Dieter Flader · Sigrun Comati Kulturschock
Dieter Flader · Sigrun Comati
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Dieter Flader · Sigrun Comati Kulturschock
Dieter Flader · Sigrun Comati
Kulturschock Interkulturelle Handlungskonflikte westlicher Unternehmen in Mittelost- und Südosteuropa Eine Untersuchung an den Beispielen von Polen, Rumänien und Bulgarien
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Die Untersuchung in Polen ist mit Unterstützung der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit entstanden.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Redaktionelle Mitarbeit: Carlotta Klein Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16078-8
Inhalt
Einleitung: Was dieses Buch erreichen will.........................................................9 Teil A: Polen (Dieter Flader)...........................................................................13 1
1.1 1.2 1.3 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 3
Was können Forschungsansätze aus verschiedenen Fächern dazu beitragen, interkulturelle Kommunikationsprobleme in Polen besser zu verstehen? ........................................................................15 Sozialpsychologie: Geert Hofstede.................................................16 Psychologie: Alexander Thomas ....................................................22 Linguistik........................................................................................33 Der Forschungsansatz meiner Untersuchung zum Kulturschock in Polen ...............................................................................................39 Fragestellungen, theoretische Voraussetzungen und einige Fallbeispiele....................................................................................39 Die Metapher vom Kulturschock – was sie verdeutlicht und was sie verdunkelt .................................................................................41 Die Informanten und der Ablauf der Interviews.............................45 Das Kommunikationsbedürfnis der vom „Kulturschock“ Betroffenen im Konflikt mit der politischen Korrektheit ...............48 Die Klagen über „die Polen“: Der Kulturschock als Forschungsinstrument für Kulturunterschiede................................50 Interkulturelle Interaktionsprobleme in Polen – am Beispiel der Arbeitskontrolle..............................................................................53 Ein handlungstheoretisches Modell des Kulturschocks..................55 Zur Rolle der Stereotypen im Kulturschock ...................................58
Die Klagen und ihre Analyse ..........................................................61 3.1 Die Liste der Klagen westlicher Manager ......................................62 3.2 Eine Analyse der Klagen ................................................................63 3.2.1 Klagen aus Unkenntnis über eine Eigenheit der polnischen Nationalkultur.................................................................................64
3.2.2 Klagen aus Unkenntnis über die Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus ............................................................68 Exkurs: Ebenen und Zusammenhänge einer Organisationskultur ........................................................................69 3.2.3 Klagen aus Unkenntnis über Polen als ein Schwellenland .............78 3.3 Die wichtigsten Klagen von polnischen Managern über die Westler ...........................................................................................90 4 4.1 4.2
Welcher Führungsstil ist in Polen erfolgreich? ...............................93 Was polnische Mitarbeiter von einem „guten Boss“ erwarten .......93 Die Bildung von Vertrauen.............................................................97
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6
Kulturunterschiede westlicher Managementstile und ihre möglichen spezifischen Auswirkungen auf berufliche Interaktionen mit Polen ...................................................................99 Das US-amerikanische Management............................................100 Das deutsche Management ...........................................................102 Das britische Management ...........................................................104 Das französische Management .....................................................106 Das holländische Management.....................................................108 Lösungsstrategien interkultureller Kooperationsprobleme...........109
6.1 6.2 6.3 6.4
Die Geschäftsanbahnung: Auf der Suche nach einem seriösen Geschäftspartner............................................................................111 Die Kennenlernphase....................................................................111 Präsentation des Angebots............................................................112 Die eigentliche Verhandlung ........................................................112 Vertragsabschluss .........................................................................114
5
6
7
Was der Westler über die jüngere polnische Geschichte wissen sollte ..................................................................................115 ANHANG ........................................................................................................121 Fallstudien ....................................................................................................121
6
Teil B: Rumänien und Bulgarien (Sigrun Comati) .....................................123 Einführung .......................................................................................................125 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 2 2.1 2.2 2.3 3
Kulturelle Unterschiede in bestimmten Denk- und Handlungsgewohnheiten ...............................................................129 Typische Handlungskonflikte bei der Geschäftsanbahnung.........129 Zum Befolgen von Regeln (Gesetzen, Erlassen etc.) und von Geschäftsvereinbarungen..............................................................133 Zur Auswahl von einheimischem Personal ..................................142 Die Kontrolle von Qualitätsstandards...........................................145 Zum Führungsstil gegenüber einheimischen Mitarbeitern ...........146 Unterschiede hinsichtlich der Rahmenbedingungen .....................149 Über die Beziehung zu den Behörden ..........................................149 Kredite und Versicherungen – auf kommunaler und betrieblicher Ebene............................................................................................151 Immobilienerwerb und Mietverträge westlicher Firmen in Rumänien und Bulgarien ..............................................................155 Zur Politik nationalistischer Gruppierungen .................................159
Zum Abschluss.................................................................................................161 Literatur............................................................................................................165
7
Einleitung: Was dieses Buch erreichen will
Dieses Buch ist für alle Manager und Geschäftsleute geschrieben, die bereits in Polen, Bulgarien oder Rumänien arbeiten oder dies demnächst tun wollen – sei es, dass sie dort ein eigenes Unternehmen gründen wollen (oder schon gegründet haben), sei es, dass ihre Firma eine Zweigstelle in einem dieser Länder besitzt oder ein Unternehmen dort aufgekauft hat und (deutsche) Führungskräfte „vor Ort“ braucht oder einheimische Führungskräfte und Mitarbeiter sucht. Einige der Schwierigkeiten, mit denen sich westliche Unternehmen bzw. Investoren in diesen Ländern Mittelosteuropas konfrontiert sehen, werden häufig genannt. Es handelt sich um
die aufgeblähte Bürokratie eine – vor allem im Bereich der Steuergesetzgebung – oft unklare Rechtslage Leiter der Ortsbehörden, die teils an einer zügigen Abwicklung von Anträgen desinteressiert oder nicht hinreichend kompetent sind.
Seltener in der Öffentlichkeit diskutiert werden die interkulturellen Handlungsprobleme, die zwischen westlichen Führungskräften und einheimischen Mitarbeitern in (westlich geleiteten) Unternehmen in diesen Ländern auftreten. Diese Probleme sind ebenso gravierend wie die genannten – aber sie werden bislang eher in geschlossenen Kreisen westlicher Manager – Clubs oder Privatzirkeln – erörtert. Systematisch untersucht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden sie bislang selten. Ein eher praktisches Ziel dieses Buches ist die Orientierung und Anleitung der ausländischen Investoren, die ja auf eine effiziente Zusammenarbeit ihrer Führungskräfte mit den Mitarbeitern vor Ort angewiesen sind. Die Relevanz der interkulturellen Probleme ist in längerfristiger Sicht wegen des Beitritts von Polen, Rumänien und Bulgarien zur EU tatsächlich kaum zu überschätzen. Wie brisant diese interkulturelle Problematik ist, zeigt ein aktueller Trend, über den Michael Woodhead in „Times Online“ (2007) berichtet: Eine große Anzahl deutscher Firmen – vor allem des Mittelstandes – zieht sich wieder aus Polen und aus Rumänien zurück, nachdem sie vor einigen Jahren – vor allem aus Gründen der Kostenersparnis – ihre Produktion dorthin ausgelagert bzw. 9
expandiert hatten. Die Gründe, die für diesen Rückzug angeführt werden, sind überwiegend kulturelle:
Die polnischen Mitarbeiter wechselten zu einer anderen Firma, wenn sie dort nur ein etwas höheres Einkommen erhielten – ungeachtet der Tatsache, dass sie einen Arbeitsvertrag mit der deutschen Firma unterschrieben hatten. Die Erklärung der betroffenen deutschen Seite: „Sie hatten keinen Sinn für Loyalität.“ Die Qualität der Arbeit ließ zu wünschen übrig, Liefertermine wurden wiederholt nicht eingehalten (also ein konstatierter Mangel an Arbeitsdisziplin). Kriminalität: Mehrere Firmenwagen wurden gestohlen. „Es gab einen polnischen Hang, deutsche Autos zu stehlen“.
Von deutschen Firmen, die in Rumänien einen Geschäftspartner gefunden hatten, wird in diesem Zusammenhang berichtet, dass diese Partner bei den Deutschen vor allem eins verursacht haben: permanente Kopfschmerzen (Woodhead 2007: 2). Die entscheidende Frage ist: Was ist hier in der Zusammenarbeit mit polnischen Mitarbeitern und rumänischen Geschäftspartnern schief gelaufen? Die angeführten Begründungen für den Rückzug nach Deutschland beziehen sich ja alle auf kulturelle Zusammenhänge – Arbeitsdisziplin, Loyalität der Firma gegenüber, Vertragstreue, Respekt vor dem Eigentum anderer. Und es liegt nahe anzunehmen, dass in eben diesen Zusammenhängen zwischen den Deutschen und den Polen Unterschiede bestanden – und weiterhin bestehen -, über die zumindest die deutsche Seite keine genauere Kenntnis hatte. Wenn die praktisch wirksamen Kulturunterschiede aber nicht gut bekannt sind, dann sind die Begründungen, die für den Rückzug aus diesen Ländern angegeben werden, vermutlich auch keine angemessenen Erklärungen für die Probleme, mit denen die Deutschen sich in Polen und in Rumänien konfrontiert sahen. Dann allerdings ist es auch nicht möglich, nach Wegen zu suchen, mit diesen Problemen erfolgreich umzugehen. So können die Fälle von Illoyalität polnischer Mitarbeiter gegenüber der deutschen Firma Gründe gehabt haben, die der deutschen Seite entgangen sind und die mit dem sozialen Verhalten der deutschen Geschäftsleute zusammenhängen. Mit kulturellen Unterschieden müssen auch deutsche Geschäftsleute rechnen, die einen Partner in diesen Ländern suchen. Von bestimmten, branchenspezifischen Kenntnissen abgesehen soll dieser Geschäftspartner vor allem eine Eigenschaft besitzen: Er soll seriös sein. Aber was „seriös“ im deutschen Geschäftsleben bedeutet, muss sich nicht mit dem decken, was „seriös“ in den mit10
telosteuropäischen Ländern bedeutet. Was einem Deutschen als unseriös erscheinen mag, kann für die Vorbereitung und Abwicklung von Geschäften in diesen Ländern durchaus als ein Zeichen von Zuverlässigkeit und Kompetenz gelten. Auch diese kulturell unterschiedlichen Erwartungen und Verhaltensweisen, die besonders für eine Geschäftsanbahnung wichtig sind, sollen in diesem Buch behandelt werden. Die Daten, auf die unser Buch sich stützt, wurden auf zweierlei Weise gewonnen: a)
In Warschau hat Dieter Flader (seit 2001) Interviews mit Geschäftsleuten aus dem Westen (also nicht nur mit Deutschen) durchgeführt und aufgezeichnet. Ziel dieser Untersuchung war, herauszufinden, welche typischen interkulturellen Handlungsprobleme zwischen westlichen Geschäftsleuten und Polen auftreten – und warum sie auftreten. Sein regelmäßiger Gastaufenthalt in Warschau (über mehrere Jahre) erleichterte es, die Perspektive auf deutsch-polnische Kulturunterschiede aufrecht zu erhalten. b) Die Tätigkeit des Dolmetschens in Geschäftsverhandlungen, die mit Mitgliedern verschiedener Kulturen geführt werden, bietet einen anderen, aber ebenfalls sehr ergiebigen Zugang zu interkulturellen Kommunikationsproblemen. Sigrun Comati arbeitet seit 15 Jahren als Dolmetscherin für deutsche Firmen, die in Rumänien bzw. in Bulgarien geschäftlich tätig sind. Aus diesen Erfahrungen hat sie – zumeist projektbezogene – Berichte angefertigt und zusammengestellt, die deutlich machen, wie deutsche Geschäftsvorhaben in diesen Ländern als Folge interkultureller Kooperationsprobleme scheitern können. Dass die so gewonnen Daten praktisch von Interesse sind, liegt auf der Hand. Die Rückmeldungen, die wir beide aus Seminaren erhalten, die wir für die Wirtschaft auf dieser Grundlage durchführen, sprechen dafür. Aber wie sind diese Daten wissenschaftlich auszuwerten? Und wie sind die Untersuchungen, die wir in diesem Buch darstellen werden, einzuordnen in das Forschungsgebiet „Interkulturelle Kommunikation“? Um diese Fragen zu klären, haben wir uns entschieden, ein Kapitel in dieses Buch aufzunehmen, das aus wissenschaftlicher Sicht einige der wichtigsten Forschungsansätze auf diesem Gebiet näher erläutern soll. Dieses Buch richtet sich also auch an Wissenschaftler, die zu diesem Thema arbeiten. Es soll versucht werden, wissenschaftlichen Ansprüchen von Sorg11
falt und Differenziertheit zu genügen, gleichzeitig aber bei einem allgemein verständlichen und klaren Stil der Darstellung zu bleiben. Daraus ergibt sich ein nächstes Ziel dieses Buches: Wir wollen weitere Forschungen auf diesem Gebiet in den mittelosteuropäischen und südosteuropäischen Ländern anregen, damit unsere Ergebnisse weiter vertieft und differenziert werden können. Wir halten die von uns genutzten Techniken der Datenerhebung – Interviews mit den vom „Kulturschock“ Betroffenen und Berichte von Dolmetscher-Erfahrungen – für sehr ergiebig und hoffen, dass sie auch von anderen genutzt werden. Da der „Kulturschock“ bislang überwiegend ein psychologisches Forschungsthema ist, soll das hier zugrunde gelegte handlungstheoretische Modell etwas ausführlicher dargestellt werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen reichen oft weit über den wirtschaftlichen Bereich hinaus – sie betreffen auch die Politik, das Bildungssystem und andere soziale Institutionen. Und sie sind deshalb so relevant, weil bestimmte, historisch bedingte Handlungs- und Denkgewohnheiten in Polen, Rumänien und Bulgarien auch in anderen Bereichen als nur dem wirtschaftlichen Bereich wirksam werden. Insofern ist dieses Buch auch an alle gerichtet, die aufgrund ihrer politischen, pädagogischen oder sonstigen beruflichen Tätigkeit mit diesen Ländern und ihren (zumeist) liebenswürdigen Bewohnern zu tun haben. Wenn der Dialog, der von westlicher Seite mit diesen neuen Nachbarn in Mittelost- und Südosteuropa auf verschiedenen Ebenen geführt wird, wirklich seine Bezeichnung verdienen soll, dann muss er die vorhandenen Gemeinsamkeiten ebenso wie die bestehenden kulturellen Unterschiede berücksichtigen. Erst deren Kenntnis ermöglicht auch eine Verständigung. Wie eine Unkenntnis auf westlicher Seite hinsichtlich bestimmter Denkund Handlungsgewohnheiten der Mitarbeiter bzw. Partner aus Polen, Rumänien und Bulgarien zu Missverständnissen, Handlungsproblemen und geschäftlichen Fehlschlägen führen kann, dokumentieren unsere Daten eindrucksvoll. Diese Unkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Daten. Da diese Denkund Handlungsgewohnheiten erst in ihrem historischen Zusammenhang verständlich werden, haben wir in der Analyse unserer Fallbeispiele den Versuch unternommen, zumindest kursorisch über diesen Zusammenhang zu informieren. Ausführlichere landeskundliche bzw. sozialgeschichtliche Informationen über die einzelnen Länder werden wir nicht eigens geben. Stattdessen werden wir auf vorhandene einschlägige Publikationen verweisen. Berlin, April 2008 12
Dieter Flader / Sigrun Comati
Teil A: Polen (Dieter Flader)
Vorwort Die Untersuchungen zum Kulturschock in Polen sind entstanden aus der Diskussion mit Studenten der Graduate School for Social Research an der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau. Von 1996 bis 2001 habe ich dort als Gastdozent gelehrt. Nachdem ich anschließend eine Professur am Institut für Angewandte Linguistik an der Universität Warschau übernommen hatte, konnte ich mich besonders auf die Unterstützung durch die Teilnehmer meiner Seminare an diesem Institut verlassen: Sie haben die sorgfältige Transkription der Interviews geleistet und so dafür gesorgt, dass ich eine Textbasis für meine Untersuchung hatte. Seit 2005 hat die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit mein Forschungsprojekt in Warschau finanziell gefördert. Für diese freundliche Unterstützung bedanke ich mich ebenfalls. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat dann 2007 ihrerseits zur Förderung meines Projekts beigetragen. Auch dafür bedanke ich mich. Danken will ich außerdem meinen Kollegen vom Institut für Angewandte Linguistik in Warschau für die freundliche Aufnahme. Hier möchte ich vor allem Karol Czejarek hervorheben, der mir ein enger Freund geworden ist und ohne dessen Hilfe ich viele organisatorische Probleme nicht hätte lösen können. Den polnischen Kollegen und Freunden, die in vielen Gesprächen mit mir geduldig und bereitwillig „dem Deutschen“ ihr Land zu erklären versuchten, in dem ich als DAAD-Dozent selbst einige Zeit gelebt habe, danke ich ebenfalls. Danken möchte ich schließlich der technischen Assistenz von Carlotta Klein, die mir bei der Abfassung des Manuskripts geholfen hat. Berlin, April 2008
Dieter Flader
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1 Was können Forschungsansätze aus verschiedenen Fächern dazu beitragen, interkulturelle Kommunikationsprobleme in Polen besser zu verstehen?
Das Forschungsgebiet „Interkulturelle Kommunikation“ ist zwar noch relativ jung. Aber da es infolge der intensivierten internationalen Verflechtung von Wirtschaft, Politik, Pädagogik usw. seit einiger Zeit „im Trend“ liegt und sich immer mehr Wissenschaftler diesem Thema widmen, ist die einschlägige Forschungsliteratur kaum noch zu überblicken. Hier eine Orientierung zu finden, ist für Laien auch deshalb nicht leicht, weil es eben nicht ein einziges wissenschaftliches Fach ist, das sich mit diesem Gebiet befasst – es sind mehrere Fächer, die diesen Zusammenhang untersuchen. Und innerhalb eines Faches gibt es wiederum unterschiedliche theoretische Ausrichtungen, die an der interkulturellen Kommunikation dann auch ganz verschiedene Aspekte hervorheben. Mit den Grundbegriffen „Kommunikation“ und „Kultur“ kann in einer konkreten Untersuchung also jeweils etwas ganz Verschiedenes gemeint sein. Diese unterschiedlichen Auffassungen über den Forschungsgegenstand muss man kennen, wenn man die Untersuchungsergebnisse, die jeweils mit einem der Ansätze erzielt werden, richtig einschätzen will. Und eine solche Einschätzung betrifft nicht nur die Reichweite der wissenschaftlichen Erklärung – sie ist auch von Bedeutung für die Praktiker. Denn für sie ist wichtig zu wissen, wie sie die jeweiligen Untersuchungsergebnisse für sich praktisch umsetzen können. Ich werde im Folgenden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einen kurzen Überblick über verschiedene Forschungsansätze geben, die in den Fächern Sozialpsychologie, Psychologie und Linguistik entwickelt worden sind. Einige dieser Ansätze – wie der von G. Hofstede und der von A. Thomas – sind besonders im Zusammenhang des sog. kulturellen Trainings sehr populär geworden. Dabei werde ich auch die Frage diskutieren, welchen Aufschluss die jeweiligen Untersuchungen uns speziell zu interkulturellen Problemen in Polen geben – vor allem im Hinblick auf wirtschaftliche Kontakte. Diese Diskussion dient auch dazu, den Forschungsansatz zu verdeutlichen, den ich für meine Untersuchungen in Warschau entwickelt habe. 15
1.1 Sozialpsychologie: Geert Hofstede „Sage mir, zu welcher nationalen Kultur du gehörst, und ich sage dir, an welche sozialen Werte du glaubst.“ So könnte man Hofstedes Modell der kulturellen Dimensionen charakterisieren, das er in einer umfassenden Erhebung unter IBM-Mitarbeitern in 53 Ländern in dem Zeitraum zwischen 1968 und 1972 entwickelt hat. Welchen Begriff von Kultur hat Hofstede seinen Untersuchungen zu Grunde gelegt? Er selbst erläutert diesen Begriff folgendermaßen: „Den Kern von Kultur bilden die Werte.“ Ein sozialer Wert wird hier aufgefasst als die allgemeine Neigung, bestimmte Umstände anderen vorzuziehen. Zur nationalen Kultur gehören außerdem bestimmte Praktiken. Unter diesen Begriff werden Symbole, Helden und Rituale einer Gesellschaft zusammengefasst. Für Hofstede ist die so verstandene Kultur eine „mentale Software“, die sich jeder Mensch im Prozess einer gruppenspezifischen Prägung aneignet. (Hofstede 2006: 3) Mit Hilfe einer Faktorenanalyse seiner Daten (standardisierte Fragebogen) ist Hofstede zu vier verschiedenen Dimensionen gelangt, in denen Unterschiede der nationalen Kultur erfasst werden können: Machtdistanz, Individualismus vs. Kollektivismus, Maskulinität vs. Femininität und der Grad an Unsicherheitsvermeidung. In einer späteren Untersuchung wurden sie durch die Dimension „Lang- und Kurzzeitorientierung“ ergänzt. Den untersuchten Ländern werden in diesen Dimensionen konkrete Indexwerte zugeordnet. So z.B. in der Dimension Maskulinität vs. Femininität: Hier erhält die Slowakei den höchsten Indexwert (110), während Australien den Indexwert (61) erhält. In der Dimension Individualismus vs. Kollektivismus erhält z.B. USA den höchsten Punktwert (91) und die Bundesrepublik Deutschland den Punktwert (67). Guatemala erhält in dieser Dimension den Wert (6). Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass Hofstedes Kulturbegriff anthropologisch gefasst ist. Unter „Kultur“ wird die Art und Weise verstanden, in der eine Gesellschaft auf existentielle Fragen des Menschseins eine spezifische Antwort gefunden hat. Die Dimension der Unsicherheitsvermeidung bezieht sich auf die Frage, welche Rolle soziale Regeln spielen sollen. Die Dimension Individualismus vs. Kollektivismus ergibt sich aus dem elementaren sozialen Bedürfnis, die Stellung des Einzelnen zur Gesellschaft zu klären. Die Dimension der Machtdistanz drückt das Bedürfnis aus, die Frage von Unterordnung und Autorität in einer Gesellschaft zu klären. 16
In der Dimension Maskulinität vs. Femininität wird der Tatsache Rechnung getragen, dass der Geschlechtsunterschied sich nicht nur in Rollenmustern ausprägt, sondern auch in der Weise, wie die Rollenmuster von Mann und Frau das soziale Leben beeinflussen. Und schließlich nimmt die Dimension Lang- vs. Kurzzeitorientierung Bezug darauf, dass Menschen auf die Zukunft hin ausgerichtet sind und in einer Gesellschaft jeweils eine bestimmte Form der Zukunftsorientierung dominant ist. Bevor näher darauf eingegangen wird, wie mit Hofstedes Modell in jüngerer Zeit die nationale Kultur von Polen charakterisiert wurde (G. Hofstede 2006), sollen einige grundsätzliche wissenschaftliche Voraussetzungen dieses Modells geklärt werden. Der anthropologische Begriff von Kultur, den Hofstede verwendet hat, ist sehr abstrakt. Er schließt von vorneherein die sozialen Prozesse und historischen Zusammenhänge aus, die für Untersuchungen zur interkulturellen Kommunikation wesentlich sind: a)
Die nationale Geschichte, in deren Verlauf soziale Werte doch entstanden sind, wird mit diesem Ansatz nicht erfasst. b) Kommunikation und Sprache werden zwar als sog. Praktiken zur Kultur gerechnet, aber ein Untersuchungsgegenstand sind sie nicht. c) Ein wichtiger Unterschied zu anderen Forschungsansätzen auf diesem Gebiet besteht darin, dass mit Hofstedes Modell erfasst wird, was Leute glauben. Wenn wir hingegen von einem anderen Kulturbegriff ausgehen, für den Handlungsgewohnheiten, Alltagskonzepte, Kommunikationsstile usw. im Mittelpunkt stehen, dann richten sich entsprechende Untersuchungen nicht darauf, was Leute glauben, sondern darauf, was sie wissen. Diese auf das praktische Wissen abzielenden Untersuchungen zur interkulturellen Kommunikation sollen später im Zusammenhang mit der Linguistik behandelt werden. d) Im Gegensatz zu Hofstedes (2001) Untersuchungen zu den Organisationskulturen, bei denen er sich auf eine Verbindung von qualitativen und quantitativen Methoden stützt, ist seine Untersuchung zu den nationalen Kulturen rein quantitativ. In der langjährigen Diskussion, die durch den „Positivismusstreit in der deutschen Soziologie“ angeregt wurde, (Th. W. Adorno 1969), wurde auch das Verhältnis von quantitativen und qualitativen Methoden erörtert. Eines der Ergebnisse der Diskussion war, dass die übliche Gegenüberstellung quantitativer und qualitativer Methoden irreführend ist, denn auch quantitative Methoden sind auf Interpretationen angewiesen – sowohl in der Bestimmung ein17
zelner Variablen, als auch bei der Auswertung der statistischen Ergebnisse. Allerdings machen sie diese Interpretationen zumeist nicht deutlich, während die qualitativen Untersuchungen sie eingehend erläutern. Ein weiteres Ergebnis dieser Diskussion: Da quantitative Methoden auf geeignete Kategorien für die Analyse angewiesen sind, diese aber in einem neuen Forschungsfeld noch nicht verfügbar sein können, laufen Untersuchungen, die sich quantitativer Methoden in der Sozialforschung bedienen, immer Gefahr ihren Gegenstand zu verkürzen (vgl. R. Bohnsack 1993).1 Ein Grundproblem des Ansatzes von Hofstede ist die Annahme, dass eine nationale Kultur einheitlich ist. Am Beispiel von Kulturunterschieden zwischen Polen und Deutschland, die mit diesem Modell bestimmt wurden, lässt sich gut erkennen, dass diese Annahme fragwürdig ist. Für Polen und Deutschland sind es zwei Dimensionen, auf denen deutliche Unterschiede hinsichtlich der nationalen Kultur festgestellt wurden: der Dimension „Machtdistanz“ und der Dimension „Unsicherheitsvermeidung“ Auf der Skala für Machtdistanz erreicht Polen einen Punktwert von 68 und Deutschland einen Wert von 35 (Hofstede 2006: 56f). Auf der Rangliste „Unsicherheitsvermeidung“ hat Polen einen Punktwert von 93 und Deutschland einen Wert von 65. Um eine solche Einordnung auf einer Skala interpretieren zu können, hat Hofstede Indikatoren gewählt, die die von ihm gefundenen Dimensionen definieren. Eine hohe Machtdistanz zeichnet sich im Bereich „Allgemeine Norm, Familie und Schule“ durch folgende Indikatoren aus:
„Ungleichheit zwischen den Menschen wird erwartet und ist erwünscht.“ „Eltern erziehen ihre Kinder zum Gehorsam.“ „Jede Initiative im Unterricht sollte von den Lehrern ausgehen.“ „Die Bildungspolitik konzentriert sich auf die Universitäten.“ u.a.m. (Hofstede, 2006: 71)
Im Bereich des Arbeitsplatzes zeichnet sich eine große Machtdistanz durch folgende Indikatoren aus:
1
J. Bolten (2002) diskutiert Hofstedes Dimensionsmodell unter dem Gesichtspunkt eines „makroanalytischen“ Ansatzes und weist auf dessen Problematik hin – die z.B. darin besteht, dass man „abstrakte Durchschnittswerte erhält,“ die „über konkrete Individuen und konkretes alltagskulturelles Verhalten innerhalb einer Kultur und erst recht über interkulturelles Handeln nichts aussagen.“ (a.a.O.: 106) Dass der Kulturbegriff Hofstedes, soweit er sich auf nationale Kulturen bezieht, per definitionem diese Abstraktheit aufweist, habe ich oben erläutert.
18
„Hierarchische Strukturen in Organisationen sind Spiegelbild einer Ungleichheit von Natur aus zwischen oberer und unterer Schicht.“ „Mehr Aufsichtspersonal.“ „Der ideale Vorgesetzte ist der wohlwollende Autokrat oder der gütige Vater.“ „Privilegien und Statussymbole sind üblich und populär.“ u.a.m. (Hofstede, a.a.O.: 76)
Die Dimension der Unsicherheitsvermeidung wird, im Falle starker Unsicherheitsvermeidung, im Zusammenhang mit der allgemeinen Norm und der Familie folgendermaßen charakterisiert:
„Großer Stress und Angstgefühle.“ „Strenge Regeln für Kinder hinsichtlich dessen, was als schmutzig und tabu gilt.“ „Was anders ist, ist gefährlich.“ „Angespannte Atmosphäre in der Familie.“ u.a.m. (Hofstede, a.a.O.: 244)
Im Kontext „Gesundheit, Bildung und Einkaufen“ äußert sich eine starke Unsicherheitsvermeidung u.a. durch folgende Kriterien:
„Die Menschen sind weniger glücklich.“ „Schüler fühlen sich wohl in strukturierten Lernsituationen und interessieren sich für korrekte Antworten.“ „Beim Einkaufen achtet man auf Reinheit und Sauberkeit.“ „Konservative Investitionen.“ “Lehrer sollen eine Antwort auf jede Frage haben.“ u.a.m. (Hofstede, a.a.O.: 251)
Für den Bereich „Arbeitsplatz, Organisation und Motivation“ macht Hofstede u.a. folgende Indikatoren für eine starke Unsicherheitsvermeidung aus:
„Arbeitgeber wird weniger häufig gewechselt – längere Betriebszugehörigkeit.“ „Emotionales Bedürfnis nach Geschäftigkeit; innerer Drang, hart zu arbeiten.“ „Hoher Stellenwert für Experten und technische Lösungen.“ „Zeit ist Geld.“ u.a.m. (Hofstede, a.a.O.: 262) 19
Im Zusammenhang „Bürger und Staat“ zählt Hofstede die Indikatoren
„Viele detaillierte bzw. ungeschriebene Gesetze“, „Bürgerprotest muss unterdrückt werden“, „Bürger interessieren sich nicht für Politik“, „Konservatismus, Recht und Ordung“, u.a.m. (Hofstede, a.a.O.: 268)
auf. Zuletzt geht Hofstede auf den Bereich „Toleranz, Religion und Gedankenwelt“ ein – hier werden hinsichtlich einer starken Unsicherheitsvermeidung folgende Indikatoren herangezogen:
„Mehr ethnische Vorurteile.“ „Hohes Risiko heftiger Auseinandersetzungen zwischen Gruppen.“ „Neigung zu großen Theorien in Philosophie und Wissenschaft.“ u.a.m. (Hofstede, a.a.O.: 280)
Die Wahl solcher Aussagen als Indikatoren verweist auf das oben erwähnte grundsätzliche Problem quantitativer Forschung: Entgegen ihrem Anspruch, Objektivität in der wissenschaftlichen Forschung auf rein quantitativem Wege zu erreichen, muss sie sich auf interpretative Leistungen verlassen, ohne diese aber auszuweisen und zu begründen. Denn warum z.B. die Sentenz „Zeit ist Geld“ als ein Indikator für eine starke Unsicherheitsvermeidung fungieren kann, wird nicht hinreichend in den Begriffen begründet, in denen diese Sentenz doch gefasst ist: in den Begriffen der Arbeitswelt. Ähnliches gilt für die Aussage: “Lehrer sollen eine Antwort auf jede Frage haben.“ Diese Aussage knüpft an soziale Interaktionserfahrungen in der Institution Schule an, ohne solche Erfahrungen selbst zu explizieren: Da hier ein bestimmtes soziales Rollenmuster des Lehrers angesprochen und mit einem bestimmten Unterrichtsstil in Zusammenhang gebracht wird, dieser institutionelle Zusammenhang aber nicht eindeutig ist, bleibt die soziale Bedeutung dieser Aussage im Vagen. Ein jeder wird sie auf der Grundlage eigener persönlicher Schulerfahrungen interpretieren. Das der Objektivität der Untersuchung dienende Mittel des Indikators erweist sich als ein Verfahren, das auf subjektive Interpretation angewiesen ist. Eine weitere Problematik dieses Ansatzes wird deutlich, wenn wir die damit erzielten Ergebnisse betrachten, die den Kulturvergleich zwischen Deutsch20
land und Polen betreffen. Da zwischen Deutschland und Polen beim Machtdistanz-Index (mit 33 Punkten) und beim Unsicherheitsvermeidungs-Index (mit 28 Punkten) die größten Unterschiede bestehen, fragt es sich, wie wir diese Unterschiede verstehen können. Dies ist auch ein guter Anhaltspunkt, um die Frage zu klären: Sind Hofstedes Kulturdimensionen wirklich eine überzeugende Methode des Vergleichs nationaler Kulturen? Ich werde, um diese Frage zu klären, auf einige meiner Untersuchungsergebnisse vorweg nehmen, die ich später ausführlicher erörtern werde. Betrachten wir etwas genauer den deutsch-polnischen Unterschied hinsichtlich der Machtdistanz. Der relativ hohe Punktwert für Polen auf der Skala für Machtdistanz scheint sich mit den Untersuchungsergebnissen zu decken, die mein qualitativer Forschungsansatz für deutsch-polnische interkulturelle Interaktionsprobleme gefunden hat. Hier war ein von vielen Westlern formuliertes Problem der autoritäre Führungsstil, den polnische Manager gegenüber ihren Mitarbeitern bevorzugen. Allerdings hat die Untersuchung zum Kulturschock in Polen diese für westliche Manager problematische Verhaltensweise, bei der es um die Absicherung einer hohen Position geht, nicht der polnischen Nationalkultur zugeschrieben. Es handelt sich vielmehr um eine Strategie des Machterhalts, wie sie in dem System des bürokratischen Sozialismus gang und gäbe war (D. Flader 2006). Hofstedes Kulturdimensionen differenzieren also nicht verschiedene kulturelle Systeme, bzw. sie können nicht entscheiden, ob ein Ergebnis ihrer Forschung nicht in mehreren kulturellen Systemen eines Landes verankert ist.2 Im Falle von Polen spielt die nationale Geschichte hier in der Dimension der Machtdistanz insofern eine Rolle, als der paternalistische Führungsstil auf polnische Verhaltensgewohnheiten innerhalb der bäuerlichen bzw. der großbäuerlichen Kultur zurückgeht. Außerdem kann nicht differenziert werden, was von einer polnischen Führungsfigur zusätzlich zur ausgeprägten Hierarchie von den Mitarbeitern erwartet wird – wie z.B. das persönliche Interesse eines „guten Bosses“ an den persönlichen Belangen seiner Mitarbeiter und die Bereitschaft, sich für diese auch einzusetzen, wenn es nötig ist. Auch erscheint die Charakterisierung „starke Unsicherheitsvermeidung“ ungenau, wenn das Verhältnis vieler Polen zu sozialen Regeln in Betracht gezo2 Ähnlich kritisiert McSweeney (2002), dass die von Hofstede festgestellten Unterschiede recht willkürlich als Unterschiede auf nationaler Ebene kategorisiert werden, da andere Klassifikationen – wie Religion oder die Muttersprache – gar nicht erst in Betracht gezogen wurden und tatsächlich vorhandene nationale Unterschiede – wie die zwischen England, Schottland und Wales – durch die Einordnung in eine einzige Nationalkultur – der Großbritanniens – gar nicht berücksichtigt wurden.
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gen wird. Hier wäre in der Tat eine bei vielen Polen vorhandene innere Distanz zu allen von Autoritäten erlassenen Gesetzen und Vorschriften zu beschreiben, insofern diese Autorität eine fremde Macht darstellt. Denn hier wird das typisch polnische Denkschema von „Sie“ und „Wir“ wirksam, das aus der leidvollen nationalen Geschichte stammt, in der häufig eine fremde Macht das Land beherrscht hat. Auch die behauptete Eigenschaft „Experten haben einen hohen Stellenwert“ steht im Widerspruch zu einem tatsächlichen polnischen hohen Wert: der Hochschätzung des Dilettanten. Dieser hat u. a. zu tun mit der polnischen Situation eines Schwellenlandes, in der westliche Leistungsstandards wohl bekannt sind, aber dennoch keineswegs allgemein als Modell für eigene Arbeitsleistungen akzeptiert werden. Trotz dieser Kritik sollte die Pionierleistung hervorgehoben werden, die Hofstedes IBM-Studie darstellt. Außerdem können Hofstedes Untersuchungen, zumal wenn mehrere Dimensionen miteinander kombiniert werden, durchaus eine gewisse praktische Orientierung geben. 1.2 Psychologie: Alexander Thomas Ich will kurz einige der Grundbegriffe erläutern, die der psychologische Ansatz – er wird in Deutschland u.a. durch Alexander Thomas vertreten – in der interkulturellen Kommunikationsforschung verwendet. Ein zentraler Begriff ist der des „Kulturstandards“. „Unter Kulturstandards werden alle Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns verstanden, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden. Eigenes und fremdes Verhalten wird auf der Grundlage dieser Kulturstandards beurteilt und reguliert. Als zentrale Kulturstandards sind solche zu bezeichnen, die in sehr unterschiedlichen Situationen wirksam werden und weite Bereiche der Wahrnehmung, des Denkens, Wertens und Handelns regulieren, und die insbesondere für die Steuerung der Wahrnehmungs-, Beurteilungs- und Handlungsprozesse zwischen Personen bedeutsam sind. Kulturstandards sind hierarchisch strukturiert und miteinander verbunden. Sie können auf verschiedenen Abstraktionsebenen definiert werden, von allgemeinen Werten bis hin zu sehr spezifischen, verbindlichen Verhaltensvorschriften.“ (Thomas 1996a: 112)
„Kultur“ wird hier verstanden als ein spezifisches Orientierungssystem. Dabei gilt für den kulturellen Vergleich: „Im Vergleich der Kulturen können einerseits unterschiedliche Kulturstandards verhaltenswirksam werden, andererseits können beim Vorliegen identischer Kulturstandards die Standardausprägungen, z.B. bezüglich der Toleranzbreite, der Bedeutsamkeit der
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Standards für die Orientierung in der Kultur und die Art ihrer Anwendung differieren. (Thomas a. a. O.: 115)
Interessant für den Vergleich mit einer handlungsbezogenen kulturellen Analyse, wie ich sie in meinem Forschungsprojekt zum Kulturschock in Polen durchführte, ist der psychologische Begriff der Handlung. Handlungen werden definiert als spezifische Formen des Verhaltens. Diese sind dadurch charakterisiert, dass sie bewusst zielgerichtet, erwartungsgesteuert, motiviert und reguliert sind. „Interkulturelles Handeln findet in kulturellen Überschneidungssituationen statt, in denen Menschen aus verschiedenen Kulturen darauf angewiesen sind, durch Interaktion miteinander ihre Handlungsziele zu erreichen. Zur Vermeidung kulturell unangepassten Handelns und daraus resultierender Handlungsstörungen bedarf es einer Veränderung und Erweiterung des eigenkulturellen Orientierungssystems in Richtung auf das fremdkulturelle Orientierungssystem.“ (Thomas a .a. O.: 115)
Diese Auffassung von Kulturstandards und von Formen des Verhaltens unterscheidet sich in mancherlei Hinsicht von dem Untersuchungsansatz, für den das sprachliche Handeln im Mittelpunkt steht; d.h. sowohl von der linguistischen Pragmatik (in Kap. 1.3 dargestellt), als auch von der Untersuchung zum Kulturschock in Polen (siehe Kap. 2.) Ein Unterschied sei kurz genannt. Der Begriff des Kulturstandards impliziert eine gedankliche Trennung des sozialen Handelns von den kulturellen Anforderungen, die jeweils an das Handeln gestellt werden, um es sozial angepasst und d.h. erfolgreich zu machen. Kulturstandards werden so zu Konstrukten, die methodisch einer Faktorenanalyse zugänglich sind. Sie werden gedacht als kulturelle Instanzen, die den Handlungsprozess regulieren. Im Gegensatz zum handlungstheoretischen Ansatz einer Kulturanalyse werden die Prozesse des Wahrnehmens, des Denkens und des Wertens nicht als mentale Dimension des Handelns analysiert. Sie werden vielmehr als davon getrennte Prozesse aufgefasst. Bevor weitere Unterschiede erläutert werden, ist die Frage zu klären: Wie werden zentrale Kulturstandards ermittelt? Das von Alexander Thomas geleitete Forschungsprojekt zu interkulturellen Kommunikationsproblemen zwischen Deutschen und Chinesen ist folgendermaßen vorgegangen. Zunächst wurden kritische Interaktionssituationen gesammelt. D.h. Deutsche und Chinesen wurden mithilfe teilstrukturierter Interviews über ihre Erfahrungen mit kritischen deutsch-chinesischen Interaktionssituationen befragt. Es wurden insgesamt 76 Deutsche (Manager, Fremdsprachendozenten und Studenten) in der VR China befragt. Aus diesen Befragungen wurden über 580 kritische Interaktionssituationen gewonnen, von denen 150 in die Analyse und in das Kulturtraining einbezogen wurden. Anschließend wurden Selbstbeurteilun23
gen gesammelt, d.h. es wurde die Frage gestellt, warum sich die kulturfremden Partner nach Meinung der Befragten so unerwartet verhalten hatten. Das Interviewmaterial wurde transkribiert und die brauchbar erscheinenden Situationsschilderungen ausgewählt – sowohl die kritisch verlaufenden Situationen als auch die harmonischen. Zusammen mit den Selbstbeurteilungen wurden diese Schilderungen ins Deutsche und ins Chinesische übersetzt. Sie dienten als Ausgangsmaterial für die weiteren Analyseschritte. Danach wurden Angaben zur Person erhoben, indem die interviewten Personen einen Fragebogen ausfüllten über charakteristische Merkmale ihrer Person. Anschließend wurden die Situationsschilderungen der Deutschen/Chinesen anderen Deutschen/Chinesen, die schon lange Zeit in China bzw. in Deutschland gelebt hatten und im jeweiligen Arbeitsbereich tätig waren, vorgelegt. Sie wurden gebeten, aus ihrer Sicht eine Beurteilung und eine Erklärung der kritischen Interaktionssituation vorzunehmen. Außerdem wurden fremdkulturelle Fremdbeurteilungen gesammelt: Die Situationsschilderungen der Deutschen wurden chinesischen Auslandsexperten vorgelegt, und die der Chinesen wurden deutschen Auslandsexperten zur Beurteilung vorgelegt. Wie wurden nun die zentralen Kulturstandards ermittelt? Die Interaktionsschilderungen wurden einer Inhaltsanalyse unterzogen. Damit sollten die Kulturstandards ermittelt werden, die den Interaktionsprozess in der als kritisch erlebten Phase beeinflusst hatten. Die Annahme war, dass die von Deutschen geschilderten Interaktionen mit den Chinesen deshalb als kritisch erlebt wurden, weil diese chinesischen Partner sich anders verhielten, als die Deutschen es erwartet hatten. Die Chinesen folgten dabei ihren eigenen Kulturstandards, und sie gestalteten und interpretierten die Interaktionssituation deshalb anders, als es die Deutschen aufgrund ihrer Kulturstandards gewohnt waren. Die für die geschilderten Interaktionssituationen bedeutsamen Kulturstandards wurden also durch einen Vergleich ermittelt: Das Material der fremdkulturellen Fremdbeurteilung wurde verglichen mit dem Material der eigenkulturellen Fremdbeurteilung. Die so gewonnenen deutschen und chinesischen Kulturstandards wurden dann mit Erkenntnissen aus kulturphilosophischer, kulturhistorischer und wertorientierter Forschung verglichen. (vgl. Thomas a. .a. O.: 118 ff.) Als ein Beispiel für eine solche Untersuchung zu Kulturstandards soll die Darstellung der Handlungswirksamkeit des Kulturstandards „Gesicht wahren“ dienen. Immer wieder wird von Deutschen betont, dass „Gesicht wahren“ von großer Bedeutung sei. Thomas weist darauf hin, dass die Bedeutung dieses Kulturstandards im Deutschen zwar ähnlich ist, aber nicht deckungsgleich mit der Bedeutung dieses Kulturstandards in China. 24
Eine kritische Situation, in der der Kulturstandard „Gesicht wahren“ wirksam wurde, ist die folgende: Nachdem ein deutscher Manager innerhalb kurzer Zeit zum vierten Mal mit chinesischen Partnern verhandelt hat und die bisherigen Gespräche in einer angenehmen Atmosphäre stattfanden, die Geschäftsverhandlungen aber nicht richtig vorwärts gingen, änderte der deutsche Manager sein Verhalten: Weil er die Chinesen im Verdacht hatte, dass sie ihn nur hinhalten wollten, um viele Informationen aus ihm herauszupressen, wurde er bei einer erneuten Sitzung wütend. Er schrie seine chinesischen Partner an, er wolle sich nicht weiter hinhalten lassen, er wolle endlich Klarheit und Verbindlichkeit. Die chinesischen Partner wurden blass und schwiegen. Ein Abschluss der Verhandlung wurde nicht erreicht. Der deutsche Manager erfuhr nach Rückkehr in seine Heimat von seinen Vorgesetzten, dass die Chinesen zwar weiterhin Interesse an einer Zusammenarbeit hätten, aber mit einem anderen Firmenvertreter verhandeln wollten. Der deutsche Verhandlungspartner hatte aus chinesischer Sicht sein „Gesicht verloren“. Wer sich so gehen lässt, wie der Deutsche es getan hat, verliert nach chinesischer Auffassung „sein Gesicht“. Wie wird von Thomas diese kritische Interaktionssituation analysiert? Der deutsche Manager „hatte allein die sachbezogenen Aspekte, wie Schnelligkeit und Effektivität der Verhandlungen im Auge. Da ihm und seinem Vorgesetzten alles zu langsam und zu wenig effektiv verläuft und er keine Erklärung für das zögerliche Verhandlungsverhalten bekommt, droht ihm Kontrollverlust. Er durchschaut die Situation nicht mehr. Erst die, wenn auch falsche, eigene Erklärung, die Chinesen wollten ihn nur hinhalten und erpressen, verschafft ihm wieder ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle. Mit seiner Äußerung will er seine Verhandlungspartner zwingen, sich seinen Erwartungen von effektiver Verhandlungsführung anzupassen, indem er sie mit seiner These von der Hinhaltetaktik konfrontiert und provoziert. Für die chinesischen Partner sind in dieser Situation die Sachbezüge völlig nebensächlich. Sie interpretieren die Reaktion des deutschen Managers allein unter dem Gesichtspunkt der Störung zwischenmenschlicher Beziehungen durch unkontrolliertes und unbeherrschtes Verhalten, durch das er selbst sein „Gesicht verliert“, aber durch das auch ihnen ihr „Gesicht genommen“ wird.“ (Thomas a.a.O.: 127)
Die Grundbegriffe, mit denen hier Thomas den interkulturellen Konflikt analysiert, sind die von sozialen Werten, dem interpersonalen Beziehungsverhältnis und dem Verhandlungsstil in der Polarität von sachlich vs. emotional. Was wir nicht erhalten, weil der psychologische Ansatz hierzu keine Kategorien bereitstellt, sind Informationen über die jeweiligen Formen und Abläufe der sozialen Interaktion: über die jeweiligen sprachlichen Handlungen des Verhandelns; die Art der Handlungen, die den Kulturstandard „Gesicht wahren“ vermitteln; Informationen, über die jeweiligen Situationskonzepte der Beteiligten, mit denen ihre Handlungen situiert wurden; über die Wahrnehmungen, ohne die soziale Handlungen nicht ausgeführt werden können und anderes mehr. 25
Diese Strukturzusammenhänge sozialer Interaktion lassen sich mit dem Modell sozialer Anpassung und verschiedener Einflussgrößen auf den Handlungszusammenhang nicht erfassen. Es ist ein Grundproblem dieser psychologischen Kommunikationsforschung, dass sie die komplexen kommunikationsbezogenen Vermittlungsschritte ihrer Analysen nicht ausweist, obwohl ohne sie die jeweiligen „Kulturstandards“ nicht gefunden werden können. Auf der Grundlage des Anpassungsmodells des sozialen Handelns werden die Richtwerte dieser Anpassung – die Kulturstandards – von den Handlungsprozessen abgelöst und diesen gedanklich gegenüber gestellt, obwohl sie doch in den Strukturzusammenhängen dieses Handelns gefunden wurden und daraus entwickelt worden sind. Einen weiteren wichtigen Einwand gegen den Begriff des Kulturstandards hat H. J. Heringer (2004) vorgebracht: Da Kulturstandards ebenso wie Stereotype selektieren und generalisieren, sind sie von diesen kaum zu unterscheiden. Die Ermittlung von Kulturstandards ist einfach eine Sammlung von Stereotypen. Denn die Annahme der Homogenität, die in der Rede von „den Chinesen“, „den Deutschen“ usw. gemacht wird, ist mit dem Begriff des Kulturstandards eng verknüpft. Die auf den Kulturstandards aufbauenden Programme interkulturellen Trainings sind entsprechend kritisch zu beurteilen. Anstatt durch Reflexion und Differenzierung eine Aufklärung über die Entstehungsbedingungen dieser Stereotypen zu vermitteln, wird eine Angleichung daran in den Vordergrund gestellt. Eine wichtige Forschungsaufgabe wäre, die Entstehungsbedingungen solcher Stereotypen im interkulturellen Kontakt anhand typischer Handlungssituationen zu klären. Eben dies ist ein Ziel der Untersuchung zum Kulturschock in Polen. Die Psychologie der Kulturstandards geht den entgegengesetzten Weg: Sie nimmt die ermittelten Stereotype als Elemente nationaler Kultur und bemüht sich, diese auf der Basis der nationalen Geschichte zu erklären. Die entscheidende Entstehungsbedingung im interkulturellen Kontakt – nämlich die Unkenntnis über bestehende Unterschiede von Kultur – geht zwar als eine Annahme in die Untersuchung ein, aber wie die eigenkulturelle Fremdbeurteilung Gebrauch macht vom Wissen über Handlungsstrukturen und Handlungsabläufe, gerät dabei aus dem Blick. Etwas unklar bleibt in dieser Psychologie der interkulturellen Unterschiede, wie das Verhältnis von Wahrnehmung und Formen des sozialen Handelns genauer zu bestimmen ist. Dieses ungeklärte Verhältnis hat vor allem Folgen für das Konzept des interkulturellen Lernens. Thomas (1991: 112) vertritt die Auffassung: 26
„Es muss geprüft werden, wie das Fremde in Richtung auf das Eigene geändert werden kann.“
Unter dem Gesichtspunkt der Erfahrungen, die im interkulturellen Kontakt gemacht werden, ist dagegen festzuhalten, dass Fragen an das Eigene sich erst dadurch stellen, dass das Andere als etwas Fremdes wahrgenommen wird. Welche Fragen an das Eigene dabei gestellt werden, hängt davon ab, welche Wahrnehmungen hinsichtlich des Fremdartigen an dem Anderen gemacht werden. Solange das Handeln im eigenen Kulturkreis geschieht, ergibt sich gar nicht die Notwendigkeit, solche Fragen an das Eigene zu stellen. Von der Wahrnehmung zu unterscheiden ist aber die Form des sozialen Handelns. Diese Formen sind kulturspezifisch ausgeprägt. Untersuchungen, die zu den Kulturunterschieden des Sich-Entschuldigens gemacht wurden, haben solche Unterschiede in der Handlungsstruktur ermittelt (S. C. Levinson 1990). Eben solche kulturellen Unterschiede in den Formen des sozialen Handelns stehen im Mittelpunkt der Untersuchungen zum Kulturschock in Polen. Trainingsprogramme interkultureller Kommunikation zielen dabei nicht auf eine Angleichung oder individuelle Anpassung an die andere Kultur. Vielmehr streben sie eine Erweiterung eigener Handlungsmöglichkeiten an, die das vorhandene kulturspezifische Wissen differenziert, anstatt es den Handlungsgewohnheiten der fremden Kultur anzugleichen. Das zunächst Fremdartige an den Handlungsweisen von Mitgliedern der anderen Kultur wird vor allem durch das bessere Verständnis des kulturellen Hintergrunds in Richtung auf etwas Bekanntes verändert. Dieser Lernprozess überwindet den anfänglichen Versuch, das Fremdartige dadurch bekannt zu machen, dass es dem eigenen Kulturwissen angeglichen wird. Eben dieser Versuch scheint für die Entstehung von Stereotypen aus dem sog. Kulturschock von Bedeutung zu sein. Dann wäre allerdings auch das Konzept der Stereotype neu zu überdenken, da allein die Prozesse von Selektion und Generalisierung deren Bildung nicht hinreichend erklären können. (vgl. 2.8) Dennoch: Die Untersuchungen zu den Schwierigkeiten, die in deutsch-chinesischen Geschäftsverhandlungen entstehen können, sind schon von ihrem Aufwand her beeindruckend. Und die erzielten Ergebnisse können in der einen oder anderen Weise auch eine praktische Orientierung geben, die dabei hilft, gravierende Handlungskonflikte und Missverständnisse zu vermeiden. Auf der Grundlage der Psychologie der Kulturstandards haben S. SchrollMachl & K. Wiskoski (2003) eine Darstellung der deutsch-polnischen Kulturstandards und ihrer Einwirkung auf die interkulturelle Kommunikation im deutsch-polnischen Geschäftsalltag gegeben. Es handelt sich um eine erweiterte Fassung der Darstellung, die schon früher publiziert wurde (S. Schroll-Machl & K. Wiskoski 1999). 27
Die Methoden, mit denen die beschriebenen Kulturstandards ermittelt wurden, werden nicht weiter erläutert. Man gewinnt bei der Lektüre den Eindruck, dass hier einfach Beschreibungen wiedergegeben werden, die von beteiligten Interaktanten – hier von Geschäftsleuten – gegeben wurden. Diese Beschreibungen wurden gesammelt und zusammengefasst. Ein Beispiel für eine solche Beschreibung – unter dem Kulturstandard der „Personenorientierung“ der Polen – sei hier zitiert: „Polen priorisieren auch in beruflichen Situationen zunächst die Beziehungsebene. Sie nehmen die jeweils Agierenden stärker und bedeutsamer wahr als die Deutschen. Ihr Bemühen und Handeln ist vom Bedürfnis geleitet, die Aufmerksamkeit der anderen Person zu gewinnen, ein menschlich angenehmes Klima herzustellen und gute Beziehungen aufzubauen. Polen tun viel, auch der Person wegen und nicht nur, weil „Sachzwänge“ es nahe legen. Wobei die Person nicht als „Privatperson“ verstanden wird, sondern für die Sache steht.“ (Schroll-Machl & Wiskoski 2003: 8)
Diese Beschreibung verwendet eine Unterscheidung von „Sachebene“ und „Beziehungsebene“ in der Kommunikation, die von P. Watzlawick u.a. (1969) getroffen wurde. Diese Unterscheidung, obwohl sie einer wissenschaftlichen Kommunikationsanalyse nicht standhält, ist sehr populär geworden und wird auch von der Psychologie interkultureller Kommunikation gerne verwendet. Ich will die Problematik dieser Konzepte kurz verdeutlichen. Unter der „Beziehungsebene“ von Kommunikation werden ganz verschiedene Prozesse gefasst, die sich stark voneinander unterscheiden, aber eben begrifflich nicht mehr unterschieden werden. Hiermit gemeint sein können:
Gefühlsbeziehungen zwischen Kommunikationsteilnehmern Ihre sozialen Rollenmuster Die Handlungsprozesse, die sie in der Kommunikation in sprachlicher oder nicht-sprachlicher Form durchführen.
