht d r ü ben in den Bergen? Es gibt keinen Anhaltspunkt, n u r Hoffnung." Lobo blinzelte den alten Orbie an. „Einen Zusammenprall mit Longfield können wir uns nicht leisten. Wir w e r den ein paar kleine Feuer anzünden. Ich dachte an drei. Das wird genügen." „Was ist denn los?" fragte Marshal Garson überrascht. Er blickte von Orbie auf das Halbblut. „Longfield", sagte Lobo knapp. „Ich glaube, wir sollten uns beeilen, Orbie. Helfen Sie auch mit, Garson?" „Es geht auch um meine Haut", b r u m m t e der Marshal. Sie stapelten Holz an drei verschiedenen Stellen. Dicke, ausgetrocknete Scheite. „Im Winter wird's uns fehlen", sagte Orbie. Er grinste Lobo durch die Dunkelheit hindurch an. „Auf so eine Idee kann auch nur ein Indianer kommen. Was eigentlich ist das Weiße in dir?" „Auf solche F r a g e n gibt es keine Antwort, Orbie. Du bleibst bei dem Stapel hinter dem Pferdekorral. Garson, Sie n e h m e n den am A u ß e n gatter. Der an der Westseite ist für mich. Sobald ihr meinen Pfiff hört, zündet ihr an, okay?" Die Zeit tropfte dahin. Ein kühler Wind strich von den Bergen herüber. Es w a r feucht und kalt. Lobo klebte förmlich am Boden. Ein Ohr fest da54
gegen gedrückt. Die Nacht gab nichts weiter her als die immer wiederkehrenden Geräusche. Es w a r eine endlose Nacht. Während über dem fernen Llano Estacado ein verwischendes Grau den nahen Tag ahnen ließ, war die freie Weide bis zu den Bergen hinüber in tintiges Schwarz getaucht. Lobo hörte ein ganz schwaches Klopfen, kaum mehr als ein Ahnen. Es rollte wellenartig heran. Es wurde deutlicher, riß ab. Dann w a r es wieder da. Das unverkennbare Trommeln von Pferdehufen auf weichem Grasboden. Ein schriller Pfiff stach scharf gegen die Dunkelheit. Kleine rote Löcher zerfraßen sie, wurden größer, schlugen zu lodernden Flammen. Drei Männer krochen aus verschiedenen Richtungen aus dem Bereich des grell lodernden Feuers. Drei andere Männer rissen in einiger Entfernung ihre Pferde zurück. Schnell abgefeuerte Gewehrkugeln trafen den Himmel. Die Detonation der Schüsse ging im Prasseln lodernder Flammen unter. Im Haus stieß ein Mann tierische Schreie aus. Reiter stoben auseinander und verloren sich. Das Feuer wurde schwächer, die Scheite brachen in sich zusammen. Nur noch vereinzelte Flammen zuckten auf. Das Grau über den Llanos war weitergekrochen. Es lag wie ein milchiges Tuch über dem Land. Es erreichte die Sangre de Cristo Range. Eine frühe Sonne strahlte die Gipfel an, sie beleckte das milchige Grau, soff es weg. Lobo trat aus den Baumbereichen. Hinter ihm sagte der alte Orbie: „Sie hatten die richtige Zeit gewählt. Nicht auszudenken, w a s geworden wäre . . ." „Behalt's für dich, Orbie." Das Halbblut ging zum Haus. Von der anderen Seite näherte sich Marshal Garson. Er sah ein bißchen verwelkt
