HELDENSAGEN AUS DEM ALTEN IRLAND ERZÄHLT VON PADRAIC COLUM ÜBERSETZT VON KONRAD SANDKÜHLER MIT ZEICHNUNGEN VON WALTHER ...
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HELDENSAGEN AUS DEM ALTEN IRLAND ERZÄHLT VON PADRAIC COLUM ÜBERSETZT VON KONRAD SANDKÜHLER MIT ZEICHNUNGEN VON WALTHER ROGGENKAMP
VERLAG FREIES GEISTESLEBEN
Die englische Ausgabe ist unter dem Titel »The Frenzied Prince« bei David McKay Co, Philadelphia, 1943 erschienen.
Einband und Schutzumschlag: Walther Roggenkamp © 1967 Verlag Freies Geistesleben GmbH Stuttgart Gesamtherstellung: Greiserdruck Rastatt scan by párduc
ö 2002
Inhalt
Erster Teil Prinz Suivné und König Donalds Erzähler.................................. 7 Midir und Etain ............................................................................ 16 Die Pflegetochter der Kuhhirten.................................................. 24 Zweiter Teil Prinz Suivné und seine Gattin Orann........................................... 37 Cuchullin und die Kampfgöttin.................................................... 42 Cuchullin und die Kriegsfrauen................................................... 51 Cuchullins Tod ............................................................................. 62 Dritter Teil Prinz Suivné und der Irre von Britannien .................................... 75 Wie die Harfe nach Tara kam ...................................................... 82 Der grobe Knecht ......................................................................... 97 Vierter Teil Prinz Suivné in Dun na Nee ......................................................... Die Schlacht bei Moy Rah ............................................................ Die Tochter des Königs von Irland .............................................. Der Tod von Dermott O'Divna.....................................................
113 116 129 147
Fünfter Teil Prinz Suivné und der Abt Moling ................................................ 159 MacErca und die Zauberfrau....................................................... 163 Der entstellte König...................................................................... 176 Nachwort von Dr. K. Sandkühler................................................. 189
ERSTER TEIL
Prinz Suivné und König Donalds Erzähler
ES GESCHAH NACH einem bestimmten Ereignis, genau gesagt nach der Schlacht bei Moy Rah im Jahre des Herrn 637, da ward Suivné, der Fürst von Dalria, von Verwandten und Gefolgsmannen nicht mehr gesehen. Doch wenn er auch aus Feldlagern, Jahrmärkten und sogar aus den Versammlungen der Adelsherren von Irland verschwunden war, so bestand doch die Meinung, er sei noch am Leben. Es traf sich, daß ein Mann, dessen Aussehen das wandernde Volk an den Fürsten von Dalria erinnerte, zu einer Niederlassung kam, die Mönche an den Ufern des Shannon gegründet hatten. Frauen klopften Flachs, und ein Wärter läutete eben die Glocke zur Abendandacht, da sprach dieser fremde Mann: »Genauso, wie die Frauen den Flachs schlagen, wurden meine Mannen bei Moy Rah von Donalds Heer geschlagen.« Und weiter sprach er: »Vertrauter ist mir der Kuckucksruf an den Ufern des Bann als das Bim-Bam der Glocke des Kirchenmannes.« Und nach diesen Worten floh der Mann hinweg, obgleich ein bitterer Wind wehte und er nur in Lumpen einherging. Wie er dahinrannte, tat er so hohe Sprünge in die Luft, daß sein Gang dem Flug eines Vogels ähnlich war. »Auf diese Art floh Suivné aus der Schlacht bei Moy Rah«, erzählte das wandernde
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Volk dem Abt, »und seitdem hat er seine Ruheplätze in den Wipfeln der Bäume gefunden.« Nun kam am Jahrestag von Moy Rah der Mann, der die Schlacht gewonnen hatte, Donald, der König von Irland, mit einer Jagdgesellschaft nach Glen Erkin. Unter einer großen Eibe machte er halt und begann von Moy Rah zu erzählen. Und als er davon sprach, wie kummervoll die Erinnerung an die Schlacht für ihn sei, da wußte jeder, daß er ehrlich sprach. König Donald hatte bei Moy Rah gesiegt. Aber sein Pflegesohn Prinz Congal, der in seinem Hausgefolge erzogen worden war, ihn später aber befehdete, blieb auf dem Schlachtfeld. »Prinz Suivné von Dalria, der auf Congals Seite stand, verschwand dort ebenfalls«, sprach König Donald. »Er wurde nicht unter den Toten gefunden, und unter den Lebenden ist er seitdem nicht gesehen worden.« Da war ein schwacher Laut im Baumwipfel; Donald, der wie alle Nachkömmlinge Ainmiries ein scharfes Gehör hatte, vernahm ihn. Aber er konnte nicht erkennen, was es war; es klang wie das Seufzen eines Menschen. Dann sprach er weiter von Suivné und erinnerte daran, daß der Abt Ronan vor der Schlacht einen Fluch über Suivné gesprochen hatte. Da sprach eine Stimme aus dem Wipfel des Baumes, eine hohle Stimme, die Verse: Männer der Jagd, zurück! Ihr Männer aus meinem Land! Hier im Wipfel der Eibe Ist einer, der wanderte weit! Gott hat mir gnädig gewährt Einen kahlen, kärglichen Ort, Doch keine ruhige Rast Noch Weibes geselliges Wort. Hier in die Gabel gezwängt Ist einer, den Gott hat verdreht: Sein Geist, seine Gestalt, O Männer, sind so wie früher nicht mehr.
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König Donald erkannte die Stimme. Er sprach zu dem Mann im Baum, nannte ihn Suivné und drang in ihn, er möge doch zu ihm herabkommen. Aber der Mann wollte nicht, und als einige Jäger sich anschickten, zu ihm hinaufzuklettern, sprang er von der Eibe auf einen anderen Baum, von dort wieder auf einen anderen, und sobald seine Füße den Boden berührten, rannte er weiter und machte so gewaltige Sprünge, daß er hoch in die Luft flog. Sein Gewand war zerfetzt wie Lumpen an einem Busch, Bart und Haare glichen Heuhaufen, die der Wind zaust. So lief er und entschwand ihren Blicken. »Flink ist der Mann, der so rennt«, meinten die Jäger. Später, als König Donald nach seiner Burg Dun na Nee zurückzog, sagte er: »Stark waren die Bande, die Congal an mich fesselten, bevor er mich bekämpfte. Es tut mir weh, einen von Congals Gesellen in solchem Zustand zu finden.« – Dies sprach er zu zwei Geschichtenerzählern, die mit ihm zogen, dem langen Colman MacAë und dem kurzen Aë MacColman; und den Erzählern war wohl bekannt, daß König Donald wußte, wie seine eigenen Machenschaften die Feindseligkeiten schufen, die zu Moy Rah geführt hatten, zu den vielen Erschlagenen, der großen Zerstörung und zu dem Ende von Congal Clen, seinem Pflegesohn. In jener Nacht holten Colman MacAë und Aë MacColman aus einer fernen Zeit die Geschichten herauf, mit denen sie den König und seine Gesellschaft unterhielten. »Es trugen sich noch andere Dinge in Irland zu als die, die zu Moy Rah führten«, – wollten sie damit sagen. Daher gingen sie mit ihren Geschichten zurück in die Zeit des Königs Fiachu, als die Rinder auf den Höhen von Tara noch weiße Gesichter hatten. Aber auf König Fiachu und die seltsamen Begebenheiten seiner Zeit achtete Donald wenig. Sein Prunkbett mit den vergoldeten Pfosten und dem bronzenen Gestänge gewährte ihm in dieser Nacht nur unterbrochenen Schlaf. Ehe noch das Morgenlicht aufleuchtete, ließ er seine Erzähler holen. Die Kerze brannte, als das würdige Paar eintrat; sie erblickten ihre Schatten, einen langen und einen kurzen, an der Wand.
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»Ich habe einen Traum gehabt«, begann König Donald, nachdem seine Erzähler ihm Glück und Gedeihen gewünscht hatten. »In meinem Traum sah ich Suivné auf einem Baum zwischen Büschen und Felsen. Er lauschte den unmenschlichen Lauten der Wildnis, dem Schreien und Heulen. Je länger er lauschte, desto mehr wurde er selbst zum wilden Mann. Und wiederum sah ich ihn, da lauschte er Worten, die zu ihm gesprochen wurden. Und die sie sprachen, wäret ihr, Colman MacAë und Aë MacColman. Und die Worte berichteten von den erhabenen Geschichten unserer Vorväter. Sie machten den wilden Mann wieder zum Menschen, denn er hörte nicht mehr das Heulen und Schreien rings um sich. Vielleicht hat mein Traum ein Mittel gezeigt, um Prinz Suivné davor zu bewahren, daß er sich gänzlich aus den Bahnen der Menschen entfernt. Könntet ihr herausfinden, in welchem Teil Irlands er sich aufhält, so hätte ich gerne, daß ihr hinginget und ihm Geschichten erzähltet, die ihn an Helden und die Sitte berühmter Frauen erinnern und ihn an seinen Platz unter den Abkömmlingen Hebers und Heremons gemahnen.« Sie berichteten ihm von einem Ort, zu dem die Besessenen des ganzen Landes sich hingezogen fühlten und wo wahrscheinlich Prinz Suivné gefunden werden könnte. »Geht dorthin«, sprach König Donald und gab ihnen seine Anweisungen: »Wenn ihr ihn findet, so erzählt ihm eure Geschichten und verweilt besonders bei den Stellen, die ihn an sein Königtum und die Lebensart erinnern, die uns unsere Vorväter als die rechte gelehrt haben. Ihr sollt aber noch etwas anderes tun. Einer, der Suivnés Haushofmeister war, Lynchehaun heißt er, ist gegenwärtig unter meinem Hofgesinde, den nehmt mit!« Colman MacAë und Aë MacColman erklärten, sie würden sich um die Mittagszeit nach dem genannten Ort aufmachen und den Haushofmeister mitnehmen. Das taten sie denn auch. Sie fanden Lynchehaun, wie er König Donalds Haushofmeister bei der Arbeit half, und forderten ihn als Gefährten an. Der Ort, nach dem sich die Wahnsinnigen von Irland hingezogen fühlen und wo sie sich in Scharen zusammenfinden, ist Glen
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Bolkin, ein enges Waldtal, das vier Schneisen hat, durch die der Wind streicht. Darin gibt es Quellen und Rinnsale mit Wasserkresse und an den Ufern Ehrenpreis, da wachsen Sauerampfer und Knoblauch und viele Kräuter. An seinem Ende liegt ein Wald, in dem neben Eicheln allerlei Beeren zu finden sind. Im Waldtal gibt es Felsen, in deren Spalten sich die Besessenen ihre Ruheplätze suchen. Prinz Suivné war in diesem Waldtal, denn Lynchehaun fand seine Fußspuren am Rand eines Weihers, wo er häufig Wasserkresse sammelte. Aber an diesem Tag bekamen sie ihn nicht zu sehen. Die Sucher bauten eine Hütte, und während sie bauten, standen seltsame, scheue Gestalten hinter den Bäumen und verfolgten ihre Arbeit. Sie liefen davon, sobald man einen Schritt auf einen von ihnen zu tat. Am nächsten Tag wanderten Aë MacColman und Lynchehaun durch das Tal und ließen Colman MacAë, den langen Erzähler, zurück, damit er das Dach der Hütte decke. Das tat er, und dann wurde er müde, ging hinein und legte sich auf ein Bett aus Zweigen. Wie er so dalag, den Mantel über den Kopf gezogen, trat ein Mann herein. Er war in Lumpen gehüllt und seine Haut war von Dornen zerkratzt. Er mochte wohl Colman MacAë für den Dienstmann eines Vornehmen halten, denn er blieb beim Eingang stehen und sprach die Verse: Gut geht's dem Dienstmann dort, Der bei der Wand kann schlafen; Seit dem Kampftag von Moy Rah Ist mein Schlaf völlig dahin. Ich war einst Suivné der Weise, Es stand meine Burg An einem beherrschenden Ort, Nun hab' ich das Haus vertauscht.
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Ich ziehe von Hügel zu Hügel Rings um das Waldtal der Eiben; O war' ich doch liegengeblieben, wo Congal Clen ward begraben. Das also war Prinz Suivné! Er stand zerlumpt an der Tür, mit zitternden Knien, und wandte das Haupt nach einem Raben, der auf einem Baum krächzte. Mit ruhiger Stimme sprach Colman MacAë zu ihm: »Es gab Schlachten in Irland vor Moy Rah; es lebten Könige in Irland vor König Donald«, so sagte er. »Deine Stimme ist nicht die eines Besessenen«, meinte der andere. »Wenn ich spreche«, erwiderte Colman MacAë, »erzähle ich von Dingen, die geschahen, bevor Fürst Congal gegen König Donald in den Kampf zog.« »Ich höre Kampfrufe der beiden Heerbanne erschallen, als ob Rudel von Hirschen röhren.« »Laß die Hirsche röhren auf jedem Berg, wo sie wollen, du aber komm mit mir dorthin, wo König Jochu bei Tara jagt.« Da trat Suivné in die Hütte ein. »Deine Stimme ist freundlich«, sagte er zu Colman MacAë. »Ich habe die Schreie von Reihern gehört und das Kreischen von Kormoranen. Das Fallen der Wasser hörte ich und das Knarren von starken Ästen. Ich bin einer, für den der Flug eines Zaunkönigs so erschreckend ist wie der Vormarsch eines Heeres, dem ein Amselruf schon Unruhe bringt.« »Stelle dir vor, du seiest von der Jagd zurück und dein Erzähler stehe bereit, um dein Gemüt mit Geschichten aus fernen, fernen Zeiten zur Ruhe zu bringen.« »Du bist ein Erzähler – das erkenne ich an deiner gemessenen Rede«, sprach Suivné und kam bis in die Mitte der Hütte. Da trat Colman MacAë einige Schritte vor und begann: »Fürst, höre mich an: Ein König von Irland ging eines Tages auf die Jagd. Aber ich will zuerst meine Geschichte beim Namen nennen. Sie heißt: Midir und Etain.«
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Midir und Etain
Der König von Irland ritt jagend durch Bri Lei. Ein Weiher lag am Rande des Waldes, an dem machte der König mit seinem Gefolge halt. Und was sie da sahen, war weder ein Reh noch ein Kitz, sondern eine wunderbare, schöne Frau. Vor ihr stand ein silbernes Becken, mit vier goldenen Vögeln verziert. Auf dem Haupt trug sie einen silbernen Kamm; ihr Purpurmantel hatte silberne Fransen und eine goldene Spange. Grün mit goldenen Mustern war ihr Gewand, und über der Brust trug sie goldene Nesteln. Die Sonne, die auf den Weiher schien und auf dem Laub des Waldes erglomm, warf hellen Glanz auf das Grün ihres Gewandes, das Gold ihres Schmuckes. Das Gefolge des Königs flüsterte untereinander; dann trat einer neben den König und sprach: »Deine Edlen haben dich dringend gebeten, eine deiner würdige Frau zu nehmen, und deine Hofleute sind eben unterwegs durch Irland nach Nord und Süd, Ost und West, um eine Frau für dich zu finden. Nimm diese Frau! Keine, die deine Hofleute finden mögen, kann so schön und so edel sein wie sie.« Der König, Jochu war sein Name, betrachtete die Frau, ohne Kopf oder Hand oder Auge zu regen. Sie nestelte ihren Mantel auf und löste ihr Haar, um es in dem silbernen Becken zu waschen. Die zwei Strähnen, die sie hinabsenkte, glänzten wie Gold von Sommerblumen; die kurzen Ärmel ihres Unterkleides ließen ihre Arme unbedeckt; ihre Hände waren so weiß wie der Schnee über Nacht; dunkel waren die Brauen über ihren blauen Augen, ihre Lippen leuchteten so rot wie Vogelbeeren, ihre Schultern waren glatt und so weiß wie Schaum auf der Welle. »Ich möchte«, so sprach Jochu, »alle Frauen der Welt um ihretwillen aufgeben.« Jetzt erblickte sie den König und sein Gefolge, doch keine Furcht zeigte sich in dem Angesicht, das sie ihnen zuwandte. Ein Schimmer wie von Mondenlicht lag auf ihrem Antlitz.
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Jochu trat zu ihr hin und sprach zu ihr und gestand ihr sein Verlangen, und sie erwiderte: »Ich will mit dir gehen, du aber mußt mich mit allen Ehren empfangen, den Brautpreis neben mich legen und meine Forderungen erfüllen.« »Alles soll so sein, wie du es verlangst«, sprach Jochu. »Und welche Bedingung soll ich erfüllen?« »Daß ich nie daran erinnert werde, wo ich bis zu dieser Stunde war«, sagte sie. »Mit welchem Namen sollen wir dich nennen?« fragte Jochu. »Etain«, antwortete sie. Und so hörte man zum erstenmal diesen Namen, der später sprichwörtlich wurde, denn die Leute sagten gern: ,Schön wie Etain ist sie‘, – ,schlank wie Etain‘, – ,lieblich wie Etain‘. Jochu führte sie zu seinem Königssitz in Tara. Bald darauf kamen die Fürsten und Edlen zu dem Sowin-Feste, das die Könige von Irland jedes Jahr gaben, zu dem Winterfest von Tara. Unter den Fürsten befand sich auch Jochus Bruder Ailill. Als Ailill die seltsame, schöne Frau an seines Bruders Seite erblickte, da wurde er wie einer, der in einen Traum versinkt. Seine Frau legte ihm die Hand auf den Arm. »Ailill«, sprach sie, »warum starrst du so weit in die Ferne?« Da schämte sich Ailill und blickte nicht mehr auf Etain während des ganzen Festes, das von zwei Wochen vor bis zwei Wochen nach dem ersten Novembertag dauert. Das Fest war voll des Glückes für Jochu und seine Frau, und auch die Tage vor ihnen sahen glücklich aus. Nur eines machte dem König Kummer. Sein Bruder war von einer Krankheit befallen, die kein Arzt erkennen konnte. Um diese Zeit mußte der König seine Rundfahrt durch ganz Irland machen. Bevor er ausfuhr, sprach er mit seiner geliebten Etain. »Behandle Ailill mit Güte, während ich abwesend bin«, sagte er. »Geh mit ihm um, als wäre er dein eigener Bruder. Tue alles für ihn, was seine Heilung bewirken könnte. Sollte er jedoch sterben, so errichte einen Gedenkstein über ihm und lasse seinen Namen in Ogham-Schrift einmeißeln.«
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Und darauf verließen Jochu und sein Gefolge Tara in ihren Prunkwagen. Am nächsten Tage ging Etain in das Haus, in dem Ailill lag. Sie saß neben seinem Bett und sprach zu ihm: »Was schmerzt dich so sehr? Deine Krankheit ist heftig.« Ailill antwortete nicht, und sie sang ein Lied, um ihn zu beruhigen. Und wieder fragte sie: »Was kann ich tun, um dich zu heilen, Ailill?« »Eines würde mich heilen«, entgegnete Ailill. »Wenn du, Etain, mir sagtest: ,Ich will dir meine Liebe schenken, Ailill‘, und du dein Wort hieltest.« Etain blieb eine Weile still. Dann sprach sie: »Ich will dir Liebe schenken, Ailill. Vergiß deine Krankheit! Komm bei Tagesanbruch zu dem Haus vor der Burgmauer.« Dann verließ sie ihn, und Ailill lag da voll Scham, die seine Krankheit noch schlimmer machte, Scham, daß er seines Bruders Frau um ihre Gunst gebeten hatte. Aber bei Tagesanbruch würde er doch aufstehen und zu dem Hause draußen vor der Burgmauer gehen. Wenn er Etain dort sähe und mit ihr spräche, würde schon das Gefühl, daß sie ihm diese Begegnung gewährt hatte, ihm neues Leben geben, so dachte er. Die Nacht brach an; Ailill lag ohne Schlaf, aber kurz vor Tagesanbruch überwand ihn der Schlummer; weit entrückt lag er auf seinem Ruhebett. Etain jedoch begab sich vor Tagesanbruch in jenes Haus außerhalb der Burgmauer. Sie spähte hinaus und sah einen Mann auf das Haus zukommen, und obwohl der dahinschritt, als ob er eben von einem Krankenbett aufgestanden sei, erkannte sie, daß es nicht Ailill war. Sie verriegelte die Haustür, und als sie wieder hinausschaute, sah sie den Mann nicht mehr. Im Laufe des Tages besuchte sie Ailill, und wie einer, der sich doppelt schämen muß, erzählte er ihr von dem schweren Schlaf, in den er gefallen war. Sie versprach ihm, sie wolle noch einmal auf ihn warten. Wiederum lag Ailill bis kurz vor Tagesanbruch wach da und wieder versank er in schweren Schlaf.
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Und wie zuvor ging Etain in das Haus vor der Burgmauer und wartete auf ihn, und wie zuvor sah sie einen Mann auf das Haus zukommen, der nicht Ailill war. Sie verriegelte die Türe nicht, sie ließ den Mann ein. »Einen Mann wollte ich in Wahrheit hier treffen«, sprach sie. »Aber von dem, der hätte kommen sollen, begehre ich keine Liebe noch fürchte ich Unbill von ihm. Und da ich ihn heilen möchte, ist es wohl nicht unziemlich, daß ich ihm eine Begegnung gewähre.« »Es wäre geziemender, daß du mir eine Begegnung gewährtest«, erwiderte er. »Wieso das?« »Weil ich dein Gefährte war, als du die Tochter von Echrad aus den Feenhügeln warst.« »Wie ist dein Name?« fragte Etain. »Midir ist mein Name; wie du bin ich vom Volk der Danaan, die in den Hügeln wohnen.« »Und was war der Grund, dich von mir zu trennen, wenn es so ist, wie du sagst?« »Der Zauber von Fummach, die Bannworte von Bresal brachten uns auseinander.« Und dann sprach Midir weiter zu Etain: »Willst du mit mir kommen, Befin?« »Nein!« entgegnete Etain. »Ich will nicht den König von Irland gegen einen Mann tauschen, dessen Sippe und Geschlecht mir unbekannt sind.« »Du wirst von deiner Vergeßlichkeit befreit werden«, sprach Midir. »Ich selbst bewirkte in Ailill Liebe zu dir; ich auch verhinderte ihn, zu dir zu kommen.« Aber Etain sprach kein Wort mehr zu ihm, und Midir verließ den Ort. Und dann sah sie einen Mann auf das Haus zukommen, der wirklich Ailill war. Wie sie in dem hellen Morgenlicht auf ihn zuging, sah sie, daß er gesund und wohlauf war. »Ich bin von meiner Krankheit geheilt, und du bist unversehrt in deiner Ehre«, sprach er zu ihr. Und dann trennten sie sich. Am selben Tage kehrte Jochu zurück. Er freute sich, daß sein Bruder genesen war, und dankte Etain, daß sie zu Ailill freund-
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lieh gewesen war. Etain aber war glücklich, daß Jochu bei ihr war. Sie freute sich, daß sie die Frau des Königs von Irland war, und hatte keine Erinnerung an das Leben, von dem Midir mit ihr gesprochen hatte. Der König aber erhob sich eines Sommermorgens und begab sich auf die Schanze und schaute weithin über die Ebene von Tara. Sie war schön anzusehen mit der goldenen Blüte des Ginsters, der weißen Blüte des Hagedorns und den Blumen im hohen Gras. Als er sich von der Aussicht umwandte, sah er einen Krieger neben sich. Das Tor war noch nicht geöffnet worden, aber da stand der Krieger im purpurnen Überwurf mit einem weißen, mit Edelsteinen besetzten Schild, mit goldgelbem Haar und Augen von übermächtigem Glanz. »Willkommen heiße ich den Helden Unbekannt«, sprach Jochu. »Ich erwartete nichts Geringeres von dir«, entgegnete der Krieger. »An welchem Namen sollen wir dich erkennen?« »Ich bin Midir von Bri Lei. Ich weiß, daß du im Schachspiel sehr gewandt bist.« »Ich bin in diesem Spiel gewandt.« »Ich möchte deine Gewandtheit erproben.« »Nein«, sprach der König. »Die Königin ist noch in ihrem Gemach, und mein Schachbrett ist dort aufbewahrt.« »Ich habe ein Schachbrett bei mir«, entgegnete Midir, »und ich glaube, du wirst es nicht geringer als dein eigenes finden.« Einer Tasche aus ehernem Kettengeflecht, die er trug, entnahm er ein Schachbrett. Das Brett war aus Silber und die Figuren aus Gold. Er legte es auf einen Steinpfeiler, und der König und er begannen zu spielen. »Ich setze«, sprach Midir, »fünfzig Rosse, die feurig und stark sind.« Fünfzig seiner eigenen Rosse setzte auch der König. Der Sieg war auf Jochus Seite. Midir entfernte sich. Am nächsten Tag standen auf Taras grünem Plan fünfzig Rosse, deren Farbe war dunkelgrau mit kastanienfarbenen Köpfen; ihre Brust war breit, ihre Ohren standen hoch, ihre Nüstern
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waren breit, ihre Hufe zierlich. Sie waren hitzig und scharf, aber der Zügel bändigte sie leicht im Lauf. Aber Jochu behandelte diese Rosse nicht gut; denn er ließ sie vor Karren und Pflüge spannen, Ackerland säubern und einen Damm durch den Sumpf von Lamrach bauen. Als Jochu eben bei Sonnenuntergang mit seinem Hausvogt sprach, sah er den Mann, von dem er sie gewonnen hatte, bei den abgehetzten Rossen stehen. Verdrossen war das Gesicht, das Midir ihm zuwandte. »Grausam und sinnlos ist deine Handlungsweise«, rief er dem König zu. Und er wandte sich zu den Rossen und sagte: »Müde seid ihr und scheel euer Blick, Durch eure Fron gewinn' ich die Frau. Steine habt ihr geschleppt vom Lamrach-Grund. Wem wird Gewinn oder Verlust zuteil?« »Wir wollen noch ein Spiel machen«, sprach er zu Jochu. »Was soll der Einsatz diesmal sein?« fragte Jochu. »Was der Gewinner verlangt.« Daraufhin spielten sie Schach, und diesmal verlor Jochu. »Was verlangst du?« fragte er Midir. »Daß ich Etain in den Armen halten darf und einen Kuß von ihr erlange.« Jochu schwieg eine Weile, dann sprach er: »Komme in einem Monat vom heutigen Tag ab nach Tara, dann soll dir eben das, was du begehrt hast, gewährt werden.« Aber obwohl er dies versprach, traf er alle Vorbereitungen, um die Erfüllung zu verhindern. An dem für Midir bestimmten Tage ließ der König die besten Kämpfer Irlands außerhalb Taras, Ring um Ring aufstellen. Im Innern hatte er seine besten Krieger und seine weisesten Ratgeber. Für diese besorgte Etain das Mahl und schenkte den Wein ein, wie es einer Königin geziemt. Und da war auf einmal Midir unter ihnen, gleich als ob er zu einem Fest geladen worden wäre. Seine Erscheinung war immer licht, nun aber war sie strahlend. Stille überkam den König und die Königin, die Krieger und die Ratgeber. Dann sprach Jochu und hieß ihn willkommen.
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Midir jedoch erwiderte: »Willkommen oder nicht willkommen, laßt mir zukommen, was mir versprochen wurde!« »Mein Gemüt ist nicht dazu bereit«, sprach Jochu. »Ich soll Befin in meinen Armen halten«, rief Midir. Er gab ihr den Namen, unter dem sie in einer anderen Welt bekannt war, – Befin, die Frau mit dem Lichthaar. Und als er es sagte, errötete Etain. »Erröte nicht!« sprach Midir. »Unter allem Kostbaren, das es in Irland gibt, habe ich dich ein Jahr lang gesucht.« »Ehe nicht Jochu mich dir überläßt, werde ich dir nichts gewähren.« »Ich will auf dich nicht verzichten!« rief Jochu. »Dennoch darf er dich auf dem Boden dieses meines Hauses in die Arme nehmen.« In der linken Hand hielt Midir seine Waffe. Er schritt hin zu Etain und legte den rechten Arm um sie. Da plötzlich gab Etain ihm nach und küßte ihn auf den Mund. Der König sprang auf, zu gleicher Zeit seine Bewaffneten, aber im gleichen Augenblick erhoben sich Midir und Etain vom Boden und flogen durch die Öffnung im Dach davon. Alle stürzten hinaus: zwei Schwäne sahen sie Tara umkreisen. Jochu und seine Mannen sprangen auf schnelle Rosse und verfolgten sie. Sie erblickten die Schwäne über den Hügeln, die man späterhin Hügel der lichthaarigen Frau nannte, die aber damals Feenhügel von Fomen hießen. Als sie aber an den Fuß der Hügel kamen, waren die Schwäne nicht mehr zu sehen.
Colman MacAë war gerade mit seiner Geschichte fertig, als Aë MacColman mit Lynchehaun an den Eingang der Hütte kam. Suivné machte einen Satz wie ein Otter und rannte hinaus. Er ging aber nicht weit. Unter dem Baum, auf dem der Rabe krächzte, machte er halt. »Solche Worte«, sagte er und kam zurück, »möchtest du noch mehr so gemessene Worte zu mir sagen?« Colman MacAë forderte Aë MacColman auf, die Geschichte zu
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erzählen, die auf seine folgt. Während Lynchehaun beiseite trat und weinte, weil er seinen Herrn so scheu, so zerlumpt und so ausgemergelt sah, begann der kurze Erzähler die Geschichte von der Pflegetochter der Kuhhirten.
Die Pflegetochter der Kuhhirten
Ein einsamer Mann war Eterskel, der König von Irland. Er war davor gewarnt worden, eine Frau zu heiraten, deren Sippe man kannte, und deshalb fehlte ihm vom ersten Mannesalter bis zur Lebensmitte die Frau, die Königin, die Gefährtin. Nun, da er die Lebensmitte erreicht hatte, begannen seine Edlen zu sagen: »Ein unbeweibter, kinderloser König ist nur ein halber König; bald muß Eterskel seine Königswürde einem anderen vermachen.« Und immer noch ward keine Gemahlin für ihn gefunden, denn die Frauen, die liebreich genug waren, um seine Königin zu sein, gehörten alle miteinander Sippen an, die ebenso bekannt waren wie seine eigene, und unter den Frauen aus unbekannter Sippe fanden sich nur solche, die plump, vom Schicksal vernachlässigt und ohne alle die Vorzüge waren, die sie zur Gemahlin des Königs von Irland tauglich gemacht hätten. Und so jagte Eterskel und spielte Schach und blieb unbeweibt. Es ist aber noch nicht erwähnt worden, daß Etain ihrem sterblichen Gemahl ein Kind geboren hatte, bevor sie ihm entrissen wurde. Als diese Tochter, Jung-Etain, herangewachsen war, wurde sie mit einem tributpflichtigen König vermählt. Immer noch führte Jochu Krieg gegen den Feenhügel, worüber er sein Königsamt, ja auch seine Tochter vernachlässigte. Um das Kind dieser Tochter, den letzten Abkömmling des Danaan-Geschlechtes, der sich mit Menschen verbinden sollte, um sie und König Eterskel geht es in dieser Geschichte.
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Nachdem jener tributpflichtige König Jung-Etain geheiratet hatte, wurden seine Lande von Scharen von Vögeln heimgesucht: sie vernichteten das Korn, sie verschonten nicht einmal die Wurzeln der Gräser im Erdboden, und das taten sie nicht nur einmal, sondern dreimal. Das Volk schob die Schuld an dieser Verwüstung auf die fremde Königin. »Sie ist allzu schön für unser Heil«, sprachen die Leute. Und als ihr Kind geboren war, behaupteten sie: »Solange dies Kind im Lande weilt, wird das Unheil für uns doppelt so groß sein.« Und da der König Angst vor einem Aufruhr unter seinem Volk hatte, befahl er zweien seiner Hörigen, das Kind zu nehmen und in der Wildnis auszusetzen, wo man nie mehr etwas von ihm sehen oder hören würde. Sie führten es in eine Wildnis, aber es lächelte ihnen so schön zu und seine blauen Augen hatten ein so wundersames Licht in sich, daß die Knechte es nicht über sich brachten, das Kind auszusetzen. Sie waren Rinderhirten, deren Hütte fernab von allen anderen Wohnstätten lag. Zu dieser Hütte brachten sie das Kind. Nun waren die beiden aber Brüder; keiner von beiden hatte eine Frau; sie waren auf den Weideplätzen steinalt geworden und wußten viel vom Vieh, aber wenig von Menschen. Unbeholfen und zärtlich pflegten sie das Kind; einer blieb dauernd bei ihr, während der andere auf den Weideplätzen doppelte Arbeit tat. So wuchs sie unter ihrer Pflege auf. Bald wurde es bekannt, daß ein Kind in ihrer Hütte aufwuchs, doch die wenigen Menschen, die in die Nähe gerieten, bekamen höchstens einen Schimmer von ihr zu sehen. Man sprach aber von Mes Buachalla, dem Ziehkind der Hirten. Als Mes Buachalla sprechen lernte, erinnerten ihre Nährväter einander an Lieder und Geschichten, die sie früher gekannt hatten; jeder kramte immer mehr Geschichten und Lieder aus seinem Gedächtnis hervor und sang und erzählte sie der kleinen Mes Buachalla, auf daß sie mehr von der Sprache lerne als gerade nur die Worte, die sie miteinander sprachen oder die sie zu ihr sagten. Sehr lebendig und schnell nahm sie alles auf: kaum äußer-
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ten sie ein neues Wort, sagte sie es schon wieder zu ihnen. Sie sammelte geradezu Wörter mit großer Liebe, und während sie noch auf dem Hüttenboden herumzottelte, überraschte sie ihre Ziehväter mit den Wörtern, die sie anwenden konnte. Als sie dem Kindesalter entwachsen war, brachten die Rinderhirten sie zu ihrer Schwester, damit sie eine Frau zur Hüterin habe. Diese Schwester lebte noch weiter von den Wohnstätten der Menschen entfernt als die Hirten. Cronn war ihr Name. Als die Kuhhirten, abwechselnd Mes Buachalla auf dem Rücken tragend, zu Cronns Behausung kamen, saß sie mit einer Spindel in der Hand vor der Hüttentür. Sie war kurz von Gestalt, hatte dürre Beine und eine dunkle, rauhe Haut. Wenn sie saß, sah sie aus wie
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ein alter Baumstumpf. Ihre Augen aber waren so still wie ein Waldweiher. Nichts störte sie. Ihre Hütte war so ruhig wie ein Vogelnest im Schilf oder im Baumwipfel. Aber die Ziehväter mußten ihre ganze Beredsamkeit aufbieten, um Mes Buachalla zum Bleiben in diesem Hause zu bewegen. Als sie eingeschlafen war, ließen sie sie dort zurück. Es war eine finstere Nacht damals. Wind kam auf und trieb sie wie mit Schlägen in eine bestimmte Richtung. Da standen sie plötzlich vor dem Feenhügel von Bri Lei: es war die Sowin-Nacht, der erste November, in der zwischen der Welt der Sterblichen und der anderen Welt ein Kommen und Gehen möglich war. Eine Hand legte sich ihnen auf die Schulter, und man brachte sie in den hell erleuchteten Hügel. Sie erblickten neben sich einen fürstlich aussehenden Jüngling. »Da drüben ist mein Haus«, sprach er zu ihnen. »Bringt jeden Tag eine Last Feuerholz dorthin.« Er zeigte ihnen, woher sie das Feuerholz holen sollten, und brachte sie an einen Ort, wo sie ruhen und essen konnten. Sie waren voll Angst, diese beiden Sterblichen im Feenhügel: Man würde sie bei ihren Herden vermissen, und wenn sie überhaupt zurückkämen, würden sie bestraft, weil sie des Königs Vieh unbetreut und ungemolken verlassen hatten. Und vielleicht könnten sie nie dorthin zurückkehren, wo sie ihre Mes Buachalla sehen konnten. Als sie zum ersten Mal das Feuerholz brachten, fragte sie der fürstliche Jüngling: »Ihr habt ein Ziehkind?« »Ja«, sagten sie. »Mes Buachalla.« »Von nun an sollt ihr sie nicht mehr so nennen – nennt sie Isa.« Am nächsten Tag sagte der fürstliche Jüngling zu ihnen: »Nun geht nach Hause! Aber nehmt Sommerfrüchte mit.« Also nahmen sie Himmelsschlüssel und süß schmeckende Beeren und gingen aus dem Hügel hinaus in eine Welt, die ohne Laub und im Banne des Winters war. Sie eilten zu den Viehschuppen. Das Vieh war ganz zufrieden, gerade als ob die Kuhhirten wie sonst dagewesen wären, und der Hausvogt hatte kein Wort des Tadels für sie. Zwei Nächte und zwei Tage waren sie im Feenhügel gewesen, und doch war es so, als ob sie die Nacht in ihrer
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Hütte verbracht hätten. Die Kuhhirten hatten einen rechten Gesprächsstoff beim Hüten auf der Weide; wußten sie doch, daß sie länger als eine Nacht weg waren, denn in ihren Händen trugen sie die Blüten und Beeren, die erst in späterer Jahreszeit wachsen. Hiernach wurden sie Hausvögte von König Eterskel, denn das Land des Fürsten, der Jung-Etain heiratete, wurde ein Teil des Gebietes des Königs von Irland. Jung-Etain ging in einem plötzlich aufsteigenden Nebel verloren. Ihr Gemahl wurde von Seeräubern gefangen genommen. Doch Isa erfuhr nichts von diesen Begebenheiten. Im Frühjahr kamen ihre Ziehväter auf Besuch zu ihr und waren überrascht, wie sehr sie gewachsen war. Im Sommer kamen sie nochmals, und wie sie ihr den wilden Bienenhonig und den Korb voll Heidehuhn-Eiern vorsetzten, stießen sie laute Rufe des Erstaunens über ihre Größe aus. Nach diesem Besuch lehrte Cronn die junge Isa den Gebrauch der Spindel. Die langen Sommertage hindurch spann das Mädchen Wolle. Als es mit dem Spinnen fertig war, nahm Cronn sie mit in die Wälder, um Moose zu sammeln, die Farbstoffe ergeben sollten für das Gesponnene und Gewebte der alten Frau. Jeder, der sie dabei sah, mußte denken, es seien unirdische Wesen, die eine groß und schlank, mit hellem Haar, und die andere plump und rauhhäutig – »eine Danaan-Prinzessin, behütet von einer Fomor-Frau«, so mußten die Leute wohl gedacht haben. Cronn, die Zwergfrau, hatte ganz eigene, wunderbare Gewohnheiten. Sie konnte im Walde oder an einem Hügelhang sitzen und Vögel, Kaninchen und sogar Hasen um sich haben; oft hatten sie und Isa Hasen und Kaninchen im Schoß, die sie mit Blättern fütterten. Und dann lehrte die Zwergfrau das Mädchen sticken. Isa war glücklich, wenn sie so spann und färbte und stickte. Bei der Arbeit sang sie die Lieder, die sie von ihren Ziehvätern gehört hatte. Und dann kam ein Tag, an dem sie auf ihrem Gang zum Teich, wo sie Wasserkresse sammeln wollte, fühlte, daß jemand neben ihr ging: es war, als ob sie einen unsichtbaren Begleiter hätte. Und dieser Begleiter war feiner als ihre Ziehväter. Obschon
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sie nichts sah, redete sie doch mit ihm, wenn sie an stillen Plätzen vorüberging, erzählte sie ihm Geschichten, sang ihm Lieder. Sie lernte Weben, und nun verbrachte sie den Tag vor dem Webstuhl. Ihr Leben und das der Zwergfrau war verborgen und ungestört; nur ab und zu kamen Menschen in ihrer Nähe vorüber, und dann wurde ihr Kommen durch das Bellen eines zahmen Fuchses angekündigt, den Cronn hielt; dann blieb Isa verborgen. Einmal im Jahr tat Cronn alles, was sie gewoben und gesponnen, gefärbt und gestickt hatten, in einen Packen zusammen und schleppte ihn mühsam auf dem Rücken zum Hausvogt ihres Königs. In jenen Tagen, als sie wieder einmal die Sachen zu Eterskels Vogt brachte, ging Isa unterdessen, in Gedanken über den Namen des Königs Eterskel versunken, in ein Waldtal, um Nüsse zu sammeln; der zahme Fuchs lief neben ihr her. Es war bereits Mittag, als sie zur Hütte zurückkamen. Irgendwie schien Isa die Hütte verändert zu sein, gleich als ob Cronns Weggang ihr etwas angetan hätte. Der zahme Fuchs zupfte sie am Gewande; sie bekam Angst und lief davon. Isa fand sich auf den Waldwegen gut zurecht; sie fand den Pfad, auf dem ihre Ziehväter kamen und gingen, und eilte darauf weiter, da sie gehört hatte, daß Späher in der Nähe waren. Am Ende des Tages erblickte sie von einer Anhöhe aus einen Ort, an den sie sich erinnerte. Ja, dies war die Hütte ihrer Ziehväter. Sie trat hinein und sah denselben Krug an der Schwelle, denselben Topf, an den sie sich erinnerte. Als die Kuhhirten an die Türschwelle kamen, waren sie voll des Staunens, ein hoch gewachsenes, hellhaariges, hellhäutiges Mädchen in ihrer Hütte zu finden. Am nächsten Tag flochten sie eine Rutenhütte für Isa, etwas abseits von dem Pfad, der zu ihrer eigenen Hütte führte, eine leichte runde Hütte mit einer niedrigen Öffnung als Tür und ohne Fensteröffnung: das Licht kam durch das Dach herein, das sie offen ließen. Dort lebte nun Isa, Cronn siedelte ebenfalls zu ihren Brüdern über; das Spinnen, Weben und Färben ging weiter wie früher in Cronns Hütte, wobei Isa den Hauptanteil der Arbeit trug. Nun hatte Eterskel einen Hausvogt, der dauernd den Menschen
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nachspähte und immer herauszufinden suchte, was sie besaßen und wo sie es hatten. Die Stickereien und die gewebten und gefärbten Stoffe, die die königlichen Kuhhirten ihm brachten, erregten immer mehr seine Verwunderung. Nichts annähernd so Feines kam aus den Häusern, wo die bekanntesten Weber, Färber und Sticker im Bereich des Königs wohnten. »Es wäre doch der Mühe wert, etwas über die Kuhhirten und ihre Schwestern zu erfahren«, dachte er. Deshalb machte er sich nach ihrem Wohnplatz auf den Weg. Gerade als er über das Weidegelände ging, sah er König Eterskel von der Jagd heimkehren. »Ein König ohne Frau und Kinder ist nur ein halber König» – so, erinnerte er sich, hatte er die Edlen nach einer Versammlung sprechen hören. Hier war die Hütte der Kuhhirten, das wußte er. Ja, und da drüben stand noch etwas anderes – eine Rutenhütte. Vielleicht verbargen sie dort die Fäßchen voll Butter und die runden Käse, die sie vom Ertrag der königlichen Herden abzwackten. Es gehörte doch zum Amt des Vogts, herumzugehen und den Hörigen und Pächtern auf die Finger zu schauen! Darum ging er hin zu der Rutenhütte. Ein Baum wuchs daneben; er kletterte in seine Äste, so daß er einen Blick in die Hütte werfen konnte. Was er da sah, war so seltsam, daß er sich fest an den Stamm des Baumes klammern mußte. Denn drinnen saß ein Mädchen, liebreizender als jede Königstochter: wie Ginsterblüten war ihr Haar, wie Vogelbeeren ihre Lippen, wie Enzianblüten ihre Augen. Und was sie noch lieblicher machte, war ihr Blick, ein Blick, als ob ein teurer Gefährte neben ihr säße. Aber niemand anders war da, nur das Mädchen sang leise vor sich hin, während sie am Webstuhl webte. Der Vogt befand sich wieder am Boden, er wußte selbst nicht wie. Sein einziger Gedanke war, daß verborgen in der Rutenhütte ein Mädchen lebte, das geeignet war, des Königs Gattin zu sein, ein Mädchen, dessen Sippe sicherlich unbekannt war; denn gehörte sie einer bekannten edlen Sippe an, wäre sie nicht bei Hörigen. »Mes Buachalla!« Diesen Namen hatte er einmal gehört. Er würde dem unbeweibten König von ihr berichten. Und plötzlich, wie er
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sich von der Hütte wegwandte, war er von einer Schar sonderbar schreiender Vögel umgeben. Die Kraft der Rede wich von ihm, und alles, was er sagen konnte, war: »Mes Buachalla, Mes Buachalla!« Deshalb sagte er es immer wieder. Gleichviel wer ihm nahe kam, er sagte: »Mes Buachalla! Hirtenzögling!« Man dachte, der Vogt habe den Verstand verloren. Er wurde vor König Eterskel gebracht, damit er dort erkläre, was seine Worte bedeuteten. Aber immer noch konnte er nur sagen: »Mes Buachalla, Mes Buachalla.« »Es muß so sein«, meinte König Eterskel, »daß der Pflegesohn meiner Kuhhirten irgendein Unheil gestiftet hat. Geht und bringt ihn mir her«, befahl er einigen seiner Wächter. Es kam dem König nicht in den Sinn, daß der Pflegling etwas anderes als ein Junge sei. Als der Befehl gegeben wurde, saß Isa in der Rutenhütte. Es war die Zeit, in der sie nicht auf den Gedanken kommen konnte, es sei ein Gefährte bei ihr. Sie fühlte sich einsam, wie sie so auf einem Haufen Farn saß, vor sich den Webstuhl mit lose gespannten Fäden. Während sie da saß, sang sie vor sich hin das schwermütige Lied, das sie Cronn oft hatte singen hören, wenn sie ihre Spindel drehte: Einsam rauscht der Schwäne Flügel, Weg vom See fernhin sie ziehn, Fern von unseres Landes Grün. Einsam geht der Unbenannte: Oh, es bringt mir Schmerz um Schmerz, Eh ihr Schwäne wiederkehrt! 31
Einsam tönt Musik und sagt mir, Liebe ist wie Flug nach Wolken; Ihrer Schwingen Schlag heißt Klagen! Mein Herzlieb, er kommt nicht mehr. Ein Schatten fiel auf den Webstuhl. Hinauf zum Himmel schauend, sah sie einen Vogel droben schweben, einen Vogel größer als ein Adler, schimmernd und buntfarben. Der Vogel ließ sich fallen und stand auf dem Boden neben ihr. Die schimmernde buntfarbene Haut mit ihren Schwingen fiel ab; vor ihr stand ein fürstlich aussehender Jüngling. Und Isa wußte, er war zuvor bereits ihr zur Seite gewesen, obschon sie ihn nicht erblickt hatte. Er blieb während der Stunden des Tages bei ihr und sprach ihr von seiner Liebe; er, ein Fürst des Danaan-Volkes, liebte sie, weil sie so viel vom Wesen des Danaan-Volkes an sich hatte, weil keine Frau der Feenhügel so schön sei wie sie. Er sagte ihr weiter, sie werde den König von Irland heiraten, das Kind aber, das sie zur Welt bringen werde, sei nicht das Königskind, sondern sein eigenes. Er erzählte ihr weiter, das Geschlecht, das mit Etain, der geliebten Gemahlin Midirs des Stolzen, begonnen habe, würde mit diesem Kinde zu Ende gehen, und von nun an würden Sterbliche und das Danaan-Volk sich nie mehr mischen. Nach diesem Begebnis wurde das Ziehkind der Kuhhirten vor König Eterskel gebracht. Er war eben beim Schachspiel, und als er aufschaute und sie erblickte, war er ebenso erstaunt wie die Wächter, als sie die Flechtwand aufgehoben und gesehen hatten, wer da verborgen war. »Hier ist sie, deren Sippe unbekannt ist«, sprachen sie zum König. »Die lieblichste von allen«, sprach König Eterskel. Und Isa gewahrte Freude und Liebe auf seinem Angesicht, als er ihre Hand ergriff. »Mes Buachalla«, sagte er, und dann: »Gut ist es für mich, daß ich so lange auf dich gewartet habe.« Und so geschah es, daß das Ziehkind der Kuhhirten die Gattin des Königs von Irland wurde. 32
Als diese Geschichte zu Ende war, nahm Suivné Büschel von Beeren, die er am Gürtel hängen hatte, und schenkte sie zur Belohnung Colman MacAë und Aë MacColman. Er sah Lynchehaun und erkannte ihn. »Mein Junge«, sagte er. Dann begann Lynchehaun als echter Hausvogt von Vieh und Pferden zu seinem Herrn zu sprechen, und dabei brachte er ihn wieder in die Laubhütte und vermochte ihn zu überreden, sich auf das Bett aus Zweigen zu legen; er schob ihm seinen eigenen Mantel unter den Kopf. Dann trat Lynchehaun zu Colman MacAë und Aë MacColman. Sie kochten Hechte und Forellen, die Lynchehaun und Aë MacColman gefangen hatten, und sammelten Kräuter und Wurzeln, um sie mit auf die Teller zu legen. Und während sie ihr Mahl einnahmen, hob Lynchehaun an, den Erzählern des Königs Donald die Ursache der Besessenheit des Prinzen Suivné, oder was er dafür hielt, zu berichten: »Abt Ronan kam nach Moy Rah, um zwischen König Donald und Congal Clen Frieden zu stiften. Es gelang ihm nicht, den Frieden zu bewerkstelligen. Daraufhin verlangte er, die Heere sollten nach Einbruch der Nacht alle Angriffe einstellen. Die Führer gaben ihm Zusicherungen, es würde niemand mehr erschlagen oder verwundet werden vom Einbruch der Dunkelheit an, bis sie mit dem Licht des Tages wieder in den Kampf zögen. Der Abt und seine Mönche waren erfreut, daß sie diese Zusicherung erhalten hatten, und ebenso die Soldaten in den Heeren. Suivné aber mißachtete und brach sie. Später, als er gerade an der Spitze seines Heerhaufens in den Kampf zog, stieß er auf den Abt, der in seinem Psalter las. Vielleicht empfand er Ronans Schweigen als einen Vorwurf. Jedenfalls wurde er wütend: er schleuderte den Speer, den er in der Hand hielt, auf den Psalmisten des Abtes. Dann ein zweiter Wurf, diesmal auf Ronan selbst. Aber der Speer glitt ab und fuhr in die Luft; denn er hatte die Glocke getroffen, die auf der Brust des Abtes hing. Darauf rief Ronan aus: ›So hoch wie dieser Schaft geflogen ist, sollst du, Suivné, in die Luft springen, und hie und da sollst du hoch wie ein Vogel fliegen.‹
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Kaum war Suivné in den Kampf gezogen, als sein Atem kurz ging; sein Blick ward irre, seine Beine zitterten, die Waffen fielen ihm aus den Händen. Suivné tat einen Sprung hoch in die Luft. Noch einen und noch einen Sprung machte er und verließ die Reihen der Kämpfer. Und dann floh er, und floh so schnell von Moy Rah weg, daß seine Füße kaum den Boden zu berühren schienen. Doch wir haben ihn gefunden und ihn uns zurückgewonnen«, fuhr Lynchehaun fort, »und es wird nicht lange dauern, bis wir ihn wieder in seiner eigenen Burg haben.« Colman MacAë und Aë MacColman waren sehr zufrieden mit dem, was sie geleistet hatten; sie würden jetzt mit Prinz Suivné und seinem Hausvogt nach Dalria gehen und danach die Belohnungen erhalten, die König Donald ihnen gewähren würde. Dann trat Suivné, während sie dem Bellen der Füchse im Waldtal lauschten, an den Eingang der Laubhütte und sprach folgende Verse: Wasser des hellen Glen Bolkin, Vögel, die hörte mein Ohr, Ihr leise rauschenden Bäche, Euch laß ich scheidend zurück. Schützende Bäume und Hasel, Nüsse, herb schmeckende Schlehen, Gehege des blattdunklen Efeus – Euch verlaß' ich, einen und alle. Obgleich ich edel geboren, Obgleich man mich fürstlich erzog, So sucht ich hier Nahrung und Lager, In der Schlucht am strömenden Bach!
