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»Noch eine letzte Überprüfung vor dem Aufbruch«, hatte Jorry gesagt und sich dem kleinen Stapel Proviant und Material zugewandt. Sie machten sich auf den Weg über die offene Fläche des ungastlichen Planeten, um die geheimnisvolle, nicht geheuere Zitadelle zu finden und in sie einzudringen und ihr den Schatz, den sie barg, zu entreißen. Sie wußten nur undeutlich die Richtung, hatten nur unbestimmte Kenntnis davon, was vor ihnen lag. Ihr Überleben hing von den Vorbereitungen ab. Es war nicht damit zu rechnen, daß der Boden des Boroq-Thaddoi etwas hergab; also war der niedrige, breite Lastschlitten mit Proviant und Wasser für zwanzig Wachzyklen beladen.
Science Fiction Ullstein Buch Nr. 31018 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Titel der Originalausgabe: UNDER A CALCULATING STAR Aus dem Amerikanischen übersetzt von Karl H. Schulz Deutsche Erstausgabe Umschlagillustration: Young Artists Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1975 by John Morressy Printed in Germany 1980 Scan by Brrazo 07/2005 Gesamtherstellung: Mohndruck Graphische Betriebe GmbH, Gütersloh ISBN 3 548 31018 4 September 1980
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Morressy, John: Labyrinth zwischen den Sternen: Science-fiction-Roman / John Morressy. Hrsg. von Walter Spiegl. [Aus dem Amerikanischen übers. von Karl H. Schulz]. – Dt. Erstausg. – Frankfurt/M · Berlin · Wien: Ullstein, 1980. ([Ullstein-Bücher] Ullstein-Buch; Nr. 31018: Science-fiction) Einheitssacht.: Under a calculating star «dt.» ISBN 3-548-31018-4
John Morressy
Labyrinth zwischen den Sternen SCIENCE-FICTION-Roman
Herausgegeben von Walter Spiegl
Science Fiction
Für George und Jackie und alle Lawtons
PROLOG
Die Seraph Das Eigenantriebschiff Seraph befand sich auf der Reise zu irgendeinem Ziel jenseits des »Verbotenen Gürtels«. Drei Wachen hinter dem Dush'k'kor drosselte es auf Unterlichtgeschwindigkeit. Dann öffnete sich die atmosphärische Schleuse. Eine Zeitlang hatte das Raumschiff zwei kleine Satelliten bei sich. Sie trudelten neben ihm durch den Raum, die Spanne zwischen ihnen und dem Mutterschiff wurde immer breiter, dann glitten sie ab und begannen als Doppel-Orbit ihre eigene Reise durch die Leere. Nun verschwand die Seraph in die unsichtbare Dimension der Superlichtgeschwindigkeit und nahm Kurs auf den Rand der Galaxis. Gegen Ende der nächsten Wache wurde auf Befehl Kian Jorrys, des Kommandanten, ein Schiffsrat einberufen. Jorry hatte den einzelnen Platz an einer Seite des dreieckigen Messetisches inne; dort saß er bequem zurückgelehnt und fuhr sich mit der Hand durch das graumelierte, kurzgeschorene Haar. Die Mannschaft wartete darauf, daß er zu sprechen beginne würde. Sie waren ein buntscheckiger Haufen, Humaniden und Humanoiden verschiedener Größe, Körperform
und Hautfarbe. Bis auf einen hatten sich alle zum Schiffsrat eingefunden. Gleich zur Rechten Jorrys waren zwei Quipliden; sie hockten auf der Tischplatte, um in Augenhöhe der anderen zu sein. Sie waren Brüder, Fimm und Jimm genannt. Keiner an Bord der Seraph wußte ganz genau, wer Fimm und wer Jimm war, und so wurden sie ständig miteinander verwechselt. Doch das schien sie nicht sonderlich zu stören. Neben ihnen saß ein großer Mann mit wetterrotem Gesicht. Kopfhaar und Bart waren hellblond, beinahe weiß, obwohl er zweifellos noch jung war. Sein Haar war lang, und er trug es zu Zöpfen geflochten, wie es bei den Skeggjatt-Kampfschulen Brauch war. Sein muskelbepackter Körper war zusammengesunken; das Kinn in die mächtige Hand gestützt, starrte er vor sich hin. Bral hieß der Skeggjatt. Neben ihm saß Collen, die Verteidigungsexpertin. Sie war Thorumbianerin, schlank, blauäugig, ihre glatte Haut war schwarzblau wie vergossenes Öl. An der dritten Seite des Tisches, von Jorry am weitesten entfernt, saß Dolul, ein Angehöriger des Stammes der Onhla, von der Eiswelt Hraggellon. Er war ein großer Mann mit ausdruckslosem Gesicht und sprach selten. Neben ihm saß einer, der überhaupt nicht sprach, ein Thanist namens Rull-Lamat. Er trug eine Haube, und der untere Teil seines Gesichts war verdeckt.
Jorry räusperte sich und rückte mit seinem Stuhl vor. Erwartungsvoll blickten seine Leute ihn an. Bedeutsam sah er auf die Tischplatte hinunter, dann stand er auf und begann: »Meine guten Freunde und Kameraden, wir haben viel zu besprechen. Doch wie ihr wißt, bin ich ein alter Sternfahrer, dem die Traditionen des Kosmos heilig sind; und so möchte ich diese Versammlung eröffnen mit einer Schweigeminute zum Gedenken an unsere Schiffsgenossen, die sich von uns getrennt haben.« Er faltete die Hände und neigte den Kopf. Bral warf einen raschen Blick auf die anderen und einen längeren, prüfenden auf Jorry, doch in der Miene des Kapitäns war kein Fünkchen Ironie zu entdecken. Endlich blickte Jorry auf, lächelte und setzte sich wieder. »Und nun, nachdem wir diesem Verräterpaar die letzte Ehre erwiesen haben – zum Dienstlichen«, sagte er munter. »Ohne das Urteil unseres Kapitäns anzweifeln zu wollen – aber bist du sicher, daß sie Verräter waren?« fragte der Skeggjatt. »Mir ist Saston eigentlich nie so vorgekommen ... es fällt mir schwer zu denken, daß er uns alle betrogen hat.« »Und Vedniak schien mir auch nicht der Typ zu sein«, fügte die Thorumbianerin hinzu. »Er war ein guter Kämpfer.« Kian Jorry lächelte väterlich. »Ihr beiden seid ver-
trauensvolle Naturen«, sagte er, »und ich mag euch deswegen umso lieber. Ich war auch einmal so. Doch über Saston und Vedniak habe ich nicht mehr die geringsten Zweifel. Ich glaube meinen eigenen Augen. Als wir auf dem Dush'k'kor waren, habe ich gesehen, wie sie Bestechungsgelder von einem SternvereinAgenten genommen haben. Sie wollten uns an die Schwarzjacken verkaufen.« »Und das ist noch nicht das Schlimmste«, schrillte einer der beiden Quipliden, und der andere fügte hinzu: »Erzähle doch, was sich in deiner Kabine zugetragen hat!« »In der dritten Wache habe ich sie in meine Kabine gerufen und es ihnen klipp und klar vorgehalten; Fimm und Jimm waren Zeugen. Erst haben sie alles geleugnet. Dann haben sie versucht, uns zu bestechen, damit wir uns ihnen anschließen. Dann zogen sie ihre Waffen, und wenn meine kleinen Freunde hier nicht gewesen wären, dann wäre ich jetzt draußen im leeren Raum, und Saston und Vedniak würden euch in den Hinterhalt der Schwarzjacken führen – in den Tod.« Der eine der Quipliden sagte: »Verräter verdienen, was sie bekommen«, und der andere bestätigte: »So ist es.« »Ich kann also annehmen, daß ihr alle befriedigt seid, und wir können somit zu anderen Dingen über-
gehen«, begann Jorry wieder. Er blickte sich um, ob jemand etwas dagegen hätte, doch das war nicht der Fall. »Wie ist es mit Ersatz, Kapitän?« fragte Bral. »Nun sind wir doch unterbesetzt.« »Wir sind genau richtig besetzt. Diese beiden waren für das, was vor uns liegt, überhaupt nicht geeignet. Gut, daß wir sie los sind. Wir sind jetzt aktionsbereit, Bral, und haben genau die richtige Kampfstärke. Wir haben die Mannschaft, die Waffen, komplette Sonderausrüstung –« »Tatsächlich?« fragten die beiden Quipliden gleichzeitig, »und was haben wir vor?« »Jawohl, die haben wir«, versicherte der Kapitän, ohne zunächst auf die zweite Frage der Kleinen einzugehen. »Bei jeder Planetenlandung hat euer Kapitän – während ihr euch amüsiert habt – Einkäufe gemacht. Ich habe mir, das kann ich euch sagen, kein Vergnügen gegönnt, bis ich die Schiffsgeschäfte erledigt hatte.« »Jorry denkt an alles«, sagte einer der Quipliden bewundernd. »Das tut er wirklich«, stimmte der andere zu. Der Kapitän nickte gnädig. »Ich versuche, mein Bestes zu tun. Darum ist die Seraph auch so ein gutes Schiff. Sie hat einen erstklassigen Kapitän, und jetzt hat sie auch eine erstklassige Mannschaft.«
»Nicht ganz«, murmelte der Skeggjatt und schwieg dann. »Wenn du etwas auf dem Herzen hast, Bral, dann spuck es aus. Ich bin nicht wie der alte Kapitän York – Friede seinen Gebeinen. Meine Besatzung kann frei heraus reden; ich höre. Was ist los?« Der Skeggjatt zögerte. Er war ein Kämpfer von Natur, kein Disputierer. In Brals Welt kämpfte man, wenn man verschiedener Meinung war, und wer siegte, hatte recht. Jorry war groß, stark und schnell; doch Bral zweifelte nicht daran, daß er seinen Kapitän im offenem Kampf besiegen konnte. Und trotzdem ließ er sich von Jorry Dinge sagen, die ein Skeggjatt allenfalls seinem nächsten Verwandten auszusprechen gestatten würde. Die Sache war die, daß er sich Jorry gegenüber unsicher fühlte. Jorry war zu schlau, zu listenreich. Im richtigen Moment hatte er stets die richtige Waffe parat. Sogar jetzt, wo er ihm gegenüber am Tisch saß und ihn freundschaftlich anlächelte, waren seine Hände unsichtbar, unter Tischhöhe. Und schließlich war er der Kapitän der Seraph, dem man gehorchen mußte. Bral ließ alle seine halbausgeformten Gedanken an Opposition fahren. Zu tief saß ihm die Borddisziplin im Blut. »Es handelt sich um Axxal, Kapitän. Er gehört nicht in diese Mannschaft«, sagte er.
»Warum nicht?« »Er ist ein Quespodon!« Geduldig lächelte der Kapitän. »Das wissen wir alle, Bral. Sei nicht so streng mit ihm. Er wird uns nützlich sein, ich bürge dafür.« Bral lachte. »Wem kann ein Quespodon nützen, Kapitän? Die sind doch alle gleich. Einer ist so dumm wie der andere.« »Axxal ist stark und treu. Man sieht ihm doch kaum an, daß er ein Quespodon ist. Und so dumm ist er nun auch wieder nicht. Verlaß dich ruhig auf mein Urteil, Bral. Ich sage, er wird uns eine Hilfe sein.« Er blickte in die Runde. »Hat sonst noch jemand etwas gegen Axxal einzuwenden?« »Quespodonen sind dumm, und Dummheit kann gefährlich werden«, bekräftigte Collen. »Axxal soll ja hier nicht für uns denken. Das tue ich. Und die anderen?« Rull-Lamat gab mit einer Handbewegung verächtliche Zustimmung kund. Dolul meinte, ihm sei es vollkommen egal; doch die Quipliden stimmten wie stets begeistert Jorrys günstiger Meinung über den Quespodon zu. »Anscheinend will keiner von euch mit Axxal etwas zu tun haben«, nahm Jorry den Faden wieder auf. »Wenn wir erst gelandet sind, werdet ihr bestimmt eure Ansicht ändern. Bis dahin kümmert sich
Axxal um die Maschinen und läßt uns in Ruhe. Laßt ihr ihn auch in Ruhe. Die Sache ist erledigt, wir sprechen nicht mehr darüber. Und jetzt, Bral, was hast du noch für Sorgen? Ich sehe es dir am Gesicht an, daß dir etwas nicht paßt. Raus damit, Mann!« Er sprach leichthin; doch jeder Einzelne der Besatzung wußte, daß seine Worte als Befehl gemeint waren. »Diese Vögel, Kapitän. Das sind doch ekelhafte, stinkige Kreischer. Neulich bin ich mal an die Käfige herangegangen, da haben sie mir beinahe die Hand abgehackt.« »Muß man dir erst sagen, Bral, daß du einem KiirVogel nicht die Hand hinhalten darfst?« erwiderte Jorry. »Wozu brauchen wir dieses Viehzeug eigentlich an Bord? Und wo wollen wir überhaupt hin?« fragte Bral. »Ah – endlich eine vernünftige Frage. Vielen Dank, daß du davon anfängst. Unser Ziel.« Jorry nickte, als sei er froh, daß dieses Thema endlich zur Sprache käme. »Nun – ihr wißt – oder vielleicht auch nicht –, was ich unseren entschwundenen Freunden erzählt habe. Sie denken, wir sind auf dem Wege zum Hauptquartier des Sternvereins, um ein Kassenschiff zu kapern. Dem ist nicht so.« »Aber warum hast du ihnen das gesagt, Kapitän?« »Ich hatte meine Zweifel über ihre Vertrauenswür-
digkeit. Es war ein Test, Bral.« Freundlich lächelte Jorry seine Besatzung an. »Sie haben ihn nicht bestanden.« »Aber wir könnten doch das Kassenschiff auf alle Fälle kapern?« fragte Collen. »Was für eine Beute!« überlegte der eine Quiplide, und der andere ergänzte: »Und was für eine tolle Sache!« »Freunde, ich bin überrascht«, sorgte sich Jorry und sah ernsthaft von einem zum anderen, bis er jedem in die Augen geblickt hatte. Die wortlose Spannung wuchs, und plötzlich lachte er laut auf. »Denkt ihr wirklich, wegen einer lumpigen Schiffsladung Zahlwürfel würde Kian Jorry seine Freunde in einen Stützpunkt der Schwarzjacken führen? Da würde ich euch in den sicheren Tod führen, das weiß ich. In diesem Stützpunkt sind drei volle Divisionen SternvereinSicherheitstruppen stationiert – die jetzt gewarnt sind und auf uns warten! –, und gegen ihren Willen landet niemand auf diesem Planeten oder verläßt ihn lebend.« Betreten sahen sie einander an, und schließlich lenkte Bral ein: »Wir wußten ja, daß es schwer sein würde, aber wir meinten, wenn jemand eine Basis des Sternvereins nehmen kann, dann wärst du der Mann dazu.« »Nun, vielen Dank, Bral. Gewiß, ich habe schon manches ausgefallene Ding gedreht. Unter anderen
Umständen hätte ich dies bestimmt auch geschafft. Aber mich aus einem Hinterhalt der Schwarzjacken herauszumogeln, das möchte ich denn doch lieber vermeiden. Ich habe etwas viel Besseres im Sinn.« Er beugte sich vor. »Ihr habt doch alle von dem Leddendorfschen Lösegeld gehört, nicht wahr?« Die meisten bejahten, nur Dolul antwortete mit einem simplen Nein, und Bral lachte laut auf und meinte, dieser Schatz sei doch nur eine Legende. Jorry lächelte gutmütig. Als die kurze Erregung abgeklungen war, meinte er: »Das ist keine Legende.« »Keine Legende?« erwiderte Bral erstaunt. »Kapitän, was ich alles für Geschichten über Leddendorfs Reichtümer gehört habe – wie kann ein Mann wie du so etwas glauben?« »Ich will nicht leugnen, daß sich eine Menge lachhafter Geschichten um diesen Schatz herumspinnen – ich habe mir wahrscheinlich jede einzelne angehört –, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß der Schatz existiert. Er ist Wirklichkeit, und man kann ihn sich holen.« Bei diesen Worten sahen die Besatzungsmitglieder ihren Kapitän mit ganz neuem Interesse an. Jorry ließ ihnen ein paar Sekunden Zeit, um die Möglichkeit ins Auge zu fassen, und fuhr dann fort: »Da die meisten von euch die Geschichte kennen werden, kann ich mir wohl ersparen, euch nochmals damit zu langweilen –«
Wie er sich gleich gedacht hatte, fuhren die Quipliden dazwischen: »Erzähle, Jorry!« Dolul schloß sich an, und die anderen ebenfalls. »Da ihr es wünscht«, sagte Jorry, »will ich euch alles erzählen, was ich weiß.« Er lehnte sich bequem zurück und begann seinen Bericht. »Leddendorf war Großkaufmann, Alleinerbe eines Handelsimperiums, das mehr als ein Zehntel der Galaxis umspannte. Der Reichtum dieses Mannes war buchstäblich unberechenbar. Er hatte eine Frau und zwei Kinder, doch sah er sie nur selten. Sie wohnten auf einem abgelegenen Planeten – ein wahres Paradies, wie ich gehört habe – mit ein paar tausenden Bediensteten und einer kleinen Armee von Wachsoldaten.« Jorry hielt inne und beugte sich über den Tisch. »Schließlich geschah das Unvermeidliche. Piraten überfielen den Planeten und nahmen die Frau und die Kinder und alles, was sie sonst noch kriegen konnten, mit. Es war eine furchtbare Schlacht. Von den Verteidigern überlebte nur eine Handvoll, und von den Piraten knapp ein Viertel. Die Angreifer schickten einen gefangenen Wachsoldaten zurück – er war ziemlich übel zugerichtet –, um Leddendorf die Bedingungen zu übermitteln: seine Familie sollte ihn die Hälfte seines gesamten Besitzes kosten. Er bezahlte natürlich. Zögerte keinen Moment. Doch Frau und Kinder sah er nie wieder.«
Bral konnte sich nicht beherrschen. »Was geschah mit Ihnen? Haben die Piraten sie umgebracht?« »Das wird allgemein angenommen. Wie ihr euch denken könnt, gibt es die wildesten Spekulationen zu diesem Thema.« Mit leisem Auflachen schüttelte Jorry den Kopf. »Auf der Barbary habe ich einmal einen ganzen Abend lang einem alten, zerlumpten Raumstreicher zugehört, der steif und fest behauptet, er sei der älteste Sohn von Lady Leddendorf und dem Piratenkapitän.« »Und war er's?« »Ebensowenig wie du, Bral. Aber weiter. Als Leddendorf klar wurde, daß er weder das Lösegeld noch seine Familie wiedersehen würde, entschloß er sich, den immer noch beträchtlichen Rest seines Vermögens in die zweite Möglichkeit zu stecken, die ihm blieb.« Jorry kratzte sich nachdenklich den Kopf, runzelte die Stirn und fuhr fort: »In der ersten Hälfte seines weiteren Lebens häufte Leddendorf ein Riesenvermögen an; in der zweiten gab er alles wieder aus – für seine Rache. Irgendwie muß da eine Moral dahinterstecken – aber lassen wir das auf sich beruhen. Wir armen schlechtverdienenden Sternfahrer haben andere Dinge im Kopf.« »Weiter, Jorry! Wie ging es weiter?« drängte der eine Quiplide. »Leddendorf schuf sich neue Freunde. Er forderte
seine Hauptkonkurrenten auf, mit ihm eine Handelsliga mit eigener Sicherheitstruppe zu gründen. Das waren die Anfänge des Sternvereins. Und wenn ihr jemals mit einem Sternverein-Sicherheitstrupp zu tun hattet – ein ganz gemeiner Haufen.« Jorry schwieg und fuhr sich mit dem Finger über die lange Brustnarbe. »Wirklich ein ganz gemeiner und brutaler Haufen. Aber genau das wollte Leddendorf. Eine Abteilung auf jedem Sternvereinschiff, von der jeder einzelne Mann wußte, wenn er Nachricht von der Familie oder von dem Schatz brächte, oder einen von der damaligen Piratenbande gefangennähme, wäre er für den Rest seines Lebens reich.« »Haben sie einen Piraten gefangen?« fragte Dolul. »Lebend haben sie keinen bekommen. Niemals, solange sie auch gesucht haben«, antwortete Jorry. Er schwieg einen Moment, und dann sagte er: »Aber ich.« »Weißt du, wo der Leddendorf-Schatz ist?« fragte Collen und hatte kaum ausgesprochen, als die anderen mit der gleichen Frage herausplatzten. »Ich bin mir ziemlich sicher, daß ich es weiß. Wir sind auf dem Wege dahin.« »Wo denn, Kapitän? Wo ist das? Wie hast du es herausbekommen, wo doch kein anderer – Wie denn nur, Kapitän?« fragte Bral. »Diese sogenannte ›bloße Legende‹ scheint dich ja
mächtig aufzuregen, mein Freund«, antwortete Jorry gemütlich. »Jetzt glaube ich daran. Wie kriegen wir den Schatz?« »Wir gehen zur Zitadelle auf dem Boroq-Thaddoi.« Auf diese Worte Jorrys fiel plötzlich tiefes Schweigen ein, als hätte er etwas Undenkbares ausgesprochen. Dann brodelte ein Durcheinander von abgerissenen Fragen auf. Endlich sagte Collen: »Das ist eine Quarantäne-Welt.« »Wir haben von Schrecknissen gehört –«, erklärte der eine Quiplide. Und der andere ergänzte: »Unaussprechliches.« »Ich auch«, entgegnete Jorry kühl, »und bestimmt noch viel Schlimmeres als ihr. Doch mit Hilfe meiner tüchtigen Besatzung beabsichtige ich, auf dem BoroqThaddoi zu landen, den Schatz zu erobern, den Schrecknissen zu entkommen und, um eine alte Redensart meines Volkes zu zitieren, danach in Glück und Zufriedenheit zu leben, bis ich sterbe. Seid ihr dabei?« »Ich habe zuviele unheimliche Geschichten von diesem Planeten gehört«, antwortete Bral zögernd. »Hast du auch von dem Schatz gehört, der dort zu finden ist? Der ist so riesig, daß selbst mein Talent zur Übertreibung – und das ist, wie ihr alle wißt, beträchtlich – nicht ausreichen würde, um ihn zu schil-
dern. Da sind einzelne Edelsteine, die so groß sind, daß man sie kaum heben kann. Jedes seltene Metall der Galaxis, geläutert, in Barren gegossen, verladefertig gestapelt. Rüstungen, Waffen und Kunstwerke der alten Rassen – alles wartet auf uns dort auf dem Boroq-Thaddoi«, lockte Jorry. »Aber es steht natürlich unter Schutz. Unter mächtigem Schutz sogar. Wir wären Narren, wenn wir nicht mit Gefahren rechneten. Aber was versteckt und geschützt ist, kann auch gefunden und genommen werden. Die Frage ist nur, meine Freunde, ob ihr gewillt seid, das Risiko einzugehen.« »Und worin besteht das Risiko, Jorry?« fragte Collen. »Kennst du es?« »An Einzelheiten kommt man nur schwer heran. Von meiner ersten Raumreise an habe ich Stück für Stück zusammengetragen, was ich erfahren habe. Ich wäre schon Jahrzehnte früher hingefahren, doch erst bei unserer Landung auf dem Dush'k'kor habe ich Genaueres über die Geographie des Planeten erfahren. Q-Welten sind ja nicht kartographiert.« »Aber die Gefahren?« drängte Collen. »Ich habe von Fallen gehört, von furchtbaren Tieren, komplizierten und gefährlichen Schlössern, schlimmen Wettern, einem uralten Fluch – dieser letzte kümmert mich nicht, und auf das andere bin ich vorbereitet«, erwiderte Jorry lächelnd.
»Wie?« fragte Collen. »Die Kiirs, zum Beispiel. Brennstoffblöcke, Kletterleinen, Pelze, Waffen – dieses ausgesuchte Arsenal, das ich von Anfang an, bei jeder Landung auf einem Planeten, zusammengekauft habe. Aber die beste Ausrüstung ist hier, an diesem Tisch.« »Wo denn?« »Genau hier, Collen. Ihr. Ihr alle.« Jorry deutete beim Weitersprechen nacheinander auf jeden von ihnen. »Wir haben Dolul, einen Wildaufspürer und Jäger aus dem Volke einer Eiswelt, der die Gabe hat, wilde Tiere zu verstehen. Und Bral, ein erfahrener Krieger. Du selbst, Collen, bist eine ausgebildete Waffenmeisterin, die sich in zwölf verschiedenen Waffen auskennt. Axxal ist so stark wie die sechs stärksten Männer, die ich kenne.« »Kraft und Kampfgewandtheit – genügt das?« fragte Dolul. »Wir haben noch mehr. Rull-Lamat ist ein Thanist, ein Meister in allen geheimnisvollen Künsten. Er kann die Gedanken einer ausgestorbenen Rasse rekonstruieren und uns eine Idee davon geben, was uns auf ihrer Welt erwartet. Fimm und Jimm erklettern eine glatte steile Wand so leicht, wie wir anderen eine Leiter hinaufsteigen, und ich brauche nicht erst darauf hinzuweisen, daß die Quipliden berühmt sind wegen ihrer Geschicklichkeit im Umgang mit kom-
plizierter Mechanik, Schlössern zum Beispiel. Ich selbst bin ein erfahrener Pilot. Ich kann die Seraph manuell, ohne Landering, landen wo ich will, und was ich sonst noch kann, das wißt ihr.« »Wir sind nur eine kleine Truppe, Kapitän«, wandte Bral ein. »Wir sind genug. Weder Humaniden noch Humanoiden lauern auf uns, soviel weiß ich sicher. Wir bekommen es vielleicht mit allerlei ungewöhnlichen und unangenehmen Lebensformen zu tun, aber dagegen haben wir die entsprechenden Waffen. Und da wir nicht gegen eine Armee zu kämpfen haben, warum sollten wir uns da eine eigene mitbringen?« »Das wären ja nur umso mehr, mit denen wir den Schatz teilen müßten«, überlegte einer der Quipliden. »Genau. Einen weiteren Mann hätte ich gern noch mitgenommen – einen Arzt; aber ich fand keinen, dem ich vertrauen konnte. Ein bißchen was verstehe ich selbst davon, und Axxal auch.« Bral lachte verächtlich. »Lieber nähe ich mir meine Wunden selbst, als daß ich mich von einem blöden Quespodon mit seiner Ungeschicklichkeit umbringen lasse.« »Genug, Bral«, entgegnete Jorry gelassen und fuhr dann fort: »Wenn ein Mann zu Schaden kommt, flikken wir ihn zusammen, so gut wir können und geben ihm Zaff-Blätter, damit er bis zur nächsten Landung
süße Träume hat. Und dann, wenn wir es geschafft haben, kaufe ich ihm ein eigenes Hospital. Reicht das?« »Und wenn eine Frau fällt?« fragte Collen. »Verzeih meine Nachlässigkeit, Collen. Um die Wahrheit zu sagen – ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß eine Waffenmeisterin wie du überhaupt verwundbar ist.« »Wir sind verwundbar«, antwortete sie. »Dann wirst du bestens betreut. Das bist du uns wert, Collen.« »Und wenn wir dabei draufgehen, Kapitän?« fragte Bral. »Dann werden wir auf keinem Planeten mehr landen und brauchen uns um Verwundungen keine Sorgen zu machen«, entgegnete Jorry unbekümmert, fuhr aber dann ernster fort: »Ich versuche gar nicht, diese Möglichkeit zu verstecken. Der Boroq-Thaddoi ist eine Q-Welt. Sie ist auf keiner Sternkarte eingezeichnet, und seit Generationen ist niemand freiwillig dort gelandet – außer vielleicht Schatzsucher wie wir. Und von denen hat man nichts mehr gehört. Es wird gefährlich werden. Vielleicht gehen wir alle drauf, oder verlieren den Verstand, oder vielleicht passiert uns noch Schlimmeres – etwas, das wir uns nicht einmal vorstellen können. Das alles ist möglich. Doch ich sage, es ist genauso möglich – nein, es ist sogar
sehr wahrscheinlich –, daß wir auf dem BoroqThaddoi landen, in die Zitadelle dringen und reicher als alle Planetenherrscher dieser Galaxis wieder herauskommen.« Jorry hielt inne, um seine Worte wirken zu lassen und fuhr dann fort: »Ich habe einen Mann aufgetrieben, dessen Vater damals in den fünfundzwanzighunderter Jahren die Landung der Drake III auf dem Pendleton mitangesehen hat. Es kostete einige Zeit und sehr viel Überredungskunst, aber schließlich brachte ich den Kerl dazu, mir zu berichten, was er von der Geschichte seines Alten noch wußte. Bis auf zwei sollen alle Männer der Drake III tot gewesen sein. Manche waren noch warm, andere waren schon lange tot. Die beiden Lebenden waren wahnsinnig. Bis heute weiß niemand, was aus Kommandant Wright und dem Ersten Leutnant Kooto geworden ist, oder wie das Schiff mit seiner Besatzung von Leichen und kreischenden Irren überhaupt zurückgekommen ist – der Kontrollraum war versiegelt, und am Ruder saß ein Gerippe. Keiner weiß, wie diese Menschen ernährt, die Kranken auf dieser langen Reise versorgt wurden. Doch als diese armen Kerle landeten, hatte jeder der Toten die Taschen voller grüner Diamanten, und der kleinste war so groß wie meine Faust. Der letzte Überlebende sagte immer nur: Boroq-Thaddoi ... unter der Zitadelle ... bis er
starb. Also, ich habe nicht vor, im Wahnsinn zu sterben oder spurlos zu verschwinden wie Wright und Kooto; aber ich möchte die Chance haben, einer der reichsten Männer der Galaxis zu werden. Wir können diesen Planeten besiegen. Macht ihr mit?« Die Quipliden schnellten hoch und standen aufrecht auf der Tischplatte, die kleinen Fäuste in der Luft. Dolul stand auf, dann Bral und Collen, und schließlich auch der schweigsam Thanist. Wie ein stolzer Vater lächelte Jorry seine Mannschaft strahlend an. Er faßte hinter sich und holte aus einem Schränkchen ein paar kleine Flaschen des milden bierähnlichen Getränkes hervor, das auf dem Dush'k'kor, dem letzten Planeten, den sie angeflogen hatten, gebräuchlich ist. »Freunde – trinken wir zum letzten Mal als arme, schwerarbeitende Sternfahrer zusammen! Es ist dünnes Zeug, aber noch sind wir arm. In meiner Kabine ist eine Kiste Stepman Grün; die wollen wir uns aufsparen, um auf das gelungene Unternehmen zu trinken.« Er hob die Flasche in die Höhe. »Auf den Reichtum, der auf dem Boroq-Thaddoi auf uns wartet!«
ERSTER TEIL
Zur Zitadelle 1. Die Ebene der Schnittpunkte Als Erster setzte Jorry den Fuß auf den Boden des Boroq-Thaddoi. Er bewegte sich sehr langsam und mit ungewohnter Schwerfälligkeit, weil ihn der dicke Pelzanzug hinderte. Auch die anderen, mit Ausnahme von Dolul, waren durch ähnliche Kleidung behindert. Für den Hraggellon war extreme Kälte nichts Neues; sein Körper paßte sich schnell an. Schon hatte seine Haut den rötlichen Ton verloren, den sie an Bord bekommen hatte, und wurde bleicher; bald würde sie so bläulich-weiß sein wie auf dem Hraggellon. Jorry stellte seinen Augenschild ein und warf einen ersten klaren Blick auf die Umgebung. Unter dem trübsinnig kalten Frühlicht einer bleichen Sonne waren Schwarz, Braun, Grau und schmutziges Weiß die einzigen Farben, und der Boroq-Thaddoi wirkte schon vom bloßen Anblick her so unwirtlich und lebensfeindlich, daß seine Quarantäne-Sperrung gerechtfertigt schien. Ein unaufhörlicher gnadenloser Sturm raste über
die offene Tundra, schliff die scharfen Kanten der Felsbrocken rund und wetzte die hohen Klippen wie Messerschneiden. Der Horizont markierte sich scharf, doch der Boden zu ihren Füßen war durch den peitschenden Staub des aufgewehten Sandes nur wie hinter einem Schleier zu sehen. Die Luft biß mit eisiger Kraft, die den Körper ansprang, das ungeschützte Fleisch suchte, die Ohren mit Heulen und Jaulen füllte und die Augen tränen machte. Nur Dolul hielt es aus, unberührt, ohne auch nur zu blinzeln. Bei seinem Anblick hüllten sich die anderen fester in ihre dicken Pelze. Über ihren Köpfen ragte turmhoch die Seraph auf. Sie stand auf ihren Landeständern, bereit, beim Druck auf die Kontrollhebel wieder in den Raum zu springen. Jorry hatte sie manuell landen müssen; die Raumpioniere der Frühzeit setzten auf Planeten, über die sie Quarantäne verhängt hatten, keine Landeringe. Auf diesem unebenen Terrain war die Landung schwierig, weit schwieriger, als er angenommen hatte oder der Besatzung gegenüber zugegeben hätte – doch er hatte sie erfolgreich durchgeführt. Das erste Treffen mit der Quarantäne-Welt war zu seinen Gunsten entschieden worden. Es war ein bedeutsamer Anfang, und Jorry fühlte sich den kommenden Gefahren besser gewachsen. Immerhin zitterte in ihm noch die Spannung des Landens nach, und als Bral ihn beglückwünschte: »Erstklassige Schiffsführung,
Kapitän!« hatte er wütend geknurrt: »Denkst du, ich bin den ganzen Weg hergekommen, um die Seraph auf einer Q-Welt kaputtzufahren?« »Nein, Kapitän, wir wußten doch, daß du es schaffst«, hatte Bral verlegen geantwortet, »aber der bloße Gedanke – eine manuelle Landung ist immer schwierig, und noch dazu auf so einem Boden – wenn da was schiefgeht –« »Ist denn was schiefgegangen?« »Nein, Kapitän. Alles in Ordnung.« »Also – machen wir die Ausrüstung klar und gehen wir los, ehe wir hier anfrieren. Noch eine letzte Überprüfung vor dem Aufbruch«, hatte Jorry gesagt und sich dem kleinen Stapel Proviant und Material zugewandt. Sie machten sich auf den Weg über die offene Fläche des ungastlichen Planeten, um die geheimnisvolle, nichtgeheuere Zitadelle zu finden und in sie einzudringen und ihr den Schatz, den sie barg, zu entreißen. Sie wußten nur undeutlich die Richtung, hatten nur unbestimmte Kenntnis davon, was vor ihnen lag. Ihr Überleben hing von den Vorbereitungen ab. Es war nicht damit zu rechnen, daß der Boden des Boroq-Thaddoi etwas hergab; also war der niedrige, breite Lastschlitten mit Proviant und Wasser für zwanzig Wachzyklen beladen. Kletter- und Grabegeräte, Brennstoffblöcke zum Abkochen und fürs Lager-
feuer, Zelte und zwei verdeckte Käfige mit KiirVögeln wurden noch aufgeladen, und als das geschehen war, traten die anderen zurück, während Axxal, der Achte in der kleinen Gesellschaft, die Lasten festschnürte und sich den Zugriemen so einstellte, daß er über seine breite Brust paßte. Axxal war der persönliche Betreuer des Kapitäns und überhaupt das Faktotum der Seraph. Wie alle Quespodonen war er haarlos; sein Körper war hoch, breit und kompakt, und er war ungeheuer stark. Doch er hatte nicht die fleckige Haut, die für die meisten seiner Rasse charakteristisch war. Axxal tat sein Teil und mehr als sein Teil der Schiffsarbeit, und er tat sie gut. Er war Jorry treu ergeben, der ihn viel verständnisvoller behandelte, als es die Quespodonen von anderen sternfahrenden Rassen gewohnt waren. Fimm und Jimm bewunderten ihn. Von den übrigen wurde er geduldet. Sogar Bral, der Axxals Rasse verachtete, hatte Respekt vor seiner Kraft. Während Axxal den Schlitten fertigmachte, verteilte Jorry die Waffen. Jedes Besatzungsmitglied trug bereits die gewohnten Waffen seines Volkes, doch Jorry ergänzte diese. Auf einer solchen Expedition mußte seine Mannschaft mit den besten Waffen der Galaxis ausgerüstet sein. Axxal und Dolul bekamen jeder ein Paar Pistolen. Während sie die Halfter umschnallten und sich die Taschen mit Patronen füllten,
öffnete Jorry eine lange Kiste und nahm drei Nahkampfgewehre heraus. Das waren die wirkungsvollsten Waffen der Raumfahrt. Die meisten kriegerischen Rassen mißtrauten den schlechtgearbeiteten zeitgenössischen Feuerwaffen und benutzten lieber Klingen. Ihr Mißtrauen war durchaus berechtigt. Die gewöhnlichen Feuerwaffen des siebenundzwanzigsten Jahrhunderts taugten nicht viel; sie klemmten oder versagten im kritischen Moment, und wer ihnen sein Leben anvertraute, war ein Narr. Doch diese Waffen hier, die von den Handwerkern des Rugatcz V nach authentischen Modellen von der Alten Erde gefertigt waren, kamen der Perfektion so nahe, wie es für Produkte menschlicher Arbeit nur irgend möglich war. Jorry konnte sich auf sie verlassen. Eins der Gewehre hing er sich selbst um, das zweite gab er Bral, das dritte Collen. Bral wog seine Waffe in der Hand und sah den Kapitän zweifelnd an. »Nimm es nur, Bral, und gebrauche es. Ich weiß, deine Streitaxt ist dir lieber, aber ein Gewehr hat größere Reichweite«, sagte Jorry. »Du hast doch schon früher eins benutzt, ich weiß es.« Die Antwort des Skeggjatt klang wie ein beschämtes Geständnis. »Ja, mehrfach. Aber für alles, was wir auf diesem Planeten antreffen, reicht mir meine Axt. Du hast ja schon gesehen, wie ich sie führe.« »Es geht nicht um deine Kampfkunst, Bral; ich
möchte einfach nicht, daß uns irgend etwas so nahe auf den Leib rückt. Mit diesen Gewehren legen wir jeden Angreifer auf fünfzig Meter um. Das ist eine ganz angenehme Distanz.« »Und wenn nicht?« »Dann kannst du immer noch deine Axt nehmen.« Er wandte sich zu Collen. »Bist du für alles gerüstet? Du bist unsere wichtigste Defensivkraft.« Die Thorumbianerin nickte. Auch ohne Gewehr war sie das bestbewaffnete Mitglied der Expedition. Hülsengurte mit den tödlichen kleinen FingerMessern, die bei den Lixanern so beliebt waren, kreuzten ihre Brust; Pistole und Kurzschwert hingen am Gürtel, und auf dem Rücken hatte sie einen toxxanischen Langbogen mit einem Köcher voller Breitpfeile. Das Gewehr hielt sie schußbereit in der Hand. Persönlich musterte Jorry jedes Mitglied seiner Truppe. Nachdem er alles in Ordnung gefunden hatte, formierte er sie in einem engen Kreis im Windschatten des hochbepackten Schlittens und sagte: »Wir gehen in einer Reihe hintereinander bis zur Zitadelle vor. Ich zuerst, Collen nach mir, dann Fimm und Jimm, dann Axxal mit dem Schlitten. Dolul hinter dem Schlitten, als nächster Rull-Lamat, und Bral am Schluß. Ganz gleich was geschieht – auf keinen Fall ausschwärmen! Immer in Sichtweite bleiben!« »Gibt es Fallen dort draußen?«
»Dort draußen gibt es alles mögliche. Wenn sich vorn etwas bewegt, schießen Collen und ich. Wenn was von hinten kommt, schießt Bral. Es muß also jeder seine Position halten und in meiner Spur bleiben, so gut er kann. Wenn sich das Wetter plötzlich ändert – und das wird oft der Fall sein –, bleibt stehen und wartet ab. Wir können uns nicht leisten, jemanden zu verlieren; aber ebensowenig können wir uns leisten, die ganze Gruppe für einen zu riskieren, der die Verbindung verloren hat. Denkt daran!« »Wir könnten uns doch mit dem Langseil aneinanderbinden?« schlug Bral vor. »Nein. Dann wären wir alle verloren, wenn es einen von uns erwischt.« »Also jeder für sich«, sagte Dolul. »Jeder für die Gruppe, bis wir wieder im Raum sind. Unsere Chancen, die Zitadelle zu erreichen, sind besser, wenn wir auf schmaler Spur dicht beieinander bleiben. Die Nächte hier sind lang und kalt; in den Bergen finden wir einen geschützten Lagerplatz. Morgen gegen Sonnenuntergang sind wir dann vor der Zitadelle.« »Warum sind wir so weit entfernt gelandet?« fragte Collen. »Eine Vorsichtsmaßnahme. Noch Fragen?« Keine weitere Frage kam. Jorry befahl: »Also dann los!« und nahm Richtung auf die fernen Berge.
Die Seraph stand etwa im Mittelpunkt einer Hochebene zwischen zwei Bergrücken. Der eine war viel höher als der andere; Jorry führte seine kleine Truppe auf den höheren zu. Sie kamen nur langsam voran. Mühsam suchte Jorry unter dem niedrigen Schleier von Treibschnee und Sand den Weg durch das unebene Gelände. Es war, als taste er im Dunkeln nach einem halbvergessenen Pfad. Alle paßten scharf auf. Es war ein schweres Gehen auf diesem rauhen, steinharten Grund, und plötzlich verschwand die Sonne hinter aufkommenden schweren Wolkenmassen, denen jedesmal eine kurze augenverklebende Schneebö folgte. Ohne Zwischenfall hatte die Truppe etwa die Hälfte der Strecke bis zu den Bergen zurückgelegt. Ganz unerwartet kamen sie jedoch an den Rand eines Abhangs, der zu einer geräumigen, schüsselartigen, mit zahlreichen Felsbrocken bestandenen Senke führte. Diese Felsbrocken, höher als der Größte der Truppe, waren über die ganze Senke verteilt. Anscheinend waren sie nicht, wie die Steine der Hochebene, ein beträchtliches Stück in den Boden eingesunken, sondern standen mit der Unterkante einfach auf dem Band. Jorry machte Collen darauf aufmerksam. »Meteore sind das nicht«, erwiderte sie. »Nein, Meteore wären eingesunken. Die sehen aus, als wären sie ganz vorsichtig so hingestellt worden.«
»Vulkanisch sind sie auch nicht. Hier gibt es ja keine Vulkane. Vielleicht hat sie der Wind –« Jorry sah die Thorumbianerin überrascht an, und Collen erläuterte: »Der Wind könnte den umgebenden Sand im Laufe der Zeit weggeweht haben. Das wäre möglich.« »Vielleicht«, antwortete Jorry. Aber er war nachdenklich geworden. Zweimal zwang sie eine Schneebö zum Halten, doch kamen sie ohne Zwischenfälle bis zur Mitte der Senke, deren niedriger, nach allen Seiten gleichweit entfernter Rand sie umschloß. Voraus ragten drohend die Klippen des Gebirgszuges. Plötzlich ertönte von überallher ein dumpfes Rumpeln, das schnell lauter und mächtiger wurde. Die Gewehrträger brachten ihre Waffen in Anschlag, doch nichts und niemand war zu sehen. Das Geräusch wurde noch lauter, und dann bewegte sich der Boden unter ihren Füßen. »Er senkt sich! Wir versinken!« rief Axxal aus. Jorry spreizte die Beine, blickte sich um und sah, daß die Felsbrocken sich bewegten. »Weg! Zum Rand, so schnell ihr könnt!« brüllte er. »Bral – hilf Axxal mit dem Schlitten!« Überall begannen die Steine, die so leicht auf ihrer Grundfläche ruhten, zu rucken und zu gleiten. Ein paar rutschten bereits auf die kleine Truppe zu, und das Zentrum der Senke vertiefte sich noch mehr. Ihre einzige Hoffnung war, den Rand zu erreichen, bevor
alle Steine nach innen und unten glitten und ihnen den Weg abschnitten, den sie sich mühsam erkämpfen mußten, weil es zum Rand hin immer steiler wurde. Es war Axxal, der sie rettete. Er überließ den Schlitten Dolul und Bral und übernahm es, die Felsbrocken abzuwehren, die immer schneller und zahlreicher heranglitten. Die ersten kamen noch langsam und ließen sich durch einen kräftigen Stoß aus der Richtung bringen, doch dann glitten sie immer schneller, und es wurde gefährlich für Axxal. Er hielt einen Stein auf, der fast so groß war wie er selbst, hob ihn hoch und schleuderte ihn mit aller Kraft auf einen anderen, der direkt auf den Schlitten zuglitt. Dieser Stein wurde abgelenkt. Zweimal wiederholte er dieses Kraftstück, und dann waren sie außer Gefahr, denn sie hatten den Rand erreicht, und die Steine, die vorher über die ganze Senke verteilt waren, lagen jetzt in einem dichten Haufen hinter ihnen, im vertieften Zentrum der Senke. Erschöpft ließen sie sich auf dem erhöhten flachen Streifen hinter dem Rand zu Boden sinken und ruhten von den Anstrengungen aus. Axxals lederharte Handflächen waren zerschunden, und die Spur des Zugriemens hatte sich tief in Doluls bloße Brust eingedrückt. Alle keuchten vor Angst und Erschöpfung. Nach einiger Zeit stand Jorry mühsam auf. »Wir haben es geschafft«, verkündete er.
»Nicht alle«, sagte der eine Quiplide, und der andere fügte hinzu: »Der Thanist ist hingefallen.« »Bral, hast du es gesehen?« Der Skeggjatt machte eine verneinende Handbewegung und stieß dann keuchend hervor: »Bin neben ihm gerannt – wollte den Schlitten – nichts gesehen, und auch nichts gehört.« »Hat wohl nicht mehr schreien können«, überlegte Jorry mit einem Blick auf die Masse der Steine unten im Zentrum, die Rull-Lamat begraben hatten. »Der Schlitten ist gerettet«, bemerkte Axxal, »die ganze Ausrüstung –« Jorry sprach weiter, als hätte er ihn nicht gehört. »Rull-Lamat hätte uns einen Begriff von dem geben können, was noch vor uns liegt. Ohne ihn sind wir wie blind.« »Denkst du an Umkehr?« fragte Collen. »Natürlich nicht«, entgegnete Jorry kurz. »Wir müssen nur noch vorsichtiger sein.« »Vorsichtiger?« keuchte Bral; »was nützt uns – Vorsicht? Auf einem Planeten – wo sogar die Steine – bösartig sind?« »In einer der alten Geschichten vom BoroqThaddoi wird ein Ort erwähnt, der ›Ebene der Schnittpunkte‹ heißt. Ich glaube, wir haben sie eben durchquert«, sagte Jorry. »Was hast du sonst noch gehört?« fragte Collen.
»Mehr als mir lieb ist. Doch in allen Legenden und Geschichten ist nie von Gefahren in den Bergen die Rede. Wenn wir die erreicht haben, könnten wir für einige Zeit in Sicherheit sein.« »Dann wollen wir weiter«, drängten die Quipliden. Ohne weiteren Zwischenfall gelangten sie an den Fuß des Gebirgszuges. Die bleiche Sonne war inzwischen untergegangen, und die lange Nacht war über ihnen. Endlich hatten sie Unterschlupf in einer flachen Höhle gefunden. Sie verstauten die Ausrüstung sorgfältig und entzündeten ein helles Feuer beim Eingang. Am Ende des ersten Tages auf dem BoroqThaddoi waren noch sieben von ihnen am Leben. Dafür waren sie dem Schicksal dankbar.
2. Das Lager in den Bergen: Nacht und Morgen Nachdem die sieben Sternfahrer gegessen hatten, begannen sie nach dem alten Brauch aller Wanderer am Lagerfeuer, sich zu unterhalten. Es konnte nur ein Thema geben. Alle machten Zukunftspläne, redeten davon, was sie mit den Schätzen anfangen wollten, die sie hoffentlich bald besitzen würden. Eine Zeitlang vergaßen sie beinahe den feindseligen Planeten jenseits des Feuers. »Wir mieten uns einen großen Mann, sogar noch
größer als Bral und Dolul«, begann einer der Quipliden. »Nicht mieten – einfach kaufen«, sagte der andere, der neben seinem Bruder auf einer Felskante hockte. »Ja, das tun wir – richtig kaufen«, antwortete der andere freudig, »wir nehmen ihn mit nach Hause, schnallen ihm ein Schulterhalfter um –« »Wie sie es auf dem Az-Kef benutzen –« »Und dann kann er uns überall hintragen, jeden auf einer Schulter –« »Und alle müssen aufblicken, wenn sie mit uns sprechen wollen«, schloß der zweite und schaukelte vor Vergnügen hin und her. »Ihr könnt euch doch jeder einen ganzen Stall voller Riesen kaufen. Warum wollt ihr denn beide auf einem reiten?« fragte Jorry. »Wir bleiben zusammen«, erwiderten beide einstimmig. Collen mischte sich ein. »Ja, stimmt, alle Quipliden sind so. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben einen einzelnen Quipliden gesehen, immer nur zu zweien und dreien, oder einen ganzen Haufen. Warum ist das so?« »Wenn man klein ist, ist es nicht klug, allein zu sein«, erklärte der eine, und der andere nickte ernsthaft dazu. »Sehr vernünftig, Freunde. Paßt auch sehr gut zu
unserer gegenwärtigen Situation. Ihr habt Collens Frage beantwortet und uns Stoff zum Nachdenken gegeben«, sagte Jorry. »Und was machst du, Bral, wenn du auf einmal reich bist?« »Ich gehe wieder nach Verdandi und gründe eine eigene Kampfschule. Ich werde Krieger ausbilden, die alle Helden der Geschichte übertreffen. Die Schule von Bral wird jede andere besiegen, die im Turnier gegen sie antritt.« »Du hast im letzten Turnier gut abgeschnitten, höre ich.« Stolz blickte Bral um sich und erwiderte: »Ich war der einzige Überlebende der Runde. Die Ärzte konnten ein paar andere noch zusammenflicken, aber nur Bral ging vom Kampfplatz. Es war eine prachtvolle Schlacht. Dreihundert Mann im Kampf auf Leben und Tod.« »Prachtvoll«, murmelte Jorry. »Mir wurden einunddreißig Tote gutgeschrieben, aber ich will schwören, daß es noch zwei mehr waren. Manchen wurde der Bauch aufgeschlitzt, Arme und Beine abgehauen – aber sie kämpften weiter bis zum bitteren Ende.« »Die ganz Unentwegten«, bemerkte Jorry. »Es war prachtvoll«, wiederholte Bral. Seine Augen strahlten, seine Stimme war heiser vor Stolz. »Das hast du zweimal gesagt. Aber nun wirklich,
Bral, was ist denn daran so prachtvoll, wenn sich Humaniden zum Vergnügen zahlender Zuschauer gegenseitig umbringen?« »Die Krieger haben Mut, Ruhmeseifer und Treue zu allem bewiesen, woran unser Volk glaubt. Wir betrachten die Gefallenen als Helden und ehren ihre Namen«, erläuterte Bral. »Was hat denn ein Toter von der Ehre?« Halb zornig, halb verwirrt blickte Bral seinen Kapitän an. »Das ist doch alles, was er hat. Alles, was es überhaupt gibt.« Collen brach das Schweigen, das auf Brals Worte folgte. »Ich kaufe mir ein Eigenantriebsschiff, suche mir eine gute Welt und richte mich da ein.« »Ich auch«, sagte Axxal. »Ich kaufe mir ein Schiff, das größte, das ich finden kann – eine ganze Flotte – und nehme alle Quespodonen mit, die mitkommen wollen. Wir suchen uns eine Welt, wo wir die Herren sein können, nicht die Diener aller anderen Rassen. Wir sind keine Skeggjatten oder Lixianer, doch Ehre und Stolz wollen wir auch haben.« »Dann hört diesmal auf keinen von der Alten Erde«, sagte Jorry mit einem flüchtigen Lächeln. »Die Pioniere haben euer Volk beim ersten Zusammentreffen schlecht beraten.« »Heute weiß ich besser Bescheid, Jorry.« Jorry wandte sich nun Dolul zu, der nicht mit am
Feuer saß, sondern ein Stück davon entfernt, mit dem Rücken an die kalte Höhlenwand gelehnt. »Und du? Was tut einer vom Stamm Onhla mit den Schätzen eines Planeten?« »Ich baue meinen Stamm wieder auf«, antwortete Dolul mit klangloser, keine Gemütsbewegung verratender Stimme. »Erzähl uns davon«, forderte Jorry ihn auf. Leise erwiderte Dolul: »Nein. Darüber spricht man nicht.« Ein ungemütliches Schweigen senkte sich über die kleine Gruppe. Selbst die Kiir-Vögel hörten eine Weile auf zu schnattern. Jenseits der schützenden Nische schrie und jaulte der Wind über die kahlen Felsen; jedesmal wenn er die Richtung wechselte, brauste er auf, als wolle er die Eindringlinge aus ihrem Versteck treiben. Zischend flackerte die Glut der Brennstoffblöcke auf und warf wildverschlungene Schatten an die schrägen Wände. Ein plötzlicher Windstoß peitschte die Flammen und schleuderte von draußen her einen bösartigen Sprühregen von Steingrieß auf die Gruppe. Dann erstarb der Wind, und eine Zeitlang war alles still. Kian Jorry brach das Schweigen. Seine Stimme war leise und verhalten, als denke er laut: »Wir k'Turalp'Pa sind unter einem rechnenden Stern geboren – das sagen sie in der ganzen Galaxis von meinem Volke. Und mir
macht es Spaß, meinen Verstand zu gebrauchen und Pläne auszuhecken, das muß ich zugeben – aber ich bin nicht sicher, ob das etwas mit meinem Blut zu tun hat. Ich lebe von meinem Verstand, seit ich zum ersten Mal den Fuß auf die Rampe eines Raumschiffes gesetzt habe. Meine Eltern sind schon lange übers Planen hinaus, doch von meiner sonstigen Verwandtschaft möchte ich das nicht behaupten. Nein, meine Eltern leben heute von einem Tag auf den anderen und nehmen es, wie es kommt. Anständige Leute. Sie zahlen ihre Schulden, reden gut von ihren Nachbarn und verlangen nichts vom Universum als ihren gerechten Anteil.« Er schwieg einen Moment und seufzte dann bedauernd. »Wenn man jung ist, kann man mit solchen Leuten nicht reden. Lange Gesichter, Herzlichkeit, jedesmal eine Predigt, wenn sie nur den Mund aufmachen. Immer heißt es, man soll sich anständig benehmen. Unbedingt müsse man sich etablieren, ein ruhiges Leben führen, einen ruhigen Tod sterben – und zum Schluß kann man das eine nicht vom anderen unterscheiden. Das hat mich schon als ganz jungen Menschen in die Sterne getrieben. Und ich kann auch nicht sagen, daß es mir leid tut. Ich habe öfter Hunger gelitten, als ich mich erinnern mag, und oft waren meine Taschen leer. Ich habe häufig genug kämpfen und manchmal auch wegrennen müssen. Aber ich bin immer noch fürs Sternfahrerleben, trotz aller seiner Tücken.«
Wiederum schwieg er nachdenklich, dann fing er aufs neue an: »Als ich Sternfahrer wurde, war ich ein wilder, junger Bursche, der Abenteuer suchte. An der Aussicht, mein Leben auf festem Boden zu verbringen, wäre ich verzweifelt. Als ich bei Kapitän Crimmthann anheuerte, kam ich mir wie ein befreiter Gefangener vor. Bei dieser meiner ersten Reise auf der alten Civilisation war eine rauhe Mannschaft an Bord, und ich muß ziemlich ängstlich ausgesehen haben. Da sagte der Kapitän etwas zu mir, das ich nie vergessen habe: Du kannst ja von Freibeutern denken, was du willst, mein Junge, meinte er, aber die nackte Wahrheit ist: im Grunde seines Herzens ist jeder einzelne von ihnen ein Bauer oder Kaufmann oder Gastwirt. Gib ihnen ordentlich Prisengeld, und sie werden es in einem sicheren Geschäft unter den Bodenwürmern anlegen. Ich habe nur genickt und – Jawohl, Kapitän gesagt – der alte Crimmthann hätte mir auch den Schädel eingeschlagen, wenn ich gewagt hätte zu widersprechen –, doch ich glaubte kein Wort davon. Wie könnte ein Mann, der einmal den Staub von seinen Füßen geschüttelt und das Zupacken des Antriebsschubes in seinen Eingeweiden gespürt hat, jemals wieder auf festem Boden leben wollen? Wie kann jemand wieder zurück wollen, der einmal hier draußen hinuntergeblickt hat und seine Heimatwelt als das gesehen hat, was sie ist – ein einsames, im Unendlichen verlorenes Staubflöckchen?«
Er hielt inne, doch die anderen waren seine rhetorischen Fragen gewohnt. Sie versuchten erst gar nicht zu antworten, und bald fuhr er fort: »Nun, es dauerte nicht lange, da merkte ich, daß ich mich geirrt und der alte Crimmthann recht hatte. Auf meiner dritten Reise stieß die Civilisation auf ein Transportschiff vom Triandal, das bis zum Bersten voller Zahlwürfel war. Auf einmal war ich ein reicher, junger Mann, reich genug, um mein schlimmes Leben aufzugeben und einen eigenen Handel anzufangen. Es stimmt, meine Freunde. Eine Zeitlang war ich ein ehrsamer Handelsmann. Geschäftstalent hatte ich ererbt. Und dank meiner früh erworbenen Erfahrungen wußte ich, wie man Piraten aus dem Wege geht. Meine Waren kamen immer richtig an. Mein Geschäft blühte. Ich kaufte weitere Antriebsschiffe, immer mehr. Schließlich wurde ich so groß, daß ich nicht mehr den Fuß an Bord eines meiner eigenen Schiffe setzte, so erfolgreich, daß ich kaum noch Zeit zum Essen hatte und überhaupt keine mehr zum Schlafen. Tatsächlich, wenn mich mein gerissener Partner – ein solider, vernünftiger Bücherwurm – nicht zum Bettler gemacht hätte, dann wäre ich verloren gewesen. Aber er nahm mir alles weg, ich behielt kaum mehr als die Kleider auf meinem Leib. Und die Seraph.« Dazu konnten sie nicht mehr schweigen. »Was hast du mit ihm gemacht, Jorry?« fragte einer der Quipliden.
