Atlan Das große SF-Abenteuer Nr. 770
Lenker der Stählernen Der letzte Kampf des Rebellen von Zyrph
von H.G. Francis
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Atlan Das große SF-Abenteuer Nr. 770
Lenker der Stählernen Der letzte Kampf des Rebellen von Zyrph
von H.G. Francis
Der Anfang des Jahres 3820 bringt eine einschneidende Veränderung der Machtkonstellation in der Galaxis Manam-Turu. Atlans Hauptgegner, der Erleuchtete, der vor Jahresfrist Alkordoom verließ, um hier, an seinem Ursprungsort, sein Kunstgeschöpf EVOLO zu vollenden, ist nicht mehr. Auch wenn Atlans größter Gegner nicht mehr existiert, die Lage in Manam-Turu hat sich dadurch nicht entspannt. EVOLO ist im Frühjahr 3820 bereits stärker, als der Erleuchtete es jemals war. Welche Gefahr das Psi-Geschöpf darstellt, ist längst bewiesen. Und selbst das zweite Konzil bleibt durch EVOLOS Aktivitäten nicht ungeschoren. Allerdings ist ein eindeutiger Trend noch nicht erkennbar, was den Ausgang des Machtkampfes um Manam-Turu betrifft. Zuviele unbekannte Faktoren sind im Spiel. Einer davon ist EVOLOS Instabilität, ein anderer die wachsende Feindschaft zwischen Hyptons und Ligriden, ein dritter das Wiederauftauchen von Dschadda-Moi, der alten Herrscherin der Krelquotten. Atlan selbst greift gegenwärtig in das großräumige Geschehen nicht ein. Er reagiert auf einen Notruf seines alten Freundes und Lehrmeisters Fartuloon. Dabei erwartet ihn eine tödliche Überraschung, denn am Herkunftsort der Notsignale lauern die LENKER DER STÄHLERNEN…
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan, Chipol und Don Quotte – Sie wollen Fartuloon zu Hilfe kommen. Mrothyr – Der Zyrpher in einer Krise. Orabendhor, Mulenus und Helomas – Drei Lenker der Stählernen. Calte Mol – Ein Koake, der den Weg zum Licht entdeckt. Atrap – Ein Koake, der Mols Entdeckung für sich nutzen will.
1. Ein Feuer unter der Stahlkuppel war die einzige Lichtquelle in dem domartigen Gewölbe, das sich von einem mit marmorartigem Stein ausgelegten Grund emporreckte und sich in düsterer Höhe verlor. Ein Schrei brach aus dem Mund des Hohenpriesters hervor, dessen kugelrunder Kopf in seiner Körperschale heftig hin und her rollte. »Die dritte Stufe des Lebens«, rief der Seher. »Sie wird es sein, die unser Leben in den nächsten Tagen zeichnet.« Die Koaken drückten sich ängstlich gegen den Boden. Ihre Köpfe kamen zur Ruhe, und nur ein paar Kinder blieben unbeeindruckt. Sie lagen in einem Seitenschiff des Tempels und ließen ihre Köpfe im Spiel durch ihre Körperschalen rollen. Sie waren nur etwa anderthalb Meter lang, hatten aber schon – wie die meisten Erwachsenen – fünfzehn Stummelfüße, auf denen ihre Körperschale ruhte. Ihre Köpfe hatten den weichen, grauen Flaum der Jugend. Erst in einigen Jahren würden sie ihn Verlieren und dann schwarze, kugelrunde Köpfe haben wie die Erwachsenen um sie herum. Dann würden sie ihre Köpfe auch nicht mehr in der Schale kreisen lassen. »Die dritte Stufe des Lebens ist der Tod«, flüsterte Calte Mol. Er erschauerte vor Furcht, und seine Stielaugen hoben sich hoch über seinen Kopf, so daß er besser über die anderen Gläubigen hinwegsehen konnte. Doch er brauchte keine Angst zu haben, daß er irgend etwas verpaßte. Der Hohepriester hatte seinen Vortrag beendet. Er hob den gespaltenen Stab zum Zeichen, daß die Andacht zu Ende war, und daß die Gläubigen den Dom nunmehr verlassen sollten. Sie gehorchten. Schweigend hasteten sie hinaus. »Es ist entsetzlich«, flüsterte Calte Mol dem Heilmittelpriester Atrap zu. »Das Leben ist schon schwer genug für uns, warum muß jetzt auch noch so etwas über uns kommen?« Sie eilten über einen Gang auf eine ferne Lichtquelle zu und ließen die anderen Gläubigen bald hinter sich, da sie sich schneller bewegten als sie. Atrap hob beschwichtigend seine beiden Arme. Sie waren dürr und lang, und sie schienen nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Er war ein einflußreicher Mann, dessen Wort etwas galt. Viele fürchteten ihn, weil sie nicht sicher waren, daß er ihnen auch wirklich alle benötigten Heilmittel geben würde, wenn sie einmal krank oder verletzt waren. Dabei hatte er noch nie irgend jemandem Hilfe verweigert. Doch allein der Gedanke, daß er es tun könnte, genügte. So brauchte Atrap kaum mehr, als jemanden strafend oder streng forschend anzusehen, um ihm Respekt abzunötigen. »Was ist daran entsetzlich?« entgegnete der. »Der Tod ist die dritte Stufe des Lebens. Wir sind jeden Tag vom Tod umgeben. Stirbt nicht täglich wenigstens einer aus unserem Volk?« »Das ist richtig«, bestätigte Calte Mol. »Siehst du«, lächelte der Heilmittelpriester. »Und warum regst du dich dann über die Prophezeiung auf?« »Weil es sich ganz und gar nicht so angehört hat, als hätte der Seher jemand aus unserem Volk gemeint.« »Sondern?« »Jemand anderen.« Atrap strich sich amüsiert mit den Fingern über die Lippen. Dazu ließ er seinen Kopf weit nach vorn rollen, so daß er die vordere Wölbung seiner etwa drei Meter langen Körperschale erreichte.
»Es gibt niemanden außer uns auf dieser Welt. Hast du das vergessen?« »Natürlich nicht«, entgegnete Calte Mol. »Und Roboter sterben nicht.« »Ich weiß.« »Was beunruhigt dich dann? Es wäre nicht das erstemal, daß der Seher sich irrt. Er liebt nun einmal dramatische Auftritte und große Worte. Er braucht das offenbar, um sich wieder ins Licht der allgemeinen Aufmerksamkeit zu rücken.« Calte Mol blieb verblüfft stehen. Seine Stielaugen schoben sich weit aus seinem Kopf hervor, bis sie deutlich über den Rand seiner Körperschale hinausragten. Calte Mol war Techniker. Niemand kannte sich in der Umgebung der STADT so gut aus wie er. Niemand war jemals so weit in den STAHL vorgedrungen wie er. Ein Hauch von Geheimnissen umgab ihn. Er erzählte nie viel von dem, was er erlebte, wenn er seine Expeditionen in die unerforschten Regionen der Umgebung unternahm, aber oft war er verletzt zurückgekehrt, hatte fremdartige Dinge mitgebracht, von denen niemand so recht wußte, welchem Zweck sie dienten, und seine Berichte über die Vorstöße ins Unbekannte wurden – wenn überhaupt – nur in Auszügen veröffentlicht. Er galt als überaus mutiger Mann, den so leicht nichts aus der Ruhe bringen konnte. Um so erstaunlicher war, daß ihm die Worte des Hohenpriesters einen derartigen Schrecken versetzt hatten. »Du glaubst, der Seher hat lediglich vom Tod gesprochen, weil er sich wichtig machen will?« fragte er. »Natürlich. Warum sonst?« »Er weiß mehr, als ihr alle ahnt«, sagte Calte Mol mit sichtlicher Überwindung. »Da draußen gibt es mehr Geheimnisse, als ihr euch alle träumen laßt. Ist dir jemals der Gedanke gekommen, daß die Stahlkonstruktionen irgendwo enden?« Atrap lächelte verzeihend. »Du bist durcheinander, Calte«, erwiderte er. »Natürlich habe ich über diese Frage nachgedacht. Das tut wohl jeder Koake früher oder später in seinem Leben einmal.« »Und?« »Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß es kein Ende in unserem Sinn gibt. Die Stahlkonstruktionen sind wie das Leben. Sie enden niemals. Es ist ein in sich geschlossenes System, das niemand verlassen kann.« »Irgend jemand muß es gebaut haben.« »Gott.« »Du machst es dir zu einfach.« »Nun, ja«, winkte Atrap ungeduldig ab. »Ich weiß natürlich, daß es die Stahlspinnen sind, die die Konstruktion errichtet haben. Sie sind ja heute noch dabei, sie immer wieder zu verändern und zu verbessern. Aber der Allmächtige ist der Konstrukteur. Er leitet die Spinnen mit seinen Befehlen. Sie sind sein Werkzeug.« »Wahrscheinlich hast du recht. Nur in einer Hinsicht irrst du dich gründlich. Es gibt ein Ende.« »Unvorstellbar.« »Und doch wahr. Ich habe es gesehen.« Atrap lachte. »Du machst dich lustig über mich.«
»Keineswegs. Ich bin bis zum Ende vorgedrungen.« »Und?« »Es war so hell, daß ich kaum etwas erkennen konnte.« »Aha, ich verstehe«, lachte der Heilmittelpriester. »Da war ein Raum. Unvorstellbar groß. Unendlich groß. Ein blaues Gewölbe, und ein Licht, das mich blendete. Ich bin ins Dunkel geflüchtet, und erst nach Stunden hatten sich meine Augen erholt, daß ich wieder etwas sehen konnte.« »Mein lieber Calte Mol, das sind doch Märchen. Willst du mich erschrecken? Unsere Freundschaft sollte durch derartige Lügen nicht beeinträchtigt oder gar zerstört werden.« Calte Mol schien diese beschwörenden Worte nicht gehört zu haben. »Und da war noch etwas«, fuhr er wie in Trance fort. »Anderes Leben. Keine Spinnen. Keine Koaken. Trotz der Helligkeit konnte ich es erkennen. Vielleicht hat der Seher von diesen Wesen gesprochen? Warum sollte er den Tod sonst so deutlich hervorheben?« »Tu mir einen Gefallen«, bat Atrap. »Laß mich mit diesem Unsinn in Frieden. Laß uns von etwas anderem reden.« Er eilte weiter, und Calte Mol hastete hinter ihm her. »Der Seher hat nicht gelogen«, murmelte der Techniker vor sich hin. »Ich spüre es. Jemand wird sterben.« * »Wir haben ursprünglich fünf Satyr-Faran-Kanonen gehabt«, sagte Drabendhor. »Jetzt haben wir nur noch eine. Diese hier.« Der Diener des Gwyn zeigte auf das kompliziert aussehende Gerät, das die wichtigste Bewaffnung der KHEZY-KCOM darstellte. »Wieso nur noch eine?« fragte Mulenus, der gentechnisch herangezüchtete Fjukerabkömmling, der zu einem perfekt funktionierenden Werkzeug der Hyptons geworden war. Drabendhor klopfte mit den Knöchern gegen die Kanone. »Ganz einfach«, erwiderte er. »Die anderen vier wurden ausgebaut. Sie sollten von Waffenspezialisten auseinandergenommen werden, weil die Hyptons hofften, auf diese Weise das Geheimnis ihrer Konstruktion ergründen zu können.« »Und das ist nicht gelungen?« »Ganz und gar nicht.« Das Türschott öffnete sich, und der hochgewachsene Fjukerabkömmling Helomas kam herein. Auch er war mittels der Gentechnik herangezüchtet und zu einem perfekt funktionierenden Werkzeug der Hyptons geformt worden. »Was ist los?« fragte Drabendhor. »Wir haben einen Funkspruch aufgefangen«, erwiderte Helomas. »Er wird gerade von der Positronik bearbeitet. Er ist verstümmelt und daher nicht klar verständlich.« »Ich verstehe.« »Wie war das mit den Satyr-Faran-Kanonen?« fragte Mulenus. »Sie sind explodiert, als man versucht hat, sie auseinanderzunehmen«, erläuterte Drabendhor, der
gentechnisch herangezüchtete Ligridenabkömmling. »Trotz aller Bemühungen ist es nicht gelungen, auch nur eine der Kanonen so zu untersuchen, daß man ihrem Konstruktionsgeheimnis auf die Spur kommt.« »Ich verstehe«, sagte Mulenus. »Diese letzte Satyr-Faran-Kanone hat man also in Ruhe gelassen, um sie wenigstens als Waffe nutzen zu können.« »Genau. Die Hyptons wollten sie nicht auch noch verlieren. Leider ist uns die ursprüngliche Munition dafür längst ausgegangen, aber wir haben herausgefunden, daß man sie auch mit Fusionsbomben unserer Konstruktion laden und abfeuern kann.« Die drei Lenker der Stählernen verließen den Raum und gingen zur Zentrale des Kugelraumers. Sie hatten keine Mühe, sich auf dem Schiff zurechtzufinden, obwohl es anders konstruiert und aufgebaut war als die anderen Raumschiffe, die sie kannten. Für sie war dies eigentlich kein »eigenes« Schiff. Sie wußten nicht, woher die Hyptons es hatten. Es war jedenfalls auf der Zelle eines Kugelraumers aufgebaut, hatte einen Durchmesser von 200 Metern und war offensichtlich als Kampfschiff konzipiert. »Geht es um das Ligridenschiff, das der Flottenverband aufgespürt und vertrieben hat?« fragte Drabendhor. »Ich weiß es noch nicht«, erwiderte Helomas. »Eben deshalb habe ich euch geholt.« Als die drei Lenker die Zentrale betraten, erkannten Drabendhor und Mulenus, daß die KHEZYKCOM die Kleingalaxis schon verlassen hatte und nun Kurs auf Manam-Turu nahm. Die Strecke würde in mehreren Linearetappen zurückgelegt werden. Sie setzten sich in die Sessel und beobachteten die Monitor- und Ortungsschirme. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die positronisch gesteuerte Ortungsleitzentrale ein fremdes Objekt erfaßte. »Da ist das Raumschiff«, sagte Helomas. Es war ein Raumschiff mit auffallenden Proportionen. Die Instrumente wiesen aus, daß es bei einer Länge von 1290 Metern nur etwa 210 Meter breit und 189 Meter hoch war. »Wenn wir uns nicht ganz gewaltig täuschen, ist die Offensivbewaffnung unbedeutend, während die Defensivleistung beträchtlich ist«, kommentierte Mulenus. »Genauso ist es«, bestätigte Drabendhor. »Dieses Mal entwischt es uns nicht wieder. Fertigmachen zum Abfeuern der Satyr-Faran-Kanone.« »Satyr-Faran-Kanone abschußbereit«, meldete die Schiffspositronik. »Die Entfernung ist noch zu groß«, gab Helomas zu bedenken. »Wir müssen angreifen«, erklärte Drabendhor. »Das Schiff hat das Randgebiet von Manam-Turu schon fast erreicht.« Er wartete einige Sekunden, aber die beiden anderen Lenker hatten keine Einwände mehr. »Feuer«, befahl er. Die hyptonische Fusionsbombe wurde als lichtschneller Impuls abgestrahlt. Am Ziel baute sich unvorstellbar schnell ein Satyr-Faran-Feld auf, in dem die Bombe in ihren Normalzustand zurückverwandelt wurde. Als der Prozeß abgeschlossen war, explodierte das Geschoß – wegen der großen Entfernung mehrere Sekunden nach dem Abschuß. »Fehler«, stellte Mulenus fest. »Wir haben das Schiff nicht getroffen.« »Feuer!« Die Satyr-Faran-Kanone versetzte eine zweite Fusionsbombe ins Zielgebiet, und wieder wuchs für Sekunden eine weiß strahlende Kunstsonne am Rand von Manam-Turu auf.
»Der Schuß saß besser«, sagte Helomas danach. »Aber immer noch kein Volltreffer«, bemerkte Drabendhor unzufrieden. »Das Schiff ist angeschlagen, aber es ist noch voll flugfähig.« »Und es fliegt genau auf ein Black Hole zu«, sagte Mulenus. Er wies auf einen der Monitorschirme, auf denen ein Schwarzes Loch durch pulsierende, konzentrische Kreise angezeigt wurde. »Jetzt haben sie es auch gemerkt«, rief Helomas, dem nun doch ein wenig Erregung anzumerken war. »Jedenfalls versuchen sie, ihm zu entkommen.« »Sie haben gewaltige Schwierigkeiten«, sagte Drabendhor. »Genau der richtige Zeitpunkt für einen weiteren Angriff. Jetzt haben wir die Chance, sie endgültig zu erledigen. Satyr-Faran-Kanone fertig?« »Satyr-Faran-Kanone einsatzbereit«, meldete die Positronik. »Feuer!« »Das schleudert das Schiff entweder in das Black Hole, oder es zerreißt es«, stellte Helomas befriedigt fest. Weder das eine noch das andere geschah, aber das Schiff sendete wenig später Notsignale auf Hyperwelle. »Die Funkrufe sind verstümmelt«, sagte Drabendhor, als die erste Auswertung der Positronik kam. »Wahrscheinlich sind die Hyperfunkantennen des Schiffs beschädigt.« Er gab eine entsprechende Meldung an die Hypton-Traube durch, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Steuerleitzentrale befand. Sie nannte sich Bewahrer der Gerechtigkeit. »Wir schalten uns ein«, antwortete sie. Drabendhor war keineswegs überrascht. Immer wieder hatte er eine derartige Reaktion der Hyptons erlebt. Die Bewahrer der Gerechtigkeit beherrschten die Bordpositronik nun einmal besser als jeder andere in der KHEZY-KCOM. Sie hatten die Positronik mit zahlreichen Zusatzteilen versehen – die sie Kulfthan-Zusätze nannten – und dadurch die Leistungsfähigkeit der Biopositronik beträchtlich erweitert und erhöht. Es vergingen mehrere Minuten, bis sich die Hyptons erneut meldeten. »Die Notrufe werden von einem Wesen namens Fartuloon an jemand namens Atlan gerichtet«, teilten die Bewahrer der Gerechtigkeit mit. Die drei Lenker der Stählernen horchten auf. Von Fartuloon hatten sie noch niemals gehört, Atlan war ihnen jedoch kein Unbekannter. Sie wußten ebenso wie die Hyptons, daß Atlan ein gefährlicher Gegenspieler war, der auf der Liste der zu Neutralisierenden an erster Stelle stand. Die KHEZY-KCOM verfolgte das angeschlagene Schiff, das verzweifelte Manöver unternahm, um ihr zu entkommen. Es näherte sich einem Raumgebiet, in dem sich ein Sternhaufen aus neun Sonnen abzeichnete, deren Konstellation annähernd einem Krummschwert entsprach. »Wenn dieser Fartuloon sich mit seinen Notrufen an Atlan wendet, muß dieser in der Nähe sein«, bemerkte Helomas. »Wenn er auf die Notrufe antwortet, erwischen wir ihn«, fügte Drabendhor hinzu. »Dann haben wir die Chance, ihn zu neutralisieren.« Die Bewahrer der Gerechtigkeit hatten die Lenker der Stählernen als Elitekommando bestellt, wie es dem Anspruch für ein so ungewöhnliches Schiff wie die KHEZY-KCOM entsprach. Bewahrer der Gerechtigkeit war eine zarte Umschreibung für den Grundauftrag, der darin bestand,
gefährliche Gegner der hyptonischen Politik und Strategie aufzuspüren und aus dem Gefahrenbereich zu entfernen. Im Gefahrenbereich befanden sie sich solange, wie sie am Leben waren. Dieses Herausnehmen aus dem Gefahrenbereich nannten die Bewahrer der Gerechtigkeit »neutralisieren«. Selbstverständlich übernahmen sie dies grundsätzlich nicht selbst. Dafür hatten sie ihr Spezialkommando – die Lenker der Stählernen. Drabendhor, Mulenus und Helomas waren gentechnisch so vorprogrammiert, daß sie spezielle Stahlmänner mit ihren dazu herangezüchteten Gehirnsektoren direkt und perfekt beherrschen und lenken konnten. Äußerlich sahen Drabendhor wie ein Ligride und Mulenus und Helomas wie Fjuker aus, aber dieses Bild täuschte. Geistig waren sie hyptonisch. Drabendhor erfaßte das Sternbild, das die Bildschirme lieferten, und leitete es an die Bordpositronik weiter. Gleich darauf erschien der krelquanische Name Ray-Canar auf dem Schirm. Er war mit der Bezeichnung RC-112 katalogisiert. Die Jagd führte in den Sektor Ray-Canar hinein, und wieder sendete das verfolgte Raumschiff einen Notruf, der gleich darauf beantwortet wurde. »Atlan«, rief Helomas erregt. »Er hat den Notruf aufgefangen und reagiert darauf!« Drabendhor gab die Nachricht sofort an die Bewahrer der Gerechtigkeit weiter, und die Hyptons antworteten fast augenblicklich. Sie teilten mit, daß sie den Beschluß gefaßt hatten, Atlan in eine Falle zu locken, indem sie weitere Notrufe Fartuloons simulieren würden. »Für unsere Positronik ist das kein Problem«, bemerkte Helomas. »Aber natürlich müssen wir vorher dieses Schiff aus dem Weg räumen, damit es uns nicht dazwischenfunkt und Atlan warnt.« Die Hyptons befahlen, letzte Reserven der KHEZY-KCOM mobil zu machen und das verfolgte Raumschiff erneut mit Satyr-Faran-Bomben anzugreifen. Tatsächlich holte die KHEZY-KCOM bald darauf auf, und Drabendhor feuerte zwei weitere Fusionsbomben ab. Die Geschosse explodierten in unmittelbarer Nähe ihres Zieles, und für einen kurzen Moment sah es so aus, als würden die Defensivschirme zusammenbrechen. Sie wurden jedoch lediglich stark überladen. Immerhin schien die gesamte Antennenanlage des Verfolgten zerstört worden zu sein, denn nun kam kein weiterer Funkspruch mehr. Drabendhor gab den Befehl, nochmals zwei weitere Fusionsbomben abzufeuern, als plötzlich ein hyperenergetisches Energiefeld auf die KHEZY-KCOM einwirkte und die Ortungsanlagen neutralisierte. Vergeblich bemühten sich die Lenker der Stählernen, den Ursprung des Energiefeldes zu ermitteln, und die Hyptons befahlen, das Schiff mit der gesamten Verzögerungskapazität abzufangen. Offenbar fürchteten sie, selbst in eine Falle zu geraten. Das Manöver war schon nach wenigen Sekunden abgebrochen, als die Ortungsgeräte wieder normal arbeiteten. »Das verfolgte Objekt ist verschwunden«, meldete Drabendhor danach. »Es hat den Ortungsbereich verlassen.« Die KHEZY-KCOM suchte den Raumsektor noch mehrere Stunden lang ab, fand das verfolgte Raumschiff jedoch nicht wieder. »Seit Stunden horchen wir den Raum ab«, sagte Helomas danach. »Wir haben keinen einzigen Notruf mehr aufgefangen. Wir haben überhaupt keinen Funkspruch registriert. Also können wir davon ausgehen, daß die Antennenanlagen bei dem Raumschiff dieses Fartuloon tatsächlich zerstört worden sind. Fartuloon kann weder senden, noch empfangen. Er wird unsere Pläne also nicht mehr stören.« »Völlig richtig«, bestätigte Mulenus. »Somit können wir davon ausgehen, daß er von unseren simulierten Notrufen nichts bemerkt.« »Wir können damit beginnen, den Plan in die Tat umzusetzen«, fügte Drabendhor hinzu. »Wir
senden simulierte Notrufe und locken Atlan damit in die Falle. Es wird Zeit, daß wir unserem Auftrag nachkommen…« »… und ihn neutralisieren«, ergänzte Mulenus.
