KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND K U L T U R K U N D L I C H E HEFTE
LÖWEN G R O S ...
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KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND K U L T U R K U N D L I C H E HEFTE
LÖWEN G R O S S K A T Z E N IN STEPPE UND WÜSTE
N A C H A L F R E D E. B R h l l M
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
M U RNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K - B A S E L
Das „königliche Tier" Ü i i n einziger Blick auf den Leib des Löwen, auf den Ausdruck seines Gesichts genügt, um der uralten Auffassung aller Völker, die das königliche Tier kennenlernten, von Grund des Herzens beizustimmen. Der Löwe ist zwar nicht die größte unter den vierzig bis fünfzig Katzenarten — die Großkatze „Sibirischer Tiger" übertrifft ihn noch; er ist auch nicht das größte lebende Raubtier — das ist mit bis zu drei Meter Länge der Braunbär Alaskas. Aber der Löwe trägt mit Recht den Namen eines Königs der Raubtiere, eines Herrschers im ganzen Reich der Säugetiere. Der Gesamteindruck, den das herrliche Tier auf uns macht, zwingt uns, ihm unter allen seinen Verwandten die höchste Stelle einzuräumen, auch wenn manche ihn den „entthronten König" nennen. Die Löwen sind leicht von sämtlichen Katzen zu unterscheiden, Ihre Hauptkennzeichen liegen in dem stark gebauten kräftigen Leib mit der kurzen, glatt anliegenden einfarbigen Behaarung, in dem breiten, kleinäugigen Gesicht, in dem Herrschermantel, der sich um ihre Schultern schlägt, und in der Quaste, die ihre Schwanzspitze zeigt. Im Vergleich zu den anderen Katzen ist der Rumpf der Löwen kurz, der Bauch eingezogen, und der ganze Körper erscheint deshalb sehr kräftig, aber nicht plump. An der Spitze des Schwanzes, in der Quaste verborgen, steckt ein horniger Nagel, den schon Aristoteles beobachtet hat und der heute nur noch bei dem Nagelschwanzkänguruh und vereinzelt auch beim Schlankaffen und beim Leoparden vorhanden ist. Die Augen sind klein und haben runde Sterne, die Schnurren sind in sechs bis acht Reihen geordnet. Vor allem ist es die Mähne, die den männlichen Löwen auszeichnet. Seitdem der Berberlöwe Nordafrikas in den zwanziger Jahren ausgerottet wurde und nur noch in Plastiken, auf Wappen und Münzen und in Tiergärten zu sehen ist — er trägt die mächtigste Mähne, die Kopf, Hals und Bauch überdeckt —, sind vollhaarige Löwen jedoch nur noch 2
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selten in der Wildnis anzutreffen. Die Mähne ist zugleich Imponierund Schutzmaske: Gewaltig und furchterregend erscheint das mähnige Kopfbild dem Gegner, dem Löwen selber aber bietet das Haar dämpfenden Schutz bei einem Prankenhieb.
Löwen sind seltener geworden Leo barbarus, bärtiger Löwe, ist der zoologische Name für den nur noch in wenigen zoologischen Gärten beheimateten Berberlöwen. Sein Vorderleib ist stärker als der Hinterleib, denn die Brust ist breit und die Weichen sind schlank. Der dicke, fast viereckige Kopf verlängert sich in eine breite und stumpfe Schnauze, die Ohren sind abgerundet, die Augen nur mittelgroß, aber lebendig und feurig; der lange Schwanz endigt mit dem kurzen Stachel und wird von einer flockigen Quaste bedeckt; die Glieder sind gedrungen und außerordentlich kräftig, die Pranken die größten aller Katzen. Ein glattes kurzes Fell von lebhaft rötlich-gelber oder fahlbrauner Farbe bedeckt pelzig das Gesicht, den Rücken, die Seiten, die Beine und den Schwanz; hier und da laufen die Haare mit schwarzer Spitze aus oder sind völlig schwarz, und hierdurch entsteht eben jene gemischte Farbe. Die starke und dichte Mähne besteht aus langen, in Flechten herabfallenden Haaren, die vorn bis zur Handwurzel und hinten fast bis zur Hälfte des Rückens und der Seiten herabreichen und den Unterleib überziehen; selbst an den Ellbogen und den Vorderteilen der Schenkel stehen noch Haarbüschel. Am Kopf und am Hals ist die eigentlich fahlgelbe Mähne mit rostschwarzen Haaren durchsetzt. Neugeborene Berberlöwen haben noch keine Mähne, noch keine Schwanzquaste, sondern sind mit wolligen, grauen Haaren bedeckt und am Kopf und an den Beinen schwarz gefleckt, an den Seiten, über dem Rücken und am Schwanz aber mit kleinen schwarzen Querstrichen gebändert und über dem Rücken schwarz gezeichnet. Aber schon im ersten Jahr verschwinden die Flecken und Streifen, im zweiten Jahr ist die Grundfarbe ein gleichmäßiges Fahlgelb geworden, und im dritten Jahr erscheinen die Zeichen der Mannbarkeit. Die Löwin ähnelt immer mehr oder weniger dem jüngeren Tier; der gleichlange oder nur äußerst wenig am Vorderkörper verlängerte Haarpelz zeichnet sie vor dem Männchen aus. In früheren Zeiten waren die Löwen weiter verbreitet als heute, 3
wo sie aus den stark bevölkerten Gegenden schon beinahe ganz verdrängt worden sind. Sie fanden sich noch in Römerzeiten nicht nur in Griechenland, Mazedonien und in ganz Afrika, sondern auch in Palästina, Syrien, im Irak, in Persien und in Vorderindien. Der Löwe der Berberei lebte früher im ganzen nordöstlichen Afrika und war in Ägypten fast ebenso häufig wie in Tunis oder in Marokko. Die fortschreitende Zivilisation, häufige Kriege und die Jagd haben die Löwen mehr und mehr zurückweichen lassen in die Savannen, Busch-, Gras- und Trockensteppen und in die Halbwüsten südlich der Sahara; die Tierverbreitungskarte weist ihn noch im Sudan, am Tschad, am Weißen Nil, in Somalia, Kenia, Tanganjika, in Äquatorialafrika und am Niger auf. Sonst gibt es ihn nui noch in Schutzgebieten Südafrikas und Vorderindiens, in den Ställen der Zirkusse oder in den Gehegen der Tiergärten. Im Betragen sind sich die verschiedenen Löwen — man unterscheidet etwa zehn Unterarten — fast völlig gleich, und wir kennen deshalb die Lebensweise von allen, wenn wir die Lebensart einiger weniger aus der Familie kennengelernt haben.
Kein Einzelgänger Alle anderen Katzen sind Einzelgänger. Der Löwe aber lebt zumeist in Rudeln, in Trupps von vier bis fünf; Großwildjäger wollen bis zu siebenundzwanzig Tiere beieinander gesehen haben. Doch nirgendwo sind Löwen häufig, und das ist leicht zu erklären; denn sie brauchen so viel Nahrung, daß sich eine große Zahl dieser Raubkatzen in einer einzigen Gegend nicht lange ernähren könnte. An irgendeinem geschützten Ort scharrt sich jeder Löwe eine flache Vertiefung zu seinem Lager und ruht hier einen oder mehrere Tage lang, je nachdem ob die Gegend wildreich, unruhig oder ruhig ist. In den größeren Savannen oder Steppen bewohnt er oft längere Zeit ein und denselben Platz und verläßt ihn nur dann, wenn er hier seinen Wildstand zu sehr gemindert hat und nicht mehr mit Leichtigkeit Beute machen kann. Dann zieht er weiter; wo ihn bei seinen Streifzügen der Morgen überrascht, bleibt er liegen, und zwar immer in den verborgensten Teilen des Grases oder Busches. 4
Soeben angekommen — groß wie Hauskatzen
Im ganzen ähneln seine Gewohnheiten denen anderer Katzen, doch weicht er in vielen Stücken sehr von ihnen ab. Er ist träger als alle übrigen Mitglieder seiner Familie und liebt größere Streifzüge durchaus nicht. Tagsüber begegnet man ihm äußerst selten, meist nur dann, wenn man ihn aufsucht und durch Hunde von seinem Lager auftreiben läßt. Die Araber behaupten, daß er um die Mittagszeit entsetzlich vom kalten Fieber gepeinigt werde und deshalb so faul sei, wer ihn dann jagen wolle, müsse ihn vorher durch Steinwürfe auftreiben. So arg ist es freilich nicht; eine große Trägheit ist ihm allerdings eigen, wenigstens solange die Sonne am Himmel steht. Doch kommt es vor, daß man ihn auch bei Tage umherschleichen sieht. Vor allem dort, wo er in Reservationen geschont wird. Ruhig und still sitzt er dann auf einem erhöhten Punkt, von wo aus er das Treiben der Tiere seines Jagdgebietes beobachten will. Sonst aber zeigt er sich meist des Nachts, kündet durch donnerartiges Brüllen sein Wachsein und den Beginn seiner Streifzüge an und sammelt brüllend seine Jagdgenossen um sich.