»Ich ging weg und ließ ihm alles«, antwortete Jorry und fuhr fort, als er ihre erstaunten Gesichter sah: »Seid nicht so enttäuscht. Gewiß, meine Rasse ist nicht von sehr liebevoller Natur, aber wir sind nicht dafür, Blutsverwandte umzubringen. Und es war mein eigener Bruder, der mich betrogen hat. Doch ich trug es ihm nicht nach und tue es auch jetzt nicht. Endlich war ich frei. Und ich wußte, was ich wollte.« Wieder hielt er inne und blickte im Kreise umher, als wolle er die Gesichter seiner Leute studieren und ihre Gedanken erforschen. Dann sagte er: »Und wenn ihr fragt, warum ich diese Geschichte aus meiner unreputierlichen Vergangenheit erzählt habe – bitte sehr: ich bin enttäuscht von euch. Bald werdet ihr alle reicher sein, als ihr auch vorstellen könnt, und ihr wollt weiter nichts als es euch auf einem Planeten gemütlich machen und überlaßt die Sterne solchen, wie ich einer bin.« »Was ist denn dagegen einzuwenden, wenn man eine Weile seine Ruhe haben will, Jorry?« fragte jemand. »Aber nicht das Geringste – wenn man weiter nichts will. Allerdings kann ich nur schwer begreifen, wie das überhaupt jemand wollen mag.« »Was willst du denn machen, Kapitän?« fragte Bral. »Eine ganze Menge«, antwortete Jorry. Er sah sich im Halbkreis seiner Leute um, als wolle er sie näher
heranziehen, damit sie besser auf seine Worte horchten. Selbst Dolul rückte von seinem isolierten Platz in den Kreis seiner Schiffskameraden. Jorry wärmte sich die Hände an der Flamme und sprach mit leiser Stimme weiter: »Ich will überall hinfahren und mir alles ansehen, wovon mir die alten Weltraumratten erzählt haben – und was ich ihnen geglaubt habe, selbst wenn alle anderen nur darüber lachten. Wenn man sich etwas vorstellen kann, dann existiert es auch irgendwo draußen im Raum, daran habe ich keinen Zweifel. Und das wird erst der Anfang sein. Es gibt noch andere Galaxien jenseits der unseren, und wenn ich alles gesehen habe, was es in dieser hier zu sehen gibt, und alles getan habe, was hier zu tun ist, dann richte ich die Nase der Seraph auf eine von den anderen und gebe Höchstschub.« »Aber die Zeit, Jorry. Dazu brauchst du doch hundert Lebenszeiten«, wandte Axxal ein, und Bral verbesserte: »Tausend, und noch mehr.« »Umso mehr muß ich mich beeilen«, entgegnete Jorry und mußte über ihre ernsthaften Gesichter lachen. »Ein Grund mehr, daß ich mich mein Leben lang für den Boroq-Thaddoi interessiert habe. Ich war sowieso in Versuchung herzukommen, einfach um einen Planeten anzusehen und zu bereisen, der so viele Sternfahrer abgeschreckt und noch mehr umgebracht hat. Aber das Leddendorfsche Lösegeld gab
den Ausschlag – da konnte ich nicht mehr widerstehen. Mit meinem Anteil rüste ich die Seraph ganz neu um. Sie wird schneller werden als irgend etwas in dieser Galaxis. Geschwindigkeit besiegt die Zeit, Freunde; und ich werde ein Schiff besitzen, das die Zeit stillstehen läßt.« »Ich habe von Sternfahrern gehört, die von langer Reise zurückkehrten und jünger waren als ihre Kindeskinder«, erinnerte sich Axxal. »Diese Geschichten sind wahr. Die Zeit ist der Feind, aber mit einem guten Schiff als Waffe werde ich diesen Feind besiegen. Ich werde die Zeit nicht nur für mich anhalten – ich werde sie rückwärts laufen lassen. Ich werde als lahmer Greis starten und als Jüngling zurückkommen, bereit, ganz und gar von neuem anzufangen.« Alle Anwesenden hatten solche Geschichten gehört, wie Axxal sie erwähnt hatte, traurige Geschichten von Weitgereisten, die heimgekehrt waren zu einem Haus, das zu Staub zerfallen war, zu einer Familie, die zugrunde gegangen war, während die Multilichtgeschwindigkeit für sie selber die Effekte des Zeitablaufs gebremst hatte. Sie erzählten sich solche melancholischen Geschichten, bis die lange Nacht ihre Mitte erreicht hatte, und dann befahl Jorry, schlafen zu gehen, da er früh aufbrechen wollte. Er selbst übernahm die erste Wache.
Stille und Einsamkeit waren wohlbekannte Gefährten für Kian Jorry. Er wickelte sich in den schweren Mantel und setzte sich bequem am Höhlenrand zurecht, das Gewehr auf den Knien. Jenseits des glimmenden Feuers stöhnte der Wind unter fremdartiger Sternenpracht. In Gedanken versunken starrte Jorry hinaus. Für ihn war Denken etwas ebenso Wirkliches wie Handeln. Er war ein k'Turalp'Pa, ein Abkömmling der ersten Kulturrasse, welcher die Pioniere der Alten Erde vor sechs Jahrhunderten begegnet waren. Obwohl er immer behauptete, er sei ein einfacher Mann, war er typisch für viele seines Volkes: er liebte es, verzwickte Komplotte zu weben, ausgefallene Pläne zu machen, er war in allen seinen Unternehmungen stets auf Detail und Flexibilität bedacht. Dieser Zug war die Stärke und gleichzeitig die große Schwäche der k'Turalp'Pa. Ihre labyrinthischen Pläne zur Erlangung von Macht und Reichtum wurden allzu oft zum Selbstzweck, und die Absicht trat an die Stelle der Ausführung. Planen war reineres Vergnügen als Ausführen. Da die k'Turalp'Pa unbegrenztes Vertrauen in ihre Projekte hatten, wurden sie nur allzu häufig zum Opfer unvorhersehbarer Launen des Glücks. In solchen Fällen pflegten sie die ganze Galaxis zu verfluchen, eine Weile in Schwermut zu versinken und darauf, ohne etwas aus ihrem Mißerfolg gelernt zu
haben, einen neuen, noch ehrgeizigeren Plan zu schmieden. So waren sie eben, und deshalb war ihr Planet zu einem Refugium enttäuschter Phantasten geworden. Es war eine ruhige Welt, ein friedlicher Planet, denn die k'Turalp'Pa waren kein sehr tatkräftiges Volk. Sie benutzten lieber ihre Geisteskraft und vernachlässigten darüber die Entwicklung ihres Körpers. In dieser Hinsicht war Jorry anders. Er hatte früh gelernt, daß der Weltraum nichts für Schwache und Unentschlossene war und hatte sich gehärtet, bis er es mit jedem aufnehmen konnte. Körperlich glich er mehr den kriegerischen Skoraten, einer verwandten Rasse, als seinem eigenen Volk. Er rühmte sich seiner Kräfte nicht und war auch nicht besonders stolz auf sie. Doch er wußte, daß er sie zum Überleben brauchte. Doch als k'Turalp'Pa reichten ihm weder Kraft noch Klugheit allein aus, um sich sicher zu fühlen. Am Körper verborgen, trug er zwanzig oder mehr lixianische Finger-Messer. Auf kurze Entfernung war seine Zielsicherheit tödlich. In ihrer gesamten überlieferten Geschichte hatten die k'Turalp'Pa weder eigene Raumfahrt noch überhaupt Fliegerei betrieben. Ihre Interessen waren stets mehr künstlerischer als technischer Natur gewesen, und auf diesem Gebiet leisteten sie Beträchtliches.
Schon die alten k'Turalp'Pa hatten das Malen von Lebenden Bildern zur Vollendung gebracht, und ein Original aus den großen Tagen des Planeten war in jeder Kulturwelt ein Objekt von unschätzbarem Wert. Als die ersten Menschen vom Planeten Erde kamen, empfingen die k'Turalp'Pa sie in Frieden und nahmen innerhalb kurzer Zeit alles auf, was die Besucher zu bieten hatten. Bei der zweiten großen Reisewelle fuhren k'Turalp'Pa mit den Pionieren. Auf manchem ihrer Schiffe taten sie Dienst als Piloten. Doch jetzt, im siebenundzwanzigsten Jahrhundert, sah man selten k'Turalp'Pa außerhalb ihrer Heimatwelt. So ein Streuner wie Jorry war eine Seltenheit unter seinem Volk. Und wie er da auf seinem Wachtposten saß, ein ersterbendes Lagerfeuer und schlafende Kameraden im Rücken, Kälte und Dunkelheit vor sich, dachte er an seine Heimat, sein Leben, seine langen Wanderungen und war zufrieden. Er hatte sich seiner Erfolge gefreut, seine Mißerfolge überlebt – er bedauerte nichts. Selbst die Mißerfolge waren interessant gewesen. Und sein ganz großer Erfolg lag jetzt vor ihm. Die Nacht verlief ruhig, und der Wind schlief mit der schwindenden Dunkelheit ein. Die Besatzung der Seraph stand auf, packte zusammen und belud den Schlitten wieder. Man stieß sich in der flachen Höhle, und alle sehnten ungeduldig den Aufbruch herbei,
doch keiner wollte als Erster in das fahle Frühlicht hinaustreten. Erst als der Schlitten bepackt und alles marschfertig festgeschnallt war, wagte sich einer der Quipliden hinaus auf die offene Felskante jenseits der glimmenden Asche. Die anderen achteten nicht auf sein Hinausgehen, bis sie ihn mit sanfter, fast kindlicher Stimme »Jorry« rufen hörten – dann hörten sie nichts mehr. Auf den Ruf hin ergriffen Jorry, Bral und Collen ihre Gewehre und stürzten aus der Höhle hinaus. Von ihrem kleinen Genossen konnten sie keine Spur entdecken. Der kahle Fels trug keine Fußspuren; nirgends war Blut, nirgends ein Zeichen von Kampf, nichts deutete darauf hin, wo der Kleine geblieben war oder was – wenn überhaupt – ihn entführt hatte. Er war einfach ganz und gar verschwunden. »Jorry, wo ist Jimm?« fragte der andere Quiplide kläglich. »Was ist mit ihm geschehen?« »Ich weiß es nicht«, entgegnete der Kapitän und blickte umher, auf die kahle Bergwand, den graden Pfad zum Kamm, den langen Hang bis zum Fuß des Berges hinunter. »Nichts kann ihn so schnell weggeholt haben. Das ist doch nicht möglich.« »Aber er ist weg! Du hast doch gesagt, in den Bergen wäre keine Gefahr, und nun ist Jimm weg!« »Ich habe mich geirrt, und Jimm war unvorsichtig. Und daher bist du jetzt für uns umso wichtiger«, er-
widerte Jorry und hockte sich hin, um mit dem verzweifelten Fimm etwa auf gleicher Höhe zu sein. »Ich habe auf Jimm und dich gerechnet. Ihr solltet die Außenwand hinaufklettern und euch mit den Schlössern befassen, die es drinnen etwa gibt. Jetzt hängt das alles von dir allein ab. Wenn dir etwas passiert, Fimm, dann kommen wir nicht weiter.« »Was wird mit Jimm? Können wir ihn nicht zurückholen?« »Wie denn? Wir wissen nicht, was ihn weggeholt hat oder wo er ist. Wir können nicht einmal wissen, ob er noch lebt. Bleiben wir hier, dann kann das, was Jimm geholt hat, uns auch holen, wir müssen weiter.« »Können wir Jimm nicht suchen? Bitte, Jorry.« »Das können wir nicht riskieren. Du wirst von jetzt ab auf dem Schlitten sitzen und dort bleiben, so daß dich dein Hintermann immer sehen kann.« Sanft legte er dem Quipliden die Hand auf die traurig hängende Schulter und fuhr fort: »Tut mir leid, daß wir Jimm nicht suchen können, aber es geht einfach nicht, und damit hat sich's, Fimm. Wir müssen weiter.« »Ja, schon gut, Jorry«, antwortete der Kleine. Er ging zum Schlitten, der draußen mit Axxal am Zugriemen bereits wartete, und kletterte hinauf, so daß Dolul ihn sehen konnte. Dort hockte er, reglos, zu Boden starrend, ein winziges Bild des Kummers. Jorry gab Signal, und sie gingen den Pfad entlang,
auf den Kamm des Berges zu. Der Anstieg war nicht steil, aber lang; Dolul und Axxal lösten einander zweimal ab, bis sie oben waren. Hier wurde der Wind stark und stetig, und das Blickfeld war nur von der Rundung des kleinen Planeten begrenzt. Ungebrochen rollte eine weite offene Ebene bis zum Horizont. An ihrer Rechten erhob sich ein Gebirge, verlief im Boden, wurde niedriger und zugänglicher, ging schließlich in niedriges Hügelland über und dann in eine Ebene mit aufragenden Felsbrocken, als sei die Kraft, die sie aus dem Innern des Planeten herausgeschleudert hatte, schwächer geworden und an dieser Stelle endgültig erstorben. Zur Linken ragte ein einzelner seltsam geformter Felsen aus der Ebene empor. Auf diesen deutete Jorry. »Das ist die Zitadelle«, überschrie er den dröhnenden Wind. »Sieht eher wie ein Berg aus«, sagte Collen. »Bist du sicher?« »Ein Bauwerk wie ein Berg, allein für sich in einer Ebene, mit einem Halbkreis immer niedriger werdender Hügel an der einen Seite«, zitierte Jorry. »So ist sie mir beschrieben worden, und da ist sie. Los, hinunter!« Auf einer breiten, an beiden Seiten vor den Windstößen geschützten Kante hielten sie die letzte Rast vor dem Abstieg. Sie hatten gut die Hälfte der Strecke
zurückgelegt, und die Oberfläche der Ebene, die sie jetzt aus einem anderen Blickwinkel sahen, bot ein zerstreutes Muster seltsamer Formen. Aufmerksam betrachteten die Wanderer die einzelnen Gebilde und rieten herum, was sie wohl sein könnten. Jorry beendete ihre Spekulationen mit einem einzigen Wort. »Schiffe.«
3. Der Schiffsfriedhof Vom Fuße des Berges aus zogen sie über die offene Ebene. Sie kamen nur langsam und schwer voran. Was wie glatter, fester Boden ausgesehen hatte, erwies sich als weicher Sand, der die Schlittenkufen festhielt und beim mühsamen Vormarsch an ihren Füßen sog. Von dem Wind, der sie auf den oberen Höhen angefallen hatte, war hier in der Ebene nichts zu spüren. Es herrschte völlige Stille; kein Laut war zu hören außer dem langsamen Mahlen der Schlittenkufen und dem mühsamen Atmen aller außer Fimm, der oben auf der Schlittenlast seine einsame Wache hielt. Immer langsamer kam die Gruppe voran. Bei einem gestrandeten Antriebsschiff, nicht weit von den Bergen, gab Jorry Signal zum Halten. Sie ließen sich in den Sand fallen, einige lehnten sich an den Schlitten, an-
dere an das Schiff, und zunächst sagte keiner ein Wort. Dann, als sie ruhiger atmeten, brach Jorry das Schweigen. »Jetzt seht ihr, warum ich nicht hier landen wollte. Hier ein Eigenantriebsschiff zu landen, das wäre, als wollte man auf Wasser aufsetzen.« »Aber warum sind die alle gerade hier gelandet?« fragte Bral und deutete mit einem sensenartigen Schwung seiner großen Hand auf die Raumschiffe, die auf der Ebene lagen oder in gefährlichen Winkeln aufragten. »Ja, warum, Jorry? Die Führer waren doch bestimmt keine Idioten«, fragte auch Axxal. »Das ist eine großherzige Feststellung«, lachte Jorry. Er schwieg einen Moment und gab dann zu: »Um die Wahrheit zu sagen – ich weiß es nicht. Vielleicht sah auf ihren Bildschirmen der Sand wie fester Boden aus. Vielleicht hatten sie keine Lust, zu Fuß zu gehen.« Er zog erst den einen, dann den anderen Stiefel aus, um den Sand herauszuschütteln. »Kann ich ihnen auch kaum verdenken. Das ist kein Planet, den ich mir zum Spazierengehen aussuchen würde.« »Was mag wohl aus ihnen geworden sein?« fragte Axxal. »Die kannst du vergessen. Sie sind lange tot, alle. Dieses Ding hier muß fünf galaktische Jahrhunderte alt sein.« Jorry deutete auf das Düsenschiff, das sie
mit seiner Masse überragte und seinen Schatten noch über den Schlitten hinaus warf. »Wirklich so alt?« fragte Axxal. »Na klar. Bullaugen im Bug, erhöhte Brücke, Außenrampen, getrennte Düsenaggregate – das findest du nur bei ganz alten Modellen. Das hier muß eins der ersten gewesen sein, die das heimische Planetensystem verließen.« »Es liegt sicher schon eine ganze Zeit hier«, meinte Bral. Jorry stimmte ihm zu. Er zog die Stiefel wieder an, stand auf und ging zu der alten Hulk. Das Raumschiff maß von einem Ende bis zum anderen knapp neunzig Meter. Es lag auf dem Bauch, das Vorschiff fast zur Hälfte im Sand, das Achterschiff ragte frei heraus. Die Platten der Außenhaut wiesen klaffende Risse und Sprünge auf, waren von kosmischem Staub, von den Winden des Boroq-Thaddoi, vom Zahn der Zeit angefressen und zerlöchert. Die Bullaugen waren gesprungen, eins war völlig eingeschlagen. Im Mittelteil stand ein Luk offen. Jorry betrachtete es eine ganze Weile, bis Brals Stimme ihn aus seinen Gedanken riß. »Gehst du hinein, Jorry?« »Ich bin nicht hergekommen, um alte Wracks zu besichtigen. Ich lasse nur mal meine Phantasie ein
bißchen laufen. Da ist bestimmt nicht mehr viel Wertvolles drin.« Der Skeggjatt war zu seinem Kapitän getreten und blickte jetzt nachdenklich in das offene Luk. »An Schätze habe ich nicht gedacht.« »Sondern?« »Ich dachte, wir brauchen vielleicht nicht zur Seraph zurück.« Entschieden schüttelte Jorry den Kopf. »Eher versuche ich, mit unserem Schlitten hochzugehen, als mit einem von diesen Wracks.« »Das hier ist vielleicht nicht mehr zu reparieren, aber die anderen? Sind das lauter Wracks?« »Keins von denen ist von der Klasse der Seraph. In der Zeit, die wir brauchen würden, um das beste von denen auch nur startklar zu machen, könnten wir die ganze Galaxis umrunden.« Die anderen, die beim Schlitten lagerten, konnten Jorrys Worte deutlich hören. Aufmerksam lauschte Dolul dem Disput und wandte sich dann an Axxal: »Stimmt das, was Jorry sagt?« Der Quespodon überlegte kurz. Dann antwortete er: »Ich glaube ja. Diese alten Schiffe sind zäh, aber wenn sie solange liegen – Wroblewski-Spulen werden durch den Gebrauch stärker und besser. Wenn sie lange unbenutzt sind, geschieht irgend etwas mit ihnen. Sie verlieren ihre Kraft.«
»Also sind alle diese Schiffe nutzlos?« »Hier und jetzt sind sie nutzlos für uns. Aber wenn wir gute Techniker hätten, Werkzeuge, Kräne, neue Einzelteile, dann könnten wir in ein oder zwei Jahren eins reparieren. Und wenn wir wüßten, wie sie funktionieren. Aber wir sind nur zu sechst, und wir haben nur noch Verpflegung für achtzehn Wachen. Ich habe auch nicht viel Lust, nochmal über die Berge und durch dieses Tal zu trekken, aber anders kommen wir nicht von diesem Planeten weg«, sagte Axxal und seufzte resigniert. Da riß Fimms Stimme sie hoch, der immer noch auf der Schlittenlast hockte. »Was ist mit den anderen, Axxal«, rief er. »Da draußen. Siehst du?« Fimm deutete in die offene Ebene hinaus, die sich vom Gebirge bis zum Horizont erstreckte. »Das komische Ding da, siehst du es? Und das andere, da hinten, in der Verlängerung der Felsspalte. Was hältst du von dem?« Axxal starrte erst das eine, dann das andere Gebilde an und wandte sich dann schaudernd ab. Er war nicht so scharfäugig wie der Quiplide oder der Hraggellon, aber er hatte genug gesehen und wollte nicht mehr sehen. Eins der Objekte – es konnten nur Raumschiffe irgendwelchen Typs sein, aber er scheute sich, diese geläufige Bezeichnung auf solche Gebilde anzuwenden – war geformt wie zwei niedrige Pyramiden, die an ihren Spitzen durch lange Stäbe ver-
schiedener Dicke verbunden waren. Das andere war ihm noch unheimlicher, ohne daß er wußte, warum. Es war eine Ansammlung von Schalen oder Hülsen, die durch ein Gewebe schlanker Röhren miteinander verbunden waren; von der größten, der mittleren Schale ragte etwas heraus und schien in sich selbst zurückzulaufen. Es glich einer Spirale, und doch war es anders als jede Konstruktion, die Axxal jemals gesehen hatte oder sich vorstellen konnte. Er schloß die Augen und versuchte, das Nachbild jenes Gegenstandes aus seinem Hirn zu vertreiben, wo es sich zuckend wand wie etwas Lebendiges. »Was hast du, Axxal?« fragte Fimm. »Diese Dinger sind mir unheimlich. Solche Raumschiffe habe ich noch nie gesehen.« »Sind das nicht Modelle von der Alten Erde?« »Niemand von der Alten Erde hat jemals so etwas gebaut«, erwiderte Axxal. Jorry und Bral waren inzwischen zu ihnen getreten. Jorry beschattete die Augen und spähte nach den beiden seltsamen Gebilden. Er studierte sie lange, sagte aber nichts. Dolul stellte ihm die gleiche Frage, die er vorhin an den Quespodon gerichtet hatte. »Lieber will ich es mit diesem lecken alten Schrotthaufen versuchen, als den Dingern da auf tausend Meter nahekommen. Keine Rasse, von der ich je gehört habe, hat sie gebaut; und ich habe keine Lust,
diese Leute kennenzulernen oder mir ihr Werk aus der Nähe anzusehen.« »Vielleicht waren es Rinn«, meinte Bral. »Vielleicht. Niemand weiß genau, wie Rinn-Schiffe aussehen. Aber können es beide Rinn sein?« Diese Frage hing unbeantwortet in der Luft, und Jorry fuhr fort: »Vielleicht sind sie von außerhalb.« Er schien sekundenlang über seine eigenen Worte nachzudenken und wiederholte dann leise: »Von außerhalb –« »Gehen wir lieber weiter, wenn wir bei Einbruch der Dunkelheit an der Zitadelle sein wollen«, drängte Collen. »Ja, gewiß«, nickte Jorry zerstreut, denn er starrte immer noch auf die seltsamen Fahrzeuge. »Wir müssen uns beeilen. Also los.« Er war der letzte, der seinen Platz in der Karawane einnahm, und konnte, wie alle merkten, seine Augen nur widerstrebend von den fernen Raumschiffen losreißen. Im Weitergehen sagte Collen zu ihm: »Du scheinst ja fasziniert von diesen Schiffen zu sein.« »Sie interessieren mich, ich kann es nicht leugnen. Wenn sie tatsächlich aus einer anderen Galaxis sind, kann kein Mensch sagen, was man darin finden würde.« »Du könntest etwas finden, was du nicht willst«, sagte die Thorumbianerin. »Unbekannte Gebilde von
unbekannten Sternen – ich habe Geschichten von solchen Schiffen gehört. Sie bringen nichts Gutes.« »Wenn ich genau wüßte, daß sie von jenseits des Randes kommen –« »Was dann?« »Wenn sie hergekommen sind, können sie auch wieder zurück. Die beste Art, aus dieser Galaxis herauszukommen!« Collen starrte ihn an. »Du sprichst wie ein Wahnsinniger, Jorry«, sagte sie mit kalter, unbewegter Stimme. »Den Fuß in so ein unheimliches Fahrzeug zu setzen –! Schon der bloße Anblick ist unnatürlich.« »Beruhige dich, liebe Freundin, und mach dir keine Sorgen um die geistige Gesundheit des alten Kapitän Jorry. Es ist nur so eine Grille. Intellektuelle Neugier. Es hält mich davon ab, an das zu denken, was noch vor uns liegen mag.« Schweigend marschierten sie weiter und wandten ihre ganze Kraft daran, durch den zähen Sand zu stapfen. Immer weiter ließen sie die Wracks der Raumschiffe hinter sich. Die Zitadelle lag noch gut einen halben Tagesmarsch vor ihnen, doch selbst auf diese Entfernung stachelte sie die Phantasie an. Je näher sie kamen, desto unheimlicher wurde sie und verdrängte jeden anderen Gedanken aus ihren Hirnen.
Unmöglich zu sagen, wo der natürliche Felsen aufhörte und das eigentliche Bauwerk begann; doch im oberen Teil der Zitadelle waren intelligente Planung und tüchtige Werkarbeit nicht zu verkennen. Was aber zu denken gab, war der Zweck, der dahintersteckte. Ein brillanter, aber wahnsinniger, Architekt mußte sich diese Vermischung von Baustilen und Materialien hundert verschiedener Zivilisationen zu einem einzigen monströsen Bauwerk ausgedacht haben, doch keine bekannte Rasse hätte so etwas errichten können. So etwas wie die Zitadelle von Boroq-Thaddoi gab es in der ganzen bekannten Galaxis nicht noch einmal. Die Mauern von Skix, der große Korridor auf der Clotho, die ewigen Pyramiden auf dem Xhanchos, selbst die legendären Städte der Alten Erde in den stolzen, kriegerischen Jahrhunderten vor dem großen Exodus waren zwergenhaft gegen sie. Ein Monument, das Riesen errichtet haben mußten. Unmittelbar vor dem kleinen Trupp erhob sich eine senkrechte Felswand glatt und ungebrochen zweitausend Meter hoch und zerfaserte sich dann in eine Phantasmagorie von Türmen, Zinnen und Erkern, alle verbunden durch gordisch verschlungene Bogenrampen. Zur Linken löste sich die glatte Fläche auf in wellenförmige Mauern aus polierten schwarzen Steinen; darüber lief ein Felsensims, der unvermittelt in
eine Brücke überging, die über einen Abgrund zur Zinne eines abgestumpften Turmes führte. Nach rechts lief die Mauer auf eine Reihe riesiger Stufen zu; dahinter erhoben sich mächtige Kristallkuppeln, und darüber kleinere in verschiedenen Farben, und aus diesen Kuppeln stachen nadeldünne Spitztürme hervor, die sich zu unvorstellbaren Höhen erhoben, dann in scharfem Winkel abknickten und sich im Wald der niedrigeren Türme verloren. Die Vielfalt der Formen und Materialien dieses einen ungeheuren Bauwerks mußte jeden Betrachter aufs stärkste fesseln. Doch wenn dieser näherkam, in den Schatten der Zitadelle trat und spürte, wie sie sich drohend über ihm türmte, mußte er vor Staunen über die bloße Masse dieser endlosen, kletternden, sich aus sich selbst entwickelnden Konstruktion, dieses beklemmende Monstrum aus gefrorenem Stein, einsam ragend auf der toten Ebene einer leeren gemiedenen Welt, alles andere vergessen lassen. Jorry und sein Trupp erreichten den Fuß der Mauer, als die trübe Sonne eben unter dem Horizont verschwand. Der abgeladene, an einem Ende hochgestellte Schlitten diente als Schutzschirm für ihr kleines Lager. Jorry stellte eine Doppelwache auf. Der zweite Tag war vergangen. Sechs waren noch am Leben. Das Ziel lag in Reichweite.
4. Das Tor Im ersten Frühlicht machten sie sich zum Angriff auf die Zitadelle fertig. Verpflegung und Wasser für drei Wachen blieben mit dem Schlitten und den Einzelzelten im Lager zurück. Die würde man erst wieder brauchen, wenn man den Treck zurück zur Seraph antrat. Alles andere mußte getragen werden. Die lange Kletterleine über die Schulter geschlungen, kroch Fimm die glatte Wand empor, an der er immer noch unsichtbare Haltstellen für Finger und Zehen fand. Er kam sehr rasch voran und hatte bald einen Vorsprung erreicht, eine natürliche Brustwehr dieser Festung, die sowohl ein Werk der Natur als auch des Baumeisters war. Er befestigte und sicherte die Leine und ließ sie für den Nächsten herunter. Dolul folgte ihm als erster, dann kamen Bral und Axxal; jeder von ihnen trug zusätzlich zur eigenen Ausrüstung einen der Käfige mit den Kiir-Vögeln. Dann folgte Jorry, und zuletzt kam Collen. Als sie zusammen auf der Leiste standen, faßte Jorry in seine Jackentasche und holte ein zusammengefaltetes Stück metallischen Gewebes heraus, das allerlei Markierungen trug. »Ist das die Karte?« fragte Bral. »So etwas ähnliches. Kann jemand von euch lesen?« fragte Jorry und breitete das Dokument auf
dem flachen Felsen aus. Es stellte sich heraus – und er hatte es auch nicht anders erwartet –, daß keiner von seiner Mannschaft sich der Mühe unterzogen hatte, die geheimnisvolle und ehrwürdige Kunst des Lesens und Schreibens von Buchstaben zu erlernen. Zu jener Zeit war das überhaupt eine seltene Fähigkeit. »Hier ist alles verzeichnet, was ich herausgefunden habe und auf Grund bester Informationen als wahrscheinlich annehme. Zum Teil ist es eine Karte, zum Teil ein Diagramm, zum Teil eine Liste von Alternativen und zum Teil, wie ich gestehen muß, ein Tasten im Dunkel absoluten Nichtwissens. Ich habe eine gewisse Idee davon, was zu erwarten ist und wo ich hin will, doch es wird Überraschungen geben. Seid auf alles gefaßt.« »Das sind wir«, sagte Dolul. »Gut. Fimm, rolle das Seil auf und sichere es an der Kante, so daß wir es schnell hinunterwerfen können. Vielleicht haben wir es sehr eilig mit dem Abstieg.« Während der Quiplide den Befehl ausführte, wies Jorry die anderen ein. »Dolul, du bleibst dicht hinter mir. Wenn ich das Zeichen gebe, kommst du rechts neben mich und gibst nach vorn Feuerschutz. Nimm Brals Gewehr. Dann kommen Bral und Axxal; Collen bildet die Nachhut. Wenn Collen Alarm gibt, kommt Axxal ihr zur Hilfe, und Bral deckt die Ausrüstung. Ist das klar?«
Alle nickten. Jorry kontrollierte alle Waffen; dann traten sie den Marsch auf dem hohen Saumpfad an. Gegen Mittag gelangten sie an einen Punkt, wo der Saum scharf abbog und durch einen Spalt direkt in die Felswand führte. Es war dunkel, doch ein schwacher Lichtpunkt schimmerte weit voraus. Jorry nahm Fimm eine der Laternen ab und hing sie sich vor die Brust, so daß er die Hände frei hatte. Eine zweite Laterne gab er Collen. »Genau wie vorhin. Haltet die Marschordnung ein und achtet auf jede Kleinigkeit«, befahl er. »Bis jetzt haben wir noch nichts gesehen«, bemerkte Collen. »Irgend etwas hat aber Jimm weggeholt.« Zweifelnd schüttelte die Thorumbianerin den Kopf. »Er kann auch abgestürzt sein – eine Felsspalte. Auf dieser Fläche gibt es weder Wasser noch Nahrung, Jorry. Was könnte hier leben? Wie sollte es sich ernähren?« Jorry grinste. »Ein normaler Sternfahrer, wenn er ordentlich zubereitet und gewürzt ist, kann eine Delikatesse sein. Hast du daran gedacht?« »Ich habe seit unserer Landung daran gedacht«, murmelte Bral. »Ich will nicht behaupten, daß es stimmt, aber wir wollen auf alles vorbereitet sein. Vielleicht hat Collen recht, und auf dem Boroq-Thaddoi lebt nichts ande-
res als die paar armen Narren, die auf Schatzsuche herkommen. Doch es gibt Hinweise auf einen unterirdischen Fluß, und auf Wesen, die im Dunkeln leben. Vielleicht ist es nur so ein Horrormärchen alter Kosmosratten – aber lachen wir lieber nicht darüber. Alles fertig?« Sie bejahten, und Jorry trat in die dunkle, enge Kluft, die zur Festung führte. Am Eingang knipste er seine Laterne an. Zum ersten Mal seit der Ankunft auf dieser trüben, bleichen Welt sah die kleine Gruppe helles Licht. Die Felswände vor ihnen glühten auf, als Jorry Breitenstrahlung einstellte und damit eine Sphäre schattenloser Helligkeit erzeugte. Das Licht munterte sie auf, und sie folgten ihm in Marschordnung. Als Collen ihren Platz am Ende der Reihe einnahm, schaltete sie die Laterne auf ihrem Rücken ebenfalls ein. Von vorn und von hinten durch eine Helligkeit wie auf einem Sonnenplaneten zur Mittagszeit geschützt, wanderte der kleine Trupp durch das Dunkel. Kepler-Laternen waren die beste künstliche Lichtquelle in der ganzen Galaxis. Sie waren auf ihren Heimatplaneten sehr teuer, und die Ausfuhr war streng verboten. Jorry hatte sie nur unter großen Schwierigkeiten, über die er keine Einzelheiten preisgeben wollte, bekommen können. Er konnte – woran er seine Genossen manchmal erinnerte – große Überredungskraft und Findigkeit entfalten.
Zweimal auf dem Wege ins Innere hörten sie ein leises Scharren hoch über ihren Köpfen, aber wenn Jorry sein Licht nach oben richtete, war nur der nackte Fels zu sehen. Schweigend und wachsam marschierten sie voran, und als sie auf eine Innenkante hinaustraten, die Ausblick auf ein tiefes, natürliches Amphitheater gewährte, empfanden sie alle eine Erleichterung, die sie beinahe körperlich spüren konnten. Während die anderen rasteten, studierte Jorry die offene Fläche unter ihnen. Der Saumpfad führte in Serpentinen an der inneren Wand entlang und erreichte den Boden nach zwei vollen Umrundungen. Längs des Saumes befanden sie sich in unregelmäßigen Öffnungen, die ins Innere führten, ähnlich der, durch die sie eben herausgekommen waren. Er überblickte sie flüchtig wie Markierungspunkte, deren er sich versichern wollte, und wandte seine volle Aufmerksamkeit dem Mittelpunkt des Kraters zu. Der kurze Tag war fast zu Ende, das bleiche Licht im Schwinden. Jorry mußte den Strahl seiner Lampe abwärts richten und die Fläche von einer Seite zur anderen ableuchten. Schließlich hielt er an einer bestimmten Stelle inne, wo eine Anzahl von Gebilden in regelmäßiger Anordnung, halb unterm Sand verborgen, zu erkennen waren. Befriedigt lachte er auf. »Seht sie euch an, Freunde«, sagte er. »Die neun
Türen, der Eingang zur Zitadelle. Irgendwo dahinter warten die Schätze Leddendorfs auf uns.« »Und was wartet noch auf uns?« fragte Collen. »Das werden wir herausfinden, wenn wir gegessen und gerastet haben. Wir machen hier auf dem Saumpfad Lager und richten eine Lampe nach vorn und eine nach hinten; also genügt eine Wache.« »Bist du sicher, Jorry?« »Ganz sicher, Axxal. Von jetzt an müssen wir hart arbeiten. Wir alle brauchen guten Schlaf. Eine Einzelwache ist genug.« Der Quespodon schien nicht ganz überzeugt zu sein, focht aber die Entscheidung seines Kapitäns nicht an. Und Jorry verriet ihm nicht, daß die zahlenmäßige Stärke der Wache seiner Ansicht nach für ihr Überleben ganz unwesentlich war. Jetzt, da sie vor dem gefährlichsten Teil ihrer Expedition standen, kam es ihm besonders darauf an, Vertrauen zu schaffen. Doch er wußte: wenn die Gefahren des BoroqThaddoi nur ein Zehntel so schlimm waren, wie die alten Geschichten besagten, dann wäre eine ganze Armee von Wachen nicht mehr von Nutzen als ein Paar Laternen. Diese Geschichten sind eben nur Geschichten, redete er sich ein. Er schlief fest in dieser Nacht.
5. Die Wächter Der Boden des Kraters war glatt und sandig. Im bleichen Frühlicht hatten Jorry und Collen ihre Laternen ausgeschaltet, doch als sie sich ihrem Ziel näherten, knipste Jorry die seine wieder an und richtete sie genau auf ein aufrechtstehendes Gebilde, das jetzt neben den gitterartig angeordneten Bauwerken sichtbar wurde. »Von uns allen hast du die besten Augen, Dolul – was ist das da vorn? So etwas wie ein Merkzeichen?« fragte er. Der Hraggellon sah sich das Ding ein paar Sekunden lang an und sagte: »Nein.« »Also, was sonst?« fragte Jorry ungeduldig. »Kein Merkzeichen. Eine Pflanze.« »Etwas Lebendiges?« »Ja.« Sie brachten ihre Waffen in Bereitschaft. Als ihnen die Form des geheimnisvollen Dinges deutlicher wurde, ergingen sie sich erst in Spekulationen, dann in Spottreden, und schließlich staunten sie. Es war ein lebender Organismus, ein dicker, dunkelgrüner Stengel, doppelt so hoch wie Bral. Von seiner Spitze baumelten drei aufgequollene Blätter herab. Als die Sternfahrer ihren Kreis enger schlossen, fingen die Blätter an zu beben.
»Anscheinend kann auf diesem Boden doch etwas Lebendiges existieren«, wandte sich Jorry an Collen. »Aber wie? Wovon ernährt es sich?« Nachdenklich betrachtete Jorry die Pflanze. Eine Zeitlang studierte er den unteren Teil des Stammes; dann stieß er mit der Stiefelspitze den lockeren Sand weg. Nach ein paar Stößen war etwas zu erkennen, das wie ein Stück von einem Brustkorb aussah. Collen und Bral knieten sich nieder und halfen ihm, und in kurzer Zeit hatten sie fast das ganze Skelett freigelegt. Der Stamm wuchs durch die Stelle, wo einst der Bauch gewesen war. Die äußere Rinde umschloß die Wirbelsäule ganz, außerdem noch einen Teil der untersten Rippen. »Jetzt wissen wir, wovon es sich ernährt«, sagte Jorry gelassen. In der auf seine Worte folgenden Stille stieß Bral plötzlich ein Gebrüll aus und stürzte sich auf die Pflanze. Er packte sie, spreizte die Beine und wuchtete sie langsam aus dem Boden. Die Blätter wanden sich und zitterten, dann aber schlugen sie wie Knüppel auf Brals Haupt. Bral duckte sich, wich ihren wilden Hieben aus und zerrte stärker. Er keuchte laut, das Blut schoß ihm ins Gesicht, doch endlich rissen die Wurzeln mit einem Geräusch wie zerreißendes Fleisch, der Stengel löste sich aus dem Boden, und die Pflanze stieß einen kurzen Schrei aus, als Bral sie und
die daran haftenden Gebeine weit von sich schleuderte. Sie hatte kaum den Boden berührt, als Dolul sie auch schon mit kurzen sichelnden Hieben seiner Handgelenksmesser in Stücke hackte. Wortlos, mit keuchender Brust und bebenden Schultern starrte Bral auf das zerstörte Ding. »Bis du unverletzt, Bral?« fragte Jorry. »Es hat geschrien«, antwortete Bral mit leerem Blick. »Wir haben es gehört. Jetzt ist es tot.« »Überall – die Samen dieser Dinger können überall sein und auf Futter warten. Auf uns!« »Wir können damit fertigwerden, Bral«, erwiderte Jorry mit fester Stimme. »Wir haben es bewiesen.« »Ja. Wir können damit fertigwerden«, sagte Bral etwas zuversichtlicher. »Wir können alles überwinden, was dieser Planet uns entgegenschickt. Vergeßt das nicht. Das Ding da war ein Monstrum von einer Pflanze, aber eben nur eine Pflanze. Mehr nicht. Wir lassen uns nicht von einer Pflanze unterkriegen.« Befriedigt hockte sich Jorry neben das Skelett und murmelte: »Ich will mir den Burschen doch mal ansehen. Er könnte uns etwas verraten.« Der breite, tiefe Brustkorb und die Wirbelsäule waren nicht an ihrem Platz, aber die anderen Knochen lagen in der richtigen Ordnung. Jorry hob den Schä-
del auf und studierte ihn mit Interesse. Es war ein Humanoidenschädel, sehr groß, mit hoher Stirn und tiefem, schwerem Unterkiefer, der, als Jorry den Schädel bewegte, etwas herabfiel. Er schien zu grinsen. Jorry grinste ebenfalls. »Feine Zähne hat der Kerl gehabt, und eine ganze Menge – fünfundsechzig, wenn ich mich nicht verzählt habe. Der konnte ganz schön zubeißen, wie?« »Was für eine Rasse, Jorry?« fragte Fimm. »Ich habe nicht die leiseste Idee. Jedenfalls bestimmt kein Quiplide«, antwortete Jorry, legte den Schädel wieder hin und stand auf. »Er ist anderthalbmal so groß wie Bral und Dolul, und seine Knochen sind so dick wie Axxals.« »Ein Lixianer?« meinte Collen. »Nein. Schädelform stimmt nicht, und zuviele Zähne. Lixianer haben fast dreieckige Schädel und viel dünnere Knochen.« Jorry bückte sich und strich den Sand von den Überresten der Hand des Geschöpfes. »Seht mal. Zwei biegsame Finger und ein dreigelenkiger Daumen.« »Von so einer Rasse habe ich noch nie gehört«, sagte Bral. »Ich auch nicht. Unser Freund hier kommt aus einer sehr fernen Welt, und einer sehr fortschrittlichen.
Oder aus einer anderen Galaxis. Und aus dem Zustand der Knochen zu schließen, ist er noch nicht lange hier.« »Jene Schiffe –« »Bei den Flammenden Ringen«, sagte Jorry, von einem plötzlich auftauchenden Gedanken erschreckt, »es mag Dutzende, ja Hunderte von Raumschiffen auf diesem Planeten geben, alle leer, auf ihre Besatzungen wartend, die nie wieder an Bord kommen werden! Das ist ein Gedanke, der zur Wachsamkeit mahnt, eh?« Sie scharrten das Skelett wieder ein und wandten ihre Aufmerksamkeit den gitterähnlich angeordneten Bauwerken zu. Es waren drei Reihen zu je drei niedrigen Pyramiden von vier Meter Seitenlänge und einem Meter Höhe an der Spitze. Um die Basis einer jeden lief ein breites Band von schriftartigen Zeichen. »Wie kriegen wir sie auf, Jorry?« fragte Collen. »Mit größter Vorsicht«, lachte der Kapitän. »Nur eine davon ist der richtige Eingang.« »Und wenn du die falsche aufmachst?« »Das werden wir hoffentlich nicht auszuprobieren brauchen. Ich bin ziemlich sicher, welche wir nehmen müssen.« Zweifelnd schüttelte Collen den Kopf. »Das kommt mir bis jetzt alles zu einfach vor, Jorry. Wir marschieren durch einen Gang, eine Rampe hinunter und sind
auch schon am Eingang. Wo sind denn alle die Hindernisse?« »Rull-Lamat und Jimm könnten dir was über Hindernisse erzählen, wenn du möchtest. Hast du das so schnell vergessen?« Er deutete hinauf auf die Öffnungen. »Alle führen in die Irre außer der einen, durch die ich euch geführt habe. Wenn wir durch eine von den anderen in die Zitadelle gekommen wären, dann könnten wir unser Leben lang darin herumlaufen und würden nie an den Eingang zur Schatzkammer herankommen. Der alte Kapitän Jorry denkt voraus, und deswegen haben wir so schnell hergefunden. Verlaß dich auf mich, Collen, und tu was ich sage, dann kommen wir gesund und reich hier heraus.« Langsam umschritt Jorry die Pyramiden, bis er sie von allen Seiten genau betrachtet hatte; dann sah er auf seine Karte. Er kehrte zu einer der Pyramiden zurück und verglich die Zeichen darauf mit seinen Eintragungen. Er winkte den anderen zurückzubleiben, trat dicht an die Pyramide heran und drückte nacheinander auf bestimmte Zeichen. Beim letzten auf der vierten Seite glitt die Pyramide langsam auf vier schlanken Zylindern hinauf, bis ihre Basis etwa zwei Meter über dem Boden war. Jorry bewahrte durchaus seine Fassung. Er ließ sich gemächlich in den Sand sinken und deutete triumphierend auf die Öffnung.
»Bevor wir hineingehen, wollen wir dafür sorgen, daß wir auch ohne unerfreuliche Verzögerung wieder herauskommen.« Er deutete auf einen langen, wie ein Menhir geformten Stein, der von der Felskante abgebrochen war und etwa fünfzig Meter entfernt im Sand eingebettet lag, und befahl Axxal, Bral und Dolul, ihn heranzuschaffen. Als sie mit der Platte kamen, halfen Jorry und Collen, sie diagonal unter eine Ecke der Pyramide zu schieben. »So – wenn dieses Ding auf die Idee kommt, sich wieder zu schließen, können wir immer noch hinaus. Ich bezweifle, daß es stark genug ist, diesen Steinbrocken zu zerkrümeln«, erläuterte Jorry. Er ließ sich von Fimm eine aufgerollte Leine geben, band ein Ende fest an den Stein und warf die Rolle hinunter. Sie hörten sie aufschlagen, und als Jorry den Laternenstrahl hinunterrichtete, sahen sie in geringer Tiefe einen Gang am Ende des Schachts. »In der Wand sind Handgriffe«, bemerkte Fimm. »Verlassen wir uns lieber auf das Seil«, erwiderte Jorry. Er stieg als erster hinunter; die anderen folgten in der alten Marschordnung. Am Grund des Schachts waren sie in einem quadratischen Tunnel von den gleichen Ausmessungen wie Eingang und Schacht. Das einzige Licht war das der Laternen, die einzigen Geräusche waren ihre Stimmen und Bewegungen.
Jorry blickte auf seine Karte, kontrollierte seine Waffen und schritt in den Tunnel hinein. Dreimal kamen sie an Kreuzungen, wo ein Tunnel von genau gleicher Art den ihren schnitt. Auf die erste und zweite warf Jorry nur einen Blick im Vorbeigehen, aber an der dritten blieb er stehen, leuchtete in beiden Richtungen hinein und wandte sich dann nach links. Nach kurzer Zeit änderte sich der Charakter des Tunnels. Der Boden blieb glatt und fugenlos wie zuvor, doch Decke und Wände waren unregelmäßig, so als sei der Gang, durch den sie jetzt kamen, noch nicht ganz fertig geworden. Auch verlief dieser Tunnel nicht wie bisher in gerader Linie, sondern folgte in scharfen Knicken und Mäandern einer natürlichen Kavernenbildung. Lange schritten sie voran, ohne noch weitere Abzweigungen zu sehen, bis Jorry unvermittelt das Haltezeichen gab. Er löste die Laterne vom Riemen, um besser mit dem Strahl zielen zu können und richtete ihn auf eine Masse aus glänzenden, harten, kugelförmigen Gebilden, die etwas über Reichweite an der Wand haftete. Die kleinsten Stücke hatten etwa Daumennagelgröße, die größten waren so groß wie Fimm. Im Schein der Laterne glänzten sie wie poliertes Metall. »Weiß jemand, was das ist?« fragte Jorry.
