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Keine Chance für mich � Für mich, Jim Finnegan, den Sattelstrolch, war es wie ein Geschenk des Himmels, als Big Herb Morgan mir anbot, in seine Dienste zu treten. Denn ein Mann, der sich Morgans Befehlen bedingungslos unterwarf, konnte bei ihm sein Glück machen. So wurde ich ein Caballero und besaß das Vertrauen des Kings. Doch dann kam der Tag, an dem Sybille Morgan mir ihr furchtbares Geheimnis verriet. Meine Entscheidung stand fest: Ich durfte Big Herb Morgan nicht länger gehorchen. Auch wenn ich mir den Teufel selbst zum Todfeind machte … Der vorliegende Roman erschien schon einmal in dieser Reihe als Band 720 und im Western-Bestseher als Band 1431.
Als ich damals nach Mesa Gulch kam, war der Krieg gerade ein Jahr beendet. In Mesa Gulch ging es hoch her. Das lag daran, daß es nach dem Krieg zuviel Abschaum gab, der in solchen Orten eine Zuflucht suchte. Denn Mesa Gulch lag dicht an der Grenze, vielleicht sogar schon ein Stück auf der mexikanischen Seite. So genau wußte man das damals noch nicht. Denn die genaue Grenze zwischen Mexiko und dem Territorium wurde erst viel später festgelegt. Ich hatte ein wenig in den alten Goldminen herumgestöbert und da und dort etwa ein halbes Kilo Goldstaub zusammenkratzen können. Das war eine Menge Zeug für die damaligen Verhältnisse. Es war nicht ganz ungefährlich, nach diesem Zeug zu suchen. An der Grenze gab es auf beiden Seiten Apachen und Banditen. Daß ich nach Mesa Gulch mußte, lag daran, daß mein Pferd neue Eisen und ich Munition, Proviant und eine neue Hose brauchte. Ich war abgerissen wie ein Tramp. Das Herumkriechen in den alten Minen und die harte Arbeit hatten mich ziemlich zerlumpt. Dann war auch einige Tage lang eine Bande von mexikanischen Bandoleros hinter mir hergewesen, richtige Mörder, die noch schlimmer waren als normale Banditen. Ich verbrauchte bis auf zwei Patronen meine Munition. Aber ich behielt mein Leben und alles, was mir sonst noch gehörte, und ich konnte ohne Übertreibung sagen, daß an meiner Stelle nicht sehr viele harte Burschen heil davongekommen wären. Denn kämpfen konnte ich schon immer. Ich war der jüngste von sieben wilden Brüdern, die mir nichts schenkten. Ich hatte schon als kleiner Junge damit anfangen müssen, mich zu behaupten. Mit zwei Patronen im Colt und einem hinkenden Pferd kam ich nach Mesa Gulch. Ich wußte auch, daß ich Verdruß bekommen würde, weil ich alles, was ich kaufen wollte, mit Gold bezahlen mußte. Und auf Gold waren die Hombres hier so scharf wie Wölfe nach einem langen Blizzard auf frische Büffelleber. Um Gold drehten sich hier eines jeden Mannes Gedanken, Wünsche und Pläne. Ich wollte mich nicht länger aufhalten als nötig, und so ritt ich gleich in die Schmiede. Der Schmied, er erkannte mich wieder, obwohl es nun schon fast fünf Jahre her war. »Hey, Finnegan«, sagte er, »haben sie dich während des Krieges nicht totgeschossen? Bist du das wirklich? Hattest du keine bessere Idee, als in dieses böse Nest zurück …« Ich grinste und unterbrach ihn: »Beschlage mein Pferd – und dann reite ich auch schon weiter. Mesa Gulch liegt nur zufällig an meinem Weg.« »Kannst du die Eisen bezahlen?« fragte er. Ich hatte mir vorher schon einige kleine Goldkörner aus dem Gürtel genommen, den ich mit Gold gefüllt unter Jacke und Hemd auf dem bloßen Körper trug. Ich gab ihm eine dieser »Golderbsen«. Er nahm sie, betrachtete sie und bekam einen fiebrigen Glanz in seine Augen. »Wo gibt es das Zeug? Sag es mir, Finnegan.« »Ach«, sagte ich, »ich fand es im Dreck neben der Wäsche der alten Aurora-Mine drüben – und noch drei oder vier solcher Dinger. Du kannst es behalten, wenn mein Gaul in einer Stunde beschlagen ist. Willst du oder nicht?« Er starrte mich mißtrauisch an. »Eines Tages«, sagte er, »wird es hier wieder Goldfunde geben. Und dann wird aus die-
sem fast schon gestorbenen Nest wieder eine strahlende Stadt, größer, schöner und besser, als sie es jemals war. Ich weiß es. Deshalb halte ich hier aus. Finnegan, sag mir, wenn du eine …« Ich ging davon, und er verstummte. Irgendwie tat er mir leid. Er gehörte offenbar zu den wenigen Hoffnungsvollen, für die Mesa Gulch noch nicht tot war und die immer noch neue Goldfunde erwarteten. Vielleicht würde er Glück haben. Ich aber wollte mit meinen rund fünfhundert Gramm Gold nach Tucson. Dort würde ich von der Bank einen ziemlich fairen Preis dafür erhalten. Und dann … Ich wußte nicht, was ich mit fünfhundert Dollar anfangen würde. Ich wußte nur, daß ein Cowboy zwei Jahre dafür arbeiten mußte, wenn er einen guten Job hatte. Denn die Zeiten waren schlecht. Ich verließ die Schmiede zu Fuß, ging weiter in die Stadt hinein. Sie lag längst im Schatten der vielen Mesas, von denen die Schlucht gebildet wurde wie von gewaltigen Bauklötzen eines Riesenkindes. Viele Häuser und Hütten waren unbewohnt, schon ziemlich verfallen. Überall im Staube wuchs Unkraut. Aber es gab auch noch menschliches Leben hier. Der große Store war offen. Pferde waren dort angebunden, Wagen abgestellt. Vor dem Gulch Hotel standen Sattelpferde. Auch im Mesa Saloon waren Gäste. Einige davon lungerten auf der Veranda herum wie Geier auf einem Felsen. Sie hatten mich längst kommen sehen. Gewiß wollten sie mich genau ansehen. Ich ging in den Store. Den Storehalter erkannte ich wieder wie zuvor schon den Schmied. Auch der Storehalter gehörte zu den wenigen Hoffnungsvollen, die immer noch ihre Chips auf Mesa Gulch setzten. Er sagte: »Manchmal dachte ich darüber nach, was wohl aus jenen wilden Jungens von damals geworden sein könnte. Und über dich machte ich mir am wenigsten Sorgen, Jim. Du warst immer ein wenig schneller, wacher, schlauer – aber auch wilder und verwegener. Hat dich das Heimweh hergetrieben?« Er grinste, und er war ein Mann mit einem Viertel Apachenblut, ein harter Mann, der mit allem handelte. Schon sein Vater war mit einem Händlerwagen umhergezogen und sogar den Apachen willkommen gewesen. Ich nickte ihm zu und sagte meine Wünsche. Zuerst verlangte ich Patronen. Er gab sie mir, bevor er meine anderen Wünsche zu erfüllen begann. Indes er einen Leinenbeutel mit Proviant füllte und mir dann ein neues Hemd, Unterzeug, eine neue Hose und ein paar andere Dinge auf den Ladentisch legte, füllte ich die Schlaufen meines Patronengürtels. Meinen alten Colt hatte ich schon längst nachgeladen. Das war die erste Sache. Es war immer noch der alte Patterson-Revolver, den ich damals bei ihm gekauft hatte. Er war sündhaft teuer gewesen, aber er war die beste Waffe dieser Art, die damals auf fünfhundert Meilen in der Runde zu haben war. Als der Storehalter fertig war mit dem Einpacken der Dinge, wartete er geduldig, bis ich mich in der Kammer nebenan umgekleidet hatte. Meine alten Sachen warf ich einfach in den Abfallkorb. Wir sahen uns an, und in seinen Augen erkannte ich, daß er sich wegen der Bezahlung einige Sorgen machte. Er hatte auf einem Stück Packpapier siebenunddreißig Dollar zusammengerechnet. Ich legte ihm drei Goldkörner auf den Ladentisch und hoffte, daß er nicht bemerkt hat-
te, wie schwer der mit Gold gefüllte Gürtel unter meinem Hemd war. Es war ein kleiner Gürtel mit nur zwei Taschen. Aber immerhin war er für einen kundigen Mann unter meinem knappen Hemd zu erkennen. Ich bekam selten ein Hemd zu kaufen, welches mir wirklich paßte. »Ich habe nur noch eines dieser Goldkörner«, sagte ich und kam seinen Fragen zuvor. »Und das versaufe ich nun drüben im Saloon. Nein, ich fand keine Goldtasche. Ich fand ein paar Körner im Dreck neben der alten Waschanlage der Aurora-Mine. Du brauchst dich erst gar nicht aufzuregen, alter Amigo.« Damit nahm ich den gefüllten Leinensack und ging hinaus. Er sagte nichts hinter mir her. Er war noch zu sehr damit beschäftigt, die drei Goldkörner zu untersuchen und dann abzuwiegen. Längst wußte er, daß ich mein Pferd in der Schmiede hatte und nicht so leicht entkommen konnte. Ich ging über die staubige Gulch Street hinüber zum Saloon. Die harten Hombres auf der Veranda wirkten nur so schläfrig und waren es mit Sicherheit längst nicht mehr. Einer, der seinen Stuhl an die Hauswand gekippt und sich den Hut über das Gesicht gezogen hatte, stand plötzlich auf. »Das ist ja Red Jim Finnegan«, sagte er. »Warum hat man dich denn noch nicht aufgehängt?« Ich erkannte ihn. Er war einer von jener wilden Horde, mit der ich damals ritt, nachdem ich lange genug beim Schmied gearbeitet hatte, um zu begreifen, daß ich dies eine Million Jahre tun konnte, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Seine Worte beruhigten die anderen. Sie glaubten nun, daß ich zu ihnen gehörte wie ein Geier zu den anderen. Ich war bei einem ihrer Freunde oder Kumpane bekannt, und das war beruhigend. Ich nickte dem alten »Jugendfreund« zu, grinste und sagte: »Larry, du verschwendest hier nur Zeit. Was lungert ihr hier herum? Bekommt man hier in dieser toten Stadt etwas geschenkt?« Er folgte mir in den Saloon, und auch hier saßen noch ein paar Hombres herum. Es waren jene, die noch einen Drink bezahlen konnten, selbstgebrautes Bier, Tequila oder Mondscheinwhisky. Alle starrten mich an. Larry, dessen anderen Namen ich nicht mehr kannte, sagte: »Wir sammeln uns hier für einen Zug nach Mexiko hinüber. Wenn du knapp bei Kasse bist, dann reite doch mit uns. Wir wollen die kleinen Städte Santa Rosa und Fernando nehmen. So in ein bis zwei Tagen haben wir dann allerlei herausgeholt. Auch ein paar Minen liegen an unserem Weg. Wir sind stark genug, um es auch mit kleineren Abteilungen Juaristas aufnehmen zu können. Kommst du mit? Wir warten hier nur noch auf unseren Anführer. Du kennst ihn. Es ist Capote, Irish Capote. Du bist früher auch schon mit ihm geritten, nicht wahr?« Ich nickte, dann schüttelte ich meinen Kopf. »Ich reite meinen eigenen Weg«, sagte ich. »Und eines Tages werden sie euch in Mexiko hängen. Die Truppen von Juarez brauchen jetzt nicht mehr gegen Maximilian zu kämpfen. Der ist tot. Sie werden nun Ordnung schaffen im Land. Auch die Grenze wird gewiß besser bewacht. Ihr könnt bald nicht mehr einfach so hinüber zu den Mexikanern reiten und dort plündern und rauben. Reite nicht mit, Larry. Ich komme von drüben. Es wimmelt dort nur so von Apachen und Banditen. Die wenigen Orte oder Siedlungen – auch die noch in Gang befindlichen Minen –, sie alle haben sich eingeigelt und warten
darauf, daß die Reiter von Juarez kommen, um die Straßen und Wege sicherer zu machen und dem Land Frieden und Ordnung zu verschaffen. Wenn ihr solch einer Abteilung in den Weg kommt, dann …« »Ach, hör auf, Amigo«, unterbrach er mich. »Du bist auch nicht mehr der alte Hombre bravo. Hör auf! Trinken wir einen Schluck auf die alten Zeiten. Mit dir bin ich stets gern geritten.« Der Barmann hatte uns Tequila eingeschenkt, und es war für mich das erste Feuerwasser seit vielen, vielen Wochen. Als es in meinem Magen brannte, mußte ich nach Luft schnappen. Ich spürte, wie mir die Augen aus dem Kopfe springen wollten. Aber dann war es auch schon vorbei, und ein angenehmes Gefühl überkam mich. »Noch einen«, sagte ich. »Denn vielleicht wird es der letzte sein, den du trinken kannst, Larry.« Ich grinste dabei, und auch er grinste. »Es gibt immer ein letztes Mal«, sagte er. Wir tranken nochmals. Dann legte ich die Golderbse auf den Bartisch und sagte dem Wirt: »Gib mir den Rest in Pesos oder Dollar heraus.« Er starrte auf die kleine Golderbse. Auch Larry tat es, und von den anderen Hombres schoben sich welche heran. Einer sagte heiser: »Er hat Gold.« Sie alle wollten das kleine Ding sehen. Dabei war es kaum mehr wert als fünf Dollar. Aber es war Gold. Sie staunten. Und wenn dort hundert Dollar gelegen hätten, würden sie nicht so gestaunt haben wie über diesen winzigen Krümel Gold, der kaum mehr als sieben oder acht Gramm wiegen konnte. »Hast du noch mehr davon, Red?« So fragte einer, und er meinte mich. Ich hatte rote Haare. Was sollte ich antworten? Ich grinste und sagte: »Hältst du mich für blöd oder krank, Amigo? Wenn ich mehr von diesen Dingern hätte, wäre ich hier nicht hereingekommen, sondern würde in der Nacht vorbeigeritten sein. Oder glaubt ihr vielleicht, ich wüßte nicht, was für eine gierige Bande ihr seid? Ich habe ein paar solcher Dinger aus dem Dreck bei der Waschanlage der alten Aurora-Mine herausgekratzt. Und ich ließ alle anderen Dinger beim Schmied und im Store.« Ich sagte es freundlich, aber mein Grinsen und der Ausdruck meiner Augen waren hart und kalt. Sie betrachteten mich und schätzten mich richtig ein. Überdies sagte Larry an meiner Seite: »Laßt ihn nur zufrieden. Das ist ein alter Amigo von mir. Das ist Red Jim Finnegan. Der nimmt drei von euch mit.« »Vier«, sagte ich. »Zumindest vier, wenn du nicht dabei bist, Larry.« Sie grinsten, zeigten mir ihre Zähne. Und sie strömten etwas aus, was man nicht so leicht beschreiben kann. Es war eine Witterung aus einem Wolfsrudel. Es war wie ein Atem von Wildheit. Sie waren ein schlimmes Rudel. Das da waren Banditen, Mörder, Deserteure, einstige Guerillas aus dem Krieg. Es waren alle Hautfarben vertreten, auch vielerlei Mischungen. Sogar ein Chinese war dabei, der sich wie ein Weidereiter gekleidet hatte. Ich wußte, daß ich verloren war, zeigte ich auch nur einen Moment Furcht. Aber mit solchen Hombres kannte ich mich aus. Ich war schon oft ein Wolf unter Wölfen gewesen. Und ich war keine zweitklassige Nummer. Bestimmt nicht! Ich war Red Jim Finnegan.
Und so grinste ich zurück, ließ sie meine ganze Furchtlosigkeit spüren. Ich ließ sie begreifen, daß sie von mir alles bekommen konnten, nur kein Geld. Aber dann kam mir noch etwas zu Hilfe. Jemand steckte von draußen den Kopf in den Saloon und rief: »Da kommt ein Weib! Jungens, da kommt ein richtiges Honey-Girl mit einem einzigen Knaben hereingeritten!« Diese Nachricht veränderte alles. Denn für die meisten dieser Burschen waren Frauen und Mädchen noch wichtiger als Gold. Und so drängten sie hinaus. Nur Larry blieb neben mir und bei dem Wirt am Schanktisch. Wir tranken noch einen Tequila. Der Wirt gab mir das Wechselgeld. Und er betrog mich um mindestens einen Dollar, weil die Goldwaage falsch wog. Larry sagte: »Manche dieser Hombres wissen kaum noch, wie eine richtige weiße Frau aussieht. Wenn dieses Honey-Girl was Besonderes sein sollte, dann wird es einigen Ärger geben. Viele dieser Lobos freuten sich schon auf die Frauen jener Ortschaften, die wir nehmen wollten. Aber nun …« Er ging plötzlich hinaus. Ich sah den Wirt an. Ihn kannte ich nicht. Er mußte diesen Saloon nach meiner Zeit übernommen haben. Er nickte mir zu. »An deiner Stelle«, sagte er, »würde ich mich jetzt auf die Socken machen. Dieses Rudel hier, das sich zur gemeinsamen Jagd zusammenfand, weil Irish Capote dies so wollte, ist schlimm. Sie haben vor drei Monaten schon mal drüben in Alvarez drei Tage gehaust. – Ohne Gnade! Hau ab, Red Jim Finnegan. Hau sofort ab!« »Mein Pferd ist noch nicht beschlagen«, sagte ich. Dann nahm ich mein Bündel, in welchem sich meine Einkäufe befanden, und ging hinaus. Ich war zu stolz, die Hintertür zu benutzen. Nein, ich konnte das nicht. Es war ein dummer Stolz. Aber ich war nun einmal Red Jim Finnegan. Überdies wäre es wahrscheinlich doch dumm gewesen, sich davonschleichen zu wollen. So einer Wolfsmeute durfte man nicht den Rücken kehren. Wenn ich jedoch gewußt hätte, was hier in Mesa Gulch auf mich wartete, hätte ich mich gehütet, hier hineinzurennen. Ich hätte mit meinem Pferd irgendwo in einem verborgenen Camp ein Weilchen gewartet, bis die Luft rein war. Nun aber war es zu spät. Nun konnte ich nur mit völliger Furchtlosigkeit davonkommen. Dabei half mir natürlich, daß mich dieses Rudel für einen Artgenossen hielt. Ich trat aus dem Saloon und wollte zur Schmiede gehen, um dort zu warten, bis mein Pferd fertig war. Aber ich blieb dann doch wie angewurzelt stehen. Denn ich sah nun die Frau. Es lag nicht daran, daß ich schon viele Wochen keine Frau mehr gesehen hatte, einige Indianerinnen ausgenommen. Nein, es lag nicht an jenem Hunger, daß sie mir so reizvoll und wunderschön vorkam wie zuvor keine andere auf dieser Welt. Sie und ihr Pferd waren mit Staub bedeckt. Man sah ihr an, daß sie kaum weniger als dreißig Meilen durch dieses rauhe Land geritten war. Und dennoch saß sie so geschmeidig im Sattel. Sie ritt im Herrensitz, also wie ein Mann. Der geteilte Rock ließ das zu. Es war schön, sie so reiten zu sehen, und nicht nur wegen der knappen Bluse, die sie unter der offenen und ärmellosen Weste trug. Sie war eine Frau, wie man sie sich hier in diesem Land nur erträumen konnte. Das war klar. Von ihrer Haarfarbe war nichts zu erkennen. Sie hatte ihr Haar unter dem schwar-
zen, flachkronigen Stetson verborgen. Ihr Gesicht war gebräunt von der Sonne. Sie hatte helle Augen. Mein Blick richtete sich nun auf den Mann, mit dem sie ritt. Er ritt lässig auf einem zähen Grulla, und er trug zwei Revolver im Kreuzgurt. Er war groß, hager und zäh wie ich. Ja, er gehörte zu meiner Sorte. Ein Revolvermann war er, der sich durch Kühnheit behauptete. Das ging von ihm aus. Da gab es keine Zweifel. Unter tausend Männern war er der Mann, der es wert war, daß ihm solch eine Frau gehörte. So war es. Das konnte ich spüren. Aber er hatte einen noch größeren Fehler gemacht als ich. Ich war nur mit etwas Gold hergekommen und mitten in ein Rudel zweibeiniger Lobos geraten. Er aber kam mit einem schönen Weib. Gewiß, er war mit Sicherheit ein Bursche, der für sich sorgen und die Frau beschützen konnte. Nur waren die harten Hombres hier in der Überzahl. Das Paar hielt drüben vor dem Store an, und damit war auch schon klar, daß sie aus fast den gleichen Gründen hergekommen waren wie ich. Sie mußten ihren Proviant ergänzen, und sie wollten dann gewiß gleich weiter. Vielleicht waren sie hergekommen, um hier eine Nacht im Hotel zu verbringen. Doch daran dachten sie sicherlich schon längst nicht mehr. Dieser hartgesichtige Mann wußte inzwischen, in welches Hornissennest er hier geraten war. Er wollte nur noch Einkäufe machen und weiter. Ich sah über die Fahrbahn hinweg, wie er zu ihr ein paar Worte sagte. Sie ging daraufhin allein in den Store. Er blieb draußen und tränkte die Pferde am Wassertrog, der vor dem Store stand. Dabei sah er sich scharfäugig um. Sogar ich spürte seinen Blick über die Straße hinweg. Die wilde Horde, die sich hier gesammelt hatte für einen Raubzug nach Mexiko, verhielt noch da und dort. Die Männer waren überall, und da sie jetzt alle zum Vorschein gekommen waren, sah ich endlich, wie viele es waren. Vier Dutzend etwa. Und einer würde die Frau haben wollen. Der Schlimmste würde es sein. Ich wußte es plötzlich mit Sicherheit. Denn sie waren Banditen. Daß sie den paar Bürgern und Geschäftsleuten von Mesa Gulch nichts taten, geschah nur deshalb, weil sie hier immer wieder ihre Zuflucht fanden, sich ausrüsten konnten und ihren Treffpunkt hatten. Auch wilde Apachen taten ja den paar Händlern nichts, die mit ihrem Händlerwagen unterwegs waren. Sie brauchten diese Händler. Und so ähnlich war es auch mit den paar noch vorhandenen Bürgern von Mesa Gulch. Man brauchte sie. Deshalb waren der Storebesitzer, der Saloonbesitzer, der Schmied, der Hotel- und Speisehausbesitzer und noch einige andere sicher vor der Bande. Doch eine fremde schöne Frau war verloren. Ich sah mich um, versuchte herauszufinden, wer von den Lobos wohl zuerst den Anspruch erheben würde. Denn ich wußte mit untrüglicher Sicherheit, daß es einer tun würde. Auch der Mann vor dem Store, der noch so tat, als ob er sich um die Pferde kümmern würde, wußte es. Vielleicht hatte er noch etwas Hoffnung, und gewiß vertraute er auch auf seine Revolverschnelligkeit. Und dann sah ich auch schon den Hombre, der es zuerst versuchen wollte. Es würde alles nach den uralten und primitiven Regeln verlaufen. Ein Männchen machte einem anderen Männchen den Anspruch auf ein Weibchen streitig.
So einfach und primitiv war es. Aber hier war ja alles so. Hier galten noch die uralten Regeln. Der Hombre war groß und geschmeidig wie ein Berglöwe und dunkel wie ein schwarzer Panther. Er bewegte sich lässig durch den knöcheltiefen Staub. Seine silbernen Sporen klimperten melodisch. In seinem linken Ohr blinkte ein Ring mit einem Edelstein. Und seine langen Haare hingen ihm bis auf die Schultern nieder. Er trug nur einen Colt, aber ich sah schon an der Art, wie er ihn trug, daß er ihn wie ein Künstler hervorzaubern konnte. Ich hörte ihn laut sagen: »Eh, Hombre, verkaufe mir für ein Weilchen deine Puta! Gib sie mir, si?« Ich war neugierig, was der Fremde antworten würde. Aber er antwortete nicht, er zog, und er zog unheimlich schnell. Er war ein Großer der kleinen Gilde der wirklich Großen. Aber er schaffte es nicht. Jener Hombre mit dem Ohrring war schneller. Das war kaum zu glauben, aber es konnte jeder sehen. Überdies machte der ohrringgeschmückte Hombre, der halb wie ein Mexikaner gekleidet war, im Moment des Ziehens eine schnelle Bewegung. Er wandte sich zur Seite, sprang einen halben Schritt nach vorn und stieß den Revolverlauf dabei gegen den Gegner. Er traf mit einem Schuß. Der Fremde, der mit der schönen Frau gekommen war, schoß noch dreimal in den Staub. Er kämpfte verzweifelt. Es war ein verzweifelter Kampf. Er versuchte, den Colt hochzubekommen, aber er schaffte es nicht. Dann fiel er in den Staub, streckte sich und starb. Sein Bezwinger sprang um die Pferde herum zur Tür des Stores und griff nach der Frau, die mit gezogenem Colt herausgelaufen kam. Er packte sie am Arm und entriß ihr die Waffe. Dann nahm er sie einfach unter den Arm wie ein zappelndes Bündel. Er lachte dabei, und alle Zuschauer johlten nun wild auf. Daß soeben ein Mann gestorben war und diese Frau verzweifelt kämpfte, rührte diese üble Bande nicht. Diese Burschen waren schlimmere Dinge gewohnt, und sie waren in den vergangenen Jahren des Krieges inmitten von Wildnis und Gesetzlosigkeit abgestumpft. Der Sieger des Kampfes um die Frau kam schräg über die Straße. Er steuerte auf das Hotel zu, und ich wußte, was er wollte. Die Frau wehrte sich immer noch. Doch sie wog höchstens hundertzwanzig Pfund. Er aber war ein Kerl von zweihundert Pfund Knochen, Sehnen und Muskeln. Er trug das Mädchen wie einen zusammengerollten Teppich auf seiner Hüfte, einfach so unter dem Arm. Und sie konnte strampeln und mit den Armen um sich schlagen, soviel sie wollte. Ich war ein Narr, denn ich hätte mich heraushalten sollen. Dennoch ließ ich mein Bündel fallen und rief: »Eh, Hombre, halt an!« * Er staunte, hielt wirklich an und sah zu mir her. In seinem wilden Piratengesicht funkelten die dunklen Augen. Er hatte eine Narbe auf der Wange. Aber noch grinste er und rief: �
»Eh, Hombre, störe mich jetzt nicht! Ich habe zu tun! Und ich …« »Laß sie los«, sagte ich. Meine Stimme klang nicht laut. Und dennoch wirkte sie wie ein scharfer Schrei. Ich wußte, daß viele Männer Stehhaare bekamen im Nacken, wenn sie meine Stimme so auf diese Art hörten. Und auch er glich jetzt einem Wolf, in dessen Revier ein Nebenbuhler kam. »Ay, Amigo«, sagte er mit blitzendem Grinsen, »wir werden uns wegen dieser Puta sicher einigen können. Was ist schon an einer Puta, wenn es darum geht, daß Männer Amigos sein könnten? Oder?« Während er sprach, ließ er die Frau los. Sie fiel in den Staub und rollte sich von ihm weg. Ich wußte nicht, ob sie es instinktiv tat oder ob sie blind und taub war vor Angst – oder gar kaltblütig und kontrolliert. Er zog wieder so schnell wie zuvor. Aber er konnte mich nicht überraschen, mich nicht. Ich ließ mich auch von seinem Trick nicht irritieren. Ich traf ihn, bevor er selbst abdrückte. Und vier Dutzend Banditen, die uns zusahen, die wußten jetzt, daß ich einer der ganz Großen war, was die Zauberei mit dem Colt betraf. Sie wußten, daß ich im Südwesten keine drei größeren Revolvermänner zu fürchten brauchte. Überdies rief mein alter Sattelgefährte Larry schrill: »Aufgepaßt, er ist Red Jim Finnegan!« Sie verhielten. Niemand griff zur Waffe. Doch sie schoben sich näher und näher. Das Mädchen kauerte neben mir im Staub. Nun erhob sie sich. Als sie neben mir stand, sah ich, daß sie einen Kopf kleiner war als ich. Aber sie hatte ihre Unterlippe zwischen den Zähnen und vibrierende Nasenflügel. »Danke«, sagte sie. »Aber das hat wohl keinen Zweck mehr, was?« »In den Sattel«, sagte ich. »Ruhig in den Sattel – ruhig und stolz!« Ich sagte es etwas schief aus dem Mundwinkel. Aber sie verstand es sofort. Sie gehorchte. Auch ich ging langsam zu den Pferden – rückwärts. Nun, vielleicht hätte mich die wilde Horde dennoch kleingemacht. Aber ich hatte Glück. Und das Mädchen hatte Glück. Es kamen nämlich noch drei Reiter. Von der anderen Seite her kamen sie hereingaloppiert. Sie hatten die Schüsse gehört und kamen deshalb so schnell. Einer der drei Reiter war Irish Capote. Ich kannte ihn sofort wieder, denn er war die Mischung einer Irin und eines Sizilianers. Von der Irin hatte er sein rotes Haar. Es war so rot wie meines. Aber sonst war er dunkelhäutiger, hatte auch dunkle Augen. Irish Capote war schon damals vor dem Krieg unser Anführer gewesen. Aber damals hatten wir nur Rinder und Pferde drüben in Mexiko gestohlen, und manchmal hatten uns Rancher angeworben, um sich mit unserer Hilfe zurückzuholen, was ihnen zuvor von den Mexikanern gestohlen worden war. Irish Capote war damals ein wilder Rebell, aber noch kein gnadenloser Bandit gewesen. Aber das war er jetzt. Ich hatte von ihm gehört. Er war während des Krieges einer jener Guerilla-Führer gewesen, die von beiden Seiten aufgeknüpft worden wären. Er hatte nach dem Krieg auch kein Pardon erhalten, sondern wurde steckbrieflich gesucht. Auch er erkannte mich sofort, als er sein galoppierendes Pferd in Trab und dann in Schritt fallen ließ, langsam herangeritten kam und mit kundigen Blicken die ganze Sache betrachtete. Er sah die beiden Toten, das Mädchen und mich.