aus, aber in seinen blauen Augen glomm Energie. Ihm gelang sogar ein Lächeln. „Sie fangen allmählich an, mich zu begeistern, Lobo. Auf so eine Idee m u ß man erst mal kommen." „Begeistern Sie mich, Garson, und sagen Sie mir, was Sie über Longfield wissen. Über ihn und Jack Dalhard." Der alte Orbie hatte einen Kaffee aufgebrüht, nach dessem Genuß selbst Tote wieder anfingen zu zappeln. Marshal Garsons Blick w a r a b wesend. Er ging ins Leere. „Longfield", sagte er, „und Dalhard sind Brüder. Aber das wissen Sie sicher schon. Dalhard hatte früher einmal eine Siedlerstelle, irgendwo drüben im Arizona-Territorium. Longfield, damals n a n n t e er sich a n ders, w a r Boß einer recht erfolgreichen Bande, bis es d a n n passierte. In Tucson w a r es, wenn ich mich recht erinnere. Sie liefen nach einem Überfall auf die Tucson Central Bank in eine Falle. Longfield konnte noch die Beute, man sprach damals von fünfzehntausend Dollar, bei seinem Bruder in Sicherheit bringen. Jedenfalls glaubte er das. Später w u r d e die ganze Bande in Cilfton aufgegriffen, verurteilt und für sechs J a h r e in dem Wüstennest Clovis eingesperrt." Garson machte eine Pause. Sein großes, von Furchen zerklüftetes Gesicht zuckte, als hätte er ein Nervenleiden. Sein Blick fand zu dem Halbblut zurück. „Ja", fuhr er fort, „wie es d a n n so kommt. Dahlard verfiel dem Geld. Er e r w a r b die Ranch draußen, züchtete Rinder, und das mit gutem Erfolg. Sein Bruder Owen und dessen Bande gehörten einer totgeglaubten Vergangenheit an. Und dann waren sie da. Das w a r vor etwas mehr als zwei J a h r e n . Owen wollte das Geld. Dalhard hatte es nicht mehr. Dafür aber die Ranch und achttausend Rinder. Seit dieser Zeit habe ich Dalhard n u r noch ein- oder zweimal gesehen,
aber nie allein. Einer von Longfields Schurken w a r immer bei ihm. Seit etwa einem J a h r blieb Dalhard ganz verschwunden. Seine Herden w u r den verkauft, der Erlös als Beute aufgeteilt. Das letzte ist allerdings nur eine Vermutung. Aber so wird es gewesen sein." „Virginia wußte das alles?" Garson zuckte mit den Schultern. „Möglich, daß Dalhard sich ihr offenbart hat. Sie hat jedenfalls nie darüber gesprochen. Sie mochte Dalhard. Vielleicht hätte sie ihn sogar geheiratet. Aber dann kam Longfield und stellte ihr nach. Er w a r ganz verrückt nach ihr." „Das andere schenk ich Ihnen, Garson." Lobo stand auf. Der alte Orbie zuckte mit den Schultern. Sein fuchsiger Blick war ein wenig abgestumpft. „Versuche, sie zu verstehen, Hallbblut. Ich glaube, m e h r erwartet sie gar nicht." Lobo wölbte die Brauen. Orbies Worte überraschten ihn. Dann glitt ein Lächeln über seine Züge. Es war ein Lächeln, dem jede Freude fehlte. „Wir stecken alle einmal irgendwo drin. Das ist kein Grund, im Schmutz der Vergangenheit zu wühlen. Garson", er drehte sich zu dem Marshal herum, „Sie bleiben am besten hier. Für alle Fälle. Und du achtest etwas auf Dalhard, Orbie." „Was wird aus dir?" „Das, was du erwartest, du und Garson und der Richter." Lobos Finger tasteten über sein Gesicht, in dem die von Longfields Peitsche gerissene Wunde noch nicht verheilt war. Hinter Lobo, der den Raum verlassen hatte, sagte Garson: „Er ist zu gerissen, um blind in etwas hineinzurennen. In Longfields H a u t möchte ich beim Teufel nicht stecken. In seiner nicht und in der von Roberts und Larswood auch nicht." Er schwieg und ließ die Worte in der Luft h ä n gen. Sie verloren sich wie der Huf55
schlag des schnell davongaloppierenden Pferdes.
