Geisterfänger Band 9
Inspektor Trenck hasst böse Späße von Gordon Walby ... und seine Mission ist ein Todeskommando.
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Geisterfänger Band 9
Inspektor Trenck hasst böse Späße von Gordon Walby ... und seine Mission ist ein Todeskommando.
Hetty Brown, Köchin auf Finchley Castle, watschelte dick und behäbig zum Telefon. Der Hausapparat hing an der Wand und Mrs. Brown musste sich recken, als sie nach dem Hörer griff. »Hier Hetty.« Es meldete Sich niemand. Mrs. Brown vernahm nur starkes Atmen am anderen Ende der Leitung. »Hallo, hier Hetty«, meldete sich die Köchin nochmals. Zwei tiefe Atemzüge, dann eine gequetschte Männerstimme: »Ich brauche...« Ein peitschender Knall schnitt dem Mann das Wort ab. Das Split tern von Glas war zu hören, ein Aufschrei, der sich in unterdrücktes Ächzen verwandelte. Erschrocken hielt Mrs. Brown den Hörer von sich, stammelte: »Großer Gott, was ist denn da passiert?« Als sie sich etwas gefasst hatte, rief sie in die Sprechmuschel: »Melden Sie sich. Wer ist denn überhaupt dran? Ich kenne Ihre Stim me nicht.« Es antwortete niemand. Die absolute Stille am anderen Ende der Leitung war unheimlich und beklemmend. Mrs. Brown schrie auf und rannte fluchtartig aus der Küche. * Neben dem großen Kamin mit Marmoreinfassung wirkte Sir Louis O'Finchley klein und schmächtig. Liebkosend fuhr seine Hand über die Verzierungen am oberen Kaminrand. Wie unter einem Peitschenhieb zuckte Sir Louis zusammen, als die Tür plötzlich aufgerissen wurde und Mrs. Brown ins Zimmer gestürzt kam. Schnell nahm Sir Louis die Hand von den Kaminverzierungen. Wie ein ertappter Sünder wandte er sich der Köchin zu. »Was ist denn mit Ihnen passiert, Hetty?«, fragte er aufgebracht. Mrs. Brown rang heftig nach Atem, stieß dann hervor: »Mylord, da war einer am Telefon. Man muss ihn umgebracht haben...« Das faltige Gesicht des Herrn von Finchley Castle sah richtig zer knittert aus. »Erzählen Sie, Hetty, aber ganz genau.« 4
Als Mrs. Brown ihren Bericht beendet hatte, zog Sir Louis an der Samtkordel zu seiner Linken. Kurz darauf erschien Orville, der Butler. »Mylord haben geläutet?« »Ja. Trommel mir das Personal zusammen. Sämtliche Telefonan schlüsse im Haus müssen überprüft werden.« »Warum, Mylord, wenn ich fragen darf?« »Weil einer umgebracht wurde«, schrie Mrs. Brown und begann wieder zu zittern. Am Ende der elegant geschwungenen Treppe mit handgeschnitz tem Holzgeländer pendelte der schwarze Hörer des Hausapparates hin und her, als hätte ihn jemand in Schwingungen versetzt. Weder auf der Treppe befand sich jemand noch im angrenzenden Gang. »Wo ist Ihr Toter, Hetty?«, fragte Sir Louis. Aus seiner Stimme klang so etwas wie Spott. Aber das konnte eine Täuschung sein, denn in der hohen Halle schallte jedes gesprochene Wort überlaut zurück. »Vielleicht hat sich Hetty verhört, Mylord«, versuchte der Butler mit unbewegtem Gesicht die Köchin in Schutz zu nehmen. Wütend fauchte die so Verdächtigte: »Hetty hat sich nicht verhört, du, du eingebildeter...