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2006 digitalisiert by Manni Hesse mmer noch sind die ewigen Eisgletscher aul der Nordhaibkugel der Erde im Rückzug. Seit dreißig Jahrtausenden bedrängt eine rätselhatte Macht die unermeßliche Geirornis, die in Urzeiten, von ebenso unerklärlichen Kräften bewegt, ihre Gletscherzungen und Moränenwälle in mehrmaligem Vordringen bis in die Mitte des alten Kontinents Europa vorgestreckt hatte. Im Norden Sibiriens, an den Küsten des Nördlichen Eisozeans, in Grönland weichen die Eismassen merklich und in meßbaren Größen ständig zurück. Und immer folgt ihnen der Mensch, folgen ihnen die Tiere und nehmen dankbar den eisbeireiten Raum und die schollenirei gewordenen Meeresgewässer. In die Frühzeit dieses kontinentalen Klimaumbruches, in die Epoche iurchtbarer Schneewinter, ungeheurer Sandstürme und reißender Schmelzwasser iührt der vorliegende Lesebogen. Weit über die Jahrtausende geschriebener Geschichte, weit über alle sagenhafte Erinnerung der Menschheit geht der Blick zurück in die Zeit, als das große Tauen begann und die wilde Eiszeitwelt Alteuropas sich wieder in aufgrünende Steppen und erste Waldreviere zu verwandeln begann. Da bevölkerten nahrungsuchende Herden die weiten Räume, und auf der Szene erschienen Jägerstämme, höher entwickelte Nachfahren jenes rohen Neandertalmenschen, der schon vor Beginn der Vereisung im gleichen Räume ein primitives Nomadenleben geführt hatte. Jene Jäger, Aurigniazenser und, auf der Höhe der Zeit, Magdalenier — benannt nach den Höhlenfundstätten Aurignac und La Madaleine — fanden dort, wo die Gletscher allmählich dahinschwanden und ihre Tauwässer sich vor den Endmoränen zu fischreichen Seen anstauten, Jagdgründe mit unerschöpflichem Wild. 2
Die
Mammutjäger
Ein Schneesturm jagt über die Schotterebene. Die nahen Eiswälle des Gletschers sind hinter weißen Schleiern verhängt. Die Staubmassen, die sonst beim Erheben des Windes aus den Schotterfluren aufsteigen oder von den kahlen Hängen als dunkle Wolken emporgewirbelt werden, sind unter der Schneedecke gebunden. Hinter den windgepeitschten Schneevorhangen zeichnen sich schemenhafte riesige Schatten ab, kommen näher und werden zu massigen Leibern: Mammute stapfen schwerfällig heran, eines hinter dem andern; auf den mächtigen Rücken und Häuptern und in den langfallenden Haaren des Fells hat sich der Schnee zu klirrenden Eisklumpen geballt. Die Tiere schütteln unwillig die pelzigen Ohrwedel, daß die Schneemassen stäubend davonwirbeln. Einer der Riesen bleibt stehen und reißt mit dem Stoßzahn den Neuschnee und die verharschte Eiskruste auf. Zweige kommen zum Vorschein, werden mit dem Rüssel gefaßt und knirschend zwischen den großen Backzähnen zermalmt. Weiter zieht die Herde der rotbraunen Ungetüme; die ausgeatmete, warme Luft steht wie eine Dampfwolke über den Leibern. Abwärts neigt sich die Ebene; Feisbiöcke tauchen auf und schieben sich enger zusammen. Dorthin, wo sie zu einem schmalen Engpaß werden, streben die Kolosse; dahinter liegt ein geschütztes Tal, in dem der Schnee nur locker den Boden überdeckt und die Wildgräser und kleinen Beerensträucher noch grün darüberschauen. Da stockt die Herde. Der uralte Mammutbulle, der sie anführt, hat den gewaltigen Rüssel gehoben und prüft argwöhnisch den Wind, der von der Felsschlucht herübersteht. Seit Tagen ist fremde, unheimliche Witterung im Revier der Mammute, mehrmals waren zweibeinige Wesen in der Ferne erschienen und beim Herannahen der Riesen hinter den Felsen verschwunden. Kein Tier der Wildnis wagt es, den König der Eiszeitsteppe zu behelligen; nur jene fellumhüllten Zwerge bringen ihn in Unruhe und zwingen ihn zur Vorsicht. All seinen Mammutkräften, der zerstampfenden Wucht der Beinsäulen, dem furchtbar treffenden Schlag des Rüssels, seinem unübertrefflichen Witterungsvermögen wissen jene Wesen, die Menschen,
mit ihrem Verstand zu begegnen. Die tierischen Urgewalten, die Naturinstinkte — was sind sie gegen die Beobachtung, Erfahrung, List und Ausdauer der Verstandesbegabten! Schon manchesmal mußte der alte Mammutriese vor der Tücke der lauernden Menschen zurückweichen. Aber heute scheint alles ruhig. Der Wind führt nur die gewohnten, vertrauten Gerüche mit. Langsam setzt sich die Herde wieder in Bewegung, einen Speerwurf voran das Leittier, dann die Kolosse der Bullen und Kühe, und dicht gedrängt dahinter die Jungtiere. Drollig sehen die halbwüchsigen Riesen aus in ihrem dichten, grauen Pelz und in der quirlenden Unruhe ihrer Bewegung. Als die Tiere herankommen, verschwinden einige Lemmingmäuse quiekend in ihren Löchern. Der Erdboden bebt unter dem Aufstampfen der Mammutkörper. Nur ein Schneehase, unbemerkt in seinem weißen Rock, bleibt, fest an den Boden gedrückt, liegen. Nun hat das Leittier den Paß erreicht. Schwer und doch geschickt drängt sich der Bulle zwischen Felstrümmern vorwärts. Da bäumt er sich jäh empor und wirft sich zurück. Von oben wuchtet ein dichter Hagel von Gesteinsbrocken herab. Von allen Seiten sausen Speere und schwirren Pfeile Die Sicht ist schlecht, so treffen nur wenige der steinernen Geschosse ihr Ziel. Die meisten schlagen klirrend gegen die Felswand und fallen zu Boden; nur zwei Speerschäfte zittern im verschneiten Pelz. Als das Leittier unter furchtbarem Brüllen sich zur Flucht wendet, dringt ein Wutschrei aus dem Felsnest, wo sich die Mammutjäger verborgen hielten. Lange schon hatten sie von ihrem Jagdlager aus die Herde erkundet, sie in ihrem Treiben beobachtet und ihre Weidegründe im Tale ausfindig gemacht. Den Weg dahin wies der tief ausgetretene Wechsel, den die Mammute regelmäßig zur gleichen Tagesstunde benützten. Die Jäger hatten schleunigst ihre Zelte abgeschlagen und waren in die Felsen gestiegen. Viele Tage lang rüsteten sie hier für den Überfall. Während sie Speere, Bogen und Pfeile richteten, schwere Felsstücke suchten und sie in die Nähe des Paßwechsels schafften, lagen Späher auf der Lauer und lauschten durch das Schneetreiben auf den Anmarsch der Mammute. Als die Vorbereitungen beendet waren und die Herde der Riesen sich näherte, hatten sich die Männer mit ihren Waffen bereitgelegt, ängstlich bedacht, daß niemand durch Unvorsicht und übereile die Tiere verscheuchte. Dann endlich waren tief t
RlMzelllldhe Jäger grellen ein* Mammutherd» an i
unten die schwarzen Schatten aus dem Schneeschleier getreten. Der dumpfstampfende Tritt und das schnaufende Atmen der Kolosse drang bis zu den Männern hinauf. Sie sahen, wie der Bulle sich sichernd dem Engpaß näherte. Da schwangen sie das Leder ihrer Steinschleudern, hoben die bereitgelegten Blöcke, zogen auf dem Bogen die Pfeile an und setzten die Schäfte ihrer Speere auf die Wurfhölzer. Ein donnernder, schwirrender Sturz von Waffen ging in die Tiefe. Doch das alte, durch tausend Erfahrungen klug gewordene Mammut hatte die Gefahr rechtzeitig erkannt (siehe Bild S. 5). Ein gellender Trompetenstoß alarmierte die Herde, die in Sekundenschnelle weit hinaus in die Schneeflur zurückflutete, aus der sie gekommen war. Die nachgeschleuderten Speere verfehlten ihr Ziel. Erst als er die Herde in Sicherheit wußte, beschäftigte sich der Altbulle mit seinen Wunden; behutsam zog er mit dem Rüssel die eingedrungenen Speere heraus; die urwüchsige Kraft des Wildtieres ließ die Verletzungen bald vernarben. Für heute hatte der Stamm der Jäger das Nachsehen, und umsonst hatten die Frauen und Kinder in den Zelten die Steinmesser und Fellkratzer für das Schlachtfest bereitgelegt. Was nützten die klug erkundete Gelegenheit, die Stapel der Wurfsteine, der Pfeile und langschäftigen Speere; was nützte alle Umsicht und Vorsicht, wenn im entscheidenden Augenblick der Wind seine Richtung wechselte und den scharfsinnigen Tieren die Witterung des Menschen zutrug. So mußten sich die ausgehungerten Magen mit den kargen Resten des gefrorenen Rentierfleisches begnügen, das die Jäger als Notvorrat bei sich hatten. Der Stamm mußte neue Jagdgründe aufsuchen, da die Mammutherde in den nächsten Wochen den gefährlichen Wechsel umging. Aber der Wildreichtum jener Zeit war groß, und der Menschen, die ihn beeinträchtigen konnten, waren wenige.