Niemand antwortete. Jorry fuhr mit dem Lichtstrahl über Wände und Decke. Es gab noch mehr solcher Buckel, die das Licht reflektierten. Die Dinger sahen harmlos aus, aber er wollte sich nicht auf den äußeren Anschein verlassen. Er überlegte angestrengt, doch da zupfte Fimm ihn am Stiefelschaft. »Sieh mal, Jorry«, flüsterte er verstohlen, »da kommt eins von den Dingern!« Eine Kugel so groß wie Jorrys Faust bewegte sich langsam die Wand hinunter und rollte über den Fußboden, auf die Füße des Quipliden zu. Jorry folgte ihr mit den Augen und ließ dann den Strahl der Laterne kreisen. Von allen Seiten, zu Hunderten, rollten die Dinger lautlos heran. Jorry reagierte schnell. Mit einer einzigen Bewegung zog und warf er eins seiner Messer in die nächstliegende Kugel. Bei der Berührung zerplatzte sie lautlos wie eine Seifenblase. Eine glänzende Substanz breitete sich an der betreffenden Stelle aus. Die anderen Kugeln standen still. Wie auf Kommando begannen sie sodann, sich aufzulösen, und die entstehende glitzernde filmartige Schicht breitete sich rasch aus. Sie floß auf Jorry zu; er hörte Fimm aufschreien und fallen. Plötzlich verlor er selbst das Gleichgewicht; es war, als stünde er nicht mehr auf festem Steinboden, sondern auf einer gleitenden, keinen Halt bietenden Fläche. Er rutschte aus, und die
Hand, die er vorstreckte, um den Fall zu mindern, rutschte unter ihm weg, so daß er schwer aufschlug und ihm die Luft wegblieb. Die Laterne fiel ihm aus der Hand und rutschte wirbelnd über den Boden, bis sie gegen einen Stein schlug. Da lag sie; ihr Strahl zeigte zur Decke und beleuchtete riesige Trauben solcher Kugeln. Sie waren größer, dunkler in der Färbung, von stumpfer Oberfläche und bewegten sich alle: langsam krochen sie hinunter und auf die hilflos daliegenden Eindringlinge zu, denn Fimm und Jorry wanden sich immer noch auf der glasglatten Fläche und kamen nicht auf die Beine. Mit wilden Axthieben zerschmetterte Bral ein Dutzend Kugeln und fiel krachend zu Boden, als er in die verspritzende Flüssigkeit trat. Dolul stürzte ebenfalls, dann Axxal, nur Collen stand noch und feuerte Schuß um Schuß in die Trauben im Lichtkreis an der Decke. Sie barsten mit einem Regen von Tröpfchen, die mit knisterndem Zischen auf Collen und den Steinboden fielen. Beißender Rauch stieg in dünnen Schwaden auf. »Macht die Käfige auf«, brüllte Jorry, »zerschlagt sie notfalls. Aber laßt die Kiirs 'raus, ehe diese Dinger da oben uns erreichen können!« Bei Jorrys Ruf hatte Collen bereits ihren festen Stand verloren, doch sie konnte noch im Fallen die Käfige zu den anderen hinstoßen. Sie glitten, sich drehend, den Tunnelboden entlang. Dolul griff nach
ihnen, erreichte sie aber nicht, doch Axxal konnte sie fassen. Hastig riß er sie auf. In aller Eile brachen die kleinen Bestien aus ihrer Käfighaft. Klirrend wie Säbelklingen wetzen ihre Schnäbel. Sie flatterten im Lichtstrahl auf, stürzten sich dann, die Menschen nicht beachtend, auf die größeren, stumpfen Kugeln und hieben gnadenlos mit Schnäbeln und Klauen drauflos. Minutenlang waren die Menschen Zeugen eines Massakers. Blitzschnell und bösartig schossen die Kiir durch die kugelförmigen Gebilde. Das schrille Kreischen der Vögel mischte sich mit leiseren Lauten wie beim Zerreißen schleimiger Pflanzen. Dann wurden die Geräusche schwächer und erstarben, denn die runden Gebilde flohen ins Dunkel, und die Vögel flatterten hinterher, um ihnen den Rest zu geben. »Ein Glück, daß wir diese Vögel mithatten«, sagte Bral. »Die haben diese Kugeln ja angegriffen wie – wie –« »Wie echte Jäger«, schloß Dolul voller Lob. »Ihr Gestank und ihr Geschrei waren mir zuwider, Kapitän«, räumte Bral ein, »aber ich bin doch froh, daß wir sie mitgenommen haben.« Jorry nickte. »Auf dem Trigg-Embroe hat mir einmal eine alte Weltraumratte hoch und heilig versichert, ein Käfig mit Kiir hätte die Männer der Drake III retten können. Diese runden Dinger hat er nicht
erwähnt – er wird sie wohl auch nicht gekannt haben –, aber ich beschloß, wenn ich zum Boroq-Thaddoi fahre, nehme ich Kiirs mit – bloß so für alle Fälle.« »Die von da oben hätten uns aufgelöst, wenn die Kiir sie nicht vertrieben hätten«, sagte Axxal. Hinkend kam Collen zu Jorry und setzte sich vorsichtig neben ihn. »Etwas von ihrem Saft ist mir ans Bein gekommen«, sagte sie. »Willst du es nicht mal ansehen? Es brennt.« »Axxal soll –« begann Jorry, doch Collen unterbrach. »Nicht der Quespodon. Mach du es, Jorry. Ich brauche Wissen, nicht Kraft.« Im hellen Laternenlicht waren auf der glänzend blauschwarzen Haut ihres Unterschenkels und Fußknöchels ein Dutzend verstreuter Flecke von totem Grau zu erkennen. Jorry reinigte die Stellen und schmierte Salbe darauf. Nachdem er Collen verarztet hatte, gingen sie weiter. Sowohl die Kugeln als auch die Kiir-Vögel waren spurlos verschwunden. Die Höhle endete bald an einem schrägen Quertunnel, der zur Rechten anstieg und zur Linken abfiel. Dieser Tunnel war in allen seinen Flächen ebenso glatt verarbeitet wie der erste, den sie passiert hatten. Außerdem waren die Wände mit Ornamenten aus Kreisen, Wellenlinien und Parallelen in verschiedenen Winkeln versehen. Jorry nahm an, daß es die Spuren von Schneidewerkzeugen wa-
ren, die man in den anderen Tunnels gelöscht, hier jedoch aus irgendeinem unerfindlichen Grunde stehengelassen hatte. Der bloße Anblick von Spuren menschlicher Handwerksarbeit wirkte nach allem, was sie bisher erlebt hatten, irgendwie beruhigend. Jorry nahm den nach unten führenden Gang. Eine Zeitlang schritten sie weiter, ohne daß die Umgebung sich veränderte; dann übergab er die Führung und die Laterne Dolul und ging zu Collen, um sich ihre Verletzungen anzusehen. Während er langsamer ging, um die Reihe an sich vorüberziehen zu lassen, richtete er an jeden der Truppe ein paar ermutigende Worte. Fimm erholte sich langsam von seinem tiefen Schmerz über den Verlust seines Bruders, und Jorry tröstete ihn mit einer lebhaften Schilderung des Denkmals, das sie ihm setzen würden, sobald sie alle reich und dieser bösartigen Welt entkommen wären. Nachdem er den Quipliden so in eine etwas bessere Stimmung versetzt hatte, hielt er bei Bral. Der riesige Skeggjatt, der zwei Feinde abgewehrt und sie beide besiegt hatte, war sehr zuversichtlich. Axxal war so fatalistisch wie immer. Quespodonen waren selten Optimisten. Mit einem letzten ermunternden Wort an Axxal blieb Jorry stehen, um Collen, die letzte der Reihe, herankommen zu lassen. Mit ihrem verbrannten Bein kam sie nicht so schnell voran. Das hüpfende Licht
ihrer Laterne blieb zurück, und mit jedem Schritt wurde der Abstand größer. Jorry ließ unverzüglich halten, und die anderen setzten sich oder streckten sich aus, um zu warten, bis die Gefährtin sich näherte. Jorry lehnte sich mit dem Rücken gegen die kühle Fläche einer Stelle an der Wand, die glatt und ohne Ornamente war. Rechts und links davon liefen jedoch allerlei Lineaturen: nach vorn ein Wellenmuster, hinter ihm enge, dicht beieinanderliegende Parallelen. Er grübelte darüber nach, was diese Linien bedeuten mochten, doch kam er auf keine Erklärung. »Collen geht ja so langsam«, rief Bral ihm zu, »ihr Bein muß ihr sehr wehtun.« »Es sah gar nicht besonders schlimm aus«, sagte Axxal, »nur ein paar kleine Verbrennungen.« »Verdauungssäfte, Axxal«, sagte Jorry. »Es ist sicher sehr schmerzhaft. Ich würde ihr gern etwas gegen die Schmerzen geben, aber das ist zu riskant. Collens Bewußtsein muß seine volle Schärfe behalten. Glücklicherweise lernt ein Waffenmeister als erstes, sich zu beherrschen.« »Sind denn solche Verdauungssäfte wirklich so stark?« fragte Axxal. Bral murmelte etwas von typischer QuespodonDummheit, doch Jorry ging auf diese Bemerkung nicht ein, sondern sagte nur: »Wenn uns diese zweite
Welle der Kugeln erreicht hätte, wären wir inzwischen alle verflüssigt.« »Und wenn wir wieder auf diese Dinger stoßen? Die Kiir sind ja alle weg.« »Dann müssen wir uns auf unsere Waffen und auf Collen verlassen. Sie hat mit ihrem Gewehr gute Arbeit geleistet, selbst als die Vögel schon frei waren. Nächstesmal werden wir uns nicht überraschen lassen.« Sie wendeten sich der Thorumbianerin zu, die jetzt näherkam. Gegen den Schein der auf ihren Rücken geschnallten Laterne zeichnete sich ihre schlanke, von Waffen starrende Gestalt deutlich ab. Jorry stellte den Lichtstrahl seiner Laterne schärfer ein und richtete ihn Collen entgegen. »Laß dir Zeit, Collen. Wir warten auf dich«, rief er. »Ich bin schon –« Ein Zischen, das sogleich in ein gedämpftes Knirschen überging, schnitt ihr das Wort ab. Dann war es wieder still. Die fünf anderen sahen so etwas wie einen hellen, aber unscharfen Blitz. Als sich ihre Augen erholt hatten, war Collens Laterne erloschen. Collens schlanke Gestalt, die im ruhigen Licht von Jorrys Lampe stand, war irgendwie aus der Form geraten. Unter ihren schreckensstarren Augen zerfiel die Thorumbianerin und sank zu Boden. Messerklingen, die aus den Wänden geflogen kamen und widerstandslos
durch Fleisch, Knochen und Metall drangen, hatten sie in oblatendünne Scheiben geschnitten.
6. Das Juwelentor »Bleibt, wo ihr seid!« befahl Jorry und hob den Arm, damit seine Gefährten nicht heranstürzten zu dem Häufchen Blut und Fleisch, das noch von Collen übrig war. »Vor Pflanzen oder vor diesen runden Dingern habe ich keine Angst, Kapitän. Gegen die kann ich kämpfen. Aber gegen Maschinen – Collen konnte sich überhaupt nicht wehren.« »Willst du, daß wir umkehren, Bral?« »Nein. Ich weiß nicht. Können wir denn überhaupt weitergehen?« »Und wie können wir zurück?« erwiderte Jorry. »Wer oder was diese Messer eingesetzt hat, wartet vielleicht schon auf den Nächsten, der dort vorbeikommt.« »Das gleiche kann auch vor uns sein.« »Vor uns – vielleicht. Daß es hinter uns liegt, wissen wir. Also müssen wir weiter.« Unverzüglich nahmen sie den Marsch wieder auf. Collen ließen sie liegen, wo sie lag. Axxal bekam die Reservelaterne und bildete nunmehr die Nachhut.
Jorrys Entschlossenheit hatte sie wieder etwas gestärkt, doch vor Schrecken über Collens Tod sprachen sie lange Zeit kein Wort mehr. Jorry ging der Tod seiner Schiffskameradin wohl nahe, doch viel mehr Sorgen machte ihm, daß mit ihr die Hauptverteidigungskraft der kleinen Truppe und ihr ganzes Waffenarsenal verloren war. Sie waren jetzt noch fünf und hatten außer ihren eigenen Waffen nur noch die beiden Gewehre. Immerhin hatte Jorry das sichere Gefühl, daß sie nicht mehr weit von ihrem Ziel entfernt sein konnten. Wie weit, das war unsicher, und Furchtbares mochte sie noch erwarten; doch andere waren ja auch irgendwie durchgekommen und wieder in den Weltraum gestartet. Sie konnten es schaffen, wenn sie stark blieben. Weit voraus glitzerte etwas im Lichtstrahl der Laterne. Im Näherkommen nahm es Form an, und schließlich erkannten sie ein massives Doppeltor mit einem verschnörkelten Reliefmuster, in das Steine verschiedener Größe und Form und von allen nur denkbaren Farben eingelassen waren. Sie studierten das Muster aufmerksam, und Jorry wies auf einige Lücken im unteren Teil der Torflügel, wo offensichtlich Steine aus ihren Fassungen gebrochen worden waren. »Jemand war schon hier«, sagte er. »Die Leute von der Drake?« meinte Axxal.
»Vielleicht.« Jorry zählte die leeren Fassungen. »Sechsundzwanzig. Soviel ungefähr hat man bei der Besatzung der Drake gefunden. Nun – ein ermutigendes Zeichen, möchte ich sagen. Wir wissen jetzt, daß jemand bis hierher gekommen und dann wieder in den Raum gestartet ist.« »Aber sie sind alle wahnsinnig geworden.« »Wir wissen ja nicht, was sich an Bord des Raumschiffes zugetragen hat, Bral.« »Nein, das stimmt. Aber sieh mal, Jorry – wäre es nicht möglich, daß dies hier der Schatz ist? Wir könnten uns doch diese Steine nehmen und umkehren.« Jorry antwortete nicht, gab Axxal sein Gewehr zum Halten und begann, einen Stein herauszubrechen. Als er ihn hatte, warf er ihn Bral zu: »Da hast du. Damit kannst du dir ein mittelgroßes Raumschiff kaufen oder eine Kampfschule einrichten. Reicht dir das?« »Wenn wir alle Steine aus den Türen mitnehmen –« »Dann wären wir reiche Leute«, gab Jorry zu, »aber wir haben mehr verdient. Hast du vergessen, daß drei unserer Kameraden ihr Leben für den Leddendorf-Schatz gelassen haben? Deswegen sind wir nämlich hier – nicht wegen einer Tasche voller Steine, sondern wegen so vieler Schätze, wie wir nur wegschleppen können.« Da keiner antwortete, sprach er in gemäßigterem Ton weiter. »Aber auf alle Fälle wäre es ganz vernünftig, wenn wir uns ein paar ausge-
sucht schöne Stücke mitnehmen. Fimm, du hast je geschickte Finger – brich für jeden ein paar Steine aus, ja?« Die Edelsteine glitzerten und glühten im Scheine der Laternen, und es war, als strahlte ihr innerstes Feuer in die Herzen von Jorrys Männern und erfüllte sie mit neuem Mut. Der Anblick solcher Schätze, das Gefühl der schweren, glatten Juwelen in ihren Händen, der Gedanke an das Geld, das sie einbringen würden, entfachte die Entschlossenheit der Sternfahrer aufs neue. Als Jorry Fimm befahl, das Tor aufzuschließen, drängten sie sich eifrig herbei. Der Quiplide brauchte einige Zeit, um den Verschlußmechanismus zu lokalisieren und herauszubekommen, wie er funktionierte, doch schließlich hatte er es geschafft. Langsam und lautlos glitten die schweren Flügel nach innen, und ein weiter, hoher Raum wurde sichtbar. Jorry richtete den Lichtstrahl hinein. Auf dem weitläufigen Fußboden hatte sich in ungestörten Äonen eine dicke Staubschicht abgelagert. Kein Fuß hatte die Kammer betreten, seit das Tor verriegelt worden war. Er ließ den Strahl in alle Richtungen spielen und fuhr zurück: an allen Wänden befanden sich Regale, in denen humanoide Körper lagerten. Doch Jorry faßte sich schnell. Er stellte die Laterne auf Breitenlicht ein, ließ das Licht nochmals über die
Reihen der stummen Zuschauer gleiten und verkündete sodann: »Sie bewegen sich nicht. Entweder sind es Statuen oder Leichen. Los! Wenn sich doch einer bewegt, schießt ihn tot!« In dem Gelaß war es grabesstill. Der tiefe Staub dämpfte ihre Schritte, und die kühle, trockene Luft schien sogar das Geräusch des Atmens zu verschlukken. Sie schritten über den freien Fußboden, bis sie die Gestalten auf der untersten Reihe des nächsten Regals berühren konnten. Nur eine niedere Schranke aus behauenem Stein trennte die Eindringlinge von den stummen Wächtern. Die Kreaturen hinter der Schranke waren schon lange tot. Sie waren etwas kleiner als Jorry, schlank, mit humaniden Zügen. An ihren knochendürren Leibern hingen die Gewänder in Fetzen. Die Haut der wie im Schlaf zur Seite gedrehten Schädel und der baumelnden Unterarme sah aus wie dünnes Laub. Wohin Jorry die Laterne auch wandte, es war überall das gleiche Bild: eine stumme Gesellschaft grinsender Leichen. »Was ist mit ihnen geschehen?« flüsterte Bral. »Ich weiß nicht. Es sieht aus, als hätten sie sich einfach zum Sterben hier hingelegt.« Nervös blickte Axxal sich um. »Was ist das, Jorry? Sind wir hier in einem Tempel?« »Es kann alles mögliche sein. Ein Theater, ein Hos-
pital, ein Gerichtshof – vielleicht ein Mausoleum. Vielleicht haben sie so ihre Toten bestattet.« Jetzt sprach Dolul. »Nein. Alle sind zusammen gestorben.« »Woher willst du das wissen?« Dolul suchte nach Worten, um etwas auszudrükken, das er unter den räuberischen Halbtieren auf dem Hraggellon gelernt hatte, doch es gab keine Worte dafür. »Ich weiß es eben«, sagte er, »ich kann es spüren.« »Lassen wir das auf sich beruhen. Suchen wir nach dem Ausgang.« An den Reihen der Toten vorbei, die alle mit dem Gesicht zum Eingangstor lagen, schritten die Fünf eine lange Rampe hinauf und gelangten schließlich an ein zweites Doppeltor, das ebenso massiv wie das andere, jedoch glatt und schmucklos war. Wieder ließ Fimm seine Künste spielen, um das Schloß zu öffnen. Diesmal ging es schneller. Als das Tor langsam nach innen schwang, ließ sich der Quiplide zu Boden fallen. Klappernd, im Licht der Laterne weiß aufglitzernd, stürzte die obere Hälfte eines Skeletts in den Raum. Beine und Becken lagen unbewegt, wo sie seit unermeßlichen Zeiten gelegen hatten; Schädel und Brustkorb rollten Jorry langsam vor die Füße. »Noch einer von diesen großen Kerlen wie dort oben«, verkündete Jorry. Er bückte sich, um das Ge-
rippe genauer zu untersuchen, hielt den Brustkorb mit den Fingerspitzen fest und deutete auf die Rippen, deren Enden wie durch intensive Hitzewirkung abgerundet und verschmort waren. Axxal faßte Jorry mit seiner mächtigen Hand bei der Schulter. »Sieh, Jorry – noch einer!« sagte er und deutete auf einen zweiten Haufen Knochen, der etwas tiefer im Tunnel lag. Das zweite Gerippe lag mit dem Gesicht nach unten. Ein langer Dolch mit gewundenem Griff stak tief in den oberen Rippen und ragte mit einem Drittel seiner Klinge direkt unter dem Schulterblatt heraus. Die beiden dünnen Finger der oberen rechten Extremität umschlossen eine Röhre aus stumpfem Metall. Jorry löste sie aus dem Griff des Gerippes, betrachtete sie genau und winkte den anderen, beiseitezutreten. Er richtete die Röhre auf den Schädel des ersten Skeletts. Ein scharfes Zischen ertönte, und ein weißes Feuer, ähnlich einem Kugelblitz brannte ein rundes Loch in die Schädeldecke. Mit einem triumphierenden Blick auf seine Gefährten schob Jorry die unverhofft gefundene Waffe in seinen Gürtel, bückte sich dann wieder und zog den Dolch aus dem Brustkorb des Skeletts. Er warf ihn dem Quespodon zu. »Du kannst eine gute Klinge gebrauchen, Axxal. Nimm sie zur Erinnerung an unsere hochgewachsenen Freunde. Von welcher Welt, aus welcher Galaxis sie auch
kommen mögen – sie benehmen sich nicht anders als alle Humanoiden, die ich kenne. Ich weiß nicht, ob ich von dieser Tatsache ermuntert oder enttäuscht sein soll.« »Sie haben sich also gegenseitig umgebracht?« schrie Fimm. »Das dürfte die naheliegende Schlußfolgerung sein. Würde mich gar nicht wundern, wenn wir noch auf ein paar solcher Kreaturen stoßen würden, die auf gleiche Weise ums Leben gekommen sind.« »Aber warum?« »Sind sie denn wahnsinnig geworden, wie die Drake-Mannschaft?« »Hat der da oben bei den Pyramiden etwas damit zu tun?« Jorry hob die Hand und stoppte die Flut der unbeantwortbaren Fragen. »Der da oben hatte bestimmt nichts mit diesen hier zu tun. Seine Knochen waren frisch – die hier sind uralt. Was eure anderen Fragen betrifft – wir werden es kaum jemals wissen. Doch wir dürfen auf keinen Fall vergessen, daß diese beiden sich gegenseitig getötet haben. Nicht der Planet hat sie getötet. Wir müssen nur beieinander bleiben, dann schaffen wir es.« Leise fragte Axxal: »Aber wer hat den Mann da oben bei den Pyramiden getötet?« Nachdenklich runzelte Jorry die Stirn, dann schüt-
telte er den Kopf und antwortete: »Das sage ich dir, wenn ich es herausbekommen habe. Los jetzt!« Schon hinter der ersten Biegung erfüllte sich Jorrys Prophezeiung: sie fanden noch mehrere dieser riesigen Gerippe. Allerdings wiesen sie keine Zeichen von Gewaltanwendung auf, doch lagen sie in grotesk verrenkten Stellungen da. Zum Unterschied von ihren Gefährten, deren Kleidung – wenn sie überhaupt welche getragen hatten – längst zu Staub zerfallen war, trugen diese Kopfbedeckungen: vertrocknete, rauhe, sandfarbene Masken, die dicht auf dem Schädelknochen auflagen. »Genau wie du gesagt hast, Jorry«, murmelte Axxal. »Ja. Ich möchte wissen, was diese Gesichtsmasken – vielleicht waren sie Sklaven. So etwas habe ich nie gesehen –« Axxal und Bral beugten sich über die Skelette, und mit erschreckender Schnelligkeit lösten sich zwei dieser Masken ab und flogen auf die Köpfe der beiden Sternfahrer zu. Axxal schlug blitzschnell die Arme vors Gesicht, und das Ding klebte sich wie eine zweite Haut an seinen Unterarm. Doch Bral war nicht schnell genug. Wie die vor ihm liegenden Schädel umhüllte eine dichtanliegende Maske seinen Kopf vom Scheitel bis zum Kinn. Wild riß er daran, stolperte, sank in die Knie, richtete sich mühsam auf, fiel
wieder hin und wand sich stumm auf dem Boden des Tunnels in den zerbrechenden, auseinanderfliegenden Knochen. Zu gleicher Zeit hatten sich die Masken von den anderen Schädeln gelöst, krochen in raschen Wellenbewegungen über den Boden auf Dolul und Jorry zu. Jorry zog die Feuerröhre, richtete sie auf das kriechende Gebilde und drückte ab. Die Maske verbrannte im Feuerball unter üblem Ölgestank, und die zweite hielt einen Moment inne, so daß Jorry erneut feuern konnte. Inzwischen hatte Axxal das Ding von seinem Arm losreißen können. Es war in seine lederharte Haut nicht eingedrungen. Keuchend, vor Schmerzen stöhnend, den Unterarm blutüberströmt, stand er da. Das Ding, das er sich heruntergerissen hatte, war jetzt tiefdunkel verfärbt, es blieb einen Moment wie betäubt liegen und kroch dann hinweg. Jorry erledigte es mit einem gutgezielten Feuerstoß und wandte sich dann Bral zu. Der Skeggjatt bewegte sich nicht mehr. Seine Finger waren in die Maske verkrallt, die jetzt eine leberbraune Farbe hatte und pulsierend zuckte, wie zu neuem Leben erwacht. Mit einem letzten Feuerstoß erledigte Jorry das scheußliche Ding. Dann leuchtete er Bral mit der Laterne an, doch als er das verschmorte Gesicht des Mannes sah, drehte er den Lichtstrahl rasch in eine andere Richtung.
»Weg hier, aber schnell«, sagte er. Keiner machte Einwendungen. Jorry an der Spitze, gingen die vier weiter. Sie blieben jetzt näher beieinander, und jeder hatte seine Waffe bereit. Ohne weiteren Zwischenfall gelangten sie ans Ende des Tunnels. Vor ihnen öffnete sich ein Schacht von etwa fünf Metern Durchmesser. Als Jorry sich vorbeugte und den Lichtstrahl hinunterrichtete, sah er tief unten einen schwachen Glanz. »Dort unten ist der Platz mit den Säulen, und irgendwo zwischen ihnen ist das Gewölbe, wo Leddendorfs Schatz liegt. Wir sind beinahe am Ziel«, verkündete Jorry. »Vier Mann haben wir verloren«, trauerte Axxal. »Ich bedaure das ebenso wie du, aber ich kann's nicht ändern. Sehen wir zu, daß wir nicht noch mehr verlieren.« »Wie können wir das verhindern? Dieser ganze Planet, wohin man auch blickt – eine Welt des Schreckens!« Ungeduldig, als spräche er zu einem wehleidigen Kind, entgegnete Jorry: »Selbstverständlich. Niemand sucht eine Q-Welt auf wegen der schönen Landschaft oder des angenehmen Klimas. Wenn du auch nur eine Sekunde lang nicht aufpaßt, bist du verloren. Collen hätte vielleicht den Klingen trotz aller Vorsicht nicht entgehen können, aber die anderen könnten noch am
Leben sein, wenn sie besser aufgepaßt hätten. Wir gehen hier ein großes Risiko ein, aber es lohnt sich voll und ganz. Wenn wir vorsichtig sind und zusammenbleiben, wird uns der Boroq-Thaddoi nicht erwischen.« Und wieder, obgleich ihnen Collens und Brals schrecklicher Tod noch frisch im Gedächtnis war, rissen Jorrys Worte sie aus ihrer trüben Stimmung. Er ordnete eine kurze Pause an, und während die anderen aßen, reinigte und verband er Axxals Unterarm, von dem ein Stück Haut abgerissen war, so daß das rohe Fleisch zu sehen war. Anschließend inspizierte er die Umgebung genau und analysierte die Lage. Alles in allem schien der Ort geeignet, um zu rasten und neue Kräfte zu sammeln, bevor sie dem entgegentraten, was sie dort unten in der Tiefe erwarten mochte. Er stellte die Laternen so auf, daß sie sowohl den Rand des Tunnels als auch den Schacht hinter ihnen erleuchteten und wies die anderen an, sich schlafen zu legen, er übernähme die Wache. Doch als Fimm einwandte, er könne doch nicht schlafen und wolle daher die erste Wache übernehmen, war er ohne weiteres einverstanden. Er streckte sich auf dem Boden aus und schlief sofort ein. Das nächste, was ihm zu Bewußtsein kam, waren Fimms wild erregte Stimme und die Fäuste des Kleinen, die auf seine Schulter trommelten. Er fuhr auf und hörte sofort das immer lauter werdende Geräusch im Tunnel.
»Da kommt was, Jorry! Da ist was hinter uns her!« kreischte der Quiplide. Alle waren jetzt wach. Sie blickten in die Richtung, aus der sie gekommen waren und sahen eine dünne schwarze Linie direkt in der Mitte des Tunnels, die sich ruckweise auf sie zu bewegte. Und dabei ertönte ein immer lauter werdendes Donnern, wie ein langsamer, schwerer Schritt. Die Wände hinter ihnen schlossen sich zusammen.
7. Der Wald der Säulen Auf Jorrys hastigen Befehl ergriff Fimm die vordere Laterne und glitt über den Rand des Schachtes. Axxal und Dolul folgten. Jorry blieb, die Laterne in der Hand, bis die anderen ein Stück hinuntergestiegen waren, dann suchte er sich schnell einen sicheren Halt für den Fuß. Er hing sich die Laterne auf den Rücken und packte einen der Handriemen. Über seinem Kopf schlossen sich die Wände mit einem letzten, dröhnenden Krach, der den ganzen Schacht erzittern ließ und ihm schmerzhaft durch Finger und Zehen fuhr, so daß er beinahe seinen Halt an der rauhen Wand verloren hätte. Ein Regen kleiner Steinbrocken prasselte auf die vier hernieder. Als das letzte Echo verhallt und alles wieder still war, rief Jorry: »Habt ihr's alle gut überstanden?«
Einer nach dem anderen gab Antwort, und Jorry richtete die Laterne auf jeden, der sprach. Dann leuchtete er hinauf, und der Strahl wurde von einer massiven Felsendecke zurückgeworfen, durch deren Mitte eine dünne Fuge verlief. »Hinunter!« befahl Jorry. »Wie sollen wir das schaffen?« fragte Axxal. »Wir können doch nie so tief hinunterklettern.« »Wieder herauf können wir nicht, und hierbleiben können wir auch nicht. Also los! Fimm als erster.« Es war ein langsames und schwieriges Klettern. Die rauhen Wände boten zwar Halt für Hände und Füße, und Fimm suchte den besten Weg aus, doch der Abstieg kam ihnen endlos vor. Je tiefer sie kamen, desto lauter wurde das von unten kommende Geräusch, das zuerst leise gewesen war, jetzt aber den lautesten Ruf übertönte. Als Jorry den Strahl nach unten richtete, sahen sie einen reißenden Strom. »Was nun, Jorry? Bis zum Land kann es weit sein«, rief Fimm. »Dann müssen wir eben schwimmen.« »Aber wie kommen wir wieder herauf?« fragte Axxal. »Gar nicht. Keine Rasse in der Galaxis baut ein Haus ohne Hintertür. Diese Hintertür werden wir auch finden. Wir sind jetzt schon reich, und bald werden wir noch reicher sein.«
Unten angekommen, sahen sie zu ihrer größten Erleichterung, daß ein Ufer des unterirdischen Stromes direkt unter dem Schacht verlief. Sie sanken nieder, stellten die Laternen auf und machten eine ausgiebige Ruhepause. »Na also. Wir brauchen uns nicht mal die Füße naßzumachen. Vielleicht haben wir von jetzt an mehr Glück«, meinte Jorry befriedigt. »Vielleicht«, antwortete Axxal, aber es klang nicht überzeugt. Auch Fimm nickte zustimmend. Dolul schwieg. Mit allen seinen Sinnen forschte er wachsam in der Dunkelheit jenseits des Laternenscheins nach Zeichen von Leben oder Bewegung. Mit kräftiger Strömung floß das Wasser dahin. An beiden Ufern verlief ein glatter, etwa zehn Meter breiter Gang. Dahinter bestand der Boden aus rauh behauenem Gestein, und dort begannen auch die Säulen. Sie waren etwa vier Meter hoch und standen in Abständen von etwa drei Metern, soweit das Auge reichte. Der Anblick ihrer im Laternenstrahl schwankenden Schatten war Jorry etwas unheimlich; daher leuchtete er nicht weiter zwischen sie, sondern ging hinüber, inspizierte eine der Säulen genau, dann eine zweite, und versuchte vergeblich, sich über Struktur und Anordnung dieser Gebilde klar zu werden. Die Säulen waren ganz unterschiedlich. Manche waren offensichtlich von ungeübter Hand aus einem
einzigen Steinblock gehauen; andere waren auf ingeniöse Art aus mehreren unregelmäßigen Blöcken zusammengefügt; noch andere schienen natürliche Formationen zu sein, die sich mit von oben kommenden Stalaktiten zu einem einzigen Pfeiler aus langsam wachsendem Stein vereinigten, der sich irgendwie in den Dimensionen der künstlichen Säulen hielt. Ob die natürlichen oder die künstlichen Säulen zuerst dagewesen waren, ließ sich nicht feststellen. Er fand auch einige Säulen aus einem blaugrünen Metall, das sich warm anfühlte; andere aus einem sahnigen Stein, der so weich und porös war, daß seine Finger Eindrücke auf der Oberfläche hinterließen. Manche trugen glänzende Markierungen oder tiefeingeschnittene Inschriften in unbekannten Zeichen. Jorry konnte, soviel er auch suchte, keine zwei Säulen finden, die sich genau glichen. Er wandte sich von den rätselhaften Gebilden ab und ging wieder zu seinen Gefährten, die am Ufer geblieben waren. »Die Schatzkammer ist hier unten«, verkündete er. »Wo?« fragte Dolul. »Das frage ich mich eben. Ich hatte gehofft, daß uns Rull-Lamat in diesem Punkt weiterhelfen würde, aber das ist nun nicht mehr möglich. Jetzt müssen wir selbst ein bißchen suchen. Das ist ja unsere Spezialität, nicht wahr?«
»Kann man es nicht aus der Karte ersehen?« »Nein. Jetzt habe ich weiter nichts mehr als die Phantasien eines sterbenden Wahnsinnigen, aus dritter Hand von einem raumverrückten alten Vagabunden überliefert.« »Haben wir uns verirrt, Jorry?« fragte der Quiplide. »Aber nein. Wir wollten zu den Säulen unter der Zitadelle. Hier sind sie. Wir müssen ein bißchen suchen, das ist alles.« »Du bist der Führer«, sagte Dolul, »also führe uns.« Hinter dem Schirm des Laternenlichts musterte Jorry den hochgewachsenen Hraggellon aufmerksam. Dolul sprach jetzt mehr, als er während der ganzen langen Reise gesprochen hatte, und was er sagte, gefiel Jorry keineswegs. Er spürte, daß es Ärger geben würde, doch entgegnete er gutgelaunt: »Ganz recht, mein Freund. Ich darf mich meiner Verantwortung nicht entziehen. Nett von dir, daß du mich an sie erinnerst.« Hraggellons waren mit sprachlichen Feinheiten nicht vertraut. Dennoch spürte Dolul die Schärfe hinter Jorrys Worten. Es war ein Austausch von Warnungen. Mit undurchdringlicher Miene nahm er es hin. Bald konnten ihm Jorry und die anderen gleichgültig sein, dachte er. Er konnte bereits die Wesen spüren, die aus dem Dunkel auf sie zukamen. Die Laterne schwenkte zur Seite; die langen Schatten der Säulen tanzten gespenstisch vor ihnen her. So-
fort wurden Doluls Pupillen groß, und er suchte die Umgebung ab. Nichts war zu sehen oder zu hören, aber Dolul verfügte noch über andere Möglichkeiten der Sinneswahrnehmung. Er spürte, daß schnelle und starke Wesen augenlos durch das Säulenlabyrinth heranglitten, auf den hellen Glanz zu, der hier eingedrungen war. Er konzentrierte sich auf diese Kreaturen und versuchte zu ergründen, was es mit ihnen auf sich hatte. Diese bleichen Bewohner lichtloser Orte waren bösartig, und die Anwesenheit Fremder erregte sie zu wütender Vernichtungslust. Doch sie hatten keinen Führer. Ein einziger kraftvoller Geist konnte sie beherrschen, das merkte Dolul. Er dachte über seine Entdeckung nach. Für jemanden, der sich, wie er selbst, die Führerschaft eines Jagdrudels erkämpft hatte, konnte es nicht schwer sein, die Kreaturen des Boroq-Thaddoi zu meistern. Jorry richtete den Lichtstrahl mehr unten auf den Weg, doch so, daß er ihnen weit vorausschien. »Hier müssen wir entlang«, entschied er. »Gibt es Wächter?« fragte Axxal. Bevor Jorry antwortete, ließ er den Lichtstrahl kreisen. »Ich habe Geschichten gehört. Ob sie wahr sind, weiß ich nicht. Wenn hier unten irgendwelche Wesen leben, so können es nicht viele sein, und ich glaube, unsere beste Waffe werden die Laternen sein.« »Und was ist mit den Feuerwaffen?«
»Ich will damit nicht sagen, daß wir unsere anderen Waffen in den Fluß werfen sollen, Axxal«, entgegnete Jorry irritiert; »aber einer Rasse, die jahrtausendelang in totaler Finsternis gelebt hat, müßte der Strahl einer Kepler-Lampe, mit voller Kraft auf die Stelle gerichtet, wo sie einst die Augen hatten, sehr unangenehm sein. Ich glaube, sie werden auf starkes Licht empfindlich reagieren.« Grunzend stimmte Axxal zu. Dolul, im Dunkel, nickte schweigend. Er hatte bereits gespürt, daß diese Kreaturen Angst hatten. Jorry teilte Dolul als Schlußmann ein und gab ihm die zweite Laterne. Axxal blieb mit dem zweiten Gewehr direkt hinter Jorry, und hinter ihm hüpfte Fimm. Dolul fühlte, daß die Wächter näher herankamen. Eine Gruppe war vor ihnen, zwei oder drei einzelne zwischen den Säulen an der Seite, jedoch weit weg, noch unsichtbar. Auch am anderen Ufer des Stromes kamen einige heran. Im Rücken jedoch konnte er keine spüren. Er hatte vorausgesehen, daß sie neugierig und böse sein würden und war überrascht, daß er darüberhinaus noch Ausstrahlungen wachsender Angst wahrnahm. Doch auf einmal schwand diese Ausstrahlung vollkommen, und Dolul empfing nur eine mächtige Welle wütender Aggressionslust. Die Wesen mußten jetzt
die Eindringlinge analysiert haben und sie als leichte Beute betrachten. Doluls Selbstvertrauen war erschüttert. Noch nie hatte er einen so intensiven Vernichtungsdrang zu spüren bekommen. Er kannte die Tormagons, die töten, weil sie Nahrung und Jagdgründe haben wollen; er hatte unter Humaniden gelebt, die aus Stolz und Machtwillen töten; doch diese Kreaturen töteten einfach deshalb, weil sie andere Lebensformen nicht ertragen konnten. Nicht einmal er konnte solche Wildheit beherrschen. Die halbausgeformten Gedanken an Verrat schwanden aus Doluls Hirn, denn er brauchte alle seine geistigen Kräfte, um die unheimlichen Wächter zu orten und zu zählen. Es waren viele; sie bewegten sich schnell und kamen aus allen Richtungen. Wieder empfing er eine ungeheure Welle von Haß und schrie seinen Freunden zu: »Sie kommen! Die Wächter kommen von allen Seiten!« Er hatte den Satz noch nicht beendet, da sprang etwas aus dem Dunkel heran und heftete sich an Fimm. Dolul köpfte es mit einem einzigen Hieb, doch er hatte seinen kleinen Schiffskameraden nicht mehr retten können. Der Quiplide war tot, ehe er auch nur den Dolch hatte ziehen können. Jorry feuerte zweimal und schrie: »Die Laterne, Dolul – halte sie nach vorn und gib volles Licht! Wir bleiben stehen und schießen auf alles, was wir sehen!«
»Wie viele sind es, Jorry?« fragte Axxal. »Zwei weniger als vorher.« »Drei weniger«, verbesserte Dolul. »Gut. Das könnte genügen, um sie zu vertreiben.« »Nein. Sie müssen alles vernichten, was in ihr Revier kommt. Ich spüre ihren Haß. Sie greifen an, solange noch einer von ihnen lebt.« »Das vereinfacht die Sache beträchtlich«, sagte Jorry. »Wir töten sie eben alle, dann können wir den Schatz in Ruhe suchen.« »Es sind viele.« »Wir haben reichlich Munition, und auf diese Entfernung brauchen wir keine Meisterschützen zu sein. Laß sie nur kommen.« Minutenlang horchten sie schweigend, bis Dolul rief: »Sie kommen.« Die drei Sternfahrer hörten leises Rascheln von allen Seiten. Jorry schwenkte seine Laterne im Halbkreis, und das Licht fiel auf zwei geduckte Gestalten, die bei der Berührung des Lichtes in den Schutz einer Säule zurücksprangen. Trotz ihres raschen Weggleitens konnte Jorry einen Blick auf sie werfen. »Es ist wie du sagst. Das Licht schmerzt sie«, meinte Dolul. »Freut mich zu hören. Bei den Ringen, die sind aber häßlich. Nur Schnauzen und Zähne. Und Gestank.«
»Und sie sehen sehr stark aus«, ergänzte Axxal. »Das sind sie auch. Doch ich sehe keine Waffen, also sind wir stärker. Was haben sie jetzt vor, Dolul?« »Sie machen sich zum Angriff bereit.« »Gib ihnen was mit der Laterne, ich werde es auch tun. Das wird sie aus dem Takt bringen. Axxal, wenn du im Licht irgend etwas siehst, feuerst du.« Jorry hob die Laterne und richtete den Strahl nach rechts. Er fiel auf eins der Wesen, das sich heranpirschte. Es schrak zurück, schützte sich das Gesicht mit der klauenbewehrten Tatze und führte mit der anderen einen wilden Lufthieb. Axxals Kugel traf es direkt in die Brust und schmetterte es gegen eine Säule; dort sank es zusammen und blieb liegen. Fasziniert betrachtete Jorry im Strahl der Laterne das schwammige Weiß seiner verfilzten Körperbehaarung, die Stehohren zu beiden Seiten des platten, augenlosen Kopfes und die glitzernden Fangzähne. Axxal feuerte noch zweimal in die Richtung von Doluls Laternenstrahl, ehe Jorry seine Laterne abschwenkte. Noch mehrere dieser Unwesen gerieten ins Licht, knurrten, bedeckten aus atavistischem Instinkt ihre augenlosen Gesichter und drängten sich ins schützende Dunkel zwischen den Säulen. Jorry setzte die Laterne auf den Boden, zog das Feuerrohr aus dem Gürtel und sagte: »Hört genau zu: Wenn ich Befehl gebe, jagt jeder von euch zwölf Schuß Schnell-
feuer in den Lichtkreis. Dann dreht euch nach links und schließt die Augen, bis –« »Die Augen schließen?« fragte Axxal erstaunt. »Gleich gibt es noch erheblich mehr Licht, und ich will nicht, daß ihr beide blind werdet; dann seid ihr nämlich nutzlos. Tut, was ich euch sage!« Sie gehorchten. Er zielte mit der Röhre in den dunklen Sektor zu seiner Linken, schloß die Augen und drückte ab. Dann wandte er sich nach rechts und tat das gleiche. Feuerbälle aus weißem Licht zischten in die Finsternis. Traf einer eine Säule, sprang sie mit so heller Flamme auseinander, daß sogar noch hinter Jorrys festgeschlossenen Lidern ein orangeroter Schein aufglühte. Als dieser verblaßte, gab er Feuerbefehl. Die Bestien wankten, hielten sich die Tatzen vor die Gesichter und reagierten mit unheimlichem Knurren und Kreischen auf das verhaßte, schmerzende Licht. Jorry, Dolul und Axxal pumpten ihre Geschosse in die hilflosen Wesen, bis das letzte Feuer aus dem Todesrohr verglommen war, und nur noch das Laternenlicht den Umkreis erhellte. »Eine ganze Menge von ihnen haben wir erledigt«, bemerkte Axxal. »Es kommen noch mehr«, erwiderte Dolul. Jorry lachte. »Die kriegen wir auch noch. Ich gebe den übriggebliebenen etwas Zeit zum Überlegen, dann nehme ich wieder die Brandröhre. Ich weiß
nicht, was das für Riesenkerle waren, aber von Waffen verstanden sie was.« »Sie sind aber alle tot.« »Vielleicht auch nicht, Axxal. Wir haben nur die gesehen, die liegengeblieben sind. Ich denke, es werden auch ein paar herausgekommen sein.« »Und haben den Schatz mitgenommen?« fragte Axxal enttäuscht. »Nein. Die sind lange vor Leddendorfs Zeiten gekommen und wieder gegangen. Sie suchten etwas anderes. Der Schatz ist noch hier, und wir werden ihn uns holen, sobald wir diese häßlichen Bestien erledigt haben. Achtung – ich nehme die Brandröhre nochmal.« Wieder zischten zwei Feuerbälle in die Finsternis. Diesmal schlug der eine gegen eine Säule aus weichem Stein und splitterte ein kräftiges Stück von ihr ab; der andere traf eine der Säulen aus dem warmen Metall, die sich entzündete und in brausender Flamme abbrannte. In hilfloser Wut kreischten die bestialischen Wächter, deren Gestalten sich von der hellen Flamme abhoben, so daß die Sternfahrer sie abschießen konnten. »Viel länger machen sie es nicht mehr«, überlegte Jorry und lud neu, »wir müssen mindestens fünfzig erledigt haben.« »Ich spüre – Unentschiedenheit. Ein Teil will blei-
ben und uns vernichten. Andere sagen: Weg von hier«, berichtete Dolul. »Ich werde ihren Disput entscheiden«, sagte Jorry. »Seid ihr bereit?« Doch bevor Jorry feuern konnte, stürzten sich mehrere der Wächter-Bestien von links auf sie. Dolul stieß einen Warnruf aus, doch seine Stimme erstarb: zwei hatten ihn angesprungen, einer sich in seine Kehle verbissen. Das Gewehr des Hraggellon fiel klirrend zu Boden. Axxal erwehrte sich des Ansprungs eines weiteren, packte ihn am Hals und am Oberschenkel und schleuderte ihn gegen ein Säule. Knochen splitterten, Stein krachte. Jorry sandte eine Serie Kugelblitze aus seinem Feuerrohr zwischen die Angreifer. Sie wichen zurück. Er nahm die andere Seite unter Feuer und schoß dann in alle Richtungen. Überall gingen die Säulen in Flammen auf oder zerfielen unter den feurigen Wellen. Es war die reine Hölle: der Raum war taghell, unaufhörlich jagte Jorry seine Kugelblitze den Gestalten nach, die sich eilig zu verbergen suchten. Jedesmal, wenn eine der metallenen Säulen in Flammen aufging, ertönte dabei ein hohles, brüllendes Dröhnen, das immer lauter wurde, je weiter sich die Flammen verbreiteten. Dahinter vernahm Jorry ein anderes Geräusch, ein tiefes Rumpeln. Er feuerte noch einmal, hielt dann inne und wartete ab, ob das
ferne Geräusch verklänge. Es wurde jedoch immer lauter und kam näher. Von oben her fielen Staub und Steinsplitter herab. Dicht neben ihm stürzte eine Säule zusammen, und ein weißes, flaches Felsstück fiel von der Decke des Gewölbes; danach prasselte loses kleines Gestein herab. Jorry drehte sich nach Axxal um. Ein Gewehr in jeder Hand, stand der Quespodon noch aufrecht da und starrte mit weitaufgerissenen Augen um sich. Dann kam irgend etwas Schweres und schmetterte Jorry zu Boden. An mehr konnte er sich nicht erinnern.
ZWEITER TEIL
Zu den Pyramiden 1. Die Geschichte des Täuschers An Bord der Seraph kam Jorry wieder zu sich. Der Kopf schmerzte ihm, und er hatte furchtbaren Durst, wie immer, wenn man zum Schlafen Zaff genommen hat. Er wollte sich aufrichten, doch das ging nicht, weil er einen festen Verband um die Rippen hatte. Er erinnerte sich an das dunkle Gewölbe, an den Angriff der bleichen Bestien, an das Dröhnen – aber an nichts sonst. Und jetzt war er wieder auf seinem Schiff. Mühsam und unter Schmerzen arbeitete er sich in halb sitzende Stellung hoch und rief heiser nach Axxal, der auch sofort erschien. »Hol mir was zu trinken, aber schnell!« krächzte Jorry. Als er das Wasser hinuntergestürzt hatte, das Axxal brachte, wischte er sich die Lippen ab und befahl: »Jetzt erzähl mir, was passiert ist. Los, erzähl mir alles. Ich will Bescheid wissen.« »Das Gewölbe stürzte ein. Wahrscheinlich war das Getöse des Feuers die Ursache. Dolul hat mir einmal erzählt, auf dem Hraggellon lösen sie in den Bergen
Schnee- und Eislawinen aus, indem sie großen Lärm machen, und in diesem Gewölbe –« »Ja, ich weiß. Ich muß für einen Moment den Kopf verloren haben. Dieses Biest, auf Armeslänge von mir –« Jorry schauderte und schwieg ein paar Sekunden. Dann fragte er weiter: »Aber wie sind wir da herausgekommen?« »Ich fand den Weg zurück zum Schlitten und gab dir die ganze Zaff-Lösung, die noch da war. Sie hat dich beruhigt und die Schmerzen gelindert. Den Schlitten habe ich dortgelassen. In einem einzigen Tag habe ich dich auf dem Rücken hergetragen. Deine Rippen sahen sehr schlimm aus, und ich glaube nicht, daß du es noch einen Tag ohne richtige Versorgung ausgehalten hättest.« »Die tun immer noch ganz hübsch weh«, räumte Jorry ein. »Hast du einen Druckverband angelegt?« Axxal nickte stolz. »Gut gemacht. Du hast mehr Talent als ich dachte, Axxal. Und wie hast du uns aus der Zitadelle herausgebracht, wo doch der Schacht blockiert war und uns das ganze Gewölbe über den Köpfen zusammengekracht ist?« Fast außer sich vor Stolz entgegnete der Quespodon lächelnd: »Ich habe den Hinterausgang gefunden.« »Möchtest du dich nicht bitte ein wenig klarer ausdrücken?«
»Weißt du nicht mehr? Als wir den Schacht hinunterkletterten, hast du gesagt, keine Rasse der Welt in der ganzen Galaxis baut sich ein Haus ohne Hintertür. Das mußte der Strom sein. Das viele Wasser mußte ja irgendwo bleiben.« »Natürlich. Sehr klug von dir. Und wo bleibt es?« »Es fließt in ein Tal hinter der Zitadelle. Ein grünes Tal, Jorry, mit Bäumen und Pflanzen.« Jorry machte ein angeekeltes Gesicht. »Solche menschenfressenden Ungeheuer wie die bei den Pyramiden?« »Nein, Jorry. Nichts dergleichen«, protestierte Axxal aufgeregt. »Richtige Bäume und Pflanzen. Eßbare Früchte, guter Boden. Und das Tal ist windgeschützt. Wie auf einer normalen Welt.« »Kaum, Axxal. Aber du hast uns herausgebracht. Ich hätte nicht erwartet, daß ein Quespodon so gut denken kann.« »Ich kann doch denken, Jorry. Ich bin doch nicht wie die anderen Quespodonen.« »Sei nicht so empfindlich, mein Junge. In der ganzen Galaxis sind die Quespodonen nicht eben wegen ihrer intellektuellen Fähigkeiten berühmt, das weißt du doch. Wenn du nicht denken könntest, wären wir alle beide tot.« »Wie Fimm und Dolul. Diese Bestien haben beide erwischt.«
Schweigend, mit gerunzelter Stirn blickte Jorry zur Seite und erwog, was er soeben gehört hatte. »Bei Dolul hatte ich immer meine Zweifel. Er sprach die Universalsprache wie wir alle, aber er sprach auch die Sprache der Tiere. Ich war mir nie ganz sicher, welches seine eigentliche Sprache war.« »Hraggellons sind doch Humaniden!« »Humanidität ist mehr als eine Sache der äußeren Erscheinung. Dolul hatte mit diesen Kreaturen mentalen Kontakt. Er wußte, wie sie denken, er konnte es spüren. Und doch haben sie ihn erwischt – Vielleicht war es falsch, ihn anzuheuern. Die vom Stamm Onhla sind nie mit anderen Rassen zurechtgekommen.« »Warum hast du ihn mitgenommen, wenn du seiner nicht sicher warst?« Normalerweise hätte Axxal sich nicht getraut, seinen Kapitän so etwas zu fragen. Jorry war nicht der Mann, der sich ausfragen ließ. Hatte er zu jemandem Vertrauen, dann sprach er frei heraus, wenn auch nicht ganz frei; er sagte immer nur soviel er wollte und nicht mehr. Er gab keine Erklärungen, keine Rechtfertigungen ab. Doch Axxal spürte, daß in seinem Kapitän eine Veränderung vorgegangen war, und das nutzte er aus. »Ich brauchte einen Onhla für dieses Unternehmen«, antwortete Jorry offen. »Ich habe mir meine Mannschaft sehr sorgfältig ausgesucht, Axxal. Nicht aus Freundschaft – sondern weil jeder etwas Be-
stimmtes konnte, was getan werden mußte. Das war mein einziger Maßstab.« »Warum hast du mich mitgenommen?« »Ich brauchte einen starken Mann, auf den ich mich verlassen kann.« Nach kurzem Zögern entgegnete Axxal darauf: »Und dazu hast du dir einen Quespodon ausgesucht, weil du dachtest, wir sind dumm. Du brauchtest einen starken Mann, aber keinen Denker.« Jorry seufzte geduldig. »Ich wollte ja keine Akademie gründen, mein Freund. Du mußtest nur stark und treu sein – ansonsten hättest du der Weiseste oder der Dümmste in der ganzen Galaxis sein können, das wäre mir egal gewesen. In deinem Fall zum mindesten war mein Urteil richtig. Bei den anderen habe ich eine ganze Menge Fehler gemacht. Sie waren unvorsichtig. Idiotisch. Mit einem bißchen Glück hätten wir diesen Planeten besiegen können. Nächstes Mal werden wir es auch schaffen.« »Keoffo war mit dabei«, sagte der Quespodon. Jorry holte tief Atem und faßte sich an die schmerzende Brust. »Na wenn schon. Bring mir noch Wasser und laß mich allein. Halt – bring mir auch noch ZaffBlätter.« »Du hast schon sehr viele bekommen, Jorry.« »Und ich will noch mehr. Die Rippen tun mir weh.
