Ken Conagher
Jicarilla, der Scout Ronco Band Nr. 325/46
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre ...
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Ken Conagher
Jicarilla, der Scout Ronco Band Nr. 325/46
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Der Scout von Fort Calhoun verfolgt ein Verbrecher-Trio und gerät in eine Falle. Jicarilla – Ohne seinen zweiten Scout hätte Ronco bestimmte Spuren nicht finden können und vielleicht die Nerven verloren. Matthew Guzman – Der Storebesitzer von Fort Calhoun glaubte nur an den Götzen Gold – und das brach ihm das Genick. Gordon Craig – Der Kartenhai löste alle Probleme – mit Mord. Stuart Frey – Der Indianeragent stoppt einen Wagen mit einer Spritladung und empfängt dafür eine Kugel.
Jicarilla, der Scout San Antonio lag hinter uns, hinter Siringo und mir. Alle jene, die in verbrecherischer Absicht versucht hatten, im Gebiet von Amarillo einen Weidekrieg zu entfesseln, waren tot: Buster, der versoffene Krüppel, der sich als eine bösartige Ratte entpuppt hatte, Wendell Holmes, der Farmer mit dem Hang zum Größenwahn, und schließlich Chuck Robertson, der clevere Storebesitzer und Beutegeier, aber nicht clever genug, einem tödlichen Messerstich auszuweichen. Mit allen dreien – zuletzt mit Chuck Robertson – waren die Zeugen ausgelöscht, mit denen wir es geschafft hätten, Sam Hollister, die Spinne im Netz des Kampfes um Bodenbesitz im Amarillogebiet, vor die Schranken des Gerichts zu bringen. Jetzt fehlten sie uns – diese Zeugen. Sam Hollister hatte mich nur ausgelacht, als ich in sein Haus eingedrungen war und ihm meine Anklagen ins Gesicht geschleudert hatte. Als Ronco, der Geächtete, hätte ich zugeschlagen. Als Ronco, der Texas Ranger, durfte ich keinen Rechtsbruch begehen. Vielmehr hatte ich mir zähneknirschend einzugestehen, daß man Verbrecher mit Intelligenz, eben nur mit Intelligenz, schlagen konnte – nicht mit Gewalt, mit Intelligenz. Ich denke, während ich an meinem Tagebuch weiterschreibe, an einen anderen Verbrecher – auch einen Storebesitzer –, an Matthew Guzman, der es damals in Fort Calhoun geschafft hatte, den ganzen Monatssold des Forts zu stehlen und zu verschwinden. Dies ist seine Geschichte …
1. Ein Scout und noch ein Scout ergeben zwei Scouts, das lernt ein Fünfjähriger in der Sonntagsschule. Jicarilla, das Halbblut, und ich waren auch zwei Scouts. Beide saßen wir in den Sätteln, Jicarilla auf einem Pinto, ich auf meinem grauen Wallach.
Dennoch waren wir nur ein Scout. Denn Jicarilla schlief. Die Gunner von Fort Calhoun, das wir vor zwei Stunden verlassen hatten, hätten ihre Batterie Feldgeschütze an seinem Ohr abfeuern können, er wäre noch nicht einmal zusammengezuckt. Und von seinem Pinto wäre er auch nicht gefallen. Wenn ich das richtig rekonstruiere, hatte die Stallwache von Fort Calhoun, die unsere beiden Pferde gesattelt hatte, meinen zweiten Scout mittels mehrerer Lassos so auf dem Pinto festgezurrt, daß ein Herunterfallen unmöglich war, so unmöglich wie die Vorstellung, daß eine Kuh Handstand übt oder ein Hund sich einen Bart wachsen läßt. Mein Bastardhund Shita, der bei uns war, hatte es sowieso bereits aufgegeben, den schlafenden und schnarchenden Jicarilla zu wecken, nachdem er sich eine halbe Stunde lang die Kehle heiser gebellt hatte. Nun muß man wissen, daß wir drei – Jicarilla, Shita und ich – die Spuren von drei Reitern verfolgten, die aus Fort Calhoun getürmt waren. Das heißt, Shita und ich verfolgten die Spuren, weil Jicarilla sich ja im Tiefschlaf befand. Ich hatte seinen Pinto am Zügel und zog ihn hinter mir her. Jicarilla hatten die Kerle von der Stallwache so festgebunden, daß er in abgeknickter Haltung den Pferdehals umarmte. Er lag also halb auf seinem Pinto, der sich anfänglich wegen Jicarillas Schnarchtönen ziemlich nervös gezeigt, dann aber daran gewöhnt hatte. Wie ich bereits sagte: Wir waren nur ein Scout, und darum mußte ich Shita die Vorhut überlassen. Er hatte natürlich begriffen, daß wir den Spuren der drei Reiter folgten und hoppelte, die Nase auf der Fährte, voraus. Sie hatten sich keine Mühe gegeben, ihre Spuren zu verwischen. Die Fährte verlief schnurgerade nach Südwesten, und sie waren wie die Irren geritten – drei Männer, von denen einer ein Mörder war. Die Männer hießen Matthew Guzman, Gordon Craig und Roy Fuller. Guzman war der Store- und Saloonbesitzer von Fort Calhoun gewesen, ein fettleibiger Mensch mit den Geschäftsgebaren eines Aasgeiers. Gordon Craig hatte in Guzmans Saloon als Spieler
gearbeitet und die Soldaten von Fort Calhoun ausgenommen. Roy Fuller hatte als Keeper hinter dem Tresen Bier und Whisky ausgeschenkt. Und alle drei waren mehr oder weniger daran beteiligt gewesen, in der Nacht von Freitag auf Sonnabend – dem letzten Sonnabend im September 1865 – den Monatssold aus dem Office des Zahlmeisters Mahon Tabor zu entwenden. Zuerst war mein zweiter Scout Jicarilla verdächtigt worden, den Sold geklaut zu haben. Aber wir beiden, Jicarilla und ich, hatten es dann geschafft, die Schuldigen zu finden – durch Zufall und mit ein bißchen Glück. Wir hatten im Saloon von Guzman etwas auf den Busch geklopft und die Kerle verunsichert. Vor allem aber war die rothaarige Bonny, eine der Flitter-Schnepfen Guzmans, aufgeschreckt worden. Denn sie war es gewesen, die in der Nacht von Freitag auf Sonnabend mittels eines Whisky-Schlaftrunks den Zahlmeister außer Gefecht gesetzt und ihm die Schlüssel zum Safe gemaust hatte. Offensichtlich hatte Guzman, der planende Kopf des Solddiebstahls, die rothaarige Bonny zu diesem Unternehmen gezwungen. Jedenfalls hatte sie es mit der Angst gekriegt – oder ihr Gewissen hatte zu pochen begonnen – und mir alles verraten wollen. Und auf dem Weg zu mir hatte Gordon Craig ihr eine Kugel in den Rücken geschossen. Sterbend, auf dem Exerzierplatz von Fort Calhoun, hatte die rothaarige Bonny alles gestanden. Und Guzman, Craig und Fuller hatten es geschafft, inzwischen zu türmen. Was mir nicht in den Kopf wollte, war die Überlegung, warum, zum Teufel, der feiste Guzman wegen des Raubes eines Monatssoldes seine ganze Existenz aufs Spiel gesetzt hatte. Gut, er hatte sich über dreitausend Dollar unter den Nagel gerissen, aber nunmehr Store und Saloon verwaist zurückgelassen. Was dort an Waren und Vorräten noch lag, entzog sich meiner Kenntnis. Aber Guzman hatte wie die Made im Speck in Fort Calhoun gesessen, denn auch die Farmer im Rio-Doro-Gebiet kauften bei ihm. Und immer mehr Siedler waren ins Land gezogen, was bedeutete, daß Guzmans Umsatz ständig stieg – ganz abgesehen von den Bucks, die er den Soldaten von Fort Calhoun abknöpfte, denn es gab weit
und breit außer dem Saloon Guzmans in Fort Calhoun nichts, wo sich die Blaubäuche betrinken oder der Liebe widmen konnten. Immerhin hatte Guzman vier Flitter-Schnepfen im Einsatz gehabt. Das alles ging mir durch den Kopf, als wir den Spuren der drei Männer folgten. Ich fragte mich, warum ein Geier wie Guzman mir nichts, dir nichts alles im Stich ließ. Hatte er bereits ausgesorgt? Noch andere Fragen beschäftigten mich. Es war immer gut zu wissen, von welcher Art der Gegner war. Es konnte tödliche Folgen haben, wenn man ihn unterschätzte. Immerhin glaubte ich, daß Jicarilla und ich hier draußen in der Wildnis gute Chancen gegenüber den drei Kerlen hatten. Matthew Guzman mochte ein trickreiches Schlitzohr sein, aber er war kein Mann der Wildnis. Auch dem gesalbten Gordon Craig, der das Gesicht eines Predigers hatte und Sprüche aus der Bibel zu zitieren pflegte, traute ich keine diesbezüglichen Qualitäten zu. Immerhin hatte er keine Skrupel gehabt, einer Frau in den Rücken zu schießen. Darum war er gefährlich. Er mordete aus dem Hinterhalt. Roy Fuller schließlich, der ehemalige Keeper in Guzmans Saloon, gehörte zu jenen Typen, die ihre Gemeinheiten nur an jenen ausließen, die schwächer als sie waren. Jicarilla hatte ihn bereits einmal verprügelt, und da war für Fuller nicht viel drin gewesen. Dennoch, alle drei waren mit Vorsicht zu genießen. In einem Fort, das rund um die Uhr bewacht wurde, aus dem Geldschrank des Zahlmeisters den Monatssold zu stehlen, war eine beachtliche, wenn auch verbrecherische Leistung. Colonel Lesters Auftrag an uns lautete, die drei Kerle zu schnappen und ins Fort zurückzubringen. Allerdings, so hatte der Colonel gemeint, sollten wir dabei nicht Kopf und Kragen riskieren. Vielleicht würden wir töten müssen – in einer Notwehrsituation. Niemand, am allerwenigsten der Colonel, würde uns deswegen verurteilen. Am meisten zu verlieren hatte Gordon Craig, der den Mord begangen hatte. Wenn wir ihn einfingen und ins Fort brachten, würde er aller Wahrscheinlichkeit nach aufgeknüpft werden. Guzman und Fuller hingegen würden für einige Zeit hinter Gittern verschwinden. Die Armee war da gar nicht zimperlich. Im übrigen fielen die drei
Kerle unter die Militärgerichtsbarkeit, da sie ihre Delikte im Bereich von Fort Calhoun verübt hatten. Der Vorsprung der drei Halunken mochte etwa drei Stunden betragen, mußte sich aber allmählich vergrößern, weil ich mit dem schlafenden Jicarilla nicht allzu schnell war. Ich hatte die Absicht, bis zum Dunkelwerden die Spuren zu verfolgen. Dann mußten wir auch den Ash Fork, einen Nebenfluß des Rio Doro, erreicht haben. Dort wollte ich mit kaltem Wasser versuchen, Jicarilla aus dem Reich der Träume zurückzuholen. Übrigens befand sich Jicarilla deswegen im Tiefschlaf, weil er – aus reinem Zufall – mindestens ein Viertel aus jener Whiskyflasche getrunken hatte, der das schwere Schlafmittel beigemischt worden war, mit dem man auch den Zahlmeister Mahon Tabor ausgeschaltet hatte. Leichtsinnigerweise hatten die Kerle diese Flasche nicht verschwinden lassen, sondern im Saloon im Flaschenregal hinter dem Tresen deponiert. Und so war sie Jicarilla in die Hände gefallen – heute vormittag, nachdem wir beide den Saloon auseinandergenommen hatten. Die Spur führte auf die Halcon-Berge zu, die hinter dem Ash Fork lagen. Sie schwenkte nach Westen, und ich zog mir die Hutkrempe über die Augen, um von der sich immer tiefer neigenden Sonne nicht geblendet zu werden. Ein leichter Abendwind wehte von Westen, und ich zog mir die Hutkrempe über die Augen, um von der sich immer tiefer neigenden Sonne nicht geblendet zu werden. Ein leichter Abendwind wehte von Westen heran. Er war es, der etwas Unsichtbares mit sich trug, das nur Shita zu wittern vermochte. Denn mein Bastardhund verhielt plötzlich und reckte witternd die Nase hoch. Und dann begann er leise zu knurren, wobei er sich duckte. Hier war Gefahr im Verzug. Ich duckte mich im Sattel, und darum blieb mein Kopf heil. Denn im selben Moment brach rechts vor uns ein Schuß – ein Gewehrschuß aus einer Sharps –, und das Blei zirpte über meinen Kopf weg.
Ich ließ den Zügel des Pinto los, hieb meinem Wallach die Hacken in die Seiten und jagte nach links zwischen zwei Hügel. Der Pinto tobte indessen mit dem schlafenden Jicarilla ostwärts auf unseren Spuren zurück. Shita fegte heran. Zwischen den beiden Hügeln sprang ich aus dem Sattel, zerrte den Spencer-Karabiner aus dem Scabbard, stürmte den rechten Hügel hoch und warf mich oben in eine Mulde. Alles in allem mochten inzwischen etwa vierzig Sekunden vergangen sein. Dort, von wo der Schuß gefallen war, bewegte sich das Buschwerk. Die Entfernung betrug ungefähr hundert Yards. Ich repetierte, zielte in das Buschwerk und feuerte. Fünf Schüsse jagte ich aus dem Lauf. Drüben wirbelten Äste und Blätter durch die Luft, das war alles. Ich lauerte. Die verdammte Sonne blendete mich, und ich kniff die Augen zusammen. Drüben tat sich gar nichts, soweit ich erkennen konnte. Aber dann klang hinter dem Buschwerk galoppierender Hufschlag auf und entfernte sich westwärts. Sehen konnte ich nichts, das Gelände war zu unübersichtlich. Der Heckenschütze zog es vor, sich abzusetzen. Dennoch rutschte ich bäuchlings aus der Mulde zurück und richtete mich erst auf, als der Hügel mich deckte. Shita saß neben meinem Wallach auf den Hinterpfoten und hechelte zu mir hoch. »Braver Hund«, sagte ich, bückte mich und kraulte ihn hinter den Ohren. Shita wedelte mit dem Schwanz und leckte mir die Hand. »Hol Jicarilla«, sagte ich. Shita verstand und setzte sich in Bewegung. Schnüffelnd lief er auf unseren Spuren zurück. Ich lud den Spencer-Karabiner nach, schob ihn in den Scabbard und stieg in den Sattel. Dann folgte ich Shita. Es hatte keinen Zweck, jetzt den Heckenschützen zu verfolgen. Ich mußte mich um Jicarilla kümmern. Es wurde Zeit, daß ich ihn wach kriegte. Schließlich war es irgendwie idiotisch, mit einen
schlafenden Scout durchs Gelände zu reiten und damit einen Klotz am Bein zu haben, ganz abgesehen davon, daß ich mich kaum um ihn kümmern konnte, wenn plötzlich – wie eben – die Luft eisenhaltig wurde. Ich ritt die hundert Yards zu dem Buschwerk voraus und untersuchte die Spuren. Ein einzelner Mann hatte auf mich geschossen, und es bestand kein Zweifel daran, daß es einer der drei Halunken gewesen war. Er war nach meinem Beschuß auf den Spuren der beiden anderen weitergeritten. Alles, was ich fand, war eine leere Patronenhülse der Sharps. Die Frage stellte sich, mit was für Verfolgern die Kerle eigentlich gerechnet hatten, wenn sie einen einzelnen Mann als Heckenschützen zurückgelassen hatten. Eine Armeepatrouille hätte der ganz bestimmt nicht aufgehalten, aber vielleicht hatte er auch nur als eine Art Späher dienen sollen, um festzustellen, wer ihnen auf den Fersen war. Und als nur Jicarilla und ich auftauchten, hatte er es auf einen Schuß ankommen lassen, dann aber schleunigst den Rückzug angetreten. Jetzt wußten die drei Kerle, daß ihnen die beiden Scouts von Fort Calhoun folgten, und ich schätzte, daß ihnen das gar nicht lieb war, denn als Einzelkämpfer und Männer der Wildnis waren wir mehr wert als eine Armeepatrouille, das hatte sich längst in Fort Calhoun herumgesprochen. Nach einer halben Stunde traf der Pinto mit dem schnarchenden Jicarilla ein. Shita hatte es geschafft, den Pinto zurückzutreiben. Er blaffte nur einmal kurz zur Begrüßung und setzte sich wie selbstverständlich wieder an die Spitze, nachdem ich den Zügel des Pinto aufgenommen hatte. Wieder eine halbe Stunde später, die Sonne verschwand hinter den Hügeln, erreichten wir den Ash Fork. Hier schlug ich unser Camp für die Nacht auf. Ich hatte den Fluß vorher durchfurtet und festgestellt, daß die Spuren der drei Halunken weiter auf die Halcon-Berge zuführten. Jetzt ging der Ärger mit Jicarilla los – Ärger insofern, daß ich ihn erst einmal losschnüren mußte. Ich weiß nicht mehr, wie viele Knoten ich aufknüpfen mußte, weil ich zu pedantisch und pingelig
war, die Lassos einfach durchzuschneiden. Die Hundesöhne von der Stallwache hatten Jicarilla mit sage und schreibe fünf Lassos auf dem Pinto festgezurrt. Vermutlich hatten sie sich was gegrinst – in der Vorstellung, wie der Scout Ronco den Entfesselungskünstler spielte. Als ich das letzte Lasso unter dem Pferdebauch wegzog, geriet Jicarilla ins Rutschen und kippte am Pferdehals vorbei ins Gras. Da ich auf der anderen Seite gestanden hatte, konnte ich ihn nicht mehr abfangen. Er ächzte nur und schnarchte dann weiter. Das Genick hatte er sich nicht gebrochen, der Bastard. Fluchend zerrte ich ihn am Kragen der blauen Uniformjacke, die er über dem nackten Oberkörper zu tragen pflegte, zum Flußufer. Jicarilla war ein untersetzter, muskulöser Brocken, gut im Fleisch und mit schweren Knochen. Ich hätte auch einen Ochsen zum Fluß schleppen können. Ich zog ihm die Jacke aus, stellte mich über ihn – er lag auf dem Bauch – und schob ihn zwischen meinen Beinen durch bis zum Gürtel ins Wasser. Dann tunkte ich seinen Kopf unter Wasser. Blubbernd stiegen links und rechts neben seinen Ohren Blasen auf. Dann blubberten keine Blasen mehr. Der Kerl brachte es fertig und schlief glatt unter Wasser weiter. Ich wünschte ihm die Krätze und zerrte ihn wieder an Land. Zur Abwechslung verabreichte ich ihm ein paar Maulschellen, die aber auch ohne Wirkung blieben. Ich hätte auch mit einem Kürbis spielen können. Schließlich verbrachte ich die nächsten zehn Minuten damit, mit meinem Hut Wasser zu schöpfen und es ihm ins Gesicht zu klatschen. Shita schaute meinen Bemühungen interessiert zu und begann seinerseits, dem Bastard zwischen den Wasserprozeduren das Gesicht abzulecken. Sehr appetitlich war das bestimmt nicht, aber das kümmerte mich einen Dreck. Von mir aus konnte er Jicarilla auch die Nase abbeißen, Hauptsache, der Kerl würde irgendwann wach. Nach zehn Minuten gab ich's erst einmal auf, entfachte ein kleines
Feuer und kochte mir einen Kaffee. Als ich mein Lager bereitete und die Satteltaschen dazupackte, fielen mir die beiden Schnapsflaschen ein, die mir Corporal Ketchum, der Küchenbulle von Fort Calhoun, für den versoffenen Jicarilla mitgegeben hatte. Ich zog eine aus der Satteltasche, entkorkte sie und roch daran. Es war Rum, hochprozentiger Rum, wie ich nach einem Probeschluck feststellte. Das Zeug zerriß mir glatt die Kehle und explodierte in meinem Magen. Ich schnappte nach Luft und wischte mir die Tränen aus den Augen. Ein paar Minuten später hatte ich aber ein durchaus angenehmes Gefühl im Magen. Zur Abhärtung nahm ich noch einen winzigen Schluck, und da klappte es auch schon besser. Vielleicht erweckte der Rum Jicarilla von den Toten. Ich grinste, ging zu ihm, beugte mich über ihn und hielt ihm die Öffnung der Rumflasche unter die Nase. Jicarilla hat eine sehr große und schmale Nase, was ihn von den reinblutigen Apachen wesentlich unterschied. Seine Mutter war eine Mescalero gewesen, sein Vater ein Weißer. Als wir uns kennenlernten, hatte er gesagt, als Halbblut, als Mann ohne Farbe, könne man in diesem Land nur verrecken oder als Scout zur Armee gehen. Letzteres hatte er getan, um nicht unterzugehen. Und irgendwann hatte er zur Flasche gegriffen, um diese Welt noch ertragen zu können. Jetzt sog er den aromatischen Duft des Rums ein, und seine Nasenflügel begannen zu beben. Sein Schnarchen brach ab. Shita schnupperte auch an der Flasche und mußte niesen. Dann bellte er vorwurfsvoll und zog sich zwei Schritte zurück. Ich hatte das Gefühl, mit dieser Methode Erfolg zu haben und hielt Jicarilla weiter die Flaschenöffnung unter die Nase. Ich kriegte ihn tatsächlich wach, nachdem ich ihm etwas von dem Zeug zwischen die Zähne gekippt hatte. Er fing an zu schlucken und fuhr hoch. »Verdammt«, sagte er heiser, »hier gibt's Rum.« Er starrte zu mir hoch. »Hast du den bei Corporal Ketchum geklaut?« »Den hat er mir geschenkt«, sagte ich, »weil heute Weihnachten ist.« »Was ist heute?« »Weihnachten«, sagte ich und grinste.