2. Krachende Explosionen schreckten Atrap auf. Der Heilmittelpriester schüttelte die Blindameisen ab, die seinen Körper während des Schlafs zu Hunderten bedeckt hatten, um abschilfernde Hautteile zu vertilgen. Jetzt fielen die Insekten ab. Er stemmte seine Hinterfüße hoch, und der Kopf rollte in der Körperschale weit nach vorn. Erschrocken eilte er durch einen schmalen Gang, bis er sehen konnte, was die Explosionen verursacht hatte. Mehrere Tote lagen auf dem Boden. Thrumdum-Geschosse hatten ihnen die tödlichen Verletzungen beigebracht. Er erkannte es gleich an der Art der Wunden. Einige bewaffnete Männer kamen aus einem Seitengang hervor. Sie hoben ihre Arme, als sie ihn bemerkten. »Es ist vorbei«, sagte einer von ihnen. »Käkaren – wie nicht anders zu erwarten. Wir haben ihren Angriff abgeschlagen. Keiner von ihnen hat überlebt.« »Gut gemacht«, lobte Atrap. Er atmete einige Male tief durch; während die Kämpfer die Toten wegtrugen, und ging dann davon. Wenig später trommelte er Calte Mol aus dem Schlaf. Der Techniker hatte nichts von dem nächtlichen Überfall bemerkt. »Komm gleich zu mir«, forderte er ihn auf. »Ich habe wichtige Dinge mit dir zu besprechen.« Er hatte ein kleines Frühstück vorbereitet, als Calte Mol bei ihm eintraf, und er tischte dem Techniker einige Köstlichkeiten auf, die er bisher sorgfältig gehütet hatte, um sie selbst in einer besonderen Stunde genießen zu können. Calte Mol wußte die Ehre zu würdigen. Zugleich aber war ihm klar, daß Atrap eine bestimmte Absicht damit verband, daß er ihm derartige Delikatessen zukommen ließ. »Diese Pilze kommen aus Travhan«, erläuterte der Heilmittelpriester. »Ich habe sie beschaffen können, indem ich ihnen einige Heilmittel zukommen ließ, die sonst unerreichbar für sie gewesen wären.« »Wir sind mit Travhan verfeindet.« »Der Handel gelang über die Grenzen hinweg, weil beide Seiten etwas benötigten, was sie ohne den anderen nicht hätten bekommen können. Meine Pharmazeutika haben dem Sohn des Fürsten das Leben gerettet.« »Du hättest ihn sterben lassen sollen. Er ist die Ausgeburt der Hölle.« »Er ist ein Koake.« Calte Mol fuhr empört auf, beruhigte sich jedoch rasch, als Atrap ihm noch ein paar Pilze hinschob. »Eben darüber wollte ich mit dir reden.« »Worüber?« »Daß die Travhan auch Koaken sind. Und die Käkaren auch.« »Natürlich sind sie Koaken. Rein biologisch gesehen, meine ich, aber…« »Und ich meine, es ist ein ausgemachter Wahnsinn, daß wir uns gegenseitig ständig bekämpfen, anstatt miteinander für eine bessere Zukunft zu arbeiten. Welch eine blühende Welt könnten wir schaffen, wenn wir uns einig wären.« »Das sind Phantastereien.«
»Mag sein. Sie müssen es aber nicht bleiben.« »Das Frühstück war wirklich unübertrefflich, Atrap. Ich werde dir nie vergessen, daß du ein derartiges Opfer für mich gebracht hast, aber jetzt sollten wir über andere Dinge miteinander reden, oder ich gehe wieder schlafen. Ich habe viel Schlaf nachzuholen.« »Du hast mir etwas von einer strahlend hellen Welt erzählt, die es jenseits der Grenzen geben soll.« Calte Mol blickte überrascht auf. »Aha, daher weht der Wind. Du glaubst mir also doch?« »Ich habe nachgedacht, und ich kann mir vorstellen, daß du die Wahrheit gesagt hast.« »Es ist die Wahrheit.« Atrap preßte beide Hände gegen den Kopf. »Es ist nicht leicht für mich, das zu akzeptieren, aber ich werde es tun, denn unsere Völker brauchen die große Vision. Ich werde sie nach oben führen in diesen unvorstellbar großen Raum, in dem es so hell ist, daß man um sein Augenlicht bangen muß.« Calte Mol legte die Bestecke zur Seite. »Was hast du vor?« fragte er. »Du wirst mir den Weg zu dem großen Raum zeigen. Ich muß ihn sehen. Und dann werde ich die Völker dorthin führen und ihnen die Wunder unserer Welt zeigen. Sie werden erkennen, welche Fehler sie bisher gemacht haben, und sie werden sich zu einem großen, glücklichen Volk vereinen.« »Und du wirst an der Spitze dieses großen, glücklichen Volkes stehen und alle aus dem Weg räumen, die nicht mit dir als Anführer glücklich sein mögen.« »Du bist zynisch.« »Ich sage die Wahrheit.« »Du wirst mir den Weg zeigen.« »Nein, ich werde es nicht tun, denn du wirst unsere Völker ins Elend führen.« Atrap versuchte, Calte Mol von seiner Idee zu überzeugen, aber es gelang ihm nicht, weil der Techniker allzu deutlich erkannte, daß es Atrap gar nicht darum ging, die vielen tausend Völker der Koaken zu einen, sondern allein darum, die Macht über die ganze, bekannte Welt zu gewinnen. »Du willst genau das tun, was alle Fürsten von Koak wollen«, rief er ihm erregt zu. »Du willst die Macht über andere. Nur hältst du dich nicht mit Kleinigkeiten auf, sondern du willst alles. Du willst Herrscher einer ganzen Welt sein, und du glaubst, daß alle dich als den großen Meister akzeptieren werden, wenn du ihnen den Weg ans Licht zeigst. Der große Raum interessiert dich nicht. Er soll nur Mittel zum Zweck sein, mit dem du die Völker von Koak verblüffen und überraschen kannst, und während sie vor Angst und Demut ihre Köpfe verhüllen, willst du dich selbst als Herrscher ausrufen, der von irgendwelchen mystischen Mächten beauftragt worden ist, die Macht zu übernehmen. Ohne mich, mein Freund. Ich mache einen derartigen Betrug nicht mit.« »Irgend jemand muß die Führung übernehmen«, erwiderte Atrap. Er griff nach einem Schwert, das an der Wand hing, und bevor Calte Mol sich’s versah, hatte er es ihm ins Herz gestoßen. Sterbend brach der Techniker zusammen. Mit allem hatte Calte Mol gerechnet, nur nicht damit, daß der Freund einen Mordanschlag auf ihn verüben könnte. Atrap wandte sich ohne jedes Gefühl des Mitleids ab und bereitete im Nebenraum ein Säurebad vor. Als er zurückkehrte, war Calte Mol tot. Er nahm die Leiche auf und legte sie in das Bad. Bald darauf waren alle Spuren seiner Tat beseitigt. Was für ein Dummkopf du doch gewesen bist, Calte Mol, dachte er. Unsere Zeit braucht große,
revolutionäre Ideen. Schon seit Jahren hatte Atrap heimlich Pläne entwickelt, mit denen er sich zum Herrscher aufschwingen wollte. Er war allerdings bisher nie über die Vorstellung hinausgekommen, daß es möglich sein könnte, mehr als zwei oder drei Stämme zu einen. Diesen Gedanken hatte er jetzt als viel zu kleinmütig verworfen. Warum sollte er sich nicht als eine Art Überwesen darstellen, dem es gelungen war, die Grenzen der Welt zu sprengen und in den Kosmos vorzudringen, dessen Geheimnisse geradezu unermeßlich waren? Den anderen Koaken würde es ebenso ergehen wie ihm, als er von Calte Mol von dem unvorstellbar großen, ungemein hellen Raum gehört hatte. Sie würden ihm nicht glauben, und sie würden es nicht fassen können, daß ihr bisheriges Weltbild nicht stimmte. Die meisten werden es nicht bewältigen können, dachte er, während er seine Wohn- und Geschäftsräume verließ. Sie werden an ein Wunder glauben. Sie werden mir magische Fähigkeiten zuschreiben, und sie werden sich mir unterwerfen. Er verschwendete keinen einzigen Gedanken daran, daß jedes der Völker von einem oder mehreren Männern oder Frauen geleitet wurde, und daß eine dieser herrschenden Persönlichkeiten ihm Schwierigkeiten machen könnte. Er setzte darauf, daß das Unglaubliche den Verstand der Koaken ausschalten würde. »Jetzt kommt es nur darauf an, daß ich den Weg dorthin finde«, sagte er zu sich selbst, während er in die Wohnung Calte Mols eindrang. Er hoffte, darin Unterlagen finden zu können, aus denen er ablesen konnte, welchen Weg er einschlagen mußte, um heraus aus der Stahlkonstruktion zu kommen. Er durchwühlte die Wohnung des Technikers und fand tatsächlich umfangreiche Unterlagen über die verschiedenen Expeditionen. Dabei waren auch ausführliche Berichte über den Vorstoß über die Grenzen der Stahlkonstruktion hinaus. Atrap las diese Schilderungen in seiner Wohnung, wo er nicht zu fürchten brauchte, überrascht zu werden. Sie schlugen ihn in ihren Bann. Einige Male glaubte er, während der Lektüre den Verstand zu verlieren, und Zweifel kamen in ihm hoch, denn was Calte Mol berichtete, stellte alles auf den Kopf, woran Koaken glaubten. Danach war das gesamte Weltbild der Koaken falsch. Einige Male dachte er, das Werk eines Irren zu lesen, aber dann sagte er sich, daß er seine hochfliegenden Pläne nur verwirklichen konnte, wenn Calte Mol die Wahrheit gesagt hatte. Ich werde hinaufgehen, beschloß er. Ich will mit eigenen Augen sehen, was jenseits der unvorstellbaren Grenze ist. Er war sich klar, daß er nun eine Strategie entwickeln mußte, wenn er Erfolg haben wollte, und daß er den Vorstoß bis an die Grenzen nicht allein unternehmen konnte. Er brauchte eine schlagkräftige Gruppe, die ihn schützte, wenn sie von anderen Stämmen oder von Stahlspinnen angegriffen wurden. Ein schwerer Weg lag noch vor ihm. Er war entschlossen, ihn zu gehen und dabei alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Notfalls muß ich auch die Fremdwesen niederkämpfen, die es da oben angeblich gibt, dachte er. Ja, es dürfte das beste sein, sie alle zu töten, damit sie meine Pläne nicht durchkreuzen. * Atlan war wie elektrisiert, als die STERNSCHNUPPE einen weiteren Funkspruch von Fartuloon auffing.
Der Freund war in der Nähe, und er befand sich in einer Situation, in der er Hilfe benötigte! Der Funkspruch war verstümmelt, jedoch nicht so schwer, daß sein Charakter als Notruf und sein Absender als Fartuloon nicht zu erkennen gewesen wären. Die STERNSCHNUPPE hatte Cirgro mittlerweile verlassen und durchkreuzte das Muruth-System. »Sofort eine Antwort senden«, sagte der Arkonide zu dem Raumschiff. »Fartuloon soll uns einen Treffpunkt nennen, an dem wir ihn finden können.« Er wandte sich an Mrothyr, Chipol und Don Quotte, die sich mit ihm in der Hauptleitzentrale befanden. »Wir bleiben zunächst im Unterlichtbereich«, erklärte er, »damit wir den nächsten Spruch Fartuloons empfangen können.« Er war optimistisch und glaubte, daß der Freund sich schon sehr bald wieder melden würde. Doch er täuschte sich. Fartuloons Erwiderung ließ auf sich warten. »Das verstehe ich nicht«, sagte Chipol. »Wieso schweigt er?« »Das kann viele Gründe haben«, entgegnete der Arkonide. Er erhob sich aus seinem Sessel. »Er ist in einer prekären Lage. Das kann bedeuten, daß seine Funkanlage beschädigt ist. Möglicherweise muß er sich seiner Haut wehren und hat keine Zeit, die Anlage zu reparieren.« »Dann können Stunden vergehen, bis er antwortet«, stellte Mrothyr fest. »Vielleicht hören wir nie wieder etwas von ihm, weil er mit seiner Lage nicht fertig geworden ist.« Atlan fuhr herum. Er blickte den Zyrpher verweisend an. »Du kennst Fartuloon nicht«, sagte er ein wenig schärfer, als er eigentlich wollte. »Ein Mann wie er geht nicht so einfach drauf.« Mrothyr schwieg betroffen. Ihm mißfiel, in dieser Weise angefahren zu werden. Doch er erwiderte nichts darauf. Er dachte daran, daß er den Arkoniden beinahe umgebracht hätte, als er unter dem Einfluß des absoluten Befehls gestanden hatte. Die Schuldgefühle quälten ihn noch immer. »Tut mir leid«, sagte der Arkonide. »Natürlich sind Situationen denkbar, in denen es auch für Fartuloon keinen Ausweg mehr gibt. Es schmerzte mich nur, mir vorzustellen, daß er tot sein könnte. Es war falsch, dich zu rügen.« »Schon gut.« Die Antwort des Zyrphers ließ erkennen, daß die Worte Atlans keineswegs spurlos an ihm vorbeigegangen waren, und daß die Entschuldigung daran auch nicht viel änderte. Mrothyr verließ die Zentrale. Er setzte sich in einiger Entfernung von ihr auf den Boden und blickte meditierend vor sich hin. Er spürte, daß er sich in einer Krise befand. Der Anschlag auf Atlan hatte tiefere Spuren in ihm hinterlassen, als er zunächst angenommen hatte. Es schien, als sei seine ansonsten robuste Psyche angeschlagen. Seine Gedanken gingen zurück nach Zyrph zu dem Freiheitskampf, den er dort geführt hatte. Das war lange her. Er hatte seine Heimat unter dem Druck der Ereignisse verlassen müssen, und er hatte ihm nachgegeben, weil er gehofft hatte, im Kosmos mehr für Zyrph tun zu können. Die Einsichten, die er danach hatte gewinnen können, hatten ihm recht gegeben. Es hätte wenig genützt, den Kampf auf Zyrph zu gewinnen, denn dabei hätte er nur eine Schlacht für sich entscheiden können, nicht aber den Krieg. Doch er hatte noch lange nicht das erreicht, was er sich erhofft hatte. Die Lage auf Zyrph hatte sich in keiner Weise geändert.
Flüchtig kam der Gedanke in ihm auf, sich von Atlan und den anderen zu trennen, doch er verwarf ihn sofort wieder. Er wußte, daß er ohne die Hilfe des Arkoniden noch weniger ausrichten würde. Dazu fehlte ihm vor allem das Verständnis für die Technik der unzähligen Dinge, mit denen er zwangsläufig konfrontiert wurde. Ein Raumschiff mit allen seinen Einrichtungen war und blieb für ihn neue Technik, so einfach diese auch zu bedienen sein mochte. Nein, ich kann mich nicht von ihnen trennen, entschied er. Außerdem sind sie meine Freunde, und sie werden es auch bleiben. Er wehrte sich gegen das Gefühl, daß sich zwischen Atlan und ihm eine Kluft aufgetan hatte. Er versuchte, es zu überwinden, aber er konnte es nicht. Immer wieder kamen ihm die Worte des Arkoniden in den Sinn, und je mehr er über sie nachdachte, desto mehr vertiefte sich in ihm die Überzeugung, daß Atlan ihm nicht mehr vertraute. Vergeblich dachte er darüber nach, was er tun konnte, um Atlan einen Vertrauensbeweis zu liefern. Schließlich erhob er sich und kehrte in die Zentrale zurück. Er kam gerade rechtzeitig, denn kaum war er eingetreten, als auch schon ein Funkspruch Fartuloons einlief. Atlan und Chipol sprangen von ihren Plätzen auf. Die Spannung, die sich in den vergangenen Stunden aufgebaut hatte, entlud sich in einem Schrei. Die beiden legten flüchtig die Arme umeinander, um sich mit dieser freundschaftlichen Geste zu verstehen zu geben, wie sehr sie sich freuten. Mrothyr sah es, und es versetzte ihm einen Stich, daß sie ihn nicht in ihre Freude einbezogen. »Das ist Fartuloon«, rief der Arkonide. »Kein Zweifel.« »Der Funkspruch ist verstümmelt«, sagte Chipol. »Kannst du trotzdem was damit anfangen?« »Das werden wir gleich sehen«, erwiderte der Aktivatorträger. Zusammen mit der Positronik der STERNSCHNUPPE arbeitete er einige Minuten lang an dem eingegangenen Funkspruch. »Als Treffpunkt ist ein Sternhaufen im Raumsektor Ray-Canar benannt«, erklärte er danach. »Es ist ein Sternhaufen in Form eines Kurzschwerts.« Die STERNSCHNUPPE erläuterte, daß ihr diese Daten von POSIMOL, der Positronik der STERNSEGLER überspielt worden waren, als beide Schiffe im Muruth-System in engem Kontakt miteinander gestanden hatten. Atlan erfuhr von seinem Schiff, daß der Sternhaufen auch Schwert des Rächers genannt wurde. Der Stern an der Spitze des Schwerts wurde Schwertspitze, der Knauf Schwertgriff genannt. Darüber teilte die STERNSCHNUPPE noch einige weitere Details mit. Danach war der Name Ray-Canar im Katalog von allen Völkern enthalten, die in Manam-Turu Raumfahrt betrieben und die Krelquanisch sprachen. Schwert des Rächers setzte sich aus neun Sonnen zusammen und hatte eine größte Ausdehnung von 13 Lichtjahren. Die Sonnen wurden von insgesamt 82 Planeten begleitet. Auf elf Planeten gab es primitives pflanzliches und tierisches Leben, auf 17 Planeten Überreste uralter, längst vergangener Kulturen, die durch die Kraft des Atoms vernichtet worden waren. Schwertspitze war ein rubinroter Stern, etwas größer als Sol, mit sieben Planeten. Der dritte Planet befand sich innerhalb der Biosphäre des Systems, hatte eine Atmosphäre und Eisbuckel an den Polen. Von diesem Planeten hieß es, daß er theoretisch hätte Leben hervorbringen können. Davon war jedoch bisher nichts entdeckt worden. Statt dessen war er planetenumspannend mit Stahlkonstruktionen bedeckt. Sie wurden von spinnenförmigen Robotern pausenlos verändert, umgeschichtet und umgebaut, ohne daß ein Sinn erkennbar gewesen wäre. Diese Welt wurde Realais genannt, ein Name, der Atlan allzu bekannt vorkam. Atlan drehte sich um und blickte Mrothyr an.
»Wir fliegen zu dem Treffpunkt, den Fartuloon uns angegeben hat«, sagte er. »Es ist Relais, diese seltsame Welt der Stahlkonstruktionen. Er ist dort, und er braucht dringend Hilfe.« Der Arkonide verschwieg, daß ihn sein Extrasinn gewarnt hatte. Das streng logisch denkende Element seines Gehirns hatte ihn darauf hingewiesen, daß etwas nicht stimmte an der Funknachricht, ohne jedoch zu sagen, wo der Fehler lag. Atlan schlug diese Warnung in den Wind. Er war überzeugt davon, daß der Hilferuf von dem alten Freund und Lehrmeister Fartuloon stammte, und er wollte nichts unversucht lassen, um ihm zu helfen. »Fällt euch nichts auf?« fragte Mrothyr. Atlan blickte ihn forschend an. »Was meinst du?« Der Zyrpher zögerte. Klang in der Stimme des Arkoniden nicht schon wieder eine gewisse Schärfe mit? War da nicht jenes verletzende Mißtrauen, als ob Atlan befürchte, er könnte ihn auf eine falsche Fährte locken wollen? Glaubte der Arkonide etwa, er sei eifersüchtig auf Fartuloon und wolle ihm deshalb nicht helfen? »Warum sagst du nichts?« fragte der Unsterbliche. »Mir fällt auf, wie ähnlich sich die Namen Ray-Canar für den Raumsektor mit dem Namen Canaray mit dem Harfenschwert ist. Euch nicht? So nannte sich der Kämpfer, der auf Torquan zu deinen Gunsten eingriff und den Anführer der Keloten besiegte.« Atlan lehnte sich gegen seinen Sessel. Er verschränkte die Arme vor der Brust, eine Geste, die aus zyrpherischer Sicht Ablehnung und Abschirmung bedeutete, und mit der er sich – ohne sich dessen bewußt zu sein – von Mrothyr distanzierte. Die Geste bestärkte den ehemaligen Freiheitskämpfer in seiner Vermutung, daß sich unüberbrückbare emotionelle Hindernisse zwischen ihm und dem Arkoniden aufgebaut hatten. »Mag sein, daß es da Zusammenhänge gibt«, bemerkte Atlan, »aber ich glaube nicht, daß es eine Beziehung zwischen dem Kämpfer Canaray und Fartuloons Notruf gibt.« »Das kann ich mir auch nicht vorstellen«, bemerkte Chipol, der spürte, welche Spannung zwischen den beiden Männern bestand. Mrothyr rückte seine grün und blau gestreifte Fellmütze zurecht und wirbelte mit einer kurzen Schulterbewegung den orangefarbenen Schwanz der Mütze nach vorn. Nachdenklich strich er mit den Fingern darüber hin. »Schon gut«, sagte er mit einem eigenartigen Leuchten in den bernsteingelben Augen. »Wahrscheinlich irre ich mich.« Die STERNSCHNUPPE legte die Entfernung von 21.561 Lichtjahren vom Muruth-System zum Schwert des Rächers in zwei Überlichtetappen zurück. Sie mied die Nähe des Sterns Schwertgriff, weil die Positronik der STERNSEGLER das Schiff vor ihm gewarnt hatte, und rief dann per Hyperfunk erneut nach Fartuloon. Etwa eine halbe Stunde verstrich, bis eine Antwort kam, sie war allerdings derart verstümmelt, daß sich ihr Text nicht mehr rekonstruieren ließ. Wegen der relativ geringen Entfernung ließ sich die Quelle jedoch einwandfrei anpeilen. »Fartuloon muß mit seinem Schiff innerhalb des Systems Schwertspitze sein«, stellte der Arkonide fest. »Alles deutet daraufhin, daß es sich in einer Kreisbahn um den Planeten Relais befindet oder auf Relais gelandet ist.« Er sendete einen weiteren Ruf an Fartuloon, erhielt jedoch keine Antwort.
»Warum schweigt er?« fragte Chipol mit einem vorsichtigen Seitenblick auf Mrothyr. Atlan sollte nicht glauben, daß er den Freund für tot hielt. »Wir können nur vermuten, daß seine Hyperfunkanlage endgültig ihren Geist aufgegeben hat«, erwiderte der Arkonide. Vielleicht stammt der Notruf gar nicht von Fartuloon, schoß es dem Zyrpher durch den Kopf. Könnte nicht ein anderer dahinterstecken, und könnte dieser Unbekannte nicht deshalb verstummt sein, weil er sich nicht auf ein Frage- und Antwortspiel mit uns einlassen will? Mrothyr wollte diese Vermutung laut aussprechen. »Wir fliegen zur Schwertspitze«, entschied Atlan. »Wir legen die Strecke in kurzen Überlichtetappen zurück. Es sind ja nur 13 Lichtjahre. Dann sehen wir weiter.« Der ehemalige Freiheitskämpfer glaubte nicht daran, daß der Arkonide seine Überlegungen berücksichtigen würde. Er verzichtete darauf, sie auszusprechen. Bald darauf erreichte die STERNSCHNUPPE den Planeten Relais, ortete jedoch kein Raumschiff. Dafür entdeckte sie gewaltige Ansammlungen von Metall. Stahlgerüste türmten sich zu bizarren Gebilden auf. Sie bildeten ein unentwirrbares Durcheinander und umspannten fast den gesamten Planeten wie ein in mehreren Ebenen gesponnenes und kreuz und quer durcheinander laufendes Spinnennetz. »Von einem Raumschiff ist nichts zu sehen«, bemerkte Don Quotte. Er strich sich über das weiße Fell. »Wenn Fartuloon hier irgendwo ist, dann steckt er mitten in der Stahlkonstruktion.« »Wir empfangen einen schwachen Dauerton auf Normalfunk«, entgegnete der Arkonide. »Er könnte von einem automatischen Notsender stammen.« »Der Sender befindet sich auf Relais«, stellte das Raumschiff fest. »Er steckt irgendwo tief unter dem Stahlgewirr.« Die STERNSCHNUPPE glitt in den Orbit um Relais und umkreiste ihn mehrmals, aber auch jetzt war keine Spur von einem gelandeten oder abgestürzten Raumschiff zu erkennen. »Es könnte sein, daß Fartuloon mit einem Schiff notgelandet oder abgestürzt ist«, sagte Atlan. »Dabei könnte er einen Teil der Stahlkonstruktion zerschlagen haben, und irgend jemand könnte die Lücke über ihm geschlossen haben, so daß nun nichts mehr davon zu sehen ist.« Er hob abwehrend die Hände, als er die Mienen seiner Freunde sah. »Ich weiß«, schwächte er ab. »Das ist reine Spekulation. Dennoch können wir eine solche Möglichkeit nicht ausschließen.« »Wenn ich richtig verstanden habe, gibt es auf Relais kein Leben«, bemerkte Chipol. »Irgend jemand muß die Stahlkonstruktionen ja gebaut haben.« »Die Roboter.« »Und wer hat die Roboter gebaut?« »Das kann eine Intelligenz gewesen sein, die Relais längst verlassen hat«, erwiderte der Daila. »Wäre sie noch da, hätte sie doch wohl den Bau dieser Stahlkonstruktionen verhindert – oder?« »Darüber könnte ich endlos mit dir streiten«, lächelte der Arkonide. Er blickte nachdenklich auf die Monitorschirme. Chipol hat recht, warnte der Logiksektor. Irgend etwas stimmt nicht. Die vorliegenden Informationen über Relais können nicht in Ordnung sein. Dazu passen die Unstimmigkeiten beim Notruf Fartuloons. Auch dabei ist irgend etwas nicht richtig. Das sind schöne, klare Worte, gab der Arkonide ironisch zurück. Was, zum Teufel, ist nicht in
Ordnung? Die erhoffte Antwort blieb aus. Die Warnung war deutlich, aber der Logiksektor konnte sie nicht konkretisieren. Atlan wehrte sich gegen die in ihm aufkommende Nervosität. Er war überzeugt davon, daß Fartuloon, der alte Freund und Lehrmeister, auf Relais und in höchster Gefahr war. Ihn beherrschte nur ein Gedanke: Ich muß ihm helfen! Zweifel daran, daß Fartuloon überhaupt auf Relais war, kamen nicht in ihm auf. Er dachte nicht ein einziges Mal daran, daß es sich um eine Falle handeln könnte, die ihm jemand stellte. Ganz gegen seine sonstige Art schlug er die Warnung aus und setzte sich über alle Bedenken hinweg. »Wir landen auf Relais«, entschied er. »Wir gehen so nahe wie möglich an den Sender heran.« Die STERNSCHNUPPE gab zu bedenken, daß sie einen Landeplatz suchen mußte, der von der technischphysikalischen Seite her die nun einmal notwendigen Voraussetzungen für ein derartiges Manöver bot. Das war angesichts der verwirrenden Stahlkonstruktionen besonders schwierig. »Das sagte ich doch«, erwiderte Atlan unwirsch. »So nahe wie möglich.« Die STERNSCHNUPPE landete etwa fünfzig Kilometer von dem Gebiet entfernt, aus dem die Notsignale kamen. Als sie sich herabsenkte, erkannten Atlan und seine Freunde, daß sie die Spitze eines Berges gewählt hatte. Unmittelbar unter einigen dünnen Stahlträgern zeichnete sich der Felsboden ab. »Wir verlassen die STERN-SCHNUPPE jetzt«, erklärte der Arkonide. »Chipol und Don Quotte begleiten mich. Mrothyr bleibt als Wache zurück.« Der Zyrpher stand wie erstarrt in der Zentrale, als Atlan mit Don Quotte und dem Daila hinausging. Er fühlte sich elend. Jetzt war er sicher, daß Atlan ihm nach dem Mordanschlag auf dem Planeten Orgro nicht mehr vertraute, und daß er ihn nicht in seiner Nähe haben wollte. Er sah die Entscheidung des Arkoniden als absoluten Tiefpunkt in ihren freundschaftlichen Beziehungen an.