Die Stadt war von einer trostlosen Stille. Ein paar Männer standen h e rum. Schweigend und verbissen blikkend. Beim Nahen des Halbblutes schlupften sie hinter die schützenden Wände der Häuser. Neben dem Center Hotel scharrte ein einzelnes Pferd mit den Hufen. Etwas weiter unten, etwa in der Höhe des M a r shal's Office, bewegte sich eine gesattelte Fuchsstute. Die Zügel hingen dem Tier lose über dem Hals. Es schnaubte ein paarmal, es warf den Kopf zurück. Das Halbblut w a r nahe genug, um es zu erkennen. Virginias Pferd. Lobo glitt aus dem Sattel. Er griff nach den Zügeln der Fuchsstute, führte sie und seinen Rappen zum Haltegeländer vor dem Marshal's Office. Seine Bewegungen w a r e n gleitend, ruhig, lautlos. Der ganze Mann war von einer gespannten W a c h s a m k e i t ohne eine Spur von Nervosität. Das Halbblut zog sich einen Schritt tiefer in den Schatten des Marshal's Office zurück. Er warf einen schnellen Blick hinein. Es wirkte verlassen wie ein ausgeräucherter Kaninchenbau. Die Tür zum Zellentrakt stand einen Spaltbreit offen. Nichts Ungewöhnliches. Es w a r eine Ahnung, eine ganz schwache nur, die Lobo h e r umfahren ließ. Seine rechte Hand machte eine Reflexbewegung. Sie blieb auf halbem Wege stehen. In der linken Hand die geflochtene Reitpeitsche aus Rinderhaut, in der rechten Hand einen fünfundvierziger Coltrevolver und in dem schmalen Gesicht ein tödliches Lächeln. So stand er mitten im Marshal's Office: Owen Longfield. Ihre Blicke krallten sich ineinander. Longfields smaragdgrüne A u 56
gen w a r e n voller Flecken kalten Lichtes. Seine Stimme w a r hart. „Du hast dich überschätzt, Halbblut. Du hast geglaubt, du bist ein großer, gescheiter Mann, aber du hast n u r den Verstand eines Ochsen, mehr nicht." Longfield lachte. „Es ist wahrlich keine Heldentat, eine Hütte niederzubrennen und einen Verrückten zu entführen. Was hast du dir denn davon erhofft, Bastard? Wolltest du in der Gunst der Indianerhure klettern? Oder hast du wirklich geglaubt, du könntest mich damit treffen?" Er lachte wieder. „So dumm k a n n nur ein Halbblut sein. Dalhard h a t für mich seinen Wert verloren, und du auch." Longfields Revolverhand zuckte nach oben. Der Hahn w a r gespannt. Sein Zeigefinger k r ü m m t e sich. „Noch nicht einmal dein Name wird über dem Dreck stehen, in dem sie dich verscharren, Halbblut!" Longfield atmete tief ein. Lobo blickte aus brennenden Augen auf den gekrümmten Finger. Er suchte verzweifelt nach einer Chance. Es w a r n u r ein huschender Schatten vor dem Fenster. Er erwuchs vor der Tür, n a h m Formen an. „Owen Longfield!" Die Stimme war knarrend, trocken und hart. Eine kurze Sekunde zögerte Longfield. Sein schmales Gesicht war vom H a ß bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Er wirbelte herum, und er taumelte genau in eine Kugel, die seine Brust traf. Ein Laut brach über seine Lippen. Er versuchte krampfhaft, den Revolver abzudrücken. Seine Beine gaben nach. Er stürzte und riß einen Stuhl dabei um. An der Tür stand Virginia Fargas. Mit wirrem Blick und wirrem Haar. Die Hand mit dem Revolver w a r ganz ruhig. Aus der Revolvermündung stieg ein schmaler Rauchfaden. Das Halbblut machte einen Schritt nach vorn. Er griff nach der Waffe in Virginias Hand. Sie wich vor Lobo