»Hallo, Irish«, sagte ich laut. Dann wartete ich. Es hatte keinen Sinn, ihm mehr zu sagen. Er war früher schon ein eigenwilliger Bursche gewesen, der bei jeder Gelegenheit seine Selbständigkeit demonstrieren mußte. Nein, es war besser, ihn anzugrinsen und abzuwarten. Ich konnte ihn ja, wenn es gar nicht anders ging, als ersten Mann der ganzen Bande in die Hölle schicken, und ich nahm mir vor, dies zu tun. Neben mir stand immer noch das Mädchen. Sie hielt sich prächtig, obwohl sie gewiß genau begriff, um was es jetzt ging. Sie machte sich bestimmt keine Illusionen. »Ay, Finnegan, Red Jim Finnegan«, sagte Irish Capote. »Du lebst ja noch, alter Amigo. Manchmal dachte ich an dich. Du gehörtest zu jenen Compadres, die man nicht vergißt. Hast du diese beiden Hombres umgelegt?« Er deutete auf den Fremden und dann auf den Burschen, den ich erschossen hatte. Und dann machte er eine Kinnbewegung in Richtung auf meine Nachbarin. »Wegen ihr?« fragte er. Ich deutete auf den Toten, dessen Diamant-Ohrring blinkte. »Er wollte sie haben und erschoß ihren Begleiter. Aber ich dachte mir, daß er nicht gut genug für sie wäre. Ich sagte, er solle sie loslassen. Das tat er auch. Aber dabei zog er gegen mich. Was sollte ich tun, Irish?« Bei meiner Frage grinste ich, obwohl mir gar nicht danach war. Aber ich wußte, daß ich ihn ebenfalls zum Grinsen bringen mußte. Und wenn er sogar lachen und sich vor Vergnügen auf die Oberschenkel patschen würde, hatte ich gewonnen. »Sag mir, was ich wohl tun sollte, Irish?« wiederholte ich lachend. Er starrte mich an, sah auf das Mädchen – und einen Moment war in ihm der Widerstreit von Gefühlen zu erkennen. Er schwankte einen Atemzug lang. Aber mein Grinsen und Lachen erinnerten ihn wohl doch zu stark an die alten Zeiten. Ich war ein alter Sattelgefährte seiner Vergangenheit. Und einmal – als Verfolger ihm das Pferd zusammenschossen – hatte ich ihn hinter mir aufsitzen lassen. Das war aber ganz selbstverständlich unter uns. Vielleicht erinnerte er sich trotzdem daran. Jedenfalls begann er zu grinsen wie ich. Dann lachten wir beide. Er patschte sich wahrhaftig auf die Oberschenkel. Seine Gewohnheiten hatte er also nicht geändert. Dann fragte er: »Bleibst du in Mesa Gulch, Amigo? Willst du wieder mit mir reiten, so wie früher?« »Nein«, sagte ich. »Ich kam nur zufällig her. Und zuerst werde ich mich um meine schöne Nachbarin kümmern. Ich gewann sie im ehrlichen Kampf. Frage deine Hombres.« Er nickte nur. »Ich habe wenig Zeit«, sagte er. »Ich wünsche dir viel Glück, Red Jim! Und du brauchst mir nichts vorzumachen. Ich kenne die Miß. Ich will mit ihrem Onkel keinen Streit – nicht den geringsten. Am besten ist, du reitest mit ihr sofort zurück. Auch wir halten uns hier nicht mehr lange auf.« Er nickte mir noch einmal zu. Dann drehte er sein Pferd und rief den Männern zu: »In die Sättel! Wir reiten! Auf was wartet ihr noch?« Und dann ritt er auch schon in die Richtung davon, aus der er gekommen war. Er kam nur her, um seine Horde zu holen, und er hatte es eilig, fortzukommen. Die Männer bewegten sich schnell. Sie liefen zu ihren Pferden. Rufe tönten, Flüche, aber auch begeisterte Pfiffe.
Die Horde warf sich in die Sättel und folgte ihm. Als der Staub sich verzog, lagen die beiden Toten noch da. Ich sah das Mädchen an. Nun sah ich erst, daß sie graugrüne Augen hatte. Ihr Haar war honigfarben. Sie sah mich an und sagte: »Danke, Red Jim Finnegan. So nannte man Sie doch, nicht wahr? Danke.« Dann ging sie hinüber zu dem Mann, mit dem sie gekommen war und der nun tot im Staub lag. Sie kniete nieder bei ihm. Der Storehalter und dessen Frau kamen aus dem Store. Da und dort zeigten sich die wenigen anderen Bürger von Mesa Gulch. Sie blickten auf das Mädchen, welches bei dem Toten kniete und weinte. Auch ich sah auf sie, aber dabei dachte ich an Irish Capotes Worte. Sie waren immerzu in meinem Kopf. Ich kenne die Miß. Ich will mit ihrem Onkel keinen Streit – nicht den geringsten. Das waren die Worte, an die ich dachte. Wer also konnte dieses Mädchen sein? Wer war ihr mächtiger Onkel, vor dem sich sogar ein Bursche wie Irish Capote zu fürchten schien? Plötzlich wußte ich es. Denn auf zehntausend und noch mehr Quadratmeilen in der Runde, vielleicht waren es auch mehr als zwanzigtausend, gab es eigentlich nur einen mächtigen Mann. Herb Morgan! Das konnte des Rätsels Lösung sein. Sie war die Nichte des großen Big Herb Morgan. Und der war der einzige Mann weit und breit, mit dem auch ein Bandit wie Irish Capote keinen Verdruß bekommen wollte. Als ich das alles so richtig begriffen hatte, da war mir auch klar, warum es Irish Capote so eilig hatte, mit all seinen Lobos bravos hier fortzukommen. Nun war alles einfach. Ich hörte nun, wie das Mädchen mit den Leuten von Mesa Gulch sprach. Sie bat darum, den Toten von der Straße zu schaffen. Sie fragte, ob es in Mesa Gulch vielleicht einen Leichenbestatter gäbe oder wenigstens ein Sarg beschafft werden könnte. Der Storehalter nickte sofort. »Das machen wir schon, wenn Sie bezahlen können«, sagte er. »In dieser fast schon toten Stadt sind wir alle auf den kleinsten Verdienst angewiesen, Ma'am.« Sie griff in die Tasche ihres rehledernen Reitrockes und holte ein paar Zwanzigdollarstücke hervor. Sie reichte das Geld über den Toten hinweg dem Storehalter. »Ist es genug?« Er sah auf das Geld und nickte. Da wandte sie sich ab und kam zu mir. Sie sah mich fest an, sehr gerade und ernst. Die Tränen auf ihren Wangen hatten Spuren hinterlassen. Ihr Gesicht war zu sehr mit Staub bepudert. Aber ihre Augen, die soeben noch geweint hatten, waren schon wieder klar. Ein wenig nagte sie an ihrer Unterlippe, so als hätte sie noch etwas Angst, daß die Lippe zittern könnte. Dann aber sagte sie: »Besondere Chancen hatten Sie nicht, Jim Finnegan, mit mir davonkommen zu können. Warum halfen Sie mir? Kannten Sie mich?« »Nein«, sagte ich. »Aber von meiner Mam bekam ich beigebracht, Frauen zu beschüt-
zen, und meine Brüder brachten mir das Kämpfen bei. Nur deshalb war ich in der Lage, etwas für Sie tun zu können. Aber jetzt kenne ich Sie, Miß. Irish Capotes Worte, daß er Sie kennt und mit Ihrem Onkel keinen Streit haben möchte, brachten mich darauf, wer Sie sein könnten, nämlich die Nichte von Big Herb Morgan.« Sie nickte. »Sybille Morgan bin ich«, sagte sie. »Der Tote da war Al Carrigan. Ich wollte mit ihm durchgehen. Aber daraus wird ja nun nichts mehr. Ich danke Ihnen sehr, Red Jim. Sie brauchen sich jedoch nicht länger um mich zu kümmern. Mein Onkel oder zumindest dessen Reiter sind gewiß auf unserer Fährte. Sie kommen bald und bringen mich zurück zur Morgan-Ranch. Ich danke Ihnen. Kann ich etwas für Sie tun, Jim Finnegan?« Ich sah sie an, und sie gefiel mir. Ich wußte, daß sie mir ansehen konnte, wie sie mir gefiel. »Schon gut«, sagte ich. »Vielleicht begegnen wir uns noch einmal unter anderen Umständen. Dann würde ich Sie gern etwas besser kennenlernen. Es ist mein Pech, daß wir uns gerade unter diesen Umständen begegnet sind.« Sie zuckte mit keiner Wimper. Sie sah mich fest an und nickte leicht. »Ja«, sagte sie. »Und ich glaube schon, daß es sich lohnen würde, einen Mann besser kennenlernen zu können, dem die Mutter beibrachte, Frauen zu beschützen. Ja, das würde vielleicht erfreulich werden.« Sie war ehrlich. Ich schätzte sie auf etwa zweiundzwanzig, und sie war kein dummes Ding, sondern eine Frau, der eine ganze Menge nicht mehr fremd war auf dieser Erde. Daß sie mit einem Revolvermann von daheim durchgebrannt und ihren eigenen Weg gehen wollte, störte mich nicht. Sie hatte sich einen Mann ausgesucht, der ohne zu zögern für sie kämpfte und starb. Also war er es wert gewesen, mit ihr zu reiten. Er hätte ja auch tatenlos zusehen und damit sein Leben retten können. Ich nickte ihr zu und ging zu meinem Bündel. Ich nahm es und machte mich auf den Weg. Der Schmied war wie alle anderen Leute auf die Straße gelaufen. Nun, da ich bei ihm ankam, erinnerte er sich wieder daran, daß er mein Pferd beschlagen sollte. Und er zuckte zusammen und sagte schnell: »Noch ein Eisen! Nur noch die linke Hinterhand, Jim Finnegan. Heiliger Rauch, was bist du schnell geworden mit dem Colt. Du konntest ja schon als junger Bursche damit zaubern. Aber weißt du eigentlich, mit wem du gekämpft hast?« Ich schüttelte den Kopf. Wir schritten nebeneinander in den Hof der Schmiede. Und während er an die Esse trat und ich den Blasbalg zu ziehen begann, da sagte er: »Das war Louis Brasada! Für den könntest du schon in Tucson eine Kopfprämie kassieren.« »Ich pfeife darauf«, sagte ich. Ich zog den Blasebalg und sah dabei, wie er das Eisen warm machte und dann mit wenigen ziehenden und stauchenden Hammerschlägen passend schlug für den Huf meines Pferdes. Ich half ihm dann mit einigen Handreichungen und redete meinem Pferd manchmal zu, daß es still und ruhig stand. Dann endlich konnte ich reiten. Ich verließ Mesa Gulch und blickte nicht zurück. Natürlich dachte ich an das Mädchen, und ich fragte mich, warum sie wohl ihrem reichen und mächtigen Onkel mit einem Revolvermann ausgekniffen war. Ich dachte auch daran, daß ich getötet hatte. Wenn es auch in Notwehr geschehen war, und wenn es auch passiert war, um eine Frau zu schützen, so war es dennoch belastend und konnte von mir nicht einfach so abgeschüttelt werden. Dieser Louis Brasada würde
mir gewiß noch oft in meinen Träumen erscheinen, zusammen mit anderen Toten. Es war nicht so einfach, mit diesen Toten zu leben. Ich wußte, daß ich mich betrinken oder die Liebe einer Frau suchen mußte. So konnte ich vielleicht die ersten Nächte hinter mich bringen. Ich kam nur etwa eine Meile aus Mesa Gulch heraus nach Norden, dann traf ich auf die Reiter. Der erste war – das wußte ich sofort – Big Herb Morgan selbst. Wie er so dahergeritten kam an der Spitze eines harten Rudels, ließ er mich an einen etwas zerzausten Steinadler denken, der dabei war, aus der Luft auf ein Opfer niederzustoßen. Er hatte sechs Reiter hinter sich, aber ich sah, daß es Auserwählte waren. Diese Burschen waren Ritter, richtige Kriegsritter, nur trugen sie keine Eisenpanzer, und statt Schwerter hatten sie Colts. Diese sechs Männer waren keine einfachen Cowboys, auch nicht nur Revolverschwinger, wie jeder Großrancher sie sich in diesem wilden Land als Privat-Armee halten mußte, um Leben und Eigentum zu schützen. Nein, diese da waren mit jenen »Edlen« der Ritterzeit zu vergleichen, auf die ein König sich verlassen konnte, die er zu Feldherren oder Sattelhaltern machte. Ich sah es sofort. Und keiner von ihnen ritt ein Pferd, welches weniger als dreihundert Dollart wert war. Sie hielten an, betrachteten mich scharf, aber ich erwiderte ihre Blicke auf die gleiche Art. Ich fühlte mich als Mann nicht geringer als sie, mochten sie noch so hart und erstklassig sein. Dann sah ich in die hellen und kieselharten Augen des alten Adlers. Er fragte höflich: »Mister, sind Sie einem Paar begegnet, einer jungen …« »Sybille Morgan ist eine Meile von hier in Mesa Gulch«, unterbrach ich ihn. »Es ist alles in Ordnung, Sir. Al Carrigan wurde von einem gewissen Louis Brasada erschossen. Sie brauchen Ihre Pferde nicht mehr so zu jagen. Es ist alles in Ordnung, was die Sicherheit der Miß betrifft.« Dann wollte ich weiter. Es machte mir nichts aus, um die Reiter herumzureiten. Ich hob also die Zügel des Pferdes und wollte es zur Seite ziehen. Aber er fragte schnell: »Und was ist mit diesem Louis Brasada, dessen Ruf ich wohl kenne?« »Sir, der ist auch tot«, erwiderte ich. Da grinsten sie alle auf grimmige Art. Einer sagte: »Das war wohl klar, daß Al diesen Brasada mit auf die lange Reise nehmen würde.« Nun, ich hätte ihn berichtigen können. Ich hätte sagen können, daß es Al Carrigan nicht gelungen war und ich der große Hombre war, der es gekonnt hatte. Aber wozu sollte ich mir die Mühe machen? Es konnte den Burschen gleich sein, wer diesen Louis Brasada umgelegt hatte. Ich nickte ihnen zu und ritt weiter. Es wurde langsam Abend. Und ich wollte mir noch einen guten Platz für mein Camp suchen. * Ich sah in meinen Träumen in dieser langen Nacht Louis Brasada ein halbes Dutzend Male sterben. Immer wieder erlebte ich es, und immer wieder stand er nach einer Weile auf und versuchte es noch mal mit mir. Schließlich ergriff ich die Flucht, und ich rannte im Traum vor ihm her, aber er folgte
mir unentwegt und füllte mich mit Blei. Als ich fluchend erwachte, war ich nicht mehr allein. Zwei Mann waren bei mir, und sie waren lautlos wie Schatten gekommen. Nicht einmal mein Pferd hatte mich gewarnt. Aber das war nur ein Zeichen, wie erfahren diese beiden Männer waren. Einer sagte: »Keine Sorge, Finnegan. Wir sind sehr freundschaftlich hier. Big Herb möchte dich noch einmal sprechen. Er bittet dich durch uns, doch nicht so früh weiterzureiten, sondern etwas zu warten. Er kommt, sobald er kann. Al Carrigan haben wir gestern noch begraben.« Ich fluchte noch mal. Aber dann legte ich mich zurück. Ich hatte unter meiner Decke den Colt in der Hand. Doch was sollte ich damit? Ich konnte diese beiden Revolvermänner doch nicht umlegen, nur weil ihr Boß mit mir zu sprechen wünschte. Aber sein Wunsch war ihnen Befehl. Sie würden mich nicht weglassen. Also mußte ich friedlich und geduldig warten. Wir sprachen nicht viel, aber es war klar, daß sie, da sie nun meinen Namen kannten, über meine Rolle in Mesa Gulch Bescheid wußten. Die Bürger dort und vielleicht auch Sybille hatten ihnen alles erzählt. Als die Sonne hochkam, kochte ich Kaffee und machte das Frühstück. Sie halfen mir, meinen Proviant zu verzehren. Immer wieder betrachteten sie mich fest und studierten mich, so gut sie konnten. Endlich sagte einer von ihnen: »Darf ich dir einen Rat geben, Finnegan?« Ich nickte: »Nur ein Narr hört sich einen Ratschlag nicht an.« Auch der andere Hombre betrachtete mich fest. Dann sagte der erste: »Wenn Big Herb dir einen Job als Ranger anbietet, dann nimm ihn an. Du machst dein Glück. Es ist nicht nur der Lohn, den du bekommst. Du besitzt nach einigen Jahren eine ständig wachsende Herde mit eigenem Brandzeichen. Und wenn du eine Frau findest, bekommst du als Big Herbs Nachbar genügend eigene Weide und ein Haus. Er will nichts anderes als deine Freundschaft und Treue. Er wählt die Ranger für sein Rinderreich sorgfältig aus. Wir sind weniger als ein Dutzend. Aber jeder muß soviel zählen wie ein Dutzend seiner gewöhnlichen Cowboys. Du kannst dein Glück in dieser lausigen Zeit machen, Finnegan.« Nun wußte ich es. Big Herb Morgan wollte mich als treuen Ritter haben. Das mußte mich zwangsläufig wohlhabend machen. Mein Herz klopfte etwas schneller. Denn es war wirklich so. Ein Mann wie ich, der konnte damals keinen besseren Job bekommen. Die beiden Männer grinsten mich an. Sie begriffen genau, was in mir vorging und ich dachte. Vielleicht hatten sie vor nicht sehr langer Zeit noch ähnlich überlegt wie ich. Einer sagte: »Ich denke, wir sollten uns näher bekanntmachen. Das ist Bud Shannon. Ich bin Cass Logan. Wir reiten schon zwei Jahre für Big Herb, und wir haben es nicht bedauert. Gewiß, er verlangt unsere Treue, aber er selbst ist uns nicht weniger treu. Du wirst es erleben. Und noch etwas, Bruderherz! Es würde uns – so glauben wir – allen gefallen, wenn du zu uns kämst. Wir hörten in allen Einzelheiten, wie du dich in Mesa Gulch verhalten hast. Und du hast dich danach bei Big Herb nicht mal großgetan damit. Du ließest uns glauben, Al Carrigan wäre selbst noch sterbend mit Louis Brasada fertig geworden. Du hast einen feinen Stil, Finnegan. Du paßt zu uns. Solche Hombres mag Big Herb. Und da kommt er auch schon.« Wir standen auf und blickten nach Süden. Big Herb Morgan kam zurück. Seine Nichte Sybille und die vier anderen Reiter waren bei ihm.
Herb Morgan kam herübergeritten zu meinem Camp. Die anderen ritten mit Sybille weiter. Auch Shannon und Logan, die mit mir gewartet hatten, saßen auf und ritten zu den anderen. Ich war mit Big Herb Morgan allein. Er betrachtete mich noch einmal gründlich. Und auch ich betrachtete ihn. Wir musterten uns lange. Er war ein King. Dies spürte ich. Er war ein Eroberer, der sich sein Reich erobert und immer wieder gegen jeden Ansturm gehalten hatte. Er war ein Mann, dem es gelang, andere Männer von Format um sich zu scharen und ihre Treue zu gewinnen. Dies erreichten nur sehr wenige große Männer. Ich spürte, daß ich ihn respektieren würde. Er würde für mich der Boß sein, der King. Er war etwas Großes in dieser Welt. Er nickte mir nach einer Weile zu und sagte: »Ich weiß Bescheid über dich, Jim Finnegan. Deine Ehre ließ es nicht zu, eine Frau ohne Hilfe zu lassen. Du mußtest ihr beistehen, mochte danach kommen, was da wolle. Ich glaube, daß ich mich immer auf dich verlassen könnte. Gib mir dein Wort, daß du mir treu sein wirst. Und wenn du es nicht mehr möchtest aus irgendeinem Grund, dann komm zu mir, und ich werde dir dein Wort zurückgeben. Ist das fair?« »Ja«, sagte ich. »Und ich schwöre Treue bis in die Hölle und zurück, solange ich nicht ausdrücklich mein Wort zurückverlangt habe.« »Dann ist's gut«, sagte er. »Reiten wir!« Ich hatte schon vorher mein Bündel gepackt und mein Pferd gesattelt. Ich schwang mich geschmeidig auf mein Pferd und folgte ihm. Und es war mir, als folgte ich meinem König und Vater zugleich. Es war etwas in mir und zwischen uns, was gut und stark war. Als wir die Mannschaft eingeholt hatten, ritt er nach vorn. Ich aber wußte, was mir als Neuling zukam. Ich blieb hinten. Ich war sein jüngster Ritter. Und ich mußte mich gewiß erst noch bewähren. Aber einmal, als wir scharf um eine Biegung reiten mußten, blickte Sybille Morgan von der Seite her zu mir zurück. Mir kam es so vor, als blickte sie traurig und sogar etwas mitleidig. Galt das vielleicht mir? Wir ritten an diesem Tag etwa vierzig Meilen, und es war ein Ritt durch zumeist rauhes Land. Sybille hielt sich prächtig. Sie war dann aber doch am Ende. Morgans Männer bereiteten ihr ein weiches Lager aus Zweigen und Gras. Sie zog sich bald schon nach dem Abendessen zurück. Wir saßen noch eine Weile am Feuer beisammen. Big Herb starrte in die Flammen. Und wir alle schwiegen. Aber ich erkannte, daß seine Männer ihn beobachteten. Er dachte über irgendwelche Probleme nach, und ich fand das verständlich. Denn schließlich wollte seine Nichte mit einem seiner Getreuen abhauen. Sie wollte ihn einfach verlassen. Warum? Diese Frage hatte ich mir in der Zwischenzeit schon oft gestellt, aber ich wußte, daß ich noch keine Antwort darauf finden konnte. Ich kannte die Probleme der Morgans nicht. Vielleicht hatte dieser Al Carrigan das Mädchen einfach verrückt gemacht. Big Herb kam plötzlich auf Carrigan zu sprechen.
Er sagte: »Al war der erste Mann, der mir die Treue brach – hinterhältig. Er hätte das nicht tun dürfen. Bei Sybille war es gewiß eine verrückte Laune, aber für ihn war es Treuebruch. Ich hätte ihn getötet. Das wißt ihr.« Als er verstummte, nickten sie. Und er sprach nach einer Weile weiter: »Aber jede Sache hat zwei Seiten. Und jetzt betrachten wir die andere Seite. Al Carrigan galt immer noch als mein Ranger. Und Sybille ist meine Nichte. Sie gehörten beide zu mir. Und trotzdem sah eine Bande zu, wie einer von diesen Banditen Al Carrigan erschoß und sich dann Sybilles bemächtigte. Wenn Jim Finnegan nicht wie ein Ehrenmann eingegriffen hätte, wäre es eines Tages im ganzen Südwesten bekannt geworden, was man den Morgans antun konnte.« Als er wieder schwieg, nickten nochmals alle Reiter. Er sah nun mich an. »Diese Bande von Irish Capote«, sagte er, »wie lange wird sie wohl drüben in Mexiko bleiben?« Ich überlegte nur kurz und sagte: »Drei Tage etwa. Am vierten Tag spätestens kommen sie über die Grenze zurück, wahrscheinlich nach Mesa Gulch. Sie schonen die Leute dort, nehmen nichts weg und benehmen sich manierlich wie wilde Apachen bei einem fahrenden Händler, auf den sie angewiesen sind.« Big Herb nickte zu meinen Worten. »Und drüben in Mexiko rauben, plündern und morden sie gewiß«, sagte er. »Sie schänden sicherlich auch Frauen. Ich denke, daß sie kein Recht haben, auf dieser Welt zu leben. Jim Finnegan, ich habe den ersten Auftrag für dich! Da du dich hier an dieser Grenze und in diesem Land gut auskennst, wirst du diese Bande vernichten. Restlos! Ich werde dir zwölf Reiter mitgeben. Es sind die besten. Wir haben noch einen halben Tagesritt bis zur Ranch. Wenn ihr also übermorgen losreitet, könnt ihr diese Bande an der Grenze erwarten. Gibt es noch Fragen, Finnegan?« Er sah mich im Feuerschein an. Ich schluckte und leckte mir dann die plötzlich trocken gewordenen Lippen. Dabei begriff ich, daß ich jetzt mein Probestück liefern mußte. Big Herb Morgan hatte wie ein König und oberster Richter ein Urteil gefällt. Nun sandte er mich mit einer Handvoll seiner Ranger aus, um es zu vollstrecken. War das selbstherrlich? War das unverantwortlich anmaßend? Oder war es seine Pflicht, weil er in diesem Land die einzige starke Kraft war, die Ordnung schaffen konnte? Ich kam zu der Auffassung, daß es seine Pflicht war. Diese Bande war übel. Sie raubte, tötete, schändete. Und wenn dieser Irish Capote sich nicht an die alten Zeiten erinnert hätte, würde auch ich jetzt tot sein. Sybille aber … Ich wollte nicht daran denken, was ihr alles bei dieser Bande passiert wäre. Aber Irish Capote hatte gewußt, in was er sich da einließ. Er wollte mit Big Herb Morgan keinen Streit. Deshalb waren Sybille und ich ihnen entkommen. Aber andere Menschen würden nicht davonkommen – zum Beispiel jetzt drüben in Mexiko. Ich sah Big Herb Morgan an und beantwortete seine Frage: »Nein, Sir, es gibt keine Fragen. Sie können sich auf mich verlassen. Diese Bande besteht aus üblen Burschen. Der Abschaum hat sich dort zusammengefunden, und eines Tages, wenn sie Mesa Gulch
nicht mehr brauchen als Standquartier, werden sie auch dort die Leute nicht länger schonen.« Er nickte nur. * Am nächsten Tag ritten wir weiter. Wir befanden uns jetzt schon im Gebiet der MorganRanch. Cass Logan, der zeitweilig neben mir ritt, erklärte mir die Landmarken und natürlichen Grenzen. Das Gebiet der Morgan-Ranch war ein unregelmäßiges Quadrat von etwa hundert mal hundert Meilen. Wenn man oft genug bei den Grenzhütten und Vorwerken das Pferd wechselte, konnte man das Ranchgebiet in einer guten Woche umreiten. Es gab in dem Gebiet einige Siedlungen, Dörfer und zwei kleine Städte. Den Rinderbestand der Morgan-Ranch schätzte man auf mehr als hunderttausend Tiere. Dazu kamen viele Pferdeherden. Bei den Mexikanerdörfern baute man für ihn Mais, Getreide und legte Baumwollfelder an. Er besaß eine eigene Fracht- und Postlinie. Und mit den Apachen hatte er Verträge, die von beiden Seiten peinlich genau eingehalten wurden. Am Nachmittag erreichten wir dann die Haupt-Ranch. Sie war eine Burg, umgeben von Korrals und Weidekoppeln. Ein Mexikanerdorf lag eine halbe Meile von der Ranch entfernt am Fuß einer alten Mission. Dort gab es also billige Arbeitskräfte, sicherlich bekamen diese Mexikaner im Store der großen Ranch Kredit und waren deshalb verschuldet bis an ihr Lebensende. Auch sie mußten treu sein, dann lebten sie relativ gut. Ich sah, wie Sybille ihrem Onkel ins Ranchhaus folgte. Wir alle sahen ihnen schweigend nach. Dann saßen wir ab. Mexikanerjungen nahmen unsere Pferde. Unser Quartier unterschied sich sehr vom Schlafhaus der Mannschaft. Es war ein zweistöckiges Gebäude mit einer großen Wohnhalle unten, deren Prunkstück ein Kamin war. Dies also war der »Rittersaal« von Big Herb Morgans Rangers. Wir wohnten gewiß nicht schlechter als der Boß selbst und hatten einen Chinesen und einen jungen Mexikaner zu unserer Bedienung. Als ich später kurz vor dem Abendessen über die große Ranch schlenderte und mir alles ansah, kam ein junger Bursche auf mich zu, der mir beide Hände hinstreckte. Er war gewiß nicht älter als zwanzig, aber er wirkte verwegen. Er war hübsch und sah Sybille ähnlich. Er sagte: »Vielen Dank, Finnegan, daß Sie meiner Schwester beistanden. Ich bin Johnny Morgan. Obwohl ich hier kaum mehr zu sagen habe als ein Cowboy und für meinen großen Onkel noch ein dummer Junge bin, der vielleicht nie ein Mann nach seinem Herzen werden wird, möchte ich Ihnen sagen, daß ich mich revanchieren würde, wenn ich könnte. Ich liebe Bille sehr. Was Sie für Bille taten, stellt mich tief in Ihre Schuld.« Ich schüttelte ihm die Hand. Seine Augen waren etwas unruhig. Er war noch kein richtiger Mann – aber wild und verwegen. Er verschwendete sich gewiß noch sehr an unnötigen Dingen. Und vielleicht hatte er sogar schon aufgegeben, größer werden zu wollen als des Onkels Ranger. Ich sah ihn an und murmelte dann: »Vielleicht können Sie mir etwas verraten, Johnny. Warum wollte Ihre Schwester mit Al Carrigan durchbrennen? Liebte sie ihn so sehr? Und
warum war er dann nicht gut genug, um mit ihr hier sein Glück zu machen? Warum wollten sie fort?« Er sah mich an, nagte an seiner Unterlippe, wie es auch manchmal seine Schwester tat. Dann wischte er sich plötzlich Schweiß von der Stirn. »Darüber kann ich nichts sagen«, murmelte er. »Es tut mir leid, aber darüber kann ich nicht reden.« Und er ließ mich stehen. Ich ging weiter, sah mir die Ranch an und wußte, daß ich für den größten und mächtigsten Rinderzüchter des ganzen Südwestens ritt. Eine Glocke läutete zum Abendessen. Wir aßen im Haupthaus an der großen Tafel des Ranchers. Auch die Vorleute und Verwalter gehörten hier zu der Runde. Sybille war nicht dabei. Aber das war verständlich nach ihren Erlebnissen mit diesem Ritt durch das rauhe Land. Wenn ich nur gewußt hätte, warum sie mit diesem Al Carrigan ausgekniffen war. Wahrscheinlich wollten sie nach Mexiko. Und was wollten sie dort? Es mußte ein Geheimnis geben. Das war klar. Sybille Morgan war längst mündig. Sie war kein dummes Ding mehr. Und dennoch ließ ihr Onkel sie nicht gehen und ihr eigenes Leben führen. Er war hinter ihr und Carrigan hergesaust wie ein zürnender Rächer. Und er hatte uns unterwegs im Camp gesagt, daß er Al Carrigan getötet hätte. Konnte er das? War er noch so schnell mit dem Colt, daß er jeden von uns Revolverkämpfern schlagen konnte? Auch darüber mußte ich nachdenken, während ich schweigend inmitten der Runde saß, mein Abendbrot aß und mir alle Männer betrachtete. Big Herb Morgan hatte sich die besten Männer unter Hunderten oder gar Tausenden ausgesucht. Er hatte Jahre dazu gebraucht. Auch seine Vormänner und Verwalter waren allererste Garnitur, und wenn wir Ranger sozusagen Big Herbs Ritter und Hauptleute waren, so waren sie vergleichbar mit den ersten Verwaltungsbeamten eines Staates. Ich begriff an diesem Abend noch, daß die Morgan-Ranch mehr war als nur eine Riesenranch, in deren Gebiet, drei-, vier- oder fünfhundert Menschen lebten. Dies hier war ein kleiner Staat, ein Königreich, und es würde mit den Jahren immer größer und vollkommener werden. Ich hörte auch, wie Big Herb Morgan an seine Männer Anweisungen für die nächsten Tage gab. Typisch dafür war zum Beispiel eine Anweisung an den Vormann Paco Rodriges. Big Herb sagte im Verlauf der Abendmahlzeit. »Paco, wir schaffen uns einige Schafherden an. Ich weiß, du verstehst dich auf Schafe. Ich will, daß diese Schafherden außerhalb meiner Grenzen in der Runde ziehen. Ich denke an vier Herden von je zweitausend Tieren. Ich will, daß außerhalb meiner Weide- und Landesgrenzen ein zehn Meilen breiter Ring nach Schafen stinkt. Ich will damit erreichen, daß mir kein fremder Rinderzüchter zu nahe an die Grenzen rückt. Und wo Schafherden ziehen, kann auch kein Heimstätter siedeln. Du kannst die Schafe aus Mexiko herübertreiben lassen. Ich wette, daß du kaum mehr als eineinhalb Dollar pro Tier zahlen mußt. Ist alles klar, Paco?« Der verwittert wirkende Vormann mexikanischer Abstammung nickte. »Si, Señor.« Ich hörte das alles, und ich lernte viel dabei. Aber dann dachte ich daran, daß ich morgen mit zwölf Männern zur Grenze von Mexi-
