K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
ROLAND
HEFTE
KORBER
G E ...
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K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
ROLAND
HEFTE
KORBER
G E S C H I C H T E N UM D I E K A F F E E B O H N E
VERLAG SEBASTIAN
LUX
M U R N A U - MÖNCHEN . INNSBRUCK • BASEL
Der Vorreiter Rauwolf Durch die verkarsteten Berge vor der syrischen Stadt Aleppo zog in der sengenden Hitze eines Julitages des Jahres 1573 ein berittener Trupp jüdischer Kaufleute. Packesel trotteten hinter den ausgreifenden Pferden müde den gewundenen Bergpfad hinauf, niemand sprach ein Wort, der Staub dörrte die Kehlen. Die Spitze des Zuges bildete auf einem Araberhengst der Vorreiter und Anführer Leonhard Rauwolf, Handelsmann aus Augsburg. Seine Augen blickten gespannt über die gelbe, fast tote Steinwüste. Huschte da nicht eine Gestalt hinter den Kakteen zu dem einsamen Fels am Paß? Rauwolf parierte sein Pferd. Hinter ihm wurden ungeduldige Rufe laut: ,,He, Deutscher, was i s t ? " Der Vorreiter hob die Hand, deutete nach vorn und legte den Finger an die Lippen. In diesem Augenblick dröhnte ein Muekelenschuß durch das Tal. Um den Fels breitete sich eine kleine weiße Pulverdampfwolke. Die Männer sahen angestrengt in die Schußrichtung, ein Pferd bäumte sich auf, dann krachte es auch von den Hügeln rechts hinter ihnen. Der Trupp war in eine Falle gegangen. Die Männer sprangen aus den Sätteln, suchten Deckung hinter den Leibern ihrer Tiere, zogen die Pistolen und erwarteten den Gegner. Es war nicht das erste Mal auf dieser Handelsfahrt, daß sie einen Überfall der Kurden abwehren mußten. Rauwolf hatte deshalb für seine Leute einen guten Schutz gegen Sehwerthieb und Lanzenstich ausgedacht: dicke Polster aus Pflanzenpapier, die unter dem Wams getragen wurden. Manchen von ihnen hatte dieser behelfsmäßige Panzer schon das Leben gerettet. Gegen Musketenkugeln aber half die Wattierung nicht. Die Wegelagerer gingen zum Angriff vor. Mit wildem Geschrei kamen sie, jede Sandmulde ausnutzend, näher. Als sie in Schußnähe heran waren, gab Rauwolf Feuerbefehl. 2
Wenige Augenblicke später war der Hang freigefegt. In jäher Flucht verschwanden die kurdischen Strauchritter im Felsengewirr. Als Rauwolfs Trupp sich sammelte, ergab sich, daß keiner verletzt war. Nur eines der Pferde hatte sich im Kampfgetümmel davongemacht. Drei Leute wurden ausgeschickt, den Ausreißer einzufangen. Dann zog die Karawane hinauf auf den Paß und richtete ein sicheres Lager für die Nacht. Wachen wurden ausgestellt, denn nicht nur räuberische Kurden, sondern auch Wölfe machten die Gegend unsicher. Rauwolf streckte sich wohlig aus. Ein herrlicher Duft zog über ihn hin; auf dem Feuer kochte der Tiegel mit dem erfrischenden, bitteren „Chaube". Die Männer saßen in der Runde und ließen die zinnernen Becher kreisen, jeder nippte ein Schlückchen von dem tiefschwarzen Sud. An diesem Abend notierte der Augsburger Arzt Leonhard Rauwolf, der in der Verkleidung eines armenischen Händlers ausgezogen war, um nach Bagdad zu gelangen und von dort aus einen Handelsweg nach Indien zu erkunden, in sein Reisebuch: „Unter anderem haben die Syrer ein gutes Getränk, Chaube genannt, das ist beinahe wie Tinten so schwarz. Zu dem Wasser nehmen sie Früchte, die von den Einwohnern Bunnu genannt werden, die sind mit zwei dünnen Häutchen umgeben.' 1 Am 12. Februar 1576 kehrte Rauwolf nach drei abenteuerlichen Reisejahren aus dem Orient wieder in seine Heimatstadt Augsburg zurück. Hier schrieb er das Buch über die „Raiß in die Morgenländer". In dieser Reisebeschreibung berichtete er als erster Europäer von der orientalischen Sitte, Kaffee zu trinken. Denn der „Chaube'", den Rauwolf erwähnte, war nichts anderes als unser Kaffee.
Verhexte Ziegen Um den Kaffee kreisen viele Märchen, Sagen und Legenden des Orients. Eine der ältesten Geschichten spielt in dem Derwischkloster Schehodet, das auf einem Hügel unweit des Roten Meeres liegt. Damals, als die Geschichte geschrieben wurde, war es nicht anders als heute: Die Welt um Schehodet gehörte Allah. Seine frommen Jünger lebten hier in karger Einsamkeit. Zur le-
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benden Gemeinschaft der Derwische gehörte auch eine Herde von Bergziegen. Durch Hirten betreut, ernährten sie sich von den spärlichen Sträuchern und Halmen, die an den Flanken des Hügels wuchsen. Eines Nachts geschah das Sonderbare: Die Ziegen, die gewohnt waren, sich nach Sonnenuntergang behäbig zur Ruhe zu legen, blieben zum großen Erstaunen aller hellwach. Sie kletterten, meckerten, fraßen und rannten durcheinander. Die Herdenbetreuer, ihrer Nachtruhe beraubt, waren ratlos und dachten, böse Geister hätten die Tiere verhext. Als sich das lärmvolle und ärgerliche Gebahren auch in den folgenden Nächten wiederholte, eilten die Hirten zu den Derwischen. Aber die Derwische glauben nicht an die Verzauberung durch Geister und schickten einen der Ihren hinaus an den Berg, damit er die Ziegen beobachte und der Sache auf den Grund gehe. Der Abgesandte fand bald heraus, daß die Tiere mit großer Gier die roten Beeen eines grünblättrigen Strauches fraßen. Nie hatte man bisher den Slräuchern Beachtung geschenkt, main kannte nicht einmal ihren Namen, und kein noch so dickes Buch über die Pflanzenwelt der Wüsten und Oasen gab Auskunft darüber. Die Derwische schüttelten die Köpfe. Sollten die roten Kirschen berauschende Gifte enthalten? Man brachte einen becrentragenden Zweig dem Prior. Als der Vorsteher der Gemeinde an diesem Abend in seiner Kammer saß, ließ er den Zweig mit den glatten Früchten durch seine Hände gleiten und dachte nach. Er zupfte eine Beere heraus, zerquetschte sie zwischen den Fingern und führte eine kleine Probe zum Munde. Das Fleisch schmeckte nicht sehr verlockend. So prüfte er auch die Kerne, hielt sie zum offenen Licht, drehte und wendete sie, und dabei fiel einer der Samenkerne neben die offene Flamme der ölleuchte. Ein feiner Qualm stieg aus der Frucht und erfüllte als berückender Duft den Raum. W a r es Allah, der dem Gemeindevorsteher eingab, auch mit den anderen Kernen so zu verfahren und sie von der Flamme rösten zu lassen? Jedenfalls schien er ergründen zu wollen, wo das Gift verborgen war, das seine Ziegen behexte, und wo die Quelle des lieblichen Duftes lag, der ihn selber betörte. Vom Koch ließ er einen Mörser herbeischaffen und zerrieb darin die angekohlten Kerne. Den Staub kochte er in einem wassergefüllten Kessel.
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„Ich werde es trinken und an mir selbst erproben", dachte er und schluckte den heißen Aufguß. Dann legte er sich auf den Diwan und lauschte in sich hinein. Nicht lange währte es, da fühlte er, daß das Herz in seiner Brust sich dehnte und schneller schlug. Die Glieder wurden leicht, und der Geist verlor alle Müdigkeit der Nacht. Da weckte er die Brüder auf und ließ sie kosten. Und, o Wunder, alle fühlten das gleiche wie er. Sie lobten Allah ob seiner Größe. Von diesem Tage an wurde „Kawah", das ,Erhebende', zum Getränk der Frommen, wenn sie wach bleiben mußten zu nächtlichen Gebetsübungen . . .
* Nach dieser orientalischen Sage liegt die Urheimat der Kaffcepflanze am Roten Meer. Die arabischen Länder sind jedoch nur die zweite Heimat des Kaffees. In sein eigentliches Herkunftsland, Kaffa in Abessinien, wo er heute noch wild wächst, gelangten Europäer erst sehr spät.
