KENIA
R O L F A C K E R M A N N ELLERT & RICHTER VERLAG
DIE WEISSE REIHE
KENIA
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KENIA
R O L F A C K E R M A N N ELLERT & RICHTER VERLAG
DIE WEISSE REIHE
KENIA
R O L F A C K E R M A N N ELLERT & RICHTER VERLAG
Ein herber Garten Eden
G
overnor’s Camp, im Westen Kenias. Es ist Ende Oktober, Beginn der „Short Rains“. Die von Romantikern unter den Astrologen „Kreuz des Südens“ benannte Sternenformation vergeht im Zwielicht des frühen afrikanischen Tages. Da, wo eben noch die Sichel des abnehmenden Mondes durch die Krone des mächtigen Baobab-Baumes vor meinem Zelt hindurch den Hügeln und Sträuchern am Ufer des Mara-Flußes Konturen verlieh, löst sich das Land jetzt in roten und gelben und braunen Farbtönen auf. Die Morgenbrise zwingt die Schirmakazien in den Ebenen zu einer ehrfürchtigen Verbeugung vor dem neuen Tag und mischt ostafrikanische Pastellfarben, die selbst ein Caspar David Friedrich nicht mit dem Pinsel auf eine Leinwand hätte bannen können. Unter dem Säuseln des Windes neigt und hebt und windet sich das strohfarbene Gras drüben an den ineinander verlaufenden Hügeln jenseits des Mara, dessen Fluten sich mit den ersten Regenfällen schmutzigbraun verfärbt haben. Ist das ein Land! So schön und weit und morgens immer so sanft und so vollkommen prächtig. Alles wirkt größer und einmaliger als irgendwo anders auf der Welt, und alles atmet Großartigkeit. Der Schöpfer war bei allem, was er hier binnen sieben Tagen schuf, kompromißlos – so, als habe er ein Bilderbuchland schaffen wollen, auf daß die Menschen erahnen mögen, wie paradiesisch die Welt sein könnte. Dabei hat er wohl das Maß aller anderen irdischen Dinge aus den Augen verloren. Wenn sich über dem kenianischen Zipfel der schier unendlich anmutenden ostafrikanischen Masai-Steppe Kumuluswolken zu weiß-grau-schwarzen Bergen auftürmen, sind die Wolkenberge immer gleich so furchterregend gigantisch groß, daß man sich instinktiv duckt. Aber alles
hier ist so riesig und gewaltig. Es gibt kein Mittelmaß. Entweder die Erdkrume ist nach Monaten oder Jahren der Dürre aufgeplatzt und häßlich und sehr trocken, oder sie gleicht nach sintflutartigen Regenfällen einer endlosen Moorlandschaft. Wenn es hier regnet, stürzen immer tausend tosende Wasserfälle gleichzeitig vom Himmel hernieder auf die Ebenen und Hügel; und wenn es nicht regnet, stirbt das Land immer, weil die Sonne über dem Äquator im Zenit steht und dem Boden wie ein Blutegel die letzte Feuchtigkeit heraussaugt. Der Wind verweht hernach das tote Land in alle Himmelsrichtungen. Nur zwei Jahre ohne Regen, und aus dem üppigen Paradies wird eine Wüste. Was immer sich auch auf diesem herrlichen Land bewegt und tut, es geschieht meistens rasend schnell. Die Zeitspanne zwischen Geburt und Tod ist hier besonders kurz. Angst vor der Vergänglichkeit steuert denn auch das Denken aller Lebewesen und kreiert eigene Regeln und Zyklen. Die Afrikaner wissen das schon lange und haben sich deswegen nie wirklich in der Masai-Steppe angesiedelt, obwohl es doch ein so traumhaft schönes und sehr begehrenswertes Land ist, wo es scheinbar alles gibt, was Menschen zum Leben brauchen, und wovon sie schwärmen und träumen. Um dieses Paradies im Osten Afrikas, das über Jahrhunderte überhaupt keinen Namen hatte, jene weiten, welligen im Horizont verlaufenden Savannen, die Teil des Tausende von Kilometer langen Ostafrikanischen Grabenbruchs (Rift Valley) sind, und durch das sich der Mara-Fluß wie eine dicke, fette und zufriedene Pythonschlange mal ost- und westwärts, meistens aber südwärts windet, um diesen grasbedeckten Garten Eden haben Menschen eigentlich nur einmal gekämpft. Araber, indische und gar chinesische Kaufleute unterhielten schon vor 2000 Jahren intensive Handelsbeziehungen mit den Küstenvölkern Ostafrikas. Sie ließen ihre trä5
gen Dhau-Segelschiffe mal vom Süd-Ost-, mal vom Nord-Ost-Monsun von einem Kontinent zum anderen und sechs Monate später wieder zurück treiben. Spatenwissenschaftler haben nach archäologischen Grabungen in den an der kenianischen Küste gelegenen Ruinenstädten von Gedi, Juma und Faza herausgefunden, daß jene seefahrenden Händler zumindest anfänglich weder Okkupanten waren, noch wirkliches Interesse an dem selbst im 16. Jahrhundert noch völlig unbekannten Inneren des afrikanischen Kontinents zeigten. Auch Vasco da Gama, der, nach der Umrundung des südafrikanischen Kaps, als portugiesischer Welterkunder und erster Europäer im Jahre 1498 vor Mombasa und Malindi ankerte, mochte sich nicht zu einer Exkursion landeinwärts entschließen. Die ihm folgenden europäischen Händler und Möchtegernkolonialisten – Niederländer, Deutsche, Franzosen und Engländer – hielten sich ebenfalls drei Jahrhunderte lang vom Hinterland der mit dem Seehandel aufstrebenden ostafrikanischen Küstenstädte Mombasa, Malindi und Lamu fern. Für den Sklaven- und Elfenbeinhandel mit dem Inneren Afrikas bedienten sie sich gedungener arabischer und afrikanischer Handlanger. Das Herz Ostafrikas, von dem die Ägypter der alten Dynastien schon gehört hatten, daß es dort einen schneebedeckten Berg geben solle, blieb damit weiterhin terra incognita – unberührte Erde – ein weißer Fleck auf den Weltkarten. Erst im Jahre 1895 erklärten die Briten das Land zwischen der Küste und den innerafrikanischen Seen bei Uganda zu ihrem Protektorat. Muzungus (Weiße), als urbanisierende Vasallen Ihrer Majestät, der Queen von England, begannen sich fortan Land einzuverleiben, um darauf ihre gefleckten Holstein-Rinder zu züchten. Im Jahre 1896 zogen drei Familien, die Boedekers, Wallace und McQueens, 600 Kilometer landeinwärts. Ein Jahr später folgte
der legendäre Lord Delamere und nahm sich 40 000 Hektar Land. Dann kam Abraham Block mit zwei Ponys, jeweils einem Sack Bohnen, Kartoffeln und Mais, und nach ihm zu viele Landsucher. Sie sahen die weiten Savannen des Masai-Landes und begannen, von riesigen Ländereien mit riesigen Herden zu träumen. In ihrer maßlosen Arroganz fragten sie die seit Jahrhunderten dort lebenden, halbnomadisierenden Masai erst gar nicht, ob sie damit einverstanden seien, sondern vertrieben die Speere tragenden Söhne des Gottes Engai mit kolonialamtlichen Verfügungen und mit Maschinengewehren. Die nach Weideland lechzenden Kolonialisten wollten lange bleiben – verweilten aber nur allzu kurz im vermeintlichen Garten Eden, weil sie bald merkten, daß in diesem Land der Tod und die Vergänglichkeit die Geburtshelfer allen Lebens sind. Sie mußten hilflos mitansehen, wie ihre Prachtkälber von Tsetse-Fliegen totgestochen, ihre australischen Superschafe vom Mineralienmangel und ihre Kinder vom Fieber dahingerafft wurden. Und sie fanden schließlich heraus, daß hier den biblischen sieben fetten Jahren allzu regelmäßig 20 magere, regenarme Jahre folgen. Die Masai wissen das schon seit 300 Jahren, als sie sich, aus dem Nordosten Afrikas kommend, mit ihren Speeren einen blutigen Weg südwärts durch das bergige und hügelige Land der ackerbauenden Bevölkerung bahnten. Das war in jenen glorreichen Zeiten, die heute von den Masai „Pee Kilepu takerio – die Zeit, da wir aus den Bergen kamen“ genannt wird, und an die sich alle Masai gerne erinnern, weil damals alle Völker Afrikas Angst vor ihnen hatten, was heute aber nicht mehr der Fall ist. Die Masai waren schon immer klüger als es die empfindliche europäische Rinder züchtenden Kolonialisten waren. Wenn den Jahren des Regens die Dekaden der Dürre folgten, verließen sie ihre aus Kuh6
dung, Lehm und Reisig erbauten Manyattas, ließen die Alten und Gebrechlichen ihres Klans zurück und zogen mit jenen, die leben sollten, dahin, wohin auch die Gnus und Zebras und die Antilopen seit Urzeiten ziehen. Denn die Masai wissen, daß die wilden Tiere wittern, wo in diesem nach Süden hin beinahe grenzenlosen Land Regen fällt, und wo bald grünes Land unter dem spröden Stroh des zurückliegenden Jahres hervorkeimen und damit Leben sein wird. Die ranken und schlanken und viel zu schönen nilo-hamitischen Sai-Völker, die die Maa-Sprache sprechen, sind sehr arrogant – und die besten Rinderzüchter Afrikas. „Das Auge von Engai (Gott) ist groß. Engai hat uns Masai das Vieh der Erde anvertrauen wollen, weil das Volk der Masai das beste und stärkste ist. Nur Masai dürfen vom Vieh, dem größten Reichtum, leben; den anderen bleibt nichts anderes übrig, als von den Früchten der Erde zu leben.“ So sagen und sagten sie und dachten es auch, als die landwegnehmenden Briten daherkamen. „Ob ich lebe, ob ich sterbe, es wird an diesem Ort geschehen“, brüllten sie denn auch zu Tausenden im Jahre 1895 und rannten barfüßig mit ledernen Schilden und dem Bewußtsein, daß noch nie ein fremdes Heer oder Volk ihrem kriegerischen Gebrüll hatte standhalten können, gegen einen Zug tropenbehelmter und khakiuniformierter britischer Soldaten an, weil einige der weißen Soldaten den Frauen der Masai-Krieger nachgestellt hatten und das für die Moran (Krieger) unter den Masai zuviel der britischen Arroganz gewesen war. Mehr als 500 Briten starben – und mit ihnen die vermeintlich wohlwollende Erkenntnis einiger Kolonialstrategen, die geplant hatten, das „recht gelehrige und im Umgang mit Rindern begabte Volk der Masai zu Farmarbeitern der Siedler umzuerziehen“. Nach dem Gemetzel war das kein Thema mehr. Aber damit war der Untergang der gemeinhin als „das
stolzeste Volk Afrikas“ bezeichneten Masai besiegelt. In einem kleinen Seitental des Kedong Valley, wo jene letztendlich alles entscheidende Schlacht zwischen Masai und Briten stattfand und das auch heute noch Blood Valley genannt wird, liegt Mayers Farm: ein idyllisches Anwesen im Morgenschatten jener Ngong-Berge, die durch das Cinemascope-Melodrama „Jenseits von Afrika“ weltbekannt wurden, und von deren Gipfeln herab man einen grandiosen Fernblick über die 1000 Meter tiefer liegenden, von den Masai bewohnten und von britischen Siedlern begehrten Savannenweiten des Rift Valley hat. Die Mayers, urbritische Zöglinge und auch heute noch fife-o’clock-tea-time-Engländer, sind klug gewordene Muzungus (Weiße). Weil die Masai nicht nur die schönsten Menschen Afrikas, sondern mithin auch die kriegerischsten und traditionsbeharrlichsten Kenias sind, Halbnomaden, die um nichts in der Welt ihre roten, tangaähnlichen Umhänge gegen Bügelfaltenhosen eintauschen, und Touristen genau das von Afrikanern erwarten, aus diesem Grunde werden bei den Mayers Masai-Tänze für zahlende Besucher aufgeführt: täglich um neun Uhr vormittags, mit viel Gebrüll und sehr viel Authentizität und KuhdungLehm-Manyattas, die man von innen und außen fotografieren darf. Knapp eine Autostunde von Nairobi entfernt und ein beliebter Foto-Stop für Touristen auf dem Wege ins Masai Mara Game Reserve, hat sich die Mayersche Farm fast 100 Jahre nach jener unrühmlichen Schlacht zu einem nicht unansehnlichen Open-Air-Masai-Museum – aber auch zur größten traditionellen Waffenfabrik Kenias entwickelt. En Gros werden da Speere hergestellt – sehr bunt, aber minderwertig, Dekor für europäische Wohnzimmer. Die Masai haben nämlich in ihrer nomadischen Schlitzohrigkeit erkannt, daß Speere bei Scharmützeln mit der Moderne wenig nüt7