ko reiten mußte, um Irish Capote und dessen Bande zu vernichten. Wenn ich das nicht tat oder nicht zustande brachte, konnte ich gleich mein Bündel packen. Aber das wollte ich nicht. Mir gefiel es hier. Diese Männer rings um den großen Eichentisch waren von meiner Art. Ich war hier unter gleichwertigen Kämpfern. Das gefiel mir. Ich begriff, daß wir etwas Großes schufen. Inmitten eines Territoriums der Union schufen wir unseren eigenen Staat. Das reizte mich, wie es gewiß zuvor schon all die anderen Männer gereizt hatte. Deshalb begriff ich auch, daß wir etwas gegen diese Banditen tun mußten. Und so wie Paco soeben den Auftrag erhalten hatte, Schafherden zu beschaffen, so war die Vernichtung der Banditen meine Aufgabe. So einfach erschien mir das damals. * Die Sonne war noch nicht über den Bergen, als wir losritten. Big Herb Morgan stand auf der Veranda wie ein General vor der Kommandantur eines Forts. Er hatte mir soeben noch ein paar Worte gesagt und dabei eigentlich nur wiederholt, daß ich die Bande für immer zerschlagen und so restlos wie möglich vernichten sollte. Er hatte mir nicht gesagt, was sein würde, wenn ich das nicht schaffte. Aber ich wußte auch so, was dann sein würde. Versager konnte er nicht gebrauchen. Vielleicht würde er mir dann einen Job als Cowboy anbieten. Im oberen Fenster des mächtigen Haupthauses sah ich Sybilles Oberkörper. Sie hatte sich einen hellblauen Morgenmantel übergeworfen, und ihr honigfarbenes Haar fiel ihr über die Schultern. Sie winkte, und ich glaubte, daß sie nur mir allein zuwinkte. Denn sie tat es im selben Moment, da ich mich umsah und sie oben im Fenster entdeckte. Ich zog meinen Hut und schwenkte ihn. Dann ritt ich schneller. Hinter mir folgten zwölf Reiter. Cass Logan und Bud Shannon waren dabei. Das war mir recht, denn sie kannte ich am besten, und wir waren uns schon einander etwas nähergekommen. Wir ritten schweigend und stetig. Wir alle waren sogenannte »Langreiter«, also zähe Burschen, die endlose Stunden im Sattel bleiben konnten. Wir ritten den ganzen Tag, und als die Nacht anbrach, kamen wir in ein Gebiet, in dem ich mich gut genug auskannte, um auch in der ziemlich dunklen Nacht reiten zu können. Unsere Pferde hatten nur dann und wann etwas verschnaufen können. Aber wir waren nie im Galopp geritten und hatten einen stetigen Trott beibehalten, der uns auf lange Distanz schneller zum Ziel brachte. Als der Morgen graute, erreichten wir den Rio Grande bei jener Furt, die, wie ich mir ausgerechnet hatte, wahrscheinlich von der Bande bei ihrem Rückzug benutzt werden würde. Ich hatte in Mesa Gulch von jenem Larry genug gehört, um mir einigermaßen ausrechnen zu können, wie der Rückzug der Bande verlaufen würde. Ich brauchte den Reitern nicht zu sagen, wie sie sich verteilen mußten und wie wir es machen sollten. Jeder von ihnen war erfahren, vielleicht sogar erfahrener als ich. Jeder hätte an meiner Stelle das Kommando haben können. Aber ich kannte mich hier am besten aus. Ich hatte die einzig richtige Stelle finden müssen. Wir waren keine Stunde zu früh gekommen. Wir sahen die Horde kommen, und man
sah ihr an, daß sie einen erfolgreichen Raubzug gemacht hatte. Sie waren beladen mit Beute und trieben nicht nur Packpferde, sondern auch noch eine große Remuda in die Furt. Diese Remuda bestand aus besonders edlen Tieren, wahrscheinlich von einer berühmten Zucht. Solch herrliche Pferde hatte ich zwar zuvor auf der Morgan-Ranch gesehen, doch ich war sicher, daß es keine dritte Zucht dieser Art geben konnte. Die gestohlenen Pferde waren ein Vermögen wert. Ich sagte laut genug zu meinen Männern, die überall hinter Felsen und Büschen auf der Lauer lagen: »Wir lassen sie ans Ufer kommen und geben es ihnen dann!« Die Bande kam ruhig durch die Furt geritten. Sie hatten Verluste gehabt. Zum Beispiel jener Larry war nicht dabei. Einige Hombres waren verwundet, trugen Verbände oder saßen schief im Sattel. Sie alle wollten nach Mesa Gulch, um dort den erfolgreichen Coup zu feiern, um sich wieder zu pflegen, zu erholen. Irish Capote führte die Bande an. Es war abgemacht, daß ich mit meinem ersten Schuß das Signal geben würde. Ich zielte mit meinem Gewehr auf Irish Capote. Und ich zögerte. Noch niemals hatte ich einen Mann aus dem Hinterhalt abgeknallt. Auch jetzt konnte ich es nicht, obwohl wir in der Minderzahl waren und es meine Pflicht war, uns vor eigenem Verlust zu schützen. Ich nahm das Visier etwas tiefer und traf Capotes Pferd. Es überschlug sich nach hinten, warf den Reiter ab, daß das schlammige Wasser des Flusses aufspritzte. Und dann ging es los. Meine Männer waren alle Scharfschützen. Die Entfernung betrug weniger als zweihundert Yards. Sie trafen alles, was sich dort unten bewegte. Aber es kam noch anders. Die Bande wandte sich zur Flucht. Sie machte kehrt und flüchtete auf die mexikanische Seite zurück. Das Wasser der Furt spritzte, und es gab ein wildes Durcheinander. Dazwischen stürzten Pferde, fielen Reiter herunter und verursachten die Packtiere und die erbeutete Pferdeherde ein heilloses Durcheinander. Ich begriff schon jetzt, daß es auch meinen Männern nicht leichtfiel, aus dem Hinterhalt auf flüchtende Banditen zu schießen. Auch sie zielten lieber auf die Pferde. Deshalb konnten viele der Banditen glatt aus der Furt auf die mexikanische Seite entkommen. Aber dann kamen sie vom Regen in die Traufe. Drüben tauchten Reiter auf und machten kurzen Prozeß. Sie empfingen die in wilder Flucht aus der Furt hochjagenden Banditen mit einem Kugelregen, und sie waren in der Überzahl. Wir brauchten gar nicht mehr zu schießen, sondern konnten zusehen, wie dieses mexikanische Aufgebot die Bande restlos erledigte und kein Pardon gab. Wir hatten die Bande nicht nur in die Flucht geschlagen, sondern ihren Verfolgern in die Gewehre gejagt. Dann wurde es still. Ein Dutzend Pferde lagen in der Furt, denn diese war zu niedrig, um die toten Tiere abtreiben zu lassen. Auch einige tote Banditen trieben den Fluß hinunter. Drüben war es schlimmer. Dort lagen die Banditen am Strand und auf der Uferwiese. Die Verfolger und Rächer dort drüben gingen von Mann zu Mann und überzeugten sich, ob diese auch wirklich tot waren. Sie fingen Packtiere und die Zugpferde wieder ein. Ich sah, daß Irish Capote noch lebte. Er war im Wasser hinter sein gestürztes Pferd gekrochen. Nun – da er erkannte, daß es keine Chance mehr für ihn gab – kam er hoch. Er
schüttelte beide Fäuste hoch über dem Kopf und schlug sie sich dann herausfordernd gegen die Brust, ganz und gar eine deutliche Geste der Verachtung und der Aufforderung, ihn doch jetzt auch aus dem Hinterhalt zu erledigen. Er bot uns seine breite Brust, riß sogar sein nasses Hemd auf. Aber niemand von uns schoß. Und auf der anderen Seite waren die zornigen Rächer viel zu weit, da der Fluß sehr breit war. Sie konnten ihn mit ihren Kugeln nicht erreichen. Ich ging zu meinem Pferd, saß auf und ritt zu Irish Capote hinunter, um ihm die Chance eines Kampfes zu geben. Ich war es uns allen schuldig. Jeder von uns dachte so, und wenn ich Capote die Chance eines ehrlichen Kampfes gab, würden wir alle uns besser fühlen. Capote gab es auf, uns länger die entblößte Brust zu zeigen. Er begriff, was für eine Chance er hatte. Und er kam mir aus dem Wasser entgegen. Sein Colt war noch im Halfter. Er lockerte ihn mit einer mechanischen Bewegung. Ich hielt mein Pferd an und saß ab. Dann ging ich ihm entgegen. Als wir nur noch etwa ein Dutzend Schritte voneinander entfernt waren, hielten wir wie auf ein stillschweigendes Übereinkommen an und verharrten noch einige Atemzüge. »Du Hundesohn«, sagte Capote. »Ich ließ dir in Mesa Gulch den Skalp, obwohl du Louis Brasada umgelegt hattest, der zu uns gehörte. Wegen früher habe ich dir diese Chance gegeben. Aber was ist dein Dank dafür? Du legst dich mit einer Bande von …« »Es sind Big Herb Morgans Ranger«, sagte ich. »Und letztlich hat Louis Brasada euch dies eingebrockt, als er den Begleiter von Morgans Nichte erschoß.« Er dachte eine Sekunde darüber nach, dann nickte er. »Na schön«, sagte er. »Und wenn ich dich jetzt schaffen kann, werde ich davonkommen können, ja?« Ich nickte. Und dann zog er. Seine Kugel streifte meine Rippe. Denn ich traf ihn schon, als er abdrückte. Seine Hand wurde dadurch etwas zur Seite gerissen. Ich traf ihn noch einmal, bevor er die zweite Kugel abfeuern konnte. Und dann fiel er. Ich ging zu meinem Pferd, saß auf und ritt in die Furt. Denn von der anderen Seite kam mir der Anführer des Aufgebotes entgegen. Wir trafen uns in der Mitte des Flusses. Der Mann war dunkelhaarig und zeigte blitzende Zahnreihen. Er trug Zivil, aber er grüßte militärisch, indem er die gestreckte Hand gegen die breite Krempe seines Sombreros führte. »Ich bin Capitano Rodriges«, sagte er. »El Presidente Juarez sandte mich in dieses Gebiet, um die Banditen zu bekämpfen. Noch führe ich Freiwillige. Doch bald werden wir reguläre Rurales sein. Ich bin Ihnen für Ihre Hilfe sehr dankbar, Señor. Wir glaubten schon, die Banditen wären uns entkommen. Ich habe durch Ihre Hilfe einen großen Erfolg errungen, den ich nach der Hauptstadt melden kann. Ich revanchiere mich gern. Sie gehören zur Morgan-Ranch, Señor?« Ich nickte, und ich wußte, daß er es am Brandzeichen meines Pferdes gesehen hatte. Dieses Zeichen – ein verschnörkeltes M – war überall bekannt, auch drüben in Mexiko. »Ja, ich reite für Herb Morgan«, sagte ich. »Und ich spreche in seinem Sinn, wenn ich Ihnen versichere, Capitano, daß wir in bezug auf die Banditenbekämpfung gern mit Ihnen
zusammenarbeiten möchten. Mein Name ist Finnegan, Jim Finnegan.« Er nickte. Dann grüßte er wieder und ritt zurück. Ich sah ihm nach. Dieser Bursche wollte und sollte also hier eine Rurales-Abteilung aufstellen. Das bedeutete also, daß die Grenze von Mexiko nicht länger mehr unbewacht war. Aber es kam wohl darauf an, wieviel Meilen Grenze dieser Capitano bewachen sollte – zehn Meilen, hundert oder noch mehr. Ich schätze, daß es mehr als hundert Meilen sein würden. Und damit würde die Grenze fast so durchlässig sein wie bisher auch, Banditen würden weiterhin herüber und hinüber reiten. Nur dann und wann konnte man welche erwischen, Ich ritt zurück. Meine Männer erwarteten mich. Und sie waren ernst und verbittert, doch sie nickten mir zu. Dadurch, daß ich diesem Irish Capote eine faire Chance gelassen hatte und von ihm sogar leicht durch einen Streifschuß verwundet worden war, hatte ich ihnen eine Menge Bitterkeit genommen. Sie schämten sich wegen dieses Hinterhaltes nicht mehr so sehr. Wir begruben die Toten auf unserer Flußseite. Die Mexikaner taten es drüben, und sie hatten mehr zu bestatten. Ich ließ aufsitzen. Wir ritten weg. Erst nach einigen Meilen ließ ich an einem Bach das Camp aufschlagen. Unsere Pferde brauchten einige Stunden Ruhe. Wir sprachen nicht viel, und obwohl wir alle viele Stunden nichts gegessen hatten, aßen wir wenig später ohne Appetit. Dann schliefen wir abwechselnd. Aber jeder von uns hatte gewiß böse Träume. Erst am späten Nachmittag, als wir noch einmal ein paar Happen aßen, da sagte Cass Logan für uns alle: »Wir sind Big Herb Morgans Ranger, nicht wahr? Wir reiten herum und sorgen überall für Ordnung. Wir schützen in unserem Bereich die Guten vor den Bösen. Und wir tun das alles für eine bessere Zeit. Heute haben wir getötet und zugleich damit vielen friedlichen Menschen das Leben gerettet. Was ist falsch daran? Nichts ist falsch! Es ist nur bitter. Aber jemand mußte es tun! Und wer außer uns hätte es tun können? Wer? Es gibt noch keine Vertreter des Gesetzes hier. Big Herb ist das Gesetz, und wir helfen ihm, etwas Großartiges zu schaffen. Was wir heute taten, mußte einfach sein.« Sie nickten zu seinen Worten, dann sahen sie mich an. »Du hast uns gut geführt«, sagte einer. »Und du bist mit diesem Irish Capote zurechtgekommen, von dem man glaubte, er wäre von keinem anderen Revolverkämpfer zu schlagen. Du wirst bei Big Herb dein Glück machen, Jim Finnegan.« Ich nickte. »Vielleicht«, sagte ich. Und nach einer kleinen Pause fragte ich: »Weiß jemand von euch, warum Al Carrigan mit Morgans Nichte nach Mexiko unterwegs war? Und warum war der Boß hinter ihnen her wie hinter Dieben? Könnt ihr mir das erklären? Oder ist das ein Geheimnis, was ich nicht erfahren darf, weil ich immer noch nicht richtig zu euch gehöre?« Sie schwiegen eine Weile, und sie vermieden es, mich anzusehen. »Wir glauben schon, daß du jetzt richtig zu uns gehörst«, sagte Bud Shannon dann etwas schwerfällig. »Doch so richtig wissen auch wir nicht Bescheid. Wir können dir nur das sagen: Das Mädchen wollte zu ihren Großeltern. Die leben in Mexiko. Es sind die Großeltern ihrer Mutter, welche einst Big Herb Morgans Bruder heiratete. Die Morgan-
Brüder fingen damals vor fast zwanzig Jahren als gleichberechtigte Partner hier an, und damals war es hier noch schlimmer mit den Apachen und Banditen. Sybilles Mutter war übrigens eine Adlige, Ihr Großvater ist Don Estobal de Coronada. Die Familie hat damals nach der Eroberung von der spanischen Krone einige Landschenkungen erhalten. Auch die Morgan-Ranch soll zum großen Teil auf solch einer Landschenkung liegen. Sonst hätten ja die Morgan-Brüder nicht hier ihre Ranch gegründet.« »Und was geschah mit Sybilles Eltern?« fragte ich. »Banditen«, erwiderte Bud Shannon. »Vor mehr als fünfzehn Jahren kamen sie auf dem Weg nach Santa Fe bei einem Banditenüberfall um. Big Herb, der damals auch mit dabei war, wurde schwer verwundet und überlebte wahrscheinlich als einziger. Er hat Sybille aber nicht den Großeltern überlassen, sondern bei sich behalten und großgezogen. Das ist alles, was wir wissen, Jim Finnegan. Wenn Herb Morgan etwas besitzt, gibt er es nicht mehr her, denn das ist nun mal sein Stil. Er gibt also auch Sybille nicht her. Wahrscheinlich liebt er sie zu sehr. Schließlich ist sie doch seine einzige Erbin! Hat er nicht ein Recht darauf, mitbestimmen zu können, welchen Mann sie sich einmal nimmt? Sie wird ein Königreich erben. Das Lebenswerk von Big Herb! Da muß er schon aufpassen, daß sie einen Mann bekommt, der groß genug für die Nachfolge ist. Al Carrigan war es seiner Meinung nach nicht.« Nun wußte ich schon besser Bescheid. Aber ich witterte, daß es da noch ein Geheimnis gab. Hing es mit der Schenkung zusammen? Dann war Sybille ganz und gar die Erbin. Und wenn die amerikanische Regierung die einstige Schenkung des spanischen Königs anerkannte, dann konnte es sein, daß die Morgan-Ranch schon jetzt Sybille gehörte und ihr Onkel gar nicht der König war, für den er sich hielt. Ich begriff plötzlich, daß die Männer hier im Camp dies alles ebenfalls wußten. Aber sie sprachen nicht darüber. Denn ihrer Meinung nach hatte Big Herb Morgan ein Recht auf sein Königreich. Die Schenkung war nur ein weites Gebiet von Wildnis. Diese Wildnis wurde erst durch Big Herb Morgan etwas wert. So dachte ich auch. Aber warum hatte er Angst davor, daß Sybille ihm das Lebenswerk zerstören könnte? Für so dumm und leichtsinnig hielt ich sie nicht. Und gewiß hatte sie ein Recht darauf, die Großeltern zu besuchen. Ich ahnte, daß sie bald wieder auszukneifen versuchen würde. Allein? Oder würde sie abermals einen von uns als Begleiter wählen? * Als wir die Ranch erreichten, kamen wir noch zurecht, um am Abendbrot teilnehmen zu können. Wir waren mit kleinen Pausen genau vierundzwanzig Stunden im Sattel gewesen. Ich machte Big Herb mit wenigen Worten die Vollzugsmeldung und berichtete mit ein paar weiteren Worten über den Rurales-Capitano Rodriges, dem die flüchtende Bande in die Gewehre geritten war. Big Herb stellte noch einige Fragen. Dann nickte er. Die Sache war für ihn erledigt. Er sprach kein Lob aus – nur das Nicken war seine ganze Anerkennung.
Was wir getan hatten, war für ihn wahrscheinlich ganz selbstverständlich. Und auch die anderen Reiter empfanden vielleicht so. Für mich jedoch war es noch nicht so einfach. Wir gingen früh schlafen. Ich bewohnte in unserem Haus zusammen mit Bud Shannon ein Zimmer. Bevor wir einschliefen, sagte Bud Shannon: »Du hast die Probe bestanden. Paß auf, morgen wird der Cowboy-Vormann zu dir kommen und dich fragen, wie dein Brandzeichen aussehen soll. Und dann wird er dir sagen, daß er den Befehl erhielt, eine bestimmte Menge Rinder mit deinem Brandzeichen zu versehen. Ich glaube nicht, daß es weniger als drei Dutzend Tiere sein werden. Und beim jährlichen Round-up bekommen auch die Kälber dieser Tiere deinen Brand. Deine Herde wird sich also auf zweierlei Weise vergrößern, nämlich durch die natürliche Vermehrung und durch neue Tiere, die Big Herb dir als Prämie gibt. Ich selbst habe laut Zählbuch schon zweihundertsiebenundfünfzig Tiere. Und ich reite erst zwei Jahre für Herb Morgan. Man kann bei ihm sein Glück machen. Alles, was er dafür erwartet, ist Treue. Aber er belohnt dich nobel wie ein König. Schlaf gut, Amigo Finnegan.« Ich glaubte zuerst, daß ich nicht würde einschlafen können. Denn mir war so, als wäre ich aus einer Schlacht gekommen. Ich mußte auch erst noch mit der Erkenntnis fertig werden, daß ich an einem besonderen Markzeichen meines Lebens stand oder an einem bestimmten Punkt, von dem an es hinauf in große Höhen oder hinab in böse Tiefen gehen würde. Aber dann schlief ich ein. Irgendwann träumte ich von Sybille. Sie küßte mich und war betörend zu mir. Und dann ritten wir irgendwohin, waren auf der Flucht. Jemand schoß mich bei dieser Verfolgung von hinten aus dem Sattel. Ich erwachte. Meine Streifwunde, die Irish Capote mir beigebracht hatte, schmerzte leicht. Und abermals träumte ich von Sybille. Aber es war ein wirres Zeug, an welches ich mich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern konnte. Nur eines wußte ich jetzt ziemlich sicher: Diese Sybille ließ mich nicht mehr los. * Am nächsten Tag ließ Big Herb mich kommen. Er sagte: »Jim, du hast Sybille in Mesa Gulch so gut beschützen können. Sie hat die ganze Sache nun auch wohl wieder so weit überstanden, daß sie wieder herumreiten kann. Sie ist immer gern geritten. Es wird sie jetzt auf andere Gedanken bringen. Du aber mußt möglichst zwanglos unsere Grenzen und die Weide kennenlernen. Ich gebe dir Sybille als Begleiterin mit. Laß dir von ihr alles erklären.« Er machte nach diesen Worten eine kleine Pause. Dann sprach er: »Al Carrigan hätte bei mir sein Glück machen können. Aber nun ist er tot. Er wäre so oder so tot gewesen, denn ich war schon dicht hinter ihm. Sybille wird vielleicht versuchen, in dir einen neuen Carrigan zu finden – gerade mit dir, weil du sie in Mesa Gulch gerettet hast. Ich hätte euch auch auseinanderhalten können. – Aber was nützt das schon? Ich werde herausfinden, ob du mir treu bist und dein Wort etwas gilt.« Nach diesen Worten entließ er mich. Mir war nicht ganz wohl, als ich zu den Korrals ging, wo Sybille schon im Sattel wartete. Auch für mich war ein Pferd gesattelt. Die mexikanischen Pferdeburschen kannten meinen Sattel schon ganz genau.
Sybille nickte mir zu und lächelte. Und dann ritten wir schweigend hinaus auf die weite Weide. Die Pferde waren schon ungestüm und wollten laufen. Ich hatte einige Mühe, Sybille einzuholen, als sie ihrem Tier plötzlich den Kopf freigab. Sie konnte reiten wie ein Cowgirl oder eine Indianerin. Als wir irgendwo in den Hügeln waren, hielt sie an und ritt dann im Schritt weiter. Sie begann, mir das Land zu erklären, zeigte mir Landmarken und berichtete mir viele Dinge: wo zum Beispiel Weidehütten lagen, wo Wasserstellen waren, was hinter jener und dieser Hügelkette war, wie die Wege und Pfade verliefen. Sie tat dies alles ganz sachlich. Aber immer, wenn sie mich ansah, forschten ihre Augen. Es waren graugrüne Augen von unwahrscheinlicher Schönheit und Ausdruckskraft. Und selbst bei sachlichen Erklärungen war ihr Mund von einer Lebendigkeit, die mich immer mehr erkennen ließ, wie sie fühlte und dachte. Dieser Mund gefiel mir. Ich spürte ständig den Wunsch, ihn zu küssen. Himmel, was war Sybille Morgan doch für ein herrliches Mädchen! Die ganze Zeit wußte ich auch, daß sie irgendwann auf ihre eigenen Probleme zu sprechen kommen würde. Ich spürte auch, wie sie mich prüfte. Sie wußte nicht, ob sie mir trauen durfte. Aber sie wollte es gern. Denn ich hatte in Mesa Gulch für sie mein Leben eingesetzt. Sie wußte auch längst schon mit dem feinen Gefühl einer Frau, wie sehr sie mir gefiel. Als wir einmal an einem Bach hielten und die Pferde etwas Wasser nehmen ließen, da fragte ich sie geradezu: »Sybille, bedeutete Ihnen Al Carrigan sehr viel?« Sie sah mich lange an, dann murmelte sie: »Er wollte mir helfen. Er wollte mich aus meiner Gefangenschaft befreien und brach dabei sein Wort an Herb Morgan. Er bedeutete mir soviel wie ein treuer Freund, wie ein älterer Bruder. Wenn dieser Bandit in Mesa Gulch es nicht getan hätte, so würde ihn mein Onkel getötet haben. Dies ist ein Zeichen, daß mein Onkel mich beobachten läßt. Denn mit Al Carrigan ritt ich über die Weide wie jetzt wir beide. Ich bat ihn, mir zu helfen. Er wollte es sofort, und so ritten wir los. Aber die Verfolger waren schnell hinter uns.« Sie glitt plötzlich vom Pferd. Auch ich saß ab. Wir traten an das Wasser. Ich fragte: »Und wie haben Sie Carrigan so schnell zum Wortbruch bringen können?« Da wandte sie sich mir zu. Sie trat wortlos zu mir, legte mir ihre Arme um den Hals, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte mich. Ich spürte, daß sie mir ein Versprechen gab. Dann trat sie zurück, und ich merkte erst jetzt, daß ich sie umfaßt hatte und erst freigeben mußte, als sie sich von mir lösen wollte. Sie sah mich an und sagte: »Damit habe ich ihn für mich gewinnen können. Wie ist es mit dir, Jim Finnegan?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin doch kein Narr«, sagte ich. »Wenn du in Not bist, helfe ich dir zu jeder Zeit wie in Mesa Gulch. Aber erst mußt du in Not sein. Du kannst mich nicht mit einem Versprechen kaufen. Ich muß dich jetzt für zumindest etwas verrückt halten. Willst du mir nicht alles erzählen?« Sie betrachtete mich nachdenklich, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich kann keinem Menschen trauen«, sagte sie. »Wenn die Belohnung, die ich dir soeben versprochen habe, nicht ausreicht für dich, um an Carrigans Stelle zu treten, dann
lassen wir es lieber.« Sie saß auf, bevor ich ihr helfen konnte, und ritt weiter. Wir ritten den ganzen Tag und kamen kurz vor Sonnenuntergang zu einem Vorwerk, bei dem ihr Bruder Johnny arbeitete. Johnny war damit beschäftigt, Löcher für einen Korralzaun zu graben. Der Boden war unter der Grasnarbe recht steinig und hart. Er mußte mit der Spitzhacke durch. Als er uns sah, hielt er inne und betrachtete uns nachdenklich. »Ich habe mein Soll erst erfüllt«, sagte er, »wenn dieses Loch fertig ist. Finnegan, Sie sind ein edler Ritter. Gegen Sie bin ich ein Sklave. Mein Onkel läßt mich von seinen Vorleuten wieder mal zur Schnecke machen, nur weil ich drüben in Santa Clara ein wenig über die Stränge schlug und zwei Nächte bei einem Mädchen blieb. Ja, ich habe mich auch betrunken. Und dann habe ich mich mit einem Burschen geprügelt, der glaubte, ein älteres Recht auf die Kleine zu haben. Aber gibt das alles Onkel Herb das Recht, mich wie einen Sklaven niedrigste Arbeit verrichten zu lassen? Sage es mir, Schwester!« Sie sah den Bruder seltsam an. Da ich sie beobachtete, konnte ich genau erkennen, wie prüfend sie ihn betrachtete. Johnny Morgan war noch kein richtiger Mann, obwohl er körperlich sogar recht beachtlichen Männern gewiß überlegen war. Aber er war seinem Charakter nach ein Mann, der niemals jene Reife und Festigkeit erlangt, die letztlich den Wert eines Mannes bestimmen. Johnny würde immer ein Verrückter bleiben, der sich verschwendete und mit Wildheit und Verwegenheit immer wieder neu beweisen mußte, was für ein großartiger Kerl er doch war. Ich kannte diese Sorte. Sie war irgendwann zum Untergang verurteilt. Sybille sagte plötzlich hart: »Warum verrichtest du diese Arbeit, Bruder, wenn sie dir nicht paßt? Unser Onkel wartet nur darauf, daß du ihm vor die Füße spuckst und deiner Wege reitest. Denn er weiß, daß du außerhalb seines Machtbereiches schnell vor die Hunde gehen würdest. Niemand würde dich dann noch schonen aus Furcht vor deinem mächtigen Onkel. Jeder könnte dir zeigen, wie groß du wirklich bist. Hier wagt es keiner richtig. Und daß sich irgendein Bursche aus einem Mexikanerdorf wegen eines Mädchens mit dir prügelte, bedeutet nichts. In Wirklichkeit stehst du hier sozusagen unter Naturschutz. Du bist der Neffe von King Herb.« Johnny Morgan starrte die Schwester mit offenem Mund an. Unbeweglich stand er mit der Picke in den Händen im Scheine der Abendsonne und staunte. »Ja, du hast recht, große Schwester«, sagte er schließlich. »Mich würde der Onkel reiten lassen – dich läßt er dies nicht tun. Was steckt hinter diesem Widersinn? Nur die Tatsache, daß du eine Frau bist?« Sie sah auf mich. Dann saß sie ab und warf mir die Zügelenden zu. Ich wußte, daß ich unsere müden Pferde in den Korral bringen und versorgen sollte. Sybille wollte ungestört mit ihrem Bruder reden. Ich gehorchte, und ich hatte viel zu überlegen. Als ich fertig war und in das Blockhaus trat, kam Sybille. Sie wusch sich an der Baumröhrenleitung, die von den nahen Hügeln ständig frisches Wasser brachte und einen kleinen Teich füllte. Ich beobachtete sie durch das Fenster. Dann kam sie zu mir. Ich zündete die Lampe an, denn hier im Blockhaus war es schon sehr dunkel.
