Keine Angst vor dieser Liebe
Robyn Donald
Julia 1329 2 – 02/99
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von claudia_L
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Keine Angst vor dieser Liebe
Robyn Donald
Julia 1329 2 – 02/99
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von claudia_L
1. KAPITEL
„Lecia, sieh mal, der Mann dort drüben! Der große, der mit der schicken Blondine auf uns zukommt. Er könnte dein Zwilling sein!" Lecia Spring folgte dem Blick ihrer Freundin, die unauffällig mit dem Kopf auf einen Fremden in der Menschenmenge deutete, die sich an diesem sonnigen Sommernachmittag zu einem Opernkonzert im. Freilichttheater „Auckland Domain" eingefunden hatte. Er war ungewöhnlich groß und breitschultrig und trug ein Gutgeschnittenes Hemd. Selbstbewusst schlenderte er mit seiner Begleiterin durch das Gewimmel, als erwartete er, dass die Leute ihm Platz machten. Und genau das taten sie auch. Lecia beneidete ihm um diese Selbstverständlichkeit. Er überragte sie mit ihren einen Meter siebzig um einiges, und bis auf die männliche Prägung seiner Züge glich sein Gesicht fast dem, das ihr morgens aus dem Spiegel entgegenblickte. Eine seltsame Furcht überkam sie. „Die gleichen Wangenknochen", flüsterte Andrea ihr aufgeregt zu. „Die gleiche gerade lange Nase mit dem kleinen Höcker und - Himmel,, ja ... sogar das gleiche Kinngrübchen! Einfach unglaublich! Dein Haar ist heller, aber ihr seid beide honigblond. Er muss mit dir verwandt sein." „Unmöglich", erwiderte Lecia. Doch sie fühlte sich wie elektrisiert. „Sicher; er sieht wie Dad aus, aber mein Vater hatte außer seinen Eltern keine Verwandten." „Und wie steht's mit! Vettern oder Kusinen? Die hat doch jeder." „In Dads Familie nicht. Die war ziemlich unproduktiv. In jeder Generation nur ein Kind,, soweit alle ;sieh erinnern - und immer war es ein Sohn, bis ich die Serie unterbrochen habe." Neugierig betrachtete Lecia nun auch die Begleiterin des Unbekannten. Sie war schlank, hatte aristokratische Züge und trug eine raffiniert schlichte weichfallende Seidenkombination, dazueine goldene Halskette und zierliche italienische Sandaletten. Alles an ihr wirkte zurückhaltend elegant und teuer und entsprach genau ihrem Typ. Lecia kämpfte ihr Unbehagen nieder und riss sich zusammen. „Außerdem war Dad Australier, und wir befinden uns in Neuseeland." „Schade!" Andrea seufzte und setzte sinnlich hinzu: „Wenn er ein Verwandter von dir wäre, hättest du mich mit ihm bekannt machen können. Obwohl ich sicher keine Chance hätte! Die Frau verschlingt ihn ja geradezu mit Blicken." Da hatte Andrea recht. Obwohl die schöne junge Frau sich kühl und gelöst gab» war nicht zu übersehen, dass sie ganz im Bann ihres Begleiters stand. Lecia betrachtete das Gesicht des Fremden erneut und meinte trocken: „Ein Leckerbissen von einem Mann." „Den ich für mein Leben gern vernaschen würde", schwärmte Andrea „Schon dieser Gang! Als ob er erwartete, dass die ganze Welt ihm Platz macht. Ich wette, im Bett ist der ein Tiger!" „Kannst du das auf einen Blick feststellen?" zog Lecia ihre Freundin auf. „Das kann jede Frau. Du weigerst dich nur, die Signale zu erkennen." Andrea setzte ihre Sonnenbrille auf und schlug einen belehrenden Ton an. „Sehen Sie nicht, mein lieber Watson, wie kraftvoll sein Muskelspiel ist? Er kommt den Hang herauf, ohne zu schwitze», also ist er durchtrainiert und ausdauernd," Die letzten Worte hatte sie langsam und genüsslich ausgesprochen. „Ausdauer ist besonders wichtig. Und da seine Kleidung mehr als mein halbes Gehalt kosten dürfte und wir ja wissen, wie dünn reiche Erben in Neuseeland gesät sind, lässt sich folgern, dass er nicht nur reich ist, sondern auch eine Menge auf dem Kasten hat und ein hohes Tier sein dürfte. Intelligenz, mein lieber Watson, ist eine weitere wichtige Eigenschaft bei einem Liebhaber." Verwirrt, wie hypnotisiert beobachtete Lecia den eindrucksvollen Fremden, dessen Haar in der Sonne wie Bernstein schimmerte. Neben ihr fuhr Andrea fort: „Und an Leidenschaftlichkeit dürfte er auch nichts zu wünschen übriglassen ... sieh dir nur den Mund an! Er gibt sich beherrscht, aber die
Sinnlichkeit ist unverkennbar ..." Erschauernd schob sie sich die Sonnenbrille ins Haar und musterte den Näher kommenden fasziniert. „Es ist unheimlich", bemerkte Lecia leise. Etwas Unsichtbares schien sie mit diesem Fremden zu verbinden. „Ich finde es fast beängstigend." Widerstrebend wandte Andrea den Blick von dem Mann ab und sah Lecia an. „Ja, das ist es", sagte sie nachdenklich. „Wenn ich's mir recht überlege, möchte ich auch keinem Doppelgänger von mir begegnen, ganz gleich, wie toll er aussieht." Inzwischen war ersichtlich, dass der Mann und seine Begleiterin auf die Firme nzelte zugingen, die auf der Anhöhe hinter der Menge aufgebaut waren. All seine Aufmerksamkeit schien der Frau an seiner Seite zu gelten. Doch als ihm plötzlich ein kleines Kind vor die Füße lief und stolperte, hob er es erstaunlich sanft auf. Die Kleine verzog das Gesicht und begann zu weinen, doch er setzte sie sich auf die Schultern und drehte sich, so dass die Leute in der Menschenmenge das Mädchen sehen konnten. Hastig sprang eine Frau auf und bahnte sich einen Weg zwischen Picknickdecken, Sonnensegeln und sitzenden Gruppen hindurch. Sie erreichte den Fremden, der ihr das Kind reichte und ernst etwas zu ihr sagte, ehe er weiterging. Die Frau drückte die Kleine an sich und blickte dem großen Mann pikiert nach. Erst als jemand sie anrempelte, zuckte sie die Schultern und verschwand wieder in der Menge. „Möchte wissen, was er gesagt hat", flüsterte Andrea Lecia zu. „Der Miene der Frau nach zu schließen, war es bestimmt kein Kompliment." „Sie hätte besser auf das Kind aufpassen müssen", erklärte Lecia sachlich. „Wie leicht hätte es im Gewimmel verloren gehen können." Andrea lachte. „Genau das hat er ihr bestimmt auch gesagt. Siehst du, ihr denkt sogar gleich." Der Fremde war jetzt nur noch wenige Meter von ihnen entfernt. Am liebsten hätte Lecia sich geduckt, damit er sie nicht sah. Aber das wäre kindisch gewesen, und sie wandte nur das Gesicht ab und spähte zur Bühne hinüber. In diesem. Moment wurde ihr Name gerufen. Sie drehte sich um ... und blickte direkt in die Augen des Fremden. Ein elektrisierendes Prickeln überlief sie. In den blauen Augen des Mannes lag ein erstaunter Ausdruck, dann wurde sein Blick ausdruckslos. „Da seid ihr ja, ihr beiden Hübschen." Peter Farring hatte sie gefunden. Er legte Lecia den Arm um die Schultern, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, gab er ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Ihr müsst schnell essen, das Eis fängt schon zu schmelzen an." Der Fremde musterte Peter im Weitergehen und wechselte auf den Weg zur Anhöhe hinüber. Mit unsicheren Fingern nahm Lecia die Eistüte entgegen, atmete tief ein und brachte ein Lächeln zustande. „Vielen Dank." „Gern geschehen", erwiderte Peter galant. Während Andrea ihr Eis schleckte, berichtete sie ihm von dem Unbekannten, der Lecia so verblüffend ähnlich sah. „Lecia sagt, er sehe genau wie ihr Vater aus. Dabei hat sie väterlicherseits gar keine Verwandten." „Überhaupt keine?" Peter blickte zweifelnd drein. „Vielleicht ja doch. Nicht jeder kennt alle seine Verwandten." Lecia zuckte die Schultern. „Das wäre die einzige Möglichkeit." „Wenn er nicht eng mit dir verwandt ist, will ich ein Jahr lang keinen Champagner me hr trinken", wettete Andrea und wandte sich Peter zu. „Er hat die gleichen Züge wie Lecia, allerdings sind seine unglaublich arrogant. Du weißt schon, wie das bei Bruder und Schwester manchmal der Fall ist. Lecia und dieser Typ könnten Zwillinge sein. Sie haben auch die gleiche Gestalt, nur ist der Doppelgänger weit über einen Meter achtzig groß. Sogar sein Gang hat die gleiche raubtierhafte Geschmeidigkeit." „Meine Güte, du hast eine blühende Phantasie!" bemerkte Lecia leicht gereizt.
„Du weißt schon, was ich meine, nicht wahr, Peter?" beharrte Andrea. „Lecia hat etwas Ungezähmtes an sich. Und genauso sieht dieser Mann aus: blond und geschmeidig und gefährlich. Stets Herr der Lage." „Ja, ich weiß, was du meinst." Peter lächelte Lecia auf eine Weise an, die sie nervte. Da Andreas derzeitiger Freund für Opern nicht zu haben war, hatte sie sich für den Nachmittag mit ihrer besten Freundin Lecia verabredet. Kaum hatten sie es sich jedoch auf ihrer Decke unter dem Sonnensegel bequem gemacht, als Peter zu Lecias Leidwesen auf getaucht war und sich zu ihnen gesellt hatte. Es störte sie, von jemandem umschwärmt zu werden, dessen Gefühle sie nicht erwiderte. Sie zuckte die Schultern und erwiderte: „Wenn man uns nebeneinander sehen würde, wäre die Ähnlichkeit bestimmt nur oberflächlich." Doch der Blick des Fremden war ihr durch und durch gegangen und hatte sie völlig durcheinander gebracht. Am liebsten wäre sie geflohen. Sie wollte diesem Mann nie wieder begegnen und auch nicht von ihm sprechen, doch Andrea gab keine Ruhe. „Die einzig denkbare Erklärung wäre vielleicht eine außereheliche Beziehung." „Mag sein", räumte Lecia ein. „Aber meine Mutter hat mir erzählt, der erste Spring sei von England nach Australien gekommen und habe keine Angehörigen gehabt." „Ach was, früher hätte doch niemand zugegeben, uneheliche Bänder zu haben. Der Mann könnte ein entfernter Vetter oder so etwas sein, von dem ihr keine Ahnung hattet", entschied Andrea. „Du hättest dieses hinreißende Raubtier ansprechen sollen, Lecia." Lecia zuckte die Schultern. „Schlafende Raubtiere soll man nicht wecken", erklärte sie trocken. In Sekundenschnelle hatte der Fremde sie gesehen, die Ähnlichkeit erkannt und es dabei bewenden lassen. Da wäre es verrückt gewesen, ihn anzusprechen. Dennoch ging der Unbekannte Lecia nicht aus dem Kopf. Ihre Mutter hatte ihr einmal die Geschichte von einem Mädchen erzählt, das in einer Quelle das Bild; des Mannes gesehen hatte, den es einmal heiraten würde. Trotz der sommerlichen Hitze .überlief Lecia ein Schauder. Jetzt wusste sie, wie dem Mädchen zumute gewesen sein musste. da hat Lecia dem Kunden erklärt, sie sei nicht bereit, ein Haus für eine Frau zu entwerfen, die sie nicht kenne", hörte sie Andrea amüsiert berichtenPeter war ganz Ohr. „Und wie hat er darauf reagiert?" Andrea lachte. „Er behauptete, intelligente, selbstbewusste Frauen zu mögen. Und dann stell dir vor! - hat er sie zum Abendessen eingeladen, um sie mit seiner Frau bekannt zu machen." Peter staunte, „Alle Achtung!" „Und ich wusste nicht mal, dass er eine Frau hatte", bemerkte Lecia leicht grimmig. „Ich hatte schon geglaubt, er würde den Auftrag an einen anderen Architekten vergeben." „Das Gegenteil war der Fall", fuhr Andrea seufzend fort.„Wie viele von deinen Kunden hat er sich prompt in dich verliebt." „Ach was." Lecia ärgerte sich über die Taktlosigkeit ihrer Freundin und wechselte, das Thema. Der Rest des Nachmittags verlief angenehm. Lecia versuchte, den Gedanken an die merkwürdige Begegnung zu verdrängen, obwohl sie das unheimliche Gefühl hatte, der Fremde könnte sie beobachten. Aber das war natürlich Unsinn, denn unter den dreihundertfünfzigtausend Menschen, die in den flachen Krater des Auckland Domain geströmt waren, konnte er sie unmöglich ausmachen. Also versuchte sie, sich zu entspannen und das Picknick auf der Wiese zu genießen. Nach Sonnenuntergang begann das Konzert. Zur Einstimmung wurden der festlich gestimmten Menge beliebte Opernausschnitte
geboten, die in vier von einer weltberühmten Sopranistin vorgetragenen Arien gipfelten. Dann folgender Teil, auf den die Kinder - und auch viele Erwachsene — gewartet hatten, : „,Der Ritt der Walküren'", verkündete der Ansagen Wagners dramatische Musik wurde von zuckenden rotgrünen Laserstrahlen untermalt, die ein märchenhaftes Lichterspiel zauberten. Raketengarben schössen zum klaren Nachthimmel empor und zerbarsten in sprühende Sternenregen, gleichzeitig stieg vom Kraterrand flammender Glutschein auf, der die riesige Menge in ein unwirkliches rötliches Licht tauchte. Gebannt verfolgte Lecia das farbenprächtige Schauspiel am Nachthimmel, das die Musik unterlegte, und fuhr zusammen, weil eine Armeegarde neben der Bühne Gewehrsalven abfeuerte. Als alles vorüber war, konnte Lecia Andrea nur beipflichten, die sich begeisterte: „Das war wirklich einzigartig!" Noch unter dem Eindruck der überwältigenden Darbietung packten, sie Decken, Sonnensegel und Picknickbehälter zusammen und warteten auf eine Lücke Inder Menge, die auf die Straßen um das Domain herum zustrebte. . Ein Knuff in die Seite ließ Lecia zusammenzucken, und sie drehte sich um. „Ich hab's gewusst", zischte Andrea ihr zu. „Sieh mal dort drüben ..." Es war der Fremde, der sich durch das Menschengewühl einen Weg auf sie zu bahnte. Lecias Herz begann heftig zu pochen. Im ersten Moment dachte sie, er hätte sie nicht gesehen und ginge einfach nach Hause, wie sie auch - doch sein energischer Gesichtsausdruck sagte ihr, dass sie sich irrte. Ehe sie richtig durchatmen konnte, blieb er vor ihr stehen, und sie blickte hilflos in seine stahlblauen Augen. Ihr Mund war wie ausgetrocknet. Hinter sich hörte sie Peter etwas sagen, in ihren Ohren rauschte es jedoch so laut, dass seine Worte nicht bis zu ihr durchdrangen. Den Fremden hörte sie dafür um so deutlicher. „Wir müssen verwandt sein", sagte er mit sinnlich dunk ler Stimme. „Ich heiße Keane Paget." Das angespannte Schweigen ihrer Begleiter verriet Lecia, dass zumindest einer von ihnen den Namen kannte. Es kostete sie alle Kraft, sich gelassen zu geben. „Ich bin Lecia Spring." „Also ... eine Kusine?" Keane Paget reichte ihr die Hand. Sie nahm sie, schüttelte jedoch den Kopf. „Das kann nicht sein. Ich sehe meinem Vater ähnlich... und er seinem Vater, aber außer ihm habe ich seitens der Springs keine Verwandten." Keane Pagets Händedruck war kräftig, und er betrachtete Lecia forschend. „Die Ähnlichkeit ist zu groß, um zufällig sein zu können", erklärte er bestimmt. „Hier ist meine Karte." Nach kurzem Suchen in ihrer Tasche reichte Lecia ihm ihr Kärtchen. Ohne einen Blick auf seins zu werfen; steckte sie es ein und erwiderte gespielt gleichmütig: „Sicher handelt es sich um eine verrückte Laune der Natur. Heißt es nicht, jeder habe einen Doppelgänger?" „Das ist Altweibergeschwätz." Keane Paget lächelte flüchtig. „Ich halte es mit der Wissenschaft." Sein Blick streifte Peter und Andrea kurz, und er nickte höflich. „Guten Abend." Dann kehrte er zu den Firmenzelten zurück. „Junge!" Andrea verdrehte seufzend die Augen und fächelte sich mit der: Hand Luft zu. „Mich wirft's um. Schon allein die Stimme jagt mir Schauer über die Haut. Und erst seine Augen! Wer ist er? Der Name sagt dir etwas, nicht wahr, Peter?" „Ja." Peter war Anlageberater, und sein Ton verriet, dass Keane Paget in seinen Kreisen bekannt war. „Er besitzt eine Firma, die Ozongeneratoren herstellt." „Und was, bitte, ist ein Ozongenerator?" fragte Andrea, die Universitätsdozentin für Kunstgeschichte. „Ein Gerät, das mit Hilfe von Elektrizität und Luft Wasser reinigt. Ozongeneratoren gibt
es schon lange, aber die von Paget hergestellten sind um vieles leistungsfähiger und außerdem billiger und sicherer. Er ist ein auf steigender Industrieller - gewieft und knallhart - der genau weiß, was er will." „Was im Klartext heißen dürfte, dass er auch reich ist und ständig reicher wird", überlegte Andrea schwärmerisch. Peter lächelt amüsiert. „Ja. Er ist alleiniger Besitzer der Firma und wird fürs erste kaum an die Börse gehen." Andrea wollte etwas sagen, aber er kam ihr zuvor. „Er ist unverheiratet, wird aber häufig mit schönen Frauen gesehen. Und, nein, ich habe keine Ahnung, wer seine Begleiterin war. In diesen Kreisen verkehre ich nicht. Dafür fehlen mir das Geld und auch die entsprechenden Beziehungen." Andrea wandte sich Lecia zu. „Du bist also mit ziemlicher Sicherheit mit einem Mann verwandt, der eine hübsche Menge Geld besitzt." Ihre Augen blitzten neidvoll. „Soviel Glück möchte ich auch haben." Lecia hatte den Schock über die Begegnung immer noch nichtüberwunden. „Falls wir verwandt sind. Mich überläuft, eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass Wer ein Doppelgänger von mir herumwandert." „Paget ist kein Wanderer", meinte Peter trocken. „Er weiß, wohin er will, und gelangt schnell ans Ziel. Er hat angefangen, nach Asien zu verkaufen - und das ziemlich erfolgreich -, obwohl das ein schwieriger Markt ist. Er erfordert unendliche Geduld, Fingerspitzengefühl, genaue Marktkenntnisse ...und natürlich ein ausgezeichnetes Produkt." .Sie schlüpften durch, eine Lücke in, der Menge, und gingen die eineinhalb Kilometer zu Lecias Apartment, das, am tiefer lag, zu Fuß. Da Peter sie begleitete, kam Lecia nicht darum herum,, ihn ebenfalls zu einer Tasse Kaffee einzuladen. In Lecias Apartment fragte Andrea: „Wieso haben wir noch nichts von Keane Paget gehört? Schließlich sieht er nicht nur umwerfend aus, sondern zählt offensichtlich auch zu den Männern, die in den Medien Schlagzeilen machen." Peter lächelte bedeutsam. „Tut er auch. Aber er scheint keinen Wert darauf zu legen, in der Gesellschafts- und Klatschspalten unter die Lupe genommen zu werden. Offenbar schirmt er sein Privatleben gut ab." „Ein Jammer", klagte Andrea. „Er könnte viele Frauen glücklich machen, wenn er wenigstens ab und zu in die Kameras lächeln würde." „Hier kommt der Kaffee", unterbrach Lecia die Schwärmerei ihrer Freundin und stellte das Tablett auf den Couchtisch. Geschickt lenkte sie das Gespräch von Keane Paget auf und persönliche Dinge. Es machte sie nervös, als Peter ihre Wohnung und den ausgezeichneten Geschmack bewunderte, mit dem sie die alte Fabrik in einen Apartmentkomplex umgebaut hatte. Peter war amüsant, intelligent und besaß eine scharfe Beobachtungsgabe, doch seine unverhüllten Bemühungen, sie näher kennen zu lernen, verursachten ihr Unbehagen. Erleichtert atmete Lecia auf, als Andrea schließlich aufstand und erklärte: „Zeit zum Gehen, Peter. Komm, wir nehmen uns gemeinsam ein Taxi, ja?" Er sah Lecia bittend an, dann nickte er widerstrebend und verabschiedete sich mit Andrea. Nachdem Lecia die beiden zum Aufzug begleitet hatte, kehrte sie ins Apartment zurück und schloss ab. Peter war ein netter Mann, und sie brachte es nicht übers Herz, ihn unhöflich abblitzen zu lassen.. „Obwohl ich diese Lektion wirklich gelernt haben müsste ..." sagte sie laut und dachte an einen anderen netten Mann, bei dem sie das auch nicht geschafft hatte. Der arme Barry ... Aber das lag sieben Jahre zurück. Inzwischen war sie neunundzwanzig und sehr viel lebenserfahrener. Es war besser, Peter schleunigst zu verstehen zu geben, dass aus einer Beziehung zwischen ihnen nichts werden konnte. Lecia duschte und schlüpfte in einen gestreiften Baumwollüberwurf, der pfirsich- und
cremefarben war. Es waren ihre Lieblingstöne, weil sie besonders gut zu ihrem Haar und ihrer klaren, reinen Haut passten. Keane Paget mussten sie auch stehen. Sie fühlte seinen Blick wieder auf sich gerichtet und bekam Mage nflattern. „Du bist ein Dummkopf, Lecia Spring", erklärte sie ihrem Spiegelbild und begann, sich gedankenverloren die Haare trockenzufönen. Erst danach ging sie ins Schlafzimmer und nahm Keane Pagets Karte aus der Handtasche. Sie war schlicht und unaufdringlich gehalten und trug seine Privatanschrift. Er wohnte auf der anderen Seite der Hafenbrücke, in dem Meeresvorort Takapuna. Dem Straßennamen nach zu schließen, konnte man von seinem Haus aus vermutlich auf Rangitoto blicken, die Insel mit dem schlafenden Vulkan, die Aucklands Stadtbild prägte. Geld, dachte Lecia und legte die Karte weg. Widerstrebend musste Lecia sich eingestehen, dass sie enttäuscht war, als Keane Paget sie am nächsten Tag nicht anrief. Weihnachten und Silvester war es bei ihr gesellscha ftlich turbulent zugegangen, so dass sie das Januarwochenende, an dem Auckland seinen Status als Provinz von Neuseeland feierte, ruhig verbringen wollte. Doch obwohl Lecia sich seit Wochen darauf gefreut hatte, fühlte sie sich am Sonntag und auch am Montag, der ebenfalls ein Feiertag war, seltsam rastlos und unausgefüllt. Die sonst so belebten Straßen waren wie leergefegt und flimmerten in der Hitze. Wer immer konnte, hatte Auckland verlassen und Zuflucht auf dem Land oder am Strand gesucht. Lecia öffnete alle Fenster ihrer Wohnung, goss die Pflanzen und arbeitete an Aufrissen für die Villa einer Kundin, die ein Grundstück in einem teuren Vorort erworben hatte. Der Auftrag reizte Lecia, und sie verbrachte unter dem Jakarandabaum im Garten Stunden über Entwur fsvarianten. Abends holte sie ihr zwanzig Monate altes Patenkind Hugh zu sich, aß mit ihm und brachte ihn am nächsten Morgen wieder zu seinen Eltern zurück, die auf diese Weise endlich einmal wieder hatten ausgehen können. Keane Paget meldete sich nicht. Und Lecia rief ihn nicht an. Gegen Ende der Woche erwartete Lecia nicht mehr, von ihrem Doppelgänger zu hören. Dennoch ging er ihr nicht aus dem Sinn. Sein Bild verfolgte sie selbst nachts in ihren Träumen. Lecia versuchte sich einzureden, dass es einfach nur die plötzliche Gegenüberstellung gewesen sei, die sie so aus der Bahn geworfen hatte. Eines Morgens klingelte das Telefon, als sie gerade frühstückte. Sie stellte die Tasse ab und meldete sich. „Hallo." „Lecia, hier ist Keane Paget. Ich würde Sie für he ute gern zum Mittagessen einladen, wenn Sie Zeit haben." „Da muss ich erst nachsehen." Der Gedanke abzulehnen kam ihr gar nicht. Hastig überflog Lecia ihren Terminkalender; „Ja, das ließe sich machen." „Gut. Wollen wir uns um halb eins im ,South Seas' treffen?" Sie hatte einen Termin für drei, so dass ihr mehr als genug Zeit blieb. „Kein Problem", erwiderte sie und da das etwas kufzsilbig klang; setzte sie hinzu: „Ich freue mich darauf." „Bis dann", sagte Keane Paget und hängte ein. Kurz und bündig, dachte Lecia und legte den Hörer zurück. Sie fühlte sich erleichtert, gleichzeitig seltsam erregt und furchtsam. Beklommen blickte sie auf ihre Hände, die den Hörer immer noch umklammert hielten, als weigerten sie sich, den Kontakt zu unterbrechen. Nur einmal in ihrem Leben hatte sie so stark empfunden und einer Macht nachgegeben, die sie unwiderstehlich und wie ein Sog auf eine Katastrophe zugetrieben hatte.
Lecia hatte gelernt, sich ihren Gefühlen zu stellen, und zwang sich, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Das Ganze lief auf eine einfache Sache hinaus. Sie begehrte diesen Mann, der ihr so ahn lieh sah, dass sie Zwillinge hätten sein können. Aber da war noch viel mehr - sie fühlte sich verstrickt in die unterschiedlichsten Empfindungen, die sie selbst nicht genau benennen oder auseinander halten konnte. Machte sie sich etwas vor und war auf dem besten Weg, sich erneut in eine selbstzerstörerische Besessenheit zu verrennen? Vor acht Jahren war es ihr gelungen, sich aus einer katastrophalen Beziehung zu einem Mann zu lösen, nachdem sie erfahren hatte; dass er verheiratet war. Damals hatte sie sich geschworen, sich nie wieder jemandem mit Leib und Seele zu verschreiben. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Als ob diese erniedrigende Episode mit Alan nicht schon schlimm genug gewesen wäre, hatte sie ein Jahr später entsetzt feststellen müssen, dass Barry sie mit der gleichen bedingungslosen Hingabe liebte, mit der sie sich an Alan gehängt hatte. Über ihre Liebe zu Alan war sie hinweggekommen. Nachdem sie erfahren hatte, dass er verheiratet war, hatten Ekel, Empörung und Willenskraft ihre Leidenschaft in Verachtung verwandelt. Doch Barry - dessen einziger Fehler es gewesen war, seine Gefühle ungezügelt zu verströmen -, Barry litt immer noch, weil sie seine Liebe nicht erwidern konnte. Deshalb würde sie mit Keane Paget nur zu Mittag essen ... um ihre Neugier zu befriedigen. Falls er die Bekanntschaft zu vertiefen suchte, würde sie sich höflich, aber bestimmt zurückziehen. In diese Falle durfte sie nicht noch einmal tappen! Als wäre der Bann plötzlich gebrochen, trat Lecia vom Telefon zurück und nahm die Teetasse auf. An diesem Morgen konnte sie sich jedoch nicht recht auf die Arbeit konzentrieren und hörte eine Stunde eher auf, um sich für die Verabredung umzuziehen. Das „South Seas" war ein vornehmer Schlemmertempel, und Lecia wollte vor Keane Paget bestehen können. Nachdem sie geduscht hatte, öffnete sie den Kleiderschrank und ging unschlüssig ihre Garderobe durch. Was würde ich für ein Treffen mit einem Kunden anziehen? fragte Lecia sich. Kurz entschlossen nahm sie das schlichte Seidenkostüm heraus, dessen Farbe dem klaren Grün ihrer Augen entsprach. Beim Haar zögerte Lecia. Tagsüber trug sie es normalerweise offen, doch diesmal erschien es ihr angemessener, es hochzustecken. Sorgfältig legte sie Lippenstift und zarten goldbraunen Lidschatten auf, der ihren natürlichen Hautton unterstrich, dann besprühte sie sich mit ihrem Lieblingsparfüm und verließ das 'Haus bei strahlendem Sonnenschein.
2. KAPITEL Der Apartmentkomplex war nur durch eine verkehrsreiche Straße und Dockanlagen vom Hafen getrennt, so dass Lecia lediglich einen Kilometer am Ufer entlang zum Viaduct Basin zu laufen brauchte, wo sich das „South Seas" befand», Von der salzigen Seeluft beschwingt, machte sie sich auf den Weg Im Sommer' wurden die Hafengegend und die Innenstadt hauptsächlich von Touristen bevölkert, die wie laute, bunte Vogelscharen umherschwärmten. Lecia schlenderte am renovierten Fährgebäude vorbei, in dessen alten Galerien sich moderne Läden und Restaurants eingenistet hatten. Ich will nur sehen, ob das „South Seas" wirklich so gut ist wie sein Ruf, versuchte sie sich einzureden. Mehr nicht. Vor dem Restaurant saßen Gäste unter segelartigen Baldächern und unterhielten sich, während sie die Vorübergehenden interessiert betrachteten. Keane Paget wartete in der Bar und las Papiere, die wie Geschäftsunterlagen aussahen. Als Lecia eintrat, blickte er auf. Seine Miene verriet sekundenlang, dass er irgendwie schockiert war. Eine Reaktion, die sein Anblick auch in ihr jedes Mal auslöste. Er stand jedoch sogleich auf. Lecia fühlte sich seltsam scheu, als er sie unauffällig musterte. Hocherhobenen Hauptes schritt sie durch den Raum und bemühte sich, die neugierigen Blicke nicht zu beächten, die ihr folgten. „Wenn Sie das Haar hochgesteckt tragen, ist die Ähnlichkeit noch stärker"; bemerkte Keane und ließ sie Platz nehmen, ehe er sich wieder setzte. Lecia sah ihn fest an. „Ja, sie ist wirklich verblüffend", sagte sie. „Es ist so, als würde man plötzlich seinem Doppelgänger- gegenüberstehen. " „So geht es mir auch. Da denkt man unwillkürlich an alte Märchen. Was möchten Sie trinken?" „Limonensaft mit Soda, bitte." Keane zog eine Braue hoch. „Nichts Alkoholisches?" „Nein. Wenn ich tagsüber Alkohol trinke, bin ich am Nachmittag müde", gestand Lecia. Auf seinen suchenden Blick hin eilte ein Ober herbei, und Keane bestellte Lecias Limonengetränk, für sich Wasser und ein leichtes Bier. „Ich spüre den Alkohol auch", räumte er ein und lächelte auf eine Art, die Lecia unter die Haut ging. Ganz ruhig! ermahnte sie sich. Es hat überhaupt nichts zu bedeuten, wenn wir beide tagsüber keinen Alkohol vertragen. Das geht vielen so. Nachdem der Ober gegangen war, sah Keane sie forschend an. „Hätten Sie mich angerufen?" „Nein." „Und warum nicht?" Sein kühl abschätzender Blick sagte Lecia, dass Ausflüchte nichts nützen würden. Zögernd erwiderte sie: „Ich hielt das für klüger." „Inwiefern?" Um Zeit zu gewinnen, sah sie sichern Restaurant um. Einige Gäste versuchten hastig zu überspielen, dass sie sie interessiert beobachtet hatten. „Das weiß ich nicht so genau", gestand sie endlich. „Es ist ja auch irgendwie verwirrend, jemandem zu begegnen, der wie man selbst aussieht." „Ich habe schon überlegt, ob wir möglicherweise Halbgeschwister sind", kam Keane direkt zur Sache. „Aber da wir beide nach unseren Vätern gehen, dürfte das wohl ausscheiden." „Woher wissen Sie das?" Keane blickte ihr in die Augen. „Natürlich habe ich Nachforschungen über Sie anstellen lassen", erklärte er, als wäre das ganz selbstverständlich. Unwillkürlich verspannte Lecia sich. „Ich verstehe", sagte sie steif. „Das erklärt das
einwöchige Schweigen." Sofort bereute sie die Bemerkung wieder. „Ja." Keane beobachtete sie. Zum Glück wurden die Getränke serviert, so dass Lecia Ze it hatte, sich zu fangen. Sie brachte jedoch keinen Schluck herunter und berührte das kühle Glas nur mit den Lippen, um es gleich wieder abzustellen. „Sicher gehen Ihre Nachforschungen bis in meine Kindheit zurück", vermutete sie ironisch. „Ich weiß, dass Sie Lecia Spring sind, neunundzwanzig Jahre alt, Tochter eines australischen Vaters und einer neuseeländischen Mutter. Ein Jahr nachdem Ihre Eltern geheiratet hatten, ist Ihr Vater nach einem schweren Sturz nicht mehr genesen. Er starb vor Ihrer Geburt." „Ihr Detektiv versteht sein Handwerk", musste Lecia widerwillig zugeben. „Er ist ein Spitzenmann. Ihre Mutter Monica zog nach Neuseeland zu ihren Eltern und heiratete erneut, als Sie vier waren. Sie wohnt heute mit ihrem zweiten Mann, einem sehr erfolgreichen Lebensmittelhersteller, in Gisborne. Und Sie sind eine ideenreiche, angesehene Architektin mit einem gut gehenden Büro, das Sie klein halten, indem Sie zu Hause arbeiten. Warum übrigens?" „Weil ich mein eigener Herr sein möchte", erwiderte Lecia kühl. „Ich auch." Keane betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. „Aber Sie könnten sich vergrößern, eine eigene Firma gründen, andere Architekten einstellen und weiter Ihr eigener Herr bleiben." „Soweit bin ich noch nicht. Ich brauche mehr Erfahrung." Keane verfolgte das Thema nicht weiter. Nachdem er Lecia erneut gemustert hatte, fuhr er fort: „Als Sie einundzwanzig wäre», haben Sie sich mit einem Architekturkommilitonen verlobt, die Verbindung jedoch drei Monate später gelöst. Wie kam es dazu?" „Auch wenn Sie wie mein Bruder aussehen, haben Sie noch lange nicht das Recht, in meinem Privatleben herumzuschnüffeln", erklärte Lecia mühsam beherrscht. Bei dem Gedanken, dass Keane Paget von dieser Tragödie erfahren hatte, verkrampfte sich alles in ihr. „Da ich sechs Jahre älter bin als Sie, dürften mir gewisse Geburtsvorrechte zustehen." Nun fiel es Lecia schwer, ein Lächeln zu unterdrücken. „Wir sind keine Geschwister", betonte sie. „Obwohl wir uns wie solche zanken. Haben Sie welche?" „Brüder oder Schwestern? Nein. Ich bin Einzelkind." Die halbgeschlossenen Lider verliehen Keane einen sinnlichen Ausdruck, der Lecia beunruhigte. Und dem Blick seiner stahlblauen Augen schien nichts zu entgehen. Sie riss sich zusammen und sagte sachlich: ,,Wir müssen verwandt sein - entweder über eine uneheliche Verbindung oder einen gemeinsamen Vorfahren in England. Aber da die Springs schon seit fast hundert Jahren in Australien sind, muss dieser gemeinsame Ahne weit in der Vergangenheit zu suchen sein." „Die Pagets sind schon seit sechs Generationen hier", erklärte Keane. „Aber ganz unwahrscheinlich erscheint mir das nicht. Und da wir beide wie unsere Väter aussehen und meiner ganz nach seinem Vater ging ..." „Meiner auch", unterbrach Lecia ihn. „Ich habe alte Fotos von meinem Großvater und Urgroßvater gesehen - die Familienähnlichkeit ist sehr ausgeprägt." Keane zuckte die Schultern. „Es muss da irgendwo eine Verbindung geben. Ich kann einfach nicht glauben, dass diese verblüffende Ähnlichkeit nur Zufall ist." Der Ober näherte sich und kündigte höflich an: „Ihr Tisch ist bereit, Mr. Paget." Sie standen auf, und Keane Paget nahm ganz selbstverständlich Lecias Arm. Ihr entging nicht, dass ihnen verstohlene Blicke folgten. Nachdem sie Platz genommen, die Speisekarten überflogen und bestellt hatten, erklärte Keane: „Ich weiß schon ziemlich viel über Sie. Was würden Sie gern von mir wissen?" Alles, dachte Lecia beklommen. Laut fragte sie: „Leben Ihre Eltern noch?" „Nein." Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, doch sie spürte, dass sie eine wunde
Stelle berührt hatte. „Sie sind gestorben, ehe ich sechs war." „Das tut mir leid." Keane trank einen Schluck Wasser, dann stellte er das Glas ab und fuhr gelassen fort: „Das liegt fast dreißig Jahre zurück. Ich erinnere mich kaum noch an sie „Das muss ungefähr zu der Zeit gewesen sein, als auch mein Vater starb." „Im selben Jahr. Der Unfall und seine Folgen müssen für Ihre Mutter sehr schlimm gewesen sein." „Sie spricht nur selten darüber, aber ich glaube, sie hat genauso gelitten wie mein Vater. Trotzdem war sie sehr tapfer." Lecia sah auf und begegnete Keanes Blick. Klopfenden Herzens gestand sie: „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, warum ich hergekommen bin." „Neugier." Keane lächelte spöttisch. „Wir sind beide hier, weil wir neugierig sind. Der Verstand sagt mir, dass wir Fremde sind, aber die gemeinsame Herkunft steht uns im Gesicht gär schrieben. Sie sind Architektin - ein ungewöhnlicher Beruf für eine Frau." Lecia schüttelte den Kopf. „So ungewöhnlich nun auch Wieder nicht, aber die Männer sind immer noch stark in der Übermacht. Soweit ich weiß, Hegt der Frauenanteil bei vier Prozent. Der Zustrom der Frauen von den Universitäten nimmt jedoch laufend zu. Ich bin sehr glücklich mit meiner Berufswahl." „Entwerfen Sie Häuser oder Bürokomplexe?" „Das müssten Sie doch von Ihrem Detektiv wissen", sagte Lecia ironisch, sah jedoch keinen Grund, die Auskunft zu verweigern. „Ich habe auch schon an Büroprojekten gearbeitet, aber Privathäuser liegen mir mehr. Und Einkaufszentren." Sie lächelte schwach. „Beides Frauendomänen." „Haben Sie damit ein Problem?" „Sie klingen wie ein Psychologe", bemerkte Lecia trocken. Keane zog die Brauen hoch, schwieg jedoch und betrachtete sie nur gelassen. Seufzend gab Lecia klein bei. „Entschuldigung. Ich bin wohl etwas überempfindlich. Manche Männer - aber auch Frauen -halten es für leichter, Wohnbauten zu entwerfen." „Gestern war ich in einem von Ihnen entworfenen Haus", verriet Keane. „Es wirkt sehr ansprechend und hell, und die Besitzerin ist begeistert. Sie möchte nie mehr ausziehen, sagt sie, und will nicht das geringste ändern." Lecias Augen leuchteten auf, und sie lächelte. „Ein hübsches Kompliment!" „Das um so mehr zählt, als das Haus gar nicht für sie entworfen worden war. Meine Großtante ist dort gerade erst eingezogen." Keane nannte ihr die Adresse. „Ach ja, ich erinnere mich." Lecia wurde ernst. Die Frau, für die sie das Haus entworfen hatte, war ein halbes Jahr zuvor gestorben. „Hoffentlich fühlt Ihre Großtante sich auf Dauer wohl darin." „Wie war's, wenn Sie sie besuchen und sich selbst davon überzeugen würden?" schlug Keane vor. „Sie freut sich stets über Besuch." Lecia rührte sich nicht. Hinter dem Angebet steckte mehr. Keane Paget schien andeuten zu wollen, dass er sie als Mitglied seiner Familie akzeptierte, und Lecia war nicht sicher, wie sie dazu stand. Schließlich hatte sie ihre eigene Familie. Langsam blickte sie auf. Keane beobachtete sie. Seine Augen waren so blau wie das Meer ... und sein Blick war so undurchschaubar wie alles an ihm. Fasziniert hörte Lecia zu, während er fortfuhr: „Sie ist gleichzeitig so etwas wie unsere Familienhistorikerin. Wenn einer herausfinden kann, ob und wie wir miteinander verwandt sind, ist es Tante Sophie. Außerdem macht ihr das einen Heidenspaß. Sie besitzt den Instinkt eines Bluthunds. Schon oft genug hat sie die unglaublichsten Dinge ans Tageslicht gefördert. Ihr Motto ist: Nur ein gelüftetes Geheimnis ist ein gutes Geheimnis." Lecia lachte. „Sie scheint zu den besessenen Ahnenforschern zu gehören." „Was immer sie tut, tut sie gründlich. Als sie anfing, sich für Abstammungsfragen zu interessieren, hat sie verschiedene Methoden der Informationsbeschaffung ausprobiert, bis sie erkannte, dass es nur mit einem Computer möglich ist, gründliche Arbeit zu leisten. Daraufhin hat sie sich den neuesten Laptop zugelegt.