Tu, was ich dir sage, und zwar schnell, Axxal«, befahl Jorry. Axxal brachte seinem Kapitän die stark wirkende Droge. Jorry faltete eins der Blätter zu einem festen Streifen zusammen, steckte diesen in den Mund und kaute. Bald begannen seine Augen zu glänzen, und er streckte sich aus. Die Schmerzen waren verschwunden. Axxal stellte eine Karaffe Wasser neben Jorrys Koje und ging. Als Jorry wieder erwachte und nach Axxal rief, fand dieser, daß sein Kapitän nach Aussehen und Sprechweise schon wieder halbwegs der alte war. Mühsam, offensichtlich unter Schmerzen, die er nicht verbergen konnte, erhob er sich von seiner Koje, und befahl Axxal als erstes, ihm die Verbände abzunehmen. »Du brauchst sie aber noch, Jorry. Du hast möglicherweise ein paar Rippen gebrochen«, wandte Axxal ein. »Ich will sie 'runter haben. Fang endlich an, oder ich reiße mir sie selbst ab.« »Aber warum, Jorry?« »Weil es mir so paßt.« »Das ist kein Grund.« »Einen besseren Grund wirst du wahrscheinlich in der ganzen Galaxis nicht finden, mein Junge. Hör ihn und merk ihn dir.«
Während Axxal sich an die Arbeit machte, murmelte er: »Du sprichst wie Keoffo. ›Es paßt mir so.‹ Genau wie Keoffo.« »Und wer im Namen der Flammenden Ringe ist Keoffo? Ich habe dich Dutzend von Malen diesen Namen murmeln hören. Ist er ein Gott der Quespodonen?« »Wir haben keine Götter. Keoffo ist unser ÜberWesen.« »Gott oder Über-Wesen, nenn ihn wie du willst, Axxal, oder gar nicht. Es bedeutet mir wenig.« Jorry hielt inne und sagte dann, offensichtlich amüsiert: »Ich erinnere dich also an eins von euren ÜberWesen, ja?« »Manchmal muß ich an Keoffo denken, wenn ich dich reden höre, aber nicht oft. Keoffo zerstört. Wir nennen ihn den Täuscher. Er ist der Verderber der Pläne – der Unterbrecher.« »Es muß ja ein großer Trost sein, wenn so einer über dich wacht«, sagte Jorry trocken. »Glaubst du an diesen Keoffo, Axxal?« Axxal schwieg sekundenlang, dann blickte er Jorry forschend an und streckte seine mächtigen Unterarme vor. »Wenn ich mir meine Haut ansehe, dann denke ich an die Geschichte, die man sich von Keoffo erzählt: er sah, daß bestimmte Rassen wegen der Macht, andere wegen der Schönheit oder Weisheit
geschaffen wurden; und da schuf er sich die Quespodonen – einfach zum Spaß. Keine andere Rasse trägt diese Male – nur die Quespodonen. Keine andere Rasse gilt in der ganzen Galaxis als dumm und einfältig.« »Sei nicht traurig«, tröstete Jorry; »deine eigene Haut hat so gut wie gar keine Flecken, und du kannst so gut denken wie die meisten Humaniden. Du hast soviel Hirn, daß du mich an Bord der Seraph geschafft und mir einen Rippendruckverband angelegt hast. Du hast sogar unsere Waffen gerettet. Die anderen mögen dich ausgelacht haben, aber du bist noch am Leben, und sie nicht. Vielleicht bist du diesmal schlauer als dein Täuscher-Gott.« Axxal schüttelte den Kopf. »Keoffo triumphiert immer.« »Wenn du ihn läßt.« »Ich kann nichts dazu tun. Ich versuche es, Jorry, aber in dieser Galaxis gibt es keine Gerechtigkeit für Quespodonen.« Jorry lachte laut auf; doch er zuckte zusammen bei dem stechenden Schmerz, den ihm sein Lachen verursachte. Er sah Axxal an und sagte: »Axxal, mein Junge, lerne wenigstens eins vom alten Kapitän Jorry: wenn du von dieser Galaxis Gerechtigkeit verlangst, dann verlangst du etwas, was es nie gegeben hat und nie geben wird und bist ein viel größerer Dummkopf
als der Dümmste deiner ganzen Brut. Die Sterne sind nicht deine Freunde und nicht meine. Die Galaxis ist nicht dein Vater und deine Mutter. Leben heißt: du gegen alle, Axxal. Das ganze Leben ist nur ein großes Spiel, und die erste Spielregel ist: Halte dich nie an die Spielregeln. Sie ändern sich bei jedem Zug, und alle Spieler sind Betrüger. Vielleicht können wir nicht gewinnen – ich bin mir dessen nicht einmal ganz sicher –, aber wir können das Verlieren lange hinausschieben, und selbst wenn wir verloren haben, können wir uns immer noch weigern, den Verlust anzuerkennen. Man braucht Schlauheit und Geschicklichkeit, um vorn zu bleiben, und eine Menge k'Turalp'Pa-Tricks, die andere Leute so gern verdammen, weil sie zu dumm und ungeschickt sind, um sie anzuwenden. Man muß mit beiden Händen falsch spielen, bloß um sich über Wasser zu halten, und je weiter man in diesem Leben vorankommen will, desto falscher muß man spielen. Erwarte von jemanden – von irgendwem –, daß er dich fair behandelt, und du wirst zu Matsch zermahlen. Jetzt hör auf zu jammern und mach weiter. Ich habe eine Menge zu tun. Wir müssen von diesem mörderischen Planeten, ehe er uns verschluckt.« Gespannt blickte Axxal seinem Kapitän ins Gesicht. »Ich habe schon einen Kurs gesetzt. Wir sind schon seit sechsundzwanzig Wachen im Raum.«
»Du steckst ja voller Überraschungen, Axxal. Auf welchem Kurs sind wir?« »Zu dem Xhanchos.« »Das geht. Hast du den Xhanchos aus einem besonderen Grunde genommen?« »Ja«, antwortete Axxal eifrig, »du hast einmal gesagt, daß die Xhanchilion ganz verrückt nach Edelsteinen sind. Sie werden uns die besten Preise zahlen.« »Die besten Preise wofür?« fragte Jorry ungehalten. »Der Schatz liegt unter der Zitadelle.« »Wir haben die Steine, die Fimm aus der Tür gebrochen hat. Ich habe meine, und die von Fimm und Dolul und Bral habe ich den Leichen abgenommen, und –«, Axxal zügelte seine Zunge und begann, die Beweise für seine Worte aus den Taschen seines Bordanzuges herauszuholen. »Genug!« Jorry schrie vor Lachen, bis der Schmerz in seinen Rippen ihn verstummen ließ. »Axxal, so langsam kommt es mir vor, als hätte ich die Leitung dieses Unternehmens in deine Hände legen sollen. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Bring mir Essen und Wasser und laß mich allein.« Freudig führte Axxal die Befehle seines Kapitäns aus. Auch er wünschte allein zu sein und sich ins Gedächtnis zurückzurufen, was auf dieser Expedition alles passiert war. Axxal pflegte selten an seine Ver-
gangenheit zu denken; er bemühte sich nach Kräften, sie aus seinem Kopf zu verbannen, weil es eine unglückliche Zeit gewesen war. Doch Jorry hatte alte Zweifel und Unsicherheiten in ihm erweckt. Jorry hatte ihn daran erinnert, daß er unbestreitbar ein Quespodon und zugleich anders als alle anderen Quespodonen war. Die Quespodonen waren in der gesamten Galaxis wegen zweier Eigenschaften bekannt: ungeheure Kraft und geringe Intelligenz. Auf jeder Welt, selbst auf ihrer Heimatwelt waren sie die Untergeordneten. Quespodonen dienten als Zugtiere für fortschrittliche Rassen und als Zielscheibe des Spottes für alle, die sie kannten. Sie konnten in Steinbrüchen arbeiten, um die Eitelkeit kleiner Könige zu befriedigen, oder zum flüchtigen Amüsement müder Aristokraten als Kämpfer in der Arena sterben; sie durften die Lasten anderer Rassen tragen und sich von Glücklicheren vorschreiben lassen, wie sie zu leben hatten; doch nirgends waren die Quespodonen ihre eigenen Herren. Selbst auf ihrem Heimatplaneten Dumabb-Paraxx beherrschten Kolonien von Anderweltlern die Geschäfte des Planeten und seiner Bevölkerung. Für die meisten Quespodonen war das die allgemein anerkannte Ordnung der Galaxis. Gegen sie zu rebellieren oder sie auch nur in Frage zu stellen bedeutete, den Zorn Keoffos zu riskieren, der diese
Ordnung geschaffen hatte, weil es ihm so gefiel. Doch Axxal hatte Momente, in denen er zweifelte. Er erinnerte sich noch an den weit zurückliegenden Tag, als sein Vater gehört hatte, wie er voller Angst von Keoffo sprach, und zu ihm gesagt hatte: »Ich frage mich manchmal, ob Keoffo uns zu seinem Vergnügen geschaffen hat, oder ob die Anderweltler Keoffo geschaffen haben, damit er uns so machte, wie wir sind.« Axxal erbebte bei solchen Worten, denn er wußte, Keoffo würde dergleichen Reden nicht ungestraft hingehen lassen. Doch als eine gewisse Zeit vergangen war, ohne daß etwas geschah, überlegte er sich die Sache und brachte schließlich den Mut auf, seinen Vater zu drängen, daß er ihm das näher erkläre. Sein Vater sagte, er solle nur abwarten. Axxal wartete, und eines Tages fiel der Schlag: Sklavenhändler vom Daltresko nahmen seine Eltern mit. Ganz offensichtlich war das eine Strafe, und Axxal war voller Angst, daß der Zorn des Täuschers auch ihn treffen würde. Doch der unberechenbare Keoffo geruhte, Toleranz zu üben. Er sandte die Seraph auf Axxals Welt. Jorry nahm den verwaisten Quespodon trotz des Einspruchs der Mannschaft als Kapitänssteward an Bord und hatte ihn immer gut behandelt. Schon einfach aus Dankbarkeit war Axxal seinem Kapitän treu, konnte sich aber nie dazu aufschwin-
gen, ihm voll und ganz zu vertrauen. Für Jorry waren Menschen nicht Menschen, sondern bloße Werkzeuge zur Erreichung seiner Ziele. Jetzt, da die anderen tot waren, erwähnte Jorry nicht einmal mehr ihre Namen, es sei denn, um ihnen die Schuld am Scheitern der Expedition zuzuschieben. Er betrachtete sie nicht als verlorene Kameraden, sondern wie zerbrochene oder abgenutzte Werkzeuge. Sie waren ihm gleichgültig; und Axxal wußte, daß er selbst ihm genauso wenig bedeutete, wie die anderen. Jorry nannte ihn ›mein Junge‹ und ›guter Kerl‹, doch Axxal wußte ganz gut, daß er gegebenenfalls entbehrlich sein würde. Die k'Turalp'Pa waren eine kalte Rasse, so unberechenbar und kapriziös wie Keoffo selber. Noch schlimmer war, Axxals Ansicht nach, daß die k'Turalp'Pa eng mit den Pionieren von der Alten Erde verbunden waren. In den Tagen der ersten Kontakte hatten die Menschen der Alten Erde wenig dazu getan, sich bei ihren galaktischen Nachbarn beliebt zu machen. Die Quespodonen waren nicht einmal am schlimmsten behandelt worden, doch sie bewahrten schmerzhafte Erinnerungen an diese Zeit. Axxal repräsentierte die zwölfte Generation seiner Familie, die außerhalb des Heimatplaneten geboren und aufgewachsen war; und er fragte sich oft, ob er deswegen so anders war. Die anderen Quespodonen hatten blaue und dunkelrote Flecken auf ihrer blassen
Haut; Axxals Flecken waren kaum zu sehen, seine Haut war fast überall gleichmäßig rotbraun. Und zum Unterschied von den anderen Quespodonen konnte er denken und Schlußfolgerungen ziehen. Andernfalls lägen er und Jorry jetzt unter der Zitadelle. Das hatte Jorry selbst gesagt. Doch wie, fragte er sich, konnte es so sein? Er war von reinem Quespodon-Blut. Keine andere Rasse würde sich freiwillig mit der seinen vermischen. Und doch war er anders. Das mußte einen Grund haben, und den mußte er herausbekommen. Vielleicht war es auch nur eine Laune des Täuschers; er konnte es nicht wissen. Oftmals grübelte er darüber nach. Steckte Keoffo wirklich hinter allem, was seinem Volke zustieß? Oder hatte sein Vater recht gehabt, wenn er daran zweifelte, daß der Täuscher überhaupt existierte? Ein Volk, dem von Geburt an gelehrt wurde, daß es nicht mehr sei als der Jux eines Über-Wesens, geschaffen zum Amüsement einer ewig unergründlichen Macht, ein Volk, dessen Freud und Leid von Wunsch und Laune dieser Macht abhing, gezeichnet als Objekt des Spottes und der Verachtung einer ganzen Galaxis – so ein Volk mußte schließlich an seine eigene Minderwertigkeit glauben. Und schließlich wurde aus Glauben Wirklichkeit. Bis jetzt hatte Keoffo stets triumphiert. Aber vielleicht nur, weil die Quespodonen,
wie Jorry gesagt hatte, es ihm gestatteten. Vielleicht konnte Keoffo – wenn er überhaupt existierte – selbst getäuscht werden. Lange und tief dachte Axxal über diese Dinge nach, doch fand er keine Lösung. Er mochte Jorry nichts von seinen Sorgen erzählen, weil der ihn verspotten würde, doch während der langen Reise zum Xhanchos versuchte er, von seinem Kapitän soviel wie möglich zu lernen. Die Routinearbeit an Bord eines Eigenantriebschiffes war minimal, und Jorry war noch Rekonvaleszent. Daher hatten sie viel Zeit zu Gesprächen. »Einen Fehler bedauere ich mehr als alle anderen«, sagte Jorry nach einer langweiligen Mahlzeit; »ich hätte einen Barden oder Geschichtenerzähler anheuern oder dir wenigstens das Schachspiel beibringen sollen, oder Quist, oder Saakosi. Diese Langeweile macht mich ganz verrückt, Axxal.« »Noch ein paar Wachen, dann kannst du herumgehen und dir etwas Bewegung machen.« »Danke. Auf dem Boroq-Thaddoi habe ich jede Bewegung gehabt, die ich brauche. Ich will keine mehr, bis wir auf dem Xhanchos landen, und dann werde ich mir mit einer wunderschönen grünen Gafaal-Dame Bewegung machen. Hast du jemals eine Gafaal-Kurtisane gesehen, Axxal?« »Nein. Ich habe gehört, daß sie sehr schön sind.«
»Oh, das sind sie; ganz bestimmt, mein Junge«, erinnerte Jorry sich genüßlich. »Gefährtinnen von Königen und Kaisern sind die Gafaal-Damen – doch für Sternfahrer haben sie auch was übrig.« »Tatsächlich, Jorry?« »Jawohl. Und ich kann dir sagen, daß sie besonders nett zu zwei Sternfahrern sein werden, die mit einem einzigen Edelstein den halben Xhanchos kaufen könnten.« »Nichts für mich«, entgegnete Axxal. »Quespodonen halten sich an ihre eigenen Frauen.« Jorry sah ihn nachdenklich an und erwiderte dann: »Entschuldige meine Taktlosigkeit, Axxal; doch ich war immer der Meinung, daß die Quespodonen so treu sind, weil sie keine Wahl haben. Du dagegen hast die Wahl. Du bist jetzt ein reicher Mann; außerdem sieht man dir kaum an, daß du ein Quespodon bist. Und du hast auch einen guten Verstand. Warum amüsierst du dich nicht ein bißchen, solange du kannst?« »Ich bin wie ich bin, Jorry. Ich kann mich nicht ändern, obwohl ich allenfalls manche Leute täuschen könnte.« »Immer noch Angst vor Keoffo, ja?« »Manchmal schon«, gab der Quespodon zu, »und manchmal wieder denke ich an die alten Geschichten und kann bloß darüber lachen. Die taugen nur für Kinder.«
»Was gibt es denn in deinem Volk für Geschichten über seinen Ursprung?« »Vor langer, langer Zeit, als das erste Über-Wesen, der Herr aller Sterne, Bewohner für seine Welten schuf, fing er damit an, daß er alle guten Eigenschaften sammelte, die er den Völkern geben könnte«, begann Axxal, »und dann nahm er immer eine Eigenschaft und schuf sich eine Rasse dazu, die sich ihrer erfreuen konnte. Für die Tapferkeit machte er die Skeggjatten, für den Stolz die Lixianer, für die Klugheit die k'Turalp'Pa, für Schnelligkeit die Malellanen, für die Geschicklichkeit die Quipliden, und immer so weiter für alle bekannten Rassen der Galaxis, bis auf die Quespodonen. Endlich war nur noch die Kraft übrig, und der Herr der Sterne beschloß, noch etwas zu warten, ehe er die letzte Rasse schuf. Er legte sich schlafen, und als er schlief, kam Keoffo, der Täuscher. Er war neidisch auf den Herrn der Sterne und wollte ein Volk ganz für sich allein, dem er seine Streiche spielen konnte. Er stahl die letzte gute Eigenschaft und machte den ersten Quespodon. Doch der Herr der Sterne erwachte, bevor Keoffo fertig war. In seinem Zorn schlug er Keoffo mit seiner Meßlatte – daher hinkt Keoffo – und warf ihn aus der Wohnstätte der Über-Wesen hinaus. Im Fallen schleuderte Keoffo die Quespodonen, die er gemacht hatte, auf die Welt, die Dumabb-Paraxx heißt – die unfertige Welt. Es war
ein tiefer Fall, und sie schlugen hart auf, und die Beulen sind noch bei allen ihren Abkömmlingen zu sehen.« »Dieser Keoffo scheint ja ein Scherzbold von der sauren Sorte zu sein«, bemerkte Jorry munter. »Unter seiner Herrschaft würde ich nicht gern leben mögen.« »Das ist ja nur eine Geschichte.« »Das sagst du so, Axxal. Ich glaube, für dich ist es mehr als eine Geschichte; doch das ist deine Sache, nicht meine. Sag mal, lernen alle Quespodonen diese Geschichte?« »Jawohl.« Jorry grunzte nachdenklich, nickte und schwieg eine Zeitlang. Dann sagte er: »Jetzt werde ich dir dafür eine andere Schöpfungsgeschichte erzählen. Die stammt von den Thorumbianern. Collen hat sie mir einmal vorgesungen.« Jorry trank einen Schluck Wasser, räusperte sich, nippte nochmals am Wasser, legte die Füße auf den Tisch und stimmte ein melodisches Lied an: »Schöpfer nahm trockenes Ried, Benetzte es mit dem Speichel seines Mundes, Schuf die langen, dürren Leute, Nannte sie Lixianer. Schöpfer sah sie prüfend an, war noch nicht zufrieden, Nahm die runden Kiesel aus dem Flußbett,
Trocknete sie mit dem Hauch seines Mundes, Schuf die harte, runde Rasse, Nannte sie Quespodonen.« »Das stimmt nicht, Jorry. So wurden die Quespodonen nicht geschaffen.« »Spielt doch keine Rolle. Ich glaube ja auch nicht deinen Bericht über die Schöpfung der k'Turalp'Pa, aber ich habe nichts dazu gesagt. Ich lasse jetzt das andere aus und singe gleich den Schluß«, sagte Jorry ungeduldig und sang weiter: »Schöpfer sah sich alle seine Geschöpfe an, Alle Rassen auf allen Welten, Und mit keiner war er zufrieden. Da nahm er schwarze Erde von den hohen Bergen, Knetete sie mit seinen starken Händen, Tropfte dunkles Blut aus seinen Adern dazu, Trocknete das Ganze in der Sonne, Sprach es an mit starken Worten, Und die schwarzen Gebilde bewegten sich und beteten den Schöpfer an, Und Schöpfer war zufrieden. Nun hatte er die Thorumbianer. Sie waren sein Volk auf ewig. Da war er zufrieden.«
»Das mit den Quespodonen stimmt zwar nicht, aber die Geschichte ist gut«, gab Axxal zu. Eine Weile schwiegen sie, dann fragte Axxal verwirrt: »Warum gibt es so viele Geschichten, und jede ist anders? Warum gibt es nicht nur eine?« »Weil sie alle nur herumraten.« »Treib doch nicht immer deinen Spott mit mir, Jorry.« »Das ist kein Spott. Ich habe mich lange in dieser Galaxis herumgetrieben, und ich habe niemanden getroffen, der genau weiß, wie und warum alles angefangen hat. Niemand weiß die Wahrheit, Axxal – das ist die Antwort auf deine Frage. Und wenn jemand die Wahrheit wüßte – warum sollte er sie verraten?« Verwirrt runzelte Axxal die Stirn und entgegnete: »Warum denn nicht? Wäre es nicht gut, wenn wir alle wüßten, warum wir da sind?« »Du redest wie die Einsiedler vom Urush-Val-Zul. Tatsache ist: wir wissen es alle. Tief im Innern, wenn wir es auch nicht zugeben, wissen wir es. Wir leben, um alles zu bekommen, was wir bekommen können und es zu behalten, solange wir können. Das ist der Sinn des Lebens. Jeder will alles haben, was er kriegen kann.« Axxal schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, Jorry. Wenn man so denkt, wird das Leben hart.« »Das Leben ist auch hart, mein Junge. Ein Quespodon sollte das besser wissen als jeder andere.«
»Aber es kann doch ein gutes Leben sein. Manchmal helfen doch die Leute einander.« »Aber nicht die von meinem Volk.« »Was hat denn dein Volk für eine Schöpfungsgeschichte?« »Wir haben uns nie die Mühe gemacht, uns eine auszudenken.« »Aber habt ihr euch denn niemals gefragt, wie ihr auf die Welt gekommen seid, und warum?« »Wichtig für uns ist einzig und allein, daß wir da sind, Axxal. Woher wir kommen, das können wir doch nicht ändern – warum sollen wir uns also darüber den Kopfzerbrechen? Laß das. Denk an die Geschichte der Thorumbianer.« »Warum?« »Vergleich sie mit deiner. Da wirst du manche interessante Unterschiede finden.« »Unterschiede kann jeder finden. Es sind ja die Geschichten zweier verschiedener Rassen.« »Ganz recht. Die Thorumbianer sind ein stolzes Volk, die Quespodonen dagegen –« Jorry brach ab und blickte Axxal erwartungsvoll an, als wolle er ihn auffordern, den Gedanken zu Ende zu denken. Als der Quespodon nicht antwortete, fuhr Jorry fort: »Also denk darüber nach, Axxal. Sag mir, wenn dir etwas eingefallen ist.«
2. Lernen Während der langen Wachen dachte Axxal viel über Jorrys Thorumbianer-Geschichte nach, und über die spöttische Aufforderung am Ende des Gesprächs. Je mehr er grübelte, desto verwirrter wurde er, und aufs bitterste verfluchte er jene unbekannte Macht, die ihn geistig so verschieden von seinem Volke geschaffen und ihm soviel Unruhe bereitet hatte. Andere Quespodonen fanden sich mit ihrem Los ab. Waren sie auch nicht glücklich, so wurden sie doch wenigstens nicht von Fragen beunruhigt, auf die es keine Antwort gab. Axxal jedoch hatte diese innere Ruhe eingebüßt. Eine Tür hatte sich ihm aufgetan, nach der er nicht gesucht hatte. Aus eigenem Willen hatte er die ersten zögernden Schritte ins Freie getan, und jetzt konnte er nicht mehr zurück. Jetzt mußte er Tag für Tag mit seinem Problem leben; und obwohl er zu keinem anderen Schluß kam als dem, daß Neugier und kritischer Verstand unbequeme frustrierende Gaben für einen Quespodon sind, so wußte er doch genau, daß er nicht glücklich wäre, wenn sein Geist wieder zur Ruhe fände und er nicht mehr zu denken brauchte. Es gab soviel zu lernen, und Jorry war der Einzige, an den er sich wenden konnte, wenn er Führung brauchte. Doch je näher die Seraph dem Planeten
Xhanchos kam, desto schwieriger fand es Axxal, mit ihm zu sprechen. Jorrys Wunden waren gut verheilt, doch die Expedition zum Boroq-Thaddoi hatte ihn verändert. Er blieb für sich und trank viel StepmanWein. Er ärgerte sich leicht. Er lachte nicht mehr so oft, und sein Lachen bekam einen bitteren Beiklang. Und oft genug lachte er über sich selbst. Nach ein paar mißglückten Versuchen, mit seinem Kapitän ins Gespräch zu kommen, gab Axxal es auf und befaßte sich mit dem Studium der Seraph und ihrer Funktionsweise. Wenn er nicht über sich selbst Bescheid wissen konnte, so überlegte er, dann wollte er wenigstens über das Schiff Bescheid wissen. Sein Geist sollte nicht träge werden. Axxal und alle seine Zeitgenossen hatten viel zu lernen, doch sie hatten keine lebenden Lehrer. Die Eigenantriebschiffe, die sie von einem Planetensystem zum anderen trugen, waren schon vor Jahrhunderten gebaut worden. Sie waren die Produkte einer Technologie, die für immer zusammengebrochen war, als die Bewohner der Alten Erde, die größten Techniker in der Geschichte der Galaxis, über alle Sterne verstreut worden waren wie Sandkörner im Hurrikan. Die Schiffe blieben, doch die Zivilisation, die sie geschaffen hatte, war vergessen. Ihre Aufzeichnungen waren verlorengegangen, über tausend Welten verstreut in Form von Mythen und Legenden. Die Wroblewski-
Spulen, das eigentliche Herzstück des Lichtgeschwindigkeitsantriebs, arbeiteten noch so zuverlässig und fehlerlos wie bei der Jungfernfahrt vor sechshundert Jahren, doch ihr Grundprinzip war längst vergessen. Wenn ein Teil abgenutzt war oder brach – was selten vorkam –, so konnten die Besatzungen oder sogar die Passagiere – vorausgesetzt, daß sie lesen konnten – ihn nach den alten Bord-Handbüchern ersetzen. Doch diese Handbücher sagten nichts über Zweck und Funktion des betreffenden Teils. Die Eigenantriebschiffe waren seinerzeit entworfen worden, um die Flüchtlinge eines verfaulenden Planeten zu Millionen auf andere Sterne zu bringen; sie waren buchstäblich narrensichere Konstruktionen. Und da die Pioniere nicht zu wissen brauchten, wie ihre Schiffe funktionierten, so kümmerten sie sich auch nicht darum. In der Ära des großen Exodus, im einundzwanzigsten und zweiundzwanzigsten Jahrhundert des Galaktischen Standardkalenders, produzierten die Fabriken der Alten Erde Raumschiffe zu Tausenden. Noch für die Sternfahrer der nächsten Jahrhunderte waren sie in genügender Anzahl und ausreichender Typenvielfalt vorhanden. Die Pioniere der ersten Welle siedelten sich dort an, wo sie landeten, denn sie waren von den ersten Erfahrungen in der galaktischen Raumfahrt so erschüttert,
daß sie jeden Gedanken daran verdrängten und die historischen Zusammenhänge ihrer Vertreibung auf andere Sterne einfach nicht wissen wollten. Für ihre Enkel, die zweite Welle der Raumfahrt, waren die Raumschiffe etwas so Selbstverständliches wie fliegende Teppiche oder Flügelpferde für die Menschen in den alten Sagen. Die Dinger flogen eben und trugen sie an die Grenzen der Galaxis. Sie kümmerten sich nicht darum, wie das funktionierte. Sie fuhren einfach los. Axxal befand sich also in der Situation etwa eines Höhlenmenschen der Alten Erde, der plötzlich im Führerstand einer Lokomotive des neunzehnten Jahrhunderts oder am Steuer einer Raumfähre des einundzwanzigsten Jahrhunderts steht. Diese ungeheure, beängstigende Maschine bewegte sich; mit einiger Mühe konnte er sogar lernen, sie zu lenken. Aber was sie eigentlich in Gang brachte, davon hatte er keine Ahnung – vielleicht waren es Geister. Axxals Verstand war weder so schnell noch so kompliziert wie der Jorrys, aber methodisch – ein gutes Werkzeug für das langsame, geduldige Aufdröseln eines vielschichtigen aber handgreiflichen Problems. Er befaßte sich mit dem Funktionieren der Seraph, verfolgte komplizierte Leitungen von Anschluß zu Anschluß, stellte fest, wozu sie dienten, obwohl er immer noch nicht ergründen konnte, wie sie das machten; er bekam sogar heraus, was der Seraph die
stabile Atmosphäre und die planetarische Gravitation verlieh. Mit äußerster Mühe entzifferte er die Bedeutung der schwebenden Lichtpunkte im Sicht-Tank, der das Frontstück bildete, und erfaßte die Grundbegriffe der interstellaren Navigation. Bis dahin war er nur imstande gewesen, die Seraph auf ein vorprogrammiertes Ziel zu richten; jetzt sah er, daß es möglich war, sich seinen Bestimmungsort auch während des Fluges aus allen kartographierten Welten auszusuchen. Es waren schwierige, manchmal enttäuschende Tage für Axxal. Er hatte viel zu lernen, und er wußte nicht, wie er es anfangen sollte. Aber er ließ nicht nach und fand schließlich den Lohn für seine Mühe. Noch war ihm vieles ein Geheimnis, doch das Bewußtsein seiner Unwissenheit verdarb ihm nicht die Freude an den neuerworbenen Kenntnissen. Einmal, am Ende einer Wache, kam Jorry auf die Kommandobrücke und fand Axxal vor, der die hellen Lichtpunkte in der Tiefe des Sicht-Tanks studierte. Jorry sagte zunächst kein Wort, und Axxal merkte gar nicht, daß er da war. Als Jorry zu sprechen begann, fuhr er erschrocken herum. »Hier steckst du also. Was glaubst du denn, was du dir da ansiehst – einen Kinofilm?« fragte Jorry. »Nein. Ich versuche zu begreifen, wie das funktioniert.« »Ach nein? Und warum interessierst du dich auf
einmal so für Navigation? Hast du irgendwelche Pläne, von denen ich nichts wissen soll?« Diese Anschuldigung schmerzte Axxal. »Nein, Jorry. Ich will nur etwas lernen.« »Das muß aber sehr frustrierend für dich sein, mein Junge. Allein kannst du nichts lernen, und ich habe keine Zeit, dir Unterricht zu geben.« Axxal erwiderte schnell und eifrig: »Ich kann allein lernen, Jorry. Ich habe herausbekommen, wie die Luft rein bleibt, obwohl die Seraph dicht versiegelt ist; und das Lenksystem verstehe ich auch, glaube ich.« »Da mußt du ja eine Menge Zeit gehabt haben. Hast du nichts zu tun, daß du Wache um Wache damit vertrödeln kannst, deine Nase in das Funktionssystem der Seraph zu stecken?« fragte Jorry irritiert. »Das ist es ja gerade, Jorry. Das Schiff fährt sich selbst, und das interessiert mich eben.« Jorry hörte sich das unbewegt an, nickte und gab dann zu: »Um die Wahrheit zu sagen, ich habe es selbst nie so richtig begriffen, und es ist mir auch egal. Sie ist ein gutes Schiff, mehr brauche ich nicht zu wissen, und es paßt mir nicht, daß ein Quespodon mehr von meinem eigenen Schiff weiß als ich. Außerdem ist mir nach einer Flasche Stepman-Wein zumute, und ich habe keine Lust mehr, allein zu trinken. Komm mit, mein Freund. Du bist zum Kapitänstisch geladen. Fühle dich geehrt.«
Dagegen war nichts zu machen. Er mußte Jorry gehorchen. Er hätte lieber weiter den Sicht-Tank studiert, doch er tröstete sich damit, daß Jorry stets gesprächiger wurde und freier antwortete, wenn er trank. Der Sicht-Tank lief ihm ja nicht weg; hier hatte er die Chance, andere Dinge zu lernen. Jorry war in der Tat gesprächiger, aber nicht so, wie Axxal es sich gewünscht hätte. Jorry brauchte einen aufmerksamen Zuhörer beim lauten Nachdenken über seine eigenen Probleme. Er trank viel, und dabei wurde er immer bitterer. »Noch sechs Wachen bis zum Xhanchos«, überlegte er, als er den dritten Becher füllte. »Weißt du etwas über den Xhanchos, mein Junge? Sag mir doch, was du während deiner in tiefschürfenden Studien verbrachten Wachen alles über die Galaxis gelernt hast?« »Über den Xhanchos gar nichts. Ich weiß nur, daß er ein Wüsten-Planet ist.« »Ein Wüsten-Planet. Dein Wissen ist begrenzt, aber insoweit richtig. Der Xhanchos ist ein heißer, trockener, sandiger, felsiger, ungastlicher Planet, aber die Stadt Xhancholii ist ein Paradies. Das habe ich jedenfalls gehört, und ich werde es glauben, bis ich mit eigenen Augen sehe, daß es nicht so ist. Ein Fleck der Schönheit in einer häßlichen Wüstenwelt. Ein prächtiges Symbol für diese ganze stinkige Galaxis, würde ich sagen. Ah, diese Stadt – kühle Gärten, Spring-
brunnen, Türme, welche die Höhenwinde einfangen sollen – Und Gafaalfrauen zur Begrüßung. Wenigstens zur Begrüßung für den alten müden Kapitän Jorry. Sag mir doch, Axxal, was machst du eigentlich mit deinem Anteil? Du hast doch genug Zeit gehabt, Pläne zu machen.« Axxal runzelte die Stirn. Nach einigem Nachdenken sagte er: »Ich weiß nicht.« »Du bist reich – ist dir das klar? Ich teile genau halb und halb – die Hälfte für dich, die Hälfte für mich. Nach Abzug des Kapitänsanteils, heißt das natürlich. Den Kapitänsanteil dürfen wir doch nicht vergessen, nicht wahr? Ist dir das fair genug?« »Aber sicher, Jorry. Ich vertraue dir.« »Du vertraust ja jedem. Du tätest gut daran, nicht so vertrauensselig zu sein, wenn du mit dem Preis für einen ganzen Planeten durch die Straßen von Xhanchos spazierst. Sag doch, was würdest du gern machen?« Hilflos schüttelte Axxal den Kopf. Es fiel ihm schwer, seine Gedanken beieinander zu halten. »Ich sage dir doch, Jorry, ich weiß es nicht. Ich habe darüber noch nicht nachgedacht.« Jorry stellte den Becher hin und zeigte mit dem Finger auf seinen Steward. »Das ist eben das Schlimme mit dir, Axxal, du denkst nicht über die Dinge nach, mein Junge. Und da hast du ein hübsches Stück
Ironie, denn das größte Problem des alten Kapitäns Jorry ist ja gerade, daß er über die Dinge nachdenkt. Wir sind beide vertrauensseliger, als für uns gut ist, und doch denke ich zuviel und du zuwenig. Jorry denkt und plant und intrigiert und arbeitet alles bis zum letzten Detail aus – und er fängt es ganz sorgsam an, ohne Übereilung, so geduldig wie man nur sein kann – und letzten Endes, was passiert? Wenn er einer Legende nachgegangen ist, die ein galaktisches Jahrhundert lang alle Sternfahrer gereizt hat und eine Welt gefunden hat, von der die meisten schwören, daß es sie überhaupt nicht gibt, und einen Weg ausgeknobelt hat, in eine Zitadelle zu brechen, die gebaut wurde, um ganzen Armeen standzuhalten – was passiert, Axxal?« Axxal, dessen Gedanken etwas durcheinandergeraten waren, erwiderte: »Er kommt mit einem Sack voll Juwelen wieder heraus. Das ist doch gar nicht so schlecht, Jorry?« Jorry schenkte sich ein. Er dachte über Axxals Worte nach und nickte gewichtig. »Nein, das ist gar nicht so schlecht. Wir haben schließlich doch noch Glück gehabt.« Er tat einen langen Zug und sprach weiter: »Aber was hat das ganze Denken für einen Zweck, wenn schließlich doch alles vom Glück abhängt? Warum suche ich mir meine Truppe Mann für Mann aus, wenn ich doch nichts weiter bekomme als
Schlafmützen und ungeschickte Narren, die keinem Steinblock ausweichen oder ein blödes, augenloses Vieh abwehren können? Bral war der erste Krieger, den ich je gesehen habe, und er starb, weil ihm eine Mundvoll Luft fehlte. Du hattest Verstand genug, den Arm zu heben, doch Bral – Rull-Lamat hätte es vorher wissen können. Und sogar Jimm, der arme kleine Jimm hat nicht richtig aufgepaßt –« »Aber wir sind wieder herausgekommen, Jorry, und nicht mit leeren Händen. Das ist doch mehr, als bisher jemand erreicht hat.« Lange gab Jorry keine Antwort. Er kratzte sich den Nacken, rieb sich den Kopf, runzelte die Stirn. Schließlich setzte er den Becher hart auf den Tisch und sagte laut: »Ich bin ein k'Turalp'Pa. Pläne aushecken und Projekte machen ist mein ganzes Leben. In einem Kosmos ohne Regeln, ohne Sinn schaffe ich Ordnung. Einen kurzen Augenblick beherrsche ich das Universum mit meinem Geist.« »Das vermag niemand, Jorry! Es kommt nie so, wie wir planen!« Jorry grinste sardonisch. »Dafür gib dem Universum die Schuld, mein Junge, nicht mir oder meinem Volk. Wer nicht weiß, was sich gehört, ist das Universum. Ich habe den größten Teil eines Menschenlebens damit verbracht, die Expedition auf den Boroq-Thaddoi zu planen, mein Plan war perfekt und ich habe die Mannschaft persönlich ausgesucht – und doch ist es schief-
gegangen. Was nützen mir eine Handvoll Steine, wenn ich weiß, daß es schiefgegangen ist? Axxal, ich habe ein langes und arbeitsreiches Leben unter diesen Sternen gelebt. Ich habe leichtgläubigen Narren Projekte verkauft, Raketenschiffe ihren Besitzern unter der Nase weggenommen, mich aus drei Hinterhalten der Schwarzjacken herausgehauen. Ich war König eines feinen Planeten. Die Windläufer vom Triffitt nannten mich einen Gott. Und ich habe auch als Gefangener in den schlimmsten Verliesen der Galaxis gesessen. Aber ich habe nie aufgehört zu hoffen, daß ich der sein werde, der den Boroq-Thaddoi besiegt. Eine große Tat, die mich über all mein Volk erhebt – und dann würde ich mich zur Ruhe setzen und leben, wie es mir gefällt. Wir sind eine langlebige Rasse, Axxal, und ich wollte meinen Teil an diesem Leben damit zubringen, daß ich genieße, was ich erreicht habe. Und was habe ich zu genießen? Meinen Mißerfolg.« »Wie kannst du das Mißerfolg nennen, Jorry? Wir leben noch, wir haben die Seraph, wir haben die Steine. Das ist doch kein Mißerfolg.« »Aber ich habe nicht alles, Axxal. Für mich und für jeden k'Turalp'Pa ist das ein Mißerfolg.« »Du hast mehr zustandegebracht, als jemals irgendein anderer.« »Ich konkurriere nicht mit anderen Leuten. Niemand hat jemals eine Tat vollbracht, die wert wäre,
daß man sie übertrifft. Ich konkurriere mit mir selbst, mit meinen eigenen Plänen. Ich fahre wieder hin, und dann bekommen ich alles. Jetzt kenne ich ja den Weg.« Jorry trank seinen Becher aus, schenkte sich neu ein und sagte brüsk: »Geh jetzt, Axxal. Geh irgendwohin und studiere die Eingeweide der Seraph. Ich muß Pläne machen. Ich sage dir, wenn es Zeit ist, das Landemanöver anzusetzen. Geh!« Sofort verließ Axxal leicht schwankend den Raum. Der Wein und Jorrys Verhalten hatten ihn mächtig durcheinandergebracht. Die restlichen Wachen vergingen, und der Moment der Transition kam. Die Seraph verringerte die Fahrt bis unter die Schubgeschwindigkeit. Die Sterne erschienen wieder und funkelten auf den Sichtschirmen. Eine wolkenlose, in Gold gebadete Welt ragte im Hauptmonitor vor ihnen auf. Laut Karte gab es nur einen einzigen Landering, tief in der Wüste. Der Scanner der Seraph zeigte jedoch noch einen zweiten, neueren, dicht vor Xhancholiis Mauern. In diesen Ring landete Jorry die Seraph.