Wenn z.B. in einem Verhandlungsgespräch die Teilnehmer sich auf inhaltliche Fragen konzentrieren, dann bedeutet das nicht, dass sie nicht ebenfalls auf der „Beziehungsebene“ kommunizieren. Sie machen nämlich dabei Gebrauch von Formen sprachlichen Handelns wie Bericht, Argumentation, Vorschläge vorbringen u. a. m. Die Behauptung, Polen legten auf die „Beziehungsebene“ mehr wert als der Deutsche es tut, ist eine vorwissenschaftliche Laienbeschreibung dessen, was ein Geschäftsmann in Geschäftsverhandlungen mit Polen wahrnimmt. Gemeint ist wahrscheinlich, dass der persönliche Kontakt zum deutschen Geschäftspartner für den polnischen Partner oft sehr wichtig ist, dass er Näheres 28
über dessen Familienleben und dessen beruflichen Werdegang erfahren will – und zwar in einem Umfang, der größer ist als üblicherweise in Deutschland. Überhaupt nicht erfasst wird mit dem Begriff des Kulturstandards, dass polnische Geschäftsleute auf dem, was hier „Beziehungsebene“ genannt wird, sich durchaus widersprüchlich verhalten können. Denn hinter der betonten Freundlichkeit steht oft ein Misstrauen gegenüber dem deutschen Partner. Dieses Misstrauen kann begründet sein in einer Dichotomie, die in der polnischen Nationalgeschichte verankert ist, nämlich der von „sie, die übermächtigen Fremden“ und „wir, die Polen“. Da der Begriff des Kulturstandards nicht verschiedene Kultursysteme unterscheidet und außerdem konkrete Fälle interkultureller Kommunikation nur oberflächlich erfasst, kann ein solches Phänomen auch nicht als Problem interkultureller Kommunikation analysiert werden. S. Schroll-Machl und K. Wiskoski führen neben der Opposition von „Personenorientierung“ – „Sachorientierung“ noch weitere deutsch-polnische Kulturstandards als Oppositionen an: „Improvisation“ – „Organisation“; „Polychrones“ (d.h. dass mehrere Dinge parallel erledigt werden) – „Monochrones“ Zeitgefühl; „Hoch-Kontext“ (d.h. der Anteil nicht-sprachlicher Mitteilungen, die sich auf den Kontext beziehen, ist hoch) – „Niedrig-Kontext“ (d.h. der Anteil des sprachlich Mitgeteilten ist hoch und damit der Kontextanteil gering); „Vermischung“ – „Trennung“ von Beruf und Privatem. Ich will kurz das Letztgenannte kommentieren. Eine der vielen Klagen westlicher Manager, die diese im Zusammenhang des Forschungsprojekts zum Kulturschock in Polen vorgebracht haben, bezog sich auf eine solche wahrgenommene Eigenheit: Polnische Mitarbeiter neigen dazu, am Arbeitsplatz berufliche und private Dinge nicht klar voneinander zu trennen. Der Begriff des Kulturstandards kennt aber, wie schon betont, keine Differenzierung hinsichtlich vorhandener Kultursysteme einer Gesellschaft. Daher kann er auch nicht erklären, worauf sich solche Beschreibungen westlicher Geschäftsleute genau beziehen. Die Behauptung „Polen trennen weniger strikt als Deutsche zwischen Arbeitszeit und privat genutzter Zeit“ (Schroll-Machl & Wiskoski a. a. O.: 16) kann sich auf eine Eigentümlichkeit der Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus beziehen. Denn in den ehemaligen Staatsbetrieben Polens war es durchaus üblich, von der festgelegten Arbeitszeit einen Teil für die Erledigung privater Dinge – vor allem von Privatgeschäften – abzuzweigen (vgl. J. R. Wedel 1992). Die Wahrnehmung der befragten deutschen Geschäftsleute kann sich aber auch auf ein berufliches Rollenmuster beziehen, in dem die Durchführung vorgeschriebener Aufgaben am Arbeitsplatz nicht immer getrennt wird von Aktivitäten, die privaten Interessen dienen – wenn z.B. eine Mitarbeiterin lange mit ihrer Großmutter in Danzig telefoniert und dabei nicht bedenkt, dass sie die Lei29
tung für Anrufe von Kunden der Firma blockiert. Hier würde dann die Beschreibung der wissenschaftlichen Laien auf eine in Polen verbreitete Handlungsweise zu beziehen sein, die mit dem Prozess des Übergangs von der traditionellen zur modernen Gesellschaft zu tun hat. Dass Stereotype in solche Laien-Beschreibungen interkultureller Kommunikationsprobleme eingehen, ist nicht erstaunlich. Ich habe darauf schon hingewiesen. Und was an den Untersuchungen von A. Thomas zu deutschchinesischen Geschäftsverhandlungen zu vermissen ist, fehlt auch in der Untersuchung von S. Schroll-Machl&K. Wiskowski: Anstatt diese Stereotype über „die Polen“ zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung zu machen, werden sie als „Kulturstandards“ zu einem selbstverständlichen Bestandteil solcher Untersuchungen. S. Schroll-Machl (1996) hat mit einem psychologisch-hermeneutischen Ansatz kulturelle Unterschiede in der Organisation der Teamarbeit von Deutschen und US-Amerikanern untersucht und ist dabei zu Ergebnissen gelangt, die wirklich erhellend sind. Leider wurden auch hier die angewandten Untersuchungsmethoden nicht erläutert. Ich will die Ergebnisse dieser Studie kurz darstellen. Der konkrete Fall: Ein deutsches Elektronikunternehmen hat Probleme mit der Zusammenarbeit deutscher Kollegen mit US-Amerikanischen Kollegen in Teams. Die Mitglieder dieser Teams gehörten zu verschiedenen Berufszweigen, sowohl zu der Gruppe der Ingenieure als auch zur Gruppe der Kaufleute. Eine Untersuchung dieser Probleme ergab erhebliche Unterschiede darin, wie jeweils die Deutschen und die Amerikaner Teamarbeit organisieren. Der typische deutsche Problemlösungsprozess in einer Arbeitsgruppe: Deutsche zielen darauf ab, die Grundstruktur einer Aufgabe zu erfassen, wobei sie verschiedene Aspekte mit dieser Grundstruktur verbinden: In einer ganzheitlichen Denkweise erarbeiten sie sich ein Konzept, das den Details zugrunde liegt – einschließlich einer allgemeinen Systematik, einiger Reflexionen über mögliche Optionen sowie einiger logischer Schlussfolgerungen. Erfahrungen werden insoweit berücksichtigt, als sie in das grundlegende Konzept passen. Der Problemlösungsprozess konzentriert sich zunächst auf die Analyse der Ausgangssituation. Diese Analyse schließt das Ziel mit ein; die Wege, auf denen es erreicht werden kann; sowie verschiedene Bedingungen, die zu berücksichtigen sind. Im nächsten Schritt zielt das Team darauf ab, einen Konsens zu finden bezüglich der Lösungswege und der verschiedenen Aufgaben, die zu erfüllen sind. 30
Jeder nimmt an dieser Diskussion teil, der Vorgesetzte ebenso wie die anderen Gruppenmitglieder. Jedes Mitglied übernimmt dann die Verantwortung für eine Aufgabe. Die Arbeit an jeder Aufgabe wird individuell von jedem einzelnen Mitglied getan. Es besteht dabei ein erstaunlicher Mangel an Informationsaustausch unter den Team-Mitgliedern. Jeder arbeitet für sich allein, ganz auf die jeweilige Aufgabe konzentriert. Eine Gruppensitzung findet nur dann statt, wenn eine Zwischenphase im Arbeitsprozess erreicht ist. Dann wird wieder eine ganzheitliche Reflexion über das Grundproblem ausgeführt sowie eine Diskussion darüber. Der Problemlösungsweg jedes einzelnen Mitglieds muss von dem grundlegenden Konzept abgeleitet sein. Deutsche ändern nicht gerne auch das Grundkonzept, noch die Details, die sie schon erarbeitet haben. Der typische amerikanische Problemlösungsprozess in einer Arbeitsgruppe Nach einem “brainstorming” über das Problem und mögliche Wege, es zu lösen, treffen die Amerikaner eine Entscheidung hinsichtlich des Ziels, das erreicht werden sollte, sowie der Lösung, die gewählt werden kann. Amerikaner konzentrieren sich auf das Endziel, und sie versuchen, es zu spezifizieren. Dieses Ziel wird dann in Zwischenziele aufgeteilt, die als Marksteine für die Orientierung und den Arbeitsfortschritt dienen. Im nächsten Schritt verteilt der Teamleiter die Verantwortungen. Die verschiedenen Aufgaben werden klar definiert und der Zeitrahmen für die Arbeit daran festgelegt. Jedes Mitglied arbeitet einen Arbeitsplan aus. Die Lösungssuche folgt dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Es findet ein laufender Informationsaustausch statt, sowohl unter den Mitgliedern des Teams als auch zwischen dem Teamleiter und den anderen Mitgliedern. Nachdem die verschiedenen Aufgaben ausgeführt wurden, prüft das Team unter der Führung des Teamleiters, ob die Zwischenziele, die durch den Arbeitsplan festgelegt wurden, erreicht worden sind. Abänderungen des Arbeitsplans sind ebenso möglich wie die Änderung der verschiedenen Aufgaben. Wenn eine Lösung nicht funktioniert, wird unverzüglich eine andere gewählt. Kulturelle Unterschiede zwischen einem deutschen und einem amerikanischen Teamleiter (Manager) In dem Unternehmen, in dem diese Untersuchung durchgeführt worden ist, gab es zwei verschiedene Arten amerikanischer Manager: den Experten in Technologie und den Leiter (Manager), der verantwortlich war für die Koordinierung 31
der Arbeit. Der erste nutzte sein Wissen für die Festlegung von Zielen in der Phase der Planung; der zweite war verantwortlich für die Durchführung des Arbeitsplans. Dieser Manager hatte eine starke Position in dem Team. Er motivierte die Team-Mitglieder, kontrollierte ihre Arbeit, und alle Mitglieder erhielten ein fortlaufendes Feed-back durch sein Lob und seine Kritik. Er gab schließlich auch ein Urteil ab bezüglich der Qualität der Lösungen. Der deutsche Manager verhielt sich ganz anders. Er moderierte die Diskussion und integrierte den Arbeitsprozess. Er war der Experte im Team, er kannte alle Details und alle Zusammenhänge. Die Mitglieder erwarteten auch von ihm, dass er über dieses professionelle Wissen verfügt. Seine Hauptfunktion war, das Team entsprechend dem Grundkonzept zu leiten. Auf der sozialen Ebene war er bemüht, die Mitglieder durch Überzeugung zu führen. Nur im Konfliktfall traf er eine Entscheidung. Die unterschiedlichen Strategien von Deutschen und von Amerikanern im Bezug auf ein Arbeitstreffen Amerikaner erwarten, dass während eines Arbeitstreffens Entscheidungen getroffen und Instruktionen gegeben werden. Deutsche erwarten, dass man sich während eines Arbeitstreffens mit der zugrunde liegenden “tieferen” Struktur einer Angelegenheit befasst. Und sie erwarten, dass Probleme sorgfältig analysiert werden. Die deutschen Arbeitstreffen funktionierten überwiegend als ein Teil des Planbildungsprozesses. Daher sind diese Treffen eine Gelegenheit, die Dinge zu reflektieren, Pläne zu bedenken und zu diskutieren. Die amerikanischen Treffen dienten dem Zweck, Handlungen zu koordinieren und Handlungspläne zu überprüfen. Die Treffen sind bestimmt von dem amerikanischen Führungsprinzip, Verantwortung zu delegieren. Der Problemlösungsprozess in interkulturellen Kontakten Aus amerikanischer Sicht konzentrieren sich die Deutschen zu sehr auf die Details. Die Deutschen sind für die Amerikaner zu zögerlich mit Entscheidungen. Die Reaktionen der Amerikaner auf die – für sie – endlosen deutschen Debatten: Entweder warten sie; oder sie bitten die Deutschen, einen Plan zu machen; oder sie bitten die Deutschen ungeduldig, ihnen zu sagen, was sie tun sollen. Für die Deutschen sind diese Reaktionen der Amerikaner ein Zeichen für die “typische” amerikanische Oberflächlichkeit, für eine unklare Denkweise und für die amerikanische Art, sich das Leben leicht zu machen. Weil jede Seite an dem jeweiligen kulturellen Muster der Problemlösung in Teams festhielt, und 32
weil sich diese Muster erheblich voneinander unterscheiden, musste es zu Missverständnissen und Irritationen kommen. An dieses interessante Ergebnis der Studie hätte eine Untersuchung der wechselseitigen Stereotype beider Seiten anschließen können. Denn diese sind ja offenbar vor allem aufgrund der Unkenntnis über die vorhandenen kulturellen Unterschiede in der Teamarbeit entstanden. Eine solche Rekonstruktion hat die Autorin leider nicht unternommen. Zum Abschluss meiner Diskussion des sozialpsychologischen und psychologischen Ansatzes sei noch kurz auf die Bedeutung der einzelnen Ergebnisse für das interkulturelle Training hingewiesen. Ein Vorzug der bislang diskutierten Untersuchungen ist ja, dass sie weitgehend in der Sprache der wissenschaftlichen Laien abgefasst sind, deren Wahrnehmungsperspektive entsprechen und mit den vorgenommenen Generalisierungen für die Laien auch sehr handlich sind. Wenn man allerdings über die immer wieder auftretenden interkulturellen Probleme mehr wissen will, kommt man um eine wissenschaftliche Erklärung nicht umhin. 1.3 Linguistik Welche Rolle spielt die Sprache für die interkulturelle Kommunikation? Die Sprache ist das wichtigste Mittel der Verständigung im interkulturellen Kontakt. Verständigung heißt hier zweierlei3:
das wechselseitige Verstehen von Aussageinhalten – diese repräsentieren Sachverhalte und das wechselseitige Verstehen von Handlungen, die im Medium der Sprache ausgeführt werden.
K. Knapp & H. Knapp-Kotthoff (1990) unterscheiden im Bereich der interkulturellen Kommunikation zwei verschiedene Forschungsansätze: die kontrastiven und die interaktionistischen Ansätze. Kontrastive Analysen vergleichen unterschiedliche kulturelle und sprachliche Verhaltensweisen, um auf diese Weise die in der interkulturellen Kommunikation entstehenden Probleme erklären zu können. Interaktionistische Analysen untersuchen hingegen konkrete Begegnungen, um die jeweils in die Interak3 Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Verständigung immer danach richtet, was in der jeweiligen Kommunikation erreicht werden soll (J. Rehbein 1985).
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tion hineinwirkenden – oder aus der Interaktion herauswirkenden – kulturspezifischen Momente als Ursachen für Missverstehen zu interpretieren. Für letztere sei V. Hinnenkamp (1982) mit seinem Ansatz der interaktionalen Soziolinguistik genannt, der sich in seinen Untersuchungen u.a. mit dem Gesprächsmanagement zwischen Deutschen und Türken beschäftigt hat. Er gibt eine Aufzählung von sprachlichen Mitteln, die als Techniken der Verständnissicherung aufgefasst werden können – für den Fall, dass Kommunikationsprobleme im interkulturellen Kontakt auftreten, z.B. langsames und lautes Sprechen, Paraphrasieren (d.h. denselben Inhalt in sprachlicher Form anders wiedergeben), Techniken der Klärung des Aussageinhalts, u.a. Der Begriff der Verständigung, auch wenn er im Bezug auf den jeweiligen Zweck der Kommunikation gefasst ist, erweist sich in diesen Untersuchungen als äußerst komplex, weil ganz verschiedene Bedeutungskomponenten in einer gelungenen Verständigung impliziert sind. Jede der oben genannten zwei Ebenen von Verständigung – die Identifizierung von Sachverhalten und das wechselseitige Verstehen von Handlungen – können jeweils betroffen sein. Der große Forschungsbereich des Zweitsprachenerwerbs und die Fremdsprachendidaktik sind eines der Schwerpunkte der Linguistik, die u. a. kontrastiv vorgeht. H. Kotthoff (1989) hat in diesem Zusammenhang die Verständigungsprobleme in der interkulturellen Kommunikation untersucht, die bei Nichtmuttersprachlern auftreten. Eine wichtige Rolle in den Untersuchungen spielen dabei die „Interimssprachen“, die der Lerner im Zweitsprachenerwerb im Spannungsfeld interkultureller Kontraste sich aneignet. Die Entdeckung der Handlungsdimension der Sprache war außerordentlich folgenreich für die Untersuchung der interkulturellen Kommunikation. Die Handlungslehre der Sprache (linguistische Pragmatik) konzentriert sich hier darauf, dass Verständigungsprobleme überwiegend auf Wissensstrukturen zurückgeführt werden können, die kulturspezifisch sind. Unterschiede in diesen Wissensstrukturen des sprachlichen Handelns führen zu unterschiedlichen Erwartungen in Bezug auf die jeweiligen Handlungsmuster. Entsprechende Fehlinterpretationen der Beteiligten können ganz unterschiedliche Konsequenzen haben. Dabei handelt es sich in der Regel darum, dass die Beteiligten in einer interkulturellen Kommunikation eigenes kulturspezifisches Wissen auf den Gebrauch fremdsprachlicher Mittel übertragen (Transfer). M. Rost-Roth (1994) führt einige der praktischen Folgen eines solchen Transfers an:
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kleine Peinlichkeiten und Lächerlichkeiten (z.B. bei Gratulationen u. ä.) grundlegendere Beeinträchtigungen in der aktuellen Gesprächssituation (z.B. bei den Zuhöreraktivitäten)
nachhaltige Beeinträchtigung der persönlichen Beziehung (z.B. durch ein kulturell inadäquates Anrede- oder Abschiedsverhalten) mangelnde Durchsetzungsfähigkeit eigener Interessen (z.B. in sozialen Institutionen) Ausgrenzung und Diskriminierung (z.B. durch Dominanzverhalten und Unkooperativität)
Die Untersuchungen aus dem Bereich der linguistischen Pragmatik haben sich vor allem darauf konzentriert, wie die interkulturelle Kommunikation in sozialen Institutionen abläuft. Sprachschwierigkeiten können sich hier zwar ebenfalls als Belastung auswirken, jedoch wurde bei diesen Untersuchungen der Sprache selbst weniger Bedeutung zugeschrieben. Die Version von Linguistik, mit der dabei gearbeitet wird, nennt sich funktionale Pragmatik. K. Koole und J. ten Thije (1994) geben eine allgemein verständliche Darstellung dieses Ansatzes, auf die hier Bezug genommen wird. Der Grundbegriff dieser Linguistik ist das sprachliche Handeln. Dass wir sozial handeln, wenn wir sprechen, ist eine der großen Entdeckungen, die die Sprachphilosophie im 20. Jahrhundert gemacht hat. Die funktionale Pragmatik nimmt diese Entdeckung auf und differenziert sie weiter. Sprechhandlungen sind von komplexen Handlungen zu unterscheiden. Sprechhandlungen sind z.B. „jemandem etwas versprechen“, „jemanden etwas fragen“, „in einer Diskussion eine Behauptung aufstellen“. Komplexe sprachliche Handlungen bestehen immer aus mehreren Sprechhandlungen und enthalten oft auch nicht-sprachliche Aktivitäten. Der zentrale Begriff des „Handlungsmusters“ soll die interne Organisation solcher Handlungsabläufe erfassen. Der Grundgedanke ist, dass Handlungen, insofern sie auf bestimmte Zwecke bezogen sind, auch die dazu nötigen Mittel zu deren Erfüllung verfügbar machen. Muster sprachlichen Handelns haben eine entsprechende Ablaufstruktur. Somit werden verschiedene Phasen des Handlungsablaufs unterschieden. Ein solches Muster komplexen sprachlichen Handelns ist z.B. ein Verkaufsgespräch, eine Zeugenvernehmung bei Gericht, ein Beratungsgespräch usw. Diese Muster des Handelns verbinden immer mentale Prozesse mit Prozessen der Interaktion. Die mentalen Prozesse sind nicht direkt beobachtbar, wohingegen die interaktionalen Prozesse direkt in Erscheinung treten. Die Sprache hat hier mehrere Funktionen: Sie dient dazu, Informationen zu übermitteln; sie ist außerdem auch unentbehrlich für den Handlungsablauf, weil sie Trägerin des allgemeinen Wissens über solche Abläufe ist. Für Untersuchungen von Alltagsgesprächen ist diese zweite Funktion von großer Bedeutung. Sie ermöglicht es, einen Zugang zu dem nicht beobachtbaren Wissen der Handelnden zu finden. 35
Da bei diesem Forschungsansatz das auf Zwecke bezogene Handeln als Grundtyp des Handelns aufgefasst wird, ist die Kommunikation, die in sozialen Institutionen abläuft, der bevorzugte Forschungsgegenstand. Eine Reihe von empirischen Untersuchungen, die mit diesem Ansatz gearbeitet haben, konnten die entsprechenden Grundstrukturen von Formen institutioneller Kommunikation herausarbeiten4. Eine Pointe dieses Forschungsansatzes besteht darin, dass er zeigen kann, wie alltägliche Arbeitsabläufe in einer sozialen Institution in Formen der Kommunikation realisiert werden und wie die Konflikte, die für die jeweilige Institution charakteristisch sind, sich in diesen Kommunikationsformen niederschlagen. Daher machen solche Untersuchungen auf diese Konflikte aufmerksam, von denen die dort Handelnden zwar betroffen sind, die sie aber in ihrem Kommunikationszusammenhang oft nicht erfassen. Die Methode, auf der Basis gesprochener Sprache die darin realisierten Handlungsprozesse aufzuschlüsseln, kennzeichnet die zentrale Untersuchungsweise dieser Kommunikationsanalysen. Was trägt dieser Forschungsansatz zur Aufklärung interkulturell entstandener Kommunikationsprobleme bei? Es ist evident, dass handlungsbezogene Missverständnisse, die im interkulturellen Kontakt auftreten, gravierende Folgen haben können: Der Erfolg der Zusammenarbeit mit einem Geschäftspartner kann gefährdet werden; der Arbeitsfortschritt in einer Firma kann gehemmt werden; eigene Interessen in Geschäftsverhandlungen können nicht erfolgreich vertreten werden u. a .m. Um zu verstehen, wie aus linguistischer Sicht interkulturelle Kommunikation analysiert werden kann, soll auf J. Rehbeins (1995) Untersuchung eines internationalen Verkaufsgesprächs näher eingegangen werden.5 Auf der Grundlage des Begriffs des Musters sprachlichen Handelns zeigt Rehbein zunächst die innere Systematik dieses Gesprächsablaufs. Er unterscheidet, wie schon erwähnt, die mentalen Prozesse, die zu diesem Muster gehören, von den Prozessen der Interaktion. Wie wichtig eine Berücksichtigung dieser mentalen Prozes4
Zum Beispiel Grundstrukturen der Lehrer-Schüler Kommunikation (K. Ehlich und J. Rehbein 1986), Zeugenvernehmung bei Gericht (D. Flader 1994), Erzählen beim Sozialamt (J. Rehbein 1980), Aspekte der Arzt-Patient Kommunikation (J. Rehbein 1987), Grundstrukturen psychoanalytischer Therapiegespräche (D. Flader, hrsg. 1982) und Handlungsstrukturen psychoanalytischer Interpretationen (D. Flader 1996) 5 Rehbein verwendet für seine Untersuchungen interkultureller Kommunikation ein Konzept von Kultur, das sich auf die Umwandlungen von schon bestehenden Handlungsstrukturen und sozialen Werten im Prozess des ökonomischen Wandels bezieht. Als ein Beispiel für diesen sog. kulturellen Apparat kann der Wert von Pünktlichkeit dienen: Wenn der Gütertransport und der Verkehr immer intensiver werden, entsteht ein Bedürfnis nach zeitlicher Koordinierung. Der Wert „Pünktlichkeit“ ist davon praktisch abgeleitet (A. Redder & J. Rehbein 1987). Im Prozess interkultureller Kommunikation kann dann der Unterschied, der zwischen den kulturellen Apparaten der Beteiligten besteht, Probleme verursachen. Es kollidieren dann zwei unterschiedliche kulturelle Systeme.
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se ist, wird deutlich, wenn man sich die Kommunikationsaufgaben klar macht, die die Beteiligten in einem solchen Gespräch zu erfüllen haben: Sie müssen Kosten-Nutzen Verhältnisse reflektieren, ihr fachliches Wissen über den jeweiligen Verhandlungsgegenstand konsultieren, den vermutlichen Stand des Gesprächspartners berücksichtigen u. a. Die Ablaufstruktur des Verkaufsgesprächs in seiner einfachsten Version hat, dieser Untersuchung zufolge, sechs Phasen: In der Phase 1 zeigt der potentielle Käufer seinen Kaufwunsch, worauf der Verkäufer ein Angebot macht, das der potentielle Käufer prüft. In der Phase 2 modifiziert der Verkäufer sein Angebot, nachdem der potentielle Käufer seine Wünsche spezifiziert hat. In der Phase 3 macht der potentielle Käufer ein Kaufgebot, das der Verkäufer akzeptiert und in Phase 4 zusammenfasst. In Phase 5 werden die genauen Bedingungen geklärt und vereinbart (Zahlungsmodalitäten, Lieferungsdaten und spezielle Wünsche des Kunden etc.). Hier fällt die eigentliche Kaufentscheidung. In Phase 6 werden alle Vereinbarungen vertraglich festgehalten und die entsprechenden Aktivitäten, zu denen man sich verpflichtet hat, ausgeführt. Erst wenn das jeweilige Produkt geliefert, in Empfang genommen und die Bezahlung abgewickelt ist, ist der Zweck dieses Handlungsmusters erfüllt. J. Rehbeins Untersuchung macht nun auf ein interkulturelles Problem aufmerksam, das im Verlauf dieser Geschäftsverhandlung aufgrund der beiderseitigen Verhandlungsstrategie entstanden ist. Zwischen den Beteiligten – einem holländischen Verkäufer und einem französisch sprechenden Wallonen, der am Kauf interessiert schien – bestand eine Asynchronie insofern, als beide die Ablaufstruktur dieses Verkaufsgesprächs in ganz unterschiedlicher Weise für ihre jeweilige Verhandlungsstrategie nutzten: Der holländische Verkäufer versuchte, die einzelnen Schritte des Ablaufs vom Standpunkt des Käufers als gegeben und „o.k.“ zu realisieren – vor allem den Schritt der Kaufentscheidung in Phase 5 –, während der Käufer sich bemühte, sich alle Optionen bis zur letzten Minute offen zu lassen – sogar die des Rückzugs. Auch wenn die Auswirkung der kulturellen Unterschiede auf die beiderseitigen Verhandlungsstrategien nicht ganz klar wird, so ist doch deutlich, dass solche Unterschiede nicht zum Erfolg, sondern zum Misserfolg führen dürften. Meine Untersuchung der typischen interkulturellen Handlungskonflikte, die am Arbeitsplatz von Westmanagern mit ihren polnischen Mitarbeitern auftreten, hat ebenfalls bestimmte Kategorien der funktionalen Pragmatik verwendet. Ich werde sie, wenn ich den theoretischen Ansatz dieser Untersuchung darstelle, im Einzelnen erläutern.
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2 Der Forschungsansatz meiner Untersuchung zum Kulturschock in Polen
Ich will jetzt kurz erläutern, wie ich bei meiner Untersuchung zum Kulturschock in Polen vorgegangen bin und welche Fragen mich dabei geleitet haben. Dazu gehören auch die methodologischen Fragen, die sich bei Interviews als einer Technik der Datenerhebung stellen, und der Versuch, eine befriedigende Antworte auf diese Fragen zu finden. Außerdem will ich die theoretischen Voraussetzungen meiner Untersuchung, die ich z. T. schon angesprochen habe, weiter verdeutlichen. Da die von mir (durch Interviews) erhobenen Daten erst durch die theoretischen Voraussetzungen meiner Untersuchung konstituiert werden, will ich diese Voraussetzungen in einzelnen Aspekten verdeutlichen. 2.1 Fragestellungen, theoretische Voraussetzungen und einige Fallbeispiele Wie stellen wir fest, dass Handlungsprobleme, die zwischen westlichen Ausländern und Polen im Verlauf ihrer beruflichen Zusammenarbeit auftreten, bedingt sind durch vorhandene Kulturunterschiede?6 Probleme dieser Art können ja im interkulturellen Kontakt durch ganz verschiedene Konstellationen bedingt sein (Altersunterschied, Differenz im Fachwissen etc.). Damit hängt die grundlegende Frage zusammen: Wie finden wir überhaupt vorhandene Kulturunterschiede? Die Antwort darauf – das ist in Kap.1 deutlich geworden – hängt davon ab, was wir unter „Kultur“ verstehen. Im Zusammenhang meiner Untersuchung verstehe ich unter „Kultur“ ein System von Mustern alltäglichen Handelns, von Kommunikationsstilen, Alltagskonzepten, Wahrnehmungsgewohnheiten und Mythen, die auf kollektivem Wissen basieren, überwiegend sprachlich organisiert und historisch verankert sind. Seine Spezifik erhält ein solches System vor allem durch die gesellschaftliche Praxis, die es hervorgebracht hat – z.B. eine Nationalkultur durch den Pro6 Die Zahl der Ausländer – überwiegend aus westlichen Ländern -, die in Polen leben und arbeiten, hat sich in der Zeit zwischen dem Jahr 2000 und 2003 fast verdoppelt. In dem Jahr 2003 wurden11 199 Ausländer gezählt (vgl. WBJ 2004).
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zess der Bildung einer Nation; eine Schicht-Kultur durch die Differenzierung verschiedener sozialer Schichten; eine Organisationskultur durch die Entwicklung komplexer Arbeitsabläufe in sozialen Organisationen; u.a. Ich betone den Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Praxis, weil irreführende Konstrukte wie „Nationalcharakter“ oder „typisch deutsch“ und „typisch polnisch“ dadurchvermieden werden können. Außerdem können wir so leichter verschiedene kulturelle Systeme voneinander unterscheiden – sowohl auf polnischer als auch auf westlicher Seite. Dieser Begriff von „Kultur“ lässt Techniken der Datenerhebung wie Umfragen oder gezielte Befragungen als wenig geeignet erscheinen. Die Ergebnisse, die so erzielt werden, sind nicht wirklich ergiebig. Denn das kulturspezifische Wissen ist ein implizites Wissen. Das kann durch gezieltes Fragen nicht einfach abgerufen werden. Ich will diesen Punkt kurz erläutern: Dieses Wissen ist für jedes Mitglied einer Alltagskultur so selbstverständlich, dass es gar nicht wüsste, wie es antworten sollte. Denn dazu müsste dieses Wissen reflektiert werden können. Aber das Selbstverständliche reflektieren wir nicht. Außerdem müsste dieses Wissen eindeutig bestimmbar sein. Dazu braucht man aber geeignete Kategorien, über die wissenschaftliche Laien gewöhnlich nicht verfügen. Die bloße Mitgliedschaft in einer Kultur macht deren Mitglieder eben nicht automatisch zu Experten ihrer Kultur. Aber könnten nicht die westlichen Geschäftsleute, die in Polen leben und arbeiten, mit Hilfe von Fragen herausfinden, wo die wichtigsten Kulturunterschiede zwischen ihnen und den Polen bestehen? Nein, sie können es nicht. Wenigstens nicht ohne weiteres. Nach etwas fragen kann ich nur, wenn ich weiß, was ich nicht weiß. Mein Nichtwissen muss also ein bestimmtes Nichtwissen sein. Aber diese Voraussetzung ist in einer für mich fremden Kultur eben nicht gegeben, wenn ich, wie z.B. westliche Geschäftsleute oder Manager, ein wissenschaftlicher Laie auf diesem Gebiet bin. Man könnte einwenden, dass doch aber wenigstens nach Unterschieden der Moral gefragt werden könnte. Z.B. könnte man doch als Deutscher einen Polen fragen: „Betrügen Sie?“ Aber was soll der Pole darauf antworten? Er wird dem Deutschen doch nicht sagen: „Ja, unter ganz bestimmten Umständen tu ich das gelegentlich.“ Welches Bild hätte dann der Deutsche von diesem Polen? Dasselbe trifft natürlich auch auf Deutsche zu, wenn sie nach ihrer Moral gefragt werden. Aus all dem folgt, dass es für westliche Geschäftsleute in Polen (und in anderen ihnen fremden Ländern) tatsächlich schwierig ist, die für ihre Arbeit wichtigsten Kulturunterschiede selbst herauszufinden. Ein direkter Zugang zu diesen Prozessen interkulturellen beruflichen Handelns, z.B. in der Form teilnehmender Beobachtung und/oder Bandaufzeichnung, ist für wissenschaftliche 40
Zwecke in der Regel nicht möglich: Firmen scheuen davor zurück, diese als sozial sensibel eingestuften Informationen öffentlich zugänglich zu machen. Insofern ist das aufgezeichnete Verhandlungsgespräch, das J. Rehbein analysiert hat (Kap. 1.3), eine Ausnahme. Es stellt sich also dringender die Frage: Wenn wir von der Annahme ausgehen, dass auftretende interkulturelle Kommunikationsprobleme auf unterschiedliche kulturspezifische Wissensstrukturen (z.B. die des sprachlichen Handelns) zurückführen sind – wie finden wir einen Zugang dazu? Ein hierfür brauchbares Forschungsinstrument ist der „Kulturschock“. Wie wir mit seiner Hilfe einen Zugang zu bestehenden Kulturunterschieden finden können, soll im Folgenden erläutert werden. 2.2 Die Metapher vom Kulturschock – was sie verdeutlicht und was sie verdunkelt Die Metapher des Kulturschocks bezieht sich auf einen Prozess, den Ausländer in einer ihnen fremden Kultur in ganz ähnlicher Weise durchlaufen – unter der Voraussetzung, dass sie unvorbereitet in diese Kultur kommen. Ich orientiere mich im Folgenden an der Darstellung des Ablaufs, die K. Oberg (1994) herausgearbeitet hat. Allerdings stelle ich die Krisensituation des Handelns, die bei Oberg nur ein Aspekt unter anderen ist, in den Mittelpunkt. Wir können folgende Phasen des Ablaufs unterscheiden. Phase 1: Euphorie Die Menschen, die einem begegnen, die Lebensumstände und die konkreten Dinge des Alltags werden zu Beginn des Aufenthalts im Gastland als neu und aufregend erlebt. Da man außerdem als Ausländer oft bevorzugt behandelt wird und im Vergleich mit den Einheimischen ein fürstliches Gehalt bezieht – was auch auf die westlichen Manager in Polen zutrifft –, erscheint das Leben als leicht und großartig. Phase 2: Entfremdung Nach relativ kurzer Zeit tritt eine Ernüchterung ein. Die Hochstimmung des Anfangs verfliegt, weil der Ausländer immer wieder mit Handlungsweisen der Einheimischen konfrontiert wird, die er „nicht versteht“. Auch wenn er die Grammatik und relevante Bereiche des Wortschatzes der fremden Sprache zu Hause gelernt hat, wird ihm dies in entsprechenden Situationen nicht entscheidend helfen, erfolgreich zu handeln. Und er kennt in der Regel auch niemanden, der ihm die fremde Kultur erklären könnte. Frustrationen und Ratlosigkeit neh41
men zu, der Ausländer fühlt sich als Fremder in einem Land, dessen Bewohner Handlungsweisen zeigen, die ihm oft als fremdartig erscheinen, weil sie anders sind als seine gewohnten. Phase 3: Eskalation der Entfremdung: Schuldzuweisung Die Kontrast-Erfahrung: „das fremdartige Land hier“ und „das vertraute Zuhause“ beginnt, die Erfahrung insgesamt zu prägen. Die Heimat wird verklärt, und die Schuld an den sich häufenden Problemen und Misserfolgen wird pauschal dem fremden Land und seinen Bewohnern zugeschrieben. Wie Oberg betont: Die Ausländer sitzen abends zusammen und klagen über die Einheimischen. In dieser Phase entscheidet sich, ob der „Kulturschock“ einen positiven Ausgang nimmt – Phase 4 –, oder ob der Ausländer das Land verlässt. Phase 4: Kulturelles Lernen und partielle „soziale Anpassung“ Die als Schock erlebte Krisensituation wird jetzt als das verstanden, was sie tatsächlich ist: als die Folge vorhandener, für den Ausländer zunächst nicht durchschaubarer kultureller Unterschiede, die sich im alltäglichen Handeln niederschlagen. Allmählich entwickelt sich ein praktisches Verständnis dieser Unterschiede, und der Ausländer lernt, sich auf die Besonderheiten der fremden Kultur einzustellen. Es gelingt ihm immer besser, erfolgreich im fremden Land zu handeln und sich mit den Einheimischen, deren Sprache er zumindest rudimentär in handlungspraktischen Zusammenhängen beherrscht, zu verständigen. Das Wort „Kulturschock“ ist eine Metapher. Dies ist leicht zu erkennen, wenn wir versuchen, es wörtlich zu nehmen, es zu re-metaphorisieren. Dann ist „Schock“ ein Begriff der Medizin, der sich auf einen Zustand der Paralyse bezieht. Wer unter einem Schock steht, der ist gelähmt, nicht ansprechbar, und der Blick ist starr. Die Ausländer, die in einem ihnen fremden Land leben und arbeiten, sind nicht gelähmt, und ihr Blick ist auch nicht starr. Die Metapher vom Kulturschock kommt, vereinfacht gesagt, dadurch zustande, dass sie aus der medizinischen Begriffsbedeutung die Momente des vollkommen Unerwarteten und Desorientierenden hervorhebt und diese auf die Situation der Ausländer bezieht, um deren Erfahrung der Entfremdung und Desorientierung zu verdeutlichen. Die Metaphernforschung von G. Lakoff & M. Johnson (1980) hat darauf aufmerksam gemacht, dass Metaphern oft einen Janus-Kopf-Charakter haben: Sie verdunkeln an demselben Phänomen etwas, an dem sie zugleich etwas anderes erhellen. Auch die Kulturschock-Metapher ist in dieser Hinsicht widersprüchlich. Sie erhellt zwar eine wichtige psychische Reaktion, die für Ausländer in einem fremden Land, in dem sie leben und arbeiten wollen und wo die Kultur sich 42
teilweise von der eigenen unterscheidet, charakteristisch ist. Sie verdunkelt aber zugleich den handlungsbezogenen Zusammenhang, der diese Reaktion auslöst. Was die Metapher ausblendet, ist genau das, was auch für den vom Kulturschock Betroffenen undurchschaubar ist: der komplexe kulturelle Zusammenhang seiner Krisensituation mit den Formen alltäglichen Handelns. Denn was sich im Kontakt mit einer anderen Kultur primär als Verunsicherung bemerkbar macht, ist primär Folge eines (partiellen) Verlusts einer Funktion, die für das praktische Wissen über alltägliches Handeln zentral ist: der Funktion, das alltägliche Handeln zu orientieren. Hinzu kommt, dass der Ausländer sich diese Verunsicherung mit den ihm verfügbaren Mitteln nicht erklären kann. Warum das Mittel der Frage hier nicht weiter hilft, habe ich im Zusammenhang des Kulturbegriffs erläutert: Der Betreffende weiß nicht, was er von der anderen Kultur nicht weiß. Die Schwierigkeit, sich gleichsam auf eigene Faust durch das Mittel der Frage Informationen über die Kultur des Gastlandes zu verschaffen, ist durch ein weiteres Phänomen begründet: Das Stellen einer solchen Frage ist handlungspraktisch nicht unabhängig von dem Erfragten. Denn das Handlungswissen, zu dem durch die Frage ein Zugriff gesucht wird, wird mit dem Muster von Frage und Antwort auch selbst abgerufen, so dass sowohl die Frage als auch die Antwort unter der Direktive dieses Wissens steht. Nehmen wir an, ein westlicher Ausländer fragt einen Polen, den er persönlich kaum kennt, ob es denn zutrifft, dass viele Polen es mit dem Befolgen von Gesetzen nicht so genau nehmen. Was soll der Befragte darauf antworten als „Nein, natürlich nicht.“? Ich gehe also davon aus, dass die oben beschriebenen Phasen (2) und (3) des „Kulturschocks“ – „Entfremdung“ und „Eskalation der Entfremdung: Schuldzuweisung“ – hauptsächlich durch den (partiellen) Funktionsverlust des Handlungswissens verursacht werden. Als Folge davon entstehen Krisensituationen des Handelns. Soziales (interaktives) Handeln hat aus dieser Sicht zwei Merkmale: Es ist ein Prozess, durch den in die Wirklichkeit eingegriffen wird, mit dem Ziel, diese zu verändern. Und Handeln ist ein kooperativer Prozess, d.h. das jeweilige Ziel wird gemeinsam verfolgt. Das Wissen, in dem die entsprechenden Handlungsstrukturen niedergelegt sind, hilft, das Handeln des anderen zu verstehen, und es gibt Instruktionen darüber, wie der eigene Handlungsbeitrag auf den des anderen abgestimmt werden kann. Interaktionen mit Mitgliedern derselben Kultur bestätigen fortlaufend dieses Wissen, weil jeder davon Gebrauch macht. Im interkulturellen Kontakt hingegen, wo es neben Gemeinsamkeiten auch kulturelle Unterschiede gibt, wird das Handeln der einen Seite von einem Wissen geleitet, das sich partiell von dem der anderen Seite unterscheidet. 43
Weil Oberg den janusköpfigen Charakter der Metapher nicht reflektiert, stellt sein Erklärungsansatz die psychologische Auffassung vom Kulturschock in den Vordergrund. Er sieht den Ausländer, der in einer fremden Kultur versucht, sein Leben einzurichten, sich aller (oder doch zumindest der meisten) ihm bekannten Zeichen und Hinweise des sozialen Umgangs beraubt. Als Folge davon fühlt er (oder sie) sich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Auch Oberg macht die tiefe Verunsicherung des Ausländers an dem Verlust einer Orientierung fest, die das Verhalten in alltäglichen Situationen betrifft: Wann Hände geschüttelt werden, und was dabei zu sagen ist; wann und wie Trinkgelder gegeben werden; wie Einkäufe getätigt werden; wann Einladungen angenommen und wann sie abgelehnt werden; wann Behauptungen ernsthaft aufgestellt werden und wann nicht. Aber er sieht diese Orientierung über alltägliche Situationen sozialen Verkehrs nicht im Wissen begründet, sondern in vielfältigen Zeichenformen und ihrem Gebrauch: Wörtern, Gesten und Schlüsselreizen. Die fremde Sprache ist, Oberg zufolge, ein System von fremdartigen Zeichen für den Ausländer, weil er die fremde Sprache und ihren Gebrauch bei der Regulierung alltäglichen Verhaltens (noch) nicht beherrscht. Obergs Ansatz blendet die mentale Sphäre des Handelns aus. Sprache wird nicht als ein Kommunikationssystem aufgefasst, in dem das Wissen über Handlungen niedergelegt ist. Da dieser Zusammenhang theoretisch übersprungen wird, erfahren wir von Oberg auch nichts Genaueres darüber, welche Handlungsunsicherheiten in konkreten Situationen in Form von Handlungsproblemen auftreten und wie diese mit vorhandenen kulturellen Unterschieden des Handelns zusammenhängen. Stattdessen tritt in diesem Ansatz unvermittelt neben den konstatierten Verlust der Orientierungsfunktion sprachlicher (und nicht-sprachlicher) Zeichen die psychologische Beschreibung der seelischen Zustände, unter denen der Ausländer als Symptomen seines Kulturschocks leidet: Angst, ein Gefühl von Hilflosigkeit, Frustrationen, eine feindliche Einstellung dem Gastland gegenüber u. a. m. Als Heilmittel dieser Krankheit wird die gelungene „soziale Anpassung“ an die (bislang fremde) Kultur angesehen. Auch die psychologische Forschung, die an Oberg angeknüpft, aber erheblich differenziertere Theorien über den Kulturschock vorgelegt hat, trennt in ihrer Vorgehensweise die psychische Seite dieses Phänomens und die Krisensituationen ab von den Handlungsstrukturen, an denen Kulturunterschiede wirksam werden. Offenbar lässt sich die Theoriebildung der psychologischen Forschung zum Kulturschock leiten von der Bedeutungsstruktur der Metapher, durch die ja genau dieser Zusammenhang ausgeblendet wird.7 7 Die sehr differenzierte theoretische Abhandlung zur Psychologie des Kulturschocks – die Arbeit von C. Ward & S. Bochner & A. Furnham (2001) – stellt die wichtigsten Untersuchungen zu
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Um Genaueres über diese Zusammenhänge zu erfahren, habe ich in Warschau Interviews durchgeführt. Mein Ziel war nicht, auf diese Weise bestimmte Hypothesen zu überprüfen. Vielmehr ging es darum, mehr über die Art von Krisensituationen in Erfahrung zu bringen, in die westliche Manager in Polen – im Sinne eines „Kulturschocks“ – geraten können. Aus ihren Erzählungen und Berichten sollten Kategorien entwickelt werden, die geeignet sind, die hier relevanten Kulturunterschiede zu bestimmten. 2.3 Die Informanten und der Ablauf der Interviews Die Interviews (insgesamt 50) wurden (seit 2001) in Warschau mit Managern (in der Mehrheit Männer) durchgeführt, die in Polen arbeiteten und aus verschiedenen westlichen Ländern stammten: Österreich, Deutschland, England, Italien, USA, Holland. Sie waren in ganz unterschiedlichen Branchen tätig, die meisten von ihnen in der Dienstleistungsbranche. Sie arbeiteten überwiegend in Führungspositionen und gehörten in ihrem Land zur sozialen Mittelschicht. Die Sprache des Interviews war entweder Deutsch (mit deutschen oder österreichischen Managern), oder Englisch (mit den Managern anderer Nationalität). Von wenigen Ausnahmen abgesehen erhielt ich die Erlaubnis zur Aufzeichnung des Interviews, die dann (anonymisiert) transkribiert wurden; andernfalls fertigte ich eine inhaltliche Zusammenfassung an.8 Greg Allen, Doktorand an der Central European University in Warschau, führte mehrere auf Band aufgezeichnete Interviews mit polnischen Managern durch. Außerdem interviewte ich polnische Geschäftsleute, die längere Zeit im westlichen Ausland gelebt haben und dann nach Polen zurückgekehrt sind. Vorab sei bemerkt, dass es nicht schwierig war, in Warschau westliche Manager zu finden, die (aufgrund persönlicher Empfehlungen seitens anderer Manager oder auch aufgrund einer Zufallsbekanntschaft) zu einem Interview mit mir bereit waren. Wie diese hohe Bereitschaft zu erklären ist, wird weiter unten deutlich. Die Interviews folgten einem bestimmten Ablauf, der kurz beschrieben werden soll. den verschiedenen relevanten Faktoren dieses Phänomens dar – zu affektiven (z.B. Stress, Eigenschaften der Persönlichkeit), zu verhaltensbezogenen (z.T. den Dimensionen folgend, die G. Hofstede unterschieden hat, z.T. zu weiteren Faktoren wie die Beherrschung von Interaktionsroutinen, von non-verbalen Aspekten etc.) und kognitiven Faktoren (insbesondere die Entwicklung und Veränderung sozialer Identität). Die Metaphorik des Wortes „Kulturschock“ bleibt unerwähnt. 8 Ich danke den Studenten der Graduate School for Social Research an der Polnischen Akademie der Wissenschaft in Warschau und den Studenten des Instituts für Angewandte Linguistik der Universität Warschau, die mir bei mehreren Interviews und vor allem bei der Transkription der Bandaufzeichnungen geholfen haben.