»Mann«, sagte Jicarilla dumpf und schüttelte den Kopf, »zuletzt war ich in dem verdammten Bums von dem verdammten Guzman und trank aus einer verdammten Whiskyflasche, und da war's gottverdammt noch September – he, wo sind wir hier überhaupt?« Er blickte sich um. »Am Ash Fork«, erwiderte ich. »Wie? Am Ash Fork? Na ja, auch gut, dann feiern wir eben Weihnachten am Ash Fork.« Er starrte begehrlich auf die Rumflasche. Ich ignorierte seinen Blick. »Sag mal, wie geht's dir eigentlich?« »Mir? Na, ich hab Mäuse im Kopf und Durst. Mann, hab ich einen Durst.« »In dem Whisky, den du bei Guzman getrunken hast, war ein schweres Schlafmittel«, sagte ich. »Darum hast du jetzt Mäuse im Kopf.« »Schlafmittel?« fragte Jicarilla mißtrauisch. Ich nickte. »Natürlich ist heute nicht Weihnachten. Es ist Sonntag abend.« Und dann erzählte ich ihm die ganze Geschichte, seit er in Guzmans Saloon von dem Whisky getrunken hatte. Er trank währenddessen vier Becher Kaffee, den ich mit Rum versetzte. Als ich endete, starrte er düster in die Glut des Feuers. »Bonny«, sagte er, »mochte mich nicht, aber sie war ein feiner Kerl. Craig hat sie also umgelegt, der Hurensohn. Von hinten, gottverdammt. Dafür dreh ich ihm den Hals um, wenn wir ihn schnappen.« »Davon wird Bonny auch nicht wieder lebendig«, sagte ich. »Mir egal«, brummte Jicarilla. Er blickte mich über das Feuer hinweg an und fragte überraschend: »Hast du Wagenspuren entdeckt?« »Wagenspuren?« fragte ich verblüfft zurück. »Nein. Wieso Wagenspuren?« »War nur so ein Gedanke.« Jicarilla zuckte mit den breiten Schultern. »Vor fünf Tagen brachten Fuller und Newman, der andere Keeper, den die Blaubäuche, wie du sagtest, bei der Flucht der vier Kerle noch aus dem Sattel schießen konnten, je zwei volle Wagenladungen aus dem Fort.«
»Wohin?« »Angeblich zu irgendwelchen Farmen am Rio Doro.« »Wieso angeblich?« fragte ich. »Was willst du damit sagen?« Jicarilla grinste mich an. »Du hast heute deinen blöden Tag, wie? Denk doch mal nach! Vielleicht hat der dicke Guzman vorausgeplant – im Planen ist der doch wohl noch besser als der verdammte Major Fly, der das angeblich in West Point gelernt haben soll. Vielleicht hat Guzman einkalkuliert, daß der Diebstahl des Monatssoldes auffliegen könnte und er sehr plötzlich verschwinden müßte. Und da er ein Geizkragen ist, hat er vorher für einen solchen Fall seine teuersten Waren ausgelagert. Kann ich jetzt vielleicht mal einen Schluck von dem Weihnachtsrum pur kriegen?« Ich war platt und reichte ihm fast mechanisch die Flasche über das Feuer. Dieses versoffene Halbblut, das von allen verachtet und getreten wurde, entwickelte unvermutete Fähigkeiten. Die Kombination aus seiner Beobachtung, daß zwei Wagenladungen vor fünf Tagen das Fort verlassen hätten, um wertvolle Waren für den Fall der Fälle auszulagern, verriet ein scharfes Nachdenken und erschien mir auch irgendwie schlüssig. Denn ich selbst hatte ja darüber nachgegrübelt, wie es möglich sei, daß der dicke Guzman abhaut und alles im Stich läßt. Jetzt lieferte mir Jicarilla dafür eine durchaus annehmbare Erklärung – nur hatte ich keine Wagenspuren entdeckt, und das sagte ich Jicarilla noch einmal. »Mann«, erklärte Jicarilla etwas erbost, »würdest du so blöd sein und etwaige Verfolger mit der Nase draufstoßen? Die beiden Wagen sind eben auf einem Umweg dorthin gefahren, wohin jetzt die drei Hundesöhne unterwegs sind.« Das war einleuchtend. Wahrscheinlich hatte ich wirklich heute meinen blöden Tag, wie Jicarilla sagte. Und an Ereignissen war er auch nicht gerade arm gewesen – Ereignissen, von denen Jicarilla die Hälfte verschlafen hatte. Ich entzog ihm die Rumflasche und stellte erbittert fest, daß er bereits über die Hälfte weggeputzt hatte. »Schluß jetzt«, sagte ich. »Morgen ist auch noch ein Tag.« »Übermorgen auch«, sagte Jicarilla und grinste, »nur nicht
Weihnachten. Paß gut auf den Rum auf, Mister, der stammt wirklich aus Ketchums besten Beständen.« Er kniff ein Auge zu. »Den hat er dir für mich mitgegeben, stimmt's?« »Ja, stimmt«, sagte ich. »Und ich werde ihn einteilen, um dich bei Laune zu halten, Mister.« »Na dann«, sagte Jicarilla und suchte sich seine Decken zusammen. Fünf Minuten später schnarchte er wieder. Auch ich wickelte mich in meine Decken und verließ mich auf die scharfen Sinne Shitas.
2. Wir brachen nach einem kargen Frühstück aus Hartbrot und Speck, am nächsten Morgen gegen sechs Uhr auf. Über den Ash Fork trieben Fetzen des Morgennebels. Es war empfindlich kühl – wie immer um diese Jahreszeit im Herbst. Tagsüber würde es dafür wieder bullig heiß sein. Jicarilla war brummig und maulfaul, nachdem ich ihm keinen Frühstücksrum gegönnt hatte. Immerhin waren wir jetzt endlich zwei Scouts, und ich brauchte den Pinto nicht mehr hinter mir herzuziehen. Wir gelangten zügiger voran als am gestrigen Tag. Shita schnüffelte voraus, die Schnauze auf den Spuren der drei Reiter. Dieser Hund hatte seine Aufgabe begriffen. Wieder einmal wurde mir bewußt, was ich an ihm hatte. Nur ein Hund – und noch dazu ein Bastardhund, ein Bastard genauso wie Jicarilla. Und beide waren sie nicht mit Gold aufzuwiegen. Diese beiden Bastarde folgten der Spur. Ich hielt mich seitlich zurück, hatte sie im Auge und gleichzeitig die Umgegend, die immer ruppiger, das heißt, unübersichtlicher wurde. Shita stoppte, hoppelte schnüffelnd nach links, schlug einen Dreiviertelbogen, setzte sich auf die Hinterpfoten und kratzte sich ausgiebig mit dem rechten Hinterlauf den rechten Nacken. Er verdrehte sich dabei wie ein Korkenzieher. Jicarilla zügelte seinen Pinto, stützte sich aufs Sattelhorn und sah ihm zu.
Mein Wallach blieb von allein stehen – aus Corpsgeist, nahm ich an. So standen also zwei Pferde, und mit ihnen warteten zwei Scouts. »Er hat Flöhe«, sagte Jicarilla tiefsinnig. »Na und?« fragte ich gereizt. »Darf ein Hund keine Flöhe haben?« »Ich mein ja nur«, sagte Jicarilla. Ich zuckte mit den Schultern, trieb meinen Wallach an und umritt Shita und Jicarilla. Dann zügelte ich den Wallach und betrachtete die Spur. »Er hat's auch gemerkt«, sagte Jicarilla. Ich drehte mich im Sattel zu ihm um. »Wer?« »Dein Hund?« »Was hat er gemerkt?« Jicarilla grinste. »Außer den Flöhen hat er gemerkt, daß eins der drei Pferde lahmt, und zwar links vorn. Sie haben hier gehalten, den linken Vorderhuf untersucht und festgestellt, daß das Eisen locker sitzt.« Ich kaute auf meiner Unterlippe. Diese beiden Bastarde – Hund und Halbindianer – waren ganz schön ausgekocht. Ich hatte nämlich gar nichts bemerkt, trotz meiner bestimmt nicht schlechten Kenntnisse im Spurenlesen. Schließlich war ich ja ein weißer Indianer, aber eben doch wohl mehr weiß als rot. So ein bißchen kochte ich. »Ich brauch einen Schnaps«, sagte Jicarilla und linste auf meine linke Satteltasche. »Wenn du damit rausrückst, verrate ich dir noch mehr.« »Ein Scout«, sagte ich, »der den anderen Scout zu erpressen versucht, ist ein ganz mieser Bastard.« »Ich bin gern ein mieser Bastard«, sagte Jicarilla mit stoischem Gleichmut. »Und wer redet denn gleich von Erpressung! Aber ich bin ja gar nicht so. Also paß auf. Der dicke Guzman hat auf dem Pferd mit dem losen Eisen gesessen. Jetzt sitzt er nicht mehr drauf. Das sind richtige Tierfreunde, sind das. Auf Guzmans Pferd reitet jetzt Gordon Craig, weil er der Leichteste von den dreien ist.« »Soso«, sagte ich, »na und? Dafür willst du einen Schnaps kassieren? Und was heißt hier Tierfreunde? Sie haben die Pferde gewechselt, um schneller voranzukommen.«
»Richtig. Nur werden sie ihr bisheriges Marschtempo nicht mehr halten können, und das Eisen wird von Meile zu Meile lockerer, auch wenn der leichtere Craig auf dem Pferd sitzt. Das wiederum könnte bedeuten, daß sie vielleicht noch einmal versuchen, uns einen überzubraten. Also sollten wir jetzt noch vorsichtiger sein, comprende?« »Geht klar«, erwiderte ich und spendierte Jicarilla einen kräftigen Schluck Rum. Allerdings mußte ich die Flasche wieder zurückfordern, als er sie wie selbstverständlich in seiner Satteltasche versenken wollte. So hatten wir ja nun nicht gewettet. Er maulte zwar und murmelte etwas von einem »gottverdammten Menschenschinder«, aber auf dem Ohr war ich nun wieder taub. Damals dachte ich auch, ich könnte ihn mit kleinen Schnapsrationen allmählich vom Suff wieder wegkriegen, aber, um es klar zu sagen, da hätte ich auch versuchen können, ein Bierfaß in eine Milchkuh umzufunktionieren. Immerhin rückte er die Flasche wieder heraus. Dann ritten wir weiter, aber jetzt noch weiter auseinandergezogen – Shita als Vorhut, Jicarilla etwa fünfzig Yards hinter ihm und ich auf der gleichen Distanz als Nachhut. Gegen Mittag verhielt Shita vor dem Eingang einer Schlucht mitten in den Halcon-Bergen. Auch Jicarilla stoppte seinen Pinto. Ich schloß zu ihnen auf. Wortlos deutete Jicarilla auf zwei Furchen im Boden, der wechselweise felsig und dann wieder mit Gras bewachsen war. Die Furchen zeichneten sich im Gras deutlich ab – Wagenspuren. Sie führten rechts von uns aus einem Nebental heraus und wiesen in die Schlucht vor uns. Shita hechelte und blickte abwartend zu uns hoch. Jicarilla glitt aus dem Sattel, bedeutete mir durch ein Handzeichen, zu warten und lief leichtfüßig zum Eingang der Schlucht. Rechts vom Eingang, der eine Breite von etwa dreißig Yards hatte, kletterte er wie eine Bergziege in den Felsen hoch und spähte in die Schlucht. Ich betrachtete die Wagenspuren. Die Furchen hatten sich in dem grasigen Boden etwa drei Fingerbreiten tief eingegraben. Die Wagen – es mußten mehrere gewesen sein – waren schwer beladen gewesen.
Jicarilla schien mit seinen Überlegungen recht zu haben. Guzman hatte bestimmte Warenbestände seines Stores ausgelagert und hierherbringen lassen. So weit, so gut. Nur warum hierher? Warum nicht dorthin, wo keine Wildnis ist? Also weiter nach Osten, nicht nach Westen. Hatte er die Schnapsidee, hier irgendwo in den Halcon-Bergen eine Handelsstation zu errichten? Unsinn, dachte ich. Da würde ihm sofort die Armee auf der Pelle sitzen. Im weiten Umkreis von Fort Calhoun durfte er sich nicht mehr blicken lassen. Mit dem Mord an Bonny und dem Diebstahl des Monatssoldes hatte er sich selbst das Wasser abgegraben. Ziemlich mysteriös, dachte ich. Alle Spuren – auch die der drei Reiter – führten in die Schlucht. Allerdings entdeckte ich noch Trittsiegel von Pferdehufen, die aus der Schlucht an mir vorbei in das Nebental verliefen, aber die waren ziemlich alt. Ich schaute zu Jicarilla hinüber. Er kletterte die Felsen hinunter und kehrte zurück. »Die Schlucht ist leer«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Etwa hundert Schritte vom Eingang entfernt, an der linken Schluchtseite ist ein höhlenartiger Einschnitt. Dort ist der Boden ziemlich zertrampelt. Von dort führen Wagen- und Pferdespuren weiter in die Schlucht, die nach etwa dreihundert Schritten nach links abknickt. Diesen Trail müssen sie genommen haben. Es gibt keine frischen Spuren, die aus der Schlucht hierher zu uns führen.« »Ich hab da eine Frage«, sagte ich. »Du sprachst von zwei Wagenladungen Guzmans, die vor ein paar Tagen das Fort verlassen haben. Brachten Fuller und Newman die leeren Wagen wieder zurück ins Fort?« Jicarilla nickte. »Dann erzähl mir mal«, sagte ich, »was die Waren – vorausgesetzt, sie wurden hierhergebracht – hier sollen. Ferner ist mir unklar, mit was diese Waren weitertransportiert werden, wenn die beiden Wagen ins Fort zurückkehrten. Guzman legt sich doch hier kein Warenlager an, um das Zeug vergammeln zu lassen.« Jicarilla kratzte sich am Kinn. »Mann, bin ich Jesus? Vielleicht hat
Guzman schon vorher hier Wagen deponiert. Was weiß ich!« »Und auch Pferde, wie?« fragte ich höhnisch. »Klar, auch Pferde, vielleicht sogar auch irgendeinen Kerl als Posten. Warum nicht? Guzman ist ein Schlitzohr. Ich hab doch schon gesagt, daß dieser Bastard noch gerissener und exakter plant als der verdammte Major Fly. Bild dir bloß nicht ein, nur die verfluchte Armee verfüge über die großen Planer, über Strategen, die über zehn Ecken vorauszudenken. Und jetzt sag ich dir noch was. Auf den Wagen, die Fuller und Newman aus dem Fort brachten, waren Fässer, in der Mehrzahl Fässer. Rat mal, mit was die gefüllt waren.« »Mit Pumapisse«, sagte ich. »Jawohl, genau«, knurrte Jicarilla, »mit Guzmans verdammter Pumapisse, von der du noch drei Tage später quergehst und nicht weißt, ob du Männchen oder Weibchen bist. Kein Whisky der Extraklasse, Mister, o nein, gottverdammte Pumapisse, noch zehn Striche unter dem miesesten Fusel, den ich sonst trinke. Und an wen verhökert er das Zeug, Mister?« »An die Apachen im Reservat. Du hast mal wieder recht, anders kann es nicht sein. Nur ist da wieder ein Haken. Mit was sollen diese armen Hunde denn bezahlen, he? Vielleicht mit Steinchen oder vertrockneten Pferdeäpfeln?« »Leck mich doch!« fauchte Jicarilla. Ich fixierte ihn tadelnd. »Das werde ich ganz bestimmt nicht tun, Mister. Aber vielleicht möchtest du noch einen Schluck Rum?« »Nicht vielleicht, sondern bestimmt.« Er kriegte seinen obligaten Schluck und wollte die Flasche wiederum behalten. Diesesmal ließ ich sie ihm. Sie war sowieso fast leer. Jicarilla kletterte auf seinen Pinto, nickte mir zu und ritt an. Wir passierten den Eingang zu der Schlucht, deren Wände zu beiden Seiten zerklüftet und rissig waren. Sie ragten etwa vierzig bis fünfzig Yards in den Himmel, zum Teil gezackt und bizarr geformt – ideale Plätze für die Horste von Raubvögeln. Der Boden der Schlucht war felsig, nur wo die Sonne hinreichte, hatte sich etwas Vegetation gebildet. Links und rechts von uns lagen Geröll und Felsbrocken herum, verwittertes Granitgestein, das
jahrhundertelang der Wechselwirkung von Frost und Hitze sowie der Winderosion ausgesetzt gewesen und irgendwann aus den Schluchtwänden herausgebrochen war. Shita benahm sich merkwürdig. Offensichtlich nahm seine empfindliche Nase zu viele Witterungen und Gerüche auf. Er lief schnüffelnd hin und her, fast planlos, und bellte schließlich die Höhle an. Außerdem versuchte er, links der Höhle im Geröll hochzuklettern, rutschte ab und kläffte wütend. Wir hatten die Höhle erreicht. Ihr Eingang war so groß, daß ein Planwagen hineinfahren konnte. Ich rutschte aus dem Sattel, um die Höhle näher zu untersuchen. Jicarilla leerte die Rumflasche. Dann folgte er mir. Kühle Luft drang aus der Höhle, die tief in den Felsen zu führen schien. Jedenfalls war ihr Ende nicht abzusehen, weil sie nach rechts abbog. Links an der Höhlenwand, etwa drei Schritte vom Eingang entfernt, befand sich eine primitive Feuerstelle, die von handbreiten Steinen eingegrenzt war. Die Höhlenwand an der Feuerstelle war rauchgeschwärzt, rechts war noch Holz gestapelt. »Sieht aus, als habe hier tatsächlich jemand kürzere oder längere Zeit gehaust«, sagte ich nachdenklich. Jicarilla nickte nur stumm und schien nach draußen zu lauschen. Shita kläffte wie verrückt. In diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, als liefe ein Beben durch die Höhle, Bruchteile von Sekunden später wurden Jicarilla und ich lebendig begraben. Eine Steinlawine brach donnernd vor dem Eingang nieder, verdunkelte ihn innerhalb von ein paar Sekunden, und dann war es Nacht. Die ganze Höhle wackelte und bebte. Wir atmeten Staub und müßten husten. Das Krachen, Donnern und Splittern brach genauso abrupt ab, wie es begonnen hatte. Die Stille wirkte unnatürlich. »Scheiße«, sagte Jicarilla heiser, hustete wieder und spuckte irgendwo hin. »Shita hat es gewußt.« »Was hat Shita gewußt?« Auch meine Stimme klang heiser. »Er wollte links der Höhle hochklettern und eine Spur verfolgen.
Die Hurensöhne haben eine perfekte Falle vorbereitet. Sie brauchten nur die Brocken über dem Höhleneingang zu lockern und dann zum Einsturz zu bringen – fertig, aus. Und wir Idioten tun ihnen auch noch den Gefallen und betreten beide die Höhle. Einer hätte draußen bleiben müssen.« »Der wäre jetzt tot«, sagte ich. »Wieso?« »Weil sie ihn abgeknallt hätten, darum.« Jicarilla fluchte. »Du bist vielleicht gut, Mister. Und was ist mit Shita? Knallen sie den auch ab?« Ein eisiger Schreck durchfuhr mich. Daran hatte ich nicht gedacht. Mit mir war wirklich nicht viel los. Aus dem Schreck wurde kochende Wut. Wenn sie Shita abgeschossen hatten, würden sie büßen müssen. Im selben Moment wurde mir bewußt, daß ich mal wieder totalen Unsinn dachte, denn um die Kerle büßen zu lassen, mußten wir ja wohl erst mal aus dieser blockierten Höhle heraus, und wie das zur Zeit aussah, hatte ich eher den Eindruck, bereits mit einem Bein in meinem künftigen Grab zu stehen. »Jetzt sagst du gar nichts mehr, wie?« ertönte Jicarillas Stimme aus der Schwärze. Er stand rechts von mir. »Hast du wenigstens Schwefelhölzer bei dir?« Die hatte ich, wenigstens das. »Hab ich«, erwiderte ich. Ich hörte, wie sich Jicarilla zu dem gestapelten Holz tastete. Dann schien er einen Span von einem Stück abzuspalten. Ich holte die Schwefelhölzer aus meiner Hemdtasche und riß eins an. Ja, Jicarilla hatte bereits einen dünnen Span in der Hand und hielt ihn wortlos an die Schwefelholzflamme. Seine Hand war völlig ruhig. Dieser Bastard hatte Nerven wie dicke Schiffstrossen. Der Span fing Feuer und spendete ein schwaches Licht. Jicarilla steckte ihn mit der Flamme schräg nach unten in eine Felsritze der Höhlenwand, spaltete mit dem Messer noch einen Span von einem Stück Holz ab, entzündete ihn an dem brennenden Span und steckte ihn auf der anderen Seite der Höhle in einen Spalt. Stumm betrachteten wir den Höhleneingang. »Mein lieber Mann«, murmelte Jicarilla andächtig.
Von Andacht war ich weit entfernt. Ich war eher erschüttert. Um diese Brocken im Eingang wegzuräumen, hätten wir die geballten Kräfte einer Büffelherde haben müssen, ganz abgesehen von der Zeit, die jetzt gegen uns tickte. Außerdem hatten wir kein Wasser und nichts zu essen. Viel Verstand gehörte nicht dazu, sich auszurechnen, wann wir hier elendiglich krepierten. Noch während ich darüber nachdachte, ertönte über uns ein häßliches Knirschen. Ich warf mich zurück. Jicarilla tat das auch – und deswegen erwischte es ihn. Wäre er stehen geblieben, wo er war, hätte es ihn nicht erwischt. Aber das soll man wissen. Ein schulterbreiter Felsbrocken löste sich aus der Höhlendecke und krachte ihm auf den Kopf. Er brach lautlos zusammen. Die Flammen der beiden Späne flackerten, verlöschten aber nicht. Ich rappelte mich wieder hoch, packte Jicarilla unter den Achseln und zerrte ihn tiefer in die Höhle. Aus der Höhlendecke lösten sich noch ein paar Steinchen und klackerten auf den Boden. Aus einer Platzwunde auf dem Kopf Jicarillas floß Blut, Er war ohne Bewußtsein. Ich bettete ihn, so gut es ging, zog mein Hemd aus, knüllte es zusammen und legte es ihm unter den Kopf. Dann band ich ihm mein Halstuch über die Platzwunde – idiotischerweise mit einer Schleife unter dem Kinn wie bei einem Zahnkranken. Das alles dauerte höchstens zwei Minuten. Erst danach setzte bei mir ein bißchen Panik ein. Hatte Jicarilla eine Gehirnerschütterung? Würde die Höhlendecke ganz einstürzen? Sollte, ich allein versuchen, den Eingang freizuräumen? Ich zwang mich zur Ruhe und ging an eine nüchterne Bestandsaufnahme. Ich hatte meinen alten Navy-Colt, mein Bowiemesser, eine Schachtel Schwefelhölzer, den Waffengurt mit Patronen voll gespickt, mein Medaillon an dem silbernen Kettchen, einen Bindfadenknäuel sowie zweiunddreißig Dollar und zwanzig Cents. Na, das Geld konnte ich mir an den Hut stecken. Jicarilla war anspruchsloser. Bei ihm fand ich nichts – bis auf sein Messer und den Waffengurt mit dem vernickelten Army-Colt. Jedenfalls konnten wir uns erschießen, wenn wir der Ansicht
waren, nicht elend verrecken zu wollen. Ich schnitt ein paar Späne zurecht, um Ersatz zu haben. Die Luft in der Höhle war ziemlich stickig. Bis auf das Knacken in dem Gestein über mir herrschte in der Höhle im wahrsten Sinne des Wortes Grabesstille. Von draußen drang kein Laut herein. Ich dachte wieder an Shita, meinen Bastardhund. Und was war mit unseren Pferden? Sie würden sie mitnehmen. Ich fluchte erbittert vor mich hin. Die Jagd nach drei Verbrechern, von denen einer ein Mörder war, hatte in dieser verdammten Höhle ihr Ende gefunden. Zwei erfahrene Scouts hatten sich wie blutige Anfänger aufs Kreuz legen lassen – von einem Storebesitzer, einem Spieler und einem Saloonkeeper. Diese Blamage regte mich fast noch mehr auf als die Aussichtslosigkeit, diese Höhle je wieder zu verlassen. Jicarilla und ich waren am Ende unseres Trails angelangt. Oder etwa nicht?
3. Ich suchte mir aus dem Holzstapel einen harzigen Ast heraus und entzündete ihn. Solange Jicarilla bewußtlos war, konnte ich schon mal damit anfangen, unsere Grabkammer weiter zu untersuchen. Dazu brauchte ich Licht. Im übrigen war das reine Beschäftigungstherapie, von der ich mir kaum etwas versprach – wie zum Beispiel die idiotische Hoffnung, einen zweiten Ausgang zu finden. Wenn die Kerle den Höhleneingang verschüttet hatten, dann hatten sie genau gewußt, warum sie das taten – um uns nämlich absolut auf Nummer Sicher zu haben. Mit tödlicher Gewißheit! Dennoch tat ich das, was jeder Gefangene tut, der irgendwo eingesperrt wird. Da ist eben doch die nie verlöschende Hoffnung, entgegen jeder Logik dennoch einen Ausschlupf zu finden, den die Kerkermeister übersehen haben. Mit dem brennenden Kienast tappte ich nach hinten in die Höhle und bog nach rechts. Hier bildete die Höhle plötzlich einen schmalen Gang, der wiederum leicht nach links abbog. Ich mußte mich etwas ducken, denn die Decke verminderte sich auf weniger als Stehhöhe.