« Orville wandte sein ausdrucksloses Gesicht mit den tief liegenden Augen Hetty zu. Sofort verstummte die Köchin und wurde blass. Um Sir Louis' Lippen begann es zu zucken. Es war ein Lächeln vol ler Schadenfreude. Dann warf er einen schnellen Blick auf die im Dunklen liegende Wandverkleidung - und sein linkes Auge begann zu blinzeln. Die holzvertäfelte Wand bewegte sich! Ein knackendes Geräusch, als schnappte ein Schloss, ließ die drei vor dem Telefonapparat stehenden Personen erschreckt zusammen fahren. »Was war denn das wieder?«, begann Mrs. Brown ängstlich zu fragen. »Hört das Spuken denn überhaupt nicht mehr auf.« Sir Louis zuckte die Schultern. »Woher soll ich das wissen? Solan ge ich hier lebe und das sind jetzt 86 Jahre, kenne ich nichts anderes. 5
Allerdings ging früher ein anderer Geist auf Finchley Castle um. Das muss ich sagen.« »Wenn Mylord eine Bemerkung erlauben«, bat artig der Butler. »Bitte.« »Mylord, die rätselhaften Vorfälle häufen sich.« »Wem sagst du das?« »Sehr wohl, Mylord, doch man sollte etwas dagegen unterneh men.« »Etwas unternehmen...«, äffte Sir Louis seinem Butler nach. »Kennst du ein Mittel, mit dem man Geister bannen kann?« Der Butler bekreuzigte sich, flüsterte heiser: »Mylord meinen, My lady...« Er brach ab und schlug wieder ein Kreuz, sah die Köchin fas sungslos an, deren rosige Gesichtsfarbe einen grauen Ton annahm. »Scheint so, Orville. Du hast sie doch gekannt, bevor diese Blase von Verwandtschaft sie in den Tod trieb.« »Eine gute Frau«, murmelte Mrs. Brown und sah sich scheu nach allen Seiten um. Und dann bemerkte der Butler den Schatten. Orville war 70 Jahre alt, 16 Jahre jünger als sein Herr. Aber nicht des Alters wegen zitterte seine Hand, die auf den hellen Marmorfuß boden der Halle deutete. Sir Louis' Augen kniffen sich zusammen. Über seine zitternden Lip pen quälte sich ein Name: »Alva!« * Das Kerzenlicht beleuchtete die Gesichter an der langen Tafel und ließ sie wie vergoldete Masken erscheinen - Masken, hinter denen sich Geheimnisse verbargen, während die Lippen nur übliche langweilige Konversation machten. Der Enkel des Herrn von Finchley Castle, Donald O'Finchley, schob den letzten Bissen in den Mund. Sorgfältig wischte er sich die Lippen an der Serviette ab. Unauffällig schweiften seine blauen Augen über die Runde. An Sir Louis blieben sie etwas länger hängen. Er öffnete 6
kaum seinen Mund, als er über den Tisch hinweg fragte: »Stimmt es, dass Großmutter wieder erschienen ist?« Zwölf Personen hatten das Abendbrot eingenommen. Vier von ih nen blieb der Bissen im Mund stecken. »Alva?«, röchelte Arthur Callison und ließ sein Essbesteck fallen. Sir Louis' Gesicht wirkte kalt und hart, als er Callison anblickte, der unter diesem Blick zusammenzuckte. »Ja, sie ist auferstanden. Anders ist es nicht zu erklären.« Callison stand auf und schleuderte seine Serviette auf den Tisch. »Ammenmärchen. Wie kannst du so etwas erzählen, Schwager Louis?« Der Angesprochene warf Callison einen seiner abschätzenden Bli cke zu, bevor er erwiderte: »Warum soll es nicht möglich sein, dass deine Schwägerin...« Callison winkte ärgerlich mit der Hand ab. »Geh runter in die Gruft und öffne den Sarkophag. Sie liegt bestimmt noch drin, zumindest das, was von ihr übrig blieb.