Nr. 398
Krieg der Planeten Datensuche im Archiv des Schreckens von Marianne Sydow
Nun, da Atlantis-Pthor mittels der ...
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Nr. 398
Krieg der Planeten Datensuche im Archiv des Schreckens von Marianne Sydow
Nun, da Atlantis-Pthor mittels der neuen eripäischen Erfindung aus dem Korsallo phur-Stau befreit werden konnte, kommt der »Dimensionsfahrstuhl« auf seiner vor programmierten Reise der Schwarzen Galaxis unaufhaltsam näher. Es gibt nichts, was die Pthorer und Atlan, ihr König, tun könnten, um den fliegenden Weltenbrocken abzustoppen und daran zu hindern, die Schwarze Galaxis zu erreichen – jenen Ort also, von dem alles Unheil ausging, das Pthor im Lauf der Zeit über ungezählte Ster nenvölker brachte. Wohl aber existiert die Möglichkeit, noch vor Erreichen des Zieles die gegenwärti ge Situation in der Schwarzen Galaxis, die allen Pthorern unbekanntes Terrain ist, zu erkunden – und Atlan zögert nicht, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Ihm geht es darum, Informationen über den Gegner zu erhalten, mit dem sich die Pthorer bald werden messen müssen. Der Informationssuche dient auch der neue Flug der GOL'DHOR. Mit Copasallior und Koratzo, den beiden Magiern von Oth, an Bord erreicht das goldene Raumschiff einen Sternenpulk, der das Archiv des Schreckens enthält. Bei ihren gefahrvollen Nachforschungen auf den Archivwelten werden die Magier zu Handlangern im KRIEG DER PLANETEN …
Krieg der Planeten
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Die Hautpersonen des Romans:
Copasallior und Koratzo - Zwei Magier auf Datensuche.
Konterticket - Oberbaumeister von Maranyes.
Konvra - Copasalliors und Koratzos robotischer Bewacher.
Welewo - Ein geheimnisvoller Roboter.
1. Die GOL'DHOR glitt in respektvoller Entfernung an der heißen gelben Sonne vor bei und nahm Kurs auf Maranyes, den zwei ten Planeten des seltsamen Systems, in dem das Archiv des Schreckens untergebracht war. Bis jetzt war die GOL'DHOR sehr langsam geflogen. Die beiden Magier brauchten etwas Zeit, um sich von den Er lebnissen auf Carthillum, der Schwesterwelt von Maranyes, zu erholen. Die beiden Planeten umkreisten ihre Son ne in gleichem Abstand, und die gemeinsa me Umlaufbahn war nicht das einzige, was diese geheimnisvollen Welten miteinander verband. Als Copasallior, der Weltenmagier, den Kommandoraum im Kopfteil des golde nen Raumschiffs betrat, spürte er es deutli cher als je zuvor: Etwas schwang zwischen den beiden Planeten hin und her, wie ein un sichtbares Band. Die Geräte der GOL'DHOR konnten nichts orten, auch die Funkempfänger gaben nichts als das Rau schen und Knattern der Strahlung im son nennahen Raum wieder. Trotzdem war da eine Verbindung. Copasallior starrte die Sonne an, deren grelles Licht von den Schei ben der Augenfenster auf ein erträgliches Maß gedämpft wurde. Schließlich wandte der Weltenmagier sich ärgerlich ab. Er wandte sich einem der Pulte zu. »Ist Maranyes schon in Sichtweite?« fragte er laut. Noch vor kurzer Zeit hätte die GOL'DHOR ihm mit melodischer Stimme geantwortet. Jetzt blieb sie stumm, und der Weltenmagier registrierte es mit Wehmut. Atlan, der König von Atlantis, und alle, die mit der GOL'DHOR geflogen waren, spra chen geradezu verzückt von den wunderba
ren Eigenschaften des Schiffes. Nur die Ma gier spürten, wie weit die GOL'DHOR noch immer von der einstigen Vollkommenheit entfernt war. Aber das Schiff erholte sich, und wenn genug Zeit verstrich, würde es auch wieder sprechen können. Eines der Augenfenster verdunkelte sich, und ein blauer Punkt erschien auf der samti gen Fläche. Das mußte Maranyes sein. Be sorgt betrachtete Copasallior den Schwarm von winzigen, silbrigen Punkten, die den Planeten umgaben. »Wächterstationen«, murmelte er. »Müssen wir uns schon wieder mit einem künstlichen Gehirn herumärgern?« »Diesmal nicht«, sagte Koratzo vom Ein gang her. »Die Kuppeln werden uns nicht aufhalten, denn dafür hat das Gehirn, das wir besiegen konnten, gesorgt.« Copasallior seufzte. »Am liebsten würde ich einfach nach Ma ranyes gehen und mir mit Gewalt die Daten holen, die wir brauchen«, brummte er miß mutig. »Wenn du meinst, daß wir auf diese Wei se ans Ziel kommen«, meinte Koratzo gleichmütig, »dann versuche es doch.« Copasallior sah den Stimmenmagier miß trauisch an. Die Versuchung war groß. Sie waren in Atlans Auftrag von Pthor aufgebrochen, um die im Archiv des Schreckens gespeicherten Daten zu rauben. In diesem Archiv, so hatte Sator Synk her ausgefunden, wurden alle Informationen über Pthor gespeichert. Für den König von Atlantis waren zwei Komplexe besonders interessant: Pthors Besuche auf Terra, und die Informationen über die Schwarze Gala xis, die das Archiv zwangsläufig enthalten mußte. Bevor die Magier auf Carthillum lande
4 ten, hatte sich niemand so recht vorstellen können, wie das Archiv beschaffen war. Die Magier hatten mit allem gerechnet, aber nicht damit, daß das Archiv eine Stadt war, die einen ganzen Kontinent bedeckte und deren Gebäude vollgestopft waren mit Da tenspeichern. Zu allem Überfluß war das Ar chiv von Carthillum gestört. Es enthielt nichts mehr, was mit Pthor in Zusammen hang stand. Statt dessen waren die Speicher voll von unsinnigen Impulsen. Auf Carthil lum lebten viele tausend Raumfahrer, die das Pech gehabt hatten, auf diesen Planeten verschlagen zu werden. Das Gehirn des Ar chivs, ständig auf der Suche nach Informa tionen, die es als Ersatz für die verlorenge gangenen Daten von Pthor in die Speicher speisen konnte, saugte die Bewußtseinsin halte der Unglücklichen auf und überließ diese dann den Robotern und den Carthil lern, die ihm dienten. Wenn die bedauerns werten Opfer dieser robotischen Sammelwut sich halbwegs erholt hatten, wanderten sie erneut in die Kontaktstellen, um leergesaugt zu werden, und das wiederholte sich endlos, bis die Raumfahrer starben. Carthillum war für die Vergangenheit von Pthor zuständig gewesen, ehe es aus unbe kannten Gründen diesen Auftrag vergaß. Maranyes sollte Auskunft über die Zukunft des Dimensionsfahrstuhls geben können, über die Aufträge, die es im Namen der Schwarzen Galaxis ausführen sollte. Die Magier hatten wenig Hoffnung, noch etwas von diesen Zukunftsdaten zu finden. Sie rechneten damit, daß auch das Archiv von Maranyes seine Funktionen nicht mehr zu erfüllen vermochte. Aber sie waren trotz dem nicht bereit, die Suche aufzugeben. Sie wußten bis jetzt praktisch nichts über die Schwarze Galaxis. Bei so viel Nichtwissen wurde jede Information wertvoll, auch wenn sie zunächst als völlig unwichtig erscheinen mochte. »Fliege schneller!« sagte Koratzo zu der GOL'DHOR, und das Schiff sprang förmlich vorwärts. Binnen einer Minute schwoll der blaue Punkt im Mittelpunkt der Sichtscheibe
Marianne Sydow zu einem leuchtenden Ball an. Und dann wa ren sie nahe genug heran, um Einzelheiten erkennen zu können. Sie flogen zwischen den Kuppeln der Wächter hindurch, die wie seltsame Zauber burgen im luftleeren Raum schwebten. Un gehindert gelangten sie in die Nähe des Pla neten. Die GOL'DHOR schlug eine Kreis bahn ein, und die Magier betrachteten das zweite Ziel ihrer Reise. »Fast wie Carthillum«, stellte Koratzo oh ne sonderliche Überraschung fest. »Sogar die Formen der Kontinente gleichen sich im großen und ganzen.« Die Kontinente waren meist mehr oder weniger rund. Dichte Wälder bedeckten das Land. Nur selten ragten kahle Gebirgszüge aus diesen Wäldern empor. Nur ein Kontinent bildete eine Ausnahme. Auf ihm gab es nichts als Gebäude aller Arten und Größen. Das Land, größer als ganz Pthor, war restlos zugebaut worden. In der Stadt von Carthillum hatten die Magier keinen grünen Halm mehr entdecken kön nen, nicht einmal die sonst allgegenwärtigen Unkräuter und die tierischen Schädlinge ver mochten sich in diesem Gebiet am Leben zu erhalten. »Auf Maranyes dürfte es nicht besser aus sehen«, stellte Copasallior nüchtern fest. »Aber es gibt Leben dort unten«, behaup tete Koratzo. »Intelligentes Leben.« »Das hatten wir auf Carthillum auch.« »Hier ist es anders. Es herrscht Hektik in dieser Stadt. Die Bewohner dort arbeiten wie die Besessenen.« »Woran?« Koratzo deutete schweigend auf das Fen ster, und die GOL'DHOR reagierte sofort. Das Bild sprang den Magiern förmlich ent gegen. Sie musterten verblüfft die Einzelhei ten, die jetzt sichtbar wurden. »Sie bauen«, sagte Copasallior nach einer Weile. »Wenn sie so weitermachen, müssen sie bald den nächsten Kontinent heimsu chen.« Die Stadt von Maranyes platzte aus allen Nähten. Hatten auf Carthillum die Bauwerke
Krieg der Planeten noch in ordentlichen Reihen gestanden, mit schluchtartigen Straßen dazwischen, so bot sich hier ein Gewirr von Türmen, Hallen, Kuppeln und völlig abstrakt geformten Bau werken den Blicken der staunenden Magier dar. Es war keine Spur von Systematik zu entdecken. »Zeige uns das Landefeld!« befahl Korat zo, und die GOL'DHOR brachte ein neues Bild auf die Sichtfläche. »Zugebaut«, murmelte Copasallior düster. »Was hat das alles zu bedeuten?« »Vielleicht muß das Archiv erweitert wer den, weil die Daten von Carthillum hier un tergebracht werden sollen«, meinte Koratzo hoffnungsvoll. »Es wäre doch denkbar. Man hat Carthillum aufgegeben und zieht alles auf Maranyes zusammen.« Copasallior war überzeugt davon, daß die Lösung weniger logisch ausfallen würde, aber er schwieg. Er versuchte, auf dem ehe maligen Landefeld ein freies Plätzchen zu entdecken, auf dem die GOL'DHOR hätte landen können. Er fand schnell heraus, daß es hoffnungslos war. »Versuchen wir es weiter draußen«, schlug der Weltenmagier vor. Je länger sie über dieser ungeheuren Stadt schwebten, desto verwirrender fanden sie das Bild. Der ganze Kontinent quoll förm lich von Bauwerken über. Straßen waren in Bauplätze verwandelt, und so sich beim be sten Willen kein freies Fleckchen mehr hatte finden lassen, da stockte man Gebäude auf. Von Flachdächern aus erhoben sich Pfeiler und Brücken, die hoch über der Stadt zu gi gantischen Plattformen zusammenliefen. Auf den Plattformen bewegten sich winzige Pünktchen – die Baumeister dieser erstaunli chen Stadt. Andere Punkte huschten schnell über die Brücken und durch das Innere der Pfeiler – Fahrzeuge, die Material und Arbei ter heranschafften. An einigen Stellen erho ben sich von den Plattformen bereits neue Pfeiler und Brücken. »Als ob sie bis an die Grenzen der Atmo sphäre weiterbauen wollten«, murmelte Co pasallior erschüttert.
5 »Irgendwann wird ihnen das Baumaterial ausgehen«, hoffte Koratzo. Den beiden Ma giern, die das einsame, abgeschiedene Leben in ihren Bergen liebten, kam diese Stadt wie ein einziger Alptraum vor. »Sie werden schon für Nachschub sor gen«, versicherte der Weltenmagier grim mig. Und das taten sie wirklich. Die GOL'DHOR liefert den Magiern Bil der von den Küsten des Stadt-Kontinents. Da sahen sie die riesigen Fahrzeuge, die auf das Meer hinausfuhren und an schwimmenden Plattformen anlegten. Gewaltige Ma schinen standen dort, und man brauchte kei ne besonderen technischen Vorkenntnisse, um zu erkennen, was sich auf den schwim menden Inseln abspielte: Die Baumeister von Maranyes plünderten den Meeresboden. Alles, was die Saugrohre und Schürfgeräte nach oben beförderten, wanderte in die Transporträume der riesigen Schiffe und wurde in die Stadt gebracht. »Verrückt«, lautete Copasalliors kurzer Kommentar. »Warten wir es ab«, empfahl Koratzo. »Das Archiv von Maranyes ist immerhin noch sehr lebendig. Landen wir also und se hen wir uns die Speicher an.« Copasallior warf dem Stimmenmagier einen amüsierten Blick zu. »Falls wir sie in diesem Chaos finden«, murmelte er. »Kannst du wenigstens von hier aus schon herausfinden, warum diese Wesen so ungeheuer tüchtig sind?« Koratzo seufzte. »Nein«, gab er zu. »Das ist unmöglich. Dort ist eine Plattform, auf der die GOL'DHOR Platz finden könnte. Versuchen wir es?« Die GOL'DHOR senkte sich gehorsam dem Stadt-Kontinent entgegen. Die Wesen, die auf der für die Landung vorgesehenen Plattform arbeiteten, bemerkten das goldene Raumschiff nicht, da es sich völlig lautlos bewegte. »Halt!« sagte Copasallior nervös. Gleich zeitig drückte er auf einen Knopf.
6 Die GOL'DHOR schwebte wie ein schim merndes Insekt etwa hundert Meter über der Plattform. Unglücklicherweise stand die Sonne tief, so daß nicht einmal der Schatten des Schiffes die Baumeister warnen konnte. »Du mußt sie vertreiben, Koratzo«, mein te der Weltenmagier besorgt. Koratzo sah zweifelnd auf die Plattform hinab. Auf seinen Befehl hin lieferte ihm die GOL'DHOR ein Bild, das einen der Bauar beiter deutlich genug zeigte. Und das war die zweite Überraschung. Die Wesen, die Maranyes offenbar in eine einzige Stadt zu verwandeln gedachten, sa hen genau aus wie die Diener des Archivs von Carthillum – die sichtbaren Diener, jene also, die die Magier kurzerhand »Carthiller« getauft hatten. »Worauf wartest du noch?« fragte Copa sallior unwillig. »Ihre Sprache beherrschst du. Warum sollen die hier anders sprechen als ihre Artgenossen von Carthillum?« »Wenn sie uns als Magier erkennen …« »Unsinn!« sagte Copasallior grob. »Antimagische Schiffe besitzen meistens et was, das man Außenlautsprecher nennt. Re de – ich garantiere dir, daß sie sich über den Ursprung der Stimme, die sie hören, keine Sekunde lang den Kopf zerbrechen werden.« Gleichzeitig senkte er den Kopf, damit Koratzo sein Gesicht nicht sehen konnte. Für den Stimmenmagier mußte es schlimm genug sein, wenn man seine »Überstimme« mit einem antimagischen Lautsprecher verg lich. Als Copasallior wieder aufsah, rannten die Carthiller auf der Plattform bereits nach allen Seiten davon. Copasallior wunderte sich überhaupt nicht darüber, daß er von Ko ratzos Botschaft nichts vernommen hatte. Der andere konnte seine Stimme überallhin senden, nicht nur durch den Raum, sondern sogar durch die Zeit. Das war schließlich seine Magie. Schweigend drückte Copasallior auf einen Knopf, und die GOL'DHOR sank leicht wie eine Feder der Plattform entgegen.
Marianne Sydow
* Die Carthiller – die Magier blieben bei dieser Bezeichnung – ließen sich durch die Landung des goldenen Raumschiffs keines wegs in Angst und Schrecken versetzen. Sie hatten die Plattform geräumt, aber als die GOL'DHOR gelandet war, kehrten sie sofort zurück. Darüber wunderten sich die Magier aller dings nicht, denn ihr Raumschiff sah wirk lich nicht furchteinflößend aus. Die GOL'DHOR war im Gegenteil so schön, daß jeder sie bewundern mußte. Befremdend fanden Copasallior und Koratzo das Verhal ten der Baumeister von Maranyes erst, als die meisten Carthiller sich umgehend den Arbeiten zuwandten, die sie für die Landung der GOL'DHOR unterbrochen hatten. Nur eine kleine Gruppe von sechs Carthillern marschierte geradewegs auf die GOL'DHOR zu. Und von denen eilte auch noch die Hälf te an dem Schiff vorbei und stürzte sich eif rig auf ein Gewirr von Metallteilen, das in geringer Entfernung auf seine Verarbeitung wartete. »Ein seltsames Völkchen«, murmelte Co pasallior. Er zog den winzigen Übersetzer aus einer Falte seines Gewands. Das Gerät hatte ihm auf Carthillum ein Wesen namens Sisil überreicht. Die Carthiller standen zu dritt vor der GOL'DHOR und warteten geduldig. Sie hat ten die Magier natürlich längst gesehen, denn das Raumschiff war durchsichtig. Als Koratzo und der Weltenmagier zur Schleuse gingen, beeilten sich die Carthiller, in die Nähe des Ausstiegs zu gelangen. Copasallior, der durch die schimmernden Wände jede Bewegung der Fremden ver folgte, verwünschte die Tatsache, daß er die Mimik der Fremden nicht zu durchschauen vermochte. »Was geht in den Kerlen vor?« fragte er beunruhigt. »Sie freuen sich«, erwiderte Koratzo lako nisch.
Krieg der Planeten »Worüber denn?« »Du wirst es gleich erfahren.« Die Schleuse öffnete sich, und sie schrit ten über die goldgläserne Rampe nach drau ßen. Ihr erster Eindruck von der Archivwelt Maranyes war ausgesprochen negativ. Diese Welt stank fürchterlich. Schlimmer noch: Dieser Gestank war nicht natürlichen Ur sprungs. Er war antimagisch. Er kam aus den Rohren und Trichtern, die aus all den Maschinen und aus dem Boden der Platt form selbst hervorragten. Zweitens war Maranyes laut. Ein unauf hörliches Dröhnen und Hämmern lag in der Luft. Der Gestank und der Lärm irritierten die beiden Magier. Gegen Einflüsse dieser Art halfen selbst magische Sperren nur wenig. Und sie wagten es nicht einmal, solche Sper ren zu errichten. Auf Carthillum waren sie einer Macht begegnet, die magische Impulse anzupeilen vermochte. Auf diese Weise hat te man die Eindringlinge fast doch noch ge faßt. Das Risiko war ihnen zu hoch. Um kei nen Preis der Welt wollten sie hier auf Ma ranyes ihre Karten zu früh aufdecken. Sie blieben vor den drei Carthillern ste hen. Die Fremden sahen den Dienern des an deren Archivs tatsächlich erstaunlich ähn lich. Aber es gab Abweichungen. Die Carthiller waren ziemlich klein, alle unter eineinhalb Meter groß. Sie hatten eine geschuppte Haut und flache Köpfe, einen seltsamen Doppelhals, der in der Mitte ge spalten war, und dürre Arme, an deren En den kraftlos wirkende Lappenhände baumel ten. Am Rand der Köpfe saßen acht Sinnes organe, alle kugelförmig und unterschiedlich gefärbt. Oben auf dem Schädel gab es noch eine Reihe von beulenförmigen Auswüch sen. Die Wesen waren mit Anzügen beklei det, die aus einem künstlichen Material be standen und aus Platten zusammengesetzt waren. Die »Carthiller« von Maranyes dagegen trugen leichtere, schmiegsame Kleidung, und sie wirkten darin schlanker und beweg
7 licher als die Diener von Carthillum. Ihre Sinnesorgane waren teilweise anders ge färbt. Vor allem aber wirkten ihre Hände nicht so kraftlos. Koratzo mit seinem speziellen Sinn für derlei Unterschiede fand noch mehr heraus. Die Carthiller, die sie bisher kennenge lernt hatten, waren nicht besonders intelli gent gewesen – und sie waren faul. Aktiv wurden sie nur auf Befehl. Diese Fremden dagegen, die am Fuß der Rampe warteten, waren voller Unrast. »Wir haben auf euch gewartet«, sagte der eine, und Copasallior, der die Worte in Ptho ra aus seinem Übersetzer hörte, zuckte leicht zusammen. »Sie meinen nicht uns speziell«, teilte Ko ratzo ihm hastig auf lautlosem Weg mit. »Man hat ihnen gesagt, daß sie Verstärkung bekommen würde, das ist alles.« »Verstärkung!« Copasallior kleidete sei nen spöttischen Kommentar wohlweislich nicht in Worte. Koratzo verstand ihn auch so. »Das ist schmeichelhaft für nur zwei Per sonen, wie?« »Welche Spezialkenntnisse habt ihr?« fragte der Carthiller, der von dem lautlosen Gespräch nichts bemerkt hatte. »Was soll das nun wieder?« »Er hat nichts als diese Baustelle im Kopf«, versicherte Koratzo beruhigend. »Er glaubt, daß wir einiges für diese merkwürdi ge Stadt tun können.« Laut sagte er: »Wir sind Baumeister.« Der Carthiller bewegte seine lappenförmi gen Hände. »Eure Bescheidenheit ehrt euch«, versi cherte er. »Aber sicher seid ihr mehr als ein fache Meister.« Dabei warf er einen bezeichnenden Blick auf die GOL'DHOR. »Ich geleite euch zu Kontertickel«, fuhr der Carthiller fort. »Er wird euch euren Fä higkeiten entsprechend einzusetzen wissen. Folgt mir.« Qualität setzt sich durch! dachte Copasal lior sarkastisch, während sie dem Carthiller
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quer über die Plattform zu einem schüssel förmigen Fahrzeug folgten, das auf frappie rende Weise einem Zugor ähnelte. Kaum sind wir gelandet, da bringt man uns auch schon zum Oberbaumeister. Oder irre ich mich? Nein, erwiderte Koratzo auf seine lautlose Weise. Wie steht es um deine architektoni schen Kenntnisse, Weltenmagier? Diese Narren werden doch nicht etwa wirklich glauben, daß wir nur zu dem Zweck hierhergekommen sind, ihnen beim weiteren Ausbau dieser verrückten Stadt zu helfen? Sie gehen davon aus. »Dann sind sie tatsächlich total überge schnappt«, murmelte Copasallior erschüttert. Der Carthiller schien ihn zum Glück nicht gehört zu haben. Er wartete, bis die beiden Magier ihm in das Fahrzeug gefolgt waren, dann zog er an einem Hebel. Die Schüssel raste mit atemberaubender Geschwindigkeit los, fegte über eine schmale Brücke und schraubte sich fast im freien Fall durch einen Pfeiler in die Tiefe. Irgendwann hielt dieses irrsinnige Gefährt an, und die Magier kletterten sehr erleichtert hinaus. »Hier entlang!« sagte der Carthiller und schritt beschwingt vor ihnen her in einen dämmerigen Tunnel hinein. Kurz darauf standen sie dem »Oberbaumeister« gegenüber, und was sie sahen, verschlug sogar dem Stimmenmagier für ein paar Sekunden die Sprache. Kontertickel nämlich war ein Roboter.
2. Kontertickel war ein Kasten aus glanzlo sem grauem Metall, eine plumpe Konstrukti on, die auf zahllosen kurzen Stummelbeinen stand. Der Körper des Roboters wirkte porös wie ein alter Schwamm. Unzählige Öffnun gen aller Größen taten sich darin auf, und aus den meisten züngelten fühlerartige Din ge, die nervös zuckten. Aus irgendeiner dieser Öffnungen drang eine flache und gequetscht klingende Stim me.
