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LUX-LESEBOGEN NATUR- U N D K U L T U R K U N D L I C H E HEFTE
OTTO
ZIERER
KARTHAGO...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- U N D K U L T U R K U N D L I C H E HEFTE
OTTO
ZIERER
KARTHAGO A U F S T I E G U N D U N T E R G A N G E I N E R WELTMACHT
VERLAG SEBASTIAN
LUX
MURNAU-MÜNCHEN-INNSBRUCK-BASEL
Sine ira et studio Karthago — das ist für uns heute vor allem die Geschichte eines abgründigen Völkerhasses und eines finsteren Vernichtungskrieges, Erinnerung an den Schicksalskampf eines Volkes und an den Sieg des republikanischen Roms über die beherrschende Seemacht an Afrikas Nordküste, Erinnerung an Seeschlachten mit Ruderbrechen und Kampf auf den Enterbrücken. Wir denken an den großen Feldherrn des Sizilienkrieges, Hamilkar Barkas, wie er zu nächtlicher Stunde mit dem Rest seiner Armee in den türmebewehrten Kriegshafen Karthagos einläuft und im Schein der Fackeln hoch am Ufer die Kreuze erkennt, an denen der Rat der Stadt seine besiegten Unterfeldherren hat hinrichten lassen. Der Name des Sohnes des Hamilkar steigt im Gedächtnis auf: Es ist Hannibal Barkas, das Feldherrngenie im Zweiten Punischen Krieg, der als halbwüchsiger Junge am Altar der Tank ewigen Haß gegen das siegreiche Rom geschworen und der Rom als Erwachsener für zwei Jahrzehnte zum Erzittern gebracht hat. Und wir wissen: Karthago, das war Hannibals Alpenübergang mit Reitern und Elefanten im Jahre 218 vor Christus, das war der Aufschrei Italiens „Hannibal ante portas!" — ,Hannibald vor den Foren Roms!', der Sieg des Karthagers bei Cannae mit siebzigtausend erschlagenen Römern und die Niederlage des alten Löwen Hannibal gegen Scipio bei Zama im Westen Karthagos. Wir erinnern uns auch, daß dem Angstruf Roms „Hannibal ante portas" der unerbittliche Ruf des Hasses folgte, den der Altere Cato unentwegt wiederholte: „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam" — ,Und im übrigen stimme ich dafür, daß Karthago zerstört werden muß.' Karthago wurde zerstört. Im Jahre 146 v. Chr. sank es unter römischen Mauerbrechern und Widdern. Die Wut der Legionen brach vernichtend über die unerhörten Festungswerke, der letzte Lebensatem der Stadt verwehte in siebzehntägigem Brandgewölk. Karthagos Name schien aus den Annalen der Geschichte für immer ausgelöscht. Mehr als 2000 Jahre sind vergangen, seit der eiserne Römer Publius Cornelius Scipio der Jüngere seine Sturmtruppen über die gebrochenen Wehrgänge hinein in die Gassen Karthagos führte und die 2
ragende Metropole der Plünderung, dem Brand und endlich dem über die Trümmer geführten Pflug überließ. Seit dieser Zeit gab es kein karthagisches Karthago mehr, wie es kein karthagisches Handelsreich mehr gab. Eine Großmacht der Antike war untergegangen und verschmolz mit einem neuheraufsteigenden Reich, dem sich formenden Imperium Romanum. Die Geschichte dieser Stadt und ihres Seereiches aber wurde — wie so häufig — von den Siegern geschrieben. Was aber wjnr dieses Karthago wirklich, wie entschleiert sich seine Gestalt „sine ira et studio" — also ,ohne Haß und Voreingenommenheit' seiner einstigen Feinde?
Dürstendes Land A u s den runden Bullaugen der viermotorigen Verkehrsmaschine, die uns über das Mittelmeer trägt, sehen wir eine Stunde lang nur das aufgerauhte Stahlblau des Meeres unter uns, das selten von der Kiellinie eines Schiffes durchfurcht wird. Dann taucht der violette Schatten der afrikanischen Küste auf, kommt rasch näher und wechselt im Sinken der Maschine vom dunstigen Violett hinüber zu Gelbbraun und Rotbraun. Schon ziehen wir über erste Schären und Klippeninseln hinweg, Landzungen und Kaps springen vor, der weiße Kranz der Brandung umschlingt Fels und Sand. Die hellen Häuserwürfel der weithingestreckten Stadt dehnen sich zwischen Lagunen und tot blinkenden Meeresbuchten. Die Maschine setzt zur Landung auf dem Flughafen Tunis an. Kann dies da unten die historische Landschaft Karthagos sein, die von dem Karthager Mago und dem römischen Studienreisenden Cato als ein Paradies, als ein von Obsthainen und reichen Plantagen bedecktes Land beschrieben wurde, das jahrhundertelang neben dem reichen Ägypten den römischen Massen die Kornflotten zusandte und in dessen fruchtbare Ebenen sich die römischen Kolonisten, später die Vandalen und Byzantiner ergossen, um die üppigen Landgüter auszubeuten? Tunesien zeigt zwar in manchen Teilen immer noch eine gut entfaltete Landwirtschaft, aber im Landesinnern ist fast alles Steppe und Wüste, dürstendes Land. Hat sich das Klima seit der Antike so sehr geändert, daß die 3
Wasser versiegten, die Haine vertrockneten und auch die ungeheuren Acker- und Grasweideflächen verschwanden, die einstmals Rom und Italien ernähren halfen? Wir stehen vor der gleichen Tatsache wie im heutigen Irak oder in einigen Landschaften Ägyptens. Auch sie waren in der Antike reiche Überschußländer: Der Irak galt als das Eden der Urzeit, die Ackerfläche des alten Ägyptens schätzt man um ein Drittel größer ein, als es der gegenwärtig beackerte Boden des Nildeltas ist. Heute sind seine Landstriche genau wie große Teile Tunesiens zur Steppe und Wüste geworden, und von den antiken Bewässerungsanlagen, Gräben, Äckern und Plantagen zeigt sich dort kaum noch eine Spur. Überall, wohin die Eroberervölker des 7. und 8. nachchristlichen Jahrhunderts, die Araber, vordrangen, hat sich das Landschaftsbild geändert. Als geborene Nomaden und Hirten verwandelten sie das eroberte Land in ein Stück ihrer Urheimat, in Wüste, Steppe und Viehweide. Für die Erhaltung des Ackerbaus am Rande der Wüste und der ausgeglühten Gebirge hatten sie kein Verständnis. So sank auch das einstmals überquellende Hinterland Karthagos zurück in eine Wüstenei, ausgeliefert der Sonne, die über jenen Breiten die flammende Geißel schwingt.
»Fen Karthago ? — Wo ist Karthago ?" Als wir auf dem Flugplatz die Klima-Kabine des Flugzeugs verlassen, schlägt uns Backofenhitze entgegen, fühlbarer Beweis, daß wir in Afrika sind, unter dem Himmel, der sich einst auch über Karthago ausspannte wie ein blaues, golddurchwobenes Zelt — und doch vermutlich ein anderer Himmel, denn damals durchwehte ihn noch der Duft der Obstgärten und die Kühle der grünen Haine. Wir durchqueren Tunis, eine moderne Stadt, im nordafrikanischen Stil mit vielen kolonialfranzösischen Zutaten erbaut, und benützen mit dem rasch dahinsausenden Taxi die breite Asphaltstraße, die zum Kap Gouletta führt. Schon der Name des Kaps erinnert an das antike Karthago. Hieß nicht das Vorgebirge der Halbinsel, auf der Scipio den ersten Brükkenkopf errichtete und wo er einen Sperrdamm vor die Hafeneinfahrt der Stadt legte, Goletta? Der Taxifahrer, der die lange Dschebella und ein weißes Käppchen 4
Maßstab 1:62000
ie Halbinsel Karthago zwischen dem Junis-See (Stagnum Juneticum) und der Bucht von Utica (Sinus Uticensis). 5
trägt, kennt sich aus. Viele Fremde verlangen danach, zu den Ruinen gebracht zu werden. Die Halbinsel schiebt sich aus der weiten Ebene ein wenig hügelig zwischen zwei Meeresbuchten vor. Die Straße steigt hinauf nach Sidi Bou Said, der weißen Stadt auf roten Steilhängen, dem früheren Sommeraufenthalt der Beis und Paschas. Hier ist ein Stück der Küstenlinie über dem tintenblauen Meer reich bewaldet mit Eukalyptus —, Ahorn- und Palmbäumen, Blumen wuchern in halbtropischer Pracht in den Parkanlagen und Gärten. Zwischen alten Aurakarien leuchtet das schneeweiße Gemäuer und türkisblaue Gegitter alter Paläste aus der Türkenzeit. über den Hügel von Sidi Bou Said hinweg führt uns die Straße hinab zum Meeresstrand. „Iß mu, ji gi bak, Karthago?" fragt der arabische Fahrer, „Sagen Sie, wie gefällt Ihnen Karthago?" „Fen, Karthago?" fragen wir zurück, „Wo ist Karthago?" Der Chauffeur macht eine weitausholende Bewegung und zeigt auf eine Reihe Trümmer, die halb im Meer liegen, auf eine Schutthalde offenbar römischer Ruinen und einen dahinter aufsteigenden Hügel voll mit altem, im Boden steckendem Mauerwerk, der von einer großen Kathedrale mit einem Kloster gekrönt wird. „Das hier", erklärt er, „alles hier ist Karthago! Wenn Sie mehr sehen wollen, bringe ich Sie ins Museum." Und er fragt, ob er uns nicht lieber gleich ins Tunesische Nationalmuseum zurückfahren soll. Aber wir sind ja gekommen, um Karthago an Ort und Stelle zu erleben.