Die Fallgrube Mit Feuersteinen, deren Schneide durch Behauen messerscharf gemacht ist, und mit Schulterblättern von Rentieren — alle an kräftigen Holzstielen befestigt — haben die Jäger eine tiefe Grube ausgegraben. Es ist Sommerzeit und der gefrorene Lößboden für kurze Zeit aufgetaut. Mannstief und von vierfacher Mannslänge und -breite ist das Loch. In den ausgeschachteten Boden sind dünne Baumpfähle gerammt; sie dienen als leichte Stützen für das Astgeflecht, mit dem man die Grube abgedeckt hat. Ein dichtes, lockeres Polster von Zweigen und Blattwerk, Moos und Gräsern macht die Stelle der Umgebung gleich. Sorgsam sind die Lasten der ausgeworfenen Erde beiseite geschafft, um die Mammute, denen die Fallgrube zum Verhängnis werden soll, nicht zu vergrämen. Diese Riesen sind zwar dem Aussehen nach plump, aber sie sind sehr schlau. Ablagerungen ausgegrabener Erde würden sie stutzig machen. Ist schon der Geruch der frisch aufgegrabenen Erde nicht zu vermeiden, so muß doch wenigstens der Aushub unsichtbar bleiben. Frauen, Männer und Kinder haben die feuchte Erde in Rentierfellen weit fortgetragen und alle Spuren menschlicher Tätigkeit verwischt. Mit Laubzweigen und Grasbüscheln ist die Fallgrube der Umgebung genau angepaßt. Und nun beginnt das Warten oder das Zutreiben. Die Mammutfalle liegt an einem Wildwechsel nahe einer Wasserstelle. Der Platz ist gut gewählt, Hänge verhindern rechts und links das Ausweichen. Die Mammute fürchten den Menschen nicht, aber sie meiden ihn. Sie handeln nicht anders wie alle wildlebenden Tiere, die den Herrn des Feuers scheuen, selbst wenn sie ihm an Wendigkeit und Körperkraft weit überlegen sind. So geht selbst der Löwe und Elefant dem Menchen aus dem Wege, ihn meidet das mächtige Nashorn und der riesige Gorilla, der Kaffernbüffel und der Tiger. Nur wenn das Tier in die Enge getrieben und verwundet ist, wenn es seine Jungen bedroht fühlt oder wie der alte Tiger kein flüchtiges Wild mehr jagen kann, geht es zum Angriff über. So ziehen sich auch die Mammute der Eiszeit unmutig vor den fellbekleideten Menschen zurück, die mit Feuerbränden und 7
wilden Bewegungen, lärmend und ihre Steinäxte schwingend gegen die Tiere andringen. Würden sich die Ungetüme zum Angriff stellen, wie schnell wäre der kleine Haufe der Jäger überrannt! Was nützten die zerbrechlichen Wurf- und Hiebwaffen gegen die Kolosse, in deren Haarfilz sich die Pfeile verfangen und deren daumendicke und lederzähe Haut manchen Stoß und Wurf aushalten kann. Darunter sitzt dann noch die handbreite Fettpolsterschicht, ein weicher, aber schwer zu durchdringender Panzer, der Herz und Lunge schützt. Aber wie von einem seltsamen Zauber berührt, flüchten die Mammute vor den Jägern. In grellen, schmetternden Posaunenstößen machen sie ihrem Unwillen über die Störung durch die fremden, lärmenden Wesen Luft. Behutsam und mit der Umsicht des erfahrenen Jägers gibt der Anführer der Horde seinen Gefährten ein Zeichen: Langsamer sollen sie nun vorrücken, damit die Tiere wohl zurückweichen, aber nicht zu eilender Flucht getrieben werden Allzu leicht könnten sie die Laufrichtung ändern und sich irgendwo im Gelände verlieren. Aufmerksam beobachten die Jäger. Da! Ein Bulle nähert sich der Falle, steht nun ganz dicht davor! Nun ist es so weit: Mit gellendem Geschrei springen die Männer von vielen Seiten nach vorn und gehen die Mammute an. In die hetzende Flucht wird auch der Bulle hineingerissen, aber in diesem Augenblick sinkt unter seinen Vordersäulen plötzlich der Boden ein. Ein grauenvolles Krachen! Mit schrecklichem Trompeten stürzt der riesige Körper in das zusammenbrechende Wirrwarr der Fallgrubentarnung. Seine Wutschreie treiben die Herde in panischem Schrecken noch schneller voran, und sie entschwindet den Blicken. In der Luft schwingt noch eine Zeitlang das dumpfe Dröhnen ihrer Flucht, das wie ein Erdbeben den Boden erzittern läßt. Vorsichtig nähern sich die Jäger der Fallgrube. Da sie erkennen, daß von dem Eingebrochenen keine Gefahr mehr droht, erhebt sich wildes Triumphgeschrei. Wehrlos und fast bewegungslos sitzt das Riesentier in die Enge der Grube geklemmt. Ein Hagel von Pfeilen, aus nächster Entfernung geschossen, durchbohrt sein Fell, einer dringt mitten ins Herz. Noch wagt sich keiner der Männer heran, die Speere bleiben abwehrbereit erhoben. Als sich dann aber lange Zeit nichts rührt in der Grube, schleichen sie einzeln näher, berühren zögernd o
fluchtbereit, mit den Speeren das mächtige Haupt. Jetzt schwingt sich einer über den Grubenrand und rutscht über den Riesenleib abwärts in die Tiefe. Der Bann ist gebrochen, nun springen sie auf den Körper und ergreifen von ihm Besitz. Die Nacht ist hereingebrochen. Die Frauen und Kinder, die das Geschrei der Männer gehört hatten und jauchzend vor Freude herangeeilt waren, um den toten Riesen zu umtanzen, sind in die schützenden Höhlen zurückgekehrt. Nur wenige erfahrene und furchtlose Jäger bleiben zurück. Die mühsam erlegte Beute darf nicht den Wölfen zum Opfer fallen, deren Heulen unheimlich das nachtdunkle Land durchdringt. Wie eine Totenwache harren die Männer bei dem gefällten Riesen aus. Wohlig empfinden sie die Blutwärme des Tieres, die erst allmählich schwindet. So hocken sie in den Mulden des Mammutleibes. Sie schlafen nicht. Sie sichern in die Runde und schauen zu den funkelnden Lichtern der Sterne hinauf, die zauberhaft über ihnen stehen. Schnee-Eulen huschen lautlos durch die Nacht. Mit den Füchsen machen sie Jagd auf Lemmingmäuse und Schneehasen. Der frühe Morgen findet die Angehörigen des Stammes bei der Arbeit. Man muß die Zeit nutzen und den gewaltigen Körper enthäuten und zerlegen, bevor er in der Morgenkälte erstarrt. Der Fallgrubenplatz wimmelt von Menschen. Mit steinernen Bohrern, Messern, Schabern und Kratzern gehen sie dem Mammut zu Leibe. Mit den primitivsten Werkzeugen durchtrennen sie die harte Haut. Schnitt um Schnitt setzen sie nebeneinander, bis das rotbraune Fell weit auseinanderklafft. So bergen sie das kostbare Fett, das darunter sitzt; sie brauchen es nicht nur zur Nahrung, sondern auch zum Zubereiten der Häute. Denn das Gerben kennen sie noch nicht. Mit Fett und Asche reiben sie das Fell auf der Haarseite ein und schaben dann mit ihren Feuersteinschneiden die geweichten und gelockerten Haare herunter. Mit Fett walken sie auch die Tierhaut, bis sie ganz durchsetzt davon ist. Dann werden die Felle geräuchert; sie dienen als wärmende Bodendecke in den Zelten und Felshöhlen. Die Frauen räuchern die Fleischmassen, und starke Männer tragen sie in die Wohnhöhlen, wo sie sicher vor dem Zugriff der Füchse und Nager verwahrt werden können. Mögen nun auch Zeiten kommen, in denen furchtbare Unwetter die Jagd unmöglich 9