»Ihr kamt mit einem Raumschiff«, sagte Kontertickel, und die Magier schwiegen, denn sie stuften diese Bemerkung nicht als Frage ein. »Ihr seit also dazu bestimmt, uns beim Ausbau des Archivs zu helfen.« Kontertickel legte eine Pause ein und be wegte sich schwerfällig. Er wirkte in diesem Augenblick wie ein kurzatmiger, fettleibiger Despot. »Teilt mir also mit, welche Fähigkeiten ihr besitzt«, fuhr er fort. »Zuerst du, Zweiar miger.« »Mein Name ist Koratzo«, stellte der Stimmenmagier sich ein wenig amüsiert vor. »Und das dort ist Copasallior. Wir gehören zusammen. Nur gemeinsam sind wir fähig, unser Wissen voll zu entfalten.« »Sechsarmiger?« »Es ist so, wie Koratzo es gerade sagte«, bestätigte der Weltenmagier gelassen. Auch er legte großen Wert darauf, daß sie nicht voneinander getrennt wurden. »Du sprichst über einen Übersetzer«, stellte Kontertickel scharfsinnig fest. »Dein Partner dagegen beherrscht unsere Sprache.« »Wir ergänzen uns auf diese und noch an dere Weise«, behauptete Koratzo selbstsi cher. »Das hört sich gut an«, meinte Konter tickel. »Aber nun zu dem, was ihr für den Bau der Stadt zu leisten vermögt. Welches ist euer Spezialgebiet?« »Wir legen Fundamente an«, sagte Korat zo bedächtig. »Wir arbeiten am besten in der Tiefe.« Wie wahr! dachte Copasallior sarkastisch. Oben, auf den neuen Plattformen, finden wir sicher nicht die Speicher, nach denen wir suchen müssen. Und er sagte zu Kontertickel: »Es gibt keine Art von Gestein und natür lichem Untergrund, die uns nicht bekannt ist. Die von uns geplanten Fundamente hal ten eine halbe Ewigkeit. Die Durchführung der Arbeiten ist nicht unsere Sache. Wir sind Planer, Forscher.« Kontertickel verharrte regungslos, und die fühlerartigen Dinge in seinen Poren zuckten
Krieg der Planeten hektisch. »Gut«, sagte der Roboter nach einer Wei le. »Wir haben viele Probleme mit den Fun damenten in unserer Region. Vieles, was schon seit langem steht, mag den neuen Be lastungen nicht gewachsen sein. Untersu chungen sind nötig, nicht nur in der Tiefe, sondern auch in der zweiten und dritten Ebe ne. Aber die in der Tiefe sind am wichtig sten. Ihr werdet diese Untersuchungen füh ren. Wie viele Hilfskräfte benötigt ihr?« Die beiden Magier warfen sich einen kur zen Blick zu. Koratzo wagte es nicht, jetzt, während der Konfrontation mit dieser er staunlichen Maschine, die Technik der laut losen Verständigung anzuwenden. »Wir arbeiten am besten, wenn wir alleine sind«, sagte er. Und damit hatte er die richtige Wahl ge troffen. »Das ist sehr gut«, erklärte Kontertickel sofort. »Wir haben einen großen Mangel an Arbeitskräften. Werin, du kehrst sofort auf deinen Platz zurück.« Der Carthiller, der sie zu Kontertickel ge führt hatte, trollte sich. Einen Augenblick später glitt ein zweiter Roboter in den Raum. Er war nur etwa einen Meter groß und stabförmig. Auf halber Höhe seines Körpers gab es eine rechteckige schwarze Platte. Et was höher erweckte ein schwach vorgewölb ter Ring die Illusion, daß dort so etwas wie ein Kopf begann. Zwei schräg stehende Ovale in diesem Kopfteil sahen wie Augen aus. Oben auf dem flachen Ende des Rump fes saß eine kurze, dünne Antenne mit einem geriffelten Knopf darauf. Der Roboter hatte überhaupt keine Gliedmaßen. Er schwebte dicht über dem Boden dahin. »Das ist Konvra!« sagte Kontertickel. »Er wird euer Begleiter sein. Er kennt die Orte, an denen Untersuchungen angestellt werden müssen, und er weiß, in welcher Reihenfol ge ihr diese Arbeiten durchzuführen habt. Folgt ihm!« Copasallior sah den kleinen Roboter zweifelnd an, und Koratzo wandte sich de monstrativ zu Kontertickel um.
9 »Unser Raumschiff steht auf einer Platt form«, sagte er gelassen. »Dort wird gear beitet, und dieses Schiff ist jedem hinder lich. Wir brauchen einen anderen Lande platz.« »Das ist nicht nötig«, fiel Kontertickel dem Magier ins Wort. »Ihr werdet das Schiff nicht mehr benötigen. Es wird in diesen Au genblicken bereits demontiert und der Pro duktion von Baumaterial eingegliedert.« »Das glaube ich nicht, Kontertickel«, wi dersprach Koratzo sanft. »Es ist nämlich ein besonderes Schiff. Es wird sich gegen die Demontage wehren – sehr wirksam, wie ich befürchte.« Kontertickels »Fühler« züngelten noch hektischer. Beide Magier spürten, daß der Roboter Verbindungen aufnahm. »Du solltest die Arbeiter zurückrufen«, empfahl Copasallior freundlich – so freund lich, daß der Stimmenmagier besorgt die Augenbrauen hochzog. Wenn Copasallior auf diese Weise sprach, taten alle potentiel len Gegner gut daran, sich schleunigst auf den Rückzug zu begeben. Kontertickel konnte davon nichts wissen. Aber er hatte möglicherweise Nachrichten erhalten, die ihn nachdenklich stimmten. »Ihr werdet das Schiff von der Plattform entfernen«, sagte er nach einer winzigen Pause. »Konvra kann euch einen Ort zeigen, an dem es vorerst bleiben wird.« Damit war für den Roboter der Fall offen bar erledigt, denn er traf Anstalten, sich in den Hintergrund des düsteren Raumes zu rückzuziehen. Er hatte nicht mit der Hart näckigkeit der Magier gerechnet. »Wie steht es mit Quartier und der sonsti gen Versorgung?« fragte Koratzo kalt. »In den Quartieren für die Arbeiter ist auch für euch Platz. Es werden zwei Mahl zeiten pro Tag ausgegeben, eine am Morgen und eine am Abend. Proviant für die Zeit da zwischen erhaltet ihr bei den Versorgungs stellen. Konvra wird euch alles zeigen.« Das ist ja Sklaventreiberei! dachte Copa sallior wütend. »Es sind viele Arbeiter zu versorgen«,
10 sagte Koratzo diplomatisch. »In unserem Raumschiff haben wir Vorräte mitgebracht, die auf unsere Bedürfnisse abgestimmt sind. Erlaube uns also, in diesem Schiff zu schla fen und uns auch dort selbst zu versorgen.« Der Vorschlag des Stimmenmagiers war dem Roboter nicht recht geheuer, aber er zog wohl die wertvollen Fähigkeiten seiner neuen Untertanen in Betracht. Den Aus schlag gab sicher der Gedanke, daß er eine winzige Menge wertvoller Rohstoffe einspa ren würde. »Es ist nicht üblich«, erklärte er. »Aber in eurem Fall werde ich es erlauben. Solange die Vorräte in eurem Raumschiff ausreichen, dürft ihr es als euer Quartier benutzen.« Mehr hatten die Magier nicht erreichen wollen. Ihnen ging es einerseits um die GOL'DHOR, die sie nicht aus den Augen verlieren wollten, zweitens aber um ihre Freiheit. Sie würden sich den Anordnungen des Roboters unterwerfen müssen, wollten sie nicht einen Kampf gegen das ganze Ar chiv von Carthillum führen. Aber wenig stens in der Zeit, die man ihnen als Ruhe pausen zugestand, wollten sie ihre eigenen Wege gehen können. Und von der GOL'DHOR aus, so hofften sie, würden sie einigermaßen unbeobachtet operieren kön nen. Konvra hatte nur auf das Ende der Unter haltung gewartet. Eifrig schwebte er voran. Die Magier gaben sich keine Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Sie hatten mittlerweile be griffen, was hier gespielt wurde. In stillem Einverständnis waren sie entschlossen, sich dem von Kontertickel vorgeschriebenen Tempo nicht kampflos zu unterwerfen. »Wo bleibt ihr denn?« fragte Konvra gleich darauf mit kindlich hoher Stimme. »Wir sind nicht so gut zu Fuß«, behaupte te Koratzo gelassen. Konvra verharrte schwebend, bis die Ma gier ihn eingeholt hatten, dann schoß er wie der davon. Das Spiel wiederholte sich ein halbes Dutzend Mal, dann sah der kleine Roboter ein, daß er den kürzeren zog, wenn er so weitermachte.
Marianne Sydow »Wartet hier«, befahl er. »Ich besorge ein Fahrzeug.« Die Magier setzten sich auf den Boden, wie es ihrer spontan gewählten Rolle ent sprach. »Schöne Bescherung«, seufzte Copasalli or nur und streckte die Beine aus. »Die Aufgabe ist dafür nicht uninteres sant«, meinte Koratzo doppeldeutig. Sie sahen sich lächelnd an. Wenig später kam Konvra mit einem der schüsselförmi gen Fahrzeuge zurück.
* Kontertickel hatte tatsächlich den Befehl gegeben, die GOL'DHOR zu demontieren. Und das goldene Raumschiff hatte sich ge wehrt, wie die Magier es nicht anders von ihm erwarteten. Als sie die Plattform er reichten, brachte man gerade die letzten Op fer des Unternehmens weg. Natürlich war kein Carthiller ums Leben gekommen. Die GOL'DHOR richtete sich in der Wahl ihrer Abwehrmaßnahmen stets nach der Art und der Schwere der Bedrohung. In diesem Fall hatte sie es für ausreichend befunden, die zudringlichen Carthiller ins Land der Träu me zu schicken. Konvra hielt am Fuß der Rampe an. »Warte«, sagte Copasallior zu dem klei nen Roboter. »Wir müssen das Schiff erst auf deine Ankunft vorbereiten.« Konvra blieb gehorsam stehen. Offenbar wußte er, was den Carthillern widerfahren war. Die beiden Magier gingen über die Rampe, und als sie sich in Sicherheit wuß ten, sagte Copasallior zweifelnd: »Sollen wir dieses Theater wirklich mit spielen?« »Es wird uns nichts anderes übrigblei ben«, meinte Koratzo. »So!« murmelte Copasallior amüsiert. »Wir haben keine andere Wahl, wie? Ich will dir etwas sagen, Koratzo: Ich hätte große Lust, Kontertickel einfach davonzu schleudern, am liebsten bis nach Carthillum. Mag er dort seine Arbeitswut einsetzen. Soll
Krieg der Planeten ich mich diesem Monstrum etwa unterwer fen?« »Kontertickel ist ein kleines Steinchen in einem Mosaik, Weltenmagier. Wir müssen an die Speicher herankommen, nichts ande res zählt jetzt.« Copasallior sah den Stimmenmagier mit seinen seltsamen, steinern wirkenden Augen an. Schließlich hob er resignierend alle sechs Arme. »Ich weiß das, Koratzo«, seufzte er. »Aber es fällt mir sehr schwer.« »Mir geht es nicht anders«, versicherte Koratzo. »Wir sind nur zu zweit«, sagte Copasalli or nachdenklich. »Aber wir verfügen über große Kräfte. Wir könnten diese Welt aus den Angeln heben, buchstäblich, und du weißt das. Was kann uns daran hindern, es zu tun?« »Unser Gewissen, Weltenmagier.« »Du meinst unsere Gesetze?« »Nein, diesmal nicht. Wir haben die Ge setze mit Pthor hinter uns gelassen. Aber das heißt noch lange nicht, daß wir unsere Macht mißbrauchen dürfen.« »Wir?« fragte Copasallior spöttisch. »Ihr Rebellen hattet es schon immer mit dem Ge wissen. Soll ich mich diesen Vorschriften unterwerfen?« »Niemand zwingt dich dazu«, sagte Ko ratzo kalt. »Aber du solltest den Skatha-Hir nicht vergessen. Als die Entscheidung fiel, hast du auf der Seite der positiven Magie ge kämpft, und wir beide haben eine alte Freundschaft erneuert. Wenn du dich jetzt eines anderen besinnst, wird sich dieser Vor gang umkehren.« Copasallior sah den Stimmenmagier an, und Koratzos blaue Augen leuchteten selt sam. Sie waren einander ebenbürtig. Das hatte sich in vielen Kämpfen gezeigt. Ihre persön lichen Stärken und Schwächen wogen sich auf. Und sie wurden unversehens mit einem uralten Trauma der Magier konfrontiert: Sie hatten große Macht – und sie lebten mit der Angst, daß diese Macht in die falschen Hän
11 de geraten könnte. Lange genug hatten sie sich eingeredet, nicht für das verantwortlich zu sein, was mit ihren Erfindungen geschah. Seit dem Tod der Herren der FESTUNG hatte sich diese Einstellung gewandelt. Sie begannen zu begreifen, was da alles gesche hen war, mit ihrer Hilfe, aber eigentlich ge gen ihren Willen. Die Magier hatten mit dem neuen Herr scher von Pthor einen Bund geschlossen, und diesmal waren sie zu nichts gezwungen worden. Niemand in Oth hatte es jemals aus gesprochen, aber sie richteten sich jetzt nach den Gesetzen der positiven Magie. Copasallior lachte leise auf. »Laß es gut sein, mein Sohn«, sagte er nachdenklich. »Ich habe nicht die Absicht, schon wieder mit dir zu kämpfen. Du hast ja recht. Weder Kontertickel noch die Carthil ler sind verantwortlich für das, was hier ge schieht. Handeln wir also positiv und scho nen wir das Leben Unschuldiger – ich hoffe nur, daß man uns auf Pthor nicht eines Ta ges dafür verflucht.« Koratzo antwortete nicht. Er wandte sich um und winkte Konvra herbei. Der kleine Roboter schwebte die Rampe hinauf und in die Schleuse hinein, und er wirkte seltsam scheu und gehemmt. Da wußten die Magier, daß die seltsame Ausstrahlung der GOL'DHOR sogar auf diese Maschine wirk te. Konvra erklärte den Magiern gewissen haft, wo sie die GOL'DHOR unterbringen sollten. Das goldene Raumschiff senkte sich langsam und vorsichtig in eine tiefe, schluchtartige Straße in der Nähe der Platt form. Dies war eine der alten Straßen von Maranyes. Sie wurde nicht mehr benutzt, wie die großen Haufen von Abfällen und Gerümpel bewiesen. Sie fanden einen genügend großen freien Platz für das Schiff. Konvra erklärte, daß sie von hier aus die ersten, wichtigen Punkte für die geplanten Untersuchungen leicht und oh ne große Mühe zu Fuß erreichen konnten. Die Ungeduld des Roboters war nicht zu übersehen, aber die Magier ignorierten Kon
12 vras Gefühle und nahmen in aller Ruhe eine Mahlzeit ein, ehe sie in die Tiefen der seltsa men Stadt aufbrachen. Es war eine bedrückende Welt, in die sie gelangten. Kein Sonnenstrahl verirrte sich noch in diese Tiefen zwischen den hohen Wänden gigantischer Gebäude, und die dar über aufragenden Konstruktionen raubten fast noch das letzte Licht. Konvra besorgte kleine Scheinwerfer, deren Lichtkegel je doch nur Bilder enthüllten, die den trostlo sen Eindruck noch verstärkten. Dabei war es keineswegs so, daß die Magier nur auf Zer fall und Fäulnis stießen. Im Gegenteil – wie auch auf Carthillum waren die Gebäude durchaus gepflegt, uralt zwar, aber völlig in Ordnung. In dieser Region begegneten die Magier jenen Carthillern, die man oben auf den Baustellen nicht gebrauchen konnte: Den Kindern und den Alten, den Kranken und den Verletzten. Sie alle waren damit be schäftigt, die Abfallhaufen abzutragen und für Ordnung zu sorgen. An den Gebäuden direkt arbeiteten jedoch auch sie nicht. Da Koratzo sich hier unten halbwegs vor Kon tertickel sicher fühlte, versuchte er, Informa tionen zu diesem Punkt zu erhalten, indem er die Gedanken der Carthiller für sich hör bar machte. Aber sie beschäftigten sich lei der nicht mit dem Gedanken daran, wer wohl die vielen Häuser in Ordnung hielt. Und Konvras Gedanken waren auch dem Stimmenmagier nicht zugänglich. Konvra schwebte lautlos voran, und die Magier liefen hinterdrein. Der Roboter hatte seine Lektion gelernt – das Tempo war bei nahe gemütlich zu nennen. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis Konvra die Tür zu einem Gebäude öffnete. »Müssen wir dahinein?« fragte Copasalli or mißtrauisch. »Ja«, gab der Roboter lakonisch zurück und entschwand in der Finsternis. Sie waren auf Carthillum in einem sol chen Gebäude gewesen, und es schien, als hätte man diese Bauwerke zumindest vom Innenausbau her einem Standard angepaßt,
Marianne Sydow der für beide Planeten galt. Auch hier gab es eine gewaltige Halle, die man durchqueren mußte, um dann zu einer Treppe zu gelan gen, die in die Kellergeschosse führte. Nur eines fehlte hier: Die kastenförmigen Spei cher mit den dazugehörigen tropfsteinähnli chen Gebilden, die abrufbereit unter der Decke hingen. »Wird dieser Raum nicht mehr benutzt?« fragte Koratzo. »Er wird benutzt!« behauptete Konvra und traf Anstalten, nach unten zu entschwe ben. Die beiden Magier blieben in stillem Ein verständnis stehen. Die Treppe, die vor ihnen lag, hätte aus einem Alptraum stammen können. Steil und eintönig führte sie geradewegs in eine licht lose Tiefe hinab, scheinbar bis an die Grenze zum glühenden Inneren des Planeten. »Kommt!« befahl Konvra ungeduldig. »Da hinab?« vergewisserte sich Copasal lior. »Ja.« »Wie weit?« »Einhundertzweiundzwanzig Meter.« »Aha«, machte Copasallior sarkastisch. »Die Arbeit, die wir da unten erledigen sol len, ist dringend und wichtig, oder irre ich mich da?« »Du irrst dich nicht.« »Gut. Dann schlage ich vor, daß du ir gendein Transportmittel besorgst, das uns den beschwerlichen Abstieg erspart – vom Aufstieg gar nicht zu reden.« Konvra zögerte, aber dann kehrte er zum Beginn der Treppe zurück. »Ich werde Fluggeräte herbringen«, er klärte er und glitt mit bemerkenswerter Ge schwindigkeit davon. Als der Roboter außer Sichtweite war, gab Copasallior dem Stimmenmagier ein Zeichen. Koratzo nickte kaum merklich. Da stimmt doch etwas nicht, dachte Copa sallior. Entweder will Kontertickel uns auf die Probe stellen, oder er hat schon jetzt Verdacht geschöpft. Warum läßt man wichti ge Spezialisten zu Fuß gehen, wenn sie eili
Krieg der Planeten ge Arbeiten verrichten sollen? Weil man zu wenig Material hat, gab Ko ratzo auf lautlosem Weg zurück. Hier fehlt es an allem. Die Carthiller pumpen, was im mer ihnen in die Hände fällt, in diese Bau stelle hinein. Jedenfalls bin ich ziemlich si cher, daß Kontertickel uns vorerst noch für das hält, als was wir uns ausgegeben haben. Etwas anderes macht mir Sorgen. Wenn wir da unten ankommen, müssen wir etwas tun, und Konvra wird uns beobachten. Diese Maschine dürfte ziemlich genau wissen, wie solche Arbeiten durchgeführt werden. Ich muß gestehen, daß mir die antimagischen Praktiken der Bodenuntersuchung absolut fremd sind. Das macht nichts. Wir sind Spezialisten von einer fremden Welt, und wir können uns exotische Methoden erlauben. Sofern dann wenigstens die Ergebnisse stimmen. Wir sind keine Bodenmagier. Un sere Fähigkeiten liegen auf ganz anderen Gebieten. Trotzdem kennen wir uns mit den Minera lien aus. Mach dir darüber keine Gedanken, Koratzo. Wir werden nicht so lange auf Ma ranyes bleiben, daß wir die Gebäude zusam menbrechen sehen könnten, die die Carthil ler nach unseren Berechnungen zu bauen ge denken. Konvra kehrte zurück. An seinem stabför migen Körper klebten zwei Kästen, die mit Gurten versehen waren. »Nehmt sie und legt sie an!« befahl der Roboter. Die beiden Magier gehorchten schwei gend. Konvra instruierte sie, wie sie mit den Geräten umzugehen hätten. Es war ganz ein fach. Die Kästen wurden vor der Brust ge tragen. Wollte man aufsteigen, so legte man die Hand auf die obere Kante des Kastens, wollte man sinken, berührte man den unte ren Rand. Eine kurze Berührung der Seiten flächen bewirkte eine entsprechende Rich tungsänderung. Wollte man anhalten, so drückte man leicht gegen die Frontseite des Kastens. Schwierigkeiten hatte anfangs nur Copa
13 sallior, denn die Gurte waren für Wesen mit zwei Armen gedacht, und so gab es einigen Konfliktstoff wegen der sechs Schulterge lenke des Weltenmagiers. Aber damit wurde Copasallior leicht fertig, und so dauerte es nicht lange, bis die Magier dem Roboter schwebend in die Tiefe zu folgen vermoch ten. Sie fühlten sich nicht besonders wohl dabei, denn ein Sturz in diesem Treppen schacht wäre sehr unangenehm gewesen, und sie trauten instinktiv den antimagischen Geräten nicht über den Weg. Aber die Appa rate arbeiteten zuverlässig, so daß auch das Unbehagen bald überwunden war. Der Flug dauerte volle zehn Minuten. Dann gab Konvra das Zeichen zum Anhal ten. In der Wand gähnte eine düstere Öff nung. Irgendwo rauschte Wasser. Und vor ihnen, jenseits des Portals, waren winzige Geräusche, so schwach, daß nur Koratzo sie auffing. Er gab dem Weltenmagier einen Stoß, und Copasallior stolperte ein paar Meter weit die Treppe hinunter, ehe er sich abfing. Koratzo sprang mit der Geschicklichkeit des Bergbewohners über mehrere Stufen nach oben und drückte sich an die Wand. Nur Konvra blieb da, wo er das Zeichen gegeben hatte. Einen Augenblick später ging er unter ei nem Hagel von undefinierbaren Wurfge schossen verschiedenster Form zu Boden. Gleich darauf stürmte unter lautem Gebrüll eine Horde von verwahrlost aussehenden Carthillern auf den Treppenabsatz hinaus. Sie warfen sich auf den Roboter, der sich je doch nicht mehr rührte. Zehn Carthiller blieben bei der Maschine. Die anderen, mindestens doppelt so viele, richteten ihre kleinen Handscheinwerfer auf die Treppe und sahen die Magier dort ste hen. »Tötet sie!« befahl eine Stimme, die aus der Finsternis hinter dem Eingang kam.