Urplötzlich scheint die Erde zu dröhnen . . . In die Nähe der Dörfer kommt der Löwe nicht vor der dritten Nachtstunde. „Dreimal", so sagen die Eingeborenen, „kündet er durch Brüllen seinen Aufbruch an und warnt hierdurch alle Tiere, ihm aus dem Weg zu gehen". Diese gute Meinung beruht aber leider auf schwachen Füßen; denn ebenso oft, als ich das Brüllen des Löwen vernahm, habe ich in Erfahrung gebracht, daß er lautlos ans Dorf herangeschlichen war und irgendein Stück Vieh weggenommen hatte. Der Löwe, der vor unserer ersten Ankunft vier Nächte hintereinander das Dorf betreten hatte, war einzig und allein daran erkannt worden, daß er beim versuchten Durchbruch einer Umzäunung einige seiner Mähnenhaare verloren hatte. Es wurde als sehr wahrscheinlich angenommen, daß er auch in den ersten Nächten seines Aufenthaltes das Dorf umschlichen hatte, dennoch vernahmen wir sein Gebrüll nur zweimal, und zwar in weiter Ferne. Ehe ich aber weitere Einzelheiten aus dem Leben und Treiben der Löwen schildere, möchte ich meinen Leser bitten, sich mit mir im Geiste in eines der Steppendörfer des Ost-Sudans oder in die
Umzäunung eines Lagers der Nomaden zu versetzen, um eine jener durch ihn gestörten Nächte kennenzulernen. Mit Sonnenuntergang hat der Nomade seine Herde in der sicheren „Seriba" eingehürdet, in jenem etwa drei Meter hohen" und über einen Meter dicken, äußerst dichten, aus den stacheligen Mimosenästen geflochtenen Zaun. Dunkel senkt sich die Nacht auf das geräuschvolle Lager herab. Die Schafe blöken nach ihren Jungen, die Rinder, die bereits gemolken sind, haben sich niedergelegt. Eine Meute wachsamer Hunde hält die Wacht. Mit einem Male jault sie hell auf, im Nu ist sie versammelt und stürmt nach einer Richtung in die Nacht hinaus. Man hört den Lärm eines kurzen Kampfes, wütend bellende Laute und grimmig heiseres Gebrüll, dann Siegesgejaul — eine Hyäne umschlich das Lager, mußte aber vor den mutigen Wächtern nach kurzer Gegenwehr die Flucht ergreifen. Einem Leoparden würde es kaum besser ergangen sein. — Es wird stiller und ruhiger, der Lärm verstummt, der Friede der Nacht senkt sich auf das Lager herab. Weib und Kind des Herdenbesitzers haben in ihrem Zelt Ruhe gesucht und gefunden. Die Männer haben ihre letzten Arbeiten erledigt und wenden sich ebenfalls dem Lager zu. Von den nächsten Bäumen herab spinnen die stufenschwänzigen Ziegenmelker ihren Nachtgesang oder tragen fliegend ihre Federschleppe durch die Lüfte, nähern sich oft und gern der Seriba und huschen wie Geister über die schlafende Herde hinweg. Sonst ist alles still und ruhig. Selbst die kläffenden Hunde sind verstummt. Urplötzlich scheint die Erde zu dröhnen — in nächster Nähe brüllt ein Löwe! Jetzt bewährt er seinen Namen „Essed", das ist der Aufruhrerregende: denn ein wirklicher Aufruhr und die größte Bestürzung zeigen sich in der Seriba. Die Schafe rennen wie unsinnig gegen die Dornhecken an, die biegen schreien laut, die Rinder rotten sich mit lautem Angstgestöhn zu wirren Haufen zusammen, das Kamel sucht, um zu entfliehen, die Fesseln zu sprengen. Die Hunde, die keinen Respekt vor Leoparden und Hyänen haben, heulen laut und kläglich und flüchten sich jammernd in den Schutz ihres Herrn, der es nicht wagt, ohne Schußwaffe einem so furchtbaren Feind gegenüberzutreten. So muß er es geschehen lassen, daß der Löwe näher und näher herankommt. Mit gewaltigem Satz überspringt der Mächtige die hochgeschich7
tete Dornenmauer, um sich ein Opfer auszuwählen. Ein einziger Schlag seiner furchtbaren Pranken fällt ein zweijähriges Rind, das kräftige Gebiß zerbricht dem widerstandslosen Tier die Wirbelknochen des Halses. Dumpf grollend liegt der Räuber auf seiner Beute, die Augen funkeln hell vor Siegeslust, Stolz und Raubgier. Mit dem Schwanz peitscht er die Luft, läßt das verendende Tier auf Augenblicke los und faßt es von neuem, bis es sich nicht mehr regt. Dann tritt er seinen Rückzug an. Er muß zurück über die hohe Umzäunung und will auch seine Beute nicht lassen. All seine Kraft ist erforderlich, um mit dem Rind im Rachen den Rücksprung auszuführen. Aber es gelingt! Ich selbst habe eine drei Meter hohe Seriba gesehen, über die der Löwe mit einem zweijährigen Rind im Rachen hinweggesetzt war; später betrachtete ich mir auch die Streifspuren, die die schwere Last oben am Zaun hinterlassen hatte, und sah auf der anderen Seite noch die Vertiefung im Sand, die das herabstürzende Rind zurückließ, bevor es der Löwe weiterschleppte. Mit Leichtigkeit trägt er eine solche Last zu seinem vielleicht einen Kilometer entfernten Lager. Man sieht oft noch die Furche, die das geschleppte Tier durch den Sand zog bis zu der Stelle, wo es zerrissen wurde.
Raad, die Donnerstimme Man begreift, daß alle Tiere, die diesen fürchterlichen Räuber kennen, vor Entsetzen fast die Besinnung verlieren, sobald sie ihn nur brüllen hören. Dieses Gebrüll ist bezeichnend für das Tier selbst. Man könnte es einen Ausdruck seiner Kraft nennen, es ist einzig in seiner Art und wird von keiner^Stimme eines anderen lebenden Wesens übertroffen. Die »Araber haben ein sehr klangvolles Wort dafür: „raad",-das heißt donnern. Beschreiben läßt sich das Löwengebrüll nicht. Tief aus der Brust scheint es hervorzukommen. Es ist schwer, die Richtung zu erkennen, aus der es schallt, denn der Löwe brüllt gegen die Erde hin, und auf ihr pflanzt sich der Schall wirklich wie Donner fort. Das Gebrüll besteht aus Tönen, die zwischen O und U in der Mitte liegen. In der Regel beginnt es mit drei oder vier langsam hervorgestoßenen Lauten, die fast wie ein Stöhnen klingen, dann folgen die einzelnen Laute immer schneller und schneller, so daß die letzten eigentlich mehr 8
im
Mit Neugier, zugleich fluchtbereit, blickt die Löwin in die Kamera
einem Geknurr gleichen. Sobald ein Löwe seine gewaltige Stimme erhebt, fallen alle übrigen Löwen, die es hören, augenblicklich mit ein. Unbeschreiblich ist die Wirkung, die eine Löwenstimme im übrigen Tiervolk hervorruft. Die heulende Hyäne verstummt, wenn auch nur auf Augenblicke, der Leopard hört auf zu grunzen, die Affen beginnen laut zu gurgeln und steigen angsterfüllt in die höchsten Wipfel. Die blökende Herde wird totenstill; die Antilopen brechen in rasender Flucht durchs Gezweig; das beladene Kamel zittert, gehorcht keinem Zuruf seines Treibers mehr, wirft seine Lasten, seinen Reiter ab und sucht sein Heil in eiliger Flucht; das Pferd bäumt sich, schnauft, bläst die Nüstern auf und stürzt rückwärts; der nicht an die Jagd gewöhnte Hund sucht winselnd Schutz. Das gleiche Angstgefühl, das ein Löwengebrüll hervorruft, bemächtigt sich auch dann der Tiere, wenn sie den Löwen durch einen anderen Sinn wahrnehmen, zum Beispiel, wenn sie ihn nur wittern, ohne ihn zu sehen; sie wissen alle, daß die Nähe des Löwen für sie Tod bedeutet.