machen und die Menschen die Felsklüfte nicht verlassen, der j Vorrat an Fleisch bewahrt sie für lange Zeit vor dem Hungern. Der kleine Mensch ist in jener Erdepoche schon weithin zum Beherrscher seines Lebensraumes geworden. Er ist längst nicht mehr in der Abwehr, sondern steht furchtlos und mit dem Bewußtsein der Überlegenheit überall im Angriff. Bodenfunde und Felszeichnungen bieten uns über mehr als 20 Jahrtausende hinweg so gute Einblicke in das Leben und die Künste dieser prähistorischen Jäger, daß wir den Ablauf ihrer Treib- und Fallgrubenjagd heute mit all diesen Einzelheiten wiedererzählen können. Da hat einer jener Eiszeitkünstler, die den nackten Höhlenfels als Malgrund für ihre herrlichen Bildschöpfungen wählten, unter dem Eindruck eines wohlgelungenen Mammutfangs in wenigen Strichen das Drama in der Fallgrube gezeichnet: Die Umrisse der Grube, die Andeutung der Tarnungsdecke und das Einbrechen der Mammutriesen. Aber noch beredter ist der Boden selber, der hier und dort noch die Wildgruben deutlich erkennen läßt. Wie überlegt und listig sind sie im „Mammutgrund" im Kreise Havelland angelegt: nicht eine einzige Grube, sondern vierundzwanzig dicht beieinander in Dreierlinien, von denen die mittleren Tretfallen „auf Lücke" angelegt sind, wie ein modernes, strategisches Hindernis. Die Kolosse, die die erste Reihe der Gruben glücklich hinter sich brachten, gerieten fast mit Sicherheit in die Fallen der „zweiten Linie" oder der dritten. Die Halbkreisform verhinderte, daß die in einer Massentreibjagd gescheuchten Tiere nach rechts oder links entweichen konnten. Eine ähnliche Massenfalle deckten die Männer der Spatenwissenschaft in der Dordogne auf, wo 21 Wildgruben in Siebenerreihen dreifach gestaffelt angeordnet waren. In solchen Fallen wurden in einer einzigen Jagdzeit manchmal Hunderte von Mammuten zur Beute der Jägerstämme. Im Mährendorf Predmost entdeckte man in der Nähe eines Jagdgrundes Überreste von über 1000 ausgeschlachteten Mammutriesen. Zweitausend Backenzähne fand man dort noch „auf Vorrat gelegt": Der Transport der zwei bis vier Zentner schweren und bis zu fünf Meter langen Stoß- und Kauzähne in dieses vorgeschichtliche Elfenbeindepot erregt allein schon unser Erstaunen. Und wie geschickt die prähistorischen Großwildjäger waren, wenn sie die kostbare Decke sicherten und das Fell abtrennten! Noch erkennt man in
Nocdalnhanisiiin: Uitzzeiiit nung aut einer Felsplatte aus trühgeschichlllcher Zeit, als das Gebiet dei heutigen Sahara noch von Tieren und Menschen bewohnt war. Pieilschützen im Kampi mit einem Eleiantenbullen.
an den erhaltenen Knochen die Einschnitte, an denen die haarscharfen Feuersteinmesser angesetzt wurden, um das Fell unversehrt zu gewinnen. Kein zünftiger Fleischer würde das besser machen. In manchen Mammutwirbeln, die man in den Museen sieht, stecken noch die Spitzen der Speere und Pfeile, mit denen die Jäger ihre Beute überfielen. All diese Funde sind für die Forschung weitere untrügliche Beweise dafür, daß Mensch und Mammut wirklich Zeitgenossen waren. Lange Zeit hatte man das hartnäckig bestritten. In den grünen, wasserreichen Waldgebieten der Alt-Sahara galt die Großwildjagd der Urbewohner dem „afrikanischen" Elefanten. Das erregende Abenteuer dieser Altzeitjagd schilderte ein vorgeschichtlicher Ritzzeichner auf einer Felsplatte: Ein Eingeborener steht mit der Waffe vor einem mächtig aufragenden Eletantenbullen. Den Entdeckern dieser Bilder machte die Entzifferung der dramatischen Zeichnung langwährende Mühe. Die dörrende Sonnenglut hatte in 20 Jahrtausenden die Felstafel mit Rissen und Runzeln überzogen und die Umrisse des vielgestaltigen Figurenwerkes fast ganz verwischt. Aber mit den erstaunlichen Mitteln der wissenschaftlichen Technik gelang es doch, die Strichkonturen des aufschlußreichen Jagdbildes herauszuarbeiten, sie mit weißer Kreide nachzuziehen und fotografisch aufzunehmen. Dieses Bild war nicht nur bemerkenswert wegen seines jagdgeschichtlichen Inhaltes; es war zugleich ein weiterer Beweis für die Vermutung, daß die heute fast tier- und pflanzenlose, nordafrikanische Wüste einst von Menschen bewohnt, von Tieren belebt und von Wasserläufen durchzogen war, ohne die der Elefant dort niemals hätte bestehen können.
Überlistung des
Höhlenbären
Droben in den Kalkfelsen über den tosenden Gletscherwassern öffnet sich schwarz der Winterschlupf des Höhlenbären. Die ganze Bergwand ist mit tiefräumigen Höhlen durchzogen, die von den Schmelzbächen der Gletscher aus dem Stein gewaschen sind. In diese Felsverliese zieht sich das Bärenvolk zum Winterschlaf zurück, wenn die sommerliche Nahrungssuche vorüber ist und die Herbstfröste kommen. Bei den Jägern ist das Fleisch des Höhlenbären als ein Leckerbissen begehrt, aus dem Fell schneidet er Kleidung und Zudecke, seine kräftigen Backenzähne weiß er als Faustkeile zu benutzen und di's Kinnbacken als Schlagwerkzeug. Aber der Höhlenbär ist ein furchtbarer Gegner. Bis zu zweieinhalb Meter ragt er auf, wenn er sich auf seine Hinterpranken aufrichtet, und zerfetzend ist der Schlag der krallenbewehrten Tatzen. Aber auch diesem Raubtier erweist sich der vorgeschichtliche Mensch auf die Dauer gewachsen. Wenige Jagdkünste verraten so sehr die kluge Tierbeobachtung des eiszeitlichen Menschen wie die Methode, mit der er den Bären erlegte. Nur in der Notwehr wird er sich dem angriff slustigen Riesen im offenen Kampfe gestellt haben; viel leichter hatte er es, wenn er dem tückischen Raubtier mit List begegnete. Die Lebensweise des Höhlenbären war den Eiszeitjägern aus langer Erfahrung vertraut: wenn sie sommers die Höhlen durchsuchten, fanden sie die Verstecke vom Barenvolk geräumt; wenn aber der Winter nahte, dann sahen sie die zottigen Tatzentiere als Einzelgänger ihren Felsbehausungen zustreben und für lange darin verschwinden. Auf dieser Kenntnis bauten die Männer auf, wenn sie zur Bärenjagd auszogen. Zur Sommerzeit wählten sie besonders günstige Höhlen für ihre Jagdlist. Die Felskammer mußte sehr tief in den Berg hineinführen. Dort, wo sich die Höhle verengte, legten sie kräftige Schlingen, die sie aus Bast oder aus tierischen Sehnen geknüpft hatten. Wenn dann die Zeit der Heimkehr zum Winterschlaf kam, verbargen sich die mutigsten Männer nahe dem Höhleneingang und ließen den Bären passieren. Bevor er aber drinntn die Schlingen entdeckte, sprangen die Jäger 12
aus ihren Verstecken und drangen mit Feuerbränden ms Innere. Knurrend zog sich der Bär tiefer in die Enge der Höhle zurück und geriet in die Fessel. Dann fällten sie den Wehrlosen mit wohlgezielten Schlägen. Gelang es aber nicht, den Bären auf diese Weise zu töten, so blieb noch die Möglichkeit, ihn zum Ende des Winters zu fassen. Sie wälzten Steinhindernisse vor den Eingang der Höhle und paßten den Tag ab, an dem der Einsiedler im ersten Frühjahr, betäubt vom Schlafe, ins Freie trat, um Nahrung zu suchen. Ungelenk den Steinwall überkletternd, ereilte ihn das Geschick: Ein Schlag mit dem scharfkantigen Steinbeil auf die Nasenwurzel zertrennte die lebenswichtigen Kopfnerven; kampfunfähig plumpste der schwere Körper auf die Felsklippen, und ein Speerstoß mitten ins Herz war dann das Ende. Der Sieg über den gewaltigen Höhlenbären, das größte lebende Raubtier der Erde, gehörte zu den höchsten Triumphen der vorzeitlichen Jäger. In Bärenfesten feierten sie das Ereignis. Den BärenschHdel stellten die Jäger in ihrer Wohnhöhle auf einen steingeschichteten Sockel, daß er ihnen weiterhin Glück bringe. Solche Kopftrophäen fand man viel in den eiszeitlichen Höhlen, und man sieht in diesen Schädelaltären die ersten bisher bekanntgewordenen kultischen Steinbauten.