Wo der Kaffee in Wirklichkeit herkommt „Ich, der siegreiche Löwe Menclik IL, durch die Gnade Gottes König der Könige von Abessinien, gebe dem Herrn Friedrich Bieber und dem Baron Mylius aus dem Lande Österreich meine Einwilligung, bis in das Land Kaffa zu gehen und wieder zurückzukommen hierher nach Addis Abeba. Meine Landesfürsten sollen ihnen erlauben, zu gehen und zu kommen, wie es ihnen beliebt, und sie gut geleiten. Ich gebe ihnen meine Einwilligung, alle wilden Tiere, ausgenommen den Elefanten, zu jagen; niemand soll es ihnen also verbieten! Von Elefanten dürfen sie nur einen töten. Geschrieben am 16. Tage Magabit, im Jahre des Heils 1905, in der Stadt Addis Abeba." Dieses Handschreiben des abessinischen Kaisers wurde noch am Tage der Ausfertigung dem Afrikaforscher Friedrich Julius Bieber aus Wien und seinem Gefährten Alphons Freiherr von Mylius, dem Großwildjäger, durch einen Boten überbracht. Die beiden Männer warteten schon seit Tagen in der Hauptstadt Addis Abeba ungeduldig auf die Erlaubnis des Negus, den abes5
sinischen Landesteil Kaffa, das untergegangene „Reich der Kaisergötter", zu betreten. Noch kein weißer Forscher war bisher in dieses Bergland im Süden Abcssiniens eingedrungen, das mit seinen versunkenen Kulturbauten zu den interessantestne Län- 1 dein der Welt gehört. Mit vierzig einheimischen Begleitern, zwanzig Lastmaulticren und sieben Reittieren brachen die Europäer am 18. April 1905 nach Süden auf. Nach langen Märschen erhoben sich vor ihnen „unzählige Berge — Rücken an Rücken und bis zur Höhe von etwa dreitausend Metern emporragend, mit dichtem Urwald bewachsen, ein gigantischer Anblick". Als sie den Grenzfluß Godscheb überquert hatten, betraten sie das geheimnisvolle Land. Friedrich Julius Bieber entdeckte hier in Kaffa die Urheimat des „arabischen" Kaffees und hat darüber geschrieben: „Von ferne hörten wir das Brausen und Rauschen eines W a s sers. Mylius und ich gaben den Trägern den Befehl, uns zu diesen Wassern zu führen. Unsere Leute verweigerten die Begleitung. Senigoff, der Leiter unserer Karawane, erklärte uns, daß sie alle dieses Wasser — es soll ein großer Wasserfall sein — mit Ängstlichkeit mieden. Denn dort seien die Seelen ihrer Väter versammelt. Keiner dürfe den Wasserfall sehen, man scheue sich sogar, von ihm nur zu sprechen. Er erzählte uns, daß sich in unmittelbarer Nähe des Wasserfalles eine Richtstätte befunden habe. So legten Mylius und ich die letzte Strecke allein zurück. W i r waren begeistert von dem herrlichen Anblick, der sich uns bot. Ober eine zwanzig Meter hohe und achtzig Meter breite Basaltwand stürzt dort der Fluß niagaraartig unter ohrenbetäubendem Rauschen in ein weites Becken. Eine überaus reiche Urwaldvegetation mit Palmen und hohen Laubbäumen begrenzt die Ufer. Auf einem Hügel konnten wir noch die alte Richtstätte der Kaffitscho, der Altbewohner von Kaffa, feststellen. Außer einigen verkohlten Baumstämmen und einer halb vermoderten Trommel war nicht mehr viel zu sehen. Hier oben wurden alle jene Kaffitscho, die sich gegen die ehernen Gesetze des Landes schwer vergangen hatten, verurteilt und für ihren letzten Gang ins Jenseits vorbereitet, um dann mit einem auf den Rücken gebundenen Stein über die hohe Basaltwand hinab in die Fluten gestürzt zu 6
Kaffeebaum in voller Blüte
werden. Nur den Richtern selbst und deren Dienern war es gestattet, den Wasserfall zu sehen. Der Weitermarsch unserer Karawane durch den Dschungel des Urwaldes wurde äußerst mühsam. Oft verlor sich der Weg, kaum daß er wieder zu finden war. Vom frühen Morgen bis in die, späte Nacht führte der tägliche Marsch. Oft überquerten wir Flußläufe, dann ging es hoch hinauf über steile Bergesrücken und wieder hinunter in Täler und Schluchten. Die Regenzeit hatte nun erst richtig eingesetzt. Kaum einige Stunden am Tage waren regenfrei. Die Nebel durchwallten die Wälder, und die Pfade wurden immer unwegsamer. Aber es ging weiter vorwärts, es gab kein Zurück. Hier entdeckte ich einen seltsamen Strauch, das Unterholz des Urwaldes. Hier oben, im Hochland von Kaffa, wächst dieser wertvolle Strauch, der Kaffeestrauch, vollkommen wild. Kaffa ist seine Urheimat. Mir wurde bewußt, daß aus dem Lande hier,
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aus Kaffa in Innerafrika, der Name des wertvollen, auf der, ganzen Welt so geschätzten Getränkes, des Kaffees, stammte. Auf Strecken von hundert bis zweihundert Kilometer hin, überall, wohin das Auge nur blickte, bestand das Unterholz des Urwaldes aus den wilden Kaffeesträuchern. Mühelos sammelte zur Zeit der Reife der Kaffitscho den Kaffee. Freilich nur die gerade notwendige Menge, alles andere ging zugrunde. Millionen von Tonnen vorzüglichen Kaffees vermoderten, verfaulten hier oben auf dem Grunde des Urwaldes."
Kaffee erobert den Orient Niemand weiß genau, wann die Kaffeepflanze ihre Wanderung aus den Urwäldern Kaffas in die arabischen Länder angetreten hat. Das abessinische Wildgewächs ist \vohl kaum vor dem 15. Jahrhundert nach Arabien verpflanzt worden. Seit dieser Zeit verbreitete es sich schnell; das Getränk wurde zunächst in den öffentlichen Bethäusern ausgeschenkt, um den Geist der zu Allah Flehenden von unruhigen Gedanken zu reinigen und ihn während der langdauernden Gebetsstunden rege zu halten. Allah hatte den Menschen durch seinen Propheten Mohammed den Genuß des Alkohols untersagt, da der Wein die Sinne und den Willen einschläferte. Das Kaffeegetränk aber verhalf zur Wachsamkeit und erregte die inneren Kräfte. Als der Genuß zur Leidenschaft zu werden drohte, wetterten Kalifen und Schriftgelehrte gegen die Süchtigen, die „das dunkle Gebräu zu ihrem Götzen erhoben haben und über dem Genuß Allah, den P r o pheten und die Gebote des Korans vergaßen." Der Streit um die Frage, ob der Genuß des „ K a w a h s " dem Willen und Gesetz Allahs entspreche, ging in der islamischen Welt lange hin und her. Die Anhänger des schwarzen Getränks trugen schließlich den Sieg davon.
Die ersten Katfeehäuser Im Jahre 1554 wurden in Konstantinopel, das ein J a h r h u n d e r t vorher in die Hände des Islams gefallen war, die ersten Kaffee-
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hüuscr eröffnet. Vergeblich versuchte der Großmufti im Jahre 1568 noch einmal, dem Siegeszug des Kaffees Einhalt zu gebieten; Araber und Türken, die den Wein entbehren mußten, waren schon so sehr dem Genuß des Kaffees verfallen, daß alle Verbote von höchster Stelle wirkungslos blieben. Venedig, seit dem Mittelalter der große westliche Umschlagplatz für alle Waren und Genußmittel des Orients, hat dem Kaffee den Weg von Konstantinopel in den Westen bereitet. Hundert Jahre nach den Türken begannen auch die Venezianer dem Kaffee Geschmack abzugewinnen. Ein vorausschauender Handelsmann der Lagunenstadt hieß im Jahre 1647 die ersten Gäste in seinem Kaffeehaus willkommen, zu dessen Eröffnung er soeben vom Rate der Stadt die Genehmigung erhalten hatte. Wo hätte die erste „Cafeteria" Venedigs anders stehen können als am Markusplatz, dem unvergleichlichen Handels- und Prunkplatz der seemächtigen Republik! In kurzer Zeit bildete sich in diedem Viertel der Kauf- und Handelshäuser und Staatsgebäude eine Zunft von Kaffeehausbesitzern. Der Besuch in der „Cafeteria" wurde zur Mode. Die Kaffeeausschenker und die Pastetenbäcker, die sich mit ihnen zusammentaten, waren zumeist Schweizer aus den entlegenen Bergtälern des Engadin. Sie hatten ihre Heimat verlassen, da das Bergland sie nicht alle ernährte und die Großstadt Venedig ihnen Erwerb und Verdienst versprach. In Europa folgte 1650 die Eröffnung eines englischen Kaffeehauses in der kleinen Universitätsstadt Oxford. Auch in der Hafenstadt Marseille fand sich schon bald ein unternehmungslustiger Kaufmann, der sein Geld in ein Gasthaus mit Kaffeeausschank steckte. Die Gäste, mit denen er vornehmlich rechnete, waren die Herren der berühmten Marseiller Börse. Auch die Standesherren und Bürger von Hamburg hatten im gleichen Jahrzehnt die Möglichkeit, sich in einem hübschen Kaffeehaus ein Schälchen des aromatischen Trunks zu genehmigen. „Doch sind die Deutschen noch nicht so recht für den Genuß zu h a ben", schreibt ein begeisterter Kaffeetrinker bedauernd in dieser Zeit. „Sie sind zu sehr verroht durch den Dreißigjährigen Krieg und saufen ganze Fässer von Wein und Branntwein.".