„Wie -alt ist Ihre Tante?" „Fast neunzig. Die Pagets sterben jung, oder sie leben ewig;" „Macht ihr die Arbeit am Computer Spaß?" „Sie handhabt ihn wie ein Profi." Keanes liebevolles Lächeln brachte eine Saite in Lecia zum Klingen, die sie an sich nicht kannte. Mit unsicherer Stimme bemerkte sie: „Sie scheint eine faszinierende Persönlichkeit zu sein." „Das kann man wohl sagen. Ich werde Sie mit ihr zusammenbringen." Keane sprach so bestimmt, als würde er gar nicht auf den Gedanken kommen, seine Tante könnte an einem Treffen mit einer Unbekannten nicht interessiert sein." „Ja, aber i.." Lecia wurde bewusst, dass Keane Paget ihr die Entscheidung geschickt abgenommen hatte. "Aber?" Nichts." Plötzlich fühlte Lecia sich seltsam hilflos, als wäre sie durch eine verbotene Tür getreten, die leise, aber unerbittlich hinter ihr zugefallen war. Du wolltest das nicht mehr tun, mahnte die Stimme der Vernunft. Keinen Schritt mehr auf diesem gefährlichen Weg! Keane Paget ist ein gefährlicher Mann, und du handelst genauso naiv wie damals bei Alan. Der Ober brachte das Essen - Kamm-Muscheln in Weißweinsauce für Lecia, Rindfleischsalat für Keane. Während sie aßen, fragte er unvermittelt: „Woher haben Sie den hübschen Namen?" „Ich weiß gar nicht genau, wie .meine Eltern darauf gekommen sind. Zum Glück habe ich ihn nicht in seiner vollen mittelalterlichen Pracht verpasst bekommen - Laetitia, oder schlimmer noch, Lettice." „Der Name kommt aus dem Lateinischen, nicht wahr?" „Ja. Er bedeutet Frohsinn:" Keane nahm sein Wasserglas auf, und Lecia betrachtete seine kraftvolle Hand mit den langen, sonnengebräunten Fingern. Ein Schauer der Erregung überlief sie. „Und sind Sie froh?" Nein. Ich habe Angst. Lecia zuckte die Schultern und erwiderte: „Ich bin eine vorwiegend optimistische Natur und ziemlich ausgeglichen." „Keine Höhen, keine Tiefen, einfach nur im angenehmen Zustand allgemeinen Wohlbefindens?" „Meistens." : Darauf hatte sie zumindest jahrelang hingearbeitet. Und sie würde diese innere Ausgeglichenheit nicht aufs Spiel setzen. Mit leisem Unbehagen wurde Lecia bewusst, dass sie persönliche Dinge preisgab und sich zu öffnen begann. Sie reagierte viel zu stark auf die Ausstrahlung dieses Mannes, der genau wusste, was er wollte. „Und wie steht's mit Ihnen?" fragte Lecia betont gleichmütig. „Sind Sie einer von diesen Industriellen, die von morgens bis in die Nacht arbeiten?" Sie blickte auf den Aktenkoffer zu Keanes Füßen. Sein Lächeln müsste verboten werden! Es war eine ernste Bedrohung für die Weib lichkeit - humorvoll und mit jener gefährlichen Spur Arroganz versetzt, die auch seine markanten Züge so unwiderstehlich machte. , „Das klingt ja fast, als hätten Sie ebenfalls Nachforschungen angestellt", stellte er trocken fest. Lecia aß eine weitere Muschel konnte dem zarten Fleisch diesmal aber keinen rechten Geschmack abgewinnen. „Die Freundin, mit der ich im Park war, hat mir einen Artikel über Sie aus einer Wirtschaftszeitschrift gegeben." Andrea hatte den Bericht ausfindig gemacht und ihn ihr prompt zugefaxt. „Es war auch ein Foto dabei, das mich ganz schön schockiert hat." „Was glauben Sie, wie mir zumute war als ich in der Menschenmenge plötzlich mein
Gesicht vor mir hatte? Am liebsten hätte ich Sie angesprochen." Lecia zog die Brauen hoch. „Sie haben aber keine Miene verzogen. Ich bin ziemlich sicher, dass Ihre Begleiterin davon nichts mitbekommen hat." „Nein." Die Frau im Park war sehr attraktiv, überaus geschmackvoll gekleidet ... Hastig rief Lecia sich zur Ordnung. Wieso betrachtete sie die Unbekannte als Rivalin? Sicher, sie fühlte sich zu Keane Paget hingezogen, aber das war kein Wunder. Bei soviel geballter Männlichkeit mussten die meisten Flauen schwach werden. Geistesabwesend schob Lecia die letzte Muschel auf dem Teller herum. Sie hatte schon viele faszinierende Männer kennen gelernt und trotzdem noch nie das Gefühl gehabt, auf einer Klippe zu stehen und beim nächsten Schritt im Himmel - oder direkt in der Hölle zu landen. Nicht einmal bei Alan, den sie einmal so abgöttisch und bedingungslos geliebt hatte ... Aus dieser schrecklichen, selbstzerfleischenden Erfahrung hatte sie gelernt. Nie wieder würde sie sich auf eine tief ergehende Beziehung einlassen. Ihr jetziges zufriedenes Leben durfte sie für nichts aufs Spiel setzen. Außerdem war Keane vermutlich anderweitig gebunden. Nein, es war besser, der ganzen Sache von vornherein Deinen Riegel vorzuschieben und die Einladung zu seiner Tante taktvoll abzubiegen. Lecia brachte das Gespräch auf unverfängliche Dinge und war erleichtert, als das Es sen beendet war. Keane schien das Beisammensein ebenfalls nicht länger hinausziehen zu wollen. Nachdem Lecia einen Kaffee abgelehnt hatte, winkte er einem Ober. Keane bezahlte, stand auf und nahm wieder wie selbstverständlich Lecias Arm. Bei der Berührung überlief sie ein elektrisierendes Prickeln, doch sie ließ sich nichts anmerken und ging mit Keane zum Restaurantausgang. Ganz in der Nähe sagte ein Mann etwas und lachte. Lecia spürte, wie alles Blut aus ihrem Gesicht wich, aber sie zwang sieh, in die Richtung zu blicken, aus der die Stimme kam. Natürlich war es nicht Alan. Ein ihr völlig fremder Mann mit blondem Schnurrbart beugte sich über den Tisch zu einer Frau vor, um ihr die Hand zu küssen. Alan war dunkelhaarig und weltgewandt gewesen und hätte einer Frau in der Öffentlichkeit ebenso wenig die Hand geküsst, wie er sich im Restaurant die Schuhe ausgezogen hätte. Erleichtert wurde Lecia bewusst, dass es ihr nichts ausgemacht hätte, wenn der Mann tatsächlich Alan gewesen wäre. Sie liebte ihn nicht mehr - hatte den wirklichen Alan wohl nie geliebt, den verheirateten Mann, dessen Geliebte sie einige Wochen gewesen war, bis jemand ihr von seiner Frau erzählt hatte. Ohne den Schritt zu verlangsamen, ging Lecia weiter. „Geht es Ihnen gut?" Keanes Stimme klang seltsam rau. Beherrscht erwiderte Lecia: „Ja, danke." Aber das stimmte nicht. Als er vorschlug: „Darf ich Sie nach Hause fahren?" nickte sie dankbar und folgte ihm ins Parkhaus. Im Wagen fragte Keane: „Was war denn eben mit Ihnen?" Er ließ den Motor nicht an und wartete. Lecia atmete tief ein. „Es war einfach nur ... ich war überrascht." „War das der Mann, mit dem Sie verlobt waren?" „Nein!" Ehe Keane weitere Fragen stellen konnte, bemerkte sie ironisch: „Ihrem Detektiv scheint entgangen zu sein, dass Barry inzwischen in Wellington wohnt." Keane ging darauf nicht ein. „Wer war der Mann im Restaurant, der gelacht hat?" „Ein Fremder. Ich habe ihn noch nie gesehen." „Aber er hat Sie an jemanden erinnert, vor dem Sie Angst haben."
„Nein." Wieder atmete Lecia tie f ein. „Jetzt nicht mehr." Nur noch vor sich selbst. Vor ihrer Anfälligkeit für gewisse Männer. „Werden Sie immer kreidebleich, wenn ein Fremder lacht, Lecia?" Keane berührte ihre Wange und betrachtete forschend ihre Züge. „Ihre Haut ist eiskalt." Er ließ die Hand zu der pulsierenden Ader hinter ihrem Ohr gleiten und den Finger dort einen Moment ruhen. Lecia fiel das Atmen schwer, und das Blut schien in ihren Adern zu rauschen. Dennoch biss sie die Zähne zusammen und rührte sich nicht. Nicht ihre Willenskraft hielt sie davon ab, das Gesicht trostsuchend in dieser warmen Hand zu bergen. Instinktiv spürte sie, dass Keane Paget jede Schwäche sofort ausnutzen würde. Als er die Hand sinken ließ, fühlte sie sich jedoch seltsam enttäuscht. „Jedenfalls schien der Mann, für den Sie ihn einen Moment gehalten hatten, der letzte zu sein, dem Sie begegnen möchten", stellte Keane ruhig fest. Endlich hatte Lecia sich wieder im Griff. „Er hat mich an jemanden erinnert, den ich nicht mochte." Keane schaltete den Motor ein und fuhr aus dem Parkhaus. Nachdem er einem Wagen ausgewichen war, der mitten auf der Straße stehen geblieben war, bemerkte er nachdenklich: „Ich kann mir nur schwer vorstellen, was Sie dermaßen aus der Fassung gebracht haben könnte. Einen Moment dachte ich, Sie würden ohnmächtig werden." „Das bestimmt nicht. Aber wie bei vielen Menschen gibt es in meiner Vergangenheit Dinge, die für mich tot und begraben sind." „Und dann trotzdem unerwartet wieder da sind?" Keanes Stimme klang leicht gereizt. Lecia faltete die Hände im Schoß und blickte demonstrativ aus dem Seitenfenster. Der Hafen lag im strahlenden Sonnenschein, Segel flatterten im Wind und hoben sich weiß und in allen Farben des Regenbogens gegen die flache Halbinsel ab, die in die Militärbasis von Devonport mündete. Dahinter, getrennt durch einen schmalen Kanal, dämmerten die mit Regenwald überzogenen Hänge des Rangitoto, des letzten kleinen Vulkans, der sich aus der Meerenge erhob. Er war erst einige hundert Jahre alt, und die Geologen rechneten mit weiteren Ausbrüchen aus dem mehrere hundert Kilometer unterhalb von Auckland befindlichen Vulkanzentrum. Nicht solange ich lebe, konnte Lecia nur inbrünstig hoffen. Dennoch fühlte sie sich im Augenblick so, als würde sie direkt auf dem Vulkankrater sitzen. „Es ging da wohl um eine Beziehung", vermutete Keane. „Wenn Sie eine Schwester hätten, würde Sie Ihnen bestimmt sagen, das ginge Sie nichts an." Lecia versuchte, einen scherzhaften Ton anzuschlagen. Keane war der Wahrheit zu nahe gekommen, und er durfte nicht einmal ahnen, wie dumm und naiv sie damals gewesen war., „Ich wünschte, Sie wären meine Schwester." Keane brachte den Wagen vor dem Eingang von Lecias Apartmentkomplex zum Stehen. Natürlich! Sein Schnüffler hatte ihm berichtet, wo sie wohnte. Keanes markante Züge wirkten hart, und in seinen Augen lag ein .wachsamer Ausdruck. „Ja. Als Bruder hätten Sie's einfacher", erwiderte Lecia förmlich. „Danke für das Mittagessen, Ich habe es genossen." Keane zog die Brauen zusammen. „Ich begleite Sie hinauf." Doch Lecia schüttelte den Kopf und öffnete die Wagentür. „Das ist nicht nötig. Vielen Dank. Auf Wiedersehen." Sie stieg aus, schlug die Tür hinter sich zu und ging zur Haustür, ohne sich noch einmal umzudrehen. Dennoch wusste Lecia, dass Keane wartete, bis sie die Aufgangsstufen erreicht hatte, ehe er davonfuhr. Rasch eilte sie durch die Diele in den Garten hinaus, wo sie sich unter dem Jakarandabaum in einen Sessel sinken ließ. Reglos blickte Lecia auf die sternförmigen Blüten des Sommer-Jasmins, der sich üppig
über eine Pergola rankte, und atmete den süßen Duft ein, der die feuchte Luft erfüllte. Sie versuchte, sich zu beruhigen, sich an der schlichten Schönheit der Pflanze zu erfreuen. Doch die Blüten verschwammen vor ihren Augen, und sie presste den Handrücken gegen die Stirn, als könnte sie das dumpfe Pochen in ihrem Kopf so verdrängen. Am liebsten wäre sie einfach hier sitzen geblieben, aber sie musste etwas gegen die Kopfschmerzen tun, denn in einer Stunde hatte sie Kunden zu beraten. Wenn sie sofort eine Tablette nahm, würde sie sich bald besser fühlen. Als Lecias Kunden kamen, hatte sie sich so weit wieder gefangen, dass ihr äußerlich nichts anzumerken war. Das junge Paar zeigte sich begeistert von den Aufrissen, dem Gesamtkonzept und den kostensparenden Vorschlägen, die Lecia ausgearbeitet hatte. Sie riet den beiden, alles nochmals gut zu durchdenken, war sich jedoch sicher, den Auftrag in der Tasche zu haben. Eigentlich hätte Lecia jetzt Grund zum Feiern gehabt, doch sie trank nur ein Glas Orangensaft und blickte geistesabwesend auf die Straße hinaus. Da sie eins der billigen Apartments in dem Komplex bewohnte, hatte sie keinen Blick auf den Hafen. Aber das machte ihr nichts aus. Von einer Seite des Wohnzimmers konnte sie den Besucherparkplatz und die Straße sehen, aus Küche und Schlafzimmer den Garten, dessen paradiesischer Anblick ihr genügte. Heute war das jedoch nicht der Fall. Natürlich war es richtig gewesen, jedem weiteren Kontakt mit Keane Paget auszuweichen. Die Vergangenheit hatte sie eingeholt, als sie in dem Mann im Restaurant Alan zu erkennen geglaubt hatte. Keane war derselbe Typ wie Alan. Beide besaßen die gleiche überwältigende Ausstrahlung, das gleiche blendende Aussehen. Und beide waren mächtige, erfolgsgewohnte Männer ... klug, beharrlich und skrupellos. Als Lecia später am Reißbrett saß, störte das Klingeln des Telefons sie. Erst in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass es draußen bereits dunkelte. Noch halb in die Arbeit vertieft, stand sie auf und fegte dabei einen Stapel Unterlagen zu Boden: Da ihr Anrufbeantworter eingeschaltet war, bückte Lecia sich, um die Blätter aufzuheben. Sicher war das Peter, der sich wieder meldete. Er war es nicht, sondern Keane. „Meine Großtante würde sich freuen, Sie kennen zu lernen. Ich hole Sie morgen Abend um sieben ab." Klick. Er hatte aufgelegt. Lecia richtete sich auf und legte die Unterlagen auf den Schreibtisch zurück. Verflixt! Warum hatte er nicht einen Moment warten können, bis sie den Hörer aufnahm? Jetzt musste sie Keane Paget zurückrufen, um ihm abzusagen! Seine Visitenkarte! Wohin hatte sie sie gesteckt? Fünf Minuten später wusste Lecia, dass die Karte sich weder in ihrem Terminkalender noch in der Handtasche befand. Weggeworfen hatte sie sie nicht... oder doch? Seufzend nahm Lecia das Telefonbuch zur Hand. Dort gab es zahlreiche Leute mit dem Namen „Paget", drei allein mit der Initiale „K", Doch keiner von ihnen wohnte an der North Shore. Kurz entschlossen rief Lecia die Auskunft an, wo sie jedoch erfuhr, dass Keane Paget eine Geheimhummer besaß. Den Name seiner Firma hatte sie vergessen, und Peter, der das Unternehmen kannte, wollte sie nicht danach fragen. Aber da war doch der Artikel, den Andrea ihr gegeben hatte ... nein, den hatte sie weggeworfen. Nach einem wütenden Blick aufs Telefon ging Lecia in die Küche, um sich etwas zum Abendessen zu kochen. Wenn sie die dumme Karte nicht bald fand, musste sie sich am nächsten Abend um sieben bereithalten. Als das Telefon erneut klingelte, eilte Lecia an den Apparat. Diesmal war es wirklich Peter. „Hallo, Lecia", begrüßte er sie charmant. „Es war schön, Sie letzte Woche zu sehen.
„Ja, es war ein wunderschöner Tag", gab Lecia ihm recht. „Besonders das Feuerwerk war einzigartig." „Für mich war es am schönsten, Sie anzusehen, während Sie es genossen haben", gestand Peter bedeutsam. „Hätten Sie Lust, mit mir nächste Woche zu ,Don Giovanni' zu gehen? Soweit ich gehört habe, soll die Aufführung sehenswert sein," Freundlich erwiderte Lecia: „Tut mir leid, aber ich kann nicht." Mit leicht veränderter Stimme fragte Peter: „Würden Sie dann ... mit mir zu Abend essen?" „Nein, danke." Er schien zu begreifen, plauderte jedoch noch einige Minuten mit Lecia, ehe er sich verabschiedete. Von dem höre ich bestimmt nie wieder etwas, dachte sie. Wenn er sich nur keine falschen Hoffnungen gemacht hatte! Es lag ihr fern, ihm weh zu tun, denn er war ein netter Mann. Ihr Pech, dass sie sich immer zu den falschen hingezogen fühlte. Zu gefährlichen Männern, die tabu waren. Männern wie Alan ... und Keane, der möglicherweise eine Affäre mit seiner schönen Parkbegleiterin hatte. Da Keanes Visitenkarte unauffindbar blieb, hielt Lecia sich am nächsten Abend bereit. Sie trug eine pfirsichfarbene Kombination, die besonders gut zu ihrem Teint und den Augen passte. Aus einem ihr nicht erklärlichen Grund wollte Lecia nicht, dass Keane ihr Apartment sah, und wartete im Garten in einem Sessel, von dem aus sie den Hauseingang im Auge behalten konnte. Sobald Keane erschien, stand sie auf und betrat die Halle. Schweigend blieb er an der Tür stehen und betrachtete Lecia» Er ist wirklich ungewöhnlich groß, wurde ihr bewusst, und eine seltsame Spannung erfüllte sie. Um sich nichts anmerken zu lassen, lächelte sie höflich und ging auf ihn zu „Sie sehen zum Anbeißen aus", bemerkte Keane mit dunkler, sinnlicher Stimme. „Die Farben der Sommerfrüchte." Forschend musterte er ihre Züge. „Hatten Sie einen anstrengenden Tag?" Lecia lächelte ironisch. „Den Vormittag habe ich auf einer Baustelle verbracht und mich mit einem Mann auseinandergesetzt, der Baupläne und Spezifikationen nicht lesen kann und überzeugt ist, eine Frau könnte das schon erst recht nicht." „Und wie sind Sie mit ihm fertig geworden?" „Mit einem Trick." Lecias Verstimmung ließ nach. „Ich greife zu Hammer und Nagel, stecke den Nagel ins Holz und donnere ihn mit einem Schlag rein. Erstaunlicherweise scheint der Umstand, dass ich in der Lage bin, einen Nagel auf den Kopf zu treffen und gerade einzuschlagen, die meisten Männer zu überzeugen, dass ich meine Sache verstehe." Keane lachte. „Wie lange haben Sie das geübt?" Lecia verzog keine Miene. „Eine Woche." „Tja, mit einer dramatischen Geste kann man viel erreichen. Und was war heute Nachmittag?" „Ach, ich habe einem Interessenten einen Kostenvoranschlag unterbreitet. Er dachte, er könnte ein Herrenhaus für den Preis einer Hütte bekommen. Außerdem erwartete er, ich würde mit ihm schlafen. Aus Dankbarkeit für die Ehre, für ihn als Architektin tätig werden zu dürfen. Jetzt ist er kein Interessent mehr." Verflixt! Lecia ärgerte sich über sich selbst. Warum hatte sie Keane das bloß erzählt? „Wer ist der Mann?" fragte er scharf. „Das tut doch nichts zur ..." „Wer ist er?" wiederholte Keane ruhig. „Sie brauchen nicht den brüderlichen Beschützer herauszukehren. Ich bin nicht Ihre Schwester und kann bestens auf mich selbst aufpassen." „Geschieht das oft?" Seine Stimme klang kühl, fast unpersönlich, doch Lecia brauchte nur
seine Lippen anzusehen, um zu wissen, dass Keane gefährlich wütend war. „Nicht oft", sagte sie. „Aber es kommt vor. Und ich bin da nicht die einzige. Viele Frauen müssen sich im Berufsleben mit sexuellen Belästigungen auseinandersetzen." „Ich will wissen, wer er ist." Lecia sah Keane fest an. „Das sage ich Ihnen nicht." Seine Miene wurde ausdruckslos: „Na gut. Kommen Sie." Er nahm Lecias Arm und führte sie zu seinem Luxuswagen auf dem Gästeparkplatz. „Wir sollten besser losfahren, sonst denkt Tante Sophie, ich hätte sie vergessen."
3. KAPITEL
Sophie Warburton war eine große, elegante, aristokratische Erscheinung. Sie hatte die gleichen blauen Auge n wie ihr Großneffe und die Nase, das Kinngrübchen und die hohen Wangenknochen, die Lecia mit beiden gemeinsam hatte. Außerdem wirkte sie mindestens zwanzig Jahre jünger, als sie war.; „Meine Güte!" rief sie, nachdem sie Lecia betrachtet hatte. „Ja, Sie ge hören zweifellos zur Familie!" Auf charmante Weise lobte sie Lecias Arbeit als Architektin, führte sie stolz herum und überredete Keane, ein Glas von ihrem Lieblingswhisky mit ihr zu trinken, als Lecia sich für einen Sherry entschied. Erst dann kam Sophie zur Sache. „Meine Liebe, seit Keane mir von Ihnen erzählt hat, bin ich die vorhandenen Dokumente rasch durchgegangen. Von einer Verbindung über die Tasman-See hinweg konnte ich jedoch nichts entdecken. Natürlich wäre es denkbar, dass es da irgendwo ein une heliches Kind gegeben hat, aber ich wüsste offen gestanden nicht, wann oder wo." „Ich auch nicht", sagte Lecia. „Zwar weiß ich nicht viel über die Familie meines Vaters, aber meine Mutter hat mir erzählt, soweit sie zurückverfolgen könnten, hätte es stets nur ein Kind in jeder Generation gegeben, und immer nur einen Sohn. Von Fotos weiß ich, dass alle sich verblüffend ähnlich waren ... und wie Keane aussahen", setzte sie schwach lächelnd hinzu. „Nur waren alle kahlköpfig - auch mein Vater, als er starb." „Während alle Pagets dichtes Haar besaßen", erklärte Tante Sophie. Als Keane belustigt lächelte, sagte Lecia: „Ich vermute, diese Veranlagung geht bis auf den ersten eingewanderten Vorfahren zurück." Seine Großtante lachte. „In der Annenforschung kommt man mit Vermutungen nicht weiter Unsere Vorfahren waren beachtliche, aufrechte Leute, aber auch nur gewöhnliche Sterbliche, die ihre Sünden zu verbergen versuchten. Es ist gut möglich, dass ein Paget in Australien öder ein Spring in Neuseeland war - und dabei einen Fehltritt begangen hat. Deshalb werden wir alle vorliegenden Dokumente wachsam durchgehen müssen. Vielleicht entdecken wir etwas, gewissermaßen zwischen den Zeilen." Tante Sophie war anzusehen, dass sie sich für das Vorhaben zu begeistern begann. „Natürlich könnte das fehlende Glied in der Kette auch schon in England zu suchen sein", fuhr sie fort. . Lecia nickte. „Sicher ... aber ob diese Erbanlagen sich über all die Generationen durchgesetzt haben?" „Wir haben es mit starken, dominierenden Genen zu tun." Sophie blickte von Lecia zu ihrem Großneffen und wieder zu Lecia. „Was wissen Sie über Ihre Vorfahren?" Während Keane sie nachdenklich betrachtete, berichtete Lecia das wenige was sie über die Herkunft ihrer Familie gehört hatte, und sagte abschließend: „Ich denke, ich könnte von meiner Mutter noch einiges mehr erfahren, obwohl sie über die Verwandten meines Vaters nicht viel weiß." „Würden Sie sich darum bemühen, meine Liebe? Soll ich Ihrer Mutter schreiben?" „Nein", entschied Lecia. „Ich werde sie fragen." Mrs. Warburton strahlte. „Wie aufregend, einen neuen Familienzweig zu entdecken! Meine liebe Lecia, nennen Sie mich doch Tante Sophie." Beklommen wurde Lecia bewusst, dass es ihr zunehmend schwerer gemacht wurde, Keane auf Abstand zu halten. „Danke", sagte sie und blickte fort. „Das ist sehr freundlich von Ihnen." Sie unterhielten sich noch eine halbe Stunde angeregt mit Tante Sophie, dann stand Keane auf. „Tut mir leid, aber ich fürchte, wir müssen nun gehen." Seine Großtante lächelte, und ihr war anzusehen, wie sehr sie an ihm hing. „Danke, dass du Lecia mitgebracht hast. Da öffnen sich aufregende neue Möglichkeiten, und ich kann es
kaum erwarten, die Nachforschungen in Angriff zu nehmen." Im Wagen fragte Keane Lecia beiläufig: „Haben Sie schon zu Abend gegessen?" „loh bin nicht hungrig", log sie. Er presste die Lippen zusammen, schaltete den Motor ein und fuhr die Auffahrt hinunter. „Feigling. Dann kommen Sie wenigstens mit, und sehen Sie mir beim Essen zu." „Nein, danke, ich ..." Lecia sprach nicht weiter. Sie konnte sich nicht gut verstellen, und Keane glaubte ihr sowieso nicht. „Warum haben Sie Angst vor mir?" fragte Keane. „Das habe ich nicht!" „Dann vielleicht vor sich selbst?" Mit einem flüchtigen Seitenblick hatte er die Situation erfasst. „Ja, das ist es wohl. Warum?" „Mit Angst hat das nichts zu tun." Lecia gab sich gefasst. „Es ist für mich nur ... beunruhigend, Sie anzusehen und mein Ebenbild vor mir zu haben. So, als hätte man mich geklont. Ach, ich kann nicht genau sagen, was ich empfinde, aber es gefällt mir nicht!"' . „Wenn wir Geschwister hätten, wären wir daran gewöhnt", gab Keane zu bedenken. „Ja, sicher, aber ..." Wieder schwieg Lecia. Sie konnte Kearie schließlich nicht erklären, dass sie sich gegen ihren Willen stark zu ihm hingezogen fühlte und das als bedrohlich empfand. Erst recht nicht, da sie nicht wusste, was er fühlte. Natürlich war er neugierig. Es faszinierte ihn und seine Großtante', ein neues Familienmitglied entdeckt zu haben, und es reizte sie, der Sache auf den Grund zu gehen. Mich ja auch, dachte Lecia. Aber abgesehen davon ... War diese unerklärliche Anziehungskraft zwischen ihnen mehr als ein instinktives Spüren der Blutsverwandtschaft? Außerdem war die Frau, die Keane: zu der-Opernaufführung begleitet hatte sicher seine Freundin. Eine seltsame Hitze durchflutete Lecia, und sie blickte aus dem Fenster; Keane lenkte den Wagen auf den Parkplatz eines Restaurants, das auf halber Höhe eines kleinen Vulkankegels lag. „Wir werden uns daran gewöhnen, uns im anderen wieder zu erkennen", sagte Keane zuversichtlich. Also wollte er die Verbindung aufrechterhalten „Das werde ich wohl nie", widersprach Lecia. Als sie zu ihrem Tisch geführt wurden, vom dem aus sie über die Stadt und das Meer blicken konnten, fragte Keane lächelnd: „Wie haben Sie sich entschieden, Lecia?" „Bezüglich welcher Angelegenheit?" Er sah ihr in die Augen. „Sie schienen zwei Möglichkeiten zu erwägen, die Ihnen beide nicht gefielen." Das Tageslicht wurde schwächer, und die Dunkelheit brach rasch herein. Lecia wandte sich ab und gab vor» das Panorama zu betrachten. Sie konnte die satten Farben der Bougainvilleen, die ein Gitter überrankten gerade noch erkennen. Wenige Augenblicke später beherrschte das Lichtermeer des Hafens die Szene, und die hereinb rechende Nacht ließ die Farben verblassen. „Es hat mir nicht gefallen, dass Sie so einfach vorausgesetzt haben, ich würde mit Ihnen essen gehen. Ich möchte vorher gefragt werden." Keane zog eine Braue hoch. „Aber unter Verwandten ..." Als Lecia heftig den Kopf schüttelte, kniff er die Augen zusammen und erklärte: „Nein, ich fühle mich auch nicht mit Ihnen verwandt." Ehe Lecia darauf eingehen konnte, wechselte er das Thema. „Sagen Sie, müssen Sie jedem Vorarbeiter auf dem Bau beweisen, dass Sie einen Nagel gerade einschlagen können?" „Nur den unverbesserlichen Machos." Lecia ließ den Blick über die Kristallvase mit limonengrünen Zinnien und Gypsophila in der Mitte des Tisches, das glänzende Silberbesteck, die weiße Serviette auf ihrem Schoß und ihre gefalteten Hände schweifen. . Schließlich bemerkte Keane: „Das ist in Ihrer Branche offenbar verbreitet." Plötzlich schien alles wie in Zeitlupe abzulaufen. Etwas zu laut erwiderte Lecia: „Es gibt
immer noch viele Männer - und nicht nur auf Baustellen -, die glauben, Frauen hätten keine Ahnung von technischen Dingen. Dazu kommt, dass viele Bauherren Architekten sowieso nicht trauen." „Aber Sie kommen mit ihnen zurecht." „Ich verstehe mein Handwerk", erklärte Lecia ironisch lächelnd. „Und die meisten merken das schnell. Bei den anderen muss ich eben nachhelfen." Keanes leises Lachen ließ ihr Herz rascher schlagen. „Dann fahren Sie massive Geschütze auf." „Ich muss mich schließlich durchsetzen", verteidigte Lecia sich. „Wie steht's denn bei Ihnen in der Firma? Gibt es bei Ihnen Frauen in Führungspositionen?" „Aber sicher. Mich interessiert lediglich, ob eine Frau der Aufgabe gewachsen ist." Lecia hielt Keanes Blick stand. „Und was' ist, wenn das Kind einer solchen Frau krank wird?" Er zog die Brauen hoch. „Dann lassen einige sich Arbeit nach Hause schicken. Andere beauftragen eine Firmenkrankenschwester. Wir haben verschiedene Einrichtungen, die den jeweiligen Erfordernissen gerecht werden." „Sehr fortschrittlich", lobte Lecia. Keane zuckte die Schultern und sagt e: „Ich leite ein gewinn bringendes Unternehmen. Das bedeutet auch, dass ich den Bedürfnissen des modernen Lebens Rechnung tragen muss. Heutzutage sind die meisten Frauen berufstätig, und die Wirtschaft muss sich auf sie und ihre Situation einstellen. Das gleiche gilt für die Männer. Die Zeiten sind vorbei, als die Unternehmensleitungen von ihren Mitarbeitern erwarteten, die Arbeit vor die Familie zu stellen. Ich selbst arbeite nicht bis in die Nacht hinein - also darf ich das von meinen Mitarbeitern auch nicht verlangen." „Aber geht das nicht auf Kosten der Leistung?" „Ich bin der Ansicht, dass jemand, der länger als acht Stunden am Tag arbeitet, entweder überfordert ist - in diesem Fall stellen wir eine zusätzliche Kraft ein - oder den Anforderungen nicht gewachsen ist. Wir versuchen dann, dem Mitarbeiter zu helfen. Wenn seine Leistung sich auf die Dauer jedoch nicht bessert, können wir ihn nicht behalten." Fortschrittliche Ideen, sicher. Trotzdem war Keane Pagets Firma sicher alles andere als ein Wohlfahrtsinstitut. Nachdem sie bestellt hatten, unterhielten sie sich über allgemeine geschäftliche Belange. Während Keane von seiner Firmengruppe berichtete, merkte Lecia dass er bei aller Dynamik und Geistesschärfe auch Einfühlungsvermögen und Mitgefühl besaß. Keane Paget war kein Mann, der sich von anderen ausnutzen ließ. Aber er schien ein angenehmer Arbeitgeber zu sein, der seinen Untergebenen viel abverlangte, sie jedoch gleichzeitig gelten ließ und als Sozialpartner achtete. Schließlich kam Lecia auf die Generatoren zu sprechen, die sein Unternehmen herstellte. „Für diese Filter interessiere ich mich beruflich. Ich habe durch einen Artikel, den jemand aus dem Freundeskreis mir zugeschickt hat, von Ihrer Firma erfahren." „Der Freund, der Ihnen im Domain das Eis überreicht hat?" Keane lächelte herausfordernd. „Der Mann, der Sie geküsst hat?" „Hat er das?" Lecia gab sich gleichmütig. „Daran erinnere ich mich nicht. Aber nein, es war nicht Peter! Andrea, die Rothaarige, die bei mir war, hat mir den Artikel gefaxt." „Ach ja, ich erinnere mich an sie. Sehr attraktiv." Gelassen setzte Keane hinzu: „Ist der Eiskremspender Ihr Liebhaber?" Zuckersüß erwiderte Lecia: „Das hätte Ihr Detektiv doch herausfinden müssen." In Keanes blauen Augen blitzte es auf. „Soweit er feststellen konnte, sind Sie nicht iii festen Händen." Sein Ton veränderte sich. „Oder ist das falsch?" „Nein", musste Lecia zugeben. „Aber dieser Peter bemüht sich um Sie?" „Ist die Dame, die Sie im Park begleitet hat, Ihre Geliebte?" Entsetzt über sich, fügte
Lecia hastig hinzu: „Das will ich natürlich gar nicht wissen. Und ich werde Ihnen auch nicht verraten ..." Lächelnd unterbrach Keane sie: „Nein. Sie ist nicht meine Geliebte und war es auch nicht." „Ich möchte darüber nicht mehr sprechen", erklärte Lecia steif. Keane nickte. „In Ordnung. Und worüber möchten Sie reden?" Lecia nannte das erstbeste, was ihr einfiel. „Erzählen Sie mir mehr über Ihre Generatoren und wie Sie dazu gekommen sind, sie zu bauen." Ein amüsiertes Lächeln umspielte Keanes Lippen, doch er erklärte sachlich: „Sie reinigen Wasser - in Schwimmbecken und Kuranlagen zum Beispiel. Außerdem beseitigen sie durch Wasser übertragene Pflanzenkrankheiten und werden deshalb bei vielen Erntevorgängen eingesetzt. Und sie filtern Bakterien, Eisenpartikel und andere Verschmutzungsstoffe aus dem Trinkwasser." „Der Journalist, der den Artikel geschrieben hat, war voll des Lobes für das Produkt und Ihre Strategie", berichtete Lecia. Keane hob sein Glas und betrachtete sie einen Augenblick, ehe er einen Schluck trank. „Wir sind kein Einmannbetrieb. Das Marketingteam leistet ausgezeichnete Arbeit." „Die Forschungs- und Produktionsleute ebenfalls. Sie exportieren auch, nicht wahr?" „Mehr nebenbei", räumte Keane ein. „Sie fachsimpeln beim Essen, Lecia." Sie lehnte sich zurück und sah ihn an. „Entschuldigung." Keanes Augen funkelten. „Ich finde es sehr interessant und anregend, mich mit Ihnen zu unterhalten." Ein hübsches Kompliment. Doch Lecia wusste nicht recht, wie sie es einordnen sollte". „Danke", sagte sie deshalb nur und fragte sich, was hinter Keanes Stirn vorgehen mochte. Zum Glück wurde in diesem Augenblick das Essen serviert, so dass Lecia Zeit blieb, sich wieder zu fangen. Während sie aßen, erkundigte Keane sich nach ihrer Familie. Lecia brachte ihn mit einigen haarsträubenden Episoden zum Lachen und genoss das Menü und ein Glas Wein. Dennoch waren ihre Sinne ganz auf Keane ausgerichtet, so dass sie die Dinge um sich her nur schemenhaft wahrnahm. Erst gegen Mitternacht verließen Keane und Lecia das Lokal. „Erstaunlich, dass um diese Zeit noch so viel Verkehr herrscht", bemerkte sie, als Keane auf die Autobahn fuhr. „Höre ich da leise Wehmut des Mädchens aus Gisborne mitschwingen?" neckte Keane sie. „Ja, das mag sein." Lecia lächelte schwach. „Ich erinnere mich noch, wie überrascht ich war, als ich herkam und selbst um Mitternacht noch so viele Leute unterwegs waren." Keane lachte leise. „Und jetzt gehören Sie ganz dazu." „Trotzdem mag ich das Leben auf dem Land und fahre im Urlaub meist nach Hause", verriet Lecia. „Bald fliege ich wieder für drei Wochen nach Australien." Während sie über das Pazifiknachbarland sprachen, das Keane oft bereiste, stellte Lecia fest, dass er ein ausgezeichneter und sicherer Fahrer war. Schweigend lehnte sie sich zurück und betrachtete sein markantes Profil. Ein plötzlicher scharfer Ausruf von ihm ließ Lecia auffahren. Bei einem Wagen vor ihnen sah sie Bremslichter aufleuchten, und im nächsten Augenblick prallte das Fahrzeug krachend auf ein anderes. „Um Himmels willen!" stöhnte Lecia, als sich das zweite Auto sofort in einen Feuerball verwandelte. „Nehmen Sie die Stablampe aus dem Handschuhfach, und geben Sie dem nachfolgenden Verkehr Warnzeichen!" rief Keane ihr zu. „Aber vorsichtig - einige Fahrer sind möglicherweise angetrunken." Er lenkte den Wagen auf die Standspur, sprang heraus und riss einen Feuerlöscher aus dem Kofferraum, um damit zur Unfallstelle zu stürzen. Im Laufen warnte er Lecia: „Bleiben Sie, wo Sie sind! Kommen Sie mir auf keinen Fall nach!"