« Die letzten Worte wurden bewusst zynisch ausgesprochen. Ein gekränkter Ausdruck huschte über Sir Louis' Gesicht. Seine Stimme zitterte etwas, als er sagte: »Habt ihr alle den Fluch verges sen, den Alva ausstieß, kurz bevor sie ins Wasser ging, getrieben von eurem Hass? Soll ich ihren Abschiedsbrief holen lassen, in dem sie euch sogar schriftlich verfluchte?« »Sie war geistig umnachtet«, warf Lady Lorenza O'Finchley mit hochmütigem Gesicht ein und strich sich dabei über ihr eisgraues Haar, das wohl frisiert um ihren Kopf lag. »Du schweigst, Schwester!«, befahl der Herr von Finchley Castle. »Dich hat Alva auch verflucht, denn von dir ging die ganze Hetze ge gen sie aus.« »Pah!« »Schweig, habe ich gesagt! Alva war euch allen nicht fein genug. Sie stammte aus keiner angesehenen Familie und das schlimmste für euch war, dass sie arm war. Das habt ihr Alva nie verziehen.« Vom Ende der Tafel kam ein Räuspern. Dann, hohnvoll und vor Wut bellend: »Sie war eine Mitgiftjägerin!« 7
Donald, der Enkel von Sir Louis, sah, wie sein Großvater erblasste und sich ans Herz griff. Aufgebracht rief er: »Das ist eine Lüge, Onkel Lester und du weißt das ganz genau!« Statt Lester Dorington ergriff seine Frau Glenna, die jüngere Schwester von Sir Louis, das Wort. »Wo gibt es so etwas, dass junge Leute anderen über den Mund fahren? Ich bin empört!« Sir Louis hatte sich schnell erholt. Er ging gar nicht auf das Gerede ein, sondern erklärte zu allen gewandt: »Morgen ist Alvas 30. Todes tag. Aus diesem Grund habe ich euch eingeladen, Gast auf Finchley Castle zu sein, das sie so sehr liebte - und das ihr Alva habt zur Hölle werden lassen.« Zwei Familien, die Leeds und die Quentins, saßen mit um den Tisch. Sie waren mit den O'Finchleys nicht direkt verwandt, aber seit Jahrzehnten befreundet. Jason Leeds erhob seine quäkende Stimme. »Was hat das alles mit Alvas Erscheinen zu tun, Louis?« »An das keiner glaubt.« Scharf sah Sir Louis die Sprecherin an. »Meine Schwester Loren za«, höhnte er. »Natürlich. Aber warum nicht? Noch nie etwas davon gehört, dass ein ausgesprochener Fluch wirksam wird, dass eine ge quälte Seele sich mit dem Teufel verbindet, um Rache nehmen zu können?« Das Schweigen lag plötzlich wie ein Leichentuch über der Gesell schaft. Die Quentins, Arne und Emely, sprachen wie aus einem Mund. »Louis, lasse sofort unseren Wagen vorfahren. Wir reisen ab!« Sir Louis begann zu grinsen. Es war eher schon ein teuflisches La chen. »Orville«, rief er. »Öffne die Vorhänge!« Der Butler tat wie geheißen. Schwarz gähnten die dunklen Rechtecke der Fenster. Nur manch mal erhellten sie sich - wenn ein greller Blitz die Nacht taghell erleuch tete. Der darauf folgende Donner dröhnte wie Granateinschläge. Als er verhallte, drang das Rauschen des Regens bis in den Speisesaal. Er goss wie mit Gießkannen. 8
»Sag's ihnen«, forderte Sir Louis seinen Butler mit einem wilden Lachen auf. »Sehr wohl, Mylord.« Steif wie ein Ladestock stand Orville da, als er mit monotoner Stimme sagte: »Es kann niemand abreisen.« Ungläubige Blicke sahen auf den Butler. Als dieser sich aus schwieg, flackerte in einigen Augen Angst auf. »Warum können wir nicht abreisen?«, schrieen die Quentins. Sir Louis setzte genießerisch das Weinglas an die Lippen und be gann schlürfend zu trinken. Hart setzte er das Glas auf den Tisch zu rück, erläuterte schadenfroh: »Finchley Castle liegt auf einer Insel. