Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 190
Licht des Vergessens Rückkehr aus dem Mikrokosmos auf eine Welt im Würgegriff f...
18 downloads
539 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 190
Licht des Vergessens Rückkehr aus dem Mikrokosmos auf eine Welt im Würgegriff fremder Gewalten von Harvey Patton Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III. ein bruta ler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII. töten ließ, um selbst die Herr schaft antreten zu können. Gegen den Usurpator kämpft Gonozals Sohn Atlan, Kristallprinz und rechtmäßiger Thronerbe des Reiches, mit einer stetig wachsenden Zahl von Getreuen, die Orbana schols Helfershelfern schon manche Schlappe beibringen konnten. Doch mit dem Tag, da der Kristallprinz Ischtar begegnet, der schönen Varganin, die man die Goldene Göttin nennt, scheint das Kriegsglück Atlan im Stich gelassen und eine Serie von empfindlichen Rückschlägen begonnen zu haben. Jedenfalls wird Atlan – bislang der Jäger – zum Gejagten, der alle Mühe hat, den Fallen, die man ihm stellt, unbeschadet zu entkommen. Dies gilt ganz besonders für seine Erlebnisse in der Welt des winzig Kleinen, in die der Kristallprinz geriet, als er dem Effekt des maahkschen Molekularverdichters oder »Zwergenmachers« unterlag. Dennoch hat Atlan unter phantastischen Begleitumständen inzwischen auch diese Hürde genommen. Der Arkonide ist in sein angestammtes Raum-Zeitkontinuum zu rückgekehrt. Er findet sich auf einem arkonidischen Siedlungsplaneten wieder – auf einer Welt unter dem LICHT DES VERGESSENS …
Licht des Vergessens
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz steht vor einem Rätsel.
Letschyboa - Prophet von Cherkaton.
Magantilliken - Der Henker in der Falle.
Seracia - Ein mutiges Mädchen aus Cherkan.
Ischtar und Ra - Atlans Freunde kommen im rechten Augenblick.
1. Obwohl die Sonne den Zenit längst über schritten hatte, war es in dem Canyon drückend heiß. Kein Luftzug drang bis auf den Grund der Schlucht, und die Felsen strahlten die aufgenommene Hitze wieder ab, die nicht genügend Platz zum Entwei chen fand. Derischban Oblor blieb stehen und fuhr sich stöhnend über die schweiß nasse Stirn. »Laß uns umkehren, Letschyboa!« keuch te er mit versagender Stimme. »Ich kann nicht mehr.« Der Angesprochene blieb ebenfalls stehen und sah sich nach seinem Gefährten um. Um seine Lippen spielte ein halb spöttisches, halb verächtliches Lächeln. »Diese kleine Schwitzkur wird dir ganz gut tun, Derischban«, erklärte er mitleidlos. »Sicher ist es bequemer, in der Stadt in ei nem gut temperierten Büro zu sitzen, aber dabei setzt man zu leicht Gewicht an, wie man an dir sieht. Was würde außerdem dei ne Frau sagen, wenn du ohne das verspro chene Colbisfell zurückkehrst? Soll ich ein mal raten?« Der untersetzte Mann duckte sich unwill kürlich und stöhnte erneut auf, diesmal aber nicht wegen der Hitze. Er war sehr stolz gewesen, als die schöne Scotara sein Werben erhört hatte und seine Frau geworden war, obwohl Oblor fast dop pelt so alt wie sie war. Das war erst einige Monate her, doch sein Stolz war inzwischen restlos vergangen. Er hatte erkennen müs sen, daß es Scotara nur um den Aufstieg in die Oberschicht von Cherkaton gegangen war, nicht um seine Person, als sie den Ehe vertrag unterschrieb.
Derischban hatte sich immer einiges auf seine Menschenkenntnis eingebildet, aber diesmal war er böse hereingefallen. Er stand vollkommen unter dem Pantoffel und mußte alle ihre Launen ertragen, um das Verhältnis zu ihr erträglich zu gestalten. Dabei konnte sie auch lieb und zärtlich sein aber nur, wenn sie wollte, und wenn Oblor zu einer entsprechenden Gegenleistung bereit war … Colbisfelle waren selten und kostbar, und Scotara war ganz versessen darauf, eines zu besitzen. Nur deshalb hatte er den bequemen Sessel im Verwaltungsbüro der Kolonie ver lassen und war mit Letschyboa auf die Jagd gegangen. Wenn er nun unverrichteter Din ge zurückkam – es war nicht auszudenken. Derischban wischte sich noch einmal den Schweiß ab und rückte die Waffe auf seiner Schulter zurecht. Dann nickte er ergeben. »Schon gut, Letschyboa – wir gehen wei ter!« »Na also«, knurrte der andere und setzte sich wieder in Bewegung. Er war schlank und durchtrainiert, ihm schien die mörderi sche Hitze überhaupt nichts auszumachen. Trotzdem ging er nun langsamer, denn Ob lor tat ihm leid. Der Boden des Canyons war vom Regen wasser ausgewaschen und gut begehbar, aber der Weg führte stetig bergauf. Er bilde te den einzigen Zugang zu den Hochtälern, in denen die scheuen Colbis lebten, eine Steinbockrasse mit langem silberglänzen dem Fell. Weit bequemer wäre es gewesen, mit einem Gleiter dorthin zu fliegen, aber dann hätten sie kein einziges der Tiere zu Gesicht bekommen, denn sie flohen beim geringsten verdächtigen Geräusch. Eine weitere Viertelstunde lang stapften die beiden Männer schweigend dahin. Dann machte die Felsspalte eine Biegung, sie ka
4 men in den Schatten, und Derischban atmete erleichtert auf. Als sich sein Gefährte wieder nach ihm umsah, brachte er sogar ein leich tes Grinsen zuwege. »Scotara wird sich wundern!« behauptete er im Brustton der Überzeugung. »Sie be kommt ihr Fell, aber anschließend wird sich zwischen uns einiges ändern. Ich werde ihr zeigen …« »Nicht so laut!« zischte Letschyboa, der ihm ohnehin keinen Glauben schenkte, denn er kannte Scotara gut genug. »Bis zum näch sten Tal sind es nur noch wenige hundert Meter, und die Colbis hören verdammt gut. Von jetzt ab wird nicht mehr gesprochen, klar?« Sie bewegten sich weiter und hatten bald darauf das Ende des Canyons erreicht. Über eine terrassenförmige Felsformation arbeite ten sie sich aus der Schlucht heraus und ka men dann auf ein Plateau, in dessen Spalten einige kümmerliche Büsche wuchsen. Let schyboa blieb stehen und winkte Oblor zu sich heran. »Von hier sieht es so aus, als ginge das Plateau direkt in den Berg vor uns über«, er klärte er flüsternd. »Doch dieser Eindruck täuscht, denn etwa zweihundert Meter weiter gibt es einen steilen Abfall, und dort liegt unser Tal. Es ist nicht groß, aber mit Ge büsch und saftigem Gras bewachsen, wie es die Colbis lieben. Ich bin sicher, daß wir dort ein Rudel von ihnen finden werden – du hast dein Fell praktisch schon.« Geschmeidig bewegte er sich weiter und vermied mit dem sicheren Gespür des erfah renen Jägers jeden losen Stein. Hier war der Felsboden fast eben, und Derischban konnte ihm mühelos folgen. Er schwitzte nun wie der in der prallen Sonne, aber die Aussicht, bald stolzer Besitzer eines kostbaren Fells zu sein, half ihm darüber hinweg. Schließlich hielt Letschyboa wieder an und hob den Arm. »Zehn Meter weiter beginnt der Absturz«, hauchte er fast unhörbar. »Von hier aus müssen wir kriechen und darauf achten, daß wir unsere Nasen nicht zu weit vorstrecken,
Harvey Patton denn die Colbis stellen regelrechte Wacht posten auf. Du bleibst dicht neben mir, der Busch da vorn dient uns als Deckung. Nimm die Waffe in die Hand – aber die Götter sol len dich strafen, wenn du damit nur einmal gegen den Stein schlägst! Dann sind die Bie ster nämlich aus dem Tal verschwunden, ehe du noch bis drei zählen kannst – klar?« Derischban nickte, und beide nahmen die Paralysatoren von den. Schultern und entsi cherten sie. Sie waren die einzigen Waffen, die für die Jagd auf die scheuen Tiere geeig net waren. Nur ein vollkommen unbeschä digtes Fell war etwas wert, und die üblichen Handstrahler hatten die unangenehme Ei genschaft, es so sehr anzusengen, daß es hinterher höchstens noch als Bodenbelag zu verwenden war. Das gelähmte Tier wurde anschließend durch einen Messerstich getö tet und zu einem Spezialisten gebracht, der es abhäutete und präparierte. Behutsam krochen die beiden Männer auf das Gebüsch zu, dessen Zweige erst etwa einen halben Meter über dem Boden belaubt waren und es ihnen ermöglichten, sich dar unter hindurchzuschieben. Letschyboa stoppte Oblor kurz davor mit einer Handbe wegung und kroch allein bis an den Abhang vor. Er sah kurz hinunter, dann grinste er verheißungsvoll und winkte dem Gefährten. Derischban folgte ihm und schob sich ebenfalls unter den Busch, und dann wurden seine Augen groß. Auf dem Grunde des etwa zwanzig Meter tiefen und nur knapp hundert Meter durch messenden Tal sah er die begehrte Beute! Er zählte mehr als zwanzig Colbis, aber ver mutlich waren es noch mehr, denn einige Buschinseln vereitelten einen genauen Über blick. Die meisten davon waren Ricken und Kitze, aber es waren mindestens vier kapita le Böcke dabei, die leicht an dem besonders großen geschwungenen Gehörn zu erkennen waren. Nur sie kamen für die Jagd in Frage, denn das Fell der Kitze und weiblichen Tie re war nur kurz und praktisch wertlos. Die meisten ästen friedlich, aber minde stens sechs standen bewegungslos da, die
Licht des Vergessens Köpfe hoch erhoben und auf die Umgebung gerichtet. Letschyboa hatte recht gehabt, als er von Wachtposten sprach, aber die Colbis hatten allen Grund für diese Vorsichtsmaß nahme. In den Bergen gab es mehrere Arten von Großkatzen, die im Anschleichen sehr geübt waren, und dann konnte ihnen nur ei ne schnelle Flucht helfen. Derischban fuhr zusammen, als ihm Let schyboa mit dem Ellbogen in die Seite stieß. Jetzt durfte nicht mehr geredet werden, nicht einmal mehr geflüstert. Das Gehör der Col bis war noch besser als ihre Augen nur ein ungewohnter Laut, und sie verschwanden im nächsten Moment! Wie in Zeitlupe bewegte sich die Hand des Gefährten und deutete auf einen Bock, der sich langsam auf ihren Standort zube wegte. Oblor verstand und brachte den Para lysator in Anschlag, ebenfalls nur millime terweise. Auch Letschyboa suchte sich ein Ziel, aber er zögerte noch. Natürlich wollte er auch einen Colbi erlegen, aber das Tier, das für ihn in Frage kam, war noch etwas weit entfernt. Die arkonidischen Lähmstrah ler reichten nur etwa fünfzig Meter weit, wenn man nicht mit einem gebündelten Strahl schoß, und bei einem sich bewegen den Ziel mußte sicherheitshalber mit Fächer strahl gearbeitet werden. Sie mußten gleichzeitig schießen, wenn beide Erfolg haben wollten, also mußte De rischban noch warten, bis ihm der andere das verabredete Zeichen gab. Er war ver ständlicherweise erregt, und seine Augen be gannen zu tränen. Das Visier verschwamm vor seinen Augen, und unwillkürlich hob er die linke Hand, um die Tränen wegzuwi schen. Er war vorsichtig, aber nicht vorsichtig genug! Seine Hand berührte einen losen Stein di rekt am Rande des Absturzes, und dieser löste sich. Er war nicht groß, aber das Ge räusch, mit dem er hüpfend den Abhang hin unterfiel, klang in der absoluten Stille fast wie Donnergepolter … Im gleichen Moment war unten im Tal
5 der Teufel los. Gleichzeitig ertönten mehrere schrille Pfiffe, und schon rasten die Colbis los. Wie rasend trommelten ihre Hufe über den Tal boden, selbst die Kitze entwickelten eine er staunliche Geschwindigkeit. Innerhalb von fünf Sekunden waren alle Tiere aus dem Tal verschwunden und in einer Felsspalte unter getaucht, und Letschyboa stand langsam auf. »Du hirnverbrannter Narr!« knirschte er, und seine Züge verzerrten sich vor Wut. »Zwei Sekunden noch, dann hätten wir schießen können, und du mußtest alles ver derben …« Derischban Oblor ließ den Kopf auf den Fels fallen und begann hemmungslos zu schluchzen. Für Letschyboa war es nur um Geld gegangen, für ihn um viel mehr. Kein Colbisfell, keine Liebe und Zärtlichkeit von Scotara – so lautete die simple Rechnung!
* Auf dem Rückweg wurde kein Wort ge sprochen. Letschyboa ging mit steinerner Miene voran, und diesmal nahm er keine Rücksicht auf Oblor mehr. Dieser stolperte hinter ihm her und erreichte nur wie durch ein Wunder das Ende des Canyons, denn er bewegte sich wie ein Schlafwandler. Bis zu ihrem Gleiter hatten sie noch etwa dreihundert Meter zu gehen, aber sie hatten kaum die Hälfte dieser Strecke zurückgelegt, als sie ein ungewöhnliches Geräusch zusam menfahren ließ. Derischban starrte nur ver ständnislos um sich, aber Letschyboa legte sofort den Kopf in den Nacken und starrte nach oben in den hellblauen Himmel. Von dort kam das Geräusch, ein dumpfes, heulendes Brausen, das sich innerhalb weni ger Sekunden zu einem unheimlichen Grol len verstärkte. Letschyboa sah den heranra senden Körper, der einen langen Feuer schweif glühender Luftmoleküle hinter sich herzog, und er reagierte sofort. »In Deckung!« brüllte er Derischban zu, spurtete los und warf sich hinter den näch
6 sten Felsblock. Lange schon war kein Raumschiff mehr auf Cherkaton gelandet. Die Kolonie war nicht auf Nachschub angewiesen, denn die Siedler fanden auf dem Planeten alles, was sie brauchten, im Überfluß. Zudem hatte man auf Arkon auch keine Zeit, an sie zu denken, denn der Große Methankrieg über schattete alles andere. Die Kämpfe mit den Maahks wurden immer verbissener, die La ge allmählichkritisch. Nun kam ein Schiff, aber es setzte nicht zu einer regulären Landung an es stürzte ab! War der Krieg nun auch schon bis in die sen bisher verschonten Sektor getragen wor den? War das ein arkonidisches Schiff, das von den Maakhs abgeschossen worden war? Oder vielleicht einer der Walzenraumer des Gegners, der dem Beschuß durch die Arkon flotte zum Opfer gefallen war? Diese Fragen zuckten in Sekundenschnel le durch Letschyboas Kopf, während er vor sichtig an dem deckenden Felsbrocken vor bei in den Himmel spähte. Aufatmend erkannte er sodann, daß der Raumer nicht direkt in ihrer Nähe abstürzen würde, wie es zuerst geschienen hatte. Der flache Winkel, in dem er herunterkam, wies darauf hin, daß seine Triebwerke noch nicht vollkommen ausgefallen waren, und die In sassen die Flugbahn noch hatten beeinflus sen können. Viel konnte ihnen das aber nicht mehr nützen, denn kaum einer von ihnen konnte den mörderischen Aufprall überleben. Let schyboa schätzte, daß das Schiff etwa zwei oder drei Kilometer entfernt in den Vorber gen aufschlagen würde. Er kannte sich in diesen Dingen aus, denn als junger Mann hatte er in der arkonidischen Raumflotte ge dient. Es bestand also keine unmittelbare Gefahr, er atmete auf und erhob sich wieder. Dabei sah er, daß Derischban Oblor noch immer auf ihren Gleiter zuging. In diesem Moment erfolgte die Explosi on! Fast direkt über ihnen klang ein brüllendes, berstendes Krachen auf, und das stür-
Harvey Patton zende Schiff wurde in einen grellen Feuer ball gehüllt. Von seinem Körper, dessen Form infolge der ihn umgebenden Aura glü hender Gase noch immer nicht zu erkennen gewesen war, lösten sich große Bruchstücke, wurden davongeschleudert und fielen dann steil auf den Boden zu. Letschyboa hechtete zurück in die kleine Mulde hinter dem Felsblock und schmiegte sich eng an den schützenden Stein. Er konn te gerade noch sehen, daß der Raumer zwar stark taumelte, trotzdem aber weiter in der selben Richtung davongetragen wurde. Dann barg er den Kopf in den Armen und bereitete sich auf das Schlimmste vor. Sekunden später brach in seiner Umge bung die Hölle los. Ein Sturm fegte über die Gegend, als die großen Bruchstücke unter dem hohlen Heu len der verdrängten Luftmassen herunterka men. Schmetternd krachten sie auf den Felsbo den, wurden durch den Rest ihrer kineti schen Energie wieder hochgeschleudert und fielen dann mit dumpfem Poltern zurück. Sekundenlang bebte der Boden, während kleinere Teilstücke durch die Luft schwirr ten und mit metallischem Klirren rings um Letschyboas Deckung herum aufschlugen. Dann trat eine fast beängstigende Stille ein. Die Gefahr war vorüber, und der Mann erhob sich wieder. Mit bleichem Gesicht starrte er auf seinen Paralysator, oder viel mehr auf das, was von ihm noch übrigge blieben war. Die Waffe hatte nur wenige Schritte hinter ihm gelegen und war von ei nem armlangen scharfen Metallsplitter völ lig zerschmettert worden! Wenn er an ihrer Stelle gewesen wäre … Aus den Augenwinkeln sah Letschyboa, wie das todgeweihte Schiff mit seiner leuch tenden Aura hinter den nächsten Berggipfeln verschwand. Sekunden später verriet ein dumpfes Echo, daß es den Boden erreicht hatte, und der Mann schüttelte sich unwill kürlich. Die armen Teufel darin! dachte er mitfüh
Licht des Vergessens lend, doch dann fiel ihm Derischban Oblor ein. Er hielt nach ihm Ausschau, doch die Umgebung hatte sich drastisch verändert. Rauch und Staub waren aufgestiegen und trübten die Sicht, und als sie sich wieder ge legt hatten, waren überall metallene Trüm mer zu sehen, einer davon so groß wie ein kleines Haus. Alle waren durch den Aufprall so verformt worden, daß aus ihnen nichts mehr zu ersehen war, und so blieb nach wie vor ungeklärt, wer seine Insassen gewesen sein mochten. Letschyboa zuckte mit den Schultern und rief dann nach Oblor. Er erhielt keine Ant wort, setzte sich in Bewegung und wand sich zwischen den Trümmerstücken hin durch, die gespenstisch zu knistern began nen, als der Abkühlungsprozeß des überhitz ten Metalls einsetzte. Hundert Meter weiter fand er Derischban Oblor. Ein kopfgroßes Trümmerteil hatte ihn voll getroffen und seine Brustplatte zerschmet tert, er mußte auf der Stelle gestorben sein. Sein Gesicht dagegen war vollkommen heil und zeigte jetzt im Tode einen gelösten, friedlichen Ausdruck, den man seit seiner Heirat bei ihm nicht mehr gesehen hatte. Letschyboa drückte ihm die Augen zu, nahm dann den schlaffen Körper auf und setzte sich wieder in Bewegung. Einige Mi nuten später hatte er den Gleiter erreicht und stellte verwundert fest, daß das Fahrzeug vollkommen unversehrt geblieben war. Mühsam hob er die Leiche des Freundes hinein. Jetzt sind deine Probleme mit einem Schlage gelöst! dachte er dabei. Scotara be kommt weder dich zurück noch das begehrte Colbisfell – sie wird überhaupt nichts mehr bekommen, denn ab sofort ist sie wieder das kleine unbedeutende Flittchen mit einer schönen Larve, das sie immer war … Er schob sich in den Sitz des Gleiters und griff nach dem Starterknopf, doch mitten in dieser Bewegung erstarrte er. Ein fremder Wille griff nach ihm, eine gähnende Leere machte sich in seinem Geiste breit.
7 Was ist denn das! dachte er panikerfüllt; und das war für lange Zeit der letzte klare Gedanke, den er fassen konnte!
2. »Komm zu dir, Atlan!« sagte Fartuloon eindringlich. »Du mußt dich bewegen, denn dieser Schock war zuviel für deinen Kreis lauf. Bewege dich, reiß dich zusammen, oder du wachst nie mehr auf!« »Schon gut, alter Bauchaufschneider«, murmelte ich noch vollkommen unbewußt vor mich hin. Mein Körper schmerzte in all seinen Fa sern, an ihm schien praktisch nichts mehr heil zu sein. Ich mußte gegen eine Ohn macht ankämpfen, die mich in das Nichts zurückschleudern wollte, aus dem ich so eben erst wieder aufzutauchen begann. Jeder Atemzug stach schmerzend in meiner Brust, feurige Räder kreisten vor meinen geschlos senen Augen. Mühsam kämpfte ich gegen die Schwäche an, und mein Unterbewußt sein half mir dabei. Ganz von selbst begann mein Körper mit dem autogenen Atemtraining, das mir Fartu loon schon in früher Jugend beigebracht hat te, und allmählich besserte sich mein Befin den. Die Schmerzen ebbten ab, das normale Gefühl kehrte wieder, und nun vernahm ich erneut die Stimme, die mich aus meinem Koma gerissen hatte. So ist es schon besser! sagte mein Extra sinn befriedigt. Und jetzt bewege dich end lich, damit die Starre aus deinen Gliedern weicht! Oder willst du einfach liegenbleiben und für den Rest deines Lebens gelähmt sein? Zögernd bewegte ich meine Finger, die Hände, dann die Arme. Neue Schmerzen durchrieselten mich, aber ich hielt durch und konnte schließlich auch die Beine wieder rühren. Ich fühlte, wie das Blut darin zu pul sieren begann und wie das Nichts aus mei nem Geist wich. Endlich schlug ich die Au gen auf und sah verständnislos um mich. Ich sah in eine matte Helligkeit, in der
8 sich undeutlich Konturen von Gegenständen abzuzeichnen begannen – aber Fartuloon sah ich nicht. Ich habe dich geweckt! teilte mir mein Extrahirn trocken mit. Den Bauchaufschnei der wirst du vergeblich suchen, denn er ist Lichtjahre weit weg, aber wie du siehst, hat es sehr geholfen, daß ich imitiert habe. Wei ter jetzt, du mußt endlich ganz zu dir kom men. »Ja doch«, krächzte ich heiser, und nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es mir auch, mich in Sitzstellung aufzurichten. Wo bin ich? mußte ich mich wieder einmal fragen. Unwillkürlich hatte ich erwartet, die Kör per von Dnofftries um mich herum zu sehen, aber ich konnte keines dieser Wesen er blicken. Statt dessen sah ich nur eine matt glimmende Leuchtdecke einige Meter über mir, und ringsum an den Wänden Regale, in denen Lebensmittel aufgespeichert waren. Doch wo waren die Dnofftries geblieben – wo befand ich mich überhaupt …? Endlich beginnst du wieder zu denken! kommentierte mein Extrahirn. Denke weiter – fällt dir nichts sonst auf? Wie elektrisiert fuhr ich zusammen, denn nun hatte ich endlich begriffen. Ich befand mich nicht mehr im Mikrokosmos – ich hat te meine normale Schwere und mein frühe res Körpergefühl wieder – ich war in meine wirkliche, echte Welt zurückgekehrt! Ein Gefühl unendlicher Erleichterung überfiel mich, und meine Augen wurden feucht vor Erregung. Ich hatte all jene chao tischen Begebenheiten nach dem Scheitern der TOPTAN-KAU unbeschadet überstan den. Mein bis dahin mikroskopisch kleiner Körper hatte sich wieder ausgedehnt und war durch die plötzlich einsetzende Umkeh rung im Bereich einer Einbruchsstelle in das Normaluniversum zurückgekommen! Ich war wieder ich selbst, nicht mehr ein Spielball irgendwelcher unberechenbarer Kräfte des Mikrokosmos – doch wo befand ich mich jetzt? Ich sah mich erneut um, und nun erkannte
Harvey Patton ich, daß ich wieder da war, wo das unheimli che Geschehen seinen Anfang genommen hatte: An Bord des SKORGONS von Amar kavor Heng. Ich befand mich unweit jener Stelle, an der ich ihn während unserer unaufhaltsamen Verkleinerung getötet hatte, doch ich suchte vergebens nach seiner Leiche. Der Ver schwörer, der einst mit dazu beigetragen hatte, meinen Vater umzubringen, befand sich nicht mehr in diesem Raum. Magantilliken dürfte ihn fortgebracht ha ben! teilte mir der Logiksektor meines Ex trahirns mit. Während deines Aufenthalts im Mikrokosmos muß auch hier einige Zeit ver gangen sein, vergiß das nicht. Für ihn warst du spurlos verschwunden vielleicht gibt dir das jetzt eine Chance, ihn zu überwältigen, wenn du ganz unverhofft wieder auftauchst! Dieser Gedanke belebte mich ungemein. Ich war nun wieder voll da und ganz Herr meiner Glieder, und in diesem Wohlgefühl erhob ich mich. Meine Beine waren noch et was wackelig, aber das besserte sich mit je der Sekunde weiter. Allerdings sah meine Kleidung jämmerlich aus und ich verfügte über keine Waffe mehr, aber diesem Zu stand gedachte ich schnell abzuhelfen. Der Eingang zu dem Vorratsraum war ge schlossen, aber ich fand den Öffnungskon takt sehr rasch. Ich legte eine Handfläche dagegen, die Tür schnurrte beiseite, und ich sah in den Korridor dieses Sektors des SKORGONS. Soweit war ich also, jetzt mußte ich zusehen, daß ich mich wieder aus rüsten und bewaffnen konnte, ehe der Hen ker der Varganen auf meine Rückkehr auf merksam wurde! Langsam und vorsichtig ging ich los. Es war mir gelungen, von einem der Regale ei ne etwa meterlange Strebe aus Metallplastik zu lösen, die ich mit mir nahm. Eine mehr als kümmerliche Waffe, aber ich hatte au ßerdem das Überraschungsmoment auf mei ner Seite. Magantilliken mußte annehmen, allein an Bord zu sein, würde sich also voll kommen sicher fühlen. Wenn ich nun voll kommen unverhofft auftauchte, hatte ich gu
Licht des Vergessens te Aussichten, ihn überwältigen zu können. Es überraschte mich, wie schnell ich mich nach dem langen Aufenthalt im Mikrokos mos wieder auf die normalen Verhältnisse umgestellt hatte. Fast erschien mir all das, was ich dort mitgemacht hatte, wie ein wü ster Traum, aber es war schreckliche Reali tät gewesen. Mich überkam ein seltsames Gefühl, als ich daran dachte, daß auch dort, wo wir es nie vermutet hätten, noch Leben herrschte, also auch in vielen für unsere gro ben Augen stabil und tot anmutenden Din gen! Weiter dachte ich an den Molekularver dichter, jene neue, noch nicht voll ausgereif te Waffe der Maahks. Sobald ich wieder frei war und aktiv werden konnte, mußte ich un bedingt versuchen, irgendwie in ihren Besitz zu gelangen. Auf Kraumon gab es genügend fähige Wissenschaftler, die sich damit be schäftigen und sie verbessern konnten, bis sie ohne unliebsame Nebenerscheinungen zum kontrollierten Einsatz bereit war. Wenn ich dann über genügend Exemplare davon verfügte und damit zum entscheiden den Kampf gegen Orbanaschol III. antrat, hatte ich die besten Aussichten … Beschränke dich auf das Wesentliche! rief mich mein Extrasinn in die Gegenwart zu rück. Jetzt ist keine Zeit für spekulative Er wägungen erst mußt du den Henker über winden, ehe du weiter denken kannst. Ich schrak zusammen und ertappte mich dabei, daß ich im Korridor stehengeblieben war und einfach vor mich hingestarrt hatte. So etwas durfte mir nicht wieder passieren, denn Magantilliken war ein Mann, der nicht mit gewöhnlichen Maßstäben zu messen war. Jeder Gegner, der auch nur die gering ste Schwäche zeigte, hatte gegen ihn keine Chance! Erst jetzt fiel mir auf, wie still es in dem kleinen Schiff war. Alle Triebwerke lagen still, und die Beleuchtung war auf ein Mini mum reduziert, das SKORGON trieb also vermutlich im freien Fall dahin. Es war gut möglich, daß der Vargane jetzt schlief, und wenn das der Fall war, mußte ich es ausnüt
9 zen und rasch handeln. Ich orientierte mich kurz und schlug dann den Weg zur Schiffszentrale im Bug ein. Es war anzunehmen, daß sich Magantilliken dort oder in ihrer unmittelbaren Nähe auf hielt, und ich bewegte mich mit äußerster Vorsicht auf sie zu. Bald schon konnte ich sehen, daß das Ein gangsschott zu ihr offen stand. Ich wurde noch vorsichtiger, drückte mich eng an die Wand des Ganges und lauschte mit all mei nen Sinnen. Doch kein Geräusch außer dem leisen Rauschen der Belüftungsanlage war zu vernehmen, es war fast geisterhaft still. Ich packte die Strebe in meiner Hand fe ster und schob mich bis an das Schott heran. Nun konnte ich einen großen Teil der Zentrale überblicken und erkannte, daß sie leer war. Der varganische Henker befand sich nicht darin, sämtliche Kontrollen und Bildschirme waren abgeschaltet. Was moch te das nun wieder bedeuten? Eine vage Vermutung stieg in mir auf, und ich zögerte nicht, mir Gewißheit zu ver schaffen. Ich verzichtete darauf, das Eingangsschott zu schließen, obwohl man mich nun vom Gang her deutlich sehen konnte. Ganz ohne Geräusch wäre das nicht abgegangen, und dieses Risiko wäre ungleich größer gewesen, denn für das, was ich vor hatte, benötigte ich nur wenige Sekunden. Geräuschlos schlich ich bis zum Kontroll bord vor und suchte nach den Bedienungs elementen für die Außenbord-Be obachtungsanlage. Ich hatte sie bald gefun den und schaltete den Hauptbildschirm ein, und dann wurde meine Vermutung zur Ge wißheit. Das SKORGON befand sich nicht mehr im Weltraum – es war gelandet und stand auf der Oberfläche eines Planeten!