Zukunft, weil das Land für riesige Viehherden, aber auch für urbanisierende, kindergebärende, blumenkohlpflanzende und maiskolbenpuhlende Langzeitsiedler nicht mehr genug hergibt. Das große Land Kenia ist zu klein geworden für die Menschenmassen. Das wenige vorhandene fruchtbare Land garantiert selten mehr als ein Überleben im Elend. Die weißen Okkupanten hatten viele Masai totgeschlagen oder sie in stacheldrahtumzäunte „Detention Camps“ und Reservate eingesperrt, was für jeden freiheitssüchtigen Nomaden auch ein kleiner Tod ist. Nachdem die Muzungus dann ihre schlechten Erfahrungen mit dem nur für die existentialistischen Masai guten Steppen- und Savannenland gemacht hatten, zogen die weißen Siedler weiter nördlich und nordöstlich, nahmen dort den ackerbauenden Kikuyu- und Kambavölkern ihr sehr fruchtbares Land weg und nannten das neue verheißene Land „White Highlands“. Der Erste Weltkrieg brach aus. Zwei Drittel der etwa 3000 British-East-Africa-Siedler nahmen ihre Schrotflinten und Jagdgewehre aus den Vitrinen, ließen ihre Frauen auf den Farmen zurück und ritten unter Lord Delamere gegen die Truppen des deutschen Generals Paul von Lettow-Vorbeck. Britisch-arrogant und viel zu siegessicher mußten sie eine Schlachtschlappe nach der anderen einstecken – bis Deutschland kapitulierte und Lettow-Vorbeck sich ergab. Die britischen Siedler kehrten von der Front zurück zu ihren Frauen und Farmen und begannen emsig Häuser aus Stein zu bauen, was bedeutete, daß sie für immer bleiben wollten. Das zentrale Hochland Kenias war tatsächlich ein Traumland für sie: sehr hoch gelegen, mit einem angenehmen Klima, mit schwerer, schwarzer Vulkanerde und ohne Tsetse-Fliegen; mit viel Wasser, aber ohne Malaria. Und an klaren Tagen konnten sie von den Veranden ihrer Steinhäuser herab den Schnee auf den Gipfeln des Mount Kenya sehen und dann
zen, Touristen aber willens sind, viel Geld für solche Hieb- und Stichsouvenirs auszugeben. Und mit Geld, auch das haben die Mayerschen Ex-Nomaden längst erkannt, werden nun mal die Schlachten der Neuzeit ausgefochten. Den Masai bei den Mayers geht es deswegen auch viel besser als den rund 200 000 anderen Masai Kenias. Unter nachkolonialer britischer Direktive hat man sie erkennen lassen, daß sie nicht nur die Schlacht im Blood Valley verloren haben. Und von ihren längst auch Secondary-School-klugen Zöglingen erfahren die bei Mayers residierenden Ex-Moran (Krieger) täglich aufs neue, daß nomadische Arroganz viel schlimmer ist als Dummheit und meist mit dem Untergang eines Volkes verbunden ist. Denn das Afrika der Neuzeit haßt traditionsbewußte Stammesdenker, haßt Strohhütten, Nacktheit und Analphabeten. Gefragt sind progressive Staatsbürger, wellblechgedeckte Betonhäuschen, Anzüge und Universitätsdiplome. Seit nun im Mai 1989 ein Masai Vizepräsident Kenias wurde, glauben viele Masai, daß nun alles anders und vor allem viel besser wird für ihr ansonsten in dem vom Zivilisationsrausch besessenen Kenia nicht sonderlich wohlgelittenes Nomadenvölkchen. Doch in ihrer mit Freudentänzen begleiteten Euphorie ob der Wahl einer der Ihren zum „Vize“ übersehen sie, daß der „zweite Mann“ im Staate Kenia bislang noch nie die afrikanische Welt hat ändern können. Die es versuchten, fielen ausnahmslos in Ungnade. Das Ignorieren solcher Tatsachen läßt die Masai denn wohl auch langsam aber unaufhaltsam zu einem aussterbenden Volk werden. Ignoranz und Arroganz sind im Afrika der Gegenwart die Totengräber all jener Nomaden, die nicht erkennen und wahrhaben wollen, daß heute mehr denn je alles sehr kurzlebig ist und alles so schnell endet wie es auch begonnen hat und kein Spielraum mehr ist für Gedanken an eine glorreiche 8
„ihr“ Land loben und preisen, weil es wegen des Schnees und der klaren Bergbäche mit den Forellen darin ein bißchen, aber wirklich nur ein bißchen, wie zu Hause in Europa aussieht. Mit der von 1896 bis 1901 erbauten Eisenbahn, die von der Küstenstadt Mombasa über Nairobi entlang der White Highlands bis zum heutigen Kisumu führte, kamen nach dem Ersten Weltkrieg immer und immer mehr heimatflüchtige Europäer nach Ostafrika. 1920 wurde die „Kolonie Kenia“ ausgerufen und der europäische Landdiebstahl damit endgültig legalisiert. Und alle, die hernach herbeiströmten – 9000 waren es zu diesem Zeitpunkt –, träumten von einer Zukunft im hügeligen Garten Eden Ostafrikas und übersahen geflissentlich, was in dem Weißbuch der britischen Regierung hinsichtlich der Landbesitznahme in Kenia tatsächlich geschrieben stand: „Kenia ist in erster Linie ein afrikanisches Land. Die Regierung seiner Majestät hält es für notwendig zu betonen, daß ihrer Meinung nach die Interessen der afrikanischen Bevölkerung an erster Stelle zu stehen haben und dort, wo sie sich nicht mit den Interessen der Europäer decken, Vorrang haben.“ Mitte der fünfziger Jahre wurde der afrikanische Traum der Schollen pflügenden Muzungus zum Alptraum. Durch willkürliche „Hütten-Steuern“ der Kolonialherren verarmte Masai, Kikuyus, Kamba und Luo brüllten „Uhuru“ (Freiheit) und „MauMau“ (Synonym für den Unabhängigkeitskampf) und schlugen nun ihrerseits die Weißen tot. Am 21. Oktober 1952 verhängte der Gouverneur Kenias, Sir Evelyn Baring, den Ausnahmezustand über das Land und ließ Jomo Kenyatta, einen der Führer der Rebellion, samt 82 anderer Nationalisten verhaften. Aber der Mau-MauAufstand war trotz des Einsatzes britischer Truppen nicht mehr zu stoppen. Die Uhuru-Kämpfer brandschatzten Kenia in die Unabhängigkeit. Bilanz des langen Weges
in die Freiheit: 13 577 Tote – davon 95 Europäer. Am 12. Dezember 1963 wurde erstmals die kenianische Flagge aufgezogen – und kam mitten im Fahnenmast zum Stocken, weil sich das Seil verheddert hatte. „Wollen Sie es sich nicht doch noch einmal überlegen? Noch ist Zeit dazu“, soll der als Gast in Kenia weilende Duke von Edinburgh zum ersten kenianischen Präsidenten, Jomo Kenyatta, damals gesagt – und nur ein süffisantes Lächeln als Antwort erhalten haben. Nach diesem für sie so traurigen Tag verließen viele Weiße das nun unabhängige Kenia und resümierten, Afrika sei wohl doch ein „White man’s grave – ein Grab des weißen Mannes“. Von denen, die damals flohen, begannen viele in wehmütigen Erinnerungen Bücher zu schreiben über ihr kurzes Leben in Afrika. Bücher, in denen dann das drin stand, was die Masai als Herren der Savannen schon seit drei Jahrhunderten wissen: daß nämlich nicht alles Land in diesen Weiten Ostafrikas für den Menschen geschaffen ist – jedenfalls nicht für den, der lange oder für immer bleiben will; und daß deshalb die Masai-Mara-Steppe auch nur ein wirkliches Paradies für die Tiere ist. Neuzeitmenschen, schwarze wie weiße, und unter ihnen viele von denen, die damals das Land verlassen hatten, dann aber zurückkehrten, Anträge auf die kenianische Staatsbürgerschaft stellten und jetzt als weiße Kenianer sehr viel für die Tiere tun, sie alle zusammen haben daher beschlossen, daß das Masai Mara fortan „No man’s land“ sei. Gesetze und bewaffnete Wildhüter sollen garantieren, daß dem immer so sein wird. Der weiße, aber auch der schwarze Mensch ist in diesem zum „Game Reserve“ deklarierten herben Garten Eden beidseitig des Mara- und Talek River gemäß Regierungsdekret jetzt nur noch geduldeter Gast. Das ist gut so, sagen Wildparkgründer und Ökosentimentalisten. Das ist schlecht, sagen die Masai und 9
Die beiden Nationalparks Tsavo Ost und Tsavo West, von der Küste aus in nur wenigen Stunden erreichbar, gelten noch immer als Refugium von „Tembo“, wie der Elefant im Kisuaheli heißt. Herden von 500 bis 1000 Dickhäutern sind dort keine Selten-
heit. Präsident Daniel Arap Moi engagiert sich persönlich für den Schutz des kenianischen Elefantenbestandes, der insbesondere von somalischen und ugandischen Elfenbein-Wilderern bedroht ist.
wundern sich, warum die schwarzen Politiker in Nairobi ihnen ihr traditionelles Weideland nicht zurückgegeben haben. Statt dessen eilen nun (weiße) Touristen aus aller Welt herbei, um die Schönheit und den Tierreichtum zu bestaunen. An jenem Morgen im Oktober, zu Beginn der „kleinen Regenzeit“, als ich in meinem wohnzimmergroßen Zelt des luxuriösen Governor’s Camp durch ein an die Zeltwand gehauchtes „Coffee, Bwana?“ des „Boys“ aufwachte und kaffeeschlürfend die Schönheit des Landes gierig wie den Dunst der ersten Zigarette aufsog, an diesem Morgen vor meinem Zelt unter dem Baobab-Baum am Mara-Fluß war ich sehr egoistisch und ignorant. Und ich dachte weder an die landlosen Masai noch an Ismael Mbise und schon gar nicht daran, daß ich nach Dafürhalten vieler afrikanischer Gegenwartsliteraten als Tourist einer jener „Neuzeitkolonialisten“ bin, die khakihosenuniformiert auf Safari und „Game Drive“ in jene Savannenweiten Ostafrikas gehen, die man für die Tiere reserviert, zuvor aber den Afrikanern weggenommen hat. Nein, ich dachte gar nicht daran, mich inmitten des Garten Eden mit schwermütigen Gedanken zu beladen und das, was an Schönheit und Weite und Einmaligkeit ist, mit dunkler Imagination darüber zu vermiesen, was vielleicht bald sein wird. Nein, ich wollte weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft, einzig und alleine an die Gegenwart denken. Denn jedes Jahr im Oktober, und das wohl schon seit Jahrmillionen, gerät das paradiesische Masai Mara in Aufruhr. Und das ist für mich das Schönste, was es auf der ganzen Welt gibt. Als der deutsche TV-Zoologe Professor Grzimek in den fünfziger Jahren begann, die Tiere der tansanischen Serengeti zu zählen, ihre Wander- und Lebensbedingungen zu studieren und alsbald der tansanischen Regierung vorschlug, die Serengeti zu einem Nationalpark zu deklarieren, 12
kam er auf rund 350 000 Viecher, die da in dem auserkorenen Gebiet herumkreuchten und -fleuchten. „Die Serengeti darf nicht sterben“, hub er an, den Rest der Welt zu warnen, „weil die Serengeti das letzte Tierparadies auf Erden ist.“ Wie er so starrköpfig und tierverliebt mit kleinen Äffchen und Löwen auf dem Arm über die Mattscheibe in deutsche Wohnzimmer flimmerte, war der Erfolg seiner weltweiten Serengeti-Kampagne vorgegeben. Und es war gut gemeint, was er tat, aber nicht sehr weise, weil menschliche Rationalität sein Arche-Noah-Denken steuerte und er so arrogant war zu glauben, daß ein Zaun um das Paradies herum dasselbe auf immer und ewig konservieren könne. Die Zeit hat den Gegenbeweis angetreten. Aus den damals 350 000 Tieren – Gnus, Zebras, Antilopen, Büffel und Elefanten – sind unter dem Schutze der Menschen riesige Herden geworden. Schätzungsweise zweieinhalb Millionen Gras- und Bäumchenfresser drängen sich nun auf jenem Raum, der für weit weniger von ihnen gedacht und reserviert worden war. Es sind längst zu viele der schönen, wunderbaren Tiere, die da zweimal im Jahr den Regenfällen und dem frischen Gras folgen und über die Weiten hin und her ziehen, und dabei auch nach Kenia ins Masai Mara Game Reserve kommen. Und so, wie sie im Mai gekommen sind, so trotten sie Mitte/Ende Oktober wieder zurück nach Tansania. Wenn das geschieht, bewegt das sogar die Chefredakteure der kenianischen Tageszeitungen dazu, auf den Titelseiten darüber zu berichten, weil die „Migration“ auch für die kenianische Bevölkerung etwas Sensationelles und sehr Aufregendes und Wunderbares und mit nichts auf der Welt zu vergleichendes ist. Denn wo sonst auf Erden gibt es noch zweieinhalb Millionen Tiere auf engstem Raum? Verteilt über die sanft-hügeligen Ebenen der Serengeti und des Masai Mara ist allein