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Die Eingangsphase Zu Beginn des Interviews habe ich Informationen über den persönlichen und beruflichen Hintergrund eingeholt: Nationalität, Dauer des Aufenthaltes in Polen, andere Auslandserfahrungen, Branche, Position und Aufgabenbereich im Unternehmen. Ich wollte mir so ein Bild machen vom jeweiligen Arbeitsfeld des Interviewten und vom Zeitraum des bisherigen und weiterhin geplanten Aufenthaltes als Ausländer in diesem Land. Leitfadeninterview Eine Liste vorbereiteter Fragen sollte dazu dienen, das übergeordnete Thema der Interviews: „persönliche Erfahrungen im beruflichen Kontakt mit Polen“ zu strukturieren und zunächst auf die Erfahrungen am Arbeitsplatz einzugrenzen. Die Fragen waren so formuliert, dass sie sich explizit auf Formen von Wissen der Interviewten bezogen – „What do you think…?“ „What do you believe …“ „What do you expect…?“ – In diesen Fragen setzte ich voraus, dass ein Wissen (in verschiedenen Formen) vorhanden ist, in dem Erfahrungen des beruflichen Handelns mit den polnischen Mitarbeitern in bestimmter Weise verarbeitet wurden. Die einzelnen Wissensbereiche wurden auf der Grundlage eines Konzepts der allgemeinen Handlungsfelder von „Management“ in Organisationen erfragt (vgl. Schreyögg 1998): (1) Führungsstil (2) Festlegung von Arbeitszielen (3) Kontrolle des Arbeitsfortschritts (4) Teamarbeit (5) Kommunikationsfluss im Unternehmen (6) Arbeitsmoral der Mitarbeiter (7) Loyalität der Mitarbeiter gegenüber dem Unternehmen Diese Themen entsprechen weitgehend der Strukturierung, die die interviewten Manager hinsichtlich ihrer beruflichen Aufgaben an ihrem Arbeitsplatz auch selbst vornehmen. Eine mehr informelle Interviewsituation Die Dauer der Interviews war nicht vorab festgelegt, in der Regel dauerten sie 2-3 Stunden. Im Verlauf eines Interviews änderte ich den Charakter des Gesprächs. Dieser Wandel sei kurz verdeutlicht. 46
In der Phase des Leitfadeninterviews hatte ich die Gesprächskontrolle: Ich führte die Themen ein, fragte nach, wenn mir etwas unklar erschien, und beendete eine Themenbehandlung, indem ich ein neues Thema einführte. Im Verlauf der Interviews ging diese Gesprächskontrolle insofern auf die Interviewten über, als ich mich immer mehr auf ein aktives Zuhören beschränkte und die Mehrheit der Interviewten die Gelegenheit wahrnahmen, schon behandelte Themen erneut aufzugreifen und neue einzuführen. Mit der Veränderung der Interviewführung wollte ich im Gesprächverlauf einen Raum eröffnen, in dem die schon angesprochenen interkulturellen Zusammenhänge vertieft werden konnten. Ich lernte bald, zwei Gruppen von Informanten zu unterscheiden. Die eine Gruppe der Interviewten nutzte diese Gelegenheit, ihre negativen Erfahrungen, die z.T. schon angesprochen worden waren, ganz in den Vordergrund zu stellen: die Enttäuschungen, die sie mit „den Polen“ erleben; die persönlichen Schwierigkeiten, mit ihnen effektiv zu arbeiten u. a. m. Es entstand eine Reihe von Klagen über „die Polen“, in denen sich offenbar ein starkes Kommunikationsbedürfnis ausdrückte. In einigen Interviews steigerten sich die Interviewten geradezu in eine Art Generalabrechnung mit dem Land und seinen Leuten hinein, so groß waren ihre Wut und ihre Enttäuschungen. In einem Fall hatte eine meiner polnischen Studentinnen, die mir bei der Bandaufzeichnung behilflich war, die wütenden Ausfälle gegen ihr Land mit einem zunehmend rot werdenden Kopf begleitet und in ihrer Erregung es versäumt, das Band zu wechseln. „Polen sagen gern die Unwahrheit, wenn man sie fragt, ob es Probleme mit der Arbeit gibt“ – „Polen haben Schwierigkeiten, persönliche Verantwortung zu übernehmen“ – „Polen haben Probleme mit der Teamarbeit“ – „Polen zeigen wenig Loyalität gegenüber ihrer Firma“ – „Für Polen gibt es nur eine Arbeitsmotivation: Geld“ – diese und noch viele andere Klagen wurden im Verlauf der Interviews laut. Für diese Gruppe waren vier Merkmale kennzeichnend: a. b. c. d.
Sie lebten und arbeiteten seit relativer kurzer Zeit, d.h. nicht länger als 4 Jahre in Polen. Sie hatten in ihrer beruflichen Entwicklung bislang relativ wenig Auslandserfahrung. Sie waren auf das Leben und Arbeiten in Polen nicht vorbereitet worden. Das Hauptmotiv, nach Polen zu kommen, war (nach meiner Einschätzung) für die Mehrzahl in dieser Gruppe das relativ hohe Gehalt, das sie hier verdienten.
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Eine andere Gruppe der Interviewten lebte schon längere Zeit in Polen und hatte auch interkulturelle Erfahrungen von Auslandsaufenthalten in anderen Ländern. Diese Gruppe nutzte die Öffnung des Interviews in der zweiten Phase in ganz anderer Weise als die erste Gruppe: Diese Manager beschrieben die sozialen Veränderungen, die sie in Polen während ihres Aufenthaltes beobachtet haben, sie betonten die besonderen Herausforderungen, mit denen sie sich bei der Zusammenarbeit mit Polen konfrontiert sahen; und sie machten deutlich, wie faszinierend es für sie ist, in einem Land zu arbeiten, das sich im Umbruch befindet. Hinsichtlich der Frage, ob diese Interviews nicht mit einem therapeutischen „Bias“ geführt wurden, waren diese Interviewten eine Art Kontrollgruppe: Sie zeigte, dass der Diskurs der „Klagen über die Polen“, den die eine Gruppe führte, den Interviewten nicht insgesamt durch die Interviewtechnik auferlegt wurde. Vielmehr hatten die Interviewten die Wahl, wie sie die Öffnung des Interviewgesprächs thematisch gestalten wollten. Man darf sich die Art, wie die erstgenannte Gruppe sich am Interview beteiligte, aber nicht so vorstellen, dass die vom „Kulturschock“ Betroffenen sogleich über Polen und seine Bewohner herzogen. Der folgende Ausschnitt aus einem dieser Interviews zeigt beispielhaft an einem Fall, wie versucht wurde, trotz aller Frustrationen „politisch korrekt“ zu sein. 2.4 Das Kommunikationsbedürfnis der vom „Kulturschock“ Betroffenen im Konflikt mit der politischen Korrektheit Der öffentliche politische Diskurs über Ausländer wird im Westen von Maximen geleitet wie „Sei tolerant!“, „Zeige keine Vorurteile gegenüber dem Fremden!“, „Sei aufgeschlossen gegenüber anderen Kulturen!“ Mehrere Elemente der Interviewsituation waren dazu geeignet, die normative Orientiertheit der Interviewten an diesen Maximen – ganz im Sinne politischer Korrektheit – zu erhöhen: das leitende Thema des Forschungsprojekts, dem die Interviews dienten; die Anwesenheit eines Hochschullehrers, der das öffentliche Interesse von Wissenschaft repräsentierte und (in den meisten Fällen) die Anwesenheit eines Studierenden zumeist polnischer Nationalität. Der Einfluss dieser Maximen machte sich überwiegend in der 1. Phase des Interviews bemerkbar, in der die vorbereiteten Fragen als Leitfaden dienten. Die genannten Maximen befanden sich aber in einem Konflikt mit dem gleichzeitig vorhandenen Bedürfnis der meisten interviewten Manager, die persönlichen Frustrationen, die sie am Arbeitsplatz bei der Zusammenarbeit mit polnischen Mitarbeitern erlebten, zur Sprache zu bringen. Der nachfolgende Sprecher ist 48
ein Holländer, der zum Zeitpunkt der Aufnahme seit acht Monaten in Polen lebte und arbeitete. S: And another thing is ... that I noticed is that ... people ... do not really intend to plan here, You know, to ... to ... to look in the future. eh. “Well, we will see tomorrow what is going to happen.” People expect that, from other people, that they are flexible, you know, that they can make an appointment, but you cannot show up. Or you can make an appointment or just five minutes bet/ ... before the appointment you ring and you say: “Well my parents, they are coming from Gdansk, and I have to meet my parents.” Although the appointment was business related and parents is ... personal related. And here is kind of mixed, you know … you can take the phone, your office phone, and you can use it for private use. You can ring your parents in Gdansk from your office, and all the lines may be busy. But you don´t think about the clients. Because the parents from Gdansk are more important than the clients that can ring. That is a little bit different ... to what … I ... am ... used to . But I´m not say/ I am not judging, you know, I ´m not saying that this is wrong or that this is ... good. That might be bad for ... the business, but it might be good for ... the parents, yeah? (J.H. I)
“People do not really intend to plan here.” Dies ist nicht nur ein Urteil über “die Leute” (d.h. „die Polen”), es impliziert auch eine negative Bewertung dessen, was als eine Eigenheit der Einheimischen behauptet wird. Denn das Fehlen von Planungsabsichten, besonders im Zusammenhang beruflichen Handelns in einem Wirtschaftunternehmen, ist in jedem Fall ein „abweichendes Verhalten“ bzw. ein den Betreffenden zugeschriebener „Defekt“, da Planung hier eine unverzichtbare Voraussetzung der Arbeit ist. Auch in den weiteren Äußerungen wird ein Urteil über „die Polen“ gefällt, das negativ ist. Der Sprecher bezieht sich auf eine andere von ihm wahrgenommene Eigenheit der Einheimischen: Diese trennen am Arbeitsplatz nicht klar zwischen persönlichen Belangen und Arbeitsaufgaben. Exemplifiziert wird dies durch Privatgespräche, die per Firmentelefon geführt werden, ohne dass die Konsequenzen bedacht werden: Die Leitung ist für Kunden in dieser Zeit blockiert. „But you don´t think about the clients.“ In einem Unternehmen, das Kundenorientierung von allen Mitarbeitern erwartet, impliziert die Feststellung dieser Eigenheit: „Man denkt nicht an die Kunden“ ebenfalls ein negatives Urteil. Den Betreffenden wird auch hier eine Art „Defekt“ zugeschrieben. Dann aber besinnt sich der Sprecher. Er will nicht politisch unkorrekt sein. „But I am not say/… I am not judging, you know. I’ m not saying that this is wrong or this is… good.” Der genannte Konflikt wurde hier nicht gelöst, er wurde in der Weise bearbeitet, dass beide Konfliktkonstituenten sukzessiv zu ihrem Recht kamen. Zuerst das Kommunikationsbedürfnis, das sich nicht davor scheut, negative Urteile über „die Polen“ am Arbeitsplatz abzugeben, und danach die Beteuerung, keine Werturteile über „die Polen“ zu fällen. 49
Im weiteren Fortgang der Interviews – auch in diesem Interview mit dem Holländer – verloren die Maximen des öffentlichen politischen Diskurses aber ihre leitende Kraft für die Interviewten. Es überwog das starke Bedürfnis, die wiederholt erlebten Enttäuschungen und Irritationen in dem fremden Land mitzuteilen. Das wurde dadurch erleichtert, dass sie einen aufmerksamen Zuhörer gefunden hatten, der seinerseits diese Mitteilungen nicht bewertete, sondern Verständnis zeigte. Wie ist nun zu begründen, dass die Klagen über „die Polen“ überhaupt vergleichbar sind und nicht vielmehr als ganz unterschiedliche persönliche Meinungen bzw. als Ausdruck subjektiver Befindlichkeiten behandelt werden sollten, die mit der Variation von Ort und Zeitpunkt des Interviews und der Person des Interviewleiters ganz verschieden ausfallen können? Inwiefern können aus solchen Klagen überhaupt Rückschlüsse gewonnen werden hinsichtlich typischer interkultureller Handlungsprobleme? Tatsächlich sind die Klagen über „die Polen“, die eine nach harten Fakten suchende Forschung als eine bloß subjektive Randerscheinung behandeln würde, der Schlüssel zur Beantwortung der beiden Fragen. Wir müssen nämlich erkennen, dass die sozialen Bedingungen für das Vorbringen von Klagen unabhängig von der Interviewsituation gegeben waren. Der Diskurs „Klagen über die Einheimischen“ ist charakteristisch für die Krisensituation, in der sich die vom Kulturschock betroffene Gruppe von Interviewten befand. 2.5 Die Klagen über „die Polen“: Der Kulturschock als Forschungsinstrument für Kulturunterschiede Die Handlungsform der Klage – das hatte ich eingangs erwähnt – war für eine Gruppe der Interviewten die zentrale Form, in der sie ihre Enttäuschungen bei der Arbeit mit polnischen Mitarbeitern sprachlich zum Ausdruck brachten. Wie aus den obigen Ausführungen zum Kulturschock hervorgeht, hat das SichBeklagen hier einen zentralen Stellenwert: Es ist für die Kommunikation der Problemverarbeitung, die für die Krisensituation des Handelns im Kulturschock charakteristisch ist, funktional. Diese Kommunikationsform hat nicht das Interview hervorgebracht. Die Interviews selbst haben nur die Bedingungen dafür geschaffen, dass der Diskurs in ihnen fortgeführt und teilweise intensiviert werden konnte, der auch außerhalb des Interviews geführt wird, wenn Ausländer unter sich sind und ihre Erfahrungen austauschen. K. Oberg erwähnt diesen Diskurs als die Form, in der die vom Kulturschock Betroffenen ihre Aggression zum Ausdruck bringen. 50
„You band together with your fellow countrymen and criticize the host country, its ways and its people.” (Oberg a. a. O.: 186)
Die Interviews konnten für diejenigen, die es wollten – also die zweite Gruppe – nur darum (im zweiten, offenen Teil) ein Ort dafür sein, diesen Diskurs der Klagen über „die Polen“ fortzusetzen, weil der Interviewleiter als Hörer bereit war, die ihm darin zugewiesene Position zu übernehmen: die Position eines anderen Ausländers, der Verständnis zeigte, weil er selbst ganz ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Dies wird deutlich, wenn wir das Muster des sprachlichen Handelns „sich über jemanden bei jemand anderem beklagen“ etwas genauer klären. Als Beispiel dient: „Polen sagen gern die Unwahrheit, wenn man sie fragt, ob es Probleme mit der Arbeit gibt.“ Eine Klage besteht gewöhnlich aus einer Reihe von Satz-Äußerungen. Mit ihnen wird die Erfahrung eines Interaktionsproblems wiedergegeben, die der Be-treffende am Arbeitsplatz mit polnischen Mitarbeitern bzw. Kollegen gemacht hat. Dabei verdeutlicht der Sprecher in seiner Klage auch den Handlungszusammenhang dieses Problems – in diesem Fall die Kontrolle des Arbeitsfortganges, also eine der Arbeitsaufgaben eines Managers. Eine von einem englischsprachigen Informanten vorgebrachte Klage dieser Art lautet in deutscher Übersetzung: „Polen sagen gern die Unwahrheit, wenn man sie fragt, ob es bei der Arbeit Probleme gibt. Sie antworten mit “Alles o. k., alles o. k.“, und dann zeigt sich nach einigen Wochen, dass tatsächlich Probleme bei der Arbeit aufgetreten sind.“
Was der Sprecher in diesem Beispiel nicht weiter erläutert, weil er es als bekannt voraussetzt: Wenn Probleme beim Arbeitsablauf aufgetreten sind, dann sollten sie auch mitgeteilt werden – spätestens dann, wenn danach gefragt wird. Andernfalls kann ein erheblicher Schaden entstehen. Der Zweck der Arbeitskontrolle ist ja gerade, einen solchen Schaden zu vermeiden und die Arbeitseffektivität zu sichern. Außerdem bietet jedes auftretende Problem eine Chance, daraus zu lernen und z.B. das Schema eines Arbeitsablaufs zu verbessern. Dieses Handlungsmuster der Arbeitskontrolle mit der darin enthaltenen Maxime: “Teile dem Chef mit, wenn ein Problem bei der Arbeit aufgetreten ist (spätestens, wenn er danach fragt)!“ gehört zum Grundbestand westlicher Unternehmenskultur. Das Interaktionsproblem, das er wiederholt erfahren hat, identifiziert der West-Manager auf der Grundlage dieses kulturellen Wissens. Die Art und Weise, wie sich die polnische Seite an dieser Arbeitskontrolle beteiligt, widerspricht daher seiner Erwartung. Und nicht nur das: Die „falsche“ Information, die er 51
erhält, gefährdet den Erfolg der Arbeit. Da er verantwortlich ist für diesen Arbeitserfolg, ist er auch selbst von dieser Handlungsweise der Polen betroffen. Das Urteil, das er darüber fällt, soll ihm diese Handlungsweise erklären: „Die Polen sagen die Unwahrheit,…“. Ein solches Urteil ist die Quintessenz einer Klage und kann gleich an deren Anfang stehen, wie in diesem Beispiel, oder am Ende als ihr Abschluss. Der Diskurs von Ausländern „Über die Einheimischen klagen“ besteht aus dem Austausch solcher Problemerfahrungen. Man lässt den anderen teilnehmen an seinen Erfahrungen – was psychisch entlastend sein kann – und kann sich einander verbunden fühlen, weil man erkennt, dass man von ganz ähnlichen Schwierigkeiten betroffen ist wie andere Ausländer auch. Für die Bestimmung bestehender Kulturunterschiede ist das generelle Urteil – also die Quintessenz der Klage – besonders aufschlussreich. Denn es erscheint ja in seinem Realitätsgehalt als offenkundig unangemessen: Warum sollten die polnischen Mitarbeiter fortwährend lügen, wenn sie danach gefragt werden, ob beim Arbeitsablauf Probleme aufgetreten sind? Und ist es nicht fragwürdig, dass ausschließlich ihnen die Verantwortung dafür zugeschrieben wird, dass etwas schief gelaufen ist? Der Schluss liegt nahe, dass diese Klagen auf Unkenntnis der bestehenden Kulturunterschiede beruhen. Und deshalb können sie, in Verbindung mit den Kontextinformationen, die sie enthalten, Aufschluss über diese Unterschiede geben. Außerdem werden Informationen von dritter Seite herangezogen: von polnischen Experten des Managements und der Soziologie.9 Man würde die Entstehung dieser Urteile verfehlen, wenn man sie einfach als Stereotype betrachte, die Ausländer eben „über die Polen“ haben und die sie dann anwenden, wenn Interaktionsprobleme mit „den Polen“ auftreten. Ich halte es für angemessener, davon auszugehen, dass ihre Grundlage komplizierter beschaffen ist. Abgesehen von der Unkenntnis bestehender Kulturunterschiede ist in ihnen nämlich, wie ich später zeigen werde, bei der Zuschreibung der Verantwortung für ein jeweiliges Problem an die andere Seite auch eine jeweilige Wissensstruktur des Handelns aktiv, die diese Zuschreibung leitet. Für die Frage, wie Stereotype eigentlich entstehen, ist dieser Zusammenhang von Interesse. Die am obigen Beispiel festgestellten Eigenschaften sind, mit gewissen Abwandlungen, auch an den anderen Arten von Klagen über „die Polen“ zu finden. Ich fasse diese Eigenschaften der Ausländer-Klagen über X (die Einheimischen) kurz zusammen:
9 Es sei noch einmal betont, dass meine Analysen keinen Aufschluss darüber geben können, wie die jeweiligen beruflichen Interaktionen im Einzelnen faktisch abgelaufen sind. Die Analysen können aber annäherungsweise die kollektiven Wissensstrukturen klären, die hier relevant sind.
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a. b. c. d. e. f.
Inhalt der Klagen ist eine Problemerfahrung der Ausländer in Interaktionen mit X. Der jeweilige Handlungszusammenhang eines Problems wird mit unterschiedlicher Ausführlichkeit sprachlich wiedergegeben. Das jeweilige Problem wird auf der Grundlage eigenen Kulturwissens als Abweichung von eigenen Erwartungen identifiziert. Darüber hinaus besteht eine (unterschiedlich starke) persönliche Betroffenheit durch das Problem. Die Quintessenz der Klage ist ein generelles Urteil über X, das als Erklärung für das jeweilige Problem dienen soll. Darin wird die Verantwortung für dieses Problem allein X zugeschrieben. Es besteht ein unbestimmtes Nichtwissen darüber, worin sich das eigene kulturelle Wissen von dem unterscheidet, das X hat (und anwendet). D.h. der Ausländer weiß nicht, dass er dies nicht weiß.
Wie wichtig dieser letzte Punkt für das bessere Verständnis der Schwierigkeiten ist, die (westliche) Ausländer mit Polen haben können, will ich am obigen Beispiel der Arbeitskontrolle zeigen. 2.6 Interkulturelle Interaktionsprobleme in Polen – am Beispiel der Arbeitskontrolle Ich habe oben darauf hingewiesen, dass das Handlungsmuster der Arbeitskontrolle mit der im Muster enthaltenen Maxime: “Teile dem Chef mit, wenn ein Problem bei der Arbeit auftritt (spätestens, wenn er danach fragt)!“ zum Grundbestand westlicher Unternehmenskultur gehört. Der Zweck ist die Vermeidung von Schaden und die Optimierung der Arbeitseffektivität. Der westliche Manager geht (in diesem Beispiel) davon aus, dass die polnischen Kollegen – so wie seine Mitarbeiter zu Hause – dieses Muster kennen. Daher besteht für ihn kein Anlass, die positive Antwort „Alles o. k., alles o. k.“ anders aufzufassen, denn als eine Information über den faktischen Arbeitsverlauf – also darüber, dass tatsächlich keine Probleme aufgetreten sind. Umso überraschter und ärgerlicher ist er, wenn er nach einiger Zeit feststellt, dass diese Auskunft nicht den Tatsachen entspricht – und dass dies wiederholt geschieht. Was er nicht weiß: Seine (in der Arbeitskontrolle involvierten) polnischen Manager und Mitarbeiter sind in diesem Handlungszusammenhang, in dem das Missverständnis auftritt, an einer Organisationskultur orientiert, die sich stark von der unterscheidet, die der westliche Manager von Haus aus kennt: der Or53
ganisationskultur des bürokratischen Sozialismus (d.h. vor allem: der ehemaligen Staatsbetriebe). Dazu gehört zwar auch das Handlungsmuster der Arbeitskontrolle – aber es hat einen ganz anderen Zweck und die Antwort: „Keine Probleme, alles in Ordnung“ eine ganz andere Bedeutung. Ein Zweck dieses Musters (von dem verantwortlichen Vorgesetzten initiiert) war, dafür zu sorgen, dass Probleme, die im Arbeitsablauf auftraten, nicht an die Öffentlichkeit gebracht wurden. Vielmehr sollten „gute Resultate“ erzielt und öffentlich bekannt gemacht werden. Probleme sollten von denen, die eine Position auf mittlerer Ebene der Hierarchie einnahmen und für mehrere Mitarbeiter verantwortlich waren, verdeckt gehalten werden. Andernfalls drohten ihnen Sanktionen. „Alles in Ordnung!“ heißt dann: „Die Probleme existieren nicht.“ – in dem Sinne, dass keine Gefahr besteht, dass die in der formellen Wirtschaft entwickelten (und nicht selten fiktiven) Pläne von den tatsächlichen ökonomischen Problemen in Frage gestellt werden. Insofern war dieses Muster eine bürokratische Routine, die nicht wirklich darauf abzielte, Informationen von dem in einer führenden Position Arbeitenden hinsichtlich des Fortgangs einer Arbeit einzuholen. Die Antwort, die gegeben wurde, hatte einen bloß taktischen Stellenwert. Dieser taktische Stellenwert kann heute hinfällig sein, insofern der betreffende polnische Manager durchaus realisiert, dass die Frage der westlichen Führungskraft darauf abzielt, Informationen über den Fortgang der Arbeit einzuholen. Dennoch bleiben wesentliche Merkmale des Musters aus der Vergangenheit in seinem Handeln aktuell, wenn er negative Sanktionen für den Fall auftretender Probleme befürchtet (also fürchtet, für ein persönliches Versagen zur Rechenschaft gezogen zu werden.) Die Antwort „Alles o.k., keine Probleme!“ ist dann ein Selbstschutz der betreffenden Mitarbeiter und Manager, die Sanktionen befürchten, wenn sie individuell für ein Problem verantwortlich gemacht werden. Auch diese Befürchtung ist in der Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus verankert, in dem Einzelne keine individuelle Verantwortung übernehmen konnten (und durften) und das „Aus-Fehlern-Lernen“ kein akzeptiertes Muster beruflichen Handelns war. Welchen dieser kulturellen Zusammenhänge der Vergangenheit die beteiligten Polen auch jeweils re-aktualisiert haben: Sie folgten der Maxime: “Verdecke ein Problem, wenn es auftritt, und leugne es, wenn Du danach gefragt wirst“. Dass sie das taten, ist nicht ungewöhnlich: Die Denkweisen und Handlungsformen der Vergangenheit haben noch heute einen Einfluss auf viele Polen (auch auf die jüngere Generation). Man muss bedenken, dass das neue Wirtschaftssystem in Polen erst seit 18 Jahren existiert – und weil sich Kulturen immer nur langsam verändern, ist nicht zu erwarten, dass die westliche Unterneh54
menskultur sich in dieser kurzen Zeitspanne schon überall in Polen etabliert hat. Das würde ja bedeuten, dass das Wissen, auf dem die Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus basierte, einfach kollektiv gelöscht und durch das Wissen westlicher Unternehmenskultur ersetzt wurde – eine Sichtweise, die zu dem oben erläuterten Kulturbegriff in einem krassen Gegensatz steht. Dieser kulturelle Hintergrund – die Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus – ist vielen Westmanagern aber nicht als Handlungspraxis bekannt. Sie können die Diskrepanz zwischen der positiven Antwort und dem tatsächlich vorhandenen Problem nicht als funktional für das Muster erkennen, das der polnische Manager gebraucht. Sie können sich die Diskrepanz nur als Verletzung der Maxime erklären, die für einen westlichen Mitarbeiter leitend wäre: „Sage die Wahrheit, wenn Du nach dem Arbeitsfortgang gefragt wirst“. Zu erklären ist aber, warum auf der polnischen Seite auch diejenigen, die vom „Westen“ lernen wollen, zurückfallen können auf das Denken und Handeln der Vergangenheit. Der Grund dafür liegt im Verhalten des westlichen Managers: Er hat es (in diesem Beispiel) versäumt, seinen polnischen Mitarbeitern die neuen Regeln und entsprechenden Erwartungen im Zusammenhang mit der Arbeitskontrolle mitzuteilen. Aber eben das gehört zu seinen Arbeitsaufgaben. Er muss die Umwertung bei der Beurteilung von Problemen im Arbeitsablauf verdeutlichen („Aus Problemen lernen wir.“); helfen, die Öffentlichkeit als einen Raum zu sehen, in dem man offen kommunizieren kann; die Arbeitseffektivität in den Vordergrund stellen; u. a. m. Ein Selbstschutz – als Strategie „falscher“ Auskünfte – ist für die polnischen Mitarbeiter dann überflüssig, wenn sie aus den genannten kulturellen Veränderungen die Maxime ableiten: “Teile dem Chef mit, wenn ein Problem bei der Arbeit auftritt (spätestens dann, wenn er danach fragt).“ Bemerkenswert dabei ist, dass beide Seiten im Handlungsablauf von Frage und Antwort nicht bemerken, dass sie nicht dasselbe Muster der Arbeitskontrolle gebrauchen. Ihre Muster der Arbeitskontrolle sind nur scheinbar identisch. Dieser Anschein wird dadurch erzeugt, dass sich beide Seiten des Englischen bedienen und sich so sprachlich zu verständigen scheinen. Tatsächlich missverstehen sie sich bezüglich des ablaufenden Handlungsmusters. 2.7 Ein handlungstheoretisches Modell des Kulturschocks Ich hatte in der Diskussion der Metapher des „Kulturschocks“ (Kap. 2.2) darauf hingewiesen, dass diese Metapher genau den Zusammenhang ausblendet, der auch für den vom „Kulturschock“ Betroffenen undurchschaubar ist: der komplexe kulturelle Zusammenhang von jeweiligen Krisensituationen mit den For55
men des Handelns, die kulturell verschieden sind. Das Muster der Arbeitskontrolle ist ein Beispiel dafür. Ich möchte diesen Zusammenhang jetzt begrifflich weiter vertiefen, um die jeweilige Krisensituation des Handelns aus seiner Perspektive besser zu verstehen.10 Was am Beispiel der Arbeitskontrolle deutlich wurde, trifft auch für viele andere Fälle eines interkulturellen Interaktionsproblems zu: Eine jeweilige Form des Handelns unterscheidet sich nicht vollständig von der Form, die die andere Seite gebraucht, sondern lediglich in bestimmten Teilen – in bestimmten Strukturelementen, die den inneren Strukturzusammenhang des Handelns ausmachen. Er ist als kollektives Wissen repräsentiert. Die verschiedenen Muster des (sprachlichen) Handelns sind auf dieser Grundlage gebildet. Auf dieses Wissen greift der Ausländer zurück, um das jeweilige Problem zu identifizieren, das in der Interaktion auftritt. Aber auch seine (unterschiedlich starke) Betroffenheit und das generelle Urteil, das er sich bildet, um das Problem erklären zu können, basieren auf diesem Wissen. Darauf habe ich schon aufmerksam gemacht (Kap. 2.5). Die Verunsicherung, die bei ihm eine solche Krisensituation des Handelns auslöst, wird individuell unterschiedlich sein. Aber sie wird doch auch damit zusammenhängen, an welchem der Strukturelemente der kulturelle Unterschied sich hauptsächlich auswirkt. Die Art der Verunsicherungen, die hier beim Ausländer auftreten können, macht auch verständlich, warum in den allgemeinen Urteilen den Einheimischen die Verantwortung für das jeweilige Problem zugeschrieben wird: Diese Zuschreibung kann psychisch als Entlastung dienen. Die folgenden Strukturelemente des Handelns haben sich im Zusammenhang des Kulturschocks bislang (auf der Basis der Interviews) als relevant erwiesen11: Die Zweck-Mittel Relation des Handelns (Ablaufmuster) Verunsicherungen, die hier auftreten, hängen damit zusammen, dass die gesetzten Ziele bei der Kooperation mit den Einheimischen wiederholt nicht erreicht werden, obwohl die Mittel, die dazu eingesetzt werden, das (im Wissen verankerte) Merkmal haben, bewährte Mittel zu sein. Und trotzdem erweisen sie sich 10
Ich möchte betonen, dass es sich hier um theoriegeleitete Interpretationen und Überlegungen handelt, die zwar aus den erhobenen Daten gewonnen wurden, die aber durch weitere Forschungen zu differenzieren sind. 11 Ich orientiere mich hier an den Wissenskategorien, die bei Ehlich, K. & Rehbein, J. (1986) und Ehlich, K. (1991) im Zusammenhang der funktionalen Pragmatik gebraucht werden. Meine Interpretation psychischer Reaktionen geht allerdings über den von den Autoren entwickelten Begriff des Handelns, das als ein Prozess der Problemlösung aufgefasst wird, hinaus.
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als nicht effektiv. Das obige Beispiel der Arbeitskontrolle macht das recht anschaulich. Das entsprechende Interaktionsproblem kann von dem Ausländer leicht als „Fehlschlag“, „Misserfolg“ u.ä. interpretiert werden, denn er ist für den allgemeinen Arbeitserfolg verantwortlich. Das wiederholte Verfehlen von Handlungszwecken kann in dem Betreffenden sogar das Gefühl persönlichen Versagens hervorrufen, da er den Bedingungszusammenhang des Problems ja nicht durchschaut. In jedem Fall ist das generelle Urteil: „Die Polen sagen die Unwahrheit …“ eine Entlastung. Maximen (moralische Standards) Wenn Handlungen Einheimischer von den eigenen moralischen Standards abweichen, kann dies leicht als „Regelbruch“ oder „Regelverletzung“ interpretiert werden (z.B. als ein unmoralisches Verhalten der Einheimischen). Diese Interpretation und die entsprechenden Gefühle, die hier ausgelöst werden, haben mit bestimmten Merkmalen dieses Strukturelements zu tun: Es ist vor allem kollektiv bindend (es gewährleistet die Mitgliedschaft in der sozialen Gruppe, in der man „das Richtige tut“); und es ist als Folge der Sozialisation besonders tief in der Persönlichkeit verankert. Die psychische Reaktion darauf scheint der Art und Weise zu entsprechen, wie der Ausländer in der Heimat auf einen Regelbruch reagiert: irritiert, abwertend oder gar verächtlich – je nachdem, wie die entsprechenden moralischen Standards in seiner Persönlichkeit integriert sind. In meinen Interviews ist es u. a. die „polnische Arbeitsmoral“, auf die entsprechend abwertend reagiert wurde. Innere Bilder (von anderen und von sich selbst) Sie vermitteln und tragen wesentlich die Gefühlsbeziehungen, die zwischen Handelnden bestehen. An diesem Strukturelement können bestehende kulturelle Unterschiede in ganz verschiedener Weise zum Tragen kommen. Sozialbeziehungen, die mittels innerer Bilder eine den Ausländern unbekannte emotionale Bedeutung erhalten, können als unangenehm empfunden werden. Ein Beispiel aus meinen Untersuchungen, auf das ich später noch eingehen werde: Das Bild, das polnische Mitarbeiter von ihrem (westlichen) „Boss“ haben, kann geprägt sein durch die in Polen verbreitete Dichotomie von „Sie“ (die uns beherrschenden Fremden) und „Wir“ (die Polen), wenn der betreffende Westmanager einen Verhaltensstil zeigt, den die Polen „imperialistisch“ nennen. Wenn, was häufig der Fall ist, einem Westmanager diese besondere polnische Empfindlichkeit nicht bekannt ist, wird er das von zu Hause bekannte „gute 57
Arbeitsklima“ vermissen, ohne reflektieren zu können, dass sein Auftreten dafür verantwortlich ist. Er fühlt sich unbehaglich und weiß nicht recht, warum. Situationskonzepte Was „öffentlich“ und was “privat“ ist, kann kulturell ebenfalls ganz unterschiedlich gefasst sein. Für den Westmanager ist z.B. die Arbeitssituation als eine öffentliche strikt getrennt von privaten Situationen. In Polen wird er damit konfrontiert, dass viele polnische Mitarbeiter eine solche strikte Trennung nicht vornehmen. Auch das löst, weil die Gründe dafür in der Regel nicht bekannt sind, Irritationen aus. Da das Handeln der Einheimischen von den entsprechenden Erwartungen abweicht, wird es als „merkwürdig“, „fremdartig“ u.ä. kategorisiert. Handlungsmotive Bestimmte Anreize zu setzen, die die Arbeitsmotivation steigern sollen, ist eine der Führungsaufgaben von Managern. Solche Anreize sind im Westen z.B. die Karriereplanung von Mitarbeitern oder gar die „Entwicklung der Persönlichkeit“. Aus den Interviews wird deutlich, dass diese Anreize in Polen nicht recht funktionieren. Polnische Mitarbeiter haben überwiegend nur ein und dieselbe Arbeitmotivation: Geld zu verdienen. Die Konfrontation mit der materiellen Mangelsituation in Polen kann für den Ausländer irritierend sein, weil er dann mit dem enormen Einkommensunterschied konfrontiert wird, der zwischen ihm und den polnischen Mitarbeitern besteht, sowie mit der grundlegenden Frage nach seiner eigenen Arbeitsmotivation – d.h. mit der Frage: Warum ist er in Polen, wenn nicht vor allem deshalb, um dort sehr viel Geld zu verdienen? Ich werde in der Analyse der einzelnen Klagen – bzw. von deren Quintessenz – diese Begriffe als Deutungskategorien heranziehen. 2.8 Zur Rolle der Stereotypen im Kulturschock Viele der in den Daten enthaltenen Klagen über „die Polen“ haben in ihrer Quintessenz die Form von Stereotypen: Es sind Urteile, die als das Ergebnis zweier Verfahren analysiert werden können, die üblicherweise als für Stereotype charakteristisch angesehen werden: der Selektion und der Verallgemeinerung. „Polen habe keine Arbeitsmoral.“ „Polen halten sich nicht an Regeln.“ U. a. m.
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Eine verbreitete Auffassung schreibt den Stereotypen die Hauptrolle bei der Entstehung interkultureller Missverständnisse und Interaktionprobleme zu: Wenigstens einer der beiden Seiten habe im interkulturellen Kontakt bereits vorgefasste Urteile über die andere Seite. Und eben dadurch werde eine Verständigung gefährdet. Aber hier sollten wir vorsichtiger sein und differenzieren. Die Psychologie bringt üblicherweise diese Urteile nicht mit der Krisensituation des Handelns in Verbindung. Wenn diese allgemeinen Urteile aber sprachlicher Ausdruck eines “Kulturschocks“ sind, dann hat der davon betroffene westliche Ausländer zwei Möglichkeiten: Er oder sie kann im Prozess interkulturellen Lernens in dieser Phase des Ablaufs stehen bleiben – dann verfestigen sich die Urteile zu Stereotypen. Oder aber: Der Lernprozess wird fortgesetzt. Dann werden die krisenbedingten Urteile über „die Einheimischen“ verändert und irgendwann durch realistische Urteile ersetzt. Natürlich ist es möglich, dass die Bildung eines generellen Urteils über „die Polen“ – als Quintessenz einer Klage – einfach die Nachbildung eines schon vorgefassten Urteils über die Einheimischen ist. Oder es gehen darin Informationen ein, die dem Hörensagen entstammen. Aber das ist nicht notwendigerweise so. Das Handlungswissen zum Maßstab der Beurteilung der Handlungen der Einheimischen zu nehmen, ist in der Literatur als „ethnozentristische“ Einstellung bekannt. Aber man sollte betonen, dass hier ein Automatismus vorliegt und nicht von vornherein schon ein persönliches Vorurteil über das Gastland. Aber tatsächlich liegt hier ein erster Lernschritt vor. Denn das Neue unter das Bekannte zu subsummieren, ist eine Form des Lernens. Aus der durch das Wissen selbst gestützten Annahme, dass es ein reziprokes Wissen ist, folgt, dass das Handeln der Einheimischen „als grundsätzlich gleich“ und nicht als „teilweise anders“ gesehen wird. Dies kann auch erklären, warum in den Problemidentifizierungen und den allgemeinen Urteilen häufig ein Defizit-Konzept angewendet wird: Da auch (entsprechend der Grundannahme) die Einheimischen das nötige Wissen haben, wird das wiederholte Auftreten von Problemen damit erklärt, dass sie es in einer defekten Form besitzen, oder aber einen Gebrauch davon machen, der zu Problemen führt. Ich habe diese Zusammenhänge etwas ausführlicher dargestellt, weil ich deutlich machen wollte, dass Phänomene wie Irritation, Betroffenheit, Verunsicherung, ja sogar die Angst, beruflich zu versagen, als normal betrachtet werden sollten. Sie gehören als „Kulturschock“ zu einer Phase interkulturellen Lernens. Erst ein Berufsverständnis, das ausschließlich Arbeitseffektivität gelten lässt und von einem Lernen aus persönlichen Krisen partout nichts wissen will, stem59
pelt diese Phänomene als Symptome einer Krankheit ab. – Es wäre nun interessant zu wissen, wie aus dieser Lernphase weitere Schritte im Sinne einer Veränderung von Handlungswissen erreicht werden können. Verlaufsstudien zu diesem – den Kulturschock lösenden – Lernprozess stehen m. W. noch aus.12
12 Das psychologische Konzept der Akkulturation (vgl.G. Ward, S. Bochner & A. Furnam 2001) bezieht sich zwar auf ein mögliches (und wichtiges) Ergebnis kulturellen Lernens, macht aber nicht deutlich, durch welche Prozesse in der mentalen Dimension des Handelns dieses Ergebnis erreicht wird. G. Hofstedes (1991) interessante These, dass der vom Kulturschock Betroffene eine psychische Regression erlebt, insofern er in Situationen der Hilflosigkeit zurückversetzt wird, die in der Kindheit erlebt wurden, ist wohl nur im Falle eines sehr schweren Kulturschocks plausibel: Wenn der Umfang der kulturellen Gemeinsamkeiten erheblich geringer ist als der Umfang der Unterschiede. Die interessante Studie von A. Schütz (1964) über den Fremden gibt für eine Untersuchung des Prozesses der Umorganisation von Wissen zwar manche Anregungen, engt aber von vorneherein den Prozess der allmählichen kulturellen Integration auf die Umorganisation von Interpretationsschemata ein.