Verwischte Bilder Auf Pfaden und gebahnten Wegen, an einzelnen Villen entlang, die sich tunesische Geschäftsleute hier draußen gebaut haben, wandern wir meerentlang über das Gelände, das einst Karthago war. Ur'alte Quader liegen grünbemoost in der flachen See, Züge von Mauerwerk verlaufen im Wasser — aber keine Säule, keines der Fundamente der zahlreichen Türme, kein Gebäuderest ist zu sehen. Zwar liegt zwischen dem Meer und dem Haupthügel von Karthago das weite Ruinenfeld; aber die Lang/.ie^el, die Anlage und ein paar Säulenkapitelle, die noch vorhanden sind, verraten uns, daß hier alles römischen Ursprungs ist. Man weiß, daß der Kaiser aus Afrika, 6
Septimius Severus, an der Wende vom 2. zum 3. nachchristlichen Jahrhundert hier ein Forum und einige Tempel errichten ließ. Die Völkerstürme der Vandalen und Araber haben auch sie in Schutt gelegt. Mag sein, daß unter den römischen Ruinen noch Grundmaucrreste karthagischer Bauten schlummern — aber zu sehen ist nichts. Nachdenklich wenden wir uns nach Nordwesten und steigen den sechzig Meter über dem Meeresspiegel liegenden Berg hinauf. Rechts und links schlagen mächtige Fundamente, Gewölbe römischen Ursprungs, vielleicht auch einige unzerstört gebliebene Keller- und Fundamentbauten aus karthagischer Zeit ihre Wurzeln tief in den mit Steppengras, Disteln und Ginstergebüsch bedeckten Fels. Aber auch hier suchen wir vergebens das Bild des stolzen Karthago, das uns aus den Berichten der Geschichtsschreiber bekannt ist. Auf dem Forum Romanum in Rom, auf der Akropolis in Athen, im libanesischen Tempelbezirk von Baalbek hat man immer noch den Eindruck, daß hier einst ein lebenserfüllter Weihebezirk, ein Stadtkern, ein Platz menschlicher Größe und Bedeutung gewesen ist. Es gibt auf jenen Ruinenfeldern genug Anhaltspunkte, die man „empordenken" und mit einiger Vorstellungskraft zurückverwandeln kann in die einstige Pracht. Hier findet man nichts als Trümmer aus verschiedenen Zeiten, geborstenes Ziegelwerk, durcheinandergestürzte Quader, ein paar Gewölbebögen und Schutt. Als wir den Hügel bestiegen haben, ragt vor uns auf der Hochfläche das von französischen Missionaren gegründete Kloster mit der Basilika der „Weißen Väter" auf. Im Jahre 1877 ließ der französische Bischof Lavigerie diese Kirche und das Heim der „Weißen Väter" auf den Ruinen der Byrsa von Karthago errichten. Bei den Ausschachtungsarbeiten stießen die Mönche auf wertvolle Funde aus karthagischer Zeit, die heute im Klostermuseum zu besichtigen sind. Der mit dem weißen, burnusähnlichen Ordensgewand bekleidete Mönch, der dort oben Erklärungen gibt, weiß vieles von Hanno, Hasdrubal, Hamilkar und Hannibal, aber lieber spricht er von der geistigen Arbeit, die hier auf dem Boden Nordafrikas geleistet wurde: vom heiligen Augustinus, von Sankt Cyprian, vom Kirchenvater Tertullian und von der stillen Missions- und Erziehungsarbeit 7
in den Schulräumen und Werkstätten des Klosters, wo Hunderte junger Tunesier unterwiesen werden. Karthago spricht kaum noch aus seinen Ruinen. Nur die Phantasie und die Berichte sehr alter Geschichtsschreiber vermögen die gewaltige Metropole Afrikas wieder zum Leben zu erwecken.
Prinzessin und Rinderhaut Kartha-hadatha ist ein phönikisches Wort und bedeutet „Neustadt", denn Karthada, wie die Phöniker abkürzend sagten, oder Karthago wie es die Römer, Karchedon, wie es die Griechen nannten, war eine Gründung der Phöniker aus Tyros im Osten des Mittelmeeres. Man kann den Stadtnamen deshalb auch mit Neu-Tyros übersetzen. Der Sage nach war es Dido, die Tochter des tyrischen Königs Mutton, die den Grund für das spätere Karthago gelegt hat. Als ihr Gemahl Sicharbal ermordet wurde, raffte sie ihre Schätze zusammen und floh, begleitet von zahlreichen tyrischen Anhängern über das Meer nach Afrika, ging an Land und plante dort, wo die afrikanische Küste der Insel Sizilien am nächsten kommt, die Flüchtlingssiedlung Tyr oder Zor anzulegen, das Neue Tyros, die Neue Stadt, Karthago. Das Land, auf dem sie ihre Hütten errichten wollten, gehörte einem Numidierkönig, und Dido erbat sich von ihm gegen Entgelt so viel Boden, als sie mit einer Rinderhaut umgrenzen könne. Als ihr das zugestanden war, zerschnitt sie die Rinderhaut in viele schmale Streifen, heftete die Streifen aneinander und konnte so eine zureichende Bodenfläche für den ersten Bedarf gewinnen. Die Sage weiß noch zu berichten, daß der Numidierkönig, der ihre Listigkeit bewunderte, seine Zusage nicht widerrief. — In späterer Zeit, als die zu Weltherren gewordenen Römer das Bedürfnis empfanden, ihre Herkunft bis in die altehrwürdigen Zeiten der Dido zurückzuverlegen, verknüpften sie die Dido-Sage mit der Sage um den tapferen trojanischen Helden Äneas, der aus der Katastrophe Trojas entkam und in Karthago in Liebe zu Dido entbrannte. Als er sie auf Jupiters Geheiß verlassen mußte, da er nach dem Willen des Gottes zum Gründer Roms ausersehen war, gab sie sich den Tod auf dem Scheiterhaufen. Die Gründung Karthagos ist jedoch viel nüchterner verlaufen, als 8
es die Sage erzählt. In Wirklichkeit war Karthago in der Gründungszeit Roms längst die alles überschattende Großmacht des Westens. Was Cicero von den Kolonien der Griechen sagt, daß sie „wie angeschwemmtes Röhricht an fremden Küsten" seien, trifft auch auf die phönikische Kolonie Karthago zu. Von ihrem Mutterland an der syrisch-libanesischen Mittelmeerküste aus überzogen die see^ und handelstüchtigen Phöniker seit etwa 1200 vor Christus, als die Seeherrschaft Kretas zusammengebrochen war, den Mittelmeerraum mit ihren Stapelplätzen und Faktoreien. Die aus Zor-Tyros, Sidon, Beirut und Byblos ausfahrenden Uberseekaufleute hatten kein Interesse an Eroberungen, an ausgedehnten Festlandkolonien und an politischer Herrschaft über fremde Völker. Ihnen genügte es, als Geschäftsleute anwesend zu sein und die Wirtschaft der Länder fest in Händen zu halten. Vor allem suchten sie sich die großen Inseln im Mittelmeer zur Anlage von Handelsstützpunkten aus: Zypern und Sizilien, Malta, Sardinien und die Balearen. Auch an den südlichen Festlandsküsten sicherten sie sich Handelspunkte und schützende
Von dem mächtigen Doppelhafen Alt-Karthagos und dem verbindenden Kanal sind nur kleine Wasserflächen übriggeblieben. 9
Proviantplätze für ihre Schiffe. Von Libyen bis rings um die „Pforte des Ozeans" — jenseits der Meerenge von Gibraltar — reihten sich entlang der afrikanischen Nordküste mehr als fünfundzwanzig Phönikerkolonien, zehn Handelskontore "wurden an der spanischen Südküste gegründet. Tüchtige Handelsplätze lagen auch an der Südküste der heutigen Türkei. In Spanien kauften die Händler spanisches Kupfer und Silber, Zinn, das aus England kam, in Ägypten gutes Leinen, Gold und Perlen und Weihrauch aus Arabien, in Afrika Elfenbein und Sklaven, die sie in viele Länder verschacherten; aus ihren Heimatstädten brachten sie zum Verkauf oder Tausch Glaswaren, purpurgefärbte Gewebe, gestickte Schleier, silberne Weinmischkrüge und vielerlei metallenen Hausrat. Gelegentlich nahmen sie gegen Entgelt auch Passagiere an Bord. Nach einem Wort der Bibel führten sich die phönikischen „Händler und Krämer wie Fürsten auf und wie die Großen der Erde".
