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»Kein Autor hat je größere Möglichkeiten sichtbar gemacht, keiner die Ziele weiter gesteckt als John W. Campbell. Keiner vor ihm hat in so überzeugender Weise die Grenzen des Machbaren mit den Grenzen des Vorstellbaren gleichgesetzt. In der gesamten Science Fiction gibt es keinen größeren Höhepunkt der Phantasie als die Darstellung Arcots, der in die Schlacht zieht und mit der Kraft seiner Gedanken Universen zerstören und erschaffen kann.« Lester del Rey »Das Universum Campbells ist ein Universum der Gewalt. Alle intelligenten Rassen (die Menschheit eingeschlossen) sind gewalttätig; sie kennen nur eine Form der Begegnung: den Krieg ... Aber es sind seltsam blutleere Kriege. Die Kämpfenden bleiben gesichtslos, wir erfahren nichts über ihre Gefühle, ihren Triumph, wenn sie siegen, ihr Leid, wenn sie unterliegen ... Darüber hinaus verletzt Campbell unbekümmert fundamentale Naturgesetze. Doch trotz dieser Schwächen spürt man die brilliante Phantasie, die dahintersteckt, wird mitgerissen von der Rasanz der Handlung und dem Enthusiasmus des Autors ... Es ist vier Jahrzehnte her, daß ich als Junge Campbells Romane verschlungen habe. Beim Wiederlesen heute haben die Visionen von Raum und Zeit nichts von ihrer Kraft eingebüßt, die mich seinerzeit geradezu behexten, und ich spürte die alte Bezauberung – den Zauber des Wunderbaren.« Isaac Asimov
JOHN W. CAMPBELL jr.
INVASION AUS DER UNENDLICHKEIT Ein klassischer Science Fiction-Roman
Deutsche Erstveröffentlichung
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
HEYNE-BUCH Nr. 3453 im Wilhelm Heyne Verlag, München
Titel der amerikanischen Originalausgabe INVADERS FROM THE INFINITE Deutsche Übersetzung von Ilse Pauli
Redaktion: E. Senftbauer Copyright © 1932 by Experimenter Publishing Company Copyright © 1975 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München Printed in Germany 1975 Umschlagbild: Karl Stephan, München Umschlaggestaltung: Atelier Heinrichs, München Gesamtherstellung: Ebner, Ulm ISBN 3-453-30337-7
1. Kapitel Russ Evans, Pilot 3497 der Rocket Squad Patrol 34, ließ seinen Haltegurt aufschnappen, stieß sich leicht ab und schwebte im schwerelosen Schiff. Er streckte sich und gähnte. »Red, wann gibt's was zu essen?« rief er. »Schrei nicht so, du weckst j a die anderen«, antwortete gedämpft eine Stimme aus dem hinteren Teil des schnellen, kleinen Patrouillenboots. »Siehst du was?« »Einige Millionen Sterne«, antwortete Evans leise. »Und ...« Sein Ton wurde plötzlich schneidend. »Assistant Murphy, überlegen Sie sich, was Sie sagen, wenn Sie mit Ihrem Vorgesetzten reden, sonst muß ich Sie melden.« Ein grinsendes Gesicht mit hellem Haarschopf erschien am Rand der Türöffnung. »Halt die Luft an! Du magst dir zwar wie eine große Sonne vorkommen, aber du bist nur ein schäbiger Planetoid. Aber eins möchte ich gerne wissen, Chief Pilot Russ Evans: Warum stationiert man unser Schiff in dieser gottverlassenen Gegend – dreiviertel Milliarden Meilen von jedem planetarischen Raum entfernt? Hier werden nie Schiffe oder Piraten herkommen, wir werden also nicht einmal die Möglichkeit haben, einem havarierten Schiff zu helfen. Hier können wir nur herumsitzen und den anderen bei der Arbeit zusehen.« »Genau deswegen sind wir hier. Als Beobachtungsposten und um den anderen Schiffen mitzuteilen, wann und wohin sie fliegen sollen. Ist das Essen fertig?« fragte Russ und blickte auf eine kleine Uhr, die New Yorker Zeit anzeigte.
»Glaubst du, sie wird pünktlich sein? Komm essen!« Evans warf noch einen Blick auf den Telektroskopbildschirm und schaltete ihn dann aus. Mit einem winzigen Molekularschlepper deutete er auf die Tür zur Kombüse und Messe und glitt hinter Murphy her. »Wieviel Treibstoff haben wir noch?« fragte er, während er in den rotierenden Raum schwebte. Die schnelle Drehung erzeugte in dem zylinderförmigen Raum künstliche Schwerkraft vor allem wegen der Nahrungsmittel und der anderen Materialien und vereinfachte so die Essensprozedur. Gekonnt manövrierte er sich an die Haltestange in der Mitte des Raums und packte die Spirale. Sich mit den Füßen abstoßend, glitt er an ihr hinunter, bis er, senkrecht stehend, unten ankam. Er machte seine Muskeln geschmeidig und wartete, bis auch sein Assistent herunterkam. »Sie haben uns zwei Pfund extra gegeben«, antwortete dieser ihm nun endlich. »Warum? Keine Ahnung. Nun haben wir noch vier ganze Pfund-Rollen und zwei Drittel des ursprünglichen Pfundes. Wir sind jetzt fünfzehn Tage hier und haben noch sechs Tage vor uns. Von den Haupt-Treibstoff-Rollen haben wir ungefähr genausoviel übrig, und es sind noch drei Pfund-Rollen in jedem Reservebehälter«, antwortete Red. Er hielt eine Kaffeekanne fest, die sich durch seltsame Bewegungen den Luftströmungen anzupassen versuchte, die um so heftiger wurden, je mehr sie sich dem Mittelpunkt des Raums näherten. »Das reicht ja für 'ne ganze Flotte! Mars-Blei oder irdische Isotopen?« fragte Evans und probierte vorsichtig das ungewohnte Essen. »Hör mal, das ist ja
Energienahrung. Ich habe gedacht, vor Samstag kriegen wir das nicht mehr.« Es war eine angenehme Abwechslung zu der energielosen, mit Geschmacksstoffen versetzten Paste, die gewichtsregulierende Hauptnahrung der Piloten. Beim Schweben in dem schwerelosen Schiff verbrauchte man kaum Energien. »Mann, bin ich hungrig. Was dagegen?« grinste der Ire. »Nein!« antwortete Evans munter und haute tüchtig rein. Als er wieder vor seinen Instrumenten saß, drückte er auf eine kleine Taste, die das Telektroskop einschaltete. Auf dem Bildschirm erglühten aufblitzende, wirbelnde Farben. Tausende kleine Flammenpunkte erschienen plötzlich auf dem schwarzen Rechteck. Es waren Punkte, winzige, körperlose Lichtpunkte und eine kleine, blau-weiß flammende Scheibe – Sol, die gute alte Sonne, in einer Entfernung von nahezu einer Milliarde Meilen in leichter Reversionsvergrößerung. Geschickt hantierte er an den Knöpfen, und die Flammenscheibe schien mit hundertfacher Lichtgeschwindigkeit auf ihn zuzuschießen, wuchs im Nu auf die Größe eines Zehncentstücks, während Myriaden von Sternpunkten wie aufgescheuchte Hühner davonstoben, vor der wachsenden Sonne aus dem Bildschirm fliehend. Andere Punkte tauchten aus dem Nichts auf, wurden größer und rasten davon. Die Sonne schob sich aus dem Zentrum des Bildschirms, und eine kleine rötlich-grüne Scheibe erschien – ein Planet, dessen Licht von seiner Atmosphäre gefärbt wurde. Er stürzte, immer größer werdend, näher. Die Erde breitete sich über dem Bild-
schirm aus: Ein Planet, der Teil eines Planeten, ein Kontinent, das Fragment eines Kontinents – grenzenlos wie es schien. Zuletzt war New York auf dem Bildschirm zu sehen, New York aus der Luft. Ohne Perspektive mutete es fremdartig an. Die Gebäude schienen nicht schräg, sondern vertikal in einer Richtung zu liegen. So entstand aus der Distanz von einer Milliarde Meilen ein Bild von parallelen Linien. Riesige farbglühende Schächte erschienen in der FrühsommerSonne; die heißen Strahlen der Sonne, jetzt nur 82 500 000 Meilen entfernt, flimmerten auf den farbigen Metallwänden. Das neue Raumfahrtgebäude, anderthalb Meilen hoch und an verschiedenen Stellen von Antriebsaggregaten getragen, war eine Orgie ständig wechselnder Regenbogenfarben. Hier war eine neue Konstruktionsidee verwirklicht worden, eine Idee, die Arcot, der Erfinder dieses Schiffs, Fuller, dem Konstrukteur von Schiff und Gebäude, vorgeschlagen hatte. Das farbige Beryllium der Mauern war durchzogen von 20 000 Linien pro Zoll, eigentlich kaum mehr als Kratzer, die eine wirkungsvolle Brechung erzielten. Das Resultat war verblüffend. Das Sonnenlicht, in seine Regenbogenfarben zerlegt, wurde millionenfach in ständig wechselnden Nuancen reflektiert. Tausende von Menschen bewegten sich mittels winziger Aggregate, die sie auf dem Rücken trugen, durch die Luft, schwebten wohin sie wollten, in jede Richtung und Höhe. Die noch vor fünf Jahren üblichen Helikopter waren jetzt verschwunden. Ein Molekular-Energie-Anzug war wesentlich bequemer, ko-
stete nichts im Unterhalt, und man konnte ihn für so Dollar kaufen. Jeder besaß einen, denn er war absolut sicher und man konnte ihn kinderleicht bedienen. Dem Beobachter im Weltraum bot sich ein Bild kaum wahrnehmbarer zitternder Punkte, die sich scheinbar in Schlangenlinien fortbewegten. Über ihnen zogen schattenhaft gigantische Raumschiffe ihre Bahn, riesenhafte stromlinienförmige Rümpfe, die aus dieser Sicht ohne Perspektive zwischen ihnen zu gleiten schienen. Durch ihre Stromlinienförmigkeit wirkten die Raumschiffe schnell und elegant, ähnlich den Passagierschiffen vor zweihundert Jahren mit ihren Dampfmaschinen und Schornsteinen. Im Gegensatz zu den Weltraumfrachtern waren sie langsam, und da sie nur die wenigste Zeit in der Atmosphäre verbrachten, war die Stromlinienform eigentlich unnütz. »Jetzt dauert's nicht mehr lang«, murmelte Russ und grinste erfreut auf die wohlbekannte, sonnendurchflutete Stadt. Er warf einen Blick auf den Chronometer neben sich. Die Sicht wurde von einem Schiff versperrt, das plötzlich, als würde es verfolgt, quer über Manhattan hinwegschoß, eine kurze Strecke den Hudson entlangjagte, dann quer über das große Waldgebiet des Kittatiny Parks und dann endlich über New Jersey, einem Vorort von New York, der sich an den Kittatiny anschmiegt, hielt. Niedrige Wohnblöcke, 10-11 Stockwerke hoch, lagen verstreut zwischen dem Grün der Bäume der alten Autostraßen. Als der Straßenverkehr eingestellt wurde, hatte man die Autostraßen aufgerissen und darauf Parks angelegt. Auf dem Bildschirm war jetzt groß und klar nur noch ein einzelnes Wohnhaus mit einem großen flachen
Dach zu sehen. Noch stärkere Vergrößerung hätte zu stratosphärischen Verzerrungen geführt. Auf dem breiten Dach sah man weiße Striche, die ein riesiges V bildeten und darunter zwei I's. Russ beobachtete, während er sich bemühte, das Bild auf dem Schirm zu fixieren, was bei der komplizierten Bewegung der Erde in ihrer Umlaufbahn und der des Schiffs großes Können erforderte. Das Bild war von einer erstaunlichen Schärfe. Nun schien etwas sich bei dem letzten I zu bewegen. Es schrumpfte plötzlich zusammen, rollte sich ein und verschwand. »Da ist sie und das pünktlich«, lächelte Russ glücklich. Er versuchte noch stärker zu vergrößern. Er war müde, ganz plötzlich sehr müde. Er nahm die Hände von den Bildschirmkontrollen, entspannte sich und schlief ein. »Was hat mich bloß so müde gemacht? Oh, mein Gott!« Mit einem Ruck setzte er sich auf, seine Hände fuhren an die Kontrollen. Das Bild auf dem Schirm wich plötzlich zurück, flog mit unfaßbarer Geschwindigkeit davon. Die Erde sank mit tausendfacher Lichtgeschwindigkeit von dem Schiff zurück, nun war sie ein kleiner Ball, ein Nadelpunkt, nichts – die Sonne, eine winzige Scheibe, nichts mehr. Dann schossen plötzlich Bilder von der anderen Seite des Schiffs über den Schirm. Keine Reaktion seiner Assistenten. Evans Hände wurden bleischwer, sein ganzer Körper lechzte nach Schlaf. Schwerfällig tastete er nach einem kleinen Knopf. Irgendwie fand er ihn. Eine plötzliche Erschütterung packte das Schiff, als die verschlüsselte Nachricht mit einem Strahl solcher Stärke abgeschossen wurde, daß der reine Strah-
lungsdruck fühlbar war. Nun, die Erde war informiert, das System gewarnt. Doch Licht, dieses träge Element, würde Stunden brauchen, um die Leere des Weltraums zu durchschießen – Funkwellen waren auch nicht schneller. Nur halb bei Bewußtsein, mit seiner ganzen Willenskraft gegen die Müdigkeit ankämpfend, drehte er sich zu dem Bildschirm hin. Ein Schiff! Ein fremdartiges schimmerndes Ding, stromlinienförmig bis zur Perfektion. Und in der großen Pilotenkanzel des unbekannten Schiffs sah Evans Gesichter, die ihn vor Überraschung erstarren ließen. Furchterregende Fratzen, gefleckt, weiß, braun und schwarz gefleckt. Langgezogene Gesichter, darüber flache, große Stirnen, die Schädel eigenartig vierkantig, eher einem Kasten als einem menschlichen Kopf ähnelnd. Die Ohren waren groß und spitz. Das Haar lang um den Kopf wie eine silberne Mähne, tief in die Stirn gewachsen und weit über die Ohren, lang im Nacken. Das Gefühl der Überraschung und des Staunens ließ nach und schwächte momentan seinen Willen. Vergessen überkam ihn, Bilder aus seiner Erinnerung tauchten flüchtig auf. Sein bisheriges Leben spulte sich vor ihm ab, Ereignisse aus seiner Kindheit, seinem Leben, seiner Ehe, seine Frau – alles ohne Probleme und in Harmonie. Dann kamen Impressionen von bedeutenden oder nahezu bedeutenden Menschen, seine Kenntnis der Geschichte, Bilder aus dem großen Krieg von 2074, Bilder der Angreifer des Schwarzen Sterns – dann nur noch Ruhe, Vergessen, Leere. Das langgestreckte Schiff, das lautlos neben ihm schwebte, drehte ab und nahm Kurs auf einen steck-
nadelgroßen, gleißenden Brillanten im glitzernden Schmuckkasten des Himmels. Im Nu war es verschwunden und jagte der Sonne und Erde mit einer Geschwindigkeit entgegen, welche die der Funkwellen bei weitem übertraf, und ließ das Patrouillenschiff samt seinem Piloten rasch hinter sich zurück.
2. Kapitel »Und dies«, sagte Arcot zwischen zwei Zigarettenzügen, »wird bestimmt eine große Hilfe für die RocketPatrouillen sein. Das mußt du zugeben. Sie sind nicht sehr begeistert, sich mit den Weltraumpiraten und mit deren Molekularstrahlen zu duellieren, aber seit die Molekularstrahlen einen derartigen kommerziellen Wert erlangt haben, können wir schlecht den Verkauf der Apparate unterbinden. Fuller, komm mit in meine ›Brutkammer‹, dann werde ich es dir mit Moreys Hilfe demonstrieren.« Die vier Freunde erhoben sich und Morey, Wade und Fuller folgten Arcot in sein Laboratorium in der 37. Etage des Arcot-Forschungszentrums. Auf dem Weg erläuterte Arcot Fuller die Ergebnisse und Prinzipien des letzten Produktes der Erfindungsgabe des ›Triumvirats‹, wie Arcot, Morey und Wade in der Öffentlichkeit genannt wurden. »Wie du weißt, können die Molekularstrahlen die Moleküle jeglicher Materie umgruppieren und in eine gewünschte Richtung bewegen. Da sie keine neue Energie produzieren, jedoch bewirken, daß die Gegenstände, auf die sie gerichtet sind, Eigen-Energie freisetzen – durch Umwandlung der zufälligen molekularen thermodynamischen Energie in eine gerichtete –, sind sie praktisch unaufhaltbar. Die für die Effektivität der Molekularstrahlen notwendige Energie ist so gering, daß jeder normale Filter genug davon durchläßt. Ein mit Filtern ausgerüstetes Schiff ist nicht besser dran, wenn es attackiert wird, als eins ohne. Die Strahlen schoben einfach das Vorderteil in
das rückwärtige oder umgekehrt oder zertrümmerten das Schiff, ganz wie es den Piraten einfiel. Den Rokket-Patrouillen war es zwar möglich, die Piraten zu töten, aber nur unter schweren eigenen Verlusten. Es war ein Pyrrhussieg. Schon seit einiger Zeit versuchen Morey und ich etwas zu entwickeln, das die Nadler außer Kraft setzt. Offensichtlich ist dies nicht mit den Mitteln der normalen Metallenergie-Absorptionsschirme zu bewerkstelligen. Endlich fanden wir eine Kombination von Strahlen, oder besser gesagt: Frequenzen, die das bewirkten, was wir wollten. Hier habe ich einen derartigen Apparat. Was wir von dir wollen, ist das übliche, nämlich daß du für den Apparat eine entsprechende Form entwirfst, die dann in Serienproduktion gehen kann. Als der Star-Designer von A.A.L. sollte dir das keine Schwierigkeiten bereiten.« Arcot grinste, als Fuller erstaunt den Apparat anstarrte, den Arcot von der Werkbank der ›Brutkammer‹ genommen hatte. »Keine Bange«, lachte Morey, »er ist mit einem Schwebeaggregat kombiniert – ein ganz normaler Molekular-Antrieb, wie man ihn dort draußen zu Hunderten sieht.« Morey deutete aus dem großen Fenster, wo Tausende dieser Schwebeaggregate Männer, Frauen und Kinder durch die Luft transportierten, sie Hunderte oder Tausende Fuß hoch über die Straßen und durch die Türen in die Gebäude trugen. »Hier ist eine ganz normale Molekular-Pistole. Ich ziehe jetzt den Anzug an und schwebe damit fünf Fuß über dem Boden. Du bestrahlst mich dann und kannst dich von der Wirkung, die das auf den Anzug hat, überzeugen.«
Fuller nahm den Molekularstrahler, während Wade Arcot beim Anziehen des Anzugs half. Er schaute unschlüssig auf die Strahlen-Pistole, zielte dann auf ein schweres Stück Gußeisen, das in einer Ecke lag, wobei er sie auf niedrigste Strahlenstufe einstellte, und drückte ab. Das Metall gab ein leises knirschendes Mahlgeräusch von sich und rutschte schlingernd auf ihn zu. Sofort hörte er auf zu strahlen. »Das ist keine normale Pistole! Sie ist sieben- bis achtmal konzentrierter als die anderen!« rief er aus. »Ach, natürlich. Das hatte ich vergessen«, meinte Morey. »Anstelle der Treibstoff-Batterien der früheren Pistolen hat dieser hier eine RaumverzerrungsEnergie-Spirale. Diese Pistole erbringt genausoviel Leistung, wie die von Fabriken benutzten A-39Energie-Aggregate.« Während Morey Fuller alles erklärte, hatte Arcot den Anzug angezogen und schwebte nun fünf bis sechs Fuß über dem Boden in der Luft wie ein grotesker Fesselballon. »Fertig, Fuller?« »Ja, ich hoffe wirklich, daß der Anzug alles hält, was er verspricht. Wenn nicht – also einen Mord möchte ich nicht unbedingt begehen.« »Der wird's aushalten«, versicherte Arcot. »Dafür würde ich meinen Kopf verwetten!« Plötzlich war er von einer blassen Aura umgeben, einem fremdartigen wogenden blauen Licht, wie der Lichtkranz bei einem 400 000-Volt-Kabel. »Fang jetzt an!« Fuller zielte mit dem Strahler auf den schwebenden Mann und drückte ab. Der leuchtend blaue Lichtstrahl des Molekularstrahls, gefolgt von einem schwachen Summen, als der Leistungsstrahl die Luft zerschnitt, schoß auf Arcot zu. Die ihn umgebende
blasse Aura verstärkte sich plötzlich millionenfach, bis er in einem blauweißen Feuerball schwebte. Er war kaum noch sichtbar, die Luft um ihn herum loderte in bläulicher, ionisierter Weißglut. »Verstärk die Strahlendosis«, schlug Morey vor. Fuller drehte weiter auf. Durch den blauen Lichthof schossen winzige violette Funken, der scharfe Ozongeruch in der Luft verstärkte sich, die Hitze der unverbrauchten Energie erhitzte den Raum. Die Energie verstärkte sich, und die winzigen Funken gingen in wellenförmige Lichtströme über, die über die Oberfläche des blauen Feuers zogen. Kleine elektrische Stichflammen schossen nun am Lichtstrahl entlang heraus. Schließlich, als die Pistole auf volle Stärke aufgedreht war, war der gesamte Lichthof von zitternden Funken verdeckt, die über dem Kopf des Mannes in die Luft hinaufglühten, bis sie erstarben. Obwohl das Kühlsystem des Molekularstrahlers die heiße Luft absorbierte und Kaltluft ausblies, war es unerträglich heiß im Raum geworden. Fuller schaltete den Strahl ab und legte die Pistole neben sich auf den Tisch. Der Lichthof verblaßte, bis er ganz verlöschte. Arcot ließ sich auf den Boden nieder. »Dieser neue Anzug hält jeder auf dem Markt befindlichen Strahlen-Pistole stand. Nun zum System: Du weißt, daß Lichtstrahlen kurze elektromagnetische Wellen sind. Der einfachste Weg, sie zu stoppen, ist, Wellen der Gegenphase zu schaffen und damit eine Interferenz zu erzeugen. Soweit, so gut, aber versuch mal, in Interferenz mit einer unbekannten Welle zu kommen, die sich relativ zum Steuerungszentrum bewegt. Es ist unmöglich. Du wirst vorher von den
Strahlen vernichtet. Wir müssen ein System benutzen, das automatisch und sofort den Gegenpol erzeugt. Der Hall-Effekt würde natürlich dahin tendieren, die Frequenz einer Welle durch einen Widerstand zu verändern und zu verlängern. Wenn wir eine kugelförmige Wellenfront aussenden und sie schnell, während sie sich ausdehnt, verlängern, so erhalten wir eine Wellenfront, die an jedem Punkt verschieden ist. Jede Welle würde früher oder später auf eine Welle treffen, die in der halben Phase verschoben ist, egal wie auch immer der Antrieb oder die Frequenz war, solange sie innerhalb des verhältnismäßig engen molekularen Wellenbandes liegt. Dieser Apparat bzw. Strahlenschirm besteht aus einer Maschine, die ständig eine kugelförmige Wellenfront in der Art der Molekularwellen erzeugt, aber in einer zu großen Frequenz, als daß sie etwas bewirken könnte. Ein zweiter Teil schafft Bedingungen im umgebenden Raum, die mit dieser Welle unvereinbar sind. Nach dem Zurücklegen einer gewissen Distanz hat sich die Welle auf die Länge einer Molekularwelle verlängert, ist jedoch nun aus dem Bereich der Maschine, die sie erzeugt hat, heraus und kann nicht mehr auf sie einwirken oder sie beschädigen. Die Welle verlängert sich weiterhin, bis sie die Ausdehnung des Infralichts erreicht hat. Die Luft absorbiert sie schnell, sobald sie das Absorptionsband der Luftmolekularwellen erreicht hat. Jede Molekularwelle muß ihre komplementäre Ergänzung irgendwo im Wellenkeil finden. Und das tut sie auch. Sie wird dann sofort gedrosselt, wobei ihre Energie dann natürlich gegen die Energie des Strahlenschirms kämpft. An der Luft wird jedoch die Belastung des Strahlungsschirms dadurch ver-
mindert, daß die Halb-Wellen-Frequenz vorher auf das Strahlenbündel des molekularen Wellenbandes traf. Somit verbleibt für diesen Apparat bzw. Strahlungsschirm nicht mehr viel zu tun. Deine Arbeit ist es nun, eine Form für den Apparat zu entwerfen, der es ermöglicht, ihn automatisch herzustellen. Aus Spaß haben wir es selber versucht, aber es gelang uns nicht, eine Maschine herzustellen die nicht mindestens zwei Menschen zur Überwachung der Produktion braucht.« »Nun«, grinste Fuller, »als Wissenschaftler seid ihr mir zwar überlegen, aber als Wirtschaftler – zwei menschliche Aufpasser, um ein Produkt herzustellen!« »Okay, zugegeben. Dann wollen wir das Ergebnis deiner Arbeit abwarten. – O Gott! Was war das?« Morey rannte zur Tür. Das Gebäude erzitterte noch immer unter der Erschütterung eines schweren Stoßes, eines Stoßes, als sei eine große Maschine auf dem gepanzerten Dach zerschellt. Arcot, der seinen Fluganzug bereits anhatte, stieg sofort in die Luft, schoß an Morey vorbei und flog auf den Lichtschacht zu, der zum Dach führte. Die Molekularstrahlenpistole in der Hand war er bereit, jedem unglücklichen Opfer, das mit Strahlen festgenagelt war, beizuspringen. In kürzester Zeit war er die sieben Etagen hoch und auf das Dach geschossen. Eine gigantische, silbrigschimmernde Maschine, der Rumpf, in seiner perfekten Stromlinienform von blendender Schönheit, stand im Sonnenlicht. Eine Tür öffnete sich, und drei große, schlanke Wesen traten heraus. Andere Leute waren bereits heraufgeflogen und versammelten sich um das Schiff. Sofort erschienen Luftpolizisten. Als
sie Arcot sahen, drängten sie die Menge zurück. Die fremden Wesen waren mindestens acht Fuß groß. Mit sanften braunen Augen schauten sie verwundert auf die hochaufragenden bunten Gebäude, auf die in der Luft schwebenden Menschen, auf das Grün der Bäume, das Blau des Himmels und das Gelb der Sonne. Arcot musterte ihre fremdartig gefleckten und gesprenkelten Köpfe, Gesichter, Arme und Hände. Ihre Füße waren sehr lang und schmal, ihre Beine lang und dünn. Ihre Gesichter waren freundlich; die braun, weiß und schwarz gesprenkelte Haut ließ sie nicht häßlich erscheinen. Es war nicht entstellend, sondern auf eigentümliche Art und Weise bekannt. »Mein Gott, Arcot – komische Exemplare, und doch kommen sie mir bekannt vor!« sagte Morey verwundert. »Das sind sie auch. Sie gehören der Rasse des ersten und besten Freunds der Menschen an, den Hunden! Siehst du die braunen Augen, die typischen Zähne? Die Füße zeigen immer noch den HundeZehen-Gang, ihre Nägel sind nicht flach, wie bei uns, sondern gekrümmt, die gefleckte Haut, die Ohren – schau, einer kommt näher.« Einer der Fremden trat schwerfällig vor. Sie kamen offensichtlich von einer Welt niedrigerer Schwerkraft. Seine großen braunen Augen fixierten Arcot. Arcot beobachtete sie. Sie schienen größer zu werden, immer größer, bis sie den ganzen Himmel ausfüllten. Hypnose! Er konzentrierte sich, und die Augen des Fremden zogen sich wieder auf ihre normale Größe zusammen. Das Wesen taumelte zurück, als es Arcots telepathischen Befehl zu schlafen empfing, der stär-
ker war als sein Wille. Seine Freunde fingen ihn auf und schüttelten ihn, aber er schlief. Ein anderer schaute Arcot an, der Ausdruck seiner Augen schien verletzt, inbrünstig bittend. Arcot schlenderte vor und befreite den Fremden aus seinem Trancezustand. Er schüttelte den Kopf, lächelte Arcot an und brachte dann unter größten Schwierigkeiten einige verstümmelte Worte in Englisch heraus. »Ahy wizz tahk. Vokle kohds ron. Tahk by breen.« So verstümmelt es sich auch anhörte, wußte Arcot ohne Schwierigkeiten, was er ausdrücken wollte: »Ich möchte sprechen, Stimmbänder falsch, mit Gehirn reden.« Er schaltete auf die venusianische Methode der Kommunikation um, auf telepathische Unterhaltung ohne Hypnose. »Einverstanden. Als Sie versuchten, mich zu hypnotisieren, wußte ich natürlich nicht, was Sie wollten. Hier in der zweiten Welt unseres Systems muß man nicht unbedingt mit Hypnose arbeiten, um sich zu verständigen. Was bringt Sie in unser Sonnensystem? Was wollen Sie uns sagen?« Der Gesprächspartner, der die venusianische Methode nicht beherrschte, hatte bei der gedanklichen Unterhaltung große Schwierigkeiten. Doch Arcot erfuhr, daß sie Maschinen hätten, die dies vereinfachen würden. Der Terraner lud sie in sein Labor ein. Die Menschenmenge vergrößerte sich zusehends. Die drei gingen für einen Moment in ihr Schiff zurück und kamen dann mit einigen merkwürdig aussehenden Kopfhörern wieder heraus. Sobald die Leute Platz machten, begann das Schiff abzuheben und immer schneller zu werden.
Dann – in einem winzigen Sekundenbruchteil – schrumpfte es auf einen Punkt zusammen und war im blauen Himmelsgewölbe verschwunden. »Offensichtlich wollen die länger hierbleiben«, sagte Wade. »Das sind ja vertrauensvolle Seelen, sich selber jeden Rückweg abzuschneiden. Wir haben zwar nicht die Absicht, ihnen was anzutun, doch das wissen sie ja nicht.« »Da bin ich mir nicht so sicher«, meinte Arcot. Er wandte sich an den Sprecher der drei und erklärte ihm, daß sie mehrere Stockwerke hinunter müßten und daß es einfacher sei zu fliegen, als Treppen zu steigen. »Legen Sie Ihre Arme um meine Beine, wenn ich aufsteige und halten Sie sich fest, bis wir wieder auf dem Boden sind«, schloß er. Der Fremde trat an den Rand des Lichtschachts heran und blickte hinunter. Der Schacht war bis zum Boden hinunter von weißen Birnen erleuchtet. Der Mann redete schnell auf seine Freunde ein, wobei er mit unverhülltem Mißtrauen den Schacht und das winzige Gerät auf Arcots Rücken betrachtete. Schließlich stimmte er lächelnd zu. Arcot erhob sich in die Luft, der Mann ergriff seine Beine, und dann schwebten beide. Durch den Schacht hinunter in sein Laboratorium war nur eine Sache von wenigen Augenblicken. Arcot führte sie in sein ›Konsultationszimmer‹, wo sie sich in bequeme Sessel niederließen, die einander gegenüberstanden. »Freunde einer anderen Welt«, begann Arcot, »wir kennen Ihren Auftrag nicht, aber sicherlich haben Sie gute Gründe, hierher zu kommen. Es dürfte wohl unwahrscheinlich sein, daß Ihre Landung hier reiner
Zufall war. Was hat Sie hierher geführt? Wie kamen Sie in diese Ecke des Universums?« »Es ist schwierig für mich, darauf zu antworten. Zuerst müssen wir eine gemeinsame Verständigungsmöglichkeit finden. Unser System ist zwar nicht so unkompliziert wie das Ihre, dafür aber effektiver, da das Ihre auf Gedankenschemata beruht, die nicht allgemein üblich sind. Setzen Sie dieses bitte für einen Augenblick auf. Ich muß Sie zeitweilig in einen hypnotischen Dämmerschlaf versetzen. Wenn Sie es wünschen, kann es ja erst einmal ein anderer versuchen.« Der Sprecher der Besucher hob einen der mitgebrachten Kopfhörer hoch, die wie schuppenartige Metallkappen aussahen. Arcot zögerte und stülpte sich dann entschlossen einen über. »Entspannen Sie sich«, hörte er eine Stimme in seinem Kopf, eine tiefe, eintönige Befehlsstimme. »Schlafen Sie!« Arcot fühlte, wie er einen endlosen Schacht hinunterschwebte, wie in einem Superflugzeug ohne drückende Gurte, einfach sanft hinunterschwebend, tiefer und tiefer und tiefer. Plötzlich erreichte er den Grund und stellte zu seiner Überraschung fest, daß er sich wieder in dem Raum befand. Er war zurück. »Sie sind nun wach, sprechen Sie!« hörte er eine Stimme. Arcot schüttelte sich und sah sich um. Jetzt sprach eine andere Stimme, nicht die tonlose, unpersönliche Stimme, sondern die Stimme eines Individuums, jedoch eine Geisterstimme. Sie war vollkommen klar und vollkommen verständlich. »Wir sind in einer Angelegenheit von äußerster Wichtigkeit weit gereist,
um Sie zu finden. Fragen Sie Ihre Freunde, ob sie sich auch dieser Prozedur unterziehen wollen; denn wir müssen unsere Aufgabe in kürzester Zeit erledigen. Näheres werde ich erklären, wenn alle mich verstehen können. Ich bin Zezdon Fentes, Chefwissenschaftler der Gedanken. Mein Nachbar zur Rechten ist Zezdon Afthen von der Physik und neben ihm sitzt Zezdon Inthel von der Chemie.« Nun sprach Arcot mit seinen Freunden. »Es sieht so aus, als hätten diese Männer uns etwas von größter Wichtigkeit mitzuteilen. Sie wünschen, daß wir alle zuhören, und sie haben es eilig. Die Behandlung ist keineswegs unangenehm. Versucht es. Der Mann, der von uns aus gesehen außen rechts sitzt, ist Zezdon Fentes, Forscher der Gedanken. Zezdon ist anscheinend so etwas Ähnliches wie bei uns ein Professor. Die neben ihm sitzen, sind Zezdon Afthen von der Physik und Zezdon Inthel von der Chemie.« Zezdon Afthen gab ihnen die Kopfhörer und jeder Anwesende setzte einen auf. Der Prozeß, sie auf eine gemeinsame Kommunikationsbasis zu versetzen, nahm nur kurze Zeit in Anspruch, und bald war es allen möglich, sich ohne Schwierigkeiten zu verständigen. »Freunde der Erde, wir müssen Ihnen möglichst rasch eine ungewöhnliche Geschichte erzählen, die zu unserem, zu Ihrem und auch zum Wohle anderer Welten von größter Dringlichkeit ist. Wir selber können hier nur wenig ausrichten. Wir sind nicht in der Lage, den Feind wirkungsvoll zu bekämpfen. Unsere Welt liegt weit hinter der Galaxis und sogar mit der unermeßlichen Geschwindigkeit dieses gro-
ßen schnellen Schiffs, das uns hierher brachte, haben wir drei lange Monate gebraucht, um Ihre Welt zu erreichen. Wir kamen in der Hoffnung, in Ihnen die Überwinder der Angreifer zu finden. Wir konnten auf Ihrem Dach landen, weil wir vorher das Wissen eines Ihrer Patrouillen-Piloten telepathisch angezapft hatten. In seinen Gedanken lasen wir, daß wir hier die drei größten Naturwissenschaftler dieses Sonnensystems finden würden. So sind wir hierher gekommen, um Hilfe zu erbitten. Unsere Rasse«, fuhr er fort, »ist, wie Sie bereits feststellten, aus der Hunderasse hervorgegangen. Sie ist in der Stunde der Not künstlich von den ›Alten Meistern‹ gezüchtet worden. Die große Naturwissenschaft der ›Alten‹ ist verlorengegangen. Doch wir entwickelten eine andere Wissenschaft, die Wissenschaft des Geistes.« »Die Fähigkeit außersinnlicher Wahrnehmung ist bei den Hunden viel weiter entwickelt als beim Menschen. Deswegen ist es nur natürlich, daß Sie eine solche Gesellschaftsform entwickelt haben«, sagte Arcot verständnisvoll.
3. Kapitel »Unsere Zivilisation«, fuhr Zezdon Afthen fort, »ist weitgehend auf das Lesen der Gedanken aufgebaut. Bei uns gibt es keine Kriminellen, da die bösen Gedanken ihn verraten würden. Wir haben keine lügenden Politiker oder treulose Regenten. Es ist eine friedliche Zivilisation. Die ›Alten Meister‹ fürchteten und haßten den Krieg, wie sonst nichts auf der Welt. Und doch machten sie unsere Rasse nicht feige, nur friedlich intelligent. Nun müssen wir kämpfen, und meine Rasse wird hart kämpfen. Aber wir brauchen Waffen. Aber meine Geschichte hat wenig mit meiner Rasse zu tun. Später, wenn wir mehr Zeit haben, werde ich Ihnen die Entwicklung unserer Zivilisation und die Geschichte der ›Alten Meister‹ erzählen. Vor vier Monaten fingen unsere Mental-Detektoren starke Emanationen aus dem Weltraum auf. Das konnte nur bedeuten, daß plötzlich eine neue, hochintelligente Rasse im Radius von einer Milliarde Meilen von unserer Welt erschienen war. Die Richtungsanzeiger fanden schnell heraus, daß die Emanationen vom dritten Planeten unseres Systems ausgingen. Zezdon Fentes baute mit meiner Hilfe einen Spezialapparat, der starke Gedanken auffangen und sie sichtbar machen konnte. Wir hatten diese Methode schon früher angewandt, nicht nur, um herauszufinden, wo sich der Feind gerade aufhielt, sondern auch, was er mit dem Auge des Geistes sah, seine Auffassung der Vergangenheit und der Zukunft. Doch obwohl der Gedankenverstärker überaus leistungsfä-
hig war, konnte bei den entdeckten Emanationen keine ausreichende Trennschärfe erreicht werden. Zum Ziel kamen wir erst, als alle Männer bis auf einen schliefen. Leider konnten wir uns auf diesen nicht ganz scharf einstellen, doch wir konnten ihn jederzeit erreichen. Er war der Kommandant. Wir sahen ihn sein Schiff befehligen, wir sahen das Schiff, sahen es über die kahle felsige Oberfläche jener Welt gleiten. Wir sahen andere Männer kommen und gehen. Es waren fremdartige Wesen. Klein, stämmig. Männer mit kurzen, aber kräftigen Armen. Ihre Kräfte waren ungeheuer, beinahe unglaublich. Wir sahen sie, wie sie armdicke Stahlstangen bogen. Ohne jede Anstrengung. Ihre Gehirne waren sehr aktiv, aber sie waren Teufel, eigennützige Teufel. Nichts, was nicht zur ihrem eigenen Nutzen war, zählte. Plötzlich versagten unsere Instrumente, und wir fürchteten bereits, daß der Kommandant uns entdeckt habe. Etwas später sahen wir dann, was passiert war. Sein Stellvertreter hatte ihn umgebracht. Wir beobachteten, wie sie diese Welt erforschten. Sie trugen bei ihrer Arbeit schwere Anzüge, doch trotz der enormen Schwerkraft jener Welt hüpften sie wie Gummibälle herum, wohin sie wollten. Wie Pleuelstangen fuhren sie ihre Beine aus, glitten hoch und flogen durch die Luft. Diese Untersuchungen ermüdeten sie und in der Nacht schliefen sie fest. Doch eines Nachts hielten sie eine Konferenz ab. Da wußten wir was sie vorhatten. Vorher hatten wir dauernd versucht, ihnen zu signalisieren. Jetzt waren wir froh, daß es uns nicht gelungen war.
Wir sahen (in den Gedanken des stellvertretenden Kommandanten), wie ihr Schiff aufstieg und durch den Weltraum auf unsere Welt zuflog. Die Welt wurde größer, doch da sie unseren Planeten nicht gut kannten, war er nur unvollständig in ihren Sternkarten eingezeichnet. Ihre Teleskope hatten nicht die Stärke, die eure elektrischen haben. Sie untersuchten unseren Planeten, und wir sahen, wie seine Pläne machten, alle Lebewesen, die sie vorfinden würden, mit einem Strahl zu zerstören, der folgendermaßen arbeitet: er läßt Einzelteile sich wie ein Ganzes bewegen. Dies war für uns unverständlich und nicht erklärbar. Gedanken, die außerhalb unseres Wissens liegen, haben natürlich keine Bedeutung für uns, auch wenn unser Gedanken-Verstärker sie auffängt und sie an uns weitergibt.« »Der Molekularstrahl«, keuchte Morey vor Überraschung. »Das scheint ein starker Gegner zu sein.« »So, kennen Sie es! Es ist Ihnen bekannt! Haben Sie solche Strahlen? Sie könnten sie bekämpfen?« fragte Zezdon Afthen aufgeregt. »Wir kennen sie und können sie bekämpfen, wenn das alles ist, was sie haben.« »Sie haben mehr – bedeutend mehr, fürchte ich«, erwiderte Zezdon Afthen. »Auf jeden Fall wissen wir, was sie vorhaben. Sollte unsere Welt bewohnt sein, so wollen sie jeden Bewohner vernichten und danach Lebewesen ihrer Rasse mit ihren großen Schiffen einfliegen, damit die sich auf der größten unserer Welten ansiedeln können. Wir mußten sie aufhalten und taten dies so gut wir vermochten. Wir hatten starke Maschinen, mit denen wir unsere Gedanken verstärken und senden konn-
ten. So suggerierten wir ihrem Anführer, daß es weiser sei zu landen und den Grad der Zivilisation und auch den Stand der Waffentechnik kennenzulernen. Und als das Schiff näherkam, ließen wir ihn sich für einen bestimmten Ort entscheiden, wo wir auf ihn vorbereitet waren. Er ist nie darauf gekommen, daß dies nicht seine eigenen Gedanken waren. Für ihn schien es, als seien sie seinem eigenen Gehirn entsprungen. Er landete – und wir benutzten unsere einzige Waffe. Es war ein Ding, das einer Regierung übergeben worden war, als die ›Alten Meister‹ uns selbst überließen. Was es eigentlich war, haben wir nie gewußt, und wir benutzten es niemals in den 15 000 Jahren nach dem Verschwinden unserer ›Alten Meister‹ – es war auch nicht notwendig. Aber jetzt holten wir es heraus und versteckten es hinter großen Felstürmen in einer tiefen Schlucht, in der das Schiff des Feindes landen würde. Als sie landeten, richteten wir den Lichtstrahl der Maschine auf das Schiff, der Apparat rotierte schnell, ein Lichtstrahlenbündel formte sich, und der Lichtstrahl drang in den Flugkörper. Unsere Maschine wurde zurückgeworfen, obwohl sie so massiv war, daß es für uns eine ungeheure Arbeit gewesen war, sie dorthin zu transportieren. Der Druck des Strahlenbündels, das wir abgeschossen hatten, schleuderte die Maschine gegen die Felsen, als sei sie ein Kinderspielzeug. Sie arbeitete noch eine Sekunde lang, vielleicht auch zwei. Dabei wurden zwei große Löcher in das Schiff des Feindes geschnitten, Löcher mit einem Durchmesser von über fünfzehn Fuß, die völlig durch den Rumpf hindurchgingen, als sei der Stempel einer Stanzmaschine durch-
geschossen und habe Scheiben herausgeschnitten. Es folgte eine ungeheure Erschütterung und ein Brüllen, als die Luft in einer Druckwelle dem Schiff entwich. Bald darauf entdeckten wir, daß die Feinde tot waren. Ihre schrecklich aufgedunsenen Leichen lagen überall im Schiff herum. Die meisten der Männer erkannten wir, da wir sie bereits auf dem Mentovisor gesehen hatten. Aber die Farben waren verzerrt und sie selbst eigenartig verformt. Eigentlich war das ganze Schiff sonderbar. Es schien außer Fasson geraten zu sein, sah verdreht aus. Doch als wir es auf einer Versuchsreise sehr nahe an unsere Sonne heranbrachten, stimmten die Winkel wieder, und es sah plötzlich wieder proportioniert aus.« Arcot pfiff durch die Zähne und sah Morey an. Morey nickte. »Wahrscheinlich stimmt's. Doch unterbrich nicht.« »Daß Sie eben an etwas gedacht haben, habe ich mitbekommen, aber Ihre Gedanken selber sind hoffnungslos unverständlich für mich. Haben Sie eine Erklärung?« fragte Zezdon Afthen begierig. »Ich glaube schon. Offensichtlich wurde das Schiff auf einer Welt von ungeheurer Größe gebaut. Alles spricht dafür: Jene Männer mit ihren stämmigen, klobigen Beinen und Armen, ihrer gedrungenen Statur und ihrem Wunsch nach dem größten Ihrer Planeten. Ihre eigene Welt war wahrscheinlich sogar größer; auf jener Welt waren sie gezwungen, Überdruckanzüge zu tragen und sprangen überall hin, wie Sie erzählten. Auf so einer riesigen Kugel, wie es ihre ursprüngliche Welt zu sein scheint, würde die Anziehungskraft so stark sein, daß sie den Weltraum verformt. Eine Geometrie, so wie Sie und wir sie verste-
hen, konnte dort niemals entwickelt werden, da man dafür die Existenz einer geraden Linie und einer absolut flachen Ebene annimmt. Im Weltraum kann dies nicht vorkommen, aber auf kleinen Welten – die weit vom Zentrum der Sonne entfernt liegen – sind die Voraussetzungen dafür weitgehend vorhanden. Auf einem so riesigen Globus, wie deren Welt es zu sein scheint, ist das All so gekrümmt, daß es keine geraden Linien und keine Ebenen gibt. Deren Geometrie würde nie der unseren gleichen. Als sie sich Ihrer Sonne näherten, war die Anziehungskraft ausreichend, den Weltraum ähnlich den natürlichen Bedingungen auf ihrem Heimatplaneten zu krümmen. Somit nahmen Ihre Sinne das Schiff als mehr oder weniger normal auf, und es erschien Ihnen nicht mehr fremdartig. Doch fahren Sie fort.« Interessiert sah Arcot Afthen an. »Keiner in ihrem Schiff hatte überlebt. Bei der Auswahl des ersten Loches waren wir vorsichtig gewesen, damit nicht die Antriebsmaschinerie beschädigt wurde. Das zweite Loch war zufällig, da unsere Maschine ihre Lage verändert hatte. Übrigens – unsere Maschine wurde von der Eigenreaktion zerstört. Wir vergaßen, daß jedes Kraftbündel, das stark genug war, Zerstörung zu bewirken, die Maschine aus ihrer Halterung herausreißen würde, wenn sie vorher nicht fest im Fels verankert worden war. Das zweite Loch befand sich am Heck des fremden Schiffs und hatte leider einen Teil der Antriebsmaschine herausgeschnitten. Die konnten wir nicht reparieren. Nur unter größten Mühen gelang es uns, den Rumpf mit der herausgeschnittenen großen Scheibe
wieder zu verschließen. Vorher hatten wir mit unseren besten Sägen und Maschinen vergeblich versucht, die Scheibe in Einzelstücke zu zerlegen. Aber das Material widerstand allen Versuchen. Glücklicherweise war nur wenig vom Originalmaterial des Schiffrumpfs verloren gegangen. Diese Schlitze haben wir mit unserem besten Stahl zugeschweißt. Dabei ließen wir auf jeder Seite des Schlitzes ein Stück überhängen, und als sich das heiße Metall abkühlte, wurde es mit gewaltiger Kraft auf die schimmernden Wände gezogen. Die Schweißstellen waren absolut luftdicht. Die Maschinenschäden wurden weitgehend repariert. Das war überaus schwierig, da wir ja nur vermuten konnten, welche Maschinen miteinander verbunden werden sollten. Großer Schaden wurde durch die entweichende Luft angerichtet, die auch die Maschinen füllte, da sie nicht so konstruiert waren, diesem enormen Druckabfall standzuhalten. Viele der Maschinen barsten auseinander. Doch sie konnten wir durch Rekonstruktion der notwendigen Elemente nach den Überbleibseln oder mit den unbeschädigten Ersatzteilen, die wir in den Lagerräumen fanden, reparieren. Einmal verbanden wir die falschen Teile miteinander. Das wird Ihnen verdeutlichen, mit was wir es zu tun hatten. Zwei Generatoren wurden falsch miteinander verbunden. Als wir sie anwarfen, gab es einen ungeheuren Krach, und aus einem der Generatoren schossen riesige Flammen auf. Zwei Männer wurden getötet, verfielen sofort in Asche und sogar der Leichengestank wurde von der Hitzewelle eliminiert. Im Umkreis von zehn Fuß wurde außer dem schim-
mernden Metall und klarem Glas alles vernichtet. Ein Sicherungsdraht war durchgebrannt. Der Generator war ruiniert. Ein zweiter und einige kleine Zusatzgeneratoren waren übriggeblieben. Doch irgendwie schafften wir es. Die Maschine arbeitete. Und nun sind wir hier. Wir sind gekommen, um Sie zu warnen und um Hilfe zu bitten. In diesem Sonnensystem befindet sich ebenfalls ein großer Planet, nur wenig kleiner als der in unserem System, aber sehr attraktiv. Aus den Aufzeichnungen der Angreifer geht hervor, daß es ungefähr 50 000 planetarische Systeme in diesem Universum gibt. Die Welt des Feindes liegt nicht in diesem System. Es ist die Welt Thett, Sonne Antseck, Venone Universum. Wo das ist oder was das bedeutet, wissen wir nicht. Vielleicht verstehen Sie es. Aber sie erforschten ihre Welt, und nach ihren Aufzeichnungen war ihre Adresse: Welt 3769-8482730-3. Ich nehme an, das bedeutet Universum 3769, Sonne 8482730, 3. Planet. Seit fast dreihundert Jahren erforschen sie dieses System. Vor nahezu 200 Jahren haben sie Ihre Welt besucht – zweihundert Jahre nach Ihrer Zeitrechnung.« »Jetzt haben wir 2129 – das hieße also, daß sie um 1929/1930 hier herumflogen, um alles auszukundschaften. Warum haben sie damals nichts getan?« fragte ihn Arcot. »Sie warteten auf eine günstige Zeit. Jetzt fürchten sie sich. Erst kürzlich haben sie Ihre Welt besucht und waren über den unglaublichen Fortschritt, den Ihr Volk gemacht hat, äußerst erstaunt. Sie beabsichtigen, alle Welten mit intelligenten Bewohnern sofort anzugreifen. Einmal hatten sie bereits den Fehler gemacht,
daß sie eine Rasse sich zu weit entwickeln ließen. Ein zweitesmal können sie sich das nicht leisten. Es sind nur 21 bewohnte Welten bekannt. Tausende ihrer Spionageschiffe haben fast alle Welten dieses Universums ausgekundschaftet, dazu noch viele des äußeren Rings. Sie haben einen Stützpunkt in diesem Universum eingerichtet. Wo, weiß ich nicht. Das war das einzige, das nicht in ihren Aufzeichnungen erwähnt war. Aber von allen Welten fürchten sie nur die Ihre. Eine Rasse in diesem Universum ist bedeutend älter als die Ihre doch das ist ein schlafendes Volk. Ihre Kultur verfiel vor langer Zeit. Sie sind nicht weit von Ihnen entfernt, und vielleicht ist es die paar Tage wert, die man braucht, um mehr über sie herauszubringen. Wir wissen, wo sie sind und können Sie dorthin bringen. Ihre Welt kreist um einen erloschenen Stern.« »Nun nicht mehr«, lachte Morey grimmig. »Das wird noch eine Überraschung für den Feind sein. Sie erlebten eine kleine Erschütterung und sind jetzt bestimmt hellwach. Sie streben jetzt große Veränderungen an, und sie werden einiges tun.« »Woher wissen Sie Bescheid über diese Dinge? Ich weiß, daß Ihre Raumschiffe von Planet zu Planet fliegen können, aber die Aufzeichnungen des Feindes besagen, daß es Ihnen nicht möglich ist, das System Ihrer Sonne zu verlassen. Sie waren die einzigen, die dieses Geheimnis kannten.« »Noch eine Überraschung für die«, sagte Morey, »denn auch wir können aus unserem Sonnensystem heraus. Unsere Schiffe sind schneller als ihr Schiff und wahrscheinlich auch schneller als deren Fahr-
zeuge. Das Volk des erloschenen Sterns* ist auf einen sehr lebendigen Stern – ins Sirius-System – gezogen. Er ist der hellste an unserem Himmel. Und sie sind jetzt genauso aktiv, wie ihre neue Sonne. Sie können ebenfalls schneller als das Licht reisen. Vor einiger Zeit, als ihr Stern dem unsrigen nahe war, hatten wir eine kleine Meinungsverschiedenheit mit ihnen. Sie haben dabei sehr gut abgeschnitten. Seit dieser Zeit haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Doch ich glaube, sie werden wertvolle Verbündete sein.« Trotz seines unbesorgten Benehmens war sich Morey der ungeheuren Bedeutung des soeben Gehörten bewußt. Einer Rasse war es gelungen, den ungeheuer großen Raum des intergalaktischen Weltalls in einer Zeit zu durchqueren, in der die Terraner sich noch mit der Entwicklung des Flugzeugs befaßt hatten, und sie hatten schon Jupiter vermessen und ihre Kolonien geplant! Welche Entwicklungen hatten sie hinter sich? Sie hatten Molekularstrahlen, kosmische Strahlen, die Energie der Materie – und was noch? Lux und Relux, die beiden aus erstarrtem Licht gewonnenen künstlichen Metalle, die viel härter waren als alle natürlichen Metalle mit Molekularstruktur, absolut unschmelzbar, chemisch völlig inaktiv – das eine Metall ein perfekter Leiter von Licht und allen Strahlungen des Weltraums, das andere ein perfekter Reflektor aller, außer den Molekularstrahlen. Durch Aktivierung spezieller Frequenzen in seiner Lichtstruktur auf Reflexion geschaltet, war es mit Molekularfrequenzen leider möglich, es in völlig transparantes Lux-Metall * Die tote Sonne
umzuwandeln, und damit war der Schutzwert nicht mehr vorhanden. Das alles hatten sie. »Sie fanden noch eine weitere Rasse von einiger Bedeutung, die anderen waren halb-zivilisiert. Uns stuften sie zwischen diesen und den hochentwickelten Rassen, wie die Ihre, die vom erloschenen Stern und die der Welt 3769–37, 478, 326, 894-6, ein. Unsere Zivilisation wurde vor ungefähr zweihundert Jahren erforscht. Diese andere Rasse lebt weit entfernt von uns, weiter noch als Sie von uns entfernt sind und wird offensichtlich auch nicht so gefürchtet wie Sie. Sie können nicht auf andere Welten übersetzen, außer in kleinen Schiffen, die nur mit Feuer angetrieben werden. Die Thessianer nannten sie hoffnungslos untüchtige und lachhaft unbeholfene Vehikel.« »Chemische Raketen«, grinste Morey. »Unsere ersten Schiffe hatten auch so einen Antrieb.« Zezdon Fentes lächelte. »Das ist alles. Wir haben Sie gewarnt und unsere Beweise vorgetragen. Können Sie uns helfen?« »Darauf können wir Ihnen keine Antwort geben. Das hängt vom Interplanetarischen Rat ab. Aber ich glaube, es bleibt uns nichts anderes übrig, wenn wir unsere eigene Welt gegen diesen Feind verteidigen wollen. Und ich fürchte, diese Thessianer greifen bald an. Da sie einen Stützpunkt in diesem Universum haben, werden ihre Schiffe in bestimmten Intervallen nach Hause fliegen, um Bericht zu erstatten. Wenn eins vermißt wird, werden sie es suchen. Und der Krieg wird sofort ausbrechen. Sie haben drei Monate gebraucht, um hierher zu kommen – der Feind dürfte auch bald hier sein.
Wie heißt Ihr Planet, Freund?« »Ortol ist unsere Heimat«, erwiderte Zezdon Inthel. »Auf jeden Fall kann ich Ihnen versichern, daß Ihre Welt Waffen bekommt, damit sich Ihr Volk verteidigen kann, und ich werde Sie innerhalb von 24 Stunden nach Hause bringen. Ihr Schiff – ist es in diesem System?« »Es wartet auf dem zweiten Satelliten des vierten Planeten«, antwortete Zezdon Afthen. »Signalisieren Sie ihnen, dort zu landen, wo ein Leuchtfeuer abwechselnd rotes und blaues Licht ausstrahlt – hier auf diesem Punkt auf der Karte.« Arcot deutete auf eine Stelle in Vermont, wo ihr privater See und das Laboratorium lag. Er wandte sich an die anderen und erklärte ihnen in Englisch seine Pläne. »Wir benötigen die Hilfe dieser Leute genauso, wie sie die unsrige. Ich denke, Zezdon Fentes wird hierbleiben und euch helfen. Die anderen werden wir auf ihre Welt zurückbringen. Dort werden wir viel Arbeit haben. Auf dem Wege dahin werden wir auf dem Mars Station machen, um ihr wertvolles Schiff mitzunehmen und es gründlich auf mögliche neue Waffen, ihren Überlichtgeschwindigkeitsantrieb und das normale Antriebssystem untersuchen. Ich kann jetzt schon eine Wette abschließen, wie die beiden sein werden. Ihr normaler Antrieb ist ein Molekularantrieb mit Bleizusetzungsmaschine für die Energie, kosmischer Strahlenabsorbierer für Heizung, ähnlich dem unsrigen. Ihr Ultralichtantrieb ist ein Zeitverzerrer. Zeitdifferenz ist die einfachste Lösung für Geschwindigkeit. Jede Geschwindigkeit ist relativ, relativ in bezug auf andere
Körper, aber auch in bezug auf Zeitgeschwindigkeit. Nun, wir werden es ja sehen. Ich werde ein paar Arbeiter antreiben, damit sie den größten Energie-Ersatzspeicher, den ich in den Lagerräumen des Ancient Mariners unterbringen kann, installieren. Auch den Strahlen-Schutzschirm bauen wir ein. Der wird nützlich sein. Fangen wir an!« »Unser Schiff«, sagte Zezdon Afthen, »wird in drei Stunden Ihrer Zeitrechnung landen.«
4. Kapitel Die Ortolianer standen auf einem niedrigen grünen Hügel. Unter ihnen lag das grüne Tal, und jenseits davon lagen die sanft geschwungenen Kuppen der schönen Berge Vermonts. »Mann dieser Erde«, sagte Zezdon Afthen und drehte sich schließlich zu Wade um, der hinter ihm stand. »Drei Monate reisten wir ununterbrochen mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch das mit riesigen Juwelen übersäte Dunkel des Weltalls. Sterne erstrahlten in Rot und Blau und Orange. Wir flogen an titanischen Leuchttürmen und mattglühenden Punkten vorbei. Ein Szenarium von unaussprechlicher Größe, aber es war so ehrfurchtgebietend, gewaltig in seiner Weite, daß einen die Furcht ergriff, die Seele erschauderte, wenn man diese unvorstellbaren Massen betrachtete, die für immer allein im Schweigen des unfaßlichen Nichts in ewiger Kälte und ewiger Dunkelheit schwebten. Die reine Größe erfüllte uns mit scheuer Ehrfurcht. Ein erhabenes Schauspiel, doch kein Mensch kann es lieben. Nun stehen wir auf einem winzigen Staubkorn in einem winzigen Teil einer winzigen Ecke eines abgeschiedenen Universums, und die Pracht und die Lautlosigkeit sind vorbei. Nur das Zirpen fremder Vögel, die in der Dämmerung einen Platz zum Schlafen suchen, das sanfte Gurgeln des kleinen Baches dort unten und das Rascheln der unzähligen Blätter unterbrechen die Stille mit ihrer tröstlichen Existenz, und die Einsamkeit dieses großen Sterns dort, Ihrer Sonne, verliert sich in den eigenen sanften Farben, in
der Weichheit der Wolken und in der scheinbaren Einheit mit den grünen Hügeln. Die Schönheit des unendlichen Weltraums gebietet Ehrfurcht durch ihre Größe. Die Schönheit der Erde ist etwas, was man lieben kann. Mann dieser Erde, Sie haben ein Zuhause, für das es sich lohnt, mit der ganzen Kraft Ihres Arms, mit allen Strömen Ihres Gehirns und mit allen Energien, die Sie sich aus dem Weltraum zu Hilfe holen können, zu kämpfen. Es ist eine wunderbare Welt.« Schweigend stand er in der aufkommenden Dunkelheit. Venus flimmerte auf, und nach und nach erwachte ein Stern nach dem anderen am dunkler werdenden Himmel. »Das All ist ehrfurchtgebietend schön, das hier ist liebenswert schön.« Er blickte lange in den ihm unbekannten Himmel dieser Erde, der so fremd und zugleich schon für ihn war, wie ein Stern nach dem anderen in seiner Konstellation aufflammte – ein Anblick, vertraut allen Terranern und jenen Bewohnern der Venus, die die Wolkendecke, den ewigen Schleier ihres Heimatplaneten, durchbrochen hatten. »Aber irgendwo im Weltraum gibt es andere Rassen und, für unsere Augen nicht mehr sichtbar, einen Stern – die Sonne meiner Welt, und um sie herum kreist ein kleiner Planet, und das ist mein Zuhause. Was passiert jetzt dort wohl? Existiert er noch? Leben noch Leute dort? Oh, Mann dieser Erde, laßt uns schnell zu dieser Welt fliegen, Sie können sich nicht vorstellen, welche Angst ich habe, denn wenn sie vernichtet ist, werde ich für immer ohne Heimat, ohne Freunde sein. So freundlich die Menschen hier auch zu mir sein mögen, ich würde für immer einsam sein.