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3 Die Klagen und ihre Analyse
Im Folgenden gebe ich die generellen Urteile (also die jeweilige Quintessenz) der wichtigsten Klagen wieder(ins Deutsche übersetzt, wenn sie auf Englisch vorgebracht wurden). Ich habe nur die aufgelistet, die mehrfach in den Interviews vorgebracht wurden, und zwar von Informanten aus verschiedenen westlichen Ländern. Kontextinformationen (die jeweiligen Problemerfahrungen) werden im Verlauf der Analyse gegeben. Diese Liste hat nicht den Anspruch, vollständig und erschöpfend zu sein.13 Wir wissen aus Forschungsarbeiten über die westlichen Managementstile, wie unterschiedlich diese z. T. sind (vgl. P. Lawrence/V. Edwards 2000). Von daher wäre zu erwarten, dass auch die Wahrnehmungen der interviewten Manager und die Erfahrungen, die sie berichteten, recht unterschiedlich sein würden, da sie ja aus verschiedenen westlichen Ländern stammten. Was berechtigt dennoch dazu, pauschal von „den Westlern“ zu sprechen?14 Wie erwähnt sind viele Klagen, die die Manager aus verschiedenen westlichen Ländern über „die Polen“ angeführt haben, ganz ähnlich, so dass der Schluss gezogen werden kann, dass auch die interkulturellen Handlungsprobleme, die sie in Polen haben, ganz ähnlich sind. Die Modifikationen und Akzentuierung dieser Probleme hängen dann mit dem jeweiligen westlichen Managementstil zusammen – wie diese Modifikationen und Besonderheiten im Einzelnen beschaffen sind, soll an späterer Stelle diskutiert werden (Kap.5). Zu erklären ist dieses Phänomen der auffälligen Homogenität westlicher Klagen wohl daraus, dass die kulturellen Unterschiede, die zwischen den Polen und den Westlern bestehen, gravierender sind für die untersuchten Handlungs13
Es ist ein Missverständnis anzunehmen, es handele sich bei diesen Klagen lediglich um persönliche Meinungen – persönliche Auffassungen einiger westlicher Führungskräfte, denen, wenn nur weitere Interviews gemacht werden, ganz andere „Meinungen“ gegenüberzustellen wären. Wenn das der Fall wäre, müsste aber erklärt werden, warum in den Interviews immer wieder dieselben oder doch sehr ähnliche Klagen (von der erwähnten Gruppe) geäußert wurden – und das von Managern, die in Firmen ganz unterschiedlicher Branchen arbeiten und aus verschiedenen westlichen Ländern stammen. Überdies ist diese Aufstellung von Klagen mehreren polnischen Experten großer Consulting-Firmen in Warschau vorgelegt – und einhellig als Dokumentation typischer Probleme bestätigt worden. 14 Der Ausdruck „die Westler“ ist von einer Verallgemeinerung abgeleitet, die ich von polnischer Seite häufiger gehört habe: Dinge „auf westliche Art“ zu tun.
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probleme als die Unterschiede, die zwischen den verschiedenen westlichen Managementstilen bestehen. 3.1 Die Liste der Klagen westlicher Manager
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Polen folgen den festgelegten Regeln nicht. Polen mögen es nicht, wenn man ihnen direkte Befehle erteilt. Polen sagen gern die Unwahrheit, wenn man sie fragt, ob es Probleme bei der Arbeit gibt. Polen verbergen es gerne, wenn sie einen Fehler gemacht haben. Polnische Mitarbeiter verzetteln sich bei einem Projekt bis ins kleinste Detail. Polnische Manager verhalten sich sehr autoritär. (in der Bedeutung a) Polen behalten Informationen gerne für sich, anstatt diese weiterzugeben. Polnische Mitarbeiter halten es für ein Zeichen von Schwäche, Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht wissen. Teamarbeit ist ein Problem für die Polen. Polen haben Schwierigkeiten, persönliche Verantwortung zu übernehmen. Polnische Mitarbeiter irritiert es, wenn es keine klare Hierarchie von Entscheidungsbefugnissen gibt. Es gibt in Polen zumeist keinen Respekt vor dem Privateigentum anderer Leute. Wenn es um Geld geht, darf man Polen nie hundert Prozent trauen. Polnische Mitarbeiter kommen gern zu ihrem Chef, um sich bei ihm über ihre Arbeitskollegen zu beschweren. Polnische Manager verhalten sich sehr autoritär.(in der Bedeutung b) Polnische Mitarbeiter haben keinen Sinn für Loyalität der Firma gegenüber, in der sie arbeiten. Die Polen haben keine Arbeitsmoral. Eine große Arbeitsbelastung können Polen nicht über einen längeren Zeitraum aushalten. Man kann mit polnischen Mitarbeitern keine langfristigen Arbeitsziele festlegen. Polen sind am Arbeitsplatz stärker an Personen als an den Aufgaben orientiert. Ein Pole nimmt eine sachlich gemeinte Kritik an seiner Arbeit zumeist persönlich und reagiert dann beleidigt. Es ist schwer, die Werte eines Unternehmens den polnischen Mitarbeitern zu vermitteln, mit einer Ausnahme: Geld.
Eine weitere Beobachtung vieler Interviewpartner, die aber nicht die Handlungsform einer Klage hat, sei abschließend erwähnt:
Das starke Bedürfnis der Polen nach Titeln und besonderen Positionen ist erstaunlich.
3.2 Eine Analyse der Klagen Da auf dem Gebiet der interkulturellen Handlungsprobleme in Polen ein Forschungsdesiderat besteht, waren intensive Diskussionen mit polnischen Experten erforderlich – Managementexperten als auch Sozialwissenschaftlern. Ohne ihre Informationen und Erläuterungen zur Sozialgeschichte Polens und zu aktuellen sozialen Phänomenen des Umbruchs des Landes hätte ich die Daten nicht analysieren können.15 Wenn diese Klagen auf einer Unkenntnis über bestehende Kulturunterschiede bestimmter Handlungs- und Denkweisen beruhen, dann ist zu fragen: Was wissen diese westlichen Führungskräfte nicht? Die Klagen sind von mir in 3 Gruppen eingeteilt – sie entsprechen der jeweiligen Unkenntnis dieser „Westler“ hinsichtlich bestimmter Eigenheiten dreier hier relevanter Kultursysteme in Polen:
der polnischen Nationalkultur der Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus der kulturellen Entwicklung Polens von einer traditionellen zu einer modernen Gesellschaft
Diese Einteilung hat etwas Künstliches, insofern es, wenn man einzelne Handlungsgewohnheiten betrachtet und nach ihren historischen Entwicklungsbedingungen sucht, Überschneidungen gibt. Jeder dieser Kulturzusammenhänge hat zwar eine eigene Geschichte, aber es bestehen auch viele Berührungspunkte. Ich habe diese Einteilung dennoch vorgenommen, weil hier ja nicht die Forschungsperspektive der Kulturgeschichte Polens, sondern die Interaktionsperspektive westlicher Führungskräfte im Vordergrund steht: Was sollten diese wissen hinsichtlich des historischen Hintergrunds der Handlungsgewohnheiten, die sie als „problematisch“ erfahren? Dafür reicht es aus, denke ich, wenn diese
15 Ich danke insbesondere Dr. Hoser, Prof. Dr. Pelczynski, Prof. Dr. Gardawski, Prof. Dr. Kurczewski, Prof. Dr. Glowacki, M. Kucharski und D. Mattern für ihre freundliche Unterstützung meiner Untersuchungen.
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jeweils als „überwiegend bestimmt“ durch einen der Kulturzusammenhänge deutlich werden, der dann auch mit ihrer Hilfe exemplifiziert werden kann. 3.2.1 Klagen aus Unkenntnis über eine Eigenheit der polnischen Nationalkultur „Polen folgen den festgelegten Regeln nicht.“ Das Kontextbeispiel, welches, wenn auch in Abwandlungen, mehrfach gebracht wurde, sieht wie folgt aus: Eine Führungskraft erklärt den polnischen Mitarbeitern: Dieses Organisationsschema des Arbeitsablaufs, das wir jetzt verbindlich machen, hat sich auch in anderen Ländern bewährt. Auch die Polen müssten sich eben daran halten. Warum dieses Ablaufschema denn so gut ist, wird den Polen aber nicht erklärt. Der Westler stellt dann fest, dass sich die Mitarbeiter partout nicht daran halten. Oder er bemerkt (in anderen Fällen) erst nach einiger Zeit eine Obstruktion auf polnischer Seite gegen dieses Ablaufschema der Arbeit. – er hatte diese Obstruktion nicht früher bemerkt, weil sie gut verdeckt war. Welcher Schaden dadurch in der Firma angerichtet werden kann, ist evident. In einem meiner Interviews erhielt ich folgenden Bericht: Die polnischen Mitarbeiter hatten in dieser Firma einerseits alle „von oben“ verordneten Regeln für den Arbeitsablauf dem Schein nach akzeptiert und andererseits die entsprechenden Arbeitsprojekte in ihrem Ablauf torpediert – aber so, dass es die westlichen Führungskräfte gar nicht bemerkten. Andere Kontextbeispiele: Geschichten über das geschickte Umgehen bestehender gesetzlicher Vorschriften. Die westliche Unkenntnis (oder das bloße Erstaunen über entsprechende polnische Findigkeiten) betrifft hier eine in Polen verbreitete Einstellung zu festgelegten Regeln und zu der Autorität, die durch diese Regeln repräsentiert wird. In vielen westlichen Kulturen sind Gesetze, Verordnungen, Vorschriften sakrosankt in dem Sinne, dass sie unantastbar sind. Sie repräsentieren eine Autorität, die diese Regeln zu einem „Sacrum“ macht. Gesetze – vor allem in Deutschland – haben eine Art Heiligenschein. Diese Einstellung zu Gesetzen und geschriebenen Regeln ist in Polen anders – Regeln werden pragmatisch gesehen, sie werden nicht als etwas behandelt, das man strikt und in jeder Situation befolgt. Viele Polen wissen, dass dies eine Tradition aus der polnischen Nationalgeschichte ist. Das Land war häufig besetzt durch eine fremde Macht. Und ein polnischer Staat, der stark genug gewesen wäre, um eine polnische Staatsmacht 64
zu repräsentieren, existierte über eine lange Zeit hinweg nicht. Daher wurden Verordnungen, Gesetze, Erlasse als eine Repräsentation einer fremden Macht gesehen, aber eben nicht als eine polnische Angelegenheit, Dinge zu regeln. Entsprechend bestand (und besteht auch heute) die Neigung, sich solchen Regeln zu widersetzen oder sie „pragmatisch“ zu behandeln. Das Befolgen von Vorschriften wird also in Polen anders gehandhabt als in den meisten westlichen Ländern. Vorschriften werden durchaus ernst genommen – aber das heißt nicht, dass sie in jedem Fall strikt befolgt werden. Sie haben eben aus der Sicht vieler Polen nicht eine höhere Autorität hinter sich, die von allen akzeptiert wird. Vielmehr herrscht hier eine praktische Intelligenz, die jeweils in einer gegebenen Situation entscheidet, was opportun ist. Sollten westliche Manager das an den Tag legen, was die Polen eine „imperialistische Verhaltensweise“ nennen, dann wird bei diesen ein Denkschema abgerufen, das für solche Fälle bereit liegt: die Unterscheidung von „Wir“ (die Polen) und „Sie“ (die Fremden). Damit werden sie von den Polen gedanklich in die Position des „Sie“ (die Fremden) gesetzt – mit der Folge, dass ihnen Misstrauen und sogar (verdeckt) Feindseligkeit entgegengebracht werden. Weil hier eine polnische Empfindlichkeit besteht, kann das leicht geschehen. Der „Westler“ wird aber oft gar nicht bemerken, dass seine polnischen Mitarbeiter dieses Bild von ihm gefasst haben. Nach seinem Selbstbild ist er eine westliche Führungskraft, die einfach die Arbeit (gut) machen will, die zu tun ist. Der Kulturunterschied wirkt sich im Handeln also an den inneren Bildern aus. Ein Fallbeispiel (allerdings nicht von dem Betroffenen erzählt): Eine westliche Führungskraft wurde von seiner international tätigen Firma nach Warschau geschickt, um in der dortigen Zweigstelle „nach dem Rechten zu sehen.“ Dieser Westler bekommt schon, bevor er erschienen ist, von den polnischen Mitarbeitern einen Spitznamen: Er ist ein „Fallschirmspringer“, d.h. er kommt „von oben“, niemand kennt ihn persönlich, er ist „keiner von uns.“ Diese Führungskraft beruft eine Versammlung aller Mitarbeiter ein und erklärt den erstaunten Anwesenden, dass sie alle vergessen könnten, was sie bislang beruflich getan hätten: Nun würden sie erfahren, wie man die Dinge richtig tut. Da die Angesprochenen wissen, dass sie weit mehr über den polnischen Markt und seine Besonderheiten wissen als dieser „Fallschirmspringer“, stellen sie ihn gedanklich in die Position des Fremden, der sich „imperialistisch“ verhält. Der hat auf einen Schlag jedes Vertrauen der Belegschaft verloren. Nun finden wir aber auch in anderen Ländern – wie z.B. in Rumänien und Bulgarien – eine ähnliche innere Distanz gegenüber Vorschriften und Gesetzen, die einen ähnlichen geschichtlichen Hintergrund hat: einen schwachen Staat und eine Okkupation durch eine fremde Macht (vgl. Teil B). Was an dieser Einstellung vieler Polen hat eine Verbindung zur polnischen nationalen Geschichte? 65
Das Denkschema von „Wir“ und „Sie“ war ja auch wirksam in dem System des bürokratischen Sozialismus. „Sie“, das waren die sowjetischen Gründer und Vertreter des „Systems“, das den Polen aufoktroyiert worden war. „Wir“, das waren die Polen, die in innerer Distanz zu diesem System lebten. Die historischen Wurzeln dieses Denkens sind aber älter. Eine Rolle spielt hier der Typus des Freiheitskämpfers bzw. der Mythos, der ihn traditionell umgibt: mutig überlebt zu haben in einem Kampf gegen übermächtige Feinde und stolz, das Polentum und die Sprache bewahrt zu haben.16 Aufschlussreich ist hier auch das berühmte „Liberum veto“ (das Recht, die bei Parlamentsabstimmungen geforderte Einstimmigkeit durch eine Gegenstimme zum Scheitern zu bringen). Es dokumentiert im politischen Kontext einen – aus westlicher Sicht – extremen Individualismus, der sein Vorbild in dem (nicht selten verarmten) polnischen Landadel hatte. Einige der Denk- und Handlungsgewohnheiten (der betonte Patriotismus; die Vorstellung, vollkommen autark zu sein u.a.) wurden im Lauf der Geschichte zum Modell vieler nicht-adeliger Polen (Polen hatte in Europa den größten adeligen Bevölkerungsanteil.) Auch diese Tradition mit Ideen der Exklusivität, der Gleichheit, der Einstimmigkeit, des Widerstandes und des Individualismus ist im heutigen Polen in bestimmten Formen weiterhin wirksam.17 Das genannte polnische Denkschema von „Sie“ (die Fremden, die sich imperialistisch verhalten) und „Wir“ (die Polen, die davon betroffen sind) ist also zu differenzieren: Das „Wir“ bezieht sich zwar auf ein Kollektiv, insofern damit alle gemeint sind, die von einer Unterdrückung durch eine fremde Macht betroffen sind. Aber im Aufstand dagegen besteht es eher aus vielen Einzelnen, die sich mit Mut und Erfindungsreichtum zur Wehr setzen. „Polen mögen es nicht, wenn man ihnen direkte Befehle erteilt“ Kontextbeispiel: Ein westlicher Manager gibt einem polnischen Mitarbeiter eine Instruktion. Dieser akzeptiert, aber nach einiger Zeit stellt der Manager fest, dass der Instruktion überhaupt nicht gefolgt wurde – so als wäre sie nie gegeben worden. 16
W. Gombrowicz (1970) hat sich in seinen Tagebüchern – vor allem im 3. Band – kritisch mit diesem Mythos seiner Landsleute auseinandergesetzt. 17 Vgl. N. Davies (1999) zum Ethos des polnischen Adels. C. Rode (verantwortlich für Gewerkschaftsfragen in Mittelost- und Südosteuropa beim Büro Warschau der Friedrich-Ebert-Stiftung) weist im Zusammenhang der polnischen Gewerkschaften auf das immer noch gültige „liberum veto“ hin. W. Fuhrmann (1990) beschreibt dessen historische Entstehung.
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Diese Klage variiert nur dasselbe Thema: Problemerfahrungen mit einem nicht bekannten Element polnischer Nationalkultur. Die Weigerung von polnischer Seite, einer Instruktion, einem vorgegebenen Arbeitsschema etc. zu folgen, ist aber zu unterscheiden von der Strategie, dies in einer verdeckten Art und Weise zu tun. Die kulturspezifische Bedeutung einer solchen Weigerung habe ich angesprochen. Das Gefühl, das auf polnischer Seite mit der entsprechenden Tradition verbunden ist, lässt sich umschreiben mit: „Man lässt mich nicht machen. Das, was ich besonders gut kann – mit Fantasie und Kreativität die Dinge zu tun -, wird hier nicht geschätzt.“ Den westlichen Manager irritiert aber, dass er nach einiger Zeit feststellen muss, dass die Weigerung nicht offen mitgeteilt und begründet wird, sondern verdeckt erfolgt. Neben anderen möglichen Motiven auf polnischer Seite kann hier die schon skizzierte Nationalgeschichte eine Rolle spielen: Die verdeckte Obstruktion war in der polnischen Geschichte eine Überlebensstrategie. In Zeiten der Besetzung durch fremde Mächte, deren Gesetze nicht offen verletzt werden konnten, war eine verdeckte Obstruktion eine effektive Strategie. Dabei wurde die soziale Wirklichkeit gleichsam zweigeteilt: in eine offizielle, gut sichtbare, und in eine verdeckte, in der fremde Vorschriften und Gesetze unterlaufen werden konnten. Nach meinen Untersuchungen ist dieses Element polnischer Nationalkultur das einzige, das ein Hindernis für effiziente Arbeitsabläufe in einem westlich geführten Unternehmen sein kann – die Unkenntnis des Westlers vorausgesetzt. Andere Elemente – der polnische Patriotismus, die starke Bindung an die Familie, die Expressivität in der Kommunikation usw. – stellen hier kein Hindernis dar. Diese Dichotomie des „Wir“ und „Sie“ (mit der erläuterten Rebellionsbereitschaft des „Wir“) ist über die Wirtschaft hinaus in Polen von Bedeutung, weil die Position des „Sie“ ja nicht auf bestimmte Individuen oder soziale Gruppen festgelegt ist. Sie ist offen für jeden, der als Ausländer eine gewisse hohe Position innehat bzw. Repräsentant einer ausländischen Macht ist. Sich aus polnischer Sicht „imperialistisch“ zu verhalten, kann z.B. auch im Zusammenhang polnischer Außenpolitik geschehen. „Brüssel“ kann, wenn es um das Verhältnis Polens zu der Europäischen Union geht, die Bezeichnung einer solcher Macht sein, von der „Wir“ – die Polen – dann dirigiert und beherrscht werden. Sich gegenüber einer solchen fremden Macht aufzulehnen, kann an die Tradition des Freiheitskampfes anknüpfen. Auch „die Deutschen“ können in diese Position gelangen, z.B. in der Vorstellung mancher Polen, dass „die Deutschen“ versuchen, die Europäische Union – und damit auch Polen als Mitglied dieser Union – zu dominieren. 67
Die von mir interviewten westlichen Manager, deren Klagen ihren Kulturschock dokumentierten, kannten diese Eigenart polnischer Denkweise nicht, weil die Nationalgeschichte ihres Landes in diesem wichtigen Punkt – die häufige Besetzung durch fremde Mächte und das Vorhandensein eines schwachen Staates – anders verlaufen ist. Eine Ausnahme waren hier italienische Interviewpartner, denen diese polnische Eigenart – und die damit verbundene Einstellung zu Gesetzen – nicht fremd waren: Auch sie hatten in ihrer nationalen Geschichte einen eher schwachen Staat, dessen Gesetze nicht als sakrosankt galten. Wie entgeht eine westliche Führungskraft der Gefahr, in dieses polnische Denkschema eingeordnet zu werden? Am besten dadurch, dass neue Regeln, Vorschriften usw. hinsichtlich ihres praktischen Nutzens erklärt werden, also indem z.B. Arbeitsabläufe, die neu festgelegt werden sollen, nicht nur erläutert werden – die westliche Führungskraft sollte auch sagen, warum sie glaubt, dass sie nützlich sind. Solche Erklärungen sind ein Schritt in Richtung des „Wir“ im Sinne einer Gemeinsamkeit. Dabei kann eine westlicher Führungskraft der polnischen Improvisationsfreude entgegenkommen, indem ein Abkommen geschlossen wird: Es steht durchaus jedem frei, eigene Arbeitsabläufe zu entwickeln – vorausgesetzt, es wird der Nachweis erbracht, dass diese tatsächlich effektiver sind als die, die vorab festgelegt wurden. 3.2.2 Klagen aus Unkenntnis über die Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus Diese Klagen – und die der nachfolgenden Gruppe – weisen in ihrer jeweiligen Quintessenz dasselbe Fehlurteil auf: Die Probleme, die Westler bei der Zusammenarbeit mit Polen immer wieder erfahren, seien „typisch polnisch“. Tatsächlich treten diese Probleme (die entsprechende westliche Unkenntnis vorausgesetzt) auch in anderen Ländern auf, die eine ähnliche Geschichte fremder Besatzungsmächte wie die Polens haben, einschließlich des Systems des bürokratischen Sozialismus – wie z.B. Rumänien und Bulgarien (vgl. Teil B). Die „typisch polnische“ Erklärungsweise ist naheliegend, wenn man das Land und seine (jüngere) Geschichte nicht kennt. Aus der bloßen Tatsache, in Polen zu sein, wird gefolgert, dass etwas, das als fremdartig in diesem Land erlebt wird, „typisch polnisch“ sei. Als eine weitere Erklärungsweise dient häufig auch der Hinweis auf den Katholizismus der Polen. Aus westlicher Sicht ist die gesellschaftliche Bedeutung, die die katholische Kirche in Polen heute hat, in der Tat bemerkenswert. Anders als in den westeuropäischen Ländern sind die Kirchen am Sonntag 68
(nicht nur auf dem Land, sondern auch in den großen Städten) gut gefüllt. Im Radio ist ein eigener katholischer Sender zu hören usw. Daraus folgt aber nicht, dass die Mehrheit der Polen in den großen Städten auch gläubig ist – oder gar, dass die katholische Morallehre als bindend für das eigene Verhalten angesehen wird. Das trifft – nach Auskünften, die ich von einer Vielzahl von Polen verschiedenen Alters und verschiedener Bildungsgrade eingeholt habe – weder auf die jüngere Generation zu noch auf die mittlere (ab 40 Jahre). Die hier relevanten kulturellen Unterschiede sind also Unterschiede im Ost-West-Verhältnis. Dazu gehört auch das schon eingangs analysierte DenkSchema von „Sie“ und „Wir“ als eine Folge lang erlittener Fremdherrschaft und politisch autoritärer Systeme. Die interviewten westlichen Manager kommen aus Ländern, deren jüngere Geschichte anders verlaufen ist als die von Polen, Rumänien und Bulgarien. Das kollektive Gedächtnis ihres Landes hat keine traumatischen Erinnerungen an eine Fremdherrschaft. Diese Führungskräfte haben von Haus aus keine Erfahrungen mit den besonderen Denk- und Handlungsweisen des bürokratischen Sozialismus gemacht – mit einer gewissen Ausnahme: die Bürger der ehemaligen DDR –, so dass es ihnen auch nicht leicht fällt zu erkennen, dass diese vergangene Organisationskultur immer noch das Verhalten vieler Polen in der Gegenwart beeinflusst.18 Ich bin häufiger in meinen Seminaren für die Wirtschaft darauf angesprochen worden, ob man denn tatsächlich den ehemaligen Staatsbetrieben in Polen eine Art „Kultur“ unterstellen könne. Ich möchte deshalb diesen Begriff näher erläutern, bevor ich die entsprechenden Klagen analysiere. Exkurs: Ebenen und Zusammenhänge einer Organisationskultur Bezüglich der Kultur einer Organisation – und mithin auch der eines Unternehmens – können wir verschieden Ebenen unterscheiden und jeweils fragen, ob die relevanten Kulturelemente sichtbar sind oder nicht.19
18 Die neuere Geschichte betreffend gibt es zwei wesentliche Unterschiede zwischen der ehemaligen DDR und Polen im Zusammenhang des bürokratischen Sozialismus’: Im Gegensatz zu Polen gab es in der DDR, zumindest in den Aufbaujahren, eine Elite, die an das Versprechen des Sozialismus’ glaubte, den Weg in eine bessere, humanere Gesellschaft zu eröffnen. Und während Polen im Zweiten Weltkrieg die deutsche Besetzung erleiden musste, gab es in dieser Zeit auf dem Gebiet der DDR keine fremde Besatzungsmacht. 19 Diese Auffassung ist kompatibel mit dem allgemeinen Begriff von Kultur, den ich in Kap. 2.1 eingeführt habe.
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Symbolsystem (Sprache, Umgangsformen, Rituale, Kleidung): sichtbar Normen und Standards (Maximen, Werte, Verbote): teils sichtbar Basisannahmen und Interaktionsformen (Orientierungs- und Wahrnehmungsmuster über Umwelt, Zeit, Menschen, soziales Handeln, Wahrheit, soziale Beziehungen): unsichtbar, muss erschlossen werden.
Die letztgenannte Ebene macht es jedem, der sich mit Unternehmenskultur befasst, nicht leicht: Die eingeschliffenen Wahrnehmungs-, Orientierungs- und Handlungsmuster, die mental als soziales Wissen repräsentiert sind, können, weil dies ein implizites Wissen ist, auch nicht einfach abgefragt werden. Sie bestimmen dennoch das soziale Verhalten in einem Unternehmen. Und zwar nicht nur das Denken , sondern auch den emotionalen Bereich. Der Begriff Unternehmenskultur/Organisationskultur hat insgesamt die folgenden Kernmerkmale (vgl. Schreyögg 1996): 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Kollektiv: Es handelt sich um gemeinsame Orientierungen, Werte, Handlungsmuster usw. einer sozialen Gruppe. Konzeptionell: Eine Unternehmenskultur vermittelt Sinn und Orientierung in einer komplexen sozialen Organisation. Emotional: Unternehmenskulturen prägen nicht nur Kognition, sondern auch Emotionen. Interaktiv: Eine Unternehmenskultur wird gewöhnlich in einem Sozialisationsprozess vermittelt durch Teilnahme an Kommunikation, Praktiken, Umgangsformen. Historisch: Eine Unternehmenskultur ist das Resultat historischer Lernprozesse im Umgang mit Problemen aus der Umwelt und der internen Organisation. Implizit: Eine Unternehmenskultur ist die gelebte Alltagspraxis, der die gemeinsamen Überzeugungen zugrunde liegen.
Nun wird ein deutscher Manager – z.B. der Leiter der Personalabteilung in einer Firma in Polen – wahrscheinlich dieser Darstellung zustimmen können. Aber er wird sich fragen: Wo soll es hier zu einer Kollision der westlichen (deutschen) mit einer polnischen „Unternehmenskultur“ kommen können? Diese existierte doch (bislang) gar nicht, weil ein Unternehmertum in der kommunistischen Vergangenheit in Polen nicht existierte. Die „Planwirtschaft“ ließ das gar nicht zu. Aber die ehemaligen Staatsbetriebe hatten eine „Kultur“ in dem oben beschriebenen Sinn. D.h. es gab eingeschliffene Denk- und Orientierungsmuster, Handlungsformen und Kommunikationsstile, die das soziale Verhalten am Arbeitsplatz in diesen Betrieben bestimmt haben. Dieses Denken im System der 70
Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus ist es, mit dem westliche Unternehmenskulturen in Polen kollidieren. Als „gelebte Berufspraxis“ ist die Unternehmenskultur, die der westliche Manager von Haus aus kennt, für diesen etwas Selbstverständliches. Und genau darin liegt die Schwierigkeit. Denn kaum etwas ist schwieriger zu erkennen als das Selbstverständliche. Er müsste genauer wissen, was es mit dem Denken im „alten System“ in Polen auf sich hat, wie dieses Denken beschaffen ist und wie es sich im Verhalten äußert. Dazu reicht es nicht, über einige Informationen von „Planwirtschaft“ oder „Kommunismus“ zu verfügen. Wie in den Staatsbetrieben gedacht und gearbeitet wurde, ist damit noch nicht geklärt. Ich will schematisch die wohl wichtigsten kulturellen Unterschiede, um die es hier geht, darstellen. Die Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus und die Westkultur20
Führungsstil Konfliktmanagement Arbeitsorientierung Motivation
Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus Befehle Vermeidung von Konflikten „Cliquen-Wirtschaft“ Positionen, Titel, Geld
Westliche Organisationskulturen Diverse Managementstile Suche nach Lösungen Aufgaben-Orientierung Berufskarriere, Geld, Berufsethos
Ich werde die einzelnen Merkmale im Verlauf der Analyse der westlichen Klagen erläutern. Man mag hier einwenden: Diese kulturellen Unterschiede sind doch heute weitgehend belanglos geworden. Sie gelten allenfalls noch für die ältere Generation. Die jüngere Generation hat längst die westliche Organisationskultur akzeptiert. Aber nicht nur die Polen, die zu der mittleren oder der älteren Generation gehören, sind in der Zeit des bürokratischen Sozialismus aufgewachsen und haben bestimmte Formen des Denkens und Handelns verinnerlicht. Auch die jüngere Generation steht noch unter dem Einfluss der alten Denk- und Handlungsgewohnheiten – als Folge der Erziehung in der Familie und in der Schule. 20 Ich danke Dr. J. Hoser für die Informationen zu diesem Thema. Dem Sammelband von J.Wedel (1992) verdanke ich wichtige Einsichten in die Organisationskultur der polnischen Staatsbetriebe.
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Wenn die Jüngeren in internationalen Firmen in Polen arbeiten, wissen sie gewöhnlich auch, dass dort von den westlichen Führungskräften zumeist eine Einstellung und eine Kooperationsform verlangt werden, die sich von dem früher herrschenden stark unterscheidet. Die weit verbreitete Redewendung „Die Dinge nach westlicher Art zu tun“, bezieht sich darauf. Dennoch kann auch ihr Verhalten, ohne dass ihnen dies selbst ganz klar wird, weiterhin von den Denkgewohnheiten der Vergangenheit beeinflusst sein. Beide Kulturen können in einer Firma nebeneinander bestehen – zumindest eine Zeit lang. Und dies ist auch in Polen bei manchen größeren Unternehmen der Fall. Auf der ersten Managementebene sind die Betreffenden an einer westlichen Organisationskultur orientiert, während die Polen, auf den Führungsebenen darunter, eine eigene Kultur haben, die sich von der westlichen unterscheidet. Diese Abschottung hilft sicher – wie mir ein westlicher Manager erklärt hat – „nicht in die vielen Fettnäpfchen zu treten“, die auf polnischer Seite vorhanden sind. Aber eine langfristig effektive Zusammenarbeit mit den Polen wird so wohl kaum möglich sein. Ich setze jetzt die Analyse der westlichen Klagen fort, die aus Unkenntnis darüber entstanden sind, dass die alten Denk- und Handlungsgewohnheiten auch heute noch das Verhalten vieler Polen beeinflussen. „Polen sagen gern die Unwahrheit, wenn man sie fragt, ob es Probleme bei der Arbeit gibt.“ Diese Klage habe ich weiter oben bereits eingehender untersucht (Kap. 2.6). Erinnern will ich daran, wie es hier zu einer „Kollision“ der Kulturen kommen konnte: Der betreffende Manager hatte versäumt – obwohl es zu seinen Aufgaben gehörte –, die eigenen Erwartungen mitzuteilen, d.h. die „neuen Regeln“ der Zusammenarbeit zu erklären: bei der Arbeit auftretende Probleme ihm möglichst schnell mitzuteilen, damit man etwas zu ihrer Lösung unternehmen und größeren Schaden vermeiden konnte. Das nachfolgende generelle Urteil variiert dieses Thema: „Polen verbergen es gerne, wenn sie einen Fehler gemacht haben.“ Kontextinformation: Die westliche Führungskraft ist gewohnt, dass Probleme, die bei der Arbeit auftreten, möglichst gleich mitgeteilt werden – und eben das geschieht wiederholt nicht. Dass wir aus Fehlern nur lernen können, war im autoritären System des bürokratischen Sozialismus keine anerkannte Regel – im Gegenteil. Weder in der Aufrechterhaltung der Fassade effektiver Wirtschaftsplanung, noch bei der Ar72
beit in den verschiedenen Staatsbetrieben waren Fehler erlaubt. Wenn sie dennoch auftraten, drohten, wenn sie bekannt wurden, Sanktionen. Also mussten Fehler verdeckt werden. Die entsprechende Handlungsmaxime: „Wenn Du einen Fehler machst, verbirg es!“ lässt sich nur verändern, wenn zwischen Mitarbeitern und dem westlichen „Boss“ ein Vertrauensverhältnis besteht. Und eben dieses Vertrauen, wegen eines Fehlers nicht bestraft zu werden, bestand auf polnischer Seite bei dieser westlichen Problemerfahrung offenbar nicht. Dies trifft auch auf die nachfolgende Quintessenz der Klage zu: „Polnische Mitarbeiter verzetteln sich bei einem Projekt bis ins kleinste Detail.“ Kontextinformation: Polnische Mitarbeiter sollen eine größere Arbeitsaufgabe lösen. Die westliche Führungskraft fragt immer wieder nach, wie weit diese Arbeit geleistet wurde. Die Antwort lautet wiederholt: Es sind neue Details aufgetreten, die unbedingt bedacht werden müssen. Auf diese Weise findet die Arbeit keinen Abschluss. Das generelle Urteil verfehlt das Motiv dieses Verhaltens: die vorhandene Angst, Fehler zu machen. „Polnische Manager verhalten sich sehr autoritär.“(a) „Autoritär“ wird in diesem Urteil über polnische Manager in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet. Für die nachfolgend erläuterte Bedeutung besteht ein Bezug zum bürokratischen Sozialismus. Als Kontext dieses generellen Urteils erzählten mir Manager folgendes, für sie schwer verständliches Geschehen, das sie in der Firma wiederholt beobachten konnten: Wenn ein polnischer Manager auf eine höhere Stelle in der (im ausländischen Besitz befindlichen) Firma befördert wurde, veränderte er von einem Tag zum anderem sein Verhalten: Er beschäftigte sogleich neue Mitarbeiter, obwohl an deren Arbeit in seinem Aufgabenbereich gar kein Bedarf war, und baute gleichsam um sich herum ein System von Stellen auf mit Leuten, die nur ihm zuarbeiten sollten. Worüber sich diese westlichen Führungskräfte nicht im Klaren waren: Es war eine wichtige Strategie in der Zeit des bürokratischen Sozialismus, eine hohe Position dadurch abzusichern, dass der Inhaber dieser Position ein System von Stellen aufbaute, die er mit Vertrauten bzw. Angehörigen seiner Clique besetzte. Eben diese Strategie wendete ein beförderter polnischer Manager nun in der westlichen Firma für die neue Position an. Sein Verhalten in der Gegenwart war bestimmt durch eine Absicherungsstrategie der Vergangenheit. 73
Man könnte hier einwenden: Aber diese Art der Absicherung hoher Machtpositionen kennen wir doch auch im Westen. Z.B. findet im politischen System westlicher Länder bei einem Regierungswechsel doch etwas Vergleichbares statt. Es besteht jedoch ein wichtiger Unterschied. Er betrifft den sachlichen Bedarf an den Stellen und die Fachkompetenz der Stelleninhaber – beides muss im Westen gut begründet sein. Im bürokratischen Sozialismus hingegen kam es bei der personellen Auswahl vor allem auf die persönliche Loyalität der Betreffenden an. Was sollten nun die westlichen Führungskräfte tun, die – so wurde mir in einigen Interviews berichtet – dieser Personalpolitik ihres polnischen Kollegen verständnislos zusahen? Für sie war diese Frage heikel. Denn immerhin lag es im Bereich der Befugnisse des betreffenden polnischen Direktors, bei Bedarf neue Stellen einzurichten. Nur ein langfristiger Lernprozess kann hier Abhilfe schaffen: durch die Bildung von Vertrauen und die allmähliche Veränderung des Konzepts von Macht, das der polnische Direktor hier anwendete. Er folgte ja der Handlungsmaxime: „Sichere deine neue Position mit Hilfe von Leuten ab, denen du vertraust!“. Diese Maxime kann langfristig verändert werden, wenn die westlichen Kollegen ihm klar machen: Du bist einer von uns! Dann wird eine Grundlage der Maxime hinfällig: das Misstrauen. Auch das Konzept von persönlicher Macht kann langfristig verändert werden – differenziert und erweitert im Sinne einer wirtschaftlichen Gestaltungsmacht, wenn die Handlungsziele im Zusammenhang der Arbeitsabläufe der Firma sich mehr auf Arbeitseffektivität und Leistungssteigerung ausrichten können. Damit würde sich auch der Zweck der Maßnahme ändern, neue Stellen einzurichten. Er wäre dann primär wirtschaftlich begründet. Ein solcher Lernprozess läst sich nicht von heute auf morgen bewerkstelligen. Er braucht Zeit – und die hilfreiche Unterstützung seitens der westlichen Führungskräfte. Wenn diese Unterstützung fehlt – und die Kritik seitens der interviewten Polen macht deutlich, dass sie häufig fehlt (Kap. 3.2.2) –, dann kommt es leicht zum Auftreten der Handlungsweisen auf polnischer Seite, die von den West-Managern kritisch beurteilt werden, und über die sie in den Interviews klagen. „Polen behalten Informationen gerne für sich, anstatt diese weiterzugeben.“ Kontextinformation: Der Westler setzt einen Informationsfluss voraus, der in seiner Unternehmenskultur selbstverständlich ist: sowohl für die Teamarbeit als auch für die Kooperation einzelner Abteilungen. Er stellt fest, dass ein solcher Informationsfluss immer wieder unterbrochen wird, oder dass er zum Teil gar nicht existiert. Er erhält nur unregelmäßig ein feed-back über den jeweiligen 74
Stand der Arbeit. Und Informationen, die er an einzelne Mitarbeiter gibt, mit der Bitte, diese auch an andere weiterzuleiten, erreichen die anderen gar nicht. Was für ihn disfunktional ist, war in der Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus durchaus funktional: das Zurückhalten von Informationen wurde als Machtmittel genutzt. Entsprechend diente dieses Verhalten dem Erhalt von persönlicher Macht. Dieses Verhalten war weit verbreitet, es entsprach dem autoritären Handlungszusammenhang von Macht, der im bürokratischen Sozialismus grundlegend war. Natürlich hatte dieses Verhalten auch eine emotionale Seite, da die Verfügung über Herrschaftswissen das Gefühl eigener Bedeutsamkeit und Stärke steigern konnte. Dieser Umgang mit Informationen geschah implizit, d.h. es gab keine öffentliche Verlautbarung oder eine Instruktion, die dieses Verhalten verbindlich gemacht hätten. Es wurde praktiziert und gelebt und wirkt heute fort.21 Eine Veränderung (auf polnischer Seite) betrifft hier vor allem die ZweckMittel-Relation im Umgang mit Kenntnissen und das damit verbundene MachtMotiv: Können diese zum Zwecke einer effektiveren Zusammenarbeit weitergegeben werden, oder überwiegt der Zweck, die persönliche Machtposition zu stärken? Eine praktische Maßnahme ist die Festlegung regelmäßiger Arbeitsberichte (einzelner Mitarbeiter oder Gruppen innerhalb einer Abteilung) und der geregelte Austausch von Informationen (zwischen den Abteilungen und den verschiedenen Führungsebenen) unter dem Gesichtspunkt der Relevanz für die entsprechenden Arbeitsabläufe. Diese Maßnahme mag sehr aufwendig sein, aber sie liefert ein Informationsgerüst, an das die Beteiligten sich halten können. Wenn der Westler sich darauf beschränkt, den mangelnden Informationsfluss zu beklagen, blendet er seine Verantwortung dafür aus, den Mitarbeitern zu erklären, warum der Informationsfluss für die jeweiligen Arbeitsabläufe in der Firma so wichtig ist. Dabei kann er, um zu überzeugen, an das vorhandene Motiv (Machtzuwachs) anknüpfen und es in die moderne Wirtschaftsform wenden. Er kann den polnischen Mitarbeitern bzw. einer Arbeitsgruppe klar machen: Sie gewinnen gerade dadurch an Stärke (Arbeitsleistung), wenn sie den Informationsfluss nicht stören, sondern fördern.
21 Und zwar nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch bei Seminaren der beruflichen Weiterbildung – hierauf machte C.Rode (mündliche Mitteilung) aufmerksam.
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„Polnische Mitarbeiter halten es für ein Zeichen von Schwäche, Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht wissen.“ Kontextinformation: Der Westler bemerkt, dass Mitarbeiter ausweichen, wenn sie danach gefragt werden, ob sie ein bestimmtes Wissen haben, und es fällt ihm auf, dass sie ihrerseits auch nicht auf ihn zukommen, um nach etwas zu fragen, was sie nicht wissen. Einige Informanten glaubten, das traditionelle männliche Rollenbild des „Macho“ sei dafür verantwortlich, dass ein männlicher polnischer Mitarbeiter das Bekunden eines bestimmten Nicht-Wissens als ein Zeichen von „Schwäche“ versteht. Das mag eine Rolle spielen. Aber ebenso wichtig ist das Konzept von „Herrschaftswissen“: Wenn der Besitz von Kenntnissen Macht bedeutet, dann ist das Eingeständnis von Nichtwissen eben auch eine Bekundung von persönlicher Schwäche. „Teamarbeit ist ein Problem für die Polen.“ Kontextinformation: Der Westler ist an einer Unternehmenskultur orientiert, für die Teamarbeit eine selbstverständliche und für bestimmte Aufgaben besonders effektive Arbeitsform ist. Seine Versuche, ein solches Team an der Lösung einer bestimmten Aufgabe arbeiten zu lassen, misslingen immer wieder: Nachdem man sich auf einen Arbeitsplan geeinigt hat, stellt er (nach einiger Zeit) fest, dass sich einige Mitglieder des „Teams“ überhaupt nicht an diesen Plan gehalten haben. Sie haben einfach „Dinge auf ihre eigene Art“ erledigt. Eine in den Interviews hierzu häufiger auftretende Erklärung lautet: „Polen sind eben zu individualistisch.“ Plausibler ist es, hier von einer Nachwirkung des bürokratischen Sozialismus auszugehen. Eine Rolle spielt dann der oben schon erwähnte Umgang mit Kenntnissen (Informationen), die man nicht weitergeben will (was in einer Team- Arbeit natürlich notwendig ist). Einen weiteren, damit zusammenhängenden Aspekt können wir Ergebnissen der Studien polnischer Soziologen zu den ehemaligen Staatsbetrieben entnehmen: die geringe (oder kaum vorhandene) Bereitschaft auf polnischer Seite, sich effektiv auf gemeinsame Arbeitsziele auszurichten.22. Der Mangel an gemeinsamen Arbeitszielen in der formellen Wirtschaft förderte in den ehemaligen Staatsbetrieben das Engagement in individuelle Projekte, die zu der informellen Wirtschaft gehörten.
22 Die Feldstudie von E.Firlit & J. Chlopecki (1992) zu ehemaligen Staatsbetrieben hat u.a. einen hohen Grad an Desintegration und Desorganisation ermittelt, der in den untersuchten Betrieben mit einer Diskrepanz der individuellen Interessen der Mitglieder von Arbeitsgruppen zusammenhing.
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Gemeinsame Arbeitsziele überzeugend zu vermitteln und allmählich auch verbindlich zu machen, ist natürlich eine der Aufgaben eines West-Managers. „Polen haben Schwierigkeiten, persönliche Verantwortung zu übernehmen“ Kontextinformation: Die westliche Führungskraft will einen polnischen Kollegen in einen Entscheidungsprozess einbeziehen. Er stellt nach einiger Zeit fest, dass dieser Kollege, mit ganz unterschiedlichen Begründungen, dem selbständigen Treffen einer Entscheidung ausweicht. Das Nachwirken des bürokratischen Sozialismus in der Gegenwart ist hier offensichtlich: Was der Westler beklagt, ist – auf polnischer Seite – das Fehlen einer Handlungs- bzw. Entscheidungsbereitschaft des Einzelnen, die in der Vergangenheit systematisch unterbunden war – soweit es das berufliche Handeln in der offiziellen Wirklichkeit des bürokratischen Sozialismus betraf. J. Kurczewski (1992) sieht in der Abwesenheit persönlicher Verantwortung ein inhärentes Merkmal dieses autoritären Systems – im Gegensatz zu der hoch entwickelten informellen Parallelwirtschaft. Hier waren Einzelinitiative und persönliche Verantwortung allgemein geschätzte Tugenden (vgl. K. Wyka 1992). Bei dieser Klage ist der westliche Fehler im Führungsstil offenkundig: Eine persönliche Verantwortung für die Durchführung einer bestimmten Aufgabe kann ein polnischer Kollege (oder Mitarbeiter) erst dann übernehmen, wenn er sich auf dem entsprechenden Entwicklungsniveau befindet, das die westliche Führungskraft, die eine Aufgabe an ihn delegiert, ja als gegeben voraussetzt. Wenn nicht vorab geklärt wird, ob diese Voraussetzung gegeben ist, dann wird ein Führungsstil praktiziert, der die Möglichkeiten und Erwartungen der Mitarbeiter einfach ignoriert. Dass – als Folge davon – diese Mitarbeiter dann eine Scheu davor haben, persönliche Verantwortung zu übernehmen, ist nur zu verständlich. „Polnische Mitarbeiter irritiert es, wenn es keine klare Hierarchie von Entscheidungsbefugnissen gibt.“ Hier wird das obige Thema variiert. Die Führungskraft ist an eine „flache“ Hierarchie gewohnt und versucht, einen demokratischen Führungsstil in der Firma zu praktizieren. Die polnischen Mitarbeiter sind irritiert. Im autoritären System des bürokratischen Sozialismus war die Hierarchie stark ausgeprägt. Alle wichtigen Entscheidungen der formellen Wirtschaft wurden „oben“ getroffen und als Befehle „nach unten“ in den Betrieben verbindlich gemacht. 77
Diese Klage dokumentiert eine Ratlosigkeit, welcher Führungsstil denn nun für die Zusammenarbeit mit polnischen Mitarbeitern angemessen ist. Ich werde daher auf diese Frage in einem Kapitel gesondert eingehen (Kap. 4). Halten wir an dieser Stelle als Ergebnis der Analyse fest: Was diese Klagen in ihrer Quintessenz jeweils erklären sollen – auftretende Interaktionsprobleme –, wird nicht erklärt. a.
b.
c.
Die generellen Urteile schreiben „den Polen“ bzw. „den polnischen Mitarbeitern“ Eigenschaften und Verhaltensgewohnheiten zu, als wären diese charakteristisch für sie; tatsächlich sind hier kulturelle Unterschiede wirksam, die nicht allein auf Polen, sondern auch auf andere Länder zutreffen (wie z.B. Rumänien und Bulgarien). Die zugeschriebenen Eigenschaften und Verhaltensgewohnheiten sind überwiegend verallgemeinerte persönliche Eigenheiten, Charakter- und Verhaltensdefizite. Im Gegensatz dazu sind diese Eigenschaften und Verhaltensgewohnheiten angemessener als eine Last der Vergangenheit zu analysieren, die kollektiv getragen wird. Die Verantwortung für das Auftreten der Interaktionsprobleme wird „den Polen“ zugeschrieben. Es ist aber festzustellen, dass es sich hier um Manager-Fehler handelt. D.h. diese Probleme können verändert werden, wenn der West-Manager sein Verhalten ändert.