Der „Großlieferant" des Eiszeitjägers Zwisdien Zwergbirken und Polarweiden haben Vorzeitmenschen ein Zeltlager aufgeschlagen; sie sind einer Rentierherde gefolgt, die hier im Randsaum der ewigen Gletscher nach neuen Weidegründen sucht. Das Ren liebt diese Zone zwischen dem Eis und dem wärmeren Tiefland. Die Rudel haben den Menschen hinter sich hergelockt; denn das Ren ist sein ergiebigstes Jagdwild, der wandernde Großlieferant für mancherlei nützliche Waren. Vom Ren bezieht er das schmackhafte Fleisch, den Röhrenknochen entnimmt er das fettreiche und wohlnährende Mark. Die kurzhaarige Decke liefert ihm Stoff für seine Kleidung und die Plane für sein Nomadenzelt. Er schneidet daraus Gurte und Riemen für Zelt und Gewand und Schnüre für seine Steinschleuder und für die Befestigung der Schlagsteine, die er in Lederstücke hüllt, um sie an langer 1.1
Schnur weit ausholend als Schlagwaffe zu gebrauchen. Aus den Zehenknochen des Rens weiß der Eiszeitmensch schrille Trillerpfeifen zu fertigen, die ihm auf der Treibjagd beim Aufschrecken des Wildes Dienste tun; man findet die Knochenpfeifen in dem Abraum prähistorischer Siedlungsstätten. Das Ren liefert dem Menschen aber auch feinfädige Sehnen, die er mit Hilfe beinerner ösennadeln zum Nähen seiner Fellbekleidung verwendet. Aus dem Gehörn des Rens schnitzt der Jäger Messer und Pfeilspitzen, Harpunenspitzen mit Widerhaken, Angelhaken, Spitzbohrer, Durchstecknadeln und praktische Verschlüsse für seine Mäntel. Eine großartige Rohstoffquelle ist dieser Steppenhirsch mit dem schaufelartigen Geweih. Die Rentierjäger im Birkenlager haben gute Beute gemacht. Aber nicht leicht war es, das scharfsinnige und überaus menschenscheue Tier im offenen Gelände zu beschleichen. Mit Pfeil und Bogen bewaffnet, pirschten sich die Besten aus der Jägerschar lautlos an die Herde heran; denn die Jagd auf dieses Wild ist kein Heldenstück wie das Angehen des Mammuts oder des mächtigen Bisons. Tarnung und Anschleichen sind hier die einzig brauchbaren Waffen. Auf einem Rentierknochen ist solch eine Schleichjagd sehr anschaulich dargestellt; man ersieht aus der Zeichnung, daß schon der Jäger von einst jede Deckung auszunutzen verstand, um in sichere Schußnähe zu kommen. Die fettesten, mitteljungen Tiere aus der Renherde nehmen die Männer aufs Korn. Einer von ihnen liegt rücklings mit weitgespreizten Beinen im Gras und hat den Bogen breit vor die Füße gesetzt, um die Sehne mit beiden Händen zu spannen. Von furchtbarer Durchschlagskraft ist der abgeschossene Giftpfeil. Ein anderer verstärkt die Wucht und Weite seines Speerwurfes mit Hilfe des Wurfholzes. Den wurfgerecht liegenden Speerschaft setzt er in die Vertiefung eines armlangen Griffbrettes, das wie ein Holzschwert geschnizt ist; dieses Brett nun schnellt er hiebartig nach vorn und mit ihm den weit und im großen Bogen entfliegenden Speer. Ein derart geschleudertes Geschoß trifft mit der doppelten Kraft der handgeworfenen Waffe. Es ist ein verlustreicher Tag für das Rudel der Rene. Sechs prächtige Hirsche tragen die Männer zu den im Lager wartenden Frauen. Bis tief in die Nacht währt das Ausweiden der Tiere, das Enthäuten, das Säubern der nutzbaren Knochen und — der Festschmaus am Lagerfeuer. Die nicht verwendbaren Teile (4
rindet man 20 000 Jahre später Im gehärteten Schlamm eines nahen Tümpels. Aus dem Grund birgt man auch eines der Tiere, das die Jäger als Opfergabe an die guten Jagdgeister steinbeschwert in das Gewässer hinabgesenkt haben. Heute sind die Nachfahren des eiszeitlichen Rentiers fast zu Haustieren geworden; in langer Reihe ziehen die Hirten Lapplands mit ihren Herden über die Steppenweiden der subarktischen Zone. Rene sind ihr Hauptbesitztum; aller Reichtum ermißt sich an der Kopfzahl der Tiere. Doch vermutet die Forschung, daß das Ren vereinzelt auch schon in prähistorischer Zeit zutraulicher Gefährte des Menschen war. Ein einzelnes Junges, dessen Mutter den Jägern zum Opfer gefallen, hat man vielleicht am Leben gelassen als lebenden Fleischvorrat oder als Spielgefährte der Kinder. Vielleicht belehrt uns eines Tages ein Felsbild oder eine Ritzzeichnung darüber, daß es diese Haustierhaltung tatsächlich schon in jener Frühzeit gegeben hat, und daß sie in der Folge wieder aufgegeben wurde, als das Rentier mit dem zurückweichenden Eis aus der Nähe der Menschen entschwand. Oder sind jene Menschen der Gletscherzeit noch zu wenig gesittet gewesen, daß sie wohl töten, aber
P/eilsdiQfzen bei der Jagd aui Hirsdie. Eiszeitliche Felszeichnung in roter Farbe aus einer spanischen Höhle 15
nicht zähmen geschichtliche eine Antwort. der Reihe der
und züchten konnten? Die tier- und kulturWissenschaft erhofft auch auf diese Frage noch Bis dahin behält der Hund die erste Stelle in Haustiere.