Doch daran will ich nicht denken. Aber ich glaube, Ihr Schiff wird fertig sein.« »Wir kehren jetzt besser zurück«, antwortete Wade leise. Seine Gedanken in englischer Sprache waren den Ortolianern verständlich. Mit Hilfe ihrer Molekularanzüge erhoben sich die drei in die Luft und glitten schnell ostwärts zum See hinunter, der wie ein Edelstein sich zwischen die grünen Hügel schmiegte. Die große Halle, in welcher der Ancient Mariner mit Strahlen-Schutzschildern und allen möglichen Waffen ausgerüstet wurde, war hell erleuchtet. Hin und her laufende Männer verstauten eilends in den Lagerräumen soviel an Nahrungsmitteln, Treibstoffen und Ersatzteilen, wie sie eben nur unterbringen konnten. Als die Männer vom Hügel herunterkamen, war alle Arbeit praktisch schon getan. Wade stieg hinauf zu Morey, der eine Liste der benötigten Sachen überprüfte und abhakte. »Hast du alles bekommen, was du bestellt hast?« fragte er. »Ja. Dank der zwei Milliarden Dollar Anleihe. Diese Expedition hätten wir nie auf die Beine stellen können, wenn die uns nicht geholfen hätten. Und wir haben den Hauptraumverzerrer, die neuen Ersatzspulen und zehn Tonnen Bleitreibstoff an Bord. Doch etwas beunruhigt uns. Wenn der Feind ein Röhrensystem mit einem größeren EnergieVolumen hat, als unsere letzte Röhre aufnehmen kann, sind wir verloren. Die klugen Leute, die vorschlagen, für die Strahlenenergie-Speicherung mehr Röhren zu benutzen, vergessen, daß die letzte Röhre die Energieabgabe sämtlicher Röhren aufnehmen und regulieren muß. Hat der Feind eine bessere Röhre,
haben wir Pech gehabt.« Morey war wirklich besorgt. »Morey, wie lange wird es bei dir noch dauern? Ich bin fertig«, sagte Arcot. »Ungefähr zehn bis fünfzehn Minuten.« Morey zündete sich eine Zigarette an und beobachtete, wie die letzten Sachen an Bord gebracht wurden. Schließlich waren sie fertig. Der Ancient Mariner, ursprünglich für intergalaktische Forschungsreisen konstruiert, war immer einsatzbereit gehalten worden. Laufend waren neue Apparaturen unter Berücksichtigung der letzten technischen Neuerungen eingebaut worden. So war er stets einsatzbereit. Viele Erkundungsflüge zu näher gelegenen Sternen waren mit ihm bereits durchgeführt worden. Das Raumschiff war nun rückwärts aus dem Hangar herausgeschoben worden und stand auf der großen glatten Landebahn, und seine viertelmillion Tonnen Lux und Relux drückten eine große flache Vertiefung in den Rasen des Feldes. Nun warteten sie auf die Ankunft des ortolianischen Raumschiffs. Zezdon Afthen versicherte ihnen, daß es in wenigen Minuten hier sein würde. Hoch vom Himmel kündete ein jaulendes Pfeifen die Ankunft des mit hoher Geschwindigkeit einfliegenden Schiffs an. Es näherte sich dem Feld, schoß in schwindelerregendem Tempo dem Boden zu, und bremste erst in den letzten 50 Fuß über dem Boden ab. Doch immer noch setzte es krachend mit etwa 200 Meilen Landegeschwindigkeit auf. Arcot keuchte beim Beobachten dieser katastrophalen Landung und erwartete, daß der große Rumpf irgendwie beschädigt sein würde, auch wenn er aus solidem Relux bestehen möchte. Doch auf jeden Fall mußte die Er-
schütterung jeden Mann an Bord getötet haben. Aber der Rumpf schien von dem Aufprall nicht verletzt zu sein, und sogar der Boden unter dem Schiff war nur leicht verschoben. Die Erdkruste in einem Umkreis von 30 Fuß war durch den unbeschreiblichen Druck von Hunderttausenden von Tonnen zermalmt worden. »Um Gottes Willen, es ist ein reines Wunder, daß die sich nicht selber getötet haben. So eine miese Landung habe ich noch nie gesehen«, rief Morey angewidert. »Sag das nicht. Ich glaube, sie sind sehr sanft gelandet und mit sehr niedriger Geschwindigkeit. Hast du bemerkt, wie geringfügig die Erde unter dem Schiff eingedrückt ist?« erwiderte Arcot. »Sie haben Zeitsteuerung, wie ich vermute. Frag sie. Sie schwebten langsam ein. Ihre Subjektivzeit wurde so stark erhöht, daß das, was wir als furchterregende Geschwindigkeit empfanden, für sie nur ein paar Fuß pro Minute waren. Aber komm jetzt, sag den Arbeitern, sie sollen das Zeug zur Tür hochbringen – da kommen sie ja schon heraus.« Einer der großen, freundlichen Hundewesen stand nun an der Luftschleuse. Das weiße Licht fiel in die Nacht und zeichnete einen grotesken Schatten auf dem Landefeld, das in Flutlicht getaucht war. Zezdon Afthen stieg hinauf und sprach kurz mit einem Mann, der augenscheinlich der Kommandant des Raumschiffs war. Sie betraten das Schiff. Darauf wurden die besten Laborinstrumente hineingeschafft. Vier Stunden arbeiteten Arcot, Morey und Wade an den Maschinen des Schiffs, nahmen Maß, kalkulierten und untersuchten die elektrischen, magnetischen und
mechanischen Schaltbilder von beunruhigender Komplexität. Sie versuchten nicht, die exakten Konstruktionsmethoden herauszufinden, sondern nur die angewandten Prinzipien, damit sie ihre eigenen Kalkulationen erstellen und die Resultate des Feindes verdoppeln konnten. Außerdem würden sie danach die ganze Maschinerie durch und durch kennen. Wenig Aufmerksamkeit nur widmeten sie der Antriebsanlage, da es sich bei diesem Schiff um den gleichen Typ von Molekularantrieb mit Bleibrennern handelte, den auch sie benutzten. Es waren die Röhren der Energiespeicher, die ihnen Kopfzerbrechen machten. Sie waren aus Relux hergestellt, und somit war es ihnen unmöglich, ins Innere der Röhren zu blicken. Sie zu öffnen, würde bedeuten, sie zu zerstören. Aber Kalkulationen, die sie anhand der Instrumente gemacht hatten, zeigten deutlich, daß sie bedeutend leistungsfähiger waren und fast doppelt so stark belastet werden konnten wie die besten terrestrischen Röhren. Das bedeutete, daß der Feind über stärkere Strahlen und stärkere Strahlenabwehrschirme verfügte. Nach Beendigung ihrer Untersuchungen kehrten sie auf den Ancient Mariner zurück, und nachdem das Schiff der Ortolianer wieder im Weltall verschwunden war, startete der Ancient Mariner, stieg schneller und schneller durch die Atmosphäre hindurch in das Dunkel des Alls. Dann wurde die Molekularenergie abgestellt. Das Schiff schien plötzlich zu taumeln, der Weltraum über ihnen war schwarz und sternenlos, dann schimmerten geisterhaft zerrissene Sterne vor ihnen auf. Bevor die Ortolianer ganz begriffen, was geschah, waren bereits ein Dutzend Sterne hinter
dem Schiff verschwunden. Sie legten nun pro Sekunde fünf Lichtjahre zurück. Bei dieser Geschwindigkeit würden sie ungefähr 14 Stunden benötigen, um Ortol zu erreichen. »Nun, Arcot, würden Sie mir das Geheimnis dieses Schiffes erklären?« fragte Zezdon Afthen schließlich und wandte sich von dem großen Lux-Cockpitfenster ab und Arcot zu, der im Pilotensessel saß. »Ich weiß, daß ich nur die wichtigsten Prinzipien begreifen werde; denn trotz des viermonatigen Studiums des in unsere Hände gefallenen Schiffs konnte ich es nicht verstehen. Doch verglichen mit Ihrem Raumschiff kroch dieses Schiff nur durch den Weltraum. Es gibt sicherlich kein Schiff, das dieses hier an Schnelligkeit übertreffen würde.« »Passen Sie mal auf!« Arcot schob einen kleinen Metallknopf durch einen Schlitz bis zum anderen Ende. Wieder schien das Schiff zu taumeln. Der Weltraum war nicht länger schwarz, sondern dunkelgrau, und auf beiden Seiten neben ihnen schwebten zwei exakte Abbilder ihres Schiffs. Zezdon Afthen starrte verblüfft hinaus. Im nächsten Augenblick waren beide verschwunden, und der Weltraum war wieder schwarz. Doch dann wurde er wieder grau, und um sie herum begann es heller und heller zu werden. Arcot ließ dies drei Sekunden lang andauern, dann schob er den Metallknopf durch den Schlitz zurück und mit einer schnellen Bewegung drückte er einen anderen Knopf, den er für den zweiten Wechsel herausgezogen hatte. Nun waren die Sterne wieder vor ihnen, doch sie waren von einer völlig unbekannten Konstellation umgeben. »Ich habe lediglich das Schiff für einen Moment auf
äußerste Geschwindigkeit gebracht. Ich hätte jeden großen Stern, bis 2000 Lichtjahre auf unserer Bahn entfernt, gesehen, aber es war keiner da. Kleine Sterne können uns nicht schaden. Das erkläre ich Ihnen später. Als ich die Hauptenergiespulen voll aufdrehte, habe ich das Schiff auf eine Geschwindigkeit von 30 Lichtjahren pro Sekunde gebracht. Als ich dann noch die Zusatzspulen voll aufdrehte, verdoppelte ich die Energie und dadurch wurde die Geschwindigkeit verachtfacht. So legten wir in einem VierSekunden-Rennen etwa 1000 Lichtjahre zurück!« Zezdon Afthen holte tief Luft. »240 Lichtjahre pro Sekunde!« Bestürzt hielt er inne. »Angenommen, wir hätten mit dieser Geschwindigkeit eine kleine Sonne gestreift, oder einen dunklen Stern oder nur einen Meteoriten? Was wäre dann passiert?« Arcot lächelte. »Es ist sehr wahrscheinlich, daß wir durch mehr als einen Meteoriten, durch mehr als einen dunklen Stern und durch mehr als eine kleine Sonne flogen. Das Geheimnis ist folgendes: Das Schiff erreicht diese Geschwindigkeit nur durch Verlassen des Weltraums. Nichts kann im Weltraum die Geschwindigkeit von Licht erreichen, außer Strahlung. Nichts im normalen Weltraum. Aber wenn man den Raum verändert, Raum in einer von uns bestimmten Art schafft und ihn verzerrt, so wird die natürliche Geschwindigkeit der Strahlung ungeheuer vergrößert. Tatsächlich verändern wir den Raum soweit, daß sich in ihm nichts langsamer bewegen kann als von uns festgesetzt. Morey – zeige Afthen die Spulen und erkläre ihm alles. Ich muß hierbleiben.« Morey erhob sich und glitt durch die Schwerelo-
sigkeit hinunter in den Maschinenraum. Zezdon Afthen folgte ihm. Hier waren gigantische ›Kannen‹, fünf Fuß hoch, aufgereiht. Die ›Kannen‹ enthielten speziell entworfene Spulen, in denen Energie lagerte, die ungeheure Energie von vier Tonnen gespaltenem Blei, eingelagert in der einzig möglichen Form, in der man Energie im Weltraum lagern kann, nämlich durch Deformation oder Verzerrung. Die aufgeladenen Spulen dehnten nur den Raum in sich aus und schufen damit ein geschlossenes Feld in sich selber. Im exakten Gravitationszentrum des eine viertel Million Tonnen schweren Schiffs befand sich eine andere höhere Spule, die den sie umgebenden Raum und den Raum in sich verzerrte. Dies war, so erklärte Morey, die Steuerung, die die Raumkonstanten je nach Wunsch veränderte. Die Spulen waren aufgeladen und die Energie eingelagert. Ihre Energie konnte in die große Spule gepumpt werden. Ging das Schiff auf normale Geschwindigkeit herunter, wurde die Energie wieder zurückgepumpt. Die zum Pumpen und zum Wiederaufladen der Spulen benötigte Energie wurde von drei riesigen Energiegeneratoren geliefert. »Die Herstellung dieser Energie«, erklärte Morey, »basiert auf einem Prinzip, das seit Hunderten von Jahren auf der Erde bekannt ist. Blei, das man nahezu auf den absoluten Gefrierpunkt bringt, wie zum Beispiel in flüssiges Helium, hat keinen elektrischen Widerstand mehr. Mit anderen Worten, gleichgültig, wie stark der Strom, der durchgejagt wird, sein mag, er trifft auf keinen Widerstand, und somit wird keine Hitze produziert, die die Temperatur erhöhen würde. Wir jagen einen Stromstoß durch einen Bleidraht. Dadurch ergibt sich im Leitungsdraht eine so große
Stromstärke, daß die Atome zerstört werden und die Protonen und Elektronen sich in reine Strahlenenergie umwandeln. Relux formt sich unter dem Einfluß eines magnetischen Feldes sofort in elektrische Energie um. Elektrizität wiederum können wir in die räumliche Deformation der Energiespulen transformieren – und damit wird das Schiff angetrieben.« Morey deutete auf den riesigen, über ihren Köpfen befindlichen Molekular-Energiezylinder, wo sich der Hauptenergie-Antrieb im Trägheitszentrum des Schiffs befand. Die kleineren Energiezellen für Höhenflug und Steuerung befanden sich, abgeschirmt von massivem Relux, hinter den Seitenwänden. »Die Projektoren für den Auswurf von Molekularund Hitzestrahlen sind natürlich außerhalb angebracht. Beide Projektoren sind geschützt. Die äußere Hülle des Raumschiffs ist aus starkem Luxmetall geformt, dann kommt ein Vakuum und dann die innere Wand aus starkem Relux. Lux ist stärker als Relux und wird deshalb als Außenhülle verwandt. Die innere Reluxhülle reflektiert alle gefährlichen Strahlen und dient dazu, die Wärme im Schiff zu halten, da ein perfekter Reflektor zugleich ein perfekter Heizkörper ist. Die Vakuum-Wand soll die Insassen des Schiffs gegen übermäßige Hitze schützen. Sollten wir in die Atmosphäre einer Sonne tauchen, wäre es eine Katastrophe, wenn Hitze durchdringen könnte; denn obwohl Relux Hitzestrahlung reflektiert, ist es doch ein Hitzeleiter und wir würden schmoren. Diese künstlichen Metalle sind beide absolut unschmelzbar und schon gar nicht zu verdampfen. Das Raumschiff ist sogar schon in gefährlicher Nähe eines Sterns ge-
wesen, der unvergleichlich heißer als Ihre oder unsere Sonne war. Nun werden Sie verstehen, warum wir keine Kollision mit einer kleinen Sonne, Meteoren oder ähnlichen Himmelskörpern zu fürchten brauchen. Da wir uns in unserem eigenen künstlichen Raum befinden, sind wir allein und können mit nichts zusammenstoßen. Aber wenn wir einer riesigen Sonne näherkommen, würde das ungeheure Schwerefeld ihrer Masse ausreichen, daß unsere Spule Energie abstößt. Das ist wirklich auf unserer ersten intergalaktischen Forschungsreise passiert. Aber es ist nahezu unmöglich, in einen großen Stern zu fallen – er leuchtet zu stark. Der Strahlungsdruck ist zu hoch. Also kein Grund zur Beunruhigung«, grinste Morey. »Aber wie funktioniert das Schiff, das wir gekapert haben?« fragte Zezdon Afthen. »Nach einem sehr erfinderischen System, sehr dem unseren ähnlich. Wir verzerren Raum und verändern die Geschwindigkeits-Charakteristiken; mit anderen Worten, wir verzerren die Bewegungsgeschwindigkeit durch Entfernungscharakteristiken des Normalraums. Das thessianische Schiff arbeitet auf dem Prinzip des Verzerrens der Bewegungsgeschwindigkeit durch Zeit anstatt durch Raum. Geschwindigkeit ist nichts anderes als ›Bewegung durch Raum geteilt durch Bewegung durch Zeit‹. Wenn wir die Zeiteinheit verdoppeln und sich die durch den Raum zurückgelegten Bewegungseinheiten nicht verändern, ist die Geschwindigkeit doppelt so groß. Zum Beispiel, wenn wir fünf Lichtjahre pro Sekunde fahren, und die Sekunde um das Doppelte
verlängern, bewegen wir uns 10 Lichtjahre pro verdoppelter Sekunde. Verlängert man das Ganze zehntausendmal, so reisen wir fünfzigtausend Lichtjahre in Zehntausendfach-Sekunden. Das ist das Prinzip – aber es gibt einen Nachteil. Wir könnten Geschwindigkeit durch Verlangsamung der Zeit erhöhen. Nehmen wir an, für einen Herzschlag brauche ich ein Jahr, zwei Jahre um die Arme zu heben und 6 Monate, um den Kopf zu drehen, und wenn so alle Körperfunktionen entsprechend verlangsamt würden, kann ich ungeheuer lang leben, und obwohl ich zweihundert Jahre von einem Stern zum anderen brauche, wird es mir nur wie wenige Minuten erscheinen, da die Zentrale verlangsamt wurde. Ich kann dann zum Beispiel die Reise zu einem entfernten Stern – sagen wir fünf Lichtjahre entfernt – in drei Minuten machen. Ich kann mir dann, mit Blick auf meinen Chronometer (der natürlich auch entsprechend verlangsamt ist), sagen, daß ich in drei Minuten fünf Lichtjahre zurückgelegt habe oder 5/3 Lichtjahre pro Minute. Ich habe also die Lichtgeschwindigkeit überschritten. Aber die Menschen unten auf der Erde würden sagen, er hat zweihundert Jahre für die fünf Lichtjahre benötigt, daher ist er mit einer Geschwindigkeit von 1/40 der Lichtgeschwindigkeit gereist – was bei ihrer Zeitgeschwindigkeit auch stimmt. Doch genaugenommen, ich kann die Zeit beschleunigen. Das bedeutet, ich kann ein Jahr in einer oder zwei Minuten leben. Im Vergleich dazu würde jedermann sehr langsam sein. Ideal wäre es, diese beiden Effekte zu kombinieren, so daß der das Schiff umgebende Raum eine überschnelle Zeitgeschwin-
digkeit hätte, zehntausendmal größer als im normalen Raum. So wäre die Geschwindigkeit durch diesen Raum 1 860 000 000 Meilen pro Sekunde. Eine Geschwindigkeit von 1 000 000 000 Meilen pro Sekunde wäre möglich, aber auch ich würde einbezogen sein, so daß, obwohl die Menschen zu Hause sagen würden, du seist nun sehr viel schneller als Licht, müßte ich sagen: Nein, ich bewege mich nur mit 100 000 Meilen pro Sekunde. Aber nun stellen Sie sich vor, daß Ihr Schiff und der Sie im Durchmesser von einer Meile umgebende Raum eine 10 000mal höhere Zeitgeschwindigkeit hat, und Sie, in einem Raum innerhalb Ihres Schiffs von 100 Fuß, normaler Zeitgeschwindigkeit oder 1/10 000 davon pro Sekunde im umgekehrten Feld ausgesetzt sind. Die beiden Zeitfelder werden nicht entgegenwirken, sondern sich weitgehend in ihren Wirkungen verbinden. Ergebnis: Sie werden zustimmen, daß Sie schneller als das Licht sind. Verstehen Sie? Nach diesem Prinzip funktioniert Ihr Schiff. Es gibt zwei Zeitfelder, überlappende Zeitfelder. Erinnern Sie sich an die Geschwindigkeit, mit der Ihr Schiff landete und trotzdem gab es nach Angaben Ihrer Leute keinen nennenswerten Aufprall? Die Erklärung dafür ist einfach: Durch völlige Ausschaltung eines Feldes war die Zeitgeschwindigkeit ausreichend beschleunigt worden. Das ist das Prinzip. Das System ist so komplex, daß wir die eigentliche Methode, die diesen Prozeß in Gang setzt, noch nicht kennen. Wir müssen noch einen großen Teil auf mathematischem und physikalischem Gebiet erforschen. Ich wollte, das hätten wir schon getan – jetzt
könnten wir es gebrauchen«, meinte der Terraner nachdenklich. »Wir besitzen einige andere Waffen, doch natürlich keine so bedeutenden wie den Molekularstrahl oder den Hitzestrahl. Aber wenn der Feind Strahlenabwehrschirme hat, so könnten die anderen Waffen auch wichtig werden. Wir haben Molekulargewehre. Das sind Metallröhren mit einer molekularen Richtungssonde an einem Ende. Eine Metallhülse nimmt Energie auf, und die supererhitzte Hülse schießt mit einer Geschwindigkeit von 10 Meilen pro Sekunde heraus. Die Gewehre können sehr genau zielen und haben keinen nennenswerten Rückstoß. Eine noch wirkungsvollere Waffe ist ein Magnetfeldkonzentrator. Dieses Gerät projiziert ein magnetisches Feld, das auf eine Entfernung von einer Meile oder mehr ausgestrahlt wird. Wie nützlich dies sein wird, weiß ich noch nicht. Wir haben ja noch keine Ahnung, was der Feind alles gegen uns abschießen wird.«
5. Kapitel Als Morey seine Erläuterungen über das Raumschiff beendet hatte, übernahm Wade Arcots Platz im Kommandostand. Morey und Arcot zogen sich ins Rechenzentrum zurück, um die notwendigen mathematischen Berechnungen auf dem Gebiet der Zeitfeldforschung anzustellen. Während sie arbeiteten, bereiteten die Ortolianer eine Mahlzeit vor und servierten sie den Terranern. Als sich die Sonne von Ortol näherte, übernahm Arcot das Kommando wieder. Er verringerte ihre Geschwindigkeit auf weniger als 5fache Lichtgeschwindigkeit. Die Anziehungskraft der gigantischen Sonne sog jetzt so schnell Energie auf die Spulen, daß Arcot schließlich gezwungen war, in den Normalraum zurückzutauchen. Der Planet war noch fast eine Million Meilen von ihnen entfernt. Morey zeigte den Ortolianern die Bedienung des Telektroskops und hatte es auf den schnell näherkommenden Planeten eingestellt. Der Planet war nun soweit vergrößert, daß die Umrisse der Kontinente sichtbar wurden. Er stellte es auf so starke Vergrößerung ein, bis die verschwommenen Flecken als Städte sichtbar wurden. Eine Stadt nach der anderen wurde sichtbar, was die Ortolianer jedesmal mit freudigen Ausrufen quittierten. Plötzlich schien sich eine der Städte vor ihren Augen aufzubäumen, sich in die Luft zu erheben, einer riesigen wirbelnden Staubsäule gleich, und versank dann in einen chaotischen Trümmerhaufen. Zezdon Fentes taumelte entsetzt zurück. »Arcot! Fahr runter! Erhöhe die Geschwindigkeit!
Die Thessianer sind bereits da und haben eine Stadt zerstört«, schrie Morey. Als ein tiefer Warnton durch das Schiff tönte, sicherten sich die Männer mit schweren Gurten. Einen Augenblick später taumelten sie unter vierfacher Gravitationsbeschleunigung. Einen winzigen Bruchteil lang war der Raum schwarz, dann schwoll das Brüllen der Atmosphäre an, als das Raumschiff mit einer Geschwindigkeit von fast fünfzehnhundert Meilen pro Sekunde durch die Luft des Planeten schoß. Die Außenwand loderte weißglühend auf und die schweren Reluxschirme rasteten über den Luken ein, als sich die vernichtende Hitze, die von den weißglühenden Wänden ausstrahlte, über sie ergoß. Der Millionen Tonnen schwere Luftdruck, der sich dem Schiff entgegenstemmte, hätte es sofort gestoppt, wenn der Molekularantrieb nicht voll aufgedreht gewesen wäre. Trotzdem verloren sie durch den Luftwiderstand an Geschwindigkeit. Und obwohl das Schiff unter schrillem Kreischen mit furchterregender Geschwindigkeit auf die zerstörte Stadt zuflog, verlangsamte sich die Geschwindigkeit schnell. »Hesthis, rechts vor uns. Das wird ihr nächstes Angriffsziel sein«, sagte der Ortolianer. Arcot änderte den Kurs, und sie schossen auf die entfernt liegende Stadt Hesthis zu. Merkbar verlangsamte sich nun die Geschwindigkeit, und doch erreichten sie die Stadt, die auf der anderen Hemisphäre lag, in einer halben Minute. Jetzt kam Arcots Hexerei an den Kontrollen ins Spiel. Durch Veränderung seiner Raumfeldkonstanten erreichte er, daß das Schiff fast augenblicklich auf eine Geschwindigkeit von einer Meile pro Sekunde zurückfiel, jedoch ohne sich spürbar zu verlangsamen.
Hoch im weißen ortolianischen Himmel war ein schimmernder Punkt, der die vor ihnen liegende Stadt anpeilte. Arcot veränderte den Kurs und das näherkommende Schiff wuchs wie ein sich vergrößernder Luftballon. Ein blendend heller Lichtstrahl schoß aus ihm heraus, und ein Lichtklumpen erschien im Zentrum der Stadt. Eine riesige blaue Flamme schoß mit brüllender Hitze himmelwärts. Doch als die Thessianer das fremde Schiff sichteten, ließen sie von der Stadt ab und flogen pfeilschnell auf sie zu. Das thessianische Schiff, für eine riesige Welt gebaut, übertraf den Ancient Mariner an Beschleunigung und Wendigkeit bei weitem. Dies hatte sich aus den Untersuchungen an dem gekaperten Schiff ergeben. Ein Ausweichen war sinnlos. Plötzlich war der sie umgebende Raum schwarz, die sonnendurchflutete Welt war verschwunden. »Ich möchte wissen, was sie davon halten!« grinste Arcot. Wade lächelte grimmig. »Was die denken, zählt nicht, sondern was sie nun tun werden.« Arcot tauchte in den Normalraum zurück, gerade rechtzeitig. Mit unfaßbarer Beschleunigung ließ der Gegner sein Schiff trudeln. Ein Mensch wäre in einer solchen Maschine zu Brei zermalmt worden. Wieder stürzte der Pilot auf das terrestrische Schiff zu. Wieder verschwand es. Wieder und wieder unternahm er diese fruchtlosen Versuche – er sah das Schiff vor sich, stieß darauf zu und verschwunden war es. Er fuhr durch die Stelle hindurch, wo das Schiff eben noch gewesen war. Sekunden später sah er es, unbeschädigt, genau dort liegen, wo er soeben noch mit seinem Schiff durchgeflogen war. Losstür-
zen war sinnlos. Er stand still und bereitete sich auf einen Kampf vor. Ein Molekularstrahl schoß heraus und verschwand in grell aufflammenden Ionen auf dem Abwehrschirm, undurchdringlich in der ionisierten Atmosphäre. Währenddessen beobachtete Arcot die Instrumente seines Abwehrschirmes. Der thessianische Schirm würde absolut dicht sein, sein Schirm hingegen, gespeist von schwächeren Röhren, war dies nicht, und er wußte das. Die ungeheure Energie des thessianischen Strahlers hatte die Kupferplatten der Röhren merklich erhitzt. Die Dichtung würde bald brechen. Ein anderer flammender Lichtstrahl schoß heraus. Durch die »Augen« seines telektroskopischen Bildschirms sah Arcot ihn für einen Moment, dann erblindeten die »Augen« und der Bildschirm wurde schwarz. »Damit kann er uns nur blenden«, murmelte der Terraner. Als ihm seine Instrumente anzeigten, daß der gegnerische Strahl erloschen war, drückte er einen kleinen Knopf. Ein anderer Abtaster wurde aktiviert, und der Bildschirm erwachte zu neuem Leben. Arcot schoß nun selber ein Bündel harter Strahlung ab, und deckte den Thessianer gründlich damit ein. Das Schiff war für einen kurzen, aber wichtigen Moment geblendet. Der Ancient Mariner tauchte sofort hinunter, so daß die automatisch gesteuerten Strahlenkanonen sein Schiff nicht mehr unter Beschuß halten konnten. Sobald er aus der tödlichen Strahlung heraus war, zog er die Abwehrschirme ein und drehte sämtliche Molekularstrahlenbatterien auf. Das thessianische Schiff, die Strahlen aufgedreht, konnte den eigenen Abwehrschirm nicht ausfahren, genauso
wie es Arcot vorher unmöglich gewesen war, seine Strahlengeschütze zu benutzen, da der Feind ihn gezwungen hatte, die Abwehrschirme herunterzulassen. Augenblicklich verwandelte sich das Relux des thessianischen Schiffs in irisierendes Luxmetall. Die Molekularstrahlen erloschen, und stattdessen flammte der Strahlenabwehrschirm auf. Die Thessianer gingen in Deckung. Jetzt waren ihre eigenen Strahlengeschütze nutzlos. Obwohl Arcot nicht hoffen konnte, den Strahlenschirm des Gegners zu durchbrechen, konnte dieser ihn doch momentan nicht angreifen. Darüber hinaus hatten sie bereits soviel von dem schützenden Relux verloren, daß sie nicht so tollkühn sein würden, sich einer zweiten Strahlenattacke auszusetzen. Arcot fuhr fort, das feindliche Schiff in Strahlenenergie zu baden, damit es seine »Augen« geschlossen halten mußte. Solange er sie unter Sperrfeuer hatte, konnten sie ihn nicht beschädigen. »Morey, geh in den Maschinenraum. Wirf alle Energiespulen in die Magnete. Vielleicht brennen sie aus, aber hoffentlich ...« Arcot hatte die Generatoren bereits auf äußerste Energie geschaltet, um die Energiespulen aufzuladen. Morey tauchte hinunter. Im selben Moment hatten die Thessianer Erfolg mit einem Manöver, das sie schon seit einiger Zeit anstrebten. Ein Dutzend Strahlen schossen wild aus dem Schiff heraus und suchten blindlings Himmel und Boden ab in der Hoffnung, das feindliche Schiff zu treffen, während das eigene trudelnd wegtauchte. Arcot war beschäftigt, dem Strahlenregen auszuweichen, aber schließ-
lich schlug einer in seinen Bildschirm ein, und das Schiff war blind. Sofort fuhr er den Strahlenschirm aus und schnitt damit seine eigenen Molekularstrahlen ab. Die harten Strahlen ließ er kegelförmig in drei Richtungen schwenken, ausgenommen in Richtung der Stadt. Sofort zogen sich die Thessianer dorthin zurück, wohin Arcot keinen Strahlenschuß wagte. Die harten Strahlen des Gegners zwangen ihn weiterhin, seinen Reluxabwehrschirm zu benutzen, und damit blieb sein Schiff blind. Auf seinem Abwehrschirm zeigten sich die ersten Ermüdungserscheinungen. Die Thessianer hatten einen dritten Strahl in Position gebracht und eröffneten damit das Feuer. Sofort erhitzten sich die Röhren in beängstigendem Ausmaß. Jeden Augenblick konnten sie auseinanderplatzen. Arcot warf sein Schiff in den Raum, und ließ die Röhren unter einer Wasserjacke abkühlen. Und bald schon kam Morey aus dem Maschinenraum und teilte mit, daß die Röhren wieder einsatzbereit seien. Arcot schnitt einen Satz »Augen« ein und stellte seinen Molekularabwehrschirm wieder auf. Dann preßte er die Energie wieder zurück in die Spulen. Eine halbe Meile unterhalb hastete das gegnerische Schiff vergebens suchend durch den Himmel. Wade lachte bei dem Vergleich mit einem Hündchen, das seinen Schwanz jagt. Offensichtlich hatten sie den Ancient Mariner völlig aus den Augen verloren. »So, jetzt kommt der letzte Trick«, sagte Arcot grimmig. »Wenn der nicht wirkt, werden sie wahrscheinlich gewinnen, da ihre Röhren besser als die unsrigen sind, und sie schneller manövrieren können. Mit ›gewinnen‹ meine ich, daß wir einen Angriff auf Ortol dann nicht mehr verhindern werden können.
Uns selber können sie nicht besiegen – künstlicher Raum ist die beste Verteidigung.« Arcots Molekularstrahl machte die Thessianer wieder auf seine Gegenwart aufmerksam. Ihr Abwehrschirm glühte auf. Arcot fuhr geradeaus auf das Schiff zu, als es wendete. Knapp bevor die harten Kosmiks des Feindes sein Schiff erreichten, ließ er den Reluxschirm aufblitzen. Augenblicklich war der Aufprall von vier schweren Stromstößen im Schiff zu hören. Das eine viertel Million Tonnen schwere Schiff schoß mit ungeheurer Beschleunigung vorwärts. Die Beschleunigung hörte auf, als die Stromstöße wieder abprallten. Der Schirm wurde hell, als Arcot die Klappen öffnete. Vor ihnen, genau auf Kurs, war das riesige thessianische Schiff. Aber jetzt war es ohne Schirm, das Relux schimmerte beschädigt. Es fiel, taumelte hilflos auf das Felsenplateau zu, das sieben Meilen unter ihnen lag. Sogar jetzt noch schossen Strahlen heraus, und wieder wurde der Ancient Mariner von dem schrecklichen Sog der Beschleunigung erfaßt. Das thessianische Schiff schlingerte aufwärts, eine schreckliche Erschütterung durchbebte es, und die ganze Umgebung verschwand hinter einer Fackel aus berstender, flammender Energiestrahlung. Arcot fuhr den Ancient Mariner hinunter neben das abstürzende Schiff. Mit einem konzentrierten Molekularstrahl schlitzte er eine gewaltige Schlucht in das verlassene Plateau. Das thessianische Raumschiff fiel durch die aufspritzenden Steinbrocken in diese eine viertel Meile breite Felsspalte. Sekunden später war es unter Felsbrocken begraben, und Arcot schaufelte mit dem Molekularnadler wie ein Totengräber die Löcher zu.
Dann ließ er noch einen gleißenden Hitzestrahl folgen. Ein phantastischer Lichtklumpen erschien auf dem kahlen Felsen. Innerhalb von zehn Minuten war das Plateau ein weißer, heißer Kessel voll geschmolzenem Stein, der vor dem dunkler werdenden Himmel glühte. Die Nacht sank herab. »Dieses Schiff«, sagte Arcot entschieden, »wird bestimmt nie mehr aufsteigen.«
6. Kapitel »Was geschah eigentlich mit ihm?« fragte Wade verwundert. »Bis jetzt ist mir das noch nicht ganz klar. Er fiel einfach hinunter und hatte keine Energie mehr; denn wenn er noch Energie gehabt hätte, hätte er sich wieder herausziehen können. Er hätte einfach den Felsen schmelzen und verbrennen können und wäre dann wieder flugtüchtig gewesen. Aber alle seine Strahlen erloschen. Und wodurch die Explosion?« »Die Antwort darauf ist der magnetische Nadler. In unserem Schiff ist alles magnetisch geschützt wegen des enormen magnetischen Felds, das durch die dauernde Strömung von den Lagerspulen zur Hauptspule erzeugt wird. Aber was würde bei so vielen Starkstromleitungen passieren, wenn sie nicht geschützt wären? Wenn Strom durch ein magnetisches Feld geht, entwickelt sich Kraft. Was glaubst du, passiert, wenn das ungeheure Magnetfeld des Nadlers und die Elektrizität in den Energiespeichern – beide in Opposition zueinander – aufeinandertreffen?« »Um Gottes willen, das muß ja alles im Schiff zerrissen haben. Das würde sogar die Lichtleitungen rausreißen!« keuchte Wade entsetzt. »Aber wenn aus diesem Weg alle Energie des Schiffs zerstört worden war, wie kam es, daß während des Fallens ihre Strahler noch funktionierten?« fragte Zezdon Afthen. »Jedes Strahlengeschütz hat eine separate Energieanlage«, erklärte Arcot, »und so konnten sie vereinzelt noch funktionieren. Die Ursache der Explosion
kenne ich nicht, doch könnte es gut sein, daß sie Lichtbomben, die die Kaxorianer auf der Venus auch haben, an Bord hatten«, fügte er nachdenklich hinzu. Auf Zezdon Afthens Rat hin landeten sie in der Stadt, die sie gerettet hatten. Sie war die größte von Ortols Städten und das Industriezentrum. Hier war auch die Universität, an der Afthen lehrte. Sie landeten. Arcot, Morey und Wade arbeiteten mit Unterstützung von Zezdon Afthen und Zezdon Fentes ununterbrochen zwei 50-Stunden-Tage lang und lehrten die Männer, wie man Molekularschiffe, Strahlen, Abwehrschirme, Hitzenadler und Relux herstellt und benutzt. Und Arcot versprach, daß er – wenn sie zurückkämen – einige Waffen haben würde, die ihnen sicheren Schutz garantieren würden. In der Zwischenzeit würden andere Terraner hierherkommen und ihnen helfen. Am Morgen des dritten Tages verließen sie den Planeten. Eine riesige Menge war zu ihrer Verabschiedung erschienen. Es war eine »schweigende Verabschiedung« von Ortol – gute Wünsche auf telepathischem Wege übermittelt. »Jetzt«, sagte Arcot, als ihr Schiff den Planeten hinter sich gelassen hatte, »müssen wir unseren nächsten Schritt planen. Ich schlage vor, wir sollten als nächstes in Richtung der noch unbekannten Rasse auf der Welt 3769–37, 478, 326 894-6 fliegen. Sicherlich werden wir einige Waffen besitzen, die sie nicht haben. Und ich glaube, ich weiß auch, was das sein wird – dank unserer Reise zu den Islands of Space.« »Wollen wir?« »Ich glaube, es wäre empfehlenswert«, stimmte Morey zu.
»Ich schließe mich an«, meinte Wade. Die Ortolianer stimmten ebenso zu, und so starteten sie mit Hilfe der Fotokopien der thessianischen Karten, die Arcot gemacht hatte, in Richtung der Welt 3769–37, 478, 326, 894-6. »Wir werden etwa 22 Stunden brauchen, und da wir uns die ganze Zeit mit Tabletten wachgehalten haben, sollten wir jetzt etwas Schlaf nachholen. Wade, übernimmst du das Kommando? Morey und ich werden kurz, aber fest schlafen. Wir haben unsere Kalkulationen noch keineswegs beendet, und das müssen wir unbedingt. In fünf Stunden werden wir dich ablösen.« Wade übernahm das Steuer und navigierte das Schiff auf den von Arcot ausgearbeiteten Kurs. Sie schossen durch das Nichts mit größter Sicherheitsgeschwindigkeit. Wade mußte nur den Bildschirm sorgfältig beobachten, und wenn ein schnell größer werdender Stern erschien, so war dies ein Zeichen dafür, daß sie ihm nahe waren oder sich ihm schnell näherten. War er sehr groß, so wich Wade mit einem Knopfdruck zur Seite aus, war er klein, so tauchten sie bei seinem Durchfliegen für einen Augenblick in einen anderen Raum. Zezdon Afthen hatte sich entschieden, bei ihm zu bleiben. Dies bot Wade eine Gelegenheit, auf die er schon lang gewartet hatte. »Wenn es mich nichts angeht, sagen Sie es mir bitte«, begann er. »War nicht die erste Stadt, die die Thessianer zerstörten, Zezdon Fentes Heimatstadt? Hatte er Familie?« Die Worte wirkten plump und unbeholfen, als er sie aussprach, doch nun hatte er einmal angefangen, und es gab kein Zurück mehr. Zezdon Afthen nahm die Frage völlig ruhig auf.
»Fentes hatte zwei Frauen und Kinder«, sagte er leise. »Sein Verlust war groß.« Wade konzentrierte sich für einen Moment auf den Bildschirm und versuchte, den Schock zu überwinden. Er fürchtete, Zezdon Afthen könne sein Schweigen mißverstehen, und daher wagte er weiterzufragen. »Das tut mir sehr leid«, sagte er. »Ich wußte gar nicht, daß Sie polygam sind. Auf der Erde sind es – abgesehen von einigen wenigen Gruppen – die meisten Menschen nicht. Es ist wahrscheinlich ein guter Weg, die Rasse zu verbessern. Aber ... verdammt nochmal, was mich beunruhigt ist, daß Zezdon Fentes sich so schnell von diesem Schlag erholt zu haben scheint! Von einer Hunderasse würde ich mehr Liebe und Loyalität, mehr ...« Verzweifelt schwieg er. Aber Zezdon Afthen blieb gelassen. »Mehr unverhohlene Gefühle erwarten?« fragte er. »Nein. Liebe und Loyalität besitzen wir – sie sind charakteristisch für unsere Rasse. Aber Liebe und Loyalität sollten nicht unnütz gegeben werden. Die toten Frauen und Kinder zu vergessen – das wäre eine Verletzung ihrer Erinnerung. Doch der sinnlose Verlust von Gesundheit und Nervenkraft wäre auch verletzend, nicht nur ihrem Gedanken, sondern der ganzen Rasse gegenüber. Nein, wir haben eine bessere Möglichkeit. Fentes, der ein sehr guter Freund von mir ist, hat genausowenig vergessen, wie Sie den Tod Ihrer geliebten Mutter vergessen haben. Doch auch Sie beklagen ihren Tod nicht länger, aus Angst und Furcht vor dem ganz Natürlichen, dem ewigen Schlaf. Die Zeit hat den Schmerz geheilt. Wenn wir nun das Gleiche in fünf Minuten anstatt in fünf Jahren tun können – ist es so nicht besser?
Verstehen Sie – so hat Fentes ›vergessen‹.« »Dann haben Sie seine Erinnerung an dieses Ereignis altern lassen?« fragte Wade überrascht. »So kann man es auch nennen«, erwiderte Zezdon Afthen ernst. Wade schwieg eine Weile, in Gedanken versunken. Aber er konnte seine Neugier nicht ganz unterdrükken. Ach, was soll's, entschied er. Konventionelles Benehmen und Takt haben nicht viel Bedeutung für zwei verschiedene Rassen. »Sind Sie – verheiratet?« fragte er. »Nur dreimal«, gestand Zezdon Afthen ihm höflich. »Und um Ihrer nächsten Frage zuvorzukommen – nein, unser System schafft keine Probleme. Zumindest nicht solche, an die Sie denken. Meine Frauen sind nicht eifersüchtig aufeinander.« »In Ihrer Gegenwart kann man seine Gedanken auch nicht verbergen«, lachte Wade. »Ist auch egal. Was mich stark interessiert, sind Ihre ›Alten Meister‹, die Sie schon des öfteren erwähnten. Wer waren sie?« »Die ›Alten‹«, begann Zezdon Afthen zögernd, »waren Wesen wie Sie. Sie stammten von einem urzeitlichen, allesfressenden Säugetier ab, das sehr nahe mit Ihrer Rasse verwandt ist. Zweifelsohne ist die Evolutionstendenz eines jeden Planeten unter den gegebenen Bedingungen nahezu gleich. Diese Rasse hatte nach Ihrer Zeitrechnung bereits ungefähr 1 500 000 Jahre existiert, bevor sich irgendeine bemerkenswerte Kultur entwickelte. Bis zu ihrem Untergang existierte sie insgesamt 1 525 000 Jahre. Mit ihrer Zivilisation entwickelte sie solch großartige Möglichkeiten, sich selbst umzubringen, daß sie in 25 000 Jahren damit absolut erfolgreich war. Zehntau-
send Jahre barbarischer Kultur – Ihnen brauche ich es nicht zu erklären – fünftausend Jahre mittelalterlicher Kultur, dann fünftausend Jahre entwickelter Geisteskultur. Sie lernten den Raum zu bezwingen und bevölkerten fast drei Welten; zwei waren vollständig besiedelt und eine war noch im frühen Stadium der Kolonisation, als der große Krieg ausbrach. Kein interplanetarischer Krieg ist von langer Dauer. Die Naturwissenschaft aller Völker, die so fortgeschritten ist, daß sie planetarische Verbindungen haben, ist zu weit entwickelt, um eine lange Kriegsdauer zu erlauben. Selto erklärte den Krieg und machte den ersten Schritt dazu. Sie attackierten und zerstörten die seinerzeit größte Stadt von Ortol. Ortolianische Schiffe schlugen sie in die Flucht und griffen als Vergeltungsmaßnahme Seltos größte Stadt an. Zwanzig Millionen Leben, jedes mit seinen Zielen, seinen Hoffnungen, seinen Lieben und mit seinen Kämpfen – in vier Tagen wurden sie vernichtet. Der Krieg dauerte an, wurde immer unerbittlicher geführt, bis es offensichtlich war, daß keine Seite zum Frieden bereit sein würde, ohne den Gegner völlig zu unterjochen. So machte jede Seite ihre Pläne – Pläne, die die Vernichtung der ganzen Welt des Gegners zum Ziel hatten. Ortol entwickelte einen Lichtstrahl, der Dinge nicht geschehen ließ«, erklärte Zezdon Afthen, und seine eigene Unsicherheit offenbarte sich nun in seinen konfusen Gedanken. »Ein Lichtstrahl, der Dinge nicht geschehen ließ?« wiederholte Wade neugierig. »Ein Strahl, der Dinge verhindert, der Abläufe stoppte – DER TODES-
STRAHL DER NEGRIANER!« rief er aus, und plötzlich erkannte er in der unvollständigen und verstümmelten Beschreibung die Merkmale des AntiKatalysatorstrahls der Negrianer; ein Strahl, der bewirkte, daß sämtliche chemische Vorgänge im Körper gestoppt wurden und so ein sofortiger, schmerzloser Tod herbeigeführt wurde. »Was, Sie kennen ihn auch?« fragte der Ortolianer gespannt. »Dann verstehen Sie natürlich, was passierte. Der Strahl wurde zuerst auf Selto gelenkt, und als sich der wirbelnde Planet unter ihm drehte, wurde auf jedem Quadratzentimeter alles Leben ausgelöscht – angefangen vom gigantischen Welsthan bis zum mikroskopisch kleinen Askoptel, jeder Mann, jede Frau, jedes Kind, jedes Lebewesen war gestorben, schmerzlos und schnell. Dann wurde Thenten bestrahlt und alles getötet. Viele, die dem Planeten rechtzeitig entflohen waren, wurden gerettet. Viele? Nun, ein paar Tausende. Von dem Tag an, an dem Thenten mit dem Strahl gebadet wurde, breiteten sich auf Ortol die Krankheiten aus, befielen Tausende und Abertausende. Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind litt. Die Krankheiten schienen ungeheuer vielfältig zu sein. Einige der Opfer wurden gelähmt, passiver Hilflosigkeit ausgeliefert. Alle erkrankten; denn es war äußerst ansteckend, und kein Serum half. Bevor ein neues Serum hergestellt werden konnte, waren fast alle gestorben – die Gelähmten durch Verhungern, da niemand übrig geblieben war, um sich um sie zu kümmern, die anderen an der Krankheit selber. Nur ein kümmerlicher Rest hatte überlebt. Die Seltonianer kamen nach Ortol, und mit ihrer
Hilfe versuchten die übriggebliebenen Ortolianer, die Zivilisation wieder aufzubauen. Doch was für ein trauriges Unternehmen! Die Städte waren gigantische, stinkende, von Seuchen heimgesuchte Leichenschauhäuser. Und erneut brach die Seuche unter den wenigen Überlebenden aus. Die Ortolianer hatten alles in ihrer Macht stehende getan – doch zu spät. Die Seltonianer waren sofort nach ihrer Landung geschützt worden, aber sogar das war nicht genug gewesen. Wieder brach der Steppenbrand dieser ekelhaften Krankheit aus. Seit ihren fernsten Vorfahren waren die Hunde immer Freunde der Menschen gewesen. In ihrer letzten Verzweiflung wandten sich die Seltonianer an die Hunde und züchteten aus ihnen intelligente, haarlose Geschöpfe, die ihnen selbst ähnelten. Nach drei Generationen meines Volkes waren nur noch die Unsterblichen mit Hilfe von gewissen Strahlen übriggeblieben. Diese Strahlen konnten auf kurze Entfernung Blei durchbohren, auf weite Entfernung die meisten anderen Substanzen.« ›Röntgenstrahlen‹, dachte Wade. »Große Veränderungen hatten stattgefunden. Meine Vorfahren hatten bereits eine erstaunliche Intelligenz entwickelt und waren in der Lage, das Lehrgebäude ihrer Meister zu verstehen. Ihre Füße und Hände hatten sich schnell verändert, so auch ihr Stimmapparat. Ihre Stirn verkürzte sich, ihre Haut entwickelte sich, die Nase wurde kleiner. Dieser Prozeß hielt über Generationen hinweg an. Die Unsterblichen arbeiteten unterdessen mit ihren Helfern; denn bald schon war meine Rasse zu echten Hilfeleistungen fähig. Und es war geschafft. Echte emotionale Empfin-
dungen entwickelten sich, die unglücklichen Tage waren vorüber. Weitere Entwicklungen folgten. In fünftausend Jahren hatte die neue Rasse die ›Alten Meister‹ überflügelt. Sie schieden freiwillig aus dem Leben und folgten ihrer Rasse, den Millionen, die vor ihnen gestorben waren, ins Totenreich. Seitdem ist unsere Rasse selbständig gewachsen, nur ein kurzes Jahrtausend, tausend Jahre voll Arbeit und Hoffnung, kontinuierlicher Fortschritt, ununterbrochene Vervollkommnung, auf die wir zurückblicken können, und eine Zukunft, der wir mit erhobenem Kopf und zuversichtlich entgegensehen konnten. Dann kam die Bedrohung und unsere Hoffnungen starben. Können Sie verstehen, was Sie und Ihre Welt für uns bedeuten, Mann der Erde?« Zezdon Afthen erhob seine dunklen Augen zu dem Terraner. In ihrer Tiefe lag etwas, daß Wade unfreiwillig beschloß, Thett und alle Thessianer der Hölle der Verdammten zu übergeben, wo sie hingehörten.
7. Kapitel Wade starrte niedergeschlagen eine Zeitlang auf den Bildschirm. Zezdon Afthen, in Träume versunken, fuhr fort: »Unsere Rasse beschäftigte sich zuviel mit dem Geistig-Übersinnlichen und zu wenig mit Mechanik. Wir wußten zu wenig von den uns umgebenden Welten und kümmerten uns zuviel um unsere eigene Entwicklung. Wir sind eine friedliche Rasse, während Sie und die ›Alten Meister‹ die harten Spielregeln der Existenz in einer Welt voll Kampf erlernten, in der nur der widerstandsfähigste, der beste Kämpfer überleben konnte. Uns lehrten die ›Alten Meister‹ in einer sorgfältig behüteten Welt zu leben, in einer Welt, in der derjenige, dessen sozialer Instinkt am weitesten entwickelt war und den anderen und damit seiner Rasse am besten diente, im höchsten Ansehen stand. Ist es nicht natürlich, daß unsere Rasse nicht untereinander kämpfen wird? Wir tun alles, um kriminelle und feindliche Tendenzen zu unterdrücken. Kriminelle oder Verrückte oder solche, die aufgrund sorgfältiger Untersuchung unheilbar sind, werden ›hinübergeleitet‹, wie wir es nennen. Euthanasie. Auf jeden Fall wissen wir bedauernswert wenig über die Naturwissenschaften und sind ihrer kriegstechnischen Anwendung hilflos ausgeliefert.« »Ich verspreche Ihnen, Afthen, wenn die Erde überlebt, wird auch Ortol überleben; wir haben Ihnen alle uns bekannten Waffen übergeben, und werden auch in Zukunft Ihr Volk mit allen neu entwickelten Waffen ausrüsten«, sagte Morey von der Tür her. Ar-
cot stand direkt hinter ihm. Sie unterhielten sich noch eine Weile, dann ging Wade schlafen, während Morey und Arcot sich wieder an die Arbeit über die Zeitfelder machten. Stunde um Stunde flog das Raumschiff durch das Dunkel des Weltalls, glühende Lichtpunkte vor ihnen, geisterhaft verformt, sich drehende Sonnen, die aufflammten, wenn das Schiff sich ihnen näherte, und erloschen, wenn es sie hinter sich zurückließ. Bald mußten sie langsamer fliegen, da die Koordinaten anzeigten, daß sie sich der Raummarkierung bestimmter Sonnen näherten. Endlich – sie flogen noch mit einer Geschwindigkeit von 150 000 Meilen pro Sekunde – sahen sie die Sonne 3769–37, 478, 326, 894, die zweimal so groß, zweieinhalbmal so massenreich und sechsundzwanzigmal so hell wie Sol war. Sie zählten dreizehn größere Planeten, als sie das System mit dem Teleskop absuchten. Der entfernteste zog 10 Milliarden Meilen von der Muttersonne entfernt seine Bahn. Planet 6 war mit 500 Millionen Meilen fast so weit von der Sonne entfernt, wie Jupiter von unserer, und doch hatte der Planet annähernd irdische Temperaturverhältnisse, da die gigantische Sonne fünfundzwanzigmal mehr Hitze und Licht im blau-weißen Bereich ausstrahlte als Sol. Das Spektroskop zeigte an, daß die Atmosphäre viel Sauerstoff enthielt. Demnach mußten die Bewohner SauerstoffAtmer sein, im Gegensatz zum Negrianervolk, das in einer Wasserstoff-Atmosphäre lebte. Arcot steuerte das Schiff dem Planeten entgegen. Als dieser undeutlich sichtbar wurde, schaltete er die Raumsteuerung ab und ließ die Spulen wieder aufladen. Währenddessen tauchte das Schiff kreischend in
die Atmosphäre des Planeten ein, immer noch mit einer Geschwindigkeit von mehr als 100 Meilen pro Sekunde. Aber diese Geschwindigkeit wurde schnell gedrosselt, als das Schiff hoch über breite Ozeane auf mattgrünes Land innerhalb der Tagzone zuflog. Beobachtungen aus verschiedenen Entfernungen hatten ergeben, daß der Planet einen 40-Stunden-Tag und einen Durchmesser von fast 9000 Meilen hatte. Dies wies auf eine für die Terraner unangenehme Gravitation hin. Und für die Ortolianer würde es eine Qual sein, sich auf diesem Planeten zu bewegen. Ihre Welt – noch kleiner als die Erde – hatte kaum 80 Prozent der irdischen Gravitation. Mit Hilfe einer Maus machte Wade ein paar volumetrische Analysen der Atmosphäre und deklarierte sie dann als erträglich für menschliche Wesen. Die Maus war nicht getötet worden, also war sie auch für den Menschen nicht unverträglich. »Wir sollten in der erstbesten Stadt landen«, schlug Arcot vor. »Afthen, Sie sind unser Sprecher, Sie besitzen die große Fähigkeit, sich mental verständigen zu können. Außerdem haben Sie ein besseres Verständnis als Zezdon Fentes für physische Zusammenhänge, die wir dort unten erklären müssen.« Nun überflogen sie Land, eine felsige Küste. Schneebedeckte Berge tauchten unter ihnen auf. Plötzlich erschien ein schimmerndes Etwas hinter einem der Hügel und fuhr mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sie zu. Arcot bewegte sein Schiff gerade so weit, um einen Zusammenstoß zu vermeiden, drehte um und fuhr auf das Schiff zu. Jetzt, da er es genau sehen konnte, war er sich sofort ziemlich sicher, daß es sich um ein thessianisches Schiff handel-
te. Er schoß einen Molekularstrahl ab, der wie ein funkelnder Feuerkranz auf dem thessianischen Schiff explodierte. Der Thessianer erwiderte das Feuer mit allen ihm zur Verfügung stehenden Strahlen, inklusive eines hell leuchtenden Lichtstrahls – des Induktionsstrahls – und mit Molekularkanonen, deren Geschosse mit kondensiertem Licht gefüllt waren. Dies hier war also kein Forschungsschiff, sondern ein Kampfschiff. Der Ancient Mariner war sofort blind. Keiner der Insassen war verletzt, doch der Druck der Strahlen schleuderte das Schiff zur Seite. Schon allein der Induktionsstrahl war gefährlich. Er schoß ungehindert durch die äußere Luxwand, wurde jedoch von der perfekt leitfähigen Reluxwand absorbiert und in Energie umgewandelt. Sofort erhitzten sich alle Metallobjekte an Bord, und dies mit erschreckender Schnelligkeit. Das Schiff wurde jedoch nicht beschädigt, da es keine Metalleiter hatte. Arcot ging sofort hinter seinem sicheren Schutzschild – dem Raumverzerrer – in Deckung. »Das war keine kleine Dosis«, sagte er mit gepreßter Stimme. Er arbeitete fieberhaft. »Wir haben es mit einem echten Kampfschiff zu tun. Du gehst besser in den Maschinenraum runter, Morey.« In wenigen Augenblicken war das Schiff wieder einsatzbereit. Arcot öffnete den Schutzschirm ein wenig und stellte fest, daß der Strahlenhagel aufgehört hatte. Nur Sonne und Planet waren noch zu sehen. Arcot öffnete ihn ganz. Das Kampfschiff suchte im Abstand von einigen Meilen über den Bergen vergebens nach ihnen. Der letzte Anblick von Arcots Schiff war für die Thessianer ein plötzlich rapide schrump-
fendes Schiff gewesen, das in unendliche Fernen entschwand, in die endlose Weite eines anderen Raumes. Doch das wußten die Thessianer nicht. Arcot richtete drei starke Hitzestrahlen, die noch von Molekularstrahlen unterstützt wurden, auf das thessianische Schiff und schoß hinunter und darauf zu. Die Molekularstrahlen wurden vom Schutzschirm der Thessianer abgelenkt, doch die Hitzestrahlen hatten bereits die »Augen« des Schiffes zerstört. Doch da sie ein System magnetischer oder elektronischer Geräte hatten, konnte der Feind dennoch das Feuer erwidern, und dies so erfolgreich, daß Arcots Schiff blind wurde. Er war wieder geradewegs auf den Feind zugefahren und schoß nun die gesamte Energie seines immensen Magnetfelds ab. Der Induktionsstrahl des Gegners verschwand, das Bombardement von Hitze, Licht und Kanonen hörte auf. »Hat wieder mal funktioniert«, grinste Arcot. Automatisch war ein neuer Satz »Augen« eingesetzt worden, und der Schirm wurde wieder hell. Das thessianische Schiff stürzte hilflos taumelnd dem Boden entgegen. Es landete mit ohrenbetäubendem Getöse. Gleichzeitig ertönte aus dem rückwärtigen Teil des Ancient Mariner der Krach einer fürchterlichen Explosion, die das terrestrische Schiff vorwärts stieß, als hätte eine gigantische Faust es von hinten angestoßen. Der Ancient Mariner drehte sich um seine Achse und wurde dann in die entgegengesetzte Richtung geschleudert. Hinter ihnen hatte sich die Luft in einen gigantischen Ionenpool verwandelt. Gewaltige Teile eines zerschmetterten Schiffs stürzten sich überschla-
gend dem Boden zu. Die Trümmer der Schiffswand waren aus vier Fuß dickem Relux. »Der Feind erholte sich wohl recht schnell und wollte die Hölle loslassen. Jemand hat's ihm aber gehörig gegeben. Seht dort unten auf dem Boden – er ist rotglühend. Das kommt von der Hitze unseres letzten Zusammenpralls. Hitzestrahlen reflektierten, Lichtbomben platzten, Hitzeausströmung von Ionen – ein hübscher kleiner Plan, konnte jedoch nicht ernstlich unser zwei Zoll dickes Relux gefährden. Aber nun sagt mir bloß: was kann vier Fuß dickes Relux sprengen?« fragte Arcot und sah auf die stürzenden Trümmer. »Ich glaube, die Burschen brauchen keine Hilfe von uns, sie werden sie mit Dank ablehnen.« »Aber vielleicht wollten sie uns zu Hilfe kommen«, erwiderte Afthen, »und daß wir Hilfe benötigen, ist sicher.« »Ich habe nicht geglaubt, daß wir diesen Kampf überleben würden. Reines Glück. Wenn die gewußt hätten, was wir haben, hätten sie sich innerhalb einer Stunde dagegen absichern können«, fügte Arcot hinzu. »Kommt, wir nehmen uns die Kerle da drüben mal vor. Schau!« Aus dem Schiffswrack strömten Männer in glitzernden Reluxanzügen heraus. Jedes menschenähnliche Wesen wäre durch den Sturz getötet worden, nicht so die Thessianer. Sie trugen fremdartige Maschinen heraus und in der Art und Weise, wie sie aus dem Schiff herausfuhren, sah es aus, als würden sie von einer Kanone abgeschossen. Sie landeten auf dem Boden, sprangen zurück und schossen mit einer verblüffenden Schnelligkeit vorwärts, die für jede andere Kreatur unmöglich zu sein schien.