In der Höhle vorn betrug die Höhe mindestens vier Yards, hier schrumpfte sie zusammen. An den Gangwänden hingen Spinnweben. Ihre Erbauer turnten hurtig davon und versteckten sich in Ritzen, als ich mit dem flackernden Licht näherrückte. So mutterseelenallein waren wir also doch nicht. Zumindest teilten wir unseren derzeit den Lebensraum – Lebensraum, haha! – mit Spinnen, Käfern, Asseln und sonstigem Kleingetier, was ich als durchaus tröstlich empfand. Der Gang verengte sich zu einem Durchschlupf, durch den ich kriechen mußte, und führte in eine zweite, aber größere Höhle als die vordere. Was ich hier entdeckte, ließ mir die Haare zu Berge stehen. Im ersten Moment griff ich nach dem Colt, obwohl das völlig unsinnig war, denn der Mann lag auf dem Bauch und hatte ein Messer im Rücken. Ich stieß pfeifend die Luft aus und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Allmählich reichte es mir, was uns an unliebsamen Überraschungen geboten wurde. Ich rammte den brennenden Ast in eine Felsenritze und näherte mich dem Mann. Er lag so, wie er gestürzt sein mußte, als ihm jemand das Messer in den Rücken gestoßen hatte – etwas verkrampft, die Beine leicht angezogen. Der Stich mußte genau das Herz getroffen haben. Nur etwas Blut war aus der Stichstelle herausgesickert. Der Mörder hatte großzügig auf das Messer verzichtet. Es war ein Bowiemesser mit Horngriff. Ich zog das Messer heraus und drehte den Mann auf den Rücken. Ein wächsernes, bärtiges Gesicht starrte mich an, schmallippig, mit gebrochenen Augen. Ein gutes Gesicht war es nicht. Mir war der Mann unbekannt. Ich richtete mich wieder auf. Wie lange mochte der Mann schon tot sein? Er war noch nicht völlig steif. War er der Wächter – wie Jicarilla vermutet hatte-, der auf die ausgelagerten Waren Guzmans aufgepaßt und eventuelle Reservepferde hier versorgt hatte? Wenn ja, dann hatten die drei Verbrecher auf die weitere Mitarbeit
dieses Mannes keinen Wert mehr gelegt und ihn kurzerhand umgebracht – von hinten, wohlgemerkt. Guzman, Craig und Fuller entpuppten sich immer mehr als skrupellose und leider auch gerissene Kerle. Aber diese Erkenntnis nutzte mir jetzt herzlich wenig. Der Mann trug einen Waffengurt mit einem Army-Colt in der Halfter. Ich blickte mich in der Höhle um und stellte fest, daß von ihr außer dem Einschlupf, durch den ich eingedrungen war, drei weitere Gänge in den Felsen führten. Hier schien ein ganzes Höhlensystem vorhanden zu sein. Rechts neben dem Durchschlupf entdeckte ich ein Lager mit einem Sattel, zwei Satteltaschen, einer Satteldecke und zwei Wolldecken. Außerdem fand ich einen Sharps-Karabiner, eine Kiste mit Pechfackeln und in einer Felsnische ein kleines Wasserfaß, zwei Speckseiten, eine Hartwurst, zwei Säckchen mit Kaffeebohnen, Hartbrot und Kochgeschirr. Hatten die drei Kerle diesen Proviant übersehen? Wenn ja, dann war ihnen damit ein Fehler unterlaufen, der unsere Rettung bedeuten konnte. Wenn nicht, dann mußten sie felsenfest davon überzeugt gewesen sein, daß wir es mit eigener Kraft nie schaffen würden, die Höhle je wieder zu verlassen, auch wenn wir unser Leben mit dem Proviant hier um einige Zeit verlängern konnten. Das Wasserfaß, so stellte ich fest, war noch fast voll. Es war jetzt unser kostbarster Besitz. Hunger war zu ertragen, Durst nicht. In den Satteltaschen fand ich Munition für den Sharps-Karabiner, Schwefelhölzer, Tabak und Zigarettenpapier. Alles in allem konnte ich ganz zufrieden sein. Ich entzündete eine der Pechfackeln und kehrte mit ihr in die vordere Höhle zurück, um nach Jicarilla zu sehen. Wieviel Zeit inzwischen vergangen war, vermochte ich nicht mehr zu beurteilen. Jetzt fehlte die Sonne als Zeitmesser. Jicarilla war noch bewußtlos. Als wir aus dem Fort aufgebrochen waren, hatte er sich im Tiefschlaf befunden. Jetzt war er ohne Bewußtsein. Wenn dieses wechselweise Wegtreten von der Wirklichkeit zum
Dauerzustand werden sollte, dann hatte er das bessere Los von uns beiden gezogen. Ich überlegte, ob ich etwas Wasser opfern sollte, um Jicarillas Kopfwunde zu säubern und ihm einen feuchten Umschlag anzulegen, entschied mich aber dagegen. Wir mußten mit jedem Tropfen geizen. Im hellen Licht der Fackel besah ich mir noch einmal den zugeschütteten Eingang. Wenn wir versuchten, den Schuttberg abzuräumen, um nach draußen durchstoßen zu können, mußten wir mit dem Geröll ja irgendwohin. Mir wurde klar, daß wir dann die vordere Höhle ziemlich schnell einengen und mit dem ganzen Schutt vollpacken würden. Und die Felsbrocken und Steine in die zweite, hintere Höhle zu schleppen, würde eine Kraftverschwendung sein, die wir uns nicht leisten konnten. Also, auf diese Weise unserer Grabkammer zu entrinnen, schied aus. Statt dessen sollten wir wohl besser erst einmal dieses ganze Höhlensystem untersuchen. Vielleicht fanden wir doch einen Ausschlupf, den die Kerle übersehen hatten. Proviant und Wasser verlängerten unser Leben und damit die Zeitspanne einer gründlichen Erkundung der Gänge und Höhlen. Die Kerle hatten die Fackeln zurückgelassen – auch ein unverzeihlicher Fehler. Vielleicht waren sie derart in Eile gewesen, die Höhle leerzuräumen und die Falle für uns vorzubereiten, daß sie solche Kleinigkeiten übersehen hatten – in ihren Augen Kleinigkeiten, für uns aber unter Umständen die Rettung. Meine Stimmung besserte sich bei diesen Überlegungen. Jicarilla grunzte, bewegte sich und schlug die Augen auf. Sein Blick richtete sich auf die Pechfackel, die ich links von ihm in eine Felsspalte geklemmt hatte. Er schloß die Augen und öffnete sie wieder. Dann tastete er über seinen Schädel, bemerkte das Halstuch, das ich unter seinem Kinn zusammengebunden hatte, und funkelte mich wütend an. »Was soll das denn?« sagte er unwirsch. »Du hast einen Felsbrocken auf den Deckel gekriegt«, sagte ich, »und demzufolge eine Platzwunde. Ich hab sie mit meinem Halstuch verbunden.« »Und warum läufst du hier halbnackt herum?«
»Um dir zu einem Kopfkissen zu verhelfen.« »Brauch ich nicht«, erklärte er und richtete sich auf. »Sonst geht's dir gut, wie?« »Phantastisch«, sagte er und zerrte sich das Halstuch vom Kopf. Dann stand er ganz auf, wackelte etwas und starrte wieder auf die Pechfackel. Dabei rieb er sich die Stirn. »War die vorhin schon hier?« »Hab ich gefunden«, erwiderte ich, bückte mich nach meinem Hemd und zog es wieder an. »Feine Fackel«, sagte er. »Ich hab noch mehr«, sagte ich. »Außerdem ein kleines Wasserfaß, zwei Speckseiten, eine Hartwurst, zwei Säckchen Kaffee, Hartbrot, einen Sattel, zwei Satteltaschen, eine Satteldecke, zwei Wolldecken, einen Sharps-Karabiner samt Munition, einen ArmyColt und ein Bowiemesser. Letzteres steckte im Rücken eines Toten.« Jicarillas Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, daß er ernsthafte Zweifel hegte, ob ich noch bei Verstand sei. Besorgt fragte er: »Bist du sicher, daß nicht dir der Brocken auf den Kopf gefallen ist?« »Absolut.« Ich grinste ihn an. »Sagtest du eben was von einem Toten?« Ich nickte und deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Da hinten ist noch eine Höhle.« »Sag das doch gleich«, brummte er, zerrte die Fackel aus der Felsspalte und setzte sich in Bewegung. Ich folgte ihm. Eine Minute später standen wir in der zweiten Höhle, und Jicarilla blickte sich um. Über sein breitflächiges Gesicht glitt ein zufriedenes Grinsen. »Schau einer an«, murmelte er. Dann drehte er sich zu mir um. »Eine Flasche Schnaps ist nicht darunter, wie?« Ich seufzte. »Schön war's, ich könnte nämlich auch einen vertragen, Mister.« »Schade«, sagte er, »aber man kann ja nicht alles haben, nicht wahr?«
»Du sagst es.« Er ging zu dem Toten und starrte auf ihn hinunter. »Den Hurensohn kenne ich«, sagte er. »Ich hab ihn ein paarmal in Guzmans Saloon im Fort gesehen. Tauchte mal auf und verschwand wieder. Ein ganz übles Stinktier, ein Skalpjäger, wenn du's genau wissen willst. Na, der schneidet keinem mehr die Kopfhaut ab. Wie hieß er doch gleich? Ah ja, Switcher, Mac Switcher. In der Hölle möge er schmoren.« »Hatte er zu Guzman Kontakt?« »Er ging oft genug in Guzmans Office. Was hab ich gesagt? Daß die Kerle hier einen Posten hatten – Switcher. Aber du glaubst mir ja nicht. Du denkst, ich sei ein versoffener Bastard mit Sägemehl im Gehirn, jawohl, das denkst du.« »Red nicht solchen Quatsch, Mister«, sagte ich. »Wenn wir hier herauskommen, spendier ich dir noch eine Flasche Rum von Corporal Ketchum.« »Was? Hattest du noch eine?« »Ja.« »In deinen Satteltaschen?« »Wo denn sonst?« Jicarilla fluchte erbittert. Das regte ihn mehr auf, als daß wir hier eingeschlossen waren. »Dann haben ihn jetzt Guzman und seine beiden Strolche, gottverdammt«, sagte er. »Wir müssen hier raus, verstehst du?« »Ich bin doch nicht blöd.« »Eine ganze Flasche Rum«, sagte Jicarilla erbittert. »Was meinst du, wer die von denen säuft? Fuller vielleicht? Ja, der. Der Hurensohn Craig trinkt bestimmt keinen Rum. Und Guzman? Nein, der auch nicht. Mist! Jetzt säuft Fuller meinen Rum – eine ganze Flasche. Mann, dem dreh ich den Hals um, dem Drecksack!« Der hatte vielleicht Sorgen! Ich blickte ihn kopfschüttelnd an und wollte etwas sagen, aber in diesem Moment lief ein Stoß durch die Höhlendecke über uns, Wände und Boden zitterten, ein Grollen und Brechen ertönte, das mir durch Mark und Bein ging, irgend etwas krachte aufeinander, und aus dem schmalen Durchschlupf zur vorderen Höhle fauchte eine Druckwelle, gefolgt von einer
Staubwolke. Wir standen beide geduckt da. Ich merkte, daß mir wieder Schweiß über das Gesicht lief. Wir lauschten und starrten auf den Durchschlupf. Wie beim erstenmal trat wieder gespenstische Stille ein. Jicarilla drehte sich zu mir um. »Die Höhle vorn ist eingekracht, wetten?« Der wollte auch noch wetten! Ergrimmt sagte ich: »Da gibt's nichts zu wetten, Mister. Allenfalls könnten wir jetzt wetten, ob einer von uns beiden noch lebte, wenn wir in der vorderen Höhle geblieben wären! Auf dieser Schluchtseite ist was in Bewegung geraten, seit die Kerle die Steinlawine ausgelöst haben. Der ganze Felsen ist morsch und brüchig, jedenfalls im vorderen Teil. Zu der Seite hin kommen wir nie wieder raus.« Ich stutzte. »Vielleicht hatten sie überhaupt damit gerechnet, daß gleich beim erstenmal die Höhle einstürzt. Das würde auch erklären, warum sie sich nicht weiter um den Proviant, das Wasser und die Fackeln gekümmert haben.« »Könnte sein.« Jicarilla nickte. Jetzt dachte er nicht mehr an die Flasche Rum, die seiner Meinung nach der »Drecksack« Fuller austrank. Er deutete auf einen der drei Gänge, die in diese Höhle führten. »Wir sollten uns einen nach dem anderen vornehmen und erkunden.« »Beide einen zusammen oder jeder einen?« »Jeder einen, das schafft mehr. Den dritten Gang nehmen wir uns dann gemeinsam vor.« »Gut«, sagte ich ohne Heiterkeit, »wenn mein Gang zusammenbricht, kannst du mich ja ausbuddeln. Ich nehme dort den linken. Den in der Mitte sparen wir aus, du nimmst den rechten. Leider hab ich keine Uhr dabei, du hast auch keine, also pirschen wir solange, bis wir was finden oder die Nase voll haben. Treffpunkt wieder hier. Fällt dir was Besseres ein?« »Nein, du bist der Boß, Mister.« Jicarilla holte sich eine Pechfackel aus der Kiste und entzündete sie an der brennenden Fackel. »Viel Glück, Mister!« Damit verschwand er in dem rechten Gang.
Ich nahm mir die brennende Fackel und noch eine Ersatzfackel und drang in den linken Gang ein. Er war knapp mannshoch und etwa einen Yard breit. Bereits nach etwa zehn Schritten wurde mir klar, daß wir uns etwas vorgenommen hatten, das jener verdammten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen glich. Anders ausgedrückt: Die Natur hatte in diesem Berg einen Irrgarten angelegt. Ich begann wieder zu schwitzen und kriegte einen trockenen Mund. Den Gedanken an Wasser verdrängte ich. Links und rechts des Ganges, durch den ich tappte, zweigten weitere Gänge ab, teils in Form körperbreiter Felsspalten, teils tunnelartig oder röhrenförmig angeordnet. Mir war völlig schleierhaft, wie so etwas entstehen konnte. Vielleicht hatte es hier vor Tausenden oder Millionen von Jahren einmal ein unterirdisches Quellwassersystem gegeben, das die Höhlen, Gänge und Tunnel aus dem Felsen herausgewaschen hatte. Das mochte eine Erklärung sein. Ein Geologe wußte das sicher besser. Jetzt jedenfalls war dieses Labyrinth knochentrocken, soweit ich das beurteilen konnte. Irgendein Rinnsal sah ich nicht. Die Luft war muffig. Lediglich die Wände und die Decke schimmerten etwas feucht, aber das beruhte wohl auf der Verdunstung von Luft. Ich blieb in dem Hauptgang, den ich so bezeichnete, weil er zunächst höher und breiter als die Abzweigungen war. Wenn mein Orientierungssinn richtig war, führte er immer tiefer in den Berg. Allerdings hatte ich nicht den Eindruck, daß er sich nach unten senkte. Ohne das Licht der Fackel hätte ich aufgeben können, denn der Gang verlief nicht geradlinig, sondern schwang in jähen Biegungen nach links oder rechts. Wäre es finster gewesen, hätte ich das alles ertasten müssen und aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwann die Orientierung verloren. Ob hier ein Mensch jemals herumgeirrt war, vermochte ich nicht festzustellen. Der Boden war felsig und hinterließ keine Spuren. Einzige Lebewesen dieser Unterwelt waren wieder Spinnen und mir unbekannte Kerbtiere, die vor dem Fackellicht erschreckt flüchteten und in Ritzen und Spalten verschwanden.
Immer wieder hörte ich jenes unheimliche Knacken im Berg. Ich hatte Mühe, nicht daran zu denken, was passierte, wenn hinter mir der Gang einstürzte. Geradezu teuflisch indessen war der Verlust jeglichen Zeitgefühls. Erstmalig wurde mir bewußt, wie abhängig der Mensch von der Zeit war, die sich für ihn sichtbar in den meßbaren Zeiträumen von Tag und Nacht, von hell und dunkel ausdrückte. In diesem Labyrinth herrschte die ewige Finsternis, es war eine andere Welt ohne den Auf- oder Untergang von Sonne, Mond und Sternen. Irgendwann trat das ein, was ich schon lange befürchtet hatte: Der Gang teilte sich, ohne daß zu erkennen war, welche von beiden Abzweigungen der »Hauptgang« sein könnte. Ich hatte die Qual der Wahl. Das mochte unsinnig erscheinen, weil es im Grunde völlig gleichgültig war, ob ich mich nach links oder rechts wandte. Aber ein Mensch in einem Irrgarten denkt und handelt wohl anders als jemand, der »im Freien« vor einer Weggabelung steht. Außerdem saß mir die Angst im Genick, mich zu verlaufen. Ich hätte wie jener griechische Held, von dem mir die Padres in der Mission am Pease River erzählt hatten, einen Fadenknäuel bei mir haben müssen. In der zweiten Höhle verankert, hätte ich mich an dem Faden wieder zurück zur Höhle orientieren können. Ich beschloß, von jetzt ab mit dem Bowiemesser Markierungen in die rechte Gangwand zu kratzen. Damit verlor ich zwar Zeit, aber es gab mir ein Gefühl der Sicherheit. Dann drang ich in den rechten der beiden Gänge ein. Auch er verlief in Biegungen, bis ich nach einer Weile in eine Höhle vorstieß, die etwas kleiner als die zweite war. Sie hatte außer meinem Gang vier Zugänge. Ich markierte meinen Gang mit einem großen geritzten Kreuz im Boden. Als ich mich aufrichtete, erstarrte ich. Aus dem Gang ganz rechts von mir tönten Geräusche. Ich stieß die Fackel in eine Felsspalte und zog den Colt. Dann huschte ich zu dem Gang und preßte mich links von ihm an die Felswand. Die Geräusche näherten sich. Sie klangen, als schleife etwas über den Boden. Ich biß die Zähne zusammen und umklammerte den Coltgriff. Meine Hand war schweißfeucht. Vorsichtig spannte ich
den Hammer. Flackernder Lichtschein fiel aus dem Gang. Ich hielt den Atem an. Die Schleifgeräusche waren Schritte. Ein paar Sekunden später stand ein Mann in der Höhle und starrte auf meine Fackel in der Wand gegenüber. Ich ließ den Colt sinken. Es war Jicarilla – mal wieder mit den besseren Nerven und scharfsinniger als ich. »Ronco?« rief er verhalten und schaute sich suchend um. So entdeckte er mich, da ich hinter ihm stand. »Na so was«, sagte er, »so trifft man sich wieder, wie?« Ich versenkte den Colt in der Halfter, nachdem ich ihn entspannt hatte. »Mann, hast du mir einen Schrecken eingejagt«, sagte ich gepreßt. »Wieso? Wer soll denn außer mir hier Spazierengehen? Der dicke Guzman vielleicht?« Er hatte völlig recht. Ich benahm mich wie ein Tölpel. Bissig sagte ich: »Allmählich hab ich die Schnauze voll, hier herumzuirren.« »Na ja«, sagte Jicarilla gleichmütig, »ist nicht viel los hier unten.« Er kratzte sich hinter dem rechten Ohr. »Merkwürdig, daß wir uns hier getroffen haben. Aus welchem Gang bist du gekommen?« »Aus dem da.« Ich deutete auf den Gang, dessen Boden ich mit einem Kreuz markiert hatte. »Hm«, brummte Jicarilla, »zumindest wissen wir jetzt, daß dein und mein Gang in dieser Höhle zusammenführen. Hast du bei deinem Gang größere Gabelungen gehabt?« »Eine«, erwiderte ich. »Bei mir waren es drei«, sagte Jicarilla, »ich habe immer jeweils die linke genommen.« »Aus einem bestimmten Grund?« Jicarilla schüttelte den Kopf. »Nur so aus Prinzip.« Ob links oder rechts oder geradeaus – es war Jacke wie Hose. Unter Umständen rannten wir auch im Kreis herum, ohne es zu wissen. Wahrscheinlich brauchten wir ein paar Wochen, um das zu
ergründen. »Hier war mal Wasser«, sagte Jicarilla unvermittelt. Er griff in die Hosentasche, holte einen länglichen Stein hervor und zeigte ihn mir. »Hab ich in meinem Gang gefunden. Schau dir das mal an!« Ich nahm den Stein und betrachtete ihn. Auf seiner Oberfläche war das unverkennbare Gerippe eines kleinen Fisches eingeprägt. Versteinerung nannte man ein solches Gebilde. Vielleicht fanden in Millionen Jahren irgendwelche Menschen die versteinerten Skelette von Jicarilla und mir und rechneten uns zu den Affen. Ich blickte Jicarilla schief an. »Den Stein verkauf ich«, sagte Jicarilla. »Es gibt Leute, die so was sammeln.« »Erst mal mußt du hier raus, Mister«, sagte ich. »Dann kannst du von mir aus den Stein verkaufen oder in Schnaps umsetzen.« »Letzteres bestimmt«, sagte Jicarilla, »was meinst du, was so ein Stein bringt?« »Das interessiert mich einen Dreck«, erwiderte ich grob und gab ihm den Stein zurück, »von mir aus steck ihn dir an den Hut oder häng ihn an die Uhrkette.« »Hab ich beides nicht. Sag mal, hast du schlechte Laune?« »Nein, ich bin heute so richtig lustig«, fauchte ich, zog meine Fackel aus der Felsspalte und wandte mich zum Gehen. »He, wo willst du denn hin?« rief Jicarilla. »Zurück in die zweite Höhle, mir knurrt der Magen.« »Das ist gut«, sagte Jicarilla, »meiner knurrt nämlich auch. Darum weiß ich, daß es jetzt auf den Abend zugeht. Wir können ja morgen weitersuchen.« Morgen! Wann war morgen? Ich wußte es nicht. Wir tappten durch meinen Gang zurück und landeten wieder in unserer Höhle. Nur, als wir sie betraten, stieß Jicarilla zischend die Luft aus. Ich fuhr zu ihm herum, und da wurde es mir ebenfalls klar! Wir waren nicht durch meinen Gang in die Höhle zurückgekehrt, sondern hatten soeben den Mittelgang verlassen. Auf dem Weg hierher mußten wir irgendwie in den mittleren Gang geraten sein – ohne es zu merken.
»Kapierst du das?« fragte Jicarilla. Ich schüttelte stumm den Kopf. Mir war ziemlich flau. Das war wirklich der reinste Zirkus hier unten. »Also«, sagte Jicarilla, »eins steht fest. Alle drei Gänge hier führen irgendwie zu der anderen Höhle. Vielleicht sollten wir uns morgen mal einen der Nebengänge vornehmen, aber gemeinsam, weil du so schreckhaft bist. Sonst schießt du womöglich noch auf mich, wenn wir uns irgendwo begegnen. Überhaupt: So ein Schuß kann einen ganzen Bergsturz auslösen, da muß man verdammt vorsichtig sein.« Da hatte Jicarilla mal wieder recht. Auch das hatte ich nicht bedacht, obwohl mir bekannt war, daß es so etwas gab. Lawinen konnten durch ein plötzliches Geräusch zum Abrutschen gebracht werden. »Schon gut«, murmelte ich und schnitt uns Speckscheiben ab. Jicarilla zapfte aus dem Wasserfaß etwas in einen Becher des toten Switcher, schnüffelte an dem Wasser und probierte einen winzigen Schluck. Er nickte und reichte mir den Becher. »Klar und sauber«, sagte er. Während ich trank, zog er den Toten in den Mittelgang, ohne darüber ein Wort zu verlieren. Wir teilten uns die Speckscheiben und aßen etwas von dem Hartbrot dazu. Auch Jicarilla trank einen Becher Wasser – ein Becher, das mußte für jeden von uns genügen. »In Switchers Satteltaschen befindet sich Tabakszeug, wenn du rauchen willst«, sagte ich nach unserem kargen Mahl. Jicarilla grinste. »Und ob, Mister, und ob. Rauchen kommt gleich nach dem Saufen.« »Ah so«, sagte ich, »und wie steht's mit der Liebe?« Jicarilla seufzte, während er sich Tabak, Zigarettenpapier und Schwefelhölzer aus der Satteltasche holte und eine Zigarette drehte. »Mich will keine«, sagte er brummig, »also sauf ich. Man kann ja nicht alles haben, nicht wahr?« Er war sehr bescheiden, dieser Bastard, der trotz seiner Versoffenheit Vorzüge und Qualitäten hatte, die niemand zu sehen
bereit war. In dieser Falle, in der wir saßen, zeigte er ein unerschütterliches Selbstvertrauen. Ihm war ein Felsbrocken auf den Kopf gefallen, aber er klagte nicht. Statt dessen sprach er davon, den »Dreckskerl« Fuller die Flasche Rum wieder abzujagen oder einen versteinerten Fisch zu verkaufen – um den Erlös in Schnaps umzusetzen. Er jammerte nicht. Er hatte eiserne Nerven. Er bewies, daß er Verstand hatte. Dieser Mann war Gold wert, und niemand wußte es. Ich begann es erst zu ahnen. Lobo, dem ich viel, viel später begegnen sollte, war ein ähnlicher Mann … Jicarilla rauchte und starrte aus dunklen Augen auf die Flamme der Pechfackel, die wir hatten brennen lassen. Die andere hatten wir gelöscht – auch um zu sparen. »Wie geht es deiner Kopfwunde?« fragte ich. »Schon vergessen. Mein Schädel hält 'ne Menge aus.« Jicarilla stand auf und holte sich das Messer, mit dem Switcher erstochen worden war. Er betrachtete den Griff von allen Seiten und sagte: »Fuller war der Mörder.« »Fuller?« »Im Griff ist ›R.F.‹ eingeprägt – Roy Fuller.« Er reichte mir das Bowiemesser. Es stimmte. Ich hatte die beiden Initialen übersehen. Sie befanden sich auf der einen Griffseite direkt über der Parierstange. Ich gab ihm das Messer zurück. »Fuller ist eine Ratte. Sie brauchten Switcher nicht mehr, darum wurde er abgemurkst. Als nächster ist Fuller dran. Bleiben nur noch Craig und Guzman, um sich den geklauten Monatssold zu teilen, denn darauf läuft es hinaus. Nur fragt sich, wer von den beiden letzten übrigbleibt, denn die werden sich auch noch an die Gurgel gehen. Fuller hat hier oben nichts drin.« Jicarilla zeigte auf seinen Kopf. »Switcher auch nicht. Darum benutzt man sie und läßt sie dann über die Klinge springen. Aber Guzman und Craig sind beide gerissen. Sie werden sich gegenseitig belauern, bis einer seine Chance sieht, den anderen umzubringen. Oder glaubst du, daß einer
bereit ist, mit dem anderen zu teilen?« »Nein, das glaube ich nicht«, erwiderte ich. »Also haben wir eigentlich Zeit«, sagte Jicarilla und grinste wie ein Teufel. »Laß sie sich doch gegenseitig umbringen, dann haben wir es nur mit einem zu tun – mit dem dicken Guzman oder mit Craig.« »Schon richtig, aber vorerst sitzen wir hier fest.« »Nicht mehr lange«, sagte Jicarilla gähnend. Wir teilten uns die beiden Wolldecken und löschten die Pechfackel.