zurück. Auf ihren Zügen lag ein verwirrtes Lächeln. „Ist er tot, Lobo?" Das Halbblut brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, daß Longfield tot war. Er nickte nur. „Das ist besser", flüsterte sie. Ihre Finger öffneten sich. Die Waffe polterte auf den Boden. Virginia lehnte sich gegen die Wand. Hilflos, schwach, am ganzen Körper zitternd. Die Zeit stand still in dem großen, viereckigen Marshal's Office. Virginia strich sich mit einer müden Bewegung über das Gesicht. Als sie die Hand herabnahm, lag ein Lächeln auf ihren Zügen. „Es ist gut, daß du lebst", sagte sie. Ihre Stimme war ruhig und sicher. „Ich hatte solche Angst, ich könnte zu spät kommen." Sie blieb an der Wand stehen. Ihr Blick senkte sich, traf auf Owen Longfield. Es war ein Blick voll tiefen Abscheues. „Du weißt ja nicht, wie ich ihn gehaßt habe." Lobo w u ß t e sehr gut, daß er ohne diese F r a u jetzt an Longfields Stelle liegen würde. Aber in ihm war weder Freude noch Dankbarkeit. In ihm war nichts, nur eine große Leere. Es w a r e n die kurzen, harten Schritte eines gewichtigen Mannes, die Lobo aus seiner unguten Gedankenwelt rissen. Ein kahler, runder Kopf schob sich durch die Tür, dem ein fettleibiger Körper auf kurzen Beinen folgte. Runde Knopfaugen starrten auf das Halbblut, auf Virginia, auf den toten Owen Longfield. Auf dem pausbäckigen Gesicht lag das Grinsen der Zufriedenheit. „Na also, eine gute Arbeit, Lobo." Kleine, fette Hände mit kurzen Wurstfingern klatschten ineinander» „Um ehrlich zu sein, manchmal hatte ich Zweifel, ob Sie es schaffen. Jetzt bin ich froh, daß Sie es geschafft haben." Richter William Lee hüpfte freudig von einem Fuß auf den anderen. Lobo hatte sich halb auf den Tisch gesetzt. Ohne seine Stellung zu ver-
ändern, sagte er: „Sie hatten den Preis für Longfield auf fünfhundert Dollar gesetzt, Richter. Diesen Betrag schulden Sie Missis Fargas." Das Kinn des Richters klappte herunter. „Ich hör doch wohl nicht richtig, was?" „Sie hören richtig, Sir." Lobo ging zu Virginia. Er legte ihr einen Arm um die Schulter. „Wir reiten nach Hause. Komm."
Es w a r ein schweigender Ritt zur Fargas Ranch hinaus. Der Hufschlag ihrer Pferde zertrampelte etwas von ihren Gefühlen, von der Gemeinsamkeit einer einzigen, langen Nacht. Von einem Traum, der verwischte, der nicht mehr da w a r und den keiner von beiden jemals wieder träumen würde. Orbie Cortlands altes Gesicht strahlte. Über seine welken Lippen brach ein Laut, der alle seine Gefühle offenbarte. Marshal Garson stand nur da und starrte sie an. Weder wild noch freundlich. Er starrte nur. Virginia ging ins Haus. Sie fand kein Wort, für niemanden. Das Strahlen in Orbies Gesicht verschwand. „Ist was nicht in Ordnung, Lobo?" „Sie ist okay, Orbie, und Longfield ist tot. Und daß ich noch lebe", Lobo schickte einen Blick zum Hause, hinter dessen Fenstern sich Virginia bewegte, „das verdanke ich allein ihr." Marshal Garson stampfte heran. Schwer und plump. Alles an ihm war plump, ein bißchen unbeweglich. Garson war alt geworden in den letzten Tagen, zu alt für einen Marshal. „Roberts und Larswood, sind sie auch tot?" Seine Stimme w a r so zittrig wie Orbies Hände. Er sah auf Lobos Mund, als könne er die Antwort herausziehen. Orbie hielt den Kopf schief und blinzelte das Halbblut an. „Die beiden auch? Na, red schon, Mann!" 57