Die
Wildpferdfalle
In der unendlichen Hungersteppe der Dsungarei in Westsibirien beobachtete die Karawane des russischen Generals und Forschungsreisenden Nikolai Prschewalkij im Jahre 1881 eine Herde rotbrauner und struppiger, pferdeartiger Tiere die, neben die mächtigen Arbeitspferde unserer Bauern und Brauer gestellt, sich fast wie Zwerge ausgenommen hätten. General Prschewalkij ließ einige seiner besten Tierfänger ausschwärmen, und nach einer wilden Jagd brachten sie einige der zornbebenden Wildtiere herbei. Der Fang dieser Steppengeschöpfe wurde für die wissenschaftliche Welt eine Sensation. Die eingefangenen Tiere waren Pferde. Sie waren aber nicht nur kleiner als die europäischen Pferde; sie trugen keine wallende Mähne, sondern auf dem Nacken, wie die Zebras eine gestreckte, aufgerichtete Haarbürste. Es gab auch keine Schimmel, Rappen und Schecken unter den Steppenpferden, keine Füchse und Braunen, sondern alle hatten die gleiche Wildfarbe. Für das Hauspferd — das war das Aufregende an dieser Tierentdekkung — war endlich der wilde Vorfahre gefunden; vergebens hatte man bis dahin unter den Tieren der Erde nach einer Stammform gesucht, aus der sich unser getreuer Haus- und Nutzgefährte herausentwickelt haben könnte. Hier also hatte Prschewalkij den Stammvater des Pferdes vor sich. Aber wie kam diese Wildart in den fernen Osten, und warum fand sie sich nur hier in der fast unzugänglichen, asiatischen Wüste? Heute weiß die Wissenschaft auf diese Frage die Antwort. Das Dsungarei-Wildpferd gilt als der letzte Rest des Wildpferdes überhaupt, das einst überall in Europa und Asien beheimatet war. In den übrigen Gebieten war es ausgestorben oder in der Form des Haustieres umgezüchtet, nur in der Abgeschiedenheit der fernöstlichen Steppe war es den Nachstellungen des Menschen entgangen. Nun forschte man weiter und stellte fest, daß der Aussterbezeitpunkt für die europäische Linie des Wildpferdes nicht einmal sehr weit zurücklag: in» 16
Jahre 1876, fünf Jahre vor dem Auffinden des PrschewalkijPferdes, hatte der letzte europäische Wildling, ein mausgrauer Tarpan, sein Leben gelassen. Diese Graupferde hatten noch in großen Herden die Wildbahnen der mittelalterlichen Wälder bevölkert; bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren sie in entlegenen Revieren Europas heimisch gewesen, bis dann die Sippe mit dem letzten Vertreter urplötzlich abbrach. Dieses Wildpferd alter Zeit war mit dem Ren eines der bevorzugtesten Jagdtiere des Eiszeitmenschen, und er hat es gern in seiner charakteristischen Haltung auf die Felshöhlen gezeichnet. Die flinken Einhufer haben es dem Vorzeitjäger nicht so leicht gemacht wie das Ren. Die Scharfsinnigkeit der Wildpferde zwang den Jäger zu besonders ausgeklügelten Fangmethoden. Dem Pferd liegt die Flüchtigkeit und Scheu heute noch im Blute. Eine Kuh wird kaum einmal durchgehen, ein Pferd aber gerät sehr schnell in panischen Schrecken und galoppiert auf und davon. Nicht selten geschieht es, daß ein erschrecktes Roß in rasendem Laufe gegen einen Mast oder eine Wand anstürmt. Das Pferd ist seinem Ursprung nach ein Tier der weiten Steppe, das wird ihm in der Enge der Stadt oft zum Verderben; denn Wände und Zäune gab es nicht in seinem ursprünglichen Lebensraum. Flucht, rasendes Davonstürmen, sind seine vorzüglichsten Waffen. Die Ebene, die sein Lebenselement ist, gibt ihm freie Bahn und Orientierung auf weite Sicht, und rechtzeitig weicht es aus, wenn ein Raubtier sich zeigt oder der jagende Mensch. Die Nomadenjäger von einst haben sich die Schreckhaftigkeit der Wildpferde zunutze gemacht, um dieser erlesenen Beute habhaft zu werden. Das Fleisch der Wildpferde war wegen seines köstlichen Gechmackes und seines Fettes besonders beliebt am Vorzeitherd.
• * Die Steppenjäger haben eine Wildpferdherde gesichtet. Eine alte Stute führt sie und prüft mit weitgeöffneten Nüstern unaufhörlich den leisen Windhauch, ob er nicht fremde Witterung heranträgt. Die intelligenten Augen des Leittieres gehen sichernd in die Runde. Aber nichts regt sich, nur in der Ferne äsen ein paar Rentiere. Schneehasen, die, Nahrung suchend, vorüberhoppeln, stören die weidende Herde nicht. Sorgsam sucht die Altstute das langsam dahinziehende Rudel !?
von den felsig ansteigenden Hügeln fernzuhalten, wo hinter jeder Erhebung Gefahr lauern kann. Aber wie das Tier mißtrauisch zu der Höhe hinüberschaut, wird plötzlich im Rücken der Pferde Geschrei und Getöse laut. Wie aus dem Boden gestampft, sind fellbekleidete Männer ringsum aus dem hohen Gras aufgetaucht. Steine und Keulen fallen zwischen die weidenden Wildpferde. Mit wilden Gebärden, die Speere wirbelnd, die Wurfsteine schwingend, kommen die Treiber in mächtigen Sätzen heran. Da beginnt die Flucht! In jäher Wendung der Leiber braust das Heer davon, dem Leittier nach. Der Fluchtweg in die Ebene ist durch die Menschen versperrt, so bleibt nur das Entkommen über den Felshügel. Eine Kavalkade rotbrauner Körper stürmt den Hang hinauf. Die Herde ist zum erstenmal in diesen Weidegründen Die Tiere ahnen nicht, daß der sanft ansteigende Hügel jäh in die Tiefe stürzt. Da bäumen auch schon oben am Felsgrat die Vordersten, stemmen sich gegen das Unheil, aber die Nachdrängenden fegen sie hinweg —• und folgen ihnen dann selber im nächsten Augenblick in den Abgrund. Unaufhaltsam! Nur wenige aus dem ungeheuren Schwärm der Wildlinge, die letzten, können seitwärts entkommen und verlieren sich, fast zu Tode gehetzt, bergab in dem niederen Gesträuch der jenseitigen Talsteppe. Das war die Todesfalle, die die Jäger der Wildpferdhefde gestellt hatten, indem sie mit der Schreckhaftigkeit und dem Herdeninstinkt der Tiere rechneten. Gellend bricht sich das Triumphgeschrei der Männer an den Berghängen und ruft die Weiber aus dem nahen Waldlager herbei. Der Katastrophentag der Wildpferdherde ist Glückstag für einen ganzen Stamm; denn die Jagdbeute ist ungeheuer, und lange wird man nun im vergnügten Nichtstun die Tage verbringen können. Aber noch länger wird man vom Jagdtag sprechen, an dem Tausende der rotbraunen Pferde zu Tode gehetzt wurden (vgl. Abb. S. 32). Bei Solutre im Belgischen liegt solch ein vorzeitlicher Wildpferdberg, an dessen Fuß die Skelette der Herabgestürzten unübersehbar sind. Die Gebeine von fast 40 000 erjagten Wildpferden liegen hier unter einem 350 m hohen Felsabsturz und zwischen den Tierknochen noch vielfach die Werkzeuge, mit denen die Jäger die Beute verarbeitet haben und die Waffen, die sie im Taumel der Schlachtfeste zurückgelassen. Auch die Reste der Herdfeuer erkennt man noch, an denen man das Fleisch zubereitet hat, und die Arbeitsplätze sind angedeutet, is
wo die zottigen Felle geweicht und gewalkt wurden. Auch andernorts wurden solche Todesfallen entdeckt, und immer fand man an ihren Steilhängen die Kadaver von vielen Tausenden abgestürzter Pferde. Der prähistorische Jäger hat diese grausige Treibmethode den Tieren selbst abgelauscht; denn auch die Hyänen und manch andere Raubtiere kennen solche tückischen Hetzen über die Hügel und gewinnen bei diesen Treibjagden gar leicht im Überfluß ihre Nahrung. Die Wooky-Schlucht bei Wells in England ist das Gegenbeispiel zur Wildpferdschlucht von Solutre. In der Nähe lag ein ausgedehnter Hyänenschlupf, und in der Schlucht selber fanden sich ungeheure Mengen von Resten ihrer Beutetiere, die sie in Rudeln über die Abgründe gejagt haben. Nur in solchen Hetzjagden waren die Hyänen imstande, selbst weit überlegene Tierfeinde in Massen zu überwältigen.
Unter der Maske Waldtiere sichern und orientieren sich mehr mit der Schärfe ihres Geruchssinnes als mit der Feinsinnigkeit ihrer Augen und Ohren. Der Wald ist in ständiger geräuschvoller Bewegung. Der Wind durchraschelt Gezweig und Laubwerk, der Sturm orgelt durch die Wipfel, Wasserläufe gurgeln und rauschen, Kälte und Hitze sprengen und spalten Gehölz und Gestein, und vieltönig ist der Gesang der Vögel. Dem Gehör ist in dieser Umwelt voller Unruhe nicht zu trauen. Aber auch dem Augensinn sind enge Grenzen gesetzt. Buschwerk und Laubwände, Gezweig und Stämme hindern im Umkreis die Sicht. Ausgeprägt jedoch ist der Geruchssinn; die feinst abgestimmten Antennen der Geruchsnerven wittern oft auf weiteste Distanz Freund und Feind. In der weitgedehnten, baumlosen Steppe aber ist das Dasein der Tiere fast ganz auf die Scharf- und Weitsichtigkeit der Augen gestellt. Flachlandtiere sind fast immer schnellfüßige Läufer. Wer seinen Feinden entgehen will, muß sie rechtzeitig erkennen. Vom hohen Ausguck des langgestreckten Halses überblickt das scharfe Auge des Straußes weithin das Land; noch höher hinauf strebt der „Wachtturm der Steppe", die Giraffe; die fast Wehrlose sucht bei drohenden Anzeichen ihr Heil in
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der Flucht. Gern halten sich die kleineren Steppentiere bei diesen langhalsigen Beobachtungsposten auf, um von ihrem Fernblick für sich selber zu profitieren: Antilopen und Zebras fühlen sich sicher, wenn sie sich in der Nähe der hochgewachsenen Tierkameraden wissen. Die Jäger haben es nicht leicht in der Steppe. Treibjagden versprechen nur Erfolg, wenn ganze Scharen von Treibern in Bewegung gebracht sind. In der Steppe sind Tricks und Täuschungen die erfolgreichsten Fangmethoden. An den Wohnplätzen der Eiszeitmenschen sind die Funde von Resten der Steppentiere nicht selten. Die Jäger dieser Frühepoche verstanden es also schon, selbst die scharfsichtigen Tiere der freien Landchaft zu übertölpeln, um ihre Felle und Federn, ihr Fleisch und ihre Knochen für Haushalt und Herd zu gewinnen. Wir wüßten wenig von den Jagdmethoden der Steppenjäger von einst, wenn uns nicht die Völkerforschung in der Jagdtechnik südafrikanischer Naturstämme einiges Anschauungsmaterial darbieten würde. Von den Buschmännern vor allem sind uns auf Schiefer- und Granittafeln, auf den Wänden der Höhlen, die sie und ihre Vorfahren bewohnten, zum Teil uralte Malereien und Zeichnungen erhalten, die wir für die Schilderung der urmenschlichen Steppenjagd heranziehen dürfen.