3. Drabendhor zeigte auf einen Monitorschirm, der vor ihm auf einem Stahlträger stand. »Sie sind gelandet«, sagte er. »Nah genug bei uns, aber wir haben Zeit, uns auf ihre Ankunft vorzubereiten.« Er und die beiden anderen Lenker der Stählernen befanden sich mitten im Gewirr der Stahlkonstruktionen auf Relais. Sie waren etwa fünf Kilometer unter den höchsten Verstrebungen, die in diesem Gebiet eine Höhe von mehr als sechs Kilometern erreichten. Auf dem Monitor war die STERNSCHNUPPE zu sehen, die allerdings sehr weit entfernt war, so daß auf dem Bildschirm keine Einzelheiten zu erkennen waren. »Sie steht auf dem Gipfel des Berges«, bemerkte Mulenus. »Wahrscheinlich ahnt Atlan noch nicht einmal, daß er sich auf der Kante einer Anhöhe befindet, die nahezu senkrecht bis zum Meeresspiegel abfällt.« »Bis zum Meeresspiegel?« fragte Helomas erstaunt. Er war in den vergangenen Stunden damit beschäftigt gewesen, hoch über ihnen eine Kamera zu installieren, die ferngesteuert werden konnte, und eine Kabelverbindung zum Monitor herzustellen. Er hatte sich durch das Gewirr der Stahlkonstruktionen gekämpft und kaum etwas von dem erfaßt, was um ihn herum vorging, während Drabendhor und Mulenus damit beschäftigt gewesen waren, die tödliche Falle für Atlan zu errichten. »Bis zum Meeresspiegel«, bestätigte Drabendhor. »Oder glaubst du, daß sich diese Stahlkonstruktionen nur über das Festland ziehen? Nahezu die Hälfte dieser Welt ist von Meeren bedeckt, aber sie sind unter den Stahlbauten schon längst nicht mehr zu sehen. Ich habe keine Ahnung, ob sie sich auf dem Grund des Meeres abstützen oder nicht, aber das spielt für uns keine Rolle.« »Richtig«, stimmte Mulenus zu. »Für uns ist nur wichtig, daß Atlan auf die fingierten Notrufe hereingefallen ist, und daß er hierher kommt, um diesem Fartuloon zu helfen – wer auch immer das sein mag.« »Richtig«, sagte Drabendhor. »Und hier erwarten wir ihn. Er wird diesen Planeten nicht mehr lebend verlassen.« Er lächelte und blickte auf die spinnenförmigen Roboter, die über die Stahlträger krochen. »Es ist unmöglich für ihn, aus dieser Falle wieder zu entkommen, und wenn die Roboter es nicht schaffen, ihn zu neutralisieren, dann werden wir das übernehmen. Es ist schließlich unsere Aufgabe.« Er setzte sich auf einen der Träger, lehnte sich zurück und schloß die Augen. »Wir können in Ruhe abwarten«, schloß er. »Atlan wird hierher kommen.« * »Fürchtet euch nicht«, rief Atrap, »denn ich führe euch zum Licht.« Er hob die Hände beschwörend hoch, formte sie zu einer Schale und ließ einen hell strahlenden Ball darin erscheinen, den er in stundenlanger Arbeit sorgfältig vorbereitet hatte. Ein ehrfürchtiges Raunen ging durch die Menge, die ihm zuhörte. Sie drängte sich in dem größten Saal der Koaken, herbeigerufen von den Anhängern Atraps, die gut bezahlt wurden. Ihn störte nicht,
daß sie sich noch nicht mit seinen Plänen identifiziert hatten. Wichtig war ihm nur, daß sie taten, was er von ihnen verlangte. Er war darüber hinaus sicher, daß sie früher oder später zu Anhängern aus Überzeugung werden würden. »Solange ihr denken könnt, habt ihr in dieser Welt der Düsternis gelebt, in Höhlen, abgeschlossen vom Licht, umgeben von Stahlkonstruktionen, deren Sinn auch die größten Philosophen unseres Volkes nicht glaubhaft erklären können.« Atrap lauschte der Wirkung seiner Worte nach, und er registrierte zufrieden, daß die Menge applaudierte, wenngleich sich der Beifall noch in Grenzen hielt. »Immer wieder sind Expeditionen nach oben vorgestoßen«, fuhr er fort. »Mutige Männer und Frauen. Heilige, die sich vor nichts fürchteten als vor ihrem Gott, die nur sich selbst verpflichtet waren und ihrem hohen Anspruch. Nur wenige sind zurückgekehrt, und bis vor wenigen Stunden konnte niemand von ihnen berichten, was er da oben vorgefunden hatte.« »Bis vor wenigen Stunden?« fragte eine junge Frau aus der Menge. Sie hatte eine rosige Körperschale. Aufreizend weit schob sie ihre Stielaugen vor, eine Geste, die geradezu frivol wirkte. »Dann hat also jemand etwas herausgefunden und dir davon erzählt?« Ruhe gebietend hob Atrap die Arme. Er wiederholte die Frage der Frau, als er sicher war, daß ihm alle zuhörten, und er sprach so laut, daß auch die Koaken im Hintergrund der Halle ihn deutlich verstehen konnten. »Ja«, verkündete er. »Calte Mol kam gestern von seiner erfolgreichsten Expedition zurück. Er hat mir geschildert, was er gesehen hat, und er ist danach sofort wieder aufgebrochen, um dorthin zu gehen, wo sich ihm das Paradies eröffnet hat.« Mehrere Männer des Sicherheitsdiensts schoben sich durch die Menge. Sie hatten Mühe, voranzukommen, denn kaum jemand wollte sie vorbeilassen. Atrap konnte sie deutlich ausmachen, weil sie rote Kappen auf ihren Köpfen trugen. Er fürchtete sich nicht vor ihnen, und er ließ sie näher herankommen, bis sie mitten in der Menge eingekeilt waren. »Er ist aber nicht nur wieder von uns gegangen, weil er etwas entdeckt hat, was so schön und überwältigend ist, daß er fortwährend in Tränen ausbrach, als er davon berichtete, sondern weil er sich auch vor jenen fürchtete, die nicht auf ihre Macht verzichten wollen, und die sich festklammern an die Positionen, die sie und ihre Familien seit Jahrhunderten in Händen halten.« Ein empörter Schrei ging durch die Menge. »Ja, ihr habt mich richtig verstanden«, brüllte Atrap. »Calte Mol befürchtete, ermordet zu werden, wenn bekannt wird, was er entdeckt hatte. Ich beschwor ihn, zu bleiben und das Wort zu verkünden, aber jetzt weiß ich, daß er richtig gehandelt hat, denn seht, die Häscher sind schon unterwegs, um mir das Wort zu verbieten. Sie wollen mir die Zunge beschneiden, damit ihr nicht erfahrt, daß ihr keine Sklaven mehr zu sein braucht.« Die Menge reagierte in der gewünschten Weise. Die Männer vom Sicherheitsdienst mußten ihren Plan aufgeben, zu ihm vorzudringen. Sie hatten alle Hände voll damit zu tun, die auf sie herabprasselnden Schläge abzuwehren und sich in Sicherheit zu bringen. Atrap sah seine Stunde gekommen. Er sprach von Liebe und Verzeihen, von Verständnis für den Sünder und davon, daß niemand gleiches mit gleichem vergelten solle. Er hob seine Arme und gestikulierte dabei, jedes seiner Worte auf diese Weise unterstreichend. Doch er sprach so leise, daß ihn nur wenige verstanden. Erst als die Rotkappen – mehr tot als lebendig – aus der Halle geflüchtet waren, hob er seine Stimme wieder, so daß sie auch die Zuhörer in der letzten Reihe erreichte. »Ich werde euch zum Licht führen«, verkündete er. »Ich stelle meine ganze Kraft in den Dienst des
Lichtes, denn das Licht ist es, das das Universum mit Leben erfüllt. Wir, die wir hier im Schein künstlichen Lichtes leben, vergehen uns gegen die göttlichen Gesetze. Was tun wir denn, ohne darüber nachzudenken? Wir entzünden das künstliche Licht. Wir erhellen unsere ewige Nacht, ohne uns zu fragen, wer uns dieses Licht gegeben hat. Habt ihr euch nie bewußt gemacht, daß wir damit einem Götzen dienen, während gar nicht einmal so weit von uns entfernt das göttliche Licht auf uns wartet?« Im Hintergrund entstand Unruhe, als eine größere Gruppe von Sicherheitsbeamten in die Halle einzudringen versuchte. »Die Dämonen versuchen, uns daran zu hindern, dem wahren Licht zu dienen«, rief Atrap der Menge zu. »Sie wollen ihre Pfründe verteidigen und wissen in ihrer Armseligkeit doch nicht, wie kläglich ihre Bemühungen gegen die Allmacht des Lichtes sind.« Atrap sprach an diesem Tag noch zwei Stunden. Danach hatte er die Mengen in Verzückung versetzt. Er konnte sagen, was immer er wollte, seine Zuhörer glaubten ihm vorbehaltlos alles. In dieser Zeit unternahmen die Sicherheitskräfte fünfzehn Anläufe, um Atrap vom Redepult zu holen, doch es gelang ihnen noch nicht einmal, bis in seine Nähe zu kommen. Atrap triumphierte. Er war sicher, daß es nun niemand mehr wagen würde, ihn des Mordes an Calte Mol zu bezichtigen – falls überhaupt jemand auf den Gedanken kommen sollte, daß der Techniker tot war. Atrap hatte die Massen hinter sich gebracht. Nun forderten diese in Sprechchören von ihm, daß er sich an ihre Spitze stellen und sie zum Licht führen solle. Genau das war es, was er hatte erreichen wollen. Er hatte Mühe, seinen Triumph zu verbergen. »Packt zusammen, was ihr benötigt«, rief er der Menge zu. »Sorgt vor allem dafür, daß ihr für einige Tage Verpflegung habt. Danach brechen wir auf.« Der Heilmittelpriester war sicher, daß sich die STADT vollständig leeren würde. Ihre Bewohner würden in den STAHL vordringen, und nur der Herrscher mit seiner Familie würde zurückbleiben. Ein Herrscher ohne Volk. Atrap hatte Mühe, ernst zu bleiben. Vielleicht harrt der Hohepriester noch bei ihm aus, fuhr es ihm durch den Kopf. Gemeinsam werden sie auf Rache sinnen, aber es ist zu spät für sie. Die Entwicklung läßt sich nicht mehr umkehren. Der Aufbruch des Volkes wird als der »Marsch zum Licht« in die Geschichte eingehen, und ich werde zu einer geschichtlichen Persönlichkeit werden. Von mir wird man in Jahrtausenden noch sprechen. Und um meine wirtschaftliche Zukunft brauche ich mir auch keine Sorgen mehr zu machen. Er nahm die Huldigungen seiner Zuhörer entgegen und riet zugleich allen immer wieder, sich möglichst schnell mit allem Nötigen zu versorgen, damit der Marsch zum Licht beginnen konnte. Wie von selbst scharten sich immer mehr Männer um ihn, die sich besonders zu ihm hingezogen fühlten. Sie bildeten einen Sicherheitskordon um ihn. An diesen Männern scheiterte ein weiterer Versuch des Sicherheitsdiensts. Es war ein Vorstoß, der ungenügend vorbereitet war, und der Atrap bewies, daß der Hohepriester von seinem Auftritt als Verkünder des Lichtes völlig überrascht worden war. Einer der Männer kam zu ihm. »Wir sollten bald aufbrechen«, sagte er besorgt. »Man könnte versuchen, dich zu ermorden, um damit zu verhindern, daß du uns zum Glück führst.«
Der Preis der Macht, dachte Atrap. Jetzt stehe ich ganz oben. Unter, mir ist nur noch ein Heer von Neidern. »Wir brechen auf«, erklärte er. »Sofort. Die anderen werden sich uns anschließen. Wir können ohnehin nicht alle gleichzeitig gehen.« Der »Marsch zum Licht« begann. * Atlan machte sich keine Gedanken über Mrothyr. Er ahnte nichts von der psychischen Belastung, der der Zyrpher sich ausgesetzt fühlte. Er verließ die STERNSCHNUPPE zusammen mit Chipol und Don Quotte und schritt auf die Stahlkonstruktion hinaus. Er ging über einen Träger, der etwa einen halben Meter breit war, und der durch Streben mit anderen Trägern verbunden war. Schlüpfrige Flechten überdeckten den Stahl und machten jeden Schritt zu einem gefährlichen Risiko. Atlan schaltete das Fluggerät seines Einsatzanzugs ein und hob sanft ab. Im gleichen Moment verstummten die Notrufe Fartuloons. Er ließ sich auf den Träger zurücksinken und schaltete das Aggregat aus. Die Notrufe kamen wieder. Verblüfft wiederholte er den Vorgang. Danach stand fest, daß sie die Flugaggregate nicht benutzen durften, weil sie die Notrufe störten. Sie mußten gehen. Der Arkonide ließ sich auf die Knie sinken. Ein scharfer Wind pfiff ihm ins Gesicht und zerrte an ihm. Er ließ die Stahlkonstruktion klingen und singen wie ein gigantisches Musikinstrument. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Atlan sich keine Gedanken darüber gemacht, wie die planetenumspannende Stahlkonstruktion aussah, und wie man sich darauf bewegen konnte. Jetzt wurde ihm klar, daß er sich alles viel leichter vorgestellt hatte, als es tatsächlich war. Die Stahlträger wurden von Pflanzen überwuchert, so daß nicht zu erkennen war, wie fest sie darunter waren. Gab es durchgerostete Stellen, die keinerlei zusätzlicher Belastung mehr gewachsen waren? »Eines ist jedenfalls sicher«, sagte er. »Wir müssen nach unten. Fartuloon ist etwa fünfzig Kilometer von uns entfernt. Wir müssen ihn in südöstlicher Richtung suchen, aber wir können auf keinen Fall über die höchsten Stahlträger gehen. Hoffentlich kommen wir weiter unten schneller voran. Die Pflanzen können sich eigentlich nur dort halten, wo sie noch etwas Licht bekommen. Unten sieht es wahrscheinlich besser für uns aus.« Viele der Stahlstreben hatten Vorsprünge oder sprossenähnliche Verbindungen, so daß Atlan und seine beiden Begleiter wie auf Leitern an ihnen hinunterklettern konnten. Sie waren froh, bald nicht mehr dem Wind ausgesetzt zu sein, der in Böen so heftig kam, daß er sie in die Tiefe hätte schleudern können. Als sie etwa fünfzig Meter weit nach unten vorgedrungen waren, erreichten sie ein Gebiet, in dem die Stahlträger besonders weit voneinander entfernt waren, und in dem keine Möglichkeit bestand, weiter nach unten zu klettern. Immer wieder blieben sie stehen und diskutierten darüber, wie sie weiterkommen konnten. Es hatte zu regnen begonnen, und es sprühte unaufhörlich auf sie herab. Die Pflanzen saugten die Feuchtigkeit in sich auf und wurden dadurch noch glatter. »Seid vorsichtig«, mahnte Atlan seine Begleiter. »Kriecht notfalls lieber, als daß ihr ein Risiko eingeht.« Chipol pfiff leise und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn.
»Wer hier abstürzt, der hat wirklich nichts zu lachen«, stöhnte er. »Von oben sah das alles sehr viel einfacher aus.« Don Quotte rutschte aus und stürzte auf den Träger. Er fing sich geschickt ab. »Alles in Ordnung«, sagte er, als er Atlans besorgte Blicke bemerkte. »Lediglich das Fell hat ein paar grüne Flecke.« Der Schmutz auf seinem weißen Fell schien ihm jedoch nicht viel auszumachen. Etwa zehn Meter von ihm entfernt, bewegte sich ein spinnenförmiger Roboter über einen der Stahlträger. Er hatte einen kugelförmigen Körper, der einen Durchmesser von etwa einem halben Meter hatte. Seine sechs Beine waren annähernd anderthalb Meter lang und an den Seiten mit verschiedenen Werkzeugen versehen. Die Maschine verharrte an einer Strebe, klappte einen Teil eines Beines um und konnte das Werkzeug nun dazu benutzen, eine Schraube fester anzuziehen. Aus dem Kugelkörper schoben sich zwei Stielaugen empor. Sie richteten sich auf Atlan, Chipol und Don Quotte. »Hoffentlich stuft uns das Ding nicht als Fremdkörper ein, die radikal entfernt werden müssen«, sagte der Daila. An einer anderen Strebe kletterten vier Roboter der gleichen Bauart in die Höhe. Auch ihre Stielaugen blickten den Arkoniden und seine beiden Begleiter an. »Erst dachte ich, Mrothyr ist sauer, weil er im Schiff bleiben muß«, bemerkte der Wesir, »aber ich glaube, er wäre sehr froh darüber, wenn er diese Dinger sehen könnte. Ich empfinde sie als ausgesprochen ominös.« Atlan griff nach seiner Waffe. »Das sind sie auch«, erwiderte er. »Und es werden immer mehr.« Tatsächlich krochen aus allen denkbaren Richtungen Roboter heran. Sie stiegen mühelos auch an senkrechten Metallstreben hoch, so als seien sie losgelöst von jeder Schwerkraft, und es schien ihnen nicht das geringste auszumachen, daß die Pflanzen den Stahl glatt und schlüpfrig machten. Chipol zielte mit seiner Waffe auf einen der Roboter. »Soll ich mal einen abschießen?« fragte er. »Vielleicht verziehen sich dann die anderen?« »Abwarten«, befahl Atlan. »Noch wissen wir nicht, was sie von uns wollen.« »Aber wir wissen, daß sie uns den Weg versperren«, antwortete der Daila. »Wenn wir noch länger warten, sind wir von Hunderten von diesen Metallspinnen umgeben, und wir müssen schon über sie hinwegklettern, wenn wir weiterkommen wollen.« Über ihnen raschelte und rauschte es. Sie blickten nach oben und sahen einen großen, gelben Vogel, der mit heftigen Flügelschlägen herabkam. Er hatte sichtlich Mühe, sich in dem Gewirr der Stahlstreben zu bewegen. Einer der Roboter stemmte sich in die Höhe, richtete zwei seiner Beine auf den Vogel und schoß. Ein gleißend heller Energiestrahl kam aus einer unsichtbaren Quelle zwischen seinen Beinen, zuckte zu dem Vogel hinüber und verbrannte ihn. Eine stinkende Rauchwolke breitete sich aus, und einige Federn schwebten taumelnd in die Tiefe. »Ich schieße lieber nicht«, murmelte Chipol erschrocken. Ängstlich sah er sich um. Ihm wurde bewußt, daß die Roboter sie längst hätten töten können. »Wir sind ebenso Eindringlinge wie dieser Vogel«, stellte Don Quotte nüchtern fest. »Es gibt tausend Gründe dafür, daß sie ihn abgeschossen haben«, entgegnete der Arkonide ruhig. »Er könnte beispielsweise die Stahlkonstruktion gefährden oder die Roboter in sonst einer Weise bedrohen. Das hat nichts mit uns zu tun.«
»Ob sie reden können?« fragte Chipol. »Don Quotte – das müßtest du doch wissen.« »Ich weiß es.« »Und? So rede doch«, rief Chipol, während er sich nervös umsah. Er hatte das Gefühl, daß der Angriff auf ihn jeden Moment beginnen könnte. »Es gibt eine gewisse Verständigung zwischen uns«, eröffnete ihm der Großwesir und entfernte einige grüne Algen aus seinem weißen Fell. »Willst du uns nicht endlich sagen, worum es geht?« »Paß auf, daß du nicht herunterfällst«, warnte Don Quotte. »Ich kann schon auf mich aufpassen«, erwiderte der Daila gereizt. »Ich will nur endlich wissen, was los ist. Was redest du mit den Robotern?« »Ich versuche, ihnen klarzumachen, daß ich kein Gott bin.« Atlan und der Daila blickten ihn sprachlos an. »Was?« stammelte Chipol, als er sich schließlich etwas erholt hatte. »Du versuchst, ihnen weiszumachen, daß du ein Gott bist?« »Nein, mein Lieber«, wehrte der Wesir ab. »Genau das Gegenteil ist der Fall. Sie halten mich für einen Gott, und ich bemühe mich darum, ihnen auseinanderzusetzen, daß ich alles andere bin als das.« »Du mußt komplett verrückt geworden sein«, stöhnte Chipol. »Laß sie doch bei ihrer Meinung. Oder glaubst du, daß sie einen Gott und seine Begleiter abschießen werden?« »Atlan?« »Chipol hat recht. Laß dich ruhig als Gott verehren. Wir müssen so schnell wie möglich zu Fartuloon kommen. Wir müssen ihm helfen. Und dazu sollte uns jedes Mittel recht sein.« »Aber ich bin kein Gott.« »Und die Roboter werden keinen seelischen Schaden erleiden, wenn sie das irgendwann einmal begreifen.« »Also schön«, lenkte Don Quotte ein. »Ich werde ihnen die gewünschte Information zukommen lassen. Aber ich tue es nur, um Fartuloon helfen zu können.«
4. »Ich muß Atlan beweisen, daß er sich auf mich verlassen kann«, sagte Mrothyr zu sich selbst, als er durch die Schleuse der STERNSCHNUPPE auf einen der Stahlträger hinaustrat. Es regnete nicht mehr, doch die Wolken hatten sich noch nicht verzogen, und der Zyrpher hatte den Eindruck, daß es bald noch heftiger regnen würde als zuvor. Doch das störte ihn nicht. Vorsichtig ging er über den Stahlträger. Der Untergrund war glatt und schlüpfrig. Die Moosdecke hatte sich so weit regeneriert, daß die Spuren von Atlan, Chipol und Don Quotte kaum noch zu sehen waren. Mrothyr entfernte sich etwa fünfzig Meter vom Raumschiff, dann hatte er ein Stahlgerüst erreicht, in dem zahlreiche Vögel nisteten. Die Tiere stoben laut schreiend auf und flüchteten vor ihm. Mrothyr setzte sich auf eine Metallstrebe. Er konnte die Felsen sehen, über denen die STERNSCHNUPPE stand. Überall im Gestein befanden sich die Nester von Vögeln, und Myriaden von Insekten stiegen von dort auf. Mrothyr fragte sich, wie es tief unter ihm aussehen mochte, und ob es dort auch Leben gab, und wieder bedauerte er, daß er Atlan nicht hatte begleiten dürfen. Er war davon überzeugt, daß der Arkonide sehr viel Interessantes sehen würde auf seinem Weg durch das Stahlgewirr. Es wimmelte vor Leben auf dieser Welt, die auf den ersten Blick so tot ausgesehen hatte. Etwa dreißig Meter von ihm entfernt kroch ein spinnenförmiges Gebilde aus dem Gewirr der Stahlträger hervor. Es hatte einen kugelförmigen Rumpf, dessen Oberseite mit grünen und schwarzen Flechten bedeckt war. Die metallischen Beine machten deutlich, daß es sich um einen Roboter handelte. Mrothyr legte seinen Energiewerfer auf den Oberschenkel, um jederzeit schußbereit zu sein. Argwöhnisch blickte er zu der Maschine hinüber. Er wurde sich dessen bewußt, daß er sich ein wenig zu weit von der STERNSCHNUPPE entfernt hatte, ohne den Rückweg ausreichend zu sichern. Er erhob sich und ging vorsichtig einige Schritte auf das Raumschiff zu. Plötzlich blitzte es beim Roboter auf. Im gleichen Moment rutschte der Zyrpher aus und fiel hin. Er klammerte sich instinktiv mit einem Arm an den Stahlträger, während er mit der anderen Hand die Waffe hielt. Ein Energiestrahl schoß dicht an ihm vorbei und blendete ihn. Er schloß die Augen, öffnete sie jedoch sogleich wieder und sah, daß sich ihm der Roboter näherte. Da er in dieser Position nicht schießen konnte, ließ er sich fallen. Er fiel etwa zwei Meter tief und rutschte dann an einem schräg in die Tiefe führenden Stahlband entlang, das dicht mit Moos bedeckt war. Abermals zuckte ein Energiestrahl an ihm vorbei. Im ersten Moment verwünschte der ehemalige Freiheitskämpfer, daß er wegen der Flechten keinen Halt fand, doch dann wurde ihm bewußt, daß er sich schwer verletzt hätte, wenn das Moos nicht vorhanden gewesen wäre. Er streckte die Beine aus und fing sich an einem Pfeiler ab. Er hatte so viel Schwung, daß ihm die Beine einknickten. Für einige Sekunden hing er eingeklemmt zwischen den Stahlstreben und wußte nicht, wie er freikommen sollte. In seiner Bedrängnis sah er sich nach dem Roboter um. Er entdeckte die Maschine schon bald. Sie kroch auf vier Beinen gehend auf ihn zu und richtete die beiden anderen wie die Läufe von Gewehren auf ihn. Er feuerte seinen Energiestrahler blindlings ab und verfehlte den Roboter. Dann endlich gelang es ihm, sich aus seiner unglücklichen Lage zu befreien. Er balancierte über einen Träger und suchte dann hinter einem senkrecht aufsteigenden Pfeiler Schutz, wobei es ihn wenig störte, daß Insekten über seine Hände krochen. Er zielte sorgfältig, bevor er schoß, und diesmal traf er den Roboter. Der Energiestrahl riß der Maschine zwei Beine weg, bevor er den Rumpfkörper streifte. Der Roboter versuchte, sich auf den anderen Beinen zu halten, stürzte jedoch vom Träger und verschwand in der Tiefe.