Zufluchtsort Unter den Übersee-Niederlassungen der Phöniker war Karthago eine der jüngsten. Kurz vor 800 v. Chr., als die Assyrer das Mutterland Phönikien von Asien her bedrohten, entschlossen sich die Herren von Tyros, die in der Stadt aufgestapelten Schätze und Handelsgüter an einen Ort zu verlagern, der jeder Bedrohung entzogen war und Raum genug bot, um im Notfalle auch die Bevölkerung der Stadt aufzunehmen. Die Stelle, die sich die Leute von Tyros für das Neue Tyros — Karthago — ausgesucht hatten, war klug gewählt, als Zufluchtsort wie als Faktorei. Nicht nur, daß sie etwa in der Mitte des Mittelmeeres lag, das damals Schau- und Kampfplatz aller Geschäfte zwischen den drei Erdteilen der Alten Welt war, der Ort lag auch an der Verengung durch die Sizilische Meerstraße und war der reichen Insel Sizilien benachbart. Das Hinterland Karthagos bot keine Gefahren — es war von einer dünnverteilten, wenig bedrohlichen Bevölkerung bewohnt. Zudem sprang an der Stelle, die Karthago aufnehmen sollte, eine viereinhalb Kilometer lange Landzunge vor, die sich leicht durch eine Mauer absichern ließ. Auf der einen Seite lag eine zum Binnensee gewordene ehemalige Meeresbucht, auf der anderen die offene See. Die Halbinsel war wie eine gegen das Meer geballte Faust. 10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.07 12:19:28 +01'00'
Die Küstenlinie der Halbinsel ist nicht mehr die gleiche wie einst, auch die Uferformen haben sich verändert. Die Tausende von Tonnen Schutt, die den Hang hinabgerollt sind, die Verlandung und das langsame Zerstörungswerk der Brandung haben die einstige Steilküste abgetragen und mit einem Streifen flachen Ufers gesäumt. In alter Zeit stieg die Halbinsel jedoch zum Meere hin an und stürzte dann ziemlich schroff zur See hinab. Die natürliche Steilheit wurde durch einfache Festungsmauern verstärkt, während die Landenge durch eine gewaltige bis sechzehn Meter hohe und an der Basis neun Meter breite Mauer mit Wall und Graben geschützt war. In ihren untersten Stockwerken lagen die Magazine für Kriegsgerät, für Vorräte und Futter; das Erdgeschoß enthielt die Stallungen für die dreihundert Kriegselefanten und für viertausend Pferde. In den obersten Stockwerken war Platz für zwanzigtau^end Soldaten und viertausend Berittene. Dieser Mauerring umschloß das älteste Karthago auf der felsigen Halbinsel zu Füßen des Felshügels, auf dem die Leute aus Tyros die Zitadelle oder Byrsa errichtet hatten, die vom Tempel des Esmun gekrönt war. Neben dem Esmuntempel, der als das vornehmste Heiligtum Karthagos galt, ragten die Tempel der Mondgöttin Tanit und des finsteren Baal auf. Der enge Bezirk der Byrsa umfaßte auch das Regierungsgebäude der „Gerusia" — jenes Rates der Alten, der ungefähr dem römischen Senat entsprach, — und einige Befestigungsanlagen, öffentliche Gebäude, Wohnhäuser und Magazine Die breite, von dunklen Mauern flankierte Mappalische Straße wand sich durch die mächtigen Torwerke des Byrsa-Berges hinab zur Altstadt. Hier drängten sich einst die schmalbrüstigen Häuser, das Geschachtel von Fels- oder Lehmmauerwerk mit Fachwerk, Stroh und Schilf, die Eckchen, Plätzchen und gewundenen Gäßchen, angefüllt mit Staub, Geschrei und Lärm und dem zahllos hin- und herwogenden Volk, das dem Großen Markt zustrebte, der ganz unten am Hafen lag.
Der Doppelhafen Der Doppelhafen Karthagos war eine Sonderleistung der antiken Städtebaukunst. An der östlich zwischen Meer und Binnensee auslaufenden Landzunge sind heute noch seine Einbuchtungen zu erkennen. Hier hatten die Karthager einstmals zwei natürliche Wasser11
Römische Galeere bricht die Ruder des Karthagerschiffes, über die Enterbrücke hinweg beginnen die römischen Legionäre den Nahkampf an Deck des Gegners (rekonstruierende Darstellung) 12
becken künstlich erweitert und durch einen zwanzig Meter breiten Kanal miteinander verbunden. Der von Sizilien herüberrudernde Seefahrer nahte sich der wehrhaft aufragenden Stadt von Osten her. Merk- und Wahrzeichen der Hafeneinfahrt waren stumpfe Türme an der Hafenpforte, mit ihren lodernden Pechfeuern in der Nacht. Der Ankommende signalisierte den Hafenwächtern, daß sie die riesigen Winden in Gang setzten; mit denen die eherne Sperrkette in der Zufahrtsrinne auf den Grund gesenkt werden konnte. Langsam glitt der Dreiruderer auf die schmale Einfahrt zu. Der Taktschläger kommandierte die Rudermanöver durch den veränderten Schlag seines Hammers. Auf den Decks wurden die Riemen angelegt, so daß der schlanke Leib des Schiffes mit vorgestrecktem Rammbalken und dem geschnitzten Tierhaupt am Bug wie mit angelegten Flügeln in die Öffnung zwischen den beiden Türmen einfuhr. Das äußere Hafenbecken war etwa sechzehn Morgen groß und fast rechteckig, mit Liegeplätzen für zweihundert Frachtschiffe. Der Kapitän des Dreiruderers durchfuhr, dem Charakter seines Schiffes entsprechend, den Handelshafen und strebte dem Kriegshafen zu, der durch den schmalen Kanal mit dem äußeren Hafen verbunden war. Rechts und links am Kai des Handelshafens und Kanals lagen offene, säulengeschmückte Hallen mit schräg ansteigendem Boden, so daß die Schiffe aufs Trockene gezogen werden konnten. Darüber erhoben sich Lagerhäuser und Magazine für die Takelage. Dann öffnete sich das zweite fast kreisrunde Bassin: der Kriegshafen mit Liegeplätzen für zweihundertzwanzig Schiffe. In der Mitte dieses inneren Hafenbeckens lag eine Felseninsel mit dem Turm des „Suffeten der Meere" — dem Amtssitz des karthagischen Großadmirals und der Hafenverwaltung. Eine Hochbrücke verband Insel und Ufer, wo eine breite, gepflasterte Straße sich zum Marktplatz erweiterte. Drei Hauptstraßen, gesäumt von hohen sechs- und siebenstöckigen Gebäuden, führten vom Markt zum Fuß des Byrsahügels und mündeten hier in die Mappalische Straße. Da in der Unterstadt im Laufe der Jahrhunderte, des wirtschaftlichen Aufstiegs und der zunehmenden Macht alles zu eng wurde, dehnte sich Karthago über den älteren Mauerring hinaus über das Plateau nordöstlich der Byrsa. Es entstand der moderne Stadtteil 13
Magalia. Dort draußen, im Schutz des neuen, fünfunddreißig Kilometer langen Mauerkranzes, der nun die ganze Landenge umwehrte, baute sich das weitläufige Viertel der Vornehmen auf, der Villenund Parkvorort der Großstadt: La Marsa. Dort wird auch die Familie der Barkiden, der Nachkommen des Hamilkar Barkas, ihre Sommerresidenz gehabt haben, dort hinaus rollte der dicke Hanno — Erster Surfet von Karthago — mit seinem Zweispännerwagen, und dort irgendwo am Strand hat Hannibal seine Knabenjahre zugebracht.