schon ihre Gegenwart ein grandioser Anblick. Man sieht das einmal in seinem Leben und hat es für immer wie eine Fata Morgana in einem besonders schönen Traum vor Augen. Aber dann, wenn sich die ersten Federwölkchen über dem Land zu luftigen Gebilden zusammenziehen; wenn die langen Nachmittagsschatten der Schirmakazien wie Wegweiser des anstehenden Wunders hin zum Horizont zeigen, wo sich Wölkchen in der Kühle des frühen Abends langsam zu monströsen Kumulushaufen aufbauen; wenn sich die Quellwolken in den Schattierungen des letzten Tages- und des ersten Abendlichtes zu Gebilden höher als die Rocky Mountains und sowieso viel größer als die Alpen am Ende der Weite türmen, dann beginnt die Luft unter dem Einfluß der zunehmenden Feuchtigkeit plötzlich greifbar zu werden. Alles wird viel intensiver, näher, plastischer und noch schöner: die Strohfarben der Savanne, das Grün der Galeriewälder entlang des Mara-Flußes, das Goldgelb der Löwenfelle – aber auch das Bernsteingelb in den Augen der Leoparden, die in den felsigen Hängen des Mau-Escarpments liegen und hinunter in die Ebenen starren, wo sich langsam, aber unaufhaltsam das anbahnt, was ihnen und den Löwen und den Geparden, aber auch den Hyänen, den Schakalen und den Geiern Wochen des Überflusses bescheren wird. Blitze huschen an diesen Abenden über das Land, und das dumpfe Grollen herannahender Gewitter lehrt Tiere wie Menschen das Fürchten. An diesem Oktobertag stand die Luft über dem Masai Mara, und es war sehr schwül und heiß, und selbst die Krokodile und Flußpferde mochten nicht ans Ufer kommen, weil es ihnen zu drückend war und sie spürten, daß es nun bald geschehen würde. Die über dem Land liegende Nervosität ließ die Löwen ständig mit dem Schwanz schlagen und den Himmel angrol13
len. Die Sonne versteckte sich hinter den Wolken, als fürchte sie sich, und die Morgenbrise hielt den Atem an. Nur zwei Marshall-Adler spielten Fang-mich in den Lüften und schossen schnell wie Pfeile von Wakamba-Jägern über die Hügel. Und weil sie das Spiel mochten und sich von den am Himmel zuckenden Blitzen zu noch waghalsigeren Sturzflügen hinreißen ließen, schrieen sie ihre Begeisterung in die Welt hinaus: Eeeiii-Eeeeii. Und das war der Beginn des Wunders. Unversehens erfüllten sich die Ebenen mit dem klagevollen Blöken unzähliger Gnus. Ein Windhauch huschte als Vorbote des Regens durch ihre weißen Barthaare und durch die Stoppelmähnen der Jungtiere. Regentropfen, so groß wie Elefantenaugen, plumpsten auf die Erde hernieder und wirbelten kleine Staubfontänen auf. Und dann bewegten sie sich auf einmal alle zusammen, die schwarzen und gelben und schwarz-weiß gestreiften, die alten und die jungen, die starken und die gebrechlichen Tiere. Und mit jedem Regentropfen mehr, der herniederschlug, wurden die Leittiere der Herden unruhiger und die Jungtiere ausgelassener und tolldreister. Gnufohlen begannen mit dem auffrischenden Wind Nachlaufen zu spielen und hüpften dabei mit allen Vieren in die Luft, weil sie dachten, die Zeit des Spielens sei nun angebrochen. Zebras drängten sich eng aneinander und äugten beunruhigt hinaus in die Savanne, um dann plötzlich und ohne wirklichen Grund in wilder Galoppade loszurasen, zu Abertausenden und staubaufwirbelnd und panisch und dann wieder ganz ruhig dastehend. Staub lag wie Nebel über dem Land, und über dem Nebel schien die Sonne, und darüber ballte sich ein Unwetter zusammen. Ein Donnerschlag hallte über die Weite, und ein Kugelblitz gab das Zeichen: Erst rasten die Zebras in todesgehetzter Stampede los, dann die Gazellen und dann die Gnus, bis alle wild durcheinander, neben- und hintereinander, manch-
In der großen Trockenzeit (November bis März) sind die Wasserstellen ideale Punkte, um, wie hier im TsavoNationalpark, Tiere ungestört zu beobachten. Nach einer genau festgelegten Reihenfolge und begleitet
von Kommentkämpfen unter den Tieren finden sich im Laufe des Tages selbst Löwen, Leoparden und andere seltene Tiere an den Wasserstellen ein. Löwen jagen dort besonders gern,
mal auch übereinander im hufetrommelnden Chaos wie eine vom Sturm vorwärtsgepeitschte Woge aus Leibern jenseits des Mara-Flußes zum Stillstand kamen. Die Erde bebt unter den Millionen Hufen. Die Tiere pressen sich dicht aneinander, recken ihre Schädel zum Himmel, um nicht zu ersticken. Die Sonne steht im Zenit und triumphiert über die Gewitterwolken. Noch mehr Gnus und Zebras rasen und tippeln aus den Ebenen und Hügeln heran. Und sie drängen und schubsen und beißen sich vorwärts, weil vor ihnen das Wasser ist und um sie herum nur Staub und Hitze. Die Leittiere brüllen und blöken und warnen. Aber die Fleischmassen hinter ihnen ignorieren die Warnung, weil sie das nahe Wasser riechen und von einem unbändigen Instinkt nach vorne, hin zu den im Süden liegenden grünen Hügeln der Serengeti gezwungen werden, und weil sie von hinten nicht sehen können, wie sich unten in den Fluten des Mara-Flusses die Krokodile mit weit aufgerissenen Mäulern neben- und übereinanderdrängen in Erwartung dessen, was jedes Jahr geschieht und in diesem wie auch in tausend Jahren noch geschehen wird. Der erste Leitbulle springt, nein, er wird von den vorwärtsrempelnden Herden zum Sprung gezwungen. Es ist ein Sprung in den Tod. Acht Meter tief hinab in die Fluten stürzt sein grau-schwarzer Leib. Wasser peitscht auf, und der Fluß brodelt, und Krokodile stürzen sich auf den Gnu-Bullen, der überhaupt nicht blökt, als ihn die fingerlangen Reißzähne in den Flanken und an den Läufen packen und an ihm herumzerren und den noch Lebenden ein bißchen auffressen. Als er untergeht, hat er schöne, große, tiefbraune Augen. Dann springen und stürzen die anderen Tiere von der Steilböschung hernieder. Erst hundert über- und nebeneinander, und dann noch Tausende obendrauf. Und dazwischen ein Zebra, das sich wunderbar klar und deutlich gegen das blutgetränkte Wasser ab16
hebt, und das sehr, sehr schön ist und große, weite und gutmütige Augen hat, aber trotzdem von den Krokodilen in Stücke gerissen wird. Und dann stürzen die anderen zu Hunderttausenden in die Fluten, auf die Toten und Halbtoten und Schreienden und panisch Strampelnden obendrauf. Und noch mehr schwarze und gelbe und gestreifte Leiber drängen sich hin zu dem Fluß. Aber die Krokodile sind zu vollgefressen und zu dick und behäbig, um nach ihnen schnappen zu wollen. Und dann ist es plötzlich sehr, sehr ruhig. Das Wasser des Mara ist wieder gelb. Nur an den sandigen Ufern bleiben Blutspuren des Dramas zurück. Aber am anderen Ufer, jenseits der ersten Todesschwelle, warten längst die anderen Tode: Löwen, Geparden, Hyänen, Schakale und Geier. Und besonders viele Marabus, die mit ihrem schwarz-weißen Gefieder, den Pelikanschnäbeln und den blutunterlaufenen Augen wie Totengräber umherstaksen und dabei sehr zufrieden aussehen. Die gefiederten Fleischfresser, die häßlichsten unter allen, die da warten, sind die Fairsten. Denn sie fressen nur, was wirklich schon tot ist. Dann ist die Dunkelheit über dem Land: ohne großes Gehabe und mit einer wunderschönen, aber viel zu kurzen Dämmerung, wie das immer ist unter dem Äquator. Aber dafür mit einer riesigen, roten, ganz reinen Sonne. Der Staub der in endlosen Schlangen hintereinander südwärts ziehenden Herden hat sich gelegt, so daß man ganz klar und wieder so unglaublich nahe sehen kann, wie das Kreuz des Südens am Horizont kräftiger und funkelnder und schöner denn je wird. Ich sitze vor dem Zelt unter dem Baobab am Ufer des Mara-Flußes und vergesse das Denken und trinke einen Whisky zuviel, und dann noch einen: Flick-Flack der Gefühle; Salto mortale der Gedanken – Traum-Kenia.
Ein herber Garten Eden
S
o ist das mit den Paradiesen, den irdischen: Erst das Schöne akzentuiert das Häßliche, und nur wo Reichtum dominiert, wird die Armut unübersehbar, wie auch Überfluß erst dort anrüchig wird, wo das Elend bereits menschenunwürdige Dimensionen angenommen hat. Hätte sich Kenia nicht im Laufe der letzten 20 Jahre kontinuierlich zu einem touristischen Fernziel par excellence im Afrika südlich der Sahara entwikkelt, würde nicht das Schöne-heile-WeltImage der Reisekataloge das Denken der Europäer prägen und gelte das Land im Abendschatten des Mount Kenya nicht als eines der demokratischsten und wirtschaftlich wie politisch stabilsten des Kontinents, das Augenmerk der Weltöffentlichkeit würde sich wohl weniger intensiv auf die Geschehnisse in Kenia richten. Unansehnliches, problembeladenes, halbtotes und hoffnungsloses Afrika, davon gibt es bereits zuviel. Armut und grenzenloses Elend sind auf dem schwarzen Kontinent mehr denn je das Maß aller Dinge. Kenia gilt da, so und so, als eine rühmliche Ausnahme. Ist in Europa von diesem ostafrikanischen Land die Rede, schwingt sofort viel Euphorie mit. Die relativ günstige wirtschaftliche Situation Kenias hat mittlerweile gar eine respektable Konsumgesellschaft hervorgebracht. Von elementarer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die derzeit etwa 800 000 Touristen, deren Devisen Kenias Ökonomie ganz erheblich stimulieren. Mit zwölf Prozent ist der Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungsgewerbe (Hotels etc.) größer als der der Beschäftigten in der Industrie (sieben Prozent). Die wirtschaftlichen Impulse, die vom Tourismus ausgehen, sind so breit gestreut, daß sie sich statistisch nicht genau erheben lassen. Das Heer der allgegenwärtigen Souvenirverkäufer – Gewerbebetriebe, die keine Steuern zahlen – ist symptomatisch dafür, 17
wie der Tourismus die Einkommenssituation unzähliger Kenianer positiv verändert hat. Touristik-Dollars haben, so gesehen, starken Einfluß auf die wirtschaftliche und damit innenpolitische Stabilität des Landes. Und wirklich stabile Länder sind in Afrika rar. Wo immer auf dieser Welt ein Paradies bedroht scheint, sind flugs auch Männer und Experten aus Europa zur Stelle. Gute Ratschläge, wie das Natur-, Tier- und Touristenparadies Kenia in seinem jetzigen Zustand erhalten werden könne, gaben sie schon vor 20 Jahren zur Genüge. Nur: Einstmals so optimistische Prognosen von dem immerwährenden Bestand des gigantischen Freiluftzoos Ostafrika wandeln sich vermehrt in einen geradezu furchterregenden Pessimismus. So mancher hat nämlich erkannt, daß in Europa ersonnene Denkmodelle zur Konservierung des (Touristen-)Paradieses Kenia an den afrikanischen Realitäten vorbeigehen. Auch über dem Garten Eden Ostafrikas ziehen mittlerweile Problem-Wolken herauf. Mit einer jährlichen Bevölkerungswachstumsrate von 4,1 Prozent steht Kenia auf dem afrikanischen Kontinent an einsamer Spitze. Das ist fraglos nicht zuletzt eine Folge der Gesundheitspolitik, einer relativ stabilen Wirtschaft und indirekt auch eine Folge der kenianischen Bildungspolitik. Bildung ist die Grundlage jeglicher Entwicklung. An diese These hält man sich in Nairobi und steckt Milliarden Shillingi in das Schulpflichtprogramm. All das geschieht mit dem Wunsche, dem kenianischen Volk möge es in Zukunft, dank Bildung, besser gehen. Wirklich schlecht geht es den 23 Millionen im Vergleich zu vielen anderen afrikanischen Staaten nicht. Das läßt sich mit Zahlen belegen: Innerhalb der letzten zehn Jahre stieg die statistische Lebenserwartung von 43 auf jetzt 54 Jahre. Die Säuglingssterblichkeitsrate ging im gleichen Zeitraum von 27 auf nunmehr 9,1 Prozent
Millionen rosarote Flamingos bedecken den Naivasha- und Nakurusee im Zentralen Hochland Kenias. Die Seen entstanden nach gewaltigen Vulkaneruptionen und sind stark
sodahaltig. Durch die Ansiedlung von Nashörnern und seltenen Vogelarten sind beide Naturschutzgebiete zu beliebten Ausflugszielen geworden.