Sybille blieb neben der Tür stehen. Ich fragte: »Hast du jetzt deinen Bruder dazu überredet, mit dir die Flucht zu ergreifen?« »Und wenn es so wäre?« fragte sie. Ich schüttelte den Kopf. »Dieser Al Carrigan schaffte es nicht mal«, sagte ich. »Und gegen Carrigan ist dein Bruder Johnny nichts – gar nichts.« »Ich habe sonst niemanden, dem ich vertrauen könnte«, erwiderte sie ernst. »Ich muß fort. Ich muß mich aus meines Onkels Machtbereich retten. Ich bin in Gefahr.« »Erzähle mir alles«, forderte ich. »Ich ließ dich auch in Mesa Gulch nicht ohne Hilfe. Ich würde …« »Du wurdest von Big Herb gekauft«, sagte sie. »Er kauft alle Männer, die er haben will – alle. Er bezahlt euch gut, gibt euch Rinder und verspricht euch Land. Damit kauft er euch. Ich konnte nur Al Carrigan trauen. Und vielleicht kann ich auch meinem Bruder Vertrauen schenken. Hol Wasser herein. Ich will das Abendbrot zubereiten. Wir sind heute nur zu dritt. Die beiden hier stationierten Reiter wurden heute vormittag irgendwohin geschickt, wo sie dringend benötigt werden. Nur mein Bruder mußte bleiben, um Löcher zu graben.« Ich ging hinaus, nahm die beiden Eimer, welche neben der Tür standen, und holte Wasser. Die Sonne sank nun im Westen endgültig. Ich konnte sie nicht mehr sehen, doch sie hatte aus ihrer Versenkung dort hinter den Bergen noch roten Schein gegen den Himmel geworfen. Nun aber krochen die Schatten der Nacht heran und fraßen das Rote vom Himmel. Das ging sehr schnell. Ich wollte nach Johnny Morgan sehen, doch es war schon zu dunkel. Man konnte keine fünfzig Yards weit sehen. Nebel stiegen. Ich lauschte, denn ich mußte ihn doch hören können. Aber ich hörte nichts. Da rief ich nach ihm. »Komme ja schon«, erwiderte er und tauchte auch schon aus der Dunkelheit auf. Er hielt seinen Kopf gesenkt, so daß sein Hut sein Gesicht verdeckte. Er schlurfte müde über den Boden. Seine Schaufel trug er über der Schulter. »Du konntest ja gar nichts mehr sehen«, sagte ich. Und dann kam die Schaufel. Ich war nicht darauf vorbereitet, deshalb reagierte ich zu langsam. Ich erkannte sie auch erst im letzten Moment. Es war zu dunkel. Ich bekam das Schaufelblatt auf den Kopf. Zuerst ging ich auf die Knie. Dann wollte ich mich mit dem Rest von Energie nach vorn werfen, um die Beine des Gegners zu erwischen. Vielleicht konnte ich ihn umwerfen. Aber der Mann sprang zurück und gab es mir nochmals mit der Schaufel. � Ich fiel in dunkle Tiefen. � * Als ich erwachte, brannte eine Lampe – und ich begriff, daß es die Lampe des Blockhauses war. Ich lag am Boden. Als ich mich aufsetzte, sah ich Johnny Morgan an der Wand stehen. Seine Schwester stand neben ihm. Aber wir waren nicht allein. Ein Mann lehnte von innen an der geschlossenen Tür, ein großer, hagerer und indianerhaft wirkender Mann. Er erinnerte mich an einen Mann, den ich schon mal gesehen hatte,
aber ich konnte mich nicht an den Namen erinnern. Johnny Morgan, der nun sah, daß ich aufgewacht war, sagte heiser: »Aufgepaßt, Jim Finnegan! Das ist Ringo Laredo!« Nach dieser Warnung wußte ich es. Ich hatte das Gesicht schon auf einigen Steckbriefen in Santa Fe, Taos, El Paso und auch drüben in Tucson gesehen. Ringo Laredo hatte eine ganze Menge auf dem Kerbholz. Ich dachte erst einmal, daß er vielleicht Irish Capote oder einen anderen Kumpan oder Freund rächen wollte. Denn das konnte durchaus sein. Immer dann, wenn man hier in diesem Land jemanden umlegte, bekam man mit Sicherheit dessen Verwandte, Freunde oder Partner auf den Hals. Aber dieser Ringo Laredo war ein Killer, ein richtiger Mörder, dem es nichts ausmachte, einen Menschen aus dem Hinterhalt zu töten. Er sagte zu mir: »Steh auf!« Ich sah, daß er meinen Colt in der einen und einen zweiten Colt in der anderen Hand hielt. Seine eigene Waffe aber steckte noch im Halfter. Er hatte also meinen und Johnny Morgans Colt in den Händen. Mit meinem Colt zielte er wortlos auf Johnny. Da sprang Sybille vor, um sich vor ihren Bruder zu stellen. Dabei rief sie: »Das wirst du nicht tun, du verdammter Mörder!« Aber als sie bei Johnny war, stieß dieser sie zurück, so daß sie rückwärts taumelte und rücklings über den Tisch fiel. Johnny griff sofort Ringo Laredo an, waffenlos und mit der wilden Verwegenheit, die typisch war für ihn. Auch als ihn die Kugel traf, konnte diese ihn nicht aufhalten. Er warf sich weiter gegen den bewaffneten Killer – und er verschaffte mir die Chance. Denn ich bekam nun endlich mein Messer aus dem Stiefelschaft. Ich wußte, daß ich nicht schnell genug bei Ringo Laredo sein konnte, und da warf ich es. Ich traf ihn gut. Er wollte herumfahren und auf mich schießen. Doch Johnny, der von zwei Kugeln schon getroffen war, warf sich gegen ihn, umfaßte ihn und riß ihn mit sich zu Boden. Johnny klammerte sich mit verzweifelter Kraft an ihn. Endlich kam ich auf die Beine. Ich schwankte noch, aber dann machte ich die drei notwendigen Schritte und trat mit aller Kraft zu. Da lag der Killer still. Und Johnny atmete langsam aus. Er starb wortlos. Aber er sah seine Schwester auf eine Art an, als wollte er sagen: Nun, er hat dich nicht töten können. Wenigstens dies konnte ich tun. Ich lehnte an der Wand und hielt meinen Kopf. Vor meinen Augen drehte sich alles. Die Hiebe mit dem Schaufelblatt hatten mir gewiß eine Gehirnerschütterung zugefügt. Es war ein Wunder, daß ich überhaupt noch reagieren konnte. Doch nun war ich erst einmal wieder außer Gefecht. Nach einer Weile wurde mir besser. Die dunklen Schleier vor meinen Augen lichteten sich. Das Gefühl, sich übergeben zu müssen, ließ nach. Ich konnte wieder sehen. Sybille kniete bei ihrem Bruder und weinte. Und der Killer Ringo Laredo lag mit meinem Messer in der Brust daneben und starrte
mit offenen Augen gegen die Decke. Seine Schläfe blutete. Dort hatte ich ihn mit dem Stiefel getroffen. Ich holte mir meinen Colt, der am Boden lag. Als ich mich bückte, drohte mein Kopf zu bersten. Aber als ich meinen Colt in der Hand hielt, fühlte ich mich sofort sicherer. Ich war wenigstens nicht mehr waffenlos. Endlich begann mein schmerzender Kopf wieder zu denken. Sybille sah zu mir empor. Wir starrten uns an. »Wir sollten hier umgebracht werden«, sagte sie. »Er zielte auf Johnny und hoffte, daß ich mich schützend vor ihn werfen würde. So hätte es nach einem Streit zwischen euch ausgesehen, den ich schlichten wollte, wobei ich in eine Kugel lief. Wir sollten hier alle drei sterben. Man brauchte dich dabei, um einen Grund zu haben, eine Erklärung. Ein Streit zwischen euch konnte wegen mir entstanden sein. Verstehst du endlich, Jim?« Ich wollte meinen Kopf schütteln, doch er schmerzte zu sehr. Also ließ ich es bleiben, und überdies begann ich langsam ein paar Möglichkeiten zu überdenken. Big Herb hatte Johnny hier Arbeit geben lassen, Strafarbeit. Dann hatte er dafür gesorgt, daß die hier stationierten Reiter für eine Weile einen anderen Arbeitsplatz bekamen. Sybille und mich hatte er fortgeschickt. Sie sollte reiten können und mir das Gebiet der Ranch zeigen. Er wußte, daß sie ihren Bruder besuchen würde. Ich sah Sybille an und sagte: »Da ich mit euch umgebracht werden sollte, ist wohl kein Grund mehr, mir zu mißtrauen und zu glauben, Big Herb hätte mich mit Haut und Haaren eingekauft. Willst du mir nicht endlich alles erzählen, Sybille Morgan?« Sie hockte immer noch bei ihrem toten Bruder, hielt dessen Kopf in ihrem Schoß gebettet. Und sie begriff endlich, daß etwas geschehen mußte. Sie konnte nicht ewig so hocken. Johnny wurde dadurch nicht lebendig. Wenn Herb Morgan diesen Killer angeworben hatte, dann konnten wir sicher sein, daß sonst niemand außer Ringo Laredo hier in der Nähe war. Herb Morgan konnte keine Zeugen brauchen, die ihn dann vielleicht erpressen würden. Und auch ein Killer wie Laredo arbeitete gewiß lieber ohne Zeugen. Wir waren also hier noch sicher bis gegen Tagesanbruch. Dann mußten wir damit rechnen, daß jemand kam – ein Vormann vielleicht, der uns alle finden sollte. Aber steckte Big Herb Morgan wirklich hinter diesem merkwürdigen Geschehen? Bildete Sybille sich nicht vielleicht nur etwas ein? Litt sie an Verfolgungswahn und irgendwelchen Hirngespinsten? »Hilf mir, Jim, ihn auf eine Lagerstatt zu legen. Wir können Johnny doch nicht hier liegen lassen«, sagte sie. Wir trugen ihn in den Schlafraum des Blockhauses hinüber, betteten ihn auf eine der vier Lagerstellen und deckten ihn mit einer Decke zu. Dann lehnte Sybille sich neben der Lagerstätte an die Wand. Sie schloß die Augen. Im schwachen Lampenschein betrachtete ich sie. Endlich sah sie mich wieder an, und ihr Blick war beherrscht. Sie hatte Angst, doch sie ließ sich nicht gehen. Sie sagte: »Jim, hilf mir! Bringe mich nach Mexiko hinüber, so wie es Al Carrigan schon tun wollte. Carrigan war nie ein Mann von Big Herb gewesen. Carrigan war vor mehr als einem Jahr hergekommen, war in Big Herbs Dienst getreten und einer seiner Ranger geworden – nur, um mit mir zu fliehen. Al Carrigan war von meinem Großvater geschickt worden.«
»Von Don Estobal de Coronada?« fragte ich. Sie nickte. »Und warum? Was ergibt das alles für einen Sinn? Ist es wegen der Schenkung von der spanischen Krone?« Sie zögerte. Dann sagte sie: »Mein Onkel hat damals vor fast fünfzehn Jahren meine Eltern ermordet – ja, seinen eigenen Bruder und die Schwägerin. Es war damals tatsächlich so, wie es hier aussehen sollte. Der Schwager neidete dem Bruder die Frau. Er wurde zudringlich. Mein Vater kam hinzu, schlug ihn – und dann …« Sie unterbrach sich. Ich konnte nicht glauben, was sie sagte. »Er tötete damals auch die beiden mexikanischen Begleiter«, sprach sie nach einer Weile weiter. »Er glaubte jedenfalls, daß sie tot wären. Aber einer überlebte und schlich davon – schlimm verwundet und jahrelang krank. Er ließ sich später in Mexiko nieder. Als er vor fast einem Jahr auf dem Sterbebett lag, ließ er meinen Großvater kommen. Dieser erkannte ihn wieder. Es war Miguel, den er damals meiner Mutter als treuen Diener und Beschützer mitgegeben hatte, als sie einen der beiden Morgan-Brüder heiratete, die beide um sie gefreit hatten. Miguel konnte vor seinem Tod endlich berichten, was damals passiert war. Er hatte es zuvor nie gewagt. Denn seine Aussage hätte gegen die von Big Herb gestanden. Wer aber glaubte schon einem Mexikaner? Nur mein Großvater glaubte ihm. Und er überlegte sich die Sache mit der Schenkung. Diese ist nur auf Nachkommen der Coronadas übertragbar – also auf meine Mutter, auf mich und Bruder Johnny, niemals auf Herb Morgan. Mein Großvater beauftragte berühmte Anwälte in Washington, die offizielle Anerkennung dieser Landschenkung durch die Regierung der Union durchzusetzen. Was also schon fast vergessen war, sollte wieder neue Gültigkeit erhalten. Mein Onkel bekam von diesen Bestrebungen Wind. Er nahm die Hilfe anderer Anwälte in Anspruch. Und so bekämpften sich mein Großvater und mein Onkel im fernen Washington. Mich aber ließ Onkel Herb nicht mehr aus den Augen. Er weiß zu gut, daß ihn mein Großvater zu nichts zwingen wird oder kann, solange …« Plötzlich hielt sie inne. Ihr war ein Gedanke gekommen – ein alarmierender Gedanke. Und ich sagte: »Es muß etwas geschehen sein, was deinen Onkel zu der Auffassung brachte, daß du als Geisel wertlos bist und besser tot sein solltest.« »Ja«, sagte sie. »Aber dann muß er alle anderen Coronadas ebenfalls ausrotten.« Und damit traf sie wohl genau den Nagel auf den Kopf. Ich glaubte ihr jetzt. Und nun begriff ich endlich, daß wir uns höllisch schnell auf den Weg machen mußten. * Wir ritten nach Norden zu in die Nacht – nicht nach Süden. So dumm war ich nun doch nicht. Denn ich wußte, daß Big Herbs Rauh- und Langreiter die Grenze absperren würden. Und so gut und zäh Sybille auch reiten konnte, einem Aufgebot von Big Herbs Handlangern konnte sie niemals davonreiten. Ich wußte, daß Sybille weinte, während wir durch die Nacht ritten. Ich gab mir keine Mühe, unsere Fährte zu verbergen. Wir mußten den Vorsprung dieser Nacht nutzen. Morgen mußten wir aus dem Bereich der Morgan-Ranch sein. Und dann würde ich unseren Verfolgern ein paar Tricks zeigen, die sie vielleicht noch nicht kannten.
Wir hatten jeder ein Reservepferd bei uns. Sybille wechselte alle Stunden auf das Tier des Bruders über. Ich aber hatte Ringo Laredos Pferd gefunden. So hatten wir nicht mal eines der Tiere nehmen müssen, die im Korral des Vorwerkes standen. Wir ritten die besten Tiere. Als der Tag anbrach, erreichten wir die Straße von Silver City her. Sie schwenkte weiter östlich in das Rio Grande Valley ein, und man konnte sich dann für den Weg nach Norden oder Süden entschließen, denn das Rio Grande Valley verlief hier von Nord nach Süd bis nach El Paso und begann erst danach zum Großen Knie einzubiegen. Als die Sonne schon recht stark wärmte, erreichten wir eine einsame Poststation, die von einem Halbblutmann und dessen Apachenfrau geführt wurde. Deshalb stand die Station wahrscheinlich auch noch, ohne die Zeichen und Schäden irgendwelcher Apachenangriffe aufzuweisen. Die Hautfarbe des Stationsmannes und die Stammeszugehörigkeit seiner Frau waren der beste Schutz vor Apachen. Ich wußte, daß die Post- und Frachtgesellschaften hier im Südwesten ihre Stationen nur noch solchen Leuten gaben. Aber oft genug wurden die Wagenwege von Apachenbanden gesperrt. Dann glichen die größeren Orte einsamen Inseln in einem von Haifischen verseuchten Meer. Wir erreichten die Poststation, und wir fanden schon drei wartende Leute dort, nämlich ein Farmer-Ehepaar und einen alten Mann, den ich für einen Goldsucher hielt, der es geschafft hatte, fündig zu werden. Vielleicht besaß er irgendwo eine kleine Mine, in der jetzt Leute für ihn arbeiteten. Und so konnte er es sich leisten, nach Santa Fe zu fahren und sich ein paar gute Tage zu machen. Er nickte uns zu und betrachtete Sybille wohlgefällig. Denn er war noch nicht so alt, daß ihn eine Frau gleichgültig ließ. »Wir warten lange und sehr geduldig«, sagte er. »Aber was ist schon eine Stunde in diesem verdammten Land? Hier kann man froh sein, wenn solch eine Kutsche innerhalb von drei Tagen kommt.« Der Stationsmann grinste nur zu diesen Worten, dann deutete er von der Veranda nach Süden. »Da kommt sie«, sagte er. »Die Staubwolke da! Sie kommt von El Paso über Mesilla und Las Cruces. In einer halben Stunde ist sie da!« Er hatte unheimlich scharfe Augen. Nur ich konnte auch die Staubwolke sehen, die anderen sahen nichts. Ich wandte mich an ihn. »Wir fahren mit. Wir nehmen zwei Sättel mit. Die Pferde bleiben hier!« Er warf noch einmal einen Blick auf die Brandzeichen. Die kannte er gut genug. Dann sah er Sybille an. Wahrscheinlich wußte er, wer sie war. Ich brauchte mein Gold nicht herauszuholen, was die Bezahlung der Fahrkarte etwas umständlich gemacht hätte. »Sicher, Sir!« sagte der Stationsmann. »Big Herb Morgans Angehörige und Leute haben hier freie Fahrt. Es ist in Ordnung. Sie können zusteigen, und wenn ich andere Fahrgäste herausholen müßte. Ich weiß schon, für wen ich hier arbeite und wessen Einfluß mir hier den größten Ärger vom Hals hält.« Da hatten wir es also wieder. Big Herb Morgans Schatten reichte noch bis hierher. Obwohl wir bis zu Sybille Morgans Erschöpfung auf je zwei Pferden abwechselnd ohne Pause geritten waren, galt hier noch Herb Morgans Brandzeichen und hatte man von seiner schönen Nichte gehört. Wenn ihm diese Postlinie nicht ganz gehörte, so war er aber
doch wohl ihr wichtigster Besitzer. Und vielleicht hatte er sogar mit den Apachen einen Vertrag ausgehandelt zum Wohl der Postlinie. Es war natürlich ein Spaß für mich, daß Big Herb Morgans Macht es uns jetzt erleichtern würde, schnell von ihm fortzukommen. Wir sausten bald schon weiter nach Norden. Ich wußte, daß wir nun unsere Verfolger schlagen konnten. Diese Kutsche war nicht mehr einzuholen. Sie wechselte alle zwanzig bis dreißig Meilen ihre Gespanne, fuhr Stunde um Stunde, Tag und Nacht. Kein Rauh- und Langreiter konnte uns einholen. Denn dazu war unser Vorsprung zu groß. Bis jemand diesen Vorsprung eingeholt haben würde, mußte er mehr als hundert Meilen ohne Pause reiten. Selbst wenn er sein Pferd bei den Stationen wechseln konnte, wäre er dann bald selbst erledigt. Denn er mußte ja fortwährend reiten. Wir hatten gewonnen. Das war der erste große Trick, den ich Herb Morgans Männern zeigte. Ich wollte nach Süden und flüchtete nach Norden. Waren wir erst einmal entkommen. Und wenn sie unsere Fährte verloren hatten, konnten wir uns aussuchen, nach welcher Seite wir dann den großen Halbkreis schlugen – nach Westen zu, zum Süden oder nach Osten zu der mexikanischen Grenze. Wir konnten auch in Texas über den Rio Grande gehen – oder in Arizona zwischen Yuma und El Paso. Es gab hundert Möglichkeiten. Für eine würde ich mich noch entscheiden. Und Big Morgan konnte sie nicht alle voraussehen. Aber wir hatten es eilig. Denn daß Big Herb Morgan einem Killer wie Ringo Laredo den Auftrag gab, uns zu töten, konnte nur eines bedeuten: Herb Morgan wollte die Coronadas und deren Nachkommen ausrotten. Jawohl, ausrotten! Dann hatte die Coronada-Schenkung keine Erben. Das Land war frei. Und weil er schon fast zwanzig Jahre darauf saß, würde es ihm gehören. So einfach war das damals im tiefsten Südwesten. Die Expreß-Post rollte stetig. Sybille saß neben mir. Zuerst lehnte sie in der Ecke und schlief. Aber bei einer scharfen Kehre, als die Kutsche einschwenkte, fiel sie gegen mich. Ihr Kopf lag bald auf meiner Schulter. Ich legte meinen Arm um sie, hielt sie fest, so daß sie trotz der schwankenden und rumpelnden Kutsche schlafen konnte. Und die anderen Fahrgäste glaubten, daß wir ein Paar wären. * Wir fuhren bis Las Palomas, und das waren etwa hundert Meilen. Auch dieser Ort war schon von den Spaniern gegründet worden und seitdem eher kleiner geworden als gewachsen. In Las Palomas erfuhr ich während des dortigen Aufenthaltes, daß die Gegenpost Verspätung hatte. Als wir weiterfuhren, steckte ich schon etwa zweihundert Yards hinter dem Ortsausgang meinen Kopf aus dem Fenster und rief dem Fahrer zu, daß er halten möge. Er tat es, und wir stiegen aus, ließen uns vom Begleitmann die Sättel herunterwerfen und sahen der Kutsche nach. Es war schon Nacht. Wir konnten sie bald nicht mehr sehen.
Ich lud mir mit Sybilles Hilfe beide Sättel auf. Sie nahm das wenige andere Gepäck. Und dann trabten wir um den Ort herum, bis wir uns etwa hundert Yards südlich der letzten Häuser am Straßenrand ausruhen konnten. Sybille keuchte etwas und sagte: »Das sind also die Tricks eines narbigen Wolfes.« »So ist es«, sagte ich. »Und Al Carrigan hätte sie damals auch anwenden sollen. Ich wette mit dir, daß wir die rauhen Hombres deines Onkels bald vorbeigesaust kommen sehen werden. Wir müssen nur etwas Glück mit unserer Kutsche haben.« Nach diesen Worten holte ich zwei trockene Sagebüsche und legte diese mitten auf die Straße. Als ich dann lauschte, hörte ich die Kutsche. In der stillen Nacht konnte man sie von Norden her in den Ort hereinrollen hören. Es dauerte nun nur noch einige Minuten, dann kam sie mit einem frischen Gespann. Ich zündete die beiden trockenen Sagebüsche an. Sie gaben für eine Minute genug Helligkeit. Die Kutsche hielt auch. »Wir hätten es zu Fuß nicht mehr geschafft«, sagte ich. »Ihr habt doch noch für meine Frau und mich Platz?« Der Fahrer und dessen Begleitmann starrten auf uns nieder. Obwohl die Stadt nur wenige Stein Wurfweiten hinter ihnen lag, hatten sie ihre Waffen auf uns gerichtet. Sybille hatte sich den Hut tief genug über das Gesicht gezogen. Man konnte nur an ihr erkennen, daß sie eine junge, gutgewachsene Frau war. »Sicher«, sagte der Fahrer. »Sie können einsteigen. Wo sind denn Ihre Pferde geblieben, Mister?« Ich deutete in die Dunkelheit. »Unser Haus liegt gleich da hinter dem Hügel. Nur eine Viertelmeile. Es lohnt sich nicht, jemanden mitzunehmen, der unsere Pferde zurückbrachte.« Damit gab der Fahrer sich zufrieden. Und bald saßen wir bei fünf anderen Fahrgästen in der Kutsche. Der Fahrer trieb die Pferde an. Nun mußte er noch mehr Verspätung aufholen. Sybille und ich fuhren also den langen Weg zurück, den wir nach Norden gefahren waren. Es gab bestimmt eine Menge Leute, die mein Verhalten für umständlich, zeitverschwendend und übertrieben hielten. Aber ich wußte, was ich tat. Ich kannte Herb Morgans Männer zu gut. Sie hatten nur die Chance, hinter uns herzusausen wie die Teufel hinter armen Seelen, denen es gelungen war, aus der Hölle zu entfliehen. Die Nacht wurde nun immer heller. Am Himmel klarte es auf. Sterne erschienen in unendlicher Zahl. Der Mond kam über die Hügel. Wir waren etwa fünf oder sechs Meilen weiter nach Süden gerollt, als wir sie sahen. Auch Sybille wußte sofort, daß es Big Herb Morgans Rauhreiter und Ranger waren. Wir rollten gerade ein Stück über dem Fluß eine leichte Kehre nieder. Sie ritten unten auf dem schmalen Pfad, der nur für Reiter war. Es waren sieben. Einige kannte ich. Wir hatten zusammen bei Big Herb am Tisch gesessen. Nun waren sie hinter mir her. Und Sybille sollten sie wahrscheinlich heimbringen. Denn seine eigene Nichte konnte Big Herb nicht von ihnen töten lassen. Dies hätten sie auch nicht getan. Auch Sybille lächelte. Nun waren wir sicherer. Unsere Verfolger würden überall fragen, ob ein Pärchen ausgestiegen war. Und überall würden sie gesagt bekommen, daß ein
Paar nirgendwo aus der Kutsche, die in Richtung Norden fuhr, gestiegen war. Nur wenn sie die Kutsche selbst einholten, konnten sie feststellen, daß wir nicht mehr da waren. Und dann mußten sie herausfinden, wo wir ausgestiegen waren und uns Pferde verschafft hatten. Denn dies mußten sie annehmen. Sie kamen sicherlich nicht auf die Idee, daß wir genau den Weg zurückfahren würden. Wir hatten sie abgeschüttelt. Niemand hinter uns wußte, daß wir gegen Süden fuhren. Wir legten uns zurück, und ich nahm Sybille wieder in meinen Arm. Und dann schliefen wir. Wir brauchten diesen Schlaf. Ich dachte daran, daß schon seit vielen, vielen Stunden Mörder nach Mexiko unterwegs waren, um Sybilles Großvater Don Estobal de Coronada zu töten. Aber vielleicht kamen sie nicht sofort an ihn heran. Es konnten Tage vergehen, bis sich ihnen eine gute Gelegenheit bot. Darauf mußten wir hoffen. Denn nur dann hatten wir eine gute Chance, ihn noch lebend anzutreffen. Aber wahrscheinlich würde er sich ohnehin vor Herb Morgans Killern abgesichert haben. Vielleicht wußte er sogar schon, daß es sein Vertrauter Al Carrigan nicht geschafft hatte, sie über die Grenze zu bringen. Es konnte sehr gut sein, daß Don Estobal de Coronadas Nachrichtensystem ausgezeichnet war. Vielleicht würde er sogar noch vor unserer Ankunft bei ihm erfahren, daß seine Enkeltochter abermals mit der Hilfe eines Mannes entfliehen konnte. Mir gingen all diese Dinge immer wieder durch den Sinn. Wenn ich nicht schlief, war ich ständig in Gedanken mit den verschiedensten Möglichkeiten beschäftigt. Und ich begann über meine Chance nachzudenken, den Dingen eine Wendung geben zu können. Und so sehr ich alles auch drehen und wenden mochte, ich hatte nicht viel Hoffnung. Gewiß, ich konnte Sybille retten, zu ihrem Großvater bringen. Ich konnte auch ihn warnen und vielleicht dabei helfen, die gegen ihn ausgesandten Mörder rechtzeitig auszumachen und zu erledigen. Aber dann blieb immer noch Big Herb Morgans Macht unangetastet. Er konnte sich immer wieder neue Mörder anwerben. Er konnte sie sich von überall kommen lassen, und schon in Mexiko würde er für Geld tausend finden können. Ich begriff auch, daß ich jetzt vielleicht sogar an erster Stelle auf seiner Abschußliste stand. Ich hätte der Mann sein sollen, gegen den Bruder Johnny seiner Schwester zu Hilfe eilte. So hätte es aussehen sollen, wenn man uns fand. Die Rechnung war jedoch nicht aufgegangen. Jetzt war Big Herb Morgan gewiß böse auf mich. Aber es gab wirklich keine Chance für mich? Nein! Big Herb Morgans Schatten würde mich überall erreichen. Ich begriff in dieser Nacht in einer rüttelnden und schüttelnden Postkutsche, daß ich Big Herb Morgan töten mußte. * Noch im Morgengrauen passierten wir die Station, bei der wir unsere Pferde gelassen hatten. Wir stiegen während des Gespannwechsels nicht aus, sondern blieben wie schlafend sitzen. Der Stationsmann sah auch gar nicht in die Kutsche. Andere Fahrgäste stiegen gleichfalls nicht aus.