Der unangenehme, schlaue Nachbar Wo es der Löwe haben kann, siedelt er sich in der Nähe der Dörfer an. Er ist ein unangenehmer Gast und läßt sich nicht so leicht vertreiben, zumal er eine gewisse Schlauheit bei seinen Überfällen zeigt. Das mag auch aus folgender Geschichte hervorgehen, die von einem europäischen Siedler erzählt wird; er lebte hauptsächlich von dem Geld, das er aus der Jagd auf Elefanten gewann. In einem dichten Gestrüpp, das ungefähr eineinhalb Kilometer von der Besitzung des Farmers entfernt war, hatte sich ein Löwe niedergelassen. Er fand dort Schutz und Wasser und konnte von hier aus recht behaglich seinen Jagdzügen nachgehen. Der Europäer merkte sehr bald, welchen Nachbar er erhalten hatte; die unverkennbare Fährte im Sand sagte genug, und der Mann beschloß deshalb, auf der Hut zu sein. In der ersten Nacht erhoben die Hunde ein wütendes Gebell; der Löwe aber verhielt sich ruhig, und der Farmer gab sich bereits der Hoffnung hin, daß der Löwe, von den Hunden gewarnt, die Gegend verlassen habe. Aber der Löwe 10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.13 17:22:19 +01'00'
hatte sich von dem bißchen Hundegebell nicht in die Flucht schlagen lassen. Während der zweiten Nacht wurde ein starker Ochse ohne Umstände von ihm weggeführt. Am Morgen zeigte sich, daß der Löwe über die Umzäunung, die das Gehöft umgab, gesprungen war und den Ochsen getötet hatte. Er wäre mit ihm über den hohen Zaun zurückgeklettert, wenn der Zaun das gemeinsame Gewicht ausgehalten hätte. Er brach unter der Last zusammen. Dadurch hatte sich dem Räuber ein bequemerer Ausgang geöffnet. Der Europäer verfolgte sofort im Geleit eines Eingeborenen und eines halben Dutzends seiner besten Hunde die Löwenspur bis in eine Schlucht. Die Bäume und Sträucher bestanden aus Stachelgewächsen und Dornen; kriechendes Gesträuch und langes Gras bedeckten den Boden in solcher Üppigkeit, daß es fast unmöglich schien hindurchzudringen. Man kam deshalb überein, daß sich der Farmer an der einen, der Eingeborene an der anderen Seite der Schlucht aufstellen und daß die Hunde den Löwen herausjagen sollten. Das lebhafte Bellen der Rüden zeigte bald an, daß sie den Räuber entdeckt hatten; aber man merkte auch, daß sie unfähig waren, ihn aus seiner Festung hinauszutreiben. Man hörte, wie sie zurückprallten, wenn der erzürnte Löwe einen Angriff machte, dann aber wieder vordrangen; im ganzen jedoch blieb das Gebell auf einer und derselben Stelle. Endlich, als das Bellen schwächer und immer schwächer wurde, hielt man es für ratsam, die Hunde zurückzurufen. Doch alles Pfeifen und Rufen brachte nicht mehr als zwei von einem halben Dutzend zu ihrem Herrn zurück, einer von ihnen war schrecklich verstümmelt, die anderen hatte der Löwe getötet. Dieser erste Versuch, des unangenehmen Nachbarn habhaft zu werden, war völlig mißlungen, und der Farmer kehrte, klagend über den Verlust seiner Hunde, nach Hause zurück, um sich nach der Anstrengung zu erfrischen. Während der Nacht wachte er, aber der Löwe stattete ihm keinen zweiten Besuch ab. Am folgenden Abend machte unser Mann sich mit seinem Begleiter noch einmal in die Schlucht auf. Man bestieg hier einen Baum in der Nähe des Wechsels, und beide Jäger spähten die ganze Nacht nach ihrem Gegner 11
aus. Der Löwe aber war klüger als sie; er ging und während sie dort auf den Bäumen saßen, sich zu fürchten, ein sehr wertvolles Pferd aus terhalt, der ihm gelegt war, hatte er glücklich
einen anderen Weg, holte er sich, ohne dem Hof; den Hingemieden.
Der Wildjäger Menschliche Ansiedlungen sind häufig genug Ernährer des Löwen;, doch auch Steppe und Savannen bieten ihm hinreichend Nahrung. Kein Säugetier ist ihm zu klein und zu geringfügig, keins ist vor ihm sicher. Die verschiedenen Genossen eines Rudels treiben sich das durch Brüllen aufgeschreckte Wild gegenseitig zu oder jagen es den versteckt lauernden Weibchen und Jungen in die gierigen Pranken. Bei seiner Jagd zeigt er außerordentlich viel Verstand, List und große Kühnheit. Es scheint durch glaubwürdige Reisende verbürgt zu sein, daß der Löwe sich auch durch Lagerfeuer nicht abhalten läßt und selbst zwischen den Feuerstätten Vieh wegnimmt. Manchmal kommt er auch nur dicht an das Lager heran und beginnt durch sein Brüllen die eingepferchten Tiere so lange zu ängstigen, bis sie fast besinnungslos ausbrechen, um das Weite zu suchen, auf der Flucht aber erst recht zur Beute werden. Ganz anders als bei Angriffen auf zahme Tiere benimmt sich der Löwe, wenn er es mit Wild zu tun hat. Er weiß, daß es ihn auf ziemliche Entfernung hin wittert und schnellfüßig genug ist, ihm zu entkommen. Deshalb lauert er auf die wildlebenden Tiere oder schleicht sich in Gesellschaft mit anderen seiner Art äußerst vorsichtig unter dem Wind an sie heran. Namentlich die Wasserplätze in den Steppen sind ergiebige Jagdorte für ihn. Wenn der heiße Tag vorüber ist und die kühle Nacht sich allmählich herabsenkt, eilt die zierliche Antilope oder die mildäugige Giraffe, das gestreifte Zebra oder der gewaltige Büffel, um sich am Wasser zu erfrischen. Vorsichtig nahen sie sich alle der Quelle oder der Lache; sie wissen, daß gerade diejenigen Orte, die ihnen die meiste Labung bieten sollen, für sie die gefährlichsten sind. Ohne Unterlaß witternd und scharf in die Nacht äugend, schreitet das Leittier der Herde dahin. Keinen Schritt tut es, ohne sich zu vergewissern, daß alles ruhig und still ist. Die Antilopen sind meist schlau genug, ebenfalls unter dem Wind an die Quelle zu gehen, und so 12
bekommt oft genug das Leittier die Witterung zur rechten Zeit. Es stutzt, lauscht und äugt, es wittert — nur einen Augenblick —, und plötzlich wirft es sich herum und jagt in eiliger Flucht dahin. Die anderen folgen; weit greifen die zierlichen Hufe aus, hochauf schnellen die federnden Läufe. Über Busch und Grasbüschel setzen sie dahin und sind gerettet. Mit der gleichen Achtsamkeit naht sich auch das kluge Zebra, dessen süßschmeckendes Fleisch der Löwe am meisten zu begehren scheint. Aber wehe ihm, wenn es diese Vorsicht versäumt! Wehe der Giraffe, wenn sie mit dem Wind zur umbuchten Lache schreitet, wehe ihr, wenn sie über der Begierde, die schlaffe Zunge zu kühlen, ihre Sicherheit auch nur einen Augenblick vergißt! Gewöhnlich erliegt ein von dem Löwen erfaßtes Tier schon dem ersten Angriff. Die gewaltige Last, die plötzlich auf seine Schultern fällt, die Todesangst, die es erfaßt, und die Wunden, die es im nächsten Augenblick erhält, lassen es zusammenbrechen. Wenige