zurück. Und daß es in Kenia in den vergangenen 20 Jahren keine der für andere afrikanische Staaten so symptomatischen Hungersnöte gab, ist ein Fakt, der keiner zahlenmäßigen Untermauerung bedarf. „Harambee – packen wir’s gemeinsam an“, pflegt der „Mzee“, Präsident Daniel Arap Moi, bei Massenkundgebungen dem lauschenden Volke zuzurufen. Das Volk antwortet dann im Chor „Nyayo“ (Friede, Einheit). Mzee, eine Ehrenbezeichnung aus dem Kisuaheli, bedeutet übrigens „weiser Mann“. Bei drei Großveranstaltungen ruft Moi das besonders gern und oft dem harrenden Wananchi (Volk) zu: am 1. Mai, dem Tag der Arbeit; am 20. Oktober, dem früheren Kenyatta- und heutigen Moi-Day; und zum Jahrestag der Unabhängigkeit (Jamhuri-Day), am 12. Dezember. Unter Zugrundelegung der jetzigen Bevölkerungswachstumsrate von 4,1 Prozent wird sich das 23-Millionen-Volk bis zum Jahre 2000 auf etwa 45 Millionen nahezu verdoppeln. 81 Prozent aller Beschäftigten Kenias sind im Agrarbereich tätig. Aber nur knapp zehn Prozent der Landesfläche sind landwirtschaftlich wirklich intensiv nutzbar. Das ist zu wenig für ein Volk, das sich im wahrsten Sinne des Wortes vom Felde in den Mund ernährt. Nairobi, die von Hochhäusern, Prachtavenues und anheimelnden Parkanlagen geprägte kenianische Metropole, wird mehr und mehr von landflüchtigen, landlosen Kenianern überflutet. Auf 1,5 Millionen Einwohner wird die kosmopolitisch infizierte Stadt mittlerweile geschätzt. Mathare Valley, nur zehn Minuten vom noblen Zentrum entfernt, gilt gar als der größte Slum ganz Afrikas. Die Zahl der dort in unvorstellbarem Elend von rosigen Zeiten träumenden Menschen wird mit 400 000 angegeben. „Kwa Kila Mtoto Miti Moja – für jedes Kind einen Baum“, lautet eine von der Regierung ersonnene Zauberformel. Sie macht transparent, wo die eigentlichen 20
Probleme dieses Landes liegen: in der Überbevölkerung und dem Waldsterben. 1930, als die Briten noch das Sagen am Mount Kenya hatten, waren 30 Prozent des Landes mit tiefen Wäldern bedeckt. Heute sind nur noch schnöde drei Prozent davon übrig, 25 Prozent der 582 646 Quadratkilometer aber bereits (semi-)arid, als Halbwüste mit minimalen Niederschlägen allerhöchstens noch von existentialistischen Nomaden wirtschaftlich nutzbar. Kenia verdorrt, wird zur Wüste. Und zwar rasend schnell! 85 Prozent des kenianischen Energiebedarfs werden mit Holz gedeckt. Unter den Kochtöpfen der traditionellen Drei-SteineFeuer wird langsam, aber kontinuierlich das vernichtet, was die Lebensbasis der Menschen ist: Bäume. Schon 1985 wurden statistisch 5,4 Millionen Tonnen mehr Holz verbraucht, als dies ökologisch vertretbar war. Mit dem Harambee-Slogan „für jedes Kind einen Baum“ wäre der ökologische Teufelskreis tatsächlich zu durchbrechen. Immerhin sind 52 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre. Die Mtoto (Kinder-) Bäumchenpflanzenformel würde dem Land theoretisch also jährlich 12 Millionen Bäumchen bescheren. Solche Ansätze zur Wiederaufforstung des Landes gibt es beeindruckend viele in Kenia. Da ist beispielsweise die 48jährige Wangari Maathai. Die Professorin der Biologie und Mutter von drei Kindern hat schon 1977 auf die sich abzeichnende Umwelt- und Ernährungskrise hingewiesen und eine landesweite Kampagne initiiert. „Green Belt Movement – Grüngürtelbewegung“ nannte sie ihren Beitrag zum Durchbrechen des ökologischen Teufelskreises. Sie richtet sich dabei gezielt an jene Bevölkerungsgruppe, die maßgeblich für das Verschwinden der einst so schönen Wälder Kenias verantwortlich zeichnet: die Frauen. Traditionell sind sie es, die für die Beschaffung des Feuerholzes zuständig sind. Ob zum Wärmen regenzeitensteifer Glieder oder
zum Kochen, das Holzproblem Kenias wird im wahrsten Sinne des Wortes auf den Rücken und Köpfen der Frauen ausgetragen. Sie hacken hier ein Sträuchlein ab und fällen dort einen Baum. In stundenlangen Fußmärschen schleppen sie dann das immer rarer werdende Holz hukkepack oder auf dem Kopfe balancierend zur Hütte. Unter der Direktive von Wangari Maathai, optimiert durch die Harambee-Aktivierung von insgesamt 6000 kenianischen Frauenorganisationen und professionalisiert von staatlichen Ökologen und Forstwirtschaftsexperten, haben Kenias Frauen bereits drei Millionen Bäume gepflanzt. Agro-Forestry nennt sich ihre Variante der Wiederaufforstung: Sie pflanzen entlang der Wege zu, vor und hinter ihren Hütten Setzlinge, die ihnen die Regierung kostenlos zur Verfügung stellt. Regelmäßig bewässert und vor den allesfressenden Ziegen mit Dornenzäunen beschützt, spenden bereits viele dieser Green-Belt-Bäumchen Schatten, in dem Gemüsegärten angelegt werden. Der damit geschaffene ökologische Kreislauf ist ebenso banal wie wirksam: Die Bäume spenden Schatten, speichern mit ihrem Wurzelwerk Wasser und verhindern die Bodenerosion. Gleichzeitig sorgt das abfallende Blattwerk für Humus und Nährstoffe im Gemüsegarten. Damit verwandelt sich so manch eine Shamba (Hof) durch das Pflanzen einiger weniger Bäume in ein schattiges Kleinparadies. Und Feuerholz ist irgendwann auch wieder verfügbar. Im Jahre 1896 begannen die Briten mit dem Bau der Eisenbahn von Mombasa nach Port Florence (damals Uganda). Von dem weitsichtigen Henry Labouchere schon vor Baubeginn als eine „Lunatic line – Linie der Wahnsinnigen“ bezeichnet, verschlang die 582 Meilen lange Bahnlinie die damals horrende Summe von 5,5 Millionen Pfund. „Der Handel folgt der (britischen) Fahne“, hatte man in London 21
spekuliert und damit eine der größten Fehlinvestitionen der englischen Kolonialbehörden eingeleitet. Bei Meile 327 der „Eisernen Schlange“, wie die Linie bei den Masai hieß, ließ der Bauleiter, Sir George Whitehouse, im Jahre 1897 nahe eines Flußes ein Baulager errichten. Aus dem von den Masai „Enairobe“ (Ort des kühlen Wassers) genannten Zeltcamp entwickelte sich zwischen 1903 und 1908 mit dem Zustrom einiger hundert weißer Siedler die jetzige Hauptstadt Kenias, Nairobi. Da aber zwischen Nairobi und der Küstenstadt Mombasa etwa 600 Kilometer sehr hügeliges Buschland liegen, mochte sich anfänglich kein Siedler niederlassen. Für die Heizer der urigen Dampflokomotiven (jetzt im Railway Museum in Nairobi zu bewundern) tat sich alsbald ein gewaltiges Problem auf. Allzu schnell waren die wenigen stattlichen Bäume entlang des Schienenstranges abgeholzt und im Heizkessel der Loks verglüht. Die Briten, einfallsreich und kolonial-kosrnopolitisch denkend, ersannen eine grandiose Lösung des Holzproblems. Sie orderten aus ihrer Kolonie Australien einige hunderttausend Eukalyptus-Setzlinge. Im Gegensatz zu den meisten afrikanischen Bäumen, die, klimatisch bedingt, nur sehr langsam wachsen, sprießt der Eukalyptusbaum binnen fünf Jahren auf eine Höhe von gut 15 Metern und liefert hervorragendes Brennund Bauholz. Nicht nur entlang der Bahnlinie, sondern überall in Ostafrika, wo sich britische Siedler fortan niederließen, wuchsen nun diese australischen Bäumchen. Das sah üppig und idyllisch aus. Erst jetzt aber haben deutsche Förster entdeckt, daß der Eukalyptusbaum faktisch ein ökologisches Eigentor ist. Das herabfallende Laub bewirkt auf dem Boden eine chemische Reaktion, die dazu führt, daß unter diesen Bäumen weder Gras noch Sträucher wachsen, mithin die Verwüstung des Landes quasi forciert wird. Dennoch: Vornehmlich ausländische Exper-
Im Abendsonnenlicht sehen sie ganz friedlich aus, die Strauße. Doch Vorsicht: Mit einem einzigen Tritt können sie dank ihrer stark bemuskelten Beine einen Menschen
zur Strecke bringen. In der christliehen Mythologie gelten die Vögel als Heuchler und Simulanten, weil sie mit den Flügeln schlagen, ohne sich in die Lüfte erheben zu können.
ten – Ökologen, Biologen und Förster – sind es, die dem kenianischen Försternachwuchs Fähigkeiten und Fachkenntnisse angedeihen lassen, die schon bald Ergebnisse zeigen sollen. 6000 kenianische Jungförster sollen bis zum Jahre 2000 ausgebildet sein. Einerseits ist es deren Aufgabe, die noch verbliebenen staatseigenen Waldbestände zu sichern, andererseits sind sie aber auch die Träger der landesweiten Aufforstungskampagne. Das aber ist weniger mit dem Pflanzen von Setzlingen und mit der Anlage von Baumschulen getan als vielmehr mit einer höchst intensiven Beratung der Bevölkerung. Denn Green Belt Movement avanciert überall dort zur Farce, wo die Not der Menschen eigene Mechanismen diktiert. Man muß einmal in einer regendurchnäßten Hütte geschlafen haben, um zu verstehen, daß kein Kenianer Skrupel hat, sich nächtens in einen unter staatlichem Schutz stehenden Wald zu schleichen, um dort trotz Androhung hoher Strafen Bäumchen für’s wärmende Feuer in der Hütte zu fällen. Dort werden dann auch jene jungen Bäume abgeholzt, an deren Wurzeln die Zukunft Kenias haftet. Ein anderes Beispiel: Kein Masai- oder Samburu-Nomade denkt an Green Belt Movement oder gar an das Jahr 2000, wenn nach jahrelangen Dürren die Rinder oder Ziegen zu verhungern drohen und er die Tiere deswegen in eine frisch angelegte Baumschule treibt. Individuelles, überlebensorientiertes Denken kollidiert mit staatlichen Absichtserklärungen und Programmen – die das Überleben der ganzen Nation gewährleisten sollen. „Es gibt keine Samburu, Kikuyu, Luo oder Masai – es gibt nur noch Kenianer“, beliebt der in einer englischen Missionsschule ausgebildete jetzige Staatspräsident sehr oft zu sagen. Daß Moi wirklich ein Mzee, ein weiser Mann ist, hat er schon sehr oft bewiesen. Mit seiner dem stammesorientierten Denken abschwörenden These, daß es nur noch „Kenianer“ gebe, zeigt 24
er erneut, wie sehr er von einem erfreulich modernen Zeitgeist beflügelt ist. Doch Moderne hin, afrikanische Realität her: So weit wie der Mzee selbst ist sein 23-Millionen-Volk längst noch nicht. Verwunderlich ist das nicht. Seit Jomo Kenyatta zum ersten kenianischen Präsidenten nach der Unabhängigkeit gekrönt wurde, sind erst 26 Jahre vergangen. Eine viel zu kurze Epoche, um im traditionslastigen Afrika elementare Umdenkungsprozesse durchzusetzen. Mit ebensoviel Charisma wie Weitsicht, Besonnenheit und diplomatischem Einfühlungsvermögen beeinflußte Mzee Kenyatta maßgeblich Kenias Entwicklung hin zu einem auffällig stabilen Staat. Daß er anfänglich mit einer Engländerin verheiratet war und nicht nur deswegen zu dem ihm apostrophierten volksnahen Denken einen ganz gehörigen Schuß erstweltlerischen Gedankengutes in seine Politik einfließen ließ, hat entscheidend die Grundstrukturen des heutigen Kenia geprägt. Er war es, der die Nyayo-Direktive unters breite Volk brachte und damit eine fern jeglichem Stammesdenken angesiedelte Politik der Einheit vorantrieb. Und trotzdem: Der Mzee Kenyatta war ein Mann vom Stamm der Kikuyu, der mit 24 Prozent der Bevölkerung stärksten ethnischen Gruppe Kenias. Und er wäre ein schlechter und wohl auch inakzeptabler Repräsentant seines Stammes gewesen, hätte er dem Kikuyu-Volk im Laufe seiner Regentschaft nicht erhebliche wirtschaftliche und damit politische Vorteile angedeihen lassen. Daß er dennoch erkannt hatte, daß die Zukunft Kenias, mithin ganz Afrikas, in einer Abkehr vom Stammesdenken liegt, zeigte sich, als er Daniel Arap Moi (den jetzigen Präsidenten) zu seinem Vize ernannte. Moi ist nämlich ein Mann vom Stamm der Kalinjin – eine der kleinsten und vordem politisch völlig unbedeutenden Ethnien des Landes. Diese von Kenyatta ersonnene kenianische Variante
So weit der – nur von sieben Wirbeln gestützte – Hals der Giraffe reicht, ist der Baum abgefressen. Dieses Tier gehört zur Unterart der Stern- oder Masai-Giraffen, die in Kenias Savannen am häufigsten zu finden
sind. Man erkennt sie an der Zeichnung mit unregelmäßig sternförmigen, weit auseinander stehenden dunklen Flecken und an den etwa zwölf bis vierzehn Zentimeter langen Stirnzapfen.