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Die Tat des Polen Kolschitzky und ihr Lohn Im Jahre 1683 belagerten die Türken Wien. Ein riesiges Heer umschloß seit Wochen die Kaiseistadt. Anfang August wütete die Ruhr unter den Bürgern. Medikamente fehlten, Schmalhans war Küchenmeister. Noch immer war keine Hoffnung auf Entsatz. Die Stimmung sank von Tag zu Tag. Schon redete man hier und da von Übergabe der Stadt. Irgend etwas mußte geschehen, um den Bürgern wieder Mut zu machen. Da erschien vor dem Stadthauptmann Starhemberg der Pole Georg Kolschitzky. Er wolle versuchen, so erklärte er, mit seinem Diener in türkischen Kleidern durch den Belagerungsring das Entsatzheer zu erreichen. Da Kolschitzky unter den Türken lange als Dolmetscher gelebt hatte und ihre Sprache und Bräuche kannte, ging man auf sein Anerbieten ein, und tatsächlich verstand er es, die Osmanen geschickt zu täuschen. Lauthals türkische Lieder singend, durchwanderte er die Stellungen der Belagerer, die ihn für einen frommen Anhänger Allahs hielten; man bewirtete ihn mit duftendem, heißem Kaffee, den er bis dahin noch nicht gekannt hatte, und bot ihm freundliches Geleit bis zu den Lagertoren. Unbehelligt brachte er die Briefe, die über die verzweifelte Lage Wiens berichteten, ins Eeldhcrrnquartier der anrükkenden deutschen und polnischen Truppen. Mit der Zusicherung schneller Hilfe begaben sich Kolschitzky und sein Gefährte auf den Rückweg. Diesmal konnten sie nur mit knapper Not argwöhnischen türkischen Wachen entgehen. Endlich passierten sie erschöpft das Schottentor der Hauptstadt. Sogleich wurden Raketen abgeschossen, Zeichen für das Entsatzheer, daß Kolschitzky seinen Auftrag glücklich erfüllt hatte. Die Kunde, ein großes Heer rücke zur Rettung Wiens heran, gab den Wienern Hoffnung. Tapfer überstanden sie die letzten Wochen des Türkensturms. Als die deutschen und polnischen Verbände nach wechselvollen Kämpfen den Angriffsring sprengten und die Belagerer in die Flucht schlugen, fielen ihnen Tausende von Zelten und die gefüllten Nachschub- und Waffenlager des Gegners in die Hände. Allein zwanzigtausend Rinder, Unmengen von Honig, Reis und Feit fand man vor, und die Halbverhungerten taten sich gütlich daran. Nur mit den fünfhundert 10
Säcken, die mit eigenartigen harten Bohnen gefüllt waren, wußte man nichts anzufangen. Man hielt sie für Kamelfutter. Die bayrischen Dragoner, denen sie als Beute zugefallen waren, begannen das Zeug zu verbrennen. Als die Duftschwaden des brennenden „Kamelfutters" aufstiegen, erinnerte sich Kolschitzky des wohlschmeckenden Gastgetränks, mit dem man ihn und seinen Begleiter im Türkenlager bewirtet hatte. Er eilte zum Bürgermeister der Kaiserstadt und erbat sich die unnützen Bohnen zum Geschenk. Da man ihm als Belohnung für seine Kriegstat das Bürgerrecht verliehen hatte, gewährte man ihm zuvorkommend die bescheidene Bitte. Auch sein Antrag, das erste Wiener Kaffeehaus errichten zu dürfen, wurde genehmigt. Mit diesem Tage begann die ruhmreiche Tradition des „Wiener Cafes".
Kaffee gedeiht auch anderswo In der Zeit, als die Türken mit dem Ansturm auf Wien vergeblich das Tor in die Mitte Europas aufzustoßen versuchten, wuchs das kleine Holland zur größten See- und Kolonialmacht Europas auf. Tausende von niederländischen Schiffen waren unterwegs, um die Verbindung zu den indonesischen Inseln Sumatra, Celebes und Java aufrecht zu erhalten. Die mächtige holländische Handelskompanie handelte vor allem mit Pfeffer und Nelken. Im Jahre 1690 brachten Seeleute, die mit einem Segler vor der arabischen Küste geankert hatten, als Kuriosität einige Kaffeesträucher mit nach Amsterdam. Man pflanzte sie in Gewächshäuser ein und bestaunte die Kirschen, deren Kerne den köstlichen Kaffee lieferten. Vielleicht haben diese Sträucher einige holländische Kaufleute auf den Gedanken gebracht, Kaffee auch nach Indonesien zu verpflanzen, wo schon bald die Plantagen gute Ernten eintrugen; um 1700 belieferten die dortigen Besitzungen der Holländer in überwiegendem Maße den europäischen Kaffeemarkt. Ein Abkömmling der Gewächse aus den Amsterdamer Treibhäusern wanderte auch nach Frankreich. Im Jahre 1714 überreichte der Bürgermeister von Amsterdam König Ludwig XIV. eine Kaffeepflanze zum Geschenk. Ludwig XIV. wußte die kost11
Georg Franz Kolschitzky, als Türke verkleidet
bare Gabe wohl zu schätzen und gab sie seinem besten Gärtner in Pflege und Zucht. Schon sein Nachfolger, Ludwig XV., war in der Lage, seinen Gästen Kaffee, der in den Gewächshäusern des Hofes gediehen war, vorzusetzen; sechs Pfund erntete der Hofgärtner im Jahr von den Treibhauspflanzen. Der Kaffee wurde jetzt auch in Frankreich zum Getränk der Vornehmen. Von den Kaffeepflanzungen in den Gärten des Königs erfuhr auch ein im fernen Martinique stationierter Offizier mit Namein Desclieux. Er wußte, daß die Holländer in Indonesien, in einer Gegend also, wo die klimatischen Verhältnisse denen auf Martinique entsprachen, mit viel Erfolg und Gewinn Kaffee anbau12
ten. Warum sollte den Franzosen nicht das gleiche gelingen, was die Holländer erreicht hatten! Desclieux hoffte, ein Pflänzchen aus der einzigen Zucht, die sich damals in Frankreich befand, in die Hände zu bekommen. Er fuhr nach Paris zu seinem König und trug seinen heimlichen Plan vor: Kaffee sollte den Ruhm und die Macht Frankreichs vergrößern. Doch der Hofbotaniker des Königs hielt nichts von der Sache. Desclieux gab nicht nach und steckte sich hinter den Leibarzt des Königs, und dieser weitsichtige Mann ließ sich überzeugen. Ohne Wissen des Königs verschaffte er Desclieux einen Schößling aus dem königlichen Garten. Geschwind schiffte sich der Kolonialoffizier wieder ein. Er hatte sich für die wertvolle Pflanze einen Glaskasten konstruiert, der Schutz vor allen Fährnissen der Reise bieten sollte. Obwohl er den Schatz wie einen Augapfel hütete, fand er eines Tages,; als seine Aufmerksamkeit für kurze Zeit abgelenkt war, den Hauptzweig gebrochen. W a r die Hand eines holländischen Spions und Konkurrenten im Spiel? Oder hatten Neugierige sich an dem Glaskasten zu schaffen gemacht? Desclieux nahm sich vor, den Glasbehälter nicht mehr aus dem Auge zu lassen. Aber das Unglück schien ihn zu verfolgen. Eines Tages störte ihn heftiger Kanonendonner aus der Hängematte auf. Desclieux griff den Glaskasten und eilte an Deck, gerade in dem Augenblick, als eine Kugel in die Takellage fuhr. Die herabstürzende Großmarsrahe zertrümmerte die Scheiben. Vor lauter Ärger merkte Desclieux gar nicht, daß sein Schiff im Kampf mit afrikanischen Seeräubern lag. Noch einmal ging alles gut: Ein spanisches Kriegsschiff kam im letzten Augenblick den Bedrängten zu Hilfe und zwang die Afrikaner zum Abdrehen. Desclieux bastelte aus den Scheibenresten einen neuen Schutzbehälter. Kaum glaubte er seinen Pflanzenschützling in Sicherheit, als über das Schiff ein Sturm herfiel, den der Teufel bestellt zu haben schien. Wassermassen fegten über Deck und zerschlugen alles, was nicht niet- und nagelfest war. Von dem Behälter blieben nur klägliche Reste zurück. Als der Sturm sich legte, hielt Desclieux ein mit Salz völlig verkrustetes Pflänzchen in seinen Händen. Aber es lebte noch, gefährdet von der glühenden Sonne und dürstend, da die Wasser13
Vorräte an Bord knapp geworden waren. Desclieux teilte mit ausgetrockneter Kehle jeden Tropfen des zugemessenen Nasses mit seinem Schützling. Endlich kam die westindische Insel Martinique in Sicht. Alle Mühsal war vergessen. Die Kaffeepflanze hatte eine neue Heimat erreicht und schlug Wurzeln auch in der Neuen Welt.