4. Ich erwachte aus einem Alptraum und stürzte in den nächsten, der knurrte und jaulte und mir etwas Feuchtes ins Gesicht stieß. Ich fuhr hoch und wischte etwas weg, das mich ansprang. Dieses Etwas war aber kein Alptraum, sondern Fleisch und Blut, und es hatte ein Fell. Das Bellen war Musik in meinen Ohren. Shita! Ein Schwefelholz wurde angerissen. Jicarilla hatte es angezündet. Wir saßen stumm wie die Ölgötzen und starrten auf den Hund, der sich wie verrückt gebärdete, mich ansprang, beleckte, jaulte, zu Jicarilla wetzte, ihn begrüßte, sich im Kreis drehte und seinen Hundetanz aufführte. Jicarilla verbrannte sich die Finger an dem Schwefelholz und hatte dabei ein Gesicht wie zu Weihnachten, wenn es eine Extraportion vom Menageschnaps gab. Dann war es wieder dunkel. Ich stand auf, entzündete ebenfalls ein Schwefelholz und hielt es an die Pechfackel. Dann begrüßte ich meinen Hund, der es – der Teufel mochte wissen, wie – geschafft hatte, den Weg zu uns zu finden. Shitas Fell war voller Erde. Er sah aus, als sei er eine Zeitlang als Maulwurf tätig gewesen. Zur Belohnung schnitt ich ihm die Hälfte von der Dauerwurst ab.
Er fiel ausgehungert darüber her. Als er sie verputzt hatte, goß ich ihm Wasser in meinen Hut und ließ ihn saufen. Jicarilla sah immer noch aus, als sei Weihnachten. Ich grinste ihn an und sagte: »Die Bastarde haben ihn also nicht erschossen.« »Er müßte einen Orden kriegen«, sagte Jicarilla und grinste zurück, »und ein Denkmal und außerdem jeden Tag eine Riesenportion Knochen. Und die Armee müßte ihn zum General befördern mit Pensionsberechtigung und Staatsbegräbnis.« »Na, noch lebt er ja, und von der Armee hält er ebensowenig wie du und ich.« Ich kraulte Shita den Nacken und pulte ihm ein paar Erdkrümel aus dem Fell. Jicarilla packte den Proviant in die Satteltaschen und füllte, nachdem wir beide getrunken hatten, Wasser aus dem Fäßchen in eine Fellflasche des toten Switcher. »Nehmen wir den Sharps-Karabiner mit?« fragte Jicarilla. »Das sollten wir«, erwiderte ich, »sicher ist sicher. Auch Switchers Army-Colt und Fullers Bowiemesser sowie jeder von uns eine Ersatzfackel.« Wir verteilten die Lasten, von denen Jicarilla den SharpsKarabiner und das Messer übernahm. Shita sah uns aufmerksam zu. »Vorwärts, Alter«, sagte ich zu ihm, »dann bring uns mal hier raus!« Shita wedelte mit dem Schwanz und tigerte auf den rechten Gang zu, den Jicarilla bei unserer Erkundung genommen hatte. Wir schauten uns beide verdutzt an. Jicarilla zuckte mit den Schultern. Dann folgten wir meinem Hund. Beide hatten wir natürlich eine brennende Fackel dabei. Jicarilla hatte von drei Höhlen gesprochen, die er passiert hatte, bis wir uns begegnet waren. Bereits in der ersten Höhle wandte sich Shita nicht nach links, wie es Jicarilla getan hatte, sondern nach rechts. Nach meinem Orientierungsvermögen behielten wir die Rechtsrichtung auch stetig bei. Wenn das stimmte, mußten wir uns allmählich parallel zum Schluchtverlauf bewegen. Die Gänge wechselten mit kleineren und größeren Höhlen ab. Ich spürte, daß es höher hinauf in den Berg ging. Shita verfolgte
unbeirrbar seine eigene Spur. Mehrere Male mußten wir uns durch verdammt enge Gänge schlängeln, einmal spielten wir ebenfalls Hund und krochen auf allen vieren durch eine Art Tunnel. Mir war völlig rätselhaft, wie Shita uns bei diesen vielen Nebengängen, Windungen und Biegungen hatte finden können. Dabei wurde mir klar, daß Jicarilla und ich das nie geschafft hätten – oder nur durch Zufall, aber dieser Zufall hätte eine Chance von eins zu einer Million gehabt. Irgendwann landeten wir in einer Höhle, in der Shita hechelnd verharrte und zu einem Loch hochkläffte, das sich in der Höhlenwand etwa zweieinhalb Yards über uns befand. Direkt unter diesem Loch lagen Steine und Erdreich – frisches Erdreich. Jicarilla und ich starrten zu dem Loch hoch, das etwa den Umfang eines Wolfskörpers hatte – ohne Beine wohlgemerkt. Jicarilla hielt seine Fackel hoch und vor das Loch. Die Flamme bog sich zum Loch hin. Also war dort ein Luftzug nach draußen. »Shita muß sich bis dorthin durchgewühlt und dann hinuntergesprungen sein«, sagte Jicarilla. »Oder meinst du, daß er durchgebrochen und hinuntergestürzt ist?« »Ich weiß nicht. Ich wundere mich nur über den Kompaß, den er haben muß.« Shita bellte und sprang an der Wand hoch, wo sich das Loch befand. Also ging's tatsächlich dort oben weiter. »Leg deine Klamotten ab«, sagte Jicarilla, »damit du besser buddeln kannst.« »Wieso ich?« »Weil du von meinen Schultern aus arbeiten mußt und leichter bist als ich, darum.« Er reichte mir Fullers Bowiemesser. Ich steckte es in den Stiefelschaft und legte Satteltaschen und Waffen ab. Jicarilla stellte sich mit dem Rücken an die Höhlenwand, faltete die Hände vor dem Leib, ich setzte meinen Fuß in diese Art von Sprosse, hielt mich an seiner Schulter fest und schwang mich auf seine Schultern. Als ich stand, bückte ich mich noch einmal und stülpte ihm meinen Hut über den Kopf. »Gegen die Erde«, sagte ich, als er meutern wollte.
Dann begann ich mit der Arbeit. Zunächst erweiterte ich das Loch ringsum, indem ich alles lockere Gestein herausbrach und hinunter in die Höhle warf. Dann trat das Bowiemesser in Aktion, mit dem ich das Loch weiter ausputzte und die Erde herausschob. Einiges klackerte Jicarilla auf den Hut und die Schultern, aber das war nicht zu ändern. Ich konnte bequem arbeiten, weil sich das Loch etwa in meiner Brusthöhe befand. Als es für mich groß und tief genug war, zog ich mich hinein und bohrte mich weiter vor. Tatsächlich stieß ich bald nur noch auf Erde, durchsetzt mit Gestein. Über dem Gang, den ich vorantrieb, schien eine Felsplatte zu liegen, wie ich mit dem Messer feststellte. Ich schuftete wie ein Irrer und brauchte nur einem Schlupfgang zu folgen, der meiner Meinung nach einmal von Kaninchen angelegt worden war. Diesen Gang erweiterte ich. Das lose Gestein und Erdreich – das war die schwierigste Arbeit – mußte ich hinter mich befördern und in die Höhle schieben. Unten an der Höhlenwand begann sich ein Berg anzusammeln. Jicarilla grinste zu mir hoch und warf mir den Hut hinauf. »Ich glaub, den brauchst du jetzt mehr als ich!« rief er. »Du siehst aus wie ein Wurzelzwerg!« Ich fluchte, zwängte mich herum und wühlte verbissen weiter. Jetzt versperrte mir Wurzelwerk den Weg. Ich hieb und stach und säbelte. Dann stieß ich auf einen Felsbrocken, aber der wackelte bereits und saß nicht allzu fest. Ich stemmte mich mit der Schulter gegen ihn – aus der Hocke heraus. Er verschwand plötzlich wie weggezaubert, Licht stach grell in meine Augen, etwas entfernte sich polternd – der Brocken. Ich schob mich hoch und blinzelte durch die Wimpern. Der Brocken landete in einer sanft geschwungenen Talmulde, an deren oberen Rand ich der Erde entstiegen war. Hinter meinem Ausstiegsloch ragte ein verkrüppelter Tannenbaum in den Himmel. Ich atmete tief durch und sog die frische Luft ein. Die Talmulde war in die Felsen eingebettet. Ich blickte über Zacken und Schroffen. Hinter mir und der Tanne versperrten Felsbrocken die Sicht. Ich stieg aus dem Loch, reckte mich und ging
zu den Brocken, die wie riesige Zähne wirkten. Dann gaben sie die Sicht frei – unter mir lag die Schlucht, die sich an dieser Stelle zu einem Geröllhang erweitert hatte. Ich konnte sogar den verschütteten Eingang zu unserer Höhle, sehen – etwa siebzig Yards entfernt. Die Schlucht war leer. Die Sonne stand fast im Süden – also war ein ganzer Tag vergangen, seit wir in die Falle getappt waren. Ich wandte mich um, stieg wieder in das Loch und kroch zur Höhle zurück. Jicarilla hatte sich eine Zigarette gedreht und rauchte. »Durch, wie?« fragte er. »Die Luft ist nämlich besser geworden.« »Ja, wir haben es geschafft.« Ich legte mich auf den Bauch. »Reich mir mal unseren Prachthund hoch und dann die anderen Sachen.« Jicarilla suchte sämtliche Steine und Felsbrocken in der Höhle zusammen, armierte mit ihnen den Schutthügel unter dem Ausstiegsloch, schnappte sich Shita, stieg auf die Brocken und reichte ihn mir hoch. Ich nahm ihn entgegen und entließ ihn in den Gang, den ich gegraben hatte. Die übrigen Sachen warf mir Jicarilla hoch. Ihn selbst hievte ich mit Hilfe der Sharps in den Gang. Er hing am Lauf, ich umklammerte den Kolben und zog mit beiden Händen, wobei ich mich rückwärts bewegte. Minuten später standen wir alle drei am Rand der Talmulde. Wir lebten. Die Hölle hatte uns wieder ausgespuckt. Ich beugte mich zu meinem Hund hinunter und streichelte ihm den Kopf. Jicarilla blickte zur Sonne und sagte: »Jetzt haben die Hurensöhne einen Vorsprung von vierundzwanzig Stunden.« »Die Hälfte«, sagte ich und richtete mich wieder auf. »Denn heute nacht haben sie bestimmt ein Camp aufgeschlagen. Außerdem fühlen sie sich völlig sicher, nachdem sie uns ihrer Meinung nach in der Höhle begraben haben. Rechnen wir noch hinzu, daß sie sich jetzt nicht mehr zu beeilen brauchen, dann schrumpft ihr Vorsprung noch weiter zusammen.« »Also zu Fuß hinterher«, brummte Jicarilla.
»Was sonst? Unsere Pferde werden sie einkassiert oder sonstwohin gejagt haben. Wir sollten uns unten in der Schlucht ihre Spuren ansehen, Mister Scout.« Ich schnallte die Waffen wieder um, warf mir die Satteltaschen über die rechte Schulter und wandte mich zu dem Geröllhang, um in die Schlucht hinunterzusteigen. Jicarilla und Shita folgten mir. * Am Vorabend dieses Tages hatten Guzman, Craig und Fuller mit dem Planwagen einen Bach am Rand der Halcon-Berge erreicht. Der dicke Guzman gähnte und stellte den Bremshebel fest. Dann kletterte er schnaufend vom Bock und schaute sich um. »Hier campieren wir«, erklärte er zufrieden. »Fuller, schirren Sie die Pferde aus und – äh – versorgen Sie die Tiere. Dann möchte ich etwas essen und einen heißen Kaffee trinken.« Fuller und Craig, die neben dem Planwagen hergeritten waren, saßen noch auf ihren Pferden. Gordon Craig grinste amüsiert und sagte mit gesalbter Stimme: »Das ist ein Abend, wie er Gott, dem Herrn, gefällt. Voller Frieden und himmlischer Ruhe. Lasset uns nach getaner Arbeit das Brot brechen und dem Herrn in seiner unendlichen Güte danken.« Das war als Ablenkung gedacht, aber Fuller kümmerte sich nicht darum. Er starrte giftig auf Guzman hinunter. »Fuller dies, Fuller das«, maulte er, »ich bin zwar Ihr Keeper gewesen, Mister Guzman, aber ich bin nicht Ihr Knecht. Außerdem paßt es mir nicht, hier alles tun zu müssen, während Ihr lieber Craig fromme Sprüche drischt und dabei Däumchen dreht. Wenn schon Dreckarbeit, dann für alle. Schirren Sie Ihre Pferde allein aus, dann kümmere ich mich um das Essen und den Kaffee, und Craig kann Feuerholz sammeln, basta!« Guzman wechselte einen schnellen Blick mit Gordon Craig und blieb ausgesprochen friedlich. »Na, na, mein lieber Fuller, warum denn so hitzig?« sagte er. »Sicherlich sind Sie überarbeitet, Sie haben ja auch die Hauptarbeit geleistet, als wir die Falle für die beiden Scouts aufbauten. Das
werde ich Ihnen nie vergessen, auch nicht, daß Sie den aufdringlichen Switcher ohne viel Aufhebens und ohne besondere Komplikationen durch einen Messerstich ins Jenseits befördert haben. Ausgezeichnete Arbeit, mein Lieber …« »Sie versprachen mir dafür fünfhundert Dollar extra«, unterbrach ihn Fuller grob. »Von den tausend Dollar, die ich von den geklauten Soldgeldern erhalten sollte, habe ich auch noch nichts gesehen. Ich schätze, heute ist Zahltag, Guzman. Ich habe nämlich die Absicht, mich zu verdrücken und nach Mexiko zu verschwinden. Ihren Sprit können Sie allein zu den Mescaleros karren, ich hab keine Lust, mir von den Roten die Gurgel durchschneiden zu lassen.« »Aber, aber!« Der dicke Guzman hob seine Patschhändchen, als wolle er den Himmel anflehen, weil sich Mister Fuller so obstinat verhielt. »Sie können uns jetzt doch nicht verlassen, mein lieber Fuller – nicht bei dem Geschäft, das wir solange geplant und vorbereitet haben. Denken Sie doch an den Verdienst! Dreißig Prozent für Sie, wie vereinbart, Mister Craig war Zeuge.« »Erst will ich die vereinbarten tausend Dollar vom Soldgeld und die fünfhundert Dollar für den toten Switcher sehen«, sagte Fuller hart. »Zusammen fünfzehnhundert Bucks! Dann lasse ich weiter mit mir verhandeln. Ich traue nämlich weder Ihnen noch Craig, Ihrem sogenannten Zeugen.« Gordon Craig blickte zum Himmel auf und rief: »Undank ist der Welt Lohn, o Herr! Aber ich bitte dich, ihm, dem Verblendeten, zu verzeihen. Er weiß nicht, was er tut, wenn er seine einzigen Freunde verläßt und einem Ungewissen Schicksal überliefert! Führe ihn zurück auf unseren Weg, o Herr!« »Quark!« sagte Fuller. »Hör auf, hier herumzusalbadern, Craig, das zieht bei mir nicht mehr.« Er grinste dreckig. »Du hast doch Bonny abgemurkst. Hat dich der Fettsack dafür schon bezahlt, he?« Gordon Craig sagte gar nichts. Dafür begannen Guzmans Schweinsäuglein zu funkeln. Etwas weniger freundlich sagte er: »Wollen Sie hier Unfrieden säen, Fuller? Dann ist es vielleicht doch besser, wenn Sie verschwinden. Bitte helfen Sie uns noch, das Camp herzurichten und das Essen zu bereiten, dann zahle ich Sie aus. Und Sie, Craig, möchte ich bitten,
Feuerholz zu sammeln. Es wird bereits dunkel.« Er drehte den beiden den Rücken zu, watschelte zu den Gespannpferden und begann sie auszuschirren. Craig seufzte, kletterte aus dem Sattel, leinte sein Pferd am Planwagen an und schaute sich suchend um. Dann stelzte er zu dem Buschwerk, das am Bach entlang wucherte. Fuller blickte ihm höhnisch nach. Erst als Craig zwischen den Büschen verschwunden war, rutschte er aus dem Sattel. Gedeckt von seinem Pferd lockerte er den Colt in der Halfter. Während er die Feuerstelle baute und das Dreibein aus dem Planwagen holte, bewegte er sich so, daß er Buschwerk und den dicken Guzman ständig im Auge hatte. Gut, er, Roy Fuller, hatte Switcher umgebracht. Das hatte Guzman gewünscht und ihm dafür fünfhundert Dollar versprochen. Er hatte, ohne lange zu überlegen, den Mordauftrag übernommen und ausgeführt. Guzman hatte gesagt, Switcher müsse verschwinden, weil er zuviel wisse und dunkel angedeutet habe, aus diesem Wissen Kapital schlagen zu wollen – also Erpressung. Das mochte stimmen, aber ganz so sicher war sich Fuller da nicht. Viel eher nahm Fuller an, daß der Fettsack Guzman gar nicht daran gedacht hatte, jemals mit Switcher zu teilen. Logisch folgerte daraus, daß eine solche Verhaltensweise Guzmans auch ihm, Fuller, gegenüber möglich sein konnte. Dann brauchte der Dicke nur noch mit Craig zu teilen – oder den servierte er ebenfalls ab, wenn ihm der Zeitpunkt dazu richtig erschien. Fuller wälzte eine Menge schmutzige Gedanken in seinem Hirn, während er mit der Feuerstelle beschäftigt war. Ich könnte den Spieß umdrehen, dachte er. Entweder lege ich beide nachher um, oder aber ich ziehe Craig, auf meine Seite, mache mit ihm zusammen Guzman fertig und lasse später ihn über die Klinge springen. Die letztere Lösung wäre eigentlich die bessere, überlegte Fuller, weil ein Gegner immer leichter zu erledigen ist als zwei. Aber würde der verdammte Craig mitspielen? Das war der Haken. Den Coup mit dem Monatssold in Fort Calhoun hatten Guzman
und Craig zusammen ausgeheckt. Beide steckten unter einer Decke. Da würde es schwierig sein, einen Keil hineinzutreiben. Aber es gab noch eine dritte Möglichkeit. Wenn Guzman ihn nachher wirklich auszahlen sollte – was Fuller bezweifelte –, dann würde er zwar wegreiten, aber in der Nacht zurückkehren, heimlich natürlich, und die beiden wegputzen, wenn sie schliefen. Gordon Craig tauchte wieder zwischen den Büschen auf. Auf beiden Unterarmen trug er einen Stapel Holz. Du Idiot, dachte Fuller, wer keine Hand für die Waffe frei hat, kann sehr schnell ein toter Mann sein. Er warf einen Blick hinüber zu Guzman. Der fummelte immer noch mit dem Pferdegeschirr herum, spähte aber auch zu Craig, wandte den Kopf jedoch hastig weg, als er merkte, daß Fuller ihn beobachtete. Aha, dachte Fuller, da spinnt sich was an. Vielleicht wartet der Dicke auf einen günstigen Moment, um sich heimlich mit Craig abzusprechen. Craig war heran und warf das Feuerholz auf den Boden. »Brauchst du noch mehr?« fragte er schlechtgelaunt. »Im Moment nicht«, erwiderte Fuller, »aber du könntest Wasser für den Kaffee holen Craig.« »Vom Bach?« »Sehr richtig, es ist frischer als das Wasser in unseren Fässern.« »Willst du nicht lieber das Wasser holen?« Du krummer Hund, dachte Fuller, damit ich euch den Rücken zudrehe, wie? »Aber nicht doch«, sagte er, »ich kümmere mich um das Feuer, mein lieber Craig.« »Herr, dein Wille geschehe«, sagte Gordon Craig, nahm den Wasserkessel auf und stelzte zum Bach. Matthew Guzman hängte den beiden Gespannpferden Futtersäcke um und pfiff dabei unmelodisch. Fuller schichtete unter dem Dreibein ein paar dürre Äste auf und entzündete sie. Als sie brannten, legte er dickere Äste darüber. Wieder hockte er so, daß er Guzman und Craig im Auge behalten konnte. Seine rechte Hand behielt er ständig in der Nähe seiner Waffe.