* Doch wo war Magantilliken …? Ich schaltete den Bildschirm wieder aus und nahm statt dessen das Bildsystem des
10 Interkoms in Betrieb, über das man alle Räu me des Schiffes kontrollieren konnte. In ra scher Folge schaltete ich von einem Raum zum anderen, und kaum eine Minute später hatte ich Gewißheit. Der Vargane befand sich nicht im SKOR GON! Die Schleuse des Schiffes stand offen, die Rampe war ausgefahren ich war ganz allein an Bord. Rasch nahm ich wieder die Außen beobachtung in Betrieb und suchte die Um gebung des Schiffes sorgsam ab. Keine Spur von Magantilliken weit und breit! Das Schiff stand in einer leichten Bo densenke, die mit grünblauem kurzem Gras bewachsen und mit niedrigen Büschen be standen war. Insekten und Vögel verschiede ner Größe und Farbe schwirrten durch die Luft, und das bewies, daß diese atembar war und der Planet der Arkonnorm entsprach. Auch die Gravitation wich nicht wesentlich von dieser ab. Wo mochten wir gelandet sein? Vermutlich auf einer der Versunkenen Welten der Varganen! erklärte der Logik sektor meines Extrahirns. Der Henker hat seine üblichen Hilfsmittel verloren und muß nun bestrebt sein, sich neu auszurüsten. Vielleicht ist das auch inzwischen schon ge schehen und er macht bereits wieder Jagd auf einen anderen Varganen, den er töten soll. Beides war möglich, aber im Moment in teressierte es mich wenig. Ich war allein an Bord und hatte das SKORGON in meiner Hand! Wenn ich jetzt startete und rasch ge nug damit verschwand, konnte ich Magantil liken ein Schnippchen schlagen, an das er noch lange denken sollte … Bei diesem Gedanken erfüllte mich eine hämische Freude. Vielleicht war es auf diese Weise sogar möglich, ihn für eine lange Zeit abzuschüt teln, vielleicht sogar für immer! Wenn es auf dem Planeten kein weiteres Schiff gab, wür de ihm nichts weiter übrigbleiben, als seinen gegenwärtigen Körper zu verlassen und in die Eisige Sphäre zurückzukehren. Dann
Harvey Patton mußte es lange dauern, bis er Ischtars oder meine Spuren wiederfand, wenn überhaupt. Freue dich nicht zur früh! warnte mein Extrahirn skeptisch. Magantilliken ist unbe rechenbar und nicht mit normalen Maßstä ben zu messen. Beeile dich lieber, damit er dir nicht im letzten Moment einen Strich durch die Rechnung macht, statt du ihm! Das wirkte, und so warf ich mich in den Pilotensitz. Ich ließ die Rampe einfahren und schloß die Schleuse, dann aktivierte ich die Kon trollen. Die Schiffskonverter liefen an, alles schien in bester Ordnung zu sein. Kurz ent schlossen leitete ich den Startvorgang ein. Wohin ich mich wenden sollte, wußte ich vorerst noch nicht. Zuerst mußte ich einmal den freien Raum erreichen und einigen Ab stand zu dieser Welt gewinnen, um vor un liebsamen Überraschungen sicher zu sein. Dann konnte ich dazu übergehen, meine Po sition zu bestimmen und – vorausgesetzt, daß mir das gelang den Flug nach Kraumon anzutreten. Meine Vorbereitungen waren beendet. Ich überprüfte noch einmal alle Kontrollen und drückte dann entschlossen auf den Start knopf. Nichts geschah! Ungläubig starrte ich auf die Instrumente, die Normalwerte anzeigten, auf den Monitor des Navigationscomputers, der das Freizei chen gab. Das konnte und durfte doch ein fach nicht möglich sein … Panik wollte in mir aufkommen, doch ich unterdrückte sie gewaltsam. Rasch machte ich alle Schaltungen wieder rückgängig und nahm sie dann besonders sorgfältig noch einmal vor. Das SKORGON war ein Spezi alschiff, eigens für den nun toten Amakavor Heng erbaut, und die Anordnung der Kon trollen wich in manchem von der sonst übli chen Norm ab. Vielleicht hatte ich in der Ei le etwas falsch gemacht, das konnte durch aus sein. Erneut drückte ich den Startknopf – und wieder vergebens! Alles schien in bester Ordnung zu sein, und trotzdem rührte sich
Licht des Vergessens das Schiff einfach nicht vom Fleck … Habe ich es dir nicht gesagt? fragte mein Extrahirn mit unverkennbar spöttischem Un terton. Eigentlich war es von vornherein verdächtig, daß der Vargane sich entfernt hat, ohne auch nur die Schleuse zu schlie ßen! Er wußte genau, daß sich niemand des Raumers bemächtigen konnte; vermutlich hat er irgendwo in den Zuleitungen zu den Triebwerksanlagen einen Unterbrecher ein gebaut – und danach kannst du lange su chen … Geschlagen sank ich in den Kontursitz zu rück. Von einem Augenblick zum anderen wa ren all meine Hoffnungen hinfällig gewor den, hatten sich wie eine schillernde Seifen blase mit einem Schlage ins Nichts verflüch tigt. In ohnmächtigem Zorn trommelte ich mit den Fäusten gegen das Kontrollbord. Ein scharfer Impuls meines Extrasinns ließ mich zusammenzucken, und langsam beruhigte ich mich wieder. Was sollte ich nun tun? Nach dem Unterbrecher zu suchen, war so gut wie sinnlos. Das ovale Schiff war zwar nicht sehr groß, aber infolge seiner Spezial bauweise verliefen wahrscheinlich alle Lei tungen gänzlich anders, als es bei normalen arkonidischen Raumern der Fall war. Ich hätte alle Wandungen aufreißen und sie bis zum Triebwerksraum einzeln kontrollieren müssen, und das war für einen einzelnen Mann einfach zuviel. Ich besaß die nötigen Kenntnisse, aber ich hätte Tage oder gar Wochen für dieses Vor haben gebraucht. Und diese Zeit blieb mir auf keinen Fall in jedem Moment konnte der varganische Henker zurückkehren, mich bei meiner Tätigkeit überraschen und kurzer hand töten! Daß er auch dafür gesorgt hatte, trotz der geschlossenen Schleuse ins Schiff zurückkehren zu können, daran zweifelte ich keinen Augenblick. Mit einer müden Handbewegung schaltete ich alle Kontrollen wieder ab und erhob mich. Ich war gezwungen, mich auf die neue
11 Lage einzustellen, und darauf konzentrierte ich mich nun. Nach kurzem Überlegen ließ ich die Schleuse wieder aufgleiten und die Rampe ausfahren. Wenn Magantilliken wirklich zurückkam, ehe ich meine Vorbe reitungen beendet hatte, sollte er wenigstens nicht sofort bemerkten, daß es mich wieder gab!
* Ich fühlte mich wie zerschlagen, meine Kleidung sah wüst aus, und an meinem Kör per hafteten noch die Überbleibsel des Angstschweißes, den ich im Mikrokosmos vergossen hatte, ehe mir der Übergang in die Normalwelt gelang. Was ich jetzt am mei sten brauchte, war ein erfrischendes Bad, ein kräftiges Mahl und eine neue Ausrüstung einschließlich wirksamer Waffen. Und na türlich die nötige Zeit, um all dies auch be werkstelligen zu können! Ich dachte kurz nach, schaltete dann die Außenbeobachtung wieder ein und koppelte sie mit einem Alarmgeber, von denen es im Schiff des unter Verfolgungswahn leidenden Amarkavor Heng eine ganze Reihe gab. Dieser würde mich aufmerksam machen, so bald sich ein etwa menschengroßes Wesen bis auf zweihundert Meter dem SKORGON näherte, und ich hatte dann auf jeden Fall genügend Zeit, um entsprechend zu reagie ren. Dann verließ ich die Zentrale, suchte den Baderaum neben den Personenkabinen auf und riß mir die Kleider vom Leibe. Eine kurze Wechseldusche befreite mich vom Schmutz und weckte zugleich meine Le bensgeister wieder, wenn auch ein leises Ge fühl der Niedergeschlagenheit blieb. Zehn Minuten später hatte ich mich mit neuer Bekleidung versorgt, stand in der Schiffsküche und suchte mir unter dem reichhaltigen Bestand ein kräftiges Fleisch gericht aus. Ein leichter Druck auf den Deckel des Behälters genügte, und schon er wärmte sich die Speise, und gleich darauf schaufelte ich sie in mich hinein.
12 Erst jetzt merkte ich, wie hungrig ich ge wesen war. Offenbar hatte mich das Über wechseln aus dem Mikrokosmos doch eine Menge Kraft gekostet, und obendrein war ich auch noch längere Zeit bewußtlos gewe sen, als ich mich wieder in meiner Welt be fand. Trotzdem gönnte ich mir nun keine Ruhe, denn es kam für mich vielleicht auf jede Mi nute an. Ich wußte, wo das Ausrüstungs- und Waf fendepot lag, und ich begab mich schnell stens dorthin. Unter den reichhaltigen Be ständen suchte ich mir einen schweren Handstrahler und einige voll aufgeladene Magazine aus, außerdem einen Paralysator und ein großes Vibromesser. Währenddes sen lauschte ich ständig ins Schiff hinaus, aber der Alarmgeber sprach nicht an. Ma gantilliken war also noch nicht wieder in der Nähe, und aufatmend verließ ich das Depot. »Was nun weiter?« fragte ich in mich hin ein, und mein Extrahirn reagierte sofort. Du solltest das Schiff verlassen und dich draußen umsehen! riet es mir. Die Sonne steht gerade erst in Mittagshöhe, du hast al so genügend Zeit, um dir ein Versteck zu su chen, in dem du auf Magantilliken warten kannst. Wenn er sich nicht allzu weit ent fernt hat, wird er vermutlich gegen Abend zurückkehren – dann kannst du ihn überli sten und dazu zwingen, das Schiff wieder be triebsklar zu machen und nach Kraumon zu bringen! Das war ein vorzüglicher Ratschlag, und ich befolgte ihn sofort. Vorsichtig sichernd stieg ich die Rampe hinab, den Paralysator in der Hand. Liebend gern hätte ich den varganischen Henker so fort nach seinem Auftauchen erschossen, aber das verbot sich in meiner gegenwärti gen Lage von selbst. Zuerst mußte ich die volle Herrschaft über das SKORGON erlan gen – dann erst durfte ich seinen gegenwär tigen Körper töten! Das konnte ich ohne Ge wissensbisse tun, denn er würde ja nicht wirklich sterben. Sein Geist kehrte lediglich für einige Zeit in die Eisige Sphäre zurück
Harvey Patton und konnte jederzeit wieder in den verlasse nen Körper eines anderen Varganen fahren. Ich betrat den Boden des unbekannten Planeten und lief auf den Rand der Senke zu. Dort warf ich mich hinter ein Gebüsch, hob den Kopf und spähte in die Runde. Ich wußte nicht, in welche Richtung sich Magantilliken entfernt haben konnte, und so bezog ich die gesamte unmittelbare Umge bung in meine Aufmerksamkeit ein. Dabei entdeckte ich rechts seitlich vom Schiff, dicht neben einem der Landebeine, einen dunklen Fleck im Boden. Dort war die Erde aufgewühlt worden, und ich ahnte bereits, was sich dort befand, aber ich wollte Gewißheit haben. Fünf Mi nuten später hatte ich mit einem Stock die losen Schollen so weit entfernt, daß ich auf die Leiche von Amarkavor Heng stieß, die der varganische Henker an dieser Stelle ver scharrt hatte. Doch wo war er selbst geblieben? Nichts wies darauf hin, ich fand keinerlei Spuren. Das Gras ringsum hatte sich längst wieder aufgerichtet, er mußte also schon längere Zeit fort sein. Sorgfältig ebnete ich den Boden über der Leiche wieder ein, und für eine Weile überkam mich ein Gefühl grimmiger Genugtuung. Hier lag der zweite jener fünf Männer, die den Tod meines Vaters auf dem Gewissen hatten! Jetzt waren nur noch drei von ihnen übrig … Ein Geräusch alarmierte mich und ließ mich mit gezücktem Paralysator herumwir beln. Aber ich beruhigte mich rasch wieder und lachte befreit auf. Ein kleines braunes Pelztier hatte mich erschreckt, das aus einem Gebüsch hervorgekommen war und nun in wilder Flucht davonstob. Ich war ihm dankbar, denn es hatte mich aus meiner momentanen Unaufmerksamkeit gerissen, in der mich Magantilliken leicht hätte überraschen und ausschalten können. Nicht weit entfernt sah ich einen kleinen Hügel, ich stieg vorsichtig aus der Senke und begab mich dorthin. Ich schlängelte mich geräuschlos zwischen dem Buschwerk
Licht des Vergessens hindurch, mit dem er bestanden war, und von seiner Kuppe aus hatte ich eine gute Aussicht. Meine Erwartungen wurden enttäuscht, denn ich konnte weder den Varganen noch sonst etwas Bemerkenswertes entdecken. Ich sah nur unberührte Natur, weitere Hügel, Grassteppe, Büsche und Bäume. Falls es auf dieser Welt wirklich eine alte varganische Station gab, mußte sie in größerer Entfer nung liegen oder unter dem Boden angelegt worden sein. Allerdings blieb dann die Fra ge, warum Magantilliken nicht direkt in ih rer Nähe gelandet war. Es entsprach so gar nicht seiner Natur, die Strapazen eines wei ten Fußmarsches auf sich zu nehmen, wenn er es auch einfacher haben konnte. Du solltest hier oben bleiben, abwarten und beobachten! riet mir mein Extrasinn. Diese Stelle ist gut, du kannst den Henker auf jeden Fall sehen, ganz gleich, aus wel cher Richtung er auch kommen mag. Ich beschloß, diesem Rat zu folgen und setzte mich nieder. Nochmals sah ich mich aufmerksam um, und dann stutzte ich plötz lich. Es war sehr warm geworden, und die Luft flirrte und flimmerte im Sonnenglast. Das gab allen weiter entfernten Punkten eine ge wisse Unscharfe, aber trotzdem glaubte ich nun ganz in der Ferne zwischen zwei Hü geln die Umrisse eines Bauwerks zuerken nen! Ich sah schärfer hin, bis meine Augen tränten, aber die Konturen blieben unscharf und verwischt. Schließlich nahm ich die Zie loptik meines Handstrahlers zu Hilfe, und dann sprang ich wie elektrisiert auf. Dort hinten gab es tatsächlich ein relativ hohes Gebäude! Wer es erbaut haben moch te war allerdings nicht erkennbar; es konnte ebenso gut eine Station der Varganen, wie auch das Erzeugnis einer anderen Kultur sein. Vermutlich ist es das letztere! machte sich der Logiksektor meines Extrahirns bemerk bar. Das erklärt auch, weshalb Magantilli ken nicht dort gelandet ist. Er wollte unbe
13 merkt bleiben und ist zu Fuß hingegangen, um die Lage zu erkunden. Ich nickte unwillkürlich, denn das klang wirklich plausibel. Wenn es sich aber so ver hielt, hatte es wenig Sinn, wenn ich nun hier sitzen blieb und nur abwartete. Es konnte eventuell Tage dauern, ehe der Vargane zu rückkam. Die Zeit spielte für ihn kaum eine Rolle, denn mit dem SKORGON konnte ge genwärtig ohnehin niemand etwas anfangen. Außerdem war anzunehmen, daß die Be wohner dieses Planeten nicht besonders zahlreich waren, so daß kaum die Gefahr ei ner Entdeckung des Schiffes bestand. Ma gantilliken mußte das schon beim Anflug festgestellt haben und hatte sich deshalb auch erst gar nicht die Mühe gemacht, die Schleuse zu schließen. Ob er in bezug auf die Intelligenz dort hinten irgendwelche dunkle Pläne verfolgte? Das war ihm durchaus zuzutrauen – viel leicht konnte ich Schlimmeres verhüten, wenn ich ihm nachging und im Bedarfsfall eingriff! Genau das wollte ich tun. Ich kehrte noch einmal in das SKORGON zurück, aß noch etwas und nahm einige Le bensmittel und einen kleinen Behälter voll Wasser an mich. Dann verließ ich das Schiff wieder und marschierte zügig los. Anhand der langsamen Bewegung der Sonne hatte ich bereits errechnet, daß der Tag auf dieser Welt noch mindestens acht Stunden dauern würde. Mehr als zwei Stun den würde ich für den Weg bis zum Standort des fremden Gebäudes kaum brauchen, hatte also noch genügend Spielraum. Magantilliken finden, ihn überwältigen und mit ihm zum Schiff zurückkehren das war mein Ziel!