Sie verlor kostbare Sekunden mit der Suche nach der Stablampe, dann verließ sie ebenfalls den Wagen. Vor Lecia ertönten Schreie, die ihr durch und durch gingen, doch sie schwenkte die Lampe mit großen, kreisenden Bewegungen. Einige Wagen fuhren langsamer, mehrere hielten an. „Was ist passiert? Was ist los?" rief eine Beifahrerin und stieß die Wagentür auf. „Da vorn sind zwei Wagen ineinander verkeilt!" „Ich bin Ärztin und werde sehen, was ich tun kann ..." Die Frau hastete bereits über die Fahrbahn. Ein Mann tauchte aus der Dunkelheit auf. „Geben Sie her!" befahl er und nahm Lecia die Stablampe ab. „Wir müssen einen Streifen für die Unfallwagen freihalten." Schon stürmte er davon und begann, den Verkehr auf zwei Streifen umzuleiten. Bremsen kreischten, die Wagen fuhren langsamer, hinter den Fenstern wurden verschwommen Gesichter erkennbar, die von den rötlichen Flammen der Unfallstelle erhellt wurden. Von gellenden Schreien angezogen, hastete Lecia auf den brennenden Wagen zu. : Jemand rief: „Nein! Bleiben Sie weg!" und riss sie mit einem schmerzhaften Ruck am Arm zurück. „Der andere Wagen könnte auch explodieren", erklärte der Marin, der Lecia festhielt -eine dunkle Gestalt, die sie gegen den zuckenden Feuerball nur umrißhaft erkennen konnte. „Wo ist Keane?" Lecia versuchte sich zu befreien. „Lady, bleiben Sie hier!" Der Mann atmete schwer, gab sie jedoch nicht frei. „Donnerwetter! Die haben Mumm! Mich würden dort keine zehn Pferde hinbekommen." Mit schreckgeweiteten Augen beobachtete Lecia die beiden Männer, die sich an den brennenden Wagen heranwagten. Einer richtete einen kleinen Feuerlöscher auf das Inferno, der andere schien selbst fast in Flammen zu stehen und versuchte, etwas aus dem Auto zu zerren. Lecia schrie auf, als sie erkannte, dass es Keane war. „Nein!" Der Mann, der sie gepackt hatte, verstärkte den Griff um ihren Arm. „Sie würden alles nur noch schlimmer machen!" Da hatte er recht. Am ganzen Körper bebend, wurde Lecia klar, dass Keane nicht die Absicht hatte aufzugeben. Die Flammenglut lohte ihr entgegen, und die schrillen, qualvollen Schreie aus dem Wagen :wurden immer verzweifelter. Keane arbeitete fieberhaft ... die flackernden Flammen verliehen ihm ein fast dämonisches Aussehen. Um Himmels willen, hatte seine Kleidung auch Feuer gefangen..? Nein, Gott sei Dank ... Als der Feuerlöscher den Geist aufgab, schleuderte der Mann ihn weit weg und beugte sich zusammen mit Keane vor, so dass die Umrisse der beiden Männer miteinander verschmolzen, während sie gemeinsam arbeiteten. Verzweifelt schluchzend versuchte Lecia, durch das starke Hitzeflimmern und die dichten Rauchwolken etwas zu erkennen. Plötzlich hörten die Schreie auf. Der zweite Mann sprang zurück. Lecia war, als würde ihr Herz stehen bleiben, als Keane einen leblosen Körper aus dem Wagen zog und von der Brandstelle wegschleppte. Angstvoll verfolgte Lecia, wie er die Bürde rasch an zwei herbeieilende Männer weiterreichte, um sich erneut der Flammenhölle zuzuwenden. „Nein!',' schrie Lecia. „Nein, Keane ..." Er bewegte sich so schnell, dass kaum zu sehen war, was er tat, doch als er gebückt vom Wagen weghastete, erkannte Lecia, dass er etwas trug - ein Kind! Menschen begannen vorwärtszudrängen, wurden jedoch plötzlich von einer dumpfen Explosion gestoppt, die Lecia unter den Füßen spürte. Beide Fahrzeuge wurden von einem Feuerball verschlungen. Als Keane und die Männer, die den Erwachsenen trugen, sich vom Feuerherd zurückzogen, hielt Lecia sich den Mund zu, weil sie unkontrolliert zu schreien begonnen hatte. Sie riss sich von ihrem Bewacher los und stürzte auf Keane zu. „Raus aus dem Flammenbereich!" befahl er.
Sein Ton war so gebieterisch, dass die Umstehenden, die die Explosion in fasziniertem Entsetzen mit angesehen hatten, sich aus ihrer Erstarrung lösten und herbeieilten, einige, um den halbbetäubten Männern zu helfen, andere, um den leblosen Körper aufzuheben und ihn zum Straßenrand zu tragen. „Weiter weg!" wies Keane sie an. „Die Straße brennt!" Jetzt brach die Hölle aus. Während sich ihr der ätzende Gestank von brennendem Teer und Benzin auf die Lunge legte, bahnte Lecia sich einen Weg zwischen der Menge hindurch zu Keane. „Sind Sie verletzt?" rief sie keuchend. „Kleine Verbrennungen", wehrte er heiser ab. ,,Nichts Ernstes." Lecia sah ihn prüfend an und .nahm das Stimmengewirr um sich her nur bruchstückhaft wahr. „Unglaublich tapfer..." „Hätten selbst umkommen können ..." „Echte Helden ..." „Hätte nicht gedacht, dass aus dem Wagen überhaupt noch jemand gerettet werden könnte, geschweige denn zwei!" Überglücklich, dass Keane wie durch ein Wunder kaum verletzt war, beugte Lecia sich über das Kind in seinen Armen, einen kleinen Jungen im Pyjama, der angstvoll strampelte und schrie. Die Ärztin, die Lecia vorher gesehen hatte, eilte herbei. „Lassen Sie mich das Kind untersuchen", sagte sie. Dazu brauchte sie fünf Minuten, während Keane den Kleinen erstaunlich sanft hielt; Schließlich erklärte die Ärztin: ,,Er hat Glück gehabt und nur leichte Verbrennungen abbekommen. Und wie steht's mit Ihnen?" „Ich halte ihn", erbot Lecia sich und nahm Keane den Jungen ab. .Das Kind hielt sich steif, dann drehte es den Kopf weg und begann zu wimmern, während die Ärztin sich Keanes Hände besah. „Sie müssen zum Arzt", entschied sie. „Aber Sie hatten Glück." Sie übernahm das Kind. „Der Krankenwagen ist unterwegs." Über die Schulter hinweg sagte sie zu Keane: „Vermutlich stehen Sie unter Schock. Setzen Sie sich erst wieder ans Steuer, nachdem ein anderer Arzt Sie gründlich untersucht hat." Mit einer Stimme, die Lecia kaum als ihre erkannte, fragte sie: „Waren noch mehr Leute in den Wagen?" „Der Fahrer im vorderen Wagen, der den ganzen Schlamassel verursacht hat, ist davongekommen", erwiderte Keane mit ausdrucksloser Stimme. „Ich habe gesehen, wie er die Fahrbahn entlangrannte. Die beiden, die vorn im zweiten Wagen saßen, sind tot." Sirenengeheul kündigte an, dass Hilfe nahte. In Sekundenschnelle waren Rettungskräfte da, zwei Feuerwehrleute, die Ambulanzmannschaft und die Polizei. Lecia wartete neben Keane. Während sie am ganzen Körper bebte, ging von Keane eine unheimliche Ruhe aus. In knappen, präzisen Worten schilderte er den Polizeibeamten den Hergang des Unfalls. Lecia wurde übel, als er berichtete, wie er die Frau zu befreien versucht hatte, nachdem sein Helfer die Flammen mit dem Feuerlöscher etwas eingedämmt hatte. „Haben Sie Verbrennungen erlitten?" fragte eine Polizistin. „Nur leichte an Händen und Armen. Nichts Ernstes." Die Frau betrachtete Keane kritisch. „Es wäre besser, wenn Sie sie behandeln lassen würden. Auf keinen Fall sollten Sie sich ans Steuer setzen, Sir." „Ich fahre", entschied Lecia. „Und ich bringe ihn auch zum Arzt." Die Beamtin lächelte. „Richtig. Wir dürfen nicht riskieren, dass unsere Helden auf der Straße zusammenklappen. Danke für alles, was Sie getan haben, Sir. Wenn die Frau überlebt, steht sie tief in Ihrer Schuld." „Ich war nicht allein", wehrte Keane ab. „Nein, aber die Leute hier sagen, Sie seien als erster bei dem brennenden Wagen
gewesen, hätten die Tür auf gezwängt und die Frau aus dem Sicherheitsgurt befreit. Sie und der kleine Junge verdanken Ihnen ihr Leben. Gute Nacht, Sir." 'Sie blickte zu Lecia. „Bringen Sie Ihren Bruder unbedingt zu einer Notaufnahme", drängte sie, ehe sie ging. „Die Schlüssel, Keane." Lecia hielt ihm die Hand hin. Erstaunlicherweise widersprach er nicht. Lecia setzte sich ans Steuer und fuhr vorsichtig über die Autobahn weiter, nachdem ein Polizist sie an den Feuerwehrzügen vorbeigeschleust hatte. „Ich wohne an der North Shore", sagte Keane. „Wenn Sie mich dorthin bringen könnten, rufe ich Ihnen ein Taxi für die Rückfahrt nach Hause."' Lecia hatte geahnt, dass er so reagieren würde. „Erst bringe ich Sie ins Krankenhaus. Ihnen fällt kein Zacken aus der Krone, wenn ..." „Das ist es nicht", unterbrach Keane sie und holte ein Handy aus dem Handschuhfach. „Ich lasse die Verbrennungen Unterwegs von einem Freund begutachten. Geoff? Ja, ich weiß, wie spät es ist. Hatte einen kleinen Unfall auf der Autobahn ... nein, nichts Ernstes, sonst würde ich dich wohl kaum anrufen, oder?" Ohne Worte zu verschwenden, berichtete er dem Freund, was geschehen war. „Kleine Verbrennungen an Händen und Armen''» sagte er schließlich. „Nein, ich fahre nicht. Bis gleich." Sobald sie die Hafenbrücke überquert hatten, dirigierte er Lecia durch die ruhigen Vororte der North Shore zur Praxis seines Freundes, die sich in seinem Haus befand. Als Lecia den Motor ausschaltete, kam Geoff ihnen schon entgegen. Er war ein großer, wuchtiger Mann, der Lecia im ersten Moment überrascht ansah. Er fragt sich wahrscheinlich, ob Keanes Vater eine Geliebte hatte, überlegte Lecia grimmig, während Keane sie miteinander bekannt machte. „Freut mich, Sie kennen zu lernen." Geoffrey Brown schüttelte Lecia die Hand. „Tja, mein Lieber, dann wollen wir mal sehen, wie's um dich steht." Lecia hatte erwartet, ins Wartezimmer verbannt zu werden, doch der Arzt winkte ihr. „Nein, kommen Sie nur mit", erklärte er und ging voran. „Jemand muss mir schließlich berichten, was wirklich passiert ist." „Das kann Keane doch tun", erwiderte Lecia, die sich überflüssig vorkam. „Keane wird mir nur das Allernotwendigste erzählen." Sein Freund schmunzelte. „Schon in der Schule hielt er gern mit allem hinterm Berg. Setz dich, mein Lieber, damit ich dich unter die Lupe nehmen kann." Geoffrey Brown stellte sich so, dass er sich zwischen Lecia und Keane befand. „Keane ist der Held", sagte sie. „Ich habe nur eine Stablampe geschwenkt und den Verkehr aufzuhalten versucht." „Eine lebenswichtige Aufgabe." Der Arzt untersuchte Keanes Arme. „Na ja, das ist nicht allzu schlimm." Lecia ging um ihn herum. Beim Anblick der Verbrennungen hielt sie unwillkürlich den Atem an. Trocken bemerkte Geoff: „Du hast schon immer höllisches Glück gehabt, mein lieber Keane. Das wird zwei, drei Tage ganz schön brennen, aber Narben werden nicht zurückbleiben. Für alle Fälle gebe ich dir eine Spritze, um Infektionen vorzubeugen. Die Verbrennungen an den Händen sind etwas ernster, aber auch da brauchst du dir keine Sorgen zu machen." „Hab" ich doch gleich gesagt", sagte Keane. „Und wie immer hast du recht. Das ist ja das Schreckliche an dir." Geoff plauderte über belanglose Dinge, während er Keane verarztete. „Ein Glück, dass du zufällig einen Feuerlöscher dabeihattest", meinte der Arzt, nachdem er fertig war. „Sonst hättest du keine Chance gehabt." „Mit Glück hat das nichts zu tun", erwiderte Keane ruhig. „Den habe ich immer im Wagen."
Stirnrunzelnd blickte der Arzt auf und begegnete Keanes Blick. „Ja, natürlich. Schon gut, ich werde Lecia nicht dazu bringen, mir von deinen Heldentaten zu erzählen. Also hör auf, mich so anzusehen. Ich gebe dir ein Beruhigungsmittel, das du besser nehmen solltest." „Nein." Keanes scharfer Ton ließ Lecia aufmerken. „Das ist kein Eingeständnis von Schwäche." Der Arzt drehte den Wasserhahn auf und füllte ein Glas. „Trink das, mein Lieber. Deine Kehle muss ja völlig trocken sein." Keane leerte das Glas, dann stellte er es ab und stand auf. „Ich brauche kein Beruhigungsmittel. Am besten, ich rufe von hier ein Taxi, das mich zu Haus absetzen und Lecia danach heimbringen kann. Sie sollte jetzt besser auch nicht fahren. " Nun mischte Lecia sich ein. „Es macht mir nichts aus, Sie nach Hause zu bringen, Keane. Dann brauchen Sie Ihren Wagen hier morgen nicht abzuholen." Geoffrey Brown drehte sich zu Lecia um und betrachtete sie prüfend. „Ihr scheint es gut zu gehen. Fühlen Sie sich benommen?" „Überhaupt nicht", versicherte sie. „Dann kann sie fahren", entschied der Arzt und begleitete sie hinaus. „Ich darf von hier nicht verschwinden, weil Susan ausgegangen ist und ich Babysitter spielen muss. Wenn Sie zu Keane kommen, Lecia, kochen Sie Tee und trinken ihn stark gesüßt, ehe Sie das Taxi bestellen." Keanes blaue Augen waren dunkel und unergründlich. „Gut", sagte er einsilbig. „Danke, Geoff." „Nicht der Rede wert." Während Keane in den Wagen stieg, hielt sein Freund Lecia kurz zurück und flüsterte ihr zu: „Bleiben Sie bei ihm. Er braucht jetzt jemanden. Und achten Sie darauf, dass er auch Tee trinkt. Mit viel Zucker oder Honig."
4.KAPITEL
Keanes Haus lag am Ende einer langen Auffahrt auf der Seeseite der Straße mit Blick auf die Meerenge, und in der Ferne konnte man die hügeligen Umrisse der Insel Rangitoto erkennen. Keane öffnete die Garage über Fernsteuerung, woraufhin die Beleuchtung sich automatisch einschaltete. Lecia fuhr durch das Tor, das sich hinter ihnen schloss, nachdem sie den Motor ausgeschaltet hatte und ausgestiegen war. „Kommen Sie mit hinein", sagte Keane, der bis auf knappe Weghinweise während der Fahrt geschwiegen hatte. Lecia warf ihm einen forschenden Blick zu und beobachtete, wie er den Wagen verließ. Obwohl Keanes Miene keine Regung zeigte, spürte Lecia, dass er angespannt und innerlich aufgewühlt war. Nachwirkungen des Schocks, dachte sie und folgte Keane in die Diele. Er deutete auf eine Tür, durch die sie eine blitzende, modern eingerichtete Küche betraten. „Hübsch", stellte Lecia fest. „Wer hat das Haus entworfen?" Erst nach einigem Nachdenken fiel Keane der Name des Architekten ein. Lecia nickte. „Ja, er ist gut. Und ich könnte wetten, dass Nancy Everard diese Küche entworfen hat." „Richtig." Keane ging zum Telefon. Ohne zu fragen, füllte Lecia den Wasserkessel und stellte ihn auf. „Befolgen Sie alle Anweisungen sklavisch genau?" fragte Keane scharf und zog die Hand wieder vom Telefon zurück. „Immer - jedenfalls wenn sie vom Arzt kommen. Außerdem würde ich gern eine Tasse Tee trinken, falls Ihnen das recht ist." Üamit hatte Lecia einen triftigen Grund zu bleiben, wie der Arzt ihr geraten hatte. „Natürlich", erwiderte Keane kurz angebunden. Er konnte es offenbar kaum erwarten, sie loszuwerden. Dennoch war Lecia entschlossen, dafür zu sorgen, dass er etwas Heißes trank. Sie suchte Teekanne und Tassen, Zuckerschale, Milch und Löffel zusammen und stellte alles auf das Tablett, das Keane ihr hinschob. Er erhob keine Einwände mehr, sondern sah ihr nur mit ausdrucksloser Miene zu. Nachdem Lecia den Tee aufgebrüht hatte, nahm sie das Tablett auf. „Wohin?" Keane deutete auf eine Tür. „Dort hinein." Der Salon hatte keine Vorhänge, war geräumig und elegant. Vor den Fenstern breitete sich ein Garten mit vom Mondlicht silbrig überzogenen Büschen und einem Swimmingpool aus, dessen glitzernde Oberfläche mit dem Meer dahinter zu verschmelzen schien. Als Keane die Beleuchtung einschalten wollte, bat Lecia: „Bitte, nicht. Der Blick ist traumhaft." „Sehen Sie denn genug, um einschenken zu können?" Keane wartete, bis Lecia sich gesetzt hatte, ehe er neben ihrem Sessel auf der Couch Platz nahm. „Nachts kann ich ausgesprochen gut sehen," Lecia schenkte Tee ein, gab zwei Teelöffel Zucker hinein und stellte die Tasse vor Keane auf den Couchtisch. Ruhig sagte Keane: „Ich nehme keinen Zucker in den Tee." „Heute schon!" Lecia gab sich betont unbekümmert. Sie war auf Widerspruch gefasst, doch Keane erwiderte nur: „Dann trinken Sie ihn auch süß." „Klar." Lecia rührte zwei Teelöffel Zucker in ihren Tee. Gefasst, doch mit warnendem Unterton erklärte Keane: „Normalerweise lasse ich mich nicht so leicht überrumpeln." Das glaubte Lecia ihm aufs Wort. „Manche Männer vergessen vor lauter Maehogehabe, dass sie auch nur Menschen wie alle anderen sind", bemerkte sie trocken. „Und Sie halten mich für einen Macho?" „Nein. Dafür sind Sie zu intelligent."
Schweigen breitete sich aus, bis Keane leise sagte: „Ich brauche keine Verwöhneinheiten, Lecia." . „Wenn Sie es als etwas Besonderes empfinden, eine Tasse Tee gekocht zu bekommen, haben Sie es sicher nicht leicht gehabt, Sie Ärmster. Verwöhnt werden ... das bedeutet Frühstück im Bett oder unter der Dusche den Rücken gewaschen zu bekommen." Warum musste ich ausgerechnet damit aufwarten? fragte Lecia sich ärgerlich. Keane lächelte, so dass seine Zähne in der Dunkelheit weiß aufblitzten, doch er sagte nichts. Folgsam nahm er die Tasse mit dem Unterteller auf, die Lecia vor ihn hingestellt hatte. Das Geschirr klirrte leise, und er setzte es mit einem Schmerze nslaut wieder ab. Mitfühlend fragte Lecia: „Machen die Verbrennungen Ihnen zu schaffen?" „Nicht sehr." „Das sind die Nachwirkungen des Schocks", erklärte sie betont sächlich. „Kein Wunder nach dem, was Sie heute Nacht durchgemacht haben. Der Zucker wird Ihnen helfen. Möchten Sie, dass ich Ihnen die Tasse halte?" Lecias Achtung vor Keane stieg, als er zähneknirschend erwiderte: „Bestimmt nicht! Aber wenn ich den Zucker zu mir nehmen soll, werden Sie es wohl tun müssen, sonst verschütte ich den Tee." Lecia ging um den Tisch und setzte sich zu Keane auf die Couch. Obwohl er sie nicht ansah, spürte sie, wie verspannt er war'. Behutsam hielt sie ihm die Tasse an die Lippen. Nachdem er getrunken hatte, stellte Lecia sie vorsichtig wieder auf den Unterteller. Wie die Fütterung eines Löwen, dachte Lecia. Geduldig hielt sie Keane die Tasse immer wieder hin, bis sie leer war. Endlich sagte er: „Meine Mutter ist durch einen Brand umgekommen - sie starb an den Folgen der Verbrennungen, die sie dabei erlitten hatte." Lecia war betroffen. „Das tut mir leid", sagte sie leise. „Da müssen bei Ihnen heute Nacht schreckliche Erinnerungen wach geworden sein." „Ja." Keane schwieg lange, ehe er wieder sprach. „Sie hatte eine Kerze umgestoßen, und ihre Kleidung fing Feuer. Ich bin von ihren Schreien aufgewacht und hörte Männerstimmen, während sie die Treppe hinaufrannte. Sie konnten sie erst einholen, als sie vor meiner Tür angekommen war und sie aufriss. Ich dachte, ich hätte einen Alptraum." Sanft legte Lecia ihre Hand auf Keanes. Er hatte bis jetzt reglos dagesessen, umfasste nun aber ihre Hand. Seine Haut war eiskalt. „Als die Frau heute Abend zu schreien anfing, hatte ich das Bild wieder vor mir. Nicht, dass ich es je vergessen könnte, aber die meiste Zeit verdränge ich es. Ich höre meine Mutter immer noch ... diese qualvollen Schreie. Ihre Kleidung brannte ... und das Haar ...". Lecia konnte sich nicht mehr zurückhalten. Spontan legte sie die Arme um Keane und drückte ihn an sich, so dass ihre Wangen sich berührten. Es war ihr wichtig, ihn zu wärmen, ihn spüren zu lassen, dass sie mit ihm fühlte. Er schloss sie in die Arme und zog sie sich auf den Schoß. „Seltsamerweise erinnere ich mich sonst an nichts", fuhr er mit fast unbeteiligt klingender Stimme fort. „Ich weiß, dass mein Vater sie in Decken von meinem Bett gehüllt hat und dass sie monatelang im Krankenhaus gelegen hat, ehe sie gestorben ist... aber diese Zeit ist in meiner Erinnerung wie ausgelöscht. Mein Onkel und meine Tante haben mich damals zu sieh genommen, wohl, um mich von allem fernzuhalten." Doch den letzten Anblick seiner Mutter würde er nie vergessen. „Schon gut", flüsterte Lecia, weil ihr die richtigen Trostworte fehlten. „Es ist vorbei, Keane ..." Wie lange sie sich so umfangen hielten, hätte sie nicht sagen können. Lange genug jedoch, dass sie den würzigen Duft wahrnehmen konnte, der zu Keane gehörte - lange genug, dass ihr bewusst werden konnte, dass sie nie vergessen würde, wie es war, diesen starken Mann zu umarmen. Sie sprachen kein Wort und rührten sich nic ht. Engumschlungen saßen sie in dem dunklen
Raum und lauschten dem Herzschlag des anderen. Als Lecia erwachte, waren ihre Glieder so steif, dass sie sich gähnend reckte. Undeutlich wurde ihr bewusst, dass sie auf etwas Warmem lag ... das atmete. Sie versuc hte sich zu erinnern, wo sie war. Ihr Herz schlug rascher, als sie das ruhige Poehen eines anderen Pulses an ihrem Ohr spürte. Vorsichtig öffnete sie die Augen. Sie und Keane lagen der Länge nach auf dem Sofa; den Kopf auf ein Kissen gebettet. Irgendwann in der Nacht musste sie ihre Lage verändert haben, denn sie ruhte zwischen Keane und der Couchlehne. Mit dem Gesicht berührte sie seinen Hals; kraftvolle Finger umfingen ihre Hüfte. Lecia wagte kaum zu atmen und überlegte. Kletterte sie über Keane hinweg, würde sie ihn wecken ... Die Entscheidung wurde ihr jedoch abgenommen, denn er erwachte und blickte sie mit zusammengekniffenen Augen aufeine Weise an, die sie erschauern ließ. „Mir ist das Bein eingeschlafen", erklärte Lecia betont unbekümmert. Der Ausdruck in Keanes Augen verschwand. „Was tun Sie denn hier?" „Dasselbe wie Sie, würde ich sagen. Das ist der verrückteste Morgen, den ich je erlebt habe." Keanes Griff um ihrer Hüfte verstärkte sich, um sich dann zu lockern. Rau sagte er: „Ich stehe auf." Obwohl er auf seine verbrannten Hände achtgeben musste, erhob er sich erstaunlich geschmeidig. Hastig folgte Lecia seinem Beispiel. ' „Meine Güte!" Sie stemmte die Hände ins Kreuz und drückte es stöhnend durch, „ich werde wohl nie mehr gerade gehen können." Keane war zum Fenster gegangen und drehte sich zu Lecia um. Forschend betrachtete er sie, dann bemerkte er ironisch: „Was wir getan haben, war reichlich unvernünftig. Ich rufe Ihnen ein Taxi, das Sie nach Hause bringt." Er schlenderte zur Tür, blieb jedoch kurz stehen und setzte höflich kühl hinzu: ,;Hinter der ersten Tür links ist das Bad. Im Schrank finden Sie Ersatzzahnbürsten und Kämme. Und Handtücher, falls Sie duschen möchten.''. Falls? Lecia wünschte sich nichts sehnlicher. Dennoch blieb sie einige Augenblicke am Fenster stehen und bewunderte die geniale Planung des Architekten, der den Pool so angelegt hatte, dass er ins Meer überzugehen schien, obwohl er sich gut sieben Meter über dem Strand befand. Überhaupt hatte Keane sich eigenwillige Fachleute ausgesucht. Eine heitere, exotische Stimmung lag über dem Garten. Das Haus war von dunkelgrünen, glänzenden Gardenyenbüschen umgeben, deren schwere weiße Blüten im Licht des beginnenden Tages wie Perlmutt schimmerten. Agaven bildeten mit ihrer schlichten Schönheit einen eindrucksvollen Kontrast zu den blauen Rosetten von Schmucklilien und silberstachligen Kakteen. Die ganze Anlage war streng und sparsam gestaltet -ein Männergarten. Und obwohl die Sonne gerade erst aufgegangen war, spürte man jetzt schon, dass es ein neuer schwülheißer Tag werden würde. Im Norden bildeten flache Hügelketten und Strande die East Coast Bays, die mit Häusern und Bäumen: übersät waren. Jenseits der sonnenüberfluteten Morgenlandschaft glitzerte friedlich das Meer, auf dem zwei Yachten langsam auf die Meerenge zuglitten. Lecia ließ das Bild eine Zeitlang auf sich wirken, ehe sie sich abwandte und ins Bad ging. Warm anmutender zartrosa italienischer Marmor beherrschte den Kaum, und wie in der Küche war an nichts gespart worden. Lecia duschte, schlüpfte wieder in ihre Sachen und kämmte sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Dann befreite sie eine neue Zahnbürste aus der Verpackung und bürstete sich die Zähne. Nachdem sie mehrmals tief durchgeatmet hatte, kehrte sie in den Salon zurück. „Das Taxi ist da." Keane schob gerade alle Glastüren auf, so dass die Vorderseite des
Hauses zum Meer hin offen war. Mit der frischen, salzhaltigen Luft strömte der Duft von Gardenien herein. „Danke." Lecia wandte sich der Tür zu. , „Lecia." Als sie stehen blieb, zögerte Keane einen Moment, ehe er sagte: „Danke." Sie zuckte nur die Schultern. „Das war doch selbstverständlich", erklärte sie ruhig. „Wie fühlen Sie sich?" „Bestens. Nachher kommt jemand herüber." Lächelnd wandte Lecia sich ab. „Gut. Dann gehe ich. Auf Wiedersehen." Keane begleitete sie zum Taxi und bezahlte den Fahrer, obwohl Lecia davon nichts wissen wollte. Als der Wagen über die mit blau blühenden Bleiwurzbüschen und Palmen gesäumte Auffahrt davonfuhr, hob Keane grüßend die verbundene Hand. Lecia winkte zurück, hielt den Kopf danach jedoch bewusst abgewandt. Sie verstand selbst nicht, warum sie plötzlich so enttäuscht war. Zu Hause zog Lecia sich um und aß eine Scheibe Avokadotoast, dann nahm sie den Kaffeebecher mit ans Reißbrett. Konzentriert arbeitete sie an Vorschlägen für ein Haus am Privatstrand einer der Golfinseln aus, das sie für einen wohlhabenden Geschäftsmann und seine zweite, halb so alte Ehefrau entwerfen sollte. Zwei Stunden später wurde sie durch das Klingeln des Telefons unterbrochen. Sie ging nicht an den Apparat, sah jedoch auf, als die Stimme von Keanes Großtante Sophie über den Anrufbeantworter ertönte. „Lecia, meine Liebe, ich glaube, ich habe einen Anhaltspunkt gefunden! Würden Sie Ihre, Mutter bitte fragen, ob Ihr Vater oder sonst jemand in der Familie je von Berkshire gesprochen hat?" , Lecia schloss die Augen. Falls ein Vorfahre von ihr das uneheliche Kind eines Paget gewesen war, konnten Keane Und sie Verwandte vierten oder fünften Grades sein! Doch Keanes Verhalten am Morgen nach zu schließen, würde er Tante Sophie rasch wieder davon abbringen, ihre Nachforschungen fortzusetzen. Seufzend öffnete Lecia die Augen wieder und blickte auf ihre Skizzen. Keane hatte sie so seltsam angesehen, als er in ihren Armen erwacht war. Bereute er seine Geständnisse vom Abend? Empfand er sie als Zeichen von Schwäche? Energisch verbannte Lecia den Gedanken ah Keane und die Nacht mit ihm. Sie durfte nicht zulassen, dass er sie von der Arbeit ablenkte und zu Phantasieflügen verleitete, die zu nichts führten. Am Nachmittag rief Lecia ihre Mutter an. Nach der üblichen herzlichen Begrüßung erkundigte Lecia sich nach der Familie ihres Vaters. „Ich erinnere, mich nur an wenig", erwiderte ihre Mutter nachdenklich. „Was genau möchtest du denn wissen?" Lecia erläuterte es ihr. „Sehr- merkwürdig." Die Stimme ihrer Mutter klang plötzlich flach. „Wie, sagtest du, heißt dieser Mann?" „Keane Paget." „Hm ..." Der Name schien ihrer Mutter nichts zu sagen. „Ich habe keine Ahnung, ob es zwischen den Springs und Berkshire irgendeine Verbindung gegeben hat. Aber ich könnte dir die Geburtsurkunde deines Vaters und eine Kopie unserer Heiratsurkunde zuschicken, wenn du glaubst, dass sie Mrs. Warburton weiterhilft." „Bestimmt", versicherte Lecia trocken. „Sie wird sich freuen, weitere Spuren unter die Lupe nehmen zu können." „Was Keane Paget betrifft ... seht ihr euch wirklich so ähnlich?" „Verblüffend. Die gleiche lange Nase, die gleiche Augen- und Brauenform. Sogar das gleiche Grübchen am Kinn. Natürlich sind seine Gesichtszüge markanter ... männlicher ..." Lecia beschrieb Keane in allen Einzelheiten. „Man könnte uns für Bruder und Schwester halten. Und Mrs. Warburton, Keanes Großtante, sieht wie eine ältere Ausgabe von uns
beiden aus." „Sehr merkwürdig", wiederholte ihre Mutter befremdet. „Da scheint tatsächlich eine Verwandtschaft zu bestehen ..." „Wir sehen beide wie unsere Väter aus." „Würde mich interessieren, was Mrs. Warburton herausdefiniert", gestand ihre Mutter. Dann erinnerte sie Lecia an die bevorstehende Feier des sechzigsten Hochzeitstags der Eltern, ihr res Stiefvaters. „Natürlich komme ich." Die Familie ihres Stiefvaters hatte Lecia voller Liebe und Zuneigung aufgenommen, und sie hing sehr an ihr. Schon jetzt freute sie sich auf das große Familientreffen. „Wir sehen dich also am Wochenende. Könntest du nicht etwas länger bleiben?" „Zur Zeit leider nicht, Mum. Die Geschäfte laufen zu gut." „Hast du immer noch vor, nach Australien zu fliegen?" „Ja. Ich habe meine Terminplanung so abgestellt, dass ich es mir leisten kann, drei Wochen wegzubleiben." Ihre Mutter seufzte. „Ich weiß, dass du auf dich selbst aufpassen kannst, aber mir wäre trotzdem wohler, wenn jemand dich begleiten würde." „Das weiß ich. Aber du warst ja noch viel jünger, als du nach..." „Da war eine Freundin mit von der Partie", unterbrach ihre Mutter sie, doch ihr Ton verriet, dass sie lächelte. „Also gut, Liebes. Du weißt sicher, was du tust. Bis bald." Spätabends ging Lecia ihre Papiere durch und suchte ihre Geburtsurkunde heraus, um sie zu kopieren. Vielleicht entdeckte Tante Sophie darin einen Anhaltspunkt, der sie weiterbrachte. Wie Lecia erwartet hatte, rief Keane sie nicht an. Sie schickte ihm eine kurze Danksagung für die Einladung zum Abendessen, wünschte ihm gute Genesung und warf den Brief bedauernd, aber auch erleichtert in den Briefkasten. In den darauf folgenden schwülheißen Februartagen arbeitete Lecia intensiv, traf sich mit Freunden und schwamm im Meer. Janine Carpenter, die blutjunge blonde Frau des reichen Geschäftsmannes, war von Lecias Skizzen begeistert. „Wunderbar", strahlte sie, nachdem eine es ihr besonders angetan hatte. „Könnten Sie mir davon einen maßstabsgetreuen Aufriss anfertigen?" „Dazu müsste ich erst den Grundstücksplan mit den genauen Abmessungen sehen", klärte Lecia ihre mögliche Kundin auf. „Sonst male ich womöglich nur Luftschlösser." Janine nickte. „Die Vermessungsingenieure sind damit fast fertig. Aber wie war's, wenn Sie am Wochenende mit uns zur Insel rauskommen würden?" Lecia zog ihren Terminkalender zu Rate. „Gut." „Wir fahren mit der Yacht rüber." Janine lächelte zufrieden. „Seien Sie Samstag früh um neun im Westhafen." Sie beschrieb Lecia den Weg und sah zu, wie sie mitschrieb. „Wir zeigen Ihnen das Grundstück und verbringen einen schönen Tag auf dem Wasser." Also machte Lecia sich am Samstag mit Arbeitsutensilien, Strandsachen und Kamera ausgerüstet zum Yachthafen auf. Für alle Fälle hatte sie auch Tabletten gegen Seekrankheit eingesteckt, falls das Wetter verrückt spielen sollte. Doch danach sah es nicht aus. Kein Wölkchen stand am Himmel, was für Auckland selten war. Lecia freute sich auf einen schönen Tag und die gute Provision, die nun zum Greifen nahe war. Während sie an den Mastenwäldern vorbeisehlenderte und den schwirrenden Seemöwen, dem sanften Plätschern der Wellen an der Kaimauer lauschte, freute sie sich auf den vor ihr liegenden Sommertag und den Ausflug zu einem paradiesischen Ort. Am bezeichneten Schwimmponton angekommen, schlenderte Lecia darauf entlang und hielt nach einer großen weißen Yacht mit dem Namen „Lady Janine" Ausschau. Gut
fünfundzwanzig Meter vor ihr standen zwei Männer, die sich unterhielten. Lecia sah genauer hin und fuhr zusammen, als sie die große, breitschultrige Gestalt erkannte. Freudige Erwartung durchflutete sie, und alles in ihr erwachte zum Leben. „Hallo, sagte sie, als sie die beiden Männer erreicht hatte. Ihr Lächeln gefror jedoch, denn Keane drehte sich um und sah sie kühl an. „Hallo." Der ältere Mann, der Brian Carpenter sein musste, betrachtete bewundernd Lecias Be ine, ehe er ihr ins Gesicht sah. „Meine Güte!" Verblüfft blickte er von ihr zu Keane. „Wir haben noch nicht herausgefunden, inwiefern wir verwandt sind", erklärte Keane ruhig, „aber Tante Sophie ist auf einer heißen Spur." Höflich machte er Lecia mit seine m Gesprächspartner bekannt. Brian lachte schallend. „Sie wird's schon schaffen! Willkommen an Bord, Lecia. Janine ist unten in der Kombüse und verstaut die, Picknickvorräte. Sie wird Ihnen zeigen, wo Sie Ihre Sachen ablegen können." Er betrat die Kabine und rief nach seiner Frau, dann verschwand er vorn im Ruderhaus. Gleich darauf erschien Janine im Cockpit und blickte von Keane zu Lecia und wieder zu Keane. Lecia wusste im voraus, was sie sagen würde. „Sie könnten Zwillinge sein!" Um weitere Fragen vorwegzunehmen, sagte Keane amüsiert: „Ja, wir sehen uns sehr ähnlich, wissen aber nicht, ob wir verwandt sind. Wir haben noch nicht herausgefunden, ob da eine Verbindung besteht. Aber sobald wir etwas wissen, geben wir allen Bescheid." Lecia fühlte sich verpflichtet, etwas dazu zu bemerken. „Es wundert mich nicht, wenn die Leute überrascht sind. Man merkt doch gleich, dass wir miteinander verwandt sein müssen." „Das würde ich auch sagen." Janines Ton veranlasste Lecia, sich näher zu erklären. „Bei unseren Vätern gab es die gleiche Ähnlichkeit. Als Keane und ich uns zum ersten Mal gegenüberstanden, waren wir völlig schockiert." Janine lächelte. „Das kann ich mir denken." Sie warf Keane einen wissenden Blick zu, ehe sie Lecia aufforderte: „Kommen Sie. Ich zeige Ihne n, wo Sie Ihre Sachen lassen können."