3. Monarch von Xhanchos In der lockeren graugegürteten Tunika eines Freien Händlers und seines Dieners machten sich Jorry und
Axxal auf zum Tor der hohen Mauer, die Xhancholii umschloß. Es wurde Nacht. Die Stadt erstrahlte unter drei vollen Monden und einem dicht mit Sternen besäten Himmel. In regelmäßigen Abständen glomm sanfter Laternenschein auf der Mauerkrone. An seinem Körper verborgen trug Jorry einen fehlerlosen Edelstein mit sich. Die anderen hatte er an Bord der Seraph gelassen, die hinter ihnen, gegen Eindringlinge geschützt, über dem Landering schwebte. Als sie ans Tor kamen, traten vier Männer heraus und kamen ihnen zu Fuß entgegen. Sie gefielen Jorry keineswegs. Sie waren groß und breit, dunkelhaarig, bleichhäutig, sahen sich sehr ähnlich und trugen einheitlich farbenprächtige Uniformen. Er hatte solche Männer schon gesehen und wunderte sich über ihr Auftreten hier am Ort. »Sind das Xhanchilion?« fragte Axxal verwirrt. »Sie sehen eher so aus wie deine Landsleute.« »Das sind Skoraten. Ich habe gehört, daß sich die Xhanchilion Sklaven von anderen Welten halten, aber diese hier sind nach Gang und Haltung keine Sklaven. Ich glaube, es ist am besten, wenn du von jetzt an absolut nichts weißt, Axxal. Ich werde ihnen schon erzählen, warum wir hier sind, sobald sich die Lage geklärt hat; aber ich will nicht, daß du mit irgend jemandem sprichst, verstanden?«
Axxal nickte. Die Skoraten waren inzwischen in Hörweite. Jorry hob die Hand zum Friedensgruß und rief sie an. Ihre Hände blieben an den Schwertgriffen und ihre grimmigen Mienen unverändert. Jorry blieb stehen und hakte einen Daumen in seinen Gürtel, bereit, seine verborgenen Messer zu ziehen, wenn es sich als nötig erweisen sollte. Auch die Skoraten blieben in einer Reihe vor ihnen stehen, und ihr Anführer redete Jorry in der Universalsprache an. »Wer seid ihr, und was wollt ihr auf dem Xhanchos?« »Ich bin Kian Jorry, Freier Kaufmann. Das ist mein Diener Axxal. Wir kommen in Frieden und wollen Geschäfte machen.« »Seid ihr Sklavenhändler?« »Sehe ich wie ein Daltreskaner aus? Und sieht das hier wie ein Sklavenschiff aus?« fragte Jorry und wies mit dem Daumen auf die Seraph. »Ihr habt keine Fragen zu stellen, sondern zu beantworten«, entgegnete der Skorat. »Nein, wir sind keine Sklavenhändler. Wir wollen Geschäfte machen, ich sagte es.« »Was führt ihr für Waren mit? Ich sehe keine.« »Das will ich gern mit dem zuständigen Beamten erörtern, wenn du mich zu ihm führst.« Der Skorat dachte kurz über diese Antwort nach, dann hielt er leise mit seinen Gefährten Rat. Axxal
schob sich näher an Jorry heran und flüsterte: »Verlassen wir lieber diesen Planeten wieder! Mit diesen Vieren können wir schon fertigwerden. Sie sind nicht größer als wir.« »Das könnten wir schon, aber wir kämen nicht zur Seraph zurück.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf ein Dutzend berittener Skoraten, die auf großen Wüsten-Haxopoden im Schatten des Tores warteten. »Sei ruhig, Axxal. Skoraten geben immer mächtig an, aber wenn sie merken, daß man keine Angst vor ihnen hat, sind sie ganz friedlich.« Jorry hatte recht. Er und Axxal wurden durch die Stadt zum Palast geführt, und auf dem Wege sah Jorry manches, das auf einen Wechsel im Regime Xhancholiis hindeutete. Die Straßen waren auffallend leer. Er hatte gehört, diese Stadt sei volkreich und geschäftig; jetzt sah sie aus wie nach einer großen Seuche oder einer furchtbaren Schlacht. Er sah nicht einen männlichen Xhanchilion und nur wenige Frauen. Nirgends hörte er die dieser Kultur eigentümliche hohe, zwitschernde Sprache. Überall waren nur Anderwelter zu sehen: Trulbaner, Quespodonen, Agyari, Zotaronen, Männer vom Gilead und Skorat, kraftvolle Skeggjatten und noch andere Rassen, die er nicht kannte. Die Luft war voll von den gutturalen Lauten der Universalsprache, gepfeffert mit den Flüchen und Ausdrücken der Muttersprachen der ver-
schiedenen Rassen. Aus seinem eigenen Volk sah Jorry niemanden, und das freute ihn. Hier war kein k'Turalp'Pa, weil die k'Turalp'Pa von vornherein zu schlau waren, um sich gefangennehmen zu lassen. Was zuerst nur eine Vermutung gewesen war, wurde Jorry zur Gewißheit: die Xhanchilion waren gestürzt worden, und ihre früheren Sklaven waren jetzt die Herren der Stadt. Die Tatsache, daß einige Anderweltler schwer verwundet waren, auf Stümpfen daherhinkten, einäugig oder einarmig waren, bestätigte ihn in seiner Meinung. Wenn man solche Krüppel auf der Straße sah, mußte es ein neues Regime geben. Unter den Xhanchilion wären sie liquidiert worden. Jorry wandte sich an den Skorat, der neben ihm ging und fragte beiläufig: »Wie lange ist es her, daß ihr die Xhanchilion gestürzt habt?« Der Wächter warf ihm einen kalten Blick zu. »Lange genug, Händler. Tut es dir leid? Hättest du lieber mit diesen plattgesichtigen Sklaventreibern Geschäfte gemacht?« »Keineswegs, mein Freund. Ich gestehe, daß ich erleichtert bin. Ich habe von Männern gehört, die herkamen, um Handel zu treiben und dann plötzlich in einem Steinbruch in der Wüste arbeiteten.« »Und doch bist du hergekommen? Da mußt du ja ganz schön geldgierig sein.«
Jorry sah ihn unbefangen an. »Beim Handel ist es wie im Krieg. Je größer das Risiko, desto höher der Gewinn.« Stirnrunzelnd dachte der Skorat über diese Worte nach und sagte dann: »Rede keinen Unsinn. Handel ist nicht wie Krieg.« Jorry zuckte die Achseln. »Wie du meinst, mein Freund.« Im Palast hörten sie, daß Gariv, Monarch des Xhanchos, sie irgendwann vor Sonnenaufgang empfangen würde. Jorry war bereit zu warten, forderte aber, daß man ihnen unverzüglich zu essen bringe. Die Palastbeamten brausten zunächst auf, befahlen aber schließlich zwei jungen Xhanchilioninnen, Garivs Gästen Speise und Trank zu bringen. Beim Essen plauderte Jorry mit den Dienerinnen, scherzte mit den Gardisten und erfuhr dabei bruchstückhaft, was geschehen war. Wie er bereits vermutet hatte: die Sklaven hatten sich ihres Lagers in der Wüste bemächtigt und sich bewaffnet. Eines Nachts hatten sie die ahnungslose Stadt überfallen. Nach einer blutigen, gnadenlosen Schlacht, die zwei Tage dauerte, waren sie die Herren Xhancholiis. Und nun, obwohl sie nicht offen darüber sprachen, gab es wachsende Spannungen unter den Siegern. Jorry bemerkte, daß die uniformierte Palastwache nur aus Skoraten und Skeggjatten, also den Krieger-
Rassen, bestand. Offenbar wurde den Angehörigen anderer Rassen bereits der Zutritt zum Thron verweigert. Jorry wurde warm ums Herz bei dem, was er hörte und sah. Er hatte das tröstliche Vorgefühl, daß er die Situation zu seinem Vorteil manipulieren konnte, sobald er genau über die Tatsachen Bescheid wußte. Erst spät in der langen Xhanchos-Nacht kam ein Gardist und verkündete, der Monarch sei bereit, Jorry zu empfangen. Er und Axxal standen auf, doch der Wachsoldat versperrte ihnen den Weg mit seinem Schwert. »Dein Diener bleibt hier«, befahl er. »Ich möchte ihn lieber mitnehmen«, sagte Jorry. »Der Monarch des Xhanchos empfängt keine Quespodonen.« Jorry sah ein, daß es keinen Sinn haben würde, sich über das höfische Protokoll des neuen Herrschers zu streiten. Er bedeutete Axxal zu warten und betrat den Thronsaal allein. Es war ein großer, sechseckiger Raum mit Kacheln und Wandmalereien in einem barbarisch farbenfreudigen Muster. In vier der sechs Ecken standen Gardisten, riesige Burschen, Skeggjatten dem Aussehen nach; und in der Saalmitte erhob sich ein Doppelthron. Auf dem höheren und größeren Sessel saß ein Mann von etwa Jorrys Größe, doch kräftigerem Körperbau. Kopfhaar und Bart waren dunkel wie bei allen Skoraten, doch schon deutlich mit weißen Sträh-
nen durchsetzt. Trotz dieses Alterszeichens schien er in den besten Mannesjahren zu stehen. Mit Würde trug er das glänzende Wehrgehenk des Offiziers über seiner schmucklosen Tunika und eine einfach gearbeitete Krone auf dem Haupt. Jorry warf nur einen kurzen Blick auf ihn und gönnte seinen Augen dann einen angenehmeren Anblick. Neben dem Monarchen des Xhanchos saß auf dem kleineren Thron eine Gafaal-Frau von unvergleichlicher Schönheit. Eine weich anliegende blendendweiße Robe betonte ihre volle Gestalt, die smaragdene Haut und das dunkelrote Haar. Ihr Haar und die schlanken Tentakeln ihres Halses waren mit Goldschnur zu einer hohen kronenartigen Frisur verflochten. Jorry sah sie bewundernd an und verbeugte sich erst vor dem einen, dann vor dem anderen Thron. »Sag wer du bist«, befahl der Monarch. »Ich bin Kian Jorry, Euer Majestät, ein Freier Kaufmann.« »Ich bin Gariv vom Skorat, Monarch des Xhanchos. Die Frau, die dir so zu gefallen scheint, ist Santrhara, meine Nebenfrau.« Noch einmal und tiefer verneigte sich Jorry vor der Frau. »Ich habe viel gesehen auf meinen Reisen, doch nie und auf keiner Welt habe ich eine so schöne Frau gesehen wie Santrhara vom Xhanchos. Fürwahr, meine Augen sind geblendet.«
»Das ist ganz natürlich. Aber bist du gekommen, um dir die Augen zu verderben, oder um Geschäfte zu machen?« fragte Gariv brüsk. »Wo kommst du her, was hast du anzubieten, was willst du haben?« »Meine Ahnen sind von der Alten Erde, Majestät; aber ich bin ein Freier Kaufmann. Meine wahre Heimat ist mein Raumschiff. Von Jugend an kenne ich keine andere Heimstatt als die Seraph.« »So stammst du also von der Alten Erde ab. Auch die Vorfahren von uns Skoraten sind vom Blut der Alten Erde«, erzählte Gariv. Schon vor langer Zeit hatte Jorry erkannt, daß Schmeichelei, mochte sie auch noch so durchsichtig und unaufrichtig sein, einem neu zur Macht gekommenen König angenehm im Ohr klingt. Und außerdem ist es nützlich, wenn ein Mann über sich und seine Absichten Angaben macht, die, wenn sie auch nicht stimmen, sein Gesprächspartner gern hört und daher zu glauben bereit ist. Das erleichtert die Geschäfte. Also erwiderte er: »Ich bin stolz darauf, daß ich, ein Kaufmann, vom gleichen Blut bin wie die tapfersten Krieger unserer Galaxis. Darf ich mir eine Frage erlauben, bevor ich weiterrede?« »Ich verspreche dir keine Antwort, aber frage nur.« »Die gegenwärtige Situation auf dem Xhanchos verwirrt mich, Eure Majestät. Sind die Xhanchilion völlig versiegt?«
Gariv lächelte triumphierend. »In der Tat, Kaufmann. Wir haben nur soviele am Leben gelassen, wie wir als Diener brauchen.« »Dann sind alle Sklaven frei. Ist das richtig?« »Viele sind in der Schlacht gefallen. Mancher mag noch an seinen Wunden sterben. Von allen, die im Befreiungsheer kämpften, haben wir die Hälfte verloren.« Mit plötzlicher Angst in den Augen blickte Jorry auf und sagte halblaut: »Eine knappe Sache – Bitte sagt mir noch eins, Majestät: war unter den Gefallenen einer namens Jorry?« Gariv schüttelte den Kopf. »Nein, Kaufmann, keiner dieses Namens. Ich kenne jeden bei Namen, doch keiner hieß Jorry. Ist das ein Verwandter von dir?« Jorry senkte den Kopf und bedeckte sekundenlang die Augen mit der Hand; dann seufzte er und blickte Gariv und Santrhara an. »Ich kam nicht in gewöhnlichen Geschäften zum Xhanchos. Ich habe einen jüngeren Bruder. Ich hatte gehofft, wir würden zusammen mit der Seraph reisen, doch er entschloß sich, Heiler zu werden. Er startete zum Vigrid im Skeggjatt-System, um bei dem großen Chirurgen IngjaldKolsson zu studieren, doch er kam nicht an. Sein Raumschiff wurde von Sklavenjägern gekapert. Das war vor dreizehn Jahren nach dem Galaktischen Kalender, und seitdem suche ich ihn. Vor einiger Zeit
habe ich gehört, daß ein Mann, auf den seine Beschreibung paßt, etwa zu der Zeit, als mein Bruder verschwand, auf den Xhanchos gebracht wurde. Auch die sonstigen Einzelheiten paßten, und so bin ich hierhergekommen in der Hoffnung, ihn zu finden und freizukaufen.« Die Antwort kam von Santrhara, und ihr Stimme klang wie süße Melodie. »Dreizehn Jahre nach dem Galaktischen Kalender sind drei XhanchilionHranxluces. Im Volke heißt es, daß nur wenige Anderweltler mehr als eine Hranxluce in der Wüste überleben. Nicht einmal ein Quespodon würde es länger durchhalten. Du hast mein Mitgefühl, Kaufmann Jorry.« »Ich danke dir, Herrin«, antwortete Jorry mit brechender Stimme, »und bitte, mich zu entschuldigen. Nach all diesem Suchen und Forschen –« »Viele gute Männer sind beim Steinebrechen in der Wüste gestorben. Wenn dein Bruder schon sterben mußte, ist es schade, daß er nicht im Kampf für die Freiheit fallen konnte.« »Wahr. Und doch –« Jorry seufzte nochmals auf, drückte dann die Schultern zurück und sagte: »Ich möchte Eurer Majestät ein kleines Erinnerungszeichen senden, wenn ich darf. Mein Diener wird sich morgen bei Sonnenuntergang einfinden mit sechs Karaffen vom feinsten Stepman-Wein. Und für die Her-
rin Santrhara –« Er griff in die Tunika und zog den Edelstein hervor, den er von der Seraph mitgebracht hatte. Das Juwel erfüllte den Saal mit den Blitzen seines inneren Feuers, und als er es in den Fingern drehte, fuhr sein Schein über die buntbemalten Mauern. Er trat vor und legte das Juwel in Santrharas ausgestreckte Hände. Rasch nahm sie es auf und lachte ein mädchenhaft unschuldiges Lachen reinster Freude, als sie es vor ihre Augen hob. »Ich danke dir, Jorry. Das ist der schönste Stein, den ich je gesehen habe. Er ist prachtvoll.« »Schicke nicht deinen Diener mit dem Wein, Kaufmann«, sagte der Monarch. »Bringe ihn selbst und speise mit uns. Vielleicht gibt es doch noch Geschäfte für dich auf dem Xhanchos.« »Mit Vergnügen, Majestät. Bei Dunkelwerden, dann?« Gnädig nickte Gariv. »Ich danke dir nochmals, Jorry«, sagte Santrhara, »und ich werde dein Geschenk tragen, wenn wir speisen.« Jorry verneigte sich ehrfurchtsvoll und verließ den Thronsaal recht befriedigt von dem bisher Erreichten. Diese Geste mit dem Edelstein war ein kluger Schachzug gewesen: impulsive Generosität hat auf Barbaren immer eine große Wirkung. Gariv war ein typischer Skorat – so geschwollen von Selbstgefühl,
daß er gar nicht auf den Gedanken kam, jemand könne ihm seine Beute aus den Händen reißen wollen. Der Planet Xhanchos war ja nun wirklich nichts Großartiges. Doch verglichen mit dem BoroqThaddoi war er ein Paradies, und in Gesellschaft Santrharas würde er eine Zeitlang erträglich sein. Und da waren noch diese Pyramiden draußen in der Wüste. Sicher wäre es der Mühe wert, sie sich näher anzusehen. Gerade der richtige Planet für einen netten kleinen Urlaub, und ein guter Ort, um die Rückkehr auf den Boroq-Thaddoi neu zu planen. »Es ist irgend etwas im Wind. Jorry«, begrüßte ihn Axxal. »Ich habe zugehört, wie sich die Garden unterhielten, und es hörte sich an, als ob es Unruhen geben wird.« »Ich spüre das auch«, sagte Jorry. »Wir werden uns in der Nähe Zimmer nehmen. Während ich mich mit Gariv befasse, kannst du versuchen herauszubekommen, was sich außerhalb des Palastes tut. Wir wollen uns beeilen. Sehr bald geht die Sonne auf, und die Tage auf dem Xhanchos sind zu warm für mein Blut.«
4. Ein Zusammentreffen Axxal erwachte am Mittagspunkt des langen Xhanchos-Tages. Draußen brannte die Sonne vom Himmel
und erhitzte die Hälfte des Planeten auf eine unerträgliche Temperatur; doch Axxals Schlafkammer war dämmrig und angenehm kühl. Eine Zeitlang lag er im Halbschlaf und grübelte über die konfuse und beunruhigende Situation nach, die sich auf dieser Welt zu entwickeln schien; dann, als er merkte, daß er nicht wieder einschlafen konnte, stand er auf und zog sich an. Jorry schlief noch, wie er bei einem kurzen Blick in dessen Kammer feststellte. Er war bis lange nach Sonnenaufgang aufgeblieben, hatte im Gasthaus mit den Bewohnern des Planeten sauren Landwein getrunken, Geschichten erzählt, geplaudert, gescherzt und dabei alles aus seinen Zechgenossen herausgeholt, was sie über die politische Lage auf dem Xhanchos wußten. Axxal erinnerte sich an seinen Auftrag von gestern abend: er sollte soviel wie möglich über den Stand der Dinge hier in der Stadt zu erfahren suchen. Er entschloß sich, sofort, ehe Jorry erwachte, damit zu beginnen, indem er sich erst einmal auf eigene Faust in der Stadt umsah. Er aß zum Frühstück einige der süßen blauschaligen Früchte, von denen ein Tellervoll in der Halle stand, und machte sich dann auf den Weg. In der großen Wüste, die weite Teile des Xhanchos bedeckte, regte sich tagsüber nichts. Alle Reisen, alle Arbeiten wurden bei Nacht vorgenommen, unter
dem sanften Licht eines oder mehrerer der sieben Monde. Doch in der Stadt Xhancholii schirmten Arkaden und überdachte Straßen die dörrende Sonne ab. Windfänge auf den Dächern leiteten die Hochwinde durch Kanäle in die verschatteten Straßen hinunter und über die klaren Springbrunnen, die an jeder Straßenecke tanzten. Hier waren die Tagesstunden erträglich, sogar angenehm. Bei den Herrschenden war die Sitte, alle wichtigen Geschäfte und Staatsangelegenheiten bei Nacht durchzuführen, immer noch üblich; für einen großen Teil der ehemaligen Sklaven jedoch war Schlaf bei Tage und Arbeit bei Nacht gleichbedeutend mit Zwang und Fron. Daher fand Axxal, als er den Gasthof verließ, gewisse Stadtteile nicht leerer, als sie bei Nacht gewesen waren. Das Stadtviertel mit dem Palast und den Amtsgebäuden hatte saubere gerade Straßen mit geräumigen Arkaden zu beiden Seiten einer offenen Zentralpassage. Hier gab es keine Menschenansammlungen. Hinter diesem Viertel war es anders. Die Straßen waren eng, krumm, uneben. Es gab wenige Springbrunnen, und Axxal sah mehrere, die nur tröpfelten. Oft war das Wasser schmutzig und stank. Uniformierte Palastgarde war hier nirgends zu sehen, überhaupt keine Skeggjatten und Skoraten, die anderswo in Uniform herumstolzierten. Hier befand sich Axxal unter
den Frauen und Kindern der besiegten Xhanchilion und den niederen Klassen der Sieger. Hier wohnten die Leute seines Volkes, stämmige Quespodonen mit dunkel gefleckter Haut. Große schwarze Thorumbianer, schlanke Agyaren, hellhaarige Trubaner und andere Rassen, die Axxal noch nie gesehen hatte, füllten diese engen, vollgestopften, schmutzigen Gassen. Er schlenderte weiter, sah sich alles genau an, blieb hier und da stehen, um sich zu erfrischen und harmlose Fragen an Entgegenkommende zu stellen, bis er auf eine Gruppe von zwölf oder mehr Leuten stieß, die sich an einer Kreuzung gesammelt hatten. Eine Stimme ertönte aus ihrer Mitte. Es war eine starke, klare Stimme, und Axxal hörte jedes Wort. Der Mann redete in der Universalsprache der Galaxis, doch hatte er einen unverkennbaren Quespodon-Akzent. Axxal konnte den Sprecher nicht sehen. Er blieb am Rand der Gruppe stehen und hörte zu. »– und du, Dabuxx – ich habe selbst gesehen, wie dein Bruder auf den Stufen des Tempels niedergehauen wurde. Er fing einen Hieb auf, der für Gariv bestimmt war. Dein Bruder gab sein Leben für diesen hochmütigen Skoraten, und jetzt, da Gariv Monarch des Xhanchos ist, darfst du nicht einmal vor sein Angesicht treten«, sprach der Redner. »Wie gefällt dir das, Dabuxx? Komm, sag frei heraus, wie du darüber denkst!«
Ein Quespodon in der ersten Reihe antwortete. »Ich habe gar keine Lust, dem Palast auch nur nahezukommen, Vaxxt. Was soll ein Quespodon überhaupt im Palast?« Ein zögerndes Gelächter klang bei dieser Frage auf, doch der Redner antwortete ironisch, ohne einen Funken von Humor: »Du könntest Laufbursche werden für unsere neuen Herren, die Skoraten und Skeggjatten. Vielleicht denken sie, du seist für diese Arbeit geeignet. Wir hätten von Anfang an, als Gariv den Angriff auf Xhancholii organisierte. Schon damals war alles klar, und wenn wir nicht so leichtgläubig gewesen wären – wenn wir soviel Hirn gehabt hätten, danach zu fragen –« »Was hat er denn gemacht, Vaxxt?« fragte jemand ratlos. »Hast du vergessen, wie der Angriffsplan war? Gariv und sein ganzer Skorat-Clan samt seinen Skeggjatt-Lakaien griffen die Tore an. Sie waren bewaffnet, jeder Einzelne, mit den Waffen, die wir aus dem Lager geholt haben. Sie waren alle beritten und hatten die Überraschung auf ihrer Seite. Aber was war mit uns? Zu Fuß mußten wir eine Stadt erstürmen, die inzwischen aufgewacht war und auf uns wartete, und unsere einzigen Waffen waren die, die wir dem Feind entreißen konnten. Wir wurden abgeschlachtet, genau wie Gariv es geplant hatte.«
»Aber Gariv hat uns doch unsere Freiheit gegeben!« Verächtlich entgegnete Vaxxt: »Er befreite uns, damit wir im Kampf um eine Welt für ihn und seine Anhänger sterben konnten. Und jetzt sage ich euch: die von uns, die den Kampf überlebt haben, werden bald –« Er hielt unvermittelt inne, denn er hatte Axxal erblickt, der sich vorgedrängt hatte, um den Sprecher besser sehen zu können. Axxal war ebenso überrascht wie Vaxxt: sie sahen einander ähnlich wie Brüder. Beide hatten den breiten, muskulösen Körperbau ihres Volkes, beide waren haarlos, doch ihre Hautmale waren schwach ausgeprägt; beiden hatten die gleiche rotbraune Haut. Auf den ersten Blick erkannten sie einander. »Hier ist ein Fremder in unserer Stadt«, sagte Vaxxt mißtrauisch. »Du trägst die Tracht der Freien Kaufleute – was willst du mit solchen wie uns für Geschäfte machen?« Ein auffahrendes Gelächter erstarb rasch, und Axxal entgegnete: »Die Geschäfte betreibt mein Herr.« »Das muß ja ein großzügiger Herr sein, daß er die Arbeit tut, während du spazierengehst und zuhörst, was die Leute sagen.« »Bis jetzt gibt es noch keine Arbeit für uns beide. Bei Anbruch der Nacht kommt mein Herr mit eurem König Gariv zusammen, und dann wird vielleicht –«
»Gariv ist nicht unser König, Händler«, unterbrach ihn Vaxxt. »Vorsicht, Vaxxt«, warnte ihn ein riesiger Quespodon, »vielleicht werden deine Worte weitergetragen. Wir wissen ja nicht, wer dieser Bursche ist.« »Ich habe euch doch gesagt, wer ich bin«, erwiderte Axxal ärgerlich. »Ich bin kein Spion, daß ich horche, wenn meine eigenen Volksgenossen ihre Meinung sagen und es den Anderweltlern erzählen.« Vaxxt antwortete beschwichtigend und in friedlichem Ton: »Das ist nicht als Anschuldigung gemeint. Wir müssen nur vorsichtig sein. Wenn du Zeit hast, Kaufmann, dann würde ich gern noch weiter mit dir sprechen.« Es war eine gute Gelegenheit, mehr zu erfahren, und so zögerte Axxal nicht. Der andere verließ seine Zuhörer mit einer letzten Mahnung: »Denkt an meine Worte, Brüder. Gariv hat Pläne mit uns, und wenn wir keine eigenen Pläne machen, wird es uns bald leid tun. Überlegt euch das.« Erst als Vaxxt sich zum Gehen anschickte, bemerkte Axxal, daß der Mann Invalide war. Er schob sich eine Krücke unter die Achsel und hinkte rasch die Gasse hinunter, Axxal an seiner einen Seite und der große Quespodon an der anderen, und ihre Schultern rieben sich an den Häuserwänden. Sie sprachen kein Wort, bis Axxal und Vaxxt in einer dunklen Ecke ei-
nes nahegelegenen Wirtshauses saßen. Der dritte Quespodon hielt Wache an der Tür und war außer Hörweite. Vaxxt machte keine Umschweife. Kaum hatte Axxal ihm seinen Namen genannt, da hob Vaxxt ungeduldig die Hand und fragte: »Wie lange haben deine Vorfahren außerhalb des Dumabb-Paraxx gelebt? Wie viele Generationen?« »Elf. Ich bin die zwölfte.« »Und sie waren immer reinblütig? Keine Heiraten mit Anderweltlern?« Axxal lachte. »Hast du gefunden, daß Anderweltler so darauf erpicht sind, Quespodonen zu heiraten? Auf unserer Welt war das jedenfalls nicht so. Mein Blut ist unvermischt.« »Habe ich mir gedacht. Ich bin von der elften Generation, seit wir unsere Heimatwelt verließen, und ich bin reinblütiger Quespodon. Nun sieh uns beide an, Axxal. Siehst du, wie anders wir sind als alle die anderen?« »Die Hautflecken – sie sind kaum zu sehen.« Ungeduldig nickte Vaxxt. »Das beißt in die Augen. Aber sonst noch? Hast du nicht gemerkt, wie verschieden wir von unseren Brüdern vom DumabbParaxx sind?« »Ich bin mit so wenigen von ihnen zusammengetroffen – aber die, die ich gesehen habe, kommen mir –«
»Weiter, Axxal, sprich es aus!« drängte Vaxxt. »Sie kommen mir so dumm und brutal vor, wie man es von allen Quespodonen sagt. Sie denken nicht.« »Richtig, sie denken nicht. Aber wir!« antwortete Vaxxt triumphierend. »Das hast du gemerkt, nicht wahr?« »Ja. Ja, das habe ich. Manchmal – ich habe manches verstanden, mir manches zurechtgelegt, was ein Quespodon eigentlich gar nicht begreifen kann. Das Gravitationssystem der Seraph – den Weg aus der Zitadelle –« »Und zuerst hat dich das beunruhigt, sogar geängstigt. Wie mir hat dir jeder, mit dem du zusammenkamst, einreden wollen, du seist ein Dummkopf aus einer Rasse von Dummköpfen. Aber das bist du nicht, Axxal, und ich auch nicht.« Axxal machte eine hilflose Handbewegung. Er wollte weglaufen, ehe Vaxxt noch mehr beunruhigendes sagen konnte, und doch war er begierig darauf, mehr zu hören. Das war etwas, was er schon längst geahnt hatte. Er spürte aufwallende Freude, ein plötzliches Kraftgefühl, und gleichzeitig fürchtete er sich, wie Vaxxt gesagt hatte, vor dem, was kommen mußte. Es war etwas Besonderes mit ihm. »Warum gerade wir?« »Es hat etwas mit der Heimatwelt zu tun, soviel ist
mir klar. Je länger wir von diesem Pestloch weg sind, keinerlei Kontakt damit haben, desto klarer wird der Verstand. Deswegen haben sie jetzt eine Auswanderungsquote: die Anderweltler wollen ihre kräftigen, dummen Arbeiter nicht verlieren. Und deswegen wird die Bande von Anderweltlern, die alles Wichtige auf dem Dumabb-Paraxx in Händen haben, regelmäßig abgelöst: würden sie bleiben, so würden sie angesteckt. So wie in alten Zeiten unsere Ahnen.« »Wenn das so ist, wie sind dann die ersten Quespodonen – deine und meine Vorfahren und noch ein paar andere – von der Heimatwelt weggekommen?« »Vielleicht haben die von der Alten Erde sie mitgenommen – als Ersatzleute oder als interessante Haustiere. Wir werden es nie erfahren, Axxal. Sie haben keine Aufzeichnungen für uns hinterlassen. Und dann kam die Quote.« Axxal fielen alte Geschichten ein. »Mein Vater hat von der Quote gesprochen. Ich erinnere mich daran.« »Wie war er? So intelligent wie die Anderweltler, unter denen er lebte?« »Das war er, Vaxxt. Er hat mir die alten Legenden erzählt – die Geschichten vom Täuschen –, und er sagte, seiner Ansicht nach hätten die Anderweltler Keoffo erfunden, damit wir nicht aufmucken.« »Er war ein weiser Mann, Axxal.«
»Ich konnte mich damals nicht dazu aufschwingen, ihm zu glauben, wenngleich seine Worte mich beunruhigten. Bald nachdem er das gesagt hatte, holten Daltreskaner ihn weg. Lange fürchtete ich, daß Keoffo sich an ihm gerächt hätte, weil er das gesagt hatte. Aber jetzt sehe ich –« Drängend, beinahe flehend wiederholte er die Frage: »Aber warum wir, Vaxxt? Warum du und ich, keine anderen?« »Aus zwei Gründen, Axxal, soweit ich sagen kann: wir sind lange von unserer Heimatwelt weg und sind von reinem Quespodonblut. Als ich hierhergebracht wurde und zum erstenmal Quespodonen sah, die nicht zu meiner eigenen Kolonie gehörten, bekam ich einen Schreck. Dreizehn Quespodonen waren in meinem Arbeitstrupp, elf von der Heimatwelt und zwei von einer Kolonie auf dem Tilcha, wo sie sich generationenlang mit der Bevölkerung vermischt hatten. Und jeder einzelne war roh, unwissend, scheußlich gefleckt, genau so wie es im ganzen Weltraum von den Quespodonen heißt. Je mehr ich von diesen sah, desto stärker war ich davon überzeugt, daß ich eine Art Mißgeburt wäre.« »Das gleiche habe ich manchmal auch gedacht«, gestand Axxal. »Doch ich wußte, daß die in meiner Kolonie so waren wie ich, nicht wie die anderen. Wir konnten also nicht alle Mißgeburten sein. Und jetzt, da ich dich ge-
sehen habe, der aus noch einer anderen Kolonie stammt, bin ich überzeugt. Es mag noch mehr wie uns in der Galaxis geben – solche, deren Vorfahren in der ersten Zeit herausgekommen sind, bevor die Quote kam, und kein Anderweltler-Blut in sich haben.« Vaxxt beugte sich vor und sagte leise, aber eindringlich: »Axxal, die Quespodonen sind nicht die hoffnungslosen Narren der Galaxis. Sie können es mit jeder Rasse aufnehmen, wenn sie die Chance dazu bekommen.« Vaxxt sprach mit Beredsamkeit und tiefer Überzeugung. Doch wäre er auch bei jedem Wort gestolpert, Axxal hätte trotzdem jedes Wort in sich aufgenommen. Diese Worte ließen sein Herz schneller schlagen. Das Unbekannte, das er bei Jorry und auf der Seraph gesucht hatte – hier auf dem Xhanchos war es und wartete auf ihn. »Wir geben ihnen die Chance, Vaxxt!« sagte er.
5. Eine Zukunft für den Xhanchos Jorry nahm einen jungen Xhanchilion als Träger an, der den Wein für Gariv von der Seraph zum Palast brachte; doch trug er ihn nach Passieren des äußeren Tores selbst. Zu seiner Überraschung wurde er nicht in eine weitläufige Speisehalle geführt, sondern wie-
der in den Thronsaal. Dort stand eine schneeweiß gedeckte Tafel mit Aufsätzen voller Früchte. Zwei Diener übernahmen den Wein, ein dritter wies ihm seinen Platz, wo er den Eintritt der anderen Gäste erwartete. Jorrys bisherige Laufbahn hatte nicht zu den allerhöchsten Höhen geführt; doch hatte er in seinem langen Sternfahrerleben Paläste gesehen (und in zweien sogar regiert) mit denen verglichen der Königspalast des Xhanchos nicht mehr als ein besseres Vorzimmer war. Ausstattung und Dekoration bestätigten den Eindruck, den er von Gariv bekommen hatte. Wie jeder Skorat war der Mann im Innersten ein Barbar. Für diesen Krieger, der an dreckige Festungen und staubige Zelte gewöhnt war, an magere Soldatenrationen, mit reichlichen Mengen sauren Weines schmackhafter gemacht, war dieser farbenfreudig ausgemalte Saal zweifellos der Inbegriff des Luxus, an sich schon ein Beweis, daß sein Benutzer ein König war. Jorry war nahe daran, ihn zu bemitleiden – jedoch nicht allzu nahe. In welchen engen Grenzen auch immer regierte Gariv jedenfalls den Xhanchos und besaß eine erprobte Streitmacht zur Aufrechterhaltung seiner Macht. Santrhara war seine Konkubine. Er war der Gastgeber, Jorry sein Gast; er war der Herrscher und Jorry der Bittsteller. Doch das würde sich in absehbarer Zeit ändern. Jorry spann bereits Pläne.
Er stand auf und verneigte sich respektvoll, als Gariv, Santrhara zu seiner Seite, in den Saal kam. Der Edelstein, den Jorry ihr bei der ersten Begegnung geschenkt hatte, funkelte in ihrem Haar. In einem durchsichtigen, rotglitzernden Gewand war sie schöner denn je; Ungeduld, sie zu besitzen, ergriff ihn. Er blieb stehen, bis daß das königliche Paar Platz genommen und Gariv ihn mit einer Handbewegung zum Sitzen aufgefordert hatte. »Wir werden allein bei Tisch sein. Zuerst wollen wir speisen, Kaufmann, und dann werden wir beide, du und ich, von Geschäften reden«, begrüßte ihn Gariv. »Wie Euer Majestät wünschen«, entgegnete Jorry respektvoll. »Ehe wir anfangen – ich habe ein Geschenk für dich. Du bist nicht der einzige, der zu schenken versteht.« Gariv klatschte kurz in die Hände, und zwei Xhanchilion traten vor, die einen reichgeschmückten Haxopodensattel nebst Zaumzeug trugen. Jorry war ein Mann, der sich am liebsten auf seinen eigenen Füßen fortbewegte, wenn er nicht an Bord seines Raumschiffes war, doch er wußte gute Handwerksarbeit zu schätzen. Sein Dank war echt. Als die Diener das Geschenk wieder beiseitegestellt hatten, nahm Santrhara das Wort. »Auch ich habe etwas für unseren Gast«, sagte sie
und streckte die Hand aus: ein Medaillon fiel durch ihre Finger und schwang an schmaler Kette. »Komm zu mir, Kian Jorry, damit du es auch richtig trägst.« Sie zog Jorry näher und hing ihm den Schmuck so um, daß der wunderbar gearbeitete XhanchilionBlaustein in seiner Tunika verschwand – er hatte für diese Gelegenheit eine besonders prächtige und schönfarbige angelegt – und über seinem Herzen hing. »Trage den Blaustein auf deinem Herzen, Kian Jorry, und du wirst immer die Liebe gewinnen, die du am meisten ersehnst. Das ist ein alter Glaube der Gafaal.« Lächelnd blickte er ihr in die Augen. »Die Frau, deren Liebe ich am meisten ersehne, ist schwer zu gewinnen. Ein mächtiger Mann hat sie bereits zu eigen.« »Mächtige Männer werden oft enttäuscht«, lächelte sie zurück. »Frauen haben ihren eigenen Kopf. Selbst wir Gafaal haben schon manchmal selbst gewählt.« »Es gibt Dinge, Herrin, die zu groß sind für die Hoffnungen eines einsamen Sternfahrers.« »Vertraue dem Blaustein«, erwiderte sie leise. »Jetzt haben wir genug geredet und Geschenke getauscht«, sagte Gariv mit spürbarer Ungeduld. »Jetzt wird gespeist.« Jorry war überrascht, daß das Essen so gut war;
doch als Gariv Musikanten kommen ließ, die ihnen aufspielten, konnte er nur schwer seine Belustigung unterdrücken. Es waren schreckliche Stümper. Gariv persönlich zeigte seinen Unwillen, indem er eine Schale mit eingedickten Früchten nach ihnen warf, als sie zweimal den Schluß eines einfachen SkeggjattHeldensangs verpatzten. Jorry und Santrhara tauschten ein verstohlenes Lächeln, als das Trio vor Garivs Zorn die Flucht ergriff. Bekümmert sagte der Monarch des Xhanchos: »Zu einem guten Mahle gehört auch gute Musik, und auf diesem Planeten gibt es keinen Musikanten, der auch nur einen Tritt in den Hintern wert ist. Ich hatte mir einen guten aus dem Lager mitgebracht – ich gab ihm den Namen meines alten Barden und Hymnenmachers, Alladale. Hast du von ihm gehört?« »Der Name ist mir nicht bekannt, Euer Majestät.« »Dann hast du trotz deiner Reisen keine Ahnung von Musik. Alladale war der beste in der ganzen Galaxis. Der Erste unter den wirklichen Musikern, meine ich. Nicht wie dieser saubergewaschene Jammerbold, den ich aus seinen Ketten holte und mit meinen ausgesuchten Männern in der Vorhut mitreiten ließ. Bin froh, daß ich ihn los bin, obgleich sein Spiel mir zusagte.« »Ist er im Kampf gefallen?« fragte Jorry. »Dafür hatte er nichts übrig, der Bursche. Hat uns
eine ganz ordentliche Hymne gemacht, doch als er das Blut auf den Straßen rinnen sah, weinte er über seine eigenen Worte und wollte mir erzählen, wir gingen zu weit. Ein Feigling, trotz der Macht seines Wortes. Er hält sich irgendwo versteckt, er und seine Xhanchilion-Frau.« Finster nahm Gariv einen Schluck und fuhr fort: »Schmiedet wahrscheinlich Pläne –« Er unterbrach sich, wandte sich an Santrhara und befahl: »Verlaß uns. Ich habe Wichtiges mit dem Kaufmann zu besprechen.« »Wie Gariv wünscht«, murmelte sie und erhob sich. Sie war eine Gafaal, eine wohlgeschulte Kurtisane, daran gewöhnt, stets Gehorsam an den Tag zu legen. Was für Gefühle hinter dieser Maske makelloser Schönheit lagen, war ihr Geheimnis, doch für den Bruchteil einer Sekunde glühte etwas in ihren Augen auf; der Monarch des Xhanchos sah es nicht, aber Jorry konnte es lesen: Abscheu. Und das freute ihn. Er wußte, daß sie für einen besseren Mann als Gariv geboren war; und als sie sich ihm zuwandte, um dem Gast den zeremoniellen Abschiedsgruß zu erweisen, verriet ihm ihr hastiges Flüstern alles, was er zu wissen wünschte. Die Wirkung des Blausteins hatte bereits begonnen. »Sie ist sehr dekorativ, aber ich traue ihr nicht«, sagte Gariv, als sie gegangen war. »Ein Stück Kriegsbeute – mehr bedeutet sie mir nicht.«
»Eine sehr liebliche Beute«, erwiderte Jorry. »Wie es mir zukommt, Kaufmann!« fuhr Gariv hoch. »Ich habe den Aufstand organisiert. Ich habe eine Armee von zweitausend Sklaven, hauptsächlich unbewaffnetes Gesindel, gegen eine ummauerte Stadt geführt, die von einer dreimal so starken Besatzung verteidigt wurde, und ich habe eine alte Dynastie gestürzt. Mir steht die schönste Frau des Planeten zu, und alles übrige auch. Du magst sie anstarren, soviel du willst; aber vergiß nicht, wer sie gewonnen hat, und wem sie gehört!« »Niemals, Euer Majestät«, erwiderte Jorry demütig. Garivs Angeberei amüsierte ihn äußerst; doch die Zeit, offen darüber zu lachen, war noch nicht gekommen. »Santrhara ist gut genug für mich, solange ich auf dem Xhanchos bin. Doch auf dem Skorat erwartet mich eine ebenso prachtvolle Frau, sobald ich gewillt bin, dahin zurückzukehren.« Er nahm ein kleines Lebendes Bild vom Halse und warf es Jorry zu. »Nikkolope, Königin der Stadt Thak. Meine Gattin und Mitregentin. Ebenso gut wie eine Gafaal-Frau, findest du nicht?« Jorry mußte dem zustimmen. Keine Rasse der Galaxis konnte mit den Gafaal im Punkte bloßer sinnlicher Schönheit konkurrieren, doch Nikkolope war eine wahrhaft schöne Frau, deren ebenmäßige Züge
von natürlicher innerer Hoheit durchstrahlt waren. Eingehend betrachtete Jorry das lebenswahre Bildnis und kam zu dem Schluß, daß Garivs Kraftmeierei ihm auf dem Skorat wenig genutzt haben konnte. Diese Frau war zu stark, um sich von irgendeinem Manne beherrschen zu lassen, obgleich sie das Ansehen jedes Herrschers erhöhen würde, an dessen Seite sie stand. Nikkolope und Santrhara – das war ein Stachel für Jorrys Gerechtigkeitsgefühl: er fand es einfach unerträglich, daß jemand wie Gariv die eine geheiratet und die andere zur Konkubine genommen hatte, und er empfand es als persönliche Pflicht, diesen Zustand bei erster Gelegenheit zu korrigieren. Im Moment jedoch spielte er seine Rolle als bescheidener Kaufmann weiter. »Ich beneide Eure Majestät um dieses Glück. Seit wann sind Majestät von der Königin Nikkolope getrennt?« »Seit ich mich der Expedition angeschlossen habe. Eine ganz schön lange Zeit. Aber sie wartet«, antwortete Gariv zuversichtlich, während er sich das Bild wieder umhing. »Eine lange Abwesenheit für einen Herrscher«, bemerkte Jorry. »Nikkolope wartet. Ich habe mir das Recht auf ihre Hand in fairem Kampf erworben«, entgegnete Gariv und öffnete seine Tunika, so daß eine gezackte Narbe
sichtbar wurde. »Siehst du? Die Narbe stammt aus dem Kampf um sie. Ich mußte neun Männer besiegen, um mich ihrer würdig zu erweisen.« Instinktiv berührte Jorry mit den Fingerspitzen seine eigene Brust. Auch er trug eine Narbe aus einem Zusammenstoß mit den Schwarzjacken, der lange Zeit zurücklag. Gariv starrte ihn an; Jorry ließ die Hand sinken und sagte höflich: »Ist das die übliche Art der Brautwerbung auf dem Skorat?« »Wenn die Dame einen Krieger als Gatten wünscht.« Jorry machte ein sehr beeindrucktes Gesicht. »Ein Heldenvolk. Auf meiner Welt ist es Sitte, die Dame einfach zu fragen.« Mit trockenem Auflachen schloß er: »Wir bekommen unsere Narben nach der Heirat.« Gariv fand diese Bemerkung keineswegs humoristisch, sondern fuhr fort, als hätte Jorry nicht gesprochen. »Sie regiert die Stadt Thak in meinem Namen. Kein Mann auf dem Skorat würde es wagen, ihren Befehl anzuzweifeln.« Jorry nickte bedeutsam und zustimmend. Jedoch der Gedanke stieg in ihm auf, daß Garivs Zuversicht möglicherweise auf sehr schwachen Füßen stand. Die Männer des Skorat mochten wohl so gehorsam sein, wie er behauptete, doch nicht aus Furcht vor dem so lange abwesenden Gariv. Nikkolope sah aus, als fordere sie Gehorsam um ihrer selbst willen.
»Der Skorat interessiert mich im Moment weniger, Kaufmann. Ich denke daran, wie es hier auf dem Xhanchos weitergehen wird.« »Die Lage scheint doch durchaus unter Kontrolle zu sein.« »Es ist zu ruhig. Der ganze Abschaum der Galaxis hat sich in Xhancholiis Eingeweiden angesammelt, und doch sieht und hört man nichts.« Jorry machte ein erstauntes Gesicht. »Aber Majestät wünschen doch sicherlich keine offenen Unruhen –« »Wäre mir lieber als diese unnatürliche Ruhe. Quespodonen sind dumm. Ein geschickter Mann kann sie leicht manipulieren. Vielleicht ist Alladale irgendwo untergetaucht und hetzt gegen mich; allerdings bezweifle ich, daß er Herz genug hat, um eine Revolte anzuführen. Und dann ist da noch Anders, der Heiler. Der ist ein Skeggjatt, ein Krieger, und diese gefleckten Halbidioten beten ihn an. Dutzenden von ihnen hat er nach dem Überfall das Leben gerettet, wo es doch einfacher gewesen wäre, sie sterben zu lassen.« »Heiler sind nun einmal so«, seufzte Jorry. »Heiler sollten tun, was ihre Führer befehlen«, erwiderte Gariv wütend. Unvermittelt blickte er Jorry mißtrauisch an. »Du hast doch einen Quespodon als Diener, nicht wahr?« »Ja. Ich passe schon auf, daß er sich benimmt.«
»Halt ihn fest am Zügel. Die hiesigen Quespodonen haben irgend etwas vor, ganz sicher.« Ein scharfes, unangenehmes Auflachen. »Nicht daß die etwas Vernünftiges planen könnten, aber mit einem fähigen Führer –« Jorry dachte flüchtig an Axxal. Er war den ganzen Abend fort gewesen und war noch nicht zurück, als Jorry sich auf den Weg zum Palast gemacht hatte. Vermutlich sammelte er befehlsgemäß Informationen. Axxal war ziemlich intelligent – ein bemerkenswert heller Kopf für einen Quespodonen –, aber ihn sich als Führer zu denken, war absurd, selbst als Anführer seiner eigenen Rassegenossen. Der Bursche besaß Wißbegier und einen gewissen bedächtigen, schwerfälligen Sinn für einfache Maschinen, soviel war richtig. Doch weitreichende Pläne zu machen, Entscheidungen zu treffen, neue Tatsachen im Augenblick zu erfassen und abzuwägen – nein, dergleichen ging über seinen Horizont, über den Horizont jedes Quespodon. Diese Rasse brachte keine Führer hervor. »Mein Diener wird keine Revolte anführen, dessen bin ich sicher«, lächelte Jorry. »Irgend jemand könnte sich zum Führer aufwerfen. Sie sind reif für einen Führer.« Gariv leerte seinen Becher, winkte Jorry, ebenfalls auszutrinken und ließ noch eine Karaffe Stepman-Wein bringen. »Tatsäch-
lich, Kaufmann, wäre es mir ganz lieb, wenn sie revoltierten.« Er deutete auf seine Garden. »Ich habe eine Truppe von Kämpfern, die mir alle treu sind. Sie sind der Kern einer Kriegerkaste. Wir werden Diener brauchen, und die Niederschlagung eines Aufstandes würde jede Maßnahme gegen die Rebellen rechtfertigen und mir ihre Führer vom Halse schaffen. Dann wäre nur das Pack übrig und würde uns zahm dienen.« »Das ist logisch«, bestätigte Jorry. »Ich hörte, unter den Quespodonen und ihren Freunden wird davon gesprochen, eine Republik zu errichten.« »Eine Republik?« wiederholte Jorry verständnislos. »Ein idiotisches System, bei dem die Führung in den Händen derer liegt, die geboren sind, um geführt zu werden«, erläuterte Gariv hitzig. »In einer Republik haben die Diener die gleichen Rechte wie ihre Herren.« »Schwachsinn, in der Tat!« gab Jorry kopfschüttelnd zu. »Ich sehe die Zukunft des Xhanchos klar vor mir, Kaufmann. Meine Männer werden sich GafaalFrauen nehmen und eine Rasse von Aristokraten zeugen. Die geringeren Rassen können die Xhanchilion-Frauen haben und uns mit Dienern und Arbeitern versehen. Jeder wird seinen angemessenen Platz und
seine bestimmten Pflichten haben. Alle werden glücklich sein.« »Ein hervorragend vernünftiger Plan, Majestät«, sagte Jorry mit eiserner Miene. »Haben Majestät ihn dem Volke bereits verkündet?« »Nein. Sie halten sich noch für frei. Sie bilden sich sogar ein, sie seien Krieger, weil sie eine Stadt einnehmen konnten, nachdem die Vorausabteilung, meine Skoraten und Skeggjatten, die Verteidiger erschlagen hatten. Doch ich habe den ersten Schritt bereits getan.« »Nämlich?« »Ein Daltreskaner Sklavenschiff sollte am Ende des gegenwärtigen Mondzyklus landen. Die Quespodonen beabsichtigen, es zu kapern und mit ihm heimzufahren. Dann hätten wir keine Diener mehr; und so etwas kann ich nicht gestatten. Ich habe verkündet, daß das Schiff nicht kommen wird und daß für lange Zeit keine Schiffe mehr auf dem Xhanchos landen werden.« Jorry merkte, in welche Richtung Garivs Gedanken führten, tat aber so, als hätte er keine Ahnung. »Wie können Majestät das Schiff an der Landung hindern?« »Das wirst du für mich tun, Kaufmann.« »Ich? Wie das?« fragte Jorry unschuldig. »Einfach indem du dein Schiff läßt, wo es ist. Es
gibt nur einen Landering bei der Stadt, und ich bezweifle, daß die Daltreskaner jemanden auf ihren Schiffen haben, der eine manuelle Landung ausführen kann. Wenn sie sehen, daß der Ring besetzt ist, werden sie weiterfahren. Dann habe ich das Gesindel hier fest, und wenn sie erst gemerkt haben, daß sie nicht vom Xhanchos wegkönnen, werden sie sich schon mit meinen Plänen abfinden.« »Aber wenn das Sklavenschiff wiederkommt?« »Bis dahin wird, wenn es überhaupt kommt, alles unter Kontrolle sein. Ich schicke dich zum Skorat, Kolonisten holen, und kehre als Beherrscher zweier Welten in meine Heimat zurück.« »Brillant, Majestät!« rief Jorry aus, hielt aber inne und fragte dann zögernd: »Aber was hätten Majestät getan, wenn die Seraph nicht zum Xhanchos gekommen wäre?« »Ich wäre gezwungen gewesen, die Quespodonen und das andere Gesindel niederzumachen, sobald sie die Daltreskaner überwältigt hätten. Das hätte mich vielleicht Verluste an guten Kriegern gekostet, und ich bin froh, daß ich es vermeiden kann.« Jorry tat, als wisse er sich vor Bewunderung über Garivs Klugheit und Voraussicht nicht zu lassen, und Gariv trank sein Lob so bereitwillig wie den Stepman-Wein. Je weiter die Nacht fortschritt, desto großzügigere Versprechungen machte der Monarch des
Xhanchos dem gefälligen Freien Kaufmann, der zu so passender Zeit gekommen war. Als die letzte Karaffe Wein geleert war, konnte sich Jorry als Rechte Hand des Herrschers betrachten. Jorry verließ den Palast kurz vor der Morgendämmerung. Schwankend hatte Gariv sein Schlafgemach aufgesucht, von zwei getreuen Skorat-Gardisten begleitet. Er würde tief und lange schlafen, dessen war Jorry sicher. Umso besser, dachte er. So konnte er selbst ruhen, sich umziehen und in voller Frische sein MittagsRendezvous in einem anderen Teil des Planeten wahrnehmen. Alles lief wunderbar.
6. Axxal erzählt eine Geschichte Die Quespodonen drängten sich im Raum und lauschten voller Spannung den Worten des Lahmen und des Freien Kaufmanns. Manche Nacht schon hatten die beiden zu Gruppen befreiter Sklaven gesprochen. Heute Nacht waren ihre Zuhörer ausschließlich Quespodonen. Obwohl sich Axxal seine Rede und jede Geste sorgfältig eingeübt hatte, bebte sein ganzer muskelbepackter Körper, als er vor die stumme Menge trat. Doch als er zu sprechen begann, fegte die Kraft seiner
Botschaft alle Furcht hinweg. Seine Stimme klang stark und fest. »Ich bin auf fernen Welten gewesen und habe seltsame Dinge gesehen«, begann er. »Manche wundersame Geschichte könnte ich euch erzählen. Doch ich komme nicht als Barde her, um euch etwas vorzusingen. Heute spreche ich als Bruder zu euch und bringe euch Botschaft, die uns alle angeht. Auf meinen Reisen habe ich Anderweltler aller Rassen getroffen. Manche waren gut zu mir. Als ihr in den Arbeitslagern wart, habt ihr ebenfalls Anderweltler kennengelernt, die guten Willens waren. Alladale, der Hymnenmacher, sang Lieder, die den Mut der Quespodonen priesen, und der Heiler Anders rettete nach der Schlacht vielen Quespodonen das Leben. Diese Anderweltler waren gute Männer und Freunde der Quespodonen. Mein Partner im Handelsgeschäft, mit dem ich zum Xhanchos gekommen bin, ist ein Anderweltler, und er ist ein Freund. So sollte es zwischen allen Völkern des Galaxis sein. Doch es ist nicht immer so, Brüder. Nur zu oft haben Anderweltler uns Leid zugefügt. Denkt an euch selbst. Daltreskaner haben euch aus eurer Heimat geraubt, Xhanchilionen haben euch versklavt, und jetzt planen Skoraten und Skeggjatten unter Garivs Führung, euch zu betrügen. Ihr seht mich zweifelnd an, aber ich kann meine Worte beweisen: Gariv hat ge-
sagt, das Daltreskaner-Schiff werde nie wieder herkommen. Das ist eine Lüge!« Seine Worte erregten Unruhe. Er ließ den versammelten Quespodonen etwas Zeit, um ihrer Überraschung und Erregung Ausdruck zu geben, hob dann Ruhe gebietend die Hand und rief: »Jawohl, Gariv hat gelogen! Er weiß, daß das Raumschiff der Sklavenhändler bald kommen wird, doch nach seinem Plan soll es uns nicht zu unseren Heimatwelten zurückbringen. Er beabsichtigt, noch mehr von seinem Volk herzuholen. Sie sollen ein neues Königreich auf dem Xhanchos errichten, und wir sollen für ewige Zeiten ihre Diener sein. Doch das werden wir nicht zulassen!« »Was können wir dagegen tun? Wie können wir Gariv daran hindern?« ertönte es aus der Menge. »Vaxxt weiß, was zu tun ist, und er wird es euch sagen. Doch ich habe noch mehr zu berichten von der Verräterei der Anderweltler. Wollt ihr mich zu Ende anhören?« Brüllend stimmten sie zu, und Axxal sprach weiter: »Dann laßt mich von Keoffo dem Täuscher erzählen. Was ich euch erzähle, ist die wahre Geschichte, die euch von betrügerischen Anderweltlern vorenthalten wurde, den Kindern der Alten Erde, die euren Urahnen etwas vorgelogen haben, damit sie glaubten, wir seien ein geringes, nichtswürdiges Volk, zu nichts anderem gut, als allen anderen Völkern der Galaxis zu dienen.«
»Sei vorsichtig, wenn du vom Täuscher sprichst! Sogar auf dem Xhanchos ist seine Macht groß!« rief jemand dazwischen. »Die einzigen Täuscher, die wir von jetzt an zu fürchten haben, sind die Anderweltler, die so tun, als seien sie unsere Freunde. Keoffo starb, als die Sterne sich zu bewegen begannen. Ich fürchte ihn nicht, Brüder, ich verlache ihn!« Für manche unter den Zuhörern war das eine zu kühne Rede, und Axxal mußte eine Zeitlang warten, bis wieder Ruhe war. Dann trat er einen Schritt vor und sagte: »Hört jetzt die wahre Geschichte von Keoffo und der Erschaffung unseres Volkes!« Mit gedämpfter Stimme, die seine Zuhörer völlig in Bann hielt, begann er: »Vor langer, langer Zeit, als die Sterne noch neu und die Welten noch leer waren, beschloß der Herr der Sterne, eine vollkommene Rasse zu schaffen. Er sammelte alle guten Eigenschaften des Körpers und des Geistes, vereinigte sie in einem vollkommenen Mann und einer vollkommenen Frau. Sie sollten die Eltern aller werden. Doch bevor er sie zum Leben erweckte, suchte er alle Welten auf und wählte die schönste aus für sein Volk. Während er fort war, stieß sein Diener Keoffo – ein täppischer, bösartiger Kerl war er, der stets die guten Absichten seines Herrn zunichte machte – auf den Schlafplatz jenes vollkommenen Paares. Er wurde
neidisch, als er sah, daß andere so begabt und schön gebaut waren, und sein Neid machte ihn kühn. Ganz heimlich und vorsichtig – denn er war ein feiger, hinterhältiger Schurke – schlich er sich heran. Er sah alle die Gaben und guten Eigenschaften, die herumlagen. Der Herr der Sterne war weit weg. Keoffo wurde mutig. Er packte eine der Gaben, die Weisheit, und schleuderte sie in die Finsternis hinaus. Als der Herr der Sterne noch nicht zurückkam, tat er dasselbe mit einer anderen Gabe, der Schönheit. Eine nach der anderen stahl er alle ihre Gaben, bis von allen, die ihnen ihr Schöpfer zugedacht hatte, nur noch eine übrig war. Und dann kam der Herr der Sterne zurück. Er hatte eine vollkommene Welt für sein Volk gefunden. Auf sein Gebot setzten sich die Sterne in Bewegung; dann wandte er sich um und wollte das vollkommene Paar zum Leben erwecken. Als er sah, daß seine Gaben verschwunden waren, weinte er, und wo seine Tränen auf ihre Leiber fielen, wurde die Haut blau und dunkelrot. Zart und liebevoll nahm er sie auf, wie ein Vater sein krankes Kind, und statt sie in die schöne Welt zu setzen, die er für sie ausgesucht hatte, setzte er sie in seine Nähe auf den Dumabb-Paraxx, die Welt der unfertigen Dinge. Dann suchte er Keoffo.« »Was wurde mit Keoffo? Was tat er mit Keoffo?« »Mit seinen eigenen Händen zerbrach er ihn in
kleine Stücke und verstreute sie im Universum. Und sogar jetzt, in diesem Augenblick, fallen die Stücke immer noch. Brüder, das ist die Wahrheit. Die Quespodonen sind nicht der Abfall des Universums, nicht was der Herrscher der Sterne übriggelassen hat, nicht das Werk Keoffos. Das haben die von der Alten Erde erlogen, die auf unsere Welt gekommen sind, um uns zu Bestien zu machen, wie sie selber sind. Wir waren zuerst da. Wir waren die Besten. Unsere Gaben sind uns gestohlen worden, und wir müssen sie zurückgewinnen.« »Wie? Wie können wir das?« kamen die Fragen von allen Seiten. »Wir müssen sie zwischen den Sternen suchen und eines Tages auf die vollkommene Welt zurückkehren, die für uns bestimmt war. Manche von uns haben bereits begonnen, die alten Gaben zurückzugewinnen. Eines Tages werden wir alle die Möglichkeit dazu haben. Es wird schwer sein, und es wird lange, lange dauern, aber wir müssen jetzt beginnen, hier auf dem Xhanchos.« Über dem Gemurmel der Menge erklang Vaxxts Stimme und brachte sie augenblicklich zur Ruhe: »Ihr habt Axxal zugehört, und ihr wißt, daß er die Wahrheit spricht. Quespodonen sind nicht zum Dienen geboren, und wer das behauptet, der lügt!« »Warum sollten uns die von der Alten Erde anlü-
gen?« fragte einer und sprang auf. »Als sie auf den Dumabb-Paraxx kamen, hatten sie Raumschiffe, große Maschinen, Instrumente zum Heilen – Dinge, die wir uns überhaupt nicht vorstellen konnten. Sie waren zivilisiert.« »Das nennst du zivilisiert«, schnaubte Vaxxt verächtlich. »Die von der Alten Erde flohen von einer Welt, die sie in Blut gebadet und mit Fäulnis überzogen hatten. Fünfzig Galaktische Jahrhunderte lang hatten sie ihre gesamte Kraft – ihre gesamte Zivilisation, wie du es nennst – auf Mord und Zerstörung gerichtet. Kann eine solche Rasse überhaupt die Wahrheit sagen?« »Aber was sie alles erreicht haben, Vaxxt – selbst wenn sie unsere Ahnen belogen haben, besaßen sie doch großes Wissen, große Errungenschaften.« »Zuerst haben alle Völker so gedacht«, räumte Vaxxt ein, »doch wenn du von großen Errungenschaften sprechen willst, sprich von denen, die du am besten kennst: die Ruinen deiner Heimatwelt.« Die Erwähnung der riesigen Fragmente uralter Kolossalbauten auf dem Dumabb-Paraxx ließ die Versammlung betroffen verstummen. Niemand hatte auch nur die entfernteste Idee, wer sie gebaut hatte; die geläufige Lösung des Mysteriums war, daß man sie den legendären Ersten Reisenden zuschrieb, die in der Galaxis kreuzten, als die Sterne noch jung waren;
sie sollten diese Monumentalbauten begonnen und sie dann bei der Abreise unvollendet gelassen haben. Doch Vaxxt hatte sich eine andere Erklärung ausgedacht: sie könnten das Werk des Quespodonen sein, eines Volkes von großer Begabung, das durch irgendeine Katastrophe degeneriert und zu dem geworden war, was es heute war. Die Ruinen, die hier und dort auf ihrer Heimatwelt standen, waren für die Quespodonen von altersher eine Quelle der Erniedrigung gewesen: Beweise der Größe einer verschwundenen Rasse, Zeugnisse ihrer eigenen Armseligkeit. Doch Vaxxt hatte erkannt, daß sie dem entgegengesetzten dienen konnten: als Inspiration für eine abgearbeitete, müde Rasse, sich wieder zu vergessenen Höhen und darüber hinaus zu neuer Größe zu erheben. Vaxxt ließ die Stille eine Zeitlang im Raume hängen und sagte dann leise: »Ah, so denkt ihr also an sie, ja? An diese zerfallenen Türme und eingestürzten Kuppeln, in die ganz Xhancholii hineingepaßt hätte? Haben das die von der Alten Erde gebaut, Brüder?« »Nein, das hätten sie nie gekonnt«, rief einer der Zuhörer, und ein anderer ergänzte: »Es heißt doch, daß die ersten Erdlinge äußerst erstaunt über diesen Anblick waren!« Zustimmende Rufe erschallten. Wieder füllte Vaxxts Stimme den Raum: »Ehe die Erdlinge überhaupt wußten, wie man einen Stein auf den anderen
setzt, hatten unsere Ahnen Bauwerke errichtet, die noch stehen, und über die alle staunen, die sie erblikken. Denn unsere Ahnen haben sie gebaut – nicht die Ersten Reisenden, sondern die ersten Quespodonen! Die Alt-Erdlinge wollten euch glauben machen, daß die Geschichte mit ihnen begonnen hat, aber das ist nur eine ihrer Lügen. Die Geschichte, Brüder, hat mit uns begonnen, mit den Quespodonen! Wir sind nicht zum Dienst erschaffen, sondern um frei zu sein! Wir waren die Ersten! Wir waren die Besten! Und das werden wir auch wieder sein!« Die Quespodonen nahmen diese Sätze auf und wiederholten sie im Chor. Klang, Bewegung, mächtige erhebende Gefühle erfüllten den Raum. Axxal fühlte Jubel in sich aufsteigen: er und Vaxxt waren es, die das alles so sorgfältig geplant hatten. Erstaunlich, was er alles von Jorry gelernt hatte, und wieviel besser er anwenden konnte, was er gelernt hatte! Jetzt erläuterte Vaxxt den Versammelten, was in den kommenden Tagen zu erwarten war, und wie sie sich Garivs Truppen gegenüber verhalten sollten, wenn es zu Unruhen käme. Als die Menge hinausströmte, hielten er und Axxal eine gewisse Anzahl von Quespodonen zurück, die ihnen geeignet erschienen, und gaben ihnen genauere Instruktionen. Als alle draußen waren, sagte Axxal: »Das haben wir gut gemacht, nicht wahr?«
Nach kurzem Zögern antwortete Vaxxt bedächtig: »Ja. Heute habe ich zum erstenmal Quespodonen gesehen, die sich nicht schämten, zu sein, was sie sind.« »Als du von den Ruinen sprachst, war es wie – es war, als ob du ein Licht in einem dunklen Raum angezündet hättest. Auf einmal sahen sie alle die Möglichkeit, daß unsere Vorfahren Großes vollbracht haben, Größeres als die Alt-Erdlinge.« »Vielleicht haben sie das auch wirklich. Es weiß ja niemand, wie es gewesen ist, also können wir ruhig sagen, daß es so war. Wir brauchen das. Genauso wie wir unsere Schöpfungsgeschichte brauchen.« »Meinst du, sie haben sie geglaubt?« »Zuerst wollten sie nicht glauben. Es hat sie erschreckt. Aber als du zum Schluß kamst –« »Und dann, als du von den Ruinen sprachst –« »Ja, sie sind überzeugt. Es war eine gute Idee, Axxal, eine sehr gute Idee, daß du die alte Geschichte vom Täuscher so abgeändert hast.« Axxal dachte an Jorrys kluge Worte an Bord der Seraph und erwiderte: »Ein sehr kluger Mann hat mich darauf gebracht.« »Wir schulden ihm Dank.« Vaxxt verharrte eine Zeitlang in nachdenklichem Schweigen und sagte schließlich: »Im Arbeitslager habe ich manche Legenden und Schöpfungsgeschichten gehört, aber erst als du es erwähntest, ist mir klar geworden, daß die der
Quespodonen die einzige war, die die eigene Rasse als minderwertig hinstellte. Also mußte sie von Fremden erfunden sein. Kein Volk spricht so schlecht von seinem Ursprung. Deine Geschichte macht uns stolz.« »Wir waren die Ersten. Wir waren die Besten«, wiederholte Axxal. »Ein guter Schlachtruf, wenn wir einen brauchen sollten. Ob es wohl wahr ist?« »Das habe ich mich oft gefragt. Nicht nur das mit den Quespodonen, sondern überhaupt. Wo kommen wir alle her? Wir sind so verschieden, und doch in vielem so ähnlich – Was kann der Sinn von alledem sein?« »Darauf habe ich keine Antwort.« »Nein. Soweit sind wir auch noch nicht, Vaxxt. Doch endlich sind wir soweit, daß wir zu fragen gelernt haben.« »Ja, das stimmt«, sagte Vaxxt und stand auf. »Aber jetzt haben wir keine Zeit mehr zu fragen. Es ist viel zu tun.«
7. Letzte Vorbereitungen Die lastende Ruhe des Mittags erfüllte den Palast. Drinnen war alles dämmrig und kühl. Ein schwacher
Luftzug wehte flüsternd durch Santrharas Gemächer, wo Jorry und sie miteinander allein waren. Eng hielt sie ihn umschlungen. Ihr Kopf lag an seiner Brust. Einer der geschmeidigen Tentakeln streichelte zart seine Wange, der andere berührte die Narbe, die sich quer über seine Rippen zog. Er liebkoste ihre glatte Schulter und seufzte tief und zufrieden. »In manchem bist du Gariv so ähnlich«, sagte das grüne Mädchen mit ihrer sanften, melodischen Stimme, »und doch seid ihr so grundverschieden. Sind eure Völker wirklich blutsverwandt?« »Es ist eine sehr entfernte Verwandtschaft.« »Bist du wirklicher Freier Kaufmann, Jorry?« Er sah sie unbefangen an. »Selbstverständlich. Was sonst? Denkst du, ich bin ein Pirat?« »Du kommst mir – Ich habe schon Kaufleute gesehen. Es landen oft welche auf dem Xhanchos. Keiner war so wie du.« Er lachte leise und drehte sich zu ihr um. »Bin ich besser oder schlechter?« »Du bist so ganz anders. Du redest mit Gariv, wie man mit einem König redet, und doch merkt man an deinem ganzen Benehmen, daß er für dich noch unter deinem Diener steht.« »Er selbst scheint das noch nicht bemerkt zu haben.«
»Der merkt überhaupt nichts«, sagte sie verächtlich. Doch dann wurde sie heiterer. »Und du hast mir einen Edelstein geschenkt – den schönsten auf dem ganzen Planeten – und hast dabei so getan, als wäre es ein Glasschmuck vom Markt.« »Ich wollte dich wissen lassen, was ich für dich empfinde. Der Stein war das Schönste, was ich je gesehen habe – bis ich dich erblickte.« Er zog sie an sich. Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Santrhara lächelnd: »Oh Jorry, ich bin so froh, daß du nach Xhancholii gekommen bist!« »Ich auch. Auf allen meinen Reisen war ich nie so glücklich.« »Nimm mich mit, Jorry«, bat sie. »Es könnte doch immer so sein wie jetzt – nur wir beide auf einer ruhigen Welt, die wir uns aussuchen.« »Ich will dich gern mitnehmen, wenn du es wünschst. Aber der Xhanchos ist deine Heimatwelt, und dein Volk kann anderswo nicht lange leben.« Sie sah mit großen, dunklen, flehenden Augen zu ihm auf. »Vielleicht ist das so, vielleicht auch nicht. Ich kann es nicht sagen. Aber ich will hier weg. Ich habe Angst vor dem, was kommen mag.« »Vor Gariv? Der merkt nie, daß wir ihn betrügen.« »Nein, nicht Gariv. Trotz aller seiner lauten Worte ist er ein kleiner Mann. Ich habe vor Schlimmerem Angst. Ich habe die schrecklichen Kämpfe miterlebt,
und ich fürchte, es wird noch schlimmere Kämpfe geben. Gariv spricht davon, seine alten Verbündeten auszuschalten, und ich höre, was meine Dienerinnen reden. Es wird bald zu Kämpfen kommen, und wir müssen vorher weg.« Zitternd schmiegte sie sich enger an ihn. »Bitte, Jorry!« »Wann?« »Sehr bald. Meine Dienerinnen wollen es mir nicht sagen – sie denken, ich würde sie an Garivs Leute verraten –, aber ich höre immer mal etwas. Es geht bald los, Jorry. Vor dem nächsten Mondzyklus.« »Ich muß mir etwas ausdenken. Es wird eine knifflige Geschichte, Santrhara. Ich schaffe es irgendwie, aber es wird schwierig.« »Können wir nicht einfach heimlich an Bord deines Schiffes gehen, wenn alles schläft? Jetzt gleich?« Sie sprang auf und faßte Jorrys Hand. »Jawohl, jetzt gleich, jetzt hält uns niemand!« Jorry schüttelte den Kopf und zog sie zu sich herab. »Es ist zu spät. Gariv läßt die Seraph von drei Mann bewachen. Um sie vor dem Mob zu schützen, sagt er.« »Ich könnte mich in irgend etwas verstecken, das du an Bord bringst«, sagte sie voller Hoffnung. »Ich habe Geschichten von Liebespaaren gehört, die es so gemacht haben.« Er knurrte etwas Undeutliches, schwieg einen
Moment, sagte dann nachdenklich und langsam: »Das ginge allenfalls. Sie haben keinen Grund, meine Waren zu kontrollieren. Und selbst wenn sie's tun, Axxal und ich werden mit drei Mann schon fertig, und wir können starten, ehe uns jemand hindern kann.« »Du willst also! Wann, Jorry?« »Warten hat keinen Sinn. Wir kommen nie zur Seraph, wenn wir durch eine Revolution müssen – Kannst du bei Sonnenaufgang bereit sein?« »Aber ja!« Sie strahlte, und Jorry war aufs neue zutiefst angerührt von dieser wunderschönen Frau, die ihn so sehr liebte, daß sie Flucht und möglicherweise Tod riskieren wollte. Jorry wußte das zu schätzen, wenn er es auch nicht verstand. Die k'Turalp'Pa hielten nicht viel von Liebe. Auf seine distanzierte Art hatte er eine gewisse Zuneigung für Santrhara, doch Liebe war ein Gefühl, das ihm im Grunde fremd war. »Also gut. Ich werde nach Sonnenaufgang ein paar Einkäufe in der Stadt machen und sie in eine Kiste packen lassen, die groß genug für dich ist. Ich werde Gariv sagen, daß ich die Sachen an Bord bringe, weil sie dort sicherer sind; und sobald wir auf der Seraph sind, bist du frei von ihm. Aber es ist riskant – darüber mußt du dir klar sein.« »Das Risiko gehe ich mit Freuden ein. Frei sein, mit dir – Kein Gariv, keine Bewaffneten, wohin man sieht
– Oh, Jorry – ein freundliches Über-Wesen muß dich auf den Xhanchos geführt haben!« Jorry lachte leise auf bei diesen Worten. »Ich möchte eher glauben, es war Keoffo, der Täuscher. Doch wer es auch gewesen sein mag, ich bin ihm sehr dankbar.« Er verließ Santrharas Gemächer über den selten benutzten kleinen Korridor, der ihm seit ihrem ersten Treffen so wohlbekannt war. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er nie ein Gefühl gehabt, das wirklicher Befriedigung so nahekam, und einmal blieb er sogar stehen und lachte aus purer Fröhlichkeit laut auf. Er, ein k'Turalp'Pa, Meister der subtilsten Listen und Ränke, war im Begriff, mittels eines Tricks, von dem schon die ältesten Legenden der ältesten Rassen erzählten, eine Königskonkubine zu entführen! Es war wirklich amüsant! Und auch höchst passend als Abschiedsgruß an diesen halbzivilisierten Planeten Xhanchos und seinen Emporkömmling von König. Beide verdienten wahrlich nichts Besseres. Vieles war während Jorrys kurzem Aufenthalt auf dem Xhanchos geschehen; schon vor Santrharas Andeutungen hatte er gespürt, daß die Dinge rasch auf eine Entscheidung zutrieben und hatte begonnen, Pläne zu machen. Er hatte die Unruhen noch gefördert, indem er – scheinbar unbefangen – gewisse Äußerungen Garivs an Axxal weitergab. Er konnte sich
darauf verlassen, daß Axxal die Pläne Garivs unter den Massen der Freien Armee verbreiten würde. Die Quespodonen und ihre Genossen waren bereit zum Handeln, denn sie würden ihre neugewonnene Freiheit wahren, soviel war sicher. Zuerst hatte Jorry mit dem Gedanken gespielt, die Skoraten und die Skeggjatten gegeneinander aufzuhetzen, dann einen Aufstand der Massen gegen die Überlebenden anzuzetteln und die Republik auszurufen. Das hätte sich schon machen lassen. In den Außenbezirken von Xhancholii hielten Rudstromiten – Prediger und ähnliche Volksmänner – Reden über Freiheit und Gleichheit, womit sie die Massen um sich sammelten. Jorry hätte das recht gut in den Kram gepaßt. Mochten sie ruhig ihre Republik errichten; Kian Jorry war der einzige Mann, der den Xhanchos zu regieren fähig war; und während die kleinen Leute sich um ihre kleinen Würden und Ehren die Nasen zerkratzten, konnte er in Ruhe die Macht ausüben, Santrhara an seiner Seite – solange, bis er Lust hatte, wieder zum Boroq-Thaddoi zu fahren. Jorrys Appetit auf Intrigen wurde noch durch seine Abneigung gegen Gariv und dessen Gefolgschaft verstärkt. Das waren stolze, arrogante Kerle, schlau in bestimmten, ganz wenigen Dingen und stupide in den meisten anderen; und je mehr er von ihnen sah, je öfter er sie sprechen hörte, desto mehr verachtete er
sie. Gewiß, ihre Vorgänger in Xhancholii waren auch nicht viel wert gewesen. Von der Frühzeit ihrer Geschichte an hatten sie ihre Mitmenschen versklavt und zu Tode geschunden, nur um ihrer eigenen Eitelkeit Denkmäler zu errichten. Hatten sie auf ihrer eigenen Welt nicht genug Verbrecher, um ihre Pyramiden zu bauen, so holten sie sich Zwangsarbeiter von anderen Planeten und zahlten den Sklavenhändlern gute Preise. Doch unter Gariv und seinen Kriegern besserte sich nicht viel. Sie waren ebenso brutal und hatten ebensowenig Achtung vor dem Leben anderer wie die Xhanchilion, und, schlimmer noch als diese, ließen sie nichts hinter sich. Sie konnten nur zerstören. An jeder Seite der Stadt Xhancholii erstreckte sich weithin sichtbar eine Reihe blauer Pyramiden in die Wüste, Denkmäler von Äonen. Jetzt würden keine mehr entstehen. Als die Menschen der Alten Erde noch in Höhlen lebten, das untergegangene Imperium der Tett'tu noch über vier Planetensysteme herrschte, als die kalte, tote Welt des Utior und die spitztürmigen Städte des Anom noch von Leben wimmelten, erstanden auf dem Xhanchos Pyramiden. Andere Welten hatten sich verändert. Kulturen wuchsen auf, blühten und starben, und immer noch gehorchten die Xhanchilion ihrem unheimlichen, zeitlosen Zwang, diese riesigen Steinblöcke aufzutürmen.