* Groß und klar ist das Auge des Straußes. Auf viele Kilometer Weite erspäht er den Feind. Mit Rennpferdgeschwindigkeit jagt er davon und ist hinter einer Wolke von aufgewirbeltem Staub verschwunden, ehe die Gefahr ihn erreicht. Die Scharfe des Straußenauges aber ist erkauft durch eine starke Minderung seines Geruchssinnes. Der Strauß vermag einen Feind nicht zu wittern. Den primitiven Jägern der Vorzeit war diese Schwäche des Laufvogels gewiß bekannt, und diesem Wissen verdankten sie auch die Jagderfolge über die Schnelläufer der Steppe. Auf dem grellen, sonnendurchglühten Grasland, das sidi einförmig in die grenzenlose Weite dehnt, weidet eine Herde hochbeiniger Strauße. Immer hebt einer der Riesenvögel mißtrauisch den Kopf und lugt weithin in die Steppe, bis hin zu dem flimmernden Horizont. Abwechselnd übernehmen die Tiere die Wache, und die weidenden Gefährten fühlen sich unter dieser Obhut geborgen. Die langen Hälse sind in leichter Biegung zu Boden gerichtet, mit den Schnäbeln suchen sie nach Sämereien, Krautpflanzen und Beeren; aber auch Insekten und kleine 20
Jäger benutzt eine StrauBenmaske, um sich einer StrauBenherde zu nähern (die Zeichnung iand sich aul einer Steinplatte im Gebiet der südatrikanischen Buschmänner und ist wahrscheinlich Jahrtausende alt). Eidechsen verachten die Tiere nicht. In dem niederen Busch, der seitlich die Weide abschließt, grast ein Einzelgänger und pickt eifrig in den Grasbüscheln. Mit schlenkernden Bewegungen kommt er näher. Niemand in der Herde kümmert sich um ihn. Selbst das Wächtertier schaut über ihn hinweg. Es müßte ihm sonst auffallen, daß der „Neue" sich irgendwie anders benimmt als die anderen Tiere und auf viel kürzeren Läufen einherstapft. Nun ist der Außenseiter auf wenige Schritte heran. Er hebt ein wenig das Gefieder, etwas Blitzendes fährt aus seiner Flanke. Das Wächtertier wirft jäh den Kopf zurück, springt ein paar Sätze nach vorn und knickt dann in sich zusammen. Alle Straußenhälse sind emporgereckt, und aus erschreckten Augen blicken die Tiere zu dem Fremdling hinüber. Ein unbestimmtes Gefühl der Angst überkommt sie. Dann plötzlich, wie auf ein unhörbares Kommando, beginnt der Aufbruch, und dahin braust und donnert mit gespreizten Stummelflügeln das Heer der erregt zischenden Strauße. Der zusammengebrochene Wächter liegt einsam, regungslos im Steppengras-, nur 21
der fremde Strauß Ist noch da und kommt auf einmal mit merkwürdig menschlichen Bewegungen heran. Einen Augenblick verharrt er vor dem niedergebrochenen Vogel, dann erhebt sich aus der Brust des Fremden ein gellender Freudenlaut. Der Kopf ist beiseitegeworfen, der Federbalg abgestreift, und aus dem« Strauß ist ein Steppenmensch geworden. Mit dem Rücken der Hand wischt er sich über die schweißtriefende Stirn; denn es war glühend heiß unter der lästigen Maske. Nun hebt der Jäger dem toten Tier die Kräuselfedern des Flügels an und blickt wohlgefällig auf den Pfeilschaft, der aus dem Körper hervorragt. Der Schuß aus dem Hinterhalt der Verkleidung war tödlich. Die Maskerade hat sich gelohnt. Ein Eingeborener Südafrikas hat, vielleicht vor Jahrtausenden, eine solche Straußenjagd auf eine graugelbe Steinplatte gezeichnet: Die großen Vögel in einer herrlich komponierten Gruppe, schwarzweiß die Hähne, in bläulichem Grau die Weibchen. Rechts an der Seite sieht man, wie sich unter der Straußenmaske der Jäger heranschleicht: Fast vollendet ist seine Tarnung, nur die muskulösen Waden verraten den Menschen; besonders verdächtig ist der Bogen, der seitlich hervorschaut. Die Strauße blicken herüber, in ihrer Haltung ist Mißtrauen. Der ganze Vorgang ist in erstaunlicher Naturtreue erfaßt. Der Vergleich dieses Bildes mit alteuropäischen und nordafrikanischen Felsbildern liegt nahe. (Vgl. Bild Seite 21.) Auch die folgende Jagdszene aus der südafrikanischen Landschaft gibt eine vortreffliche Anschauung von der Maskenkunst primitiver Jäger. Dem Tierkundigen ist die Freundschaft mancher Vögel mit weidenden Großtieren bekannt. Unter dem Schutze des schwarzen Madenhackers hält das stumpfsinnige Nashorn im Schatten eines Affenbrotbaumes vertrauensvoll seinen Mittagsschlaf. Der Vogel hüpft unablässig über den massigen Rücken des Dickhäuters und pickt in unstillbarer Freßlust Larven und Fliegen, die den Schlummernden belästigen, über dem Fressen vergißt der Schwarzvogel nicht, die Umgebung zu prüfen, und oft fliegt er auf, um im schnellen Spähflug Verdächtiges rechtzeitig zu entdecken. Wenn Gefahr droht, erhebt der Reitervogel ein alarmierendes Geschrei, und der schlafende Koloß wird aufspringen und sich abwehrbereit dem Feind entgegenstellen. Den Madenhacker kannte auch der Jäger der Eiszeit, und er hat ihn sehr anschaulich in Stein geritzt. Aber auch den wach22
samen Hornraben beobachtete er, den Nashornvogel mit dem eigentümlichen Aufsatz auf dem Oberschnabel. Beeren, Früchte und Samen, aber auch kleine Wirbeltiere sind seine Nahrung, auch Schlangen, verschmäht er nicht, und gern gesellt er sich den Geiern, wenn sie zur Mahlzeit über gefallenen Tieren erscheinen. Der schwanengroße Vogel ist ein sehr aufmerksamer Späher. Wo er einhergeht, können weidende Tiere beruhigt sein; denn seine scharfen Augen erkennen blitzschnell, wo etwas Feindliches sich rührt. Auch dieser kameradschaftliche Vogel mußte zur Maskierung der Urjäger herhalten. Ein ausgestopfter Hornrabe, mit Riemen an Kopf und Schultern geschnallt, dient der Tarnung bei der Jagd auf Antilopen. Die nickenden Bewegungen des Vogel nachahmend, überlistet der Jäger die Zutraulichkeit der weidenden Tiere. Einmal
Jäger besdileidit unter einem Hoinrabenbalg ah Tarnung das WiJd 23