Guzman zündete sich eine Zigarre an und brachte dann den Proviantsack zur Feuerstelle. Inzwischen kehrte auch Craig mit dem Wasserkessel zurück. Fuller hängte ihn unter das Dreibein. Das lauernde Schweigen brach Matthew Guzman, »Na, mein lieber Fuller«, sagte er, »haben Sie sich die Sache noch mal überlegt?« »Welche Sache?« fragte Fuller, obwohl er wußte, was Guzman meinte. »Ob Sie bei uns bleiben.« »Erst die Bucks, Guzman.« Der Dicke lächelte ölig. »Erst sollten wir uns stärken, dann das Geschäftliche, so habe ich es immer gehalten. Mit hungrigem Magen ist man schlechter Laune und neigt zu Aggressionen.« »Wenn du gegessen hast und satt bist«, salbaderte Gordon Craig, »sollst du den Herrn loben.« »Das natürlich auch«, sagte der dicke Guzman. Fuller knirschte mit den Zähnen. Die beiden spielten auf Zeitgewinn, wie auch immer sie vorgehen mochten. Also würde er wohl aktiv werden müssen. Aber auf den heißen Kaffee wollte er auch nicht verzichten und ebenfalls nicht auf ein paar gebratene Speckscheiben. Er goß mit der Linken den Kaffee auf. Craig schnitt Speckscheiben und legte sie in eine Pfanne. Während der Kaffee zog, brieten sie den Speck, und wieder herrschte lauerndes Schweigen. Plötzlich sagte Guzman: »Wir hätten den Köter abknallen sollen.« Craig hob überrascht den Kopf. »Den Bastardhund des Scouts?« »Ja.« »Wieso?« fragte Craig. Guzman schnaufte! »Wenn der ins Fort zurückkehrt und verrückt spielt, kann er eine Patrouille zu der zugeschütteten Höhle führen – und auf unsere Spuren.« Ein Grund mehr, mich abzusetzen, dachte Fuller. Craig sagte: »Der ist doch viel zu blöd, der Köter.« Fuller brach sein Schweigen. »Da täuschst du dich aber gewaltig, Craig. Das Vieh hat eine unheimliche Nase. Es hatte uns über der
Höhle gewittert und genauso auch, als ich den verdammten Ronco mit der Sharps aus dem Sattel putzen wollte.« »Wenn schon«, sagte Craig und zuckte mit den Schultern, »bis eine Patrouille aus dem Fort aufbricht und die Höhle findet, sind wir längst über alle Berge. Außerdem werden sie erst einmal bei der Höhle bleiben und den Schuttberg wegräumen.« »Oder auch nicht«, sagte Guzman, »denn wozu sollten sie zwei Tote ausbuddeln, von denen noch dazu einer ein versoffener Bastard ist? Sehr beliebt sind die beiden als Zivilscouts sowieso nicht. Allenfalls bleibt die eine Hälfte der Patrouille dort und buddelt, während die andere unsere Spuren verfolgt. Also haben wir sie doch auf dem Hals. Wir sollten morgen sehr früh aufbrechen.« »Das ist reine Schwarzmalerei«, sagte Craig. »Wir haben einen Vorsprung von mindestens drei Tagen.« »Lieber schwarzgemalt als am Halse langgezogen«, sagte der dicke Guzman. Gordon Craig zuckte zusammen. »Also wissen Sie, ich finde das nicht sehr spaßig.« »Ich auch nicht«, sagte Matthew Guzman und widmete sich seinen Speckscheiben. Er aß ziemlich gierig und fluchte, weil er sich Lippen und Zunge verbrannte. Craig indessen stocherte mißmutig auf seinem Blechteller herum und schien sich die Aussicht auszumalen, am Halse langgezogen zu werden, was ihm sichtlich den Appetit verdarb. Roy Fuller trank schluckweise von dem heißen Kaffee und wartete, bis der Speck etwas abgekühlt war. Etwa zwanzig Minuten später tat Guzman durch Rülpsen kund, daß er mit dem Essen fertig war. Er tupfte sich mit einem seidenen Taschentuch das Fett vom Kinn und holte zu Fulles Verblüffung eine dicke Brieftasche aus seiner Cordjacke. Gordon Craig stand auf und sagte: »Ich hole noch Holz für die Nacht.« »Sehr gütig von Ihnen«, sagte der dicke Guzman und lächelte wie ein zufriedener Buddha. Daß Craig etwas freiwillig tat, fand Fuller ziemlich merkwürdig. Allerdings war das Feuer ziemlich runtergebrannt. Craig verschwand
zwischen den Büschen am Bach. Es war dunkel geworden. »Na, dann wollen wir mal«, sagte der dicke Guzman, zupfte einen Packen Hundertdollarnoten aus der Brieftasche, beleckte Daumen und Zeigefinger der rechten Hand und fischte fünfzehn Banknoten aus dem Packen, der davon kaum schmäler wurde, Fuller kriegte Stielaugen. Guzman zählte ihm die Noten vor und überreichte sie ihm. »Zufrieden, mein Lieber?« fragte er. »Danke«, sagte Fuller heiser und verstaute das Geld in seiner Brusttasche. Daß der Dicke gezahlt hatte, erschien ihm wie ein Wunder. Sollte er ihn doch falsch eingeschätzt haben? »Sie sehen, ich halte mein Wort«, sagte Guzman. »Wollen Sie jetzt immer noch wegreiten? Wenn wir den Sprit an die Roten verscherbeln, spring bestimmt noch mal ein Tausender für Sie raus – mindestens.« »Nein«, sagte Fuller schroff. »Mein Entschluß steht fest. Außerdem haben Sie selbst die Möglichkeit angedeutet, daß uns eine Armeepatrouille verfolgen könnte, weil wir den Köter nicht abgeschossen haben. Der Hund mag ein Bastard sein, aber er ist Klasse. Da verdufte ich lieber.« »Jeder ist sich selbst der nächste, wie?« »So ist es, Guzman. Das ist doch auch Ihr Prinzip, oder?« »Manchmal schon, aber wenn jemand für mich arbeitet, stehe ich immer loyal zu ihm.« Fuller grinste höhnisch. »So loyal wie zu Switcher, nicht wahr?« Guzman blieb gleichmütig. »Switcher war ein Trottel – und er wurde unverschämt. Wer sich mit mir anlegt, hat bisher noch immer den kürzeren gezogen. Denken Sie daran, Fuller, falls Sie irgendwelche Absichten hegen, die sich gegen mich oder Craig richten. Ah, da kommt er ja zurück, der Gute.« Gordon Craig hatte wieder einen Stapel Holz auf seinen Unterarmen und stelzte ächzend heran. »Unser Freund will uns wirklich verlassen«, sagte der dicke Guzman zu ihm. »Für immer und ewig. Ist er nicht ein Schelm?« »Ein Schelm wie Switcher«, sagte Craig und lachte meckernd. »Grüß ihn von mir, Fuller!« Seine Rechte schnellte unter dem Holzstapel hervor wie eine
Giftnatter. Die Giftnatter blaffte und war eine Derringer-Pistole. Sie spuckte Feuer und ein Stück Blei, das genauso tödlich wirkte wie der Biß einer Giftnatter. Diese Erkenntnis nutzte Fuller nichts mehr – ebensowenig wie die blitzartige Erkenntnis, daß Craig, der Hurensohn, ihn beim ersten Holzeinsammeln absichtlich getäuscht und seine Wachsamkeit damit narkotisiert hatte, daß scheinbar keine seiner beiden Hände frei war, um zur Waffe greifen zu können. Das Holz war nur Tarnung gewesen. Jeder bezahlt für seine Fehler, nur bezahlte Roy Fuller mit seinem Leben. Mit einem häßlichen Loch über der Nasenwurzel brach er lautlos zusammen. »Sauber, sauber«, murmelte der dicke Guzman, beugte sich über den Toten und holte ihm die fünfzehn Hundertdollarnoten wieder aus der Brusttasche. »Mister Craig, Sie sind ein Meisterschütze.« Der Meisterschütze lächelte geschmeichelt und ließ den Holzstapel fallen. Nun lag die kleine Giftnatter ganz frei in seiner Hand, und sie hatte noch einen Giftzahn, da sie doppelläufig war. Der geleerte Giftzahn rauchte noch etwas. Behutsam pustete Craig den Rauch weg und blinzelte den Dicken an. »Ja, ja«, sagte er, »man tut, was man kann. Kennen Sie eigentlich die Geschichte von den zehn kleinen Negerlein, Mister Guzman?« Mister Guzman sah gar nicht gut aus, direkt ein bißchen grün sah er aus, das war trotz des heruntergebrannten Feuers noch zu erkennen. »D-doch«, stotterte Mister Guzman, »d-die Geschichte k-kenn ich, Mister Craig.« »Nein wie schön«, sagte Gordon Craig und freute sich, »jetzt sind wir nur noch zwei Negerlein, nicht wahr? Soll ich einmal dichten, wie es weitergehen könnte? Also: Zwei kleine Negerlein standen an einem Bach – da machte das eine Negerlein krach-bumm-bumm – und bums fiel das andere Negerlein um!« »Ein – ein sehr schönes Gedicht«, sagte Mister Guzman gequält, »noch nie wurde edler gereimt, Mister Craig. Es drängt mich direkt, Ihnen für die wundervollen Verse ein Honorar zu zahlen. Sind Sie
mit fünfzehnhundert Dollar einverstanden, lieber Mister Craig? Ich habe sie gerade bei der Hand.« »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei gelobt! Hiob eins, Vers einundzwanzig«, sagte Mister Craig gesalbt und streckte seine Linke aus. Die fünfzehn Hundertdollarnoten wechselten den Besitzer und verschwanden wie weggezaubert in Craigs linker Rocktasche. Dann senkte er die kleine doppelläufige Pistole, klappte sie auf und ersetzte die abgeschossene Patrone. Mit zufriedenem Gesicht steckte er die kleine, auf kurze Distanz so gefährliche Waffe ebenfalls in die Rocktasche. Der dicke Guzman wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dieser Craig hatte ihn in den letzten Minuten ganz schön zum Schwitzen und Frieren gebracht. Zwei kleine Negerlein! Dieser blöde Vers war eine versteckte, aber sehr deutliche Drohung gewesen. Aber Craig hatte nicht geschossen. Und warum nicht? Weil er noch auf das Geschäft mit den Roten scharf war – jenes Geschäft, das Switcher eingefädelt hatte und dessen Einzelheiten nur er, Guzman, kannte. Ohne ihn lief nichts, und das wußte Craig. Aber war das Geschäft abgewickelt, dann würde nur ein kleines Negerlein übrigbleiben, und das würde bestimmt nicht Gordon Craig sein. Soviel stand fest. Die beiden Verbrecher grinsten sich an, und ihr Grinsen sah aus, als fletschten zwei Kojoten die Zähne, wobei sie mit den Augen schon Maß nahmen, an welcher Stelle sie in die Kehle des anderen ihren Fang schlagen sollten. Ja, sie hatten beide längst den Tod des anderen beschlossen und daß sie ihn noch leben ließen, geschah aus reinen Zweckmäßigkeitsgründen. Sie brauchten einander noch. Es war eine makabere Situation, aber das störte die beiden nicht. Sie konnten sogar darüber witzeln. »Man muß ja richtig Angst vor Ihnen haben, Mister Craig«, sagte der dicke Guzman und drohte schelmisch mit dem Zeigefinger. »Aber ich bitte Sie, Mister Guzman«, erwiderte Gordon Craig, »das war doch nur ein kleiner Scherz unter Freunden. Wir wissen
doch, daß wir einander vertrauen können. Wie heißt es doch in der Offenbarung des Johannes? Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben!« »Ein schöner Spruch«, sagte der dicke Guzman. »Mein Leitspruch«, erklärte Gordon Craig mit frömmelnder Miene, »nach diesem ehernen Leitsatz lebe ich.« So siehst du gerade aus, du Schweinepriester, dachte Guzman. Dann zerrten sie nach kurzer Beratung den toten Fuller zwischen die Büsche und ließen ihn dort liegen – wie Abfall. Ihn »in die Grube fahren zu lassen« – wie sich Craig ausdrückte, erschien ihnen als reine Kraftvergeudung …
5. Die Spuren in der Schlucht verrieten, daß die Kerle Jicarillas Pinto und meinen Wallach sowie das Pferd mit dem losen Hufeisen mitgenommen und hinten an den Wagen gebunden hatten. Der Wagen wurde von zwei Gespannpferden gezogen. Als wir vor der Höhle, die als unser Grab geplant gewesen war, von unseren Pferden gestiegen waren, hatte das Gespann am nordwestlichen Ausgang der Schlucht verborgen gestanden. Das hatten wir von dem Platz vor der Höhle aus nicht sehen können. Jetzt verfolgten wir die Pferde- und Wagenspuren, die aus der Schlucht heraus westwärts führten. In dieser Richtung lag die Reservation der Mescaleros. Meile um Meile brachten wir im wechselndem Wolfstrab hinter uns. Zunächst ging es durch die Canyons und Täler der HalconBerge, dann an ihren Ausläufern entlang. Wie immer trottete Shita als unser Späher voraus. Am Abend stießen wir auf den Platz an dem Bach, wo die drei Kerle campiert und eine Feuerstelle gebaut hatten. Sie hatten es nicht für nötig gehalten, die Feuerstelle zu verbergen oder Sand über die Aschereste zu schieben. Shita schnüffelte herum und schnürte plötzlich los. Er verschwand zwischen dem Buschwerk. Gleichzeitig entdeckten Jicarilla und ich eine Schleifspur, die zu den Büschen führte.
Jicarilla bückte sich und hob eine Patronenhülse auf. Ich starrte auf die Hülse. »Derringer«, sagte ich. In dem Buschwerk gab Shita Laut. Er kläffte wie verrückt und fegte wie ein Teufelchen aus den Büschen. Ich hatte schon meinen Colt in der Faust. Jicarilla hatte die Sharps im Hüftanschlag. Wie auf einer Pirsch schlichen wir – Jicarilla rechts von mir – auf die Büsche zu. Shita knurrte, aber es war kein Knurren, das eine unmittelbare Gefahr signalisierte. Er trottete auf mich zu und kehrte wieder um. Hinter ihm drang ich in das Buschwerk ein. Jicarilla blieb zurück und sicherte nach allen Seiten. Ich duckte mich unter den Zweigen hindurch und sah, daß einige abgeknickt waren. Hier war jemand wie ein Büffel eingedrungen. Undeutlich sah ich links und rechts von mir am Boden Stiefelabdrücke. Und dann starrte ich in eine Mulde, vor der Shita stoppte und knurrte. In der Mulde lag ein Mann in verrenkter Haltung. Es sah aus, als sei er mit Schwung hinunterbefördert worden – wie ein Kartoffelsack, den man von einer Laderampe wirft. Ich stieg in die Mulde, drehte den Mann, der auf dem Bauch lag, herum und blickte in das zur Fratze gefrorene Gesicht Roy Fullers, des Keepers aus Guzmans Saloon. Zwischen seinen Augen war ein häßliches Loch. Jicarilla hatte es vorausgesagt. Sie brachten sich gegenseitig um. Jetzt hatten wir es nur noch mit zwei Galgenvögeln zu tun, aber diese beiden waren wohl noch übler als Galgenvögel. Mir fiel die abgeschossene Patronenhülse der Derringer-Pistole ein. Das war die bevorzugte Waffe der Kartenhaie. Gordon Craig hatte in Guzmans Saloon als Spieler gearbeitet. War er der Mörder? Wenn ja, dann hatte er innerhalb kurzer Zeit zweimal gemordet – erst die rothaarige Bonny und jetzt Fuller. Ich verließ die Mulde und kehrte zu Jicarilla zurück. Er blickte mich aus schmalen Augen an. »Sie haben Fuller erschossen«, sagte ich, »vermutlich war es
Gordon Craig.« Jicarilla war hellwach. »Von hinten erschossen?« »Nein«, erwiderte ich, »von vorn. Er hat ein Einschußloch über der Nasenwurzel.« »Die müssen Fuller ganz schön geleimt haben«, sagte Jicarilla. »Sein Messer steckte im Rücken Switchers, er selbst ist der nächste Tote, und zwar vermutlich umgelegt von Craig, denn der hat eine Derringer, das hab ich mal gesehen. Wenn ich das weiß, hätte es eigentlich auch Fuller wissen müssen, und trotzdem ist er darauf hereingefallen.« Er schüttelte den Kopf. »Möchte nur wissen, wie.« Ich starrte Jicarilla an. »Du hast die Derringer von dem verdammten Craig mal gesehen?« Jicarilla nickte. »Vor etwa zwei Monaten fühlten sich ein paar Trooper in Guzmans Saloon mächtig stark und veranstalteten ein Wettschießen auf leere Flaschen. Da mischte sich Craig ein, um sie zu bremsen. Er schoß mit einer Derringer und putzte zwei Flaschen weg.« »Zwei?« »Sag ich doch, er hat eine doppelläufige Derringer.« »Also hatte er«, meinte ich, »noch eine Kugel, nachdem er Fuller erschossen hatte. Mit dieser zweiten Kugel hätte er dann doch auch gleich Guzman erschießen können. Damit hätte er reinen Tisch gehabt, wenn wir davon ausgehen, daß sie sich gegenseitig umbringen.« »Stimmt«, sagte Jicarilla, »aber sie brauchen sich noch, um die verdammte Pumapisse an die Mescaleros zu verscherbeln. Erst dann gibt's wieder einen Toten. Gut für uns, wie?« »Na, mir wär's lieber, die beiden zu schnappen, bevor sie ihren Sprit an die Mescaleros verhökern. Wer weiß, was da noch alles passiert.« Jicarilla starrte auf die Feuerstelle. »Sie haben gestern abend hier campiert und sind heute morgen wieder aufgebrochen. Diese Ecke hier kenne ich ganz gut. Bis zur Reservation brauchen sie noch etwa zwanzig bis vierundzwanzig Stunden mit ihrem Wagen. Heute mittag müßten sie die Indianeragentur passiert haben.« Ich zuckte zusammen. »Was sagst du da?«
Jicarilla blieb völlig unbewegt. »Auf diesem Trail zur Reservation liegt Stuart Freys Blockhütte, Mister.« »Du meine Güte, das sagst du jetzt erst? Weißt du, was das bedeutet?« »Könnte sein, daß ich's weiß«, erwiderte Jicarilla ruhig. »Aber ändern könnte ich es auch nicht. Bleibt zu hoffen, daß sie die Agentur umfahren haben.« »Das glaubst du doch selbst nicht!« fauchte ich. »Der gottverdammte Guzman nimmt den kürzesten Weg, der fährt keine Umwege. Und jetzt stell dir bitte mal vor, Guzman fährt an der Agentur vorbei hinein in die Reservation. Meinst du, der mißtrauische Frey läßt ihn passieren, ohne nach dem Woher und Wohin zu fragen? Und Außerdem kennt er Guzman. Er weiß, daß der Kerl ein mieses Schlitzohr ist, das Gott und die Welt verhökert. Er wird wissen wollen – er hat als Indianeragent das Recht, danach zu fragen –, was sich auf Guzmans Wagen für eine Ladung befindet. Fässer! Und dann?« »Dann wird scharf geschossen«, erklärte Jicarilla seelenruhig, »und auf einer der beiden Seiten fällt jemand um. Muß das unbedingt Stuart Frey sein? Im übrigen hat er ja auch noch seine ›Wüstenblume‹ dabei. Und die weiß auch, wo bei einem Gewehr der Abzug ist. Hör bloß auf, alle Leute für totale Trottel zu halten.« Plötzlich grinste er. »Mister Frey hat einen ausgezeichneten Whisky. Wir sollten uns vielleicht doch beeilen.« Vor dieser Logik kapitulierte ich. Außerdem hängte sich Jicarilla bereits wieder die Sharps über die Schulter, was bedeutete, daß er nicht die Absicht hatte, hier zu campieren. Erbittert fragte ich mich, wer von uns beiden eigentlich der Chefscout war. Und wann hatten wir zuletzt geschlafen? In der verdammten Höhle. Aber da war mir die Zeit abhanden gekommen. Sollten es drei, vier, fünf Stunden gewesen sein, hätte das eigentlich genügen müssen. Aber ich fühlte mich, als hätte ich seit einer Woche nicht geschlafen. Ich hatte Blei im Gehirn und Blei in den Füßen. Andererseits hatte ich selbst gesagt, was alles sein könnte, wenn Guzman und Craig auf Stuart Frey, den Indianeragenten, stießen. Frey war ein feiner Kerl – einer jener Männer, die gegen den Strom
schwammen und die Klassifizierung nach Hautfarben für einen ganz miesen Käse hielten. Und da war die liebliche »Wüstenblume«, ein Apachenmädchen, das Stuart Freys Heim und Bett teilte. Sie war ein Geschenk des Himmels. Ich hatte also gute Gründe, meine Müdigkeit zu vergessen oder zu ignorieren. Und wenn der versoffene Jicarilla noch die Kondition hatte, auf eine Rast zu verzichten und weiterzumarschieren, dann galt das erst recht für mich. Schließlich war ich jünger als er und außerdem der Boß. Aber allmählich hatte ich Zweifel, was das letztere betraf. Wir tranken noch an dem Bach, und ich füllte die Fellflasche auf, dann zogen wir weiter. Jetzt übernahm Jicarilla die Führung, da er sich hier besser als ich auskannte. Wenn wir uns beeilten, konnten wir in den ersten Morgenstunden die Agentur erreichen. * Das Blockhaus des Indianeragenten Stuart Frey stand auf einer Anhöhe zwischen zwei roten Felstürmen, die wie riesige Nadeln in den Himmel ragten. Eine breite Veranda umgab den massiven Bau, der fest zwischen den Felsen verankert war. Zu der Veranda führte eine Leiter hoch, die Stuart Frey bei Gefahr oder auch nachts einziehen konnte. Allerdings drohte ihm von den Reservatsindianern, die ihn verehrten, weil er sich für sie einsetzte, keinerlei Gefahr. Eher hatte er den weißen Mann zu fürchten, jenen weißen Mann, für den ein toter Indianer immer noch der beste Indianer war. In den letzten vierzehn Tagen hatte Stuart Frey ein paarmal einen Mann gesehen, der ins Reservat und wieder zurückgeritten war. Switcher hieß der Kerl, und Frey wußte, daß er hin und wieder für Matthew Guzman, den Storekeeper und Saloonbesitzer in Fort Calhoun, arbeitete. Switcher hatte es jedesmal sorgfältig vermieden, die Agentur zu besuchen. Im Gegenteil, er war weit entfernt vorbeigeritten. Ein merkwürdiges Verhalten in dieser Einsamkeit.