Bisse genügen, den Lebensnerv abzuschneiden. Mißlingt aber der Sprung, so verfolgt der Löwe im allgemeinen seinen Raub nicht weiter, sondern kehrt in seinen Hinterhalt zurück, Schritt für Schritt, als ob er die rechte Länge abmessen wolle, bei der ihm der Sprung gelungen wäre. Gute Beobachter versichern, daß der Löwe, sobald er hungrig ist, seine Raublust durch Wedeln und Schlagen des Schwanzes oder durch Schütteln der Mähne zu erkennen gibt. An gefangenen und gezähmten Löwen, die ich selbst besaß, habe ich das gleiche beobachtet und kann es bestätigen. Kommt also ein Mensch einem im Gebüsch verborgenen Löwen zu nahe, so braucht er bloß auf die Bewegung zu achten, um zu erfahren, wessen er sich zu versehen hat. Sieht man einen Löwen, der den Schwanz nicht rührt, so kann man an ihm vorbeigehen, ja, ihn sogar durch den Wurf eines Stück Holzes vertreiben. Das Gerassel eines Wagens, das Geklatsche einer Peitsche verjagt ihn regelmäßig. Wedelt er aber mit dem Schwanz, so muß man, wenn man nicht gut bewaffnet ist, auf das Schlimmste gefaßt sein. Was hier vom Menschen gesagt wird, gilt auch von Tieren. Es kommt oft genug vor, daß jagdbare Tiere ohne Gefahr an einem Löwen vorübergehen können; denn ein gesättigter Löwe bemüht sich niemals um weiteren Raub. 13
Schmarotzertum und Futterneid Der Löwe zieht größere Tiere den kleineren vor, obgleich er auch die kleinen, wenn sie ihm nahe kommen, nicht verschmäht. Soll er doch, wie bestimmt versichert wird, sich bisweilen sogar mit Heuschrecken begnügen. Alle Herdentiere des Menschen, die wilden Zebras und sämtliche Antilopen sowie die Wildschweine bleiben jedoch seine Hauptnahrung. Gewöhnlich frißt der Löwe nur selbsterlegte Beute, manchmal geht er jedoch auch das Aas an, zumal wenn es von einem durch ihn erlegten Tier herrührt. Er kehrt, wenn er Beute gemacht hat, in der nächstfolgenden Nacht zu ihr zurück. Aber meistens finden sich schon in der Nacht, in der die Beute geschlagen wurde, zahlreiche Schmarotzer ein, um die günstige Gelegenheit wahrzunehmen, von des Königs Tafel zu schmausen. Die faule Hyäne und wildernde Hunde erachten es für sehr bequem, einen anderen für sich Beute machen zu lassen, und fressen, sobald der Löwe das Mahl verläßt, sich daran toll und voll. Freilich duldet sie der Löwe nicht immer gern an seinem Tisch, sondern es kommen zuweilen tüchtige Beißereien vor. So feig die Hyänen dem Löwen ausweichen, wenn sie ihm begegnen, so tolldreist werden sie, wenn ihnen ein leckeres Mahl winkt. Einer meiner Jäger im Sudangürtel beobachtete einmal bei hellem Tage einen Kampf zwischen einem Löwen und drei Hyänen, dem eine derartige Ursache zugrunde liegen mochte. Der Löwe saß nach Hundeart an einer Waldlichtung hart am Flußufer und erwartete mit der größten Seelenruhe die drei gefleckten Hyänen, die sich ihm knurrend und kläffend mehr und mehr näherten. Nach und nach wurden die Tiere immer unverschämter und gingen noch näher an den Gewaltigen heran. Endlich fiel es einer von ihnen ein, ihm beißend nach der Brust zu fahren. In demselben Augenblick aber bekam sie einen Schlag mit der linken Pranke, daß sie augenblicklich auf den Rücken stürzte und wie leblos liegen blieb, die übrigen zogen sich schleunigst in das Dickicht zurück. Andere Beobachter versichern, auch zwischen Löwen gebe es zuweilen Kämpfe aus Futterneid. Britische Jäger wollen sogar gesehen haben, wie ein männlicher Löwe die von ihm getötete Löwin zerfleischt und teilweise gefressen habe. Inwieweit die Beobachtung richtig ist, wage ich nicht zu entscheiden; mir kommt die Sache 14
außerordentlich unwahrscheinlich vor, obwohl ich wiederholt beobachtet habe, daß andere große Katzenpaare, namentlich die Tiger unseres Tiergartens, durch den bloßen Anblick einer vermeintlichen Beute in hohem Grad erregt wurden und wütend miteinander kämpften, so friedlich sie auch sonst zusammenlebten.
Livingstones unangenehme Erfahrung Den Menschen greift der Löwe nur äußerst selten an. Die hohe Gestalt eines Mannes scheint ihm Respekt einzuflößen. Im Sudan wenigstens, wo der Löwe auch heute noch in manchen Gegenden häufig ist, sind nur wenige Fälle bekannt, daß ein Mensch von einem Löwen gefressen worden wäre. Einer der bekanntesten Forschungsreisenden, die in Afrika von einem Löwen angefallen und schwer verletzt wurden, war David Livingstone*. Bei einer Treibjagd, die er mit den Einwohnern des Dorfes Mabotsa in Ostafrika anstellte, waren die Löwen auf einer kleinen bewaldeten Anhöhe umstellt worden. „Ich befand mich", so erzählt Livingstone, „neben einem eingeborenen Lehrer namens Mebalwe, als ich innerhalb des Jägerkreises einen der Löwen gewahrte, der auf einem Felsstück lag. Mebalwe feuerte auf ihn, und die Kugel traf den Felsen. Der Löwe biß auf die getroffene Stelle wie ein Hund auf einen Stock, der nach ihm geworfen wird. Dann sprang er weg, durchbrach den Kreis und entkam unbehelligt. Als der Kreis wieder geschlossen war, sahen wir in ihm zwei andere Löwen auftauchen, und auch sie brachen durch. Darauf gingen wir wieder dem Dorfe zu. Unterwegs bemerkte ich einen Löwen auf einem Felsen, aber diesmal hatte er einen kleinen Busch vor sich. Da ich etwa 25 Meter entfernt war, zielte ich auf seinen Körper hinter dem Busch und feuerte beide Läufe ab. ,Er ist getroffen!' riefen einige der Leute und wollten zu ihm laufen. Da ich aber den Schweif des Löwen hinter dem Busch aufgerichtet sah, rief ich den Leuten zu: ,Wartet, bis ich wieder geladen habe!' Als ich die Kugel hinunterstieß, hörte ich den Schrei und gewahrte den Löwen gerade im Begriff, auf mich zu springen. Er packte im Sprung meine Schulter, und wir fielen zusammen zu Boden. Schrecklich neben meinem Ohr knur*) vgl. Lux-Lesebogen 266, „Livingstone" 15