Mrothyr blickte ihm aufatmend nach, verlor ihn jedoch bald aus den Augen. Er hörte, wie er tief unter ihm immer wieder gegen die Stahlkonstruktion prallte und von einem Hindernis gegen das nächste geschleudert wurde. Dann aber blitzte es plötzlich auf, und die Maschine explodierte mit einem ohrenbetäubenden Krachen. Mrothyr hatte sich aufgerichtet. Er stand ungesichert auf einem Metallträger und wähnte sich sicher. Doch die Druckwelle der Explosion überraschte ihn und warf ihn zurück. Plötzlich gähnte ein Abgrund unter ihm. In seinem Schrecken verlor er den Energiestrahler aus den Händen. Er warf sich mit aller Kraft herum und versuchte, einen Stahlträger zu packen, doch das gelang ihm nicht. Er stürzte an ihm vorbei und gab sich verloren. Etwa zwanzig Meter tiefer schlug er auf eine waagerecht verlaufende Strebe. Er fühlte einen heftigen Schlag und glaubte zerschmettert zu werden. Doch die Strebe gab nach und fing ihn ab. Er glitt daran entlang, und das Moos darauf verhinderte, daß er sich die Hände aufriß. Gleichzeitig verwehrte es ihm jeglichen Halt. Verzweifelt klammerte Mrothyr sich mit beiden Armen um die Strebe, um den rasenden Sturz in die Tiefe zu beenden. Doch er rutschte weiter und weiter auf das Ende der frei schwingenden Strebe zu, bis er schließlich eine Stelle erreichte, die nicht mit Moos bedeckt war. Sein Sturz endete, aber er hing frei an der Strebe, die heftig hin und her schwankte. Unter ihm gähnte ein Abgrund von etwa hundert Metern, und der nächste Stahlträger war etwa fünfzehn Meter seitlich von ihm. Es gab nur eine einzige Möglichkeit für ihn, sich zu retten. Er mußte an der Strebe nach oben klettern. Ausgeschlossen, dachte er verzweifelt. Es ist so glatt, daß ich mich kaum daran halten kann. Er versuchte, sich nach oben zu hangeln, glitt jedoch ab und fand sich am Ende der Strebe wieder, wo ihm ein kleiner Haken Halt bot. In diesem Moment der absoluten Hoffnungslosigkeit erinnerte er sich an den Kampf der verlorenen Seele, einer Übung, der er sich noch nie unterworfen hatte, und die für einen Zyrpher nur in der Stunde der höchsten Not in Frage kam, da sie zur totalen Erschöpfung und sogar zum Tod führen konnte, weil der Körper sämtlicher Kräfte beraubt wurde. »Mrathyratk«, keuchte er und konzentrierte sich mit aller Kraft. Seine Augen schlossen sich, und er fühlte, wie ihm die Mütze vom Kopf rutschte. Seine Umwelt versank. Mrothyr spürte nur noch seine Hände. Seine ganze Lebenskraft schien in sie überzugehen, seine Persönlichkeit schien sich in ihnen zu verlieren. Entweder ich finde mich oben an der Strebe und in Sicherheit wieder, oder dies sind die letzten Gedanken, die ich fassen kann, schoß es ihm durch den Kopf. Er wußte, daß er es nicht mehr spüren würde, wenn er es nicht schaffte. In einem Zustand, der einer Trance ähnlich war, würde er in die Tiefe stürzen und irgendwo aufschlagen, ohne ins Bewußtsein zurückzukehren. Atlan! loderte ein Gedanke in ihm auf. Du mußt es schaffen. Du mußt ihm beweisen, daß du ein Freund bist, auf den er sich verlassen kann. *
Die Lenker der Stählernen konnten mit ihrem Erfolg zufrieden sein. Atlan, der Mann, den sie töten sollten, war ihnen in die Falle gegangen und näherte sich ihnen nun. »Wir brauchen nur noch abzuwarten, bis er hier ist«, stellte Drabendhor fest. »Dann können wir ihn neutralisieren.« »Das kann noch Stunden oder sogar Tage dauern«, bemängelte Mulenus. »Deshalb brauchen wir doch nicht wie die Ölgötzen hier auf den Stahlträgern herumzusitzen und zu warten.« »Was gefallt dir daran nicht?« fragte Helomas. »Ich bin neugierig«, gab Mulenus zu. »Ich möchte mehr von dieser Welt wissen. Habt ihr schon einmal versucht, Kontakt mit den Stählernen aufzunehmen und sie zu lenken?« »Nein. Wozu auch?« entgegnete Helomas. »Es genügt völlig, sie einzuschalten, wenn Atlan hier auftaucht.« »Das könnte sich als Fehler erweisen.« Drabendhor und Helomas blickten Mulenus erstaunt an. »Was willst du damit sagen?« fragte Drabendhor. Der Ligridenabkömmling hatte bisher neben dem Monitor gesessen und sich schläfrig an einen Stahlpfeiler gelehnt. Jetzt richtete er sich auf. Mulenus gefiel, daß er die Aufmerksamkeit der beiden anderen erregt hatte. Er lächelte geschmeichelt. »Was ich damit sagen will?« Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Versucht es doch einmal.« Auf diesen Gedanken waren Drabendhor und Helomas bisher noch nicht gekommen. »Wozu?« forschte Drabendhor argwöhnisch. »Was willst du damit erreichen?« »Ich? Überhaupt nichts. Warum probierst du es nicht einfach aus? Dann kennst du die Antwort und mußt mich nicht noch länger fragen.« »Du versuchst doch irgendein übles Spiel«, vermutete Helomas. »Hoffentlich vergißt du dabei nicht, welchen Auftrag wir haben. Wir haben einig zu sein. Streitigkeiten und Auseinandersetzungen widersprechen unseren Befehlen.« »Befiehl einem der Stählernen, zu dir zu kommen«, empfahl Mulenus ihm. »Na schön«, seufzte Helomas. »Du bist anscheinend nicht bereit, mir zu antworten. Machen wir es also anders.« Er blickte sich um und entdeckte nur noch einen der spinnenförmigen Roboter. Die Maschine war etwa fünfzig Meter von ihm entfernt und kroch senkrecht an einem Stahlpfeiler hoch. Er schickte einen geistigen Befehl zu dem Roboter hinüber, mit dem er ihn zu sich beorderte. Die Maschine reagierte nicht. Helomas blickte Drabendhor verblüfft an, und nun befahl dieser den Stahlmann zu sich. Ohne Ergebnis. Der Roboter kletterte weiter am Pfeiler in die Höhe und verschwand wenig später im Gewirr der Stahlkonstruktionen. »Du hast es verhindert«, klagte Drabendhor Mulenus an. Der Fjukerabkömmling lachte schallend. »Ich? Hast du den Verstand verloren? Was habe ich damit zu tun, daß diese Stählernen anders reagieren, als wir gewohnt sind?«
Drabendhor griff sich mit beiden Händen an den Schädel. »Ich glaube, ich verliere den Verstand«, stöhnte er. »Wir haben einen klarumrissenen Auftrag. Wir haben uns einig zu sein. Und was passiert? Du, Mulenus, machst eine Entdeckung von größter Tragweite, hältst es aber nicht für nötig, es uns zu sagen.« »Ich habe es nicht verschwiegen.« »Du hast es uns höchst beiläufig mitgeteilt«, stellte Drabendhor zornig fest. »Was hast du herausgefunden?« fragte Helomas. »Ich finde, du solltest endlich ein wenig ausführlicher werden.« »Ich habe einige Male versucht, den Stahlmännern bestimmte Befehle zu erteilen, und mußte jedesmal feststellen, daß sie nicht gehorchen.« »Aber zu Anfang haben sie sich untergeordnet«, stellte Drabendhor fest. »Wir haben einige Experimente gemacht, nachdem man uns auf diesem Planeten abgesetzt hatte. Die Stahlmänner haben keine Schwierigkeiten gemacht. Wieso jetzt?« »Wenn ich das wüßte«, seufzte Mulenus. Ratlos blickten sich die drei Lenker der Stählernen an. »Ein Geheimnis umgibt diesen Planeten«, stellte Drabendhor fest. Er rieb sich die Schläfen. Er hatte Mühe, seine Gedanken zu ordnen und sich zu konzentrieren. Auf viele Situationen war er vorbereitet, nicht jedoch darauf, daß sich die Stählernen seinem Befehl entzogen. Es fiel ihm schwer, diese Tatsache zu akzeptieren. Tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Er war keineswegs der Ranghöchste der Lenker, aber er fühlte sich nicht nur für sich, sondern auch für Mulenus und Helomas verantwortlich. Deshalb meinte er auch, für die beiden anderen die Lösung finden zu müssen. Gab es wirklich ein Geheimnis um diesen Planeten? Warum hatten die Stählernen zu Anfang gehorcht und taten es nun nicht mehr? War inzwischen etwas geschehen, das diese Veränderung herbeigeführt hatte? Gab es neben ihnen selbst und den Stählernen noch eine weitere Macht auf diesem Planeten, von der sie noch gar nichts wußten? Oder kam die Wandlung nicht von außen, sondern von innen? Hatten sie ihre Fähigkeit verloren, die Stählernen mit geistigen Befehlen zu beherrschen? Oder bezog sich dieser Verlust nur auf die Stählernen auf diesem Planeten? Betroffen blickte Drabendhor die beiden anderen Lenker an. Er wußte, daß er etwas unternehmen mußte, aber er wußte nicht, was er tun mußte. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß der Auftrag in Gefahr war. Wenn die Stählernen nicht gehorchten, würden sie Atlan nicht neutralisieren können – zumindest nicht so leicht und mit den Mitteln, die geplant waren. »Du bist ein unglaublicher Idiot«, schrie er Mulenus an. »Du hast überhaupt nicht begriffen, was das alles zu bedeuten hat.« In plötzlich aufkommendem Zorn trat er nach dem Fjukerabkömmling und traf ihn am Oberschenkel. Mulenus verlor das Gleichgewicht und rutschte vom Träger. Erschrocken umklammerte er den Stahl und konnte sich gerade noch abfangen. »Hast du den Verstand verloren?« keuchte er, als er unter dem Stahlträger baumelte. Helomas kniete sich über ihm hin und half ihm wieder nach oben. »Wenn du mich umbringst, können wir den Auftrag überhaupt nicht ausführen.« »Dein Verhalten wird Folgen haben«, drohte Drabendhor, den nicht im geringsten berührte, daß der Fjukerabkömmling beinahe abgestürzt wäre. »Mit deinem leichtfertigen Verhalten hast du klar gegen die Weisungen der Hyptons verstoßen. Das kann nicht ohne Konsequenzen bleiben.«
»Reißt euch zusammen«, bat Helomas, der der Auseinandersetzung der beiden anderen Lenker etwas hilflos gegenüberstand. »Vergeßt euren Ärger und denkt nur an die Schwierigkeiten, die wir haben. Wenn wir die nicht überwinden, spielt die Schuldfrage ohnehin keine Rolle mehr.« Drabendhor dachte eine Weile nach. »Ein vernünftiges Wort«, lobte er Helomas dann. »Also – was machen wir?« fragte Mulenus. Drabendhor zeigte auf den Monitor, auf dem die STERNSCHNUPPE zu sehen war. »Wir wissen, wie schwer es ist, auf diesen Stahlträgern voranzukommen. Daher können wir davon ausgehen, daß Atlan wenigstens noch zwanzig Stunden braucht, bis er hier ist. Wir werden also nach unten steigen und uns auf die Suche nach einigen Stählernen machen. Wir werden mit ihnen experimentieren und versuchen, die Falle für Atlan aufzubauen. Wenn das nicht gelingt, müssen wir uns etwas einfallen lassen.« »Wir müssen ihn ohne die Hilfe der Stählernen neutralisieren«, bemerkte Helomas. »Genau das habe ich gemeint. Und das sollte uns nicht zu schwer fallen. Notfalls genügt es, die Stahlkonstruktionen in dem Bereich, in dem Atlan Fartuloon suchen wird, so zu schwächen, das sie unter seiner Last zusammenbrechen. Der Sturz in die Tiefe wird ihn neutralisieren.« Die drei Lenker der Stählernen waren sich einig. Sie machten sich auf die Suche nach Robotern. * Atrap blieb unwillkürlich stehen, als er das Ende des Tunnels erreichte und damit das Tor durchschritt, das die Grenze des eigenen Stammesbereichs darstellte. Im Licht einiger Fackeln sah er einige Stahlpfeiler. Sie waren von ganz anderer Art als alle anderen, die er bisher kannte. Sie waren ungemein wuchtig und mächtig, und auch die waagerecht verlaufenden Träger waren so groß, daß er sie kaum mit seinen Blicken erfassen konnte. »Sie tragen die Last der gesamten Konstruktion«, bemerkte jemand mit rauchiger Stimme neben ihm. Es war eine Stimme, die ungemein erotisierend auf ihn wirkte. Er drehte sich um und sah eine junge, ungemein reizvolle Frau. Sie hatte ein fülliges Gesicht mit einer vorspringenden Nase und vollen, weichen Lippen. Ein Hut aus kunstvoll zusammengebundenen Federn bedeckte ihren Kopf, und sie hatte sich die Fußspitzen blau angemalt. Das waren die Hauptmerkmale, die ihm auf den ersten Blick auffielen, und die sein Blut in Wallung brachten. »Wer bist du?« fragte er erstaunt. Er fühlte sich zu der jungen Frau hingezogen, und es schmeichelte seiner Männlichkeit ungemein, daß sie zu ihm gekommen und ihn angesprochen hatte. Bewies das nicht, daß sie ihn attraktiv fand? Er wurde sich seiner Führerrolle bewußt und hoffte, sie ihr gegenüber ausnutzen zu können. »Ayhja«, erwiderte sie mit einem gewinnenden Lächeln. »Diese Konstruktionen sind wahrhaft atemberaubend, nicht wahr?« »Das sind sie«, stimmte er zu, »aber sie sind nicht alles.« »Nicht?« »Nein, natürlich nicht. Sie enden dort, wo das Licht beginnt, wo sich uns eine neue Welt öffnet, jene Welt, zu der ich euch führen werde.« »Ich bewundere dich.«
»Ich werde dir Gelegenheit geben, mir das noch etwas deutlicher zu zeigen.« Sie verstand ihn, und sie zog verschämt ihre Stielaugen in die Höhlen zurück. »Ich möchte, daß du an meiner Seite bleibst«, sagte er rasch, um zu verhindern, daß sie sich von ihm entfernte, wie es Sitte und Moral verlangt hätten. »Ich gehorche«, erwiderte Ayhja. Atrap entdeckte einige Wachen der Cla-Koaken, die ängstlich hinter den Stahlpfeilern hervorblickten. Sie waren mit Lanzen bewaffnet, und er hielt es für wahrscheinlich, daß sie in ihrer Bedrängnis angriffen. Er konnte sie verstehen. Er selbst hätte angesichts einer solchen auf ihn zurückenden Menge kaum anders gehandelt. »Geht zu ihnen und beruhigt sie«, befahl er einigen Männern in seiner Nähe. »Sagt ihnen, daß sie keine Angst zu haben brauchen. Wir wollen ihr Gebiet passieren. Weiter nichts.« Vorsichtig und mit besänftigend erhobenen Händen gingen die Männer auf die Wachen zu. »Wir kommen im Namen des Lichtes«, rief einer von ihnen. »Unser einziger Gedanke gilt dem Frieden.« Die Wachen zogen sich in das Dunkel zwischen den Stahlpfeilern zurück. Atrap hörte, wie sie durch einige Pfützen liefen. »Weiter«, rief er. »Das Licht wartet auf uns.« »Sie wissen nichts«, stellte Ayhja fest. »Sie hatten noch keine Gelegenheit, dich zu hören. Vielleicht solltest du eine Gruppe von Gläubigen vorausschicken. Sie könnte deine Botschaft verkünden und gewisse Vorbereitungen für dich treffen.« »Ein kluger Gedanke«, lobte er. »Was für Vorbereitungen meinst du?« »Sie könnte dafür sorgen, daß du bereits einige hundert Männer und Frauen vorfindest, die bereit sind, dir zuzuhören.« Er strich mit einer zärtlichen Geste über die Wölbung ihrer Körperschale. »Ich bin froh, daß du zu mir gekommen bist«, lobte er und ließ seinen Kopf hin und her rollen, um zu unterstreichen, wie ernst er es meinte. »Du wirst eine solche Gruppe zusammenstellen und vorausschicken.« »Das tue ich gern für dich.« Sie wandte sich um, streckte die Arme in die Höhe und rief einige Männer und Frauen zu sich. Während die Menge der Atrap-Anhänger weiterzog, gab sie ihr die nötigen Anweisungen und schickte sie dann voran. Die Männer und Frauen gehorchten, ohne Fragen zu stellen. Sie waren glücklich, etwas für Atrap tun zu können. Die Gruppe eilte in einen Gang hinein, der vor Feuchtigkeit triefte. Das Wasser lief in breiten Bächen an den Stahlträgern herab und bildete große Pfützen auf dem Boden, bevor es in den Bodenspalten abfloß. Als die Gruppe etwa hundert Meter von Atrap entfernt war, wurde sie durch ein eigenartiges Geräusch aufgehalten, das von oben kam. Es hörte sich an, als ob mehrere große Gegenstände mit großer Wucht gegen die Stahlträger schlugen. Die Gespräche der Menge verstummten. Ängstlich blickten die Männer, Frauen und Kinder nach oben. Atrap erfaßte als einer der ersten, was geschah. »Irgend etwas fällt von oben herab«, flüsterte er Ayhja zu. »Es muß ein großer Metallkörper sein.«
Für einige Sekunden wurde es still, dann aber krachte es lauter als zuvor, und eine heftige Explosion folgte. Gleißend helle Blitze schossen durch einen Spalt in der Stahlkonstruktion nach unten und hüllten die Männer und Frauen der Vorausgruppe ein. Mehrere von ihnen brachen schreiend zusammen. Sie preßten sich die Hände vor die Augen, und Atrap mußte an die Berichte von Calte Mol denken, die er gelesen hatte. War dies schon das Licht, von dem der Techniker gesprochen hatte? »Du mußt etwas tun«, schrie Ayhja. »Oder willst du, daß eine Panik ausbricht?« Erschrocken fuhr Atrap herum. Er erkannte, daß die Warnung der jungen Frau berechtigt war. Bisher war ihm die Menge kritiklos gefolgt, getragen von einer Massenhysterie, in der es nichts anderes gab als blinden Gehorsam. Jetzt drohte die Stimmung umzuschlagen. Die Männer, Frauen und Kinder wichen vor ihm zurück, als sei er für die Explosion verantwortlich. Atrap sprang kurzentschlossen auf den Rücken eines der Männer, so daß er alle anderen überragte. Beschwörend streckte er die Arme in die Höhe. »Das Licht hat geantwortet«, schrie er, wobei es ihm gelang, so zu tun, als könne er sich vor Freude kaum fassen. »Erschreckt nicht vor ihm. Was ist denn schon geschehen? Einige von uns sind geblendet worden, weil sie die Augen nicht rechtzeitig verschlossen haben. Seht sie euch an. Sie sind unverletzt, nur ein bißchen durcheinander, weil sie vom LICHT überrascht worden sind. Das ist alles. Es ist nicht mehr und nicht weniger geschehen, als wir alle gehofft hatten. Das LICHT hat uns eine Botschaft geschickt. Es hat uns wissen lassen, das wir ihm willkommen sind. Gehen wir weiter. Folgen wir der Einladung. Gehen wir zum LICHT!« Diese wenigen Worte genügten, die Menge zunächst zu beruhigen und dann erneut für die Idee zu begeistern. Atrap eilte den Koaken voraus, obwohl er sich selbst fürchtete und sich nicht erklären konnte, was geschehen war. Er wußte, daß die Explosion nichts mit dem Licht zu tun hatte, zu dem er sein Volk führen wollte. Er wußte aber auch, daß er keine Furcht zeigen durfte, wenn er sein Volk nicht schon jetzt wieder verlieren wollte. Verstohlen blickte er nach oben, und er sah, daß über ihm etwas glühte. Die Explosion mußte viel stärker gewesen sein, als er angenommen hatte. Sie waren vor ihren Auswirkungen durch das Gewirr der Stahlträger geschützt worden. Wenn das Ding, das da heruntergefallen ist, vor unseren Füßen explodiert wäre, dann wären wir jetzt alle tot, erkannte er. Ein spinnenförmiger Roboter flüchtete vor ihm ins Dunkel. Die Maschine bewegte sich eigenartig schwerfällig, als wüßte sie nicht so recht, wohin sie sich wenden sollte. Der Heilmittelpriester begriff. Entweder war einer der Roboter explodiert, oder es hatte eine Schaltstelle getroffen, von der aus die Roboter gelenkt wurden. Calte Mol hatte schon immer behauptet, daß es so etwas gab. »Warum sollten nur wir Koaken Anführer haben?« hatte er eines Tages gefragt, als er von einer seiner Expeditionen zurückgekehrt war. »Warum sollten die Stahlspinnen so etwas nicht kennen? Das wäre doch unlogisch – oder?« Atrap fühlte, wie ihm ein kalter Schauer über die Wölbung seiner Körperschale lief. Er hatte sich schon immer vor den Stahlspinnen gefürchtet. Jetzt waren sie – so meinte er – noch unberechenbarer und damit noch gefährlicher geworden.