3. Die Instinkte waren stärker als jede Ver
14 nunft. Koratzo und Copasallior vergaßen Kontertickel und die theoretische Möglich keit, daß man auch auf Maranyes magische Aktivitäten zu orten vermochte – sie errich teten ihre Sperren in genau dem Augenblick, in dem die Carthiller aus ihren fremdartigen Waffen das Feuer eröffneten. Und ihre Sperren waren sehr stark, denn sie waren mächtige Magier. Sekundenlang standen sie in blendendes Licht getaucht. Die tödlichen Energiestrah len aus den Waffen der Carthiller brachen sich an den Sperren und wurden reflektiert – die meisten fuhren in die Wände wie farbige Blitze und rissen tiefe Kratzer in das Ge stein. Einige jedoch schlugen zu Koratzos Entsetzen auch zurück und trafen die Schüt zen selbst. Von diesen Unglücklichen blieb nicht einmal ein Häuflein Asche zurück. Als der fünfte Carthiller in einer grellen Leucht erscheinung verschwand, die anderen aber immer noch ihre Waffen betätigten, ent schied der Stimmenmagier für sich, daß es an der Zeit sei, diesem Treiben ein Ende zu bereiten. Die bitteren Erfahrungen im Gebiet der »Leeren« von Carthillum kamen ihm zu statten. Er formte die lähmenden Laute, die er so sehr verabscheute, obwohl sie, im Ver gleich zu denen, die alles vernichteten, gera dezu human waren. Die Carthiller brachen wie vom Blitz ge troffen zusammen. Copasallior, der gerade seinerseits zu einem Angriff ansetzte, schleuderte drei der besinnungslosen Wesen in die Halle zurück, aus der sie gekommen waren. Dann erkannte er die Situation und atmete heimlich auf. Die Carthiller waren nur bewußtlos. Aber das konnte dieser Unbekannte in der Halle nicht wissen. Er hatte nur seine Leute schie ßen gehört, und da diese Geräusche lang ge nug angehalten hatten, nahm er an, daß die Feinde, die in das Reich der Tiefe einge drungen waren, vernichtend geschlagen sei en. »Sichert die Treppe!« befahl er dumpf. Die Magier, die sich von zwei Seiten dem Treppenabsatz näherten, warfen sich be-
Marianne Sydow zeichnende Blicke zu. Koratzo hatte die drei bewußtlosen Cart hiller verschwinden sehen, und er wußte na türlich, wohin Copasallior diese Wesen ge schleudert hatte – ganz gewiß nicht an die Oberfläche oder irgendeinen anderen Ort, an dem sie sich unversehens in die Lage ver setzt sahen, verräterische Auskünfte geben zu müssen. Der Fremde in der Halle mußte blind und taub sein, daß er nicht bemerkt hatte, wie diese drei Krieger in seine Umgebung zu rückgekehrt waren. »Wie viele waren es?« fragte die fremde Stimme, und Koratzo analysierte sie in aller Eile. Es war kein Carthiller! Das war eine Überraschung, denn sie wa ren noch keinem anders gearteten Wesen auf Maranyes begegnet. Hastig teilte er dem Weltenmagier die Neuigkeit auf lautlosem Weg mit. »Wir werden nachsehen«, murmelte Co pasallior grimmig. Koratzo spürte, wie der Weltenmagier seine magischen Sperren ver stärkte und vor die dunkle Öffnung trat. Er hielt den Atem an – aber es geschah zu nächst gar nichts. Copasallior verharrte kurze Zeit regungs los, dann richtete er den Lichtkegel der Lampe auf den Raum hinter der Öffnung. Er richtete sich überrascht auf und winkte Ko ratzo heran. Als der Stimmenmagier neben Copasalli or stand und endlich sehen konnte, was sich in der Halle befand, da verschlug es ihm fast die Sprache. Denn dort unten – unverkennbar wegen einer ganzen Anzahl von Merkmalen, die sich in dieser Zusammensetzung unmöglich durch einen bloßen Zufall wiederholen konnten – ein Robotdiener aus Wolterhaven. »Wie kommt der denn hierher?« fragte Copasallior überrascht. Er sprach Pthora, und der kleine Übersetzer arbeitete pflicht gemäß weiter. Der Robotdiener, ein eiförmiges Modell aus dem für Wolterhaven typischen blauen
Krieg der Planeten Metall, drehte sich langsam herum. Er war um die zwei Meter groß und oval, wobei al lerdings zahllose Auswüchse diese Form erst auf den zweiten oder dritten Blick er kennen ließen. Die Magier warfen sich einen vielsagen den Blick zu. Die Maschine mußte tatsächlich aus der Stadt der Roboter stammen. Aber sie war ur alt. Die Linsensysteme waren noch klobiger und plumper als bei den Handlangern von Wolterhaven, und die meisten Kristalle wirkten trübe und gebrochen. Blaßgelbe Korrosionsflecken bildeten abstrakte Muster auf der metallenen Haut. Mehrere Hand lungsarme waren geknickt, abgebrochen, an geschmolzen oder auf andere Weise beschä digt. »Wer seit ihr?« fragte der Robotdiener mit knarrender Stimme. Er sprach kein Pthora, sondern bediente sich der Sprache der Carthiller. Wenn er uns als Magier identifiziert, ha ben wir das Spiel verloren, dachte Copasal lior, nachdem er den Stimmenmagier mit ei ner Geste dazu aufgefordert hatte, seine Ge danken für sich hörbar zu machen. Und Konvra hört mit. Er wird die Nachricht mit Windeseile an die Oberfläche durchgeben. Noch ist nichts verloren, antwortete Ko ratzo beruhigend. »Wir sind von einer fremden Welt ge kommen, um beim Bau dieser Stadt zu hel fen«, sagte er laut zu dem Robotdiener. »Ein Helfer des großen Kontertickel begleitete uns an diesen Ort, damit wir hier bestimmte Untersuchungen anstellen. Warum hast du uns überfallen lassen?« Die Maschine bewegte sich unruhig. Fas ziniert beobachtete Koratzo das plumpe Sy stem von Rollen und Ketten, auf dem der Robotdiener hockte. Alle Anzeichen spra chen dafür, daß diese Maschine zu den flug fähigen Modellen gehört hatte. Offenbar war ihr die dazu notwendige innere Ausrüstung im Lauf der Zeit durchgerostet, so daß sie auf das krückenhafte Gestell angewiesen war.
15 »Es war ein Irrtum«, behauptete der Ro botdiener nach einer Weile. »Wie heißt du?« fragte Copasallior schroff. »Welewo«, antwortete die Maschine ohne Zögern. »Dann hör gut zu, Welewo«, sagte der Weltenmagier grimmig. »Dieser Irrtum hätte uns fast das Leben gekostet. Wir sind Spe zialisten, und Kontertickel wird nicht dar über erfreut sein, wenn er erfährt, was du an gestellt hast. Abgesehen davon hast du Kon vra in ernste Gefahr gebracht.« »Wer ist Konvra?« fragte Welewo hastig dazwischen. »Ein Helfer Kontertickels. Deine Leute haben ihn zu Boden gezwungen. Er rührt sich noch immer nicht.« »Er ist nur vorübergehend ausgeschaltet«, versicherte Welewo ziemlich kleinlaut. »Er hört und sieht jetzt nichts, aber man braucht nur eine Stelle an seinem Körper zu berüh ren, dann wacht er auf.« Copasallior lächelte kalt. »Das ist gut«, murmelte er, und er fragte sich, ob dieses heruntergekommene Exem plar von einem Robotdiener den Doppelsinn der Bemerkung durchschaute. Aber Welewo verstand tatsächlich nichts. »Ich werde euch sagen, wie ihr ihn auf wecken könnt«, schlug er eifrig vor. »Das hat Zeit«, wehrte Copasallior ab. »Sage mir erst, was du und deine Freunde hier unten zu suchen haben.« »Wir führen die Untersuchungen durch, die ihr jetzt vornehmen sollt«, knarrte Wele wo, und er machte bei diesem Geständnis einen sehr unglücklichen Eindruck. »So«, murmelte Copasallior. »Dann wuß test du schon vorher, warum Konvra uns an diesen Ort brachte?« »Eure Ankunft wurde uns gemeldet. Kon tertickel ließ uns mitteilen, daß unsere Ar beit beendet sei.« »Ihr solltet an die Oberfläche zurückkeh ren?« »Das erwartete Kontertickel von uns.« »Und ihr wolltet nicht gehen?«
16 »Nein.« »Warum nicht?« »Es gefällt uns hier.« Copasallior musterte den Robotdiener nachdenklich. Auch wenn man bei den Be wohnern von Wolterhaven stets auf die selt samsten Reaktionen gefaßt sein mußte, so kam ihm das Verhalten dieser Maschine doch sehr merkwürdig vor. Außerdem waren da noch die Carthiller, die den Überfall durchgeführt hatten – auf Welewos Befehl, wie es schien. »Da stimmt etwas nicht«, behauptete auch Koratzo. »Eine Falle?« fragte Copasallior lautlos. »Ich weiß es nicht. Ich werde einen Cart hiller soweit erwachen lassen, daß er wenig stens fähig ist, über seine Lage nachzuden ken.« Auch Welewo besaß keine Möglichkeit, daß lautlos auf magische Weise geführte Ge spräch zu belauschen oder doch wenigstens zu erkennen, daß eine Unterhaltung statt fand. Ihm fiel es nicht auf, daß Koratzo sich anderen Dingen widmete, während Copasal lior dem Roboter weitere Fragen stellte. »Du stammst nicht von diesem Planeten, den man Maranyes nennt«, stellte der Wel tenmagier zunächst fest. »Wie bist du in die Stadt gelangt? Kannst du dich noch an deine wirkliche Heimat erinnern?« »Nein«, erwiderte Welewo knapp. Er hör te sich so an, als wären ihm derlei Fragen äußerst unangenehm. Copasallior dagegen atmete auf. Wenn der Robotdiener sich nicht mehr an Pthor erinnerte, dann hatte er auch alles vergessen, was er einst über die Magier gewußt hatte. »Bist du schon lange hier?« setzte der Weltenmagier das Verhör fort. »Ja. Sehr lange.« »Wurde auf Maranyes schon immer so viel gebaut?« »Nein. Das Archiv war bereits vollkom men, als ich hierher kam. Daran erinnere ich mich noch genau. Es war eine sehr schöne Stadt …« Die Vorschriften der Vollkommenheit!
Marianne Sydow dachte Copasallior amüsiert. Welewo hatte sicher alles vergessen, was seine Artgenos sen in Wolterhaven mit diesen Gesetzen ver banden, aber die Sehnsucht nach einer ganz speziellen, auf die Sinne der Roboter abge stimmten Harmonie erfüllte ihn noch immer. »Wann hat es angefangen?« Welewo antwortete nicht sofort. Er schien in seinen Erinnerungen zu schwelgen. »Auch das ist schon lange her«, erklärte er schließlich mißmutig. »Ich kann dir nicht genau sagen, wieviel Zeit inzwischen ver strichen ist.« Er bewegte den lädierten Handlungsarm – kein Zweifel, der Roboter war verlegen. »Eines Tages rief das Archiv die Carthil ler«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort. »Sie kamen und begannen, die Stadt zu ver ändern. Alles geriet in Unordnung. Anfangs hoffte ich, daß das Archiv die Fremden schnell wieder fortschicken werde, denn sei ne Vollkommenheit zerbrach. Aber es unter stützte die Carthiller sogar noch. Dann holte es andere Wesen zu Hilfe. Jeder, der nach Maranyes kam, mußte sich an den Bauarbei ten beteiligen. Schließlich mußte auch ich mich dem Willen des Archivs beugen.« Copasallior hätte gerne gefragt, woher die Carthiller gekommen waren – stammten sie von Maranyes? Aber er fragte jetzt nicht danach, denn es schien ihm wichtiger, über diesen merkwür digen Robotdiener Klarheit zu gewinnen. Da wandte sich Koratzo unerwartet an den Robotdiener. »Du hast sicher schon bemerkt, daß wir in zwei Sprachen reden«, sagte er langsam. »Du müßtest sie beide verstehen können.« Copasallior richtete sich alarmiert auf, aber Koratzo winkte ab. Er sah den Roboter gespannt an. »Ich habe eure Sprache identifiziert«, stimmte Welewo zu. »Es ist Pthora – aber ich verstehe sie nicht sehr gut.« »Trotzdem hast du früher Pthora gespro chen. Es ist die Sprache jenes Landes, aus dem du stammst und aus dem wir auch kom men.«
Krieg der Planeten »Bist du verrückt geworden!« fauchte Co pasallior. »Laß mich nur machen!« wehrte der Stimmenmagier lächelnd ab. »Du wirst se hen, daß es kein Risiko bedeutet. Welewo, du weißt fast nichts mehr von Pthor, aber selbst du hast erkannt, daß das, was jetzt mit dem Archiv von Maranyes geschieht, ein Verstoß gegen die Gesetze der Ordnung ist. Gewiß, das Archiv selbst scheint die Vor schriften der Vollkommenheit vergessen zu haben, aber das bedeutet schließlich nicht, daß man es in diesem Wahn noch unterstüt zen sollte.« »Ja«, antwortete Welewo erleichtert. »Das Archiv geht den falschen Weg. Man muß es daran hindern, sich selbst noch weiter zu zerstören.« Koratzo lächelte flüchtig. »Das ist natürlich nicht so einfach«, mur melte er. »Das Archiv ist groß, und in seiner Macht liegt alles, was auf diesem Kontinent geschieht. Wer sich ihm widersetzt …« Er vollführte eine bezeichnende Geste mit der rechten Hand. »So ist es«, bestätigte Welewo. »Immerhin reichen die Augen des Ar chivs nicht überall hin«, fuhr der Stimmen magier gelassen fort. »Hier unten zum Bei spiel ist man so gut wie unbeobachtet, es sei denn, Kontertickel schickt einen seiner Die ner. Gut, Welewo, ich kenne jetzt dein Mo tiv und weiß deinen Mut zu würdigen. Auch, daß du uns hast angreifen lassen, kann ich dir nicht übelnehmen, denn woher hättest du wissen sollen, daß wir aus deiner Heimat stammen und daher jenen Gesetzen gehor chen, denen du unter so schwierigen Um ständen zum Sieg verhelfen wolltest. Aber warum sind diese Carthiller bei dir? Sie wis sen nichts von den Vorschriften der Voll kommenheit.« »Sie sind trotzdem Verbündete«, behaup tete Welewo selbstbewußt. »Ich weiß nicht, wo ihre Heimat liegt, und sie selbst können nicht sagen, woher sie kamen. Aber sie wa ren mit dem Archiv, wie es früher existierte, sehr glücklich. Außerdem fordert man hohe
17 Opfer von ihnen. Die, die gegen euch kämpften, haben erkannt, daß der Weg der Vollkommenheit auch für ihr Volk die einzi ge Rettung ist. Es sind nur wenige Carthil ler, die zu solcher Erkenntnis gelangten, aber es kommen allmählich immer neue An hänger zu uns herab. Eines Tages werden wir stark genug sein, um gegen das Archiv zu kämpfen und es notfalls mit Gewalt zur Vernunft zu bringen.« Wahnsinn! dachte Copasallior entsetzt. Nicht ganz! gab Koratzo lautlos zurück. Und zu Welewo sagte er: »Du weißt nun, daß wir gekommen sind, um dich und deine Freunde zu unterstützen. Wir konnten nicht ahnen, daß es euch gibt, und so mußten wir uns als Kontertickels Verbündete ausgeben. Es ist eine Rolle, die wir nach außen hin auch weiterhin spielen werden.« »So soll es sein«, schnurrte Welewo be geistert. »Dann werde ich deine Freunde jetzt auf wecken.« »Sie sind nicht tot?« fragte der Roboter überrascht. »Selbstverständlich nicht«, erwiderte Ko ratzo. »Wir wußten nicht, welche Bedeutung ihnen im Sinne der Vollkommenheit zu kommt, darum haben wir sie zunächst be täubt. Ich werde sie jetzt wecken. Sorge du dafür, daß sie uns wie Freunde behandeln.« Copasallior war mißtrauisch, obwohl er sich sagte, daß Koratzo gewiß kein unkalku lierbares Risiko einging. Er sah unbeweglich zu, wie die Carthiller sich taumelnd erhoben und die beiden Magier mißtrauisch und ver wundert anstarrten. »Es sind unsere Freunde!« verkündete Welewo mit seiner rostig klingenden Stim me. »Sie werden uns helfen. Sie kommen aus meiner Heimat und folgen dem Gesetz der Vollkommenheit.« Dem Weltenmagier war nicht ganz klar, woher dieser uralte, vom Zerfall bedrohte Robotdiener die Autorität bezog, mit der er auf die Carthiller einwirkte, aber es war of fensichtlich, daß die seltsamen Wesen der
18 Maschine blind vertrauten. Sie nahmen We lewos Wort für die volle, unumstößliche Wahrheit und scharten sich zutraulich um die kleine Gruppe im Mittelpunkt der Halle. »Was machen wir mit Konvra?« fragte Copasallior den Stimmenmagier. »Wir lassen ihn noch ein wenig schlafen. Später werden wir extra für ihn eine Sonder vorstellung geben.« Copasallior verzog das Gesicht. Er haßte solche Andeutungen. »Wir wollen unseren neuen Freunden be richten, was wir für die Gesetze der Voll kommenheit bereits getan haben«, entschied Welewo. Und das taten sie dann auch. Koratzo, der bereits einen Teil der Wahr heit erfahren hatte, als er die Gedanken des einen, teilweise erwachten Carthillers ver folgte, lauschte mit großem Vergnügen. Der Bericht dieser heimlichen Übeltäter erinner te ihn an ein Ereignis aus der Vergangenheit, genauer gesagt, an den Bau des Kartapera tors. Damals hatten der Stimmenmagier und die anderen Rebellen aus der Tronx-Kette sich schon darauf vorbereitet, irgend etwas gegen diese gewaltige Maschine der Ver nichtung zu unternehmen, und als die Zeit knapp wurde, da waren sie schon bereit ge wesen, sogar ihr eigenes Leben in die Waag schale zu werfen. Und dann tauchten, fast schon im letzten Augenblick, die beiden Fremden auf, Atlan und Razamon, die den Kampf gegen den Kartaperator aufnahmen. Es war zweifelhaft, ob sie Erfolg haben konnten – und doch war da eine Chance. Denn auf der Baustelle tauchte Manziel auf, ein Robotdiener, der genau wie Welewo die Vorschriften der Vollkommenheit viel zu genau nahm und auf Dinge bezog, die ihn nichts angingen. Koratzo dachte noch immer mit großem Vergnügen an die Berichte, die Opkul gelie fert hatte. Manziels Gesetzestreue führte zwangsläufig zu den merkwürdigsten Sabo tageakten. Der Widersinn der einzelnen Un ternehmen brachte die Gordys, die auf der Baustelle das Kommando führten, in große
Marianne Sydow Verlegenheit, denn sie fanden einfach nicht heraus, wer sich auf so verrückte Weise am Kartaperator und den Vorschriften aus der FESTUNG verging. Nichts anderes erlebten nun Kontertickel und seine Carthiller. Welewo folgte haargenau dem Schema, dem schon Manziel seine durchschlagenden Erfolge verdankte. Mit seinen Versuchen, wenigstens stellenweise die frühere Voll kommenheit wiederherzustellen, richtete er weit mehr Unheil an, als hätte er ganze Ge bäude in die Luft gejagt. »Erstaunlich«, murmelte Copasallior, und er betrachtete Welewo mit neuem Interesse. Dabei war ihm durchaus klar, daß dieses durchgedrehte Modell von einem Robotdie ner keine Ahnung hatte, was es nun wirklich anrichtete. Er fragte sich, ob die Carthiller die Wahrheit durchschauten. Darauf kannst du dich verlassen, sagte Koratzo auf seine lautlose Weise. Sie schüt zen Welewo vor der Entlarvung, so gut sie können. Sie wissen, daß sie niemals imstan de wären, so verrückte und gleichzeitig per fekte Sabotagepläne zu entwerfen. Aber warum spielen sie überhaupt mit? Wollen sie wirklich das alte Archiv wieder herstellen? Keineswegs. Sie betrachten diese Stadt nicht einmal als ihre Heimat. Sie würden gerne den Kontinent verlassen und auf einer der Inseln ein friedliches Leben führen. Aber sie wissen, daß es sinnlos ist, vor dem Archiv davonlaufen zu wollen. Andererseits scheint es, als hätten die Arbeiten einen Stand erreicht, an dem sich ein Ende der Mühsal absehen läßt. Den Eindruck hatte ich dort oben nicht, dachte Copasallior zurück. Der Schein trügt. Es geht gar nicht nur um die verschiedenen Bauten. Worum dann? Das wissen die Carthiller leider auch nicht. Sie haben aber auf irgendwelchen Umwegen erfahren, daß das Archiv in Kürze einen entscheidenden Schlag plant und dann keine Hilfe mehr benötigt.
Krieg der Planeten Einen Schlag – gegen wen? Keine Ahnung. Das müssen wir wohl selbst herausfinden. Jedenfalls wissen diese Carthiller, die Welewo um sich versammelt hat, daß mit dem Ende der Bauarbeiten auch für sie ein Schlußpunkt erreicht sein wird. Es gibt Hinweise darauf, daß die Carthiller samt und sonders umgebracht werden sollen. Man braucht sie nur für die jetzt anfallenden Arbeiten. Copasallior schüttelte sich. Der bloße Gedanke daran, daß das Archiv seine maschinellen Diener auf die Carthiller hetzen und sie niedermetzeln lassen könnte, erfüllte ihn mit Entsetzen. Darum also helfen sie dem Robotdiener, dachte er erschüttert. Und wir werden nun ihnen helfen – oder nicht? Wir werden ihnen helfen, entschied Copa sallior. Aber wir werden dabei darauf ach ten, daß wir unser eigenes Ziel nicht aus den Augen verlieren. Koratzo nickte. So habe ich mir das auch vorgestellt, stimmte er zu. Und zu den Carthillern und dem Roboter sagte er: »Wir müssen dafür sorgen, daß Konvra keinen Verdacht schöpft. Darum werden wir jetzt ein kleines Spiel vorbereiten …« Wenig später war alles bereit. Die Carthiller sperrten die Magier und den Roboter zum Schein in eine winzige Kammer. Dort setzten Copasallior und Ko ratzo Konvras Sinne wieder in Betrieb. »Was ist geschehen?« fragte der kleine Roboter sofort. »Man hat uns überfallen«, erklärte Korat zo nüchtern. »Ich werde Kontertickel diesen Vorfall melden«, verkündete Konvra. »Er kann Ver stärkung schicken. In wenigen Minuten wer den die Schuldigen sich wünschen, sie wä ren nie geboren worden!« »Halt!« rief Copasallior hastig. »Warte noch ein wenig. Ich bin sicher, daß es sich um einen bedauerlichen Irrtum handelte.