Der Sprung nach Südamerika Die Kaffeepflanze wanderte weiter um den Erdhall. Als die Franzosen in ihr südamerikanisches Besitztum in Guyana Schößlinge von der Insel Martinique einführten, füllten auch hier die Ernteerträge hald die Kassen der Plantagenbesitzer. Und schon begannen auch die Holländer in ihrem Teil von Guyana Kaffee anzubauen. Bald tobten unter den benachbarten Plantagenbesitzern heftige Konkurrenzkämpfe. Argwöhnisch bewachte man die Grenzen von Kolonie zu Kolonie. Da wieder einmal Holländer und Franzosen sich um einen für den Anbau besonders fruchtbaren Grenzstreifen stritten und die Streithähne sich nicht einigen konnten, holte man schließlich als Schiedsrichter einen neutralen Brasilianer. Er schlichtete den Streit und gab zur Versöhnung ein großes Fest. Heimlich überreichte die Gattin des französischen Gouverneurs dem Friedensstifter zum Dank ein paar reife Kaffeekirschen, obwohl auf deren Ausfuhr die Todesstrafe stand. Aus diesen wenigen Kaffeekirschen, so behaupten die Brasilianer, sind im Laufe der Jahrzehnte die drei Milliarden Kaffeebäume ihres Landes hervorgegangen.
Brasilien wird KaffeeweHmacht Nr. 1 Genau liegt das J a h r nicht fest, in dem die ersten Kaffeekirschen in den Boden Brasiliens gesenkt wurden. Die Brasilianer nennen das J a h r 1726, in Wirklichkeit wird es ein paar Jahre später gewesen sein. Doch schenkten die Bewohner der Kaffeepflanzc zunächst wenig Beachtung, denn Brasilien lebte< 14
in diesem Jahrhundert vom Zuckerrohr, dessen Preise man nach eigenem Ermessen festlegen konnte. Dann aber griff die Weltgeschichte in die Entwicklung ein. Die Negersklaven von Haiti, der besten französischen Kaffeekolonic in Westindien, hatten die Freiheitsparolen der französischen Revolution auf ihre Fahnen geschrieben und nahmen sie für sich und auf ihre Weise in Anspruch: Haiti sollte allein den Negern gehören! Sie machten die Weißen nieder und vernichteten die Kaffceplantagen, auf denen sie ihr Leben lang Fronarbeit geleistet hatten. Frankreichs Vormachtstellung im Kaffee-Export schwand mit dem Verlust seiner Haiti-Plantagen. Fast zur gleichen Zeit schloß Napoleon das europäische Festland gegen den englischen Handel ab. Auch die Handelsbeziehungen zu anderen Ländern wurden unterbrochen. Brasiliens Hohrzuckerernten stapelten sich in den Häfen und erreichten die Verbraucher in Europa nicht mehr. Brasilien, seiner Hauptcrwerbsquelle beraubt, stellte sich ganz auf den Kaffee um. Die Voraussetzungen waren günstig: Klima und Boden waren für Kaffeepflanzungen aufs beste geeignet. Billige Arbeitskräfte, genügsame Negersklaven, standen reichlich zur Verfügung. Die brasilianischen Plantagenbesitzer hatten zudem ein besseres Verhältnis zu ihren Negern als die Franzosen und brauchten Aufstände nicht zu fürchten. So wuchs von Jahr zu J a h r in. Brasilien die Fläche der Kaffeeplantagen. Hauptabnehmer der Ernten waren die Vereinigten Staaten, wo sich die Bürger seit der Lösung vom Mutterland England auch vom englischen Nationalgetrank, dem Tee, losgesagt und auf den Kaffeegenuß umgestellt hatten. Als das Napoleonische Zeitalter vorüber war, öffneten sich auch die Häfen Europas der Kaffeeeinfuhr aus Brasilien, wo immer größere Arbeitskolonnen in die unberührten Urwälder zogen, um neue Pflanzungen anzulegen. Den besten Kaffeeboden wies der Bundesstaat Sao Paulo auf. San tos wurde zum Kaffeehafen der Welt. „Santos" wurde auch der Name für den Kaffee, der Europa überschwemmte. Die Erträge kletterten in schwindelnde Höhen. Wenige Jahre vor dem ersten Weltkrieg lieferte Brasilien über 95 Prozent der Wcltproduktion, Brasilien diktierte den Kaffeepreis, wie es früher den Rohrzuckerpreis bestimmt hatte. 15
Und wieder wandert der Kaffee Auch heute noch steht Brasilien an der Spitze aller Kaffeeländer; aber es befriedigt nur noch etwa fünfzig Prozent des Weltkaffeebedarfs, und die Zeiten sind längst vorbei, in denen das Land als uneingeschränkter Herrscher auf den Kaffeemärkten auftreten konnte. Auf der Weltrangliste der Kaffeeerzeuger ist Kolumbien an die zweite Stelle gerückt und spricht ein gewichtiges W o r t mit. Es folgen Mexiko und Mittelamerika, Länder, die dem Großabnehmer Nordamerika viel näher liegen als Brasilien. Die kürzeren Transportwege waren mitbestimmend dafür, daß man in Mexiko Kaffee anzubauen begann. Vor allem aber förderten die günstigen Klimabedingungen die Kaffeekulturen. In den Höhenbereichen um 1000 Meter, wo das ganze J a h r hindurch quellklares Gebirgswasser vorhanden ist, gedeiht ein besonders edler Kaffee, der den brasilianischen Kaffeesorten in vielem überlegen ist.