5. Zu Hunderten rückten die Roboter heran, nachdem Don Quotte sie hatte wissen lassen, daß sie sich nicht in ihm geirrt hatten. »Ich hoffe, ihr seid nun zufrieden«, sagte er. »Sie halten mich wahrhaftig für einen Gott.« »Dann kommen wir zum nächsten Schritt«, erwiderte Atlan. »Befiehl ihnen, uns den Weg freizumachen.« »Das habe ich getan«, erklärte er gleich darauf, »aber das gefällt ihnen nicht. Sie haben uns ein Angebot gemacht.« »Ein Angebot?« fragte Chipol. Er tippte sich mit dem Finger gegen die Schläfe. »Macht man einem Gott ein Angebot?« »Was wollen sie?« erkundigte sich der Arkonide. »Sie wollen uns tragen«, eröffnete Don Quotte ihm. »Das ist natürlich was anderes«, rief der Daila erleichtert. »Was Besseres kann uns gar nicht passieren. Auf welche Stahlspinne soll ich mich setzen?« »Abwarten«, erwiderte der Wesir. »Erst bin ich dran.« Er ließ einen der Roboter an sich herankommen und setzte sich auf den Kugelkörper. Atlan und der Daila staunten. Sie befürchteten zunächst, die Maschine werde unter der Last zusammenbrechen, doch sie schien Don Quotte überhaupt nicht zu spüren. Sie bewegte sich so leicht und mühelos wie zuvor. »Schließt euch mir an«, rief der Wesir ihnen zu. Er reckte einen Arm in die Höhe. »Folgt mir, dem Gott der Stahlspinnen.« »Du bist mehr ein Gott der Spinner«, spöttelte Chipol, »aber in dieser Hinsicht wollen wir uns nicht so festlegen.« Die Spinnen bewegten sich mit immer größerer Geschwindigkeit, wobei sie keinen Unterschied machten, ob es auf gleicher Höhe weiterging, oder ob der Weg senkrecht in die Tiefe führte. Atlan und seine beiden Begleiter klammerten sich an die Roboter und ließen sich mitschleppen, da die Hauptrichtung stimmte. Der Arkonide überprüfte immer wieder, ob sie noch dem Funksignal folgten, das nahezu ununterbrochen einlief, und er stellte fest, daß die Roboter bemüht waren, die Richtung zu halten. »Ich nehme an, du gibst ihnen den Befehl, auf die Funksignale zu achten«, sagte er zu Don Quotte. »Völlig richtig«, antwortete der vermeintliche »Gott« der Roboter. »Wie seid ihr mit mir zufrieden?« »Bis jetzt ganz gut«, erwiderte Chipol. »Mir wäre es allerdings lieber, die Biester würden sich nicht so schnell bewegen. Vor allem nicht, wenn es nach unten geht.« Er blickte nach oben, wo kaum noch etwas vom Himmel zu sehen war. Sie befanden sich mittlerweile etwa vierhundert Meter unter den höchsten Stahlträgern, und zahllose Streben versperrten die Sicht auf den Himmel. In dieser Tiefe waren die Träger nur noch mit wenigen Flechten bedeckt, so daß sie nicht mehr so rutschig waren. Der Rost nagte allerdings überall an ihnen und ließ sie brüchig erscheinen. Daß sie tatsächlich an vielen Stellen erheblich an Stabilität eingebüßt hatten, zeigte sich mehrere Male in beängstigender Weise. Die Robotspinnen hatten offenbar das höhere Gewicht durch die Last, die sie trugen, nicht einkalkuliert, denn sie eilten immer wieder über Träger hinweg, die knirschend unter ihnen nachgaben. Sie bewegten sich
allerdings so schnell, daß sie die Gefahrenzone jedesmal rechtzeitig wieder verließen, was das Sicherheitsgefühl des Arkoniden und seiner Begleiter jedoch keineswegs erhöhte. Chipol erhob Einspruch, doch Atlan wies ihn ab. »Ohne die Roboter kommen wir viel schlechter und keineswegs sicherer voran«, sagte er. »Und mir kommt es darauf an, so schnell wie möglich zu Fartuloon zu kommen. Wenn es dir zu gefährlich ist, kannst du ja zurückbleiben.« »Ich möchte Fartuloon helfen, weil er dein Freund ist«, widersprach der Daila beleidigt. »Und ich werde keineswegs kneifen.« * Mrothyr kam allmählich wieder zu sich. Verwirrt blickte er auf seine Hände, die sich um einen Stahlträger klammerten. Sie sahen grau aus und schienen nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Er konnte sie nicht bewegen. Er fühlte sich schwach und ausgelaugt, und nach und nach erst wurde ihm bewußt, daß eine gewaltige körperliche Anstrengung hinter ihm lag. Er drehte sich um und sah die Strebe, an der er in einem tranceähnlichen Zustand hochgekrochen war. Es erschien ihm unglaublich, daß er sich daran gehalten hatte. Doch es war ein Kraftakt gewesen, wie ihn ein Zyrpher nur höchst selten in seinem Leben vollbringen konnte, wenn er die letzten Leistungsreserven mobilisierte. Er war in Sicherheit. Er hatte es geschafft. Jetzt konnte er weiter nach einem Weg suchen, Atlan zu beweisen, daß er ein echter Freund war. Er konzentrierte sich ganz darauf, die Hände vom Stahl zu lösen, und endlich gelang es ihm. Das Leben kehrte in die Hände zurück, und damit auch das Gefühl. Unwillkürlich schrie er auf. Ihm war, als seien seine Hände eingequetscht. Die Schmerzen machten ihm deutlich, was geschehen war. Er verlor das Bewußtsein. Als sich ihm scharfe Krallen in den Rücken bohrten, kam er wieder zu sich. Unwillkürlich richtete er sich auf und hob gleichzeitig einen Arm. Ein Schnabelhieb traf sein Handgelenk und riß es auf. Dann spürte er mächtige Schwingen, und der Druck auf seinen Rücken verstärkte sich, als der Vogel sich abstieß, um sich in die Luft zu erheben. Er wollte sich bewegen, konnte es jedoch nicht. Das Tier war so schwer, daß es ihn förmlich gegen den Stahl preßte. Unmittelbar darauf sah er den Vogel, als er am Träger entlangstrich und sich dann mit wuchtigem Flügelschlag aus dem Gewirr der Stahlkonstruktion löste. Der Vogel hatte eine Spannweite von etwa siebzig Zentimetern. Mrothyr wollte es nicht glauben. Er senkte den Kopf, preßte das Gesicht gegen den Stahl und schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er den Vogel erneut, und er begriff, daß er sich nicht geirrt hatte. Unter normalen Umständen hätte er einen Vogel dieser Größe mühelos mit dem Arm zur Seite gestoßen. Jetzt aber war es ihm vorgekommen, als hätte eine Zentnerlast auf seinen Schultern gelegen. Ich bin so schwach, eine Maus könnte mich umwerfen, erkannte er. Hoch über ihm stand die STERNSCHNUPPE. Er hätte sie nie verlassen dürfen. Er hätte warten müssen, daß Atlan sich meldete, um ihm im Notfall helfen zu können. Jetzt war er etwa hundert Meter vom Raumschiff entfernt, und ihm fehlte die Kraft, auch nur einen einzigen Meter in die
Höhe zu steigen. Er machte sich heftige Vorwürfe. Ich wäre nie in diese Lage gekommen, wenn ich nicht so leichtsinnig gewesen wäre, warf er sich vor. Wenn Atlan jetzt um Hilfe ruft, höre ich ihn noch nicht einmal. Verzweifelt blickte er zum Raumschiff hinauf. Warum reagierte die STERNSCHNUPPE nicht? Hätte sie ihn nicht mit einem Traktorstrahl mühelos an Bord holen können? Nahm sie ihn nicht wahr? Erkannte sie seine Notsituation nicht? Er vernahm ein metallisches Scharren, und als er zurückblickte, entdeckte er einen spinnenförmigen Roboter, der sich ihm näherte und dabei tastend seine vorderen beiden Beine ausstreckte. Mrothyr fühlte Panik in sich aufkommen. Wollte der Roboter ihn angreifen? War die Maschine nicht wie eine große Spinne, die ihre Rüssel auf ihn richtete, um ihm das Blut aus dem Körper zu saugen? In seiner Angst und seinem Entsetzen glaubte er, Saugöffnungen an den Enden der Beine zu sehen, und als der Roboter nahe genug bei ihm war, stieß er in seiner Verzweiflung mit den Beinen nach ihm. Er traf den Rumpfkörper, hörte es knirschen und sah dann den Roboter in die Tiefe fallen. Die Maschine prallte etwa hundert Meter unter ihm auf einen Stahlträger, hüpfte von dort zur Seite und verschwand krachend im Gewirr der Stahlkonstruktion. Mrothyr wartete auf die Explosion, doch die kam nicht. Es rumorte lediglich unter ihm, als seien durch den herabgestürzten Stählernen Dutzende anderer Roboter aufgeschreckt worden, und er glaubte, hektische Bewegung unter sich im Dunkel wahrzunehmen. Irgend etwas in ihm krampfte sich zusammen. Was war da unten? Plötzlich blitzte es auf. Lautlos breitete sich grelles Licht unter ihm aus und erhellte für den Bruchteil von Sekunden ein Gebilde, das aussah wie ein großes, mit wuchtigen Zacken versehenes Zahnrad. Mrothyr strengte seine Augen vergeblich an, nachdem es wieder dunkel geworden war. Er konnte nichts erkennen. Das Kreischen eines Vogels schreckte ihn auf. Er hob den Kopf, und dann konnte er gerade noch abwehrend eine Hand hochreißen. Ein Schnabelhieb traf sein Handgelenk, und dann fuhren ihm scharfe Krallen über den Schädel. Sie nahmen die letzten Haare mit, die er noch hatte. Die Kehle schnürte sich ihm zu, als er sich dessen bewußt wurde, was es bedeutete, daß er die Haare verloren hatte. Seine Jugend war vorbei. Er fühlte sich wie ein alter Mann, der an der Schwelle des Todes stand, und eine maßlose Enttäuschung machte sich in ihm breit. Wofür hatte er gelebt? Wofür hatte er gekämpft? War es ihm nicht um die Freiheit für Zyrph gegangen? Hatte er nicht sein ganzes Leben für dieses Ziel geopfert? Und was hatte er erreicht? Nichts! Zyrph befand sich nach wie vor in den Händen einer fremden Macht. Seine Heimat wurde nach wie vor von Naldrynnen und Hyptons beherrscht. Ihm war es nicht gelungen, dieses Herrschaftssystem zu erschüttern oder zu schwächen. Der Vogel umkreiste ihn und setzte zu einem erneuten Angriff an. Wieder hob der ehemalige Freiheitskämpfer eine Hand, war jedoch viel zu kraftlos, um Eindruck auf das Tier machen zu können. Es verletzte ihn erneut. Zwei weitere Vögel der gleichen Art stiegen aus dem Gewirr der Stahlträger auf, herbeigelockt von
den Schreien des ersten. Ich muß nach unten, sagte Mrothyr sich. Da unten ist irgend etwas, was wichtig sein könnte. Ich kann es schaffen, dorthin zu kommen. Für die STERNSCHNUPPE fehlt mir die Kraft. Vielleicht kann ich mich in dem Ding da unten erholen. Vorsichtig schob er sich auf dem Träger entlang, bis er einen abwärts führenden Pfeiler erreichte, der mit zahlreichen Vorsprüngen versehen war. Er wollte gleich daran herunterklettern, war jedoch von der kurzen Wegstrecke auf dem Träger so erschöpft, daß er eine Erholungspause einlegen mußte. Er hörte die Vögel um sich kreisen und spürte ihre Schnabelhiebe, empfand jedoch keinen Schmerz. Es berührte ihn nicht, daß die Tiere ihn angriffen und verletzten. Er konzentrierte sich nur auf das Gebilde, das tief unter ihm war. Alles andere war ihm gleichgültig. Nach geraumer Zeit schaffte er es, sich vom Träger gleiten zu lassen und mit dem Abstieg zu beginnen. Zentimeter für Zentimeter kam er voran. Er hatte es sich leichter vorgestellt, nach unten zu klettern, doch er war so schwach, daß er sich kaum halten konnte. So schob er seine Hände vorsichtig bis zur nächsten Sprosse vor, um nur nicht den Kontakt mit dem Metall zu verlieren und die andere Hand zu stark zu belasten. Die Vögel attackierten ihn. Sie hatten erkannt, wie hilflos er war, und sie gaben nicht nach. Schließlich schlug er in seiner Verzweiflung nach einem von ihnen, traf ihn und schleuderte ihn weit zur Seite. Das verschaffte ihm für einige Zeit Luft, und dieser kleine Erfolg tat ihm noch in anderer Hinsicht gut. Er festigte sein Selbstbewußtsein und verlieh ihm neue Kräfte. Mrothyr kam nun ein wenig schneller voran, und als er sich schließlich bäuchlings auf einen Träger legte, um sich auszuruhen, konnte er das Gebilde wieder deutlich sehen. Es hatte einen Durchmesser von etwa hundert Metern, und er schätzte, daß es ungefähr dreißig Meter hoch war. Er richtete sich auf, um sich rittlings auf den Träger zu setzen. Plötzlich fühlte er sich besser. Die Kräfte schienen zurückzukehren. Erschauernd blickte er zu der Strebe hinauf, an der er heruntergerutscht war. Warum so pessimistisch, junger Freund? fragte er sich selbstironisch. Bisher hast du deine Probleme mit Optimismus gelöst und bist gut dabei gefahren. Und so wollen wir es auch weiterhin halten. Er ließ sich zu einer Strebe hinuntergleiten und hangelte sich dann an einem Pfeiler herab. Gleich darauf merkte er, daß er sich überschätzt hatte. Er griff daneben, rutschte ab und stürzte etwa zwei Meter tief, bevor es ihm gelang, sich wieder abzufangen. Erschrocken klammerte er sich an das Eisen. Nur nicht unvorsichtig werden, ermahnte er sich. Das Ziel lag dicht vor ihm, doch erreicht hatte er es noch nicht. Er blieb stehen und atmete einige Male tief durch. Dann schritt er über einen Träger zu einer Metallwand hinüber, in der ihm einige Fugen aufgefallen waren. Er tastete sie ab, als er sie erreicht hatte, stieß auf einen Griff und drückte ihn herunter. Die Metallwand gab nach, und er stürzte in einen lichtdurchfluteten Raum, in dem es warm und trocken war. Neue Technik, schoß es ihm durch den Kopf, als er die Monitoren sah. Auf einigen von ihnen waren spinnenförmige Roboter zu sehen, auf anderen Lebewesen, denen Mrothyr noch nie zuvor begegnet war. * »Die jungen Männer nach vorn«, befahl Atrap. »Ich will eine Vorhut von wenigstens zweihundert bewaffneten Männern.«
Ayhja gab diesen Befehl sofort weiter, und sie rief einige junge Frauen zu sich, mit deren Hilfe sie die Vorhut organisierte. Der Heilmittelpriester wartete mit zunehmender Gelassenheit ab, bis er schließlich einen Schutzschild vor sich wußte, der ihn gegen die gröbsten Gefahren abschirmte. »Ich bin sehr zufrieden mit dir, Ayhja«, sagte er, als die Menge ihren Weg fortsetzte. »Wir kommen bald in das Gebiet der Cylaesten, und das kann unangenehm werden. Die Cylaesten sind schon immer sehr kriegerisch gewesen, und sie lassen sich auch mit Geschenken nicht so leicht besänftigen.« »Woher weißt du das?« fragte sie. Er lächelte nur. »Du bist ein großer Mann«, seufzte sie. »Ich bewundere dich. Du bist ein Lehrer mit großem Einfluß.« »Ich trage die Verantwortung für euch alle«, erwiderte er, während er versuchte, das Dunkel über ihm mit seinen Blicken zu durchdringen. Er sah nur noch Stahlträger, die an vielen Stellen mit Kalkablagerungen bedeckt waren. Das von oben herabtropfende Wasser brachte viele Mineralien mit sich, die sich auf dem Stahl abgesetzt und sich im Lauf der Zeit zu bizarren Gebilden aufgetürmt hatten. Von den Felswänden, unter denen sie bisher gelebt hatten, war nun überhaupt nichts mehr zu sehen. »Du tust mehr für unser Volk, als je einer zuvor getan hat«, bemerkte Ayhja. »Und alle wissen es. Sie glauben an dich. Sieh doch, wie eifrig die jungen Männer sind.« »Sie sind am leichtesten zu beeinflussen«, erwiderte er.»Deshalb müssen sie besonders behutsam behandelt werden. Sie sollen sich stets frei entscheiden können.« Sie lächelte zweifelnd. »Ich habe nicht den Eindruck, daß du ihnen eine Wahl läßt.« »Es steht ihnen frei, mir zu folgen«, begehrte er auf. »Sie könnten sich weigern, die Vorhut zu bilden. Ich zwinge sie nicht, zu mir zu stehen.« »Sie wollen zum Licht. Ebenso wie wir alle. Und du bist ihr Lehrer. Deinem Wort glauben sie.« Er lächelte ebenfalls. »Ich hoffe, du zweifelst nicht an meinem Wort?« »Natürlich nicht«, beteuerte sie eifrig. »Du weißt mehr als wir alle zusammen.« Vor ihnen wurde es laut. Waffen klirrten, und Todesschreie hallten durch das Gewirr der Stahlkonstruktion. »Cylaesten«, rief Atrap. Er hatte Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, wie erschrocken er war – und wie er sich fürchtete. Er kannte die Berichte von Calte Mol. Sie waren alles andere als ermutigend. Nach ihnen waren die Cylaesten ein kampferprobtes Volk, das keine Einbrüche in sein Gebiet duldete. Atrap dachte an die Zentrale, die er irgendwo in der Nähe vermutete, und in der er so etwas wie einen Anführer der Roboter sah. Er hoffte, dorthin zu kommen, um von ihr aus die Stahlspinnen lenken zu können. »Du mußt etwas sagen«, raunte Ayhja ihm zu. Er kletterte auf einen Träger hinauf, von dem er die Schar seiner Anhänger besser übersehen konnte. Als er oben war, wurde ihm zugleich bewußt, daß er sich damit zugleich aus der am meisten gefährdeten Zone zurückgezogen hatte.
»Kämpft für das Licht«, rief er der Menge zu. Das Gefühl der Sicherheit verlieh ihm neuen Mut. »Wehrt euch gegen die Mächte der Finsternis. Sie wollen euch daran hindern, den einzigen Weg zu beschreiten, der in eine bessere Zukunft führt.« Diese Worte genügten bereits, die Menge anzustacheln. Vornehmlich Männer drängten sich unter ihm vorbei und stürzten sich in den Kampf, der irgendwo vor ihnen im Gewirr der Stahlkonstruktion tobte. Einige Cylaesten tauchten unter ihm auf. Sie hatten ihre Körper mit roter Farbe angemalt, und sie schützten ihre Köpfe mit Metallschalen. Doch das nützte ihnen nur wenig. Fünf oder sechs seiner Anhänger stürzten sich auf jeden der Cylaesten und töteten ihn. »Bringt sie nicht alle um«, rief er ihnen zu. »Ich will Gefangene, die ich verhören kann. Ich brauche Informationen.« Danach warfen seine Männer einige Gegner nieder und entwaffneten sie. Er hoffte, einige Hinweise von den Cylaesten zu bekommen, die ihm weiterhalfen. Doch er hatte sich getäuscht. Die Cylaesten waren nicht bereit, ihm irgend etwas zu sagen. »Ich könnte euch foltern lassen«, sagte er drohend. Die Gefangenen lachten ihm ins Gesicht. »Wir wissen, daß du auf die religiösen Gefühle deiner Anhänger setzt. Du willst deine Leute zum Licht führen. Glaubst du, daß sie dich auch noch weiterhin verehren, wenn du uns folterst und ihnen damit zeigst, wie wenig du die Gesetze achtest?« fragte einer von ihnen. »Ich will nur einige Informationen von euch«, erklärte er. »Wenn ihr sie mir gebt, werde ich einen weiten Bogen um euer Gebiet machen und euch in Ruhe lassen.« Sie wandten sich stolz von ihm ab, und er zog sich mit Ayhja zurück, um in Ruhe nachdenken zu können. »Es ist nicht nur ihr Gebiet, das sie schützen wollen«, stellte die junge Frau fest, als die Kämpfe abgeflaut waren und keine weiteren Angriffe der Cylaesten mehr erfolgten. »Sie wollen mehr. Da ist noch etwas.« Natürlich, dachte Atrap. Und ich bin sicher, daß es mit den Stahlspinnen zu tun hat. Wo waren die Grenzen der Welt? Lagen sie vor ihnen? Oder waren sie über ihnen? Calte Mols Aufzeichnungen hatten darüber keinen eindeutigen Aufschluß gegeben, und Atrap war sich plötzlich nicht mehr sicher, daß er den Weg zum Licht finden würde. Nachdenklich blickte er auf das herabtropfende Wasser, und dann war ihm mit einem Mal völlig klar, wohin er gehen mußte. Der Weg konnte nur nach oben führen. Irgendwo dort oben mußten die Grenzen der Stahlkonstruktion erreicht sein. Sorgte nicht allein die Schwerkraft dafür, daß man nicht endlos in die Höhe bauen konnte? Er erschauerte, als er daran dachte, wie hoch sie unter Umständen steigen mußten, bis sie an das Licht kamen. Die Furcht vor der Höhe beschlich ihn. War es nicht die Angst vor einem Absturz gewesen, die sein Volk seit eh und je davor hatte zurückschrecken lassen, an den Stahlträgern hochzuklettern? Er befand sich nur etwa zwei Meter über den Köpfen der anderen, und doch kam es ihm so vor, als gähnte ein Abgrund unter ihm, der ihn verschlingen wollte. Ayhja berührte ihn mit einer Hand. »Du bist ein mutiger Mann«, sagte sie leise. »Alle setzen auf dich. Und was ich am meisten an dir bewundere – du fürchtest dich nicht vor der Höhe.«
Atrap blickte sie nicht an. Insgeheim verfluchte er sie. Er war sich nicht sicher, ob sie es ernst gemeint hatte, oder ob sie sich über ihn lustig machte. Doch eines hatte er begriffen. Er konnte nicht umkehren, und es genügte nicht, die bisher erreichte Position zu verteidigen. Er mußte zur Offensive übergehen. »Weiter«, rief er der Menge zu. »Die Cylaesten werden uns nicht aufhalten. Wir werden ihnen ihr Geheimnis entreißen, denn es ist dieses Geheimnis, das uns auf unserem Weg zum Licht aufhalten will.« Er war selbst erschrocken über die kühne Behauptung, die sich allzu leicht als inhaltslos erweisen konnte, denn ihm wurde bewußt, daß er sich selbst immer mehr in eine Position brachte, in der er entweder alles gewinnen oder alles verlieren konnte. »Du bist ein Dummkopf«, rief ihm einer der Gefangenen zu. »Seit Jahrhunderten haben unsere Wissenschaftler versucht, die Krone zu öffnen. Es ist ihnen nicht gelungen, und auch du wirst an ihr scheitern.« Atrap hob seinen Kopf und streckte seine Stielaugen weit vor. Jetzt endlich wußte er, daß es dieses Geheimnis gab, und er war sicher, daß es mit den Stahlspinnen zusammenhing.