Stuart Frey hatte beschlossen, dieser Sache auf den Grund zu gehen und bei seinen Schützlingen, den Mescaleros, nachzuforschen, ob sich Switcher bei ihnen hatte sehen lassen. Der Teufel mochte wissen, ob da ein Schweinerei im Gange war. Er, Stuart Frey, hielt nicht viel von dem dicken Guzman, den er in die Kategorie der schleimigen Kröten einstufte. Und von diesem Switcher hielt er noch weniger, weil gemunkelt wurde, der Kerl sei auf Indianerskalps scharf, für die bestimmte Kreise hier im Grenzland bereit waren, Pesos oder Dollars zu bezahlen. Einem solchen Mann mußte man auf die Finger schauen, und Stuart Frey war davon überzeugt, daß es schmutzige Finger waren. Nur hatte er sein Vorhaben noch nicht ausführen können, weil seine braune Stute Nachwuchs erwartet hatte, der vor fünf Tagen eingetroffen war. Fohlen und Muttertier wollte er jetzt noch nicht trennen. Wohl oder übel mußte er noch etwas warten. Um so verblüffter war er, als er am Mittag dieses Tages von Osten her einen Planwagen auftauchen sah, der von zwei Gespannpferden gezogen und von einem einzelnen Reiter begleitet wurde. Und noch mehr staunte er, als er hinter dem Wagen vier Pferde entdeckte. »Besuch!« rief er von der Veranda in die Hütte, wo Desert Flower das Essen bereitete. »Zwei Männer mit einem Planwagen und Pferden! Zwei Gedecke mehr, meine Blume, und natürlich auch eine große Kanne Kaffee!« Desert Flower bestätigte seine Anordnung mit einem silberhellen Lachen, das er so gern hörte. Er holte sein Feldglas und spähte zu dem Planwagen. Und dann fluchte er und rief: »Keine Gedecke, keine große Kanne Kaffee, Mädchen!« Er hörte einen erstaunten Ausruf, dann erschien Desert Flower auf der Veranda. Sie hatte ihr blauschwarzes Haar zu einem Zopf geflochten, so daß ihr schmales hübsches Gesicht mit den betonten Wangenknochen noch jünger wirkte. Lächelnd sagte sie: »Warum so verärgert, Stuart?« Der Indianeragent ließ das Glas sinken und brummte: »Auf dem Bock des Planwagens sitzt der dicke Guzman aus Fort Calhoun. Der Reiter ist ein Mann namens Gordon Craig, ein Kartenhai, ein
gottverdammter. Er arbeitet sonst bei Guzman im Saloon und betrügt die Blaubäuche aus dem Fort. Möchte wissen, was diese beiden Kerle hier wollen. Was es auch sein mag, was Gutes ist es bestimmt nicht.« »Sie werden nicht unsere Gäste sein?« »Lieber setze ich mich mit zwei Klapperschlangen an den Tisch, verstehst du?« »Nicht so ganz«, erwiderte Desert Flower sanft, »es verstößt gegen das Gastrecht hier draußen in der Wildnis.« Stuart Frey warf seiner Frau einen schiefen Blick zu. »Wir werden sehen«, murmelte er verbissen. Dann stieg er die Leiter hinunter – ein langer, dürrer Mann mit einem knochigen Gesicht und freundlichen, grauen Augen, die jetzt aber umwölkt waren. Der Planwagen rollte heran und hielt auf dem Trail, der über die Anhöhe führte. Stuart Frey löste sich aus dem Schatten des Blockhauses über ihm und trat zu dem Gespann. »Ah!« sagte Matthew Guzman. »Mister Frey, der Vater unserer roten Freunde im Reservat. Darf man eine kurze Rast einlegen und sich ein bißchen die Füße vertreten?« Stuart Frey ignorierte die Frage. »Hallo, Mister Guzman! Hallo, Mister Craig!« sagte er. »Was führt sie hierher? Wollen Sie in die Reservation?« »Ach ja, ach ja«, erwiderte der dicke Guzman, »das hätte ich fast vergessen, Ihnen zu sagen, mein lieber Mister Frey, und dabei ist es doch auch gerade für Sie wichtig, das zu erfahren. Nun, an, nach dem Ableben des schurkischen Elmar Gorring, der die Reservatsindianer so schändlich betrogen hat, wurde mir die hehre Aufgabe übertragen, unsere roten Brüder mit allem Lebensnotwendigen zu beliefern – natürlich im Auftrag unserer verehrten Regierung in Washington.« »Davon ist mir nichts bekannt«, sagte Stuart Frey schroff. »Natürlich nicht, mein lieber Mister Frey«, sagte der dicke Guzman und lächelte milde, »ich erhielt diese Nachricht auch erst vor zwei Tagen. Washington hatte es nach Fort Calhoun telegraphiert. Colonel Lester bat mich, Sie zu informieren.« »Haben Sie eine Vollmacht, daß Sie jetzt die Lieferungen
übernehmen sollen?« »Noch nicht, mein lieber Mister Frey, tut mir leid. Laut Telegramm soll mir diese Vollmacht samt der vertraglichen Konditionen und so weiter per Kurierpost noch zugehen.« »Und wo ist das Telegramm? Haben Sie das dabei?« »Aber ich bitte Sie, mein lieber Mister Frey, das war doch nicht an mich, sondern an Colonel Lester, Kommandant von Fort Calhoun, gerichtet, also an die Armee. Ich kann doch keine Armeetelegramme beschlagnahmen.« »Dann frage ich mich«, sagte Stuart Frey störrisch, »warum Ihnen nicht Colonel Lester eine provisorische Vollmacht ausgestellt hat, zu der er ohne weiteres befugt wäre. Ich hasse jegliche Bürokratie, aber in diesem Falle brauche ich gesetzliche Unterlagen. Schließlich hat es ja gerade mit dem letzten Lieferanten – wie Sie selbst bemerkten – eine Unmenge Ärger und Wirbel gegeben.« »Ist es nicht unsere Christenpflicht«, dozierte jetzt Gordon Craig, »auch ohne Vollmachten, Erlasse und Verordnungen den hungernden Heiden zu helfen?« Der dicke Guzman nickte heftig. »Wohl gesprochen, Mister Craig.« Er wandte sich wieder Stuart Frey zu. »Deswegen sind wir auch sofort aufgebrochen, ohne lange nach Formalitäten zu fragen, verstehen Sie?« Er wollte noch etwas hinzufügen, bemerkte aber, wie Stuart Frey etwas zurücktrat und die vier Pferde musterte, die hinten an den Planwagen gebunden waren. Der Pinto und der Wallach! Ein eiskalter Schreck durchfuhr ihn. Teufel, da war ihnen ein schöner Fehler unterlaufen – und die Situation war sowieso schon kritisch genug. Er hatte gedacht, den verdammten Indianeragenten bluffen zu können, aber der war stur. Stuart Freys graue Augen waren so hart wie Granit, als er den Blick von den Pferden nahm und den dicken Guzman wieder anschaute. »Zwei von den Pferden kenne ich, Mister Guzman«, sagte er kalt. »Sie werden von den beiden Scouts geritten, Ronco und Jicarilla. Merkwürdig, wie?« »Diedie sollen, äh, den Mescaleros geschenkt werden«, stotterte
der dicke Guzman. »Was denn? Mit den Sätteln, den Satteltaschen, den Deckenrollen, Proviantsack, Sharps- und Spencer-Karabiner in den Scabbards? Wollen Sie mich für dumm verkaufen, Guzman? Wo stecken die beiden Scouts? Heraus mit der Sprache!« »Im – im Fort«, sagte Matthew Guzman heiser. »So, im Fort«, wiederholte Stuart Frey. »Sie erwarten doch nicht, daß ich Ihnen das abnehme, Guzman. Was haben Sie denn auf dem Wagen? Lüften Sie mal die Plane!« »Unser Freund fragt ein bißchen viel, Mister Guzman«, sagte Gordon Craig. »Wie lehrte doch Paulus in seinen Episteln an Timotheus? Aber der törichten und unnützen Fragen entschlage dich; denn du weißt, daß sie nur Zank gebären!« »Mir scheint, hier wird mehr als Zank geboren«, sagte Stuart Frey trocken, »und für Bibelsprüche ist hier auch nicht der richtige Platz. Also, Guzman, was haben Sie geladen?« »Lebensmittel – Mehl, Salz, Zucker, Bohnen, Bataten, Konserven …« »Schlagen Sie die Plane zurück«, unterbrach ihn Stuart Frey schneidend. »Ich weiß gar nicht, was Sie wollen«, sagte der dicke Guzman wütend. »Sie haben nicht das Recht, mich, einen von der Regierung beauftragten Indianerhändler, in dieser unverschämten Weise zu behandeln und zu kontrollieren. Ich werde einen Beschwerdebrief nach Washington schicken!« »Es steht Ihnen frei, sich zu beschweren«, sagte Stuart Frey eisig. »Und was meine Rechte betrifft, so sind Sie nicht richtig informiert. Ich habe als Indianeragent nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Lieferung eines Indianerhändlers an die Reservatsindianer zu kontrollieren. Es könnte ja sein, daß Sie Waren ins Reservat zu schmuggeln versuchen, die auf der Verbotsliste stehen. Dazu gehören zum Beispiel Waffen und Munition jeder Art, Sprengstoffe und Spirituosen. Wenn Sie eine reine Weste haben, dann zeigen Sie mir Ihre Wagenladung, wenn nicht, beschlagnahme ich den Wagen.« »Ich protestiere!« schrie Matthew Guzman.
»Aber, aber«, sagte Gordon Craig und lächelte gesalbt, »was erregen Sie sich, Mister Guzman? Ich werde dem ehrenwerten Mister Frey zeigen, was wir geladen haben, denn unser Gewissen ist rein, weil wir auf dem Pfad der Tugend wandeln. Bitte sehr, Mister Frey, überzeugen Sie sich selbst!« Er trieb sein Pferd an die Heckbracke und löste die Verschnürung. Dann lüftete er eine Ecke der Plane mit der linken Hand an. Stuart Frey trat an den Wagen, stützte die Hände auf die Seitenbracke und spähte in das Wageninnere. So empfing er den Genickschuß aus der Derringer-Pistole. Es klang wie der kurze Bellaut eines Kojoten. Stuart Frey war sofort tot. Vielleicht hatte er Bruchteile von Sekunden vor seinem Tod noch die Spritfässer gesehen. Im übrigen war er unbewaffnet gewesen. Er kippte gegen den Wagen und schlug mit dem Kopf auf die Seitenbracke. Seine Hände verkrampften sich um das Holz. »Fahren Sie an, Mister Guzman!« rief Gordon Craig. Von der Veranda des Blockhauses ertönte ein gellender Schrei. Der Planwagen ruckte an. Guzman drosch mit der Peitsche auf die Pferde ein. Stuart Frey wurde ein Stück mitgeschleift, dann lösten sich seine Hände von der Seitenbracke. Er rollte in den Staub. Die vier Pferd hinten am Wagen scheuten. Ein Huf traf noch seinen Kopf. Gordon Craig jagte an dem Blockhaus vorbei, zog dann seinen Spencer-Karabiner aus dem Scabbard und warf sich etwa vierzig Yards weiter aus dem Sattel, als ihn ein Felsen deckte. Sein Pferd galoppierte weiter und folgte dem Planwagen. Mit einem hämischen Grinsen beobachtete er, wie die Indianerin die Leiter herunterkletterte und zu dem toten Mann lief. Sie warf sich über ihn. Gordon Craig hob den Spencer-Karabiner, legte ihn an dem Felsen an, visierte über Kimme und Korn und zog durch. Im Peitschen des Schusses brach die Indianerin über dem Toten zusammen. Die Kugel war durch den Rücken in ihr Herz gedrungen. Jetzt sah es aus, als versuche sie mit ihrem schmalen Körper den Leib ihres Mannes zu schützen. Der Tod vereinte Mann und Frau,
den Weißen und die Indianerin. Ihr Blut mischte sich und versickerte im Boden. Gordon Craig stelzte zu ihnen und stieß die beiden Körper mit der Stiefelspitze an. Der Mann und die Frau rührten sich nicht mehr. Frauen ermordete Gordon Craig von hinten. Vielleicht ertrug er es nicht, ihnen ins Gesicht zu sehen, wenn er schoß. Zuerst hatte er die rothaarige Bonny, eine der Huren aus Guzmans Saloon, erschossen. Jetzt war es die blauschwarzhaarige Desert Flower, die er niemals persönlich kennengelernt hatte. Er wußte von ihr nur, daß sie mit dem Indianeragenten zusammengelebt hatte. Ein billiges Indianerflittchen, dachte er verächtlich, klemmte den Spencer-Karabiner unter den Arm und marschierte hinter dem Planwagen her. Achthundert Yards weiter hatte Matthew Guzman angehalten und wartete auf ihn. Craigs Pferd stand mit gesenktem Kopf neben dem Planwagen. Guzman hatte sich eine Zigarre angesteckt und rauchte nervös. Gordon Craig erreichte sein Pferd, stieß den Spencer-Karabiner in den Scabbard und kletterte gleichmütig in den Sattel. »Sind sie tot?« fragte der dicke Guzman. »Mausetot.« »Vielleicht sollten wir das Blockhaus verbrennen – und die beiden auch gleich.« Gordon Craig spuckte verächtlich auf den rötlichen Boden. »Keine Lust«, erklärte er. »Was soll's! Bis die gefunden werden, sind wir in Mexiko.« Du bestimmt nicht, dachte Matthew Guzman und schnalzte mit der Zunge. Die Gespannpferde zogen an.
6. Stumm standen wir vor den beiden Toten. Noch war die Sonne nicht aufgegangen. Ich vermißte sie nicht. Das Drama, das sich hier abgespielt hatte, brauchte kein Licht. Das Grau des beginnenden Morgens hatte den sanften Ton, den Tod nicht so grausam erscheinen
zu lassen. Ich war nicht mehr müde, so absurd das klingen mag. Ich war hellwach und angefüllt von einer vibrierenden Energie. Sie hatten also wieder zugeschlagen, brutal und rücksichtslos. Jicarilla kniete nieder und blickte auf den Einschuß im Rücken von Desert Flower. Dann bewegte sich sein Kopf langsam nach rechts und verharrte dort, wo sich das häßliche Loch im Genick Stuart Freys befand. Dann stand er auf und bewegte sich lautlos entlang der Spur von Stiefelabdrücken, die von einem Felsen hierherführten. Er verschwand hinter dem Felsen und kehrte kurz darauf wieder zurück. Er ging an mir vorbei, etwa zehn, fünfzehn Schritte, und beugte sich über andere Spuren – Schleifspuren, Abdrücke von Pferdehufen und den Furchen von Wagenrädern. Nach einer Weile richtete er sich wieder auf und blickte mich an. »Guzman und Craig haben hier gehalten«, sagte er mit seiner ruhigen Stimme. »Dort«, er wies mit der rechten Hand hin, »hat Stuart Frey gestanden. Sie haben sich unterhalten. Dann ist Craig zum Wagen geritten und hat ihn wahrscheinlich geöffnet. Stuart Frey hat seinen Platz verlassen und ist nach hinten zum Wagen gegangen. Dort hat ihn Craig vom Sattel aus erschossen – mit seiner Derringer. Stuart Frey wurde noch ein Stück mitgeschleift, als der Planwagen losfuhr.« Er blickte hinüber zu dem Blockhaus zwischen den beiden Felstürmen. »Vielleicht hat Desert Flower das alles beobachtet. Craig ist am Blockhaus vorbeigeritten und dort hinten bei dem Felsen aus dem Sattel gesprungen. Desert Flower ist zu Stuart Craig gelaufen. Sie hat sich über ihn geworfen. In dieser Haltung starb sie – von hinten von Craig mit einem Spencer-Karabiner erschossen. Craig ist noch einmal hierher zurückgekehrt, um nachzusehen, ob die beiden tot sind.« Aus dunklen Augen starrte Jicarilla auf die beiden Toten. »Bonny, Switcher, Fuller, Stuart Frey, Desert Flower«, sagte ich, »fünf Menschen, und nur dieser Hund dort«, ich blickte zu Shita, »hat verhindert, daß es sieben wurden. Aber auch fünf sind zuviel.« »Nur drei«, sagte Jicarilla, »Switcher und Fuller zählen nicht. Sie erhielten das, was sie verdienten.« Er wandte sich um und ging zu
dem Blockhaus zwischen den beiden Felstürmen. »He, wo willst du hin?« rief ich ihm nach. »Ich brauche einen Whisky, gottverdammt«, knurrte Jicarilla, »und den hole ich mir jetzt, ob dir das paßt oder nicht.« Ich unterdrückte einen Fluch. Er hatte ja recht, dieser versoffene Kerl, der ein so hervorragender Scout war. Vielleicht wollte er auch den Ekel hinunterspülen, den ich genauso empfand. Ich wußte auch, daß er Desert Flower gern gemocht hatte. Er und sie waren Außenseiter, wenn nicht sogar Ausgestoßene, er, das Halbblut, und sie, die Frau eines Squawmannes. Ich beugte mich zu der Frau hinunter, unterfing sie und trug sie zu dem rechten Felsturm, dessen Spitze von der aufgehenden Sonne bereits rot überhaucht war. Unterhalb des Felsens legte ich die Tote nieder. Dann holte ich Stuart Frey und bettete ihn neben sie. Als ich mich wieder aufrichtete, hörte ich das Schnauben in dem Schuppen, den Stuart Frey seitlich des Felsturms errichtet hatte. Richtig, da war ja noch sein Pferd, eine sanfte braune Stute. Ich entriegelte die Schuppentür und betrat das Innere. Die Stute stand in einer Box, wandte mir den Kopf zu und wieherte leise. Ich riß die Augen auf, als ich das kleine Fohle sah, das gerade damit beschäftigt war, seine Morgenmahlzeit einzunehmen. Dort draußen Tod – hier neues Leben. »Ola«, sagte ich leise und trat dicht an die Box. Die Stute kannte mich und wieherte wieder leise. Die Futtertraufe war leer, die Box nicht gesäubert. Niemand hatte sich mehr um die Tiere kümmern können. Jicarillas Schatten verdunkelte die Schuppentür. »Du meine Güte«, sagte er staunend, »ein Fohlen, na, so was, ich wußte gar nicht, daß da was unterwegs war.« Er hatte glänzende Augen, und die Flasche, die er in der rechten Hand hielt war bereits zur Hälfte leer. Whiskydunst wehte zu mir herüber. »Gib her«, sagte ich und streckte die Hand aus. Jicarilla verbarg die Hand mit der Flasche hinter seinem Rücken. »Nein, die behalte ich«, sagte er bockig.
»Mann!« fauchte ich. »Was bist du nur für ein Kumpel! Ich will dir die Flasche nicht wegnehmen, sondern auch einen Schluck trinken.« »Ach so«, brummte Jicarilla, »sag das doch gleich.« Er rückte die Flasche heraus, und ich bediente mich. Es war guter Whisky, bei dem ich noch nicht mal zu husten brauchte. Ich reichte ihm die Flasche zurück. »Wenn du die Stute versorgst«, sagte ich, »kümmere ich mich um ein Grab für die beiden.« Jicarilla nickte stumm. Ich fand in dem Schuppen einen Spaten, ging wieder nach draußen und begann unterhalb des rechten Felsturms ein Grab zu schaufeln. Später half mir Jicarilla. Als wir Stuart Frey und Desert Flower in die Grube legten und die Erde wieder aufschütteten, stand die Sonne bereits zwei Handbreiten über dem östlichen Horizont. Ich sprach ein Vaterunser. Oben in dem Blockhaus aßen wir das, was Desert Flower kurz vor ihrem Tod zubereitet haben mußte – erkaltete Steaks, Bohnen und Bataten, die wir noch einmal erhitzten. Aus den Vorräten im Blockhaus ergänzten wir unseren Proviant. Außerdem nahmen wir zwei Wolldecken mit, sowie einen SpencerKarabiner mit Munition. Dann verriegelten wir die Agentur. Es war fraglich, wer sie übernehmen würde. Und ob der neue Indianeragent ein genauso guter Mann sein würde wie Stuart Frey, bezweifelte ich. Meist waren diese Agenten korrupt, und es kümmerte sie einen Dreck, wie es in den ihnen unterstellten Reservaten zuging. Der Tod Stuart Freys jedenfalls war ein nicht mehr ersetzbarer Verlust – weniger für die Weißen als für die Mescaleros, für die er sich mit Zähigkeit und Energie eingesetzt hatte. Sie würden diesen Verlust bitter zu spüren kriegen. Wir stiegen die Leiter hinunter. »Die Stute und das Fohlen«, sagte Jicarilla, als wir unten standen. Seine Uniformjacke war seitlich ausgebeult. Da hatte er noch ein volle Flasche verstaut. »Wir nehmen sie mit«, entschied ich, »als Geschenk für Häuptling Schlangenmann.«
»Gute Idee«, sagte Jicarilla. Mit dem Muttertier und dem Fohlen zogen wir weiter. Die Reservation begann. Wir hinkten hinter der Zeit her, aber das war unwichtig geworden. So oder so würden Guzman und Craig ihr Ziel vor uns erreichen, wir konnten es nicht mehr verhindern – auch nicht, daß sie ihren verdammten Sprit den Mescaleros andrehten. Aber wir hatten den Auftrag, die Schuldigen am Raub des Monatssoldes und am Tode einer Frau, auch wenn sie nur ein Flittchen gewesen war, nach Fort Calhoun zurückzubringen. Und das würden wir tun – und wenn die Kerle nach Mexiko flohen. Mit der Ermordung Stuart Freys und Desert Flowers war ihre Blutschuld noch größer geworden. Wir hofften, bei den Mescaleros zwei Pferde zu bekommen. Und dann würde eine erbarmungslose Jagd einsetzen. Dann auch würden wir wieder in der Lage sein, die verlorene Zeit aufzuholen – falls sie mit dem entleerten Planwagen weiterfuhren und nicht ritten. Und wenn sie tatsächlich ritten, mußten wir eben noch schneller sein. Das hieß Verzicht auf Schlaf und nur allenfalls kurze Rasten. Aber dafür waren wir Scouts. * Häuptling Schlangenmann war alt und verbraucht, und die Sorgen rissen nicht ab. Vor einiger Zeit war Luzero mit seiner Horde in der Reservation aufgetaucht und brachte Unruhe mit. Wie immer leckten sie hier ihre Wunden, bevor sie wieder zu ihren Beutezügen nach New Mexico, Arizona oder das südliche Texas aufbrachen. Waren sie verschwunden, kehrte wieder Ruhe ein. Aber wenn sie da waren, dann standen die Zeichen im Dorf auf Sturm. Sie schwängerten die Frauen, prahlten von ihren Coups, soffen Feuerwasser, das sie erbeutet hatten, fraßen die wenigen Vorräte weg und stifteten Unfrieden. Außerdem waren sie im Besitz von Feuerwaffen. Das alles war Grund genug, sich zu sorgen. Viel Schlimmeres jedoch bahnte sich an, seit Luzero und seine Horde irgendwo im südlichen New Mexico Gold gefunden hatten, jenes gelbe Metall, das
die Weißen anlockte wie Aas die Geier. Mit einem dieser Geier hatte Luzero bereits verhandelt, ohne daß es der alte Häuptling hatte verhindern können. Höhnisch hatte Luzero vor allen erklärt, mit dem gelben Metall würden für den Stamm neue Zeiten anbrechen – nicht mehr Zeiten der Not und des Hungers und der Verfolgung. Mit dem Gold könne man alles kaufen, auch Waffen, die sie brauchten, um die Weißen wieder aus dem Land zu jagen. Auf solche Reden fielen die jungen Krieger herein, die Heißsporne und Hohlköpfe, die noch nicht die Weisheit des Alters kannten und sich für den Nabel der Welt hielten. Eine Waffenlieferung hatte das Großmaul Luzero allerdings noch nicht mit dem Weißen, der Switcher hieß, ausgehandelt, aber dafür eine Wagenladung Feuerwasser. Feuerwasser! In den Abendstunden war der Planwagen mit den beiden Weißen in das Dorf gerollt. Switcher war nicht dabei gewesen. Einer der älteren Krieger, der einmal in Fort Calhoun gewesen war, hatte ihm, dem alten Häuptling, berichtet, der dicke Weiße mit dem Gesicht einer Kröte habe einen Store und einen Saloon im Fort und heiße Matthew Guzman. Also hatte Luzero dorthin Verbindungen angeknüpft – ausgerechnet zum Fort, dieser Dummkopf. Und wie hatte es geschehen können, daß der weiße Häuptling Stuart Frey den Planwagen in die Reservation hatte passieren lassen, denn an seinem Blockhaus mußten die beiden Männer doch vorbeigefahren sein. Da ballen sich dunkle Wolken zusammen, dachte Häuptling Schlangenmann zornig, und nur wegen dieses verfluchten Goldes. Eine halbe Stunde palaverten die beiden Weißen mit Luzero, dann erhielten sie von ihm zwölf Ledersäckchen, stiegen auf zwei Pferde und ritten nach Süden davon. Sie schienen es ziemlich eilig zu haben. Wieder eine halbe Stunde später waren etwa drei Viertel der Männer des Stammes so sinnlos betrunken, daß sie nur noch wie Neugeborene lallen konnten. Mit blöden Gesichtern und schielenden Augen torkelten sie herum. Wenn sie umfielen, krochen sie wie Hunde durch den Dreck. Einige wanden sich am Boden, hatten
Schaum vor dem Mund und röchelten wie verendende Büffel. Sie preßten die Hände vor den Magen. Später kotzten sie und lagen besudelt und verdreckt in ihrem Erbrochenen. Mit einem fast grauen Gesicht glitt Häuptling Schlangenmann zu dem Korral zwischen den Dornenhecken, wohin auch der Planwagen geschoben worden war, nachdem sie die Fässer abgeladen hatten. Die beiden Gespannpferde hatten die beiden Männer zurückgelassen und ebenso drei Pferde, die mit einem vierten Pferd hinten am Wagen angebunden gewesen waren. Aber auf diesem vierten Pferd war der dicke Mann mit dem Krötengesicht davongeritten. Zwei Pferde der drei zurückgelassenen Tiere interessierten den alten Häuptling, denn er meinte, sie zu kennen. Jetzt betrachtete er sie genauer. Sie waren noch nicht einmal entsattelt. Ja, er kannte die beiden Pferde, da war gar kein Irrtum möglich. Er kannte sogar die beiden Waffen in den Scabbards, um die sich noch niemand gekümmert hatte. Zu Jicarilla, dem Mann ohne Farbe, gehörten der Pinto und der Sharps-Karabiner, zu Ronco, dem gelben Falken, der Wallach und der Spencer-Karabiner. Häuptling Schlangenmann zählte zwei und zwei zusammen und gelangte zu der Überzeugung, daß diesen beiden Männern, die als Scouts für die Blaubäuche in Fort Calhoun arbeiteten, etwas zugestoßen sein mußte, das mit dem Mann mit dem Krötengesicht und seinem Begleiter aller Wahrscheinlichkeit nach zusammenhing. Waren sie von den beiden Männern umgebracht worden? Der Häuptling mochte alt sein, aber er war ein kluger Mann und keineswegs so senil, nicht mehr logisch denken zu können. Und diese Logik sagte ihm, was los sein würde, wenn eine Armeepatrouille die Pferde, die Waffen und das Sattelgepäck der beiden Scouts hier im Dorf der Reservation entdeckte. Ein solcher Fund würde das Ende seines Stammes bedeuten. Und wer wäre dann ursächlich der Schuldige an diesem Ende? Luzero, das Großmaul! Das Gesicht des alten Mescaleros, in das die Jahrzehnte ihre Runen gegraben hatten, versteinerte. Mit einem raschen Schritt war er an dem Wallach Roncos und zog den Sptencer-Karabiner aus dem
Scabbard. Das Röhrenmagazin war voll mit sieben Patronen. Ein Ersatzmagazin, ebenfalls gefüllt, fand Schlangenmann noch in den Satteltaschen. Er nahm es mit. Mitten im Dorf brannte ein Feuer. Dort standen auch die Fässer mit dem Feuerwasser. Am Feuer saßen Luzero und drei junge Krieger, betrunken, schwitzend, prahlend. Luzero führte das große Wort. Nach seinen Worten hatte er bereits eine Armee von Blaubäuchen ausgerottet, einen ganzen Stamm weißer Weiber vergewaltigt, ihren Männern die Hälse durchgeschnitten und ihre Kinder in Brunnen ertränkt. Demnächst würde er ganz Texas in die Luft sprengen. Luzero war klein, aber gedrungen, säbelbeinig, stiernackig und plattnasig. Als Kämpfer war er nicht zu verachten, bestimmt nicht, aber stets war sein Maul größer als seine Taten – oder Untaten. Er würde den Stamm ins Verderben reißen. Ruhig schritt der alte Mescalero bis auf etwa zwanzig Schritte an das Feuer heran. Dann hob er den Spencer-Karabiner und feuerte. Ein Strahl Feuerwasser spritzte wie eine Fontäne unten aus einem der Fässer bis hin zu dem Feuer und zerpuffte in einer blau-gelb-rotvioletten Stichflamme, die wie eine züngelnde Schlange auf dem Strahl blitzartig zu dem Faß zurückzuckte, in das Einschußloch schlüpfte und das Faß in einer Explosion auseinanderriß. Luzero und die drei Krieger fuhren hoch, als habe eine Armee von Ameisen gleichzeitig in ihre Hinterteile gebissen. Die drei Krieger warfen sich brüllend seitwärts in Deckung. Luzero torkelte mit wutverzerrtem Gesicht auf den alten Häuptling zu, der die Fässer zerschoß und damit weitere Explosionen auslöste. Magisches Feuer zuckte auf, genährt von dem auslaufenden Sprit, Fässer zerbarsten knallend, Holzsplitter und Bruchstücke der Faßdauben wirbelten durch die Luft wie Geschosse, eine Wand von glühender Hitze breitete sich aus. Die drei Krieger krochen wie sich windende Würmer davon. Eins der Fässer rollte von dem zusammenbrechenden Stapel mitten ins Feuer und zerplatzte in einer riesigen Stichflamme. Brennender Sprit übersprühte den torkelnden Luzero und ließ ihn zur lebenden Fackel
werden. Der alte Häuptling riß den Spencer-Karabiner an die Wange, zielte kurz und schoß. Jetzt war Luzero, das Großmaul, nur noch eine tote Fackel. Die Betrunkenen merkten von alledem nichts, manche waren auch ohnmächtig von dem höllischen Sprit. Diejenigen, die nicht getrunken hatten und nüchtern geblieben waren, standen vor ihren armseligen Hütten und Behausungen und schauten stumm auf die riesige Feuersäule, deren Licht anders war als sonst, wenn ein Feuer brannte. Es war ein Zauberlicht mit wunderschönen Farben. »Fahrt den Wagen des weißen Mannes ins Feuer!« befahl der alte Häuptling. Jetzt war sein Gesicht nicht mehr grau. Es glühte und leuchtete, und seine Augen glänzten wie polierter Obsidian. Schweigend gehorchten ein paar ältere Krieger. Schlangenmann entsattelte den Pinto und den Wallach und brachte Sättel, Sattelgepäck und Deckenrollen in seine Hütte. Morgen würde er nach den beiden Scouts suchen lassen oder sogar selbst zu dem weißen, gütigen Häuptling Stuart Frey reiten, um ihm alles zu berichten. Man würde sehen. Im Dorf roch es wie in einer Schnapsfabrik. In dieser Nacht war es mächtig heiß.