5. KAPITEL
Die schnittige weiße Yacht war so groß und eindrucksvoll wie die Prunkschiffe im Hafen von Monte Carlo und mit jedem erdenklichen Luxus ausgestattet. Lecia, deren Stiefvater früher ein altes kleines Schiff besessen hatte, kam sich auf dem Schiff wie in einem Nobelpenthaus vor. Janine jedoch genoss die teuren Dinge und zeigte ihre Freude daran so offen wie ein Kind. Sie führte Lecia in eine der Kabinen, zeigte ihr das dazugehörige elegante Bad und erklärte dann: „Kommen Sie in den Salon herauf, wenn Sie soweit sind." Nachdem sie gegangen war, betrachtete Lecia unschlüssig ihr Spiegelbild. Die Freude über die unverhoffte Begegnung mit Keane war verschwunden, und sie fühlte sich in die Enge getrieben. Durch eine dumme Fügung des Schicksals war sie gezwungen, den Tag mit Keane zu verbringen, und das auch noch auf einem Schiff, Wo sie ihm kaum aus dem Weg gehen konnte! Plötzlich stutzte Lecia. Die Ähnlichkeit zwischen ihr und Keane hätte Janine eigentlich schon bei ihrer ersten Besprechung auffallen müssen! Damals hatte sie davon jedoch nichts erwähnt. Merkwürdig. Hatte Janine sie mit der Provision ködern wollen? Und wenn ja, warum? Hing das mit Keane zusammen? Nachdenklich verließ Lecia die Kabine und machte sich auf den Weg in den Salon, wo Janine ungeduldig wartete. Bei Lecias Anblick glättete sich ihre Miene. „Gehen wir ins Ruderhaus", schlug sie vor. „Wir legen ab." Das Ruderhaus lag einige Stufen höher als der Salon und verfügte über eine verwirrende Vielfalt von Navigationssystemen. Lecia setzte sich auf ein breites Polstersofa und sah zu, wie Brian Carpenter die Motoren anließ. Genau im richtigen Moment stieß Keane dann das Schiff vom Ponton ab. „Gut gemacht!" Unternehmungslustig lächelnd, steuerte Brian das Schiff aus dem Yachtbecken in den eigentlichen Hafen. Nach dem heutigen Tag darf ich Keane nicht wieder sehen, beschloss Lecia. Das wäre zu gefährlich! Bereits jetzt brachte sein bloßer Anblick sie völlig aus dem Gleichgewicht. Ihre Vorsätze verflogen wie Spreu im Wind, als Janine zu Brian ans Steuer ging und Keane sich zu Lecia setzte. „Wie geht es Ihnen?" fragte er höflich. „Bestens. Und Ihnen?" Sie blickte auf seine Hände. „Keine Narben", versicherte er. „Bei mir heilt alles schnell. Ich habe mich bei Ihnen noch gar nicht richtig für alles bedankt, was Sie für mich getan haben." „Doch, das haben Sie, keine Sorge." Lecia schlug einen unbekümmerten Ton an. „Betrachten Sie's als Beistand einer Kusine," „Kusine?" wiederholte Keane zögernd, „Wie auch immer, es war sehr freundlich von Ihnen. Was macht Ihr Rücken?" Es war nicht nett, sie an die Nacht auf der Couch zu erinnern. Lecias Lachen fiel etwas verkrampft aus. „Alles wieder in Ordnung. Und Ihrer?" „Auch. Kennen Sie Janine gut?" „Ich habe einmal mit ihr telefoniert und sie einmal getroffen", sagte Lecia. „Nun kann ich nur hoffen, dass die Carpenters mir den Auf trag für ihr Inselhaus erteilen. Meine Rohskizzen schienen Janine zu gefallen." „Das glaube ich gern." Keanes Untertan gab Lecia zu denken. „Ich nehme an; sie sind Freunde von Ihnen", wagte sie sich vor. Keanes Züge wurden hart. Brian ist mein Onkel, der jüngere Bruder meiner Mutter." Er billigte die zweite Ehe seines Onkels also nicht. Lecia hatte gehört, dass Brian Carpenters erste Frau vor einem Jahr gestorben war. Um das Thema zu wechseln, fragte sie:
„Waren Sie schon mal auf der Insel?" „Öfter, als ich mich wahrscheinlich erinnern kann. Ich bin bei Brian und meiner Tante Zita aufgewachsen. Wir haben die Ferien fast immer in einer alten Strandhütte auf der Insel verbracht. Jetzt gibt es sie nicht mehr. Janine empfand sie als Beleidigung fürs Auge und hat sie niederbrennen lassen." Keanes Stimme klang ausdruckslos, doch Lecia spurte, dass er zornig war. In verändertem Ton fuhr er fort: „Wie können Sie Skizzen anfertigen, ohne das Grundstück gesehen zu haben?" „Das ist nicht schwer. Sie sollen dem Kunden ja nur zeigen, dass man begriffen hat, was ihm vorschwebt. Heute bin ich mitgekommen, um mir das Gelände anzusehen. Offen gestanden war ich ziemlich überrascht, Sie zu treffen." Lecia lag daran, Keane das klarzumachen. „Die Überraschung beruhte auf Gegenseitigkeit. Reicht Ihnen denn ein Gang über die Insel, um alle wichtigen Gesichtspunkte auszuloten?" „Nein. Aber so kann ich immerhin ein Grundkonzept erstellen." Da Keane sich für das Projekt zu interessieren schien, begann Lecia, ihm zu erläutern, wie sie beim Aufbau der Baupläne vorging, und beantwortete seine gezielten Fragen bereitwillig. Nur undeutlich wurde Lecia bewusst, dass sie North Head umrundeten, dessen kleiner, grasüberwachsener Vulkankegel in der Sommersonne schimmerte, und am Golfhafen entlangfuhren. Lecia empfand es als störend, als Janine sich zu ihnen gesellte und sie und Keane abwechselnd musterte. ,;Ihr könntet tatsächlich Bruder Und Schwester sein", stellte sie fest. „Das sind wir aber nicht." In Keanes Stimme schwang eine feine Warnung mit. Janine rang sich ein Lächeln ab. „Das glaube ich dir ja", betonte sie und klimperte mit den Wimpern, „obwohl viele das nicht tun würden! Tja ... möchtet ihr etwas trinken? Ich kann Tee oder Kaffee machen. Es ist auch Saft da oder Limonade, falls ihr lieber etwas Kaltes mögt." „Ich hätte gern Tee", bat Lecia. „Soll ich mitkommen und ihnen helfen?" „Das wäre nett." Janine warf Keane einen koketten Blick zu. „Und was möchtest du?" Danke, gar nichts", erwiderte er ruhig. Janine wartete, bis sie in der Kombüse waren, ehe sie die Schultern zuckte und bemerkte: „Das war ziemlich tollpatschig von mir." „Was? „Na ja, Keane dachte sicherlich wollte andeuten, einer von euch müsste unehelich seih. Dabei wäre das doch gar nicht so abwegig. Brian hat mir erzählt; Keanes Vater habe mit jeder Frau geschlafen, die dazu bereit gewesen sei. Das hat seiner Ehe natürlich nicht gerade gut getan." Lecia war entsetzt, sagte aber nichts. Diese Dinge gingen sie nichts an, und es war besser, sich in die Spiegelfechtereien zwischen Keane und der jungen Frau seines Onkels nicht einzumischen. Sie lächelte kurz. Janine stellte den Kessel auf den Gaskocher und schaltete ihn ein. Geistesabwesend blickte sie in die bläulichen Flämmchen, dann wandte sie sich ab. „Ich müsste es eigentlich wissen, aber wenn Keane mich so abschätzig ansieht, werde ich wütend und kann den Mund dann nicht halten." „Ich finde nicht, dass er Sie abschätzig angesehen hat", widersprach Lecia. Janine lächelte ironisch. „Da ich Brian geheiratet habe, sehen manche Männer mich so an. So auf die Art: Die kann man kaufen." Vom Ruderhaus erscholl Lachen, und Janine presste die Lippen zusammen. „Aber ich werd's ihnen zeigen. Möchten Sie etwas essen?" „Im Moment nicht, danke." Auch Lecia hatte sich Gedanken über diese Verbindung zwischen Herbst und Frühling gemacht, doch inzwischen hatte sie das Gefühl, dass Janine mehr zu bieten hatte als blondes Haar, große Augen und einen sinnlichen Schmollmund.
Lecia setzte sich mit ihrem Tee etwas entfernt von den beiden Männern in einen Liegestuhl und sah zu, wie die schnittige große Yacht über das Wasser glitt. Alle, die sie überholten, blickten neugierig herüber, und manche winkten. Sicher hielten die Leute sie für protzige Yuppies. Nach einer Weile gesellte Keane sich zu Lecia. „Ihr Gesichtsausdruck lässt schwer erkennen, was Sie denken." Vorsicht! ermahnte sie sich. „So? Ich genieße einfach nur den Tag." „Sind Sie schon oft gesegelt?" „Als wir früher ein Strandhaus in Ohope besaßen, sind wir viel mit dem alten Segelboot meines Stiefvaters herumgefahren. Aber seit meiner Übersiedlung nach Auckland bin ich höchstens mal bei Freunden mitgesegelt. Können Sie segeln?" Keane schüttelte den Kopf. „Ich kenne die Grundbegriffe, aber mein Lieblingssport ist das nicht." „Und welches ist Ihr Lieblingssport?" Erstaunlich, wie wichtig es ihr war, jede Einzelheit über Keane zu erfahren! „Skilaufen. Und Ihrer?" Lächelnd hob Lecia das Gesicht der Sonne entgegen und schloss die Augen. „Sonnen." Keane lachte. „Wie eine Katze." „Katzen wissen, was gut ist." „Besitzen Sie eine?" „Ich mag sie sehr", verriet Lecia. „Aber leider habe ich mich nirgendwo lange genug aufgehalten, um mir eine halten zu können. Jetzt jedoch habe ich vor, einige Jahre hier zu bleiben, so dass ich mir vielleicht bald eine zulege." „Eine Siamkatze", sagte Keane unvermittelt. „Die sind elegant, aristokratisch und selbstbewusst ...wie Sie." Lecia öffnete die Augen. „Ein hübsches Kompliment. Aber so sehe ich mich nicht." Keane sah sie eindringlich an. „Wie sehen Sie sich dann?" „Als Arbeitstier, kaltblütig, ehrgeizig, aber nicht besessen." „Kaltblütig?" Warum war ihr das nur herausgerutscht? „Hat man Ihnen vorgehalten, kaltblütig zu sein?" Lecia dachte an Alans wütende Vorwürfe, seine Beleidigungen, als sie die Beziehung zu ihm beendet hatte. „Es ist vorgekommen. Aber deshalb verliere ich nicht gleich den Kopf." „Nein", sagte Keane leise. „Den tragen Sie sehr hoch." Ohne ihn anzusehen, erwiderte Lecia: „Danke. Sie übrigens auch. Noch etwas, das wir gemeinsam haben. Wie geht es Tante Sophie?" „Sie verfolgt heiße Spuren und genießt die Jagd." Keane bemerkte, dass Brian ihm zuwinkte. „Ich gehe jetzt wieder rüber." Geschmeidig stand er auf und gesellte sich zu seinem Onkel. Die Sonne erfasste die hohen Bäume der sich dunkel abzeichnenden Insel Ringitoto und glitzerte auf dem bläulichgrünen Wasser der Meerenge, während die „Lady Janine" die Inselspitze mit dem kleinen Leuchtturm umrundete, um dann in die breite Bucht zu gleiten, die das Hauptland von den Inseln trennte. Hinter Rangitoto erstreckte sich Montutapu, die Heilige Insel. Rechtwinklig dazu legte sich der lange Finger der Halbinsel Whangaparaoa schützend vor das weite stehende Gewässer. Die Insel, die Brian und Jariine gehörte, lag nördlich der Halbinsel und zählte zu einer kleinen Gruppe, die mit ihrem exotischen Pflanzenwuchs wie verzaubert anmutete. Lecia nahm ein Fernglas von einem Ständer und richtete es auf ein Haus auf der nächstliegenden Insel, das sich hinter einer vorgelagerten weißen Sandbucht in den Dschungel kuschelte. Janine setzte sich zu Lecia. „Ich möchte, dass unser Haus so wird wie das dort", erklärte sie. „Ich werd's versuchen." Janine ließ den Blick von Keane zu ihrem Mann gleiten. Langsam, als wiederholte sie ein
Mantra, sagte sie: „Tun Sie das. Darum geht's im Leben .... um's Versuchen." Lecia nickte. „So denke ich auch." „Das Haus soll etwas Besonderes werden." Janine blickte auf, und ihre Stimme wurde herausfordernd. „Das ist mein Ziel, und ich werde es erreichen. Ich will, dass unsere Kinder beim Laufen Sand unter den Füßen spüren." Ihr trotziger Ton schien für Keane bestimmt zu sein, der sich nur wenige Schritte von ihnen entfernt über die Reling beugte. Er richtete sich auf und lächelte Janine auf eine seltsame Weise zu. „Und die Farben sollten auf dein Haar und deine Augen abgestimmt sein", bemerkte er trocken. Janines Lachen klang etwas schrill. „Das ist Unsinn, Keane. Warum gehst du mit Lecia nicht auf die Brücke? Möglicherweise entdeckt ihr von dort oben Delphine." „Das würde ich gern tun", warf Lecia ein. „Gibt es hier wirklich welche?" Keane lächelte schwach. „Fast überall. Kommen Sie. Klettern wir in den Ausguck." Die Brücke lag hoch über dem Ruderhaus und dem Salon. Lecia kam sich dort oben abgeschnitten vor und vermied es, Keane anzusehen. Sie blickte zu den Inseln, die rasch an Größe zunahmen, und betrachtete das schimmernde, sich scheinbar endlos ausdehnende Meer. „Wunderbar", sagte sie leise. „,Die Erde hat nichts Schöneres zu bieten'", zitierte Keane und amüsierte sich über Lecias überraschte Reaktion. Sie lächelte. „Heutzutage ist es ungewöhnlich, wenn jemand Poesie zitieren kann. Erst recht Woodsworth." „Im Internat hatte ich einen Englischlehrer, für den die Poesie das Kollektivwissen der Menschheit darstellte. Wir mussten ganze Passagen auswendig lernen, und ich kann fast alle bedeutenden englischen Dichter zitieren. Wie kamen Sie an Woodsworth?" „Durch meine Mutter." Lecia versuchte, sich Keane als Jungen beim Pauken von Gedichten vorzustellen. Sie hat viel mit Ihrem Lehrer gemeinsam. Andere Kinder bekämen Gutenachtgeschichten vorgelesen, ich Gedichte. Erst nachdem meine Mutter meinen Stiefvater geheiratet hatte, entdeckte ich, dass es auch Kindermärchen gab", verriet Lecia lachend. „Oh, sehen Sie... Delphine!" Tatsächlich schössen die Meereskinder wie Silberpfeile aus dem Wasser und schienen zu lächeln, während ihre biegsamen Körper sich geschmeidig und voller Lebensfreude in den Wellen tummelten. „Wieso sind wir von ihnen so fasziniert?" Bewundernd verfolgte Lecia ihre Kapriolen. „Weil sie uns bedingungslos zu mögen scheinen?" Keane lächelte ironisch. „Oder weil sie sorglos spielen können, ohne sich über Hypotheken, Autounfälle oder den Hunger in der Dritten Welt Gedanken machen zu müssen." Er schwieg und setzte mit veränderter Stimme hinzu: „Und weil alles Schöne glücklich macht." Überrascht blickte Lecia auf. Keane sah sie so eindringlich an, als wollte er auf den Grund ihrer Seele blicken. Verwirrt wandte Lecia sich ab. „Ja", sagte sie nur. „Ich glaube, ich sollte jetzt wieder nach unten gehen, um zu sehen, ob ich Janine helfen kann." „Janine braucht Ihre Hilfe nicht", erwiderte Keane ruhig. „Sie ist eine zielstrebige Frau, die stets alles im Griff hat." „Mag sein", erwiderte Lecia und floh. Sie fragte sich, was Keane gegen die Frau seines Onkels haben mochte. Irgendwie spürte sie, dass mit der Abneigung, die er Janine entgegenzubringen schien, mehr verbunden war als nur die Missbilligung einer seiner Ansicht nach unpassenden Ehe. Aber das geht mich letztlich nichts an, ermahnte Lecia sich und kletterte aufs Hauptdeck zurück. Lecia war erleichtert, als die Yacht in eine Bucht mit einem etwa zweihundert Meter langen
Sandstrand einlief, hinter dem auf einer flachen Anhöhe Pohutukawabäume und Manukabüsche wuchsen. Ein hässlicher schwarzer Fleck erinnerte an den Platz und das Schicksal der Hütte, von der Keane erzählt hatte. Brian drosselte die Motoren und warf die Anker aus, während Keane das große, aufblasbare Schlauchboot zu Wasser ließ. Janine, die neben Lecia stand, erklärte: „Sehen Sie den Hangdrüben links? Dort wollen wir das Haus hinstellen - mitten zwischen die Bäume. Wenn wir Glück haben, brauchen wir keinen einzigen zu fällen." „Der ideale Platz", musste Lecia zugeben. „Er ist nach Norden und Westen offen, so dass er im Winter den ganzen Tag über Sonne bekommt. Ich werde viele Messungen vornehmen müssen." „Wir helfen Ihnen." Janine lachte aufgeregt. „Sagen Sie uns nur, was wir tun sollen." „Ein paradiesisches Fleckchen Erde." Lecia blickte sich verträumt um. „Ich werde mir Mühe geben, ihm gerecht zu werden." „Das bezweifle ich nicht", versicherte Janine. Während der nächsten Stunde liefen sie auf dem Baugelände herum. Dabei machte Lecia sich Notizen und Skizzen und dirigierte die Männer beim Abmessen des Grundstücks. Nach einer halben Stunde verließ Janine sie, um im Schatten eines großen Baums alles für ein Picknick vorzubereiten. Als sie damit fertig war, rief sie zum Essen. Sie war eine ausgezeichnete Gastgeberin und den Schlemmereien nach zu schließen eine ebenso gute Köchin, Dennoch herrschte während des Essens eine leicht gespannte Atmosphäre. Lecia war erleichtert, als Brian und Janine beschlossen, einen Spaziergang über ihr kleines Inselreich zu machen. Keane hatte die langen Beine von sich gestreckt, die Augen halb geschlossen und lehnte am Stamm eines alten Baumes. Ein Sonnenstrahl ließ sein Haar bernsteinfarben schimmern und lenkte den Blick auf seine geschwungenen glatten dunklen Brauen, das Grübchen am Kinn und die energische Form seiner Lippen. Die schwache Brise vom Meer her hatte sich gelegt, und die Hitze lag wie ein schwerer Schleier über allem. Selbst die Möwen hatten den ständigen Kampf um Futter aufgegeben und hockten wie kleine grauweiße Iglus an der Wasserkante. Nur die Bewegungen ihrer scharfen roten, Schnäbel und der schwarzen Augen verrieten, dass sie auf der Hut waren. Da Lecia sich rastlos fühlte, stand sie auf, „Ich muss mir noch einige Notizen machen." „Lassen Sie die beiden", riet Keane. „Sie sind erst ein halbes Jahr verheiratet." Lecia blickte ihm in die Augen., In, ihren Tiefen entdeckte sie ein zynisches Funkeln. „Janine ist eine ausgezeichnete Köchin", versuchte Lecia, das Gespräch in eine andere Richtung zu le nken. Keane lächelte abschätzig. „Ich bezweifle, dass, sie weiß, wie man eine Herdplatte einschaltet. Da Essen stammt aus ihrem Feinkostgeschäft." „Woher wollen Sie das wissen?" Er zuckte die Schultern und erwiderte: „Ich hab's schon öfter gegessen." „Warum mögen Sie sie nicht?" „Wie feinfühlig von Ihnen, das zu merken", spottete Keane. „Hier geht es nicht um mögen. Ich bewundere Janines Talent, das Beste aus ihren beachtlichen Vorzügen und Talenten zu machen." Vorsichtig gab Lecia zu bedenken: „Geht Sie das etwas an?" „Brian ist mein Onkel." „Und Sie hängen an ihm." Für mich ist er ein Narr." Sarkastisch fuhr Keane fort: „Aber natürlich hänge ich an ihm. Früher oder später braucht er Menschen, die zu ihm stehen." Da Keane aufs Meer blickte, hatte Lecia Zeit, sein aristokratisches Profil zu betrachten, die Züge, die ihr so vertraut und doch so fremd waren. Was wusste sie schon von dem
Mann, der fast ihr Ebenbild war? Dabei wünschte sie sich nichts mehr, als alles über ihn zu erfahren. Langsam hob er die Lider. „Sie machen ein Gesicht, als würden Sie mir am liebsten die Kehle durchschneiden", stellte Keane fest. Er wollte sie herausfordern, aber Lecia dachte nicht daran, mitzuspielen. „Das wäre mir zu dramatisch", wehrte sie heiter ab. „Ich ziehe ein ruhiges Leben vor." Keane lachte leise. „Mir gefällt ihre Schlagfertigkeit", gestand er. „Und ihr Nacken." „Wie bitte?" „Er ist mir vorhin aufgefallen, während Sie herumgelaufen sind und sich Notizen gemacht haben. Als Ihr Haar Ihnen dabei im Weg war, haben Sie es sich einfach unter den Hut gesteckt. Dabei konnte ich Ihren hübschen Nacken bewundern." Keane hatte sinnlich langsam, fast hypnotisierend gesprochen, und Lecias Kehle war plötzlich ganz trocken. Höflich erwiderte Lecia: „Danke." „Danken Sie mir lieber nicht", warnte Keane sie. „Es wäre für uns beide besser, wenn Ihre schlanke Nackenpartie mir nicht aufgefallen wäre ... oder wie Sie sich beim Gehen bewegen ... wie eine junge Göttin, leichtfüßig und selbstbewusst, mit einem verführerischen Hüftschwung, der die langen Beine betont. Sie sind auf dem besten Weg, mir gefährlich zu werden, Lecia Spring." Sie wollte das nicht hören. Ehe Keane weitersprechen konnte, erklärte sie scharf: „Wenn ich gewusst hätte, dass Sie heute dabei sein würden, wäre ich nicht gekommen. Ich hatte mir vorgenommen, Sie nicht wieder zu sehen." In Keanes Augen flammte es auf, dann wurde sein Blick ausdruckslos. „Sehr vernünftig", bemerkte er gelangweilt. „Ich habe Neuigkeiten von Tante Sophie." Lecia schlug einen kühlen Ton an. „Aber keine Sorge, ich betrachte mich nicht als zu Ihrer Familie gehörig." „Sie vielleicht nicht." Keane schloss die Augen. „Aber ich habe das Gefühl, Tante Sophie tut es. Sie ist ganz wild darauf, die Verbindungslinie zwischen den Springs und den Pagets zu finden. Das braucht uns jedoch nicht zu stören. Ich habe genug Verwandte, die ich nie zu Gesicht bekomme."