Die Kutsche fuhr weiter. Wir waren nun nach El Paso unterwegs, und ich konnte nur hoffen, daß die normalen Übergänge nicht von Big Herb Morgans Männern kontrolliert wurden. Er mußte ja immer noch der Meinung sein, wir wären nach Norden zu unterwegs. Aber war er wirklich auf meinen Trick reingefallen? Er war ein Mann, der schlauer war als alle anderen. Auch sein Instinkt war gewiß besser. Er hatte vermutlich immer das Richtige getan, sich selten geirrt. Wir kamen am Vormittag nach Las Cruzes und knapp vierzig Meilen weiter nach Mesilla. Nun war es Mittag. Wir mußten endlich einmal aussteigen, wollten wir keinen Verdacht erregen. Die Kutsche hatte hier einen längeren Aufenthalt, damit die Fahrgäste eine warme Mahlzeit einnehmen konnten. Der hiesige Stationsagent kam zu mir und wollte wissen, für welche Strecke er Fahrgeld kassieren könnte. Er war vom Fahrer auf uns aufmerksam gemacht worden. Aber noch während er fragte, sah er Sybille an. Er ließ sich nichts anmerken, doch ich erkannte in seinen Augen, an der Art, wie er plötzlich ohne Grund schärfer einatmete und seine Halsadern stärker pulsierten, daß er Sybille erkannt hatte. Aber hatte er sie nur als Nichte des Mannes erkannt, der die meisten Anteile an dieser Postlinie besaß? Oder war ihm gesagt worden, daß er seine Augen offenhalten sollte? Da ich nur Gold besaß, hatte mir Sybille den Geldbeutel gegeben, den sie bei sich gehabt hatte, als wir damals von der Ranch ritten. Es waren etwa hundert Dollar darin. Mehr Geld besaß sie nicht. Ich zahlte bis El Paso, und ich wußte immer noch nicht, was der Agent machen würde, wenn er Sybille tatsächlich erkannt hatte. Vielleicht täuschte ihn jedoch die Tatsache, daß wir bezahlten. Für das Mittagessen war in einem freundlichen Speiseraum gedeckt. Die Fenster standen offen. Wir konnten zur Straße und zum Hof sehen, in dem die Postkutsche neu gespannt und geschmiert wurde. Und dann sah ich plötzlich Cass Logan. Er kam in den Hof, kletterte zum Dach der Postkutsche hinauf und besah sich unsere Sättel, die dort oben bei anderem Gepäck lagen. Ich erschrak nicht sehr, denn mit solch einer bösen Überraschung hatte ich rechnen müssen. Big Herb Morgan war schlau und erfahren. Er dachte an jede Möglichkeit und kalkulierte alles ein, was auch nur irgendwie in Erwägung gezogen werden mußte. Und er hatte richtig gerechnet. Er brauchte nur ein paar zuverlässige Leute an wenigen Punkten wachen zu lassen. So hatte er es sich ausgerechnet. Und es stimmte. Denn ich war mit Sybille hier, saß im Gasthaus beim Essen und war entdeckt. Die ganze Fahrerei nach Norden und dann das Umsteigen nach Süden war umsonst gewesen. Ich hatte zwar das rauhe Rudel der direkten Verfolger in die Irre geführt und abgehängt, doch es nützte mir nichts. Dort draußen war Cass Logan. Für ihn hatte es genügt, den durchgehenden Verkehr zu beobachten. Vielleicht hatte er sogar vom hiesigen Stations-Agenten den Wink bekommen, uns einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, weil wir ein Paar wären, auf welches die Beschreibung paßte. Nun sah er sich die Sättel an. Meinen und Sybilles Sattel mußte er kennen. Mit mir war
er lange genug geritten, um sich das Aussehen meines Sattels zumindest unbewußt zu merken. Und Sybilles Sattel hatte er oft genug beim Korral auf der Stange im Sattelschuppen gesehen. Vielleicht hatte er ihn für Sybille sogar schon einmal aufgelegt. Es gab also keine Hoffnung, daß er die Sattel nicht wiedererkennen würde. Cass Logan war mir neben Bud Shannon, mit dem ich auf der Morgan-Ranch im Wohnhaus der Ranger ein Zimmer bewohnte, der liebste von all den Reitern gewesen. Mit ihm und Shannon hätte ich Freundschaft schließen können. Sie waren es gewesen, die damals an mein Feuer kamen und mich baten, auf Big Morgan zu warten. Dann waren wir gemeinsam geritten, um die Banditenbande von Irish Capote an der Grenze zu vernichten. Damals mußte ich stellvertretend für Big Herb Morgan über Leben und Tod entscheiden. Ich hatte es auf mich genommen, denn ich wollte ein treuer Ritter sein. Aber wie bekam ich es gedankt? Er hatte mich mit Sybille reiten lassen, um uns beide zu töten. Er war ein Mann, den jeder hier im Lande für einen König hielt. Aber er war kein König. Er war ein Mörder. Und Cass Logan diente ihm immer noch, wie ich ihm kurze Zeit gedient hatte. Plötzlich glaubte ich, mit Cass Logan reden zu können. Als ich nach Sybille sah, erkannte ich, daß auch sie durch das Fenster auf die Kutsche im Hof schaute und Cass Logan ebenfalls erkannte hatte. »Mit Cass Logan kann ich reden«, sagte ich. »Der wird uns keine Schwierigkeiten machen – Cass nicht. Ich gehe jetzt hinaus.« Ich erhob mich, wollte zur Hintertür, doch da rief eine Stimme durch die Vordertür herein: »Die Kutsche fährt jetzt wieder vor. In fünf Minuten geht es weiter, Leute!« Ich nickte Sybille zu. »Steig schon ein«, sagte ich. »Inzwischen rede ich mit Cass.« Dann ging ich zur Hintertür, und als ich durch sie hinaus in den Hof trat, fuhr die Kutsche gerade wieder hinaus, um vor dem Stations-Gasthaus zu halten. Cass Logan aber stand da und sah mir entgegen. »Ich wußte«, sagte er, »daß du herauskommen würdest. So hältst du also Big Herb die Treue? Oder hast du ihm nicht dein Wort gegeben, wie jeder von uns es tat?« »Das Wort hat er gebrochen, nicht ich«, sagte ich. »Und ich will dir einmal erzählen, was wirklich los ist. Er …« »Ich will es nicht wissen. Denn ich bin ihm treu! Ich halte mein Wort. Er ist größer als jeder andere Mann im Land, und selbst wenn er etwas tun muß, was einen anderen Mann zum Schuft werden ließe – bei ihm ist es anders. Er muß anders denken, denn er ist ein König mit einem Königreich. Um es zu erhalten, ist manchmal jedes Mittel recht. Jim Finnegan, wir alle haben den Befehl, dich zu erschießen. Zieh!« Das war seine Warnung. Er gab sie mir wie ein echter Revolverkämpfer. Und er zog! Sein »Zieh!« hatte mich zwar gewarnt. Doch ich war dennoch einen winzigen Sekundenbruchteil überrascht. Ich hätte nicht geglaubt, daß er ziehen würde. Aber wahrscheinlich war es bei ihm eine Flucht nach vorn. Vielleicht ahnte er, daß ich ihn überreden oder überzeugen konnte. Er wollte nicht länger herumtändeln, zuhören oder sich abwerben lassen. Ich schlug ihn nur knapp. Seine Kugel traf mich fast unmittelbar danach. Ich schwankte
zurück bis an die Hauswand und fand mit dem Rücken an ihr Halt. Sonst wäre ich vielleicht gefallen. Und ich sah ihn sechs Schritte vor mir auf die Knie fallen und kniend sterben. Er versuchte noch, den Revolver hochzubekommen. Aber er konnte ihn nicht mehr halten. Männer kamen auf den Hof. Ich hielt meinen Colt in der Hand, war wachsam und paßte auf, ob noch einer von Herb Morgans Männern dabei war. Aber es waren nur Bürger der Stadt und Reisende. Und der Postagent war dabei. Ich sagte laut zu Cass Logan hinüber: »Sag ihnen, daß du zuerst gezogen hast. Sag es ihnen, Cass!« Er kniete noch, aber er hatte nur noch zwei oder drei Atemzüge. Er hörte meine Worte, brachte den Kopf noch einmal hoch und sagte: »Ich … zog … zuerst!« Und dann starb er. Ich sah Sybille in der Einfahrt stehen. Sie starrte zu mir herüber. Ihr Gesicht war starr vor Angst und Schrecken. Ich wollte nicht, daß sie zu mir gelaufen kam. Sie sollte gar nicht erkennen können, wie schlimm es mich erwischt hatte. Wir mußten in die Kutsche hinein. Wir mußten in der nächsten Minute aus der Stadt. Denn vielleicht gab es doch noch Leute hier, die Big Herb Morgan einen Gefallen erweisen wollten. Und wenn sie erst herausfanden, daß ich angeschossen war, bekamen vielleicht sogar zweitklassige Burschen großen Mut. Ich hatte die Kugel in der Schulter. Sie steckte in irgendwelchen Muskelsträngen und hatte meinen Körper nicht durchschlagen. Der Schmerz brachte mich fast um. Ich bekam keine Luft und hatte immer wieder dunkle Schleier vor den Augen. Daß ich kein Ausschußloch im Rücken hatte, war gut. Die Kugel hatte meine offene Weste nicht durchschlagen, nur das Hemd. Ich raffte die Weste zusammen. Dann stieß ich mich mit der gesunden Schulter von der Wand ab und ging auf Sybille zu. Zuerst glaubte ich, daß ich keine drei Schritte würde machen können. Doch mein Schock wurde mehr und mehr von meiner Härte und Zähigkeit überwunden. Ich bekam mich trotz Schmerz und etwas Atemnot immer besser unter Kontrolle. Als ich bei Sybille war, erkannte diese, wie schlecht es mir ging. Aber bevor sie etwas sagen konnte, zischte ich ihr aus dem Mundwinkel zu: »Sei still! Wir müssen mit der Kutsche weg. Wir müssen, hörst du!« Da schluckte sie und wandte sich, um an meiner Seite durch die Einfahrt auf die Straße zu gehen. Bis zur Kutsche waren es nur zwanzig Schritte. Ich schaffte es glatt, hineinzukommen. Diesmal setzte ich mich auf einen Eckplatz, so daß ich meine gesunde Schulter hineinlehnen konnte. Andere Fahrgäste waren schon in der Kutsche. Zwei folgten. Sybille war die letzte. Ich hörte sie zum Stations-Agenten sagen: »Ich bin Sybille Morgan. Lassen Sie die Kutsche pünktlich abfahren, Mister. Oder Sie werden es bedauern!« In ihrer Stimme war ein spröder und schneidender Klang. Und wahrscheinlich bluffte sie den Mann damit, zumal dieser gewiß nicht wußte, was überhaupt gespielt wurde. Die Kutsche fuhr auch wirklich sofort ab. Ich hatte meinen Colt immer noch in der Hand. Einer der Fahrgäste, ein Mann, der wie ein Schmied im Sonntagsanzug aussah und dessen Handrücken auch voller kleiner Brandnarben waren, wie man sie vom sprühenden Hammerschlag bekommt, sagte ruhig: »Ich denke, Sie können die Kanone nun wegstecken, Mister.«
Nun erst merkte ich, wie sehr ich innerlich angespannt war und mich nur allein darauf konzentriert hatte, in die Kutsche zu kommen und nicht schlappzumachen. Ich steckte den Colt weg. Dann war Sybille neben mir. Während die Kutsche aus dem kleinen Ort rollte, öffnete Sybille mein Hemd und sah das Kugelloch. Sie atmete scharf ein. Der Schmied holte eine kleine Flasche aus der Innentasche seiner Jacke. »Hier«, sagte er. »Das ist gutes Feuerwasser, klar und scharf. Ich habe es selbst aus Korn gebrannt. Gießen Sie ihm das in das Kugelloch. Das kann nichts schaden. Hat denn niemand ein Stück Leinen?« Sybille nahm ihr und mein Halstuch. Und eine Farmerfrau, die auf der vorderen der drei Sitzbänke saß, hob ihre Röcke und riß ein Stück von ihrem Unterrock ab. Denn Sybille hatte ja unter ihrem ledernen und geteilten Reitrock nicht solches Leinenzeug. Sie versorgte mich. Das Feuerwasser brannte schlimm. Ich nahm auch einen Schluck davon. Sybilles Augen waren den meinen ganz nahe. Ich erkannte die Sorge darin. Und ich konnte ihr nicht länger mehr etwas vormachen. Wir wußten beide, daß die Kugel noch in meiner Schulter steckte. Und sie konnte mich umbringen, wenn sie nicht schnellstens entfernt würde. * Die Post- und Wagenstraße war nicht ganz so schlecht, und die Postkutsche rumpelte nicht zu sehr, so daß ich es einigermaßen aushalten konnte. Doch die Wunde wurde böser und böser, obwohl ich mir noch zweimal etwas aus der Flasche des Schmiedes auf den Verband goß, so daß dieser damit gut durchtränkt war. Sybille und ich unterhielten uns kaum. Denn die anderen Reisenden hörten jedes Wort mit. Sie hatten auch mitbekommen, daß es sich bei Sybille nicht einfach nur um ein schönes Mädchen handelte, sondern um Sybille Morgan. Vielleicht glaubten sie, daß Sybille ihrem Onkel mit einem Cowboy durchbrennen wollte, der dem Onkel nicht gut genug war für seine Nichte. Vielleicht waren sie deshalb auf unserer Seite, aber sie konnten uns kaum helfen. Ich fiel zeitweilig in eine Art Dämmerzustand. Dies hatte ich von den Indianern gelernt. So konnte man Schmerzen leichter ertragen. Aber es gehörte Erfahrung dazu, sich selbst in solch einen Zustand sinken zu lassen. Ich konnte es. Nur Sybilles Nähe war mir immer voll bewußt. Als wir El Paso erreichten, wurde es Abend. Ich fragte mich, ob Big Herb Morgan auch in El Paso Männer auf der Lauer liegen hatte. Wir stiegen zuletzt aus, und fast alle Fahrgäste wünschten uns Glück. Hier zwischen den Häusern von El Paso war schon die Dämmerung. Lampen mußten angezündet werden. Ich lehnte mich am Stationshaus an die Wand und war bereit, den Colt zu ziehen, sollte einer von Herb Morgans Männern auftauchen. Er würde nur reine Ranger oder hinterhältige Killer gegen mich aussenden. Andere Hombres hatten gegen mich keine Chance. Aber es näherte sich niemand. Die paar Leute, die auf die Ankunft der Kutsche gewartet hatten, und die Fahrgäste verliefen sich. Die Kutsche fuhr weiter in den Hof hinein. Unsere Sättel und das Gepäck lagen auf der Veranda, zu der hier vor dem Haus der
Plankengehsteig ausgebaut worden war. Zwei Jungens tauchten auf. »Dürfen wir das Gepäck tragen, Sir?« fragte einer. Ich nickte und fragte: »Kennt ihr Sonora-Charly?« »Yes, Sir«, erwiderte einer. »Charly ist vor einer Stunde etwa in die Stadt gekommen. Er hat gegessen. Wir durften sein Pferd in den Mietstall bringen. Denn er sagte, daß er sein Tier nicht noch mal drei Tage und drei Nächte vor dem Saloon stehen lassen würde, nur weil er in eine Pokerrunde geriet.« »Holt ihn«, sagte ich. »Sagt ihm Bescheid, daß Red Jim hier auf ihn wartet. Wenn er kommt, habt ihr einen Dollar verdient.« Sie überlegten nicht. Wie junge Hunde sprangen sie los. Ich sah Sybille an. Sie wollte mir helfen und wußte nicht, wie. Sie dachte längst nicht mehr an sich und ihre eigene Flucht vor dem Onkel. Ich sagte: »Mach dir keine Sorge, Bille. Wir haben Glück. Wenn Sonora-Charly noch nicht zu betrunken ist, wird er uns helfen. Er ist einer der wenigen Hombres auf dieser Erde, die ihre Schulden voll zurückzahlen. Und bei mir hat er große Schulden – sein Leben.« »Was kann ich für dich tun?« fragte sie. »Wollen wir nicht in das Gasthaus gehen. Wir könnten …« »Nein«, sagte ich. »Jeder Schritt schwächt mich. Ich stehe hier ganz gut und kann mich an die Wand lehnen. Ich kann auch beobachten, wer um uns herumschleicht. Aber du könntest hineingehen und mir ein Wasserglas voll Schnaps holen – den stärksten. Ich brauche das.« Ich gab ihr den Geldbeutel, und sie ging. Da stand ich nun allein an der Wand. Ich wirkte gewiß wie ein Müßiggänger, der hier im Halbdunkel herumlungerte. Fußgänger kamen vorbei. Auf der Fahrbahn befanden sich Reiter und Fahrzeuge. Vom Fluß brachte der leichte Wind den unverkennbaren Geruch von Wasser, Schlamm, Tang, Schilf. Und auf der westlichen Flußseite war Mexiko, östlich begann Texas. Der Fluß wandte sich allmählich nach Osten, bildete das große Knie und wurde zur Grenze zwischen Texas und Mexiko. Die Grenze lag nur knapp eine Viertelmeile entfernt. Aber ich wußte, daß Morgans Männer nicht an der Grenze haltmachen würden. Ich mußte mich von Sybille trennen. Ich konnte sie nicht länger mehr beschützen. Im Gegenteil, ich würde nur ihre Flucht behindern. Sie kam mit einem Wasserglas voll Whisky. Ich leerte es halb, und nachdem ich zuerst glaubte, flüssiges Feuer getrunken zu haben, wurden all meine Lebensgeister noch einmal angeregt. Ich konnte plötzlich sicherer auf den Beinen stehen. Der Schmerz in der Schulter schien erträglicher. In meinem Kopf war alles klarer. »Danke, mein Mädchen«, sagte ich. »Gleich gehe ich zum Doc. Er hat dort an der Ecke schräg gegenüber sein Haus. Siehst du, jetzt zündet er die Lampe an. Er ist also daheim. Er wird mir binnen weniger Minuten die Kugel herausholen. Dann werde ich mich verkriechen – ein paar Tage. Du wirst mit Sonora-Charly reiten. Er tritt an meine Stelle. Unsere Verfolger werden ihn für mich halten. Ich werde mich in Charlys kleinem Rancho verkriechen und später nachkommen.« Sie hörte mir wortlos zu und sagte: »Ich lasse dich nicht allein, Jim. Wir trennen uns
nicht. Wenn du dich auf Charlys Rancho verkriechen mußt, dann gilt das auch für mich. Es wird wohl auch noch ein Platz für mich …« »Sei nicht dumm«, sagte ich. »Denk mal nach. Wenn du mit Charly die Flucht fortsetzt, lockst du alle Verfolger von mir fort. Niemand wird nach mir suchen, solange sie glauben, ich wäre noch mit dir unterwegs. Du rettest wahrscheinlich mein Leben, Bille.« Sie dachte nach, und sie konnte nichts dagegen einwenden. Dann kam Sonora-Charly hinter den beiden Buben schräg über die Straße. Ich hatte ihn schon aus dem Saloon treten sehen. Ja, das war Sonora-Charly. Auf ihn konnte ich mich verlassen. Daß ich ihn hier auf Anhieb fand, war großes Glück. Also war ich wohl noch nicht ganz zum Untergang verurteilt. Ich warf einem der Jungen den Dollar zu. »Es ist gut«, sagte ich dabei. Sie verschwanden, und Charly trat vor uns. Er war klein, drahtig und krummbeinig. Aber er war der beste Wildpferdjäger, den ich kannte. Auch als Scout war er erstklassig. Mit Charly konnte man eine ganze Menge unmöglich erscheinender Dinge wagen, denn er war ein Mann, der niemals aufgibt und bei Widerständen und Schwierigkeiten erst recht loszulegen beginnt. »Hey«, sagte er, »bist du an die Hauswand genagelt? Hey, das ist ja eine Lady, Amigo, was ist los? Einen schönen guten Abend, Lady.« Er war etwas verwirrt. Aber er war noch nicht betrunken. Und er bemühte sich, möglichst schnell zu erkennen und auch zu begreifen. Ich sah noch einmal nach rechts und links, um mich zu vergewissern, daß niemand zuhören konnte. Aber niemand kümmerte sich um uns. Ich sagte zu Sonora-Charly: »Wenn du mir hilfst, kannst du dabei böse in die Klemme geraten und so schnell tot sein wie ein Mäuserich, den die Katze fing. Aber deine Chancen sind jetzt noch etwa fünfzig zu fünfzig, Bruderherz.« »Ich hatte nie größere Chancen«, sagte er. »Was soll's denn sein, Jim?« Ich deutete mit einer Kopfbewegung auf Sybille. »Dies ist Big Herb Morgans Nichte, und sie ist auf der Flucht. Herb Morgans Männer haben mich angeschossen. Ich habe eine Kugel im Balg und kann Sybille nicht zu ihrem Großvater nach Mexiko bringen. Wenn Morgans Männer euch erwischen, bist du tot, und sie wird als Gefangene zurückgebracht. Und wenn du mit ihr reitest, lockst du die Verfolger hinter dir her und verhilfst mir zu einer Chance. Ich werde mich auf deinem Rancho verkriechen. Du müßtest Sybille nach Mexiko zu Don Estobal de Coronada schaffen. Der lebt in …« »Ich weiß schon«, sagte er. »Dem habe ich im vergangenen Jahr ein paar Pferde verkauft. Das ist ein richtiger alter Hidalgo. Es sind etwa fünfundsiebzig Meilen von hier bis zu seiner Hazienda, wenn man auf Schleichpfaden reiten und ein paar Umwege machen muß.« »Bringe Sybille hin«, sagte ich. »Sobald ich kann, komme ich nach.« Er nickte. Dann wandte er sich an Sybille. »Würden Sie sich mir anvertrauen, Miß? Ich habe nicht den besten Ruf.« »Aber Jim vertraut Ihnen«, sagte sie. »Ich würde bei Jim bleiben, wenn das gut wäre für ihn. Aber ich sehe ein, daß es besser ist, alle Verfolger von ihm fortzulocken. Sie treten an Jims Stelle, Charly. Ist Ihnen die Sache wirklich nicht zu gefährlich?« Er grinste im Halbdunkel. »Schwester«, sagte er, »ich hole mein Pferd. Dann laden wir diese beiden Sättel auf und gehen zum Mietstall. Jim, wohin sollen wir das Pferd stellen, auf dem du zu meinem
Rancho reiten willst?« »Neben das Doktorhaus«, sagte ich und trank den Rest aus dem Glas, welches ich immer noch in der Hand hielt. Nochmals wurden meine Lebensgeister angeregt. »Geh schon, Charly«, sagte ich. Er ging. Ich war mit Sybille noch eine Minute allein. Sie küßte mich zart. »Ich komme mir wie eine ›Fahnenflüchtige‹ vor«, murmelte sie. »Doch ich sehe zugleich auch ein, daß es besser für dich ist, wenn wir unsere Verfolger hinter uns herlocken. Von Al Carrigan weiß ich, daß meines Großvaters Hazienda in der Nähe der Stadt El Toro liegt.« »Ich werde hinkommen«, sagte ich und sah Charly mit dem Pferd über die Fahrbahn kommen. Er hielt bei uns am Rand der Veranda an, lud die Sättel und das Gepäck auf und fragte: »Können wir?« Sybille nahm meinen Arm. Sie führte und stützte mich unauffällig. Wir überquerten die Straße, gingen drüben weiter, und wir mußten zweimal Betrunkenen ausweichen, die uns anstarrten. Einer sagte: »Der ist ja auch betrunken. Was macht er nur mit seinem Honey, wenn er betrunken ist?« Aber wir kamen weiter, ohne belästigt zu werden. Charly blieb mit dem Pferd auf gleicher Höhe. Vor dem Haus des Doktors küßte mich Sybille noch einmal. »Ich warte auf dich«, sagte sie. »Ich würde auch tausend Jahre auf dich warten.« Dann ging sie zu Charly, der mit dem Pferd neben uns am Rand des Plankengehsteiges angehalten hatte. Sie gingen davon. Ich war am Ende meiner Kraft. Die Kugel in meiner Schulter brachte mich fast um. Als ich vor die Tür trat, um zu klopfen, öffnete sich diese. Der Doc, den ich flüchtig kannte, wollte heraus. Ich sagte heiser: »Doc, heute kommen Sie ziemlich spät zu Ihrem Abendtrunk. Sie müssen mir erst eine Kugel aus der Schulter holen.« Er sah mich an, erkannte mich und sagte: »Red Jim Finnegan, ich wußte immer, daß es Sie auch einmal erwischen würde. Selbst von euch großen Revolverschwingern kommt keiner auf die Dauer davon. Na, kommen Sie. Sie sind schon unsicher auf den Beinen. Oder sind Sie betrunken? Ich rieche Whisky.« »Ich habe nur zwei Schluck getrunken«, sagte ich und ging hinein. Stöhnend streckte ich mich auf seinem Ledersofa aus. Aber bald würde mir besser sein, das wußte ich. Dieser alte Doc war Spezialist für Kugelwunden und Knochenbrüche. * Ich war zeitweilig in einem halb bewußtlosen Zustand, und ich spürte wie in einem bösen Fiebertraum, wie der Doc in meiner Schulter nach der Kugel suchte. Manchmal sah ich aus dunklen Nebeln sein schwitzendes Gesicht über mir auftauchen. Einmal fluchte er. In einem Augenblick der Klarheit begriff ich, daß die Kugel von einem Muskelstrang aufgehalten worden war wie von einem indianischen Büffellederschild. Die Kugel hatte den Muskelstrang zwar durchschlagen, war dann aber steckengeblieben. Es war nicht so einfach, sie nun wieder aus dem Muskelstrang herauszuholen. Aber der Doc schaffte es. Ich blutete ziemlich schlimm. Aber auch das alles bekam der
erfahrene Arzt unter Kontrolle. Er versorgte meine Wunde, deckte sie gut zu und klebte ein breites Pflaster darüber. Dann gab er mir einen Schluck Gin zu trinken. Als er sah, daß ich wieder bei klarem Verstand war, sagte er: »Ich bekomme zwanzig Dollar. Und an Ihrer Stelle, mein Sohn, würde ich mich vier Tage lang nicht bewegen. Aber Sie hören wohl sicherlich nicht auf mich?« »Nein«, sagte ich. »In meinem Gürtel ist Gold. Nehmen Sie sich für zwanzig Dollar heraus. Und dann lassen Sie mich hier eine halbe Stunde verschnaufen. Von mir aus können Sie schon in den Saloon gehen.« »Das werde ich auch«, sagte er. »Ich habe gestern zuviel beim Pokern verloren und muß es mir heute zurückholen. Wenn ich nicht bald am Spieltisch auftauche, glauben die Kerle noch, ich wollte gar keine Revanche. Ich schließe die Vordertür ab. Sie können zur Hintertür hinaus. Und ich will gar nicht wissen, warum, weshalb und wie Sie zu dieser Bleibombe gekommen sind. Adios.« Er ging, nachdem er zuvor die Lampe etwas schwächer geschraubt hatte, so daß mich das Licht nicht mehr so blenden konnte. Ich lag da, entspannte mich, und mir fiel ein, daß Sybille nun schon mit Sonora-Charly ein paar Meilen geritten sein mußte. Hoffentlich kamen sie durch. Und hoffentlich hatten unsere Verfolger noch nicht herausfinden können, daß Sybille jetzt mit einem anderen Mann ritt und ich mich wie ein angeschossener Wolf verkriechen mußte. Statt der halben Stunde, die ich hier auf dem Ledersofa ausruhen wollte, wurde es mehr als eine ganze Stunde. Ich brachte es einfach nicht fertig, mich zu überwinden. Ich wäre gern für eine lange Zeit liegengeblieben. Aber dann überwand ich mich doch. Es ging nicht schlechter als mit der Kugel in der Schulter – aber auch nicht besser. Irgendwie kam ich durch die Hintertür in den Garten oder Hof und von da in die Gasse. Hier stand das Pferd. Es war für mich bestimmt, denn es trug meinen Sattel. Beim dritten Versuch kam ich in den Sattel und ruhte mich erst einmal einige Minuten lang aus, dann ritt ich auf Seitenpfaden aus der Stadt. Sonora-Charlys Rancho kannte ich gut genug. Es waren etwa drei Meilen, und er lag so nahe an der Stadt, weil Charly sich darauf beschränkte, wenige gute Pferde lammfromm zuzureiten und mit Gewinn zu verkaufen. Er bekam die Tiere zumeist sehr billig, denn es handelte sich um Biester, die nur er reiten konnte. Ich weiß nicht, wie ich es damals in jener Nacht schaffte. Aber ich erreichte den Rancho und ritt in den halboffenen Schuppen. Ich löste den Sattelgurt und zog den Sattel einfach herunter, so daß er zu Boden knallte. Ich brachte das Tier in den Korral und zog mich dann in den Schuppen zurück, nachdem ich noch die Wasserflasche füllte. Ich kroch weit genug ins Heu, und schon schlief ich ein. * Am nächsten Morgen hatte ich ein böses Fieber. Wahrscheinlich hatte ich damals nur Glück, daß niemand kam, um Charly zu besuchen. Meine Wasserflasche war bald leer, und in einem lichten Moment schwankte ich zum Wassertrog, um sie neu zu füllen. Als ich wieder im Schuppen war, fiel ich ins Heu und wurde bewußtlos. An meinem Stoppelbart, den ich befühlte, nachdem ich wieder aufgewacht war, erkannte ich, daß
zwei Tage vergangen waren. Mein Fieber war weg. Die Wunde schmerzte kaum noch. Ich begriff, daß ich das Schlimmste überstanden hatte. Von nun an mußte es mit mir aufwärts gehen, wenn ich nur genug essen konnte. Ich brachte es fertig, in Charlys Blockhütte zu gelangen. Hier fand ich ein paar eßbare Dinge. Ich kochte mir sogar Kaffee. Aber als es Abend wurde, machte ich, daß ich wieder in den Schuppen ins Heu kam. Ich war nicht der Narr, der dort im Hause blieb. Das war mir zu gefährlich. Aus dem Schornstein quoll noch etwas Rauch. Ich konnte von meinem Lager aus über den Hof sehen. Ich fühlte mich immer besser. Die Nahrung half meinem Körper, gesund zu werden. Auch meine Sinne und Instinkte arbeiteten wieder. Ich hörte all die Geräusche und Laute meiner Umwelt. Alles drang in gewohnter Weise bis zu mir. Bisher war ich wie blind und taub gewesen. Jetzt änderte sich alles schnell. Ich hörte irgendwelche Kleintiere, sogar die Mäuse in meiner Nähe. Und von Charlys Weidekoppeln drangen die Geräusche seiner Pferde. Sie wurden durch ein kleines Wasserrad am Creek ausreichend mit Hilfe einer Baumröhrenleitung mit Wasser versorgt. Und Weide war genug in den weiten Koppeln. Ich dachte an Sybille und Sonora-Charly, die nun hoffentlich ihr Ziel erreicht hatten. Dann war Sybille in Sicherheit, und ihr Großvater wurde durch sie vor Morgans Mördern gewarnt. Plötzlich hörte ich andere Geräusche, die nicht zu den bisherigen Lauten und Tönen paßten. Kleingetier huschte davon. Ich hörte das Wiehern eines Pferdes, welches nicht von den Weidekoppeln herkam. Nun wußte ich, daß Reiter gekommen waren, die ihre Pferde in einiger Entfernung zurückgelassen hatten. Ich dachte: Nun haben sie es also herausgefunden, und nun kommen sie. Es war für sie einfach gewesen, meine und Sybilles Ankunft festzustellen. Aber dann wurde es schwerer für sie. Erst als sie den Doc ausquetschten, mußten sie begriffen haben, daß ein anderer Mann mit Sybille ritt und ich mich in der Nähe verkrochen hatte. Na gut, jetzt kamen sie. Denn Big Herb Morgan ließ mir keine Chance. Big Herb Morgan tötete seine Feinde ohne Gnade. Ob er dabei war? Oder war er nach Mexiko geritten, um drüben alles in seinem Sinne zu regeln? Ich blieb im Heu liegen und bewegte nur meine Hand, um den Colt zu nehmen. Bald schon hörte ich die Männer draußen beim Schuppen. Sie benutzten ihn als Deckung, um näher an das Blockhaus herankommen zu können. Ich hörte eine heisere Stimme flüstern: »Riechst du den Rauch? Der hat drinnen den Herd an und sich was gekocht. Wie machen wir es nun?« Ich kannte die Stimme nicht. Aber flüsternde Stimmen sind schlecht zu erkennen. Der andere Mann sagte: »Big Herb hat uns verboten, ihm auch nur die geringste Chance zu lassen. Er würde sonst noch mehr von uns abschießen wie Cass Logan. Er ist schneller als jeder von uns, und Cass würde noch leben, wäre er nicht so dumm gewesen, ihm eine faire Chance zu lassen. Nein, wir räuchern ihn aus. Wenn die Hütte brennt, muß er vorn oder hinten herauskommen. Dann haben wir ihn im Feuerschein gut angeleuchtet. Big Herb sagte uns, daß die Morgan-Ranch gefährdet ist, wenn er entkommt. Wir kämpfen nicht nur für Big Herb, sondern auch für uns. Also los, Kirby. Jeder nimmt einen großen Ballen Heu aus dem Schuppen.« Jener Kirby knurrte zustimmend.