3. Wieder einmal blieb ich stehen, schob einen Vitaminriegel in den Mund und spülte ihn mit einigen Schlucken Wasser hinunter. Die Hitze hatte noch zugenommen, und ich schwitzte trotz meiner leichten und at
14 mungsaktiven Kombination immer mehr. Doch den größten Teil meines Weges hatte ich schon zurückgelegt und inzwischen eine bedeutsame Entdeckung gemacht. Von einem Hügel aus hatte ich gesehen, daß dort hinten nicht nur ein einzelnes Bau werk lag, sondern eine kleine Stadt. Eine Stadt in eindeutig arkonidischer Bauart, dar auf wies neben verschiedenen anderen Ele menten der typische trichterförmige Zentral bau in ihrer Mitte hin! Diese Feststellung beflügelte meine Schritte. Für mich gab es nun keinen Zwei fel mehr daran, daß ich mich auf einem Ko lonialplaneten des arkonidischen Imperiums befand endlich würde ich wieder einmal auf Leute stoßen, unter denen ich mich frei be wegen konnte! Daß man auch hier Jagd auf mich machen würde, war mehr als unwahr scheinlich. Hier würde mich niemand ken nen oder erkennen, und hier gab es mit Si cherheit weder Kralasenen noch Angehörige der POGIM. Blieb nur noch der varganische Henker … Nur noch? fragte mein Extrasinn spöttisch an, aber ich ignorierte diesen Einwurf. Für die Arkoniden auf diesem Planeten war Ma gantilliken eindeutig als Fremder zu erken nen, folglich würde man ihn kaum ohne eine gehörige Portion Mißtrauen empfangen ha ben. Vielleicht hatte man mir sogar schon die Hauptarbeit abgenommen und ihn ir gendwie überwältigt und festgesetzt – Kolo nisten waren im allgemeinen harte Männer, denen man so leicht nichts vormachen konn te! Nicht mehr lange, und ich würde es wis sen. Ich ließ den letzten Hügel hinter mir, durchquerte einen kleinen Laubwald, und sah dann ein breites, langgestrecktes Tal vor mir. An seinem Ende ragten die ersten Aus läufer eines Bergzuges empor, und vor ihnen befand sich die Stadt. Bis zu ihr hatte ich noch etwa einen Kilometer zurückzulegen, und dieses Gelände war kultiviert. Ich sah sorgfältig abgeteilte Felder, auf denen Ge treide, Obstbäume und andere Gewächse an-
Harvey Patton gebaut waren, und zwischen ihnen zogen sich schnurgerade Wege dahin. Ich bog leicht nach links ab, sprang eine Böschung hinab und erreichte einen dieser Wege. Die fast mannshohen Gewächse zu beiden Seiten boten mir genügend Deckung, so daß meine Annäherung nicht so leicht be merkt werden konnte, und im Notfall konnte ich mich mit einem raschen Sprung zur Seite unsichtbar machen. Meine Waffen hatte ich weggesteckt, um bei einer ersten Begegnung nicht provozie rend zu wirken, denn immerhin war ich hier fremd. Ich bewegte mich trotzdem vorsich tig und ohne Eile und sah mich aufmerksam um. So legte ich unbehelligt etwa zweihun dert Meter zurück, bis mir plötzlich etwas auffiel. In dieser Gegend war es zu still. Die Stadt war zwar nicht besonders groß und mochte kaum mehr als zwanzigtausend Einwohner haben, aber trotzdem hätte es hier Verkehr geben müssen, in der Luft und auf den Straßen. Auch das Gewaltregime Orbanaschols III. hatte nichts daran ändern können, daß neue Kolonialwelten mit allen notwendigen Mitteln ausgestattet wurden, und dazu gehörten auch Gleiter und andere Fahrzeuge. Doch davon war weit und breit nichts zu sehen oder zu hören – auch auf den Feldern befanden sich keine der üblichen Robotma schinen. Irgend etwas schien hier nicht zu stimmen – aber warum? Hing das bereits mit Magantillikens An kunft zusammen? War es ihm durch irgend welche Manipulationen gelungen, das Leben in dieser Stadt zu völligem Stillstand zu bringen? Zuzutrauen war es ihm, wenn gleich ich mir nicht ausmalen konnte, wie er das hätte bewerkstelligen können. Oder war etwas anderes daran schuld? Hatten vielleicht die Maahks diese Welt überfallen und alle Kolonisten einfach aus gelöscht …? Ausgeschlossen! protestierte mein Logik sektor sofort. Die Maahks hätten nicht nur
Licht des Vergessens die Bewohner ausgerottet, sondern auch die Stadt zerstört, aber diese weist keinerlei Schäden auf. Das leuchtete mir ein, aber das Rätsel wurde dadurch noch lange nicht gelöst. Ich ging nun schneller, blieb aber weiter miß trauisch und sah mich besonders aufmerk sam um. Erlöst atmete ich auf, als ich hinter einer Wegkreuzung endlich auf die ersten Bewoh ner dieser Welt stieß. Es waren eindeutig Arkoniden, daran konnte es nicht den geringsten Zweifel ge ben. Die großen schlanken Gestalten, das weißblonde Haar und der helle Teint wiesen sie einwandfrei als solche aus. Etwa zwan zig Männer und zehn Frauen konnte ich se hen, und sie waren dabei, ein abgeerntetes Feld umzugraben. Freudig wollte ich auf sie zugehen, doch im nächsten Moment stockte mein Fuß. Sie alle arbeiteten schwer – mit ihren Händen! Nirgends war auch nur eine einzige landwirtschaftliche Maschine zu sehen, mit primitiven Grabwerkzeugen wühlten sie im Boden herum … Das war absurd! Kein normaler Arkonide hätte sich im Zeitalter der vollendeten Ro botmaschinen dazu hergegeben, selbst sol che Arbeit zu tun – und erst recht keine Frauen! Hier hatte ich den eindeutigen Be weis, daß auf diesem Planeten etwas nicht mehr mit rechten Dingen zuging. Mein Logiksektor schwieg dazu, aber ich brauchte ihn gar nicht, um zu dieser Er kenntnis zu kommen. Gerade Kolonialwel ten erhielten stets besonders robuste Maschi nen und Fahrzeuge, es war also unmöglich, daß diese inzwischen sämtlich ausgefallen waren. Welchen Grund konnte es aber sonst wohl für diese geradezu erschreckende Ab weichung von jeder Norm geben? Du solltest hingehen und nachfragen! meldete sich nun endlich mein Extrahirn. Oder hat es dir die Sprache verschlagen? Ich zog eine Grimasse und ging auf die arbeitende Gruppe zu. Der nächste Arkonide, ein älterer, aber ro
15 bust aussehender Mann, arbeitete dicht ne ben dem Weg. Er schien so in seine Tätig keit vertieft, daß er mich gar nicht bemerkte. Erst als dann mein Schatten vor ihm auf den Boden fiel, blickte er langsam auf. Ich grüßte ihn höflich und fragte dann: »Würden Sie mir bitte sagen, wie der Planet heißt, auf dem wir uns hier befinden? Ich bin mit einem Raumschiff gekommen, habe aber unterwegs ein Mißgeschick gehabt und vollkommen die Orientierung verloren, bis ich auf diese Welt stieß.« Der Mann antwortete nicht. Er hatte sich aufgerichtet und stützte sich auf seine Hacke und nun sah ich erst, in wie schlechtem Zustand er sich befand. Seine Arbeitskombination sah schmutzig und ver schlissen aus, und auch seine Stiefel schie nen seit langer Zeit nicht mehr gesäubert worden zu sein. Sein Gesicht wirkte eingefallen, sein schulterlanges Haar war strähnig und unge pflegt; an seinen Händen waren große Schwielen zu sehen. So ungefähr sahen Ver bannte oder Strafgefangene aus, und unwill kürlich zuckte ich zusammen. Hatte es das Verhängnis gewollt, daß ich hier ausgerechnet auf einen Strafplaneten geraten war? Auf eine Welt, auf die die Hä scher Orbanaschols III. politische Gegner oder andere mißliebige Personen deportier ten, wo sie bei schwerer körperlicher Arbeit langsam zugrunde gingen? Es sah ganz da nach aus! Langsam wich ich zurück und sah mich gehetzt um. Ich war darauf gefaßt, jeden Moment die Wächter auftauchen zu sehen – Kralasenen oder Angehörige der POGIM, der berüchtig ten Politischen Geheimpolizei des Impera tors. Wenn es so war, wie ich annahm, dann war ich vom Regen direkt in eine Sturzflut geraten, als ich den Weg hierher antrat! Langsam beruhigte ich mich wieder, als ich weit und breit nichts von einem dieser Wächter entdecken konnte. Das mochte zwar noch nichts besagen, denn auf einer Welt, von der es keine Fluchtmöglichkeiten
16 gab, war es unnötig, die Gefangenen ständig zu beaufsichtigen. Immerhin bestand aber wenigstens im Augenblick keine Gefahr für mich. »Wasser!« krächzte der Mann neben mir flehend, ich wandte mich wieder zu ihm um, und nun fuhr ich erneut zusammen. Ich sah seine Augen, und sie erschreckten mich zu tiefst. Sie waren rötlich, wie bei allen Arkoni den, aber in ihnen fehlte jede Spur von Intel ligenz! Matt und trübe sahen sie mir entge gen, wie die eines Debilen, eines Schwach sinnigen. Hatten die Männer und Frauen auf diesem Planeten soviel mitmachen müssen, daß ihre Persönlichkeiten darunter vollkom men zerbrochen waren? War dies eine jener berüchtigten Welten zur politischen Umer ziehung, von denen man gerüchteweise hö ren konnte? Auf ihnen sollte jede nur er denkliche Art geistiger Folter ausgeübt wer den, so daß man am Ende geistige Krüppel erhielt, in denen jeder Widerstand gebrochen war! »Wasser … bitte Wasser!« flehte der Mann erneut und streckte eine Hand verlan gend nach dem Behälter an meiner Hüfte aus. Jetzt zeigten seine Augen den Ausdruck hilfloser Abhängigkeit, wie ihn gequälte Tiere zu haben pflegen, und ich konnte ihm nicht länger widerstehen. Ich nestelte den Behälter vom Gürtel, und das schien wie ein Signal zu wirken, denn plötzlich ließen alle anderen auf dem Feld ihre Arbeitsgeräte fal len und kamen auf mich zu. Es waren Männer und Frauen aller Alter sklassen, aber niemand von ihnen unter schied sich wesentlich von dem Eindruck, den der ältere Mann vor mir machte. Ihre Mienen waren ausdruckslos, in ihren Augen lag der gleiche Stumpfsinn, und allmählich begann ich trotz der Hitze zu frösteln. Ver stohlen fuhr meine Linke zur Hüfte und griff nach dem Paralysator, während ich mit der Rechten dem Mann den Wasserbehälter übergab. Er trank gierig und hätte vermutlich nichts
Harvey Patton übriggelassen, aber ich riß ihm den Behälter schnell wieder aus der Hand. Mein Vorrat war nicht groß, und wenn alle etwas bekom men sollten, mußte ich auf eine gerechte Verteilung achten. Ich hatte mit einer gewissen Trotzreaktion gerechnet, aber nichts dergleichen geschah. Der Mann wischte sich nur kurz mit dem schmutzigen Ärmel über den Mund und trat dann apathisch zur Seite, um den anderen Platz zu machen. Das bestärkte mich in mei ner Auffassung, auf einer Gefangenenwelt zu sein, auf der es nur zwei Kategorien gab: Unterdrückte ohne jedes Recht und Befeh lende, denen man widerspruchslos gehor chen mußte, wenn man keine Bestrafung ris kieren wollte. Keine voreiligen Schlüsse! warnte mich da mein Extrahirn. Es kann auch ganz an ders sein – vielleicht sind diese Leute gar keine Gefangenen, sondern nur irgend ei nem Rauschgift verfallen, das es hier gibt, ohne daß das rechtzeitig erkannt wurde. An diese Möglichkeit hatte ich noch gar nicht gedacht! Während ich fast automatisch den Was serbehälter von einem zum anderen weiter gab und die allzu Gierigen rechtzeitig brem ste, beschäftigte sich mein Geist mit diesem neuen Aspekt. Bald kam ich zu dem Schluß, daß sich für ihn eine genau so große Wahrscheinlichkeit ergab, wie für meine erste Annahme. Es war schon einige Male vorgekommen, daß voll kommen unverdächtig scheinende Pflanzen auf einem Kolonialplaneten plötzlich Eigen schaften zeigten, mit denen man nicht ge rechnet hatte, und die erst nach längerem Genuß zutage traten! So konnte es auch hier gewesen sein, die Symptome stimmten je denfalls. Süchtige im fortgeschrittenen Sta dium pflegten meist dieselben Zeichen völli ger Auflösung ihrer Persönlichkeit zu zei gen. Was sollte ich nun denken, annehmen oder glauben …? Vorerst verhielt ich mich neutral und war tete ab, bis alle ein paar Schlucke Wasser
Licht des Vergessens bekommen hatten. Das schien sie zufrieden zustellen, denn die meisten kehrten nun oh ne Wort und Dank an ihre Arbeit zurück. Nur drei der zwanzig blieben bei mir stehen und sahen irgendwie erwartungsvoll zu mir auf. Ich grinste etwas hilflos und warf den ge leerten Wasserbehälter weg. »Kann ich noch etwas für euch tun?« erkundigte ich mich vorsichtig. »Tun …?« wiederholte der ältere Mann, den ich zuerst angesprochen hatte. Das Wort kam stockend und schwerfällig heraus, er verzog dabei keine Miene, und so wendete ich mich an den nächsten. Dies war ein jun ger Mann von etwa 25 Jahren, dessen Ge sicht Anzeichen dafür trug, daß er einmal geistig sehr rege, vielleicht sogar besonders intelligent gewesen war. Ich hatte inzwischen begriffen, daß ich mit diesen Leuten nicht wie mit normalen Menschen reden konnte. Wenn ich über haupt irgendwie sinnvolle Antworten erhal ten wollte, so mußte ich mich auf einzelne Stichworte beschränken, die der reduzierten Geistestätigkeit meiner Gesprächspartner entsprachen. Nur so konnte ich hoffen, über haupt etwas Vernünftiges aus ihnen heraus zubekommen. »Wie heißt du?« fragte ich in der begrün deten Annahme, daß trotz allen Stumpfsinns wenigstens sein Name in seinem Gehirn haf ten geblieben war. Der junge Kolonist scharrte wie verlegen mit den Füßen über den Boden, aber nun kam doch so etwas wie Leben in seine Züge. Ein winziger Funke von Verstehen glomm in seinen Augen auf, seine Lippen bewegten sich und formten nach einer Weile die Worte: »Ich – bin – Tscherwan.« Das kam so unbeholfen und stockend her aus, als hätte er den Gebrauch der Sprache nahezu verlernt, aber es war immerhin ein Anfang. Ich nickte ihm aufmunternd zu. »Ich heiße Mascaren«, sagte ich ebenso langsam. Meinen richtigen Namen wollte ich vorsichtshalber nicht preisgeben, weil die Lage nach wie vor ungeklärt war, also
17 bediente ich mich des Rufnamens aus mei ner frühen Jugend. Dann wartete ich ab, doch er zeigte keinerlei Reaktion, und so fragte ich weiter: »Wo bin ich hier – wie heißt dieser Planet und wie dieser Ort?« Es schien Tscherwan ungeheure Mühe zu bereiten, den Inhalt dieser einfachen Frage zu verarbeiten. Er sah mich an, dann wieder zu Boden, als stünde dort die Antwort ge schrieben, und wieder scharrten seine Füße in monotonem Takt. Dann endlich blickte er auf, und seine Lippen brachten das Wort »Cherkaton« hervor. Nun wurde ich doch allmählich ungedul dig, denn wenn diese seltsame Kommunika tion im gleichen Tempo fortschritt, standen wir wahrscheinlich am Abend noch hier, oh ne daß ich etwas wesentliches erfahren hat te. Deshalb brachte ich die nächste Frage lauter und in forderndem Tonfall vor. »Was ist Cherkaton, der Planet oder die Stadt?« Er reagierte darauf mit einem Zusammen zucken und mit einem weinerlichen Verzie hen des Gesichts. Seine Schultern fielen her ab, er blieb stocksteif stehen, und in seine Augen kehrte wieder der vollkommen see lenlose, unpersönliche Ausdruck zurück. Ich bereute meine Ungeduld bereits, als sich plötzlich etwas ereignete, das den Umstän den nach geradezu verblüffend wirkte. Bisher hatte ich noch gar nicht auf das junge Mädchen geachtet, das hinter den bei den stand und sich bis dahin vollkommen still verhalten hatte. Es erstaunte mich nicht wenig, als sie nun vortrat, den jungen Mann einfach zur Seite schob und an seiner Stelle antwortete: »Der Planet – Cherkaton! Die Stadt – Cherkan! Du bist – Mascaren! Ich bin Sera cia!«
* Endlich hatte ich eine halbwegs vernünfti ge Antwort bekommen, mit der ich schon gar nicht mehr gerechnet hatte.
18 Auch diese Worte waren nur zögernd her ausgekommen, aber sie waren klar und sinn voll und zeugten davon, daß dieses Mädchen längst nicht so stumpfsinnig war, wie ihre beiden wortkargen Gefährten. Ich sah sie nun erst richtig an, und was ich da sah, war relativ erfreulich. Seracia war für eine Arkonidin verhältnis mäßig klein und zierlich, aber trotzdem gut proportioniert. Auch sie trug nur eine einfa che Arbeitskombination, aber diese sah längst nicht so schmutzig aus wie die der an deren, und auch ihr langes Haar wirkte rela tiv gepflegt. Es ringelte sich in weichen Wellen um ein wirklich hübsches Gesicht, dem nur noch ein Lächeln fehlte, um es reiz voll und anziehend zu machen. Das Bemerkenswerteste an ihr waren je doch die Augen. Ihr Ausdruck konnte auch nicht als völlig normal bezeichnet werden, doch wenn man ihm mit dem ihrer Gefährten verglich, wirk te er geradezu überwältigend lebendig. An scheinend hatte es nur eines Anstoßes von außen her bedurft, um sie aus jener tödlichen Lethargie zu wecken, von der offenbar alle anderen befallen waren. Als hätten sie instinktiv begriffen, daß sie nun überflüssig waren, drehten sich nun der ältere Mann und Tscherwan um und trotte ten zu der bereits wieder arbeitenden Gruppe zurück. Seracia und ich blieben allein, aber das war mir gerade recht, denn mit den stu piden Männern war ohnehin nichts anzufan gen. »Sehr schön, Seracia«, sagte ich lobend. Offenbar hatte ich den richtigen Ton ange schlagen, denn das Mädchen begann nun schüchtern zu lächeln. Ich mußte unwillkürlich schlucken, als ich die Veränderung sah, die diese simple mimi sche Bewegung vollbrachte. Seracias Ge sicht war jetzt nicht mehr nur einfach hüb sch es wirkte ausgesprochen schön! Lange Zeit hatte ich um mich herum im Mikrokosmos nur die Dnofftries gesehen, die nicht einmal annähernd humanoid wa ren, geschweige denn schön. Deshalb traf
Harvey Patton mich dieser Anblick jetzt doppelt intensiv und weckte Gefühle in mir, die ich schon fast verschollen geglaubt hatte … So ist es richtig! meldete sich auch prompt mein Extrahirn. Du bist auf einer völlig fremden und vermutlich gefahrvollen Welt, auf der außer Magantilliken noch hun dert andere Unannehmlichkeiten auf dich lauern können – und die erste hübsche Lar ve, die du siehst, raubt dir glatt den Ver stand! Was verstehst du denn davon, ekelhafter Schwarzseher? gab ich ärgerlich zurück und blockte den unbequemen Mahner einfach ab. Dann konzentrierte ich mich wieder auf das Mädchen, das fragend zu mir aufsah. »Gut, jetzt weiß ich also Bescheid«, mein te ich und begann gleichfalls zu lächeln. »Du heißt Seracia, der Planet Cherkaton und die Stadt da vorn Cherkan. Ich muß aber noch mehr wissen, verstehst du? Was ist hier auf Cherkaton los – wieso sind die anderen alle so seltsam? Warum kann außer dir nie mand vernünftig reden, und warum bearbei tet ihr die Felder mit euren Händen?« Sercias Lächeln erlosch, und ich fürchtete schon, daß sie nun auch wieder in die Stumpfheit zurückfallen würde, doch ich täuschte mich. Ich sah, wie es in ihrem Ge sicht arbeitete, wie sie sich anstrengte, mei ne Wort aufzufassen. Das schien ihr auch zu gelingen, denn gleich darauf erhellte sich ihr Gesicht wieder. »Das Licht in den Bergen!« sagte sie klar und gar nicht mehr stockend. »Es kommt immer wieder, und es macht alle … dumm. Alle in Cherkan sind so, alle hören nur auf den Propheten, der ihnen befiehlt. Ich höre ihn nur leise, aber ich muß ihm auch gehor chen und arbeiten, wenn ich Essen haben will.« Rasch hob ich die Blockade meines Extra sinns wieder auf, denn hier gab es zwei mehr als rätselhafte Angaben, die es zu ana lysieren galt. Unter dem Propheten konnte man eventuell einen Mann verstehen, der sich hier zum lokalen Diktator aufge schwungen hatte und den stumpfen Bewoh
Licht des Vergessens nern von Cherkan ihre Handlungen befahl. Alles andere aber blieb mir rätselhaft, vor al lem jenes Licht in den Bergen, von dem Se racia sprach. Ich wartete auf eine Antwort, aber verge bens, und das war ein sicheres Zeichen da für, daß mein Extrahirn plus Logiksektor auch keine besseren Schlußfolgerungen wußte, als ich selbst. Mir blieb also nichts weiter übrig, als mich auf meine eigenen Schlüsse zu verlas sen, und das holte mich rasch wieder auf den Boden der Realität zurück. Vielleicht hatte mein Extrahirn auch gera de das bewirken wollen, als es schwieg …? Der Erfolg zeigte sich bald, denn erstmals dachte ich wieder an den varganischen Hen ker. »Hast du hier einen fremden Mann ge sehen, Seracia?« erkundigte ich mich. »Einen Mann mit goldener Haut und rötli chem Haar?« Das Mädchen nickte eifrig. »Ich habe ihn gesehen, Mascaren. Er kam gestern in die Stadt, aber er ist nicht dage blieben. Er ist bald wieder weggeflogen – zu dem Licht in den Bergen, glaube ich.« Das war eine wertvolle Auskunft. Trotzdem schien Seracias Gehirn nicht re gulär zu arbeiten, davon zeugte der einfache Wortschatz, den sie gebrauchte und der etwa dem eines sechsjährigen Kindes entsprach. Doch es brachte immerhin schon wieder halbwegs flüssige Gedankengänge zustande, und vermutlich würde sich das noch weiter bessern, wenn sie in meiner Nähe blieb. Auf jeden Fall war sie für mich in mitten eines Volkes von Debilen ausgesprochen wertvoll. Das sagte ich mir, und so faßte ich sie bei den Schultern, drehte sie herum und schob sie vor mir auf den Weg. »Komm jetzt mit mir, Seracia, du brauchst nicht mehr zu arbeiten. Wir gehen nach Cherkan – ich will wissen, wie es dort aussieht und wer dieser Prophet ist.« Magantilliken konnte es nicht sein, und von ihm hatte ich wahrscheinlich vorerst nichts zu befürchten. Er befand sich jetzt ir gendwo in den Bergen, um nach dem ge
19 heimnisvollen Licht Ausschau zu halten, das für den katastrophalen geistigen Zustand der Bewohner von Cherkan verantwortlich war. Vielleicht vermutete er dort eine der alten varganischen Stationen, und bisher schien er noch nichts entdeckt zu haben, sonst wäre er wahrscheinlich schon zurückgekehrt. Auf jeden Fall würde er aber auf dem Rückweg wieder in die Stadt kommen – darauf war ich gefaßt, und das konnte mir nur recht sein! Seracia schmiegte sich willig in meinen Arm, ohne zu ahnen, was sie damit auslöste. Ich war schon zu lange allein gewesen! Mein Blut kam in Wallung, und ich hatte keinen Gedanken mehr für Ischtar, meine Goldene Göttin, die ich nun schon so lange nicht mehr gesehen hatte … Doch ich beherrschte mich, denn schließ lich hatte ich etwas Wichtigeres im Sinn als eine Liebelei. Zunächst mußte ich einmal herausfinden, was hier auf Cherkaton vor sich ging!
4. Auf dem Wege in die Stadt sahen wir noch mehrere Gruppen von arbeitenden Männern und Frauen, doch niemand beach tete uns. Das änderte sich auch nicht, als wir Cherkan erreicht hatten. Die Straßen der Stadt waren schmutzig und vernachlässigt. Sie wirkten wie ausge storben, selten nur schlurfte einer der Be wohner mit steifem Gang und ausdruckslo sen Augen an uns vorbei, ohne uns auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Trotzdem blieb ich wachsam und hielt die Hand stets in der Nähe des Paralysators. Ich hatte schon viele derartige Siedler städte gesehen, sie glichen sich wie ein Ei dem anderen. Auch Cherkan war nicht orga nisch gewachsen, sondern nach einem Plan angelegt worden, und war deshalb nach rein funktionellen Gesichtspunkten erbaut. Von den Außenbezirken her führten gerade Stra ßen zum Mittelpunkt hin, die in regelmäßi gen Abständen von Querstraßen geschnitten
20 wurden. Sie endeten auf dem großen, qua dratischen Zentralplatz, in dessen Mitte der Trichterbau stand, den ich schon von weitem gesehen hatte. Dort wohnten die Oberhäupter der Kolo nie, und dort befanden sich auch die Verwal tungs- und Planungsbüros. Normalerweise hätte es in seiner Umgebung ein reges Leben geben müssen, aber davon war nichts zu be merken. Auf den Parkplätzen rings um das Gebäude stand eine ganze Anzahl von Glei tern, doch man konnte ihnen unschwer anse hen, daß sie seit längerer Zeit nicht mehr be nutzt worden waren. Hätte ich es nicht bes ser gewußt, hätte ich glauben müssen, mich auf einer Welt zu befinden, auf der eine Seu che den Großteil der Bewohner ausgerottet hatte. Ich bemerkte aber auch, daß die Spring brunnen in den Grünanlagen noch in Betrieb waren, folglich funktionierte wenigstens die Wasserversorgung noch. Das bedingte wie derum, daß es in Cherkan immer noch Ener gie gab, daß also das Kraftwerk noch arbei tete. Wie seltsam das Wirken des geheimnis vollen Propheten sonst auch anmuten moch te, er hatte es wenigstens nicht soweit kom men lassen, daß jede Versorgung zusam menbrach. Trotzdem mußte es ein wirklich erbärmli ches Leben sein, das die Leute hier jetzt führten. Obwohl es auf Kolonialwelten wenig Ro boter gab, brauchte doch normalerweise nie mand schwer zu arbeiten. Das besorgten die vielfältigen Maschinen für sie. Jetzt hatte sich alles rapide geändert – die Bewohner mußten die Arbeiten selbst verrichten, wäh rend ihre Maschinen vermutlich ungewartet herumstanden und verkamen! Und doch mußte es irgend so etwas wie eine Organisation geben. Jemand mußte da sein, der dafür sorgt, daß die Leute zumin dest mit Lebensmitteln versorgt wurden, und der ihnen die Richtlinien für ihre Arbeit gab. Den oder die Betreffenden mußte ich zu fin den versuchen, und vielleicht stieß ich dabei auch auf den Propheten, der hinter allem
Harvey Patton steckte. Ich befragte Seracia, aber ihre Auskunft war mehr als mager. »Am Abend, wenn alle von den Feldern kommen, wird das Essen ausgeteilt. Dann stehen die Verteiler auf den Plätzen, jeder muß sich anstellen und bekommt seine Rati on. Wir bekommen nur Konzentrate und Früchte von den Feldern, aber nicht genug, deshalb haben wir immer Hunger.« Der Zusammenbruch der Versorgung muß dicht bevorstehen! meldete sich darauf hin mein Logiksektor. Der Unterdrücker der Kolonisten hat auf die Notvorräte zurück greifen müssen, und dieser Bestand wird vermutlich bald aufgebraucht sein. Dann wird die verdummte Bevölkerung zugrunde gehen, weil sie sich nicht mehr selbst zu hel fen weiß – nur ein Verrückter kann mit sol chen Methoden arbeiten! Ich kniff die Lippen zusammen und sah mich wieder einmal argwöhnisch um, aber auf dem großen Platz blieb alles still. Oder sollte das nur die Methode des Propheten sein, mich in Sicherheit zu wiegen, um sich dann unverhofft meiner bemächtigen zu können? Auch Verrückte können in gewis sen Bahnen immer noch durchaus logisch denken, und infolge ihrer Unberechenbarkeit sind sie doppelt gefährlich! »Wo kann ich die Verteiler finden?« wandte ich mich an das Mädchen, aber Sera cia zuckte nur mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, Mascaren. Sie sind einfach da, wenn wir in die Stadt kommen, der Prophet sagt ihnen, was sie tun müssen.« Mir lag ein Fluch auf der Zunge, denn ich konnte diese Bezeichnung nicht mehr aus stehen, aber plötzlich kam mir ein neuer Ge danke. Ich verkniff mir das Kraftwort und fragte stattdessen: »Wie geschieht das, Seracia – wie sagt euch dieser Prophet, was zu tun ist? Kommt er selbst nach Cherkan?« Das Mädchen schüttelte den Kopf, und auf ihrem Gesicht erschien ein angstvoller Ausdruck. »Er kommt nie zu uns, er spricht immer
Licht des Vergessens nur im Kopf zu uns! Dann erscheint das Licht in den Bergen, alle bleiben still stehen und müssen ihm zuhören. Wenn es vorbei ist, habe ich immer alles wieder vergessen, aber ich weiß trotzdem, was ich später zu tun habe. So geht es auch allen anderen.« Dieser Vorgang schien alles andere als angenehm zu sein, das bewies mir Seracias Gesichtsausdruck. Paramentale Fernbeeinflussung! sagte der Logiksektor. Du wirst den Propheten nicht in der Stadt finden, er beherrscht diese Leute nur indirekt. Wenn du den Kolonisten helfen willst, mußt du in die Berge gehen, dem Lichtzeichen nach. Ich verzichtete auf eine Entgegnung, denn ich hatte auch ohne diese Nachhilfe bereits begriffen. Irgendwie mußte ich diesen Leu ten helfen, das stand für mich fest; Magantil liken würde es kaum tun, er hatte seine eige nen Interessen. Ihm war das Schicksal einer arkonidischen Kolonie vollkommen gleich gültig – ein Henker kennt keine humanen Anwandlungen! Doch noch war es zu früh für mich, etwas zu unternehmen, ich benötigte noch weitere Informationen. Wenn ich mich wirklich auf den Weg in die Berge begab, dann mußte ich entsprechend vorbereitet sein, um nach Möglichkeit zwei Ziele zugleich zu errei chen: Nicht nur den Propheten auszuschal ten, sondern auch Magantilliken! »Wann wird das Licht wieder zu sehen sein?« fragte ich das Mädchen. Sie antwor tete sofort, was mir bewies, daß sich ihr gei stiger Zustand laufend besserte. »Am Abend, wenn es dunkel wird, er scheint es am Himmel. Am Anfang kam es öfters, jetzt nur noch einmal an jedem Tag.« Ich nickte und strich ihr beruhigend über das lange Haar. Sie schmiegte sich wieder an mich, aber ich achtete kaum darauf, denn ich dachte nach. Jenes Wesen, das hier als Prophet in Er scheinung trat, mußte über sehr starke hyp nosuggestive Fähigkeiten verfügen, soviel stand fest. Ob diese von Natur aus so wirk sam waren oder irgendwie mechanisch ver
21 stärkt wurden, blieb unklar, spielte jedoch im Endeffekt keine Rolle. Nachdem es die Kolonisten erst einmal unter seine Herr schaft gezwungen hatte, brauchte es sich aber nicht mehr sonderlich anzustrengen, um diese Kontrolle zu behalten, und das war wichtig für mich. Ich war gegen paramentale Einflüsse rela tiv unempfindlich, das verdankte ich mei nem Extrahirn. Ob ich aber auch einer stän dig wiederholten Beeinflussung gewachsen gewesen wäre, erschien mir doch recht frag lich! Ich sah zum Himmel empor und schätzte nach dem Stand der Sonne, daß mir bis zum Einbruch der Dunkelheit und dem Erschei nen des Lichts noch ungefähr fünf Stunden blieben. Diese Zeit wollte ich ausnutzen, um mir die Informationen zu verschaffen, die mir Seracia nicht geben konnte. Vielleicht fand ich sie in dem Trichterbau – vielleicht war es den Anführern der Kolonie noch ge lungen, ihre ersten Eindrücke irgendwie zu fixieren, ehe das große Vergessen über sie kam. Ich faßte das Mädchen wieder an den Schultern und schob sie über den hitzeflim mernden Platz auf das Gebäude zu.