6. KAPITEL
Lecia griff nach dem Skizzenblock und stand auf. „Ich gehe mir noch einige Notizen machen. Schlafen Sie gut." Keanes Zurückweisung tat weh, gleichzeitig stieg ein erregendes Gefühl in Lecia auf. Er hatte zugegeben, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte! Doch jetzt war keine Zeit für solche Gedankenflüge. Sie hatte zu arbeiten. Langsam schlenderte sie am Strand entlang bis zu den Felsen unterhalb der Land zunge. Nachdem Lecia einen flachen, trockenen Gesteinsbrocken gefunden hatte, setzte sie sich darauf und begann konzentriert zu zeichnen. Es galt, das Haus harmonisch in die leicht hügelige Landschaft zwischen Bäumen und Meer einzufügen und gleichzeitig die Stimmung der Insel einzufangen - mit ihren gedämpften Grüntönen, der hellen halbkreisförmigen Sandbucht und den mächtigen ausladenden Ästen der Pohutukawabäume, die vom Licht des Sommerhimmels durchtränkt zu sein schienen. Beim Durchblättern des Blocks hielt Lecia bei einer Skizze inne, die Janine lange betrachtet hatte. Lecia kniff die Augen zusammen und versuchte, sich das Haus, das sie gezeichnet hatte, in der Landschaft hinter der Bucht vorzustellen. Ja, dieser Stil, die Winkelführungen und Anordnunge n passten gut zur Landschaft, der Stimmung von Meer und Himmel, der überwältigenden Vegetationsvielfalt, die das Bild der Insel bestimmte. Natürlich musste sie den Entwurf noch weiter ausarbeiten und verfeinern, doch nun war sie sicher, den richtigen Ansatz gefunden zu haben. Eine Stunde später klappte Lecia den Block zu, stand auf und reckte sich, dann machte sie sich auf den Rückweg. Sie hatte absichtlich gewartet, bis Brian bei Keane erschienen und mit ihm weggegangen war. Janine kam Lecia am Ufer auf halbem Weg entgegen. Sie trug einen knappen Bikini, der ihre wohlgeformte Figur betonte, darüber ein Georgettestrandhemd, das ihre Rundungen nur halbherzig verhüllte. „Sie müssen Durst haben", sagte Janine und blickte auf den Skizzenblock. „Kommen Sie, und trinken Sie etwas. Danach gehen wir schwimmen." Nachdem Lecia den Durst mit einem kühlen Erfrischungsgetränk gestillt hatte, zog sie sich etwas vom Strand entfernt zwischen duftenden Manukabüschen um. Als sie wieder auftauchte, tummelten Janine und Brian sich bereits lachend in den Fluten, während Keane auf die Yacht zukraulte. Das Meer war herrlich warm. Lecia schwamm langsam am Strand entlang, bis sie sich ein Stück von den anderen entfernt hatte, und genoss das Gefühl der seidenweichen Fluten auf der erhitzten Haut. Hin und wieder warf Lecia einen Blick auf die Insel, die sich wie ein farbiges Juwel aus dem Meer erhob. Das Wasser war so kristallklar, dass Lecia Schwärme schillernder Silberfische beobachten konnte, die blitzschnell über den Meeresboden schossen. Ein stichähnlicher Schmerz am Rücken riss Lecia plötzlich aus ihren Tagträumen. „Verflixt!" Eiligst schwamm sie zum Ufer und rannte über den heißen Sand zu dem Baum, unter dem sie gepicknickt hatten. Sie nahm das Handtuch auf, um sich abzutrocknen, als hinter ihr eine Stimme ertönte. „Alles in Ordnung?" Keane. Lecias Herz schlug rascher. Ohne ihn anzusehen, erwiderte sie ruhig: „Klar." „Sie sind wie eine Katze gerannt, die sich die Pfoten verbrannt hat." Lecia zuckte die Schultern. „Mich hat eine Qualle erwischt, und da ich allergisch auf die Biester bin, hab' ich mich schleunigst davongemacht." „Lassen Sie mal sehen." Zögernd drehte Lecia Keane den Rücken zu. „Es hat Sie ganz schön erwischt", stellte Keane besorgt fest. Seine Hand war kühl und nass, doch Lecias Haut schien zu glühen, wo seine Finger sie
berührten. „Haben Sie ein Mittel dagegen?" fragte er. „Nein. Und ich brauche auch keins." Lecias Stimme wollte ihr nicht gehorchen, und sie räusperte sich: „Der Quallenbiß brennt einfach nur eine Weile, danach ist alles wieder in Ordnung." „Sie Ärmste", sagte Keane leise. Er ließ die Hand sinken und küsste Lecia zart auf die schmerzende Stelle. Lecia atmete ganz flach, und obwohl Keane sie mit den Lippen nur kurz berührt hatte, war ihr, als hätte er sie für immer gebrandmarkt. Heiße Ströme durchfluteten sie. Sie brachte keinen Ton hervor und konnte sich nicht rühren. „Lecia", flüsterte Keane, „Ihre Haut fühlt sich an wie Satin ... wie poliertes Ebenholz ... von ihr perlt das Wasser ab wie Wein. Sehen Sie mich nicht so an. Ihre grünen Augen sind ganz dunkel - voller Verlangen und Verheißung." Sie war willenlos, besaß keine Kontrolle mehr über sich. Doch glücklicherweise kamen Janine und Brian in diesem Augenblick zu ihnen. Keane trat etwas zurück. Hastig wandte Lecia sich ab. Mit bebenden Händen hüllte sie sich so in das Handtuch, dass nur die nackten Schultern und Beine sichtbar waren. Die Carpenters schienen die Spannung zwischen Keane und Lecia nicht zu bemerken. Während die sich plaudernd abtrockneten, gewann Lecia langsam die Fassung zurück. Nachdem sie beschlossen hatten, sich erst an Bord umzuziehen, schritt Lecia das Grundstück mit Janine nochmals ab. Dabei besprachen sie weitere Einzelheiten über den Bau und die Raumaufteilung. Der Quallenbiss auf Lecias Rücken brannte. Aus Erfahrung wusste sie, dass es einige Stunden dauern würde, bis die Reaktion des Körpers einsetzte. Als die Sonne im Westen unterzugehen begann, packten sie alles zusammen und kehrten an Bord zurück. Dort ging Lecia sofort unter Deck, um das Salz vom Körper und aus dem Haar zu waschen und sich umzuziehen. Sie kämmte sich das nasse Haar zurück und legte etwas Lipgloss auf, dann öffnete sie die Kabinentür. Über das gedämpfte Stampfen der Maschinen hinweg waren zwei Stimmen deutlich zu hören. „Und hättest du mich geheiratet?" fragte Janine steif. Lecia blieb reglos stehen und hörte Keane verächtlich antworten: „Niemals." „Warum machst du mir dann Vorwürfe, weil ich das getan habe, was am besten für mich war?" „Vorwürfe? Ich kann es dir nicht verübeln, dass du einen reichen Mann heiraten wolltest", erwiderte Keane schonungslos. „Schließlich bist du nicht die erste attraktive Frau ohne Geld, die aus den ihr von der Natur mitgegebenen Vorzügen Kapital schlägt. Ich werfe dir vor, dass du Brian benutzt hast, um es mir heimzuzahlen." „Wie kannst du so etwas behaupten? So war es nicht!" „Mir machst du nichts vor." Keane sprach gelangweilt. „Das ist..." Hitzig unterbrach Janine ihn: „Keane, wie immer du darüber denkst, ich gehöre jetzt zur Familie, und du kannst nichts dagegen tun. Wo Brian ist, bin ich auch." „In diesem Fall", Keanes Ton wurde drohend, „leiste dir keinen falschen Schritt. Ich beobachte dich und ..." Lecia löste sich aus ihrer Erstarrung und zog sich lautlos wieder in die Kabine zurück. Nachdem sie die Tür leise hintersich geschlossen hatte, blieb sie noch einige Minuten in : dem Raum. Immer wieder lief das Gespräch vor ihr im Geiste ab. Es war unmöglich, dass sie sich verhört hatte. Keane und Janine mussten irgendwann ein Verhältnis miteinander gehabt haben. Lecia spürte einen metallischen Geschmack im Mund. War Keane wie sein Vater, der seine Frau angeblich ständig betrogen hatte? Die mitgehörten Gesprächsfetzen bestärkten Lecia in ihrer Absicht, sieh von Keane
fernzuhalten. Nachdem Lecia sich wieder etwas gefangen hatte, verließ sie die Kabine so geräuschvoll wie möglich. Außer dem Brummen der Maschinen war alles ruhig. Im Salon angekommen, stellte Lecia fest, dass Keane im Ruderhaus das Steuer bediente. Von Janine und Brian war nichts zu sehen. Nachdenklich betrachtete Lecia die luxuriöse Einrichtung. Hatte Keane recht? Hatte Janine sich nur deshalb für Brian entschieden, weil er Keanes Onkel war? Das geht mich nichts an, und es ist mir gleichgültig, ermahnte Lecia sich und stieg die Stufen zum Ruderhaus hinauf. Ohne sich umzublicken, fragte Keane: „Möchten Sie das Steuer auch mal übernehmen?" „Nein, danke." Lecia hatte ungewollt etwas scharf gesprochen und setzte abschwächend hinzu: „Es ist lange her, dass ich das letzte Mal ein Schiff gesteuert habe - und die ,Wainui' meines Stiefvaters war nichts verglichen mit dieser Yacht." Keane zog die Brauen hoch, und in seihen Augen blitzte es auf. „Haben Sie Angst?" „Nein." „Warum versuchen Sie's dann nicht wenigstens mal?" Widerstrebend gab Lecia nach. „Na gut." Keane stand ganz nah bei ihr - viel zu nah, wie Lecia bewusst wurde, als sie die Hände zögernd auf das Steuerrad legte, das von Keanes Fingern noch warm war. „Halten Sie auf die Durchfahrt zwischen Tiri und der Halbinsel zu", riet er ihr. „Gibt's hier keinen Kompass?" fragte Lecia betont locker. „Klar doch." Keane lächelte. „Aber bei guter Sicht braucht man keinen." Um sich nicht anmerken zu lassen, welche Wirkung Keanes Nähe auf sie hatte, sagte Lecia: „Ich habe das Interview der Frau gelesen, die Sie gerettet haben." Die junge Mutter hatte Keanes Mut in höchsten Tönen gelobt und gemeint, er verdiene einen Orden. Sie hatte dem Reporter auch erzählt, dass Keane ihr Blumen ans Krankenhausbett gebracht habe. „Die Ärmste, Mann und Bruder auf so schreckliche Weise zu verlieren! Ich bin froh, dass wenigstens ihr kleiner Junge gerettet wurde." „Sie ist sehr tapfer", erwiderte Keane. „Ihre Schmerzen sind fürchterlich, aber sie wird durchkommen." Eine größere Welle traf das Schiff, und Lecia berichtigte den Kurs. „Sehen Sie, so etwas vergisst man nicht", stellte Keane zufrieden fest. „Es scheint so." Lecia freute sich über das indirekte Kompliment. „Mein Stiefvater Rick wird stolz sein, wenn er erfährt, dass er es mir so gut beigebracht hat." „Wie alt waren Sie, als Ihre Mutter wieder geheiratet hat?" „Vier. Ich war ihre kleine Prinzessin." Das Thema war ungefährlich, und Lecia fuhr fort: „Selbst heute erinnere ich mich noch gut, wie alle mich verwöhnt haben. Als meine Mutter fort musste und mich bei meiner Großmutter ließ, bekam ich einen Tobsuchtsanfall. Meine Familie hat mich wahrscheinlich für einen ungezogenen Balg gehalten, aber sie hat es mir nicht vorgehalten." „Sie hängen sehr an ihr, nicht wahr?" „Maßlos. In Gisborne geht es wie in einer großen Familie zu. Jeder kennt jeden. Meine Mutter stammt von dort, und ihre Eltern und alle Onkel, Tanten, Vettern und Kusinen haben uns freudig wieder aufgenommen, als wir nach dem Tod meines Vaters zurückgekehrt sind." Keane nickte und wirkte geistesabwesend. Vielleicht dachte er an seine weniger glückliche Familie. Suchend blickte Lecia in die Runde. „Dort drüben fischen Vögel im Wasser." „Möchten Sie angeln?" fragte Keane Hinter ihnen erschien Janine „Tut mir leid, aber das geht leider nicht. Brian und ich gehen heute Abend aus, da wird die Zeit etwas knapp." Sie lächelte, und ihrem schönen Gesicht war nicht anzumerken, dass sie sich noch vor
wenigen Minuten heftig mit Keane gestritten hatte. Ob Brian wusste, was zwischen den beiden gewesen war? Lecia fühlte sich beklommen, und die Stimmung war ihr verdorben. Der Quallenbiss am Rücken begann zu brennen und Lecia war dankbar, als Brian sie am Steuer ablöste. Sie ging an die Reling und rieb sich die schmerzende.Schulter an einer Stange, obwohl es das Ganze nur noch schlimmer machen würde. . " „Janine, wo ist der; Erste-Hilfe-Kasten?" fragte Keane, der Lecia beobachtet hatte. „Wieso?" fragte Janine. „Hast du dich verletzt?" „Lecia ist von einer Qualle gebissen worden." „O je, das kann böse weh tun", mischte Brian sich ein. „Hier ist eine Antihistaminsalbe. Probieren Sie's damit."; „Soll ich sie Ihnen auftragen, Lecia?" erbot Keane sich. Hastig wehrte sie ab. ,,Danke, aber es geht schön. Die Stelle juckt nur eine Weile, dann hört's auf." „Kommen Sie mit nach unten, ich gebe Ihnen Salbe drauf", erklärte Janine. „Warum leiden, wenn's auch anders geht?" Im Salon begutachtete sie Lecias Rücken. „Es scheint sich entzündet zu haben. Haben Sie zu Hause etwas dagegen?" Die kühlende Wirkung der Salbe tat Lecia gut. „Nein, aber ich..." „Dann nehmen Sie die hier mit." „Aber dann haben Sie keine. Nein, ich fahre bei der Apotheke vorbei und kaufe mir etwas." „Vielleicht ist das wirklich besser, "Janine schraubte die Kappe wieder auf. ,,Ich glaube, die Salbe hier ist für Ihre Verbrennung doch nicht ganz das richtige." „Ich hab' das schon öfter erlebt. Nach einigen! Stunden fängt die Stelle fürchterlich zu jucken an, danach ist Ruhe. Danke für die Hilfe", setzte Lecia hinzu und zog das T-Shirt wieder herunter. „Es fühlt sich schon viel besser an." Janine verstaute die Salbe wieder im Erste-Hilfe-Kasten. „Sie kennen Keane nicht besonders gut, nicht wahr?" fragte sie unvermittelt. „Nein." Lecia ahnte, was Janine ihr anvertrauen wollte. Hastig sprach die junge Frau weiter: „Er ist ein harter, gefährlicher Mann. Und sehr sexy. Die Frauen sind wild hinter ihm her, und er benutzt seine Ausstrahlung manchmal wie eine Waffe." Sie blickte an Lecia vorbei und fuhr dann mit völlig veränderter Stimme fort: „Sie sollten sich wirklich etwas aus der Apotheke besorgen. Der Quallenbiss sieht nicht gut aus." „Keine Angst", sagte Keane, der an der Tür stand. „Ich sorge dafür, dass Lecia das tut." Als die Yacht im Hafen anlegte, juckte die Stelle auf Lecias Rücken erneut stark und begann sogar zu pochen. Während Brian das dicke Tau um den Poller wand, fragte er: „Sind Sie mit dem Wagen hergekommen, Lecia?" „Nein. Ich bin gelaufen. Es war ja nicht weit." Keane, der bereits auf dem Ponton stand, blickte auf. „Ich bringe Sie nach Hause", entschied er. „Unterwegs halten wir bei einer Apotheke." Brian nickte. „Das ist vernünftig." Er ging mit Janine zum Parkplatz voraus, doch Lecia blieb stehen. „Keane, das ist wirklich nicht nötig. Sie müssen doch in die entgegengesetzte Richtung. Setzen Sie mich einfach bei mir ab. Falls die Sache schlimmer wird, fahre ich kurz zur Apotheke." Der Ausdruck in seinen blauen Augen ließ keinen Widerspruch zu. „Falls es schlimmer wird, können Sie möglicherweise gar nicht mehr fahren. Es kostet mich nur zehn Minuten mehr, Sie heimzubringen. Also kommen Sie schon, steigen Sie ein. Oder soll ich Sie tragen?" „Auf keinen Fall! Ich habe etwas gegen Männer, die sich durch ihre Körperkraft
überlegen fühlen." Dennoch überlief Lecia bei der Vorstellung, erneut in Keanes Armen zu liegen, ein prickelnder Schauer. „Manchmal kann es sich aber als nützlich erweisen, der Stärkere zu sein ... wenn man es zum Beispiel mit widerspenstigen Damen zu tun hat." Keane lächelte, doch sein Blick verriet, dass er nicht mit sich reden lassen würde. „Also gut", gab Lecia nach. „Aber nicht, weil Sie mir drohen, sondern ..." „Weil das vernünftiger ist", schnitt Keane ihr das Wort ab. „Kommen Sie." Als sie die Apotheke erreichten, fühlte Lecia sich seltsam. Wortlos half Keane ihr aus dem Wagen und legte stützenden Arm um sie, während sie ins Geschäft gingen. Der Apotheker besah sich Lecias Rücken und erklärte: „Ja, ich habe eine Salbe, die Ihnen helfen wird. Trotzdem sollten Sie außerdem noch eine Tablette nehmen." Kurz nachdem sie wieder im Wagen saßen, begann das Medikament zu wirken. Lecia fühlte sich benommen und blickte starr aus dem Fenster. „Wie geht es Ihnen?" fragte Keane. „Miserabel"', erwiderte sie leise. „Ich fühle mich wie benebelt. Ich hasse das." „Man hat sich nicht mehr im Griff." Keanes Stimme klang nachdenklich. „Ja, Lecia, ich kann Ihnen das nachfühlen." „Wir ähneln uns in vielem", flüsterte sie. Vor Lecias Apartment angekommen, schaltete Keane den Motor aus. Lecia hatte die letzten Minuten schweigend verbracht und richtete sich nun auf. „Danke fürs Heimfahren, Keane. Auf Wiedersehen." „Ich begleite Sie nach oben." Er griff an ihr vorbei, um die Beifahrertür zu öffnen, dabei streifte sein Daumen leicht Lecias Brust. Die schwache Berührung traf Lecia wie ein Stromschlag. Irgendwie schaffte sie es, auszusteigen, ohne sich ihre Verwirrung anmerken zu lassen. Sie atmete ein paar Mal tief durch und sah zu, wie Keane ihre Tasche vom Rücksitz nahm, ehe er den Wagen verließ und abschloss. Die Sonne schien Lecia heiß auf den Kopf, und ihre Kehle war wie ausgetrocknet; „Kommen Sie", sagte Keane, „ich bringe Sie nach oben." Lecia schüttelte den Kopf, der sich seltsam schwer anfühlte. „Nein." „Sie können sich doch kaum noch auf den Beinen halten", gab Keane zu bedenken. „Nein", wiederholte sie matt. „Es geht schon. Wirklich. Ich brauche Ihre Hilfe nicht, Keane." Sein Blick wurde finster, und er schien sich nur mühsam zu beherrschen. „Ich weiß", sagte er, und seine Lippen bewegten sich dabei kaum. „Ich bringe Sie bis zu Ihrer Tür, dann gehe ich." Da Lecia spürte, dass Keane sich nicht abweisen lassen würde, nickte sie und folgte ihm in die Eingangshalle. Glücklicherweise gab es den Aufzug, denn zu Fuß hätte Lecia es kaum bis zu ihrem Apartment geschafft. Vor der Wohnungstür wartete Keane, bis Lecia aufgeschlossen hatte, dann reichte er ihr die Tasche. „Gute Besserung", sagte er und lächelte schwach. Lecia nickte. „Danke." Sie betrat die Diele und schloss hinter sich ab. Eine Zeitlang blieb sie an der Tür stehen, um nicht ans Fenster zu gehen und zuzusehen, wie Keane aus ihrem Leben verschwand. Am nächsten Morgen rief Keane kurz nach neun an. „Wie geht es Ihnen, Lecia?" fragte er sachlich. „Danke, besser." „Haben Sie. gut geschlafen?" „Wie ein Stein. Das lag wohl an der Tablette." Während des folgenden Schweigens hörte sie am anderen Ende der Leitung eine Frauenstimme etwas sagen.
Lecia packte den Hörer fester und schlug einen unbekümmerten Ton an. „Danke, dass Sie angerufen haben, Keane. Bis demnächst." „Auf Wiederhören." Langsam legte Lecia den Hörer auf. Himmel, dachte sie entsetzt, ich bin eifersüchtig! Eifersüchtig auf die Frau, die bei Keane ist! Aber das war doch lächerlich! Warum machte die Vorstellung sie wütend, dass Keane mit einer anderen zusammen war? Lustlos verbrachte Lecia den Vormittag auf der Couch. Starker Kaffee weckte ihre Lebensgeister schließlich wieder, so dass sie die Einladung zu einem Barbecue bei Freunden annahm. Doch auch der nette Abend konnte Lecia nicht aufheitern. Einige Tage später musste sie sich eingestehen, dass sie Keane verzweifelt vermisste und todunglücklich war.
7. KAPITEL
Lecia war mit Andrea zum Mittagessen verabredet und wollte sich vorher in einem neuen Sanitäreinrichtungshaus Anregungen für ihre Arbeit holen, als sie Janine Carpenter begegnete, die attraktiv wie immer aussah. „Hallo", begrüßte sie Lecia erfreut. „Wir haben uns über Ihren Dankesbrief für den Tag auf der Yacht gefreut. Schön, Sie zu treffen. Haben Sie etwas Zeit? Wollen wir irgendwo eine Tasse Kaffee trinken gehen?" Zögernd erklärte Lecia sich einverstanden. Nachdem sie in dem von Janine vorgeschlagenen Cafe einen Tisch gefunden hatten, blickte die junge Frau sich zufrieden um. „Ich bin gern hier", verriet sie. „Die Atmosphäre ist so stilvoll." Sie bestellte sich einen Saft und ein kleines Stück Kuchen und warf Lecia dabei einen neidvollen Blick zu. „Ich wünschte, ich wäre größer, dann brauchte ich beim Essen nicht so auf die Linie zu achten." Da Lecia sich nicht dazu äußern wollte, brachte sie das Gespräch auf das Haus, das die Carpenters auf der Insel bauen wollten. Janine hatte eine sehr genaue Vorstellung davon, zeigte sich jedoch offen für Lecias Vorschläge. „Die Küche ist sehr wichtig", betonte Janine. „Ich möchte nämlich viele Kinder haben. Brians erste Ehe war kinderlos, deshalb ist er begeistert von der Vorstellung, Vater zu werden." Sie lächelte selbstzufrieden. „Natürlich soll die Küche praktisch eingerichtet sein, aber ich möchte auch mal im Handumdrehen ein Festmahl zaubern können. Die Frau, die mir das Kochen beibringt, sagt, das könne man lernen. Dann brauche ich mich auch nicht mehr auf unser Delikatessengeschäft zu verlassen, wenn wir mal picknicken wollen.'" Also hatte Keane recht gehabt. Wie gut kannte er Janine? Lecia verdrängte den Gedanken und besprach mit Janine weitere Einzelhe iten des Bauprojekts. Alles in allem verspricht Janine eine ideale Kundin zu werden, überlegte Lecia eine Stunde später in dem Sanitärhaus, wo sie herrliche italienische Fliesen entdeckt hatte. Doch statt sich beschwingt zu fühlen, grübelte sie darüber nach, warum Keane und Janine sich so hassten. Mit ihrer fröhlichen Art gelang es Andrea es beim Mittagessen, Lecia aufzuheitern und sie auf andere Gedanken zu bringen. Nach Hause zurückgekehrt, ließ Lecia den Anrufbeantworter ablaufen. Tante Sophies Stimme meldete sich. „Meine Liebe, hätten Sie Lust, mich heute Abend um sieben zu besuchen? Ich habe etwas Interessantes entdeckt. Bis halb sieben bin ich unterwegs, falls ich nichts von Ihnen höre, darf ich doch annehmen, dass Sie kommen, ja?" Sophie lachte vergnügt. „Natürlich könnte ich Ihnen jetzt gleich erzählen, was ich herausgefunden habe, aber ich sehe gern, wie die Leute auf Überraschungen reagieren." Versonnen blickte Lecia auf den Verkehr unter ihrem Fenster. Ob Sophie Keane auch zu sich bestellt hatte? Für den Besuch bei Tante Sophie entschied Lecia sich für ihre Lieblingskombination aus grüner Seide und band sich das Haar mit einem goldgesprenkelten grünen Tuch zurück. Ihre erwartungsvolle Stimmung verflog, als Sophie Warburton sie begrüßte. „Ich hatte Keane auch eingeladen", verriet sie, „aber er ist heute Abend verabredet. Kommen Sie, meine Liebe, und sehen Sie sich das hier an, während ich Ihnen einen Sherry einschenke." Bei dem Papier, das sie Lecia reichte, handelte es sich um die fotokopierte Geburtsurkunde einer Laetitia Evadne Bolsover, die vor fast hundertfünfzig Jahren in England geboren worden war. „Laetitia." Sophie sprach den Namen genüsslich aus und stellte ein kleines Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit vor Lecia hin. „Ihr Kosename könnte Lecia gewesen sein! Nun frage ich mich, ob er irgendwie in Ihrer Familie weitergegeben wurde. Sie müssen
nämlich wissen, dass diese Laetitia Bernard Paget geheiratet und ihm fünf Söhne geschenkt hat. Und jeder von ihnen könnte das Verbindungsglied zwischen unseren Familien sein!" Nachdenklich legte Lecia die Urkunde nieder. „Möglich wäre das schon. Aber dann müsste der Name mehrere Männergenerationen überdauert haben, in denen es keine Töchter gab – soweit wir wissen. Sophie zwinkerte ihr zu. „Jedenfalls ist das schon mal ein erster Erfolg, obwohl wir uns natürlich nicht zu früh freuen sollten. Ich schlage vor, Sie fragen Ihre Mutter, woher sie Ihren Namen hat. Wenn er aus Ihrer Familie väterlicherseits kommt, dürfen wir hoffen." „Ich rufe meine Mutter nachher an und lasse Sie dann gleich wissen, was sie gesagt hat", versprach Lecia. „Gut. Und jetzt nehmen Sie den Sherry mit in den Garten. Ich möchte Ihnen eine Rose zeigen, deren honigfarbener Ton mich an Ihr Haar erinnert hat. Sie hat einen ganz besonders lieblichen Duft..." Eine Stunde später fuhr Lecia durch das Tor des Anwesens nach Hause. Sophie Warburton war eine reizende Frau, die genau wusste, wie sie andere zum Lachen bringen konnte. Und obwohl sie es charmant zu überspielen wusste, verstand sie es genau wie ihr Großneffe, sich durchzusetzen. „Nun ja", erwiderte Lecias Mutter zögernd, als Lecia sie am Telefon nach der Herkunft ihres Namens fragte, „dein Vater hat gemeint, falls wir eine Tochter hätten, wolle er sie Lecia nennen. Er hat mir den Namen sogar buchstabiert." „Hieß seine Mutter so?" „Nein. Ihr Name war Betty. Dein Vater hat gesagt, Lecia würde aus der Familie Spring kommen. Ich hatte nichts gegen den Namen, denn ich fand ihn hübsch. Als du dann geboren wurdest, haben wir dich Lecia getauft." Ihre Mutter schwieg einen Moment und setzte dann hinzu: „Das Ganze ist merkwürdig. Magst du diese Leute, Lecia?" „Sehr", gestand sie. „Du würdest sie auch mögen. Mrs. Warburton ist wirklich lieb, gleichzeitig auch sehr klug und geistreich - und Keane ist fast mein Ebenbild." „Erzähl mir mehr von ihnen", bat ihre Mutter. In lockerem Plauderton berichtete Lecia von Keane und seiner Großtante was sie wusste, dabei bemühte sie sich zu überspielen, dass der bloße Gedanken an Keane sie mit sehnsüchtigem Verlangen erfüllte. Nachdem Lecia den Hörer aufgelegt hatte, ging sie ans Fenster und blickte in die Abenddämmerung hinaus. Wo mochte Keane jetzt sein? Und mit wem war er wohl zusammen? Mit einer Begleiterin, die ihn anhimmelte? Mit der Frau, die an jenem Sonntagmorgen bei ihm gewesen war - und möglicherweise die Nacht mit ihm verbracht hatte? Lecia wurde bewusst, dass sie Keane wie noch keinen Mann zuvor begehrte - nicht einmal Alan. Sie hatte sich in Keane Paget verliebt, und das machte ihr angst. Zwar schien er sich sexuell zu ihr hingezogen fühlen, doch das galt offenbar auch für andere Frauen. Und sein Schweigen bewies, dass sein Interesse an ihr nachgelassen hatte. Lecia presste die Wange gegen die kühle Fensterscheibe und schloss die Augen. Schließlich rief sie Tante Sophie ah, die begeistert erklärte: „Genau da werde ich mit meinen Nachforschungen ansetzen. Es könnte einer der Söhne sein." „Und wenn Sie 'nicht herausfinden, welcher es war?" fragte Lecia zweifelnd. „Meine Liebe, die beiden Familienzweige müssen irgendwo zusammentreffen. Was Sie mir über Ihren Vater erzählt haben, ist ein Ansatzpunkt. Und falls ich es nicht herausfinde ... ja, dann kann ich nur sagen: Schon allein die Jagd macht Spaß." Als Lecia gerade schlafen gehen wollte, summte unerwartet die Gegensprechanlage. „Keane", meldete er sich sachlich. „Ich muss Sie sprechen." Einen Moment stand Lecia unschlüssig da, dann gab sie nach. „Also gut." Sie bediente
den Türöffner und zog sich schnell Jeans und eine Hemdbluse an. Es klingelte an der Wohnungstür, als Lecia aus dem Schlafzimmer kam und den letzten Knopf schloß. Sie öffnete und blickte in Keanes tiefblaue Augen. „So spät?" begrüßte sie ihn verwirrt. „Ist etwas passiert?" „Es ist erst kurz nach zehn." Keane verzog keine Miene. „Und alles ist bestens." Lecia rang sich ein Lächeln ab. „Ich möchte nicht ungastlich erscheinen, aber für mich ist das spät. Normalerweise gehe ich vor elf ins Bett." „Ich auch." Keane wirkte geistesabwesend. „Ich habe mit Tante Sophie gesprochen." „Ach ja, wegen des Namens. Sie ist ganz aufgeregt." Lecia führte Keane ins Wohnzimmer. „Bitte, setzen Sie sich." „Ich hielt es für vernünftiger, heute Abend nicht bei ihr zu erscheinen", erklärte Keane. Lecia wusste nicht recht, wie sie darauf reagieren sollte. „Das war es auch", sagte sie endlich. „So?" Die Stimme wollte ihr nicht recht gehorchen. „Ja. Sie waren anderweitig verabredet." „Das war gelogen." Keane ging zum Fenster und blickte auf den Garten hinunter. Klopfenden Herzens betrachtete Lecia Keanes stolze Haltung, sein aristokratisches Profil ... und wusste, dass sie dieses Bild nie vergessen würde. Zum ersten Mal sah sie in ihm nicht den Doppelgänger oder einen entfernten Verwandten, sondern Keane, den Mann, in den sie sieh hoffnungslos verliebt hatte. „Mir ist noch nie etwas so schwer gefallen, wie heute Abend wegzubleiben, Lecia", gestand er leise und drehte sich zu ihr um. „Sie haben mein Leben völlig auf den Kopf gestellt." Sie blieb stehen und sah Keane an, der langsam auf sie zukam. „Davon habe ich nichts bemerkt", sagte sie. „Sie kennen mich nicht sehr gut." Keane lächelte schwach. „Tante Sophie meint, das sei überfällig gewesen." Er zog sie in die Arme, und seine Augen funkelten begehrend. Lecia wehrte sich nicht, stand einfach nur da, als Keane seinen Mund auf ihren presste und sie sanft küsste. Es war gut, dass er sie nicht bedrängte, denn plötzlich gab sie seufzend nach und überließ sich ihren Gefühlen. Seit sie Keane zum ersten Mal begegnet war, hatte sie sich danach gesehnt Sie konnte nichts mehr denken ... Keanes Nähe, seine Körperwärme, die kräftigen, muskulösen Arme, die Leidenschaftlichkeit seines Kusses überwältigten sie. „Ich hab' das nicht gewollt", flüsterte er an ihren Lippen. „Ich hatte mir vorgenommen, nichts zu überstürzen. Denn obwohl ich deine Schritte überall mit geschlossenen Augen erkennen würde, sind wir uns immer noch fremd." Lecia war so durcheinander, dass sie einen Moment brauchte, ehe sie sprechen konnte. „Du hast von Anfang an dagegen angekämpft. Wieso dann dieser Sinneswandel?" Keane bog ihren Kopf sanft zurück, so dass er ihr voll ins Gesicht sehen konnte, und in seinen Augen lag ein stählerner Glanz. „Ich habe Tante Sophie angerufen, um dich bei ihr zu treffen, aber da warst du schon fort. Da dachte ich: Wenn Lecia auf dem Heimweg getötet wird, werde ich nie wissen, wie es ist, sie zu küssen. Und ich würde ruhelos durch die Ewigkeit reisen, wenn ich gestorben wäre, ohne erfahren zu haben, wie dein Mund sich auf meinem anfühlt." Lecia war, als hätte ihr Herz zu schlagen aufgehört. „Nein", brachte sie nur hervor. Keanes Pupillen waren unnatürlich groß und dunkel. „Das meine ich wirklich so", erklärte er feierlich. „Wenn du sterben müsstest, würde ich mit dir gehen." Es ängstigte Lecia, dass sie wirklich so empfand. „Nein." Keane zo g sie wieder an sich.
Zärtlich küsste sie seinen Hals. „Doch, Keane. Und das macht mir angst." Sie atmete seinen Duft ein und kämpfte mit sich. „So etwas habe ich noch nie erlebt." „Mir geht es genauso", versicherte Keane. „Deshalb habe ich alles getan, um dich nicht merken zu lassen, was ich für dich empfinde. Ich habe gegen meine Gefühle angekämpft, die ich nicht einordnen konnte ... gegen die ich machtlos war." Am liebsten wäre Lecia mit Keane ins Schlafzimmer gegangen, doch dafür war es noch zu früh. „Lass uns noch warten", bat sie verwirrt. „Wir sollten die Dinge .. .langsam angehen." Keane küsste sie verlangend auf die empfindsame Stelle hinter dem Ohr. „Dann müssen wir ... aufhören", sagte er leise und nahm ihr Ohrläppchen spielerisch zwischen die Lippen. Elektrisierende Schauer überliefen Lecia. „Hör auf", flehte sie. Widerstrebend gab Keane sie frei und wich etwas zurück. „Was macht dein Rücken?" Wie in Trance ging Lecia in die Küche und schaltete den Wasserkessel ein. „Eine Woche lang hat er fürchterlich gejuckt, aber inzwischen ist alles wieder gut." Auf der Straße hupte ein Wagen, und Lecia fuhr zusammen. „Es fällt mir schwer, zu gehen", gestand Keane heiser, „aber es muss sein. Ich war ein Feigling und wusste nicht, was mit mir los war. Da brauchte ich Zeit, um mir über verschiedene Dinge klar zu werden." „So ging es mir auch." Schweigend standen sie sich gegenüber, bis das Wasser im Kessel kochte. Lecia brühte Tee auf, als Keane unvermittelt erklärte: „Soweit ich herausgefunden habe, hast du seit Jahren keine wirkliche Beziehung mehr gehabt. Genauer gesagt, seit deiner Verlobung." Lecia stand ganz still, dann nahm sie gedankenverloren zwei Becher aus dem Schrank. „Und du?" „Es hat da zwei Frauen gegeben - aber noch keine, die ich heiraten Wollte." „Und was ist mit der Frau, die Sonntag morgen bei dir war, als ich anrief?" Keane lächelte belustigt, „Das war Sue, Geoff Browns Frau. Er hat mir die Hand verbunden, erinnerst du dich? Sue kam nach der Kirche mit den Bändern vorbei, um mir Pfirsiche zu bringen. Ich hatte gehofft, dass du sie hören und die Situation falsch verstehen würdest." Auf Lecias vorwurfsvollen Blick hin setzte Keane zögernd hinzu: „Ich hab' das wohl aus Selbstschutz getan, denn ich wusste, dass die Dinge außer Kontrolle geraten würden, wenn, ich meinen Gefühlen für dich nachgab." "Und es ist »sehr wichtig für dich, die Kontrolle zubehalten." „Ja." Keane hielt den Kopf leicht gesenkt. Wahrscheinlich, weil ich meinen -Vater wegen seiner Zügellosigkeit verachtet habe. Er war meiner Mutter nie treu. Ich erinnere mich noch, wie ich als Achtzehnjähriger zum ersten Mal über beide Ohren verliebt war ..: selbst da habe ich mir geschworen mich niemals wie mein Vater: Vom Trieb beherrschen zu lassen." Jetzt verstand Lecia Keane sehr viel besser. Ermatte seine Gefühle eisern unterdrückt, um nicht wie sein Vater zu werden. Bis er ihr begegnet war ... „Erzähl mir von dem Mann, mit dem du verlobt warst", bat Keane, „Bei Barry habe ich wohl hauptsächlich Zuflucht gesucht." Lceia wählte ihre Worte sehr vorsichtig. „Aber dann habe ich ihm sehr weh; getan, und dafür schäme ich mich. Zum Schluss habe ich mich gehasst und verachtet, weil ich Barry nur benutzt hatte/" „Benutzt?" Keane blickte sie eindringlich an. ä „Ich hatte mich in den falschen Mann verliebt." Um Keane nicht 'ansehen zu müssen, öffnete Lecia den Kühlschrank und nahm einen Krug mit Milch heraus. „Also nicht in diesen Barry?" Keanes Stimme klang besitzergreifend. Er schwieg einen Moment, dann sagte er: „Ach ja, in den Mann, den du zu erkennen geglaubt hast, als wir in dem Restaurant waren. Du hast ihn geliebt, ehe du Barry begegnet bist." „Dir scheint nicht viel zu entgehen." Lecia goss etwas Milch in zwei Becher. „Ja. Ich habe Barry benutzt, um über meine Liebe zu Alan hinwegzukommen, und das war sehr
selbstsüchtig. Barry leidet noch heute darunter," „Bring den Tue ins Wohnzimmer", schlug Keane vor. Lecia stellte das Tablett auf den Couchtisch und schenkte Tee ein, dann trank sie einen Schluck. Keane saß ihr entspannt und mit ausdrucksloser Miene gegenüber. Wird er mich jetzt verachten? fragte Lecia sich beklommen. Dennoch musste sie es ihm sagen. Sie stellte den Becher ab und fuhr gefasst fort: „Damals, mit einundzwanzig, hielt ich mich für sehr welterfahren. Dann lernte ich einen Mann kennen." Sie sah Keane fest an. „Einen Mann, wie du es bist." Um ihre Nervosität zu überspielen, nahm sie den Becher wieder auf. Keane zog die Brauen hoch. „Du meinst, er sah wie ich aus?" „Nein, das nicht. Aber er war ein Mann von Welt." Lecias Ton wurde verächtlich. „Er war amüsant und gebildet und besaß eine überwältigende Ausstrahlung. Und er begehrte mich." „Und?" „Es klingt vielleicht albern, aber ich war ihm völlig verfallen. Für mich gab es nur noch ihn." Ihre Hand, die den Becher hielt, zitterte leicht. „Ich war wie besessen von ihm", gestand sie verbittert. Keane ließ sie nicht aus den Augen. „Für mich war es die ganz große Liebe, und ich wäre ihm bis ans Ende der Welt gefolgt ... dann erfuhr ich, dass er verheiratet war." Schweigen breitete sich im Raum aus. Geräuschlos stellte Lecia den Becher ab und setzte zynisch hinzu: „Glücklich verheiratet obendrein. Er dachte nicht daran, Frau und Kinder aufzugeben. Warum sollte er uns nicht beide haben?" „Daraufhin hast du dich von ihm getrennt." Lecia atmete tief ein. „Ich habe die Beziehung sofort beendet ... aber ich war völlig fertig. Was ich auch versuchte, ich konnte ihn einfach nicht vergessen und sehnte mich nach ihm." Vergebens suchte sie nach den richtigen Worten. „Damals kannte ich Barry bereits. Er war so ganz anders als Alan - einfühlsam, rücksichtsvoll und aufrichtig. Für Barry war ich die wunderbarste Frau der Welt. Anfangs habe ich es abgelehnt, mit ihm auszugehen, aber er war beharrlich, und nach einiger Zeit habe ich nachgegeben. Ein halbes Jahr später ließ ich mich unverzeihlicherweise dazu überreden, mich mit ihm zu verloben." „Wusste er von deiner unglücklichen Liebe?" fragte Keane ruhig. Lecia hielt den Blick gesenkt. „Ja. Ich wollte Barry gegenüber fair sein und hatte ihn wiederholt abgewiesen. Aber er war so lieb so ..." „Du dachtest, wenn du ihn heiratest, würdest du ihm treu sein und nicht in Versuchung kommen, mit dem anderen zu schlafen." Lecia zuckte zusammen. Keane hätte die Situation kaum gnadenloser zusammenfassen können. „Genau so war es." „Und warum hast du die Verlobung später gelöst?" Es dauerte einen Augenblick, ehe Lecia antwortete. „Zwei Wochen vor der Hochzeit wurde mir bewusst, was ich zu tun im Begriff war", erwiderte sie leise. „Ich wusste, dass ich Barry nie würde; lieben können Da habe ich die Hochzeit abgesagt. Barry brach es das Herz; Er erlitt einen Nervenzusammenbruch und musste die Universität verlassen. Wenn er mich nicht kennen gelernt hätte, wäre er ganz sicher ein gute? Architekt geworden. Jetzt arbeitet er als Zeichner in Wellington." Sachlich erklärte Keane: Sicher hast du dich nicht richtig verhalten, aber du warst damals sehr jung und anscheinend noch ziemlich naiv" „Du versteht ja nicht ..." begann Lecia, doch Keane unterbrach sie. „Du hast dich diesem Barry gegenüber verpflichtet gefühlt und dich deshalb in Schuldgefühle hineingesteigert." „Aber ich bin schuld daran, dass er beruflich gescheitert ist."