Lebenswelt der Karthager Das Bild Karthagos, das uns die Geschichtsschreiber gezeichnet haben, wird immer wieder ergänzt durch neue Ergebnisse der Spatenwissenschaft, der Archäologie. Da die Stadt so vollständig zerstört, so oft überbaut und wieder vernichtet wurde, erstreckt sich die Arbeit der Archäologen auch auf die teilweise besser erhaltenen Fundstücke im einstigen karthagischen Seereich. In Sardinien, auf den Balearen, in Spanien, auf Malta und Sizilien sind mehr archäologische Dokumente aus der karthagischen Lebenswelt gefunden worden als in Karthago selbst. Die Ausgrabungsstücke sind heute verstreut in vielen europäischen Museen, im Britischen Museum in London, im Pariser Louvre und in den Altertumssammlungen der Städte Italiens, Sardiniens, Siziliens und Spaniens. Auch das große Museum in Tunis hat viele Funde von den Außenstationen zusammentragen können. Am aufschlußreichsten sind wohl die seltsamen, für den karthagischen Kulturkreis kennzeichnenden Tonmasken aus karthagischen Gräbern. Das Eigenartige an diesen bizarren, den Charakter eines Menschen übertreibenden, ja beinahe verzerrenden Tonmasken, wie sie aus zahlreichen Gräbern der karthagischen Epoche in Sardinien oder Tunesien ausgegraben wurden, ist die Tatsache, daß sie meist nur halbe Lebensgröße haben und damit als Tanzmasken ausscheiden. Es sind Kultmasken, die lächelnd den Schutz der Götter, schreckhaft die Abwehr der Dämonen bewirken. in diesen tönernen Gesichtern blickt uns der Karthager an, so wie er vor zweieinhalbtausend Jahren ausgesehen haben mag. Es sind Menschen mit abstehenden Ohren und stark gebogenen flei14
schigen Nasen, mit stark betonten Backenknochen und schlauen, ein wenig schräg stehenden Augen. Der dicklippige Mund, die niedrige Stirn und der kahlgeschorene Schädel — der, wie wir wissen, manchmal mit Lackornamenten bemalt war — verstärken den Eindruck des geschickten, mit allen Wassern gewaschenen Händlers. Der Verstand, die Berechnung, der Realismus von Leuten, die mit beiden Beinen auf der Erde stehen und die wohl wissen, wie man sich in einer kämpferischen Welt behaupten muß, herrscht in den Gesichtern der Karthager vor, so wie die Tonmasken sie uns zeigen. In den Gräbern Karthagos fand man auch kupferne oder bronzene, eigenartig geformte Messerchen oder Äxte; auf den Klingen sind manchmal Weiheinschriften angebracht. Der Griff solcher „Axtsymbole" läuft meist in einen vollplastisch gegossenen Hals und Kopf eines Schwimmvogels aus; er stellt eine Gans, Ente, einen Schwan oder Reiher dar. Die Muster der Gravierung beweisen die sehr frühen Beziehungen, die Karthago mit seinem Verbündeten und Handelspartner am Gegenufer, mit den Etruskern, gehabt hat. Diese Beziehung läßt sich auch an den zahlreichen und hübschen Schmuckgegenständen nachweisen, die man in karthagischen Gräbern entdeckte. Besonders ergiebig sind die Funde aus den karthagischen Töpferwerkstätten. Die Stadt war Großlieferant für alle Arten von Gefäßen, Krüglein für Riechwässer und Schönheitssalben, mächtigen doppelhenkligen Krügen, die als Fässer oder Truhen für Hausrat dienten, Grabbeigaben, ö l - , Wein- und Mischgefäßen, dazu vielformigen öilämpchen, Nippsachen, Figürchen, die Schutzgötter darstellen. Der Boden im Norden der Stadt lieferte den Töpfern den besten Ton. Die Gefäße wurden auf der Töpferscheibe geformt, sie haben meist einen rötlichen oder gelblich weißen Glasüberzug, der Ton ist rot, grau oder weißlich. Viele Formen sind auch von den Griechen übernommen und von dem karthagischen Töpfer oft bizarr abgewandelt worden. Auch die geometrischen oder figürlich aufgemalten Ornamente können ihre griechischen Vorbilder nicht verleugnen. So bleibt es auch bei den Werken der Relief- und Grabmalkunst. Überall spürt man, daß diese Welt der Kaufleute und Seefahrer sich eine Mischkultur aus allen Elementen zusammengebaut hat, die ihr im weiten Bereich ihres Seeimperiums begegnet sind. Auch in der Architektur übernahmen die Karthager wohl meist 15
fremde Vorbilder. Da Karthago selbst zu sehr zerstört und überbaut wurde, hat man die Art einer karthagischen Stadtbefestigung in Sulci und Olbia auf Sardinien studiert und gefunden, daß die Wehrbauten vornehmlich aus vorspringenden, rundgemauerten Türmen, Ausfalltoren, Flankenbastionen, Treppenanlagen hinab zum Wasser und mächtigen Mauern bestanden — wie bei den meisten antiken Festungen. Auch die Tempelanlagen unterschieden sich wohl kaum von ähnlichen im antiken Bereich: Den Kern bildete stets eine gemauerte Zella, das innerste Heiligtum, das von einer Säulenhalle umgeben war. In kleinen Kuppelbauten an einem Hof wurden die Götter des Landes verehrt.
Gefährliche Rivalen: die Griechen Vom Klostergarten der Weißen Väter auf dem Byrsahügel bietet sich ein fast unbegrenzter Blick über das tote Ruinenfeld von Karthago, über den Hafen und über das Meer bis zum östlichen Horizont. Dort, weit im Osten, erstand den Karthagern schon bald nach der Stadtgründung der große Konkurrent auf den Handelsstraßen des Mittelmeeres. Aus dem jungen Volk der Griechen, die in der Engräumigkeit ihrer Heimat und bei der Kargheit des Bodens nur wenig Entfaltungsmöglichkeiten fanden, lösten sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer mehr Auswanderergruppen und suchten größeren Lebensraum — ein „Großgriechenland" in Obersee, vor allem in Unteritalien und auf Sizilien. Hier aber hatte das mächtig aufstrebende Karthago die einstigen phönikischen Stützpunkte längst in sein Seereich einbezogen. Als Griechenland immer größere Kolonistenscharen nach Sizilien entsandte, sahen sich die karthagischen Kaufleute in Panormus (Palermo), Lilibäon und Drepana von den Händlern der griechischen Kolonialstädte Messina, Syrakus und Girgeriti in ihrer Lebenswelt bedroht. Nicht anders war es auf Sardinien, auf Malta und an der libyschen, algerischen und südspanischen Küste, wo die Karthager sich ebenfalls in die altphönikischen Uferstädte eingenistet hatten. Die überall an diese Ufer vordringenden Griechen breiteten ihr lose verknüpftes Handelsreich wie ein zweites Netz über das Netz der karthagischen Mittelmeerfaktoreien. Auch aus ihren immer zahlreicher werdenden Stützpunkten 16
Die Elefanten, die die Karthager gegen die Römer einsetzten, waren in den Berbergebieten Nordafrikas gefangen. Mit vierzig dieser „Panzer der Antike" begann Hannibal den Alpenübergang, nur einer überlebte die Eiskalte des Hochgebirges. Die (erdachte) Szene zeigt Elefanten in der Schlacht von Zama (202). in Süditalien, aus Tarent, Heraclea, Locri und Croton fuhren griechische Händler hinein in die Pfründe der Karthager. In allen Meeresteilen entbrannte der Kampf. Handelsschiffe der beiden Rivalen sahen sich gezwungen, unter Geleit zu fahren, denn an allen Straßen lauerten die Kreuzer des Gegners. Die Gegensätze vermehrten sich, als auch die Römer und die Etrusker als Handelsfahrer im Mittelmeer auftauchten und lästig zu werden begannen. Aber vordringlich blieb zunächst die Abwehr der griechischen Konkurrenz. Das noch schwache Rom konnte im Jahre 509 v. Chr. durch einen Handelsvertrag im Zaum gehalten werden. Dieser Vertrag besagte, daß jedes römische Schiff, das süd17