In diesem letzten Punkt unterscheiden sich die Probleme, auf die sich die nachfolgenden generellen Urteile beziehen, von denen, die hier analysiert wurden: Auch mit einem entsprechenden Wissen kann eine westliche Führungskraft die Kulturunterschiede, die jetzt angesprochen werden, allein durch sein Verhalten nicht verändern. 3.2.3 Klagen aus Unkenntnis über Polen als ein Schwellenland „Es gibt in Polen zumeist keinen Respekt vor dem Privateigentum anderer Leute“ Kontextinformation: In den Interviews haben vor allem deutsche Geschäftsleute Geschichten über Autodiebstahl erzählt. Zumeist handelte es sich um Firmenwagen – hochmotorisierte Limousinen –, die gestohlen wurden, ihnen selbst oder Kollegen. Einige zogen daraus die Konsequenz, den Firmenwagen zu Hause zu lassen; andere betonten den Rechtsstandpunkt: Sie dächten nicht daran, 78
gegenüber den Dieben „klein bei zu geben“ und würden auch weiterhin mit dem Firmenwagen (mit deutschem Kennzeichen) nach Polen fahren. Andere Geschichten, die mir erzählt wurden, handelten von Fällen von Diebstahl in der eigenen Firma: Polnische Manager in Führungspositionen bereicherten sich (in den erzählten Fällen) systematisch auf Kosten der eigenen Firma, die ganz oder teilweise im ausländischen Besitz war. In einem anderen Fall geschah dies in einem ehemaligen Staatsbetrieb (weiterhin im polnischen Besitz). Das für die Westler Erstaunliche war weniger das Faktum des Diebstahls. Erstaunlich war für sie das Fehlen von Unrechtsbewusstsein bei vielen (nicht bei allen) polnischen Bekannten und Kollegen, mit denen sie darüber gesprochen hatten: Man müsse eben acht geben, wo man den Firmenwagen parkt (wenn man ihn denn nicht zu Hause lassen will); und es gäbe eben polnische Manager, die in Fällen von Firmendiebstahl denken: “Ich hole mir nur von der Firma (bzw. von dem Staat) zurück, was die/der mir schuldig ist.“ Die im Westen gängige Erklärung, dass in den ehemaligen Staatsbetrieben eben jeder und damit: niemand Eigentümer dieser Betriebe gewesen ist, so dass sich auch kein Respekt vor Privateigentum entwickeln konnte, ist zu einfach. Die in den 80er Jahren durchgeführte Feldstudie von E. Firlit & J. Clopecki (1992) zeigt ein ganzes Spektrum verschiedener Aktivitäten, die in den untersuchten Betrieben üblich waren und Formen faktischen Diebstahls darstellten, aber nicht so genannt – und wohl auch nicht so verstanden – wurden: Wegnehmen, Organisieren, Gunsterweisungen, Schmieren usw. Aber im strikten Widerspruch dazu bestand eine persönliche Zuverlässigkeit, Hilfsbereitschaft und Aufrichtigkeit in den Netzwerken aus Familienangehörigen und Freunden. Sie boten dem Einzelnen den Schutz, der in dem autoritären System öffentlich nicht garantiert war. Für diese „Zerstörung öffentlicher Moral“ war nicht der bürokratische Sozialismus allein verantwortlich. Sie geschah bereits in der Zeit der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkrieges. Hierauf hat der polnische Soziologe K. Wyka (1992) hingewiesen. Die deutschen Besatzer hatten ein System errichtet, das die Polen, soweit sie nicht vertrieben oder physisch vernichtet wurden, geradezu dazu gezwungen hatte, bestehende (deutsche) Gesetze zu übertreten, um überleben zu können. Ich werde zum Abschluss (Kap. 7) auf die Studien polnischer Soziologen näher eingehen, die eine beklemmende Kontinuität des Systems der deutschen Besatzung Polens im 2 Weltkrieg und dem System des bürokratischen Sozialismus aufzeigen. Wie können wir den Kulturunterschied, der hier wirksam wird, begrifflich genauer fassen? Ich gehe im Weiteren davon aus, dass die folgenden Einstellungen und sozialen Werte charakteristisch sind für eine Gesellschaft mit einer (mehr oder weniger starken) sozialen Mittelschicht im westlichen Sinne: eine 79
öffentliche Moral; Gesetze, die eine höhere Autorität repräsentieren – nämlich einen Staat, in dem Interessen des Gemeinwohls gebündelt sind und der als Rechtstaat anerkannt ist; Staatsbürger, die ein Vertrauen gegenüber dem Staat besitzen, weil es „ihr Staat“ ist; ein individuelles Selbstbewusstsein, das auf individuellen Leistungen basiert (sowie auf der Zugehörigkeit zu der „richtigen“, nämlich der bürgerlichen, Klasse in Ländern mit einem starken Klassenbewusstsein) u.a.m.23 Die Besetzung durch fremde Mächte und die autoritären Systeme, die Polen in seiner jüngeren Geschichte erlitten hat, haben das Land in seiner kulturellen Entwicklung immer wieder zurückgeworfen bzw. blockiert – vor allem in der Entwicklung einer sozialen Mittelschicht (im westlichen Sinne).24 Mit dem Wechsel des ökonomischen und politischen Systems 1989/90 in Polen (Stichworte: Pluralisierung, Dezentralisierung, Privatisierung und Demokratisierung) hat auch die Entwicklung einer sozialen Mittelschicht eingesetzt.25 Dass eine entsprechende Mittelschicht-Kultur in dieser kurzen Zeitspanne bis heute nicht schon voll entwickelt sein kann, liegt auf der Hand. Mit dem Begriff „Übergangsland“ ist im Folgenden der Prozess des Übergangs von einer traditionellen zu einer modernen Gesellschaft gemeint. Dieser Prozess umfasst auch die Entwicklung einer Mittelschicht-Kultur.26 Das Denkschema von „Sie“ (die Fremden) und „Wir“ (die Polen), das ich eingangs (Kap. 3.1) beschrieben habe, und das wir auch in Rumänien und Bulgarien finden (vgl. Teil B), gehört in diesen Zusammenhang. Und ebenso die pragmatische Einstellung zu Regeln bzw. Gesetzen. Die westlichen Führungskräfte gehören aber überwiegend zur Mittelschicht ihres Landes. Sie sind – wenn sie davon ausgehen, dass die in ihrer Schicht selbstverständlichen sozialen Werte, Maximen, Handlungsgewohnheiten, Alltagskonzepte etc. auch in Polen gelebt bzw. angewandt werden – „geschockt“, wenn sie feststellen müssen, dass dies (zum Teil) nicht der Fall ist.
23 P. Bourdieu (1982) beschreibt in seiner Arbeit „Die feinen Unterschiede“ die vielfältigen Formen, in denen das französische Bürgertum den sozialen Distinktionsmechanismus praktiziert. 24 M. Sroda, polnische Soziologin und ehemalige Kulturministerin, vertritt die Auffassung, dass Polen nie eine solche Mittelschicht gehabt habe (mündliche Mitteilung). Dies ist historisch dann plausibel, wenn man darunter das Bürgertum im westlichen Sinn versteht, das durch den Sieg über die Aristokratie (in der französischen Revolution) gesellschaftlich an die Macht gekommen ist – und mit ihm das politisch umgesetzte Programm der Aufklärung. Eine vergleichbare Revolution fand in Polen nicht statt. 25 Diesen schwierigen Systemwechsel betont C. Rode (mündliche Mitteilung). 26 Dieser Begriff ist also nicht, wie dies im Zusammenhang von „transitory countries“ häufig der Fall ist, ausschließlich ökonomisch gefasst. Einen Überblick über die verschiedenen Konzepte von sozialer Mittelschicht, die in der Diskussion polnischer Soziologen nach dem Systemwechsel 1989/90 eine Rolle spielen, gibt J. Kurczewski (1994).
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Wir finden an dem obigen Urteil, das ja der Erklärung dienen soll, zwei der Fehlschlüsse, auf die wir im Zusammenhang der Unternehmenskultur gestoßen sind: Das, was „fremdartig“ oder „ungewöhnlich“ erscheint, wird fälschlich als „typisch polnisch“ aufgefasst; und dieses (von den eigenen Erwartungen Abweichende) wird nicht als eine Last der Geschichte erkannt, die kollektiv getragen wird – es wird mit einem Defizit-Konzept personalisiert und dann verallgemeinert – als handele es sich um eine negative Eigenschaft des Nationalcharakters. „Wenn es um Geld geht, darf man den Polen nie hundert Prozent trauen“ Kontextinformation: Berichte über falsche Abrechnungen; fungierte Spesenrechnungen; das Zurückhalten von Geldern, die eigentlich auszuzahlen sind etc. Dieses Urteil variiert das zuletzt besprochene. „Polnische Mitarbeiter kommen gern zu ihrem Chef, um sich bei ihm über ihre Arbeitskollegen zu beschweren.“ Kontextinformationen: Der West-Manager praktiziert in seinem Büro, wie in seinem Land auch, die „offene Tür“: Er ist zugänglich für jeden Mitarbeiter, der ihn sprechen will. Bald bemerkt er, dass die Mitarbeiter die „offene Tür“ nutzen zu ein- und demselben Zweck: Sie beklagen sich über Arbeitskollegen; bitten ihn, bei einem Streit zu schlichten u.ä.m. Der Westler ist ratlos. Er gewinnt den Eindruck, dass einige polnische Mitarbeiter bei den kleinsten Schwierigkeiten, die sie mit Kollegen haben, zu ihm kommen und um seine Hilfe bitten. Er käme kaum noch dazu, seine eigene Arbeit zu machen, wenn er jedes Mal einer solchen Bitte nachkommen würde. Der kulturelle Unterschied wirkt sich hier vor allem an dem inneren Bild von einem Vorgesetzten aus. Das ist für die meisten Polen paternalistisch gefasst. Es ist verankert in der bäuerlichen Tradition des Hausvaters, speziell des Landadels. Die Figur (und der Status) des Oberhaupts (des Patrons) spielt im Verständnis vieler Polen auch heute noch eine große Rolle, wenn es um die „Führungspersönlichkeit“ geht – in der Wirtschaft, in der Politik und in anderen sozialen Institutionen. Auch die Gruppen, Cliquen und Gangs des bürokratischen Sozialismus waren nach diesem Muster organisiert. Wir haben es also mit dem kulturspezifischen Muster einer familiären Organisation zu tun, das dem paternalistischen Führungsstil entspricht. Das „Sichüber-Arbeitskollegen-Beklagen“ ist eine Handlungsform, die hierzu passt. Denn die Mitarbeiter erwarten, dass der Vorgesetzte sich um ihre persönlichen Belange kümmert, so wie ein Hausvater dies mit seinen Familienangehörigen tut. 81
Andererseits ist es die Aufgabe der westlichen Führungskraft, ihren Führungsstil durchzusetzen, der sich gewiss von dem familiären Muster unterscheidet. Dazu gehört – auf weitere Details gehe ich später ein –, dass eine klare Regelung getroffen wird, wann und wie Mitarbeiter Beschwerden über andere vorbringen können, und welche Streitigkeiten von ihnen selbst zu lösen sind. Dies betrifft den Übergang von einer traditionellen zu einer modernen Gesellschaft. Ein wichtiger Unterschied zwischen traditioneller und moderner Gesellschaft besteht ja in der gesellschaftlichen Organisation von Macht. In ersterer ist sie an den persönlichen Status gebunden, in letzterer an das Gesetz bzw. an den Vertrag (z.B. an den Arbeitsvertrag). Auf dem Weg zur modernen Gesellschaft wird sich in Polen allmählich auch die Orientierung an der familiären Organisation von Macht hin zu der modernen Organisation verändern – aber dieser Prozess wird dauern. Und die damit verbundenen Probleme sind nicht unmittelbar mit dem Verhalten des WestManagers verknüpft. Dennoch kann er diese Herausforderungen, die mit dem Führungsstil zusammenhängen, durchaus lösen. Er kann einen Kompromiss finden zwischen der polnischen Erwartung eines „starken Chefs“ und den Leistungsstandards westlicher Organisationskultur (s. Kap. 4) „Polnische Manager verhalten sich sehr autoritär.“ (b) Kontextinformation: Die westliche Führungskraft stellt fest, dass polnische Kollegen mit deren Mitarbeitern ganz anders umgehen, als sie es von zu Hause aus kennt: nämlich „autoritär“. Wie schon in Kap. 2.3 erwähnt, macht der Kontext klar, dass „autoritär“ in den Klagen in zwei verschiedenen Bedeutungen gebraucht wurde In der Bedeutung (a) einer Absicherungsstrategie (die nicht als solche erkannt wurde) habe ich das generelle Urteil schon untersucht; auf die Bedeutung (b) eines paternalistischen Führungsstils (den viele Westler als „autoritär“ bezeichnen) gehe ich jetzt ein. Ein Kontextbeispiel: Der Direktor der Human Ressource Abteilung einer großen internationalen Firma erzählt mir ausführlich von seinen neuen Modellen der Evaluation, der Rekrutierung des Nachwuchses etc. Er tut dies sehr eloquent und entwickelt in sehr intelligenter Weise wichtige Argumente, die seine Modelle stützen können. Er verhält sich, wie man dies von einem Intellektuellen erwarten würde, der auf einem Fachkongress einen Vortrag hält. Ich habe mich gefragt: Wie kommt er in seiner Firma mit den Erwartungen zurecht, die Polen an einen „guten Boss“ haben? Dieses Thema war offenbar heikel, denn er wich wiederholt dieser Frage aus. Ein eher demokratischer Führungsstil, bei dem die Führungskraft als Moderator von Arbeitsgesprächen fun82
giert und Entscheidungen nur nach langen Diskussionen mit den Mitarbeitern getroffen werden, steht im krassen Widerspruch zu den Erwartungen, die von polnischer Seite an den „Boss“ gestellt werden. Die sind, wie schon gesagt, verankert in der Tradition des Hausvaters. Und diese Tradition ist stärker als der verbreitete Wunsch vieler Polen „endlich westlich“ zu werden, “im Westen anzukommen.“ Die westliche Führungskraft muss dies wissen. Denn sie kann nicht davon ausgehen, dass ein westlicher Führungsstil von den polnischen Mitarbeitern akzeptiert wird. Diese werden z.B. das Verhalten eines Vorgesetzten als Moderator einer Gruppendiskussion und als „Gleicher unter Gleichen“, wie dies besonders in skandinavischen Ländern üblich ist, eher ablehnen. Was geschehen kann, wenn der westliche „Boss“ diese traditionelle Führungsrolle verfehlt, zeigt das Folgende. „Die Polen haben keinen Sinn für Loyalität der Firma gegenüber, in der sie arbeiten.“ Kontextinformation: Die westliche Führungskraft stellt eine hohe Fluktuation der Mitarbeiter fest. Mitarbeiter verlassen die Firma zugunsten eines anderen Arbeitsplatzes auch dann, wenn sie dort nur ein geringes Mehr an Gehalt beziehen. Auch andere Anzeichen sprechen dafür, dass sich viele polnische Mitarbeiter, aber auch die polnischen Manager, gar nicht mit der Firma und deren Zielen identifizieren: Sie interessieren sich nicht für die spezielle Marketingstrategie ihrer Firma, deren besondere Dienstleistung etc. Auch bei diesen Interaktionsproblemen spielt das Denkschema von „Sie“ (die Fremden) und „Wir“ (die Polen) eine Rolle. Die Bindung an die Firma ist nicht stark, wenn die Mitarbeiter das Gefühl haben, das es nicht „ihre“ Firma ist, in der sie arbeiten. Und wenn ihnen – auf der Ebene des Management – auch keine Teilnahme an wichtigen Entscheidungen eingeräumt wird, obwohl sie die Fachkompetenz dafür besitzen – warum sollten die Polen eine Loyalität gegenüber der ausländischen Firma entwickeln? Zumal diese Firma nicht im Besitz von Polen ist? Man könnte hier einwenden: Aber die Polen schaden sich damit doch selbst! Immerhin ist es doch die Firma, in der sie arbeiten, um die es hier geht. Aber das ist ein westlicher Standpunkt – und einer, der die Wirkung von Kultur auf das Verhalten übersieht. Denn Kultur ist nicht nur rational – einfach deshalb, weil das Verhalten von Menschen nicht immer rational ist. Worüber die davon betroffenen Westmanager nicht gesprochen haben, ist ihr eigener Führungsstil. D.h. sie haben sich nicht weiter gefragt, ob es ihr Füh83
rungsstil sein könnte, der es den polnischen Mitarbeitern schwierig gemacht hat, eine Bindung an ihre Firma zu entwickeln auf der Basis von Vertrauen gegenüber ihrem westlichen „Boss“. „Die Polen haben keine Arbeitsmoral.“ Kontextinformation: Der West-Manager berichtet, wie unzufrieden er mit der Arbeitsweise vieler polnischer Mitarbeiter ist. Und da er nicht weiß, was er hier tun kann, um die Mitarbeiter dazu zu bringen, „besser zu arbeiten“, ist er nahe daran, zu verzweifeln: Die Qualität der Arbeit lässt immer wieder zu wünschen übrig; Liefertermine werden nicht eingehalten; einige Mitarbeiter kommen notorisch unpünktlich zur Arbeit etc. Dieses Urteil bezieht sich auf ein Strukturelement des Handelns, das in der Persönlichkeit, aufgrund der Erziehung, besonders tief verankert ist: die moralischen Standards bzw. Maximen, nach denen ein Handeln sich richtet. Wie ist diese Klage zu analysieren? Natürlich haben auch die Polen eine Arbeitsmoral. Aber diese ist anders beschaffen als die des Westlers, der sich hier beklagt. Wie weiter oben (Kap. 2.7) ausgeführt, ist es dieser Unterschied, der in der sozialen Interaktion mit Polen nicht als solcher erkannt wird. Vielmehr wird fälschlich auf der Grundlage von wiederholt als „Regelbrüche“ beurteilten Handlungsweisen auf das Nicht-Vorhandensein einer polnischen (Arbeits-)moral geschlossen. Klären wir zunächst den Begriff des Arbeitsethos. Das westliche Arbeitsethos hat drei Komponenten: von dem Betreffenden verinnerlichte Qualitätsstandards in dem jeweiligen Arbeitsfeld; eine Bemühung (Motivation), das Ergebnis einer jeweiligen Arbeit mit diesen Standards in Übereinstimmung zu bringen; und eine Berufsorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die professionellen Leistungsstandards zu pflegen und auf ihre Einhaltung zu achten. Im Ingenieurwesen hatte Polen noch nach dem Zweiten Weltkrieg eine entsprechende Fachorganisation, die sich dieser Aufgabe widmete. Sie wurde von der kommunistischen Partei als „elitär“ kritisiert und von innen heraus destruiert. Gleichzeitig wurden hohe Ämter – wie z.B. die Stellen der Richter – aus Gründen des Machterhalts mit Unqualifizierten neu besetzt und die Qualifizierten entlassen. Im bürokratischen Sozialismus war weniger die Fachqualifikation ausschlaggebend für eine Stellenbesetzung, sondern vielmehr die Loyalität gegenüber einer jeweils herrschenden Clique. Diese Wertorientierung hat sich bis heute bewahrt. Und erst allmählich entwickelt sich im Zusammenhang der Bildung einer neuen Mittelschicht in Polen auch ein Arbeitsethos im westlichen 84
Sinn. Wenn ein Westler das für ihn selbstverständliche Arbeitsethos für allgemein gültig hält und als Maßstab zur Bewertung der Arbeitsweise seiner polnischen Mitarbeiter verwendet, muss er notwendig enttäuscht werden. Die Klage, dass „Polen keine Arbeitsdisziplin haben“, ist dann die entsprechende (falsche) Verallgemeinerung dieser Enttäuschung. Was dabei übersehen wird, ist der Charakter der polnischen Arbeitsmoral. Selbstverständlich können auch Polen hart arbeiten – aber eben unter anderen Bedingungen als denen, die ein Westmanager als „normal“ voraussetzt. Vier Bedingungen können hier als notwendig angesehen werden.
Dem Polen müssen die Ziele einer Arbeit sehr klar sein. Der Nutzen, den eine Arbeit für ihn hat, muss ebenfalls sehr deutlich sein. Er muss sich vom Vorgesetzten persönlich respektiert fühlen. Der Vorgesetzte muss Eigenschaften haben, die ihn als „Vaterfigur“ ausweisen.
Die polnische Arbeitsmoral ist also viel enger mit dem Führungsstil des Vorgesetzten verbunden, als dies in den meisten westlichen Unternehmenskulturen der Fall ist. „Eine große Arbeitsbelastung können Polen nicht über einen längeren Zeitraum aushalten.“ Kontextinformation: Die Firma hat einen Auftrag erhalten, dessen Bearbeitung recht aufwendig und sehr zeitintensiv ist. Die westlichen Führungskräfte stellen nach einiger Zeit fest, dass viele der beteiligten polnischen Mitarbeiter die Konzentration verlieren, die „Dinge schlampig erledigen“, und einige melden sich krank. Diese Klage variiert das obige Thema der „fehlenden Arbeitsmoral“. Die Tatsache, dass inzwischen zigtausende Unternehmer und Unternehmerinnen in Polen geschäftlich erfolgreich sind, gründet ja noch keine soziale Mittelschicht. Dazu gehören Denk- und Verhaltensweisen – wie z.B. ein verinnerlichter Arbeitsethos, eine besondere Biographieplanung, ein früh gelerntes individuelles, auf eigenen Leistungen basierendes Selbstbewusstsein u. a. m. Hier sind die beiden kulturellen Zusammenhänge miteinander verbunden, deren Folgen für die Gegenwart viele Westler ratlos machen: eine erst in der Entstehung begriffene soziale Mittelschicht, und das Fortwirken des bürokratischen Sozialismus´. In seinem autoritären System war eine kontinuierliche Leistungsbereitschaft der Einzelnen, über deren Fehlen hier geklagt wird, gar nicht möglich (s.o.). 85
Dazu gehört auch der kulturelle Hintergrund des Urteils: „Man kann mit polnischen Mitarbeitern keine langfristigen Arbeitsziele festlegen.“ Dieses Urteil variiert das obige Thema. Tatsächlich kann der westliche Manager, der sich der entsprechenden Bildungs- bzw. Entwicklungsaufgabe stellt, hier leicht Abhilfe schaffen: Er kann längerfristige Arbeitsziele in Zwischenziele aufteilen. „Polen sind am Arbeitsplatz stärker an Personen als an den Aufgaben orientiert.“ Kontextinformation: Viele Westler stellten fest, dass das „Arbeitsklima“ in ihrer Firma (in Polen) sich von dem unterschied, das sie von Haus aus kennen: Mitarbeiter (auch manche polnische Direktoren untereinander) verhielten sich am Arbeitsplatz, als wären sie miteinander befreundet; persönliche Ereignisse aus der Familie wurden bei (oder neben) der Arbeit einander mitgeteilt; und gegenüber dem „Boss“ wurden die Erwartungen gehegt, die ich schon erwähnt habe. Diese nicht strikte Trennung von Beruflichem und Persönlichem kann auch Arbeitsabläufe in der Firma stören. Ein Beispiel: Eine Sekretärin telefoniert längere Zeit mit ihrer Großmutter in Danzig, ohne sich dabei klar zu machen, dass ihr Privatgespräch während dieser Zeit die Telefonleitung für Kundenanrufe blockiert. Das Urteil darüber kommt in der Weise zustande, dass der Westler das (für ihn selbstverständliche) berufliche Rollenmuster auf das Verhalten der polnischen Mitarbeiter anwendet. Und in diesem Muster sind Berufliches und Privates strikt voneinander getrennt. Dieses Rollenmuster professionellen Handelns ist charakteristisch für die soziale Mittelschicht (des Westens). Die Erwartung, „die Polen“ müssten sich doch danach richten, verkennt die Wirkung von Geschichte auf die Gegenwart. Auch diese Klage wendet ein Defizit-Konzept an, personalisiert es (als wäre das entsprechende Verhalten eine Art Charaktereigenschaft) und verallgemeinert es – als handele es sich um die Eigenschaft des polnischen Nationalcharakters. Dass dies ein Fehlschluss ist, macht der Vergleich mit Erfahrungen in Rumänien und Bulgarien deutlich (vgl. Teil B). „Ein Pole nimmt eine sachlich gemeinte Kritik an seiner Arbeit zumeist persönlich und fühlt sich dann beleidigt.“
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Kontextinformation: Nahezu jeder der Informanten (der Gruppe, die in einem „Kulturschock“ waren) berichtete von dieser Problemerfahrung: Obwohl es doch zu ihren Aufgaben gehört, Mitarbeiter auf Fehler aufmerksam zu machen, „um ihnen zu helfen“, wussten diese Manager nicht recht, wie sie es denn tun sollten. Denn sie merkten schnell, dass polnische Mitarbeiter (und ManagerKollegen) „empfindlich auf Kritik reagierten.“ Diese Klage übersieht den Zusammenhang mit der oben erwähnten kulturspezifischen Entwicklung des Landes. Wenn ein Mitarbeiter nicht strikt zwischen den ihm gestellten Arbeitsaufgaben und persönlichen Belangen trennt, dann muss er notwendigerweise eine Kritik an seiner Arbeit persönlich auffassen, und das heißt als Kränkung. Hinzu kommt, dass im bürokratischen Sozialismus nicht gelernt wurde, dass man aus Fehlern – und der Kritik daran – lernen kann. Im Gegenteil: Fehler mussten verdeckt werden, da sonst Sanktionen drohten (s. o.). Wie westliche Manager dennoch erfolgreich sein, können wird in Kap. 4 erläutert. „Es ist schwer, die Werte eines Unternehmens den polnischen Mitarbeitern zu vermitteln, mit einer Ausnahme: Geld.“ Soweit hier mit den „Werten eines Unternehmens“ dessen besondere Marktposition, die verschiedenen Strategien u. ä, gemeint sind, denen polnische Kollegen oder Mitarbeiter ein gewisses Desinteresse entgegenbringen, gilt hier die Analyse, die oben bezüglich eines konstatierten Mangels an Loyalität dargestellt wurde. Aber hier spielt auch eine andere häufig geäußerte Klage eine Rolle, nämlich die, dass viele Polen sich nur von Geld motivieren lassen. Diese Klage scheint auch eine Folge davon zu ein, dass auf westlicher Seite die „BedürfnisPyramide“ von A. Maslow (1989) als ein allgemein gültiger Maßstab zur Bewertung von Verhaltensmotiven gebraucht wird. Die Bedürfnis-Pyramide (nach A. Maslow) unterscheidet folgende Bedürfnisse: Das Bedürfnis, die Persönlichkeit und die eigenen Potentiale zu entwickeln Das Bedürfnis nach Anerkennung, Ruhm, Status und Prestige Soziale Bedürfnisse (nach sozialen Kontakten, Freundschaft und Liebe) Das Sicherheitsbedürfnis (Schutz vor Krankheit, das Bedürfnis nach einem sicheren Arbeitsplatz, das Bedürfnis des Wohnens) Körperliche Bedürfnisse (Hunger, Durst, Schlaf etc.) An der Spitze dieser Pyramide steht die Persönlichkeitsentwicklung – für Mittelschichtangehörige (bestimmter) westlicher Kulturen ein hoher Wert, und ent87
sprechend besteht auch ein Bedürfnis, diesem Wert in bestimmten Dimensionen zu folgen: der individuellen Lebensplanung, der beruflichen Karriere u.a.m. Aber in einem Land wie Polen, in dem viele damit vollauf beschäftigt sind, den täglichen Lebenskampf zu bestreiten, hat die Anwendung dieser Bedürfnispyramide auf die Verhaltensmotive der Bewohner etwas Irreales. So weit es die Entwicklung der beruflichen „Potentiale“ betrifft, mögen sich besonders junge polnische Mitarbeiter, Manager und Unternehmer darin wiederfinden, insofern ihnen bewusst ist, dass sie in bestimmten Wissensbereichen einen Nachholbedarf haben und sie bestrebt sind, „mit dem Westen gleichzuziehen“. Aber der Typus des bürgerlichen Individuums, auf den A. Maslows Pyramide ausgerichtet ist, ist nicht nur auf der Aneignung von Wissen begründet. Er leitet sein Selbstbewusstsein vor allem von Arbeitsleistung, Eigeninitiative, materiellem Besitz und (wie besonders in Frankreich und England) von der Zugehörigkeit zu der „richtigen“ sozialen Schicht ab – eben jene sozialen Werte, die im bürokratischen Sozialismus nicht anerkannt und deren Verwirklichung teilweise rigoros unterbunden wurde. Das Alltagskonzept „Geld“, das dem obigen Urteil zugrunde liegt, hat in verschiedenen Kulturen auch z. T. verschiedene Bedeutungen. Zwei Bedeutungen von „Geld“ in Polen sind hier besonders wichtig.27
Es ist als Gehalt, das man verdient, ein Symbol von Status und persönlicher Leistung. Es ist als Gehalt außerdem ein Symbol für die Wertschätzung, die einem entgegengebracht wird.
Beide Bedeutungen haben einen polnischen Kulturhintergrund, der den westlichen Managern für gewöhnlich fremd ist: Es ist der Selbstschutz von Geld als Überlebensstrategie. Geld und Geld-Verdienen in Polen sind eng verbunden mit dem Kampf ums Überleben als ein Lebenskonzept – ein Konzept, das ebenfalls historisch begründet ist. In der Sozialgeschichte Polens war das Überleben nämlich selten etwas, das den Bewohnern garantiert war. Sie mussten darum kämpfen. Und die Gefahr sozialer Katastrophen ist den meisten Polen bis heute gegenwärtig. Dieses Lebenskonzept steht im extremen Gegensatz z.B. zu dem Optimismus der US-amerikanischen Kultur. Einer meiner polnischen Interviewpartner (aus dem Bankwesen) hatte diese Klage von westlichen Arbeitskollegen häufig vernommen – und war im Interview empört darüber: Mit welchem Recht blicken diese Westmanager, die vor27
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Ich danke Dr. Hoser für die Information.
wiegend nach Polen gekommen sind, um dort sehr viel Geld zu verdienen, auf die polnischen Mitarbeiter herab, die täglich einen Überlebenskampf führen müssen? Das Strukturelement des Handelns, um das es hier geht – das Motiv des Arbeitens – ist für beide Seiten dasselbe: Geld zu verdienen. Der Unterschied besteht dann darin, dass die polnische Seite dieses Motiv nicht verbirgt, während die betreffenden Westmanager, von denen der Interviewpartner berichtet hat, es vor sich – und anderen – verbergen und, als wäre es ein niederer oder gar primitiver Anreiz zur Arbeit (was dann ihrer eigenen Selbstbeurteilung entsprechen würde) – diesen Anreiz den Polen zuzuschreiben. Die weitere Entwicklung Polens hin zur modernen Gesellschaft kann ein deutscher Geschäftsmann nicht von sich aus beschleunigen, hier muss er einfach Geduld zeigen – und es den Polen überlassen, welche Art von „Moderne“ sie denn selbst wollen. Gerade die junge Generation leidet in Polen unter einem Mangel an Zukunftsorientierung. Und es besteht kein Grund, ihnen dies als ihr persönliches Problem vorzuhalten. Vor allem fehlen, wie ich aus vielen Gesprächen weiß, im eigenen Land die Vorbilder für die Jugend. Ich will zum Schluss dieses Kapitels auf eine Beobachtung eingehen, die mir von vielen Informanten mitgeteilt wurde: „Das starke Bedürfnis der Polen nach Titeln und besonderen Positionen ist erstaunlich“ Zu dem schon genannten Selbstschutz vieler Polen gehört der ausgeprägte Sinn für Status und Titel. Weil für die westlichen Ausländer in ihrer Kultur soziale Sicherheit etwas Gegebenes ist, fällt es ihnen schwer zu erkennen, dass diese Sicherheit in Polen ein hoher sozialer Wert ist. Und eben dieser Sicherheit dient auch ein hoher formaler Status. So wird, um ein Beispiel zu geben, eine junge, gerade gegründete polnische Firma, auch wenn sie nur aus wenigen Geschäftleuten besteht, einen Präsidenten, einen Vize-Präsidenten, einen Finanz-Direktor, einen Exekutiv-Manager u.a. Positionen aufweisen. Dasselbe Sicherheitsbedürfnis war auch in dem autoritären System des bürokratischen Sozialismus wirksam – das obige Beispiel eines polnischen Managers, der in seiner neuen hohen Position um sich herum ein System der Absicherung seiner Position schafft, gehört in diesen Zusammenhang. Auf etwas andere Weise ist zu erklären, warum eine Polin, die die Arbeit einer Sekretärin tut, auf keinen Fall „Sekretärin“ sein will. Sie ist vielmehr eine Assistentin, auch wenn sie auf ihrer Stelle für dieselben Aufgaben verantwortlich ist wie die, um die eine Sekretärin im Westen sich zu kümmern hat. Wäh89
rend in westlichen Ländern mit der Berufsbezeichnung der Sekretärin durchaus Positives verbunden ist und viele Chefs wissen, was sie an einer guten Sekretärin haben, verbinden Polinnen mit dieser Bezeichnung gewöhnlich das Klischee eines blonden Dummchens, das beruflich gerade dazu in der Lage ist, Kaffee zu kochen. Auf einer solchen Position zu arbeiten, verbietet ihnen ihr Selbstbewusstsein. Was spricht dagegen, diesem Wunsch nach Titeln bzw. bedeutsam klingenden Positions-Bezeichnungen Genüge zu tun? Eigentlich nichts. Ich will jetzt auf eine Kommunikationsbarriere aufmerksam machen, an deren Errichtung beide Seiten, Polen wie Deutsche, beteiligt sind. Diese Barriere entsteht nicht aus Unkenntnis (insbesondere von Deutschen über Polen), sie entsteht aus einem anderen Grund. Auf der westlichen, also auch der deutschen Seite, habe ich in den Interviews erfahren, dass political correctness eine große Rolle dabei spielt, dass die betreffenden Geschäftsleute befürchteten, im Interview als intolerant oder engstirnig zu erscheinen, wenn sie mir ihre Frustrationen mitteilen wollten. Sie behandelten diese Frustrationen nicht als eine normale Phase eines Lernprozesses. Sie bewerteten die Kommunikation darüber vielmehr als „inkorrekt“. Das Beispiel in Kap. 2.4. hat dies sehr anschaulich gezeigt. Auf der polnischen Seite wiederum habe ich öfter festgestellt, dass man, was die Denk- und Handlungsweisen des beruflichen Alltags betrifft, schneller im Westen sein will, als man es faktisch schon ist. Damit trägt die polnische Seite ihren Teil dazu bei, dass die bestehenden Unterschiede gar nicht klar benannt werden. So entsteht eine Kommunikationsbarriere, die leicht verhindert, dass beide Seiten ihre kulturellen Unterschiede beim Namen nennen und wechselseitig berücksichtigen. Aber erst dann können beide Seiten erfolgreich zusammenarbeiten. Das ist ja eine notwendige Voraussetzung sozialer Interaktion: Das Sich- gedanklich – in die Position des anderen Versetzen, also zu lernen, die Dinge aus der Perspektive des anderen zu sehen. Erst wenn die Verschiedenheit berücksichtigt wird, kann auch ein gemeinsames Handeln entstehen. 3.3 Die wichtigste Klage von polnischen Managern über die Westler Einige Interviews, die in meinem Forschungsprojekt in Warschau mit polnischen Managern durchgeführt wurden, ergaben eine große Übereinstimmung in der Beurteilung der westlichen Manager als „arrogant“.
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Manager aus dem Westen verhalten sich durchweg arrogant gegenüber den Polen. Sie behandeln diese wie Menschen zweiter Klasse. Und sie glauben, sie wüssten alles besser als die Polen – sogar die Verhältnisse und Entwicklungen, die das Land selbst betreffen. Westmanager interessieren sich zu wenig oder gar nicht für ihre polnischen Mitarbeiter. Vor allem helfen sie diesen zu wenig, sich weiter zu entwickeln.
Die polnischen Klagen sind aufschlussreich – sie bestätigen die Analyse der generellen Urteile, die ich dargestellt habe, in zwei wichtigen Punkten:
Die häufig verwendeten Defizit-Konzepte in diesen Urteilen stufen „die Polen“ in der Tat herab. Viele dieser Urteile verweisen auf einen Management-Fehler, der damit zu tun hat, dass diese Westler ihre Aufgabe nicht wahrnehmen, den polnischen Mitarbeitern bei der Weiterentwicklung zu helfen.
In interkulturellen Seminaren, die ich für die Wirtschaft halte, habe ich oft festgestellt, wie schwierig es ist, sich eine fremde Kultur anzueignen. Nach dem, was ich eingangs sagte, ist das ja einleuchtend: Ein praktisches und implizites Wissen lernen wir nicht einfach wie das Vokabular einer Fremdsprache. Das machen sich aber viele Investoren auch aus Deutschland nicht klar. Sie glauben, sie haben keine Zeit, sich auf diesen Prozess einzulassen. Ich denke, das ist eine Erklärung dafür, warum wir, wie in der Einleitung erwähnt, jetzt wieder eine Rückkehr deutscher Unternehmer aus Polen verzeichnen: Sie haben sich einfach nicht die Zeit genommen und es nicht für notwendig gehalten, sich mit den bestehenden Kulturunterschieden zwischen Deutschen und Polen auseinanderzusetzen. Der wirtschaftliche Schaden, der dadurch selbst angerichtet wird, ist allerdings beträchtlich. Er sollte zu denken geben.
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4 Welcher Führungsstil ist in Polen erfolgreich?
Ich habe mehrfach darauf hingewiesen, wie wichtig für die westlichen Führungskräfte in Polen ein angemessener Führungsstil ist. Darauf soll jetzt näher eingegangen werden. 4.1 Was polnische Mitarbeiter von einem „guten Boss“ erwarten In den Interviews, die (mit Hilfe von Greg Allen) mit polnischen Managern durchgeführt wurden, ergibt sich ein recht klares Bild davon, was von polnischer Seite von einem „guten Boss“ erwartet wird. Zwei dieser Eigenschaften habe ich im Zusammenhang mit der polnischen Arbeitsmoral schon erwähnt:
Er muss den Mitarbeitern das Gefühl geben, persönlich respektiert zu werden. Er muss bereit sein, ihnen in ihrer beruflichen Weiterentwicklung zu helfen.
Ich will kurz erläutern, wie diesen Erwartungen konkret Rechnung getragen werden kann. In den Interviews mit polnischen Managern wurde häufig darüber geklagt, dass die westliche Führungskraft (der obersten Linie) sich nicht die Mühe macht, mit den einfachen Angestellten einige Worte zu wechseln. So einfache Fragen wie die nach dem Stand der Arbeit; sich zu erkundigen, ob es Schwierigkeiten gibt und ob man helfen könne – solche Worte wirken auf polnischer Seite oft Wunder hinsichtlich Motivation und Engagement. Viele Polen sind sich dessen bewusst, dass sie beruflich lernen müssen – und viele sind bereit, dies auch zu tun. Dazu brauchen sie einen Vorgesetzten, der ihnen hilft, sich weiter zu entwickeln, indem immer anspruchvollere Aufgaben an sie gestellt werden. Ich will zwei weitere Eigenschaften nennen, die einen „guten Boss“ für die Polen ausmachen.
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Er hat das nötige Fachwissen und ist auch bereit, es mit den Polen zu teilen. Er praktiziert einen paternalistischen Führungsstil.
Die westliche Führungskraft als „Vater-Figur“ – das ist tatsächlich, wie schon oben betont, eine Herausforderung für viele Westler, die – wie z.B. deutsche und skandinavische Führungskräfte – einen eher demokratischen Führungsstil von zu Hause her kennen. Was ist mit dem „paternalistischen“ Führungsstil in Polen genau gemeint? Zunächst einmal: eine starke Persönlichkeit. Sollte ein Westmanager meinen, er gewinne das Vertrauen seiner polnischen Mitarbeiter, indem er sich mit ihnen anfreundet, dann steht dies im Widerspruch zu den polnischen Erwartungen. Sodann sollte die Führungskraft den Untergebenen ein Beispiel geben – sie achten sehr darauf, ob der Westler selbst die Werte und Maximen umsetzt, die er von den Mitarbeitern erwartet. Schließlich muss die Führungskraft bereit sein, für die Mitarbeiter zu kämpfen wie eine Löwin für ihre Jungen – er ist für ihr Wohlergehen persönlich verantwortlich. Es mag Westmanagern paradox erscheinen, dass viele Polen, die lernen wollen, wie man „die Dinge nach westlicher Art tut“, auf diesen paternalistischen, d.h. vor-modernen Führungsstil nicht verzichten will. Aber man muss bedenken, dass sich etwas Neues nur auf der Grundlage des Alten entwickeln kann. Daraus folgt für die westliche Führungskraft in Polen: Sie muss in ihrem Verhalten anknüpfen an das, was die Mitarbeiter kennen, um sie schrittweise zu etwas Neuem zu führen. Wie kann dieser Prozess konkret eingeleitet und strukturiert werden? Führungsstile und der „Ein-Minuten-Manager“ Das folgende Modell von K. Blanchard & P. Zigarmi (1995) erscheint als besonders geeignet, die oben beschriebenen Management-Fehler zu vermeiden und den von polnischer Seite bestehenden Führungs-Erwartungen gerecht zu werden. Das Grundprinzip lautet:: Für den „Ein-Minuten- Manager“ gibt es nicht nur einen Führungsstil, sondern es gibt verschiedene Führungsstile. Diese unterscheiden sich entsprechend der verschiedenen Stufen der Entwicklung von Kompetenz und Arbeitsanstrengungen der Mitarbeiter. Diese Flexibilität der 94
Führungsstile ist der Schlüssel dafür, dass die Arbeitseffektivität in dem Unternehmen wächst.
Stufe der Entwicklung
Angemessener Führungsstil
E1 Geringe Kompetenz Starke Anstrengungen
S1 (Kontrollieren, Strukturieren, Lenken Überprüfen)
E2 Eine gewisse Kompetenz Geringe Anstrengungen
S2 Trainieren (Zeigen, wie eine Aufgabe zu lösen ist; als Trainer handeln) S3 Als „Sekundant“ handeln (Loben, Zuhören, Fördern) S4 Delegieren (Die Verantwortung für Routineentscheidungen abgeben.)
E3 Hohe Kompetenz Schwankende Anstrengungen E4 Hohe Kompetenz Starke Anstrengungen
„Kompetenz“ wird hier verstanden als eine Verbindung von Wissen und Fähigkeiten. „Anstrengung“ ist eine Verbindung von Motivation und Selbstsicherheit. Zur Erläuterung der Stufen Stufe 1: Permanente Kontrolle des Arbeitsfortschrittes, keine Kritik. Stufe 2: Vormachen, wie es gemacht wird. Es wird weiterhin gelenkt, aber der Manager beginnt, seine Entscheidungen zu erläutern, und er bittet um Vorschläge. Das Selbstvertrauen des Mitarbeiters muss gestärkt werden. Stufe 3: Der Manager wird der „Sekundant“ des Mitarbeiters. Allmählich geht die Verantwortung für die Arbeit auf den Mitarbeiter über. Dessen Selbstvertrauen muss weiterhin gestärkt werden.
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Stufe 4: Das Lenken und Unterstützen ist kaum noch nötig. Die Leistung des Mitarbeiters wird beobachtet. Auf dieser Stufe – wie auf Stufe 3 – kann Kritik hilfreich sein. Dieses Konzept bedeutet: „Loben jetzt und hier.“ „Klärung der Ziele jetzt und hier.“ „Kritik jetzt und hier.“ Die folgenden Merkmale des Konzepts des „Ein-Minuten-Managers“ sind von besonderer Bedeutung. 1.) Individuelle Differenzierung Ein Mitarbeiter kann sich zugleich auf der Stufe1 in dem einen Arbeitsbereich und auf der Stufe 3 in einem anderen Arbeitsbereich befinden. 2.) Prozess-Denken Während sich ein Mitarbeiter allmählich von Stufe 1 bis 4 entwickelt, ändert sich entsprechend auch der Führungsstil des Managers. 3.) Lob ist auf allen Stufen das wichtigste Mittel der Entwicklung. Das Gegen-Modell des „Ein-Minuten-Managers“ ist die Art zu führen, die vielen der oben erwähnten Management-Fehlern zugrunde liegt: Die westliche Führungskraft stellt den polnischen Mitarbeitern eine Arbeitsaufgabe – unabhängig davon, ob diese auch in der Lage sind, die gestellte Aufgabe ohne Hilfe durchzuführen; es wird ein Zeitrahmen zur Durchführung der Aufgabe festgelegt; und die Führungskraft überlässt anschließend die Mitarbeiter sich selbst. Nach Ablauf der Zeit werden dann die Mitarbeiter gebeten, die Arbeitsergebnisse vorzulegen. Genau diese Vorgehensweise ist für viele Polen, die wir interviewt haben, typisch für einen „schlechten“ Boss. Er erteilt verschiedene Arbeitsaufgaben und lässt sich danach nicht mehr blicken. Ein Extremfall dafür wurde uns aus einer Firma berichtet, die einen westlichen Direktor hat. Dieser erhielt –natürlich ohne es zu wissen – von den polnischen Mitarbeitern einen Spitznamen, der sehr treffend ist: Er wurde „Kebab“ genannt. D.h. er war zwar im Betrieb, aber man konnte ihn nicht sehen.
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4.2 Die Bildung von Vertrauen Von der Steigerung der Arbeitseffektivität abgesehen, ist der wichtigste Effekt des „Ein-Minuten-Managers“ unter den genannten Arbeitsbedingungen in Polen die Bildung von Vertrauen. Dieser Prozess ist in seiner Bedeutung kaum zu überschätzen. Mehrere Faktoren spielen hier zusammen. Da ist zunächst auf polnischer Seite ein schon vorhandenes Misstrauen gegenüber einer (neuen) westlichen Führungskraft. Warum sollten die Polen dem Westmanager trauen? Er ist keiner von ihnen. Er ist privilegiert. Und nach Ablauf einer gewissen Zeit wird er sie wieder verlassen. Außerdem steht er für die neue westliche Art, die „Dinge zu tun“, die die meisten Polen zwar lernen wollen, der sie aber andererseits aber auch mit einer gewissen Distanz gegenüber stehen. Wenn die westliche Führungskraft aber das Vertrauen der Mitarbeiter nicht gewinnt, ist sie mit einer unlösbaren Aufgabe konfrontiert: Ohne eine Vertrauensbasis ist es unmöglich, einen Betrieb – oder auch nur eine Abteilung – effektiv zu führen, weil die Einhaltung aller Regeln und Arbeitsabläufe persönlich gar nicht von der Führungskraft kontrolliert werden kann. Schließlich ist zu bedenken dass die polnischen Mitarbeiter – und nicht nur die über 40-Jährigen, sondern auch die Jüngeren – mit den Denkweisen und Werten einer Organisationskultur ja schon vertraut sind – der des „alten Systems“. Auf diese fallen sie zurück, wenn der Westmanager ihnen nicht zeigt, was es heißt, die „Dinge nach westlicher Art zu tun“. Und dazu brauchen sie Vertrauen. Denn warum sollten sie sich auf etwas Neues einlassen, wenn es unklar bleibt, worin es dem Alten überlegen ist? Der „Ein-Minuten-Manager“ stiftet dieses Vertrauen, weil er
konkret bei der Durchführung der Arbeit hilft, sich individuell jedem Mitarbeiter widmet, die Förderung der Mitarbeiter-Entwicklung zum Ziel hat.