19 Konternickel wird sehr ungehalten sein, wenn du ihm wegen einer solchen Sache Zeit stiehlst.« Kontertickels Reaktionen auf solche Vor fälle mußten in der Tat außerordentlich hef tig ausfallen. Konvra drehte sich ratlos auf der Stelle im Kreis und fragte schließlich: »Wie sahen die Angreifer aus?« Koratzo verbiß sich ein Lächeln. Er hatte gehofft, daß Konvra keine Zeit mehr gefun den hatte, die Carthiller zu identifizieren. Sie hatten es sehr geschickt angestellt und Wurf geschosse gegen die bewußte Stelle an Kon vras stabförmigem Körper geschleudert. Der Roboter war zu Boden gegangen, ehe die er sten Rebellen in der Toröffnung erschienen. Aber der Stimmenmagier war sich nicht völ lig sicher gewesen, denn er rechnete damit, daß Konvras Sinneszellen ausreichten, um einen Carthiller auch trotz der herrschenden Finsternis und dem Vorhandensein steiner ner Wände und anderer Hindernisse aufzu spüren. »Wir haben sie nicht gesehen«, behaupte te Copasallior mit Hilfe des Übersetzers. »Sie kamen offenbar aus dem Tor, durch das du uns führen wolltest. Aber sie verfügen über Waffen, die wir nicht kennen. Wir wür den bewußtlos, ehe der erste von ihnen aus der Deckung heraustrat.« Konvra sagte nichts. Er drehte sich nur ein wenig schneller. Nach einigen Minuten waren von draußen schwache Geräusche zu hören. »Das sind sie«, behauptete Copasallior flüsternd. Konvra hielt mit einem heftigen Ruck an. »Nein!« sagte er mit seiner hellen Stimme energisch. »Es sind Carthiller.« Und dann schoß er auf die aus einer dün nen Steinplatte bestehende Tür zu und glitt surrend ein wenig höher. Es gab ein kni sterndes Geräusch, dann zerfiel die massive Tür in unzählige feine Splitter. »Hier herüber!« rief er in die Dunkelheit hinein. Die beiden Magier beeilten sich, in die Nähe des Roboters zu gelangen. Sie richte
20 ten die Lichtkegel der kleinen Handlampe nach draußen und entdeckten bald darauf fünf Carthiller, die mit allerlei Werkzeugen bewaffnet waren und direkt auf die Tür zu kamen. Die Carthiller heuchelten Erstaunen. »Welewo schickte uns her, um nach euch zu suchen!« behauptete der eine schließlich. »Wir haben auf euch gewartet. Was macht ihr in dieser Kammer?« »Man hat uns eingesperrt«, erklärte Copa sallior, ehe Konvra ihn daran hindern konn te. Die Carthiller sahen sich entsetzt um. »Eingesperrt?« flüsterte einer. »Wer?« fragte ein anderer. »Wir haben niemanden gesehen«, sagte Copasallior trocken. »Wir wurden betäubt.« »Die unsichtbaren Saboteure!« hauchte ein dritter Carthiller. Da wurde es dem stabförmigen Roboter zu viel. Wütend erhob er sich um drei bis vier Meter. »Es gibt keine Saboteure!« schrie er mit schriller Stimme. »Schon gar keine unsicht baren! Eure Leichtgläubigkeit sollte eigent lich bestraft werden, aber wir haben keine Zeit, uns mit solch unsinnigen Dingen zu be fassen.« »Wenn es nicht die Saboteure waren«, murmelte Koratzo vorsichtig, »wer hat es dann getan?« »Ich!« schrillte Konvra wütend. »Ja, ich habe euch eingesperrt und so getan, als hätte man mich außer Betrieb gesetzt. Es war eine Probe, die euch auferlegt wurde.« Wahrscheinlich fiel es auch den Carthil lern schwer, angesichts dieser Behauptung ernst zu bleiben. Nur war es für sie einfa cher, ihre Heiterkeit vor dem Roboter zu verbergen. »Eine merkwürdige Prüfung«, murmelte Copasallior. »Wozu sollte das gut sein?« »Das geht euch nichts an«, verkündete Konvra hochnäsig. »Von mir aus«, meinte der Weltenmagier leichthin. »Vergessen wir es. Ich dachte, wir sollten hier unten eine Arbeit erledigen. Wie
Marianne Sydow steht es damit?« Konvra bequemte sich dazu, von seinem Platz an der Decke herabzuschweben. »Folgt mir!« befahl er. Und zu den Cart hillern sagte er: »Auch ihr kommt mit.«
4. Sie konnten nicht gänzlich sicher sein, daß die Gefahr der Entdeckung gebannt war. Natürlich würde Konvra den Vorfall seinem Herrn und Meister melden, und niemand konnte vorhersagen, wie Kontertickel die Sache sah. Aber zumindest in der Zeit, in der sie mit dem kleinen Roboter in der Tiefe weilten, hütete sich Konvra, noch etwas von den angeblichen Saboteuren und dem rätsel haften Überfall zu erwähnen. Er konnte gar nichts anderes tun, denn je de Frage hätte dem Gerücht, es gäbe solche unsichtbaren Gegner auf Maranyes, neue Nahrung gegeben. An dem Gerücht war natürlich niemand anders als Welewo selbst schuld. Er und sei ne Carthiller verstanden es, so unauffällig zu wirken, daß die Geschichte von den Un sichtbaren beinahe zwangsläufig entstehen mußte. Welewo übergab seinen Arbeitsplatz in aller Form und trollte sich samt seinen orga nischen Begleitern. Copasallior und Koratzo hatten erfahren, daß noch andere Wider standsgruppen existierten. Diejenigen, die sich jetzt bei Welewo aufhielten, gehörten ganz offiziell zu seinem Stab von Mitarbei tern. Konvra gab ihm neue Anweisungen, und wenig später waren die Magier mit dem stabförmigen Roboter alleine. Einige Stunden vergingen, in denen sie sich mit den Fundamenten des uralten Bau werks beschäftigten. Es fiel ihnen nicht schwer, einige Gefahrenquellen aufzuspü ren, und Konvra schien mit ihnen zufrieden zu sein. Sie kehrten schließlich zur Oberflä che zurück. Konvra begleitete sie bis zur Schleuse der GOL'DHOR und sagte: »Entfernt euch nicht aus der Nähe eures Raumschiffs. Ich hole euch von hier ab,
Krieg der Planeten wenn die Pause beendet ist.« Erleichtert sahen sie ihn davonschweben. Obwohl ihnen die Zeit auf den Nägeln brannte, begaben sie sich in das Schiff und nahmen dort eine Mahlzeit ein. Die GOL'DHOR schöpfte Kraft aus diesem Bei sammensein, und den Magiern ging es nicht anders – hier gab es die für sie lebensnot wendigen Energien, die es ihnen erlaubten, sich schneller zu erholen, als ein stundenlan ger Schlaf es hätte geschehen lassen. Frisch und munter hielten sie schließlich nach allen Seiten Ausschau. Konvra war nicht zu se hen. »Welewo wartet«, murmelte Copasallior. »Gehen wir also zu ihm.« Sie verließen das Schiff, und die Schleuse schloß sich hinter ihnen. Sie wußten, daß sie sich um die GOL'DHOR keine Sorgen zu machen brauchten. Sie eilten durch die finstere Straße. Zum Glück waren wenigstens hier unten um diese Zeit kaum noch Carthiller unterwegs. Oben, auf den Plattformen und den vielen anderen Baustellen, wurde auch in der Nacht gear beitet. Über ihnen gab es auch Licht in Hülle und Fülle. Grelle Scheinwerfer rissen die Plattformen aus der Dunkelheit – es sah aus, als trieben Tausende von gleißend hellen Wolken über der Stadt. Zwischen den Mau ern dagegen herrschte nur ein vages Däm merlicht, kaum genug für die Augen eines Sterblichen, um die zahllosen Hindernisse auf dem Weg zu erkennen. Den beiden Ma giern war es trotzdem hell genug. Sie fanden Welewo am verabredeten Ort, in einer Nische in der Nähe eines dunkelro ten Pfeilers. Ein paar Carthiller waren bei ihm, Verbündete, wie der Robotdiener eilig versicherte. »Was habt ihr vor?« fragte einer der Cart hiller neugierig. »Wir wollen uns zuerst nur gründlich um sehen«, erklärte Koratzo lächelnd. Der Carthiller war enttäuscht. Er hatte wohl gehofft, diese Fremden würden so gleich neue, herrliche Wege verkünden, auf denen man Kontertickel und seinen Helfern
21 Schaden zufügen konnte. »Es ist zu früh für uns, direkt in das Ge schehen einzugreifen«, sagte der Stimmen magier beschwichtigend. »Zuerst müssen wir herausfinden, wie wir unsere speziellen Kenntnisse einsetzen können. Verfolgt in der Zwischenzeit Welewos Pläne weiter.« Der Carthiller fügte sich. Gemeinsam mit einigen Artgenossen entfernte er sich aus der schattigen Nische. Augenblicke später war die Gruppe im tiefschwarzen Schatten unter einer Plattform verschwunden. Sie waren mit Welewo alleine. Koratzo mußte plötzlich daran denken, daß die Ro botdiener von Wolterhaven durchaus im stande waren, unter bestimmten Umständen buchstäblich den Verstand zu verlieren. Und ein Robotdiener, der nicht mehr recht wußte, was Recht und was Unrecht war, stellte eine Bedrohung für seine Umwelt war. Auch Welewo war dem robotischen Äqui valent des Wahnsinns verfallen. Bis jetzt reagierte er positiv im Sinn der Magier, aber das konnte sich nur zu schnell ändern. Der Stimmenmagier beschloß, von nun an doppelt wachsam zu sein. »Wo sind die Speicher des alten Archivs untergebracht?« hörte er Copasallior fragen, und er zuckte zusammen. Wäre es nicht bes ser gewesen, mit dieser Frage noch ein we nig zu warten? Aber da kam schon Welewos Antwort. »Ich kann euch einige Speicher zeigen, die ganz in der Nähe sind. Es gibt sehr viele von den Dingern. Ihr findet sie überall in den alten Gebäuden. Sie sind allerdings in die oberen Stockwerke verlegt worden.« »Führe uns hin«, bat Copasallior. Welewo setzte sich schweigend in Bewegung. Trotz seiner gebrochenen und getrübten Linsensysteme fand er den Weg mit erstaun licher Sicherheit. Die Magier folgten ihm. Sie hatten keine Angst, sich in diesem Laby rinth zu verirren. Selbst wenn Koratzo die Orientierung verloren hätte, wäre Copasalli or imstande gewesen, sie jederzeit in die GOL'DHOR zurückzuversetzen. »Hier ist es!« verkündete Welewo und
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hielt vor einer der schmucklosen Türen an. »Rechts gibt es eine Rampe, die nach oben führt. Ich kann euch leider nicht begleiten, denn ich muß mich um meine Carthiller kümmern.« »Das macht nichts«, versicherte Copasal lior, der gar nicht darauf erpicht war, Zeu gen bei seinem Vorhaben in seiner Nähe zu wissen. Er hatte sich schon den Kopf dar über zerbrochen, wie er Welewo zur Um kehr bewegen könne. Koratzo dagegen sah dem Robotdiener mißtrauisch nach. »Worauf wartest du?« fragte Copasallior unwillig. »Ich traue dem Burschen nicht«, murmel te der Stimmenmagier. »Nanu?« machte Copasallior spöttisch. »Vorhin warst du dir noch ganz sicher, daß das Zusammentreffen mit Welewo ein be sonders glücklicher Zufall war.« Koratzo zuckte die Schultern und folgte dem Weltenmagier in das finstere Gebäude. Über die Rampe kamen sie mühelos in das nächste Stockwerk, und dort sahen sie die Speicherkästen und die tropfsteinähnli chen Übermittlungsanlagen. »Endlich«, seufzte Copasallior erleichtert. »Wenn wir nun noch ein wenig Glück ha ben, sind wir schon in einer Stunde auf dem Rückflug nach Pthor.« Koratzo sagte nichts. Er betrachtete die Speicher und fragte sich, was sie darin fin den würden.
* »Ich hätte es mir denken können«, mur melte der Weltenmagier rund eine Stunde später ärgerlich. »Wir werden vom Pech verfolgt. Was machen wir nun?« Sie hatten immer noch nicht erfahren, was die Speicher enthielten. Vielleicht gab es auch in ihnen nur völlig unsinnige Informa tionen, wie es schon auf Carthillum der Fall gewesen war. Genauso gut mochte es mög lich sein, daß sie direkt vor den heiß begehr ten Daten über die Schwarze Galaxis stan den – es gab keine Chance für sie, es heraus-
zufinden. Die Speicher widerstanden Copasalliors Künsten mühelos. Mit allen nur denkbaren Tricks hatte er versucht, sie zur Herausgabe ihrer Geheimnisse zu bewegen. Es war um sonst. »Wir werden Informationen sammeln und es später noch einmal versuchen«, sagte Ko ratzo langsam. »Außerdem gibt es noch mehr Räume dieser Art. Nicht alle Speicher können so gut abgesichert sein.« »Meinst du?« fragte Copasallior spöttisch. »Soll ich dir sagen, was ich glaube? Wir werden beobachtet, und zwar von dem Ge hirn, das über das Archiv von Maranyes wacht.« »Ist das ein Verdacht, oder hast du Bewei se?« »Keine Beweise«, antwortete der Welten magier düster. »Es ist ein Gefühl. Diese Speicher sind nicht anders beschaffen als die auf Carthillum. Ich bin sicher, daß ich kei nen Fehler gemacht habe. Die Sperren, auf die ich gestoßen bin, können nur kurzfristig errichtet worden sein.« Koratzo sah sich unbehaglich in der Halle um. Hier drin war es sehr still. Das Dröhnen von den Baustellen drang nicht durch die dicken Mauern, und der Raum lag in der Mitte des Gebäudes. Es gab kein einziges Fenster. Nur die Handlampen spendeten et was Licht. Er fühlte sich unbehaglich zwischen den häßlichen, vieleckigen Kästen, die Copasal lior als Speicher bezeichnete. Die Tropfstei ne hingen drohend von der Decke herab. Nirgends gab es eine Bewegung, nur die Schatten wanderten, wenn einer der Magier die Lampe in seiner Hand bewegte. Gab es tatsächlich etwas, das sie beobach tete? Nein, dachte der Stimmenmagier ärger lich. Copasallior muß sich irren. »Laß uns von hier verschwinden«, schlug Copasallior vor. Koratzo nickte. Als sie über die Rampe nach unten gin
Krieg der Planeten gen, glaubte er; endlich auch ein logisches Argument dafür gefunden zu haben, daß Co pasalliors Verdacht übertrieben war. »Wenn das Archiv uns beobachtet hätte«, sagte er, »dann wüßte es jetzt, daß wir nicht gekommen sind, um die Bauarbeiten voran zutreiben. Und dann hätten wir schon jetzt die Carthiller oder die Roboter auf dem Hals.« »Wer weiß«, murmelte Copasallior rätsel haft. Er stieß leise die Tür zur Straße auf und spähte hinaus. »Alles ruhig«, raunte er. »Komm!« Es war immer noch Nacht. In der engen Straßenschlucht war es heiß, und die Luft roch stickig. Der Lärm war so schlimm wie am Tage. Sie hatten es eilig, in die GOL'DHOR zurückzukehren, denn dort hofften sie etwas Ruhe zu finden. Aber sie waren kaum hundert Meter weit von der Tür entfernt, da blieb Koratzo erschrocken ste hen. »Was ist los?« fragte Copasallior beunru higt. »Da war ein Geräusch«, murmelte Korat zo. Der Weltenmagier kräuselte spöttisch die schmalen Lippen, denn Geräusche gab es wahrhaftig genug in dieser Umgebung. Aber Koratzo achtete gar nicht auf Copasallior. Er blieb minutenlang stehen und lauschte ange strengt. Copasallior verlor allmählich die Geduld. Er setzte zum Sprechen an. Aber noch ehe er einen Laut über die Lip pen zu bringen vermochte, sprang Koratzo ihn überraschend an und schleuderte ihn zu Boden. »Bist du verrückt geworden?« keuchte der Weltenmagier erschrocken – und verstumm te entsetzt, als ein schweres Metallteil an ge nau der Stelle den Straßenbelag durch schlug, an der er gerade noch gestanden hat te. Koratzo zerrte den Weltenmagier mit sich in eine schmale Gasse. Atemlos drängten sich die beiden Männer an die rauhe Mauer eines klobigen Turmes und starrten zurück
23 auf jene Stelle, an der sie beinahe den Tod gefunden hätten. »Was hat das zu bedeuten?« flüsterte Co pasallior schließlich. »Ich weiß es nicht«, murmelte Koratzo. »War das Ding da für uns bestimmt?« »Es wird sich um einen Unfall gehandelt haben.« Copasallior warf seinem Gefährten einen scharfen Blick zu. »Das klingt nicht sehr überzeugt«, stellte er fest. Als Koratzo auch daraufhin nicht seine ei gentliche Meinung kundtat, gab der Welten magier es resignierend auf. »Wie hast du es gemerkt?« wollte er wis sen. »Ich habe überhaupt nichts gehört.« »Ich dafür um so mehr.« Copasallior wartete vergebens auf detail lierte Auskünfte. Koratzo schien nicht sei nen gesprächigen Tag zu haben. Der Wel tenmagier beschloß, zu warten, bis irgend et was mit dem herabgefallenen Teil geschah. Die Carthiller mußten ja wohl bemerkt ha ben, daß etwas in diese Straße gestürzt war. Handelte es sich wirklich um einen Unfall, so würden sie kommen, um das Teil zu ber gen. Traf dagegen Copasalliors Verdacht zu, es könne sich um einen Anschlag auf die Magier gehandelt haben, so würde man sich davon überzeugen wollen, daß das Unter nehmen von Erfolg gekrönt war. Aber es schien, als gäbe es noch eine an dere, dem Weltenmagier unbekannte Mög lichkeit. Es kam nämlich niemand. »Na schön«, seufzte Copasallior, als fast zwei Stunden ereignislos vergangen waren. »Es hat wohl keinen Sinn, noch länger zu warten.« Aber als er gehen wollte, hielt Koratzo ihn an einem der sechs Arme fest. »Vorsicht«, flüsterte er. »Ich höre etwas!« »Schon wieder?« murmelte Copasallior kaum hörbar. Koratzo deutete schweigend auf die rech te Mauerkante am Ende der Gasse. Copasallior erstarrte, als er die Gestalt sah, die auf plumpen Rollen und Stelzen
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quer über die etwas hellere Straße zu dem Bruchstück hinüberrumpelte.
* »Na warte, Freundchen!« flüsterte er, als er sich gefangen hatte. »Du bist mir eine Er klärung schuldig.« Er befreite sich aus Koratzos festem Griff und schritt die Gasse entlang. Der Stimmen magier ließ ihn gewähren und folgte ihm in wenigen Schritten Abstand. »Was tust du da?« fragte Copasallior schneidend scharf, als er nur noch drei Me ter von Welewo entfernt war. Der Robotdiener rührte sich nicht. Er hat te einen halbwegs intakten Arm ausgefahren und die Greifklaue um ein hakenförmiges Gebilde an der Kante des Metallteils gelegt. »Antworte!« forderte der Weltenmagier eisig. »Ich freue mich, euch gesund und unver sehrt zu finden«, erklärte Welewo schlep pend, und seine Stimme klang noch rostiger als sonst. »Hast du etwas anderes erwartet?« erkun digte Copasallior sich mit beißendem Spott. »Einer meiner Freunde berichtete mir von einem Unfall«, schnarrte der Roboter unge rührt. »Ich wußte, daß ihr diesen Weg neh men würdet, und kam, um mich davon zu überzeugen, daß meine Angst um eure Si cherheit unbegründet sei.« »Aha. Warum hat dein Freund nicht selbst nachgesehen?« »Das war ihm leider nicht möglich. Er ar beitet dort oben und kann sich nicht eigen mächtig von seinem Platz entfernen. Er ging bereits ein hohes Risiko ein, als er mich be nachrichtigte.« »So viel Edelmut rührt mich zu Tränen!« murmelte Copasallior sarkastisch. Er warf Koratzo einen fragenden Blick zu. Der Stimmenmagier schüttelte kaum merklich den Kopf. Es war niemand in der Nähe. Copasallior musterte den Robotdiener zweifelnd.
Er wußte, daß er das Spiel verloren hatte, ehe es noch richtig begann. Es war kaum möglich, einem solchen Wesen eine Infor mation gegen seinen Willen zu entlocken. Der Roboter brauchte nur bei seiner Ge schichte zu bleiben – sie hätten ihm nie be weisen können, daß er log. »Du hast den Verdacht, daß dies ein An schlag auf dich und deinen Begleiter war«, stellte Welewo fest, und Copasallior be merkte verblüfft, daß dieses antimagische Ding drauf und dran war, den Spieß umzu drehen. »Daraus schließe ich, daß dieses Teil euch tatsächlich fast erschlagen hätte. Ich bin sehr froh, daß ihr einem so unerfreu lichen Schicksal entkommen konntet. Dein Verdacht, ich selbst könnte ein Interesse daran haben, euch auf derart brutale Weise aus dem Weg zu räumen, ist übrigens völlig unsinnig.« »Natürlich ist er das«, bemerkte Copasal lior sanft. »Also gut, Welewo, laß es uns vergessen. Geh deiner Wege – die Nacht ist nicht mehr lang, und wir sind leider organi sche Geschöpfe, die die Ruhe brauchen. Wir werden uns morgen am verabredeten Ort treffen und über unser weiteres Vorgehen beraten.« Welewo ließ den Haken los und entfernte sich, ohne noch ein Wort gesagt zu haben. Copasallior atmete auf, als der Robotdiener außer Sichtweite war. »Ob er wirklich etwas damit zu tun hat?« überlegte er halblaut. »Wir werden es niemals erfahren, wenn wir weiter hier herumstehen«, behauptete Koratzo. »Ich habe Sehnsucht nach der GOL'DHOR.« Copasallior nickte, und sie machten sich erneut auf den Weg. Diesmal gelangten sie ungehindert bis an die Rampe des goldenen Raumschiffs. Aber als sie die Rampe betraten, hörten sie eine helle Kinderstimme. »Wo habt ihr euch solange aufgehalten?« Sie drehten sich langsam um. Konvra schwebte aus der Höhe herab. Er mochte irgendwo dort oben, auf einem Sims
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oder einem Balkon, auf die Magier gewartet haben. Der Gedanke daran, daß der Roboter sie schon seit geraumer Zeit beobachtet und alles gesehen hatte, drängte sich ihnen auf, und sie sahen der kleinen Gestalt unbehag lich entgegen. Konvra landete auf der Rampe und warte te auf eine Antwort. »Wir haben uns nur ein wenig die Beine vertreten«, erklärte Koratzo schließlich scheinbar gelassen. »Ist das verboten?« »Ihr wißt, daß ihr in der Nähe des Schif fes zu bleiben habt!« quäkte Konvra. »Wir haben uns verlaufen«, behauptete Koratzo, ohne mit der Wimper zu zucken. Konvra schwieg lange Zeit. »Ich muß Kontertickel diesen Vorfall melden«, sagte er dann. »Er wird euch noch einmal ermahnen, euch nach den Vorschrif ten zu richten, die in dieser Stadt gelten – und sie gelten für alle, die dem Archiv zu neuer Vollkommenheit verhelfen. Auch für euch.« »Wir werden es uns merken«, versprach Koratzo lächelnd. »Dann kommt«, forderte Konvra. »Der Tag bricht an, und wir haben heute viel zu tun.« Die Magier sahen sich schweigend an. Die erholsame Ruhepause an Bord der GOL'DHOR fiel also aus. Resignierend folgten sie dem Roboter durch andere Straßen und Gassen zu ihrem zweiten Einsatzort.