„Nein", sagte Lobo, „sie sind nicht tot. Ist Dalhard noch in deiner K a m mer, Orbie?" „Ja, w a r u m ? " „Ich brauche etwas Schlaf." Lobo wischte sich mit der Hand über die Augen. Die Anstrengung, die ständig wache Bereitschaft, das alles hatte ihn ausgezehrt. Er fühlte sich v e r schlissen, leer und völlig ausgehöhlt. „Er ist ein w ü s t e r Radaubruder. Ich werf ihn einfach raus." Lobo wehrte ab. „Laß nur, Orbie." Sein Blick traf Garson. „Was ist mit Ihnen, Marshal. Wollen Sie Rinder züchten?" „Ich hab Sie schon verstanden, Halbblut." Garsons Stimme klang eigenartig gepreßt. Sein Blick w a r a b wesend und bitter. In seinen blauen Augen lag eine stumme Verzweiflung. „Man möchte glauben", sagte Lobo, „Sie fürchten Roberts und Larswood mehr, als Sie Longfield gefürchtet haben. Gibt es dafür einen besonderen Grund, Marshal?" „Wenn Sie diese beiden Strolche länger kennen würden, wäre diese F r a g e überflüssig. Jetzt, wo Longfield tot ist, hat Roberts freie Hand. Was das für mich bedeutet, d a r ü b e r brauche ich gar nicht erst nachzudenken. Ja, ich glaube, ich hol jetzt mein Pferd." Neben Lobo sagte der alte Orbie: „Er ist ein anständiger Kerl. Sehr für Gerechtigkeit u n d so. Nur ein b i ß chen schwach. In seinem Alter wird m a n eben schwach. Du läßt ihn doch nicht etwa allein reiten?" Lobo grinste den Alten an. „Ich brauche jemanden, der meinen Schlaf bewacht. Achte auf Dalhard, Orbie. Wenn er den wilden Mann spielt, hau ihm einfach irgendwas über den Schädel. Das wird helfen. Und paß ein bißchen auf Virginia auf." Es war früher Nachmittag, als Lobo mit dem Marshal die Stadt er58
reichte. Türen und Fenster des Marshal's Office w a r e n geschlossen. Garson öffnete eine Tür, die zu einem kleinen Wohnhaus führte. „Manchmal", sagte er, „setze ich mich an Sonntagen hinein. Es ist ein Stück Erinnerung an meine Frau, verstehen Sie?" „Ja", erwiderte Lobo, „ich verstehe das." Er sank auf ein breites, für ihn etwas zu kurzes Sofa. Er schlief bereits, als Garson die Tür wieder von außen schloß.
Sie saßen im großen Wohnhaus der Dalhard Ranch. Sie hatten die Beine auf den Tisch gelegt, rauchten und t r a n k e n gelegentlich. Nicht viel. Kleine Schlucke. Zur Überwindung der Einsamkeit, der verlorenen Stille, vielleicht auch zur Beruhigung ihrer angespannten Nerven. „Er m ü ß t e längst zurück sein. Verstehst du das, Lefty?" Phil Larswood nahm die Beine vom Tisch. Er griff wieder einmal zur Flasche. Roberts nahm sie ihm weg. „Laß das Saufen, Junge. Wahrscheinlich liegt er bei irgendeinem Flittchen im Bett. Gönn ihm das Vergnügen." „Irgend etwas", sagte Phil Larswood, „ist da nicht in Ordnung. Ich spüre das, bestimmt." Roberts grinste den großen, bulligen Mann mit den gelben Haaren und den unruhigen Augen an. „Dann reite doch in die Stadt und sieh nach, Phil." Larswood gab seine Wanderung durch den Wohnraum auf. Er pflanzte sich vor Roberts auf. „Weißt du was ich denke, Lefty? Ich denke, Longfield hat den Schwanz eingezogen u n d ist abgehauen." Roberts, dieser ausgetrocknete Wüstentyp, lachte ärgerlich. „Abgehauen, ohne das schöne Geld? Mann, wie lange kennst du eigentlich Longfield?" Phil Roberts stand ebenfalls