Kleine Bohne ganz groß Die Kaffeefrucht sieht äußerlich in Größe und Farbe einer Kirsche sehr ähnlich, sie ist jedoch nicht rund, sondern ein wenig oval. Unter der Außenhaut liegt ein süßlich schmeckendes gelblich-weißes Fruchtfleisch. Das Fleisch wird von den Samenkernen, den Kaffeebohnen, durch einen häutigen Fächer abgetrennt, die „Pergamentschiclit"; die Kerne sind noch von einem weiteren Schutzgewebe umgeben, dem seidenpapierdünnen „Silberhäutchen". Drückt man eine Kaffeekirsche mit den Fingern auseinander, dann stößt man im allgemeinen auf zwei mit ihrer flachen Seite aneinanderliegende Kerne, die „Flachbohnen". Ist jedoch nur ein Samenkern in der Kirsche, so nimmt er rundliche Form an und wird zur „Perlbohne". Seltener sind die ein wenig kantigen Bohnen, die aus Kirschen mit drei bis sechs Kernen stammen. Wie bei allen Früchten kennt der Fachmann auch hier noch eine Reihe von Mißbildungen und Abarten. Diese „Fehlbohnen" dürfen nicht in die zum Versand bestimmten Kaffeesäcke gelangen, da sie je nach ihrem Zustand, wie etwa die „Stinker", den Geschmack verderben. 16
Kaffeepflücken verlangt geschickte Hände
Saat und Ernte Der Pflanzer, der eine Kaffeeplantage anlegt, hat meist einen harten Kampf mit dem Urwald zu führen. Aber der Urwaldboden ist besonders geeignet; er enthält all die wertvolle Nahrung, die eine Pflanzung braucht, und ist die sicherste Gewähr dafür, daß das kostspielige Unternehmen kein Fehlschlag wird. Mit großem Aufwand gehen die Großpfianzcr vor, mit den Hilfskräften der Familie und vielleicht auch mit Unterstützung der Nachbarn rücken die kleinen Pflanzer den Biesen der Wälder 17
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zu Leibe. In das Gewirr des Unterholzes und der Stämme w i r d eine Gasse geschlagen, und dann beginnt nach beiden Seiten die Rodungsarbeit. Wenn die mächtigen Bäume gefällt sind, übernimmt das Feuer die weitere Arbeit. Alles Gehölz wird unter dem fressenden Brand zu Asche, die indes für den Boden die beste Düngung ist. Wochenlang lodert, schwelt und qualmt es in dem vorgesehenen Revier. Sorgsam muß durch Anlegen von Kahlstellen darauf geachtet werden, daß das Feuer nicht auf benachbarte Waldstrecken übergreift, damit unvorstellbare Brandkatastrophen verhindert werden. Dann endlich — nach langer Vorarbeit und Wartezeit — ist es soweit, daß der Boden für die Aufnahme des Samens vorbereitet werden kann. Was noch an verkohlten Baumresten im Wege liegt, wird mit Traktoren oder Gespannen herausbefördert, und schon beginnen die Pflüge durch den Boden zu wühlen. Mit Maschinen oder in Handarbeit werden in schnurgeraden Reihen und in Abständen von etwa drei Metern die kleinen Pflanzlöcher ausgehoben, dreißig Zentimeter tiefe Erdtrichter. In jedes Pflanzloch kommt eine gute Handvoll Kaffcckirschcn und wird mit Erde bedeckt. Der nahrhafte Boden läßt die Pflänzchen schon bald ans Licht sprießen. Es gehört viel Erfahrung dazu, in diesem Zeitpunkt die guten Kaffeepflänzchen von den Versagern zu unterscheiden. Alles, was sich nicht bewähren wird, muß ausgemerzt werden, damit nur die kräftigsten Pflanzen zu Bäumen heranwachsen! Eitles Tages steht dann, in Reih und Glied ausgerichtet, eine kilometerlange Baumhecke neben der andern. Wie eine riesige Baumschule sieht das Ganze aus. Nun heißt es viel Geduld haben, denn die erste Ernte kann frühestens im vierten Jahre erwartet werden, und auch dann ist es nur wenig, was der junge Baum einbringt. Erst vom sechsten Jahre an darf der Farmer mit einem Pfund bis zwei Kilo Kaffee je Baum rechnen, je nach der Güte des Bodens. Durchschnittlich erbringt ein Hektar zwei bis zweieinhalb Zentner Kaffee. Wenn die Erntezeit herangerückt ist, legt man große Tücher unter die Bäume, und dann gehen die Arbeiter mit kräftigen Knüppeln von Baum zu Baum, schlagen gegen die Äste, damit 18
die reifen Früchte herabfallen, oder streichen mit der Hand über die Zweige. Große Siebe sind aufgestellt, in denen Sehmutz, Zweige und Blätter ausgeschieden werden. Die Pflücker tragen die gereinigten Kirschen in großen Körben zu den vorbereiteten Trockenplätzen. Hier übernimmt die Sonne die weitere Arbeit: Die Kirschen trocknen aus. Gefährlich aber sind die kühlen Nächte; deshalb schaufeln die Arbeiter, sobald der Abend anbricht, die Kaffeeberge in schützende Behälter am Band der Trockenplätze, häufen sie dort auf und decken sie mit Zeltbahnen ab, damit die Früchte nicht zu sehr auskühlen. Anderntags werden sie wieder unter der Sonne ausgebreitet. Und eines Tages beginnen die trockenen Früchte beim Umschaufeln heftig zu rasseln. Es ist das sicherste Zeichen dafür, daß der Trocknungsvorgang beendet ist. Die Kaffeekirschen kommen jetzt in große Maschinen, die sie quetschen und das trockene Fruchtfleisch, die Pergamenthaut, und den größten Teil des Silberhäutchens beseitigen. Die Bohnen, die zurückbleiben, werden noch einmal ausgesiebt und verlesen und dann in Säcke verpackt. Das ist die Aufbereitung des Kaffees nach dem Trockenverfahren. Überall dort, wo fließendes Wasser reichlich vorhanden ist, behandelt man den Kaffee nach einer umständlicheren Methode, die aber auch viel bessere Kaffeesorten einbringt. Geeignete Gebirgswässer gibt es vor allem in den Hochländern, in Mexiko, Mittelamerika, in Kolumbien und in Afrika an den Hängen des Kilimandscharo. Die Bergpflanzungen bieten ein ganz anderes Bild als die sogenannten Trorkenplantagen. Oft kleben die W o h n und Wirtschaftsgebäude der Pflanzer wie Adlerhorste an den Bergkuppen inmitten üppiger Höhenwälder und zwischen tief eingeschnittenen Felstälern. Das ungeübte Auge kann die Pflanzungen beim ersten Blick kaum vom Urwald der Umgebung unterscheiden. Inmitten der Plantagen recken sich einzelne Baumriesen als Schattenspender auf und filtern mit ihrem Blätterdach das Sonnenlicht. Mit ihren Schattenbäumen gleichen die Pflanzungen lichten Hainen. Unter den Wipfeln der schützenden Bäume bleiben die Kaffcepflanzen viel kleiner als in anderen Kaffeegegendcn, sie werden nur etwa zwei Meter hoch. Die Schattenspcnder schützen jedoch nicht nur vor der sengenden Sonne, sondern auch vor kühlem Luftcinfall, wie er hier in den 19
Bergregionen, vor allem bei Einbruch der Dunkelheit, immer erwartet werden muß. Wenn man über die gewundenen Bergpfade durch ein solches Plantagenland fährt, glaubt man in einem durchforsteten W a l d zu sein. Auch das Anpflanzen ist hier ganz anders als etwa in Brasilien. Die Kaffeesamen und auch die Samen der Schattenbäume werden in besonders angelegten Beeten mit kräftiger Düngung vorgezogen. Dichte Pflanzendächer schützen diese Baumschulen gegen die Hitze. Sind die Sämlinge gediehen und kräftig genug — das ist nach einem halben oder dreiviertel Jahr der Fall —, so werden sie vorsichtig in das „Kaffeetal" hinuntergebracht und dort meist in Dreiergruppen angepflanzt. Gleichzeitig kommen auch die schnell wachsenden Schattenbäume in den Boden. E r fahrenen Arbeitern obliegt es, die jungen Stauden ständig zu überwachen und ihr Wachstum sorgsam zu beobachten. Nur die kräftigsten Sträucher läßt man stehen. Zur Erntezeit, die in Mexiko vom September bis zum März dauert, sind die Pflücker ständig unterwegs und treffen ihre Auslese. Jeweils werden nur die reifen Früchte Stück für Stück vorsichtig von den Bäumchen gepflückt. Frauen und Männer steigen bergauf und bergab und legen am Tage viele Kilometer zurück, da oft auch die entlegensten Bergtäler bepflanzt sind. Sind die Rückentragen gefüllt, so geht es die gleichen Wege zurück zum „Nassbeneficio", wo der Korbzähler die Ernte prüft und den Ertrag des einzelnen Pflückers für die spätere Lohnauszahlung notiert. Der Korbzähler schüttet die Früchte in einen ständig überfließendem Wasserkessel. Die guten Kirschen sinken nach unten, die schlechtem bleiben oben und werden abgeschöpft oder weggeschwemmt. Wenn der Vorarbeiter es für richtig hält, kommen die Kirschen nochmals in einen Wasserbehälter, damit sie einen Tag quellen können. Nächste Station sind die ,,Pulper", große, angerauhte Walzen und Quetschen, die das Fruchtfleisch bis auf kleine Reste entfernen. Der Abfall, die „ P u l p a " , wandert auf große Komposthaufen, die nach längerer Lagerung einen wertvollen Dünger ergeben. Aber noch immer ist der naßbearbeitete Kaffee nicht völlig durchgearbeitet. Der Weg führt jetzt in tiefe, flache Trommeln, wo die Bohnen mindestens zwei volle Tage bleiben müssen. In 20
den Trichtern beginnen die Fruchtfleischreste, die noch an den Bohnen verblieben sind, zu gären; in einem geheimnisvollen chemischen Vorgang vollzieht sich hier das „Fermentieren: Die Kaffeebohne erhält ihre besondere Geschmacksrichtung. Nach der Gärung schwemmt man die Bohnen durch lange Kanäle, wo sie noch einmal gereinigt und zum Teil auch schon sortiert werden. Die wertlosen, leichteren Kerne, die an der Oberfläche schwimmen, können leicht abgeleitet werden. Der Kanal endet auf dem „Patio", dem großen betonierten Trockenplatz, wo die Sonne die Trocknung beginnen kann. Plantagenarbeiter haben ständig zu tun, um die Bohnenberge umzuschaufeln und, wenn sich eine Regenwolke am Himmel zeigt, sie in kleine Speicher zu verbringen. Der Kaffee ist noch immer feucht und noch von der Pergamentschicht umgeben. Die Feuchtigkeit wird dem Kaffee im „Trockenbeneficio" entzogen. Das sind riesige Trommeln, die durch Holzfeucr erhitzt werden. In den Trommeln rollen die Bohnen in gleichmäßiger Heißluft solange hin und her, bis sie trocken genug sind und in die Speicher gefüllt werden. Die Pergament-Schicht bleibt vorerst noch auf den Bohnen, damit sie keine Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen können. Erst unmittelbar vor der Einsackung werden die Kaffeekerne völlig gereinigt, Schälmaschinen entfernen die letzte Schutzhaut, die ein gutes Brennmaterial ergibt. In einem Windkanal werden die Bohnen unter Druck senkrecht nach oben geblasen, damit sie sich nach Gewicht und Größe sortieren. Die feineren Sorten werden zusätzlich poliert. An langen Tischen lesen Frauen die letzten Fremdkörper aus der Kaffeemasse aus. Der Edelkaffee kann auf die Reise gehen.