Und das war jetzt für immer vorbei. Gariv hatte der Sklaverei der Pyramidenbauer ein Ende gesetzt, jedoch nur, um die befreiten Sklaven zu Dienern seiner Krieger zu machen. Jorry betrachtete das als eine Unverschämtheit. Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit bedeutete ihm nicht viel, aber durch sein k'Turalp'Pa-Blut hatte er Achtung vor Schönheit und Vollkommenheit. In seinen Augen war Garivs Regime der reine Hohn. Skoraten waren zum Herrschen nicht geeignet. Die Quespodonen würden es seiner Ansicht nach auch nicht schlechter machen. Da ihnen die Arroganz der Skoraten abging, würden sie vielleicht sogar versuchen, die besten Elemente der Xhanchilion zu bewahren und nicht alles in einer Woge der Zerstörung untergehen zu lassen. Ein Zeitlang, bevor er merkte, wie dicht die Quespodonen und ihre Verbündeten vor der Revolution standen, hatte er sogar an eine einfache, direkte Machtergreifung gedacht. Es wäre ganz leicht gewesen. Ein Arsenal von Feuerwaffen war auf der Seraph versteckt, und soweit Jorry beurteilen konnte, waren das die einzigen Waffen auf dem Xhanchos, abgesehen von den Schwertern und Wurfspießen der Soldaten Garivs. So ausgerüstet waren Jorry, Axxal und eine kleine ausgewählte Rebellenschar unbesiegbar. Sechs Mann konnten so eine Welt erobern.
Der Mangel an technischen Waffen in der Galaxis und die großen Unterschiede in den Waffensystemen der einzelnen Welten waren offensichtliche Anomalien im interstellaren Verkehr, doch nur wenige Sternfahrer machten sich Gedanken über diese Situation und ihre Konsequenzen. Sie nahmen einfach die Gegebenheiten hin, so wie sie die gewaltigen Raumschiffe hinnahmen, deren Funktionsprinzip ihnen ein Geheimnis war. Gelegentlich wunderte sich ein besonders Denkbegabter über den Widersinn, der darin lag, daß auf Raumschiffen mit Multilichtgeschwindigkeit Besatzungen fuhren, deren wirksamste Waffen Entersäbel und allenfalls Pistolen waren; über Heiler, die ein abgehauenes Bein wieder ansetzen konnten, über blutige Turniere, in denen sich die Krieger zu Hunderten abschlachteten, um einer längst vergessenen Tradition genüge zu tun; über die riesige Maschine auf dem Watson, die als Repositorium für die Weisheit zahlloser Kulturen diente, während auf hunderten anderer Welten noch nach dem Gemurmel eines Sehers oder nach dem Werfen von Bildsteinen Recht gesprochen wurde. Solche Dinge lagen in der Galaxis nahe beieinander. Ein Raumfahrer konnte mit Lichtgeschwindigkeit in einer einzige intersystemaren Reise von der höchstentwickelten Kultur zur primitivsten gelangen. Diesmal hatte Jorry daran gedacht, aus der Rückständigkeit des Xhanchos
und seiner Herrscher Vorteil zu ziehen und sich auf leichte Art ein eigenes Königreich zu pflücken. Doch Santrhara wollte ihn dazu bewegen, alle diese Herrschaftspläne aufzugeben und mit ihr zu fliehen, um auf fernen unbekannten Planeten ein neues Leben zu beginnen. Jorry dachte über ihren Vorschlag nach und fand ihn ganz reizvoll. Ihm lag nicht besonders an einem Kampf, selbst wenn die Aussichten gut für ihn waren. Oft genug hing es vom Glück ab und nicht von der Schlauheit, wie ein Kampf ausging. Und in letzter Zeit war sein Glück nicht sehr zuverlässig gewesen. Er sollte sich lieber nicht auf sein Glück verlassen, fand er. Von seinem Anteil an den Edelsteinen und von dem, was Santrhara mitnehmen konnte, würden sie eine Zeitlang ganz bequem leben können. Und eines Tages würde er wieder zum Boroq-Thaddoi fahren und die Suche nach dem Leddendorf-Schatz zu Ende führen. In der ganzen Galaxis teilte nur Axxal sein Geheimnis, und Jorry konnte sich nicht vorstellen, daß ein Quespodon bei irgendeinem Unternehmen ein ernstzunehmender Rivale sein würde. Seit Beginn seiner Affäre mit Santrhara war Jorry die Beute widerstreitender Gefühle. Zuerst war es ihm nur um den Besitz Santrharas gegangen, so wie man einen seltenen und schönen Gegenstand besitzen möchte. Gafaal-Frauen waren in der ganzen Ga-
laxis berühmt, und nur aus Stolz hatte er eine von ihnen haben wollen. Und als er sah, daß ein primitiver Usurpator diese Frau als Beutestück betrachtete, war es nur angemessen, sie ihm wegzunehmen. Daß sie ihn liebte und ihn dem viehischen Gariv vorzog, fand er durchaus vernünftig von ihr. Er war der bessere Mann, und wenn sie ihn erwählte, war das nur zu ihrem Vorteil. Daß sie sich so entschied, verpflichtete ihn, wie er die Dinge sah, zu nichts anderem, als das Beste aus der Situation herauszuholen. Sie Gariv wegzunehmen, würde Spaß machen; eine Zeitlang mit ihr zusammenzusein würde beiden Freude bereiten und von ihm kein Opfer fordern. Er hatte noch ein langes Leben vor sich. War er ihrer müde, so hatte er reichlich Zeit, zu dem Boroq-Thaddoi zu fahren. Mit den Leddendorf-Schätzen an Bord könnte er so weit und so schnell fahren wie er wollte und nach dem suchen, was jenseits der fernsten Sterne lag. Doch fürs erste würde er sich des Lebens freuen. Im Gasthof angekommen, ging Jorry zu Axxal in die Kammer. Der Quespodon lag vollständig angekleidet auf seinem Bett, in tiefem Erschöpfungsschlaf. Jorry brauchte einige Zeit, um ihn wachzuschütteln. »Ich habe mich schon gewundert, wo du immer steckst, Junge«, sagte Jorry, als sein Diener endlich wach war und sich gähnend aufrichtete. »Hast du dir ein Mädchen angelacht?«
»Nichts dergleichen, Jorry.« »Nun, dein alter Kapitän hat eine Frau für sich gefunden, mein Junge. Santrhara. Konkubine dieses aufgeblasenen Monarchen des Xhanchos. Bei Sonnenaufgang bringe ich sie von diesem Planten weg, und ich brauche deine Hilfe.« »Ich will dir helfen, wenn ich kann, Jorry, aber ich fahre nicht mit.« »Bei allen Flammenden Ringen, was soll das heißen?« brüllte Jorry. »Du gehörst zur Besatzung der Seraph, und ich bin der Kapitän. Wenn ich befehle, hast du zu gehorchen.« »Du kommst auch ohne mich aus, Jorry, aber hier werde ich gebraucht – ich – alle Quespodonen auf dem Xhanchos brauchen mich ganz dringend. Ich kann sie jetzt nicht im Stich lassen.« »Jetzt nicht im Stich lassen?« wiederholte Jorry. Mit einem mißtrauischen Blick auf Axxal zog er einen niedrigen Hocker heran und setzte sich direkt ans Bett. »Auf was hast du dich da eingelassen, Axxal?« Unbeholfen suchte Axxal nach einer Erklärung. »Ich habe erfahren, daß – wir versuchen, die Quespodonen und die anderen – sie müssen begreifen, wenn sie nicht versuchen, sich selbst zu schützen, werden sie –« Unumwunden und kühl unterbrach Jorry ihn: »Gewisse Leute im Palast glauben, es gibt einen Aufstand. Wann soll es losgehn, Axxal?«
»Ich weiß nicht. Sehr bald, aber genau weiß ich es nicht. Ich will dir helfen wegzukommen, Jorry, aber mein Platz ist hier.« Nachdenklich runzelte Jorry die Stirn, nickte dann und grinste breit. »Es sieht so aus, als sei der Kapitänsbursche plötzlich erwachsen geworden. Du bist jetzt ein Mann, Axxal, und ich kann einen Mann nicht seiner Aufgabe entziehen. Besonders dann nicht, wenn ich mit Vergnügen dabei mitgemacht, aber seit einiger Zeit bin ich nicht mehr der alte Kapitän Jorry. Sag doch, wie seid ihr bewaffnet? Ihr habt es mit harten Kriegern zu tun, weißt du das?« »Wir haben ein paar gute Säbel. Die Thorumbianer machen sich Langbogen, aber der Großteil unserer Armee hat nur Knüppel. Wir sind zahlenmäßig überlegen, und der Überraschungsmoment ist auf unserer Seite.« Jorry schüttelte den Kopf. »Verlaß dich darauf nicht. Gariv muß Spione unter euren Leuten haben. Er weiß eine ganze Menge.« Über diese Neuigkeit war Axxal bestürzt. Nachdem Jorry ihm weitere Einzelheiten erzählt hatte, sagte er: »Wenn Gariv weiß, wann und wo wir losschlagen wollen, dann wird er uns hinwegfegen.« »Nicht unbedingt«, erwiderte Jorry wohlwollend wie ein Vater oder Lehrer. »Wenn ich mich nicht sehr irre, hast du in letzter Zeit eine Menge nachgedacht.
Denk noch schärfer nach. Denk daran, was an Bord der Seraph ist.« In tiefer Konzentration furchte Axxal die Stirn, zupfte sich am Ohr, dann erhellte sich seine Miene, und er rief: »Schußwaffen!« »Richtig. Ich behalte zwei Paar Maschinenpistolen zu meiner persönlichen Beruhigung. Der Rest ist dein –« »Jorry, genau das brauchen –« »– gegen deinen Anteil an den Steinen«, fuhr Jorry fort. »Ist das fair?« Und als Axxal zögerte, sagte er vorwurfsvoll: »Mit diesen Waffen wird der Xhanchos dein, mein Junge. Ich fordere einen billigen Preis für eine ganze Welt!« »Das stimmt, Jorry – ich bin einverstanden.« »Kluger Bursche. Du hast eine ganze Menge von mir gelernt«, sagte Jorry, stand auf und reckte sich. »Ich ruhe mich jetzt ein Weilchen aus. Am Abend mache ich ein paar Einkäufe. Bei Sonnenaufgang treffen wir uns hier. Und wo du heute nacht auch hingehst – verhalte dich ruhig! Sobald ich im Raum bin, kannst du meinetwegen diesen Planeten in die Luft sprengen, Axxal – aber bis dahin paß auf dich auf!«
8. Garivs Hinrichtung Schon oft genug in seinem Leben war Jorry in schwierigen Situationen gewesen, so daß er gelernt hatte, wie wichtig es ist, Selbstbeherrschung zu bewahren und äußerlich kühl zu bleiben, wenn Not am Mann ist. Als am späten Abend zwei bewaffnete Skeggjatten im Gasthof erschienen, begrüßte er sie daher liebenswürdig und entschuldigte sich wegen der Unordnung in seiner Kammer. Er sei dabei, verschiedene Waren umzupacken, und dabei gebe es immer ein rechtes Durcheinander, besonders wenn der Diener nicht da sei – Doch sie waren nicht gekommen, um zu plaudern oder sich sein Zimmer anzusehen. Sie waren gekommen, um ihn wegen einer Angelegenheit von großer Dringlichkeit zum Monarchen zu bringen. Jorry tat erstaunt, doch er hatte keine Wahl und ging mit ihnen. Gariv schickte die Garden hinaus, sobald Jorry den Thronsaal betreten hatte. Er sah ziemlich beunruhigt aus. Er trug einen Brustpanzer über dem Gewand; Helm und Schwert lagen neben dem Thron. Mit gepreßter Stimme sagte er: »Der Aufstand bricht morgen los. Ich weiß es ganz genau.« Jorry verspürte eine gewisse Gereiztheit, weil ihn der König aus purer Nervosität von seinen eigenen Angelegenheiten abhielt, doch er bezwang sich und
sagte höflich: »Ich war fast den ganzen Abend in der Stadt, um Waren einzukaufen, doch ich habe keine Anzeichen von Unruhe bemerkt. Warum erwarten Majestät den Aufstand gerade jetzt?« »Diese grüne Hexe hat sich heimlich mit jemanden getroffen.« »Santrhara?« fuhr Jorry erschrocken auf. »Jawohl, Santrhara, meine Konkubine. Von dem Tage an, da ich sie befreite, hat sie meinen Feinden Informationen gegeben.« »Unmöglich!« Ärgerlich fuhr Gariv herum. »Erzähl mir nicht, was unmöglich ist, Kaufmann! Heute mittag haben die Palastwachen jemanden herauskommen sehen. Sie folgten dem Korridor, den er benutzte – und fanden eine Geheimtür zu Santrharas Gemächern. Als ich aufwachte und zu ihr ging, um sie zu befragen, traf sie gerade Vorbereitungen, um heimlich hinauszuschlüpfen und sich in Sicherheit zu bringen, bevor ihre Mob-Armee den Palast belagert.« Das konnte keine Kriegslist sein. Dazu war Gariv nicht klug genug. Skorat-Stil war, dem Verdächtigen die Anschuldigung ins Gesicht zu brüllen, möglichst in Gegenwart einer größeren Gruppe. Das war keine Falle für Jorry, sondern etwas ganz anderes, etwas Unvorhergesehenes und Nichteingeplantes. Jorry mußte mehr wissen.
»Sind Majestät sicher, daß sie zum Feind überlaufen wollte? Vielleicht wollte sie zu ihrem Liebhaber.« Ungläubig starrte Gariv ihn an. »Zu ihrem Liebhaber? Kein Mann auf diesem Planeten würde wagen, sie auch nur anzusehen.« »Ich habe sie viele Male angesehen.« »Du bist ein Kaufmann«, erwiderte Gariv verächtlich. »Ich rede von Männern, von Kriegern. Santrhara war dazu geboren, Größe zu erkennen. Wer kam da für sie in Betracht außer mir?« »Was hast du mit ihr gemacht, König Gariv?« »Ich habe sie getötet, was sonst? Ich habe sie befreit, ihr einen Platz an meiner Seite gegeben – und sie hat mich betrogen.« Scharf zog Jorry den Atem ein und hielt ihn sekundenlang an, während sein Blick fest auf den Monarchen des Xhanchos gerichtet war; dann stieß er einen langen Seufzer aus. Wieder einmal waren seine Hoffnungen und Pläne durch die Dummheit anderer zunichte geworden. Langsam, mit gedämpfter, völlig ausdrucksloser Stimme, wie ein Mann, der eine Nachricht wiederholt, die er nicht glauben kann, flüsterte er: »Santrhara ist also tot.« »Was kümmert dich das, Kaufmann?« »Ich wollte sie für mich.« Als Garivs Hohngelächter verklungen war, fuhr er fort: »Und sie liebte mich. Wir wollten diesen Planeten verlassen, aus dem du
mit deinen Lakaien eine Arena machen wolltest. Aber du hast sie getötet, und so ist das vorbei.« »Du lügst, Kaufmann. Santrhara war mein. Sie hätte dir nicht gestattet, auch nur den Staub zu berühren, auf dem sie schritt.« Jorry hielt es nun nicht mehr für notwendig, noch etwas zu verbergen. »Verletzt der Gedanke, daß sie in meinen Armen lag, deinen Skoratenstolz? Dann bist du tief verwundet worden, viele Male. Ich wäre fast versucht, dich zu bemitleiden, aber ich kann dich nur verabscheuen.« Jorry schlug die Arme übereinander und sah Gariv von oben bis unten an. »Du irrst, wenn du dich für einen großen Mann hältst, Gariv. Männer wie du mögen die Macht ergreifen, indem sie diejenigen töten, die sie besitzen; du magst sie sogar kurze Zeit in Händen haben, als verstündest du wirklich zu regieren. Aber ein großer Mann zu sein, davon bist du zu weit entfernt.« »Genug, Kaufmann. Deine Sprache gefällt mir nicht.« »Sie würde dir noch weniger gefallen, wenn du Hirn genug hättest, sie zu verstehen. Die einzige Größe, die du jemals erkennen wirst, ist die Größe deiner eigenen Dummheit. An einem einzigen Tag hast du die schönste Frau dieser Welt getötet und deinen Thron weggeworfen. Und dein Leben dazu.« »Du beleidigst mich! Du wagst es, mir zu drohen!«
»Ich sage dir nur Tatsachen. Wenn du dich dadurch beleidigt oder bedroht fühlst – umso schlimmer für dich.« Mit einer schnellen Bewegung erhob sich Gariv und ergriff sein Schwert. »Ich habe dich herbringen lassen, Kaufmann, um dir die Chance zu geben, auf Seiten des Siegers zu fechten. Ich könnte dich leicht auf der Stelle niedermachen«, drohte er finster. Mit einem halben Lächeln betrachtete Jorry den Monarchen. »Du hast mich holen lassen, weil du Angst hast. Ein Schwert mehr zu deiner Verteidigung, wenn auch nur in der Hand eines Kaufmanns – das ist alles, was du wolltest. Doch ich werde nicht für dich kämpfen, und du wirst mich nicht niederhauen. Ich werde dich töten, Gariv. Und dann werde ich die Quespodonen und ihre Verbündeten bewaffnen und sie auf deine Männer loslassen.« Sekundenlang erwog Gariv schweigend Jorrys Worte, dann lachte er laut auf. »Wie willst du mich töten, Kaufmann? Mit Worten? Mit deinen bloßen Händen?« Er hob die Klinge, schwang sie langsam nach links und rechts und richtete dann die Spitze in Armeslänge auf Jorrys Kehle. »Hast du eine Waffe, so benutze sie, Kaufmann«, forderte er. Blitzschnell erschien eine kleine Klinge in jeder Hand Jorrys. Gariv spuckte aus, als er sie sah. »Männer kämpfen mit Schwertern, Kaufmann«, sagte er verächtlich.
Geduldig, wie man zu einem ungezogenen Kind spricht, erwiderte Jorry: »Das ist kein Turnier. Ich will mich nicht mit dir duellieren, ich will dich hinrichten.« Gariv trat einen Schritt zurück. »Ich will meine Zeit nicht mit dir vergeuden. Ein Hieb, und du bist mittendurch gespalten. Hörst du mich? Das habe ich mit besseren Männern gemacht, als du einer bist, Dutzende von Malen. Mit Hunderten. Und du – mit deinen schwächlichen Fingermessern –« Jorry schüttelte den Kopf und seufzte, als fiele es ihm schwer zu tun, was er tun mußte. »Du bleibst derselbe bis zum bitteren Ende, Gariv. Ein Großsprecher, ein Angeber und ein völliger Dummkopf.« Er hob die Hände in Zielposition. Gariv zückte sein Schwert und machte einen Ausfall. Ein einziges Fingerschnippen Jorrys – der Skorat stolperte über das Podium des Thrones und stürzte Jorry vor die Füße. Über seinem linken Auge, fast unsichtbar unter der starken Braue, war ein kleines Loch. Die Schwerthand zuckte noch zweimal krampfhaft, dann erzitterte er und lag reglos da. Jorry stieß das Schwert mit dem Fuß beiseite, hob den Leichnam auf und setzte ihn auf den Thron. Auf kurze Entfernung sah es aus, als sei der Monarch des Xhanchos tief in Gedanken versunken. Jorry wandte sich zum Gehen, da fiel sein Blick auf das Lebende
Bild Nikkolopes. Er nahm es dem Toten ab, steckte es in seine Tunika, ging zur Tür und wies die Garden an, daß Gariv nicht gestört zu werden wünsche. Dann machte er sich auf den Weg zum Gasthof, wo Axxal schon auf ihn wartete. Als Jorry in die Kammer trat, fand Axxal ihn irgendwie verändert, so daß er zögerte, ihn anzureden. Mit einer Handbewegung forderte Jorry den Quespodon zum Hinsetzen auf, dann postierte er sich vor ihn, mit dem Rücken zur Tür. »Beantworte mir eine Frage, Axxal, und sprich die Wahrheit: Hat Santrhara schon immer für euch spioniert?« »Garivs Konkubine – unsere Spionin? Nein, Jorry«, erwiderte Axxal erstaunt, aber tief ernst. »Woher willst du das so genau wissen?« »Ihr Name ist nie genannt worden. Ich hätte ihn hören müssen. Wir hatten fünf Spione im Palast, alle Xhanchilion. Sie hat uns nie unterstützt.« Jorry lehnte sich mit untergeschlagenen Armen an die Tür. »Gariv glaubte, daß sie gegen ihn spionierte. Er hat sie dabei erwischt, daß sie aus dem Palast fliehen wollte, und er glaubte, daß sie sich vor Ausbruch der Rebellion in Sicherheit bringen wollte.« »Da hat er sich geirrt. Sie wollte sich doch mit dir treffen.« »Geirrt oder nicht – er hat sie getötet.« Axxal war erschüttert über diese Nachricht, und
noch mehr über den dürren, farblosen Ton, in dem sie gegeben wurde. Er sah zu Jorry auf und wiederholte leise: »Getötet?« »Ja. Deswegen habe ich ihn getötet. Ich wollte Santrhara, und er hat sie umgebracht. Jetzt sitzt er tot auf Xhanchos' Thron, und ich möchte sagen, er regiert so weise wie je. Sobald sein Leichnam entdeckt wird, ist der Palast in hellem Aufruhr. Geh zu deinen Leuten und sag ihnen, sie sollen unbedingt heute noch losschlagen. Die Skoraten und Skeggjatten sind führerlos. Ihr werdet sie bis zum letzten Mann vernichten können.« »Die Waffen!« erinnerte Axxal. »Ihr kriegt sie. Komm gleich mit.« Axxal sah sich im Zimmer um, wo allerlei Handelswaren verstreut lagen. Eine große Kiste stand mit offenem Deckel in der Mitte des Zimmers. »Was wird jetzt mit all dem hier?« fragte er. »Nützt mir jetzt nichts mehr. Komm!« Eiligen Schrittes ging Jorry voran durch die stillen Straßen des Palastviertels, zeigte am Tor das königliche Abzeichen vor und gelangte ungehindert bis zur Seraph. Lässig stand ein Wachtposten auf, der im Schatten des Schiffes gesessen hatte und hielt die beiden Händler an. »Was habt ihr hier zu suchen?« fragte er. »Ich habe Auftrag von Gariv, dem Monarchen des
Xhanchos. Er wünscht gewisse Waren aus dem Schiff«, antwortete Jorry. »Es ist noch früh am Tage, Kaufmann. Nicht die Zeit zum Arbeiten.« »Gariv wünscht die Sachen sofort. Mir liegt genausowenig wie euch daran, in der Sonne zu arbeiten, Freund; aber ich will seinem Befehl nicht entgegenhandeln. Willst du das etwa?« Der Posten murmelte etwas und zog sich in den Schuppen zurück, wo die anderen beiden saßen. Jorry ging mit ihm hinein. Doch er kam allein wieder heraus. An Bord der Seraph packten Axxal und Jorry rasch ein Bündel Waffen zusammen: sechs Gewehre, sechs Pistolen und reichlich Munition. Es wurde ziemlich schwer, doch Axxal schwang es sich mühelos auf die Schulter. »Ich gehe um die Mauer herum durch das Schwarze Tor in die Stadt hinein«, entschied er. »Wir wissen einen Weg an den Posten vorbei. Aber du mußt jetzt weg.« »Keine Angst, daß ich hierbleibe. Ich finde nicht viel Geschmack an diesem Planeten. Viel Glück für dich, Axxal.« »Danke, Jorry. Und viel Glück auch für dich, auf dem Boroq-Thaddoi.« Jorry schüttelte den Kopf. »Mit meinem Glück war
in letzter Zeit nicht viel los, Axxal. Vielleicht hat euer Täuscher sich entschlossen, mich zu adoptieren, jetzt, wo er seine Quespodonen losgeworden ist.« Er lachte trocken auf. »Doch ich werde schon mit ihm fertig, ich weiß selbst den einen oder anderen Trick. Ich hoffe, du hast auch ein paar gelernt.« »Du hast mich viel gelehrt, Jorry.« »Du warst auch ein guter Schüler. Du hast das Zeug zu einem erstklassigen Sternfahrer, mein Junge. Ich gebe dir eine Chance – willst du die ganze Politik vergessen und mit mir auf den Boroq-Thaddoi kommen? Diesmal gehen wir direkt durch die Hintertür hinein und brauchen keine Fallen mehr zu fürchten. Jetzt brauchen wir uns nur durch den Schutt zu graben.« »Ich würde es gern tun, Jorry, aber ich kann meine Brüder nicht im Stich lassen. Ich muß hierbleiben.« »Na ja. Dann bleibt mir also nichts weiter übrig, als zu starten und den Landering für die Daltreskaner freizumachen. Die werden ja allerhand zu tun haben, wenn sie mit ihrer Ladung Sklaven hier landen.« »Ja, allerhand«, nickte Axxal. »Und bist du sicher, daß du so ein großes Schiff allein handhaben kannst? Das ist nicht so eins wie die Seraph, weißt du.« »Ich kann es, Jorry. Was ich nicht weiß, müssen mir die Daltreskaner zeigen. Sie werden gern mit uns zu-
sammenarbeiten, wenn wir sie erst einmal überwunden haben.« Befriedigt nickte Jorry. »Du hast eine ganze Menge gelernt, das ist klar. Lerne noch eins: Laß die anderen kämpfen, mach du die Pläne. Dann lebst du viel länger. Nun geh deinen Weg, ich gehe meinen.« Axxal stand im Schatten einer flachen Rinne und vernahm das schrille Jaulen einer Antriebsspule. Er wandte sich um und konnte gerade noch sehen, daß die Seraph wie ein Blitz vom Landering abhob. Jorry war weg. Axxal war jetzt allein, ein Führer in seinem eigenen Volk, keines Mannes Diener mehr.
9. Führer der Quespodonen Zuerst verbarg Axxal die Waffen. Dies getan, sank er auf den kalten Steinboden, um wieder zu Kräften zu kommen, denn die Wüstensonne des Xhanchos hatte ihm zugesetzt. Minutenlang lag er erschöpft und dachte nach. Ruhe war ein Luxus, den er sich nicht leisten konnte. Vieles lag vor ihm, das wußte er recht gut. Zur Nacht schon konnten Straßenkämpfe toben, wenn die rivalisierenden Gruppen sich um die Macht auf dem Planeten stritten. Jorry hatte von sechs verschiedenen Splittergruppen allein im Lager der Skoraten gespro-
chen. Axxal wußte von mindestens ebensovielen bei den Außenseitern. Es konnte nicht lange dauern, bis es zur endgültigen Auseinandersetzung kam. Vaxxt mußte benachrichtigt, Pläne mußten ausgearbeitet, Waffen verteilt werden. Bald würden die Quespodonen und ihre Anhänger Xhancholii in der Hand haben. Viele würden fallen, doch schließlich würden sie siegen. Reglos, nunmehr ruhig atmend, lag Axxal da und erwog die Situation. Je eingehender er nachdachte, desto ungünstiger erschien sie ihm. Er fand, daß Xhancholii einen teuren Preis kosten würde. Wenn die Verluste der Quespodonen bei der Eroberung der Stadt zu hoch wären, dann könnten sie zu schwach sein, um das Raumschiff der Daltreskaner zu kapern. Und wenn sie auf diesem Planeten bleiben mußten, selbst als seine Herren, dann wären alle ihre Anstrengungen vergebens gewesen. Es mußte andere Möglichkeiten geben. Axxal bemühte sich, sie herauszufinden. Wenn Gariv tot war und die Quespodonen Feuerwaffen hatten, bestand die Chance, einen Zusammenstoß zu vermeiden. Gewiß, die Skoraten waren eine Kriegerrasse. Rein instinktmäßig würden sie das Schwert ziehen wollen. Doch jetzt, gespalten und demoralisiert, nachdem ihr Führer von unbekannter Hand auf seinem eigenen Thron getötet worden war,
konnten sie vielleicht sogar dazu gebracht werden, mit einem starken und wohlbewaffneten Gegner zu verhandeln. Es war ein Versuch wert. Axxal erwog diesen Gedanken von allen Seiten. Vielleicht konnten die Quespodonen trotz allem den offenen Kampf mit den Kriegern vom Palast vermeiden. Unvermeidbar war jedoch der Kampf mit den Sklavenhändlern; dabei würde Blut fließen. Das war nicht zu ändern. Freigelassene aller Völker bewahrten die Erinnerung daran, wie sie unter den Daltreskanern gelitten hatten. Das Schiff mußte genommen werden, und zwar unbeschädigt. Dann – wenn Garivs Nachfolger die Stadt oder auch den ganzen Planeten haben wollten – bitte sehr. Die Quespodonen ihrerseits mußten das Raumschiff haben. Doch wenn sich die Zahl der Quespodonen, die es kosten würde, reduzieren ließ – umso besser. Mühsam stand Axxal auf. Der Kopf schmerzte ihm vom Denken, und das war erst der Anfang. Mit tiefernster Miene ging er durch die dunklen Alleen und Nebenstraßen Xhancholiis. Er schlug sich mit einem Problem herum, das viel komplizierter war und viel subtilere Lösungen erforderte als die Führung eines Raumschiffes. Er versuchte, die Zukunft seines Volkes aufzubauen. Als er endlich bei Vaxxt anlangte, zog er ihn in eine ruhige Ecke und berichtete ihm von Garivs Tod.
Vaxxt reagierte höchst sonderbar. Axxal hatte erwartet, er würde zum Sammeln rufen, Alarm geben wollen. Am meisten hatte er gefürchtet, Vaxxt würde losschlagen wollen, bevor er, Axxal, seine Gegengründe darlegen konnte. Doch Vaxxt blieb merkwürdig still. Es hatte fast den Anschein, als sei es ihm gar nicht recht, daß Gariv tot war. Angesichts dieser Zurückhaltung seines Freundes bekam Axxal mehr Vertrauen zu seinen eigenen Plänen. Die Unterführer wurden herbeigerufen, und als sie sich die Geschichte angehört hatten, wandten sie sich an Vaxxt – er sollte entscheiden. Doch Vaxxt schwieg. Axxal hatte den dringenden Wunsch einzugreifen, aber er beherrschte sich. Der richtige Moment war noch nicht da. »Was sollen wir tun, Vaxxt?« drängten die anderen. »Wir können nicht mehr lange warten. Bei Sonnenaufgang müssen wir losschlagen.« »Ich weiß, ich weiß«, antwortete ihr Führer ungeduldig. Doch mehr sagte er nicht und rührte sich auch nicht vom Fleck. Da wurden sie kühner. »Ich bin für Kampf. Jetzt angreifen, solange sie noch verwirrt sind.« »Eine gute Idee. Sie werden auf einen Angriff bei Tage nicht gefaßt sein.« »Wir haben immer davon gesprochen, daß wir einen Aufstand gegen Garivs Truppen machen sollen.
Jetzt ist die beste Gelegenheit!« kamen die Zwischenrufe. Mit einer ärgerlichen Handbewegung gebot Vaxxt ihnen Schweigen. »Laßt mir gefälligst Zeit zum Nachdenken. Wir können nicht einfach – einfach nur so den Palast stürmen. Das würde uns zuviele Tote kosten.« Das war das Wort, auf das Axxal gewartet hatte, und hier hakte er ein. »Warum sollen wir dann überhaupt das Leben von so vielen Quespodonen aufs Spiel setzen? Was wir brauchen, können wir auch ohne Kampf bekommen. Dann könnten wir uns mit unserer vollen Stärke auf die Sklavenjäger werfen, wenn sie landen«, sagte er. »Ja, das Raumschiff ist wichtig«, meinte einer der Unterführer. »Das Allerwichtigste sogar«, verbesserte Axxal. »Was schlägst du also vor?« fragte Vaxxt. »Unterhandeln.« Mit wutblitzenden Augen und mit einer Leidenschaft, wie man sie von früher her an ihm kannte, fuhr er Axxal an: »Unterhandeln? Wir sind Quespodonen – du vergißt das zu leicht!« »Ich habe nicht vergessen, was ich bin.« »Und wie kommst du dann auf den Gedanken, daß jemand uns gegenüber ehrlich handeln würde, ohne uns zu betrügen? Niemand verhandelt mit Quespodonen. Man bedient sich unserer Stärke, sie berauben
unsere Welt ihres Reichtums – aber uns als gleichberechtigt behandeln? Niemals! Nie hat man das getan und wird es niemals tun«, beharrte Vaxxt. »Jetzt werden sie ehrlich mit uns verhandeln, weil sie keine andere Wahl haben«, erwiderte Axxal ruhig. »Bedenke doch: im Palast herrschen Angst und Verwirrung. Keiner weiß, wem er trauen kann und wen er fürchten muß.« »Ein Grund mehr, um jetzt zuzuschlagen«, rief einer dazwischen. Axxal wandte sich an den Sprecher. »Nein, dieser Ansicht bin ich nicht. Das würde sie gegen uns vereinigen. Trotz unserer Waffen würde das harten Kampf und schwere Verluste bedeuten.« »Das ist wahr«, räumte der Sprecher ein. Andere nickten zustimmend. Axxal fuhr fort: »Wir können im Namen der vereinigten Streitkräfte der Quespodonen sprechen. Wir sind bewaffnet und kampfbereit. Wir brauchen keinem politische Unterstützung zu versprechen. Es wird genügen, wenn wir versprechen, keine Gruppe zu unterstützen.« »Warum sollen sie uns glauben?« »Sie werden uns schon glauben. Aber ist das überhaupt wesentlich? Was sie wollen, ist nicht das, was wir wollen. Mögen sie doch Xhancholii behalten; und wir nehmen das Schiff.«
»Aber werden sie uns das Schiff geben?« fragte einer. »Sie haben das Daltreskanerschiff überhaupt nicht zu vergeben. Es gehört dem, der es nimmt; und wir können es nehmen, wenn wir uns nicht schwächen im Kampf um eine Stadt, in der wir gar nicht bleiben wollen. Was wir tun müssen –« Axxal hielt inne und suchte nach Worten, um seine Gedanken zu formulieren, und fuhr dann fort: »Wir müssen Sie davon überzeugen, daß es für sie nur von Vorteil ist, wenn sie uns helfen, den Xhanchos zu verlassen. Wir müssen sie dazu bringen, daß sie denken, es ist ihre Idee, nicht unsere. Sollen sie denken, sie überlisten uns, wenn es nur unserer Sache hilft. Es sind Skoraten – wenn sie denken, wir wollen das Schiff, dann ist das für sie ein Grund, es selbst haben zu wollen. Also müssen sie denken, wir wollen es gar nicht. Versteht ihr?« Mit einem ganz neuen Gefühl von Respekt sah Vaxxt ihn an. »Du hast eine Menge von den Methoden der Anderweltler gelernt. Das ist aber ein gefährliches Spiel.« »Anders geht es nicht.« »Nein. Aber es wird schwierig sein. Wir sind Quespodonen, Axxal, keine Anderweltler. Wir sind nicht darin geübt, Dinge zu sagen, von denen wir wissen, daß sie unwahr sind, oder anders zu handeln
als wir fühlen –«, überlegte Vaxxt mit einem gewissen Unbehagen. »Vielleicht wäre es besser, uns auf unsere Stärke zu verlassen, bis wir diese Dinge gelernt haben. Wir haben Waffen –« Er blickte Axxal voller Respekt an, fast, als wolle er sich für seine Worte entschuldigen. Es stand Vaxxt im Gesicht geschrieben, warum er so unsicher war und zu handeln zögerte: die Krise war da, und er war noch nicht bereit. Vielleicht würde er nie bereit zum Handeln sein, wie stark auch immer seine Begabung sein mochte, andere zum Handeln aufzustacheln. Jetzt wußte Axxal, daß die Führung der Quespodonen auf ihn übergegangen war; er sprach fest und entschieden. »Es ist Zeit, daß wir die Tricks der Anderweltler lernen, Vaxxt, aber gefallen werden sie uns nie. Wir sind keine Rasse von Kriegern wie die Skoraten, und ich möchte uns auch nicht zu so einer Rasse machen. Zuerst werden wir versuchen, friedlich zu unterhandeln. Wenn das keinen Erfolg hat, müssen unsere Waffen sprechen.« Seine Worte machten Eindruck auf die anderen, und sie nahmen seinen Vorschlag ohne weitere Debatte an. »Mit wem von der Palastgarde willst du sprechen? Du hast ja selbst gesagt, daß sie zersplittert sind«, fragte Vaxxt. »Ich weiß, welche Gruppe die größten Aussichten hat. Zu deren Führer werde ich gehen.«
»Werden sie dich anhören, Axxal?« fragte ein anderer, »und kannst du einem Skorat trauen?« Axxal dachte an Jorrys Worte. »Er wird mich anhören. Skoraten ducken sich immer, wenn sie merken, daß man keine Angst vor ihnen hat. Und so dumm, ihnen zu trauen, werde ich nicht sein.« »Noch etwas«, sagte Vaxxt, stand auf und hinkte an seiner Krücke vor die Gruppe. »Du mußt jetzt gleich gehen, und ohne mich. Ein Krüppel hat kein Ansehen bei Kriegerrassen, und du wirst besser zurechtkommen, wenn ich nicht dabei bin.« »Aber du hast doch immer für uns gesprochen«, wandte jemand ein; und ein Zweiter fragte: »Wer soll denn mit den Skoraten fertigwerden, wenn nicht du?« »Axxal spricht ebensogut wie ich. Und es ist sein Plan.« Ein Dritter namens Tumuxxat, älter als die anderen, sagte rauh: »Du hast dein lahmes Bein im Kampf um den Xhanchos bekommen. Du hast das Recht, dabeizusein, und kein Skorat wird es wagen, dir Achtung zu verweigern.« »Das ist wahr«, räumte Axxal ein, »aber wir müssen wachsam sein. Wenn alle unsere Führer zusammen sind, könnten die Skoraten auf den Gedanken kommen, uns alle umzubringen. Dann wären die Quespodonen führerlos. Laßt Vaxxt und die anderen Unterführer hierbleiben. Tumuxxat und ich werden
jetzt zum Palast gehen. Bei Einbruch der Nacht sind wir zurück.« »Und wenn ihr nicht zurückkommt?« »Dann nehmt die Waffen und kommt uns holen.«
10. Die Unterhandlung Kein Posten stand am Tor, doch im Palast ging es sehr lebhaft zu, besonders in Anbetracht der Tageszeit, zu der man gewohnterweise der Ruhe pflegte. Ungehindert passierten die beiden Quespodonen eine Anzahl Korridore und gelangten bis vor die Gemächer Ninos, wo ihnen zwei Skoraten mit bloßen Schwertern den Weg versperrten. Unbeirrt sprach Axxal sie an. »Ich bin hier, um mit eurem Herrn etwas äußerst Wichtiges zu besprechen. Bringt mich sofort zu ihm!« »Sage mir, um was es sich handelt, Quespodon. Ich werde dann entscheiden, ob du ihn sprechen kannst.« »Ich sage dir gar nichts. Ich bin gekommen, um mit Ninos zu sprechen, nicht mit einem Wachtposten.« Unsicher faßte der Skorat die beiden ins Auge. Ein derartiges Auftreten war er von Quespodonen nicht gewohnt. Tummuxxat, an Axxals Seite, konnte sich vor Stolz und gespannter Erwartung kaum noch beherrschen. Es tat ihm wohl zu hören, daß ein Mann
aus seinem Volke so kühn zu einem Skorat sprach; doch er konnte kaum glauben, daß man sie nicht an Ort und Stelle für diese Frechheit niedermachen würde. Doch schon nach ganz kurzem Warten wurden sie zu Ninos geführt. Er empfing sie wie zwei alte Freunde. Tummuxxat war ebenso erstaunt über diesen Empfang wie der Posten; doch Axxal überraschte er nicht. Von einem so ehrgeizigen Mann wie Ninos hatte er etwas Ähnliches erwartet. Jorry war ein guter Menschenkenner, und Jorry hatte vorausgesagt, wenn die Ereignisse auf dem Xhanchos ihren Lauf genommen hätten, und es würde nur ein Mann am Leben bleiben, dann würde dieser Mann ein schlauer, gerissener Skorat namens Ninos sein. Diese Worte Jorrys hatte Axxal im Sinn gehabt, als er zu diesem Manne ging; und jetzt sah er ihn sich sehr genau an. Ninos verfügte über eine gewinnende Art und eine salbungsvolle Redeweise. Er hörte genau zu und antwortete rasch, aber unbestimmt auf alles, was man ihm sagte. Er besaß einen schnell zupackenden Verstand. Axxal wußte, daß er es mit einem schlauen und einfallsreichen Mann zu tun hatte. Für Jorry wäre er vielleicht ein amüsanter Dummkopf – doch Jorry war ein k'Turalp'Pa und hatte eine lebenslange Erfahrung im Intrigrieren. Axxal war ein Neuling in diesen Dingen. Der einzige Faktor zu seinen Gunsten
war, daß er sich über Ninos Gerissenheit und seine eigenen Grenzen im Klaren war, der Skorat hingegen die feste Überzeugung hegte, er sei ein brillanter Kopf und habe es mit zwei blöden Quespodonen zu tun. Axxal hoffte nicht, Ninos täuschen zu können, doch er wußte, daß das wahrscheinlich auch nicht nötig war. Männer wie Ninos täuschen sich selber. Ninos schickte den Posten hinaus und bedeutete seinen Besuchern, Platz zu nehmen. Auf seinen Ruf erschienen zwei Diener; der eine trug ein Tablett mit eingelegten Früchten, der andere eine Karaffe. Sie setzten beides vor den Quespodonen nieder und zogen sich wortlos zurück. »Ihr seid zu ungewöhnlicher Stunde und bei der größten Tageshitze hergekommen«, sagte Ninos und schenkte den gelblichen Trank in zwei winzige Becher; »ihr habt sicher eine kleine Erfrischung nötig. Trinkt, eßt ein wenig, dann können wir reden.« Mißtrauisch hoben die Quespodonen die Becher an die Lippen, tranken aber nicht und nahmen auch nichts von den Früchten auf dem Tablett. Wortlos saßen sie da, während Ninos unaufhörlich redete, und zwar so entwaffnend liebenswürdig, daß er ihre Wachsamkeit eingeschläfert hätte, wenn sie sich nicht ständig und bewußt daran erinnert hätten, wo sie sich befanden und warum sie gekommen waren. Endlich kam der Gastgeber zur Sache.