rend, schüttelte er mich, -wie ein Dachshund eine Ratte schüttelt. Diese Erschütterung betäubte mich; ich fühlte weder Schmerz noch Angst, obgleich ich mir all dessen, was vor sich ging, bewußt war. Ich suchte mich von der Last zu befreien und bemerkte, daß seine Augen auf Mebalwe gerichtet waren, der auf ihn zu schießen versuchte. Sein Gewehr versagte. Der Löwe verließ mich augenblicklich und packte Mebalwe am Schenkel. Ein anderer Mann, dem ich früher das Leben gerettet hatte, als er von einem Büffel gestoßen wurde, versuchte den Löwen mit dem Speer zu treffen. Er ließ von Mebalwe ab und packte den Speerträger bei der Schulter; aber in diesem Augenblick taten die zwei Kugeln, die er bekommen hatte, ihre Wirkung, er fiel tot nieder. Das Ganze war das Werk weniger Minuten. Er hatte den Knochen meines Oberarms zerbissen, mein Arm blutete aus elf Wunden, die aussahen, als wenn Flintenkugeln eingedrungen wären. Trotz der Heilung wurde der Arm krumm." Die Araber jener Gegend versichern, daß der Mensch, der auf einen ruhenden Löwen trifft, das Raubtier durch einen einzigen Steinwurf verscheuchen könne, falls er Mut genug habe, auf ihn loszugehen. Wer dagegen entfliehe, sei unrettbar verloren. „Zweimal", so sagen sie, „weicht jeder Löwe dem Manne aus, denn er weiß, daß dieser das Ebenbild Gottes des Allbarmherzigen ist, den auch er, als ein gerechtes Tier, in Demut anerkenne. Frevelt jedoch der Mensch an den Geboten des Erhaltenden, die bestimmen, daß niemand sein Leben tollkühn wage, und geht er dem Löwen zum drittenmal entgegen, so muß er sein Leben lassen." Daß die Löwen vor den Menschen wirklich zurückweichen, sagen auch andere Beobachter. „Ein Farmer", so berichtet der Afrikaforscher Sparrmann, „stieß bei einem Spaziergang auf einen Löwen. Er legte auf ihn an, verfehlte ihn aber und wurde von ihm verfolgt. Als er. außer Atem war, kletterte er auf einen Steinhaufen und hob den Flintenkolben hoch in die Höhe. Der Löwe legte sich zwanzig Schritte entfernt vor ihm hin; nach einer halben Stunde aber stand er auf, ging anfangs Schritt für Schritt zurück, als wenn er sich fortstehlen wolle, und erst als er ein Stück weg war, fing er an, aus allen Kräften zu laufen." Man hat behauptet, daß ein Löwe sich selbst dann, wenn er sich schon zum Sprung niederlege, nicht getraue, den Sprung auszuführen, wenn ihm der Mensch unbeweglich 16
Einer nach dem andern: an der Tränke 17
ins Auge sehe. Ich weiß nicht, ob das zutrifft, und rate niemandem, sich im gegebenen Falle darauf zu verlassen. Vielleicht flößt dem Löwen die hohe Gestalt eines hochaufgerichteten Menschen Mißtrauen in seine eigene Stärke ein, und eine ruhige Haltung des Körpers kräftigt den Eindruck mit jedem Augenblick. Eine unbedachtsame Bewegung aber, die ihm Furcht verrät oder ihn zur Verteidigung aufreizt, erweckt den Mut und das Selbstvertrauen des Löwen wieder, und dann ist auch der Mann verloren. Daß er vor dem ruhig dastehenden Menschen die Flucht ergreift, ist ein Beweis, daß er sich vor dem Menschen ebenso gefürchtet hat, wie der Mensch sich vor ihm. Anders ist es freilich, wenn der Löwe in einer wildarmen Gegend lebt, wo er oft hungern muß oder schon mehrmals mit Menschen gekämpft hat. Es kommt wirklich vor, daß der Löwe den Menschen mit großer Hartnäckigkeit verfolgt. So erzählt der englische Reisende und Schriftsteller Sir John Barrow folgendes: „Am Kamiehsberge wollte ein Eingeborener eine Herde Rinder zum Wasser treiben, als er einen Löwen erblickte. Er floh mitten durch die Herde in der Hoffnung, daß der Löwe eher ein Stück Vieh greifen als ihm folgen würde. Doch er irrte. Der Löwe brach durch die Herde und folgte dem Schwarzen, dem es jedoch gelang, auf einen Aloebaum zu klettern und sich hier hinter einem Haufen Nester des Webervogels zu verstecken. Der Löwe tat einen Sprung nach ihm hinauf, verfehlte ihn jedoch, sank zurück und fiel zu Boden. In mürrischem Schweigen ging er um den Baum, warf dann und wann einen schrecklichen Blick hinauf, legte sich endlich nieder und ging nun vierundzwanzig Stunden nicht von der Stelle. Endlich kehrte er zur Quelle zurück, um seinen Durst zu stillen. Der Mann stieg herunter und lief zu seinem Haus, das nur eine Viertelmeile entfernt war. Der Löwe folgte ihm erneut, kehrte aber dreihundert Schritte vor dem Haus um, Ja er wohl einsah, daß er nichts mehr ausrichten könnte.
Die Löwen-Familie Die Zeit, in der der Löwe zur Löwin findet, ist verschieden nach den Gegenden, die er bewohnt. Zur Zeit der Paarung folgen oft zehn bis zwölf männliche Löwen einer Löwin, und es gibt untc ihnen viel Kampf und Streit um das Weibchen. Hat jedoch die Löw : 18
sich ihren Gatten einmal erwählt, so ziehen die anderen ab, und beide leben nun treu zusammen. Fünfzehn bis sechzehn Wochen nach der Paarung wirft die Löwin ein bis sechs, im Durchschnitt etwa drei Junge. Die Kleinen kommen mit offenen Augen zur Welt und haben, wenn sie geboren werden, etwa die Größe einer halberwachsenen Katze. Für ihr Wochenbett sucht sich die Mutter gern ein Dickicht in möglichst großer Nähe eines Tränkplatzes, um nicht weit gehen zu müssen, wenn sie Beute machen will. Das Lager bereitet sie sich aus zusammengetretenem Gezweig und Gras. Übrigens hilft ihr der Löwe Nahrung herbeischaffen und schützt sie und ihre Jungen, wenn es Not tut, mit großer Aufopferung. Die Löwin zeigt für ihre Jungen größte Zärtlichkeit. Die Mutter reinigt die Kleinen, säubert und trocknet sie mit dem „rauhen Handtuch" ihrer Zunge. Droht Gefahr, so nimmt sie das pusselige Wollkind mit den Fangzähnen zart um den Hals und trägt es lautlos an einen geschützteren Platz. Man kann sich wohl kaum ein schöneres Schauspiel denken als eine Löwenmutter mit ihren Kindern. Die kleinen, allerliebsten Tierchen spielen wie muntere Kätzchen miteinander, und die Mutter sieht mit viel Vergnügen den kindlichen Spielen zu oder beteiligt sich gutgelaunt an ihnen. Solange ihre Jungen saugen, wird die Löwin für die Umgebung zu einer Gefahr, weil sie jeden sich Nähernden angreift. Sie verläßt ihr Lager selten, gewöhnlich nur, um zu trinken; denn jetzt sorgt der Löwe für Nahrung. Wenn sie einmal die Jungen verläßt, tritt er für sie als Wächter ein. Die jungen Löwen sind in der ersten Zeit ziemlich unbeholfen. Sie lernen erst im zweiten Monat ihres Lebens gehen und beginnen noch später ihre kindlichen Spiele. Anfangs miauen sie ganz wie die Katzen, später wird ihre Stimme stärker und voller. Bei ihren Spielen zeigen sie sich ziemlich tölpisch und unbeholfen, aber die Gewandtheit kommt mit der Zeit. Nach etwa sechs Monaten werden sie entwöhnt; schon vorher aber folgen sie ihren Eltern, wenn auch nur auf kurzen Strecken, bei ihren Ausflügen. Manchmal kommt es auch vor, daß sie schon im Alter von zehn Monaten, von der Mutter getrennt, auf eigene Faust zu jagen beginnen. Gegen Ende des ersten Jahres haben sie die Größe eines starken Hundes erreicht. Anfänglich gleichen sich beide Geschlechter völlig, bald aber sieht man den Unterschied zwischen Männchen und Weibchen in den stär19
keren und kräftigeren Jahr hin zeigen sich erst im vierten oder färbt. Das Alter, das
Formen des männlichen Tieres. Gegen das dritte die Anfänge der Mähne beim Männchen, doch fünften Jahr sind beide erwachsen und ausgesie erreichen, beträgt etwa dreißig Jahre.