Besuch auf einer Kaffeepflanzung Als ich in Mexiko-City meinen freundlichen Gastgeber, Don Joaquino, fragte, ob ich seine Kaffee-Finca an der Grenze Guatemalas einmal besuchen durfte, lächelte er. „Am besten sprechen Sie darüber gleich mit dem Verwalter.". „Ist er denn im Augenblick hier in der S t a d t ? " 21
Kaffeeterrassen eines eingeborenen Pflanzers
„Keineswegs, er sitzt im Süden mitten im Kaffcetal, 1200 km entfernt. Und trotzdem •können Sie ihn sprechen. Bitte, kommen Sie mit!" Der Hausherr führte mich in ein Turmzimmer seiner Villa. „Sehen Sie einmal aus dem Fenster in den Garten!" Mitten zwischen den Beeten standen zwei schlanke, haushohe Antennenmasten. Don Joaquino öffnete einen breiten Schreibschrank und zog ein Mikrophon aus einem Fach. Er drückte Hebel und Tasten, Kotlicht glühte auf zum Zeichen, daß der geschickt in den Schrank eingebaute Funk-Sprechsender eingeschaltet war. „ W i r haben Glück, gerade jetzt um 17 Uhr ist Sendezeit. Die Röhren weiden gleich warm sein." Mit einem Male wurde mir klar, wie hier die modernen Kaffeepflanzer, die „Finceros", ihre Farmer aus der Ferne, von der zentral gelegenen Hauptstadt aus, leiten. Hier haben sie ihre 22
Büros. Fernschreiber, Telegraphen und Telephone verbinden sie mit allen Kaffeemärkten der Welt. Sie wissen, was heute an der Börse in New York, Hamburg oder London vor sich geht. Ständig verfolgen sie das Steigen und Sinken der Kaffeepreise. Ein Funkgespräch mit der über tausend Kilometer entfernten Kaffeefarm genügt, und noch am selben Tag schickt der dortige Verwalter fünftausend Säcke nach Bremen oder kauft von den kleinen Pflanzern der Umgebung gegen Barzahlung die gesamte Ernte vom Strauch, da sich ein Großabnehmer gefunden hat. Im Lautsprecher begann es zu rauschen. Don Joaquino drehte an der Feineinstellung, der Lautsprecher piepste und zwitscherte. „XOS, XOS kommen!" Es rührte sich nichts. Der Hausherr wiederholte das Rufzeichen: „XOS, XOS kommen!" s Wir warteten ein paar Sekunden, dann endlich knackste es,' man hörte eine tiefe Stimme: „Hier XOS. Wie geht es? Hier alles wohlauf, leider noch kein Regen." „Schade, lieber Julio. Aber lassen Sie sich keine grauen Ifaare wachsen. W i r haben ja die neuen Wassersprenger, übrigens, bevor wir über die Börse reden, Sie bekommen Besuch, J u l i o . " „Immer willkommen, Don Joaquino, solange es nicht des Teufels Großmutter ist." „Na, so sieht der Besuch nicht aus, ist ein freundlicher Gringo, ein Grünhorn. Zeigen Sic ihm einmal, wie bei uns der Kaffee wächst! — Moment mal, J u l i o ! " Don Joaquino wendete sich mir zu und sagte: „Wollen Sie morgen mit dem ersten Flugzeug um 7 Uhr starten? Dann sind Sie um 12 Uhr in Tapachula." Ich nickte. „Also, Julio, um 12 Uhr einen Jeep an den Flugplatz!" So begann mein Ausflug in das Hochland-Kaffeegebiet Mexikos. Seit über vier Stunden flogen wir in 2000 Meter Höhe über sumpfigen Urwäldern und Küstenlagunen. Rechts dehnte sich in zarter Bläue der Pazifik, linker Hand konnte man die grünbewaldeten Küstenberge fast greifen. Das Gebirge schob sich von Zeit zu Zeit mit seinen Kuppen, Hängen und Schluchten zur Küste vor und zurück. In halber Höhe entdeckte ich hin und wieder eine 23
der Plantagen. Schneeweiß leuchteten die viereckigen „Patios", die Trockenplätze, aus dunklem Grün. Die Maschine verlor an Höhe. Voraus in der Küstenebene erkannte man schon die Häuser und Straßenzeilen der Grenzstadt Tapachula. Pünktlich um 12 Uhr rollten wir auf dem kleinen Flugplatz aus. Feuchter, heißer Meerwind schlug uns entgegen. . Neben dem Flughafengebäude begrüßte mich Julio, ein freundlicher Herr in gesetztem Alter. „Scheußlich schwül habt ihr es hier", sagte ich, nachdem wir uns bekannt gemacht hatten. „ W a r t e n Sie nur, bis wir in höhere Lagen kommen!" vertröstete mich Julio. Wir fuhren im offenen Gelandewagen den Bergen zu. Die Finca lag in achthundert Meter Höhe über dem Meer. In etwa sechshundert Meter Höhe begannen die Pflanzungen; sie zogen sich bis über tausend Meter hinauf, in eine Höhenlage, wo der Kaffee am besten gedeiht. Wir kurvten durch steile Serpentinen und querten ungezählte Brücken. Glasklare Bäche rauschten zu Tal. Indiohütten lagen am Wege, Frauen knieten am Fluß und wuschen ihre Wäsche. - „Ein friedliches Bild", bemerkte ich. „Mit Einschränkungen", knurrte Julio, „kommen Sie mal zur Begenzeit, dann wissen Sie, daß die Sintflut ein mildes Gewässer w a r gegenüber dem, was sich hier abspielt. Wenn der Himmel hier seine Schleusen öffnet, bleibt kein Stein mehr auf dem andern. Was meinen Sie, wie oft wir diese sechzig Kilometer lange Straße mit Brücken und Aufschüttungen wieder neu herrichten mußten, weil uns die Wassermassen Schutt darüber gespült hatten? Wochenlang sind wir oft von der Welt abgeschnitten." Julio deutete auf einen Arbeitstrupp am Wege, der die Reste eines riesigen Erdrutsches abdämmte; die Flanke des Berges hatte sich mehr als hundert Meter weit vorgeschoben. Als w i r am • Abend bei einem gemütlichen Umtrunk auf der Veranda des Wohnhauses saßen, sprachen wir natürlich vom Kaffee, ein Thema, das hierzulande alle Gedanken bewegt. Es stellte sich heraus, daß Julio, der fast vierzig Jahre seines Lebens als Verwalter auf Kaffeefincas verbracht hatte, ein guter Kenner der Geschichte des Kaffees war.