Sie waren sehr geschäftig. In weniger als 30 Sekunden hatten sie eine große Reluxscheibe unter die gesamte Gruppe und die Maschinen gelegt. Arcot schoß einen Molekularstrahl hinunter. Felsen und Erdreich spritzten um sie herum hoch, sogar das Schiff bäumte sich auf und fiel wieder in die große Vertiefung zurück, die seine eigenen Strahlen geformt hatte. Doch die Ionisierung zeigte an, daß die kleine Gruppe Männer von einem Strahlenabwehrschirm geschützt war. Ein Hitzestrahl schlug ein, während die Männer noch hastig an ihrem plumpen Projektor arbeiteten. Jetzt offenbarte sich der Zweck der Reluxscheibe. Im nächsten Augenblick verwandelte sich die Erde um sie herum in weißglühende, blubbernde Lava, kochendheiß und brodelnd. Doch die dicke Reluxscheibe schwamm obenauf. Das feindliche Schiff begann zu sinken. Minuten später war es nahezu in der weißen, kochenden Lava verschwunden. Eine Fontäne Lava schoß empor und – von Arcot sorgfältig dirigiert – fiel diese Wolke aus flüssigem Fels auf die arbeitenden Männer herab. Die Anzüge schützten sie, die weiße, heiße Masse tropfte einfach von ihnen ab. Aber ihre Plattform begann unter dem Gewicht zu sinken. Hoffnungsvoll fuhr Arcot fort. In der Zwischenzeit signalisierte eine Maschine unter Angaben von Position und Zustand heftig um Hilfe. Dann wurde alles in einem einzigen schrecklichen Stoß des magnetischen Nadlers weggewischt. Trotz ihres Gewichtes hüpften die Maschinen hoch, der Strahlenschirmapparat fiel plötzlich flammend-weiß in sich zusammen. Doch die Männer waren immer noch aktiv und stürzten in alle Richtungen davon, je-
der einzelne geschützt unter einem kleinen Strahlenschutzschild. Von beiden Projektoren des Ancient Mariners schossen Morey und Arcot abwechselnd die leuchtenden Stäbe der Molekularstrahlen ab. Ihre kleinen Strahlenschutzschilder flammten für einen Augenblick hell unter dem 1000-PSfachen Energiedruck auf, das durchsichtige Relux brach und die Gestalten sausten wirbelnd davon. In der Zwischenzeit war Wade dabei, mit dem Magnetprojektor Schild um Schild zu zerstören. Ein Sturz aus einer halben Meile Höhe schien diese Supermänner noch nicht ernsthaft zu gefährden; denn wenige Augenblicke später kamen sie wieder hoch und schossen aus eigener Kraft in riesigen Sprüngen davon. Ihre Molekularanzüge aber waren nutzlos geworden. Es dauerte Minuten ehe der letzte Mann bezwungen war. Dann kurvte Arcot zurück und landete vorsichtig neben dem feindlichen Schiff. »Warte!« rief Arcot scharf, als Morey auf die Luftschleuse zuging. »Die Freunde, die das hübsche Ding dort zerstörten, werden wahrscheinlich hier auftauchen. Wart erst ab, was passiert.« Kaum hatte er ausgesprochen, als sich eine fremde Gestalt hinter einem Felsen, kaum eine viertel Meile entfernt, erhob. Arcot stellte sofort den Bildschirm scharf ein. Sie schien näher zu kommen. Es war ein Mann, der so etwas wie ein Schwert in der Scheide über den Kopf hielt und es winkend hin und her schwenkte. »Das sind sie – was auch immer sie sein mögen. Intelligenz scheint vorhanden zu sein; denn gibt es ein universelleres Friedenszeichen als eine primitive Waffe, wie ein Messer, das in der Scheide hochgehal-
ten wird? Du gehst mit Zezdon Afthen. Halte ein gekrümmtes Messer an seiner Klinge hoch.« Morey grinste, als er in seinen Energieanzug schlüpfte und Wade ihm das Atmosphären-Okay gab. »Sie könnten mich womöglich mit dem Koch, der nach einem Abendessen Ausschau hält, verwechseln. Also so möchte ich meine Ehre nicht aufs Spiel setzen. Stattdessen nehme ich den Baseballschläger mit und halte ihn verkehrt rum hoch.« Dessen ungeachtet hielt er ein langes Messer an der Klinge hoch, als er aus dem Raumschiff stieg, gefolgt von Afthen, der ungeschickt den für ihn noch ungewohnten Energieanzug in Betrieb setzte. Sie traten in das intensiv blaue Sonnenlicht heraus. Haut und Kleidung nahmen eine eigenartige Färbung in diesem fremd schimmernden Sonnenlicht an. Zu dem einzelnen Fremdling gesellte sich noch ein anderer, der ebenfalls eine Waffe umgekehrt hielt. Nun warfen beide ihre Waffen demonstrativ zu Boden. Morey und Zezdon Afthen machten es ihnen nach. Beide Gruppen gingen aufeinander zu. Die Fremdlinge kamen in wirbelnden, kleinen Schritten, von Fels zu Fels springend, heran, während Morey und Afthen teilweise flogen. Die Wesen dieser Welt sahen völlig anders aus als irgendeine intelligente Rasse, die Morey bisher gesehen hatte. Ihr Kopf und die Gehirnhülle waren so klein, daß sie fast vogelartig wirkten. Die Nase war schmal und gut geformt, die Ohren sahen wie Tassen aus und bewegten sich lebhaft. Ihre Augen schienen riesig, obwohl sie wahrscheinlich nicht größer als die eines Menschen waren, und lagen wegen des winzigen Schädels eng beieinander in knochigen Höhlen, die trichterförmig
aus ihm herauswuchsen. Winzige rosa Häutchen bedeckten schuppenartig den Kopf bis hinunter in den dürren Nacken. Sie waren klein, kaum fünf Fuß hoch, doch offensichtlich sehr stark; denn ihre Muskeln zeichneten sich unter der engen, gummiartigen Kleidung ab, und ließen auch die kurzen, stämmigen Beinchen kräftig erscheinen. Mit den mächtigen, eckigen Schultern, der flachen, breiten Brust, den massigen, strammen Hüften und dem kleinen Köpfchen wirkten sie wie die perfekte Inkarnation hirnloser, brutaler Stärke. »Fremdlinge von einem anderen Stern, Feind unserer Feinde, was hat Euch zu dieser Zeit der Unruhen hierhergeführt?« Die Gedanken kamen klar aus dem Gehirn des untersetzten Individuums. »Wir suchen Hilfe. Die Gefahr, der ihr gegenübersteht, bedroht nicht nur eure Welt, sondern das ganze Milchstraßensystem«, antwortete Zezdon Afthen ruhig. Der Fremdling schüttelte sein Köpfchen und wollte damit offensichtlich seiner Hoffnungslosigkeit Ausdruck verleihen. »Die Gefahr ist noch größer als wir befürchteten. Es war reine Glückssache, daß unsere Waffe in dem Augenblick funktionierte, als euer Schiff angegriffen wurde. Es dauert einen Tag, bis die Maschine wieder einsatzbereit sein wird. Wenn sie funktioniert, ist sie unschlagbar – doch in 30 Stunden ist nur ein Schuß möglich. Ihr seht, wir können keine große Hilfe für euch sein.« Resigniert zuckte er die Achseln. Ein Feind mit offensichtlich ungeheuren Energiequellen, tödlichen, unbekannten Strahlen, die ganze Städte mit einer einzigen Bestrahlung auslöschen
konnten – und keine Verteidigung außer einer einzigen Waffe, die nur einmal am Tag brauchbar war! Morey konnte die tiefe Verzweiflung des Mannes erkennen. »Was für Schwierigkeiten haben Sie?« fragte Morey gespannt. »Unser Problem ist Energie. Wir haben nicht genug Energie. Unsere Städte sind ohne Strom, weil jeder elektrische Generator auf diesem Planeten seinen gesamten Ausstoß in den Akkumulator pumpt, der diese verdammten, hoffnungslosen Dinger auffüllt. Unbesiegbar mit Energie – ohne sie völlig wirkungslos.« »Oho!« Moreys Gesicht zeigte Entzücken. Eine unschlagbare Waffe – mit Energie! Der Ancient Mariner konnte Unmengen Energie liefern! »Was für Energiequellen benutzen Sie? Wie erzeugen Sie Energie?« »Die Kombination von brennbaren Chemikalien mit Sauerstoff erzeugt Hitze. Die Hitze bringt Flüssigkeit zum Kochen und der Dampf treibt die Turbinen an.« »Wir können euch Energie geben, soviel ihr wollt. Wieviel Watt Energie braucht diese Waffe?« Morey mußte ihm zuerst einmal auseinandersetzen, was er mit ›Watt‹ meinte: »Wie oft könnte man damit dein Körpergewicht auf eine Höhe bringen, die deiner Größe entspricht, in einer Zeitspanne wie dieser ... Durch Zählen gab er dem Fremden einen Eindruck von der Länge einer Sekunde, was dieser sehr schnell begriff. Ungefähr zwei Milliarden Kilowatt stünden zur Verfügung«, antwortete er nach einer Pause. »Wenn das stimmt, was Sie sagen, so ist diese Waf-
fe unschlagbar. Allein unser Schiff kann ohne Schwierigkeiten zehntausendmal soviel Energie erzeugen. Kommen Sie, steigen Sie ein und begleiten Sie uns zu Ihrer Hauptstadt.« Die Männer drehten sich um und gingen in ihr Versteck hinter den Felsen zurück. Morey und Zezdon Afthen warteten auf sie. Schon bald kehrten sie zurück und alle bestiegen das Schiff. »Unsere Welt«, erklärte der Sprecher der beiden, »ist eine vereinte Kolonie. Die Hauptstadt ist Shesto, unsere Welt heißt Talso.« Seine Anweisungen waren klar und verständlich, und Arcot startete nach Shesto auf Talso.
8. Kapitel Fünfzehn Minuten nach Abflug erreichten sie Shesto. Sie wurden zur Landung gezwungen und mußten eine Erklärung abgeben, da ihr Relux-Raumschiff anscheinend nicht der talsonianischen Vorstellung von Lebensrettern entsprach. Shesto wurde von zwei dieser Maschinen verteidigt, und jede Maschine war mit einem voll aufgeladenen Akkumulator ausgerüstet. Von den vier möglichen Schüssen erhofften sie sich ausreichenden Schutz, und bis dato war dies auch so gewesen. Die Stadt war laut Tho Stan Drel, dem Talsonianer, zweimal angegriffen worden: Einmal durch ein einzelnes Schiff, das sofort zerstört werden konnte und einmal von einer Flotte von sechs Schiffen. Die Intervalle zwischen zwei Angriffen hatten es ermöglicht, den Akkumulator wieder aufzuladen, und dadurch hatte die Flotte schwere Verluste hinnehmen müssen. Vier Schiffe hatten sie heruntergeschossen, die zwei restlichen waren daraufhin geflohen. Nachdem die erste Stadt zerstört worden war – mit Verlusten an Leben, die in die Hunderttausende gingen – hatten auch andere Städte zum Schutz diese Maschine aufgestellt. Offensichtlich hielten sich die Thessianer im Augenblick noch zurück. »In dieser Hinsicht«, meinte Morey ernst, »hatten wir ja ausgesprochen Glück, daß wir sofort angegriffen wurden. Ihre blitzschnelle Zerstörungsanlage hätte den Ancient Mariner aus dem Himmel gepustet.« Er lachte, doch es war ein leicht nervöses Lachen.
Das terrestrische Schiff landet auf einem großen Rasenplatz. Aus Respekt vor der parkähnlichen Anlage mit ihrem weichen Boden ließ Arcot sein Schiff mit halbgedrosseltem Motor kurz über dem Boden schweben. Dann verließ er zusammen mit Morey und dem Talsonianer das Schiff. Zezdon Afthen blieb an Bord. Wade übernahm das Kommando. Sollten sie auf Schwierigkeiten stoßen, würde Wade ihnen mit dem Schiff zu Hilfe kommen können. Unterdessen sollte Zezdon Afthen kraft seines mentalen Könnens versuchen herauszufinden, wo sich das Bollwerk der Thessianer befand. Einige Männer von Talso empfingen die Terraner. »Willkommen, Männer einer anderen Welt. Seien Sie bedankt für die Vernichtung eines unserer Feinde.« Die klaren Gedanken des Sprechers bewiesen seine Konzentrationsfähigkeit. »Und wir bedanken uns bei Ihrer Welt, die unser aller Leben und – was noch wichtiger ist – unser Schiff gerettet hat«, antwortete Arcot. »Denn dieses Schiff ist von ungeheurem Wert für das gesamte Sternensystem.« »So wie ich Ihre Gedanken verstehe, wollen Sie mehr über unsere Waffe wissen. Wir wissen nicht viel über sie, ob sie nun unbezwingbar, unkontrollierbar oder nicht erklärbar ist. Wir haben bis jetzt recht guten Erfolg mit ihr gehabt. Eigentlich ist sie gar keine Waffe und als solche auch gar nicht entwickelt worden. Sie war das Produkt eines Experiments mit elektrischen Wellen. Wie sie funktioniert, was sie ist, was mit und in ihr passiert – wir wissen es nicht. Aber Männer wie Sie, die ein so prächtiges Schiff wie das Ihre bauen können, das ein Schiff der Thes-
sianer mit Waffengewalt zerstören kann – Männer wie Sie werden sicherlich jede unserer Maschinen verstehen – und Sie haben genug Strom?« beendete er seine Rede gespannt. »Praktisch unbegrenzt. Ich werde in jede von Ihren Leitungen Gleichstrom laden können, wenn Sie es wünschen.« Der Talsonianer strahlte. »Ich fürchtete schon, es könnte Wechselstrom sein, aber Gleichstrom können wir benutzen. Alle Transmissionen werden mit Hochspannungs-Gleichstrom gemacht. Was für eine Stärke erzeugen Sie? Müssen wir Transformatoren einbauen?« »Wir erzeugen Gleichstrom jeder Spannung bis zu fünfzig Millionen Volt. Die Energie entspricht ungefähr zwanzig Milliarden PS.« Arcot machte ihm klar, was man unter einer Pferdestärke versteht. Fassungslos vor Staunen sah der Talsonianer das Schiff an. »In diesem winzigen Ding können wir eine Million mal soviel Energie erzeugen«, erwiderte Arcot. »Unser Strom-Problem ist gelöst!« verkündete der Talsonianer, ein Mann des Militärs, begeistert. »Unsere Nöte sind aber damit nicht beseitigt«, erwiderte ein Zivilist, der sich der Gruppe zugestellt hatte, mit dem gleichen Nachdruck. »Tatsächlich sind sie größer als je zuvor. Quälender als je zuvor. Was er sagt, bedeutet, daß wir zwar eine riesige Energiequelle haben, aber nur an einem Ort. Wie wollen Sie die Elektrizität weiterleiten? Wir können unmöglich Strom in dieser Größenordnung irgendwo hinleiten. Wir können unsere Leitungen nicht anschließen, ohne daß sie sofort verdampfen. Es ist völlig unmöglich, solche Strommengen durch
unsere schwachen Stromleitungen aus Silber zu schicken.« »Dieser Mann ist Stel Felso Theu«, stellte Tho Stan Drel ihn vor. »Der Größte unserer Wissenschaftler, der Mann, der diese Waffe erfunden hat, die unsere einzige Hoffnung ist. Und ich fürchte, er hat recht. Sehen Sie, dort ist die Universität. Für den Strom, der von den Universitätslabors benötigt wird, ist eine starke Leitung installiert worden, und wir hofften eigentlich, daß Sie sie benutzen könnten.« In seinem Gesicht war jetzt größere Hoffnungslosigkeit als zuvor zu lesen. »Immerhin können wir etwas Strom durch diese Leitung jagen. Doch lassen Sie uns erst einmal sehen, ob man nicht doch etwas machen kann. Ich finde, wir sollten die Stromleitungen sofort einmal untersuchen«, schlug Morey vor. Zehn Minuten später, jetzt nur noch von einem einzigen Offizier, Tho Stan Drel, begleitet, inspizierten der terrestrische und der talsonianische Wissenschaftler die Installationen. Sie hatten ein großes Gebäude aus Stein betreten, in das zahlreiche, schwere Silberdrähte führten. Die Isolatoren waren aus Glas. Ihre Höhe ließ auf eine Voltstärke von weit über hunderttausend schließen und die starken Kabel auf eine sehr hohe Ampèrezahl. Sie konnten sicher einiges an Ladung aufnehmen. Innerhalb des Gebäudes befanden sich eine Anzahl gigantischer Glasröhren mit einer Wandstärke von drei Zoll und zusätzlich noch umgeben von dicken Platinstangen. Innerhalb der Röhren sah man gewaltige Elemente der Art, wie sie auch in den winzigen
Röhren ihrer Maschinen vorhanden waren. In sie hinein führten starke Kabel. Ihre Heizspiralen glühten in einem tiefen Rot. Entlang den Wänden befanden sich Schaltkästen, Dutzende von ihnen, mit allen möglichen Instrumenten, die den Terranern unbekannt waren. In keinem Anzeigegerät gab es metallene Zeiger, sondern winzige Spiegelchen reflektierten sehr feine, helle Lichtlinien, die auf Skalen projiziert wurden. Das System als solches unterlag somit nicht den Trägheitsgesetzen. »Sind dies hier die Zwischenschaltungen?« fragte Arcot und starrte auf die gigantischen Röhren. »Ja. Jede Röhre kann bis zu hunderttausend Volt aufnehmen«, antwortete Stel Felso Theu. »Stel Felso Theu, ich fürchte, daß dies hier nur Einwegröhren sind, das heißt, es ist unmöglich, den Strom von hier aus zur Energiezentrale zu pumpen, obwohl es umgekehrt funktioniert«, machte Arcot ihn aufmerksam. »Radioröhren leiten nur in eine Richtung, deswegen können sie als Gleichrichter arbeiten.« Das Gesagte traf auf die Röhren zu. Sie konnten Strom nur in eine Richtung leiten. »Im allgemeinen trifft dies auf Röhren zu«, erwiderte der Talsonianer. »Ihrer Antwort entnehme ich, daß Sie sich vollkommen in der Theorie unserer Röhren auskennen, was für mich unbegreiflich ist.« »Wir verwenden sie auch auf unserem Schiff, nur in anderer Form«, unterbrach ihn Arcot. »Dann brauche ich Ihnen nur noch zu sagen, daß das Institut hier ein eigenes, komplettes Elektrizitätswerk besitzt. In Ausnahmefällen wird die von der Stadt benötigte Elektrizität hier erzeugt, und daher
haben wir die Röhren mit Umschalter ausgestattet, sodaß sie auch in entgegengesetzter Richtung leiten können. Im Augenblick beliefern sie die Stadt. Wenn Ihr Schiff so ungeheure Mengen Energie erzeugen kann, wäre es wohl besser, die Röhren aus dem Stromkreis herauszunehmen, da sie nur die Leistung der Leitung beeinträchtigen würden. Das Hauptelektrizitätswerk in der Stadt hat Röhrenbatterien, die mit jeder gelieferten Kapazität fertig werden. Ich würde vorschlagen, daß Sie die höchste Spannung liefern, die die Leitung ohne Zusammenbruch verkraften kann, die Stromstärke kann ohne Hitzeverlust so hoch wie möglich sein.« »In Ordnung. Wieviel hält die Leitung zur Stadt aus?« »Ohne weiteres das Maximum dieser Röhren hier«, antwortete der Talsonianer. »Dann setzen Sie sich mit dem Elektrizitätswerk in der Stadt in Verbindung und sagen Sie den Technikern, sie sollen sämtliche Leitungen zur Verfügung halten. Ich werde den Generator holen.« Arcot wandte sich ab und flog zum Schiff zurück. Kurz darauf war er wieder zurück, mit einer Molekularpistole in der einen Hand. Mit der anderen schob er einen zylindrischen Apparat auf einem würfelförmigen Sockel vor sich her, der von einem ionisierten Luftstrahl getragen wurde. Der Zylinder war ungefähr vier Fuß lang und der würfelförmige Kasten 18 Zoll breit. »Was ist das? Von was wird das getragen?« fragte der talsonianische Wissenschaftler überrascht. »Der Apparat wird von einem Strahl getragen, der die Moleküle dieses kleinen Bandes in die oben be-
findliche Erdungsschwelle leitet«, erklärte Morey, »und das ist der Generator.« »Das winzige Ding da? Das ist ja kaum mannshoch!« rief der Talsonianer. »Das macht nichts, Hauptsache es erzeugt eine Milliarde PS.« Er drehte sich zu Arcot um und rief ihm zu: »Arcot – stell ihn auf den Boden und laß für eine Sekunde ungefähr eine Million PS los. Lichtbogen. Macht dem Apparat ja nichts aus – ist aus Lux und Relux gemacht.« Arcot grinste und setzte ihn auf den Boden ab. »Wird ein häßliches Loch im Boden machen.« »Ist doch egal. Hauptsache, es überzeugt diesen Herrn hier«, antwortete Morey. Arcot zog eine sehr dünne Luxmetallschnur aus der Tasche und verband ein Ende des Stromkreises mit einem winzigen Schalter und das andere mit einem zweiten. Dann stellte er drei kleine Skalen ein. Den Draht in der Hand ging er 200 Fuß zurück. Morey tat dasselbe mit dem Talsonianer. Arcot zog an einem Ende seiner Schnur. Augenblicklich ertönte ein ohrenbetäubendes Brüllen. Eine dicke Flammensäule schoß fast fünfzig Fuß hoch in die Luft. Das kreischende Brüllen war noch einen Moment lang zu hören, dann wurde die Hitze so intensiv, daß Arcot es nicht mehr aushielt und an der Schnur zog. Sofort erstarb die Flamme, ein leichter Ozongeruch hing in der Luft. Das Gras im Umkreis von 30 Fuß war verschwunden, die Erde im Umkreis von 10 Fuß kochte. Die Maschine selber lag in einem kleinen Krater, halb in brodelnder Lava versunken. Der Talsonianer starrte sie
sprachlos an. Dann entrang sich ihm ein Stoßseufzer. Sie gingen näher heran. Arcot hob seinen Molekularnadler, ein blau-grüner Strahl schoß heraus, und der Fels wurde plötzlich schwarz. Schnell war alles vorbei, und eine leichte Vertiefung war alles, was von diesem furchterregenden Schauspiel zurückgeblieben war. Arcot ging hinüber zu dem von dem Molekularstrahl erkalteten Fels. Die Maschine war im Gestein eingeschmolzen. »Glänzende Idee, Morey«, sagte Arcot ungehalten, »das loszubrechen, wird eine schöne Arbeit sein.« Morey steckte eine Luxmetallstange oben in den Haufen, entfernte sich etwas und drehte die Energie auf. Das Felsgestein um die Maschine herum schmolz sofort wieder. Ein kurzer Strahl des Molekularnadlers auf die Luxstange, und die Maschine katapultierte sich frei. Nun war sie vollkommen sauber, wenn auch sehr heiß. »Und Ihr Schiff ist aus diesem Material gemacht?« rief der talsonianische Wissenschaftler. »Was kann es dann noch zerstören?« »Ihre Waffe kann es offensichtlich.« »Aber glauben Sie nun, daß wir genug Energie haben?« fragte Morey lächelnd. »Nein – viel zu viel! Können Sie den konzentrierten Lichtbogen auf Arbeitsniveau herunterdrehen?«
9. Kapitel Der Generator, den Arcot gebracht hatte, war einer der zwei Ersatzgeneratoren des Schiffslabors gewesen. Jetzt transportierte er ihn in die Transformatorenstation, und unterwies die talsonianischen Studenten und Wissenschaftler, wie man ihn mit den Leitungen verband. Obwohl sie wußten, wo er angeschlossen werden mußte, wußte nur er, wie er eingesetzt wurde. Der Terraner drehte den Strom auf und erhöhte ihn langsam, bis die Elektrizitätsleute einen Zusammenbruch befürchteten. In der Stadt wurden die Akkumulatoren aufgeladen. Anschließend wurden noch andere Städte beliefert. Nachdem sie den Studenten Bedienungsanleitungen gegeben hatten, gingen Arcot und Morey mit Stel Felso Theu in dessen Laboratorium. »Hier«, erklärte Stel Felso Theu, »ist der Originalapparat. Alle anderen Maschinen, die Sie sahen, sind Nachbildungen von diesem. Wie er arbeitet, warum er arbeitet und was genau passiert, weiß ich nicht genau. Vielleicht werden Sie es verstehen. Das Ding ist jetzt voll aufgeladen, da es nun zur Verteidigung der Stadt dient. Untersuchen Sie es genau, und dann werde ich Ihnen seine Möglichkeiten demonstrieren.« Schweigend betrachtete Arcot die Maschine. Besonders fesselten ihn die großen silbernen Leitungen. Kurz darauf gesellte sich auch Morey zu ihnen. Der Talsonianer warf einen Hebel herum. Innerhalb der Röhre erschien eine intensive kugelförmige
Ionisierung, dann wurde ein winziger Lichtpunkt in der Lichtsphäre sichtbar. »Der winzige Lichtpunkt ist das eigentliche Geheimnis der Waffe. Der ihn umgebende Feuerball ist hauptsächlich vergeudete Energie. Jetzt werde ich ihn aus der Röhre herausbringen.« Er arbeitete an drei Hebeln auf dem Armaturenbrett und stellte einen davon ein. Der Feuerball bewegte sich stetig der Glaswand der Röhre entgegen, und mit einem Knall zersprang das Glas. Augenblicklich wuchs das winzige Feuerbällchen zu einer großen Kugel. »Jetzt befindet er sich in der Außenluft. Wir machen dies in einer leeren Glasröhre, da es die einfachste und billigste Methode ist. Der Ball wird nun in seiner gegenwärtigen Form für ungefähr drei Stunden so bleiben. Bemerken Sie die starke Hitze? Er strahlt die ungenutzte Energie aus. Doch nun kommt der interessanteste Punkt.« Wieder arbeitete der Talsonianer an den Schaltungen und beobachtete dabei aufmerksam den Feuerball. Er schien nun in der Luft heller zu leuchten. Dann begann er, sich auf eine große Metallplatte auf der anderen Seite des Labors hinzubewegen, bis er genau über dem Zentrum dieser Platte war. Als der Feuerball die an einer Skala angeschlossene Platte berührte, zeigte die Skala eine plötzliche Erhöhung der elektrischen Ladung an. Der Ball sank in die Metallplatte hinein – die Skala zeigte eine gleichmäßige mächtige Aufladung an. Der kleine Ball preßte sich durch die Platte, als wäre sie ein solider Körper. Kurz darauf war er durch die Platte hindurch und auf der anderen Seite wieder herausgetreten. »Mit derselben Leichtigkeit durchdringt er jeden
anderen Körper. Er scheint nur auf diese Steuerungsinstrumente zu reagieren, aber darauf perfekt und ohne Schwierigkeiten. Noch etwas anderes kann ich damit machen. Ich kann den Energieausstoß erhöhen.« Der Talsonianer drehte einen vierten Hebel ganz nach rechts – die Leuchtkraft des Punktes erhöhte sich um ein Vielfaches. Die Hitze wurde unerträglich. Sofort schaltete er wieder zurück. »Auf diesem Prinzip beruht seine Wirkung als Waffe. Beobachten Sie nun den eigentlichen Vorgang.« Der Feuerball schoß durch ein geöffnetes Fenster und verschwand im Himmel. Der Talsonianer stoppte die Rotation der Skalen. »Jetzt schwebt er bewegungslos und kaum sichtbar. Und jetzt setze ich alle Energie frei.« Er drehte wieder den vierten Hebel. Eine Stichflamme zuckte auf, der eine fürchterliche Detonation folgte. »Er ist fort.« Er ging von dem Bedienungspult zu seinem Apparat hinüber. Dort legte er einen schweren silbernen Schalter um und schob eine neue Röhre ein. Eine Skala drehte sich ein wenig unter den Hochfrequenzschwingungen. »Ihr Generator lädt die Akkumulatoren wieder auf.« Stel Felso Theu entfernte die Rückwand der Instrumententafel, und die Terraner schauten sich die Anlage genau an. »Bist du dahintergekommen, Morey?« fragte Arcot nach einiger Zeit. »Ich glaube schon. Wollen wir versuchen, es nachzubauen? Das in unserem Schiff vorhandene Material dürfte ausreichen. Und die Röhre brauchen wir nicht, wenn das stimmt, was ich annehme.«
Arcot drehte sich nach dem Talsonianer um. »Wir möchten, daß Sie uns auf das Schiff begleiten. Wir haben Apparate dort, die wir aufstellen wollen.« Sie gingen auf das Schiff zurück. Arcot, Morey und Wade machten sich sogleich an die Arbeit. Dreiviertel Stunden später holten Arcot und seine Freunde die anderen ins Laboratorium. Sie hatten ein wahres Labyrinth von Apparaturen an die Energiebank angeschlossen. Wohin man auch blickte, sah man schimmernde Reluxstromschienen. Eine dicke Stange führte in den Maschinenraum, wo sie in der riesigen Energiespule steckte. Noch immer arbeiteten sie daran, doch als die anderen eintraten, blickten sie auf. »Ich glaube, es funktioniert«, sagte Arcot mit einem Grinsen. Vier Skalen und drei riesige Schalter sah man. Arcot stellte alle vier Skalen ein und warf einen Hebel herum. Dann begann er, langsam an der vierten Skala zu drehen. In der Mitte des Raums erschien ein schwach leuchtender Nebel von einem Fuß Durchmesser. Er kondensierte, verfestigte sich ohne einzuschrumpfen – und wurde zu einem festen Ball Materie von einem Fuß Durchmesser. Er schien schwarz zu sein, mit perfekt reflektierender Oberfläche – und von innen erleuchtet. »Dann – dann war Ihnen das also schon bekannt? Warum haben Sie mir das nicht gesagt, als ich es Ihnen vorführte?« fragte der Talsonianer. Arcot ließ den schwarzen Globus durch den Raum wandern. Plötzlich wurde er flach und nahm die Form eines Diskus an. Arcot warf ein kleines Gewicht darauf. Es wurde festgehalten und begann zu erstrahlen. Erneut stellte Arcot seine Skalen ein, das
Gewicht hörte auf zu leuchten, war völlig bewegungslos. Der Diskus formte sich wieder zu einem Ball, und das Gewicht fiel zu Boden. Noch einen Augenblick lang manövrierte Arcot mit ihm herum. Dann winkte er seine Freunde hinter einem Reluxschirm und ließ den Ball hell erstrahlen. Die Hitze wurde sehr stark, und der drosselte die Strahlung. »Nein, Stel Felso Theu, so etwas gibt es nicht auf unserer Welt«, sagte Arcot. »Sie haben es nicht?! Sie schauen sich nur meine Apparaturen für fünfzehn Minuten an, arbeiten eine Stunde und haben dann einen Apparat, der weit effektiver als unserer ist, und für den wir Jahre der Entwicklung benötigten!« rief der Talsonianer aus. »So ist es auch wieder nicht. Ganz neu war der Effekt ja nicht für mich. Dieses Schiff wird durch Verzerrung des Raums nach bestimmten Koordinaten bewegt. So großartig war es also gar nicht, stimmt's Morey?« »Nein, wir sollten ...« »Was – das war keine gute Arbeit?« unterbrach der Talsonianer. »Sie konnten es in der Luft erzeugen, Sie konnten die Strahlung stoppen, Sie konnten einen Ball von einem Fuß Durchmesser machen, ließen ihn sich in eine Scheibe verwandeln, konnten diese mit einem Gewicht belasten – was wollen Sie noch mehr?« »Wir wollen alle Möglichkeiten ausschöpfen. Nur so können wir diesen Krieg überleben«, sagte Morey. »Was Sie entwickelten, war die Umkehrung eines Prozesses, wie wir ihn kennen. Wie Sie das geschafft haben, ist ein Wunder. Doch Sie taten es. Wollen wir das beiseite lassen. Materie ist Energie. Ist das in Ihrer Physik bekannt?« fragte Arcot.
»Ja. Materie enthält unermeßlich viel Energie«, antwortete der Talsonianer. »Materie hat Masse und daher Energie! Masse ist Energie. Energie in jeder bekannten Form ist ein Kraftfeld im Raum. Materie ist gewöhnlich eine Kombination aus magnetischen, elektrostatischen und Gravitationsfeldern. Ihr Apparat verbindet alle drei und läßt sie zusammenwirken. Das Resultat ist – Materie!« »Sie erzeugen Materie. Wir konnten sie nur zerstören, aber nicht erzeugen.« »Was wir normalerweise Materie nennen, ist nur ein Beweis dafür, daß diese Energiefelder vorhanden sind. Jedes einzelne ist von einem Gravitationsfeld umgeben, und jedes einzelne ist nur das Kennzeichen für das Vorhandensein des Gravitationsfeldes.« »Aber das ist doch unlogisch. Ihre künstliche Materie scheint eine Art Knoten zu sein. Sie erzeugen alle drei Felder, kombinieren diese und haben Materie, doch offensichtlich keine normale Materie. Normale Materie hält auch die Felder, aus denen sie besteht. Die künstliche Materie ist von den richtigen Feldern umgeben, aber es ist ihr nicht möglich, diese Felder zu halten, wie normale Materie dies tut. Daher zerfällt Ihre Materie fortwährend wieder in Energie. Die Energie war nicht richtig gebunden. Und der Grund, warum sie explodierte, ist klar. Es braucht nicht viel, um den leichten Halt, den die künstliche Materie einem Feld gibt, zu zerstören, und dann wurde alle Energie auf einmal freigesetzt. Und da sie Millionen von PS den ganzen Tag über aufgeladen hatten, war natürlich die Hölle los, als sie freigelassen wurde.« Arcot sprach schnell und erregt.
»Aber das wirklich Bedeutende, das Wichtige ist: Sie wird an einem bestimmbaren Punkt künstlich erzeugt. Sie wird erzeugt und existiert an dem Punkt, der von diesen drei koordinierten Skalen bestimmt wird. Da sie nicht natürlich ist, kann sie nur dort existieren, wo sie erzeugt wurden und nirgendwo anders – völlig klar aber wichtig. Sie kann nicht außerhalb des vorbestimmten Punkts existieren. Und wenn dieser Punkt sich auf einer Linie fortbewegt, muß die künstliche Materie sich mitbewegen. Gesetzt den Fall, eine Metallplatte befindet sich auf dieser Linie. Der Punkt bewegt sich auf sie zu, geht durch sie hindurch. Um zu existieren, muß die künstliche Materie dem Punkt durch das Metall hindurch folgen – wenn nicht, ist sie zerstört. Das Metall wird versuchen, die künstliche Materie zu zerstören. Wenn die Materie genug Energie hat, wird sie das Metall aus dem Weg drücken, es durchbohren. Dasselbe gilt für jede andere Materie, auch für Lux- oder Reluxmetalle – sie werden durchbohrt. Sie muß es tun, um weiter existieren zu können. Sie hat starke Energien und wird jedes Erg dieser Existenzenergie aufwenden, um weiter zu existieren. Und solange ihre Energie anhält, ist sie absolut unaufhaltbar! Und ähnlich verhält sie sich, wenn sie an einem fixierten Punkt bleiben muß. Sie wird jedes Erg aufwenden, um dort zu bleiben. Sie ist dann unbeweglich! Künstliche Materie ist entweder unaufhaltbar in der Bewegung oder unbeweglich unter statischen Bedingungen. Sie ist also unaufhaltbar und unbeweglich! Was passiert, wenn das Unaufhaltbare auf das Unbewegliche trifft? Sie können nur mit ihrer Existenzenergie kämpfen, und um so mehr Energie wird frei.«
10. Kapitel »Es ist mir immer noch unvorstellbar. Aber Sie haben es geschafft. Das wird bestimmt erfolgreich sein!« sagte der talsonianische Wissenschaftler mit Überzeugung. Arcot schüttelte den Kopf. »Weit davon entfernt – wir haben noch nicht ein Tausendstel der ungeheuren Möglichkeiten realisiert. Wir müssen arbeiten und kalkulieren und dann erfinden. Denken Sie nur an die Einsatzmöglichkeiten als Schutzschild. Wenn wir die Materie erzeugen können, sollte es natürlich auch möglich sein, ihre Zusammensetzung nach unseren Wünschen zu bestimmen. Es sollte möglich sein, sie undurchsichtig, transparent oder in jeder beliebigen Farbe zu erzeugen.« Arcot sprach nun zu Morey. »Erinnerst du dich, wie wir im kosmischen Strahlenfeld des Raums gefangen waren, als wir zum erstenmal dieses Universum verließen? Ich sagte damals, ich hätte eine Idee, wie man Energie freisetzen könnte, deren Auswirkungen unbeschreiblich wären. Ich sagte auch, daß ich versuchen würde, sie freizusetzen, wenn es jemals notwendig sein würde. Jetzt besteht die Notwendigkeit. Ich will das Geheimnis lüften.« Stel Felso Theu schaute aus dem Fenster auf eine Gruppe Männer, die aufgeregt Zeichen gaben. Er machte die anderen darauf aufmerksam und ging hinaus. Kurz darauf folgten ihm Arcot und Wade. »Sie berichteten mir, daß Fellsheh, weit polwärts von hier, vier seiner acht Schüsse abgefeuert habe. Doch sie werden immer noch angegriffen«, erklärte der Talsonianer besorgt.
»Verstanden, geht an Bord!« befahl Arcot kurz und rannte zum Schiff zurück. Stel Felso folgte ihm hastig. Der Ancient Mariner schoß in die Luft, und nahm Richtung auf den Pol nach Anweisungen des Talsonianers. Der Boden unter ihnen flog mit einer Schnelligkeit dahin, daß der Wissenschaftler sich krampfhaft an der Reling festklammerte. Doch das war das einzige Anzeichen seiner Nervosität. Als sie näherkamen, zeigten ihnen eine fürchterliche Explosion und ein großer Lichtklumpen am Himmel das Ende mehrerer thessianischer Schiffe an. Aber eine ganze Flotte hing über der Stadt. Arcot näherte sich in niedriger Höhe, und es gelang ihm, ziemlich nahe heranzukommen, bevor er entdeckt wurde. Ihr Strahlenschutz umgab sie, und Morey hatte den Apparat für künstliche Materie – so klein er auch war – zur Benutzung aufgeladen. Er erzeugte eine Materiekugel außerhalb des Ancient Mariner und stieß sie gerade in dem Augenblick auf den nächstliegenden Thessianer, als sein Molekularstrahl auf den Strahlenabwehrschirm des Ancient Mariners prallte. Die künstliche Materie explodierte mit unfaßbarer Gewalt und zerschmetterte die immens starken LuxMetall-Wände. Der Druck des Lichts war so groß, daß sogar die inneren Reluxwände nach innen gedrückt wurden. Der darunter liegende Boden war im Nu durchgebrannt. »Mein Gott! Es dringt offensichtlich nicht durch den Strahlenschutz«, murmelte Morey, und rappelte sich von der Stelle hoch, wo es ihn hingeschleudert hatte. »Mensch, paß auf! Du hast unseren Strahlenschutzschirm übersehen. Unser Relux ist ziemlich beschädigt!« rief Arcot mit Besorgnis in der Stimme.
»Bei ausgefahrenem Strahlenschirm können wir keine künstliche Materie benutzen. Ich setze den Magnet ein!« rief Morey. Schnell stellte er den Apparat ab und ging zu der riesigen Magnetsteuerung. Der Kampf war jetzt in vollem Gange. Drei Schiffe griffen gleichzeitig an. Sogar die phantastische Energiekapazität der Schiffsgeneratoren war nicht ausreichend, um den Schutzschirm aufrecht zu erhalten, und die Ersatzspulen mußten zusätzlich eingesetzt werden. Morey sah für einen Augenblick auf die Instrumententafel. Alle Nadeln zitterten bis zum höchsten Anschlag, nur der Ampèremeter der Spulen nicht. Dieser zeigte Null an. Plötzlich flatterte er, die anderen Instrumente fielen auf Null zurück. Sie waren im künstlichen Raum! »Komm hierher, Morey!« rief Arcot. Sofort war Morey bei seinem besorgten Freund. »Die künstliche Materie wird von unserem eigenen Strahlenschirm blockiert. Die Thessianer hatten sich hier niemals gegen Molekularstrahlen zu verteidigen gehabt und kämpften deshalb ohne Schirme. Daher die Zerstörung. Wir können unseren Strahlenschutzschirm nicht einziehen und können auch unsere tödlichste Waffe nicht benutzen, solange unser Strahlenschirm ausgefahren ist. Wenn wir eine größere Ausrüstung hätten, könnten wir den Schutzschirm ums ganze Schiff legen und geradewegs hineinsegeln. Aber das haben wir nicht. So können wir uns gegen die Flotte keine zehn Sekunden lang halten. Ich werde nach ihrem Stützpunkt suchen und sie dann um Hilfe rufen lassen.« Für den Bruchteil einer Sekunde drehte Arcot einen winzigen Schalter um eine Markierung weiter und
ließ ihn wieder zurückschnappen. Jetzt waren sie einige Millionen Meilen von dem Planeten entfernt. »So geht's schneller«, erklärte er, »man muß nur in die Zeit zurückgehen und die Schiffe dann einfach nach Hause verfolgen.« Aus verschiedenen Entfernungen suchte er mit dem Telektroskop den Weltraum ab, und bald konnte er sie auf ihrem Weg zurück zum Pol ausmachen. Sofort schoß Arcot herunter. Durch vorsichtiges Manövrieren mit dem Raumverzerrer erreichte er den Pol in weniger als einer Sekunde. Ein gigantischer Dom aus glänzendem Relux erhob sich über der felsigen, vereisten Oberfläche. Das Ding war nahezu eine halbe Meile hoch und hatte ein abgerundetes Dach, das ein Gebiet von fast drei Viertel Meilen im Durchmesser überdeckte. Titanenhaft – das war das einzige Wort, das dieses Gebilde beschreiben konnte. Um es herum war das unverkennbare Flimmern eines molekularen Abwehrschirms auszumachen. Morey eilte hinunter in den Maschinenraum und machte seine Apparate bereit. Wieder erzeugte er einen Materieball außerhalb des Schiffs und schleuderte ihn auf das Fort. Er explodierte mit einer fürchterlichen Detonation, als er auf den Strahlenschutzschirm traf. Sofort folgte ein weiterer. Der Stoß war ungeheuer heftig, der Boden zerschmolz, und der Strahlenschutzschirm öffnete sich für einen Moment. Arcot überschüttete das Bauwerk mit einem Molekularstrahlenregen, während Morey Bombe um Bombe abwarf. Die Spuren lieferten die Energie, und Energie schmolz ringsum die Felsen. Jeder Energiestoß durchbrach für einen Augenblick den Strahlen-
schutz, und Arcot stieß mit geballten Ladungen molekularer Strahlen durch den geöffneten Schirm nach, die auf das dahinter liegende Relux prallten. Über eine Fläche von zwanzig Fuß erglühte es jetzt buntschimmernd. Doch das Relux war ungeheuer dick. Morey schleuderte weitere dreißig Bomben hinab. Während der Bombardierung und der Strahlenbeschießung des Forts konnten sie mühelos ihre Position halten. Arcot katapultierte sein Schiff in den künstlichen Raum zurück und tauchte dann unvermittelt fast dreihundert Yards von seinem vorherigen Standort wieder auf. Mit einem Blick erkannte er, daß die Flotte näherkam. Wieder verschwand er im künstlichen Raum – Zurückhaltung war angebrachter als Kühnheit. Und sein Platz hatte Erfolg gehabt. Er wartete eine halbe Stunde und kehrte dann in den Normalraum zurück. Das Telektroskop zeigte ihm deutlich, daß in einiger Entfernung ein einsames Schiff außerhalb des Forts patrouillierte. Verdeckt von den eisbedeckten Bergen näherte er sich. Sein Magnetstrahl schoß heraus. Das Schiff schlingerte hin und her und fiel. Wieder schoß der Magnetstrahl heraus, diesmal hatte ihn Morey auf das Fort gerichtet, wo ebenfalls ein Molekularstrahl aufgeflammt war, der die eisige Wüste, hinter der es verborgen lag, aufriß. Ihr Schutzschirm fing ihn ab. Doch der auf das Fort abgeschossene Magnetstrahl drang nicht durch. Hastig zog sich Arcot zurück. »Sie haben das Geheimnis entdeckt. Hat keinen Zweck mehr, Morey, komm herauf«, rief der Pilot. »Sie haben offensichtlich einen magnetischen Abwehrschirm um das Fort gelegt. Das bedeutet, daß
der Magnetstrahler unbrauchbar für uns geworden ist. Jetzt werden sie sicherlich alle anderen Stützpunkte alarmieren, damit sie ähnliche Schutzvorkehrungen treffen.« »Warum haben Sie die Magnetabschirmung nicht von Anfang an benutzt, schon bei dem ersten Angriff?« fragte Zezdon Afthen. »Damit wäre auch ihr Sender verstummt, und sie hätten die Angreifer von Fellsheh nicht zurückrufen können. Dadurch, daß ich sie zwang, ihre Flotte zurückzurufen, habe ich erreicht, was ich durch einen Angriff auf ihre Flotte nicht erreicht hätte«, antwortete Arcot. »Stel Felso Theu, ich glaube, hier kann ich nicht mehr viel ausrichten. Ich werde Sie nach Shesto zurückbringen. Dort können Sie bis zu meiner Rückkehr die letzten Vorbereitungen für die Maschine zur Überwältigung des Feindes treffen. Wenn Sie wollen, können Sie uns selbstverständlich begleiten.« Er sah seine Freunde an. »Als nächstes sollten wir zur Erde zurückkehren. Anschließend werden wir die sirianischen Planeten erforschen und alles, was dort für uns von Interesse ist, übernehmen. Von da aus geht's in die Leere des intergalaktischen Raums, wo wir versuchen werden, hinter das Geheimnis dieser unfaßbaren Energie zu kommen.« Sie kehrten nach Shesto zurück. Arcot überließ den Talsonianern den einzigen Generator, den sie entbehren konnten und versprach, daß terrestrische Schiffe noch ein paar weitere bringen würden. Dann machten sie sich auf den Heimflug. Stunde um Stunde flogen sie durch die Leere, bis endlich die gute alte Sol vor ihnen aufflammte und langsam heller wurde und
dann die Erde ihren ganzen Bildschirm ausfüllte. Sie wechselten auf normalen Molekularantrieb über und landeten schließlich auf dem Raumfeld von Vermont, von dem sie aufgestiegen waren. Während der langen Reise hatten sich Morey und Arcot viele Stunden mit dem Zeitverzerrungsfeld beschäftigt, das es ihnen ermöglichen würde, zeitliche Abläufe zu beschleunigen oder zu verlangsamen. Als sie dieses Problem gelöst hatten, wandten sie sich der Erforschung der künstlichen Materie zu. Sie waren bereits so weit gekommen, daß sie die Formgebung der Materie bestimmen konnten, jedoch gelang es ihnen nicht, ihre Beschaffenheit zufriedenstellend zu beeinflussen. Daß dies jedoch möglich sein mußte, bewiesen die von den Maschinen ausgearbeiteten Ergebnisse. Arcot hatte sich jedoch zuerst mehr für die Steuerung der Formgebung interessiert. Er konnte ihre äußere Erscheinungsform in allen Stufen der Undurchsichtigkeit oder Transparenz bestimmen. Auch den Grad der Lichtdurchlässigkeit konnte er variieren. Hingegen war es ihm nicht möglich, einen Schutzschirm aufzubauen, der den Funkwellen oder Molekularstrahlen widerstand. Bevor sie in die Atmosphäre eingetaucht waren, hatten sie zur Erde hinunter signalisiert. Als sie auf dem Raumfeld landeten, warteten bereits Arcots Vater und einige Wissenschaftler auf sie. Voll Wärme begrüßte Arcot senior seinen Sohn. Arcot erkannte sogleich, daß sein Vater tief besorgt war. »Was ist passiert, Vater – schenkt niemand deinen Ausführungen Glauben?« »Während einer Sitzung des interplanetarischen
Rats in Luna wurde noch daran gezweifelt, aber bevor sie noch ihre Zweifel begründen konnten, hatten sie genug Beweise für meine Ausführungen«, antwortete der alte Mann. »Wir erhielten die Nachricht, daß eine planetarische Patrouille von einer Flotte, die von außerhalb unseres Universums kam, vernichtet worden war. Es waren riesige Objekte von fast einer halben Meile Länge. Fünfzig Patrouillenschiffe versuchten, mit ihnen Verhandlungen aufzunehmen. Das weiße Schiff wurde sofort vernichtet. Wie, wissen wir nicht. Sie hatten zwar keine Strahlenschutzschirme – doch daran lag es offenbar nicht. Es waren mattschimmernde Strahlen – was immer dies auch gewesen sein mag – die die Energie der Lux- und Reluxmetalle der Schiffe freisetzten. Da die Metalle aus gebundener Lichtenergie bestehen, die nur von photonischer Attraktion zusammengehalten wird, war die freiwerdende Energie unvorstellbar. Sie können dies sogar aus beträchtlicher Entfernung bewirken. Die anderen Patrouillenschiffe schossen alle gleichzeitig ihre Molekular- und kosmischen Strahlen ab. Doch der Feind leitete die Strahlen mühelos ab und vernichtete die gesamte Flotte. Natürlich habe ich Erklärungen für den Schirm, nicht aber für den Detonationsstrahl. Verglichen mit ähnlichen Unfällen neige ich dazu zu glauben, daß die Zerstörung nicht – wie berichtet wurde – eine blitzschnelle Explosion war. Andere Schiffe sind zerstört worden, sie aber schienen Feuer zu fangen und brannten mit unfaßbarer Geschwindigkeit aus, als ob sie Schießpulver geladen hätten. Die Energieauflösung fing an verschiedenen Stellen zugleich an. Das Schiff brannte vielleicht zehn Minuten lang. Wenn es
blitzschnell vorbei gewesen wäre, würde der Schock einer solch ungeheuren Energiefreisetzung den Planeten zerrissen haben. Nun, danach teilte sich die große Flotte: Zwölf zum Nordpol der Erde, zwölf zum südlichen und je zwölf zu den Polen der Venus. Von der Erde aus drehte einer ab und flog zur Berichterstattung dahin zurück, wo immer er hergekommen war. Drehte einfach ab und verschwand. Das gleiche geschah von der Venus aus, einer drehte ab und verschwand. So blieben zwölf an jedem der vier Pole; denn wie ich schon sagte, waren es insgesamt fünfzig Schiffe. Bei ihren Landungen verfolgten sie alle dieselbe Taktik. Ich kann mich also auf die Geschehnisse in der Arktis beschränken. Im Norden mußten sie sich eine Insel südlich des Pols suchen. Um eine zu finden, schmolzen sie mehr als hundert Quadratmeilen Eis. Die Schiffe bauten sich im Kreis um die Stelle herum auf. Hunderte von Männern fielen buchstäblich aus jedem heraus und stürzten sich in die Arbeit. In kürzester Zeit hatten sie Hunderte von Maschinen aufgestellt. Die Einzelteile wurden aus den Schiffen herabgelassen. Diese Maschinen begannen sofort zu arbeiten und bauten eine Reluxwand auf. Diese Wand war mindestens sechs Fuß dick. Der Boden und das Dach waren ebenfalls mit dickem Relux ausgelegt, praktisch eine Fortsetzung der Wände zu einem perfekten Dom. Es arbeiteten so viele Maschinen, daß sie innerhalb von 24 Stunden fertig wurden. Zweimal griffen wir sie an. Einmal mit der gesamten Streitmacht und mit einigen Strahlenschirmmaschinen. Das Resultat war katastrophal. Die zweite Attacke wurde nur von strahlengeschützten Schiffen
geführt. Auf beiden Seiten waren die Verluste nur gering, obwohl der Feind durch die Eismassen behindert war. Ihren Relux-Desintegrationsstrahl benutzten sie dabei sonderbarerweise nicht. Gestern – es kommt mir vor, als läge es schon viel länger zurück – fingen sie wieder an. Offensichtlich entluden sie es aus dem Schiff. Wir kämpften mit strahlengeschützten Maschinen, aber sie schmolzen einfach dahin. Jetzt sind die Fremden in ihrem Fort. Wir haben keine Ahnung, wie wir sie bekämpfen können. Sohn, nun sag uns um Gottes Willen, hast du von einigen neuen Waffen erfahren?« Das Gesicht des alten Mannes hatte tiefe Falten, es zeigte die Müdigkeit von vielen Stunden konzentrierter Arbeit. »Einige«, erwiderte Arcot. Er sah sich um. Weitere Männer waren inzwischen eingetroffen, Männer, die er von seiner Arbeit her kannte. Auch einige von der Venus in ihren Schutzanzügen gegen die irdische Kälte und Atmosphäre waren dabei. »Zuerst Gentlemen, möchte ich Sie mit Stel Felso Theu vom Planeten Talso bekanntmachen, einer unserer Verbündeten in diesem Kampf. Und dies hier sind Zezdon Afthen und Zezdon Fentes, beide von Ortol, einem anderen mit uns verbündeten Planeten. Bezüglich neuer Entwicklungen kann ich Ihnen nur sagen, daß sich alles noch mehr oder weniger im Anfangsstadium befindet. Wir haben die Grundlagen für eine Waffe von unschätzbarem Wert – aber eben nur die Grundlagen. Das alles muß noch ausgearbeitet werden. Ich überlasse Ihnen heute die fertigen Kalkulationen und Gleichungen für das Zeitfeld. Dieses System wird von den thessianischen Eindringlingen
benutzt, wodurch ihre Schiffe mit einer größeren Geschwindigkeit als der des Lichts fliegen können. Ebenfalls übergebe ich Ihnen die unfertigen Kalkulationen einer Waffe, die unser Verbündeter Talso uns im Austausch für einen Generator, den wir dort ließen, übergeben hat. Leider konnte unser Schiff nicht mehr als einen Generator entbehren, doch ich rate dringend, schnellstens einige interstellare Frachter mit Generatoren nach Talso zu entsenden. Sie benötigen dringend Strom – und zwar in respektablen Mengen. Ich bin hier nur kurz zwischengelandet und will so schnell wie möglich wieder fort. Aber vorher werde ich noch einen Angriff auf den arktischen Stützpunkt der Thessianer unternehmen. Vielleicht sind sie noch ungeschützt gegen eine Waffe, die der Ancient Mariner an Bord hat. Doch ich fürchte, Mutter Erde wird uns hier einen Strich durch die Rechnung machen. Ich will den Magnetstrahl benutzen, doch der Magnetpol der Erde hat sie vielleicht schon zu Schutzmaßnahmen gezwungen. In diesem Fall hätten sie genug schweres Material zum Abblocken.« Morey hatte bereits das Bodenpersonal angewiesen, das Schiff zu warten. Dem Maschinisten hatte er Anweisungen und Entwürfe zur Anfertigung von speziellen Steuerungsarmaturen für die großen Maschinen zur Herstellung künstlicher Materie gegeben. Arcot und Wade bekamen dringend benötigte Ausrüstungen. Nach sechs Stunden war alles zum Abflug bereit. Eine Staffel der planetarischen Schutztruppe wartete darauf, den neu ausgerüsteten Ancient Mariner zu begleiten. Vorsichtig näherten sie sich dem Pol. Vom Zischen
und Brüllen des berstendes Eises, das unter einem Strahl in Dampf und Wasser aufkochte, wurden sie gewarnt. Der Strahl schoß aus einem winzigen Dom heraus, der unter einer großen Eismasse lag – einem Außenposten des Lagers. Der Dom war ganz aus Relux. Von einem der Patrouillenschiffe wurde ein Molekularstrahl abgeschossen. Plötzlich wurde es von Dutzenden von Molekularstrahlen zermalmt. »Sie wissen, wie man einen solchen Krieg führt. Das ist ihr größter Vorteil«, murmelte Arcot. Wade fluchte bloß. »Nur Strahlenschutz, keine Molekularstrahlen!« brüllte Arcot in das Mikrophon. Er war zwar nicht ihr Anführer, doch sie erkannten, daß er größere Erfahrung hatte. Der Staffelkommandant gab seinen Rat als Befehl weiter. In der Zwischenzeit war ein weiteres Schiff abgeschossen worden. Der Dom hatte seinen Schutzschirm ausgefahren. Nun wurde von den vielen verborgenen Abwehrstellungen aus gekämpft. »Hm, das sollte man sich merken für den Fall, daß wir uns in unsere Forts zurückziehen müssen. Doch bevor dieser Krieg zu Ende ist, werden die auch einiges gelernt haben. Auf diese Weise muß das Hauptquartier seinen Schutzschirm nicht einziehen, um zu kämpfen«, kommentierte Arcot. Angestrengt beobachtete er, wie ein winziges Schiff sich von einer der großen Maschinen löste. Ein ungeheuer starker Molekularstrahl begann sich an dem Abwehrschirm des Forts festzubeißen. Das kleine Schiff war nichts anderes als ein fliegender Strahlenprojektor. Wie sie gehofft hatten, stieß der neue tödliche Strahl seitlich vom Fort heraus und nicht aus dem Innern des Forts.