Im Nationalpark Tsavo West, nahe der Kilaguni Lodge. Hier finden Safari-Touristen nicht nur komfortable Unterkünfte, sondern auch eine abwechslungsreiche Umgebung mit
gleichmäßigen, dichtbewachsenen Vulkankegeln und zerklüfteten jungen Lavazungen – und Elefanten direkt vor der Haustür.
Zahllose Legenden berichten von Abenteuern mit den berühmten Tsavo-Elefanten. Sie erhalten ihre rote Färbung von der Lateriterde, die sie nach dem, oft gemeinsamen, Bad über ihren Körper stäuben.
„Hippo“ werden die Flußpferde in Abkürzung ihrer lateinischen Bezeichnung (Hippopotamidae) in Kenia genannt. Die Landsäuger, die sonst allerdings meist nur die Nächte –
zur Nahrungsaufnahme – außerhalb des Wassers verbringen, sind besonders in der Zeit, wenn sie Nachwuchs haben, beängstigend angriffslustig.
Nashörner sind in den Nationalparks und Reservaten selten geworden. Ihr Nasenaufsatz, miteinander verklebte, stäbchenförmige, haarähnliche Hornsubstanzen, wird vor allem im Jemen zu Dolchgriffen verarbeitet und in verschiedenen ostasiatischen Staaten – pulverfein gemahlen – Medikamenten zugesetzt. Das in Kenia beheimatete Spitzmaulnashorn hat gleich zwei dieser Nasenhörner aufzuweisen und ist daher von Wilderern besonders bedroht. Innerhalb weniger Jahre wurde der Bestand von 20 000 auf knapp 400 reduziert.
Das Masai-Mara-Reservat zählt zu den landschaftlich beeindruckendsten und zudem tierreichsten Kenias. Insbesondere zur Migration (TierWanderung), wenn bis zu zweieinhalb Millionen Gnus, Zebras, Antilopen
und Gazellen zwischen der tansanischen Serengeti und dem Masai Mara hin- und herziehen, zeigt sich die atemberaubende Schönheit Kenias auf wunderbarste Weise.
Ein teures (250 Dollar) und versnobtes Vergnügen, aber fraglos ein einmaliges Erlebnis, ist eine Ballon-Safari im Masai-Mara-Reservat. Der Flug über die Savannen dauert etwa eine Stunde. Nach der Landung gibt es inmitten der Wildnis, beäugt von Elefanten und Löwen, ein Champagner-Frühstück. Die Gazellen halten sich eher abseits. 400 000 dieser scheuen Tiere leben in dem Reservat.
Kraniche – Sinnbilder der Treue und des ewig währenden Glücks. Auch dieses Paar wird wohl in lebenslanger Einehe zusammenbleiben, sofern der Mensch es nicht stört. Die in Afrika in verschiedenen Unterarten weit
verbreiteten Kronenkraniche sind besonders gefährdet. Ihre Krone aus steifen Federn und der rot-weiße Kopf- und Kehlschmuck verlocken dazu, sie einzufangen und als Ziertiere zu halten.
Wenn „Simba“, der uneingeschränkte Herr der kenianischen Wildnis, dumpf brüllt, hat das manchmal eine ganz banale Ursache. Wohl kaum ein Besucher Kenias kann sich der wild-gewaltigen Faszination dieser
prächtigen Mähnenlöwen entziehen. In Tierschutzgebieten wie dem Masai Mara kann man nicht selten an einem Tag vierzig oder fünfzig dieser herrlichen Raubtiere beobachten.
Wer einen Löwen bei der Jagd beobachten will, muß mit Sonnenaufgang aufstehen. Grundsätzlich jagen stets nur die weiblichen Tiere. Während die „Männer“ sich so positionieren, daß das Opfer ihre Witterung aufnimmt und sich auf sie konzentriert, schleichen sich die Löwinnen von hinten heran.
Die mit Worten kaum zu beschreibende Weite Kenias verwirrt die Sinne des in extremer räumlicher Enge lebenden Europäers immer wieder. Freiheit wird inmitten dieser Weiten von einem abstrakten Begriff zu einer
Realität, von der ein europäischer Literat einst schrieb, „daß man davon süchtig werden kann“. Insbesondere in den Regenzeiten, wenn sich gewaltige Wolkenformationen über das unendliche Land legen, schaffen
die letzten Sonnenstrahlen des Tages überwältigende Abendstimmungen, die – nach alt-britischer und noch immer gepflegter Manier – nach einem eisgekühlten „sun-downer“ verlangen.
Auch er gehört zur Gesundheitspolizei der ostafrikanischen Steppe: der Ohrengeier, an seinen nackten Hautfalten beiderseits des Kopfes deutlich von seinen Artgenossen zu unterscheiden.
Der Gepard, die schnellste unter den Raubkatzen. Seine „Höchstgeschwindigkeit“ von über hundert Stundenkilometern kann er jedoch nur höchstens 500 Meter durchhalten.
Blick vom Amboseli-Nationalpark über die Grenze nach Tansania, auf den Kilimandscharo, mit seinen 5895 Metern der höchste Berg Afrikas. Die Erstbesteigung durch Hans Meyer und L. Purtscheller erfolgte 1889.
Heute braucht man eine gute Kondition, einen Führer – und fünf Tage Zeit, um den höchsten Gipfel, den vergletscherten Kibo, zu erklimmen.
der Balance of Power hat zwar die anderen großen Ethnien des Landes, die Luo (13 Prozent), Luhya (15 Prozent) und Kamba (11 Prozent) mächtig vor den Kopf gestoßen, faktisch aber den Stammesfrieden innerhalb des neuen, unabhängigen Kenia gesichert. Mit gleicher Schlitzohrigkeit und ebenso Nyayo-beseelt, ernannte der jetzige Präsident Moi im Mai 1989 einen Vize, der geradezu ein Paradebeispiel kenianischer Waagschalenpolitik ist: Professor George Saitoti – ein Masai! – also Angehöriger einer ethnischen Minderheit, die, wie alle Nomaden Kenias, bei den übrigen ackerbauenden Völkern des Landes nie sonderlich wohlgelitten waren. Ackerbau contra viehzüchtende Eigenbrötler, das ist ein afrikanischer Urzwist, der auch in Kenia schon manch blutige Auseinandersetzung ausgelöst hat. Wie clever diese Vize-Ernennung war, wird insbesondere dann deutlich, wenn man weiß, daß Professor Saitoti ein hochintelligenter Wirtschaftsexperte – aber auch ein Halb-Kikuyu – ist. Seine Mutter war Masai, sein Vater ein Kikuyu. Womit nunmehr gewährleistet ist, daß sowohl dem Nyayo-Anspruch der Masai als ethnische Minderheit, als auch der Kikuyu als Stammes-Majorität mit traditionellem Macht- und Regierungsanspruch Rechnung getragen wird. Im Ausland weiß man solche weisen Entscheidungen Daniel Arap Mois zu würdigen, weil damit der Demokratisierungsprozeß in Kenia gefördert wird. Kenia ist seit der Unabhängigkeit ein Einparteienstaat. Die KANU (Kenya African National Union), aus dem Unabhängigkeitskampf gegen die Briten erwachsen, lenkt – mit Moi als Vorsitzendem – die Geschicke des Landes. Oppositionelle Gruppierungen werden mit nicht immer demokratisch anmutenden Mitteln zur Staatsräson gebracht. Das gilt insbesondere für die in jüngster Zeit viel zitierte „Untergrundorganisation“ Kwakenya. Diese 41
Allmacht der einen (Staats-)Partei, so hallt Kritik von Europa nach Kenia, ist so gar nicht mit dem verfassungsmäßig verankerten Demokratieanspruch in Einklang zu bringen. Das freilich ist eine höchst fragwürdige und von einem deutlichen NordSüd-Gefälle geprägte Betrachtungsweise der ausländischen Superlativ-Denker in Sachen Demokratie. Die kenianische Realität sieht aber anders aus: Würde nämlich das Vielparteiensystem in Kenia eingeführt, das Land würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit binnen kürzester Zeit im Chaos versinken. Nicht Parteienprogramme oder die fachliche Kompetenz einzelner Politiker wären für die Masse der kenianischen Bevölkerung das wichtigste Wahlkriterium, sondern die Stammeszugehörigkeit. Die propagierte Nyayo-Politik, die Einheit aller Völker des Landes, auch Daniel Arap Moi weiß das, ist denn auch längst noch nicht dazu angetan, das traditionelle, über Jahrhunderte gewachsene Stammesdenken der Bevölkerung zu verdrängen. Nach nur 25 Jahren der Unabhängigkeit ist das wohl auch kaum möglich. Daniel Arap Moi ist ebenso unbeirrbar, was das Einparteiensystem angeht. Er weiß sehr wohl, daß viele afrikanische Staaten im Bürgerkrieg versanken, als sie europäische Demokratie- und Vielparteiensysteme einführten. Als Präsident, Parteivorsitzender der KANU und Oberbefehlshaber der Armee hat er ausreichende politische Instrumentarien zur Verfügung, um gegebenenfalls auch „diktatorisch“ das Wohl der Nation nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Und wenn es um eben dieses Wohl geht, greift er auch schon mal höchstpersönlich in nationale Angelegenheiten ein, die originär in den Zuständigkeitsbereich seiner Fachminister fallen. Wenn der Mzee Moi dann spricht, schweigen das Volk und die Minister. Sein Wort gilt als Gesetz – „by Presidential Order ...“
Zäune um die große Freiheit
I
m April 1989 reiste Präsident Daniel Arap Moi gen Nakuru, ein als Nationalpark deklarierter Natron-See, auf dem sich Millionen rosarote Flamingos tummeln. Daß sich der Mzee seit geraumer Zeit intensiv mit dem Naturschutz in Kenia befaßt, ist auffällig. Außergewöhnlich war an diesem Tag in Nakuru, was er zu sagen hatte: „Wir werden in Zukunft wohl nicht umhin kommen, die kenianischen Nationalparks und Wildschutzgebiete einzuzäunen ...“ Damit hat Moi faktisch das eingeläutet, was einige Tierschützer und Naturliebhaber – nicht nur in Kenia – seit geraumer Zeit befürchten, andere Naturschützer aber seit Jahren erhoffen. Die einen fordern, die kenianischen Nationalparks müßten vor den Menschen beschützt werden. Andere wiederum fordern, die Menschen müßten vor den Nationalparks geschützt werden. Wie auch immer. Bei Presidential Order gilt nun: Kenias Garten Eden wird eingezäunt. Würden nicht jährlich rund 800 000 Touristen nach Kenia kommen (das Ziel der Regierung liegt bei einer Million), der Natur- und Umweltschutz hätte sicherlich einen weitaus geringeren Stellenwert. Wo immer in Afrika wirtschaftliche Nöte drükken, avanciert jegliche ökologische Sensibilität zum Hemmschuh auf dem Wege hin zu einer möglichst schnellen wirtschaftlichen Entwicklung. Mensch geht vor Tier, mag manch ein afrikanischer Politiker denken, ohne das freilich so kraß verlauten zu lassen, geriete er mit solchen Thesen doch ins Kreuzfeuer internationaler Umweltschutzorganisationen. Und deren Einfluß auf europäische Politiker ist nicht zu unterschätzen. So manch ein Entwicklungsprojekt, das, unter rein ökonomischen Aspekten betrachtet, verheißungsvolle Ansätze verspricht, wird neuerdings abgeschmettert, weil erhebliche ökologische Bedenken bestehen. Ökologie contra Sachzwänge: In Kenia ist das zu 42
einem heiß diskutierten Politikum geworden. „Sanfter Tourismus“, als Fachterminus längst auf allen europäischen Touristikbörsen gängig, wird in Kenia bereits seit mehr als 20 Jahren praktiziert. Entlang der 480 Kilometer langen Küste mit ihren herrlichen, weißen und palmengesäumten Sandstränden gibt es keine häßlichen Betongettos, wie sie an der italienischen Adria oder der spanischen Costa Brava binnen weniger Jahre hochgezogen wurden. Fast alle Hotels zeichnen sich durch eine sehr einfühlsame, den landschaftlichen Gegebenheiten angepaßte Architektur aus. Traditionelle Makuti(Reet-)dächer dominieren. Das ist optisch weitaus ansehnlicher und assoziiert zudem anheimelndes „African-Village-Ambiente“. Unter einem Makutidach ist es außerdem stets angenehm kühl. Fährt man mit einem alten arabischen Dhau-Segelboot entlang der Küste, fällt es schwer, die geduckt gebauten Hotelanlagen inmitten der Palmenhaine auszumachen. Auf daß nicht ausländische Touristik-Multis solchermaßen anerkennenswerte Ökologie-Ambitionen mit verlockenden Profiten und mittels Korruption unterwandern und doch noch häßliche Touristenburgen in die herrliche Küstenlandschaft betonieren, hat der Präsident höchstpersönlich gesetzgeberisch vorgebeugt: Ausländern ist der Besitz von Grundstücken unmittelbar am Strand verwehrt. Ausnahmen kann nur Moi selbst zulassen. An der Küste sind die Bestrebungen der kenianischen Regierung um eben jenen „sanften Tourismus“ tatsächlich in vielerlei Hinsicht sicht- und spürbar. Seit zum Beispiel der Verkauf und Export von Korallen, Muscheln und Tierfellen gesetzlich untersagt oder reguliert ist und Reiseleiter wie allerorts aufgehängte Plakate diese Gesetze den Besuchern zur Kenntnis bringen, hat unter anderem die Ausbeutung der kenianischen Küstengewässer beachtlich nachgelassen. „Up Country“, im Landesinnern,