„Du Würger der Herden!" Von jeher hat man den Löwen gefürchtet und ihn mit allen Mitteln zu töten gesucht. Wir haben besonders viele Jagdberichte aus dem vorigen Jahrhundert vorliegen, als Afrika zum großen Forschungsgebiet wurde und die europäischen Reisenden ihre Erlebnisse mit Löwen gern erzählten. Wenn in den Atlasländern ein Löwe lästig zu werden begann, taten sich die mutigsten Männer zusammen, umringten das Gebüsch, in dem sich ihr Hauptfeind verborgen hatte, und bildeten drei Reihen hintereinander, von denen die erste das Tier auftreiben sollte. Man versuchte es zunächst nach Araberbrauch durch Schimpfen und Schelten: „Oh, du Hund und Sohn eines Hundes! Du Würger der Herden und Erbärmlicher! Du Sohn des Teufels! Du Dieb! Du Lump! Auf, wenn du so tapfer bist, wie du vorgibst! Auf! Zeige dich auch bei Tage, der du die Nacht zur Freundin hast! Rüste dich! Es gilt Männern, Söhnen des Muts, Freunden des Krieges, gegenüberzutreten!" Halfen die Schimpfworte nicht, so wurden wohl auch einige Schüsse in das Dickicht abgefeuert, bis endlich doch eine Kugel, die zu nahe am Löwen vorüberpfiff, seinen Gleichmut erschöpfte und ihn zum Aufstehen brachte. Brüllend brach er aus dem Gebüsch hervor. Wildes Geschrei empfing ihn. Gemessenen Schrittes, verwundert und zornig sich umschauend, sah er auf die Menge. Die erste Reihe gab Feuer. Der Löwe sprang vor und fiel gewöhnlich unter den Kugeln der Männer, die die zweite Reihe bildeten, während die erste die Vorderlader wieder schußbereit machte. Aber nicht selten kam es vor, daß er, von zwei und mehr Kugeln durchbohrt, erbittert weiterkämpfte. Einzelne Araber suchten auf zuverlässigen Fährten auch ganz allein den Löwen auf, schössen auf ihn, flohen, schössen nochmals und trugen so zuletzt doch den Sieg davon. Immer aber war die Jagd lebensgefährlich. „Einmal", so berichtet ein Reisender, „rückten sechzig Araber aus, um einer Löwin, während sie abwesend war, die Jungen zu rauben. 20
Männlicher Löwe im Nairobi-Park, Kenia
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Sie kam aber zurück, gerade als die Leute abgezogen waren, und zerbiß einem Mann den Arm. Trotzdem schoß ihr der Mann zwei Pistolenkugeln in den Leib. Darauf stürzte sie auf einen zweiten los, bekam von ihm einen Schuß in den Rachen, warf ihn nieder, riß ihm ein Stück von den Rippen und verendete dann über ihm." Die Araber des Atlas fingen den Löwen auch in Fallgruben, die etwa sieben Meter tief und drei Meter breit waren. Sobald das Tier in der Grube lag, lief von weither alles zusammen, und es entstand ein entsetzlicher Lärm ringsum. Jeder schrie, schimpfte und warf Steine hinunter. Am tollsten trieben es die Frauen und Kinder. Zuletzt erschossen die Männer das Tier. Erst wenn es ganz regungslos dalag, wagte man sich hinab und band ihm Stricke um die Füße, an denen man es mühselig heraufwand; denn der ausgewachsene männliche Löwe wiegt manchmal über vierhundert Pfund. Auch auf dem Anstand erlegte man den Löwen. Die Araber warfen eine Grube aus, deckten sie von oben fest zu, so daß nur die Schießlöcher offen waren, und warfen ein frischgetötetes Wildschwein davor; oder sie setzten sich auf Bäume und schössen von dort herab. Jeder Knabe bekam ein Stück vom Herzen zu essen, damit er mutig wurde. Die Haare der Mähne benutzte man zu Amuletten, weil man glaubte, daß derjenige, der die Haare bei sich trage, vom Zahn des Löwen verschont bleibe.
Dreihundert Franken für einen Löwen Eine sehr anschauliche Beschreibung von dem Löwen Nordafrikas, der Löwenjagd und den Löwenjägern von einst verdanken wir auch meinem Freund und Reisegefährten in Afrika, Dr. Buvry. „In dunklen Nächten", so erzählt er, „verließ auch der starke Löwe, die buschbesetzten Schluchten und stieg in die Ebene hinab, um seinen Hunger und Durst zu stillen. Auf diesen Streifzügen folgte er den ausgetrockneten Flußbetten; keinem lebenden Wesen . wich er aus, langsamen Schrittes zog er dahin, und seine Augen leuchteten wie zwei Feuerbecken durch die Nacht. Von Zeit zu Zeit erscholl sein Donnergebrüll und erschreckte Araber und Europäer. Das Vieh begann zu zittern, die Hunde verkrochen sich winselnd in die Zelte, und der Wald verstummte vor seinem Gebrüll. Furcht- I 22
los näherte sich der Löwe dem Lager, mit einem gewaltigen Satz übersprang er die Zeltreihe, packte mit den Vordertatzen ein Maultier oder ein Rind und kehrte auf demselben Wege, Entsetzen und Angst verbreitend, mit seiner Beute zurück. Solcher Stärke wich jeder Widerstandsversuch, beklommenes Schweigen herrschte während der tiefen Nacht. Es kam nur noch selten vor, daß die Araber frei und offen dem Löwen den Krieg erklärten und ihn in seinem Versteck aufstörten, bis er den Kampf annahm. Man zog es vor, ihn auf minder gefahrvolle Weise zu bekämpfen. Man spürte seine Fährte auf und grub seitlich ein etwa zwei Meter tiefes Loch, das sich nach oben zu verengte. In das Loch versteckte sich der Araber und überdeckte die Öffnung mit Zweigen. Dort lauerte er viele Nächte, bis der Löwe auf einem seiner Streifzüge wieder einmal diesen Weg nahm. War das Raubtier nahe genug an das Versteck herangekommen, so zielte der Jäger nach dem Kopf oder nach dem Herzen. Bei der herrschenden Finsternis war der Schuß immer unsicher; denn verwundete der Jäger den Löwen bloß, so faßte der Löwe alles Umstehende ,mit seinen grimmigen Tatzen 1 . Gewöhnlich entfernte er sich nicht so bald von der Stelle, an der er verwundet wurde, sondern suchte nach dem verborgenen Feind und erhielt so die zweite, nun tödliche Kugel. Jetzt kroch der Araber aus seinem Versteck hervor, zündete ein großes Feuer an, wikkelte sich in seinen Burnus und brachte auf diese Weise den Rest der Nacht zu. War es aber um die Brunftzeit und hatte der Jäger Grund, das Herankommen der Löwin zu befürchten, so zündete er ein Feuer an, befestigte an den Hinterbeinen des toten Löwen einen Strick, erkletterte einen hohen Baum, schlang den Strick um einen Ast und zog seine Beute in die Höhe bis in die Krone des Baumes, um sie den gefräßigen Schakalen und Hyänen zu entziehen. Selbstverständlich konnte er nur mittelgroße Löwen auf diese Weise sichern; denn die großen waren, für einen Mann wenigstens, viel zu schwer, als daß er sie bewegen konnte. Brach endlich der langersehnte Morgen an, so machte unser Araber sich auf den Weg, um sein Lager zu erreichen. Wenn er unterwegs an einer Quelle vorüberkam, hockte er nieder und verrichtete 23
die vorgeschriebenen Waschungen und das Dankgebet, dann eilte er so schnell als möglich nach Hause. Dort ließ er sich kaum Zeit, sich mit Speise und Trank zu erquicken, sondern nahm einen starken Esel und schaffte mit ihm den Löwen in die Stadt. Pferde und Maultiere ließen sich nicht zum Fortschaffen eines Raubtieres verwenden, weil sie vor solcher Fracht zurückscheuten und vor lauter Zittern und Zagen gar nicht in Gang zu bringen waren. War der Löwe für die Kraft eines Esels zu stark, so mietete der Araber sich einen Karren und holte mit ihm seine Beute herbei. Nun begann der Triumph des Jägers; denn inzwischen hatte sich die Nachricht von seiner Tat wie ein Lauffeuer verbreitet. Er fuhr in sein Lager, wo Männer, Weiber und Kinder aus den Zelten hervorkrochen und herbeikamen, um ihn wegen seines Heldenmutes zu beglückwünschen. Freudenschüsse gingen los, und eine Freudenmahlzeit stärkte den Löwenbesieger zu seiner Reise in die Stadt. Freunde begleiteten ihn, und der Zug setzte sich in Bewegung. Oberall eilten die Araber herbei und priesen den Mut des Jägers und die Stärke des erlegten Tieres. Dieser und jener schloß sich wohl auch dem abenteuerlichen Zuge an. Am ,Büro für Araber' wurde haltgemacht. Der Jäger trat ein, um von dem Chef die gesetzmäßige Belohnung zu empfangen. Sie betrug ursprünglich hundert Franken; seitdem aber die Jagd von Einheimischen und europäischen Ansiedlern regelrecht betrieben wurde, hatte man sie auf fünfzig Franken herabgesetzt. Nach der Auszahlung der Prämie begab sich der Zug vor das Haus des befehlshabenden Generals; ihm wurde in der Hoffnung auf ein entsprechendes Gegengeschenk das Fell überlassen. Zeigte er aber keine Lust dazu, so begnügte sich der Araber auch mit einer Lobrede auf seine Tapferkeit, und die Löwenhaut wanderte gegen einen Preis von hundert bis hundertfünfzig Franken zu einem Gerber, der sie als Teppich verarbeitete und durchschnittlich für vierhundert Franken an Durchreisende oder Fremde verkaufte. Das Fleisch wurde dem Schlächter überlassen, der das Pfund zu einem halben Franken an Europäer verkaufte; in Algerien wurde der Löwe von ihnen gern gegessen. Auf solche Weise verdiente der Jäger durch seinen Schuß ungefähr dreihundert Franken: —• für einen Araber damals eine ungeheure Summe. Gewöhnlich kaufte er sich sogleich einen neuen 24