6. Die Wesen sahen aus wie flache Schalen, in deren Mulde sich die kugelrunden Köpfe frei zu bewegen schienen. Es war schwer für Mrothyr abzuschätzen, wie groß diese Wesen waren, da er keinerlei Vergleiche hatte. Sie bewegten sich an einigen Stahlpfeilern vorbei, doch auch diese boten ihm nur wenig Anhaltspunkte. Auf seinem Weg zur Steuerzentrale hatte er Konstruktionen von allen nur erdenklichen Formaten gesehen. Rein gefühlsmäßig nahm er jedoch an, daß die Körperschalen etwa zwei Meter lang und anderthalb Meter breit waren. Von diesen Wesen wimmelte es in der Gegend, die von den Kameras erfaßt wurde. Wo dies jedoch war, konnte der Zyrpher ebenfalls nicht sagen. Es konnte unmittelbar unter dem zahnradähnlichen Gebilde sein oder auch Hunderte von Kilometern davon entfernt. Mrothyr schloß die Tür hinter sich, um vor unangenehmen Überraschungen sicher zu sein. Dann schleppte er sich zu einer gepolsterten Schale hin, ließ sich hineinsinken und rollte sich darin zusammen. Er war so erschöpft, daß er kaum noch den Kopf heben konnte. Wieviel Kraft er verloren hatte, wurde ihm erst jetzt in vollem Umfang bewußt. Er schloß die Augen und fühlte sich dem Tode nahe. Du darfst nicht sterben, rief er sich zu. Atlan braucht dich. Und wenn es schon vorbei sein soll, so muß Atlan vorher begreifen, daß du kein Verräter bist. Er kämpfte gegen die Müdigkeit an, doch zunächst gelang es ihm lediglich, den Lebensfunken wach zu halten, der noch in ihm war. Er schlief ein, und als er später die Augen wieder öffnete, brauchte er lange, um zu erfassen, wo er war. Mühsam stemmte er sich hoch, stand schließlich auf und ging zu einem Waschbecken, das sich in einer Nische befand. Als er es berührte, floß braunes, trübes Wasser aus einem Metallrohr. Voller Abscheu wich er davor zurück, ließ das Waschbecken jedoch nicht los. Durst quälte ihn, und er überlegte, ob er es wagen durfte, diese Brühe zu trinken. Doch da fiel ihm auf, daß das Wasser mittlerweile etwas sauberer geworden war. Er beobachtete es nun genauer und stellte fest, daß es tatsächlich immer heller wurde, je länger es lief. Offensichtlich hatte sich Dreck in den Rohren angesetzt, der nun herausgespült wurde. Er wartete mehrere Minuten ab, dann probierte er das Wasser. Es schmeckte gut, er trank mehr und wusch sich danach den ganzen Kopf damit. Vor ihm an der Wand befand sich ein Spiegel. Er erschrak, als er sein Gesicht sah. Seine Wangen waren eingefallen, und die Haut über den Lippen war so dünn geworden, daß er jeden Zahn darunter sehen konnte. Doch in den gelben Augen brannte noch immer das Feuer eines Mannes, der von seiner Aufgabe besessen ist. Sie ließen auch jetzt noch seinen unbeugsamen Willen erkennen, sich gegen jeden Widerstand durchzusetzen. »Gut, daß ich dich sehe«, sagte er zu seinem Spiegelbild. »Fast hätte ich vergessen, was du dir selbst schuldig bist. Nur kein Selbstmitleid, alter Freund. Erstens bist du für deinen Zustand selbst verantwortlich, und zweitens kommst du aus dieser Misere nur heraus, wenn du nicht vergißt, daß da noch jemand ist, der dich braucht.« Er lachte seinem Spiegelbild zu, wurde jedoch rasch wieder ernst, weil sich sein Gesicht gar zu sehr zur Grimasse verzerrte. »Nur kein Selbstmitleid«, wiederholte er. »Selbstmitleid ist das Gift, mit dem man sich selber lähmt.« Er ging einige Schritte auf und ab, wobei er versuchte, die Muskeln seiner Arme und Beine zu lockern. Danach fühlte er sich etwas wohler.
Er wandte sich den Monitorschirmen zu und konzentrierte seine Aufmerksamkeit nur auf die Roboter. Sie erschienen ihm viel wichtiger als die seltsamen Lebewesen, da ihm hoch oben auf der Stahlkonstruktion bereits Roboter begegnet waren, während er diese Wesen nicht zu Gesicht bekommen hatte. Er bedauerte, daß er nicht besser mit der »neuen Technik« vertraut war. In der langen Zeit, in der er mit dem Arkoniden zusammen gewesen war, hatte er jede sich bietende Gelegenheit genutzt, um zu lernen, und er war längst soweit, daß er keine magischen Kräfte mehr hinter der »neuen Technik« vermutete. Dennoch konnte er nicht viel mehr als die Bildschirme zu bedienen. Er konnte andere Bildausschnitte wählen, und er konnte auf andere Kameras umschalten. Das aber war auch schon beinahe alles. Er nutzte die Möglichkeiten, die sich ihm boten, und veränderte die Einstellungen immer wieder. Dabei wurde ihm bewußt, daß diese Anlage schon seit vielen Jahren nicht mehr benutzt worden war. Staub hatte sich überall abgelagert, und die Tasten ließen sich nur schwer bedienen. Er fragte sich, seit wie langer Zeit niemand mehr in dieser Zentrale gewesen war, aber er fand keine Antwort. Seit Jahren? Seit Jahrhunderten? Er wußte es nicht. Auf einem der Bildschirme zeichnete sich die STERNSCHNUPPE ab. Kein Wunder, daß er Mrothyr besonders interessierte, zumal sich auch noch einer der spinnenförmigen Roboter im Blickfeld befand. Die Maschine war nur wenige Meter von dem Raumschiff entfernt und bewegte sich nicht. Offensichtlich stufte die STERNSCHNUPPE sie als harmlos ein und hielt es nicht für nötig, sie abzuwehren. Mrothyr wollte das Blickfeld verändern, und er drückte eine blaue Taste. Im gleichen Moment schnellte sich der Roboter gegen das Raumschiff und attackierte es mit ausgestreckten Beinen. Die STERNSCHNUPPE reagierte blitzschnell. Sie baute ein Prallfeld auf, mit dem sie den Roboter augenblicklich von sich schleuderte. Aus dem Gewirr der Stahlkonstruktionen schoß eine weitere Stahlspinne heran, wurde jedoch in gleicher Weise abgewehrt. Als die dritte Spinne angriff, drückte Mrothyr die blaue Taste erneut. Die Spinne blieb abrupt stehen, verharrte einige Sekunden auf der Stelle und entfernte sich dann langsam von der STERNSCHNUPPE. »So ist das also«, sagte der Zyrpher leise. »So einfach sind sie zu steuern.« Er wiederholte das Experiment an anderen Schaltständen noch einige Male und erzielte jedesmal das gleiche Ergebnis, wobei die Roboter mal einander, mal Teile der Stahlkonstruktion attackierten. Er mußte eine Pause einlegen, um sich von den Anstrengungen etwas zu erholen, und er nutzte sie, um darüber nachzudenken, wie er die Roboter zugunsten von Atlan, Chipol und Don Quotte einsetzen konnte. Er begann nun damit, an den verschiedenen Geräten Schaltungen durchzuführen und damit zu immer anderen Szenen umzublenden. Er wußte nicht, in welche Richtung er sich dabei bewegte, und ob er überhaupt Regionen erfaßte, die weiter von ihm und der STERNSCHNUPPE entfernt waren. Er war auf Zufallserfolge angewiesen. Er war sich dessen bewußt, und deshalb gab er auch nicht auf, als Stunden bei seiner Suche vergingen. Dann aber tauchte Atlan plötzlich auf dem Bildschirm auf. Mrothyr war überrascht von dem Bild, daß er unwillkürlich noch eine Taste drückte. Bevor er seinen Fehler korrigieren konnte, war schon das nächste Bild da. Er drückte einige Tasten, verzichtete dann jedoch auf weitere Versuche, weil er fürchtete, den Arkoniden zu gefährden. Was er gesehen hatte, erschien ihm so unglaublich, daß er an sich selbst zweifelte. Atlan hatte rittlings auf einem der spinnenförmigen Roboter gesessen, und Mrothyr hatte ganz und
gar nicht den Eindruck, daß die Maschine nicht damit einverstanden gewesen war. Er ging zum Waschbecken und hielt den Kopf unter den Wasserhahn, um sich zu erfrischen. Danach kehrte er an das Schaltpult zurück und nahm die Suche nach den Freunden wieder auf. Geraume Zeit verging, aber dann erschien Chipol plötzlich auf dem Monitorschirm. Auch er ritt auf einem Roboter. Mrothyr blickte auf die blaue Taste. Nur jetzt keinen Fehler machen, sagte er sich. Nur nicht die blauen Tasten berühren, sonst werden die Roboter wild und greifen an. Irgend etwas kratzte an der Tür. Erschrocken fuhr Mrothyr herum. Bis jetzt hatte er das Gefühl gehabt, allein zu sein. Jetzt wurde ihm bewußt, daß es außerhalb dieser Schaltzentrale Roboter und fremde Lebewesen gab, die möglicherweise nicht damit einverstanden waren, daß er sich hier aufhielt. Er eilte zur Tür und wollte sie absichern. Er fand jedoch nichts, womit er das hätte tun können. Eine Stimme ertönte hinter ihm. Er verstand nicht, was sie sagte, aber sie erschreckte ihn maßlos, da er glaubte, daß jemand in die Station eingedrungen war. Auf einem der Bildschirme zeichnete sich die Gestalt eines Ligriden ab. Mrothyr stürzte sich förmlich auf den Monitor. »… ist alles in Ordnung«, sagte der Ligride. »Sie nähern sich uns erstaunlich schnell. Der Sender lockt sie an. Sie scheinen nicht daran zu zweifeln, daß Fartuloon hier ist. Um so leichter wird es für uns sein, sie zu neutralisieren.« Erst jetzt bemerkte Mrothyr den schweren Energiestrahler, der auf den Knien des Ligriden lag. Es ist eine Falle! schrie es in ihm. Sie locken Atlan, Chipol und Don Quotte in eine Falle. Sie wollen sie ermorden. Der Ligride erhob sich und ging aus dem Bild. Mrothyr berührte eine Taste, weil er hoffte, die Kamera werde dem Ligriden folgen, doch es gelang ihm nicht, den Mann erneut auf den Monitor zu bekommen. Er war wie von Sinnen. Kein einziges Mal hatte er bisher daran gedacht, daß man Atlan eine Falle gestellt haben könnte. Jetzt sah er plötzlich klar. Er mußte den Freund warnen. Er mußte ihn zur Rückkehr veranlassen. Wieder kratzte jemand an der Tür. Gehetzt sah Mrothyr sich um. Bot ihm denn diese Schaltzentrale keine Möglichkeit, Atlan anzusprechen? Gab es keine Funkgeräte? Konnte er den Freund nicht über Lautsprecher erreichen? Er verfluchte die Tatsache, daß er so wenig von der »neuen Technik« verstand. Ich muß einen Weg finden, dachte er verzweifelt. Ich muß! Schwäche überfiel ihn, und er mußte sich setzen. Allein konnte er es nicht schaffen. Er brauchte Hilfe. Vielleicht solltest du die da draußen fragen, überlegte er. Sie könnten sich mit der Schaltanlage auskennen.
* »Mein Name ist Phushalart«, sagte der Mann. Er blutete aus einer Wunde an einem Bein, ignorierte die Verletzung jedoch. »Ich bin gekommen, um dir zu melden, daß wir die Schlacht gewonnen haben.« Atrap kletterte von dem Träger herunter und legte dem Mann die Hand auf die obere Wölbung seines Schalenkörpers. »Ich danke dir«, erwiderte er. »Du bist ein großer Kämpfer. Ich ernenne dich hiermit zum Offizier. Du bist mir direkt unterstellt. Später, wenn Zeit dazu ist, werde ich dir den entsprechenden Titel verleihen, und dir die Ehrenkappe übergeben, so daß alle dich mit deinem Rang ansprechen können.« Die Augen des jungen Mannes stülpten sich weit vor. Voller Stolz blickte er ihn an. »Ich danke dir, Atrap«, stammelte er. »Ich habe nur getan, was mir die Pflicht befahl.« »Ich weiß«, sagte der Heilmittelpriester. »Das tun wir alle. Wir stehen im Dienst des Lichtes. Komm. Ich möchte das Schlachtfeld sehen.« Phushalart führte ihn an erschöpften Kämpfern vorbei zu einer langgestreckten Halle, in der die geschlagenen Cylaesten dicht an dicht auf dem Boden lagen. Die meisten waren tot. Einige Krieger aus seinem Volk waren dabei, einige bereits besiegte Gegner zu töten. Atrap tat, als bemerke er es nicht. Erst als er sah, daß von den restlichen Überlebenden ganz sicher keine Gefahr mehr drohte, gebot er ihnen Einhalt. »Wir wollen im Sieg gnädig sein«, erklärte er, und es gelang ihm, seiner Stimme einen demütigen Klang zu verleihen, so daß der Zynismus hinter seinen Worten nicht gar so deutlich wurde. »Die Cylaesten sollen sich uns anschließen auf unserem Weg zum Licht. Ihnen soll das gleiche Glück widerfahren wie uns. Die dritte Stufe des Lebens mag lediglich ihren verblendeten Anführern geöffnet werden.« Ihm fiel ein eigenartig heller Fleck mitten in der Halle auf, und plötzlich lief ihm ein Schauer der Ehrfurcht über den Körper. »Was hast du?« fragte Ayhja, die ihn begleitete. Er eilte zu dem Fleck hin, fuhr seine Stielaugen weit aus und richtete sie nach oben. »Das Licht«, flüsterte er und zeigte nach oben. »Siehst du es nicht. Da ist es.« Sie folgte seinen Blicken und hielt erschrocken den Atem an. Hoch über ihnen befand sich ein winziger, roter Fleck. Er war so hell, daß sie geblendet die Augen abwandten. »Du meinst, das ist es?« fragte sie. »Es ist das Licht«, erwiderte er. »Ich wußte, daß es dort oben ist. Wir werden hinaufsteigen.« Mehr und mehr seiner Anhänger drängten sich in die Halle. Sie schleppten die Toten zur Seite, um Platz zu gewinnen, während Atrap auf einen Stahlträger kletterte, von dem aus er die Menge überblicken konnte. Durch alle Zugänge schoben sich weitere Männer und Frauen herein, und er begann zu reden. Schon bald merkte er, daß er nicht viel zu sagen brauchte. Das Licht wirkte erheblich stärker auf seine Anhänger als seine Worte. Dennoch sprach er weiter, bis er die Koaken in einen Taumel der Begeisterung versetzt hatte, in der sie keine Angst mehr vor der Höhe hatten. Schließlich gab er das Startzeichen.
»Steigt auf«, rief er der Menge zu. »Geht den Weg nach oben, denn oben ist das Glück, oben ist das Licht. Kämpft für eine bessere Zukunft.« Die Männer, Frauen und Kinder kletterten an den Pfeilern hoch. Einige stürzten schon bald wieder herunter, aber niemand kümmerte sich um sie. Atrap beobachtete, daß einige Verletzte von den anderen niedergetrampelt wurden, aber er machte keinen Versuch, Ordnung zu schaffen oder gar jemanden zu retten. Je hysterischer sich die Menge benahm, desto näher war er seinem Ziel unangefochtener Anführer zu werden. Laß sie nur noch etwas mehr vom Licht sehen, dachte er, und sie werden aufhören zu denken. »Sie sind verblendet«, bemerkte Ayhja. »Sie tun, was du von ihnen verlangst, und niemand stellt Fragen.« »Wozu auch?« entgegnete er. »Ich führe sie zur Wahrheit, und die Wahrheit muß man erleben, nicht erfragen.« »Wann willst du nach oben steigen?« »Bis genügend von ihnen vorangegangen sind und den Weg für mich abgesichert haben«, antwortete er. »Oder erwartest du, daß ich ein unnötiges Risiko eingehe?« »Wie könntest du!« rief sie. »Dein Leben darf auf keinen Fall gefährdet werden.« »Ich sehe, du hast das Wesen einer verantwortungsbewußten Führung begriffen«, sagte er, und es zuckte verdächtig in seinen Mundwinkeln. Etwas mehr als eine Stunde verstrich. In dieser Zeit waren Hunderte von Männern, Frauen und Kindern an Atrap vorbei in die Höhe geklettert. Einige wenige waren abgestürzt, aber niemand kümmerte sich um sie, da der Heilmittelpriester sich immer wieder mit beschwörenden und aufpeitschenden Worten meldete und darüber hinaus nur auf das Licht zu verweisen brauchte, um die Menge anzustacheln. Drei junge Männer kamen aufgeregt zu Atrap. »Wir waren oben, Herr«, meldeten sie. »Und wir haben etwas entdeckt, was du unbedingt wissen mußt. Da oben ist etwas. Eine Art Haus. Oder noch größer. Die Cylaesten nennen es die Krone, und so sieht es auch aus. Wir sind sicher, daß es ein Geheimnis birgt, das nur du lösen kannst.« »Die Cylaesten behaupten, ein fremdes Wesen beobachtet zu haben, das in die Krone geklettert ist«, fügte einer der anderen Männer hinzu. »Glaubst du, daß es ein Gott ist?« fragte der dritte. Atrap nahm seinen ganzen Mut zusammen. »Führt mich nach oben«, befahl er. »Ich muß es mit eigenen Augen sehen.« Er ließ sich von den Männern helfen, und Ayhja sorgte dafür, daß er zusätzlich durch weitere Männer abgeschirmt wurde. Sie sollten ihn notfalls auffangen, wenn er abrutschen und abstürzen sollte. Sie beobachtete den Heilmittelpriester genau. Zu Anfang hatte sie sich ihm berechnend und kalt genähert. Mittlerweile empfand sie Liebe für ihn, obwohl sie erkannt hatte, daß er keineswegs aus idealistischen Gründen oder gar aus religiöser Überzeugung handelte, sondern sehr egoistische Ziele verfolgte. Sie war jedoch ebenso wie er davon überzeugt, daß die Koaken lange genug im Schattenreich gelebt hatten, und daß es Zeit wurde, sie ans Licht zu führen. Ich werde ein angenehmes Leben an seiner Seite haben, dachte sie. Wichtig ist nur, daß ich ihn von Anfang an unterstütze, und daß ich mich unentbehrlich mache. Atrap ahnte nichts von ihren Gedanken. Er konzentrierte sich ganz auf den Aufstieg und auf die Krone, die sich irgendwo über ihm befand.
Die Männer neben ihm machten es ihm leicht. Sie halfen ihm, wo sie nur konnten, so daß er rasch vorankam. Freudige Erregung erfüllte ihn. Er hatte nicht erwartet, das Licht so schnell zu finden. Calte Mol hatte Jahre gebraucht, bis er endlich Erfolg hatte. Doch das spielte nun keine Rolle mehr. Er war derjenige, der sein Versprechen erfüllt hatte. Er war davon überzeugt, daß ihm die Koaken von nun an blindlings folgen würden, ohne daß er sich sonderlich anstrengen mußte. »Da oben ist es«, schrie einer der Männer. Atrap klammerte sich an einen Stahlträger und blickte in die Höhe. Er sah das riesige Gebilde, das allerdings von unten einem großen, gezackten Rad glich, eine Krone, wie die Hohenpriester sie zu besonders festlichen Anlässen zu tragen pflegten. Das Gebilde hing wie ein riesiges, fremdartiges Tier im Gewirr der Stahlkonstruktion. Und hoch darüber war es hell. Atrap konnte ein Stückchen von einem rot leuchtenden Himmel sehen. Es war ein Anblick, der ihm den Atem verschlug. Es ist gar nicht einmal so hoch, dachte er. Wir können es in einigen Stunden schaffen, nach oben zu kommen. Eigentlich viel zu schnell. Er hoffte geradezu, daß sich irgend etwas an der Krone ergeben würde, was sie für einige Zeit aufhielt. »Weiter«, drängte er. »Worauf warten wir denn noch?« Während seine Anhänger ihm beim weiteren Anstieg halfen, wagte er es nicht, nach unten zu sehen. Er wußte, daß der Anblick der Tiefe ihn lähmen würde. Deshalb versuchte er, den Abgrund zu ignorieren, den er unter sich wußte. Als er die Krone endlich erreichte, erkannte er deren wahre Ausmaße. Ehrfurcht und ein wenig Angst beschlichen ihn. Er hatte sich nie gefragt, wer damit begonnen hatte, die Stahlkonstruktionen zu errichten, oder gar, woher überhaupt der Stahl dafür kam. Jetzt aber stand er vor dem, was er Krone nannte, und er begriff, daß dies eine Einrichtung war, die von geradezu gewaltiger Bedeutung war. Er erkannte darüber hinaus, daß sie das Werk von intelligenten Wesen war, die viel mehr wußten als er oder jeder andere Koake. Keiner von uns könnte so etwas bauen, dachte er bewundernd, während einige Männer mit primitiven Werkzeugen an dem Gebilde kratzten und es zu öffnen versuchten. Ich muß mir etwas ausdenken, was ich meinen Anhängern sagen soll, schließlich müssen sie glauben, daß dies für mich nichts Ungewöhnliches ist. Es ist immer gut, wenn das Volk glaubt, daß ihr Anführer die Probleme schon irgendwie lösen wird.
7. »Die Falle ist fertig«, berichtete Helomas. »Wir haben die Stahlträger in diesem gesamten Bereich angeschnitten.« »Hoffentlich nicht so, daß sie gleich zusammenbrechen, wenn Atlan sie betritt.« »Ganz und gar nicht«, erwiderte Mulenus. Der Fjukerabkömmling rieb sich in der Vorfreude über den kommenden Sieg die Hände. »Atlan und seine Begleiter müssen etwa fünfzig Meter in das präparierte Gebiet eindringen.« »Dann erhöht sich die Belastung für den geschwächten Bereich so sehr, daß die gesamte Konstruktion um sie herum zusammenbricht. Sie werden mit den Stahlträgern in die Tiefe krachen.« »Wenigstens zweihundert Meter tief«, fügte Mulenus hinzu. »Wir haben also mehrere Eisen im Feuer«, registrierte Drabendhor zufrieden. »Wenn wir sie mit unseren Energiestrahlern nicht neutralisieren können, machen wir es eben auf die altväterliche Weise.« Irgend etwas über ihm blitzte im Widerschein der Sonne auf. Drabendhor blickte erstaunt nach oben und entdeckte an einem senkrecht aufsteigenden Stahlpfeiler ein winziges Objekt, das hoch oben seitlich an dem Metall haftete. Darüber hatte es sich ein Vogel in seinem Nest bequem gemacht. »Was hast du?« fragte Helomas erstaunt. Drabendhor, der rittlings auf einem Träger gesessen hatte, erhob sich. Nachdenklich blickte er zu dem Pfeiler hinüber, und plötzlich begriff er. »Da oben ist eine Kamera«, rief er, griff nach seiner Kombitraf und feuerte. »Sie hat sich bewegt.« Der Energieschuß schlug dicht unter dem Vogelnest ein. Das Tier flatterte kreischend davon, während das Nest in Flammen aufging und die Spitze des Pfeilers sich in flüssige Metallglut verwandelte. »Bist du sicher?« fragte Mulenus. »Absolut«, antwortete der Lenker. »Das Objektiv blitzte im Sonnenlicht auf, und das war natürlich nur möglich, weil die Kamera sich bewegt hat.« »Richtig«, stimmte Helomas zu. »Sonst wäre das Licht ständig im gleichen Winkel reflektiert worden.« »Und was hat das zu bedeuten?« fragte Mulenus. »Warum hast du geschossen? Hätten wir das Ding nicht besser untersuchen sollen?« »Du bist wirklich naiv«, stöhnte Drabendhor. »Daß die Kamera sich bewegt hat, beweist, daß wir beobachtet werden. Irgendjemand hat uns entdeckt. Vielleicht hat er die ganze Zeit über verfolgt, wie wir die Falle präpariert haben.« Sie befanden sich etwa zwei Kilometer unter den höchsten Streben der Stahlkonstruktion. In diesem Gebiet bildeten die Träger, Streben und Pfeiler ein besonders dichtes Gewirr, in dem mehrere kastenartige Container hingen. Diese waren es gerade, die die Falle als ideal erscheinen ließen. In einem von ihnen verbarg sich der Sender, der pausenlos Signale ausstrahlte. Atlan mußte vermuten, daß Fartuloon sich in einen der Container zurückgezogen hatte. Drabendhor ließ sich wieder auf den Träger sinken. Mit baumelnden Beinen blickte er nach unten. Von den Stahlspinnen war zur Zeit wenig zu sehen. Nur zwei dieser Maschinen krochen tief unter ihm träge über einige Pfeiler hinweg.