Dann kamen sie von hinten um die linke Ecke herum nach vorn herein. Sie konnten mich nicht im Heu liegen sehen. Es war zu dunkel im Hintergrund des Schuppens. Sie aber hoben sich deutlich gegen die hellere Nacht dort draußen ab. Ich hätte sie schon jetzt umlegen können, einfach so, ohne Warnung. Ich brauchte nur losballern. Aber ich konnte es nicht. Es ging einfach nicht! Obwohl sie mich dort mit Feuer aus dem Blockhaus räuchern wollten, um mich dann aus der Dunkelheit, wenn ich mich gegen die hellen Flammen abhob, abzuschießen, konnte ich sie nicht so erledigen. Ich ließ zu, daß sie beide unterhalb von mir mit beiden Armen in das Heu griffen und sich mit dem so geschaffenen großen Ballen vor der Brust umwandten. Ich ließ sie noch drei Schritte aus dem Schuppen treten, dann sagte ich: »Jungens, ich habe euch!« Sie standen sofort mit dem Ballen Heu in den Armen starr da. Sie hatten keine Chance. Sie wußten das sofort. Selbst gegen einen Mann, der nur halb so schnell war mit dem Colt wie ich, hätten sie keine Chance gehabt. »Haltet das Heu nur schön weiter so«, sagte ich. »Wenn ihr es loslassen solltet, kracht es hier gewaltig.« Sie sagten nichts, standen nur da und schnauften. Ich wagte es, mich zu erheben. Es ging leichter als vorhin vor dem Essen. Ich hatte wahrhaftig schon mehr Kraft, obwohl die Speisen noch längst nicht verdaut sein konnten. Aber ich hatte viel Kaffee mit viel Zucker getrunken. Ich trat langsam aus dem Schuppen, holte mir nacheinander die Colts und warf sie hinter mich in das Heu. Dort im Schuppen würde man die Dinger lange suchen müssen. »Schämt ihr euch nicht, mich so erledigen zu wollen?« sagte ich, und es war keine Frage, sondern ein Tadel. »Big Herb Morgan ist ein verdammter Mörder«, sprach ich weiter. »Und ihr werdet seine Mordbande, wenn ihr jetzt nicht aufhört. Eigentlich sollte ich euch umlegen, so wie ihr es mit mir vorhattet.« Sie schwiegen und standen mit ihrem Heu da. Ich kannte sie beide. Sie gehörten zu Morgans Rauhreitern und Rangern. »Wo ist den Big Herb?« fragte ich. »Sitzt er noch wie eine Spinne im Netz, oder reitet er wieder selbst, so wie damals, als Al Carrigan mit Sybille schon fast in Mexiko war?« »Er wird dich bald am Hintern haben«, sagte einer der beiden Revolvermänner. »Mann, du hast keine Chance.« Ich wußte nun, daß Big Herb Morgan wieder selbst ritt. Er war gewiß hinter Sybille und Charly hergesaust. Oder er kümmerte sich überhaupt nicht um die Jagd auf Sybille und mich, sondern war schon vor uns über die Grenze zu Don Estobal de Coronada geritten. Mir wurde es heiß. Wenn Herb Morgan Don Estobal schon umgelegt hatte und auf dem Rückweg war, dann konnten Charly und Sybille ihm – wenn sie Pech hatten – in die Arme reiten. Ich trat hinter einen der Burschen, gab ihm was mit dem Revolverlauf, so daß er mit dem Heubündel umfiel. Aber sein Partner wollte sich nicht auf diese Art streicheln lassen. Er riskierte es, ließ das Heu fallen und warf sich herum. Sein Fuß kam hoch und sollte mich in die Seite treffen. Er war schnell wie eine Katze. Ich schoß ihm durch die Stiefelsohle. Da setzte er sich und stöhnte. »So könnt ihr das nicht mit mir machen«, sagte ich. »Bist du nicht der Meinung, daß ihr gut davonkommt?«
»Geh zur Hölle«, sagte er knirschend vor Schmerz. »Du hast mir den Fuß zerschossen.« »Sollte ich mich treten lassen?« fragte ich und fügte hinzu: »Weißt du, Kamerad, ich bin noch nicht so flink auf den Beinen, wie ich es gern sein würde. Sonst hätte ich es dir anders geben können. Und vergiß nicht, ihr wolltet mich ausräuchern und abschießen. Such dir einmal sonst jemanden, der euch zwei Schufte am Leben ließe.« Sein Partner, dem ich was mit dem Revolverlauf verpaßt hatte, wachte wieder auf. Ich ließ ihm Zeit, ich ließ es sogar zu, daß der Mann zum Wassertrog ging und dort den Kopf hineinsteckte. Er machte sein Halstuch naß und drückte es auf die Platzwunde. Dann sah er zu mir her und murrte: »Du hast dennoch keine Chance, du verdammter Bastard.« Meine Stimme klang gefährlich sanft, als ich sagte: »Kamerad, sag das noch einmal. Laß es mich noch einmal hören, damit es auch keinen Irrtum gibt. Ja?« Aber er sagte nichts mehr. Er wußte, daß ich ihn auf irgendeine harte Art kleinmachen würde. Er sah auch seinen Partner am Boden hocken. Der Mann hatte sich den Stiefel ausgezogen und hielt sich den blutenden Fuß. Ich sagte: »He, du wirst mit diesem Fuß ohnehin nicht lange reiten können. Ich nehme dein Pferd. Du kannst meines nehmen – dort den Schecken im Korral. Und da liegt mein Sattel. Wir tauschen also.« »Wir werden dich als Pferdedieb hängen«, sagte er heiser vor Schmerz. Ich beachtete ihn nicht mehr. Ich wandte mich zu jenem, der immer noch seine Platzbeule am Kopfe kühlte. »Komm«, sagte ich. »Gehen wir zu euren Pferden. Das erspart mir das Satteln. Und ihr werdet sicherlich auch gut ausgerüstet sein. Gehen wir!« Er zögerte, wollte etwas sagen, sich sträuben. Aber er ließ es bleiben. Auch sein verwundeter Partner sagte nichts. Er war sicherlich froh, daß ich ihn zurückließ. Irgendwie würde er sich schon zu helfen wissen. Bis zum Doc in die Stadt waren es nur drei Meilen. Er konnte sich drüben im Haus verbinden, ein Pferd aus einem Korral holen und losreiten. Natürlich würde das einige Zeit dauern, aber ich brauchte auch einen guten Vorsprung. Ich ging langsam hinter meinem Gefangenen her, und wenn er mir zu schnell wurde, sagte ich es ihm. Die Pferde standen unter einem großen Baum. Ich ließ den Mann in einiger Entfernung warten, nahe genug, daß ich ihn mit einem raschen Schnappschuß erwischen konnte, und weit genug, daß er mich während des Aufsitzens nicht angreifen konnte. Ich kam gleich beim ersten Versuch in den Sattel. Der Sattel paßte für mich. Die Steigbügel waren richtig. »Na komm«, sagte ich. Der Mann saß schweigend auf. Wir ritten nach Süden und benutzten einen schmalen Reitweg, der an Charlys Rancho vorbeiführte. Das Reiten fiel mir leichter, als ich befürchtet hatte. Wir begegneten keinem Reiter, keinem Wagen, niemandem. Nach gut drei Meilen ließ ich anhalten. »Steig ab«, sagte ich. Er zögerte. Vor sich in Reichweite hatte er das Gewehr im Sattelhalfter. Er konnte den Kolben erfassen und das Gewehr schnell herausziehen. Es juckte ihn danach, aber er ließ es und saß ab. »Du bist dieser Bill Perkins, nicht wahr?« sagte ich. Im Mond- und Sternenlicht sah ich ihn nicken.
»Paß auf, Bill Perkins«, sagte ich. »Ihr seid in großer Überzahl hinter mir her wie eine Bluthunde-Meute hinter einem angeschossenen Wolf. Ihr wolltet mich heute killen, ohne mir eine Chance zu lassen. Diesmal lasse ich dich noch davonkommen. Treffe ich dich noch einmal auf meiner Fährte, bist du tot. Hast du mich verstanden?« Er sagte nichts. »Antworte!« »Yes, Sir«, sagte er, und sein Stolz war verletzt. »Du hast keine Chance«, fügte er hinzu. Ich spürte das wilde und böse Verlangen, ihn niederzureiten oder ihm sogar mit dem Colt einen Denkzettel zu verpassen. Doch dann nahm ich nur die Zügel des bisher von ihm gerittenen Pferdes und ritt weiter. Er stand schweigend da und starrte mir nach. Ich ritt ruhig und stetig. Mehr konnte ich mir nicht erlauben, denn eigentlich hätte ich noch zumindest zwei Tage Ruhe gebraucht, und auch dann noch wäre es zu früh gewesen, schon in den Sattel zu steigen. Aber was sollte ich tun? Sie hatten mich auf Charlys Ranch aufgestöbert. Nun mußte ich ständig in Bewegung bleiben und meine Fährte verwischen. Die kleine mexikanische Stadt El Toro kannte ich. Vor dem Krieg war ich zwei- oder dreimal dort durchgekommen. In der Nähe hatte ich vor wenigen Monaten in einigen alten Minen herumgestöbert. Und mit Sonora-Charly hatte ich auch schon in diesem Land Wildpferde gejagt. Ich kannte mich also einigermaßen aus. Es führten viele Wege und Pfade nach El Toro. Und in der Nähe dieses Ortes sollte die Hazienda von Don Estobal de Coronada liegen. Sonora-Charly und Sybille waren hoffentlich schon dort. Aber das war für mich noch sehr viel unsicherer geworden, seitdem ich damit rechnen mußte, daß Big Herb Morgan und ein Rudel seiner Revolvermänner schon vor Charly und Sybille nach El Toro oder direkt zu Don Estobal geritten waren. Alles, was vor mir lag, war ungewiß. Und was hinter mir lag, war gefährlich. Jener Bill Perkins, den ich laufen ließ, würde bald Verstärkung bekommen. Ich mußte wieder an jene Reiter denken, die Sybille und mich aus der Kutsche nach Norden jagen sahen, während wir bereits nach Süden fuhren. Diese Reiter waren längst umgekehrt. Ich hatte zwei Tage Zeit verloren. Diese Rauhreiter hatten vielleicht sogar schon eingegriffen. Wenn sie auf Bill Perkins trafen, würden sie bald meine Fährte aufnehmen. Und so hatte ich wahrscheinlich Big Herb Morgan mit einem rauhen Rudel vor mir und ein nicht weniger rauhes Rudel hinter mir. Was Sybille betraf, so konnte ich nur auf die Schlauheit von Sonora-Charly vertrauen. Obwohl meine Schulter mit jeder Meile, die ich zurücklegte, stärker zu schmerzen begann, blieb ich im Sattel. Denn körperlich war ich kräftiger, als ich befürchtet hatte. Da es mich zu sehr behinderte und auch anstrengte, das zweite Pferd an den langen Zügeln mitzuführen, ließ ich es frei. Einen rauhen Ritt, bei dem es helfen würde, wenn man zwei Tiere abwechselnd ritt, konnte ich ohnehin nicht wagen. Ich war körperlich nicht in der Lage, auch nur ein Pferd zu erschöpfen. Aber eine Enttäuschung erlebte ich, als ich einmal anhielt, um zu verschnaufen, und auf die Idee kam, in den Satteltaschen nach eßbaren Dingen zu suchen.
Der Mann, dessen Pferd ich ritt – es war wahrscheinlich jener, den ich in den Fuß geschossen hatte –, hatte keinen Proviant bei sich. Ich fand nur Reserveunterzeug, Waschund Rasierzeug, ein Paar Socken. Auch Tabak war dabei, aber nichts Eßbares! Ich fluchte leise. Vielleicht hätte ich in den Satteltaschen des anderen Pferdes nachsehen sollen, bevor ich es laufen ließ. Was tat ein Mann wie ich, der viel Blut verloren hatte und schnell zu Kräften kommen mußte, ohne Nahrung? Ich ritt bald darauf weiter und kreuzte eine Wagenstraße. Ich kannte auch diese Straße. In der Ferne blinkte ein Licht in der Nacht. Es war gelber als alle Sterne. Dahinter waren noch mehr solche Lichter. Dort ein Stück die Straße weiter – vielleicht zwei Meilen – lag San Fernando, ein kleines Nest am Fuß eines Hügels, auf dem eine verfallene Missionskirche stand. Ein paar Leute lebten dort, und die Glocke der Kirche tönte manchmal weit über das Tal. Nun ritt ich hin. Ich brauchte Nahrung. * Viele Häuser waren verfallen, aber in einigen brannte Licht. Es gab auch eine Bodega, ein Wirtshaus, in dem man Wein bekam und auch essen konnte. Daneben war eine Gemischtwarenhandlung, in der es einige wenige Dinge gab. Ich hörte das Klimpern von Gitarren. Dazu spielten eine Flöte und eine gedämpfte Trompete. Und geschmeidige Hände bearbeiteten verschiedene kleine Trommeln; Kürbisse waren es, die man ausgehöhlt und bespannt hatte. Hier waren ein paar Mexikaner und Mestizen – Gauchos und Vaqueros – bei einem kleinen Fest. Frauenstimmen lachten. Ein paar arme Teufel feierten hier und vergaßen für einige Stunden das ganze Elend dieser Erde. Ich saß ab. Es mußte schon Mitternacht sein, aber in dem Geschäft saß eine alte Frau und strickte. Ihre Augen waren – das erkannte ich im Lampenlicht – glanzlos. Sie war blind. Doch ihr Gehör war gut. Sie wußte sofort, daß ich ein Gringo war, der amerikanische Stiefel trug. Überdies besaßen meine Sporen keine klimpernden Rädchen. Aber ich konnte die Landessprache perfekt. Ich sagte: »Es ist eine schöne Nacht dort draußen, Señora. Aber ich muß reiten, und ich brauche Proviant. Ich zahle mit Gold.« Hinter mir kam nun ein Junge herein. Er war gewiß nicht älter als ein Dutzend Jahre. Seine Augen waren klug und flink. Er sagte: »Das muß der Gringo sein, Großmutter. Er ist groß, rothaarig und sieht krank aus. Er ist gewiß an der Schulter verletzt. Er ist es.« Ich sah den Jungen an, und ich wußte schon jetzt, daß ihm mein Aussehen nur von Sonora-Charly oder Sybille beschrieben worden sein konnte. »Ich bin Finnegan«, sagte ich deshalb. »Hat mein Amigo eine Nachricht für mich hinterlassen? Kam Sonora-Charly mit der Señorita hier durch?« Der Junge starrte mich an. Die alte Frau, die dort hinter dem Ladentisch saß, hatte mit dem Stricken innegehalten. Von drüben klang die Musik lauter, feuriger. Die Trommeln hackten, brettharte Hände klatschten dazu. Ich wußte, daß jetzt dort drüben ein Mädchen tanzte, mit schwingenden Röcken, deren Saum bis hinauf zu den Hüften kreiste, mit wiegenden Hüften und stampfenden Schuhen. Dies da war ein Fandango, ein spanischer Tanz, zu dem die Tänzerin mit den Kastagnet-
ten klapperte. Aber ich hatte ganz andere Sorgen, und dieser Lärm da drüben machte mich nervös, denn diese alte Frau und der Junge wußten von mir. Sie konnten es nur von Sonora-Charly und Sybille wissen. Es war ein reiner Zufall, daß ich in diesen Ort kam. Wenn ich in der Satteltasche auch nur ein paar Bissen gefunden hätte, wäre ich in der Nacht auf einem einsamen Pfad weitergeritten und hätte mir die Lichter dieses Ortes hier nun aus der Ferne betrachtet. Die Alte sagte plötzlich: »Führe ihn hin, Lorenzo.« Der Junge sah mich an. »Sie können auch reiten, Señor. Wir müssen den Hügel hinauf in die alte Mission«, sagte er. »Und was finde ich dort?« fragte ich. Er antwortete nicht, sondern glitt zur Tür. Er spähte hinaus und wandte sich wieder zu mir zurück. »Sonora-Charly wird sterben«, sagte er. »Niemand hier in diesem Ort kann ihn retten. Und es sind zwei Gringos da, die drüben in der Bodega sitzen und Dolores beim Tanz zusehen.« Nun bewegte ich mich mächtig schnell. Bisher hatte ich Glück gehabt. Zwei Gringos waren hier. Das konnten Männer von Herb Morgan sein. Und wenn sie mich bisher noch nicht gesehen hatten, so verdankte ich das gewiß einer Tänzerin. Aber bald schon würden die beiden Männer wieder vor der Bodega die Augen offenhalten. Ich folgte Lorenzo hinaus, nahm mein Pferd an den Zügeln und zog mich mit dem Tier weiter ins Dunkle zurück, bevor ich aufsaß und dem Jungen folgte. Er trabte vor mir her, und er verlangsamte seinen Trott auch nicht, als es den Hügel zur alten Mission aufwärts ging. Zwischen den verfallenen Gebäuden der Mission ließ ich mein Pferd stehen und folgte dem Jungen. Er brachte mich in ein Kellergewölbe, ließ mich warten und huschte voraus, um mich anzumelden. Und dann kam er mit Sybille. Wir umarmten uns. Ich küßte sie, und ich spürte, wie froh sie war, daß wir wieder zusammengefunden hatten. Sybille führte mich weiter. Lorenzo blieb zurück, um aufzupassen. Ich folgte Sybille, die mich bei der Hand führte. Sie kannte sich hier offenbar schon im Dunkeln aus. Endlich schimmerte Licht. In einem kleinen Kellergewölbe, in dem noch die Reste von alten Tonkrügen waren, fand ich Sonora-Charly. Er lag auf einem sauberen Lager aus frischem Maisstroh. Aber es ging mit ihm zu Ende. Ich erkannte es sofort, als ich mich im Kerzenschein über ihn beugte. Er hatte Fieber in den Augen, aber er war bei vollem Verstand. Er erkannte mich sofort. »Ay, Amigo«, sagte er. »Ich bin froh, daß ich dir Sybille wieder zurückgeben kann. Denn ich kann nicht länger für sie …« Weiter kam er nicht. Er starb. Seine Kraft hatte offenbar nur so lange gereicht, bis er mich erkennen konnte und begriff, daß er die Verantwortung loswerden konnte, die er übernommen hatte. Ich drückte ihm die Augen zu, und in mir war tiefe Bitterkeit. Ich hatte Sonora-Charly um Hilfe gebeten, weil ich ihm einmal geholfen hatte. Er verdankte mir sein Leben, doch ich hatte nicht das Recht gehabt, dieses Leben für mich zu fordern. Aber er hatte es für mich gegeben – für Sybille zwar, aber letztlich doch deshalb, weil
er mir etwas schuldig gewesen war. Ich hatte von ihm gefordert, was er mir zu verdanken hatte – sein Leben. Ich kam mir scheußlich vor. Sybille kniete neben mir. Wir sahen auf Charly nieder. »Er war wie ein guter Bruder zu mir«, sagte sie. »Wir ritten vor zwei Nächten auf einem Pfad in eine Sperre der Reiter meines Onkels. Sie waren schon vor uns nach Mexiko geritten und hatten alle Wege verlegt, auf denen wir kommen mußten. Jim, es hat nichts genützt, daß wir erst so weit nach Norden flüchteten. Mein Onkel ließ sich dadurch nicht täuschen. Und er muß außer seinen Rauhreitern und Rangern auch noch eine Menge Revolver-Cowboys eingesetzt haben. Vielleicht hat er ihnen Hoffnung gemacht, daß sie aufsteigen könnten in der Rangordnung. Sonora-Charly kämpfte wie ein Held. Es waren zwei Mann. Er kämpfte sie nieder und blieb auch noch eine Weile im Sattel, so daß ich glaubte, er hätte gar nichts abbekommen. Aber dann veränderte er unsere Fluchtrichtung. Er brachte mich in diesen Ort da unten. Er hat hier Freunde, doch sie haben Angst. Hier leben nur ein paar Bauern. Manchmal kommen Goldsucher oder Pferdejäger, um sich neu auszurüsten. Man verbarg uns hier in den Kellergewölben der Mission und brachte unsere Pferde in ein Versteck. Und nun ist Charly tot. Wie viele Männer müssen noch sterben?« »Noch viele«, sagte ich. »Big Herb Morgan hat viele Reiter. Er braucht nur zu befehlen. Und er fürchtet sich, seine Riesenranch zu verlieren. Er wird nicht ruhen, bis er dich, mich und deinen Großvater getötet hat. Er ist selbst mit vielen Reitern nach Mexiko gekommen und wird nicht früher heimkehren, bis er hier alles in seinem Sinn erledigen konnte. Dabei müssen zwangsläufig Männer sterben. Es ist erst alles zu Ende, wenn wir oder er tot sind.« Hinter uns war ein Geräusch. Ich wandte mich um. Es war der kleine Lorenzo. Er fragte: »Ist er tot?« Es war die halb schüchterne und halb sachliche Frage eines Jungen, der schon viel Leid und Blutvergießen sah und dem der Tod nicht fremd war. In diesem Lande starben immer wieder Menschen eines gewaltsamen Todes. »Ja«, sagte ich. »Er ist tot. Kanntest du Charly gut, Lorenzo?« Er kam näher und sah auf Sonora-Charly. »Er hatte überall Freunde«, sagte er. »Und er war ein guter Pferdejäger und noch besserer Reiter. Ich lernte ein paar Pferdetricks von ihm, und er brachte mir auch bei, wie man mit Diamantschlingen eine Packlast befestigt. Ich mochte ihn sehr. Er trug immer eine Mundharmonika in der Tasche. Einmal ließ er mich darauf spielen.« Lorenzo verstummte, und ich fand, daß er Charly eine gute Totenrede gehalten hatte. Charly hätte sich darüber gefreut. Ich griff in seine Hosentasche. Da war wirklich die kleine Mundharmonika. Sie war schon zerbeult und zerdrückt. Ich gab sie Lorenzo. »Gewiß freut Charly sich, wenn du sie jetzt hast«, sagte ich. »Werdet ihr Sonora-Charly beerdigen? Ihr dürft sein Pferd behalten, seine Waffen – alles, was er nicht mit ins Grab nehmen kann.« »Wir beerdigen ihn, sobald die Gringos fort sind«, sagte er. »Wir alle mochten ihn, und die Großmutter mochte ihn besonders. Immer, wenn er in unseren Laden kam, erzählte er ihr lustige Geschichten.« Ich nickte und zog Charly die Decke über das Gesicht. Ich spürte meine Erschöpfung, Die Müdigkeit war wie Blei in meinen Gliedern. Und meine Schulter schmerzte. Ich sagte zu Sybille: »Ich kann nicht weiter. Wir müssen noch eine Weile bleiben. Viel-
leicht bis zum Anbruch der nächsten Nacht. Lorenzo, kannst du mein Pferd zu den anderen schaffen und morgen um diese Zeit zusammen mit dem Pferd der Señorita wieder hierherbringen?« »Si, das kann ich leicht«, sagte er. Ich ging zu dem Lager Sybilles hinüber. Es war breit genug für zwei. Ich legte mich hin, schnallte den Waffengürtel ab, nahm den Revolver in die Hand und schloß die Augen. »Schaff uns etwas zu essen herbei, Lorenzo«, murmelte ich noch. Ich erwachte erst am Nachmittag. Ich hatte mehr als zwölf Stunden geschlafen, und der Hunger, den ich bald nach meinem Erwachen spürte, biß mich in den Magen wie ein gieriger Wolf. Ich war allein. Es fiel Tageslicht durch die Treppenöffnung in das Kellergewölbe nieder. Ich erhob mich. Im Halbdunkel erkannte ich, daß Charlys Leichnam immer noch dort in der Ecke unter der Decke lag. Man hatte ihn also noch nicht fortschaffen können. Das bedeutete auch, daß die beiden Revolvermänner, die man für Morgan-Ranger hielt, noch im Ort waren. Ich erhob mich und ging zur Treppe. Ich fühlte mich schwach, aber ich begriff auch, daß diese Schwäche nicht von einer Krankheit, sondern nur vom Hunger kam. Ich ging die Treppe hinauf, erreichte die nächste Treppe, welche zum großen Saal der einstigen Mission führte. Sybille stand an der Brüstung eines Fensters und spähte irgendwohin. Als sie mich hörte, blickte sie über die Schulter. Sie winkte mir und zeigte auf einen Korb, der neben ihr auf einem Stein stand. Ich trat zu ihr und fand außer einem gebratenen Huhn noch zwei Flaschen Wein, Maisfladen, Käse, Brot und eine kürbisähnliche Melone, die man roh essen konnte, in dem Korb. »Seit es Tag ist«, sagte Sybille, »habe ich mich hier nicht mehr fortgewagt. Denn die beiden Amerikaner dort im Dorf sind tatsächlich Ranger meines Onkels. Es sind Ernie Jackson und Bac Lonesome. Lonesome gehörte bisher zur Rindermannschaft. Er war jedoch meist als Grenzwächter eingesetzt. Er ist nicht weniger gefährlich als die anderen Revolvermänner meines Onkels. Sie haben vor einer Weile das Dorf verlassen und reiten kreuz und quer herum. Sie suchen nach irgendwelchen Fährten. Vielleicht wollen sie noch einmal alles absuchen, bevor sie weiterreiten.« Ich sagte nichts. Ich holte mir die beiden Hühnerschenkel heraus und trank einen Schluck Wein aus der Flasche. Dies war die richtige Kost für einen Mann, der viel Blut verloren hatte. Kauend trat ich zu Sybille. Nun sah ich die beiden Reiter. Einen kannte ich vom Sehen. Dem anderen war ich noch nie begegnet. Sie kamen langsam den Missions-Hügel herauf und sahen immer wieder auf den Boden. Ich wußte, daß sie eine Fährte gefunden hatten, die ihnen Grund genug gab, noch einmal nachzusehen. Ich murmelte: »Die suchen nach Charly und dir, Bille. Sie wissen schon seit zwei Tagen, daß Charly verwundet wurde. Wahrscheinlich fand man sein Blut irgendwo. Und dann schwärmten sie aus und legten sich auf die Lauer. Überall in weiter Runde! Sie sind überhaupt nicht sicher, ob sie etwas finden. Sie suchen einfach so herum, weil ihnen das Warten im Ort zu langweilig wurde. Aber nun fanden sie die Spur meines Pferdes und die von Lorenzo. Sie kommen bestimmt her. Nimm den Korb und geh hinunter!«
Erschrocken sah sie mich an und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Schon wieder kämpfen, schießen und vielleicht töten?« sagte sie. »Solange dein Onkel lebt und Männer findet, die bereit sind, für ihn Menschen zu jagen und zu töten – und solange sie uns noch nicht erwischt und erledigt haben, wird sich alles immer wieder wiederholen«, sagte ich. Wortlos nahm Sybille den Korb und ging damit zu der schon halb verfallenen Steintreppe, die zu den unteren Kellergewölben führte. Ich dachte an Big Herb Morgan. Und da erkannte ich den einzigen Ausweg: Wenn Big Herb Morgan tot war, hatte alles ein Ende. Aber warum nannte ich ihn in meinen Gedanken immer noch »Big«? Er war nicht groß – nein! Auch wenn er mitten in der Wildnis war, so hatte er doch seinen Bruder ermordet. Nein, er war kein Big Herb Morgan. Ich nahm meinen Colt aus dem Halfter und überprüfte ihn. Die Waffe war in Ordnung und voll geladen. Ich trank noch zwei Schluck Wein. Es war guter Wein. Er stärkte mich schneller als die Speise. Ich fühlte mich besser. Mein Hunger hatte nachgelassen. Ich trat etwas zur Seite, wo ich durch ein Mauerloch besser den Hügel abwärts sehen konnte. Bac Lonesome und Ernie Jackson verhielten und spähten herauf. Dann starrten sie wieder zu Boden. Im Gras war die Fährte meines Pferdes wahrscheinlich gut zu erkennen. Sie fragten sich wohl, warum hier ein Reiter hinter einem laufenden Jungen hergeritten war. Der Wiesenhang war bedeckt mit blühenden Wildblumen, durch die sich deutlich die Fährte zog. Warum hatte ich gestern nicht genug Energie aufgebracht, vorsichtiger zu reiten? Die beiden Männer kamen heraufgeritten. Wenn ich sie überrumpeln konnte, so daß sie keine Chancen hatten, die Revolver zu ziehen, würde es vielleicht zu keiner Schießerei kommen. Ich blickte noch einmal zur Treppe zurück, wo Sybille verschwunden war. Ich sah ihren Kopf. Sie war also nur wenige Stufen abwärts gestiegen. Ich rief ihr leise zu: »Wenn sie hier auftauchen, dann zeige dich ihnen. Lenke sie ab. Erwecke den Anschein, als würdest du dich ergeben, weil ich gestorben bin. Sie glauben vielleicht immer noch, daß nicht Sonora-Charly, sondern ich bei dir war.« Sie nickte, und ich verbarg mich hinter einer Säule. Ich brauchte nicht lange zu warten. Sie kamen auf ihren Pferden dicht herangeritten und saßen draußen ab. Mit gezogenen Colts betraten sie den Innenhof der Mission. Für eine Weile konnte ich sie nicht sehen. Aber bald schon kamen sie in den ehemaligen Kirchenraum. Sie sahen sich um. Einer sagte: »Hier ist nichts, aber dort drüben scheint eine alte Steintreppe hinunter in die Kellergewölbe zu führen. Wollen wir nachsehen?« »Sicher, Bac, sicher«, brummte Ernie Jackson. Sie gingen auf die Treppe zu. Und da tauchte Sybille auf. Fast hätten sie auf Sybille geschossen, und ich wollte schon schießen, um ihnen zuvorzukommen. Aber dann hatten sie ihre Überraschung unter Kontrolle. »Da sind Sie ja, Miß Morgan«, sagte einer. »Wo ist denn der Narr, mit dem Sie durchgebrannt sind?« fragte der andere Mann. Sie hatten beide ihre Revolver gesenkt, denn für sie war Sybille immer noch die Nichte ihres Bosses.