* Wir gingen über eine der Grünflächen, die ohnehin vollkommen verwildert waren, und ich fragte Seracia dabei weiter aus. Sie be griff nicht alles, und ich mußte manche Fra ge neu formulieren, ehe ich damit einen Er folg erzielte, aber langsam rundete sich für mich das Bild weiter. Die Kolonie auf Cherkaton war vor etwa fünfzehn Jahren geschaffen worden, soviel wußte ich nun. Seracia konnte es nicht mehr genau sagen, aber sie war als kleines Mäd chen hierher gekommen und war jetzt unge fähr zwanzig Standardjahre alt, also mußte das ziemlich genau stimmen. Auch ihre An gaben über das erste Auftauchen des Lichtes in den Bergen waren ungenau, doch es muß te etwa zu Beginn der warmen Jahreszeit
22 erstmals erschienen sein. Diese dauerte auf Cherkaton fast ein ganzes Standardjahr, und jetzt war ungefähr Mittsommer, also herrschte dieser unheimliche Prophet nun fast ein halbes Jahr auf dieser Welt. Die Verdummung der Bewohner von Cherkan und der wenigen nahe liegenden Siedlungen mußte schlagartig eingesetzt ha ben. Von einem Tag zum anderen verloren alle ihr normales Wissen, sie wurden stumpf und teilnahmslos. Vor allem die Kenntnis technischer Vorgänge wurde betroffen – nie mand wußte daraufhin mehr, wie eine Ma schine oder ein Fahrzeug zu bedienen war. Natürlich hatte es deswegen im Anfang auch Unfälle gegeben, und es war fast schon ein Wunder, daß nicht irgend jemand die Kata strophe perfekt gemacht hatte, indem er durch zufälliges Hantieren das automatisch gesteuerte Kraftwerk lahmlegte. Damit wä ren die Einwohner von Cherkaton der letzten Grundlage beraubt worden, die ihnen unter den jetzigen Umständen das Überleben er möglichte. Vielleicht hatte der unbekannte Suggestor das auch bewußt verhindert, indem er um die betreffenden Anlagen so etwas wie ein Tabu legte. Er hatte es darauf angelegt, die Leute zu beherrschen, also wäre es unsinnig gewesen, sie zum Tode zu verurteilen, der ihnen nach dem Entzug ihrer Lebensbasis unweigerlich gedroht hätte. Was der Unbekannte wirklich bezweckte, blieb mir allerdings rätselhaft. Er zeigte sich nie, sondern herrschte nur aus der Ferne, in dem er täglich seine Befehle gab. Trotzdem konnte es nicht mehr lange so weitergehen, das stand fest. Jetzt war Sommer, und die Felder brachten trotz der ungenügenden Be arbeitung noch einen gewissen Ertrag an Le bensmitteln. Doch die Leute hungerten jetzt schon – was sollte da erst im Winter aus ih nen werden, der gleichfalls ein ganzes Stan dardjahr dauerte …? Vergeblich fragte ich mich, was für eine Mentalität dieses Wesen wohl besitzen mochte, das zu solchen Dingen fähig war. Sie erschien mir unbegreiflich, unsäglich
Harvey Patton fremd, und erneut faßte ich den Entschluß, den Bedauernswerten zu helfen. »Heh, Mascaren!« Seracia stieß mich an und riß mich aus meiner Versunkenheit, denn ich war vor ei nem der Eingänge zum Zentralgebäude ste hengeblieben. Ich lächelte ihr beruhigend zu und setzte mich wieder in Bewegung, und sie blieb an meiner Seite. Ich erblickte Schmutz, wohin ich auch sah. Unrat, vom Wind hereingewehter Sand und abgestorbenes Laub bedeckten den Bo den hinter dem Eingang, dessen Portal weit offen stand. Doch in ihrer Mitte zeichnete sich eine breite Trampelspur ab, die bewies, daß dieser Bau von den Bewohnern von Cherkan noch immer benutzt wurde. Ein Teil von ihnen wohnte ja hier, aber er diente auch noch einem anderen Zweck; das sah ich, als wir in die große Halle im Erdge schoß kamen. Dort standen viele primitiv zusammenge schlagene Holzregale, und auf ihnen waren Packungen mit Konzentraten und frische Früchte von den Feldern aufgestapelt. Sie la gen offen zugänglich da und niemand be wachte sie, aber trotzdem dachten die hun gernden Männer, Frauen und Kinder nicht daran, von ihnen zu stehlen! Das war ein weiterer Beweis dafür, wie groß die Macht des Fremden über diese Leute war. Ich hatte es längst aufgegeben, mich be sonders vorzusehen, denn hier drohte mir keine Gefahr. In dem Raum war es dunkel, also suchte und fand ich die Schalttafel für die Beleuchtung, und gleich darauf flamm ten überall die Deckenleuchten auf. Prüfend sah ich mich um. Hier hatte früher einmal ein reges Treiben geherrscht, aber nun war niemand zu sehen. Die abzweigenden Korridore lagen verlassen da, die Auslagen der Automatläden an den Seiten waren geplündert, alle Scheiben ein geschlagen. Ich zog das Mädchen weiter bis zu den Antigravschächten, die in die oberen Stockwerke führten, aber diese waren außer Betrieb. Vermutlich waren die Bewohner
Licht des Vergessens auch gar nicht mehr in der Lage, sich ihrer zu bedienen, nachdem ihr Wissen fast bis auf Null reduziert worden war. Doch ich wollte Informationen sammeln, also ging ich mit Seracia bis zu einer der Nottreppen, die es in jedem solchen Gebäu de gab. Der Treppenschacht war beleuchtet, also stimmte meine Annahme, daß hier im mer noch Leute wohnten, die ihn benutzten. Eine Begegnung mit ihnen konnte mir al lerdings nichts nützen, also suchte ich nach Erreichen des ersten Stockwerkes die frühe re Nachrichten und Informationszentrale auf. Dort sah es allerdings wüst aus – alle Einrichtungen technischer Art waren demo liert! Auch die Funkgeräte waren total zer stört. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, mit tels des Hyperfunkgerätes Verbindung mit Kraumon aufzunehmen, um Fartuloon und meinen Getreuen ein Lebenszeichen zu ge ben, aber das erwies sich nun als unmöglich. Seracia sah sich mit großen Augen um und begriff offenbar nichts; ich ließ sie stehen und begab mich in einen kleinen Neben raum, in dem sich das Speichersystem des Nachrichtenzentrums befand. Es war der allgemeinen Zerstörung ent gangen, weil sein Zugang beim Entritt der Katastrophe elektronisch verriegelt gewesen war. Ich löste den Sperrschalter, trat ein und sah befriedigt, daß sofort die Beleuchtung aufflammte, was mir bewies, daß hier noch alles in Ordnung war. »Was tust du hier, Mascaren?« fragte das Mädchen beunruhigt, das mir nun nachkam und voller Scheu auf die ihr unbegreiflichen Geräte in diesem Raum sah. Ich strich ihr leicht über das Haar. »Bleibe ruhig, Seracia, hier kann uns nichts geschehen. Ich will nur versuchen, mit Hilfe dieser Geräte etwas über das zu er fahren, was auf Cherkaton geschehen ist, als das Licht des Propheten erschien. Warte bit te, es wird nicht lange dauern.« Ich trat zu der Schaltkonsole des Nach richtencomputers und aktivierte dessen Spei chersektor. Befriedigt stellte ich fest, daß die
23 Anzeigen augenblicklich aufflammten und die Monitoren bereit zur Wiedergabe waren. Die letzten Speicherungen datierten tatsäch lich etwa ein halbes Jahr zurück, das hatte ich bald herausgefunden. Ich ließ die Tonspulen anlaufen, setzte mich und lausch te auf die Stimme, die nun aus den Lautspre chern drang, während gleichzeitig die ent sprechende Schrift über die Monitoren lief.
5. »Heute nachmittag wurde in der Gegend nördlich von Cherkan ein ungewöhnliches Phänomen beobachtet«, sagte der Sprecher, der diese Information festgehalten hatte. »Die Ortungen registrierten das Eindringen eines unbekannten Flugobjekts in den Luftraum von Cherkaton, das wenig später auch von zahlreichen Bewohnern optisch wahrgenommen werden konnte. Dabei han delt es sich zweifellos um ein Raumschiff, das im Begriff war, abzustürzen. Erste Be fürchtungen, daß es sich dabei um ein Schiff der Maahks handeln könnte, das unsere Welt angriff, bewahrheiteten sich zum Glück nicht. Der Flugkörper war ungefähr 300 Me ter lang und besaß die Form einer stumpfen Granate, war also mit keinem uns bekannten Schiffstyp identisch. Der fremde Raumer tangierte den Luftraum von Cherkan, flog aber weiter und verlor dabei laufend an Höhe. Als er sich be reits über den Vorbergen befand, erfolgte ei ne Explosion, die den Schiffskörper aber of fensichtlich nicht vollkommen zerstört hat. Es konnte beobachtet werden, daß sich große Trümmerstücke von ihm lösten und zu Boden fielen, aber das Schiff selbst stürzte in einer Aureole leuchtender Gase weiter und muß irgendwo in den Bergen aufge schlagen sein. Es erscheint sehr fraglich, daß jemand an Bord diesen Absturz überlebt hat. Trotzdem will Gouverneur Geraban noch heute eine Rettungsexpedition zur vermutli chen Aufschlagstelle entsenden, die nach et waigen Überlebenden suchen soll.« Damit endete diese Meldung. Als näch
24 stes folgten lokale Nachrichten, die für mich uninteressant waren, dann der tägliche Be richt des Oberkommandos auf Arkon über längst überholte Kriegsereignisse. Ich ver zog das Gesicht, als ich das schwülstige Pa thos vernahm, in dem er abgefaßt war, und das selbst Niederlagen noch in halbe Siege verfälschte, wie es seit der Machtübernahme durch Orbanaschol III. üblich war. Die nächste, etwa drei Stunden nach dem Erscheinen des abstürzenden Raumschiffes datierte Meldung jedoch erweckte mein größtes Interesse. »Hier auf Cherkaton geschehen rätselhaf te Dinge«, sagte der Sprecher erregt. »Vor etwa einer Stunde konnte über den Bergen eine seltsame Leuchterscheinung beobachtet werden, die selbst das Sonnenlicht an Inten sität übertraf, aber nicht genau zu lokalisie ren war. Gleich darauf ereigneten sich meh rere schwere Unfälle von Gleitern und Bo denfahrzeugen, die mindestens zehn To desopfer gefordert haben. Gleich darauf weigerten sich die Besat zungen der bereits abflugbereiten Gleiter der angeordneten Hilfsaktion, ihren Flug zur Absturzstelle des fremden Raumers anzutre ten. Auch eine persönliche Intervention des Gouverneurs konnte sie nicht dazu bewegen, aber gleich darauf widerrief Geraban selbst den Einsatzbefehl. Seitdem geht mit den Ar koniden hier in Cherban eine erschreckende Veränderung vor sich. Immer mehr Leute scheinen plötzlich ihr Gedächtnis zu verlie ren und vergessen die einfachsten Dinge ih res täglichen Lebens!« Ich beugte mich erregt vor, denn nun war ich dem Rätsel von Cherkaton dicht auf der Spur. Es folgte eine kurze Pause, dann mel dete sich der Sprecher wieder. »Die erschreckende Entwicklung nimmt immer schlimmere Formen an! Die Leute behaupten, eine innere Stimme zu hören, die von einem Wesen ausgeht, das sich selbst den Propheten der Unwissenheit nennt. Sie zeigen plötzlich eine regelrechte Abscheu gegen alles, was irgendwie mit Technik ver bunden ist – sie verlassen ihre Gleiter, ihre
Harvey Patton Arbeitsplätze und landwirtschaftlichen Ma schinen. Sie sagen, dies geschehe auf Befehl jenes fremden Propheten, dem sie nun zu ge horchen hätten. Es ist nicht abzusehen, welche Folgen diese verhängnisvolle Veränderung noch zeitigen wird. Wir haben versucht, die Leute über Videofunk zur Ordnung aufzurufen, aber das erwies sich als sinnlos, weil nie mand mehr die Geräte anstellen will. Der größte Teil meiner Mitarbeiter im Informati onszentrum hat inzwischen seine Ar beitsplätze verlassen und weigert sich kate gorisch zurückzukehren. Auch sie haben in ihren Gehirnen den Ruf des Propheten ver nommen, ein Teil von ihnen hat sogar damit gedroht, unsere Geräte zu zerstören. Ich habe das bisher verhindern können, aber es erscheint mir fraglich, ob mir das auf die Dauer gelingen kann. Ich selbst habe die Stimme des fremden Wesens, die ihren Ur sprung zweifellos in paramentalen Phäno menen hat, noch nicht vernommen, aber ich verspüre einen wachsenden Druck auf mein Gehirn, der von immer schlimmer werdendem Kopfschmerz begleitet ist. Da mein Dienst jetzt beendet ist, werde ich diesen Raum verlassen – aber ich werde das Hyper funkgerät in Betrieb nehmen und Arkon da von verständigen …« Die Stimme des Sprechers brach ab, kam nach einigen Sekunden wieder und klang nun panikerfüllt. »Zu spät – eine Anzahl dieser Verrückten ist eben nebenan eingedrungen und hat da mit begonnen, systematisch alle Nachrich tengeräte zu zerstören! Selbst der Gouver neur befindet sich unter ihnen – ich muß schleunigst diesen Raum verlassen und ab sperren, ehe auch er noch verwüstet wird. Auch mir fällt das Denken bereits schwer … wie soll das alles nur enden …?« Damit verstummte die Stimme, und ich lehnte mich erschüttert zurück. Nun wußte ich, was die Ursache für den fast vollkommenen Niedergang dieser hoff nungsvollen Kolonie auf dem fast paradie sisch anmutenden Planeten war. Auf ihm
Licht des Vergessens hatten die Siedler kaum natürliche Feinde vorgefunden, aber dafür war ein anderer Feind gekommen! Warum sein Raumschiff havariert war, blieb nach wie vor unklar – er selbst mußte den Absturz aber überlebt ha ben und hielt die Bewohner von Cherkaton nun im würgenden Griff seiner paramenta len Gaben … Erstmals stieg in mir der Verdacht auf, daß der varganische Henker ebenfalls in sei ne Gewalt geraten sein konnte. Magantilli ken gehörte einer alten Rasse an, deren Wis sen das unsere bei weitem überstieg, und die selbst beträchtliche Paragaben besaß. Ob er allein aber imstande sein mochte, dem gei stigen Angriff einer Wesenheit zu widerste hen, die mehr als 20.000 Arkoniden sozusa gen spielend überwältigt hatte, schien mir mehr als fraglich. An sich hätte es mir nur recht sein kön nen, wenn er nun ausgeschaltet war, aber leider gab es da einige beträchtliche Schön heitsfehler. Zum einen die verdummten Siedler, die ich nicht einfach ihrem Schick sal überlassen konnte. Der zweite bestand in der Tatsache, daß ich kaum Aussicht hatte, diese Welt wieder zu verlassen, solange ich nicht imstande war, das SKORGON zu flie gen! Gewiß, ich konnte mich daran machen, nach dem Unterbrecher zu suchen, und zweifellos würde ich ihn über kurz oder lang auch finden und die Störung beseitigen kön nen. Doch das konnte unter Umständen viele Tage dauern – und wer garantiert mir dafür, daß ich nicht in dieser Zeit selbst unter den Einfluß des fremden Wesens geriet? Diese Wahrscheinlichkeit beträgt etwa neunzig Prozent! unterrichtete mich mein Logiksektor kurz und prägnant. Unter Berücksichtigung dieses Faktors blieb mir eigentlich nur ein Ausweg: Ich mußte mich in die Berge begeben, mußte versuchen, den Propheten irgendwie zu überwältigen und Magantilliken zu befreien! Er war mein Gegner, aber ich mußte mich jetzt trotzdem auf seine Seite stellen, wenn ich selbst davonkommen wollte. Es war et
25 wa die gleiche Zwangslage, in der ich mich während meiner Verkleinerung befunden hatte. Damals war ich auch gezwungen ge wesen, mit Armarkavor Heng zu paktieren, obwohl wir erbitterte Feinde gewesen wa ren! Ich fluchte vor mich hin.
* Seracia war es, die mich schließlich aus meinen unerfreulichen Gedanken riß. Sie hatte sich still verhalten und mit zugehört, obwohl sie vermutlich nur einen Bruchteil von dem verstanden hatte, was der Sprecher auf dem Speicherband festgehalten hatte. Die jetzt eingetretene Stille jedoch schien ihr unheimlich zu sein. Sie kam zu mir und legte schüchtern eine Hand auf meinen Arm. »Laß uns wieder hinausgehen, Mas caren«, bat sie ängstlich. »Hier drin ist es so … unheimlich.« Ich nickte und erhob mich, wobei ich sie verstohlen musterte. Meine Anwesenheit schien tatsächlich einen positiven Einfluß auf sie auszuüben, denn ihre Augen waren nun fast ganz klar, und auch ihr Wortschatz erweitere sich laufend. Ob es mir wohl gelingen konnte, auch an dere Bewohner von Cherkan allmählich aus dem verderblichen Bann zu lösen? Nicht alle konnten in gleicher Weise verdummt sein, Männer und Frauen mit höherem Intelli genzquotienten waren vermutlich erheblich widerstandsfähiger als die übrigen. Dazu ge hörten wahrscheinlich auch die Verteiler der Essensrationen, deren Aufgabe sich ohne ei ne entsprechende Übersicht kaum bewälti gen ließ. Erschreckt stellte ich dann fest, daß seit unserem Eindringen in das Gebäude schon mehr als zwei Stunden vergangen waren. In längstens drei Stunden mußte es dunkel wer den, also war es zu spät für mich, noch an diesem Tage etwas gegen die Gefahr in den Bergen zu unternehmen. Ich mußte dieses Unternehmen notgedrungen auf den näch
26 sten Morgen verschieben, aber der Rest des Tages würde noch ausreichen, um die ent sprechenden Vorbereitungen zu treffen. Wir verließen das Gebäude, in dem es nach wie vor totenstill war. Draußen atmete ich befreit auf, und auch Seracia schien wie von einem Druck erlöst. Die Sonne stand schon tief, und es war bedeutend kühler ge worden. Ich sah mich um und ging dann zielstre big auf eine Anzahl vollkommen erhalten aussehender Prallfeldgleiter zu, die in der Nähe abgestellt waren. Sie waren ordentlich geparkt und offenbar noch vor dem Eintritt der Katastrophe hergebracht worden. Um sie schien sich später niemand mehr gekümmert zu haben. Daß diese Annahme ein Irrtum war, be merkte ich, als ich die Tür des ersten Fahr zeugs geöffnet hatte. Irgend jemand hatte in seinem Innern ge haust! Das Instrumentenbrett war völlig zer trümmert, überall hingen lose Kabel herum, und auch die Schalteinrichtungen waren restlos zerstört. Ein guter Mechaniker würde Tage dafür brauchen, diese Schäden wieder zu reparieren. Soviel Zeit hatte ich auf gar keinen Fall! Mit beträchtlich verminderten Hoffnun gen ging ich weiter zum nächsten Fahrzeug, und darin sah es nicht besser aus. Offenbar hatte der Prophet der Unwissenheit die Ko lonisten dazu veranlaßt, diese Zerstörungen anzurichten; von selbst hätten sie es wohl kaum getan. »Ist es überall so?« fragte ich Seracia, und das Mädchen nickte bedrückt. »Alles ist kaputt – wir mußten es einfach tun, Mascaren! Der Prophet wollte nicht, daß wir wieder …« Sie stockte und suchte nach den passen den Worten, aber ich wußte auch so genug. Mit müden Schritten ging ich weiter und kontrollierte auch die restlichen Gleiter – vergebens! Resigniert setzte ich mich auf die Umfas sung eines Springbrunnens und begann zu überlegen.
Harvey Patton Es erschien mir unwahrscheinlich, daß al le Fahrzeuge demoliert worden waren. In Cherkan mußte es mindestens drei bis vier tausend davon geben, und eine gewisse An zahl war bestimmt der Zerstörungswut der Bewohner entgangen. Doch wie und wo sollte ich sie finden, wenn ich mich nicht al lein auf den Zufall verlassen wollte? Irgendwo muß es ein zentrales Gleiterde pot geben! meldete sich da mein Logiksek tor. Dort befinden sich die Fahrzeuge, die für Notfalleinsätze bereitstehen, und eine Reihe von ihnen dürfte auch bewaffnet sein. Da sie normalerweise unter Verschluß ge halten werden, müßtest du dort finden, was du suchst. Erleichtert sprang ich auf und wandte mich an Seracia, die nach wie vor jedem meiner Schritte folgte. Ich brauchte einige Minuten, um ihr begreiflich zu machen, was ich wollte, aber dann hatte sie erfaßt worum es mir ging. Sie deutete hinüber zur anderen Seite des Zentralplatzes. »Dort hinten in der Straße, sie heißt …« Ihr Gesicht verzog sich unter der Anstren gung krampfhaften Überlegens, aber plötz lich hellten sich ihre Züge auf. »Sie heißt Straße des Imperators, Mascaren!« »Sehr gut, Seracia«, lobte ich sie, und sie lächelte mich dankbar an. Mir wurde warm ums Herz, aber ich wandte mich rasch um und setzte mich in Bewegung. Vielleicht, wenn alles hier vor über war … Wir überquerten den Platz und ich stellte fest, daß sich nun erheblich mehr Leute im Freien aufhielten. Sie kamen aus den Häu sern, eine schweigende Prozession abge zehrter, stumpf blickender Gestalten, und ließen sich auf den Grünflächen nieder, wo sie regungslos warteten. Es waren haupt sächlich alte Leute, Frauen und Kinder, also jene, die für schwere körperliche Arbeit un geeignet waren. Den erbärmlichsten Ein druck machten die Kinder, obwohl ihnen die Frauen infolge ihres Mutterinstinktes ver mutlich mehr Essen zukommen ließen, als ihnen zugestanden hätte. Doch gerade auf
Licht des Vergessens junge Körper mitten in der Wachstums- und Entwicklungsperiode mußte sich der anoma le Zustand doppelt auswirken. Schwere Schäden nicht nur in körperlicher, sondern auch in geistiger Hinsicht konnten nicht aus bleiben, wenn hier nicht bald Abhilfe ge schaffen wurde! Ich preßte die Lippen zusammen und folgte dem Mädchen, das sich ebenfalls un behaglich umsah. Mit dem allmählichen Wiederaufleben ihrer Geistestätigkeit kam wohl auch bei ihr das Erkennen, wie ver kehrt es auf Cherkaton zuging. Wir erreichten ein niedriges, langge strecktes Gebäude, neben dem sich ein ge räumiger Parkplatz befand. Hier standen ei nige gebrauchsunfähig gemachte Fahrzeuge, aber die großen Tore an der Seitenfront, über denen die Aufschrift Hauptdepot ange bracht war, waren geschlossen. Ich hatte al so gute Aussichten, hier das zu finden, was ich brauchte. Allerdings sah ich sofort, daß die elektro nischen Öffnungsmechanismen der Tore un brauchbar gemacht worden waren, und ma nuelle gab es nicht. Mir blieb also nichts an deres übrig, als mir gewaltsam Zugang zu verschaffen. Ich zog meinen Impulsstrahler, ließ Sera cia zurücktreten und richtete dann die auf Nadelstrahl geschaltete Waffe auf das Schloß eines kleineren Nebentors, von dem ich mir die geringsten Schwierigkeiten ver sprach. Mit leisem Zischen fraß sich der sonnenheiße Strahl in das Metall, Funken sprühten auf und kleine Bäche aus ge schmolzenem Stahl rannen weißglühend herab. Das Mädchen schrie leise auf und zog sich angsterfüllt zurück. Es dauerte nur Se kunden, dann hatte ich das Schloß herausge schnitten. Es polterte dumpf zu Boden, ich wartete ab, bis sich das Metall wieder abge kühlt hatte, und konnte dann das Tor ohne Schwierigkeiten aufschieben. Aufatmend sah ich, daß ich genau an der richtigen Stelle eingedrungen war. In dieser Nebenhalle standen fünfzehn schwere Glei ter mit den Insignien der Polizei von Cher
27 kan was wollte ich mehr! Seracia ließ sich nicht dazu bewegen, die Halle zu betreten, also ging ich allein hinein. Auch hier funktionierte die Beleuchtung noch, und in ihrem Schein begutachtete ich die Fahrzeuge. Meine Wahl fiel auf einen gepanzerten Prallfeldgleiter mit starkem Antigrav, der Flüge bis in drei Kilometer Höhe über dem Boden ermöglichte. Außerdem besaß dieses Modell eine Kuppel mit einem leichten Strahlgeschütz, das sich vom Fahrersitz aus bedienen ließ. Noch wußte ich nicht, was mich in den Bergen erwarten würde, aber ich hatte das dumpfe Gefühl, daß diese Waf fe mir sehr nützlich sein konnte! Wie erwartet, war das Fahrzeug startklar. Ich kletterte hinein, aktivierte den Antrieb und bugsierte es vorsichtig ins Freie. Dann stieg ich aus, schob das Tor wieder zu und winkte dem Mädchen. »Komm, Seracia! Du brauchst keine Angst zu haben, schließlich bist du doch frü her oft genug mit Gleitern geflogen. Erin nerst du dich wieder daran?« Sie nickte zögernd, aber es bedurfte doch noch einiger Überredung, bis wir beide im Gleiter saßen. Ich steuerte ihn auf die Straße und dann in Richtung des Zentralplatzes. Inzwischen hatte die Dämmerung einge setzt, die hier allerdings infolge der langsa men Rotation des Planeten sehr lange dauern mußte. Die Straße war leer, doch als wir den Platz erreichten, sah ich, daß sich dort in zwischen mehrere tausend Bewohner ver sammelt hatten. Ich hielt das Fahrzeug an und entdeckte dann einen seltsamen Zug, der sich aus der Gegenrichtung dem Trich tergebäude näherte. Es waren mehrere hundert Männer und Frauen, die sich schwerfällig dahinschlepp ten und schwere Lasten trugen. Es waren roh gezimmerte Tragen aus Holz, und auf ihnen lagen Feldfrüchte, die sie in die Stadt brach ten. Mit letzter Kraft keuchten die Träger in den Bau und kamen wenig später ohne ihre Lasten wieder zum Vorschein. Sie gesellten sich zu der Schar der Wartenden und ließen
28
Harvey Patton
sich erschöpft in das Gras fallen. Erschüttert sah ich diesen Vorgängen zu. »Was geschieht jetzt?« wandte ich mich an das Mädchen, in dessen Zügen es sicht lich arbeitete. Auch sie schien jetzt zu erfas sen, wie unnatürlich und widersinnig das al les war. »Gleich wird es Essen geben«, sagte Sera cia und machte Anstalten, sich zu erheben. »Ich muß hinaus zu den anderen, sonst be komme ich heute nichts!« Wo bleibt deine vielgerühmte Weitsicht, Kristallprinz? erkundigte sich mein Extra sinn sarkastisch. An alles mögliche hast du gedacht, aber daß das Mädchen völlig aus gehungert ist, ist dir völlig entgangen … Und wer hat mich nicht früher daran er innert …? fragte ich ebenso spitz zurück. Dann drückte ich Seracia wieder in die Pol ster und öffnete die Klappe unter dem Ar maturenbrett, wo sich die als Einsatzverpfle gung für die Polizisten gedachten Vorräte befanden. Sie waren reichhaltig und bestanden meist aus konservierten Fertiggerichten. Ich suchte zwei Dosen mit Hubbakelfleisch heraus und drückte auf die Deckel, und als sich der In halt erwärmt hatte, drückte ich eine davon dem Mädchen in die Hand. Mir selbst verging fast der Appetit, als ich sah, mit welcher Gier Seracia diese lange entbehrte Nahrung zu sich nahm. Doch sie tat ihr sichtlich gut, und als sie dann noch ei ne Dose Fruchtsaft ausgetrunken hatte, ver klärte sich ihr Gesicht. »Warum können wir nicht immer so et was haben, Mascaren?« wollte sie wissen. »Warum läßt uns der Prophet immer hun gern, wo es doch so gute Sachen gibt?« »Das möchte ich auch gern wissen, Mäd chen«, gab ich grimmig zurück. »Doch ich werde es herausfinden, darauf kannst du dich verlassen!«
6. Die Verteilung der kärglichen Rationen war in vollem Gange.
Als hätte sie eine unhörbare Stimme geru fen, erhoben sich die ausgemergelten Gestal ten der Cherkaner gruppenweise und bega ben sich zu dem Trichterbau. Wenig später kehrten sie zurück und schlangen noch im Gehen die Konzentrate oder Früchte hastig hinunter. Das alles vollzog sich in solcher Ordnung und Lautlosigkeit, daß es schon fast gespenstisch wirkte. Jeder begnügte sich mit dem, was er bekommen hatte, keiner machte Anstalten, einem anderen etwas zu entreißen, wie es sonst bei einer hungernden Masse unweigerlich vorgekommen wäre! Nach etwa vierzig Minuten hatte sich der Platz geleert; die Bewohner waren nach Hause gegangen, um dort in den Schlaf der Erschöpfung zu fallen, bis sie der Befehl des fremden Suggestors am Morgen wieder zur Arbeit trieb. Noch immer war es hell, aber Seracia war an meiner Seite eingenickt und erwachte erst wieder, als ich den Antrieb des Gleiters anlaufen ließ. Für einen Moment sah sie sich verständnislos um, dann fiel ihr Blick auf mich, und mit einem glücklichen Lächeln kuschelte sie sich an meine Schul ter. »Bei dir ist es so schön, Mascaren!« flü sterte sie leise. Ich nickte ihr zu und zog verstohlen eine Grimasse. Dann lenkte ich den Gleiter auf den Zentralplatz und steuerte den Eingang an, in dem die Verteilung der Rationen statt gefunden hatte. Ich tat das mit einer bestimmten Absicht. Die Männer und Frauen, denen hier das Amt der Proviantmeister zufiel, konnten unmög lich so unwissend und abgestumpft sein, wie die Masse der Cherkaner, sonst hätten sie ih re Tätigkeit überhaupt nicht ausüben kön nen. Es mußte also möglich sein, mit ihnen ein Gespräch zu beginnen, von dem ich mir weitere Anhaltspunkte erhoffte, die mir spä ter von Nutzen sein konnten. Meine Überlegung erwies sich als richtig. Wir waren gerade vor dem Gebäude ange kommen, als sich etwa dreißig Männer und Frauen aus dem Eingang lösten. Auch sie schienen keinerlei Privilegien zu genießen,
Licht des Vergessens denn sie schlangen ihr kärgliches Essen jetzt ebenso hinunter, wie es zu vor die anderen getan hatten. Sie blieben abrupt stehen, als sie den Gleiter sahen, ich öffnete die Kabine und stieg aus. »Ich möchte gern mit euch reden«, sagte ich und spreizte die Arme ab, um zu doku mentieren, daß ich in friedlicher Absicht kam. »Gibt es unter euch einen, der so etwas wie der Anführer ist?« Ich mußte lange auf eine Reaktion warten. Etwa eine Minute lang tat sich nichts. Al le waren voll damit beschäftigt, ihre Ratio nen herunterzuwürgen, ein Vorgang, der von lautem Schmatzen begleitet war. Erst dann löste sich einer aus der Gruppe und kam langsam auf mich zu. »Was willst du?« fragte er teilnahmslos. Trotzdem lächelte ich ihn freundlich an. »Ich bin fremd auf dieser Welt«, erklärte ich in einem leichten Plauderton, der das Anomale der Situation völlig negierte. »Kannst du mir erklären, was hier auf Cher katon geschehen ist? Warum müssen hier Arkoniden schwer arbeiten und hungern, was sonst nirgends im Großen Imperium der Fall ist?« »Im großen Imperium?« wiederholte der ältere Mann, der trotz seines vernachlässig ten Äußeren einen relativ guten Eindruck machte. »Wir gehören nicht zum Großen Imperium, Fremder! Wir sind Diener des Propheten der Unwissenheit, der allein über Cherkaton herrscht.« Die Worte kamen zwar monoton heraus, bildeten aber doch einen krassen Gegensatz zu den Worten jener, die überhaupt nicht mehr folgerichtig denken und reden konn ten. Dieser Mann verfügte immer noch über einen erheblichen Teil seiner Intelligenz, nur schienen ihm in ihrer Anwendung enge Grenzen gesetzt zu sein. Deshalb wechselte ich die Methode. »Mein Name ist Mascaren«, gab ich ruhig zurück. »Darf ich auch den deinen erfah ren?« Durch die Gestalt des Mannes schien ein Ruck zu gehen.