»Das bedeutet«, meinte Morey, »daß sie dem nichts entgegensetzen können. Wahrscheinlich würde der Projektor angreifbar sein.« Ein Sperrfeuer von Hitzestrahlen, das sofort folgte, hatte keinen merklichen Effekt. Der kleine Molekularprojektor, von Funkwellen gesteuert, lag auf dem Felsen unter dem geschmolzenen Eis und brannte durch die rapid freiwerdende Energie des Relux weißglühend aus. »Nun kommt der eigentliche Test, für den wir hierher gekommen sind.« Morey kletterte zurück in den Maschinenraum und drehte die Kontrollen des Magnetstrahls auf. Das Schiff wurde getrimmt, und dann warf er den letzten Hebel um. Das riesige Schiff schleuderte heftig hin und her, stürzte dann vorwärts, als der Strahl nach dem magnetischen Kern der Erde tastete. Morey konnte es nicht sehen. Fast augenblicklich erstarb der Schimmer des molekularen Abwehrschirms über dem Fort. Der tödliche Strahl schoß aus dem thessianischen Projektor – und verlöschte. Außer sich vor Wut setzten die Thessianer nun alle ihre Waffen ein, die jedoch versagten, sobald sie angeworfen wurden. Ein natürliches Resultat des ungeheuren Magnetfelds. Diese Männer hatten offenbar Eisenknochen. Sobald sie der Strahl berührte, wurden sie magnetisch von ihm angezogen und stürzten auf das Schiff zu. Da sie jedoch an die überstarke Schwerkraftsbeschleunigung einer riesigen Welt gewöhnt waren, wurden die meisten von ihnen dabei nicht getötet. »So geht's!« rief Arcot aus. Er nahm das Mikrophon und sprach wieder mit dem Kommandanten. »Staffelkommandant Tharnton, wie dick ist die Reluxschicht Ihres Schiffs?«
»Eineinviertel Zoll«, antwortete der Kommandant überrascht. »Hat eins der anderen Schiffe eine stärkere?« »Ja, unser Spezial-Sonnenforschungsschiff ist mit fünf Zoll dickem Relux gepanzert. Was sollen wir tun?« »Befehlen Sie ihm, den Schutzschirm einzuziehen und alle Außenforts gleichzeitig unter Beschuß zu nehmen. Sein Relux wird solange standhalten, bis sie gezwungen sind, ihren Schutzschirm wieder herunterzulassen. Sobald unsere Schiffe es wagen können, die Schirme einzuziehen, befehlen Sie ihnen, sich der Bombardierung anzuschließen. Ich werde auch mithelfen. Mein Relux hat gebrannt, und daher kann ich meinen Strahlenschutz nicht einziehen. Es ist schon ziemlich dünn.« Der Staffelkommandant lächelte erfreut, als er den Befehl weitergab. Kurz darauf zog eins der Schiffe, das wie ein nahezu perfekter Zylinder abgekantet war, seinen Abwehrschirm ein. Sofort zeigten sich auf seinem Relux schillernde Spuren der Umsetzung, doch seine Dutzend Strahlenprojektoren arbeiteten. Eine Gefechtsstelle nach der anderen erglühte opalisierend und verschwand dann hinter der schützenden Ionisierung des Abwehrschirms. Sofort zogen andere Schiffe ihren Strahlenschutz ein und griffen ebenfalls an. Nur Augenblicke später waren alle gegnerischen Außenforts gezwungen, ihre schützenden Schirme herunterzulassen. Eine Scheibe aus künstlicher Materie, zehn Fuß im Durchmesser, erschien plötzlich neben dem Ancient Mariner. Sie schoß mit furchterregender Geschwindigkeit vorwärts und prallte auf den großen Dom des
Forts. Der Dom wurde eingedrückt, gekrümmt und weiter gekrümmt – aber nicht durchbohrt. Die Scheibe bewegte sich zurück, verformte sich zu einem spitzigen Zapfen und schoß wieder auf den Dom zu. Diesmal bohrte sich die Spitze durch das Relux und machte ein kleines Loch. Der Zapfen schien sich nach und nach zu verändern, schmolz zu einem Zylinder von 25 Fuß Durchmesser und erweiterte so allmählich das Loch. Es wurde größer und größer, bis sich der Zylinder in eine riesige Scheibe von 100 Fuß Durchmesser verformte, die in der Wand saß. Plötzlich löste sie sich einfach auf. Ein fürchterliches Brüllen ertönte und eine mächtige weiße Säule schoß aus dem Loch hervor. Die Körper der Thessianer, von dem gewaltigen Strom erfaßt, wurden herausgeschleudert. Das Innere des Doms wurde nun sichtbar. Der herausschießende, ungeheure Druck erfaßte die Schiffe wie ein Wirbelsturm. Der Ancient Mariner taumelte unter dem Orkan des entweichenden Gases zurück. Der auf das kochende Wasser herunterfallende Schnee war nicht nur Wasser, sondern im ausströmenden Gas erstarrtes Kohlendioxid und Sauerstoff. Es schneite im Dom. Die fallenden Körper der Thessianer waren ohne den lebensspendenden Luftdruck, an den sie gewöhnt waren. Aber all dies war nur einen Moment lang wahrnehmbar. Denn nun formte sich ein dünner Bogen künstlicher Materie neben dem Fort und bewegte sich darauf zu. Wie ein Messer, das eine Orange schält, schnitt er die Basis des Doms auf. Unter dem enormen Gasdruck wurde der Dom wie der Deckel einer Teekanne hochgehoben und brach dann unter seinem eigenen Gewicht zusammen.
Wieder wurde die künstliche Materie eine riesige Scheibe. Sie schob sich exakt über das Zentrum des Doms, sank hinunter und begrub die feindliche Stellung unter sich. Alles wurde unter einem unvorstellbaren Gewicht zermalmt. Die große Scheibe stieß einem monströsen Stampfer ähnelnd, die gesamten Anlagen der Thessianer in die Felsen der Insel hinein. Jedes Schiff, jedes Geschütz, jeder Mann wurde erfaßt und – vernichtet. Die Scheibe löste sich auf. Ein schreckliches Sperrfeuer von Hitzestrahlen wogte über die Insel, ließ Felsen schmelzen, und Lava überflutete die Ruinen. Nur noch der Dampf des arktischen Eises erhob sich von den rotglühenden Felsmassen, in die eingebettet kochende Seen lagen. Der Kampf um die Arktis war vorüber.
11. Kapitel »Hier spricht Staffelkommandant Tharnton. Staffel 73-B der planetarischen Schutztruppe wird Befehl von Dr. Arcot direkt entgegennehmen. Flugrichtung Süd nach Antarktika mit Höchstgeschwindigkeit«, dröhnte es aus dem Lautsprecher. In dem offiziellen Befehlston schwang unterdrückte Wut und Bestimmtheit mit. »Und der Staffelkommandant wünscht Dr. Arcot größten Erfolg in der vollständigen Säuberung der Antarktis, wie er ihn bei der Basis im nördlichen Polarkreis hatte.« Die Schiffe flogen in einer Höhe von hundert Meilen gen Süden, mit einer Geschwindigkeit, die ihre Rümpfe durch den Luftwiderstand zur Weißglut erhitzte. Wären sie höher gestiegen, hätte dies nur unnötig Zeit in Anspruch genommen. Und die Weißglut war für die Mannschaften nicht unangenehm. Sie erreichten die Antarktis in ungefähr zehn Minuten. Die thessianischen Schiffe fuhren gerade durch große Schleusen in den Dom hinein. Als sie die Schiffe der Terraner sichteten, drehten sie um und schossen auf die Patrouillenschiffe los. Ihre Abwehrschirme waren eingezogen, da sie wohl annahmen – gepanzert mit ihrem dicken Relux –, daß sie das dünne Lichtmetall der terrestrischen Raumschiffe zerstören könnten, bevor diese in der Lage waren, ihnen ernstlich Schaden zuzufügen. »Alle Schiffe Schutzschirme ausfahren«, befahl Arcot. Er hatte sich einen neuen Plan ausgedacht. Die Molekularstrahlen der Thessianer ließen die Schirme erglühen, doch sie konnten sie nicht zerstören. »Alle
Schiffe, in Reihenfolge der Nummern, Abwehrschirme für 30 Sekunden einziehen. Molekularstrahlen auf ein Schiff – das Führungsschiff – konzentrieren. Keine Beteiligung des Sonnenforschungsschiffs bei dieser Aktion.« Das Kommandoschiff der Staffel zog den Schutzschirm ein, und eine geballte Strahlenladung traf das Führungsschiff des Feindes an einem Punkt. Das Relux glühte und opalisierte in wirren Farben. Noch bevor sich die Thessianer auf das eine ungeschützte Schiff konzentrieren konnten, war dessen Schutzschirm wieder ausgefahren. Sofort öffnete ein anderes terrestrisches Schiff seinen Abwehrschirm und bombardierte dasselbe Schiff, zwei andere folgten, dann war es gezwungen, hinter seinem Abwehrschirm Schutz zu suchen. Plötzlich brach ein terrestrisches Schiff auseinander. Sein überbeanspruchter Abwehrschirm hatte versagt. Nun trat Arcots Magnetstrahl in Aktion – er flimmerte, wurde matt und erstarb. »Abgeschirmt – schreib den Magneten ab, Morey. Der ist nun wertlos für uns.« Arcot, geschützt im künstlichen Raum, dachte fieberhaft nach. Molekularstrahlen – nutzlos. Sie konnten unmöglich ihre eigenen Schutzschirme einziehen. Künstliche Materie – aufgehalten durch ihren eigenen molekularen Abwehrschirm! Und der Magnetstrahl konnte den geschützten Mechanismen des Doms nichts anhaben. Bis jetzt waren die Schiffe relativ wenig geschützt, doch der Dom war es leider. »Der einzige Ort, an dem wir sicher wären, ist wohl unter der Oberfläche – tief unten!« kommentierte Wade trocken.
»Unter der Oberfläche – Wade, du bist ein Genie!« Arcot stieß einen Freudenschrei aus und wies Wade an, das Steuer zu übernehmen. »Bring das Schiff in den Normalraum zurück, fliege dann den Hügel hinter dem Dom an und geh dahinter in Deckung. Es ist solider Felsen, und sogar ihre Strahlen werden etwas Zeit brauchen, um sie zu entfernen. Sobald du gelandet bist, ziehst du den Abwehrschirm ein. Nein – hier, ich werde es tun. Bring es dorthin, lande auf dem Boden und zieh den Abwehrschirm ein. Den Rest überlaß mir!« Arcot tauchte hinunter in den Raum, in welchem sich die Maschinen für künstliche Materie befanden. Das Schiff war plötzlich wieder im Normalraum, geschützt hinter seinem Abwehrschirm. Der heftige Luftkampf war beendet. Die terrestrischen Schiffe waren vollkommen besiegt. Das Auftauchen des Ancient Mariners war ein Signal für geballten Molekularstrahlenbeschuß. Zehn riesige Schiffe, ein halbes Dutzend kleinerer Forts und der nun nicht abgeschirmte Dom schlossen sich zusammen. Die Röhren seines Abwehrschirmes versagten unter der gewaltigen Hitzewelle des Beschusses schon in der kurzen Zeit, die er benötigte um hinter dem Hügel zu verschwinden. Automatisch übernahmen andere Röhren die Ladung – und erhitzten sich. Ihr Abwehrschirm war durchlöchert, noch bevor sie hinter dem Hügel für den Augenblick in Sicherheit waren. Sofort ließ Wade den defekten Schirm fallen. Mit der Schnelligkeit, in der der Schirm verschwand, war das ganze Schiff von einem Zylinder aus künstlicher Materie umgeben. Der Zylinder war mit einer perfekten Spitze versehen. Die ganze Maschine lag in so-
lidem Felsen eingebettet. Der darüber liegende Felsen brach und schüttete sie zu. Dann wurde das Schiff plötzlich von der Basis des Zylinders hinter ihm vorwärtsgestoßen und fuhr in den Fels hinein. Die Spitze zerteilte den harten Granit vor ihnen. Sie stießen vielleicht eine halbe Meile tief vor. Dann hielten sie. Im Licht der Schiffsfenster konnten sie den feinen Nebel der unvorstellbar harten künstlichen Materie sehen und dahinter die glitschige, glänzende Oberfläche des Felsens, den sie zur Seite geschoben hatten. Hinter ihnen ertönte ein fürchterliches Krachen, der über ihnen liegende Fels barst, wankte und bewegte sich. »Sie bestrahlen die Stelle, wo wir hinuntergingen«, grinste Arcot. Die Spitze und der Zylinder verschmolzen, schoben sich ineinander und verformten sich zu einer Kugel. Die Kugel wurde in die Länge hochgezogen, der Ancient Mariner drehte sich in ihr, bis auch er aufwärts zeigte. Die Kugel verformte sich zu einem Ellipsoid. Mit phantastischer Beschleunigung schoß das Schiff plötzlich vorwärts. Es pflügte sich hinauf durch den soliden Fels und war plötzlich von grellem Licht umgeben. Sie waren im Dom! Große Schiffe ankerten auf dem Boden. Überall standen riesige Maschinen und Mannschaftsbaracken. Der Ellipsoid schrumpfte wieder zu einer Kugel zusammen, aus der Kugel wuchs ein Höcker, der sich absonderte und sich zu einem Zylinder formte. Der Zylinder drehte sich, schoß hinauf und durchstieß die Domwand. Ein kleines Loch entstand, er wirbelte herum und schnitt sauber und schnell wie ein Dosenöffner das Dach ab.
Die ganze riesige Konstruktion wurde hochgehoben und davongewirbelt. Als die Luft entwich, wurden Männer, die wild durcheinander und auf die Schiffe zurannten, plötzlich bewegungslos, schienen sich aufzublähen und grauenhaft zu verformen, dann stürzten sie tot zu Boden. Im nächsten Augenblick waren sie feste Eisblöcke, da die Temperatur unter dem Gefrierpunkt von Kohlendioxyd lag. Der gigantische Stampfer begann seine Arbeit. Zuerst die thessianischen Schiffe. Nach wenigen Sekunden waren sie zerquetschte und zerschmetterte Wracks. Der Dom war zerstört. Arcot versuchte nun etwas anderes. Er stellte auf seinen Kontrollen die Gleichung eines Hyperboloiden ein und veränderte graduell die Konstanten, bis sich die beiden Schenkel nahe kamen. Dann zwang er sie aufeinander zu. Sofort kämpften sie, kämpften um ihre Existenz. Es gab eine ungeheure Explosion von Licht und Hitze. Die Energie von zwei Tonnen Blei versuchte, die beiden Schenkel zu erhalten. Glücklicherweise war sie nicht explosiv, und das Ganze spielte sich auf einem Reluxboden ab. Die meiste Energie verflüchtigte sich in den Weltraum. Die gewaltige Lichtflut war bis zur Venus sichtbar, trotz ihrer Wolken. Und sie zerstörte fast die gesamte Antarktis. Sie zerstörte die letzten Spuren des Stützpunkts der Thessianer. »Aber die Staffel ist vernichtet.« Arcots Stimme war tonlos. Die Staffel: zwanzig Schiffe – vierhundert Männer. »Ja – aber auch die beiden Stützpunkte«, erwiderte Wade.
»Was kommt als nächstes? Wollen wir sofort in den intergalaktischen Raum starten?« fragte Morey, der aus dem Maschinenraum kam. »Nein, zuerst fliegen wir zurück nach Vermont und lassen die neuen Zeitfeldgeräte, die ich bestellt habe, installieren. Dann fliegen wir zum Sirius und schauen uns an, was die haben. Sie haben ihren Planeten aus dem Schwerkraftfeld des Negra, des toten schwarzen Sterns, in das Feld des Sirius bewegt. Ich möchte gern wissen wie.* Danach – Intergalaxis.« Er startete das Schiff in Richtung Vermont, während Morey Funkkontakt mit dem Raumfeld aufnahm und einen kurzen Bericht durchgab.
* Die tote Sonne
12. Kapitel Eine halbe Stunde später landeten sie. Arcot ging sofort in das Wochenendhaus, um ein wenig Schlaf nachzuholen – mit Hilfe eines Schlafmittels. Morey und Wade überwachten die Aufstellung der Maschinen. Die endgültigen Überprüfungen nahm Dr. Arcot senior vor. In weniger als zehn Stunden waren die Maschinen installiert. Die fertig ausgearbeiteten Pläne von Arcot und Morey und moderne Maschinen zur Umsetzung von Plänen in Metall und Lux beschleunigten die Konstruktion. Daher benötigten die zahlreich beschäftigten Mitarbeiter nur ein Minimum an Zeit. Als Arcot und seine Freunde erwachten, waren die Maschinen einsatzbereit aufgestellt. »So, Dad, du hast die Pläne aller unserer Maschinen, die wir haben. In zwei Wochen werde ich wohl wieder zurück sein. In der Zwischenzeit kannst du vielleicht einige Schiffe mit besonders starken Reluxwänden ausrüsten, die einige Zeit starker Strahlung standhalten können. Baue auch die noch unfertigen Maschinen für künstliche Materie ein und arbeite weiter an den Berechnungen darüber. Die Thett werden bestimmt mit anderen Maschinen hier landen – oder auf dem Mond. Wahrscheinlich werden sie versuchen, die ganze Erde unter Strahlenbeschuß zu nehmen. Die Stärke der Strahlen wird zwar nicht ausreichen, um unseren Planeten aus der Bahn zu drängen und erkalten zu lassen. Aber das Leben auf unserem Planeten ist nicht so widerstandsfähig – und sehr empfindlich. Wie wir alle wissen, kann es schon unter
leichtester Bestrahlung vernichtet werden. Daher würde ich vorschlagen, ein paar besonders leistungsstarke Strahlenschutz-Stationen aufzustellen und mit der ionisierten Schicht der Atmosphäre zu verbinden, so daß wir damit rund um die Welt eine Strahlenabwehrwand haben. Verstehst du, was ich meine? Wenn du glaubst – oder besser – wenn du die dickschädeligen Politiker des interplanetarischen Verteidigungsrats davon überzeugen kannst, daß es notwendig ist ... Ach Unsinn, davon abgesehen, in zwei Wochen sehen wir uns ja wieder.« Arcot drehte sich um und bestieg das Schiff. »Ich werde Kurs auf den Sirius nehmen.« Die Erde lag bereits weit hinter ihnen, als Arcot Kurs auf Sirius nahm, der hell im Dunkel des Weltraumes strahlte. Für sechseinhalb Sekunden zog er einen Steuerhebel auf ›1/2‹, und der Weltraum schloß sich um sie herum. Aus der Entfernung schimmerte Sirius in nun fast planetarischer Größe. Undeutlich tauchte vor ihnen ein Planet auf, eine große Welt mit gebirgigen Kontinenten, Ozeanen und tief eingeschnittenen Schluchten lag weiß unter der mächtigen Energiewoge des gigantischen Sirius, sechsundzwanzigmal leuchtender als die Sonne, die sie soeben verlassen hatten. »Arcot, sollten wir nicht langsamer fliegen?« fragte Wade. »Die könnten uns ja auch für einen Feind halten. Und das wäre nicht gerade angenehm.« »Ich weiß, langsamer wäre besser. Eigentlich hatte ich geplant, ein eventuell vorhandenes thessianisches Schiff in einen Kampf zu verwickeln, um damit unsere friedlichen Absichten unter Beweis zu stellen«, antwortete Arcot.
Plötzlich brach Morey in Gelächter aus. Er hatte Arcots Absicht verstanden. »Wunderbar – greif einen Thessianer an. Aber da keiner da ist, müssen wir uns selber einen machen!« Wade war völlig verwirrt und warf Morey einen zweifelnden Blick zu. »Eine tolle Idee. Mir scheint, als habe die ununterbrochene geistige Anspannung ...« »Komm mit. Du wirst es schon sehen!« Zur Sicherheit warf Arcot das Schiff in den künstlichen Raum und hielt es bewegungslos. Der Planet entschwand ihren Blicken. Im Kontrollraum für künstliche Materie machte sich Arcot an die Arbeit. Er entwickelte ein beträchtliches Strukturband. Für die Gleichungen der Strukturen benötigte er alle vorhandenen Struktursteuerungen. »Fertig«, verkündete Arcot schließlich. »Du bleibst hier, Morey, und wenn ich das Signal gebe, erzeugst du das Ding über der nächstliegenden Bergkette, laß es aufsteigen und dann auf uns zukommen.« Zurück im Normalraum schossen sie pfeilschnell auf den in weiter Ferne liegenden Planeten zu. Sie landeten in der Nähe einer Stadt, die zwischen zwei Bergketten lag und damit ideal für ihre Zwecke war. Während Zezdon Afthen auf telepathischem Wege versuchte, freundschaftlichen Kontakt aufzunehmen, wurden alle Vorbereitungen getroffen. Die Reaktion der anderen Seite war voller Skepsis und Mißtrauen, wenn auch interessiert. Sie brauchten Freunde und hofften nur, daß die Fremdlinge auch wirklich Freunde sein würden. Arcot drückte einen Knopf und gab damit Morey das Stichwort für seinen Part in diesem Schauspiel. Hinter einem niedrigen Berg tauchte
etwas Langes Schmales auf, ein elegantes, stromlinienförmiges Schiff – augenscheinlich ein Thessianer. Licht fiel aus seinen Fenstern, und die Ionisierung seines Rumpfes bewies, daß das Schiff hinter einem molekularen Strahlenschutzschirm lag. Zezdon Afthen war absichtlich über dieses Vorhaben im unklaren gelassen worden. Sofort strahlten seine Gefühle über diese unerwartete Entdeckung auf die Gedanken der Sirianer über. Von dem angreifenden Schiff schoß mit unheimlicher Geschwindigkeit ein Lichtkörper auf den Ancient Mariner zu, verfehlte ihn nur wenig und schlug in einem Berg ein. Eine gewaltige Explosion ließ ihn auseinanderbrechen. Steine und Erde spritzten aus einem riesigen Krater auf. Der Ancient Mariner wirbelte herum, drehte sich in Richtung des anderen Schiffs und begann ein unerbittliches Bombardement mit Molekular- und kosmischen Strahlen. Eine hohe Flamme ionisierter Luft war das einzige Resultat. Ein neuer Strahl schoß fächerförmig aus dem anderen Schiff heraus. Er traf den Ancient Mariner ohne ihn zu beschädigen, obwohl die hinter ihm liegende Bergkette plötzlich ausdörrte und schwarz wurde, und dann, mit steigender Temperatur, zu qualmen begann. Ein neues Projektil schlug nur ein paar hundert Fuß vom Ancient Mariner entfernt ein und explodierte. Das Schiff der Terraner taumelte. Auch der Angreifer schwankte. Ein weißglühendes Projektil schoß aus dem terrestrischen Schiff heraus. Wie ein Pfeil flog es auf das feindliche Schiff zu, schien es kaum zu berühren und barst dann in einer fürchterlichen Flamme, die – sich
fächerförmig ausbreitend – das ganze Schiff in ein Flammenmeer tauchte. Sekunden später schien das Schiff in sich zusammenzubrechen und begann zu fallen. Dann schien es sich zu verflüchtigen. Noch bevor es den Boden berührte, hatte es sich in Nichts aufgelöst. Die tiefe Erleichterung in Zezdon Afthens Gedanken war so echt, daß die Sirianer nicht länger die freundschaftlichen Absichten des siegreichen Schiffs bezweifelten, trotz dessen furchterregender Ausrüstung. Die Fremdlinge hatten offensichtlich ein Schiff von Thett abgeschossen, auch wenn dessen Form leicht von den ihnen bekannten thessianischen Schiffen abwich. »Sie heißen uns willkommen«, teilte Zezdon Afthen gedanklich seinen Kameraden mit. »Sagen Sie ihnen, wir werden mit Glockengeläut bzw. den entsprechenden Gedanken kommen«, sagte Arcot. Morey erschien grinsend im Türrahmen. »Wie war die Show?« fragte er. »Schrecklich – warum hast du es nicht abstürzen lassen, damit es auseinanderbrechen konnte?« »Und was hätten wir mit dem Wrack gemacht?« fragte er sarkastisch. »Ich fand es auf jeden Fall eine verdammt gute Demonstration.« »Sie war überzeugend«, lachte Arcot. »Jetzt mögen sie uns!« Das große Schiff kreiste hinunter und setzte weich unweit der Stadt auf. Im gleichen Moment stieg von der Stadt ein langes, schmales, sirianisches Schiff auf und flog auf den Ancient Mariner zu. Schnell aufeinander folgend schossen nun von überall aus der Stadt Dutzende von Schiffen auf sie zu. In ihrer Neugierde
schienen die Sirianer den Menschen doch ziemlich ähnlich zu sein. »Hier müssen wir vorsichtig sein. Da die Negrianer Wasserstoff statt Sauerstoff atmen, müssen wir die Raumanzüge tragen«, erklärte Arcot dem Ortolianer und dem Talsonianer, die sie begleiten sollten. »Wir müssen alle hinausgehen. Obwohl es unbequem für Sie sein wird, Zezdon Afthen und Stel Felso Theu, müssen Sie beide ihn tragen. Es dürfte sehr beeindruckend für die Sirianer sein, wenn Leute von drei verschiedenen Zivilisationen an einer Allianz mit ihnen interessiert sind.« In der Zwischenzeit war eine beträchtliche Anzahl sirianischer Schiffe um sie herum gelandet. Aus einiger Entfernung beobachteten sie die großen, dünnen Männer der 100 000 000 Jahre alten Rasse mit ihren großen braunen Augen. Ein Kordon von Männern, offensichtlich Leute mit Ordnungsfunktion, hielt sie zurück. »Wer seid ihr, Freunde?« fragte ein einzelner Mann, der innerhalb der Absperrung stand. Sein starker Körperbau, eine große hohe Stirn und ein breiter Kopf wiesen ihn auf den ersten Blick als Anführer aus. Trotz der Veränderung, die das Licht des Sirius bewirkte, erkannte ihn Arcot von den Originalfotografien wieder, die entstanden waren, noch bevor Negra aus dem alten Sonnensystem verschwand. So war er es, der Taj Lamors Gedanken beantwortete. »Taj Lamor, ich bin von dem dritten Planeten der Sonne, die vor ein paar Jahren auch für euch noch Heimat war. Weil ihr uns nicht verstanden habt und wir euch nicht, kämpften wir damals gegeneinander.
Wir haben Berichte von eurer Rasse auf dem Planeten gefunden, und wir wissen jetzt, was sie am meisten brauchen. Wäre es uns früher möglich gewesen, uns mit euch zu verständigen, hätte unser Volk niemals gegen das Ihre gekämpft. Dank dem Genius, der mit euch war, haben Sie nun endlich die Sonne, die Sie brauchten, gefunden. Aber nun stört euren neu gefundenen Frieden ein Feind, der nicht nur diese Sonne, sondern alle Sonnen dieser Galaxis haben will. Nicht wahr, Sie haben Ihre Todesstrahlen, die AntiKatalysatoren, benutzt? Und die sind ohne Wirkung vom Strahlenschutz des Feindes abgeprallt? Sind Sie von ihren schrecklichen Strahlen eingedeckt worden, die ganze Gebirge zerstören und sie in die Luft schleudern können? Unsere Welt und die Welten dieser Männer hier sind ähnlich bedroht. Das hier ist Zezdon Afthen von Ortol, weit entfernt auf der anderen Seite der Galaxis, und das hier ist Stel Felso Theu von Talso. Unsere Planeten wie auch ihr Planet sind von den Angriffen einer fernen Galaxis bedroht – von Thett, aus der Sonne Ansteck der Galaxis Venone. Jetzt ist die Zeit gekommen, uns zu einer Allianz zusammenzuschließen, wie sie größer noch nie existiert hat. Wir sind zu euch, der ältesten Rasse dieser Allianz gekommen. Ihre Wissenschaften sind wesentlich fortgeschrittener. Welche Art Waffen haben sie unter den alten Dokumenten entdeckt, Taj Lamor? Wir haben eine Waffe, die Sie zweifelsohne brauchen werden – einen Strahlenabwehrschirm, der Molekularstrahlen standhalten kann. Was können Sie uns bieten?«
»Wir brauchen dringend Ihre Hilfe«, lautete die Antwort. »Wir konnten den Feind an einer Landung auf unserem Planeten hindern, aber nur unter großen Verlusten. Er ist nun auf einem Planeten gelandet, den wir von unserer erloschenen Sonne mitgebracht haben. Er ist unbewohnt. Von dieser Basis aus haben sie uns angegriffen. Wir haben versucht, den Planeten in den Sirius hineinzudrängen. Sie verließen nur eilig den Planeten, als er auf den Stern zufiel und befreiten sich von unserem Attraktionsstrahl.« »Der Attraktionsstrahl! Haben Sie also dieses Geheimnis gelöst?« fragte Arcot gespannt. Taj Lamor befahl einigen seiner Männer, den Projektor für den Attraktionsstrahl auf das Schiff zu bringen. Der Apparat erwies sich als fast tausend Tonnen schwer, zwanzig Fuß lang, zehn Fuß breit und ungefähr zwölf Fuß hoch. Es war unmöglich, die riesige Maschine in den Ancient Mariner hineinzubringen. So wurde eine Untersuchung an Ort und Stelle mit Instrumenten durchgeführt, mit denen die Terraner arbeiten konnten. Der grundlegende Fehler der Maschine lag darin, daß sie – bevor sie abschußbereit war – gigantische Mengen Energie verschlang, und daher eine sehr große Apparatur benötigt wurde. Solange der Strahl gehalten wurde, brauchte er relativ wenig Energie, um Planeten oder andere Körper zu bewegen. Die während der Aktivität des Strahls verbrauchte Energie entsprach der geleisteten Arbeit. Doch die Vorbereitung dazu kostete ungeheure Mengen verlorener Energie. Reaktionen innerhalb der Maschine traten nicht auf, gleichgültig auf welchen Körper sie auch immer gerichtet war. Man konnte also gefahrlos ein Raumschiff als Basis für sie benutzen, um einen Planeten in
Bewegung zu setzen, ohne daß sich Rückwirkungen auf dem Schiff bemerkbar machen würden. Von diesen etwas mageren Anhaltspunkten und an Hand der Instrumente bekam Arcot Hinweise, die ihn zur Lösung des Problems führten. Die Dokumente, aus denen Taj Lamor seine Informationen bezogen hatte, waren unglückseligerweise vernichtet worden, als eine ihrer Städte fiel. So konnte Taj Lamor nur die Maschinen seiner Vorfahren kopieren. Der immense Wert dieser Maschinen war offensichtlich. Sie erschlossen für Arcot viele Möglichkeiten, die er ohne sie nicht gehabt hätte. Die Erklärungen, die er Stel Felso Theu gab, zeigten bereits ihre mögliche Anwendung auf. »Als Waffe«, führte er aus, »hat sie den schwerwiegenden Nachteil, daß es erhebliche Zeit in Anspruch nimmt, die benötigte Energie bereitzustellen. Sie hat praktisch den gleichen Nachteil, den Ihr Apparat für künstliche Materie aufwies. Im Grunde genommen ist dieser Strahl ein lenkbares Gravitationsfeld. Noch etwas anderes macht ihn interessant und nützlich. Er scheint den Gesetzen der Mechanik zu widersprechen. Er tritt in Aktion, doch ruft er keine Reaktion hervor! Ein kleines Schiff kann eine Welt in Bewegung setzen! Sie wissen, ein Feld, das Gravitation erzeugt, ist ein Teil des Raumkontinuums. Es wird von etwas erzeugt. Wie die künstliche Materie, die nur an einer Stelle existiert und nur dort allein. Es erfolgt eine Reaktion auf dieses Anziehungsfeld; sie wird an einem bestimmten Punkt im Raum erzeugt und strahlt auf den gesamten Raum aus. Das Feld selbst bleibt theoretisch in Ruhe.
Der Ablauf ist ziemlich eindeutig. Das Feld wird aufgebaut. Dazu benötigt man Energie. Der Strahl wird auf einen Körper gerichtet, der Körper nähert sich und absorbiert die auf ihn gerichtete Energie, um seine Geschwindigkeit zu erhöhen. Die Maschine ersetzt diese Energie ständig, da sie darauf geeicht ist, ein bestimmtes Energie-Niveau im Feld zu halten. Nachdem der Strahl die gewünschte Arbeit geleistet hat, kann er abgedreht werden, und die Energie im Feld kann nun für jede erforderliche Arbeit abgezogen werden, zum Beispiel zum Wiederauffüllen unserer Energiespulen. Als Antriebsgerät eingesetzt, kann sie ein ganzes Schiff ziehen und erzeugt doch keine für die Insassen wahrnehmbare Beschleunigung. Ich glaube, wir werden sie auf unserem großen Schiff einsetzen«, schloß Arcot. Der Gegenwart entrückt und in neue Ideen eingesponnen starrte er in die Ferne. »Natürliche Schwerkraft von natürlicher Materie ist glücklicherweise nicht selektiv. Sie geht in alle Richtungen. Aber diese künstliche Schwerkraft wird gerichtet, sie breitet sich nicht einfach in alle Richtungen aus. Das Ergebnis: Die Massenanziehung nimmt nicht im Quadrat der Entfernung ab, sondern ist gebündelt wie der Strahl eines Scheinwerfers und setzt sich in seiner Stärke unvermindert fort. Tatsächlich wird ein äußerst intensives, äußerst kleines Schwerkraftfeld erzeugt und in eine Gerade gelenkt. Was Zeit in Anspruch nimmt, ist die Schaffung dieses Feldes.« Zezdon Afthens Blick irrte verständnislos und beunruhigt zwischen seinen Freunden hin und her. Zu
guter Letzt unterbrach er ihre Gedanken, die für ihn ein Buch mit sieben Siegeln waren, und denen er nicht folgen konnte. »Aber wie kommt es, daß sich die Maschine nicht bewegt, wenn sie eine derartige Kraft auf einen anderen Körper ausübt?« fragte er schließlich. »Das ist folgendermaßen: Der Strahl richtet die Schwerkraft und projiziert sie. Die eigentliche Spannung aber wird dem Raum aufgeprägt. Nur der Raum übernimmt die Spannung, die Gravitation bewirkt; aber im Normalfall – es sei denn, die Masse ist sehr groß – wird keine nennenswerte Beschleunigung über eine größere Distanz bewirkt. Dieses Gesetz tritt bei den einer Anziehung ausgesetzten Körpern in Kraft. Das Schwerefeld wird wie ein normales Feld angezogen – es gilt das Gesetz des umgekehrten Quadrats. Andererseits aber zieht der Gravitationsstrahl mit gleichbleibender Stärke, unabhängig von der Entfernung. Man kann es vergleichen mit dem Licht-DruckEffekt eines Scheinwerfers und eines Sternes. Angenommen ein Scheinwerfer würde mit gleichbleibender Stärke die Sonne anstrahlen, unabhängig von der Entfernung. Wohingegen der Lichtdruck der Sonne entsprechend dem Gesetz des umgekehrten Quadrats der Entfernung variieren würde. Doch vergessen Sie nicht: Es ist nicht ein Körper, der einen anderen anzieht, sondern ein Gravitationsfeld, das ein anderes anzieht. Das Feld ist eine Verformung des Raums. Ein normales Feld ist notwendigerweise mit der Materie, die es repräsentiert, verbunden. Das künstliche Feld hat aber keine derartige
Verbindung in Form von Materiepräsenz. Es ist das Produkt einer Maschine und existiert ausschließlich als Spannung im Raum. Um es zu bewegen, muß man den ganzen Raum bewegen, da es – wie die künstliche Materie – nur dort im Raum existiert, wo es erzeugt wurde. Verstehen Sie jetzt, warum das Gesetz von Aktion und Reaktion scheinbar außer Kraft ist? Tatsächlich wird die Reaktion durch den Raum aufgenommen.« Arcot erhob und streckte sich. Morey und Wade stauten ihn an und fragten ihn, wann er beabsichtige, in den intergalaktischen Raum zu starten. »Ich würde vorschlagen, jetzt. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns. Mathematische Grundlegung des Phänomens der künstlichen Materie, und eine Mathematik der künstlichen Gravitation entwickeln. Wir gaben den Sirianern unser Wissen von der künstlichen Materie und den Molekularstrahlen. Sie gaben uns alles, was sie hatten – das ist außer der künstlichen Gravitation und der damit verbundenen Arbeit nicht sehr viel. Wie dem auch sei – starten wir!«
13. Kapitel Der Ancient Mariner erzitterte und stieg von seinem Landeplatz vor der Stadt auf. Am Horizont tauchte eine Flotte von sieben thessianischen Schiffen auf und näherte sich mit ungeheurer Geschwindigkeit. Sie mußten die Stadt beschützen. Arcot drehte sich um und teilte Morey seine Entscheidung mit. Während er noch sprach, brach plötzlich ein thessianisches Schiff seitlich aus dem Verband und stürzte ab. Der Attraktionsstrahl arbeitete. Es schlug auf die Felsen von Neptun auf und stürzte hinein. Halb verbrannt kam es zum Stillstand. Stoppte – und startete erneut! Das ungeheuer starke Relux und Lux hatte dem Aufprall standgehalten, und diese fremden, unglaublich widerstandsfähigen Männer waren unverletzt! Zwei der Schiffe schossen gleichzeitig auf ihn zu und deckten ihn mit Molekularstrahlen ein. Die Strahlen prallten vom aufgestellten Schutzschirm des Ancient Mariner ab, doch die Röhren zeigten bereits an, daß sie diesem Beschuß nicht lange standhalten konnten. Es war eindeutig, daß die sich schnell nähernden Schiffe die Abschirmung bald durchbrochen haben würden. Arcot drehte das Schiff und wich zur Seite aus. Seine ›Augen‹ wurden blind. Er katapultierte sich in einen künstlichen Raum, wartete zehn Sekunden und tauchte zurück. Die Szene vor ihm hatte sich grundlegend verändert. Es schien eine andere Welt zu sein. Das Licht war sehr matt, so matt, daß er kaum Konturen auf dem Bildschirm erkennen konnte. Alles war tiefrot, beinahe
schwarz. Sogar Sirius, der flammend blau-weiße Stern, war rot. Die thessianischen Schiffe bewegten sich plötzlich ziemlich langsam, mit einer Geschwindigkeit, die die Verfolgung leicht machte. Ihre Strahlen, die zuvor noch die Luft in leuchtendes Rot getaucht hatten, waren nun unsichtbar. Die Instrumente zeigten an, daß der Strahlenschutzschirm nun nicht länger schweren Strahlenladungen standhalten mußte. Im Gegenteil: sie kamen in einer Frequenz an, die weit unter dem Radio-Spektrum lag! Arcot starrte fassungslos auf seine Instrumente. Wie hatten die Thessianer diesen Wechsel verursacht? Er drehte den Verstärker der ›Augen‹ bis zu dem Punkt auf, an dem sogar diese matte Beleuchtung ausreichend war. Auch Wade war völlig verblüfft. »Mein Gott! Was für eine Idee!« rief plötzlich Arcot aus. Erstaunt blickte Wade Arcot an. »Was bedeutet das?« fragte er. »Zeit, Mann, Zeit! Wir befinden uns auf einer anderen Zeitebene, leben schneller als sie. Unsere Treibstoffatome werden schneller zerstört, unsere Sekunden sind kürzer. Pro Sekunde Normalzeit leisten unsere Generatoren dasselbe Arbeitsquantum wie gewöhnlich, aber in der Zeit, in der wir uns jetzt befinden, arbeiten sie in einer Sekunde um ein Vielfaches mehr! Wir befinden uns unter einem vorgerückten Zeitfeld!« Wade verstand nun. Das rote Licht – normales Licht, gesehen durch enorm beschleunigte Wahrnehmung. Der Wechsel, die Dunkelheit – dunkel, weil sie auf dieser Zeitebene weniger Energie pro Se-
kunde erreichte. Dann erreichte sie das blaue Licht des Sirius im Röntgenstrahlen-Spektrum. Sie sahen Röntgenstrahlen als normales Licht, abgeschirmt, stark abgeschirmt durch die Atmosphäre. Doch die große Verstärkung der ›Augen‹ glich dies wieder aus. Die zurückgebliebenen Thessianer mußten dies gleichzeitig erkannt haben und jagten auf sie zu. Das thessianische Schiff schien auf ihn zuzuspringen. Arcot erhöhte ruckartig seine Geschwindigkeit, gleichzeitig drückte er auf den Raumsteuerungsknopf und drückte ihn soweit ein, daß sie in einen künstlichen Raum geworfen wurden. Der letzte Lichtschimmer erstarb unvermittelt. Der Bug des thessianischen Schiffes tauchte drohend neben dem Ancient Mariner auf. Ein fürchterlicher Stoß warf ihr Schiff auf eine Seite, die Männer wurden umhergeworfen. Die Lichter verlöschten. Das von der Energie-Ersatzspule gespeiste automatische Lichtaggregat für Notfälle setzte sich in Betrieb. Die Gesichter der Männer waren weiß, und sie hockten oder lagen erschreckt herum. Morey faßte sich und ließ die Augen über die Instrumente seiner Fernsteuerung wandern. Arcot starrte auf die Skalen seiner Kontrolltafel. »Luftdruck außerhalb des Schiffs!« rief er überrascht. »Hoher Sauerstoffgehalt, sehr wenig Stickstoff. Geeignet zum Atmen, wenn es kein Gift enthält. Temperatur minus 10 Grad Celsius.« »Lichter sind aus, da sich die Relais öffneten als der Zusammenstoß sie kurzschloß.« Morey und alle anderen zitterten plötzlich. »Nervenschock«, kommentierte Zezdon Afthen.
»Es wird eine Stunde oder länger dauern, bis alle wieder normal arbeiten können.« »Dazu haben wir keine Zeit«, erwiderte Arcot. Auch er war am Rande seiner Nervenkraft. »Morey, wenn du kannst, mach einen guten, starken Kaffee, und wir werden ein wenig Luft mit Rauchen vergeuden.« Morey erhob sich und schwebte auf die Tür zu, die in den Hauptgang zur Kombüse führte. »Verflucht – Druckabfall«, murmelte er. »Auf jeden Fall ist noch etwas Luft im Gang.« Er öffnete die Tür, und die Luft fegte aus dem Kontrollraum in den Gang, bis der Druck ausgeglichen war. Die Tür zum Maschinenraum war geschlossen, aber eingedrückt und dies trotz des zwei Zoll starken Luxmetalls. Durch das durchsichtige Material konnte er in den zertrümmerten Maschinenraum sehen. »Arcot«, rief er. »Komm her und sieh dir das an. Quintillionen Meilen von zu Hause entfernt, und wir können dieses Feld nicht abstellen.« Arcot war im Nu bei ihm. Die gigantische Nase des thessianischen Schiffs hatte sie voll mittschiffs getroffen und sich durch die Hülle gebohrt. Der Hauptgenerator war aufgerissen. Der mechanische Schaden war katastrophal. Das Vorderteil des Schiffs war tief in die Maschine eingedrungen. Der Maschinenraum war ein Trümmerhaufen. »Das können wir nicht reparieren«, meinte Morey. »Dazu würden wir eine riesige Maschinerie benötigen. Wir könnten nicht einmal die Stangen geradebiegen, vom Reparieren ganz zu schweigen.« »Hol den Kaffee bitte, Morey. Ich habe eine Idee,
die Erfolg haben muß«, sagte Arcot unverwandt in den Maschinenraum starrend. Morey drehte sich um und ging in die Kombüse. Fünf Minuten später kam er zurück. Immer noch stand Arcot da und blickte unverwandt in den Maschinenraum. Der Kaffee war in kleine Plastikballons abgefüllt. Sie tranken ihren Kaffee und kehrten in den Kommandoraum zurück. Die Terraner entspannten sich durch Rauchen. Die Ortolianer und der Talsonianer beruhigten sich mit einem milden Narkotikum von Ortol, das Zezdon Afthen mitgebracht hatte. »Na ja, jetzt haben wir einiges mehr zu tun«, meinte Arcot. »Der Sauerstoffapparat hat ausgesetzt. Ich werde nicht hier herumsitzen und nichts tun, während der Sauerstoff der Zusatztanks verbraucht wird. Habt ihr den Feind gesehen?« Durch das große Cockpitfenster war der Bug des thessianischen Schiffs zu sehen. Er war mit mathematischer Präzision abgetrennt worden. »Leicht zu erkennen, was mit denen passiert ist«, brummte Morey. »Die mögen uns zwar zertrümmert haben, aber mit Sicherheit haben wir sie auch geschafft. Sie waren zur Hälfte in und zur Hälfte außerhalb unseres Raumfelds. Ergebnis: Die Hälfte, die drin war, blieb drin, die Hälfte, die außerhalb war, blieb draußen. Die beiden Hälften wurden eine Milliarde Meilen voneinander getrennt. Die wunderschön exakte Schnittfläche ist genau die Stelle, die unser künstlicher Raum geschnitten hat. Nachdem wir dies nun wissen, ist die nächste Frage, wie wir unser Wrack flicken sollen.« Morey grinste säuerlich. »Oder besser gefragt: Wie kommen wir
hier heraus und hinunter auf den alten Neptun?« »Reparieren!« erwiderte Arcot. »Kommt schon! Du, Wade, wirfst dich in deinen Raumanzug, nimmst das tragbare Telektroskop mit und plazierst es so im Raum, daß du unser Schiff und die Nase der thessianischen Maschine in der Optik hast. Stell es auf sieben-sieben-drei ein.« Morey erhob sich gleichzeitig mit Arcot und folgte ihm leicht verwirrt durch den Gang. Vor der Luftschleuse zog Wade seinen Raumanzug an. Der Ortolianer half ihm dabei. Kurz darauf kamen die anderen drei Männer mit der Maschine. Sie hatte praktisch kein Gewicht, wäre jedoch langsam hinuntergesunken, wenn sie nicht gehalten worden wäre, da die Masse des Ancient Mariners und das Vorderteil des thessianischen Schiffes ein merkliches Gravitationsfeld bildeten. Wade schob das Telektroskop durch die Schleuse in den Weltraum. Sein molekulares Handantriebsaggregat zog ihn hinaus. Unter Schwierigkeiten befestigte er die Maschine so, daß sie die beiden nebeneinander liegenden Schiffskörper fixierte. »Dreh' sie soweit herum, Wade, daß der Ancient Mariner gerade noch im Aktionsradius liegt«, befahl Arcot. Wade tat wie ihm geheißen. »Komm wieder herein. Du sollst auch deinen Spaß haben.« Wade kehrte zurück. Arcot und die anderen waren damit beschäftigt, ein schweres Zuleitungskabel aus dem Lagerraum zu schaffen, um ein gebrochenes zu ersetzen. In fünf Minuten hatten sie es geschafft. Arcot ging in den Kontrollraum und schaltete den Fernsehschirm ein. Er war mit einem System von Monitoren verbunden. Dadurch war die Szene auf allen Schirmen in den einzelnen Schiffsräumen sicht-
bar. Er war in eine Seite des Raums eingelassen und speziell für solche Notfälle eingerichtet worden. Mit einigen Energie-Zusatzspiralen ausgerüstet, würde er für mehrere Tage funktionieren. »Jetzt sind wir soweit«, sagte Arcot. Der Talsonianer begriff seine Absichten und folgte ihm ins Labor. Hier liefen zwei Bildschirme. Auf einem war das Schiff draußen zu sehen, auf dem anderen der Maschinenraum. Arcot ging hinüber zu der Maschine für künstliche Materie und hantierte an ihr herum. Kurz darauf flutete die Energie aus den Lagerspulen des Schiffs durch das neue Kabel in die Maschine. Ein riesiger Ring erschien um die Nase des thessianischen Schiffes herum und hüllte sie ein. Ein gewaltiger Ruck und sie war vom Ancient Mariner los. Der Ring zog sich zusammen und formte einen Klumpen auf dem herausgebrochenen Teil der Nase des Schiffs. Dieser wurde an die Außenwand des Ancient Mariner getragen. Wieder wurde – wie schon zuvor – ein Stück abgelöst und nach innen transportiert. Ein Stück von vielleicht einer halben Tonne. »Ich hoffe, die benutzten gute Qualität«, sagte Arcot grinsend. Das Stück wurde auf den Boden des Schiffs gelegt und eine Scheibe aus künstlicher Materie in ein Loch an seiner Seite gesteckt. Ein weiteres ›Werkzeug‹ aus künstlicher Materie erfaßte ein Stück Relux aus dem gespaltenen thessianischen Schiff und drückte es in das Loch des Ancient Mariner. Der Raum um diese ›Operation‹ herum war ein knisterndes Inferno von in Hitze und Licht brodelnder Energie. Arcot dematerialisierte seine gewaltigen Werkzeuge. Die Wand des Ancient Mariners war nahtlos abgedichtet, mit Relux
geglättet und so perfekt wie zuvor. Er wiederholte dies an der Innenwand mit dem zuvor hereingebrachten Relux. Das Resultat war perfekt, nur daß dort, wo vorher Lux gewesen war, nun Relux die Außenhülle bildete. Der Hauptgenerator wurde zusammengedrückt und herausgerissen. Der Hilfsgenerator mußte nun die gesamte Ladung tragen. In der gleichen Art und Weise wurden die großen Kabel repariert. Ein Zylinder aus künstlicher Materie formte sich um sie herum, und ein Stück Relux, das Arcot aus dem gegnerischen Schiff geschnitten hatte, wurde unter gewaltigem Druck angeschweißt – unter einem Druck, der die Materialien ineinanderfließen ließ, wie Hitze allein dies nie ermöglicht hätte. In weniger als einer halben Stunde war das Schiff repariert, der Maschinenraum bis auf einige geringfügige Dinge, die nur aus den Lagern ergänzt werden konnten, instand gesetzt. Der Hauptgenerator war verschwunden, doch das war unwesentlich. Die Tür war gerade gezogen, und die Arbeit beendet. Nach einer Stunde waren sie wieder startbereit.
14. Kapitel »Scheint so, als habe sich Sirius ein wenig zurückgezogen«, bemerkte Arcot. Der Stern war tatsächlich einige Billionen Meilen entfernt. Offensichtlich hatten sie nicht bewegungslos im Raum gehangen, wie sie angenommen hatten. Und durch den Aufprall des thessianischen Schiffs war ihre Maschine aus der Bahn geworfen worden. »Sollen wir zurückfliegen oder weitermachen?« fragte Morey. »Das Schiff ist doch in Ordnung. Warum zurück?« fragte Wade. »Ich bin fürs Weitermachen.« »Der Meinung bin ich auch«, fügte Arcot hinzu. »Wenn diejenigen, die das Schiff am besten kennen, fürs Weiterfliegen stimmen, schließen wir, die wir nur wenig davon verstehen, uns Ihrer Entscheidung an. Machen wir weiter«, sagte Zezdon Afthen ernst. Der Weltraum um sie herum war plötzlich schwarz. Sirius war verschwunden. Alle Juwelen des Himmels waren in der Schwärze des schnellen Flugs untergegangen. Zehn Sekunden später drosselte Arcot die Raumsteuerung. Hinter ihnen lag das Dunkel des Weltraums, von Lichtpunkten durchlöchert, die unendliche Vielzahl der Sterne. Vor ihnen lag – nichts. Die absolute Leere des Raums zwischen den Galaxien. »Thlek Styrs! Was ist geschehen?« fragte Morey erstaunt. Dabei rutschte ihm sein venusischer Lieblingsausspruch heraus. »Ich experimentiere und das mit absolutem Erfolg«, antwortete Arcot mit besorgtem Gesicht. »Ich
habe gerade versucht, die thessianische hochbeschleunigte Zeitverzerrung mit unserer hochbeschleunigten Raumverzerrung zu koppeln – beides auf niedriger Stufe. Keine Ahnung, wie hoch unsere Geschwindigkeit eigentlich war. Aber sie muß ziemlich hoch gewesen sein. Zehntausend Lichtjahre sind wir bestimmt außerhalb der Galaxis.« »Das ist ja eine feine Art, eine Reise zu beginnen. Hast du noch die alten Sternenkarten, damit wir auch zurückfinden?« fragte Wade. »Ja. Die Karten, die wir auf unserer ersten Reise machten, sind im Kartenschrank. Hol sie bitte und sieh nach, wie weit es noch bis zu den kosmischen Feldern ist.« Arcot war mit seinen Instrumenten beschäftigt und legte genau ihre Entfernung vom ›Rand‹ der Galaxis fest. Die Zahl zwölftausendfünfhundert Lichtjahre ergab sich. Kurz darauf war Wade zurück. Nach seinen Berechnungen lagen die Felder ungefähr sechzehntausend Lichtjahre entfernt. Sie flogen weiter mit einer Geschwindigkeit, die sie in zwei Stunden die Felder erreichen ließ. Dort vergingen einige Stunden mit Messungen, bis Arcot zufriedengestellt war. »Das langt. Zurück geht's!« Sie schossen durch die siebenundzwanzigtausend Lichtjahre der kosmischen Strahlenfelder und kehrten dann gemächlicher zur Galaxis zurück. Die Sternkarten stimmten sonderbarerweise nicht. Nur mit Schwierigkeiten konnten sie sich nach ihnen orientieren. Die Konstellationen des üblichen Sternenbildes, nach denen sie sich sonst richteten, hatten sich sogar fürs bloße Auge sichtbar geändert. »Morey«, sagte Arcot ruhig und betrachtete die
Konstellation, der sie entgegenflogen und die Karte vor sich. »Da ist etwas sehr, sehr faul. Das Universum scheint nicht mehr das, was es war, zu sein, oder wir sind nicht nur im Raum gereist.« »Ist mir auch schon aufgefallen. Du hast recht. Nach dem Grad der Abweichung der Konstellationen sind wir ungefähr um 100 000 Jahre abgewichen. Frage 1: Wie kommt das? Frage 2: Was werden wir dagegen tun?« »Antwort 1: Rückblickend auf unsere Feststellungen bei Sirius nehme ich an, daß die Kollision mit dem thessianischen Schiff, dessen Zeitfeld in Opposition zu unserem Raumfeld stand, irgendwelche Auswirkungen auf unseren Zeitrahmen hatte. Wahrscheinlich wichen wir dadurch ab. Antwort 2: Frage eins muß erst geklärt werden. Danach erst können wir unsere Aktionen planen.« Mit Wades Hilfe war es ihnen durch Beobachtung der Sternbewegungen möglich, ihren Zeit-Status festzulegen. Das endgültige Resultat ergab achtzigtausend Jahre in der Vergangenheit! Das thessianische Schiff hatte sie so weit aus ihrer Zeit herausgeworfen. »Das hat auch sein Gutes«, meinte Morey erleichtert. »Zumindest haben wir dadurch genug Zeit, um alles für den Kampf vorzubereiten. Wir könnten sogar eine ganze Menge Entdeckungen für die Archäologen der Erde und der Venus, des Ortols und Talsos machen. Das Problem ist nur: Wie kommen wir zurück?« »Das ist leicht zu beantworten«, erwiderte Arcot. »Wir warten einfach, bis unsere Zeit uns einholt. Wir warten gemütlich achtzigtausend Jahre, also achthundert Jahrhunderte, und dann sind wir wieder in unserer Zeit.«
»Also, ich finde, so lange zu warten, das wird langweilig«, sagte Wade sarkastisch. »Was sollen wir in den achtzig Jahrtausenden denn machen? Karten spielen?« »Warum nicht Karten oder Schach spielen? Irgend so etwas«, sagte Arcot grinsend. »Karten spielen, unsere Felder kalkulieren und die Zeiteinteilung steuern.« »Oho, ich nehme alles zurück. Du hast gewonnen. Das habe ich völlig vergessen.« Wade lächelte seinem Freund zu. »Das verkürzt uns das Warten, nicht wahr?« »Die Erforschung unserer Welten würde ohne Zweifel von unendlichem Nutzen für unsere Wissenschaften sein. Aber ich weiß nicht, ob es nicht zweckmäßiger ist, wenn wir in unsere eigene Zeit zurückgehen, und das lebendig und gesund. Unfälle passieren immer, und trotz all unserer Waffen können wir leicht auf Tiere treffen, die unseren Entdekkungsreisen ein abruptes und tragisches Ende bereiten könnten. Oder?« fragte Stel Felso Theu. »Sie haben recht, Stel Felso Theu. Ich stimme mit Ihnen überein. Wir werden nicht mehr erforschen, als notwendig oder sicher ist.« »Wir könnten genauso gut auf dem Zeithemmer reisen und währenddessen arbeiten. Ich finde, was wir tun sollten, ist zur Erde oder besser zum Sonnensystem zurückzukehren und dann der Sonne auf ihrer Bahn folgen.« Sie kehrten zurück. Die Einsamkeit, die die Sonne auf ihrer Reise durchmißt, ist nichts verglichen mit der unendlich bedrückenden Verlassenheit des leeren Weltraums zwischen den Sternen. Sie hat ihre Planetengruppe – und kein menschliches Bewußtsein.