Dieses Führungsmodell ist zeitaufwändig. Für jeden Mitarbeiter muss festgehalten werden, auf welcher Entwicklungsstufe – und in welchem Arbeitsbereich – er sich befindet. Aber die Chance, dass die polnischen Mitarbeiter die Anstrengungen mit einer Zunahme an Motivation, Arbeitseffektivität (Vertrauen gegenüber dem „Boss“ und der Loyalität gegenüber der Firma) belohnen, ist groß. Fazit: Arrogantes Verhalten gegenüber Polen ist für den West-Manager der sicherste Weg, langfristig der eigenen Firma schweren Schaden zuzufügen. 97
5 Kulturunterschiede westlicher Managementstile und ihre möglichen spezifischen Auswirkungen auf berufliche Interaktionen mit Polen
Bislang habe ich verallgemeinernd von „den Westmanagern“ gesprochen, um die bestehenden Kulturunterschiede zwischen ihnen und „den Polen“ zu verdeutlichen. Begründet war diese Verallgemeinerung durch entsprechende Informationen von beiden Seiten – von seiten der Westmanager wie von seiten der polnischen Manager. In den Interviews mit den Westlern standen die wahrgenommenen Unterschiede zwischen „den Polen“ und den westlichen Managern im Vordergrund; von polnischer Seite wurde verallgemeinernd von „den Westlern“ gesprochen und davon, „Dinge auf westliche Art zu tun“. Wir wissen aber, dass es „den westlichen Manager“ nicht gibt. Vielmehr unterscheiden sich westliche Managementstile ganz erheblich voneinander. Wie ist die Verallgemeinerung auf beiden Seiten zu erklären? Wenn die interviewten US-Amerikaner, Deutschen, Österreicher, Holländer, Italiener und Briten ganz ähnliche Klagen über „die Polen“ vorgebracht haben, dann legt das den Schluss nahe, dass die Kulturunterschiede, die zwischen ihnen bestehen, von geringerer Bedeutung sind als die Unterschiede, die zwischen „den Polen“ und den interviewten Managers aus dem Westen bestehen. Das ist insofern nicht erstaunlich, als die drei Kulturzusammenhänge, über die eine Unkenntnis bei den vom „Kulturschock“ betroffenen West-Managern besteht, keine Entsprechungen in ihren Kulturen haben:
die polnische Nationalkultur, bestimmte Denk- und Handlungsgewohnheiten der Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus; und die Entwicklung des Landes als eines Schwellenlandes, in dem eine soziale Mittelschicht (im westlichen Sinne) erst in der Entstehung begriffen ist.
Es gibt aber in der Wahrnehmung dieser Unterschiede zwischen „westlich“ und „polnisch“ Nuancen – und sie hängen mit den Kulturunterschieden der westli99
chen Managementstile zusammen, wie sie von P. Lawrence & V. Edwards (2000) auf der Basis mehrerer empirischer Studien dargestellt wurden. Auf polnischer Seite gibt es hierüber immer noch eine verbreitete Unkenntnis – die kulturellen Management-Unterschiede im Westen sind den meisten Polen bis heute einfach nicht bekannt. Es bestehen also Nuancen, Modifikationen und Differenzierungen in den oben analysierten Interaktionsproblemen als Folgen der kulturellen Unterschiede innerhalb der westlichen Management-Stile. Teilweise sind diese in den vorhandenen Daten auch festzustellen. Wo ich mich im Folgenden nicht auf diese Daten der Interviews stützen kann, werde ich auf der Grundlage der obigen Analysen der Klagen jeweils eigene Überlegungen hierzu darstellen. Es ist eine Aufgabe zukünftiger Untersuchungen, die Frage genauer zu klären, inwiefern ein spezifischer westlicher Managementstil spezifische interkulturelle Missverständnisse oder gar Interaktionskrisen im Kontakt mit Polen hervorrufen kann, die andere Managementstile so nicht hervorrufen. 5.1 Das US-amerikanische Management Handlungsfreude („proacticity“) Der berühmte amerikanische Optimismus, in Verbindung mit dem hohen sozialen Wert der Individualität und dem in der Verfassung verankerten „Recht auf Glück“, ist die wichtigste kulturelle Grundlage dafür, dass die Handlungsfreude, die Neigung, in jedem Fall etwas zu tun, ein allgemeines Merkmal des amerikanischen Managements ist. Auch in Situationen, in denen gar nicht klar ist, was man tun sollte, wird ein Amerikaner immer irgendetwas tun. Dieser Optimismus und die Handlungsfreude stehen in Kontrast zu vielen europäischen Kulturen – vor allem auch zur Disposition vieler Polen. Aus ihrer Geschichte haben sie zumeist eine Skepsis gegenüber der Zukunft abgeleitet. Eine Ausnahme bilden hier vielleicht die polnischen Jungunternehmer und die jungen hochqualifizierten polnischen Manager, die einige Zeit in den USA gelebt und/oder eine amerikanisch geprägte Wirtschaftshochschule besucht haben. Es scheint, dass für diese jüngere Generation die amerikanische Handlungsfreude durchaus etwas Bewundernswertes hat, dem viele junge polnische Manager nacheifern. Die neuen Möglichkeiten, die ihr im Umbruch befindliches Land ihnen bietet, stehen dann für sie im Vordergrund. Ein wichtiges Element der amerikanischen Konzentration auf das Handeln ist die Überzeugung, dass zur Erreichung wünschenswerter Ziele die dafür geeigneten Mittel immer irgendwie auch verfügbar sind, dass Dinge eben auch 100
machbar sind, wenn man nur einmal angefangen hat, auf ein Ziel hin zu arbeiten. Das schließt eine gewisse Toleranz ein, dass auch etwas schief gehen kann. Das Lern-Prinzip von Versuch und Irrtum ist hier grundlegend – im Unterschied zu vielen europäischen Kulturen, in denen ein Fehlschlag eines Projekts Anlass dafür ist, sich zu schämen. Die strikte Ausrichtung von Arbeitsschritten auf die Lösung – mag diese perfekt sein oder nicht – unterscheidet den amerikanischen Stil der Teamarbeit z.B. von dem deutschen. Ich bin darauf in Kap. 1.2 bereits eingegangen. Der besondere Kommunikationsstil, der mit der amerikanischen Konzentration auf das Handeln verbunden ist, kann für Polen ein Problem in der Kooperation sein: Der sachliche, auf den Informationsaustausch konzentrierte Stil des Sprechens unterscheidet sich deutlich von der polnischen Kommunikationsform, die am Arbeitsplatz den sozialen Status des Gesprächspartners berücksichtigt und selten „direkt auf den Punkt kommt“. Einen – für viele Polen immer noch selbstverständlichen – Respekt vor dem höheren Status des Vorgesetzten ist in amerikanischen Firmen unüblich. Eine polnische Sekretärin, die ihrem polnischen Chef sagt: „Ich gehe jetzt Mittagessen“, würde in ihrem Verhalten als unhöflich wenn nicht gar als frech beurteilt werden. Nicht so in den USA – was nicht bedeutet, dass dort nicht das bestehende Machtgefälle respektiert wird. Aber der Respekt vor dem sozialen Status, der in manchen europäischen Kulturen – und vor allem auch in Polen unter dem Einfluss des autoritären Systems des bürokratischen Sozialismus – ein „Muss“ ist, widerspricht dem amerikanischen Gleichheitsprinzip und der gemeinsamen Ausrichtung auf das aktive Problemlösen. So sind denn auch Rückfragen, kritische Einwände und das Entwickeln einer Gegenposition in amerikanischen Arbeitsbesprechungen akzeptiert – für polnische Manager eine Kommunikationsform, die sie oft erst noch lernen müssen. Strategie Die Festlegung von Unternehmenszielen – oft kühn und zumeist quantifiziert – ist charakteristisch für amerikanische Firmen. Und der jeweilige Geschäftsführer nimmt seine Verantwortung für die Strategie, mit der diese Ziele erreicht werden sollen, sehr ernst. Entsprechend hat er/sie ein (zumeist quantifizierbares) Wissen über die relevanten Märkte und Segmente, über mögliche zukünftige Szenarien. Die Schlüsselfaktoren für den Geschäftserfolg können für gewöhnlich ohne Schwierigkeiten aufgezählt werden. Auch hier ist der Unterschied zum Denken und Verhalten des alten autoritären Systems in Polen offensichtlich. Der Geschäftserfolg und die langfristige Strategie, diesen zu erreichen, waren für den bürokratischen Sozialismus nicht 101
von Bedeutung. Die Herausforderung für polnische Manager ist hier besonders groß. Systeme der Formalisierung Amerikanische Unternehmen haben häufig genau festgelegte formale Verfahren für einen weiten Bereich von Aktivitäten – nicht nur für verschiedene Kontrollaufgaben im Bereich der Finanzen und des Budgets, sondern z.B. auch in der Personalverwaltung (Verfahren zur Abwicklung von Stellenbewerbungen, zur Bestimmung von Gehaltsstufen etc.) und natürlich auch zur Überprüfung von Arbeitsfortschritten. Diese Vorliebe für festgelegte Verfahren stellt in Polen eine besondere Herausforderung dar, wenn wir die oben erläuterte polnische Tendenz berücksichtigen, „von oben“ kommende Regeln als etwas zu behandeln, was nicht „von uns“ (den Polen) kommt. Ein für bestimmte Arbeitsabläufe festgelegtes System wird dann leicht als „fremd“ und als ein Objekt für eine (verdeckte) Obstruktion seitens der polnischen Mitarbeiter angesehen. Amerikanische Manager müssen hier eine Aufgabe ernst nehmen, die sich ihnen in amerikanischen Firmen gar nicht in dieser Weise stellt – den beteiligten Polen zu erklären, welchen Nutzen ein jeweiliges System – z.B. im Bezug auf den Arbeitserfolg – hat. Sie müssen überzeugend sein – und eventuell auch offen für Vorschläge, ein System zu verbessern. Versäumen sie diese Aufgabe, dann werden sie ein Verhalten auf polnischer Seite beobachten können, das der Inhalt der entsprechenden Klagen über „die Polen“ ist: Diese würde keine Arbeitsdisziplin kennen, seien zu individualistisch etc. 5.2 Das deutsche Management Technik Charakteristisch für deutsches Management ist der hohe Wert, den die technische Qualität der Produkte eines Unternehmens genießt. Wenn Vertreter deutscher Firmen nach den Ursachen ihres Erfolges gefragt werden, dann reden sie zumeist über ihre Produkte, nicht aber über das Marketing, die Finanzen oder die Strategie. Dieses Technik-Ethos zeigt sich auch darin, dass deutsche Manager, die im technischen Bereich einer Firma arbeiten, oft eine höhere Qualifikation haben als Manager im betriebswirtschaftlichen Bereich; und dass Manager, die im Ingenieurwesen qualifiziert sind, zwar zunehmend auch Aufgaben in den nicht102
technischen Funktionen übernehmen können (Verkauf, Personal etc.), aber nicht umgekehrt: Nicht-Ingenieure übernehmen keine technischen Funktionen. Auch die Wertschätzung, die der Facharbeiter genießt, gehört zu diesem TechnikEthos. Eine Untersuchung von H. Simon (1996) über die „heimlichen Gewinner“ in Deutschland kommt zu dem Schluss, dass die untersuchten mittelständischen Firmen, die alle Marktführer in ihrem jeweiligen Industriezweig waren (und zwar weltweit), diesen Erfolg vor allem der Technologie ihrer Produkte verdankten. Spezialisiert in bestimmten Marktnischen, waren diese Firmen nicht an Produkt- und Geschäft-Diversifikation interessiert, sie suchten keine strategische Allianz mit anderen Firmen – sie setzten vielmehr alles daran, die technische Qualität des Herstellungsprozesses zu verbessern. Diese – im deutschen Ingenieurwesen begründete – hohe Wertschätzung der Technik kann eine Problemquelle im Kontakt mit polnischen Geschäftsleuten und polnischen Mitarbeitern sein. Denn es besteht die Neigung, die große Bedeutung von persönlichen Beziehungen zu unterschätzen, und zwar sowohl in Geschäftsverhandlungen mit polnischen Geschäftsleuten, als auch im Umgang mit polnischen Mitarbeitern Das Spezialistentum Managementstile können dahingegen unterschieden werden, ob die entsprechenden Aufgaben in Begriffen des Spezialisten oder des Generalisten bestimmt werden. Aus amerikanischer Sicht – und z.B. auch aus britischer – ist der Manager ein Generalist: Da die verschiedenen Manageraufgaben unter dem Gesichtspunkt ihrer Gemeinsamkeiten gesehen werden, beruht die Fähigkeit, diese zu meistern, auf bestimmten persönlichen Fertigkeiten, auf gewissen Charaktereigenschaften und auf erlernten Kompetenzen. Mit hinreichender Tatkraft, Energie und Ehrgeiz und der Handhabung der Managementsysteme im Unternehmen kann ein amerikanischer Manager im Prinzip alles „managen“. Im Unterschied dazu hat der deutsche Manager einen Hang zum Spezialistentum. So werden z.B. bei der Bewerbung auf einen Managerposten in Deutschland neben den allgemeinen Qualifikationen, die auch im Angelsächsischen erwartet werden, ganz spezifische Erfahrungen und Wissensbereiche verlangt. Dieses Selbstverständnis als Spezialist kann dem deutschen Manager in Polen im Wege stehen, wenn er in Geschäftskontakten – oder unter polnischen Kollegen in seiner Firma – einen Partner sucht, den er als kompetent akzeptieren kann. Denn er ist gewohnt, dass dieser Partner ebenfalls ein Spezialist ist. Er wird in Polen dann oft vergeblich nach einem solchen suchen. 103
Das Führungsmodell Der amerikanische Manager leitet die Arbeitsgruppe im Sinne einer „transaktionalen“ Führung: Er motiviert, gibt ständig ein Feed-back und delegiert Verantwortungen. Der deutsche Manager hingegen verhält sich wie ein Moderator und entscheidet nur im Konfliktfall. Den Erwartungen, die von polnischer Seite an einen „guten Boss“ gerichtet sind, entspricht eher das amerikanische, denn das deutsche Führungsmodell – ein Chef, der sich als Moderator eines Teams verhält, wird es schwer haben, von den Polen akzeptiert zu werden (vgl. Kap.4.2.2). Allerdings setzt das amerikanische Prinzip, Verantwortungen zu delegieren, voraus, dass die Mitarbeiter sowohl die nötige Fachkompetenz als auch die entsprechende Motivation mitbringen. Hier kann der „Ein-Minuten-Manager“ helfen, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen. 5.3 Das britische Management Führungsmodell Die hohe Wertschätzung, die britische Manager der Führung entgegen bringen drückt sich u. a. darin aus, dass sie in einer Studie über kulturelle Managementstile der Feststellung „ Management und Führung sind ein und dieselben Termini“ vollkommen zustimmten – die befragten Deutschen und Franzosen lehnten diese Feststellung hingegen ab. Während Amerikaner eine Führungsperson eher als die Verkörperung der Unternehmensleistung sehen, wird ein britischer Manager eher als Verkörperung der richtigen sozialen Werte angesehen. Die Befähigung zum Management ist daher vor allem eine Sache persönlicher Qualitäten, insbesondere sozialer und politischer Fertigkeiten. Informeller Stil und britischer Humor Obwohl Konservatismus und Klassenbewusstsein hochrangige soziale Werte der Briten sind, ist das britische Management im Auftreten und sozialen Verhalten keineswegs förmlich. In der Anrede werden Titel nicht häufig verwendet; man redet sich mit Vornamen an, und zwar sowohl unter Gleichen als auch über die Ränge der Hierarchie hinweg. Es gibt, von den Bankiers abgesehen, keine spezielle förmliche Berufskleidung. 104
Britische Manager, auch Geschäftsführer, verfolgen die Politik der „offenen Tür“. Ganz allgemein steht das britische Management dem amerikanischen näher als jedem anderen in Europa. Dies betrifft nicht nur den weithin fehlenden Respekt vor dem Status in Organisationen, sondern auch die hohe Wertschätzung von Strategie als ein Weg, den Geschäftserfolg auch in der Zukunft zu organisieren. Auch am Arbeitsplatz, bei Meetings und anderen Gelegenheiten pflegen Briten ihren Sinn für Humor. Er dient mehreren Aufgaben (vgl. Barsoux 1993):
Humor dient dazu, Spannungen abzubauen. Er hilft bei Geschäftsbesprechungen, zu Beginn ein gutes Verhältnis unter den Beteiligten herzustellen. Er baut eine Gruppen-Solidarität auf. Humor bietet eine Möglichkeit, mit Fehlern oder Enttäuschungen fertig zu werden. Er erleichtert die Kritik „nach oben“. Humor bietet einen Weg, ungewöhnliche Ideen vorzubringen (die bei Ablehnung mit dem Hinweis „Nur ein Witz“ zurückgenommen werden können.) Hohe Toleranz gegenüber Unsicherheit
In der weiter oben (Kap.1.1) diskutierten Studie von G. Hofstede (1980), die Angestellte von IBM in einer großen Anzahl von Ländern erfasst hat mit dem Ziel, die sozialen Werte der jeweiligen nationalen Kultur zu ermitteln, haben die Briten eine geringe Tendenz zur Vermeidung von Unsicherheit gezeigt – anders ausgedrückt: Sie zeigten ein hohe Toleranz gegenüber Zweideutigkeit (Ambiguität) von sozialem Verhalten, von Situationen, von Regeln, von sprachlichen Äußerungen. Darin standen sie noch etwas höher in der Rangfolge als die USAmerikaner, viel höher als die Deutschen, und sehr viel höher als die Franzosen. Man kann dieses Ergebnis interpretieren als Hinweis auf einen ausgeprägten Realitätssinn, der weder auf die Autorität von Spezialistenwissen baut, noch auf anerzogene Cleverness oder die Überlegenheit rationaler Entscheidung. Die Aufgabe, Situationen mit Klugheit zu managen, steht für britische Manager im Vordergrund. Die genannte Toleranz drückt sich auch im britischen Kommunikationsstil aus. Für ihn gilt nicht (wie im französischen Kulturraum) die Tugend der Präzision; auch nicht (wie im Deutschen) die Tugend der Explizitheit; oder (wie in Amerika) die der Direktheit. Welche besonderen Kooperationsprobleme, die mit diesen kulturellen Besonderheiten des britischen Managementstils zusammenhängen, können im 105
Kontakt mit Polen auftreten? Aus der Nähe des britischen Managements zum amerikanischen folgt, dass die möglichen Missverständnisse und Interaktionsprobleme, die der amerikanische Stil nach sich ziehen kann, auch für den britischen gelten – also z.B. Konflikte hinsichtlich der geringen Wertschätzung von Statusfragen. Andererseits scheinen der britische Realitätssinn und die hohe Toleranz gegenüber Unsicherheit der polnischen „Improvisationskunst“ und der pragmatischen Einstellung zu Regeln entgegenzukommen. Dass es vor allem darauf ankommt, Situationen zu managen und nicht so sehr darauf, sich auf ein Spezialistenwissen zu verlasen, würden wohl auch viele polnische Manager bestätigen. 5.4 Das französische Management Die Elite Französische Manager – „les cadres“ – bilden als eine soziale Gruppe eine Erziehungselite. Zu dieser Elite zu gehören ist mit einem ganz bestimmten Geschmack und mit sozialer Unterscheidung verbunden. Die große Bedeutung, die in Frankreich der „richtigen“ schulischen Ausbildung zukommt, trifft auch auf die Manager zu. Sie sind die „Star-Schüler“. Die richtigen Hochschulen besucht und die zahlreichen Examina mit Bravour bestanden zu haben, ist das wichtigste Auswahlkriterium in Frankreich für die nationale Elite, sowohl für die politische als auch für die wirtschaftliche und administrative. Die Mehrheit der Führungskräfte in Politik, Wirtschaft und Verwaltung hat einen Abschluss an einer „grande ecole“. Diese Elite ist erstaunlich einheitlich. Man spricht dieselbe Sprache, hat dieselben Werte und denselben Kommunikationsstil. Französische Stärken Das französische Erziehungs- und Ausbildungssystem fördert die Entwicklung bestimmter intellektueller Fähigkeiten – der Exaktheit, der Analyse und der Synthese, der logischen Konsistenz und Klarheit der Argumentation. Die hohe Wertschätzung der Kommunikation, geschriebener wie gesprochener, lässt französische Manager rhetorisch brillieren – die Sprache ist für sie nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch ein Nachweis von Stil und Witz.
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Neben einer Hochschätzung des Ingenieurwesens haben französische Manager stets auch eine beträchtliche Allgemeinbildung – im Unterschied zu der eher eng aufs „business“ konzentrierten angelsächsischen Welt. Das französische Verständnis von Management Management-Aufgaben werden als intellektuelle Aufgaben betrachtet: Es geht um Analyse, formale Entscheidungsfindung, um die Fähigkeit, komplexe Themen schnell zu meistern und rationale Urteile darüber abzugeben. Dies wird für wichtiger gehalten als die eher „bodenständigen“ Themen wie die, Entscheidungen „zu verkaufen“, Hindernisse wegzuräumen, Motivation aufrecht zu erhalten und Leute dazu zu bewegen, in Projekte zu gehen. Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen dem Generalisten und dem Spezialisten hat Frankreich einen generalistischen Blickwinkel. Aber er unterscheidet sich sowohl von der amerikanischen wie von der britischen Auffassung. Der französische Manager ist eher ein intellektueller Generalist (während die amerikanische Sichtweise Tatkraft, Ehrgeiz, Energie und soziale Kompetenz betont; und die britische Persönlichkeit, soziale Fertigkeiten und Führungseigenschaften). Arbeitsbeziehungen In Frankreich sind die Arbeitsbeziehungen formaler als in anderen westlichen Ländern, sie sind unpersönlicher und auch hierarchischer. Die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben wird recht genau beachtet, Arbeitsbesprechungen nach der Arbeit sind eher selten. Status-Unterschiede werden betont. Französische Manager neigen dazu, sich selbst und ihre Autorität ernster zu nehmen als z.B. die britischen Manager. Arbeitstreffen spielen eine große Rolle, sie werden gleichsam als Essenz der Manager-Aufgabe betrachtet – als die einzige Art und Weise, dafür zu sorgen, dass Dinge getan werden. Arbeitsgruppen (Teams) sind arbeitspezifisch, sektionsspezifisch und funktionsspezifisch. Leute von verschiedenen Hierarchie-Ebenen und verschiedenen Management-Abteilungen werden nicht in ein Team gebracht – im Unterschied z.B. zur amerikanischen Idee des „task force“, wo Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen und verschiedenen Ebenen zusammen kommen, um sich einem Ziel zu widmen. Auch wenn eine recht strikte Regel-Orientierung in französischen Unternehmen herrscht, sollte man die gegenläufige Fähigkeit zur kreativen Zwanglosigkeit und intelligenter Regelverletzung nicht unterschätzen. 107
Die genannten Eigenschaften lassen die französischen Manager als besonders anfällig dafür erscheinen, im Kontakt mit Polen als „arrogant“ beurteilt zu werden. Das elitäre Selbstbewusstsein kann es für Franzosen schwierig machen, polnische Kollegen überhaupt als gleichrangig zu behandeln. Hinzu kommt, dass die weithin in Polen (noch) nicht vorhandene soziale Mittelschicht den französischen Managern etwas vermissen lässt, was sie in Frankreich selbstverständlich praktizieren: die Fähigkeit der sozialen Unterscheidung, in der sich Geschmack und Stil ihrer Gruppe dokumentiert und sie von „den anderen“ (Plebs, Kleinbürger) sozial abhebt. Es wäre eine interessante Aufgabe weiterer Untersuchungen, der Frage nachzugehen, wie französische Manager mit dieser interkulturellen Herausforderung fertig werden – und wie die polnischen Kollegen mit den Franzosen kooperieren. 5.5 Das holländische Management Holländische Werte Unter dem Einfluss der calvinistischen Tradition werden exzessiver Individualismus, Exzentrik, übertriebener Ehrgeiz und Stolz abgelehnt – hoch bewertet werden Sachlichkeit, Selbstbeherrschung und Arbeitsleistung. Es besteht eine starke Verpflichtung gegenüber dem Gleichheitsprinzip in der holländischen Gesellschaft. Trotz einer Tendenz zum sozialen Konformismus werden Unterschiede – regionaler, politischer und individueller Art – stets ernst genommen und geachtet. Parallele von Management und Gesellschaft Ebenso wie in Deutschland die Aktiengesellschaften, haben auch die großen holländischen Firmen einen Aufsichtsrat und einen Vorstand, und es besteht ebenfalls ein System industrieller Demokratie – mit starken Gewerkschaften und einem Betriebsrat in den Unternehmen. Im Gegensatz zu den amerikanischen und britischen Managern sind die holländischen nicht sehr mobil. Als Folge einer starken Loyalität gegenüber den Angestellten gilt das Auswechseln von Angestellten als schlecht (im moralischen Sinne) – es ist ein Zeichen mangelnder Verantwortung, persönlicher Labilität, übertriebenen Ehrgeizes und Profitgier. Vor dem Hintergrund des Gleichheitsprinzips und anderer Werte, die zum calvinistischen Vermächtnis gehören, wird der holländische Managementstil verständlich: Der holländische Manager ist unprätentiös im Auftreten, ein Per108
sönlichkeitskult wird vermieden. Er bemüht sich, fair, freundlich und zuverlässig zu sein – wie alle anderen Holländer auch. Und man legt Wert auf Pünktlichkeit (ähnlich wie in Deutschland). Der Kommunikationsstil ist moderat – ein exzessiver Aufwand an Überredung oder dynamischer Handlungsfreude ist unüblich. Ausgeprägt ist die Anti-Korruptions-Ethik: Das Fehlen von Korruption in Holland wird oft von Holländern als etwas erwähnt, das holländisches Management von dem Management in (vielen) anderen Ländern unterscheidet. Der holländische Managementstil ist pragmatisch – er ist weder theoriegeleitet noch doktrinär. Die Türen der Geschäftszimmer der meisten Manager stehen die ganze Zeit offen. Es wird Wert gelegt auf ein freundliches Arbeitsklima und eine angenehme Umgebung. Das informelle System in den Unternehmen und die Netzwerke persönlicher Beziehungen sind typisch für Holland. Die Netzwerke haben, unabhängig von der formalen Organisationsstruktur, eigene Kommunikationskanäle und eigene Normen und dienen der wechselseitigen Hilfe und Unterstützung. Internationalismus Im Gegensatz zu vielen Amerikanern erheben Holländer im Ausland nicht den Anspruch, spezifisch holländisch sein zu wollen. Die eigene KolonialGeschichte; die große Zahl der internationalen Unternehmen im Lande; die starke Export-Orientierung holländischer Manager; die Erfahrungen im Welthandel und die weit verbreiteten Englischkenntnisse machen holländische Manager im Ausland zumeist auch sozial anpassungsfähig. Die holländische Geschäftsfrau, die 6 Jahre in Polen gelebt und gearbeitet hatte und mir zur Begründung ihrer Entscheidung, Polen zu verlassen, sagte: „Alle Polen sind Betrüger. Sie sind alle Lügner und von Grund auf faul.“ – war unter den interviewten Holländern eine Ausnahme. Die Erfahrung, dass die calvinistischen Werte in Polen keine Geltung haben, werden holländische Manager vermutlich auch gemacht haben – ebenso wie diese Geschäftsfrau. Aber sie haben, anders als diese, daraus nicht den Schluss gezogen, dass man „in diesem Land nicht arbeiten kann.“ 5.6 Lösungsstrategien interkultureller Kooperationsprobleme Ich will abschließend einige Lösungsstrategien erörtern, die bei Konflikten zwischen Eigenschaften einer nationalen Managementkultur und Eigenschaften und Gegebenheiten einer anderen Kultur – wie im Falle Polens – gewählt werden 109
können. Es bleibt, wie schon betont, weiteren Untersuchungen vorbehalten, dieses Thema zu vertiefen. Konfliktlösung durch Macht: Es wird erwartet, dass die polnische Seite sich an die jeweilige westliche Managementkultur anpasst. Diese Strategie scheint von amerikanischen Managern bevorzugt zu sein. Diese Strategie hat den Nachteil, dass die komplexen Zusammenhänge von polnischer Nationalkultur, dem Vermächtnis des autoritären Systems des bürokratischen Sozialismus und der Umbruchssituation des Landes nicht hinreichend berücksichtigt werden. Konfliktlösung durch Vermeidung: Die Kontakte zwischen den Kulturen werden möglichst vermieden. Diese Strategie wird offenbar in manchen Unternehmen praktiziert, bei denen die westliche Organisationskultur auf der obersten Führungsebene anerkannt ist, während die Ebenen darunter eine polnische Organisationskultur haben. Konfliktlösung durch einen Kompromiss: Jede Seite versucht, sich den Erwartungen der anderen Seite anzunähern. Konfliktlösung durch die Erkenntnis der bestehenden Kulturunterschiede: Vor- und Nachteile der bestehenden Kulturunterschiede werden klar registriert hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die gemeinsame Arbeit. In einem ganz pragmatischen Sinne werden daraus Folgerungen zur Verbesserung der Kooperation gezogen. Konfliktlösung durch “Synergie”: Die Partner suchen nach neuen Wegen der Zusammenarbeit, indem sie produktive Elemente verschiedener Kulturen miteinander verbinden. Strategische Überlegungen dieser Art haben sicher einen wichtigen Stellenwert im modernen Management. Allerdings ist auch zu bedenken, wo die durchaus produktiv gemeinten, auf einen Kompromiss und eine Synergie abzielenden Strategien ihre Grenze finden können: an den Denk- und Handlungsgewohnheiten, die tief in der Tradition verankert sind. Dies ist bei den oben dargestellten Kulturzusammenhängen Polens der Fall. Die berühmte amerikanische Handlungsfreude wird sich hier in Geduld üben müssen.
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6 Die Geschäftsanbahnung: Auf der Suche nach einem seriösen Geschäftspartner28
Ich will kurz einige Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Geschäftsanbahnung in Polen geben. Nach meinen Erfahrungen in den Vorbereitungsseminaren für Geschäftsleute – überwiegend aus Deutschland -, die einen polnischen Geschäftspartner suchen, besteht hier ein großer Informationsbedarf. Ich konzentriere mich auf den deutsch-polnischen Kontakt. 6.1 Die Kennenlernphase
Diese Phase ist besonders wichtig und braucht viel Zeit. Der polnische Partner wird den Geschäftspartner, der ihn besucht, führen: Er wird ihm seine Stadt zeigen, seine Firma. etc. Wenn der polnischen Geschäftspartner zu sich nach Hause einlädt, erwartet er im Gegenzug die gleiche Einladung seines Geschäftspartners. Der Pole wird erwarten, dass der Deutsche etwas über sich erzählt – z.B. über seinen beruflichen Werdegang, das Geschäftsleben in Deutschland, über administrative Fragen und über seine Familie. Merke: Diese Zeit ist nicht vergeudet, sie öffnet schneller eine Tür als gedacht. Maxime: Gewinne das Vertrauen deines polnischen Geschäftspartners!
Das Gewinnen von Vertrauen ist deshalb so wichtig, weil der Deutsche damit rechnen muss, dass der polnische Partner in dem Denk-Schema von „Sie“ (die mächtigen, reichen Deutsche) und „Wir“ (die armen Polen) ihm zunächst ein gewisses Misstrauen entgegenbringt.
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Ich danke Ronald Manthe für wichtige Hinweise zu diesem Thema.
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Der gute Kontakt zur Sekretärin:
Der deutsche Geschäftsmann in Polen verhält sich oft gegenüber der Sekretärin des polnischen Geschäftspartners in einer Weise, die dort als unhöflich erscheint. Der Pole hingegen, der den Deutschen in seiner Firma in Deutschland aufsucht, wird ausnehmend höflich gegenüber der Sekretärin sein, und zwar auch in telefonischen Kontakten. Der deutsche Partner sollte dies von dem polnischen Partner lernen; denn eine gute persönliche Beziehung zur Sekretärin kann sehr wertvoll sein.
6.2 Präsentation des Angebots
Der polnische Partner wird versuchen, „schlauer“ zu sein als sein deutscher Partner. Wenn dieser sein Angebot macht, wird der Pole sich typischerweise fragen, „Welchen Vorteil hat der Deutsche davon?“ Der hingegen wird, wenn der Pole ein Angebot macht, sich fragen: “Welchen Vorteil habe ich davon?“ Mit zunehmendem Kennenlernen schwächt sich dieses Denken mit einer „Bauernschläue“ als Ausdruck von Misstrauen ab. Der Pole führt das Gespräch, was den Weg und das Ziel betrifft, mit einer größeren Toleranzbreite als der Deutsche.
6.3 Die eigentliche Verhandlung
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Der Deutsche muss wissen: Kredite sind in Polen viel höher verzinst als in Deutschland und bedeuten daher eine immense Belastung für das polnische Unternehmen. Versicherungen: Ein Pole fragt sich nicht selten, wozu er eine Versicherung braucht, weil sie doch nur kostet, aber unmittelbar nichts Positives bringt. Preiskalkulation: Preise stehen in Polen oft nicht fest, sondern sind Verhandlungssache. Daher kann der Pole eine Kalkulation oft nicht vorlegen.
Verhandlungsstrategie: Die grundlegende Verhandlungsstrategie in Polen ist dieselbe wie in Deutschland – also eine Einschätzung der Stärke der eigenen Verhandlungsposition und der des Gegenübers etc. Folgende polnische Besonderheiten in Geschäftsverhandlungen sollten beachtet werden:
Da sich Polen oft Westlern gegenüber leicht unterlegen fühlen, warten sie zunächst ab und decken nicht gleich ihre Karten auf. Der Deutsche kann nicht erwarten, dass der polnische Partner schriftliche Unterlagen mitgebracht hat. Der Pole hat sich zuvor über die Firma des deutschen Partners informiert, aber oft anders, als dieser sich über die polnische Firma informiert hat: Der Pole wird dem Hören-Sagen und Gerüchten oft mehr Glauben schenken als den Informationen einer website, den Bilanzen und anderen Fakten – ein „Erbe“ des bürokratischen Sozialismus, in dem öffentlich zugängliche Informationen wenig glaubwürdig waren. Wenn der deutsche Partner nach „Referenzen“ des Polen fragt, wird dies bei dem Polen Ärger auslösen, wenn dessen Stolz dadurch verletzt wird (vgl. Kap. 4.2.1) Der deutsche Partner sollte sich darüber klar sein, dass der Pole oft nicht direkt ausdrückt, was er sagen möchte; er macht vielmehr Andeutungen oder vage Bemerkungen.
Kulturelle Unterschiede in der Geschäftsmoral (vgl. Kap. 4.2.2):
„Lügen“ bedeutet für den Polen nicht immer dasselbe wie für den Deutschen. „Betrügen“ hat ebenfalls eine kulturell verschiedene Bedeutung.
Informationsbedarf:
Der Deutsche sollte der Maxime folgen: Beachte, dass bei der Kooperation mit polnischen Partnern der wechselseitige Informationsbedarf sehr groß ist! Der Grund dafür liegt einfach darin, dass beide Seiten oft wenig voneinander wissen.
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Gastgeschenk:
Bei jedem Treffen sollte der Deutsche ein Gastgeschenk mitbringen. Bei der privaten Einladung als Gast des polnischen Partners sollte man nicht die Blumen für die Ehefrau vergessen!
6.4 Vertragsabschluss
Der Geschäftsvertrag ist für den Polen typischerweise nicht, wie für den Deutschen, ein Fundament der künftigen Zusammenarbeit, sondern eher eine Gedächtnisstütze. So geschieht es nicht selten nach Vertragsabschluss, dass der polnische Geschäftspartner mit Veränderungsvorschlägen kommt – mit der Begründung: Ihm sei noch etwas eingefallen!
Vorschläge zur Vertragsänderung:
Wenn der polnische Partner den Vertrag kurzfristig ändern will, hat der Deutsche zwei gute Möglichkeiten zu reagieren:
a) Er sagt dem Partner, dass auch er eine Änderung vorschlagen möchte. b) Er sagt dem Partner, dass er einverstanden ist, wenn ihm die Änderung einleuchtet. Man solle dafür aber einen neuen Passus in den Vertrag aufnehmen und notariell beglaubigen. Als allgemeiner Grundsatz sollte für die Geschäftsanbahnung gelten: Beide Seiten können viel voneinander lernen. Aber der Deutsche sollte sich zunächst mehr dem polnischen Partner anpassen, bis dieser beginnt, sich an den Deutschen anzupassen.
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7 Was der Westler über die jüngere polnische Geschichte wissen sollte
Wer die polnische Wirtschaftsmentalität nach dem Zweiten Weltkrieg verstehen will, der muss die ökonomischen Phänomene der Nazibesatzung Polens studieren – mit dieser Feststellung hat der polnische Soziologe Kazimierz Wyka 1945 seine Landsleute auf eine Kontinuität aufmerksam gemacht, die auch für jeden aus dem Westen, der das Polen der Gegenwart besser verstehen will, von großer Bedeutung ist. Denn obwohl die Wirtschaftsstrukturen des „Generalgouvernements Weichsel“ zerstört wurden, lebten in der kollektiven Mentalität der polnischen Gesellschaft deren Auswirkungen fort. Um also zu verstehen, was es mit der Organisationskultur des bürokratischen Sozialismus in Polen auf sich hatte, die heute noch das Verhalten vieler Polen beeinflusst, sollen die wichtigsten Beobachtungen und Analysen von K. Wyka (1992) kurz erläutert werden.29 Zwei Bedingungen waren für die deutsche Wirtschaftspolitik in der Besatzungszeit entscheidend: die Grenzziehung zwischen dem Deutschen Reich und dem Generalgouvernement und das System der Rationierung. Was die Grenzziehung betrifft, so sollte die Industrie von dem Generalgouvernement endgültig abgetrennt werden, das bereits überwiegend agrarisch und im europäischen Vergleich eher rückständig war. Rest-Polen sollte nicht in der Lage sein, etwas anderes zu exportieren als – so Wykas pointierte Formulierung – Bäuerinnen, die Rüben ernten, sowie die Rüben selbst. Der deutsche Gesamtplan sah vor, dass nach dem gewonnenen Krieg alle Polen in die Gebiete jenseits der Ufer der Wolga deportiert werden sollten – mit Ausnahme der „inteligencja“, von der Polen „gesäubert“ werden sollte. Tatsächlich blieben aber industrielle Inseln, auf denen in Polen weiterhin gearbeitet wurde (in Warschau, Tomaszow und Moscice u.a.). Das Rationierungs-System, das die deutschen Besatzer in Polen errichteten, war eine soziale Fiktion. Denn kein Pole konnte damit überleben. Weil den Polen jeder Handel mit wirtschaftlichen Produkten verboten war, konnte jeder deutsche Polizist ganz legal jeder Bäuerin die Butter aus ihrem Korb nehmen. 29 R. Fuhrmann (1990) beschreibt das Generalgouvernement Weichsel als ein „Land des Terrors, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte“. (S. 97)
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Für die Polen stellte sich natürlich die Frage, wie sie trotz dieser Vorschriften überhaupt überleben konnten. Das deutsche Motiv dieser Vorschriften war klar: Die Polen sollten gequält und als Untermenschen behandelt werden. Außerdem konnten die Deutschen so dauernd eine Macht ausüben, weil jeder Überlebensversuch der Polen praktisch verboten war, und weil ein Lockern der Vorschriften eine entsprechende Dankbarkeit seitens der Polen nach sich zog, die zu bekunden für diese geradezu eine Pflicht war. Um zu überleben, fanden die Polen schnell die Lücken in diesem System. Sie fanden schnell heraus, dass Bestechungen nicht nur nötig waren, sondern auch akzeptiert wurden. Die deutschen Besatzer zeigten eine bemerkenswerte Bereitschaft zur Käuflichkeit. Die Deutschen entpuppten sich als fantastische Bestechungsempfänger. Vom kleinen deutschen Funktionär bis zum großen Nazi-Bonzen war jeder auf diese Beute aus. Das Bestechungssystem in der Besatzungszeit entwickelte sich zu einer Art Schutzschild für die Wirtschaft. Kein Mitglied der Nazi-Partei konnte der Versuchung widerstehen, unter dem Ladentisch Waren zu verkaufen. Die deutsche Besatzung hatte wirtschaftliche Ziele, die mit der – als provisorisch angenommenen – Dauer des Krieges eng verbunden waren: Es sollte einfach die billigste Arbeitskraft lokal sowie als Export für das „Reich“ erhalten werden (viele Arbeiter wurden ins Reich deportiert). Außerdem sollte eine absolute Herrschaft über die verbliebenen industriellen Inseln ausgeübt werden. Und schließlich musste, um die Bedürfnisse der deutschen Armee zu befriedigen, von der polnischen Landwirtschaft genug an Erträgen eingebracht werden. Gegenüber allem, was diesem Ziel nicht entsprach, waren die Besatzer vollkommen gleichgültig. Die Polen erkannten daher, dass sich die Besatzer überhaupt nicht um ihre sonstigen Belange kümmerten. Daraus folgerten sie zu Recht, dass sie auch selbst von der moralischen Teilnahme an dieser aufgezwungenen Ordnung befreit waren. Daraus resultierte eine Einstellung der polnischen Gesellschaft zur eigenen Ökonomie, die von der Überzeugung geprägt war, dass es Nebenaktivitäten gab, die im eigenen Interesse getan wurden. Und das eigentlich alles erlaubt war. Die Amoralität der Arbeit wurde – so Wyka – gewissermaßen eine patriotische Verantwortung. Damit wurde das zentrale mentale Phänomen dieser Zeitspanne des Generalgouvernements geschaffen: eine von der Moral abgetrennte Wirtschaft, die ausgeschlossen war vom Staat und von der Gesellschaft. Dieses soziale Phänomen hat sich in den sozialen Schichten Polens ganz unterschiedlich manifestiert. Ich will Wykas Beobachtungen kurz zusammenfassen. Der Industriearbeiter befand sich in der schwierigsten Lage. Vor dem Krieg hatte kein gut bezahlter Arbeiter, der auf sein handwerkliches Können stolz war, 116
aus seiner Fabrik Produkte entwendet – besonders dann nicht, wenn er glaubte, dass die Inspektion effizient war. Während der deutschen Besatzung aber stahl der Arbeiter und musste es tun, um zu überleben. Als in einer Krakauer Zigarettenfabrik 1943 unvorhergesehen eine Inspektion stattfand, stellte sich heraus, dass alle Arbeiter Kartons mit Zigaretten beiseite geschafft hatten. Keiner konnte daher bestraft werden. In Steinbrüchen war es komplizierter, lukrative Geschäfte zu machen. Man brauchte dazu zwei oder drei freie Tage und bestach den Aufpasser, der in den Büchern die Erfüllung der Arbeitsquoten festhielt, sodass man bei Abwesenheit offiziell geschützt war. Die Korruption der Industriearbeiter war eine Selbstverteidigung gegenüber dem destruktiven Arbeitssystem der Besatzer. Der polnische Arbeiter leistete aber für das verhasste System so wenig, wie er konnte, und tat dies so schlecht wie möglich. So war schließlich die moralische Beziehung des Arbeiters zu seiner Arbeit zerbrochen. Büro-Angestellte und die „inteligencja“ konnten das Schlimmste durch den Handel abwehren. Er funktionierte in einem komplizierten System von Mittelsmännern, die unter normalen ökonomischen Bedingungen gar nicht nötig sind. In der Regel war die Quelle der Waren ein Deutscher, der sie nicht verkaufen durfte, und ein Pole, der sie nicht erhalten durfte. Beispiel: ein deutscher Soldat, der seine Waffen an einen Polen verkaufte. Ein zentrales Faktum der Besatzungszeit, das auch mentale Folgen für die Ökonomie hatte, ist das Verschwinden von Millionen von Juden aus dem Handelsgewerbe und aus dem Maklergeschäft. Zur Tragödie der Juden hatte der gewöhnliche Pole die Haltung: Die Deutschen begehen an den Juden ein Verbrechen – wir würden das nicht getan haben. Gleichwohl nahm der kleine Ladenbesitzer von den Juden deren Hausschlüssel und ihre Kassen. Aber unter der Bedingung der Besatzung konnte eine wirklich unternehmerische Geschäftswelt, die an die Stelle der vormals jüdischen trat, nicht entstehen. Festzuhalten ist, dass die polnische Bourgeoisie fast vollständig eliminiert war. Die polnische Bourgeoisie, die schon im deutschen Reich vollständig ausgelöscht war, verblieb in Rest-Polen in einer Situation, in der sie aller sozialen und nationalen Vorzüge beraubt wurde. Wenn sie wirtschaftlich aktiv war, dann machte sie Spekulationsgeschäfte. Der polnische Bauer wusste, dass die relativ positive Entwicklung der Landwirtschaft in der Besatzungszeit nur eine vorübergehende war. Stattfinden sollte sie nur bis zur Zeit des Endsieges der Nazis. Er wurde von den Deutschen verachtet, und er hasste die Besatzer am bittersten. Gegenüber der moralischen Korruption in der Wirtschaft hat sich der polnische Bauer relativ gut verteidigt. Die deutschen Besatzer hatten eine ausgeprägte Sehnsucht nach der polnischen Aristokratie. Besonders die hohen Parteibonzen waren beeindruckt von 117
dem Leben des polnischen Landadels. Während die Nazis die Bauern verachteten und die „inteligencja“ hassten, bewunderten sie, wenn auch heimlich, die großen Landbesitzer. Manche Nazi-Bonzen übernahmen deren Lebensstil für ihre hedonistischen Ziele, ohne sich darüber klar zu sein, dass der Lebensstil der großen Landbesitzer auf harter Arbeit und Entsagung beruhte. Wyka betont, dass aufgrund der beschriebenen Überlebensstrategien, die die Polen in der Zeit der deutschen Besatzung entwickeln mussten, ihnen eine wesentliche Erfahrung genommen wurde: dass der moderne Wirtschaftsprozess in ein moralisches Regelwerk eingewoben ist. J. Wedel (1992) hat mehrere Studien darüber veröffentlicht, wie die informelle Wirtschaft in der Zeit des bürokratischen Sozialismus funktioniert hat und wie dabei auch eine Kontinuität der oben beschriebenen Zerstörung der Arbeitsmoral aus der Zeit der deutschen Besatzung festzustellen ist. Ich habe weiter oben darauf schon hingewiesen. Ich will zwei dieser Studien jetzt kurz erläutern. Wie informelle Geschäfte getätigt wurden, zeigt die (von 1982-1984 durchgeführte) Studie von Wojciech Pawlik am Beispiel einer kleinen Stadt in Polen, in der die Einwohner in kleinen Fabriken und Dienstleistungsunternehmen beschäftigt waren. Nahezu jeder war am informellen Austausch von Gütern und Dienstleistungen beteiligt. Die entsprechenden Aktivitäten wie „etwas wegnehmen“, „organisieren“, „eine Gefälligkeit erwidern“ usw. wurden mit sprachlichen Ausdrücken bezeichnet, die das Illegale daran nahezu zum Verschwinden brachten. Die meisten Arbeitsplätze boten Gelegenheiten, sich neben dem formellen Gehalt Einkünfte zu beschaffen. Es herrschte die tiefe Überzeugung: Wo immer jemand arbeitet, gibt es einen Platz, an dem man „kombinowac“ kann – eine oft illegale Aktivität, die ein Außenstehender als Diebstahl bezeichnen würde. Ein Informant sagte: „Ich lebe in der Überzeugung, dass man heute nichts arrangieren kann ohne Geschenke, Geld usw.“. Ein anderer sagte: „Jeder nimmt Bestechungsgelder, es sei denn, er gehört zu herrschenden Elite.“ Bei der Suche nach einem Job spielte eine große Rolle, ob man dabei ein zusätzliches Einkommen haben konnte. Schlecht bezahlte Arbeiter betrachteten die illegalen Einkünfte als Bestandteil ihres Gehalts. „Fucha“ bezog sich auf jene Stelle, wo eine faktisch leichte Arbeit getan werden musste, und die es erlaubte, Nebeneinkünfte außerhalb der Arbeit zu erhalten. Die illegalen Aktivitäten wurden dadurch Bestandteil der „natürlichen Welt“, dass sie als überlebensnotwendig gerechtfertigt wurden – obwohl den Leuten durchaus bewusst war, dass dieses „Kombinieren“ die Moralstandards der Gesellschaft zerstörte. Der Begriff des Diebstahls wurde nie auf öffentliches oder staatliches Eigentum angewandt, sondern nur auf privates. Ohne dies zu verheimlichen, wur118
den vom Arbeitsplatz Waren geringen Wertes „weggenommen“, sogar mit Wissen des Vorgesetzten. Der gängige Stereotyp war: „Der Staat beraubt mich – ich beraube den Staat, so gleicht sich alles aus.“ Die Studie von Elzbieta Firlit & Jerzy Chlopecki erhärtet die These (am Beispiel Polens), dass die informelle Wirtschaft in den sozialistischen Ländern nicht, wie dies häufig in westlichen Analysen angenommen wird, ein marginaler Teil der formellen Wirtschaft war – sie war vielmehr ein fundamentaler Bestandteil der Aktivitäten der Staatsbetriebe. In 5 Staatsbetrieben wurde (in verdeckter Feldforschung) ermittelt, in welcher Vielfalt von Erscheinungsformen die informellen Aktivitäten, die auf persönlichen Gewinn abzielten, integriert waren in die formellen Arbeitsabläufe: Formen wie „Etwas (ganz offen) Wegnehmen“ (nur wenn etwas, das schon beiseite gelegt war, dem anderen weggenommen wurde, war es „gestohlen“); „eine Gefälligkeit erweisen“ (wozu auch gehörte, einen Kollegen zu decken, der abwesend war); „persönliche Dienstleistungen“ während der Arbeitszeit erbringen (z.B. das Privatauto eines Direktors mit Fabrik-Werkzeug gegen Bezahlung zu reparieren); „Arrangieren“ und „Organisieren“ (da eine Mangel-Wirtschaft bestand, wurden viele Waren nicht gekauft, sondern „organisiert“, wobei auch Waren, die privat gebraucht wurden, dem Betrieb „entnommen“ und durch ein „Spiel mit den Büchern“ der Registrierung entzogen wurden); „Bestechungen“ (für erwiesene illegale Dienste); „privater Handel“ (mit einem knappen Material aus dem Staatsbetrieb); „Neben-Jobs“ (währen der Arbeitszeit wurden für Kunden Arbeiten gegen Bezahlung gemacht.). Zu betonen ist, dass diese Erscheinungsformen nicht etwa eine Folge davon waren, dass die Arbeiter in den untersuchten Betrieben zu wenig verdienten – die Autoren machen hierfür vielmehr einen hohen Grad an sozialer Desorganisation verantwortlich: eine allgemeine Vergeudung von Arbeitszeit – als Folge der Bürokratie, die die Arbeiter nicht effektiv beschäftigen konnte; das Fehlen gemeinsamer Arbeitsziele; Verschwendung von Material; eine riesige soziale Distanz zwischen den Arbeitern und ihrem Boss; eine endlose, aber nur verdeckt geführte, Kritik der Arbeiter an ihren Vorgesetzten. Die offiziellen Unternehmensziele wurden faktisch durch diese Aktivitäten zugunsten eines persönlichen Nutzens ersetzt. Dies stand im krassen Gegensatz zum traditionellen Modell eines sozialistischen Managements. Dem zufolge soll eine rigide bürokratische Ordnung dadurch Autorität ausüben, dass „von oben“ ein Programm von Zielen verbindlich gemacht wird, die „nach unten“ die internen Prozesse steuern. Tatsächlich erwiesen sich die untersuchten Betriebe als sehr individuell, mit einer eher flüchtigen Struktur, veränderbaren Zielen und ad-hoc Verfahren, das jährliche Produktions-Soll zu erfüllen (was sie alle taten). 119
Ich hatte im Verlauf der Analyse der generellen westlichen Urteile öfter darauf hingewiesen, dass diese u.a. den Fehler machen, von einer Poblemerfahrung auf einen persönlichen Defekt zu schließen, um diesen dann als „typisch polnisch“ zu verallgemeinern. Tatsächlich ist es die Last der Geschichte vieler mittelosteuropäischer Länder – also nicht nur der Geschichte Polens –, mit der diese Westler in ihren beruflichen Kontakten mit Polen konfrontiert sind, ohne sich das hinreichend klar zu machen. Wenn diese Abhandlung dazu beiträgt, dieses Faktum ins westliche Bewusstsein zu bringen, ist schon viel gewonnen.