29 Völlige Entpersönlichung! unterrichtete mich mein Logiksektor sofort. Hier hat nie mand mehr einen Namen, aber du hast eben die Erinnerung in ihm geweckt. Weiter so! »Mein Name …?« dehnte mein Ge sprächspartner, und auf seinem bisher mas kenstarren Gesicht erschien ein grübleri scher Ausdruck. Es kostete ihn sichtliche Anstrengung, seine frühere Identität zu be stimmen, aber schließlich schaffte er es doch. »Ich bin … Romantur!« stieß er hervor, und ich bemerkte das aufkommende Flackern in seinem zuvor völlig ausdrucks losen Blick. »Ja, ich bin Romantur – der Chefarzt des Hospitals von Cherkan!« Eine stille Befriedigung erfüllte mich, aber ich ließ sie mir nicht anmerken. Dafür tat ich einen weiteren Schritt, indem ich die Anrede wechselte, wovon ich mir eine zu sätzliche Wirkung versprach. »Sie sind der Chefarzt Romantur«, nickte ich wie beiläufig. »Doch warum sind Sie nicht in Ihrem Hospital, um dort die Opfer der Unterernährung und der totalen Erschöp fung durch die schwere Arbeit zu betreuen, Romantur?« Die Züge des Arztes verzerrten sich. In seiner Seele war das erwacht, was auch bei meinem Pflegevater Fartuloon manchmal in den extremsten Situationen zum Vorschein kam – das Gewissen des Mediziners, der über das Wohl vieler anderer zu wachen hat! Er war dabei, zu erwachen, zu seinem frühe ren Selbst zurückzufinden – vielleicht nur noch ein kleiner Schritt … Doch dieser Schritt wurde nie getan! Es war inzwischen fast völlig dunkel ge worden, aber durch diese tiefe Dämmerung stach plötzlich ein greller Schein. Er erschi en von einem Augenblick zum anderen am Himmel und stand dort wie ein Polarlicht, aber nicht bunt und flackernd, sondern in ei nem gleichmäßigen weißen Schimmer. Er leuchtete fast so hell wie das Tageslicht, aber nur von der Seite des Gebirges her, während die Gegend, aus der ich gekommen war, dunkel blieb. Seine Wirkung war ge
30 spenstisch und machte mit einem Schlage al les wieder zunichte, was ich soeben behut sam angebahnt hatte. Der Mann vor mir zuckte zusammen und blieb dann stocksteif stehen. Im Widerschein des Lichtes von den Bergen sah ich, wie jene Regung aus seinen Zügen wich – sein Ge sicht verfiel förmlich, wurde zu einer leblo sen Maske. Der Blick seiner Augen verlor wieder jeden Ausdruck und nahm jene Star re an, die für Hypnotisierte typisch ist. Ro mantur stand mit hängenden Armen wie eine Statue vor mir, und ein rascher Blick zeigte mir, daß sich seine Gefährten im Hinter grund ebenso verhielten. Ich knirschte in ohnmächtiger Wut mit den Zähnen und spürte dann eine Bewegung neben mir. Erst jetzt bemerkte ich, daß Sera cia ebenfalls den Gleiter verlassen hatte und an meiner Seite stand. Ihre zuckende Hand griff nach meiner Rechten und verkrallte sich regelrecht darin, ihr zierlicher Körper bebte und preßte sich eng gegen den meinen. Sie suchte instinktiv bei mir Schutz gegen die brutale Vergewaltigung ihres Ichs durch einen weit überlegenen, gewissenlosen Geist. »Mascaren …!« flüsterte sie, dann versag te ihre Stimme. Ihr Körper kam zur Ruhe und nahm eben falls die gleiche Starre an, aber das hatte ich erwartet, und es verwunderte mich kaum. Sie schien eine stärkere Psyche zu besitzen als die meisten anderen Cherkaner, vielleicht verfügte sie auch über latente Paragaben. Doch auch sie hatte ein halbes Jahr lang un ter der ständigen Beeinflussung durch den fremden Suggestor gestanden und sich nur für eine Weile daraus gelöst, als sie durch meine Anwesenheit aufgerüttelt worden war. Aus! dachte ich und warf ihr einen mit fühlenden Blick zu, und dann fuhr ich un willkürlich zusammen. Auch ihr Gesicht hatte den maskenhaften Ausdruck angenommen, aber ihre Augen lebten! Sie waren weit aufgerissen und sa hen in die Ferne zu dem Licht am Himmel,
Harvey Patton doch sie zeigten eine unverkennbare Re gung: den Ausdruck panischer Furcht! »Seracia!« sagte ich leise und drängend. »Seracia, was ist?« Langsam, unter sichtlicher Anstrengung, öffneten sich ihre Lippen. »Der Prophet ruft!« hauchte sie dann kaum hörbar, und ihr Gesicht begann unkontrolliert zu zucken. »Wir müssen ihm gehorchen, sagt er … Er zürnt uns …« Ihre Stimme versagte, aber ich fand es er staunlich, daß sie nicht wie die anderen rea gierte; daß ein Rest von Leben, ein Funken ihrer eigenen Persönlichkeit trotz des massi ven Zugriffs des Fremden in ihr wachgeblie ben war. Ich wußte, daß ich sie nun unter stützen mußte, damit sie nicht ganz unterlag, und so setzte ich sofort nach. »Sprich weiter, Seracia!« forderte ich sie mit rauher Stimme auf. »Was sagt der Pro phet – was will er von euch?« Fast schien es, als wäre ihr stummer Kampf aussichtslos, als würde die fremde Stimme sie endgültig in ihren Bann zwingen. Dann aber drängte sich ihr Körper noch dichter an mich, und ihre Augen suchten die meinen. Erschüttert sah ich das Grauen in ihnen, und dann begann sie wieder stockend zu reden. »Der Prophet zürnt … weil ein Fremder zu ihm … vorgedrungen ist. Er hat ihn ge fangen … aber er will nicht … daß so etwas noch einmal geschieht. Er befiehlt, daß wir … daß wir jeden Fremden umbringen sollen … der zu uns kommt! Nur ihm sollen wir gehorchen … nur ihm …« Ihre Stimme verlor sich in einem tonlosen Gemurmel, und im gleichen Augenblick be gann das Licht über den Bergen zu verblas sen. Es verlor allmählich an Intensität, flackerte noch einmal kurz zu strahlender Helligkeit auf, als wolle es ein Fanal setzen – dann war es übergangslos dunkel um uns herum. Das Ganze mochte etwa zehn Minuten lang gedauert haben, doch diese Zeit war mir wie eine Ewigkeit erschienen. Ich war nun sicher, daß Seracia nie mehr ganz dem
Licht des Vergessens fremden Einfluß erliegen würde, und das ließ mich dankbar aufatmen. Doch nur für einen Augenblick, denn gleich darauf änder te sich die Lage abrupt wieder. Meine Augen hatten sich inzwischen an die schwache Helligkeit der verblassenden Dämmerung gewöhnt, und so bemerkte ich, wie plötzlich Leben in die schweigenden Gestalten vor mir kam. Wie auf ein unhörba res Kommando hin setzten sie sich in Bewe gung, zuerst langsam, dann mit überraschender Schnelligkeit. Eine Mauer aus dreißig Leibern schob sich auf mich und Seracia zu, und mein Logiksektor reagierte sofort. Sie wollen dich töten, wie es ihnen der Prophet befohlen hat! teilte er mir emotions los wie immer mit. Fliehe rasch – von jetzt ab bist du in Cherkan deines Lebens nicht mehr sicher. Trotzdem zögerte ich noch einige Sekun den, und das wäre mir fast zum Verhängnis geworden. Romantur, der vor den anderen gestanden hatte, erreichte uns zuerst und drang sofort mit erhobenen Fäusten auf mich ein. Sein Gesicht zeigte nicht die geringste Regung, doch in seinen Augen glomm das Feuer dämonischer Besessenheit. Er stand ganz unter dem Bann jenes gewissenlosen Propheten, nichts erinnerte mehr daran, daß er kurz zuvor nahe daran gewesen war, wie der halbwegs normal zu werden! Meine Hand griff nach dem Paralysator, doch auf halbem Wege stockte mein Griff. Ich brachte es einfach nicht fertig, auf diese unterdrückten Kreaturen zu schießen, nicht einmal, um sie nur zu lähmen. Statt dessen benutzte ich meine Beine. Ich drehte mich um und begann zu laufen, auf den etwa zwanzig Meter entfernten Glei ter zu, wobei ich Seracia hinter mir herzog. Sie wehrte sich nicht, aber sie verhielt sich vollkommen passiv, so daß ich sie fast mit schleifen mußte. Das behinderte meine Be weglichkeit natürlich sehr, und so langte Ro mantur fast zugleich mit uns bei dem Fahr zeug an. Es half nichts mehr – ich mußte mich ihm stellen! Mit einem energischen Griff schob ich
31 das Mädchen auf die offenstehende Kabi nentür des Gleiters zu, und sie stolperte re gelrecht hinein. Dann trommelten schon die Fäuste des früheren Arztes auf mich ein, und ich vernahm das Keuchen der Meute hinter ihm, die nur noch wenige Meter entfernt war. Wenn es diesen Leuten in ihrem blin den Wahn gelang, mich zu erreichen, war ich verloren … Automatisch war ich in Abwehrstellung gegangen und blockte die überraschend kräftigen Schläge des Angreifers ab. Dann setzte ich zu einem Dagorgriff an, der ihn durch die Luft wirbeln ließ und dem nach drängenden Haufen entgegenschleuderte. Ei nige der Leute fielen mit ihm zu Boden und bildeten dort ein wüstes Knäuel, das die an deren behinderte, und diesen kurzen Auf schub nutzte ich aus. Ich drehte mich um und hechtete förmlich in den Gleiter. Seracia war mir im Wege, und ich landete unsanft auf ihrem Schoß, aber es gelang mir wenigstens, die Tür des Fahrzeugs zu schließen. Es war höchste Zeit, denn schon drangen wieder die ersten An greifer nach. Einige von ihnen hatten plötz lich irgendwelche Gegenstände in den Hän den, und damit schlugen sie ziellos auf den Gleiter ein, nach dem ich ihrem Zugriff ent zogen war. Die Schläge trommelten schwer auf das Kabinendach, aber sie konnten ihm nichts anhaben, denn es bestand aus Panzerglas. Die Cherkaner erkannten das überraschend schnell, und sofort änderten sie ihre Taktik, ich vernahm keinen Laut der Verständigung, und doch scharten sich nun alle wie auf Kommando um das Fahrzeug und griffen zu. Sie versuchten, den Gleiter umzukippen, und dieses Vorhaben war durchaus nicht aussichtslos. Er war zwar schwer, doch die Seelenlosen entwikkelten erstaunliche Kräf te. Das Fahrzeug begann bereits bedenklich zu schwanken, als ich mich endlich über die erstarrt dasitzende Seracia hinweg auf den Fahrersitz vorgearbeitet hatte und die Kon trollen einschalten konnte. Der Antrieb kam
32 sofort, und mit einem harten Ruck setzte sich der Gleiter in Bewegung. Ich bremste schon nach wenigen Metern wieder, denn ich wollte nicht, daß eine An zahl der Unglücklichen mitgeschleift wurde und dadurch zu Schaden kam. Sie hatten sich an den Aufbauten festgekrallt, wurden nun aber durch den gegensätzlichen Ruck durchgerüttelt und verloren ihren Halt. Rasch schaltete ich den Antigrav ein und ließ das Fahrzeug in die Höhe schweben. Die Scheinwerfer blendeten auf, und dann sah ich etwas, das mir infolge der Dunkel heit bisher entgangen war. Ich hatte es nicht nur mit den etwa dreißig Angreifern zu tun gehabt –, nein, inzwischen waren mehrere hundert Bewohner von Cher kan auf den Platz geströmt! Die meisten wa ren irgendwie bewaffnet, und plötzlich zuck te aus dem Dunkel die Glutbahn eines Strah lers auf uns zu und schlug im Heck des Glei ters ein. Sie traf nicht voll, weil wir inzwischen weiter gestiegen waren, und das war unser Glück! Hätte der Schütze den Antrieb ge troffen, wäre das Fahrzeug wie ein Stein zu Boden gesackt, und dann wäre es um uns geschehen gewesen … Meine Faust schoß vor und krachte gegen den Aktivierungsschalter für den energeti schen Schutzschirm des Spezialfahrzeugs. Augenblicklich begann der kleine Konverter für die Versorgung der Projektoren zu grol len, und schon Sekundenbruchteile später legte sich das schützende Feld um den Glei ter. Es war aber wirklich höchste Zeit gewe sen! Weitere Strahlschüsse blendeten auf und trafen auch, aber ihre Energie verpuffte wir kungslos in dem Abwehrfeld. Ich kniff die Lippen zusammen, schaltete das Triebwerk hoch, und dann schossen wir mit Höchstbe schleunigung in den dunklen Himmel über der Stadt. Am Tage hatte ich noch unbehelligt und frei durch ihre Straßen gehen können – ein einziger Befehl des Propheten hatte genügt, um eine erbarmungslose Jagd auf mich aus-
Harvey Patton zulösen! Ich nahm Kurs auf die Berge, schaltete die Ortungsanlagen ein und ging auf Infra rot. Nun zeichnete sich das Gelände unter uns deutlich auf dem Bildschirm ab, und et wa zehn Kilometer von Cherkan entfernt entdeckte ich in dem hügeligen Gelände eine tiefe Mulde, die von hohem Wald umgeben war. Dort ließ ich das Fahrzeug niedergehen und schaltete bis auf die Innenbeleuchtung sämtliche Anlagen ab. Daß uns jemand ver folgen und auch finden würde, war ange sichts der den Cherkanern aufoktroyierten Aversion gegen jede Technik nicht zu be fürchten. Nun löste sich die Spannung, und ich konnte mich wieder um Seracia kümmern, die still vor sich hin schluchzte. Sie hatte al le Vorkommnisse bewußt erfaßt, das bewies mir ihr nun wieder vollkommen klarer Blick und später auch ihre Worte. Offenbar hatte sie der körperliche Kontakt zu mir davor be wahrt, wieder ganz dem Einfluß des ver derblichen Propheten zu erliegen. Ich tröstete sie, so gut ich konnte, und sie schmiegte sich vertrauensvoll an mich. Erst jetzt wurde mir bewußt, daß auch ich wäh rend der Lichterscheinung einen dumpfen Druck in meinem Gehirn gespürt hatte, aber ich schob den Gedanken daran einfach bei seite. Alles, was den fremden Unterdrücker betraf, hatte Zeit bis zum nächsten Tage – Seracia war lieb und reizend, und die Nächte auf Cherkaton waren lang …
7. Die Stimmung in dem Doppelpyramiden-Raum er der Varganin war immer noch gespannt. An Bord des Schiffes befand sich neben Ischtar nur Ra, der Barbar aus einem uner forschten Sonnensystem, der sie einst hatte lieben dürfen und ihr nun unrettbar verfallen war. In ihm tobte ein Zwiespalt von Gefüh len. Einerseits hatte er Atlan, dem rechtmäßi gen Kristallprinzen des arkonidischen Impe riums Treue geschworen. Seine Hand hatte
Licht des Vergessens auf dem Skarg gelegen, dem geheimnisvol len Schwert des dicken Bauchaufschneiders Fartuloon. »Für Atlan und Arkon! Auf Le ben und Tod!« hatte der Schwur gelautet, den er zusammen mit dem Magnetier Vorry geleistet hatte, und Ra war es ernst damit ge wesen. Andererseits jedoch liebte er Ischtar mit verzehrender Glut. Sie war seine Goldene Göttin, und im Anfang hatte er sich Atlan nur angeschlossen, um nach ihr suchen zu können, hatte geduldig viele Strapazen ertra gen. Dann hatte er sie wiedergesehen – doch Ischtar hatte sich Atlan zugewandt! Er aber hatte zusehen müssen, wie sie seine Gefühle mit Füßen trat … Das war fast mehr, als er ertragen konnte. In ihm brannte die Eifersucht wie eine un löschbare, lodernde Fackel, und zuweilen stieg in ihm regelrechter Haß gegen eben je nen Mann auf, dem er die Treue geschworen hatte! Liebe und Eifersucht hier, und Treue dort – sie führten einen unaufhörlichen Kampf miteinander. Aber: lebte Atlan überhaupt noch …? Seit den turbulenten Ereignissen auf Zer cascholpek, der Welt des Kyriliane-Sehers Vrentizianex, war er verschollen. Vieles hat te dafür gesprochen, daß er bei der verhee renden Explosion in einem Vulkankegel um gekommen war, und Ra hatte insgeheim auf geatmet. Wenn der Kristallprinz tot war, konnte er aufs Neue versuchen, die Gunst der Goldenen Göttin zu erringen! Nur des halb war er an Bord ihres Schiffes gegangen, während Fartuloon mit der FARNATHIA nach Kraumon geflogen war. Jetzt aber war er vom Ziel seiner Wün sche noch genauso weit entfernt wie zuvor … Ischtar hatte die Toten Augen des Sehers mit in ihr Schiff genommen, hatte nicht auf sein Werben geachtet, sondern unverwandt nur auf diese Augen gestarrt. Und dann war plötzlich das Unerwartete geschehen Atlans Gestalt war für kurze Zeit in ihnen zu sehen gewesen! Nur kurz, unklar und verschwom men, aber für Ischtar war das der Beweis ge
33 wesen, daß er immer noch am Leben war. Das war zuviel für Ra gewesen. Rasend vor Enttäuschung und Eifersucht hatte er sich auf die Toten Augen gestürzt und sie zerstört. An die darauf folgende Re aktion der Varganin dachte er auch jetzt nur noch mit Schaudern zurück. Er konnte von Glück sagen, daß er jetzt noch am Leben war! Lange Zeit hindurch hatte sie ihn dann mit Verachtung gestraft, und ihr eisiges Schweigen war wirklich eine Strafe für ihn gewesen. Ruhelos hatte sie ihr Schiff von Sonnensystem zu Sonnensystem gejagt, im mer in der Hoffnung, den Verschollenen zu finden vergeblich. Ganz langsam nur hatte sich das Verhält nis zwischen ihnen wieder halbwegs norma lisiert. Erneut war Hoffnung in dem Barba ren aufgekeimt, er hatte wieder begonnen, um ihre Gunst zu werben. Ischtars Anblick machte ihn fast verrückt, denn sie pflegte an Bord ihres Raumers meist unbekleidet zu gehen – und was konnte ihn mehr reizen als der Anblick der vollendet schönen Goldenen Göttin …? Sie aber reagierte nicht! Er konnte sagen, was er wollte, konnte bitten und flehen, sie ging nicht darauf ein. Sie blieb kühl und distanziert, unnahbar wie eine richtige Göttin. Seit einigen Tagen trug sie auch wieder Kleidung, und Ra begann allmählich zu verzweifeln. Nun kam er in die Zentrale des Doppelpy ramiden-Schiffs, um einen neuen Anlauf zu wagen. Doch schon bei seinem Eintritt sank sein Mut wieder, denn Ischtar streifte ihn nur mit einem abwesenden Blick ihrer gol denen Augen. Sie saß vor den Kontrollen und war dabei, den Raumer in ein neues Sonnensystem zu steuern, in dem sie ihre Suche nach Atlan fortsetzen wollte. Trotz stieg in Ra auf. Jeder sah in ihm im mer noch den Barbaren, aber das war er längst nicht mehr. Durch Hypnoschulung hatte er das Wissen eines gebildeten Arkoni den erlangt, und er konnte es auch anwen den, das hatte er oft genug bewiesen. Er hat
34 te auch gelernt, seine natürliche Wildheit zu bezähmen, wenn ihm das auch manchmal recht schwer fiel. Mit einer geschmeidigen Bewegung glitt er in den Sitz neben Ischtar und warf einen Blick auf den Hauptbildschirm, der die Son ne vor dem Schiff und ihre sieben Planeten zeigte. Er stieß einen kurzen Laut der Miß billigung aus und fragte dann mit rauher Stimme: »Wie lange willst du eigentlich diese sinnlose Suche noch fortsetzen, Ischtar? Sie ist sinnlos, glaube mir das! Atlan ist tot, dar an kann es gar keinen Zweifel mehr geben. Es wäre viel vernünftiger, wenn du …« Die Varganin sah ihn an, und ihr Blick brachte ihn zum Verstummen. Sie litt um den verschollenen Geliebten, aber sie zeigte es nicht offen. »Atlan lebt!« sagte sie schließlich mit spröder Stimme, in der nicht der geringste Zweifel mit schwang. »Ich habe sein Bild in den toten Augen gesehen, und wenn du sie nicht zerstört hättest …« Sie vollendete diesen Satz nicht, doch das war auch gar nicht nötig. Er enthielt auch so schon soviel Vorwurf und Zurechtweisung, daß Ra ihr fast dankbar war, als sie nicht weitersprach. Wieder einmal hatte sie ohne Mühe eine seiner Avancen abgeschlagen, ehe er noch recht damit begonnen hatte! Was war das nur für eine Frau? Ra wußte, welcher Leidenschaften sie fä hig war, denn sie hatte es ihm ausreichend bewiesen. Jetzt noch erschauerte er bei dem Gedanken an die Glückseligkeiten, die er durch sie erfahren hatte, damals auf seiner Heimatwelt. Sollte das alles wirklich nie wiederkehren, nur eines Mannes wegen, der vermutlich schon längst tot war …? Was sollte er noch tun? Ob er ihr seine Leidenschaft offen zeigte und sie bestürmte, ihn zu erhören, oder ob er es mit Vernunftar gumenten versuchte – es kam immer auf dasselbe hinaus! Plötzlich klang ein feiner, heller Summton durch die Schiffszentrale, und Ischtar sah verwundert auf. Dann aber flogen ihre Hän-
Harvey Patton de nur so über eine Anzahl von Hebeln und Knöpfen. Das Funkgerät des Doppelpyramiden-Raum ers hatte angesprochen! Eine wilde Hoff nung zuckte durch den Kopf der Varganin. Kam dieser Anruf vielleicht von Atlan – meldete er sich, um ihr zu sagen, wo sie ihn finden konnte? Der Frequenzsucher pendelte sich auto matisch auf den fremden Sender ein, und dann breitete sich Enttäuschung in Ischtar aus. Nein, das konnte nicht Atlan sein, diese Welle war ihm bestimmt nicht bekannt. Wer war es aber dann? Es mußte ein Vargane sein, soviel stand für sie fest. Nur Angehörige ihrer Rasse be nutzten diese geheime Frequenz im Hyper bereich, und stets nur, um Notrufe auszusen den. Doch es gab nur noch wenige Varganen außerhalb der Eisigen Sphäre, und auf sie wartete der Tod durch Magantilliken, den unerbittlichen Henker! »Was ist?« fragte der Barbar, der unruhig geworden war. Ischtar zuckte mit ihren wohlgeformten Schultern, bequemte sich aber dann doch zu einer Antwort. »Jemand aus meinem Volk sendet einen Notruf«, erklärte sie mit gerunzelter Stirn. »Seine Stimme ist nicht zu hören, er benutzt nur einen Signalgeber, der einen bestimmten Rhythmus ausstrahlt. Jedes varganische Schiff kann diese Signale auffangen, in jedem Bereich der Galaxis, sonst aber nie mand. Ich werde den Ausgangsort anpeilen und dann anfliegen – ich kann dem Rufer meine Hilfe nicht verweigern, selbst wenn es Magantilliken sein sollte.« »Könnte er es sein?« erkundigte sich Ra. Ischtar nickte kurz, während ihre Hände neue Schaltungen durchführten. »Das ist sogar sehr gut möglich, denn au ßer ihm und mir gibt es vermutlich kaum noch Varganen im Bereich dieser Milchstra ße. Alle anderen hat er ja bereits umgebracht …« Es dauerte nur Sekunden, dann hatten die ausgeklügelten Geräte einer uralten, aufs höchste vollendeten Technik ihre Aufgabe
Licht des Vergessens
35
erfüllt. Der Ausgangsort des Notsignals war bestimmt und gespeichert, ein Knopfdruck genügte, um ihn in die Spezialsektoren der Steueranlagen zu überspielen. Schon Sekun den später schwang das Schiff herum und verließ das namenlose System, in das es ge rade erst eingeflogen war. Ischtar war dem fremden Rufer fast dank bar, lenkte er sie doch von einer Suche ab, die sie mittlerweile selbst schon als fast sinnlos ansah. Im Stillen hoffte sie sogar darauf, daß es Magantilliken war – er war schließlich als letzter mit Atlan zusammen gewesen! Vielleicht konnte er ihr, als Gegenleistung für ihre Hilfe, sagen, wo sich der Geliebte befand …
8. Die Sonne des Planeten Cherkaton schien bereits durch die Kuppel des Gleiters, als ich erwachte. Ich streckte mich wohlig, und dann fiel mein Blick auf das Mädchen neben mir. Se racia lag halb zusammengerollt auf dem zu einer bequemen Liege verwandelten Neben sitz und im Schlaf sahen ihre Züge gelöst und friedlich aus. Ich betrachtete sie mit ei nem leichten Lächeln voller Zuneigung – sie war nicht nur in allgemeiner Hinsicht be merkenswert, sondern auch als Geliebte! Das sieht dir wieder einmal ähnlich! mel dete sich auch prompt mein Extrasinn. Auf Cherkaton ist der Teufel los, dieser fremde Prophet hat Magantilliken in seine Gewalt gebracht – aber du denkst nur an solche Dinge … Ich grinste still vor mich hin. Was wußte dieses so ungeheuer intelligente und logi sche Anhängsel meines Gehirns schon von den Dingen, die jeder richtige Mann braucht …? Doch schon nach Sekunden wurde ich wieder ernst. Ich dachte an das, was nun vor mir lag, an die Aufgabe, die ich durchführen mußte, wenn ich diese Welt wieder verlas sen wollte.