Gab es jemanden, der irgendwo im verborgenen lauerte, sie beobachtete und gleichzeitig die Spinnen steuerte? Gab es jemanden, der ihnen, den Lenkern der Stählernen, die Fähigkeit nahm, diese Stählernen nach ihrem Willen zu steuern? Es schien so. Es war ein Fehler, das Schiff Atlans nicht anzugreifen und zu vernichten, dachte er. Warum haben wir die Satyr-Faran-Kanone nicht eingesetzt? Es wäre doch viel einfacher gewesen, den Raumer mit Atlan und den anderen Besatzungsmitgliedern in einer Gluthölle verschwinden zu lassen, als hier eine primitive Falle aufzubauen. Wir wären sämtlichen Komplikationen von vornherein aus dem Wege gegangen. Er raffte sich auf und ging zu einem der kastenförmigen Behälter hinüber. Er betrat ihn und setzte sich an die Geräte, die hier aufgebaut waren. Nach nur etwas mehr als einer Minute hatte er Atlan auf einem der Monitoren. Mulenus war ihm gefolgt. Er blickte ihm über die Schulter. »Atlan reitet auf einem Stählernen«, bemerkte er überrascht. »Glaubst du, daß er auch ein Lenker ist?« »Das hätte man uns gesagt.« Drabendhor dachte daran, daß sie in den vergangenen Stunden mehrmals versucht hatten, Stahlspinnen zu sich zu rufen. Ohne Erfolg. »Vielleicht steuert er die Stählernen mit Hilfe einer uns unbekannten Technik. Spielt das eine Rolle?« Er blickte erst Mulenus, dann Helomas an, der ebenfalls hereingekommen war. »Wenn die Stählernen ebenfalls in die Falle gehen, bricht alles ein wenig früher zusammen«, erklärte Helomas. »Aber das ändert eigentlich gar nichts.« Drabendhor zeigte auf die Monitoren. »Atlan hat kein technisches Gerät dabei. Jedenfalls ist nichts zu sehen. Wenn er die Stählernen befehligt, müßten wir etwas erkennen können.« »Was willst du damit sagen?« fragte Helomas. »Das liegt doch auf der Hand. Es gibt eine dritte Macht, die vielleicht nicht nur uns, sondern auch Atlan beobachtet. Wir sollten uns darauf einstellen, damit wir nicht überrascht werden.« Die Lenker der Stählernen blickten sich an, und sie erkannten, daß sie alle drei den gleichen Gedanken hatten. Dies war ihr erster großer Einsatz. Sie mußten sich bewähren. Hinsichtlich ihrer wohl wichtigsten Programmierung hatten sie versagt. Obwohl sie gentechnisch herangezüchtet und dabei entsprechend präpariert worden waren, schafften sie es nicht, die Stahlspinnen mit ihrem Willen zu lenken. Das war der erste, große Minuspunkt, der unter Umständen sogar zu ihrer Neutralisierung führen könnte. Gelang es ihnen nicht, Atlan zu liquidieren, dann ergab sich fraglos ein zweiter Minuspunkt. Der Erfolgsdruck war ungeheuer. Sie selbst waren Instrumente, die dazu eingesetzt werden sollten, »Störfaktoren« zu »neutralisieren«- also mißliebige Persönlichkeiten zu töten. Wenn sie ihre Aufgabe nicht erfüllten, mußten sie davon ausgehen, daß sie selbst liquidiert wurden. Über diese Dinge hatte er bisher nicht nachgedacht. Jetzt wurden sie ihm mit allem Nachdruck klar. *
Mrothyr blickte von den Monitorschirmen zur Tür und von der Tür zu den Monitorschirmen. Er wußte nicht, was er zuerst tun sollte. Die Tür absichern? Atlan warnen? Verzweifelt ballte er die Hände zu Fäusten. Er wußte weder, wie er das eine noch das andere erreichen konnte. Er eilte zu den Schaltungen und streckte die Hände nach ihnen aus. Bis jetzt hatte Atlan offenbar keine Schwierigkeiten mit den stählernen Spinnen. Konnte nicht jede Veränderung bei den Schaltungen dazu führen, daß sich die Haltung der Roboter änderte? Vielleicht verhielten sie sich plötzlich feindselig und aggressiv gegen Atlan, wenn er etwas veränderte? Während er noch überlegte, fanden die Koaken heraus, wie sich die Tür öffnen ließ. Plötzlich flog sie auf, und die Schalenwesen drängten sich schreiend herein. Unwillkürlich wich Mrothyr vor ihnen zurück. Er hatte das Gefühl, riesigen Käfern gegenüberzustehen, Insektenwesen, die über den Boden krochen und so flach waren, daß sie kaum sein Knie erreichten. Im ersten Moment erschien es ihm unmöglich, sich gegen sie zu verteidigen. Die Wesen stutzten, als sie ihn bemerkten, beachteten ihn dann jedoch nicht weiter, sondern krochen mit erstaunlicher Behendigkeit auf die Steuerpulte. »Nein«, rief Mrothyr entsetzt. »Das dürft ihr nicht.« Er sah, wie sie mit ihren zahllosen Füßen über die Schaltungen rannten und dabei die Tasten und Knöpfe berührten. Sie richteten ein Chaos an. Die Bilder auf den Monitoren wechselten pausenlos. Mrothyr stürzte sich auf die Koaken und riß sie von den Pulten herunter, allein von dem Gedanken an Atlan, Chipol und Don Quotte beseelt. Er durfte nicht zulassen, daß sie gefährdet wurden. Die Koaken ahnten nichts von seinen Motiven. Sie fühlten sich angegriffen, und sie schlugen zurück. Einer von ihnen schrie laut auf, und im nächsten Moment warfen sich alle Koaken auf Mrothyr. Dieser versuchte, sich mit seiner Energiewaffe zu wehren, schreckte aber dann doch davor zurück, sie einzusetzen, weil er fürchtete, die Anlagen in der Zentrale zu zerstören und Atlan damit letztlich noch mehr zu schaden. Er schlug mit Fäusten auf die Koaken ein und versuchte, sie durch die Tür hinauszudrängen, doch sie umklammerten seine Beine und hängten sich an ihn, bis er sich kaum noch bewegen konnte. Und dann wanderte er plötzlich von Hand zu Hand. Sie schoben ihn zur Tür hinaus und warfen ihn kurzerhand über einen Träger hinweg. Mrothyr konnte in der Dunkelheit kaum etwas erkennen, begriff jedoch, daß man ihn in einen Abgrund stürzen wollte. Er streckte die Arme aus und packte zwei der Schalenwesen. Mit ihnen zusammen kippte er über einen Träger hinweg und rutschte einige Meter weit nach unten. Dann pendelte er unter dem Träger hin und her, umgeben von Hunderten von schattenhaften Gestalten, die sich überall an die Stahlkonstruktionen klammerten. Er hörte das Geschrei der seltsamen Wesen, die offenbar nicht so recht wußten, was sie mit ihm anfangen sollten. Dann aber flog eine Lanze heran und verletzte ihn an der Hüfte. Mrothyr bemerkte einen weiteren Träger unter sich, und er ließ sich fallen, um weiteren Wurfgeschossen zu entgehen. Tatsächlich pfiffen mehrere Lanzen dicht an ihm vorbei. Er landete auf dem Rücken von einigen Schalenwesen, die vor Schreck laut aufschrien und ihn wegzudrängen versuchten. Er richtete sich auf und hastete auf dem Träger entlang bis zu einem schräg aufsteigenden Pfeiler. An ihm hangelte er sich hoch.
Er konnte in die Schaltzentrale sehen, und er beobachtete, daß Dutzende von Schalenwesen auf den Pulten herumkrochen und dabei Schaltvorgänge auslösten. Irgendwo im Dunkel begann jemand zu singen, und es wurde still. Erst jetzt fiel Mrothyr auf, daß die Schalenwesen erregt durcheinandergeschrien hatten. Nun vernahm er nur noch die singende Stimme. Sie wirkte beruhigend auf die Schalenwesen. Mrothyr konnte an einigen von ihnen vorbeiklettern, ohne aufgehalten zu werden. Sie wichen sogar vor ihm zurück und machten ihm Platz. Überraschenderweise ging es ihm nun viel besser als zuvor, obwohl er nichts gegessen und somit seinem Körper keine neuen Energien zugeführt hatte. Sein Körper hatte sich von dem Schock erholt, den er selbst durch die ungewöhnliche Kraftanstrengung ausgelöst hatte. Vier spinnenförmige Roboter schossen an ihm vorbei und griffen die Koaken an, die sich vor der Schaltzentrale drängten. Mrothyr stockte der Atem, als er sah, wie sie wüteten. Es schien, als wollten sie ein Blutbad unter den Schalenwesen anrichten, doch dann veränderte sich ihr Verhalten schlagartig, und sie entfernten sich mit langsamen Bewegungen von der Zentrale. »Ihr verdammten Narren«, rief er den Schalenwesen zu. »Kommt heraus und laßt die Schaltungen in Ruhe.« Mehrere Lanzen segelten hautnah an ihm vorbei. Sie machten ihm deutlich, daß es besser war, sich nicht länger um die Schalenwesen zu kümmern. Ich muß zur STERNSCHNUPPE, sagte er sich. Ich muß Waffen holen und damit Atlan folgen. Was hier geschieht, geht mich nichts an. Ich muß ihm aus der Falle helfen. Allein das ist wichtig. Er erreichte ein dichtes Drahtgewirr, das sich wie ein Spinnennetz nach oben erstreckte, und in dem er besonders leicht in die Höhe klettern konnte. Immer wieder tauchten Schalenwesen in seiner Nähe auf, doch sie beachteten ihn nicht. Schnaufend und keuchend krochen sie nach oben. Sie schienen noch erheblich mehr Mühe zu haben als er, sich zu halten. Als er etwa hundert Meter zurückgelegt hatte, mußte er eine Pause einlegen. Er war total erschöpft. Seine Muskeln schmerzten, und die Hände waren wie gelähmt. Die Muskeln seiner Beine zuckten immer wieder krampfartig zusammen, und er massierte sie, um nicht gerade dann einen Krampf in ihnen zu bekommen, wenn er eine besonders gefährliche Stelle zu überwinden hatte. Er hatte das Gefühl, kaum vorangekommen zu sein. Interesselos blickte er auf die Schalenwesen, die ächzend und keuchend an ihm vorbeikletterten, bis ihn plötzlich ein Gedanke durchfuhr. Sie wollen zur STERNSCHNUPPE! Er richtete sich auf. Die Müdigkeit war wie verflogen. Er fühlte sich von neuen Energien durchströmt. Atlan hatte ihn in der STERNSCHNUPPE zurückgelassen, damit er das Raumschiff absicherte. Atlan verließ sich auf ihn, damit es bei seiner Rückkehr keine unangenehme Überraschung gab. Mrothyr fühlte sich wie auf schwankendem Boden. Er blickte nach oben zum Licht, und die STERNSCHNUPPE schien unendlich weit weg von ihm zu sein. Das Gefühl, versagt zu haben und dadurch die Freunde zusätzlich zu gefährden, motivierte Mrothyr zu weiteren Anstrengungen. Er stand auf, kletterte jedoch noch nicht gleich los, sondern blieb stehen und konzentrierte sich auf den bevorstehenden Aufstieg, bis er ruhig und entspannt war. Am liebsten wäre er nun schnell und ohne jeden weiteren Aufenthalt vorgegangen, doch er wußte, daß er seine Kräfte genau einteilen mußte und sich keinen Fehler erlauben durfte. Er teilte sich die Strecke nach oben in Etappen ein und ignorierte völlig, was um ihn herum war. Erst als immer mehr Roboter in seiner näheren Umgebung auftauchten, wurde er aufmerksam. Er preßte sich an einen Pfeiler, um sich ein wenig zu erholen. Dabei beobachtete er, wie zwei Stahlspinnen mehrere der Schalenwesen packten und in die Tiefe schleuderten. Danach wandten sie
sich ihm zu. Mrothyr wollte fliehen, aber seine Beine versagten ihm ihren Dienst, und seine Hände lösten sich nicht vom Stahl. Sie sind viel zu schnell für dich, schoß es ihm durch den Kopf. Du kannst nur hoffen, daß da unten in der Schaltstation irgend jemand zufällig eine andere Taste drückt und damit die Stählernen stoppt. Doch es schien nicht so, als könnte ihn ein solcher Zufall retten. Die Roboter kamen heran und kreisten ihn ein. Dann streckten sie ihre Arme nach ihm aus und packten ihn. Sie hoben ihn in die Höhe, um ihn in die Tiefe zu werfen, und er hatte noch nicht einmal die Kraft zu schreien. Völlig erschöpft hing er in ihren Stahlarmen, und es war ihm schon fast egal, was mit ihm geschah. Da erstarrten die Roboter. Mrothyr wartete. Warum warfen sie ihn nicht von sich? Wollten sie ihn quälen? »Bringt mich nach oben«, flüsterte er. »Bringt mich zum Raumschiff.« Was er kaum zu hoffen gewagt hatte, geschah. Die Stählernen gehorchten seinem Befehl. Sie kletterten nach oben und hielten ihn dabei fest. Jetzt ging es erheblich schneller voran als zuvor. Bei allen Göttern, dachte der Zyrpher. Hoffentlich tritt nicht ausgerechnet jetzt irgendein Narr auf einen der Schalter, mit denen diese Stählernen gesteuert werden. Er fühlte sich leicht und schwerelos, als hätte er sich von der Realität dieser Welt gelöst. Seine Gedanken gingen zurück nach Zyrph, wo er an der Spitze der Freiheitskämpfer gestanden hatte. Es durfte nicht alles vergeblich gewesen sein. Die Opfer, die er gebracht und anderen abverlangt hatte, mußten ihren Sinn gehabt haben. Die Stählernen können ihr Verhalten jeden Moment wieder ändern, sagte er sich. Darauf muß ich mich vorbereiten. Wenn sie sich mir gegenüber aggressiv zeigen, muß ich sie sofort in die Tiefe befördern. Von nun an verfolgte er jede Bewegung der Stählernen. Er lauerte auf das erste Anzeichen von Feindseligkeit und überlegte dabei, ob es nicht noch besser war, wenn er von sich aus den Angriff auf die Spinnen eröffnete. Näher und näher kam er den höchsten Stahlstreben, und schließlich konnte er die STERNSCHNUPPE sehen. Die Roboter setzten ihn ab und zogen sich sternförmig von ihm zurück. Mrothyr stand aufrecht auf einem Stahlträger und blickte in die Tiefe. Die Sonne stand dicht über dem Horizont und spendete nur noch wenig Licht. Er konnte die kronenförmige Schaltzentrale nicht mehr erkennen, sondern nur noch erahnen. Etwa fünfzig Meter unter ihm klammerten sich mehrere der schalenförmigen Wesen an die Stahlpfeiler. Sie streckten ihm ihre Stielaugen entgegen. Sie bewegten sich nicht, und er hatte den Eindruck, daß sie vor Staunen wie gelähmt waren. Er empfand eine gewisse Sympathie für sie. Ihr Gesichtsausdruck war fast menschlich zu nennen, und sie kamen ihm gar nicht so fremdartig vor, wie sie waren. Sie sind wie naive Kinder. Sie spielen mit der »neuen Technik« herum, und sie ahnen überhaupt nicht, wie gefährlich das ist. Plötzlich wußte er, was er tun mußte. Er wandte sich ab und ging leicht schwankend über den Träger zur STERNSCHNUPPE hinüber. Die Schwäche überfiel ihn, und er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Es gab nur eine Möglichkeit, Atlan wirksam vor den Robotern zu schützen, aber er wußte nicht, ob er die Kraft hatte, sie auszuschöpfen.
Er mußte die Schaltzentrale zerstören! Technisch ist das kein Problem, dachte er, als er die STERNSCHNUPPE erreicht hatte und sich in das Innere des Raumschiffs schleppte. Ich brauche nur eine Rakete auf die Station abzufeuern, und alles ist vorbei. Aber dabei würde ich Hunderte von diesen fremden Wesen töten. * »Willst du nicht hingehen?« fragte Ayhja. Atrap hob beschwichtigend die Hände. »Nur nicht so aufgeregt«, wehrte er ab. Er blickte zur Krone hinüber, die unter der Menge der Neugierigen nahezu verschwunden war. »Vielleicht sind noch mehr der Fremden drin«, fuhr sie fort. »Und hältst du es wirklich für richtig, dieses Wesen entkommen zu lassen? Es könnte sich dafür rächen, daß wir es hinausgeworfen haben.« Der Heilmittelpriester brachte ein Lächeln zustande. »Fürchte dich nicht, Ayhja«, sagte er. »Alles wird gut werden. Haben wir nicht das Licht gefunden? Und sind wir nicht dem größten Geheimnis unserer Welt auf die Spur gekommen? Wir haben Zeit, alles in Ruhe reifen zu lassen.« Atrap fürchtete sich. Am liebsten hätte er die Flucht ergriffen und sich irgendwo verkrochen. Immer wieder mußte er an die Worte des Hohenpriesters denken. Die dritte Stufe des Lebens! Sie wird es sein, die unser Leben in den nächsten Tagen zeichnet. Viele Koaken hatten seitdem die dritte Stufe des Lebens erreicht. Sie waren gestorben. Atrap mußte an die Kämpfer denken, die sich seinem Zug entgegengestellt’ hatten. Er sah die Männer, Frauen und Kinder vor sich, die unter den Füßen der anderen zu Tode gekommen oder die in die Tiefe gestürzt waren. Viele hatten die dritte Stufe des Lebens erreicht. Der Seher hatte recht behalten. Wann war ein Ende erreicht? War die Krone eine Falle, die abermals Hunderte von Leben an sich reißen würde? Wie die meisten Koaken war Atrap fest davon überzeugt, daß es eine vierte, fünfte und sechste Stufe des Lebens gab. Er glaubte, daß danach auch noch weitere Stufen möglich waren, und daß das Leben niemals endete. Er hatte jedoch panische Angst davor, er könne die dritte Stufe schon erreicht haben. Es war weniger der körperliche Schmerz, der unter Umständen mit dem Sterben seines Körpers verbunden war, als vielmehr die Ungewißheit über seine Bedeutung auf der nächsten Stufe des Lebens. War er auch dort ein großer Anführer, eine wichtige Persönlichkeit, die nicht nur von allen geachtet wurde, sondern die auch alle Annehmlichkeiten des Lebens genießen konnte, ohne hart dafür arbeiten zu müssen? Oder waren die düsteren Prophezeiungen des Hohenpriesters richtig, der voraussagte, daß die Sünden des Lebens auf dieser Stufe Konsequenzen für das Leben auf der nächsten hatte? Wenn das wahr ist, würde ich mich als der letzte Sklave durchquälen müssen, bis sich mir endlich die vierte Stufe des Lebens öffnet. Nein, er wollte noch nicht sterben, und deshalb überlegte er sich jeden Schritt sehr genau, bevor er ihn tat. Er wollte die Krone nicht betreten, bevor er sicher war, daß man sie auch lebend wieder verlassen konnte. Also mußte er abwarten und beobachten, was mit jenen Koaken geschah, die sich vorwitzig in das geheimnisvolle Gebilde gewagt hatten.
»Du hast recht«, sagte Ayhja. »Warum sollten wir uns nach vorn drängen und noch mehr Unruhe verursachen? Jeder will in die Krone sehen und die Geheimnisse berühren, die es dort gibt. Für dich bleibt noch Zeit genug. Hast du bereits Pläne mit der Krone?« Atrap setzte ein gönnerhaftes Lächeln auf. »Du bist ein neugieriges Kind, aber ich will dir antworten. Ja, ich habe genaue Vorstellungen. Sieh sie dir an. Ist sie nicht der ideale Palast für mich? Von dort aus werde ich die Welt regieren.« Ihre Augen schoben sich weit vor. »Du willst nicht mehr ans Licht?« »Aber natürlich will ich das, Ayhja. Es ist ja nicht mehr weit bis dort. Aber ich muß doch nicht ständig dort sein. Eine neue Zeit ist angebrochen, und ich brauche einen Palast, von dem aus ich die neue Entwicklung kontrollieren und lenken kann. Noch nie sind so hohe Anforderungen an einen Regierenden gestellt worden wie jetzt, aber ich werde mich ihnen gewachsen zeigen.« Diese Worte zeigten eine nachhaltige Wirkung auf die junge Frau. Es schien, als habe sie sich keine rechte Vorstellung von dem gemacht, was auf Atrap zukam. »Du scheinst nur an ein großes Abenteuer gedacht zu haben«, bemerkte er. Sie legte beide Hände an den Kopf. Eine Geste der Verlegenheit. »Ich gebe zu, daß es zumindest teilweise so war«, erwiderte sie. »Nun gut, das ist nicht weiter schlimm.« Er kroch über einen Träger auf die Schaltzentrale zu, deren Eingang mit bläulichem Licht erfüllt war. »Allmählich scheint man zur Vernunft zu kommen. Ich will mir die Krone ansehen.« Er blickte zu ihr zurück, und für einen Moment glaubte er, den Hohenpriester im Hintergrund zu sehen. Bevor er jedoch Genaueres erkennen konnte, schoben sich mehrere Männer und Frauen dazwischen. Ich muß mich geirrt haben, dachte er. Der Seher würde mir auf keinen Fall folgen und sich mir unterwerfen. Er ist der große Verlierer. Ihm sind alle Gläubigen weggelaufen. Und solange ich einen solchen Erfolg habe, darf er es nicht wagen, sich mir zu nähern. Er ging bis zur Krone. Hier blieb er stehen und hob achtunggebietend die Hände. Augenblicklich wurde es still. »Laßt es gut sein, meine Freunde«, rief er. »Gebt jetzt die Krone für mich frei. Sie wird von nun an der Palast sein, von dem aus ich unsere Welt des Lichtes regieren werde.« Die Koaken, die noch in der Zentrale waren, kamen heraus. Ehrfürchtig blickten sie den Heilmittelpriester an, der nun würdevoll durch die Tür in die Station schritt. Ayhja verharrte am Eingang und verhinderte, daß irgend jemand ihm folgen konnte. Sie beobachtete Atrap, wie er auf die Schaltpulte kletterte und nun mit sichtlicher Erregung darauf hin und her eilte, wobei er die Monitoren nicht aus den Augen ließ. Sie zeigten überwiegend Bilder aus den düsteren Niederungen der Stahlkonstruktionen, erlaubten teilweise jedoch auch Einblicke in die höheren Regionen. Sie waren licht und hell. Es war ungewöhnlich still geworden. Atrap hörte nur seine eigenen Schritte. Auch aus den Lautsprechern der Monitoren kamen kaum Geräusche. Ich bin am Ziel, triumphierte er. Der Höhepunkt meines Lebens. Nein. Ein erster Höhepunkt, dem noch viele folgen werden. Die dritte Stufe des Lebens muß noch lange auf mich warten.
8. Mrothyr steigerte sich immer mehr in Schuldgefühle hinein. Es war vor allem auch die körperliche Schwächung, die sich auf seine geistige und seelische Verfassung auswirkte. Er dachte nur immer wieder daran, daß Atlan, Chipol und Don Quotte sich in höchster Gefahr befanden und jederzeit ein Opfer aggressiver Roboter werden konnten – sofern sie nicht schon in die Falle der beiden Fjuker und des Ligriden gegangen waren. Er schleppte sich durch die STERNSCHNUPPE und kämpfte gegen das Verlangen an, sich hinzulegen und sich auszuruhen. Er holte sich etwas zu essen, war jedoch kaum in der Lage, irgend etwas herunterzubringen. Deshalb beschränkte er sich auf ein Aufbaugetränke, das ihm tatsächlich am besten half. Danach suchte er mehrere Mini-Fusionsraketen zusammen und steckte einen Impulsstrahler ein, dessen Batterie voll geladen war. Dann legte er sich eine Abschußröhre für die Raketen über den Rücken und eilte zur Schleuse der STERNSCHNUPPE. Auf dem Weg dorthin kam er an einigen Monitoren vorbei. Auf ihnen zeichneten sich grellbunte Muster ab. Er blieb stehen. Zunächst verstand er nicht, um was es ging, aber dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Monitoren waren mit der Energieerfassung der STERNSCHNUPPE gekoppelt. Sie zeigten an, daß irgendwo mit Impulsstrahlern geschossen wurde. Atlan! schoß es ihm durch den Kopf, und zugleich wurde ihm siedendheiß. Er wird angegriffen und beschossen. Wie von Sinnen rannte er aus dem Raumschiff und sprang auf einen der Träger hinunter. Während er zu der Stelle hinübereilte, von der aus er die tief unter ihm liegende Schaltstation sehen konnte, fiel ihm auf, daß überall in seiner Umgebung spinnenförmige Roboter nach oben kamen. Zunächst waren es nur zehn oder zwölf gewesen, aber als er sein Ziel erreicht hatte, war ihre Zahl auf wenigstens hundert angeschwollen. Und es wurden immer mehr. Von allen Seiten rückten sie auf ihn zu, und schließlich feuerte einer von ihnen gar auf ihn. Der Energiestrahl verfehlte ihn nur knapp, da er sich der Länge nach auf den Träger geworfen hatte. »Ihr verdammten Narren da unten«, schrie er. »Laßt doch endlich die Finger von den Schaltungen, oder wollt ihr, daß die Spinnen uns alle umbringen?« Wieder feuerte einer der Roboter auf ihn, und diesmal streifte ihn der Schuß an der Schulter. Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Es ging um Bruchteile von Sekunden. * Atrap wandte sich von den Bildschirmen und den bunten Tasten ab, obwohl sie ihn faszinierten und er seine Blicke kaum von ihnen lösen konnte. Er wußte, daß seine Anhänger auf ein Wort von ihm warteten. Er mußte sich ihnen zeigen und zu ihnen reden. »Ayhja – verkünde ihnen, daß ich in dieser unser größten Stunde zu ihnen sprechen will. Sofort.« »Ja, Meister«, hauchte sie und eilte auf einen der Träger hinaus. Im nächsten Moment hallte ihre Stimme durch das Gewirr der Konstruktion. Atrap hörte, daß die Männer und Frauen von der Krone herunterkamen und sich von ihm entfernten, um auf einem Träger einen Platz für sich zu suchen. Er verließ die Zentrale und kletterte auf die obere Wölbung der Station. Hier richtete er sich hoch auf und breitete die Arme aus.