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Teil B: Rumänien und Bulgarien (Sigrun Comati) Berichte und Fall-Analysen interkultureller Handlungskonflikte aus der Sicht einer Dolmetscherin
Danksagung Während meines Studiums an der St. Kliment Ohridski-Universiät in Sofia/Bulgarien wurde mir sehr viel Fachwissen auf dem Gebiet der bulgarischen Sprache und Literatur vermittelt. In dieser Zeit erfuhr ich durch meine bulgarischen Kommilitoninnen und Kommilitonen sehr viel Hintergrundwissen über Bulgarien und außerdem gewährten sie mir einen Einblick in ihr Familien- und Alltagsleben, wofür ich ihnen herzlich danke. Meinen ehemaligen Dozentinnen, Dozenten, Professorinnen und Professoren von der St. Kliment Ohridski-Universität in Sofia, stellvertretend möchte ich hier besonders Prof. Dr. R. Nitsolova erwähnen, und von den Universitäten in Plovdiv, Veliko Tărnovo und Varna in Bulgarien und von der Universität Bukarest/Rumänien sei an dieser Stelle ein großer Dank ausgesprochen, denn durch Einladungen zu Konferenzen an diese Universitäten konnte unser Erfahrungsaustausch über die Jahre hinweg fortgesetzt werden. Dadurch erschlossen sich mir viele Details der bulgarischen und rumänischen Interaktion. Danken möchte ich Prof. Dr. L. Schippel von der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof. Dr. G. Schubert von der Universität Jena, den Kolleginnen und Kollegen von der Südosteuropa-Gesellschaft e.V., dem Deutsch-Bulgarischen Forum e.V. und der Deutsch-Bulgarischen Gesellschaft zur Förderung der Beziehung zwischen Deutschland und Bulgarien e.V. für die guten und anregenden Diskussionen zu spezifischen Problemen, die den deutsch-bulgarischen und den deutsch-rumänischen Dialog betreffen. Meinen Dolmetscherkolleginnen und -kollegen aus Bulgarien, Rumänien und Deutschland danke ich für viele interessante und aufschlussreiche Gespräche, in denen wir unsere gemeinsamen Erfahrungen und Fragestellungen diskutierten. Das waren spannende und gute Gespräche, die einen großen Anteil an der Entstehung dieses Buches haben. April 2008
Sigrun Comati 123
Einführung
Deutschland gehört traditionell zu jenen europäischen Ländern, die in Rumäniens und Bulgariens Wirtschaft eine vorrangige Stellung einnehmen, sowohl auf dem Sektor des Investitionsvolumens als auch bei den Import- und Exportbeziehungen. Immer mehr Geschäftsleute aus Westeuropa und besonders aus Deutschland entschließen sich dazu, Niederlassungen in Rumänien und Bulgarien zu gründen, dort kostengünstig zu produzieren oder im Tourismusbereich zu investieren. Wirtschaftskreise lassen verlauten, dass es noch viel mehr deutsche Investoren sein könnten. Bulgarien und Rumänien bieten ausländischen Investoren sehr gute Rahmenbedingungen und Steuervergünstigungen, diese „hard facts“ sind für Geschäftsleute hoch interessant. Außerdem verfügen die rumänischen und bulgarischen Arbeitskräfte meist über eine gute schulische Bildung – alles zweifelsfrei gute Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit mit diesen Ländern. Aber warum gibt es so viele Fehlschläge bei Geschäftsvorhaben in Rumänien und in Bulgarien? Weshalb scheitern viele Business-Vorhaben an interkulturellen Problemen, also an grundlegenden Missverständnissen, Meinungsverschiedenheiten, Frustrationen und Fehlentscheidungen? Warum ziehen sich ausländische Business-Partner nach Misserfolgen mit meist erheblichen Verlusten zurück? Die typischen Klagen der deutschen Geschäftsleute, die an die Adresse der Rumänen und Bulgaren gerichtet sind, lauten meist: „Hier kann man sich auf nichts verlassen!“, „Nichts klappt hier!“, „Versprechen und Absprachen sind hier nichts wert!“ usw. – also ganz ähnliche Klagen wie die, die in Teil A analysiert wurden. Eine weitere Ähnlichkeit besteht darin, dass westliche Manager, wie wir es in Teil A bereits beschrieben finden, häufig keine oder zu wenige Vorkenntnisse über die aktuelle wirtschaftliche und kulturelle Situation dieser Länder besitzen. Sie sind lediglich ausgerüstet mit der Strategie „ihrer“ Firma, einer vermeintlichen Unfehlbarkeit ihrer Entscheidungen und einer hohen Erwartungshaltung. Und sie arbeiten mit der Anweisung, dort auf Expansionskurs zu gehen. Sie sollen neue Firmenniederlassungen, Joint-Ventures oder andere Kooperations125
vorhaben im Ausland gründen und erwarten eine reibungslose Zusammenarbeit mit den rumänischen und bulgarischen Geschäftspartnern. Diese Erwartungshaltung wird dann nicht selten enttäuscht, das Geschäftsvorhaben scheitert. Die Gründe für das Scheitern solcher Geschäftsvorhaben können wir in zwei Gruppen einteilen: 1.
2.
Eine Unkenntnis der Unterschiede westlich geprägter Denk- und Handlungsgewohnheiten bezüglich der entsprechenden Gewohnheiten in diesen Ländern – Folge einer Geschichte von Fremdherrschaft und bürokratischem Sozialismus (patriarchalisch geprägte Denkstrukturen, keine klare Trennung von Berufs- und Privatleben, eine pragmatische Einstellung zu Gesetzen; etc.) Eine Unkenntnis der Unterschiede in den Rahmenbedingungen (die Rechtslage bei Immobilienerwerb, Pachtverträgen; eine sehr langsam arbeitende Bürokratie; ein Kreditwesen, das für kleine und mittelständische Unternehmen noch in den Anfängen steckt; etc.)
Das Fehlen kulturellen Wissens und die Ratlosigkeit gegenüber den daraus entstehenden Problemen bringen nicht nur ausländische Firmen in Schwierigkeiten, sondern auch EU-Vorhaben in Bulgarien und Rumänien. Folgende Pressemeldung illustriert dies im Verhältnis zu Bulgarien: Eine Mitteilung im Spiegel, Nr. 32/7.8.06, S. 93 unter der Überschrift Bestechliche Beamte enthüllt neue Skandale in Bulgarien, das 2007 der EU beitrat. In diesem Artikel heißt es: “ Von den 511 Millionen Euro, die Bulgarien im Rahmen des „Phare“-Programms zur Vorbereitung auf den Unionsbeitritt erhalten hatte, waren über die Hälfte ganz oder teilweise zweckentfremdet worden.“ Wie konnte es dazu kommen? Die bulgarische Regierung trifft Maßnahmen gegen die Bestechung, klärt Beamte durch Vorträge und Filme über Bestechung und ihre Folgen auf und fordert alle Politiker auf, ihr Vermögen offen zu legen. Dies sind rein innenpolitische Angelegenheiten, könnte man als ausländischer Investor oder Manager meinen, doch dem ist nicht ganz so. Um diese Probleme zu veranschaulichen, habe ich einige meiner Beobachtungen aus einer fast zwanzigjährigen Dolmetschertätigkeit bei Geschäftverhandlungen in Bulgarien und Rumänien niedergeschrieben. Sie sollen als Veranschaulichung von typischen kulturellen Unterschieden dienen, mit denen Westler in den Ländern Südosteuropas im Verhältnis zu eigenen westlichen Erwartungen und Gewohnheiten immer wieder konfrontiert werden. Viele dieser Unterschiede ähneln denen, die in Teil A dargestellt wurden. 126
Meine Analysen und Kommentare dienen als Empfehlungen und Anleitungen für eine effektivere Kommunikation und einen reibungslosen Dialog und eine bessere Organisation des Arbeitsablaufs in Bulgarien. Partielle Erfahrungen konnte ich auch in Rumänien sammeln, wenn deutsche Firmen Zweigniederlassungen sowohl in Rumänien als auch in Bulgarien gründeten. Die auftretenden Probleme der interkulturellen Kommunikation glichen in beiden Ländern einander sehr. Die wichtigsten Punkte, die hier angesprochen werden, sind an deutsche Führungskräfte in Wirtschaft und Politik gerichtet, die beruflich in den Ländern Südosteuropas und besonders in Bulgarien, engagiert sein werden. Sie vorzubereiten auf bestimmte Situationen im beruflichen Alltag in Bulgarien und ihnen Anhaltspunkte für eine erfolgreiche interkulturelle Interaktion zu geben, ist das praktische Ziel dieser Abhandlung. Auf historische Bezüge, die bestimmte Verhaltensweisen rumänischer und bulgarischer Verhandlungspartner oder Mitarbeiter begründen wird nur insoweit eingegangen, als es für das unmittelbare Verständnis erforderlich ist. Weiterführende landeskundliche und historische Erläuterungen sind in der angegebenen Literatur30 zu finden. Das kulturhistorische Hintergrundwissen über das Land, mit dem wir Geschäftsbeziehungen aufbauen und für die Zukunft tragfähig gestalten wollen, ist eine unabdingbare Voraussetzung für unsere Arbeit. Deshalb soll eine kleine Auswahl an Literatur und Internetadressen behilflich sein, um auf diesem Gebiet Informationen zu bekommen. Volks- und Betriebswirtschaftler werden den Wert des Statistischen Jahrbuchs Bulgariens zu schätzen wissen, das alljährlich vom Nationalen Statistischen Institut in Bulgarien herausgegeben wird. Landeskundlich orientierte Werke helfen dem „Einsteiger“, sich rascher in die Gegebenheiten Bulgariens einzufinden und die Kulturgeschichte, die den Hintergrund des Handelns der heutigen Bulgaren prägt, leichter zu verstehen. Einführende Informationen zur bulgarischen Geschichte und zu Bulgarien Die Geschichte Bulgariens beginnt im Jahre 681 mit der Gründung des bulgarischen Staates. Nach der Hinwendung zum Christentum und der späteren Gründung der Bulgarischen Orthodoxen Kirche wurde diese Eigenständigkeit unterstrichen. Dieser Staat erstarkte im 9. Jahrhundert und bildete, nicht zuletzt durch die Schaffung des kyrillischen Alphabets, eine originäre Kultur heraus. 30 siehe dazu die ausführlichen Betrachtungen bei Comati & Vlahova (2003) zu Bulgarien und bei Völkl (1995) zu Rumänien, um hier nur zwei Anhaltspunkte zur mittlerweile beträchtlichen Anzahl von Nachschlagewerken zu geben.
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Das bulgarische Volk ist mit Recht stolz auf seine Vergangenheit, es ist das erste christliche Slawenvolk und hat reiche kulturhistorische Traditionen aufzuweisen. Doch dem souveränen bulgarischen Staat war keine lange Dauer beschieden. Die leidvollen Jahre byzantinischer und später osmanischer Fremdherrschaft, verbunden mit dem Aufzwingen fremder Gesetze, haben selbstverständlich ihre Spuren hinterlassen. Die osmanische Herrschaft dauerte von 1396-1878 an. Zahlreiche bulgarische Aufstände wurden in dieser Zeit von osmanischer Seite niedergeschlagen. Nach dem Russisch-Türkischen Krieg wurde Bulgarien im Jahre 1878 von der osmanischen Herrschaft befreit und entwickelte sich als Nationalstaat. Die beiden Weltkriege waren für Bulgarien mit hohen Verlusten verbunden, auch in territorialer Hinsicht. Von 1944-1989 stand Bulgarien unter der Regierung der Kommunistischen Partei. Das demokratische Bulgarien existiert seit 1990 und ist nach tiefgreifenden wirtschaftlichen und juristischen Reformen seit dem 01.01.2007 Mitglied der Europäischen Union. Die Literaturauswahl im Verzeichnis bietet viele Zugänge zu weiteren Informationen zu Bulgariens Geschichte, Kultur, Wirtschaft und der aktuellen Entwicklung. Einführende Informationen zur rumänischen Geschichte und zu Rumänien Für die Situation des heutigen Rumänien ist vor allem die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts von großer Bedeutung. Besonders die Zeit um 1859, als die Fürstentümer Walachei und Moldau vereinigt wurden, wirkt sich bis auf die heutige Zeit aus. Nach dem Ersten Weltkrieg war jeder dritte Bewohner Rumäniens kein Rumäne, das beeinflusste die Entwicklung des rumänischen Staates in vielfältiger Weise. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann 1944 die Regierung der Kommunistischen Partei und mündete in den 60er Jahren in eine „Politik der nationalen Unabhängigkeit“. Die Herrschaft des „Conducators“ Ceauúescu isolierte Rumänien und bürdete dem Land eine schwere Erblast auf. Seit dem Sturz der kommunistischen Regierung im Jahr 1989 öffnete sich das Land wieder dem Westen und wurde ebenfalls nach tiefgreifenden staatlichen und juristischen Reformen am 01.01.2007 in die Europäische Union aufgenommen. Eine Literaturauswahl im Literaturverzeichnis beinhaltet Informationsquellen zu Rumäniens Geschichte, Kultur, Wirtschaft und zu den aktuellen Entwicklungen des Landes.
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1 Kulturelle Unterschiede in bestimmten Denk- und Handlungsgewohnheiten
Im Folgenden werden die wichtigsten Kulturunterschiede anhand von Fallbeispielen verdeutlicht. Aus Datenschutzgründen werden hier weder die Namen der beteiligten Personen noch die vollständigen Namen der beteiligten Firmen und Unternehmen genannt. Lediglich der Tätigkeitsbereich und Abläufe, die für das Verständnis der Beispiele erforderlich sind, werden angeführt. 1.1 Typische Handlungskonflikte bei der Geschäftsanbahnung Bevor eine ausländische Firma auf eine rumänische oder bulgarische Ausschreibung hin konkrete Arbeitsschritte einleitet, werden meist bei Wirtschaftsfachleuten Studien in Auftrag gegeben, die über Dauer, Effizienz und Prognose dieses Projekts Auskunft geben. Für größere Industrieunternehmen ist dies die gängige Praxis. Das ist ein erster kostenaufwändiger Punkt, den sich ein Unternehmen des Mittelstands durch Beauftragung einer Fremdfirma kaum leisten kann. Deshalb ist es für kleinere Unternehmen umso wichtiger, mehrere Vorabtermine mit dem rumänischen oder bulgarischen Geschäftspartner direkt vor Ort wahr zu nehmen, um alle Gegebenheiten der Ausschreibung zu überprüfen. Hilfreich und oftmals entscheidend ist es, zu wissen, wie viele Kompetenzträger und Entscheidungsträger von einheimischer Seite anwesend sein werden, wenn die deutsche Delegation die Präsentationsunterlagen vorstellt und über das Projekt referiert. Die Delegation sollte in angemessener Größe erscheinen. Fallbeispiel aus der Großindustrie: Ein bulgarisches Projekt in der Chemieindustrie wurde Anfang der 90er Jahre ausgeschrieben. Die deutsche Firma, die daran Interesse zeigte, ließ sich die Ausschreibungsunterlagen zukommen und begann, fristgerecht alle Punkte der Ausschreibung auszuarbeiten und nahm den von bulgarischer Seite vorgegebenen Präsentationstermin wahr. Die deutsche Delegation reiste nach Bulgarien und trat komplett mit den Präsentationsunterlagen auf. Niemand aus 129
der deutschen Firma hatte vorher nachgefragt, in welcher Anzahl und in welchen Räumlichkeiten die bulgarischen Kompetenzträger dieser Präsentation beiwohnen werden. So kam es, dass bei dieser Präsentation sechzehn deutsche Experten drei bulgarischen Kompetenzträgern der bulgarischen Firma gegenüber saßen und auf diese Weise war die Kommunikation denkbar schlecht. Die deutsche Delegation hatte die bulgarischen Anwesenden durch ihre Überzahl regelrecht „erschlagen“ und die erwarteten Fachfragen von bulgarischer Seite an die deutschen Experten blieben aus. Es kam hinzu, dass die Präsentation in einem relativ unkomfortablen und kleinen Büroraum der bulgarischen Firma anberaumt war. Auf Grund dieser Missverhältnisse war die Präsentation zum Scheitern verurteilt. Das Projekt kam nicht zustande. Durch einfache Maßnahmen hätte das vermieden werden können. Die Erwartungshaltung der deutschen Delegation entsprach den bulgarischen Gegebenheiten nicht. Es hätte genügt abzuklären, wer von bulgarischer Seite die Ausschreibungsunterlagen entgegennimmt und ein Signal abzuwarten, ob ein Besuch in einer solchen Größenordnung überhaupt sinnvoll und gefragt ist. Erst nach einer positiven Reaktion von bulgarischer Seite wäre der Besuch an die Reihe gekommen. Außerdem waren die bulgarischen Verhandlungspartner noch in einer Phase des Abwartens bezüglich der Finanzierung dieses Großprojekts, was leider nicht klar gesagt wurde. Hier wäre durch eine effektivere interkulturelle Kommunikation, d.h. durch gezieltes Nachfragen und Eruieren der Gegebenheiten auf der bulgarischen Seite, der deutschen Firma ein Verlust erspart geblieben. (Es handelte sich um das Erarbeiten einer detaillierten Präsentationsmappe von mehreren deutschen Experten aus unterschiedlichen Firmen, die fast 6 Wochen ausschließlich mit diesem Projekt beschäftigt waren. Hinzu kamen Reise-, Aufenthalts- und Nachbereitungskosten für die deutsche Delegation.) Ein Fallbeispiel aus einem kleinen Unternehmen: Während der Internationalen Tourismusmesse in Berlin im Jahre 1995 wurde ein deutscher Unternehmer aus der Kosmetik- und Wellnessbranche auf die Angebote Bulgariens aufmerksam, dort Heil- und Parfümölpflanzen zu günstigen Konditionen anzubauen. Er war als Kleinunternehmer mit nur wenigen Angestellten auf Zulieferungen von getrockneten Heilkräutern, Aroma- und Essenzölen angewiesen und vertrieb diese für eine namhafte europäische Hotelkette und für Freizeiteinrichtungen. Die bulgarischen 130
Geschäftspartner, wohlgemerkt nur Vertriebsvertreter für diese Produkte, schlugen eine Geschäftsanbahnung vor. Der deutsche Unternehmer suchte Kontakt zu einer Dolmetscherin und erhielt von dieser den dringenden Rat, die Gegebenheiten des Anbaus vor Ort gründlich zu prüfen, bevor die Lieferbedingungen für die Produkte vertraglich festgelegt wurden. Der deutsche Unternehmer reiste zu seinen neuen Geschäftspartnern nach Bulgarien ins Rosental. Das ist eine klimatisch begünstigte Region in Zentralbulgarien, am Südhang des Balkangebirges gelegen, wo seit Jahrhunderten Ölrosen, Lavendel, Kamille und Minze angebaut werden. Nach der Wende 1989 lagen die meisten Felder dort brach. Im alten System waren die Privatbesitzer enteignet worden und die Ländereien in einer „Kooperacija“ 31 angebaut und abgeerntet worden. Nun wurden die Ländereien an die Privateigentümer zurückgegeben. Es gab aber nur noch wenige Leute, die auf dem Land arbeiten wollten und konnten, da die Industrialisierung die meiste Bevölkerung in die Städte geholt hatte.32 Es stellte sich heraus, dass die bulgarischen Geschäftspartner Eigentümer einiger Ländereien im Rosental waren und dass sie eigentlich Finanzierungsmöglichkeiten für den Anbau der genannten Kulturen auf ihren Feldern suchten. Der deutsche Unternehmer wurde mit einer umwerfenden Herzlichkeit und Gastfreundschaft in den Familien der Geschäftspartner aufgenommen. Nach mehreren alkoholreichen Abenden war der persönliche Kontakt so gut, dass beide Seiten zur Besichtigung der Ländereien aufbrachen. Der deutsche Unternehmer sah verwahrloste Lavendel- und Rosenfelder. Er war enttäuscht. Ihm wurden wortreich die Umstände erklärt, die zu dieser Lage geführt hatten, doch mit Hilfe seiner Investitionen und vor allem der Finanzierung der Arbeitskräfte, würde ein Anbau möglich sein, der nicht nur äußerst kostengünstig sein würde, sonder ihm würden auch hervorragende Produkte geliefert. Der deutsche Unternehmer willigte ein. Im April wurden die Felder bestellt, er begann mit dem Anbau von Kamille und Minze. 31
„Kooperacija“ – bulg. ɤɨɨɩɟɪɚɰɢɹ. Landwirtschaftlicher Großbetrieb für Ackerbau und Viehzucht. Die bulgarischen Bauern wurden in den vierziger Jahren des 20. Jhd. von ihren landwirtschaftlichen Nutzflächen enteignet. Auf diesen Flächen erfolgten landwirtschaftlicher Anbau und Viehzucht der „Kooperacija“. Ähnliche Vorgehensweisen finden sich in allen Ländern des ehemaligen Ostblocks, auch in der ehemaligen DDR wurde dies durch „Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften“ (LPG) praktiziert. 32 Siehe hierzu: Ermann & Ilieva (2006), S. 42-47.
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Die Rosenfelder waren derart zu Dornenhecken verwuchert, dass sie erst von Unkraut befreit und geschnitten werden mussten, ehe an eine Rosenernte zu denken war, im laufenden Jahr war das nicht mehr möglich. Die Lavendelfelder waren ebenso verwildert. Also finanzierte der deutsche Unternehmer über seine bulgarischen Geschäftspartner einige Bauern, die den Anbau von Kamille und Minze für das laufende Jahr übernahmen und beauftragte die Instandsetzung der Rosen- und Lavendelfelder für das nächste Jahr, was dann aber doch eine kostspielige Angelegenheit war. Im Mai war er wieder in Bulgarien, von der Schönheit der Landschaft und der Herzlichkeit seiner Geschäftspartner wiederum fasziniert. Im Juni wurden Kamille und Minze geerntet. Der Ertrag war mehr als zufriedenstellend. Die Kräuter wurden getrocknet und vor dem Verpacken einer vorschriftsmäßigen Laboranalyse in Bulgarien unterzogen. Das Ergebnis dieser Analyse war niederschmetternd. Die Grenzwerte für Schadstoffe in den getrockneten Blättern und Blüten dieser Kulturen waren um ein Vielfaches überschritten. An einen Export oder überhaupt eine Verwertung dieser Kräuter war nicht zu denken. Für den deutschen Unternehmer war dies ein herber finanzieller Verlust. Der Grund für sein Scheitern waren die überdüngten Böden in Bulgarien, die im alten System mit Kunstdüngern überfrachtet wurden. Diese Düngerrückstände fanden sich natürlich in den angebauten Pflanzen und Feldkulturen wieder. Er hatte als Kleinunternehmer versäumt, vorab eine Bodenanalyse vornehmen zu lassen (Vorabstudie!). Er befragte seine bulgarischen Geschäftspartner, ob sie diese Gegebenheiten kannten. Sie gaben keine klare Antwort. Sie meinten, dass man mit einem Bodensanierungsprogramm diese Probleme beheben könne. Aber das würde zwei, drei Jahre dauern. Danach könne man die Felder problemlos weiter bewirtschaften. Und das sei ja auch alles nicht so schlimm. Er solle sich weiterhin im Rosental wohl fühlen, er sei stets ein willkommener Gast in den Familien und den „kleinen“ Verlust, den er da als ´reicher deutscher Unternehmer` hätte, das wäre doch wohl nicht so gravierend. Der deutsche Unternehmer war herb enttäuscht. Er fühlte sich betrogen und wollte von diesen Beschwichtigungen nichts hören. Seine Verluste waren für ihn keinesfalls gering, da er nur ein kleiner Unternehmer war. 132
1.2 Zum Befolgen von Regeln (Gesetzen, Erlassen etc.) und von Geschäftsvereinbarungen Die verbreiteten pauschalen Urteile ausländischer Geschäftspartner: „Regeln gelten hier nicht“ oder „Hier hält sich keiner an die Gesetze!“ sind Klagen, die inhaltlich nicht zutreffen. Sie dokumentieren – wie die Klagen westlicher Manager über „die Polen“ – eine gravierende Unkenntnis – hier beispielsweise die Unkenntnis über die Geschichte und Politik des bulgarischen Staates in der Vergangenheit. Das waren in Bulgarien, und in Rumänien ebenfalls, in der weiter zurückliegenden Vergangenheit hauptsächlich Zeiten von Fremdherrschaften. In der jüngeren Vergangenheit von 1944 bis 1989 herrschte die Kommunistische Partei unter sowjetischer Führung, diese Zeit prägte Generationen in Rumänien und Bulgarien. Natürlich werden in Rumänien und Bulgarien Gesetze befolgt, und zwar sind diese ein Regelwerk, das in erster Linie das Eigentum und das der Familie schützt. Denn während aller Fremdherrschaften in diesen Ländern Südosteuropas war auf eines immer Verlass – auf die eigene Familie und auf die patriarchalische Sippe als Zufluchtsort. Die Herrschenden waren die Fremden, die anderen, das war eigentlich der Staat, der den Menschen das Leben erschwerte. Vor diesem Staat brauchte man keinen Respekt zu haben – im Gegenteil, es wurde vieles unternommen, um dieses Machtgefüge zu schädigen oder zu unterwandern. Diese Denkweise war auch im Kommunismus verbreitet und ist heute noch spürbar, wenn es sich um die Umsetzung und das Befolgen staatlicher Anordnungen und Verfügungen handelt. Auch auf die unterstützenden Kräfte der Macht im heutigen Rumänien und Bulgarien, wie die staatliche Polizei und Kontrollorgane, sind Geschäftsleute oft nicht gut zu sprechen, weil sie als Verkörperung des Staates gesehen werden. Doch genau hier liegt ein Novum, auf das sich westliche Geschäftsleute immer wieder berufen sollten: Jede Demokratie braucht Sanktionen, um sich aufrecht zu erhalten. Im Westen wird dieses Sanktionssystem seit Jahrzehnten so gehandhabt. Es dient als Grundlage einer Gesellschaft, die ihren Bürgern einen Schutz von Recht und Eigentum ermöglicht. Und wenn diese Sanktionen nicht greifen, wird die Demokratie zu einer Art „zahnlosem Tiger“, vor dem niemand Respekt zu haben braucht. Im bulgarischen und rumänischen Volk spielen der enge familiäre Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung in der Sippe eine große Rolle, auch als Schutz und Zuflucht vor allen fremden Mächten. In bulgarischen soziologischen Untersuchungen wird die Familie als erstrebenswertes Gut auf der Werteskala an erster Stelle genannt, auch bei jungen Leuten, wie Stoilova (1993: 36133
45) darlegt. Zweifel und Abneigung gegenüber dem Fremden, „den anderen“, sind damit umso verständlicher. Der Staat wird als Machtgefüge und Instrument empfunden, das keine verlässliche Schutzmacht des Bürgers darstellt, sondern – ganz im Gegenteil, er ist ein Mittel zur Erschwernis des Daseins. In den staatlichen Institutionen saßen nicht „wir“, sondern immer „die anderen“, also fremde Mächte oder Kommunisten, die die Entstehung einer bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer Rechtssicherheit in Rumänien und Bulgarien stets verhinderten. Diese Problematik wird u.a. von Roth33 (1995) und Höpken (2007) sehr ausführlich untersucht, wobei Höpken das Bürgertum in Südosteuropa als „fehlende Klasse“ hinterfragt34. So hat sich ein Denkschema entwickelt, das dem ähnelt, das in Teil A analysiert wurde: Auch Polen hat eine lange Geschichte von Fremdherrschaft und autoritären Systemen. Diktatorisch geprägte Staatsformen brachten schließlich eine „Doppelmoral“ in Rumänien und Bulgarien hervor: Einerseits galt die offizielle Moral (und Politik) als Aushängeschild vor „den anderen“ dem Staat, der nach außen hin offiziell vertreten wurde (von jedem Einzelnen oder von der Familie) und andererseits herrschte die eigene und ganz andere Einstellung, die in der Familie, in der Sippe und in „unserem Kreis“ vertreten war. Die Demokratie und ein verlässliches Staatsgefüge entwickeln sich gegenwärtig mühsam nach den Jahrzehnten der kommunistischen Regierung. Und hier liegt, ganz ähnlich wie in Polen, das Grundproblem einer in Rumänien und Bulgarien verbreiteten Denkweise und Handlungsgewohnheit, die von westlichen Geschäftspartnern nicht verstanden wird und zu interkulturellen Verständnisschwierigkeiten führt: Die bulgarische und rumänische Einstellung zu Gesetzen, Verordnungen, Regeln und auch Verträgen – und natürlich auch die Einstellung zu den Personen, die dieses Regelwerk verkörpern. Wer die bulgarische und rumänische Nationalgeschichte kennt, weiß, dass Gesetze oft Jahrhunderte lang die Präsentation der fremden Macht waren. Der bulgarische und der rumänische Staat waren schwach oder gar nicht existent. 33 Siehe hierzu umfassender bei Roth (1995: 245-260), wo zur Frage von Bürgertum und bürgerlicher Kultur in Südosteuropa Stellung genommen wird. 34 Höpken (2007: 33-70) diskutiert das Bürgertum in Südosteuropa als eine in der jüngeren Vergangenheit „fehlende“ Klasse und weist aber darauf hin, dass es bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges sehr wohl eine Orientierung an bürgerlichen Lebensformen in den Städten gab, die sich auch auf die ländlichen Regionen auswirkte. Denn gerade in Bulgarien wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach der Herausbildung des Nationalstaates mit eigener Verfassung und fortschrittlicher Gesetzgebung eine Grundlage für die Entwicklung des Bürgertums geschaffen, die in kürzester Zeit Früchte trug und Institutionen hervorbrachte, die bürgerliche Lebensformen ermöglichten, nämlich: Institutionen (Ministerien und Gerichte), Schulen, Gymnasien und Hochschulen , Bibliotheken, Theater und Opernhäuser, die Salons der Staatsmänner und Schriftsteller und schließlich die funktionierende Infrastruktur mit mittleren und kleineren Unternehmern in den Städten.
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Deshalb sah man diese Gesetze auch nicht als eigene bulgarische oder rumänische Gesetze an. Es war das Regelwerk der fremden Macht. Und aus diesem Grund findet sich auch heute noch weit verbreitet die Neigung, sich diesen Dingen zu widersetzen. Es geht dabei um den Gegensatz „Unseres“, d.h. zu uns Rumänen und Bulgaren gehörig vs. „das Andere“, das den Fremden zuzuordnen ist. Dahinter steckt keine Böswilligkeit, das ist eine Art Selbstschutzsystem der Bulgaren und Rumänen über die Jahrhunderte gewesen. Einher damit ging eine stark verzögerte Entwicklung einer sozialen Mittelschicht (im westlichen Sinn). Sie entstand zwar (im 19. Jh.), war aber auf eine geringe Anzahl selbständiger Handwerksbetriebe und Besitzer von Manufakturen begrenzt, wie in den eben erwähnten Ausführungen von Höpken (2007) zum Bürgertum in Südosteuropa nachzulesen ist. Auch von Schubert (1992) werden diese Gedanken aufgegriffen, wobei ihre genauen Beobachtungen der Lebensumstände der Menschen in Südosteuropa besonders die Kleidung berücksichtigen35. In der Zeit der kommunistischen Herrschaft war diese bürgerliche Mittelklasse dann gänzlich verschwunden – und damit der „Bürger“, dem an einem Rechtsstaat gelegen ist. In den westlichen Ländern wird das juristische Regelwerk des demokratischen Staates von den Bürgern respektiert. Der Bürger bringt dem Staat, in dem er lebt, ein gewisses Vertrauen entgegen und fühlt sich als Teil dieses Staates und respektiert ihn, auch das juristische Regelwerk. Dementsprechend ist ein Vertrag in den westlichen Industriestaaten eine unumstößliche Abmachung mit Geltung und Wirkung. Diese Einstellung ist in Bulgarien und Rumänien aus den genannten Gründen anders. Auch hier hat also die Bevölkerung, wie in Polen, die Folgewirkung und Last einer Geschichte zu tragen, die nichts zu tun hat mit einer spezifischen nationalen Mentalität. Wie in Polen, irren sich westliche Geschäftsleute, wenn sie glauben, sie hätten es bei der pragmatischen bzw. innerlich distanzierten Einstellung zu Gesetzen und Regeln mit einer „typisch bulgarischen“ und „typisch rumänischen“ Mentalität zu tun. Ähnlich wie in Polen (vgl. Kap. 6.4) ist aus den oben genannten Gründen die bulgarische Einstellung zu Verträgen auch anders als die der westlichen Firmen. In der westlichen Firma wird ein Vertrag als fast unantastbares Fundament der Zusammenarbeit angesehen. Der westliche Manager braucht eine verlässliche Basis für sein Vorhaben und fällt aus allen Wolken, wenn die rumänische oder bulgarische Seite schon wenige Tage nach der Vertragsunterzeich35 Die Betrachtungen von Schubert (1992) greifen das Thema des Bekleidungsverhaltens im Zuge der Urbanisierung unter dem Titel: „Von den „Nationaltrachten“ zur europäischen Stadtkleidung: Zum Wandel im Kleidungsverhalten der Donau-Balkan-Völker“ auf. Damit wird ein wichtiger Einblick in die Modernisierungsbestrebungen dieser Länder gewährt.
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nung anruft und ganz ruhig sagt: „Der Vertrag kann so nicht bleiben, ich nehme diese oder jene Änderung vor, es sind neue Gegebenheiten eingetreten, usw.“ Der westliche Manager traut seinen Ohren nicht in solchen Augenblicken! Er muss wissen, dass ein Vertrag bei gemeinsamen Projekten von bulgarischer und rumänischer Seite als Anhaltspunkt, als Orientierung gesehen wird. Entscheidend ist für die rumänische und bulgarische Seite der gute persönliche Kontakt zum Geschäftspartner, die gemeinsamen Interessen. Viele bulgarische Sprichwörter belegen dies, wie z.B.: « ɉɚɪɢ ɫɟ ɩɟɱɟɥɹɬ, ɨɫɬɚɜɚɬ ɱɨɜɟɲɤɢɬɟ ɨɬɧɨɲɟɧɢɹ.» Sinngemäß übersetzt: „Geld wird immer wieder verdient, wesentlich sind die menschlichen Beziehungen, die bleiben.“ Was heißen soll, dass Geld immer wieder verdient werden kann, auch wenn es einmal Verluste gegeben hat, doch die Erinnerung an den guten persönlichen Kontakt bei dieser Angelegenheit ist wesentlich mehr wert. Wenn die strikte zeitliche Einhaltung von dead line bei Verträgen gefährdet wird, und von deutscher Seite angemahnt wird, hört man manchmal: «Ɋɚɛɨɬɚɬɚ ɧɟ ɟ ɡɚɟɤ ɞɚ ɢɡɛɹɝɚ». Sinngemäß übertragen: „Die Arbeit ist doch kein Hase, der davonrennen kann.“ Soll heißen, das wird schon noch alles, nur nichts überstürzen und die Fassung verlieren. Diese Grundeinstellung, dass auch morgen noch ein Tag ist, macht das Geschäftsleben in Südosteuropa für westliche Geschäftsleute auch sehr sympathisch, denn der allzu große Druck und die übermäßige Spannung und eine zu hohe Erwartungshaltung sind eben am nächsten Tag nicht mehr ganz so prekär wie am heutigen Tag, und dadurch wird man Problemen gegenüber etwas gelassener. Mehrere Fallbeispiele sollen die genannten kulturellen Unterschiede verdeutlichen, und zwar jeweils unter dem Gesichtspunkt der Unkenntnis auf der deutschen Seite. Mangelnde Kontrolle in Hinsicht auf Fristenwahrung Fallbeispiel: Ein deutsches Tourismus-Unternehmen schloss mit dem rumänischen Partnerunternehmen im November 2003 Verträge über die Nutzung von zwei Hotels für die Sommersaison 2004 ab. Beide Hotels befinden sich in den Karpaten. Vor Vertragsabschluss verlangte die deutsche Seite ausdrücklich die Sanierung der Fenster und der Bäder der Hotels. Im Dezember 2004 begab sich ein deutscher Manager des Tourismus- Unternehmens nach Rumänien, zunächst in die Zentrale des Partnerunternehmens, und sollte die Vertragsbedingungen 136
aushandeln. Die Kosten für die Sanierung sollten die deutsche und die rumänische Seite anteilig tragen. Die deutsche Seite schlug die Entsendung eines Bautrupps mit dem entsprechenden Material aus Deutschland vor. Die rumänische Seite argumentierte, die Kosten hierfür seien viel zu hoch. Sie wollten rumänische Bauarbeiter beschäftigen und nur einen geringen Teil des Materials aus Deutschland haben. So wurde der Vertrag abgeschlossen. Der deutsche Manager reiste nach einigen Tagen Aufenthalt in Bukarest zurück. Das rumänische Tourismus-Unternehmen hatte ihm eine hübsche Dolmetscherin an seine Seite gestellt, mit der er sich gut verstand. Seine Eindrücke vom Land waren gemischt. Er bekam zu spüren, dass die Energieversorgung oft nicht klappte. Dafür bekam er berühmte rumänische Holzarchitektur gezeigt, die ihn davon überzeugen sollte, dass die rumänischen Handwerker den Hotelausbau problemlos bewältigen werden. Sein Wunsch, in die Karpaten zur Hotelbesichtigung zu fahren wurde nicht erfüllt mit dem Argument, jetzt sei es zu kalt dafür, im Frühling, ja, dann wolle man ihm die Schönheit der Karpaten zeigen. Der Dezember und der Januar vergingen ohne Meldungen von den rumänischen Hotelbaustellen. Im Februar fragte die deutsche Seite nach dem Stand der Bauarbeiten. Es wurde argumentiert, dass eine Summe von deutscher Seite für die Bauarbeiten gezahlt werden müsse. Der deutsche Manager fuhr daraufhin wieder nach Rumänien. Er erfuhr, dass auf den Baustellen noch nichts passiert war. Die rumänische Seite erklärte ihm, dass alle guten Bauarbeiter ins Ausland gegangen seien und dass so auf die Schnelle keine zu finden waren. Außerdem sei die Energieversorgung für die Baustellen zu schwierig im Moment. Aber wegen dieser „kleinen“ Probleme solle er sich jetzt keine Gedanken machen, wenn die deutsche Seite zahlt, dann würde das schon noch alles fertig bis zu Saisonbeginn. Die Rumänen seien Meister im Improvisieren. Er solle die Schönheiten des Landes genießen und vor allen Dingen die rumänische Gastfreundschaft. Die Eröffnung der Hotels war für Mai 2004 vorgesehen. Die Bauarbeiten liefen dann bis Ende 2004. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2004 entsandte das deutsche Unternehmen einen „ständigen Vertreter“ für diese Objekte nach Rumänien. Nachdem diese Art der Kontrolle gewährleistet war, liefen die Bauarbeiten reibungsloser, die Schwierigkeiten in der Energieversorgung bestanden zwar weiter, konnten aber für die Baustellen dann gemeistert 137
werden. Eine Fertigstellung der Hotels, mit erheblicher deutscher Finanzierung, erfolgte schließlich Ende 2005. Der Verlust für die deutsche und die rumänische Seite war spürbar, denn erst in der Sommersaison 2006 konnten die Hotels für den Tourismus genutzt werden. Der ursprüngliche Vertrag war eigentlich nur noch ein Art „Anhaltspunkt“ und die deutsche Seite verzichtete auf eine Klage wegen Nichteinhaltung der Fristen, denn das wären noch einmal zusätzliche Kosten für beide Seiten gewesen. Mangelnde Kontrolle im Hinblick auf Überwachung von Materialien, Firmeneigentum etc. Fallbeispiel: Eine deutsche Baumarktkette plante ihre Niederlassung in Rumänien. Die Dolmetscherin war bei einigen Vertragsverhandlungen bezüglich Standortwahl, Beginn der Bauarbeiten, Transportlogistik der benötigten Materialien für den Bau etc. zugegen. Deutsche Vertreter der Baumarktkette besuchten den gewählten Standort mehrfach, schlossen Verträge mit rumänischen Baufirmen (Subunternehmern) über die Errichtung der Hallen ab und begannen, die Details auszuhandeln. Die Verträge wurden unterzeichnet. Die Anlieferung der Materialien aus Deutschland begann. Die Baumaterialien für die Halle wurden gelagert, ohne besondere Kontrolle von deutscher Seite. Die Vorarbeiten für die Errichtung der Halle verliefen nach Plan, das Fundament für die Halle wurde gegossen, die Wände wurden errichtet. Nun wurden die Dachisolierungsmaterialien benötigt. Sie wurden nach deutschen Angaben mit drei Transportern angeliefert, waren aber nirgendwo auffindbar. Nachfragen von deutscher Seite blieben ergebnislos. Die drei LKW mit der Dachisolierungsfolie und Dämmstoffen, so die Angaben der rumänischen Baufirmen, seien nirgendwo auf der Baustelle gesehen oder entladen worden. Die deutsche Seite hatte die Transportunterlagen (Frachtbriefe) und die Angaben ihrer Speditionsfahrer, die die ordnungsgemäße Anlieferung bestätigten. Da vor Ort kein Vertreter der deutschen Firma bei der Abnahme dieser Lieferung zugegen war, gestaltete sich die Nachforschung als äußerst schwierig und verlief ergebnislos. Die Versicherung trat für den entstandenen Schaden nicht ein, da es sich weder um einen Unfall noch um eine Beschädigung der Ware handelte, sondern sie argumentierte, dass es sich um ein Kontrollversäumnis der deut138
schen Seite gehandelt habe. Dieser Vorfall führte zu schweren Verstimmungen zwischen der deutschen und der rumänischen Seite. Die deutsche Bauleitung, die für alle Bauarbeiten rumänische Subunternehmer beauftragt hatte, schaltete nach Konsultation mit weiteren deutschen Firmen, die in Rumänien tätig sind, einen rumänischen Wachdienst, eine Art Sicherheitsfirma, für die Überwachung der Baustelle und der Materialanlieferungen, ein. Das war für das deutsche Unternehmen ein neuer Kostenfaktor, der gar nicht einkalkuliert war. Die Dachisolierung wurde erneut angeliefert. Die Ware kam an, doch auch im weiteren Verlauf der Bauarbeiten und trotz der Überwachung blieb eine relativ hohe Materialschwundrate auf der Baustelle. Noch vor Eröffnung des Baumarktes wurden Ladendetektive verpflichtet, trotzdem gelang es auch hier nicht, die Schwundrate der Ware auf ein Minimum zu reduzieren. Einstellung zu Anordnungen Fallbeispiel: Eine Delegation der deutschen Bundeswehr (Marine) besuchte im Rahmen zahlreicher Koordinationsgespräche im Hinblick auf die Mitgliedschaft Bulgariens in der NATO Ende der 90er Jahre die bulgarische Schwarzmeerflotte. Den deutschen Gästen wurden Arbeitsabläufe auf den Militärschiffen vorgeführt. Einem Offizier der deutschen Marine fiel auf, dass der bulgarische Amtskollege an jedem Abend gewisse Befehle, die er im Lauf des Tages gegeben hatte, auf ihre Ausführung hin überprüfte und persönlich kontrollierte. Die Ergebnisse des abendlichen Rundgangs wurden außerdem am nächsten Morgen mit den Matrosen kurz kommentiert. Den deutschen Marineoffizier verwunderte diese Vorgehensweise und schließlich befragt er den bulgarischen Amtskollegen, weshalb er diese abendlichen Kontrollgänge absolvieren müsse, es seien doch Befehle erteilt worden und damit sei der Vorgang erledigt! Der bulgarische Marineoffizier war nun seinerseits verwundert über die Haltung des deutschen Offiziers zum Thema Kontrolle und erklärte, dass ein Befehl in der bulgarischen Armee eben auf seine Ausführung hin kontrolliert werden müsse, und zwar täglich. Diese Tatsache nahm der deutsche Marineoffizier mit großem Unverständnis auf, denn für ihn galt ein Befehl als eine unumstöß139
liche Anweisung, die keiner Kontrolle bedarf. Er verstand den Hintergrund der Haltung sowohl der bulgarischen Matrosen als auch der bulgarischen Offiziere nicht und war mit diesem Führungsstil nicht einverstanden. Ratlosigkeit von deutscher Seite gegenüber dem Verhalten der anderen Seite, Fehler bei der Umsetzung von Anweisungen oder in der Produktionsphase werden nicht mitgeteilt Fallbeispiel: Eine deutsche Software-Firma mit Niederlassung in Rumänien holte rumänische Mitarbeiter für einen Monat nach Deutschland, um ein bestehendes Software-Programm zu überarbeiten und zu verbessern. Die rumänische Niederlassung war neu und die deutsche Stammfirma wollte einen Teil der rumänischen Mitarbeiter auch deshalb nach Deutschland holen, um die Ziele und Strategien des Unternehmens klarer zu zeigen und darzustellen. Einmal wöchentlich wurde eine gemeinsame Zusammenkunft der rumänischen und deutschen Mitarbeiter abgehalten, die u.a. auch als Kontrolltermin zum Stand der Fortschritte der Aufgaben diente. Die deutschen Mitarbeiter benannten in diesen Zusammenkünften ihre Probleme, teilten Fehlschläge mit und suchten in dieser Runde nach Anregungen zur Problemlösung. Die rumänischen Mitarbeiter spezifizierten ihre Angaben auch nach mehrfachem Befragen von deutscher Seite nicht, sondern teilten nur mit, dass sie ihren Teil zum Abgabetermin schaffen würden. Nach drei Wochen stellte eine deutsche Mitarbeiterin einer rumänischen Kollegin ihre Lösungsansätze und Resultate vor und wollte nun über deren Teilergebnisse, die Technik der Bewältigung der Aufgabe und die Fortschritte diskutieren und sah mit großem Erstaunen, dass das rumänische Team noch meilenweit von der Lösung der Aufgabe entfernt war und dass es innerhalb der verbliebenen letzten Woche nie und nimmer zu schaffen war, diese Aufgabe zu lösen. Die deutsche Mitarbeiterin beriet sich mit dem deutschen Teamleiter, der sich sehr enttäuscht über die rumänischen Mitarbeiter zeigte und ihnen vorhielt, die deutschen Mitarbeiter zu hintergehen, denn Verständigungsschwierigkeiten sprachlicher Natur waren wirklich nicht vorhanden. Das Projekt endete mit einer gro140
ßen Dissonanz, den rumänischen Mitarbeitern wurde unkorrektes Verhalten vorgeworfen. Während der ganzen vier Wochen fiel den deutschen Mitarbeitern auf, dass die rumänischen Kollegen nie über einen Fehler oder Fehlersuche sprachen, dass sie keinen Fehlschlag einräumten und strikt auf ihren Ansichten beharrten. Sie zeigten immer ein korrektes Auftreten und waren sehr bemüht, ihre Pünktlichkeit und Disziplin in jeder Hinsicht am Arbeitsplatz zu zeigen, nur Fehler oder auftretende Schwierigkeiten wurden eben nicht eingeräumt. Hilflosigkeit gegenüber der „Freundschaftsfalle“ Ich habe solche Situationen immer gern als die so genannte „Freundschaftsfalle“ bezeichnet, da sie von deutscher Seite nicht richtig bewertet werden, auf den kulturspezifischen Unterschieden beruhen und schließlich gravierende Auswirkungen auf die berufliche Interaktion hervorbringen und zu Missverständnissen führen: Fallbeispiel: Eine deutsche Fluggesellschaft hatte vor, in Bulgarien mit der ortsansässigen Catering-Firma der bulgarischen Fluggesellschaft, nachdem Ausschreibungs- und Auswahlverfahren erfolgreich abgeschlossen waren, mit der gemeinsamen Produktion von Essensportionen für Fluggäste zu beginnen. Die Vertragsunterzeichnung besiegelte das Vorhaben. Diese Produktion existierte schon geraume Zeit in Bulgarien und lief nach bestimmten Prinzipien. Die Verantwortlichen für das Projekt von beiden Seiten standen nach zahlreichen Treffen und gemeinsamen Tagen und Abenden in einem guten persönlichen Kontakt. Das ist das unumstößliche Fundament für die bulgarische Seite. Nach einem Monat kam es zu ersten Lieferschwierigkeiten bei den bulgarischen Lebensmitteln, die auf natürliche Gegebenheiten (Ernteeinbußen in Bulgarien) zurückzuführen waren und die bulgarische Seite erfüllte den Vertrag nicht nach den strikten Vorgaben, sondern begann zu improvisieren. Die deutsche Seite sah das als Vertragsbruch. Der deutsche Manager erlitt daraufhin ernsthafte gesundheitliche Probleme. Die bulgarische Seite konnte das nicht verstehen, weil die persönlichen Beziehungen doch so gut waren, dass man über solche Dinge schlicht hinweg sehen sollte. Letztendlich war das angebotene 141
Substitut bei der Lebensmittellieferung, nach bulgarischer Ansicht, auch gar nicht so unpassend. Hier müssen beide Seiten voneinander lernen. Die bulgarische Seite muss die Erfahrung machen, dass einem Vertrag klare Grenzen bezüglich des Qualitätsstandards und der Flexibilität gesetzt sind und dass auch Improvisationen der Absprache bedürfen. Das deutsche Management muss lernen, dass die bulgarische Seite auf Grund der guten persönlichen Kontakte die Zusammenarbeit nie in Frage gestellt hatte. 1.3 Zur Auswahl von einheimischem Personal Die Stellenausschreibung: Wenn westliche Unternehmen in Rumänien und Bulgarien Stellenausschreibungen für ihre Firma in den einschlägigen Zeitungen oder den Online-Ausgaben der Zeitungen oder über die Internet-Seite ihrer Firma tätigen, so sollten sie dabei einiges berücksichtigen:
Wenn eine Firma wirklich deutschsprachiges Personal benötigt, so sollte sie ihre Stellenanzeigen ruhig auch schon in deutscher Sprache schalten, und deutschsprachige Bewerbungen anfordern, um die entsprechenden Interessentinnen und Interessenten „herauszufiltern“.