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Kaffeehausleben In Berlin um 1845
„Glauben Sie", fragte ich meinen Gastgeber, „ d a ß der Kaffeebaum in Mexiko, Mittelamerika, Kolumbien, Ekuador und Peru jemals mengenmäßig eine ernsthafte Konkurrenz für die Brasilianer sein w i r d ? " J u h o verneinte: „So große Ernten werden wir niemals erzielen, und außerdem vertragen wir uns mit den Brasilianern ganz gut. Wenn Sie in Europa einen guten südamerikanischen Kaffee kaufen, hängen Aroma und Geschmack sehr von dem Verhältnis ab, in dem unser edler mexikanischer Extraktkaffee mit dem brasilianischen Trockenkaffee vermischt wird. .Wir sind aufeinander angewiesen. Konkurrenz erwächst uns aus einer ganz anderen Ecke des Erdballs. Im Mutterland des Kaffees, in Afrika, steigen die Ernteerträge von J a h r zu Jahr. Das belgische KongoGebiet, Französisch-Äquatorial-Afrika, Liberia und Uganda wer25
den voraussichtlich ebenso bedeutende Kaffceländer werden, wie es Brasilien und Mittelamerika sind. W e r die Geschichte des Kaffees kennt, weiß, daß die Schwerpunkte sich im Laufe der J a h r hunderte ständig verlagert haben." Optimistisch fügte Julio hinzu: „Unser mexikanischer Kaffee allerdings wird wegen seiner hohen Qualität immer konkurrenzfähig bleiben. Laßt uns darauf anstoßen!"
Feinde des Kaffees Ein herrlicher Tag lag hinter uns. Schon früh am Morgen waren wir mit dem Jeep aufgebrochen, um abgelegene Pflanzungen zu besuchen; Julio wollte gleichzeitig die Bauarbeiten an den Brücken, Straßen und Wegen kontrollieren. Es ist erstaunlich, wieviel Arbeit und Mühe allein darauf verwendet wird, das Verkehrsnetz aufrecht zu erhalten. Jetzt im April, in der Zeit nach der Ernte, waren viele Arbeitskräfte frei geworden, und Julio hatte sie im Gelände verteilt, damit sie schadhafte Straßenstücke instand setzten oder neue Fahrbahnen anlegten. Ihm lag viel daran, daß die Fahrwege zur Kreisstadt Tapachula für die Lastwagen freigehalten wurden. In Tapachula endete die Bahnlinie, die neben dem Flugzeug die Verbindung in das Innere des Landes und zu den Verladehäfen am Golf herstellte. Noch immer rollten auf der Bahn die meisten Kaffeesäcke zu den Schiffen, die nach Nordamerika und Europa, den Hauptabnehmern, die ungeröstete Fracht transportierten. Seltener kam es vor, daß riesige Lastflugzeuge eilige Sendungen übernahmen. Aus den Gesprächen mit dem Fincero entnahm ich aber, daß eines Tages vielleicht der Hubschrauber die Arbeit des Lastwagens als Zubringer übernehmen werde. Ich erlebte an diesem Tage, wie die Indios im Kaffeetal aus kanonenartigen Bohren dicke Wolken mit Giftgas in die Schattenbäume Schossen, um die gefährlichen Baupen und Schmetterlinge zu bekämpfen. Ich beobachtete auch kleine Trupps, die mit Sprühgeräten durch das Gelände zogen und Schutzmittel auf die Kaffeebäume spritzten. Sie trugen große, kupferne Flaschen auf dem Bücken und erinnerten mich an die Winzer in den Weinbergen an Bhein und Mosel. 26
Julio erzählte mir von den zahlreichen kleinen Feinden des Kaffees: von Pilzen, die die Blätter zerfressen, von Fliegenmaden, die in den Kirschen sitzen, von Termiten, die am Holz nagen, von Grillen, Heuschrecken, Läusen und Raupen. All diesen Plagen rückt man heute mit den modernsten Mitteln zu Leibe. In Mexiko sind die Kaffeepflanzer besonders stolz auf ihre Erfolge in der Schädlingsbekämpfung, aber sie verlangt stete Wachsamkeit. Zu einer Zeit, als man die modernen Abwehrmittel noch nicht kannte, konnte es zu furchtbaren Katastrophen kommen. Jeder Plantagenbesitzcr kennt die Geschichte Ceylons, wo 1868 plötzlich der Kaffeerostpilz auftrat und die gesamten Kaffeekulturen dieses einst so bedeutenden Kaffeegebictes in wenigen J a h ren vernichtete. Als wir an diesem Abend, kurz vor Sonnenuntergang, zurückkehrten, zeigte mir Julio voll Stolz einige neue Wirtschaftsgebäude. Julio hatte, um genügend weiten und ebenen Baugrund zu schaffen, einen kleinen Hügel in der Mitte durchschneiden und zur Hälfte abtragen lassen. Mein Blick fiel zufällig auf die frisch abgestochene Flanke. Ich konnte deutlich die verschiedenen Erdschichtungen verfolgen. Jahr um Jahr waren die Blätter aus dem Wald zu Boden gefallen, waren die Pflanzen im tropischen Klima verrottet und wieder zu Erde geworden. Wie Baumringe, so lagen die Jahresschichten übereinander, ü b e r vierzig Schichten zählte ich bis zu einer Tiefe von eineinhalb Metern. An dieser Stelle hob sich eine eigenartige, dunkelgraue, etwa zehn Zentimeter starke Lage ab. Es sah aus wie bei einem Baumkuchen, in dessen Schichtungen eine Lage Schokolade eingebettet ist. Julio bemerkte meine Verwunderung. „Heute dient uns dieser Grund als Messcrputzmittcl", sagte er, „die Küchenmädchen holen sich das Zeug zum Reinigen der Klingen. Wenn Sie aber wissen wollen, wie die Schicht vor vierzig Jahren entstanden ist, dann lesen Sie einmal die Aufzeichnungen von Don Joaquino, ich will sie Ihnen gern überlassen. Dann wissen Sie auch, daß wir Kaffeepflanzer hier nicht nur von W a s serfluten, Bergrutschen und Ungezieferfraß bedroht sind, sondern daß wir von Zeit zu Zeit auch mit manch anderem Mißgeschick rechnen müssen. 27
Die Aufzeichnungen Don Joaquinos Vor dem Abendessen — die Dunkelheit war urplötzlich hereingebrochen — fand ich Zeit, das Tagebuch Don Joaquinos zu durchblättern. Julio hatte vor die Seiten, die ich lesen sollte, als Lesezeichen das getrocknete Blatt eines Wasserstrauches gelegt. Don Joaquinos Handschrift erinnerte in ihrer klaren Zügigkeit an die Handschrift eines altgedienten Buchhalters. Der Text, der mich in die Zeit vor vierzig Jahren zurückführte, nahm mich gleich gefangen. Joaquino schrieb: ,„Ich weiß nicht, es liegt etwas in der Luft', sagte Manuele, unser alter Vorarbeiter, heute zu meinem Vater. ,Der Wald ist stumm. Ich meine, Sefior Joaquino, daß etwas nicht geheuer ist. Seht drüben die Aasgeier, sie kommen nicht einmal zum Fressen, das hat immer etwas zu bedeuten.' Der Vater nickte. ,Wißt Ihr', fuhr Manuelo fort, ,damals vor dem großen Erdbeben in Guatemala-City, da war es genau so.' ,Wir werden sehen.' Vater war ein Bealist. Er glaubte nicht an Vorzeichen.