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ZWEITER TEIL
Prinz Suivné und seine Gattin Orann
NACHDEM SIE GLEN BOLKIN verlassen hatten und ihnen keine Besessenen mehr in den Weg traten, ging Suivné friedlich mit seinem Hausvogt und den beiden Erzählern mit. Sie überstiegen Hügel, und einen ganzen Tag waren sie auf einer Ebene, wo vielerlei bunte Blumen wuchsen. Am nächsten Tag zogen sie durch Wälder, in denen große Schwärme von Tauben lebten. Am dritten Tag wanderten sie über Weideland und gepflügte Äcker mit Mühlen an vielen Wasserläufen. Frauen, die ihre Handmühlen vor den Haustüren drehten, sprachen sie jedesmal an, wenn sie vorbeigingen. Der lange Erzähler unterhielt sich gerne mit den Leuten an Haustüren und flocht häufig ihre Aussprüche beim Erzählen seiner Geschichten ein. Der kurze Erzähler jedoch hörte ihnen selten zu, aber er, Aë MacColman, pflegte zu sagen: »Die alte Frau, die dort vom Brunnen herankommt, sieht Cuchullins Ziehmutter ähnlich«, oder »Die Hexe dort ist wie eine vom Clan Calatin«, oder »Das Mädchen an der Haustür ist wie Isa, die Pflegetochter der Kuhhirten.« Und solche Leute vom Wegesrand schilderte er in seinen Erzählungen. Der lange Erzähler sagte gelegentlich vom kurzen: »Er wurde in einer Mühle erzogen, also hat er nie jemandem zugehört.« Und der kurze Erzähler sagte vom langen: »Er wurde in einer Schmiede
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erzogen, also hat er nie jemanden gesehen.« Es waren Schwestersöhne, König Donalds langer und kurzer Erzähler. Als sie an die Grenze von Dalria kamen, eilte Lynchehaun voraus, um den Edlen zu melden, daß Prinz Suivné wieder zu ihnen kam. Sie waren froh in ihren Herzen, diese Nachricht zu hören. Lynchehaun dagegen war nicht froh über das, was er hörte: Suivnés Gattin, die liebliche Orann, hatte, da sie an seiner Rückkehr zweifelte, einen anderen Gemahl genommen. Orann lebte nun im Hause des Fürsten Querry. Die vornehmsten Edlen kamen Suivné entgegen und hießen ihn von neuem willkommen in seinem Gebiet und seiner Herrschaft. Er wurde in die Stube gebracht, wo ein dampfendes Bad für ihn gerichtet war; Ärzte betreuten ihn, man kleidete ihn in ein leinenes Hemd und ein Obergewand aus feiner Seide, darüber einen Mantel mit purpurnem Saum. Als er jedoch in sein eigenes Wohnhaus geleitet wurde, war Orann nicht da, um ihn zu begrüßen. Suivné erwähnte ihre Abwesenheit mit keinem Wort. Er schien sich seiner Gattin überhaupt nicht zu entsinnen. Manche Tage gingen dahin in Dalria. Die Zügel klirrten draußen, doch Suivné ging nicht mit seinen Edlen zur Jagd; das Festmahl wurde von diesem oder jenem gegeben, aber wenn er hinging, saß er schweigend dabei; andere spielten Schach, er aber saß regungslos in seinem Sessel. Der Volksversammlung wohnte Suivné bei, doch sprach er selten ein Wort. »Jede Nacht herrscht Schweigen in dem Saal, wo Prinz Suivné sitzt«, sprach seine Schwester zu Colman MacAë und Aë MacColman. »Heute Nacht darf es aber nicht so sein. Einer von euch beiden wird Suivné eine Geschichte erzählen müssen, die sein Gemüt in Wallung bringt.« König Donalds Erzähler betraten den Saal in Dalria. Da saß Suivné in seinem Sessel und starrte nach dem Feuer, und da saßen die Edlen, die anwesend waren, und blickten spöttisch oder mitleidig nach Suivné. Colman MacAë stellte sich vor Prinz Suivnés Sessel, Aë MacColman hinter ihn. Nachdem er ihm und seinem Gefolge Sieg und Gedeihen gewünscht hatte, erzählte er die Geschichte von Cuchullin und der Kampfgöttin.
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Cuchullin und die Kampfgöttin
Cuchullin lag schlafend im Wohnhaus seiner Burg Dun Imrigh. Die Dämmerung war schon nahe, da erscholl ein entsetzlicher, unirdischer, die Mauern der Burg durchdringender Schrei über die Ebene hin. Alle Männer und Frauen der Hofhaltung erwachten, alle fragten einander aus, alle zitterten mit schreckensbleichem Gesicht. Cuchullin selbst, der auf der Ostseite des Hauses schlief, wurde so jäh aufgeschreckt, daß er wie ein Sack aus dem Bett fiel. Kaum notdürftig bekleidet sprang er über seine Schwelle. Die Gänse, die im Hofe lagen, wurden ebenfalls aufgescheucht; die Gänseriche standen lauschend mit hochgerecktem Hals. Dann erschien von der Westseite des Hauses Emer, Cuchullins Gattin und brachte ihm Kleidung und Waffen. »Dieser Schrei – woher kam er? Was bedeutet er?« sprach Cuchullin zu Emer. »Es war ein entsetzlicher, unirdischer Schrei«, erwiderte sie. »Er kündet uns Unheil an!« »Welche Art von Unheil?« »Trennung zwischen dir und mir – der Schrei war so schrecklich, er kann nur dies bedeuten!« »Ich will dorthin gehen, woher dieser Schrei kam«, sprach Cuchullin. Er kleidete und wappnete sich im Hof. Das große Tor von Haus und Burg wurde für ihn geöffnet, und er schritt hinaus auf die Ebene, die sein eigenes Gebiet war, die Ebene von Murhivna. Dies war das Grenzland des Königreichs Ulster, dessen König Connor Cuchullin diente. Jedem Angriff auf Ulster von dieser Seite mußte Cuchullin entgegentreten. Er begab sich zu einem Fluß, der sein Gebiet von einer Wildnis trennte. Wie er so weiterschritt, breitete sich die Morgendämmerung aus, die Sonne ging auf. Nichts sichtete Cuchullin als Vieh und Vögel wie Kraniche und Krähen, während er weiterging. Als er dann an der Furt des
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Flusses stand und hinüberschaute, sah er ein rätselhaftes Bild. Aus dem Nebel hervor trat ein Mann, der eine Kuh dahintrieb, und eine Frau in einem Wagen. Sie waren fremdartig, die Kuh, der Mann, die Frau. Was die Kuh anbelangte, so schien es mehr mit ihr auf sich zu haben als mit jeder anderen Kuh, die Cuchullin je gesehen hatte. Der Mann, der sie trieb, trug eine gegabelte Stange; er war groß und bärtig, schlürfend sein Gang, und er trug ein langes rötliches Wams. Aber Mann und Kuh waren noch erträgliche Gestalten, verglichen mit dem Pferd, dem Wagen und der Frau. Sie war flammend rot gewandet, in einen Mantel, so weit, daß er über den Wagen herabfiel und am Boden dahin-
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schleifte. Ihr Gesicht war breit und weiß, und die buschigen Brauen standen rötlich über die Augen hinaus. Der Wagen aber hatte nur eine Deichsel, und diese Deichsel ging durch den Leib des Pferdes, so daß der Deichselkopf den Zügel quer vor der Stirn des Pferdes hielt. Und das Pferd hatte nur ein einziges Bein in der Mitte seines Rumpfes. Es warf sich ruckartig vorwärts und riß so den Wagen weiter. Obwohl die Frau im Wagen reichlich Anlaß zum Anstarren bot, wandte sich Cuchullin von ihr ab und sprach den Mann mit der Kuh an: »Es scheint der Kuh nicht zu gefallen, von dir getrieben zu werden«, sprach er. »Was geht das dich an, Cuchullin?« schrie die Frau. »Die Kuh gehört nicht dir noch einem deiner Anhänger.« »Ach so, wirklich!« entgegnete Cuchullin. »Dann war es also ein Irrtum, zu glauben, jedes Stück Vieh, das auf mein Gebiet kommt, sei unter meiner Herrschaft!« »Noch ist die Kuh nicht auf deinem Gebiet«, kreischte die Frau. »Und wenn sie dort ist, wirst du nichts über sie zu melden haben.« »Wie heißt du?« fragte Cuchullin den Mann mit der Kuh. »Er heißt Uargaesceo Luacharsceo«, rief die Frau. »Der Name fängt ja schön an«, meinte Cuchullin. »Der Mann scheint stumm zu sein, und«, fuhr er fort, es fiel ihm aber schwer, seinen Zorn zu meistern; »nun werde ich mich an dich wenden müssen. Wie ist dein wunderbarer Name?« Sie schrie und schrie immer weiter, etwas endlos langes. »Ich heiße Faemorbegbeoil. . .« Cuchullin fiel ihr ins Wort: »Ich bin nicht der Mann, der sich von so wildem Volk an der Nase herumziehen läßt«, rief er. »Und möchtest du auch den Namen meines Pferdes wissen?« kreischte die Frau. »Es heißt. ..« Cuchullin aber sprang in den Wagen und drückte ihr die Schneide seines Speeres auf den Scheitel. »Sag mir, wer du bist, wenn du aus der Wildnis in mein Gebiet eindringen möchtest.« »Ich brauche dir nichts zu sagen, solange du mich so bedrohst. Hinaus aus meinem Wagen!« schrie sie.
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Er sprang aus dem Wagen und stellte sich zwischen die Räder. Der Mann hatte bereits die Kuh durch die Furt getrieben und eilte nun rasch weiter. »Wer bist du?« sprach Cuchullin zu der Frau. »Ich bin eine Dichterin, und die Kuh, die der Mann treibt, ist mein Lohn für ein Gedicht, das ich gemacht habe.« »Laß das Gedicht hören!« Sie stand im Wagen auf, ihr karminroter Mantel fiel weit um sie her, sie war größer und fremdartiger als er gedacht hatte. Krächzend unheilverkündend begann sie zu singen: Voran, mein Kampfgefährt, Voran, ihr kriegestollen Rosse, Speer, schlag auf Schild und Ring – Sing mich zum Wahnsinn, Schwert! Du, Herr und einzige Liebe Der Köpfe scherenden Fürstin! Nun wußte er, wer die Frau mit den roten Brauen im karminroten Mantel war. Es war Morrigu, die Kampfgöttin. »Ich schwöre bei den Göttern, die mein Volk im Schwur anruft«, rief er aus, »Ihr sollt diese Furt nicht überschreiten.« Er hielt Roß und Wagen fest, während die Frau ihm fürchterliche Prophezeiungen entgegenschrie. »Kämpfen wirst du mitten in einer Furt, das sehe ich voraus. Du wirst im Todesringen stehen mit einem Mann, der dir an Mut und Ausdauer gleich ist. Dann werde ich die Gestalt eines Aals annehmen und mich um deine Füße winden.« »Dann werde ich«, rief Cuchullin, »dich am grünen Stein im Flußbett zertreten.« Und alle Prophezeiungen, die Morrigu ihm entgegenschleuderte über den Krieg und die Kämpfe, in die er selbst verwickelt würde, erwiderte er mit Drohungen gegen sie. »Und du sollst nicht in mein Gebiet, in Connors Königreich Ulster, eindringen«, drohte ihr Cuchullin. Woher kam wohl die Kuh, die eben jetzt durch Cuchullins Gebiet und weit in Connors Königreich Ulster getrieben wurde? Aus dem Feenhügel Cruakann in Connacht war die Kuh gebracht wor-
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den. Am Sowin-Fest, wenn die Wege zwischen der Welt der ewig Lebenden und der Welt der Sterblichen offenstehen, war ein Sterblicher in diesen Hügel eingedrungen. Eine Frau aus dem Danaanvolk hatte ihm da ihre Freundschaft gewährt. Seltsam waren die Gesichte, die er hatte, während er außerhalb unserer sterblichen Welt weilte. Das seltsamste von allen war folgendes: ^alltäglich kam auf dem Rücken eines Blinden ein Lahmer zu einem Brunnen, der vor einer Burg lag. »Ist sie noch da?« fragte jedesmal der Blinde, sobald der Lahme, den er trug, in den Brunnen hinabgeschaut hatte. Und jedesmal antwortete der Lahme: »Sie ist wirklich da. Nun laß uns wieder gehen!«
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»Warum tun sie das?« fragte der Sterbliche – Nera hieß er – die Frau, die ihm ihre Freundschaft gewährt hatte. »Sie schauen dort nach einer Krone, die im Brunnen liegt«, erzählte ihm die Danaan-Frau; »eine goldene Krone, die Krone von Briun. Sie gehört zu den größten Schätzen unseres Danaanvolkes.« Und so geschah es, daß zum ersten Mal ein Sterblicher von dieser Krone im Brunnen erfuhr; und wäre nie von der Krone von Briun gesprochen worden, so hätte der Krieg nie stattgefunden, den das übrige Irland gegen Connors Königreich führte, der Krieg um den braunen Stier von Cooley. Denn als Nera in die Welt der Sterblichen zurückkehrte, berichtete er dem König und der Königin von Connacht, Ailill und Mayiv, von dem Schatz im Brunnen. Sie brachen in den Feenhügel von Cruakann ein, um die Krone von Briun in Besitz zu nehmen. Manche sagen, dieser Schatz sei von ihnen geraubt worden, und andere sagen, sie konnten ihn weder erreichen noch rauben; aber alle Erzähler von Irland müssen davon sprechen, denn dieser Streit hatte die Kampfgöttin Morrigu in den Feenhügel von Cruakann gebracht. Sie nahm dem Danaanvolk eine Kuh weg, weil prophezeit worden war, wenn eine Kuh aus einem Feenhügel mit einem großen Stier, der in Ulster sei, zusammengebracht würde, so würde sie ein Kalb bekommen, und dies Kalb würde, wenn es zu seiner vollen Kraft herangewachsen sei, die Ursache eines Krieges werden, der die Kampfgöttin vor Lust jauchzen ließe. Cuchullin hielt also ihr Gefährt mit gewaltiger Manneskraft fest. Plötzlich war es nicht mehr da. Er stand mitten in der Furt, und weder Roß noch Wagen noch Frau war vorhanden. »Es kann gar nicht sein, daß Morrigu sich so spurlos entfernt hat«, sprach er vor sich hin. In dem Augenblick krächzte ihn ein Rabe von einem hohen Langstein aus an, und er erkannte die verwandelte Kampfgöttin. »Wenn das Kalb der Kuh, die eben verschwand, herangewachsen ist, wird es Krieg geben, und du selbst wirst vor allen anderen Helden von Ulster die Last davon zu tragen haben!» Damit
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schwang sich Morrigu davon, Cuchullin aber verfolgte die Spur der Kuh und ihres Treibers. Aber es setzte ein Regen ein; Regen verbarg alles vor ihm, was sich bewegte. Er erblickte Kühe, aber sie gehörten zu seinen eigenen Herden; er sah keinen Mann eine einzelne Kuh treiben. Und mit einem Mal stand er vor seinem Haus und dem Burgwall. Emer, seine Gemahlin, war am Tor und berichtete ihm, sie hätten Gäste: Connors Gemahlin und Lerrys Gemahlin und Conalls Gemahlin, die angesehensten Edelfrauen an Connors Hof. »Nachdem du weggegangen warst, kam eine Schar von Vögeln an den See«, sprach Emer, »es sind die schönsten, die je in diesem Lande gewesen sind, und die Frauen deiner Gefährten begehren ein Paar dieser Vögel auf ihren Schultern sitzen zu haben.« »Und was geht das mich an?« erwiderte Cuchullin. »Ich gehe heute nicht auf Vogeljagd.« »Keiner ist geschickter mit der Schleuder als du, Cuchullin«, sagte Emer. »Der unirdische Schrei, den wir hörten, kündet, daß einer kommt, den ich verfolgen soll«, erwiderte Cuchullin. Emer erbleichte, als er das sagte. Doch trotz aller Erinnerung an den unirdischen Schrei entgegnete sie: »Die Edelfrauen behaupten, wenn ihr Gatte hier wäre, würde er ihr ein paar dieser Vögel fangen.« »Du kannst jeden von ihnen für einen besseren Vogelfänger als ich bin erklären, das macht mir nichts aus«, sprach Cuchullin. »Und trotzdem wird es uns in Schande bringen, wenn die Vögel nicht für sie gefangen werden, Cuchullin, da sie unsere Gäste sind.« »Ich schwöre«, rief Cuchullin, »daß die Frauen von Ulster uns durch ihr Verlangen in ernste Gefahren bringen. Ich muß hinter dem Mann her sein, der mit der Kuh aus dem Feenhügel von Cruakann dahinzieht.« »Das Haus gerät in Schande, in dem Gäste nicht befriedigt werden«, klagte Emer und ließ den Kopf hängen. Daraufhin begab sich ihr Gatte zu dem See und betrachtete die
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Vögel, die auf dem Wasser schwammen. Sie waren in der Tat sehr schön. Er verwundete mit seiner Schleuder jeden so, daß er mit der Schwinge das Wasser schlug. Er watete in den See, holte die Vögel und brachte sie ins Haus. Und jeder der Frauen, die seine Gäste waren, den Edelfrauen von Connors Hof, gab er ein Paar, so daß jede zwei Vögel auf der Schulter hatte. Für seine eigene Frau Emer hatte er aber nur einen einzigen Vogel. »Du hast getan, was rechtens ist«, meinte sie. »Denn da ist keine unter diesen Frauen, die dich nicht liebt, keine, an der du keinen Anteil hast. An mir selbst aber hat niemand Anteil außer dir allein.« In Emers Stimme lag trübe Ahnung. Und wie sie vor ihm stand mit dem schönen Vogel auf den Armen, hörte Cuchullin im Geiste den unirdischen Schrei und sah die Frau mit den roten Augenbrauen, Morrigu, mitten in der Furt.
Suivnés Gemüt war ergriffen. Als die Geschichte zu Ende war, weinte er: er konnte immerzu nur an die Frau denken, die aus seinem Hause weggegangen war, Orann, die so liebreich wie Emer war und die, hatte er geglaubt, ihn ebensosehr liebte wie Emer Cuchullin. Er erhob sich von seinem Sitz. Das Schachbrett wurde gebracht, und er spielte. Als am nächsten Abend König Donalds Erzähler vor Suivné traten, sprach er sie an; er sprach mit leiser Stimme zu ihnen, aber er hieß sie willkommen. Er bat einen von ihnen, ihm mehr von Cuchullin zu erzählen. Da trat Aë MacColman vor seinen Stuhl und begann, nachdem er ihm und seinem Volk Gesundheit und Wohlstand gewünscht, die Geschichte von Cuchullin und den Kriegsfrauen.
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Cuchullin und die Kriegsfrauen
Woher kam der Gae Bulga, der Speer, mit dem Cuchullin seinen Freund Fardia in der Schlacht an der Furt und, noch unheilvoller, unwissend seinen einzigen Sohn Connla erschlug? Wenn die Erzähler von Irland berichten, wie und wann der Gae Bulga errungen wurde, sprechen sie von Cuchullins Aufenthalt in Alba, das heißt in Schottland. Für Cuchullin war die Zeit gekommen, besondere Waffenkünste zu lernen: Es gab nur eine einzige Person, die ihn solche Künste lehren konnte, die Kriegsfrau Scathach, deren Gebiet in Alba lag. Die besten der Krieger Jugend von Irland zogen in Scathachs Lager, und Connor, der König von Ulster und das Haupt der Helden des Roten Zweiges, erklärte, die Zeit sei gekommen, daß Cuchullin zu seiner Kampfkunde die Kunst hinzufüge, die Scathach ihn lehren könne. Daher segelte Cuchullin nach jener Seite von Alba, wo Frauen Herrscherinnen waren. Die Stelle, wo er landete, war in einiger Entfernung von Scathachs Burg. Man wies ihm den Weg dorthin. Er ging quer über die Ebene des Unheils. Es war ein langer Weg über diese Ebene, und viele Strapazen hatte er dabei zu erdulden. Er sah, wie ein Riese seine Zähne an einer Steinsäule wetzte, und er mußte einen Eisfluß durchschwimmen, um dem Riesen zu entkommen. Dann kam er an einen schmalen Pfad über die Klippenhöhen. Wie er auf diesem Pfade war, begegnete er einem steinalten Weib, das auf dem linken Auge blind war. Sie humpelte mit einem Stab in der Hand auf ihn zu und herrschte ihn an, er solle ihr aus dem Weg gehen. Es gab keine andere Möglichkeit für ihn, als an der Klippe zu hängen und sich mit den Händen am Rand des Pfades festzuhalten. Ehe er den Spott des alten Weibes über sich ergehen ließ, zog er dies vor. Und wie er so da hing, stieß ihm die Alte ihren eisenbeschlagenen Stab auf die Hände. Fast wäre er ins Meer abgestürzt, aber er grub
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seine Zehen in die Spalten der Klippe. Als sie vorüber war, riß er sich hoch und fing und packte die Alte und drohte, sie wegen ihrer Bosheit in den Abgrund zu schleudern. Er sah, daß sie keineswegs so sehr blind und schwach war. »Du möchtest Waffenkünste von Scathach lernen«, rief sie. »Wisse, daß Scathach nur Jünglinge nimmt, die mutig und behend sind. Sie wußte, daß einer auf diesem Pfad daherkam, der von ihr etwas lernen wollte, und sandte mich, um ihn auf die Probe zu stellen. Und«, fügte sie hinzu, »wenn du nicht behend und mutig wärest, würdest du sie nie erreichen; denn du lägest jetzt bereits zerschmettert am Fuß der Klippe.« Sie lachte, aber Guchullin entriß ihr den Stab und schleuderte ihn ins Meer. Dann zwang er sie, ihm zu sagen, welche anderen Fallen auf dem Weg vorhanden seien. Nun sagte sie ihm, zwischen dem Ende des Klippenpfades und Scathachs Burg liege die Klippenbrücke. Beide Enden der Brücke seien niedrig, die Mitte dagegen hoch: sobald man auf das eine Ende trete, würde das andere hochgehen und ihn zurückschleudern. Wenn ein Jüngling nicht sehr behend sei, könne er nie die Brücke überschreiten. Cuchullin ließ die Alte auf dem Klippenpfad stehen und zog weiter. Er kam zu der Klippenbrücke. Er versuchte hinüberzukommen, aber das jenseitige Ende fuhr hoch und warf ihn zurück. Dreimal versuchte er es, und dreimal wurde er zurückgeworfen. Da befiel Cuchullin rasende Wut. Er steigerte sich zu dem kühnen Sprung, der als Lachssprung bekannt ist. Er riß sich hoch bis auf die Mitte der Brücke, und ehe noch das andere Ende hochging, war er darübergesprungen und befand sich auf dem Boden von Scathachs Insel. »Hier ist ein Jüngling, der schon anderswo Tapferkeit gezeigt hat«, sprach Scathach, die auf der Warte stand. Dann ging Cuchullin an die Burg heran und schlug mit dem Schaft seines Speeres an das schwere Balkenwerk des Tores. Scathachs Tochter Uathach, die drinnen saß und von Wulfkin dem Sachsen süßes Reden lernte, hörte das Hämmern und rief: »Ein überaus tüchtiger Bursche steht da draußen!« Sie ging und riegelte
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die Tür auf, und als sie ihn erblickte, wurde sie still und scheu und hatte nur den einen Gedanken, ihm zu dienen. Sie führte ihn selbst an den Ort, wo Scathach an einem mächtigen Eibenbaum ihre Schüler Waffenkünste lehrte: da waren Jünglinge aus den verschiedenen Provinzen Irlands, und dazu Jünglinge aus verschiedenen Teilen von Alba und Britannien. Sie sprachen sowohl piktisch und sächsisch als auch gälisch. Unter den Jünglingen befand sich auch Fardia, der Sohn von Daman, aus der Provinz Domania in Ulster – Fardia, der Cuchullins guter Freund wurde und den er später töten sollte. Scathach lehrte die Jünglinge besondere Waffenkünste: die Klingenkunst, die Speerkunst, die Radkunst, den Gebrauch des Sichelwagens. Und jeden Tag, wenn Cuchullin von den Übungen an der gewaltigen Eibe zurückkam, hatte Scathachs Tochter Fleisch und Bier für ihn gerichtet und ließ ihm das Bad bereiten. Uathach war wohlgestaltet, in Waffen wohlgeübt und konnte einen Wagen schirren und in die Schlacht lenken. Aber sie war kurz geschoren, hatte ein breites Gesicht und Augen wie Schalen aus Jade. Sie wußte nicht, daß es Frauen gab, die für Männer liebreicher anzusehen waren; denn sie hatte nur solche gesehen, die wettergebräunt waren, weil sie ständig mit dem Vieh auf den Bergen lebten, oder andere, die von der Arbeit in der Schmiede, wo Waffen gehämmert wurden, schwarz verrußt waren. Sie liebte Cuchullin von dem Tage an, da sie ihn vor dem Tore stehen sah. Ihre Mutter hatte sie schon vielen Bewerbern abgeschlagen, dem Cuchullin hätte sie sie mit Freuden gegeben, sogar ohne jegliche Brautgabe. Er aber war nur freundlich zu ihr; er bewunderte Uathach nicht und hatte kein Verlangen nach ihr. Eines jedoch, so dachte sie, würde ihr seine Gunst gewinnen – wenn sie ihm eine Waffe schenken würde, auf die ein jugendlicher Krieger stolz sein könnte. Von einer solchen Waffe hatte sie gehört; sie befand sich in einem anderen Teil der Insel, dem Teil, der von der Fürstin Effa beherrscht wurde, die häufig mit Scathach im Kriege lag: die Waffe war ein Speer und trug den Namen Gae Bulga. Es waren viele Berichte über den Ursprung dieses
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berühmten Speeres bekannt; folgender aber war Uathach erzählt worden: Einstmals hatten zwei Meeresungeheuer einander bis auf den Strand der Insel verfolgt. Eines der Tiere, Curoy, erschlug das andere, Coinchenn, und verschwand wieder in die Tiefen des Meeres. Aus dem langen, gedrehten Hörn an der Schnauze des Ungeheuers, das am Strande liegengeblieben war, hatte Böig, Effäs kunstfertiger Waffenschmied, den Speer geschaffen, der Gae Bulga genannt wurde. Diese Waffe wollte Uathach Cuchullin schenken. Sie wollte zwei Geschöpfe dafür geben, die sie aufgezogen hatte und die lange Zeit ihre Begleiter gewesen waren, zwei große Jagdhunde. Effa wünschte sich diese Hunde: ihre Seite der Insel wurde häufig von Piraten heimgesucht, und nichts wurde von diesen Räubern so gefürchtet wie die grausamen Hunde, die sie angreifen würden, wenn sie aus den Booten heraus an Land wateten. Von dem Platz aus, wo Cuchullin und Pant und Ur-Pant, die späteren Zwillingskönige von Piktenland, übten, sah er Uathach mit den großen Hunden an der Seite weggehen. »Heute mußt du dir dein Essen selbst bereiten, Cuchullin«, sagte Pant zu ihm. »Das will ich – versuch aber einmal, ob du diesen Speer aus der Eibe ziehen kannst!« »Und dein Bad wird auch nicht bereit sein, wenn du heimgehst.« »Nein! – Du wirst mit dem Kreiselsprung sehr flink sein müssen, wenn du diesem Wurf entgehen willst«, so sprachen Cuchullin und seine Freunde, während Uathach nach Effas Burg wanderte. Sie erhielt den Gae Bulga von der Fürstin Effa und brachte ihn mit. Aber obgleich sie in Händen hielt, was sie hatte holen wollen, so war doch nicht freudig die Rückkehr in die Burg ihrer Mutter. Hatte Uathach doch eine Frau gesehen, deren Erscheinung sie erkennen ließ, daß sie und alle Frauen aus dem Reiche ihrer Mutter häßlich waren – sie hatte die Fürstin Effa gesehen. Von nun an wurde sie entweder mürrisch oder traurig, so oft sie mit Cuchullin sprach, denn sie dachte, Effas Angesicht passe zu dem seinigen.
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Sie begann zu zittern, wenn er sagte: »Ich vermisse deine Hunde, Uathach. Eines Tages will ich Effas Reich aufsuchen und sie wiedersehen«, oder: »Gibt es Wölfe auf Effas Gebiet zu jagen? Ich möchte dorthin und mit den Hunden jagen, die du ihr gebracht hast, Uathach.« Sie schenkte ihm den Gae Bulga, und obwohl er seine Verwunderung über die Größe ihrer Gabe ausdrückte und ihr dankte und immer wieder ihre Freigebigkeit pries, erkannte Uathach doch, daß Cuchullin viel mehr von der Gabe als von der Geberin bezaubert war. Und dann fing man in der Umgebung von Scathach an, über Effa zu sprechen: Sie hielt den Tribut zurück, den sie senden sollte. Und dann gab es Krieg, und Effa fiel mit Mann und Wagen in Scathachs Gebiet ein. Scathach rüstete zum Kampf, und die Jünglinge, die sie ausbildete, traten in ihre Reihen ein. Aber der eine, der der beste unter ihnen war, fand sich nicht dort ein, wo ihre Krieger aufgestellt wurden: Als Uathach Cuchullin bediente, mischte sie ein Mittel in sein Bier, das einen Mann auf eine Nacht und einen Tag in Schlaf versenkte. Und als er das Bier getrunken hatte, sank Cuchullin zu Boden in Scathachs Saal. Er hörte nicht die Trompeten schallen, er hörte nicht Scathachs Rufer mit eherner Kehle die Namen derjenigen aufzählen, die in ihre Kampf reihen eintreten sollten; er hörte nicht das Rasseln der
Wagen, als das Heer ausrückte. Er lag auf dem Binsenteppich, und Uathach, die vergessen hatte, daß eine Schlacht im Gange war, neigte sich über ihn. Immer wieder und wieder stach sie der Gedanke, daß sein Angesicht das Gegenbild Effas war. Doch konnte das Mittel, das jeden anderen eine Nacht und einen Tag in Schlaf gefesselt hätte, Cuchullins Geist nicht lange binden. Nach einer Stunde fuhr er jäh aus dem Schlafe. Er sprang auf und legte sein Kampfgewand an, wobei er zugleich Uathach aufrief, ihm die Waffen zu reichen. Sie wollte nicht und behauptete, Scathach habe angeordnet, er solle nicht in den Kampf ziehen. Er riß Schild und Schwert an sich und rannte aus der Burg. Er stieß in dem Augenblick zum Heer, als es sich gerade zur Schlachtlinie aufstellte. Bereits waren zwei von Scathachs Söhnen in einen Kampf mit drei Kriegern Effas verwickelt. Cuchullin hörte Scathach stöhnen: sie fürchtete, ihre beiden Söhne würden von Effas drei Kriegern erschlagen, und Effa würde sie selbst zum Zweikampf fordern und töten. Da hörte er Scathachs Worte: »Könnten wir nur die drei Dinge in Gefahr bringen, die Effa am Herzen liegen – ihren Wagen, ihre Pferde und ihren Wagenlenker –, so vermöchten wir sie von der Schlacht abzulenken.« Cuchullin schloß sich Scathachs Söhnen an; gemeinsam überwältigten sie Effas Helden. Dann schlug er sich bis in die Mitte des Kampfgetümmels durch. Und dort sah er auf einem Hügel eine Kriegerin die Kampfreihen leiten, die er als Effa erkannte. Sie war die schönste und gebieterischste Gestalt, die er je erblickt hatte. Und sie war gebieterisch, weil sie schön war. Unter ihrem Helm hervor quoll eine Fülle roten Goldes – ihr Haar. Ihr Angesicht war bleich und klein, und jeder Gesichtszug edel. Ihre Augen waren gleich blauen Sternen. So überwältigt war er bei ihrem Anblick, daß sein Arm erlahmte. Sie schlug nach ihm und warf ihm das Schwert aus der Hand. Er wäre bei ihrem nächsten Streich gefallen, hätte er sich nicht an Scathachs Worte erinnert. »Weh! Effas Wagen, ihre zwei Rosse und ihr Wagenlenker sind in die Schlucht gestürzt!« rief er.