Als erstes mußte es mir gelingen, den Propheten der Unwissenheit irgendwie aus zuschalten, und allein das war schon ein Un ternehmen, das voller Unwägbarkeiten steckte. Ich wußte nichts von ihm, von der Tatsache abgesehen, daß er mit einem hava rierten Raumschiff nach Cherkaton gekom men war. Ich kannte die Machtmittel nicht, über die er noch verfügte, aber sie mochten nicht unbeträchtlich sein. Immerhin hatte er trotz der schweren Schäden an seinem Schiff nicht nur ein halbes Planetenjahr überlebt, sondern war auch sehr aktiv gewesen! Doch, eines seiner Mittel kannte ich – sei ne unheimliche Gabe, andere Intelligenzen paramental zu beeinflussen –, und der Ge danke daran bereitete mir eine Menge Unbe hagen. Schließlich hatte er vermutlich auf diese Weise Magantilliken überwältigt, und der varganische Henker war beileibe kein leichter Gegner. Magantilliken war mein zweites Problem. Wenn ich den Fremden unschädlich ma chen konnte, mochte es mir relativ leicht ge lingen, auch ihn in meine Hand zu bekom men. Falls mir das jedoch nicht gelang, mußte ich trotzdem versuchen, ihn irgendwie zu befreien. Wichtig war vor allem, daß ich ihn lebend bekam – wenn er als Folge meines Eingreifens getötet wurde und sein Geist sich in die Eisige Sphäre zurückzog, hatte ich nichts gewonnen! Dann stand ich wieder ganz am Anfang, und mir blieb nichts weiter übrig, als zum SKORGON zurückzukehren und dort mit der Suche nach dem Unterbrecher zu begin nen. Das war nicht nur eine lange und schwierige Aufgabe, es bestand auch die Gefahr, daß die Cherkaner das kleine Schiff angriffen und zu zerstören versuchten. War der Prophet erst einmal auf meine Anwesen heit aufmerksam geworden, hatte ich auf dieser Welt vermutlich keine ruhige Minute mehr … Genug gegrübelt! schaltete sich wieder mein Extrahirn ein. Deine Überlegungen sind richtig, aber sie bringen dich auch nicht weiter. Du mußt handeln, alles weitere
36 ergibt sich dann von selbst. Ich sah wieder auf Seracia, und im glei chen Augenblick schlug sie die Augen auf, als hätte sie meine Blicke gefühlt. Über ihr Gesicht flog ein freudiges Lächeln, und sie streckte einen Arm nach mir aus, aber ich ergriff nur ihre Hand und hielt sie fest. Für andere Dinge war jetzt nicht die Zeit. »Wie fühlst du dich, Seracia?« erkundigte ich mich. »Mir geht es gut, Mascaren«, gab sie zu rück und erwiderte meinen Händedruck. »Fast möchte ich glauben, daß ich alles nur geträumt habe, daß es gar keinen Propheten gibt.« »Es gibt ihn, Mädchen!« knurrte ich grim mig. »Er beherrscht immer noch Cherkaton; erst wenn er ausgeschaltet ist, werden deine Leute wieder zu sich selbst zurückfinden. Ich will das versuchen – willst du mich be gleiten?« Sie nickte. »Natürlich, Mascaren, jetzt habe ich keine Angst mehr. Ich werde dir vielleicht kaum helfen können, aber du sollst wenigstens nicht allein in die Berge fliegen.« Es war erstaunlich, wie sehr sie sich seit dem vergangenen Tage verändert hatte. Ihr Geist schien in keiner Weise mehr gehemmt zu sein, sie sprach und gab sich vollkommen natürlich. Das bewies, daß die Bewohner von Cherkan eine reelle Chance hatten, wie der in ihr normales Dasein zurückzufinden, wenn der verhängnisvolle Einfluß des Frem den erst einmal von ihnen genommen war. Vielleicht würde sie mir wirklich kaum von Nutzen sein, aber ich mochte sie trotz dem nicht allein in die Stadt zurückkehren lassen. Die Bewohner hatten sie in meiner Gesellschaft gesehen, es war also durchaus möglich, daß sie nun auch gegen sie vorgin gen. Ich warf einen Blick aus dem Fahrzeug und sah in etwa hundert Metern Entfernung einen kleinen Teich mit kristallklarem Was ser. Er kam mir sehr gelegen, denn in dem Gleiter gab es keine Waschgelegenheit, also zog ich Seracia hoch. Sie folgte mir willig,
Harvey Patton und gleich darauf tummelten wir uns im Wasser. Es war angenehm kühl, wogegen die Luft sich bereits wieder merklich er wärmt hatte. Mit Wohlgefallen betrachtete ich den schlanken, biegsamen Körper des Mäd chens, als wir wieder aus dem Wasser stie gen, aber ich hielt mich zurück. Falls Sera cia deswegen enttäuscht war, verstand sie es geschickt zu verbergen. Wir kleideten uns wieder an, gingen zu dem Fahrzeug zurück, und ich suchte uns eine kräftige Morgen mahlzeit heraus. Dann jedoch wurde es ernst. Ich schloß die Kuppel des Gleiters, starte te das Triebwerk und ging auf Kurs. Die Richtung, aus der das Licht am Abend ge kommen war, hatte ich mittels der Instru mente im Fahrzeug ziemlich genau lokali siert. Außerdem verfügte es über leistungs fähige Massetaster, denen eine so große Me tallmenge, wie sie ein Raumschiff darstellte, gar nicht entgehen konnte. Natürlich hielt ich den Gleiter stets so niedrig wie möglich und flog nur langsam. Ich mußte unbedingt vermeiden, daß wir ge ortet oder sonst irgendwie bemerkt wurden! Meine Absicht war, mich ungesehen mög lichst nahe an den Standort des Prohpheten heranzuarbeiten, um erst einmal die Lage zu erkunden und danach mein weiteres Vorge hen einrichten zu können. Wir flogen durch die Täler zwischen den Vorbergen, und allmählich stieg das Gelän de immer weiter an. Bald ragten die eigentli chen Berge vor uns auf, die den Charakter eines normalen Mittelgebirges hatten, und nach einiger Zeit sprachen die Massetaster an. Sofort nahm ich Fahrt weg und drückte den Gleiter noch weiter hinunter. Allerdings bemerkte ich bald, daß die georteten Metall massen noch keineswegs das gesuchte Schiff sein konnten, dafür waren die Aus schläge der Taster viel zu gering. Gleich darauf konnte ich sie auch optisch wahrneh men, und dadurch wurde diese Annahme be stätigt.
Licht des Vergessens Eine ganze Anzahl von Trümmerstücken lag in weitem Umkreis auf dem Felsboden verstreut. Man konnte sofort sehen, daß sie großer Hitze durch die Luftreibung ausge setzt gewesen waren, denn das Metall hatte sich bläulich verfärbt. Außerdem mußten sie mit großer Wucht aufgekommen sein, denn ich sah nur noch Fragmente. Diese Teil stücke waren offenbar durch die Explosion vom eigentlichen Schiffskörper gelöst wor den, von der der Mann im Informationszen trum gesprochen hatte. Ein Trümmerteil war besonders groß, und ich beobachtete es sorgfältig mehrere Minu ten lang. Dann sah ich einige kleine Pelztie re, die unbesorgt in seiner Nähe nach Nah rung suchten, und das bewies, daß es in ihm kein Leben mehr gab. Damit hatte ich auch nicht ernsthaft ge rechnet, doch ich mußte vorsichtig sein. Im merhin war von einem etwa 300 Meter lan gen Schiff die Rede gewesen, und ein sol ches mußte einige hundert Mann Besatzung gehabt haben, wenn ich arkonidische Maß stäbe zum Vergleich heranzog! Ich ließ den Gleiter wieder steigen und flog in einen langen Canyon ein, der mir gu te Deckung bot. Immer wieder sah ich prü fend zu Seracia hinüber, die still neben mir saß, und horchte in mich hinein, aber ich be merkte keinerlei Anzeichen einer paramen talen Beeinflussung, weder bei ihr noch bei mir. Das ist kein Beweis! teilte mir mein Lo giksektor ungerührt mir. Der hervorste chendste Charakterzug einer hypnosuggesti ven Beeinflussung ist, daß der Betroffene nichts davon bemerkt und sowohl sich wie auch seine Umgebung kritiklos für normal hält. Doch ich kann dich beruhigen noch bist du es! Das klang gut, aber im nächsten Moment kam mir ein Gedanke, der mich zur Vorsicht mahnte. Wie würde sich mein Extrahirn verhalten, falls ich in den unmittelbaren Wirkungsbe reich dieses überstarken Suggestors geriet? Konnte es dabei unbeeinflußt bleiben – oder
37 würde es dann nicht ebenso irgendwelchen falschen Vorspiegelungen erliegen wie mei ne normalen Sinne …? Es gab mir darauf keine Antwort, und das sagte mir genug. Ich mußte auf alles gefaßt sein!
* Wir hatten den Canyon hinter uns gelas sen, dann ein kleines Hochplateau überflo gen und ein dahinter liegendes kesselförmi ges Tal durchquert. Nun steuerte ich den Gleiter durch eine tiefe Schlucht zwischen zwei Berggipfeln, und hier fanden sich wei tere Spuren. Neue Trümmer mußten sich von dem Schiffstorso gelöst haben und wa ren in die bewaldeten Berghänge gestützt. Sie hatten Lücken in den Baumbestand ge schlagen, und an einigen Stellen waren Brände ausgebrochen, die aber keine große Ausdehnung erfahren hatten. Inzwischen hatte sich neue Vegetation ausgebreitet, doch die Spuren waren noch deutlich er kennbar. Ich wurde noch vorsichtiger, hielt das Fahrzeug dicht an der Flanke des rechts ge legenen Berges und ließ es dicht über den Baumwipfeln dahingleiten. Bald verbreiterte sich die Schlucht und gab den Ausblick in ein langgezogenes, muldenförmiges Tal frei, hinter dem die nächsten Berge aufragten. Ein Summton unterrichtete mich davon, daß die Energieortung ansprach, und sofort nahm ich die Fahrt ganz weg. Ich setzte den Gleiter auf einem kleinen flachen Felsvor sprung ab, von dem ich den Großteil des Ta les überblicken konnte, und schaltete alle Anlagen bis auf die Ortungen ab. Wir waren am Ziel! Das fremde Schiff war mitten in dieses Tal gestürzt. Sollte das ein reiner Zufall ge wesen sein, oder hatte seine Besetzung noch die Bremstriebwerke einsetzen können, um es vor einem Zerschellen am nächsten Berg zu bewahren? Vermutlich das letztere! sagte mein Lo giksektor sofort. Der Fallwinkel des Raum
38 ers scheint sehr flach gewesen zu sein, und dieses Tal liegt einfach zu tief. Ich starrte durch die Fahrzeugkuppel nach vorn und konnte nun das ganze Ausmaß der Zerstörung erkennen. Offenbar hatten die Triebwerke des Schiffes nur noch sehr man gelhaft gearbeitet, denn es mußte mit großer Wucht aufgeschlagen sein. Über mehrere hundert Meter hinweg war der Boden aufge rissen und bildete eine breite Furche, unter der der nackte Fels zu sehen war. Dort war der Raumer nach dem Aufkommen weiter geschlittert, bis sein Bug gegen die nächste Felswand geprallt war. Dieser Anprall schien dann eine zweite verheerende Explosion ausgelöst zu haben; anders war es nicht zu erklären, daß sich der Schiffskörper völlig in seine Bestandteile aufgelöst hatte, die nun in weitem Umkreis verstreut lagen. Trotzdem waren viele dieser Trümmer noch so groß, wie mehrstöckige Häuser, und einige davon schienen relativ unversehrt. Allerdings bemühte ich mich vergeblich, aus ihnen Anhaltspunkte über das ursprüng liche Aussehen des Raumers zu gewinnen und seinen Typ zu bestimmen. Ich mußte mich auf die Angaben des Sprechers im In formationszentrum von Cherkan verlassen und stimmte mit ihm überein, daß es sich hier um ein Fahrzeug einer vollkommen un bekannten Rasse gehandelt haben mußte. »Werden wir hier den Propheten finden?« fragte Seracia leise, die diese Szene der Ver nichtung mit weit aufgerissenen Augen be trachtete. Ich strich ihr leicht über das Haar. »Ich hoffe es«, gab ich kurz zurück und las dann die Angaben ab, die mir die Ener gieortung lieferte. Sie registrierte die typi sche Streustrahlung einiger arbeitender Atomkonverter, ich ließ die Antenne kreisen und bestimmte ihre Positionen. Als Aus gangsort stellte ich zwei größere Schiff stei le in ungefähr sechshundert Meter Entfer nung fest. Sie hatten ein bizarres Aussehen, denn sie waren vollkommen unregelmäßig geformt,
Harvey Patton und abgeknickte Verstrebungen und Reste zerrissener Versorgungsleitungen ragten wie riesige Tentakel aus ihnen hervor. Und doch mußte sich in einem dieser Trümmerberge der unheimliche Fremde befinden – vermut lich eingeschlossen und unfähig, sich zu be freien, aber trotzdem immer noch sehr le bendig. Die Antenne kreiste weiter, und plötzlich erschien auf dem Oszillographen des Or tungsgerätes eine besonders ausgeprägte Amplitude. Ich fuhr zusammen, denn ich er kannte sofort, daß sie das Vorhandensein ei nes energetischen Feldes anzeigte, bei dem es sich nur um eine Art von Fesselfeld han deln konnte. Ein Energieschirm also ähnlich den Schutzschirmen eines Raumschiffs; al lerdings nicht, um gegen Einflüsse von au ßerhalb zu schützen, sondern um jemanden festzuhalten, der sich in seinem Wirkungs bereich befand … Dort dürfte Magantilliken zu finden sein! lautete die kurze Schlußfolgerung meines Logiksektors. Ich nickte unwillkürlich, denn das erschi en mir sehr wahrscheinlich. Das betreffende Schiffsteil war nicht weiter als zweihundert Meter entfernt, aber es gelang mir trotzdem nicht, dort Einzelheiten zu erkennen. Eine Baumgruppe entzog es meinen Blicken, und auch der Bildschirm half mir nicht weiter. Trotzdem war ich optimistisch. Bisher schien mich der Fremde noch nicht entdeckt zu haben, denn es war keine Reaktion von seiner Seite erfolgt. Wenn ich nun ausstieg, den Felsvorsprung verließ und mich seitlich davon vorarbeitete, befand ich mich in aus reichender Deckung durch Bäume und Buschgruppen, konnte also von den weiter hinten befindlichen Trümmern aus nicht zu sehen sein. Ich hatte also gute Aussichten, den Ort zu erreichen, an dem sich der varga nische Henker befand. Er hatte vermutlich nicht gewußt, was ihn hier erwartete, denn er hatte es versäumt, sich die Informationen zu besorgen, über die ich verfügte. Ich dagegen war gewarnt, und wenn ich mich nicht gar zu ungeschickt an
Licht des Vergessens
39
stellte, konnte es mir durchaus gelingen, ihn zu befreien. Auf Dankbarkeit von seiner Sei te hatte ich zwar kaum zu rechnen, aber be stimmt konnte ich ihn dazu bewegen, an der Ausschaltung des fremden Suggestors mit zuwirken. Ich schaltete die Ortungen ab und wandte mich an Seracia. »Du bleibst hier im Gleiter«, bestimmte ich. »Ich gehe jetzt hinaus, um die Lage zu erkunden. Sollte mir dabei etwas zustoßen, versuche nicht, mir zu helfen – starte das Fahrzeug und bringe dich in Sicherheit.« Ich hatte mit einer mehr oder weniger ängstlichen Reaktion von ihr gerechnet, aber nun erlebte ich eine gewaltige Überra schung! »Ich denke nicht daran!« sagte das Mäd chen mit entschlossenem Gesicht. »Jetzt bin ich wieder ganz in Ordnung, und ich weiß sehr gut, was ich dann zu tun habe: Ich schalte den Schutzschirm des Gleiters ein und nehme die beiden Trümmerstücke da hinten, von denen die Konverterstrahlung ausgeht, mit dem Geschütz unter Feuer!« Ich staunte mit offenem Mund – alles hät te ich erwartet, nur nicht das … Seracia begann amüsiert zu lächeln. »Hast du mich für ein kleines Dummerchen gehal ten?« fragte sie fast provozierend. »Mein Vater war vor dem Eintritt der Katastrophe Polizeioffizier, und ich habe ihn oft genug auf seinen Einsätzen begleitet, deshalb weiß ich genau Bescheid. Mach den Mund wieder zu, Mascaren, und geh los. Ich gebe dir Deckung!« »In Ordnung«, gab ich heiser zurück, nahm meine Waffen an mich und kletterte aus dem Fahrzeug. »Die größten Überraschungen wirst du stets bei den Frauen erleben«, hatte mir mein Pflegevater Fartuloon schon vor langer Zeit prophezeit. Er hatte wieder einmal Recht be halten, der alte Bauchaufschneider!
* Der Abstieg zum Talboden war nicht
schwierig. Ich bewegte mich mit aller Vor sicht, nutzte jede Deckung aus und brauchte einige Minuten, bis ich unten angelangt war. Dann ging ich gebückt weiter zur anderen Seite der Schluchtmündung, und nun sah ich auch, was sich dort befand, wo es das Fes selfeld gab. Es war ebenfalls ein Trümmerstück, aber relativ unbeschädigt, fast kubisch mit einer Kantenlänge von etwa zwanzig Metern. Es schien zu einem Labortrakt gehört zu haben, denn in den übereinander angeordneten Räu men, die ich voll einsehen konnte, erblickte ich die Überreste von Anlagen, die zweifel los wissenschaftlichen Zwecken gedient hat ten. Fast an seiner Basis, nur etwa zwei Me ter über dem Boden, führte ein mehr als mannshoher und ungefähr genauso breiter Korridor ins Innere dieses Schiffsfragments. Das sieht direkt einladend aus, wie? frag te mein Extrasinn. So muß es auch Magan tilliken aufgefaßt haben, und prompt ist er in eine Falle des Propheten gegangen! Die Sonne schien voll von der Seite her in das Tal, und ich begann bald zu schwitzen. Ich blieb im Schatten einiger Büsche stehen, um mir den Schweiß abzuwischen, doch in halber Höhe blieb meine Hand in der Luft hängen. Bisher hatte ich nur vermutet, daß sich der varganische Henker in diesem Trümmerstück befand – jetzt hatte ich die Gewißheit! Etwa zehn Meter vor dem Fragment stand ein kleiner Gleiter arkonidischer Bauart. Ob er aus dem SKORGON stammte oder aus Cherkan, war nicht zu erkennen, spielte aber auch keine Rolle. Nur Magantilliken konnte damit gekommen sein, es war nun also nur noch eine Frage von Minuten, bis ich ihn fand. Vergiß nicht das Fesselfeld! mahnte mein Logiksektor, aber das hätte ich ohnehin nicht getan. Ich schlich mich bis zu dem Gleiter vor, blieb in seiner Deckung stehen und nahm das kleine Meßgerät vom Gürtel, das ich aus meinem Gleiter mitgebracht hat te. Es handelte sich um eine relativ einfache Ausführung, doch es erfüllte seinen Zweck.