lieh des „Schönen Vorgebirges" angetroffen würde, gekapert und als Kriegsbeute abgeschleppt und seine Besatzung in die Sklaverei abgeführt werden dürfe. Mit den Etruskern einigte man sich durch die gegenseitige Anerkennung von Interessengebieten und gewann sie als Bundesgenossen. Nicht lange nach dem Vertragsabschluß mit Rom entstand den Karthagern ein Bundesgenosse gegen die Griechen im östlichen Mittelmeer. Die Perser hatten die griechischen Kolonialstädte an der kleinasiatischen Küste überrannt, waren bis zum Ägäischen Meer vorgestoßen, und die persischen Großkönige führten ihre Riesen-, armeen und Riesenflotten über den Balkan und das Meer gegen das griechische Mutterland. Als die phönikischen Städte Tyros, Sidon, Beirut und Biblos die Flotte ihrer gewaltigen Fünfruderer den Persern zur Verfügung stellten, sah auch Karthago die Stunde gekommen, mit dem griechischen Erzfeind abzurechnen, und ließ seine Kriegsgaleeren auffahren. Jeder kennt das Ende dieses „Weltkrieges" zwischen den drei damals allein bekannten Erdteilen: Im Jahre 480 wurde bei der Insel Salamis in der Nähe von Athen die Flotte des persischen Großkönigs tödlich getroffen, im gleichen Jahre schlug ein gemeinsames Aufgebot der Kolonialgriechen Siziliens die Karthager bei Himera an der Nordküste der Insel. Auf der italienischen Halbinsel wichen die Schwertgenossen der Karthager, die Etrusker, vor den römischen Bauernsoldaten zurück. Für die Karthager bedeutete die Niederlage der Verbündeten in Ost und West, daß sie sich künftig mit dem Dasein der griechischen Rivalen abfinden mußten. Eineinhalb Jahrhunderte schwelte der Krieg in Sizilien fort. Die im Grunde unkriegerischen Karthager führten ihn mit wenig Energie. So konnte der Tyrann Agathokles aus Sizilien in den Jahren 310 .bis 306 v. Chr. die karthagische Macht durch eine Landung in Afrika bedrohen, und drei Jahrzehnte später eroberte der halbgriechische Abenteurer Pyrrhus mit einem Söldnerheer ganz Sizilien. Da Pyrrhus bereits in Süditalien die sich hier ausbreitenden Römer angegriffen hatte, verbündeten sich die Karthager mit den Römern. Seite an Seite schlugen sie den Abenteurer. Als der gescheiterte Pyrrhus Sizilien aufgab und sich auf Tarent in Süditalien zurückzog, rückte ein römisches Landheer vor die 18
Mauern und gleichzeitig eine karthagische Flotte vor den Hafen. Der Festungskommandant von Tarent entschied sich für die Hilfe durch die Römer und öffnete ihnen die Tore, die karthagische Flotte aber wies er ab. Pyrrhus flüchtete nach Griechenland und fiel dort im Straßenkampf. Die Römer besetzten auch die letzten Städte Süditaliens. An der Straße von Messina standen sich jetzt die beiden Großmächte Karthago und Rom Auge in Auge gegenüber. Würden die Römer, nachdem sie die ganze ApenninenHalbinsel in Besitz hatten, den Sprung über die Meerenge wagen, um Sizilien den Karthagern zu entreißen? Rom wagte den Sprung und begann den Kampf um die Insel und um die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeer.
Krieg der Weltmächte Dreimal im Laufe von 118 Jahren erneuerte sich der Kampf, den wir die Punischen Kriege nennen, nach dem Namen Punier, den die Römer den phönikischen Karthagern gegeben hatten. Anlaß zum Ersten Punischen Krieg war ein Streit um die Stadt Messina. Hier hatten sich entlaufene Söldner aus Italien, die sich Marmertiner nannten, festgesetzt, hatten die Bürger überwältigt und die Stadt zum Ausgangspunkt von Raubzügen gegen die griechischen Plätze Siziliens gemacht. Mit einem Heer erschien der Herr von Syrakus, der Grieche Hieron, vor den Mauern des zum Räubernest gewordenen Messina und drohte, die Mamertiner auszuräuchern. In ihrer Bedrängnis spalteten sich die Mamertiner in zwei Parteien, deren eine die Unterstützung der Karthager erbat, während die andere die Römer zu Hilfe rief. Und da beide Großmächte dem Rufe folgten, begegneten sie sich vor den Mauern der Seestadt Messina: Karthago, die bedeutendste Seemacht des Westens, Rom, die gefürchtete Landmacht mit einer beinahe unüberwindlichen Bauerninfanterie. Der Kampf begann im Jahre 264 mit einem listigen Handstreich des römischen Konsuls Appius Claudius gegen Messina. Er lockte den karthagischen Kommandanten der Zitadelle mit falschen Zusicherungen in sein Lager, erpreßte ihm den Befehl zur Räumung der Burg und gewann damit das Einfallstor nach Sizilien. Der anhebende Kampf um die Insel war grausamer und erbar19
mungsloser als jeder, den Rom bisher geführt hatte. Ober die Getreidefelder der Küstenebenen wälzte sich der Strom des Kriegsvolkes. Als Hieron, der Tyrann von Syrakus, sah, daß sein Vorteil nicht mehr auf der Seite der Punier lag, zog er sich klug zurück und schloß Friede. So konnte der Siegeszug der Legionen bis vor das punisch-karthagische Festungsdreieck. Lilybäum, Drepana und Panormus (Palermo) im Westen der Insel vorstoßen, kam aber hier zum Stehen: Ungehindert liefen die schwerbeladenen karthagischen Nachschubflotten in die Häfen, und die Römer erkannten, daß sie ewig hier verharren müßten, sofern es ihnen nicht gelang, der Flotte der Karthager eine schlagkräftige Kriegsflotte entgegenzustellen. Das war leichter zu fordern als zu tun. Die alte Seemacht Karthago verfügte seit Generationen über ausgebildete und erfahrene Rudermannschaften, Kapitäne und Matrosen, und ihre Schiffsbaukunst war nicht über Nacht einzuholen. Roms Stärke lag in der im Schwertkampf unübertrefflichen Infanterie. Die Frage, die sich der amtierende römische Konsul Gajus Duilius stellte lautete: Wie kann Rom seine infanteristische Überlegenheit auf das Meer übertragen? Wie verwandelt man eine Seeschlacht mit all ihren schwer erlernbaren Manövern des Umkreisens, Rammens und Ruderbrechens in ein Infanteriegefecht? Gajus Duilius löste die Frage durch die Erfindung der Enterbrücken. Jedes römische Kriegsschiff erhielt diese Fallbrücken, die vom eigenen Deck auf das Deck des feindlichen Schiffes niederstürzten und sich mit eisernen Haken in dessen Bohlen verkrallten. Mit Enterhaken — leichten fünf- bis sechszackigen Wurfankern —, die in das Segelwerk des Feindschiffes geworfen wurden und sich dort verfingen, zog man die feindliche Galeere an das eigene Schiff heran. So wurden die beiden Schiffe zur unlösbaren Bühne des Nahgefechtes, in dem die römischen Krieger seit je überlegen waren. Zur Überraschung der Karthager gewannen die römischen Enterschiffe im Jahre 260 bei Mylae durch diese Taktik den Sieg über ein alterprobtes karthagisches Geschwader. Aber der Krieg setzte sich nun erst recht mit Erbitterung fort und wurde mit Haß, Grausamkeit und Zerstörung fast zwei Jahrzehnte lang geführt. Die Entscheidung brachte Konsul Lutatius 20
Catulus, der eine aus privaten Spenden des Römervolkes erbaute Flotte gegen die karthagische Entsatzflotte führte und sie bei den Ägatischen Inseln vernichtete. Die Karthager hatten zu wählen zwischen einem harten Frieden mit überschaubaren Kosten oder dem Weiterführen des Krieges mit unüberschaubaren Opfern —. Der Rat Karthagos wählte das kleinere Übel und bat um Waffenruhe. Der Kampfpreis war der Besitz der Insel Sizilien. Darauf mußte Karthago verzichten. Die Kriegsentschädigung belief sich auf die für damalige Begriffe ungeheuerliche Summe von 3200 Talenten. Die Herren der Byrsa glaubten einen Teil der Summe dadurch einsparen zu können, daß sie ihre überflüssig gewordenen Söldnertruppen nach Hause schickten oder dem Feind als Gefangene übergaben. Damit sollte sich zugleich die Frage der rückständigen Soldzahlung erledigen. Aber die Absicht schlug fehl. Hamilkar, der Feldherr auf Sizilien, führte gegen den Ratsbefehl seine treugebliebenen Regimenter nach Afrika zurück. Die geprellten Söldner begannen überall im Lande zu meutern und sich mit den ausgebeuteten Bauern zu verbünden. Auf den Römerkrieg folgte der Söldnerkrieg in Afrika. Wieder gingen ungeheure Werte verloren. Erst nach vier Jahren gelang es, die Rebellen zu Boden zu werfen. Doch der angerichtete Schaden war nicht wieder gutzumachen. Die Römer nutzten die Zeit der karthagischen Schwäche und besetzten auch die Inseln Sardinien und Korsika. Die Proteste Karthagos beantwortete Rom mit einer Nachforderung von 1200 Talenten.
Aufrüstung in Spanien Es waren die Tage, da Hamilkar seinen Sohn Hannibal jenen Eid schwören ließ, nicht zu ruhen und zu rasten, bis Rache genommen war. Fortan geschah alles, was Karthagos Politiker unternahmen, vom Gesichtspunkt dieses kommenden, größeren Krieges aus. Hamilkar, dann sein Vetter Hasdrubal der Ältere und schließlich der junge Hannibal gingen nach Spanien, wo man Ersatz für das verlorene Sardinien, Sizilien und Korsika gefunden hatte und wo die Silberbergwerke die Kriegsentschädigung und Wiederaufrüstung finanzieren halfen. Die Magazine schwollen an, die Söldnerheere 21
wuchsen, Bündnisse wurden angebahnt mit dem König von Makedonien, mit den keltischen Häuptlingen in der Poebene und in der Provence, mit den Königen Syriens und Ägyptens. Man würde Rom diesmal einkreisen und durch die Übermacht erdrücken. Als die Römer erkannten, was sich im Süden und Westen des Mittelmeeres vollzog, schickten auch sie Truppen nach Spanien, errichteten bei der heutigen Stadt Tarragona das Militärlager Tarraco und erklärten, daß sie den Ebro als Grenze ihrer Interessensphäre betrachteten. Das Danzig oder Berlin von damals aber wurde Sagunt, eine freie Stadt, die weit innerhalb des karthagischen Einflußgebietes südlich der Ebrolinie lag und mit Rom durch ein Schutz- und Trutzbündnis verbunden war. Was die Weisheit von Staatsmännern anscheinend niemals vorauszusehen in der Lage ist, daß nämlich eine wie eine Insel in fremde Interessengebiete eingebettete Stadt mit 'Notwendigkeit zum Zankapfel werden muß, wurde schon in der Antike am Beispiel von Sagunt demonstriert. Im Jahre 219 kam es um die freie Stadt Sagunt zur erneuten Auseinandersetzung zwischen Karthago und Rom. Als Hannibal die Stadt erstürmte und völlig zerstörte, war der größere Krieg, der „Zweite punische Krieg" unvermeidlich geworden.
Hannibal vor den Toren Roms Hannibal eröffnete den Kampf durch einen unglaublichen Marsch, der seine mit berberischer Reiterei und Elefanten verstärkte Armee über den Ebro und die Pyrenäen nach Südfrankreich und rhoneaufwärts in die Alpen führte. Er überquerte die Hochalpen und erschien im Frühjahr 218 in der Poebene, im Rücken der völlig überraschten Römer, die unterdessen ihre besten Truppen nach Spanien verschifft hatten. Die glänzende Kette seiner Siege führte Hannibal vor die Tore Roms: Er schlug die Römer am Ticinus, an der Trebia, am Trasimenischen See und im Jahre 216 in der Vernichtungsschlacht von Cannae. Aber er und seine Söldner vermochten den Krieg trotzdem nicht zu gewinnen. 22
Rom hatte sich zum Beschützer der italischen Völker vor fremden Einfällen gemacht, hatte die unterworfenen Städte, Stämme und Gemeinwesen durch Bundesgenossenverträge für sich gewonnen und sie dazu gebracht, daß sie seine Führungsrolle in Italien anerkannten und sich ihm zugehörig fühlten. Karthago aber war seit je ein nur locker gefügtes Reich von Geldleuten und Händlern ohne eine übergeordnete Idee und ohne inneren Zusammenhalt. Karthago sah seinen Feldherrn siegen, aber es führte den lästigen Krieg nur unter sparsamem Einsatz seiner Mittel. Nein, dieser Krieg war keine nationale Angelegenheit, weil kein Nationalsinn vorhanden war, höchstens der Bürgersinn der oberen Tausend, der sich in Bilanzen und Prozenten erschöpfte. Hannibal siegte sich in Italien zu Tode, ohne den Bau des römischen Bündnissystems zu erschüttern und seine Widerstandskraft zu brechen. Erst als der große Feldherr der Gegenseite, Publius Cornelius Scipio, in Spanien und später in Afrika landete und den Krieg vor die Tore der eigenen Stadt trug, begannen die Karthager dem Verhängnis mit äußerster Kraft entgegenzutreten. Hannibal verließ den Schauplatz seiner Siege und eilte nach Afrika zurück, um mit seinen letzten zehntausend Veteranen die Heimat zu retten. Als er erkannte, daß es zu spät war, riet er zum Frieden, aber die Gerusia hörte nicht auf ihn. Im Jahre 202.wurde bei Zama das letzte karthagische Heer vernichtet. Die reichen Herren der Byrsa suchten sich von Roms Rache loszukaufen, indem sie der Auslieferung des „Kriegsverbrechers" Hannibal eilfertig zustimmten — aber Hannibal entrann mit einigen Freunden. Der Friede von 201 war vernichtend. Man hat ihn das „Versailles der Antike" genannt. Rom forderte von der von Seehandel und Meerherrschaft lebenden Gegnerin die Auslieferung aller Hochseeschiffe bis auf zehn, Abrüstung bis auf eine winzige Polizeimacht, Auslieferung aller Elefanten und Magazine, Zahlung einer unerschwinglichen Entschädigung von 10 000 Talenten. Die grimmigste Bestimmung des Friedens aber war es, daß Karthago künftig keinerlei militärische Aktion, auch nicht zur Abwehr, unternehmen durfte, ohne die Genehmigung Roms einzuholen. Rom setzte den launischen und machtlüsternen Numi23
dierfürsten Masinissa als Wachhund vor die Tore Karthagos und übertrug ihm Teile des reichen Plantagenlandes der Stadt. In den folgenden fünfzig Jahren lebte Karthago im Schatten der römischen Adler dahin. Drei Parteien rangen in der Stadt unerbittlich um die Macht. Es gab in der verarmten Weltstadt eine Gruppe Politiker, die mit dem Sieger zusammenarbeiteten und sich durch Wohlverhalten einen Rest von Lebensmöglichkeit sichern wollten. Eine zweite Gruppe setzte sich aus Parteigängern des schlauen Numidierkönigs Masinissa zusammen; die dritte und größte Partei suchte verzweifelt nach Wegen zur Wiederherstellung der verlorenen Größe. Da der Numidier mit großer Willkür und im Vertrauen auf seinen übermächtigen römischen Bundesgenossen ein Recht nach dem anderen brach, ein Gebiet nach dem anderen an sich riß und die von Zeit zu Zeit auftauchenden römischen Schiedsrichter-Kommissionen nur höchst parteiische und lauwarme Urteile fällten, suchte die Verzweiflung Karthagos den Ausweg bei der Gewalt. Es kam zu Unruhen in den Straßen der Stadt, in deren Verlauf die Partei Masinissas aus den Mauern verjagt wurde.
Cato besucht die Stadt Erstaunlich für jeden Fremden, der in dieser Zeit die Stadt besuchte, war die Willenskraft, mit der die Karthager trotz der inneren Entzweiung und politischen Entmachtung ihre Wirtschaft nach erprobten Methoden wiederaufzubauen verstanden. Unter den Abordnungen, die nach Karthago kamen, befand sich eine römische Studienkommission, der auch der Staatsmann und Schriftsteller Cato der Ältere angehörte. Mit wachen Augen beobachtete er, wie die nordafrikanische Handelsstadt ihre Wirtschaft planvoll auszubauen suchte, und er zog daraus vielfache Lehre für sein eigenes Land. Da waren die Purpurmühlen mit ihren Treträdern, die von menschlichen Beinen angetrieben wurden. In den Magazinen und Großbetrieben leisteten Sklaven die Arbeit in langen Reihen, und jedem war nach seiner Fähigkeit eine andere Aufgabe zugewiesen. So drehten in den Großtöpfereien die einen die Grundformen, im folgenden Arbeitsgang setzten andere Sklaven Henkel, Zierat und 24
Das Denkmal bei Catania erinnert an die karthagische Herrschaft auf Sizilien.
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Schmuckformen auf, die nächsten grundierten mit Farbe, die übernächsten schablonierten die Figuren auf, die von anderen ausgeführt und von den letzten glasiert wurden, ehe sie in die Hände der Ofenmeister und Brenner kamen. Da gab es Packhallen und Buchhaltungen, und überall saßen versklavte Menschen aus aller Welt: Griechen, Sizilianer, Spanier, Afrikaner, Syrer, Slawen oder Neger. In einer Bibliothek der Stadt entdeckte Cato das achtundzwanzigbändige Werk des Karthagers Mago über eine zweckmäßig betriebene Landwirtschaft. Er ließ sich von einem Dolmetscher die wichtigsten Abschnitte übertragen und sorgte später dafür, daß das gesamte Werk ins Lateinische übersetzt und in Italien gelesen wurde. Mago beginnt mit dem Gutskauf und verrät gleich zu Anfang, daß er alles vom kapitalistischen Standpunkt aus sieht. Erde, Regen, Sonnenschein und Landarbeiter sind für ihn nur Kräfte, deren Zusammenwirken bei einigem Geschick verkäufliche Ware zu produzieren imstande ist. Land ist für Mago nicht Heimat, sondern Produktionsgrundlage, Pflanze, Tier und Mensch bedeuten ihm nicht ein Stück Natur, sondern Möglichkeiten zum Geldverdienen. Den Römern ging auf, daß die Karthager eine Methode gefunden hatten, mehr und bessere Ware zu erzeugen, als sie selber das bisher auf ihren italischen Bauernhöfen vermocht hatten. Um die karthagische Landwirtschaft an Ort und Stelle zu studieren, gingen die Römer aufs Land, in die Plantagenbetriebe, die sich südlich und südwestlich von Karthago trotz der Abtretungen noch immer weithin erstreckten. Die Karthager stauten in den spärlich bewaldeten Bergen am Rand der sonnenüberfluteten Ebenen das Wasser und verteilten es planmäßig 'in Kanälen über das Land. Sie kannten nicht die in Italien üblichen zahlreichen kleinen und mittleren Bauerngehöfte und Dörfer. Hier gab es anscheinend keinen bäuerlichen Mittelstand freier Familien, die auf dreißig bis vierzig Morgen Ackerland hausten und vom Huhn bis zur Milchkuh, vom Getreide bis zum Ölbaum alles Lebensnotwendige selbst erzeugten. Das Plantagenland war fast ganz in den Händen von Großbesitzern, die meist in der Stadt wohnten und auf den Plantagen nur ihre Verwalter sitzen hatten. 26
Die Plantagen produzierten entweder nur Weizen oder nur Wein oder nur ö l , die Landschaft wurde einseitig ausgebeutet, bis zum letzten. Da der Unternehmer über riesige Weizen-, Wein- oder ö l mengen verfügte, konnte er zusammen mit anderen Spekulanten den Markt beherrschen, die Preise für ganze Länder bestimmen und das Spiel von Mangel und Überfluß regulieren. Meist waren die Herren der Großplantagen gleichzeitig Besitzer der städtischen Lagerhäuser oder Reeder, deren Schiffe Weizen, Wein oder öl auf die ausländischen Märkte brachten. Staunend erfuhren die Römer, daß diese Leute gelegentlich künstliche Teuerungen und Hungersnöte zu erzeugen verstanden, um dann mit hochgetriebenen Preisen und reichbeladenen Schiffen als Retter in der Not zu erscheinen. Aber nicht nur die Art und Menge der Produkte und ihr Marktwert wurden hier durch planvolle Berechnungen vorherbestimmt, auch die Methoden der Feldbestellung waren durchgerechnet. Cato entdeckte die karthagischen „Landmaschinen". In dieser Zeit, in der es noch keine Kraftmaschinen gab, war alles auf die menschliche Arbeitskraft abgestellt — und doch hatte das Ganze den Charakter riesiger Maschinen. Vor einem der ausgedehnten Weizenfelder war die meilenJange Reihe der Mähersklaven angetreten, alle durch Lederriemen miteinander verbunden. Vor ihnen stellten sich griechische Musikanten auf, hinter ihnen Aufseher mit langen Lederpeitschen. Der Verwalter gab das Zeichen, die Flötenspieler setzten mit Musik und Rhythmus ein, Hunderte von Sklaven schwangen im Takt die Sicheln. Hinter der „Mähmaschine" aus Menschenleibern aber folgte eine zweite Kette, Sklavenfrauen und Sklavenkinder, die die Ähren bündelten, während eine dritte Kette sie verlud und in die Magazine beförderte. Mit einem einzigen Marsch quer durch die Großfelder war die Weizenernte eingebracht. Ebenso wurde gepflügt, geeggt und gesät. Aber es gab auch richtige Maschinen, wie die von Ochsen geschobenen Erntekarren, die mit beweglichen Messern arbeiteten und mähten, es gab riesige Ölmühlen, Dreschmaschinen mit rollenden Steinen und allerhand kleine Werkzeuge, die von den Treträdern angetrieben wurden. 27
Die Römer begriffen sehr rasch. Sie hatten erkannt, daß, wie alles in der römischen Welt zum Größeren strebte, auch die Landwirtschaft großzügiger werden mußte, daß Bauernhöfe nicht mehr genügten und Plantagenbetriebe erforderlich waren. Sie waren gewillt, Karthagos landwirtschaftliche Methoden zu übernehmen und sich zugleich des wiedererstarkenden Konkurrenten für immer zu entledigen.
Karthago muß zerstört werden Seit Cato mit der Studienkommission Stadt und Hinterland Karthagos besichtigt hatte, drängte er zusammen mit der Adelspartei im römischen Senat auf die Ausmerzung der Stadt. Die zu erwartende Erbschaft schien den Römern lockend genug, einen letzten, gefahrlosen Krieg zu riskieren. Jede Senatsrede des alten Cato klang mit dam!" — Karthago mußte zerstört werden! Die Römer hatten die Vorteile der Sklavenwirtschaft erfaßt. Sie waren in weltweite Geschäfte eingestiegen, ihre wachsende Landwirtschaft, ihre Handelsflotten, Kriegsschiffe, ihre Fabriken, Bergwerke und Gutshaushalte brauchten Sklaven. Woher aber kommen Sklaven? Was die großen Märkte — vor allem der von Korinth beherrschte Sklavenumschlagplatz Delos — nicht zu liefern imstande waren, hatten bisher die Kriege eingebracht; denn Kriegsgefangenschaft war in jener Zeit gleichbedeutend mit Sklaverei. Die Preise für Sklaven stiegen auf allen Märkten, seitdem Friede war. Es gab viel zu wenig Sklavennachschub. Zunächst richtete man das Augenmerk auf die griechische Großstadt Korinth, die eine Art Monopolstellung im Handel mit Sklaven aus den Schwarzmeerländern besaß. Die Herren der großen Güter und Bergwerke in Rom organisierten mit römischem Geld eine antirömische Partei in Korinth, die jene Unruhen auslöste, die man brauchte, um eine Strafexpedition zu rechtfertigen. Der Gewaltstreich endete im Jahre 146 mit der Zerstörung Korinths, seiner Ausschaltung aus dem Sklavenhandel und der Gewinnung von mehreren hunderttausend kostenlosen Sklaven für das neue Wirtschaftsplanen Roms. 28
Die gleichen oder ähnlichen Gründe waren es, die Cato gegenüber Karthago sein „Ceterum censeo" sagen ließen. Er hatte die reichen I Jantagen, die gute Erde und die Massen Volk gesehen, die immer noch dort drüben in Afrika lebten. Wenn man Karthago zerstörte, würde es herrliche, reiche Landgüter für Senatorensühne und Patrizierenkel geben, und die Frage der Sklavenbeschaffung für die römischen Wirtschaftsbetriebe würde gänzlich gelöst sein. Die Preise für Menschenware würden ins Bodenlose fallen. Deshalb stellte der römische Senat den verzweifelten Karthagern, die sich gegen Masinissas Übergriffe, wenn auch erfolglos, zur Wehr setzten, unerfüllbare Bedingungen. Zunächst mußten die Vornehmen der Stadt dreihundert Kinder als Geiseln nach Rom schicken, dann verlangte man die restlose Auslieferung der Magazine, der Waffen und der neugebauten Kriegsschiffe. Selbst zu dieser selbstmörderischen Handlung fanden sich die ohnmächtigen Karthager noch bereit. Dann aber forderten die nach Karthago geeilten Konsuln Manlius und Censorinus, daß die Karthager ihre See- und Hafenstadt selbst zerstören und sich, in mehrere Gemeinden verteilt, landeinwärts neu ansiedeln sollten. Das war die Aufforderung an die Stadt, ihren eigenen Henker zu spielen. Ein Aufschrei ging durch Karthago. Zum erstenmal waren sich Volk und Vornehme einig. Es gab nur noch einen Ausweg, den Verzweiflungskampf. In unglaublich kurzer Zeit schaffte sich Karthago eine neue Rüstung. Frauen und Mädchen opferten die Haare, um sie zu Sehnen für Wurfgeschütze zu flechten; man riß die Beschläge von den Türen und Tempeln, um Schwerter und Spieße daraus zu schmieden. Dann landeten unter der Führung des Konsuls Publius Cornelius Scipio des Jüngeren die in Sizilien bereitstehenden römischen Legionen.
Der Untergang Zweieinhalb Jahre dauerte der Todeskampf der Hauptstadt. Ungeheure Leiden trafen die Frauen, Kinder und die Männer auf den Wehrgängen und Wällen. Qualvoll war der Hunger der Belagerten, die Not der schlecht versorgten Verwundeten, die allgegenwärtige Furcht der Familien in der umstürmten, langsam zerbröckelnden Stadt. Die Mauerringe erbebten unter den Rammstößen römischer 29
Widder, auf die Dächer sausten die Brandtöpfe und Steingeschosse der Wurfgeschütze und an der Hafeneinfahrt schob sich der aufgeschüttete Damm des Scipio, die Stadt langsam erdrosselnd, vor. Als der Generalsturm die geschwächte, dezimierte und hoffnungslose Bevölkerung überrannte, tobten die Häuserkämpfe von Gasse zu Gasse siebzehn Tage lang. Karthago stand in Flammen. Durch Feuerwände mußten sich die erbitterten Legionäre die Mappalische Straße hinauf zur Byrsa durchkämpfen, in deren Gemäuer sich die Vornehmen mit ihren Familien verschanzt hatten. Selbst Frauen gaben ihr Leben hin. Einzig der Oberkommandierende der Stadt — ein Mann namens Hasdrubal — bat schmählich um Gnade, während sich im Angesicht des brennenden Esmun-Tempels Frau und Kinder unter Flüchen von ihm lossagten. Scipio ließ den Pflug symbolhaft über die rauchenden Schutthalden gehen: Zeichen dafür, daß diese Stätte verflucht sei und niemals wieder menschlicher Besiedlung dienen sollte. So war das punische Karthago in Feuerschein und Todesgeschrei versunken in die geschichtslose Nacht. Nach der Vernichtung Karthagos wurde das punisch-karthagische Land als Provinz Afrika in das römische Reich eingegliedert. Nur einige Städte erhielten Bündnisverträge mit Rom. Das reiche Plantagenland ging in den Besitz römischer Patrizier über und begann seine Ernten an die wachsende Hauptstadt Italiens zu liefern. Die Römer begnügten sich nicht damit, sondern übertrugen die karthagischen Ackerbaumethoden auf Italien und die eroberten Provinzen. Sie erließen Gebote und Verbote für den Anbau bestimmter Nahrungspflanzen, um den Weltmarkt mit Monopolgütern beherrschen zu können. Überall im Römerreich begann der Umbau der Landwirtschaft nach punischem Vorbild. Die billiger produzierenden Sklav.en verdrängten die kleinen freien Bauern. Um die Bauernbetriebe weiter zu verringern, machten die großen Herren den noch frei wirtschaftenden Bauern das Leben so schwer, daß sie sich zum Verkauf ihrer Äcker gezwungen sahen. Wo sie sich nicht verkaufswillig zeigten, sperrte man ihnen die Zufahrtswege oder man schickte Gladiatorensklaven zur Plünderung. Immer mehr Bauernfamilien überließen ihre unrentabel gewordenen Höfe den Großgrundbesitzern, wanderten in die Weltstadt Rom ab und vermehrten das groß30
städtische Proletariat. Aus Ackerbauern, denen sich kriegsentlassene Soldaten zugesellten, waren Entwurzelte und Arbeitslose geworden. Im Jahre 122 v. Chr. warf der kühne Sozialrevolutionär Gajus Gracchus sein Auge auf die Brandstätte Karthagos und setzte im Senat durch, daß die Aussendung einer Kolonie von sechstausend römischen Arbeitslosen beschlossen wurde, um ihnen Arbeitsplätze zu beschaffen. Die Landlose wurden abgesteckt, die Vorbereitungen getroffen, die neue Stadt sollte Junonia heißen —, aber ehe noch die ersten der in Italien entwurzelten Bauern eintrafen, wurde Gracchus gestürzt und das Projekt aufgegeben. Der Fortsetzer der Sozialrevolution und Mann der Volkspartei, Julius Cäsar, nahm den Plan wieder auf — doch seine Zeit war ebenso kurz bemessen wie die des Gracchus. Er wurde ermordet, ehe die neue Kolonie auf karthagischem Boden erstehen konnte. So blieb diese Aufgabe dem Augustus Octavian, der in der Nähe der Trümmer Alt-Karthagos dreitausend Römer und Eingeborene ansiedelte. Das neue, römische Karthago lag zu günstig, als daß es lange hätte klein bleiben können. Schon unter den Kaisern des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts war die Stadt so bedeutend, daß sie nach Rom und Alexandrien den. dritten Platz unter den Großstädten des Imperiums einnahm. Neu-Karthago wurde Sitz eines römischen Prokonsuls und der Verwaltungsbehörden der Provinz Afrika. Aus seinem Hafen lief die berühmte afrikanische Kornflotte aus, die das römische Proletariat mit kostenlosen Getreidespenden versorgte. Später saß hier ein christlicher Bischof. Es entstanden Schulen für Grammatik, Beredsamkeit und Philosophie, es gab blühende Kunstwerkstätten. Im Jahre 429 n. Chr. führte König Geiserich das Germanenvolk der Vandalen über die Straße von Gibraltar und gründete in Nordafrika ein mächtiges Reich. Hundert Jahre lang war Neu-Karthago die Hauptstadt dieses Reiches, und Rom mußte es anerkennen, da es auf seine Kornlieferungen angewiesen war. 533 landete ein Heer Ostroms und zerstörte das Vandalenreich. Das eroberte Karthago wurde in Justiniana umgetauft und blieb lange Zeit einer der Schwerpunkte des Byzantinerreichs — bis der Feuersturm des Islam auch über Nordafrika hinwegging. 31
Im Jahre 697 erschien vor den Mauern Neu-Karthagos Hassan, der Unterfeldherr des Kalifen Abdelmelik ben Merwan, eroberte die Stadt und brannte sie restlos nieder. Zwei Jahrhunderte lang lag die Stätte abermals in völliger Stille, verlassen, überwuchert von Steppengras und Disteln, eine Weide für dürre Ziegen und Schafe. Erst unter der Herrschaft der Fatimiden entstand auf den Schutthalden wieder eine Moschee und ein ärmliches Dorf. Aber der Fluch schien wahrhaft auf der Stätte zu liegen. Nicht einmal das klägliche Berberdorf durfte auf Karthagos Trümmern dauern. Als 1535 Kaiser Karl V. landete, um mit den Seeräubern von Tunis abzurechnen, bauten die Spanier ein Seefort bei La Goletta und machten das Berberdorf dem Erdboden gleich. Erst die nach Tunesien und Afrika eindringenden Franzosen belebten den Platz wieder. An die Stätte Karthagos kamen sie nicht als Eroberer, sondern als Missionare. Die „Weißen Väter von Afrika" errichteten — Abschluß und Lösung des Fluches zugleich — auf dem blutdurchtränkten, brandgeschwärzten Hügel von Karthago die weiße Basilika zum Zeichen dafür, daß es Liebe und Versöhnung allein sind, die Haß und Rache überwinden können.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Umschlagbilder: Vorderseite: Römisches Idealbildnis des Hamilkar Barkas (Hannibals Vater), Rom, Villa Albini; Rückseite: Grabstatuette einer junischen Gottheit; Umschlagseite 2: Figur auf karthagischem Sarkophagdeckel (römisch beeinflußt), Klostermuseum der „Weißen Väter" auf der Byrsa. Lux-Lesebogen
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(Geschichte).
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