7. Sie hatten Angst, sie hatten sogar hündische Angst, und das ließ sie zunächst vergessen, was sich jeder von ihnen beiden insgeheim vorgenommen hatte: Den anderen umzubringen, sobald das Geschäft abgewickelt war. Diese Angst beruhte darauf, was der Mescalero Luzero wortreich, aber eindeutig hatte durchblicken lassen – nämlich seinen Verdacht, »man« habe seinen Freund Switcher ausgebootet. Denn nur mit ihm habe er verhandelt und mit ihm wolle er weitere Geschäfte, vor allen Dingen Waffengeschäfte, tätigen, mit niemandem sonst, weder mit dem »Krötengesicht« noch mit dem »Schakal«. Schakal war eine gute Bezeichnung für Gordon Craig. Aber genausogut war die andere
Bezeichnung, die Matthew Guzman personifizierte. Krötengesicht und Schakal – Guzman und Craig –, mit der Mentalität der Indianer nicht vertraut, hatten sich bei den blumenreichen Drohungen Luzeros bereits mit durchschnittenen Kehlen gesehen. Eine weitere Panik hatte sie bei der Überlegung gepackt, was passieren würde, wenn die roten Bastarde von dem gepanschten Sprit tranken. Wenn schon Weiße davon unberechenbar wurden, wie reagierten dann Rote? Aber das hätten sie sich natürlich vorher überlegen müssen, jetzt war es zu spät. Und dann war hinter ihnen, dort wo das Mescalero-Dorf lag, eine Feuersäule in den Himmel gestiegen, deutlich sichtbar und die Grate und Spitzen der Bergzüge weit überlagernd. Dort mußte ein Inferno toben. Sie hatten ihre Pferde bis zum äußersten angetrieben und waren geritten, als sei der Teufel hinter ihnen her. Als der Morgen graute, waren ihre Hintern wundgeritten, die Pferde torkelten und hatten Schaum vor dem Maul, ganz abgesehen von den Fellen, die klitschnaß und verklebt waren. In einem ausgetrockneten Flußbett blieben die beiden Tiere mit gespreizten Beinen und hängenden Köpfen stehen. Ihre Lungen rasselten zum Gotterbarmen. Der dicke Guzman, solche Strapazen nicht gewohnt, fiel einfach aus dem Sattel. Er konnte kaum noch denken. Gordon Craig, ein klein wenig zäher als der Dicke, schaffte es immerhin, nach Reiterart vom Pferd zu steigen. Aber dann rutschten ihm die Beine weg, das Flußbett drehte sich und stellte sich auf den Kopf, und er landete unsanft auf dem steinigen Boden. Er hatte noch die Kraft, zu dem Dicken hinüberzublicken. Der hockte wie ein Buddha am Boden, keuchte, hatte den Kopf tief auf die Brust gesenkt und kippte langsam seitwärts. Gordon Craig seufzte und überließ sich der Lähmung, die Erschöpfungsschlaf bedeutet und alle Probleme aus der Welt schafft – zumindest bis zum Erwachen. Die Konstitution eines Menschen ist unberechenbar. Merkwürdigerweise erwachte der dicke Guzman nach etwa vier
Stunden, während der Karteihai Gordon Craig, der Bibelsprüche klopfte und Frauen in den Rücken schoß, noch im Schlaf lag, der an Bewußtlosigkeit grenzte. Der Dicke starrte auf den Schlafenden und begriff erst allmählich die Gunst der Stunde. Niemand, nichts, gar nichts hätte ihn jetzt hindern können, diesen unliebsamen Partner kurz und schmerzlos ins Jenseits zu befördern. Aber genau das paßte dem Dicken nicht. Das war ihm zu billig. Dieser widerliche Kartenhai sollte wissen, wann die Stunde schlug. Er sollte es spüren. Und darum kroch der Dicke zu Gordon Craig, holte ihm die doppelläufige Derringer-Pistole aus der Rocktasche, kippte sie auf, entfernte die beiden Patronen, warf sie in weitem Schwung seitwärts über das Flußbett und steckte die Waffe wieder zurück in die Rocktasche. Nach diesem Kraftakt – denn der Schlaf hatte ihn keineswegs erquickt – kroch er wieder zu seinem Platz zurück und entschlummerte in dem Bewußtsein, der Mörderschlange die beiden Giftzähne gezogen zu haben. Wie es die Laune des Schicksals wollte, wachte Gordon Craig zwei Stunden später auf und erkannte seinerseits die Chance, den anderen ohne viel Federlesens in die Hölle zu schicken. Aber auch er neigte der Ansicht zu, die Szenerie des Mordaktes genüßlicher zu gestalten, um sie voll auskosten zu können. So fischte er mit behutsamen Fingern den Navy-Colt »Pocket«, Modell 1852, aus der Achselhalfter des schlafenden Dicken und entfernte die sechs Patronen, die er, was er natürlich nicht wußte, fast genau dorthin warf, wo seine beiden Derringer-Patronen gelandet waren. Dann versenkte er die Waffe wieder in der Halfter und schlief weiter. Ziemlich genau erwachten diese beiden Halunken fast zur gleichen Zeit. Matthew Guzman ein paar Minuten früher. Es war Mittag, und die Sonne stand senkrecht über ihnen. Sie leuchtete den ausgetrockneten Flußlauf erbarmungslos aus, und der Dicke schloß geblendet die Augen. Als er sie wieder öffnete, rappelte sich Gordon Craig gerade hoch
und murmelte: »Der Herr läutet den Tag ein, lasset uns beten und ihm danken, auf daß wir geatzet werden und nie Hunger leiden.« »Sehr trefflich, dieser Spruch«, sagte der Dicke ölig und gähnte. Dann reckte er sich und musterte seinen Partner. »Haben Sie gut geruht, mein lieber Mister Craig?« »Ausgezeichnet, mein lieber Mister Guzman«, erwiderte Gordon Craig, »wenn auch gewisse Einschränkungen am Platze wären.« »Und welche?« Der Schakal meckerte. »Ich schlafe lieber in weichen Betten, umlullt von Daunen und an meinem Körper Rundungen spürend, die weiblicher Herkunft sind. Sie verstehen, mein lieber Mister Guzman?« »Bonnys Rundungen?« Gordon Craig verzog das Gesicht. »Sie belieben zu scherzen, mein lieber Mister Guzman. Wirklich, ein sehr übler Scherz, der mich tief trifft. Denn ich liebte Bonny, und wie ich mich erinnere, pflegten auch Sie ihre Vorzüge zu genießen und sich mit ihr im Sündenpfuhl herumzuwälzen.« Der Dicke hüstelte indigniert. »Sie haben wirklich eine recht merkwürdige Ausdrucksweise, mein Lieber. Ich habe mich nicht gewälzt, ich habe geliebt. Bemerken Sie den feinen Unterschied?« »Oh, sehr gut.« Gordon Craig verdrehte voller Entzücken die Augen. »Ein prachtvolles Weib. Aber nicht mehr von dieser Welt.« »Dank Ihrer Hilfe.« »Erinnern Sie mich nicht, es bricht mir das Herz, mein lieber Mister Guzman. Als ich schoß, war es, als tötete ich mich selbst. Als ihr edles Blut in den Staub des Exerzierplatzes floß, war es mein Blut. Seit sie in die Schatten der ewigen Nacht enteilte, ist es mir, als rufe sie mich.« Der dicke Guzman konnte nicht anders – er kicherte. »Was ruft sie denn, mein lieber Mister Craig?« Der Schakal senkte die Augen und sagte: »Was sie ruft? Warten Sie – ich höre es. Sie ruft: ›Zwei kleine Negerlein die saßen auf einem heißem Stein – das eine Negerlein lachte, indes seine Pistole krachte – das andere Negerlein schluckte das Blei, und da war es mit seinem Leben vorbei!‹«
»Sie Schelm«, sagte der dicke Guzman gemütlich und erhob sich gähnend. »Wer schluckt nun das Blei und wessen Pistole kracht?« »Meine«, sagte Gordon Craig und griff in die Rocktasche. »Oder meine«, sagte der dicke Guzman und langte zur Achselhalfter. Sie hatten beide fast gleichzeitig ihre Waffen in den Fäusten und zogen durch. Klick-klick! Klick-klick! Zur selben Zeit erkannten sie, daß ihre Waffen unbrauchbar waren und warfen sie sich gegenseitig an den Kopf. Ihre Gesichter waren wutverzerrte Fratzen. Über Guzmans linker Augenbraue sprang eine Platzwunde auf. Gordon Craig wurde von dem schwereren Pocket-Colt an der Stirn getroffen und taumelte. Matthew Guzman sprang zu seinem Pferd und zerrte den SpencerKarabiner aus dem Scabbard. Bevor er schießen konnte, warf sich Gordon Craig auf sein Pferd und trieb es die Flußböschung hoch. Guzmans Schuß erreichte ihn oben auf dem Kamm und riß ihm nur den Hut vom Kopf. Er jagte sein Pferd hinter einen Felsen und glitt aus dem Sattel. Nur Sekunden später eröffnete er das Feuer mit seinem SpencerKarabiner auf den Dicken, der sich am Rand des Arroyos in Deckung geworfen hatte. Sie schossen blindwütig, kochend vor Zorn und Haß, und bis ihre Magazine leer waren, herrschte ein hämmerndes Stakkato, das sich mit dem Jaulen der Querschläger mischte. Dabei hätte jeder sich auf sein Pferd setzen und in eine andere Richtung davonreiten können. Aber keiner gönnte dem anderen das Gold, das sie noch im Dorf der Mescaleros auf die Satteltaschen der beiden Pferde verteilt hatten. Sechs Ledersäckchen hatte der dicke Guzman und sechs Gordon Craig. Zumindest Guzman hätte versuchen können, sich schleunigst zu verdrücken, denn außer dem Gold hatte er noch den geraubten Monatssold und sein gesamtes, nicht eben kleines Barvermögen. Anders ausgedrückt: Er war ein steinreicher Mann. Aber er war eben auch noch scharf auf die sechs Ledersäckchen
im derzeitigen Besitz Gordon Craigs. Er gehörte zu jener Kategorie der Species Mensch, die den Hals nicht voll genug kriegen können, ja, er wurde fast krank bei dem Gedanken an das Gold des anderen. Gordon Craig indessen, der Kartenhai und Schakal, hatte zwar bereits fünfzehnhundert Dollar aus dem Dicken herausgekitzelt und die eine Hälfte des Goldes eingesackt, aber auf die andere Hälfte des gelben Metalls, den Monatssold und das Barvermögen des Dicken zu verzichten, das kam gar nicht in Frage. So hatten beide ihre Motive, an Ort und Stelle zu verharren und zu versuchen, den anderen über den Jordan zu schicken. Das Erheiternde an dieser Situation war jedoch etwas ganz anderes. Es beruhte darauf, daß jeder während des Schlafs des anderen seine Mordchance nicht genutzt hatte. Jeder der beiden hatte sich mächtig klug und gerissen gefühlt, als er dem anderen die Patronen aus der Taschenwaffe genommen hatte. Jeder fluchte jetzt auf den anderen, weil der die gleiche Schurkerei begangen hatte. »Du Lumpenhund!« brüllte Gordon Craig zu dem Arroyo hinüber. »Du dreckiges Schwein!« kreischte der Dicke. »Ich bring dich um, du Gauner, du Frauenmörder!« »Ha-ha!« gellte die Stimme Gordon Craigs. »Du schwitzt ja schon vor Angst, du fette Kröte! Komm doch her, wenn du Mumm hast, aber du hast ja die Hosen voll, du mieses Dreckstück, du Halsabschneider und Betrüger!« Der dicke Guzman fluchte, warf sich hinter einen Stein und jagte einen Hagel von Schüssen hinüber zu dem Felsen, der vom Arroyo etwa vierzig Yards entfernt war und Pferd und Mann völlig deckte. Es war völlig sinnlos, er hätte seine Kugeln genausogut in den Himmel feuern können. Das Blei hieb ein paar Steinsplitter aus dem Felsen, das war alles. Gordon Craig lachte meckernd. Er war derjenige, der schneller zur Besinnung gelangte, nachdem seine erste Wut verflogen war. Der Felsen, der ihm Deckung bot, war wie ein Schutzschild. Aber er war dahinter festgenagelt, während der Dicke nahezu ungesehen in dem ausgetrockneten Flußlauf hin und her laufen konnte. Ja, er konnte sogar ungesehen fliehen, wenn er sich geschickt genug anstellte. Wenn er sein Pferd weit genug wegführte und erst
außerhalb der Gewehrschußweite aufsaß, dann konnte er, Gordon Craig, nichts dagegen tun. Aber würde der Dicke überhaupt fliehen wollen? Nein, der gierte nach dem Geld, er war verrückt danach. »Schönes, reines Gold hab ich hier, Guzman!« schrie Gordon Craig. »Sechs prallvolle Säckchen! Wenn du sie haben willst, mußt du sie dir holen, du fetter Lustmolch! Bonny hat mir erzählt, was du alles mit ihr getrieben hast, du Schwein!« Er lauschte. Diesesmal schwieg der Dicke und feuerte auch nicht. Verdammt, dachte Gordon Craig, der krumme Hund plant irgendeine Schweinerei. Zumindest ließ er sich nicht mehr provozieren. Er kniete nieder und spähte vorsichtig um die rechte Felsenkante. Fast hätte Matthew Guzmans Schuß ihn erwischt. Die Kugel strich haarscharf über sein Haar, ein bißchen tiefer, und es wäre aus gewesen. Der verdammte Hund hat seinen Standort gewechselt und mich von weit rechts aufs Korn genommen, dachte Gordon Craig. Zwecklos, jetzt dorthin zu feuern, Guzman ist bestimmt schon wieder woanders in dem verfluchten Arroyo. Die Sonne brannte unbarmherzig nieder. Ohne Hut war das eine Qual. Gordon Craig kniff die Augen zusammen, weil ihn die Helligkeit blendete. Erst jetzt merkte er, daß ihm der Schweiß in Strömen über den Körper lief. Er stand auf und ging zu seinem Pferd, das mit hängendem Kopf ein paar Schritte hinter dem Felsen stand. Entsetzt stellte er fest, daß seine Fellflasche fehlte. Jetzt war er ohne Wasser in dieser glühenden Hitze. Ihm fiel ein, daß er im Dorf der Mescaleros getrunken und dann die Flasche auf den Bock des Planwagens gelegt hatte. Dort hatte er sie vergessen. Er fuhr sich mit der Zunge über die rissigen Lippen. Trotz der Hitze wurde es ihm eiskalt. Durst! Der Durst machte ihn fertig. »Craig!« schrie Matthew Guzman. »Hörst du mich?« »Ich bin ja nicht taub!« schrie Gordon Craig zurück. Seine Stimme rasselte. »Mir ist gerade was eingefallen!« schrie der dicke Guzman
höhnisch. »Du hast deine Wasserflasche auf dem Planwagen zurückgelassen. Ich habe gerade getrunken, da ist es mir eingefallen. Was sagst du jetzt?« Gordon Craig stöhnte und zerbiß einen ordinären Fluch. »Hast du Durst, du blöder Hund?« schrie der dicke Guzman. »Wie fühlst du dich? Meine Flasche ist noch fast voll!« »Leck mich!« brüllte Gordon Craig. »Ha-ha! An der Flasche lecke ich, sonst nirgends, du Idiot! Aber ich weiß was Besseres! Ich tausche meine Wasserflasche gegen das Gold, das du hast, und gegen die fünfzehnhundert Dollar, die du mir abgegaunert hast. Ist das ein Vorschlag?« Gordon Craig hieb die Faust in den heißen Sand, immer wieder. Die Wut zerriß ihn und trieb ihm Tränen in die Augen. »Du Schwein, du verfluchtes Schwein!« flüsterte er. »Bist du stumm geworden, Craig?« schrie Matthew Guzman. »Oder hat dir der Durst die Stimme geraubt? Ich habe dir ein fürstliches Angebot unterbreitet – Wasser, reines, klares Wasser! Das Wasser des Lebens! Köstliches Wasser! Gegen lumpiges Gold und dreckige Dollarnoten!« Gordon Craig weinte. Hoch über den beiden Männern zog ein einsamer Vogel seine weiten Kreise. Ein Geier. Bald würden sich andere hinzugesellen – falls es sich lohnte. Dieser eine war erst der Späher. Die Sonne neigte sich ihrer westlichen Bahn zu. Vom Arroyo her fielen ab und zu Schüsse, die verkündeten, daß der dicke Guzman gar nicht daran dachte, das Feld zu räumen. Jetzt nicht mehr. Der Vorteil in dieser mörderischen Auseinandersetzung lag eindeutig auf seiten des ehemaligen Storekeepers von Fort Calhoun. Er brauchte nur zu warten. Am Vorabend hatte Gordon Craig zuletzt getrunken und da auch nur ein paar Schlucke. Dann waren sie durch die Nacht gehetzt und am Morgen erschöpft in tiefen Schlaf gesunken – ohne noch etwas zu trinken. Und jetzt schmorte Gordon Craig. Erst wenn es dunkel wurde und die neue Nacht anbrach, wurde es
wieder kritisch. Da konnte Craig irgend etwas unternehmen. Aber er würde geschwächt sein – und halb verrückt vor Durst. Vielleicht war er dann doppelt gefährlich, der Frauenmörder, aber körperlich war er bestimmt nicht mehr in bester Verfassung. Guzman spähte durch den Arroyo, um nach einem geeigneten Platz für eine Falle zu suchen. Ja, dort hinten bei dem Mesquitegebüsch am Hang des Arroyos, dort würde er sich verbergen. Auch sein Pferd konnte er dort verstecken. Auf Anhieb würde ihn Craig dort nicht finden. Er würde in den Arroyo hinuntersteigen und zu suchen beginnen. Und so würde ihn die tödliche Kugel aus dem Mesquitegebüsch treffen.
8. Shita knurrte und blieb geduckt stehen. Um uns wallten die Morgennebel, graue Gespenster in bizarren Formen. »Ruhig, Shita«, flüsterte ich. Jicarilla lauerte neben mir. Rechts neben ihm stand die Stute, die er am Kopfgestell gepackt hatte. Das Fohlen drängte sich an das Muttertier. Wir konnten nicht mehr sehr weit vom Dorf der Mescaleros entfernt sein, etwa zwei, drei Meilen. Das Klirren von Hufen tönte uns entgegen und rückte näher. Es mußte ein einzelner Reiter sein. Ich zog den Colt und winkte Jicarilla zu, seitwärts zwischen das Buschwerk zu treten. Er nickte und zog die Stute hinter sich her. Das Fohlen folgte. Aber dann schnaubte die Stute. Sofort stoppte der Hufschlag. Eine Viertelminute später teilte ein leichter Windstoß die Nebel. Die Sicht wurde frei. Fünfzehn Schritte vor mir stand ein Pferd, ein Pinto, der lauthals wieherte und antrabte. Der Mann auf dem Pinto war ein Indianer, und ich erkannte Häuptling Schlangenmann. Und der Pinto war Jicarillas Pferd! Grinsend trat Jicarilla aus dem Buschwerk und hob grüßend die Hand.