Die Bewerbung der Kandidatinnen und Kandidaten:
Die Bewerbungsschreiben der Kandidatinnen und Kandidaten sind oft nicht auf die ausgeschriebene Stelle ausgerichtet, sondern man hat manchmal den Eindruck, die Bewerberinnen und Bewerber „versuchen es eben mal, ob sie landen könnten.“ Nach erster Sichtung der Unterlagen sieht man schon, dass die angegebenen Qualifikationen nicht auf das Profil der Ausschreibung zutreffen.
Das Arbeitszeugnis der Kandidatinnen und Kandidaten:
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Bei der Durchsicht der Bewerbungsunterlagen fällt dem deutschen Unternehmer meist auf, in welcher Art und Weise das rumänische oder bulgarische Arbeitszeugnis ausgestellt ist. Die Schulzeugnisse und die Abschlusszeugnisse über Berufs- oder Hochschulbildung sind oft schon schwierig zu
interpretieren aufgrund der unterschiedlichen fachlichen Bezeichnungen und der doch oft sehr unterschiedlichen Ausbildungsstandards. Manche Bewerberinnen und Bewerber schicken auch nur ihr Bewerbungsanschreiben und erklären telefonisch, dass sie bei ihrer Einstellung dann alle Unterlagen vorlegen werden. Das rumänische oder bulgarische Arbeitszeugnis unterscheidet sich von einem in Deutschland ausgestellten Arbeitszeugnis signifikant. In Deutschland sagt ein Arbeitszeugnis außer über die Dauer der Zugehörigkeit zu einer Firma oder zu einem Unternehmen sehr viel über die Qualität der verrichteten Tätigkeit des Bewerbers oder der Bewerberin in einem Unternehmen aus: Es beschreibt seine/ihre Teamfähigkeit und seine/ihre besonderen Stärken und Qualifikationen, die er/sie eventuell am Arbeitsplatz auch noch erwerben oder aber unter Beweis stellen konnte. In Deutschland gibt es mittlerweile etablierte „Formeln“ in Arbeitszeugnissen, die für Personalchefs ganz eindeutige Aussagen über einen Bewerber enthalten.
Das rumänische oder bulgarische Arbeitszeugnis sieht ganz anders aus und ich habe viele deutsche Firmeninhaber darüber den Kopf schütteln sehen. Es wird außer den Personaldaten des Bewerbers nur noch die Dauer der Zugehörigkeit zum rumänischen oder bulgarischen Unternehmen angegeben und sonst kaum etwas. Für einen deutschen Personalchef wäre das ein ganz negatives Zeichen, denn wenn es über einen ausscheidenden Mitarbeiter nichts zu berichten gibt seitens der Vorgesetzten, dann ist das normalerweise – nach deutscher Denkweise – kein gutes Zeichen. Und hier liegen wiederum große Differenzen zwischen den westlichen Ländern und Rumänien und Bulgarien, die im autoritären System des bürokratischen Sozialismus begründet sind. Arbeitszeugnisse waren nur Formsache, lediglich mit den allernotwendigsten Fakten zur Person bestückt und keinesfalls Beurteilungen eines Arbeitnehmers oder eines Angestellten. Diese Notwendigkeit bestand auch nicht, denn es ging nicht darum, ein möglichst gutes Arbeitszeugnis vorzuweisen und deshalb eventuell eine bessere Bezahlung o. ä. zu erhalten. Es gab ein in der Verfassung festgelegtes Recht auf Arbeit, das allen Arbeit zusicherte. Die Bezahlung war am Monatsende für Angestellte und Arbeitnehmer in einem Großbetrieb in der gleichen „Brigade“36 oder im gleichen
36 Eine Brigade war in den sozialistischen Großbetrieben, in Bergwerken und in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften eine Gruppe von mehreren Mitgliedern, die von einem „Brigadier“ geleitet wurde und in bestimmten Produktionsabschnitten tätig war.
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„Arbeitskollektiv“ 37 gleich, so dass auch keine unterschiedlichen Beurteilungen der Arbeitsleistung notwendig waren. Deshalb lesen sich die heutigen Arbeitszeugnisse von rumänischen und bulgarischen Arbeitnehmern immer noch so dürftig, und wahrscheinlich werden sich in den südosteuropäischen Ländern erst nach dem Beitritt zur Europäischen Union Änderungen im Hinblick auf die Abfassung von Arbeitszeugnissen durchsetzen. Doch es wird noch einige Zeit benötigen, bis man von einer gewissen Normierung der Arbeitszeugnisse ausgehen kann. Deshalb: Deutsche Unternehmer sollten davor gewarnt werden, aus diesen Arbeitszeugnissen vorschnelle negative Rückschlüsse über die Fähigkeiten der Bewerber zu ziehen, sondern sich umso mehr auf das Vorstellungsgespräch konzentrieren und dafür wesentlich mehr Zeit einplanen, als dies für ein Vorstellungsgespräch in Deutschland üblich ist. Denn dieses Gespräch ist nicht nur notwendig, um die Motivation und die Fremdsprachenkenntnisse des zukünftigen Mitarbeiters oder der zukünftigen Mitarbeiterin auszuloten, und geforderte Fähigkeiten sollten nicht nur abgefragt, sondern an Ort und Stelle überprüft werden. Das Vorstellungsgespräch: Beim Gespräch mit dem Bewerber oder der Bewerberin wird meist auffallen, dass diese sehr ängstlich und scheu auftreten und wenig Selbstsicherheit zeigen. Dies ist nicht nur der Aufregung und der besonderen Situation während des Vorstellungsgesprächs anzulasten, sondern beruht auf der übergroßen Angst der Bewerberinnen und Bewerber „etwas falsch zu machen.“ Ein wenig „Zeit zum Auftauen“ ist deshalb erforderlich. Während des eigentlichen Gesprächs ist es dann angebracht, über den beruflichen Werdegang ausführlich zu sprechen und am besten ist es, wenn erwähnte Fähigkeiten auch gleich überprüft werden können. Denn wenn ein Arbeitszeugnis nichts aussagt und der Kandidat aber von „perfekten Computer- und Programmierkenntnissen“ spricht, dann sollte man diese, wenn möglich, an Ort und Stelle überprüfen. Dafür wird der erwähnte entsprechende Zeitrahmen für das Vorstellungsgespräch benötigt. Oft stellt sich dann heraus, dass trotz guter Zeugnisnoten die erforderlichen Kenntnisse doch nicht vorhanden sind oder man erlebt, dass Bewerberinnen oder Bewerber mit wenig aussagekräftigen Unterlagen doch geeignet erscheinen. Auf jeden Fall sollte die Probezeit so lange wie möglich gehalten werden, denn nicht nur die reine Leistung am Arbeitsplatz sondern auch die
37 Ein Arbeitskollektiv bestand aus mehreren Mitgliedern und war meist mit der Ausführung eines bestimmten Projekts betraut oder für die ständige Versorgung eines Produktionsabschnitts oder staatlicher Einrichtungen verantwortlich.
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interkulturelle Kompetenz der neuen Mitarbeiter sollte entscheiden und einige Zeit geprüft werden. 1.4 Die Kontrolle von Qualitätsstandards Fallbeispiel: Eine Warenhauskette wurde während einer Messeveranstaltung in Deutschland auf ein bulgarisches Wein- und Sektangebot aufmerksam und wollte bulgarischen Wein in ihr Sortiment aufnehmen. Zwei Manager der Warenhauskette reisten nach Bulgarien, um die Produktionsgegebenheiten zu besichtigen und Vorverträge auszuhandeln. Es war zum Jahresende 2002. Die Lieferungen sollten ab 2003 vertraglich vereinbart werden. Die beiden deutschen Manager waren in einem Hotel in der Nähe der Weingroßkellerei untergebracht und bestellten sich nach dem Abendessen eine Flasche bulgarischen Sekt. Die Kellnerin öffnete die Sektflasche und entfernte sich wieder vom Tisch. Die Gäste probierten von dem Sekt, er war verdorben. Sie hatten sich auch darüber gewundert, dass die Flasche sich nicht mit dem typischen Knall des Sektkorkens geöffnet hatte. Sie baten die Kellnerin an den Tisch und wollten eine neue Flasche haben. Die Kellnerin reagierte verwundert. Sie sagte, dass sie die Flasche am Tisch geöffnet habe und dass damit alles in Ordnung sei. Es könne nicht sein, dass der Sekt nicht in Ordnung sei, die Flasche sei ja eben erst von ihr geöffnet worden. Die beiden deutschen Manager reagierten mit Befremden auf diese Haltung und sprachen daraufhin mit dem Chef des Restaurants, der ihre Reklamation zur Kenntnis nahm und ihnen die zweite Flasche Sekt aber trotzdem in Rechnung stellte. Er erklärte das mit dem komplizierten Abrechnungssystem in den Restaurants. Die beiden Deutschen wurden sehr unsicher und überlegten sich ernsthaft, ob sie Vorverträge für bulgarische Weinlieferungen abschließen sollten, wenn bei Reklamationen derartige, für sie völlig unverständliche Reaktionen, auftreten. Am nächsten Tag, während der Verhandlungen zu den Vorverträgen hatten die beiden Deutschen immer wieder diesen Zwischenfall vom Restaurant vor Augen und brachten die Sprache sogleich auf das Thema Reklamation und erwähnten vor den Vertretern der bulgarischen Weingroßkellerei die geschilderte Situati145
on vom Vorabend im Hotelrestaurant. Die bulgarische Seite ging sehr sorgfältig auf die Bedenken der Deutschen ein. Es wurde ein ausführlicher Vertragspassus zu Reklamationen vereinbart, der aber bis jetzt von deutscher Seite kaum in Anspruch genommen werden musste, weil der gelieferte bulgarische Wein den qualitativen Anforderungen entsprach. 1.5 Zum Führungsstil gegenüber einheimischen Mitarbeitern Fallbeispiel: Ein deutscher Unternehmer hatte mit zwei bulgarischen Geschäftspartnern in Bulgariens Hauptstadt ein Hotel mit Restaurantbetrieb eröffnet. Die Dolmetscherin wurde mit der Übersetzung der Vertragsunterlagen beauftragt und betreute alle anfallenden Übersetzungsarbeiten für dieses Projekt. Der deutsche Unternehmer ging nach Bulgarien und entschied sich, seinen Lebensmittelpunkt für die nächsten Jahre dort zu wählen, nachdem er seine bulgarische Ehefrau vor Ort kennen gelernt hatte. Er lernte sehr schnell, wie man bei den bulgarischen Behörden eine zügigere Arbeitsweise erreicht, indem man einen direkten Kontakt zu den zuständigen Angestellten hält und keinen Antrag anonym stellt oder abgibt. Nach Abschluss der Bauarbeiten trennten sich die Geschäftspartner. Die bulgarischen Partner wollten auch in Zukunft nur in der Baubranche bleiben, während der deutsche Unternehmer sich dem Hotelbetrieb widmen wollte. Er hatte 35 bulgarische Angestellte, die als Köche, Portier, an der Rezeption, als Barkeeper, im Zimmerservice, als Reinigungspersonal, als Gärtner, Hausmeister usw. tätig waren und sind. Seine bulgarische Ehefrau, die ein Studium der Betriebswirtschaft in Bulgarien abgeschlossen hatte, war mit dem Abrechnungswesen des Restaurants und des Hotels betraut. Das Hotel lief gut an. Der deutsche Unternehmer beschäftigte sich voll und ganz mit seinen Aufgaben als Hotelmanager und erledigte auch Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und Werbung für das Hotel. Nach einem halben Jahr ging seine Ehefrau in die Babypause für ein Jahr und an ihrer Stelle wurde die Ehefrau eines Hotelangestellten eingestellt, die für die Kontrolle des Abrechnungswesens zuständig war. In dieser Zeit wurde der Hotelmanager mit viel Kleinkram, der aus Unstimmigkeiten zwischen den 146
Angestellten resultierte, beschäftigt. Er wollte aber nicht der strenge „Boss“ sein, sondern baute auf Teamarbeit nach westlichem Vorbild und wollte keine strengen Vorschriften und Kontrollen für sein Personal. Ihm fiel auf, dass seine Angestellten öfters mal „übers Wochenende ans Schwarze Meer“ fuhren und sehr gut gekleidet waren. Er konnte an Reisen oder Abwesenheit nicht denken, da ihn die Arbeit im Hotel voll und ganz in Anspruch nahm. Das Hotel lief weiter mit voller Auslastung, so dass er Kreditraten und Gehälter der Angestellten problemlos zahlen konnte. Nach einem Jahr kehrte die bulgarische Ehefrau an ihren Arbeitsplatz zurück. Einen Monat später stellten der Manager und sie fest, dass die Einnahmen in diesem Monat wesentlich höher waren, als in der vergangenen Zeit. Auch in den beiden folgenden Monaten blieb das so und die bulgarische Ehefrau begann, die Unterlagen mit denen des Vorjahrs zu vergleichen. Es taten sich erhebliche Differenzen auf. Die Angestellten unternahmen keine Spritztouren übers Wochenende mehr. Der deutsche Manager wurde wütend. Er hatte volles Vertrauen in seine Angestellten gehabt und musste nun feststellen, dass er ein Jahr lang hintergangen worden war. Er fühlte sich betrogen. Er wollte den Rechtsweg beschreiten und Anzeige gegen die Angestellten erheben. Seine Ehefrau riet ihm ab mit dem Argument, dass er nichts nachweisen könne. Sie hatte einfach eine andere Art der Kontrolle eingeführt. Der Manager hatte seine Funktion als Boss zu erfüllen, in jedem Team wurde ein Verantwortlicher eingesetzt, der dem Boss täglich über alle Vorkommnisse zu berichten hatte zu einer jeweils festgesetzten Uhrzeit. Dadurch blieben dem Manager die ganzen Reiberein der Angestellten und der Kleinkram (wer mit wem, warum und welche Schicht tauscht usw.) erspart. Dieser Verantwortliche erhielt für diese Zusatzfunktion auch etwas mehr Gehalt. Durch diese Maßnahme hatte er mehr Zeit, die er für wesentlich wichtigere Aufgaben benötigte. So waren beispielsweise die ersten Reparaturarbeiten im Hotel fällig, die er überwachen musste. Außerdem funktionierte die Klimaanlage nicht nach seiner Zufriedenheit und musste, ebenfalls unter seiner Aufsicht, einer großen Wartungsarbeit unterzogen werden. Die Angestellten wurden wesentlich straffer geführt als bisher, was seinen Vorstellungen vom Führungsstil, so wie er ihn aus 147
Deutschland kannte, ganz und gar nicht entsprach, doch diese Methode zeigte in Bulgarien den gewünschten Erfolg. Die Ähnlichkeit zu den Ausführungen zum Führungsstil in Polen (Kap.4) ist offensichtlich.
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2 Unterschiede hinsichtlich der Rahmenbedingungen
2.1 Über die Beziehung zu den Behörden Ausschreibung zur Niederlassung eines ausländischen Unternehmens in der bulgarischen Tourismusbranche Fallbeispiel: Ein deutscher Manager bewirbt sich und möchte eine eigene Charterfluggesellschaft in Bulgarien gründen. Die Anbahnungsgespräche liefen zunächst über die größte bulgarische Fluggesellschaft. Dem deutschen Manager stand der Gang zum bulgarischen Tourismus- und Verkehrsministerium zwecks Gründung und Registrierung einer solchen Fluggesellschaft bevor. Er beriet sich mit einem bulgarischen Fachanwalt und wurde in seinem Vorhaben bestärkt. Er war verwundert über das unglaublich hohe Honorar, das der Anwalt verlangte. Er befragte dazu eine versierte Dolmetscherin, die für die Übersetzung der Vertragsunterlagen beauftragt war. Diese verfügte über langjährige Erfahrung mit bulgarischen Institutionen und so allmählich erfuhr der deutsche Manager von den allfälligen Korruptionsgeldern, die in diesem Anwaltshonorar mit enthalten sind. Er konnte sich zu dieser Vorgehensweise nicht entschließen und wurde als Bewerber nicht mehr berücksichtigt. (Das Fallbeispiel stammt aus dem Jahr 2000.) Er fiel aus allen Wolken und nahm ein für allemal Abstand von diesem Unterfangen. Dass die Korruption immer noch ein Thema in Bulgarien ist, belegt die Ausgabe des Bulgarien-Infobriefs vom April 2008 wo es auf S. 3 zu einer Konjunkturumfrage in Bulgarien heißt: „Kriti-
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siert wurde auch ungenügend Transparenz bei öffentlichen Aufträgen und mangelnde Rechtssicherheit.“ 38 Die aufgeblähte Bürokratie Fallbeispiel: Ein deutsches Unternehmen aus der Textilbranche mit langjähriger Tradition hatte sich in den 90er Jahren entschlossen, einen Teil seiner Bekleidung in Bulgarien nähen zu lassen. Die Stoffe für die Damen- und Herrenoberbekleidung wurden aus Fernost geliefert, Nähzwirn und Accessoires aus Bulgarien. Die Arbeitsvorgänge vom Zuschneiden bis zum Einpacken erfolgten in Bulgarien. Von der deutschen Zentrale wurde Qualitätskontrolle, Marketing, Vertrieb und Logistik übernommen – so, wie das bisher in den anderen Filialen dieses Unternehmens im Ausland auch üblich war. Bis 2005 funktionierte diese Art der deutschbulgarischen Zusammenarbeit fast reibungslos, bis Mitte 2005 eine neue gesetzliche Bestimmung des bulgarischen Industrie- und Wirtschaftsministeriums die Zertifizierung aller Materialien vorschrieb, die in Bulgarien verarbeitet wurden. Diese Anordnung hatte von den bulgarischen Mitarbeitern in der Leitung des Unternehmens keiner so recht ernst genommen und auch nicht an die deutsche Leitung der Niederlassung, geschweige denn an die Zentrale des Unternehmens in Deutschland weiter geleitet. Als die nächste Lieferung der fertigen Bekleidung ins Ausland anstand, wurde die Ware von den bulgarischen Behörden nicht freigegeben, weil sie nicht mit den neuen, nun aber erforderlichen Zertifikaten für die Lieferungen ins In- und Ausland versehen war. Nun wurde die deutsche Leitung mit diesem Problem konfrontiert und war sehr verärgert darüber, dass sie so spät darüber informiert wurde. Sie suchte sofort nach einer raschen Lösung, um Lieferverzug zu vermeiden. Es handelte sich schließlich um modische Damen- und Herrenoberbekleidung für den Sommer, die dringend in die Lager der Versandhäuser und der Warenhäuser transportiert werden musste, denn Lieferverzug bedeutet gerade in der Bekleidungsbranche einen extrem hohen Verlust. 38 Bulgarien-Infobrief, hg. vom Deutsch-Bulgarischen Forum e.V., 12. Jahrgang, Nr. 4 April 2008, S. 3.
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Die Zertifizierung der Materialien lag von den Herstellerländern zwar vor, nur diese Kriterien waren in Bulgarien in dieser Form nicht akzeptabel und im zuständigen Ministerium fand sich keine Möglichkeit für eine rasche Lösung des Problems. Es handelte sich wirklich um eine „Formsache“, die aber die Lieferung der Ware stoppte. Die Dolmetscherin des Unternehmens, die mehrjährige Erfahrungen mit der bulgarischen Bürokratie hatte, schlug vor, einen Weg zu gehen, der sowohl für die deutsche als auch für die bulgarische Seite akzeptabel war. In Deutschland gibt es seit einigen Jahren Honorarkonsulate der Republik Bulgarien, zu deren Hauptaufgaben die Förderung der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit der beiden Länder zählt. Das deutsche Unternehmen bat um eine Konsultation mit einem Honorarkonsul der Republik Bulgarien in Deutschland in dieser „Zertifikatsangelegenheit“. Nach Prüfung der Sachlage konnte der deutsche Honorarkonsul zwischen den zuständigen bulgarischen Behörden und dem deutschen Unternehmen vermitteln, so dass das erforderliche Ausfuhrzertifikat von bulgarischer Seite erteilt wurde und die Waren endlich in ihre Bestimmungslager gelangten und für die Bestellungen der Frühjahrs- und Sommersaison 2006 zur Verfügung standen. Hätte sich die Auslieferung noch um wenige Wochen verzögert, wäre diese ganze Produktion aus Bulgarien nur noch zum halben Preis zu verkaufen gewesen! Ein hoher Verlust für das Unternehmen und zusätzlich eine Gefährdung für Arbeitsplätze in Bulgarien, weil solche Pannen meist in den Chefetagen der Unternehmen zu sofortigen Konsequenzen bis hin zur Schließung der ausländischen Filialen führen, wenn sich bürokratische Hindernisse nicht überwinden lassen. 2.2 Kredite und Versicherungen – auf kommunaler und betrieblicher Ebene Das Gewähren von Krediten ist erst nach dem Jahr 2000 in Rumänien und Bulgarien für kleine und mittelständische Unternehmen möglich geworden. Bei Geschäftsverhandlungen konnte ich folgende Haltung auf bulgarischer und rumänischer Seite beobachten: 151
Kleine Firmen mit einem begrenzten Budget wagen sich meist an einen Kredit nicht heran, sie sind der Meinung, dass sie ihre wirtschaftliche Lage nicht sicher prognostizieren können, dann zu den Kreditzinsen auch noch Versicherungskosten aufbringen müssen und dies alles ist zu viel. Es wird noch dauern, bis sich eine andere Denkweise in Bezug auf Kreditnutzung durchsetzen wird. Fallbeispiel: Eine bulgarische Stadt unterhält freundschaftliche Beziehungen zu einer Stadt in Deutschland. Diese bulgarische Stadt besteht eigentlich aus einer größeren, urban geprägten Siedlung und nach der letzten Verwaltungsreform wurden noch vier kleinere Ortschaften in diese Stadt „eingemeindet“, um Verwaltungskosten zu sparen und administrative Vorgänge zu optimieren. Die Stadtverwaltung der befreundeten deutschen Stadt kommt regelmäßig zu Besuchen nach Bulgarien und umgekehrt. Das Thema der städtischen Kanalisation ist in der bulgarischen Stadt prekär und bedarf einer dringenden Lösung. Es geht um den Bau einer neuen Zuleitung für die Trinkwasserversorgung und Abwasserkanalleitungen. Die deutsche Seite erklärt ihre Vorgehensweise in solchen Fällen, nämlich dass Kredite für die einzelnen Städte gewährt werden, um solche Vorhaben zügig durchführen zu können und dass diese Kreditsummen einerseits von Steuergeldern der Stadtbewohner als auch von den Anwohnern selbst beglichen werden in einem so genannten Umlageverfahren. Den bulgarischen Stadtverwaltungsangestellten wird erklärt, dass in Deutschland den Stadt- oder Gemeindebewohnern auch ein persönlicher Kredit zu sehr günstigen Konditionen gewährt wird, falls sie eine solche Summe nicht aufbringen können. Eine solche Vorgehensweise wäre jetzt in Bulgarien auch möglich. Um solche großen Vorhaben zu finanzieren, muss kreditiert werden, Summen dieser Größenordnung hat keine Stadt und keine Gemeinde für den nächsten Haushaltsplan „einfach so auf der hohen Kante liegen.“ Die bulgarische Seite ließ sich das System der Kreditgewährung für solche Fälle erklären und bittet einen deutschen städtischen Finanzierungsexperten nach Bulgarien. Er sollte eine Berechnung für das geplante Vorhaben aufstellen. Bulgarische Kollegen aus der Stadtverwaltung standen ihm dabei zur Seite. Die Experten verstanden sich problemlos. Als die Dolmetscherin zur Übersetzung der deutsch-bulgarischen Konsultationsverträge hin152
zugezogen wurde, stand die öffentliche Stadtversammlung zum Thema: „Neue Trinkwasserleitung, Kanalverlegung und Kreditierung dieser Vorhaben“ zur Debatte. Die Vorteile dieser Baumaßnahme lagen auf der Hand und konnten von niemandem widerlegt werden. Als das Thema der Finanzierung besprochen wurde, kam es zu regelrechten Tumulten in der Versammlung. Die ältere Generation, auch von den Angestellten der Stadtverwaltung, war strikt gegen ein solches Vorhaben, trotz der unbestreitbaren Vorteile. Das Thema „Kredit und die damit verbundenen Versicherungen“ löste einen solch hohen Widerstand in der Bevölkerung aus, dass diese Maßnahme bis heute nicht zustande kam. Wahrscheinlich muss die jüngere Generation noch viel Überzeugungsarbeit leisten, um die gesamte Bevölkerung von den Vorteilen einer Kreditnutzung zu zur Einsicht zu bringen. In den Jahren nach der Wende musste sich in Bulgarien zunächst ein BankenHypotheken- und Kreditgewährungssystem entwickeln, das sich von dem bis 1989 existierenden Bankwesen grundlegend unterschied. Zahlreiche anfängliche Reformen führten in den 90er Jahren noch nicht zu dem gewünschten Erfolg, dass z.B. auch mittelständische Unternehmen Kredite gewährt bekommen. Das bulgarische Bankensystem war besonders Mitte der 90er Jahre in einer so schweren Krise, dass die Inflation der bulgarischen Währung nur mit Hilfe ausländischer Kontrolle gestoppt werden konnte und das erschwerte die wirtschaftliche Zusammenarbeit jener bulgarischer Unternehmen, die auf Kreditbasis arbeiten mussten, mit dem Ausland ungemein. Jeder bulgarische Unternehmer zögerte vor der Aufnahme größerer Kreditsummen, weil dies eine ungewohnte Verantwortung und Zwang und Verpflichtung für die Kreditrückzahlung an die Bank mit sich bringt. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist dies umso schwerer. Fallbeispiel: Eine bulgarische Fluggesellschaft ließ vor der Wende und dann auch weiterhin in den 90er Jahren ihre Gepäckanhänger für die Flugpassagiere, die mit dem Flugticket zusammen ausgestellt werden, bei einer deutschen Firma anfertigen. Die Zahlung der bulgarischen Firma erfolgte innerhalb festgelegter Fristen an dieses deutsche Druckereiunternehmen, das als mittelständisches Unternehmen in Deutschland gilt. Die Zahlungen verliefen bis Anfang 153
der 90er Jahre im Dreimonatsrhythmus reibungslos, bis die ersten größeren Schwierigkeiten im bulgarischen Wirtschaftssystem auftauchten. Die Zahlungen blieben von bulgarischer Seite zunächst ohne Begründung aus. Die deutsche Seite fragte nicht nach den Gründen der Zahlungsverzögerung, sondern schaltete sogleich die Rechtsabteilung des Unternehmens ein, welche die entsprechenden Zahlungsforderungen durchsetzen sollte. Die nun auch hinzugezogene Dolmetscherin war mit der wirtschaftlichen Lage Bulgariens vertraut und kannte auch die damaligen Schwierigkeiten des bulgarischen Banksystems, was gerade in jener Zeit zum Zusammenbruch von bulgarischen Banken geführt hatte. Die bulgarische Seite bat das deutsche Unternehmen um weitere Lieferung im Namen der bisherigen guten Zusammenarbeit, bot aber in dieser Phase auch keine Lösungsmöglichkeiten des Problems an. Die Dolmetscherin schlug vor, mit einer kleinen Delegation des deutschen Unternehmens bei der bulgarischen Fluggesellschaft in Bulgarien an Ort und Stelle zu verhandeln, denn die deutsche Seite wollte den langjährigen Geschäftspartner natürlich auch nicht verlieren. Außerdem waren die Zahlungsschulden mittlerweile für das deutsche mittelständische Unternehmen nicht mehr so einfach zu verkraften, so dass nach einer Lösung gesucht werden musste. Die objektive Situation während dieser Verhandlungen war extrem schwierig. Die bulgarische Seite war nicht in der Lage klar zu äußern, dass sie im Moment keinen Ausweg aus der Situation sah, weil sie selbst in Übernahmeverhandlungen steckte und von einer geregelten Privatisierung des Unternehmens noch meilenweit entfernt war. Ein gewisses Verdrängen dieser wirklich schwierigen Situation auf der bulgarischen Seite war für die Dolmetscherin spürbar, sie versuchte dies auch den deutschen Delegationsteilnehmern zu erklären. Die deutsche Seite hatte sich leider nicht genug mit dieser spezifischen bulgarischen Situation beschäftigt und stellte nur ihre Zahlungsforderungen, ohne die wirklich komplizierte Lage des bulgarischen Geschäftspartners zu hinterfragen. So endeten die Verhandlungen mit einem äußerst unbefriedigenden Ergebnis und die deutsche Delegation fuhr „mit leeren Händen“ wieder nach Hause, ohne nach Lösungswegen oder Strategien zur Bewältigung dieses Zahlungsproblems gesucht zu haben. Es war 154
für das bulgarische Unternehmen damals nicht möglich, einen Kredit einer bulgarischen Bank zu erhalten auf Grund der wirklich schwierigen ökonomischen Situation des Landes. Diese Sachlage hätte die deutsche Seite besser berücksichtigen müssen. Besser wäre es in diesem Fall gewesen, auf eine langfristige Lösung dieses Zahlungsproblems hinzuarbeiten. 2.3 Immobilienerwerb und Mietverträge westlicher Firmen in Rumänien und Bulgarien Bevor Westler an Immobilienerwerb und -nutzung in Rumänien oder Bulgarien gehen, sollten sie eine gründliche Konsultation mit Juristen zum aktuellen Immobilienrecht in diesen Reformstaaten vorschalten. Obwohl Rumänien und Bulgarien seit dem 1. Januar 2007 Mitgliedsländer der Europäischen Union sind, ist das Immobilienrecht unter der Berücksichtigung der Rechtsstellung von Ausländern nach wie vor eine landesspezifische Angelegenheit und es ist in jedem Falle anzuraten, vor Abschluss eines Miet- oder Kaufvertrages für eine Immobilie den fachlichen Rat eines Anwalts einzuholen. Fallbeispiel: Ein deutsches Großunternehmen, das in Bulgarien in den 90er Jahren eine Filiale eröffnete, suchte für seine Niederlassung repräsentative Büroräume in der Hauptstadt Sofia. Das Unternehmen hatte bestimmte Vorstellungen über Lage und Größe der Büroräume, prüfte mehrere Angebote und fand in einem Haus in der Innenstadt passende Räumlichkeiten. Das Haus befand sich in zentraler Lage, ein großes, repräsentatives Gebäude, etwa 100 Jahre alt und mit hohen Fenstern nach allen vier Seiten ausgestattet. Das war die Bedingung des deutschen Unternehmens für den Mietvertrag, es wollte alle Räumlichkeiten nutzen und in allen Arbeitsräumen der Etage sollte bei Tageslicht gearbeitet werden. Das deutsche Unternehmen hatte eine Etage dieser großen Villa gemietet. Der Mietvertrag wurde vom Hauseigentümer gestaltet. Man kam mit dem deutschen Unternehmen überein, dass auf eine Kautionszahlung verzichtet wird, wenn die erforderlichen Renovierungsarbeiten von der deutschen Seite übernommen und ausgeführt werden. 155
So wurde der Mietvertrag unterzeichnet. Das deutsche Unternehmen begann mit den Renovierungsarbeiten der Räume, die dringend erforderlich waren. Nach Beginn der Renovierungsarbeiten stellte sich heraus, dass nicht nur Tapezier- und Fußbodenverlegearbeiten, sondern auch Wasser- und Elektroleitungsarbeiten und Heizungs- und Installateurarbeiten in größerem Umfang erforderlich waren. Letztere waren im Mietvertrag nicht vorgesehen, die deutsche Firma übernahm diese Kosten aber, da sie von einem langfristigen Mietverhältnis ausging. Nach vier Monaten waren die Büroräume bezugsfertig und die Büroräume konnten eingerichtet werden. Das deutsche Unternehmen hatte die Eigentumsverhältnisse der Etage, die sie nun nutzte, nicht bis ins Detail hinterfragt oder überprüft, sondern war in dem Glauben, dass der Vermieter auch der Eigentümer der Immobilie und des Grund und Bodens, d.h. des Grundstücks war, auf dem dieses große Haus stand. Dieses traf jedoch nur teilweise zu. Denn nach einem dreiviertel Jahr begannen direkt neben dem Haus Bauarbeiten für ein neues, mehretagiges Gebäude mit Tiefgarage. Das neue Gebäude sollte höher als das bereits existierende werden und damit eine Front der gemieteten Etage, in der das deutsche Unternehmen tätig war, komplett verbauen. Die Mieter beschwerten sich beim Vermieter und Hauseigentümer über diese Vorgehensweise. Daraufhin erklärte der Vermieter und Hauseigentümer den Vertretern des deutschen Unternehmens, dass er nicht der Eigentümer des Grundstücks sei, sondern nur der Immobilie, und dass der Eigentümer des Grundstücks selbstverständlich nach Erteilung einer Baugenehmigung darauf bauen könne. Das ist in Bulgarien möglich und wird praktiziert. Das deutsche Unternehmen versuchte, mit dem ihm bis dahin unbekannten Grundstückseigentümer wenigstens wegen eines Mietnachlasses zu verhandeln. Doch der Grundstückseigentümer begann mit den Vorarbeiten für den Bau und erklärte, dass er das Recht habe, auf seinem Grundstück zu bauen, er habe schließlich eine ordnungsgemäße Baugenehmigung. Das deutsche Unternehmen brachte seine Einwände vor, dass auf Grund der unmittelbar angrenzenden Baustelle eine starke Beeinträchtigung der Arbeitsabläufe in den Büros durch Lärm und Verschmutzung eingetreten sei, und weiterhin, dass eine Fensterfront zukünftig zugebaut sei und nicht mehr als repräsentativer Büroraum zu nutzen sei. Der Grundstückseigentümer ging nicht auf 156
diese Argumente ein. Gespräche mit dem Vermieter und Eigentümer der gemieteten Etage brachten in dieser Situation nichts, da er nicht zwischen Mieter und dem Grundstückseigentümer vermitteln konnte. Der Grundstückseigentümer räumte lediglich ein, dass er einige ungeklärte Eigentumsfragen erst jetzt geklärt habe und dass er erst jetzt bauen könne, es sei alles früher geplant gewesen. Das Einschalten eines Rechtsanwalts von deutscher Seite brachte dem Unternehmen schließlich nur Kosten ein. Die deutsche Firma verließ diese gemietete Etage mit einem hohen Verlust, denn die Renovierungsarbeiten waren ja schließlich auch von ihr getragen worden. Beim nächsten Mietvertrag überprüfte die deutsche Firma die Gegebenheiten für das gemietete Objekt, erkundigte sich genau nach dem Eigentümer und dem Vermieter und hatte mit dieser neuen Mietwohnung keine Schwierigkeiten. Aufgrund derartiger Vorkommnisse sollten westliche Firmen bei der Suche nach Büroräumen entweder ein seriöses örtliches Maklerbüro einschalten, das die Formalitäten vor dem Einzug in das Mietobjekt abklärt oder aber selbst mit versierten Sachverständigen die Eigentumsverhältnisse von Grundstück und Immobilie überprüfen, um sicher zu gehen, dass ein Mietvertrag ordnungsgemäß abgeschlossen wird. Vorabinformationen zum Immobilienerwerb in Rumänien und Bulgarien können beispielsweise auch über die genannten Industrie- und Handelskammern oder über Publikationen zu Immobilienerwerb und -nutzung in Südosteuropa bezogen werden.39 Ich möchte abschließend ein politisches Thema diskutieren, das nach meinen Erfahrungen westliche Unternehmen stark irritieren kann und mit dem sie sich in jedem Fall auseinandersetzen sollten.
39 siehe hierzu beispielsweise die Erläuterungen von Pfaff (1996:267-272) und ebenda Schrameyer (1996:461-480)
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3 Zur Politik nationalistischer Gruppierungen
Hintergrund EU-Bürger dürfen nach einer Übergangsfrist ab 2014 in Rumänien und Bulgarien Agrarland, Wald und ab 2012 Bauland erwerben. Zahlreiche Privatleute (zunächst britische und vereinzelt japanische Rentner) haben sich in Bulgarien und Rumänien in den 90er Jahren Immobilien gekauft und damit „die Preise in die Höhe getrieben“, wie die örtlichen, rechtsgerichteten Kreise dann verlauten ließen. Nach dem Jahr 2000 erlebte der bulgarische Immobilienmarkt dann einen regelrechten „Boom“, und erweist sich sowohl für ausländische als auch bulgarische Maklerbüros als großes Betätigungsfeld, denn längst sind viele nationale und internationale Interessenten aufgetreten, die sowohl für geschäftliche als auch für private Zwecke Immobilien erwerben. Diese Behauptungen „Ausländer treiben unsere Grundstückspreise in die Höhe“ und ähnliche Formulierungen, werden oft von nationalistischen und rechtsextremistischen Parteien und Gruppierungen in Umlauf gebracht, wie z.B. von der bulgarischen Partei ATAKA und der Gruppierung GERB. Diese warnen als Sprachrohr der nationalistischen Bewegung vor einem „Ausverkauf“ Bulgariens. Dieses ist natürlich eine absurde Behauptung, denn Grund und Boden bleiben Rumänien und Bulgarien erhalten, auch wenn Ausländer die Besitzer sind. Und dass die Preisforderungen natürlich von inländischer Seite gestellt werden, wird bei derartiger Propaganda tunlichst verschwiegen. Zum Erscheinungsbild der nationalistischen und rechtsextremistischen Gruppierungen hat Gernot Erler in seiner Rede vom 16.11.200740 erwähnt, „dass in Bulgarien Formationen wie ATAKA oder GERB alle Probleme von Reformen und Transformationen auf populistische Art und Weise missbrauchen, um für ihre Ideen und gegen das politische Establishment zu werben. In Rumänien spricht sich die großrumänische TUDOR-Partei offen für Ghettos für die Roma-Minderheit aus. Solche Erscheinungen im gesellschaftlichen Leben der neuen EU-Mitgliedsstaaten bezeichnet Erler in vorgenannter Rede als „PostBeitritts-Syndrom“.“ 40
siehe Literaturverzeichnis
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Westliche Geschäftsleute sollten auf keinen Fall diese Strömungen ignorieren, sie sollten deren Existenz aber auch nicht überbewerten, denn sie drücken auf keinen Fall die positive Haltung des überwiegenden Teils der Bevölkerung gegenüber der Europäischen Union aus. Wie sollten sich die deutschen Mitarbeiter in Rumänien und Bulgarien verhalten, wie ist die Unterstützung des Staates einzufordern? Rumänische und bulgarische Politiker bestärken ausländische Firmenunternehmer immer wieder darin, auf plumpe Drohungen und Forderungen populistischer Strömungen nie einzugehen, sondern Hilfe und Unterstützung von den örtlichen Behörden zu verlangen, und zwar gleich zu Beginn ihrer geschäftlichen Tätigkeit.
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Zum Abschluss
Die geschilderten Beobachtungen, die ich als Dolmetscherin bei Geschäftsanbahnungen und geschäftlichen Verhandlungen sammeln konnte, stellen nur einen Bruchteil, und zwar den weniger erfolgreichen, von deutsch-bulgarischen und deutsch-rumänischen Kooperationsvorhaben dar. Ein großer Teil der Kooperationsvorhaben zwischen deutschen und bulgarischen, bzw. deutschen und rumänischen Firmen verläuft erfolgreich, ohne große Schwierigkeiten. Um dieses Ergebnis für alle genannten bilateralen Kooperationsvorhaben leichter erreichbar zu machen, habe ich hier Fälle von typischen Problemen der interkulturellen Kommunikation in vielen Bereichen des Geschäftslebens geschildert, die sich negativ auf den Fortgang der Projekte auswirkten. Es sollten Schwerpunkte markiert werden, die von den westlichen Unternehmern große Aufmerksamkeit erfordern und andere Anforderungen an das Denken und Handeln stellen, als im westeuropäischen Umfeld. Erst der erfolgreiche Umgang mit den Schwierigkeiten wird den geschäftlichen Erfolg bescheren. Und die Kommunikation ist weit mehr als bloßes Sprechen, es ist das Umsetzen von Denk- und Verhaltensweisen, die es zu verstehen gilt, um mehr voneinander zu erfahren! Während meiner jahrelangen Aufenthalte in Südosteuropa, besonders in Rumänien und in Bulgarien, habe ich die Menschen dort und ihren Umgang mit den großen und kleinen Problemen, nicht nur im Geschäftsleben, kennen und schätzen gelernt. Die Art, wie sie ihren oft schwierigen Alltag meistern und Probleme mit einer gehörigen Portion Humor auf Seite schieben, ist beeindruckend. Aus all diesen Gründen möchte ich die vorliegenden Beobachtungen als Anleitung zum besseren Handeln deutschen, bulgarischen und rumänischen Geschäftsleuten widmen, und zwar sowohl den „Anfängern“ als auch den „Fortgeschrittenen“. Gern möchte ich damit meinen Dank all jenen aussprechen, die mir freimütig über die Besonderheiten „ihrer“ Länder erzählt haben und es ist mein großer Wunsch, dass ich durch diesen Beitrag etwas an diese Länder und ihre Menschen zurückgeben kann. Sigrun Comati 161
Auflösung der Fallbeispiele von Teil A
(1) Der deutsche Direktor erkannte, dass hier ein neuer Versuch unternommen wurde, von ihm Geld für eine Untersuchung zu erhalten, die gar nicht durchgeführt werden sollte. Er löste den Konflikt durch den Hinweis darauf, dass es seit einiger Zeit in Warschau eine Kommission gab, bei der Korruptionsfälle bzw. Bestechungsversuche gemeldet werden können – und drohte damit, dieser Kommission Bericht zu erstatten. (2) Die britische Firma löste das Problem in der Weise, dass eine genaue Berechnung der zu erwartenden Menge an Regenwasser aufgestellt wurde. Diese Menge war in keiner Weise geeignet, das Abwassersystem der Altstadt in Gefahr zu bringen. (3) Die britische Firma hatte es versäumt, bei der zuständigen Behörde nachzufragen, ob denn die betreffende Verordnung wirklich einzuhalten sei.
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