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Da wandte sie sich um, Cuchullin sprang vor und packte sie unter der Brust. Er warf sie über seine Schulter, raste mit ihr davon wie ein Träger mit seiner Last. Er warf sie zu Boden, entrang ihr das Schwert und stand über ihr. »Leben um Leben, Krieger!« sprach Effa. »Wenn meine drei Forderungen gewährt sind!« rief Cuchullin. »So wie du sie ausatmest, sind sie schon gewährt!« »Stelle Scathach Geiseln, daß du nie mehr gegen sie ziehst!« »Geiseln soll sie haben.« »Nimm mich zum Gatten! Schenke mir einen Sohn.« »Wie du verlangst, so soll es geschehen.« Sie erhob sich; sie gab ihm die Küsse, die ein Krieger einem Krieger gibt, nachdem sie gekämpft haben. Sie ließ die Trompeten blasen, und ihre Reihen verließen das Feld. Scathach gab sie ihre besten Jünglinge als Geiseln und kehrte in ihr eigenes Reich zurück. Cuchullin dagegen verblieb noch eine geraume Weile in Scathachs Burg, übte mit den anderen Jünglingen und lernte neue Kampfkünste am Eibenbaum. Scathach lobpries ihn und prophezeite, sein Name werde in ganz Irland bis nach Schottland berühmt werden. Uathach lobte ihn nicht, noch prophezeite sie Gutes für ihn. Sie dichtete ein Zauberlied, einen Rann, und kündete, der Gae Bulga würde ihm selbst zum Unheil geschwungen werden, und das nicht einmal, sondern oft. Mit bitterer Stimme sang sie den Rann, als er Scathachs Burg verließ. Dann lebte er bei Effa; er liebte sie, und Liebe zu ihm wuchs in dieser seltsamen Frau, die nur Sinn hatte für ihre Rosse, ihre Wagen und ihren Wagenlenker, und für diesen nur wegen seiner Geschicklichkeit. Cuchullin war noch nicht lange in Effas Reich, da erreichten ihn Botschaften von Connor, die ihn nach Emin Macha zurückkehren hießen. Als er Effa verließ, bat er sie, sie möge ihm seinen Sohn, den sie zur Welt bringen würde, nach Irland senden – sie solle ihn senden, sobald der Armreif, den er ihr zurückließ, am Arm des Knaben hängen bliebe. Sie solle ihn Connla nennen und ihm empfehlen,
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seinen Namen oder sein Geschlecht keinem Menschen zu verraten. Er wußte, Scathachs Tochter prophezeite leidvolle Geschehnisse: Unheil würde wegen seines Lebens bei Effa über ihn kommen. Aber wie konnte sie oder ein anderer wissen, was für Unheil kommen sollte? Mit dem Gae Bulga erschlug er Fardia. Und späterhin kämpfte er mit einem Jüngling, der keinem Menschen seinen Namen nennen wollte, und erschlug ihn mit dem Gae Bulga am Strand von Murhivna. Als der Jüngling im Todeskampf lag, erfuhr Cuchullin, wer er war. Er nahm ihn auf seine Arme und trug ihn dorthin, wo die Gefährten des Roten Zweiges waren. »Hier ist mein Sohn für euch, Männer von Ulster!« und dies
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waren die schmerzlichsten Worte, die jemals Cuchullin über die Lippen kamen. Prinz Suivné saß eine Weile schweigend da, nachdem Aë MacColman diese Geschichte erzählt hatte. Aber er dankte dem Erzähler und fuhr dann, wie zu sich selbst sprechend, fort: »Große Schmerzen können ertragen werden, weil sie ertragen worden sind, und die von Helden erzählen, zeigen, daß ein Mann seinem Schmerz gewachsen sein kann.« Am nächsten Tage begab sich Suivné in die Versammlung. Er legte die Gewänder an, die ein Fürst von Dalria anzulegen pflegt, wenn er in die Versammlung seiner Edlen und seines Volkes geht. Um es genau zu sagen: er zog ein dünnes Seidenhemd an; darüber trug er einen feingewobenen Umhang mit einem Saum, in dem kleine Karfunkelsteine eingenäht waren; an seine Linke gürtete er ein Schwert mit goldenem Griff. Und als sein Hausvogt und die Erzähler ihn in seinem Staatsgewand sahen, konnten sie nur sagen, dies sei ein ganz anderer Mann als die wilde, zerlumpte Gestalt, die am Teich in Glen Bolkin Wasserkresse gepflückt hatte. Als er seinen Sitz einnahm, sprach einer der Edlen mit lauter Stimme: »Solch königliches Gewand habe ich nie mehr gesehen, seit Prinz Congal Suivné ein Ehrenkleid verlieh, nachdem er im ersten Treffen der Schlacht von Moy Rah Ailill Kedach erschlagen hatte.« Suivné stand einige Zeit, als ob er aus der Versammlung fliehen wollte. Er blickte ringsum und gewahrte König Donalds Erzähler, die ebenfalls anwesend waren. Er bezwang sich und sprach dann: »Wenn jemals eine andere Schlacht stattfand, die noch grausameren Wahnsinn über einen Krieger brachte, möchte ich gerne etwas darüber hören.« Die Beratung wurde unterbrochen, dann trat Colman MacAë vor zu der Stelle, wo die führenden Männer saßen, und nachdem er dem Fürsten Wohlbefinden und der Versammlung Weisheit gewünscht hatte, hob er an zu erzählen von Cuchullins Tod.
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Cuchullins Tod
Endlich hatten jene bösen Zauberer vom Clan Calatin die Wesen gestaltet, die die Macht hatten, die schützenden Helden des Landes zu schrecken, an sich zweifeln zu lassen und schließlich zu überwältigen. Aus dem Fleisch und Gebein von Männern, die durch Verrat erschlagen wurden, von Frauen, die durch Gewalttat starben, von Kindern, die durch Hunger umkamen, gestalteten sie eine schreckenerregende Heerschar. Die Heldenkämpfer Irlands würden ihren Kampfgeist verlieren, wenn diese Heerschar vor sie käme. Dann würde das Heldentum, das dem Clan Calatin verhaßt war, zugrunde gehen. Und der Held, der vor allen anderen das Heldentum Irlands vertrat, Cuchullin, sollte der erste sein, der vernichtet werden müßte. Aber der Clan Calatin wußte, daß ein Held nicht durch Gespenster und Zauberei vernichtet werden kann. Er kann von ihnen irregeleitet und seine Kräfte können durch sie gemindert werden, aber nur eine Waffe in eines Menschen Hand kann ihm das Leben rauben. Deshalb wandten sich die vom Clan Calatin an Menschen, die Cuchullin haßten, weil er in früheren Kriegen Vernichtung über ihre Väter und Anhänger gebracht hatte; an Erc, den Sohn von Kerbry, und Luy, Curois Sohn, und sie versprachen ihnen zauberkräftige Hilfe, wenn sie Heerscharen aufbrächten und in die Provinz von Cuchullins König einfielen. So geschah es, daß Erc und Luy ihre Streitkräfte sammelten und gegen Murhivna zogen, wo Cuchullin in seiner Burg wohnte und die Grenzen von Ulster schützte. Plötzlich war das Land von Flammen und Rauch erfüllt, ehe noch eine Nachricht nach Emin Macha gelangte, wo Connor, der Ulsterkönig, und die übrigen ultonischen Helden lebten. Der Rauch und die Flammen aber waren bloß Schein, der dem Heerhaufen von Erc und Luy weit vorauseilte und von den Zaubereien des Clan Calatin verursacht wurde. Zu dieser Zeit saß Cuchullin auf seiner Burg, von großem Kum-
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mer um seinen Freund und um seinen Sohn niedergedrückt. Als aber die Nachricht von diesem Schein zu Cuchullin kam, gewann er noch einmal seine alte Kraft zurück. Er befahl Laëg, dem Wagenlenker, daß er sein Roß, den Grauen von Macha, anschirre. »Ich schwöre bei den Göttern, auf die mein Volk schwört«, erwiderte der Wagenlenker, »wenn auch das ganze Heer von Connor ihn bedrängte, so könnte man doch den Grauen von Macha nicht in die Deichsel deines Wagens zwingen. Und dir, Cuchullin, sage ich, den Grauen von Macha kann ich nicht meistern, obwohl ich dir noch niemals einen Befehl verweigert habe.« Daher ging Cuchullin selbst dahin, wo sein weises, berühmtes, wohlerprobtes Roß weidete, um es an den Wagen zu bringen. Der Graue von Macha wandte ihm nicht einmal, sondern zwei- und dreimal die linke Seite zu. Da machte Cuchullin dem Roß, das stets bereit gewesen war, ihm aufs Wort zu folgen, heftige Vorwürfe. Der Graue von Macha senkte den Kopf; dicke Tränen flössen ihm aus den Augen und fielen vor seines Herren Füße. Aber Cuchullin führte ihn zum Wagen. Laëg schirrte ihn an und nahm die Zügel zur Hand. Cuchullin bewaffnete sich mit Schwert und Speeren und sprang in den Wagen. Und die dreimal fünfzig Königinnen, die ihn liebten, wußten, was bevorstand, und erhoben lautes Klagen, als er aus Murhivna ausfuhr. Das Haus seiner Pflegemutter lag am Wege. Er fuhr nie daran vorbei, ohne einzukehren und einen Trunk einzunehmen, den sie für ihn bereithielt. Als er auf der Bank zur Seite ihres Herdes saß, sprach seine Pflegemutter von seinen großen Taten: wie er allein die Heerhaufen der Königin Mayiv aufgehalten hatte, als sie in die Provinz Ulster einfielen, und wie er mit seinem Busenfreund Fardia gekämpft und ihn erschlagen hatte, um diese Provinz zu schützen, und wie er in die Festung jenes Riesenkönigs Curoi eingedrungen war und ihn dort erschlagen und seine Gefangene, die liebliche Blanaid, weggeholt hatte. Sie erinnerte ihn an Dinge, die Unglück für ihn bedeuteten: von einem fremden Herd zu speisen, oder das Fleisch des Tieres zu essen, nach dem er genannt war — Cuchullin, der Hund Culins.
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Weiter jagte er mit Laëg, der den Wagen lenkte, nach dem Ort, wo der Rauch sich am dichtesten zeigte, wo die Flamme am steilsten aufstieg. Durch Rauch und Flammen drang an sein Ohr das Wehklagen von Frauen, das Schreien von Jünglingen, die von Feinden umringt schienen, die Schlachtrufe von Kriegern, das Stöhnen von Herden, die weggetrieben wurden. Er sah drei alte Frauen am Wegrand; sie waren an einer Feuerstelle beschäftigt; Fleisch briet an Bratspießen über dem Feuer. Alle drei waren auf dem linken Auge blind, am linken Beine lahm. »Besuche uns, o Cuchullin!« riefen sie, als sein Wagen näher kam. »Keine Zeit, euch zu besuchen!« entgegnete Cuchullin. »Ja, wenn dies ein großer Kochherd wäre, würdest du uns besuchen«, sprachen die Alten. »Verachtenswert sind die Großen, die die Niedrigen und Armen nicht ertragen können.« Daraufhin sprang Cuchullin vom Wagen und schritt zum Herd. Sie reichten ihm einen Spieß mit Fleisch. Wie er ihn nahm, wußte er sofort, was für Fleisch es war – das Fleisch eines Hundes. Er nahm es mit der Linken und steckte es unter seinen linken Schenkel. Da verloren seine linke Hand und sein linker Schenkel einen Teil ihrer Kraft. Seine rechte Hand aber und seinen rechten Schenkel Versehrte die Bosheit der Alten, die zum Clan Calatin gehörten nicht. Gelenkt von Laëg, gezogen vom Grauen von Macha, raste sein Wagen weiter.
In Cuchullins Hand blitzte das Schwert, die Strahlen der Tapferkeit umleuchteten sein Haupt, sein Haar, das ihm über die Stirne fiel, war wie goldene Funken über dem Schmelztiegel eines kundigen Goldschmieds. Und dann stand vor ihm ein Heer von besessenen, blutbefleckten, kreischenden Männern und Frauen. Sie schienen so zahlreich zu sein wie die Butterblumen auf der Ebene von Moy Brai an einem Sommertag. Ihr Gekreisch betäubte Laëg und Cuchullin. Der Graue von Macha wich vor ihnen zurück. Tödliche Schwäche kroch an Cuchullins linkem Arm und Schenkel entlang. Von diesen Wesen wehte ein böser und tödlicher Hauch heran, der so lahmte, daß der Graue von Macha zwischen den Deichseln des Wagens zitterte. Aber Cuchullin fuhr mit dem Schwert in der Hand unter sie, mähte sie ab, obwohl ihre klebrige Berührung seine Haut schrumpfen und sein Blut erstarren ließ. »Keiner soll übrig bleiben«, rief er Laëg zu, »um die Helden zu schrecken, die hinter uns kommen.« Gegen andere wären sie übermächtig gewesen, aber gegen Cuchullins tapferen Geist waren die Gespenster machtlos. Er stürmte durch sie hin, und sie erhoben sich über ihn hinweg; wie ein Nebelstreif trieben sie ab. Und nun war Cuchullin vor den Heerscharen, die eben in Stellung gingen, das Heer von Luy auf einer Seite, das Heer von Erc auf der anderen. Wie der Wagen hielt und Cuchullin die Heere musterte, trat ihm ein Mann entgegen, ein Druide war es. »Eine Gabe von dir an mich, Cuchullin!« sprach er. »Welche Gabe?« »Einen Speer von deinen drei Speeren.« »Ich schwöre bei den Göttern, auf die mein Volk schwört, daß du ihn nicht dringender brauchst als ich. Ercs Mannen und Luys Mannen sind vor mir, und ich muß mit ihnen kämpfen.« »Dann werde ich dich schmähen ob deiner Knauserei«, erwiderte der Druide; »und hiernach werden sich alle Menschen für alle Zeiten immer meiner Verse erinnern, die dich schmähen.«
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»Nie bin ich wegen Knauserei oder Schurkerei geschmäht worden«, rief Cuchullin, und dabei schleuderte er den Speer mit dem Ende voraus dem Druiden zu. Er tötete neun Mann in den Reihen hinter dem Druiden. Der Druide hob den Speer auf und sprach: »Ein König wird heute durch ihn sterben!« Das Heer Ercs und das Heer Luys vereinigten sich, sie schlössen ihre Schilde aneinander und bildeten eine starke und harte Front gegen Cuchullin. Er stürmte gegen sie, er ließ Schwert und Speer spielen, und Glieder und Körper bedeckten die Ebene von Murhivna. Und als er so die Heerhaufen durcheinandergejagt hatte, stand Cuchullin an seinem Wagen, wiederum kampfbereit, jedoch voll Hoffnung, daß in kurzer Frist Connors Heer die Kampfhaufen vor ihm bedrohen würde. Und wie er da stand, trat ihm ein Druide entgegen. »Eine Gabe von dir an mich, Cuchullin!« »Was für eine Gabe?« »Einen Speer von deinen zwei Speeren!« »Ich bin nicht verpflichtet, am heutigen Tag mehr als eine Bitte zu erfüllen. Ich habe bereits für meine Ehre bezahlt.« »Für deine Ehre, ja, aber nicht für die Ehre deines Landes! Gibst du mir den Speer nicht, so werde ich Ulster schmähen, und alle Menschen werden sich für alle Zeiten meiner Verse erinnern.« »Nie ist meine Provinz wegen meiner Knauserei oder Schurkerei geschmäht worden. Meines Lebens Frist ist nur noch kurz, und Ulster soll nicht meines Versagens wegen mißachtet werden!« Damit warf er den zweiten Speer dem Druiden zu, mit dem Schaftende voraus. Neun Mann hinter dem Druiden verloren ihr Leben durch diesen Wurf. Aber der Druide nahm den Speer auf. »Ein König wird durch diesen Speer fallen«, rief er, und Erc und Luy hörten, was er rief. Selbst wenn das Heer Connors im Anrücken war, so war doch noch kein Zeichen von ihm sichtbar. »Laëg, mein Freund«, sprach Cuchullin, »wir haben nur mein Schwert und meinen Speer, deine Gewandtheit und deinen Wagemut und die Kraft des Grauen
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von Macha zur Verteidigung von Murhivna. So wollen wir sie angehen!« Als nun Ercs und Luys Heere ihren Vormarsch begannen, lenkte Laëg den Wagen an ihrer Linie entlang, und Cuchullin mähte, mit dem Schild gut geschützt, mit dem Schwert ihre vordersten Kämpfer nieder. Dann zog sich Cuchullin von ihrer Kampflinie zurück, und Laëg reichte ihm einen Trunk aus dem Gefäß, das seine Pflegemutter ihnen mitgegeben. »Noch eine kleine Weile«, sprach er zu Laëg, »und Connors Heer wird über die Hügel heranziehen.« Ein Druide trat vor ihn: »Eine Gabe von dir an mich, Cuchullin!« »Ich habe bereits heute zweimal für meine Ehre bezahlt«, rief Cuchullin. »Erhalte ich keine Gabe von dir, so will ich deine Sippe schmähen; alle Menschen werden sich zeitlebens an meine Verse erinnern!« »Meine Sippe soll nie in üblen Ruf kommen. Wenig Leben bleibt mir. So sprich denn, welche Gabe du forderst.« »Deinen Speer, Cuchullin!« Den letzten Speer, den Cuchullin hatte, schleuderte er gegen den Druiden, mit dem Schaftende voraus und neun Mann in den Reihen hinter ihm fielen durch diesen Wurf. »Das ist Gunst mit Zorn, Cuchullin!« sprach der Druide und hob den Speer auf. »Ein König soll durch ihn fallen!« rief er aus. Nun schritten die Druiden mit Cuchullins Speeren zu Erc und Luy. Ihre Heere standen mit verschränkten Schilden, als Cuchullin in seinem Wagen gegen sie heranstürmte. Der älteste der Druiden, die Calatins Söhne waren, warf den Speer. Er traf Laëg, Cuchullins Wagenlenker. »Du sagtest doch, ein König werde durch diesen Speer fallen«, rief Erc. »Es soll sein, wie ich sagte«, antwortete der Druide. »Der König der Wagenlenker Irlands fällt durch ihn.« »Schwer bin ich versehrt!« rief Laëg; er ließ die Zügel fallen und sank rückwärts in den Wagen. 67
»Lebewohl, Laëg, o mein Gefährte!« rief Cuchullin, während er gegen Ercs und Luys Reihen fuhr. »In diesem Kampf werde ich Wagenlenker und Kämpfer zugleich sein.« Trotz der verschränkten Schilde durchbrach er die Reihen und schlug eine breite Bresche in die Schlachtlinie der Angreifer. »Wirf du den Speer!« sprach der zweite Druide zu Erc, dem Sohn von Kerbry. »Denke an deines Vaters Tod und wirf den Speer.«
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Erc warf ihn, und der Speer durchbohrte den Grauen von Macha. Zu Boden stürzte Cuchullins Roß und Cuchullin ward mit dem Schwert in der Hand aus dem Wagen geschleudert. »Ein König, sagtest du, würde durch den Speer fallen«, sprach Erc. »Es ist, wie ich gesagt habe«, rief der zweite Druide. »Der König der Wagenrosse Irlands fällt unter ihm!« »Lebewohl, Grauer von Macha, den ich dem Volk der Unsterblichen entriß. Lebewohl, mein Gefährte, der mich so lange Zeit so weise trug.« Und mit dem Schwert in der Hand hieb er sich eine Gasse durch die Reihen der Krieger, nach dem Ort, wo Erc und Luy und die Druiden standen. »Nimm diesen Speer!« sprach der dritte Druide zu Luy. »Und wenn du ihn schleuderst, denke an Curois Ende.« Und so nahm Luy den Speer und warf ihn nach Cuchullin. Der Speer durchbohrte ihn. Ohne Wagenlenker, ohne den Grauen von Macha stützte sich Cuchullin auf seinen Schild und zog sich dann den Speer aus dem Leibe. »Der König der Helden Irlands fällt durch diesen Speer!« sangen die Druiden zusammen, die die drei Söhne Calatins waren. Als Erc und Luy zu Cuchullin traten, sprach er: »Ich möchte noch bis zum See gehen, um daraus zu trinken.« »Das erlauben wir dir«, erwiderten Erc und Luy, »sofern du wieder zu uns zurückkommst.« »Ich will euch zu mir herrufen, wenn ich nicht mehr zurückkehren kann«, sprach Cuchullin. Darauf schnürte er sich den Gürtel eng um und ging zum See hinab. Er trank von dem Wasser; er wusch sich. Ercs und Luys Heere unterbrachen ihren Marsch, um zu sehen, was seine Absicht sei. Sie würden nicht weit nach Murhivna hineinkommen, dachte Cuchullin; denn nun mußte Connors Heer unterwegs sein. Noch einmal hatte er ganz allein seine Provinz gerettet. »In meiner Knabenzeit«, sprach er zu sich, »schwor ich bei den Göttern, auf die mein Volk schwört, meine Taten sollten unter den großen Taten der tüchtigsten Helden besungen werden.«
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Er sah einen Langstein auf der Ebene; dorthin ging er, und legte seinen Gürtel darum, so daß er sich aufrecht halten könne, nicht sitzend und nicht liegend. Die ihn aus den Reihen seiner Feinde beobachteten, sahen, daß die Strahlen, die das Licht des Helden waren, noch seine Stirn umgaben. Dann waren sie nicht mehr zu sehen. Luy trat zu ihm hin. Das Schwert fiel Cuchullin aus der Hand und verletzte Luys Hand. Da schlug Luy mit Cuchullins Schwert seinem Feinde den Kopf ab. Nun aber rückte Connors Heer an, und Ercs und Luys Heere zogen sich zurück. Luy nahm Cuchullins Haupt in seinem Wagen mit. Und weit voraus vor Connors Heer stürmte Conall Carnach, Conall der Siegreiche, in seinem Streitwagen, der von dem berühmten Roß Taurot gezogen wurde. Es hatte ein Vertrag zwischen ihm und Cuchullin bestanden: Wenn er zuerst erschlagen würde, würde Cuchullin ihn rächen; wenn Cuchullin zuerst erschlagen würde, würde er Cuchullin rächen. Als er weiter stürmte, kam er zu Cuchullins Wagen mit dem toten Laëg daneben, und da wußte er, daß sein Gefährte erschlagen war. Den Leichnam ohne Kopf am Langstein fand Conall Carnach ebenfalls; er verfolgte die Spur des Wagens, der davon wegführte. Luy dagegen kam zum Liffy und stieg hinein, um darin zu baden, und befahl seinem Wagenlenker, für ihn Wache zu halten. »Es kommt ein Streitwagen auf uns zu«, warnte der Wagenlenker. »Wütend kommt er. Die Erdschollen, die die Hufe des Rosses aufwerfen, sind über die Ebene verstreut.« »Dies Roß ist kein anderes als Taurot«, sprach Luy, während er sich bewaffnete. »Unwillkommen ist der Krieger, der da kommt. Laß ihn vorbeijagen! Wir begehren keinen Kampf mit ihm.« Aber Conall Carnach jagte nicht vorbei. Er suchte am Flußufer entlang; er sah den Wagen; er sah Luys Wagenlenker. Er rief laut: »Ich bin einer, der den Kampf verlangt, weil ihm ein Gefährte erschlagen worden ist.« »Es ist ein Gläubiger, dessen Forderung beglichen werden muß«,
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rief Luy und ging zu Conall Carnach. »Ich verlange ein Kriegerpfand von dir«, sprach er. »Was für ein Pfand?« fragte Conall. »Daß du nur eine einzige Hand gegen mich gebrauchst, da du siehst, daß diese Hand hier verwundet ist.« »Es soll sein, wie du verlangst«, entgegnete Conall Carnach. Er fügte sich darein, daß ihm eine Hand auf den Rücken gebunden wurde. Darauf kämpften er und Luy zwei Tagwachen lang, und keiner kam gegen den ändern auf. Und dann stürzte sich Taurot, Conalls Roß, auf Luy und stampfte ihn zu Boden. »Ist dies das Pfand, das du mir gegeben hast?« rief Luy. »Ich gab das Pfand nur für mich selbst. Für rachsüchtige Tiere und unsinnige Wesen konnte ich es nicht geben.« »Weh mir!« rief Luy. Er sank hin und Conall Carnachs Schwert durchbohrte ihn. »Nimm meinen Kopf für Cuchullins Kopf«, sprach Luy. »Füge meinen Ruhm zu deinem Ruhm und mein Reich zu deinem Reich. Es ist mir lieb, daß du als der beste Held in Irland bekannt wirst.« Conall schlug Luy das Haupt ab. Obwohl nun Cuchullins Tod gerächt war und Conall und seine Freunde die Eindringlinge auseinanderjagten, wollten sie doch nicht im Triumph in Emin Macha einziehen, ehe denn eine Woche verstrichen war. Cuchullins Leichnam bestatteten sie zur Seite des Langsteins, sein Haupt senkten sie in die Erde von Tara, und sein Schild deckte ihn.
Als die Geschichte zu Ende war, sprach Fürst Suivné: »Auch wir können gegen Wesen kämpfen, die Schrecken verbreiten.« Daraufhin nahm er seinen Sitz ein und nahm an den Geschäften der Versammlung teil. Am nächsten Tag ging er gemäß dem Wunsch der Edlen zur Jagd. Nun traf es sich, daß die Jagd in ein Waldtal geriet, wo Querry, der Suivnés Gattin zu sich genommen hatte, bereits jagte.
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Orann hatte ihn begleitet; eine Laubhütte war für sie gebaut worden, in der sie eben ruhte, als Suivné dort vom Pferde sprang und zu einer Quelle ging, um zu trinken. Er schaute auf und erblickte sie am Eingang der Hütte. In Ohnmacht sank er zu Boden. Als er erwachte, blickten sich er und Orann über die Quelle hin an. Dann sprach Suivné: »Einst senktest du, o Orann mein, ein Wort mir in die Seele: Nie wolltest du nur einen Tag getrennt von Suivné leben. Kalt war mein Bett in Glen Aula, wo mich die Menschen mieden. Besessen, nackt und ohne Rat, nur hungermüd und windverweht.« Orann streckte flehend ihm die Hände entgegen und sprach: »War ich doch fort mit dir gezogen, wie ein gefiedert Ding, ohne Rast noch Ruh, ohne Speise und Haus. Hätt ich den nackten Pfad geteilt mit dir am kahlen Berg, versteckt in Wäldern oder in der Schlucht am Wasserfall!« Tränen stürzten ihr aus den Augen, wie sie diese Verse sprach, und ihre Hände tasteten nach Suivnés Händen. Doch mit einem Aufruhr von Hunden und rufenden Männern kamen Querry und seine Jäger die Schlucht herabgebraust. Sowie Suivné das Getöse vernahm, begann er zu zittern. Er schrie auf, O'Faelain und seine Schar wären hinter ihm her, um Rache an ihm
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zu nehmen, weil er Ailill Kedach erschlagen. Er sprang hoch in die Luft und raste in weiten Sprüngen zum Ende der Waldschlucht. So schnell rannte er, daß er kaum die Gräser berührte. Und so entfloh Prinz Suivné zum zweiten Mal vor Verwandten und Untertanen, ein wahnbesessener Mann.
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DRITTER TEIL
Prinz Suivné und der Irre von Britannien
DIE KLIPPE VON FARANNAN ist in ganz Irland berühmt. Ein Wasserlauf fällt dort in die Tiefe und gibt einen Anblick, den das Auge mit Wohlgefallen genießt, und einen Ton, den das Ohr voll Entzücken hört. Am Strand unter dem steilen Fels tummeln sich Seehunde; sie kommen vom Ozean herein und liegen am Strand oder klettern in die Höhlen. Hinter Cliff Farannan ist ein Tal, durch das der Wasserlauf rinnt und das bewachsen ist von allerlei Gehölz, von Haselbüschen, reich an Nüssen, mit Apfelbäumen und Brombeersträuchern. In dem Tal leben auch viele Hasen und Dachse. Kurz und gut, es ist ein angenehmer Ort für einen Lagerplatz. Eine Versammlung von gelehrten Männern tagte dort, und Colman MacAë und Aë MacColman waren dabei. Sie hörten von zwei wilden Männern, die unterhalb der Klippe lebten, und es kam ihnen in den Sinn, es könnte einer davon Prinz Suivné sein, über den ihr Herr immer noch Kunde zu erlangen suchte. Als die Versammlung vorüber war, stiegen sie zum Strand hinab, um nach den zwei wilden Männern zu schauen. Einer von ihnen war in der Tat Suivné. Als er aus Dalria geflohen war, durchwanderte er Irland, voll Angst vor allen, die ihm nahe kamen. Er kam nach Glen Farannan und nährte sich von
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den dort üppig wachsenden Früchten, Beeren und Nüssen; unter den dichten Efeubüschen fand er sein Ruhelager. Später kletterte er am Klippenhang hinab und kam zum Strand. Er hauste in einer Höhle und suchte Eier von Seevögeln zur Nahrung. Gern wanderte er unter den Seehunden am Strand umher; er sprach oft zu ihnen, und sie, nicht mehr verscheucht durch den Anblick eines Mannes, erhoben wohl ihre runden Köpfe zu ihm und blickten ihn mit ihren menschenähnlichen Augen an, wenn sie den Klang seiner Stimme vernahmen. Zu den Seehunden sprach er so: »Droben stehen grüne Bäume, Eichelmast für wilde Schweine, Apfelbäume, fruchtbeladen, Buschwerk barg mich dort. Harmlos droben spielten Hasen, nicht erschreckten Dachse mich; strömte hell und klar der Bach, lärmte nicht, um mich zu stören. Suivné bin ich, war ein Fürst einst; dulde alles außer Frostnacht. Abt Ronan tat mir ein Unrecht; O Robben mit den hellen Augen! Aber es kam ein Tag, da sah er einen Mann am Wasserfall stehen. Suivné war voll Schrecken, da er dachte, es sei einer, der gekommen sei, um ihn zu verfolgen. Dann aber sah er, daß er bis auf ein paar Lumpen nackt war, und erkannte ihn als einen Irren. Der Fremde lief vor ihm davon, kam aber zurück und blieb wiederum am Wasserfall stehen. Nach einigen Tagen erkannte dieser ebenfalls, daß Suivné ein Besessener war, und floh nicht mehr vor ihm. So wurden sie Freunde. Suivné teilte mit ihm die Eier der Seevögel, die er sammelte, und der andere brachte Suivné Beeren und Früchte aus dem Tal oben. Nach einer Weile sagten sie zueinander: »Wer von uns zuerst den Schrei des Reihers hört oder das Krei-
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sehen des Kormorans oder den Ruf des Regenpfeifers, wenn er von seinem Rastplatz auffliegt, soll kommen und dem anderen von solchen Warnzeichen berichten, so daß wir beide vor Menschen auf der Hut sind, die da kommen, uns zu fangen.« Suivné nannte den Mann Far Calli, den Mann der Wälder, und nannte sich selbst Far Benn, Mann vom Berge. Er hieß Far Calli ihm seine Geschichte erzählen. Da sprach der andere Irre: »Ich bin ein Fürst aus Britannien. Einstmals hatten zwei Könige des Gebietes, in dem ich lebte, einen Wortstreit. Ich ging zur Ratsversammlung des einen und drängte ihn, gegen den anderen um die Herrschaft in Britannien zu kämpfen. Auf mein Drängen wurde der Krieg geführt. Und ich, der großen Einfluß im Lande hatte, legte den Edlen die Verflichtung auf, sie sollten nicht anders in den Kampf ziehen als in Seide gekleidet, so daß sie in Prunk und Stolz unter allen hervorragten. Sie zogen in die Schlacht. Und gerade als die Schlacht begann, schrien die Heerhaufen auf beiden Seiten Verwünschungen über mich. Ein Zittern überkam mich, und ich floh vom Schlachtfeld. Ich kam zu einem sturmbewegten Meer und fand ein Boot und fuhr hinüber an diesen Ort. Seitdem bin ich ein verschreckter Mensch, ich fürchte mich vor allen, die mir nahe kommen, außer vor Männern, die wie Irre aussehen und reden.« Als Suivné hörte, was Far Calli erzählte, kam ein Zittern über ihn und er sprach: »Mann! Du hast meine eigene Geschichte erzählt. Höre mich an! Ronan kam und wollte Frieden stiften zwischen zweien, die um die Vorherrschaft über Irland streiten wollten, König Donald und Fürst Congal. Ich veranlaßte Congal, in den Krieg zu ziehen, und Ronan rief eine Verwünschung auf mich herab. Als die Heerbanne in den Kampf zogen, stießen sie laute Schlachtrufe aus. Ich hörte ihr Getöse, ein Zittern überkam mich, und ich floh aus Moy Rah. Seitdem jagt mir die Erscheinung eines Menschen gewaltige Furcht ein. Du bist der einzige, den ich nahe an mich herankommen lassen kann, Far Calli.« Dann sprach Far Calli:
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»Du bist der einzige, den ich nahe an mich herankommen lassen kann, Far Benn.« Sie blieben beisammen, doch ließen sie einander keine Ruhe: denn sooft Suivné dorthin kam, wo der andere weilte, fing dieser an: »Ich verführte meinen König zum Krieg um die Oberherrschaft in Britannien«, und Suivné fiel dann ein mit: »Hör mich an! Ronan kam, um Frieden zu stiften .. .« und ob sie nun beim Wasserfall weilten oder unter den Seehunden, es mußte sich der eine die Geschichte des anderen anhören, wie der Wahnsinn über Far Benn oder Far Calli gekommen war.
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Dann kamen König Donalds Erzähler an den Strand der Bucht. Einen Mann sahen sie am Wasserfall stehen, den sie nicht kannten, einen zweiten aber sahen sie unter den Seehunden herumgehen, in dem sie Prinz Suivné erkannten. Zuerst wollte er vor ihnen in das Meer hinaus fliehen, als er sie sah. Sie aber riefen ihm zu: »Nachrichten aus Dalria! Nachrichten aus Dalria!« und er ließ sie herankommen. Er erkannte sie als die Erzähler, die in Glen Bolkin zu ihm gekommen waren, die Erzähler, denen er in seinem eigenen Saal und bei der Versammlung seines Volkes gelauscht hatte. Am nächsten Tag kam er gegen Abend an die Stelle am Strand, wo sie saßen und Äpfel und Nüsse aus Beuteln aßen, und erbrachte auch den anderen, Far Calli, mit. Kaum waren Begrüßungen zwischen den beiden Irren und den beiden Erzählern ausgetauscht, als Far Calli begann: »Ich war ein Fürst in Britannien . ..« Suivné sprach zu den zwei fein gekleideten Männern: »Um des Himmels Liebe willen, erzählt uns eine oder zwei von euren Geschichten, so daß dieser Mann hier und ich einander noch etwas anderes zu erzählen haben als die Ereignisse, die uns in diesen Zustand brachten. Hätten wir uns irgendetwas anderes zu berichten, so möchten wir wohl, denke ich, ganz zufrieden an diesem Ort leben.« Dann fuhr er schnell fort: »Ronan kam, um Friede zu stiften ...« Ein Zittern überkam Far Benn und Far Calli. Aber Colman MacAë und Aë MacColman nahmen jeder einen bei der Hand und ließen sie auf den Steinen niedersitzen. Und dann sprach Suivné zu dem anderen Irren: »Nicht deine noch meine Geschichte sollte jetzt erzählt werden.« Er fügte hinzu: »Wir möchten euch zuhören, ihr Erzähler.« Darauf erzählte Colman MacAë beim Rauschen des Wasserfalls die Geschichte, wie die Harfe nach Tara kam.
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Wie die Harfe nach Tara kam
Ein hochgewachsener, schöner, hellhaariger Jüngling: so sah der Junge aus, den Fiacal, der Räuber, erblickte, als er an den Eingang seiner Höhle trat. Er erkannte ihn. »Komm her, Devna«, sprach der Räuber. Der Jüngling kletterte über den Steinwall und trat in die Höhle. Da brannte ein Feuer, und bei seiner Flamme wurden Fiacal und seine Habseligkeiten sichtbar. »Was führt dich her, Devna?« fragte der Räuber. Er kannte diesen hochgewachsenen, schönen, hellhaarigen Jüngling schon lange. Er hatte mit einer Schar von Knaben, deren Anführer er war, in Fiacals Höhle Zuflucht gesucht und Raubzüge mit ihm unternommen. »Der Speer Brigha – nichts Geringeres begehre ich als ihn, Fiacal, mein Meister.« – »Nimm ihn dir!« sprach Fiacal. »Aber willst du ihn mir denn einfach überlassen, nur weil ich dich darum bitte, Fiacal?« »Vor langer Zeit kam der Speer in meinen Besitz. Seitdem gedachte ich jedes Jahr ihn zu benützen, um damit in den Feenhügel einzubrechen – denn es ist ein Zauberspeer – um eine schöne Königin oder einen großen Schatz wegzuschleppen. Die ganze Zeit hüte ich ihn schon unter der Asche meines Herdes, den Speer Brigha mit seinen dreißig Nietnägeln aus arabischem Gold. Aber weißt du, wie es in dieser Höhle ist, Devna? Die Winde, die da hindurchblasen, würden sogar die Knochen einer Wildgans quälen. Jetzt sind mir Rücken und Arme so steif, daß ich den Speer nicht mehr heben kann. Ich will bei meinem Schwestersohn leben, der Schafe züchtet. Nimm du den Speer, Devna!« »Bovmal, die Druidin, schickt mich nach ihm. Ich selbst weiß nicht, weshalb sie ihn wünscht.« Fiacal blickte den Jüngling an. Dabei kam ihm wieder ein Gedanke, den er früher schon gehabt hatte: der Gedanke, dieser Jüngling sei kein Ausgestoßener, der in einer Räuberhöhle Zu-
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flucht gefunden, sondern einer, der zu einem angesehenen Geschlecht gehörte. »Wer bist du, Devna?« fragte er. »Der Stiefsohn des Königs von Kerry.« »Das hast du mir nie erzählt, Devna.« »Nun aber vernimm, wer ich wirklich bin«, versetzte der hochgewachsene, schöne, hellhaarige Jüngling. »Ich bin Culs Sohn.« Als der Jüngling seines Vaters Namen sagte, blieb Fiacal, dem Räuber, der Atem stehen, wie einem Mann, der eine Stimme aus einem Längstem neben einem Grab hört. War doch kein Name in Irland berühmter als der von Gul aus dem Geschlechte Baskina. Cul war Führer einer Fian gewesen – das heißt einer Kriegerschar, die dem König eines Landgebietes dient. Seine Schar war die Fian des Königs des Südens, Munster. Da war noch eine Fian, die Fian des Westens, Connacht, geführt von Morna. Um diese Zeit breitete ein König, Conn von den Hundert Kampfscharen, eben seine Macht über ganz Irland aus. Er nahm die Fian von Connacht in seine Dienste, und zwischen Conns Hauptmann Morna und dem großen Cul entbrannte ein Krieg. In der Schlacht bei Knuka wurde Cul von Mornas Sohn, der in der Schlacht ein Auge verlor, erschlagen. Danach ward Mornas Sohn Goll genannt, das heißt der Einäugige: Goll MacMorna. All dies war noch nicht so sehr lange her, obwohl Conn, dem König der Hundert Kampfscharen, sein Sohn Art auf dem Thron gefolgt war und nun Cormac der Langbart, Arts Sohn und Conns Enkel, auf Tara herrschte. »Niemand weiß, daß Cul einen Sohn hinterließ«, flüsterte Fiacal ergriffen. »Niemand weiß es, weil ich um die Zeit, in der Cul von Goll MacMorna erschlagen ward, noch nicht geboren war. Meine Mutter floh mit einem ungeborenen Kind und fand Zuflucht in einem Walde auf Slieve Bloom. Bovmal war ihre Dienerin. Sie zog mich auf, als meine Mutter wegging; denn meine Mutter, Murna, heiratete den König von Kerry. Nein, niemand wußte, daß Cul einen Sohn hinterlassen hatte. Wäre das ruchbar geworden, hätte
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man mich ebenfalls erschlagen. Als ich herangewachsen war, sammelte ich eine Schar von Knaben um mich und machte mich auf, um die Freunde meines Vaters, die noch lebten, zu suchen. An einem abgelegenen Ort im Süden kam ich zu meinem Oheim Crimmal. Er war ein steinalter Mann und die Männer, die um ihn waren, ebenfalls. Auch waren sie schwach und verarmt, und ich brachte mit meiner Schar etwas Besitz für sie zusammen. Von ihnen erfuhr ich die Geschichte des Clan Baskina und der Heldentaten meines Vaters Cul. Dann fand ich den Grauen von Luchra, den Mann, der die Schätze der Fian meines Vaters in Verwahrung hatte und der meinen Vater um seiner Schätze willen verriet. Ihn erschlug ich und nahm die Schätze und Zeichen an mich. Und dann kam ich mit meiner Schar zu dir, und wir zogen mit dir auf Raub aus.« »Niemand hätte je geahnt, daß du dich in meiner Höhle versteckt hast und mit mir auf Raub ausgezogen bist«, sprach der alte Fiacal. »Ich wurde von einer Druidin, einem Räuber und einem Dichter erzogen«, sprach Culs Sohn. »Von der Druidin lernte ich, wie ich von stillen Weihern und verschwiegenen Plätzen Rat holen könnte, von dem Räuber lernte ich mit mir selbst zu Rate gehen, und von dem Dichter, von Finecas, lernte ich Worte für meine Gefühle und Gedanken finden und diesen Worten Gestalt geben. Auch habe ich am Königshof gelebt, bei dem König von Kerry, dem Gemahl meiner Mutter. Und nun bin ich auf dem Weg nach Tara, als einer der Gäste von König Cormac zum Sowinfest.« »Du kannst auf dem Weg zum Sowinfest keinen Speer tragen«, meinte der alte Fiacal. »Ich will auch keinen Speer auf dem Weg dorthin tragen«, sprach Culs Sohn. »Und was will Culs Sohn in Tara tun?« »Er will sehen, wer dort zu sehen ist«, sprach der Jüngling mit harter Stimme. »Unbewaffnet wie jedermann sonst werde ich zum Sowinfest gehen. Ich komme auf Bovmals Geheiß, um den Speer Brigha zu holen. Sie lebt hier in der Nähe an einer der Straßen
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nach Tara. Ich besuchte sie. Und nachdem ich ihren Quark und ihre Molken verspeist hatte, hieß sie mich hierher gehen und den Speer von dir holen.« »Und du sollst ihn haben, mein Herzschlag«, sprach Fiacal. Der Jüngling ging zum Herd des Räubers und nahm den Speer auf. Von seiner Spitze ertönte ein Dröhnen wie von einem Schwärm zorniger Bienen. Er war gefährlich; es war ein Zauberspeer. Und von seiner Spitze her drang eine solche Kälte, daß jeden ein Zittern ankam, gegen den sie gerichtet wurde. Deshalb hielt Fiacal die Speerspitze unter der Asche seines Herdes verborgen. Mit dem Speer Brigha in der Faust verließ der Jüngling die Höhle. Rings um ihn war nichts als Kälte, obgleich Sonnenschein auf den Feldern lag. Und eine Angst, die er hart bekämpfen mußte, schien neben ihm herzulaufen. Er war mutlos, wie er noch nie zuvor gewesen, als er Bovmals Hütte erreichte. Es war eine Rutenhütte, hohe Steine standen rings um sie, und ein Vogelbeerbaum mit großen Dolden scharlachroter Beeren wuchs an ihrer Seite. Als er hineinging, tat er mit dem Speer, was Fiacal damit gemacht hatte: er legte seine Spitze unter die Asche von Bovmals Herd. Die Druidin sah ihm zu, sprach aber kein Wort zu ihm; sie schien etwas weit Entferntes zu beobachten. Bei Sonnenaufgang trat er auf die Straße, an der Bovmals Hütte lag: es war eine der vier Straßen, die nach Tara führten. Wo Culs Sohn stand, konnte er Cormacs Sitz im frühen Morgenlicht erblicken. Und er, der bisher nur Rutenhütten und verstreute Dörfer und einzelne weißgetünchte Herrenhäuser auf ihrem Hügel gesehen hatte, schaute mit Entzücken auf die Pracht von Tara hin. Zu dem Enkel von Gönn hatte Culs Sohn keine Zuneigung; wie er jedoch die Dächer und Mauern und die starke Palisade betrachtete, die das Ganze umschirmte, da empfand er, es sei doch wahrer Adel in dem Mann, der dies auf der Höhe von Tara hatte erstehen lassen. »Morgen früh sehen wir sie vielleicht nicht mehr so, wie wir sie jetzt sehen«, sprach die Druidin, die neben ihn getreten war.