40 Mit seiner Hilfe konnte ich leicht feststellen, daß sich das kugelförmige, etwa drei Meter durchmessende Feld ungefähr im Mittel punkt des Trümmerstückes rechts neben dem Korridor befand. Konnte ich es riskieren, gleichfalls den Einstieg zu wagen? Ich überlegte kurz und entschied mich dann dafür. Der varganische Henker war of fenbar vollkommen sorglos in das Tal einge flogen, dabei natürlich beobachtet und fest gesetzt worden, als er sich in der Falle be fand. Daß diese automatisch funktionierte, war kaum anzunehmen, und mich hatte bis her noch niemand bemerkt. Es war also kaum zu befürchten, daß mir nun das gleiche Schicksal widerfuhr. Mein Extrahirn meldete sich nicht, war al so der gleichen Meinung. Ich bewegte mich weiter, nahm dann einen kurzen Anlauf und sprang in die Höhe. Beim ersten Zugriff rutschten meine Finger ab, und ich plumpste auf den aufgewühlten Boden zurück; doch beim zweiten Mal schaffte ich es. Meine Hände fanden an dem geriffelten Boden des Korridors halt, ich stemmte die Beine gegen die gezackte Seitenwand darunter und hatte nun keine Mühe mehr, mich hochzuziehen. Das alles hatte einiges Geräusch verur sacht, und ich verharrte eine Weile auf der Stelle, um etwaige Reaktionen abzuwarten, bereit, mich sofort wieder abzusetzen. Se kundenlang geschah nichts, doch dann hörte ich etwas: Magantillikens Stimme! Sie klang dumpf und schwach, aber es war eindeutig ein Hilferuf. Das erleichterte mich, und ich mußte unwillkürlich grinsen, denn bisher war er immer der Stärkere ge wesen. Absichtlich antwortete ich ihm nicht, denn ich wollte die Verblüffung auskosten, die er bei meinem Anblick empfinden muß te. Er hielt mich mit Sicherheit für tot, denn er konnte ja nicht ahnen, daß ich durch die Einwirkung der neuen Waffe der Maahks in den Mikrokosmos geraten war. Aus dem Gleiter hatte ich auch eine starke Handlampe mitgenommen und vor meiner
Harvey Patton Brust befestigt. Ich schaltete sie nun ein und drang langsam weiter in den dunklen Korri dor vor, während ich sorgfältig das kleine Meßgerät beobachtete. Als mir seine Anzei gen verrieten, daß ich mich dicht vor dem tückischen Fesselfeld befand, blieb ich ste hen. In diesem Augenblick sah ich den Hen ker. Er trat aus einem Raum hinaus auf den Korridor, schloß für einen Moment geblen det die Augen, riß sie dann aber um so wei ter auf, als er mich erkannte. »Sie, Atlan …?« preßte er ungläubig hervor. Ich nickte grimmig. »Jawohl, ich bin es! Überrascht Sie mein Anblick? Sie sehen gar nicht erfreut aus, ob wohl ich doch gekommen bin, um sie zu be freien. Im Grunde hätte ich gar nichts dage gen, Sie in dieser Falle zu belassen, aber lei der brauche ich Sie, wenn ich mit dem SKORGON von Cherkaton wegkommen will.« Magantilliken bot in seiner schmucklosen Kombination, die er notgedrungen auf Trantagossa hatte anlegen müssen, längst nicht den imposanten Anblick wie in der prächtigmakabren Kleidung des vargani schen Henkers. Sein bronzefarbenes Gesicht war bleich, seine Augen zeigten einen ge hetzten Schimmer, als er nun soweit vortrat, wie es das ihn umgebende Sperrfeld zuließ. »Helfen Sie mir hier heraus, Atlan!« fleh te er. »Ich hatte keine Ahnung, was mich hier erwartete, als ich zu den Trümmern die ses Schiffes kam. Jetzt weiß ich es – ich kann hier nur wieder heraus, wenn die Ener giestationen zerstört werden, die sich irgendwo in den anderen Trümmern dieses Schif fes befinden!« Ich sah ihn mißtrauisch an. »Das soll ich Ihnen glauben, Magantilli ken? Sie haben doch immer den bequemen und risikolosen Ausweg, in die Eisige Sphä re zurückzukehren, wenn es einmal brenzlig für Sie wird. Warum erzählen Sie mir jetzt solche Lügen?« »Ich lüge nicht«, gab der Vargane erregt
Licht des Vergessens
41
zurück. »Natürlich können Sie meine Situa tion nicht begreifen, denn Sie wissen ja längst noch nicht alles, aber …« »Wie wäre es, wenn Sie mich aufklären würden?« schlug ich lauernd vor. Magantil liken zögerte und schien zu schwanken, doch dann kehrte der übliche überlegene Ausdruck in seine goldenen Augen zurück. »Warum sollte ich?« knurrte er abwei send. »Sie sind schließlich auf mich ange wiesen, wenn Sie diese Welt wieder verlas sen wollen, vergessen Sie das nicht! Befrei en Sie mich, dann werden Sie alles erfah ren.« Er hat recht! gab mir mein Logiksektor zu verstehen. Jetzt ist nicht die Zeit für un nütze Reden, jede ungenutzte Minute kann dich der Entdeckung durch den Propheten näherbringen. Dann seid ihr wahrscheinlich beide verloren! Ich sah das zwar ein, doch ich war nicht gewillt, ihm so ohne weiteres nachzugeben. »Sie wissen ja auch nicht alles von mir«, konterte ich kühl. »Verraten Sie mir, wie ich das SKORGON wieder startklar bekomme, dann können wir weitersehen! Sie sind min destens ebenso auf mich angewiesen, wie ich auf Sie – ist Ihnen das nicht klar?« Der varganische Henker schwieg und überlegte. Ich sah seinem Gesicht an, daß er bereits dazu neigte, mir Konzessionen zu machen, als ein Ereignis von außen her alles wieder umstieß. Plötzlich verzerrte sich Ma gantillikens Gesicht, und ein unverkennbarer Ausdruck der Furcht zeigte sich in seinen Zügen. »Hören Sie es nicht?« flüsterte er heiser. »Der Prophet ruft!«
* Konnte das stimmen …? Ich lauschte in mich hinein, doch ich ver nahm nichts. Ich erwartete so etwas wie eine innere Stimme zu hören, ähnlich den Impul sen meines Extrahirns, doch alles blieb ru hig. So schüttelte ich nach einigen Sekunden den Kopf und wandte mich wieder an den
Henker; ich hatte ihn im Verdacht, lediglich ein Ablenkungsmanöver zu inszenieren. »Damit kommen Sie bei mir nicht durch, Magantilliken!« gab ich ablehnend zurück. »Lassen Sie doch derartige Mätzchen und werden Sie endlich konkret – oder wollen Sie nicht hier heraus?« Der Vagane hob die Hände zu einer be schwörenden Geste. »Sie werden es auch noch hören, warten Sie nur ab!« stieß er heiser hervor. »Handeln Sie schnellstens und zerstören Sie die Anla gen in den anderen Schiffsfragmenten – vielleicht werden Sie bald nicht mehr dazu imstande sein!« »Wollen Sie mich geradewegs ins Verder ben schicken?« fragte ich mißtrauisch. »Um Sie freizubekommen, muß es doch genügen, die Feldprojektoren abzuschalten oder zu zerstören, die sich irgendwo hier drinnen be finden. Warum also soll ich mich unbedingt in Gefahr begeben?« Magantilliken preßte beide Hände gegen den Kopf und begann zu stöhnen. Er schien einen innerlichen Kampf gegen unsichtbare Gewalten zu führen, und als er wieder sprach, klang seine Stimme leise und stockend. »Hier gibt es keine Projektoren begreifen Sie das doch endlich, Sie sturer Arkonide! Das Feld wird an anderer Stelle erzeugt und durch Richtstrahler oder ähnliche Einrich tungen in diesen Kubus abgestrahlt, verste hen Sie doch!« Ich war mir immer noch nicht schlüssig, ob ich ihm vertrauen durfte, aber nun melde te sich mein Logiksektor wieder. Er spricht vermutlich die Wahrheit! infor mierte er mich. Im übrigen solltest du dich wirklich beeilen spürst du nicht den Druck in deinem Kopf? Ich wollte gerade verneinen, doch da wur de ich eines Besseren belehrt in meinem Ge hirn schien tatsächlich etwas Anomales vor zugehen! Was es war, ließ sich nicht genau definieren, aber es ähnelte den Vorgängen am Abend zuvor, denen ich kaum Beach tung geschenkt hatte. Diesmal kam aber
42 noch etwas hinzu: ein seltsames Gefühl der Taubheit in meinem Kopf, das alle Denkvor gänge zu hemmen schien. Instinktiv setzte mein Gehirn zur Abwehr an, unterstützt durch belebende Impulse meines Extrahirns, und augenblicklich wur de es wieder besser. Doch ich wußte nun, daß der Prophet dabei war, auch nach mir zu greifen, und das spornte mich an. Rasch wandte ich mich wieder dem Henker zu. »Was wissen Sie über den Propheten und seine Machtmittel?« erkundigte ich mich sachlich. »Welche Anhaltspunkte können Sie mir für mein Vorgehen gegen ihn ge ben?« Magantilliken schien sich wieder etwas erholt zu haben, denn seine Antwort kam klar und deutlich. »Ich kann Ihnen so gut wie gar nichts sa gen, Atlan. Eigentlich wollte ich nach der Flucht von Trantagossa eine unserer Versun kenen Welten finden, aber das gelang mir nicht. Dafür entdeckte ich in den Speichern des SKORGONS die Koordinaten von Cher katon, und so bin ich schließlich hier gelan det. Die Ortungen zeigten mir die Trümmer dieses Schiffes, und ich hielt es nicht für ausgeschlossen, daß es ein Raumer meiner Rasse gewesen sein könnte. Natürlich hat mich das seltsame Verhalten der Kolonisten verwundert, aber ich habe mich nicht weiter um sie gekümmert, denn sie waren unge fährlich für mich. Daß hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht, bemerkte ich erst, als die Falle hier zuschnappte …« »Der Prophet!« drängte ich, denn der fremde Einfluß auf mein Gehirn wurde wie der stärker. »Was wissen Sie von ihm?« Magantilliken lächelte düster. »Er nennt sich nicht umsonst Prophet der Unwissen heit, denn er saugt tatsächlich alles Wissen aus den Gehirnen anderer. Bei mir ist ihm das allerdings nicht gelungen, weil mein Ge hirn eine besondere Struktur aufweist, und so hat er die Versuche schließlich aufgege ben. Es kam sogar zu einer kurzfristigen Kommunikation mit ihm, die allerdings fruchtlos blieb. Das Schicksal aller anderen
Harvey Patton Lebewesen scheint ihm vollkommen gleich gültig zu sein, und darum hat er sich konse quent geweigert, mich wieder freizugeben. Aus gutem Grund, denn wenn ich mit einer varganischen Ausrüstung nach Cherkaton zurückkäme, wäre es bald um ihn gesche hen! So aber weiß ich nicht, woher er stammt und welcher Rasse er angehört. Ich weiß lediglich seinen Namen. Er nennt sich Letschyboa.« Ich sah ihn ungläubig an. »Ist das auch ganz sicher, Magantilliken? Oder heißt er in Wirklichkeit ganz anders, und der ihnen übermittelte Name ist nur so etwas wie ein Synonym? Letschyboa ist nämlich eindeutig ein arkonidischer Name!« Der varganische Henker hob die Schulter. Der Einfluß des Suggestors, den ich nun im mer deutlicher spürte, schien auch ihm wie der zu schaffen zu machen. »Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß, Atlan. Gehen Sie jetzt endlich und un ternehmen Sie etwas, ehe es zu spät ist! Sonst sind wir vielleicht beide verloren …«
9. Als ich ins Freie kam, sah ich sofort das Licht. Wie eine gleißende Säule von schmerzender Helligkeit stieg es von dem näher gele genen der beide anderen großen Trümmer hoch in den Himmel. Ich sprang auf den Bo den hinunter und mußte mich sofort abwen den, um nicht geblendet zu werden, und das dumpfe Gefühl in meinem Schädel steigerte sich zu einem Pochen von geradezu schmerzhafter Intensität. Langsam ging ich weiter und sah zu mei nem Gleiter hinauf, der infolge seiner Tarn farbe auf dem braungelben Untergrund kaum zu erkennen war. Ich nahm die Zielop tik meines Impulsstrahlers zu Hilfe und er kannte dann, daß Seracia auf ihrem Sitz zu sammengesunken war und sich nicht mehr rührte. Hier in der unmittelbaren Nachbar schaft des Suggestors mußte sie unter der Wucht der von ihm ausgehenden Impulse re
Licht des Vergessens gelrecht zusammengebrochen sein! Trotzdem konnte ich mich jetzt nicht um sie kümmern, denn ich hatte genug mit mir selbst zu tun. Mir war flüchtig der Gedanke gekommen, mich des Gleiters zu bedienen und damit einen Angriff zu fliegen, doch ich hatte die se Erwägung rasch wieder verworfen. Die Feuerkraft der kleinen Strahlkanone war be stimmt nicht zu verachten, aber es erschien mir trotzdem fraglich, ob ich damit etwas ausrichten konnte. Wer über eine Technik verfügte, die es ihm ermöglichte, ein Fessel feld nicht nur zu erzeugen, sondern über fast einen Kilometer hinweg auf den Meter ge nau zu projizieren, der konnte auch mehr! Richtig überlegt! stimmte mir mein Lo giksektor zu. Für den Propheten dürfte es eine Kleinigkeit sein, um sein Domizil herum einen Schutzschirm zu legen, an dem deine Strahlschüsse wirkungslos abprallten. Ver mutlich würdest du dazu aber gar nicht nahe genug herankommen – er hätte dich schon abgeschossen, ehe du auch nur hundert Me ter weit geflogen wärst! Diese Impulse kamen so leise, daß ich mich anstrengen mußte, um sie verstehen zu können. Offenbar war mein Extrahirn voll damit ausgelastet, die Ausstrahlung des Sug gestors von meinem Gehirn fernzuhalten oh ne seine Hilfe wäre ich jetzt vermutlich gar nicht mehr imstande gewesen, überhaupt et was Sinnvolles zu tun! Ich kniff die Lippen zusammen und be mühte mich, das Pochen in meinem Schädel zu ignorieren, aber das gelang mir nur sehr unvollkommen. Noch konnte ich logisch und folgerichtig denken, aber ein gewisser Verzögerungseffekt machte sich immer deutlicher bemerkbar. Ich brauchte nun schon mindestens doppelt so lange als ge wöhnlich, meine Überlegungen anzustellen, und es schien laufend noch schlimmer zu werden. Magantilliken hatte recht: Ich mußte schnell handeln, sonst kam ich vielleicht überhaupt nicht mehr dazu! Ich fiel in einen langsamen Lauf, hielt
43 mich an der linken Seite des Tales und nutz te jede Deckung aus. Mir war klar, daß ich nur dann eine Chance hatte, den Fremden zu erreichen und auszuschalten, wenn ich unge sehen in seine Nähe käme. Ein gequältes Lächeln flog über mein Ge sicht, als ich nun wieder an Seracia dachte. Sie war so sicher gewesen, mir helfen zu können, und nun war sie noch weit hilfloser, als zu dem Zeitpunkt, wo ich sie fand … Nach einigen Minuten war ich auf glei cher Höhe mit den beiden großen Schiffs fragmenten gekommen und hielt an, um eine Weile Atem zu schöpfen. Das Licht, das von dem näher gelegenen Trümmerstück aus ging, war inzwischen bedeutend schwächer geworden, aber immer noch sehr hell. Auch das Pochen in meinem Schädel hatte etwas nachgelassen, doch dafür wurde das seltsa me Gefühl der Taubheit stärker. Es war, als würde mein Gehirn sozusagen schrittweise paralysiert und immer mehr in seiner Tätig keit behindert. Ich wollte mich gerade daran machen, in die durch den Absturz des Schiffes entstan dene Mulde hinabzusteigen, als ich zusam menzuckte und wie gebannt stehenblieb. Deutlich merkte ich, wie die bisherige Abschirmung durch mein Extrahirn sich ab schwächte, und nun drangen deutlich akzen tuierte Impulse des fremden Suggestors auch bis in mein Bewußtsein durch. Worte form ten sich in meinem Gehirn und reihten sich zu Sätzen, monoton, doch mit einer Ein dringlichkeit, die mich atemlos zuhören ließ. »Ich, der Prophet der Unwissenheit, rufe alle!« sagte diese geisterhafte Stimme. »Nur in der Einfachheit und Unwissenheit liegt das wahre Glück, darum hört auf mich. Streift alles von euch ab, das unnatürlich ist und euer Leben nur belastet – straft die so genannte Technik mit Verachtung, die eu rem Glück im Wege steht! Es ist besser, wenn einer alles weiß, als viele nur wenig. Ich denke für euch alle – hört auf mich und tut nur das, was ich euch sage! Meine An weisungen zu eurem Wohle …« Abrupt verstummte die monotone Stimme
44 in meinem Gehirn. Ich erwachte wie aus ei nem Traum und ertappte mich dabei, daß ich gerade den Impulsstrahler aus seiner Hülle gezogen hatte und achtlos wegwerfen woll te, dorthin, wo bereits der Parlaysator lag …! Ich, habe die Kontrolle wiedererlangt! meldete sich im selben Moment mein Extra hirn. Du warst mindestens fünf Minuten lang geistig vollkommen weggetreten, verehrter Kristallprinz … Nimm deine Waffen wieder auf und beeile dich, den Propheten unschäd lich zu machen – ich weiß nicht, wie lange ich die Abschirmung noch aufrechterhalten kann! In meinem Kopf schmerzte und pochte es nach wie vor, aber ich war wieder Herr mei ner Sinne, nachdem ich zuvor vollkommen den Einflüsterungen des Suggestors erlegen war. Rasch nahm ich meine Waffen wieder an mich, stieg über den aufgewühlten und verbrannten Boden in die Mulde und beweg te mich auf die Quelle des Lichtes zu. Hier unten blendete es kaum und die inzwischen wieder nachgewachsene Vegetation bot mir immer wieder Deckung, so daß ich bald bis auf zwanzig Meter an das Trümmerstück herangekommen war, das wie ein kleiner, unregelmäßig geformter Berg vor mir auf ragte. Doch weiter kam ich nicht … Plötzlich wurde es um mich herum leben dig – Roboter griffen mich an! Es waren un gefähr mannshohe, zylindrisch geformte Maschinen aus einem stumpfgrauen Metall, mit je vier vielgelenkigen Beinen und eben sovielen tentakelartigen Armen, mit denen sie seltsam geformte, plump aussehende Waffen hielten. Sie hatten mich bereits er wartet und es geschickt verstanden, sich zu verbergen; nun tauchten sie überall rings um mich herum auf. Ich wollte den Impulsstrahler hochreißen, um mich zu verteidigen, doch ein scharfer Impuls meines Extrahirns hinderte mich dar an. Ergib dich, du Narr! foderte mein Logik sektor kategorisch. Gegen mindestens zwan-
Harvey Patton zig Roboter kannst du nichts ausrichten, das sollte dir eigentlich klar sein. Sie werden dich nun zweifellos zu ihrem Herrn bringen – wenn dieser dich nicht völlig unter geisti ge Kontrolle nimmt, ist das die beste Chan ce, ihn zu vernichten! Ich gehorchte sofort, blieb ruhig stehen und ließ mir wiederstandslos die beiden Waffen abnehmen. Die Roboter begnügten sich damit, zwei von ihnen umfaßten mich mit ihren Tentakeln und schoben mich auf einen Eingang in dem Schiffsfragment zu, der durch einen flimmernden Energievor hang gesichert war. An eine Leibesvisitation dachten sie nicht – dafür dachte ich an die Mikrobombe, die ich in einer Tasche meiner Kombination trug! Die Energiesperre fiel vor uns zusammen, und wir gelangten in einen erleuchteten Kor ridor. Das Gros der Roboter blieb zurück, doch die beiden, die mich führten, hielten mich mit eisernem Griff, aus dem es kein Entkommen gab. Sie schoben mich eine steile Rampe empor, ein Schott glitt zur Sei te, und ich wurde in einen großen, hell er leuchteten Raum gedrängt.
* Letschyboa war ein großer, schlanker Ar konide mittleren Alters. Früher einmal muß te er eine kräftige, sportlich durchtrainierte Figur besessen haben, aber jetzt war er nur noch ein Schatten seines einstigen Selbst. Sein Gesicht war bleich, wirkte verfallen und war von erschreckender Magerkeit, ebenso wie sein Körper, der in einem ver schlissenen Anzug steckte. Er saß in einem merkwürdig geformten Sessel vor einem fremdartigen Kontrollbord, über dessen Skalen in unregelmäßiger Folge bunte Lichter zuckten. Über seinem Kopf hing eine Metallhaube, von der aus Kontakte zu seinen Schläfen führten, während die Haube durch Kabel mit dem Kontrollbord verbunden war. Mechanische Verstärkung von PsiImpulsen! stellte mein Extrasinn sofort fest.
Licht des Vergessens Es genügt, wenn du diese Anlage zerstörst, dann ist Cherkaton wieder frei. Aufatmend bemerkte ich, daß plötzlich je der fremde Einfluß aus meinem Gehirn ge wichen war. Nach den vorherigen Qualen war das ein so herrliches Gefühl, daß ich es voll auskostete, bis mich der Prophet auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Zuvor hatte er mir den Rücken zuge wandt, jetzt sah er mich an. Er hatte die Haube von seinem Kopf entfernt, die Kon trollichter waren erloschen, doch dafür sah ich seine brennenden Augen, die groß und unnatürlich geweitet waren. »Wer sind Sie?« stieß er heiser hervor. Seine Stimme klang schleppend wie die eines Mannes, der seit langer Zeit hatte schweigen müssen. Vermutlich war das auch der Fall gewesen, denn ich hatte bei den Ro botern keinerlei Sprechwerkzeuge entdek ken können. Doch wie reimte sich das zu sammen? Irgendwie hatte er sie dirigieren müssen, denn er war schließlich ihr Herr, und von telepathisch empfindsamen Robo tern hatte ich nie zuvor gehört. »Mein Name ist Mascaren«, gab ich lako nisch zurück. »Ich bin durch Zufall auf diese Welt gekommen und fand sie in einem Zu stand des völligen Chaos vor. Was haben Sie aus Cherkaton gemacht – und warum haben Sie so etwas Widersinniges getan?« Ein heiseres Gelächter brach aus der Keh le des Mannes hervor. Er lachte so lange, bis ihm die Luft wegblieb und er nach Atem rin gen mußte. »Ich heiße Letschyboa«, sagte er dann tonlos. »Ja, ich bin der Prophet der Unwis senheit, aber ich bin es keineswegs freiwil lig! Es war reiner Zufall, daß ich mich zur Jagd hier in den Bergen befand, als das Schiff abstürzte, und diesen Zufall habe ich schon tausendfach verflucht …« Seine Augen füllten sich mit Tränen, die langsam über seine Wangen rannen, als er fortfuhr: »Ich weiß selbst nicht mehr, wie ich hierher gekommen bin. Plötzlich fand ich mich in dieser fremden Umgebung wie der, von fremdartigen Robotern umgeben –
45 entsetzt und unfähig, etwas zu begreifen. Und dann kam die fremde Stimme, von der ich bis heute noch nicht weiß, wem sie ei gentlich gehört! Sie klang in mir auf, unter drückte brutal jeden Widerstand und schrieb mir vor, was ich zu tun hatte. Ich habe es getan, denn ich hatte keine Wahl. Die Roboter schlossen mich an diese Haube an, und dann wurde mein Ich von dem fremden Wesen übernommen, das für all das verantwortlich ist. Zuerst diente ich ihm gewissermaßen nur als Katalysator, als Vermittler, der seine Befehle über diese An lage an die Arkoniden von Cherkan weiter gab. Ich mußte pausenlos hier sitzen und kam nur zuweilen zu mir, wenn ich von den Robotern betreut und gefüttert wurde. Doch schon nach kurzer Zeit hatte ich keinen eige nen Willen mehr – der Fremde hatte den sei nen so tief in mir verankert, daß ich automa tisch immer weiter seine Befehle aussandte, ohne daß ich neue Anweisungen bekam.« Ich hatte erschüttert zugehört, und wartete auf einen Kommentar meines Extrahirns, doch dieser blieb aus. Hier gab es auch kaum noch etwas zu kommentieren, die Tatsachen sprachen für sich selbst. Doch etwas anderes fiel mir auf. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie selbst nicht wissen, um wen es sich bei dem Unbe kannten handelt?« fragte ich entgeistert. Let schyboa wischte sich über das Gesicht und nickte dann müde. »Ich weiß es tatsächlich nicht, Mascaren, so widersinnig das auch klingen mag! Es hat zwischen ihm und mir nie einen gegenseiti gen Gedankenaustausch gegeben, deshalb konnte ich nichts über seinen Namen, seine Gestalt oder Herkunft erfahren. Die Roboter aber sind stumm, wenn sie auch sonst sehr konsequent und sinnvoll handeln; sie schei nen ihre Befehle gleichfalls telephatisch zu empfangen und haben nie zugelassen, daß ich dieses Schiffsteil verließ. Ich weiß ledig lich, daß sich der Fremde in einem anderen Trümmerstück befinden muß, denn in den hiesigen Räumen ist er nicht.« »Sie haben also nicht veranlaßt, daß ich
46 gefangengenommen wurde, und daß der Mann, der gestern hier ankam, in einem Fes selfeld festgesetzt wurde?« erkundigte ich mich weiter. Letschyboa schüttelte den Kopf. »Daß gestern jemand gekommen ist, er fuhr ich erst durch die Botschaft, die ich ge stern abend aussenden mußte. Seine Ankunft scheint den Fremden sehr beunruhigt zu ha ben, denn er befahl mir daraufhin, die Sug gestivsendungen wieder in kürzeren Abstän den abzustrahlen. Zuvor hatte es genügt, sie jeden Abend einmal zu senden, um die Cherkaner unter Kontrolle zu halten und sie gewissermaßen für den nächsten Tag zu pro grammieren.« Er schwieg erschöpft, und man konnte ihm ansehen, daß er dieses Dasein unter dem fremden Zwang nicht mehr lange würde aus halten können. Es grenzte schon fast an ein Wunder, daß er es so lange ertragen hatte, ohne dabei wahnsinnig zu werden. Zudem litt er offenbar an chronischer Unterernäh rung, seine Versorgung durch die Roboter schien bei weitem nicht ausreichend zusein. Die Maschinenwesen hatten mir den klei nen Proviantbeutel an meinem Gürtel gelas sen, ich holte eine Dose mit Fleisch daraus hervor und reichte sie ihm. Letschyboa nahm sie mit einer Hast, die fast schockie rend wirkte und wartete kaum ab, bis sich der Inhalt erwärmt hatte. Trotzdem aß er dann nicht gierig, sondern eher bedächtig, als hätte ich ihm eine wahre Delikatesse ge geben – er war trotz allem ein bemerkens werter Mann! Als er sich dann zurücklehnte, leuchteten seine müden Augen. »Danke, Mascaren!« sagte er schlicht und warf die Dose in einen Abfallvernichter neben seinem Sitz. »Ich hätte nie geglaubt, daß mir einfaches Hubba kelfleisch einmal so munden würde … Re den wir jetzt weiter, ich weiß nicht, wie lan ge meine augenblickliche Handlungsfreiheit noch anhalten mag.« »Konnten Sie denn von sich aus nichts an Ihrer Lage ändern?« fragte ich. »Es hätte doch genügt, diese Anlagen hier zu zerstö-
Harvey Patton ren, um Ihre Knechtschaft zu beenden und der Schreckensherrschaft über Cherkaton ein Ende zu setzen.« Letschyboa hob die Hände mit einer resi gnierenden Geste. »Nichts würde ich lieber tun als das, aber es geht einfach nicht! In dieser Hinsicht bin auch ich programmiert – für mich sind diese Geräte eindeutig tabu, verstehen Sie? Ich kann sie wohl bedienen, aber sobald ich auch nur versuche, einen falschen Handgriff zu tun, wird eine geistige Sperre wirksam. Oh, er hat sich gut abgesichert, mein anony mer Herr!« Wieder schien ihn die Erschöpfung zu übermannen, er fiel förmlich in sich zusam men und atmete schwer. In diesem Augen blick meldete sich mein Logiksektor mit ei ner Stärke, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Hast du dich noch gar nicht gefragt, wes halb dich die Roboter nach deiner Gefan gennahme hierher gebracht haben, anstatt dich zu töten? fragte er und in dieser Frage klang so etwas wie Panik durch. Ich kann es dir sagen: Der Fremde weiß, daß Letschy boa sowohl geistig wie auch körperlich fast am Ende ist – er hat dich dazu ausersehen, sein Nachfolger zu werden … Das war es also! In mir war schon längst die Frage aufge taucht, warum ich bisher so schonend be handelt worden war, doch ich hatte sie ver drängt, weil es wichtigere Dinge zu erfahren galt. Jetzt sah ich auf einmal klar, und ein ei siger Schrecken kroch lähmend durch meine Glieder. Ich war heimlich und bewaffnet hier an gekommen, mit der offenbaren Absicht, die Anlagen in den Schiffsfragmenten zu zerstö ren. Doch die Ankunft Magantillikens schi en das fremde Wesen aufgeschreckt und zu erhöhter Vorsicht veranlaßt zu haben. Nach dem es mir aber trotzdem gelungen war, ihm so nahe zu kommen, ehe ich bemerkt wurde, hatte es sich schnell auf die Lage eingestellt und ausgesprochen zweckmäßig gehandelt. Jetzt war ich sein Gefangener, von seelen
Licht des Vergessens losen Robotern umgeben und durch Energie sperren eingeschlossen, die ich ohne techni sche Hilfsmittel unmöglich durchbrechen konnte. Und ich würde nicht einmal die Spur einer Chance bekommen, das doch irgendwie zu versuchen – ein einziger konzentrier ter Suggestivimpuls des Fremden würde sehr bald aus mir ein ebenso willenloses Ge schöpf machen, wie Letschyboa war …! Handle, solange du noch dazu imstande bist! drängte mich der Logiksektor beschwö rend. Zünde die Mikrobombe ohne Rücksicht auf Letschyboa oder dich selbst – besser ein rascher Tod als ein Weiterleben in völliger geistiger Knechtschaft für dich und alle Ar koniden auf Cherkaton! Wie von selbst fuhr meine Hand zu der Tasche, in der die kleine Bombe ruhte, doch auf halbem Wege hielt ich wieder inne. Mein natürlicher Selbsterhaltungstrieb hatte sich eingeschaltet und verhinderte, daß ich diese aus reiner Panik geborene Handlung beging. Gab es nicht doch noch einen anderen Ausweg? Mußte es sein, daß ich hier mein Leben wegen eines einzigen fremden We sens übereilt opferte? Mein von Emotionen unbelasteter Logiksektor forderte es katego risch, doch meine Gefühle sprachen eindeu tig dagegen! Wenn ich hier starb, waren alle Aussich ten dahin, die restlichen Mörder meines Va ters zu richten und dem arkonidischen Impe rium wieder die Freiheit von der Schreckensherrschaft Orbanaschols III. zu geben. Dann waren alle bisherigen Anstren gungen umsonst gewesen – und was sollte dann aus Fartuloon und meinen anderen Ge fährten werden …? Ich stand unschlüssig da und kämpfte mit mir selbst, und diese stumme Auseinander setzung war eine der schwersten meines bis herigen Lebens. Ich konnte zu keiner ein deutigen Entscheidung kommen, suchte ver zweifelt nach einem anderen Ausweg … und fand ihn nicht! Dann nahm mir das Schicksal selbst die Entscheidung ab, denn abrupt änderte sich