auf. Er lauschte nach draußen. „Das wird er sein." Es w a r nicht Longfield. Das Gesicht des Mannes w u r d e von einem Vollbart, überwuchert. Der Mann hielt an und blickte aus hellen Augen auf Roberts und Larswood. Er hatte ein Lasttier, einen Maulesel, am Sattelhorn festgebunden. Ein Fallensteller, ein Trapper auf dem Wege zu den Bergen. Roberts sagte: „Hallo." Er hob die Hand. „Kommen Sie aus der Stadt, Fremder?" „So ist es, Sir." Der Schatten des Mannes fiel über Lefty Roberts. „Eine seltsame Stadt. Leben Sie schon lange hier?" „Nicht sehr lange. Weshalb seltsam, Fremder?" Das Gesicht hinter dem Bart verzog sich. Aber Roberts konnte das nicht sehen. „Bisher habe ich immer nur erlebt, d a ß sich Männer gegenseitig umbringen. In der Stadt dort hinten ist es so, daß Frauen Männer erschießen, und das am hellen Tage." Ein stummes Lachen schüttelte ihn. Larswood drängte Roberts beiseite. „Was sagen Sie? Wer hat wen umgebracht?" „Eine Frau einen Mann, mein Sohn. Etwas ungewöhnlich, nicht w a h r ? " Er winkte mit der Hand. „Mein Weg ist noch lang." Phil Larswood hatte plötzlich weiße Flecken im Gesicht. Seine ständig in Bewegung befindlichen Augen standen plötzlich still. „Die Indianerhure", sagte er, „sie hat ihn umgebracht." Er ruckte zu Roberts herum. „Hast du das gehört? Sie hat ihn umgebracht, Lefty!" Roberts nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. „Natürlich, Phil. Sie hat ihn umgebracht. Vielleicht hat er vorher das Halbblut getötet?" Phil Larswood glaubte nicht, was Roberts eben gesagt hatte, und Lefty Roberts glaubte das auch nicht. Larswood fragte: „Und jetzt, Lefty?" Der große, bärenstarke Mann zeigte 59
eine Unruhe, die nicht zu ihm paßte. Der Atem brach scharf und gepreßt über seine Lippen. Die frühe Dämmerung brachte eine beträchtliche Kühle, aber Phil Larswood schwitzte. „Am besten", sagte er, „wir hauen ab, Lefty. Wir haben eine Menge Geld. Ich habe den Wunsch, es einmal auszugeben. Nicht für einen Sarg, verstehst du? Nicht für einen Sarg, Lefty." Der Oberlippenbart in Lefty Roberts' Gesicht zuckte. Er beugte seinen langen, dünnen Körper etwas vor. Seine schwarzen Augen bohrten sich in die hellen, farblosen von Phil Larswood. Seine Stimme troff vor Spott u n d Verachtung. „Wenn es stinkt, hast du dir vor Angst die Hosen vollgeschissen. Angst vor einem Halbblut, einem gottverdammten, stinkenden Halbblut! Hör mal fein zu, Phil, wenn Longfield den Halbindianer nicht umgebracht hat, wenn er also noch lebt, w a s glaubst du wohl, wie weit du kommen würdest? Ich habe meine Erfahrung mit solchen Burschen. Vor ihnen kannst du nicht einfach weglaufen." Phil Larswood r a u c h t e hastig und nervös. „Was schlägst du vor, Lefty?" Roberts lachte ohne den geringsten Anflug von Heiterkeit. „Wir werden ihn a u s der Welt schaffen. Heute noch!" Roberts machte einen schnellen Atemzug. „Und w e n n das vorbei ist, hol ich mir Garson. Er steht schon zu lange auf der Warteliste." Die Nacht glitt über sie hinweg wie ein kleiner, schneller Vogel. Dort, wo die Lichter der Stadt gegen die D u n kelheit prallten, da trennten sie sich. Sie h a t t e n alles fein ausgeklügelt. Sie wußten, wie dem Halbblut beizuk o m m e n war. Sie wußten, daß er keinem von ihnen in den Rücken schießen würde. Aber das Halbblut w u ß t e nicht, daß sie bereit waren, das zu tun. Phil Larswood knüpfte die Zügel am Haltegeländer des Center Hotels 60