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»Meinst du, die Dächer und Türmchen von Tara werden morgen früh nicht mehr so schön aussehen?« fragte sie Culs Sohn. Die Druidin zog ein Büschel roter Beeren herab, die an dem Vogelbeerbaum wuchsen, und sprach: »Diese Beeren zeigen dir, daß wir jetzt im Sowin sind, dem ersten Wintertag. Und im Sowin sind die Wege zwischen den Feenhügeln und den Wohnsitzen der Menschen offen. Menschen können in die Feenhügel eintreten; Wesen aus den Feenhügeln können in die Welt der Menschen kommen. Und einer aus dem Feenvolk hat einen Groll gegen König Cormac. Letzten Sowin warf er Feuer auf die Dächer und Türmchen von Tara, und diesen Sowin wird er sie wieder in Brand stecken.«
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»Ein einziges Wesen, selbst wenn es eines aus dem Feenhügel ist, kann nicht Zerstörung schaffen an einem Ort, der von einer wachsamen Schar behütet wird«, meinte Culs Sohn. »Aillin kann es. Er hat Feuer und Musik. Er spielt auf seiner Harfe, und die Musik, die er macht, legt Schlummer auf alle, die ihn spielen hören.« »Wenn ich Wache hielt, könnte ich wach bleiben.« »Wie aber?« »Ein Speer könnte es schaffen.« »Ein Speer, sagtest du?« »Wenn ich seine Spitze gegen meinen Fuß drücke, könnte ich wach bleiben.« »Ein Speer könnte es schaffen – vergiß das nicht, Culs Sohn«, sprach die Druidin. »Doch nicht jeder Speer!« Dann schritt der Jüngling auf die hohen Bauwerke zu, die Dächer aus roter Eibe hatten, eingefaßt von Bronze und Kupfer, die im Sonnenlicht glänzten. Gönn, Herr der Hundert Kampfscharen, hatte sich zum König über den Süden und auch über den Norden von Irland gemacht; sein Sohn Art hatte Tara zu dem Königssitz erhoben, zu dem die geringeren Könige kamen samt Dichtern, Musikern, Geschichtsschreibern und kunstfertigen Männern jeglicher Art; Cormac mit dem langen Bart, Arts Sohn, hatte die geräumigsten Bauten errichtet, die in Irland je gewesen waren, und Jahr um Jahr hatte er sie bereichert und verschönert, so daß Tara wie ein Juwel mitten in Irland leuchtete. Culs Sohn schloß sich der Menge der in prächtige, helle Gewänder gekleideten Menschen an, die unterwegs nach Tara waren. Er kam als Stiefsohn des Königs, dessen Gattin Culs Witwe war. Und dank seiner Erziehung durch Finecas hatte er Worte und Wendigkeit, die ihn befähigten, als Gefährte unter Edelleuten und Gelehrten zu leben. Und da stand Finecas selbst! Unendlich freute sich der alte Dichter, dem Jüngling zu begegnen, der sein Schüler gewesen, und ganz stolz bat er Devna, das Gedicht noch einmal zu sprechen, das er auf den Beginn des Sommers, den ersten Mai, gemacht hatte:
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Maitag! Erhabne Zeit! Der Farben Spiel erblüht; wo sich ein Lichtstrahl zeigt, erschallt der Amsel Lied. Der Kuckuck fliegt und ruft, der Vogel, grau wie Staub; Maizeit! Willkommen dir! Ertönt's aus Heck' und Laub. Neu glänzt des Raben Kleid und auch der Sumpf lebt auf, Forelle springt im Bach, stark ist des Helden Lauf. Im lichten Himmelsmond erkennt der Mensch nun sich, die Jungfrau, rein und stolz, strahlt schön und inniglich. Uns fällt die Sehnsucht an nach Roß und kühnem Ritt, es treibt die Rosse selbst, zu proben festen Schritt. Schwertlilienhaupt ist Gold, wo Lichtstrahl tief eindringt, und aufwärts, über uns sich hell ein Sänger schwingt: Die Lerche! Jeder hört des Jahres Seligkeit, Willkommen! trillert sie, Maitag! Erhabne Zeit! Alle bewunderten das Gedicht, und alle wollten es lernen, um es auch in der Heimat vortragen zu können. »Aber das beste, das ein Dichter einen Jüngling wie dich lehren
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kann«, sprach der alte Finecas, »ist doch, wie man edelmütig mit Männern und Frauen umgeht.« »Ich will nicht vergessen, daß du mich dies lehren wolltest«, antwortete Culs Sohn. Sie stiegen den Pfad hinauf, der zur Palisade führte. Wächter in Lederwämsen und Otterfellmützen wiesen den königlichen oder adeligen Jünglingen, den Gelehrten oder Künstlern ihre verschiedenen Gasthäuser an. Der Pflegesohn des Königs von Kerry erhielt einen Platz bei anderen Jünglingen von edler Geburt. Dann begann das Bankett, und Culs Sohn erblickte König Cormac und seinen Hauptmann, Goll MacMorna. Er war nach Tara gekommen, um den Mann zu sehen, der seinen Vater erschlagen hatte; er war gekommen, um ihn als den Täter zu erkennen, damit er Rache an ihm nehmen konnte. Doch wie er nun im Festsaal saß, fühlte er keine Rachegelüste. Vielleicht deshalb, weil während des Sowinfestes keine Waffen zu sehen waren. Tara und alle, die auf Tara weilten, waren so ganz anders als das, was Crimmal und Crimmals ehemalige Gefolgsmannen dachten und was er selbst gedacht hatte, bevor er die leuchtenden Dächer und hohen Türmchen von Tara erblickte. Er mußte unverhohlen zugeben, daß der Mann, der da zu Häupten der Festhalle saß, Cormac Langbart, wahrhaft königlich aussah. Ebenso mußte er zugeben, daß der, der da bei seinen Heerführern an einer Tafel neben Cormacs Tafel saß, jener Goll MacMorna, nicht der grobschlächtige Rohling war, den er erwartet hatte. Aber bei all der Pracht und dem Jubel des Festmahls lag Sorge auf dem Angesicht des Königs und Sorge auf dem Antlitz der Männer hier und dort im Saal. Und als der berühmte Met von Tara die Runde um die Tische gemacht hatte, schlug der König an die silberne Kette, die quer vor seinem Sitz hing, so daß alle erwartungsvoll schwiegen. Dann sprach Cormac: »Unser Festjubel der Sowinfeier ist gedämpft durch die Geschehnisse in der Nacht des vorjährigen Festmahls und durch das Ereignis, das in der heutigen Nacht eintreten kann. Soviel von unseren Hallen zwischen Mitternacht und Tagesanbruch zerstört
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werden kann, wurde damals zerstört. Heute Nacht wird Tara bewacht werden, wie es beim Fest des letzten Jahres bewacht war; Goll MacMorna und die Fian von Irland werden es bewachen. Wir und unser Hausgefolge werden in Tara bleiben, für unsere Gäste aber stehen Herbergen außerhalb der Palisade bereit.« In diesem Augenblick erhob sich Culs Sohn und sprach: »Was ein unerfahrener Jüngling tun kann, um Tara zu bewachen, will ich tun.« Seine Stimme hatte einen so festen Klang, daß es alle Anwesenden dünkte, es habe einer gesprochen, der das Recht hat, gehört zu werden. Aber an dem Tisch, an dem Goll MacMorna mit seinen Gesellen saß, erhob sich Gelächter. »Wer bist du, Jüngling?« fragte König Cormac. »Wo liegt dein Gebiet? Wie heißt dein Geschlecht?« »Ich habe kein Gebiet«, sprach Culs Sohn. »Mein Geschlecht aber stammt von Baskina.« Als er diese Worte sprach, entstanden Gemurmel und Bewegung im Saal. Alle hatten geglaubt, das Geschlecht von Baskina sei mit Cul ausgestorben. »Ich bin Culs Sohn!« Diese kühnen Worte erklangen durch den Saal, und dann sahen alle, daß Goll MacMorna aufgesprungen war und dorthin starrte, wo der hochgewachsene, schöne, hellhaarige Jüngling stand. »Ich bitte den Jüngling, der gesprochen hat, zum Königssitz zu kommen.« Die Stimme, die diese Worte gesprochen, König Cormacs Stimme, klang sowohl freundlich als auch gebieterisch. Culs Sohn schritt die Festhalle hinauf. Die Gäste an den Tischen sahen, wie licht und schön seine Hautfarbe war, wie hell sein Haar; da riefen alle aus: »Finn!« — das heißt der Lichtschöne. Als der Jüngling so vor Cormac Langbart stand, schaute ihm dieser in die Augen. Er sah Festigkeit darin, es waren die Augen eines Mannes, der der Gefahr getrotzt hatte. Hier war einer, der kein Zögerer war – Cormac, der gewohnt war, Menschen zu beurteilen, sah dies. Aber er konnte ein noch klareres Urteil finden, wenn er erfuhr, was der Jüngling im Sinn hatte. So sagte er denn mit seiner Stimme, die sowohl freundlich als auch gebieterisch war:
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»Wenn du helfen kannst, Tara vor Aillins Feuer zu schützen, welchen Lohn willst du dann verlangen?« »Daß Culs Name und das Geschlecht von Baskina bei dir zu Ehren kommen, o König!« Diese Rede hätte dem Jüngling das Leben kosten können; Cormac bewunderte ihn dafür. Goll MacMorna dagegen sprang von seinem Sitz hoch, und Feuer sprühte aus seinem einen Auge. »Wenn das Sowinfest vorüber ist«, rief er laut, »werde ich diesem jungen Mann da zeigen, daß Culs Name hier nicht als Herausforderung hingeworfen werden kann!« »Nicht so, Goll!« sprach Cormac, »räume du ihm einen Platz an deinem Tisch ein. Er ist ein kühner Jüngling, und wir können ihn wohl noch in die Fian aufnehmen. Er kann mit dir heute Nacht Wache halten!« Da räumte Goll, der Gonnacht-Mann, der ebenso edelmütig und gutgesinnt wie tapfer war, dem Jüngling einen Platz an seinem Tisch ein, und der berühmte Met von Tara wurde wiederum reichlich herumgegeben. Sowie jedoch die Nacht hereinbrach, breiteten sich Angst und Sorge in der Festhalle aus. Die Gäste wurden zu ihren Herbergen geleitet. Der König erhob sich und ging hinweg, nachdem er mit Goll einige Worte gewechselt hatte. Dann schritt Goll, gefolgt von seinen Anführern, an den Ort, wo Waffen lagerten. Und die auserwählten Männer der Fian nahmen Speere und Schwerter zur Hand. Mit grobem Ton bedeutete Goll dem, der nun als Finn bekannt war: »Nimm einen Speer, junger Mann, aber halte dich fern von uns. Wenn du wachen willst, so tu es allein. Such dir einen Busch und bleib dahinter!« Wenn er die Spitze dieses Speeres gegen seinen Fuß drückte, meinte Finn, könnte ihn das wohl wachhalten, solange Aillin Musik machte, die die Wächter von Tara in Schlaf lullte. Aber dann dachte er an einen Speer, der ein summendes Geräusch von sich gab, wie das Summen eines zornigen Bienenschwarms, an den Speer Brigha. Gerade seine Kälte würde ihn wachhalten. Und da
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wußte er auf einmal, daß Bovmal gewünscht hatte, er solle den Speer Brigha tragen, wenn er diese Nacht in Tara wachen mußte. Deshalb hatte sie ihn nach Fiacals Höhle geschickt. Sie hatte ihn nicht geheißen, den Speer zu benützen – nein, denn sie wollte, daß er von sich aus darauf komme, so wie ein hart bedrängter Heerführer in der Schlacht sich wohl an die Furt eines Flusses erinnert, durch welche er mit seinen Leuten einem Feind in den Rücken fallen könnte. Mit diesem Gedanken eilte er nach Bovmals Hütte. Da standen die Steine im Kreise ringsum; hier war der Vogelbeerbaum, und die Türe stand offen; das Feuer glomm auf dem Herde, keine Menschenseele war im Hause. Aber hier war der Speer, und seine Spitze war in der Asche des Herdes verborgen. Culs Sohn hob ihn heraus. Er hörte das laute Summen, das aus seiner Spitze kam. Rasch verließ er die Hütte. Die Kälte drang ringsum auf ihn ein, er fühlte, wie freundlos er war: niemand würde ihm helfen, niemand würde um ihn trauern, wenn Goll MacMorna ihn erschlug. Denn was konnte er schon ausrichten gegen eine Macht, die selbst für König Cormac und seine Fian zu stark war? Hier lag Tara, alle Türmchen in Dunkel gehüllt, ein Königssitz, aber ein Königssitz unter einem Verhängnis. Er vernahm Stimmen, als Männer an den großen Toren vorbei eilten; er sah Gestalten: Goll und seine Führer standen auf Wache. Er stieg zur Palisade empor. Er erblickte Wächter hier und da. »Es ist nur der junge Mann, den man Finn nennt«, hörte er sie sagen. Aus seinem Speer drang eine Kälte und ein Gefühl der Furcht. Dann hörte er einen Ton. Er war leise, aber es war ein Ton, auf den man achten mußte. Er wurde lauter, die Musik einer Harfe, auf der einschläfernde Töne gespielt wurden. Wie Culs Sohn so lauschte, fühlte er seine Gedanken wegsinken wie in einen dunklen Tümpel. Die Kälte des Speeres sollte ihn wachhalten. Er preßte die Speerspitze gegen seine Stirn. Näher und näher kam die Musik der Harfe; er vernahm ihren einschläfernden Ton, aber seine Gedanken sanken nicht mehr weg wie in einen dunklen Tümpel.
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Ein Unhold kam heran; er hielt eine Harfe, auf der er die Musik spielte. Er lief schnell auf die Palisade zu. Und nun war er über den Toren und Mauern: eine Gestalt, die sich in die Luft erheben konnte. Beim Feuer, das aus ihrem Munde drang, konnte Cul sie sehen. Sie blies Flammen auf die Dächer. Feuer schlug aus einem Gebäude. Von den Wächtern aber kam kein Laut. Culs Sohn lief zu der Stelle, wo das Feuer aufstieg. Beim Feuer aus Aillins Mund sah er Wächter und Männer und Frauen aus dem königlichen Hausgefolge eng aneinandergedrängt im Schlummer liegen. Immer weiter auf der Harfe spielend, schwang sich Aillin zu einem zweiten Gebäude hin. Guls Sohn schleuderte den Speer Brigha. Aillin kreischte auf; die Harfe entfiel seinen Händen. Aillin selbst fiel hin und kauerte neben einer Mauer. »Wer bist du? Wer bist du, daß du nicht von meiner Harfe eingeschläfert werden kannst?« fragte er mit seiner seltsamen, sanften Stimme. »Der Träger des Speeres Brigha«, erwiderte Culs Sohn. Er lief hin und hob Speer und Harfe auf. Aillin, von dem Zauberspeer verletzt, war unfähig, sich zum Flug zu erheben. Schnell lief er den Hügel hinab, aber nicht schneller als Culs Sohn, der ihn verfolgte, den Speer und die Harfe in den Händen. Ein mondbeschienener Weg lag vor ihnen: es war der Weg zu den Feenhügeln, zwischen den Feenhügeln und der Menschenwelt; der Verfolgte und sein Verfolger rannten auf diesem Weg dahin. Dann stieg der Feenhügel vor ihnen auf. Aillin war mit einem Sprung in seiner Öffnung verschwunden, und Culs Sohn schleuderte ihm den Speer nach. Auf seinem Rückweg begegnete er drei Frauen, die hellgrüne Mäntel trugen. Ihre Stimmen wurden immer lauter als er allmählich an sie herankam, und er hörte, was sie sangen: »Aillin hat verloren, verloren! Seine Harfe wird in die Welt der Menschen gebracht, jedoch der Speer Brigha ist zu uns zurückgekommen. Aillin hat verloren, verloren! Fortan wird Tara von uns verschont bleiben.«
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Dann war Culs Sohn wieder an der Stelle, die er bewacht hatte. Innerhalb der Palisaden und vor den Toren lagen Wächter und des Königs Hausgefolge immer noch in tiefem Schlummer. Da lag auch Goll MacMorna mit dem großen Speer an seiner Seite in noch tieferem Schlummer als alle anderen. Culs Sohn nahm den Speer auf und stieß Goll damit an. Er erwachte, erhob sich und schaute mit seinem einen Auge um sich. »Ein einziges Türmchen brennt, das ist alles«, sprach Culs Sohn. Da blieb Goll MacMorna nichts anderes übrig, als zu König Cormac zu gehen und von den Vorfällen zu berichten. Er stapfte davon, Culs Sohn ihm zur Seite mit der Harfe, und da schritt Cormac Langbart bereits über den Rasen auf sie zu. »Eure Wache muß gut gewesen sein«, sprach er zu Goll MacMorna; »denn es brach nur ein kleines Feuer aus.« Bei diesen Worten ließ Goll MacMorna den Kopf hängen. »Ich schlief«, sagte er, »und Finn hier weckte mich.« »Und du, Finn?« fragte der König. »Ich wachte über Tara. Aillin verjagte ich, und die Harfe, die ich hier halte, ist ein Unterpfand, daß keiner vom Feenvolk je wieder versuchen wird, Tara zu verwüsten.« »Deine Geschichte ist seltsam«, sprach Cormac, »jedoch glaube ich sie.« »Bei meines Vaters krummem Hals!« knurrte Goll, »auch ich glaube sie.« Cormac wandte sich um und ging einige Schritte abseits. Als er zurückkam, legte er eine Hand auf MacMorna und eine Hand auf MacCul. »Soll ich Finn MacCul dein Amt geben?« sprach er zu seinem einäugigen Heerführer. »Ist je zuvor einem Hauptmann des Königs eine solche Frage gestellt worden?« schrie Goll MacMorna. Aber dann fuhr er mit sehr ruhiger Stimme fort: »Ich will unter Finn MacCul dienen!« und um all dies noch erstaunlicher zu machen, streckte er die Hand aus und ergriff die Hand des Mannes, dessen Vater er erschlagen hatte.
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Und Finn, der wirklich die Lehre des Dichters in sich aufgenommen hatte, ergriff MacMornas Hand. »Gleichviel was andere sagen mögen«, sprach er, »es geschah in ehrlichem Kampf und um einen König auf den Thron zu setzen, der als König herrschen kann.« König Cormac schaute auf zum Himmel, der hell über Tara stand. »Ein neuer Tag ist angebrochen«, sprach er. Zum Zeichen dieses neuen Tages setzte Finn MacCul das Bild der Harfe in das Banner der Fian von Irland. Dies geschah aber auf Finecas Rat. Finn wurde der größte Hauptmann, den je eine Fian hatte. Die einzige Fian, die jetzt noch die Erzähler kennen, ist Finns Fian, die Fian von Irland. Er war ein großer Hauptmann, weil er aus eigenem Recht ein geborener Führer der Menschen war. Und er hatte gelernt von einer Druidin, einem Räuber und einem Dichter. Von der Druidin lernte er sich Rat holen von stillen Weihern und verschwiegenen Plätzen; von dem Räuber lernte er mit sich selbst zu Rate gehen und seinen Rat für sich behalten; er lernte von dem Dichter, für seine Gefühle und Gedanken Worte zu finden und den Worten Gestalt zu geben.
Die Erzähler ließen Far Benn und Far Calli an der Bucht und begaben sich in das Waldtal. Sie hatten eine Laubhütte dort stehen und das Fleisch eines Dachses hing da zum Kochen; dort nahmen sie ihr Mahl ein und gingen zur Ruhe. Es gab einen neuen Fürsten von Dalria, Querry, der Orann geheiratet hatte, und darum wäre es kein Gewinn gewesen, wenn sie Suivné in sein eigenes Reich gebracht hätten. Sie wollten aber versuchen, ihn nach Dun na Nee zu bringen, damit König Donald sähe, daß sie in dem Auftrag, den er ihnen ein Jahr und einen Tag zuvor gegeben, nicht versagt hatten. Dann würde König Donald ihnen die Belohnung geben, die er denen gab, die solche Aufträge für ihn ausführten – einen goldenen Ring und ein Kampf roß aus Britannien für jeden.
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Suivné, so dachten sie, würde von ihren Geschichten so gepackt werden, daß er mit ihnen ziehen würde. Am nächsten Tag gingen sie wieder zur Bucht und fanden dort die beiden wilden Männer beisammen. Der eine hielt ein Drosselnest in der Hand und der andere fütterte die Nesthäkchen, während ihre Mutter fortwährend im Kreis um sie herumflog. Als sie die beiden Erzähler erblickten, ging der eine hin und setzte das Nest wieder in den Efeu bei der Klippe zurück: »Erzähle uns noch eine Geschichte«, sagt der, der Far Calli hieß. Und Far Benn sprach: »Wir erzählten einander, was Ihr uns erzählt habt, und sind guten Mutes geblieben. Bekämen wir noch eine von Euren Geschichten, würden wir uns großartig Gesellschaft leisten können.« Hierauf setzten sie sich unter den Efeu bei der Klippe, die Erzähler und die wilden Männer sprachen eine Weile miteinander über Finn und Tara und dann begann Aë MacColman und erzählte mit seiner angenehmen Stimme die Geschichte vom groben Knecht.
Der grobe Knecht
Wenn jemand fragte, wer von den Fian am besten aussähe und die angenehmste Sprache führte, so war die Antwort leicht: es war Dermott O'Divna. Und wenn einer fragte, wer in den drei Fähnlein der häßlichste und im Reden unverschämteste war, so war die Antwort ebenfalls leicht: es war Conan Kahlkopf. Es war ein Schauspiel, zwei solche Gestalten nebeneinander zu sehen: den stattlichen Dermott und den scheel blickenden Conan. Aber nicht wenn die weißen Schilde an ihren Schultern hingen und die Helme auf dem Kopfe saßen, fiel die Ungleichheit auf, die sogar die Hunde und Pferde aufschauen und scharf blicken
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ließ. Es war erst, wenn die Fian ihre neun Monate Dienst beim König von Irland abgestattet hatten, nach Munster auf Hirschjagd zogen und ihr Lager in Knockany aufschlugen. Sie zogen dorthin nach dem Herbstmonat, die drei Fähnlein mit ihren Pferden, Hunden und Knechten. In einem gewissen Jahr bestellte Finn Conan zum Lagermeister und Dermott zum Jagdmeister. Als bereits das Bellen der ausgewachsenen Hunde und das Jaulen der Welpen das Lager erfüllte, kam Dermott zu Finn und berichtete, ein unheimlich aussehender Bursche sei auf dem Weg zum Lager. »Wenn sein Aussehen nicht seine Stimme widerlegt«, sprach Finn, »muß er ein ausländischer Bursche sein.« Er meinte dies, weil sie jetzt eine grobe, lärmend grölende Stimme hörten. Hereingetorkelt kam ein brummelnder Kerl, der ein stolperndes Pferd führte. Sein Brustkasten war so breit wie ein Scheunentor, und ein paar dicke haarige Knie zeigten sich unter seinem Rock; er war breitmäulig und zahnlückig, und sein Kopf war so zottig wie ein Wolfsfell. Einen eisenbeschlagenen Knüppel hielt er in der Hand, mit dem schlug er beständig auf die Flanke seines Gaules ein; es gab ein Geräusch, das klang wie der Wind, der ein Segel herunterreißt. Man konnte die Rippen des Rosses durch die räudige Haut sehen. Es war ein langes Roß, oder vielmehr eine lange Mähre mit einem Rücken wie der First eines Hauses. Die Fian, die herumstanden, meinten, daß beim nächsten Schlag mit dem eisenbeschlagenen Knüppel die Mähre auf dem Rasen zusammenbrechen müsse. Und dann stand das edle Paar da, das Halfter schleifte am Boden, der Kerl hielt in der einen Hand den eisenbeschlagenen Knüppel, während er sich mit der anderen am Hinterkopf kratzte; die Mähre ließ den Kopf zu Boden hängen. »Du bist Finn MacCul«, grölte er und beugte das Knie vor dem Führer der Fian. »Und du bist Conan«, sagte er zu dem kahlköpfigen, scheeläugigen Lagermeister, »weil du bei dem Aussehen kein anderer sein kannst als Conan.« »Was möchtest du, Lausekerl?« brüllte Conan.
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»Es geht mir um eine Anstellung in eurer Fian«, erwiderte der Kerl. »Das heißt, wenn ich herausbringen kann, was für einen Lohn ihr einem Burschen wie mir zahlt.« »Bringst du einen Pferdeknecht mit?« fragte Finn. »Pferdeknecht?« entgegnete der Kerl, »hätte ich einen Pferdeknecht, müßte er ja einen Bissen von allem abbekommen, was ich zu essen erhielte. Glaub mir nur, Finn«, fügte er hinzu und klopfte sich auf den Magen, »ich verfüge über einen Appetit, der mir nicht erlaubt, irgendjemand irgendetwas abzugeben. Ich bin ein Fomorier, daß du es nur weißt«, fuhr er fort. »Und wir Fomorier kommen auch ohne Pferdeknechte aus. Und was meine Mähre hier angeht, so ist sie ein gutartiges Biestchen und ich habe sie gern unter meiner eigenen Fuchtel.« Damit hob er das Seil auf und hielt die Mähre so, als ob er Angst hätte, einer der Fian wolle sie ihm wegnehmen. Die Treiber und Spürer standen herum und hielten die Hunde an den Leinen; alle aber starrten die lange Mähre an, die den Kopf hängen ließ, und den fremdländisch aussehenden Kerl, der sie hielt. Die Mähre keuchte schwer, und ihr Kopf senkte sich noch tiefer. »Wer bist du?« fragte Finn. »Ich bin im Osten und Westen, Süden und Norden allgemach bekannt als der grobe Knecht«, antwortete er. »Oder wenn du willst, als der klobige Knecht oder auch der klotzige Knecht. Man nennt mich so, weil ich meine eigene Auffassung habe, und keinem Meister ist es je gelungen, sie zu ändern. Und ihr«, sprach er weiter zu Finn und den übrigen Fian, die eben aus ihren Laubhütten traten, »laßt euch ja nicht einfallen, mich Sachen tun zu lassen, die ich nicht tun mag.« »Wollen wir den groben Knecht als Lagerhüter anstellen?« fragte Finn die herumstehenden Krieger. Die Jagdhunde bellten, und die drei Fähnlein fühlten sich in rechter Jagdlaune, geradeso wie Finn selbst auch. »Ja, ja!« riefen sie, »nimm ihn als Knecht auf.« »Conan«, befahl Finn, »bringe die Mähre des Knechtes auf den Weideplatz. Und du, O'Divna«, sprach er weiter, »halte dein
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Hörn bereit und blase zur besten Jagd, die je auf Knockany stattfand.« Conan trieb unter Schimpfworten gegen jedermann die knollige, knieschlotternde Mähre mit dem langen Rücken auf den Weideplatz, und der grobe Knecht tollte mit seinem Knüppel als Sprungstange herum, wie es schien, außer sich vor Freude, daß er eine Anstellung bei den Fian von Irland erhalten hatte. Das war ein Anblick, der bei allen die Hoffnung auf die Jagd am Knockany auslöschte. Nur einer vergaß sie nicht: das war Dermott, der dastand mit dem Hörn in der Hand und darauf brannte, es zu blasen. »Ist es nicht toll, daß ich den kahlköpfigen Conan als Pferdeknecht für mich habe«, johlte der Kerl, wie er so mit seinem Knüppel herumhüpfte. Die Pferde auf dem Weideplatz hoben die Köpfe und schnauften, als die verschoppte Mähre zu ihnen gebracht wurde. Es war offenbar, daß sie noch nie etwas ähnliches wie sie gesehen hatten. Als Conan das Seil losließ, stand sie mit hängendem Kopf, als ob sie im nächsten Augenblick stehenden Fußes tot umfallen müßte. Die edlen Renner und Jagdpferde der Führer der Fian kamen im Kreise um sie heran. Da fuhr plötzlich die Mähre des Knechtes mit den Hinterbeinen aus und traf ein Pferd, das Keltia gehörte, mitten auf die Kinnlade und warf es seitlings zu Boden. Dann raste es kreischend und ausschlagend zwischen den anderen Pferden durch, biß das eine und schlug das andere, die Hunde bellten, die Männer brüllten und schrien, die Pferde wieherten, und alle übertönte die Mähre des groben Knechtes mit ihrem keuchenden Schnaufen. Finn rief Conan einen Befehl zu, Conan sprang nach dem Seil und zerrte die Mähre aus dem Weidefeld heraus. »Mögest du so klobig und knieschlotternd werden wie sie, Finn!« sagte Conan, »weil du den Kerl und das Biest unter uns aufgenommen hast.« »Leg ja nicht Hand an meine Mähre!« knurrte der Knecht. »Ja nicht, Conan!« Conan schwang sich auf den Rücken der Mähre. »Ich will sie hier herausreiten«, rief er. Aber die Mähre legte sich nieder mit
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Conan auf ihrem Rücken und nicht um alle Stöße, die er ihr versetzte, wollte sie wieder auf. Mit den Händen auf die Schenkel gestützt, standen die Fian da und lachten Conan aus, der krampfhaft die lange Mähre mit den Beinen umklammerte. Alle lachten, außer Dermott, der mit dem Hörn in der Hand bereit stand. »Sie ist schwerere Gewichte als dich gewöhnt, Männlein!« grölte der Knecht. »Wenn noch einige der Jungens ihren Rücken besteigen, wird sie schnell genug aufstehen.« Einer und noch einer der Fian stiegen auf den Rücken der Mähre. Schließlich drängten sich dreizehn hinter Conan Kahlkopf hinauf. Plötzlich strampelte sich die Mähre auf die Füße, und alle lachten noch lauter als zuvor, als sie so viele auf diesem langen Rücken sitzen sahen, die sich an ihrer Mähne und aneinander festklammerten. Sie stolperte ein bißchen vorwärts und der Anblick war so komisch, daß die Spürer und Treiber und Knechte des Lagers den Fian ins Gesicht lachten. »Ha! Eines will ich auf keinen Fall die Fian von Irland tun lassen, und das ist, meine Mähre verspotten«, grölte der grobe Knecht. »Dafür bin ich nicht hierhergekommen. Ich will weg, ja, das will ich, und meine Mähre will ich mitnehmen. Und das wird allen ehrenhaften Fomoriern eine Lehre sein, sich nie mehr irgendeinem Pack von Iren zu verdingen.« Mit dem Knüppel in der Hand stapfte der Knecht davon und zog grölend vor seiner stolpernden Mähre her. Er schritt schnell aus und die Mähre ging ebenfalls etwas schneller. Er fiel in einen ordentlichen Trab und sie tat desgleichen. »Und das ist alles, was ich von den Fian erhalten habe«, schrie er zu ihnen zurück. »Hohn und Spott! Nicht einmal eine rechte Mahlzeit!« »Wir vertun einen schönen Morgen, Finn«, sprach Dermott und fuchtelte mit dem Hörn. Alle drei Fähnlein waren nun im Feld, und die Hunde konnten kaum zurückgehalten werden. Droben war ein Hirsch auf dem Berg, und sie wußten es. Aber Conan schrie vom Rücken der Mähre herab: »Wir können nicht herunter! Kommt und haltet die Mähre an!«
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Der grobe Knecht fing an zu rennen, und die Mähre mit den vierzehn Männern auf dem Rücken rannte ebenfalls. Im Rennen wurde sie mehr und mehr zu einem Kampfroß, zu einem edlen Renner; da waren keine Löcher mehr in ihren Flanken; ihr Haupt ging in die Höhe, und sie sah schließlich nicht nur wie ein großes, sondern auch wie ein tapferes, stattliches Roß aus. »Die Pest soll dich treffen, Finn!« schrie Conan. »Warum rührst du dich nicht! Oder möchtest du uns im Nachbarland sehen, bevor du dich in Bewegung setzest?« Der grobe Knecht warf seinen Knüttel weg, stemmte die Arme in die Seiten und begann zu rennen. Die Mähre streckte die Beine und lief schneller und schneller, die Vierzehn schaukelten auf ihrem Rücken herum. Conan gab ein lautes Gebrüll von sich. »Was für ein Hauptmann bist du eigentlich, Finn MacCul, daß du deine Leute vor deinen Augen entführen läßt?« »Auf zur Befreiung!« rief Finn. »Befreiung!« rief Dermott. »Befreiung, Befreiung!« erscholl es von allen anderen. Mit Finn an der Spitze liefen sie alle hinter der Mähre und dem groben Knecht her. In Senkungen hinab und Höhen hinauf lief die Mähre, der Knecht voraus, die Fian hinterdrein. Einer der Fian, der dabei gestanden war, als die Vierzehn die Mähre bestiegen, vermochte mit ihr Schritt zu halten: das war Liagan, der Schnelläufer. Finn und die anderen hielten durch und rasten wie sie nie zuvor gerast waren. Mit einer Jagd hatten sie gerechnet, aber es wurde eine Hetzjagd. Hier und da erblickten sie ihr Wild vor sich, wenn die Mähre gerade einen Abhang erklomm oder einen Fluß durchschwamm. Kein Hirsch hatte sie je so weit gehetzt wie diese Mähre, und sie eilte immer weiter. Und doch konnte die Jagd nicht aufgegeben werden. Wenn Finn Conan und die anderen in der Macht eines wilden Mannes, eines Fomoriers, ließe, könnte er nie mehr das Haupt erheben, geschweige denn die Führerschaft über die Fian Irlands behalten. Er und sein Gefolge mußten die Jagd durchhalten, gleichviel wie
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lang, wie atemberaubend und herzzerreißend sie auch war. Schließlich stürmten sie in die Schluchten von Kerry hinunter, und da lag das Meer vor ihnen. Sie keuchten etwas wie einen Jubelruf aus den Kehlen, denn der grobe Knecht und seine Mähre müßten jetzt wohl Halt machen. Aber nichts dergleichen! Sie hielten nicht an. Der Knecht nahm das Seil wieder auf und sprang in das Wasser. Die Mähre ebenfalls, mit den vierzehn Fian auf dem Rücken. Liagan erwischte den Schweif der Mähre. Und so schnell wie sie gelaufen waren, so schnell schwammen der Knecht und seine Mähre hinaus, vierzehn auf ihrem Rücken und einer hielt sich am Schweif! »Wir müssen ihnen folgen«, sprach Finn, als er und seine Genossen die Bucht erreichten. »Wir haben geschworen, daß wir jeden von unserer Fian, der in Gefahr ist, befreien. Schöpft nun etwas Atem und stoßt unseren Kampfruf aus, so daß Conan und die anderen wissen, daß wir hinter ihnen her sind.« Sobald ihnen der Atem wieder gekommen war, stießen die Fian am Strand einen Schrei aus, der über die See hinflog und vielleicht die Ohren der fünfzehn erreichte, die auf dem Rücken und am Schwanz der Mähre hingen; jetzt konnte man leicht sehen, daß diese Mähre keine gewöhnliche Mähre war, ebensowenig wie ihr Herr ein gewöhnlicher Knecht war. Der nächste Teil des Abenteuers ging Dermott O'Divna an. Die Fian fällten Bäume und bauten ein Floß. Hierauf machten sie Segel aus ihren Mänteln, brachten das Wild an Bord, das sie erlegt hatten, nahmen Wasser mit und segelten übers Meer. Am Ende eines Tages gingen sie an Land. Eine hohe Klippe stieg auf von einem schmalen Strand. Um sie zu erklettern, hätten sie Leitern herrichten und Löcher für die Füße einbauen müssen. Dermott wollte darauf nicht warten: er war der flinkfüßigste der Fian und erkletterte den Felsen ohne Hilfe; darauf gelangte er auf eine Hochfläche, wo ein Wald war, und im Hintergrund ein Berg. Er durchschritt den Wald auf einem Fußpfad, der zu einer Quelle führte. Über dieser Quelle hing von einem Ast ein Trinkhorn herab, das zur Hälfte mit Silber beschlagen und verschwen-
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derisch verziert war. Die Quelle war sehr hell und klar, aber so tief war ihr Wasser, daß Dermott nicht bis zum Grund sehen konnte. Es war eine Quelle, die ihn mit Staunen erfüllte. Nach einer Weile jedoch nahm er das Hörn herab, tauchte es in die Quelle und trank daraus. Als er das tat, ertönte ein Murmeln aus der Quelle, dann ein Geräusch von beiseite geschobenen Zweigen, und Dermott sah einen Helden auf sich zuschreiten, der Schwert und Schild und Helm trug; sein Gesicht aber zeigte einen finsteren Blick des Zornes. »So!« sprach er, »ohne meine Erlaubnis nimmst du mein Trinkhorn und trinkst aus meiner Quelle? Das kann ich nicht dulden.« Und der Krieger kam auf Dermott zu und zog das Schwert. Dermott war entsetzt darüber, daß er als Fremder auf so unhöfliche Art behandelt wurde. Er hatte doch nichts getan, als einen Trunk Wasser aus einer Quelle im Walde genommen, und wen hätte er da um Erlaubnis fragen sollen? Er hätte gerne dem Kämpfer gezeigt, daß keine unverschämte Absicht in seinem Tun war, der aber kam so wütend auf ihn zu, daß Dermott nichts übrigblieb, als ebenfalls sein Schwert zu ziehen. So kämpften sie denn lange und heftig. Jedoch war der Kämpfer an der Quelle bei all seiner wilden Kampfeslust doch an Kraft oder Schwertkunst keinem der Fian gewachsen. Dermott hätte ihn überwältigt, jedoch schleuderte der Kämpfer plötzlich sein Schwert in die Quelle und sprang selbst hinein. Dermott sah ihm nach, wie er durch das Wasser hinabsank. Er tauchte so tief hinab, daß Dermott ihn schließlich aus den Augen verlor. Am nächsten Tag erjagte Dermott ein Reh im Wald und erlegte es; er hängte das Fleisch auf und machte ein Feuer an. Sobald er das Fleisch gebraten und verzehrt hatte, ging er zu der Quelle, ergriff das Trinkhorn, tauchte es ein und trank einen Schluck Wasser. Kaum hatte er das getan, ertönte wiederum das Murmeln aus der Quelle; dann kam das Geräusch der beiseite geschobenen Zweige, und er erblickte den Kämpfer der Quelle, der auf ihn zuschritt.