Der alte Mescalero glitt aus dem Sattel und schritt uns würdevoll entgegen. Auch er hob die Hand. Ein Lächeln glitt über sein zerknittertes und zerfurchtes Gesicht. »Ich hatte Sorge um euch«, sagte er. »Der Mann mit dem Froschgesicht, der Guzman genannt wird, und der Mann, der wie ein Schakal aussieht, waren in meinem Dorf und hatten eure Pferde. Sie trugen noch die Sättel, die Waffen und das Sattelgepäck. Daraus schloß ich, daß euch etwas passiert sein mußte. Männer wie ihr trennen sich nicht von ihren Pferden und Waffen, jedenfalls nicht ohne zwingenden Grund oder freiwillig. Darum ritt ich heute morgen los, um euch zu suchen.« Auch ich lächelte. »Es ist richtig, was du sagst. Du bist ein weiser Mann, Häuptling. Ja, sie lockten uns in eine Falle – in eine Höhle, deren Eingang sie zuschütteten. Mein Hund fand durch Gänge im Berg zu uns und konnte uns so befreien.« »Uff!« sagte der alte Mescalero. »Sie wollten euch morden?« »Sie haben gemordet«, erwiderte ich. »Sie töteten eine Frau im Fort und stahlen den Sold der Blaubäuche. Darum verfolgten wir sie. Sie töteten auch zwei ihrer Kumpane. Und sie töteten Stuart Frey und Desert Flower. Wir glauben, daß er sie nicht in die Reservation lassen wollte, weil sie auf ihrem Wagen eine Ladung Feuerwasser hatten. Darum mußte Stuart Frey sterben – und mit ihm Desert Flower. Wir konnten sie nur noch begraben. Für dich haben wir seine Stute und das Fohlen mitgebracht. Wo sollten die Tiere bleiben? Es wird im Sinne des weißen Häuptlings Stuart Frey sein.« Der alte Häuptling senkte den Kopf und bedankte sich. Ich merkte, daß er von der Todesbotschaft zutiefst erschüttert war. Als er den Kopf wieder hob, blickte er mich aufmerksam an. »Ihr werdet die beiden Mörder verfolgen?« fragte er. »Ja.« Er nickte, als habe er diese Antwort erwartet. Irgendwie schien ihm auch ein Stein von der Seele zu fallen. Dennoch blieb seine Miene bedrückt. »Laßt uns ins Dorf gehen«, sagte er, »ich werde euch erzählen, was gestern abend geschehen ist.« Wir setzten uns wieder in Marsch.
* Verblüfft sah ich die verkohlten Holzreste im Dorf. Es roch wie in einer Destille. Um die Feuerstelle herum mußte eine unheimliche Hitze gewesen sein. Sie hatte sogar entfernt wachsende Grasbüschel und Zweige versengt. War der verdammte Sprit hier verbrannt? Wir hatten einmal einen schwachen Feuerschein hinter den Bergen gesehen, aber nur ganz kurz. Jetzt fiel mir ein, daß es in Richtung des Dorfes gewesen war. Dann bemerkte ich einige jüngere Krieger, die ziemlich krank und elend aussahen und sich scheu davonstahlen, als wir uns näherten. Einige hockten vor ihren Hütten, wiegten sich in gekrümmter Haltung und hielten sich den Magen. Andere lagen zwischen den Hütten oder abseits von ihnen und schnarchten wie alte Büffel. Sie lagen da, als habe sie eine Axt gefällt. In etwa begann ich zu ahnen, was sich hier abgespielt haben mußte. Jicarilla schien es ähnlich zu gehen. Er hatte ein verkniffenes Gesicht. Häuptling Schlangenmann leitete uns in seine Hütte, einem wackligen Bau, dessen Dach aus dürren Zweigen, zerlöcherten Fellen und breitgeklopftem Konservenblech bestand. Ja, sie vegetierten hier wie räudige Hunde, diese Mescaleros, zerlumpt, unterernährt, getreten, verachtet. Die alte Erbitterung packte mich wieder. Und ich dachte an Stuart Frey, der Washington mit Eingaben, Beschwerden und Protesten bombardiert hatte, um das Los dieser Menschen in erträglichere Bahnen zu lenken. Jetzt war dieser dürre Mann mit dem Herzen eines Löwen tot. Bis sich ein neuer Agent um die Belange der Reservatsindianer kümmerte, würde viel Zeit verstreichen. Bald begann der Winter. Sie waren zum Tode verurteilt, diese Mescaleros. Vielleicht wußten sie es, aber sie würden es nicht mehr ändern können. Wir hockten uns auf den Boden der Hütte. Jicarilla drehte für sich und den Alten zwei Zigaretten und gab ihm Feuer. Dann berichtete der Alte, während er rauchte.
»Luzero, einer der Krieger, die nicht mehr dem Rat der Alten folgen und den dunklen Weg beschritten haben, fand auf seinen Streifzügen Gold, dreckiges Gold, das die Weißen so lieben. Er meinte, mit diesem Gold unser Los erleichtern zu können. Er wollte damit alles kaufen, was wir brauchen, um leben zu können. So erschien eines Tages ein weißer Mann namens Switcher, der ihm versprach, alles liefern zu können, was Luzero haben wollte. Luzero wollte Feuerwasser haben, zuerst Feuerwasser, um die jungen Krieger für seine Pläne zu berauschen. Dieser Narr dachte, Feuerwasser sei die richtige Medizin für junge Krieger. Der Mann namens Switcher versprach ihm eine ganze Wagenladung Feuerwasser – gegen dreckiges Gold. Gestern abend brachten der Mann mit, dem Froschgesicht und der Schakal das Feuerwasser, und Luzero bezahlte es mit zwölf Säckchen Gold. Die beiden Männer setzten sich auf zwei Pferde und ritten südwärts. Und Luzero und viele Krieger fielen über das Feuerwasser her wie Verdurstende. Ich entdeckte eure beiden Pferde, nahm mir den Karabiner des gelben Falken und ein Ersatzmagazin und zerschoß einen Teil der Fässer. Sie explodierten und verbrannten.« Der Häuptling senkte den Kopf. »Und Luzero?« fragte ich. »Ich erschoß ihn, als er von Feuerwasser übersprüht wurde und zu brennen begann«, erwiderte der Alte tonlos. »Werdet ihr das, was hier geschehen ist, dem weißen Häuptling im Fort melden müssen?« »Ja, aber so, daß euch keine Schuld trifft«, sagte ich. »Das verspreche ich dir. Luzero ist tot, also gibt es keinen Schuldigen mehr, jedenfalls nicht bei euch. Die wirklichen Schuldigen aber – das Froschgesicht und der Schakal, wie du sie nennst – werden wir fangen und nach Fort Calhoun bringen. Dort wird sie der weiße Häuptling im Range eines Colonels bestrafen, weil sie Mörder sind, mehrfache Mörder. Nach unseren Gesetzen haben sie ihr Leben verwirkt.« Der Häuptling atmete auf. Erst jetzt schien er von einer Last, die ihn bedrückt hatte, befreit zu sein. »Danke, gelber Falke«, sagte er. »Sollen unsere Squaws euch etwas zu essen bereiten, bevor ihr aufbrecht?«
Ich schüttelte den Kopf, bedankte mich und stand auf. Hinten aus der Hütte schleppte der Häuptling meinen Sattel, die Deckenrollen, Satteltaschen, Proviantsack und unsere Waffen heran. Dafür ließ ich alles zurück, was wir aus Switchers Beständen und von Stuart Frey mitgenommen hatten. Der alte Mann lächelte dankbar. Mein Wallach wurde herangeführt, und ich sattelte ihn. Fünf Minuten später verließen wir das Dorf der Mescaleros und ritten südwärts. Unsere Pferde waren ausgeruht, wir zwar weniger, aber wir wußten beide, daß sich jetzt die Jagd ihrem Ende zuneigte. Mit Shita und Jicarilla zusammen war es nicht schwer, die Spuren der beiden Mörder zu halten. Sie hatten ihre Pferde rücksichtslos angetrieben. * Die beiden Geier, die weit vor uns am Himmel kreisten, befanden sich fast genau in jener Richtung, zu der die Spuren hinführten. Das mochte Zufall sein, aber ich bezweifelte es. Eine Stunde später, es ging auf den späten Nachmittag zu, wußten wir, daß es kein Zufall war. Wir hörten drei, vier Schüsse, die wiederum aus einem anderen Gewehr beantwortet wurden. Langsam ritten wir weiter, um keine Staubwolken hochsteigen zu lassen. Das Land ringsum war karg. Sandhügel, Felsen, Mesquiteund Sagebüsche sowie einige Yuccas drückten der Landschaft ihren ärmlichen Stempel auf. Wo die Schüsse gekracht hatten, war es wieder ruhig geworden. Wir hielten an, und ich kletterte aus dem Sattel. Bewaffnet mit einem Feldglas stieg ich auf den Sandhügel vor uns, der die anderen überragte, und legte mich hinter einen Sagebusch. Ich schirmte das Glas mit der Hand ab und durchforschte das Gelände vor mir. Zuerst entdeckte ich Gordon Craig und sein Pferd. Er lag – mit dem Rücken zu mir – an der rechten Ecke eines großen Felsbrockens und spähte zu einem etwa vierzig Yards von ihm entfernten Arroyo, der sich von Westen nach Osten zog. Dort blitzte es plötzlich auch auf, und ein Schuß krachte. Flüchtig sah ich, wie ein Kopf wegtauchte. Aber der flüchtige Blick hatte
genügt. Es war der Kopf Matthew Guzmans gewesen. Ja, wir hatten das Ende unseres Trails erreicht. Ich winkte hinunter zu Jicarilla. Sekunden später lag er neben mir, und ich reichte ihm das Glas. Er spähte hindurch – dorthin, wohin ich deutete. Dann nickte er und flüsterte: »Feine Sache für uns. Die Hurensöhne sind miteinander beschäftigt.« Er grinste mich an. »Hab ich's nicht gesagt? Sie bringen sich gegenseitig um. Eigentlich sollten wir ihnen den Spaß lassen. Das spart uns den Ärger, sie ins Fort zurückschleppen zu müssen. Wer weiß, was die unterwegs noch alles aushecken. Am besten wäre natürlich, sie gleich in die Hölle zu befördern, diese Mistkäfer. Denk an Stuart Frey und Desert Flower.« »Nein«, sagte ich knapp, »wir nehmen sie gefangen und bringen sie ins Fort. Ende der Debatte.« »Du bist der Boß«, brummte Jicarilla. »Darf ich mir dann wenigstens den Frauenmörder vornehmen und ihn ein bißchen verprügeln? Ich bin es Desert Flower schuldig.« »Einverstanden«, sagte ich. »Und nur ein bißchen verprügeln, klar?« »Comprende, Mister«, sagte Jicarilla und fletschte die Zähne. Wir verließen den Sandhügel und koppelten unsere Pferde an. Jicarilla stärkte sich mit einem kräftigen Schluck aus der Whiskyflasche. Erstaunlicherweise war noch etwas drin. Und die Flasche Rum von Corporal Ketchum war auch noch unangetastet. »Wann greifen wir sie uns?« fragte ich. »Mein Weg zu Guzman ist länger als deiner zu Gordon Craig.« Jicarilla schaute nach Westen, wo die Sonne sich neigte. »Wenn sie zwei Handbreiten über dem Land steht«, erwiderte er. »In Ordnung. Mach's gut, Mister Scout.« Er grinste nur. »Mach's besser, gelber Falke. Nimmst du dein Langrohr mit?« Ich schüttelte den Kopf. »Nur den Colt.« Ich überprüfte die Waffe, steckte sie wieder zurück und wandte mich nach Westen. Shita begleitete mich. Ich hatte etwa eine halbe Stunde Zeit, und die genügte mir, den Arroyo an einer Biegung, die Guzman nicht mehr einsehen konnte,
zu überqueren und mich von Süden an Guzman heranzupirschen. Er lag hinter einem Stein. Sein Pferd befand sich weiter links hinter einem Mesquitegebüsch am gegenüberliegenden Arroyohang. Er war nur etwa zwanzig Schritte von mir entfernt. Ich hatte mich unter einen Strauch geschoben und konnte ihn gut beobachten. Zwischen uns lag der ausgetrocknete Flußlauf. Er schob Patronen in das Röhrenmagazin seines SpencerKarabiners, zog die Waffe an die Schulter und visierte den Felsen an, hinter dem sich Gordon Craig verbarg. »Craig!« schrie er. »Wie geht's deinem Durst? Schade, daß du nicht das Wasser trinken kannst, das dir im Hintern kocht, wie? Na, ich bin ja nicht so! Ich heb dir noch einen Schluck auf. Überleg's dir! Das Wasser wird knapper – einen Schluck für das Gold und die fünfzehnhundert Dollar!« Von drüben wurde nichts geantwortet. Was war mit dem Wasser? Hatte Craig nichts mehr, und Guzman wußte das? Der Lump wollte sich einen Schluck Wasser mit Gold und fünfzehnhundert Dollar bezahlen lassen! Fürwahr, das paßte zu dem Fettsack. Guzman feuerte auf den Felsen, rutschte nach unten und hastete gebückt etwa zehn Schritte nach rechts. Dort schob er sich wieder den Hang hoch und legte sich hinter einen verkrüppelten Strauch. Ich schaute nach links zur Sonne. Sie näherte sich den vereinbarten zwei Handbreiten. Vorsichtig und lautlos kroch ich zurück, schlängelte mich nach rechts, bis ich mich wieder hinter Guzman befand und robbte vor zum Arroyorand. Hier stand leider kein Strauch, der mich deckte. Aber es würde auch so gehen. Shita lag neben mir und verhielt sich völlig ruhig, als wisse er, daß er sich nicht mucksen dürfe. Wieder blickte ich zur Sonne und schätzte die beiden Handbreiten ab. Es war soweit. Hinter dem Felsen Gordon Craigs ertönte ein dumpfer Laut. Auch Guzman hatte ihn gehört und reckte den Kopf. Lautlos war ich auf den Beinen und glitt den Hang hinunter, den Colt in der Faust. »Lassen Sie Ihre Waffe liegen, und stehen Sie auf, Guzman«,
sagte ich scharf. Er zuckte zusammen und warf sich herum. Mit einem jähen Satz flog Shita von rechts auf ihn zu und riß ihn nieder. Sekunden später stand er mit gefletschtem Fang über dem Dicken und knurrte dessen Kehle an. Der Fettsack röchelte. Jenseits des Felsens erklangen dumpfe Schläge. Da war wohl Jicarilla zur Sache gegangen. Ich trat vor und fischte den Spencer-Karabiner unter dem Dicken hervor. »Aufstehen, umdrehen!« befahl ich. »Shita, zurück!« Shita schob sich knurrend zurück. Der Dicke war kreideweiß und starrte mich fassungslos an. Ächzend rappelte er sich auf. Dann drehte er sich um. Ich tastete ihn ab. Er hatte keine Waffen mehr. »Legen Sie Ihren Gürtel ab«, befahl ich. Er fummelte an der Schnalle herum, löste sie, zog den Gürtel aus den Schlaufen und ließ ihn fallen. Ich hob ihn auf. »Hände auf den Rücken!« Er gehorchte, und ich fesselte ihm die Hände. »Paß auf ihn auf, Shita«, sagte ich, »wenn er auskneifen will, beiß ihm die Kehle durch!« Shita knurrte ununterbrochen. Ich stieg den Arroyohang hoch und ging zu dem Felsen. Von Gordon Craigs Visage war nicht mehr viel zu erkennen. Jicarilla hatte ihn am Felsen festgenagelt und hieb ihm gerade die letzte Luft aus dem Leib. Mit einem schrillen Pfeiflaut sackte der Frauenmörder in sich zusammen. Jicarilla schnaufte empört. »Gottverdammt, sieh dir das an! Nichts drin in dem Scheißkerl, und ich hab noch gar nicht mal richtig zugeschlagen, das war noch weniger als ein bißchen verprügeln, das war eher streicheln!« »Bei seinem Gesicht hast du ein bißchen zuviel gestreichelt«, sagte ich. »Durchsuch ihn, ob er noch Waffen bei sich hat. Vergiß nicht, ihn zu fesseln. Dann leg ihn übers Pferd und bring ihn zum
Arroyo hinunter. Für heute ist Feierabend. Wir reiten morgen zurück.« Jicarilla nickte. Ich holte unsere Pferde und brachte sie in den Arroyo. Der dicke Guzman stand noch an derselben Stelle und wagte nicht, sich zu rühren. Er hatte Angst vor Shita, der Fettsack. Ich trieb ihn zu dem Mesquitebusch, wo sein Pferd stand. Dort durfte er sich setzen. Jicarilla erschien mit Gordon Craig, der quer über dem Sattel lag, von Jicarilla wie ein Paket verschnürt. Während ich die Satteltaschen der beiden Kerle untersuchte, wachte Gordon Craig aus seiner Bewußtlosigkeit auf. »Wasser …« murmelte er undeutlich. Ich blickte den Dicken an. »Hatte er nichts mehr?« »Er hat seine Wasserflasche im Dorf der Mescaleros zurückgelassen. Wie – wie sind Sie aus der Höhle herausgekommen ?« »Mein Hund hat einen Zugang zu uns gefunden.« Der Dicke sank in sich zusammen und schwieg. Ich holte meine Wasserflasche und gab Gordon Craig zu trinken. Er wurde wieder munterer. Dann beförderte ich die zwölf Ledersäckchen aus den Satteltaschen der beiden ans Tageslicht. »Ich schenke sie Ihnen, wenn Sie mich freilassen«, sagte der Dicke hastig. »Ich habe keine Schuld an allem. Gordon Craig hat alles geplant, er hat auch den Indianeragenten und das Weib erschossen, ehrlich, Mister Ronco!« »Und Bonny und Fuller, nicht wahr?« »Ja, die auch.« »Soll ich den Dicken ein bißchen verprügeln?« erbot sich Jicarilla. »Nein«, sagte ich kurz. Ich öffnete die Ledersäckchen – eins nach dem anderen. Sie enthielten winzige Nuggets. Säckchen für Säckchen verstreute ich den Inhalt wie ein Sämann im Arroyo. Das war zuviel für den Fettsack. Er schrie, als solle er abgestochen werden. »Nein – nicht – mein Gold – bitte nicht – Erbarmen …« Ich nickte Jicarilla zu, und der hieb dem Dicken mit Genuß die Faust unter das
Kinn. Als er flachlag, durchsuchte ich die Taschen Guzmans und fand die Brieftasche mit dem Packen Dollarscheine – es waren Hundert-, Fünfhundert- und Tausenddollarscheine … * Zwei Tage später – am Vormittag – ritten wir in Fort Calhoun ein und zügelten mitten auf dem Exerzierplatz unsere Pferde. Ich wartete, bis nahezu die gesamte Fortbesatzung zusammengelaufen war. Indessen holte Jicarilla allen sichtbar die Rumflasche Corporal Ketchums aus seiner Satteltasche und soff sie aus. Die Blaubäuche glotzten mit offenen Mündern. Aus dem Stabsgebäude marschierten Colonel Lester, Major Fry, Captain Clay und Captain Powers heran. Ihnen folgten der Zahlmeister Mahon Tabor und mein spezieller Freund Corporal Jones, der Schreibstubenhengst. Ich kletterte aus dem Sattel und stelzte mit müden Beinen auf Colonel Lester zu, meine Satteltaschen über der Schulter. »Sir!« sagte ich mit hallender Stimme. »Vor einigen Tagen wurde von vielen in diesem Fort behauptet, der Scout Jicarilla habe den Monatssold gestohlen. Es stellte sich heraus, daß er es nicht war. Hier ist der letzte Beweis!« Ich drehte mich um und deutete auf die beiden Gefangenen, die wie müde Krähen auf ihren Pferden saßen. »Guzman und Craig sind die Schuldigen. Den Monatssold fand ich bei Guzman. Hier ist das Geld!« Ich überreichte dem Colonel die Satteltaschen. »Sie enthalten weiterhin das übrige Barvermögen Guzmans. Der Zahlmeister möge alles überprüfen.« Der Colonel nahm die Satteltaschen entgegen und murmelte: »Donnerwetter!« »Sir!« sagte ich. »Leider habe ich etwas Trauriges zu melden. Mister Frey, der Indianeragent, und seine Frau wurden von Gordon Craig erschossen. Mister Frey wollte einen Planwagen untersuchen, mit dem Guzman und Craig in die Reservation fuhren. Dieser Planwagen enthielt Fässer mit billigem, gepanschtem Schnaps. Das Geschäft war von einem Mann namens Switcher eingefädelt worden. Auch er wurde umgebracht – von Roy Fuller. Fuller wiederum wurde
von Gordon Craig erschossen. Guzman und Craig übergaben die Wagenladung im Dorf der Mescaleros einem Krieger namens Luzero, der dafür zwölf Säckchen Gold bezahlte. Häuptling Schlangenmann vernichtete die Wagenladung Sprit und erschoß den Krieger Luzero, der das Geschäft mit Switcher abgeschlossen hatte. Dieses Geschäft hatten Jicarilla und ich nicht mehr verhindern können, weil wir fast einen ganzen Tag lang in einer Falle saßen – in eine Berghöhle, die als Schnapslager gedient hatte, und die von den Verbrechern zugeschüttet wurde, als wir sie bei der Verfolgung Guzmans und seiner Kerle untersuchten. Damit klage ich Guzman und Craig auch des Mordversuchs an Jicarilla und mir an. Ich bin bereit, das alles zu beeiden!« Bevor Colonel Lester etwas erwidern konnte, fuhr mich Major Fly mit schnarrender Stimme an: »Wo ist das Gold? Sie hatten es beschlagnahmen müssen, es gehört der Armee! Oder haben Sie es etwa eingesteckt oder irgendwo verborgen?« »Irrtum, Mister Fly«, sagte ich ruhig. »Es ist merkwürdig, daß Sie bei allem offensichtlich nur an das dreckige Gold denken. Der Tod des Indianeragenten und seiner Frau interessiert Sie wohl weniger? Nun, das Gold gehört nicht der Armee, sondern dem Land. Auf diesem Land habe ich es verstreut – Indianerland, wohlgemerkt, aber das werden Sie wohl nie begreifen.« »Unverschämtheit!« schnarrte der Major. »Mister Ronco hat recht gehandelt«, sagte der Colonel ziemlich scharf. Dann blickte er mich und Jicarilla an. »Ich spreche Ihnen, Ronco, und Ihnen, Jicarilla, meine allerhöchste Anerkennung aus. Sie haben etwas geleistet, auf das Sie stolz sein können. Ich danke Ihnen. Sie haben unter Einsatz Ihres Lebens ein Verbrechen aufgeklärt.« Er salutierte abgehackt. Mein Gruß fiel lässiger aus. Außerdem ärgerte ich mich über das dämliche Grinsen Jicarillas. Ja, das war also die Geschichte des Storebesitzers Guzman. Er wurde drei Tage später nach der Gerichts-Verhandlung zusammen mit seinem Kumpan Craig zum Tode verurteilt. Sein Barvermögen wurde von der Armee beschlagnahmt – leider, denn der gönnte ich es nicht. Jicarilla, der Scout, der vom Fortkommandanten vor
versammelter Mannschaft gelobt worden war – zum Ärger der Indianerhasser – kam vor lauter Glück kaum noch von der Flasche los. Das heißt, er befand sich dauernd im Tran …
ENDE
Vorschau Die Hand des Comancheros sank langsam zum Griff des Sechsschüssers. Ronco spreizte die Finger und bewegte sie. Er hielt den Atem an. Seine Augen schmerzten von dem Widerschein des Sonnenlichts auf den hellen Felsen. Dann war es soweit. Francarli riß den Colt aus der Halfter und knickte dabei in der Hüfte ein. Die Stichflamme an der Mündung seiner Waffe war nicht zu sehen, nur etwas Rauch trieb davon. Ronco wußte sofort, daß er selbst nicht verletzt war und schneller gezogen hatte. Der Ruck der Detonation stieß durch seinen Arm bis zur Schulter hoch. Francarli schwankte und fuchtelte mit der linken Hand in der Luft herum. Auf seinem Hemd war ein kleines, schwarzes Loch erschienen … Das ist Ronco, der Texas Ranger. Lesen Sie nächste Woche Band 326 dieser großen deutschen Western-Serie:
Zur Hölle und zurück