fest. Zuerst fiel er nicht sonderlich auf. Er gehörte zum Bild der nächtlichen Stadt. Ein paarmal marschierte Larswood mit schweren, wuchtigen Schritten über die hölzernen Gehsteige. Seine hellen Augen huschten so flink hin und her wie ein Eichhörnchen. Sein ungestümer Marsch fiel auf. Es machte die Menschen mißtrauisch, besorgt, vielleicht ein bißchen ängstlich. Sie mieden Phil Larswood, sie gaben die Teile des Gehsteiges frei, auf denen er sich bewegte. Larswood kehrte zum Ausgangspunkt seiner Wanderung, der breiten Veranda des Center Hotels, zurück. Hier blieb er stehen. Groß, breit und wuchtig. Er wußte, wenn das Halbblut noch in der Stadt war, brauchte er nicht lange zu warten. Er trat zum äußeren Rand der Veranda. Larswood Kalkulation ging auf. Sie paßte genau in das Bild, das Roberts ihm gezeichnet hatte. Und doch, irgend etwas war anders. Larswoods Hände wurden feucht. Er wischte sie ab, ohne die Feuchtigkeit beseitigen zu können. Das Halbblut rückte heran. Seine Füße zogen Furchen in den Staub. Drüben vor dem Marshal's Office stand Garson. Er hielt eine Winchester in der Armbeuge. Er starrte zum Hotel. Phil Larswood bewegte die Lippen, ohne etwas zu sagen. Dann kniff er sie fest zusammen. Seine hellen, farblosen Augen wurden ganz schmal. Seine breite Brust dehnte sich. „Hallo, Larswood!" Der leise Anruf des Halbindianers verscheuchte die Angst, die Phil Larswood gefangengenommen hatte. „Hallo, Stinktier!" Lobo blieb in fünf Schritt Abstand vor Larswood stehen. Der treibende Strom der Menschen hatte sich weit von ihnen entfernt. Weit genug, um einer verirrten Revolverkugel a u s zuweichen.
Lobo ließ das Stinktier an sich a b prallen. Er lächelte. Er sah den Glanz in Larswoods Augen. Er fing den Blick ein, der über ihn hinweg ging. „Du zitterst ja, Larswood. Ein Kerl wie du, der einen alten Mann zusammenschlagen kann, zittert. Was ist los mit dir?" „Rede dir nur alles runter, solange du das noch kannst, Halbblut." Lobo nickte gelassen. „Aber ja, Larswood." Er grinste den großen Mann an. „Was ich an dir am meisten bewundere, das ist dein Mut. Du kommst allein zur Stadt. Du forderst mich heraus. So von Mann zu Mann. Nicht hinterhältig. Du bist doch allein, nicht w a h r ? " „Sieh dich doch um, dann weißt du es, Bastard." „Aber weshalb denn, Larswood? Roberts wird doch nicht etwa irgendwo im Hinterhalt liegen?" Er schüttelte den Kopf. „Das w ü r d e er nie tun." „Willst du mich etwa totquatschen, he? Wie willst du es denn? Soll ich dich zerreißen, oder soll ich dich einfach n u r erschießen?" „Such dir's aus, Larswood." Ein winziges Zucken w a r im Gesicht des großen, massigen Mannes. Ein Blick, der nicht das Halbblut traf, der an ihm vorbei ging. Nicht ziellos. Ein Blick, der einen stummen Befehl signalisierte. Mit einer einzigen, schnellen D r e hung warf sich Lobo zur Seite. Nicht schnell genug. Noch ehe er den Schuß hörte, traf ihn eine Kugel an der Schulter. Sein Army Colt brüllte auf. Ein Mann im Schatten der Hotelveranda zuckte zusammen. Phil Larswood riß seinen Revolver heraus. Etwas Grelles, Rotes raste auf ihn zu, blendete ihn und stieß ihn zu Boden. Sein Fall erschütterte die ganze Veranda. Er riß ein Stück vom Geländer ab und fiel auf die Straße. Er w a r schon tot, noch ehe er aufschlug.