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»So!« rief er wieder aus, »ist es nicht genug, daß du mein Trinkhorn benützest und einen Schluck Wasser aus meiner Quelle trinkst, sondern du mußt auch noch mein Reh töten!« Dermott streckte zum Zeichen der Freundschaft die Hand aus, aber es nützte nichts – der Kämpfer kam mit gezogenem Schwert auf ihn zu. Dermott zog sein Schwert ebenfalls; wiederum kämpften die beiden neben der Quelle. Doch die Kraft und Gewandtheit, die Helden der Fian haben mußten, war nicht in dem Kämpfer an der Quelle. Plötzlich schleuderte dieser wie am Tag zuvor sein Schwert in die Quelle und ehe Dermott ihn halten konnte, tauchte er hinein. Und wie zuvor schaute Dermott zu, wie er hinabsank, bis er verschwand. Wieder rastete Dermott an derselben Stelle. Am nächsten Tag schnitt er sich von dem aufgehängten Fleisch ab, briet es und aß davon. Dann schritt er zu der Quelle, gespannt, was für ein Abenteuer ihm nun begegnen würde. Nichts geschah, bis er das Trinkhorn herabnahm, es eintauchte und das Wasser der Quelle trank. Dann kam wieder das Murmeln aus der Quelle, dann ein Geräusch wie von einem, der sich einen Weg durch Zweige bahnt, und wieder kam der Kämpfer der Quelle mit gezogenem Schwert auf ihn zu. »So!« schrie er, »du willst also nicht von meiner Quelle weichen?« Sie kämpften wie zuvor. Als der Kämpfer sein Schwert in die Quelle schleuderte, ließ Dermott sein eigenes Schwert fallen und sprang zu, um ihn zurückzuhalten. Der Kämpfer dagegen tauchte hinein und riß ihn mit. Hinab sanken sie, und als ihn eben die Sinne verlassen wollten, wurde Dermott durch einen steinernen, aufwärts führenden Gang gezogen und befand sich im Hof einer Burg. Bewaffnete waren da. »Bewacht mir diesen hier!« sprach der Kämpfer der Quelle zu ihnen. »Vielleicht ist er der einzige der Fian von Irland, den der König von Sorca gegen mich aufbringen konnte.« Dann schritt er in die Burg, und die Männer hielten Wache über Dermott. Was nun Finn und seine Mannen betraf, so machten sie Leitern
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und hauten Stufen aus dem Berg, erkletterten den Felsen und kamen an die Stelle, wo Dermott Spuren seines Kampfes zurückgelassen hatte. Sie stellten sich im Kreise um die Quelle auf und stießen ihren Kampfruf aus. Sie warteten darauf, daß Dermott herankäme. Und dann hörten sie einen Ruf, und aus einer Höhle im Berg ritt ein einzelner Reiter auf sie zu. Er grüßte Finn und sprach: »Ich will Euch verraten, wer ich bin. Ich bin Abartach, der König von Sorca. Ich kam zu dir als der grobe Knecht, um Finn und die Fian von Irland mir zu Hilfe zu holen. Ich werde bedroht von dem König des Landes Unter Wasser, der mir die Schätze entreißen möchte, die mich zum Oberherrscher im Feenreich machen – den Speer, den Stein und den Kessel.« »Warum sollten wir auf deiner Seite gegen den König des Landes Unter Wasser kämpfen?« fragte ihn Finn. »Besinne dich, Finn«, sprach der Mann, den sie als den groben Knecht kennengelernt hatten. »Du hast von Sorca gehört, und du hast von Abartach gehört.« Er hatte davon gehört, das wußte Finn. Aber was hatte er von Sorca und Abartach gehört? Wer hatte diesen Namen ausgesprochen? Seine Mutter? Bovmal? Sein Oheim Crimmal? Einer, der neben dem Feuer saß, während das Kind einer Geschichte von Hilfe und Gastfreundschaft lauschte, die seinem Vater gewährt worden war. Diese Erinnerung genügte, und Finn versprach Abartach seine Hilfe. Der König von Sorca brachte sie in die Höhle. Dann ging es durch lange Gänge abwärts unter die Erde. Nach einem langen Marsch, der ihnen wie eine Tagesreise vorkam, erreichten sie eine Burg. Dort wurden Finn und die Fian königlich bewirtet. Ein Festmahl wurde ihnen zu Ehren gegeben, es erklang Harfenmusik, und Heldenlieder wurden vorgetragen. Aber Dermott war nicht bei ihnen, und deshalb waren Finn und seine Genossen niedergeschlagen. Dermott hingegen weilte im Hof der Burg, entwaffnet, aber unbewacht. Die Mannen waren aufgerufen worden, um ein Heer zu bilden, das ausrücken sollte. Nachdem Dermott ein Mahl ver-
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zehrt hatte, das sie ihm hinterlassen, schlief er eine Weile. In einem Traum war es ihm, als komme eine schöne junge Frau zu ihm und stehe an seinem Lager. Er erwachte und es war so, wie er geträumt hatte. »Führe mich dorthin, wo dein Führer Finn ist«, sprach sie zu Dermott. Sie hatte die drei Farben – die Weiße des Schnees, die Röte des Blutes, die Schwärze des Raben, der das Blut trinkt, das auf den Schnee geronnen ist. Sie war edel in ihrer Haltung und anmutig in ihren Bewegungen. Sie erzählte Dermott, daß sie Finn in Liebe zugeneigt sei wegen all der Taten, die sie von ihm gehört habe, und sie sehne sich, mit ihm zusammen in Irland zu sein. Sie war die Schwester des Königs Unter Wasser; mit ihm, dem Kämpfer an der Quelle, hatte Dermott gekämpft. Moriah war der Name der schönen jungen Frau. Dermott sagte ihr, er wisse nicht, wo Finn sei. Moriah wußte es jedoch. Er war in der Burg des Königs von Sorca, und wenn sie mit Dermott ginge, würde sie ihm zeigen, wie er zu seinem Führer kommen könnte. Sie führte ihn aus der Burg hinaus und brachte ihn auf geheimem Pfade an den Ort, wo das Heer des Königs von Sorca aufmarschiert war. Dermott sah seine Kameraden der Fian von Irland; er sah auch Finn auf einer Anhöhe stehen, als er eben die Kampfreihen musterte. Dermott eilte zu ihm, und sein Führer war so froh darüber, daß ihm zumute war, als habe er nun schon die Schlacht gewonnen. Moriah blieb da, wo Dermott sie untergebracht hatte: unter einem Vogelbeerbaum mit einem Schutzwall von Schilden rings um sie. Und dann zog das Heer des Königs von Sorca, unter Finns Führung und durch die Fian verstärkt, in die Schlacht gegen das Heer des Königs vom Land Unter Wasser. Die Heere kämpften, und keines gab nach. Dermott suchte den feindlichen König auf. Sie kämpften, wie sie an der Quelle gekämpft hatten, und ebensowenig wie die anderen Male war die Kraft und Schwertgewandtheit des Königs vom Land Unter Wasser der Kraft Dermotts ebenbürtig.
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Dermotts Schwert durchbohrte des Königs Schild, und der König fiel auf das Knie. Damit war die Schlacht zu Ende. Das Heer des Landes Unter Wasser hob seinen König auf und zog sich zurück. »Die Schätze, die ihn zum Hochkönig im Feenland machen, gehören Abartach, gehören Abartach!« riefen sie, während sie abzogen. König Abartach ließ den Fian ein Festmahl bereiten, und Dermott geleitete Moriah hinzu und setzte sie an Finns Seite, und selbst wenn Finn keinen Sieg gewonnen hätte, wäre er glücklich gewesen, ein so schönes und anmutiges Wesen neben sich zu erblicken. Als die Harfen spielten, sang Moriah ein Lied; sie hatte es selbst gedichtet, und es war nur für Finn bestimmt. Es kündete ihm, wie eine Jungfrau aus dem Lande Unter Wasser von seinen Taten gehört und darob in heißer Liebe zu ihm entbrannt war. Und es schien, als ob Finn vergaß, daß er ein Krieger war, und sich erinnerte, daß er einstmals ein Dichter gewesen war. Wie dem auch sei, als die Harfen wieder erklangen, sang er selbst ein Lied auf Moriah. »Und ich will mit dir in Irland leben«, sprach sie zu ihm, und ihr Angesicht leuchtete von allem Glück der Welt. Am Morgen standen Finn und die Fian am schmalen Strand und schauten hinüber nach Irland. Auch Moriah schaute hinüber, hoch auf Schilden erhoben. »Welchen Lohn möchtest du von mir haben, Finn?« fragte Abartach. »Habe ich dir jemals einen Lohn bezahlt?« fragte Finn, »und deshalb ist keine Schuld zwischen uns.« »Sprich gefälligst für dich allein, Finn!« warf Conan mürrisch dazwischen. »Sprich du für die Fian, Conan!« sprach der König von Sorca. »Was für einen Lohn soll ich ihnen geben?« »Bring deine Mähre herbei und laß vierzehn Frauen deines Reiches auf ihren Rücken steigen, und hinüber mit ihnen nach Irland und quer durch! Und laß deine eigene Mähre – ich meine deine Königin – sich da halten, wo Liagan sich hielt!«
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Die Vierzehn, die auf der Mähre gesessen waren, belohnten Gonans Worte mit wieherndem Gelächter. Abartach lächelte. »Blicke deine Mannen an, Finn!« sprach er. Finn schaute hin zu seiner Fian und sie schauten auf ihn. Als sie sich wieder umwandten, waren sie nicht mehr auf dem schmalen Strand, sondern an einer weiten Bucht und erblickten die Berge von Kerry vor sich. Und Abartach war nicht mehr bei ihnen. »Zurück zum Hügel von Almu und zu unserem eigenen Heim!« befahl Finn. Seine Arme umfaßten Moriah. Er hob sie auf seinen Schild, um sie Irland sehen zu lassen. Und dann zogen sie mit lauten Jubelrufen und Gesängen nach Finns Haus auf den Hügel von Almu.
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Damit schloß Aë MacColman seine Geschichte. Am nächsten Tag waren weder Far Benn noch Far Calli geneigt, den Geschichten zu lauschen, die Colman MacAë und Aë MacColman ihnen erzählen wollten. Sie kannten jetzt zwei Geschichten; das verschaffte ihnen hinreichenden Stoff zur Unterhaltung, wenn sie so neben dem Wasserfall standen oder zwischen den Seehunden umhergingen oder unter dem Efeu der Klippe saßen. Die Erzähler blieben bei dem sonderbaren Paar, bis ihre Körper von dem bißchen Nahrung, das sie zu sich nahmen, ganz eingeschrumpft waren. Dann gaben sie die Hoffnung auf, den goldenen Ring und das Kampfroß aus Britannien zu bekommen, stiegen die Felsenklippe hinauf und schlugen die Straße nach König Donalds starker Burg ein. Sie vermochten ihre Enttäuschung zu überwinden; denn sie trafen auf ihrem Weg einige der gelehrten Männer, und ihre gute Laune stieg beträchtlich, als sie sich an die Verhandlungen der Zusammenkunft erinnerten: Geschichten von Finn und den Fian, Von Plünderung, Raubzug und Freiung, Von Tafeln beschrieben in Ogham, Spottreden und scharfsinnige Rätsel. Sprichwörter, Sprüche voll Macht, Die Wahrheitslehren von Fithai, Dunkle Lieder der Dinnsenchas, Die Lehren von Cormac und Kerbry. Später erfuhr man, was den wilden Männern an der Bucht zugestoßen war. Eines Herbsttages stand Far Calli am Wasserfall und wurde von einem Windstoß hinabgestoßen und ertrank. Far Benn bestattete ihn unter dem Efeu an der Klippe. Er selbst hörte jeden Tag nach diesem Ereignis den Schrei des Reihers, das Kreischen des Kormorans und den Ruf des Regenpfeifers, wenn er vom Nest auffliegt. Er wurde von heißer Angst ergriffen und brachte es nicht über sich, unter der Klippe Farannan weiterzuleben, und auch in dem Waldtal darüber nicht. Noch einmal machte er sich auf, zu wandern durch Irland.
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VIERTER TEIL
Prinz Suivné in Dun na Nee
EINES TAGES – es war aber gerade der dritte Jahrestag der Schlacht von Moy Rah – begegneten die Geschichtenerzähler dem König von Irland, als er eben von einer Königsfahrt zurückkehrte, und schlössen sich mit ändern ihres Ranges seinem Gefolge an. Glücklich und erwartungsvoll zogen sie des Weges weiter, bis sie die feste Burg Dun na Nee betraten. Colman MacAë und Aë MacColman dachten an Far Benn am Strand bei dem anderen wilden Mann. Wie großartig wäre es, ihn bei hellem Verstand zu sehen, wie er mit anderen seines Standes, umgeben von Hunden, Edelknaben und Männern jeglicher Kunst, nach Dun na Nee geritten käme! Und dann ihn innerhalb der Tore bei edlen Jungherren zu erblicken, die ihm Dienst leisteten. Und später dann ihn in seidenen Gewändern im Saal sitzen zu sehen, liebliche, edle, angesehene Frauen um ihn, und auf dem Tische vor ihm Becher, Kannen und Büffelhörner für Bier, Wein und Met! Und wie würde sich der König freuen, solch eine Rückkehr zu erleben! Trübselig, ohne freudigen Gedanken im Gemüt, saß der König von Irland an diesem Abend in seinem Saal. Woran dachte er wohl, als er am Jahrestag der Schlacht, in der er gesiegt hatte, so stumm dasaß? Seine Erzähler meinten, sie wüßten es genau. Dies war Dun na Nee, das er gebaut und das neben König Cormacs
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Saal von Tara im Gedächtnis der Menschen, wie er meinte, einen Platz bekommen sollte. Was für eine Geschichte würden wohl zukünftige Erzähler von Dun na Nee berichten? Bis jetzt war nur eine einzige Geschichte vorhanden. Die erzählte sich der König selbst, wie er so in seinem Saal saß. Das wußten die beiden Erzähler. Würden sie doch bald selbst übers Meer fahren und dort in Alba die Geschichte des Festmahls auf Dun na Nee und die Ereignisse, die zur Schlacht von Moy Rah führten, folgendermaßen erzählen:
Die Schlacht bei Moy Rah
Man sagte, es sei der Unterschied zwischen einem Gänseei auf einem silbernen Teller und einem Hühnerei auf einer Holzplatte gewesen, der zur Schlacht bei Moy Rah führte. Der Unterschied zwischen einem Gänseei auf Silber, von dem er glaubte, es gebühre ihm, und einem Hühnerei auf Holz, das ihm angeboten wurde, führte dazu, daß Congal Clen die Burg Dun na Nee im Zorn verließ, daß er in Alba und Britannien eine große Armee aushob, führte dazu, daß er diese Armee mit seinen eigenen Ultoniern vereinigte und gegen den König von Irland in den Krieg zog – so meinten die meisten. Diejenigen jedoch, die in die Angelegenheiten der Geschichte tiefer eingeweiht sind, wissen, daß noch ein anderer Grund vorhanden war: der Unterschied zwischen zwei Nebengerichten, die auf einem Festmahl angeboten wurden, genügte nicht, um eine solche Feindschaft zwischen einem Pflegesohn und einem Pflegevater herbeizuführen. Denn was die Menschen in Irland so er-
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regte, war weder die Größe der Streitkräfte, die bei Moy Rah aneinander gerieten, noch die Schäden der Zerstörung, die durch diese Schlacht entstanden, sondern die Tatsache, daß Congal gegen einen Mann kämpfte, der durch das stärkste aller Bande mit ihm verbunden war, das Band, das den Pflegesohn mit dem Pflegevater, den Pflegevater mit dem Pflegesohn verbindet. Überlassen wir jedoch die verborgene Ursache des Kampfes zwischen dem König und dem Fürsten der Enthüllung durch alte Männer und Geschichtsschreiber, wir wollen (so würden wohl unsere Geschichtenerzähler sagen) von dem berühmten Bankett singen und von dem, was daraus entstand. »König Donald hatte seine starke Burg Dun na Nee vollendet. ..«, so würden sie wohl anheben, wenn sie die Geschichte dem Fürsten von Alba erzählten. Er gab ein Festmahl, um die Vollendung der Burg zu feiern. Alle kleineren Könige waren eingeladen, alle ausgezeichneten Rechtslehrer, alle führenden Handwerker. Und der König bestimmte, daß jede Art von Speise und Trank, die jemals auf einem Bankett in Irland aufgetragen wurde, auf dem Festmahl von Dun na Nee aufgetischt werden sollte. Er hieß seine Kammerherren eine Liste solcher Speisen und solcher Getränke aufstellen, und die Kämmerer unterrichteten die Speisemeister, solche Speisen und Getränke in die Küche und in die Lagerräume schaffen zu lassen. Eine Art Speise war aber auf den Listen, die schwer zu beschaffen war, und das waren Gänseeier. Es war nicht die Jahreszeit, in der die Gänse gewohnt sind zu legen. Nichtsdestoweniger befahlen die Kämmerer des Königs den Speisemeistern, fern und weithin herumzuziehen über Land und eine genügende Menge Gänseeier für das Bankett mitzubringen. Sie zogen fern und weithin herum und suchten danach, aber nicht ein einziges Gänseei war im ganzen Lande Meath zu finden. Dann sahen sie, als sie so am Rande des Boyneflusses dahinschritten, eine Frau in schwarzer Haube, die eine Schar weiß- und graugefiederter Gänse dahintrieb. »Laßt uns dieser Frau folgen«, sprachen sie, »und vielleicht werden wir zu einem Ort gebracht, wo sich Gänseeier finden.«
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Sie schlugen einen Feldweg zu einer kleinen Hütte ein; die Gänse wackelten in ihr Ställchen und die Frau ging ins Haus. Als die Speisemeister in die Hütte blickten, sahen sie die Frau am Butterfaß und sahen mitten auf dem Boden eine Bütte, die mit Gänseeiern gefüllt war. »Oho«, riefen sie aus, »wir brauchen nicht weiterzugehen. Und wenn wir das ganze Land Meath durchsuchen würden, könnten wir keinen Platz finden, in dem so viele Gänseeier beisammen sind.« Sie gingen hinein. »Wir sind König Donalds Speisemeister«, sagten sie, »und wir sollen alle Gänseeier einsammeln, die hier sind, für ein Festmahl in König Donalds königlicher Behausung.« »Diese Eier müßt ihr hier bei mir lassen!« sprach die Frau. Schon aber hatten zwei Speisemeister Hand an die Bütte gelegt und hatten sie aus der Hütte getragen. »Wer hat ein besseres Anrecht auf diese Eier als der König, der heute die Vollendung seiner starken Burg und seines Palastes feiert?« sprachen sie zu der Frau. »Der, für den die Eier aufbewahrt wurden«, antwortete sie. »Wisset denn, daß sie für einen Einsiedler gesammelt worden sind, der in der Mitte des Boyneflusses fastet. Nichts anderes ißt er zwischen Tag und Dunkel als das Gänseei zusammen mit Wasserkresse. Und wenn ihr die Eier wegnehmt, wird er ohne Nahrung sein.« »Was ist schon der Bedarf eines Einsiedlers verglichen mit dem Bedürfnis eines Königs?« antworteten die Speisemeister grob. »Er wird sie verfluchen, die ihn der einzigen Nahrung, die er
einnimmt, berauben«, sprach die Frau, »und der Fluch eines Einsiedlers ist ein überaus verderblicher Fluch.« »Fluch oder kein Fluch«, sprachen die Speisemeister, »wir wollen an keiner anderen Türschwelle mehr suchen, alte Frau, wir wollen die Bütte mit Gänseeiern in die Küche des Königs bringen.« Nach diesen Worten an die sich sträubende Frau stimmten sie ein Schelmenlied an und zogen hinweg, die Bütte mit Gänseeiern zwischen sich. Die Wächter vor den Schanzen von Dun na Nee sahen einen Trupp Männer herankommen, von denen zwei eine Bütte zwischen sich trugen. Es waren die Speisemeister, aber die Wächter und die Türhüter sahen sie als Schreckgestalten, denn das Haar sträubte sich ihnen auf dem Kopf und ihre Gesichter sahen aus, als ob sie rauchgeschwärzt wären, mit Augen im Kopf, weiß wie Schnee. Sie gingen hinein. Sie überließen den Zuber den Kämmerern des Königs, und niemand erinnerte sich, jemals wieder etwas davon erblickt zu haben. Am Abend war der Einsiedler vom Fluß heraufgekommen und saß in der Hütte; die Wasserkresse lag vor ihm, er aber wartete auf sein Gänseei. Da erfuhr er von der Frau der Hütte, daß alle Eier für das Bankett des Königs geraubt worden seien. Nun ging der Einsiedler – Erc war sein Name – hinaus, wandte sich in der Richtung nach Dun na Nee und verfluchte es mit einem Fluch von äußerster Kraft. Die Menschen sagen, der Fluch eines Einsiedlers sei gleich dem Keil, den der Holzfäller in einen Baum treibt. Wenn eine Stelle da ist, wo er eindringen kann, wird er eindringen und den Baum fällen. Ist aber keine solche Stelle da, so wird er in das Gesicht desjenigen zurückfliegen, der ihn anwendet; gleich dem Keil, für den der Holzfäller keine Ansatzstelle finden kann, wird der Fluch das Auge desjenigen ausschlagen, der versucht hat, den Fluch zu benützen. Und daraufhin würden die Geschichtenerzähler von König Donalds Vergangenheit und seinen Ränken sprechen. Bevor Donald König von Irland wurde, als er noch König des kleinen Landgebietes von Tailtenn war, befand er sich einst in
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seinem Garten und sah Jünglinge dort hin- und herlaufen. Es waren Geiseln, die in verschiedenen Provinzen aus den königlichen Häusern mitgenommen worden waren; ihre Anwesenheit war Donald eine Gewähr dafür, daß ihre Väter ihm keinen Widerstand leisten würden. Von vielen mächtigen Königen hatte Donald Geiseln genommen, obwohl er selbst nur ein König dieses kleinen Landstriches war. Er sah einen Jüngling mit der Hand vor dem Gesicht dastehen. »Warum stehst du derart hier, Sohn?« sprach Donald zu ihm. Der Jüngling nahm die Hand von seinem Angesicht, und der König von Tailtenn sah, daß sein rechtes Auge geschlossen und geschwollen war. »Eine Biene aus deinem Bienenstock hat mich gestochen.« Da nahm Donald den Jüngling bei der Hand und brachte ihn zu seinem eigenen Leibarzt. Heilkräuter wurden auf die geschwollene Stelle gebracht, das Auge im Haupte des Burschen jedoch wurde nicht besser; es war schief gerückt, und seitdem wurde der Bursche »Gongal Clen« genannt, Congal Krummauge. Congal war der edelste der Geiseln, ein Ulidianer, aus einem Geschlecht, das bis auf die Zeit Connors und Cuchullins zurückging und das dem edelsten der Helden nach Cuchullin entstammte, nämlich Conall Carnach. Das alte ulidianische Königreich war unterworfen und verkleinert worden, jedoch diejenigen, die das Blut von Rury besaßen, fühlten immer noch, daß sie einen hohen Rang unter den Edlen von Irland einnahmen. Als Donald einen der Geiseln als Pflegesohn auswählen sollte, erwählte er Congal Clen. »Zwei Drittel einer adeligen Veranlagung kommen von dem Vorbild, das ein Pflegevater gibt«, so sagten die alten Weisen, und der Spruch zeigt, wie eng Pflegevater und Pflegesohn zusammenhängen sollten: der Pflegesohn schaut auf den Pflegevater in allem, was zu richtiger Männlichkeit und Vornehmheit führt, und der Pflegevater könnte erleben, wie auch sein eigenes Wesen durch den Sohn gebessert wird. Verrat oder schmähliches Handeln war zwischen ihnen nicht denkbar. So stark waren die Bande zwischen Donald und Congal Clen.
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Als Donald gezwungen war, als Verbannter von Irland Abschied zu nehmen, erlaubte er daher Congal Clen, mit ihm auszuziehen. Gemeinsam entrannen sie den Gefahren, denn Suivné Menn, der König von Irland, ergrimmte gegen Donald, der seine Unterwerfung nicht anerkannt hatte, sondern durch Irland gezogen war, um Verträge zu schließen und Geiseln zu nehmen und so sich auf gleichen Fuß mit dem ältesten der herrschenden Familie zu stellen, mit Suivné Menn, dem König von Irland. Nach Alba zogen die Verbannten hinüber; sie wurden dort vom König gut aufgenommen, jeder um seiner selbst willen. Denn Donald stand bei vielen Königen in hohem Ansehen, und ebenso Gongal als der Enkel des Königs von Alba, da seine Mutter jenes Königs Tochter war. Alba war zu jener Zeit ein aufblühendes Königreich; die Galen, die hinübergewandert waren, siegten dort über die Pikten und Sachsen und brachten das Königreich der Schotten zur Blüte. Und wenn Donald mit dem König von Alba zusammensaß, konnte Congal echten Königsgesprächen lauschen: wie ein König seinen Einfluß und sein Ansehen stärker und stärker machen kann, indem er den einen auf seine Seite zieht, den anderen unterwirft, der sich ihm entgegenstellt, und den Gegner vernichtet, der mit der Zeit gefährlich würde. Congal kam eines Tages dazu, als sein Pflegevater und sein Großvater beisammen saßen, und hörte seinen Großvater sprechen: »Du wirst an der Stelle deines Sippenältesten Suivné Menn König von Irland werden.« Und seinen Pflegevater hörte er sagen: »Ich schwöre bei den acht Elementen, bei Sonne und Mond, Tau und Meer, bei Himmel und Erde, bei Tag und Nacht, daß ich Euer Freund sein will und Euch niemals ein Angreifer werde.« Der Anblick der beiden Könige, die so miteinander sprachen, erregte das Gemüt von Congal Clen. Gleich einem jungen Adler, der an den Rand des Nestes taumelt und tief unter sich ein Land erblickt, schaute er das Königreich mit seinen offenen Grenzen und seinen Festungen. Und dieses Land war in gewisser Weise sein eigenes Erbe, denn auch er entstammte einem alten Geschlecht. Und er sehnte sich nach der Zeit, in der Donald ihn als König
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anerkennen und mit ihm sprechen würde, wie er mit dem anderen König gesprochen hatte, nach der Zeit, in der er, Congal, sagen würde: »Ich verstehe alles, was du möchtest, mein Pflegevater, und ich will dein Helfer und Verteidiger sein.« Späterhin sprach Donald häufig ernsthaft mit seinem Pflegesohn und erzählte ihm von seinen Plänen und von den großen Dingen, die er tun würde, wenn er König von Irland würde. Er würde den König von Ulidia zum König von ganz Ulster machen, wie zur Zeit Connors: sein Pflegesohn, der Nachkomme von Conall Carnach, würde dieser König werden. »Aber Suivné Menn, mein Sippenältester, wird noch viele Jahre lang leben«, sprach er. Dann durften Donald und Congal Clen wiederum nach Irland zurückkehren. Donald zog in sein eigenes Gebiet. Congal Clen dagegen wanderte ganz allein davon: er ging hin zu Suivné Menns Sitz. Er gelangte in den Garten, wo Donalds Sippenältester sich eben aufhielt, und durchbohrte ihn mit seinem Speer zu Tode. Und ehe noch Suivné Menns Leute erfaßten, was geschehen war, war Congal Clen entwischt, dahin, wo er nicht gesehen, nicht gefunden, nicht erreicht werden konnte. Die Königswürde von Irland wechselte zwischen den nördlichen und südlichen Geschlechtern von Nial ab. Nach dem Tode von Suivné Menn gelangte Donald als Haupt des nördlichen Zweiges zur Königswürde. Aber er regte keinen Finger, um Ulidia zu dem Königreich zu verhelfen, das es gewesen war. Sein Geist war nun mit Plänen zum Bau einer königlichen Feste und eines Palastes beschäftigt, die den königlichen Hochsitz von Tara ersetzen sollten, der seit hundert Jahren verlassen war. Und Congals Vater lebte immer noch, und es wäre an der Zeit, das Königreich Ulidia auszudehnen, wenn man Congal als König einsetzen wollte. Congal blieb weiter bei seinem Pflegevater. Jedoch erfuhr er häufig vom Ratgeber seines Vaters, daß Donald Zeichen der Freundschaft für den König eines Ulidia benachbarten Reiches gab, für Melohar, den König von Oriel. Endlich war die Burg Dun na Nee vollendet mit ihren großen
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Schanzmauern gleich denen von Tara, mit ihrem Festsaal, der wie König Cormacs Saal geplant war, und sogar mit einem Bau, wie ihn Cormac für seine Tochter Grania machen ließ. Dun na Nee war vollendet, und das Festmahl, das die Burg einweihen sollte als herrlichste aller königlichen Burgen und Paläste von Irland, wurde vorbereitet. An eben diesem Tage kam ein Bote zu Congal mit der Kunde vom Tode seines Vaters. Daraufhin begab sich Congal zu seinem Pflegevater und bat um einen Königsplatz beim Bankett. Donald sprach freundlich zu ihm, sagte jedoch, es sei nicht gehörig, daß er ihn als König anerkenne, bevor nicht die Versammlung seines eigenen Volkes ihn eingesetzt habe. Congal wußte nicht, was für eine Antwort er geben sollte: er ging still und stumm zu dem Mann, den sein Vater als Ratgeber gehabt hatte, zu Ger Gann. »Der König von Irland will das Land, das an Ulidia gehen sollte, dem Lande Oriel geben«, berichtete ihm Ger Gann. »Müßig ist es zu glauben, daß Conns Sippe den Aufstieg der Nachkommenschaft von Rury unterstützen wird. Niemals werden die Könige, die die Staatsmacht von Tara geerbt haben, die Provinz von Connor wieder groß werden lassen. Und wenn wir ein Königreich machen wollten, das des Nachkömmlings von Conall Carnach würdig wäre, so sollten wir uns nicht auf den König von Irland verlassen, sondern auf Könige jenseits des Meeres.« »Mein Pflegevater wird meine Sache niemals verraten«, sprach Congal Clen, und legte die Hand auf sein verschobenes Auge. »Er weiß doch, was ich für ihn getan habe.« »Dem mag so sein«, sprach Ger Gann, »aber es geht die Rede, daß er im Begriff ist, seine Tochter dem König von Oriel zur Ehe zu geben.« Dies Wort erschütterte Congal, denn er war zu Donalds Tochter in Liebe entbrannt: sein verschobenes Auge zuckte; ein Schmerz fuhr ihm mitten ins Herz. Bei den großen Festen war es Sitte, daß der König von Irland den König von Ulster an seine rechte Seite setzte und den König von Connacht an seine linke. Der König, der als Herrscher über
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Ulster anerkannt war, war in Dun na Nee nicht anwesend. Als Donald seinen Platz auf seinem goldenen Sitz einnahm, wurde der König von Connacht an seine linke Seite geleitet. Dann wurde zum Erstaunen der ganzen Versammlung der König von Oriel an seine rechte Seite gesetzt. Congal den sah Melohar an der Stelle des Königs von Ulster. Die Bediensteten trugen das erste Gericht des Mahles auf. Den Vornehmen neben Congal Clen wurde ein Gänseei auf einem silbernen Teller gebracht. Und dann – wohl aus Versehen (vielleicht bekam durch dieses Versehen der Fluch des Einsiedlers Macht) – wurde ein Hühnerei auf einer hölzernen Platte vor Congal gesetzt. Dies war ein Schimpf, so dachte Congal, ein Schimpf von Seiten des Königs, der bereit war, Melohar zum König von Ulster zu machen und ihm seine Tochter, die Congal liebte, zur Ehe zu geben; ein Schimpf von Seiten des Königs, dessen Erhebung auf den Thron er zuwege gebracht hatte, als er den rechtmäßigen König von Irland erschlug! Congal schüttelte es vor Wut. Er sprang auf und verließ den Festsaal und ließ Dun na Nee hinter sich. Donald sandte ihm Boten nach. Congal jedoch stieß sie mit bitteren Worten von sich. Wie ein Flüchtling eilte er weiter und wanderte Nacht und Tag. Er kam nach Ulidia und ging in das Haus seines Oheims, der aus einem Geschlecht stammte, das außerhalb der Christenheit geblieben war; Kellach war sein Name. Kellach war sehr alt; er konnte nicht mehr gehen, er war sehr schwerhörig; er mußte das Bett hüten. Als er aber vernahm, was auf Dun na Nee geschehen war, da zog er das Schwert, das er unter seinem Lager versteckt hielt, hervor und rief aus: »Ich schwöre bei den Göttern, bei denen die Ultonier schworen, wenn du, Congal, etwas anderes Donald anbietest als eine Schlacht, dann werden alle Männer von Ulster dich nicht vor diesem Schwert retten können, das ich in den Händen halte. Ich will es dir ins Herz stoßen. Krieg gegen die Nachkommen von Gönn! Kampf um Connors Provinz gegen den Emporkömmling Tara! Fahr übers Meer nach Alba und rufe eine
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Armee zusammen und vereinige sie mit den Ulidiern und den Männern von Dalria, die sich nicht länger Donald unterwerfen werden; komm zu mir zurück, wenn das Schwert, das ich jetzt dir in die Hand lege, diesen Emporkömmling erschlagen hat.« Wie ein Sturmwind fuhr der tollkühne Congal Clen übers Meer nach Alba. Der König von Alba wollte wegen seiner Verpflichtungen gegenüber Donald sich ihm nicht anschließen, erlaubte jedoch seinen Söhnen, Heere auszuheben und nach Irland hinüberzuziehen und sich mit denjenigen zu verbinden, die bereit waren, gegen den König von Irland zu kämpfen. Und so trat Congal an der Spitze eines großen Heereszuges seinem Pflegevater bei Moy Rah entgegen. Es traf sich, daß ein Jüngling, der in Donalds Haus gleichzeitig mit Congal in Pflegschaft gewesen war, in der Nähe von Moy Rah lebte. Sein Name war Cuanna. Man hatte jedoch gemerkt, daß Cuanna ein Dümmling war; es geziemte sich nicht, daß ein Dümmling von einem König in Pflege genommen wurde, und deshalb war er nach Hause geschickt worden. Der einfältige Jüngling hielt dennoch sich für den Pflegesohn von Donald. Als er hörte, daß demjenigen, den er für seinen Pflegevater hielt, Kampf angeboten wurde, suchte er sich einen Speer und begab sich auf das Schlachtfeld von Moy Rah. Er trat in die Schlacht am dritten Tage ein und fand sich vor Congal Clen.
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Und als Congal Cuanna erblickte, rief er aus: »Groß ist die Bosheit und gewaltig das Aufgebot, das Dümmlinge und Narren am heutigen Tage gegen mich stellt!« Congal Clen hatte den vielfarbigen Waffenrock an, den sein Pflegevater vor langer Zeit ihm geschenkt hatte. Cuanna erinnerte sich an den Waffenrock und erkannte ihn deshalb. Und als nun Congal sich hochmütig abwandte, da stemmte der Dümmling seinen Fuß gegen einen Stein, legte den Finger in die Schlinge seines Speers und tat einen Wurf. Der Speer drang Congal in den Rükken; er stolperte, ging aber weiter mit dem Schwert in der Hand. Wie er sich so seinen Weg nach der Stelle bahnte, wo Donald stand, traf er Angesicht zu Angesicht auf Melohar. Und obgleich er nun bereits schwach wurde von der Wunde, die Cuanna ihm beigebracht, brach Congal in Gelächter aus: »Da kommt endlich der Held, dessen feiges Kämpfen das Vorbild der wunderbaren, kampfvermeidenden Heldentaten Donalds ist, der selbst dem Kampf ausweicht!« Melohar griff ihn Schwert gegen Schwert an, und der verwundete Congal war kaum imstande, sich zu verteidigen. Daraufhin gingen die Banner der Ulidier, der Briten, der Sachsen, der Albaner, der gelbe Löwe auf grünem Tuch, das gestreifte Blau und Weiß, das Gelb und Rot, das Rot und Grün, zurück, und Congal Clen ward nie mehr gesehen, bis er unter den Toten auf dem Schlachtfeld von Moy Rah gefunden wurde.
Dies war die Geschichte, die sie erzählen würden, wenn sie nach Alba hinüberführen, so dachten Colman MacAë und Aë MacColman, und dies war die Geschichte, über der, wie sie wußten, König Donald brütete, als er so in dem Saale saß, den er nach dem Vorbild von König Cormacs Saal in Tara gebaut hatte. Es entstand ein Getümmel draußen vor dem Tor. Der König unterschied Stimmen mit jener Schärfe des Ohres, die die Abkömmlinge von Ainmire auszeichneten: »Was ich höre«, sprach er, »ist
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nicht ein junger Fuchs, der sich einem Schäfer nähert, noch ein Kerl, der einer Königin auflauert, noch ein Hirsch, der Mitte Juni in ein Roggenfeld einbricht; es möchte aber ein Einsiedler sein, der über etwas murrt, das ihm mißfallen hat.« Er hieß einen seiner Dienstmannen hinausgehen und jenen in den Saal bringen, der von den Türhütern zurückgehalten würde. Das Paar, das nun in den Saal von Dun na Nee gebracht wurde, war nahezu von gleicher Wildheit. Der eine war mager und in Lumpen, und der andere war stämmig; dieser trug ein einziges sauberes Gewand, war aber nackt an Beinen, Füßen und Armen. Sobald Colman MacAë und Aë MacColman ihn erblickten, erkannten sie den mageren, zerlumpten Mann. »Es ist Suivné«, riefen sie dem König zu. »Der andere ist der Einsiedler Erc, der das Bankett verfluchte«, belehrte sie der König. Suivné erwiderte höfisch, wenn auch scheu den Willkommensgruß, den der König ihm bot, der Einsiedler dagegen stand knurrend und stirnrunzelnd dabei. Dann begann er mit lauter, knarrender Stimme zu sprechen: »Der hier, wer es auch sein mag, stört meine Gebete, wenn ich in der Mitte des Flusses Boyne stehe, er stört mich auch, wenn ich mich in die Hütte zurückziehe, um die einzige Mahlzeit, die ich mir gönne, ein Gänseei, zu verzehren. Er störte mich, als er kam, um Wasserkresse in der Nähe des Platzes, wo ich im Fluß wohne, zu sammeln. Er stört mich dauernd weiter, indem er mir erklärt, daß ich, Erc, kein Einsiedler sei, da ich in einem Bett schlafe und täglich ein Gänseei verzehre. Ein Einsiedler, so behauptet er, hat auf Bäumen zu schlafen und sein Mahl mit Wasserkresse und nichts anderem zu bestreiten. Ich bin mit ihm zu dir, König von Irland, gekommen, um dich zu bitten, ein Urteil zu fällen, das feststellt, ob ich ein Einsiedler bin.« Suivné schüttelte den Kopf und sprach: «Ich habe ihm gesagt, dies sei keine Stunde für ein Königsurteil.« »Warum denn nicht?« forschte der Einsiedler. »Es ist die Stunde, in der der König seine Freunde bewirtet«,
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antwortete der König von Irland. »Da stehen Tische für alle, die in den Saal von Dun na Nee kommen«, sprach er weiter zu den beiden kaum bekleideten Männern, und es lag so viel gebieterische Kraft in der Art, in der er sie aufforderte, daß Suivné und sogar Erc sich an den Tischen niederließen. Gebratene Enten auf silbernem Teller wurden ihnen vorgesetzt. Sie aßen jedoch jeder nur die Kräuter, mit denen die Platte umkränzt war. Dann spielte der Harfner die Musik, die den Abkömmlingen von Ainmirë lieb war. Suivné senkte sein Haupt, und Tränen rannen sein Gesicht herab. Der Einsiedler trommelte mit der Faust sich auf den Brustkasten, wie eine Rohrdommel. Als der Harfner zu Ende war, sprach der König:
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»Ich habe einen Wunsch, Geschichten zu hören, die mit königlichen Burgen anderer Zeiten zu tun haben. Möge es doch Dun na Nee vergönnt sein, ebenso viele herzerhebende Geschichten aus seiner Vergangenheit zu hören wie Tara, die Burg des Königs Cormac.« »So soll es sein! So soll es sein!« riefen die Edlen und Gelehrten, die anwesend waren, und während Suivné Augen voll trauriger Erinerung auf sie wandte und der Einsiedler Erc immer finsterer und finsterer die Stirne runzelte, traten die zwei Erzähler vor den Sitz des Königs, und der größere der beiden, Colman MacAë, erzählte mit seiner tiefen Stimme die Geschichte von der Tochter des Königs von Irland.