Die Sonne war weit von dem Punkt entfernt, den sie eingenommen hatte, als die Reisenden sie verlassen hatten. Milliarden und Abermilliarden Meilen war sie von dem Punkt ihrer Umlaufbahn um das Gravitationszentrum unserer Milchstraße entfernt. Und in den achtzig Jahrtausenden, die sie warten mußten, würde sie diese ungeheure Strecke zurücklegen. Sie flogen nicht die Planeten an. Auf Stel Felso Theus Vorschlag hin, dort die Position ihrer Zeit genauer festzulegen, erwiderte Arcot, daß das Leben sich noch nicht so weit entwickelt habe, daß es möglich wäre, das Jahr nach unserem Kalender festzulegen. So hingen sie dreißigtausend Jahre bewegungslos, während die Sonne kreiste. Die kleinen Lichtpunkte – kleine Welten – wirbelten um sie herum, wie in einem verrückten Rennen. Sogar Pluto auf seiner dreihundert Jahre dauernden Umlaufbahn schien sich wie eine Motte ums Licht zu bewegen. Merkur war eine Lichtlinie, die sich wie ein Ring um die Sonne legte. Doch die dreißigtausend Jahre waren dank des Zeithemmers wie dreißig Tage für die Männer an Bord. Sie arbeiteten an ihren Berechnungen. Am Ende des Monats hatte Arcot, in Zusammenarbeit mit Morey und Wade, die letzten Formeln der künstlichen Materie erarbeitet, und die Maschinen hatten bis ins letzte Detail sämtliche Resultate ausgeworfen. Es war eine arbeitsreiche Zeit gewesen. Fast ununterbrochen hatten sie gearbeitet. Nur gelegentlich hatten sie sich ein Spielchen zur Entspannung gegönnt. Am Ende dieses Monats beschlossen sie, auf die Erde zurückzukehren. Nun beschleunigten sie ihre Zeitrate und stoben
mit enormer Geschwindigkeit der Erde zu. Innerhalb von Minuten erreichten sie die Atmosphäre. Sie landeten im Niltal. Der Vorschlag dazu kam von Arcot, der anhand der Entwicklung des Menschen die Zeit festlegen wollte. Der Mensch lebte offensichtlich in seiner frühesten Zivilisation in diesem Tal, Wasser und Sonne sorgten für seine Nahrung. »Schau mal – es gibt Menschen hier!« rief Wade aus. Tatsächlich, unter ihnen lagen Dörfer mit plumpen Hütten aus Holz, Stein und Schlamm. »Wollen wir landen?« fragte Arcot mit einer Stimme, die vor unterdrückter Erregung unsicher klang. »Natürlich!« antwortete Morey, ohne sich von seinem Platz am Fenster umzudrehen. Etwa eine halbe Meile unter ihnen standen Menschen in kleinen Gruppen herum, starrten zu ihnen herauf und gestikulierten über das fremde Ding, das über ihnen in der Luft Gestalt angenommen hatte. »Ist jeder damit einverstanden, daß wir landen?« fragte Arcot. Jeder war einverstanden. Das Schiff sank sanft auf einen Pfad zu. Ein kleines Menschenknäuel stob erschreckt auseinander, als sich die große Maschine näherte. Sie schrien zu ihren Freunden hinüber und warfen furchterfüllte Blicke auf das riesige schimmernde Monstrum hinter ihnen. Ohne Erschütterung berührte der schwere Schiffskörper den Boden seines Heimatplaneten, fünfzig Jahrtausende bevor er ihn verlassen hatte! Arcot runzelte die Stirn. »Eins stört mich – ich weiß nicht, wir hätten nicht zurückkommen dürfen. Verstehst du, Morey, wir haben das Leben dieser Leute gestört. Wir haben in die Geschichte eingegriffen. Das
muß jetzt in die bereits bestehende Historie eingeschrieben werden. Es scheint die Idee des freien Willens zu verbannen. Wir haben die Geschichte verändert, obwohl Geschichte etwas ist, was ja bereits passiert ist! Wenn ich niemals geboren worden wäre – aber ich bin schon geboren – hätte ich fünfzig- bis achtzigtausend Jahre, bevor ich geboren wurde, existiert!« »Laß uns hinausgehen und später darüber nachdenken. Wir landen ja noch im Irrenhaus, wenn wir nur noch über Probleme von Raum und Zeit nachdenken. Wir brauchen etwas Entspannung.« »Ich schlage vor, wir nehmen sicherheitshalber ein paar Waffen mit. Vielleicht haben diese Menschen Waffen chemischer Natur, so etwas wie Gift, das mit kleinen Stöcken mittels eines Bogens oder durch den Luftdruck der Lungen ins Fleisch injiziert wird«, warf Stel Felso Theu ein, als er seine Gurte löste und sich von seinem Sitz erhob. »Diese Waffen sind uns als Pfeile und Blasrohre bekannt. Aber Sie haben recht. Ich finde, das ist eine gute Idee«, erwiderte Arcot. »Das sollten wir tun. Und auch nicht alle auf einmal hinausgehen. Die erste Gruppe geht zu Fuß, sonst verängstigen wir sie zu sehr.« Arcot, Wade, Zezdon Afthen und Stel Felso gingen hinaus. Die Eingeborenen hatten sich in respektvolle Entfernung zurückgezogen. Sie standen herum, schauten und schnatterten miteinander. Jetzt näherten sie sich langsam. »Sie werden mutiger«, grinste Wade. »Das Charakteristikum einer intelligenten Rasse – Neugierde«, warf Stel Felso Theu ein.
»Wird dieser Typ von Mensch noch in fünfzigtausend Jahren in diesem Tal leben?« fragte Zezdon Afthen. »Ich würde sagen, diese hier sind nicht die uns bekannten Ägypter, sondern typisch neolithische Menschen. Es sieht aus, als hätten sie die gleiche Gehirngröße wie die Menschen in den Straßen New Yorks. Ob sie wohl die gleiche Lernfähigkeit wie der Durchschnittsmensch von sagen wir 1950 haben?« Die Wilden wurden zusehends erregter. Einer der Männer, wohl ihr Häuptling, beeinflußte sie offensichtlich unter Grunzen, Brummen und Gestikulieren. Die Frauen hatten sie ins Dorf zurückgeschickt (durch den einfachen und wirkungsvollen Prozeß des Zusammenscheuchens und Davonjagens). Die Männer schwangen polierte Steinmesser und Äxte, verschiedene Instrumente des Krieges und des Friedens. Die bevorzugteste Waffe schien eine große Keule zu sein. »Wir sollten lieber jedem Ärger zuvorkommen«, schlug Arcot vor. Er zog seine Strahlenpistole und schoß auf einen Punkt genau zwischen ihnen und den Steinzeitmenschen. Der Druck von Millionen und Abermillionen Pferdestärken Strahlenenergie ließ die Erde im Umkreis von zwei Fuß aufspritzen. Ein Loch von etwa zwanzig Fuß Durchmesser entstand, und sein Inneres war intensiv heiß. Die Wilden warfen einen einzigen Blick darauf, drehten sich um und rannten nach Hause. »Na, das war ja ein begeisterter Empfang. Gehen wir ins Schiff zurück!« Sie erforschten die Welt und ihre verschiedenen Völker. Atlantis existierte nicht. Zumindest nicht zu jener Zeit. Auch stellten sie mit Interesse fest, daß die
Polarkappen wesentlich weiter zum Äquator reichten. Für das leibliche Wohl fanden sie Frischfleisch – eine willkommene Abwechslung in ihrer Speisekammer. Dann reinigten sie das ganze Schiff mit frischer Luft, füllten ihre Wassertanks aus den kalten Strömen der schmelzenden Gletscher auf und erneuerten den Inhalt des Luftapparates. Nachdem alles verstaut war und Tausende von fotografischen Landkarten angefertigt worden waren, kehrten sie wieder in den Raum zurück – um zu warten. Die meiste Zeit verbrachten sie jedoch über ihren Rechenarbeiten. Für einen Laien ist das Maß der Arbeit, das zur Entwicklung einer einzigen mathematischen Hypothese notwendig ist, unvorstellbar, trotz der modernsten Rechenmaschinen, die ihnen zur Verfügung standen. Das Problem des Zeitfelds hatten sie gelöst. Doch hierbei wurden sie von dem Apparat unterstützt und hatten die Möglichkeit Tests auf bereits vorhandenen Maschinen durchzuführen. Ganz anders stellte sich das Problem der künstlichen Materie dar, das in allen Einzelheiten gelöst war. Sie hatten dazu einige Tage benötigt, nach ihrer Zeitrechnung, jedoch nahezu dreißigtausend Jahre irdischer Zeit, da sie gezwungen waren, ganz von vorn anzufangen. Mit den kleinen Verbesserungen, die Arcot an Stel Felso Theus Maschine vorgenommen hatte, hatten sie hauptsächlich nur an dem Teilgebiet gearbeitet, über dessen Problematik Stel Felso Theu gestolpert war. Bis dahin war es unmöglich gewesen, den Typ der erzeugten Materie zu bestimmen. Nun konnte Arcot jede be-
kannte und unbekannte Art von Materie herstellen. Aber jetzt kam das größte aller Probleme. Jetzt mußten sie die Meß- und Versuchswerte, die sie im Weltraum gesammelt hatten, einordnen. »Was«, fragte Zezdon Afthen, als er die drei Terraner bei ihrer Arbeit beobachtete, »was ist das Wesen des Phänomens, das ihr versucht nutzbar zu machen?« »Um es mit einem Wort auszudrücken – Energie«, antwortete Arcot und machte eine Pause. »Wir versuchen, Energie in ihrer ursprünglichen Form, in der Form des Raumfelds nutzbar zu machen. Sie erinnern sich, Masse ist eine Maßeinheit für Energie. Vor zwei Jahrhunderten schlug ein Wissenschaftler unserer Welt vor, das Verhältnis von Energie und Masse auszudrücken und konnte beweisen, daß das Verhältnis E=MC2 ist – eine bis heute unbestrittene Formel. Die Sonne setzt Energie frei. Dabei gibt sie Masse in Form von Photonen ab. Das Gravitationsfeld der Sonne muß konstant abnehmen, wenn ihre Masse abnimmt. Ein zusammenfallendes Feld also. Nur winzig nimmt das Gravitationsfeld der Sonne ab, obwohl es in Zahlen ausgedrückt, sich unvorstellbar anhört: Alle vier Minuten verliert sie tausend Millionen Tonnen Materie. Der Prozentsatz ist winzig, die freigesetzte Energie unermeßlich. Doch ich werde eine neue Energie-Einheit schaffen, Afthen. Ich werde sie ›Sol‹, die Energie der Sonne, nennen. Ein Sol ist der Wert unserer Sonne. Und die benutzte Energie werde ich nicht mehr in Pferdestärken, sondern in Solstärken messen. Das möchte Ihnen eine solche Größenordnung verdeutlichen!«
»Aber«, fragte Zezdon Afthen, »während ihr Männer von Terra an diesem Problem arbeitet, was können wir tun? Unser einziges Problem ist das Wohlergehen unserer Welt, die noch immer fünfzigtausend Jahre in der Zukunft liegt. Es ist furchtbar, nur warten, warten, warten zu müssen und daran zu denken, was währenddessen in der Zukunft alles geschieht. Gibt es denn nichts, an dem auch wir uns beteiligen können? Ich kenne unsere hoffnungslose Unwissenheit bezüglich der Naturwissenschaften. Stel Felso Theu kann kaum Ihre Gedanken und ich kann kaum seine Erklärungen verstehen! Bei Ihren Berechnungen kann ich Ihnen nicht helfen. Aber kann ich denn sonst nirgendwo von Nutzen sein?« »Aber ja, Ortolianer, aber ganz sicher. Wir brauchen dringend Ihre Hilfe, und da Stel Felso Theu Ihnen mehr als uns behilflich sein kann, werde ich ihn bitten, mit Ihnen zusammen zu arbeiten. Ich brauche Ihre Kenntnisse auf dem Gebiet der PsychoMechanik. Könnten Sie eine Maschine, die von Gehirnströmen gesteuert wird, konstruieren? Ich möchte ein solches System kennenlernen und wissen, wieso und warum man Maschinen mental kontrollieren kann.« »Aber ja, nur zu gerne. Ich bin zwar kein Experte wie Sie und werde wohl mehrere Versuchsmaschinen basteln müssen. Aber ich werde mein Bestes tun«, rief Zezdon Afthen aufgeregt. Während Arcot und seine Gruppe ihre Arbeit zur Bestimmung der Konstanten des Raum-Energie-Felds fortsetzten, arbeiteten die anderen an der Entwicklung eines mental gesteuerten Apparats.
15. Kapitel Wieder verbrachten sie eine Zeit intensivster Arbeit, während das Schiff durch die Zeit trieb, der Erde in ihrem verrücktem Torkeln um die Sonne herum folgend, die ihrerseits wild durch den Raum stürmte. Nach dreißig Tagen konnten sie noch keine definitiven Resultate in ihren Berechnungen vorweisen. Auch der Talsonianer, der als Medium zwischen den beiden Wissenschaftler-Gruppen fungierte, berichtete, daß der Ortolianer noch nicht so weit sei, ein wissenschaftliches Verstehen zu ermöglichen. Da alle notwendigen Dinge für den Lebensunterhalt ausreichend an Bord des Schiffs waren, beschlossen sie, zunächst ihre augenblickliche Arbeit zu beenden. Fast vierzigtausend Jahre vergingen nach ihrer ersten Landung in die Vergangenheit, bis sie der Erde wieder einen Besuch abstatteten. Sie hatte sich verändert. Ihre Eiskappen waren sichtlich geschrumpft, das Nildelta war jetzt viel weiter ins Mittelmeer vorgeschoben und ausgeprägter als zuvor. Da und dort waren Städte entstanden. Sie beschlossen, als erstes in Griechenland Halt zu machen. An der Flanke eines Berges landeten sie. Unterhalb davon lag ein Dorf, ein kleines Dorf aus kleinen Hütten und Schuppen. Die Dorfbewohner griffen sie an, kamen wütend den Hügel heraufgerannt, riefen und brüllten Warnungen ihrer schrecklichen Tapferkeit den Männern entgegen, die aus dem ›leuchtenden‹ Haus kamen, befahlen ihnen, sich zu ergeben und ihren Besitz ihnen zu übergeben. »Was sollen wir machen?« fragte Morey. Diesesmal
waren er und Arcot allein hinausgegangen. »Wir schnappen uns einen von diesen unverschämten Burschen und befragen ihn. Dadurch könnten wir eine mehr oder weniger genaue Vorstellung von der Zeit, in der wir uns befinden, bekommen. Ein paar Jahrhunderte über unsere eigene Zeit hinauszuschießen, können wir uns nicht leisten.« Die Dorfbewohner, mit Bronze- und Holzwaffen ausgerüstet, schwärmten den Hügel herauf. Die bronzenen Mordwerkzeuge waren offensichtlich selten und kostspielig. Die Männer, die sie trugen, schienen der führenden Schicht anzugehören und waren auch besser als die anderen gekleidet. »Verdammt noch mal, ich habe nur den MolekularStrahler dabei! Den kann ich nicht benutzen, sonst gäbe es ein Massaker!« rief Arcot aus. Plötzlich tauchten auf der einen Seite hinter einem Felsen einige Männer auf. Die beiden Wissenschaftler trugen Energieanzüge. Da sie sie auf niedrige Stufe eingestellt hatten, wogen sie immerhin noch fünfzig Pfund. Morey, der normalerweise ein Gewicht von gut zweihundert besaß, machte einen weiten Satz zur Seite, als ein Bauer auf ihn zustürzte. Er sprang ihn von hinten an, hob den kleinen Mann über den Kopf und warf ihn zwei Verfolgern entgegen. Die drei gingen zu Boden. Die meisten der Männer waren ungefähr fünf Fuß groß und ziemlich zierlich. Auch ähnelte keiner von ihnen gerade einem griechischen Gott. Es war anzunehmen, daß sie nur mangelhaft ernährt waren und schwer arbeiteten. Nur die Anführer schienen in guter physischer Kondition, wenn auch von kleiner Statur, zu sein. Arcot und Morey nahmen sich wie
Giganten unter ihnen aus. Ohne Anstrengung überwältigten sie aufgrund ihrer größeren Erfahrung, ihrer fantastischen Springfähigkeit und ihrer überlegenen Stärke die paar von der Seite angreifenden Männer. Einer der Anführer wurde gefangengenommen und mit einem Strick gefesselt, den einer der anderen bei sich getragen hatte. »Paßt auf«, rief Wade von oben. Plötzlich stand er neben ihnen – eine Kleinigkeit mit Hilfe seines Energieanzugs. »Habe deine Gedanken aufgefangen, besser gesagt, Zezdon Afthen tat dies.« Er händigte Arcot eine Strahlenpistole aus. Die Griechen, die bisher mutig herangestürmt waren, hielten nun verstört inne. Auf einen Angriff schienen sie nicht mehr so scharf zu sein. Arcot zielte mit der Strahlenpistole zur Seite. »Warte!« schrie Morey. Ein Gesicht erschien hinter dem Felsen. Es war ein Mädchen von vielleicht fünfzehn Jahren. Harte Arbeit hatten sein Gesicht früh altern lassen. Morey beugte sich hinunter und hob einen etwa 200 Pfund schweren Stein mit einem Molekularstrahl hoch und schleuderte ihn fort. Arcot schaltete für einen Augenblick seinen Strahler an. Der Felsbrocken wurde weißglühend. Dann schleuderte der Molekularstrahl ihn auf einen großen Felsen. Drei Kinder, die sich dahinter versteckt hatten, rannten davon und hasteten voller Angst den Berg hinunter. Die Soldaten hielten inne. Sie blickten Morey zweifelnd an, dann hinüber zu dem 300 Yards entfernten Felsen und auf die Felsfragmente. »Sie denken, du hast ihn geworfen«, lachte Arcot. »Natürlich, was sonst? Sie sahen, wie ich ihn aufhob und fliegen ließ. Was sollen sie anderes denken?«
Arcot schoß einen Hitzestrahl ab. Die Felsen barsten und krachten. Aus dem weißglühenden Gestein verdampfte Wasser. Unter dem Pfeifen, Krachen und Zischen der Hitze- und Molekularstrahlen, die aus Arcots Hand hervorschossen, entstand eine Barriere aus zertrümmertem Fels. Ohne Eile trugen Arcot und Morey nun ihren aus seiner Betäubung erwachten Gefangenen zum Schiff. Wade flog ihnen voraus, um die Luken zu öffnen. Sehr zu seiner Überraschung wurde eine halbe Stunde später der Gefangene wieder freigelassen. Das Schiff hob ab. Sie hatten nichts, aber auch gar nichts von ihm erfahren können. Die griechischen Götter Zeus, Hermes, Apollo und alle späteren Gottheiten waren ihm unbekannt gewesen. Vielleicht hatte er sie aber auch nach ihrer Beschreibung nicht erkannt. »Nun«, meinte Arcot zum Schluß, »das einzige, was wir wissen, ist, daß sie vor der Zeit der uns bekannten, historischen Griechen gelebt haben. Doch wie lange, das wissen wir nicht. Wollen wir nun die Ägypter besuchen?« Ein kurzer Sprung über das Mittelmeer, und sie landeten nahe des Nildeltas. Die Bewohner eines nahe gelegenen Dorfes waren sofort hinter ihnen her. Diesmal war Arcot besser vorbereitet. Er flog mit Zezdon Afthen und Stel Felso Theu hinaus. Bestimmt würde ihr fremdartiges Aussehen nicht furchterregender sein, als das Schiff oder fliegende Terraner. Doch diese unbekannten Wesen schienen die alten Ägypter von einem Angriff nicht abzuhalten. Arcot landete vor den Angreifern und trennte mit Hilfe seiner Strahlenpistole zwei oder drei der Männer von den übrigen. Schnell durchforschte Zezdon
Afthen ihr Bewußtsein. Doch sie mußten bald erkennen, daß die von Arcot aufgezählten Gottheiten ihnen unbekannt waren. Enttäuscht gaben sie auf und kehrten auf das Schiff zurück. Das einzig Bemerkenswerte war, daß ihr Sonnengott Ralz hieß, wahrscheinlich ein Vorgänger des späteren ägyptischen Ra. Sie ergänzten wieder ihre Vorräte, frisches Wild und Früchte erschienen wieder auf dem Speiseplan. Dann kehrten sie von ihrem Ausflug auf die Erde in den Weltraum zurück, um auf ihre eigene Zeit zu warten. »Ich glaube, unser Besuch wird Auswirkungen haben«, sagte Arcot und schüttelte nachdenklich den Kopf. »Das wird er bestimmt, Arcot«, erwiderte Morey leise. »Wir beeinflußten die Geschichte. Von unserem Besuch werden die Menschen der Gegenwart und ihre zahllosen Nachkommen berührt werden. Die ägyptischen Götter mit ihren nichtmenschlichen Köpfen, die Gottheiten, die ohne Flügel durch die Luft fliegen, die aus einem leuchtenden, fliegenden Haus kommen, deren Blicke und ausgestreckte Finger den Wüstensand und die feuchte Erde schmelzen lassen!« fuhr er ernst fort und nickte dem Ortolianer und dem Talsonianer zu. »Ihre ›unmöglichen‹ Götter existierten also und besuchten sie. Bestimmt sahen einige kluge Leute darin eine Chance, zu Ruhm und Reichtum zu kommen und verkauften Talismane gegen die Götter! So führten wir also einige der ältesten Gottheiten mit uns. Wieder drückten wir der Geschichte unseren Stempel auf.« »Und«, rief Wade aufgekratzt, »darf ich Sie mit
dem großen Herkules, der Männer umherwarf, bekanntmachen? Ich wußte ja schon immer, daß Morey eine hirnlose Kreatur ist. Niemals habe ich die prachtvollen, göttlichen Kräfte der Griechen tiefer empfunden – die Inkarnation der Dummheit!« Dramatisch deutete Wade auf Morey. Auch jetzt konnte er sich alberne Kommentare nicht verkneifen. »Merkur, der Götterbote, spricht. Die Beinschienen von Wades Flugapparat müssen sie für Flügel gehalten und in die Legende übernommen haben. Wade war Merkur, zu dumm um etwas anderes zu tun, als die weisen Worte anderer zu überbringen.« »Und Arcot«, fuhr Morey fort, »ist Jupiter, der den zerstörenden Donnerkeil wirbelt!« »Die Götter, über die meine Freunde eben gesprochen haben«, erklärte Arcot dem verwundert zuhörenden Ortolianer, »sind antike Gottheiten der Erde. Jetzt ist mir klar geworden, daß wir der Geschichte unseren Stempel in der einzig möglichen Art aufgedrückt haben – als Götter. Für diese Menschen gibt es keine andere Erklärung.« Die Tage auf dem Schiff gingen schnell dahin, ihre Arbeit näherte sich dem Ende. Endlich waren die letzten Gleichungen von Zeit, künstlicher Materie und der schrecklichsten Waffe, der unbegrenzten kosmischen Energie, gelöst. Sie hatten es geschafft. Nun wurden nur noch die eigentlichen Vorrichtungen entworfen. Dann wurde der von dem Ortolianer und dem Talsonianer konstruierte Apparat vorsichtig von den terrestrischen Physikern untersucht und sein Mechanismus studiert. Er war für Arcots Pläne von besonderer Bedeutung, und wurde nun in das Steuerungssystem eingebaut.
Das einzige noch ungelöste Problem war die genaue Zeitfestsetzung. Sie waren zwar bereits weit ins 19. Jahrhundert vorgestoßen, aber wie Morey trübsinnig bemerkte, konnten sie das Datum nicht festlegen, da ihre historischen Kenntnisse ziemlich schwach waren. Hätten sie zum Beispiel das geschichtliche Datum der berühmten Schlacht am Bull Run gewußt, hätten sie dieses Ereignis in ihrem Telektroskop beobachten und danach ihre Uhren stellen können. Doch so wußten sie nur, daß sie in der Zeit um 1860 waren. »Als Historiker könnten wir wirklich keine Lorbeeren ernten. Also werden wir – um die genaue Zeit festzustellen – wohl wieder einmal landen müssen«, meinte Arcot. »Warum jetzt landen? Laß uns doch warten, bis wir näher an unsere eigene Zeit herangekommen sind, dann brauchen wir nicht so sorgfältig und lange zu recherchieren«, schlug Wade vor. Über diese Frage stritten sie ungefähr zweihundert Jahre. Und danach war sie sowieso nur noch akademisch.
16. Kapitel Arcot hatte das Gefühl, als seien sie ihrer eigenen Zeit sehr nahe, als würden sie eigentlich schon auf Erden existieren. »Was würde wohl passieren, wenn wir jetzt hinuntergingen und uns selber sehen würden?« fragte er. »Ist schon ein komisches Gefühl.« »Aus irgendeinem Grunde können oder wollen wir das nicht«, entgegnete Morey, »denn wir tun es ja auch nicht.« »Der Grund dafür ist, glaube ich, daß nichts zweimal zur selben Zeit existieren kann«, philosophierte Arcot. »Solange wir in einer anderen Zeit waren, konnten wir existieren. Als wir versuchten, zur selben Zeit zweimal zu existieren, waren wir irgendwie gezwungen, in eine andere Zeit zu gleiten, in der wir entweder noch nicht existierten oder in der wir nicht mehr hier existierten. Da wir der normalen Zeit, in der wir vorher existierten, näher sind als der Zeit unserer Geburt, haben wir uns sicher in die Zeit begeben, in der wir die Erde verließen. Ich glaube, es wird uns so vorkommen, als wären wir gerade von der Erde gestartet. Sollen wir es überprüfen?« »Unbedingt, Arcot. Hoffentlich sind wir nicht über unsere Zeit hinausgeschossen.« Hätten sie, wie Morey befürchtete, die Zeit, in der sie die Erde verlassen hatten, bereits beträchtlich übersprungen, könnten die Bedingungen, die sie dort unten vorfinden würden, sehr ernst sein. Sofort flogen sie mit Zeitsteuerung die Erde an. Sie näherten sich ihr und hielten besorgt nach Anzeichen einer Invasion Ausschau. Die einzigen Hinweise darauf entdeckte Arcot in
zwei großen kugelförmigen Körpern, die als winzige Punkte mit dem Telektroskop auszumachen waren und die Erde umkreisten. Einer im Abstand von 1000 Meilen, der sich von Osten nach Westen fortbewegte, der andere flog in ungefähr 1200 Meilen Entfernung von Nord nach Süd. »Der Feind scheint sich im Weltraum festgesetzt zu haben. Ich bin neugierig, wie lange wir weg waren.« Mit einer Geschwindigkeit größer als die des Lichts, schossen sie hinunter, und bis Arcot nahe der Atmosphäre abbremste, waren sie unsichtbar. Dann aber rasten augenblicklich ein halbes Dutzend schneller Schiffe auf sie zu, da ihr Schiff keineswegs einem thessianischen ähnelte, wurden sie nicht angegriffen. Ihnen wurde die Möglichkeit gegeben, sich als Freund oder Feind zu identifizieren. »Terraner Arcot, Morey und Wade melden sich von Forschungsreise im All zurück. Sie sind begleitet von zwei Freunden, die schon vorher mit uns auf der Erde waren«, berichtete Arcot in das Fernsehmikrophon. »Verstanden, Dr. Arcot. Gehen Sie nach New York oder Vermont?« fragte der Kommandant der Patrouille. »Nach Vermont.« »Verstanden, Sir. Ich werde dafür sorgen, daß Sie nicht wieder angehalten werden.« Und dank der ihnen vorauseilenden Nachricht, wurden sie nicht mehr angehalten und landeten eine halbe Stunde später auf dem Raumfeld in Vermont, von dem aus sie gestartet waren. Die Wissenschaftler, die sie noch bei ihrem letzten Besuch empfangen hatten, waren diesmal nicht da,
was für die Heimkehrer, die drei Monate lang auf ihrem Schiff gearbeitet hatten, völlig natürlich war. Nicht so für Dr. Arcot senior. »Es wird mir unmöglich sein, allein alles, was ihr mitbringt, zu verarbeiten. Vor nächste Woche hatte ich euch nicht zurückerwartet. Selbstverständlich sind die anderen wieder in ihre Laboratorien zurückgekehrt, weil sie dort bessere Arbeitsmöglichkeiten haben. Aber ich kann sie wieder zurückrufen lassen. In einer halbe Stunde dürften sie hier sein. Sicherlich wollen sie dabei sein. Was bringst du Neues, Sohn, oder hast du noch keine weiteren Berechnungen machen können?« »Wir sind zu fantastischen Ergebnissen gekommen. Ich bin sicher, daß all die wissenshungrigen Wölfe schnellstens hier wären, wenn die wüßten, was wir alles mitbringen, Vater«, lachte Arcot junior. »Und ob du es glaubst oder nicht, wir haben drei Monate daran gearbeitet – seit wir dich gestern verließen!« »Was?« »Ja, ehrlich! Wir waren in unserem Zeitfeld. Als wir die Raumsteuerung einschalten wollten, rammte uns ein thessianisches Schiff. Wir haben den Gegner zwar säuberlich in zwei Hälften geschnitten, aber der Zusammenprall hat uns achtzigtausend Jahre in die Vergangenheit zurückgeworfen. Wir haben uns auf dem Zeithemmer durch die Zeit treiben lassen, anders ausgedrückt: Die Erde holte sich selber wieder ein. Die Zeitspanne – drei Monate in einem Tag! Aber es ist nicht nötig, die Kollegen jetzt schon kommen zu lassen. Das hat Zeit bis zum vereinbarten Termin. In der Zwischenzeit haben wir sowieso viel zu tun, das kann ich dir versichern. Wir haben hier
Listen von Gegenständen, die wir vom Lager brauchen. Ich glaube, es ist besser, wenn du das übernimmst, Vater.« Arcot wurde ernst. »Im Gegensatz zu dir haben wir bis dato unsere Forschungsmittel noch nicht erhalten. Bestell die Sachen und laß sie herbringen. In der Zwischenzeit bereiten wir alles vor. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir bald wieder Herr der Lage sind, wenn einige Schiffe so ausgerüstet werden wie das unsere. Es ist jammerschade, daß ihr hier unten nicht die Möglichkeit hattet, soviel Arbeit in so kurzer Zeit zu erledigen! Aber trotzdem, noch einmal möchte ich das nicht machen! Hat euch der Feind in meiner Abwesenheit in Ruhe gelassen? Komm, gehn wir ins Haus. Wir müssen ja nicht unbedingt hier draußen in der Sonne herumstehen.« Auf dem Weg zum Haus erzählte Arcot senior, was in der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit passiert war. »Ein Freund von dir, den du schon lange nicht mehr gesehen hast, ist hier. Er kam mit einigen Verbündeten.« Als sie das Haus betraten, hörten sie den Fußboden unter einem schweren Gewicht knarren, die Bewegung an sich war jedoch lautlos und leicht. Ein großer Schatten fiel in die Vorhalle. Im Eingang stand eine außergewöhnlich kräftig gebaute Gestalt. Fast schien dieser sechseinhalb Fuß große Körper den Türrahmen zu sprengen. Sein grobes, bronzenes Gesicht lächelte freundlich, und seine tief in den Höhlen liegenden Augen schienen zu sprühen, leuchtende Kraft ging von ihnen aus. »Torlos! Bei den neun Planeten! Torlos von Nansal!
Also, dich habe ich wirklich nicht hier erwartet. Aber trotzdem lasse ich mir meine Hände nicht von deinen Fleischwölfen zermalmen«, grinste Arcot glücklich, als Torlos ihm die riesigen Pranken entgegenstreckte. Torlos von Nansal – seinen Planeten hatte Arcot auf seiner ersten Reise durch das Weltall, weit entfernt in einem anderen Universum, entdeckt. Torlos war weder wie ein menschliches Lebewesen der Erde konstruiert, noch wie die Bewohner von Venus, Talso oder Ortol. Eher ähnelte er einem Thessianer – abgesehen von der Größe. Sein Knochengerüst war aus Eisen anstatt aus Kalk. Seine Knochen waren aus purem Stahl und wesentlich stärker als Knochen. Auf diesen starken Knochen ruhten Muskeln vollkommen anderer Art, Muskeln, die die Körperhitze als Brennstoff benutzten, Muskeln, die nie ermüdeten und von unglaublicher Kraft waren. Da sie nicht von einem chemischen, sondern von einem molekularen Motor angetrieben wurden, kannten sie auch keine chemischen Ermüdungserscheinungen und benötigten für ihre schier unbegrenzte Arbeitskapazität lediglich gleichbleibende Hitze, die der Körper aus der Luft aufsog. Seine Stärke war einfach unfaßbar und unbegrenzt. Einer der Handelsraumfrachter, der zwischen Nansal, Sator, Erde und Venus verkehrte, habe i h m d i e Nachricht von diesem Krieg überbracht, berichtete Torlos. Und er als Handels-Koordinator und der Vierte der Vier, die jetzt Nansal regierten, hatte vorgeschlagen, daß sie dem Mann, der ihnen in ihrem großen Krieg mit Sator so beigestanden hatte, zur Hilfe eilen sollten. Sie hatten es Arcot und seinen Molekularstrahlen und dem Molekularschiff zu verdanken, daß die Nansalianer ihren Jahrhunderte alten Feinden ei-
nen unwillkommenen Frieden aufzwingen konnten. Jetzt waren sie mit einer Flotte von fünfzig interstellaren, oder besser gesagt: intergalaktischen Kriegsschiffen der Erde zur Hilfe gekommen. Die Kriegsschiffe patrouillierten nun zusammen mit denen der Erde und Venus. Die nansalianischen Schiffe waren alle mit einem ungeheuer schnellen Raumverzerrersystem ausgerüstet und hatten sich bereits den Ruf, Schocker der Patrouille zu sein, erworben. Die terrestrischen und venusianischen Schiffe waren nicht so gut ausgerüstet. »Und, Arcot, was ich so von deinem Vater gehört habe, kann ich euch wirklich helfen«, schloß Torlos. »Aber jetzt interessiert mich vor allem, was der Feind getan hat. Wie ich sah, haben sie wieder einige Forts eingerichtet.« »Ja«, erwiderte Arcot senior, »das stimmt. Sie sahen wohl ein, daß unser Angriffssystem, das wir bei ihren Forts am Nord- und Südpol benutzten, sehr wirksam war. So bauten sie sie diesmal in den Weltraum. Sie schnitten Scheiben von Luna ab, bearbeiteten sie mit ihren Molekularstrahlen und benutzten einen der fantastischsten Apparate, die du jemals gesehen hast. Ich habe eben begonnen, ihn zu berechnen. Wir sandten eine Späherflotte aus, aber sie unterbrachen ihre Arbeit und griffen an. Wie auch immer der Strahl, der aus der Entfernung Materie zerstören kann, beschaffen sein mag, sie befürchten, daß wir zu schnell hinter sein Geheimnis kommen und ihn dann abblocken könnten. Es scheint sich nicht um eine Waffe zu handeln, denn er ist nicht aktionsschnell.« »Dann ist es doch etwas anderes als das, was ich annahm«, murmelte Arcot junior.
»Was hast du vermutet?« fragte sein Vater. »Ach – erzähl ich dir später. Fahr bitte mit deinem Bericht fort.« »Nun, wir sind nicht müßig gewesen. Entsprechend deinem Vorschlag haben wir einen, beziehungsweise mehrere große Schutzschirm-Apparate gebaut und sie mit Frachtern in verschiedene Teile der Welt transportiert. Wir brachten auch einige auf die Planeten, falls sie anfangen sollten, Welten auf uns zu werfen. Die Apparate senden bereits ihre Abwehrwellen gegen die ionisierte Schicht der Atmosphäre. Funkverbindung ist über jede Distanz weg schlecht, mit Venus können wir überhaupt keine Verbindung mehr aufnehmen. Wir haben jedoch die Schutzwirkung getestet, und sie funktioniert – und dank der erstaunlichen Leitfähigkeit der Schicht sogar weit besser, als wir einkalkulierten. Wenn sie beabsichtigen, uns auf diesem Wege anzugreifen, werden sie dies wohl bald tun. Wie wir herausfanden, sind sie jetzt fertig. Ein von uns geführter Angriff auf ihr Fort scheiterte wegen des Strahlenschirms der Festung. Und sie kämpfen mit einer zu allem entschlossenen Rücksichtslosigkeit. Kein Schiff lassen sie nahe an sich herankommen. Alles in Sichtweite wird zerstört. Den Apparat von dir scheinen sie besonders z u fürchten. Schade, daß wir nicht mehr von denen haben.« »Die werden wir haben – aber nur, wenn du mich jetzt an meine Arbeit gehen läßt.« Sie gingen zurück zum Schiff und stiegen ein. Arcot senior blieb zurück. Wieder einmal verließ das Raumschiff die Erde und flog in den Weltraum, wo sie sich sogleich in das Zeitfeld versetzten.
Sie arbeiteten ununterbrochen und schliefen nur wenn unbedingt nötig. Die gigantische Stärke von Torlos war oft genauso wertvoll wie seine unermüdliche Arbeitskraft. Er lernte schnell, und bald schon konnte er einen großen Teil der Arbeit ohne Anleitung übernehmen. Er war kein Mann der Wissenschaft, und daher war so ziemlich alles, was er sah, neu für ihn. Doch bereits in seiner Position als einer der besten Geheimdienstler von Nansal hatte er seine Intelligenz bewiesen. Für die anderen – alles Wissenschaftler – war diese Zeit ungeheuer anstrengend; denn jedem war bis zur äußersten Belastungsgrenze seiner Fähigkeiten Arbeit zugeteilt worden. In ihrer Zeit verging fast eine Woche, bis der Apparat so weit fertiggestellt war. Weniger als eine Minute irdischer Zeit. Schließlich konnte der fertige, jedoch noch nicht zusammengesetzte Apparat zum Laboratorium des Wochenendhauses transportiert werden. Jeder Terraner wurde informiert, daß Arcot den Apparat, von dem sich die Welten ihre Rettung erhofften, vorführen wollte. Wissenschaftler aus allen Winkeln der Erde und Venus interessierten sich brennend dafür. Leider konnten die Venusianer aus zeitlichen Gründen der Demonstration nicht beiwohnen.
17. Kapitel Es war Nacht. Die durch die Fenster des Labors sichtbaren Sterne flimmerten unbeständig in der von der Heaviside-Schicht gestörten Luft. Der MolekularStrahlenabwehrschirm beschützte die Erde. Abgesehen von der Stirnseite des Raums lag das Laboratorium jetzt in mattem Licht. Eine Anzahl kompakter Kisten war dort aufeinandergestapelt und in verschiedener und unbestimmbarer Art und Weise miteinander verbunden. Ein Tisch war hell angestrahlt. Hinter ihm stand Arcot. Er sprach zu einer Gruppe mit mattweißen Gesichtern, die führenden Wissenschaftler der Erde. »Ich habe Ihnen unsere Energie erklärt. Es ist die Energie des gesamten Universums – kosmische Energie –, die notwendigerweise gewaltiger ist, als alle anderen zusammen. Ich kann Ihnen in der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht die Steuerung erklären. Doch die entsprechenden Berechnungen, die in zweimonatiger, intensivster Arbeit angestellt wurden, werden in Kürze publiziert. Das zweite Phänomen, das einige von Ihnen bereits vorher gesehen haben, ist teilweise schon geklärt. Hierbei handelt es sich um künstlich erzeugte Materie. Folgende zwei Punkte müssen Sie sich merken: Künstliche Materie ist, sie existiert und das nur an dem Ort, der vorher festgelegt wurde und nirgendwo anders. Dies alles wird mit der neuen Mental-Relaissteuerung koordiniert. Einige von Ihnen werden dies be-
zweifeln, doch betrachten Sie es einmal von einem anderen Gesichtspunkt aus. Wille, Gedanken, Konzentration – sie sind Bemühungen, die Energie erfordern. Daher können sie auch Energie abgeben. Das ist der Schlüssel des ganzen Geheimnisses. Und jetzt kommen wir zu der Demonstration.« Arcot blickte Morey an, der an der Seite stand. Es gab einen dumpfen, schweren Schlag, als Morey einen kleinen Knopf drückte. Das Relais hatte sich geschlossen. Arcots Gehirn war nun mit der Steuerung verbunden. Ein Wolkenglobus erschien. Er vergrößerte und verdichtete sich zu einer buntschimmernden Kugel. »Da ist eine Kugel von einem Fuß Durchmesser in einer Entfernung von zehn Fuß von mir«, murmelte Arcot monoton. »Sie bewegt sich nach links.« Die Kugel bewegte sich nach Arcots gedanklicher Anweisung nach links. »Sie steigt.« Die Kugel stieg. »Sie verändert sich zu einer Scheibe von zwei Fuß Durchmesser.« Die Kugel schien zu fließen und formte sich zu einer zwei Fuß großen Scheibe. Arcots tonlose, konzentrierte Stimme fuhr fort: »Sie verformt sich nun zu einer Hand, ähnlich einer menschlichen Hand.« Die Scheibe verwandelte sich in eine menschliche Hand, die Finger leicht gekrümmt, wie die sanften, weichen Finger einer Frau mit rosigem Fleisch und kleinen Falten an den Knöcheln. Das Handgelenk schien sich in Nichts aufzulösen. Wie im Traum war das Ende der Hand nicht greifbar, doch die Hand selber war wirklich. »Die Hand ergreift die Stange aus Luxmetall auf dem Boden.« Die sanfte, kleine Hand bewegte sich, sank nach unten und ergriff die eine halbe Tonne
schwere Luxmetallstange, schloß die zierlichen Finger um sie, hob sie leicht und mühelos auf den Tisch und legte sie nieder. Aus einem Nebel formte sich unversehens eine zweite Hand. Die andere Hand näherte sich der ersten und fing an, die Stange zu bearbeiten, sie zu ziehen. Die Stange verlängerte sich unter dem starken Zug. Eine Hand ließ jählings los. Mit einem dumpfen Schlag, der wie ein Echo durch den lautlosen Raum schwang, schrumpfte die hochelastische Luxmetallstange wieder zu ihrer ursprünglichen Form zusammen. Diese Männer des 22. Jahrhunderts kannten die enorme Festigkeit der Metalle Relux und Lux. Und doch war das Metall wie Wachs in diesen Händen. In Frauenhänden! Die Stange wurde wieder auf den Tisch gelegt. Die Hände verschwanden. Es gab einen dumpfen Knall, und das Relais öffnete sich. »Eine umfassende Demonstration kann ich nicht vorführen. Das ist einfach unmöglich; denn die Energie ist zu gewaltig. Nichts, das kleiner als die Sonne ist, kann als Demonstrationsraum dienen. Es übersteigt einfach jedes Vorstellungsvermögen. Ich habe künstliche Materie und die Möglichkeiten der Mentalsteuerung demonstriert. Ich werde Ihnen nun einige andere Dinge, die wir kennengelernt haben, zeigen. Wie Sie sich erinnern werden, kann ich durch Festlegung der Struktur, die sie haben soll, genau die Einzelteile der künstlichen Materie steuern. Passen Sie auf.« Morey schloß das Relais. Arcot begann wieder zu arbeiten. Ein schwerer, aus dem Nichts kommender
Eisenbarren wurde von einer Zwinge, die sich von selber um ihn schloß, hochgehoben. Das Eisen bewegte sich und kam über dem Tisch zum Stillstand. Als es näherkam, formte sich aus Nebel ein Tiegel. Der Tiegel hatte das Grau von reinem Eisen, aber es war künstliche Materie. Das Eisen senkte sich in den Tiegel hinunter, und ein befremdender Verformungsvorgang begann. Der Tiegel wurde ein Ball. Farben flossen über seine Oberfläche, bis er schließlich silbern glühte. Der Ball öffnet sich und in ihm lag ein großer, silbriger Klumpen. Er ließ sich hinunter auf den Boden. Der Ball verschwand, aber nicht das silbrige Metall. »Platin«, sagte Morey ruhig. Die Zuschauer schnappten nach Luft. »Nur Platin konnte dort existieren, und so mußte sich die Materie in Platin verwandeln.« Wieder und wieder konnte er sie in jede beliebige Form bringen, die entweder Existenzenergie oder Formationsenergie absorbierte oder lieferte. Wieder erschien Nebel in der Luft und wurde zu einer braunen Kugel. Sie veränderte sich und verschwand. Morey verstand das Signal. »Jetzt wird er die künstliche Materie in alle Elemente, auch unstabile Elemente umwandeln, in atomar zerfallende Körper.« Eine lange Serie von Umwandlungen erfolgte. Wieder und wieder wechselte das Material, bis auch das letzte der natürlichen Elemente gezeigt worden war – alle 104 bekannten Elemente und noch viele andere. »Nun etwas anderes. Das hier ist das Element mit dem atomaren Gewicht 7000.« Ein Klumpen sanfter, weicher, schleimiger Schwär-
ze erschien. Daß er weich sein mußte, konnte man an der Art und Weise, wie Arcots Gedanken ihn behandelten, sehen. Er schien kalt, schrecklich kalt zu sein. Morey erklärte: »Da sein Atom so groß ist, ist er im Molekularzustand weich. Er ist ungeheuer fotoelektrisch, verliert leicht Elektronen, und da sein Atom ein derartig großes Volumen hat, liegen seine Elektronen weit vom Atomkern entfernt in den äußeren Ringen und absorbieren Strahlen von sehr großer Länge, ja sogar Funkund einige kürzere Radiowellen. Darauf beruht seine Schwärze und Weichheit, wie Arcot sie wahrheitsgemäß darstellte. Da er auch Hitzestrahlen absorbieren und sie in elektrische Ladungen umwandeln kann, wird der Klumpen kalt, wie Arcots Reaktionen zeigen. Bedenken Sie, daß er von unermeßlicher Härte ist, da es sich hier um künstliche Materie handelt. Aber Arcot hat mental natürliche Materie in diesen äußerst explosiven, atomaren Körper hineingezwungen. Der Atomkern ist so stark aufgeladen, daß sein Röntgenstrahlen-Spektrum nahe bei Gammastrahlung liegt! Die inneren Elektronen können kaum vibrieren.« Wieder veränderte sich die Substanz – und war verschwunden. »Ein Atom mit dem Gewicht von 20 000 wird unsichtbar und nicht-existent, weil ein eigener Raum es umschließt. Das ist vielleicht der Ursprung unseres Weltalls. Atome dieses Gewichts würden, wenn sie zerfallen, zwei oder mehr Atome bilden, die in unserem Raum existieren würden. Diese würden jedoch instabil sein und in normale Atome zerfallen. Wir wissen es jedoch nicht.«
Morey öffnete das Relais wieder. Arcot setzte sich hin und legte den Kopf in die Hände. Er war diese Anspannung nicht gewöhnt, und obwohl sein Gehirn eines der besten auf der Erde war, bedeutete dies eine starke Belastung für ihn. »Jetzt haben wir eine Substanz, die kommerziellen und praktischen Wert besitzt. Kosmium. Arcot wird Ihnen nun eine Herstellungsmethode zeigen.« Arcot nahm seine Arbeit wieder auf, diesmal sitzend. Ein Gebilde entstand und ergriff den PlatinKlumpen, der noch auf dem Boden lag. Andere Eisenstangen aus dem bereitliegenden Materialstapel wurden auf eine Platte geschichtet, die sich in der Luft gebildet hatte. Tonne um Tonne wurde aufeinandergestapelt. Dann faltete sich die Platte selber zu einer Kugel und zog sich langsam und beständig zusammen. Sie tobte vor Energie, Energie flutete von ihr ab. Die sie umgebende Luft leuchtete ionisiert. Ein unbehagliches Gefühl schrecklicher Gewalt erfüllte die Zuschauer, und ihre Blicke hingen gebannt an der glühenden, schillernden Sphäre. Tonnen von Materie wurden nun zu einem winzigen Ball zusammengepreßt! Unvermittelt verlöschte die Energie zischend in einem schrecklichen Ausbruch, ionisierte die Luft im ganzen Raum. Winzige Funken sprühten. Dann war es vorüber. Der Ball teilte sich und es entstanden zwei Platten. Zwischen ihnen hing ein kleiner, fester, glitzernder Ball. Die Platten bewegten sich langsam aufeinander zu, drückten den Ball platt und schmiegten sich aneinander. Eine Klammer aus künstlicher Materie nahm sie auf und hielt den papierdünnen Bogen, der viele Quadratfuß groß war, in die Luft. Es schien, als müßte er sich unter seinem ei-
genen Tonnengewicht krümmen, aber so hauchdünn er auch war – nichts geschah. »Kosmium«, sagte Morey leise. Arcot zerknüllte ihn und preßte ihn noch einmal zwischen Werkzeuge aus künstlicher Materie. Jetzt wurde daraus eine pappdeckeldicke Platte von zwei Fuß Ausdehnung nach jeder Weite. Er setzte sie in einen Halter, eine Art Rahmen aus künstlicher Materie und schaltete die Steuerung aus. Er nahm seine Stirnbänder ab und erklärte: »Wie Morey schon ausführte: Dies ist Kosmium: Dichte 5007.89. Zugfestigkeit ungefähr zweihunderttausend mal so groß wie guter Stahl!« Das Auditorium war fassungslos. Ein Zoll dieses Materials wäre härter zu durchbohren gewesen als drei Meilen Stahl! »Unser neues Schiff«, fuhr Arcot fort, »wird eine sechs Zoll dicke Schutzschicht davon haben.« Sechs Zoll waren vergleichbar mit achtzehn Meilen solidem Stahl, noch dazu mit der wesentlichen Verbesserung, daß das Material konzentriert ist und damit eine bedeutend größere Widerstandskraft hatte, als es noch so viel Stahl jemals haben könnte. Seine Zugfestigkeit war mit einer Stahlwand von achtzehn Meilen Dicke gleichzusetzen. »Aber die bedeutendste Eigenschaft von Kosmium ist, daß es alles uns Bekannte reflektiert. Kosmische Strahlung, Licht und sogar Molekularstrahlen! Es setzt sich aus kosmischen Strahlenphotonen zusammen – so wie Lux aus Lichtphotonen –, doch seine nie dagewesene Widerstandskraft liegt in seiner Dichte. Nur mit Werkzeugen aus künstlicher Materie kann das Material bearbeitet werden. Und nun werde ich Ihnen zur Unterhaltung noch
eine Demonstration seiner Möglichkeiten geben. Ich hoffe, es macht Ihnen Spaß.« Doch von wirklichem Amüsement konnte kaum die Rede sein. Arcot legte wieder die Stirnbänder an. »Ich nehme an«, begann er, »daß die Manifestation des Übernatürlichen von größerem Interesse sein wird. Vergessen Sie nicht, daß alles, was Sie sehen, wirklich ist. Alle Effekte werden von künstlicher Materie produziert, die von kosmischer Energie erzeugt wurde, jedoch von meinem Bewußtsein gesteuert.« Aus ganz bestimmten Gründen hatte Arcot diese Demonstration ausgewählt. Ein wenig wissenschaftliche Spielerei war auch dabei, doch er wußte, daß nichts so beeindruckend und so stark i n der Erinnerung haften blieb, wie die zur Show aufgezogene Demonstration der Wissenschaft. Selbst der größte Wissenschaftler liebte es, mit seiner Wissenschaft zu spielen. Doch Arcots Experiment war auf einer ganz neuen Ebene! Hinter dem Tisch, offensichtlich am Tischbein hochkrabbelnd, kam eine Hand hervor. Sie war ausgetrocknet und rot von Blut, da sie vom Handgelenk abgetrennt worden war, und hinterließ, während sie sich mit grauenhaft krümmenden Fingern und Daumen fortbewegte, eine rote Spur. Papiere, über die sie hinwegkroch, raschelten. Plötzlich eilte sie über den Tisch, am Tischbein hinunter und auf den Lichtschalter zu. Nach einigen hochschnellenden Sprüngen erreichte sie ihn und schlagartig war der Raum in ein Halbdunkel getaucht. Nur das Licht aus der Halle drang gefiltert durch das Oberlicht der Tür. Die Hand glühte! Sie glühte und eilte mit grausigen Geräuschen in einige nicht sichtbare Löcher in der Wand und
schlüpfte in sie hinein und wieder heraus. Die Ruhe im Saal war spannungsgeladen. Der Wand entwich ein Nebel, der sich allmählich verfestigte. Undeutlich wurde eine gebeugte, bucklige Gestalt sichtbar. Jedermann kannte sie; denn sie trug in der knochigen, glühenden Hand die große Sense des Todes. Ihr klapperndes Schlurfen hallte geisterhaft von den Wänden wider. Sie ging gebeugt mit schleppenden Schritten, die große Metallsense am Boden hinter sich herziehend, die halb von dem grauen, leuchtenden Mantel verdeckt wurde. Die Brise einer vergänglichen Welt blähte den Umhang auf und entblößte Knochen, trockene, graue Knochen. Nur die Sense schien Verbindung zum Leben zu haben – sie war vom Saft des Lebens gerötet. Der Tod hielt an und hob seinen gräßlichen Kopf. Die Kapuze fiel von seinen Augenhöhlen zurück, die mit ihrer grünlichen Ausstrahlung jedem dieser verkrampften Gesichter im Raum dieselbe tödliche Farbe verliehen. »Die Sense, die Sense des Todes«, krächzte eine rostige Stimme. »Die Sense ist langsam, zu langsam. Neues bringe ich«, die rauhe Stimme kicherte, »neue Werkzeuge. Schaut!« Die klappernden Knochen ließen die Sense fallen, der Griff brach, als er fiel und verrottete vor ihren Augen. »Hi, hi«, kicherte die Gestalt, als sie dies sah. »Hi, hi – was der Tod berührt, verfault, wenn er es fallen läßt.« Das Grinsen des schwärzlichen Schädels wurde breiter und entblößte eine schreckliche Höhle mit halbverrotteten Zähnen. Doch unter seiner wallenden Robe zog die Skeletthand etwas hervor – eine Strahlenpistole.
Ein würgendes, stöhnendes Keuchen ging durch den Saal, fast wie ein Schluchzen. Weit, weit entfernt vernahmen sie ein klirrendes, schlurfendes Geräusch. Fasziniert drehten sie sich nach der entferntesten Ecke um – und blickten in eine lange, lange Straße, die sich in der Ferne verlor. Eine einsame, leuchtende Gestalt trottete langsam darauf hin, und doch näherte sie sich schnell. Größer und immer größer wurde sie, klarer und immer klarer wurde die Gestalt und ihre Last. Sie trug zerfetzten, verdrehten Stahl oder anderes Metall, verbogen und geschwärzt. »Es ist vorbei – es ist vorbei – und meine Werkzeuge sind hier. Ich gewinne, ich gewinne immer. Ich bin die Ausgeburt von Mars, des Krieges und des Hasses – der Schwester des Krieges – und meine Werkzeuge sind das, was sie hinterlassen.« Sie gestikulierte und schwenkte die zertrümmerten Gegenstände. Und jetzt konnten sie es genau durch den Nebel sehen – Häuser. Ruinen von Häusern, deformierte Schiffe und zerbrochene Waffen. Drohend kam der Tod näher. Die unter niedrigen Augenbrauen tief in ihren Höhlen liegenden, glühenden Augen wurden klarer, der fürchterliche, brutale Haß, die Lust des Todes, das verfaulende, krankhafte Fleisch waren nun erkennbar – das Sinnbild des Horrors. »Hah!« Sie hatte sie gesehen! »Hah!« Er ließ die Häuser, die zerbrochenen Gegenstände fallen und begann auf sie zuzurennen. Ihr Gesicht veränderte sich. Die Lippen entblößten zerbrochene Zahnstummel. Die gekräuselten, brutalen Lippen und das verfaulende Fleisch des Gesichts verzogen sich zu einem
Grinsen voll Lust und Haß. Das zottelige Haar schien hin und her zu wehen, die langen, dünnen Finger öffneten und schlossen sich krampfartig beim Näherkommen. Die halb herausgerissenen, abgebrochenen Fingernägel wurden sichtbar, kamen näher – näher ... »O Gott – aufhören!« Eine Stimme gellte aus dem Dunkel, als urplötzlich etwas um ihre Füße sprang. »Was soll der Quatsch? Aufhören!« Gleichzeitig mit dem Schrei verpuffte die Gestalt im Nichts. In der Mitte des Raums entstand ein großer Ball aus klarem, weißglühendem Licht und überflutete den Raum mit blendender Helligkeit. Die Nerven beruhigten sich wieder.
18. Kapitel »Es tut mir leid, Arcot. Das ahnte ich nicht, sonst hätte ich dir abgeraten. Doch für mich, bei meiner Vorliebe für Horror, war dein Schauspiel ein echtes Vergnügen«, sagte Torlos. Sie saßen in Arcots Studio im Wochenendhaus: Arcot, sein Vater, Morey, Wade, Torlos, die drei Ortolianer und der Talsonianer. »Ich weiß, Torlos. Wie ich schon sagte, mein Fehler war, daß ich vergaß, während ich den Horror immer stärker werden ließ, daß er sich wie nach dem Schneeballsystem vergrößern würde. Die Idee des Horrors war da, von meinem Gehirn erdacht. Und mein Bewußtsein wurde zu größerem Horror inspiriert, was sich natürlich wiederum auf die Apparate übertrug. Wie du schon sagtest, die Dinge veränderten sich, während du sie beobachtetest, verformten sich selbständig, weil meine Gedanken sie veränderten. Mein Bewußtsein arbeitete praktisch selbsttätig und unter den konzentrierten Gedanken von all den anderen. Es war ausgesprochen dumm und unvorsichtig, so etwas zu tun, besonders die letzte Erscheinung. Vergiß nicht – es war, es existierte. Es war die personifizierte Idee von Haß und Lust meines Bewußtseins und mein Bewußtsein konnte ihm befehlen, was es tun sollte und es wäre allen emotionellen Ausbrüchen gefolgt. Nichts konnte es aufhalten!« Arcots Gesicht wurde von neuem blaß, als er an die Gefahr, an die schrecklichen Konsequenzen dachte, die aus diesem ›Amüsement‹ hätten entstehen können. »Wir gehen jetzt besser wieder an Bord. Ich schlafe ein wenig und dann geht's los.«
Arcot ging voran aufs Schiff. Torlos, Morey, Wade und Stel Felso Theu begleiteten ihn. Die Ortolianer wollten auf der Erde bleiben, um mit Hilfe ihrer Bewußtseinserforschung jeden Angriff des Feindes rechtzeitig zu erkennen. »Nun – auf Wiedersehen, Vater. Ich kann dir nicht sagen, wann ich zurück sein werde. Vielleicht in fünfundzwanzigtausend Jahren oder vor fünfundzwanzigtausend Jahren. Aber irgendwie werde ich schon zurückkommen. Und die Thessianer werde ich vernichten!« Er betrat das Schiff und sie stiegen in den Weltraum hinauf. »Wohin fliegen wir, Arcot?« fragte Morey. »Eros«, antwortete Arcot lakonisch. »Daraus wird nichts, es sei denn, meine Gedanken spielen mir einen Streich«, rief Wade auf einmal. Alle lauschten angespannt, als horchten sie auf unhörbare Geräusche. »Du hast Recht«, bestätigte Arcot. Das Schiff wendete und schoß im Zeitfeld auf New York hinunter, das bereits hunderttausend Meilen hinter ihnen gelegen hatte. Zezdon Fentes Ruf war über den leeren Raum hinweg zu ihnen gedrungen – New York wurde von den Thessianern angegriffen. New York und als nächstes Chicago. New York deswegen, weil sich die zwei Forts in wenigen Minuten in ihrer Umlaufbahn über dieser Stadt treffen würden! Sie tauchten in die Atmosphäre hinein, zischten durch sie hindurch. Ihr Relux glühte in der Heaviside-Schicht auf. Doch bevor noch ein Schaden entstehen konnte, waren sie hindurch. Der Schutzschirm war ausgefahren.