allerdings gärt der Öko-Konflikt. Des Präsidenten Ankündigung, die Nationalparks würden nunmehr eingezäunt, hat weltweit Schlagzeilen gemacht. Denn Zäune passen so gar nicht zu den Vorstellungen der Menschen in Übersee von der unendlichen Freiheit (in) der ostafrikanischen Wildnis. Ausgehend von der derzeitigen Bevölkerungswachstumsrate, bei gleichzeitig zunehmender Verwüstung und der hieraus resultierenden Reduzierung der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche, ist abzusehen, daß es binnen der nächsten zehn Jahre zu Grundnahrungsmittelengpässen kommen wird. Der Import von Lebensmitteln ist kein Weg aus dieser Sackgasse. Kenias Handelsbilanz ist in Ermangelung von Exportgütern ohnehin schon defizitär. Der Ruf des Volkes nach Land, wirtschaftlich nutzbarem Land, hallt über die ostafrikanischen Weiten – und über die insgesamt 42 Nationalparks und Natur-/Wildreservate. Pragmatiker sagen, die kenianische Regierung könne dem eigenen Volk nicht weiterhin Land vorenthalten, nur damit Fremde ungestört auf Safari gehen können. Unter dem Druck der Bevölkerung werden immer mehr Stimmen laut, die eine Verkleinerung dieser Touristenparadiese zugunsten der landsuchenden Bevölkerung fordern. Was der Mensch zum Leben braucht, nimmt er sich: mal klammheimlich, mal staatlich sanktioniert oder stillschweigend und notgedrungen geduldet. Der unmittelbar vor den Toren Nairobis gelegene Nairobi Nationalpark, mit 115 Quadratkilometern klein, aber fein, ist unter dem Ansturm nach Jobs und Land suchender Kenianer binnen weniger Jahre von Neubausiedlungen, wilden „Squatters“, Industriegeländen und Straßen umringt und damit zu einem Freiluftzoo geworden. Die jährliche Wanderung der Tiere zwischen den Athi-Plains und dem Park ist bereits erheblich gestört. Ähnliche Beispiele, wo landsuchende Menschen die 43
Nationalparks bedrängen, gibt es zur Genüge: In den Wäldern an den Hängen des Mount Kenya wachsen Shambas wie Pilze aus dem Boden. Im Marsabit Nationalpark haben sich bereits Nomaden mit ihren Ziegenherden illegal etabliert. Und im Masai Mara, dem Vorzeige-Game-Reserve des Landes, hat sich die Regierung unter dem Druck der Masai-Bevölkerung gar zu offiziellen Zugeständnissen hinreißen lassen. Das Mara-Gebiet ist Regierungsland. Schon 1961, im Vorfeld der Unabhängigkeit, hat der Staat den Rinder und Ziegen züchtenden Masai erlaubt, ihre Herden temporär in das Game Reserve zu treiben, weil darin die Salzlecken liegen. Aus diesem Zugeständnis hat sich längst eine kontinuierliche Besiedlung entwickelt. Denn die Bevölkerung des Narok-Distrikts, zu dem das Masai Mara gehört, hat sich in den letzten zehn Jahren auf nunmehr 230 000 Menschen nahezu verdoppelt. Die meisten von ihnen sind halbnomadisierende Masai. Und deren Schrei nach Weideland wurde über die Jahre so laut, daß man in Nairobi keine andere Möglichkeit sah, als das Masai Mara zugunsten der Menschen zu verkleinern. 1976 wurden 160 Quadratkliometer abgetrennt. Aber 5000 Quadratkilometer sollten stets für das Wild – und die Touristen – reserviert bleiben. Ein kaum zu realisierender Wunschtraum. Heute sind es nur noch 1619 Quadratkilometer – ein Mini-Paradies. „Viel zu klein für die vielen Tiere“, sagt Simon Makallah, der Senior Game Warden des Masai Mara, und argwöhnt, es bahne sich eine Entwicklung an, die dramatisch enden wird. Nicht zuletzt deswegen, weil sich schon der deutsche Zoologe Prof. Dr. Grzimek mit seinen „Rettet-die-Serengeti-Ambitionen“ nicht an den Realitäten orientierte. Das Masai Mara ist nämlich faktisch ein Ausläufer der Serengeti. Zweimal im Jahr wandern die gewaltigen Tierherden den Regenfällen
folgend zwischen Tansania und Kenia hin und her. Der rigorose Tierschutz hat freilich längst zu einem Überbestand an Wild geführt. 1988 ergab eine Tierzählung im Mara erschreckende Zahlen: 1,3 Millionen Gnus, 400 000 Zebras, 12 000 Büffel und 1810 Elefanten. Gazellen und Antilopen schätzte man zusammen auf etwa 400 000. Es können auch 100 000 mehr oder weniger sein. Schlußfolgerung kenianischer Tierschützer: Die Überweidung durch die riesigen Tierherden auf engstem Raum forciert ganz erheblich die Verwüstung des Landes! „Use it or loose it“, stand im Magazin Swara der East African Wild Life Society zu diesem heiklen Thema geschrieben. Der international anerkannte Wildschützer Joe Cheffings sorgte mit seiner ausführlich dargelegten These in Kenia für viel Aufregung: „Entweder wir nutzen die enormen Wildbestände wirtschaftlich“, so Cheffings, „oder wir verlieren sie!“ Gemeint war damit, was in Simbabwe, Südafrika und Tansania längst praktiziert wird: Game Cropping – Wildernte. Der Überbestand an Tieren wird – von der Regierung überwacht – abgeschossen, das Fleisch verarbeitet und preiswert an die Bevölkerung verkauft. Kernaussage Joe Cheffings’: Die zunehmende Überweidung der Nationalparks wird ohnehin bald zu einer Dezimierung der Herden führen. „Also ist es besser, wir warten erst gar nicht, bis zehntausende Tiere vor den Augen der Touristen verhungern, elendig krepieren.“ Das dünkt übertrieben, ist es aber keineswegs. 1978 verhungerten im Tsavo-OstNationalpark 8000 Elefanten nach einer extremen Dürre. Unter den menschlichen Schutzmaßnahmen hatten sich die Herden extrem vergrößert. Abwandern in andere Regionen Kenias konnten die Dickhäuter aber nicht. Die Tiere starben letztendlich, weil vermeintlicher menschlicher Perfektionismus ein über Jahrtausende gut funktionieren44
des Ökosystem reguliert und damit zerstört hatte. Weil sich solche Tendenzen in fast allen Nationalparks und Game Reserves Kenias abzeichnen, sehen einige Tierschützer – so widersinnig sich das auch anhören mag – tatsächlich nur eine Lösung: den Überbestand an Tieren abzuschießen. Das aber würde fraglos weltweit zu einem gewaltigen Aufschrei des Entsetzens führen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wären rückläufige Besucherzahlen, mit unabsehbaren wirtschaftlichen Auswirkungen für Kenia, die Folge. Das aber, so geben Insider zu bedenken, könnte auch durch eine andere Entwicklung geschehen. „Afrikas Tourismusindustrie könnte bald untergehen“, schrieb Anver Versi, stellvertretender Chefredakteur des weltweit angesehen Magazins New Africa im April 1989. „Der Fluch der Wilderer“, titulierte das Magazin eine sehr ausführliche Reportage, die sich indirekt auch mit dem zunehmenden Bevölkerungsdruck und dem hieraus resultierenden Konflikt Nationalparks contra Landmangel beschäftigte. Die These, daß Afrikas Elefanten bald unter die im Washingtoner Artenschutzabkommen kreierte Rubrik „gefährdete Art“ fallen könnten, galt noch bis vor wenigen Jahren als überzogene Panikmache übersensibler Wildschützer. Doch binnen einer Dekade hat sich Unglaubliches, mithin Erschütterndes in Afrikas und auch in Kenias Savannen abgespielt: Ende des vergangenen Jahrhunderts wurde der afrikanische Elefantenbestand noch auf zehn Millionen geschätzt. Optimisten gehen davon aus, daß noch immer 76 000 Dickhäuter leben. Einige Experten behaupten allerdings, daß es auf dem gesamten Kontinent kaum noch mehr als 400 000 sind. Der international renommierte Elefantenexperte Ian Douglas-Hamilton hat nachgewiesen, daß Ostafrika in den letzten zehn Jahren 150 000 Elefanten verloren hat. Die letzte Zählung datiert aus dem Jahre
1987. Dr. Richard Leakey, Sproß jener weltweit bekannten Archäologenfamilie, die durch Schädelfunde in der TurkanaWüste im Norden Kenias der These Auftrieb gab, Ostafrika sei die Wiege der Menschheit, dieser Dr. Leakey hat 1988 für viel Aufregung in der kenianischen Regierung gesorgt, als er erschreckende Zahlen über den kenianischen Elefantenbestand nannte. Von Präsident Daniel Arap Moi höchstpersönlich zum obersten Natur- und Tierschützer ernannt, stellte Leakey die Behauptung auf, Kenias Elefantenbestand sei von 170 000 im Jahre 1973 auf kaum mehr 20 000 gesunken. „Der Fluch der Wilderer“ hat, teils unbemerkt von der Weltöffentlichkeit, in Kenia derart erschreckende Formen angenommen, daß Präsident Moi 1988 seinen Wildhütern Anweisung erteilte: „Shoot on sight.“ Wird ein Wilderer auf frischer Tat ertappt, schießen die kenianischen Ranger sofort, wenn der Poacher (Wilderer) nicht schnell, sehr schnell seine Waffen fallen läßt und die Hände flink zum Himmel streckt. Der Profit mit dem Elfenbein, dem „weißen Gold Afrikas“, hat derartige Dimensionen angenommen, daß kommerzbeseelte, international organisierte Elfenbeinhändler gar die bewaffnete Herausforderung mit staatlichen Wildschützern riskieren. Die Gewinnspannen sind zu verlockend. 1969 kostete ein Kilogramm Elfenbein etwa 10 DM. 1970 stieg der Preis sprunghaft auf 25 DM je Kilo. 1987 waren es bereits 150 DM – und heute schlägt das Kilo der gelb-weißen Stoßzähne mit sage und schreibe 400 DM zu Buche. Soviel zahlen gewissenlose Händler in Hongkong oder Taiwan, den bedeutendsten Umschlagplätzen. Zwar sind wirklich kapitale Elefantenbullen, sogenannte „Tusker“, mit Stoßzähnen zwischen 100 und 150 Pfund längst ausgemerzt. Doch die Profitsucht macht auch vor Elefantenkühen und Kälbern keinen Halt. 45
Die auch von Richard Leakey aufgezeigte Tendenz der anstehenden Ausrottung ist um so angsteinflößender, als der Elefantenbestand fraglos eine der Hauptattraktionen für Kenia-Touristen ist. Stellt sich die Frage, wie lange das noch so sein wird. Und die These, daß Nationalparks ohne Elefanten unattraktiv sind und erhebliche negative Auswirkungen auf die Besucherzahlen – und damit auf die dringend benötigten Deviseneinnahmen Kenias – haben können, ist sehr aktuell. Diesbezüglich gibt es nämlich bereits unrühmliche Erfahrungen. Experten haben registriert, daß sich Touristen bei der Buchung ihrer Reise gezielt nach jenen Nationalparks erkundigen, in denen sie problemlos die „Big Five“ (Löwe, Leopard, Elefant, Büffel und Nashorn) zu sehen bekommen. Aber die Wahrscheinlichkeit, ein Nashorn vor die Kamera zu bekommen, ist in Kenia nirgendwo mehr sehr groß. Was sich bei den Elefantenbeständen als Tendenz abzeichnet, ist bei den Nashörnern längst traurige Realität. 1970 gab es in Kenia noch 20 000 „Rhinos“. Heute leben nur noch 400 davon. Die Natur hat diesen urzeitlichen Geschöpfen ein tödliches Mal zwischen die Augen gesetzt. Eins, das im Jemen mit Vorliebe zu Dolchgriffen verarbeitet oder in Asien als Aphrodisiakum pulverisiert zu wahnwitzigen Summen vertrieben wird. Von den rund 400 noch lebenden Nashörnern Kenias fristen bereits 150 ihr Dasein in privaten Gehegen – von schwer bewaffneten Rangern rund um die Uhr bewacht und hinter meterhohen Zäunen eingepfercht. Es sind wohl jene Zäune, von denen Präsident Daniel Arap Moi im Jahre 1989 in Nakuru sprach, die schon in naher Zukunft die bis dato schier grenzenlosen kenianischen Paradiese und Weiten umgeben werden – als Schutz gegen die Menschen.