Die Tochter des Königs von Irland
Sehr früh am Morgen war es, unterhalb Finn MacCuls Hof Almu in Leinster; Finn selbst stand dort und zwei seiner Anführer, die ihn gefunden hatten, wie er zwischen Licht und Dunkel umherstreifte. »Was ist die Ursache, daß du so früh aufstehst, Finn?« fragte ihn einer. »Wem ein geliebtes Weib fehlt, der ist es gewohnt, ohne Schlummer und süßen Schlaf zu sein«, sagte Finn. »Dann ist ein Mann einsam und ratlos. Auf jeden Fall ist es so bei mir, seitdem Mauness, die Tochter von Garad, gestorben ist.« »Was zwingt dich denn, ohne Weib oder Genossin zu sein?« sagten sie zu ihm. »Hattest du doch ein Weib vor Mauness, und ein Weib vor jener wiederum. Und es gibt keine Frau oder kein Mädchen auf dem grünrasigen Eiland von Eirinn, die wir dir nicht bringen wollten, wenn du deine Augen auf sie richtest.«
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»Und ich«, sagte einer, »könnte dir ein Mädchen zeigen, das vor jeder anderen eine passende Frau für dich wäre.« »Wen hast du im Sinn?« fragte Finn. »Die Tochter des Königs von Irland, Grania.« Finn wurde nachdenklich. Nach einer Weile erwiderte er: »Seit einer geraumen Weile liegt eine Kluft von Mißverständnissen zwischen König Cormac und mir, und wenn mir eine Absage gegeben würde, so wäre die Weite des Shannon zwischen uns. Würdet ihr«, so sprach er weiter zu den zwei Männern, »nach Tara gehen und mit König Cormac über die Angelegenheit sprechen? Wenn er sich weigert, brauchte niemand sonst davon gehört zu haben.« »Wir wollen nach Tara gehen«, sprachen die zwei, »und du, Finn, sprich nicht über unser Vorhaben, ehe wir nicht bei König Cormac ein günstiges Gehör finden.« Die beiden, die mit Finn an jenem frühen Morgen sprachen, waren Ushin, der Dichter, Finns Sohn, und Dunach MacMorna, der Druide. Von ihrer Reise nach Tara wird nichts berichtet. Aber sie erreichten Tara; sie wurden vor König Cormac geführt. »Es gibt keinen Königssohn, Helden oder Kämpfer in Irland, dem meine Tochter nicht bereits eine Absage gegeben hat«, sprach der König, als sie ihm ihre Botschaft ausrichteten. »Und jeder einzelne von ihnen«, fuhr er fort, »schiebt die Schuld an der Weigerung auf mich.« Es war leicht zu sehen, daß der König über diese Angelegenheit in großer Verlegenheit war. »Ich lade euch ein, meine Tochter zu besuchen«, sprach er und legte seine Hände auf die Schultern der Gesandten. »Es ist besser, daß ihr ihre eigenen Worte hört, als daß Finn MacCul ein schlimmes Gefühl gegen mich hätte.« Deshalb brachte er Ushin und Dunach MacMorna in die Frauengemächer und in Granias eigenes Haus, das ein Fenster aus blauem Glas hatte. Und er ließ Grania Brot und Fleisch und Wein bringen, auf daß sie speisen und Vertrauen zueinander fänden. Er selbst setzte sich auf das Lager neben seine Tochter. »Hier, o Grania«, sprach König Cormac, »sind zwei der Leute
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von Finn MacCul. Sie sind gekommen, um dich zu bitten, du mögest Finn als Gemahl in Aussicht nehmen. Was für eine Antwort wünschest du zu geben, meine Tochter?« »Wenn er ein passender Schwiegersohn für dich ist, warum sollte er nicht ein passender Gemahl für mich sein?« entgegnete Grania. »Es gibt kein Wenn, soweit ich beteiligt bin«, sprach der König. Darauf gab Grania keine Antwort. Sie hatte einen dünnen Reif von Gold um ihr Haupt und trug ein Stück Bernstein am Hals, und MacMorna, der Druide, dachte, daß Grania gleich dem Bernstein und dem Golde fein und selten sei, aber unberechenbar in ihrem Besitz. Er dachte weiter, sie sei des Umgangs mit ihren Frauen müde. Ushin, der Dichter, musterte Grania genau, damit er imstande sei, von ihr zu sprechen, wenn er nach Almu zurückkäme. Sie war so jung wie seine eigene Mutter, als sie ihn zur Welt brachte, überlegte Ushin. Sie war jünger als die anderen zwei Frauen, die Finn gehabt hatte, selbst in ihren jüngsten Jahren. Ihre Finger mit den geröteten Nägeln waren lang, ihre Hände schmal; sie war hoch gewachsen vom Knöchel bis zum Knie, vom Knie bis zum Schenkel. Ihre Lippen waren rot, aber sehr dünn, ihre Augen hell, aber nicht tief. Sie betrachtete die Männer und schaute stetig auf ihren Vater, jedoch wie eine, die ihre Gedanken für sich behält. Sie würde ein passendes Weib für Finn sein, sprach Ushin bei sich, denn sie war schön anzusehen und klar und verständig in allem, was sie sagte, und auf jede Weise zeigte sie die Würde einer Königstochter. Alles ging gut; sie speisten und wurden vertraut miteinander. König Cormac sah fröhlich drein, als er einen Abend bestimmte, an dem Finn und seine Leute zum Gastmahl nach Tara kommen sollten. In der Gegenwart von Finns Leuten und den Edlen und Führern von Cormacs Gebiet würde Granias Hand in Finns Hand gelegt. »Ich habe Finn niemals gesehen«, sprach Grania, »wer von euch beiden ist ihm ähnlich?«
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»Er sollte mir ähnlich sein«, sprach Ushin, «da er ja mein Vater ist und ich sein Sohn.« »Ja«, erwiderte Grania, »Finn hat einen Sohn, der ein Alter erreicht hat, in dem er so berühmt sein kann wie du, Ushin.« Dann machten sich Ushin und MacMorna auf den Weg nach Almu in Leinster zurück, kamen an Finns Hof, erzählten ihm von der günstigen Aufnahme, die ihnen gewährt worden war, und berichteten von Granias Aussehen und Haltung und Worten. Späterhin kündigte Finn das Gastmahl an, zu dem sie in Tara eingeladen worden waren, und als die Fian erfuhren, zu welchem Zweck das Gastmahl angesetzt war, stießen sie drei Jubelrufe aus, um ihren Führer MacCul zu ehren. Nun, wie jedes Ding dahingeht, so ging auch die Zeit bis zum Gastmahl dahin, und der Tag kam, an dem Finn mit seinen auserwählten Führern Almu verließ, um nach Tara zu ziehen. Eine fröhliche und farbige Gesellschaft waren sie. Sie durchzogen die Ebene von Leinster, und nichts wird von ihnen berichtet, bis sie den Midcuarta betraten, Cormacs großen Saal in Tara. Der König von Irland saß auf dem erhöhten Teil, der in der Gestalt eines Bogens in der Mitte des Saales war und den oberen und unteren Teil des Saales beherrschte. Seine Gemahlin saß zu seiner linken Seite und seine Tochter Grania zur linken Seite ihrer Mutter. Finn MacCul saß an des Königs rechter Seite, und der Druide MacMorna an seiner Seite. Gegenüber saßen in der Halle Kerbry, Cormacs Sohn, und Ushin neben ihm. Und im ganzen Raum des Saales waren die Führer der Fian und die Edlen von Irland verteilt, jeder gemäß seinem Rang und Vatererbe. Ohne viel Lärm oder Störung wurden alle bedient. Zwischen denjenigen, die neben dem König saßen, erhob sich edle Rede hin und her. Dunach MacMorna sang im Verlauf des Gastmahls für Grania die Lieder und Verse und melodischen Dichtungen ihrer Väter und Ahnen, die Gesänge über ihre Heimat Cruachan, aus der die Könige von Irland nach Tara gekommen waren.
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Nachdem Grania eine Weile darauf gelauscht hatte, sprach sie: »Was ist der Grund für Finns Ankunft in Tara an diesem Abend?» »Wenn es dir nicht bekannt ist«, sprach der Druide, »dann wundere dich nicht, wenn es mir ebenfalls unbekannt ist.« »Ich begehre es von dir zu hören.« »Finn ist nach Tara gekommen, um dich selbst als Gemahlin und Genossin zu erbitten.« »Es wundert mich, daß er mich nicht für einen Mann wie Ushin erbitten möchte«, erwiderte Grania, »denn es ist viel passender, daß ich mit einem Mann wie Ushin vermählt werde als mit einem Mann, der so alt wie mein Vater ist.« Der Druide schwieg zu diesem Wort, und Grania sprach weiter: »Wer ist der Krieger, der genau unterhalb Ushins Platz sitzt?« »Goll MacMorna, der tätige und tapfere.« »Wer ist der anmutige Mann an Golls Schulter?« »Keltia MacRonan.« »Wer ist der hochmütig dreinblickende Krieger an MacRonans Schulter?« »MacLugy, der Schwestersohn Finn MacCuls.« »Wer ist der junge Krieger an der anderen Seite von Ushin? Ich meine den mit den rötlichen Wangen und dem schwarzen Haar?« »Es ist Dermott, der Enkel von Divna, ein Liebling der Frauen und Jungfrauen, und ein Sterblicher, den Angus aus dem Feenhügel gnädig begünstigt.« »Das muß ja wohl O'Divna vor allen übrigen von euch auszeichnen«, sprach Grania. »Mich dünkt, kein anderer von den Fian wird von einem Unsterblichen geliebt. Wer ist an Dermotts Seite?« »Dorring. Er ist ein sehr geschickter Wundarzt.« »Was für eine prächtige Gesellschaft ist hier versammelt!« sprach Grania. »Aber der Vornehmste von allen ist der an Eures Vaters Schulter.« »Ah, Finn!« sprach Grania. »Glaube nicht, du müßtest mich an Finn erinnern.« Jedoch, als ob sie an ihn erinnert worden wäre, rief sie ihre
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vertrauteste Dienerin herbei und hieß sie den juwelenbesetzten Becher bringen, der in ihrem Gemach hinter dem Baldachin stand, ihren eigenen Becher. Die Dienerin brachte ihn, und Grania füllte ihn. »Bringe diesen goldenen Becher zuerst zu Finn«, sprach sie zu ihrer Dienerin, »und bitte ihn, einen Schluck daraus zu trinken, und laß ihn wissen, daß er von mir gesandt wird.« Der Becher enthielt einen Trunk für neunmal neun Männer. In den Trank mischte Grania listig einen stark wirkenden Saft. Finn lachte, als er einen Schluck daraus trank. Bald aber fiel er in eine Betäubung und dann in einen Schlummer. Der Becher wurde herumgereicht. Cormac nahm den Becher und trank und fiel ebenfalls in einen Schlummer; ebenso Cormacs Gemahlin, Königin Etche. »Bringe den Becher zu Kerbry und bitte ihn, daraus zu trinken; sage ihm, er komme von Grania, und bitte ihn, den Becher den Edlen rings um ihn weiterzureichen.« Die Dienerin tat nach Granias Geheiß. Als Kerby getrunken hatte, war er kaum imstande, den Becher seinem Nachbarn weiterzugeben. Alle, die daraus tranken, fielen in einen tiefen Schlummer. Darauf verließ Grania ihren Platz und ging dorthin, wo Dermott saß. Sie stand an seiner Seite und sprach: »Willst du Liebesdienst von mir annehmen, Dermott?« »Ich darf nicht«, erwiderte Dermott, »da du ja meinem Führer, Finn, anverlobt bist.« »Das ist noch nicht geschehen«, sprach Grania. »Willst du Liebeswerbung von mir annehmen, O'Divna?« »Ich will nicht, Grania, weil du mich nicht kennst, da du mich doch nur einmal, dieses eine Mal, gesehen hast.« »Ich habe dich zuvor gesehen, O'Divna, bei einer besonderen Gelegenheit. Es war der Ballwettkampf zwischen den Fian und den Männern von Tara, als du das Wettspiel für die Fian gewonnen hattest, indem du zwei Tore gegen meinen Bruder Kerbry geworfen hast. Willst du meine Werbung annehmen?«
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»Ich will nicht. Finn würde dadurch gedemütigt werden, und ich bin nicht geneigt, meinen Führer zu demütigen.« »Dann«, sprach Grania, »binde ich dich durch die Kraft des alten Druidentums, O'Divna. Ich binde dich und verpflichte dich, mich noch heute nacht aus diesem Hause zu entführen, bevor Finn MacCul und der König von Irland wieder aus ihrem Schlummer erwachen.« »Böse bist du, daß du mir solche Verpflichtung auferlegst«, rief Dermott aus. »Und warum legst du sie gerade mir auf anstatt den Söhnen von Königen und hohen Fürsten, die heute nacht in diesem königlichen Hause weilen?« fügte er fragend hinzu. »Weil kein Mann in ganz Irland lebt, von dem ich möchte, daß er mich als Gemahlin nimmt, außer dir, Dermott O'Divna. Du und mein Vater beobachteten das Wettspiel, das ich durch mein Fenster aus blauem Glas mit ansah. Einer der Kämpfer der Fian wurde geschlagen, und das Spiel war gegen sie. Dann sprangst du auf, nahmst das Schlagholz einem aus der Hand, der gerade dort stand, gingest in das Spiel und gewannst es für die Fian. Seit jener Zeit schenkte ich niemals meine Liebe einem Mann außer dir allein, Dermott, und ich werde auch nie einem anderen meine Liebe schenken, was auch komme oder gehe.« »Ushin«, sprach Dermott, »was kann ich gegen die Verpflichtung tun, die mir auferlegt worden ist?« »Deine Ehre verlangt es jetzt, daß du diese Verpflichtung erfüllst«, erwiderte Ushin. »Geh mit Grania, hüte dich aber sehr vor den Listen und der Kraft von Finn.« »Was für einen Rat gibst du mir, Keltia?« »Ich habe eine tüchtige Gemahlin, und doch möchte ich allem Reichtum und Ruhm der ganzen Welt vorziehen, daß mir Cormacs Tochter ihre Liebe angeboten hätte.« »Was für einen Rat, O'Dorring, gibst du mir?« »Geh mit Grania, wenn auch der Tod daraus erfolgt und ich deswegen in tiefen Kummer gerate.« »Ist dies der Rat von euch allen?« »Ja, das ist er«, sprach Ushin, und alle anderen sprachen es mit.
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Dann streckte Dermott die Hände aus und nahm Abschied von Ushin und den Führern der Fian. Es war kein Wunder, daß er bei dieser Gelegenheit weinte; er verließ diese große Freundesschar für immer und ewig. Nun hütete in der Nacht, da Finn in Tara war, er selbst die Schlüssel zu der Burgmauer und deshalb konnte niemand den königlichen Umkreis verlassen. Dermott schaute nach dem Hochsitz, wo der König und die Königin, Finn und MacMorna im Schlummer lagen, er schaute nach den anderen Teilen des Saales, wo diejenigen schliefen, denen man den Becher gereicht hatte. Dermott dachte, sie würden erwachen, und ihn und Grania im Saale finden, denn es gab keine Möglichkeit, über die Wälle hinauszugelangen. Grania führte Dermott hinauf zum königlichen Sitz. Dahinter führte der Weg zu ihrem eigenen Haus. Sie durchschritten es und gelangten in einen Garten, der mit einer hölzernen Pforte verschlossen war. »Mein Eid als einer der Fian erlaubt mir nicht«, sprach Dermott, »durch eine niedrige Pforte zu gehen.« Grania jedoch ging auf die andere Seite der Pforte und rief ihn zu sich. »Ich weiß, o Grania«, sprach Dermott mit schwerem Gemüt, »daß der Gang, auf den du dich nun begibst, nicht für eine Königstochter geeignet ist. Ich weiß nicht, zu welchem Winkel oder Zufluchtsort oder fernem Versteck von Irland ich dich bringen kann, um vor MacCuls Rache sicher zu sein.« »Es ist gewiß, daß ich nicht zurückkommen will«, sprach Grania, »und daß ich nicht von dir scheiden will, bis der Tod mich von dir trennt.« »Dann will ich dich nicht bitten, zurückzukommen«, sprach Dermott. Er legte die Hände auf die Schäfte seiner beiden Speere, schwang sich hoch auf und über die Mauer hinweg. Er stand draußen auf dem grasgrünen Grund der Ebene jenseits der Burgwälle. Grania stand an seiner Seite. »Vorwärts, o Grania«, sprach Dermott und faltete seinen Mantel um sie. »Wir müssen weit weg sein und wohl verborgen
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um die Zeit, da Finn MacCul seine Waffe in die Hand nimmt.« Die Männer in der Halle erwachten am frühen Tage, und es dauerte nicht lange, bis Finn und den anderen offenbar wurde, daß Grania und Dermott sich weggestohlen hatten. Finn stand und schaute in den Becher, der den Trunk enthielt, den Grania ihm geschickt hatte. Gormac und Kerbry gingen aus der Halle, immer noch aber stand Finn und blickte in den Becher. Die Frauen klagten um die verschwundene Grania, Finn jedoch stand regungslos da. Die übrigen Männer der Fian sammelten sich und zogen hinaus auf die Wälle, Finn aber stand still und schaute immer noch in den Becher. Aber endlich ging er hinaus und rief seine Fährtensucher; er hieß sie Dermott und Grania verfolgen und ihm den Ort zeigen, wo sie seien. Dann nahm er seine Waffe auf, gab einen Befehl an die Krieger der Fian, die dort waren, und zog mit ihnen hinter den Kundschaftern drein. Dermott und Grania waren schon eine Meile über Tara hinaus, als Grania sprach: »Ich bin müde, O'Divna.« »Deines Vaters Haus ist nicht weit hinter uns«, antwortete Dermott. »Überlege es dir, Grania! Noch kann ich dich zurückbringen, ohne daß Finn oder dein Vater erfahren, daß wir uns auf diesen Weg begeben haben.« »Nein, O'Divna, tue lieber folgendes:« sprach Grania. »Geh lieber zurück, dahin, wo meines Vaters Pferde stehen und ihre Wagen daneben. Nimm Pferde und einen Wagen und komme hierher zurück, wo ich auf dich warten werde.« Dermott ging zurück. Er schirrte ein Paar Pferde an einen Wagen und fuhr dorthin zurück, wo er Grania gelassen hatte. Sie war dort geblieben. Er hob sie in den Wagen und fuhr durch die Finsternis weiter, stetig mit der Richtung nach Westen. Die Sonne ging auf, und Dermott trieb die Rosse vorwärts. Es war bereits heller Tag, als sie zum Shannonfluß gelangten. Dermott führte ein Roß hinüber und ließ das andere zurück; es konnte laufen, wohin
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es wollte, flußauf oder flußab. Den Wagen zertrümmerte er und warf die Stücke davon in tiefe Stellen des Flusses. Er hob Grania auf und trug sie durch die Furt. Und nun befanden sie sich in Connacht, wo viele unbekannte und verborgene Orte waren. Als Finns Kundschafter zum Fluß kamen, fanden sie keine Spur mehr, der sie folgen konnten. Finn aber herrschte sie an, er würde sie zu beiden Seiten der Furt aufhängen, wenn sie keine Spur mehr fänden. Was konnten sie anderes tun, als wie Jagdhunde auf und ab zu laufen, bis sie die Spur wieder fanden? So verfolgten sie Dermott und Grania, die Späher und Finn mit seiner Schar. Aber Ushin nahm Bran, Finns kluge Hündin, und setzte sie auf die Spur, wohl wissend, daß sie das verfolgte Paar vor den Verfolgern warnen würde, sobald sie zu Dermott und Grania käme. Bran erreichte sie in dem Augenblick, als Dermott und Grania sich ausruhten, und legte ihren Kopf an Dermotts Brust. »Dies ist Finns Hund, und die Fian sind nahe bei uns«, sprach er. Grania erschauerte bei dem Gedanken, daß sie von Dermott weggerissen und er vor ihren Augen erschlagen würde. »Laß dich warnen und fliehe!« rief sie. Und die beiden, die nun wußten, daß sie auf der ganzen Welt nur mehr sich allein hatten, eilten davon, weg von der Stelle, von der Bran herkam. Sie flohen von Versteck zu Versteck, an diesem Tag und dem nächsten Tag und dem übernächsten. Obgleich die Späher ihnen näher kamen, fanden Dermotts Freunde unter den Fian immer wieder Mittel, sie zu warnen. Ein Tag zog herauf, an dem der Teil eines Waldes, in dem sie versteckt lagen, nahezu umzingelt war, so daß die Späher Finn schworen, sie würden ihm Dermotts Haupt bringen; da ließ Keltia seinen Knappen mit der lauten Stimme den Jagdruf der Fian ausstoßen. Die beiden entwichen aus dem Walde und fanden Schlupfwinkel, worin sie sich verbergen konnten. Finn zog zurück nach seinem Hof in Almu. Seine Eifersucht auf Grania und sein Haß gegen Dermott minderten sich jedoch nicht. Er legte den Bann auf Dermott als Waldräuber und als Geächteten, der sich vor ihm verbarg.
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Da hatten Dermott und Grania eine Ruhepause vor der Verfolgung. Der Herrscher eines Gebietes, zu dem sie kamen, erlaubte ihnen, eine Hütte zu bauen, zu jagen, zu fischen und die wilden Früchte in seinem Land zu sammeln. Zwölf Monate lebten sie dort. Eines abends, als Dermott gerade Binsen und weiche Tannenspitzen als Bett aufstreute, und Grania an einem Wasserlauf einen Lachs kochte, sahen sie eine leuchtende Gestalt auf der Waldlichtung, und Dermott erkannte sie als Angus, seinen Pflegevater. Nachdem Angus sie begrüßt hatte, richtete er einen ernsten und gütigen Blick auf sie und sprach: »Mein Ratschlag ist, daß ihr fliehet von diesem Ort und von jedem Ort, an dem ihr bekannt seid, und wenn ihr hierhin und dorthin zieht, so betretet niemals eine Höhle, die nur einen einzigen Ausgang hat, und betretet nie eine Insel, von der es nur eine einzige Fahrrinne zum Festland gibt. Wo immer ihr kocht, sollt ihr nicht speisen; wo immer ihr eure Mahlzeit verzehrt, sollt ihr nicht schlafen; wo immer ihr schlaft, da sollt ihr am Morgen nichts zu euch nehmen.« Angus verließ sie, und beim ersten Tageslicht verließen Dermott und Grania den Ort, an dem sie Zuflucht gefunden hatten. Der wilde Hirsch war ihre Speise und das Wasser von Quellen war ihr Getränk. Sie durchstreiften Irland, und Dermott verschaffte den Lebensunterhalt mit der Kraft seiner Hand und der Schärfe seines Schwertes. Was Finn MacCul betrifft, so gab er seinen Auftrag nur einer Person, seiner Späherin und Spürerin Derdre. Sie wanderte für ihn auf und ab in Irland umher, spürte heraus, wo Dermott und Grania unterschlüpften und wer ihre Freunde und Feinde waren. Und durch Derdre sandte Finn Botschaft an frühere Feinde seines Clans, Männer des aufgelösten Clan Morna, die mit Freuden Frieden mit ihm schließen wollten. Als dann eines Tages das Hauptfähnlein der Fian mit ihm auf Almu stand, erblickten sie eine Kriegerschar, die auf sie zukam. »Unsere Väter waren bei der Schlacht von Knuka und der
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Ermordung Culs«, sprachen die Männer, »und nun begehren wir Frieden zu machen und von Finn die Plätze in der Fian zu erhalten, in der unsere Väter dienten.« »Ihr müßt Buße für die Ermordung Culs geben«, antwortete ihnen Finn. »Wir haben kein Gold noch Silber noch Viehherden zu geben, Finn.« »Verlange keine Buße von ihnen«, sprach Ushin zu seinem Vater. »Ihre Väter fielen bei Knuka, und das sollte Buße genug dafür sein, daß dein Vater erschlagen wurde.« »Mich dünkt«, sprach Finn, »wenn irgend jemand mich erschla-
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gen sollte, so wäre es wohl eine leichte Sache, mit meinem Sohn über die Vergeltung einig zu werden. Trotz allem aber soll keiner in die Fian kommen, ohne mir Buße zu geben.« »Welche Art von Vergeltung möchtest du denn von uns haben. Finn?« fragte der Führer der Schar. »Ich verlange das Haupt eines Kriegers«, rief Finn. »Ich will euch einen guten Rat geben«, sprach Ushin und richtete das Wort an die Kampfschar, deren Väter in der Schlacht bei Knuka gewesen waren; »kehrt dorthin zurück, wo ihr erzogen wurdet, und verlangt keinen Frieden von Finn, solange ihr lebt. Nicht leicht ist zu beschaffen, was Finn von euch fordert. Kehret um!« »O nein«, sprach der Führer dieser schwachgesinnten Männer, »unsere Herzen sind dafür, in die Fian einzutreten, und wir wollen die Buße beschaffen, die Finn von uns verlangt.« Als niemand in der Nähe war, sagte Finn ihnen, welche Vergeltung er von ihnen wünschte: Das Haupt von Dermott O'Divna. Dann sah Finn eines Tages seine Späherin Derdre auf sich zukommen: die Beine versagten ihr, ihre Zunge hing trocken heraus, die Augen traten ihr aus den Höhlen, und da wußte er, daß der Tag seiner Rache angebrochen war. Dermott und Grania, so berichtete ihm die Frau, hatten Zuflucht genommen in der Burg des Alten Volkes, und der Clan Morna hatte jenen Steinring umzingelt. Auf der Stelle rief Finn einige Fähnlein der Fian zusammen, und schnell eilten sie nach der Burg Da Both. Der Clan Morna lag davor. Sie berichteten ihm, daß der Mann, dessen Kopf sie ihm bringen wollten, innerhalb des Ringes der Langsteine sei, und es sei eine Frau bei ihm. »Dermott O'Divna von seinen Freunden im Stich gelassen!« sprach Finn. »Dermott O'Divna ist nicht dort«, entgegnete Ushin »und es ist ein Zeichen des Neides und der Eifersucht, Finn, zu denken, daß er sich an einem solchen Ort verstecken würde.« Da erhob Finn seine Stimme und schrie: »Bei welchem von uns ist die Wahrheit, o Dermott, bei mir oder bei Ushin?«
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Und die Antwort von Dermott kam zurück: »Du hast nie in deinem Urteil geirrt.« Und das Fähnlein der Fian und die Gruppe des Clan Morna und Finn mitten unter ihnen sahen Dermott auf einem der Steine der Burg stehen; sie sahen ihn Grania zu sich erheben und sahen auch, wie er ihr drei Küsse gab, während Finn dabeistand. Stechende Eifersucht fuhr Finn ins Herz, und er schwor, Dermott sollte um dieser Küsse willen sein Leben verwirken. Nun kam aber Dermott in seiner Rüstung mit dem Schwert in der Hand zu einem der Ausgänge in der Burg: »Wer steht da draußen?« fragte er. »Kein Feind, Dermott, denn hier steht Ushin. Komm heraus zu uns und keiner wird dir Schaden oder Schande antun.« »Ich will nicht ausbrechen, bevor ich herausfinde, an welcher Öffnung Finn selbst steht.« »Keltia steht hier«, wurde an einer anderen Öffnung gerufen. »Komm in unsere Mitte, und wir wollen für dich kämpfen und sterben.« »Nein«, sprach Dermott, »denn ich will nicht, daß Finn euch quält, weil ihr mir gegenüber gut handeln wollt.« Darauf begab sich Dermott an die dritte, vierte, fünfte Öffnung. Bei der sechsten erfuhr er, daß der Clan Morna dort stand. »Feige seid ihr! Ihr Männer der Lüge und der Hetze, und nicht aus Angst vor eurer Hand «, sprach Dermott, »sondern aus Ekel vor euch will ich nicht hinausgehen.« Er ging zum siebten Ausgang, und als er fragte, wer an dieser Öffnung stehe, hörte er Finn MacCuls Stimme: »Hier bin ich mit meinen eigenen Getreuen, und solltest du hier zu uns herauskommen, versprechen wir dir, dir die Knochen im Leibe zu zerschlagen.« »Ich verpfände mein Wort«, sprach Dermott, »daß eben das Tor, an dem du stehst, o Finn, das Tor ist, durch das ich hinausgehen werde.« Er wandte sich ab, um von Grania Abschied zu nehmen, und sah an ihrer Seite die strahlende Gestalt von Angus aus dem Feenhügel. Da wußte er, daß Grania in Sicherheit ge-
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bracht würde. Wenn ihn nicht Finn und seine Getreuen erschlügen, würde er wieder mit Grania zusammentreffen. »Ich werde meinen Mantel über sie breiten und den Ort hier verlassen, ohne daß Finn oder die Fian von Irland es bemerken«, sprach Angus. Was Finn betraf, so befahl er seiner Schar, Dermott drei Schritte auf sie zu tun zu lassen. Dermott dagegen legte die Hände auf seine Speerstäbe, schwang sich über den Wall und hinaus über Finns Truppe hinweg. Da stand er fern von ihnen mit dem Schild vor sich und dem Schwert in der Hand und rief: »Finn, es kam zu meiner Zeit niemals über dich Schlacht oder Kampf, Not oder äußerste Gefahr, in die ich mich nicht stürzte, um deinet- und der Fian willen. Wenn du mich nun angreifst, werde ich mich rächen, und meinen Kopf bekommst du um keinen geringen Preis.« »Dermott hat die Wahrheit gesprochen«, rief Ushin, »und es geziemt sich, daß du, Finn, ihn verschonst und ihm verzeihst.« »Ich will nicht!« antwortete Finn. Daraufhin erbot sich nur die Truppe des Clan Morna, den Angriff auf Dermott zu unternehmen. Die Fähnlein der Fian standen abseits, ihre Waffen lagen auf der Erde, die Truppe des Clan Morna dagegen trat gegen Dermott an und stürzte sich auf ihn. Dermott fuhr mit dem Schwert in der Hand unter sie wie ein Wolf durch eine Herde Schafe. Finn wollte sich in den Kampf stürzen, aber die Fian verschränkten ihre Schilde und hielten ihn zurück. Als dann die Fian sich zurückzogen und die Truppe des Clan Morna nicht mehr kämpfte, schaute Finn auf einen Haufen von Erschlagenen und sah, daß Dermott nicht unter ihnen war. Derdre, die Späherin, welche inzwischen die Burg durchsucht hatte, kam und berichtete ihm, Grania sei dort nicht zu finden. Da wußte Finn, daß er alles verloren hatte: Cormacs Tochter, das Vertrauen, das seine Genossen zu ihm gehabt, den Glauben an sich selbst, den er stets hochgehalten seit der Nacht, in der er Tara vor dem Dämon geschützt hatte. Dies alles hatte Grania ihm entrissen, als sie ihm den Becher geschickt hatte. Sein Herz aber war immer noch unversöhnlich.
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Dermott dagegen begab sich zu dem Feenhügel des Angus am Boyne. Außerhalb der Burg standen zwei Gestalten, Angus und Grania. Als Grania Dermott mit den vielen Zeichen des Kampfes an seinem Leibe erblickte, wäre ihr nahezu das Leben aus dem Munde entflohen. Angus wusch seine Wunden aus, reichte ihm ein neues Gewand und brachte ihn und Grania in seinen Palast. Später kam Grania nach Tara zurück, und der König von Irland bemühte sich um den Frieden zwischen Dermott und Finn MacCul. Es hielt schwer, daß Finn Frieden schloß, er wußte aber, daß er die Fehde mit Dermott nicht weiter halten konnte, da seine eigenen Fian ihn darin nicht unterstützen würden. Er nahm die Bedingungen an, die Dermott anbot, und hob den Bann auf. Dies waren die Bedingungen, auf die sich Finn und König Cormac mit Dermott einigten: Das Gebiet, das sein Vater besessen, sollte er behalten, und das Gebiet von Cos Corann wurde von König Cormac als Mitgift Grania übergeben. Dermott baute ein großes Haus auf seinem eigenen väterlichen Erbgut.
Wenn die Bedienten den Einsiedler Erc nicht an seinem Platz festgehalten hätten, hätte er wohl Colman MacAës Erzählung gewalttätig unterbrochen. Sobald die Geschichte zu Ende war und sie ihn losließen, sprang Erc von seinem Sitz auf. »Ich kam hierher und erwartete ein Urteil«, rief er, »und ich mußte das eitle Geschwätz einer Geschichte von Frauen und Männern anhören, die sich nie etwas versagten.« Er warf die Schüssel mit dem unberührten Entenbraten auf den Fußboden .»Ist dies oder ist dies nicht ein Saal des Urteils?« brüllte er. »Es ist nicht die Stunde für ein Urteil«, wurde ihm bedeutet. Da rief er aus: »Hier Urteil suchen, heißt Flüstern für die tauben Ohren, Wolle suchen auf der Ziege, Salz streuen auf Binsen, Den Sand in Fesseln schlagen,
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Rudern ohne Ruder, Butter suchen in der Hundehütte, Auf einen Steinklotz mit dem Pfeile schießen, Honig saugen aus den Eibenwurzeln.« Mit diesen Worten ging er zur Tür. Niemand versuchte, ihn zu halten, und draußen war er. »Er ist wirklich zum König und unserer Gesellschaft unhöflich gewesen«, sprach ein Gelehrter; und ein anderer: »Von ihm kann kein Fluch auf Dun na Nee gelegt werden.« »Er schläft ja doch heute nacht in einem Bett«, meinte Suivné, »in einer Hütte mit geschlossener Tür. Ist so einer vielleicht ein Einsiedler?« Und dann unterbrach sich Suivné wie ein Knabe, der weiß, daß er getadelt wird, weil er seine eigenen kindischen Dinge ausschwatzt, während Vaters Brüder mit Großvater Rede tauschen und Großmütter Tanten belehren. Dann sprach er zu König Donald: »Bei eurem Königtum, bei eurer Herrscherwürde, bei dem Dienst, auf den ihr Anspruch erheben könnt, laßt eure Geschichtenerzähler weitersprechen!« – Daraufhin nickte der König Aë MacColman zu, und dieser erzählte: Der Tod von Dermott O'Divna.
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Der Tod von Dermott 0 'Divna
In dem großen Hause, das er gebaut, dem Hause, das Rah Grania hieß, lag Dermott O'Divna im Schlaf. Im Dunkel der Nacht erwachte er und fuhr mit solcher Heftigkeit hoch, daß Grania ihn aufhalten mußte. »Was quält dein Gemüt?« fragte sie und hielt ihn an den Armen fest. »Es schien mir, ich hörte das Bellen eines Jagdhundes.« »Aber es ist doch tiefe Nacht!« sprach Grania. »Es ist Nacht«, sprach Dermott, »und doch hörte ich eben das Bellen. Ich bin verwundert über das Bellen eines Hundes, der in der Nacht zu jagen scheint.« Aber Grania beruhigte ihn und sang ihn wieder in Schlaf mit dem Schlummerlied, das sie ihm in einer Nacht auf ihrer Flucht vor Finn gesungen hatte: Schlaf, wenn auch die Ente fürchtet, Füchse seien im Bereich, und die Brut wegführt vom Ufer weit zur Mitte in den Teich. Dermott schlief, er hörte jedoch wiederum das Bellen des Hundes; jäh erwachte er, und von neuem beruhigte ihn Grania mit ihrem Schlaflied: Schlaf, wenn auch der Hänfling angstvoll aus dem runden Nest entweicht; sollte er den Kopf doch bergen, Wind nur durch den Efeu streicht. Wieder schlief er ein, und als er zum drittenmal erwachte, war es heller Tag. Da stand er in der Mitte des Raumes, als ob er auf etwas lauschte. Sein Hund Cuill lief winselnd im Hof herum. »Ich will gehen und den Hund suchen, dessen Stimme ich gestern nacht hörte«, sprach Dermott zu Grania.
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»Ich möchte dich nicht gehen lassen«, erwiderte sie. »Ich bitte dich, geh heute nirgends hin.« Sie legte die Arme um ihn: »Geh heute nirgends hin, wo ich dich nicht sehen kann«, rief sie aus. Dermott aber wollte sich von ihr nicht zurückhalten lassen. »Was sollte ich auf Rah Grania tun an einem Maitag, wenn die Büsche in voller Blüte stehen«, war alles, was er erwiderte. »Wegen der Büsche gehst du doch nicht fort, Dermott!« sprach Grania. »Ich werde zufriedener sein«, antwortete er, »wenn ich vom Gipfel des Ben Gulban Ausschau halte und erfahre, was für ein Hund heute nacht gejagt hat.« Grania wußte, daß sie ihn nicht halten konnte, wenn er so sprach. Sie sah zu, wie er sich zum Fortgehen fertigmachte. Als er seinen Gürtel festschnallte, sprach sie: »Ich möchte, daß du dich heute mit deinem langen Schwert, dem Moralltach, bewaffnest.« »Es ist zu schwer«, meinte Dermott. »Ich will mein kleineres Schwert, den Begalltach, mitnehmen.« »In diesem Fall«, sprach Grania, »soll dein Speer der große Gae Derg sein.« »Gegen welches Untier könnte ich den Gae Derg brauchen?« entgegnete Dermott. »Ich gehe nur jagen; ich will Cuill an der Leine mitnehmen.« »Wann sollten wir denn, wenn nicht heute«, sprach Grania, »mit unserem Gesinde das Festmahl besprechen, das wir für den König von Irland, Finn und die Führer der Fian richten wollten? Laß uns dies heute ansetzen, und du kannst morgen immer noch auf Ben Gulban zur Jagd gehen.« »Das ist gut ausgedacht«, sprach Dermott, »aber heute ist ein guter Tag für die Jagd, und morgen wird kein schlechter Tag für die Besprechung des Festmahls sein.« — Damit verließ Dermott Rah Grania. Ganz allein stieg er die Hänge des Ben Gulban hinan und führte, mit seinem kleineren Schwert und seinem leichteren Speer bewaffnet, seinen Hund an der Seite. Als er den Gipfel erreichte,
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stand da einer, als ob er auf ihn warte, ein Mann, mit einem einzelnen Hund an der Seite. Der Mann war Finn MacCul. Dermott O'Divna begrüßte ihn nicht, wie es Finn gewohnt war, von Männern der Fian begrüßt zu werden. Er tat nur den Mund auf, um zu fragen, ob Finn eine Jagd auf dem Berg abhalte. Finn betrachtete Dermotts Hund und Schwert und Speer und antwortete, nicht er, sondern einige Führer der Fian jagten auf Ben Gulban. »Sie jagen den Eber von Ben Gulban«, erzählte Finn. »Das ist ein verrückter Gedanke von ihnen, und schon hat der Eber eine Menge Treiber verwundet.« »Ich hörte heute nacht einen Hund bellen«, sprach Dermott, »und das brachte mich hierher.« »Räume den Hügel vor dem Eber und seinen Jägern, O'Divna«, sprach Finn. »Ich kann dich hier nicht brauchen.« »Warum sollte ich den Hügel räumen?« antwortete Dermott. »Ich habe keine Angst vor einem Eber.« »Du solltest sie aber haben«, sprach Finn, »denn auf dir ruht ein Verbot, jemals einen Eber zu jagen.« »Mein Vater war verflucht wegen eines Ebers«, sprach Dermott, »das weiß ich.« »Der Fluch soll auf deines Vaters Sohn und niemand sonst fallen, O'Divna«, sprach Finn, »erinnere dich, du selbst hast es mir erzählt.« »Eben darum«, sprach Dermott, »wäre es unsinnig, wenn ich den Hügel räumte, bevor ich den Eber erblickte. Hier bleibe ich, aber würdest du mir deinen Hund überlassen?« Finn antwortete nicht. Er schritt den Hügelhang hinab und sein Hund folgte ihm, und Dermott, der einsame Mann, blieb zurück mit dem Hund Guill an seiner Seite. Es entstand ein rauschender Lärm, und Dermott wußte, daß der Eber von Ben Gulban hügelaufwärts kam; er wußte aber auch, daß ihn keiner verfolgte, weil kein Hundegebell hinter ihm ertönte. Keine Männer, keine Hunde waren da, um den Eber zu umzingeln. Dermott band Cuill los, der Hund jedoch kauerte sich vor dem zähnefletschenden Untier nieder, das die Borsten sträubte. Er griff mit den Fingern in die
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Wurfschlinge des Gae Bwee und tat einen sorgfältigen Wurf. Der Speer traf den Eber zwischen seine kleinen Augen, aber nicht eine einzige Borste wurde zerschnitten, nicht die kleinste Wunde, nicht der geringste Kratzer Versehrte ihn. »Wehe dem, der den Rat einer guten Frau nicht beachtet«, sprach Dermott O'Divna zu sich selbst. Er zog den Begalltach aus dem Gurt und schlug nach dem wilden Eber. Zu gleicher Zeit aber warf ihn der Eber so heftig um, daß er der Länge nach über den borstigen Rücken des Ebers fiel. Dann wandte sich der Eber und stürmte lärmend den Hügelhang hinab. Er stürzte wieder zurück und erreichte den Gipfel zum zweitenmal. Dort warf er Dermott zu Boden, zerfleischte ihn und riß ihm die Seiten auf. Dermott lag auf der Erde, unfähig, sich zu erheben, und wand sich in dem Schmerz seiner tiefen, klaffenden Wunden. Auf der Spur des Ebers kamen die Jäger, Finn und vier Führer der Fian unter ihnen. Sie fanden Dermott, wie er dort lag, und Ushin und Keltia hoben ihn auf. »0 welch ein Kummer, einen Helden von einem Schwein zerrissen zu sehen«, rief Ushin aus. »Was für ein Kummer für uns, Dermott O'Divna in dieser Verfassung zu sehen.« »Es tut mir weh«, sprach Finn, »daß die Frauen von Irland nicht hier sind und die Schönheit und Anmut sehen, die sie sonst an ihm fanden, wie sie versehrt ist von den Stößen des Schweines.« »Finn ist gekommen«, sprach Dermott, der seine Stimme erkannte, »und es steht in seiner Macht, mich zu heilen.« »Es steht in Finns Macht, Dermott zu heilen«, riefen die anderen Führer der Fian. »Ich bin kein Wundarzt!« murrte Finn. »Es wurde dir die Gabe gewährt, Finn, von den Frauen in den grünen Mänteln«, sprach Dermott, »daß ein Schluck Wasser aus deinen Händen einen Verwundeten heilen würde.« »Es ist wahr, was Dermott sagt«, sprach Ushin, Finns Sohn. »Ich kann den Schluck nur solchen geben, die ihn von mir verdienen. Was möchtet ihr alle verlangen? O'Divna verdient nicht,
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daß ich ihm Wasser in meinen Händen bringe«, sprach Finn MacCul hart. »Ich verdiene es reichlich an dir, und du weißt das genau, Finn«, sprach Dermott. »Was auch immer du für mich tätest, wäre nur eine Wiedervergeltung für das, was ich für dich getan. Als deine bitteren Feinde Feuerbrände auf ein Haus warfen, in dem du beim Festmahl saßest, zögerte ich nicht, dich zu befreien. Ich hieß dich drin bleiben und deinen Branntwein genießen, während ich hinausstürzte, Männer erschlug und die Flammen löschte. Du warst nicht mürrisch, als ich zu dir zurückkam. Hätte ich dich damals um einen Trunk gebeten, würdest du ihn mir gegeben haben.« »Untreue verändert alles, O'Divna«, sprach Finn, »und die Welt weiß wohl, daß du untreu gegen mich warst. Du raubtest mir Grania angesichts der Männer von Irland.« »Ich bereue es nicht, daß ich Grania wegtrug, Finn«, sprach Dermott, »und es ist dir auch von glaubwürdigen Männern berichtet worden, daß Cormacs Tochter mir die Verpflichtung auferlegte, sie zu entführen. Und an das solltest du dich nicht erinnern! Doch solltest du mir einen Trunk in deinen Händen bringen wegen einer anderen Erinnerung an jene Zeit, als du in der Burg am Vogelbeerbaum belagert wurdest und ich dir zu Hilfe eilte und durch gutes Glück und Tapferkeit dir einen Becher brachte, den ich deinen Belagerern geraubt hatte. Diesen Becher schenkte ich dir zum Zeichen eines Sieges, der dich rettete, Finn. Daran solltest du dich erinnern und nicht dein Herz gegen mich verhärten. Manch tapferer Mann ist durch deine Hand gefallen und es werden noch andere durch dich fallen. Es wird eine Abrechnung mit dir und den Fian erfolgen. Um dich habe ich keinen Kummer, aber um Ushin und Oscar und die übrigen tapferen, treuen Genossen. Ich weiß, daß du, Ushin, übrig bleiben wirst, um über die Fian zu klagen.« Ushin sprach: »Finn, ich will dir nicht erlauben, Dermott O'Divna einen Trunk Wasser vorzuenthalten. Und ich sage jetzt: wenn irgendein anderer Fürst der Welt daran dächte, O'Divna solchen Verrat anzutun, dann soll nur der diesen Hügel verlassen,
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der unter uns die stärkste Hand hat. Achte wohl auf mein Wort und bringe das Wasser in deinen Händen ohne Verzug.« »Ich weiß nicht, wo die Quellen in diesem Gebirge sind«, sprach Finn. Einer der Fian antwortete: »Neun Schritte von dir entfernt ist eine Quelle klaren Wassers.« Finn MacCul schritt zu der Quelle und hob die Hände voll Wasser heraus. Er wandte sich um nach der Stelle, wo Dermott O'Divna lag. Er hatte aber nicht mehr als vier Schritte getan, als er das Wasser durch seine Hände rinnen ließ. Als die Männer zornig auf ihn losstürzten, ging er zurück und holte wiederum die Hände voll Wasser aus der Quelle. Doch eben, wie er sich umwandte, dachte er an Grania und ließ das Wasser durch seine Hände rinnen. Dermott seufzte kläglich, als er dies sah. »Wir wollen nicht hier stehen und solche Verräterei geschehen lassen«, riefen die Männer, und Ushin, Oscar, Keltia und Luys Sohn richteten ihre Speere gegen Finn MacGul. Da schöpfte Finn zum drittenmal Wasser aus der Quelle. Aber als Finn über Dermott stand und seine Hände steif von sich weghielt, da schied das Leben aus dem Leibe Dermotts O'Divna. Stille herrschte auf dem Gipfel des Berges, bis Dermotts Hund Cuill zurückkam, über Dermotts Leichnam stand und lang und laut heulte, Ushin und Oscar, Keltia und Luys Sohn standen dabei, kein Seufzer, kein Stöhnen entrang sich ihnen, obgleich ihre Herzen bedrückt waren. Sie schauten hinab auf Dermott, der so viel Anmut und Kraft und Vollkommenheit in sich vereinigt hatte, und dachten an vergangene Tage und die Fröhlichkeit, die unter den Fian geherrscht hatte, an die Spiele, den Geist und die Freundschaft. Finn MacCul ging von ihnen weg und stand an der Quelle. Und als Keltia ihn dort stehen sah, sprach er: »Kein Trunk kann dich heilen, Finn, noch dich verändern in dem, was wir an dir jetzt erkennen: den ränkesüchtigen Mann, der nur an seine eigenen Ziele denkt – du, der unser Stab und Stütze war.« Ushin sprach: »Unwürdig hast du gehandelt, Finn, und wir können nie mehr Ehrfurcht vor dir haben.«
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Luys Sohn sprach: »Ob dieser Tat wird die Kraft der Fian vergehen, doch so wie du, Finn, die Eichel gepflanzt hast, so biege jetzt die Eiche.« Oscar aber dachte an die Liebe, die Angus für Dermott hegte, und er rief aus: »Klagt, klagt, um ihn, ihr Danaan Geisterheer, um Dermott mit den Waffen auf der Brust; legt ihn in euer grünes, weiches Haus – uns aber bleibt der Gram um den Verlust.« Dann bedeckten die vier Freunde Dermott mit ihren Mänteln und stellten eine Wache der Fian um ihn herum. Nun lief Dermotts Hund Cuill zu dem Ort, wo Finn stand, und Finn legte ihm eine Leine an und hielt ihn. Sein eigener Hund jedoch hielt sich von Finn fern. Grania stand auf den Wällen, als sie die Führer der Fian auf Rah Grania zukommen sah, und sie erkannte sie: Finn, Ushin, Oscar, Keltia und Luys Sohn, und sie erkannte auch, daß der Hund, den Finn führte, Dermotts Hund war. Ein kalter Schauer durchfuhr ihren Körper. »Wäre Dermott am Leben, so würde nicht Finn Cuill führen«, sprach sie bei sich selbst. Als sie zu dem Ort kamen, wo sie stand, berichteten sie ihr: »Dermott ist tot, zerrissen von dem Eber von Ben Gulban.« Wie sie das hörte, verließen sie die Sinne, und als sie wieder zu sich kam und vernahm, daß es wahr sei, was sie gehört hatte, da stieß sie einen Schrei aus, der im fernsten Winkel der Burg vernommen wurde, so daß die Frauen und Gefolgsleute, die dort waren, zum Wall eilten. Da erhob sich lautes Klagen um Dermott O'Divna bei seinem Hausgesinde. Finn hielt immer noch Cuill. Grania bat ihn, den Hund loszulassen, Finn jedoch sprach: »Es ist wenig genug, was ich behalten konnte von Dermott O'Divna, den ich erzog und zu einem Helden heranbildete, und diesen Hund werde ich behalten.« Ushin trat hinzu, nahm die Leine aus Finns Hand und brachte Cuill zu Grania. Sie sandte ihre Gefolgsleute nach Ben Gulban,
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um den Toten nach Rah Grania zurückzubringen. Das konnten sie jedoch nicht, denn Dermotts Leichnam war von Angus Og weggeholt worden. Was Finn MacCul betrifft, so begab er sich nach Almu zurück. Düster waren fürwahr die Tage dort, denn es herrschte kein Vertrauen mehr zwischen den Fian und ihrem Führer. Als wiederum eine Jahresfrist verstrichen war, verließ Finn Almu, ohne daß seine Anführer es erfuhren und ohne daß er Abschied von ihnen genommen hätte. Er begab sich nach Rah Grania, und da er allein war und unbewaffnet, ließ man ihn ein. Als Grania zu ihm kam, berichtete ihr Finn, er sei gekommen, um Frieden anzubieten und ihren Söhnen einen Platz in der Fian anzuweisen, wenn sie erwachsen wären. Zuerst wollte sich Grania nicht darauf einlassen. Dann aber hörte sie ihn an, und er erzählte ihr, wie gut Dermotts Söhne in der Fian aufgenommen würden. »Wer aber will dafür einstehen?« fragte Grania. »Du selbst, Grania«, erwiderte Finn. »Denn kein Mann sehnt sich mehr als ich, dein Ehegemahl zu werden, und keine Frau in Irland ist geeigneter als du, die Gemahlin Finn MacCuls zu werden.« Zuerst wollte ihn Grania nicht anhören, dann aber hörte sie zu, und er sprach zu ihr in immer glühenderen Worten von seiner Liebe. Es kam ein Tag, an dem die Anführer der Fian ein edles Paar auf Almu zukommen sahen: Der eine war Finn, und in der anderen erkannten sie Grania, als das Paar näher kam. Daraufhin stießen die Anführer der Fian drei Rufe der Verachtung und des Hohnes aus. Grania senkte das Haupt voll Scham, Finn jedoch nahm sie bei der Hand und geleitete sie in die große Halle. Am Abend beim Festmahl sprach Ushin zu seinem Vater: »Wir können uns denken, Finn, daß du von nun an Grania festhalten wirst.« Was auch immer damit gemeint war, Finn hielt Grania fest, und Grania schien es gern zu sehen, von dem Führer der Fian
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festgehalten zu werden. Sie und Finn blieben beisammen, bis einer von ihnen starb. Und obgleich jener alte Geist nicht mehr unter den Fian war, an den Ushin und Keltia sich erinnerten, so mußten sie doch alle zusammenstehen, denn nun begann Cormacs Sohn Kerbry gegen sie auszuziehen.