Keane stellte den Becher auf den Tisch und erklärte energisch: „Niemand verursacht einen Nervenzusammenbruch. Wenn du es nicht gewesen wärst, hätte ihn vermutlich jemand anders ausgelöst." „Das klingt hart." „Ich bin hart." Keane sah sie forschend an. „War dieser Barry übertrieben zartbesaitet?" Lecia dachte an eine Begegnung mit seiner Mutter. „Ich denke schon. Seine Mutter war es bestimmt. Trotzdem kann ich das Ganze nicht so einfach abtun, Keane. Wenn ich Alan nicht begegnet wäre und mich nicht mit Barry verlobt hätte ..." „Wäre er vermutlich zusammengebrochen, sobald er einmal nicht bekommen hätte, was er haben wollte", unterbrach Keane sie schärf. lch bin mir ziemlich sicher, dass du bei ihm nur der Auslöser warst." Die brutale Bemerkung schockierte Lecia, und sie schüttelte nur stumm den Kopf. , „Seit dieser Erfahrung bist du den Männern aus dem Weg gegange n?" fragte Keane. „Ich wollte so etwas nie mehr erleben. Jedes Mal, wenn jemand es ernst meinte, habe ich die Beziehung abkühlen lassen. Nacheiner Weile war's dann vorbei." „Und da du niemand an dich herangelassen hast, konnte dich auch niemand verletzen. So blieb es dir erspart, erneut jemandem weh zu tun." „Ja." Schweigend trank Lecia ihren Tee aus und stellte den Becher ab. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Keane das Ölgemälde über dem Sofa - ein lichtes Landschaftsporträt, das Lecia in einer Ausstellung in Auckland entdeckt hatte. Rasch, ehe sie der Mut verließ, fragte Lecia: „Warum hasst du Janine so?" Keanes Züge zeigten keine Regung. „Weil sie eine gerissene, geldgierige Aufsteigerin ist. Ich befürchte, sie wird Brian um sein Vermögen bringen und ihn dann verlassen. Und er ist so von ihr besessen, dass ihn das umbringen wird." Vorwurfsvoller hätte Keane sich nicht äußern können. Entsetzt gab Lecia zu bedenken: „Du verurteilst sie rundweg in Grund und Boden." Keanes Gesichtsausdruck wurde eisig. „Ich kenne Janine seit drei Jahren. Sie war meine Sekretärin ... und sehr tüchtig." Der Augenblick war gekommen. Lecia musste es einfach wissen. „Wart ihr ein Liebespaar, Keane?" Er kniff die Augen leicht zusammen, doch seine Stimme blieb ausdruckslos. „Nein. Auf einer Geschäftsreise ist sie zu mir ins Bett gestiegen, aber ich hab' sie rausgeworfen und ihr gekündigt. Daraufhin hat sie sich an Brian herangemacht. Ihrer raffinierten Art gegenüber hatte der Arme keine Chance. Jetzt genießt sie das Geld und die Macht, die er ihr bietet." Lecia erwartete, dass Keane sich auf diese Erklärung beschränken würde, doch er tat es nicht. „Nun begegne ich ihr natürlich laufend", bemerkte er trocken. „Es macht mich nur wütend, dass sie Brian durch mich kennen gelernt hat." „Wann war das alles?" fragte Lecia. „Vor gut eineinhalb Jahren. Gleich nach Tante Zitas Tod. Brian war damals völlig aufgelöst und sehr einsam." Vorsichtig fragte Lecia: „Weiß dein Onkel ... dass Janine es erst bei dir versucht hat?" Keane zuckte die Schultern. „Das bezweifle ich. Sie hat dafür gesorgt, dass ich es ihm nicht sagen konnte. Ich wusste nicht mal, dass sie sich trafen. Sie haben geheiratet, als ich mich mehrere Wochen in Asien aufgehalten habe." Lecia wagte nicht, Keane zu fragen, warum Janine ihn an jenem Tag auf die Yacht eingeladen hatte, oder ihm zu verraten, dass Janine sie vor ihm gewarnt hatte. Irgendwie mochte Lecia die junge Frau und konnte sich nicht vorstellen, dass sie für Brian nichts empfand. „Wirst du die Provision annehme n?" fragte Keane unvermittelt. „Wenn sie mir eine anbieten, ja." „Das gefällt mir gar nicht", sagte Keane. „Auf der anderen Seite habe ich kein Recht, dich zu bitten, darauf zu verzichten."
„Das kompliziert die Dinge.'' Lecia fühlte sich zerrissen. Jahrelang hatte sie wie eine Nonne gelebt, und nun stürzte sie sich in eine Beziehung mit dem gefährlichsten Mann, der ihr je begegnet war, „In unserem Alter hat man nun mal eine Vergangenheit", erklärte Keane, als hätte er Lecias Gedanken erraten. „Ich interessiere mich jedoch mehr für die Zukunft." „Ich mich auch", sagte Lecia leise. „Du bist erschöpft." Keane stand auf und kam zu ihr, um sie sanft in die Arme zu nehmen. : Zärtlich hielt er sie umfangen, und sie legte den Kopf an seine Schulter. Eine Zeitlang standen sie so, bis Keane widerstrebend erklärte: „Ich muss gehen." „Ja", wisperte Lecia. Er küsste sie sanft auf die Schläfe. „Ich rufe dich morgen an. Und abends gehen wir zusammen essen, ja?" „Ja" „Wirst du immer so folgsam sein?" fragte er scherzend. „Nein." Keane lachte befreit. „Guts. Ich habe eine Schwäche für eigensinnige Frauen.'' Nachdem er sie ein letztes Mal umarmt hatte, gab er sie frei. „Gute Nacht, Lecia." Sie schloss die Wohnungstür hinter Keane ab und ging wie auf Wolken ins Wohnzimmer. Ihre Beziehung hatte eine Zukunft! Keane erwiderte ihre Gefühle!
8. KAPITEL
Lecia blickte sich kurz in dem betont spartanisch eingerichteten Restaurant um, dessen schwarze Eisenstühle in auffälligem Kontrast zu den weißen Wänden und den schweren weißen Leinentischtüchern standen. Noch nie war ihr eine Verabredung zum Essen so wichtig gewesen. Deshalb hatte sie sieh für dieses Treffen mit Keane besonders sorgfältig gekleidet. Er sah sie forschend an, als sie ihm gegenübersaß; und sie fühlte sich plötzlich seltsam scheu. Nervös faltete sie die Hände im Schoß und blickte auf das lachsfarbene Muster ihres Seidenkleides. „Möchtest du gleich bestellen?" Wieder einmal schien Keane zu spüren; was in ihr vorging. „Keine Sorge, wir finden schon eine Lösung." Erst etwas später wurde Lecia bewusst, dass er das Restaurant ausgesucht hatte, weil es offenbar ein Treffpunkt für Feinschmecker war. Sie betrachtete ihre Vorspeise, eine kunstvolle Anordnung gestreifter Riesengarnelen in einer Zartgrünen Sauce, und fragte „Woher stammen diese Leckerbissen?" Keane lächelte: „Aus Australien." Als Lecia sich unauffällig in dem Restaurant umsah, entdeckte sie Gesichter, die ihr aus Esskulturmagazinen bekannt waren. Ein berühmter Weinfachmann verfolgte mit kritischer Miene, wie der Ober ihm Wein einschenkte, während sein Begleiter, ein gefragter Kochbuchautor, sich hingebungsvoll der Speisekarte widmete. Auf der anderen Seite des Ganges entdeckte Lecia den gefeierten Star einer zur Zeit im Fernsehen gesendeten Seifenoper, der sich betont bescheiden gab und zu Lecias Verwunderung einen Kopf kleiner war, als sie erwartet hatte. Und der Mann am Nebentisch mit der Blondine in einem schwarzen Kleid, das nichts der Phantasie überließ, hatte gerade ein Konzert im Aotea Center" gegeben. Die Kritiker feierten ihn als einen der bedeutendsten Klaviervirtuosen der Welt „Ist das hier der neueste Geheimtipp für Schlemmer?" fragte Lecia vorsichtig. „Das Essen ist so ausgezeichnet, dass es gut möglich ist", erklärte Keane. „Aber ich bin der Chefköchin schon seit Jahren treu. Mit ihrem Bruder bin ich früher zur Schule gegangen." Er hatte sich eine Suppe bestellt, die so verlockend aussah, dass Lecia es fast bereute, sich mit Garnelen begnügt zu haben. Sie schmeckten köstlich. Doch an diesem Abend hätte sie alles wunderbar gefunden, wie ihr bewusst wurde, während sie die Finger in die dafür bereitgestellte Schale tauchte. Eine seltsame Erregung erfüllte sie, ihre Sinne waren geschärft, und alles erschien ihr in einem verklärten Licht. Und der Grund dafür war der Mann, der ihr gegenübersaß. Ruhig, fast nachsichtig, beobachtete er sie. Jede von Keanes Gesten, selbst die Art, wie er ihren Namen aussprach, nahm eine ungeheure Bedeutung an. Sie hatte sich in Keane verliebt... was aber empfand er wirklich für sie? Sicher, er begehrte sie. Sein Verlangen hüllte sie wie die Strahlung eines Kraftfelds ein - aber war das nur sexuelles Begehren, oder brachte er ihr auch tiefere Gefühle entgegen? Den ganzen Abend über hatten Lecia und Keane nur Augen füreinander. Sie entdeckten viel Gemeinsames, aber auch Gegensätze. Dennoch spürte Lecia, dass Keane ihr nur kurze Einblicke in sein Inneres gewährte und dass sich hinter der Fassade des weltgewandten Mannes mit vielseitigen Interessen und Ausrichtungen eine äußerst schillernde Persönlichkeit verbarg. Das beunruhigte Lecia. Sie sagte sich aber, dass sie geduldig sein müsse, wenn sie Keane näher kennen lernen wolle. „Wie bist du eigentlich dazu gekommen, Ozongeneratoren herzustellen?" fragte sie unvermittelt.
Keane lächelte schwach. „Ich hatte mich schon frühzeitig für Naturwissenschaft und Wirtschaft interessiert. Und da mein Vater Geschäftsmann war, habe ich beide Fachrichtungen studiert. Nach dem Examen war ich für eine Firma in Wellington tätig, bis ein Freund, ein Erfindergenie und überzeugter Naturschützer, mir einen Vorschlag machte. Ihm gelang ein technischer Durchbruch, indem er Titan und eine sehr viel niedrigere Stromspannung benutzte. Der von ihm konstruierte Generator war sicherer und ließ sich außerdem kostengünstig vermarkten." ,,Und warum ist er damit zu dir gekommen?" „Ich denke, weil ich ihm die Leute vom Hals halten und ihm den kaufmännischen Teil abnehmen konnte. Marketing ist nicht seine Stärke, deshalb ist er an mich herangetreten." „Womit er goldrichtig lag", platzte Lecia heraus, Keane lehnte sich zurück und sah sie amüsiert an. „Hast du weitere Nachforschungen über mich abgestellt?" Verlegen senkte Lecia den Blick. Wenige "Tage zuvor war sie tatsächlich in der Bücherei gewesen und hatte sich in der Zeitschriftsabteilung über Keane informiert. „Ach ja, natürlich, bei dir muss jeder, der dir über den Weg läuft, überprüft werden", bemerkte sie ironisch. „Nachspionieren heißt bei dir nachforschen." „Der Mann hat nicht spioniert, sondern allgemein zugängliche unterlagen durchgeförstet und Leute befragt. Außerdem habe ich meine Sekretärin beauftragtem alle zusammenzutragen, was über dich in Architektur- und Wohnzeitschriften erschienen ist, und das habe ich dann gelesen." Als Lecia verlegen den Blick senkte, fuhr er fort: „Dafür, dass du hoch so jung bist, ist erstaunlich viel über dich berichtet worden." „Darike." „Du bist eine erstaunlich schöpferische Architektin." Der Ton, in dem Keane das Sagte, machte Lecia stölz „Unter den Häusern, die du entworfen hast, war kein einziges, das mir nicht gefallen hat." Das Kompliment machte Lecia glücklich und beflügelte sie für den Rest des Abends. Als Keane sie später nach Hause brachte, blieben sie vor ihrem Apartmentkomplex noch eine Weile im Wagen sitzen und unterhielten sich über alles mögliche. „Morgen Abend muss ich zu einem Geschäftsessen", sagte Keane schließlich. „Aber ehe ich mich gegen sieben auf den Weg mache, rufe ich dich an." „Ich freue mich darauf." Lecia war sich seiner Nähe überstark bewusst, und zwischen ihnen knisterte es vor Spannung. Ohne Übergang sagte Keane: ,,Ich weiß nicht, ob wir es schaffen werden, uns zurückzuhalten und alles langsam angehen zu lassen." „Das weiß ich auch nicht“, gestand Lecia. „Trotzdem halte ich es für wichtig." Als Keane sich an die Kopfstütze lehnte betrachtete Lecia ihn von der Seite … das markante Kinn, die lange, gerade Nase, den energischen Mund, und in ihrem Magen schienen Schmetterlinge zu tanzen. Nachdenklich sagte Keane: ,,Wir haben die Dinge überstürzt. Ich glaube, wir sind uns in vielem sehr ähnlich - doch fürs erste brauchen wir etwas Abstand, um uns unserer Sache sicher zu sein." Lecia nickte und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie zerrissen sie innerlich war. „Es ist wohl besser, ich gehe jetzt hinauf." „Hier im Wagen möchte ich dich nicht küssen, und ich werde auch nicht mit hinaufkommen", sagte Keane, „aber bis in den Garten begleite ich dich." Ihr wurde bewusst, dass sie zitterte. Seltsam. Sie hatte mit Alan geschlafen und andere Männer geküsst, bei der bloßen Vorstellung aber, von Keane im blütendufterfüllten Garten umarmt zu werden, wurden ihr die Knie schwach. „Ja." Lecia versuchte, sich wieder zu fangen, während Keane ausstieg, um den Wagen herumging und ihre Tür öffnete. Im Garten blieben sie vor dem Jasminüberrankten Laubengang stehen und atmeten den
betäubenden Duft ein, den die Blüten verströmten. Wortlos zog Keane Lecia in die Arme und versuchte, in ihren Zügen zu lesen. In seinen Augen lag ein begehrlicher Ausdruck ... dann küsste er sie verlangend. Der Kuss dauerte zu lange, und doch war er viel zu kurz. Lecia kämpfte gegen die Empfindungen an, die sie zu überwältigen drohten, und bemerkte, dass Keane bebte. „Dieses Lächeln kenne ich an dir noch nicht", flüsterte er an ihren Lippen. „Du bist ebenso aufgewühlt wie ich." Sie bemühte sich, unbekümmert zu sprechen, obwohl Keanes leidenschaftlicher Kuss ihr durch und durch gegangen war. „Gehörst du zu den Frauen, die es darauf anlegen, die Männer verrückt zu machen?" Lecia überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. „Diese Frauen empfinden nichts. Es reizt sie, den anderen zu erregen, während sie selbst die Kontrolle behalten." „Und du möchtest trotzdem, dass wir so wie bisher weitermachen?" „Ja." Keanes Lächeln zeigte, dass er enttäuscht war. „Auch wenn es uns beide verrückt macht?" „Ich habe mich schon einmal ... davon beherrschen lassen." Lecia zeigte Keane ihr Handgelenk, an dem eine Ader heftig pochte. „Und das war schlimm." Er nahm den Arm und küsste die pulsierende Stelle am Handgelenk. Lecias Knie drohten unter ihr nachzugeben, und sie entzog Keane die Hand rasch wieder. „Ich möchte das nicht noch einmal riskieren", gestand sie. „Es tut zu weh ... wenn es aus ist." „Hast du ihn so geliebt?" fragte Keane ruhig. Doch Lecia spürte, dass er eifersüchtig war. Sie dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte sie den Kopf. „Nein", erwiderte sie gefasst. Ihr lag daran, dass Keane über sie Bescheid wusste; „Es ist vorbei, und ich habe mich seitdem weiterentwickelt. Aber Hingabe, Liebe und Verlangen hat es für mich seitdem nicht mehr gegeben. Den Mut» mich so bedingungslos auszuliefern, habe, ich nie mehr aufgebracht." „Du hast Angst.'? Keane wurde nachdenklich. „Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem mein Vater es für sein Recht hielt, untreu zu sein und meine Mutter damit zu quälen." Und warum ist sie bei ihm geblieben?" Keane zuckte die Schultern. „Das weiß der Himmel. Sie hat darunter schrecklich gelitten. Ich aber war noch zu jung, als sie starb, um die Zusammenhänge zu verstehen." „Und dann haben Brian und..." Seine Züge wurden weich. „Tante Zita. Ja, die beiden haben mich bei sich aufgenommen, mir Liebe gegeben, mich meine Fehler begehen lassen und mir ein sehr viel erfreulicheres Bild von der Ehe vermittelt. Trotzdem ... was man in jungen Jahren erfährt, prägt einen fürs Leben:" Spontan umarmte Lecia ihn. „Ich bin froh, dass du bei den beiden so schöne Jahre verlebt hast, Keane." Er drückte sie an sich. ,,Tue ich dir jetzt leid?" fragte er betont locker. „Der kleine Junge, der du warst, tut mir leid; Und ich bin sehr glücklich, dass Brian und seine Frau dir so viel Liebe gegeben haben." Lecia unterdrückte ein Gähnen. „Ich sollte jetzt lieber raufgehen." „Dann ... gute Nacht." Ehe Keane sie freigab, ließ, er den Finger, zärtlich über ihre Lippen gleiten. Die zarte Berührung machte Lecia hilflos. Leidenschaft kannte und verstand sie, doch diese, zärtliche Geste entwaffnete sie. Irgendwie war Lecia enttäuscht, dass Keane sie; nicht mehr küsste, doch es gefiel ihr dass er ihre Wünsche respektierte. Nachdem er gegangen war; ging sie verträumt zum Aufzug und fuhr in ihr Apartment hinauf. Sie schloss die Wohnungstür ab und lehnte sich einen Moment dagegen, dann eilte sie plötzlich zum Fenster, um auf die Straße hinunterzublicken. Keane stand immer noch neben seinem Wagen. Als er Lecia entdeckte, hob er
verabschiedend die Hand, stieg ein und fuhr davon. Ein nie gekanntes Glücksgefühl durchflutete Lecia. Ich liebe ihn, dachte sie. Ich liebe ihn mehr als alles auf der Welt - ganz gleich, was daraus wird. Der nächste Tag stand unter keinem guten Stern. Eine als Sonderanfertigung in Auftrag gegebene Bank war zerbrochen beim Kunden angekommen, der sich daraufhin wütend bei der Baufirma beklagt hatte. Und der Zulieferer einer anderen Baustelle rief an, weil eine von Lecia entworfene Dachkonstruktion sich angeblich nicht montieren ließ. Kurz darauf meldete Lecias Mutter sich, um sie zu erinnern, dass sie am übernächsten Wochenende zur Feier des sechzigsten Hochzeitstages von Ricks Eltern erwartet würde. „Natürlich komme ich", versprach Lecia und setzte vorsichtig hinzu: „Es könnte sein, dass ich jemanden mitbringe." „Ein oder zwei Schlafzimmer?" fragte ihre Mutter trocken. Verblüfft schwieg Lecia. „Musst du so direkt sein?" fragte sie dann lachend. „Heutzutage bleibt einem gar nichts anderes übrig. Ich bin schon oft genug ins Fettnäpfchen getreten." „Zwei Schlafzimmer", sagte Lecia, doch etwas in ihrer Stimme musste ihre Mutter hellhörig gemacht haben. In verändertem Ton fragte sie: „Kenne ich ihn?" „Ich habe dir von ihm erzählt. Keane Paget." Das nun folgende Schweigen dauerte unnatürlich lange. „Ich habe ihn noch nicht gefragt, ob er mitkommen möchte", versuchte Lecia einzulenken. „Wenn es dir also lieber wäre, er würde nicht kommen ..." „Doch, doch. Und ich muss gestehen, dass ich neugierig bin." Ihre Mutter lachte vergnügt. „Sehr neugierig sogar. Ich dachte nur ... Wie steht ihr denn so zueinander?" „Wir treffen uns", erwiderte Lecia ausweichend. Erneutes Schweigen. „Findest du das nicht gut?" „Ich kenne ihn nicht. Aber, Lecia ... ist das vernünftig?" „Wieso nicht?" fragte sie schärfer als beabsichtigt. „In Zeitschriften liest man, dass so etwas unter Adoptierten passieren kann. Sie treffen Mitglieder ihrer Abstammungsfamilie, und da sie sich häufig sehr ähnlich sind, fühlen sie sich stark zueinander hingezogen." Während Lecia die Worte ihrer Mutter zu verarbeiten versuchte, fuhr diese fort: „Und da sie nicht zusammen aufgewachsen sind, gibt es zwischen ihnen nicht die üblichen Hemmungen und Schranken.", Der Gedanke schockierte Lecia. „Ich glaube nicht, dass es bei uns so ist ... aber wir gehen die Dinge sowieso sehr langsam an, Mum." „Gut." Ihre Mutter atmete hörbar auf. „Meine vernünftige Lecia." „Meist wenigstens." „Jeder macht mal Fehler", erklärte ihre Mutter bestimmt. „Wichtig ist nur, dass man daraus lernt. Und das hast du getan - in mancher Hinsicht sogar zu gut. Wenn Keane Paget mitkommen möchte, werden wir mit einem fetten Hammel anrollen." „Nicht mit einem roten Teppich?" Ihre Mutter lachte. „Mit dem auch. Aber jetzt muss ich Schluss machen. Bis bald, Liebes." Das Gespräch hatte Lecia aufgeheitert, und im Lauf des Tages gelang es ihr, die geschäftlichen Unstimmigkeiten zu bereinigen. Abends berichtete sie Keane am Telefon von den Ereignissen des Tages und brachte schließlich den Mut auf, ihm zu eröffnen: „Übernächstes Wochenende muss ich zum sechzigsten Hochzeitstag der Eltern meines Stiefvaters. Hättest du Lust mitzukommen, Keane?"
„Sehr gern", erwiderte er prompt. „Lass mich nur mal schnell in meinem Terminkalender nachsehen. Ja, das passt gut." Nachdem sie die Einzelheiten besprochen hatten, fragte er unvermittelt: „Hast du sonst noch etwas auf dem Herzen?" Lecia zögerte mit der Antwort. „Nein." „Ich kenne dich inzwischen gut genug, um an deiner Stimme zu merken, dass du irgend etwas hast." Verwirrt wehrte Lecia ab: „Nein, da ist nichts." „Eines Tages wirst du mir alles sagen", erklärte Keane zuversichtlich. Zögernd gestand sie: „Ich glaube nicht, dass ich jemandem je alles sagen kann. Das ist einfach nicht meine Art." „Du vertraust mir noch nicht. Und nach dem, was du erlebt hast, ist das auch kein Wunder. Aber eines Tages wirst du es tun." Dann wird Keane mir auch vertrauen, dachte Lecia und legte lächelnd auf. Auf einmal erschien ihr alles so einfach. Sie würde abwarten und die Dinge auf sich zukommen lassen. Heiter vor sich hin summend ging Lecia ins Wohnzimmer. Alan hatte sie um ihr Selbstvertrauen und den Glauben an die Zukunft gebracht. Und durch ihr Verhalten Barry gegenüber hatte sie die Selbstachtung verloren. Jetzt begann sie, beides zurückzugewinnen, und das verdankte sie Keane. „Ich liebe dich", flüsterte Lecia, dann wiederholte sie es lauter. Die Worte, die sie sieben Jahre nicht mehr ausgesprochen hatte, klangen neu und aufregend ... In den folgenden beiden Wochen gingen Lecia und Keane häufiggemeinsam aus - zu Konzerten, ins Kino, oder sie aßen in Restaurants, weil sie vermeiden wollten zu Hause miteinander allein zu sein. Sie besuchten die Eröffnung einer Kunstgalerie, gingen jedoch nach einer halben Stunde wieder, weil sie die Ausstellungsstücke nicht ernst nehmen konnten, und verbrächten den Rest des Abends in einer kleinen Bar in der Nähe, wo sie sich ungestört unterhielten. Am Wochenende kreuzten sie auf einer Yacht auf dem Meer, die Freunden von Keane gehörte. Sie genossen ein köstliches Abendessen und beobachteten ein Feuerwerk über dem Hafen. Keane verfolgte das Schauspiel mit versteinerter Miene, und Lecia vermutete, dass es ihn an die Umstände des Todes seiner Mutter erinnerte. Als sie tröstend seine Hand nahm, reagierte Keane anfangs nicht, und Lecia war enttäuscht, doch dann drückte er ihre Finger ganz fest. Nachdem sie wieder in der Westhaven Marina angelegt hatten, schlenderten sie langsam zu Lecias Apartment zurück. „Danke, dass du meine Hand gehalten hast", sagte Keane unvermittelt. „Du bist sehr tapfer", erwiderte Lecia. „Ich habe keine Angst vor Feuerwerkskörpern." Keane schwieg, ehe er widerstrebend hinzusetzte: „Es ist einfach nur, dass sie Erinnerungen wachrufen." „Wäre es dann nicht besser, du würdest solchen Dingen aus dem Weg gehen?" Keane lächelte ironisch. „Und sie gewinnen lassen?" „Ich glaube nicht, dass die Raketen das als Kampf empfinden", versuchte Lecia zu scherzen. Nun müsste Keane lachen und nahm erneut ihre Hand. „Da hast du wohl recht,' aber ich lasse mich von nichts beherrschen, nicht mal von meinen Hirngespinsten." Am Abend vor dem Abflug nach Grisborne besuchten Lecia und Keane eine Party bei Andrea. Mit seinem Charme, seiner unwiderstehlichen Ausstrahlung passte Keane gut zu dem Freundeskreis und stand rasch im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Besonders eine üppige Rothaarige flirtete für Lecias Geschmack viel zu offensichtlich mit ihm. „Ich muss mit dir reden, Lecia", flüsterte Andrea ihr im Vorbeigehen zu und ging mit einem leeren Tablett in der Hand in die Küche voraus. Lecia folgte ihr. „Worüber?" fragte sie ruhig und füllte Knabberzeug in Schalen.
Andrea nahm zwei Platten mit Leckerbissen aus dem Kühlschrank, stellte sie auf die Ablage und zog vorsichtig die Folie ab. „Du solltest lieber gehen und deinen tollen Keane vor Damiens Freundin retten", warnte sie lächelnd. „Zwar dürfte sie sich da etwas zuviel vorgenommen haben, denn Keane scheint sich über sie nur zu amüsieren. Aber Damien ist wütend, und er trinkt, seit ihr hier seid. Es wäre möglich, dass der Gute versucht, sich Keane vorzunehmen." „Ich helfe dir hier ..." „Nein, das wirst du nicht." Andrea klopfte ihr leicht auf die Finger. „Geh zu den anderen. Alle amüsieren sich bestens." Vor allem Keane. Lecia verfolgte, wie die Rothaarige sich sinnlich in Pose warf und den üppigen Busen aufreizend präsentierte. Als hätte Keane Lecias Gedanken gespürt, blickte er zu ihr herüber. Das belustigte Funkeln in seinen Augen verschwand und wich einem verlangenden Ausdruck. Er sagte etwas zu der Rothaarigen und verließ sie, um sich zwischen den tanzenden und plaudernden Gästen hindurch einen Weg zu Lecia zu bahnen. Er ist nicht wie sein Vater, dächte sie, und ein starkes Glücksgefühl durchflutete sie. Und auch nicht wie Alan. Das darf ich nie vergessen. Keane hat mir niemals Grund gegeben, ihm nicht zu vertrauen. Eine Männerstimme hinter ihr ließ sie plötzlich zusammenfahren. „Kann ich Ihnen etwas zu trinken holen?" „Nein", erklärte Keane bestimmt. „Ich bringe ihr gerade etwas." Er reichte Lecia ein Glas, dabei blickte er den Mann herausfordernd an. „Nichts für ungut", erwiderte dieser eingeschüchtert und verschwand schnell in der Menge. Ohne nachzudenken, sagte Lecia: „Der Machoauftritt war wirklich nicht nötig, Keane. Der Mann hat mich doch nur höflich gefragt. Und selbst wenn er es nicht getan hätte, wäre ich mit der Situation gut allein fertig geworden." Sie war auf eine ärgerliche Reaktion gefasst, statt dessen lachte Keane und küsste sie auf den Mund. „Ich wollte dem Typ nur klarmachen, dass du zu mir gehörst." Er hatte in scherzendem Ton gesprochen, doch in seinen Augen lag ein harter Glanz. „Du bist doch nicht etwas eifersüchtig?". „Schon möglich. Ich kann mich nicht erinnern, je eifersüchtig gewesen zu sein, aber wenn das Eifersucht ist, gefällt sie mir nicht." Keane nahm Lecias Arm; und zog sie an sich. Die Berührung traf sie wie Stromstoß, und sie fühlte sich Keanes Begehren hilflos ausgeliefert. Und ihrem eigenen. Er beugte sich etwas vor und flüsterte ihr zu: „Ich möchte dich von hier fortlocken und dich leidenschaftlich lieben, bis wir zu erschöpft sind, um noch den Kopf zu heben ... Wenn das Eifersucht ist, dann hat sie mich ergriffen." Lecia atmete ganz flach, und sie befeuchtete sich die trockenen Lippen, Ihre Reaktion schien Keane nur noch mehr zu erregen, denn in seinem Blick erschien ein lodernder Glanz. „Für mich klingt das eher nach unbefriedigter Begierde", bemerkte Lecia. „Da dürftest du recht haben." Keanes Stimme klang rau. „Eifersucht muss der Drang sein, jeden Mann zu erwürgen, der dir zu nahe kommt - der Wunsch, dich in meinem Herzen einzuschließen und überall Verbotsschilder aufzuhängen, damit niemand es wagt, sich dir zunähern." Lecia sah ihn schelmisch an. „Und was ist, wenn dich kurvenreiche Rothaarige umgarnen?" „Um die brauchst du dir ebenso wenig Sorgen zu machen wie ich mir um den Mann, der dir etwas zu trinken holen wollte." Keane blickte sich im Raum um, dann fragte er ungeduldig: „Müssen wir noch länger hier bleiben?" „Wenn wir jetzt gehen, wissen alle, warum wir es tun." Lecia wurde ernst, dann sagte sie
leise: „Ich weiß, wie schwer es dir fällt, meinen Wunsch zu erfüllen und die Dinge langsam angehen zu lassen, Keane." „Das ist in Ordnung, solange es dir ebenso schwer fällt." Als Lecias Blick ihm das bestätigte, lachte Keane. „Gut. Das hatte ich gehofft. Und damit du es weißt, ich schlafe nicht mit jeder Frau, mit der ich ausgehe." „Bin ich das für dich", neckte Lecia ihn, „eine Frau, mit der du ausgehst?" „Was glaubst du denn?" Sie standen so nah beieinander, dass sie Keanes Kraft, seine Leidenschaftlichkeit fast körperlich spürte. Er schien sie beschwören zu wollen, ihren Gefühlen nachzugeben. „Nein". Er sprach ganz leise und bewegte die Lippen kaum. „Du bist keine Frau, mit der ich ausgehe. Du bist die Frau, in die ich mich verliebt habe - die ich so verzweifelt begehre, dass es mir angst macht."
9. KAPITEL Plötzlich konnte Keane sieh' nicht mehr zurückhalten und riss Lecia in die Arme. Sie bewegten sich wie tanzend, doch trotz der dröhnenden Musik aus der Stereoanlage im Hintergrund hörte und spürte Lecia nichts - nur das Pochen ihrer Herzen, die im gleichen Rhythmus zu schlagen schienen. Rückhaltlos warf sie ihre Vorsätze über Bord. „Lass uns gehen, Keane", bat sie. Fünf Minuten später fuhren sie in seinem Wagen durch die stillen Vororte, deren Beleuchtung die Straßen in ein künstliches Licht tauchte und Mond und Sterne verblassen ließ. „Gehen wir zu mir?" schlug Keane vor. Lecia zögerte, dann nickte sie. „Ja." Gleich darauf überkam sie Panik. Es war zu früh ... sie ließ sich von ihren Gefühlen hinreißen ... dabei hatte sie sich vorgenommen, die Kontrolle zu behalten. Keane drückte ihre Finger, die sie im Schoß gefaltet hatte, und hielt sie beruhigend fest. Die Berührung wirkte Wunder. Lecias Furcht verflog. Keane warf ihr einen forschenden Seitenblick zu. Sie wusste, dass er vor Verlangen brannte, denn ihr ging es ebenso. Es überflutete ihren Körper, ihre Sinne und betäubte den Verstand, so dass sie nicht mehr klar denken konnte. Nur noch das Bewusstsein beherrschte sie, dass der Augenblick gekommen war ... mit diesem Mann. „Es ist schon gut", flüsterte Lecia. Unvermittelt gab Keane ihre Hand frei. „Nimmst du die Pille?" „Nein." Ihre Finger fühlten sich plötzlich kalt und steif an. Doch Keane nickte nur. „Genügt ein Kondom? Wenn nicht, werde ich warten." Eine so nüchterne Reaktion hätte Lecia abstoßen, den romantischen Zauber brechen müssen, den Keanes Liebeserklärung gewoben hatte, doch Lecia kannte ihn inzwischen gut genug und wusste, dass er kein kaltblütiger Mensch war. Und obwohl die Vorstellung, ein Kind von ihm zu bekommen, nie gekannte Gefühle in Lecia weckte, war dies nicht der Augenblick, eine Schwangerschaf t" zu riskieren. „Es genügt", erwiderte sie. „Ich ... müsste sowieso jeden Tag die Periode bekommen." Unerwartet sachlich gestand Keane: „Jetzt verstehe ich, wie den beiden anderen zumute war - dem einen, der verheiratet war, und dem anderen, der dich zu der überstürzten Verlobung gedrängt hat, obwohl er wusste, dass du ihn nicht liebst. Ich würde genauso handeln, um dich unter allen Umständen zu besitzen." Das Geständnis machte Lecia glücklich, aber sie zwang sich, ruhig zu bleiben. „Ich habe dich von Anfang an begehrt", sagte sie. „Und nach unserem ersten Abendessen wurde mir bewusst, dass ich dich liebe ... als ich aus dem Fenster sah und du neben deinem Wagen gewartet und zu mir herauf geschaut hast." Keane lächelte schwach. „Wie ein Troubadour, der sich unter dem Turmfenster seiner Angebeteten das Herz aus dem Leib singt. Ich habe mir eingeredet, mich nur vergewissern zu wollen, dass du gut oben angekommen bist ... aber im Grunde meines Herzens hatte ich auf eine Rose und ein Versprechen gehofft." „Ich wünschte, ich hätte eine Rose gehabt." Lecia war gerührt. „Aber ich habe dir etwas versprochen." „Du solltest meine Phantasie lieber nicht beflügeln." Lecia lehnte sich auf dem Sitz zurück, und ihr Herz begann zu jagen. „Das möchte ich aber." Keane sprach erst wieder, als sie in seinem Haus angekommen waren und den weitläufigen Salon mit Blick auf das Meer betraten. Das Mondlicht überzog die Einrichtung mit einem silbrigen Schimmer, die Luft war kühl, und der Duft eines Grillfeuers wehte von irgendwoher aus der Nachbarschaft herüber. Lecia war dankbar, dass Keane das Licht einschaltete, und legte ihre Handtasche auf
einen Tisch. „Möchtest du etwas trinken?" fragte Keane. „Nein, danke." Lecia versuchte, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. „Seit ich nach unserer gemeinsamen Nacht auf dem Sofa aufgewacht bin, habe ich mich immer wieder gefragt, wie es sein müsste, wenn die Mondstrahlen mit deinem Haar spielen." „Jetzt bin ich da." „Ja." Keane kam zu ihr. „Lächle für mich, Lecia", bat er rau. „Lächle, als hättest du dein Leben lang auf mich gewartet. Wenn du lächelst, glaube ich ans Paradies." Und sie lächelte für ihn und schmiegte sich an ihn, und er zog sie in die Arme. „Ja", flüsterte er und küsste sie verzehrend. Sie hatten sich jeden Abend im Garten geküsst, wo die Blütendüfte ihre Sinne berauschten - aber es waren sanfte, zärtliche Küsse gewesen, die sie einander näher bringen und verzaubern, nicht aber zu. stark erregen sollten. Lecia hatte geglaubt, alle Facetten von Keanes Verlangen zu kennen. Jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr er sich bisher zurückgehalten hatte. Die Heftigkeit seines Begehrens weckte eine nie gekannte Wildheit in Lecias und sie reagierte mit der gleichen Ungeduld, dein gleichen leidenschaftlichen Ungestüm. Alles geschah viel zu schnell, doch ihre Sinne trieben sie weiter. Als Keane ihr Kleid am Hals zurückschob, drehte Lecia den Kopf, um Keanes Handfläche zu küssen und sie mit der Zunge zu liebkosen. Schweratmend warnte er: „Wenn du nicht willst/ dass alles sehr viel schneller vorbei ist, als ich hoffe, solltest du damit besser sofort aufhören." „Wünschst du dir eine Puppe, die sich hinlegt und an England denkt?" versuchte Lecia zu Scherzen. Keane kniff die Augen zusammen. Teufel noch mal, nein! Aber ich habe die Wirkung unterschätzt, die du auf mich hast." Seine Augen glänzten, so erregt war er. „Ach, was soll's! Was macht es schon, wenn wir später über unser erstes Mal lachen, Lecia?" Er gab sie frei, breitete die Arme aus und lächelte erwartungsvoll. „Tu, was du möchtest." Das Vertrauen, das Keane ihr entgegenbrachte, machte sie glücklich. Verlangend küsste sie ihn auf den Hals, an dem eine Ader heftig pochte, und streichelte die .Stelle zwischen Nacken und Schultern mit den Lippen, während sie Keanes Hemdknöpfe öffnete. Eine Flut von Sinnesreizen überkam sie der Geschmack seiner Haut, der Duft, den sie so an ihm liebte, das Pochen seines Herzens ... „Lass dein Haar herunter", bat Keane heiser. „Ich möchte es auf meiner Haut spüren." Ohne den Blick von Keane abzuwenden, zog Lecia die Nadeln heraus, schüttelte dann den Kopf, bis ihr die seidige Fülle über Gesicht und Schultern fiel. „ Ja ..." Keanes Augen funkelten, als er tue Finger durch die Haarpracht gleiten ließ. „Lecia im Mondlicht." Kühner geworden, schob sie sein Hemd auseinander, betrachtete seine gebräunte Haut, die im Mondlicht wie Kupfer schimmerte, und ließ fast andächtig die Finger durch die lockigen Härchen auf seiner breiten Brust gleiten. „Wie kommst du zu solchen Muskeln? Ich dachte immer, Geschäftsleute hätten kaum Zeit fürs Fitnessstudio?" Am liebsten hätte Lecia Keane auf die Brust geküsst, die Muskeln mit der Zunge berührt, um seine Reaktion zu spüren. „Ich schwimme viel", erklärte er und streifte sich das Hemd ab. „Und genau wie du bin ich von Natur aus sportlich gebaut." Einen Moment überkam Lecia leises Unbehagen, doch sie konnte den Blick nicht Von Keane abwenden. Fast hätte sie vergessen, wie athletisch er gebaut war. Scheu sagte sie: „Du bist so unglaublich kraftvoll." „Ich bin ein Mann", erwiderte Keane schlicht. „Ein Mann, der dich mehr begehrt und braucht als die Luft zum Atmen. Wirst du mir einen Wunsch erfüllen, Lecia?" ,,Welchen?"