47 die Lage um mich herum. Ich vernahm ein schmerzliches Aufstöh nen, und das rief mich wieder in die Realität zurück. Der Laut war von Letschyboa ge kommen, der sich plötzlich steil aufgerichtet hatte und mit dem seelenlosen Blick eines Mannes in Trance vor sich hinsah. Mit stei fen, marionettenhaften Bewegungen griff er nach der Haube über sich und preßte die Kontakte an seine Schläfen, dann griff er nach den Schaltungen am Kontrollbord. Wieder zuckten dort die bunten Lichter auf, und gleichzeitig überfiel mich ein Kopf schmerz, der alles inden Schatten stellte, was ich in dieser Hinsicht je erlebt hatte. Ich krallte beide Hände um meinen Kopf und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, mein Blick verschleierte sich. Nur ein einzi ges instinktives Verlangen erfüllte mich noch: Hinaus aus diesem Raum, der die Quelle all diesen Schreckens war! Ich taumelte hinaus auf den Korridor und erhielt dort einen so heftigen Stoß, daß ich vor Schmerz aufschrie. Dieser Schmerz übertraf selbst den in meinem Kopf, ich schlug schwer gegen eine Wand und fand für eine Weile in die Wirklichkeit zurück. Roboter kamen aus anderen Räumen zum Vorschein, hasteten an mir vorbei und über die Rampe dem Ausgang zu. Sie beachteten mich nicht, und einer von ihnen war in sei nem blinden Eifer mit mir zusammenge prallt. Völlig benommen bewegte ich mich ebenfalls nach unten, als sie aus meinem Ge sichtsfeld entschwunden waren. Ich mußte mich an der Wandung abstützen, und bei je der unvorsichtigen Bewegung spürte ich die Schmerzen in meiner Brustplatte, gegen die mich der Stoß eines Maschinenwesens ge troffen hatte. Dafür ließen nun die Schmerzen in mei nem Kopf spürbar nach, und ich konnte mei ne Umgebung wieder klar erkennen. Aufat mend stellte ich fest, daß das Energiefeld vor dem Ausgang nicht mehr existierte, und so hastete ich gleichfalls ins Freie. Dort empfing mich die Hitze des Planeten
48 fast wie ein zweiter Schlag, während es in dem Schiffsteil angenehm kühl gewesen war. Augenblicklich brach mir der Schweiß aus allen Poren und nun erst wurde mir voll bewußt, wie sehr mich die verschiedenen Attacken doch geschwächt hatten. Meine Knie drohten nachzugeben, und ich konnte mich gerade noch an dem Rest einer Ver strebung festhalten, um nicht zu fallen. Keu chend stand ich da und sah hinter der Schar von etwa dreißig Robotern her, die sich in größter Eile zu dem anderen großen Schiffs fragment begaben und darin verschwanden. Was mochte nur geschehen sein? Die Lichtsäule war verschwunden, und auch die Suggestivimpulse hatten völlig auf gehört. Irgend etwas Gravierendes mußte sich ereignet haben, doch ich wußte nicht, was, und auch mein Extrahirn ließ mich im Stich. Offenbar war es ebenso angegriffen wie ich und mußte auch erst wieder neue Kräfte sammeln. Einige Meter weiter gähnte ein Loch in dem Trümmerstück, und dort gab es Schat ten. Als ich mich etwas erholt hatte, wollte ich mich dorthin begeben, um Schutz vor den sengenden Strahlen der Sonne zu su chen, aber gleich nach den ersten Schritten stieß ich mit dem Fuß gegen einen metalli schen Gegenstand. Ich sah zu Boden und er kannte meinen Paralysator, den die Roboter offenbar achtlos weggeworfen hatten, woge gen der Impulsstrahler nirgends zu sehen war. Mir war klar, daß mir diese Waffe gegen die Maschinenwesen kaum helfen konnte, aber ich hob sie trotzdem auf. Dann drückte ich mich in das schattige Loch und sah gleich darauf, wie die Roboter wieder aus dem anderen Schiffsteil zum Vorschein ka men. Etwa ein Dutzend von ihnen trug einen großen, länglichen Behälter aus stumpfgrau em Metall, und damit bewegten sie sich in großer Eile wieder in meine Richtung zu rück. Fliehe, solange noch Zeit dazu ist! sagte mein Extrasinn matt. Jetzt sind sie zu sehr beschäftigt, um auf dich zu achten, aber
Harvey Patton wenn sie erst wieder … Mehr vernahm ich nicht, denn nun brach plötzlich ein Suggestivimpuls von ungeheu rer Stärke über mich herein. Es konnte sich dabei keinesfalls um die von Letschyboa ausgesandten Rufe handeln – das hier war etwas vollkommen anderes! Mein Körper erstarrte wie in einer schwe ren Paralyse. Nur meine Augen lebten noch, sonst war ich stocksteif – ich vermochte kaum noch Luft zu holen, so übermächtig war der Bann, in dem ich mich befand. In diesem Augenblick begriff ich, was die Roboter da transportierten nur nützte mir dieses Wissen nichts mehr …
10. Von diesem Moment an überstürzten sich die Ereignisse. Ein großer Körper schien sich vor die Sonne zu schieben, denn plötzlich lag ein Schatten über dem Tal. Da ich mich in dem Loch befand, konnte ich nicht sehen, was ihn verursachte, aber ich sah, wie der Zug der Roboter plötzlich ins Stocken kam. Im nächsten Moment änderten sie ihre Richtung um neunzig Grad und hasteten mit dem Me tallkasten nun auf den nächsten Berghang zu, wo eine tiefe Schlucht zu erkennen war. Sie kamen nicht weit! Ein leises Pfeifen wie von verdrängten Luftmassen klang auf, und dann schwebte ein länglicher Körper von links in mein Ge sichtsfeld. Er kam immer tiefer, und ich er kannte ihn als eine Antigravscheibe – und auf dieser befanden sich Ischtar, meine Gol dene Göttin, sowie Ra, der Barbar …! Ich wollte vor lauter Erleichterung auf schreien, aber auch meine Stimmbänder wa ren gelähmt. So mußte ich vollkommen pas siv stehenbleiben und zusehen, was nun ge schah. Ischtar und Ra hielten Strahlwaffen in ih ren Händen, und damit eröffneten sie nun das Feuer auf den Behälter zwischen den Robotern. Feurige Kaskaden von schmel zendem Metall sprühten nach allen Richtun
Licht des Vergessens gen davon, und dann klang in meinem Geist ein so jämmerliches telepathisches Wehkla gen auf, daß sich mir förmlich die Haare sträubten. Da schrie ein Wesen in höchster Todesnot, das erkannte ich sofort! Dieser Schrei konnte kaum länger als ein oder zwei Sekunden gedauert haben, aber das erschien mir wie eine Ewigkeit. Ich glaubte schon, diesen Zustand nicht mehr länger ertragen zu können, als er plötzlich abrupt verstummte – und im gleichen Mo ment war ich wieder frei und konnte mich bewegen! Und das war gut so, denn seitlich von mir war eine Gestalt aufgetaucht, die mit einem Impulsstrahler auf die Antigravscheibe schoß … Es war Letschyboa, den offenbar sein Be herrscher in höchster Not zur Hilfe herbeibe ordert hatte. Der seit langer Zeit versklavte Mann tat mir leid, aber ich mußte eingreifen, um weiteres Unheil zu verhindern. Der breit gefächerte Strahl aus meinem Paralysator er faßte ihn voll und ließ ihn haltlos zusam menbrechen. Die Roboter rührten sich ebenfalls nicht mehr. Ihre Bewegungen hatten im gleichen Moment aufgehört, in dem das fremde We sen gestorben war, dessen telepathische Be fehle nun ausgeblieben waren. Der teilweise zerstörte Behälter in ihrer Mitte krachte zu Boden, und dann herrschte in dem Tal eine geradezu unheimliche Stille. Ich trat ins Freie und winkte, und dann er scholl von oben her ein Ruf höchster Über raschung: »Atlan – du bist hier …?« »Sollte ich nicht?« fragte ich trocken zu rück, als die Antigravscheibe neben mir ge landet war. Ischtar schüttelte fassungslos den Kopf, aber in ihren goldenen Augen stand ein fro hes Leuchten. »Natürlich bin ich froh, dich endlich wiedergefunden zu haben, Kristall prinz«, gab sie zurück und fiel mir in die Ar me, was Ra mit ausgesprochen finsterer Miene registrierte. »Eigentlich hatte ich aber damit gerechnet, auf Magantilliken zu tref fen, denn ich empfing einen Notruf, der nur
49 von ihm stammen konnte. Ist er hier?« Ich deutete mit dem Daumen in Richtung des Trümmerstücks, in dem er sich befand. »Er befindet sich dort hinten, wo er in ei ne Falle jenes unheimlichen Wesens geraten ist, das diese Welt ein halbes Jahr lang hyp nosuggestiv unterdrückt hat. Hast du eine Ahnung, wer oder was das gewesen ist?« Ischtar nickte und löste sich aus meinem Arm. »Das war ein Blorbone, aber jetzt kann er bestimmt kein Unheil mehr anrichten. Für mich ist Magantilliken jetzt wichtiger – hat er seine varganische Ausrüstung bei sich?« Ich verneinte, und sofort sprang Ischtar auf die Antigravscheibe zurück. Ich ahnte, was sie vorhatte, wollte ihr folgen und sie zurückhalten, doch es war bereits zu spät. Die Scheibe stieg auf und glitt davon, und so resignierte ich. Ich sah nach Letschyboa, aber dessen Be täubung mußte noch einige Zeit anhalten. So ging ich langsam auf den Behälter zu, in dem sich die Überreste jenes Fremden be fanden, der das Chaos über Cherkaton ge bracht hatte. Ein gräßlicher Gestank wie nach ver branntem Fleisch schlug mir entgegen, aber ich ließ mich davon nicht abschrecken. Ich fand einen armlangen Eisensplitter, der in der Nähe herumlag, erkletterte den etwa an derthalb Meter hohen und drei Meter langen Kasten, und sprengte damit seinen teilweise zerschmolzenen Deckel auf. Ich sah ein Gewirr von Kabeln und Lei tungen, die zweifellos zu einem Lebenser haltungssystem gehörten, und in ihrer Mitte eine zum Teil verbrannte gewaltige Masse von graubrauner Farbe, die mich an ein rie siges Gehirn erinnerte. Unwillkürlich zog ich mich schaudernd wieder zurück, denn ich hatte genug gesehen. Von diesem form losen, monströsen Etwas war also das Un heil ausgegangen, das eine hoffnungsvolle arkonidische Kolonie schon fast vernichtet hatte … Langsam begab ich mich zu dem anderen Schiffsfragment zurück, über dem in etwa fünfhundert Meter Höhe unbeweglich das
50 Doppelpyramiden-Schiff Ischtars hing. Also hatte mir Magantilliken doch nicht alles ge sagt, als ich ihn inmitten des Fesselfeldes gefunden hatte! Hätte er mir nur ein Wort von dem Notruf berichtet, den er irgendwie abgestrahlt hatte, wäre alles anders gekommen. Dann hätte ich Bescheid gewußt und völlig anders reagiert aber nun war es zweifellos zu spät für ihn. Diese Vermutung bestätigte sich, als Isch tar und Ra wenig später zu mir zurückkehr ten. »Diesmal habe ich ihn erwischt!« verkün dete die Goldene Göttin, als sie von der Scheibe sprang. »Magantilliken war gerade dabei, mit Hilfe eines Gleiters zu fliehen, denn er hatte natürlich mein Schiff bemerkt. Doch ohne seine gewohnte Ausrüstung hatte er keine Chance – jetzt ist er wieder in der Eisigen Sphäre und kann uns so bald nicht mehr schaden!« Ich schüttelte bedrückt den Kopf. »Ich habe noch versucht, dich zurückzu halten und dir alles zu erklären, aber du wolltest ja nicht auf mich hören. Diesmal ist die Sachlage vollkommen anders: Es war Magantilliken nicht gestattet, wieder in die Sphäre zurückzukehren, ehe er nicht seinen Auftrag erfüllt hatte! Das hatte er nicht – jetzt ist er vermutlich wirklich tot, nicht nur sein Körper …« Ras dunkles Gesicht verzog sich zu einem humorlosen Grinsen. »Na und – was ist schon dabei? Dann haben wir jetzt endlich Ruhe vor ihm; er hat uns wirklich genug Schwierigkeiten bereitet, meine ich.« Ischtar hob ihre wohlgeformten Schultern. Ihre Blicke drückten Zweifel aus. »Ich weiß nicht, ob wir uns auch darauf verlassen können«, entgegnete sie langsam. »Er hat es zwar gesagt, aber damit ist noch längst nichts bewiesen! Vielleicht haben ihn seine Auftraggeber selbst getäuscht, um ihn zu entschlossenerem Handeln anzuspornen – für die Beherrscher der Eisigen Sphäre ist alles möglich. Ich jedenfalls würde mich nicht wundern, wenn wir ihm irgendeines unschönen Tages wieder begegnen …«
Harvey Patton »Wovor uns die Götter behüten mögen!« knurrte Ra, und ich war ganz seiner Mei nung. Diesem Henker hatte ich soviele un angenehme Erlebnisse zu verdanken, daß mein Bedarf daran vollauf gedeckt war. Ein Stöhnen lenkte uns ab. Letschyboa kam wieder zu sich. Da mein Paralysator nur auf schwache Leistung und obendrein auf Fächerstrahl eingestellt gewe sen war, klang seine Lähmung bereits wie der ab. Ich half ihm auf, aber er konnte noch nicht wieder stehen. Zusammen mit Ra hob ich ihn auf die Antigravscheibe, und der Barbar gab ihm etwas zu trinken. Ischtar sah mit leicht gerunzelter Stirn zu. »Was ist das für ein Mann?« erkundigte sie sich mißtrauisch. »Er hat schließlich auf uns geschossen vielleicht sollten wir ihn tö ten.« »Ausgeschlossen!« wehrte ich sofort ab. »Letschyboa hat im letzten halben Jahr mehr als genug zu leiden gehabt. Er befand sich zufällig hier im Gebirge, als das Schiff mit dem fremden Monstrum abstürzte, und die ses hat ihn sofort unter seinen Willen ge zwungen. Seitdem wurde er hier in diesem Trümmerstück gefangengehalten und mußte ihm als Befehlsübermittler dienen. Die Fol gen waren nicht nur für Cherkaton katastro phal. Auch Letschyboa war sowohl geistig wie auch körperlich fast am Ende, als ich – nicht ganz freiwillig – zu ihm kam.« »Das sieht einem Blorbonen ähnlich«, meinte die Varganin verächtlich. Ich sah sie fragend an. »Was sind das eigentlich für Wesen? Sie können nicht aus dem Bereich unseres Ster nenhaufens stammen, sonst hätte man auf Arkon von ihnen gehört. Kennt ihr Varga nen sie?« »Und ob!« nickte Ischtar. »Als unsere Rasse in ihrer Blüte stand, hat sie oft genug mit ihnen gekämpft. Sie konnten uns nicht ernsthaft gefährden, aber sie besaßen schon damals starke hypnosuggestive Fähigkeiten. Später zogen sie sich in einen entlegenen Spiralarm zurück und bauten dort eine Ro
Licht des Vergessens
51
boterzivilisation auf. Irgendwann haben sie dann ihre Körper aufgegeben und durch ir gendwelche Manipulationen erreicht, daß ih re Gehirne diesen monströsen Umfang an nahmen.« »Was hat ihr Dasein dann überhaupt noch für einen Sinn?« wollte Ra wissen. Trotz al len inzwischen erworbenen Wissens war er eben immer noch der Barbar! Für ihn domi nierte das Körperliche, er konnte sich nicht vorstellen, daß man auch auf rein psychi scher Basis seine Umwelt erleben konnte. Ischtar warf ihm auch prompt einen ver weisenden Blick zu. »Das wirst du wohl nie begreifen«, sagte sie und wandte sich dann wieder an mich. »Im allgemeinen begnügen sie sich damit, auf ihren verborgenen Planeten zu bleiben und über ihre Roboter zu herrschen, aber ei nigen genügt das auf die Dauer nicht. Sie wollen ihre geistigen Fähigkeiten auch an le benden Wesen erproben, und so ziehen sie ziellos durch die Galaxis, bis sie auf irgend eine Rasse stoßen, die sie unterjochen kön nen. Zum Glück gibt es nicht mehr viele von ihnen, und ihr technisches Wissen scheinen sie weitgehend verloren zu haben. Das war vermutlich auch der Grund dafür, daß ihr Schiff beim Anflug auf diesen Planeten au ßer Kontrolle geriet. Die Roboter sind nicht zu eigenem Handeln fähig, sie sind auf die Geistesbefehle ihrer Herren angewiesen.« »Das habe ich bemerkt«, nickte ich. Ich wollte noch mehr sagen, und weitere Fragen stellen, doch plötzlich geschah etwas voll kommen Unerwartetes.
* Ein Gleiter schwebte zu uns heran, und an seinem Steuer saß Seracia. Ich sah ihr Ge sicht unter der Kabinenkuppel, und es zeigte einen ausgesprochenen entschlossenen Aus druck. Außerdem hielt sie eine Hand an der Steuerung für das Impulsgeschütz, dessen Lauf schwenkte herum und zeigte genau auf uns! »Verdammt!« knirschte ich, denn an das
Mädchen hatte ich überhaupt nicht mehr ge dacht. Nach dem Tod des Blorbonen und dem Aufhören der Suggestivimpulse war sie wie der zu sich gekommen. Sie hatte sich erholt und an die vergangenen Stunden erinnert, ohne allerdings zu wissen, was inzwischen geschehen war. Das über dem Tal schwe bende Doppelpyramiden-Schiff schien sie als neue Bedrohung zu werten, ebenso die Anwesenheit von zwei fremden Personen in meiner Gesellschaft. Und Ra tat auch noch alles, um sie in diesem Eindruck zu bestär ken, denn er riß seinen Strahler hervor und legte ihn an … »Die Waffe weg!« brüllte ich, aber der Barbar reagierte nicht schnell genug. Ich war gezwungen, ihm den Strahler aus der Hand zu schlagen er hätte ihm ohnehin nichts genützt! Seracia hatte den Schutz schirm des Polizeigleiters aktiviert und hätte auf den ersten Schuß zweifellos sehr un freundlich reagiert … Ich winkte ihr heftig zu und erreichte da mit schließlich, daß sie ihre drohende Hal tung aufgab. Durch Gesten gab ich ihr zu verstehen, daß sie neben uns landen sollte, was sie nach einigem Zögern auch tat. Ischtar sah mich sehr nachdenklich an. »Wer ist dieses Mädchen?« fragte sie und ihre Stimme klirrte wie unterkühltes Eis. Unwillkürlich zog ich die Schultern ein. Normalerweise hätte ich jetzt nichts dabei gefunden, mich voll zu Seracia zu bekennen – aber nicht vor Ischtar! Seit sie wieder bei mir war, stand ich wieder ganz in ihrem Bann, der kaum weniger stark war, als der des Blorbonen … »Oh, das ist nur Seracia«, sagte ich schnell und versuchte, mich so harmlos wie möglich zu geben. »Ich traf sie draußen vor der Stadt, und sie war die einzige, die der Verdummung einigen Widerstand entgegen setzten konnte und halbwegs Herr ihrer Sinne war. Sie war mir eine wertvolle Hilfe, und deshalb …« Ich verstummte unter dem ironischen Blick der Goldenen Göttin, zu dem sich Ras
52 geradezu unverschämtes Feixen gesellte, der mir gleichfalls alles mögliche zuzutrauen schien. Zum Glück bekam Seracia von alldem nichts mit. Als sie aus dem Gleiter stieg, fiel ihr Blick auch auf Letschyboa, und sie stieß einen Ausruf freudiger Überraschung aus. »Onkel Letschyboa – wie kommst du denn hierher?« Für die nächsten Minuten war sie voll da mit beschäftigt, sich um den Mann zu küm mern, der das Medium des Blorbonen gewe sen war. In dieser Zeit redete ich leise auf Ischtar ein und versuchte, möglichst viel Überzeu gungskraft in meine Worte zu legen. Das schien mir auch halbwegs zu gelingen, denn als Seracia dann zu uns kam, war ihr Blick nicht mehr ganz so abweisend. Was sie dachte, stand allerdings auf einem anderen Blatt … Ich erklärte dem Mädchen kurz die Lage, und sie begriff überraschend schnell. Ihr Ge sicht blieb erstaunlich beherrscht, nur ihre Augen verrieten mir, was in ihrem Innern vorging. »Es ist schön, daß Ihre Freunde Sie gefun den haben, und daß die Gefahr für Cherka ton beseitigt ist, Mascaren«, sagte sie leise. »Wir haben Ihnen viel zu verdanken, diese ganze Welt steht auf ewig in Ihrer Schuld.« Ich hätte sie korrigieren und ihr sagen können, daß ich es in Wirklichkeit gar nicht gewesen war, dem Cherkaton zu danken hat te, doch ich unterließ es bewußt. Ich wollte, daß dieses Mädchen eine möglichst gute Er innerung an mich behielt. Die Enttäuschung, mich so rasch wieder zu verlieren, konnte ich ihr allerdings nicht ersparen. »Ich muß Ihnen ebenfalls danken«, gab ich etwas traurig zurück. »Sie haben mir sehr geholfen, und das werde ich nie verges sen. Leider muß ich Cherkaton jetzt wieder verlassen, obwohl es hier noch so viel zu tun gibt. Sie werden wohl noch Jahre brauchen, um die Wunden zu heilen, die das fremde Wesen Ihnen zugefügt hat.«
Harvey Patton Die ganze Szene hatte einen Stich in Me lodramatische bekommen, aber Letschyboa nahm ihr diesen Anstrich wieder. Er war wieder zu Kräften gekommen, verließ die Antigravscheibe und gesellte sich zu uns. »Wir werden es schon schaffen!« meinte er zuversichtlich. »Die Bewohner von Cher kan haben ihr Wissen ja nicht verloren, es wurde nur zeitweise unterdrückt. Natürlich wird die erste Zeit hart für uns werden, aber wir sind schließlich Kolonisten. Unser Gou verneur ist ein guter Mann, er wird schon bald wieder Ordnung in das Chaos bringen.« Das SKORGON fiel mir ein und ich be schloß, so etwas wie einen Tauschhandel mit Letschyboa zu machen. Es war wichtig für mich, daß niemand sonst erfuhr, daß ich hier auf Cherkaton ge wesen war! Zwar wußten weder Letschyboa noch Seracia um meine wirkliche Identität, aber auch der Name Mascaren konnte mir zum Verhängnis werden. Es konnte leicht geschehen, daß er im Zusammenhang mit den hiesigen Ereignissen auch bis zu Orba naschol III. drang. Der aber war – was im mer er auch sonst sein mochte – mein On kel, und er würde ihn in der Zwischenzeit wohl kaum vergessen haben! »Ich will Ihnen einen Tip geben«, sagte ich so unverfänglich wie möglich. »Draußen, vor den Feldern von Cherkan, steht ein Raumschiff! Es ist nicht sehr groß und im Moment durch irgendwelche Sperren gesichert, aber ich glaube, daß Ihre Techni ker sie relativ schnell finden werden. Ist das geschehen, können Ihre Leute damit nach Arkon oder einer anderen Welt fliegen, von der Sie Hilfe erhalten können.« Letschyboa begriff überraschend schnell und lächelte fein. »Das ist wirklich ein großes Geschenk für uns, für das wir Ihnen zu großem Dank ver pflichtet sind. Kann ich dafür auch etwas für Sie tun?« Ich gab sein Verschwörerlächeln zurück. »Doch, das können Sie, wenn Sie wollen. Vergessen Sie einfach, daß es hier jemals einen Mann namens Mascaren und einige
Licht des Vergessens sonstige Besucher gegeben hat! Das SKOR GON gehört einem Mann mit Namen Amar kavor Heng, einem Kommandeur, der nach einem Überfall der Maahks vom Stützpunkt Trantagossa geflohen ist. Wenn Sie jemand fragt, so sagen Sie einfach, er wäre hier ge wesen und hätte mit dem fremden Suggestor aufgeräumt. Man wird es Ihnen unbesehen glauben, denn zu solchen Dingen kann ein fach nur ein höherer Offizier fähig sein …« Nun grinste Letschyboa ganz offen. Mit seiner Achtung vor dem Militär schien es nicht weit her zu sein. »An diesen Angaben dürfte nicht einmal die PGIM zweifeln!« behauptete er im Brustton der Überzeugung. »Daß dieser Heng jetzt nirgends aufzufinden ist, dürfte sehr verständlich sein – ein Kommandeur, der vor den Methans flieht, hat allen Grund, sich anschließend unsichtbar zu machen … Bist du nicht auch dieser Meinung, Sera cia?« Das Mädchen nickte eifrig. »Selbstverständlich, Onkel Letschyboa! Amarkavor Heng hat zwar das Monstrum besiegt, aber sein Geist war doch so sehr in Mitleidenschaft gezogen, daß er anschlie ßend Hals über Kopf mit einem Gleiter ir gendwohin in die Wildnis geflohen ist. Dort kann man ihn dann lange suchen Cherkaton ist groß.« Trotz ihrer Enttäuschung hielt sie sich großartig, und wäre Ischtar nicht gewesen, hätte ich ihr gern noch einen Kuß gegeben. Das durfte ich natürlich nicht riskieren, also begnügte ich mich mit einem dankbaren Blick, der auch verstanden wurde. Auf sie und ihren Onkel konnte ich mich felsenfest verlassen, das stand für mich fest. Sie wür den nie den Mann verraten, der ihre Welt zu retten geholfen hatte! »Du bist schon ein Schurke, Atlan!« stell te Ischtar fest, als die beiden nach einem formlosen Abschied mit dem Polizeigleiter in Richtung Cherkan abgeflogen waren. Ich grinste sie unverfroren an. »Ein durchaus liebenswerter Schurke, das wirst du doch wohl zugeben müssen.
53 Kommt, wir müssen von dieser Welt ver schwinden, ehe die Cherkaner soweit zu sich gekommen sind, daß sie auf den Gedanken kommen, sich in dieser Gegend umzuse hen!« Ischtar nickte und wir bestiegen die Anti gravscheibe, um zu dem Raumschiff zu flie gen. Ihre Eifersucht schien indessen verflo gen zu sein, aber dafür zeigte Ra ein ausge sprochen finsteres Gesicht, und ich wußte auch, warum. Früher oder später mußte es Schwierig keiten mit ihm geben, das war mir klar. Es gab nur eine Goldene Göttin, aber wir liebten sie beide – und da war so oder so ei ner zuviel …
* Einige Stunden waren vergangen. Der Planet lag längst weit hinter uns, sei ne Sonne war nur noch ein Lichtpunkt unter vielen anderen. Ich saß mit meinen Gefähr ten in der Zentrale des Doppelpyramiden-Raum ers und schilderte ihnen die Abenteuer, die ich seit unserer Trennung erlebt hatte. Das war eine ganze Menge, beginnend in dem Domizil des Vrentizianex, auf die die Gefangennahme durch die Maahks gefolgt war. Dann die Ereignisse auf Trantagossa, das Eingreifen Magantillikens und der Über fall der Methans auf den Flottenstützpunkt und die Flucht im SKORGON. Den meisten Raum nahmen natürlich meine Erlebnisse im Mikrokosmos ein, gegen die jene auf Cherkaton fast völlig verblaßten. Ra konnte mir da bald nicht mehr folgen, denn das überstieg sein Begriffsvermögen erheblich. Nicht so Ischtar, denn sie verfügte über ein Wissen, das wiederum das meine erheblich übertraf. Als ich geendet hatte, sah sie mich forschend an. Um ihren Mund lag ein wissendes Lächeln. »Ich kann zwar keine Gedanken lesen, aber ich glaube auch so zu wissen, was dich jetzt bewegt. Du möchtest den Zwergenma cher für deine eigenen Zwecke ausnützen, stimmt's? Du hast die Absicht, dir auf ir
54
Harvey Patton
gendeine Weise den Molekularverdichter der Maahks zu beschaffen, um mit dieser neuen Waffe gegen Orbanaschol zu kämp fen!« Wie gut sie mich doch kannte. »Richtig«, bestätigte ich ernst. »Aus die sem Grund möchte ich dich bitten, jetzt mit mir nach Kraumon zu fliegen, damit ich al les dazu in die Wege leiten kann. Weiter wä re ich dir sehr dankbar, wenn du mir an schließend behilflich wärst, den Maahks die se Waffe abzujagen. Sie ist offenbar noch nicht ausgereift, aber unsere Wissenschaftler auf Kraumon schaffen es bestimmt inner halb kurzer Zeit, sie entsprechend zu verbes sern.« Ich hob meine Stimme. »Dann wäre die Zeit meines Triumphes gekommen! Ich möchte einen Orbanaschol erleben, der in Zwergengestalt vor mir im Staube kriecht, um anschließend irgendwo im Mikrokosmos zu verschwinden. Das wä re für ihn so gut wie ein Todesurteil, denn dort könnte er sich nie behaupten! Dann könnte ich den mir zustehenden Platz als Imperator des arkonidischen Reiches ein nehmen, um anschließend die Maahks mit ihrer eigenen Waffe zu besiegen. Und wenn das geschafft ist …« Ich verstummte unter ihrem Blick, der mich auf ungewisse Weise irritierte und aus den Zukunftsträumen riß, in denen ich schwelgte. »Was hast du?« fragte ich arg wöhnisch. »Paßt dir etwas an meinen Plänen nicht?« Ischtar nickte kurz, in ihren goldenen Au gen schienen Irrlichter zu blinken. »Du hast es erfaßt, Atlan! Im Prinzip stimme ich dir zu, nur möchte ich die Rei henfolge etwas abändern: Wir fliegen von
hier aus nicht nach Kraumon, sondern ver ständigen Fartuloon lediglich über Funk da von, daß du noch am Leben bist. Statt des sen machen wir uns gleich auf den Weg, su chen einen Stützpunkt der Maahks und be schaffen uns dort diese Waffe!« Ich sah sie befremdet an. »Warum das?« fragte ich verwundert. »Zugegeben, dein Schiff ist weit besser als unsere arkonidischen Raumer, aber wir sind schließlich nur drei Personen an Bord. Unse re Erfolgsaussichten sind doch erheblich größer, wenn wir Unterstützung durch meine Männer auf Kraumon haben. Ich kenne die Maahks jetzt aus eigener Erfahrung, und deshalb …« Sie unterbrach mich erneut, indem sie energisch den Kopf schüttelte, so daß ihr goldenes Haar flog. »Nein!« sagte sie ent schieden. »Entweder so oder gar nicht – du hast die Wahl.« Das waren ihre letzten Worte in dieser Angelegenheit. Ich konnte in sie dringen, wie ich wollte, um eine Begründung für ihr Verhalten zu bekommen, doch ich erhielt keine Antwort mehr. Ischtar widmete sich der Steuerung ihres Raumers und schwieg beharrlich, und als dann Ra noch penetrant zu grinsen begann, resignierte ich schließ lich. Es ist schon schwer genug, sich auf die Psyche normaler Frauen zu verstehen – die einer Goldenen Göttin aus der Rasse der Varganen ergründen zu wollen, überstieg einfach meine Kräfte …
E N D E
ENDE