Der nächste Tag war gabenreich und verheißungsvoll für Colman MacAë und Aë MacColman, denn König Donald beschenkte seine beiden Erzähler mit einer weißgefleckten, rotohrigen Kuh, einem Hemd aus weißem Leinen und einem wollenen Mantel mit breiter Brosche als Zugabe zu den Belohnungen, die ihnen für ihre Suche nach Suivné bereits gegeben worden waren. Wie lange wird wohl Eire auf einen ebenso großzügigen König warten müssen, der die Freigebigkeit des Enkels und Ainmire hat? In seinen Tagen wurde Unwissenheit beseitigt, und parteiische Urteile hörten auf, so daß es möglich war, jede Übeltat zu unterdrücken und jede Guttat zu preisen. Und wegen der Güte der Gesetze, der ruhigen Haltung des Volkes, der Heiterkeit der Jahreszeiten, der Talente der Gelehrten, wegen des Genies der Dichter, der Erfahrung der Ärzte, der Kunstfertigkeit der Schmiede, der Geschicklichkeit der Zimmerleute, der Tapferkeit der Großen des Reiches, wegen der offenen und freigebigen Hand der Gastwirte – in jenen Tagen waren die Gastwirte nicht knickerig – konnte ein Eingeborener oder Fremder die Länge und Breite Irlands durchwandern und an jedem Ort ruhig und wohlversorgt leben. Eine schöne, junge Frau, die kostbare Schmuckstücke trug, konnte reisen, ohne belästigt zu werden, von Osglenn im fernsten Teil von Connacht bis Carrick Owen in Leinster, und von den Inseln von Innisfallen im Süden bis zu den Wasserfällen von Assaroe im Norden und sogar bis zu den lauttönenden Klippen von Tory. Wahrlich, Frieden und Lebensfülle, Wohlstand und Sicherheit, die in den Tagen des Königs Donald in Irland herrschten, sind heute arg gemindert.
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Laßt uns jedoch diese Lobrede auf König Donald jäh und ungebührlich abbrechen. Nachdem die Geschichten im Saal von Dun na Nee erklungen waren, saß Suivné regungslos und stumm da, bis die Dienerschaft ihn dahin geleitete, wo man ihm ein Bad und sein Schlafgemach gerichtet hatte. Nach diesen Ereignissen blieb er in Dun na Nee, er übte keine Herrschaft in Dalria aus und lebte unter dem Schutz des Königs von Irland. Und er hätte wohl jegliche Ruhe dort genießen können, wenn nicht die Worte ihm in den Sinn zurückgekommen wären, die Ronan einst gesprochen hatte, bevor Suivné in die Schlacht von Moy Rah zog. Vielleicht wollte Donald gar nicht, daß sein Geist von Ronan und seinen Worten befreit würde, denn er sandte ihn mit einem persönlichen Auftrag zum Abt Moling. Die Geschichtenerzähler Colman MacAë und Aë MacColman wurden ihm als Begleiter beigegeben. Was aber Suivné in Molings Sitz in Tuam zustieß, soll in einem neuen Teil erzählt werden.
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FÜNFTER TEIL
Prinz Suivné und der Abt Moling
TUAM INVER LIEGT an einem See. Bevor der Abt Moling zu seiner Feldarbeit aufbrach – er war ein erfahrener Landmann –, schritt er langsam am Rand des Sees dahin mit einem Buch in der Hand. Mit sanfter und fröhlicher Stimme begrüßte er Suivné und die beiden Geschichtenerzähler Colman MacAë und Aë MacColman, die im Auftrag des Königs Donald ihn aufsuchten. Sein Dekan stand an der Tür zum Friedhof und läutete eben die Glocke zur Prim. »Mein eigener Schatz liegt im Himmel«, sprach Moling; »hätte ich aber einen Schatz auf Erden, so bestünde er aus Weisheit und Dichtung.« Dann wandte er sich ab, um in seinem Psalter zu lesen. Suivné aber dachte, sobald er einen Mann im Mönchsgewand und mit einem Psalter in der Hand vor sich sah, es sollte alsbald ein Fluch gegen ihn ausgestoßen werden. Mit einem Schrei, der wie ein Geheul klang, sprang er auf Moling los und schleuderte ihn eine so große Strecke weit weg, daß er in eine Ackerfurche zu liegen kam. Den Psalter hob er auf und warf ihn weit hinaus in den See. Es war grauenerregend für die Geschichtenerzähler, die Veränderung mit anzusehen, die über ihn kam. Stöhnend und zitternd stand er da. Suivné glich einem Mann, der von einem Blitzstrahl getroffen war, von dem Strahl, für welchen die He-
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bräer in ihrer edlen und reichen Sprache ein geeignetes Wort haben – Sabstindrus. Und hätten Colman MacAë und Aë MacColman ihn nicht festgehalten, wäre Suivné von Tuam hinweggeflohen an die öden und wilden Orte. Als Moling sich wieder aus der Furche erhoben hatte, brachten sie ihn in das Oratorium. Suivné wiederholte fortwährend: »Das Buch! Das Buch! Ich warf das heilige Buch in die Tiefen des Sees!« Nachdem Moling im Oratorium gebetet hatte, faßte er ihn an der Hand. Er brachte ihn hinab an den See und schritt dort an seiner Seite; die Geschichtenerzähler begleiteten sie. »Es ist wirklich ein heiliges Buch, denn es gehörte keinem geringeren Heiligen als Kevin«, sprach Moling. »Wir müssen jedoch heilige Ruhe bewahren, auch wenn solche Dinge geschehen.« »Ronan hat mich verflucht«, sprach Suivné. »Ronan von Inisclin ist aus der Welt geschieden«, erwiderte Moling. »Ist wirklich der Mann, der mich verfluchte, tot?« rief Suivné aus. Moling sprach die Worte, die auf dem Grabstein eines anderen Abtes standen; denn er hoffte, daß etwas ebenso Edles auf Ronans Grabstein gesetzt würde: Angus in der Himmelsschar, Hier ist sein Grab und sein Bett. Hier entschwand er unserem Blick An einem Freitag zum heiligen Himmel. Hier in Clonina ward er erzogen, In Glonina ward er bestattet; In Clonina mit den vielen Kreuzen Begann er seine Psalmen zu singen. »Ich weiß, Suivné, Äbte und Geistliche sind wohl nicht die Gesellschaft, die dich glücklich macht«, fuhr Moling fort. »Immerhin glaube ich, deine Geschichtenerzähler könnten dir etwas von einem Abt erzählen, der ganz annehmbar wäre. Kommt etwas Derartiges
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über einen Abt in Geschichten vor, die ihr kennt?« sagte er zu dem langen und dem kurzen Mann, die ihn begleiteten. »Da ist Kernech«, sprach Colman MacAë. »Ah, Kernech — ein sehr liebenswerter Mann«, sprach Moling. »Es wäre gut, etwas über Kernech zu erfahren, während wir am Wasser dahinwandern.« »Die Geschichte geht in Wahrheit über einen König, und der Abt ist nur eine der Personen darin.« »Aber wenn ihr den Abt unseren Herzen näherbringen könnt, so erzählt uns die Geschichte«, sprach Moling. »Es würde uns wirklich gut tun, etwas von einem hilfreichen Abt zu hören. Meinst du nicht auch, Freund Suivné?« »Ich will mir die Geschichte anhören«, entgegnete Suivné. Während sie also am See von Tuam Inver dahingingen, hüb Colman MacAë zu erzählen an die Geschichte von MacErca und der Zauberfrau.
MacErca und die Zauberfrau
Mitten in Irland steht ein Steinpfeiler, auf dem folgender Vers eingemeißelt ist: Sheen Gut hätte sie sein können. Nicht gut waren ihre Ränke. Kein Fluch liegt mehr auf ihr, Wenn auch Furcht ihr Name noch verbreitet. Wenn die Menschen fragten, wer die Frau sei, deren Namen soviel Schrecken verbreite, sprachen die Geschichtenerzähler vom Tode des Murkertach MacErca, der König von Irland war. Er trug den Titel König von Tara, obwohl sein Herrenhaus nicht auf Tara
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stand, sondern auf Clitech am Boyne-Fluß und gegenüber dem grüngipfeligen Hügel, dem Feenpalast von Angus. Als sich das ereignete, was zu seinem Tode führte, hatte MacErca schon die Blüte der Jahre hinter sich, war jedoch immer noch ein kräftiger und tapferer Mann. Er war ausgezeichnet durch sein Geschlecht und seine eigene Tapferkeit: Er stammte von Niall, der das Hochkönigtum eingerichtet hatte, und er war ein Führer in Dänemark und Schottland gewesen, bevor er zurückkam und König von Irland wurde und Haupt des Clans Niall. Die Tochter des Königs von Connacht hatte er zur Frau, und seine Kinder waren noch nicht erwachsen. Eines Nachts, als er in seinem Herrenhaus auf Clitech schlief, hatte er folgenden Traum: Er befand sich auf einem Schiff zur See, und das Schiff ging zugrunde; dann stieß ein Greif mit harten Klauen auf ihn hernieder und trug ihn in sein Nest auf einem Baum mit tiefwachsenden Wurzeln; das Nest ging in Flammen auf, und der Greif fiel mit ihm durch die feurige Luft. Es war ihm alles so deutlich, das Gefühl des Brennens war so stark, daß MacErca noch keuchte und stöhnte, als er seinen Traum erzählte. Er erzählte ihn seinem Pflegebruder, der eines Druiden Sohn war und viel altes heidnisches Wissen besaß. »Das Schiff, auf dem du warst«, erklärte ihm der Druidensohn, »ist das Schiff deines Königtums, MacErca. Es wird zugrunde gehen. Der Greif, der dich zu seinem Nest trug und mit dir fiel, ist eine Frau, die dein Haus mit dir teilt. Jedoch verstehe ich diesen Teil deines Traumes nicht, denn deine Gemahlin Dubisech ist eine gute und treue Frau; ich weiß nicht, wieso sie in deinem Traum ein Greif mit Klauen sein kann.« Viele Tage lang war MacErca von der Erinnerung an den Traum bedrückt und durch die Erklärung betrübt, die sein Pflegebruder ihm gab. Aber dann schien es, als sei die Erklärung nicht richtig, denn MacErcas Staatsschiff wurde immer fester gezimmert, anstatt zugrunde zu gehen. Er gehörte zum älteren Zweig der Sippe des großen Königs Niall. Aber die Abkömmlinge des jüngeren Zweiges, der Clan Kerbry, erkannte seine Oberherr-
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schaft nicht an, und ihr Widerstand schwächte MacErcas Königtum. Nun wurde angekündigt, der Clan Kerbry sei gesonnen, einen Friedens- und Freundschaftsvertrag mit ihm abzuschließen. MacErca war überglücklich. Dann kam der Tag, an dem er durch seine weiten Tore hinausschritt, um die Sendboten des Clan Kerbry willkommen zu heißen. Er sah einen langen Zug zu sich herankommen. Es waren die Sendboten, ein vornehmer Mann an ihrer Spitze; Kernech, der berühmte Bischof. »Wir sind gekommen«, sprach der heilige Bischof, »um Freundschaft zu knüpfen zwischen den beiden Zweigen von Nialls Nachkommen, und wir wünschen, daß das Königsamt, welches du inne hast, MacErca, sich festigen möge.« Voll Freude geleitete der König den Bischof und die Vornehmen des Clan Kerbry in sein Herrenhaus. Der Vertrag wurde beschworen, und Kernech mischte in einem Gefäß Blut von MacErca und Blut des Fürsten, der zu Kerbrys Nachkommen gehörte; er rief Abkürzung des Lebens und Höllenstrafen auf jeden herab, der diesen Vertrag irgendwie brechen würde. Ein stolzer und froher König war MacErca, als dies geschehen war. Er berief Männer jeglicher Kunst in sein Haus, und sie sangen Lieder, in denen jeder seine eigene Kunst hoch pries. Der Sänger des Königs kam in den Saal und sang das Lob des Herrenhauses: nicht Tara noch Emin Macha sei so glanzvoll wie das ruhmgekrönte Clitech. Dubisech und ihre Kinder waren anwesend, und wie MacErca mit seiner Königin auf den Hochsitzen im Saale thronte, bestärkte sich in ihm die Hoffnung, daß sein Haus einst von Königen bewohnt werde, die von ihm abstammten, und daß es einst im Gedächtnis der Menschen an die Stelle des berühmten Tara treten werde, das nun von den Königen von Irland verlassen war. Eines jedoch störte seine Zufriedenheit, als Kerzen zum Festmahl entzündet wurden: der Anblick seines Pflegebruders. Als er ihn betrachtete, kam wieder der Traum des scheiternden Schiffes und des brennenden Nestes in sein Gedächtnis zurück.
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Die Erinnerung an den Traum war jedoch verschwunden am nächsten Tage, als er auf dem grünbewachsenen Feenhügel von Angus stand und weit über den lachsreichen Boyne auf sein Herrenhaus Clitech blickte. Er war mit seinen Gästen, den Edlen des Clan Kerbry, zum Jagen auf den Hügel geritten, aber die Jagd war weitergezogen, und er blieb allein auf dem Feenhügel zurück. Stolz waren seine Gedanken: Jetzt war er ebenso mächtig wie Niall oder Cona oder Ugony, die echte Könige von Irland gewesen waren. Wie er so auf sein hoch gezimmertes Herrenhaus hinschaute, kamen ihm die Zeilen eines alten Gedichtes in den Sinn: Ich sah einen Palast an hellem Ort, Aus dem keine Beute geraubt ward, Feuer verheert ihn nicht: Heere plündern ihn nicht, Im Wohlstand lebt ewig die Burg. Er wußte: das Haus, das in diesem Gedicht gepriesen wurde, war das Haus des Angus Og im Feenhügel, doch gefiel es ihm zu wähnen, der Vers passe ebenso auf seinen eigenen großen Herrensitz. Mit solchen Gedanken im Gemüt blickte MacErca ringsum, und siehe, dicht neben ihm stand plötzlich eine Frau. Ihr Haar fiel in dichten Strähnen herab, und er erblickte ein blasses Angesicht mit roten Lippen. Die Augen der Frau waren groß und scheu, und ihr Leib, schön geformt, war so schlank wie der eines Kindes. Ein grüner Mantel mit goldenen Fransen war an ihr zu sehen. Sie war kein Wesen, das man mißachten konnte. Der König trat zu ihr und sprach sie an: »Wer seid Ihr, hohe Frau?« fragte er. »Ich bin der Liebling von Murkertach«, entgegnete sie. Diese Antwort und das Lächeln, das sie begleitete, entzückte ihn. »Kennt Ihr uns, sternenhelle Frau?« fragte er. »Ich habe Wissen von Stätten, die geheimnisvoller sind als diese«, fuhr sie fort, »und ich kenne dich, Murkertach, und andere Fürsten von Irland.« »Wir haben Euren Namen noch nicht gehört«, sprach er.
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Ihre Namen waren viele: Sie sang sie wie ein Preislied; Unheil verhießen sie – Sturm, Seuche, verheerender Wind. Es schien als wolle sie sich selbst dem König schreckenerregend machen. »Mit welchem Namen soll ich Euch nennen«, fragte er. »Sheen«, erklärte sie. Und da dieser Name »plötzlich aufziehender Sturm« bedeutete, so war auch er unheilvoll. MacErcas Herz jedoch war in Liebe zu ihr entbrannt: um sie zu erringen wollte er alles geben, was er besaß, und alles, was er im Traum zu besitzen begehrte. »Wollt Ihr mit mir kommen?« fragte er und legte seinen Arm um sie.
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Mit roten Lippen lächelnd erwiderte sie: »Wenn du mich angemessen belohnst.« »Ich will Euch hundert Stück Vieh aus jeder Herde schenken, die ich habe«, versprach er. »Ich will Euch goldene Becher und goldene Ringe geben. Ich will Euch jede zweite Nacht ein Festmahl in meinem Herrensitz Clitech bereiten.« »Laß mich stehen auf dem grüngipfeligen Feenhügel«, rief sie und rang die Hände. »Besser wäre dies für dich!« Auf dieses Wort wollte er nicht hören. »Ich will Euch Macht über mich geben«, sprach er, und seine Stimme war nicht die eines Königs. »Da du dies gesagt hast, bin ich bereits bei dir«, sprach sie, doch schien sie nicht froh zu sein und ließ den Kopf hängen. »Du kannst dein Wort nicht zurücknehmen, und dein Wort ist jetzt gegeben.« Er war voll Freude; er ergriff ihre Hand und gemeinsam schritten sie auf sein Herrenhaus Clitech zu. Im Gehen sprach Sheen: »Dubisech, deine Gemahlin und die Mutter deiner Kinder, darf mir nie zu Gesichte kommen. Priester dürfen nie das Haus betreten, in dem ich bin.« Als sie diese Worte sprach, überkam ein Zittern MacErca. Aber es war gegeben, sein Königswort, und konnte nicht widerrufen werden. Die Frau namens Sheen führte er zu seinem Herrensitz. Im Saale saß seine Gemahlin Dubisech mit ihren Kindern, und der heilige Bischof Kernech war ebenfalls da. Dubisech saß auf einer niedrigen Bank, und der Bischof belehrte die Kinder. »Dein Königswort, MacErca!« sprach Sheen zu ihm. Und gebunden durch sein Versprechen und sein Verlangen nach der fremden Frau, hieß MacErca seine Gemahlin und Kinder den Herrensitz verlassen, und auch Kernech wies er trotz all seiner Einwände hinaus. Dann nahm MacErca mit Sheen an seiner Seite auf den hohen Sesseln Platz, und ein Festmahl wurde für sie im Saale angerichtet. Draußen ertönte Weinen und Klagen, als Dubisech und ihre Kinder unter dem Schutz von Kernech ihres Weges zogen. Am nächsten Morgen erhob sich MacErca mit noch mehr Sehn-
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sucht nach der Frau Sheen mit den scheuen Augen. Das Gesinde ging zum Kamin, um Feuer anzumachen. Kaum hatten sie den Feuerstein angeschlagen, als der Zunder bereits brannte, kaum hatten sie den Zunder an das Holz gebracht, als sämtliche Feuer im Herrenhaus Clitech aufflammten. Als die Diener einen Segen für den Tag verlangten, waren keine Priester vorhanden, um ihn zu spenden. MacErca jedoch sah zu Sheen wie zu einer Göttin auf. Er bat sie, ein Wunder zu verrichten, so daß sein Hausgesinde die Priester vergäße, die niemals mehr Einlaß finden sollten, solange Sheen dort war. Sie sang ihm folgende Worte vor: Menschen kann ich machen Aus Klumpen von Ton, Wein kann ich bereiten Aus dem Wasser des Boyne, Tritt heraus mit mir, O König, mit deinem Gesinde, Und schaue die Wunder, Die ich wirken kann! Sie erhob sich langsam und schritt hinaus, der König und sein Hausgesinde folgten. Und als sie an eine Stelle kam, wo Nesseln und Farnkräuter wuchsen, da drehte sie sich um, als ob sie von MacErca ein Wort des Tadels hören wolle. Er aber sprach: »Ich habe meinem Volk gesagt, daß weder Kernech noch seine Priester können, was du bewirken kannst. Zeige meinem Volk deine Kunst, o sternhelle Sheen.« Sie hob die Arme und sang einen Zauber, und zwei Züge von Männern, gleichermaßen tapfer, gleichermaßen gut bewaffnet, erhoben sich von der Erde. Sie fielen sich an und zerfleischten und erschlugen einander vor den Augen von MacErca und seinem Hausgesinde. Und alle, die den Kampf mitansahen, wurden davon hingerissen und hätten sich gerne daran beteiligt. Plötzlich aber standen nur zwei Männer da einander gegenüber und hieben sich zu gleicher Zeit nieder. Dann verließen der König und sein Hausgesinde
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den Ort, wie Menschen, die ein Schlachtfeld hinter sich lassen, und gingen in das Herrenhaus zurück. Das Hausgesinde murrte und sprach: »Dies ist kein Wunder, das Menschen mitansehen sollten.« Sheen jedoch brachte sie zum Schweigen und hieß sie einen Kessel voll Wasser aus dem BoyneFluß bringen. Als man ihn gebracht hatte, sprach sie Zauberworte über das Wasser. Die Mundschenken des Königs füllten Becher und reichten sie herum, und der König und sein Gefolge wähnten, nie hätten sie Wein von solchem Duft und solcher Kraft gekostet. Niemand murrte mehr über Sheen, sondern alle lächelten und nickten einander zu. Mehr als zuvor betrachtete MacErca Sheen als eine Göttin mit großer Gewalt. Das Hausgesinde und der König selbst sanken in schweren Schlummer, und als sie am folgenden Tage erwachten, war es ihnen, als ob alle Kraft aus ihren Körpern gewichen sei. Sie alle verlangten, Sheen solle noch ein Wunder wirken. Von neuem ließ sie Scharen von Männern aufstehen und gegeneinander kämpfen, und diesmal sprang MacErca in die Reihen der Kämpfer und metzelte und verwundete alle, bis er sich kaum mehr aufrecht halten konnte. Dann zogen sie alle zurück in das Herrenhaus, und der König ließ Sheen Wein für alle bereiten wie zuvor, und als sie ihn getrunken, fielen sie in einen Schlummer, der viel schwerer als vorher war, und am nächsten Tage erwachten sie schwächer als zuvor. Von nun an dachte MacErca nur noch an die Wunder, die Sheen verrichtete. Und wenn die Männer, die sie aufrief, kämpften, legte er seine Rüstung an und focht mit ihnen; in eine so große Wut steigerte er sich, daß ihm Schaum vor den Mund trat. Und wenn alle um ihn gefallen waren, begab er sich jedesmal zurück in sein Haus, trank den Wein, den Sheen bereitete, und versank samt seinem Gefolge in einen Schlummer, der täglich schwerer wurde. Und schwächer und schwächer erwachten sie jeden Tag. Eines Tages, als er eben sein Schwert unter den Kämpfern schwang, die Sheen gezaubert hatte, trat Bischof Kernech vor ihn
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hin. Er streckte das Kreuz, das er trug, dem König entgegen. MacErca hielt inne; er machte das Zeichen des Kreuzes; darauf sah er an Stelle der Bewaffneten nur Steine und Tonklumpen vor sich. »Mit Christi geheimnisreichem Kreuz Vor deinen Augen, Laß nach in deiner Wut, o König, Zerhacke nicht mehr diese Schollen!« so rief der Bischof. Da sank, völlig erschöpft, MacErca in das Gras. Der Bischof setzte sich an seine Seite und riet ihm, er möge nicht mehr in sein Herrenhaus zurückkehren, auf dem nun ein Fluch
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liege, sondern er solle mit ihm nach Tüllen kommen, wo seine Frau und Kinder sich aufhielten. MacErca jedoch wollte nicht mit ihm gehen: er sah, wie Sheen ihm winkte, und erhob sich und schritt mit ihr in das Haus zurück. Als aber er und Sheen auf den hohen Sesseln im Saale saßen und das Hausgesinde um sie her stand, da sprach er: »Ich machte das Kreuzzeichen, und siehe, ich erblickte nichts als Steine und Tonklumpen, wo du Männer gezaubert hattest. Deine Macht kann eine Täuschung sein.« Sie aber küßte und umschlang ihn, und dann sang ihr MacErca die Worte: Sei du stets bei mir, O Frau ohne Tadel; Lieblicher ist dein Leib Als alle Kirchen der Priester. Er hatte Träume; er träumte von Geschehnissen in seinem Hause, wie die Kerzen in einer hohen Flamme aufbrannten, sobald Licht an die Dochte gebracht wurde, und wie das Brennholz flammte, sobald brennender Zunder in die Nähe kam. Und erwachend sprach er: »Eine Gestalt aus Feuer ist mir erschienen; es wäre gut gewesen, ich hätte Kernechs Rat angenommen und dieses Haus verlassen.« Sheen aber, die neben ihm stand, sprach: »Schlafe weiter! Überlasse die Hut über dein Haus nur mir.« Und wiederum sank der König in seinen schweren Schlummer. Als er in der Dämmerung aufstand, schien es ihm, als höre er Kampfrufe von Kriegern draußen vor dem Hause: ihm war, als bräche der Clan Kerbry den Vertrag, den sie mit ihm gemacht hatten, und wären draußen, um ihm die Oberherrschaft streitig zu machen. Er legte seine Rüstung an und stürmte hinaus mit dem Schwert in der Hand. Er verfolgte Kämpfer, deren Kriegsrufe er zu hören glaubte. Als er jedoch zurückschaute nach seinem Gefolge, erblickte er zwischen sich und seinem Schloß Asche und Feuerhagel. Er meinte, Sheen sei darin, und stürzte in das Haus zurück, um sie zu retten.
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Feuer erfüllte die Torwege; die Pfeiler des Saales standen in Brand. MacErca wurde von den Flammen ergriffen, und er starb, von Rauch und Dunst erstickt. Sein Leichnam jedoch war nicht vollständig vom Feuer verzehrt, denn um ihn herum wurde das Feuer mit dem Wasser des Boyne-Flusses gelöscht, das noch im Kessel war. Das Herrenhaus von Clitech brannte nieder bis auf den Grund. Als die frommen Mönche, die Kernech schickte, hinkamen, fanden sie MacErcas Leichnam im Saal. Sie trugen ihn zum Strom und wuschen ihn. Und als sie ihn wegtrugen, trat ihnen Dubisech entgegen. Am alten Baum von Anach Reil erhob sie ihr düsteres Klagelied über dem Leichnam. Ein Blutstrom drang aus ihrem Herzen, und sie sank tot zu Boden. Auch ihren Leichnam trugen die Mönche hinweg. Und als Kernech und seine Begleiter sich an dem Ort versammelten, wo sie den König und die Königin zur Erde bestatten wollten, sahen sie eine einsame Frau auf sie zukommen. Ihr Mantel war grün mit goldener Franse; ihr blasses Gesicht war in Trauer getaucht. Und Kernech sprach zu ihr: »Obgleich dein Anblick überaus schön ist, wissen wir doch, daß du unseren Murkertach vernichtet hast, den König von Tara, der hier liegt.« Sie antwortete: »MacErca vernichtete die alten Stämme von Tara und zerstörte mein Vaterland, und ich ward gesandt, um Vernichtung über ihn zu bringen. Ich kämpfte bitter, um abzuwenden, soviel wie in meiner Macht stand; denn MacErca war mir teurer als mein eigenes Geschlecht.« Und sie sang die Worte: Wie kann ich leben Mit meinem Kummer nach ihm, Dem König von Irland, Und der Welt im Westen? Ein Königreich hab' ich zerbrochen . . . Wie kann ich ertragen die Schuld?
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Kernech sprach freundlich und voll Mitleid mit ihr, und sie legte ihre Beichte ab. Sie wurde getauft und starb am Tag ihrer Taufe. Der Bischof und seine Geistlichen bereiteten ein Grab für sie, bedeckten sie mit Erde und setzten einen Stein darauf. Und Kernech selbst schrieb die Verse, die auf den Stein gemeißelt wurden: Sheen Gut hätte sie sein können, Nicht gut waren ihre Ränke. Kein Fluch liegt mehr auf ihr, Wenn auch Furcht ihr Name noch verbreitet.
Ein Kormoran kreischte auf einem Felsen im See. Wiederum zitterte Suivné voll Schrecken. Moling dagegen legte seine Hand auf Suivnés Schulter und sprach zu Aë MacColman: »Wenn du eine Geschichte erzählen kannst, die uns männlichere Gefühle einflößt, während wir an diesem See dahinschreiten, so wird dir das zum Segen gereichen.« Colman MacAë führte eine Liste von Erzählungen an, aus denen sein Mitbruder eine geeignete Geschichte auswählen konnte: Die Erzählung von Taras Reich Die Geschichte jeder Hundertschaft in Irland Die Geschichte der Frauen von Irland Heere, Kämpfe, Zauber, Gefängnisse Geschichten von Tod und Gemetzel Lieder und Sagen der Helden Der Stammbaum des Königs Seine Schlachten und kühnen Heldenstücke Und immer wieder die Taten der Ultonier Flink wählte Aë MacColman aus dem letzten Punkt die angemessene Geschichte aus. Er sprach: »Laßt mich diesmal die Geschichte erzählen, die genannt worden ist: Der entstellte König.«
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Der entstellte König
Am Ufer des Loch Rury in Ulster steht ein Steinpfeiler mit der Inschrift: Fergus, Sohn des Leide, der als unser König starb. Und fragt man, warum man in Ulster das Ende seines Lebens und sein Königsamt zusammen nannte, so berichten die Erzähler folgende Geschichte des Königs Fergus: Er und sein Gefolgsmann stiegen zum Baden in den See. Nun lebte ein Ungeheuer im Loch Rury. Das wußten sie, hatten dies aber vergessen, weil dieses Ungeheuer, die Shinach, viele Jahre lang unter der Oberfläche geblieben war. Als König Fergus und Aëd, sein Begleiter, herumschwammen, hörten sie etwas hinter sich rauschen. Und dann sahen sie ein Ungeheuer mit vielen Köpfen mit furchtbarer Schnelligkeit auf sie zukommen. Der Kopf des Königs war nach rückwärts gewandt, als er zum Ufer schwamm; sein Gefolgsmann erreichte es zuerst und zog ihn aus dem Wasser. »Ich schwöre bei meiner Schwerthand«, rief der König, »daß ich bereits im Rachen des Todes gewesen bin.« Das Singen von Lerchen umtönte sie, sie sahen die blühenden Büsche, und die beiden Männer frohlockten, da sie in Sicherheit waren. Und dann wandte
sich Aëd seinem König zu und sah das Angesicht von Fergus. Es war ganz verdreht; sein Mund stand schief, und sein Auge schielte; ein roter Strich ging von seiner rechten Stirne bis zu seiner linken Kinnlade. Sein Gefolgsmann war so entsetzt, eine solche Entstellung an dem König zu sehen, daß er kein Wort sprechen konnte. Und gleich würde auch der königliche Haushalt und alle Männer von Ulster entsetzt sein. Glaubte man doch, daß der Wohlstand des Landes von der Gesundheit und Kraft des Königs abhing. Wollte er im Königsamt bleiben, durfte er nicht entstellt sein. Sollte das Volk ihn als König anerkennen, durfte er nicht den Verlust eines Gliedes oder eines Auges erleiden, ja er durfte nicht einmal eine auffällige Narbe haben. Viele berühmte Könige hatten schon ihr Königtum aufgeben müssen wegen eines Unfalls, der sie nur ein wenig verändert hatte. Und hier war ihr eigener König, der König von Ulster, mit einem so fürchterlich entstellten Angesicht! Fergus wußte nicht, daß der Anblick der Shinach ihn gezeichnet hatte; das war offensichtlich, denn er sprach voll Jubel von seiner Rettung, als ob er einen Sieg errungen hätte. Und Aëd sprach mit ihm und zog die Kapuze des Mantels ihm über den Kopf; denn es hatte begonnen zu regnen. So würde nun niemand, den sie auf dem Weg zum Königshause treffen könnten, sehen, daß König Fergus entstellt war. Aëd aber mußte der Königin und den vornehmsten Herren des Gefolges davon berichten. Das tat er, so lange der König in seinem Gemach war und mit seinem Schachspieler Mol spielte – mit Mol, der von Aëd über die Entstellung aufgeklärt worden war, während Fergus das Gewand wechselte. Und als Königin Ailinn und das Gefolge vernahmen, was geschehen war, waren sie außer sich vor Schrecken! Wer sollte mit ihm darüber sprechen, da er selbst es nicht wußte? Wer sollte der unglückliche Künder des Verlustes seiner Königswürde sein? Königin Ailinn und Aëd und die Vornehmsten beratschlagten darüber, während der König, nichts ahnend von dem, was verhandelt wurde, in seinem stattlichen Gemach Schach spielte.
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Mol war in Gedanken versunken, wie er so mit ihm spielte. Er sah, die Entstellung war wirklich sehr groß, und es war wenig Aussicht, daß sie mit der Zeit heilen würde. Seine Absetzung würde für ihn so unerwartet und grausam sein wie eine Heimsuchung durch Seuche oder Hungersnot; auch das Volk von Ulster betrachtete König Fergus als einen Schirmherrn der Wahrheit und einen Stifter gerechter Urteile. Es war ihnen gewiß, daß er noch viele Jahre der Königswürde vor sich hätte, da er in der Blüte des Mannesalters stand, und niemand konnte sich denken, daß er zu Schaden käme, denn berühmte Helden schützten ihn – Amergin und Conna, Eirginn und Duvatch. Während der Schachspieler des Königs seine Züge machte, überlegte er, was für König Fergus und das Volk von Ulster geschehen könne, und als das Spiel zu Ende war, war er entschlossen, zu bewirken, daß Fergus trotz seiner Entstellung König bleiben sollte, wofern das Volk ihn nicht absetzte. Der König aber durfte nicht erfahren, daß sein Angesicht gezeichnet war. Wie er davor bewahrt werden könnte, überlegte sich Mol, während er die letzten Züge auf dem Schachbrett machte. Von diesem Tage an regierte in Irland ein König mit einer Entstellung, gegen jedes Herkommen und früheres Beispiel. Aëd hatte das Volk gewarnt; als der König aber vor der Versammlung erschien, waren alle voll Entsetzen über sein Aussehen; sie erinnerten sich jedoch an die gerechten Urteile, die er gefällt hatte, und an seine gütigen Reden, und sie setzten ihn nicht ab. Das Gefolge verstand es, vom Schachspieler belehrt, sich vor König Fergus seine Entstellung nicht anmerken zu lassen. Alle glänzenden Dinge, die ihm sein Angesicht zeigen könnten, sowie alle Spiegel wurden aus dem Hause entfernt; sein Schild wurde mit Leder bezogen. Das Wasser für sein Bad wurde aus einem Bach mit braunem Wasser genommen, das sein Arzt als gut für Bein- und Gelenkschmerzen empfahl. Niemand im königlichen Hause sprach mit ihm über sein Aussehen; diejenigen, die eine lose Zunge hatten oder in ihren Reden unbeherrscht waren, wurden verabschiedet.
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Und deshalb standen der Gaukler, der Hofnarr und der Zwerg nicht mehr dem König zu Diensten. Von der Königin weggeschickt, bezogen sie eine Hütte am Ufer des Loch Rury. Manchmal hörten sie ein Brüllen, und wenn sie dann nach der Stelle schauten, wo die Shinach sich gewöhnlich zeigte, erblickten sie jedesmal ein schuppiges, vielzähniges, Rauch ausstoßendes, vielköpfiges Ungeheuer, das ein Getöse wie ein Sturm erregte, wenn es im Wasser auf- und abfuhr. Der Hofnarr und der Gaukler rannten davon bei diesem Anblick, der Zwerg jedoch blieb stehen; er stampfte und kreischte. Dann ging er jedesmal zu dem Versteck der anderen, und sein Mund war verzogen, und sein Auge blickte scheel. »Das Volk von Ulster sollte König Fergus nicht absetzen, weil sein Angesicht verdreht ist«, pflegte der Zwerg zu sagen, »sondern weil er vor dem Ungeheuer von Loch Rury davonlief.« Und der Hofnarr sagte darauf: »Was ist schon ein schiefes Gesicht« – er hatte selbst eines –, »wenn man eine gute Zunge im Kopf hat und das Volk bei Laune halten kann?« Und der Gaukler, der im Slige Midluchra auf der Straße nach Tara geboren war, pflegte zu sagen: »Was macht mir das aus, ob diese Provinz Wohlstand hat oder nicht? Es gibt andere Provinzen in Irland, und es gibt andere Könige außer Fergus Schiefmaul!« Der Zwerg geriet jedesmal in Wut über solches Gerede und sagte dann wohl: »Wer zur Sippe der Gaukler und Hofnarren gehört, versteht nicht, daß nichts gedeiht außer in der Umgebung eines gesunden Mannes. Ich aber bin aus der Sippe von Bauern, und ich weiß, daß die Ernte und der Zustand des Königs zusammenhängen.« Darauf erwiderte dann der Hofnarr: »Der Zustand des Königs ist gut, denn das Korn steht auf dem Feld, und Milch ist im Butterfaß, und jedermann kann sich an Brombeeren sattessen.« Und so war es: das Land blieb weiterhin in gedeihlichem Wohlstand. Das einzige, was ihnen am vollen Glück fehlte, war die Tatsache, daß sie nicht mehr solchen Überfluß an Aalen hatten,
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der sie früher weit berühmt gemacht hatte. Die Shinach oben im See verhinderte die Aale in diesem Jahr, in ihre Kochtöpfe zu springen. König Fergus besuchte die Jahrmärkte und Volksversammlungen und jagte den Hirsch, den Wolf und den Bären. Er fühlte sich außerhalb seines königlichen Hauses glücklicher als drinnen; denn es stand nicht mehr so in seinem Schloß um die Dinge, wie es früher war. Die Feste, die er gab, entfalteten nicht mehr die Fröhlichkeit wie einstmals. Er erzählte in einer Runde von Biertrinkern von seiner Begegnung mit der Shinach im Loch Rury. Anstatt ihr Bier darüber zu vergessen, begruben sie die Gesichter in ihren Bierkrügen, und als sie sie wieder niedersetzten, sahen sie aus wie Männer, denen eine traurige Geschichte erzählt worden war. Und Ailinn, seine Königin, übernahm es mehr und mehr selbst, über das Hausgesinde zu verfügen. Sie hatte seinen Gaukler, seinen Hofnarren und seinen Zwerg weggeschickt, sie wollte aber nicht zugeben, daß sie es getan habe. Eines Abends, als er an ihrer Seite beim Herdfeuer saß, kam ihm der Gedanke, er wolle sich vom Herzen reden, was ihn quälte, so daß das Leben im Haus wieder frei werde. Denn König Fergus war düsterer Laune; Mol, der Schachspieler, spielte schon seit langer Zeit so, als wäre sein Geist nicht beim Schachbrett. Er hatte sogar vergessen, welchen Ranges er war. Am vergangenen Abend hatte er seinen königlichen Partner nicht mit der bescheidenen Stimme, mit der man zu einem König zu sprechen pflegt, sondern schroff aufgefordert zu ziehen, so wie einer, der einem Fischer befiehlt, wo er eine Angelschnur oder ein Netz auszuwerfen hat. Deshalb hatte Fergus Mol sogar den Zutritt zu seinem Gemach verboten und hatte ihm die Pflege des Schachspiels entzogen. Und nun war er ohne einen Genossen zur Unterhaltung. Er konnte an diesem Abend nicht Schach spielen; das war Mols Fehler. Er hatte weder seinen Gaukler noch seinen Hofnarren oder seinen Zwerg, und das war der Fehler der Königin, die an
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seiner Seite beim Herdfeuer saß. Darüber wollte er mit ihr sprechen und dann kein Wort mehr über die Angelegenheit verlieren. In diesem Augenblick jedoch kam sein Rauchmann, der Feuerhüter, herbei, um die Steine aus dem Herd zu ziehen, die dort erhitzt wurden. »Wohin kommen diese Steine?« fragte Fergus. »In das Bad der Königin«, sprach der Rauchmann. »Und des Königs Bad?« fragte Fergus. »Meine Füße haben noch kein Bad bekommen.« »Es ist schon lange her, mein König«, antwortete der Rauchmann, »daß diese Reihenfolge für die erhitzten Steine getroffen wurde. Das Bad der Königin kommt zuerst und dann das des Königs.« Im Vorübergehen ließ der Rauchmann heiße Asche auf die Füße der Königin fallen. Ailinn geriet in Zorn und rief aus: »Dafür werde ich dich bestrafen lassen!« »Deswegen wirst du ihn aber nicht verbannen«, erwiderte der König, »wie du den Gaukler, den Hofnarren, den Zwerg verbannt hast.« Und dann ließ er seinem Zorn freien Lauf, und er sagte zu dem Rauchmann: »Trag die Steine in das Bad des Königs.« »Befiehl das ja nicht!« sprach Königin Ailinn zu ihm. »Denke daran, daß ich hierin so lange schon den Vorrang habe, daß es mich vor dem Gefolge entehrt, wenn er mir nun vorenthalten wird.« »Laß meinen Gaukler zu mir kommen!« »Er ist nicht im Haus. Er führte ein loses Maul, und ich konnte sein Geschwätz nicht ertragen.« »Dann verschaffe mir meinen Hofnarren wieder.« »Er hat das Fieber, und ich möchte ihn jetzt nicht in unserer Nähe sehen.« »Und wo ist mein Zwerg?» »Du nennst ihn deinen Zwerg«, sagte die Königin, deren Füße von der heißen Asche noch schmerzten, »aber ihn hat mein Vater mir geschenkt. Ich habe das Recht, ihn in mein Vaterhaus zurückzuschicken, um uns alle vor seinen Unverschämtheiten zu schützen.« König Fergus wurde über diese Erwiderung so wütend, daß er
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sie mit dem Stab schlug, der an seinem Sitz stand. Daraufhin rief Königin Ailinn mit aufflammendem Zorn: »Er ist bei einem König, der Achtung vor sich selbst hat, und nicht bei einem, der lieber Frauen prügelt als zu tun, was ihm ansteht.« Und dann rief sie aus, wobei sie den Saal eilends verließ: »Räche dich an der Shinach vom Loch Rury, anstatt eines Königs Tochter an deinem Herd zu schlagen.« »Was sollte ich denn an der Shinach rächen?« fragte er. »Dein verdrehtes Gesicht!« rief Ailinn. Der Rauchmann kam an den Herd zurück und meldete: »Die Steine sind im Bade des Königs.« »Aber, sag einmal, ist mein Gesicht verdreht?« fragte der König und hielt ihn fest. »Ich kann es nicht sagen, meine Augen sind vom Rauche nahezu blind.« »Dann will ich es selbst sehen!« schrie Fergus, und er rief seinem Gefolgsmann zu: »Bring mir einen Spiegel!« »Es gibt keine Spiegel im Haus, Herr!« sprach Aëd. »Ein Stück poliertes Erz.« »Es ist nichts Poliertes im Haus.« »Ein Eimer klaren Wassers vom Brunnen; ich befehle es dir!« Da konnte Aëd nichts anderes tun als hinausgehen an den Brunnen und Wasser in einem Eimer holen; und als er hinausging, sah er das Hausgesinde herumstehen, die Königin mitten unter ihnen, und auf allen Gesichtern lag Schweigen und Verstörtheit. Fergus sah sein Angesicht und wußte nun, daß es verdreht war, obgleich ihm das Bild nur undeutlich war. »Entstellt im Gesicht kann ich kein König sein!« sprach er. Als er am nächsten Morgen seine Krieger kommen ließ, befahl er ihnen, unbedeckte Schilde zu bringen. Er schaute in jeden der vier Schilde und sah einen Mann mit krummem Mund und einem scheelen Auge, und quer über sein Angesicht ging ein roter Streifen von der rechten Stirnseite zur linken Kinnlade. Er berief die Versammlung der Männer von Ulster. Er legte die Hände vor sein Angesicht, und da wußten sie, daß ihm sein
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Schandmal bekannt war. Und nun begrüßten sie ihn nicht als ihren König. »Behaltet mich noch für eine kleine Weile als euren König«, sprach Fergus MacLeide. Er rief nach dem Schwertträger und ließ sich sein besonderes Schwert, den Caladbolg, und seinen Schild bringen. Dann bestieg er den Königswagen, sein Volk zog mit ihm, und er fuhr zum Ufer des Loch Rury. Die Männer seiner Provinz fuhren in einer Flotte von Booten auf den See hinaus. Diese zerschmetterte die Shinach. Dann standen die Männer wieder am Ufer, und Fergus sprach zu ihnen: »Bleibt hier und seht mit an, wie euer König und das Ungeheuer miteinander fertig werden!« Mit hochaufgerichtetem Kopf und geblähten Nüstern, die die Menschen witterten, kam die Shinach an die Stelle herangerauscht, wo er stand. Fergus watete in die Untiefe, mit Schwert und Schild bewaffnet. Das Ungeheuer stürzte sich auf ihn mit seinem Riesenkörper, seinen langen Fängen und seinem Schweif, der in vielfältigen Windungen gekrümmt war. So wie der Wolf die Zähne fletscht, wenn ein Knüttel ihn bedroht, so starrten ihm alle ihre Zähne in all ihren Köpfen entgegen. Fergus sprang gegen sie an und traf ihre Flanken mit seinem Schwert. Er stieß seinen Schild in einen geöffneten Schlund und sprang ihr auf den Nacken trotz der Stacheln und Borsten. Die Shinach peitschte das Wasser, so daß Fische unter die Männer am Ufer geschleudert wurden, und der saubere Sand vom Grund des Sees wurde aufgewühlt. Das Wasser war weiß von Schaum. Als aber der König mit der Klinge, der besten in Irland, zustieß, wurde der Schaum blutrot. Durch die zähe Haut des Ungeheuers traf er ins Herz. Da wurde der See mit einem Male dunkelrot, und durch die dunkle Röte stürzte König Fergus an das Ufer zurück. Er taumelte aus dem Wasser und fiel zu Boden, sein Schwert neben sich. Er war zerfetzt und vergiftet und stöhnte, wie er am Ufer lag. »Bewahrt mein Schwert wie einen Schatz«, sprach er. »Euer
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König trat dem Ungeheuer entgegen, das ihn entstellte und ihn zum Unkönig machte. Ich wollte lieber den Tod erleiden, als von der Shinach gezeichnet mein Königsamt verlieren. Männer von Ulster, ich sterbe als euer König!« So starb Fergus am Rande des Wassers, das er mit dem Lebensblut der Shinach gerötet hatte. Weinend standen die Männer von Ulster um ihn, und unter Tränen sang sein Barde ein Preislied auf ihn. Das Schwert Caladbolg verwahrten sie im Schatzhaus. Und auf den Steinpfeiler, den sie ihm aufs Grab setzten, meißelten sie: Fergus, Sohn des Leide, Der als unser König starb.
Drei Kormorane kreischten nacheinander, Suivné aber zitterte nicht mehr. Abt Moling segnete die Geschichtenerzähler, weil sie Suivnés Geist stetiger gemacht hatten: In guter Eintracht vollendeten die vier Männer den Gang um den See. Sobald sie aber an die Stelle kamen, wo Moling gestanden, als Suivné mit verwirrten Sinnen ihn angriff und den Psalter in den See schleuderte, da rief dieser unglückselige Mann aus: »O Mönch, ich bin das erbärmlichste und unglücklichste Wesen auf der Welt; weder Schlummer noch Ruhe werden über meine Augen kommen, da ich den so bösen Trieb hatte, Kevins heiligen Psalter zu ertränken. Ronans Fluch liegt auf mir, und wenn er auch schon vor dem ewigen Richterthron steht, so wird sein Fluch nicht von mir weichen. Ich muß ein freudloser und unglücklicher Mann bleiben, da mir kein Zeichen der Entsühnung gegeben wird.« Da stand er! Tiefer Kummer zeichnete sein Angesicht, und viele Seufzer entrangen sich ihm. Doch siehe da! Ein Otter schwamm aus dem See heran und hielt etwas im Maul, das er Moling zu Füßen legte. Es war der Psalter, und – dies war wirklich ein Wunder – nicht eine seiner Seiten war beschädigt! Da sah nun Suivné Moling am Ufer des Sees stehen, der Psalter lag offen in seiner Hand, der Otter schaute zu ihm auf, und nun
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kam eine Veränderung über Suivné. Hoch richtete er das Haupt auf; er stieß einen hellen Ruf der Erleichterung und der Freude aus. Da nahm ihn der Abt von Tuam bei der Hand und führte ihn in das Refektorium; auch die Geschichtenerzähler Colman MacAë und Aë MacColman gingen mit; und dort bestellte er eine Erfrischung für alle drei. Die Furcht wich von Suivné, und er lebte nie mehr als wilder Mann. Jedoch ging er nicht zurück nach Dalria, sondern blieb in Tuam Inver und hörte jeden Abend in Molings Kapelle die Vesper. Der Abt unterhielt sich gerne mit ihm über seine Wanderungen und schrieb viel von seiner Geschichte und seinen Abenteuern nieder.
In Tuam Inver schied Suivné aus dem Leben. Moling selbst stellte den Stein auf seinem Grab auf. Er sprach: »Vollkommen war der Mann, dessen Grab hier ist. Oft waren wir zusammen, welch glückliche Tage! In gutem Gespräch wanderten wir häufig auf jenem Fußpfad. Herzerhebend war es für mich, ihn an jener Quelle zu finden, wie ich es gerne hatte, wenn jeder von uns vom Felde nach Hause kam. Sie soll von nun an Suivnés Quelle heißen. Teuer jedoch ist mir jeder Ort, wo dieser gesegnete Irre sich aufhielt.« Moling verfaßte auch ein Gedicht zum Gedächtnis Suivnés, das im Buch von Tuam Inver zu finden ist. Was nun die Geschichtenerzähler Colman MacAë und Aë MacColman betrifft, so begaben sie sich hinüber nach Alba, machten sich dort bei jedermann beliebt und kamen nach Irland zurück, mit nordischen Mänteln angetan. Wir haben Grund anzunehmen, daß sie in den Stand der Landbesitzer eintraten; denn es gibt einen Bericht über Schenkungen an zwei Geschichtenerzähler, die ihnen das ermöglicht hätten. In diesem Falle hätte jeder Anspruch gehabt auf ein Wohnhaus von 27 Fuß Länge mit einem Nebenhaus von 17 Fuß samt Brennofen, Scheune, Mühle, Schweinestall, Kälberweide und Schafhürde. Als Viehstand hätte jeder 20 Milchkühe, 2 Stiere, 6 Zugochsen, 20 Spanferkel, 400 Waldschweine, eine Herde Gänse und ein Sattelpferd mit einem emailgeschmückten Zaum bekommen. Außer ihren Ackerfeldern würde jeder einen Weideanger haben, auf dem stets eine Herde Schafe weiden konnte. Dagegen hätte jeder die Pflicht, einen Waschtrog, ein Bad und eine Braupfanne mit Geräten für jede Jahreszeit zu besitzen, und keines dieser Geräte sollte nur geborgt sein. Auch würde von ihnen verlangt, daß ihre Feuerstellen nie erloschen wären, immer Kerzen in den Leuchtern, so daß mit Schinken am Haken und einer Gans daneben, mit einem Fäßchen Bier und einem Butterfaß bei der Hand, mit einem Vorrat Brot aus selbstgemahlenem Korn jeder imstande sein könnte, einen Fürsten, Bischof, Doktor oder Richter von der Landstraße
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weg zu Gast zu laden. In solchem Wohlstand können wir sie ohne Sorge verlassen. Auf jeden Fall wissen wir, daß zwei Geschichtenerzähler von König Donald (das steht im Bericht von seinen letzten Taten) eine Kuh von jedem Hof in Meath, einen Mantel von jedem Kirchspiel und einen Scheffel Gold von jedem Fürsten und Vogt empfingen.
Nachwort
Ind ráith i comair in dairfhedo, Ba Bruidgi, ba Cathail, Ba Áedo, ba Aillello, Ba Conaing, ba Cuilíni, Oxus ba Maíle Dúin: Ind ráith dar éis caích ar uáir, Ocus índ ríg foait i n-úir. Die Burg dort oben am Eidiwald War Sitz von Bruidge und Cahill, Von Áedo, von Aillill, Von Conan und von Cuilini Und war auch Mael Duins Behausung: Die Burg blieb bestehen nach jedem, Doch die Könige schlafen im Grund. (Altirischer Spruch)
Die hier dargebotenen Erzählungen, eine Auswahl aus dem sehr reichen Schatz der irischen Heldensagen, werfen in mehrfacher Hinsicht ein helles Licht auf die Lebensgesetze des alten mythischen und historischen Irland druidischer und christlicher Prägung. Die Geschichte von der Besessenheit des Fürsten Suivné, die den Rahmen für die eigentlichen Sagen bildet, spielt in christlicher Zeit und zeigt in den Gestalten der Äbte das charakteristische Wesen des irischen Christentums der Jahrhunderte zwischen 500 und 1100. Abt Ronan benimmt sich wie ein Druide, der durch die Macht seines Zauber- oder Fluchwortes die Menschen seelisch segnen oder krank machen kann. Abt Moling dagegen verkörpert mehr die eigentliche, unbedingt christliche Nächstenliebe, die die kranke Seele des Besessenen wie in einer geistigen Kommunion endgültig heilt und zum inneren Frieden führt. Ein genialer Griff des Künstlers Padraic Colum vereinigt schließlich in der Geschichte »MacErc und die Zauberfrau« die beiden Welten der zauberhaft schönen Feenwelt und des herberen altirischen Christentums dadurch, daß Abtbischof Kernedi eingreift und das dämonische Wesen Sheen, das zwischen Haß und Liebe zerrissen wird – ein Urbild des Zwiespalts von Pflicht und Neigung – versöhnt und mit symbolischer Kraft das elementarische Heidnische ganz in das Keltisch-Christliche überführt. 189
Das Werk, das Padraic Colum hier geschaffen hat, geht in einer besonderen Weise weit über den Rahmen einer sonstigen Sammlung von Sagen hinaus. Er führt eine moralische Idee durch und gibt zugleich ein lebendiges Bild von den sozialen und politischen Zuständen in Irland zur Zeit der Einführung des Christentums. Diesen Zwecken dient in erster Linie die Rahmenerzählung von Suivné, die auf historischen Ereignissen beruht und aus zwei mittelalterlichen Sagen zusammengefügt ist: »Die Schlacht bei Moy Rah« und »Suivné der Besessene.« Diese beiden Sagen sind zwar erst im 12. Jahrhundert aufgeschrieben worden, ihr Inhalt spielt aber im Norden Irlands im 6.-7. Jahrhundert und spiegelt den Übergang vom druidischen Heidentum zum Christentum. Die oben bereits erwähnten Äbte Ronan und Moling sind durch ihre Handlungsweise treffende Beispiele für die Entwicklung des christlichen Elements aus ungebrochenem, wildem Temperament zu echter Selbstbeherrschung aus christlicher Nächstenliebe. Padraic Colum hat diesen mittelalterlichen Stoff aus einem ganz modernen Bewußtsein frei gestaltet; denn er sagt selbst: »Keiner der beiden Sagendichter hat daran gedacht, diese Sagen als Gefäß für so viele Götter- und Heldensagen zu verwenden.« Aber gerade mit diesem Kunstmittel der Rahmenerzählung bleibt Colum ganz in der Tradition der irischen Märchenerzähler, die oft kunstvoll mehrere Geschichten ineinanderflechten. Scheinbar beziehungslos stehen diese Geflechte zuerst ineinander verwoben, genau wie die bunten Bänder der irischen Buchmalerei, und ergeben doch zum Schluß ein geniales Gesamtbild, in dem ein Zug den anderen hebt und stützt. So ist es auch hier. Höchst anschaulich entsteht die tiefe Wirkung der Macht des Wortes, das die verwundete Seele aufbaut wie der Logos die Welt und sie gesund macht, nachdem die Wut eines Fluches sie an den Rand der Vernichtung gebracht hat. Dies altirische Motiv durchzieht das ganze Werk in ergreifenden Beispielen christlicher und druidischer Prägung von Abt Ronan bis zu Cuchullins Druiden und MacErcs Zauberfrau. Gerade die Betonung dieses Motivs macht es dem Dichter möglich, das intim soziale, geistig-seelische Bild des alten vorchristlichen Irland und sein Verhältnis zur Götterwelt anschaulich zu machen. Obwohl auch heute noch unter den keltischen Iren übersinnliche Erlebnisse erscheinen, so erstirbt doch die direkte Erfahrung der geistigen Wesen in Irland wie in der Gesamtmenschheit am Ende des Mittelalters in die neu erwachende Fähigkeit des logischen Verstandes hinein, und ein neues Bewußtsein entwickelt sich. Colum sagt in einer der Geschichten: »Dies war das letzte Mal, daß ein göttliches Wesen aus den Feenhügeln sich mit den Menschen verband.« – Und auch der alte vorchristliche Helden190
geist entschwindet. Er wird im tragischen Untergang Cudiullins sowie in der seelischen Verhärtung Finns in abendlichem, düsterem Glanz gezeigt. Diese heroische Welt verklingt, und an ihre Stelle setzt das Christentum andere, mehr innere Werte. Es entschwindet bei diesem Obergang manches Gute, wie zum Beispiel das schöne, aus freier Geistwahl geborene Verhältnis von Pflegevater zum Pflegesohn. König Donald bricht es zum erstenmal in der Geschichte Irlands aus egoistischem Machthunger. Es entschwindet aber auch die verhängnisvolle Verpflichtung eines Helden durch die sogenannte »Geis« zu einer Tat, die er treu bis zur Selbstvernichtung ausführen mußte. Dies beruhte in den ältesten Zeiten auf einem »Befehl eines Gottes«, ging später auf Sippenbindung über und endete in oft völlig unsinnigen und unverständlichen Bindungen von Mensch zu Mensch. Tragische Blüten solcher Verpflichtungen durch »Geis« zeigen ihre Wirkung in der Sage von Dermott und Grania, oder auch in der Sage von Tristan und Isolde. Beide Male wird die Wirkung der Verpflichtung unterstützt durch einen Zaubertrank. Ursprünglich durfte ein Mensch, der eine Verpflichtung durch »Geis« auferlegte, sicher nur aus hoher Verantwortung vor einer geistigen Instanz so handeln; denn sie konnte zum Heil oder zum Untergang dienen; später wurde sie gröblich mißbraucht wie in dem Beispiel der rachsüchtigen Druiden gegenüber Cuchullin. Wir bringen nun aus Colums Nachwort zur englischen Originalausgabe einige der wichtigsten Stellen, die auch für deutsche Leser interessant sein können. Die irische Gesellschaftsverfassung Im Irland der Zeit des Königs Donald, im 7. Jahrhundert, gab es keine Städte, keine Heere, kein Münzsystem und sehr wenig Handel. Sowohl im umfassenden Staatsgebilde als auch in den kleineren Gebieten, aus denen es bestand, waren Burgen, Herrensitze, Gehöfte, Kirchen, mönchische Siedlungen, Jahrmärkte, Gerichtshöfe und Volksversammlungen vorhanden. Der irische König wurde von der Volksversammlung seines Gebietes aus einer herrschenden Familie gewählt; er war Anführer in der Schlacht und Vorsitzender der Versammlung; er war Richter; er war Landbesitzer. Er hatte aber keine ständige Armee; seine Streitmacht bestand aus den Freisassen seines Staates, die er nur auf eine beschränkte Zeit zu einem Heer einberufen konnte. Das politische und soziale Leben dieser bäuerlichen Völker fand seinen Mittelpunkt in Zusammenkünften oder Volksversammlungen. Die großen Versammlungen wurden dreimal jährlich gehalten, kleinere Versammlungen dagegen müssen zu allen
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Zeiten möglich gewesen sein, denn das frühe Irland bestand aus kleinen Staaten, von denen jeder seinen eigenen König und seine eigene Versammlung hatte. Es gab im 7. Jahrhundert eine nationale Gesetzgebung und eine nationale Sprache, die sehr gepflegt wurden, und eine gebildete Klasse, die sich als Verwalterin der nationalen Sprache, des nationalen Gesetzes und der nationalen Geschichte fühlte. Diese Dinge entstanden aus einer sozialen Einheit und stärkten die soziale Einheit. Die allmähliche Einwanderung aus einem kleinen Staat im Norden von Irland in jenes Land, das mehrere Jahrhunderte später Schottland genannt wurde, hatte dort ein kleines Königreich geschaffen. Damals hieß das Land Alba. Und es gab eine Missionierung über das Meer hin nach Schottland, deren Führer Colum-Cille (der heilige Columba) und dessen Zentrum lona war. lona und der irische Staat in Alba standen in Verbindung miteinander und Columba benützte seinen Einfluß, um diesen Staat zu fördern. Er führte feierlich seinen König Aedan in sein Amt ein und forderte auf einer in Irland gehaltenen Synode, man solle dieses überseeische Königreich von Tributen und Soldatenaushebungen für den Mutterstaat befreien. Dies war drei Regierungszeiten vor Donalds Zeit geschehen. Der Tribut wurde erlassen, aber nicht die Aushebungen. »Ihre Feldzüge und gemeinsamen Kriege mit den Männern von Irland« beschloß man in dem von der Synode gefällten Urteil. Nach dieser Zeit war das albanische oder schottische Dal Riada (es hat denselben Namen wie das Mutterreich auf der irischen Seite) imstande, größere Anstrengungen zu machen, um sich auszudehnen. Und nun erscheint Donald Brec. Er war nicht so erfolgreich wie Aedan bei der Vergrößerung seines schottischen Königreiches, denn die Pikten und die Briten von Strathclide hemmten ihn in seinen Bewegungen. Er war König sowohl im schottischen als auch im irischen Dal Riada und hatte seinen Sitz auf der schottischen Seite. Zu ihm kam sein Neffe Gongal, ein junger König von Ulidia und Dal Arahee im Norden Irlands, mit dem Vorschlag, den Heimatstaat des Königs von Irland im Norden anzugreifen. Zweihundert Jahre lang hatten die Abkömmlinge von Niall, die O'Neill, das Hochkönigtum innegehabt. Unglücklicherweise wechselte es ab zwischen dem nördlichen und dem südlichen Zweig, und dies verhinderte die Errichtung eines Königshofes, der ein nationaler Mittelpunkt hätte werden können. Wäre der Angriff auf den Heimatstaat des Hochkönigs gelungen, so hätte er die Dynastie und vielleicht das Hochkönigtum selbst vernichtet. Als Herrscher in einem ungeordneten Staat vermochte Donald Brec dennoch, Männer anzuwerben, die im Krieg sehr geübt waren: Pikten, 192
Briten aus Strathclide und Sachsen. Er verfügte auch über eigene Aushebungen aus dem schottischen und irischen Dal Riada, und über die seines Neffen aus Ulidia und Dal Arahee. Auf diese Weise war eine beträchtliche Streitmacht gegen den König von Irland zusammengekommen. Und Donald Brecs Berufssoldaten konnten länger im Feld gehalten werden als die Truppen der Freisassen des Königs von Irland und seiner Verbündeten. Moy Rah war ein Sieg der O'Neill; die Dynastie war imstande, das Hochkönigtum weitere vierhundert Jahre zu halten. Ohne das Hochkönigtum, ohne diese Stütze der moralischen Kraft des Volkes wäre Irland durch die bald darauffolgenden skandinavischen Angriffe in kleine Stücke zerschlagen worden. Darum hatte die Schlacht bei Moy Rah eine starke Wirkung auf die irische Geschichte. Sie hatte wahrscheinlich eine ebenso starke Wirkung auf die schottische Geschichte. Moy Rah beendigte die Einmischung der Könige von jenseits des Meeres in irische Angelegenheiten und dies kann die schottischen Führer (alle Adeligen des irischen Dal Riada scheinen zum Hochkönig übergetreten zu sein) gezwungen haben, eine kräftigere Anstrengung zur Ausdehnung in Alba zu machen. Jedenfalls machten sich die Könige von Dal Riada im Laufe der Zeit zu Königen von Schottland und blieben bis zur normannischen Eroberung von England an der Macht. Dabei ist zu beachten, daß der Name »Scot« keine Rassenunterschiede zwischen einem Schotten und einem Einwohner von Irland in sich schließt. Das ganze Mittelalter hindurch waren die Iren auf dem Kontinent als Schotten bekannt, und erst im 13. Jahrhundert wurde das nördliche Königreich endgültig Schottland und seine Einwohner ausschließlich Schotten genannt. Der Hoch- oder Oberkönig (Ard-Ri) war mehr eine juristische als politische oder militärische Gestalt. Er hatte keine militärische Streitmacht, keinen Staatsrat, kein besonderes Einkommen. Er war Vorsitzender in den großen Versammlungen und Richter im obersten Gerichtshof. Wenn Geschichtsschreiber oder Märchenerzähler ihn preisen, sprechen sie von ihm als Richter oder vielmehr als Schutzherr des Wohlstandes durch das Gesetz. In früheren Zeiten scheint er eine andere Stellung gehabt zu haben. Tara und das heilige Königreich Das Hochkönigtum entwickelte sich aus dem Königtum von Tara. Die frühen Könige waren Priesterkönige von der Art, die wir im prähistorischen Griechenland, Italien und anderen Ländern kennen: Vertreter der Gottheit, die landwirtschaftlichen Wohlstand brachte. Ihr eigent-
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lidies Amt war die Durchführung der Riten, die Fruchtbarkeit förderten. In der Nähe von Tara waren die großen Hügel, die die Begräbniskammern und Tempel eines Volkes in der Bronzezeit gewesen waren. Da gab es den Brugh oder Wohnsitz des Angus, einer Gottheit, die mit Jugend und Liebe verbunden war. Das göttliche Volk lebte dort, hatte seine eigenen Geschichten und Romane, kam von Zeit zu Zeit in die Welt der Sterblichen heraus und nahm Sterbliche in seine Welt mit. Midir in unserer Geschichte »Midir und Etain« ist eine Wiederholung des Angus. Der heilige König aber mußte alles, was ihn betraf, in göttlicher Vollendung haben: er mußte gesund, unverletzt und von schöner Erscheinung sein; er mußte verheiratet sein und Kinder haben. Es ist daher seltsam, daß wir in Eterskel, in der Geschichte »Die Pflegetochter der Kuhhirten« einen König finden, der noch von Verboten umzäunt ist, die seine Vermählung schwierig machen. Die nördliche Sage Cuchullin ist der sympathische Held in der alten Literatur – sympathischer als Achilles oder Siegfried. Wie Achilles ist er halbgöttlicher Herkunft: obgleich er einen Ulsterführer als vermutlichen Vater hat, ist er in Wirklichkeit der Sohn des Sonnengottes Lugh; seine Mutter ist die Schwester von Gonnor, dem König von Ulster. Wie Achilles muß er jung sterben; wie Achilles hat er unsterbliche Rosse, die ihm den Tod prophezeien; wie bei Achilles strahlt ein heller Lichtschein rings um sein Haupt, wenn seine Kraft gereizt wird. Als aufgeschriebene Heldensagen standen die ultonischen Geschichten in großem Ansehen; dies bedeutete, daß sie trotz ihrer ausgesprochenen Provinzialismen alle in ganz Irland zirkulierten: Cuchullin, der die Krieger aller anderen Provinzen in Schach gehalten hatte, wurde ein nationaler Held. Dies war möglich durch die Tatsache, daß Emin Macha keinerlei Bedeutung mehr hatte und der Clan Rury, zu dem die ultonischen Helden gehörten, keine politische oder militärische Wichtigkeit mehr besaß: wenn ein Fürst erscheint, der die Abstammung von einem Mann des Clan Rury beansprucht, so wird er als interessante Reliquie betrachtet. Auch konnte das Heldenepos in schriftlicher Form überliefert werden, weil das Ansehen von Tara und die Würde des Hochkönigs noch in Ehren blieben. Aber Cuchullin zieht nach piktischen Ländern, um von den Amazonen ausgebildet zu werden. Dort ereigneten sich Dinge, die eine große Bedeutung für sein späteres Leben haben sollten: Er wird der Waffen-
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freund von Fardia, den er bei der Verteidigung von Ulster gegen die Heere von Mayiv bekämpfen und erschlagen muß; er wird der Vater von Connla, den er unwissend erschlägt; er erlangt die geheimnisvolle Waffe, den Gae Bulga. Der Gae Bulga konnte nicht ein Speer gewesen sein, wie er in dieser Geschichte beschrieben wird; sehr wahrscheinlich bedeutete sein Name den Speer von Bolgos, eines Gottes der niederen Welt, der der Urahne vieler keltischen Völker war, z. B. der Belgier und der Firbolger. Tara und das politische Königtum Gönn, sein Sohn Art, sein Enkel Cormac und sein Urenkel Kerbry bilden eine Dynastie von Tara, die, verglichen mit solchen Königswürden wie der von Jochu und Eterskel, das Aussehen eines politischen Königtums hatten. Dies war ungefähr im Jahre 200 nach Christus. Die Dynastie war ein Eindringling, da sie vom Westen, von Connacht kam. Cormac machte Tara sowohl zu einem sozialen als zu einem politischen Mittelpunkt, indem er den großen Versammlungssaal baute, worin hervorragende Persönlichkeiten des Adels während der heiligen Festzeiten königlich bewirtet wurden; er veranlaßte auch die geringeren Könige, ihre jugendlichen Prinzen als Geiseln in Tara wohnen zu lassen. Die Überlieferung will, daß Cormac zweihundert Jahre vor der Zeit des heiligen Patrick durch Berührung mit dem römischen Britannien Christ wurde. Es ist wohl möglich, daß zu Cormacs Zeit Einflüsse vom römischen Britannien herüberwirkten; manche Historiker sehen in der berühmten Halle von Tara die Nachahmung eines römischen Bauwerks und in der Fian eine Wiederholung der römischen Legion. Die Versammlungshalle hinterließ Mauerspuren, die noch gesehen und gemessen werden können. Ein Plan ihres Innenraums ist auf uns gekommen und sogar eine Liste der Gerichte, die den verschiedenen Rängen des Adels, der Berufsklassen und der königlichen Gefolgsmänner vorgesetzt wurden. In der Mitte der Halle war eine runde Ausbuchtung, und dort hatten der König, die Königin und die Prinzen ihre Sitze, von wo aus sie den oberen und den unteren Teil des Saales beherrschten. Die südliche Sage Nach der Darstellung der Geschichtenerzähler war die Fian eine nationale Miliz, die den Königen von Tara diente, insbesondere Cormac MacArt, und wurden von Cormacs Nachfolger, Kerbry, in der Schlacht von Gowra vernichtet. 195
Weder Finn noch seine Unterführer haben Landbesitz; sie bewegen sich leicht von Ort zu Ort und unterhalten sich selbst durch die Jagd, wie es für ein entwurzeltes Volk in einem dünn besiedelten Land natürlich wäre. Sie jagen, wenn sie nicht kämpfen. Und Fina ist kein aristokratischer Held wie Cuchullin; er ist ein Volksheld, er ist sowohl listig als auch tapfer, rachsüchtig als auch großmütig. Seine Sage übertraf bald an Volkstümlichkeit die Cuchullin-Sage; sie wurde sowohl in jedem anderen Teil von Irland als auch im gälischen Schottland weiterentwikkelt. Sie hatte den Vorteil über die Cuchullin-Sage, daß sie nicht aufgezeichnet war, nicht die Festigkeit eines geschriebenen Textes hatte. Und sie hatte ausgesprochene Vorteile, die ihr zur Volkstümlichkeit verhalfen. Es war kein so aristokratisch-tragischer Zug in ihr; sie hatte Raum für Humor. Ungleich Cuchullin erreicht Finn die Blüte des Mannesalters und wird sehr alt; er hat Söhne und Enkel; er hat ein vollständigeres und vielseitigeres Leben als der jung gestorbene und einzigartige Cuchullin. Zweifellos entstammte die Finn-Sage dem Volksleben und wurde vom Volk entwickelt. Jedoch erwirbt sie sich höfische Züge wie zum Beispiel in den Geschichten »Wie die Harfe nach Tara kam«, »Die Tochter des Königs von Irland« und »Der Tod von Dermott O'Divna«. Die Geschichte von Dermott und Grania ist entscheidend in der Finn-Sage: nach dieser Episode herrscht Zwietracht in der Fian. Wie in der Heldenschar des Königs Artus, folgt aus Leidenschaft und Verrat der Zusammenbruch. Auch Tara verschwindet aus den Geschichten. Das Hochkönigtum bleibt bestehen, wechselt aber nach der Zeit des Niall (5. Jahrhundert) zwischen dem nördlichen und dem südlichen Zweig seiner Nachkommen ab, und Tara ist nur ab und zu wieder der Sitz der Könige von Irland. Sein Ansehen geht dahin. Ein Jahrhundert vor König Donalds Zeit wird es verlassen. Und deshalb finden wir in »MacErca und die Zauberfrau« das alte Muster und Vorbild verändert. Die Besucherin aus dem Feenpalast des Angus wird nicht nach Tara gebracht, sondern nach einer neuen Burg, die immer noch in Meath ist. Geistliche Autorität legt den Bann auf sie; der Zauberglanz aber, der zu der Braut aus dem Feenhügel gehört, wird immer noch so tief gefühlt, daß am Ende diese geistliche Autorität eine versöhnliche Gebärde machen muß. Sheens Geschichte hat eine unheimliche Stimmung, weil aber die irische Phantasie die Frau, die aus der verborgenen Welt kommt, so sehr geliebt hat, kann sie nicht vollständig verdammt werden. Tara ist verlassen; der König, der den Titel König von Tara besitzt, wird von christlichen Geistlichen beraten, die Frau jedoch, die zu ihm kommt, behält etwas von Etains Glanz. Denn die Zuhörer möchten es gewiß nicht anders haben. 196
Kinder- und Jugendbücher (ab 6 Jahren) Kindertag Neue Gedichte von HEDWIG DIESTEL 80 Seiten, farbiger Einband, DM 6.80 Aus der Arbeit langer Jahre hat Hedwig Diestel neue Verse zusammengestellt: Verse für den Tages- und Jahreslauf, kleine Spiele in Gedichtform, Gedichte in verschiedensten Rhythmen und Versmaßen.
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Kindheitslegenden, Geburt und Kindheit Jesu Von JAKOB STREIT 4., erw. Auflage, illustriert von AssiaTurgenieff, 112 Seiten, Pappband DM7.80 Die Sprache Jakob Streits ist einfach und einprägsam, so daß man die innere Wahrheit des Erzählten unmittelbar empfinden kann. Innerhalb der größeren Abschnitte (Die Hirten – Die Könige – Auf der Flucht – In Ägypten – Auf der Rückkehr – Zu Nazareth – Das Licht leuchtet weiter) weiß er in kurzen Geschichten Bekanntes und weniger Bekanntes so zu berichten, daß das Geheimnis von Christi Geburt und erster Jugend den Kindern in richtiger Weise vor die Seele gestellt wird.
Die Söhne Kains Von JAKOB STREIT Mit sechs ganzseitigen Zeichnungen von Assia Turgenieff. 45 Seiten, Leinen DM 6.80 In lebendigen Bildern, in denen sich das Entstehen aller Menschheitskultur spiegelt, zieht das Schicksal der Kainssöhne an uns vorüber: Jabal, der die wilden Tiere zähmt und sie zu Haustieren der Menschen erzieht; Jubal, der Sänger, der den Menschen die Musik bringt; Thubal, der Erfinder, Schmied und Häuserbauer. Die Erdenreise des kleinen Engels Von HILDA HERKLOTZ Bilderbuch für Kinder von 3 bis 7 Jahren. 3. Aufl., 7.-8. Tausend, DM 12.-
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Lesebuch der Pflanzenkunde Von GERBERT GROHMANN Mit zahlreichen Zeichnungen des Verfassers, 214 Seiten, kartoniert DM 9.80, Leinen DM 12.80 Voller Geheimnisse und Wunder ist die Pflanzenwelt. Mit Gerbert Grohmann entdecken wir so viel Neues, daß es scheint, als sähen wir sie überhaupt zum ersten Mal richtig und seien bisher mit blinden Augen durch Wiesen und Wälder gegangen.
Fremde Länder – Fremde Völker Von HANS RUDOLF NIEDERHÄUSER Eine Einführung in die Völkerkunde in Bildern, Mythen und Erzählungen. 288 Seiten, Leinen DM 14.80 »Das Buch gehört in jede Schülerbücherei, wenn man es nicht gar seiner sprachlichen Meisterschaft wegen als erdkundliches Lesebuch verwenden will. Feinfühlig Tempo und Stimmung der Darstellung wechselnd, interpretiert der Verfasser die Symphonie der Landschaften und Völkerindividuen und läßt nach seiner eigenen einführenden Schilderung jeweils die Stimme der Völker selber zu Worte kommen.« Hamburger Lehrerzeitung
Lesebuch der Tierkunde Von GERBERT GROHMANN Achtzehn Tiere. 128 Seiten, kartoniert DM 7.80 »Was will also das Buch? Kurz gesagt, Tiere lieben lernen. Das gelingt dem Verfasser, weil er viele interessante Einzelheiten aus Körperbau und Leben in scheinbar müheloser Weise so anordnet, daß echte Spannung entsteht.« Schulwarte
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