5. Konvra ließ sie keine Sekunde lang mehr aus den Augen. Den Magiern war das aus verschiedenen Gründen äußerst unange nehm. Der Roboter sah ihnen nämlich auch während der Arbeit sehr genau auf die Fin ger, und vieles mochte ihm – oder dem, der seine Wahrnehmungen aus der Ferne ver folgte und auswertete – als überaus interes sant erscheinen. Die Untersuchungsmethoden der Magier waren von denen aller anderen Wesen, die
an dem großen Werk teilhatten, völlig ver schieden, und sie mußten auf jeden, der kei ne magischen Vorkenntnisse besaß, gerade zu unheimlich wirken. Sie rechneten ständig damit, bohrende Fragen beantworten zu müssen. Aber Kon vra beschränkte sich aufs Zusehen. Der Tag verging, und gegen Abend er laubte ihnen der Roboter, das kaltfeuchte Gebäude, in dem sie bis dahin herumgekro chen waren, zu verlassen. Er begleitete die Magier wieder bis an die Rampe der GOL'DHOR und schwebte dann davon. »Ich gehe jede Wette ein, daß er uns in dieser Nacht beobachten wird«, murmelte Copasallior mißmutig. »Macht das etwas aus?« fragte Koratzo lächelnd. »Wir werden eben dafür sorgen, daß Konvra das Richtige sieht, wenn er die GOL'DHOR inspiziert.« Copasallior lächelte schwach. »Hoffen wir, daß er sich täuschen läßt«, sagte er. »Allmählich glaube ich allerdings selbst schon fast nicht mehr, daß er oder Kontertickel magische Energie orten kön nen. Sie hätten uns sonst längst auf die Sch liche kommen müssen.« »Das finde ich auch. Probieren wir es also aus. Ich denke, es wird kein allzu großes Ri siko sein.« Sie aßen und genossen dankbar die Ruhe in der GOL'DHOR. Sie spürten, wie neue Kraft in ihre Körper floß. Das tat auch not, denn sie waren mittlerweile doch ziemlich erschöpft. »Fangen wir an«, schlug Copasallior nach einiger Zeit vor. »Ich hoffe, du hast genug von dem behalten, was Kolviss dir einmal beigebracht hat …« Koratzo lachte nur. Die Zeit, in der er bei Kolviss für kurze Zeit in die Lehre gegangen war, hatte er niemals vergessen. Und wenn er auch niemals auch nur entfernt fähig war, dieselbe Leistung wie der Traummagier zu erbringen, so erschien es ihm doch für die sen Zweck ausreichend. Allerdings war er sich auch deutlich be wußt, daß dieser Trick auf einer antimagi
26 schen Welt wie Maranyes nur durch die Un terstützung der GOL'DHOR funktionieren konnte. Das Raumschiff half den beiden Magiern in jeder Phase des Unternehmens. Sie machten sich in ihren Gedanken ein Bild von sich selbst. Es hätte nicht gereicht, in einen Spiegel zu schauen. Das Bild mußte in ihren Hirnen wachsen und vervollkomm net werden, bis es förmlich eine eigene Per sönlichkeit gewann. Nach einer Viertelstunde nickte Copasal lior dem Stimmenmagier zu. »Fertig?« frag te er leise. »Ich denke schon«, antwortete Koratzo ernst. »Gut. Du zuerst!« Koratzo zog die magische Energie aus seiner Umgebung um sich zusammen und wurde dadurch praktisch unsichtbar. Gleich zeitig ließ er das Gedankenbild frei, und als er einen Schritt zur Seite getan hatte, konnte er sich selbst sehen, wie er genau an jener Stelle stand, die er gerade erst verlassen hat te. Prüfend musterte er seinen nichtmateriel len Doppelgänger. Er war zufrieden mit sei nem Werk. Auch Copasallior fand keinen Fehler, und er beeilte sich, Koratzos Beispiel zu folgen. Augenblicke später war auch sein Doppelgänger bereit. Die Bildgestalten bewegten sich genauso, wie ihre Vorbilder es getan hätten. Sie gli chen den Magiern in jeder Beziehung. Aber sie konnten aus verschiedenen Gründen nicht aktiv in das Geschehen eingreifen. Kolviss vermochte Figuren zu erzeugen, die materiell wurden und dann in jeder Weise handlungsfähig waren, aber Copasallior und Koratzo beherrschten nur einen winzigen Teil der schwierigen Traummagie. Der größte Nachteil war, daß die beiden Scheinfiguren sich nicht einmal innerhalb der GOL'DHOR frei bewegen konnten. Der winzigste Fehler genügte, und jeder Beob achter hätte gewußt, daß mit den angebli chen Magiern etwas nicht stimmte. Denn da die Figuren ja nicht wirklich vorhanden wa-
Marianne Sydow ren, konnten sie die Materie der GOL'DHOR mühelos durchdringen. Außerdem waren die falschen Magier vorläufig noch stumm. Dem abzuhelfen war auch für Koratzo nicht ganz einfach. Er entschied sich dafür, den beiden Doppelgängern nur die wenigen Worte einzugeben, die für den äußersten Notfall nötig waren, für den Augenblick nämlich, in dem Konvra vor der Schleuse auftauchte und die beiden Magier abzuholen wünschte. Sie würden ihm dann antworten, ziemlich schroff und abweisend, wie es auch die echten Magier getan hätten. Koratzo hoffte aber, daß sie längst zurückgekehrt waren, wenn Konvra sie zur Arbeit rief. Nachdem alle Vorbereitungen abge schlossen waren, schickten sie die Doppel gänger in die Kabinen, in denen die Magier sich auszuruhen pflegten. Dann begaben sie sich in den Kommandoraum und überzeug ten sich davon, daß auch die GOL'DHOR den kleinen Roboter nicht in unmittelbarer Nähe orten konnte. Dennoch wagten sie es nicht, das Schiff durch die Schleuse zu verlassen, denn dies konnte leicht den Argwohn zufälliger Beob achter erregen. Eine Tür, die sich wie von Geisterhand bewegt öffnete und wieder schloß, ohne daß jemand durch sie nach draußen kam – das war schon verdächtig. Copasallior brachte darum sich und den Stimmenmagier mit einem kurzen Sprung auf die Straße hinaus. Die Energie, die dazu notwendig war, war sehr gering. Sie blieben unsichtbar. Dennoch waren sie vorsichtig. Sie achteten darauf, daß sie stets in sicherer Deckung blieben, denn sie wußten nicht, ob sie Konvra oder einen an deren Roboter zu täuschen vermochten. Sie waren übereingekommen, es diesmal in einem der neueren Gebäude zu versuchen. Sie waren durch einen Raum voller Speicher gekommen, als Konvra sie am Morgen zu ihrem Arbeitsplatz führte, und Copasallior hatte im Vorbeigehen einen der Kästen be rührt – er war sich nicht völlig sicher, aber ihm hatte es scheinen wollen, als wäre dieser
Krieg der Planeten Speicher nicht durch die schier undurch dringbaren Sperren gesichert. Auch in dieser Nacht waren in der Tiefe zwischen den Häusern fast keine Carthiller unterwegs. Nur einmal kam ihnen eine Gruppe von Arbeitern entgegen, die offen bar eine Reparatur an einem kürzlich errich teten Pfeiler vornehmen sollten. Die Magier drückten sich in eine finstere Nische und warteten, bis die Carthiller an ihnen vorbei gegangen waren. »Das ist es«, flüsterte Copasallior, als sie das Gebäude mit den Speichern vor sich sa hen. Es blockierte die Straße, denn die Cart hiller hatten es mitten auf die Fahrbahn ge setzt. Rechts war eine Gasse freigeblieben, die gerade breit genug war, um einen nicht allzu dick geratenen Carthiller hindurchzu lassen. Vom Dach des Gebäudes erhob sich einer der zahllosen Gittermasten, mit denen die Plattformen abgestützt waren. Sie kannten den Weg. Drinnen mußten sie über eine steile Treppe bis ins vierte Stock werk hinaufsteigen. Von dort aus konnte man in das Nebenhaus gelangen, und wenn man dort über die Rampen wieder nach un ten ging, kam man an die obligatorische Treppe, die in die Unterwelt der Stadt führ te. Mitten auf der Treppe blieb Koratzo ste hen. »Spürst du es nicht?« fragte er flüsternd. »Über uns ist etwas.« Copasallior lauschte, aber da war kein Geräusch, überhaupt kein Anzeichen dafür, daß sie nicht alleine in diesem Gebäude wa ren. »Du mußt dich geirrt haben«, murmelte er. »Komm endlich, ich möchte es hinter mich bringen.« Koratzo folgte ihm die vielen engen Stu fen hinauf und dann durch die türlose Öff nung in den Saal mit den Speichern hinein. Wieder blieb er stehen. Da war es wieder gewesen, ein seltsames, kaum hörbares Schnarren, das scheinbar aus den Mauern selbst kam. Copasallior achtete jetzt nicht mehr auf den Stimmenmagier. Er
27 schritt zielsicher zu dem Speicher, den er be rührt hatte, und machte sich an die Arbeit. Koratzo, der dem Weltenmagier bei der Untersuchung der Speicher ohnehin nicht helfen konnte, ging den Geräuschen nach. Er legte die Hand gegen die Wand, und jetzt spürte er es deutlicher: Etwas arbeitete da drinnen. Für einen Augenblick dachte er, daß Gebäude wäre der Belastung durch das Gewicht, das auf seinem Dach ruhte, nicht länger gewachsen. Aber dann stellte er fest, daß das Schnarren nichts mit dem Material zu tun hatte, aus dem die Wand bestand. Er hörte Copasallior etwas murmeln und drehte sich unwillkürlich nach dem Welten magier um. Als er sich danach wieder auf das Schnarren konzentrierte, war es nicht mehr da. Er zuckte die Schultern und ging zu Copasallior hinüber. »Es ist sinnlos«, sagte der Weltenmagier ärgerlich. »Wieder diese Sperren?« Copasallior nickte nur. Er starrte den Speicher düster an. »Glaubst du immer noch, daß alles nur ein Zufall ist?« fragte er. »Nein«, antwortete Koratzo sehr ruhig. Copasallior sah ihn überrascht an. »Ich könnte mich vorhin geirrt haben«, bemerkte er vorsichtig. »Ich hatte wenig Zeit, kaum eine halbe Sekunde, und da kann man schon etwas übersehen.« Koratzo lachte leise auf. »Das ist doch nicht dein Ernst«, meinte er spöttisch. »Du ziehst selbst in Betracht, daß dir ein Fehler unterlaufen sein könnte?« »Ob du es glaubst oder nicht«, knurrte der Weltenmagier, »aber in diesem Fall wäre mir eine solche Lösung weitaus angenehmer als jede andere Erklärung.« Koratzo schwieg. Er dachte daran, daß sie immer noch unsichtbar waren. Sie konnten sich gegenseitig sehen, aber jeder Carthiller, der zufällig an diesen Ort gelangte, hätte ge schworen, daß sich kein lebendes Wesen in diesem Saal aufhielt. Er hätte selbstverständ lich auch die Stimmen der Magier nicht ge hört, denn sie bedienten sich der lautlosen Sprache der Gedanken.
28 Natürlich durfte man annehmen, daß das Archiv sich durch solche Tricks nicht daran hindern ließ, die Magier zu beobachten. Das Archiv war ein kompliziertes technisches Gebilde. Um es zu täuschen, mußte man si cher zu stärkeren Mitteln greifen. Was ihm Sorgen bereitete, war die nun fast sichere Erkenntnis, daß das Archiv sich ganz gezielt gegen die Magier sperrte. Wuß te es, warum diese beiden Fremden nach Maranyes gekommen waren? Oder hätte es bei jedem anderen Besucher genauso gehan delt? Vor allem aber – würde es sich darauf beschränken, die Speicher gegen den Zugriff Unbefugter zu sichern? »Vielleicht hat es längst um Hilfe geru fen«, sagte Copasallior, der die gleichen Ge danken verfolgt hatte. Koratzo zuckte leicht zusammen. Hilfe für Maranyes – sie konnte eigentlich nur aus der Schwarzen Galaxis kommen. Waren schon die Schiffe derer, die dort herrschten, unterwegs? Aber dann dachte er an das, was gerade jetzt in der Stadt geschah. »Nein«, murmelte er. »Das glaube ich nicht. Was hier geschieht, kann nicht im Sinne derer sein, die das Archiv erbaut ha ben.« »Woher willst du das wissen? Wir können es nicht beurteilen.« »Trotzdem. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man von der Schwarzen Galaxis aus diese Umbauten befohlen hat. Wäre es so – müßte man nicht erwarten, daß wenigstens ein Aufseher in Maranyes stationiert wäre?« »Das müßte man allerdings«, stimmte Co pasallior düster zu. »Aber wer sagt uns, daß es nicht auch der Fall ist? Wir haben keinen solchen Aufseher getroffen – aber du denkst doch wohl nicht, daß dies ein Beweis für seine Abwesenheit ist. Theoretisch kann je der, der hier eine etwas höhere Position ein nimmt, im Auftrag der Schwarzen Galaxis handeln. Kontertickel zum Beispiel, oder ei ner der anderen Roboter, oder Konvra …« »Welewo!« sagte Koratzo plötzlich. »Wie bitte?«
Marianne Sydow »Es ist Welewo«, wiederholte Koratzo. »Er muß es sein, es gibt gar keine andere Möglichkeit.« »Diese durchgerostete Blechbüchse …« »Das Äußere ist nicht entscheidend«, fiel Koratzo dem Weltenmagier ins Wort. »Erinnere dich daran, wie er gestern nacht sprach. Er benahm sich plötzlich so anders …« »Du bist dem Roboter gegenüber nicht fair«, warf Copasallior ihm vor. Koratzo lachte bitter auf. »Fair«, murmelte er. »War es fair von die ser Maschine, ein so schmutziges Spiel zu beginnen? Sich als Rebell aufzuführen, da mit wir Vertrauen fassen?« »Noch wissen wir es nicht genau«, ver suchte Copasallior den Stimmenmagier zu beruhigen. Aber Koratzo war zu aufge bracht. Er verabscheute nichts so sehr wie Lüge und Betrug. Copasallior sah ein, daß es besser war, Koratzo auf andere Weise von seinem Zorn abzulenken. »Hast du eine Vorstellung davon, was der Robotdiener im Schilde führen könnte?« fragte er. »Es ist mit Sicherheit kein Robotdiener!« betonte Koratzo. »Wir haben uns auch in diesem Punkt täuschen lassen. Und was sei ne Pläne angeht – ich habe keine Ahnung, was er hier tun soll. Aber es kann nichts Gu tes sein. Copasallior, wir müssen diesen Ro boter aus dem Verkehr ziehen, irgendwie, ehe es zu spät ist!« »Du hast recht«, nickte der Weltenmagier. »Suchen wir ihn.« Sie verließen den Saal, und während sie die Treppe hinuntergingen, nahm Koratzo erneut das seltsame Schnarren wahr. Plötz lich wußte er auch, woher er dieses Ge räusch kannte. Er sprang die zwei Stufen hinunter, die ihn von Copasallior trennten, und griff nach einer Hand des Weltenma giers. Copasallior erschrak, als er die fremden Einflüsse spürte, aber er fing sich schnell. Die Sinne der beiden Magier bildeten binnen einer Sekunde eine Einheit. Die Macht des
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einzelnen wurde durch diesen Verbund nicht verdoppelt, sondern vervielfacht. Copasalli or hörte nicht nur das Schnarren, sondern er spürte auch genau, woher es kam. Er tastete mit unsichtbaren, magischen Fühlern die fragliche Stelle jenseits der Wand ab. Korat zo verfolgte gespannt, wie Copasallior dort einen Gang entdeckte und schließlich das aufspürte, was sich in dem engen Hohlraum bewegte. Copasallior wollte zugreifen, die metallene Gestalt aus ihrem Versteck her ausschleudern – da zuckte er plötzlich unter einem gräßlichen Schmerz zusammen. Ko ratzo löste sich nicht schnell genug aus der Verbindung. Minutenlang waren sie unfähig, sich von der Stelle zu rühren, geschweige denn nach dem verräterischen Roboter zu suchen, der sich in dem Geheimgang verborgen hielt. Dann allmählich klärten sich ihre Sinne. Co pasallior richtete sich stöhnend auf und starrte mit seinen steinern wirkenden Augen die Wand an. »Was, beim Skatha-Hir, war das?« fragte er entsetzt. »Er hat gespürt, daß du ihn im Griff hat test«, murmelte Koratzo erschöpft. »Und er hat zurückgeschlagen. Ich weiß nicht, wie er es gemacht hat. Es war, als könne er jede magische Energie reflektieren.« Copasallior antwortete nicht. Er wandte sich ab und ging die Treppe hinunter. Als sie auf der Straße standen, drehte er sich lang sam zu Koratzo um. »Wir müssen ihn finden«, sagte er ernst. »Und wenn wir ihn sehen, werden wir zu schlagen, mit allen Mitteln, die uns zur Ver fügung stehen.«
6. Sie kehrten auf geradem Weg zur GOL'DHOR zurück, gelangten ungesehen in das Schiff hinein und lösten ihre magischen Doppelgänger auf. Dann nahmen sie deren Plätze ein und erhoben sich wenig später halbwegs gestärkt von den bequemen La gern, die das goldene Raumschiff für sie be
reit hielt. Es war immer noch dunkel, und sie wußten, daß sie knappe zwei Stunden Zeit hatten. Diesmal verzichteten sie auf alle Täuschungsmanöver. Sie verließen die GOL'DHOR und blieben einen Augenblick auf der gläsernen Rampe stehen. Ihre Berechnungen gingen auf. Konvra war binnen Sekunden zur Stelle. »Wo wollt ihr hin?« fragte der kleine Roboter mit sei ner hellen Stimme. »Wir möchten uns nur ein wenig umse hen«, antwortete Koratzo bedächtig. »Begleite uns, wenn du willst!« Der kleine Roboter zögerte. »Ich müßte Kontertickel benachrichti gen«, erklärte er schließlich. »Dann tu das nur«, empfahl Koratzo freundlich. »Wir wollen nicht, daß du unse retwegen Ärger bekommst.« Konvra schwebte leicht in die Höhe, und als er wieder herabsank, verkündete er: »Kontertickel ist einverstanden. Aber ich werde dafür sorgen, daß ihr pünktlich mit euerer Arbeit beginnt.« »Wir haben nicht die Absicht, uns vor un seren Aufgaben zu drücken«, versicherte Koratzo gelassen. Konvra schwebte knapp einen Meter hin ter ihnen, als sie auf Umwegen den von We lewo genannten Treffpunkt ansteuerten. Die Magier gingen an der finsteren Nische vor bei. Sie vertrauten darauf, daß Konvra nicht sehen konnte, wer oder was sich dort verbor gen hielt. Sie selbst waren leicht imstande, die Dunkelheit mit ihren Augen zu durch dringen. Enttäuscht stellten sie fest, daß Welewo nicht auf sie wartete. Sie hatten gehofft, daß der Roboter sein Spiel weitertrieb. Die Ma gier hatten ihn schließlich nicht gesehen. Es gab vorläufig keinen konkreten Beweis da für, daß es der angebliche Robotdiener ge wesen war, den sie in dem Geheimgang auf gespürt hatten. Alles, was sie gefühlt hatten, war die Anwesenheit eines metallenen Lebe wesens, das in etwa Welewos Größe und Statur besaß. Entweder glaubte der Roboter, daß die
30 Magier doch mehr gesehen hatten, oder er war anderweitig so dringend beschäftigt, daß er den Treffpunkt nicht aufsuchen konnte. Vielleicht nahm er aber auch an, daß die Magier durch den erlittenen Schmerz für längere Zeit nicht einsatzfähig waren. Zum Glück hielten sich die Carthiller, die Welewo dienten, zurück. Sie drängten sich im Hintergrund der Nische zusammen und starrten ängstlich auf Konvra. Die beiden Magier waren enttäuscht. Sie hatten Welewo in Konvras Gegenwart zu ei nem Angriff provozieren wollen. Konvra hätte dann Kontertickel berichten können, daß die beiden Magier in Notwehr einen Ro boter zerstört hatten. Es wäre relativ leicht gewesen, nachträglich zu beweisen, welch schändliches Spiel Welewo auf dieser Bau stelle getrieben hatte. Jetzt mußten sie sich etwas Neues einfal len lassen. Es war sinnlos, aufs Geratewohl die riesi ge Stadt nach dem Robotdiener abzusuchen. Darum beschloß Koratzo, es auf dem gera den Weg zu versuchen. »Ich brauche eine Auskunft«, wandte er sich an Konvra. »Sprich!« forderte der kleine Roboter. »Vor zwei Tagen trafen wir eine seltsame Maschine«, sagte der Stimmenmagier. »Sie nannte sich Welewo und führte vor uns die Untersuchungen in dem ersten Gebäude durch, in das du uns geführt hast. Welewo machte da unten ein paar gefährliche Fehler. Ich möchte mit ihm sprechen. Kannst du mich zu ihm führen?« Konvra verharrte kurze Zeit regungslos, dann erklärte er: »Welewo befindet sich in der Nähe. Kommt mit.« »Wenn das nur gutgeht«, murmelte Copa sallior. Es ging durch einen hohen Pfeiler hinauf bis zu einer Plattform der zweiten Ebene. Konvra glitt eifrig voran und führte die Ma gier zu einem Gerüst, das ganz am Rand der Plattform stand. Am Fuß der Gitterkonstruk tion fanden sie Welewo.
Marianne Sydow Der Robotdiener war gerade damit be schäftigt, einige Streben auf ihre Belastungs fähigkeit zu überprüfen. Als die Magier noch etwa zehn Meter von ihm entfernt wa ren, drehte er sich wie zufällig um. Er hielt still und betrachtete die beiden Männer und Konvra, als könne er es nicht fassen, sie hier oben zu sehen. Das Licht der Scheinwerfer war hell genug, um die Magier erkennen zu lassen, daß einige Linsensysteme gar nicht mehr so trübe aussahen, wie es ihnen vorher erschienen war. Sie bemerkten auch die bei den unbeschädigten Handlungsarme, und sie sahen die Waffe, die der Roboter langsam drehte und auf die Ankömmlinge richtete. Sie sprangen blitzschnell zur Seite, rollten über den metallenen Boden und hörten das grelle Fauchen. Ein dicker Glutstrahl schoß über die Plattform, erfaßte Konvra und wir belte ihn davon, durchschlug die Wand eines Schuppens und verlor sich dann irgendwo in der Finsternis. Sekundenlang nach diesem Schuß blieb es geisterhaft still. Dann aber brach das Chaos über die Plattform herein. Die Carthiller, die hier oben arbeiteten, ergriffen schreiend die Flucht. Wahrschein lich hatten sie noch nie einen Kampf miter lebt. Sie waren wie von Sinnen vor Angst und behinderten sich gegenseitig bei der Flucht. Im Handumdrehen waren alle Zu gänge zu den Transportpfeilern blockiert. Die Magier suchten instinktiv Schutz hin ter den schweren Metallteilen, die in der Nä he des Gerüsts zu hohen Stapeln aufge schichtet waren. Koratzo rechnete damit, daß Welewo weiter schießen und die ganze Plattform zerstören würde. Als es dennoch ruhig blieb, steckte er vorsichtig den Kopf um die Ecke. Welewo stand immer noch vor dem Git terwerk, den Strahler in der einen Greifklaue und ein Prüfgerät in der anderen. Wartete er darauf, daß seine Gegner sich ihm zeigten? Oder war er selbst überrascht, weil dieser Schuß eine so fürchterliche Wirkung gezeigt hatte? Der Stimmenmagier sah sich nach Konvra
Krieg der Planeten um. Er war erleichtert, als er den kleinen Roboter in einiger Entfernung auf eine Gruppe von Carthillern zuschweben sah. Der Energiestrahl hatte Konvra nichts anha ben können. Konvras helle Stimme übertönte die Schreie der Carthiller. Der Roboter bemühte sich offenbar, die Arbeiter zur Vernunft zu bringen. Copasallior winkte dem Stimmenmagier zu, deutete auf Welewo und forderte Korat zo mit einer unmißverständlichen Geste auf, den angeblichen Robotdiener endlich zu ver nichten. Koratzo biß sich auf die Lippen. »Es ist nur ein Roboter«, sagte er zu sich selbst. »Er wollte uns töten, und er wird es wieder versuchen.« Aber er brachte es immer noch nicht fer tig, die Laute der Vernichtung zu formen. Wie gebannt starrte er durch eine Lücke zwischen zwei dicken Eisenplatten auf die blauglänzende Gestalt am Fuß des Gerüsts. Er sah, wie Welewo die Waffe langsam be wegte und auf die Stelle richtete, an der Co pasallior hinter einem Berg von Kunststoff teilen lag. Warum mußte der Weltenmagier sich aus gerechnet diesen Stapel als Deckung aussu chen? Ringsherum gab es genug Metall, aber er zog sich hinter dieses Zeug zurück, von dem man nicht wissen konnte, ob es brennbar war oder nicht. Konnte Copasallior sehen, was der Robo ter tat? Es schien nicht so. Er saß ganz ruhig da und wartete darauf, daß Koratzo ihm das er lösende Zeichen gab. Er konnte nicht länger warten. Es fehlten nur noch Millimeter, dann hatte Welewo das Ziel erfaßt. Koratzo schickte die verhängnisvollen Laute auf die Reise. Da geschah etwas Seltsames. Wäre alles mit rechten Dingen zugegan gen, so wäre Welewo jetzt in einem kalten Feuer vergangen. Aber der Roboter schwankte nur leicht. Der Strahler ruckte
31 nach oben. Ein Glutstrahl bohrte sich in den Himmel. Weit über ihnen zeichneten sich die Ränder einer benachbarten, höher gele genen Plattform ab. Sie glühten auf und krümmten sich, wie Papier, das in Flammen aufgeht. Entsetzt versuchte Koratzo es noch ein mal. Er war völlig fassungslos angesichts der Tatsache, daß die Laute diesmal nicht wirkten. Die Laute der Vernichtung waren eine Waffe, der nichts und niemand zu wi derstehen vermochte – und doch war Wele wo immer noch vorhanden. Er fing sich so gar und zielte erneut, diesmal auf die Plat ten, hinter denen Koratzo lag. Er konzentrierte sich mit aller Macht auf den Roboter. Er wußte, daß es jetzt um sein Leben ging. Auch um das des Weltenma giers. Koratzo war sicher, daß er Welewo dies mal voll erfaßte. Der Roboter befand sich genau im Stimmzentrum. Er beobachtete ihn und sah, wie Welewo von einem bläulichen Licht umhüllt wurde. Erleichtert atmete er auf – da erlosch das Glühen. Und dann setz te der Roboter sich in Bewegung. Er kam genau auf Koratzo zu. Es schien, als hätte er durch die Metallplatten hindurch den Stand ort des Stimmenmagiers erkannt. Koratzo wußte nicht, was er tun sollte. Hätte er einen normalen Gegner vor sich ge habt, so wäre er über die Platten hinwegge sprungen, um sich zum Kampf zu stellen. Aber ein Roboter war kein normaler Gegner. Außerdem hatten die Magier alle Waffen in der GOL'DHOR gelassen. Die Waggus hät ten ihnen im Kampf gegen Welewo freilich ohnehin nichts genützt, aber ein Schwert, dessen Stahl magisch beeinflußbar war, wä re vielleicht doch geeignet gewesen, diesen Roboter wenigstens aufzuhalten. Der Stimmenmagier zog sich vorsichtig zurück und lief geduckt an den Platten ent lang. Als er die nächste Lücke erreichte, hielt er Ausschau – Welewo hatte prompt die Richtung geändert und bewegte sich schräg auf jenen Punkt zu, an dem Koratzo zum Vorschein kommen mußte, wenn er
32 weiter in diese Richtung floh. Der Stimmenmagier schlug einen Haken um einen im Wege liegenden Träger. Plötz lich sah er Copasallior, der keine fünf Meter von ihm entfernt wie hingezaubert neben den Platten stand, die Arme noch erhoben nach dem kurzen Schritt durch das Nichts. Er rannte auf den Weltenmagier zu. Noch ehe er ihn erreichte, fauchte erneut ein Glut strahl in den Himmel. Der nächste Schuß folgte sofort. Die oberen Ränder der Platten glühten auf. Koratzo warf sich zu Boden. Der Gedan ke, daß dies das Ende sein müsse, erfüllte ihn mit Bitterkeit. Ausgerechnet ein Robo ter, ein Produkt der Antimagie, sollte ihm den Tod bringen – das zu akzeptieren, fiel ihm besonders schwer. Er spürte die Hitze, die von den metalle nen Platten ausging, und er hörte den näch sten Schuß wie aus weiter Ferne. Und dann vernahm er plötzlich Copasalliors Stimme. »Steh auf!« Verwirrt richtete Koratzo sich auf. Die Platten glühten in düsterem Rot. Die Schreie der Carthiller waren verstummt. Ei ne seltsame, unwirkliche Stille lag über der Plattform. Er sah Copasallior. Die hagere Gestalt hob sich dunkel gegen das rote Glühen ab. Der Weltenmagier kam langsam auf Koratzo zu. »Es ist vorbei«, sagte er leise, als er vor dem Stimmenmagier stand. »Ich habe Wele wo in die Tiefe stürzen lassen.« Koratzo richtete sich benommen auf. Er wischte sich mit einer automatischen Bewe gung den Staub aus dem Gesicht und sah dann zu der Stelle hinüber, an der sich vor her das Gerüst erhoben hatte. Es war nicht mehr da. Die Plattform hörte wenige Zentimeter jenseits der glühenden Platten auf. Copasallior hatte es offenbar nicht vermocht, den Roboter direkt davonzu schleudern. Darum hatte er ihm buchstäblich den Boden unter den Füßen weggerissen. »Es ging nicht anders«, erklärte Copasal lior nüchtern. »Das verdammte Ding war
Marianne Sydow unangreifbar. Aber es vermochte nur sich selbst zu schützen. Auf seine Umgebung hatte es keinen Einfluß.« »Bist du sicher, daß der Roboter nicht auch den Sturz überstanden hat?« fragte Ko ratzo schaudernd. »Nun«, machte Copasallior bedächtig, »es dürfte noch etwas von ihm übriggeblieben sein. Aber er ist nicht mehr handlungsfähig. Wenn wir Glück haben, erwischen wir das, was ihm als Gehirn diente. Dann haben wir eine Chance, herauszufinden, was Welewo wirklich auf dieser Baustelle zu tun hatte.« Sie fuhren erschrocken zusammen, als sie die Sirenen hörten. Die Carthiller waren endlich aus ihrer Betäubung erwacht. »Nichts wie weg von hier«, murmelte der Weltenmagier. »Wir müssen uns um Wele wos Überreste kümmern. Wenn die Kerle erst einmal anfangen, uns mit Fragen zu bombardieren, ist diese Chance vertan.« »Konvra weiß, daß wir hier oben sind«, gab Koratzo zu bedenken. »Das macht nichts«, behauptete Copasal lior grimmig. »Wir werden so schnell wie möglich zurückkehren und uns dann von den Carthillern finden lassen. Aber vorher su chen wir nach Welewos Gehirn.« Er wartete keine weiteren Argumente ab, sondern nahm Koratzo bei der Hand und zog ihn mit sich in die unheimliche Welt jenseits der Wirklichkeit.