in ihrer Nähe, ist es leicht, mit treffsicherem Pfeil aus der Herde das Opfer zu wählen. Aber der Wind muß dem Jäger günstig sein; denn die Antilopen haben ein gutes Witterungsvermögen, und Menschenwitterung ist ihnen vor allem verhaßt. Wenn der Wind in Richtung auf die Herde weht, dann nützen alle optischen Täuschungsversuche nichts. Dann werden sich die wilden, schnellen Rudel beim geringsten Anzeichen in eine rasende Flucht stürzen und sind davon, bevor noch der Jäger den Bogen gespannt hat. Die Vorzeit-Steppe ist auch Weiderevier und Lebensraum des Alt-Bisons, der dem Wisent verwandt ist. Dieser wilde, schwarze Wollberg mit dem ungeschlachten Kopf, den wir aus vielen farbigen Felszeichnungen kennen, liefert den Nomaden der Frühzeit vor allem Pelzaecken und die wärmsten Wände für seine Zelte. Eine weidende Bisonherde ist verträglich und scheu und teilt friedlich den Futterplatz mit anderem Steppengetier. Aber dieser gesellige Charakterzug schlägt in gefährlichste Feindschaft um, wenn der graue Bär, der Wolf, der Jaguar oder gar der Mensch es wagen sollten, ein Tier der Herde zu-überfallen. Die in Bewegung geratende Herde stürmt alles nieder, was ihr im Wege ist. Vom Donner der stampfenden Hufe erbebt die Prärie. Manchesmal kann aber auch blinder Alarm die Tausenderschwärme der Bisons in einen reißenden Strom alles vernichtender Bewegung bringen. Unerklärlich sind solche Panikausbrüche, die keine Macht der Erde aufzuhalten vermag, bis sie oft nach Stunden erst von selber zur Ruhe kommen. In einer Sturmwolke aufgewirbelten Steppenstaubes rasen die von Angst Gepeitschten dahin, fremde Herden werden hineingerissen in die hetzende Flucht, hügelauf hügelab fluten die ungeheuren Massen, ohne Besinnen werfen sie sich in die Flüsse, ertrinken zu Hunderten oder stürzen sich die Felsklüfte hinab, wo Tausende zerschmettern. Wenn die erschöpften Tiere dann plötzlich Halt machen, teilen sie sich wieder in Herden und suchen neue Weidegründe, als sei nichts geschehen. Aber auch ein Einzeltier kann dem Angreifer furchtoar werden. In schäumender Wut verteidigt die Bisonmutter das bedrohte Junge, und sogar der Grauwolf zieht schleunigst ab, wenn die Bisonkuh zum Schutz ihres Kalbes heranstürmt. Die Jagd auf diese hochnackigen Rammböcke der Steppe konnte in alten Zeiten nur Täuschungsjagd sein. Nur in der Rolle des harmlosen Präriewolfes, in der Maske dieses gelb24
braunen Wildhundes, den der Bison neben sich duldet odei gar nicht beachtet, durfte sich der Jäger Erfolg erhoffen. * So haben die Frauen für den Jäger und seinen Sohn die Felle zweier großgewachsener Präriewölfe geschabt, gereinigt und an der Sonne getrocknet. Die Wolfsfelle mit dem Wolfskopf übergestülpt, schleichen die beiden Männer in die Nähe der Herde; das dumpfe Schnauben und der schwere Tritt der arglos grasenden Büffel weist ihnen den Weg. Eine Wolke von Fliegen steht über den riesigen Tieren, deutlich dringt der scharfe Bisongeruch herüber. Nun gilt es, den Wolf zu spielen, so wie man es oftmals erprobt hat. Der Alte prüft vorsichtig den Wind, der günstig von der Herde zu ihnen herüberweht. Auf Händen und Füßen, geduckt, mit gesenkten Wolfshäuptern, schnüffeln die Jäger über den Boden. Ganz nahe weidet ein fettes Tier: Das ist das Opfer. In unmerklicher Bewegung werden die Bogen gestrafft, zwei Pfeile schwirren zu gleicher Zeit durch die Luft. An die Erde gepreßt; lauern die Männer, bis der Blutgeruch des zusammengebrochenen Büffels die Herde erreicht. Schreckbebend blicken die Tiere auf, ein kurzes Verharren, dann wenden sich die ersten, die nächsten folgen, Rudel um Rudel bricht auf, eine Massenflucht beginnt, weg von der Stätte des Grauens. Millionen Bisons bevölkerten einst die Eiszeitsteppen, und so wundern wir uns nicht, daß wir dem Bilde des Wildbüffels immer wieder an den Höhlenwänden begegnen. Mit gesenkten Hörnern nimmt er den Angreifer an, dort stürmt er in Panik über die Steppe, dort nähern sich ihm die verkleideten Jäger, dort endlich ist er gestürzt; der Steinspeer ist ihm tief in die Flanke gedrungen. In ohnmächtiger Wut schaut das Auge umher, im letzten Aufflackern der Lebenskraft bäumt sich der Körper, bis der Todeskampf die mächtigen Glieder löst. Wollten die Vorzeit Jäger, in ihre Höhlen zurückgekehrt, mit ihren Gemälden der Jagd den Bericht von Triumph und Grausen des Erlebten den Daheimgebliebenen bildhaft machen, oder sollten durch die Bannung der getöteten Tiere an die Felsen die Geister der Erschlagenen unschädlich gemacht werden — wir wissen es nicht. Die Kunst der Höhlenbilder ist im Letzten immer noch ohne eine allseits überzeugende Deutung
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Die
Wiederkehrkeule
Der Wildreichtum der eiszeitlichen Jagdgründe ist groß. Der Vorzeitmensch braucht nicht zu hungern, wenn er das Waidwerk versteht. Besonders dann, wenn das Eis zurückweicht und immer breitere Flächen unter dem Anhauch einer wärmeren Sonne wieder aufgrünen, ist das jagdbare Getier fast unübersehbar. Schnee-, Alpen- und Pfeifhasen, Gemsen, wilde Ziegen, Wildschafe und Steinböcke, Rentiere, Wildpferde, Gold- und Eisfüchse, Riesen-, Edel- und Damhirsche, Elche und Rehe bevölkern die Steppen, dazu Mammut, Altelefant, Nashorn, Ur, Wisent, Bison, Flußpferd, Löwe und Höhlenbär. Aus der Luft holt sich der Mensch Schneehuhn und Wildente, Wildgans und Wildschwan zur Nahrung. Mit Angel, Doppelangel und Netzen stellt er den Fischen nach. Sein Jagdwerkzeug aus Holz, Stein, Knochen, Hörn, Bast und Sehnen — in jener Steinzeitepoche sind Bronce und Eisen noch unbekannt — ist vorzüglich
Bumerang oder Wiederkehrkeule
entwickelt. Zu den Jagdwaffen des Vorzeitmenschen gehörte auch jenes Wurfgeschoß, das man als die seltsamste Waffe der Welt bezeichnen darf: der Bumerang, der von selbst wieder in die Hand des Schützen zurückkehrt. Ein ganz einfach aussehendes Holzstück, derb und flach geschnizt und winklig gebogen. Einer der Schenkel ist etwas kürzer gehalten als der andere. Die Wurftechnik ist uns vertraut, da dieses Holz heute noch von den Wilden Australiens zur Jagd gebraucht 26
Elelant mit eingezeichnetem Heiz. (Aus einer vorzeitlichen spanischen Höhle.) Die 20 bis 30 000 Jahre alte Felszeichnung diente vermutlich dazu, den jungen Jägern das Lebenszentrum des Jagdtieres und die tödliche Einschußstelle anzuzeigen.
wird. Man wirft die Keule auf das scheue Känguruh oder den flüchtigen Emustrauß, im Bogen erreicht sie das Opfer und schlägt es im sausenden Wirbel zu Boden. Verfehlt aber die Waffe das Ziel, dann steigt sie, wie von Zauberhand gehoben, hoch hinauf und wendet sich in kreisendem Schwung wieder zu ihrem Schützen zurück. Aus einem Schwärm fliegender Kakadus holt sich der Australneger mit einem einzigen Wurf eine Anzahl herunter, und auch dann kehrt die Keule nach getaner Arbeit oft wieder in die Nähe des Schützen zurück. Die Wiederkehrkeule ist eine der genialsten technischen Erfindungen des Frühmenschen. Die Gesetze, die sie bewegen, sind bis heute noch immer ein Rätsel. Man weiß nicht, wie der Primitive zu diesem Wunderholz gekommen ist. Vielleicht hat der Zufall ihm ein bumerangähnliches Astholz in die Hand gegeben, und er war geschickt genug, aus dem Zufallsgeschoß ein ständiges Jagdwerkzeug zu machen. Die Jagd allein hat den Menschen der Frühe hinübergerettet über die Schrecken der Eiszeit. Sie gab alles, was der Urmensch zum Leben brauchte. Ihr galten seine Anstrengungen und auch seine ersten künstlerischen Versuche. Der erfolgreichste Jäger erhob sich von selbst über die Masse seiner Gefährten. Wenn sie in langen Wintern oder in dunklen Nächten beisammen saßen, kreisten die Gedanken und Gespräche um die Jagd. Manches deutet auch darauf hin, daß es in jenen Zeiten schon praktische Jagdunterweisung gab. Beim Ausweiden seiner Beutetiere betrachtete der Jäger die einzelnen Organe. Er wußte, welche Teile genießbar und besonders schmackhaft waren. Auch die Frage, wo das „Leben" wohl seinen Sitz haben könnte, drängte sich auf; denn die Jagderfahrung belehrte ihn, daß es nicht gleichgültig war, wo der Pfeil oder Speer auftreffen mußte, 77
um schnell tödlich zu sein. Ein unsicherer Schuß, üer nicht das Lebenszentrum traf, ließ das Tier entkommen oder brachte es in Wut und gefährdete den Schützen. Der Mensch erkannte schon das Herz als Mitte des tierischen Lebens. Er zeichnete es an der richtigen Stelle in die Umrisse mancher seiner Tierbilder, und zwar in der natürlichen Form, die dem Umriß der Zitrone nahekommt, nicht als Pfefferkuchen- oder Spielkartenherz, wie wir es meist darstellen. Welch hervorragendes Anschauungsmaterial für die Jungschützen der Urzeit ist jenes Bild eines Elefanten mit dem eingezeichneten großen Herz. Die interessante Zeichnung entspricht ganz der Anatomie des Elefantenkörpers, in dem das Herz tatsächlich so merkwürdig hoch oben und vorn gelagert ist. An einem solchen Lehrmodell konnte der Nachwuchs erkennen, worauf es bei der Jagd „ankam". Die Elefantenzeichnung ist aber nicht das einzige aufgefundene Unterrichtsbild für angehende Eiszeitjäger. Ein trefflich wiedergegebenes Ritzbild jener Zeit zeigt einen Hirsch mit einem Herzbeutel. Das Herz ist durch einem Schlauch mit dem Munde verbunden gezeichnet. Man hatte also auch schon eine Vorstellung davon, daß das Herz mit der Atmung, dem Atemholen zusammenhängen muß. Wenn die Beobachtungen und Vermutungen der Höhlenforscher zutreffen, dann haben solche an die Wände gemalten Tierbilder auch zu Zielübungen gedient. Man stellte im Mal-
Prähistorische Hirschdarstellung. Das Herz ist durch den Körper an der richtigen Stelle sichtbar. Der Zeichner dachte, daß das Herz durch die Atemwege mit dem Munde In Verbindung stehe. (Erste anatomische Zeichnung der Menschheit) ?fi
grund der Bilder Absplitterungen im Fels lest, die vermutlich von einer geworfenen Waffe h e r r ü h r t . Vielleicht verband sich mit solchen Wurfübungen auch der Gedanke an die Verzauberung des Wildes: wie das Abbild an der Höhlenwand vom Speere getroffen wurde, so würde auch das Opfer selber dem Angriff des Jägers erliegen, wenn er beim nächsten Pirschgang den Bären oder den Bison anging. Umgeben von der Bildergalerie all seiner Jagdtiere, die im Licht der im Fett brennenden Steinlämpchen an den Wänden der Höhlen lebendig wurden, bereiteten die Jäger in der Rast des Winters auch ihre Waffen und das Handwerkszeug für das Ausweiden der Beute und für das Herrichten der Felle vor und fertigten die Werkstücke aus Knochen, Hörn und Geweih. Die Eoliten, — „Steine der Morgenröte" —, zufällig aufgegriffene oder durch Aneinanderschlagen zerteilte handgerechte Keile, sind von den Eiszeitleuten zu vielgestaltigen Waffen und Werkzeugen weiterentwickelt worden. Bequem zersplittert der Feuerstein unter den gut gesetzten Schlägen mit dem Steinbeil und liefert Fauststücke mit nadelscharfen Spitzen. Sie schmiegen sich mit ihrem dicken Wulst fest in die zupackende Hand. Die aus der Faust herausstehende Steinspitze aber hat eine furchtbare Wirkung. Diese „Faustkeile" in der Form einer Mandel sind die Allerweltswaffe dieses Zeitalters. Das ebenfalls überall verwendete, griffige Messer ähnelt dem Faustkeil, es ist nur länger und schmaler. Mühsam ist das Zuspitzen und Schärfen der gekerbten Pfeilspitzen aus Stein und der schlanken, steinernen „Lorbeerblattspitzen". Leichter lassen sich Elfenbein, Hörn und Knochen bearbeiten. Lange Dolche entstehen aus diesem Material, Schaber, Pfriemen und Nadeln mit Ösen. Meister sind die Höhlenmenschen in der Herstellung beinerner vielzackiger Harpunen mit scharfen Widerhaken und eingeritzten Rinnen zur Vergiftung der Waffen. Aus Knochen schnitzen sie auch die Harpunen für den Fischfang und aus Knochen und Geweih die Angelhacken zum Fischen. Auch Netze kennen sie, die zum Fang von Geweihträgern zwischen Bäume gespannt werden. Für das Geflecht werden Pflanzenfasern verwendet. Für die Verbindung von Speer- und Pfeilspitze und des Steinbeils mit dem Holzschaft haben die Jäger eine erstaunliche Technik herausgebildet. In die „Rose" des Geweihs wird der Steinkeil gebettet, in den aufgespaltenen Holzschaft klemmen sie die Speerspitze und umwickeln sie fest mit Sehnen und Bast. In geduldiger Arbeit wird der polierte Stemhanimer durchbohrt und der HolzM
stiel unlöslich eingekeilt. Zum Schluß wird das Eigentumszeichen des Besitzers eingeritzt: ein Dreieck, ein Kreuz, drei Dreiecke, zwei Kreuze. Nach jedem Jagderfolg wird der Schaft oder die Speerspitze eine feine Kerbung erhalten, Siegeszeichen der besten Jäger. Der lange Winter und die Rastzeit zwischen den Jagden bieten Muße genug, Werkzeug und Waffen mit Ornament und Bildwerk zu verzieren, und in solchen Zeiten entstehen dann auch die großartigen Felsbilder, die in Abertausenden von Darstellungen das farbige Bilderbuch über das Leben des eiszeitlichen Menschen geworden sind. Man darf jedoch von den Felsmalereien und Ritzzeichnungen dieses Jägervolkes nicht allzu weitgehende Schlüsse auf die Kulturhöhe jener prähistorischen Geschlechter ziehen. Aber sie beweisen uns doch neben der fortgeschrittenen Werkzeugentwicklung, daß die Menschen der Eiszeit weit aus dem Berexh der frühen Dämmerung herausgetreten waren, und daß der erste Schein einer Geisteskultur sie schon getroffen hatte.
* Schwer und mühselig ist das Leben des Menschen von Anbeginn. Ihn schützt nicht der Haarpelz des Bären vor den Sctineestürmen, die über die Steppen jagen; er hat nicht die Panzerhaut des Nashorns oder die Lederschwarte des B.sons, die ihn vor Verwundungen schützen. Ohne naturgegebene Waffen steht er in einer Welt des Kampfes, wo der Saiwache des Starken Beute wird. Und doch erobert er sich Schritt für Schritt die Erde, wird er Herr über alle Tiere des Landes, des Wassers und der Luft. Der göttliche Funke des denkenden Verstandes, mit dem er seinen Weg begann, öffnet ihm die Tore der Zukunft . . . . Durch die Eiswüste stapfen, Mann hinter Mann, Menschen der Urzeit. Ein Stamm wandert neuen Jagdgründen entgegen. Dicht vermummt sind die Körper in den unförmigen Pelzkleidern. Keuchend geht der Atem unter der Last der schweren Zelte, der Geräte und des Fleischvorrats. Kleiner werden ihre Gestalten, auf dem Kamm des Hügels stehen sie noch einmal als scharf geschnittene Silhouette gegen das Weiß des Schnees, dann verschwinden sie am jenseitigen Hang. Weit und grau spannt sich der Himmel über der unendlichen Einsamkeit der erstarrten Erde. Nur die Spuren des Menschen stehen wie ein Siegel seines Daseins und seines Lebens in dem verharschten Schnee . . . . 30
Diesen Lesebogen schrieb Dr. Ingo Krumbiegel. Eine anschauliche Ergänzung zu diesem Heft bieten die Lesebogen Nr. 30 „Wüste oder Paradies?" von Dr. Heinrich Schiffers und Nr. 38 „Tiere und Tierbilder der Höhlenmenschen" von Dr. Ingo Krumbiegel.
LUX-LESEBOGEN Nr. 59 / Heftpreis 20 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte. Verlag Sebastian Lux, Murnau-München. Bestellungen (vierteljährlich 6 Hefte zu DM 1,20) durch jede Buchhandlung und jede Postaristalt. Druck: Buchdruckerei Hans Holzmann, Bad Wörishofen
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