Nur knapp zehn Prozent der kenianischen Landesfläche sind landwirtschaftlich intensiv nutzbar. In (semi-)ariden Landesteilen wie der Turkana-Halbwüste im Ländereck zu
Uganda, Sudan und Äthiopien ziehen noch immer Nomaden mit ihren Rinder- und Ziegenherden – den ohnehin raren Regenfällen folgend umher.
In den wüstenhaften Regionen um den Turkanasee ist die Kamelzucht einzige Einkommensquelle der nomadischen Völker. So unwirtlich und menschenfeindlich diese Landstriche auch jahrelang wirken, so üppig und verwirrend fruchtbar dünkt
das Land, wenn gelegentlich geringe Niederschläge längst verdorrte Sträucher und Gräser zu neuem Leben wecken und prächtige Blumen die Halbwüste mit einer verwirrenden Farbenpracht überziehen.
Rund 200 verschiedene Stämme unterscheiden die Völkerkundler in Kenia. Viele von ihnen sind Nomaden oder Halbnomaden und repräsentieren damit eine jahrtausendealte Lebensform, die mit der in kenianischen Städten dominierenden Moderne so gar nicht in Einklang zu bringen ist.
Die Masai-Völker werden ethnologisch als die „Sai, die die Maa-Sprache sprechen“ eingeordnet. Man unterscheidet heute die halbnomadischen Masai und die nomadischen Samburu (Abbildung), die im Norden Kenias leben.
Der Fischreichtum kenianischer Küstengewässer trägt dazu bei, die wegen ihrer Vielfalt atemberaubenden Buffets in den (Hotel-)Restaurants um schmackhafte Köstlichkeiten zu bereichern. Weil die Küste durch
ein dem Strand vorgelagertes Riff geschützt ist, braucht dieser „TintenFischer“ bei Ebbe nur durch das knietiefe Wasser zu waten, um binnen weniger Minuten das aus dem glasklaren Wasser herauszuziehen, was
zum Dinner – mal gegrillt, mal gekocht – serviert wird. Mit den kleinen Dhaus kann man sich gegen ein geringes Entgelt die Küste entlangtreiben lassen.
Während sich die islamischen Frauen an der Küste mit dem schwarzen Bui-Bui verhüllen, ist der Kukoi, ein um den Körper geschlungenes Tuch, das traditionelle Kleidungsstück der Suaheli-Bevölkerung. Die 4,3prozentige Bevölkerungswachstumsrate gilt als eines der größten Probleme des Landes.
480 Kilometer weißer, palmengesäumter Sandstrand. Wassertemperaturen zwischen 22 und 35 Grad. Keine Beton-Silos, sondern eine der Landschaft angepaßte Bebauung – so die
oberste Maxime kenianischer Tourismusplaner. Das der Küste vorgelagerte Riff verhindert zu starken Wellengang – und unliebsame Besucher an den Stränden (Haie).
Glossar Aberdare-Nationalpark – Der Park
erstreckt sich in Zentralkenia auf einer Fläche von 590 Quadratkilometern und ist mit den beiden Hauptgipfeln des Aberdare-Gebirgszugs, dem Kinangop (3906 Meter) im Süden und dem Oldonyo Lesatima (4001 Meter) im Norden, der dichten Baumvegetation, den ausgedehnten Hochmooren mit ihren Seggen(Riedgräser-)Landschaften und den Wasserfällen Karuru (272 Meter), Gura (241 Meter) und Chania außerordentlich reizvoll. Das Gebiet ist regenreich und meist schon ab mittags in den Wolken. Neben den „Großen Fünf“ – Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe, Leopard – sind u. a. die Tüpfelhyäne, der Serval, der Bongo und das Riesenwaldschwein vertreten; große Vielfalt auch an Vögeln. Unterkünfte: Treetops (auf Pfählen erbaut) und The Ark, beides komfortable Hotels. Amboseli-Nationalpark – 1974 wurde
das Reservat um den Amboseli-See nahe der tansanischen Grenze in einen Nationalpark umgewandelt und zugleich auf weniger als 400 Quadratkilometer verkleinert. Ein Besuch des Parks, der von Touristen stark frequentiert ist, lohnt sich insbesondere in der Trockenzeit (Juni bis Oktober, Januar bis März), weil sich dann die gesamte Tierwelt auf einem etwa 16 Kilometer langen und acht Kilometer breiten Streifen um die Sümpfe südlich des Amboseli-Sees versammelt. Im Park leben etwa 600 Elefanten, außerdem Masaigiraffen, Steppenzebras, Weißbartgnus, Grantgazellen und Warzenschweine; Geparden, Leoparden und Nashörner sind selten geworden. Am Kiokosee findet sich eine große Vielfalt von Wasser- und Savannenvögeln. Unterkünfte: Ol Tukai Lodge (Rundhütten mit Makutidächern), Amboseli Lodge und Kilimandscharo Safari Lodge (Holzhütten). Baringosee – Obwohl kein Reservat, bietet das Gebiet um den See auf dem 900 Meter hohen Boden des Rift Valley eine reiche Tier- und Vogelwelt. Hier findet sich die größte Kolonie an Goliathreihern in Ostafrika. Auf einer Exkursion in den Schilf- und Papyrusgürtel des Sees kann man bis zu 200 verschiedene Vogelarten entdecken. Bogoriasee – Der 30 Quadratkilometer große, in 975 Meter Höhe im Rift Valley gelegene See hat nur spärliche Süßwasserzuflüsse, keinen Abfluß und riecht daher
unangenehm. Wegen der hohen Salzkonzentration leben in dem See keine Fische, das Wasser ist für die Schaf-, Rinder- und Ziegenherden, die in der Umgebung weiden, ungenießbar. Der Bogoriasee liegt in einer wilden, eher einsamen Gegend, deren Hauptattraktion sechs Geysire und zahlreiche heiße Quellen sind. Besondere Aufmerksamkeit verdient – neben den Hunderttausenden von Flamingos – der Große Kudu, eine der schönsten Antilopenarten. Kikuyu – Mit vier Millionen Menschen ist dieser (negroide) Bantu-Stamm der größte und einflußreichste Stamm Kenias, seßhaft in den Gebieten zwischen Kuambu im Süden und Nanyuki im Norden. Der Stamm, bekannt für seine hochentwickelte Landwirtschaft, hat schon frühzeitig mit den agrarischen Überschüssen Handel getrieben. Lamu – Die Inselgruppe, bestehend aus den Eilanden Lamu, Manda und Pate, ist wegen der gut erhaltenen, von den Arabern geprägten Stadt auf der Hauptinsel und wegen des ausgedehnten Strandes von Shela ein gern besuchtes Ferienziel in Ostafrika. Das Lamu-Museum informiert über die mehr als 1000jährige Geschichte der Stadt, deren kunsthandwerkliche – Gold- und Silberschmuck, Elfenbeinschnitzereien – Blütezeit sich vom 16. bis ins 19. Jahrhundert erstreckte. Luho – Die drei Millionen Menschen, die diesem zweitgrößten kenianischen Stamm angehören, bewohnen das Gebiet östlich des Victoriasees und leben von Landwirtschaft und Fischfang. Die Luho gehören zu den Niloten, sind also nicht negroiden Ursprungs, sondern stammen von nordafrikanischen Völkern ab. Luhya – Dieser drittgrößte Stamm Kenias (etwa drei Millionen Angehörige), zur Gruppe der Bantus gehörend, westlich von Kigori ansässig, betreibt in der Mehrzahl intensiven Ackerbau – Hirse, Erbsen, Süßkartoffeln, Tabak u.a.; es gibt aber auch Viehzüchter. Malindi – Touristenort an der kenianischen Küste, der wegen seiner angenehmen Lage an einer weiten Bucht traditionell als Alterswohnsitz wohlhabender Europäer diente, heute jedoch eher heruntergekommen ist. Marsabit-Berg – Der 1700 Meter hohe Berg, ein erloschener Vulkankegel, weist eine üppige Vegetation mit riesigen, bizarr geformten Bäumen, herabhängenden Flechten und dichtem
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Unterholz auf. In einem der vielen kleineren Krater liegt inmitten eines Bergregenwaldes der fast kreisrunde Lake Paradise. Masai-Steppe – Eine vom zentralen kenianischen Hochland südwärts durch das Rift Valley bis tief nach Tansania reichende Savannen-/ Steppenlandschaft, die seit 300 Jahren Weideland der Masai-Nomaden ist. Weite Teile der Masai-Steppe sind durch die die Schlafkrankheit übertragenden Tsetse-Fliegen verseucht und daher wirtschaftlich nicht nutzbar. Das kenianische Masai-Mara-Reservat wie auch die tansanische Serengeti mit ihren endlos weiten Grasflächen und grünen Hügeln, sind Bestandteil der Steppe, die wegen ihrer landschaftlichen Schönheit unter hohem Himmel weltberühmt ist. Unterkünfte beim und im Masai-Mara-Reservat: Buffalo Camp, Governor’s Camp, Kichwa Tempo Camp, Hotels in der Stadt Kisii. Masai – Bekanntester Stamm der (nicht-negroiden) Niloten, etwa 200 000 Angehörige. Die Masai, bekannt für Schönheit, Mut beim Erlegen von Raubtieren und kriegerischen Geist, leben als Wanderhirten in den Dornsavannen Ostafrikas, weiterhin beseelt von dem Glauben, das auserwählte Volk zu sein, dem nach Gottes Willen sämtliches Vieh gehört. Meru-Nationalpark – Das etwa 1800
Quadratkilometer große Gelände ist vom Tourismus verhältnismäßig wenig erschlossen, bietet jedoch – da an der Grenze zwischen zentralem und nördlichem Faunabereich gelegen – eine interessante Tierwelt: Steppen- und Grevyzebras, Grant- und Giraffengazellen, Oryx- und Kuhantilopen, Netz- und Masaigiraffen. Besonders hervorzuheben sind die in den sechziger Jahren eingeführten Breitmaulnashörner. Unterkünfte: Meru Mulika Lodge, Leopard Rock Bandas (Hütten für Selbstversorger), Public Campsite (Zeltplatz). Mombasa – Mit 500 000 Einwohnern die zweitgrößte und sicherlich die schönste Stadt Kenias, auf einer nur 13 Quadratkilometer großen Insel im Indischen Ozean gelegen und sich von dort über eine Brücke aufs Festland erstreckend. Aufgrund der geschützten Lage in einer Bucht schon im 7. Jahrhundert von arabischen Handelsschiffen angelaufen, entwickelte sich Mombasa zwischen 1300 und 1500 zum Zentrum einer afro-arabischen Kultur, die noch heute das Bild der
Altstadt mit den orientalisch verwinkelten Gassen prägt. Aus der Zeit der portugiesischen Vorherrschaft stammt Fort Jesus (ab 1593 erbaut), in dem heute ein Museum zur Geschichte der Stadt untergebracht ist. Sehenswert sind ferner die Villen im britischen Kolonialstil – Mombasa war von 1895 bis zur Unabhängigkeit Kenias 1970 Hauptstadt von Britisch-Ostafrika – und der alte Dhauhafen. Monsun – Aus dem Arabischen stammende, aber auch in Asien gängige Bezeichnung für Windströmungen. An der ostafrikanischen Küste weht der Süd-Ost-Monsun (Kusi) von April bis September, der Nord-Ost-Monsun (Kaskazi) von September bis April – mal stürmisch auffrischend, zumeist aber eher säuselnd. Die Winde beeinflussen maßgeblich die Intensität der Regenzeiten. Mount-Kenya-Nationalpark – Der