Kaum eine Minute, nachdem sie durch waren, flammte der ganze Himmel auf. Über ihnen erbebte die Luft unter dem Krachen gewaltiger Donnerschläge, große Lichtpfeile spalteten die oberen Luftschichten meilenweit, als unermeßliche Energien prasselnd aufeinander prallten. »Aha – sie schießen alles Verfügbare auf diesen Schirm ab, und er ist heiß. Zehn unserer größten Röhrenstationen laden ihn auf und noch weitere zwanzig werden angeschlossen. Doch die haben zwei Forts und wer weiß wie viele Schiffe. Ich finde, wir sollten ihnen ein wenig Angst einjagen.« Arcot wendete das Schiff und fuhr wieder hinauf. Ihre Geschwindigkeit schien gering zu sein, doch da sie im Zeitfeld waren, war sie in Wirklichkeit sehr hoch. Sie passierten den Abwehrschirm. Ein gewaltiger Strahl traf das Schiff. Alles in ihm war abgeschirmt, doch die statische Elektrizität war immer noch so groß, daß das Zeitfeld und das elektrische Feld miteinander kämpften. Doch das Zeitfeld konnte aufgrund seiner Beschaffenheit schneller arbeiten und sie brachen unbeschädigt durch, obwohl der enorme Strom noch einige Minuten lang zu fluten schien, als sie langsam vorbeischwebten – langsam, mit fünfzig Meilen pro Sekunde. Draußen im Weltraum, außerhalb der Atmosphäre, schoß Arcot auf die Stelle zu, wo sich die Thessianer versammelten. Die schimmernden Punkte ihrer Schiffe und die Scheiben ihrer Forts waren, trotz der Luftverzerrung durch die Abschirmung, von der Erde aus sichtbar. Ihre tödlichen Strahlen auf die Erde gerichtet, äh-
nelte die feindliche Flotte einer Miniaturmilchstraße. Da entdeckten die Thessianer, daß die terrestrische Flotte in Aktion war. Eines ihrer Schiffe erglühte unter einem Molekularstrahl, der das Relux seiner Hülle bunt schillern ließ. Doch während sein Relux langsam schwächer wurde, suchte es seinen Gegner und fand ihn rechtzeitig. Damit war das angreifende terrestrische Schiff gezwungen, seinen Schutzschirm auszufahren. Die terrestrische Flotte warf sich nun vereint in den Kampf. Alles Verfügbare flog den thessianischen Giganten entgegen. Doch die Thessianer hatten stärkere Schiffe und bessere Röhren. Mit ihrer überlegenen Energie mußten sie gewinnen. Unausweichlich – wenn die Sonne nicht ihre Strahlenschirme schwächen würde. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt kam Arcot an. Das nächstgelegene Fort tauchte mit einer solchen Geschwindigkeit zu dem anderen hinunter, daß es nicht weniger als zehn der eigenen Schiffe zertrümmerte, bevor diese ihm ausweichen konnten. Mittlerweile hatte sich jedoch das andere Fort weiterbewegt, und das Berserkerfort mußte seinen Kurs ändern – weitere sechs Wracks zeichneten seinen Weg. Da wurde Arcot von den Spähern Thetts entdeckt. Der Abwehrschirm war ausgefahren. Der negrianische Attraktionsstrahlapparat arbeitete durch ihn hindurch. Der Schirm flammte hier und da auf und brach dann unter dem konzentrierten Strahlenfeuer der halben thessianischen Flotte zusammen, wie Arcot dies vermutet hatte. Aber dieselben Kräfte, die ihn zusammenbrechen ließen, betätigten ein Relais, das die Raumsteuerung einschaltete. Thetts Molekular-
strahlenergie stob wirkungslos hinaus in den Raum. »Wir jagen ihnen Angst ein und dann verkriechen wir uns in unser Loch, wie üblich. Aber, verdammt noch mal, ihnen echten Schaden zufügen können wir nicht!« sagte Arcot ungehalten. »Alles, was wir tun könnten, ist sie zu ärgern. Danach verschwinden wir, wo es absolut sicher ist, im künstlichen ...« Erstaunt hielt Arcot inne. Das Schiff wurde so von der Raumsteuerung gehalten, daß der Raum es umschlossen hielt und sie bewegungslos waren. Die Anzeiger der Skalen hatten sich eingependelt, der Stromstärkeanzeiger war auf Null gefallen. Nur das Schwerkraftsfeld der Sonne und das des Planeten zerrten am Schiff. Schlagartig schnellte plötzlich die Stromstärke hoch. Die Skalennadeln, die die Ladungen in den verschiedenen Spulen angaben, waren dagegen auf Null gesunken. »Mensch – sie haben uns ausfindig gemacht und graben unser Loch auf. Wirf alle Generatoren an, Morey!« Arcot arbeitete wie wild. Irgendwie, so unmöglich es auch zu sein schien, hatten die Thessianer sie ausgemacht und eine Möglichkeit gefunden, sie anzugreifen – trotz ihrer scheinbar unzugänglichen Position in einem anderen Raum! Die Generatoren liefen auf Hochtouren und pumpten gewaltige Energien in die Spulen. Die Nadeln der Skalen kletterten zögernd hoch, stoppten und kletterten dann langsam weiter. Bei dieser, unter normalen Umständen gefährlich raschen Aufladung hätten sie hochschnellen müssen. Sie kletterten aber nur etwa 30 Sekunden lang, dann fielen sie wieder rapide zurück! Arcots Hand flog zum Zeitfeldschalter und drehte
ihn voll auf. Die Nadel auf der Skala ruckte, schwang unschlüssig hin und her und begann, zusammen mit den anderen Instrumentenanzeigen zu fallen, stoppte und kletterte wieder. Durch den auf der Skala angezeigten Ruck waren sie in ein Zeitfeld übergewechselt. Die Instrumente der Raumsteuerungs-Spulen zeigten jetzt normale Werte an. »Bei den Neun Planeten! Die haben regelrecht unsere Energie ausgetrunken! Die Energie von sechs Tonnen Blei! Als sei das überhaupt nichts!« »Wie haben die das nur fertiggebracht?« fragte Wade. Torlos schwieg und half Morey, die Spulen der Spannungsdrähte auszutauschen. »Auf dieselbe Art und Weise, wie wir sie gekitzelt haben«, erwiderte Arcot und beobachtete sorgfältig die Instrumente. »Mit dem Gravitationsstrahl! Es ist ja bekannt, daß Schwerkraftfelder Energie absaugen. Sie haben einfach mehr herausgesogen als wir hineinpumpen konnten, und dies mit vier auf uns gerichteten Strahlen. Was für ein kleines Schiff ausgezeichnet ist! In einem Bereich ist sogar das Relux im Schiff verbrannt. Das ist natürlich hinüber. Die Moleks zerstörten alles. Sieht nicht gerade einladend aus«, rief Arcot. Es war Moreys Raum gewesen, doch das hatte er bereits selber herausgefunden. »Versucht in der Zwischenzeit herauszufinden, wo wir sind. Ich bin nur dadurch von ihren Strahlen losgekommen, weil ich auf Höchstgeschwindigkeit im Zeitfeld und auf volle Raumsteuerung schaltete, und das mit voll aufgedrehten Generatoren. Mann, diesmal hätte es uns beinahe erwischt! Aber wartet nur ab, bis das neue Schiff fertig ist!«
Mit dem Telektroskop konnten sie sehen, was vor sich ging. D a s schreckliche Bombardement der Strahlen dauerte an. Die Flotten der Erde, der Venus und von Nasal waren jetzt weit im Weltraum verstreut in Kämpfe verwickelt. Viele der terrestrischen Schiffe, oder besser gesagt, der Solarschiffe, waren inzwischen mit einem Raumverzerrungsapparat ausgerüstet und daher gegen die Attraktionsstrahlen der Thessianer besser gesichert, da diese sie jetzt nicht mehr so konzentriert treffen konnten. Sicherheit bot auch ihre größere Anzahl. Arcot war nur deshalb so in Gefahr geraten, weil er praktisch ihrem Angriff allein ausgesetzt gewesen war. Doch offensichtlich war die Solar-Flotte die Seite der Verlierer. Gegen die starken Schiffe der Thessianer konnten sie auf die Dauer einfach nicht ankommen. Immer häufigere flammende Lichtausbrüche offenbarten, daß terrestrische Schiffe von den neuen tödlichen Strahlen vernichtet worden waren. »Ich glaube, die Erde ist verloren, wenn Sie ihr nicht bald zur Hilfe kommen. Neue thessianische Schiffe sind im Anflug«, sagte Stel Felso Theu leise. Sie kamen von außerhalb des Planetensystems, wo sie gelauert hatten. Sie kamen aus einer anderen Welt, hatten die Weite des Weltraums überquert, eine Flotte mit Dutzenden von Schiffen. Eins nach dem anderen wurde sichtbar, als sie in die Normalzeit sprangen. »Warum kämpfen sie nicht in vorgerückter Zeit?« fragte Morey halblaut. »Da das Genie, das diesen Apparat entwarf, nicht an diese Möglichkeit gedacht hat. Morey, diese Schiffe haben ihren Zeitapparat mit ihrem Energieapparat verbunden, so daß die Energie fortwährend die Zeit
füttern muß. Sie haben keine Spulen wie wir. Wenn sie ihre Zeit vorverlegen, sind sie in jeder anderen Hinsicht geschwächt. Wir brauchen das neue Schiff. Wir müssen es so schnell wie möglich bauen!« sagte Arcot. »Günstigstenfalls dauert das doch Wochen. Wir haben keine Möglichkeit«, meinte Morey. »Doch viele. Paß auf!« während er noch sprach, zog er die Zeitsteuerung durch, und das Schiff trudelte. Sie schossen nun auf einen winzigen Lichtpunkt in weiter Ferne zu. Er stürzte auf sie zu, wuchs mit der Schnelligkeit einer explodierenden Bombe, und plötzlich war das große, grobe Bruchstück eines Planeten, meilenweit in seiner Ausdehnung, vor ihnen. »Eros«, erklärte Wade Torlos. »Teil eines uralten Planeten, der noch vor der Zeit des Menschen, ja jeglichen Lebens auf der Erde zerstört wurde. Der Planet näherte sich zu sehr der Sonne, und die gute Sol zerfetzte ihn durch ihre Gezeitenkräfte. Das hier ist ein Stück davon. Die anderen Asteroiden sind der Rest. Alle planetarischen Oberflächen bestehen aus Blökken, sie sind nicht homogen, sondern wie Blöcke in einem Fertighaus, sie werden zusammengehalten, aber reiben sich aneinander, wodurch Erdbeben entstehen. Dies hier ist einer der planetarischen Blöcke. Manchmal können wir Eros von der Erde aus sehen; denn wenn er uns seine Breitseite zeigt, reflektiert er sehr viel Licht, was seine Kanten nicht tun.« Es war ein trostloses Stück Gestein. Nackter, luftund wasserloser Felsen von gigantischem Ausmaß. Er war gewunden und verdreht, doch in seiner Oberfläche zeigten sich keine Risse, da er aus einer einzelnen Kontinentalscholle des ursprünglichen Planeten bestand.
Arcot landete das Schiff auf der kahlen Oberfläche und verankerte es mit einem schwachen Attraktionsstrahl. Fühlbare Schwerkraft gab es auf diesem Felsen nicht. »Kommt, macht euch an die Arbeit! Raumanzüge an und sämtliche Apparate raus«, befahl Arcot. Er erhob sich. Die Energie des Schiffs war nun auf neutral geschaltet. Nur die Attraktion lief weiter. In kürzester Zeit hatten sie ihre Anzüge an. Unter Arcots Anleitung bauten sie die Apparate so schnell es ging auf dem felsigen Boden auf. Alles in allem brauchten sie nur fünfzehn Minuten dafür, doch Arcot trieb sie weiterhin zur Eile an. Torlos gigantische Stärke half sogar in dieser schwerelosen Welt. Er kam mit seinen Lasten schneller vorwärts. Endlich war alles bereit. Der Apparat für künstliche Materie wurde von kosmischer Energie betrieben und mental oder mit Hilfe mathematischer Formeln gesteuert. Arcot begann mit seiner Arbeit. Ein gigantischer, hoher Zylinder bohrte ein großes Loch durch die dünne, gewellte Oberfläche des uralten Planetblocks. Zwölf Meter tief durch harten Fels – nur kosmische Energie konnte einen Zylinder dieses Ausmaßes aus künstlicher Materie formen. Der Zylinder, mit einem Durchmesser von einer halben Meile, enthielt einen riesigen Stöpsel aus Materie. Nun zog sich die künstliche Materie schnell zusammen und preßte so die Materie heraus. Gleichzeitig wurde sie ungeheuren Feldern, die ihre Energieformen veränderten, ausgesetzt. In Sekundenschnelle hatte sie sich in eine gewaltige Kosmiummasse verwandelt. Ein zweiter, kleinerer Zylinder bohrte einen Stöpsel
aus dem Fels und bearbeitete ihn. Eine riesige Masse Relux war das Resultat. Nun setzten, nach Arcots Anweisungen, andere Werkzeuge aus künstlicher Materie die Arbeit fort. Sie schnitten Stücke aus den riesigen Mengen Rohmaterial und konstruierten – buchstäblich gedankenschnell – daraus ein großes Gerüst, das im soliden Felsen des Planetoiden verankert war. Dann formte sich eine gigantische Platte aus Materie und halbierte den Planetoiden säuberlich. Aus einem Block entstanden nun zwei große, flache Felsen, Meilen im Durchmesser und Meilen dick. Planetarische Chips. Auf dem großen Gerüst erschienen vier hohe Schächte aus Kosmium. Jeder glich einem Rohr, in dessen Mitte ein dickes Reluxkabel verlief. Am Ende jedes der meilenhohen Schächte befand sich eine große Kugel. Im Gerüst selber materialisierten sich Dinge, die Arcots fliegende Gedanken arrangierten – große Rohre aus Kosmium mit Reluxelementen, riesige Spulen mit Reluxleitern, abgesichert mit mikroskopisch dünnen, jedoch undurchdringlichen Kosmiumschichten. Trotz der Genauigkeit seiner Gedanken, mußte Arcot zwei Fehler in seiner Arbeit korrigieren. Es dauerte fast eine Stunde, bis das Ding fertig war. Dann war der große Mechanismus – zweihundert Fuß lang, hundert Fuß breit und fünfzig hoch – fertiggestellt, eine große Säule, die aus dem es tragenden Gerüst herausragte. Dann leitete Arcot die Energien des Kosmos ins Innere. Wie durch eine dichte Atmosphäre gesehen, tanzten und blinkten die Sterne im luftleeren Raum.
Summend flossen Kräfte durch die titanischen Spulen, als die sie aufgeladen wurden. Dreißig Sekunden – dann war der Himmel so wie zuvor. Schließlich sprach Arcot. Über Funkwellen und Gedankenkanäle teilte er ihnen seine Ideen mit, nachdem er die Stirnbänder abgenommen hatte. »Jetzt haben wir es geschafft und können uns ausruhen.« Es gab einen ungeheuren Stoß im Innern des Apparats, der Himmel verzerrte und verschob sich und stand dann still. Nur die Sterne hatten sich verändert. Die Sonne schien geisterhaft, die Sterne blinkten fremdartig. »Das ist ein die Zeit verändernder Apparat von etwas größerem Ausmaß«, antwortete Arcot auf Torlos' Frage, »und soll uns Zeit zum Arbeiten verschaffen. Kommt, gehen wir schlafen. Eine Woche hier dürfte nur wenigen Minuten auf der Erde entsprechen.« »Du kannst schlafen, Arcot. In der Zwischenzeit werde ich alles für dich vorbereiten«, schlug Morey vor. Arcot und Wade gingen schlafen, während Morey, der Talsonianer und Torlos arbeiteten. Zuerst verband Morey den Ancient Mariner mit dem Gerüst des Zeitapparats, und dies in sicherer Entfernung der vier erleuchteten Bälle, den Sendestationen des Zeitfeldes. Dann schaltete er den Attraktionsstrahl aus und band sich selber in den Sitz der Maschine für künstliche Materie fest. Es formte sich eine Platte aus künstlicher Materie und schnitt mit ihr wie mit einem Beil einen Klafter Felsen heraus. Ein großer, gesäuberter, eingeebneter Spalt entstand. Andere künstliche Materie umschloß den Felsen. Die losgelösten Fragmente wurden ungeheurem Druck ausgesetzt. In wenigen Augenblicken
war eine zweite enorme Kosmiummasse gebildet. Drei Stunden lang arbeitete Morey pausenlos und erzeugte gigantische Materialreserven. Große Mengen von Relux, diesem nahezu unzerstörbaren, perfekten Leiter, und von Kosmium entstanden. Durch Umwandlung der Atome gewann er außerdem aus dem Felsen einige große Blöcke Sauerstoff, die er, zusammen mit flüssigem Wasserstoff, eingefroren in riesigen Tanks einlagerte und zusätzlich einige Metalle, die sie benötigen würden. Dann legte er sich ebenfalls schlafen. Die anderen warteten auf Arcot. Nach acht Stunden erholsamem Schlaf setzte Arcot sich wieder an die Maschine. Spaß schien es ihm nicht zu machen. Zuerst schuf er ein neues Werkzeug, ein kleines, leicht manövrierbares Schiff, das von einem Stück künstlicher Materie angetrieben wurde. Das ganze Schiff war im Grunde genommen nur eine weitere Maschine für künstliche Materie, jedoch mit weitaus größerer Kapazität. In weniger als zwölf Stunden konstruierten seine Gedanken, schneller als Hände sich bewegen konnten, einen gigantischen Schiffsrumpf mit allen Innenräumen. Seine Außenwand bestand aus acht Zoll starkem Kosmium, dann kam ein Zwischenraum mit Verstrebungen aus wärmedämmendem Kosmium und dann ein zwei Zoll starker Innenrumpf. Ein relativ kleiner Raum in dem gigantischen Rumpf, in den Dimensionen nicht größer als zwanzig Kubikmeter barg die Mannschafts- und Kontrollräume. Zusammengehalten wurde der Rumpf von großen Kosmiumfedern. Doch fertig war Arcot damit noch keineswegs. Diese Arbeit konnte nur von einem Mann allein verrichtet werden, ein Gehirn mußte alles
ersinnen. Obwohl er Rat und Hilfe von Morey und den anderen bekam, war es doch sein Gehirn, das alles ersann. Endlich war der Rumpf vollendet. Er sah aus wie ein gewaltiges, glitzerndes Rohr, das eine Länge von einer Meile und einen Durchmesser von zweihundertfünfzig Metern hatte. Und doch würde jeder Teil dieses titanischen Körpers benutzt werden. Nur etwas Raum mußte für eventuell noch aufzustellende Maschinen ausgespart werden. Ersatzteile brauchten sie nicht mitzuführen; denn die konnten sie aus der reichlich vorhandenen Energie des Alls produzieren. Der mächtige, schimmernde Rumpf war von grandioser Schönheit, doch offensichtlich noch unfertig. Die Strahlenprojektoren waren noch nicht montiert. Diesmal würden es völlig neuartige Projektoren sein. Raum ist der Leiter aller Strahlen und nur im Raum existieren jene Energieformen, die sie brauchten. Arcot mußte lediglich das hohe Energieniveau der Raumwellen in die gewünschte Energieform übertragen. Jetzt, mit den genauen Statistiken darüber, war es ihm möglich, dies direkt zu tun. Generatoren und Röhren brauchte er nicht mehr, sondern nur Felder, die bereits vorhandene Energie umwandelte. So stand ihm unermeßliche Energie zur Verfügung. Als nächstes mußte er an dem Raumverzerrer arbeiten. Eine Spule, so groß, daß sie den Ancient Mariner leicht aufnehmen konnte, mußte exakt im Zentrum des Schiffs verankert werden. In wenigen Minuten war sie von seinen Gedanken erschaffen. Dann wurden nach einem Denkvorbild Tausende von Einzelspulen erzeugt. In Schichten, Reihen und Säulen wurden sie in einem großen Block zusammengestellt;
denn für diese grandiose Maschine mußte genug Energie gelagert werden. Im künstlichen Raum stand ihnen normale Energie nicht zur Verfügung, und daher mußte das Energiereservoir entsprechend groß sein. Danach nahm sich Arcot die Zeit- und Raumantriebsapparaturen vor. Den früheren Molekularantrieb tauschte er gegen ein Attraktionsstrahlsystem aus. Der Strahl war auf ihr eigenes Schiff eingestellt und lief über verschiedene Projektoren, die über das Schiff verteilt waren, so daß es sich mühelos in jede Richtung hin bewegen konnte. Vorsorglich wurde noch ein verstärkter Antrieb durch künstliche Materie installiert. Platten sollten das Schiff in jede gewünschte Richtung stoßen. Mit dem Attraktionsantrieb würden sie überall sicher landen können, ohne befürchten zu müssen, von ihrem eigenen Gewicht erdrückt zu werden. Auch eine Landung auf Thett mit seiner gewaltigen Schwerkraft würde nun kein Problem mehr darstellen. Die alten beweglichen, mit Hebeln und Knopfdruck gesteuerten Kontrollen wurden endgültig außer Dienst gestellt und alle Steuereinrichtungen mit Attraktionsgeräten unverrückbar festgenagelt. Kleinere Attraktionsgeräte stimulierten Schwerkraft für die Insassen. Zum Schluß wurde der Hauptapparat – der Energieerzeuger – installiert. Es waren riesige Spulen, die Energien lenken sollten oder besser gesagt, die dies auf den Weltraum übertrugen, der jede gewünschte Energie, selbst wenn sie so groß war, daß sie Sonnen blitzschnell explodieren lassen konnte, leiten sollte. Die Feldgeneratoren wurden montiert. So wie sie
Strahlen erzeugen und dirigieren konnten, konnten sie dies auch mit Strahlenschutzschirmen und künstlicher Materie tun. Schließlich war alles installiert. Bis auf einen ziemlich kleinen Raum war jeder Platz ausgefüllt. Sechs Wochen ununterbrochener Arbeit lagen hinter ihnen. Das Gehirn jedes einzelnen hatte an dieser Arbeit teilgehabt, indirekt oder direkt. Nun näherte sie sich ihrem Ende. »Arcot, eine Sache brauchen wir noch. Wir können mit dem Ding niemals auf einem Planeten landen, wir würden ja alles zermalmen. Wie groß ist eigentlich unsere Masse?« fragte Morey. »Keine Ahnung, aber es dürfte sich in der Nähe von einer Milliarden Tonnen bewegen. Du hast natürlich völlig recht. Was schlägst du vor?« »Wir brauchen ein Begleitschiff.« »Warum nicht den Ancient Mariner?« fragte Wade. »Der eignet sich nicht dazu. Er war zu sehr für individuellen Gebrauch konstruiert worden«, antwortete Morey. »Ich würde vorschlagen, so etwas wie das hier, nur in kleinerer Ausführung. Wir dürften damit wenig Arbeit haben. Das Ganze einfach in verkleinertem Maßstab – ausgenommen die luxuriöse, Ausstattung der Mannschaftsräume. Anstatt der zahlreichen Decks, Swimming-pool usw. braucht es ja nur einen großen Raum.« »Keine schlechte Idee«, stimmte Arcot zu. Wie durch Zauberei erschien eine ›kleine‹, 60 Meter lange Maschine, die in einigen Teilen leicht abgeändert war. Ihr Boden war abgeflacht, und sie war mit einem Attraktionsanker ausgerüstet. Nun waren sie fertig.
»Den Ancient Mariner lassen wir hier. Den können wir später holen. Die Maschine wird zwar nicht mehr benötigt, doch dem Feind sollte sie nicht in die Hände fallen. Unsere erste Testfahrt wird ein Kampf sein!« rief Arcot. Er schoß von seinem Sitz hoch. Die Masse des gigantischen Schiffs zog ihn an und langsam fiel er darauf zu. Er flog durch die geöffnete Schleuse, die anderen in ihren Raumanzügen hinter ihm her. Vom Kontrollraum aus verschloß Arcot den Eingang. Noch war der Sauerstoff nicht eingeschaltet. Es war noch luftleer. Nun zischte Luft in den Raum, der sich schnell erwärmte. Das Wasser in den Tanks schmolz. Innerhalb von Minuten waren Luft und Hitze im ganzen Schiffsinnern normal. Sogar im Energieraum war Luft, obwohl ein Betreten dieses Sektors weder vorgesehen noch notwendig war. Nur der Kontrollraum mußte besetzt sein, die anderen Räume konnte man über Bildschirme beobachten. Die ›Augen‹ des neuen Schiffs waren in die ungeheuer starke Kosmiumhülle eingelassen. Eine unendlich dünne, aber unendlich starke Wand aus künstlicher Materie, die ununterbrochen gespeist wurde, deckte sie ab. Damit widerstanden sie allen Arten von Strahlungen, von den längsten bis zu den kürzesten Frequenzen, ausgenommen den sehr engen Bändern von Radiowellen und von sichtbarem Licht. Ob dieser Schutz den thessianischen Strahl, der so vernichtend für Lux und Relux war, abhalten konnte, war natürlich nicht bekannt. Arcot hoffte es nur. Sollte es sich tatsächlich um irgendeine Strahlenenergie handeln, würden sie abgehalten werden. »Wir werden unsere Station hier zerstören und den
Ancient Mariner dort lassen, wo er ist. Durch die Auswirkungen der Zeitverzerrung liegen wir natürlich weit außerhalb der Umlaufbahn dieses Planetoiden. Doch wir können uns ja merken, wo es ist, und wenn wir das Schiff brauchen, können wir es wiederfinden«, sagte Arcot der vor der neuen großen Kontrolltafel stand. Knöpfe und Schalter gab es nicht mehr, alles wurde mental gesteuert. Eine winzige Kugel aus künstlicher Materie formte sich und schoß auf die Steuerungstafel der außerhalb des Schiffs angebrachten Zeitmaschine zu und desaktivierte den Hauptschalter. Der sie umgebende Raum drehte sich, wirbelte und wurde wieder ruhig. Zum erstenmal seit sechs Wochen war die Zeitmaschine ausgeschaltet. »Die kann ich nicht zerstören, sie ist aus Kosmium gemacht. Wenn ich versuchen wollte, sie gegen den Felsen zu schmettern, würde sie einfach in ihn hineinfahren. Doch irgend etwas wird uns schon noch einfallen«, murmelte Arcot. Eine Platte aus künstlicher Materie formte sich genau unterhalb der Maschine und löste sie aus dem Planetoiden heraus, indem sie die Anker aus schwerem Kosmium kappte. Das Gerüst schwebte hoch und mit ihm der Apparat. Eine Reihe von Platten formte eine gigantische Bienenwabe, die die Maschine wieder und wieder durchschnitt, bis nur noch kleine Fragmente von ihr übrig waren. Diese wurden dann zu einem Ball zusammengerollt und von einer Kugel aus künstlicher Materie bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert. Niemals würde der Feind ihr Geheimnis entdecken. Ein riesiger Zylinder aus künstlicher Materie stanzte eine Scheibe aus der Platte, die sich an der
Stelle befand, wo zuvor die Maschine gewesen war. Eine Klammer aus demselben Material erfaßte den Ancient Mariner, setzte ihn darauf und bedeckte ihn mit Geröll und Felsen. Kurz glitt ein kosmischer Strahl über das Gestein und verwandelte es in glühende Lava. Nun war der Ancient Mariner hundert Fuß tief unter sich schnell verfestigendem Felsen eingeschmolzen, Felsen, den man von einer unzerstörbaren Wand wieder abschmelzen konnte, wenn die Zeit gekommen war. »Jetzt sind wir bereit. Morey, wenn wir zur Erde kommen, versuche Kontakt aufzunehmen.« Die Schwerkraft im Schiff war normal. Als das Schiff, trotz seiner unermeßlichen Masse wie ein Pfeil mit Zeitsteuerung vorwärtsschoß, war keinerlei Beschleunigung spürbar. Sechs Wochen waren sie mit Eros unter Zeitkontrolle gereist. Mit ihrer leistungsfähigen Zeitsteuerungsanlage und der Raumsteuerung erreichten sie das Sonnensystem in kürzester Zeit. Es schien unbegreiflich, daß der Krieg immer noch im Gange war. Die Schiffe der Erde und Venus kämpften nun auf verlorenem Posten hoch über Chicago, wo sie versuchten, gegen den Ansturm der großen thessianischen Flotte einen letzten Verteidigungsring zu bilden. Kaum eine Stunde irdischer Zeit war nach dem Verschwinden des Ancient Mariners vergangen. Sirianische Schiffe waren der Erde zur Hilfe geeilt. Doch trotz dieser Verstärkung wurden sie immer weiter zurückgedrängt.
19. Kapitel Es war eine angstvolle Stunde für die Streitkräfte des Sonnensystems gewesen. Sie lagen in den letzten verzweifelten Abwehrkämpfen, als der Generalstab die Nachricht erhielt, man habe eine Mitteilung über Funk von so ungeheurer Stärke empfangen, daß sie sogar den Strahlenschirm durchdrungen habe. Die Mitteilung enthielt einen Rat und war gezeichnet mit ›Arcot‹. »Bringe neue Waffe. Alle Schiffe in die Atmosphäre zurückbeordern, wenn ich Aktion starte. Thessianer in den Weltraum zurückdrängen. Nach zehntausend Meilen zurückziehen. Ich werde mich dann um die Flotte kümmern«, lautete die Nachricht. »Gentlemen: Wir verlieren! Der vorgeschlagene Schritt würde eine äußerst armselige Taktik darstellen, es sei denn, wir sind auch sicher, wir haben Erfolg. Können wir sie nicht hinausdrängen, haben wir ohnehin verloren. Ich vertraue Arcot. Für was stimmen Sie?« fragte General Hetsar Sthel. Die Mitteilung wurde an die kämpfenden Schiffe weitergegeben. Kaum war dies geschehen, als auch schon ein gigantisches Kriegsschiff im Weltraum erschien, knapp über dem Kampfplatz. Es stürmte, zwei riesige thessianische Schiffe einfach hinwegfegend, vorwärts und hielt genau in der Mitte des Schlachtengetümmels an. Es wartete ruhig ab. Sämtliche thessianische Schiffe beschossen es aus allen Rohren mit ihren Molekularstrahlen. Ein diffuses, farbiges Glühen lief über jedes thessianische Schiff. Der Gigant schwebte ungerührt in ihrer Mitte. Die Mole-
kularstrahlen wurden von seinen Schiffsflanken reflektiert, und die gestreute Energie flutete gegen die thessianischen Schiffe zurück. Ein Fort bewegte sich auf den Giganten zu. Der tödliche Destruktionsstrahl schoß heraus. »Jetzt«, murmelte Morey, »werden wir sehen, was Kosmium aushält.« Ein riesiger Fleck auf der einen Seite des Schiffes wurde weißglühend. Er qualmte. Ein fremdartiger Rauch entwich der Stelle, an der der Strahl explodiert war, und verschwand sofort. Wieder eine Explosion, dann folgten sie schneller und schneller aufeinander. Unter den Strahlen wurde das Kosmium aufgespalten, doch nur sehr langsam. Es zerfiel und setzte kosmische Strahlen frei, die versprühten. »Wir werden nicht kämpfen«, murmelte Morey glücklich, als er sah, daß sich Arcot aus seinem Sitz erhob. Arcot setzte die Molekularstrahlen ein. Sie schossen heraus und prallten auf das schwere Relux des Forts und explodierten buntschillernd auf weißlichem Nebel – sich schnell veränderndes Farbenspiel. Dann fuhr das Fort seinen Abwehrschirm aus, und der Strahl wurde abgeschnitten. Energien unfaßbarer Quantitäten, die auf ihn niedergingen, verwandelten den Schirm in eine züngelnde Flammenwand. Arcot drehte seine unversiegbare Energiequelle ein wenig weiter auf. Der Strahl prallte auf den Schirm, dieser flammte noch einmal auf wie ein Feuerball und erstarb. Urplötzlich krümmte sich das Fort wie eine verbogene Blechkanne zusammen und taumelte hilflos davon. Inzwischen war das andere Fort nahe genug herangekommen und ging zum Angriff über.
Diesmal wählte Arcot künstliche Materie. Um die vielen, ihn umgebenden Schiffe kümmerte er sich nicht. Doch plötzlich kippte das größte der gegnerischen Schiffe schwerfällig zur Seite. »Ich Dummkopf«, sagte Arcot. »Sie versuchten uns wieder zu rammen.« Ein Gewirr von verbogenem, herausgebrochenem Relux und Lux, das von einem Gasschleier umgeben war, sprach für sich. Sie hingegen hatten nur eine unbedeutende Schramme an der Seite. Acht Zoll starkes Kosmium würde nicht nachgeben. Noch ein weiteres Schiff versuchte es. Wenige Fuß von der Schiffswand des Giganten entfernt wurde es aufgehalten und stieß auf eine noch unverletzlichere Wand – auf künstliche Materie. Und jetzt benutze Arcot seine Hauptwaffe – künstliche Materie. Ein Schiff nach dem anderen, ob es floh oder angriff, war unversehens von einer großen, kugelförmigen Hülle umgeben. Jählings loderte eine Energieflamme auf, wenn die Hülle auf den Abwehrschirm des Gegners traf. Von der Energie, die der Energie von Sonnen entsprach, wurde es zerschmettert. Dann kam der unerbittliche Druck der künstlichen Materie. Übrig blieb ein flammender gasförmiger Ball. Jetzt lockerte sich der würgende Griff des Feindes über Chicago, der größten Metropole der Erde. Arcot hatte die Macht des Feindes mit seinem mächtigen Schiff geschwächt und seine Moral zerstört. Die jetzt wieder hoffnungsvollen Solarianer stießen nach. Nun fuhr ein weiteres gigantisches Fort, bestückt mit zwanzig der größten Kampfschiffe auf. Das Fort schaltete seinen Destruktionsstrahl ein – und Arcot
probierte seinen neuen »Magneten« aus. Es war kein wirklicher Magnet, sondern ein transformiertes Raumfeld, ein Feld, das von der Energie des gesamten Universums erzeugt wurde. Das Fort war titanisch. Selbst Arcots mächtiges Schiff sah neben ihm wie ein kleines Spielzeug aus. Doch unvermittelt verzerrte und verdrehte sich der Gegner. Der Raum wellte sich in einem magnetischen Feld von unmeßbarer Intensität. Arcots Waffenkammer hatte ihren Test bestanden. Schlagartig verschwand jedes thessianische Schiff in Sichtweite, hörte scheinbar auf zu existieren. Unverzüglich warf Arcot alle Zeitenergien an und schoß in Richtung Venus. Die Thessianer näherten sich bereits dem Planeten, Strahlen konnten sie nicht mehr einholen. Ein kurzes Berühren der Raumsteuerung, und das gewaltige Schiff war ein paar hunderttausend Meilen weiter und in die Atmosphäre getaucht. Der Raum um sie herum wirbelte, schien zu stürzen und wurde allmählich ruhig. Die thessianische Flotte kam vor ihnen in Sicht, als die Schiffe auf Normalgeschwindigkeit heruntergingen. Zutiefst schockiert, das Schiff, vor dem sie gerade noch geflohen waren, vor sich zu sehen, wendeten sie und rasten in den Raum zurück. Dann – wie durch einen Zauber – hielten sie an und explodierten in Flammenkeilen. Sekunden zuvor, als selbst der Weltraum in Bewegung geriet, hatte Arcot die Energie des Raums eingesaugt, daß selbst dieser erzitterte – die Strahlungsenergie von zehn Sonnen. Das waren vierzig Millionen Tonnen Materie pro Sekunde. Für eine hundertstel Sekunde waren sie aktiviert worden. Vor ihnen
auf einer riesigen Ebene, war ein unendlich dünner Film von vierhunderttausend Tonnen künstlicher Materie erzeugt worden. In diese unsichtbare, unüberwindliche Barriere war die thessianische Flotte hineingerast. Sie war ausgelöscht. »Ich glaube«, sagte Arcot ruhig, als er seinen Steuerhelm abnahm, »daß der Anfang vom Ende sich abzeichnet.« »Und ich glaube«, sagte Morey, »daß dies wieder in weiter Ferne liegt. Ein halbes Dutzend Schiffe haben rechtzeitig das Weite gesucht. Sie sind jetzt verschwunden, um die anderen zu warnen.« »Warnen? Wie? Was können sie schon sagen? Doch nur, daß ihre Schiffe von etwas Unsichtbarem zerstört worden sind.« Arcot lächelte. »Ich gehe nach Hause.«
20. Kapitel Einige Zeit später fing Arcot an zu reden: »Ich habe gerade eine Nachricht von Zezdon Fentes erhalten. Er hat etwas Wichtiges mitzuteilen. Daher werde ich in New York anstatt in Chicago landen, wenn keiner der Anwesenden etwas dagegen hat. Morey wird Sie im Begleitschiff nach Chicago bringen, und ich werde Zezdon Fentes aufsuchen.« Zezdon Fentes Nachricht war kurz. Er hatte aus den Gedanken verschiedener Thessianer gelesen, daß sie einen Stützpunkt in diesem Universum besaßen. Die thessianische Basis befand sich irgendwo im Zentrum dieser Galaxis, in einem System von ungewöhnlich großen Planeten, die um einen ziemlich kleinen Stern kreisten. Doch um welchen Stern es sich hierbei handelte, hatte ihr Gehirn nicht preisgegeben. »Dann müssen wir eben den Stern selber lokalisieren«, meinte Arcot, nachdem Zezdon Fentes seinen Bericht beendet hatte. »Ich glaube, der leichteste Weg, dies herauszufinden, ist, sie nach Hause zu verfolgen. Zezdon Fentes, zuerst sollten wir zu Ihrer Welt Ortol reisen und nachsehen, was die Thessianer dort treiben, und sie gegebenenfalls in die Flucht schlagen. Dann Siegen wir zu Ihrer Welt, Stel Felso. Ich habe Ihre Welt deshalb als zweites Ziel genannt, weil sie sich weit besser verteidigen kann als Ortol. Sind Sie alle damit einverstanden?« Alle waren es. Zezdon Afthen, Fentes und Inthel waren in einem Taxischiff hinauf zu dem Giganten geflogen, der in der Atmosphäre über New York hing. Sie signalisierten der Menge, signalisierten ih-
nen, den Weg nach oben freizugeben. Der mächtige Rumpf der schimmernden Maschine, des Erretters der Erde, hatte verständlicherweise größte Aufmerksamkeit erregt. Tausende und Abertausende waren, der Kälte in diesen hohen Luftschichten trotzend, in Raumanzügen oder kleinen Schiffen gekommen. Jetzt, als das Schiff sich langsam erhob, machten sie Platz, Tausende von guten Wünschen, mental übermittelt, begleiteten die Männer im Schiff. »Das«, stellte Morey fest, »ist etwas, das auch Kosmium nicht aufhalten kann. In gewisser Hinsicht wünschte ich, es könnte dies. Überlegt euch mal, welche Gefahren durch die Gedankenkraft des Gehirns dieser hochentwickelten Thessianer für uns erwachsen könnten, wenn diese von der Möglichkeit wüßten.« »Da kann ich Sie beruhigen, Terraner«, sagte Zezdon Afthen. »Unsere Instrumente zeigen mentale Kräfte und starkes Konzentrationsvermögen bei gedanklichen, geistigen Vorgängen an. Aber sie zeigen auch an, daß sich diese Fähigkeiten nur sehr langsam entwickeln. Unsere Rasse ist fähig, viele Dinge zu tun, die Sie nicht tun können – trotz der Tatsache, daß die geistigen Kräfte von Männern wie Arcot und Ihnen selbst den unsrigen weit überlegen sind. Aber wir lernten, den Willen zu lenken. Den Willen der Thessianer brauchen wir nicht zu fürchten. In dieser Hinsicht kann ich Sie beruhigen!« Das Schiff war wieder im Weltraum. Arcot hatte Kurs auf Ortol genommen, das weit, weit auf der anderen Seite der Galaxis lag. Er schaltete das Schiff für einen Augenblick auf Raum und Zeit. Augenblicklich verschwand die Sonne. Nach knapp einer Sekunde schaltete er den Raumverzerrer aus und flog nur noch
in der Zeit. Die Konstellationen waren sofort wieder erkennbar. Die Entfernung von Ortol betrug nur noch ein Dutzend Lichtjahre. »Morey, darf ich Sie fragen, welchen Namen diese Maschine hat?« fragte Torlos. »Sie dürfen. Aber ich kann es Ihnen nicht sagen«, antwortete Morey lachend. »Wir waren allzusehr damit beschäftigt, sie funktionstüchtig zu machen. Darüber vergaßen wir vollkommen, ihr einen Namen zu geben. Hat jemand einen Vorschlag?« Alle überlegten. Dann kam zögernd, jedoch klar und verständlich, Arcots Gedanke als sorgfältig abgewogene Entscheidung. »Unser Schiff ist das Schnellste, das jemals von Gedanken konzipiert worden ist. Der Gedanke als das Unbesiegbarste; denn niemand kann ihn aufhalten. Der Gedanke als das Zerstörerischste. Der Gedanke als der größte Baumeister, der größte Verwüster, ein Produkt des Geistes, der Produzent der größten aller Energien. Der Gedanke gesteuert vom Gehirn. Laßt es uns Thought, den Gedanken nennen!« »Ausgezeichnet, Arcot! Ausgezeichnet! Thought – Steuermann aller Energien des Kosmos!« rief Morey. »Aber die Thought ist noch nicht getauft worden – außer in der Schlacht, und da hatte sie keinen Namen. Wir sollten sie mit einem Namen schmücken«, schlug Wade vor. Sie hielten im Raum an, blieben jedoch im Zeitfeld, damit sie arbeiten konnten, ohne kostbare Zeit zu verlieren. Arcot erzeugte etwas Kosmium und setzte es diesmal einem speziellen Umformfeld aus. In dieses Kosmium hinein zwang er einige Lichtphotonen, halb gebunden, halb frei. Diese formte er in Buchsta-
ben um und schmolz sie an beiden Seiten des gigantischen Schiffsbugs ein. Thought – in Buchstaben von zehn Fuß Höhe aus klarem, transparentem Kosmium geformt. Die in ihm eingelassenen Lichtphotonen würden den Namen für immer in goldenem Licht erstrahlen lassen. Die Thought setzte ihre Fahrt fort. Sie näherten sich Ortol und drosselten ihre Geschwindigkeit. Die ersten Kundschafter von Thett waren gerade angekommen. Sie hatten sich über der größten Stadt von Ortol konzentriert. Ihre Strahlen schossen auf den großen Abwehrschirm hinab, den die terrestrischen Ingenieure zum Schutz über der Stadt errichtet hatten. Doch die Verteidigungsflotte war klein und bald zerstört. Ein Fort stürzte sich auf den Schutzschirm. Seine Reluxwände glühten in tausend Farben, als es auf die ungeheuren Energien des Strahlenschirmes traf – und es brach durch! Sie schossen einen Molekularstrahl auf die Stadt hinunter – er explodierte auf halbem Weg in einem gewaltigen Licht- und Energieausbruch. Der Strahlenschirm leuchtete nicht auf. Es gab nur Licht. Das Fort fuhr immer noch auf die Stadt zu. Dann hielt es abrupt an, und seine eine Seite verbog sich wie eine Konservenbüchse, in die jemand hineingetreten hat. Es wurde von einer unsichtbaren, unbezwingbaren Barriere aufgehalten. Von irgendwo aus dem Weltraum schoß ein Molekularstrahl hinunter und traf den Strahlenschutzschirm von Ortol, den die Thessianer seit Stunden angegriffen hatten. Der Schirm flammte leuchtend auf und verschwand. Der Strahl durchbohrte das thessianische Fort, und es explodierte in Farben von grandioser Leuchtkraft, wäh-
rend der Strahl die unsichtbare Barriere hinter dem Fort auf einmal in eine große Platte flammenden Lichts verwandelte. In weniger als einer halben Sekunde fiel die schimmernde Farbenpracht zusammen, das Fort erzitterte und schoß kreischend aus der Atmosphäre des Planeten hinaus. Es war nur noch eine Masse Lux, von jedem Molekularstrahl verwundbar. Alles, was innerhalb dieses Forts gelebt hatte, war sofort schmerzlos getötet worden. Die Flotte, die sich bereitgehalten hatte, dem Fort zu folgen, hielt plötzlich an, unschlüssig, was nun zu tun sei. Dann wurde die Thought sichtbar. Ihre großen, goldenen Buchstaben leuchteten wie ein Blitz auf, als sie unvermutet aus der Ferne des Weltraums auftauchte. Jedes Schiff eröffnete kosmisches und molekulares Strahlenfeuer auf sie. Die kosmischen Strahlen prallten von den Kosmiumwänden und von der künstlichen Materie, die die ›Augen‹ beschützten, ab. Auch die molekularen Strahlen blieben wirkungslos. Nur an der unsichtbaren Schutzwand, die die Thought in der ortolianischen Atmosphäre errichtet hatte, schwebten Dunstfelder, die von den schwachen Molekularstrahlen-Reflektionen verursacht wurden. Die Thought wurde aktiv. Nun war ihr Angriffsziel das zweite Fort. Es hatte seinen Destruktionsstrahl auf das Kosmiumschiff gerichtet. Wie schon zuvor, löste sich das Kosmium langsam in kleine Fontänen von kosmischen Strahlen auf, als würde Dampf ausgestoßen, kleine Wölkchen bildeten sich und verschwanden. Arcot errichtete eine Wand aus künstlicher Materie, um die Wirkung zu testen. Der Strahl ging wirkungslos durch die künstliche Materie hin-
durch. Er versuchte es mit einer Platte aus purer Energie, einem elektromagnetischen Energiefeld von gewaltigem Ausmaß. Der Strahl verbog sich auf ihr. Doch Augenblicke später hatten die Thessianer ihn wieder genau eingestellt. »Das ist ein Photonenstrom, doch von einer Art, daß er auf gewöhnliche Materie keine Wirkung hat, sondern nur auf künstliche Materien wie Lux, Relux oder Kosmium. Wenn die künstliche Materie ihm weiter so standhält, kann uns nichts passieren.« Der Gedanke, der Arcots Gehirn beschäftigte, erreichte die anderen. Ein gewaltiger Lichtausbruch am rückwärtigen Teil berichtete, daß ein Thessianer gegen die Wand aus künstlicher Materie gekracht war, die das Schiff umgab. Arcot warf den Destruktionsstrahl jetzt hin und her, und es gelang ihm zweimal, daß der Strahl Maschinen des Feindes traf. Die Thought sandte einen furchtbaren Strahl magnetischer Energie aus. Mit einemmal erstarb der Strahl des Gegners, und das Fort kreiselte hilflos um seine Achse. Sein Antriebsaggregat hatte ausgesetzt. Ziellos schossen kosmische Strahlen heraus. Als das Magnetfeld, das Relux und die kosmischen Strahlen aufeinander wirkten, wurde das Fort unversehens blauweiß – und zerfiel urplötzlich in eine Trümmerwolke, die sich durch einen orkanartigen Luftstoß ausbreitete. Aus der Thought schob sich eine große Muschel künstlicher Materie heraus, die aussah wie eine gewellte, dunstige Wand. In phantastischer Geschwindigkeit legte sie sich um die thessianischen Schiffe und hüllte sie flutend und wogend ein. Ein thessiani-
sches Kampfschiff versuchte auszubrechen und rammte gegen diese Wand an. Das Schiff knüllte sich selbst zu einer Masse zerbrochenen Relux zusammen. Der größere Teil der thessianischen Flotte war bereits geflohen. Fünfzig größere Kampfschiffe waren zurückgeblieben. Und jetzt begann im Umkreis von einer halben Million Meilen eine solch geisterhaft unwirkliche Schlacht, daß die beobachtenden Astronomen nicht fassen konnten, was sie sahen. Hinter der Thought, die bewegungslos jenseits der Dunstwand hing, materialisierte sich etwas. Die thessianischen Schiffe hatten inzwischen eingesehen, daß die dunstige Sphäre, die sie umwallte, undurchdringlich war. Ihre Strahlen waren nutzlos geworden, ihre Forts waren verschwunden. Dieses Etwas, das hinter der Thought hervorkam, war ein Schiff, ein kleines Schiff von demselben dunstigen Weiß. Es schwebte in die Wand, durch sie hindurch und war in ihrem Gefängnis. Die thessianischen Schiffe stellten ihre Strahlen auf es ein und warteten. Aber was war das? Das ellipsenförmige Schiff, das sich langsam auf sie zuschob, schien plötzlich zu springen. Pseudofüße wuchsen aus ihm heraus. Eine Amöbe titanischen Ausmaßes! Zielstrebig wand sie sich auf das nächstliegende Schiff zu. Während dieses noch abwartend verharrte, streckte sich ein Pseudofuß vor – und fuhr urplötzlich durch die vier Fuß dicke Reluxwand! Ein zweiter Fuß folgte mit Lichtgeschwindigkeit. Sekunden später war das Schiff von einem Ende bis zum anderen aufgerissen. Hunderte von Strahlen schossen nun auf diese Amöbe zu. Die Strahlen barsten in Feuer- und Licht-
keile. Dann wurden die Auswüchse der Amöbe dunkel, und die verbrannten Teile schienen von ihr abzufallen. Hastig zog sie sich aus der Umklammerung zurück und schwebte wieder durch die Wand, die für die thessianischen Strahlen undurchdringlich war. Dann erschien ein anderes Ungeheuer. Ein Drache – nahezu eine Meile lang und den riesigen Körper mit schimmernden Schuppen bedeckt. Auf seinem gewaltigen Nacken saß ein mächtiger, verzerrter Kopf mit einer großen, flachen Nase und riesigen, geblähten Nüstern. Er hatte den Kopf eines Thessianers. Der Mund von fünfzig Fuß Durchmesser war zu einem fürchterlichen Grinsen verzerrt und abgebrochene Eisenzähne staken in seinem Maul. Die großen Krallen zerrissen die dunstige Wand, die sie umgab, und das Ungeheuer schlingerte in seiner ganzen grauenhaften Länge hinein. Das Sausen seines Schuppenpanzers schien bis zu den Beobachtern zu dringen. Er jagte ein großes Kampfschiff, dessen Pilot schreckerfüllt floh. Schneller als das mächtige Raumschiff sich bewegen konnte, erfaßte das fürchterliche Wesen das Schiff mit seinen gewaltigen Klauen, die das feste Relux aufschlitzten. Kratzend und mit blutroten Flügeln flatternd fetzten die silbrigen Krallen große Stücke des Relux heraus und warfen sie in den Raum. Strahlenbeschuß setzte ein. Kosmische und molekulare Strahlen Sogen wie Lichtstifte. Durch die entwichene Luft von zwei großen Kriegsschiffen entstand innerhalb des von der Wand begrenzten, engen Raumes eine Atmosphäre. Und obschon der Raum groß war, war der Luftdruck beträchtlich. Die Strahlen schossen in die furchterregende Fratze des Drachen. Das Gesicht explodierte in Licht.
Schwarzer, schmieriger Rauch entwich. Der Drache wirbelte herum und krümmte sich grauenhaft, schreckerregende Schreie ausstoßend. Dann war er frei. Sein halbes Gesicht war verbrannt. Die andere grinsende, blutende, halb gesottene Hälfte zuckte und schrie sie wutentbrannt an. Er schoß auf das nächste Schiff zu, schlug mit den Krallen nach den Strahlen, die ihn verbrannt hatten – und zuckte im Todeskampf. Er erzitterte und löste sich in Nebel auf. Dann war er verschwunden. Ein letztes, grauenerregendes Scheusal grinste sie an. Keiner hatte es vorher bemerkt, da alle Augen gebannt an dem Drachen gehangen hatten. Es stand am Rande der Sphäre – ein gigantischer Thessianer mit lüsternem, bestialischem Maul, quadratischen Gliedmaßen, Schwimmhäuten zwischen Fingern und Zehen und mit dem schweren Körper seiner Rasse. Er grinste sie an. In einer Hand hielt er etwas gepackt. Thetts Männer erstarrten in panischem Entsetzen, als sie erkannten, was er in seiner Hand hielt – einen halb abgebissenen thessianischen Leichnam! Er grinste glücklich und griff nach einem Kampfschiff – ein Strahl verbrannte ihn. Er heulte auf und sprang in ihre Mitte. Da drehten die Thessianer durch. Alle kämpften, jeder gegen jeden. Strahlen aller Arten, molekulare und kosmische, schossen wild durcheinander, während in ihrer Mitte der Gigant saß und seine Fröhlichkeit herausschrie und lachte, lachte ... Schließlich war alles vorüber. Das letzte thessianische Schiff fuhr wie verrückt immer wieder gegen das Wrack seines letzten Feindes. Übriggeblieben waren nur Trümmer.
»Mein Gott, Arcot! Warum um alles in der Welt hast du das gemacht? Wie kamst du auf diese Horrorgestalten?« fragte Morey, der nicht wenig über die Ausgeburten von Arcots Phantasie besorgt war. Arcot schüttelte sich und löste die Stirnbänder. »Warum? Warum weiß ich nicht. Ich habe keine Ahnung, wie ich dazu kam. Bestimmt nicht. So etwas wie diesen Drachen, zum Beispiel, habe ich mir noch nie vorgestellt – wie ...« Seine scharfen Augen fixierten plötzlich Zezdon Fentes, und ihre hypnotische Kraft überwand den Widerstand des trainierten Gehirns des Ortolianers. Arcots Bewußtsein legte die Gedanken Zezdon Fentes' offen zutage, auch für die anderen. Er hatte als Medium zwischen den Thessianern und Arcot fungiert. Arcot war mit der Steuerung verbunden, und so konnte er die Horror-Vorstellungen der Thessianer in Arcots Gedanken lenken. Arcots Gehirn hatte so agiert wie damals in der Nacht auf der Erde, nur daß hier eine Demonstration bis zum Äußersten erfolgt war. Es hatte die geheimsten Ängste der Thessianer Gestalt werden lassen. Der Widerstand der Thessianer, so weit sie geistig auch entwikkelt waren, brach dadurch zusammen. Auch die Verbündeten mit ihren verschiedenartigen Angstvorstellungen waren etwas in Mitleidenschaft gezogen worden. »Wir werden Sie lieber auf Ortol zurücklassen, Zezdon Fentes. Wir alle erkennen Ihre Leistungen an, aber wahrscheinlich war das für Sie doch alles ein wenig zuviel. Wir hoffen, Sie erholen sich. Zezdon Afthen und Inthel, stimmen Sie mit mir darin überein?« sagte Arcot.
»Selbstverständlich, und es tut uns sehr leid, daß einer von unserer Rasse sich so benommen hat. Lassen Sie uns nach Talso weiterfahren. Sie können Fentes ja in einer Hülle aus künstlicher Materie hinunterschicken«, schlug Zezdon Afthen vor. »Dies«, sagte Arcot, nachdem alles erledigt war und sie auf dem Weg nach Talso waren, »dies zeigt die Gefahr eines verrückten Gedankens!«
21. Kapitel Doch es schien und mußte für jeden Beobachter eindeutig gewesen sein, daß die Thought ein verrückter Gedanke war. Mit voll aufgedrehter Zeitsteuerung und ein wenig Raumsteuerung flog sie mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch das Universum. Ein Stern – eine aufflammende Scheibe, sie vergrößerte sich, stand dann überwältigend groß vor ihnen. Sie schossen durch sie hindurch! Die großen Spulen leiteten die Energie in den Raumantrieb und ins Zeitfeld. Wenn das Gravitationsfeld eines gigantischen Sterns und das Raumfeld eines gigantischen Schiffs für den winzigen Bruchteil einer Sekunde miteinander kämpften, schien das Schiff im verzerrten Raum zu wirbeln und sich zu winden. Dann war es schon hindurch – und zurück blieb ein Stern, dessen Zentrum plötzlich für immer in einen neuen Raum geschleudert worden war, und als das Schwerkraftsfeld für einen Augenblick zusammenbrach, lösten sich seine Außenschichten ab und trieben ins Weltall hinaus, während der Stern sich wand und in sich selber zusammenfallend in einem gewaltigen Flammenmeer explodierte. Aus diesem, von Menschenhand verursachten Unfall entstanden Planeten. Und weiter flog das Schiff, seine großen Spulen halb entleert, doch immer noch weit mehr als ausreichend aufgeladen. In wenigen Minuten hatten sie Talso erreicht. Mit dem Ancient Mariner hatten sie dafür Stunden gebraucht. Doch jetzt reisten sie mit der Geschwindigkeit eines Gedankens – mit der Thought!
