Oliver Kalkofe
Kalkofes letzte Worte Vol. 2
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Oliver Kalkofe
Kalkofes letzte Worte Vol. 2
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Rentner und Hausfrauen würden einsam verkümmern, Eltern müßten sich wieder um ihre Kinder kümmern. Wir hätten keine ulkigen Morgenmagazine mit holprig verreimten Wettervorhersagen und keine Dauerwerbesendungen, in denen wir die Vorteile von Po-Trimmern, Hirn-Enteisern und Schenkel-Öffnern kennenlernen. Ohne zwei Dutzend Talk-Shows täglich wüßten wir weder, wie furzlangweilig doch das Leben der anderen ist, noch daß der durchschnittliche Sparkassen-Filialleiter Latex-Unterwäsche mit Nippelklemmen trägt. Gäbe es keine coolen Fernsehkrimis, würde man denken, die Polizei bestände ausschließlich aus schnauzbärtigen Männern und Frauen in kantigen C&A-Uniformen, die wegen chronischer Lethargie vorzeitig die Schule verlassen mußten. Und wären nicht kichernde Brustgeschwader wie Verona Feldbusch oder Dolly Buster über die Bildschirme geflogen, hätten wir nie erfahren, wie viele der doofen Chauvi-Klischees doch der Wahrheit entsprechen. Vor allem aber gäbe es keinen Oliver Kalkofe, der bissig, witzig und abgedreht den grassierenden Wahnsinn der Medien geißelt.
Impressum ISBN: 3-8218-0819-5 Verlag: Eichborn Erscheinungsjahr: 1999
Umschlaggestaltung: Christina Hucke
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Buch Zum Bademeister zu dick, zum Autoverkäufer zu blöd, zum Politiker zu klug, blieb Oliver Kalkofe nach dem Abitur nur der Weg in die Medien. Da man dort aber Schwierigkeiten sah, ihm den seriösen Journalismus zu überlassen, nahm sich der »Investigativste von uns allen« (wie ihn ein anonymer »Spiegel«-Redakteur nannte) die Medien selbst vor. Die gesammelten Werke seiner jahrelangen, masochistischen Arbeit an der Mattscheibe bietet er hier nun dem geneigten Lesepublikum dar: Zukunftsvisionen wie die Umbenennung der ARDTagesschau in »Sperma, Blut und Massenmord« oder die Erfindung neuer Fremdwörter wie »feldbuscheln«. Beileidsbekundungen zum Ableben unentbehrlicher Sendungen wie Der Preis ist heiß, Marktbeobachtungen zum seltsamen Produkt »alte Leute« oder zu der »täglichen halben Stunde Schicksal aus der Dose«, den Daily Soaps. Kein Phänomen der Mediengesellschaft bleibt Oliver Kalkofe verborgen – und bitterböse, sarkastisch und politisch unkorrekt macht er sich darüber her.
Autor Oliver Kalkofe, geboren 1965 in Hannover, aufgewachsen in Peine, studierte Publizistik, Anglistik und Germanistik, bis er 1991 bei einem niedersächsischen Privatsender in der Kultshow »Frühstyxradio« (mit Sabine Bulthaup, Dietmar Wischmeyer, Oliver Welke, Andreas Liebold und Asso Richter) den richtigen Rahmen für seinen Genius fand. Heute ist er mit »Onkel Hotte«, »Kalkofes Mattscheibe«, »Isernhagen Law«, »Herr Radioven« und vielen anderen Serien auf CD und im Radio präsent. Mit der TV-Version von »Kalkofes Mattscheibe«, für die er 1996 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, war er bis 1999 wöchentlich auf Premiere zu sehen.
Inhalt KALKOFES VORLETZTE WORTE.........................7 EINE WELT OHNE FERNSEHEN..........................10 DIE NEUEN FREMDWÖRTER SIND DA!............12 DIE DUMME SEITE DER MACHT........................14 NA, WIE WAR IHR URLAUB? ..............................16 DAS LEBEN AUS DER STECKDOSE ...................18 FICKEN! FICKEN! FICKEN!..................................20 MEIN BEILEID ........................................................22 TRAUM ODER WIRKLICHKEIT?.........................24 FOLTERN FÜR DEN FROHSINN ..........................26 GLOTZE AUS, ALTER SACK!...............................28 UNSERE TÄGLICHE GEHIRN-WÄSCHE ............30 LIEBER REICH UND TOT, ALS ARM UND KRANK.....................................................................35 WIE WIRD MAN SO WAS?....................................37 DER FEIND IM HAUS ............................................39 KEIN WORT ÜBER FUSSBALL!...........................42 ZU SCHÖN FÜR DIESE WELT..............................44 MEINE ERSTE TRILLION......................................46 GEHT BALD DIE ERDE UNTER? .........................48 ARABELLA ENTEIERT! ........................................50 BRÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖM! ...................................52 WIRB LANGSAM....................................................54 ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT ..................................57 EINE WEIHNACHTS-GESCHICHTE ....................59 FANGT SCHON MAL OHNE MICH AN!..............61 DER LETZTE RUTSCH...........................................63 WENN EIN JAHR ZU ENDE GEHT …..................65 PROMINENTE MÖPSE...........................................67
ICH GESTEHE! ........................................................69 MANCHMAL KOMMEN SIE WIEDER … ...........71 EIN JAHR VOLL GAR NICHTS.............................73 BITTE MELDET EUCH! .........................................75 BERUFSBERATUNG FERNSEHEN ......................77 AB JETZT IN FARBE!.............................................79 EIN DANK AN DIE WERBUNG ............................81 SCHALT MAL DIE ZEITSCHRIFT AUS! .............83 BEI UNS IST ES AM SCHÖNSTEN.......................85 JETZT HABEN WIR DEN SALAT!........................87 TEMPORARILY NOT AVAILABLE .....................89 DIE GENERATION DER SCHLAUMEIER ...........91 BACK TO THE NINETIES (PART ONE)...............93 BACK TO THE NINETIES (PART TWO)..............95 BACK TO THE NINETIES (PART THREE) ..........97 ALLES FÜR DIE FRAU! .........................................99 DIE LEERE ZWISCHEN DEN OHREN ...............101 SPUL ZURÜCK IM ZORN ....................................103 WER HAT BLOSS DIE GESCHICHTE GESCHRIEBEN?....................................................105 SCHÖN UND DOOF..............................................108 THE IMPORTANCE OF BEING WICHTIG.........110 EINE IDEE GEHT AUF REISEN … .....................112 DIE DUMMHEITSSPIRALE.................................114
KALKOFES VORLETZTE WORTE Ich schreibe das Jahr 1999. Es ist Sommer und mir ist warm, aber das ist mein Problem, damit möchte ich Sie gar nicht erst belasten. Mehr als zwei Jahre sind bereits vergangen, seit ich mich zum erstenmal daran setzte, meine gesammelten letzten, allerletzten und wirklich allerallerletzten Worte in einem Buch zusammenzufassen. Doch auch wenn der Titel meiner TV-Spielfilm-Kolumne seit 1995 den Leser ein jedes Mal erneut darauf hoffen läßt, zukünftig von weiteren Anmerkungen meinerseits verschont zu bleiben, so hielt ich doch nie mein Versprechen und schrieb einfach weiter. Tut mir leid. Andererseits aber hörte auch das Fernsehen selbst – trotz meiner zahlreichen konstruktiven Kritikansätze – nicht auf, mit unaufgefordert dahergesendetem Irrsinn unser aller Verstand einem verfrühten Sendeschluß näher zu bringen. Ich sehe dies als Provokation und meine Tätigkeit dadurch als gerechtfertigt. So ist es denn auch zu erklären, daß in der Zwischenzeit schon wieder mehr als fünfzig neue letzte Worte entstanden sind, ebenso zahlreiche Texte für andere Publikationen. ›Nicht schlecht, Herr Specht!‹ mögen Sie jetzt vielleicht bewundernd ausrufen. ›Das ist ja eine Menge Holz, da muß eine alte Frau lange für stricken – aber ist das ein Grund, daraus gleich ein Buch zu machen?‹ Vielen Dank für diese kritische Frage, und erlauben Sie mir, sie mit einem ehrlichen ›Ja‹ zu beantworten. Somit wäre das geklärt. Aber ich verspreche Ihnen, es ist mein letztes Buch in diesem Jahrtausend.
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Sicher fragen Sie sich, wie es mir eigentlich so geht. Danke, gut. Muß ja. Viel Arbeit, aber andersrum wär’s auch nicht schön. Kann eigentlich nicht klagen. Mental ist auch alles im Lack. Im Zuge der Produktion der unlängst erschienenen Kalk & Welk-CD hatte ich sogar die Gelegenheit, meine alte Heimatstadt Peine noch einmal zu besuchen und dort ein Trauma meiner späten Kindheit zu verarbeiten: In beinahe fairem Wettstreit erwarb ich nachträglich meine längst überfällige Siegerurkunde bei den Bundesjugendspielen! 1866 Punkte – wo doch nur 1550 nötig gewesen wären – welch ein erhebender Moment. Ich muß dazu erwähnen, daß ich während der gesamten Schulzeit meine Lehrer vor allem durch fanatische Unsportlichkeit zu beeindrucken wußte und somit bis zum Abitur einer der wahrhaft wenigen Menschen blieb, der wirklich niemals auch nur irgendeine Urkunde bei dem jährlichen Jugendfolterwettstreit bekam! Sie erinnern sich: dieser häßliche graue Wisch, den eigentlich jeder Trottel schon allein für das Mitmachen und Geradeauslaufen bekam, außer er war zu dick, zu doof oder ich. Angeber pinnten sich das popelige Bewegungs-Zertifikat stolz zwischen Bravo-Poster und Pferde-Kalender ins Kinderzimmer, wer clever war, nutzte den kleinen SportOscar für seinen Antrag auf Taschengeld-Erhöhung. Ich hingegen konnte meinem Vater nur immer wieder die Hiobsbotschaft überbringen, daß mein Zeugnis lediglich eine 4 im Sport, in Nadelarbeiten dafür aber eine 1 auszuweisen hätte. So etwas kann den Vater eines strammen Sohnes natürlich nur bedingt stolz machen, besonders in Peine. Sie sehen – es könnte mir nicht besser gehen, jetzt wo diese alte Schmach ein für allemal ausgewetzt ist. Kugelstoßen, Weitsprung und 50-Meter-Lauf, all diesen 8
mörderischen Gefahren habe ich mich wacker gestellt – der Triumph des Geistes über die Materie. Aber auch, wenn ich beweisen konnte, daß Versagen nicht immer chronisch sein muß, und daß man mit Willenskraft und ein paar kleinen Mogeleien auch als körperlich Unterlegener einen Sieg erringen kann – in Peine macht man auch in den besseren Restaurants den Cappuccino immer noch mit Sprühsahne! Denn manche Dinge ändern sich einfach nie … und das ist häufig auch gut so. Außer man wohnt in Peine und trinkt gern echten Cappuccino.
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EINE WELT OHNE FERNSEHEN ›Oh, wie herrlich das doch wäre!‹ jauchzen da die zauseligen Kulturpessimisten und recken frohlockend ihre Rollkragenhälse aus den Strickjacken. ›Endlich keine mediale Verdummung der nach Bildung dürstenden Massen mehr! Laßt uns selbst für Unterhaltung sorgen und auf der Flöte blasen zu satyrischen Schelmenliedern des Mittelalters!‹ Zugegeben, das klingt klasse, aber wären wir ohne Fernsehen nicht auch viel ärmer? Wir hätten keine Morgenmagazine mit holprig verreimten Wettervorhersagen und Performance-Künstlern aus der SchlagerAG der Deutschen Stümpergilde, keine Dauerwerbesendungen, in denen wir die Vorteile von Po-Trimmern, Hirn-Enteisern, Sack-Liftern und Angelködern für die Mikrowelle kennenlernen, und keine arschwitzigen Filme von Promis beim Nasepopeln mit versteckter Kamera. Ohne unsere täglichen Vor-, Während- und NachmittagsTalkshows wüßten wir gar nicht, wie furzlangweilig und erschreckend uninteressant doch das Leben der anderen ist und wieviel kleine geile Latex-Teufelchen in der Hirnschale des durchschnittlichen Filialstellenleiters schlummern. Gesellschaftliche Klüfte wären ohne GameShows größer denn je, denn nie wäre es möglich gewesen, daß arbeitslose Kindergärtner, übergewichtige Metzgersgattinnen und wohlsituierte Gesäß-Chirurgen mit Adelstitel Seite an Seite durch explodierende Schleimtunnel robben, um eine Reise ins Sauerland zu gewinnen. Gäbe es keine Fernsehkrimis, würde man denken, die Polizei bestände ausschließlich aus schnauzbärtigen 10
Männern und Frauen in kantigen C&A-Uniformen, die wegen chronischer Lethargie und schlechter Deutschnoten vorzeitig die Schule verlassen mußten – aber niemand wüßte, daß es dort auch coole Typen wie Komissar Rex oder Stephan Derrick gibt. Sogar die Emanzipation hätte vielleicht sogar inzwischen über die rüde Männerwelt obsiegt, wären da nicht Brustgeschwader wie Verona Feldbums oder Dolly-Boom-Boom-Buster auf den Bildschirm geflogen, um zu beweisen, daß die meisten der doofen Chauvi-Klischees nun mal doch der Wahrheit entsprechen. Sehen wir es endlich ein: Ohne Fernsehen wäre die Erde trostlos und leer! Rentner und Hausfrauen würden einsam verkümmern, Eltern müßten sich wieder um ihre Kinder kümmern, und den meisten programmverantwortlichen Redakteuren bliebe nichts anderes übrig, als wieder wie früher als Dorftrottel zu arbeiten. Beten wir also, daß wir das Fernsehen niemals verlieren werden!
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DIE NEUEN FREMDWÖRTER SIND DA! Die deutsche Sprache lebt! Ganz im Gegensatz zum mausetoten Latein, das nur noch von einer Handvoll klug gemeinter Sätze lebt, die ein paar in Laken gewickelte Schlaumeier vor über zweitausend Jahren am Stammtisch daherschwatzten. Und gäbe es nicht immer noch die vom Aussterben bedrohte Art des dahinstaubenden Lateinlehrers, der für andere Arten der Schülerfolter zu einfallslos ist, in der Arbeitslosenquote allerdings nicht unangenehm auffallen soll, würde sich heute für Cäsars Kriegspossen und Ciceros Internats-Tagebücher auch kein Schwein mehr interessieren. Unsere Sprache aber ist putzmunter. Das sieht man schon daran, daß übereifrige Reformbeamte mit einer Deutsch-5 im Mittelschulabschluß emsig versuchen, sie wenigstens in der Schriftform endlich totzukriegen. Man erkennt es aber auch an den vielen neuen Wörtern, die jedes Jahr in den lebendigen Sprachgebrauch einfließen – und nicht wenige davon kommen aus dem Bereich der Medien. Allein durch die Schniedel- und Titten-TalkShow Peep! sind uns diverse neue Begriffe geschenkt worden. Das Verb feldbuscheln beispielsweise, häufig für junge Teenie-Backfische im Hormonkoller gebraucht, bedeutet soviel wie ›ständig debil kichern und grinsen, ohne etwas Vernünftiges zu sagen zu haben‹, in der Schule auch gleichbedeutend mit ›den Unterricht stören, die Hausaufgaben abschreiben und die Möpse rausquellen lassen‹. Neu in diesem Zusammenhang entstand auch jemandem eine bohlen – quasi einer Person ›mit unerträglichen 12
Liedern das Gehirn rauswummern‹ oder ihr ›einfach einen an die Omme donnern‹. Eingebracht durch den ehemaligen Bundestrainer, wurde das Tätigkeitswort vogtsen oder einen Vogts lassen – was soviel heißt wie ›Scheiße bauen, schmollen und dann abhauen, wenn es am meisten stinkt‹. Aus dem Bereich der Talk-Show kennen wir zahlreiche neue Redewendungen – wie z. B. ein bißchen kernern (›lustig plappern und grinsen wie ein Heiratsschwindler‹), sei nicht so fliege! (›hör auf so heuchlerisch herumzuschleimen oder es gibt eins auf die Pharisäergurke!‹) sowie hör auf zu meisern!, was nichts anderes heißt als ›Stell Dich nicht blöder als Du bist, Opa, und nimm endlich den Fuß von der Treppe!‹ Abschließend zu erwähnen ist selbstverständlich auch eines der für mich schönsten aktuellen Idiome, angelehnt an Oberweiten-Einstein Dolores Boom-Boom-Buster: das neue Adverb dolly, meist in Verbindung mit fühlen – Beispielsatz: »Ich fühl mich dolly!« – heißt übersetzt ungefähr soviel wie: ›irgendwie kann ich heut’ nicht denken, aber ficken würd’ ich schon gern!‹ Soweit vorerst zu den wichtigsten sprachlichen Neuerungen unseres ausgehenden Jahrtausends. Den Rest können Sie dann ja selbst im Duden oder im Wickert nachlesen.
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DIE DUMME SEITE DER MACHT ›Der größte Trick des Teufels war es, die Menschheit glauben zu lassen, daß er nicht existiert‹, lautet ein bedeutendes Filmzitat, doch ich bin da anderer Meinung: Satans größte Täuschung bestand darin, so zu tun, als sei er intelligent! Denn nicht das Böse ist es, was wir Menschen zu fürchten haben, sondern die Dummheit. Bosheit ist wenigstens berechenbar. Ein intelligenter Gegner ist selbst bei moralischen Defiziten zumindest eine kalkulierbare Größe, da er sein Ziel mit Vernunft verfolgt. Nicht so der Idiot! Er ist unberechenbar, ziellos und überaktiv. Sein Weg wird selbst ohne bösen Willen von Leichen gepflastert sein, denn der professionelle Blödkopp kachelt unbedarft heiter und unkoordiniert durch das Leben wie ein Blinder im LKW durch die Fußgängerzone. Wären jene Menschen, die sich – höflich ausgedrückt – an Intellekt und Talent nicht gerade einen Bruch heben können, nur beim Bulettenkneten im Schmierimbiß anzutreffen, würde sich das Chaos unter Umständen noch in Grenzen halten. Da sich zur Dämlichkeit aber meist auch ein aus hirnloser Selbstüberschätzung geborener Wunsch nach Macht gesellt, findet man jenen Typus besonders häufig beim Militär, in Chefetagen oder auf dem Weg zu ähnlich bedeutsam aufgeblasenen Plätzen in der Rudelordnung wieder. Das läßt sich auch im Bereich der Medien beobachten: An oberster Stelle sitzt gewöhnlich eine Herde periodisch wechselnder Programmverantwortlicher, angetrieben von Krawattenzwang und bohrender Illusionslosigkeit. Stets bemüht, sich von dubios-diabolischen Beratern erklären zu lassen, wie dumm doch das Publikum sei, versuchen sie, das 14
Programm ihrer eigenen Dumpfheit anzugleichen. Der Idiot, der im Rausch der Phantasielosigkeit gern von sich auf andere schließt, beginnt dann eifrig, das Land mit seiner Leere zu füllen, und wundert sich, warum dabei statt Gold nur heiße Luft aus des Esels Hintern entweicht. Als Folge davon sind wir alle inzwischen unbarmherzig vom Wahnsinn umzingelt wie General Custer von den Indianern. Widerstand ist zwecklos! Fernsehsender schleimen uns voll damit, daß man sie knuddeln und drücken soll, Radiostationen haben ihren Hörern nichts mehr zu sagen außer der Uhrzeit und den beliebtesten Ortstemperaturen der 80er und 90er und prahlen dabei minütlich mit ihren angeblichen Superhits wie ein pubertierender Furzknoten beim Lümmelzeigen, Geschirrspülmittel-Werbungen geben uns Tips fürs Nachbarn-Flachlegen, und ich kann nur noch schreien: »Fresse, Ihr Idioten! Macht’s Euch doch selber! Ich bin nicht so blöd, wie Ihr das gern hättet! Und jetzt schalt’ ich ab.« Keine Ahnung, ob das wirklich hilft … aber auf jeden Fall fühlt man sich danach viel, viel besser!
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NA, WIE WAR IHR URLAUB? Beschissen, nehme ich mal an. Urlaube waren meistens beschissen, wenn man fragt. Oder ›einfach herrlich, aber leider viel zu kurz‹. Oder beschissen, aber trotzdem viel zu kurz. Absurd, doch in der öffentlichen Meinung ist nun einmal selbst ein furchtbarer Urlaub immer noch erstrebenswerter als eine angenehme Arbeit. Auf jeden Fall aber ist jener mir als Antwort immer noch wesentlich lieber als ›einfach herrlich‹! Denn darauf folgt gewöhnlich ungefragt die Präsentation einiger Dutzend verschwommener Experimentalfotos von den jeweils uninteressantesten Ansichten der bereisten Örtlichkeit, meist sogar noch mit dem Präsentator persönlich doof grinsend in einer schiefen Ecke des Bildes hängend. Wenn man aber ganz großes Pech hat oder in einem früheren Leben ein Schwerverbrecher war, wird man zu einem DiaAbend eingeladen. Oder soweit es sich um eine Hi-TechFamily mit Internet-Toaster und Dolby-SurroundKlospülung handelt, folgt statt dessen heutzutage die Vorführung von ca. sieben bis neun Stunden ungeschnittenen Heimvideo-Materials. Entfernte Bekannte, die man schon in natura nicht unbedingt als allzu attraktiv empfand, erscheinen einem dort als verwackelte, dumpf grummelnde Zombie-Statisten in dunklen Katakomben, die einem im mündlichen Zusatzkommentar als Luxushotels mit filmtechnisch unzureichender Ausleuchtung verkauft werden. Dia- und Heimvideo-Abende sind die Strafe der Götter für den Hochmut des modernen Menschen, ihre Existenz anzuzweifeln. In manchen Mythologien auch der Vorhof zur Hölle – und auf Erden nicht selten das Ende einer 16
wunderbaren Freundschaft. Ohnehin erscheint dem aufmerksamen Beobachter das Phänomen Urlaub als Paradoxon. Nur die wenigsten nutzen ihn zur angedachten Ruhe und Rekreation des Geistes, sondern im Gegenteil vielmehr zur gezielten Betäubung desselbigen und zur Schaffung unbedeutender Erlebniswerte, mit denen man danach die desinteressierten Arbeitskollegen vollsülzen kann. Ein Großteil der Menschen begeht ihn lediglich, um an einem fernen Ort nach möglichst viel von dem zu suchen, was man auch zu Hause hat. Der deutsche Mallorca-Besucher ist beispielsweise stets bemüht, sich im Ausland genauso peinlich zu benehmen wie daheim, einen gewissen erlernten Promille- und Jägerschnitzel-Level nicht zu unterschreiten und jeden Morgen die gleichen Kopfschmerzen zu haben wie am Wochenende nach dem Komasaufen im Pupasch. Wichtig ist auch, möglichst täglich zum Morgenstuhl die Bild-Zeitung zu bekommen, um das Informationsdefizit mit den Daheimgebliebenen auf gleicher Ebene zu halten, und selbst im Ausland das heimische Fernsehprogramm zu empfangen. ›Home is where Hans Meiser is‹, sagt ein altes Sprichwort – und ganz ohne Frage fühlt man sich irgendwie geborgen, wenn man nach einer vergeigten Begattungsanbahnung in der spanischen Ruckeldisse im Hotelzimmer die bleichnasig sackgepiercten Leidgenossen bei Arabella sehen kann, bevor man sich übergeben geht. Aber egal wieviel man später auch arbeitet, um die Katastrophen der selbstverschuldeten Zwangsfreizeit zu vergessen – der nächste Urlaub kommt bestimmt!
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DAS LEBEN AUS DER STECKDOSE Die Japaner hatten irgendwie schon immer einen an der Waffel. Sie sprechen hibbeliger als ein Kassettenrecorder im Schnellrücklauf, essen rohen Fisch lieber als ein gut zerkochtes Schlemmerfilet und sind im Durchschnitt nicht größer als Peter Maffay. Ihre einzigen kulturellen Geschenke an die Welt waren Godzilla und der Mazda 323. Aber auch, wenn sie überall ungefragt ihre Schuhe ausziehen, Atomtests durchführen oder sich gegenseitg fotografieren – auf technischem Gebiet sind sie ungeschlagen! Fernseher, Videorecorder, Kameras, Eierkocher … das alles war nur der Anfang! Denn jetzt ist es FrankensteinSan und seinen gelben Igors sogar gelungen, künstliches Leben zu erschaffen! Tamagotchi heißt die batteriebetriebene Kreatur und ist ungefähr das gleiche wie ein elektronischer Hamster zum Mitnehmen. Ein kleines buntes Ei mit einem häßlich dahingekrakelten Computervieh, das durch Betätigen einiger Tasten gefüttert, geknuddelt oder den Hintern abgewischt bekommen muß. Wenn nicht, nibbelt es ab … oder pißt einem in die Jackentasche. Kümmert man sich nicht um das Teil, wird es depressiv und später mal ein drogensüchtiger Schwerverbrecher. Ich warte schon heute auf den Tag, an dem mich ein heruntergekommenes Tamagotchi am Bahnhof um eine Mark anbettelt … und dabei will es in Wirklichkeit doch nichts als einen Knopfdruck Liebe! Glauben Sie mir – nicht mehr lange, und es wird die ersten lebenden Fernsehgeräte geben. TV-Gotchi werden sie heißen, und ihre Sendungen werden sich nicht wie 18
bisher lediglich von Einschaltquoten ernähren, sondern von der Zuwendung und Zärtlichkeit der Zuschauer. Wenn wir in den Urlaub fahren, müssen wir den Fernseher mitnehmen oder an der Autobahnraststätte aussetzen. ›Du hast gestern wieder nicht ›Beckmann‹ geguckt! Der Reinhold hat die ganze Nacht geweint!‹ wird eines Morgens auf dem Bildschirm stehen. ›Gib über Videotext ein, daß Du sie lieb hast!‹ Wir werden dann via Fernbedienung Hans Meiser füttern, Vera wiegen, Sonja die Fragen zuflüstern, Manfred Krug die Glatze streicheln, Arabella den Mund zuhalten und Lilo Wanders unters Kleid greifen müssen, wenn wir sie nicht auf dem Gewissen haben möchten. Sehen wir nicht genug fern, wird der Apparat verkümmern und nur noch VolksmusikShows abspielen, bis er wieder gut drauf ist. Und falls wir zu oft Fliege oder explosiv gucken, macht er endgültig Schluß und zieht sich selbst den Stecker raus. Bis dann – wir sehen uns auf dem Fernseh-Friedhof!
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FICKEN! FICKEN! FICKEN! Vielen Dank. Ich wollte nur Ihre Aufmerksamkeit. Jetzt können wir uns ja ruhig anderen Themen zuwenden. Aber wer weiß, ob Sie ohne das böse F-Wort diese Zeilen überhaupt gelesen hätten! Ein reißerischer Titel aus dem weiten Feld des Geschlechtsverkehrs ist nun einmal unerläßlich dieser Tage. Niemand würde auch nur eine einzige Folge von Vera am Mittwoch oder Analbella gucken, wenn die Themen nicht Mein Schwanz ist 100 Meter lang oder 76, blond und spitz wie Lumpi! hießen, sondern wahrheitsgemäß Bleichnasige Arschgesichter langweilen das tumbe Publikum mit ihren erbärmlich primitiven Knatterphantasien. Das Wichtigste ist, die Zuschauer so scharfzumachen, daß sie einschalten. Was dann folgt, ist völlig egal – und solange alle auf die gleiche Art bescheißen, braucht man auch keine Angst zu haben, die Konkurrenz könne vielleicht wirklich etwas Interessantes senden. Da es in der großen Masse der aufgeschlossenen, intelligenten Rezipienten unseres Landes aber eine ganze Menge zu geben scheint, die diese offensichtliche Verblödungstaktik aus Mitleid mitspielen, um die unbedarften ProgrammMacher nicht zu enttäuschen, macht jene gezielt verborgene Inhaltslosigkeit sogar Quote. Auch dumme Hunde kriegen Knochen! So kommt es, daß beispielsweise Kulturprogramme wie Sat 1 endlich die beinahe vergessene Kunstform des ›saudämlichen deutschen Titels‹ wiederentdeckt haben, die seit den späten 70er Jahren fast ausgestorben schien. Wer erinnert sich nicht an Kreativleistungen zugekiffter Filmverleiher wie Oscar, der Granatenköttel, Zwei 20
Himmelhunde hauen sich in die Fresse und Frau Wirtin bläst auch ohne Tuba oder wie die alle hießen. Heute gibt es dafür Blutjung, geschändet und lebendig gefressen für Dokumentationen über Angelköder oder Nackt und gierig in die Hölle für die TV-Movie-Version von ›Adam und Eva‹. Und irgendwann, da bin ich sicher, werden auch die öffentlich-rechtlichen Sender dieses Spiel mitmachen. Nicht mehr lange, und die ARD-Tagesschau wird umbenannt in Sperma, Blut und Massenmord – Alltagshorror zum Abendbrot – zumindest im Untertitel! Und sollte eines Tages Das Wort zum Sonntag zu den Privaten wechseln, wird man es wahrscheinlich wiederfinden als Wasser, Wein und wilde Wunder – Die Jesus-X-Akten. Bleibt nur die Frage, wann endlich die Sender selbst sich trauen, ihre abstrakten Kürzel Sat 1, RTL oder PRO 7 abzulegen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, wie z.B. Hirnlos-TV oder Blöd und geldgeil, aber Mörder-Titten. Dann würde ich auch wieder einschalten! Ende September 1997 erschütterte ein tragisches Ereignis die bundesdeutsche Medienlandschaft: DER PREIS IST HEISS – jener Klassiker der doofdeutschen Massenunterhaltung – wurde nach langem Leiden unerwartet durch die Hand Helmut Thomas von seinem Muttersender RTL aus dem Programm gekippt. Da ich mich selbst als einen eher emotionalen Menschen bezeichnen würde, ging diese furchtbare Nachricht selbstverständlich auch an mir nicht spurlos vorbei, und ich verfaßte aus der Tiefe meines traurigen Herzens diesen – vielleicht sogar etwas sentimentalen – Nachruf auf ein großes Stück klassischen Unterhaltungskäse.
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MEIN BEILEID Liebe Fernsehgemeinde, der Anlaß, aus dem wir uns heute vor dieser Kolumne versammelt haben, ist ein trauriger. Eine geliebte Sendung hat uns verlassen. Der Preis ist heiß existiert nicht mehr. Der Preis ist jetzt kalt. Viel zu früh ist diese Sendung von uns gegangen … nein, lassen Sie mich korrigieren: Viel zu früh war sie zu uns gekommen, doch nach acht Jahren wurde das Leiden der Zuschauer nun erlöst. Plötzlich und unerwartet wurde sie aus dem Programm gerissen, trotz ordentlicher Gesundheit und immer noch meßbarer Zuschauerzahlen. Eine höhere Macht hat ihr Schicksal bestimmt. Der Thoma hat sie uns gegeben, der Thoma hat sie uns auch wieder genommen. Es ist nicht an uns, ihn dafür zu tadeln, und einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Der Verlust für unsere Fernsehlandschaft ist in seiner gesamten Tragweite jetzt noch nicht abzuschätzen. Wie wird das Programm das Verschwinden dieser intellektuellen Luftblase verkraften? Jene Dauerwahnsinnssendung erhitzte nicht nur die Preise, sondern erwärmte auch unsere Herzen, denn es war die einzige Show, die den durchschnittlichen Volltrottel von nebenan zum Helden der Moderne erheben konnte, wenn dieser den Verkaufswert einer Tüte Kartoffelsuppe erriet. Wenn solch ein kulturelles Wurmloch verschwindet, so ist es, als ob in der Gemeinde der Dorftrottel stirbt oder in der Schule der Klassendöfste sitzenbleibt. Irgendwie hat man nichts mehr, worüber man lachen kann, und plötzlich ist man gezwungen, sich mit der eigenen Inkompetenz auseinanderzusetzen. Doch dies soll nicht die Zeit sein zu trauern über das, 22
was einmal war. Keine Sendung stirbt für immer. Ihr Irrwitz wird weiterleben, in einem anderen Format, auf einer anderen Station vielleicht, doch sicherlich über Kabel empfangbar. Und da TM3 – der Sender für die emanzipierte Frau von heute, die schon allein mit der Fernbedienung umgehen kann und Spaß hat an verfilmten Aldi-Prospekten – bereits begonnen hat, die alten Folgen zu wiederholen, wird die Erinnerung niemals verblassen. So wollen wir also beten. Für den Preis, der einst so heiß war, und alle Shows, die ähnlich ihm den frühen Quotentod starben. Und wenn sie uns begegnen, die Helden von damals, der quirlige Walther vielleicht beim Bananenverkaufen auf dem Fischmarkt oder der dicke Harry beim Käsestreicheln im Supermarkt, so laßt uns auf sie zugehen, sie liebevoll umarmen und sie den Preis unserer Unterwäsche erraten. Ruhet in Frieden.
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TRAUM ODER WIRKLICHKEIT? Kennen Sie nicht auch diese Situation? Sie stehen beim Bäcker, der Laden ist rappelvoll, und während der pickelige Konditormeister versonnen lächelnd Popel in die Rosinenbrötchen knetet, übt eine fette Fliege bedrohlich summend ungeschickte Landemanöver auf Ihrer schweißnassen Stirn. Da plötzlich beginnen die anderen Kunden trotz quälender Stille miteinander Walzer zu tanzen, und ein Mann mit zwei Hüten holt einen toten Fisch aus seiner blaßlila Cordhose, wobei er kreischende Tierlaute von sich gibt. Doch erst, als alle Anwesenden sich spöttisch lachend im Kreis um Sie gruppieren, bemerken Sie, daß Sie völlig nackt sind, weil Sie in der Eile ganz das Anziehen vergessen haben. Und verschämt errötend denken Sie, wie schön es doch wäre, wenn es sich hierbei nur um einen Traum handeln würde! Gut, manchmal hat man Glück und es ist auch einer, aber trotzdem bleibt es mitunter schwer, die Realität und die Traumwelt auseinanderzuhalten. Wie oft saß ich schon während Birte Kastratus auf meinem Sofa und kniff mir die Arme blutig in der Hoffnung, endlich aufzuwachen. Oder grübelte bei einer durchschnittlichen Sendung der Lustigen Masturbanten, ob es sich dabei um eine wahrhaftige Show-Attacke aus der kreativen Talsohle des großdeutschen Jodelimperiums handelt oder um einen kafkaesk-bizarren Alptraum nach einem sehr fetten Essen? Kommt Carolin Reiber wirklich aus dem Land, wo Weißwurst und Wahnsinn sich Gute Nacht sagen, oder aus jenem hinter dem Regenbogen, wo böse Hexen und bierbäuchige Zauberer mit Publikums-Hologrammen um die Wette schunkeln? Ist Dolly Buster echt oder lediglich 24
die feucht-fabulierte Phantasie eines pubertierenden Zwölfjährigen? Und sieht Vera vom Mittag nicht verdammt jenem Monster ähnlich, welches man als Kind bei Unartigkeit unter seinem Bette wähnte? Überhaupt – kann das eigentlich alles wahr sein, was uns da tagtäglich über den Äther entgegenflimmert? Ist unsere Welt eine Mischung aus Explosiv, Marienhof und Bitte lächeln? – oder aus Arabella, Daktari und den Lottozahlen? Und was, wenn überhaupt das Fernsehen die wahre Wirklichkeit und wir Zuschauer nur geträumt sind? Verschwinde ich dann, wenn Ilona Christen aufwacht? Endet das Universum, wenn der Abspann von Raumschiff Enterprise vorbei ist? Sind wir alle nur gebührenpflichtige Schöpfungen aus den öffentlich-rechtlichen Schlafvisionen eines übermüdeten ARD-Redakteurs – oder eine Wunschvorstellung von Sat 1, wo man sich mit uns die erhofften Quoten zusammenträumt? Denken Sie mal darüber nach … aber bleiben Sie wach!
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FOLTERN FÜR DEN FROHSINN Anderen Menschen ein bißchen Schmerz zuzufügen war schon immer sehr ulkig. Bereits die antiken Italiener schlugen sich in ihren Forumslogen die Schenkel blau vor Gaudi, wenn unten im Römer-Roncalli muskulöse Gladiatoren sich gegenseitig Mistgabeln in die Gedärme pieksten oder zappelige Christen juchzend von prachtvollen Löwen verspachtelt wurden. In zahlreichen Ritterburgen des Mittelalters war die Folterkammer quasi der Ersatz für das Kaminzimmer, und oft versammelte man sich nach dem Essen dort zu einer geselligen Runde Pferde-Quartett, während der heitere Henker quietschend das Glücksrad an der Streckbank drehte. Selbst heute noch ist in vielen Ländern das Foltern politischer Gegner auf dem Marktplatz ebenso alltäglich wie bei uns das schiefe Geflöte des peruanischen Panflöten-Trios aus Kroatien in der Fußgängerzone. Und es läßt sich wahrlich nur schwer entscheiden, welche der Darbietungen die unmenschlichere ist. Doch auch der brachiale Knecht der Qualen hat sich im Jahrhundert der Moderne ein Stück weit nach vorn entwickelt. Das rein physische Zufügen von Pein in verschwiegenen Katakomben ist out – denn richtig Spaß macht es schließlich nur, wenn es an die Psyche geht und auch alle dabei zugucken. Und wenn man es im Fernsehen tut, unter dem Deckmantel der Volksbelustigung und mit ein paar popeligen Preisen als Lockmittel, kommen die doofen Opfer sogar freiwillig angelaufen! Fröhlich wie eine Gruppe Lemminge am Wandertag spazieren sie gleich hundertfach in ihre Fallen, lassen sich belabern, belachen und belästigen bis die Schwarte kracht, und 26
glauben sogar noch, daß sie es witzig finden. Da hilft auch kein Amnesty International wenn RTL zur 100.000Qualen-Show bittet oder der grienende Fritz Egner einem ungefragt die versteckte Kamera in die Hose hält. Und wenn Kai Pflaume von der Schmerzspirale kommt, hilft sowieso nur noch beten. Mit dem selbstsicheren Lächeln eines wohlhabenden Heiratsschwindlers kommt er charmanten Schrittes angewatschelt und konfrontiert ahnungslose Zwangsteilnehmer mit ihren größten Ängsten. Wer zitternd mit gequältem Grinsen die PsychoFolter übersteht und alles macht, was der adrette Einpeitscher fordert, dem spendet die Zwetschgenlotterie in überlegener Gutsherrenmanier einen hübschen Preis – wer stolz gesenkten Hauptes seine Phobien akzeptiert, sich nicht ohne Narkose mit einem stumpfen Löffel den Blinddarm rausnehmen läßt und dem geleckten KernobstKai einen Korb gibt, kriegt nix und kann sich gehackt legen. Denn nur wer lustig für das Fernsehen leidet, darf später auch selber lachen! Sat 1 – drück Dich doch selber!
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GLOTZE AUS, ALTER SACK! Alte Leute sind ein seltsames Produkt. Der Markt ist voll mit ihnen, aber niemand stellt sie her oder will sie wirklich haben. Sie sind irgendwie nicht mehr ganz frisch, etwas knitterig und nur begrenzt haltbar, versaufen unsere Rentengelder mit Blasentee und Klosterfrau, verbrauchen dutzendweise Zivis und verzögern ihren Kindern die Erbschaft. Vor allem aber tun sie alle absolut nichts Produktives für die Gesellschaft! Rein wirtschaftlich gesehen sind sie ein Flop. Die einzige Arbeit, die sie noch ausdauernd und zuverlässig erledigen können, ist die Herstellung von Einschaltquoten durch aktives Fernsehen – doch selbst dafür will sie jetzt keiner mehr haben! Schätzten sich RTL & Co. früher noch glücklich, daß überhaupt eine Zielgruppe den ganzen Murks ohne Murren über sich ergehen ließ, so möchten sie heute am liebsten nur noch besserverdienende Yuppies, reiche Kids und mittelständische Jungfamilien vor dem Gerät wissen. Der Wert des Zuschauers wird nun einmal nicht mehr gemessen an seiner Menge, sondern an seiner potentiellen Kaufkraft! Was soll man schließlich als hip-dynamischer Sender mit einem Haufen alter Zausel anfangen, die zwar glotzen bis zur Verwesung, aber danach all die tollen Sachen, die man ihnen in den Werbe-Movies so schön präsentiert hat, gar nicht kaufen wollen? Von den Runzelnasen sagt schließlich keiner nach Hans Meiser zum Pfleger: »Junge, bring mir heut mal keinen Streuselkuchen mit, hol mir lieber den neuen Audi … oder zwei Twingos!« Die holen sich im Supermarkt höchstens mal eine zweite Tüte Zwieback, wenn sie crazy drauf sind, 28
oder leisten sich zum Geburtstag ein paar Dörrpflaumen und eine Tube Haftcreme mit Sekundenkleber. Nee, das popelige bißchen Gerontenkohle lohnt die teure Werbezeit wirklich nicht – und erst recht nicht die tolle bunte Sendung drumrum! Der ehemalige Schwiegermutterbeschwörer Sat 1 – (jetzt der aufstrebend frische FamilyEntertainer mit dem bunten Sympathie-Hüpfball) – reagierte schnell und ohne falsche Scheu: Glücksrad, Der Bergdoktor, Bitte melde Dich und andere Rentner-Renner wurden vor einigen Monaten offiziell wegen zu alter Zuschauer vom Bildschirm wegpensioniert. Respekt! Soviel unverhohlen zugegebene Publikumsverachtung hätte man den uns sonst so brav ergebenen Schleimern gar nicht zugetraut! ›Glücksrad glotzen nur so olle Humpel, die wollen wir gar nicht haben!‹ – das zeugt von ehrlichem Zynismus und Mut zur Arroganz! Und vielleicht heißt es ja schon bald bei einem freundlichen Sender Ihrer Wahl: ›Arbeitslos? Für Euch Versager gibt’s kein Programm mehr!‹ oder ›Die Show schießen wir ab, die gucken ja nur Neger und Schwule!‹ Denn Fernsehen ist schließlich nicht einfach so für jeden da – das muß man sich verdienen!
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UNSERE TÄGLICHE GEHIRNWÄSCHE Soaps – so nennt man inzwischen bei uns liebevoll weltmännisch jene selbstgemachten Erlebnis-Surrogate am Nachmittag, die auf deutsch auch häufig uncool als ›tägliche Serien‹ bezeichnet werden. Längst schon gehören sie zum deutschen Alltag wie die Tagesschau am Abend und der Stuhlgang am Morgen. Dabei haben Waschmittelhersteller nur noch herzlich wenig am Hut mit den sogenannten Seifenopern – an chemisch hergestellte Mittel zur Körperpflege erinnern höchstens noch die geleckten Visagen manch künstlich-grinsender DarstellerAzubis oder der zeitweilig auftretende Schaum vor dem Mund des Zuschauers. Die heutigen Soaps zielen ohnehin nicht mehr auf die Bedürfnisse der frustgeplagten Hausfrau, für die gibt es schließlich Vera zum Mittag und Pilawa als Bügelhilfe. Vielmehr kümmern sich die Produzenten der daily craps in unseren Tagen um das konsumfreudige Marktsegment der aufstrebenden EndTeenies und Twen-Anfänger auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz in der Werbewirtschaft. Um die Wäsche kümmert sich von denen keiner mehr selbst, die bringt man am Wochenende zu Mama oder zwischen zwei Cappuccinos in den Waschsalon. Probleme sind in dieser Sozialgruppe eher, daß der Schuhschrank zu klein wird oder das Handy ins Klo fällt. Täglich eine halbe Stunde Schicksal aus der Dose, Liebe, Elend und Spannung als kleines Aufputschmittel am Feierabend für alle, deren Tag mal wieder genauso scheißenlangweilig war wie der davor. Und nur manchmal merkt der Zuschauer bei all der trägen Freude, wie ihn seine Lieblingsserie leise verspottet 30
und ihm zuruft: »Schau mal – das alles könntest Du jetzt theoretisch auch erleben, wenn Du nicht so faul vor der Glotze hocken würdest, Du Versager!« ›Soap-Opera‹ heißt übersetzt soviel wie ›Seifenoper‹, belehrten uns einst, in den Iden der Achtziger, lässig gescheitelte Fernseh-Ansager mit dem verschmitzten Lächeln des intellektuell überlegenen Nachhilfelehrers, der sich nebenbei ein paar Mark durch GEZ-Gebühren dazuverdient. ›Gemeint sind damit kulturell minderwertige Kurz-Dramen im Serienformat aus den USA, die häufig durch Werbe-Spots von Waschmittelherstellern finanziert werden‹, hieß es dann weiter, nicht selten mit einem ironischen Augenzwinkern, welches die Absurdität dieser Aussage dezent unterstreichen sollte. Werbung, ja, die kannte man, das waren doch diese kleinen Produktinformationen zwischen den Mainzelmännchen! Nichts aber lag ferner als die Vorstellung, daß diese industriellen Kurzfilme je selbst ihr Umfeld mitbestimmen könnten. Nun gut, bei den verrückten Amis drüben, da mochte es so etwas geben, dort – so erzählten sich weitgereiste Weltenbummler – sollte es sogar mehr als drei Programme geben und Unterhaltungs-Shows ohne Lehrauftrag einer öffentlichrechtlichen Schulbehörde. Doch als dann kurz darauf die ersten Serien über den trostlosen Alltag durchschnittlicher amerikanischer Öl-Milliardäre erfolgreich über den germanischen Äther rollten, vermochte noch niemand zu ahnen, daß bereits ein knappes Jahrzehnt später selbst die hinterlistigen Bosheiten der kernigen Ewings und stolzen Carringtons nichts weiter mehr sein würden als kalter Kaffee, lieblos abgefrühstückt im täglichen Vormittagsprogramm der ARD. 31
Doch Lästern über Soaps ist schon seit Jahren sinn- und zwecklos geworden. Was soll es auch? Selbst die moralisch besser gestellten Öffentlich-Rechtlichen haben sich den erhobenen Zeigefinger längst in den Hintern gesteckt und mischen eifrig mit, wenn auch – so wollen wir mal für sie hoffen – nur sehr, sehr ungern. SoapOperas unterscheiden sich im Grunde nicht von anderen Medien-Spezies – sie wollen einfach existieren und Werbegelder kassieren. Sie wollen unterhalten und sonst nichts. Ein Fernseh-Tamagotchi für Erwachsene: irgendwie krakelig und nervig, aber solange die Leute Freude daran haben und es täglich mit Quoten füttern, sind alle zufrieden. Niemand der Produzenten behauptet, ein hohes Qualitätsprodukt abzuliefern – das will man auch gar nicht und das verlangt auch keiner, denn schließlich möchte niemand lügen. Es kann ja auch nicht nur gute Bücher geben, irgendworin muß man auch den Fisch einwickeln können – und beim Fernsehen ist das nicht anders. Täglich acht bis zwölf Folgen drehen, täglich eine Folge senden – da bleibt nicht viel Zeit für raffinierte Regie-Ideen und Method-Acting. Und gerade durch dieses sympathische Stümpern tastet sich das, was wir auf dem Bildschirm sehen, letztendlich trotz aller Realitätsferne überraschend nah an die Wahrheit heran. Denn auch das Leben ist nicht immer perfekt ausgeleuchtet, und mit etwas Mühe können viele Szenen des wirklichen Alltags fast genauso banal sein wie ein RTL-Drehbuch. Und wer nur einmal die Zeugen Jehovas vor der Tür stehen hatte, weiß irgendwann sogar die rudimentären Schauspielkünste der Seifen-Akteure zu würdigen. Jetzt sind sie nun mal da, da kann man sie auch gucken, die ›Dailys‹, wie sie im Fachjargon heißen (im Gegensatz zu den wöchentlichen ›Weeklys‹ und den wahrscheinlich bald folgenden ›Stündlys‹). Auch wenn man sich die 32
meiste Zeit über sie ärgert – sie lassen einen nicht los. Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Reich & schön erfreut den schulpflichtigen Yuppie-Anwärter, Marienhof den bodenständig jung gebliebenen Forstverwalter, Mallorca den notgeil frustrierten Pauschalurlauber usw. Bei den einen gibt’s die fiesesten Intrigen, bei den anderen die süßesten Jungs und bei den nächsten die schärfsten Weiber. Die pfiffigsten Dialoge, die intelligentesten Drehbücher oder besten Schauspieler wird man allerdings nicht darunter finden. Doch wer bei Verbotene Liebe nach dem Sinn fragt, der kann auch gleich bei McDonalds nach Geschmack und Vitaminen suchen. So ist nun mal das Leben – alles was lecker schmeckt, macht meistens auch dick. Ballastfreie Unterhaltung hat ihren Preis und kratzt ein wenig an der Hirnrinde, aber wer frißt schon freiwillig immer nur Reformhaus-Brötchen? Der alte Faust verkaufte seine Seele an den Teufel für ein bißchen Spaß, der Fernsehzuschauer opferte die überlegene Attitüde des mittelständischen Bildungsbürgers für ein paar Stunden seichten Entertainments. Umsonst ist nur das Testbild. Die Stars der Daily Soaps haben unseren Respekt verdient, denn sie sind die tragischen Helden der Moderne. Für ihr Publikum spielen sie sich die verkaufte Seele aus dem Leib, obwohl die meisten von ihnen eine Schauspielschule genau wie wir höchstens aus dem Fernsehen kennen. Sie quälen sich für uns durch ein Leben, das wir aus der Ferne beobachten, belächeln und kommentieren können, gleich einer Gottheit auf dem Olymp des Fernsehsessels. Und wenn sie den verdienten Serientod sterben, wird sich niemand in der Fußgängerzone an ihren richtigen Namen erinnern. Seifenopern bedienen unsere verdient niederen Instinkte: Wir wollen sehen, wie andere lieben, damit wir daraus Hoffnung schöpfen können. Wir wollen sehen, wie 33
andere leiden, um uns darüber zu freuen, daß es denen noch schlechter geht als uns. Und wir wollen simple Geschichten, um zu sehen, daß man nicht immer nachdenken muß, um alles zu verstehen. Deshalb lesen wir auf dem Klo auch die Bild-Zeitung und nicht Krieg und Frieden. Soap-Stars sind die besten Freunde, die ein Mensch je haben kann – man sieht sie täglich, aber wenn sie anfangen zu nerven, kann man sie ausknipsen. 15 Millionen Menschen schalten täglich ein – und die können sich bekanntlich nicht irren. Schämen wir uns also nicht, die Soaps zu lieben. Denn erst wenn Gute Zeiten, schlechte Zeiten abgesetzt, Unter uns am Ende und der letzte Springfield-Clan gesendet ist, werden wir sehen, daß man über Aspekte nicht lachen kann!
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LIEBER REICH UND TOT, ALS ARM UND KRANK John Lennon ist tot. Bob Marley auch. Bata Illic nicht, der sieht nur so aus. Sonst hätte man auch viel mehr von ihm gehört in letzter Zeit. Sobald ein Star abnippelt, stürmt er schließlich erst einmal die Charts – denn nur der Tod macht unsterblich und versöhnt die Kritiker. Elvis würde lebend heute vielleicht nur noch als Cover-Model für ›Die 100 besten Fetten-Witze‹ arbeiten oder mit den Wildecker Herzbuben auf holländischen Kaffeefahrten Heideschinken verkaufen und den Schwabbel-Rock singen. Queen hat natürlich früher auch bessere Alben gemacht, aber keiner meckert, denn für einen toten Sänger ist es halt doch ganz ordentlich. Und selbst James Dean, der coolste Fluppenlutscher und Viva-Moderator der 50er, hätte sein vergnatztes Konterfei niemals auf Millionen von Untersetzern, Aschenbechern und krakeligen Pop-ArtPostern gebracht, wenn er nicht ohne Stuntman seinen Porsche an den Baum gesemmelt hätte. Der gewitzte Knochenhändler weiß: Auch ohne Krematorium kann man aus einem verblichenen Künstler jede Menge Asche machen. Und man muß dazu noch nicht mal warten, bis die Leiche kalt ist – im Gegenteil! Je schneller man als moralischer Nachlaßverwalter des Dahingerafften auf der Bildfläche erscheint, desto glaubwürdiger kann man mit einer Träne im Scheckbuch die Trauer-T-Shirts bei der Beerdigung verscherbeln. Und als ob Totsein nicht eigentlich schon deprimierend genug wäre, muß das Opfer sich von nun an auf ewig kommerziell bedauern lassen, ohne sich wehren zu können. Sonst hätte der Geist von Lady Di bestimmt 35
längst die Kerze aus dem Luftzug genommen und all den Redakteuren in den heuchlerischen Hintern gerammt, die sich im kulturellen Diana-Overkill täglich mit neuen Science-fiction-Biographien über sie ihr Kondolenz-Koks finanzieren. Vielleicht aber macht der gepflegte Abgang auch Schule, und die Fernsehsender beschließen, im Falle von klinischem Quotenmangel einer Show zukünftig statt mühsamer Änderungen lieber die finale Rettungs-PR am Moderator durchzuführen. Sollte beispielsweise demnächst Maggie Schreinemakers beim Joggen in Belgien von sechs liebestollen Groupie-Rentnern mit Pocket-Kameras um den Hals verfolgt werden, dabei gegen ein Garagentor laufen und sich die Stimmbänder zerren, und sollte kurz darauf Patrick Lindner beim HaareFönen ›Mei Kerzerl steht im Wind‹ singen – glauben Sie ja nicht an einen Unfall! Eine kleine Anekdote nebenbei: Nach der Veröffentlichung dieses Textes erhielt ich eine Menge Post von freundlichen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes, die mir erklärten, welche Beweggründe für ihre Berufswahl ausschlaggebend waren, daß Geld dabei auch eine Rolle spielte und daß es ohnehin eine Unverschämtheit von mir wäre, mich derart respektlos über ihren doch recht angesehenen Berufsstand lustig zu machen. Das stimmt. Und es tut mir leid, für jeden öffentlich-dienstlichen Leistungsträger, dessen Herz ich gebrochen oder dessen Würde ich angekratzt habe. Es war eigentlich nur ein dummer Scherz. Irgendwo in Ihren Unterlagen finden Sie bestimmt noch eine alte Akte zum Thema Humor und Satire, vielleicht hilft das beim Verstehen, wie ich es gemeint habe. Ich habe Sie alle sehr lieb. Vielen Dank. 36
WIE WIRD MAN SO WAS? Eine Frage, die ich mir oft stelle. Wie wird man beispielsweise Schlachter? Geht man zur Berufsberatung und sagt: »Ich haue gern Tiere tot, hätten Sie da was?« Wann in der Kindheit entsteht zum erstenmal der heimliche Wunsch, das Meerschweinchen zu pürieren und in eine Wurstpelle zu drücken? Oder Beamter in der Stadtverwaltung: zu welchem Zeitpunkt faßt man den Entschluß, vom Leben nichts mehr zu erwarten außer einem eigenen Drehstuhl und einer Schublade voller Bleistifte? Wer sich die Krawatte selber binden kann, geht zur Sparkasse, wer sich die kurzärmeligen Acryl-Hemden noch von Mama rauslegen läßt, der geht zum öffentlichen Dienst – so sagt man im Volksmund, aber das erklärt auch nicht alles. Aus welchem Grund wird ein gesunder Mensch hauptberuflich Politiker? Weil irgendwann einfach alles besser ist als Volksschullehrer? Oder einfach weil man zum Rockstar zu alt und zum Frührentner zu jung ist, aber trotzdem auch mal Alkoholsucht und Sex-Affären kennenlernen möchte? Ich weiß es nicht. Und wie wird man Game-ShowModerator? Wenn man Holländer ist, kann man ja nichts dafür, das liegt in den Genen, irgendwo zwischen Käserollen und Gurkenzüchten – aber wieso tun andere es sogar freiwillig? Bei Maren Gilzer war es sicherlich einfach der Wunsch, sich auch und gerade als Frau künstlerisch auszuleben, aber Kai Pflaume macht die Glücksspirale bestimmt nur, weil er als Kind immer geschlagen wurde. Aus was für einem zerrütteten Elternhaus muß man aber 37
erst stammen, um aus freien Stücken einem Karnevalsverein beizutreten? Wie sehr muß man die Zivilisation und den Humor hassen, um Mitglied im Elferrat zu werden oder besoffen unschuldige Passanten mit Kamelle zu bewerfen? Ein solcher Mensch muß viel durchgemacht haben. Aber entstehen die Rosenmontagsumzüge wirklich nur aus Bosheit? Ist der Tanz der Funkenmariechen reines Teufelswerk? Mit Sicherheit muß hier zuerst die Frage des Vorsatzes geklärt werden. Andererseits – wie weit sollte das Verständnis gehen? Faschingsprinzen gehören neben dreibeinigen Dackeln und Talkgästen bei Sonja fraglos zu den bedauernswertesten Kreaturen der Erde – aber entschuldigt das alles? Barmherzigkeit ist angebracht, auch sollte man therapiewilligen Jecken die Möglichkeit zum Entzug nicht verweigern. Und doch ist es verständlich und irgendwie auch legitim, wenn man ihnen nach dem zwölften Tusch aus Notwehr die Pappnase aus der Fresse haut. Und sollte gerade noch ein Pantomime in der Nähe sein, kann man dem auch gleich noch eins aufs Maul geben. Mitgefühl ist gut, aber alles hat schließlich seine Grenzen!
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DER FEIND IM HAUS Die Lage ist ernst. Unsere Funkhäuser sind vom Bösen unterwandert. Eine unheimliche Macht hat sie infiltriert und stört den reibungslosen Sendeablauf. Inhalt nennt sich der getarnte Dämon, im Radio einfach Wort. Dreist und unverfroren schmuggelt er sich zwischen Werbung und Trailer, und wenn die Verantwortlichen dabei nicht aufpassen wie die Schießhunde, dann ist ganz schnell mal ein fast ungekürzter Film über den Bildschirm gelaufen, ohne daß der Sender darin mehrfach auf seine Pracht und Herrlichkeit verweisen oder für telefonische Kopulationsdienste werben konnte! Von Interesse im sogenannten Onanie-TV dieser Tage ist längst nicht mehr der einzelne Programmpunkt, sondern nur die Frage, wieviel wirtschaftlich gesponserte Produkt-Informationen und ästhetisch anspruchsvolle Eigenlob-Kurzfilme man über ihn transportieren kann. Vorbei ist die Zeit, in der Sender versuchten, durch Inhalte zu überzeugen – wichtig ist lediglich, möglichst häufig zu behaupten, man hätte überhaupt noch welche. Um dies zu ermöglichen gibt es in den Redaktionen inzwischen jede Menge gelernter Metzger im Designer-Anzug, die mit fleischwölfischer Sensibilität die auszustrahlenden Produkte zerhacken, Stücke rausreißen und zu sendbarem Formfleisch verarbeiten, in das man jede Menge wabbeliges Werbefett stopfen kann. Denn auch in einen Van Gogh kann man Fisch einwickeln – das lernt man in der Medien-Yuppie-Schule noch vor Der Inhalt ist der Feind des Programms! Die Einstellung der Sender zu ihrem Publikum schwankt – je nach Stimmung und Quotenlage – von Verachtung 39
über blanken Hohn bis zu purem Haß. Ein Spruch wie ›Wir zeigen’s Ihnen‹ ist da noch relativ sympathisch, denn er liegt irgendwo zwischen ›Rutsch rüber, Mädel‹ und ›Fick Dich ins Knie, Alter!‹ – und ist somit zumindest nicht gelogen. Doch wer nimmt schon einer selbsternannten Drücker-Kolonne den herzlichen Knuddelfaktor ab? Welcher Zuschauer möchte auf dem Abspann von Magnum den Hinweis von Hans Meiser hören, daß heute nachmittag bei ihm wieder GebißTauschbörse mit Gruppenlabern zu erwarten ist, und daß das ganz toll wird? Und wer wird wohl nicht aggressiv, wenn die gleiche wichsige Schleimerstimme, die kurz zuvor noch bücklings mehrfach Gute Unterhaltung wünschte, einem jetzt genau diese mutwillig zerstört, indem sie lauthals über das Filmende darüberschwafelt wie Oma Kalkleiste auf Heimurlaub? Liebe Sender – hört doch endlich auf, uns zu verarschen, laßt die Filme und Serien weg und bringt nur noch Eure eigenen PromoJingles, präsentiert von Binding Lager! Das wäre wenigstens ehrlich! Dieser Text entstand ursprünglich im Mai des Jahres 1998, kurz vor der Weltmeisterschaft. Damals ahnte noch niemand, was auf uns zukommen würde … Hoffnung lag in der Luft. Das germanische Volk träumte vom lang verdienten Endsieg über den Rest der Welt auf dem Feld der Ehre. Das Schicksal der Nation ruhte auf den schmal abfallenden Schultern des charismatisch-quirligen Bundesterriers Berti Vogts. Die deutsche Nationalmannschaft galt in der Öffentlichkeit noch als international geachtetes und gefürchtetes sportliches Wettkampf-Team und nicht als luschige Bande orientierungslos dahinbolzender Provinzkrakeler. Sie haben es natürlich längst erkannt: Ich rede von der 40
Zeit vor der letzten Fußball-Weltmeisterschaft. Und eigentlich wollte ich diese Kolumne deshalb gar nicht in dieses Buch übernehmen auch schon allein aus Pietätsgründen! Doch dann fiel mir auf, daß man sie ebenso gut eine Woche vor der nächsten Europameisterschaft, den Finalspielen der Bundesliga, der Champions League, der folgenden WM oder der Endausscheidung der Weight-Watchers-Rückspielrunde der örtlichen Damensitzfußball-Mannschafi lesen kann. Irgendwie beschreibt dieser Text ein doch eher zeitloses Phänomen – denn wann immer es sich begibt, daß die Medien ankündigen, zahlreiche wichtige Zweikämpfe aus dem Bereich des professionellen Schweinsledertretens in gebündelter Form zu übertragen, geht ein Ruck durch unser Land und ich möchte eigentlich nur jedermann warnend zurufen:
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KEIN WORT ÜBER FUSSBALL! Versuchen Sie das mal! Probieren Sie aus, ob es Ihnen gelingt, in diesen Tagen eine mittelschwerschwafelige Konversation zu führen, ohne das böse F-Wort zu benutzen. Nein, nicht Ficken! – das können Sie von mir aus den ganzen Tag lang aus vollem Halse gröhlen und dabei nackt die Rolltreppe bei Karstadt rauf- und runterhopsen. Ich meine Fußball! Es wird Ihnen nicht gelingen. Sie können schon stolz sein, wenn Sie nicht irgendwann durchdrehen und schreiend jeden niederschlagen, der sein Gespräch mit ›Hast Du gestern das Spiel gesehen?‹ anfängt. Aber dem König Fußball kann bis Mitte Juli niemand entfliehen, nirgendwo auf dieser Erde. Selbst wer sich morgen im tiefsten Dschungel halbgar im Suppentopf eines vergessenen Kannibalenvölkchens wiederfindet, wird zu seiner letzten Salzung die munteren Buschmänner mit Rudi-Völler-Frisuren ›Einer geht noch, einer geht noch rein!‹ gröhlen hören. Sogar die Frau scheint sich vorübergehend nicht mehr ausschließlich über ihre Fachgebiete hochhackige Schuhe, flache Schuhe, teure Schuhe und das Problem viel zu kleiner Schuhschränke zu unterhalten, sondern heuchelt plötzliches Interesse für den professionellen Ledersport. Meist allerdings nur, um die Männer zu ärgern oder in den Wahnsinn zu treiben, denn für die Damenwelt gibt es offensichtlich nichts Befriedigenderes als zu sehen, wie die geschwollenen Adern an den Schläfen ihres puterroten Lebensabschnittsverschönerers gefährlich unter den Haarwurzeln pochen, wenn sie in den bedeutendsten Momenten des Spiels zum zweiundsiebzigsten mal fragt, was eigentlich Abseits bedeutet oder welche Farbe noch 42
mal die deutsche Mannschaft anhat. Häufig überreizt sie den Spaß aber auch, zum Beispiel mit Sätzen wie: »Ich bin nicht für Deutschland, ich bin einfach dafür, daß die bessere Mannschaft gewinnt!« Nicht selten können solche Worte zu den berühmten letzten werden, und nicht weniger selten erkennen die Gerichte hier auf Notwehr statt Totschlag. Die sensible Psyche des Mannes während der WM ist nun einmal äußerst zerbrechlich und befindet sich permanent im Schwebezustand zwischen Kleinkind, Weltherrscher und Norman Bates. Das hemmungslos weinende Elendshäufchen auf dem Sofa und der frohgesoffen im Opel durch die Fußgängerzone hupende Siegertyp sind oft nur einen Freistoß voneinander entfernt. Aber wir sollten darüber nicht spotten oder bei solch einem Anblick in unsportlicher Überheblichkeit das Kleinhirn rümpfen – freuen wir uns lieber, daß wenigstens alle vier Jahre auch uns Männern einmal die Gelegenheit gegeben wird, wahrhaft große und ehrliche Gefühle zu zeigen. Bitte haben Sie Verständnis!
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ZU SCHÖN FÜR DIESE WELT Ich glaube, ich habe einen neuen Traumberuf: Ich möchte Model werden! Nicht irgendein Model, nicht so eins, daß aufgedonnert wie eine Friseuse im Pupasch in die Kamera grinst und dabei lasziv triefende Tiefkühlpizza durch die roten Knutschlippen schlabbert oder sich nackt und lüstern im Autozubehörkatalog auf der Kühlerhaube eines VWJetta räkelt, um gegen Kolbenfresser zu demonstrieren. Nein, ich möchte ein sogenanntes Top-Model werden! Eines von denen, das mit keckem Hüftschwung auf den Laufstegen der Pariser Kleine-Titten-in-teuren-KlamottenPräsentationen herumstolziert und von der eigenen Schönheit gelangweilt von glänzenden Magazin-Covern lächelt. Models sind der Schmuck der Erde, vom lieben Gott gesandt als Entschädigung für all die gruseligen Gestalten, die uns sonst so in der Fußgängerzone begegnen. Sie sind den ganzen Tag lang ohne Pause einfach schön und lassen sich dabei fotografieren. Das ist übrigens gar nicht so schwierig, wie es sich anhört. Hungern und darben ist überflüssig – die meisten Models leben so wie Du und ich und essen dasselbe wie ein durchschnittlicher westfälischer LKW-Fahrer. Manche von ihnen mogeln freilich und stecken sich auf dem Klo im Wienerwald gleich nach dem Gaumenschmaus das abgelutschte Hühnerbein in den Hals, um sich dadurch hübschzukotzen. Allerdings sind das Ausnahmen, und die meisten davon werden auch ganz blaß und dürr und sehen dann zur Strafe aus wie ein darmkranker Zombie nach der Brigitte-Diät. Positiv für Neueinsteiger ist auch, daß eine übertriebene Schulbildung nicht unbedingt erforderlich ist – oder 44
glauben Sie, irgend jemand hätte Claudia Schiffer in letzter Zeit nach einer Kopie ihrer mittleren Reife gefragt? Der erfahrene Fotograf weiß, daß eine charmante Leere im Kopf die Augen um so mehr zum Glänzen bringt. Schönsein ist nun mal ein anstrengender Vollzeitjob. Wer sich die Wimpern tuscht, kann schließlich nicht gleichzeitig Krieg und Frieden lesen. Dazu ist später noch genug Zeit, denn wenn so mit Ende Zwanzig die samtene Haut sich der heimischen Rauhfaser-Tapete angleicht und das Silikon langsam unter die Kniescheibe rutscht, ist ohnehin alles vorbei, und man muß alberne GymnastikVideos für dicke Hausfrauen in Leggins-Würsten produzieren. Genießen wir also die Schönheit, solange sie blüht, und zerstören wir sie nicht mit der müßigen Suche nach ihrem Sinn und Verstand. Häßliche Doofe gibt es schließlich auch genug – und da wundert sich keiner drüber!
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MEINE ERSTE TRILLION Wer zuviel fernsieht, der verliert – kostbare Zeit, Freunde, den Verstand. So ist es nur recht und billig, daß das Fernsehen sich bemüht, diese dreiste Räuberei zumindest an einigen der geplünderten Zuschauer wieder gut zu machen. Game-Show nennt sich zumeist im Amtsdeutsch jener außergerichtliche Vergleich der Medien mit dem Publikum, in welchem der Sender ausgewählten Opfern eine gewisse finanzielle Rückerstattung für begangene Qualen angedeihen läßt. Die Höhe der Abfindung für den gepeinigten TV-Konsumenten variiert zwischen ›schade, aber schön, daß Sie mitgespielt haben‹ über ›popelig‹ bis zu ›unermeßlichem Reichtum‹. In den Gründerjahren des Fernsehens regierte noch der gesunde Geiz. Als Gast der ARD konnte man sich schon glücklich schätzen, wenn man wenigstens eine Handvoll blankgeleckter Heiermänner in einer häßlich bepinselten Porzellansau mit nach Hause nehmen konnte. Etwas mehr gab es bei den öffentlich-lehrreichen OberlehrerSchnarch-Shows, in denen gute alte deutsche Tugenden wie Fleiß, Schulbildung und Langeweile belohnt wurden, doch irgendwann kam dann der luschige Holländer in die Unterhaltung einmarschiert, verwässerte unsere schöne verklemmte Spießigkeit und beschenkte plötzlich auch die lustigen Leute ohne Abitur mit ganzen Laufbändern voller Toaster, Rattan-Sessel und Schaumgummi-Fragezeichen. Die Inflation ist unaufhaltsam. 100.000 Mark ist inzwischen normal – womit also kann man das verwöhnte Pack am Bildschirm überhaupt noch begeistern? ›Oh, wenn wir nur halb soviel Ideen hätten wie Geld‹, jammern jetzt die weisen Programmgötter im Tele-Olymp und 46
protzen sich im Kreativ-Vakuum gegenseitig die Sendeplätze mit gigantomanischen Gewinn-AbsahneShows voll, bis Ihnen der Purzel in der Hose schwillt wie Dagobert Duck im Geldspeicher. Heute, wo täglich jeder Furzkopp beim lokalen Dödelradio noch vor dem Frühstück einen Schnösel-Corsa oder Fiat-Tunta abzocken kann, steht das Fernsehen ziemlich belämmert da. Also muß die dicke Marie regieren! Trara, jetzt kommt die Lotto-Show mit noch keinem Plan, aber einer Million als Hauptgewinn – haha, zu spät, Ihr Zwerge, hier ist schon vorher die SKL mit 1,5 Millionen und noch weniger Konzept – nein, stop, wir machen die Rubbel-Los-Gala mit fünf Fantastillionen und gar keinem Inhalt … oder halt, wir lassen für die Glücksspirale einfach ein paar Leute Tausendmarkscheine fressen und schieben ihnen Goldbarren in den Hintern, bis sie platzen … und verlosen für die Zuschauer ein Gebirge, zwei Ozeane und ein paar Planeten. Geil! Denn seien wir mal ehrlich – wozu braucht man Ideen, wenn man genug Kohle hat, hm? Von Zeit zu Zeit gibt es Meldungen, die einen emotional mehr berühren als andere. Oft ist man schockiert, möchte weinen oder den eigenen Augen nicht trauen, und manchmal häufen sich Nachrichten dieser Art gar auf dermaßen unheimliche Weise, daß man beginnt, an das Zusammentreffen dunkler Mächte zu glauben. So ähnlich verhielt es sich im März 98: Guildo Horn schrubbte alle Siegel-geklonten Konservenschlager-Bands bei der Vorentscheidung zum Grand Prix, RTL gab bekannt, Verona Feldbusch eine heiter gemeinte Talk-Show am späten Abend zu überlassen – und Ditze Bohlen kündigte die ewig befürchtete Reunion mit Tommy Anders zu Modern Talking an. War ich wirklich der einzige, der sich damals ängstlich die Frage stellte:
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GEHT BALD DIE ERDE UNTER? Seit diese schöne Welt besteht in ihrer Pracht, existieren auch Menschen, die da stets nörgeln und prophezeien, daß die Kacke gehörig am Dampfen und bald schon alles vorbei sei. Die Einfallslosen unter ihnen krakeln die genaue Zeitangabe des Untergangs auf ein Warnplakat, schlurfen im Klagenachthemd jammernd bis zum angegebenen Datum durch die Fußgängerzone und ärgern sich am Tag darauf über ihr unplanmäßiges Weiterleben. Wer zum Schwarzsehen neigt, jedoch Geselligkeit liebt, der gründet frühzeitig eine Sekte und plant einen spirituellen Pauschalurlaub mit kollektivem Gruppensuizid, um das eigene Schicksal zu übertölpeln und der nahenden Katastrophe keck ein Schnippchen zu schlagen. Ein pfiffiger Plan, wenn auch sehr ungesund. Doch selbst wenn ich persönlich nicht zum Unken neige – im Moment mache ich mir so meine Sorgen! Wir alle kennen die apokalyptischen Vorhersagen von Nostradamus, der Bibel, dem Wachturm oder der Bunten: Erdbeben, Flüsse treten über die Ufer, der Himmel wird sich verfinstern, Modern Talking werden sich wiedervereinigen, usw … und spätestens als ich diese Nachricht las, wurde ich nachdenklich! Schon als ich das diabolische Disco-Duo in meiner schmucklosen Jugend das erste Mal auf einer Bühne funkeln sah, unbewußt ihrer aufdämmernden Bedeutung für den Untergang der deutschen Pop-Kultur, hatte ich ein Gefühl der Furcht empfunden. Der schwarze Cocker mit dem Nora-Halsband kam mir irgendwie vor wie ein schwuler Damenfriseur aus Bielefeld, der sich gerade einen Fön in den Hintern geschoben und auf Stufe drei gestellt hat, und auch der 48
blonde Gitarrenschänder neben ihm schien mir zu grinsen, als wäre er nicht von der Muse geküßt, sondern als hätte er jene gerade vergewaltigt. Obwohl dies nur die privaten Assoziationen eines verwirrten Teenagers waren, bleibt die Frage: Wird diese ungewollte Komik von einst sich noch einmal wiederholen lassen? Und ist dies wirklich ein Zeichen für den drohenden Exitus unseres Planeten? Wir dürfen nicht vergessen, es gab derer kürzlich noch viel mehr: Ralph Siegel z. B. vergeigte diesmal nicht erst den Grand Prix, sondern bereits die deutsche Vorentscheidung dazu – ein untrüglicher Hinweis dafür, daß die Natur mit sich nicht im Einklang ist. Verona Feldbusch bekommt eine Late-Night bei RTL, wahrscheinlich die erste TalkShow ohne Ton – ein weiteres Indiz dafür, daß der Irrsinn bereits zerstörerische Ausmaße angenommen hat. Bleiben Sie also wachsam – und spätestens wenn Dolly Buster die Tagesthemen moderiert, Heiner Brehmer freies Sprechen lernt oder Kerner nicht mehr lächelt, sollten Sie anfangen zu beten! Mai 1998. Deutschland ist erschüttert. In den Medien muß man lesen, daß es in beinahe allen täglichen TalkShows zu einem nicht gerade geringen Prozentsatz um Themen geht, die man im Volksmund gern als ›Schweinkram‹ bezeichnet und die sich nicht selten auch ums Ficken drehen. Der Begriff der ›Schmuddel-TalkShow wird geboren, aber nach einem kurzen Moment öffentlicher Entrüstung genauso schnell wieder vergessen. Die Sender geloben Besserung, jedenfalls so lange, bis keiner mehr darüber redet. Für mich war die Schlagzeile jenes Frühsommers allerdings eindeutig:
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ARABELLA ENTEIERT! Igittigitt ojemine, was muß ich da hören? Unsere schönen Nachmittags-Talk-Shows sollen sich viel zuviel nur noch um Schweinkram drehen! Vor allem so um Sachen mit Geschlechtsverkehr und so … Pfui baba, das finde ich ja nun mal gar nicht schön. Aber trotzdem Hut ab, daß das nach 20 Jahren jetzt doch schon einem aufgefallen ist! Und plötzlich ereifern sich alle, diskutieren und protokollieren und behaupten, nichts davon gewußt zu haben. »Ach so – ich dachte, der nette Mann bei Vera in diesem schwarzen Gummi-Anzug mit dem Würgehalsband, den Nippelklemmen und der Gasmaske wäre nur der Bewährungshelfer von der halbnackten jungen Dame mit der Peitsche gewesen, die ihn die ganze Zeit an der Leine hatte!«, behauptet man jetzt schnell, um nicht nachträglich als triebgeiler Glotzer oder unwissender Volltrottel dazustehen. Die labertreibende Industrie selbst bleibt natürlich auch nicht untätig. »Zugegeben, wir haben über Sado-MasoPuffmütter im Kindergarten, satanische Sexorgien im Altenheim und Schweinenageln im Bergischen Land berichtet, schön und gut … aber wir konnten ja nicht ahnen, daß so früh am Tag schon Minderjährige zugucken, die sollten da doch eigentlich in der Schule sein!«, versucht man sich herauszureden und gelobt Besserung. Großes Ehrenwort: keine sogenannten Schmuddelthemen mehr, weniger Kreuz-und-querGerammel und politisch ausgewogenere Perversionen – jedenfalls so lange, bis die vertrockneten Moralspießer sich wieder beruhigt haben. 50
Aber seien wir doch mal ehrlich – was soll denn dann noch übrigbleiben? Die Rechnung ist doch ebenso einfach wie bekannt: Arabella minus Ficken = leeres Studio! Wer will schon eine kastrierte Sabbel-Sendung sehen? Wenn da keine Bekloppten und Perversen mehr auftreten, keine affenhirnigen Solariums-Sackgesichter mehr mit ihren imaginären Sex-Eskapaden prahlen und plötzlich vernünftige Menschen richtige Konversationen führen, ja, wo ist denn dann der Spaß? Das wäre ja wie Andreas Türck ohne Dackelblick oder Sonja mit Hauptschulabschluß! Daily-Talks, wie man das serienmäßige Schwachsinns-Geschwafel gern cool in der Branche nennt, sind schließlich dazu da, damit genau die uninteressanten Fusselfressen sich für umsonst mal so richtig einen ablabern dürfen, die sich einen teuren Therapeuten oder Friseur sonst nicht leisten können. Außerdem wissen wir: Für die meisten Männer endet der Horizont ohnehin gleich hinter dem Pimmel, für die Frau schon rein anatomisch noch viel früher! Was für Gesprächsthemen soll man denn da schon erwarten?
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BRÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖM! Endlich Sommer! Oh, und wie habe ich dieses Geräusch vermißt! Bröööööööööm – jenes samten dahinscheppernde Röhren des elektrischen Rasenmähers, der in stoischer Gelassenheit das aufmüpfig sich reckende Gras liebevoll auf germanische Einheitshöhe heruntersäbelt. Bröööööööööööööööööm … stundenlang! Manchmal auch Bröhöhöhöhöhöhöööööööm, wenn noch irgendwo ein schlafender Igel herumlag. Ja, so klingt der Sommer! Nicht das semantisch wirre Gezwitscher übermütiger Vögel, das nervige Sirren hibbeliger Grillen oder das verschissene Gewummer überdrehter Autoradios durch heruntergekurbelte Opel-Fenster kündigt uns Menschen das Herannahen der sonnigen Jahreszeit an, sondern vor allem das dumpf-dösige Bröööööööööööm, der motorisch dröhnende Brunftschrei des wackeren Vorgärtners! Gleich hundertfach knattert er dieser Tage durch die betonverzierten Wohngebiete und möchte uns stolz verkünden, daß der Reihenhaussiedler sich tapfer dem wild wuchernden Wahnsinn der Natur entgegenstellt! Sollen sie nur kommen, die Grillsaison und der Sonnenschein – er ist bereit, auch draußen zu essen, denn sein Rasen ist jetzt genauso hoch wie der maschinengeknüpfte Velours-Teppich im Wohnzimmer. Selber schuld, der grüne Taugenichts, wenn er nicht nach DIN-Normen wachsen will, dann hilft halt nur Gewalt – zapzapzap, die Rübe ab! Schließlich sind wir hier in Deutschland und nicht in Wölkenkuckucksheim, da muß man sich halt anpassen … oder angepaßt werden! Brööööööööm. Gewisse Regeln sind nun einmal notwendig, zu jeder 52
Jahreszeit. Im Sommer gibt es draußen nur großes Bier und Kännchen, Holzkohle kauft man ausschließlich nach Feierabend an der Tankstelle, der Fernseher steht schräg, damit man auch vom Balkon aus gucken kann, T-Shirts trägt man bei starkem Übergewicht mindestens zwei Nummern kleiner. Wenn man regelmäßig mit öffentlichen Verkehrsmitteln reist, benutzt man kein Deo, warme Wochenenden verbringt man in kleinen Wagen in großen Gruppen in langen Staus auf der Autobahn – oder mit großen Hintern auf kleinen Handtüchern an zugestrullten Baggerseen. Das einzige sommerliche Lebensziel der Frau besteht im Erringen der nahtlosen Bräune, was sie in wahnhaftem Eifer dazu verpflichtet, jede freie Sekunde möglichst viele Körperteile mit grillhähnchengleicher Grazie in die Sonne zu halten. Der Mann hingegen sieht seine Aufgabe vor allem in der Vernichtung gewaltiger Mengen kühlen Biers in Verbindung mit apathischem Verharren auf hölzernen Gartenbänken … hinter der Leere des Blickes allerdings mit wachsamen Augen das Gras beobachtend, den Rasenmäher im Anschlag. Warte nur, Du grünes Früchtchen … noch ein halber Zentimeter und dann … brömbrömbröm …
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WIRB LANGSAM Erinnern Sie sich noch an die legendäre Ilona Christen? Nein, nicht ihre Performance als avantgardistisch bebrillte Laber-Dompteuse bei diesem täglichen HeizdeckenPlausch, das läuft ja immer noch – ich meine die Ilona von einst, als Clementines schwuler Bruder in der ArielWerbung, oder was auch immer sie dort darstellen sollte! Ich finde, das war ihre schönste Rolle, wie damals ›Sissi‹ für Romy Schneider, so werden wir sie auf ewig in unseren Herzen behalten: leicht zickig, journalistisch wenigstens bemüht und trotzdem nicht sonderlich sympathisch. Das war klasse! Jetzt machte das ja unlängst Roberto Blanco für Vizir, stand den ganzen Tag Sambatänzelnd an der Waschtrommel und animierte animalisch mit den Augen rollend vorbeischlendernde Frauen dazu, sich doch mal probeweise ordentlich durchschleudern zu lassen. Wenn danach die rote Bluse ›wieder blanco‹ war, lachte er sich ob dieses infantilen Wortwitzes im Schonwaschgang vor Freude die Lunge aus dem Leib wie Fozzy-Bär auf Ecstasy, und als Zuschauer wünschte man sich doch allen Ernstes die Zeit zurück, in der er einfach nur laut doofe Lieder gesungen hat! Werbung mit produktfreundlichen Berühmtheiten liegt aber trotzdem weiterhin voll im Trend. Dank diverser Konsum-Kurzfilme wissen wir inzwischen, daß Boris Becker gar keine Sommersprossen hat, sondern eingetrocknete Nutella-Sprenkel, und daß die deutsche Nationalelf wahrscheinlich nur deshalb die WM vergeigt hat, weil alle anstatt zu trainieren die ganze Zeit kistenweise Bier gezischt und mit dem Handy irgendwelche Telefon-Fickel-Tanten angerufen haben. 54
Und der Spot, in dem Berti Vogts beim ObstgartenSchlecken clevere Spielstrategien entwickelt, läuft meines Wissens nach auch nur noch bei Pleiten, Pech und Pannen in Kroatien! Schade ist allerdings, daß die Firmen immer nur auf die gleichen familienfreundlichen Schleimnasen zurückgreifen, um ihre Ladenhüter zu präsentieren. Es gäbe noch so viele andere, die ich mir hervorragend als Werbeträger vorstellen könnte – z. B. Jürgen Fliege für Pray & Go, Haarpflege und Gebet in einem, das erste Shampoo, das auch betroffen macht! Wontorra wäre mein Kandidat für extradicke Damenbinden – das ist jedem anderen peinlich, gibt aber ’ne Menge Kohle. Dolly Buster könnte hervorragend werben für verbotene Atomtests mit dem Satz ›Meine Möpse glühen auch im Dunkeln!‹, Peter Maffay wäre ideal für Pickelcremes mit Wachstumshemmer, und Heiner Brehmer müßte man einfach so wie immer leicht dösig dastehen lassen, eine Tasse in die Hand drücken und drübertexten: Jacobs Krönung – nie mehr ohne Koffein! Wir sehen uns in der Cannes-Rolle! Kann sich eigentlich noch jemand daran erinnern? An früher, an die Zeit, als dieser lustige dicke Mann mit der ulkigen Aussprache unser König war? Irgendwie schien es in jenen Tagen unvorstellbar, daß sich jener Zustand irgendwann einmal ändern könnte … aber plötzlich kommt dieser smarte Halodri aus Hannover mit seinem kleinen Finanz-Igor – (der sich aus steuerlichen Gründen inzwischen ja sogar schon selber substrahiert hat) – und stellt die ganze Geschichte auf den Kopf! Inzwischen haben wir mehr als ein Jahr mit den neuen Herrschern zugebracht und fragen uns bereits jetzt, ob sich der aufwendige Austausch der alten Versager-Gang gegen das neue Loser-Team denn nun eigentlich wirklich 55
gelohnt hat … dabei kann es einem irgendwie ja auch egal sein, welche Gurkentruppe alles vergeigt, besser wird es ja sowieso nie wirklich. Doch damals, im Oktober 98, kurz nach der überraschenden Regierungs-Auswechselung, machte man sich als braver Bürger schon so seine Gedanken. Man hatte Träume, Hoffnungen und Ängste – denn der Schritt in die neue ›sozialistische Ära‹ bedeutete auf jeden Fall:
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ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT November 1998. Wir schreiben Monat eins nach Helmut. Eine Epoche ist beendet, ein neues Zeitalter bricht an. Die ›Ära Kohl‹, wie alle einst spottenden Journalisten die Vergangenheit nun respektvoll heuchelnd nennen, ist vorüber, der Wal ist gestrandet. Der massige Golem aus Oggersheim hebt gramgebeugt den Hintern von dem Thron, den er längst fälschlicherweise für ein eigenes Körperteil gehalten hatte. Deutschland muß nun ohne ihn sehen, wo es bleibt. Die 16 fetten Jahre sind vorüber, jetzt ist es Zeit, den Gürtel der Geschichte enger zu schnallen und endlich mal jemand anders alles vermurksen zu lassen. Die Arroganz im Koffer, räumen die entamteten Götter fassungslos das Feld der Macht und treten zurück ins wahre Leben, von der Respektlosigkeit der Menschen schwer enttäuscht. Nie hätten sie gedacht, daß eine simple Wahl der Sterblichen sie so einfach aus dem Olymp vertreiben würde, das war bislang nicht üblich gewesen. Aber die Welt ist nun mal ungerecht … Und jetzt? Wird alles besser? Vielleicht sogar schlimmer? Oder bleibt die Scheiße einfach so dick, wie sie immer war, und klebt von jetzt an nur wem anders am Hacken? Wahrscheinlich letzteres, aber einiges wird sich schon ändern. Ich habe zwar wie alle anderen die letzten sechzehn Kalender dieses Jahrhunderts im Schatten des Kolosses verbracht, quasi meine ganze Kindheit, aber ich kann mich noch gut erinnern, wie es früher war, in den sozialistischen Siebzigern. Um über die wieder lachen zu können, brauchte man über zwanzig Jahre! Heute findet man es vielleicht kultig, wenn in alten Tatort-Folgen verklemmte Gesamtschullehrer mit Hornbrille auf 57
Bonanza-Rädern zum Diskussions-Tee fahren, in dessen Anschluß sie sich aus Frust im Matratzenkeller von einer frühreifen Gymnasiastin verführen lassen und diese dann aus Versehen mit einem Räucherstäbchen erstechen. Damals war das aber gar nicht lustig. Überhaupt wird es mit dem Humor schwierig werden, denn über wen soll man als Kabarettist von jetzt an seine Witze machen? Sozialdemokraten kann man nur schwerlich verspotten, und wenn, merken sie es meist noch nicht einmal. Allgemein sind sie eher unlustig und bestechen mehr durch grimmig-blinden Aktionismus bei moralisch einwandfreier Unfähigkeit als durch bräsige Arroganz gepaart mit skrupellos egoistischem Dilettantismus wie ihre Gegner – was nun einmal wesentlich leichter zu enttarnen ist. Und was das Fernsehen angeht … nun, ich freue mich schon heute auf die Renaissance der Drogen und die Rückkehr der Rappelkiste – wenn nicht als sozialpädagogisches Kinderprogramm, dann doch wenigstens als Live-Übertragung aus dem Bundestag! Schließlich ist die Zukunft meist ja doch nichts anderes als die Wiederholung der Vergangenheit – nur mit anderen Schauspielern! Jedes Jahr zur gleichen Zeit überrascht uns das tückische Weihnachtsfest mit seiner plötzlichen Präsenz. Und immer wieder hören wir die Geschichte eines jungen, unschuldig schwangeren Paares auf Last-MinuteEselsreise und auf der Suche nach einer bezahlbaren Herberge zur Messezeit. Heute jedoch wird diese Story, jedenfalls in Medienkreisen, längst ganz, ganz anders erzählt …
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EINE WEIHNACHTS-GESCHICHTE Und so begab es sich also zu einer Zeit, daß ein neues Gesetz erlassen wurde von den Königen der GEZ, auf daß ein jeder einzelne sich zählen lasse, und daß er, auch wenn er nur einer sei, doch ruhig der eitlen Mathematik zum Trotze für zwei Gebühren zahlen solle. Zu gleicher Zeit verspürte an einem anderen Orte eine blutjunge Endvierzigerin, deren Name Hera war, ein schwänglerisches Rumoren in ihrem Bauche, und weil sie wahrlich ein Superweib war – das wußte niemand so gut wie sie selbst –, so ahnte sie, daß dieses Kind von ganz, ganz oben, Programmdirektor oder sogar noch höher, gesandt sein mußte. Davon erfuhr auch Jürgen, ein windiger Wanderprediger mit dem wachsamen Blick eines eingeschläferten Cockerspaniels, und da er sich dem lieben Gott als guter Kumpel und Berater wähnte, die blonde Hera aber keineswegs angepackt hatte, vermutete er seine irdische Vaterschaft, denn etwas Ähnliches hatte er schon einmal in einem dicken Buch gelesen. So machte Jürgen die Fliege, verließ betroffen seine aufatmende Gemeinde und zog mit Hera durch Lind und Land auf der verzweifelten Suche nach einer Talk-Show, die sie als Gäste aufnähme und in der sie den Menschen all das erzählen könnten, was diese gar nicht wissen wollten. Doch es war Weihnachten, und alle Sendungen – von Vera am Mittag ›Die Wessis haben krumme Pimmel‹ über Arabella ›Ich nagel gern gepiercte Pferde‹ bis zu Schäfers Bärbel ›Wenn ich so oft könnte, wie ich wollte, dann würd’ ich viel öfter!‹ – waren bis zur Antennenspitze gefüllt. Selbst bei ›Wetten daß …‹, wo Michael Jackson wegen einer Hodenzerrung seinen Auftritt abgesagt hatte, 59
verschloß man die Türe vor dem armen Paar und holte sich zum Adventssingen lieber Die Prinzen mit dem Neubrandenburger Tuntenchor im Fistel-Kanon. Doch als der Heiligabend PR-mäßig schon gelaufen schien, da fanden sie Unterschlupf in einem umgebauten Sendestall vom Offenen Kanal, wo Hera gebar einen strammen Stoß heißer Luft und ein gar dickes Buch, was ihr schon lange auf Herzblatt und Magen gedrückt hatte. Und als die Kunde eines neuen Werks zur Erleuchtung frustgeplagter Fremdsprachen-Sekretärinnen und FrisierMätressen um die Erde ging, da kamen sie alle, um der Mutter werbewirksame Gastauftritte darzureichen, profitable Verlagsverträge und altbackene ArschgeigenVerkupplungs-Shows zum Kaputtmoderieren. So jauchzten alle glücklich, und ein Frohlocken ging um die Erde, denn wenn schon nicht ein neuer Erlöser erschienen war, so doch wenigstens ein ordentlicher Reibach, was ja auch ganz schön war, gerade zum Fest. Frohe Weihnachten!
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FANGT SCHON MAL OHNE MICH AN! Es tut mir leid, aber ich glaub’ ich schaff es diesmal wirklich nicht! Wenn wir Heiligabend ein klein wenig nach hinten schieben könnten, so auf Mitte März, Anfang April vielleicht, dann könnte es unter Umständen noch klappen, aber jetzt im Dezember – no way! Wann soll ich das denn alles machen? Eine stolz gewachsene Edeltanne umsägen, eine junge Gans erwürgen und enthaupten, Lebkuchenberge fressen, bis mir die Oblaten aus den Ohren quellen – das krieg’ ich schon rein zeitlich nicht mehr gebacken. Und erst recht Geschenke einkaufen – ich hoffe, ich finde überhaupt die Muße, meine alle auszupacken! Ich hab’ jedenfalls keine Zeit für eine Woche Christmas-Shopping in New York, ich wär’ schon glücklich über eine halbe Stunde Fußgängerzone in Bad Lauterberg oder eine durchgehend geöffnete Tankstelle ohne Nachtschalter! Dabei sind diese Yuppie-Reisen ja ohnehin alle nur Tarnung, da wird höchstens noch kurz vor dem Rückflug für Mutti im Duty Free ein SchmuckKarton 4711 mit kostenloser Nasenklammer gekauft – in Wirklichkeit fliehen alle nur davor, zu Hause jeden Tag zwei Dutzend mal irgendeinem entfernten Bekannten ›Schöne Feiertage‹ wünschen zu müssen – oder um offiziell entschuldigt dem ganzen Streß mit den Weihnachtskarten zu entgehen! Allein das Lesen – vor allem, wo doch sowieso überall das gleiche steht. Es wünscht einem ja kaum einer mehr schriftlich zum Fest die Pest an den Schritt und daß einem beim Kacken der Hintern wegfaule oder so was, das wär’ ja auch noch schöner! Ich selber schreib’ sowieso keine Weihnachtspost 61
mehr – ich setze einfach voraus, daß meine Freunde intelligent genug sind zu wissen, daß ich Ihnen logischerweise ohnehin nur Gutes wünsche! Alles andere wär’ auch blöd, denn wenn es ihnen schlecht geht, kommen sie ja doch nur und jammern einem davon vor – und dafür hab’ ich momentan erst recht keine Zeit! Mir reicht schon der ganze Trubel mit Weihnachten … dabei hab’ ich noch nicht mal Ostern richtig verarbeitet! Ich glaube, ich stehe noch einige Paletten bunter Eier in der Bringschuld … ganz zu schweigen von all den Geburtstagen, die ich wie immer vergessen habe. Ich glaube, es wäre sowieso ein großer Fehler, Weihnachtspost zu verschicken. Wahrscheinlich würden sich dadurch nur alle daran erinnern, wie lange ich mich vorher schon nicht mehr gemeldet habe, und wären dann erst recht sauer. Undankbares Pack! Am besten, sie denken einfach weiter, ich wär’ tot oder beim ZDF oder beides oder König im Taka-Tuka-Land. Also feiert ruhig schon mal ohne mich – ich komm’ dann später nach. Irgendwann. Vielleicht. Ach, und bevor ich es vergesse: Schöne Feiertage! Erinnern Sie sich noch an das Silvesterfest 1999? Wahrscheinlich nicht, es war ja auch nur das vorletzte in diesem Jahrtausend, das muß man sich ja noch nicht merken. Fotos macht man erst an dem Abend, wenn vorne am Kalender die Zwei umklappt, ist schon klar. Mir ging das allerdings anders – ich machte mir schon so meine Gedanken vor den 99er-JahresendabrechnungsFeierlichkeiten. Schließlich war es …
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DER LETZTE RUTSCH Es ist soweit. Wir alle müssen nun tapfer sein, denn bald schon heißt es Abschied nehmen. Unser schönes Jahrtausend nippelt langsam ab. Wenn man den Ärzten und Kalender-Fetischisten glauben darf, dann kneift das alte Schlachtroß in knapp 12 Monaten den Arsch zu. Klappe zu, Affe tot. Doch heißa, laßt uns nicht lange traurig sein, denn bald beginnt dafür die Zukunft! Die Zeit, die wir bisher nur aus Raumschiff Enterprise kannten, oder auch das neue ›Millennium‹, wie der eitle Fremdwörter-Duden-Besitzer es gern nennt. Da wird sich einiges ändern, das ist gewiß. Viele vermuten, die Menschheit wird endgültig komplett wahnsinnig, andere befürchten, es wird sogar noch schlimmer und alles bleibt wie es ist. Hobby-Pessimisten und Katastrophenfreunde erwarten ungeduldig den bereits so lange prophezeiten Weltuntergang und freuen sich schon jetzt wie ein Schneekönig auf ihr letztes triumphales Lachen, wenn die launische Kugel zum Jahrtausendwechsel endlich explodiert. Andere glauben, daß die finsteren Mächte des Hades zum dreinulligen Neujahrsfest den Globus erobern und die Erde in Zukunft von Immobilienmaklern, Viva-Moderatoren und Parkplatzwächtern regiert werden wird. Genaues weiß man allerdings nicht, vielleicht siegt auch das Gute, SAT 1 wird verschlüsselt, und Modern Talking trennen sich wieder. Es könnte ebenso passieren, daß auf Initiative von RTL der Tag um sechs Stunden verlängert wird, um nach Birte Kastratus, Ilona Christus und Coitus Interruptus Zeit für ein paar neue Talk-Shows zu gewinnen – oder daß das ZDF zur Strafe Mensch Ohrner! hundert Jahre in einer 63
Endlosschleife sendet, bis es endlich einer guckt. Möglich ist aber auch, daß man dort eines Tages plötzlich merkt, daß inzwischen 93% aller Sendungen von Johannes B. Kerner moderiert werden, und daraufhin frustriert den Betrieb einstellt. Am wahrscheinlichsten allerdings ist, daß beim Sprung in das neue Zeitalter lediglich ein paar teure Computersysteme abkacken, ein paar Millionen Fertiger am 01.01.00 breit wie die Otter über der Kloschüssel hängen und ansonsten alles genauso bescheuert bleibt, wie es schon immer war. Kümmern wir uns also lieber nicht um die Frage nach Silvester 1999 – das werden wir im nächsten Jahr ohnehin mindestens 364 Tage lang tun – sondern genießen wir am 31. 12. 98 den letzten Rutsch in die Vergangenheit, den nostalgischen Schritt zurück nach vorn in die finalen Zuckungen der ausgehenden Epoche. Feiern wir diese Vorspeise zur Henkersmahlzeit einer verblassenden Ära mit Würde und billigem Schaumwein, und knallen wir uns lieber so dermaßen die Birne dicht, daß der Kater den Rest des Jahrtausends reicht. Das hätte wenigstens Stil. Prost Neujahr!
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WENN EIN JAHR ZU ENDE GEHT … … dann werden die Menschen albern. Sie gedenken all der güldenen Hoffnungen, die sie genau ein Jahr zuvor hegten, sowie das davor und all die anderen vor eben jenem. Sie erinnern sich an die wahnwitzig verwegenen Pläne, an deren Realisierung sie im schwiemeligen Taumel billigen Schaumweins zur mitternächtlichen Jahreswende für ein paar Minuten wahrhaftig beinahe schon selbst geglaubt hatten. Und wenn der freundliche dicke Abreißkalender beginnt auszusehen wie Kate Moss nach der Wurmkur, wird ihnen plötzlich gewahr, daß sie wieder einmal alles gründlich verbockt haben. Wie auch das Jahr zuvor, das davor und all die anderen vor eben jenem. Dies ist gewöhnlich der Zeitpunkt, an dem die sogenannte prä-silvesterliche Depression einsetzt. Man begegnet dieser häufig mit gesundheitlich bedenklichen Kaufrausch-Attacken, post-weihnachtlichen Besäufnissen oder dem Aufstellen neuer wahnwitziger Zukunftspläne, die häufig den verwegenen Strategien der Vorjahre nicht unähnlich sind. Der Versuch sämtlicher Fernseh- und Radiostationen, uns in der Adventszeit vorübergehend mit tragischen menschlichen Schicksalen zu konfrontieren, insofern diese in das Format passen und mit dem Spendenaufruf eines betroffen dreinblickenden Hausmoderators inklusive Senderkennung kombiniert werden können, führt beizeiten sogar noch zusätzlich zu Anflügen ungesunder Selbstkritik oder gar schlechten Gewissens. Verschwommen kehrt der Moment zurück, in dem man sich beim FesttagsSodbrennen vorgenommen hatte, auch mal etwas Selbstloses zu tun – wenn es sein muß, sogar ohne es 65
überall zu erzählen. Immer tiefer zieht den Grübelnden der Strudel seiner Versäumnisse, immer enger legt sich ihm die Schlinge der eigenen Unfähigkeit um den Hals, in welchem ihm gerade zuvor das selbstgefällige Grinsen der Sommermonate steckengeblieben war. Und wenn man dann auch noch den Fehler macht, am Silvesterabend auf der verzweifelten Suche nach seelischem Heiterkeitsbeistand durch die Fernsehkanäle zu pilgern, dabei aber statt einer Anleitung zum selbständigen Fröhlichsein nur genau die gleichen abgewrackten Schnarchnasen und vollgesoffenen Polonäsenzombies entdeckt, über die man schon im Jahr zuvor nicht lachen konnte – genau wie in dem davor und all den anderen vor eben jenem –, spätestens dann beginnt man zu verstehen, was mit einem sogenannten Déjà-vu-Gefühl gemeint ist. Und wenn man ehrlich ist, wird einem sogar der Kater am nächsten Morgen irgendwie bekannt vorkommen. Bis zum nächsten Jahr!
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PROMINENTE MÖPSE Überall liegen sie dieser Tage herum. Berühmte Brüste mit jungen Mädels oder reifen Stars drumrum, uns allen mit Sachen an wohlbekannt aus dem Fernsehen, aber plötzlich im Grunde völlig unbekleidet. Splitterfasernackicht quasi, ohne fesches Kostüm, ohne Ansteckmikro und ohne Stichwort-Kärtchen – einfach so, wie der liebe Gott sie schuf, und wie sie bisher höchstens ihr Arzt und ein paar wichtige Produzenten gesehen haben. Die Magazine sind voll mit entblätterten Tele-Tanten. Sie räkeln sich, in Essig und Öl gesalbt, am Strande der Seychellen oder reiten, am ganzen Körper mit PlakaFarben bemalt, auf einem texanischen Zuchthengst durch die Wüste von Nevada, manchmal sitzen sie auch einfach nackt mit High Heels in einem amerikanischen Diner, in der Oper oder in der Schlange vom Arbeitsamt. Knatterscharf, aber natürlich immer sehr ästhetisch! Außer Ilona Christen ohne Brille in der Herrensauna sind inzwischen eigentlich alle zu sehen gewesen: Quasseltitte Arabella, Ex-Bravo-Backfisch Jasmin, ganze Rudel unbekannter Soap-Susen, sündige Sportlerinnen, ungepoppte Pop-Sternchen, usw. usw. Sie alle wollen es uns zeigen – wenn schon nicht, was sie können, dann doch wenigstens, was sie haben! Irgendwie muß die ganze Erotik ja auch raus, sonst platzt vor Frust noch die Bluse – und ich persönlich finde das absolut gut, daß wir uns da nicht falsch verstehen! Schließlich bin auch ich nur ein schwacher Mann mit zwei gesunden Augen. Ich bin lediglich verwundert, wie sich die grundsätzliche Einstellung zur textilfreien Promi-Präsentation in den letzten Jahren verändert hat. Früher war das fotografisch 67
festgehaltene Möpse-Outing einer holden Jungfer meist lediglich als lukrative Ferienjob-Alternative zur Finanzierung des Philosophie- und Handarbeits-Studiums zu verstehen, wenn man nicht wochenlang in irgendeiner Frittenschmiede kellnern wollte. Im besten Fall dienten diese Bilder als Sprungbrett zu einer Art Karriere – meistens aber schämte man sich ihrer nur ganz furchtbar, wenn sie später von irgendeinem windigen Käseblatt wieder ausgebuddelt wurden. Heute ist das vollkommen anders – ist man bekannt, sind ein paar heiße Fotos irgendwann einfach Pflicht, wenn man nicht als verklemmte Zicke gelten will. Doch warum eigentlich nur bei Frauen – was ist mit den Männern? Auch wir haben Gefühle und so eine Art Sexualität, auch wir können uns sehen lassen. Horst Tappert nur mit Krawatte und Genital-Handschellen lüstern auf der Rezeption im CVJM, Ulrich Wickert eingeölt und hosenlos am Ufer der Ostsee oder Karl Moik mit Strapsen beim Voltigieren auf einem Südtiroler Grubenpony – das klingt doch schon geil, oder? Also ich würd’s mir kaufen!
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ICH GESTEHE! Es ist wahr. Ich kann es nicht länger leugnen, ich habe das Vertrauen meiner Fans und Freunde übel mißbraucht. Von der Schande der Wahrheit gebeutelt trete ich mit dem letzten Rest meiner jämmerlich entweihten Menschenwürde vor die erhabene Grand Jury des Publikums und gebe es zu: Ja, es stimmt! Meine erste selbstgekaufte Single war ›Ich möcht’ der Knopf an Deiner Bluse sein‹ von Warzenkopp Bata Illic! Nicht weil ich dachte, in 20 Jahren könnte das schon wieder kultig sein, auch nicht aus Mitleid oder als Bügelspende für den knitterigen Schlagerlurch – nein, ich fand das Lied einfach klasse! Gut, ich war noch klein, ein unschuldiges Kind, mein juveniles Hirn war leicht zu erweichen. … zu jener Zeit fand ich schließlich auch die ›Graf Bobby‹-Filme mit Peter Alexander megawitzig, hatte Angst vor dem Medium Terzett und hielt Godzilla für einen hervorragenden Schauspieler. Ich weinte sogar ein wenig, als in den Bergen Jugoslawiens Winnetou von irgendeiner germanischen Knallcharge mit Platzpatronen aus seinen kitschigen Mokassins geschossen wurde, und lachte immer ganz herzlich über Eddi Arent als ulkigen Butler in den Edgar-Wallace-Filmen. Freiwillig verpaßte ich keine Folge vom ›Verrückten Paar‹, sah immer ›Musik ist Trumpf‹, und einmal stand ich stundenlang an für ein Autogramm von Mike Krüger! Wenn ich mich nicht irre, habe ich irgendwann sogar mal ein ›Hanni und Nanni‹Buch gelesen … Heute ist mir das alles entsetzlich unangenehm. Ich schäme mich heftig und überlege wahrlich, mich meines eigenen Amtes zu entheben, aber noch scheue ich vor dem 69
ganzen Papierkram. Zu meiner Entlastung kann ich sagen, daß ich die Paarung mit der Peinlichkeit in meiner Jugend glücklicherweise nicht bis zum kompletten Koitus vollzogen habe, denn wenigstens habe ich mir nie eine Platte von Modern Talking gekauft – aber habe ich nicht zumindest einen Meineid begangen? Heute über so vieles zu lästern, was ich einst noch reinen Herzens mochte? Ist das mein berufliches Ende? Bei den doofen Amerikanern reicht schließlich ein popeliger Zigarren-Quickie mit Mr. President, um daraus eine Staatsaffäre und das ganze Land zum Affen zu machen! Well, psychologisch ist das bei den verklemmt-konservativen US-Pharisäern natürlich nachvollziehbar, denn wer selbst immer den Schwanz einzieht, der gönnt halt auch seinem Präsidenten keinen fröhlichen Lümmel! Aber andererseits – was ist schon das harmlose Praktikantinnen-Petting eines sexuell unterforderten Politikers gegen die intime musikalische Beziehung eines kulturgeschädigten Knaben zu Bata Illic? Ich kann nur hoffen und beten, daß die Welt mir verzeihen möge. Und Gott schütze Amerika.
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MANCHMAL KOMMEN SIE WIEDER … Haben Sie das auch gesehen? Vor ein paar Wochen in der ARD – J.R.’s Rückkehr? Zuerst dachte ich, es sei der Amateurfilm von irgendeinem texanischen ZombieKlassentreffen oder Peter Steiners Theaterstadl spielt ›Oklahoma‹ – aber es sollte wirklich eine ernsthafte DALLAS-TV-Movie-Fortsetzung sein! Von der Spannung her so eine Art Marienhof im Wilden Westen, aber man hatte dafür extra nochmal den kompletten Bodensatz der scheintoten Ewing-Sippe aus der Urne gekratzt, jedem einen riesigen Cowboy-Hut auf die faltige Runzelrübe geschraubt und dann die ganze Knallchargen-Herde 90 Minuten über die Ölfelder getrieben. Das traurige Ende einer Legende – der einst so kraftvoll diabolische J.R. schlich debil kichernd durch die muffigen Hallen von Southfork wie Catweazle mit Blasenentzündung, und der kernige Bobby sah eher aus wie Patrick Lindner beim Ponyreiten. Das wäre einem gern erspart geblieben … Aber in den Medien kennt man nun mal keine Gnade – wenn etwas erfolgreich war, muß es irgendwann auch fortgesetzt werden, egal wie blöd die Idee oder wie tot die Hauptperson. Ist der weiße Hai kaputt, müssen halt in den nächsten Teilen seine geisteskranken Zwillingsbrüder oder Flippers mutierter Schwager den rachsüchtigen Mörderhering mimen. Der abgelederte Häuptling Winnetou beispielsweise wurde vom ZDF einfach ungefragt mit einer Doppelladung GEZ-Gebühren wiederbelebt – dann könnte doch auch der mit der Titanic abgesoffene Leonardo di Karpfenkopp theoretisch in letzter Sekunde noch Käpt’n Iglo ins Fischstäbchennetz 71
geschwommen und von herzensguten Krabben-Puhlern und einer Kieler Matjes-Mamsell wieder gesundgepflegt worden sein! Alles klar für Titanic II – Schiffe kann man schließlich reparieren, und Eisberge gibt’s auch genug! Selbst das ewig vergötterte Schnulzen-Monument ›Casablanca‹ fiel nun nach über 50 Jahren der Ruhe noch der literarischen Kulturschändung zum Opfer. Aber wer möchte denn schon freiwillig lesen, wie Rick’s Café in ein griechisches Restaurant mit Karaoke-Bühne umgewandelt wurde, Bogart nach dem Krieg als illegaler Gabelstaplerfahrer in Mexiko jobbte und Ingrid Bergmann unter dem Namen Helga Beimer in Deutschland ein neues Leben begann? Warum nicht gleich eine Fortsetzung des überaus erfolgreichen Bundesbahn-Kursbuchs vom Sommer 1982 oder Dr. Schiwagos zweite Karriere als Surflehrer und Teilzeit-Gynäkologe am Strand von Malibu? Wann kommt Heiner Brehmer in The Return of Derrick – Diesmal bewegt er sich! oder Berti Vogts im Kinderhörspiel Die Rache des Fußballschlumpfs? So was zerstört doch jede Illusion!
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EIN JAHR VOLL GAR NICHTS Selten hat ein Jahr mich schon am Anfang so gelangweilt wie das Jahr 1999. Was für eine lächerliche Zeitverschwendung, das nimmt doch niemand ernst! Die ganze Welt bereitet sich auf 2000 vor und ist zudem noch völlig damit beschäftigt, das aufregende 1998 mental zu verarbeiten. Mann, da ging vielleicht die Luzie ab! Erinnern Sie sich noch? Titanic, Viagra, Godzilla, Trapattoni, Guildo Horn, Berti Vogts, Modern Talking – was da nicht alles passiert ist! Und dann auch noch ein neuer Kanzler, sogar einer aus Hannover, die Stadt hatte man ja schon fast vergessen. Obwohl sie demnächst ja wieder in aller Munde sein wird, vor allem in den Verkehrsnachrichten, wenn dort diese komische Expo beginnt (so eine Art ›Heim und Hund‹ für die ganze Welt) – aber das ist auch erst im nächsten Jahr. In diesem passiert eigentlich überhaupt nichts Spannendes. Dafür hätte man gar nicht erst Silvester feiern müssen! Schade um die teuren Kalender. 2000, okay, da ist wieder so einiges im Busch: die Olympiade irgendwo, bestimmt ein paar von diesen dösigen Landtagswahlen, die Europameisterschaft, bei der unsere Nationalelf beweisen muß, daß sie auch ohne Berti Scheiße spielen kann – das wird sicherlich aufregend. In dem Jahr wird sowieso jeder Trottel, der noch kriechen kann, irgendein großartig überflüssiges Ereignis zur Jahrtausendwende planen und jedes noch so kleine Arschjucken stolz ›Hämorrhoiden 2000‹ nennen. Darauf hab’ ich, ehrlich gesagt, auch keinen Bock, aber immer noch besser als die verschnarchten Monate, die jetzt auf uns warten. Da will sich ja lieber keiner verausgaben für 1999, die Kräfte kann 73
man ein paar Monate später sicher viel besser brauchen! Zum Beispiel, wenn die ganzen dämlichen PCs zum Millenniumswechsel aus den Pantoffeln kippen und die Computer sich die Mousepads von unten betrachten, weil sie die Datumsumstellung nicht gewuppt kriegen. Oder wenn der blöde Euro angeschissen kommt, den ohnehin keiner haben will – allein dafür muß man sich jede Menge Energie zum Meckern und Jammern beim Umrechnen aufheben. Das heißt im Klartext: 365 Tage den Stillstand genießen und geduldig den Finger in den Hintern stecken, bis es wieder weitergeht. Ungerade Jahre sind ohnehin nie so doll, machen wir uns nichts vor. Und irgendwie bleibt ja immer die Hoffnung, daß vielleicht doch noch irgendwas Überraschendes passiert … Gottschalk geht zum Friseur … Peter Maffay wird Warzenminister in Sachsen-Anhalt … oder Peter Hahne hört auf zu grinsen, als würde ihm die ganze Zeit ein Frettchen an den Nüssen knabbern. Mal schauen. Wenn nicht in diesem Jahr, dann ja vielleicht im nächsten … Aber ich persönlich erwarte eher gar nichts. Also dann … legen Sie sich ruhig wieder hin! Ich weck’ Sie, wenn’s spannend wird!
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BITTE MELDET EUCH! Wenn die Tage kürzer werden, die Nächte dunkler und die Hosen enger, die Luft nach warmem Fusel riecht und wir von überall her durch zuckerige Bilder von familiärer Glückseligkeit unter zugehängten Tannentorsos daran gemahnt werden, Herz und Brieftasche zu öffnen, ja dann gedenken wir immer wieder gern all derer, die uns lieb sind, es waren oder aus verwandtschaftlichen Gründen sein müssen. Doch was ist mit all jenen, die wir eigentlich weder persönlich kennen noch wirklich mögen, die aber trotzdem unser Leben entscheidend mitgeprägt haben? Was ist beispielsweise mit der BAC-Familie, jener extrem widerwärtigen Sippe der 70er, deren Angehörige sich im Werbeprogramm allmorgentlich darum ankeiften, wer als letzter das muffelige Armschweiß-Sprühfix in den Griffeln hatte. ›Mein Gott, Ihr spießigen Scheißtypen, könnt Ihr Euch denn keine zweite Dose von dem puffigen Schwitzhemmer leisten, wenn Ihr so ein unkoordinierter Kackhaufen seid?‹ wollte man ihnen jedesmal entgegenbrüllen, doch schon erschien meist der nächste Spot, in dem eine schmerzhaft unsympathische Mutti ihrer verzogenen Göre die Rübe ins Handwaschbecken tunkte und darüber schwadronierte, wieviel kräftiger doch ihr Haar geworden sei, seit sie täglich eine Tasse SchaumaShampoo trinkt! Und noch bevor der Brechreiz eine Chance bekam, den Zuschauer zu übermannen, saß im nächsten Werbefilm bereits der doofe Persil-Mann in väterlicher Arroganz am Schreibtisch, um uns mit Barbara Eligmannscher Cartoon-Kompetenz über die Wunderwelt der Buntwäsche zu berichten wie ein RTL2-Reporter beim 75
Seriositäts-Training. Mit etwas Glück erlebte man sogar den Super-Gau und stieß danach noch auf Frau Sommer: eine schnippische Nervzicke aus reichem Hause, frustriert und gelangweilt, die ihren gesamten Tag damit verbrachte, im schicken Kostümchen einen halbvollen Einkaufswagen rund um das Jacobsregal zu schieben, um dann nichtsahnende Kundinnen aus dem Hinterhalt zu überfallen und ihnen aus reiner Bosheit irgendeine Kaffeeplörre aufzuschwatzen, von der ihr selber immer schlecht wurde. Aber auch wenn man froh ist, diese ganze Zunft besserwisserischer Sackgesichter nicht mehr sehen zu müssen, so überwiegt doch die Neugier. Was wurde aus der BAC-Familie? Ein Haufen zerrütteter Sozialfälle, Elternmörder und bettelnder Deo Junkies? Ertränkte die Schauma-Tochter irgendwann ihre nervige Mutter mit einer Flasche Apfel-Shampoo im Folterbecken? Erlitt Frau Sommer einen Koffein-Kollaps und fuhr hysterisch lachend mit dem Einkaufswagen den Persil-Mann tot? So lange, wie Ihr uns genervt habt, könnt Ihr Euch ruhig mal wieder melden – Hauptsache nur, Ihr kommt nicht wieder!
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BERUFSBERATUNG FERNSEHEN Irgendwann im Leben, wenn sich in der Schule beim besten Willen einfach keine Klasse mehr wiederholen läßt und sogar die Eltern bemerken, daß sie einen rein rechtlich gesehen nicht mehr einspruchslos unter ihrem Dach ertragen müssen, stellt sich den meisten Menschen gezwungenermaßen die Frage nach der adäquaten Berufswahl. Doch wofür soll man sich entscheiden? Aus der persönlichen Erfahrung weiß man bis dahin nur, daß man niemals Lehrer werden möchte – andere Tätigkeiten kennt man höchstens aus dem Fernsehen! Für Jungen sieht Privatdetektiv in der Glotze gut aus, nichts als schnelle Autos, scharfe Weiber und schicke Klamotten – in der Realität muß man dafür jedoch eher Zahntechniker, Bertelsmann-Manager oder Jungredakteur einer RTL-Show werden … und schon ist die Enttäuschung groß! Polizist oder Kommissar kommt auch nicht in Frage, da wird man beschissen bezahlt und muß den ganzen Tag lang nur plörrigen Kaffee trinken, mürrisch gucken und die schlecht sitzenden Anzüge vom Vorgänger auftragen. Soviel also zum Berufsziel ›Gerechtigkeit‹ – bleibt oft nur noch die Gegenseite, also wird man Anwalt, am besten in den USA. Smart lächelnd mit Designerpelle in der Kanzlei hocken, möglichst oft irgendwo ungefragt ’Einspruch’ rufen und mit ernster Miene die Seidenkrawatte zurechtruckeln, das läßt sich schon eher ertragen. Oder man wird gleich Arzt – obwohl in dem Falle das Fernsehen ja oft abschreckend wirkt, denn dort kommt der sympathische Gynäkologe vor lauter Arbeit bisweilen nicht mal zum pünktlichen Golfspielen oder nimmt sich sogar für Kassenpatienten richtig Zeit. 77
Aber das ist natürlich nur Fiktion zur Abschreckung, damit nicht gleich jeder Medizin studiert! Um so mehr verwundert es, warum immer nur einige bestimmte Berufsgruppen zu heroischen Serienstars, andere hingegen einfach totgeschwiegen werden. Frauen-, Kinder- und Notärzte gibt es z. B. haufenweise – aber kaum Proktologen! Oder Hautärzte. Dr. Benjamin Schorf – zwischen Ekzem und Exzess. Eiter-besinnliche Geschichten zum Jucken und Kratzen – wär’ besimmt was für Sat 1. Oder coole Bullen auf Hollandrädern in SK Pizza-Blitz – Die Bringdienst-Cops! Eine Spezialeinheit, die ich noch nie gesehen habe. Ebensowenig wie Gammateam – Die Putzkolonne im OP – Wer die ganze Sauerei nachher saubermacht. Und was spricht gegen Das Schwarzwaldschlachthaus mit Klaus-Jürgen Wussow als gütigen Metzgermeister, der mit Humor und sanfter Hand die Ferkel aufschlitzt, und Sascha Hehn, der charmant die Wurst in den Naturdarm drückt? Das ginge sogar fürs ZDF. Genauso wie Ein Karusselbremser auf Rügen, Bookwatch – Die Steuerprüfer von Malibu oder Alarm für Pudel 77 – Die Autobahnfriseure! Kreativität ist gefragt!
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AB JETZT IN FARBE! Das wär’ doch cool, oder? Stellen Sie sich mal vor, dieser Text wäre nicht nur in schäbigem Schwarz auf weiß gebleichten Holzresten, sondern knallebunt in full color. Total spacig und irre schrill – das käme voll fett, echt suppengeil! Nur so kann man Texte heute noch schreiben im Hinblick auf das neue Jahrtausend – Farbe ist die Future, Baby! Schluß mit so unlustig aneinandergepappten Buchstaben in black & white, nix mehr alles blanco – Worte müssen auch optisch anspechen! Jedenfalls wenn man die hippen jungen Leute der braingepiercten Malbuch-Generation dazugewinnen möchte, die außer dem Lesen der Boygroup-Namen unter den Zappelvideos bei Viva- und der Sprechblasen in der Bravo-FotoRammel-Story noch nicht so wahnsinnig viel mit Literatur zu tun gehabt haben. Die Fernsehsender haben den Trend zur Mehrfarbigkeit schon längst durchschaut – nur ein paar alte Schnarchstationen der Öffis und die Kabelrestfilmverwerter, die sich keine Vollzeit-Färbung leisten können, bringen noch diese ganze verkalkte Schwarzweiß-Grütze. Von wegen ›Klassiker‹ und all der Mumpitz – verscheißern kann ich mich selber! Wenn sie die Knete hätte, würde die ARD ja wohl auch nicht zum siebenhundertstenmal ›Casablanca‹ einfach so stumpf wiederholen, sondern schnell auf dem Laptop nachkolorieren oder mit Klaus-Jürgen Wussow und Witta Pohl neu verfilmen. Sogar der kommerzielle arte-Ableger Pro 7 hat letztens lange mit sich ringen müssen, ob er denn wohl eine Sonderfolge der amerikanischen Buntserie ›Akte X‹ ausstrahlen könne, die aus einem künstlerischen 79
Versehen heraus in s/w produziert worden war – aber die Münchener Medien-Cascadeure ließen sich auf dieses waghalsige Experiment ein. Respekt vor soviel Mut! Man stelle sich nur all die kulturinteressierten Zuschauer vor, die – bei der farbenprächtigen Arabella vor Aufregung eingenickt und während der grauen Grusel-Show jäh erwacht – weinend ihr TV-Gerät zertrümmerten oder am nächsten Morgen verwirrt zum Optiker rannten, um neue Batterien für ihre Kontaktlinsen zu kaufen! Was soll’s – wir leben nun mal in den 90ern, dem Zeitalter der bunten Blödigkeit, der Dekade, in der nach langem Kampf die Form endgültig über den Inhalt triumphiert hat. Wissen ist Qual, Design ist Macht, und wer sich beim Kaufen eines Rahmens noch um die Größe des Bildes schert, ist ein Idiot. Bleibt nur die Frage: Welche Farbe hat eigentlich die Dummheit? Blau-rot-gold wie die Nationalflagge von RTL, quer durch den Regenbogen wie der Hämorrhiden-Hüpfball von SAT l oder einmal in den Tuschkasten gepißt wie der Hintergrund bei Premiere? Und wie bunt muß man eigentlich sein, um die eigene Farblosigkeit nicht mehr zu bemerken? Manchmal beneide ich wirklich Hunde – die sehen zwar nur schwarzweiß, können Scheiße aber auf Anhieb riechen!
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EIN DANK AN DIE WERBUNG Werbung ist schon etwas Wunderbares. Vor allem im Fernsehen. Sie zeigt uns anhand von informativen Kurzfilmen, wie wir mit wenigen ausgesuchten Produkten unser verkorkstes Leben wieder in den Griff bekommen können. Oft ist es nämlich nur eine Frage der richtigen Sorte Halbfettmargarine, ob eine Beziehung funktioniert oder nicht! Wählt man die empfohlene Tiefkühlpizza, nagelt man problemlos die schärfsten Tussen auf die Matratze, mit einer Tasse Tüten-Cappuccino beschert man im Falle der korrekten Marke multiple Orgasmen, und gönnt man sich mal das gute Hundefutter mit ExtraKnorpel, wird man selber spitz wie Nachbars Lumpi. Das war mir vorher nicht bewußt. Hätte ich schon früher die Werbung etwas aufmerksamer verfolgt, wäre meine Jugend wahrscheinlich aufregender verlaufen. Vielleicht hätte ich sogar damals, als ich noch schlanker war und man an alle Teile rankam, über eine Geschlechtsumwandlung nachgedacht, nur um auch mir einmal all die Momente süßer Wonne und ausgelassener Lebensfreude zu ermöglichen, die eben nur eine Frau während ihrer Regel mit einer besonders dünnen Binde fühlen kann. Am liebsten sehe ich Werbung allerdings nachts. Da werden die uninteressanten Spülmittelund Schlemmerjoghurt-Spots gleich weggelassen und man konzentriert sich auf das Wesentliche: schmutziger Sex mit telefongeilen Nymphomaninnen! Endlich mal eine wirklich konsumentenorientierte Angebotspalette. Wem zuckt nicht der Zeigefinger in Richtung Sprechgerät, wenn ein magersüchtiges SM-Teenie-Luder mit schiefen Zähnen und Wasserleichen-Make-up sich breitbeinig vor die 81
Kamera stellt und mit knallender Ochsenpeitsche um einen Anruf bittet? Oder wenn olle Schabracken sich im Morgenmantel auf dem Futon lümmeln und ihre ausgetretenen Latschen ablecken, um für Konversationen mit reifen Frauen über 40 zu werben? Also mich reizt das schon, vielleicht hat Tante Schlabbermauke ja etwas wirklich Wichtiges zu sagen, wenn sie mal kurz zu stöhnen aufhört und die Stiefelette aus dem Mund nimmt, wer weiß das schon … Außer fernmündlichen Kopulationskontakten im Onanier-Tele-Shop wird nach Mitternacht ja überraschend wenig angepriesen, höchstens noch ein paar Boulevarddokumentarische Video-Editonen über ›Die 100 schönsten Vernichtungskriege‹ oder das dritte Reich privat mit ›Hitler, die Stimmungskanone‹ und ›Goebbels, der Gemütsmensch‹. Denkt man beim Fernsehen etwa, daß so spät ohnehin nur noch alleinstehende militante Perverslinge vor der Glotze hocken? Oder möchte man einfach, daß sich tagsüber bei den Daily-Talk-Shows wenigstens in den Werbeblöcken mal nicht alles nur ums Ficken dreht? Verständlich wäre beides.
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SCHALT MAL DIE ZEITSCHRIFT AUS! Damals in grauer Vorzeit, als die Frauen noch Schwänze hatten, die meisten Männer auch, und viele von beiden zudem noch funktionierende Gehirne, da erfand der Mensch das Lesen. Er schrieb Romane auf Höhlenwände, meißelte Geschichten in Granit und kloppte ganze Wälder zu Kleinholz, um Papier für romantische Gedichtbände und tolle bunte Supermarkt-Wurfsendungen herstellen zu können. Informative Tageszeitungen und farbenfrohe Magazine, manche davon sogar mit angenehm schweinischen Fotos, kamen auf den Markt und begeisterten die Freunde des Alphabets mit wöchentlich wechselndem Textmaterial. Das Fernsehen, jener anspruchslose Brägen-Befeuchter, der unsere deaktivierten Köpfe ohne eigene Anstrengung mit flackernden Bildern überflutet, gesellte sich erst viel später zur großen Familie der Massenmedien. Mit Werken der Schriftkunst hatte er im Grunde herzlich wenig zu tun. Zappt man sich jedoch inzwischen durch die Kanäle, kommt es einem häufig vor, als erlebte man eine LiveÜbertragung von der Auslagetheke im Bahnhofskiosk: Spiegel TV, Stern TV, Max TV, Amica TV, Bravo TV, Brigitte TV, Ikea-Katalog-TV usw. usw. Wie es scheint, gehört dies zu den großen Opfern der Menschheit an die Moderne: So wie heute jeder Arsch ein Handy, jeder Fischhändler eine Homepage im Internet und jeder Kinderschänder seine eigene E-mail-Adresse besitzt, so gibt es außer der Bäckerblume und den Lurchi-Heften auch kaum noch irgendeine Zeitschrift, die keine ihr zugehörige Fernsehsendung vorzuweisen hat. Warum 83
eigentlich, wo man mit einer TV-Show doch nicht mal einen Hering einwickeln, eine Fliege totschlagen oder den Hintern abputzen kann? Auch erscheint es einem nicht, als hätten die Flimmerformate uns irgendwie mehr zu sagen als in ihrer Druckversion, oder als könnten sie die Zuschauer durch mehr beeindrucken als durch ihre fehlende Existenzberechtigung. Und überhaupt – warum geht die Entwicklung immer nur in die eine Richtung? Wär’ doch klasse, wenn es auch umgekehrt das PrintPendant zu jedem Sender gäbe, z. B. die öffentlichrechtliche ARD-Postille! Dann könnte man auch gleich von allen, die lesen können, eine Grundgebühr einziehen und verlangen, daß man seine Augen bei der GEZ anmelden muß! Dazu vielleicht noch ein Fan-Magazin für die Zuschauer vom ZDF – oder könnten wir da Das goldene Blatt schon gelten lassen? Schön wären auch ein monatliches Malbuch für das mdr-Publikum und vielleicht ein paar gebundene leere Blätter als regelmäßiger Informationsdienst über alle neuen Ideen bei Sat 1! Das könnte man wenigstens alles wegschmeißen!
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BEI UNS IST ES AM SCHÖNSTEN Die Welt ist groß und in der Regel rund. Der Länder gibt es viele, und die Menschen, die in ihnen wohnen, sind schon rein zahlenmäßig auch nicht gerade wenig. Sie unterscheiden sich in Sprache, Form und Farbe wie auch in ihren ritualisierten Verhaltensmustern voneinander. Der Asiate beispielsweise ist klein und gelb, kann keinen Cappuccino kochen und zieht überall ungefragt die Schuhe aus. Weil viele Leute das ziemlich asozial finden, muß er Karate können. Der Indianer ist stolz und rot und tapfer und stirbt immer im Dritten Teil. Manchmal merkt er aber auch, daß er eigentlich noch gar nicht tot war, geht zum ZDF und kehrt zurück – dann ist er ein peinlicher alter Tattergreis und spricht aus Frust nur noch mit schwuchtelig französischem Akzent. Der Europäer ist im Grundton hell, zwischen käsig und angebrannt, je nach Anbaugebiet, und auch sonst regional sehr verschieden. Der Italiener zum Beispiel ist trotz Goldkettchen eher gelassen, hat eine lange Nudel und beendet fast jedes Wort mit einem ›e‹ (›Eine Grappa aufe Hause?‹). Der Franzose hingegen ist immer hektisch, raucht dabei selbstgedrehte Fluppen und denkt pausenlos nur ans Ficken, was ihn in eine ständige Existenzkrise führt. Dem Holländer ist absolut alles scheißegal, deshalb züchtet er Tomaten ohne Geschmack und entwickelt Fernseh-Shows. Der Deutsche letztendlich ist ganz anders. Er ist überdurchschnittlich intelligent, gutaussehend und glaubt das meistens sogar wirklich. Häufig ist er aber auch etwas klein und gedrungen, doch das akzeptiert er mit Würde. Früher versuchte er einmal, groß und blond zu sein, aber 85
das ging auch in die Hose. Dafür ist er aber korrekt, fleißig und kommt stets pünktlich, selbst wenn er gar nicht weiß, wohin. Wenn der Deutsche nach dem Sinn des Lebens sucht, füllt er ein Formular aus oder klemmt Zettel an die Windschutzscheibe von Falschparkern. Grundsätzlich ist er eine Frohnatur, aber alles hat seine Grenzen. Ironie hält er für eine Krankheit, und Humor macht ihm Angst, außer er kennt die Pointe. Deshalb versucht er seit Jahrzehnten, ihn mit Sketchparaden, Karnevalsumzügen und Schmunzel-Shows, in denen spaßige Sparkassenangestellte antike Witze erzählen, endgültig auszurotten. Wenn gar nichts mehr klappt, hört er Blasmusik oder häkelt lustige Hütchen für sein Toilettenpapier. Aber manchmal lächelt er auch heimlich, und das macht ihn sympathisch … und uns alle ein klein wenig stolz, daß wir dazugehören dürfen!
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JETZT HABEN WIR DEN SALAT! Schöner Mist! Unser aller Lieblingsgeilkörper Verona Feldbusch, das nette Profi-Naivchen mit dem angeborenen Grammatikfehler, moderiert nicht mehr Peep! Okay, eigentlich hat sie das ja noch nie wirklich getan, aber sie saß wenigstens in ihren wenigen engen Sachen zwischen den häßlichen Gästen herum und kicherte. Doch jetzt ist sie sogar physisch nicht mehr dabei – und warum? Weil sie plötzlich erkennen mußte, daß es sich in der Sendung thematisch hauptsächlich um Schweinkram handelt! Stellen Sie sich diesen bitteren Moment einmal vor: Ein ganz normaler Tag, Verona sitzt in der Garderobe, rasiert sich die Beine und denkt an gar nichts, erst recht an nichts Böses … da schnürt sie versehentlich das Mieder etwas zu eng, im Kopf macht es Blub!, und dildogleich schiebt sich ihr die Erkenntnis in den Schädel, daß ›Ficken‹ ja eigentlich das gleiche ist wie ›Geschlechtsverkehr‹! Oh Gott, was muß das für ein Schock gewesen sein, nach so vielen Jahren plötzlich zu erkennen, über was für Ferkeleien man sich die ganze Zeit unterhalten hat – und das auch noch im Fernsehen! Leider passiert so etwas häufig, auch in den Medien: Man ahnt nichts Böses, wird von den Kollegen getäuscht und muß eines Tages erkennen, daß man ungewollt und ohne Schuld gehörige Scheiße gebaut hat. Weinend und wild um sich klagend mußte Tagesschau-Hübschchen Susi Stahnke mitansehen, daß das stolze Ausposaunen einer möglichen Karriere als Hollywood-Strapslady sehr wohl auch ironische Kommentare provozieren kann. Die Welt ist schlecht. Auch hätte ja nun wirklich jemand Reinhold Beckmann mal vorher sagen können, daß – selbst wenn 87
das Konzept sehr pfiffig klingt – es eine Sendung mit einer Bühne und ein paar Hockern, auf denen Leute vor einer urbanen Nightline-Kulisse sitzen und von einem nachdenklich guckenden Mann belanglose Fragen gestellt bekommen, doch bereits schon mal gegeben hat! Eine nette Geste wäre auch ein vertraulicher Tip an den ›Ghost of Pop‹ Michael Jackson gewesen, daß ein durchgeknallter ›Wetten daß‹-Auftritt höchstens noch von Freunden des Absurden bejubelt wird, wenn man dort nur als leuchtende Geister-Erscheinung dummes Zeug vor sich hinpiepst wie ein atomar verstrahltes Meerschweinchen. Wo bleibt ein guter Rat, wenn man ihn braucht? Hätte doch nur ein guter Freund Oskar Lafontaine einmal gesagt, daß es leider viele geizige Menschen gibt, die ihr Geld lieber selber behalten, als es dem Staat zu geben, oder dem närrischen EU-Elferrat, daß Korruption und Faulheit in der Öffentlichkeit gar nicht mehr so angesagt sind wie noch vor ein paar hundert Jahren – viele beleidigte Rücktritte wären vielleicht vermieden worden. Okay, denken vor dem Handeln kann hilfreich sein, aber seien wir doch mal ehrlich: Wer hat dafür schon Zeit?
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TEMPORARILY NOT AVAILABLE ›The Person you’ve called is temporarily not available.‹ Das heißt übersetzt ungefähr das gleiche wie früher: ›Nee, der Heinz kann jetzt nicht, der is’ gerade am Kacken!‹ Doch wo einst noch hurtig die genervte Ehefrau aus der Küche eilte, um in solch prekären Situationen den Anruf entgegenzunehmen, säuselt uns heute nur noch eine gefühlskalte Netz-Sekretärin ihren Merksatz durch die Muschel. Oder aber Heinz kann das Gespräch doch direkt vom Scheißhaus führen, denn das ist schließlich der große Vorteil des Handys: Jeder Idiot kann endlich jederzeit und überall von jedem anderen Idioten erreicht werden! Die Gnade der technischen Schöpfung ist damit allerdings noch längst nicht erschöpft, denn dank des drahtlosen Portabelphons kann endlich auch die gesamte Umwelt dazu gezwungen werden, an den eigenen sinnlosen Konversationen teilzuhaben! Vor zwanzig Jahren gelang es einem höchstens mal bei schönem Wetter, den Nachbarn zu nerven, wenn man sich so weit es das Kabel zuließ an die offene Balkontür reckte und dazu möglichst laut in den Hörer bölkte – aber wenn man ehrlich ist, war das doch schon etwas anstrengend auf Dauer. Dieser Tage ist das glücklicherweise kein Problem mehr, denn jetzt haben wir die Chance, uns direkt in das Zentrum jeder gewünschten Menschenansammlung zu begeben, das Handy für einen kleinen Plausch zu zücken und auf einen Schlag allen Anwesenden tierisch auf den Sack zu gehen! Wer dabei besonders viel Sinn für Humor beweisen möchte, der programmiert seinen kleinen Quatschkameraden zusätzlich auf einen ulkigen 89
Klingelton, wobei sich schwungvoll dahingepimpelte Operettenmelodien als besonders pfiffig erwiesen haben. Die krönende perfide Pointe bei der öffentlichen HandyNutzung ist allerdings, daß sie es dem telefonierenden Nervenarsch ermöglicht, sich mit einem Hauch künstlicher Wichtigkeit zu schmücken, anstatt einfach sofort eine aufs Maul zu bekommen. Denn wider besseres Wissen denkt man als Zeuge solcher Szene meist immer noch freundlich: ›Oh, das ist bestimmt sehr wichtig, denn sonst würde der blöde Arsch das Gespräch doch sicher in seiner zugefurzten Muffelbude erledigen, der dumme Pisser!‹ Doch Pustekuchen, also erkennen wir lieber die Realität: Für den Handy-Besitzer ist die Welt nichts weiter als eine riesige Telefonzelle! Der Fluch der ewigen Erreichbarkeit ist für ihn ein Heidenspaß, überglücklich nimmt er jeden noch so unwichtigen Anruf überall entgegen, denn das ständige Bimmeln in der Hose gaukelt ihm vor, wenigstens noch für irgendwen von Interesse zu sein. Und sollte man vor lauter Labern die Gegenwart verpassen – die kann man sich ja auf die Mailbox sprechen lassen!
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DIE GENERATION DER SCHLAUMEIER Es ist ein schöner Zug von den Medien, jeder Generation ungefragt einen albernen Namen zu verpassen. Da gab es irgendwann mal die wilden 68er, die Flower-PowerKnilche, die No-Future-Kids, die Schlaghosen-Luder und was weiß ich noch alles. Manchmal reicht es aus Kostengründen allerdings auch nur für einen einzelnen Buchstaben. Die Blagen unserer Tage sind beispielsweise die Generation Y, wie man unlängst herausfand, die Backfische und -Innen davor gehörten noch zur Gruppe X. Rein alphabetisch gesehen folgt danach Z – aber dann ist erst mal Schicht! Von da an müssen sich die armen Kleinen quasi ohne einen dazugehörigen Identifikationsbuchstaben durchs Leben mogeln, außer man nimmt die Umlaute mit, was wiederum ziemlich tuckig klingt. Andererseits kann ich mich auch gar nicht mehr recht an die Generation W erinnern, die muß ja rein rechnerisch so Ende der 80er ihre Pubertät durchlitten haben. Wahrscheinlich hat die aber gar keiner bemerkt, weil alle nur vor der Glotze saßen und Knight Rider geguckt haben. Vielleicht sind mit X und Y aber auch nur die Chromosomen gemeint, was nun einen deutlichen Hang zum Männlichen in Richtung Vernunft bedeuten würde – allerdings hielte ich dies für ziemlich frauenfeindlich! Irgendwie hat sich aber schon eine Menge verändert, wenn man die Buben und Mädels dieser Tage so betrachtet. Früher waren sie noch auf unterhaltsame Weise rebellisch und auf globaler Ebene desillusioniert. Egal, worum es ging, man war auf jeden Fall erst einmal nicht dafür, und man organisierte groß angelegte 91
Demonstrationen gegen alles, was nicht schnell genug laufen konnte. Das war nicht immer klug, zugegeben, aber es machte wenigstens Spaß! Heute müssen sich die Kids vornehmlich gegen die ehemalige Aufmüpfigkeit ihrer Alten auflehnen und dabei aufpassen, vor lauter Coolheit nicht zum Spießer zu mutieren. Die Welt ist nichts wirklich Großes mehr, sie paßt auf einen simplen PC-Bildschirm, das Internet läßt spirituelle Reisen in Regionen zu, die vor ein paar Jahrzehnten noch nicht mal im Schüleratlas standen. Wenn die Erde auf Kinderzimmergröße zusammenschrumpft und man glaubt, all ihre Geheimnisse bereits auf RTL gesehen zu haben, verwandelt sich der eigene Mikrokosmos zum Mittelpunkt des Universums. Plötzlich ist es hip, der Klassenbeste zu sein, denn das erhöht die Chancen auf einen lukrativen Arbeitsplatz und einen soliden Platz im Leben. Zu meiner Zeit wäre man in der Schule für solch zukunftsorientiertes Denken als Streber auf dem Schulhof in jeder Pause vermöbelt worden, in der großen sogar zweimal! Aber so ist das nun mal mit Schlaumeiern: Wer lange genug vorgibt, klug zu sein, der ist irgendwann auch dumm genug, es selbst zu glauben!
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BACK TO THE NINETIES (PART ONE) Ladies and Gentlemen, liebe Frauen, stolz erkläre ich ihn für eröffnet, den coolsten Trend des ausgehenden Jahrtausends: das Revival der Neunziger! Schweinekultig und hip wie Nachbars Lumpi! Warum immer erst lange warten, bis eine Dekade abgenibbelt und von den Überlebenden mental halbwegs verarbeitet ist, bevor man sie reanimiert? Wieso beginnt man die Wiederentdeckung der Vergangenheit nicht einfach, wenn diese noch die Gegenwart ist? Das ist doch viel einfacher! Simpel und dennoch wirkungsvoll: im Jetzt leben, aber so tun, als hätte man es schon längst hinter sich! So läßt sich vieles leichter ertragen. Stets im Bewußtsein, daß sich in zehn bis zwanzig Jahren sowieso jeder darüber kaputtlacht. Nehmen wir nur das Tamagotchi, dieses doofe unselbständige Computer-Krakelküken, das andauernd aus den Latschen kippte, wenn man es nicht rund um die Uhr verhätschelte wie eine alternde Operndiva. Eine der blödesten Erfindungen der Geschichte und zugleich die späte Rache Japans an der westlichen Welt: Millionen ehemals denkender Menschen vernachlässigten Schule, Beruf, Beziehungen und jegliche Form vernunftbegabten Denkens und Handelns zugunsten eines häßlich dahingekrickelten Suppenhuhns in einem batteriebetriebenen Überraschungsei! Die dabei vergeudete Zeit hat die Entwicklung der Zivilisation um mindestens zwei Jahre zurückgeworfen. Inzwischen zu Recht vergessen und so gut wie ausgerottet, findet das animierte ChickenMcNugget heute nur noch Anwendung in der Psychoanalyse oder als Beschäftigungstherapie für 93
unterbeschäftigte ARD-Redakteure, jedoch in ein paar Jahren wird es wieder trashig und kultig sein. Mit der richtigen Einstellung geht das aber auch schon jetzt – und heute bezahlt man noch keine Sammlerpreise! Oder Tattoos, ein typischer Modeschnickschnack der Neunziger – in den 70ern gab es als Körperschmuck nur das gegenseitige Bemalen mit Fingerfarben im Gruppensexzentrum. Tätowierungen fand man höchstens noch in Form von kiffenden Totenschädeln unter der feuchten Achsel eines verfilzten Möchtegern-Rockers mit Mofa-Führerschein oder als fauchende Drachenköppe, die Feuer von der einen zur anderen Fernfahrer-Arschbacke spiehen. Heute verziert ein Schmetterling jeden zweiten Model-Hintern, und so manche schlanke Frauenfessel wird durch ein eingraviertes Blumenband umgarnt. Spätestens in 10 Jahren und 20 Kilos, wenn die Kinder rufen: »Mama, Du hast ja ’ne Gürtelrose an der Mauke!«, wird allerdings auch hier verschämt die dicke Socke drübergestreift. Außer natürlich, man läßt sich gleich den gesamten Body mit Brandzeichen vollschmieren, um sich selbst als Hommage an die Trends der Gegenwart zu präsentieren. Dann sieht man zwar aus wie ein lebendes Löschblatt, kann aber nicht als stillos gescholten werden. Nur eine von vielen Ideen, die Neunziger zu feiern! (Fortsetzung folgt!)
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BACK TO THE NINETIES (PART TWO) Schon jetzt das 90er-Jahre-Revival feiern, bereits heute den Irrsinn der Gegenwart als Vergangenheitskult der Zukunft begreifen! Cooler geht’s nicht – der Zeit um Jahre vorauseilen, ohne sich dabei selbst vom Platz zu bewegen. Und außerdem ermöglicht es einem, selbst dem bescheuertsten Trend unserer Tage mit ironischer Selbstsicherheit gegenüberzutreten. Stehengeblieben war ich beim ›Tattoo‹, dem modischen Körpergraffiti für Ihr und Ihm. Ziemlich hip, die bläulichen Hautkritzeleien – aber natürlich kein Vergleich zum ›Piercing‹! Ohne Frage ist das Body-Lochen junger Backfisch-Girlies und im Herzen minderjährig Gebliebener die angesagteste Körperverunstaltung unserer Dekade. Nicht daß es wirklich gut aussähe, sich als künstlichen Akne-Ersatz alte Druckknöpfe in die Visage zu flantschen oder gebrauchte Duschvorhangringe durch die Nase zu jagen. Auch bleibt einem der Sinn verschlossen, warum es die Erotik steigern soll, wenn man sich Schrauben in die Hoden dreht, Briefbeschwerer an die Brustwarzen hängt oder Reißzwecken auf die Genitalien nagelt. Vielleicht verschafft es einem ja ein gewisses Kribbeln, wenn der Rost einsetzt, vorher bleibt man höchstens an den dümmsten Stellen mit der Zahnspange hängen. Obwohl einem das ja nicht peinlich sein muß – im Gegenteil! So hat man wenigstens was zu erzählen bei Arabella. Denn das ist schließlich das Wichtigste in diesem Jahrzehnt: den Rest der Welt am eigenen popeligen Leben teilhaben zu lassen! Otto 95
Normalverbraucher, der lustige Bursche, hat längst erkannt, daß das Fernsehen keine elitäre Macht hinter der Flimmerkiste mehr ist, sondern vielmehr die Summe aller Trottel, die sich dort präsentieren. Nicht mehr lange, und in Deutschland gibt es mehr Talk-Shows als Einwohner – und fast alle kennt man nur mit Vornamen! Da sind natürlich Themen gefragt! Sex ist immer ein todsicherer Ankommer – aber weil man letztendlich auch etwas Besonderes zu bieten haben muß, fühlen sich die meisten armen Schweine dieser Tage dazu gezwungen, sich durch die seltsamsten und unbequemsten Ömmel-Varianten zu quälen, nur damit es überhaupt jemanden interessiert! Ein ›Ja gut, ab und zu mach’ ich das mal, wenn ich Glück hab’ sogar mit jemand zusammen, aber unter uns gesagt haut einen das nicht vom Hocker …‹ ist ehrlich, bringt einen aber noch nicht in die Glotze, da muß man es schon mindestens achtmal täglich mit zwölf an die Küchenspüle gefesselten Schafen in Latex-Kniestrümpfen treiben – oder es wenigstens behaupten. In den Sechzigern wurde die eigene Sexualität entdeckt, in den Siebzigern ausgelebt, in den Achtzigern als bekannt vorausgesetzt und in den Neunzigern im Privatfernsehen ausdiskutiert. Wär’ doch blöd, wenn man da nicht mitmacht – wer weiß, wann es in der Zukunft noch mal so angesagt sein wird, sich selbst zu blamieren! (Wird weiter fortgesetzt!)
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BACK TO THE NINETIES (PART THREE) So hip sein, daß man vor seiner eigenen Coolheit erschaudert – wer möchte das nicht? Wer in den Siebzigern rumlief wie Lullemann, mit kotbeiger Schlaghose, Hodenkoteletten und vollgekrickelter Jeansjacke, der war nichts weiter als ein Trottel von vielen – wer die gleiche visuelle Gemeinheit knapp 20 Jahre später am Körper trug, war voll abgefahren und ziemlich kultig drauf. Also was soll’s? Dann kann man doch auch einfach jetzt schon so tun, als hätte man die übliche Geschmacks-Toleranzphase bereits hinter sich – und plötzlich macht der ganze Irrsinn richtig Spaß! Tamagotchis, Tattoos, Piercings und Talk-Shows haben wir schon behandelt – alles wunderschön alberne Gelegenheiten, die Trends der ausgehenden Neunziger zu feiern. Aber auch der ungeahnte Sex-Boom durch das akustische Laientheater im 0190-Telefon-Puff, die vermietbaren Grillrost-Batterien zum Body-Bräunen in den happy SB-Solarien und die verzweiflungsgeilen ›Beißmich-zupf-mich-zieh-mich-Partys‹ mit Lack-&-LederMesse in jeder dritten Dorf-Disco sind typisch für unsere dekadente Dekade. Der gewöhnliche Zappelschuppen zum Hüpfen und Grabbeln ist ohnehin längst out – Events sind in! Die große ›80’s Revival-Fummel-Night‹, die ›Heringsucht-Dose-Kennenlern-Party‹ oder die ›Sauf and Dance Millennium-Fete‹ – so was zieht heute, wenn sich dabei auch Zweck, Inhalt und körperlicher Zustand der Teilnehmer am Morgen danach innerhalb der Jahre eigentlich kaum verändert haben. Zudem ist es für jeden selbstbewußten Discjockey inzwischen zur Pflicht 97
geworden, sich ein ultracooles Pseudonym zuzulegen, so eine Art Doktortitel für Doofe. Stand früher noch fröhlich wippend der Heinzi aus Cuxhaven am Plattenteller und drehte fix die Scheiben um, so lassen sich heute DJ-FuckYou, Grandmaster Wixkopp oder MC-BitchBusterArschface-Westbamboom-Alabama als MöchtegernMegastars feiern. Doch meist reicht schon ein bißchen Speed und ’ne Cola oder ein Red Bull mit Fanta, und selbst das sieht alles ganz normal aus. Ach ja, was könnte man nicht noch alles erzählen über die ulkigen 90er … der Lifestyle-Wahn, der den Durchschnittsmenschen vor lauter Anleitungen zur Steigerung der Lebensfreude schier in den Selbstmord treibt; das Surfen im Internet, die Kontaktbörse für Stubenhocker; die Wiederentdeckung des deutschen Schlagers als das, was er wirklich war und ist: melodramatisch vorgetragener Mumpitz, aber ein Heidenspaß, wenn man sich dabei die Glocke flutet! Das erste Jahrzehnt ohne die Zone, aber mit vielen lustigen neuen Bundesländern, usw. usw. Doch leider reicht der Platz nicht – und ein bißchen was können Sie ruhig auch selbst herausfinden – ein paar Monate haben Sie ja noch! (Vorerst Ende)
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ALLES FÜR DIE FRAU! Langsam reicht es mir als Mann aber wirklich – immer kriegen die doofen Torten eine Extrawurst gebraten! Frauen haben ›ihre‹ Tage, ihre Beauftragten, ihre eigenen Ärzte mit besonders ulkigen Stühlen – und sogar ihre ganz persönlichen Fernsehsender! TM3 – das klingt zwar mehr wie der neue Gilette-Ladyshaver, ist aber so eine Art richtiger Sender und bringt seit längerer Zeit viele tolle Sachen nur für Mädels: aktuelle SchuhBerichterstattungen, lecker Kochtips, NähmaschinenWettknattern, Boygroup-Poster angucken mit Gruppenkreischen, und was die Damenwelt sonst noch so fasziniert. Leider geschah dies bislang weitgehend unbemerkt, denn trotz aller Frauenfreundlichkeit – ohne uns Jungs gibt es nun einmal keine anständige Quote – schon allein, weil Ladies ohne Hilfe ja nicht so ganz mit der Fernbedienung zurechtkommen. Deshalb beschlossen die schlauen Programmverantwortlichen und -Innen recht schnell, sich inhaltlich doch auch den schwanztragenden Randgruppen zu öffnen. Zuerst nur mit alten Bud-Spencer/Terence-HillSchmonzetten (für die Frauen eine schöne Gelegenheit, sich mal wieder 90 Minuten um den brachliegenden Haushalt zu kümmern), später vor allem mit durchgenudelten Softsex-Filmchen aus den erschlafften Endsiebzigern (aus reiner Bosheit, um uns Männer damit zu demütigen, daß wir zum Wichsen jetzt den Weiberkanal einschalten müssen!). Jetzt allerdings haben die zickigen Medien-Mäuse es bei aller Liebe doch etwas übertrieben! Kaufen dem coolen Kerle-Kanal RTL einfach die Champions-League-Rechte 99
unter der haarigen Nase weg! Pfui Spinne! Fußball im Titten-TV, so weit sind wir also gesunken! Stellen Sie sich nur mal die Spiele vor: kommentiert von Verona Feldblubb (quasi Wontorra mit Titten!), Blümchen als Studioexpertin und in der Halbzeit unterbrochen von Alfredissimo. Tore werden nur dann gezeigt, wenn sie auch von wirklich süßen Typen geschossen werden und die Kamerafrau nicht gerade fort ist, um das Bügeleisen auszumachen! Was folgt als nächstes? Die Sportschau überträgt Ilona Christen? Ran kauft die Rechte für den Bingo Worldcup? Hauser & Kienzle wechseln zum Kinderkanal? Okay, das würde sogar passen – aber warum eigentlich das ganze Chaos? Nur weil der australische Medien-Moloch Murdoch mit dieser Terroraktion Unruhe in unsere ordentlich geharkte Medienlandschaft bringen will, bis kein deutscher Zuschauer mehr weiß, ob er Männlein oder Weiblein ist! Und sobald die Quote erigiert ist, holt das listige Kabel-Kängeruh die Kündigungen aus dem Beutel, und ruckzuck steht TM 3 anstatt für ›Tele Muschis‹ wieder für ›Testikel Mafia‹. Tja, reingelegt … aber Frauen sind halt so naiv!
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DIE LEERE ZWISCHEN DEN OHREN Einen wunderschönen guten Tag! Sie lesen Ihre HitKolumne ›Kalkofes letzte Worte‹ mit den Superworten der 70er, 80er und 90er und den besten Buchstaben von heute, sowie den Top-Klassikern des Alphabets im Mega-Mix mit bis zu vier Supersatzzeichen am Stück und mehr Abwechslung mit dem ewig gleichen Gelaber. Viel Spaß und allzeit Sonne im Hacken bei jedem Wetter und den geilsten Ortstemperaturen der letzten 200 Jahre! Na, war dieses Intro nicht cool? Also ich persönlich fand es richtig scheiße, aber wenn man den gewitzten Medienprofis der modernen Hit-and-Fun-Rundfunkanstalten glauben mag, so sollte es Ihnen eigentlich ganz superdufte gefallen haben, oder? Falls doch nicht, dann haben Sie es wahrscheinlich nur noch nicht oft genug gelesen – probieren Sie doch mal, die Sätze mehrfach stündlich vor sich hinzusprechen oder im Drei-MinutenTakt laut und lustig vorlesen zu lassen! Klingt blöd, müßte aber klappen – schließlich funktioniert heute beinahe der komplette Radiomarkt nach diesem Muster! ›Wenn man die gleiche Scheiße nur oft genug wiederholt, dann hört sie irgendwann auf zu stinken!‹ lautet die pfiffige Theorie der Verantwortlichen dahinter. Und da der Hörer aus ihrer Sicht ohnehin bescheuert ist, muß man ihm nur so lange mit formatierter falscher Fröhlichkeit auf die Eier gehen, bis seine letzten noch aktiven Denkzellen in der Rübe freiwillig den Löffel abgeben! In der Praxis funktioniert das folgendermaßen: Erstens die Reduktion des Moderatoren-Wortschatzes auf den eines mäßig begabten Dreijährigen, zweitens das 101
unverschämt dreiste Abnudeln einer sich niemals ändernden Musikauslegeware und drittens die so penetrant häufig in den Äther geblähte Behauptung, einfach der megageilste Mörderlulle-Schuppen aller Zeiten zu sein, bis sich keiner mehr zu widersprechen traut! Das Endziel ist es schon längst nicht mehr, seine Konsumenten zu unterhalten, sondern vielmehr das so lange gnadenlose Einpeitschen der jeweiligen selbstreferentiellen Werbesprüche, bis auch der letzte nachts aus dem Schlaf gerissene Trottel fehlerfrei im Delirium aufsagen kann, welche Superhits aus welchem Jahrzehnt bei welchen Temperaturen auf welchem Sender laufen, und ob er dabei viel Spaß, gute Fahrt oder mehr Abwechslung versprochen bekommt! Akzeptieren wir die Realität: Das kreative Radio von einst befindet sich in der Gewalt von Machern, die für dies Medium und sein Publikum nur noch eine Mischung aus Gleichgültigkeit, Haß und Verachtung empfinden. Aber bevor es ihnen nicht gelungen ist, daß jeder Tag klingt wie seine eigene Wiederholung, und wir bereit sind, das ewige Rauschen der Leere zwischen ihren Ohren für einen Superhit zu halten, werden sie ihre Geisel nicht freigeben! In diesem Sinne – gute Unterhaltung. Und herzliches Beileid.
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SPUL ZURÜCK IM ZORN Eine der letzten kulturellen Begegnungsstätten, die man noch im ballonseidenen Trainingsanzug aufsuchen kann, ohne unangenehm aufzufallen, ist die Videothek. Treffpunkt wagemutiger Individualisten, die zwar nichts dagegen haben, sich den Abend durch romantisch flackernde Fernsehbilder versauen lassen, dabei allerdings durch das nur begrenzte Minderwertigkeiten-Menü der Sendeanstalten nicht in ihrem Recht auf freie Wahl der Sinnesfolter eingeschränkt werden möchten. Hier im Palast der zurückspulbaren Scheußlichkeiten bekommt der geneigte Schund-Liebhaber für wenig Geld in großer Zahl all jene mühevoll vergeigten Zelluloid-Verschwendungen aus dem Rinnstein der Filmkunst angeboten, die ihm zuvor nur im Nachtprogramm von RTL2 als Weltpremiere zu erhaschen gelangen. »Kennst Du den hier?« – hört man dann die Experten plaudern – »›Zärtliche CrazyKnallköppe zum Knutschen‹. Von 1982, mit Thomas Gottschalk und Gottlieb Wendehals beim Möpsekneten auf Ibiza – die Fortsetzung von ›Zwei durchgestrullte Supernasen drücken einen ab‹. Is’ was zum Lachen!« Es läßt sich nicht bestreiten: Schlechte Filme – in Maßen genossen – können enorm wohltuend sein! Wenn der belgische Fressepolierer Jean Claude VanDarm als knallharter New Yorker Karate-Cop aus Rache für seinen glücklicherweise bereits ermordeten Partner gestreckten Beines einem Dutzend grimmiger Finsterlinge seine sockenlose Mauke unter den Schnurrbart semmelt und dabei so verbissen guckt, als würde ihm die Unterhose die Testikel abschnüren, dann hat dies eine schier grandiose, wenngleich ungewollte Komik. Und auch wenn großtittige 103
Kreischpunzen in viel zu engen feuchten T-Shirts aufgebracht durch dunkle Gänge hasten, auf der sinnlosen Flucht vor Talent und einem viertklassigen Alien-Klon aus Knetgummi, dann freut sich der Zuschauer – auch wenn er gar nicht genau weiß, warum eigentlich. Dabei sollte man die Bedeutung wirklich beschissener Filme für Industrie und Publikum keinesfalls unterschätzen! Sie bringen den menschlichen Verstand an seine eigenen Grenzen, sie testen unser Durchhaltevermögen und stärken die intellektuellen Abwehrkräfte. Vor allem aber könnte man sich ohne all die schaurigschön verkackten Gurkenmovies überhaupt nicht mehr angemessen über die guten Filme freuen! Nur wer alle sieben Teile Police Academy durchlitten hat, weiß einen Fisch namens Wanda auch wirklich zu schätzen. Und nur wer schon einmal 90 Minuten den wippenden Pferdeschwanz der kloppenden Hackfresse Steven Seagal ertragen mußte, kann den Löchern im Unterhemd von Bruce Willis mit der gebührenden Ehrfurcht begegnen. Qualität muß nun mal sein – auch wenn sie schlecht ist!
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WER HAT BLOSS DIE GESCHICHTE GESCHRIEBEN? Das frage ich mich wirklich oft, wenn ich abends bei einer Tüte guten Rotweins vor meiner Zentralheizung sitze und interessiert in alten Geschichtsbüchern schmöker. Wer hat diese Storys bloß alle erfunden? Okay, ich weiß, im Volksmund versteht man unter ›Geschichte‹ quasi all das, was sich seit dem ersten Amöbenschiß und gestern auf unserer hübschen Erde so ereignet hat, gewissermaßen basiert sie damit auf einer wahren Begebenheit. Aber das macht es ja auch nicht besser. Wenn man sie sich so anschaut, wurde früher ja vor allem ziemlich viel in die Grütze geritten, und das auf der ganzen Welt. Dabei florierte scheinbar die Tourismus-Branche schon immer am meisten: Die Wikinger schipperten in lustigen Drachenbooten um die Welt, die Kreuzritter zogen zu Kreuze auf dem Glück der Erde, dem Rücken der Pferde, die Römer erledigten innereuropäische Wege auch mal zu Fuß, und Hannibal juckelte über die Alpen mit ein paar ausgemusterten Roncalli-Elefanten. Doch egal wie beschwerlich die Reise auch war – wenn man ankam, wurden erst mal alle Einwohner zur Begrüßung totgeschlagen, manchmal auch noch geschändet und geplündert, wenn die Zeit reichte. Die Ägypter bauten in der Zwischenzeit seltsame spitze Wohnblöcke in ungastlichen Wüstenvororten, die außer ein paar toten Pharaonen natürlich kein gesunder Mensch mieten wollte, nicht einmal Studenten. Die Franzosen erfanden die Guillotine, die Deutschen den Weltkrieg und die Griechen das Gyros, alles nicht sehr erfreulich. Aber was geht einen diese vermurkste Vergangenheit 105
eigentlich heute an? Wieso mußte ich die Highlights der peinlichen Homo-Sapiens-Historie schon in der Schule lernen, dargereicht von alten ranzigen Lehrkörpern, deren Absicht es scheinbar immer war, die Morbidität des Themas bereits in Kleidung und Körpergeruch auszudrücken? Damit wir die Fehler von einst nicht wiederholen, sondern möglichst neue, dümmere, machen, war stets die Erklärung. Streber und Schlaumeier nahmen sich dies zu Herzen und bildeten sich weiter mit Hilfe lehrreicher ›Was ist was?‹-Bände, das normale Kind begnügte sich mit Asterix und Time Tunnel. Abgesehen davon wurde damals die Geschichte in den Medien eher zurückhaltend behandelt, vielleicht weil man das Gefühl hatte, selbst noch zu sehr ein Teil von ihr zu sein. Heute ist das anders. History ist in, das Fernsehen ist voll von TV-Movies über Gladbeck, RAF, die Nationalelf und andere Katastrophen der jüngeren Geschichte. Von Hitlers Steuerberater über Göhrings Praktikantinnen bis zu Goebbels’ Gemüsehändler wurde so ungefähr jeder Berufsgruppe des Dritten Reichs ein halbes Doku-Dutzend gewidmet, die schönsten Vernichtungskriege kann man sich sogar im Video-Sechserpack für das Eigenheim bestellen. Und wer nicht bemerkt, daß auch die Spätausgabe der Tagesschau im Dritten nur eine 20 Jahre alte Wiederholung ist, der wird auf ewig die Ungenauigkeit der Wettervorhersage verfluchen und sich viel zu breite Krawatten kaufen. Aber so ist das nun mal beim Fernsehen: Wenn einem nichts Neues mehr einfällt, muß man halt das Alte verwursten. Irgendwann wird alles wiederholt, manchmal sogar das eigene Leben. Endet man dabei allerdings eines Tages als Fernsehfilm bei Sat 1, dann hat man doch wahrscheinlich irgend etwas grundlegend falsch gemacht! Uns allen bleibt letztendlich doch nur die Hoffnung, daß wir wenigstens in der Zukunft 106
für unsere Geschichte ein paar anständige Autoren finden – von der Regie ganz zu schweigen!
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SCHÖN UND DOOF Vor den Verstand wurde dem Menschen das Auge gesetzt, meistens sogar zwei, als eine Art optischer Filter für das Gehirn. Sie helfen ihm bei der visuellen Vorselektion der gewonnenen Eindrücke – und das spart enorm Zeit. Allein bei der Wahl des Begattungspartners auf der handelsüblichen ›Fisch sucht Fickfrosch‹-Kennenlern-Fete sagt das Sichtgerät: ›Ach Du Scheiße, bloß nicht!‹, bekommt das Ohr erst gar keine Chance, und das Herz kann sich ohnehin gehackt legen. Diese anatomische Schelmerei macht sich neben attraktiven Frauen vor allem der Berufsstand der Designer zunutze, indem er uns durch schönen Schein vom logischen Denken ablenkt und uns weismacht, alles sei chic, wo irgendein tuckiger Zopfhansel groß seinen Namen draufgekriekelt hat. Mag ja sein, daß ein Chanel-Hornhauthobel auf der PeelingParty mehr hermacht als die grobe Maukenraspel vom Aldi – aber schmirgelt er deshalb auch wirklich besser die Schorfschicht von den Quanten? Doch wen kümmert’s? Daß in der modernen Welt die Form über den Inhalt siegt, wissen wir nicht erst seit Verona Feldbusch. Design ist der Sieg des Schönen über die Nützlichkeit – es erfreut in erster Linie die Sinne, und in seinen gelungensten Momenten verspottet es gar unsere Intelligenz. Dabei ist der Begriff an sich zuerst einmal wertfrei und umschreibt lediglich die äußere Erscheinung eines beliebigen Objekts, egal ob wunderschön oder so kackenhäßlich, daß es brummt! Auch der Designer an sich ist laut Duden nichts weiter als ein ›Formgestalter für Gebrauchsgegenstände‹ – quasi das gleiche wie der Arsch vom Huhn für das Ei. Und nicht immer gelingt ihm im 108
Alltag der Triumph der Anmut über das Praktische: Wünschte ich zum Beispiel, meinen Gästen etwas übriggebliebenen Pichelsteiner Eintopf mit nach Hause zu geben, oder verspürte ich auf einer Vernissage den unerwarteten Drang, mich heftig zu übergeben – auch ich würde aller Optik zum Trotz eher zur Tupperschale greifen als zur Alessi-Schüssel. Am meisten aber freut es den konsumfreudigen Verbraucher, wenn Form und Funktion sich freundschaftlich die Hand reichen. Der ArmaniZahnstocher, das Versace-Toilettenpapier, die BossButterdose oder ein Joop-Tampon – das muß man nicht haben, aber das Leben macht damit einfach ein bißchen mehr Spaß! Und es steigert das Selbstwertgefühl, denn wenn sich die Fremdsprachensekretärin zum Mittagstisch ihre Unox-Dose mit dem Dosenöffner von Calvin Klein aufmacht, zeigt sie ihren Kolleginnen damit nämlich, daß sie es eigentlich gar nicht nötig hätte, diese billige Fertigsuppe zu fressen – wenn sie nicht blöderweise das halbe Gehalt für den teuren Dosenöffner ausgegeben hätte! Die Schönheit liegt nun einmal häufig im Absurden.
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THE IMPORTANCE OF BEING WICHTIG Was macht eigentlich manche Menschen wichtiger als andere? Wieso wird der smarte Jungmillionär mit LuxusSchabracke am Ärmchen auf dem Prosecco-Empfang von jedermann mit einem angedeuteten Diener begrüßt, der nette muffelnde Stretchcord-Rentner mit dem toten Hamster in der Hose hingegen nur mit einem unterkühlten Würgen? Warum kriegt der medienscheue Kinderarzt nach einem anstrengenden Klinik-Tag keinen Platz mehr in seiner Lieblings-Pizzeria, der 16jährige Daily-SoapDarsteller des blinden kokainsüchtigen HobbyGynäkologen in der RTL-Serie ›Wir von der EierstockFarm‹ aber bekommt den schönsten Tisch mit einem Grappa aufs Haus? Es gibt nun einmal kaum etwas Wichtigeres, als irgendwie wichtig zu sein. Oder sich wichtig zu machen. Vor allem aber doch wenigstens so wichtig, daß es möglichst viele mitbekommen und in den Medien davon berichtet wird. Wo früher Titel, Reichtum oder soziale Stellung ausschlaggebend waren, um von der herumwuselnden Masse wahrgenommen und respektiert zu werden, reicht unserer Tage längst schon das stolze Erzählen hochnotpeinlicher Lebenskatastrophen in einer beliebigen Talk-Show oder das kurze Blanklüpfen einiger zumindest halbwegs ansehnlicher Brüste oder vergleichbarer Körperteile vor Publikum. Wem es gelungen ist, wenigstens einmal für einen kurzen Moment das Fernsehbild mit seiner Präsenz zu verschönern, der hat es geschafft! Er hat der Welt von seiner Existenz kundgetan. Er hat den Sprung in eine andere Dimension 110
vollzogen, er gehört zu den Auserwählten, die nicht nur zuschauen, sondern aktiv in das Geschehen eingreifen. Zumindest konnte er für einen Augenblick diesen Anschein erwecken, denn selbst wenn sein sprachlich rudimentärer Zwischenruf bei Sonja die Menschheit inhaltlich nicht weiterbrachte als der stille Furz eines Igels im Tannenwald – er war damit im Fernsehen! Nicht mehr die Taten, sondern die Berichte darüber bestimmen den Grad der Wichtigkeit. ›Ich werde gesendet, also bin ich‹, sagt eine alte existenzphilosophische Fernseh-Theorie: Die Bedeutsamkeit einer Handlung steht hinter ihrer Medienwirksamkeit weit zurück. Keine genialen, unappetitlich ausschauenden Nobelpreisträger zieren die Magazin-Cover, sondern hübsche bunte Möpse-Miezen, und nicht der Friedensstifter aus dem Kosovo wird von kreischenden Fans umlagert, sondern der auf Bewährung entlassene Turnhosen-Rapper mit Schniedel-Piercing. Wichtig zu sein ist schwer, wichtig zu werden ist leicht. Ist man erst einmal Jemand, ist es auch egal, wer eigentlich – und irgendwann fragt auch niemand mehr, wie man es geworden ist. Für solch alberne Fragen ist man dann nämlich auch viel zu wichtig!
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EINE IDEE GEHT AUF REISEN … Sehr oft, so zwischen täglich und häufig, fragt man sich als Zuschauer, wieso das TV-Programm eigentlich so schweinelangweilig ist und warum niemals etwas Gescheites läuft, wenn man gerade mal ein paar Wochen frei hat. Wehmütig erinnert man sich dann an die anspruchsvollen Qualitäts-Programme aus der eigenen Kindheit: sehbehinderte Löwen in Daktari, geistesgestörte Känguruhs in Trickfilmzeit mit Adelheid oder verstockte Torfnasen in Was bin ich?, die sogar für das mutwillige Verschweigen ihres Berufes ein häßliches Sparschwein mit Kleingeld für den Zigarettenautomaten vollgestopft bekamen. Das war Unterhaltung mit Schmackes – aber heute? Gibt es etwa keine guten Ideen mehr? Nun, ganz so einfach ist es nicht. Clevere Konzepte existieren schon, aber leider hat Gott vor die Ausstrahlung noch die Sender und ihre Unterhaltungsredaktionen gesetzt – in der freien Medienwildbahn so etwas wie die natürlichen Feinde der Kreativität. Ein Fallbeispiel: Nehmen wir einmal an, Sie hätten eine ganz tolle Jahrhundert-Idee, so eine zwischen Wetten daß …? und Peep! Wem könnte man sie anbieten? Erster Versuch: den Öffentlich-Rechtlichen – und sei es nur, um sich endlich etwas von der jahrelang sinnlos eingezahlten GEZ-Kohle zurückzuholen! Beim ZDF jedoch stoßen Sie auf heftiges Desinteresse – eine innovative Idee würde das Stammpublikum der über 95jährigen nur irritieren, und außerdem machen die sowieso nicht mehr lange, da lohnt sich eine neue Show gar nicht. Also auf zur ARD, der größten Amtsstube Europas – aber dort verbringen Sie allein drei Jahre mit dem Versuch, am Pförtner 112
vorbeizukommen, der erst noch die nötigen Gesprächsanmeldungsbögen, die IdeenvorschlagsFormulare auf freier Gehaltsbasis, den gelben KonzeptInnovationszettel mit dreifachem Durchschlag und die staatlichen Teppich-Mitnutzungsbögen für die Flurüberquerung zum Intendanten ausfüllen muß. Na gut, dann eben zu den Privaten. VOX und Kabel 1 hätten große Lust, allerdings nur, wenn Sie etwas dazubezahlen. Pro 7 hat genug Geld, aber leider keine Zeit, und RTL 2 sagt, es ginge nur, wenn alles thematisch irgendwie mit möglichst perversen Geschlechtsverkehr-Praktiken zu tun hätte. So klopfen Sie bei RTL, wo man Ihr Konzept absolut großartig findet, aber ablehnt, weil es weder aus Holland noch Amerika stammt und außerdem noch nicht einmal 20 Jahre alt ist. Bei Sat 1 bekommt man Wind von dem Gespräch und kündigt an, sofort mit einer noch bunteren Kopie der Idee auf Sendung zu gehen, obwohl man keine Ahnung hat, worum es eigentlich geht – Hauptsache, man kann alle zwei Minuten einen bunten Hüpfball durchs Bild hoppeln lassen und Fritz Egner moderiert. Und in dem Fall behalten Sie Ihre Idee doch wohl lieber für sich, oder?
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DIE DUMMHEITSSPIRALE Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen. So wird jedenfalls behauptet. Und mitunter möchte man dies sogar glauben. Er hat das Rad erfunden, die Autobahn und die Geschwindigkeitsübertretung, den Rotwein und die Pastagerichte, er hat die Erde fruchtbar gemacht und das Ozonloch vergrößert, obwohl er gar nicht rankam. Das zeugt von Können und Sachverstand. Den Krieg entwickelte er genauso erfolgreich wie den Frieden, und das Penicillin mit dem gleichen Enthusiasmus wie die Dosensprühsahne. Doch war er sich immer der Folgen bewußt? Nehmen wir nur einmal den Bereich Massenmedien. Hätte der Mensch die Tageszeitung erfunden, wenn ihm bewußt gewesen wäre, daß die Männer ohnehin nur die Sportseite lesen? Oder das Telefon, wenn er geahnt hätte, wie sehr dadurch die Frauen von der Haushaltsführung abgelenkt würden? Und wären die ganzen großen TV- und Rundfunkanstalten wohl all die Jahre genauso liebevoll von ihm mit Quoten, Zuneigung und GEZ-Gebühren gefüttert worden, wenn ihm vorher jemand gesagt hätte, welch unsäglichen Scheiß ihm die undankbaren Rotzlöffel eines Tages vor den Latz knallen würden? Ein interessanter Gedanke, der allerdings wieder einmal die Grundfrage aufwirft: Was war eigentlich zuerst da – das Huhn oder das Ei? Belgien oder die Salmonellenvergiftung? Der Idiot oder derjenige, der einen dafür hält? Beginnt die Dummheit beim Trottel selbst oder bei dem, der ihn ernst nimmt? Und ist das Fernsehen nur deshalb so doof, weil man dort zu dusselig ist, es besser zu machen, oder weil man denkt, wer zuguckt ist ohnehin nur zu blöd zum Abschalten? 114
Glaubt man den zusammengenagelten Analysen jener dubiosen Beraterfirmen aus Holland und den USA, die heute in unbegründeter Arroganz über die Schicksale der modernen Superhit-Radios und Knuddel-TV-Stationen entscheiden, so ist das Publikum nichts weiter als ein sabbernder Haufen manipulierbarer Penner, der so debil ist, daß ihm ihr dahingerotztes Programm eigentlich sogar ganz recht geschieht. Kurz gesagt: ein dummes Pack – leider aber ein für die Quotenmessung als Grundlage für die eigene Gehaltserhöhung unvermeidliches Übel. Zur Strafe dafür muß man ihm nur so lange mit schrillen Jingles aus dem Trendy-Handbuch für Formatspießer oder herumhoppelnden Frisch-Frühlings-Arschgeigen in Kugelzwangsjacken den Schädel zumöllern, bis auch der letzte Hauch Verstand im Brägen aus Verzweiflung freiwillig die Resthirnrinde räumt. Und wie von Zauberhand ist irgendwann wirklich jeder genauso bescheuert, wie er von Anfang an gehalten wurde. Quod erat demonstrandum … was in diesem Zusammenhang ungefähr soviel heißt wie: Dumm fickt gut! Und zwar uns alle!
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