Nationalpark um das Mount-KenyaMassiv, dessen Grenzen in einer Höhe von 3000 bis 3350 Metern verlaufen und der eine Fläche von 600 Quadratkilometern umfaßt, ist wegen seiner abwechslungsreichen Fauna und Flora ein hervorragendes Wandergebiet, das zudem gut erschlossen ist. Das Massiv, ein immenser, inzwischen erodierter Schildvulkan, erreicht mit dem Hauptgipfel Bation eine Höhe von 5199 Metern. Während man auf den Wanderungen in großen Höhen nur verhältnismäßig wenige Tiere findet, lassen sich die verschiedenen Vegetationsstufen beim Aufstieg deutlich unterscheiden: Vom Bergwald geht es in einer Höhe von 2400 Metern in den Bambusgürtel, dann folgt die letzte Baumstufe mit Hageniabäumen und Johanniskraut, danach – ab etwa 3300 Metern – die Riesenheide, das Hochmoor, die weiter oben immer größer werdenden Lobelien und schließlich das Riesenkreuzkraut (Baumsenezie), das bis zu sechs Meter hoch wird und bis zu einer Höhe von 4400 Metern wächst. Darüber gibt es nur noch Flechten und Moose. Die Hauptwanderrouten sind die Naro-Moru-, die Sirimonund die Chogoria-Route, die klimatisch günstigsten Zeiten für Wanderungen die Monate Dezember bis März (südliche Gebiete) und Juli bis Oktober (nördliche Gebiete). Unterkünfte: Naro Moru River Lodge (relativ teure Berghütten), SirimonHütte (günstiger), Meru Mount Kenya Lodge (schöne und komfortable
Unterbringung); es besteht auch die Möglichkeit, in der Nähe der Hütten das eigene Zelt aufzustellen. Nairobi – In der kenianischen Hauptstadt, noch nicht einmal 100 Jahre alt, leben heute nach Schätzungen nahezu 1,5 Millionen Menschen. Die Stadt entstand aus einem 1897 aufgrund des günstigen Klimas angelegten Camps beim Bau der Ugandabahn und wuchs innerhalb von 30 Jahren zu einer Großstadt mit über 100 000 Einwohnern. Nairobi ist eine Stadt der Gegensätze: In der City dominieren die mehrstöckigen Bürohäuser von Handelsfirmen, Banken und Versicherungen; auch zahlreiche internationale Organisationen haben hier, gruppiert um den Rundturm des Kenyatta Conference Centre, ihren Sitz. Exklusive Einkaufsviertel, britisch geprägte Clubs und Sporteinrichtungen prägen das Bild in der Innenstadt. Am Stadtrand leben dagegen dichtgedrängt Hunderttausende ohne Arbeit und ohne gesicherten Lebensunterhalt in Wellblechhütten und Bretterbuden. Das Slumgebiet in Mathare Valley im Osten Nairobis gilt als das größte in ganz Ostafrika. Nairobi-Nationalpark – Der meist-
besuchte kenianische Nationalpark (117 Quadratkilometer Fläche) liegt südlich der Hauptstadt. Anders als vielfach angenommen, ist der Park kein Zoo-Freigelände, da die Tiere die Grenzen des Gebiets frei überschreiten können. Prunkstück ist das Nashorn: Etwa 30 Tiere sollen überlebt haben, so daß die Wahrscheinlichkeit, hier eines anzutreffen, größer ist als überall sonst in Kenia. Naivashasee – Der in 1900 Meter Höhe im Rift Valley gelegene See beherbergt 13 verschiedene Reiherund 16 Enten- und Gänsearten, gelegentlich auch Flamingos. Wegen des nur mäßig heißen Klimas ist die Gegend landwirtschaftlich intensiv genutzt (Erdbeeren, Gemüse, Blumen, sogar Wein). In der Nähe des Sees liegen der Mount-Longonotund der Hell’s-Gate-Nationalpark (1983/4 gegründet), letzterer mit einer imposanten Klippen- und Lavalandschaft sowie mit heißen Dämpfen und Quellen. Nakuru-Nationalpark – Der 1967
gegründete und 1974 auf ein Gebiet von 190 Quadratkilometern erweiterte Park war in den sechziger Jahren für seinen Vogelreichtum – Hunderttausende von Flamingos und Zehntausende von Pelikanen – bekannt. Wegen der Verschmutzung des
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Nakuru-Sees, in den trotz internationaler Proteste weiterhin ungeklärt Abwässer von Nakuru-Stadt (ca. 150 000 Einwohner) eingeleitet werden, sind fast alle Vögel an andere Seen abgewandert. Heute findet man in größerer Anzahl Defassa-Wasserböcke, Busch- und Riedböcke, Nashörner und Rothschild-Giraffen. Die Gefahr, von einem Löwen oder Geparden angefallen zu werden, besteht, da das gesamte Gebiet eingezäunt ist, inzwischen kaum noch. Lohnenswert ist ein Ausflug zu den Baboon Cliffs, den Pavianfelsen im Westen des Parks. Nördlich von Nakuru-Stadt liegt der MenengaiKrater (2272 Meter), einer der größten der Welt. Unterkünfte: Lake Nakuru Lodge, Lion Hill Lodge (guter Standard), drei öffentliche Campingplätze. Punt – Alte ägyptische Hieroglyphen im Tempel Deir el Bahri von Theben berichten von mehreren Seereisen der Ägypter (ab 2000 v. Chr.) in ein „Götterland Punt“, wo riesige Goldvorkommen liegen. Nacho, der letzte Pharao, sandte noch im Jahre 600 v. Chr. eine Expedition nach Punt. Nach jüngsten Erkenntnissen dürfte es sich dabei um das Innere des heutigen Tansania oder aber um Mosambique/ Simbabwe handeln. Die Bezeichnung Punt ist aber auch heute noch bei arabischen Seeleuten für die Küste Kenias gängig. Rift Valley – Ein vom Jordantal durch das Rote Meer, durch Äthiopien, Kenia, Tansania südwärts durch Afrika bis nach Simbabwe reichender Grabenbruch, der vor 20 Millionen Jahren – von Vulkanausbrüchen und einer Anhebung der Bruchschollen begleitet – entstand. Die Steilwände des teils 50 Kilometer breiten Rift Valleys stürzen bis zu 1000 Meter tief in die Ebene hinab. Im und am Rift Valley liegen einige bedeutende Binnenseen Ost- und Zentralafrikas, aber auch der Mount Kenya (5199 Meter), der Mount Kilimandscharo (5895 Meter; in Tansania) und der als einmaliges Tierparadies geltende Ngorongoro-Krater (Tansania). Samburu-Nationalpark/BuffaloSprings-Reservat – Die beiden Parks
erstrecken sich auf einer Fläche von 560 Quadratkilometern nördlich und südlich des Uaso-Nyiro-Flusses. Die Flußufer sind mit Akazien und Dumpalmen dicht bewaldet, das übrige Gebiet weist wegen der geringen Niederschläge keine geschlossene Grasnarbe, aber eine
Glossar/Autor/Quellen/Impressum üppige Dornbuschvegetation auf. Es finden sich Netzgiraffen, Grevyzebras, Gerenuks und Dikdiks. Nachdem 1984/5 sämtliche Büffel verhungert sind, baut sich zögernd eine neue Population von Tieren aus dem ShabaReservat auf. Elefanten sind dagegen noch zahlreich. Unterkünfte: Samburu Game Lodge, Samburu River Lodge (beide am Fluß gelegen), Buffalo Springs Tented Camp (Zeltlager) sowie ein Campingplatz. Shimba-Hills-Nationalreservat – Der 192 Quadratkilometer große Park südwestlich von Mombasa bietet in der Hügelregion ein angenehm trockenes Klima, dichte Wälder an den Küsten und eine interessante Tierwelt (Antilopen, Büffel, Affen). Unterkünfte: Shimba Tree tops (komfortables Baumhotel), Campingplatz. Tsavo-Nationalpark – Mit über 20 000 Quadratkilometern Fläche einer der größten Parks Afrikas, auf halber Strecke zwischen Mombasa und Nairobi im Süden des Landes gelegen und von der Straßen-/Eisenbahnlinie zwischen den beiden Städten in Tsavo Ost und Tsavo West unterteilt. Tsavo Ost, das etwa zwei Drittel der Fläche ausmacht, ist trockenes, meist flaches Buschland mit vereinzelten Schirmakazien; Tsavo West dagegen ist mit dichtbewachsenen Vulkankegeln abwechslungsreicher und landschaftlich reizvoller. Bis in die sechziger Jahre war der Nationalpark wegen seiner bis zu 300 Tiere umfassenden Elefantenherden und Nashörner vielbesucht. Eine zu starke Elefantenpopulation ruinierte die Vegetation und führte zum Tod vieler Nashörner. Dennoch entschloß sich die kenianische Regierung nach weltweiten Protesten, keine weiteren Elefanten abzuschießen. Ein neueres Problem ist die kaum einzudämmende Wilderei. Landschaftlich hervorzuheben sind in Tsavo Ost die Lugard’s Falls, wo sich der Galanafluß durch eine enge Felspforte zwängt, in Tsavo West die Vulkanlandschaft in der Gegend der Kilaguni Lodge, die – nahezu unbewachsene – Lavazunge Shetani und die Mzima Springs, ein großes, kristallklares Quellbecken, in dem Krokodile, Nilpferde und zahllose Fische leben; ferner das erst kürzlich erschlossene Lake-JipeGebiet im Süden. Unterkünfte: Voi Safari Lodge (Tsavo Ost), Kilaguni, Ngulia, Lake Jipe Safari (Tsavo West); zahlreiche SelbstversorgerCamps und Zeltplätze.
Turkanasee – Der 6400 Quadratkilometer große See (früher: Rudolfsee) liegt unzugänglich in einer Lavawüste und ist daher touristisch wenig erschlossen; weltweit größte Krokodilkolonie (20 000 Tiere). Victoriasee – Mit 68 000 Quadratkilometern drittgrößter Binnensee der Welt und größter Süßwassersee Afrikas, dessen Küste durch „ertrunkene“ Täler und Becken stark gegliedert ist. Nur der äußerste Nordosten mit dem Kavirondogolf gehört zu Kenia. Hier liegt auch die drittgrößte Stadt des Landes, Kisumu (200 000 Einwohner), die dennoch beschaulich geblieben ist. Im See trotz zunehmender Verschmutzung ergiebiger Fischfang; reiche Vogelwelt. Wasini-Unterwasser-Nationalpark – Das Gebiet zwischen dem Fischerdorf Shimoni und der Insel Wasini im äußersten Südwesten Kenias ist als fischreiches Gewässer bei Hochseeanglern geschätzt; ferner gibt es eines der schönsten Korallenriffs der Küste sowie bizarre Tropfsteinhöhlen zu bestaunen.
Rolf Ackermann – geb. 1952 in Duisburg, beschäftigt sich als freier Journalist und Schriftsteller seit vielen Jahren mit afrikanischen Themen, lebt seit 1989 in Kenia. Bildnachweis – Jose Azel/Focus, Hamburg: Titel, Seite 27 u. Klaus Bossemeyer/Bilderberg, Hamburg: Seite 34/35, 37 o. Hans Jürgen Burkard/Bilderberg, Hamburg: Seite 48/49, 49 u. Thomas Dressler, Marbella/Spanien: Seite 27 o., 28/29, 31 o., 32/33, 33 u., 37 u., 38/39, 39 o., 39 u. Francesco Garazzeni/Focus, Hamburg: Seite 30/31, 31 u. Jacana/Bildagentur Schuster, Oberursel: Seite 33 o., 36/37 Wolfgang Lummer/Bildagentur Schuster, Oberursel: Seite 46/47 Wolfgang Meier/Bildagentur Schuster, Oberursel: Seite 26/27 Stefan Meyers/Bildagentur Schuster, Oberursel: Seite 14/15, 25 Jake Rajs/Image Bank, Hamburg: Seite 40 Michael Salar/Image Bank, Hamburg: Seite 18/19 Uwe Schaffrath/Transglobe, Hamburg: Seite 52/53 Transglobe, Hamburg: Seite 10/11, 49 o. Pete Turner/Image Bank, Hamburg: Seite 22/23 Alex Webb/Focus, Hamburg: Seite 51 o., 51 u. Wolf Winter/Transglobe, Hamburg: Seite 50/51 CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Ackermann, Rolf: Kenia/Rolf Ackermann. – Hamburg: Ellert u. Richter, 1989 (Die weisse Reihe) ISBN 3–89234–136–2 NE: HST © Ellert & Richter Verlag, Hamburg 1989 Alle Rechte vorbehalten Gestaltung: Hartmut Brückner, Bremen Satz: Fotosatz Wahlers, Langwedel Lithografie: Rüdiger + Doepner, Bremen Druck: Girzig + Gottschalk, Bremen Bindearbeiten: Paderborner Druck Centrum, Paderborn
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o sonst auf Erden gibt es noch zweieinhalb Millionen Tiere auf engstem Raum? Verteilt über die sanft-hügeligen Ebenen der Serengeti und des Masai Mara ist allein schon ihre Gegenwart ein grandioser Anblick. Man sieht das einmal in seinem Leben und hat es für immer wie eine Fata Morgana in einem besonders schönen Traum vor Augen. Der Afrika-Spezialist Rolf Ackermann erzählt von dem Urlaubsparadies Kenia, seinen grandiosen Landschaften und Traumstränden, seiner Vergangenheit und Zukunft. Exzellente großformatige Farbaufnahmen bilden das visuelle Pendant.