Auch über Talso tobte der Krieg, und dies weit grausamer als er über Ortol getobt hatte. Hier, wo ihnen weit stärkere Verteidigungskräfte gegenüberstanden, waren die Thessianer auch rachedurstiger. Alle ihre noch kampffähigen Schiffe schienen sie hier konzentriert zu haben. Der große molekulare Abwehrschirm, den die terrestrischen Ingenieure hier aufgebaut hatten, war bereits zertrümmert, durchlöchert vom Beschuß durch zwei große Forts und von nahezu tausend Schiffen. Einige mächtige Schlachtschiffe des intergalaktischen Weltalls und einige kleine Aufklärungskreuzer hatten ihre Strahlen ununterbrochen auf die kämpfenden Verteidigungsmaschinen gerichtet. Dank der gewaltigen Röhren, die in Talsos Schaltstationen arbeiteten, war der Abwehrschirm erst nach Stunden gefallen. Viele ihrer größten Städte waren ähnlich verteidigt worden, doch der Feind war stärker gewesen. Wo immer sie auch waren, ein verirrter Molekularstrahl würde sie aufspüren und alles Leben außerhalb der wenigen noch stehenden Abwehrschirme vernichten. Doch solange die Thessianer ihre Strahlen verstreuten, ohne in die Atmosphäre vorzustoßen, würde der Schirm noch einigermaßen Schutz bieten. Keine Kriegsflotte hielt die thessianischen Streitkräfte am Eintauchen in die Atmosphäre ab, doch Dutzenden von ebenbürtig starken Stationen zur Erzeugung von Bomben aus künstlicher Materie hatten Thett Respekt vor Talso gelehrt. Aber leider wurden diese Bomben von Talsos eigenem Abwehrschirm aufgehalten. Sie konnten ihre Bomben nur bis zur Höhe des Schutzschirmes schicken; denn sie besaßen nicht Arcots gewaltige Steuerungskräfte, um die Ma-
terie ohne Schwierigkeiten auch jenseits des Schirmes zu halten und zu bewegen. Schließlich war der Schirm zusammengebrochen. Wenn die Thessianer erst einmal ein Loch in ihn geschossen hatten, dann hielten sie dieses mit konzentriertem Feuer offen. Explodierende Bomben hatten zweimal eine solche räumliche Spannung und ionisierte Bedingungen geschaffen, daß das Loch beinahe wieder verschlossen wurde. Doch dann hatte die thessianische Flotte ihre Schiffe kreisförmig um das Loch gruppiert, und sie beschossen den Planeten wie aus einem Zylinder mit ihren Strahlen. Gigantischen Klauen ähnelnd, zerfetzten die Strahlen Berge, Ozeane, Gletscher und Festland. Ungeschützte Städte sprühten wie Fontänen aus Fels, Erde und Stahl auf und versanken. Wie Oasen der Sicherheit lagen geschützte Städte in einer grauenhaften Wüste der Zerstörung. Ihre Abwehrschirme leuchteten immer wieder kurz unter der enormen Strahlenkonzentration auf. Hier, in den unteren Luftschichten, die von Ionen durchsetzt waren, versuchte Thett nicht die Abwehrschirme zu zerstören, da die Luft den Verteidigern helfen würde. Schließlich, wie von Thetts Streitkräften geplant, stießen sie auf eine Strahlenschutzschirm-Station für ionisierte Schichten herab, die noch immer Schutzfilterkegel auf die obere Schicht projizierte. Jeder verfügbare Strahl wurde auf diese Station gerichtet, deren Aufgabe bestand darin, Teile einer Welt zu schützen, und somit auch sich selber. Doch langsam, langsam wurde die elektronische Ausstrahlung der bereits erhitzten Röhren schwächer,
die Ionensphäre rückte näher und näher auf die Station zu. Die thessianischen Strahlen spielten auf ihrer Oberfläche wie Hagel auf einem Tümpel und drängten sie zurück. Schneller und schneller erfolgte dieses Zurückdrängen. Die Sphäre veränderte ihre Farbe vom matten Rot der Verteidigung zum bläulichen Flimmern des geschwächten versagenden Schutzes. Dann war die Station in einer Lichtflamme und im Brüllen der aufbrechenden Erde untergegangen. Sie war ausgebrannt. Sofort vergrößerte sich der Ring der Schiffe als der große Abwehrschirm durch diesen Ausfall noch mehr geschwächt wurde. Der Vorstoß der Streitkräfte ließ den Graben der Zerstörung immer breiter werden. Aber hoch, hoch oben im Himmel, noch unsichtbar für das bloße Auge, war ein winziger Punkt erschienen. Er schoß herab. Augenblicke später wurde die Thought sichtbar. Dann, noch ehe eine weitere verlassene Stadt dem Boden gleichgemacht wurde, war sie über der thessianischen Flotte. Die Strahlen der Thessianer waren nach unten durch ein nun noch größeres Loch im Schutzschirm gerichtet. Eine zweite Station war mit dieser Stadt vernichtet worden. Und nun, wie durch Zauberkräfte, schloß sich auf einmal das Loch und schnitt mit einer Endgültigkeit ihre Strahlen ab, die die Thessianer bestürzte. Die Intervention war so wirkungsvoll, daß sich nicht einmal das matteste Rot dort zeigte, wo der Strahl auftraf. Die dichte Sperre ließ nur Funkwellen durch! Verblüfft sahen sie sich nach dieser neuen Station um, der das konzentrierte Feuer ihrer Strahlen nichts anhaben konnte. Eine ganze Welt hatte erfolglos gegen ihre Strahlen gekämpft. Welche
einzelne Station konnte dieses fertigbringen, wenn alle anderen Stationen des Planeten versagt hatten? Nur ein einziger Gegner konnte das schaffen. Sie drehten ab, um nach dem Schiff zu suchen, das – wie sie wußten – hier sein mußte. »Diesmal kein Horror bitte«, murmelte Arcot. »Nur saubere Energie.« Sie war sauber und sie brannte. In Sekundenschnelle verwandelte sich eines der Forts in eine opalisierende Masse, die sich so schnell bewegte, daß sie in blendendem Weiß erglühte. Raketengleich schoß der Trümmerhaufen davon. Das andere Fort hatte seinen Schutzschirm ausgefahren. Doch seine Stärke, die sonst dem Angriff einer ganzen intergalaktischen Flotte standhielt, brach, blitzschnell unter einer gewaltigen Woge aus Licht, in dem die Energien einer halben Million Sonnen konzentriert waren, zusammen. Die reine Energie des Strahls erhitzte das getroffene Material weißglühend, als es vom Druck mit einer Geschwindigkeit, die der des Lichts nahekam, in den Weltraum hinausgeblasen wurde. Kampfschiffe des Weltraums und gigantische Kreuzer verdampften funkensprühend unter dem Strahl. Ein aus Magnetismus und kosmischen Strahlen kombinierter Strahl ersetzte nun die Molekularstrahlen. Die getroffenen Schiffe explodierten zu Staub, der so fein war wie das urzeitliche Gas – die Mutter aller Materie. Brausende Energie, die so heftig war, daß sich die Schiffe erst gar nicht gegen sie zu verteidigen versuchten, zerschmetterte eins nach dem anderen, bis die wenigen verbleibenden Schiffe abdrehten und wie
gehetzt, schneller als das Licht, zu ihrem Stützpunkt flüchteten. »Das war faires Kämpfen! Energien gegen Energien«, stellte Arcot fest. Sein neues Spielzeug, das aus Sonnen Spielbälle machte und von der kosmischen Energie eines Universums gespeist wurde, hatte seine Feuerprobe bestanden. »Und wie ich Ihnen, Stel Felso Theu, schon zu Beginn dieses Krieges sagte, die größere Energie gewinnt immer. Hier in diesem Universum stehen mir mindestens fünfhunderttausend Millionen Energieanlagen zur Verfügung und jede einzelne erzeugt Dezillionen von Ergs pro Sekunde. Ihre Welt wird jetzt in Sicherheit leben. Nun werden wir Sirius, unserem letzten Verbündeten, der in diesen Krieg verwickelt ist, beistehen.« Das titanische Schiff zog eine Schleife und verschwand aus dem Blickfeld der überglücklichen Talsonianer, um auf der anderen Seite der Galaxis einer unter großen Mühen errichteten Zivilisation zu helfen. Die Thessianer wußten, daß ihre Sache verloren war und daß es für sie keine Möglichkeit gab, den in einem einzigen Schiff, in der Thought, konzentrierten Kräften zu widerstehen. Nur noch ein Ziel gab es für sie: So viel Schaden wie möglich in dieser Galaxis anzurichten, bevor sie sie verließen. Schon zogen sie Hunderttausende ihrer massigen, ungepanzerten und unbewaffneten Transporter von den Stützpunkten ab und schickten sie in ihre unendlich weit entfernte Heimat zurück. So weit es ihnen möglich war, zerstörten ihre Kriegsflotten viele Städte der Verbündeten und anderer hilfloser Rassen unseres Systems. Viele bewohnte Welten, von denen einige vollständig ausradiert worden waren, da Arcot nichts von ihrer
Existenz wußte, wurden erst aus dieser Umklammerung erlöst, als der allgemeine Rückzugsbefehl zur Verteidigung des Mutterplaneten erging. Sirius tauchte in seiner gewaltigen Größe vor ihnen auf. Seine Planeten, die jetzt heftig von den vereinten Flotten von Sirian, Erde und Venus verteidigt wurden, erlitten trotz großer Strahlenschutzschirme und einigen wenigen Bombenstationen große Verluste. Der alte Sixth von Negra, der drittgrößte Planet, war in die Hände der Thessianer gefallen. Sie waren auf der Nachtseite des Planeten mit gedrosselten Energien gelandet, damit unten keine warnenden Impulse empfangen werden konnten. Es war nur eine kleine Aufklärer-Flotte. Erst als sie bereits durch den Strahlenschirm hindurch waren, hatte man sie bemerkt. Die dann abgeschossenen Strahlen hatten sie verfehlt. Einfach durch die Schwerkraft waren sie so weit hinuntergefallen, daß niemand sie hätte aufhalten können. Nur durch die unmenschliche Stärke ihrer Eisenknochen konnten sie der Bremsbeschleunigung widerstehen, die sie benutzten, um eine Kollision mit dem Planeten zu vermeiden. Danach hatten sie sich schnell verstreut und durch Seitenangriff die größten Strahlenschirmstationen in die Luft gesprengt. Da nur mit Angriffen von oben gerechnet worden war, hatte man auf den Seiten keine Strahlenschirmprojektoren aufgestellt. Nun war der Sixth hilflos ihren Angriffen ausgeliefert. So hatten – als die weit streuenden Molekularstrahlen über die kreisenden Planeten spielten – zweieinhalb Milliarden Leute augenblicklich den Tod gefunden. Kurz nach dieser Katastrophe traf Arcot ein. Nach-
dem sie den Verlust von mindestens dreihundert Schiffen hinnehmen mußten, räumten die Thessianer das Gebiet. Einhundertfünfzig Wracks wurden gefunden. Der Rest war von den angreifenden Alliierten bis zur Unkenntlichkeit vernichtet worden. Genaue Zählungen waren daher nicht möglich. Aber als die thessianischen Schiffe zurück auf ihre Stützpunkte flohen, war es Arcot durch die empfindliche Mentalsteuerung des Schiffs möglich, sie zu beobachten und zu verfolgen. Er paßte sich ihrer Raumverzerrungssteuerung so an, daß er die bei ihrer hohen Fluggeschwindigkeit eigentlich unsichtbaren Schiffe nicht aus den Augen verlor. Lichtjahr um Lichtjahr rasten sie ihrer entfernten Basis zu. Nach zwei Stunden hatten die Thessianer sie erreicht. Aus der Entfernung sah Arcot sie auf verschiedene Planeten hinuntersinken. Es waren zwölf gigantische Welten, und jede war weit größer als Jupiter von Sol oder als Stwall von Talsos Sonne Renl. »Ich glaube«, sagte Arcot, als er die Geschwindigkeit der Thought auf ein Drittel Lichtjahr drosselte, »das beste wird sein, diese Planeten zu zerstören. Wir töten dabei sicher viele Männer, womöglich auf unschuldige Zivilbevölkerung, aber sie haben zu viele unserer Rassen getötet. Es ist notwendig. Es gibt ohne Zweifel noch andere Welten in diesem Universum, von denen wir nichts wissen und die die Grausamkeit von Thett gespürt haben. Wenn wir die Thessianer durch Zerstörung dieser Basen fürchten lassen, daß wir auch ihre Mutterwelt angreifen könnten, werden sie wohl ihre anderen Flotten abziehen. Während der Verfolgung war ich meistens für Thetts Schiffe unsichtbar, da wir uns immer ausreichend weit von ih-
rer Zeitrate entfernt hielten. Sie waren nur im ultravioletten Bereich sichtbar, wir aber nicht für sie. Als ich schließlich wußte, welche Sonne ihr Ziel war, habe ich sie uns sehen lassen, und nun ist ihnen klar, daß wir ihren Stützpunkt kennen und ihnen folgen können. Eine dieser Welten werde ich zerstören und dann einer Flotte folgen, die in Richtung ihres Heimatplaneten fliegt. Dabei mache ich mich nach und nach unsichtbar. So werden sie nicht wissen, daß ich hierher zurückgeflogen bin, um die Arbeit zu beenden, sondern weiterhin in dem Glauben sein, ich würde sie verfolgen. Wahrscheinlich werden sie alles versuchen, um uns irrezuleiten und abzuschütteln, aber ganz bestimmt werden sie ein Schiff hierher zurücksenden, um die Flotte zur Verteidigung von Thett zurückzubeordern. Ich glaube, das ist der beste Plan. Seid ihr einverstanden?« »Arcot«, sagte Morey nachdenklich, »wenn diese Rasse versucht, sich in einem anderen Universum niederzulassen, was sagt das über ihr eigenes aus?« »Hm – daß ihr Universum entweder von ihrer eigenen Rasse dicht bevölkert ist oder daß sie es mit einer anderen, ihnen überlegenen Rasse teilen müssen«, antwortete Arcot. »Ihr Denken und Trachten war immer auf ganz bestimmte Welten gerichtet, auf jeden Fall auf bestimmte Sonnensysteme, die wahrscheinlich ihrer Heimat ähnlich sind. Und diese Systeme wollten sie ganz allein für sich haben. Völlig allein zu sein, wäre ihnen wohl am liebsten. So eine kleine Galaxis für sich.« »Doch einzelne Sonnensysteme können in diesem
Weltall nicht existieren«, erwiderte Morey. Er spielte damit auf die Tatsache an, daß aus dem Urgas, aus dem alle Materie dieses Universums und aller anderen hervorging, keine Masseverdichtungen von weniger als dem Tausendmillionenfachen der Sonne sich formen und bestehen könnten. »Das müssen wir herausfinden und können nur hoffen, daß sie nicht unsere Galaxis bevölkern. Besucher dieser Rasse können wir uns einfach nicht leisten. Und ich bin entschlossen, so hart diese Idee auch sein mag, sie auf die eine oder andere Art für immer davon abzuhalten. Zuerst werde ich mit ihren Führern konferieren, und wenn sie nicht friedlich sein wollen – nun, die Thought kann ein Universum vernichten – aber auch erschaffen! Doch ich glaube, daß eine zweite Rasse in diesem Universum lebt; denn verschiedentlich haben wir in ihrem Bewußtsein den Gedanken an die ›großen Pazifisten von Venone‹ gelesen.« »Und wie willst du einen so großen Planeten wie diesen hier vernichten?« fragte Morey und zeigte auf den Telektroskop-Bildschirm. »Paß auf!« sagte Arcot. Unvermittelt schossen sie auf die entfernte Sonne zu, und als sie größer wurde, kamen Planeten ins Blickfeld. Arcot steuerte das Schiff langsam in der Zeitsteuerung auf einen gigantischen Planeten zu, der ungefähr 300 000 000 Meilen von der Sonne dieses Systems entfernt lag. Arcot paßte sich der Geschwindigkeit an, die der Planet in seiner Umlaufbahn hatte. Sorgfältig beobachtete er den Geschwindigkeitsmesser. »Wie hoch ist seine Umlaufgeschwindigkeit, Morey?« fragte Arcot.
»Ungefähr zwölfeinhalb Meilen pro Sekunde«, a ntwortete Morey leicht verwirrt. »Ausgezeichnet, mein lieber Watson«, erwiderte Arcot spöttisch. »Und kennt mein teurer Freund auch die durchschnittliche Molekulargeschwindigkeit von normaler Luft?« »Warum? In der Regel durchschnittlich eine Drittelmeile pro Sekunde.« »Und wenn nun dieser ganze Planet aufhört zu kreisen und den einzelnen Molekülen die gesamte Bewegungsenergie übertragen wird, was wäre dann ihre Durchschnittsgeschwindigkeit? Und welcher Temperatur würde das entsprechen?« fragte Arcot weiter. »Mein Gott – warum? Dann müßten sie einzeln dieselbe kinetische Energie haben, wie sie sie als Ganzes haben, und das würde eine durchschnittliche Molekulargeschwindigkeit von 12,5 Meilen pro Sekunde sein, woraus sich ungefähr – ungefähr zwölftausend Grad ergeben!« rief Morey überrascht aus. »Das würde bedeuten, daß sie in die blau-weiße Region strahlen!« »Ausgezeichnet. Nun paß auf!« Arcot stülpte den Steuerungshelm, den er vorher abgenommen hatte, wieder auf den Kopf und übernahm das Kommando. Er war zu weit von dem Planeten entfernt, als daß sie sein Schiff hätten sehen können. Doch er wollte gesehen werden. So näherte er sich, hing reglos über der Sonnenseite des Planeten, schwebte dann hinüber auf die Nachtseite, blieb jedoch im Licht der Sonne. Binnen weniger Sekunden schoß auch schon eine Kampfflotte herauf, um ihn zu zerstören. Er umgab das Schiff mit einem Wall aus künstlicher Materie. So konnten sie ihm nichts anhaben. Dann machte er sich an die Arbeit.
Direkt in der Umlaufbahn des Planeten erschien ein schwacher Nebel, der sich rasch zu einer Tasse von titanischer Größe verfestigte, deren Öffnung genau auf den Planeten gerichtet war. Arcot pumpte soviel Energie zur Erzeugung dieser Materie, daß der Raum um sie herum sich verformte. Das Meßinstrument, dessen Zeiger zuvor auf Null gestanden hatte, war auf Drei hochgeschnellt. Die Energie von drei Sonnen – und er kletterte noch höher. Als Zehn erreicht war, stoppte er. Zehnmal die Energie unserer Sonne steckte in diesem Nebel und verfestigte sich schnell. Die Thessianer hatten die Gefahr erkannt. Sie lauerte nicht einmal zehn Minuten von ihrem Planeten entfernt. Unzählige Schiffe aller Art verließen jetzt den Planeten und schwärmten wie fliehende Ratten von einem sinkenden Schiff. Majestätisch bewegte sich die große Welt in ihrer Umlaufbahn auf die dünne Wand von unfaßbarer Stärke und Härte zu. Die thessianischen Kampfschiffe bombardierten die Wand mit Strahlen aller Art. Kleine Lichtfontänen spritzten auf – das war alles. Die Meßinstrumente der Thought registrierten diese winzigen Energien schon nicht mehr. Arcot mußte die ganze gigantische Energie seines Schiffes einsetzen, um die Wand zu halten. Jeder Versuch, sie zu bewegen oder zu zerstören, würde alle Energien des Universums zu ihrer Stabilisierung mobilisieren! Die Atmosphäre des Planeten erreichte die Wand. Als der Druck der ungeheuren Luftmassen sie berührte, setzte sich die Wand zur Wehr, gigantische Energiefeuer loderten auf. Der Zeiger, der die Sonnenenergien anzeigte, fuhr die Skala nach oben. Doch
die Männer beobachteten nicht das Instrument. Sie waren Zeugen eines furchteinflößenden Ereignisses: der Mensch hielt den Gang einer Welt auf – hob eine Welt aus den Angeln! Immer weiter kletterte der Zeiger, und plötzlich verwandelte sich die Welt in eine Ehrfurcht gebietende Lichtflut. Massiver Fels, 110 000 Meilen im Durchmesser, prallte auf die gigantische Mauer. Schweigen herrschte, als eine Welt ihre ungeheuren kinetischen Energien den geballten Kräften des Universums entgegensetzte. Geräuschlos – hoffnungslos. Im Ringen mit den Energien von fünfhunderttausend Millionen Sonnen mußte ihre Energie harmlos verpuffen. Ähnlich wie die aussichtslosen Versuche der thessianischen Kriegsschiffe, die unverwundbaren Wände der Thought zu durchbrechen. Wie jämmerlich muß jeder Versuch scheitern, eine Szene zu beschreiben, in der 2 500 000 000 000 000 000 000 000 Tonnen Felsen, Metall und Materie gegen eine unverrückbare und unüberwindbare Wand aus reiner Energie prallten. Der Planet wurde deformiert, löste sich in Tausende von Bruchstücken auf, wurde zerschmettert, teilweise verdampft. Urplötzlich war um die ganze gewaltige Masse herum ein Nebelschleier. Sie wurde – wie ein Spielzeug aus dieser Entfernung im Weltall – von einer unbewegbaren und unveränderbaren Energiewand eingehüllt. Das Schiff schoß durch den Raum. Die Maschinen arbeiteten geräuschlos. Es schien keinerlei Spannung ausgesetzt zu sein, als es wieder beschleunigte. Der Planet schrumpfte zusammen, getaucht in einen See aus Energie. Die Welt, scheinbar winzig, schmetterte gegen eine
Wand, die sich ihr entgegenstellte. Und die Wand lieferte, gegen den Druck ankämpfend, nochmal dieselbe Energie. So erhitzte sich die Materie nicht, wie Morey geschätzt hatte, auf zwölftausend, sondern auf nahezu vierundzwanzigtausend Grad. In weniger als einer halben Stunde war alles vorüber. Eine zertrümmerte, verformte Masse, blauweiß strahlend wie eine Sonne, hing im Weltraum. Und nun würde sie fallen, der Sonne entgegenstürzen und – da sie bewegungslos war und die Sonne sich bewegte – eine ungewöhnliche Umlaufbahn um die Sonne einschlagen. Vielleicht würde sie die vier der Sonne näheren Planeten ausradieren. Vielleicht würde sie auch zerbrechen, wenn sie die Rochesche Grenze dieser Sonne überschritt. Jetzt war der Planet eine Miniatursonne, und als solche nicht einmal klein. Ganze Wolken großer und kleiner Schiffe stiegen nun von jedem Planeten auf – schossen – von Panik ergriffen – durch die Leere des Raums, alle in die gleiche Richtung. Jetzt hatten die Thessianer die Stärke der Thought gespürt und stellten die Rechte auf dieses System nicht länger in Frage.
22. Kapitel Durch die Leere des intergalaktischen Raums schoß ein winziges Schiff. Es war kaum zwanzig Fuß lang und stellte einen einzigen Antriebsmechanismus dar. In diesem Schiff saß ein einzelner Mann und blickte in eine weit, weit entfernte Galaxis, während das Schiff mit der höchsten Geschwindigkeit, die diese winzige Maschine hergeben konnte, und mit bis zum äußersten aufgedrehten Zeitverzerrern durch die Leere flog. Stunden, Tage flogen vorbei. Der Mann bewegte sich nicht. Er hatte nun den großen Golf überquert und eilte durch die Galaxis. Das Ende seiner Reise näherte sich. Trotz der halsbrecherischen Geschwindigkeit saß er beinahe reglos vor seiner Steuerung. Mit wenigen leichten Bewegungen der flinken Finger lenkte er das Schiff in wahnsinnigem Tempo um einige gigantische Sonnen und ihre Planetenfamilien herum. Sonnen flammten auf, wuchsen zu einer Scheibe, und dann lagen sie auch schon hinter ihm. Das Schiff verlangsamte sich, das wahnwitzige Tempo wurde gedrosselt, und das schrille Winseln der überbeanspruchten Generatoren ging in ein zufriedenes Brummen über. Vor ihm tauchte undeutlich ein Stern auf, wuchs und wurde größer. Die große Sonne leuchtete im charakteristischen Licht eines roten Riesen. Das Schiff verlangsamte auf weniger als Lichtgeschwindigkeit und steuerte einen riesigen Planeten an, der die rote Sonne umkreiste. Der Planet hatte einen Durchmesser von nahezu 5000 Meilen und kreiste in einer Entfernung von viereinhalb Mil-
liarden Meilen um die Sonne. Demnach war die Entfernung vom Zentrum der titanischen Sonne fast vier Milliarden achthundert Millionen Meilen, da der Durchmesser der Sonne fast sechshundertundfünfzig Millionen Meilen betrug! Dieser Stern war also noch größer als Antares, der einen Durchmesser von etwa vierhundert Millionen Meilen hat. Und obwohl die Umlaufbahn des Planeten Milliarden Meilen von der Sonne entfernt lag, war ihre Scheibe von gewaltiger Größe, ein titanischer Kreis mattroter Flammen. Doch so mächtig diese Sonne war, sie konnte den gigantischen Planeten nicht überhitzen; denn ihre Oberflächentemperatur war sehr niedrig. Die Atmosphäre des Planeten erstreckte sich über Zehntausende von Meilen in den Weltraum, und unter der starken Gravitation der ungeheuren Masse dieses Planeten hatte sie nahe seiner Oberfläche eine nahezu wasserähnliche Dichte. Temperaturschwankungen gab es auf diesem Planeten nicht, obwohl Tag und Nacht hundert Stunden lang waren. Die Zentrifugalkraft der schnellen Rotation dieses riesigen Körpers hatte ihn, als er noch flüssig war, abgeflacht. Jetzt hatte er eher die Form eines Kürbis als einer Orange. Eigentlich war er ein Doppelplanet, denn sein Satellit war eine Welt mit einem Durchmesser von einhunderttausend Meilen, jedoch im Vergleich zu seinem gigantischen Partner kleiner als Luna im Vergleich zur Erde. Der Satellit kreiste fünf Millionen Meilen vom Zentrum seines Planeten entfernt. Und auch auf ihm wimmelte es von Lebewesen. Der kleine Raumflitzer raste genau auf den großen Planeten zu und schoß kreischend durch die Atmosphäre, bis seine äußere Hülle violett erstrahlte.
Er flog auf eine riesengroße Stadt zu, die sich in düsterem Quaderwerk, jedoch nicht ohne eine gewisse Ordnung, über eine große Fläche ausbreitete. Bei näherer Betrachtung sah man am Rand dieser gigantischen Stadt miteinander verschlungene Kreise aufragen. Die Strahlenabwehrschirme waren rund und die Stadt von Dutzenden von Stationen geschützt. Der Späher flog nun weit unter Lichtgeschwindigkeit. Eine Nachricht, dringend und befehlend, eilte ihm voraus. Ein halbes Dutzend Patrouillenboote flogen ihm entgegen und begleitete ihn zu einem mächtigen dunklen Gebäude, das sich im Zentrum der Stadt erhob. Sie flogen unter dem weißen Himmel darauf zu und landeten auf dem Dach. Der Mann entstieg der kleinen Maschine. Mit flossenförmigen Händen und Füßen, aufgrund deren die alliierten Wissenschaftler angenommen hatten, es handle sich um eine im Wasser lebende Rasse, schwamm er durch die dichte Atmosphäre des Planeten wie ein Taucher im Wasser auf die Tür zu. Bäume überragten das Gebäude; denn obwohl es das größte der Stadt war, hatte es nur vier Stockwerke. Die Bäume trieben wie Meerespflanzen in der dichten Luft umher. Unter dieser Schwerkraft, die hundertmal größer als die der Erde war, konnte man nicht sehr hoch bauen, da sonst die Häuser von ihrem eigenen Gewicht erdrückt worden wären. Eines dieser stämmigen Lebewesen würde auf der Erde ungefähr 200 Pfund wiegen. Doch hier auf diesem Planeten wog es – trotz seiner kleinen Statur – mehr als zehn Tonnen! Nur diese dichte Atmosphäre ermöglichte es, daß es sich bewegen konnte.
Und was das für eine Atmosphäre war! Bei einer Temperatur von fast 360 Grad gab es natürlich kein flüssiges Wasser auf diesem Planeten. Bei dieser Temperatur kann Wasser nicht flüssig sein, gleichgültig wie hoch auch immer der Luftdruck sein mag. Es war gasförmig. In ihren Körpern hatten sie flüssiges Wasser, doch nur weil sie durch Hitze lebten. Ihre Muskeln absorbierten Hitze aus der Luft, um sie arbeitsfähig zu machen. Ihre Muskeln waren mit einem Kühlsystem ausgestattet, und so konnte der Körper flüssiges Wasser für seine Lebensfunktionen speichern. Starben sie, dann verdunstete das Wasser. Fast die gesamte Atmosphäre bestand aus Sauerstoff, etwas Nitrogen und ein wenig Kohlendioxid. Ihre außergewöhnliche Stärke benötigten sie nicht, wie Arcot vermutet hatte, um ihre Körper fortzubewegen, sondern sie ermöglichte ihnen, ein normales Leben zu führen. Schon um einen Gegenstand, der vielleicht auf der Erde zehn Pfund wog, hochzuheben, brauchte man hier Kräfte, um mehr als eine halbe Tonne zu stemmen! Kein Wunder also, daß sie diese Körperkräfte entwickelt hatten. Sachen, die ein Mann bei sich trug, wie etwa eine Strahlenpistole, würden eine halbe Tonne wiegen, ein paar Münzen Kleingeld leicht ein oder zwei Zentner. Doch auf dieser Welt gab es keine Pistolen. Einen Stein konnte man vielleicht auf kurze Entfernung werfen, doch wenn eine Schwerkraftbeschleunigung von mehr als einer halben Meile pro Sekundenquadrat an ihm zerrte und er zudem eine Atmosphäre so dicht wie Wasser zu durchschneiden hatte – welche Möglichkeiten waren da schon für einen weiten Wurf gegeben?
Diesen kleinen Männern mit ihren großen Körperkräften waren andere Lebensformen nicht bekannt – außer vielleicht im Abstrakten und als Witzblattfiguren. Leben auf einem anderen Planeten, wie zum Beispiel der Erde, erschien ihnen so seltsam, wie den Terranern Leben auf einem Planetoiden wie Ceres, Juno oder Eros erschienen wäre. Für sie war sogar das Leben auf Thettost, dem Satelliten von Thett, fremdartig. Auf seinem Weg durch die dichte Atmosphäre seiner Welt auf den Eingang des Gebäudes zu wurde der Späher von Posten angehalten, die seine Identifikation überprüften. Dann wurde er durch eine lange Halle und durch einen Schacht, der zehn Stockwerke unter die Planetenoberfläche führte, in einen weitläufigen Raum mit niedriger Decke geleitet, in dem ein großer Tisch stand. Der Raum war abgeschirmt. Interferenzschirme aller Art waren in die hohlen Wände eingelassen. Sie boten einen perfekten Strahlenschutz für die im Raum befindlichen Männer. Die Posten wechselten, neue Wächter überprüften seine Papiere. Dann wurde er noch tiefer in das Planeteninnere geführt. Wieder wechselten die Posten, und er betrat einen Raum, der von einer dreifachen Reihe Schirme geschützt wurde. Wände und Decke waren aus sechs Fuß starkem Relux. Wegen der enormen Schwerkraft mußten Säulen die Decke noch zusätzlich stützen. Ein Riese seiner Rasse saß vor einem niedrigen Tisch, der die halbe Länge des Raumes einnahm. Auf jeder Seite saßen vier weitere Männer. Doch Platz gab es hier für mehr als zwei Dutzend. »Ein Späher der Kolonie? Was gibt's Neues?« fragte ihn der Führer. Seine Stimme war wie ein Grollen, tief und heiser.
»Oh, mächtiger Sthanto, ich bringe Nachrichten von Widerstand. Wir haben zu lange mit unseren Eroberungen gewartet. Jene Wesen der Welt 37698482730-3 haben zuviel dazugelernt. Wir sind zu spät gekommen. Sie haben das Geheimnis der Überlichtgeschwindigkeit entdeckt und können so schnell durchs Weltall reisen wie wir. Und jetzt haben sie mit Mitteln, die wir nicht ergründen können, auch noch herausgefunden, wie man unser und ihr Antriebssystem kombinieren kann. Sie besitzen eine große Zerstörungsmaschine, und mit der können sie schneller ihre riesige Galaxis durchqueren, als wir ein Planetensystem. Unsere Sache ist verloren. Doch das ist nicht das größte Problem. Thett ist in Gefahr. Wir besitzen keine Waffen, uns gegen dieses Schiff zu verteidigen.« »Thalt – welche Mittel haben wir? Gibt es keine Möglichkeiten, sie zu vernichten?« wollte Sthanto von seinem führenden Wissenschaftler wissen. »Großer Sthanto, es ist uns bekannt, daß eine solche Substanz hergestellt werden kann, wenn nur genug Druck auf kosmische Strahlen im Einflußfeld 247649-321 ausgeübt wird. Dieses Feld kann jedoch nicht erzeugt werden, da nicht genug Energiekonzentration verfügbar ist. Wir können nicht schnell genug Energie freisetzen, um die Verluste bei der Entwicklung des Feldes auszugleichen. Die Tatsache, daß sie dieses Material haben, beweist, daß sie eine unvorstellbar gewaltige Energiequelle besitzen müssen. Ich hätte bislang schwören mögen, daß keine Energie größer ist als die Energie der Materie. Wir kennen die Zusammensetzung dieses Materials und wissen, daß der Dreifachstrahl, der jetzt perfektio-
niert ist, erzeugt werden kann, vorausgesetzt, sie veranlassen die Freigabe aller Energiequellen. Damit würde Energie mit einer Geschwindigkeit freigesetzt, die mit der Energiestärke von Relux in einem Doppelstrahl vergleichbar ist. Doch diese Energiefreisetzung erfolgt nur in der Spur des Strahls.« »Was weiter, Späher?« fragte Sthanto leise. »Zum erstenmal erschien das Schiff während unseres Angriffs auf die Welt 3769-8482730-3. Die Schlacht war fast gewonnen, ihre Abwehrschirme versagten bereits. Sie hatten eine neue und stark ionisierte Schicht als Ableiter erfunden. Es war äußerst schwierig, sie zu knacken, und da ihre Sonne ähnlich abgeschirmt war, konnten wir sie nicht mit den Klassen ihrer Materie bombardieren. Im nächsten Sthan der Zeit hätten wir ihre Welt zerstört. Da erschien dieses Schiff. Es ist mit Geschützen für molekulare, magnetische und kosmische Strahlen ausgerüstet und noch mit einer vierten, uns unbekannten Waffe. Wir nehmen an, es hat auch molekulare Abwehrschirme, die es jedoch nicht benutzte. Unsere stärksten molekularen Abwehrschirme lodern unter ihren molekularen Strahlen auf. Normale Abwehrschirme halten nicht einen Augenblick stand. Die Strahlenenergie ist nicht kalkulierbar. Ihre magnetischen Strahlen setzen sie in Verbindung mit den kosmischen ein. Das bewirkt, daß Relux Strom induziert und infolge der Reaktion von Elektrizität auf das magnetische Feld ...« »... erhitzt das Relux zur Weißglut, und das Schiff gibt nach, wenn der Luftdruck das magnetisch aufgeweichte Relux verbiegt?« beendete Thalt.
»Nein, die. Wirkung ist noch schrecklicher. Es wird pulverisiert«, erwiderte der Späher. »Und was passiert mit Welten, die der magnetische Strahl berührt?« erkundigte sich der Wissenschaftler. »Ein Teil des Strahls berührte die Welt, über der wir kämpften. Es gab ein Erdbeben«, antwortete der Kolonist. »Und die vierte Waffe?« fragte Sthanto. Seine Stimme war jetzt gelassen. »Sie ist wie ein Geist. Ein Dunstschleier, der wie eine Wolke aus dem Nichts entsteht, und was er berührt, wird zermalmt, was ihn rammt, wird zertrümmert. So ein Schleier umgibt auch das große Schiff. Maschinen, die in ihn mit sechsfacher Lichtgeschwindigkeit hineinfuhren, wurden zerstört, ohne die Wand überhaupt zu verletzen. Dann – und das war der Grund meiner Abreise aus der Kolonie – offenbarte sich noch einmal seine unvorstellbare Stärke. Einer dieser Dunstschleier formte sich in der Umlaufbahn unserer kolonisierten Welt – Nr. 3769-1-5 –, und der Planet kreiste auf diese Nebelwand zu. Er wurde zerschmettert und in weniger als fünf Sthan in einen blauweißen Feuerball verwandelt. Die Wand hielt den Planeten einfach in seiner Umlaufbahn an. Da wir die Maschine nicht bekämpfen konnten, verließen wir diese Welten. Die anderen sind auf dem Weg hierher«, beendete der Bote seinen Bericht. Der Regent wandte sich mit lächelndem Gesicht dem Kommandanten seiner Armeen zu, der neben ihm saß. »Befehligen Sie«, sagte er ruhig, beinahe freundlich, »daß eine Dreifachstrahl-Station unter der Leitung von Thalt aufgestellt wird, und daß außerdem sämtli-
che zur Verfügung stehenden Energien dafür abgestellt werden. Fügen Sie hinzu, daß die Kolonisten besiegt heimkehren und ihnen Gefahr auf dem Fuße folgt. Der Dreifachstrahl wird jedes Schiff, das in dieses System eindringt, vernichten.« Seine Hand unter dem Tisch drückte auf einen nicht sichtbaren Knopf. Vom perfekt leitenden Reluxboden bis hinauf zu der gleichermaßen perfekt leitenden Decke und zwischen vier Säulen, die die Stelle umgaben, wo der Späher stand, erschienen eine tausendstel Sekunde lang starke Lichtbögen. So plötzlich, wie sie erschienen waren, verschwanden sie auch wieder, und an der Stelle, wo der Späher gestanden hatte, war nicht einmal Asche übriggeblieben. »Haben Sie irgendwelche Vorschläge, Thalt?« fragte er den Wissenschaftler. Seine Stimme war so ruhig wie zuvor. »Mit Ihrer bisherigen Führung stimmte ich überein, doch Ihre zukünftigen Pläne sind nicht zufriedenstellend«, erwiderte der Wissenschaftler. Der Regent saß reglos in seinem großen Sessel und blickte den Wissenschaftler fest an. »Ich glaube daher, daß die Zeit gekommen ist, daß ich Ihren Platz einnehme.« Der Sessel, auf dem der Regent gesessen hatte, war plötzlich von einer dunklen Wolke verhüllt. Dann war die Wolke verschwunden und mit ihr der Sthanto. Zurück blieben nur der Relux-Sessel und Relux-Überbleibsel seiner Kleidung. »Er war ein Idiot«, sagte der Wissenschaftler ruhig, als er sich erhob. »Er wollte sich seines Wissenschaftlers entledigen. Ist jemand gegen meine Nachfolge?« »Keiner ist dagegen«, sagte Faslar, des Ex-Königs Premier und Erster Berater.
»In diesem Fall setzen Sie sich, Phantal, Kommandant der planetarischen Streitkräfte, mit Ranstud, meinem Assistenten, in Verbindung und führen die von meinem Vorgänger entworfenen Pläne aus. Und Sie, Flottenkommandant Tastal, bringen Ihre Flotten am besten zum Schutz in Planetennähe. Und zwar sofort!« »Darf ich Ihnen nahelegen, mächtiger Thalt«, sagte Faslar, nachdem die anderen gegangen waren, »daß mein Wissen Ihnen äußerst nützlich sein wird. Sie haben zwei Befehlshaber, und keiner von beiden liebt Sie. Außerdem ist keiner von beiden sehr fähig. Die Familie der Thadstils würde es begrüßen zu erfahren, wer den ehrenwerten Gentleman beseitigt hat, und die Familie der Datstir würde erfreut denjenigen unterstützen, der ihnen den Beseitiger ihres Oberhauptes bringt. Dies würde zwei unwillkommene Dummköpfe entfernen und Männern wie Ranstud und Ihrem Sohn Warrtil Platz machen. Und«, fügte er hastig hinzu, als er eine leichte Veränderung in Thalts Augen bemerkte, »ich darf noch hinzusetzen, daß die Hinterbliebenen von Parthel großes Interesse an gewissen Papieren haben würden, die von mir persönlich ständig bewacht werden.« »Ah, ja? Und was ist mit Kelston Faln, Faslar?« lächelte der neue Sthanto. Thalts Hand entspannte sich, und sie begannen, die Möglichkeiten der Verteidigung zu diskutieren.
23. Kapitel Von der Erde hoch, hinauf in ihren klaren Himmel und in das Licht und Dunkel des Weltraums der Sonne entgegen stieg das Schiff. Sie hatten es bewegungslos über New York gehalten. Bei ihrem Abflug begleiteten sie Hunderte von winzigen Fahrzeugen und einige wenige Vergnügungsschiffe, bis sie sich außerhalb der irdischen Atmosphäre befanden. Dann – war es plötzlich verschwunden. Verschwunden im Weltraum. Mit unüberbietbarer Geschwindigkeit schoß die Thought dem weit entfernten Universum entgegen. Minuten später lag ihr eigenes Universum als große Scheibe hinter ihnen. Sie fotografierten ihre Route, um nach dem Kampf wieder zurück zur Erde zu finden – sollten sie zurückkommen. Sie waren in der Weite des intergalaktischen Raums. »Dies ist die erste Gelegenheit, die Höchstgeschwindigkeit unseres Schiffs zu testen. Wir haben es nie voll ausgefahren und sollten sie jetzt messen. Nimm als Anhaltspunkt den Durchmesser der von hier aus sichtbaren Sterneninsel, Morey. Nach zehn Sekunden schau noch einmal.« In einem Abstand von einer halben Million Lichtjahre vom Zentrum der Galaxis, breitete sich der Rand der großen Scheibe über den Raum hinter ihnen aus wie ein Teller in dreißig Zoll Entfernung. Sie hatte mehr als zweihundertundfünfzig Lichtjahre Durchmesser. Sorgfältig messend stellte Morey fest, daß ihre eigene Entfernung von ihr fast fünfhunderttausend Lichtjahre betrug.
»Paß auf! Jetzt!« rief Arcot. Urplötzlich war der Weltraum schwarz. Neben ihnen fuhren die Zwillingsgeisterschiffe, die immer erschienen, wenn der Raum sich auf kleinste Größe zusammenzog; denn das Licht wird um den Raum herum gekrümmt, dessen Radius in Meilen anstatt in Lichtjahrbillionen gemessen wird, es kehrt zurück. Es gab keine Geräusche, nicht die leiseste Vibration war zu spüren. Nur Torlos' eiserne Knochen empfanden den leichten Schock, als die ungeheuren Stromstärken aus den Lagefeldern in die Raumverzerrungsspule fluteten und ihre gigantischen Magnetfelder um sich aufbauten. Für zehn Sekunden, die Arcot wie Minuten erschienen, hielt er das Schiff auf dem Kurs bei gleichzeitiger, höchstbeschleunigter Raum- und Zeitfeldverzerrung. Dann ließ er beide im selben Augenblick los. Um sie herum war die samtene Schwärze des Weltraums wie zuvor, doch nun lag die Scheibe der Galaxis winzig klein hinter ihnen. Sie war so winzig, daß die Männer, die ihre Größe kannten, fassungslos nach Luft rangen. Keiner von ihnen konnte sich eine Geschwindigkeit, wie dieses Schiff sie entwickelt hatte, vorstellen. Sekunden später verkündete Morey, daß sie in wenigen Augenblicken eine Million einhunderttausend Lichtjahre gereist waren. Ihre Geschwindigkeit belief sich auf sechshundertsechzig Quadrillionen Meilen pro Sekunde! »Dann werden wir nur wenig über tausend Sekunden benötigen, um die hundertfünfzig Millionen Lichtjahre mit 110 000 Lichtjahren pro Sekunde zu bewältigen. Das entspricht ungefähr dem Radius unserer Galaxis, nicht wahr?« rief Wade. Sie flogen
weiter. Tausendzehn Sekunden später, oder – anders ausgedrückt – nach nur wenig mehr als 18 Minuten hielten sie wieder an. Weit hinter ihnen, fast verloren zwischen den weit verstreuten Sterneninseln, lag ihre Galaxis. Sorgfältig fotografierten sie nun das weniger als zwanzig Millionen Lichtjahre vor ihnen liegende Universum. Sogar noch nach Überquerung dieses gewaltigen Golfes lag es noch weiter entfernt als viele jener Nebulae, die wir von der Erde aus sehen können und die innerhalb dieser Entfernung liegen. Jetzt mußten sie vorsichtig weiterfliegen, da sie nicht genau wußten, wieweit sie von dieser Galaxis entfernt waren. Vorsichtig, in Sprüngen von fünf Millionen Lichtjahren von jeweils fünfündvierzig Sekunden Fahrt, arbeiteten sie sich näher heran. Endlich erreichten sie die Insel und steuerten auf das dichte Zentrum zu. »Großer Gott! Arcot, schau dir diese Sonnen an!« rief Morey voller Verwunderung aus. Zum erstenmal sahen sie die Sonnen dieses Systems aus einer Nähe, die ihnen Beobachtungen erlaubte. Arcot hatte deshalb angehalten. Die erste, die sie ausgewählt hatten, war ein mächtiger, blau-weißer Gigant, fast einhundertfünfzigmal so schwer wie Sol. Die Oberfläche strahlte Energien von fast dreißigtausend Pferdestärken pro Quadratzoll aus! Es umkreisten ihn jedoch keine Planeten auf seiner Reise durch das Weltall. »Hast du die vielen Riesensterne hier bemerkt? Schau dich um.« Die Thought bewegte sich anderen Sonnen entgegen. Sie mußten eine finden, die bewohnte Planeten hatte. Schließlich hielten sie in der Nähe eines großen,
orangefarbenen Giganten an und untersuchten ihn. Tatsächlich hatte er Planeten. Während Arcot beobachtete, entdeckte er im Telektroskop eine Reihe gigantischer Frachter, die von der Welt emporstiegen und sich im Nichts verflüchtigten, als sie die Lichtgeschwindigkeit überschritten! Augenblicklich warf er die Thought ins Zeitfeld, um dort nach den Frachtern zu suchen. Er fand sie und folgte ihnen quer durch die Leere des Raums. Er wußte, daß er sichtbar für sie war. Wie er vermutet hatte, hielten sie bald an und signalisierten ihm. »Morey – übernimm die Thought. Ich werde sie im Banderlog, unserem Begleitschiff, besuchen«, rief Arcot, entledigte sich des Steuerhelms und verließ den Kommandositz. Der Geleitzug der Frachter war jetzt weniger als hunderttausend Meilen entfernt klar sichtbar im Telektroskop. Sie signalisierten noch immer. Arcot hatte den automatischen Signalgeber in Betrieb gesetzt, der mit starken Suchlichtern ein bekanntes Signal funkte, das für die anderen jedoch offensichtlich unverständlich war. »Ist das Risiko nicht zu groß, Arcot?« fragte Torlos ängstlich. Sich jenen mächtigen Schiffen mit der vergleichsweise winzigen Banderlog zu nähern, schien ihm nicht gerade ratsam zu sein. »Weit sicherer als die glauben werden. Vergiß nicht, die Banderlog hat auch von kosmischer Energie angetriebene Waffen, gegen die nur die Thought etwas ausrichten kann«, beruhigte ihn Arcot und tauchte in das kleine Begleitschiff hinunter. Augenblicke später war es durch die Luke und schoß wie eine Gewehrkugel davon. Zehn Sekunden später erreichte es die fremde Flotte.
»Sie unterhalten sich gedanklich!« verkündete Zezdon Afthen sogleich. »Aber ich kann sie nicht verstehen. Die Impulse sind zu schwach.« Fast eine Stunde lang hing die Banderlog neben der Flotte, dann drehte sie ab und raste wieder auf die Thought zu. Kurz darauf erschien Arcot im Türrahmen. Er sah erleichtert aus. »Nun, ich habe einige gute Nachrichten«, sagte er lächelnd und setzte sich hin. »Morey, folge ihnen. Ich erzähle euch alles. Stell die Maschine auf sie ein. Wir haben einen langen Weg vor uns und die venonianischen Schiffe dort sind langsame Frachter, die nur von einem Kreuzer begleitet sind. Sie sind von Venone«, begann er. »Erinnert ihr euch, Thetts Berichte sagten irgend etwas von den ›großen Pazifisten von Venone‹. Das sind sie. Sie bevölkern den größten Teil dieses Universums und überließen den Thessianern nur vier Planeten einer kleineren Sonne, weit entfernt in einem Arm dieser Galaxis. Die Thessianer sind ihre Verbannten, die seit Generationen entweder gezwungen wurden, dorthin zu gehen, oder die freiwillig dorthin gehen wollten. Thett war einst ihre Gefängniswelt. Niemals kehrte jemand von ihr zurück. Die Familie konnte den Gefangenen, wenn sie wollte, begleiten. Wenn nicht, wurde die Familie weiterhin sorgfältig auf neu auftretende, unerwünschte Verhaltensweisen hin beobachtet – auf Mord, Kriminalität jeder Art und asoziales Verhalten. Ungefähr vor sechshundert Jahren nach unserer Zeitrechnung revoltierte Thett. Es lebten dort auch Wissenschaftler. Sie hatten das entdeckt, hinter dem sie schon seit Generationen her waren – den Doppel-
strahl. Was das ist, weiß ich nicht. Auch die Venonianer wissen es nicht. Es ist ein Strahl, der Relux und Lux zerstört. Wegen irgendwelcher Beschränkungen kann er jedoch lediglich in Maschinen produziert werden, die nur von Anlagen der Größe ihrer Forts zu transportieren sind. Welcher Art diese Beschränkungen sind, wußten die Venonianer nicht. Außer diesem Strahl haben sie keine neuen Waffen. Aber das reichte auch aus. Die Patrouillenboote, die die Welten des Gefängnissystems bewachten, waren im Nu zerstört. Das geschah so unvermittelt, daß die Venonianer nichts davon erfuhren, bis sie bei einem neuen Gefangenentransport deren Abwesenheit entdeckten. Thett war jetzt unabhängig. Doch sie waren an ihr System gefesselt; denn obwohl sie Schiffe mit Molekularantrieb besaßen, war es ihnen nie gestattet worden, Zeitmaschinen zu benutzen oder sie auch nur zu sehen. Sie hatten auch niemanden, der ihre Prinzipien kannte. Daher waren sie weiterhin so isoliert wie zuvor. Dieser Zustand währte zweihundert Jahre. Dann fand einer ihrer Wissenschaftler die Lösung, und nun mußten die Pazifisten sich gegen Thett verteidigen. Ihre kleine Kreuzerflotte, die normalerweise bei Rettungsarbeiten oder zur Säuberung der Weltraumstraßen von Wracks und Asteroiden eingesetzt wurde, war sofort zerstört worden. Ihre Welt wurde nur noch von einem Strahlenabwehrschirm, den die Thessianer nicht hatten, und von der Möglichkeit, mehr Schiffe als diese zu bauen, geschützt. In weniger als einem Jahr konnten sie die Thett auf ihre Welt zurückdrängen. Besiegen konnten die Venonianer sie allerdings nicht; denn rund um ihre Planeten hatten
sie viele Forts postiert, die mit Projektoren für die tödlichen Strahlen ausgerüstet waren. Kein Schiff konnte sich ihnen nähern. Dann entwickelte Thett auch die Abwehrschirme, und sie kamen wieder. Venone hatte planetare Stationen, die Molekularstrahlen von einer Intensität projizierten, über die ich mich bei ihrem Projektionssystem nur wundern kann. Es scheint, daß diese Leute Energiebeschickungssysteme haben, die durch den freien Raum operieren und ein ganzes Sonnensystem zur Energieerzeugung nutzbar machen können. Auf diese Art und Weise speisten sie die Stationen. Weiß der Himmel, welche Röhren sie hatten. Und die Thessianer konnten keine Energie zum Kampf bekommen. Seitdem sind sie in Ruhe gelassen worden, warum, wissen sie auch nicht. Ich sagte ihnen, was ihre teuren Freunde in der Zwischenzeit alles vollbracht haben. Die Venonianer waren völlig überrascht, und es tat ihnen offensichtlich sehr leid. Sie baten um Entschuldigung, daß sie diese Verrückten freigelassen hatten und fühlen sich zutiefst verantwortlich. Sie boten jede nur mögliche Hilfe an. Ich sagte ihnen, daß eine Sternkarte von diesem System für uns von größtem Nutzen sei. Sie fliegen jetzt nach Venone, und wir mit ihnen. Sehen wir uns an, was sie anzubieten haben. Auch möchten sie eine Demonstration unseres bemerkenswerten Schiffs, das alle Flotten der Thessianer besiegen und Planeten zerstören und erschaffen kann«, schloß Arcot. »Ich verüble es ihnen keineswegs, daß sie dieses Schiff operieren sehen wollen, Arcot. Doch gehören sie ganz offensichtlich einer wesentlich älteren Rasse
an, als die eure es ist«, sagte Torlos. Seine Gedanken waren klar und scharf wie bei einem Mann, der Wohlüberlegtes sorgfältig formuliert. »Lauft ihr nicht Gefahr, daß die Gedanken der Venonianer stärker als eure sind, daß diese Geschichte, die sie dir erzählt haben, nur ein Trick ist, um das Schiff in ihr System zu locken, wo Tausende, Millionen, Milliarden von ihnen ihren Willen gegen euch konzentrieren und dieses Schiff mit ihren Gedanken erbeuten können, was mit Gewalt unmöglich wäre?« »Da liegt der Hund begraben, wie ein alter Dichter auf Erden es einmal gesagt hat«, stimmte Arcot zu. »Ich weiß es nicht und hatte auch keine Möglichkeit, es herauszufinden. Daher sollten wir einiges vorbereiten. Morey, überlaß mir wieder das Kommando, ja?« Arcot baute ein neues Schiff. Es war notgedrungen völlig aus Kosmium, Lux und Relux; denn dieses waren die einzigen Materiearten, die er aus Energie im Weltraum herstellen konnte. Es war mit Gravitationsantrieb und Zeitverzerrer ausgerüstet. Sein nun weit besser trainiertes Gehirn vollendete dieses kleine Schiff mit Hilfe von titanischen Werkzeugen in weniger als zwei Tagen. So lange brauchten sie, um Venone zu erreichen. In der Zwischenzeit hatte sich der venonianische Kreuzer ihnen genähert, und seine Mannschaft beobachtete voller Staunen, wie ein Schiff aus der Energie des Weltraums entstand. Glitzernde Materie materialisierte sich aus der absoluten Leere und wurde von titanischen Werkzeugen, die ihre Vorstellungskraft überstiegen, geformt. Eben diese Faszination war teilweise der Grund für die Konstruktion des Schiffes, denn während dieses
außergewöhnliche Geschehen die Venonianer in seinen Bann schlug, war ihr Bewußtsein nicht abgeschirmt. Der Geist des Kommandanten lag wie ein aufgeschlagenes Buch da, in dem die wunderbar trainierten Gehirne von Zezdon Afthen und Zezdon Inthel nur zu lesen brauchten. Mit ihren Instrumenten und ihrer fantastisch entwickelten Bewußtseinswissenschaft untersuchten sie auch die Gehirne einiger Offiziere, ohne daß diese es merkten. Von Zeit zu Zeit half ihnen Moreys in dieser Hinsicht weniger trainiertes Gehirn, das jedoch aufgrund seiner älteren Rasse entwickelter und von seiner persönlichen Veranlagung her besonders stark war. Die Sonne von Venone war nahe. Arcot machte das kleine Raumschiff zum Abflug bereit. Morey übernahm es und flog im Zeitfeld davon. Das Schiff war aus den Reservetanks der Thought mit Bleitreibstoff für die Materieverbrennungsgeneratoren aufgefüllt. Auch die Luft stammte aus großen Tanks der Thought. Morey flog als Kundschafter der Thought voraus nach Venone. Stunden später kehrte Morey mit einem günstigen Bericht zurück. Er hatte einige der wichtigsten Männer von Venone getroffen und sich mit ihnen – von dem schützenden Hort seines Schiffs aus – mental unterhalten. Der speziell installierte Gravitationsapparat hatte ihn und das Schiff gegen die gewaltige Anziehung dieser gigantischen Welt abgeschirmt. Er beschrieb ihnen Venone nicht. Er wollte, daß sie es so sehen sollten, wie er es zum erstenmal gesehen hatte. So wurde das kleine Schiff, das nun seinen Zweck erfüllt hatte, ein Lichtjahr von Venone entfernt zerstört. Übrig blieb ein zermalmtes Wrack, nachdem es
von zwei Platten aus künstlicher Materie zerdrückt worden war. So konnten unwillkommene Entdecker keinen Gebrauch davon machen. Außer dem Gravitationsapparat gab es nichts in dem Schiff, was für Thett von Nutzen hätte sein können. Sie rasten auf Venone zu. Bald erschien undeutlich vor ihnen der gigantische Stern, dessen Planet Venone war. Auf Moreys Anweisung hin richteten sie ihren Kurs aus. Schon tauchte vor ihnen der Planet auf. Er war so groß wie Thett, fast eine halbe Million Meilen im Durchmesser. Seine Masse war der unserer Sonne sehr ähnlich. Und doch war er nur das ausgebrannte Überbleibsel der äußersten, fotosphärischen Schichten dieser gigantischen Sonne. Radioaktive Atome, die eine Sonne aktivieren, waren hier nicht vorhanden. Es war ein erkalteter Planet. Aber seine Dichte war bedeutend höher als die unserer Sonne, die kaum die des normalen Seewassers übersteigt. Die Welt war so dicht wie Kupfer, und ihr Kern enthielt bedeutend mehr schwere Elemente als der Erdkern. Um den Planeten kreisten zwei gigantische Satellitenwelten, jede größer als Jupiter. Hier jedoch waren es Satelliten eines Satelliten. Venone selber war von unzähligen Millionen bewohnt. Doch von oben waren ihre niedrigen grünen Stein- und Metallstädte in dem flachen Land nicht sichtbar. Sie lagen im Schatten der knollenartigen, gigantischen Bäume, die trotz ihres gewaltigen Gewichts in der dichten Atmosphäre trieben. Auch hier gab es keine Meere, da die Temperatur über dem Siedepunkt des Wassers lag. Nur in den sich selbst kühlenden Körpern dieser Leute und in
den mit ähnlichen Kühlsystemen ausgestatteten Bäumen existierte Flüssigkeit. Die Sonne dieser Welt war ein gigantischer roter Stern, fast dreihundertfünfzigmal größer als unsere Sonne. Sie wurde von nur drei riesenhaften Planeten umkreist. Die große Scheibe der Sonne war von der Oberfläche der Welt aus nahezu unsichtbar, da die dichte Luft als Lichtfilter wirkte. Langsam sank die Thought durch fünfzehntausend Meilen Atmosphäre. Die Erde hätte auf diesem Planeten soviel Platz, daß sie auf seine Oberfläche gesetzt, nicht aus der Atmosphäre herausragen würde. Stünde sie im Zentrum dieses Planeten, könnte der Mond sich um die Erde bewegen, ohne über die Oberfläche hinauszutreten. Während sie hinuntersanken, betrachteten die Terraner in schweigender Bewunderung diese titanische Welt. Ihre Freunde konnten noch weniger die Bedeutung von dem, was sie sahen, erfassen. Innerhalb des schützenden Felds spürten sie nicht die unbeschreiblichen Einwirkungen der kolossalen Gravitationskräfte, denen sie und das Schiff ausgesetzt waren. Nur Arcot kannte die gewaltige Gravitation. Seine Instrumente zeigten ihm an, daß sie einer Gravitationsbeschleunigung von dreitausendvierhundertsiebenundachtzig Fuß pro Sekunde ausgesetzt waren. Das war fast genau die einhundertneunfache Anziehung der Erde. »Die Thought wiegt mit Begleitschiff auf der Erde eine Milliarde zweihundertundsechs Millionen fünfhunderttausend Tonnen. Hier wiegt sie ungefähr einhunderteinundzwanzig Milliarden Tonnen«, sagte Arcot leise. »Können Sie das Schiff dann aufsetzen? Vielleicht
wird es von seinem eigenen Gewicht zermalmt, wenn der Gravitationsantrieb es nicht stützt, oder?« fragte Torlos besorgt. »Acht Zoll Kosmium und alles andere auch von Kosmium gehalten. Ich habe dieses Schiff so konstruiert, daß es jedem vorstellbaren Druck standhalten kann. Paßt auf, ob die Oberfläche des Planeten das Gewicht tragen kann«, antwortete Arcot. Sie sanken noch immer. Nun hing eine Anzahl schöner kleiner, stromlinienförmiger Schiffe um den langsam niedersinkenden Giganten. Mehr und mehr Leute stiegen von der Oberfläche auf, um ihnen entgegenzufliegen. Ein Kreuzer erschien, um ihnen den Weg zu weisen. Arcot folgte ihm. Wie ein Blitz durcheilte er die dichte Luft. »Kein Wunder, daß sie stromlinienförmig sind«, murmelte er, als er bemerkte, wieviel Kraft sein Schiff gegen diesen starken Luftwiderstand aufwenden mußte. Der Luftdruck außerhalb ihres Schiffs war so groß, daß der reine Lichtbrechungseffekt schon gewaltig war. Auf der Außenhaut des Schiffs lag nun ein Druck von gut neun Tonnen pro Quadratzoll! Sie landeten ungefähr fünfzig Meilen von der Hauptstadt entfernt. Das Land war flach, der Horizont verschmolz in der Ferne in einer vollkommen klaren Atmosphäre. In ihrer Höhe von fast dreihundert Fuß gab es keinen Staub, denn Staub war zu schwer für diese Welt. Wolken gab es auch nicht. Die Gebirge waren nur von geringer Höhe, aber bestanden aus gezackten Felsen und hatten ausnehmend scharfe Konturen. »Hier gibt es keinen Regen und keine Temperatur-
schwankungen, also auch kaum Erosion«, sagte Wade. »Die Bruchzone kann hier nicht tief sein.« »Was ist das, Wade, eine Bruchzone?« wollte Torlos wissen. »Fels hat Gewicht. Jede Substanz, gleichgültig, wie zerbrechlich sie ist, beginnt zu fließen, wenn von allen Seiten genug Druck ausgeübt wird. Etwa Fließendes kann nicht brechen oder gespalten werden. Es ist unvorstellbar, welch hohem Druck der Fels in dreihundert Fuß Tiefe ausgesetzt ist. Einerseits der gewaltige Druck der Atmosphäre und andererseits der Druck der auf ihm lastenden Gesteinsmassen. Bereits in einer halben Meile Tiefe ist das Gestein einem derartig hohen Druck ausgesetzt, daß er anfängt, wie Schlamm zu fließen. Der Fels bricht nicht – er fließt unter dem Druck. Oberhalb dieser Grenze kann der Fels brechen, darunter beginnt er zu fließen. Über ihr liegt die Fraktur- oder Bruchzone. Auf der Erde ist die Frakturzone zehn Meilen tief. Hier dürfte die Grenze schon bei fünfhundert Fuß liegen. Und die Kontinentalschollen, die die Oberfläche eines Planeten bilden, treiben auf der Fließzone – sie bestimmt die Frakturzone.« Das gigantische Schiff war noch tiefer gesunken. Und jetzt wurden Wades Worte unerwartet demonstriert. Die Thought war gelandet, und Arcot schaltete den Antrieb ab. Plötzlich ein Brüllen, das gigantische Schiff erzitterte, wurde hin und her geworfen. Sofort stieg Arcot wieder auf. »Nichts zu machen. Das Schiff kann es zwar aushalten und würde vom Eigengewicht nicht zerdrückt werden – doch der Planet würde es. Wir haben soeben ein Venone-Beben ausgelöst. Einer dieser
Schollen, von denen Wade sprach, rutschte unter dem zusätzlichen Druck weg.« Schnell erklärte ihnen Wade, daß diese planetarischen Blöcke tatsächlich schwimmen und wie ein Boot im Gleichgewicht sein müssen. Die zusätzliche Belastung war so groß gewesen, daß diese ohnehin schon überlastete Scholle aus der Balance geraten war. Das ›Boot‹ war unter der Last etwas tiefer in die Flußzone abgesunken, bis es wieder sein Gleichgewicht gefunden hatte. »Sie möchten, daß wir herauskommen, damit sie uns, die Fremdlinge und Freunde von einer anderen Sterneninsel, sehen können«, unterbrach Zezdon Afthen. »Sagen Sie ihnen, wenn wir dies versuchen würden, dann müßten sie uns vom Boden abkratzen. Wir k ommen von einer Welt, in der wir soviel wiegen, wie hier ein Kieselstein«, sagte Wade und grinste bei dem Gedanken an auf dieser Welt wandelnde Terraner. »Nicht doch – sagen Sie ihnen, daß wir gleich hinauskommen«, sagte Arcot. »Wir alle.« Morey und die anderen starrten ihn entgeistert an. Das war absolut unmöglich! Aber Zezdon Afthen übermittelte ihnen Arcots Antwort. In der Luftschleuse erschien ein anderer Morey. Er trug offensichtlich einen Druckanzug. Hinter ihm kam ein anderer Wade, Torlos, Stel Felso Theu. Alle außer Arcot selber! Die Männer starrten sie erstaunt an – dann begriffen sie und lachten. Arcot hatte Doppelgänger aus künstlicher Materie geschaffen, um sie hinauszuschicken! Ihre Doppelgänger stiegen aus. Die versammelten Venonianer starrten verwundert die Riesen an, die doppelt so groß wie sie waren.