* Der Weltenmagier hatte gut gezielt. Sie materialisierten zwischen den Trümmern des herabgestürzten Gerüsts. Über ihnen heulten immer noch die Sirenen, aber sie kümmerten sich nicht darum. Systematisch suchten sie die Straße ab. Sie fanden vieles, aber es war kein Teil dabei, das von Welewo stammen konnte. »Es hat keinen Sinn«, sagte Koratzo schließlich. »Wer weiß, wo der Roboter her untergekommen ist. Vielleicht war er zu letzt, als er schon stürzte, doch nicht mehr fähig, sich gegen deinen Zugriff zu wehren.«
Krieg der Planeten »Dann wurde er in diese Richtung ge schleudert«, murmelte Copasallior nach denklich und deutete auf ein Gebäude, das ausnahmsweise keine glatte Fassade besaß, sondern aus einem Gewirr von ineinander verschachtelten Türmen bestand. Er sah zur Plattform hinauf – dort bewegten sich einige Scheinwerfer, und einmal verirrte sich ein Lichtstrahl bis zu den beiden Magiern hinab. Zweifellos suchte man sie dort oben. »Wir suchen später nach ihm«, entschied Copasallior. »Du hast recht – es hat im Au genblick keinen Zweck, noch länger hier herumzuwühlen. Es wird Zeit, daß wir uns sehen lassen, sonst werden unsere Freunde wirklich noch mißtrauisch.« Er sprang mit Koratzo zur Plattform hin auf. Sie hatten Glück. Die Stelle, die Copa sallior für die Materialisation gewählt hatte, lag im Dunkeln. Sie sahen sich an und nick ten sich zu, dann traten sie in das Licht zahl loser Scheinwerfer. Sekunden später raste Konvra auf sie zu. Er hielt sich nicht lange mit unnützen Fra gen auf, sondern führte die beiden Magier zu einem der schüsselförmigen Fahrzeuge. Als es wenig später durch eine der üblichen Röhren nach unten ging, sagte Copasallior: »Man bringt uns zu Kontertickel.« Koratzo schwieg. Er hatte nichts anderes erwartet. Kontertickel erwartete sie in demselben Raum, in dem er sie damals begrüßt hatte. Es war schier unmöglich, diesem kastenför migen Ungetüm irgendeine Gefühlsregung anzusehen. Dennoch hatten beide Magier sehr deutlich das Gefühl, daß ihnen Böses bevorstand. »Ihr seid Spione«, sagte Kontertickel zu Koratzo und Copasallior. Sie betrachteten den Roboter verblüfft. »Schlimmer noch«, fuhr Kontertickel fort. »Ihr seid auch Saboteure. Ihr seid diejeni gen, die seit vielen Jahren immer wieder un sere Arbeit behindern. Gesteht es ein, dann erspart ihr uns Ärger.« »Was geschieht, wenn wir nichts geste hen?« fragte Koratzo, als er sich von seiner
33 Überraschung erholt hatte. »Dann wird es unangenehm für euch«, versprach Kontertickel gelassen. »Aber wir sind keine Saboteure«, erklärte Koratzo so ruhig, wie es ihm möglich war. »Wir haben mit denen, die du gerade er wähntest, nichts zu tun. Wir kamen erst vor zwei Tagen nach Maranyes, und das weißt du auch ganz genau.« »Ihr habt es geschickt angestellt«, meinte Kontertickel unbeeindruckt. »Sehr geschickt sogar, denn ihr habt sogar mich getäuscht. Wie ihr es gemacht habt, werden wir wissen, wenn wir endlich euer Raumschiff durch sucht haben.« »Wir könnten dir die Möglichkeit geben, an die GOL'DHOR heranzukommen«, mein te Copasallior bedächtig. »Wenn du auf die se Weise erfährst, daß wir die Wahrheit ge sagt haben, wirst du hoffentlich überzeugt sein, daß wir keine Saboteure sind.« »Das ist denkbar«, räumte der Roboter ein. »Aber es wird euch nichts nützen. Denn ihr habt euer Leben schon jetzt verwirkt.« »Du willst uns töten?« »Für ein so schweres Vergehen gibt es nur eine Strafe, und das ist der Tod.« »Wenn es so ist«, sagte Copasallior gelas sen, »besteht für uns kein Anlaß mehr, die GOL'DHOR für dich oder deine Helfer zu öffnen.« »Ich brauche eure Hilfe nicht«, behaupte te Kontertickel mit der grenzenlosen Arro ganz einer Maschine, die sich für unfehlbar hielt. »Das Raumschiff wird sich meinem Willen beugen. Das Spiel ist aus. Niemand wird in Zukunft den Plan der Vollkommen heit stören.« Koratzo lächelte bitter. »Das stimmt sogar«, murmelte er. »Denn den wirklichen Saboteur haben wir besiegt. Er wird keinen Schaden mehr anrichten.« »Wer war der wirkliche Saboteur?« er kundigte sich Kontertickel nicht sonderlich interessiert. »Ein Roboter«, sagte Koratzo. »Eine Ma schine wie du.« »Ich will den Namen wissen.«
34 »Der Roboter nannte sich Welewo.« Kontertickel schwieg kurze Zeit. Koratzo hatte den Eindruck, daß dieser Kasten lauthals gelacht hätte, wäre er dazu fähig ge wesen. »Welewo«, sagte Kontertickel schließlich. »Konvra hat mir berichtet, wie tapfer er sich gegen euch wehrte.« »Dann muß Konvra entweder halb blind sein, oder er hat den Verstand verloren. We lewo schoß auf ihn!« »Falsch. Er schoß auf euch. Zufällig ging der erste Schuß fehl. Das ist sehr bedauer lich, denn hätte Welewo besser gezielt, so könnte er immer noch existieren, und wir hätten jetzt nicht die abscheuliche Pflicht, uns mit so niedrigen Subjekten wie euch zu befassen.« »Welewo war der Saboteur!« sagte Copa sallior wütend. »Er handelte im Auftrag der …« Er sprach weiter, aber seine Stimme ver sagte ihm. Er warf sich herum und sah Ko ratzo vorwurfsvoll an. Der Stimmenmagier schüttelte kaum merklich den Kopf. Copa sallior begriff, daß er beinahe einen schwe ren Fehler begangen hätte. Er war drauf und dran gewesen, die Schwarze Galaxis zu er wähnen. Wenn er aber zugegeben hätte, daß sie mit Welewo einen Beauftragten der Schwarzen Galaxis vernichtet hatten, so wä re alles verloren gewesen. »In wessen Auftrag soll Welewo gehan delt haben?« fragte Kontertickel lauernd. »Im Auftrag von Mächten, die seit lan gem darauf aus sind, das Archiv zu vernich ten«, erklärte Copasallior ernüchtert. »Solche Mächte gibt es nicht«, behauptete der Roboter. Copasallior hob zwei Arme in einer Ge bärde der Ratlosigkeit. Gegen soviel Unver stand und Sturheit half die stärkste Magie nicht mehr. »Du wirst uns also töten lassen«, sagte er ausdruckslos. »Eines Tages wirst du feststel len, daß du einen Fehler gemacht hast. Ich nehme an, daß die Hinrichtung jetzt gleich erfolgen soll?«
Marianne Sydow »Nein«, sagte Kontertickel nüchtern. »Ihr sollt genug Zeit haben, eure Sünden zu be reuen.« Damit beendete er das Gespräch. Er zog sich ohne ein weiteres Wort zurück. Gleich zeitig schwebten viele Roboter, die genau wie Konvra aussahen, in den Raum. Sie um ringten die Magier und drängten sie auf den Gang hinaus. Wenig später saßen die beiden Männer in einer düsteren Zelle.
7. Wir sollten Kontertickel Stück für Stück auseinandernehmen, knurrte Copasallior in seinen Gedanken. Ein so dummer Roboter ist mir noch nie begegnet. Wir müssen hier raus, dachte Koratzo zu rück. Das ist keine Schwierigkeit, erwiderte der Weltenmagier. Die Probleme beginnen jen seits dieser Mauern. Wenn wir aus der Zelle verschwinden, wird ganz Maranyes uns ja gen. Abgesehen davon dürfte selbst Konter tickel auf die Idee kommen, daß er nur die GOL'DHOR zu überwachen braucht, um uns irgendwann zu erwischen. Wir könnten direkt aus dieser Zelle in das Schiff gehen. Dann sind wir weg, ehe Kon tertickel es überhaupt merkt. Und die Daten? Glaubst du wirklich, daß wir sie noch be kommen, und wenn wir wochenlang auf Maranyes herumstöbern könnten? Wir haben dem König von Pthor etwas versprochen, sagte Copasallior ruhig. Atlan ist nicht der Mann, der Unmögli ches verlangt. Bis jetzt haben wir nur blind herumgeta stet, sagte Copasallior ärgerlich. Von jetzt an werden wir es anders machen. Es gibt hier auf Maranyes ein Geheimnis, und wir wer den es herausfinden. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Teilen des Archivs. Maranyes und Carthillum bil den eine Einheit. Besser gesagt – so war es einmal. Inzwischen ist etwas geschehen, was das Gleichgewicht zerstört hat. Die Speicher
Krieg der Planeten von Carthillum enthalten keine Daten mehr über Pthor. Das dortige Archiv ist so schwer gestört, daß es wohl niemals mehr für den ursprünglichen Zweck einzusetzen ist. Was Maranyes betrifft, so wissen wir vorläufig nur eines: Das Archiv selbst ist bestrebt, sei ne Substanz zu vergrößern. Es besteht wohl kein Zweifel daran, daß all die Gebäude, die die Carthiller hier errichten, dazu bestimmt sind, einmal neue Speicher aufzunehmen. Die Frage lautet: Was will das Archiv mit so vielen Speichern anfangen? Koratzo schwieg. Du weißt es nicht, stellte Copasallior fest. Nun, paß auf: Maranyes war dazu bestimmt, alle Daten über die Zukunft Pthors bereitzu halten. Was geschieht wohl mit solchen Da ten im Lauf der Zeit? Sie werden verbraucht, beziehungsweise überflüssig. Mit jedem Ein satz, den Pthor beendet, wird hier in Mara nyes weniger Platz in den Speichern ge braucht. Zweifellos wird für diese Daten Er satz geliefert – solange alles in Ordnung ist. Aber es ist wohl kaum anzunehmen, daß plötzlich die Zukunftspläne für Pthor einen derart großen Umfang annehmen, daß man deswegen die ganze Stadt umkrempeln müß te. Das ist logisch, gab Koratzo zu. Wenn in diesem System Erweiterungen notwendig werden, dann höchstens auf Carthillum, nicht aber auf Maranyes. Du hast es erfaßt. Und wenn man wirklich alles auf diesem Planeten konzentrieren wollte? Daß Carthil lum nicht mehr zu gebrauchen ist, ist mir auch klar. Was wäre in diesem Fall einfa cher, als die Daten, die man dort nicht mehr unterbringen kann, nun auf Maranyes zu sammeln? Es wäre keine schlechte Idee. Du vergißt nur eines: Die Anzahl der neuen Speicher in dieser Stadt ist offenbar noch sehr gering. Wir haben einige der Gebäude auf den Platt formen gesehen – da gibt es diese Kästen noch gar nicht. Wenn man aber nicht im stande ist, die Daten aufzubewahren, kann man sie auch nicht von Carthillum nach Ma
35 ranyes übertragen. Die Daten sind aber nicht mehr auf Carthillum. Dann lautet jetzt die Frage: Wozu braucht man auf Maranyes überhaupt neue Spei cher? Eben. Um die Vergangenheit von Pthor geht es jedenfalls nicht. Um seine Zukunft ebenfalls nicht. Vielleicht ist auch das Archiv von Mara nyes verrückt geworden, dachte Koratzo zö gernd. Das »Vielleicht« kannst du weglassen, versicherte Copasallior. So, und jetzt sollten wir uns unauffällig unsere neue Behausung ansehen. Ich möchte nicht, daß Kontertickel uns zusehen kann, wenn wir uns aus dem Staub machen. Zuerst waren sie sehr vorsichtig. Sie gin gen in der Zelle umher, als wären sie nur un ruhig und von Angst erfüllt. Das Gespräch zuvor hatten sie selbstverständlich wieder auf die lautlose Weise geführt, so daß Kon tertickel falls er die Magier beobachtete oder beobachten ließ – vorerst nicht wissen konn te, daß sie den Gedanken an Flucht nicht nur theoretisch erwogen. Nachdem sie bei einem ersten Rundgang nichts feststellen konnten, wurden sie mutiger. Schließlich kletterten sie auf die Liegen und untersuchten die Wände und die Decke. »Nichts«, sagte Copasallior zufrieden, und diesmal sprach er laut. »Jetzt wollen wir hoffen, daß sie uns wirklich viel Zeit zum Nachdenken lassen – und es möglichst nicht für nötig halten, uns zuvor noch etwas zum Essen zu bringen.« Er nahm Koratzos Hand, und im nächsten Augenblick standen sie wieder vor dem ab gestürzten Gerüst, in dessen Nähe sie nach den Überresten Welewos gesucht hatten. Es war inzwischen Tag geworden über der Stadt von Maranyes. Der Himmel leuch tete in einem fahlen Gelb, und die Hitze staute sich zwischen den hohen Mauern. Co pasallior warf einen Blick zu dem seltsamen Himmel hinauf. »Da dürfte sich ein feines Unwetter zu sammenbrauen«, stellte er fachmännisch
36 fest. »Breckonzorpf selbst hätte es nicht bes ser einrichten können. Komm. Sehen wir uns zwischen diesen Türmen um.« Hoch über ihnen wurde hektisch gearbei tet. Sie hörten das Dröhnen und Hämmern, aber es berührte sie kaum noch. Selbst an den Gestank dieser Stadt hatten sie sich schon fast gewöhnt. Sie gingen sorgfältig den Trupps von Carthillern aus dem Wege, die die ständig nachwachsenden Abfallberge abtrugen. Koratzo lauschte auf ungewöhnli che Geräusche – auf das Heulen von Sirenen etwa –, aber es schien wirklich, als hätte man ihre Flucht noch nicht bemerkt. Ungehindert erreichten sie das verschach telte Bauwerk, und Copasallior sah sich kurz um und orientierte sich, ehe er auf eine schmale Tür deutete. »Dahinter liegen mehrere Höfe«, erklärte er. »Wenn wir Glück haben, finden wir dort drin etwas.« Die Tür schwang lautlos vor ihnen auf. Durch einen kurzen, stockfinsteren Gang ge langten sie in den ersten Innenhof. Auf allen Seiten erhoben sich die Türme mit ihren zierlichen Balkonen und zahllosen Schnör keln aus Metall und Stein. Das Gebäude wirkte wie ein Fremdkörper in dieser nüch ternen Stadt. Und es schien noch unversehr ter als alle anderen Bauwerke, obwohl es ur alt sein mußte. Die Magier blickten an den glänzenden Fassaden hinauf. »Wer mag das gebaut haben«, fragte Ko ratzo leise. »Und wie lange ist das her?« Copasallior riß sich gewaltsam von die sem Anblick los, der ihn gegen seinen Wil len faszinierte. »Wir haben keine Zeit für Überlegungen dieser Art«, sagte er barsch. »Komm end lich.« Auch der Hof war ungewöhnlich. Er war nicht glatt und leer, wie sonst üblich, son dern voller Treppen und laubenähnlichen Gebilden. Koratzo stellte sich vor, daß es früher einen blühenden Garten hier gegeben hatte. Er sah die Überreste von Brunnen und schmalen Terrassen, und er fand – was in dieser Stadt eine Sensation ersten Ranges
Marianne Sydow darstellte – einige kümmerliche, grasähnli che Pflanzen, die sich an den wenigen Stel len zusammendrängten, an denen es ein biß chen Erde gab. Sie teilten sich den Hof und durchsuchten jeden Winkel, blickten in die verschütteten Brunnenschächte und hinter die Terrassen mauern, aber sie fanden keine Spur von We lewo. Schließlich trafen sie vor einem Tor an der Rückseite des Hofes wieder zusam men. »Weiter«, murmelte Copasallior beunru higt. Wenn sie nach oben blickten, konnten sie die Schlieren sehen, die sich in dem giftig gelben Himmel bildeten. Die oberen Teile der Türme lagen in gleißender Helligkeit. Unten dagegen war es nur unerträglich heiß. Vor allem Koratzo, der an die kühle, frische Luft der Tronx-Kette gewöhnt war, litt unter der Hitze. Der nächste Hof war noch besser erhalten. Hier ragten zierliche Treppen fast bis zum unteren Drittel der umgebenden Türme auf. Unter den Treppen wuchs bräunliches Moos. Ein Brunnen spendete sogar noch ein wenig Wasser. Koratzo beugte sich zu der küm merlichen Pfütze hinab, aber er richtete sich hastig wieder auf und schüttelte sich ange widert. Das Wasser war schmutzig und roch abscheulich. Sie schritten unter halb zerfallenen Dä chern hindurch, die von schlanken Säulen getragen wurden, und als feststand, daß We lewo auch nicht in diesem Hof gelandet war, ließ Copasallior sich für einen Augenblick auf einer Treppe nieder. »Irgendwie ist das merkwürdig«, murmel te er. »Du meinst das da?« fragte Koratzo und deutete auf die ehemalige Gartenanlage. »Was denn sonst?« brummte der Welten magier. »Man sollte meinen, daß die, die sonst jeden Fleck in der Stadt sauber halten, niemals hierher kommen. Wir haben sonst nirgends Spuren der früheren Bewohner ei nes Gebäudes gefunden. Warum stoßen wir ausgerechnet an diesem Ort darauf?«
Krieg der Planeten Koratzo lehnte sich an eine Säule und be trachtete nachdenklich das Moos zu seinen Füßen. »Ein unberührter Fleck«, murmelte er. »Einer, der vielleicht nicht ständig über wacht wird – wir sollten nachsehen, was sich in den Türmen befindet!« Copasallior sah ihn überrascht an. »Das ist es«, flüsterte er entgeistert. »Natürlich! Aus irgendeinem Grund sind diese Türme von der übrigen Stadt isoliert. Koratzo – spürst du irgendwelche Sperren?« »Nein.« »Aber es muß etwas geben, was diesen Komplex vom Rest der Stadt isoliert. Komm. Wir wollen uns da drin einmal um sehen. Wenn du recht hast – aber lassen wir das. Wir sind wahrhaftig oft genug ent täuscht worden.« Sie sollten auch diesmal spüren, daß die Stadt von Maranyes immer für eine Überra schung gut war. Sie hatten gerade eine Tür entdeckt, die ihnen vielversprechend erschien, da brach das Unwetter los, das sich schon seit mehre ren Stunden angekündigt hatte. Es kam so plötzlich, daß die Magier kaum noch Zeit fanden, sich in die Nähe der Mauern zu flüchten. Sturmböen heulten durch die Stadt, und selbst in den Höfen zwischen den Türmen spürte man etwas von der Gewalt des Or kans. Die Luft war voller Staub und Sand, und obwohl der Himmel über ihnen immer noch hell war, konnten sie binnen Sekunden kaum noch fünf Schritte weit sehen. »Komm her!« schrie Copasallior gegen den Sturm an, und Koratzo kämpfte sich zu ihm durch und griff nach seiner Hand. Im nächsten Augenblick befand er sich in einem sehr dunklen Raum, in dem es kalt und still war. »Wir sind im Turm«, sagte Copasallior leise. Koratzo lauschte in die Dunkelheit. Er vernahm von weit her das Brausen des Stur mes. Er spürte aber auch die Verzweiflung der Carthiller, die von dem Unwetter eben
37 falls überrascht worden waren. Er fing ihre Hilferufe auf und unterbrach schaudernd den Kontakt zur Außenwelt. »Sie haben überhaupt nicht damit gerech net, daß so etwas geschehen könnte«, sagte er tonlos. »Sie stürzen zu Hunderten von den Platt formen. Wenn man ihnen doch nur helfen könnte …« »Wir sind keine Wettermagier«, antworte te Copasallior hart. »Die Carthiller müssen für sich selbst sorgen. Komm endlich.« Aber Koratzo war nicht recht bei der Sa che. Auch wenn er sich nicht bewußt auf das konzentrierte, was von draußen auf ihn ein stürmte, nahm er doch das Elend der Bauar beiter noch immer wahr, und das belastete ihn sehr. Er löste sich erst aus diesen Gedanken, als er ein metallenes Scheppern hörte. »Was, bei allen Dämonen von Oth, ist das?« fragte Copasallior erschrocken. Sie hatten die Handlampen verloren. Ir gendwann in den letzten Stunden waren die se Dinger verschwunden. Ihnen wurde plötz lich bewußt, daß sie auch keine Waffen bei sich trugen. Ihre ganze Ausrüstung bestand aus dem kleinen Übersetzer und einigen per sönlichen Besitztümern. »Nun gut«, murmelte Copasallior und richtete sich demonstrativ auf. »Wir sind Magier. Wir brauchen diese lächerlichen Hilfsmittel nicht. Koratzo, woher kam dieses Geräusch?« »Ich habe es zu spät gehört«, bekannte der Stimmenmagier schuldbewußt. »Ich konnte es nicht analysieren.« »Hörst du jetzt noch etwas?« »Nein.« »Dann sieh zu, daß du auf irgendeine Weise für Licht sorgen kannst!« Koratzo konzentrierte sich auf seine un mittelbare Umgebung. Zu seiner Überra schung stellte er fest, daß dieser Turm aus natürlichem Gestein errichtet worden war. Die Quader enthielten zahlreiche kleine Kri stalle. Er war leicht, sie zum Leuchten zu bringen.