Lefty Roberts versuchte verzweifelt, den H a h n zu spannen. Seine linke Hand hielt er gegen den Leib gepreßt. Die schwarzen Augen glommen. Der Revolver entfiel Roberts' Hand. Er machte einen Schritt auf das Halbblut zu, knickte ein und stürzte. Tief und endlos und für immer. Marshal Garson lief über die Straße. Er fuchelte wild mit einer Winchester in der Luft herum., Die treibende Masse der Menschen schloß einen Kreis um das Halbblut, um Lefty Roberts und um Phil Larswood. „Ich glaube", sagte Lobo zu Garson, „ich könnte einen Doc gebrauchen. Roberts hat mich getroffen. Es brennt höllisch."
Die Nacht trieb vorbei. Bevor sie sich ganz auflöste, saß Lobo im Sattel. Er nickte Marshal Garson zu, dann t r a b t e er die leere Straße hinunter. Garson hob die Hand. Er wollte noch etwas hinter ihm herrufen, doch d a n n schluckte er es hinunter und dachte: Er geht, wie er gekommen ist: lautlos, ohne Worte. Die Fargas Ranch lag im grauen Licht eines frühen Morgens. Der alte Orbie s t a n d unter der Baumgruppe. Es sah aus, als hätte er auf das Halbblut gewartet. Sein faltiges Gesicht hatte noch ein paar Falten mehr bekommen. Lobo hielt vor ihm an. Orbie sagte: „Ich wußte, daß du es schaffen würdest. War es sehr schlimm?" „Nicht so sehr. Meine Satteltaschen sind noch in deiner Kammer. Willst du sie mir holen, Orbie?" „Ja, aber . . ." „Geh nur." „Und Virginia?" Der Alte zappelte ein wenig herum, d a n n ging er und brachte die Satteltaschen. Lobo sah 61
zum H a u s hinüber . Er sah Virginia, die am Fenste r stand , un d dan n sah er sie nich t mehr . „Abschiednehmen" , sagte Lobo, „ist imme r ein bißche n sterben . Manch mal tut' s sogar weh." Er stieg in den Sattel un d sah auf de n alten Orbie hinab . „Leg ein p a a r Blume n auf Charli e Jonas ' Grab , Orbie. Ich glau be, jetz t k a n n er ruhi g schlafen. " Er nah m den Hut vom Kopf, schwenkt e ihn zu m Haus e hinüber , dan n trabt e
er davon. Der Alte sah ihm nach, er sah, wie er mit dem au s dem Boden steigen den Duns t verschmolz , wie er sich in der Fern e verlor . „Eigenartig" , sprac h er, abe r es hörte ihm nieman d zu, „Indiane r mochte ich noch nie leiden, und Halbindiane r schon gar nicht. Abe r die sen Bursche n - Himmel, ich wünschte, er wäre geblieben."
ENDE
Einen Moment lang hatte Lobo sich ablenken lassen. Er überlegte, daß Luther sich den Stern angesteckt haben mußte, nachdem die Jagd auf Baxter begonnen hatte. Er hörte das leise Pfeifen erst, als er sich nicht mehr beiseite werfen konnte. Ballard hatte sich unauffällig hinter ihn geschoben, und jetzt sauste der Schlag herunter. Ballard hielt den Colt so in der Hand, daß die Trommel sich an seine Handfläche schmiegte. Die andere Seite der Trommel traf Lobo in den Nacken. Es war wie ein gedämpftes Glühen, das sich mit rasender Geschwindigkei t über die Nerven seines Körpers verteilte. Als es die Zehenspitzen erreicht hatte, spürte Lobo, wie er fiel. Der Himmel beugte sich über ihn. Das war das letzte, was er sah. Wie er aufschlug, spürte er nicht mehr. Lobo, der Einzelgänger, muß sich sein Recht zu leben gegen eine unerbittliche Umwelt immer wieder erkämpfen. Lesen Sie nächste Woche Band 119 dieser großartigen Western-Serie :
Eine Handvoll Tod von King Fisher
ex libris
KAPTAIN STELZBEIN 2010 Printed in Germany. Februar 1979
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