»Der Dienst im Palast hat mich bisher daran gehindert, öfter mit den Quespodonen zusammenzukommen«, erklärte er mit einer Miene, die tiefes Bedauern über diesen Mißstand ausdrückte; »und dabei habe ich mir längst gewünscht, euch besser kennenzulernen. Ich sah, wie kühn ihr gekämpft habt – ja wirklich, ohne den Mut und die Opfer des Quespodonen hätte die Befreiungsarmee niemals Xhancholii eingenommen. Allerdings werden das nur wenige meiner Volksgenossen zugeben. Ich habe mir eine ganze Menge Feinde gemacht, weil ich offen für euer Volk eingetreten bin. Aber jetzt seid ihr zu mir gekommen, und zwar nach euren eigenen Worten in einer Sache von großer Wichtigkeit. Das freut mich. Es zeugt von Vertrauen, und ich brauche euer Vertrauen ebenso wie eure Freundschaft. Nun sagt mir, Axxal und Tummuxxat, was Ninos für seine Freunde tun kann.« Axxal zögerte. Er räusperte sich nervös, bevor er zu sprechen begann. Es lag ihm daran, unsicher und ängstlich zu erscheinen, so als warte er darauf, daß ihm ein Klügerer raten werde, wie er vorgehen solle. Unvermittelt beugte er sich vor und stieß heraus: »Kapitän Jorry war mein Partner.« Ninos schien einen Moment verwirrt zu sein, dann erhellte sich seine Miene. »Ah ja, der Kaufmann. Oder so nannte er sich jedenfalls. Und was ist mit ihm?« »Er ist fort. Er hat den Xhanchos verlassen.«
Schweigend nahm Ninos diese Neuigkeit zur Kenntnis. Axxal blieb unbewegt. In der schweren Mittagsstille konnte er beinahe hören, wie angestrengt das Hirn des Skoraten arbeitete, um sich auszurechnen, was Jorrys Abreise für Konsequenzen haben könnte. Endlich fragte er: »Warum kommst du zu mir, Axxal? Es freut mich, mußt du wissen, daß ich dein Vertrauen besitze. Doch du kennst mich nicht, und trotzdem bist du hergekommen?« »Jorry hat mir einmal gesagt, nach Gariv würdest du über den Xhanchos herrschen.« »Tatsächlich?« »Ja. Es würde viel Blutvergießen geben, sagte er, doch du würdest Monarch des Xhanchos werden.« Ninos lächelte. »Gariv ist also wirklich tot.« »Jorry hat ihn getötet. Sie kämpften um die GafaalFrau.« Mit leisem Lachen lehnte der Skorat sich zurück. »Das paßt ja großartig«, sagte er. »Gariv tot, Jorry fort – weißt du das genau?« »Jorry hat es mir selbst gesagt.« »Aha. Das erklärt manches von dem, was hier seit Sonnenaufgang geschehen ist.« »Wenn du regierst, Ninos, möchten wir, daß du unser Freund bist«, sagte Axxal. Strahlend breitete Ninos die Arme weit aus, um seine Großherzigkeit anzudeuten. »Freund und Vater
werde ich den Quespodonen sein, ich versichere es dir. Du hast mir zu gelegener Zeit eine höchst wertvolle Nachricht gebracht, und ich werde sie aufs beste nutzen.« »Wird Blut vergossen werden?« Ninos machte eine gleichgültige Handbewegung. »Ein bißchen. Eine Handvoll Männer müssen beseitigt werden. Sag mir eins, Axxal: wenn ich Hilfe brauche, kann ich auf die Quespodonen zählen?« Scheinbar in tiefem Nachdenken runzelte Axxal die Stirn. Er zupfte sich am Ohr, schüttelte den Kopf und entgegnete langsam: »Ich glaube nicht. Das war es, was Gariv wünschte, doch unsere Anführer wollten nicht.« »Deswegen also war Gariv so freundlich zu dem Kaufmann – er hat ihn benutzt, um durch dich Einfluß auf die Quespodonen zu gewinnen.« »Ja. Aber mein Volk traut keinem im Palast. Sogar jetzt, wo sie Waffen haben –« »Waffen? Was haben sie für Waffen?« fuhr Ninos scharf dazwischen. »Knüppel hauptsächlich. Ein paar Säbel. Eine Anzahl Pistolen und Gewehre mit Munition.« »Wo haben sie die Feuerwaffen her?« »Jorry hat sie uns gegeben, bevor er startete.« Ninos zog die beiden Quespodonen zu sich heran und sagte leise und vertraulich: »Diese Feuerwaffen
können sehr wichtig für uns sein, meine Freunde. Wir müssen es so einrichten, daß meine Truppe sie bekommt. Weißt du, wo sie sind, Tummuxxat?« »Versteckt«, antwortete der Quespodon. »Aber wo? Weißt du es, Axxal?« Axxal schüttelte den Kopf. »Sie haben sie von Jorry übernommen und sie draußen versteckt, irgendwo in der Wüste. Keiner wollte uns sagen, wo. Unsere Anführer sagen, sie wollen sie nur benutzen, um sich zu verteidigen, nicht um für andere zu kämpfen.« Nachdenklich nickte Ninos, wandte sich von den beiden ab und ging mit großen Schritten hin und her. Axxal konnte sich vorstellen, was in seinem Kopfe vorging und sagte mit gepreßter, zögernder Stimme: »Sie wollen es nicht – Keiner von uns will um Xhancholii kämpfen. Es gehört den Skoraten, die es erobert haben, nicht uns. Wir haben endlich unsere Freiheit, und die wollen wir behalten.« »Verstehe vollkommen«, murmelte Ninos. »Wenn wir fort könnten – mit Freuden!« Gespannt wartete Axxal, den Blick auf Ninos Gesicht gehaftet, und hoffte, daß der Skorat den Köder schlucken würde. Seine Taktik konnte leicht danebengehen. Wenn die Skoraten ahnten, daß andere von der bevorstehenden Landung des Daltreskanerschiffes wußten und es zu kapern beabsichtigten, dann würden sie es aus purer Gemeinheit selbst ha-
ben wollen. Doch wenn sie es mit leichter Geste der Großzügigkeit einer inferioren Rasse hinwerfen konnten, dann würden sie das vielleicht tun. Axxal rechnete mit dem letzteren. Ninos hielt in seinem Auf- und Abgehen inne und blickte den Quespodonen offen ins Gesicht. Er machte den Eindruck eines Mannes, der zu einer schwierigen Entscheidung gelangt ist. »Eure Führer sind weise«, sagte er ernst. »Sie wären Narren, wenn sie für eine andere Sache als ihre eigene kämpfen wollten. Wenn sie nicht den Wunsch haben, Xhancholii zu besitzen, warum sollten sie dafür kämpfen?« »Aber sie fürchten –« begann Tummuxxat. »Sprich offen, mein Freund. Was fürchtet ihr?« Die beiden Quespodonen wechselten unsichere Blicke! Tummuxxat rieb sich den haarlosen Schädel und sagte endlich: »Wir haben gehört, daß Gariv geplant hat, uns als Sklaven zu verkaufen; und wir fürchten, sein Nachfolger könnte dasselbe tun.« »Und dann würden wir kämpfen müssen. Wir würden unsere Waffen gebrauchen«, ergänzte Axxal. »Gewiß, natürlich. Ich hättet keine andere Wahl«, stimmte Ninos zu. »Das haben die anderen auch gesagt«, sprach Tummuxxat weiter; »die Trulbaner und Zaratonen würden sich uns anschließen.« »Und die Agyari, und die Thorumbianer, und so-
gar die überlebenden Xhanchilion«, stieß Axxal nach, »und die von Gilead auch.« Freundlich wandte er sich Ninos zu und erläuterte: »Deswegen sind wir zu dir gekommen. Wir müssen wissen, was wir zu erwarten haben, wenn du Herrscher der Stadt wirst.« Nach einigem Nachdenken erklärte Ninos: »Ihr habt weise gehandelt, meine Freunde. Ich denke, ich kann eure Probleme lösen. Eure Leute haben also keinen anderen Wunsch, als Xhancholii zu verlassen?« »So ist es.« »Würdet ihr ganz und gar von diesem Planeten weggehen? Alle Quespodonen?« »Aber wir haben doch kein Schiff, Ninos!« »Ein Schiff wird vorhanden sein, das verspreche ich euch. Seid ihr bereit, darum zu kämpfen?« »Um ein Schiff kämpfen wir, Ninos«, versicherte Tummuxxat. »Dann macht euch bereit. Die Daltreskaner werden sehr bald mit einer Ladung Sklaven landen. Kapert ihr Schiff – ich gebe es euch samt meiner Erlaubnis, den Xhanchos zu verlassen.« Axxal machte ein ganz erstauntes Gesicht. »Aber Gariv hat doch immer gesagt, die Daltreskaner kämen nicht.« »Und ich sage euch, sie kommen. Gariv hat gelogen. Vertraut mir und seid bereit.« »Wir werden bereit sein«, erwiderten sie.
»Zum Dank dafür fordere ich nur eins von euch: leistet niemandem Gefolgschaft, was man euch auch versprechen möge! Ihr braucht nicht auf meiner Seite zu kämpfen, aber unterstützt auch keinen anderen. Stimmt ihr zu?« »Ich kann nur versprechen, unseren Führern zu berichten. Doch ich denke, das ist genau, was sie wollen.« »Das glaube ich auch, Axxal, und ich verlasse mich auf sie. Wir müssen einander vertrauen. In ein paar Tagen haben wir alle, was wir uns am meisten wünschen: ihr euer Schiff, und ich Xhancholii. Geht jetzt und bringt euren Leuten mein Versprechen!« Die Quespodonen ihrerseits hielten sich an die Vereinbarung. Ninos, der nun mit der Neutralität aller Einwohner Xhancholiis außerhalb der Palastmauern rechnen konnte, warf sich mit seinen Anhängern auf die Gegner im Innern. Noch am gleichen Abend waren alle rivalisierenden Gruppen führerlos, und ehe die Sonne wieder über Xhancholii aufging, war Ninos der Nachfolger Garivs, unumstrittener Monarch des Xhanchos und Herr der Stadt.
11. Kampf um das Raumschiff Fest am Landering verankert, ragte das Daltreskanerschiff über die Mauern von Xhancholii, fast halb so
hoch wie der höchste Turm der Stadt. Es war ein massiv gebautes Fahrzeug, ein Raumschiff der Ersten Phase, seinerzeit auf der Alten Erde konstruiert, um vierundneunzig Familien und all ihren Bedarf über Lichtjahre weit durch den unkartographierten Raum in Welten zu tragen, die kein Erdenauge gesehen hatte. Das Schiff war sechs Jahrhunderte alt, zerkratzt, gebleicht und pockennarbig von langen, langen Reisen, doch es würde noch hunderte von Jahren seinen Dienst tun. Die Männer jener halblegendären Zeit hatten für die Ewigkeit gebaut. Jetzt trug das Schiff eine Ladung Sklaven. Sie waren in Blitzangriffen auf dünnbesiedelte, weit von den galaktischen Hauptknotenpunkten abgelegenen Planeten eingefangen worden – auf Agrikulturwelten wie Gilead und Cadiza, von Bergwerks-Außenposten auf Dlugas III, vom Ekk oder Dumabb-Paraxx. Ein paar Gruppen stammten von unbewaffneten Pilgerschiffen; einzelne hatten zu Banden von Ausgestoßenen gehört und waren von ihren Genossen verraten und verkauft worden. Sie hatten nur eins gemeinsam: ihr Unglück und das Wissen darum, daß sie auf dem Flug zu einem Ort waren, wohin kein Mensch und keine Frau freiwillig ging. Die Hauptluke schwang auf. Die Gangway erschien, senkte sich und drückte sich in den sandigen Boden ein. Vier kräftige Daltreskaner stiegen herab,
und die Rampe schwankte unter ihrem schweren Tritt. Fest saßen ihre großen Köpfe auf den starken Hälsen, ihr Haupthaar war so stichelig wie das Fell eines Tormagon. Sie trugen lederne, mit Metallplatten benietete Blusen, weite Pelzhosen und schwere Stiefel. Jeder trug einen spitzen, knapp einen Meter langen Treibstock. Je zwei von ihnen postierten sich zu beiden Seiten am Fuße der Gangway und warteten. Wie es Brauch war, hatte man für die Landung ein paar Baracken errichtet. Dieses Mal waren sie beträchtlich größer und zahlreicher als sonst in letzter Zeit, doch die Sklavenhändler achteten nicht auf solche Nebensächlichkeiten. Auch daß es an der Stadtmauer dunkel war, störte sie nicht, obwohl sonst bei ihrer Landung immer Fackeln gebrannt hatten. Die Daltreskaner arbeiteten mit vielen Rassen auf vielen Welten. Keine war ihr Freund, doch keine auch ihr Feind, denn sie handelten mit einer lebenswichtigen Ware. Geräuschvoll, von zwei Leibwächtern flankiert, kam Ruklin, ihr Kapitän, die Gangway hinunter und blieb unten stehen, um die Delegation aus Xhancholii zu erwarten. Sie kam ihm stärker vor als beim letzten Besuch, und er machte eine flüchtige Bemerkung darüber. »Sie haben Angst, Kapitän«, sagte der eine der Gangwayposten, »sie fürchten, daß wir sie schnappen
und in ein Freudenhaus auf der Barbary verkaufen könnten.« Der andere lachte auf. »Für die würden wir wohl in einem Freudenhaus keinen hohen Preis bekommen!« »Aber für eine von den Gafaal-Frauen«, entgegnete der erste. »Genug geredet«, knurrte Ruklin, und sie schwiegen. Die Einkäufer näherten sich. Jeder saß in einer Sänfte, die von vier mächtigen Quespodonen getragen wurde. Das geschah aus Prestigegründen; nötig war es nicht, denn zwei Quespodonen wären genug gewesen. Hinter den Sänften zog ein ganzer Haufen Diener, Garden und Aufseher. Sechs Paar Sänften schwankten über den Sand heran und wurden in gerader Reihe nahe bei der Gangway abgesetzt. »Die wollen Eindruck schinden, Kapitän«, sagte einer der Sklavenhändler. »Aber wirklich!« stimmte ein anderer zu. »Ihren halben Bestand an Sklaven haben sie aufgeboten!« »Bis jetzt haben sie nichts weiter erreicht, als meine Preise hochzutreiben«, grinste Ruklin. Unter den Daltreskanern klang Gelächter auf; doch als der Anführer der Xhanchilion, nachdem er kurz mit seinen Gefährten gesprochen hatte, zu Fuß herankam, trat sofort nüchterne Stille ein. In respektvollem Abstand folgten ihm zwei Träger. Die Begrüßung
war kurz. Beide Parteien waren der Geschäfte wegen hier. »Diesmal habe ich besonders gute Ware für euch«, erklärte Ruklin. »Wir haben ein Pilgerschiff gekapert. Alle jung und kräftig.« »Ausgezeichnet. Wir haben seit eurem letzten Besuch hohe Verluste gehabt«, erzählte der Xhanchilion. »Wir hatten auch Verluste. Die Pilger haben hart gekämpft. Bei mir sind drei Mann gefallen und drei weitere verwundet. Das verteuert die Preise natürlich.« »Wir zahlen.« »Und bei einem Überfall auf den Droxiglion haben wir fünf Steinmetzen geschnappt. Die sind eine ganze Menge wert«, sprach Ruklin weiter. »Vielleicht. Sie müssen aber gut sein.« »Sind sie auch. Diesmal nehmen wir als Zahlung nur rote Steine. Nichts anderes, nur rote Steine, und größere als letztesmal.« Der Xhanchilion antwortete nicht gleich. Sein plattes Gesicht blieb ausdruckslos, als er Ruklins Forderung erwog; dann hob er die Hand und sagte: »Ich muß das mit meinen Kollegen besprechen.« »Was gibt es denn da zu besprechen? Entweder ihr zahlt, wie wir es haben wollen, oder ihr könnt versuchen, euch selbst Sklaven zu beschaffen.« Der Xhanchilion machte eine beschwichtigende
Handbewegung. »Gewiß. Wir müssen uns nur darüber einigen, wer zum Schatzhaus geht und wer hierbleibt. Ihr bekommt rote Steine.« »Sag ihnen, sie sollen sich beeilen. Wir fangen nicht mit Ausladen an, ehe wir die roten Steine sehen. Ohne die bekommt ihr keinen einzigen Sklaven«, sagte Ruklin. Er schlug die Arme unter und sah kalt lächelnd zu, wie der Xhanchilion mit seinen Gefährten sprach. Ihre hohe, zirpende Sprache tönte zu ihm herüber, doch er verstand kein Wort. Ruklin verachtete diese Plattgesichtigen, gezierten Städter, die abgeschlossen auf ihrer dürren Welt lebten und Monumente ihrer Ohnmacht in den leeren Sand bauten. Nur gut, daß sie Käufer waren – als Sklaven wären sie wertlos gewesen. Warum waren eigentlich diese XhanchilionKaufleute alle so jung – die reinen Knaben? überlegte er verwundert; lag es vielleicht daran, daß er selbst alt wurde? Sie kamen ihm jünger vor als alle, mit denen er bisher zu tun gehabt hatte. Nicht ein erwachsener Mann war dabei. Und alle diese Diener und Träger – verweichlicht! Nun, das war nur günstig fürs Geschäft. Sollten sie ruhig schockweise Sänftenträger brauchen; Hauptsache, sie kauften sie von Ruklin. Die Gruppe teilte sich. Sechs von ihnen gingen zu-
rück, zu Fuß, in Richtung aufs Stadttor. Der Anführer kam wieder zu dem Kapitän der Daltreskaner. »Sie gehen, um die roten Steine zu holen«, sagte er, »aber wir bestehen darauf, daß ihr inzwischen schon anfangt, die Sklaven auszuladen.« »Ich habe dir doch gesagt – nicht bevor ich die roten Steine sehe.« »Du bekommst unsere besten Steine. Noch der kleinste wird so groß sein, daß deine Hand ihn nicht umschließen kann. Aber du mußt jetzt mit dem Ausladen anfangen.« Ruklin dachte an die Preise, die er für solche Steine auf Dutzenden von Welten erzielen würde, und sein Entschluß geriet ins Wanken. Doch er war von Natur kein Mann, der leicht nachgab. »Warum habt ihr's so eilig?« fragte er. »Du mußt bemerkt haben, daß ich und meine Gefährten noch sehr jung sind. Wir sind Lehrlinge und führen den Einkauf von neuen Arbeitskräften zum erstenmal durch, und wir –« »Wo sind denn die Männer?« unterbrach Ruklin. »In der Stadt. Sie werden unsere Entscheidung akzeptieren und unsere Verhandlungsführung später auswerten. Meine Gefährten bestehen darauf, daß du mit dem Ausladen sofort beginnst, weil sie ihre Verhandlungsfestigkeit demonstrieren wollen. Aber wir können auch großzügig sein.«
Das gefiel Ruklin schon besser. Er wandte sich um und befahl durch ein Handzeichen, mit dem Ausladen zu beginnen. Sofort begann auf dem Daltreskanerschiff, auf dem sich bis jetzt nichts gerührt hatte, ein hektischer Betrieb. Ein Licht erstrahlte an der Hauptluke, eine Kakophonie von Stöhnen, Schreien und Kommandogebrüll drang heraus und wurde immer lauter, und dann wurden die ersten Gefangenen auf die Rampe hinausgestoßen. Die Sklaven waren in unterschiedlichen Gruppen zusammengekettet. Die erste Gruppe, sechs Mann stark wurde von sechs Quespodonen zur Inspektion in eine der Baracken geleitet. Die DaltreskanerWächter blieben unten bei der Rampe. Neue Gruppen von Sklaven und Posten stiegen aus; ein Teil der Daltreskaner ging zurück an Bord, wenn sie ihre Ladung abgeliefert hatten, andere warteten paarweise bei der Rampe. Ruklin überwachte das Ganze. Ab und zu gab er ein Kommando oder versetzte einem trägen Sklaven oder einem unaufmerksamen Posten einen Hieb mit seinem Treibstock, doch im allgemeinen ging das Ausladen glatt. Hundertneun Sklaven wurden übergeben, von denen hundertzwei arbeitsfähig waren. »Komm in meine Baracke; wir sprechen dann über die Zahlung«, sagte der junge Xhanchilion.
»Wo sind die Steine? Du hast deine Sklaven, aber ich habe noch niemanden von der Stadt kommen sehen. Warum die Verzögerung?« fragte Ruklin. »Sie kommen ja. Schau doch hin«, erwiderte der Xhanchilion und deutete auf eine Reihe winziger Gestalten, die von der fernsten Ecke der Stadt her durch den Wüstensand stapften. »Warum kommen sie von dort?« »Der Weg ist kürzer und besser. Wir wollen dir ja nur deine kostbare Zeit sparen helfen«, lautete die Antwort. »Kommst du nun mit mir?« In der Baracke nahm Ruklin an einem niedrigen, mit Zähltafeln bedeckten Tisch Platz. Hinter ihm, rechts und links, standen Quespodon-Diener. Ruklins Leibwächter warteten draußen, beiderseits der Tür. »Sieben Mann kannst du nicht gebrauchen, hast du gesagt. Du bist aber wählerisch«, begann Ruklin. »Sie sind zu hart geschlagen worden. Zwei würden sich vielleicht wieder erholen, aber die anderen fünf nützen uns nichts.« »Das ist dein Problem. Wir haben vereinbart, daß ihr alle nehmt, die wir bringen.« Der Xhanchilion hob die Hand und verbesserte: »Alle die arbeitsfähig sind. Ihr müßt vorsichtiger sein.« »Wir sind vorsichtig. Diese sieben haben Schwierigkeiten gemacht.« Ruklin schwieg einen Moment,
dann sagte er: »Also machen wir's so: nimm die beiden, die wieder gesund werden, und schlag die andern fünf tot, bevor wir starten. Dann sind es hundertvier.« Der Xhanchilion stimmte zu, und Ruklin behauptete: »Wir hätten die ganze Ladung auf dem Tarquin VII verkaufen können. Die dortige Arena hat zur Zeit Hochbetrieb. Ich bin sehr großzügig dir gegenüber.« »Tatsächlich?« »Die Frauen habe ich auf der Barbary verkauft. Allesamt junge wie alte. Das Schiff ist jetzt leer. Aber nicht für lange.« »Nein, nicht für lange«, sprach eine rauhe Stimme hinter ihm. Ruklin fuhr herum und sah einen Quespodon am Eingang stehen. In jeder Hand hielt er einen Stab. Der Daltreskaner faßte seinen Stab fester und griff nach der Pistole in seinem Gürtel. »Was heißt das?« fragte er im Aufstehen und zu dem Xhanchilion gewandt. »Einer von euren Sklaven ist verrückt geworden!« »Es gibt keine Sklaven mehr auf dem Xhanchos«, sagte ein zweiter Quespodon und trat einen Schritt vor. »Und bald auch keine Sklavenhändler mehr«, rief ein dritter. Draußen wurde es laut: Waffengeklirr, Kampfgeschrei. Jetzt wußte Ruklin Bescheid. Er sprang zum
Eingang und hieb dabei nach dem Quespodon, der ihm den Weg versperrte. Der packte seinen Arm mit eisenfestem Griff. Eine Faust wie ein Steinblock krachte in Ruklins Gesicht. Er taumelte, der Stab wurde ihm aus der Hand gewunden. Unter einem Schlag in die Niere fuhr er schreiend hoch, dann sank er in die Knie und fiel zu Boden. Taktmäßig und gnadenlos schlugen die stahlbekappten Stöcke auf ihn ein. In der offenen Wüste vor der Stadt, unter den hoch am Himmel segelnden kleinen Monden kämpften die Daltreskaner gegen jene, die sie einst der Fron ausgeliefert hatten. Kurz und blutig war der Kampf, gnadenlos auf beiden Seiten. Die verzweifelten Sklavenhändler wirbelten ihre Stäbe mit tödlicher Geschicklichkeit, aber sie waren den Quespodonen nicht gewachsen und wurden überwältigt. Die an Bord Gebliebenen wollten die Gangway hochwinden, doch die Quespodonen hielten sie durch eiserne Körperkraft am Boden. Sie erkämpften sich den Weg an Bord durch eine Schranke von sausenden und stoßenden Kampfstäben. Von Deck zu Deck des großen Schiffes tobte der Kampf, doch als der erste Angreifer in den Kontrollraum vorgedrungen war, stand der Ausgang fest. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Der schwache Schimmer des beginnenden Tages lag auf dem Horizont, als Tummuxxat, der Führer
des Angriffs, die Gangway hinunterkam. Eine Seite seines Gesichts war geschwollen und angeschlagen, Blut rann vom Ohr und den geschwollenen Lippen. Wortlos reckte er einen blutverschmierten Daltreskaner-Kampfstock hoch in die Luft, dann brach er ihn mit einer schnellen Bewegung entzwei und warf die Stücke in den Sand. »Es ist unser!« rief er so laut, daß sein Ruf bis zu den Mauern tönte. Angeschlagene, blutbefleckte Quespodonen schleppten die toten Daltreskaner von Bord und brachten die eigenen Verwundeten die Gangway hinauf. Jeden lebenden Quespodon, selbst die, die offensichtlich den Sonnenaufgang nicht mehr erblicken würden, schafften sie an Bord. Im ganzen zählten sie achtundneunzig Mann. Als Ninos an der Spitze von hundertzwanzig ausgesuchten Kriegern durch das Tor der Ringe geritten kam, um zu sehen, ob er nicht doch noch von der Schlacht profitieren könnte, fand er im aufkommenden Tageslicht eine blutige Ernte vor. Wie der Kampf sie gefällt hatte, lagen die Toten in ihrem Blut. Im letzten Nachtwind schwankten die splittrigen Überreste der Baracken. Unter der dünnen Kruste windverwehten Sandes stieg Blutgeruch auf. Plötzlich schnitt das schrille an- und abschwellende Jaulen einer Antriebsspule durch das Todesschweigen. Tatenlos mußten Ninos und seine Krieger zusehen, wie das
Daltreskanerschiff, mit jedem lebenden Quespodon an Bord, vom Xhanchos abhob und in den Kosmos entschwebte.
DRITTER TEIL
Zum Thron 1. Der Flüchtling Zwei volle galaktische Jahre nach seinem Abflug vom Xhanchos befand sich Kian Jorry auf dem Tricaps, der geschäftigen kleinen Handelswelt. Seine Lage war nicht sehr ermutigend. Er war allein, der einzige Überlebende einer unglücklichen Expedition; der letzte seiner Edelsteine war verkauft, die Seraph trieb im Raum mit vier Toten an Bord. Und was das Schlimmste war: ein Jagdkommando der SternvereinSicherheitstruppe war ihm dicht auf den Fersen. Die Schwarzjacken waren hartnäckig, Jorry war ihnen zu oft entwischt, und diesmal waren sie fest entschlossen, ihn zu fangen. Er war gleichermaßen fest entschlossen, ihnen nochmals zu entschlüpfen, aber ohne Raumschiff und mit fast leeren Taschen waren seine Aussichten trübe. Doch Jorry hatte trotz allem nicht den Mut verloren. Die Schwarzjacken mochten nahe sein, aber sie waren noch nicht auf dem Tricaps. Er lebte noch und war gewarnt. Immer noch bestand Hoffnung. Nichtsdestoweniger traf Jorry gewisse Vorsichts-
maßnahmen. Er ließ sich das Haar lang wachsen und kaufte sich eine getragene Uniform von der Ersten Rinn-Expedition. Auf dem Tricaps kannte niemand seinen wahren Namen. Selbst ein scharfäugiger Sternverein-Sicherheitsmann würde Schwierigkeiten haben, ihn auch nur als k'Turalp'Pa zu erkennen, noch weniger als den Flüchtling Kian Jorry. Er sah jetzt ziemlich wie ein Skorat aus, und der kühne, kriegerisch wiegende Gang der Skoraten, den er sich angewöhnt hatte, wirkte durchaus überzeugend. Im Moment war er sicher, aber das reichte nicht aus. Er brauchte einen Ort, wo er untertauchen konnte, bis die Schwarzjacken die Suche aufgaben. Doch er wünschte sich einen halbwegs gemütlichen Hafen; irgendein kahler Fels, weit weg von allem, mochte Sicherheit bieten, aber der Preis wäre zu hoch. Es war Zeit, Pläne zu machen und sich an sie zu halten. Ursprünglich hatte er geplant, direkt zum BoroqThaddoi zurückzufliegen. Hätte er sich nicht von diesem Plan abbringen lassen, so wäre er jetzt nicht in dieser schwierigen Situation. Er wäre reich. Gewiß, den anderen war es noch schlimmer ergangen. Ein Teil seiner Expeditionsmitglieder hatte vor der Q-Welt Angst bekommen und es durchgesetzt, daß statt dessen ein Überfall auf die Kauffahrteiflotte des Sternvereins unternommen wurde. Und nun waren sie alle tot. Jorry allein war noch am Leben, und da er lebte, konnte er
denken, und solange er denken konnte, konnte er auch jeden Verfolger überlisten. Daher blieb er ruhig auf dem Tricaps und überdachte seine Lage. Aber die Erinnerung an das Vergangene ließ ihn nicht los, und hundertmal verfluchte er Garivs Andenken. Wenn dieser blöde Skorat nicht dazwischengekommen wäre, dann säße Jorry jetzt mit Santrhara auf einer netten, ruhigen Welt, erfreute sich der Gegenwart, vergäße die Vergangenheit und sähe den Triumphen der Zukunft entgegen. Und jetzt, nur durch Garivs Schuld, war er ein zerlumpter Flüchtling mit fast leeren Taschen. Eines Nachts, als er diese trüben Gedanken wälzte, nahm er den Anhänger mit dem Lebenden Bild Nikkolopes vom Hals und betrachtete es eingehend. Eine prachtvolle Frau, diese Königin von Thak. Auf andere Art war sie ebenso schön wie Santrhara. Eine GafaalFrau war ein Ruheplatz im Paradies, eine sinnverwirrende, herzverzehrende Schönheit. Doch Nikkolope wäre eine Gefährtin, eine Verbündete gegen die ganze Galaxis. Santrhara war geboren und erzogen, um zu siegen, indem sie sich ergab. Nikkolope war dazu geboren, an der Seite eines Ebenbürtigen zu herrschen. Sie war die Frau für einen k'Turalp'Pa. Tief in Gedanken trat Jorry vor den Spiegel seiner schäbigen Kammer und studierte eingehend sein Gesicht. Sein dunkler Bart hatte weiße Streifen, wie bei Gariv. Er zog seine Tunika herunter und blickte auf
die zackige weiße Narbe, die er bei seinem ersten Zusammenstoß mit den Schwarzjacken davongetragen hatte. Gariv hatte ihn eine ähnliche Narbe sehen lassen. Nicht genau die gleiche, aber ähnlich. Und Gariv war etwa ebenso groß wie er, ein bißchen schwerer allerdings, doch von gleicher Hautfarbe. Es war vorstellbar, gerade eben vorstellbar, daß Jorry, wenn es ihm gelänge, Garivs Heimatwelt, den Skorat, zu erreichen, dort mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg als Gariv auftreten könnte. Er warf sich die Tunika um und streckte sich auf die Liegestatt. Das war ein kühner Plan. Er dachte darüber nach und mußte lachen. Es war auch wirklich lächerlich. Zu allererst mußte er ohne eigenes Raumschiff oder Geld, um eins zu kaufen, zum Skorat gelangen. Und dann mußte er Garivs Verwandte und alte Freunde täuschen. Und seine Frau. Unmöglich. Selbstmörderisch. Doch er war ein k'Turalp'Pa. Nichts war zu schwierig für ihn, sobald er erst einmal seinen Verstand daransetzte. Weder Q-Welten noch Schwarzjacken. Und ganz bestimmt nicht ein Planet voller dickschädliger, ruhmrediger Skoraten. Und lieber diesen Versuch wagen, als auf dem Tricaps in einer dreckigen kleinen Kammer darauf zu warten, daß seine Verfolger die Tür einschlugen. Es war einfach eine Sache der Planung.
Immer eins nach dem anderen. Zuerst das Schiff. Der erste und wichtigste Faktor für Jorrys Planung kam in Sicht, als das uralte Raumschiff Phoenix XXVII auf dem Tricaps ankerte. Das Schiff war mit zwei jungen Sternfahrern bemannt. Sie hatten es im Raume driftend gefunden, ein interstellares Relikt mit einer Besatzung von Knochen und Staub, und hatten es in Besitz genommen. Ihre Ankunft auf dem Planeten war eine Sensation, denn die Phoenix XXVII war nicht weniger als drei galaktische Jahrhunderte alt und enthielt ein Sammelsurium längst vergessener Instrumente und Geräte. Sie war daher von großem Liebhaberwert. Allein die Bordbibliothek – neun echte Bücher von der Alten Erde, auf Papier gedruckt – war soviel wert wie das ganze Schiff. Die Tricapsaten waren an dem Schiff und seiner Einrichtung interessiert; Jorry interessierte sich mehr für die beiden Sternfahrer. Er hörte, daß sie bereits wegen des Verkaufs der Phoenix XXVII und des Kaufs eines schnellen kleinen Aufklärungsschiffes der Dritten Phase Verhandlungen angeknüpft hatten. Über den Älteren, einen mageren wortkargen Mann, konnte Jorry nichts erfahren; aber er fand heraus, daß der jüngere der beiden, ein Malellane namens Whitby, zum Gilead wollte, um dort Nachforschungen über den Verbleib seiner Eltern anzustellen. Jorry freute sich, das zu hören. Das war seine Passage zum Skorat.
Gleich am nächsten Tage tat er seinen ersten Zug. In den hastenden, volkreichen Straßen des Geschäftsviertels den Malellanen zu finden, war kein Problem. Er trug eine alte Uniform von der Phoenix XXVII und glitzerte buchstäblich, als er sich durch das Gewimmel der kleinen, graugekleideten Tricapsaten hindurchschob. Er war noch ein halber Knabe, doch seine Haltung verriet Selbstbewußtsein. Sein Haar war nach Skaggjatten-Art geflochten. In seiner glänzenden Uniform mit den Waffen an der Seite sah er aus wie eine Gestalt aus längst vergangenen Tagen. Jorry blieb in sicherem Abstand, behielt ihn jedoch im Auge. Immer wieder schlüpfte der junge Mann gebückt in eins der Skoof-Lokale – nicht weil er eine Vorliebe für den kochendheißen schwarzen Trank gehabt hätte, sondern ganz sicher nur aus purer Langeweile. Wenn man keine Geschäfte machte, konnte man auf diesem Planeten nicht viel unternehmen. Endlich, als der Tag schon weit vorgeschritten war und Jorry meinte, dem jungen Mann würde der Anblick eines anderen Sternfahrers willkommen sein, schlug Jorry einen Bogen um ihn, rannte durch ein Haus und erschien im Torweg genau in dem Moment, als der Malellane herankam. Sekundenlang starrte Jorry ihn an wie jemand, der etwas Unwahrscheinliches, aber Erwünschtes sieht, und eilte dann an seine Seite, wobei er unaufhörlich in der Univer-
salsprache auf ihn einschwatzte, und zwar mit den tarquinischen Endungen, wie sie der Malellane selbst gebrauchte. »Bei den Sternen! Es tut gut, einen Raumfahrerkameraden zu sehen!« rief Jorry aus und schüttelte dem Jüngling erfreut die Hand. »Ich treibe mich seit zwei Wochen in diesem bzitts-Nest herum, bei diesen armseligen blöden Weltraumbescheißern, und gehe langsam kaputt vor Langeweile. Wer bist du, Fremder, wo kommst du her, wo willst du hin?« Der junge Mann sah ihn von oben bis unten an, dann antwortete er gemessen: »Mein Name ist Del Whitby. Ich komme gerade aus dem Skeggjatt-System und will nach dem Gilead.« Jorry tat erstaunt, runzelte die Stirn, kratzte sich den Nacken und schüttelte den graumelierten Kopf. »Gilead? Das ist, fürchte ich, einer der wenigen Orte, an denen ich nie gewesen bin. Wo ist der denn?« »Ich hoffe, es herauszufinden«, erwiderte Del. Jorry erwog diese Antwort sekundenlang, dann lachte er hell auf. Das war ein ungewohnter Laut in den Straßen des Geschäftsviertels, und vorbeigehende Tricapsaten machten nach einem ängstlichen Blick einen weiten Bogen um die beiden. »Also, du weißt, wo du hinwillst, aber du weißt nicht, wo das ist. Das gefällt mir, Del«, antwortete er ernsthaft, sah dem jungen Sternfahrer ins Auge und senkte dann seinen
Blick. »So war ich auch einmal, vor langer Zeit. Alles wollte ich sehen. Überall hinfahren, alles ausprobieren – und das habe ich auch getan, du kannst es mir glauben.« Nachdenklich schwieg er einen Moment, dann blickte er Del eindringlich in die Augen und fragte: »Hast du es sehr eilig, Del? Oder hast du Zeit, einem alten Kosmosvagabunden eine Mahlzeit zu spendieren und dir seine Geschichten anzuhören?« Dazu konnte Del Whitby nicht gut Nein sagen. Sie fanden ein Wirtshaus, wo das Essen gut und das typische Tricapsaner Schwatzen und Schachern etwas gedämpfter war als anderswo, und nach einem reichlichen Mahl und vor einer neuen Flasche Landwein – nicht zu vergleichen mit Stepman – Grün, aber immerhin trinkbar – erzählte Jorry seine Geschichte. Es war in vieler Hinsicht die Geschichte Kian Jorrys, doch sie enthielt auch eine beachtliche Portion aus der jüngsten Geschichte Garivs – besonders die bitteren Ereignisse, die ihn solange von seinem Heimatplaneten und seiner schönen Königin ferngehalten hatten. Er erzählte von der Schlacht der Drei Systeme, von der Vernichtung der großen Rinn-Flotte, von seinen Wanderungen auf der Suche nach der Heimat. Er bekam weiße Knöchel, und seine Stimme zitterte, als er berichtete, wie Sklavenjäger ihn erwischt hatten, gerade einen Tag vor der Landung auf dem Skorat. Er sprach vom Xhanchos und der Fronarbeit beim Py-
ramidenbau, und dabei ließ er seine Phantasie mächtig spielen: er allein sei den Xhanchilion entflohen, habe den halben Planeten unter der mörderischen Wüstensonne durchquert und sei von der GafaalPrinzessin Santrhara gesundgepflegt worden. Del war offensichtlich beeindruckt von diesem Bericht. So jung wie er war, kannte er doch das schmerzliche Einsamkeitsgefühl, das sich einstellt, wenn man lange von seinen Lieben getrennt ist. Er selbst war bei einem Daltreskaner-Überfall auf seine Heimatwelt geraubt worden, und daher konnte er die Leiden eines anderen unschwer nachempfinden. Als Jorry seine traurige Geschichte beendet hatte, fragte er: »Wie weit ist es von hier bis zum Skorat?« Innerlich frohlockte Jorry, machte jedoch ein tiefbekümmertes Gesicht. »Eine lange Reise, Del. Da hinten beim Watson-Planeten, wo die Große Maschine regiert. Alle paar Jahre geht von hier aus ein Schiff nach dem Watson, aber die Tricapsaten sind eine hartherzige Bande. Wenn ich sie nicht rumkriegen kann, mich anzuheuern, dann fordern sie den vollen Fahrpreis, und den kriege ich nie zusammen. Ich fürchte, ich bin am Ende eines langen schweren Weges angelangt.« Seine Worte hatten die gewünschte Wirkung: Del bot ihm eine Heuer auf seinem neuen Raumschiff an. Das war ein guter Anfang, aber nur ein Anfang. Er
mußte ja zum Skorat. Mit diesem Fernziel vor Augen veranlaßte er Del, von sich selbst zu sprechen; und als der junge Mann von seinen Nachforschungen berichtete, sah Jorry, daß er auf die Lösung aller seiner Probleme gestoßen war. Del war nicht auf dem Gilead geboren, sondern war ein Findling, der von der Pendleton-Basis stammte. Kurz vor der Vernichtung dieses Außenpostens war er in einem kleinen Fluchtschiff auf den Gilead, diese friedliche kleine Welt, gebracht worden. Wer ihn dorthin geschickt hatte, war unbekannt; der einzige Hinweis waren ein paar dunkle Worte auf einem Fetzen Papier. Jorry bat, ihm das Papier zu zeigen. Aufmerksam studierte er es und suchte dabei fieberhaft in seinem Gedächtnis. In seinem langen Fahrtenleben hatte er manche Geschichte über die Rinn-Kriege gehört. Er wußte auch von der Zerstörung der Pendleton-Basis und von einem fast legendären Kommandanten, der bei diesem Überfall seine Frau und sein Söhnchen verloren hatte und daraufhin zu einem Dämonen der Rache geworden war. Die Frau war Malellanerin gewesen. Corey, der Kommandant, stammte von der Alten Erde. Die Chance, daß diese beiden Dels wirkliche Eltern gewesen sein könnten, war verschwindend, soviel war klar; doch es war eine glaubhafte Möglichkeit, und mehr brauchte Jorry nicht. Del war
begierig nach jeder Neuigkeit und deshalb unschwer zu überzeugen. War er erst überzeugt und daher Jorry Dank schuldig, so konnte Jorry ihn nach Gutdünken für seine Zwecke einspannen. Anscheinend widerwillig, jedes Wort sorgsam abwägend, des öfteren zögernd, kam Jorry langsam mit der Geschichte des Kommandanten Corey und seiner verlorenen Familie heraus. In höchster Spannung hing Del an seinen Lippen. Als Jorry zu Ende war, fragte er: »Und du denkst, dieser Corey könnte mein Vater sein?« »Möglich ist es«, antwortete Jorry vorsichtig. »Jemand könnte ein Baby auf das Fluchtboot gebracht und es vom Pendleton weggeschafft haben, ehe die Rinn zuschlugen. Du hast malellanische Gesichtszüge, Del, du bewegst dich wie ein Malellaner, aber du bist viel zu groß. Du bist eher wie einer aus der Blutlinie der Alten Erde gebaut, nicht wie ein Malellaner. Nun, wenn deine Mutter Malellanerin und Corey dein Vater war –« Danach war es kein Problem mehr, Del zu überzeugen, daß es für ihn nur einen Weg gab: zum Watson-Planeten zu fahren, dem Informationszentrum der Galaxis, und dort alles über Kommandant Corey in Erfahrung zu bringen, was er nur konnte. Und der Kurs zum Watson führte nahe am Skorat vorbei. Del konnte dem Mann, dem er diese Nachricht verdankte, einen Abstecher nicht versagen.
Jorry hatte seine Passage in der Tasche. Die erste Phase seines Planes war durchgeführt.
2. Der Entschluß Gegen Ende der langen Reise zum Skorat stand Jorrys Plan in großen Zügen fest. Es war ein waghalsiges Unternehmen, jedoch je mehr er darüber nachdachte, desto besser gefiel es ihm. Ein Königreich zu stehlen war nichts Neues für ihn; doch mit einem Schlag ein Königreich, eine Königin und eines anderen Mannes Persönlichkeit zu stehlen, das mußte selbst unter den k'Turalp'Pa Neid erregen. Sorgfältig hatte er jedes Stückchen Information überdacht, das er von Gariv während ihrer Bekanntschaft erfahren hatte und die wesentlichen Fakten fest in seinem Gedächtnis verankert. Nach so langer Zeit würden nur wenige Skoraten sich an genaue Einzelheiten erinnern, und noch weniger – nicht einmal Nikkolope, die Königin – würden Gariv mit absoluter Sicherheit identifizieren können. Niemand auf dem Skorat konnte wissen, daß Gariv tot auf dem Xhanchos lag, auf halbem Wege zum anderen Ende der Galaxis. Ihre Ähnlichkeit ging ziemlich weit, und Jorry hatte Garivs Eigenheiten und Gesten genau studiert. Er hatte sogar diese höchst überzeugende Nar-
be auf der Brust. Kein Zweifel – mit Kühnheit und Überzeugungskraft konnte er diesen Personentausch durchführen, in aller Ruhe sein Königreich regieren, bis der Sternverein-Sicherheitstrupp die Suche aufgab; und dann, wenn er Garivs Leben, seine Welt, seine Königin zur Genüge genossen hatte, konnte er weiter sehen. In dieser Zeit würde er alle Hilfsquellen des Skorat in Anspruch nehmen, um für seine Expedition zum Boroq-Thaddoi eine neue Seraph zu erwerben und auszurüsten. Alles in allem war der Plan ausgezeichnet, und er war mit ihm und mit sich selbst durchaus zufrieden. Für alle Fälle lud er Del und dessen Kameraden Grax ein, ihn in die Stadt Thak zu begleiten. Er hielt das für einen vernünftigen Schachzug. Sie hatten Waffen und wußten mit ihnen umzugehen. Del war sein Freund; Grax brannte darauf, etwas zu unternehmen; und beide waren davon überzeugt, daß sie einen legitimen König nach langer Abwesenheit wieder in seine Heimat brachten. Würde er angegriffen, so würden sie ihm nützlich sein. Jorry dirigierte sie zu einem freien Landeplatz, von dem Gariv ihm erzählt hatte, und sie machten sich unverzüglich zu Fuß auf den Weg nach Thak. Jenseits des Stadttores trennten sie sich. Bei Einbruch der Nacht wollten sie wieder an Bord ihres Schiffes, der Renegade, zusammenkommen.
Jorry fand Thak ungefähr so, wie er sich die Hauptstadt eines Königreiches der Skoraten vorgestellt hatte: alt, schlecht imstande, schmutzig, heftig und unangenehm riechend. Ursache dieses Zustandes waren die Trettles, und diese massigen dickgehörnten Tiere sah man überall in den katzenkopfgepflasterten Straßen. Hinter jedem Tier schwirrte eine Wolke häßlicher, gelber Insekten, die sich gleichermaßen von deren Exkrementen wie vom Blute der Passanten ernährten. Jorry war fest entschlossen, daß der erste Befehl des heimgekehrten Monarchen eine StraßenGeneralreinigung sein würde, und anschließend würde er verbieten, Vieh durch die Stadt zu treiben. Aus irgendeinem Grunde waren heute viele auswärtige Besucher in Thak; und aus den aufgeschnappten Gesprächsbruchstücken entnahm er, daß noch mehr erwartet wurden. Eine größere Festivität schien bevorzustehen. Um mehr zu erfahren, machte Jorry in einem Gasthaus Station, bestellte dort Brot, Käse und einen Humpen des starken, säuerlich riechenden Bieres und nahm an dem dichtbesetzten Gemeinschaftstisch Platz, wo die einfachen Leute saßen. Schweigend aß und trank er, der Unterhaltung der Viehhirten lauschend. Er hatte aufgepaßt, daß er in Luv von ihnen zu sitzen kam. Eine Zeitlang sprachen sie von ihrem Viehhandel, aber endlich fing einer von den Festlichkeiten an.
»Verkauft sind sie alle, zu gutem oder schlechtem Preis«, sagte er resigniert, »und ich kann mich ohne Sorgen amüsieren.« »Wenn du schlau bist, sorgst du zuerst für einen Schlafplatz. Bei Sonnenuntergang gibt es in ganz Thak keine freie Unterkunft mehr«, warnte ihn ein zweiter Hirt. »Ich schlafe vor der Mauer. Dort wird es jetzt sicher sein. An solchen Tagen herrscht Friede auf dem ganzen Skorat.« »Zu schade, daß so etwas nicht öfters vorkommt«, sagte ein dritter. »Da hast du recht. Die letzte, an die ich mich erinnere, war in Kabbrak; sechs Almtriebe ist das her.« »Forigols Hochzeit?« »Ja.« »Da täuscht dich dein Gedächtnis, Alter. Forigols Hochzeit war vor acht Almtrieben.« »Sechs oder acht – was macht das schon aus«, sagte der Sprecher lässig. »Königliche Hochzeiten gibt es nur wenige und in großen Zeitabständen. Die letzte Hochzeit davor war die von Gariv und Nikkolope.« »Da war sie noch ganz jung; ich kann mich gut daran erinnern«, sagte der zweite Hirte wehmütig. »Nikkolope ist kein junges Mädchen mehr, das muß ich zugeben, aber sie ist immer noch die schönste Frau des Skorat. Sounitan ist ein Glückspilz.«
»Das ist er, ja, das ist er. Jeder Mann auf dem Skorat würde gern mit ihm tauschen.« Der dritte Hirt seufzte. »Stellt euch bloß mal vor – mit Nikkolope verheiratet zu sein – Thak an ihrer Seite zu regieren –« Jorry ließ sich nichts anmerken, doch diese Worte schnitten ihm durchs Herz wie eine Klinge aus Eis. Es wäre zum Verrücktwerden, wenn ihm, nachdem er dem Ziel so nahegekommen war, der Siegespreis vor der Nase weggeschnappt würde. Er mußte mehr erfahren. Vielleicht gab es noch eine Chance. »Entschuldigung, Freunde, aber ich habe gehört, was ihr gesagt habt; und ich kann meine Worte nicht zurückhalten«, sagte er absichtlich geradezu und unverblümt, beugte sich vor uns sah ihnen nacheinander bedeutsam ins Gesicht. »Ich frage mich nur – wissen wir ganz genau, daß Gariv tot ist?« »Du bist nicht der einzige, Fremder, der sich das fragt«, entgegnete der erste Sprecher, der älteste Hirt. »Ich sage nur: Nikkolope ist überzeugt davon, daß er tot ist. Sie hat mit jemandem gesprochen, der dabei war, als er auf dem Xhanchos starb.« Jorry brauchte seine ganze k'Turalp'PaSelbstbeherrschung, um nicht erregt nach weiteren Einzelheiten zu fragen; doch wie es seiner Natur entsprach, ließ er sich auch angesichts dieser ungeheuerlichen Behauptung nichts anmerken. Entweder war
irgend etwas mächtig schiefgegangen, oder ein anderer hatte ebenso kühne Pläne wie er selber. Bei Garivs Tod hatte es keine Zeugen gegeben. Und selbst wenn eine ganze Legion von Zeugen im Thronsaal von Xhancholii gestanden hätten – wie hätte einer von ihnen entkommen und auf den Skorat gelangen können? »Wer war dieser Augenzeuge?« fragte Jorry. »Der Barde – der Dichter –« antwortete der jüngste Hirt, nach dem Namen suchend. »Alladale«, half sein Gefährte aus und fügte, zu Jorry gewandt, hinzu: »Man sagt, er sei der echte Sohn von Alladale-Liedermacher, dem Größten aller Barden.« »Das stimmt nicht. Gariv hat ihm den Namen wegen seiner Heldentaten in der Schlacht verliehen«, widersprach der jüngste Hirt. Alladale – der Name fiel Jorry wieder ein, und er erinnerte sich daran, wie wütend Gariv von dem Barden gesprochen hatte, der von seinem Königshof geflohen war. Das war tatsächlich eine üble Komplikation! »Wo ist der Barde? Hat er den Skorat verlassen?« fragte Jorry. »Nein, er zieht von einer Königsstadt zur anderen. Ich selbst habe ihn nicht gehört – in Tavan habe ich ihn gerade verpaßt –, aber ich habe Leute gesprochen,
die ihn gehört haben, und sie sagen, er ist wirklich der Beste«, antwortete der junge Hirt. Der zweite warf ein: »Zur Hochzeit kommt er nach Thak. Die das Glück haben, werden ihn hören.« »Glück muß man tatsächlich haben, um einer von den Sechzig zu sein!« Verdrießlich schüttelte der Alte den Kopf. »Wer weiß, wohin sie geht, um die Auswahl vorzunehmen? Wenn wir das herauskriegen könnten und dann da warten, wenn sie kommt –« Aufmerksam hörte sich Jorry die Einzelheiten über den alten Brauch an, nach dem der regierende Ehepartner bei jeder Königshochzeit auf dem Skorat sechzig beliebige Untertanen, mehr oder weniger vom Zufall bestimmt, auswählte, die als Hochzeitsgäste das Volk repräsentieren sollten; der Ort blieb geheim, bis die Auswahl tatsächlich stattfand. Jorry nahm das zur Kenntnis, ebenso die Nachrichten über Alladale, und verließ das Gasthaus, um sich einen ruhigen, abgelegenen Ort zu suchen, wo er die veränderte Situation gründlich überdenken konnte. Zweifellos war Alladale eine Gefahr. Vielleicht war die Anwesenheit des Barden in Thak ein ausreichender Grund, das ganze Unternehmen fallenzulassen. Was war schließlich dabei zu gewinnen, wenn er trotz allem weitermachte? Es gab genügend andere Welten und andere Königreiche, und ein kluger
Mann konnte sich nehmen, was er wollte, ohne ein so großes Risiko einzugehen, wie es bei der Ursupierung des Thrones von Thak wahrscheinlich nötig war. Nikkolope, so schön sie auch sein mochte, war nicht die einzige große Schönheit der Galaxis. Thak selber war kaum eine Lüge wert, noch weniger, daß man sein Leben riskierte: eine schmierige Ansammlung von Steinen, Lehm und Holzbalken auf einem rückständigen Planeten, bevölkert von Prahlern, Raufbolden und den stinkigsten Viehtreibern aller Sterne. Ein trauriges Material für einen Herrscher, ganz gewiß. Entschieden ein Verlustspiel, und ein Narr, wer es weiterspielte. Alles das überdachte Jorry, während er in einer schattigen Nische saß und auf den glitzernden Hafen von Thak blickte, wo die breiten, stumpfnasigen Handelsschiffe mit ihren farbenfreudigen Halbmondsegeln auf den sanften Wellen dümpelten. Es war eine heitere Szenerie, ein gemütliches Bild von Ruhe und Ordnung, ein wortloser Fürspruch für ein friedliches Leben. Er fühlte die Last von einigen Dutzend Welten auf seinem Rücken und den Überdruß an weiteren Reisen in seinem Blut. Die Zeit, der alte Feind, war unbesiegt. Sie holte deutlich auf in ihrem langen Wettrennen mit Jorry. Aber Jorry wußte: noch konnte er gewinnen. Er brauchte nur eine Ruhepause, und diese rauhe, häßliche Welt bot ihm die Chance dazu.