Freßmüde zeigt der Ostafrikaner seine Zähne
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Burnus, einen Überwurf und Pantoffeln und kehrte dann vergnügt wieder heim. Aber an dem schnellen Verdienst hatte auch der Teufel seinen Anteil; denn von nun an trieb den glücklichen Jäger eine unersättliche Jagdlust. Er vernachlässigte fortan seine Geschäfte, um nur nach wilden Tieren auf der Lauer liegen zu können. Doch das Glück war sparsam mit seinen Gaben. Das wenige übriggebliebene Geld wurde nach und nach verausgabt, das Pulver wurde knapp, der neue Burnus wurde gegen einen alten vertauscht, die Pantoffeln wurden verkauft, die nackten Sohlen mußten wieder durch den glühenden Sand stapfen, und der Ruhmgekrönte von damals war wieder ein Bettler. Auf meinen Zügen habe ich viele solcher Löwenjäger kennengelernt, die außer ihren Lorbeeren so gut wie nichts mehr besaßen. Stundenlang, ja ganze Tage saßen sie vor meiner Tür und erzählten mir von ihren Heldentaten; der Endreim aller Erzählungen war immer ein Betteln um Pulver. Niemals ließen sie sich bewegen, für mich Jagd auf andere Tiere zu machen. Für die jungen Löwen, von denen alljährlich viele in den Städten der Umgebung feilgeboten wurden, bezahlten die Europäer fünfzig bis hundertfünfzig Franken. Die Araber fingen die Jungtiere entweder in Fallgruben oder sie folgten im frischgefallenen Schnee der Fährte der Löwin bis zu ihrem Bau und raubten in ihrer Abwesenheit die Jungen. Daß ein solches Unternehmen nicht ohne Gefahr war, leuchtet ein. Sehr oft rief die Stimme des jungen Tieres die Mutter herbei, und sie warf sich dann mit furchtbarer Wut und der Ausdauer der Verzweiflung auf den Jäger. Im allgemeinen war der Winter, besonders wenn er von heftigen Schneefällen begleitet war, die geeignetste Jahreszeit für die Jagd auf wilde Tiere. Wenn der Schnee liegenblieb und die Tiere sich veranlaßt sahen, in die Niederungen hinabzusteigen, um ihre Nahrung zu suchen, wurde es dem Jäger leicht, ihnen bis zu ihrem Lager zu folgen. Übrigens waren reißende und selbst tiefe Flüsse für den Löwen kein Hindernis auf seinem Weg. Mit einem gewaltigen Satz stürzte er sidi ins Wasser und durchschwamm es." Soweit der Bericht Dr. Buvrys von den Jagdmethoden der Eingeborenen, denen die Löwen Nordafrikas allmählich erlegen sind.
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Löwen in Gefangenschaft Ein alter männlicher Löwe verteidigt regelmäßig die Löwin und auch die Jungen; deshalb ist es sehr schwer, sich der Jungen zu bemächtigen. Gewöhnlich fängt man die Tiere, solange sie noch klein und unbeholfen sind, zu der Zeit, in der die Mutter ausgegangen ist, um das Wild, dem mit Anbruch der Nacht die Jagd gelten soll, zu beobachten. Gelingt der Raub, ohne daß die Löwin zurückkehrt, so ist gleichwohl noch nicht alle Gefahr verschwunden; denn beide Eltern sollen in rasender Wut noch tagelang das Land durchstreifen und nach ihren Kindern suchen. Jung eingefangene Löwen werden bei verständiger Pflege sehr zahm. Sie erkennen in dem Menschen ihren Pfleger und gewinnen ihn um so lieber, je mehr er sich mit ihnen beschäftigt. Man kann sich kaum ein reizenderes Geschöpf denken als einen gezähmten Löwen, der nach kurzer Zeit seine ganze Freiheit, ich möchte sagen, sein Löwentum vergessen hat und sich dem Menschen hingibt. Ich habe eine Löwin zwei Jahre lang gepflegt und ihr liebenswürdiges Wesen erfahren können. Bachida, so hieß die Löwin, hatte einst Latif-Pascha, dem ägyptischen Sultan von Ost-Sudan, gehört und war einem meiner Freunde zum Geschenk gemacht worden. Sie gewöhnte sich in kürzester Zeit an unserem Hof ein und durfte dort frei herumlaufen. Bald folgte sie mir wie ein Hund, liebkoste mich bei jeder Gelegenheit und wurde nur dadurch lästig, daß sie zuweilen auf den Einfall kam, mich nachts auf meinem Lager zu besuchen und dann durch ihre Liebkosungen aufzuwecken. Nach wenigen Wochen hatte sie sich die Herrschaft über alles Lebende auf dem Hof angemaßt, jedoch mehr in der Absicht, mit den Tieren zu spielen, als um ihnen Leid zu tun. Nur zweimal tötete und fraß sie Tiere; einmal einen Affen, das andere Mal einen Widder, mit dem sie vorher gespielt hatte. Die meisten Tiere behandelte sie mit dem größten Übermut und neckte und ängstigte sie auf jede Weise. Ein einziges Tier verstand es, sie zu bändigen. Es war ein Marabu, der, als beide Tiere sich kennenlernten, ihr mit seinem gewaltigen Keilschnabel zu Leib ging und sie dergestalt verprügelte, daß sie ihm, wenn auch nach langem Kampf, den Sieg zugestehen mußte. Oft machte sie sich das Vergnügen, sich nach Katzenart auf 27
den Boden zu legen und einen von uns aufs Korn zu nehmen, über den sie dann plötzlich herfiel wie eine Katze über die Maus, aber nur in der Absicht, uns zu necken. Gegen uns benahm sie sich stets liebenswürdig und ehrlich, Falschheit kannte sie nicht; selbst als sie einmal gezüchtigt worden war; kam sie schon nach wenigen Minuten wieder und schmiegte sich ebenso vertraulich an mich wie früher. Ihr Zorn verrauchte augenblicklich, und eine Liebkosung konnte sie gleich besänftigen. Auf der Reise von Chartum nach Kairo, die wir auf dem Nil zurücklegten, wurde sie, solange das Schiff in Fahrt war, in einen Käfig gesperrt, sobald wir aber anlegten, jedesmal freigelassen. Dann sprang sie wie ein übermütiges Füllen lange Zeit umher und entleerte sich schnell ihres Unrats, denn ihre Reinlichkeitsliebe war so groß, daß sie niemals ihren Käfig während der Fahrt beschmutzte. Bei diesen Ausflügen ließ sie sich mehrere Male dumme Streiche zuschulden kommen. So erwürgte sie unter anderem in einem Dorf ein Lamm und fing sich in einem anderen einen kleinen Negerknaben; doch konnte ich zum Glück den Bedrängten leicht befreien, da sie sich gegen mich überhaupt nie widerspenstig zeigte. In Kairo konnte ich, sie an der Leine führend, mit ihr Spazierengehen, und auf der Überfahrt von Alexandrien nach Triest holte ich sie tagtäglich auf das Deck herauf zur allgemeinen Freude der Mitreisenden. Sie kam nach Berlin, und ich sah sie zwei Jahre nicht wieder. Nach dieser Zeit besuchte ich sie und wurde augenblicklich von ihr erkannt. Bei guter Nahrung und Pflege kann ein Löwe viele Jahre in der Gefangenschaft aushalten. Er erhält je nach Größe fünfzehn bis zwanzig Pfund Fleisch am Tag. Dabei befindet er sich wohl. Schlechtes Fleisch verursacht bei ihm leicht Krankheiten. Früher war es schwer, in den Raubtierhäusern der Tiergärten Löwennachwuchs durchzubringen und die in der Gefangenschaft geborenen Jungen großzuziehen; sie starben gewöhnlich, mit wenigen Ausnahmen, am Zahnen. Heute dagegen haben manche zoologischen Gärten Mühe, den Nachwuchssegen loszuwerden. Berühmtester Lieferant „eigenerzeugter" Löwen wurde der Leipziger Zoo, der seine zweitausend Löwenkinder in alle Welt verkaufte, selbst in afrikanische Zoos; es war eben billiger, ein Löwenbaby aus euro28
päischer Zucht zu erwerben und herüberkommen zu lassen als seiner in der afrikanischen Steppenwildnis habhaft zu werden. Und da Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen, kam es dank der Überproduktion soweit, daß Löwen, wenn auch nicht von- der besten Qualität, schon für zweihundert bis dreihundert Mark zu bekommen waren. Viel teurer waren natürlich die Löwen aus Berberblut mit ihrer riesigen Mähne.