„Dass du dich vor mir ausziehst." Lächelnd blickte sie in Keanes halbgeschlossene Augen, die begehrend glitzerten. „Dieser Wunsch ist so alt wie der Harem", neckte sie ihn. „Wollen wir über Kulturgeschichte sprechen?" Lecia lachte und küsste Keane auf den Mund. „Nein. Nicht jetzt." Spielerisch ließ sie die Hände über die Hüften zum Saum ihres Kleides gleiten, dann hob sie langsam die Rockzipfel, ohne Keane aus den Augen zu lassen, der sie gebannt beobachtete. „Nicht aufhören", bat er leise. Plötzlich erfasste Lecia eine seltsame Scheu. Sie streifte sich das Kleid rasch über den Kopf und warf es auf einen Stuhl. Nur mit Satih-BH, Slip und Sandaletten bekleidet, am Hals ihre schimmernde Bernsteinkette, stand sie vor Keane. „Ja, Lecia", sagte Keane andächtig. „So hatte ich mir dich vorgestellt, seit wir hier zusammen auf dem Sofa aufgewacht sind. Genau so ... groß und elegant und kraftvoll wie eine Göttin ... so schön." Er legte ihr die Hände auf die Schultern, und sie standen sich im vom Mondlicht erhellten Raum reglos gegenüber, bis Keane rau sagte: „So habe ich noch nie empfunden." Längst hätte Lecia jede Zurückhaltung vergessen. Mit fliegenden Fingern löste sie den Verschluss ihres BHs. Ein flüchtiger Blick zu Keane verriet ihr, dass er sich nicht gerührt hatte; Statt sich das Höschen abzustreifen, griff Lecia nach Keanes Gürtelschnalle und öffnete sie. Als sein Körper unter ihren Fingern zum Leben erwachte, stöhnte Keane auf. Lächelnd beugte Lecia sich vor und küsste ihn auf die Schulter, so dass ihr offenes Haar ihn wie ein Mantel einhüllte. Einen Moment ballte Keane die Hände zu Fäusten, dann ließ er sie sinken. Erregt gestand er: „Ich begehre dich so sehr, dass ich fürchte, mich nicht beherrschen zu können." Er zögerte, ehe er atemlos hinzusetzte: „Ich habe Angst, ich könnte zu grob werden - dir vielleicht sogar weh tun." ,,Du kannst mir gar nicht weh tun", erwiderte Lecia beschwö rend. „Ich bin deine andere Hälfte, dein zweites Ich, das dir so ähnlich ist wie niemand sonst. Nichts, was du tust, könnte mir weh tun." Keane streckte ihr die Hände entgegen,. Seine Finger zitterten leicht und waren wie ihre lang und schlank. „Sieh dir das an, Lecia. Ich muss mich wahnsinnig beherrsche n, um dir nicht das bisschen Satin vom Leib zu reißen und dich ohne Vorspiel zu nehmen." Ihr Lachen klang in dem Raum etwas verloren. „Wozu ein Vorspiel, Keane? Ich brauche dich nur zu berühren und verbrenne." Ihre Ermunterung nahm ihm die letzten Bedenken. Blitzschnell entledigte er sich seiner Hose. Als Lecia ihren Slip abstreifen wollte, bat Keane: „Nein, noch nicht." Sie betrachtete seinen Körper und fragte sich beunruhigt, ob sie mit der Bemerkung von eben nicht etwas voreilig gewesen war. Langsam sah sie auf und bemerkte das Begehren in Keanes Zügen, doch er biss die Zähne zusammen, bemüht, die Kontrolle nicht zu verlieren. Aber Lecia wollte nicht warten. Sie war keine Jungfrau mehr, die zart und rücksichtsvoll umworben werden wollte. Das hatte Zeit bis später. In diesem Moment war sie so bereit für Keane, dass sie danach fieberte, von ihm geliebt zu werden. Verführerisch legte ihm Lecia die Arme um den Nacken und bot sich Keane offen an. Ihr Puls begann zu jagen, als das Flakkern in Keanes Augen ihr verriet, dass er die Kontrolle über sich verloren hatte. Wortlos hob er Lecia hoch und trug sie in sein Schlafzimmer, wo das Mondlicht sich wie eine silberne Flut über das große Bett ergoss. Behutsam legte er Lecia auf die Bettdecke, und sie streckte ihm sehnsuchtsvoll die Arme entgegen. Er küsste sie, dabei streifte er ihr das Höschen ab und ließ die Finger über die Innenfläche ihrer Beine gleiten, bis er ihre
empfindsamste Stelle gefunden hatte, die a vif seine Berührung wartete. Als Lecia erregt aufstöhnte, schob Keane sich über sie, so dass er sie mit seinem Gewicht auf das Bett drückte, dann drang er in sie ein. Mit kraftvollen, harten Stößen begann er, sich zu bewegen, und Lecia wand sich ekstatisch unter Keane. Es gab nur noch die entfesselte Kraft, mit der er sie beherrschte und sich ihm unterwarf. " Lecia schloss die Augen und klammerte sich an Keane, Dabei passte sie sich in ihren Bewegungen Keanes Rhythmus an. „Nein!" flehte sie, als Keane langsamer wurde, und umfing seine Hüften, um ihn wieder in sich aufzunehmen. Atemlos bog sie sich ihm entgegen, um ihn noch besser zu empfangen und sich mit ihm zu verlieren. Wieder trieb Keane sie mit Ausdauer und zügelloser Leidenschaft zu den höchsten Höhen der Lust, bis Lecia seinen Namen schrie und in! Tränen ausbrach, nachdem sie die Schwelle dessen, was erträglich war, überschritten hatte. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Keane sagte etwas, das sie nicht verstand, und trotz ihrer ekstatischen Entrücktheit spürte Lecia, dass sich bei ihm etwas geändert hatte. Sie zwang sich, die Augen zu öffnen, und sah, dass seine muskulösen Schultern schweißbedeckt waren. Er warf den Kopf zurück und fuhr fort, dem Gipfel entgegenzustürmen. In Keanes Augen schien ein Feuer zu lodern, und sein Gesichtsausdruck zeigte Lecia, wie viel Lust sie ihm bereitete. Der Anblick seines Höhepunkts machte ihren noch, überwältigender, und wieder krallte sie die Fingernägel in Keanes muskulösen Rücken und wand sich unter ihm ... Sehr viel später, als sie langsam wieder in die Wirklichkeit fanden, gestand Keane: „So
etwas habe ich noch nie erlebt."
„Was?" Lecia erschauerte leicht.
Fürsorglich deckte er .sie beide zu und hielt Lecia umfangen, so dass sie an seinen warmen Körper geschmiegt lag. „Die völlige Auflösung." Keane streichelte sie zärtlich, und wieder erbebte Lecia, obwohl ihr nicht mehr kalt war. Wie kann man so weit gehen und immer noch mehr wollen? fragte sie sich. Ich bin süchtig nach Keane. „Ich habe so etwas auch noch nicht erlebt hauchte sie und küsste ihn auf die Brust, direkt über dem Herzen. „Noch nie?" Keane klang überraschte. „Nicht so wie eben", sagte Lecia rasch. „Ich habe nicht viel Erfahrung." Sollte sie ihm verraten, dass sie bisher nur mit einem einzigen Mann geschlafen hatte? Nein, nicht jetzt. Wenn sie Keane von dem Fiasko mit Alan erzählte, würde sie den Zauber des Augenblicks zerstören. Keane lachte zufrieden. „Aus irgendeinem Grund, der vermutlich mit meinem männlichen Stolz zu tun hat, bin ich froh darüber." „Ich auch", gestand Lecia. „Es passt irgendwie." Liebkosend ließ Keane die Hände über ihre Hüften gleiten. „Es war wie ein Blitzschlag. Wie lieben im Sturm. Bisher hatte ich immer darauf geachtet, nie die Kontrolle zu verlieren ..." Er verstummte. „Ich sollte besser nicht von früheren Geliebten sprechen." „Das macht mir nichts aus." Lecia gähnte. „Sie gehören der Vergangenheit an." Unwillkürlich hielt sie den Atem an und hoffte, dass Keane ihr recht gab. „So ist es." Seine Stimme klang besitzergreifend, und Lecia stützte sich auf, um ihn zu betrachten. „Chauvi", zog sie ihn auf. „Ich hoffe nicht, einer zu sein." Keanes Augen funkelten vergnügt. „Ich bemühe mich wirklich, keiner zu sein, aber alte Gewohnheiten kann man nicht so einfach abschütteln." „Eine ziemlich lahme Ausrede. Nur bin ich im Moment zu müde, um darüber zu reden." Lecia kuschelte sich wieder an Keane. „Ich glaube, ich sollte jetzt nach Hause gehen", setzte sie bedauernd hinzu. Am nächsten Morgen wollten sie nach Gisborne fliegen, und obwohl Lecia schon gepackt
hatte, würde es einfacher sein, wenn sie die Nacht in ihrem Apartment verbrachte. „Wenn du meinst ..." Keane legte ihr einen Finger unter das Kinn und sah ihr in die Augen. „Wirst du zu mir ziehen, wenn wir zurück sind?" Panik überkam Lecia, denn sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. „Das weiß ich noch nicht." Über eine so weittragende Entscheidung musste sie erst gründlich nachdenken. Verständnisvoll lächelnd schlug Keane vor: „Wir reden nach der Rückkehr darüber, ja?" Lecia nickte. „Bis dahin solltest du auch bedenken, dass ich mein Büro zu Hause habe." Er hob ihr Kinn leicht an und lächelte seltsam. „Neue Regeln, Lecia?" Dann lachte er und küsste sie. „Ja, natürlich. Neue Regeln. Aber du könntest dein Apartment vermieten und mit dem Geld deine Hypotheken tilgen. Hier bei mir, über der Garage, gibt es eine Wohnung, in der du deine Geschäftsräume ideal einrichten könntest." „Du denkst wirklich an alles." Für Lecias Geschmack entwickelte sich alles viel zu schnell. „Ich bin egoistisch und möchte dich hier haben, weil ich nur glücklich bin', wenn du bei mir bist. Andererseits weiß ich natürlich auch, dass so eine Entscheidung viele Umstellungen mit sich bringt. Aber mach dir darüber jetzt noch keine Sorgen, Liebes." Keane versuchte nicht, sie zum Bleiben zu überreden. Vor ihrem Apartmentkomplex angekommen, küsste er sie so zärtlich, dass sie beim Betreten des Hauses dachte: Alles wird gut werden. Am nächsten Morgen, Lecia lag noch im Bett, rief Keane an. Im ersten Moment befürchtete sie, er hätte es sich anders überlegt. „Alles in Ordnung?" fragte er. „Bestens." „Wir sehen uns also in einer Stunde." Er hatte nicht abgesagt! Freude und Erleichterung durchfluteten Lecia. Dann wurde sie nachdenklich. Keane hatte ihr seine Liebe gestanden, und sie glaubte ihm. Aber er hatte sie nur gebeten, zu ihm zu ziehen - von heiraten war nicht die Rede gewesen. Energisch klopfte Lecia sich das Kopfkissen zurecht. Nach allem, was sie über die Ehe seiner Eltern gehört hatte, war es eigentlich verständlich, dass Keane sich abwartend zeigte. Doch das würde sie nicht davon abhalten, zu ihm in das Haus am Meer zu ziehen. Sie liebte ihn zu sehr, um sich ihm zu verweigern, und wenn er nicht heiraten wollte, machte das auch nichts. Die Zeit ist auf meiner Seite, dachte Lecia, während sie die Riemen ihres Koffers festzog. Auf der Fahrt zum Flughafen erzählte Keane! „Tante Sophie hat heute frühzeitig angerufen. Sie möchte, dass ich' eine Schachtel mit Fotos bei ihr abhole, die meinem Vater gehört haben." Leicht befremdet sah Lecia ihn an, „Wieso hatte sie die Aufnahmen?" „Weil ich sie nicht haben wollte", erwiderte Keane kurz angebunden! „Ich habe ihr vor Jahren gesagt, sie könnte sie verbrennen." Lecia bemerkte, dass Keane das Lenkrad einen Moment fester umfasst hatte. Vorsichtig fragte sie: „Und warum das?" „Eine Handvoll Fotos wird mich nicht dazu bringen, meine Meinung über meinen Vater zu ändern. Ich weiß nicht, wie alt ich war, als ich merkte, dass er ein Schürzenjäger war ... schon ehe meine Mutter starb." Verwirrt schwieg Lecia. Keane hatte so eisig und unbeteiligt gesprochen, dass ein Schauder sie überlief. „Aber wenn Tante Sophie sie dir unbedingt geben will, muss sie doch sicher einen wichtigen Grund dafür haben", gab sie zu bedenken. „Ihr geht es nur um die Ahnenforschung", wehrte Keane kühl ab. „Alles, was die Vergangenheit belegt, ist für sie wichtig.".
„Es könnte doch aber sein, dass du einmal Kinder hast, die Tante Sophie recht geben." Als Keane nicht antwortete, überlegte Lecia, dass sie sich aus dieser Sache besser herausgehalten hätte. Doch dann warf Keane ihr einen raschen Seitenblick zu. „Ich hole die Fotos. Sonntag Abend ab", erklärte er schroff. Lecia hielt es für klüger, zu schweigen. Kurz vor dem Flughafen berührte sie Keanes Hand. „Ich möchte nur wissen; wie weit Tante Sophie mit der Suche nach unserem gemeinsamen Vorfahren gekommen ist." „Wenn, es da jemanden zu entdecken gibt, wird Tante Sophie ihn finden." Keane lächelte schwach. „Sie besitzt die Instinkte eines Spürhunds und die Beharrlichkeit eines Bluthunds." Der liebevolle Ton, in dem er gesprochen hatte, entlockte Lecia nun auch ein Lächeln. Sie lächelte immer noch, als die Frau am Abfertigungsschalter Keane mit unverhülltem Interesse ansah, und lächelte auch, als sie auf der anderen Seite des Ganges in der engen kleinen Maschine neben Keane saß, in der sie zu der abgelegenen Provinzstadt hinter den Bergen flog. Während sie über der Bucht einschwenkten, blickte Lecia auf die beiden Wächter der fruchtbaren Ebenen hinter Gisborne hinunter - die weißen Klippen des Young Nick's Head im Süden und den mächtigen Kaiti Hill im Norden -, und ihr wurde wehmütig ums Herz. Obwohl sie hier nie wieder leben würde, blieb dies stets ihre Heimat. Versonnen wandte Lecia sich Keane zu, der ebenfalls durch sein Fenster nach unten spähte. Beim Anblick seine s Nackens musste sie daran denken, wie sie in der Nacht die Finger durch sein Haar hatte gleiten lassen. Andere Erinnerungen an die leidenschaftliche Nacht drängten sich in den Vordergrund, und erst die Landung der Maschine rief Lecia wieder in die Gegenwart zurück. Ihre Mutter und ihr Stiefvater erwarteten sie bereits. Geschickt gelang es ihnen, ihre Bedenken und den ersten Schock zu verbergen, als sie von Lecia zu Keane blickten. Zu Lecias Erleichterung verstanden die beiden Männer sich auf Anhieb. Ihre Mutter verhielt sich, zurückhaltender, doch das war verständlich, denn wegen der früheren Mißgriffe ihrer Tochter beider Partnerwahl, war Lecias Mutter natürlich besorgt. Lecia konnte nur hoffen, dass sie Keane nicht ablehnte, sonst würde die Situation schwierig werden. Eigentlich müsste Mum ja verstehen, warum ich Keane liebe, denn; ihr; erster Mann hat ihm verblüffend ähnlich gesehen, dachte Lecia, die neben Keane auf dem Rücksitz des Wagens saß. Während Lecias Stiefvater etwas wegen der Festvorbereitungen besprach, blickte Lecia Keane forschend von der Seite an. Erlächelte ihr auf eine Weise zu, die ihr Herz schneller schlagen ließ. Natürlich hatte Lecias Mutter zwei Zimmer für Sie vorbereitet. Lecia zögerte,! als ihre Mutter Keane zu einem anderen Raum führte, sagte jedoch nichts. Während Lecia später mit Keane durch den Garten schlenderte; bemerkte er „DU möchtest im Haus deiner Eltern wohl lieber nicht mit mir schlafen." Sie blieben im Schatten eines mächtigen alten Magnolienbaums stehen, dessen tellergroße weiße Blüten einen betäubenden Duft verströmten. Lecia lächelte entschuldigend. „Ja, das stimmt ... auch wenn das vielleicht albern erscheinen mag." Lachend zog Keane sie in die Arme und küsste sie, „Aber nein. Ich finde es süß, dass du so viel jungfräuliche Scheu entwickelst." Er strich ihr zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. ,,Es macht mir nichts aus, dass wir getrennt schlafen, solange wir hier sind. Wir haben Zeit, Liebling. Und ich liebe dich." Abends trug Lecia ein pfirsichfarbenes Seidenkleid, das ihre zarte Haut schimmern und ihre grünen Augen wie Juwelen funkeln ließ; In erster Linie machte jedoch das Glück sie so schön - und der Ausdruck in Keanes Augen als er sie sah. Die Geburtstagsfeier verlief wunderbar. Ricks Eltern mochten Keane, und Vettern,
Kusinen und Freunde verfielen seiner beherrschenden Persönlichkeit und seinem Charme. Nachdem Keane mit Lecias Mutter und Großmutter getanzt hatte, hielt er Lecia in den Armen. Er war ein ausgezeichneter Tänzer, und sie schwebte mit ihm selig und verliebt dahin. Ihre letzten Zweifel .verflogen wie Staub im Wind. Nach dem üppigen Abendessen setzte Lecia sich zu Ricks Mutter und unterhielt sich mit ihr. „Sogar die Männer sind von ihm angetan", erklärte Großmutter Blythe und beobachtete Keane, der sich lachend mit einer Gruppe an der Tür unterhielt, dann sah sie Lecia prüfend an. „Deswegen hattest du dir Gedanken gemacht, nicht wahr?" „Nicht wegen der Familie", erwiderte Lecia. „Aber ich kann mich des unguten Gefühls nicht erwehren, dass Mum ihn nicht sonderlich mag." „Sie macht sich Sorgen, weißt du." Großmutter Blythe betrachtete ihre Schwiegertochter, die in ihrem Kleid überaus elegant aussah. „Trotzdem glaube ich nicht, dass sie etwas gegen ihn hat. Sie wartet wohl einfach nur ab und versucht, sich darüber klar zu werden, ob er für ihre Tochter der Richtige ist." Lecia lachte. „Das tun wohl alle Mütter." „Die guten bestimmt." „Außerdem habe ich vorher ja schon ein-, zweimal die falsche Wahl getroffen." „Ach was, du warst damals einfach noch zu jung", widersprach Großmutter Blythe energisch. „Triffst du deinen früheren Verlobten noch manchmal?" „Nein. Er wohnt inzwischen in Wellington." „Aber du hast seinetwegen immer noch Schuldgefühle." „Ja." „Dann sollte ich dir vielleicht einen Rat mit auf den Weg geben. Ich habe gelernt, dass man nur sein eigenes Leben steuern kann. Anderen kann man helfen oder ihnen weh tun, aber letztendlich müssen sie mit den Karten, die Gott ihnen gegeben hat, eigenverantwortlich umgehen." Die Worte der erfahrenen alten Frau hätten Lecia erleichtern müssen, dennoch konnte sie während des ganzen ungetrübten Wochenendes ein Gefühl des Unbehagens nicht abschüttteln. Etwas Dunkles, Bedrohliches kroch so unmerklich auf sie zu, dass sie nicht einmal hätte sagen können, wann ihr bewusst wurde, dass sie Angst hatte. Irgend etwas stimmte nicht - es war, als wäre etwas aus dem Gleichgewicht geraten und nicht zurechtgerückt worden. Beim späten Frühstück am Sonntag morgen sagte eine entfernte Kusine, die für ihre spitze Zunge bekannt war, mit kokettem Augenaufschlag zu Keane: „Wissen Sie, ich finde es ziemlich merkwürdig, dass der erste Mann von Lecias Mutter und Ihr Vater sich so unglaublich ähnlich sahen." „Seit Jahrhunderten ist doch allgemein bekannt, dass jeder einen Doppelgänger hat", mischte Lecias Mutter sich gelassen ein, worauf die ganze Familie sich mit Ausrufen und Vermutungen zu übertrumpfen versuchte. Die Kusine gab sich überrascht, fuhr jedoch fort: „Ein erstaunlicher Zufall, wenn man darüber nachdenkt. Hatte Lecias Vater auch ein Grübchen im Kinn?" „Ich hole ein Foto", erbot Lecias Mutter sich und verließ den Raum. Mit Unschuldsmiene wandte die Kusine sich wieder Keane zu. „Sie haben doch nichts dagegen?" „Ganz und gar nicht", erwiderte er liebenswürdig. Monica erschien mit einem Foto, das sie der Kusine vorlegte. „Ach, dein Hochzeitsbild l" stellte diese fest und warf einen Blick auf die Rückseite. „Melbourne. Was hast du denn in Australien gemacht, Monica?" „Ich habe während einer Geschäftsreise dort einige Tage Urlaub drangehängt." Die. Kusine ließ nicht locker. „Es wundert mich, dass du zum Heiraten nicht nach Hause gekommen bist." „Wir hatten nicht genug Geld für die Reise." Lecias Mutter bestrich eine Scheibe Toast
mit Butter. „Da sind meine Eltern rübergeflogen, und wir haben in aller Stille in Melbourne geheiratet." Die Kusine betrachtete das Bild erneut, dann musterte sie Keane eingehend. „Meine Güte, bis auf das gelichtete Haar sieht Monicas erster Mann Ihnen wirklich unglaublich ähnlich!" Lächelnd reichte sie ihm das Foto. Obwohl Keane es mit ausdrucksloser Miene ansah, spürte Lecia, dass er innerlich angespannt war. „Sein Haar war heller", mischte Lecias Mutter sich ein und träufelte Honig auf ihren Toast. „Und er war nicht ganz so groß." Rick stand auf, dann beugte er sich über sie und gab ihr einen Kuss. „Der arme Mann. So eine Tragödie." Liebevoll berührte Monica seine Hand. „Ja", sagte sie gefasst. „Also", Rick richtete sich auf, „wer hilft mir beim Aprikosen pflücken? Wenn wir die Früchte nicht rechtzeitig ernten, räumen die Sittiche den Baum ab." Zwei Stunden, bevor Lecia mit Keane zum Flughafen aufbrechen wollte, setzte sie sich zu ihrer Mutter. Lecia nahm dankend eine Tasse Tee an und blickte von der Veranda über die grüne Rasenfläche zu den Efeuüberrankten Zäunen der Tennisanlage, auf der Keane, Kick und zwei jüngere Vettern sich ein Match lieferten. Der friedliche Anblick bildete den harmonischen Abschluss eines gelungenen Wochenendes. Unvermittelt wandte Lecia sich 'ihrer Mutter zu. „Magst du Keane nicht?" Monica trank einen Schluck Tee und stellte ihre Tasse ab, die dabei leicht klirrte. „Doch. Sogar sehr." „Ist das alles?" fragte Lecia trocken. Ihre Mutter lachte. „Also gut ... er ist umwerfend, wie du selbst weißt, und er besitzt eine ungeheure Ausstrahlung, viel Selbstsicherheit, Energie und Überzeugungskraft, die Männer und Frauen gleichermaßen fasziniert. Man braucht ihn nur anzusehen und spürt, dass er jeder Situation gewachsen ist." Lecia zog die Brauen hoch und sah ihre Mutter fest an. „Aber?" „Er sieht blendend aus.... „ Hastig unterbrach Lecia sie. „Er ist überhaupt nicht wie Alan Parkinson! Kein bisschen!" „Das freut mich." Ihre Mutter nahm die Tasse wieder auf. Sie war Alan nie begegnet, aber Lecia hatte ihr Jahre später das Herz ausgeschüttet. „Ist das alles?" wiederholte Lecia. „Ja. Wieso?" Ihre Mutter schlug einen scherzhaften Ton an. „Hattest du erwartet, dass ich mich seinetwegen mit dir anlege?" Lecia lächelte. „Nein, natürlich nicht. Du wirst sehen, Mum, er ist so ganz anders als Alan. In allem." Ihre Mutter nickte und blickte zu den Tennisspielern, die schwitzend, aber strahlend vom Platz auf sie zugeschlendert kamen. In dem fröhlichen Geplauder, das nun folgte, vergaß Lecia die Unterhaltung mit ihrer Mutter, und erst auf dem Rückflug nach Auckland fiel sie ihr wieder ein. Ihre Mutter verhielt sich Keane gegenüber so zurückhaltend, weil er sie offenbar stark an den Mann erinnerte, den sie geheiratet und unter tragischen Umständen verloren hatte.
10. KAPITEL
In Auckland angekommen, fuhr Keane bei Tante Sophie vorbei, die sie mit dem gewohnten Charme empfing und dann auf ein Etui deutete. „Das sind die Fotos." „Erwarte keinen Dank von mir." Keane rührte das Kästchen nicht an. „Sie haben deinem Vater gehört." Sophie sah ihn beschwörend an. „N ach seinem Tod befanden sie sich unter seinen Sachen. Diese Fotos sind so ungefähr alles, was dir von ihm geblieben ist." „Darunter sind bestimmt keine Aufnahmen meiner Mutter." „Das weiß ich nicht - ich habe nicht nachgesehen", erwiderte Tante Sophie ernst. „Stuart hat deine Mutter geliebt, jedenfalls anfangs. Sie hätten nicht heiraten dürfen. Aber die Schuld liegt nicht allein bei ihm. Es waren nicht nur Schuldgefühle, die ihn nach dem Tod deiner Mutter dazu getrieben haben, sich zu erschießen." Lecias Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an. Der arme kleine Junge ... armer Keane! Mitfühlend berührte sie seinen Arm. Er legte die Hand auf ihre und drückte sie. „Da weißt du mehr als ich." Er blickte seine Großtante argwöhnisch an. „Du hast die Schnappschüsse dreißig Jahre aufbewahrt. Warum gibst du sie mir jetzt?" Tante Sophie ließ sich nicht beirren. „Weil ich glaube, dass du nun bereit bist, dich damit auseinanderzusetzen." „Da hast du recht - wie immer", bemerkte Keane trocken. „Es wird Zeit, dass du mit deinem Vater Frieden schließt, Keane. Brian und Zita waren dir wundervolle Ersatzeltern, aber sie haben Stuart aus der Warte deiner Mutter betrachtet. Sicher waren sie ihm gegenüber nicht absichtlich ungerecht, aber unparteiisch verhielten sie sich auch nicht." Der harte Ton, in dem Sophie Warburton gesprochen hatte, befremdete Lecia. „Ich weiß, wie mein Vater war", beharrte Keane. Sophie lächelte traurig. „Du hast nur eine Seite von ihm gekannt. Jedenfalls gehören dir diese Fotos, und ich hoffe, du siehst sie dir an." Einlenkend küsste Keane seine Großtante auf die Wange. „Vielleicht tu' ich's wirklich irgendwann einmal. Aber nur, weil du mich darum bittest." Im Wagen lehnte Lecia sich zurück und blickte nachdenklich aus dem Fenster. Bald würde der Herbst einziehen. Es machte sie stets wehmütig, wenn der Sommer zur Neige ging. „Fahren wir zu dir oder zu mir?" fragte Keane. Lecia antwortete nicht sofort. „Ich möchte lieber nach Hause. Morgen erwartet mich viel Arbeit." „Ich könnte bei dir übernachten - oder dich morgen früh auf dem Weg in die Firma bei dir absetzen?" schlug Keane vor. Zögernd gestand sie: „Ich habe meine Periode." „Na und?" Keane sah sie eindringlich an. „Ich begehre dich so, dass ich schon erregt bin, wenn ich durch den Raum gehe, indem du gewesen bist. Aber mir geht es nicht nur um Sex. Ich bin schon glücklich, wenn ich dich einfach in den Armen halten darf." Seine Worte ließen Lecia hoffen. Sieh zu verlieben war einfach, wenn romantische Gefühle sich mit Ungestümem Begehren paarten — doch die schillernde Seifenblase konnte rasch zerplatzen, wenn das Verlangen abgeflaut war. Mit der Zärtlichkeit war das anders. Sie verflog nicht so schnell und barg ein Versprechen für die Zukunft. „Das ist das Netteste, was mir je jemand gesagt hat", verriet Lecia. „Das will ich nicht hoffen." Keanes Stimme klang seltsam rau. „Was ist mit dem Mann, mit dem du verlobt warst? Diesem Barry?" Aufgewühlt gestand Lecia: „Er hat mich auf ein Podest gehoben. Bei ihm hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass er mich nicht so sah, wie ich bin, sondern eher wie eine
Hohepriesterin, die er anbeten konnte." „Du hast nicht mit ihm geschlafen", stellte Keane fest. Lecia schüttelte den Kopf. „Ist er inzwischen verheiratet?" „Als ich das letzte Mal mit ihm sprach, war er es nicht." „Ihr steht also noch in Verbindung?" Keane sprach beherrscht, doch da war ein Unterton, der Lecia warnte. Sachlich erwiderte sie: „Er ruft mich ab und zu an. Ihm liegt daran, dass wir Freunde bleiben." „Das klingt aber gar nicht so, als ob er dich als Freundin betrachten würde. Wenn er jemanden zum Anbeten braucht, soll er sich eine andere Göttin suchen", entschied Keane. „Dich hat er lange genug belastet. Immerhin warst du klug genug zu erkennen, dass eine Ehe aus enttäuschter Liebe eine Katastrophe geworden wäre." Lecia betrachtete Keanes markantes Profil. Genau das hatten andere ihr auch gesagt, doch aus Keanes Mund klang es hart und kompromisslos. Aber sie wusste ja, dass der Mann, den sie liebte, hart und kompromisslos sein konnte aber auch unglaub lich einfühlsam und amüsant, intelligent und rücksichtsvoll. „Wie denkst du also über heute Abend?" unterbrach Keane ihre Gedanken. „Ich fühle mich wirklich nicht besonders gut", erklärte Lecia. „Setz mich bei mir ab, dann nehme ich eine Tablette und gehe ins Bett." Keane verließ die Autobahn und fuhr am Hafen entlang zu Lecias Apartmenthaus. Diesmal begleitete er sie hinauf. Er drängte darauf, dass sie eine Schmerztablette nahm, und kochte Tee, den er mit Lecia trank. Danach zog er sie sich auf den Schoß und küsste sie, bis sie schläfrig und ihr Mund weich und hingebungsvoll wurde. „Möchtest du, dass ich bleibe?" flüsterte er zärtlich. „Mein armer Schatz, du siehst müde und angegriffen aus." „Ich habe leichte Krämpfe", gestand Lecia. „Sonst ist weiter nicht s. Morgen früh geht's mir wieder gut. Das ist immer so." Keane legte die Wange auf ihren Kopf, und sie konnte das gleichmäßige Schlagen seines Herzens an ihrer Brust spüren. Schließlich setzte er sie behutsam ab. „Geh schlafen", sagte er sanft.. Lächelnd verschwand Lecia ins Bad und ließ das warme Duschwasser über sich rinnen, während sie daran dachte, wie Keane sie leidenschaftlich geliebt hatte. Wenig später hatte sie ein Nachthemd übergestreift und packte gerade ihre Reisetasche aus, als Keane an der Tür des Schlafzimmers erschien. „Ab ins Bett", sagte er bestimmt. Lecia gähnte. „Also gut. Ich lasse alles bis morgen früh liegen." „Falls es dir lieber ist, fahre ich nach Hause." Keane lächelte, doch seine Stimme klang ernst. „Ich würde aber gern bleiben." „Ich möchte auch, dass du bleibst.“ Er murrte zwar später, weil Lecias Bett sehr viel schmaler als das bei ihm zu Hause war, hielt sie aber liebevoll umfangen, bis sie gelöst einschlief. Am nächsten Morgen erwachte Lecia frisch und ausgeruht. Sie reckte sich, fühlte sich wunderbar und küsste Keane auf das unrasierte Kinn. Ja, jetzt konnte sie glauben, dass ihre Beziehung eine Zukunft hatte: Ich liebe ihn so sehr-, und er liebt mich, dachte sie, genoss seine Küsse und das ungewohnte Hin und Her im Bad. Vergnügt vor sich hin summend bereitete Lecia das Frühstück vor Kaffee für; sie beide pochierte Eier und Orangensaft für Keane, Toast und gegrillte Tomaten für Sich: Diesen Morgen werde ich nie vergessen, dachte sie und setzte sieh lächelnd zu Keane an den Tisch. „Du siehst aus wie ein Sommermorgen." Er nahm ihre Hand und küsste sie auf die
Innenfläche. „Ich verlasse dich sehr ungern, aber wenn ich meine Frühbesprechung in der Firma nicht versäumen will, muss ich jetzt aufbrechen." Das Apartment erschien Lecia leer nachdem Keane gegangen war. Doch die Erinnerung an die Nacht mit ihm beflügelte sie und sie machte sich in ihrem Büro beschwingt an die Arbeit. Der Rest des Tages verlief ebenso viel versprechend! Gegen Mittag rief Janine an und erklärte, dass sie und Brian sich entschieden hätten. „Ihr letzter Entwurf ist genau das, was uns vorschwebt", sägte sie begeistert. „Wir können es kaum erwarten, dass die Bauarbeiten beginnen." Zehn Minuten später legte, Lecia zufrieden auf: Sie fragte sich, warum Keane noch nicht angerufen hatte. Doch er war ein vielbeschäftigter Mann, und sie hatte sich nicht verabredet. Nach dem Quallenb iss hatte er sich gemeldet. Abends rief Lecia ihn an, erreichte aber nur seinen Anrufbeantworter. Ruhig sagte sie: „Hallo, Keane. Ich bin's, Lecia. Wollte nur mal hören, wie's dir geht." Dennoch konnte sie sich eines unguten Gefühls nicht erwehren, das immer stärker wurde. Am nächsten Morgen erwachte Lecia mit Kopfschmerzen, und nicht einmal das schöne Wetter konnte ihre seltsame Angst vertreiben. Um sich abzulenken, ging Lecia ins Fitnessstudio, wo sie dichgründlich ausarbeitete. Bei der Rückkehr schloss sie gerade die Haustür auf, als ein Taxi vor dem Gehsteig hielt. Zu Lecias Überraschung stieg ihre Mutter aus. „Mum! Was tust du denn hier? Ist Rick nicht mitgekommen?" Ohne zu antworten, bezahlte Monica den Fahrer. Kaum war das Taxi davongefahren, als Keanes Wagen vorfuhr. Panik übermannte Lecia, und sie konnte kaum atmen. Wie erstarrt stand sie da, während Keane mit ihrer Mutter die Stufen heraufkam. Die beiden sahen sich nicht an. „Was ist los?" fragte Lecia mit bebender Stimme. „Ich muss dich sprechen", erklärte Keane. Lecia betrachtete ihn ängstlich. Seinen Zügen war nichts zu entnehmen, deshalb wandte sie sich ihrer Mutter zu. Diese wirkte erschöpft, und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Mum?" „Gehen wir rein", erwiderte ihre Mutter nur. Schweigend fuhren sie im Aufzug nach oben. Sobald sie im Wohnzimmer waren, bat Lecia beherrscht: „Setzt euch und erzählt mir endlich, was los ist." Ihre Mutter nahm Platz, doch Keane wehrte ab. „Danke, ich stehe lieber." „Keane?" Lecias Stimme klang flehend. Er nahm ein Foto aus der Brusttasche und reichte es Lecia. „Das habe ich in der Schachtel gefunden, die Tante Sophie mir gegeben hat." Stumm betrachtete sie den Schnappschuss. Obwohl er an den Rändern versengt war, konnte sie die beiden Personen darauf gut erkennen, die Arm in Arm auf einer Strandstraße standen. Die Frau war nach der Mode der sechziger Jahre gekleidet, und beide lächelten. Verwirrt fragte Lecia: „Meine Mutter und mein Vater?" „Sieh dir das Haar des Mannes an. Es ist voll. Das ist deine Mutter ... mit meinem Vater." Keanes Stimme klang beängstigend gefasst. Ehe sie begriffen hatte, was das bedeutete, fuhr er fort: „Sie haben beide Urlaub in Queensland gemacht - vor dreißig Jahren." Lecia konnte ihre Mutter nur entsetzt ansehen. Monicas Gesicht war kalkweiß, und sie sagte kein Wort. Keine Panik! Ruhig bleiben. Steif erwiderte Lecia: „Würde einer von euch mir bitte erklären, was los ist?" Ihre Mutter wollte antworten, doch Keane ließ sie nicht zu Wort kommen. „Allem Anschein nach sind wir Halbgeschwister, Lecia." „Nein!" Die Lippen ihrer Mutter .waren erschreckend bleich.