38 Aufmerksam sahen sie sich um. Sie befanden sich in einem quadratischen Raum. Direkt hinter ihnen zeichneten sich die Umrisse der Tür ab, durch die sie ur sprünglich in das Gebäude hatten eindringen wollen. In der gegenüberliegenden Wand gab es einen offenen Durchgang. Der Raum war leer. Staub bedeckte den Boden, aber er lag nicht so dicht, wie man es nach der lan gen Zeit, in der offenbar niemand die Türme betreten hatte, vermuten sollte. »Da es hier nichts gibt, was so geschep pert haben könnte«, sagte Copasallior, »muß es von dort gekommen sein.« Er durchquerte den Raum, und Koratzo folgte ihm. Hinter dem Durchgang lag ein zweiter Raum von der gleichen Größe wie der erste, auch er mit einer Tür in der gegen überliegenden Wand, ebenfalls leer und un benutzt. Koratzo ließ die Kristalle hinter sich erlöschen und vor sich aufglühen, wäh rend sie weitergingen, durch insgesamt sechs dieser gleichförmigen Räume hin durch. Dann sahen sie die Treppe. Sie war eng und gewunden, bestand aus dicken Steinquadern und führte in steilem Winkel nach oben und unten. »Wohin?« fragte Copasallior. Koratzo lauschte. »Ich kann es dir nicht sagen«, murmelte er. »Es ist nichts zu hören. Vielleicht hat der Sturm etwas umgeworfen, in einem der obe ren Räume, in denen es Fenster gibt.« »Wir werden dort zuerst nachsehen«, ent schied Copasallior. Sie stiegen also nach oben, und vier Stockwerke höher blickten sie in einen Raum, der tatsächlich Fenster hatte. Hier hörten sie das Heulen des Sturmes sehr deut lich. Koratzo eilte zum Fenster und wollte sich hinausbeugen. Im letzten Augenblick bemerkte er die glasklare Masse, die die Höhlung verschloß. Das Zeug war so durch sichtig wie Luft, mindestens fünfzig Zenti meter dick und völlig unbeschädigt. Es war mit Sicherheit kein gewöhnliches Glas. Als der Stimmenmagier sich vorbeugte, konnte er über die Mauern der Höfe hinwegsehen.
Marianne Sydow Aber der Blickwinkel war seltsam. Er über sah einen zu großen Teil der Stadt. Im Au genblick war er nicht dazu aufgelegt, sich wegen dieses Phänomens den Kopf zu zer brechen. Er starrte entsetzt auf die schwan kenden Plattformen. Zahlreiche Pfeiler und Masten waren bereits umgeknickt, und die höher gelegenen Plattformen pendelten halt los hin und her, sofern sie nicht längst abge stürzt waren. »Komm!« sagte Copasallior beschwö rend. »Wir können nichts tun. Denke daran, daß wir eine Aufgabe zu erfüllen haben!« Koratzo wandte sich schweigend ab und ging voran, weiter hinauf, wo jetzt ein Turmzimmer nach dem anderen sich vor ih nen auftat. Aber in allen waren die Fenster von dieser glasähnlichen Masse verschlos sen. Hier konnte der Sturm nicht eindringen, und es gab auch nichts, was hätte umfallen und dabei das Geräusch erzeugen können, das sie gehört hatten. Die Räume waren alle miteinander leer. Es gab nur Staub in ihnen. »Wir kehren um!« sagte Copasallior nach einiger Zeit. »Wir sind jetzt so weit oben – wenn hier etwas umgefallen wäre, hätten wir es gar nicht hören können.« Als sie die Treppe betraten, hörten sie das Scheppern wieder. Sie rannten die Stufen hinab, vorbei an den vielen Durchgängen, und als sie die fen sterlose Region erreichten, ließ Koratzo die Steine aufglühen. Sie kamen an dem Durch gang vorbei, den sie zuerst auf dem Weg nach oben passiert hatten – und dann sahen sie den metallenen Arm, der auf den Stufen lag. Koratzo, der voranlief, blieb so plötzlich stehen, daß Copasallior ihn fast umgerannt hätte. »Welewo«, murmelte Copasallior über rascht. »Wie kommt dieser Arm hierher?« Es war eine sinnlose Frage, denn Koratzo konnte die Antwort unmöglich wissen, sie waren über die Stufe gegangen, als sie den Turm durchsuchten. Die Tür, durch die sie in den Treppenschacht gelangt waren, lag zwei Meter unter ihnen.
Krieg der Planeten »Er muß hier im Turm sein«, sagte Korat zo schließlich. »Das ist die einzige Erklä rung.« Sie stiegen über den Arm hinweg und gin gen weiter, immer tiefer hinab. Es war wie der absolut still. Sogar das Tosen des Stur mes blieb hinter ihnen zurück. Die Treppe wurde noch ein wenig steiler, und manchmal bröckelten die Kanten der Stufen unter ihren Füßen ab. Sie kamen an immer neuen Räu men vorbei und warfen jedesmal einen kurz en Blick hinein. Fünf Stockwerke unter dem Niveau des Hofes entdeckten sie die ersten Speicher. »Das sollten wir uns eigentlich ansehen«, murmelte Copasallior. »Und Welewo?« Der Weltenmagier zuckte die Schultern. »Der läuft uns sicher nicht weg – falls er sich überhaupt irgendwo in diesem Gebäude befindet.« Koratzo folgte dem Weltenmagier zö gernd. Er spürte förmlich das Unheil auf sich zukommen, aber es war nur eine Ah nung, deren Hintergründe er nicht fassen konnte. Copasallior blieb vor dem ersten Speicher stehen. Zögernd strich er mit der Hand über eine Fläche des häßlichen Kastens. »Vielleicht haben wir Glück«, sagte er leise. »Koratzo – paß auf die Treppe auf.« Es war eine überflüssige Ermahnung, denn Koratzo war schon in der Nähe des Durchgangs stehengeblieben. So sehr er auch hoffte, daß sie nun endlich die heißbe gehrten Daten finden mochten, so wenig war er bereit, dem scheinbaren Frieden in diesem Turm zu trauen. Er sah Copasallior zu, aber dabei lauschte er unentwegt in die Tiefen des Gebäudes hinein. Wäre Welewo ein organisches We sen gewesen, so hätte Koratzo längst sagen können, ob der Roboter sich tatsächlich in dem alten Gemäuer aufhielt. So jedoch war er auf verräterische Geräusche angewiesen, die die Maschine hoffentlich verursachen würde, wenn sie sich den Magiern näherte. Der Weltenmagier hatte bereits auf Cart
39 hillum Gelegenheit gehabt, sich mit einem Speicher aus dem Archiv des Schreckens zu befassen. Die Vielzahl der Tasten und Schalter, die es auf der einen Wand gab, konnten ihn wenig beeindrucken. Mit fünf Händen gleichzeitig machte er sich ans Werk, und dabei beobachtete er mit seinen Basaltaugen unausgesetzt die tropfsteinähn lichen Gebilde, die unter der Decke hingen. Auch Koratzo sah, wie sich unter diesen Zapfen etwas zurückschob. Eine Öffnung tat sich auf, und dahinter lag ein Kristall, der zu strahlen begann. Geisterhaftes, blaues Licht füllte den Raum aus. Das sanfte Glühen der winzigen Kristalle in den steinernen Wän den kam gegen diesen blauen Lichtschein nicht an. »Es gibt keine Sperren!« sagte Copasalli or triumphierend. »Da, einer der Steine be wegt sich!« Wirklich – da glitt einer der Zapfen zur Seite, suchte sich lautlos einen Weg zwi schen den anderen »Tropfsteinen« hindurch und hielt unmittelbar über dem Weltenma gier an. Copasallior starrte gebannt nach oben. »Jetzt!« flüsterte er und drückte auf einen Knopf. Koratzo erinnerte sich nur zu deutlich an das, was auf Carthillum geschehen war. Der »Tropfstein« hatte zu glühen begonnen, im mer heller, bis er schließlich zersprang. Und gleichzeitig war alles, was der Speicher ent hielt, in die Gehirne der Magier geströmt. Unzählige Daten, den Gehirnen halb wahn sinniger Opfer entzogen, waren auf die Ma gier eingestürmt und hatten sie überrumpelt, bis sie völlig hilflos jenen ausgeliefert wa ren, die die Fremden abholten und zu den Maschinen brachten, die die Magier leersau gen sollten. Atemlos sah Koratzo den Weltenmagier an. Aber bei aller Spannung, die sich seiner bemächtigte, vergaß er keine Sekunde lang, auf die Geräusche in diesem Turm zu ach ten. Er hörte nichts. Das beruhigte ihn nur wenig. Copasallior stand still da und sah nach
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oben. Der »Tropfstein« erglühte in sanftem, grünlichem Licht. Die Minuten vergingen. Endlich stieß Copasallior seufzend den Atem aus und drehte sich zu Koratzo um. »Komm her«, sagte er. »Welewo …« »Das hier ist wichtiger«, fiel der Welten magier ihm ins Wort. »Ich werde schon auf passen. Verdammt, ich kann mit dem, was der Speicher liefert, nichts anfangen. Viel leicht gelingt es dir, einen Sinn in dem Gan zen zu finden. Komm schon, es ist absolut ungefährlich.« Koratzo verließ zögernd seinen Platz ne ben der Tür. Er hatte keine Angst vor dem, was er durch den Speicher empfangen wür de. Aber er fühlte, daß eine andere Gefahr auf ihn und den Weltenmagier lauerte. Copasallior wartete, bis Koratzo direkt unter dem immer noch glimmenden »Tropfstein« stand, dann drückte er erneut auf den Knopf. Lautlos zog er sich zurück und ging zur Tür. Er starrte auf die Treppe, bis er Koratzo hinter sich seufzen hörte. Er drehte sich erwartungsvoll um.
* Für einen Augenblick fühlte Koratzo sich nach Carthillum zurückversetzt. Etwas strömte in sein Gehirn, und dieses Etwas war fremd und bedrohlich. Es drängte seine eigenen Gedanken zurück und setzte andere an ihre Stelle. Er sah mit fremden Augen und hörte mit fremden Ohren. Erst allmäh lich fand er den Unterschied heraus. Auf Carthillum war alles so schnell ge gangen, daß er die einzelnen Impulse nicht auseinanderhalten konnte. Hier dagegen las er ganz deutlich die verschiedenen Nach richten. »Name der Welt: B'Alnyra. Koordinaten …«, es folgten allerlei Zahlen, mit denen der Stimmenmagier nichts anzufangen wußte. »Totale Vernichtung befohlen. Gefangene sollen nicht gemacht werden …« »Name der Welt: Ziraah. Wurde gemäß den Befehlen verwüstet, das überleben ver-
sprengter Gruppen ist garantiert. Gefangene: Vier Exemplare wurden in die Senke der Verlorenen Seelen gebracht …« »Dieses orangene Licht – es macht mich wahnsinnig – ich halte das nicht aus – nein, das sind doch keine Drachen – Monster – ich verbrenne …« »… Abtrünniger der Familie Knyr ver bannt …« »… sollte nicht ganz vernichtet werden. Eingeborene sehr wertvoll als Gal …« »… zerstört durch die Horden der Nacht …« »… darf es keine Überlebenden geben. Diese Kultur ist gefährlich. Vernichtung mit allen Mitteln …« »… wurden dreißig Gefangene gemacht. Verwendung im Sinn der Auftraggeber sinn voll. Erwarten Instruktionen …« »Nein. Sie werden mich zerfetzen. Ich darf nicht dorthin gehen. Das ist Wahnsinn. Keinen Schritt weiter jetzt. Haltet mich fest …« Mühsam riß Koratzo sich los. Er taumelte ein paar Schritte zur Seite und blickte zu dem »Tropfstein« hinauf. Das Ding glomm immer noch in einem zarten Grün. Es fiel ihm schwer, sich überhaupt auf den Beinen zu halten. Eine unerklärliche Schwäche hatte ihn ergriffen. Er blinzelte und nahm undeutlich den Weltenmagier wahr, der neben einer dunklen Öffnung stand. Copasallior zu identifizieren, fiel ihm leicht. Aber er kam erst nach längerem Überlegen dahinter, daß die dunkle Öffnung eine Tür war – eine Tür wohin? Richtig, dahinter lag eine gewundene Treppe, und jenseits der Wände lag der Pla net Maranyes mit seinem seltsamen Stadt kontinent. Sie waren hier, um Daten zu be sorgen. Daten! Etwas in seinem Gehirn bewegte sich. Plötzlich wußte er wieder genau, was ge schehen war. Er seufzte – und da wandte Copasallior sich zu ihm um. »Was hältst du davon?« fragte der Wel tenmagier ernst.
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Koratzo fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Überrascht stellte er fest, daß er in Schweiß gebadet war. »Ein irrsinniges Durcheinander«, murmel te er. »Aber ich finde, man kann recht klare Schlüsse daraus ziehen.« »Und zwar?« »Die Daten von Carthillum stecken in die sem Speicher. Sie haben sich mit dem ver mischt, was Maranyes ursprünglich ent hielt.« Copasallior nickte nachdenklich. »Zukunft und Gegenwart vermischen sich«, sagte er nachdenklich. »Hast du auch das andere empfangen?« »Ja. Da sind Impulse, die mit Pthor nichts zu tun haben. Impulse wie die, die wir auf Carthillum empfangen haben.« Copasallior deutete auf die Treppe. »Bis jetzt ist alles ruhig dort unten«, be merkte er. »Ich wollte, wir könnten uns in diesem Raum verbarrikadieren und Nachfor schungen anstellen.« Koratzo hatte Welewo fast vergessen. »Schade, daß wir ihn nicht mit magischen Sperren aufhalten können«, murmelte er. Copasallior setzte zu einer Antwort an. Aber im gleichen Augenblick gab es einen Ruck, der das ganze Gebäude erschütterte, und eine Sekunde später hörten sie das Scheppern wieder. Diesmal war es ganz nahe. Koratzo erfaß te blitzschnell die Richtung und stürmte an dem Weltenmagier vorbei. Copasallior hetz te hinter dem Stimmenmagier her. Sie rannten die Treppen hinunter, und es fiel ihnen zunächst gar nicht auf, daß das Glühen der kleinen Kristalle viel weiter reichte, als es eigentlich der Fall hätte sein sollen. Sie wären nur froh darüber, daß sie überhaupt etwas sehen konnten. Der Schock kam, als die blaue Gestalt auf einem Trep penabsatz für die sichtbar wurde. Sie stol perten noch ein paar Stufen hinab, dann blie ben sie stehen und starrten Welewo fas sungslos an.
8.
Welewo schien völlig unversehrt. Er sah sogar besser aus, als die Magier ihn in Erin nerung hatten. Auf seiner Hülle gab es kaum gelbe Flecken, und der Roboter verfügte über vier intakte Handlungsarme. »Ihr habt es also geschafft«, sagte Wele wo mit knarrender Stimme. »Es wurde auch Zeit.« »Du bist davongekommen«, murmelte Copasallior fassungslos. »Du hast den Sturz überstanden.« »Ja«, erwiderte Welewo lakonisch. »Was hast du nun vor?« »Nichts. Ihr habt eure Aufgabe erfüllt, ich die meine. Es gab niemals eine Feindschaft zwischen uns.« »Du wolltest uns töten«, bemerkte Korat zo. »Oh, das ist lange vorbei. Außerdem habt ihr euch auch in diesem Punkt täuschen las sen. Hätte ich euch wirklich töten wollen, so könnten wir jetzt sicher nicht mehr mitein ander reden. Ich verfehle kein Ziel, auf das ich mich wirklich konzentriere.« »Willst du behaupten, daß du es gar nicht ernst gemeint hast?« fragte Copasallior. Welewo hob langsam einen seiner Arme. Die beiden Magier ahnten Böses, aber es hatte keinen Sinn, jetzt noch vor dem Robo ter fliehen zu wollen. Zu ihrer Überraschung war der Arm je doch nur mit einer ganz normalen Greif klaue ausgestattet, anstatt mit einer Waffe, wie sie es eigentlich erwartet hatten. »Wir müssen dieses Gebäude verlassen«, erklärte Welewo gelassen. »Kommt, ich werde euch führen.« Erst jetzt wurden sie auf die Vibrationen aufmerksam, die das Gebäude durchliefen. Die Treppe bebte leicht unter ihren Füßen. Weiter oben im Turm polterte es, als stürz ten bereits die ersten Wände ein. Sie eilten dem Roboter nach, der über die Treppe nach unten glitt. Es konnte sie kaum noch überraschen, daß Welewo tatsächlich schwebte. Wahrscheinlich war er niemals wirklich auf das plumpe Gestell angewiesen gewesen.
42 Die Treppe erschien ihnen endlos lang. Aber in Wirklichkeit vergingen nur wenige Minuten, bis sie ein großes Tor erreichten, durch das Tageslicht hereinfiel. Welewo schwebte vor den Magiern her ins Freie. Sie befanden sich in einem Hof, den sie noch nicht kannten. Der Sturm hatte nachge lassen, aber die Luft war immer noch von Staub erfüllt. Welewo führte sie quer über den Hof in das nächste Gebäude, und dann immer weiter, bis sie endlich auf die Straße hinaustraten. Koratzo drehte sich um und sah an den hohen Türmen hinauf. Er sah die Stellen an den Wänden, an denen Balkone und Erker abgebrochen waren – dort leuchtete der Stein in blutigem Rot, als klafften offene Wunden in den Wänden der Türme. Die Spitzen der Bauwerke verschwammen in der staubigen Luft. Trümmerbrocken regneten hier und da herab. »Was geschieht dort?« fragte der Stim menmagier beunruhigt. »Nichts, was euch Sorgen bereiten soll te«, behauptete der Roboter. »Aber die Türme werden einstürzen, wenn es so weitergeht.« »Ja, das werden sie. Es ist höchste Zeit, daß es soweit kommt.« »Das verstehe ich nicht.« Welewo gab keine Antwort. Er schwebte weiter, und Copasallior stellte fest, daß sie sich jetzt in die Richtung bewegten, in der die GOL'DHOR auf sie wartete. Der Gedanke an das Raumschiff erfüllte ihn mit tiefer Sorge. Gewiß, die GOL'DHOR konnte sich jeden noch so hartnäckigen Feind vom Leibe halten, aber gegen abstür zende Plattformen und kippende Gitterma sten war sie weitgehend wehrlos. Koratzo dachte ebenfalls an das goldene Raumschiff, aber er war aus irgendeinem Grunde davon überzeugt, daß sie die GOL'DHOR unversehrt finden würden. Ihn beschäftigte die Frage, was mit Welewo los sein mochte. Das Verhalten dieses Roboters stellte ihn vor ein scheinbar unlösbares Rät sel.
Marianne Sydow »Wohin führst du uns?« fragte er. »Zu eu rem Raumschiff.« »Aber warum?« fragte Koratzo über rascht, weil er sich nicht vorstellen konnte, daß der Roboter sie so einfach ziehen lassen würde. »Ich sagte es schon«, gab Welewo gelas sen zur Antwort. »Eure Aufgabe ist erfüllt. Eure Anwesenheit auf diesem Planeten ist daher nicht erforderlich.« Es krachte in unmittelbarer Nähe. Die Magier sahen sich erschrocken um. Aus ei nem der alten Gebäude schoß eine Stich flamme empor, mindestens fünfzig Meter weit. Eine Plattform, die die Carthiller direkt über dem Haus gebaut hatten, zerbarst in ei nem bunten Funkenregen. »Schneller«, drängte Welewo. »Wir ha ben nicht mehr viel Zeit.« Aber Koratzo, der sich relativ sicher fühl te, da ja Copasallior ihn im Bruchteil von Sekunden mit sich in das Raumschiff neh men konnte, blieb entschlossen stehen. »Was wird hier gespielt?« fragte er scharf. »Was geschieht mit Maranyes?« Der Roboter wedelte ungeduldig mit sei nen vier Armen. Ein zweites Gebäude brach auseinander, und glühende Brocken wurden in den Himmel geschleudert. Der Lärm ver schluckte die Worte des Roboters, aber der Sinn wurde nur zu deutlich, denn Welewo drehte einfach ab und glitt mit ziemlicher Geschwindigkeit davon. Copasallior sah Koratzo an und dachte: Sollen wir ihm noch folgen? Es wäre si cherer, gleich in die GOL'DHOR zu gehen! Ich muß wissen, was hier los ist, wider sprach Koratzo verbissen. Sie rannten dem Roboter nach, achteten jetzt jedoch sorgfältig darauf, daß sie dicht nebeneinander blieben. Denn wenn es ernst wurde, mußte Copasallior den Stimmenma gier vielleicht innerhalb einer Sekunde errei chen können. Wenig später trafen sie zum erstenmal wieder auf Carthiller. Sie waren hysterisch vor Angst und rasten wie blind zwischen brennenden Trümmern hindurch. Von vorne
Krieg der Planeten kam das Heulen vieler Sirenen und das Brummen schwerer Fahrzeuge. Offenbar hofften die Carthiller, die Fahrzeuge noch zu erreichen und sich damit in Sicherheit brin gen zu können. Sie schienen gar nicht zu merken, wie rechts und links immer neue Brände ausbrachen. »Sie rennen in den sicheren Tod!« stellte Copasallior fest. Koratzo blieb für einen Augenblick ste hen. Er konzentrierte sich mit aller Macht auf diese Gruppe von Carthillern. Es waren Kinder darunter, Alte, Verletzte, wahr scheinlich auch Frauen – die Magier hatten sich nicht eingehend genug um diese Wesen kümmern können, um auf Anhieb zu sagen, welchen Geschlechts ein Carthiller war. Sie sahen, bis auf geringe Größenunterschiede, alle gleich aus. Es reichte nicht, in diesem Fall ein norma les Stimmzentrum zu bilden. Die Carthiller hätten Koratzos Warnung selbst dann nicht gehört, wenn er ihr die höchste Lautstärke verliehen hätte. Er griff mit seinen magi schen Sinnen nach einem Dutzend Arbeitern zugleich und projizierte die Warnung direkt in die Gedanken der Carthiller hinein. »Die Gebäude stürzen ein. Hier kommt ihr nicht durch. Geht ein Stück zurück und weicht nach rechts aus. Dort ist die Gefahr geringer. Beeilt euch!« Erleichtert sah er, wie die zwölf Carthiller mitten im Lauf hielten, sich verwirrt umsa hen, dann aber die an ihnen vorbeieilenden Artgenossen festhielten und zum Umkehren zwangen. Inzwischen war Welewo ihnen ein paar Meter voraus. Copasallior wartete, bis Ko ratzo seine Warnung abgegeben hatte, dann riß er den Stimmenmagier mit sich. Die ganze Stadt scheint in Flammen auf zugehen, dachte Koratzo erschüttert. Wir müssen diesen Wesen doch helfen! So hilflos sind die Carthiller gar nicht, dachte Copasallior beruhigend zurück. Sie haben schon begriffen, worum es geht. Na türlich werden es nicht alle schaffen, aber die meisten können sich noch rechtzeitig in
43 Sicherheit bringen. Koratzo konnte das nicht glauben. Er sah die Flammen und hörte das Krachen unzäh liger Explosionen, und er konnte sich nicht vorstellen, daß auch nur ein einziger Carthil ler diesem Inferno lebend entkommen kön ne. Aber ein paar Meter weiter sah er undeut lich, durch die erhitzte Luft verzerrt, Fahr zeuge auf die Straße herabsinken, leere Fahrzeuge, auf die ganze Scharen von Ar beitern zurannten. Sobald sie die Fahrzeuge erreicht hatten, kam Ordnung in die wilde Meute. Sie stiegen ein, und kein einziges Fahrzeug wurde so überladen, daß es nicht hätte starten können. Einige Arbeiter fanden keinen Platz mehr in den Flugschüsseln. Re gungslos blieben sie stehen und sahen den Fahrzeugen nach. Sekunden später brach die brennende Wand eines relativ niedrigen Ge bäudes zusammen und begrub die zurück bleibenden Carthiller unter sich. Koratzo sah schaudernd weg. Irgendwie schaffte Welewo es, die Magier immer wieder auf einen halbwegs sicheren Weg zu führen. Je weiter sie kamen, desto größer wurde die Glut hinter ihnen. Vorne dagegen tauchten allmählich mehr und mehr unversehrte Häuser auf. Hier hatten die Ret tungsaktionen der Carthiller mehr Aussicht auf Erfolg. In regelmäßigen Abständen lan deten die Flugschüsseln, nahmen vor allem die Verletzten und Erschöpften auf und brachten sie weg. Koratzo begann zu hoffen, daß Copasallior recht behalten würde. Endlich sahen sie dann auch die GOL'DHOR vor sich. Welewo raste auf die Rampe zu und wartete dort auf die Magier. »Ihr müßt sofort starten«, sagte der Robo ter. Copasallior betrat die Rampe und ging an der Maschine vorbei. Welewo rührte sich nicht. Erst als der Magier einen Arm des Ro boters ergriff, kam Bewegung in die blau stählerne Gestalt. »Was …«, hob der Roboter an, aber da befand er sich bereits in dem goldenen Raumschiff. Koratzo folgte den beiden auf
44 dem normalen Weg durch die Schleuse. »Mit dem Starten hat es noch Zeit«, sagte Copasallior zu Welewo, als der Stimmenma gier hereinkam. »Vorher würden wir gerne wissen, was das dort draußen zu bedeuten hat.« Der Roboter drehte sich langsam im Kreis. »Ein seltsames Schiff«, sagte er mit seiner schnarrenden Stimme. »Kommt es aus dem Lande Pthor?« Die beiden Magier warfen sich vielsagen de Blicke zu. »Ja«, antwortete Copasallior knapp. »Das ist erstaunlich«, fuhr Welewo fort. »Meinen Informationen nach dürfte es der artige Raumschiffe in Pthor gar nicht ge ben.« Die Magier antworteten nicht. »Es gibt allerdings ein Volk dort«, erklär te Welewo ungerührt, »dem man nachsagt, daß es allerlei wunderbare Gebilde zu schaf fen vermag. Man bezeichnet diese Leute als Magier. Seid ihr auch welche?« »Warum willst du das wissen?« erkundig te sich Koratzo mißtrauisch. »Ihr selbst habt mir gesagt, daß ich aus dem Lande Pthor stamme.« Koratzo tat einen Schritt nach rückwärts. Er lehnte sich an die Innenwand der GOL'DHOR und legte die flachen Hände auf das kühle, glasähnliche Material, aus dem das Schiff bestand. Erleichtert spürte er, wie neue Energie in seinen Körper strömte. Die Erlebnisse der letzten Stunden hatten ihm arg zugesetzt. Es war nicht einmal so, daß er körperlich erschöpft war – die Bilder der Vernichtung machten ihm zu schaffen. Schon nach kurzer Zeit fühlte er sich fä hig, seine magischen Fähigkeiten wieder voll zum Einsatz zu bringen. Und diesmal hatte er dafür ein Ziel gewählt, das ihn mit Sicherheit zwingen würde, bis an die Gren zen seiner Leistungsfähigkeit zu gehen. Er hörte Copasallior eine nichtssagende Antwort geben und den Roboter eine neue Frage stellen. Er lauschte nicht auf die Wor te selbst, sondern auf den Klang der schnar-
Marianne Sydow renden Stimme. Er spürte dem Ursprung dieser Stimme nach und fand den Punkt im metallenen Körper Welewos, an dem die Laute formuliert wurden. Dort entdeckte er die Impulse, die diesen Lauten vorangingen. Daß Welewo kein Robotdiener aus Wol terhaven war, hatte er bis dahin vermutete, aber nicht sicher gewußt. Jetzt sah er die fremdartigen Impulse vor sich, und er er schrak. Welewos eigene Sprache ähnelte der der Robotbürger – aber das traf auf alle roboti schen Sprachen zu, die Koratzo jemals ken nengelernt hatte. Es war eine Sprache, die aus mathematischen Impulsen bestand. Die Abweichungen waren in jedem Falle mini mal. Und doch bewegten sich Welewos Ge danken auf so fremdartigen Bahnen, daß dem Stimmenmagier eine Gänsehaut über den Rücken lief. Fremdartig? Ja, aber etwas Vertrautes fand er auch in diesen Impulsen. Er erinnerte sich an das Archiv von Carthillum. Als die Magier mit jener Maschine ver bunden waren, die die Gehirne der wehrlo sen Opfer leersaugte, hatte er für einen win zigen Augenblick Kontakt zu dem zentralen Gehirn der Anlage bekommen. Der Kontakt hatte ihn fast den Verstand gekostet, aber er würde sich für alle Zeiten an das erinnern, was er dort gefunden hatte. Kälte, Härte, der rücksichtslose Wille, die eigene Existenz zu erhalten – aber gleichzei tig auch eine so tiefe Verzweiflung, wie der Stimmenmagier sie noch in keinem leben den Gehirn gefunden hatte. Dasselbe spürte er in Welewo, nicht so in tensiv wie damals auf Carthillum, aber un verkennbar. Plötzlich wußte er, daß dieser Roboter keineswegs aus der Schwarzen Galaxis stammte oder von dort seine Befehle erhal ten hatte. Und er begriff, daß Welewo noch viel gefährlicher war, als die Magier ange nommen hatten. Hastig löste er sich aus seiner Konzentra tion. Er sah Copasallior an.