»Sie sehen nicht uns, sondern Ebenbilder von uns. Wir könnten weder die Schwerkraft noch den Luftdruck ihrer Welt aushalten. Doch genauso wie diese Abbilder sehen wir aus.« Für einige Zeit unterhielten sie sich, und dann war Arcot bereit, eine Demonstration ihrer Stärke zu geben. Auf Vorschlag des Kreuzer-Kommandanten, der den Bau eines Raumschiffs aus der Leere des Weltalls miterlebt hatte, konstruierte Arcot schnell aus reiner Energie eine kleine, sehr einfache, molekulargetriebene Maschine aus purem Kosmium. Nur Minuten benötigte er dazu. Die Venonianer sahen Arcot bewundernd zu, als seine unglaublichen Werkzeuge vor ihren Augen die Maschine formten. Arcot übergab das fertige Schiff einem offiziellen Vertreter der Stadt. Skeptisch betrachtete der Venonianer das Schiff. Er erwartete wohl, daß es – wie die Werkzeuge, die es geformt hatten – wieder verschwinden würde. Ganz vorsichtig ging er an Bord. Es war ein schnelles Schiff, das mit Blei verbrennenden Strahlengeneratoren ausgerüstet war. Der Bevollmächtigte bestieg das Schiff, und als er bemerkte, daß es noch immer existierte, probierte er es aus. Sehr zu seinem Erstaunen flog es – und zwar ausgezeichnet. Fast zehn Stunden verbrachten Arcot und seine Freunde auf Venone. Bevor sie diese Welt verließen, hatten ihnen die Venonianer bewiesen, daß sie – trotz aller Verschiedenartigkeit – ehrliche und freundliche Leute waren. Sie sind eine Rasse, die unsere Alliierten seitdem respektieren und ehren. Unser Handel mit ihnen, obwohl er nur unter Schwierigkeiten durchgeführt werden kann, ist ein Band echter Freundschaft.
24. Kapitel Wieder schoß ein winziges Späherschiff durch die Weite des Weltraums auf Thett zu. Nur ein einzelner Mann war an Bord. Mit höchstmöglicher Geschwindigkeit raste es auf Thett zu. Seine Geschwindigkeit war wahnwitzig, aber es blieb ihm keine andere Wahl, wenn er seine Mission erfolgreich beenden wollte. Es tauchte in Thetts Atmosphäre ein, verlangsamte auf weniger als Lichtgeschwindigkeit und sandte Signale aus. Augenblicke später war das weniger als dreihundert Meilen entfernt liegende Patrouillenboot bei ihm, und gemeinsam schossen sie in einem waghalsigen Sturzflug durch die dichte Luft auf Shatnsoma, die Hauptstadt, zu. Sie war genau unter ihnen, und in kürzester Zeit hatten sie den großen Palastkomplex erreicht und waren auf dem Dach gelandet. Der Späher entstieg in großer Eile seinem Schiff und tauchte zur Tür. Seine Ausweise zückend, schwamm er hinunter und in den ersten, bewachten Raum hinein. Hier wurden wertvolle Sekunden durch das Überprüfen seiner Papiere vertan. Dann wurde er hinunter in den Ratssaal geschickt. Und dann stand er auf genau dem Platz, an dem wenige Wochen vorher ein anderer Späher gestanden hatte und – verschwunden war. Vier Ratsherren und der neue Sthanto waren versammelt. »Welche Nachrichten bringst du uns, Späher?« fragte der Sthanto. »Sie sind im Universum von Venone angekommen und zum Planeten Venone geflogen. Als ich startete,
waren sie auf dem Planeten. Keinem unserer Späher war es möglich, sich dem Platz zu nähern; denn unzählige venonianische Zuschauer waren da. Sie hätten uns entdeckt. Zwei Späher sind zerstrahlt worden, die Fremden haben dies jedoch nicht bemerkt. Schließlich konnten wir zwei Venonianer, die alles gesehen hatten, gefangennehmen und die Informationen, die wir benötigten, aus ihnen herauspressen. Es waren ein junger Mann und seine Braut. Aus dem Mann war nichts herauszuholen, und da wir es eilig hatten, versuchten wir es mit dem Mädchen. Diese verfluchten Venonianer sind trotz ihrer Friedfertigkeit mutig. Wir waren im Druck, und doch dauerte es lange, bis wir sie endlich so weit hatten, daß sie uns alles erzählte. Sie war eine der Stenographen der venonianischen Regierung gewesen. Das meiste ihrer Unterhaltung wissen wir jetzt. Aber leider starb sie an den Brandwunden, noch bevor sie alles erzählen konnte. Diese Galaxianer wissen so gut wie nichts über den Doppelstrahl. Nur daß er ein elektromagnetisches Phänomen ist. Doch können sie ihn durch den Einsatz purer Energie zerstören. Gegen ihre Wände kann der Strahl nichts ausrichten. Aus der Entfernung haben wir beobachtet, daß sie Materie aus reiner Energie des Weltraums erzeugen können. Das macht es ihnen leicht, den Doppelstrahl unschädlich zu machen. Jeder Strahl, der natürliche Materie zerstören kann, prallt an ihr wirkungslos ab. Das Mädchen war verdammt gescheit. Außer einigen, wenigen neuen Tatsachen, erzählte sie uns nur, was wir bereits wußten. Sie ahnte, daß sie auf jeden Fall sterben würde. Eine wichtige Sache, die wir her-
ausfanden, ist folgendes: Sie verbrennen keinen Kraftstoff, sie benutzen überhaupt keinen. Auf irgendeine unvorstellbare Art beziehen sie ihre Energie aus der Strahlung der Sonnen des Weltraums. Das hört sich unglaublich an, aber das Mädchen sagte die Wahrheit. Ihre Macht ist groß. Daß das Mädchen die Wahrheit sagte, wissen wir genau; denn wir konnten selbstverständlich durch Mentalkontrolle feststellen, ob sie log oder nicht. Mehr bekamen wir nicht heraus. Der Mann starb, ohne uns auch nur das geringste erzählt zu haben. Aber er wußte ohnehin nichts, wie wir bereits herausgefunden hatten«, schloß der Späher. Für einige Zeit verharrte der Sthanto tief in Gedanken. Dann hob er den Kopf und blickte den Späher noch einmal an. »Du hast deinen Auftrag gut ausgeführt. Du hast einige bedeutende Informationen mitgebracht, was mehr war, als wir zu hoffen wagten. Aber du hast die ganze Sache schlecht angefaßt. Jetzt sind wir auf Vermutungen angewiesen. – Die Ausstrahlung der Sonnen des Weltraums – hm ...« Sthanto Thalt legte gedankenvoll seine Stirn in Falten. »Die Ausstrahlung der Sonnen des Weltraums. Würde er seine Energie von der Sonne, in deren Nähe er operiert, ableiten, so hätte er nicht Sonnen gesagt. War es mehr als eine?« »Ja, o Sthanto«, erwiderte der Späher bestimmt. »Die Stärke des Fremden widerspricht jeder Vernunft. Ich bezweifle, daß er die wahre Erklärung gegeben hat. Es könnte ja auch sein, daß er den Venonianern nicht getraut hat. Ich würde es auch nicht tun, trotz all ihrer Friedfertigkeit. Aber sicher ist, daß die Sonnen des Weltraumes sehr wenig Energie abgeben. Sonst wäre der Weltraum nicht kalt.
Du kannst gehen, Späher. Du wirst auf einen Posten in der Flotte berufen werden. Die Flotte der Kolonisten, oder das, was von ihnen übriggeblieben ist, kam an. Die Siedler sind beseitigt worden. Sie versagten. Wir werden ihre Schiffe benutzen. Du wirst befördert werden.« Der Späher ging und wurde wirklich für eins der Kolonistenschiffe eingeteilt. Die hereinkommenden Siedlertransporter waren von den Außenposten des Systems in Empfang genommen und sofort tödlich bestrahlt worden – wegen ihres Versagens und der durch sie heraufbeschworenen Gefahr. Auch gab es auf Thett nicht genug Platz für sie, ohne daß die Thessianer unbequem hätten zusammenrücken müssen. Als ihre Kriegsschiffe ankamen, wurden sie auf einen der Satelliten geleitet. Jeder Mann wurde »desinfiziert«, damit er nicht Krankheiten auf den Mutterplaneten einschleppen konnte. Männer gingen hinein, Männer kamen wieder zum Vorschein. Doch es waren andere. »Es scheint«, sagte der Sthanto ruhig, nachdem der Späher gegangen war, »als würden wir nur wenig Schwierigkeiten haben, denn wie wir wissen, sind sie mit dem Dreifachstrahl verwundbar. Und wenn wir erst einmal ihre Antriebsaggregate zerstört haben, werden sie in unserer Welt hilflos sein. Die abstruse Geschichte daß sie keinen Treibstoff benutzen, bezweifle ich. Aber selbst wenn das stimmen sollte, werden sie hilflos sein, wenn ihre Energiemaschine zerstört ist. Und wenn wir es beim erstenmal nicht schaffen, werden wir sie aufs Korn nehmen und in die Flucht schlagen! Doch alles hängt davon ab, daß sie an einem Punkt angreifen, wo wir eine Dreifachstrahlstation haben. Wir besitzen nur drei dieser Sta-
tionen, aber ich habe an vielen Orten Attrappen aufbauen lassen, die von den echten Stationen nicht zu unterscheiden sind. Dieses dumme Geschwätz über Materienerzeugung – das ist unmöglich und als Waffe garantiert unbrauchbar. Ihre Dunstwand – das kann eine psychische Waffe gewesen sein, doch von einer mit derartiger Wirkung habe ich noch nie gehört. Und auch die künstliche Materie – warum sollte die irgend jemand erzeugen? Sie konsumiert nur Unmengen von Energie, und einmal erzeugt, ist sie nicht gefährlicher als gewöhnliche Materie, außer daß die Möglichkeit besteht, sie nutzbringend in einer bestimmten Position zu erzeugen. Erinnert euch, wir haben bereits vom Einfluß auf Bewußtseinsebenen gehört. Kraftfelder plus einer wunderbar entwickelten Suggestionskraft. Den meisten Schaden richten sie mit geistigen Sinneseindrücken an. Uns wurden ja von den Gedankensuggestionen bereits fürchterliche Dinge berichtet, die eine Flotte idiotischer Kolonisten in den Wahnsinn trieben. Das sollten wir auch zu unserem eigenen Schutz einsetzen. Wenn wir sie durch den Apparat, den du, mein Sohn, entwickelt hast, glauben machen können, daß alle anderen Forts gleichermaßen gefährlich sind, und daß auf Thett nur das eine Fort den besten Angriffspunkt bietet – wird es leicht sein. Kann das klappen?« »Das schaffe ich, o Sthanto, wenn mir eine genügend große Anzahl starker Gehirne zur Verfügung steht«, antwortete der jüngste der vier Ratsherrn. »Und du, Ranstud, sind die Stationen bereit?« wollte der Regent wissen. »Wir sind bereit.«
25. Kapitel Nach vielen Stunden stieg die Thought von Venone auf. Arcot schlug vor, in einer Entfernung von zwei Millionen Meilen in eine Umlaufbahn um die Welt einzuschwenken. Außer Torlos, der nimmermüden molekularen Bewegungsmaschine aus Fleisch und Eisen, schliefen alle an Bord. Er war ihr Wächter. Wie er erklärt hatte, war Schlaf für ihn unnötig, da er erst vor vier Tagen geschlafen hatte. Aber die Terraner würden bei dem kommenden Zusammenstoß größten Anforderungen ausgesetzt sein, besonders Arcot und Morey; denn Morey sollte helfen, vom Kommandostand der Banderlog aus jeden Schaden zu reparieren. Das kleine Begleitschiff besaß genügend Energie, jeden durch Thett verursachten Schaden an der Thought zu beheben. Dessen waren sie sich sicher. Der Dreifachstrahl war ihnen nicht bekannt. Stunden später, ausgeruht und erfrischt, machten sie sich auf den Weg nach Thett. Sie folgten einer großen Sternkarte, die ihnen von den Venonianern überlassen worden war. Sie bestand aus einer Serie von Blöcken aus klarem Luxmetall mit winzigen Punkten aus langsam sich auflösendem Lux, wie es auch zur Illumination des Schiffsnamens am Bug der Thought benutzt worden war, und stellte die Sonnen in ihren Farben und ihrer Helligkeit dar. Außerdem hatten sie noch einen handlicheren Führer in Form von Fotografien mit, der Routenmarkierungen durch signifikante Konstellationen zeigte. Mit voll aufgedrehter Zeitmaschine – so konnten
sie besser den Konstellationen folgen – stürmte die Thought los und folgte der feinen Spur des winzigen Späherschiffs, das bereits auf Thett gelandet war. Stunden später sahen sie die gigantische rote Sonne von Antseck, dem Stern von Thett und seinem System. »Wir sind da«, verkündete Arcot. Eine sonderbare Angespanntheit offenbarte sich in seinen Gedanken. »Wollen wir uns gleich hineinstürzen oder warten und zuvor Nachforschungen anstellen?« »Wir müssen es wohl riskieren. Wo ist, von hier aus gesehen, ihr Hauptfort?« »Ich würde sagen, das hier auf der linken Seite«, antwortete Zezdon Afthen. Das Schiff bewegte sich vorwärts, während die gewaltige thessianische Kriegsflotte sie wie ein Schwarm Fliegen umgab. Tausende von Schiffen, und mit jeder Sekunde wurden es mehr. In wenigen Augenblicken hatte die Thought eine große Ebene überquert und kam in ein Gebiet mit nackten, felsigen Hügeln, die mehrere hundert Fuß hoch waren. Inmitten der Hügel lag eine riesige Kugel. Wie durch ein Wunder entfernte sich die thessianische Flotte von der Thought. Das letzte Schiff war noch nicht verschwunden, als Arcot auch schon einen schrecklichen, kosmischen Strahl auf die Kugel abschoß, die ganz aus Relux war. Er wußte, was passieren würde, wenn der kosmische Strahl sie traf. Das Solmeter schnellte hoch und pendelte sich bei drei ein, als der unvorstellbar hell gleißende Strahl aufblitzte. Augenblicklich brach ein ungeheurer Aufruhr los. Die Erde explodierte in Wasserstoffatome und dehnte
sich unter einer Hitze aus, die in Bruchteilen von Sekunden über eine Million Grad betrug. Der fürchterliche Rückstoß des Strahlendrucks wurde vom gesamten Weltraum aufgenommen, denn er war im Weltraum selbst erzeugt worden. Doch der titanische Planet war direkt dem Druck ausgesetzt. Er erbebte! Ein gewaltiger Spalt öffnete sich, der vom Strahl getroffene Kontinent wurde in den Planeten hineingedrückt. In einer Tiefe von zwanzig Meilen sprudelte ein Geyser aus flüssigem Felsen auf. Die Reluxkugel wurde vom Strahl getroffen. Das enorm dicke Relux gab nach, verbog sich und schoß dann als Ganzes in den weißglühenden Felsen. Meilenweit brodelte das verdampfende Gestein. Dann schoß das Fort einen Strahl ab. Dieser Strahl sprengte den Felsen, der es überflutet hatte. In kürzester Zeit war das Fort wieder an der Oberfläche. Ein Molekularstrahl schoß aus der Thought und traf. Er hatte nicht die Stärke des kosmischen Strahls, aber er war ein konzentrierter Destruktionsstrahl von zehn Fuß Durchmesser. Er schlug auf das Fort auf – und das Fort wich unter seiner Energie zurück. Die prächtigen neuen Röhren, die seinen Abwehrschirm speisten, durchschoß schlagartig eine unvorstellbare Hitze. Solange die im unschmelzbaren Relux eingebetteten Elemente Metalle blieben, konnten die Röhren nicht versagen. Doch sie wurden von der Energie einer Sonne gepeitscht. Die Röhren versagten. Das Metall konnte nicht länger existieren – und verwandelte sich in nichtresistente Elemente. Das Relux flammte in blendender Weißglut auf. Vom Fort kam nun ein Strahl aus reinem silbrigen Licht. Es traf die Thought genau hinter dem Bug; der
Schütze hatte auf den Teil des Schiffs gezielt, wo er den Kommandostand und den Piloten vermutete. Aber Arcot hatte das Schiff mit Mentalsteuerung entworfen, was der feindliche Schütze nicht wissen konnte. Es war ein flacher Strahl, nur etwa ein Zoll dick, doch er breitete sich fächerförmig zu einer Weite von fünfzig Fuß aus. Und wo er die Thought berührte, gab es eine fürchterliche Explosion, und unvorstellbar heftige Energie schoß aus dem Kosmium heraus, das sofort seine Energien freisetzte. Hundert Fuß Material wurde dabei vom Bug weggerissen, und die enorm dichte Luft von Thett drang wie ein Sturzbach ein. Der Strahl hatte einen der Apparate in der Zuleitung einer Strahlenkanone durchgetrennt. Der Strahlenprojektor war nun ohne Steuerung; er setzte alle Energie, die er aus dem ihn umgebenden Raum heraussog, in einem einzigen Strahl kosmischer Energie um. Ein Strahl solider Materie schoß heraus. Die eingedrungene Luft explodierte sofort in Atome, die sich von ihren Elektronen befreiten. Die Temperatur stieg auf eine Höhe, in der kein Atom mehr existieren kann, und verwandelte sie in Protonen und Elektronen. Die Spule sog derartig schnell Energie aus dem Raum, daß der Raum sich um sie zu schließen begann, und nur unter gewaltigen, ruckartigen Stößen konnte die Energie herausbrechen. Sie schoß fast vertikal hoch. Ein Schiff wurde von ihrem Strahl erfaßt. Es war aus Relux, doch das Relux wurde unter dem unvorstellbaren Sturm von Quintillionen kosmischer Strahlenpartikel pulverisiert. Eigentlich war dieser Strahl eine solide Masse von Kosmium, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegte. Er schoß
auf den Satelliten von Thett zu, den er in wenigen Stunden erreichen würde. Die Thought wurde von der räumlichen Deformation der beschädigten Spule unaufhaltsam in eine unendliche Ferne gerissen. Als das Schiff sich in dem anderen Raum befand, in den es von der Spulenladung gedrängt wurde, und die Spule unter den räumlichen Bedingungen nicht mehr ausreichend mit Energie versorgt wurde, fiel es wieder zurück. In einer hundertstel Sekunde hatte es sein Gleichgewicht wiedergewonnen, und befand sich in einem geisterhaft verzerrten Weltraum. Der Dreifachstrahl der Thessianer schien schwächer zu werden und sie zu verlieren. Er war stark geschwächt, da die Spule alle Energie in ihrer Umgebung aufsaugte. Urplötzlich war das Schauspiel vorüber. Sie fielen in den künstlichen Raum hinein, der schwarz und völlig leer war. Keine Spur von zitternden, kämpfenden Energien. Morey war es vom Kommandoraum der Banderlog aus gelungen, aus seinen Raumverzerrungsspulen genug Energie zu holen, um das beschädigte Strahlengeschütz zu zerstören. Sogleich hatte Arcot sie in Sicherheit gebracht, indem er künstlichen Raum erzeugte. Bevor sie noch den Blick von den Instrumenten wenden konnten, verzerrte sich der Weltraum. Die Thessianer hatten ihren künstlichen Raum ausgemacht und beschossen sie nun mit einem Gravitationsstrahl. Da sie schon dem Sog der starken Felder des gigantischen Planeten und der gigantischen Sonne anzukämpfen hatten, war der Gravitationsstrahl eine zusätzliche Belastung. Arcot prüfte seine Instrumente. Mit einem grimmigen Lächeln legte er ei-
nen Hebel um. Der Raum um sie herum wurde wieder schwarz. »Ziehen unsere Energie ab – sollen sie nur! Diesmal müssen sie einen Ozean und nicht einen Tümpel austrinken. Ich glaube nicht, daß sie diese Spulen so schnell ausleeren können.« Wieder schaute er auf seine Instrumente. »Bei dieser Menge haben wir genug für zweieinhalb Stunden. Morey, du warst der Retter in der Not. Ich war vollkommen hilflos. Die Kontrollen schlugen nicht mehr aus. Konnten sie auch nicht mehr unter diesen Umständen. Was machen wir jetzt?« Morey stand im Türrahmen. Er zog Zigaretten aus der Tasche, bot Arcot und allen anderen eine an und gab ihnen Feuer. »Rauchen«, sagte er lakonisch und paffte. »Rauchen und Nachdenken. Nach unseren letzten Erfahrungen mit kleineren Tragödien half dies bisher immer.« »Aber das hier ist keine kleinere Tragödie. Sie haben die Wand unseres bisher uneinnehmbaren Schiffs aufgebrochen und eine dieser gewaltigen Spulen zerstört. Das können sie wiederholen«, rief Zezdon Afthen. Er war nervös, so nervös, daß er allen Mut verloren hatte. Seine rein psychische Erziehung triumphierte über den Krieger in ihm. »Afthen«, erwiderte Stel Felso Theu ruhig, »wenn unsere Freunde geraucht und nachgedacht haben, wird die Thought wieder perfekt repariert werden, und sie wird auch dieser Waffe standhalten können.« »Ich hoffe es, Stel Felso Theu«, lächelte Arcot. Er fühlte sich bereits besser. »Weißt du, was für eine Waffe das war, Morey?« »Einiges konnte ich von den Instrumenten der Ban-
derlog ablesen. Ich glaube, ich weiß es. Scheint ein sehr energiereicher Doppelstrahl zu sein«, antwortete Morey. »Hm, hm – nehme ich auch an. Es ist ein Superphoton. Sie benutzen ein Feld, das irgendwie dem ähnelt, das wir zur Kosmiumerzeugung benutzen, nur daß in ihrem Feld sich die Photone ineinander verschieben, sich mischen, anstatt parallel nebeneinander zu liegen. Nun, wie wir wissen, kann ein Photon dieser Größe nicht existieren, aus dem einfachen Grund, weil es dies im Normalraum nicht tun kann. Der Raum würde es umschließen. Daher projizieren sie ein Begleitfeld, das den Raum öffnet. Dem waren wir ausgesetzt, nicht dem Attraktionsstrahl. Die Folge: Auf eine nicht zu große Entfernung existiert ein Dreifachstrahl im normalen Raum – entweicht dann aus ihm und geht in einen anderen über. Jetzt stellt sich die Frage: wie kann man dem Einhalt gebieten? Ich habe eine Idee – hast du auch eine?« »Ja, aber meine Idee kann im Normalraum auch nicht existieren«, sagte Morey achselzuckend. »Ich glaube, sie kann doch. Wenn es das ist, was ich annehme, so vergiß nicht, daß es ein ungeheueres elektrisches Feld hat.« »Dann denken wir beide dasselbe. Fangen wir also an.« Wade übernahm das Kommando. Arcot und Morey gingen in den Rechenraum. Eine der Strahlenkanonen war zerstört worden. Die drei anderen waren in Ordnung, und auch ihre wichtigste Waffe, die Apparate zur Erzeugung künstlicher Materie. Wade warf den Zeitfeldgenerator an und ließ das Notaggregat arbeiten, um die Spulen, die beständig von den Thessianern entleert wurden, wieder aufzuladen.
Sie konnten hier keine Energie aus den Sternen ziehen, da sie sich in einem isolierten selbstgeschaffenen Raum befanden. Arcot wollte in den Normalraum nur zurückkehren, wenn es unumgänglich war. Sie arbeiteten nach der Zeit, in der sie sich befanden, acht Stunden lang ununterbrochen. Die Bleizufuhr versiegte nach vier Stunden, und die Spulen näherten sich ihrer Erschöpfung. Bald würde es notwendig sein, in den Normalraum zurückzukehren. Sie unterbrachen ihre Arbeit. Die Berechnungen waren nahezu abgeschlossen. Sie warfen alle verbleibende Energie in die Spulen, um den Raum noch zu halten und entfernten sich mit zweifacher Lichtgeschwindigkeit von Thett. Arcot arbeitete noch eine weitere Stunde, während das Schiff sich seinen Weg bahnte. Dann waren sie fertig. Als Arcot das Kommando wieder übernahm, schwankte der Raum noch einmal. Sie waren allein, weit entfernt von Thett. Die Sonnen glitzerten und glühten wieder ringsum. Die unbegrenzte Energie des Universums war ihnen wieder zugänglich. Die ins Schiff eingedrungene Thett-Atmosphäre hatte sich entweder verflüchtigt oder zu Eis verfestigt. Zum Erstaunen aller erzeugte Arcot zuerst eine riesige Fläche aus künstlicher Materie und halbierte die Thought säuberlich in der Mitte! Er hatte alle defekten Steuerungsanlagen ausgeschaltet. In der Hälfte des Schiffs, die den Kontrollraum beherbergte, befand sich auch die Steuerung für die künstliche Materie. Sie arbeitete auf Hochtouren. Gewaltige KosmiumMassen tauchten neben dem Schiff auf, Kosmium, Relux und klares, kosmiumähnliches Luxmetall. Gewöhnliches Kosmium reflektiert. Arcot wollte etwas
von der Stärke von Kosmium, jedoch durchsichtig wie Lux haben. In Sekunden hatte sich unter seinen fliegenden Gedanken ein großes Rohr mit dem Originalrumpf verbunden. Das gigantische Schiff verlängerte sich damit um mehr als fünfhundert Fuß. Werkzeuge aus künstlicher Materie ergriffen den zerbrochenen Bug, klemmten ihn an seinem Platz fest und schweißten es mit flüssigem Kosmium unter ungeheurem Druck wieder zu einem einzigen großen Rumpf zusammen. In dem Moment wurden sie von der thessianischen Flotte entdeckt. Die Spulen waren wieder aufgeladen, und sie hätten entfliehen können. Aber Arcot hatte noch zu arbeiten. Die Thessianer wurden mit molekularen, kosmischen und einem Doppelstrahl angegriffen. Den Magnetstrahl konnte Arcot nicht einsetzen, da er noch von der Steuerung abgetrennt war. Zwei Strahlengeschütze und die künstliche Materie standen ihm zur Verfügung. Es waren an die dreitausend Schiffe, die sie attackierten und mit einem fantastischen Energiesperrfeuer belegten. Aber alles prallte von den Kosmiumwänden ab. In weniger als zehn Sekunden hatte Arcot die gesamte Flotte vernichtet. Er erzeugte zwanzig Fuß vom Schiff entfernt eine Wand aus künstlicher Materie und eine weitere, parallel dazu, zwanzigtausend Meilen entfernt. Beide Wände waren dünn, aber doch unbezwingbar. Diese Wände schob er aufeinander zu und preßte sie solange aufeinander, bis seine Instrumente ihm anzeigten, daß zwischen ihnen nur noch reine Energie übriggeblieben war. Dann ließ er die äußere Wand los. Eine furchtbare Energieflut ergoß sich ins All. »Ich glaube nicht, daß wir noch einmal angegriffen
werden«, meinte Morey gelassen. Sie wurden es auch nicht. Thett besaß nur noch eine Flotte und beabsichtigte nicht, die Energien ihrer Generatoren zu einem Zeitpunkt zu verlieren, wo sie sie dringend benötigten. Das fremdartige Schiff hatte sich zu Reparaturen zurückgezogen – nun gut, sie würden wieder angreifen und vielleicht ... Arcot schuf eine zweite Kollektorspule, die so gigantisch wie der Hauptgenerator für künstliche Materie war. Dann reparierte er das beschädigte Strahlengeschütz und die Spule, die sich ebenfalls in der abgetrennten Schiffsnase befunden hatte. Zusammen mit der Spule wurde es jetzt mit der neuen Kollektorspule verbunden. Als nächstes konstruierte Arcot zwei zusätzliche Strahlenprojektoren. Jetzt waren in dem gigantischen Zentralmaschinenraum zwei gewaltige Energiekollektoren und sechs Strahlengeschütze installiert. Seine nächste Arbeit bestand darin, die abgetrennten Kollektoren und Steuerungen wieder zu verbinden. Dann begann er mit der Arbeit an einem ganz neuen Apparat. Alles, was er bis dahin konstruiert hatte, waren Duplikate bereits existierender Apparate gewesen, und daher konnte er sofort alles aus der Erinnerung heraus bauen. Nun mußte er gedanklich etwas völlig Neues konzipieren, etwas, das halb in diesem und halb in einem anderen Raum existieren konnte ... Viermal mußte er Anlauf nehmen, bevor der Apparat korrekt fertiggestellt war. Zehn Stunden dauerte dies. Aber endlich war es geschafft. Die Thought war zum Kampf gerüstet. »Hast du es doch noch geschafft?« fragte Wade. »Na, hoffentlich ist es auch sicher.«
»Du kannst dich darauf verlassen. Ich habe es ein wenig ausprobiert. Du hast es wahrscheinlich nicht bemerkt. Ich gehe jetzt hinunter und werde ihnen eine hübsche kleine Dosis davon verpassen«, sagte Arcot grimmig. »Wie lange waren wir nach deren Zeitrechnung hier draußen?« fragte Wade. »Ungefähr eineinhalb Stunden.« Die Thought hatte sich – außer während der thessianischen Attacke – immer im Zeitfeld befunden. »Terraner, Sie sind müde, und ich finde, Sie sollten sich ausruhen«, schlug Zezdon Afthen vor. »Mit erschöpften Gedanken können Sie leicht Schaden anrichten.« »Erst muß ich das zu Ende führen!« erwiderte Arcot entschieden. Wirklich, er war müde. In Sekunden war die Thought wieder über der verschanzten Station zwischen den Hügeln – der Dreifachstrahl fuhr heraus. Urplötzlich lag um das Schiff herum eine absolut schwarze Wand. Der Dreifachstrahl berührte sie und explodierte in einem Fächer aus blendend funkelndem Licht. Durchbrechen konnte er sie nicht. Mehr und mehr Energie peitschte auf die schwarze Wand, als die Schützen in dem kugelförmigen Fort alle Energie-Generatoren, die ihnen zur Verfügung standen, aufdrehten. Der Boden um das Fort herum war ein brodelnder Lava-See so weit das Auge reichte; denn die schwarze Wand reflektierte die gesamte Energie, die auf sie prallte. »Gestoppt!« rief Arcot glücklich. »Jetzt geben wir ihnen etwas zum Kopfzerbrechen – den Magnet und die Hitze!« Er stellte die beiden starken Energiequellen gleich-
zeitig auf die Stelle ein, wo er wußte, daß sich das Fort befand, obwohl es unsichtbar hinter der schwarzen Wand lag, die sie beschützte. Von seiner Seite aus war die Stelle, von der das gesamte thessianische System seine Energien abschoß, unsichtbar. Dann ließ er sie los. Schlagartig erschien ein ungeheurer Lichtkeil auf der schwarzen Wand. Das Schiff wurde erschüttert, der sie umgebende Raum wurde grau. An einer Stelle verflüssigte sich die schwarze Wand und wurde grau, als eine jedes Vorstellungsvermögen übersteigende Energieflut an ihr explodierte. Selbst die fantastisch starke Kosmiumwand bog sich unter dem Druck der entweichenden Strahlung und wurde röntgenstrahlend heiß, trotz dem winzigen Prozentsatz der Absorption. Der Dreifachstrahl wurde abgelenkt und verlor sich in Schwärze. Der Raum krümmte sich, als die kosmischen Kräfte, gebündelt durch die Mechanismen der Thought, miteinander rangen und sich zu behaupten versuchten. In einem winzigen Sekundenbruchteil war alles vorüber. Wieder umgab sie Schwärze, die nur vom leuchtenden Blau der enorm erhitzten Kosmiumwand, die sich langsam über Grün nach Rot abkühlte, erleuchtet wurde. »Mein Gott! Zezdon Afthen, Sie haben Recht. Ich werde schlafen gehen«, rief Arcot. Unversehens war das Schiff weit, weit entfernt von Thett. Morey übernahm die Kontrollen, und Arcot schlief. »Woraus besteht die schwarze Wand, Morey?« fragte Stel Felso Theu. »Es ist feste Materie. Etwas noch nie Dagewesenes. Diese Materienwand besteht aus einer doppelten Schicht von Photonen. Sie absorbiert absolut jegliche
Strahlung, und da sie eine Materieneinheit ist und nicht aus winzigen Materiepartikelchen besteht, wie dies selbst noch bei dem dichtesten Stern der Fall ist, hält sie dem Dreifachstrahl stand. Diese Materie besteht ausschließlich aus Protonen, gänzlich ohne Elektronen. Das positive elektrische Feld ist unfaßbar groß, doch es gebraucht seine Spannung nicht, um negativ geladene Körper anzuziehen, sondern lediglich um den Raum geöffnet zu halten, damit er sich nicht um die konzentrierte Materie schließt. Dasselbe Prinzip wie bei einem einzelnen Photon, nur daß hier die gesamte Energie des Feldes so absorbiert wird. Arcot war erschöpft und übersah etwas. Er richtete seinen Magneten und seine Hitze dagegen. Die Hitze kämpfte gegen die feste Materie mit derselben Energie, da sie auf dieselben Reserven zurückgreifen konnte. Der Magnet wellte den sie und uns umgebenden Raum. Das Resultat war dieser fürchterliche Energiesturm, den sie sahen, und das Loch in der Wand. Die Thessianer konnten ihr nichts anhaben. Einer der Strahlen sprengte ein Loch hinein«, sagte Morey lachend. Auch er liebte diese mächtigen, fast lebendig gewordenen Ideen, die dem Gehirn seines Freundes entsprungen waren. »Aber leider hat die Wand einen doppelten Effekt. Sie wirkt identisch in beide Richtungen. Wir können nicht durch sie hindurchschießen und die anderen ebenfalls nicht. Alles, was wir benutzen, um die Thessianer anzugreifen, trifft auch sie. Und sie kämpft dagegen an.« »Wir sind also schlimmer dran als je zuvor«, sagte Morey entmutigt. »Mein Freund, auch Sie sind müde. Schlafen Sie,
schlafen Sie fest, schlafen Sie bis ich Sie rufe – schlafen Sie!« Morey schlief unter Zezdon Afthens Einfluß ein, und Torlos trug ihn behutsam in seine Koje. Wade beschloß, ihnen aus eigenem Willen zu folgen; denn er wußte, auch er war müde und gegen Zezdon Afthens Suggestivkraft konnte er sich nicht auflehnen. Das Fort auf Thett war unzerstört und trieb mit seinen Antriebsaggregaten in einem See kochender Lava. In seinem Innern arbeiteten die Männer eilends, um eine zweite Batterie neuer Röhren in den molekularen Strahlenabwehrschirm zu installieren. Andere Männer führten die Befehle des Sthanto aus, der hierher – den Ort der größten Sicherheit – gekommen war. »Befehlt allen Kampfschiffen, zur nächstgelegenen Energiestation zu kommen, damit alle verfügbare Energie der angegriffenen Station zugeleitet wird. Wir benötigen sämtliche Energie«, befahl er seinem Sohn, der jetzt für alle Land- und Raum-Truppen zuständig war. »Ranstud, was passierte eigentlich mit dem molekularen Abwehrschirm?« »Ich habe keine Ahnung. Eine solche Energie ist mir unverständlich. Aber was mich am meisten beunruhigt, ist diese schwarze Wand«, sagte Ranstud ernst. Aber trotz der schwarzen Wand war er gezwungen, sich zurückzuziehen. »Er kann sie also nur für kurze Zeit aufrechterhalten. Sie war voller Löcher als er floh.« »Der Sthanto ist sich viel zu sicher, glaube ich«, sagte ein Assistent, der an einer der großen Instru-
mententafeln arbeitete, zu seinem Freund. »Und ich glaube, er hat sein naturwissenschaftliches Wissen eingebüßt. Jeder Energietechniker kann sagen, was passiert ist. Sie haben versucht, ihre Strahlen auf uns abzuschießen, doch ihr eigener Abwehrschirm hielt sie auf. Genau so wie er unsere Strahlen nicht durchließ. Für Sekunden hatten unsere Strahlen ihn bearbeitet – ohne Erfolg. Dann wurde er für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde von ihrem eigenen Strahl berührt – und sie zogen sich zurück. Dieser schwarze Schutzschirm ist vollkommen neu.« »Sie haben bestimmt viele Leute auf ihrem Schiff«, erwiderte sein Freund, während er half, eine dreihundert Tonnen schwere Vakuumröhre an ihren Platz zu hieven. »Es ist völlig klar, daß sie neue Apparate gebaut haben, und ihr Schiff haben sie auch vergrößert. Der beschädigte Bug wurde repariert. Sie haben wahrscheinlich unter einem Zeitfeld gearbeitet, denn sie leisteten unwahrscheinlich viel in der kurzen Zeit, in der sie fort waren.« Ranstud stand hinter ihnen und hatte den letzten Teil ihrer Unterhaltung mitangehört. »Und was«, fragte er unvermittelt, »zeigten eure Instrumente an, als unser Strahl ihr Schiff öffnete?« »Ratsherr der wissenschaftlichen Weisheit, die Instrumente zeigten an, daß unsere Energie sich reduzierte. Unsere Generatoren gaben nur wenig Energie ab, obwohl genug vorhanden war.« »Habt ihr von dem Mythos ihrer Energiequelle gehört? Angeblich holen sie sich Energie von allen Sternen der Galaxis.« »Das haben wir, Großer Ratsherr. Und ich persönlich glaube daran, denn sie sogen auch Energie aus
unseren Generatoren. So wird er auch Energie aus den unvergleichlich größeren Generatoren der Sonnen ziehen. Ich finde, wir sollten mit ihm verhandeln; denn wenn sie den friedliebenden Idioten von Venone ähneln, haben wir vielleicht die Möglichkeit, hinter ihr Geheimnis zu kommen.« Nachdenklich entfernte sich Ranstud. In seinem Herzen gab er dem Mann Recht, doch er liebte sein Leben zu sehr, als daß er Sthanto geraten hätte, was er tun solle. Und sich für seine Rasse aufzuopfern, hatte er auch nicht vor. So bereiteten sie sich auf den nächsten Angriff der Thought vor und warteten.
26. Kapitel »Was wir finden müssen«, sagte Arcot zwischen zwei zufriedenen Zügen an der Zigarette. Er hatte lange geschlafen, und sein Frühstück war gut gewesen. »Was wir finden müssen ist eine Waffe, die sie angreift, aber nicht auf uns zurückwirkt. Die Frage ist nur: Gibt es sie? Ich glaube ... ich glaube, ich hab's!« Seine Augen blickten träumerisch. »Fein – was für eine?« fragte Morey, nachdem er ergebnislos versucht hatte, den durch Arcots Kopf jagenden Formeln einen Sinn abzugewinnen. Hier und da erkannte er Einsteins Energieformeln, Plancks Quantentheorie, Nitsu Thansis Elektroneninterferenzformel, Stebkowskijs Protoneninterferenz, Williansons elektrisches Feld, seine eigenen Formeln und noch weitere, jedoch alle so stark abgekürzt, daß er sie nicht erkennen konnte. »Erinnerst du dich daran, was Dad über die Art und Weise sagte, in der die Thessianer die gigantischen Forts im Weltraum bauen – Materie vom Mond zerren und in Lux und Relux umbilden? Erinnerst du dich, daß ich daraufhin meinte, es sei vielleicht ein Strahl – und dann herausfand, daß das, was ich gedacht hatte, nicht sein konnte? Ich will die Möglichkeit, an die ich damals dachte, ausprobieren. Die einzige Frage ist nur: Was wird mit uns geschehen, wenn ich ihn benutze?« »Welchen Strahl?« »Morey, warum fällt ein Elektron durch verschiedene Energie-Stufen, fällt tiefer und tiefer bis er die niedrigste Energiestufe erreicht hat und nicht mehr
strahlen kann? Warum kann es nicht noch eine Stufe weiter fallen und die Protonen erreichen? Warum kann es nicht mehr Lichtquanten freisetzen? Wir wissen, daß Elektronen dazu tendieren, auf niedrigere Energiestufenbahnen zurückzufallen. Warum halten sie an?« »Aha«, sagte Morey. Jetzt waren auch seine Augen träumerisch. »Was würde passieren, wenn sie dies nicht täten? Wenn sie weiter hinunterfallen würden?« »Ich kann Ihren Gedanken nicht folgen, Terraner. Was ich erahne, ist, daß Thett explodieren soll, und daß Thett sich selbst explodieren läßt. Können Sie es mir erklären?« fragte Stel Felso Theu. »Vielleicht wissen Sie, daß Elektronen in ihren planetarischen Umlaufbahnen um die Atomkerne dazu tendieren, sich auf energetisch niedrigere Bahnen zurückzuziehen, bis sie die niedrigste Bahn erreicht haben und bleiben solange dort, bis mehr Energie ankommt und absorbiert wird, wodurch sie wieder hochgedrängt werden. Nun wollen wir wissen, warum sie nicht noch tiefer fallen, sich ganz abschwächen. Übrigens, dank einiger Versuche, die ich im letzten Jahr mit sich auflösendem Blei gemacht habe, wissen wir es. Und dank der absoluten Stabilität von künstlicher Materie, können wir mit solchen Bedingungen fertig werden. Woran wir interessiert sind, ist folgendes: Künstliche Materie hat keine Tendenz zur Ausstrahlung, seine Elektronen fallen nicht auf niedrigere Bahnen zurück; denn die Materie bleibt in dem Zustand, wie sie erzeugt wurde. Aber natürliche Materie hat die Tendenz, Elektronen zurückfallen zu lassen. Es gibt eine Grenze: das niedrigste Energiepotential, das kein
Elektron überspringen kann, verursacht durch die starke Raumverzerrung der Protonenmasse und die elektrische Abstoßungskraft. Was wir machen wollen, ist diese Kräfte zu entfernen, sie auszumerzen. Bei einer Masse von der Größe von Thett erfordert das unvorstellbare Kräfte, aber dann ... Pfft! Folgendes wird geschehen: Unsere Wand aus Protonen wird nicht im geringsten davon berührt, da sie keine Tendenz hat zu kollabieren wie normale Materie, aber Thett, jenseits der Wand hat die Tendenz, und der Strahl wird die Energie jedes einzelnen Elektrons des Planeten Thett freisetzen, und jedes Elektron wird die Energie eines Protons mitnehmen. Das Ganze wird ungefähr den hundertmillionsten Teil einer Sekunde dauern. Thett wird in einem Lichtblitz verschwinden.« »Und hier liegt nun das Problem: Thett repräsentiert eine Masse, die so groß wie unsere Sonne ist. Und unsere Sonne strahlt gegenwärtig die Energie von einem Sol ab über einen Zeitraum von zehn Millionen Jahren, also zehn Millionen Jahre lang dreieinhalb Millionen Tonnen Materie pro Sekunde. Wenn all diese Energie nun aber in einer hundertmillionstel Sekunde komprimiert freigesetzt wird, wieviel Sol sind es dann?« fragte Morey. »Zu viele – das ist alles, was ich sagen kann. Nicht einmal dieses Schiff könnte seine Energiewand dagegen aufrechterhalten!« stellte Stel Felso Theu fest, erschreckt von diesem Gedanken. »Aber dieselbe Energie würde dieses Schiff auch stärken und seine Wand stützen. Wir würden von einer halben Million Meilen entfernt aus operieren.« »Wir werden es tun. Wenn wir vernichtet werden – Thett wird es auch, und alle Welten von Thett. Laß
diese Energieflut los, und alles im Umkreis von einem Dutzend Lichtjahren wird zerstört sein. Wir müssen die Venonianer warnen, damit ihre Leute auf den nahegelegenen Welten noch rechtzeitig entkommen können«, sagte Arcot nachdenklich. Die Thought startete zu einer der näher gelegenen Sonnen. Währenddessen beschäftigten sich Arcot und Morey mit den Rechenmaschinen. Sie beendeten ihre Arbeit und Rogen wieder zurück. Ihre Warnung hatten sie über die Maschinen für künstliche Materie durchgegeben. Als sie Thett wieder erreichten, war nur weniger als eine Viertelstunde nach thessianischer Zeit vergangen, aber bevor sie Thett erreichten, wurde Arcots Bildschirm für einen Augenblick schwarz. Eine schreckliche Energieflut überspülte die Schutzschicht aus künstlicher Materie, und sie flammte auf. Thetts Satellit hatte ihnen; seine Botschaft der blitzschnellen Vernichtung gesandt. Der schreckliche Strahl griff hinüber, und wo sich eben noch der Satellit befunden hatte, dehnte sich eine glühende Wasserstoffwolke rasch aus. »Wenn wir mit denen fertig sind, bleibt nicht einmal das von ihnen übrig!« sagte Arcot grimmig. Der Apparat war vollendet, und wieder einmal waren sie über dem rotglühenden Lavasee, in dem die einstigen Berge eingeschmolzen waren. Das Fort war noch immer in Aktion. Arcot hatte eine Platte aus reiner Energie zurechtgeschnitten. Als der Dreifachstrahl sie traf, wußte er, was geschehen würde. Und es geschah. Der Dreifachstrahl sprang in einem Winkel von 45 Grad im Energiefeld ab und versprühte in einem matten dunklen Strahl. Arcots Molekularstrahl schoß heraus. Die Lava wurde sofort schwarz, Eis-
berge formten sich über dem kämpfenden Fort. Der Molekularschirm arbeitete. »Ich möchte gern wissen, wie sie diese Röhren machen, die das aushalten können, Morey«, sagte Arcot und deutete auf ein Instrument, das 0,01 Millisols anzeigte. »Sie haben jetzt Röhren, die uns in Minuten, in Sekunden weggewischt hätten.« Der Dreifachstrahl fuhr heraus. Sie korrigierten blitzschnell seine Richtung, um das Schiff zu treffen. Arcot warf seinen Protonenschirm aus und zog sich wie geplant eine halbe Million Meilen zurück. »Nun los!« Noch bevor dieser Gedanke vor seinem inneren Auge Gestalt annehmen konnte, flammte der Planet plötzlich weißglühend auf. Und dann gab es Thett nicht mehr. Ein Augenblick unerträglicher Strahlung, dem eine flüchtige Schwärze folgte. Sterne schimmerten, wo einst Thett gewesen war. Thett hatte sich vollständig aufgelöst. All dies sah Arcot nicht. Um ihn herum war ein entsetzliches Brüllen, die riesigen Generatoren-Umsetzer, die unter den Einwirkungen von Thetts stärkster Waffe nur gesummt hatten, kreischten und jaulten jetzt. Die zwei gewaltigen Generatoren, die Schwärze des Protonenschilds und der große Generator für künstliche Materie, der einen inneren, undurchdringlichen Schirm gegen die kosmischen Strahlen hielt, die Thett bei seiner Auflösung freigab, dröhnten. Die sechs kleineren Maschinen, die Arcot mit dem Protonengenerator verbunden hatte, winselten. Der Weltraum war gespenstisch verzerrt, leuchtete grau. Die großen Generatoren kämpfen um die Aufrechterhaltung der Schutzwälle gegen die Energiewogen der sich spaltenden Materie der Welt Thett.
Aber die Energie, die kämpfte, um diese Wälle zu zerstören, wurde absorbiert, und dadurch wurde ihr viel von ihrer Kraft genommen. Und doch schien der Kampf der Gewalten Stunden, Tage anzuhalten. Dann war es vorbei, und die Himmel waren wieder klar. Arcot zog schweigend den Protonen-Abwehrschirm ein. Thett war verschwunden. »Es ist verschwunden!« japste Torlos. Er hatte dies erwartet – und doch, eine ganze Welt – einfach verschwunden ... »Mehr ist nicht mehr zu tun. Kein Schiff hatte Zeit zu entkommen«, sagte Morey. »Die entweichende Energie wird die anderen Welten dieses Systems auch vollständig zerstören. Die Sonne selber wird wahrscheinlich explodieren – vielleicht um neue Planeten zu formen und so wiederholt sich der Weltenlauf. Und Venone hat daraus gelernt und wird keine Welten mehr mit seinen Kriminellen bevölkern. Und wir können heimkehren – zu unseren kleinen Staubkörnern im Weltall.« »Aber sie sind wunderbare Staubkörner im All und unsagbar wichtig für uns, Terraner«, erinnerte Zezdon Afthen. »Dann laßt uns gehen«, sagte Arcot. Es wurde dämmrig, und die rötlichen Strahlen der eben untergegangenen Sonne hingen noch in den Wolken, die wie weiße Wattebäuschchen am dunkler werdenden blauen Himmel schwebten. Jenseits der dunklen Wasser des schönen kleinen Sees, zwischen schattigen, baumbewachsenen Hügeln standen ein paar Häuser, dahinter ein breites geräumiges Flugfeld, auf dem ein kleines schimmerndes Schiff niedergegangen war.
Aber alles, sogar der See und die Berge, verblaßten vor dem glitzernden Rubin der gigantischen Maschine, die nun lautlos sehr, sehr langsam und sehr, sehr sanft herunterschwebte. Sie berührte geräuschlos die Oberfläche des Sees und blieb dann, den unteren Teil im Wasser, über dem See hängen. Licht flutete aus den wenigen Fenstern, die der riesige Rumpf hatte, und Licht leuchtete jetzt auch aus den Fenstern der Häuser am Ufer. Aus einer geöffneten Tür strömte Licht und zeichnete die Silhouetten zweier Männer. Und jetzt öffnete sich eine winzige Tür in dem riesigen Rumpf, der den See bedeckte, und heraus traten fünf Männer, die auf das kleine Landhaus zuschwebten. »Hallo, Sohn, lange warst du fort«, begrüßte Arcot senior seinen Sohn, als er vor ihm landete. »Das dachte ich mir. Die Erde hat sich in ihrer Umlaufbahn inzwischen um einiges fortbewegt. Waren es mehr als sechs Monate?« Sein Vater lächelte etwas schief. »Ja. Zwei Jahre und drei Monate. Warst du wieder in einem Zeitfeld gefangen und bist diesmal in die andere Richtung geworfen worden?« »Zeit und Gewalt. Kennst du die Geschichte bereits?« »Teilweise – Venone schickte uns ein Schiff, einen Monat nachdem du abgeflogen warst, und berichtete, daß das ganze Thett-System verschwunden sei. Übriggeblieben ist eine riesige Gaswolke – hauptsächlich Wasserstoff. Ihre Schiffe trafen auf einen kosmischen Strahlensturm, als sie sich Thett näherten. Der Strahlungsdruck machte es fast unmöglich weiterzufahren. Es gab zwei unterschiedliche Wellen. Eine war viel
leichter und mehr im Gammastrahlenbereich. So nahmen sie an, daß zwei Körper direkt zerstört worden waren; ein kleiner und ein großer hatten sich vollständig in kosmische Strahlen aufgelöst. Deine Warnung an Sentfenn ist ernst genommen worden, und sie hatten alle nähergelegenen Planeten evakuiert. War es das durch die Zerstörung von Thett entstandene Kraftfeld, das dich in die Zukunft geworfen hat? Wo sind die anderen?« »Zezdon Afthen und Zezdon Inthel haben wir heimgebracht und sie in ihren Raumanzügen hinuntergelassen ohne zu landen. Stel Felso Theu ebenso. Später besuchen wir sie.« »Hast du etwas gegessen? Dann laß uns erst essen und nach dem Abendbrot werden wir dir das wenige, das wir zu berichten haben, erzählen.« »Aber Arcot«, sagte Morey, »ich habe auch etwas, worüber ich bis jetzt noch nicht gesprochen habe. Während unserer Rückreise habe ich es ausgearbeitet. Es ist in der Thought mit der Steuerung der Banderlog installiert. Es ist – nun willst du es sehen? Fuller! Komm her und schau dir das neue Spielzeug an, das ihr bearbeiten müßt!« Ihre lange Abwesenheit und die Vernichtung, deren Zeugen sie erst vor kurzem gewesen waren, hatte sie alle deprimiert. Nun begannen sie, sich langsam wieder besser zu fühlen. »Paßt auf.« Morey konzentrierte sich. Die Thought war mit blockierter Steuerung zurückgelassen worden, aber der von Morey installierte Apparat reagierte aus dieser Entfernung auf seine Gedanken. Vor ihnen im Raum erschien ein Würfel, offensichtlich aus Kupfer. Einen Augenblick lang schwebte
er dort, schimmerte hell, dann knisterten die Energien um ihn herum – er stürzte zu Boden und tönte beim Aufprall wie eine Glocke. »Er wurde nicht aus der Luft erzeugt«, sagte Morey einfach. »Und nun«, meinte Arcot und blickte ihn an, »können Menschen Dinge tun, die sie nie zuvor tun konnten. Aus dem Nichts kann er alles erschaffen. Der Mensch ist Schöpfer und Zerstörer in diesem Universum. Es ist eine hohe Aufgabe. Möge er sich ihr gewachsen zeigen.« Und er betrachtete den mächtigen, funkelnden Schiffskörper, der ein Sonnensystem zerstört hatte – und ein anderes erschaffen konnte.