Eine eiskalte Hand legte sich um Lecias Herz. Sie sah Keane an, der groß und mühsam beherrscht vor ihr stand. In leidenschaftslosem Ton sagte er: „Ich glaube Ihnen nicht. Sie haben mit ihm geschlafen." „Ja", gestand Lecias Mütter matt. „Ich habe mit ihm geschlafen." „Nein" flüsterte Lecia. „Nein..." „Hören Sie." Monica sah Keane beschwörend an. ,, Lecia ist nicht Stuarts Tochter!" „Warum die Lüge?" führ er sie grob an. „Sehen Sie nicht, was Sie Lecia antun? Sie haben uns beide geschickt hinters Licht geführt." Sein Ton war so eisig, dass es Lecia das Herz brach. „Leider - oder glücklicherweise hat mein Vater das Foto als Trophäe aufbewahrt." „Lecia ist nicht sein Kind", beharrte Monica. „Kannst du das beweisen?" hauchte Lecia. Keane hob die Hand ließ sie jedoch wieder sinken, als wagte er nicht, Lecia anzufassen. „Ich gehe …" „Sie bleiben und hören mir zu!" sagte Lecias Mutter bestimmt. „Warum?" Keanes Äugen funkelten eisig. „Glauben Sie wirklich, ich wollte mir anhören warum Sie Ehebruch begangen haben? Das habe ich als Kind zur Genüge erlebt. Mein Vater war Spezialist im Erfinden windiger Ausreden." Lecias Mutter zuckte zusammen. „Ja, ich habe die Ehe gebrochen und bin darauf nicht stolz, aber Sie und Lecia sind höchstens entfernt miteinander verwandt. Sie wurde erst zwölf Monate nach meiner Affäre mit Ihrem Vater geboren." „Wie wollen Sie das beweisen?" fragte Keane schroff. Lecia war übel. „Ich hole meinen Pass mit dem Geburtsdatum;" Keane winkte ab. „Das beweist gar nichts." Erschöpft schloss Lecias Mutter kurz die Augen. „Lecia ist von meinem Mann." „Warum sollten wir Ihnen glauben?" Keanes Ton wurde zynisch. „Sie können, nicht beweisen, dass sie nicht die Tochter meines Vaters ist. Dieses Verhältnis, hätte Monate dauern können. Er ist oft geschäftlich nach Australien geflogen." Empört erwiderte Monica. „Für was für eine Frau halten Sie mich? Ich wusste, wer Sie sind - da wäre es doch schändlich von mir gewesen zu schweigen, wenn Sie und Lecia Geschwister wären?" „Ebenso schändlich, wie mit einem anderen zu schlafen, weil er wie ihr Mann aussah?" Keanes Augen funkelten so wütend, dass Lecia sich zwischen ihn und ihre Mutter stellte, doch er schob sie zur Seite. „Ein Mann, der die letzten eineinhalb Jahre seines Lebens im Rollstuhl verbracht hat und somit unfähig gewesen sein dürfte, ein Kind zu zeugen?" „Aber es war so!" Monica presste die Lippen zusammen und fuhr gefasster fort: „Ich werde Ihnen erzählen, wie alles war. Ein Jahr nach Denis' Unfall bekam ich eine schwere Grippe, die ich nicht los wurde. Da erhielt Denis einen Platz in einem Pflegeheim, damit ich mich in Queensland auskurieren konnte, wo es warm war. Dort habe ich Stuart Paget gleich am ersten Tag kennen gelernt." Lecia. Sah, dass Keane ihrer Mutter nicht glaubte, und wollte sie schonen. „Du brauchst uns das nicht zu erzählen, Mum." „Es muß sein." Monica holte bebend Atem. ,,Die beiden Männer waren grundverschieden. Denis hatte ständig Depressionen. Er wollte nichts tun, nicht reden, nur sterben. Und Stuart ... er war ein Mann voller Leben - so wie Denis früher gewesen war. Ich wusste, dass es falsch war, was ich tat, aber ..." Sanft nahm Lecia die Hand ihrer Mutter. „Bitte nicht, Mum." Ihre Mutter drückte ihre Finger. „Stuart hat mir erzählt, er sei geschäftlich in Sydney und zum ,Surfers Paradise' gekommen, das für seine Bikinimädchen berühmt war. Ich wusste von Anfang an, dass er nicht wie Denis war - der einzige Mann, den ich wirklich liebte." Sie wandte sich Keane zu. „Sie hatten recht. Ich habe mit Ihrem Vater geschlafen, weil er wie Denis aussah. Aber obwohl ich Stuart nicht gut kannte, merkte ich schnell, dass er meinem Mann nicht das Wasser reichen konnte." „Deshalb also ..." Lecia verstummte.
„Ja, deshalb war ich beunruhigt, als du mir von Keane erzählt hast. Ich hatte Angst, er könnte wie sein Vater sein." Keane blieb unversöhnlich. „Geliebt oder nicht geliebt, Sie haben mit ihm geschlafen." Monica nickte. „Sicher können Sie das nicht verstehen, aber Denis und ich waren erst ein Jahr verheiratet, als er den Unfall hatte ... und ich liebte ihn so sehr. Danach veränderte er sich völlig. Während ic h mit Ihrem Vater zusammen war, konnte ich mir kurze Zeit vormachen, alles würde wieder gut werden. Ich wusste nicht, dass er verheiratet war. Er hatte behauptet, frei zu sein." „Das war gelogen ..." Keane presste die Lippen zusammen. „Wie so oft." Matt gestand Monica: „Hinterher habe ich mich selbst gehasst und bin vorzeitig nach Hause zurückgekehrt." „Alles sehr tragisch, aber es beweist nichts." Monica wandte sich Lecia zu. „Das war im September. Ein Jahr später bist du geboren worden." „Wann mein Vater nach Australien gereist ist, weiß ich nicht genau." Keanes Stimme klang ausdruckslos, und er blickte in die Ferne. „Ich erinnere mich nur, dass er sich drei Monate vor Lecias Geburt erschossen hat vier Monate nach dem Tod meiner Mutter." Bittend sagte Monica: „Sie wollen mir also nicht glauben, dass Lecia nicht Ihre Schwester ist?" Keane schloss kurz die Augen. „Ich würde es nur zu gern tun", versicherte er rau. Lecia ahnte, wie ihm zumute war. Sie vertraute ihrer Mutter, aber solange sie nicht das genaue Datum von Stuart Eagets letzter Reise nach Australien feststellen konnten, würde Keane ihr nicht glauben. Unvermittelt warf er den Kopf zurück. „Ich muss es wissen. Verstehst du das denn nicht, Lecia?" „Natürlich." Behutsam entzog Lecia ihrer Mutter ihre Hand und ging zum Fenster. Unten stand Keanes Wagen. Sie dachte daran, wie er zu ihr heraufgeblickt hatte. Auf ein Versprechen und eine Rose hatte er gehofft. Tränen traten Lecia in die Augen, und ihre Kehle war wie zugeschnürt. Verloren flüsterte Lecia: „Wir werden es wohl nie beweisen können ... jedenfalls nicht hundertprozentig." „Wärst du denn bereit, das Risiko einzugehen?" fragte Keane leise. „Ich kenne meine Mutter." „Und ich weiß von ihr nur, dass sie mit meinem Vater geschlafen hat, weil er wie ihr Mann aussah, der für sie verloren war." „Es tut mir ja so leid." Monicas Stimme klang hoffnungslos. „Das glaube ich Ihnen gern", höhnte Keane. „Aber bestimmt nicht so wie Lecia und mir. Es führt zu nichts, weiter darüber zu reden. Ich gehe." Lecia schloss die Augen, um nicht mit ansehen zu müssen, wie er sie verließ. Nachdem die Tür sich hinter Keane geschlossen hatte, fuhr Monica sich mit zittrigen Fingern übers Gesicht. „Ach, Lecia, ich wünschte …" „Bitte nicht, Mum." Keane wird alles überprüfen dachte Lecia. Sie klammerte sich an jeden Strohhalm. Dennoch wusste sie, dass es kaum eine Hoffnung gab, die erforderlichen Informationen nach dreißig Jahren zu beschaffen. Sie hatte Keane für immer verloren ... Um sich ihre Verzweiflung nicht anmerken lassen, schlug sie vor: „Jetzt könnte ich eine Tasse Tee vertragen. Du auch? “ „Lecia ..." begann ihre Mutter unsicher. "Schon gut." „Nein, das ist es nicht," Monica blickte auf ihre Finger, mit Ricks Verlobungsreif und dem
Trauring. „Ich wurde mit dir schwanger, weil dein Vater seine Depressionen endlich losgeworden war und wir beide unbedingt ein Kind wollten. Wenige Wochen später erlitt er, eine Embolie und starb in meinen Armen. Es war furchtbar." „Ach, Mum ..." „Wir waren sicher, dass ich schwanger war, und dein Vater konnte sich vor Freude kaum beherrschen." Monica sah Lecia verzweifelt: an. „Jetzt verstehe ich, was mit den Sünden der Eltern gemeint ist, für die ihre Kinder büßen müssen Was ich vor Jahren getan habe, lässt sich nicht ungeschehen machen, aber ich schwöre dir, dass du nicht Stuarts Kind bist." Lecia setzte sich zu Monica und nahm sie in die Arme. „Wer bin ich dass ich Steine werfen könnte, Mum? Wir alle machen Fehler. Eine bessere Mutter als dich hätte ich mir nicht wünschen können." „Du glaubst mir doch? Monicas Lippen zitterten. Liebevoll strich Lecia ihr über die Wange „Ja", sagte sie schlicht. „Ich kenne dich und weiß, dass dm mich nicht belügen würdest." "Trotzdem habe ich dir noch nicht alles erzählt", fuhr Monica reuig fort. „Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich vieles anders machen." „Würden wir das nicht alle, Mum?" Später, nachdem sie Tee getrunken hatten, fragte Lecia ihre Mutter: „Wann hat Keane dich angerufen?" Monica sah sie fest an. „Gestern Abend. Er sagte, du würdest mich brauchen, und ich solle die erste Maschine hierher nehmen." „Weiß Rick Bescheid?" „Über Stuart und mich? Natürlich. Ich habe Rick alles gebeichtet, als er mich bat, ihn zu heiraten. Er war sehr verständnisvoll. Es war nicht einfach, ihn davon abzubringen, mich hier herzubegleiten, aber er hat eingesehen, dass es besser ist, die Angelegenheit unter uns zu klären. Nun wartet er auf meinen Anruf." Tränen traten ihr in die Augen. „Ich sollte ihm jetzt Bescheid geben." Nachdem Lecias Mutter mit Rick telefoniert hatte, berichtete sie „Er möchte, dass du mitkommst und eine Weile bei uns bleibst." Lecia schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht einfach weglaufen, Mum. Außerdem habe ich noch viel zu erledigen, ehe ich nach Australien fliege." „Glaubst du, dass Keane zurückkommt?" fragte Monica. „Nur, wenn er beweisen kann, dass du neun Monate vor meiner Geburt nicht mit seinem Vater geschlafen hast." Monica schloss einen Moment die Augen, dann bemerkte sie schmerzlich „Du liebst ihn." „Ich muss darüber wegkommen. " Doch plötzlich übermannte Lecia die Verzweiflung. Tränen rannen ihr über die Wangen, und sie ließ ihrem Kummer freien Lauf. Ihre Mutter hielt sie umfangen und streichelte sie, bis die Tränenflut versiegte. Einige Tage später flog Lecias Mutter nach Hause, nachdem sie sich rührend bemüht hatte, ihrer Tochter seelisch beizustehen. Lecia vermisste sie und zwang sich, wieder unter Menschen zu gehen. Sie besuchte Freunde, ging aus und arbeitete wie eine Besessene, um nicht an Keane denken zu müssen. Eines Tages rief Janine an. „Es ist soweit. Brian und ich haben den Vertrag unterschrieben. Kommen Sie doch zum Abendessen herüber, damit wir darauf mit Champagner anstoßen können." Instinktiv lehnte Lecia ab. „Tut mir leid, aber zum Abendessen geht's bei mir nicht." „Und morgen zum Mittagessen?" Lecia zögerte. Mittags würde Keane bestimmt nicht bei den Carpenters sein. „Sehr gern. Danke." Janine hatte sich viel Mühe gegeben, um alles sehr festlich zu gestalten. Gegen Ende des Essens bemerkte sie beiläufig „Vermutlich halten Sie mich genau wie Keane für eine
geldgierige Aufsteigerin, nicht wahr?" Lecia überlegte nicht lange. „Nein. Ich habe bemerkt, wie Sie Brian ansehen." Zu ihrer Verwunderung errötete Janine. „Danke." Sie warf Lecia einen unsicheren Seitenblick zu. „Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Als ich hörte dass Keane mit einer Frau essen war, die angeblich seine Halbschwester ist, habe ich mich über Sie erkundigt und Ihnen die Provision als Köder angeboten. Ich wollte Keane mit dem Ehebruch seines Vaters in Verlegenheit bringen deshalb habe ich den Yachtausflug vorgeschlagen. Dabei hätte ich jedoch nicht an Ihre Gefühle gedacht. Hinterher habe ich mich geschämt, erst recht nachdem ich herausgefunden hatte, dass Sie doch nicht Stuart Pagets Tochter sind. Als ich Ihre Skizzen später sah, wusste ich, dass wir Ihnen den Auftrag auf jeden Fall erteilen würden Trotzdem ist mir bewusst; dass ich mies gehandelt habe." Lecia machte eine Handbewegung, die ihre Verlegenheit verriet. "Schon gut.'' Doch Janine fuhr fort „Keane hatte allen Grund, mir nicht zu trauen, aber ich war so wütend auf ihn. Er hat mich eiskalt behandelt und mir seine Verachtung offen gezeigt. Hat er Ihnen gesagt ...? Ja, wie ich sehe, hat er es getan." Hastig fuhr sie fort „Ich hatte mich in ihn verliebt und dachte, er würde meine Gefühle erwidern." „Sie brauchen mir das alles nicht zu erzählen", Sagte Lecia leise. „Ich möchte es aber. Nach dieser ... Geschichte hat er mich gefeuert. Als ich weinend meinen Schreibtisch ausgeräumt habe, kam Brian herein. Ich war ihm schon vorher begegnet, und er tat mir leid, weil seine Frau gestorben war und er sich verlassen fühlte. So hat es angefangen. Natürlich dachte Keane ich hätte mich aus Rache an seinen Onkel herangemacht." „Das geht mich nichts an", wehrte Lecia ab. Janine ließ sich jedoch nicht beirren. „Anfangs bin ich wirklich nur mit Brian ausgegangen, um es Keane heimzuzahlen. Aber bald habe ich gemerkt, dass Brian der Richtige für mich ist. Er ist liebevoll, unkompliziert und ein guter Geschäftsmann. Geld ist für mich nun mal wichtig, das gebe ich zu." „Für wen ist es das nicht?" versuchte Lecia das Thema zu wechseln. „Für mich noch mehr als für die meisten." Janine zuckte die Schultern. „Ich möchte Brian eine gute Ehefrau sein, ihm Kinder schenken und ihm das Leben schön machen. Da ist es für alle einfacher, wenn die Familie mich akzeptiert. Vor allem Keane, weil Brian große Stücke auf ihn hält." „An Ihrer Stelle würde ich Keane das sagen", riet Lecia. Janine bewegte sich unbehaglich. „Ich hatte gehofft, Sie würden das tun." „Das geht nicht ..." Lecia wählte ihre Worte sehr vorsichtig. „Wir sehen uns nicht mehr." Betroffen schwieg Janine. „Das tut mir ehrlich leid!" sagte sie dann. „Was ist denn passiert?" Bei jeder anderen Frau hätte Lecia geschwiegen. Doch Janines Offenheit löste bei ihr eine seelische Sperre. In knappen Worten berichtete Lecia, was sich ereignet hatte. „Um Himmels willen! Das ist ja schrecklich!" Janine war entsetzt. „Es tut mir ja so leid für Sie, Lecia! Und ich hielt Sie und Keane für ein Traumpaar. Darf ich Brian davon erzählen? Nur ihm?“ „Ihrem Mann können Sie's sagen", erwiderte Lecia müde. „Ich weiß, dass Keane Ihnen gegenüber ziemlich hart gewesen ist." Als Lecia zu Hause ankam, hatte Keane nicht angerufen. Aber das hatte sie auch nicht erwartet, obwohl sie jedes Mal hoffnungsvoll auf das rote Lämpchen ihres Anrufbeantworters blickte, sobald sie heimkehrte. Sie sehnte sich verzweifelt nach Keane und litt schrecklich. Glücklicherweise würde sie in zwei Tagen nach Australien fliegen. Dort würde sie Abstand gewinnen und nicht jedes Mal Herzklopfen bekommen, wenn sie einen großen, breitschultrigen Mann sah. Spätabends, nachdem Lecia gepackt hatte, summte die Gegensprechanlage.
Es war Keane. „Lecia, ich muss dich sprechen."
11. KAPITEL Bebend atmete Lecia ein. „Also gut", sagte sie und drückte auf den Öffner. Während sie wartete, dass Keane heraufkam, erfüllte sie wachsende Erregung, und eine dunkle Vorahnung beschlich sie Keanes Blick verriet ihr, dass die Furcht berechtigt war. Seine Augen wirktem glanzlos. „Konntest du nicht schlafen?" fragte er. „Nicht besonders. Komm herein. Ist alles in Ordnung?" „Wie man's nimmt." Keane rührte sich nicht. „In Malaysia gibt's Probleme mit einem Gemeinschaftsprojekt, und ich bin auf dem Weg zum Flughafen. Ich habe herausgefunden, dass wir nicht Bruder und Schwester sind." Sein kalter Ton erstickte Lecias Erleichterung im Keim. „Woher weißt du das?" fragte sie unsicher. „Tante Sophie und Brian waren vor einer Stunde bei mir." Lecia erschauerte. „Und?" „Offenbar hast du Janine gesagt, dass wir uns nicht mehr treffen. Und auch, warum." Lecia hob die Hände, ließ sie jedoch wieder sinken. „Ja. Tut mir leid, wenn du nicht wolltest, dass sie es erfährt..." „Schon gut." Keane lächelte ironisch. „Janine hat mir die Hölle heiß gemacht, und das wohl zu Recht. Natürlich hat sie Brian davon erzählt, und der hat Tante Sophie angerufen. Sie waren bei mir, um mir zu sagen, dass er und Tante Zita in jener Brandnacht dabei waren.“ Lecia befeuchtete sich die trockenen Lippen. „Das verstehe ich nicht ..." "An dem Abend, an dem mein Vaterhaus Australien zurück kehrte, hatte meine Mutter ein festliches Essen vorbereitetet mit Kerzen und allem, was dazugehört. Als Brian mit Zita dort ankam, ist meine Mutter aufgelöst mit zwei Fotos die Treppe heruntergestürmt." „Die Schnappschüsse von deinem Vater mit meiner Mutter?" flüsterte Lecia. Keane nickte. „Meine Mutter war außer sich und hielt die Fotos an die Kerzen, um sie zu verbrennen. Mein Vater hat ihr die Bilder entwunden, und dabei fing ihr Gewand Feuer. Brian und mein Vater versuchten, die Flammen zu ersticken, doch meine Mutter riss sich los und rannte schreiend die Treppe zu meinem Zimmer hinauf." Hätte sie ihrem kleinen Sohn diese Szene doch erspart! dachte Lecia. Mit harter Stimme fuhr Keane fort „Ihr Sterben dauerte fünf Monate. Mein Vater sei ständig bei ihr im Krankenhaus gewesen, sagt Tante Sophie. Er fuhr nicht mal arbeiten, geschweige denn nach Australien. Bis der Nachlass meiner Mutter geregelt und meine Zukunft sichergestellt war, blieb er bei ihnen - dann hat er sich erschossen. Du kannst also unmöglich meine Schwester sein." Lecia legte die Arme um ihn. „Schon gut, Keane, schon gut", wiederholte sie immer wieder. Doch selbst als die Starre aus seinem Körper wich und Keane sie ebenfalls umarmte, wusste sie, dass alles verloren war. Sein Ton, seine Haltung verrieten ihr, dass es für sie keine Hoffnung gab. Indirekt war - wie Lecia jetzt bewusst wurde - ihre Mutter der Grund für den grauenvollen Tod seiner Mutter gewesen. Wann immer Keane sie ansah, würde er die tragische, schreiende Gestalt seiner Alpträume vor sich haben. „Ich muss gehen." Seine Stimme klang hart und unbeugsam. „Ja ... Pass auf dich auf." Resigniert ließ Lecia die Hände sinken und trat zurück, um ihn gehen zu lassen. Starr, mit tränenlosem Blick verfolgte sie vom Fenster aus, wie Keane zu seinem Wagen ging und noch einmal zu ihr heraufsah und winkte. Der Abschied ... dachte sie und winkte zurück, obwohl ihr das Herz brach. Es war keine verbotene Liebe, nur eine, der zuviel entgegenstand. Jedenfalls aus Keanes Sicht. Sie würde ihn lieben, solange sie lebte ... wie ihre Mutter ihren Vater geliebt hatte.
Drei Wochen später schlenderte Lecia in Australien die Hauptstraße von Noosa entlang, einem beliebten kleinen Ferienort nördlich von Brisbane. Um sie her wimmelte es von zwanglos gekleideten Urlaubern. Auch Lecia trug T-Shirt und Shorts, und normalerweise hätte sie die gelöste Atmosphäre genossen die einladenden kleinen Geschäfte, die Palmen und den Strand - eine Welt, in der das Leben nur aus Spaß zu bestehen schien. Doch in Lecia war alles kalt und tot. Sie würde darüber hinwegkommen, sagte sie sich immer wieder. Ihr blieb keine andere Wahl. Die Verzweiflung, der Schmerz waren zu stark, um von Dauer sein zu können. So hoffte sie. Lecia fuhr zusammen, als hinter ihr jemand sagte: „Lecia." Ihr Herz schien stillzustehen. Steif drehte sie sich langsam um. Keane wirkte müde, doch er hatte sich gut unter Kontrolle und strahlte wie stets Kraft und Energie aus. Einige Frauen warfen ihm interessiert Blicke zu, aber er hatte nur Augen für Lecia. Ihr Puls begann zu jagen, und sie versuchte zu lächeln. „Hallo, Keane", brachte sie mühsam hervor. „Was machst du denn hier?" „Ich muss mit dir reden." „Du hast doch beim letzten Mal alles gesagt." „Offenbar nicht." Keane schluckte. „Sonst würdest du mich nicht ansehen, als wäre ich der Leibhaftige persönlich." Nur keine Hoffnung schöpfen! ermahnte Lecia sich. „Wir könnten irgendwo etwas trinken", schlug sie vor. „Dafür wüsste ich genau den richtigen Ort." Keane ging mit Lecia jedoch nicht in ein Cafe oder eine Bar, sondern führte sie eine mit Palmen und blühenden Büschen gesäumte Straße entlang zu einem eleganten Gebäude am Strand. Verwundert blieb Lecia stehen. „Was ist das?" „Ich habe hier ein Apartment gemietet. Dort sind wir ungestört." Lecia nickte nur und folgte Keane zum Eingangsportal. Eine Aussprache auf neutralem Boden war sicher das beste. Während sie an einer blühenden Hibiskushecke entlänggingen, fragte Keane: „Wo bist du abgestiegen?" „In einem Hotel für Rucksacktouristen." „Wenn wir uns unterhalten haben, bringe ich dich dorthin." Der letzte Hoffnungsstrahl erlosch. Die geflieste Eingangshalle trug den Stempel eines schöpferischen Architekten, doch Lecia nahm sie kaum wahr. Benommen begleitete sie Keane nach oben. Das Apartment war geschmackvoll eingerichtet - Rattanmöbel, Polster und Vorhänge in den Farben des Meeres und des Strandes. Ein Balkon mit Tischen, Stühlen und Liegen bot einen atemberaubenden Blick über die Lagunenbucht. „Setz dich", sagte Keane. „Ich hole uns etwas zu trinken." „Ich hatte nicht erwartet, dich hier zu treffen", gestand Lecia. „Deine Mutter musste mir versprechen, dir nicht zu verraten, dass ich dich suche." „Es überrascht mich, dass sie darauf eingegangen ist." Keane lächelte warmherzig. „Deine Mutter und ich haben Frieden geschlossen. Was möchtest du trinken?" „Etwas Kaltes ohne Alkohol, bitte." Das pfirsichfarbene Getränk, das Keane ihr reichte, schmeckte köstlich, doch Lecia trank nur einen Schluck und stellte das Glas dann ab. Sie faltete die bebenden Hände im Schoß und atmete tief ein.'„Worüber möchtest du mit mir reden?" kam sie sofort zur Sache. Keane ging zur Fensterfront und blickte hinaus, dann drehte er sich um. „Über vieles. Aber letztlich läuft alles darauf hinaus, dass ich hier bin, weil du mir fehlst. Ohne dich bin ich nur ein halber Mensch. Ich kann nicht essen, nicht schlafen, und selbst beim Arbeiten sehe ich dich plötzlich vor mir - wie du gehst, mit dem unwillkürlichen kleinen
Hüftschwung - wie du lächelst... Dann krampft sich alles in mir zusammen, und ich verfluche mich, weil ich mich wie ein Narr benommen habe." „Ich verstehe nur zu gut, warum du gegangen bist..." flüsterte Lecia. „Bitte, hör mir zu", unterbrach Keane sie. „Hinterher kannst du mich zum Teufel schicken, wenn du willst. Als mir bewusst wurde, dass die Fotos schuld am Tod meiner Mutter waren, hatte ich das Gefühl, sie mit meiner Liebe zu dir verraten zu haben." Lecia war erschüttert. „Das glaube ic h dir." „Inzwischen habe ich mit Brian und Tante Sophie gesprochen. Beide bezeichneten sie als neurotisch und kalt - trotzdem war sie meine Mutter. Sie hatte mich zu ihrem Vertrauten gemacht. Von Anfang an wusste ich, dass mein Vater andere Frauen hatte." Verbittert presste Keane die Lippen zusammen. „Und ich musste ständig miterleben, wie sehr sie darunter litt." „Sie muss eine zutiefst unglückliche Frau gewesen sein, aber sie hat dich um deine Kindheit gebracht", bemerkte Lecia traurig. Keane runzelte die Stirn, dann nickte er widerstrebend. „Sie brauchte jemanden, dem sie ihr Herz ausschütten konnte, aber das hätte sie nicht bei mir tun dürfen. Ich hatte geglaubt, darüber hinweg zu sein. Doch als ich merkte, dass du und deine Mutter in diesen Alptraum verwickelt wart, ist meine Kindheit wieder vor mir auferstanden." „Das verstehe ich. Aber inzwischen ist das nicht mehr wichtig." Mit rauer Stimme fragte Keane: „Willst du mir jetzt einfach nur verzeihen, dass ich deine Mutter beleidigt und dir die Hölle bereitet habe, und dann gehen?" „Dummkopf!" Lecia sprang auf. und eilte zu ihm. „Ich liebe dich! Natürlich verzeihe ich dir!" „Lecia!" Keane riss sie in die Arme. „Mein Engel, mein ein und alles! Und ich hatte Angst, du würdest mich für meine Verbohrtheit büßen lassen!" „Du warst nicht verbohrt. Trotzdem dachte ich, du würdest nie darüber hinwegkommen." Aufgewühlt legte sie den Kopf an Keanes Schulter „... mit ansehen zu müssen, wie die eigene Mutter in Flammen steht. So etwas verkraftet kein Kind." Tränen rannen Lecia über die Wangen. „Nicht weinen", bat Keane und drückte sie an sich „Bitte weine nicht, Liebes." Mit unsicheren Fingern nahm Lecia das Taschentuch, das er ihr reichte, und tupfte sich die Tränen ab. Dann hob sie den Kopf. „Letztlich ist meine Mutter schuld am Tod von deiner. Daran ändert sich nichts." Keane rührte sich nicht. „Als ich in Malaysia war und dich so schrecklich vermisste, erkannte ich, dass ich die Wahl hatte. Ich konnte weiter in der Vergangenheit verharren oder mich für die Gegenwart und die Zukunft entscheiden. Und da du meine Gegenwart und meine Zukunft bist, fiel mir die Entscheidung leicht" Stumm barg Lecia das Gesicht an Keanes Hals und küsste ihn. „Deine Mutter war nicht verantwortlich für das Verhalten meines Vaters", betonte Keane. „Und auch nicht für die Hysterie meiner Mutter. Aber dadurch wurdest du mir beschert." Er drückte Lecia an sich und flüsterte an ihrem Haar: „Wie sehr ich dich liebe, wurde mir panikartig bewusst, als nicht einmal deine Mutter mir sagen konnte, wo du genau warst." „Da bist du nach Gisborne geflogen und hast sie bedrängt", vermutete Lecia. „Wie gut du mich kennst." Keane küsste sie auf die Schläfe. „Erst ließ sie mich zappeln, aber dann hat sie mir verraten, dass du wohl heute in Noosa bist. Da bin ich sofort hergeflogen." „Und wenn du mich unter den vielen Touristen auf der Straße nicht gefunden hättest?" „Auch darauf war ich vorbereitet", gestand Keane. Du hattest versprochen, deine Mutter heute Abend anzurufen. Dann wollte sie mir deine Adresse durchgeben. Sobald ich die gehabt hätte, wollte ich wie ein Bittsteller vor deiner Tür sitzen." „Ha!" Lecias Augen funkelten. „Als Bittsteller kann ich mir dich Beim besten Willen nicht vorstellen. Eher als Troubadour, der auf eine Rose und ein Versprechen hofft." „Wirst du mir beides geben?" Keane schien sich Lecias Antwort sicher zu sein.
„Das habe ich schon getan." Die Rose deiner Liebe und das Versprechen, gemeinsam die Zukunft zu verbringen." Keane lächelte. „Ich liebe dich, und du liebst mich. Mehr brauche ich nicht, um für den Rest meines Lebens glücklich zu sein." Lecia konnte nicht oft genug hören, dass er sie liebte. „Ich verdiene dich nicht", sagte sie, bewegt. „Ach, Liebes, wenn wir von verdienen sprechen wollen ... Du weißt ja nicht, wie wunderschön du bist." Sanft hob Keane ihr Kinn an und sah ihr in die Augen. „Das mag eitel klingen, da man uns für Zwillinge halten könnte. Doch jetzt sehe ich in dir nicht mehr das Ebenbild, sondern die Frau. Die Frau, die verstanden hat; warum ich sie verlassen musste, obwohl ich sie von ganzem Herzen liebe. Die Frau, die klug und humorvoll und so unglaublich liebenswert ist." Lecia lächelte scheu. „Wird es dich nicht stören, dass die Leute immer wieder denken werden, wir wären Bruder und Schwester? Wenn wir uns berühren, werden sie zur Seite blicken." „Warum sollte mich das jetzt stören, wenn es das bisher, nicht getan hat? Außerdem wird ihnen klar sein, dass wir nicht verwandt sind, wenn wir erst einmal Kinder haben." Als Lecia schwieg, fragte er leise: „Wir werden doch welche haben?" „Wenn es uns vergönnt ist." Ihr war schwindlig vor Glück. Beschwörend sagte Keane: „Ohne dich kann ich nicht leben, das weiß ich inzwischen. Ich brauche dich, Lecia." „Und ich brauche dich." Keane küsste sie verlangend. Doch das war nur der erste Schritt im leidenschaftlichen Tanz der Sinne. Diesmal gab es kein Zögern, kein Verweigern und kein nachfolgendes Leid. Das große Bett im Schlafzimmer bot einen traumhaften Blick über die Bucht. Als Keane die Vorhänge zuziehen wollte, bat Lecia: „Nein, lass sie offen. Wir wollen uns in der Sonne lieben." „Gut." Keane verstand ihren Wunsch. „Du machst mich sehr glücklich." Er kam zu ihr, berührte sie jedoch nicht, sondern sah sie nur an. „Ich liebe dich." Lecia umfaßte sein Gesicht. Engumschlungen küssten Sie sich. Dabei bewegten sie sich auf das Bett zu, auf das die Palmen vor dem Haus gesprenkelte Schatten malten. In dem sonnigen Raum zeigte Keane Lecia auf dem breiten Bett, wie er sich zurückhalten und gleichzeitig ihr Verlangen schüren konnte. Die Vergangenheit war vergessen, während die Flammen der Liebe über ihnen zusammenschlugen, um sie für immer zusammenzuschmieden. Zärtlich streichelten sie sich, bis das Verlangen übermächtig wurde und keinen Aufschub mehr duldete. Zeit und Raum versanken, und Lecia erinnerte sich später nur, dass die Sonne Keanes muskulösen Körper mit goldfarbenem Feuer überzog. Langsam ließ Keane die Hand über Lecias Taille, dann über den Nabel und ihren flachen Bauch gleiten, bis er endlich die Quelle ihres Begehrens gefunden hatte. Lecia bog sich ihm aufstöhnend entgegen. „Ja ... das ist es", sagte Keane heiser, „... es gehört mir, nur mir ... für immer. So, wie ich dir gehöre, Lecia - mit Leib und Seele, bedingungslos." Erregt ließ er sich auf sie gleiten, und Lecia nahm ihn in sich auf und umfing ihn mit der Hitze ihrer Liebe. Bis jetzt waren sie sehr vorsichtig miteinander umgegangen mit ihren Berührungen und Liebkosungen -, doch nun vergaßen sie jede Zurückhaltung. Mit heftigen Stößen bewegte Keane sich in ihr, und Lecia klammerte sich an ihn und hob sich ihm rhythmisch entgegen, bis sie das Gefühl hatte, über eine Klippe geschleudert zu werden und Wellen der Ekstase über ihr zusammenschlugen. Fast gleichzeitig warf Keane den Kopf zurück und bäumte sich auf, als er den Höhepunkt erreichte.
Erschöpft und erfüllt hielten sie sich eine Zeitlang stumm umfangen. Dann strich Lecia Keane eine feuchte Strähne aus der Stirn, und er nahm ihre Hand und küsste sie. Sie atmeten ruhiger, so dass die Geräusche vom Strand wieder zu hören waren - das Schlagen der Wellen und das Rauschen der Palmwedel im Wind. Lecia betrachtete ihre aneinander geschmiegten Körper und lächelte. „Mit den Sonnenstreifen auf der Haut sehen wir wie Tiger aus." „Diese Tigerin gehört nur mir. Warte." Geschmeidig rollte er sich herum, so dass Lecia auf ihm zu liegen kam. Zufrieden betrachtete er sie. „Du machst mich völlig verrückt." Er schwieg, ehe er gestand: „Deshalb habe ich auch nicht daran gedacht, uns zu schützen. Wäre es schlimm, wenn du schwanger geworden wärst?" Lecia dachte nach. „Es wäre besser, wenn ich es nicht wäre. Jedenfalls noch nicht. Aber wenn es passiert ist, würden wir damit zurechtkommen." Sie küsste Keane auf die Wange. „Wann heiratest du mich?" Er schien Lecias Schweigen falsch zu deuten, denn er fuhr eindringlich fort: „Du magst mich für altmodisch halten, aber auf die Dauer würde es mich stören, nicht mit dir verheiratet zu sein. Ich möchte wissen, dass du zu mir gehörst, und wäre erst dann wirklich glücklich, wenn wir unsere Liebe nach alter Sitte mit Ringen und Trauungszeremonie besiegelt hätten." Als Lecia strahlend nickte zog Keane sie in die Arme, und wieder versanken sie in einen Taumel der Leidenschaft. Keane und Lecia heirateten in Gisborne, wo Lecias Mutter ihnen eine Traumhochzeit ausgerichtet hatte." Während das Brautpaar auf den Wagen wartete, der es zum Flughafen bringen sollte, bemerkte Tante Sophie „Ach, übrigens, ihr Lieben, ich habe das Bindeglied entdeckt! Ein Sohn der ursprünglichen Laetitia hatte eine Affäre mit dem Kindermädchen seiner Schwester, einer Julia Spring. Es muss die große Liebe gewesen sein, denn obwohl er sie nicht geehelicht hat, ist er unverheiratet gestorben. Ihr Sohn ist nach Australien ausgewandert." Später, in den Flitterwochen auf einer kleinen. Tropeninsel, sagte Lecia zu Keane „Wir werden die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, 'sondern Probleme zusammen lösen Hand in Hand schlenderten sie unter Palmen piner gemeinsamen Zukunft voller Liebe und gegenseitigem Vertrauen entgegen. -ENDE