Ich stand hinter ihnen und war bereit. »Hier bin ich, Jungens«, sagte ich. »Steht still!« Sie zuckten zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Sie wirbelten herum und hoben dabei die Colts. Sie waren wie zwei Wölfe, die einer zuschnappenden Falle entkommen wollten. Ich konnte sie nicht schonen. Noch während ich die beiden letzten Worte rief, schoß ich. Ich traf sie beide mit zwei schnellen Schnappschüssen. Einer drückte noch ab, aber die Kugel war ungezielt. Ich näherte mich ihnen, und ich mußte noch auf sie zielen, weil sie nur verwundet und hart genug waren, um weiterzukämpfen. Ich rief: »Muß ich euch erst totschießen, ihr Narren!« Da begriffen sie, daß ich ihren Tod nicht wollte. Sie wußten nun auch, daß sie keine Chance hatten gegen mich. Ich schoß zu schnell und zu sicher. Es wurde ihnen klar, daß ich sie geschont hatte, weil ich nicht töten wollte. Sie gaben auf, und sie schnauften und fluchten. Sie waren verbittert. »Das Mädchen hat uns abgelenkt, und wir glaubten, der Mann, mit dem sie ritt, wäre schwer verwundet. Aber du hast keine Chance, Finnegan!« »Das mag sein«, sagte ich und sah zu Sybille hinüber. »Bring den Korb mit«, sagte ich zu ihr. »Wir nehmen ihre Pferde.« Sie kam sofort. Ich nahm den beiden Morgan-Reitern die Waffen weg und sah, daß ich sie beide dort getroffen hatte, wo ich wollte: in die Arme ihrer Revolverhände. Sie würden nicht an diesen Verletzungen sterben, und sie konnten sich auch selbst um Hilfe bemühen. Ich ging mit Sybille hinaus zu den Pferden. Für Sybille schnallte ich die Steigbügel des einen Tieres kürzer, und wir ritten davon. * Wir schlugen einen großen Bogen um das Dorf San Fernando und ritten weiter nach Süden. Die Pferde waren gut und auch ausgeruht. Im Korb, der an meinem Sattelhorn hing, hatten wir Proviant. Besonders der Wein hatte es mir angetan. Denn er würde mir gewiß dabei helfen, den Blutverlust auszugleichen. Auch gekochte Eier hatte ich entdeckt. Wir ritten abseits der großen Wege und Pfade. Doch das konnte durchaus falsch sein. Es war möglich, daß Herb Morgan die Straße und großen Wege unbewacht ließ, weil er glaubte, daß wir sie meiden würden. Aber er konnte die vielen abseits gelegenen und verborgenen Pfade nicht alle bewachen lassen. Und das war unsere einzige Chance. Ich führte, und ich kannte mich immer besser aus in diesem wilden und unübersichtlichen Lande. Hier hatte ich Wildpferde gejagt. Diese Wildpferde hatten mir auf der Flucht die verborgensten Pfade gezeigt. Wir kamen gut vorwärts, obwohl wir niemals galoppierten und nur dann einen schnellen Trab ritten, wenn wir über deckungsloses Gelände mußten. Dann kamen wir zum Yaqui-Paß. Es war ein fast unbekannter Paß, den man erst entdeckte, als vor dem Krieg Yaqui-Kriegsbanden ins Territorium der Union einfielen, um ihre Vettern, die Apachen, zu unterstützen. Immer wieder verschwanden die Yaquis dann, wenn sie verfolgt wurden, wie vom Erdboden. Sie entkamen stets über diesen Paß,
den sie gut verteidigen konnten. Am späten Abend erreichten wir die Schlucht, durch die man hinaufreiten mußte zum tiefen Einschnitt der Gebirgskette. Ich konnte nur hoffen, daß Herb Morgans Reitern dieser Paß unbekannt war. Denn alle anderen Übergänge waren gewiß bewacht. Ich saß in der Schluchtmündung ab und prüfte im allerletzten Licht des sterbenden Tages den Boden. Ich kroch sogar auf den Knien herum und kontrollierte alles genau. Aber es gab keine frischen Fährten von beschlagenen Pferdehufen. Ich erhob mich und nickte Sybille zu. Sie lächelte ernst und tapfer. Dann ritten wir weiter in die Schlucht hinein. Es wurde dunkel. Der Hufschlag unserer Pferde hallte zwischen den Wänden. Immer wieder hielt ich an, um zu lauschen. Als dann die Nacht kam, war die Dunkelheit vollkommen. Wir konnten für eine Weile kaum etwas sehen. Wir hielten an, saßen ab und machten eine Pause. Wir hatten uns die Zügelenden um die Handgelenke gewickelt, aßen aus dem Korb und hockten dicht beieinander auf einem Stein. Sybille küßte mich, und ich legte meinen gesunden Arm um ihre Schultern. Wir sprachen kein Wort, aber das war auch nicht nötig. Wir waren ein Paar in dunkler Nacht, dessen Zukunft nicht weniger dunkel war. Aber wir verstanden uns auch ohne Worte. Dann begann der Himmel aufzuklaren. Über der Schlucht erschienen Sterne. Sie wurden klarer und klarer, und etwas von ihrem Licht sickerte auch in die Schlucht der Yaquis ein. Ich küßte Sybille noch einmal, dann ritten wir weiter. Mir ging es besser. Zweimal hatte ich jetzt schon kräftig essen können. Auch die zwei Flaschen Wein hatte ich fast allein geleert. Meine Schulter schmerzte, aber dieser Schmerz war erträglich. Es war Mitternacht, als wir das Ende der Schlucht erreichten. Wir ritten über eine Hochebene und erreichten deren südlichen Rand. Ein alter Pfad führte abwärts. Unten war ein großes Tal, in dem Lichter zu sehen waren. Der Ort dort unten war El Toro. Er lag am Fuße eines felsigen Hügels, der die Form eines spanischen Kampfstieres besaß, eines Toros. Und weiter südöstlich der Stadt, dort wo das Tal schmaler wurde und in ein Zwillingstal überging, hatte Don Estobal de Coronada seine Hazienda. Wir waren fast am Ziel. Es war wie ein kleines Wunder. Weder Herb Morgan noch all seinen Reitern war die Yaqui-Schlucht bekannt. Wir ritten abwärts und hatten noch eine Weile die Lichter des Ortes vor unseren Augen. Dieses Licht aus der Ferne sah so friedlich und freundlich aus. Aber ich wußte, daß sechs von Herb Morgans Revolverschwingern diesen Ort besetzten und die fast hundertköpfige Einwohnerschaft in Angst und Schrecken versetzen konnten. Wir ritten hinunter und auf die Stadt zu. Wenn ich wissen wollte, ob Herb Morgans Leute in El Toro waren, ob Sybilles Großvater überhaupt noch lebte oder auf seiner Hazienda ungebetene Gäste waren, mußte ich nach El Toro hinein. Nur hier konnte ich etwas erfahren. Aber ich konnte auch in eine Falle rennen. »Du wartest hier«, sagte ich zu Sybille. »Wenn ich bis zur Morgendämmerung nicht komme, reitest du in Richtung der hornähnlichen Hügelspitze. So kommst du zu der Hazienda deines Großvaters. Wenn ich nicht bei Morgengrauen zurück bin, mußt du versuchen, dich allein durchzuschlagen. Dann haben sie mich erwischt.«
Sie schluckte, aber dann sagte sie: »Ja, Jim.« »Ich komme bestimmt wieder«, murmelte ich. »Du sollst nur für alle Fälle wissen, was du tun mußt.« »Ich liebe dich, Jim«, erwiderte sie, und ich wußte, daß sie es mir in diesem Augenblick sagte, weil sie befürchtete, daß man mich erwischen und töten könnte. Sie wollte mir etwas mit auf den Weg geben, und vielleicht glaubte sie auch, daß es mir helfen könnte, besser auf mich zu achten. »Ich habe dich vom ersten Augenblick an geliebt«, sagte ich. »Als ich dich sah, war ich wie vom Blitz getroffen. Und wir werden noch glücklich sein auf dieser Erde und viele Kinder haben.« Ich sah mich nicht mehr nach Sybille um und ging nach El Toro. Durch eine Seitengasse kam ich zur einzigen Hauptstraße. El Toro war nicht sehr viel größer als San Fernando, aber es gab zwei Schenken und mehrere Läden. In dieser Minute, als ich an der Ecke stand und nach rechts und links die Straße entlang nach irgendwelchen Anhaltspunkten ausspähte, die mir vielleicht sagen würden, ob die Morgan-Reiter hier lauerten, verlöschten da und dort die Lichter. Leute kamen aus den Schenken. Sie waren lustig und angeheitert. Eine Stimme rief in spanischer Sprache: »Ay, Pedro, es war nobel von dir, daß du mit all deinen alten Freunden noch einmal gefeiert hast, bevor deine Maria dich für immer auf den Pfaden der Tugend und Treue hält. Leb wohl, Hombre! Jeder muß einmal daran glauben und eine Familie gründen! Denk aber immer an die alten Zeiten, Compadre!« Ein Mann hatte gefeiert, deshalb hatten hier die Lichter so lange gebrannt. Es waren keine Morgan-Reiter zu sehen. Lauerten sie irgendwo draußen in der Nacht? Warteten sie vielleicht darauf, daß hier alle Lichter ausgingen und die Leute sich zerstreuten? Wußten sie auch schon, daß viele Fremde gekommen waren, die nach Mitternacht heimreiten mußten zu irgendwelchen Ranchos, Haziendas oder Minen? Das konnte sein. Ich verließ meinen Standort und ging dorthin, wo sich die Korrals, die Schmiede und der große Stall des Ortes befanden. Aus der Einfahrt ritten noch einige Reiter. Ein Wagen kam herausgefahren. Dann wurde es still. Ich hielt mich im Schatten der großen Scheune und sah auf die Pferde im großen Korral. Im Mond- und Sternenlicht konnte ich fast alle Brandzeichen erkennen. Hinter mir war ein Geräusch. Ich wandte mich um, hatte die Hand am Colt. An der Ecke der Scheune war ein Mann aufgetaucht. Er trug einen mexikanischen Hut, und das beruhigte mich etwas. Denn Morgans Reiter trugen fast alle richtige Stetsons. Der Mann fragte: »Suchen Sie etwas, Señor? Wer sind Sie?« Ich trat langsam näher. Zwei Schritte vor ihm hielt ich an. Er war ein Mexikaner. »War Don Estobal heute in der Stadt, Señor?« fragte ich. »Ich beantworte keine Fragen, solange ich Sie nicht kenne«, sagte er. Ich sah, daß er seine Hand etwas verdreht neben dem Oberschenkel hielt. Ich wußte, daß er ein Wurfmesser verbarg, welches er von unten herauf gegen mich schleudern konnte. »Don Estobal ist in Gefahr«, sagte ich. »Gringos bedrohen sein Leben. Ich bin mit seiner Enkelin zu ihm unterwegs. Feinde wollen uns den Weg verlegen. Deshalb frage ich. War Don Estobal hier in El Toro? Waren Gringos hier, oder sind sie es noch? Ich weiß,
daß Don Estobal hier ein geachteter Mann ist, den alle mögen und lieben. Deshalb wende ich mich vertrauensvoll an Sie, Señor.« »Don Estobal kann gut für sich sorgen«, erwiderte er. »Und Gringos waren vor vielen Stunden hier. Es war am Morgen des vergangenen Tages. Sie suchten nach einem rothaarigen Mann, der mit einer Señorita unterwegs ist. Sie blieben nur bis zum späten Mittag. Und um Don Estobal machen Sie sich nur keine Sorgen, Señor. Sogar die großen Banditen schlagen mit ihren Banden einen großen Bogen um Don Estobal. Ich denke, daß er früh genug von den Gringos erfahren hat und ihnen aus dem Weg gegangen ist. Wenn er Lust dazu hat, wird er sie zum Teufel jagen, wenn nicht, wird er sie herumreiten lassen, bis sie müde sind und umkehren. Reiten Sie nur in Richtung seiner Hazienda. Seine Männer werden Sie entdecken und ihm ihre Ankunft melden. Haben Sie keine Sorge. Selbst wenn hundert Gringos gekommen wären, sie würden verloren sein in diesem Land.« Ich glaubte ihm. Er war auch gewiß nicht mein Feind. Für ihn war ich kein Gringo. Ich sprach seine Sprache zu gut. Wahrscheinlich glaubte er, daß ich trotz meiner roten Haare, von denen er gehört hatte, einen mexikanischen Elternteil besaß. Ich bedankte mich bei ihm, wie es die mexikanische Höflichkeit erforderte, und kehrte zu Sybille zurück. Sie war abgesessen und wartete im Mondschatten der Scheune. Sie hielt die Zügelenden in der Hand und erschrak, als ich so plötzlich auftauchte. »Es ist alles in Ordnung«, sagte ich zu ihr. »Dein Großvater wurde offenbar rechtzeitig gewarnt. Herb Morgan mußte sich mit seinen Reitern zurückziehen, um erst Verstärkung heranzuschaffen. Er hat sein Aufgebot in viele Gruppen aufteilen müssen, um alle Wege und Pfade kontrollieren zu können. Er ist nicht stark genug für Don Estobal. Aber das ändert sich vielleicht schon morgen. Komm, wir reiten!« Als ich mich wieder in den Sattel schwang, spürte ich die Erschöpfung. Und meine Schulterwunde schmerzte stärker. Doch ich mußte durchhalten. Ich konnte mich nicht schon wieder ausruhen. Bis zu Don Estobal de Coronadas Hazienda waren es fast vierzig Meilen. Denn wir mußten dieses Tal durchreiten und in das benachbarte Zwillingstal hinein. Ich wollte noch vor der Morgendämmerung auf einem der umliegenden Hügel sein, um bei Sonnenaufgang die Hazienda zu beobachten. * Wir hatten bis zum Morgengrauen Glück und schafften es ohne Zwischenfälle, auf einen der Hügel zu gelangen, von dem aus wir beim ersten Tageslicht einen guten Überblick auf die Hazienda haben würden. Ich konnte mich noch eine halbe Stunde ausruhen. Ich aß auch wieder ein paar Bissen. Sybille hatte keinen Hunger. Sie war unruhig, und sie wurde immer ungeduldiger danach, endlich ihren Großvater sehen zu können. Während der letzten Jahre hatte sie ihr Onkel wie eine Gefangene behandelt. Ich konnte damals in jenen Stunden droben auf dem Hügel nichts gegen Sybilles Ungeduld tun. Ich brauchte eine Erholungspause. Und so streckte ich mich nach einigen Bissen, die mir bald weitere Kraft geben würden, der Länge nach neben unseren Pferden am Boden aus. Ich schlief ein, doch nur für eine knappe halbe Stunde, dann erwachte ich. Mein Unter-
bewußtsein gab mir wieder wie früher die richtigen Signale. Ich war also nicht mehr krank, denn sonst hätte ich viele Stunden durchgeschlafen oder von Sybille geweckt werden müssen. Der neue Tag war da. Wir gingen zum Rand des Hügels und blickten aus sicherer Deckung hinunter auf die Hazienda. Es war keine große Hazienda, aber es war eine sehr stattliche Ranch in spanischem Stil. Es gab ein weißes, zweistöckiges Haupthaus mit vielen Nebengebäuden und Korrals. In der Runde waren Weidekoppeln, Felder und Äcker. Das Weideland für die Rinder war weiter in der Runde des weiten Tales. Ein paar Steinwürfe weit von der Hazienda gab es noch ein kleines Mexikanerdorf, in dem die Arbeiter mit ihren Familien wohnten, die für den Patron arbeiteten. Es gab nichts Auffälliges zu sehen. Vom Dorf aus zogen die Männer und Frauen auf die Äcker und Felder, nachdem die Schornsteine der Feuerstellen geraucht und man die Tiere in den Korrals und Ställen versorgt hatte. Bei den Korrals und Weidekoppeln begannen Zureiter und Stallburschen oder Pferdejungen ihre Arbeit. Auch in der Schmiede und bei den anderen Werkstätten begann die Arbeit. Nur Vaqueros und Gauchos waren nicht zu sehen. Doch dies schien mir nicht verdächtig zu sein, denn diese Reiter waren gewiß bei Don Estobal. Sie waren ja seine Reiter. Ich entschloß mich, mit Sybille nach unten zu reiten. Nur so konnten wir Verbindung mit Don Estobal aufnehmen. Ich wußte, es war möglich, daß Herb Morgans Späher uns von einem anderen Hügel aus beobachteten. Doch das mußten wir riskieren. Im ersten Sonnenschein ritten wir hinunter. Als wir in den weiten Hof kamen, stellte der Schmied sein Hämmern ein. Der Sattler, der vor seiner Werkstatt unter einem schattigen Vordach saß und an einem Gespanngeschirr arbeitete, saß still. Bei den Korrals und überall sonst auf der Hazienda verharrten Menschen. Es waren auch einige Frauen und größere Kinder dabei. Auf dieser Hazienda war Leben und Betrieb wie in einem Dorf. Doch alles ruhte, erstarrte, verharrte. Ich spürte nun endlich die scharfen Warnsignale meines Instinktes, auf die ich bisher nicht richtig geachtet hatte, weil ich so müde und erschöpft gewesen war. Ich warf einen schnellen Blick in die Runde und sah kurz auf Sybille. Auch sie war müde. Man sah ihr die Strapazen der vergangenen Tage an. Sie war blaß geworden unter der gebräunten Haut. Auch sie spürte irgendwelche Unruhe oder gar Furcht. Ich rief zwei Frauen zu, die beim Brunnen in einem großen Trog Wäsche wuschen: »Wo ist der Majordomo, Señoras?« Sie standen da und sahen mich an, und ich erkannte, daß sie Angst hatten. Da endlich wußte ich Bescheid. Ich riß das Pferd herum, glitt aus dem Sattel und zog dabei den Colt. Denn ich wollte unser Leben so teuer wie möglich verkaufen. Eine schwere Kugel aus einem Büffelgewehr traf mein Pferd. Es wirbelte herum, stieß mich mit Wucht, und als ich mich zur Seite rollte, um dem im Todeskampf wild auskeilenden Tier zu entkommen, war ich nicht schnell genug. Das Tier hatte meine verwundete Schulter zu heftig gerammt. Ich war vor Schmerz wie gelähmt. Ein Huf streifte meinen Kopf. Sie haben uns! Dies war mein letzter Gedanke. *
Sie hatten uns. Herb Morgan war da. Ich sah ihn zu meinen Füßen stehen, als ich die Augen aufschlug. Meine Bewußtlosigkeit hatte nicht lange angehalten, vielleicht zwei oder drei Minuten, aber der Stoß, mit dem das herumwirbelnde Pferd mich getroffen hatte, wirkte immer noch nach. Aber ich rappelte mich hoch und brachte es fertig, mich auf den Brunnenrand zu setzen. So konnte ich Herb Morgan besser ins Gesicht sehen. Wir betrachteten uns lange. Er war für mich nicht mehr der große King, den ich bewunderte, für den zu reiten mir eine ritterliche Ehre war. Für mich war dieser Bursche nur ein ehrgeiziger Hundesohn, der zum Brudermörder geworden war. Wir betrachteten uns lange. Er kam mir älter, grauer, hagerer, härter, böser vor. Er war schon immer ein Mörder gewesen, er hatte sich nur tarnen und den Nimbus eines großen Mannes geben können. Er grinste nicht. Unter seiner grauen Bartbürste kräuselte er nur seine harten Lippen. Dann deutete er hinüber zu einer Scheune. »Dorthin«, sagte er. Ich sah mich nach Sybille um, aber sie war nicht mehr zu sehen. Dafür sah ich drei oder vier von Morgans Rauhreitern. Bud Shannon war dabei. Er hielt ein Büffelgewehr unter dem Arm. Und ich wußte sofort, daß er es gewesen war, der mein Pferd erschossen hatte. Morgans Männer starrten mich schweigend an. Es war Bitterkeit in ihrem Blick. Ich erhob mich vom Brunnenrand und ging hinüber. Morgan und Shannon folgten mir. Die anderen blieben. Sie mußten die Leute hier unter Kontrolle halten. Die Hazienda war von ihnen besetzt. Sie hatten in irgendeinem der Häuser gewiß einige Menschen als Geiseln fest in der Hand. Deshalb mußten alle anderen nach ihrer Pfeife tanzen. Und deshalb gaben sich auch alle Leute der Hazienda Mühe, irgendwelchen Beobachtern einen normalen und friedlichen Tagesablauf vorzuspielen. Das war Herb Morgans Falle für uns. Ich trat in die Scheune. Da sah ich drei Männer an den Querbalken hängen. Sie hingen an den Armen und konnten gerade noch eben auf den Zehenspitzen stehen. Einer der Männer war ausgepeitscht worden. Es ging ihm schlecht. Wahrscheinlich war er der oberste Verwalter, der Majordomo. Herb Morgan sagte: »Der hat uns noch vor Tagesanbruch verraten, wo wir Don Estobal finden können. Jetzt wird er uns hinführen. Nehmt ihn herunter, legt ihn auf die Erde, macht ihn frisch mit einigen Eimern Wasser.« Ich hörte es. Doch ich sah zu Sybille hinüber. Sie saß auf einem Getreidesack. Ihr Blick war traurig. Ich sah ihr an, daß sie aufgegeben hatte. Ich sah Morgan wieder an. Er rieb sich die Bartstoppeln an der Wange und sagte: »Ich weiß nicht, ob ich dich mitnehmen oder hier erledigen lassen soll, Finnegan. Was meinst du denn?« »Geh zur Hölle«, sagte ich. »Von dir erwarte ich keine Gnade. Auch keine Fairneß. Ich muß mich nur wundern, wie es möglich ist, daß du Männer finden konntest, die für dich reiten und sich dabei als etwas Besonderes vorkommen. Denn sie reiten doch für einen verdammten Schuft und werden deshalb selbst zu Schuften. Wie kommt es nur, daß du ihnen vormachen kannst, du wärst ein King und sie deine Ritter? Sind sie denn alle blind?«
Ich sah mich um. Denn es waren noch ein paar Morgan-Reiter da. Sie sagten nichts, doch sie starrten mich an, und mancher Blick irrte dann unruhig zu Herb Morgan. Dieser lächelte hart. »Wir kämpfen für unser gemeinsam erschaffenes Reich«, sagte er. »Dieser Don Estobal de Coronada will es uns mit Hilfe windiger Advokaten und übler Fälschertricks abjagen. Aber daraus wird nichts. Wir erledigen ihn. Und dann wird die Morgan-Ranch, unser Staat, erst richtig wachsen und erblühen. Wir nehmen dich mit, Finnegan. Du sollst an Don Estobal sehen, wie wir unsere Feinde erledigen. Schon Al Carrigan war hinterhältig zu mir gekommen. Dann kamst du. Aber es hat nichts genützt. Leute, wir reiten! Und laßt ihn nicht aus den Augen! Fesselt ihn! Bud Shannon, du bist für ihn und Sybille verantwortlich. Und vergeßt nicht, daß meine eigene Nichte zu meinem Feind überlief, nur weil er zufällig ihr Großvater ist. Sie sind alle gegen uns. Und wir sind die Morgan-Ranch, wir alle!« Er ging hinaus. Bud Shannon sagte: »Kelly, nimm ein Stück Lederlasso und fessele ihn.« Dabei sah er mich starr an. Mir kam es vor, als müßte er sich zwingen, mir in die Augen sehen zu können. Einer der Männer – es war wohl der jüngste, und er wirkte sehr verlegen – kam, um mich zu fesseln. Ich sah Bud Shannon noch immer an. »Bud«, sagte ich, »so wichtig ist die Morgan-Ranch nicht, daß sie zum Zweck werden kann, der alle Mittel heiligt. Wichtiger sind Redlichkeit, Ehre, Recht und …« »Hör auf«, unterbrach er mich. »Wir alle gaben Herb Morgan unser Wort. Wir halten zu ihm. Ich hätte dich vorhin vom Pferd schießen können. Aber ich hielt dann doch etwas tiefer und traf dein Tier. Noch einmal schone ich dich nicht.« Er wandte sich an Sybille. »Ihr Onkel war stets nobel zu Ihnen, Sybille«, sagte er. »Und er hat ein Recht auf Treue. Warum sind Sie zu Ihrem Großvater übergelaufen, den Sie nicht einmal kennen? Er brauchte nur einen Kerl wie Al Carrigan zu schicken, und schon liefen Sie über. Warum konnten Sie nicht treu sein, Sybille?« Zuerst sah es so aus, als wollte sie Bud Shannon alles sagen, aber dann sagte ihr der nüchterne Verstand, daß sie nichts beweisen konnte. Sie sagte deshalb nur: »Daß ich meinen Großvater – den Vater meiner Mutter – bisher nie gesehen habe, lag nur allein daran, daß mein Onkel mich nie zu ihm nach Mexiko reisen ließ. Zugegeben, die ganzen Jahre war eine Reise sehr gefährlich. Es war Krieg; Revolutionen gab es, und Banditen und Apachen machten alle Wege unsicher. Aber es hätten sich Möglichkeiten finden lassen, daß ich einmal meinen Großvater sehen konnte. Warum hat mein Onkel das stets verhindert? Und warum will er ihn töten? Wegen der Schenkung? Die würde mir zufallen – mir! Ich bin die Erbin. Und wovor fürchtet sich mein Onkel dann?« Sie verstummte, und ich sah Bud Shannon an, daß er nun über ein paar ständig bohrende Fragen nachzudenken haben würde. Dann wandte ich meine Aufmerksamkeit den drei anderen Gefangenen zu. Jenen, den man mit einer Peitsche bearbeitet hatte, band man nun los und übergoß ihn mit zwei Eimern Wasser. Dies erfrischte ihn. Er bekam wieder einen klaren Kopf. Auch bewegte er seine Arme, an denen er gewiß schon Stunden hing, wobei er sich nur Entlastung schaffen konnte, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte.
Er sah mich an, und ich erkannte ein schwelendes Feuer im Hintergrund seiner dunklen Augen. Mein Instinkt sagte mir plötzlich, daß dieser gewiß harte und zähe Bursche wahrscheinlich doch nicht so erledigt war, wie er es aussehen ließ. Er wurde hinausgeführt, und dabei sah er Sybille an. Ich konnte nicht sehen, wie er sie ansah, doch ich bemerkte, daß Sybille einen rascheren Atemzug tat. Es kam mir so vor, als hätte auch sie eine überraschende Feststellung gemacht. Während man die beiden anderen Gefangenen hinausbrachte, sah ich Sybille an und nickte ihr zu. Meine Schläfe, wo der Pferdehuf mich gestreift hatte, blutete nur leicht. Und meine Kopfschmerzen waren erträglich. Ich konnte nachdenken, und ich wußte, daß Herb Morgan uns nur deshalb nicht umbringen ließ, weil sich keiner von seinen Männern zu solch einem Mord bereitgefunden hätte und sie den Glauben an ihn verloren hätten, würde er es selbst getan haben. Er hätte sich dann ihrer Treue nicht mehr sicher sein können. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als uns mitzunehmen. Später würde er vielleicht etwas arrangieren können. Er würde einen Mörder finden, wie er ihn schon damals in Ringo Laredo gefunden hatte, dem Johnny zum Opfer fiel. Und Sybille brauchte er, um ihren Großvater zu bekommen. Ich machte mir keine Illusionen. Herb Morgan spielte ein primitives und brutales Spiel. Aber er konnte seinen Rauhreitern und Revolvermännern einen Feind zeigen und ihnen sagen, daß die Morgan-Ranch bedroht sei. Das genügte vorerst. Bud Shannon riß mich aus meinen Gedanken. »Geht nun auch hinaus«, sagte er. Nebeneinander traten Sybille und ich wieder aus der Scheune. Draußen waren schon einige Reiter in den Sätteln. Wir saßen ebenfalls auf. Man hatte mir ein recht mäßiges Pferd gegeben. Auch die drei anderen Gefangenen saßen bereits auf den Tieren. Der Majordomo hatte einen Leinenkittel bekommen. Doch die blutigen Striemen am Rücken färbten sich durch. Er saß zusammengesunken im Sattel und bot einen erschöpften, kranken und kläglichen Anblick. Ich war jedoch schon fast sicher, daß er sich so stellte. Alle anderen Menschen auf der Hazienda standen regungslos da und sahen zu. Dann tönte Herb Morgans Stimme. Er rief in spanischer Sprache, so daß alle ihn verstehen konnten: »Sollte einer von euch vorausreiten, um Don Estobal zu warnen, so werden wir die drei Gefangenen töten und dann zurückkommen, um hier alles zu zerstören. Niemand darf die Hazienda und das Dorf dort drüben verlassen!« Seine Stimme klang hart und böse. Man glaubte ihm, daß er seine Drohung wahrmachen würde. Ich sah nun endlich, wieviel Mann Herb Morgan bei sich hatte. Außer ihm und uns Gefangenen ritten elf seiner Rauhreiter mit. Das war – was die Kampfstärke betraf – eine starke Mannschaft. Denn jeder dieser Rauhreiter war ein Revolvermann. Jeder konnte es mit mehreren gewöhnlichen Gegnern aufnehmen, mochten es Vaqueros und Gauchos, Banditen, Apachen oder auch Rurales sein. Diese elf und mit Herb Morgan zwölf Mann waren so kampfstark wie eine reguläre Truppe von sechzig Reitern. Wir ritten schnell. Morgan hatte es eilig. Er trieb den Majordomo an. Und dieser oberste Aufseher und Verwalter – er hieß Paco Alvarez – gab sich Mühe, trotz körperlich schlechter Verfassung im Sattel zu bleiben und schnell zu führen. Wir ritten durch das Tal nach Südosten und hielten auf Hügel zu, die den Talabschluß bildeten. Es gab einige Schluchten, die sich dunkel öffneten. Auf eine dieser Schluchten
ritten wir zu. Daß wir uns am hellen Tag so offen näherten, obwohl Morgan damit rechnen mußte, daß man uns von den Hügeln aus erspähen und rechtzeitig melden würde, war von Morgan gewiß kein Leichtsinn. Ich wurde mir schnell darüber klar. Morgan verließ sich darauf, daß er drei von Don Estobals Verwaltern oder Vorleuten als Geiseln mit führte. Außerdem hatte er noch Don Estobals Enkelin. Sie war sein wertvollstes Pfand. Obwohl er Sybilles Onkel war, würde er sie gewiß als Druckmittel benutzen. Und deshalb ritt er offen am hellen Tag und machte er sich wenig Sorgen. Don Estobal mochte sich irgendwo mit seinen Vaqueros und Gauchos verkrochen oder gar verschanzt haben, um sich an einem Ort zum Kampf zu stellen, wo er gegen die Revolvermänner der Morgan-Mannschaft gewisse Chancen hatte – es würde ihm nichts nützen. Er würde sich wahrscheinlich ergeben müssen, um die drei Gefangenen und die Enkelin zu retten – und vielleicht auch mich. Was würde dann sein? Es war Mittag, als wir in die Schlucht ritten. Nun führte Herb Morgan langsam und vorsichtig wie ein Apache. Seine Männer ritten nicht mehr dicht beisammen, sondern hielten weite Abstände. Nur wir Gefangenen mußten geschlossen in der Mitte bleiben, so daß man uns stets mühelos abschießen konnte. Der Majordomo aber bekam eine Lassoschlinge um den Hals. Das Ende des Lassos nahm Bud Shannon in die Hand. Er konnte Paco Alvarez am Halse vom Pferd reißen und über den Boden schleifen. Wahrscheinlich aber würde sich der Verwalter schon beim ersten Ruck den Hals brechen. Wir ritten im Schritt. Dann erreichten wir das Ende der Schlucht. Sie mündete in einen kleinen Talkessel, zu dem auch noch andere Schluchten führten. Genau gegenüber gab es unter einer überhängenden Felswand, die mehr als zweihundert Yards hoch war, eine breite Felsterrasse. Auf dieser Terrasse stand ein Pueblo. Ein steiler Pfad führte in drei Kehren hinauf. Das Pueblo war noch gut erhalten, und es hatte gewiß seinen Erbauern und den folgenden Generationen schon als Zuflucht gedient. Paco Alvarez deutete durch den Talkessel hinüber und hinauf zum Pueblo. Er sagte laut: »Señor Morgan, dort im Pueblo müßte Don Estobal mit seinen Getreuen sein. Aber es gibt vom Pueblo aus eine Höhle durch die Felswand auf die andere Seite. Sogar Pferde bringt man dort durch. Es ist also möglich, daß Don Estobal ausgewichen und weitergeflüchtet ist, damit Sie ihn nicht mit Ihren Gefangenen erpressen können. Wenn er nicht mehr dort oben ist, können Sie ihm auch nicht drohen, uns und vor allen Dingen seine Enkelin zu töten, wenn er sich nicht ergibt.« In seiner Stimme schwang nun eine winzige Spur von Hohn mit. Ich spürte das. Aber Herb Morgan nahm es vielleicht nicht wahr oder wollte es nicht wahrnehmen, denn er saß bewegungslos im Sattel und starrte auf das Pueblo hinüber, so als könnte er die Mauern mit seinen Blicken durchdringen. Dann sagte er, ohne seinen Blick von diesem Bauwerk eines ausgestorbenen Volkes zu nehmen: »Kelly, reite hinüber, und sieh nach! Und wenn Don Estobal da ist, dann sag ihm, daß er kommen und sich ergeben soll. Sag ihm, daß ich seine Enkelin habe.« Ich sah Kelly an, den jüngsten der Morgan-Reiter. Er schluckte etwas hart, leckte sich über die Lippen, dann ritt er an. Wir sahen ihm nach. Er mußte eine Viertelmeile reiten, bis er den Aufstieg erreichte.