Jorry dachte an ein Gespräch beim Kaminfeuer, das vor langer Zeit stattgefunden hatte; damals hatte er sich über das Bedürfnis nach Ruhe lustig gemacht und die verlacht, die davon träumten. Doch spürte er selbst dieses Bedürfnis. Ein friedliches Leben – Die Phrase kam ihm in den Sinn, und mit ihr die Erinnerung an Santrhara. Sie hatte so oft von der frohen Aussicht auf ein friedliches Leben mit ihm gesprochen, auf einem weit vom Xhanchos und Garivs barbarischer Herrschaft gelegenen Planeten. Und Gariv hatte sie getötet, um seine dumme Eitelkeit zu befriedigen. Jorry wurde klar, daß er sich längst entschieden hatte. Er würde nach dem Thron von Thak greifen. Gariv schuldete ihm diesen Thron. Und was noch wichtiger war: Jorry schuldete ihn sich selbst. Viermal waren seine Pläne durch andere zunichte gemacht worden. Zuerst hatte ihm sein eigener Bruder alles abgeschwindelt. Dann waren ihm die Schätze von Boroq-Thaddoi durch die Fehler seiner eigenen Mannschaft entgangen. Die hitzige Brutalität eines Narren hatte Santrhara aus seinen Armen gerissen. Genug der Niederlagen! Nahm er Garivs Thron und Königin, so war das dreifacher Lohn: eine Zuflucht vor seinen Verfolgern, Vergeltung an Gariv und eine Basis für die endgültige Expedition zum Boroq-Thaddoi. Anders ging es nicht. Er würde diese Sache allein durchführen, ohne Hil-
fe, so daß ihn niemand betrügen konnte. Soviel hatte er gelernt. Andere würde er benutzen, sich aber nicht auf sie verlassen. Sie machten nur die Pläne klügerer Männer kaputt. Wenn man gewinnen wollte, mußte man allein spielen und sich nur auf sich selbst verlassen. Als er sich entschieden hatte, machte er sich sofort an die Frage der Methode. Und als der Tag zu Ende ging, hatte er alles erledigt. Es war tatsächlich ganz einfach. Da Alladale eine Bedrohung darstellte, mußte er ausgeschaltet werden – und zwar würde er ihm am besten persönlich gegenübertreten, offen, Auge in Auge. Er würde den Barden als Lügner und Verschwörer hinstellen und ihn auf der Stelle niederhauen, ehe er sich verantworten konnte. Genau das hätte Gariv auch getan. Würde jemand Einspruch erheben, so wäre dieser Einspruch der Beweis dafür, daß er an der Verschwörung beteiligt war. Soviel von dem Barden. Der Sieg war immer noch möglich. Er mußte nur schnell und entschieden handeln; ein Augenblick des Zögerns, und alles war verloren. Doch warum sollte er zögern? Er war ein k'Turalp'Pa unter Skoraten – ein Langauge unter Blinden nach einer alten Redensart der Onhla. Als die Sonne den Horizont berührte, erhob sich Jorry, um an die Arbeit zu gehen. Noch eins war zu tun: Er mußte einen Palastbediensteten finden, der
die Stelle wußte, wo Nikkolope am nächsten Tage ihre Gäste auswählen würde. Hatte er diesen bestochen, und die an der betreffenden Stelle diensttuenden Polizisten, so war sein Zutritt zum Palast gesichert. Mehr brauchte er nicht.
3. Die Wahl Erst spät, nach Anbruch der langen Skorat-Nacht, kam Jorry als letzter zur Renegade zurück. Er berichtete Del und Grax von den Ereignissen des Tages und von den Plänen, die er daraufhin gemacht hatte. Die beiden Sternfahrer hörten die Neuigkeit ohne Begeisterung. Für sich selber hatten sie keine Angst – zwei Männer, die ein verlassenes Raumschiff entern und ihre Prise über Hunderte von Lichtjahren hinweg auf festen Boden bringen, kann man nicht als ängstlich bezeichnen –, doch sie machten sich Sorgen um die Sicherheit ihres Gefährten. Ihrer Ansicht nach verließ er sich zu sehr auf den Zufall. »Es geht nicht anders«, erwiderte er auf ihre Bedenken. »Nikkolope wählt ihre Gäste selbst aus. Da ist nichts zu machen.« Bedrückt schüttelte Del den Kopf. »Und wenn Grax und ich nicht gewählt werden – was dann? Dann bist du da drinnen allein.«
»Und was ist, wenn du nicht gewählt wirst?« fragte Grax und deutete auf Jorry. »Dann findet die Hochzeit statt, und du bist draußen und kannst nichts machen.« »Wenn es so kommt, muß ich mir einen anderen Plan ausdenken, Grax. Aber ich meine, wir werden ausgesucht. Wir warten an der richtigen Stelle, und ich habe die Aufseher bestochen, damit sich keiner an uns vorbeischiebt.« »Immerhin, es wird ein ziemliches Gedränge geben.« Lächelnd hob Jorry die Hand. »Ich bin noch nicht zu Ende, Freund. Ich habe auch Nikkolopes Sänftenträger bestochen, damit sie so nahe wie möglich bei uns anhalten.« »Das ist ein guter Zug«, gab Grax anerkennend zu. »Denk daran, Nikkolope wird dicht bei uns niedergesetzt. Wir werden unter den ersten sein, die sie erblickt – ein Mann, der bestimmt ihre Neugier erregen wird, weil er ihrem verstorbenen Gatten ähnlich sieht«, sagte Jorry und klopfte sich auf die Brust; dann deutete er auf Del und Grax, »und zwei Anderweltler, die die Kunde von ihrer Schönheit, ihrem Edelmut und ihrer Größe von Stern zu Stern verbreiten können. Nun?« Er hielt inne, kratzte sich die Brust und grinste breit. »Bei den Flammenden Ringen, Freunde, ich glaube fast, ich habe mein letztes Geld
für Bestechungen ausgegeben, die überflüssig sind. Sie wird überhaupt nicht anders können, als uns alle Drei zu wählen.« »Freut mich, daß du so zuversichtlich bist. Ich habe allerdings meine Zweifel.« »Ich bin sehr zuversichtlich, Del. Das Recht ist auf meiner Seite«, sagte Jorry mit tugendhafter Miene. »Ich bin gekommen, um zu beanspruchen, was rechtmäßig mein ist, und nichts wird mich daran hindern.« »Wenn es jemand versucht, werden wir tun, was wir können«, versicherte Grax. Jorry übernahm freiwillig die erste Wache. Als die beiden schlafen gingen, sagten sie: »Gute Wache, Gariv.« Der Name gefiel ihm durchaus. Es war inzwischen soweit gekommen, daß er fast an seine eigenen Worte glaubte. Der Thron von Thak kam ihm von rechtswegen zu – vorausgesetzt, daß er ihn bekommen konnte. Das Recht war tatsächlich auf seiner Seite – wenn man ›Recht‹ nach Art der k'Turalp'Pa definiert. Da die Renegade sehr weit außerhalb der Stadt gelandet war, sah Jorry kaum eine Notwendigkeit, besonders scharf aufzupassen. Er verbrachte die ganze Wache damit, seine Pläne für den nächsten Tag nochmals zu überprüfen. Wenn die Dinge erst einmal ihren Lauf genommen hatten, war keine Zeit mehr
zum Überlegen. Dann mußte er gewissermaßen automatisch handeln. Ein einziges Schwanken nur, und alles war verloren. Als Grax ihn ablöste, war er davon überzeugt, daß alles aufs beste vorbereitet war. Weiteres Nachdenken hielt er für unnötig, und so ging er in die Koje und schlief traumlos bis kurz vor Sonnenaufgang. Am frühen Morgen standen Jorry, Del und Grax beim Tor der Neun Könige in der Menschenmenge. Hier würde die Auswahl stattfinden, hatte Jorrys Informant ihm versichert. Und die ganze aufgeregte und erwartungsvolle Atmosphäre deutete darauf, daß viele andere ebenfalls meinten, dies sei die richtige Stelle. Bald nach ihrem Eintreffen ging ein Flüstern durch die Menge und schwoll alsbald zu brausenden Rufen an: Nikkolope befand sich auf dem Wege zu eben diesem Tor. Die Garde der Königin machte bereits Gebrauch von ihren Schlagstöcken, um die Menge zurückzuhalten. Jorry ließ sich nach vorn drängen, und als er nahe bei einem Gardisten stand, gab er das verabredete Signal. Ohne ein Erkennungszeichen zu geben, machte der Gardist mit scharfen Stößen seines langen Stockes rechts und links von Jorry Raum, so daß dieser in eine Lücke zwischen zwei Gardisten schlüpfen konnte. Die Rufe wurden lauter und gingen zum Teil in Schmerzensschreie über, oder sogar
in wütende Beschimpfungen. Doch die Hoch- und Freudenrufe für Nikkolope und ihren erwählten Prinzgemahl waren so laut, daß alles andere darin unterging. Nun wurde das königliche Paar sichtbar, das Seite an Seite, in schwellende Kissen gelehnt, in einer von zwölf livrierten Dienern getragenen Doppelsänfte saß; und Jorry konnte einen ersten Blick auf die Frau werfen, die er für sich fordern wollte. Nikkolope war noch schöner, als er sie sich vorgestellt hatte: eine zur Vollkommenheit gereifte Abwandlung des jugendfrischen Weibes auf Garivs Lebendem Bild an seinem Halse. Sie war wie ein hohes, herrliches Marmorbild. Ihre Gewänder waren hellfarbig und von prachtvollem Material. Auf dem Haupte trug sie eine juwelenbesetzte Krone, und kostbare Armreifen klirrten und klangen bei jedem Winken ihrer Hände. Durch die bunte Pracht ihres Kopfschmuckes erinnerte sie an eine Barbarenfürstin; doch ihr Antlitz verriet Würde und Verfeinerung. Jorry fand sie faszinierend und mußte seine Blicke gewaltsam von ihr losreißen, um seinen Rivalen zu studieren. Prinz Slouitan war ein muskulöser Bursche jünger als die Königin, und von reinem Gesichtsschnitt. Das Volk nannte ihn hübsch und fand seine etwas finstere, selbstbewußte Miene attraktiv; doch Jorry fand, er sei ein ebenso aufgeblasener Tölpel wie die meisten
Skoraten der Kriegerkaste, ob jung oder alt. Er haßte ihn auf den ersten Blick. Sounitan beugte seinen sehnigen Arm, freute sich am Spiel seiner Muskeln, starrte träge auf die Menge und sonnte sich ganz offenbar in den Kundgebungen der Treue und Ergebenheit. Jorry runzelte die Stirn. Dieser eitle Bengel hatte neben einer Frau wie Nikkolope nichts zu suchen. Man erwies dem Lande einen Dienst, wenn man ihn beseitigte. Jorry wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Königin von Thak zu. Die königliche Sänfte hielt fast direkt vor ihm, und Nikkolope verkündete laut, daß sie nunmehr die Repräsentanten des Volkes aus der versammelten Menge auswählen würde. Ein mächtiger Ausbruch von Hochrufen folgte auf ihre Worte und dauerte an, als sie graziös aus der Sänfte stieg und, von ihrer Leibgarde umgeben, unter das Volk trat. Aufmerksam sah sie sich um. Aus einiger Entfernung erblickte sie Jorry; eine Sekunde lang trafen sich ihre Augen, dann schritt sie weiter. Sie gab kein Zeichen des Wiedererkennens, doch er hatte das fragende Flackern in ihren Augen gesehen und ihr kurzes Zögern bemerkt. Eine Welle echter Bewunderung für diese Frau überkam ihn. Ihre Haltung, ihre Selbstbeherrschung waren großartig. Keine andere Frau, auch kein Mann hätte einen solchen Schock so unbewegt hinnehmen können.
Er beobachtete, wie sie sich ihm näherte. Sie blieb stehen und richtete eine Frage an einen beflissenen Bürger; mitten in seiner Antwort wandte sie sich ab und ließ ihn mit offenem Munde stehen. Dann wechselte sie Scherzreden mit einem jungen Paar, lachte freundlich und liebenswürdig zu den Worten des Mädchens und bedeutete den Garden, diese beiden seien auserwählt. Ein neuer Ausbruch von Hochrufen folgte darauf, und Nikkolope schritt weiter, langsam und lächelnd – sie schien das Ritual zu genießen. Endlich stand sie vor Jorry, blickte ihm stumm ins Auge und fragte dann, wie er heiße. In aller Höflichkeit und Ehrfurcht nannte er ihr einen falschen Namen. »Das ist kein Skorat-Name, und doch siehst du wie einer von uns aus. Bist du von Thak?« fragte sie. »Jawohl, Majestät, doch ich bin lange fern gewesen. Erst kürzlich bin ich heimgekehrt.« Sie sah ihm fest und herausfordernd ins Auge. »Es ist nicht gut, wenn man zu lange fort ist. Hast du eine Frau? Und hat sie auf dich gewartet?« »Manche halten mein Weib für so schön wie die Königin von Thak. Und ich glaube, sie hat gewartet, obwohl –« »Weiter!« befahl Nikkolope. »Nun, Majestät, in meiner Abwesenheit hat ein eitler, dummer Junge ihr den Hof gemacht. Ich kann
ihm das nicht verdenken; doch ich habe die Absicht, den Burschen zu bestrafen. Die Ehre erfordert es.« »Hast du mit ihr darüber gesprochen?« »Noch nicht, Majestät. Aber ich werde es tun, bevor der Tag zu Ende ist.« Sie betrachtete ihn genau, und er hielt ihrem Blick ohne Wanken stand. Endlich wandte sie sich dem Gardisten zu und sagte: »Solches Vertrauen verdient seinen Lohn. Ich erwähle ihn.« Ohne einen weiteren Blick schritt sie weiter. Er stellte sich hinter den Gardisten, wo schon das erwählte junge Paar stand. Die Menge schrie wiederum Hoch, als er das Medaillon, das Gunstzeichen der Königin, entgegennahm und es sich um den Hals hing, doch er hörte es kaum. Er sah auch die beiden Sternfahrer nicht, doch das war ihm gleich. Er hoffte sogar, sie würden nicht erwählt werden. Jetzt war er endlich wirklich auf sich selbst gestellt. Kein Haufen feiger, patzender Verräter konnte diesmal seine Pläne vereiteln. Auf dem ganzen Skorat konnte ihn jetzt nur noch Nikkolope aufhalten, und sie schien sich über seine wahre Identität nicht sicher zu sein. Ihr Wortwechsel vor der Menge war zu subtil gewesen, als daß diese Tölpel von Skoraten ihm hätten folgen können. Die Entscheidung mußte nahe sein.
4. Die Heimkehr Tradition, Brauchtum, zahllose von der Zeit geheiligte Zeremonien hatten auf der Welt der Skoraten eine starke bindende Kraft, und niemand beachtete die alten Sitten und Gebräuche strenger als die herrschenden Familien von Thak. Für sie war es einfach eine Schande, geboren zu werden, ins mündige Alter zu treten, in den Kampf zu ziehen, zu heiraten, alt zu werden oder zu sterben, ohne daß jeder dieser bedeutenden Tage von öffentlichen Riten markiert wurde. Bauern, Hirten und Anderweltler mochten damit zufrieden sein, still von der Geburt zum Tode zu schreiten, aber ein edler Krieger nicht. Für einen Angehörigen dieser Klasse war jeder Schritt von der Wiege bis zur letzten Ruhestätte von seinem eigenen ausführlichen Ritual begleitet, und je höher der Rang, je wichtiger der Anlaß, desto großartiger das Ritual. Eine königliche Hochzeit war ein seltenes Ereignis von großer Bedeutung, und die daran geknüpften Zeremonien umfaßten einen Zeitraum, der einem vollen galaktischen Monat entsprach. Auf einer kriegerischen Welt wie dem Skorat, wo neunzehn Königsstädte und Hunderte von kleinen Fürstentümern in ständigen Feindseligkeiten lebten, wären solche öffentlichen Lustbarkeiten unmöglich gewesen ohne die erste und strengste aller Skorat-Traditionen: eine
Königshochzeit, eine Krönung, der Besuch eines Barden bewirkten automatisch Burgfrieden. Ihn zu verletzen bedeutete Tod. Eine reichhaltige Sammlung von Skorat-Legenden handelte von Konflikten aus Anlaß dieses Gesetzes. Ein Gast konnte beschuldigen, wen er wollte, sogar seinen Gastgeber aufs übelste verleumden, und war trotzdem sicher vor Gewaltmaßnahmen, solange die Feiern dauerten. Keine Waffe durfte gegen ihn erhoben werden. Sein Gastgeber hatte die Ehrenpflicht, ihn zu schützen. Verständlicherweise gab es nach Beendigung jeder solchen Zeremonie einen Ausbruch allgemeiner Feindseligkeiten. Doch während der Festtage selbst herrschte unverbrüchlicher Friede. Für diese Gelegenheit, den ersten Tag der Feiern zur Vermählung der Königin Nikkolope mit dem Prinzgemahl Sounitan, war die große Halle des Palastes als Refektorium hergerichtet. An einem Ende der Säulenhalle standen auf einem Podium die beiden Thronsessel. Nikkolope saß auf dem höheren, Prinz Sounitan zu ihrer Linken. Hinter ihnen schloß ein Wandschirm aus geschnitztem und bemaltem Holzwerk, durch den die Diener kamen und gingen, die Halle ab. Trotz ihrer Vorliebe für Zeremoniell hatten die Skoraten für lange Reden und Verzögerungen nichts übrig. Zu Jorrys großer Überraschung begann das
Festmahl beinahe unmittelbar nachdem die auserwählten Gäste in die Halle gekommen waren. Die Edlen wurden zu ihren Plätzen an den äußeren Wänden geleitet, während das gewöhnliche Volk nach Belieben in der Mitte Platz nahm. Jorry hatte sich kaum am Mitteltisch niedergelassen, nahe beim Thron und direkt gegenüber von Sounitan, da füllte ihm auch schon ein Diener den Becher mit Wein, und ein zweiter setzte ihm einen Teller mit dampfenden Fleischstücken vor. Ohne Trinkspruch oder Tischrede, ohne Gruß- oder Dankesworte an die Gastgeber machten sich die Gäste über ihr Mahl her. Aufblikkend sah Jorry, daß Sounitan bereits seinen Becher geleert hatte und Nikkolope den ersten Gang kostete. Jorry trank mäßig, doch er speiste so herzhaft wie die anderen Gäste. Nach skoratischem Brauch klopfte er auf Tischplatte und Sessellehnen, um den Musikanten seinen Beifall kundzutun, weinte bei traurigen und johlte bei lustigen Liedern, lobte Temperament und Grazie der Tänzer; und dabei behielt er ständig Nikkolope im Auge und wartete darauf, daß eine Veränderung ihrer Miene ihm den richtigen Augenblick ankündigen würde. Mehrmals trafen sich ihre Blicke, doch nie verriet sie ihre Gefühle, und Jorrys Bewunderung für sie erhöhte sich noch. Schließlich war es nicht die Königin, die Jorry zum Handeln veranlaßte, sondern der Barde; und das ge-
schah ganz unerwartet. Jorry war der Mann in Nikkolopes bunter Livree, der unter den Edlen umherging, bereits aufgefallen; er hatte ihn für einen minderen Höfling gehalten und ihn nicht weiter beachtet. Doch als Jorrys Nachbar zur Linken ihn in die Seite stieß und sagte: »Das ist Alladale, der Barde der Königin. Meinst du, er wird für uns singen?«, da straffte er sich. Das war also jener Alladale, der Nikkolope von Garivs Tod berichtet hatte. Ob er nun aus eigenem Wissen oder einfach nur die Worte gesprochen hatte, die sie zu hören erwartete – oder vielleicht zu hören wünschte –, der Mann war gefährlich. Wenn er wirklich der Mann war, von dem Gariv gesprochen hatte, dann kannte er ihn gut genug, um zu bemerken, daß Jorry ihm ähnlich sah; kannte er Gariv nicht persönlich, so mußte er irgendwelche eigenen Pläne verfolgen und war nicht weniger gefährlich. In diesem Gewirr von Konspirationen gab es nur eins: als Erster handeln. Sounitan und dann Alladale erledigen und erklären, er sei Gariv, der heimgekehrte König von Thak. Die Zeit war gekommen. »Hört mich an!« rief Jorry mit lauter Stimme. »Ich habe wichtige Nachrichten für unsere geliebte Königin!« Sofort verstummten die Gespräche. Gespannte Stille breitete sich um ihn aus, so wie lautlose Ringe von
dem Stein ausgehen, den man in ein stilles Wasser wirft. Lautes Gelächter einer Gruppe von Edlen an einem fernen Tisch erstarb augenblicklich. Er sah, daß Garden sich ihm näherten und blickte zu Nikkolope hin. Sie hob die Hand, und die Garden blieben stehen. »Du magst sprechen, Fremder. Sage uns deine Neuigkeiten!« befahl sie. Ihre Stimme war fest, aber kalt. Sie tönte bis in jede Ecke des Saales. Jorry befeuchtete seine Lippen, atmete tief und stürzte sich in dieses Abenteuer, alles auf diese eine Karte, auf diese kühne Täuschung setzend. »Der wahre König des Skorat lebt!« verkündete er mit dröhnender Stimme und hob den Arm zum Königsgruß. »Gariv ist von den Toten zurückgekehrt, um sein Königreich zu fordern – und seine Königin!« Um ihn wallten Stimmen auf, doch er stand unbewegt, die Augen auf Nikkolope gerichtet, die so kühl und beherrscht dasaß, wie das junge Mädchen auf dem Lebendem Bild. Blitzartig durchzuckte Jorry die Erkenntnis, daß sie der Täuschung nicht erlegen war – von Anfang an nicht. Keinen Augenblick hatte sie geglaubt, daß er Gariv war – doch das war ihm gleich. Konnte er Sounitan ausschalten, so würde sie ihn akzeptieren; wenn nicht, so hatte er den Tod verdient, in welcher Gestalt auch immer er kommen mochte. Nikkolope ließ den Eindringling seine Karte
ausspielen, seelenruhig abwartend, ob es ein Trumpf sein würde. Keinem von beiden würde sie helfen, bis er gesiegt hatte. Welch eine Frau für einen k'Turalp'Pa! dachte Jorry begeistert – keine in der Galaxis kam ihr gleich! Als der Aufruhr erstorben war, den seine Worte verursacht hatten, sagte Nikkolope: »Ist Gariv zurückgekehrt, so möge er selbst für sich sprechen. Wo ist er?« Ihr Ton war so herausfordernd wie bei dem Wortwechsel anläßlich seiner Wahl zum Gast. Sie sieht alles, sie weiß alles. Ich muß sie gewinnen! dachte Jorry. »Hier ist er! Ich bin Gariv!« rief er machtvoll. Sounitan sprang auf und streckte empört die Hand aus. »Du lügst! Du bist ein Schwindler!« »Und du ein Thronräuber!« gab Jorry zurück und drohte dem Prinzen mit der Faust. Verächtlich lächelnd, ließ sich Sounitan in den Thronsessel zurücksinken. »Garden! Faßt diesen Bettler, bringt ihn zum Tor und pfählt ihn!« befahl er. Zwei Garden mit kurzen Speeren näherten sich bedrohlich. Dieser Bruch der Sitte ließ die Gäste erstarren. Gelassen, ohne einzugreifen, sah Nikkolope zu, wie die beiden Rivalen ihre Sache auskämpften. Jorry hätte die beiden Palastwachen leicht mit seinen Messern erledigen können. Doch das hätte Gariv nicht getan, und er war nun Gariv. Er packte einen
schweren Krug, der auf dem Tisch stand. Dem Stoß des ersten Gardisten wich er durch einen Schritt zur Seite aus und schmetterte ihm den Krug mit einem mächtigen Rundhieb an die Schläfe. Jorrys ganzes Körpergewicht saß hinter dem Schwung des Schlages, und der Mann fiel taumelnd gegen seinen Kameraden. Jorry ergriff den zu Boden gefallenen Speer, rannte dem Zweiten das stumpfe Ende in den Leib, sprang über den zusammengekrümmt Daliegenden hinweg und stand plötzlich in Kampfhaltung auf dem Tisch. »Tod dem Thronräuber! Gariv ist wieder da!« brüllte er und schleuderte den Speer mit aller Kraft auf Sounitan. In Sekundenschnelle war alles vorbei. Noch war der Speer in der Luft, da sprang Sounitan auf, katzengleich, mit einer Schnelligkeit und einem Elan, der gegen seine sonst so lässige Art völlig überraschend wirkte. Mit einer einzigen fließenden Bewegung fing er die Waffe aus der Luft, drehte sie um, bog den Arm zurück und schleuderte den Speer auf den Angreifer. Jorry spürte den harten Aufschlag an der Brust, den raschen Schmerz der eindringenden Spitze, die durch seine Rippen fuhr und am Rücken wieder herauskam. Er packte den Schaft, riß die Augen weit auf und öffnete den Mund – er wollte noch etwas sagen.
Doch er brachte kein Wort heraus. Er wußte: alles war vorbei, alles, er starb jetzt, alle seine Pläne waren zunichte, kein anderer hatte Schuld daran, nur er, seine Fehler, sein Irrtum. Kein ungeschickter Thanist hatte diesmal alles kaputtgemacht, kein dummer, eitler König hatte ihm den Preis entrissen; er hatte sein Bestes versucht und hatte verloren, alles verloren, für immer verloren. Der Saal verschwamm vor seinen Augen. Noch sah er Nikkolopes unbewegtes Gesicht, den triumphierenden Sounitan an ihrer Seite. Er merkte, wie er zurückfiel, und dann fühlte er nichts mehr. Der unangenehme Zwischenfall war vorüber. Mit kurzen Worten beruhigte Nikkolope ihre Gäste, das Gespräch lebte wieder auf, die Musikanten spielten ein lustiges Lied, das Festmahl ging weiter. Jorrys Leichnam wurde weggeschafft, vors Tor geschleift und blieb dort liegen wie ein Haufen Abfall. Nach Herzenslust aßen und tranken die Gäste, und spät in der Nacht kam der letzte schwankend aus dem Palast. Für Nikkolope und ihre Garden war der Tag mit dem Mahle noch nicht beendet. Sie zog sich in ihre Privatgemächer zurück und befahl dem Kommandanten der Palastwache zu sich. Noch vor diesem erschien Sounitan. Seit Beginn des Festes waren sie zum erstenmal allein miteinander, und sie empfing ihn kühl.
»Das Volk wird viel zu reden haben«, begann Sounitan mit herausgedrückter Brust. »Lange Zeit wird vergehen, bis jemand wieder die Majestät von Thak infragestellt.« »Wenn du so gut denken könntest wie Speere werfen, Sounitan, dann würdest du einen sehr ordentlichen König abgeben.« »Was soll das heißen?« »Das heißt, daß du ein Hanswurst bist«, erwiderte Nikkolope gelassen. »Gewiß, du bist ein hübscher, starker Hanswurst, und ich zweifle nicht daran, daß du mich ehrlich liebst; aber deine Dummheit macht dich gefährlich.« Er starrte sie an, stotterte, wollte etwas sagen, aber sie gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen und fuhr fort: »Du hast heute das Gastrecht des Palastes von Thak gebrochen. Ist es dir nicht in den Sinn gekommen, daß deine treuen Gefolgsleute, daß die Edlen des Skorat dabei waren, als du deine Kriegskünste demonstrieren mußtest?« Auf sein betretenes Schweigen fuhr sie fort: »Wie ich sehe, hast du nicht daran gedacht. Und kannst du mir verraten, wie wir sie davon überzeugen können, daß sie selbst hier im Palast während der weiteren Zeremonien sicher sind? Sie haben gesehen, wie du einen Gast getötet hast. Sie könnten sich fragen, wer von ihnen der Nächste sein wird.« »Was solle ich denn machen? Er hat doch angegrif-
fen. Ich habe nur den Speer zurückgeworfen, den er warf.« »Schon, daß du der Garde befohlen hast, ihn festzunehmen und zu töten, Sounitan, könnte man als einen Angriff auffassen, gegen den er sich wehrte, wie jeder Mann sich wehren würde.« »Er hat mich beschuldigt – hat behauptet, Gariv zu sein.« »Ich habe es gehört«, antwortete Nikkolope etwas gereizt. Sounitan, dem bei ihren Worten immer unbehaglicher zumute wurde, platzte schließlich heraus: »Aber wir wissen doch, daß Gariv tot ist! Dieser Kerl war ein Hochstapler! Oder er wurde vielleicht hergeschickt, um unsere Heirat zu verzögern, weil man hofft, damit deine Regierung zu schwächen.« Nikkolope sah ihn schweigend an und erwiderte dann mit einer Stimme, die ihn eiskalt durchfuhr: »Meine Heirat hat nicht den geringsten Einfluß auf meine Regierung. Sei dir darüber klar, Sounitan, und mach dir keine Illusionen.« Ernüchtert stotterte er: »Ich meinte nur – vielleicht sollte er Verwirrung stiften – Unruhe unterm Volk –« »Möglich. Umso mehr ein Grund, ihn lebend gefangenzunehmen, anstatt ihn gedankenlos zu töten. Außerdem haben wir nur das Wort des Barden, daß Gariv tot ist.«
»Aber würde Alladale wagen, uns zu belügen?« Nikkolope gähnte. »Vielleicht. Alle Männer lügen.« Das Eintreffen des Gardehauptmanns beendete das Gespräch. Die Königin wandte sich ihm zu. Gespannte Erwartung lag auf ihren feingeschnittenen Zügen. »Was ist mit Alladale?« fragte sie. »Er ist nicht zu finden, Eure Majestäten«, meldete der Hauptmann; sein Blick glitt von Nikkolope zum Prinzgemahl, und dann wieder zur Königin. »Majestäten?« rief Nikkolope schnell und zornig, sprang auf und schlug dem Hauptmann die beringte Hand ins Gesicht, daß er taumelte. »Majestäten, ausgerechnet! Wisse, Gardist – und auch du, Prinz! –, daß Thak nur einen Herrscher hat – mich! Ich teile meine Herrschaft mit keinem!« »Jawohl, Majestät. Jawohl, natürlich«, sagte der vor ihrem Zorn erzitternde Hauptmann und traute sich nicht einmal, die Hand zu heben, um das Blut von seiner Wange zu wischen. »Ich sprach unbedacht. Wolle Eure Majestät mir verzeihen.« Nikkolope nahm wieder Platz, sah ihn starr an und sagte schließlich: »Dir ist verziehen. Doch der Nächste, der so unbedacht spricht, wird es tief bereuen. Jetzt zum Dienstlichen – was für Spuren gibt es vom Barden Alladale?« »Keine, Majestät. Er ist spurlos verschwunden.« »Er war mit dem Betrüger im Bunde. Ich hatte
gleich so einen Verdacht, als er hier unter dem Namen eines Toten auftauchte«, grollte Sounitan. »Du hast gar keinen Verdacht gehabt«, sagte Nikkolope sachlich. »Du hast den Barden nicht leiden können, weil ich ihm Gunst erwiesen habe. Ich glaube kaum, daß er etwas damit zu tun hat.« Zweifelnd zog Sounitan die Brauen zusammen. »Hältst du so einen Zufall für möglich?« »Vorläufig glaube ich überhaupt nichts. Ich will den Barden. Wir wollen seine eigene Geschichte hören – die ganze!« Dann wandte sie sich dem Gardehauptmann zu und entließ ihn mit dem Befehl: »Schaff ihn herbei.« Als der Hauptmann gegangen war, winkte sie Sounitan, ebenfalls zu gehen. Er protestierte, doch sie bedeutete ihm mit scharfen Worten, sie allein zu lassen, wandte ihm den Rücken zu und starrte aus dem schmalen Fenster. Auf seinen Abschiedsgruß erwiderte sie nur: »Ich werde dich zu gegebener Zeit rufen lassen.« Nikkolope war tief beunruhigt, und der Gedanke, daß sie durch ihr Handeln nur ihre innere Unruhe zu erkennen gab, machte ihr noch mehr zu schaffen. Das Auftauchen eines Betrügers gerade zu so einem Zeitpunkt war ein grausamer Streich des Schicksals, und die Frage, was dahintersteckte, beunruhigte sie ebenso sehr wie die eventuellen Rückwirkungen. Wie alle
Skoraten glaubte sie an Omen, doch sie war klug und erfahren genug, um zu wissen, daß ein Omen so oder so ausgelegt werden kann. Der Name des für tot gehaltenen Gariv war bei ihrer Wiederverheiratung aufgeklungen. Warum? Konnte dieser Eindringling Gariv gewesen sein? Nach so langer Zeit – Er sah ganz wie Gariv aus, das stimmte; und sogar sein Benehmen – aber das könnte ein geschickter Schwindler nachahmen. Selbst dann hätte er vielleicht einen besseren Gemahl als Sounitan abgegeben. Hochstapler oder nicht – er hatte Mut gehabt und hatte gut geplant. Sounitans schnelle Reaktion war nicht vorauszusehen gewesen; bis zu diesem Tage hätte sie selbst ihm so etwas nicht zugetraut. Eine Zeitlang dachte sie darüber nach, ob Sounitan noch andere und vielleicht noch gefährlichere Talente besitzen mochte, von denen niemand etwas wußte. Er machte nicht den Eindruck eines Intriganten, soviel war sicher – doch das mochte nur umso mehr Grund sein, ihn zu fürchten. Was er heute getan hatte, würde man ihm möglicherweise nachsehen – er hatte den Speer nicht eigentlich geworfen, sondern ihn nur dem Angreifer zurückgesandt –, doch es konnte ebensogut als Bruch des Burgfriedens betrachtet werden. Dann wäre Sounitan erledigt. Vielleicht mußte man sich darauf einstellen. Seufzend wandte sie sich vom Fenster ab. Der
Prinz war ein Dummkopf, vielleicht ein gefährlicher Dummkopf, aber sie mochte ihn gern. Vor langer Zeit war Gariv ganz ähnlich gewesen, damals als er um das Recht auf ihre Hand kämpfte. Das leise Klopfzeichen an ihrer Tür schreckte sie auf, obwohl sie darauf gewartet hatte. Als der Gardeposten ängstlich die Tür öffnete, wartete sie seine Meldung nicht ab, sondern gab ihm ein Zeichen, den Besucher einzulassen. Ein hochgewachsener, schlanker, weißhaariger Mann trat ein. Rasch und etwas hinkend durchquerte er den Raum, warf sich ungezwungen und vertraut, wie ein Gleichrangiger auf die Liege und streckte seine langen Beine aus. Sein scharfes, gutgeschnittenes Gesicht hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit den sanfteren Zügen Nikkolopes. Der Besucher seufzte erschöpft, drückte ihr grüßend die Hand und schüttelte den Kopf. »Nun? Hat er die Narbe?« fragte sie. »Eine Narbe hat er. Doch das beweist nichts.« »Nichts? Die Narbe auf seiner Brust und mein Bild an seinem Hals beweisen nichts?« Der Mann hob die Hand und ließ sie wieder fallen. »Eine Narbe kann man zurichten, meine Liebe. Und ein Lebendes Bild kann man kopieren. Vergiß nicht, dieser Hochstapler spielte um einen Thron und eine Königin.«
»Du sagst immer noch Hochstapler. Sogar nachdem du die Narbe auf seiner Brust gesehen hast«, gab sie zu bedenken. »Ich habe Gariv fünf Almtriebe lang gut gekannt, noch bevor du ihn gesehen hast. Ich würde ihn wiedererkennen; und ich sage dir, dieser Mann, der heute starb, war nicht Gariv.« Mit unsicherer Miene wandte sie sich ihm zu. »Wie kannst du nach so langer Zeit sicher sein, Vater? Selbst ich bin mir nicht sicher.« »Er hat sich verraten, meine Liebe. Ich habe die Gardisten gesprochen, die ihn hinausgeschleift haben. Sie haben seine letzten Worte gehört –« »Sag sie mir!« »Er nannte sich einen Täuscher. Zweimal hat er das Wort ausgesprochen. Ist das nicht ein Beweis, daß er ein Schwindler war?« Sie dachte ein Weilchen über diese Neuigkeit nach und blieb dann vor ihrem Vater stehen. »Täuscher? Nennen nicht die Quespodonen ihr Über-Wesen so? Er könnte doch –« Scharf blickte ihr Vater zu ihr auf und sprach mit leise verächtlichem Unterton: »Er war kein Quespodon, das ist völlig klar. Er war ein Skorate, oder von einer nahe verwandten Rasse. Niemand verwechselt einen Quespodonen mit einem Skoraten, meine Liebe.«
Nikkolope setzte sich neben ihn und legte den Kopf an seine Schulter. »Er war einer von uns. Ich weiß das, Vater.« »Nun also. Würde Gariv im Sterben etwas von einem Quespodon-Gott murmeln?« Sie setzte sich auf, nickte und stand auf. »Natürlich nicht«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich danke dir, Vater. Du hast mich überzeugt.« Er stand ebenfalls auf und umarmte sie; dann verließ er leicht hinkend, doch rasch und lautlos den Raum. Nikkolope, wieder allein, überdachte die Ereignisse des Tages. Dieser Hochstapler hatte mit seinem kurzen Auftritt in Thak eine Menge Unruhe verursacht. Und er war ein Hochstapler, versicherte sie sich nochmals. Seine Worte am Tor bedeuteten gar nichts. Er war ein Betrüger. Doch eins beunruhigte sie immer noch. Als der Betrüger sich beim Mahl als Gariv ausgab, hatte er das mit den Worten getan, er beanspruche sein Königreich und seine Königin. So würde Gariv gesprochen haben. Ein Betrüger hätte in Gegenwart der Königin die Königin zuerst genannt, nicht zuletzt. Dessen war sie ganz sicher. Nur Gariv – Aber er war tot, und es war sinnlos, über ihn nachzudenken. Nach einem Zeichen suchend, blickte sie aus dem Fenster. Hoch oben standen die Sterne in ihren kalten
Strukturbildern, unberührt, fühllos, abgeschieden. Kein Zeichen kam.
EPILOG
Die Seraph II Auf den Sichtschirmen der Seraph II zeichnete sich die nahe Landung ab. Von der Kommandobrücke aus betrachtete Axxal die bleich und stumm vor ihm treibende Planetenscheibe und verspürte augenblicklich Angst vor dem, was kommen mochte. Doch er unterdrückte seine Schwäche, gab die nötigen Befehle und leitete die Landung ein. Er und seine Mannschaft hatten bereits manche Hindernisse überwunden. Auch mit diesem würden sie fertig werden. Seine Leute waren ein schwer zu führender Haufen, und die lange Zeit in der engen Eingeschlossenheit eines Raumschiffes machte sie nicht eben gefügiger. Vaxxt tat sein Bestes, ihm die Last zu erleichtern, doch für die Quespodonen war nur Axxal der Chef. Vor einem Stellvertreter hatten sie keinen Respekt. Was ihn beinahe um den Verstand brachte, war ihre Art, ständig von ihm Entscheidungen zu verlangen und diese dann beiseitezuschieben, um nach irgendwelchen eigenen schwachsinnigen Ideen zu handeln, zum Schaden aller Beteiligten. Unter Schmerzen lernte er, was Führerschaft für eine Belastung sein kann. Die ständigen Meinungsverschiedenheiten, seine
vielen Aufmunterungsversuche stiegen in seiner Erinnerung auf. Vom Start an hatte er bittere Kämpfe mit den Quespodonen auszufechten gehabt. Kaum hatte das Schiff abgehoben, da mußte er ihnen den nahezu einstimmigen Beschluß ausreden, auf die Heimatwelt zurückzukehren. Das war sein erster und schwerster Sieg gewesen. Dann kam die unvermeidliche Forderung, daß sie eine Zeitlang auf irgendeinem Planeten bleiben sollten, wo sie nach der langen Sklaverei und der Raumreise mit Frauen zusammensein könnten. Sein Befehl war klar und eindeutig: ein Quespodon nimmt sich nur eine Quespodonin, und nie eine von der Heimatwelt. Sie brüllten und drohten, riefen wütend, er sei ein schlimmerer Tyrann als die Xhanchilion – aber sie gehorchten. Sie murrten, aber sie gehorchten. Er hatte wiederum gesiegt. Immer wieder redete er ihnen gut zu, brachte ihnen seine Botschaft des Stolzes. Bei jeder Gelegenheit redete er zu ihnen – zu Einzelnen, zu kleinen Gruppen, zu großen Ansammlungen, und immer waren seine Schlußworte: »Wir waren die Ersten. Wir waren die Besten. Vergeßt das nie.« Er spürte, daß er ihr Vertrauen gewann, wie er ihren Gehorsam erkämpft hatte. Sie begannen, ihm zu vertrauen und ihm zu glauben. Es kam die Zeit, wo seine Botschaft nicht mehr auf Einwände stieß. Nun hörten sie auf seine Worte und nahmen sie in sich
auf. Doch selbst dann, als er ihr Vertrauen hatte, schwieg Axxal über den endgültigen Bestimmungsort. Seit jenen hektischen Tagen auf dem Xhanchos hatte er methodisch vorgebaut. Zuerst landeten sie auf dem Wyttyp, wo eine kleine Gruppe Quespodonen seit drei Jahrhunderten siedeln sollte. Als sie wieder abhoben, hatte sich jeder Quespodon dieser isolierten kleinen Welt ihnen angeschlossen. Noch zweimal landeten sie, um Vorräte zu ergänzen. Jetzt war die Zeit der endgültigen Landung gekommen. Die Stimme eines Mannes der Besatzung riß Axxal aus seinen Träumen. Die manuelle Landung stand unmittelbar bevor. Er bestätigte die Meldung und trat ans Steuergerät. Drei Wachen vorher hatte Axxal alle an Bord Befindlichen zusammengerufen und ihnen den Bestimmungsort bekanntgegeben. Quespodonen waren eine leichtgläubige Rasse. Sie mochten ihren erwählten Führern mißtrauen, aber sie glaubten blindlings jedes Gerücht, jede Legende, jede Flüstergeschichte. Ihre Reaktion war so, wie Axxal erwartet hatte. »Da kannst du nicht landen, Kapitän! Da werden wir aufgelöst! Da verglühen wir wie eine Nova!« schrien sie entsetzt. Oder sie rissen die Augen auf und flüsterten: »Auf diesen Welten laufen Ungeheuer herum! Die fressen uns alle auf!« Oder: »Dieser ganze
Sektor steckt voller Rinn mit Waffen, die stärker sind als alles, was wir kennen!« Doch Axxal wußte es besser. Langsam und geduldig auf ihrem widerwilligen Zutrauen aufbauend, brachte er sie dazu, zu akzeptieren, was er aus guten Gründen selbst glaubte. Auch mit dem Plan, den er entworfen hatte, waren sie einverstanden. An Axxals Seite hing eine lange Klinge mit gewundenem Griff, ein Memento an die Gerippe in den unterirdischen Gängen des Boroq-Thaddoi. In seiner Tunika trug er einen kostbaren Stein, den er einem abgenommen hatte, der Opfer jenes flappenden Dinges geworden war, das Bral getötet hatte. Er hatte diesen Stein vor Jorry nicht erwähnt, doch nicht aus Habgier. Er hatte für die Dinge, die er gesehen hatte, einen greifbaren Beweis in Händen haben wollen. Was für Schätze auch immer unter der Zitadelle lagen, ihre Bewacher waren jetzt tot, unter einem Berg von Steinen verschüttet. Aber Quespodonen waren stark genug, um diesen Berg abzutragen wie einen Haufen Kiesel, und hatten beliebig viel Zeit für diese Aufgabe. Zeit war überhaupt ihr größtes Kapital. Erwies sich die Aufgabe letzten Endes als undurchführbar oder fruchtlos, dann war da immer noch das große juwelenbesetzte Tor. Axxal wußte den Weg noch. Er wußte den Pfad über die Berge, die Mündung des unterirdischen Flusses; er dachte an den Eingang, der
offen stand und auf ihn wartete, und er erinnerte sich noch an jede Windung, jede Abzweigung im Innern. Er hatte keine Angst, denn jetzt wußte er: Auf dem Boroq-Thaddoi lebten keine namenlosen Schrecknisse. Die Feinde waren lebendige Wesen. Er hatte ihnen einst gegenübergestanden, und er war ihnen entkommen, um stärker und besser gerüstet wiederzukommen. Unter seiner Führung würden die Quespodonen siegen. Doch die Gerüchte von Leddendorfs Schätzen waren gerade das Richtige für seine Leute. Das war etwas, das sie begreifen, wovon sie träumen konnten. Der Gedanke an greifbaren Reichtum würde ihnen Mut zu diesem Unternehmen verleihen. Ihn selbst aber hatte eine andere Verlockung zu dieser Quarantäne-Welt mit allen ihren Gefahren zurückgebracht. Leddendorfs Schätze würden einem wiedergeborenen Volk den Weg ebnen, gewiß –, doch auf dem Boroq-Thaddoi waren noch viel wertvollere Schätze vergraben. Axxal erinnerte sich an etwas, das Jorry auf der Ebene vor der Zitadelle gesagt hatte, vor den leeren Raumschiffen jener, die vor ihnen dagewesen waren: »Denk daran, Axxal – es mag noch Hunderte von Schiffen auf dieser Welt geben!« Seit sie den Xhanchos verlassen hatten, war ihm der Gedanke daran nicht aus dem Kopf gegangen. Schiffe – eine ganze
Flotte, mit der man überall in der Galaxis nach versprengten Quespodonen suchen konnte, um eine neue Rasse zu schaffen, weit weg von ihrer verfaulten Heimatwelt. Unter allen diesen Hoffnungen, allen diesen Plänen für sein Volk hegte er in den Tiefen seines Bewußtseins einen ganz bestimmten Verdacht, der ihm Angst machte. Es war ein zu großer Gedanke, um sich jetzt schon mit ihm zu befassen; er war noch nicht bereit dazu. Später vielleicht, wenn sein Geist daran gewöhnt war zu denken, Schlüsse zu ziehen, phantastische Möglichkeiten ins Auge zu fassen, würde er imstande sein, solche Idee in Angriff zu nehmen. Zur Zeit verwirrten und störten sie ihn nur. Er sollte sie vielleicht lieber den klareren Köpfen seiner Kinder und Kindeskinder überlassen. Und doch wurde er den Gedanken nicht los. Wieder und wieder erinnerte er sich an jene rätselhaften Skelette. Was hatten die Sternfahrer gesucht, Hunderte von Jahren, ehe die Leddendorf-Schätze in diese Gewölbe geschafft wurden? Lediglich einen anderen, noch älteren Schatz? Oder hatten sie sich auf die Suche gemacht nach einer verlorenen Wissenschaft und sich zuletzt aus Gier und Neid gegenseitig umgebracht? Die Zitadelle selbst war praktisch unerforscht – wer konnte sagen, was für Wunder sie enthalten mochte? Irgend etwas hatte die Sternfahrer
von anderen Welten, ja vielleicht sogar von anderen Galaxien, zum Boroq-Thaddoi gezogen. Was konnte es sein? Axxal hatte gehört, wie Quespodonen von der Heimatwelt in abgerissenen Sätzen von den Ruinen erzählt hatten, die in den wüsten Halden des DumabbParaxx standen, titanische Gebilde aus einer Zeit vor allem Erinnern. Es hieß, sie seien von Sternfahrern einer urfernen Zeit erbaut worden. Auch wenn er die von Heimweh angekränkelten Übertreibungen in Betracht zog, und die kindische Angeberei der Erzähler, so hielt Axxal diese Berichte doch für Hinweise auf Dinge, die über das Fassungsvermögen jeder lebenden Rasse hinausgingen. Sie ließen ihn an die Zitadelle von Boroq-Thaddoi denken. Auch sie hatte die Erinnerung an ihre Erbauer überdauert. Es könnte sein, daß die gleiche Rasse beides gebaut hatte. Axxal kannte die Geschichte der Rasse, welche die Galaxis durchquert hatte, als die Welten noch jung und leer waren, und die – in der Legende, wenn auch nicht in der Wirklichkeit – Lebensspenderin und Erbauerin gewesen war, bis sie wieder ins Geheimnisvolle verschwand. Wenn die Ruinen seiner Heimatwelt von der gleichen Rasse stammten, dann bestand die Möglichkeit – mochte sie auch noch so entfernt sein, es war eine Möglichkeit –, daß die Ersten Sternfahrer Quespodonen gewesen waren. Nicht die
schwerfällig denkenden, körperlich mißgebildeten Kreaturen von heute, Unterprivilegierte der Galaxis, sondern eine Rasse aufrechter Riesen, bevor irgendeine Katastrophe der Heimatwelt sie in dumpfes Halbmenschentum zurückgeworfen hatte. Auf dem Bildschirm flogen die Lichter an Axxals Augen vorbei und forderten gebieterisch seine volle Aufmerksamkeit. Eine Fehlberechnung konnte zur Bruchlandung führen und die Seraph II für alle Zeiten unstartbar machen. Er faßte nach den Kontrollhebeln. Bei dem wohlbekannten Geräusch von Vaxxts Krücke auf dem metallenen Deck wandte er sich um und nickte seinem Stellvertreter zu. »Beinahe angelangt«, sagte Vaxxt erwartungsvoll. »Ja. Wie ist die Stimmung an Bord?« »Gut. Keiner hat mehr Angst. Du hast sie überzeugt, daß wir mit dieser Welt fertigwerden können.« »Das können wir auch.« »Und du?« fragte Vaxxt leise. »Eine manuelle Landung ist schwierig. Die meisten Sternfahrer vermeiden sie.« Axxal legte seine breite Hand auf die Kontrollhebel und wandte sich zu seinem Freund um. »Ich schaffe sie schon, Vaxxt. Ich habe sie von einem Meister gelernt.« Sanft setzte die Seraph II auf. Sie befanden sich auf dem wüsten Hochland des Boroq-Thaddoi und wür-
den in einem Tagesmarsch das grüne Tal mit frischem Wasser erreichen, wo sie vor Sturm und Kälte geschützt waren. Hier konnte seine Rasse leben, ohne von gierigen Anderweltlern belästigt zu werden, die nur ihre Kräfte ausbeuten wollten. Hier konnte seine Rasse wachsen, reifen, ihre Vergangenheit neu entdecken, die Zitadelle nach ihren Geheimnissen durchforschen und Wissen ans Licht bringen, das seit Äonen vergraben und verschollen war. In zwölf Generationen einer langen Regeneration war Axxals Volk schon recht weit gekommen. Noch zwanzig, noch fünfzig oder hundert Generationen der Reifung und Regeneration, dann würden die Quespodonen eine Rasse sein, die über Zeit und Raum triumphierte. Drohend lag die QuarantäneWelt vor ihnen. Doch dieser Herausforderung würden sie ins Auge sehen und sie überwinden. Noch andere, größere Herausforderungen standen bevor. Axxal hatte etwas begonnen. Er wußte, daß er nicht lange genug leben würde, um das Ende seines Werkes zu sehen, doch träumen konnte er davon. Waren die Quespodonen bereit, so wartete die Galaxis auf sie. Und jenseits von ihr lag das ganze Universum.