Löwen im Altertum Über wenige Tiere ist von jeher so gefabelt worden und wird noch heute so gefabelt wie über den Löwen. Die Nachrichten über ihn gehen bis in das graueste Altertum zurück. Die Bibel erwähnt ihn an vielen Stellen, und die alten Israeliten hatten nicht weniger als zehn Namen für ihn. So bedeutete das Wort Gur vorzugsweise einen jungen Löwen, der noch saugte oder noch bei der Mutter wohnte; aber die Ableitung ist nicht ganz sicher. Mit Kephir bezeichnete man einen jungen Löwen, und zwar einen solchen, der schon auf Raub ausging. Unter Ari oder Arieh verstand man einen erwachsenen Löwen; da das Wort von einer Wurzel herrührt, die glühen oder brennen bedeutet, war also der Löwe der Feurige, Glühende oder Grimmige. Schachal, der fünfte Name, bedeutet der Brüller; Schachaz der Hohe, Stolze oder sich Erhebende; Oten einen Großlöwen; Labi eine Löwin; Zobbä, ein Wort, das auch im Arabischen gebraucht wird, Würger der Herde; und Lajisch endlich den in schauerlicher Wüste Lebenden. Die Bibel lehrt uns auch, daß früher die Löwen in Palästina an vielen Orten vorkamen, namentlich am Libanon. Viele Löwen gab es im ägyptischen Niltal, in den Mündungen der Wadis, die zum Nil hinabführten. Von dort kamen sie zur Tränke herunter und holten sich bei dieser Gelegenheit auch die Beute aus den Herden der Strom-Oase. Nahezu wehrlos mußte der Hirte oder Bauer, der Fellache, zuschauen, wie ihm die Tiere von der Weide geraubt wurden, und er war heilfroh, wenn er selber und seine Angehörigen mit dem Leben davonkamen. Der alles überwältigenden Kraft der Räuber aus den östlichen und westlichen Randzonen der Wüste konnten nur Opfer und Gebet entgegengestellt werden. Oder man bannte den Gewaltigen in Bildern und Symbolen, es gab 29
an vielen Orten Heiligtümer mit löwengestaltigen Götterstatuen, am mächtigsten der Löwenkörper der Sphinx vor den Pyramiden von Gizeh. Furcht und Ehrfurcht vor dem unvergleichlich starken Raubtier waren so groß, daß Pharao Ramses IL, der Napoleon AltÄgyptens, sich selber, um seine Macht zu bekunden, „den mächtigen Löwen mit erhobenen Pranken und gewaltigem Gebrüll" nannte, „von dessen Stimme die Tiere der Wüste (das sind seine Feinde) erzittern". Von den Löwen des Zweistromlandes, aus den Landschaften Sumers, Babyloniens und Assyriens, sind so viele bildliche Dokumente erhalten, daß ein ganzes Lehrbuch über sie geschrieben werden könnte. Aus Ur und Uruk, den Hochtempelstädten, aus Ninive, Babylon und anderen Königsresidenzen sind in der ganzen Welt Reliefdarstellungen, Urkundentafelbilder, bronzene, steinerne und gemalte Bildwerke mit Löwen zu sehen: zu Tode verwundete, sterbende, in Tiergärten gehaltene Löwen; Löwen in Käfigen, die zur Königsjagd geführt wurden, oder Löwen auf der Flucht vor den Jägern; Löwen an Tempelwänden, Stadttoren und Prozessionsstraßen. Angst und Achtung vor dem großen Räuber klingen auch in den Keilschriften-Texten nach, die uns erhalten sind. Sehr viel — Wahres und Erdichtetes — erzählen auch die Griechen, die dem Löwen noch auf dem Balkan begegneten und ihm schon in frühester Zeit im weltberühmten Löwentor der Königsfestung Mykene ein monumentales Denkmal setzten. Auch die Römer berichteten viel Wundersames von dem Raubtier, besonders seit sie Nordafrika in Besitz genommen hatten. So glaubten die Menschen der Antike, die Knochen des Löwen seien so hart, daß man mit ihnen wie mit den üblichen Feuersteinen Zunder in Brand stecken könne; daß er die kleinen Tiere verachte; die Frauen aber schone; die starke und grausame Löwin werfe nur ein einziges Junges in ihrem Leben, weil es mit seinen scharfen Krallen den Tragsack zerreiße, genau wie es auch die junge Viper tue. Aristoteles weiß, daß die Löwin keine Mähne hat, sondern nur der Löwe; er weiß auch, daß sie mehrmals Junge wirft, daß die jungen Löwen sehr klein sind und erst im zweiten Monat gehen können. Die alte Behauptung, daß der Löwe das Feuer fürchte, widerlegt er. Außerdem berichtet er von dem großen Mut 30
des Löwen und von seinem Gedächtnis. Er sagt, daß es zwei Arten von Löwen gebe: die mit der kurzen und krausen Mähne, die er für die furchtsameren hält, und die mit dichterer Mähne, die die stärkeren sind. Plinius behauptet, unter allen andern reißenden Tieren sei der Löwe allein gnädig gegen Bittende. Er verschone die, die sich vor ihm niederwürfen, und lasse seinen Grimm mehr gegen die Männer als gegen die Frauen aus, gegen die Kinder nur beim ärgsten Hunger. Den ersten Löwenkampf gab der römische Konsul Mucius Scävola, einen zweiten mit hundert Löwen der Diktator Sulla. Pompejus ließ sechshundert und Julius Cäsar wenigstens vierhundert kämpfen. Der römische Feldherr Marcus Antonius fuhr nach der Schlacht von Pharsalus mit einer Schauspielerin durch die Stadt in einem Wagen, den Löwen zogen. Hanno, der Karthager, war der erste, der einen gezähmten Löwen mit seinen Händen regierte. Er wurde deshalb jedoch aus seinem Vaterland vertrieben, weil man glaubte, daß derjenige, der sich mit der Zähmung eines Löwen abgebe, sich auch die Menschen zu unterwerfen strebe. Unter Kaiser Hadrian wurden im Zirkus oft hundert Löwen auf einmal getötet. Kaiser Mark Aurel ließ ihrer hundert mit Pfeilen erschießen. Auf diese Weise wurden die Löwen so vermindert, daß man die Einzeljagden in Afrika verbot, um immer genügend viele für den Zirkus zu haben. Doch erst mit der Erfindung des Feuergewehrs schlug dem königlichen Tier die Stunde des Verderbens, und von jenem Tag an ist er auch mehr und mehr dezimiert worden, so daß man heute gezwungen ist, ihm in Schongebieten Lebensraum zu gewähren.
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