Obwohl es ziemlich steil aufwärts ging, blieb er im Sattel. Kehre um Kehre brachte er hinter sich und gelangte auf die Terrasse zum Pueblo. Er hielt an, sah sich um, stellte sich auf in den Steigbügeln und rief wahrscheinlich laut. Seine Stimme tönte schwach herüber, und das Echo hallte leise von den Wänden. Er kam an den Rand der Terrasse geritten und gab uns unmißverständliche Zeichen, daß er der Meinung war, allein zu sein. »Verdammt, er soll nachsehen«, grollte Herb Morgan. Aber er wollte wohl nicht so laut brüllen. Er wandte sich im Sattel um, sah uns an und sagte: »Shannon und Malone, ihr bleibt mit den Gefangenen hier. Wenn man auf uns schießen oder sogar einen von uns treffen sollte, dann wird Paco Alvarez zuerst umgelegt. Und achtet auf Finnegan! Reitet langsam bis in die Mitte des Talkessels. So könnt ihr jeden Angreifer kommen sehen und entsprechend handeln. Shannon, du bist hart genug, die Gefangenen umzulegen, um unser Leben zu retten! Sag es, wenn du nicht hart genug bist!« Bud Shannon schluckte wie zuvor schon Kelly, dann sah er auf mich und auf Sybille. Sybille schrie plötzlich: »Shannon, er ist ein Mörder! Und er wird auch euch alle zu Mördern machen! Die Zeiten des Stolzes sind vorbei! Ihr seid keine Königsritter mehr. Ihr seid die Gehilfen eines Mörders! Hört zu, Männer! Er hat meine Eltern umgebracht. Mein Großvater fand das heraus. Und deshalb wollte ich fort! Ja, ich wollte fort von dem Mörder meiner Eltern! Und …« Ihre Stimme überschlug sich plötzlich, und das erst brachte sie zur Vernunft. Sie erkannte, daß sie dabei war, ihre Fassung zu verlieren. Schnell bekam sie sich unter Kontrolle. Und da sagte Herb Morgan mit einem Klang der Bitterkeit: »Sie muß krank geworden sein, Jungens, jetzt ist mir alles klar. – Der alte Mann hat ihr durch Al Carrigan Lügen erzählen lassen. Dabei wurde sie wahrscheinlich krank. Sie leidet an Einbildungen. Aber was halte ich mich damit auf? Das ist wohl eine Sache für einen Arzt. Reiten wir, Männer! Bud, du weißt, was zu tun ist. Auf dich und Bill Malone verlassen wir uns!« Er ritt an. Acht Mann folgten ihm. Bei uns blieben Bud Shannon und Bill Malone. »Bud«, sagte ich, »Morgan hatte Ringo Laredo angeworben, um uns zu töten. Es war alles vorbereitet. Es sollte so aussehen, als ob …« »Halt deinen Mund«, sagte Shannon. »Ich will nichts hören. Ich glaube an Big Herb Morgan, dem ich mein Wort gab. Wir haben eine Riesenranch aufgebaut, die bald ein richtiger Staat sein wird, vielleicht sogar eine Republik, wie es Texas einmal war. Vielleicht müssen wir dafür etwas tun, was normalerweise nicht ehrenwert wäre. Aber es geht hier um größere Dinge. Da ist eine Menge mehr erlaubt!« Er verstummte, und ich hörte schon an dem Klang seiner Stimme, daß er sich selbst etwas einredete und daran glauben wollte. Und wenn ihm das nicht gelang, mußte er Herb Morgan die Treue brechen. Dagegen wehrte er sich. Einen Augenblick hatte ich fast Mitleid mit ihm. Aber dann begriff ich, daß er selbst schuld war. Ein Mann durfte nicht blindlings seine Augen schließen und zum Verbrecher werden. Ich sah Herb Morgan nach. Er und seine Reiter ritten in breiter Front durch den Talkessel. Sie bildeten eine Linie und hielten zueinander drei bis vier Yards Abstand. Kelly saß jetzt endlich beim Pueblo ab. Er wollte wohl nun doch nachsehen. Und nun ließ Bud Shannon auch uns etwas vorrücken. Ich sah mich um. Die Schluchtmündungen in der Runde verrieten nichts. Ich konnte
nirgendwo eine Bewegung erkennen. Und dennoch spürte ich instinktiv, daß es eine Überraschung geben würde. Ich hatte plötzlich ein Gefühl der Hoffnung. Ich konnte es mir nicht erklären. Es war nichts zu sehen, aber dieses instinktive Gefühl war da. Ich betrachtete die nähere Umgebung. Rechts von uns waren einige rote Felsen. Sie waren nicht größer als Rinder und Esel. Dazwischen wuchs Gras, Buschzeug. Links von uns gab es ein trockenes Bachbett. Es war voller Gestrüpp. Aus diesem Gestrüpp erhob sich plötzlich ein Mann. Er hielt die Hände erhoben. Sein breitrandiger Strohhut hing ihm hinten auf dem Rücken. Und sein Kopf war voll wirrer Locken. Er grinste und rief etwas. Dann hörte ich ein Surren. Ich kannte dieses Geräusch. Mein Kopf zuckte herum. Da sah ich die Bogenschützen. Sie hatten zwischen den kleinen Felsen gelegen und sich lautlos erhoben, als ihr grinsender Partner sich drüben aus dem trockenen Creekbett erhoben hatte, um unsere Wächter abzulenken. Es war ein billiger, einfacher, aber wirkungsvoller Apachentrick. Die Bogenschützen waren Künstler. Es waren drei, und sie trafen genau. Bud Shannon und jener Malone fielen lautlos von den Pferden. Shannon ließ das Lassoende los, dessen vorderes Ende als Schlinge um Paco Alvarez' Hals lag. Shannon und Malone konnten nicht einmal mehr schießen, so schnell starben sie. Herb Morgan, der mit seinen acht Männern zum Pueblo ritt und sich nicht umsah, hatte noch nichts gemerkt. Auch seine Männer waren immer noch arglos. Die Bogenschützen und jener Bursche, der grinsend mit erhobenen Händen aufgetaucht war, kamen herbeigelaufen. Ich rief Sybille zu, welche ungefesselt auf dem Pferd saß: »Laß die beiden Pferde nicht entkommen!« Sie ritt an und versperrte den Tieren den Weg, die nervös geworden waren, weil ihre Reiter so plötzlich heruntergefallen waren. Die drei Bogenschützen und der andere Mann fingen die zwei Pferde ein. Sie saßen so schnell auf, wie es nur Männer können, die reiten lernen, bevor sie richtig laufen können. Zu zweit auf jedem Tier ritten sie auf eine Schlucht zu. Wir folgten ihnen. Und wir waren frei, das wußten wir. Don Estobal hatte zugeschlagen. Er hatte den Feind an einen Ort kommen lassen, wo nichts zerstört und vernichtet werden konnte, wie zum Beispiel auf der Hazienda. Herb Morgan war mit seinen Revolvermännern in eine Falle geritten. * Als Herb Morgan und dessen Reiter den Aufstieg zum Pueblo erreicht hatten, hielten sie noch einmal an. Wir beobachteten sie aus einer Schlucht heraus. Wahrscheinlich rief man nach Kelly. Und da sah sich einer der Reiter endlich um. Er konnte uns nicht mehr sehen, und das sagte er seinem Boß. Nun wandten sich alle in den Sätteln um. Vielleicht konnten sie Shannon und Malone im Grase neben den kleinen Felsen liegen sehen. Sie wußten jetzt jedenfalls, was los war. Und sie zogen ihre Pferde herum und ergriffen die Flucht. Sie wollten außer Schußweite des Pueblo kommen. Diese stolzen Revolvermänner waren entsetzt. Man hatte zwei von ihnen lautlos erledigt. Die Geiseln waren weg. Sie wußten, daß sie sich gegen eine Übermacht nur noch
mit ihren Colts verteidigen konnten. Jetzt zeigten sich Don Estobal de Coronadas Reiter. Sie kamen aus allen Schluchten – nur nicht aus jener, durch die uns Paco Alvarez in diesen Talkessel geführt hatte. Sie kamen auch an uns vorbei, und sie grinsten uns an, befreiten im Vorbeireiten Paco, die beiden anderen Gefangenen und auch mich. Dann ritten sie hinaus aus der Schlucht. Wir folgten ihnen. Denn obwohl wir unbewaffnet waren, bestand keine Gefahr mehr für uns. Wir wollten Herb Morgans Untergang sehen. Ich schätzte, daß es an die vierzig Vaqueros und Gauchos waren, die Don Estobal aufgeboten hatte. Sie waren gut bewaffnet. Die Bogenschützen wollten nur lautlos arbeiten, denn Don Estobals Reiter hatten alle Gewehre. Ich wußte, daß Herb Morgan gegen die Übermacht kämpfen würde. Deshalb rief ich Don Estobals Reitern zu: »Paßt auf, es sind alles erstklassige Pistoleros! Reitet nicht dicht an sie heran! Sitzt ab, kniet und nehmt die Gewehre. Denn sie müssen reiten. Sie müssen durchbrechen und dürfen sich nicht festnageln lassen. Aber zu Pferd schießt man mit einem Gewehr zu schlecht!« Es war ein Mann unter den Reitern, der schon grau war. Er hörte mein Rufen und rief seinerseits: »Schon gut, Amigo! Das alles wissen meine Hombres schon!« Dies war also Don Estobal, Sybilles Großvater. Er saß noch geschmeidig im Sattel. Er war nur mittelgroß, doch sehr schlank und drahtig, obwohl er gewiß über sechzig Jahre alt war. Seine Reiter bildeten eine breite Front. Dann saßen sie ab und verschwanden im Gras und zwischen den Büschen. Nur ihre Pferde verharrten mit hängenden Zügeln, so wie man es ihnen beigebracht hatte. Und jetzt kam Herb Morgan. Er führte seine acht Reiter. Von Kelly war oben beim Pueblo nichts mehr zu sehen. Nur sein Pferd wartete. Und Kelly würde wahrscheinlich nie mehr reiten. Ich nahm an, daß er ebenfalls erwartet worden war. Sie hatten ihn im Pueblo erledigt. Don Estobal hatte seine Falle gut aufgestellt, und Herb Morgan war hineingeritten. Nun wollte er wieder hinaus. Er kam. Hinter ihm trabten seine Männer. Sie ritten nicht sehr dicht zusammen. Dazu waren sie zu klug. Viele Kugeln würden gewiß zwischen ihnen durchpfeifen. Und sie würden aus allen Revolvern schießen. Sie kamen in Keilform, und als sie glaubten, nahe genug zu sein, ritten sie an. Sie ließen ihre herrlichen Pferde in einem Galopp springen. Die ersten Schüsse begannen zu krachen. Ich fragte mich, wie viele Männer durchkommen würden. Alles war in rasender Bewegung. Herb Morgans Männer verstanden ihr Handwerk. Sie waren Ritter, Krieger, Rauhreiter, Kämpfer. So griffen sie an, kamen, um sich den Weg freizuschießen. Sie waren von Herb Morgan schlecht geführt worden. Er hatte sie in eine Falle geführt und dabei noch die wertvollen Geiseln verloren. Alle Männer der Morgan-Ranch ritten herrliche Pferde, Tiere, die losstürmen konnten wie der Wind. Sie kamen unwahrscheinlich schnell, und deshalb waren sie nicht leicht zu treffen. Überdies ritten sie nach Comanchen-Art. Sie saßen nicht aufrecht, sondern lagen
auf den Pferderücken oder hingen gar auf der Seite. Die Comanchen gehörten zu den besten Reitern der Welt, und von ihnen hatten Herb Morgans Leute viel gelernt. Don Estobals Männer schossen mit Gewehren. Und sie schossen anfangs sehr schlecht, denn Morgans Revolvermänner kamen ziemlich dicht an die Sperrlinie heran, bevor der erste von ihnen getroffen wurde. Er blieb sogar noch im Sattel, obwohl er die Waffe fallen ließ, vornüberfiel und seine Arme um den Pferdehals klammerte. Dann stürzte das erste Pferd und warf den Reiter ab: Aber er kam wieder hoch, hielt beide Revolver in den Händen und schoß sie leer. Er wußte, daß er verloren war, und er wurde auch schon bald von einigen Kugeln getroffen. Aber er stand schwankend da und schoß, bis die Revolver leer waren und er umfiel. Die anderen ritten durch die Linie von Don Estobals Leuten. Wahrscheinlich blieb keiner unverwundet, aber fünf Mann brachen noch durch und erreichten die enge Schlucht, durch die wir in den Talkessel geritten waren. Einer, der sich am Pferdehals festhielt, fiel aus dem Sattel. Er schlug schwer auf. Er war tot. Vier Mann entkamen. Und Herb Morgan war dabei. Er war verwundet worden, aber er blieb im Sattel. Don Estobals Männer sprangen heulend auf. Sie hatten größere Verluste als Morgans Männer, die ihre Revolverschießkunst überzeugend demonstriert hatten. Sie waren wie ein böses Wolfsrudel durch eine Hundemeute gefegt und hatten alles niedergemacht, was in ihre Nähe geraten war. Aber Herb Morgan war geschlagen worden. Mit drei Mann hinter sich entkam er. Alle waren sie mehr oder weniger verwundet. Aber Don Estobals Männer waren nicht fähig gewesen, auf die herrlichen Pferde zu zielen. Das konnten sie einfach nicht. Pferde waren hier in Mexiko der kostbarste Besitz. Deshalb hatten Estobals Männer auf die Reiter gezielt, die sie schlechter trafen. Und jene drei Pferde, die getroffen worden waren, hatten die Kugeln unbeabsichtigt abbekommen. Don Estobals Leute bildeten ein wildes Durcheinander. Sie stürzten sich auf die Morgan-Reiter, die nur verwundet waren. Sie machten mit ihnen kurzen Prozeß. Die ganze Wildheit dieser Vaqueros und Gauchos brach durch. Sie kannten keine Gnade. Don Estobal de Coronada kam herübergeritten, um seine Enkelin zu begrüßen. Er war ernst. Sybille war abgesessen. Er schwang sich wie ein junger Mann aus dem Sattel. Für sein Alter war er in einer erstklassigen körperlichen Verfassung. Aber trotz seines grauen Haares und Spitzbartes war er ein typisch heißblütiger Mexikaner aus einem alten Spaniergeschlecht. Er hatte Rache genommen für den Mord an seiner Tochter und dem Schwiegersohn. Er hatte endlich seine Enkelin, die er schon abgeschrieben hatte, bis er endlich vor einem Jahr von einem sterbenden Manne, der damals dabeigewesen war, von dem Mord an ihren Eltern erfahren hatte. Er nahm sie in die Arme. Und Sybille weinte an seiner Schulter. Sie weinte gewiß nicht aus Freude, endlich bei ihrem Großvater zu sein. Sicherlich weinte sie aus Kummer darüber, daß viele Männer hatten sterben müssen. Endlich konnte sie weinen. Jetzt war sie gerettet. Sie war in Sicherheit vor ihrem eigenen Onkel. Ich begriff jedoch, daß diese Sicherheit letztlich doch fragwürdig war, solange Herb Morgan noch lebte und in der Lage war, drüben in seinem Machtgebiet eine kleine Armee zu sammeln. Er konnte aber auch einige schleichende Killer anwerben, die ihre Arbeit ohne viel Auf-
sehen erledigten. Es gab viele Möglichkeiten, Sybille und Don Estobal zu erledigen. Und wenn Herb Morgan entkam, würde er bestimmt jede Möglichkeit voll ausnutzen. Mir wurde klar, daß wir ihm folgen mußten. Aber wollten das Don Estobals Reiter? Und konnten sie es überhaupt? Auch sie ritten zwar Tiere, die über dem Durchschnitt lagen, doch mit den Pferden der Morgan-Ranch waren sie nicht vergleichbar. Als ich das begriffen hatte, ritt ich wieder in den Talkessel hinein. Ich ritt dorthin, wo Bud Shannon und Malone lagen. Ich sah Bud Shannons Pferd stehen, und ich holte mir das Tier. Im Sattelhalfter steckte ein gutes Gewehr. In der Satteltasche fand ich meinen eigenen Revolver. Bud Shannon hatte ihn also an sich genommen, nachdem er mir das Pferd unter dem Sattel zusammengeschossen hatte. Im Trabe ritt ich zu Don Estobal hinüber, neben dem Sybille und einige seiner Reiter standen. Ich hielt kurz an und sagte: »Es war alles umsonst, wenn Herb Morgan entkommen kann. Auf diesem Pferd hole ich ihn vielleicht ein – ihn und die paar Mann, die noch bei ihm sind. Ich möchte vorschlagen, Don Estobal, daß auch Sie sich sofort auf den Heimweg machen. Ich traue Herb Morgan zu, daß er im Vorbeireiten die Hazienda anzündet.« Ich sah Sybille an. Sie wollte mir etwas zurufen, wahrscheinlich, daß ich nicht allein reiten sollte, weil es zu gefährlich wäre. Aber ich trieb das Pferd an, das davonstürmte. Ich hörte Don Estobal Befehle rufen. Als ich mich umsah, folgte mir ein Dutzend Reiter. Es waren junge Kerle, die besonders gute und schnelle Tiere besaßen. Doch sie konnten mein Tempo nicht lange mithalten. Als wir aus der Schlucht heraus waren und über die Talebene stürmten, blieben sie nach drei oder vier Meilen allmählich zurück. Ich gewann einen immer größeren Vorsprung, und nach zwanzig Meilen etwa, als ich in das andere Zwillingstal jagte, in dessen schmalster Stelle die Hazienda lag, waren die Reiter hoffnungslos zurückgeblieben. Die Hazienda brannte, aber die Leute der Hazienda waren erfolgreich beim Löschen. Und sogar die Kinder halfen. Das erkannte ich, als ich auf meinem schweißbedeckten Tier in den weiten Hof jagte. Bei den Korrals sah ich vier Pferde stehen, welche ebenfalls so schweißbedeckt und bis zur Erschöpfung geritten worden waren wie mein Tier. Ich wußte nun, daß Herb Morgan sich hier mit frischen Pferden versorgte. Er war mit seinen drei Revolvermännern in rasendem Galopp bis zur Hazienda gejagt. Sie hatten den Tieren alles abverlangt. Aber das konnten sie auch, denn sie waren sicher, daß sie hier frische Pferde bekommen würden. Und selbst wenn diese Tiere nur halb so gut waren, so befanden sie sich doch in allerbestem Zustand. Zwei Pferdeburschen kamen zu mir gelaufen. Sie kannten mich. Sie hatten zuvor gesehen, daß ich mit Sybille gekommen und dann Herb Morgans Gefangener geworden war. Ich rief sofort: »Sie wurden von Don Estobal geschlagen. Es kommen noch mehr Reiter. Doch ich brauche ein schnelles Pferd. Ich will diese Männer weiter verfolgen. Bringt mir ein schnelles Pferd, Amigos!« Sie liefen davon. Ich hob den Sattel vom Tier. Dann nahm ich einem Burschen, der den Anfang einer Eimerkette bildete, die vom Brunnen bis zu einer brennenden Scheune reichte, den Eimer ab und goß ihn über meinem Kopf aus. Mir war es gleich, ob mein Schulterverband naß wurde. Ich brauchte diese Erfrischung, und ich durfte nicht auf meine Erschöpfung achten. Ich mußte Herb Morgan einholen und stellen. Er durfte nicht über die Grenze und in sein Machtgebiet entkom-
men. Sie brachten mir das Pferd, legten den Sattel auf und riefen mir alle guten Wünsche nach, während ich wieder Herb Morgans Fährte folgte. * Vielleicht war es dumm von mir, in meinem Zustand die Verfolgung von vier gefährlichen Männern aufzunehmen. Ich hatte nur eine Hoffnung, nämlich die, daß sie auch nicht mehr gesund und im Vollbesitz ihrer Kräfte und Fähigkeiten waren. Denn sie mußten angeschossen worden sein, zumindest leicht verwundet. Das war meine einzige Chance. Die Fährten waren klar. Sie gaben sich nicht die Mühe, ihre Spuren zu verwischen. Sie ritten stets den kürzesten Weg, und mochte dieser auch über weichen Boden oder durch tiefes Gras führen. Ich legte zehn Meilen zurück, fünfzehn, zwanzig. An den Fährten konnte ich erkennen, daß ich langsam aufholte. Und dann war die Hügelkette vor mir. Schmale Engen führten hindurch. Die Fährte wurde deutlich. Ich ritt weiter, und als mein Pferd müde wurde, erreichte ich den südlichen Aufstieg zum Yaqui-Paß. Die Fährte führte hinauf. Also mußte Herb Morgan der Paß bekannt sein. Vielleicht hatte er uns diesen Weg nur deshalb frei gelassen, damit wir zur Hazienda von Don Estobal kommen würden, um dort in seine Hände zu fallen. Ich hielt vor dem Eingang der Schlucht kurz an, dann ritt ich weiter. Ich mußte alles wagen. Ich durfte keine Minute verschwenden, wenn ich Herb Morgan einholen wollte. Daß ich dann gegen vier Männer kämpfen mußte, machte mir noch keine Sorgen. Es genügte vielleicht, sie lange genug aufzuhalten. Denn Don Estobals Reiter waren gewiß nur wenige Meilen zurück. Sie mußten kommen. Ich ritt durch die Schlucht zum Yaqui-Paß hinauf. Ich erreichte die Wasserscheide, zögerte wieder und ritt hinunter. Ich hielt nun meinen Revolver in der Hand. Aber es gab keinen Hinterhalt. Ich kam unbehelligt die Nordschlucht hinunter und ritt hinaus in das Tal. Ich sah die Fährte. Vielleicht war ich schon zu erschöpft. Vielleicht aber war ich auch zu sehr davon überzeugt, daß Herb Morgan, ohne anzuhalten, bis über die Grenze flüchten würde – jedenfalls war ich zu arglos. Denn aus den mächtigen Ästen und dichten Zweigen einer Eiche sprang plötzlich ein Mann auf mich nieder. Er riß mich aus dem Sattel. Ich schlug schwer auf. Meine Schulter schmerzte, als ob sie von einer Büffellanze durchbohrt werden würde. Ich verlor die Besinnung. * Keine Chance mehr für mich! Dies war der erste klare Gedanke, den ich nach einer Weile fassen konnte. Ich setzte mich auf. Ich sah Herb Morgan und die anderen Männer. Zwei waren schlimm verwundet. Sie hockten etwas abseits am Boden und hielten die Zügel ihrer Pferde in den Händen. Herb Morgan saß im Sattel und zielte mit seinem Revolver auf mich.
»Steh auf, Finnegan«, sagte er. »Steh auf, und nimm es wie ein Mann!« Ich nickte und versuchte aufzustehen, aber es ging noch nicht. »Noch einen Augenblick«, keuchte ich heiser und schmerzerfüllt. Ich spürte, daß meine Wunde an der Schulter aufgebrochen war und wieder blutete. Die Narbe hatte den Sturz nicht ausgehalten. »Noch einen Moment, du verdammter Killer«, sagte ich. »Dann werde ich vor dich hintreten. Dann kannst du mir die Kugel geben. Du wirst mir doch keine Chance lassen!« »Nein«, sagte er. »Nach dieser Niederlage läßt kein Mann seinem Gegner noch eine Chance.« Wir sahen uns an. Ich grinste. »Sybille ist bei ihrem Großvater«, sagte ich. »Und du hast verloren, Herb Morgan. Du hast nicht weniger verloren als ich. Du bist erledigt!« Ich wandte den Kopf und blickte auf den anderen Mann. Es war jener, der vom ausladenden Ast auf mich niedergesprungen war. Ich kannte ihn flüchtig. Er hatte damals mit all den anderen Rangern an des Kings Tafelrunde gesessen wie ich auch. Er hieß Jesse Haggerty und war nur leicht am Arm verwundet. Ich hatte meinen letzten Fehler gemacht, und er hatte mich wie ein Indianer erledigt. »Also los«, sagte Herb Morgan. »Steh jetzt auf! Oder willst du wie ein furchtsamer Hund am Boden kauern?« »Nein«, sagte ich. »Ich will vor dir stehen wie ein Mann. Ich will dich ansehen. Und du wirst dich immer an mich erinnern.« Ich blickte noch einmal in die Runde. Dann erhob ich mich mühsam. Ich stand nun vor ihm. »Willst du mir wirklich keine Chance geben?« fragte ich heiser. Ich blickte zur Seite. Dort lag mein Colt am Boden. Aber ich würde ihn ohne Herb Morgans Erlaubnis nicht in die Hand nehmen können. »Ein Mörder bleibt ein Mörder«, sagte ich. »Mit Sybilles Eltern fing es damals an. Es machte dir nichts aus, den eigenen Bruder und die Schwägerin zu töten.« »Es machte mir viel aus«, murmelte er. »Und er wollte mich töten, weil ich meiner Schwägerin …« Er verstummte. Er glich nur für Sekunden einem erschöpften Mann, der sich gern etwas von der Seele reden wollte. Er bekam sich schnell wieder unter Kontrolle, und seine Stimme klang heiser und kaum verständlich. Und da sah ich hinter ihm die Reiterschar kommen. Sie kam von der Grenze her. Ich erkannte den Anführer wieder. Es war jener Capitano Rodriges, dem ich damals am Rio Grande die Banditenbande vor die Gewehre getrieben und mit dem ich mich dann in der Furt inmitten des Flusses getroffen hatte. Ich sagte zu Herb Morgan: »Sieh dich um! Wir bekommen Besuch. Das ist Capitano Rodriges mit seinen Rurales. Das da sind die ersten Grenzpolizisten der Juarez-Regierung. Und sie werden von dir eine Erklärung verlangen, wenn du mich jetzt erschießt.« Er sah sich um. Die Reiter näherten sich schnell. Sie waren plötzlich über einer Bodenwelle aufgetaucht. Herb Morgan zögerte. Er war unentschlossen, und er wußte, daß er in der Falle saß, wenn es ihm nicht gelang, sich mit Rodriges zu einigen.
»Pah«, sagte er, »ich habe nur einen Pferdedieb verfolgt.« Und dann schoß er. Die Kugel traf mich am Kopf, und ich fiel. * Ich erwachte. Der alte Hundesohn hatte mich nicht richtig getroffen. Ich setzte mich auf und bemerkte jetzt erst, daß ich es mit fremder Hilfe tat. Jemand wusch mir das Blut aus dem Haar und tupfte die leichte Streifwunde ab. Er sagte auf spanisch: »Ay, Capitano, er hat nur eine leichte Schramme.« Ich wollte es noch nicht glauben, aber dann sah ich Herb Morgan am Baum hängen. Und auch das konnte ich nicht glauben. Capitano Rodriges kniete neben mir nieder. Er betrachtete mich. »Wir erhielten Blinkzeichen vom Yaqui-Paß«, sagte er. »Jemand gab uns durch, daß Pferdediebe und Brandstifter auf der Flucht wären und vorerst nur von einem einzigen schnellen Reiter verfolgt würden. Waren Sie dieser Reiter, Amigo? Wir kennen uns doch? Wir arbeiteten schon einmal vorzüglich zusammen.« Ich nickte. »Es wird sich alles klären«, sagte ich. »Don Estobal de Coronadas Reiter werden bald kommen. Und Don Estobal wird wohl auf der Hazienda …« »Nein, er war oben am Yaqui-Paß und ließ die Blinkzeichen geben«, unterbrach mich der Capitano. »Das hatten wir unlängst vereinbart«, fügte er lächelnd hinzu. »Don Estobal fühlte sich bedroht. Und dies sind wirklich Pferdediebe. Sie ritten Tiere der mexikanischen Regierung. Ich kaufte diese Tiere unlängst von Don Estobal. Er ließ sie umbränden vor wenigen Tagen. Hier ist der Adler-Brand der Regierung. Die Viehdiebe haben echte Rurales-Pferde gestohlen. Hier an der Grenze herrscht Kriegsrecht. Ich bin befugt, Banditen und Pferdediebe aufzuhängen. Nur so kann man hier Ordnung schaffen.« Er verstummte, und ich erkannte in seinen Augen, daß er genau gewußt hatte, wen er aufhängen ließ. Ich schloß meine Augen und hielt mir die schmerzende Seite des Kopfes. Ich bemühte mich, nachzudenken. Sie hatten Herb Morgan hier dicht vor der Grenze mit gestohlenen Rurales-Pferden erwischt. Er konnte nicht erklären, wie er in deren Besitz gekommen war. Und da hatten sie ihn aufgehängt – ihn und seine drei Männer. Jetzt konnte Herb Morgan drüben in seinem Machtgebiet keine kleine Armee mehr sammeln und über die Grenze kommen. Und der Capitano mußte nicht gegen eine Übermacht kämpfen. Deshalb hatte er Herb Morgan sofort wegen Pferdediebstahls hängen lassen. Ich sah nach Süden. Dort kamen Reiter. Ich erkannte Don Estobal. Er hatte gewonnen. Und auch ich besaß wieder alle Chancen, die ein Mann nur haben konnte. ENDE