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Bringe ihn nach draußen! dachte er. Schnell! Der Weltenmagier reagierte blitzschnell. Er sprang auf Welewo zu, und ehe der Ro boter auch nur ahnte, was Copasallior beab sichtigte, waren beide aus der GOL'DHOR verschwunden. Koratzo lehnte sich erschöpft an die Wand. Seine Hände begannen zu zittern. Er riß sich zusammen, und es gelang ihm, ruhig zu erscheinen, als Copasallior zurückkehrte. »Wo hast du ihn gelassen?« fragte Korat zo. »Auf einer Plattform«, seufzte Copasalli or. »Er befindet sich am entgegengesetzten Ende der Stadt. Laß uns starten, und dann kannst du mir erzählen, was du in der Ma schine gefunden hast.« »Starten«, wiederholte Koratzo bitter. »Wir werden warten müssen, Copasallior. Warten und suchen, denn wenn die GOL'DHOR jetzt vom Boden abhebt, nützen ihr auch die Fähigkeiten nichts mehr, die Al lersheim ihr einst verliehen hat.« »Wovon sprichst du überhaupt?« fragte Copasallior wütend. »Von der Bombe, die Welewo hier ir gendwo untergebracht hat«, erklärte Koratzo nüchtern. »Wir waren nichts als Werkzeuge, weißt du, und jetzt, da alles vorbei ist, könn ten wir sehr lästige Zeugen abgeben.«
* Sie hatten die magischen Umhänge ange legt, die jeden noch so kompakten Rauman zug mühelos ersetzten und waren nach drau ßen gegangen. Sie hatten die GOL'DHOR gründlich durchsucht, von einem Ende bis zum anderen, aber die Bombe hatten sie nicht gefunden. »Bist du sicher, daß wir nicht nach einem Phantom suchen?« fragte Copasallior miß trauisch. »So sicher, daß ich meine magischen Fä higkeiten dafür verwetten würde«, versi cherte Koratzo grimmig. »Hier draußen ist aber nichts.«
»Dann müssen wir drinnen nachsehen.« »Niemand kommt in die GOL'DHOR, wenn wir es nicht gestatten!« »Erinnerst du dich noch daran, wie es war, als du versucht hast, Welewo mit magi schen Mitteln zu beseitigen?« Copasallior schwieg betroffen. »Aber warum?« fragte er schließlich. »Wozu soll das Ganze hier taugen?« Koratzo sah in die Richtung, in der der Feuerschein immer heller wurde. Es war un verkennbar, daß das Zentrum der Stadt von Maranyes eine einzige Brandstelle war. »Es wird weiter um sich greifen«, mur melte der Stimmenmagier nachdenklich. »Wir haben höchstens noch eine Stunde Zeit.« »Ich will endlich wissen, was hier gespielt wird!« schrie Copasallior wütend. Koratzo sah ihn erstaunt an. »Hast du es denn immer noch nicht er kannt?« fragte er. »Es ist doch ganz einfach. Wir sind in einen Krieg geraten, der zwi schen den beiden Archivwelten tobt.« »Die gesperrten Speicher«, murmelte Co pasallior, der plötzlich das Gefühl hatte, seit Tagen auf ein Bild gestarrt zu haben, ohne die Umrisse der dargestellten Figuren wirk lich erkennen zu können. »Und dann diese uralten Türme. Aber woher kam Welewo?« »Von Carthillum natürlich«, antwortete Koratzo, ging durch die Schleuse in die GOL'DHOR zurück und begab sich in den hintersten Raum, um dort mit der Suche fortzufahren. »Er war sicher schon seit lan gem auf Maranyes, in dieser oder einer an deren Gestalt. Er ist natürlich kein Robot bürger. Er sollte nur so aussehen, denn das gehörte zum Plan des Archivs von Carthil lum. Vergiß nicht, daß beide Welten zustän dig waren für Pthor. Eines Tages, so hoffte man auf Carthillum, mußte jemand von dem Dimensionsfahrstuhl hierherkommen und sich um die Daten kümmern.« »Warum? Glaubst du wirklich, daß es in der Vergangenheit direkte Kontakte zwi schen Pthor und den Archivwelten gab?« »Es kann gar nicht anders sein. Irgendwie
46 müssen die Daten in die Speicher von Cart hillum gelangen, und die, die auf Maranyes gespeichert wurden, mußten nach Pthor übertragen werden. Ich nehme an, daß dazu Boten benutzt wurden, und zwar solche, die aus Pthor stammten.« »Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Boten hätten berichten können, was sie ge sehen haben.« »Bist du sicher? Die Schwarze Galaxis geht sicher kein Risiko ein. Falls die Boten zurückkehrten, erinnerten sie sich wahr scheinlich an gar nichts. Vielleicht waren sogar schon Magier in dieser Mission unter wegs, ohne daß wir davon erfahren haben.« Er sah sich in dem kleinen Raum im hin tersten Teil des Rumpfes um. Eigentlich hät te es leicht sein müssen, einen an der GOL'DHOR befestigten oder in ihrem In nern verborgenen Fremdkörper aufzuspüren, denn es war kaum anzunehmen, daß die Bombe aus demselben goldgläsernen Mate rial wie die GOL'DHOR bestand. Hier jedenfalls gab es nach Koratzos Überzeugung nichts, was nicht an Bord ge hörte. Er ging weiter, und Copasallior vergaß für einen Augenblick die Fragen, die ihm auf der Zunge lagen. Ihm kam erst jetzt so recht zu Bewußtsein, was es bedeutete, wenn das goldene Raumschiff hier auf Maranyes zer stört wurde. Er selbst hätte sich mit einiger Mühe nach Pthor retten können, aber es wä re ihm unmöglich gewesen, Koratzo mitzu nehmen. Und es gab auf Pthor kein Raum schiff, das wie die GOL'DHOR geeignet war, so große Entfernungen schnell genug zu überwinden. Sie durchsuchten das ganze Schiff, aber schließlich ließen sie sich entmutigt im Kommandoraum in die bequemen Sessel sinken. Durch die Augenfenster hindurch sa hen sie nach draußen. Das Zentrum von Maranyes brannte im mer noch. Die Türme, in denen sie Welewo begegnet waren, mußten einst die Kernzelle des Archivs gebildet haben. Jetzt war das al te, verschachtelte Gebäude Mittelpunkt der
Marianne Sydow Zerstörungswelle, die sich langsam aber un aufhaltsam nach allen Seiten ausdehnte. Zum Glück breitete sich der Brand nach dem stürmischen Beginn nur ganz allmäh lich aus. Der Luftraum über der Stadt war voll von Flugschüsseln, und über die akusti schen Übertragungsgeräte der GOL'DHOR hörten sie das Brummen vieler Motoren. Die Carthiller flohen in aller Hast vor den lodernden Flammen. »Wohin werden sie gehen?« überlegte Koratzo. »Zu den anderen Kontinenten«, meinte Copasallior. »Ich bin sicher, daß die Carthil ler diese Katastrophe gut überstehen werden. Vielleicht ist es sogar ganz gut, daß es so ge kommen ist. Sie werden jedenfalls in Zu kunft nicht mehr wie Sklaven für das Archiv und seine Roboter schuften müssen.« Koratzo nickte nachdenklich. Sie vermieden es, über ihre eigene Zu kunft zu sprechen. Noch hatten sie Zeit. Aber in etwa einer halben Stunde würden die Flammen die GOL'DHOR erreichen. »Vielleicht hast du dich doch geirrt«, sag te Copasallior nur einmal. »Wenn eine Bom be an Bord ist – warum ist sie noch nicht ex plodiert?« »Sie geht hoch, wenn das Schiff startet. Jedenfalls war Welewo davon überzeugt.« Copasallior stand auf und ging unruhig bis an das Augenfenster heran. »Warum haben die Archive gegeneinan der gekämpft?« fragte er. »Sie waren vermutlich von Anfang an falsch angelegt«, erklärte Koratzo. »Es war ein Fehler, ihre Kompetenzen so streng ein zuteilen. Sieh mal, Maranyes-Archiv konnte auf Grund der Daten, die ihm geliefert wur den, erkennen, daß Pthors Missionen eines Tages erfüllt sein würden. Dann war die Aufgabe dieses Archivs gelöst, und man brauchte es nicht mehr. Das Archiv bekam es mit der Angst zu tun.« »Es hatte also ein eigenes Bewußtsein.« »Beide Archive waren sich ihrer Existenz bewußt.« »Hast du diese Informationen alle von
Krieg der Planeten Welewo?« fragte Copasallior mißtrauisch. »Nein. Einiges erfuhr ich schon auf Cart hillum, als man uns an diese Maschine an schloß. Aber ich zog damals nicht die richti gen Schlüsse – leider, denn sonst hätten wir uns vieles erspart, und diese Stadt müßte nicht untergehen.« »Es ist beruhigend, dies ausgerechnet jetzt zu erfahren«, murmelte Copasallior sarka stisch. »Aber weiter. Maranyes-Archiv hatte also Angst.« »Genau. Und es dachte sich, daß Carthil lum das bessere Los gezogen hatte. Denn dieses Archiv enthielt ja die Daten, die Pthor seit Beginn seiner Reisen erbracht hatte. Solche Informationen bewahrt man für ge wöhnlich auf. Carthillum hatte also gute Aussichten, solange erhalten zu bleiben, wie es die Schwarze Galaxis gibt. Da kam Mara nyes auf eine ebenso einfache wie wirksame Idee: Es stahl Daten aus dem Carthillum-Ar chiv und steckte sie in die eigenen Spei cher.« »Das war ein ausgesprochen dummer Ein fall«, brummte Copasallior. »Das Archiv konnte das nicht beurteilen. Es wollte seine eigene Leistungsfähigkeit herausstreichen. Seine Absicht war es, alle Daten, die der Zu kunft und die der Vergangenheit, in seinen Speichern zu vereinen. Wenn jemand aus der Schwarzen Galaxis kam, um Informatio nen abzurufen, sollte er das Carthillum-Ar chiv so gut wie leer vorfinden. Maranyes-Ar chiv rechnete sich aus, daß man seinen Kon kurrenten daraufhin als defekt einstufen und vernichten würde.« »Aber diese Rechnung ging nicht auf.« »Das Maranyes-Archiv hatte sich über schätzt«, bestätigte Koratzo. »Es war gar nicht dazu geeignet, diese ganze Datenfülle zu verkraften. Alles geriet ihm durcheinan der. Es konnte Zukunft und Gegenwart nicht voneinander trennen. Das, was es von Cart hillum abzog, vermischte sich mit dem, was es von der Schwarzen Galaxis erhielt – das Ergebnis war ein unbeschreibliches Durch einander.« »Und Carthillum?«
47 »Das dortige Archiv verstand irgendwann, was ihm da geschah. Es versuchte, einen Ausgleich herzustellen und seinerseits das Maranyes-Archiv zu bestehlen. Aber da zu war es nicht stark genug. Maranyes hatte schon einen zu großen Vorsprung. Carthil lum-Archiv mußte hilflos zusehen, wie im mer mehr Speicher geleert wurden. Es er kannte, daß seine Existenz beendet war, so bald es auch die letzten Daten an Maranyes verlor. Da kam es auf eine Idee. Es fand einen Ausweg, der es für die Mächte der Schwarzen Galaxis wertlos werden ließ, ihm aber immerhin eine Art Überlebenschance sicherte.« »Es saugte sinnlose Daten aus den Gehir nen aller zufälligen Besucher«, stellte Copa sallior nüchtern fest. Koratzo nickte. »Inzwischen«, fuhr er fort, »hatte das Ma ranyes-Archiv bereits begonnen, seine Sub stanz zu erweitern. Aus irgendeinem Grund konnte es diesen Entschluß nicht mehr rück gängig machen. Immer neue Speicher ent standen. Außerdem dürften viele der ange saugten Daten verlorengegangen sein. Mara nyes-Archiv war also gezwungen, seinen Konkurrenten auf Carthillum auch weiterhin zu bestehlen.« »Ob man in der Schwarzen Galaxis davon weiß?« »Aber sicher.« »Warum hat man dann nicht beide Archi ve ausgeschaltet?« »Weil das nicht möglich war. Man hätte schon diese Stadtkontinente auslöschen müssen.« »Das wäre immerhin eine logische Tat ge wesen. Man hätte sich gegen einen unge wollten Verrat der beiden Archive abgesi chert.« »Sie konnten keinen solchen Verrat mehr begehen«, sagte Koratzo nachdenklich. »Ich fürchte, man hat alle wichtigen Informatio nen abgezogen, sobald sich die erste Störung zeigte. Was in den Archiven blieb, waren nur Reste. Anderenfalls müßte es in Mara nyes noch weit mehr neue Speicher geben.«
48 »Aber – es ist doch Unsinn, diese Archive sich selbst zu überlassen. Wenn sie sich nun eines Tages von selbst erholt hätten? Du sagtest doch, daß sie ein eigenes Bewußtsein entwickelten. Sie sollten also fähig sein, den Fehler zu erkennen und zu beseitigen.« »Dazu ist es schon seit langem zu spät. Nein, eine Zerstörung der Archivwelt war überflüssig. In der Schwarzen Galaxis ver ließ man sich darauf, daß die beiden Kontra henten sich eines Tages gegenseitig vernich ten würden. Und wie du siehst, war diese Hoffnung nicht unberechtigt.« Er deutete auf die Front der Flammen, die mittlerweile um ein gutes Stück näher ge rückt war. »Das ist der Beweis«, bemerkte er. »Carthillum hat gesiegt. Es ist ein bitterer Sieg, denn das dortige Archiv ist damit ebenfalls dem Untergang geweiht.« Copasallior nickte langsam. »Jetzt begreife ich es«, murmelte er. »Carthillum wurde sicher verhältnismäßig oft von Wesen angeflogen, die sich Daten über Pthor geben ließen. Nach Maranyes da gegen kam selten jemand.« »So dürfte es gewesen sein«, bestätigte Koratzo. »Jene Beauftragten der Schwarzen Galaxis, die nach Carthillum kamen, merk ten, was zwischen den beiden Archivwelten geschah. Daraufhin sorgten sie wahrschein lich dafür, daß alle wichtigen Erkenntnisse in Sicherheit gebracht wurden. Carthillum-Ar chiv hat das bemerkt. Es erkannte auch, daß es keinen Sinn mehr hatte, gegen das Schicksal anzukämpfen. Die Archive waren sich selbst überlassen. Aber Maranyes ahnte davon noch nichts. Zu ihm kam kein Kon trolleur – das war ja auch völlig überflüssig. Vermutlich zog man nicht einmal die Daten über die Pläne ab, die man für Pthor ge macht hatte. Ich nehme an, daß diese Daten noch an anderer Stelle aufbewahrt wurden. Kurz und gut, Maranyes dachte die ganze Zeit über, daß es noch eine Chance hätte.« »Und dann kamen wir«, murmelte Copa sallior. »Auf Carthillum gaben wir uns als Beauftragte der Schwarzen Galaxis aus. Das
Marianne Sydow dortige Archiv wußte natürlich, daß wir eine falsche Rolle spielten. Es erkannte, daß wir von Pthor kamen und ließ uns entkommen. Die Flucht aus der Kontaktstelle und quer durch die Stadt – das alles war nur Teil eines Planes, den das Archiv geschmiedet hatte. Maranyes bekam vermutlich die Nachricht zugespielt, daß Leute aus der Schwarzen Galaxis auf Carthillum waren und eindeuti ge Beweise dafür fanden, daß mit dem Ar chiv der Vergangenheit nichts mehr los war.« »Ja. Eigentlich müßte Maranyes-Archiv sich auf uns gefreut haben. Es dachte ja, daß nun endlich der Lohn für all seine Bemü hungen kommen müsse. Aber Carthillum ließ seinen Konkurrenten auch wissen, daß wir Magier waren, also wahrscheinlich aus Pthor stammten. Daraufhin schaltete Mara nyes auf passive Abwehr um. Er sorgte unter anderem dafür, daß wir an Welewo gerieten, der sich gegen magische Fähigkeiten durch zusetzen vermochte. Dabei hatte es keine Ahnung davon, daß es dem Carthillum-Ar chiv mit diesem Trick direkt in die Hände spielte. Es hielt Welewo für einen treuen und zuverlässigen Untertanen. Der Roboter wiegte das Archiv in Sicherheit, indem er einen Anschlag auf uns verübte und uns auf der Plattform zum Schein zu töten versuch te. Insgeheim aber lockte er uns an den ein zigen Ort, an dem wir an die Maranyes-Spei cher herankommen konnten.« »Und dann fragten wir einen Speicher ab, und alles, was wir erhielten, war ein undefi nierbares Gemisch von Daten. Das war die Entscheidung. Das Maranyes-Archiv er kannte in diesem Augenblick endgültig, daß es seine Chance vertan hatte. Es konnte das, was es an Daten aufgehäuft hatte, nicht mehr voneinander trennen. Es erlitt eine Art Kol laps und leitete die Selbstvernichtung ein.« Koratzo schwieg. Es gab zu diesem The ma eigentlich nichts mehr zu sagen. Er war sich ziemlich sicher, daß längst irgendwo ein neues »Archiv des Schreckens« existier te. Aber sie hatten keine Chance mehr, es aufzusuchen und zu plündern. Erstens wuß
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ten sie nicht, in welcher Richtung sie suchen sollten, und sie hatten viel zu wenig Zeit, um es auch nur zu probieren. Zweitens … Der Stimmenmagier sprang aus seinem Sessel hoch und raste aus dem Komman doraum. Copasallior sah ihm verblüfft nach. Dann hörte er Koratzo wütend aufschreien, und er rannte hinterdrein. Der Stimmenmagier stand in dem kleinen Lagerraum. »Wir haben uns wie Narren benommen!« stöhnte er. »Sieh doch!« Da lagen zwei Schwerter und zwei Wag gus. Copasallior stutzte, dann aber verstand er. Er handelte, ohne lange nachzudenken. Er griff mit seinen magischen Fähigkeiten nach beiden Waggus und schleuderte sie durch das Nichts. Irgendwo in jener unwirk lichen Welt, die er auf seinen Sprüngen be rührte, verloren sich die beiden Waffen – die eine, die aus der FESTUNG stammte, und die zweite, die eine Bombe war. »Start!« rief Koratzo, und er legte magi sche Kraft in dieses Wort. Durch die transparenten Wände sahen sie die Flammen, die schon ganz nahe waren. Eine Mauer, kaum zwanzig Meter von der GOL'DHOR entfernt, bekam breite Risse. Glutflüssige Masse quoll daraus hervor und tropfte auf die Straße hinab. Nur gedämpft und wie von ganz weit her vernahmen die Magier das Donnern einer Explosion, und sie spürten, daß die GOL'DHOR schwankte. Aber dann reagierte das goldene Raum schiff auf Koratzos Befehl. Langsam und lautlos hob es vom Boden ab, sprang dann mit einem gewaltigen Satz in die Höhe, mitten hinein in den brennen
den Himmel über der Stadt von Maranyes. Unter ihnen brachen die Gebäude, die den Landeplatz der GOL'DHOR umgaben, zu sammen. Das Schiff stieg weiter hinauf und zog nach Westen, wo die Carthiller noch immer mit ihren Fahrzeugen starteten, bemüht, das Meer zu erreichen, ehe die Flammen sie ein holten. Die Magier sahen stumm nach unten, während das goldene Raumschiff sie bis in die letzten Schichten der Atmosphäre von Maranyes trug. Sie sahen den fast weißglü henden Krater im Zentrum der riesigen Stadt. Koratzo dachte an Carthillum und fragte sich, ob auch die dort lebenden Wesen noch eine Chance bekommen würden, sich rechtzeitig aus den Fesseln des Archivs zu lösen. Dann schwang die GOL'DHOR her um und jagte mit immer höherer Geschwin digkeit in den freien Raum hinaus, vorbei an den nutzlosen Wächterkuppeln, hinaus aus dem System des Archivs und dann zwischen den wenigen Sonnen hindurch, bis es gera den Kurs auf jene Stelle nehmen konnte, an dem sie wieder auf Pthor treffen würden. »Atlan wird sehr enttäuscht sein«, sagte Copasallior nach langer Zeit. Die beiden Magier sahen sich bedrückt an. Trotz aller Gefahren, die sie überstanden hatten, konnten sie sich auf die Heimkehr nicht freuen. Denn sie kamen mit leeren Händen zurück.
E N D E
ENDE