»Hört mich an, meine Freunde«, rief er. »Hört, was ich euch in der Stunde des Lichtes zu sagen habe.« Er verstummte, denn über ihm ertönte ein eigenartiges Heulen. Als er die Blicke nach oben richtete, sah er etwas grell Glühendes auf sich zukommen. Die dritte Stufe des Lebens, schrie es in ihm. * Mrothyr richtete die Abschußschiene der Mini-Fusionsrakete senkrecht nach unten. Er konnte die Schaltstation nicht mehr sehen, weil es zu dunkel geworden war. Er konnte lediglich ahnen, wo sie war. »Es muß sein«, stammelte er, »oder die Roboter bringen uns alle um.« Er feuerte die Rakete ab. Dann schloß er die Augen bis auf einen schmalen Schlitz. Er verfolgte, wie die Rakete in die Tiefe raste. Unwillkürlich zählte er mit, bis sich tief unter ihm ein grellweißer Feuerball ausbreitete. Mit Armen und Beinen klammerte er sich an den Träger, und doch hätte ihn die Druckwelle der Explosion beinahe hinweggeschleudert. Er spürte, wie die glühendheiße Luft an ihm vorbeiraste und die letzten ihm verbliebenen Haare wegsengte. Unwillkürlich griff er sich mit beiden Händen an den Kopf. Dabei rutschte der Zielschlitten für die Mini-Fusionsraketen vom Träger und verschwand in der Tiefe. Mrothyr merkte es nicht. Er preßte den Kopf gegen den Stahl und wartete einige Sekunden ab. Als er danach nach unten blickte, sah er rot glühende Stahlträger, die sich von allen Seiten dem Hohlraum entgegenstreckten, den die Sprengladung hinterlassen hatte. Die Schaltstation existierte nicht mehr. Der Zyrpher atmete auf. Jetzt gab es keine Zentrale mehr, die dafür sorgte, daß die Stählernen aggressiv wurden und Atlan in Gefahr brachten. Er richtete sich auf. Ein Energiestrahl schlug dort ein, wo sein Kopf eben noch gewesen war. Erschrocken fuhr er herum. Wenigstens fünfzig Roboter befanden sich in seiner näheren Umgebung. Und alle richteten ihre vorderen Beine auf ihn. Die anderen Stählernen waren von der Druckwelle der Explosion hinweggefegt worden. Nichts hat sich geändert, erkannte Mrothyr entsetzt. Die Stählernen wollen dich töten. Und sie werden auch Atlan nicht in Ruhe lassen. * In Atlans Helm klang die Stimme Mrothyrs auf. Er erkannte sie sofort, doch er verstand nicht, was sie sagte, denn sie war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. »He, was ist los?« fragte er, erhielt jedoch keine Antwort. Die Stählernen blieben stehen und waren anscheinend durch nichts zum Weitergehen zu bewegen.
Der Arkonide stieg kurzerhand ab und gab Chipol und Don Quotte mit einem Handzeichen zu verstehen, daß sie die Roboter zurücklassen würden. »Ich habe etwas gehört«, sagte der Daila. »Es muß Mrothyr gewesen sein. Es ging aber alles durcheinander. Dennoch klang seine Stimme, als wenn er aufgeregt wäre.« Atlan stützte sich an einem senkrecht aufsteigenden Pfeiler ab und rief den Zyrpher abermals. »Wir empfangen dich gut«, erklärte er, »aber irgend etwas bringt deine Meldung völlig durcheinander, so daß sie keinen Sinn für uns ergibt. Was ist los?« Mrothyr antwortete nicht. »Irgend etwas stört den Funkverkehr«, stellte der Arkonide fest. »Das einzige, was wir einigermaßen deutlich empfangen, ist das Notsignal von Fartuloon.« Eben! kommentierte das Extrahirn. Was willst du damit sagen? fragte der Arkonide. Irgend jemand will, daß du dieses Signal empfängst, aber es ist nicht Fartuloon. Der dumpf grollende Widerhall einer Explosion klang aus der Ferne herüber. »Das ist bei Mrothyr«, rief der Wesir. Wieder versuchte der Arkonide, sich mit dem Zyrpher zu verständigen, aber auch jetzt hatte er keinen Erfolg. »Die Roboter bewegen sich wieder«, meldete Chipol. »Vorsichtig«, warnte der Wesir. »Irgend etwas stimmt nicht. Ich empfange Impulse, die…« Ein Energiestrahl zuckte dicht an ihm vorbei. Atlan sah, welcher Roboter geschossen hatte, und er feuerte sofort zurück, aber er zerstörte nicht nur diesen Roboter, sondern auch noch fünf weitere, die sich in seiner Nähe aufhielten. Sie kippten von der Stahlkonstruktion und verschwanden in der Tiefe. »Warum hast du das getan?« fragte Chipol. »Die Stimmung schlägt um«, erwiderte der Arkonide. »Merkst du es nicht? Eben noch waren die Stählernen freundliche Helfer. Jetzt scheint ihnen jemand befohlen zu haben, gegen uns vorzugehen.« »Wenn es so ist, sollten wir umkehren«, schlug der Daila vor. »Und Fartuloon? Er braucht unsere Hilfe.« »Vielleicht ist er gar nicht hier?« »Wie kommst du darauf?« »Könnte Relais nicht eine Falle für uns sein?« Atlan dachte an die Warnungen seines Extrahirns. Er hatte sie allesamt ignoriert, weil er ganz sicher gewesen war, daß die Notrufe wirklich von Fartuloon kamen. Jetzt begann er zu zweifeln. »Es ist nicht mehr weit«, sagte er. »Wenn nicht alles täuscht, trennen uns höchstens noch ein oder zwei Kilometer von der Stelle, von der die Signale kommen. Wenn wir umkehren, erfahren wir nie, ob Fartuloon uns gerufen hat oder ein anderer, der sich für ihn ausgegeben hat.« »Richtig«, entgegnete Don Quotte. »Wir erfahren es nicht, weil man uns getötet hat. Aber wie auch immer du dich entscheidest, du wirst es ohnehin nicht wissen.« Atlan sah, daß mehrere spinnenförmige Roboter aus der Tiefe heraufkamen. Sie hatten rot schimmernde Kugelkörper und unterschieden sich somit deutlich von den anderen Automaten, mit
denen sie es bisher zu tun gehabt hatten. Atlan schoß auf eine dieser Maschinen, die etwa dreißig Meter unter ihnen und fünfzig Meter seitlich von ihnen waren. Er traf den Kugelkörper, und der Roboter explodierte. Ein Feuerball breitete sich aus, und die Druckwelle hätte Chipol, Don Quotte und den Arkoniden vom Träger geschleudert. Alle drei waren jedoch geistesgegenwärtig genug, sich fallen zu lassen und sich an den Träger zu klammern. »Weg hier«, rief der Unsterbliche. Er schwang sich wieder nach oben und kniete sich auf den Träger. »Zurück zur STERNSCHNUPPE. So kommen wir nicht weiter.« »Endlich«, rief Chipol. Er hastete hinter dem Arkoniden her und blickte sich dabei um. Er schätzte, daß wenigstens fünfzig dieser roten Roboter auf die höchsten Träger heraufgestiegen waren. Die Maschinen bildeten eine weite Zange. Ihr Plan war leicht zu durchschauen. Sie wollten sie einkesseln, um sie dann von allen Seiten gleichzeitig attackieren zu können. »Wir schießen die Roboter ab, die sich am weitesten vorgeschoben haben«, rief Atlan. Er zeigte auf die Automaten, die er meinte. »Haltet euch gut fest.« Er schoß und vernichtete eine der Maschinen. Chipol und der Wesir feuerten ebenfalls. In schneller Folge zerstörten sie mehrere Roboter. Ein Feuerball nach dem anderen breitete sich über der Stahlkonstruktion aus. Druckwelle folgte auf Druckwelle, so daß Atlan, der Daila und Don Quotte sich kaum noch halten konnten. Teile der Stahlkonstruktion brachen zusammen. »Weiter«, rief der Unsterbliche. »Schnell. Wir müssen weg sein, bevor noch mehr Roboter kommen.« Sie befanden sich etwa vierzig Meter unter den höchsten Konstruktionen und damit in einem Bereich, der genügend Licht erhielt. Dicke Moospolster bedeckten den Stahl. Sie rutschten unter den Füßen der Fliehenden weg und behinderten sie. Ohne die Hilfe der Roboter wurde jeder Schritt zum Risiko. Atlan erwog, bei nächster sich passender Gelegenheit nach unten zu steigen, um über die tiefergelegenen Träger zu fliehen, die nicht so sehr von Pflanzen überwuchert waren. Doch ein Blick zurück belehrte ihn darüber, daß sie für einen Abstieg gar keine Zeit hatten. Die Roboter waren ihnen dicht auf den Fersen und würden jede Unterbrechung ihrer Flucht augenblicklich nutzen. Der Arkonide ließ Don Quotte und Chipol an sich vorbei. Er selbst suchte hinter einem Pfeiler Deckung und ließ die Roboter dann an sich herankommen. Die Konstruktion zwang die Maschinen, sich ihm über zwei Träger zu nähern oder einen weiten Umweg in Kauf zu nehmen. Alle Maschinen entschieden sich für den direkten Weg. Damit liefen sie dem Arkoniden in die Falle. Als sie die Träger betreten hatten, feuerte er auf die Verbindungsstelle, an der sie mit Stützpfeilern verschraubt waren. In schneller Folge schlugen mehrere Energiestrahlen ein. Die Träger glühten auf und brachen heraus. Die Roboter rutschten an ihnen herunter, und einige von ihnen verschwanden in der Tiefe. Drei blieben an den glutflüssigen Enden hängen und verschmolzen mit dem Metall. »Vorläufig haben wir Ruhe«, stellte der Arkonide befriedigt fest. »Völlig richtig«, entgegnete Chipol. »Wir haben Ruhe. Das Notsignal ist nicht mehr zu hören.« »Fartuloon schweigt«, fügte der Wesir hinzu. »Falls es überhaupt Fartuloon war.« * Drabendhor schrie auf. Er preßte beide Hände gegen die Schläfen. Bohrende Schmerzen quälten
ihn. »Die Roboter gehorchen«, rief Mulenus. »Wir haben keine Probleme mehr.« Die Lenker der Stählernen fühlten die Änderung sofort, die bei der Zerstörung der weit entfernten Schaltstation eintrat. Jetzt verschwand, was sie vorher daran gehindert hatte, mit den Robotern zu kommunizieren. Endlich konnten sie ihre gentechnisch vorprogrammierten Gehirne so nutzen, wie es geplant war. Drabendhor blickte auf den Monitorschirm. Er sah, daß Atlan und seine beiden Begleiter wenige Schritte vor der Falle umgekehrt waren und sich nun wieder von ihr entfernten. Damit stand für ihn fest, daß mit den manipulierten Notrufen nichts mehr zu erreichen war. Er schaltete den Sender ab. »Wir greifen ein«, rief er den beiden anderen Lenkern zu. »Ich habe schon einigen Stählernen den Angriffsbefehl gegeben«, erwiderte Helomas. Er schien erfreut zu sein, daß sie nun endlich zur Offensive übergingen. Drabendhor eilte zu einer Antigravplattform hinüber und wartete, bis die beiden anderen Lenker der Stählernen zu ihm gekommen waren. Dann startete er und ließ die Maschine über die Stahlkonstruktion aufsteigen. Etwa zehn Kilometer von ihm entfernt blitzte es auf, und dunkle Rauchwolken stiegen in den Himmel auf. Nur noch ein schmaler Streifen von der Sonne war zu sehen, und die tieferen Regionen der Stahlkonstruktion verschwanden im Schatten, in dem keine Einzelheiten mehr zu erkennen waren. »Ihr beordert weitere Spinnen zu ihnen«, befahl Drabendhor. »Sie kämpfen, und sie haben schon viele Stählerne vernichtet. Los doch. Ich muß mich um die Plattform kümmern.« Mulenus und Helomas blickten ihn erstaunt an, denn er flog nicht auf die Rauchwolken zu, sondern schlug einen weiten Bogen nach Süden ein und schwenkte dann nach Westen um. »Was hast du vor?« fragte Helomas. »Wir legen uns zwischen sie und das Raumschiff«, antwortete der Ligridenabkömmling. »Vielleicht besiegen sie unsere Spinnen, aber sie werden ihren Raumer nicht mehr erreichen. Dafür werden wir sorgen.« »Du willst dem Kampf ausweichen«, warf ihm Mulenus vor. »Unsinn«, wehrte Drabendhor ab. »Ich will nur sicher sein, daß wir Erfolg haben. Sorgt endlich dafür, daß mehr Stählerne angreifen.« »Du spielst dich als unser Anführer auf«, protestierte Helomas. »Aber das bist du nicht.« »Darüber unterhalten wir uns, wenn Atlan und seine ’Begleiter neutralisiert sind. Einverstanden? Erst unsere Aufgabe, dann diese Angelegenheit.« »Einverstanden«, erklärten Mulenus und Helomas wie aus einem Mund. Die Antigravplattform beschleunigte. Mit hoher Geschwindigkeit umflog sie das Kampfgebiet, in dem wieder und wieder Roboter explodierten. Die beiden Fjukerabkömmlinge dirigierten mehr und mehr Roboter aus den Tiefen der Stahlkonstruktion nach oben, und sie registrierten befriedigt, daß die Maschinen auf ihre Gedankenbefehle reagierten. Jetzt waren sie wirklich Lenker der Stählernen. Schon bald konnten sie Atlan und seine beiden Begleiter sehen, die sich mit Energieschüssen gegen die Roboter wehrten. Mulenus lachte. »Ich muß dir recht geben, Drabendhor«, sagte er. »Wenn wir uns zwischen sie und das Raumschiff
legen, laufen sie uns direkt ins Feuer.« »Der Störfaktor ist beseitigt. Die Stählernen gehorchen uns. Somit steht unserer Offensive nichts mehr im Wege«, lächelte Drabendhor. »Unsere Auftraggeber werden mit uns zufrieden sein.« * Der Weg zur STERNSCHNUPPE war versperrt. Überall krochen Roboter in die Höhe. Es waren so viele, daß Mrothyr sie auf keinen Fall alle mit dem Impulsstrahler bekämpfen konnte. Krachende Explosionen in der Ferne ließen ihn zusammenfahren. Atlan! schoß es ihm durch den Kopf. Er wird angegriffen. Die STERNSSCHNUPPE war nicht gefährdet. Sie konnte sich mit Hilfe von Energieschirmen selbst verteidigen. Atlan aber brauchte seine Unterstützung. Und außerdem ist das die einzige Richtung, in die ich noch fliehen kann, erkannte er. Er raffte sich auf und rannte über die Stahlträger. In der zunehmenden Dunkelheit konnte er kaum noch sehen, wohin er trat, doch er kam mit traumwandlerischer Sicherheit voran, mußte aber bald einsehen, daß Atlan, Chipol und Don Quotte viel zu weit von ihm entfernt waren, als daß er sie hätte erreichen und in den Kampf eingreifen können. Mühsam atmend blieb er stehen, als er etwa zwei Kilometer zurückgelegt hatte. Da bemerkte er plötzlich eine Antigravplattform, die langsam heranschwebte und etwa dreihundert Meter von ihm entfernt im Gewirr der Stahlkonstruktion landete. Vorsichtig pirschte er sich näher. Für eine geraume Weile konnte er die Plattform nicht mehr sehen. Sie war im Dunkel zwischen den Stahlträgern verschwunden. Dann vernahm er die Stimmen von mehreren Männern. Er legte sich der Länge nach hin und versuchte, das Dunkel mit seinen Blicken zu durchdringen. Schwach hoben sich die Konturen von drei Gestalten gegen den Himmel ab. Lautlos glitt der ehemalige Freiheitskämpfer an sie heran. Wieder explodierte etwas in der Gegend, in der er Atlan vermutete. Eine grell leuchtende Flamme durchbrach die Dunkelheit. Das war näher als zuvor, dachte Mrothyr. Atlan kommt direkt auf mich zu. Er läuft in eine Falle. Sie werden ihn einfach abknallen, wenn er in ihre Nähe kommt. Er griff nach seinem Gürtel und stellte erschrocken fest, daß er zwar noch mehrere MiniFusionsraketen, aber nicht mehr die Abschußschiene hatte. Er konnte die Raketen nicht auf die Fremden abschießen. Er mußte sie mit dem Impulsstrahler angreifen. »Er ist nicht mehr weit«, sagte jemand. »Macht euch bereit. Sobald ihr sie sehen könnt, schießt ihr sie ab.« »Wir sind bereit«, antwortete ein anderer. Mrothyr erhob sich und ging gebückt auf die drei Fremden zu. Kurz bevor er sie erreichte, glitt er aus und stürzte polternd auf den Stahlträger. »Da ist jemand hinter uns«, gellte eine Stimme durch die Dunkelheit. Ein Impulsstrahler blitzte auf. Der Schuß traf eine der Fusionsraketen am Gürtel Mrothyrs. Die Rakete explodierte und riß den Zyrpher und die drei Lenker der Stählernen in den Tod. Ein gewaltiger Feuerball breitete sich aus.
* Atlan war erschüttert über den Tod Mrothyrs, aber er wußte, daß Chipol, Don Quotte und er selbst ohne das Opfer des Zyrphers nicht überlebt hätten. Der Arkonide erfuhr nicht, auf wen Mrothyr gestoßen war, aber ihm war klar, daß der Zyrpher eine entscheidende Macht ausgeschaltet hatte. Seit der Explosion der Fusionsrakete bewegte sich keiner der Stählernen mehr. Regungslos verharrten die Roboter in dem Gewirr der Stahlkonstruktion. Atlan war nun sicher, daß sich Fartuloon niemals auf Relais aufgehalten hatte. Von ihm konnten die Notrufe nicht gekommen sein. Zusammen mit Chipol stieß er noch einmal in das Gebiet vor, aus dem die Notrufe gekommen waren, ohne eine Spur Fartuloons zu entdecken. Dann schnitt er mit seiner Energiewaffe eine Stahlplatte aus dem überreichlich vorhandenen Material heraus und errichtete unmittelbar neben der Landestelle der STERNSCHNUPPE eine Gedenktafel für Mrothyr. Mit dem Impulsstrahler brannte er den Namen des Freundes ein. »Mehr können wir für ihn nicht tun«, sagte er, als er sich mit Chipol in die STERNSCHNUPPE zurückzog. Unmittelbar darauf startete das Raumschiff. Atlan, Chipol und Don Quotte kehrten in die Zentrale zurück. Die STERNSCHNUPPE teilte mit, daß sie ein fremdes Raumschiff geortet hatte, das aus der Sonnenkorona gekommen war und Kurs aus dem System von Schwertspitze genommen hatte. Atlan ließ sich die genaueren Daten geben, stellte jedoch fest, daß es zu spät für eine Verfolgung war. Er überlegte, welches Ziel er als nächstes anfliegen sollte. ENDE
Von der STERNSCHNUPPE blenden wir im nächsten Atlan-Roman um zur STERNENSEGLER mit Anima, Goman-Largo und Neithadl-Off. Das Zeit-Team ist auf der Suche – und beginnt das »Sternenspringen«… STERNENSPRINGEN – das ist auch der Titel des Atlan-Bandes 771, der von H.G. Ewers geschrieben wurde. p
ATLANS EXTRASINN Bilder der Vergangenheit Manam-Turu hat schon immer etwas merkwürdig auf mich gewirkt. Die Galaxis ist riesengroß und älter als die heimatliche Milchstraße. Dennoch fand Atlan hier kein beherrschendes Volk vor. Nach allen bekannten Fakten über die Evolution des intelligenten Lebens hätte Manam-Turu eine Vielzahl solcher Völker bieten müssen. Es gibt Völker in unüberschaubar großer Zahl, aber keins davon hat eine dominierende Stellung. Durch die Ereignisse auf Cirgro, beziehungsweise Torquan der Vergangenheit, sind nun einige Aspekte deutlich geworden, die die Merkwürdigkeiten teilweise erklären. Auch ist damit zu erkennen, daß Manam-Turu wirklich eine alte Geschichte hat. Die Auswirkungen dieser Vergangenheit waren in den ersten Monaten nach Atlans Erscheinen in Manam-Turu nicht zu verspüren. Nun sind sie deutlich, und die Verbindung zum Wirken des ehemaligen Erleuchteten und dessen Plan, ein gewaltiges Psi-Wesen, EVOLO, zu erschaffen, wird offensichtlich. Manam-Turu war von jeher eine Spielwiese psionisch begabter Völker. Mutanten, wie sie gemeinhin genannt werden, haben schon in der fernen Vergangenheit die Szene beherrscht. An erster Stelle sind hier die Krelquotten zu nennen. Aber auch die Bathrer oder die Völker von Urmal und Angrios müssen erwähnt werden. Und nicht zuletzt die Daila, auch wenn große Teile dieses Volkes keine PsiBegabung aufweisen. Sicher ist manches noch Spekulation, was die Dinge betrifft, die ich mir jetzt zusammenreime. Aber ich meine, daß eben die Idee, etwas wie EVOLO zu erschaffen, nur in einer Galaxis entstehen konnte, die Psi-Potentiale im Übermaß anbot. Wir wissen bis heute nicht genau, wie der Erleuchtete sich den »Einsatz« EVOLOS vorgestellt hat. (Ich habe schon einmal den Verdacht geäußert, daß darüber etwas in dem geheimnisvollen DOMIUM von Alkordoom zu erfahren sei.) Heute erkenne ich immer stärker, daß ein Teil dieses Planes die totale Beherrschung der Heimatgalaxis des Erleuchteten sein mußte. Wie anders hätte er sonst die vielen psionischen Kräfte kontrollieren und steuern können? Er brauchte ein »psionisches Instrument«, das noch stärker war als alle Kraft der hier anwesenden Völker. Vielleicht erklärt dies auch, daß der Erleuchtete die Psi-Potentiale nicht aus Manam-Turu gewinnen wollte, die EVOLO letztlich verkörperten. Er wollte jede Gefahr ausschließen, daß sich etwas von den Fähigkeiten in EVOLO befand, die dieser beherrschen sollte. Nun sollte man vielleicht meinen, daß in einer Galaxis, in der psionisch begabte Völker nur so aus dem Boden schossen, eine besonders hochstehende Zivilisation entstanden sein müßte. Das ist in Manam-Turu nicht der Fall. Die Bilder der Vergangenheit zeigen zwar, daß schon vor 15.000 Jahren (als noch niemand an den Erleuchteten oder an EVOLO gedacht hatte) beherrschende und starke Kulturen entstanden waren. Aber was ist aus ihnen geworden? Fast könnte ich sagen: NICHTS! Die heutigen Krelquotten sind irgendwie verkümmert. Und auch die Bathrer haben nicht viel zu bieten. Sie besitzen beide noch ihre Kräfte, aber die Art und Weise, in der sie sie nutzen, muß antiquiert anmuten. Und die Daila haben sich in ihrer Zwitterstellung selbst ein Bein gestellt und ihre Entwicklung eher gebremst, als mit Hilfe der Mutanten gefördert. Erst die Gefahr des Neuen Konzils (eines Einflusses, der von außerhalb Manam-Turus kam!) hat die beiden Völkerhälften
wieder weitgehend vereint. Das ist eigentlich eine erschütternde Erkenntnis, denn diese läßt einen weitreichenden Schluß zu: Völker, die in hohem Maß über psionische Kräfte verfügen, entsprechen nicht der eigentlichen natürlichen Evolution. Sie haben nur kurze Blütezeiten, aber verfallen schon bald in eine Rückentwicklung. Sie verkümmern, was ihre Zivilisation betrifft, auch wenn sie ihre Psi-Kräfte erhalten können. Bathrer und Krelquotten sind klassische Beweise für diese Folgerung. Ob mein Schluß genereller Natur ist, ist im Augenblick unwichtig. Für Manam-Turu trifft er jedenfalls zu. Die Bilder der Vergangenheit beeinflussen so die heutige Situation, in der EVOLO existiert. Insofern stellt EVOLO auch eine solche Fehlentwicklung dar, ja sogar eine in höchster Potenz. Und ob es möglich sein wird, mit den psionischen Kräften der Völker Manam-Turus EVOLO zu besiegen, muß da doch sehr in Frage gestellt werden, denn das hieße, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben zu wollen.