* Ob ich dieses Gespräch je vergessen werde? Ich war ein kleiner Bub. Es war ein paar Jahre vor dem ersten Weltkrieg, in Deutschland regierte noch der Kaiser. Vater hatte schwere, arbeitsreiche Jahre hinter sich. Obwohl viele ihm abgeraten hatten, war er in die unberührten Bergurwälder Südmexikos gegangen, um Kaffee anzubauen. Es war kein Kinderspiel gewesen. Aber nach Wochen stand unser Haus, und nach Jahren wuchsen im Umkreis von einem guten Kilometer Bäume mit dem edelstefn Kaffee. Allen Schwarzsehern zum Trotz lohnte sich die Arbeit. Schon die ersten Ernten brachten schönste Erfolge. Aus heiterem Himmel brach das Unglück über uns herein. Meine Mutter hatte es geahnt. Sie war zart und von sanfter Geduld. Die Indianer, die bei uns auf der Finca arbeiteten, liebten sie und kamen zu ihr mit all ihren Sorgen. Oft mußte sie in die Hütten gehen, um den Frauen beizustehen, wenn sie ein Kind erwarteten. Die Eingeborenenmädchen lernten willig das so fremde europäische Essen bereiten, sie konnten Sulzfleisch einlegen, 28
Kaffeemühlen aus Urgroßmutters Zeiten
wenn wir unsere Schweine schlachteten. Bald verstanden sie auch die Bergkühe zu melken. Was die Mutter vorausgeahnt hatte, geschah in einem Augenblick, an den ich mich gut erinnern kann. Ich stand auf der Veranda u n d , hatte mein Kleinkaliber-Gewehr zerlegt, um es zu reinigen. Mutter kam gerade aus dem Hühnerstall und trug einen Korb voller Eier, Vater war bei den Pferden. Da rollte ein dumpfer Donnerschlag über uns hin, die Erde erbebte in einem gewaltigen Stoß. Es war, wie wenn ein Riese mit der Faust aus dem Inneren der Erde gegen die Felsschichten poche. Das Gepolter und Grollen aus der Tiefe nahm kein Ende. Ich rannte ins Freie. Die Wände des Hauses schwankten, und ich glaubte, die Mauern müßten jeden Augenblick neben mir zusammenstürzen. Von der Gemüseterrasse unseres Gartens aus sah ich im Süden einen grauen Rauchpilz aufsteigen, Blitze erhellten die Gegend, und Flammen schlugen hervor. Als die Erdstöße ein wenig nachließen, eilte Vater ins Haus und rief uns 29
herbei; wir sollten die Fensterläden schließen, gleich werde es Asche regnen. Wir stellten Lampen bereit und verstopften alle Ritzen mit nassen Tüchern. Die Wolke im Süden schob sich in großer Geschwindigkeit über den ganzen Himmel. Obwohl der Vulkan mehr als vierzig Kilometer von uns entfernt war, saßen wir schon nach einer Stunde, mittags um drei Uhr, in völliger Dunkelheit. Die Erde w a r noch immer voller Unruhe. Bei einer schnellen Überprüfung des Hauses stellten wir fest, daß es die starken Stöße ohne Schaden überstanden hatte. Die Holzbauweise hatte sich bewährt. Unsere Pferde verloren in dem gleichen Maße, in dem die Erde ruhiger wurde, ihre Angst. Draußen regnete es gleichmäßig und unaufhörlich Asche. Da die Zuckungen der Erde schließlich ganz aufhörten, meinte Vater, am kommenden Morgen werde wohl das Schlimmste überstanden sein. Als wir nach draußen gingen, traten die Füße in tiefe, weiche Asche, die sich in dick,er Schicht über die Landschaft (gelegt hatte. Noch gaben wir die Hoffnung nicht auf, daß die jungen. Kaffeekirschlen das Unheil überstehen würden. Als es aber drei Tage lang ununterbrochen weiter Asche regnete und nicht der leisest,e Schimmer des Sonnenlichtes zu uns drang, wußten wir, daß alles verlogen war. Vater saß ergeben in seinem Schaukelstuhl und dachte nach. Die Indianer beteten und bereiteten sich auf den Tod vor. Als auch der vierte Tag keine Änderung brachte, sagte Vater: ,Wenn ich nicht wüßte, daß ein Vulkanausbruch nicht ewig währen kann, müßte ich glauben, die Welt gehe unter.' Er gab Befehl, das Notwendigste zusammenzupacken. Die Pferde wurden gesattelt und bepackt. Draußen lag die Asche so tief, daß ich an manchen Stellen fast bis zum Bauch darin versank. Wir Kinder wurden auf die Pferde gesetzt, die Männer gingen voraus und bahnten den Weg. So machten wir uns auf die Reise, um die nächste Siedlung zu erreichen. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir geritten sind. Uns allen war es wie eine Ewigkeit, denn wir kamen nur langsam voran. Dann endlich zeichnete sich am Horizont ein feiner, heller Streifen ab. Es war im Westen, dort, wo das Meer lag. Das gab uns Hoffnung. Wir erreichten Tapachula und quartierten uns bei Freun30
den ein. Als wir nach Tagen auf unsere Pinea zurückkehren konnten, brachen die Hausdächer fast unter der Last der Lavaasche. Weithin hatte sich eine neue Bodenschicht abgelagert. Die Kaffeebäumchen waren zum größten Teil vernichtet; niir wenige Pflanzen trugen in diesem J a h r Früchte. Gott sei Dank half uns der Regen, der bald einsetzte und einen Teil der Asche verschwemmte. W i r mußten von vorn beginnen. . ." An dieser Stelle endeten die Aufzeichnungen Don Joaquinos. Es war eigenartig: Als ob die Erde Don Joaquinos Bericht verdeutlichen wolle, grollte es plötzlich weit aus der Ferne irgendwo im Erdinnern. Für Bruchteile von Sekunden hob und senkte sich der Betonrand des Wasserbeckens, auf dem ich mich niedergelassen hatte. Das Wasser flutete, von einer einzigen Welle aufgestoßen, über den Rand. Dann war alles vorbei. Der Mozzo, der indianische Diener, rief zum Essen. Wie alle Eingeborenen nahm er das Geschehen hin, wie der Europäer ein Sommergewitter. Auch für die Weißen hier war ein vulkanisches Erdbeben kein Gesprächsthema.
Erst die Röstung macht den Kaffee W i r hatten 'gut gespeist. Julio schenkte den herrlichen, tiefschwarzen Kaffee ein. „ W i e rösten Sie eigentlich Ihren Kaffee?" fragte ich ihn. „ E r wird 'jeden Tag in einer kleinen Rösttrommel frisch gebrannt", erwiderte er. „Kaffee hat frisch geröstet das schönste Aroma." „ W a r u m muß der Kaffee eigentlich geröstet w e r d e n ? " Mir war das nicht recht verständlich. „Das Coffein, von dem die erfrischende und herzanregende Wirkung ausgeht, ist doch auch in den grünen Bohnen enthalten!" Julio blickte mich verwundert an. „Darf ich Ihnen eine Gegenfrage stellen? Warum trinken wohl so viele Leute, denen der Genuß des Coffeins schadet, besonders zubereiteten Kaffee, dem der größte Teil des Coffeins entzogen i s t ? " „Weil es diesen Leuten vor allem auf das Aroma des Kaffett« ankommt", sagte ich. 31
„Richtig", gab Julio zur Antwort. „Das Aroma hat nichts mit dem Coffein zu tun. Der herrliche Geruch, der Geschmack des Getränks wird erst freigelegt durch den Röstvorgang." Ich erinnerte mich an den Tag, als ich das erstemal zufällig in Bremen durch eine Straße ging, in der mehrere Großröstereien in vollem Betrieb Kaffee brannten. Avis allen Kaminen qualmtet der Duft und erfüllte das ganze Stadtviertel. Wenn ich je an Bremen denke, steigt mir zuerst in der Erinnerung dieser h e r r liche Geruch in die Nase. „Dieser Duft", so erklärte mir Julio, „wird in zehn bis fünfzehn Minuten bei langsamer Erhitzung auf 200 bis 220 Grad Celsius in großen, rotierenden Trommeln aus dem Kaffee herausgeholt. Die Verdunstung des letzten noch in der Bohne enthaltenen Wassers, die Verbrennung bisher unlöslicher Teilchen geht einher mit einer geheimnisvollen Verbindung ätherischer öle und Geruchsstoffe. So erreicht man, daß aus der grünen Bohne das wird, was wir am Kaffee vor allem lieben.". „Und was ist eigentlich Coffein?" „Trimethylxathin mit der chemischen Formel: C 8 H 10 N,O 2 , wenn Ihnen das etwas sagt", erklärte Julio. „Der deutsche Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge, ein Freund Goethes, hat diesen Stoff im Jahre 1819 entdeckt, man behauptet, daß er ihn aus Bohnen, gewonnen habe, die Goethe ihm geschenkt hatte. Coffein finden Sie auch im Tee, wo er vier Prozent ausmacht, in Mate-Blättern! und in Colanüssen; auch das Theobromin, C 7 H 8 N 4 0 2 , in der Kakaobohne ist eng verwandt mit dem Coffein." Wie nüchtern so eine Formel aussieht: C 8 H, 0 N 4 O 2 ! Und wieviel steckt doch dahinter: ein Stück Historie, Menschenschicksale und Geschichten, mit denen man noch viele Bücher füllest könnte. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: UHstern-Rildej-dJenst
L u x - L e s e b o g e n 2 7 9 (Naturkunde) — H e f t p r e i s 2 5 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München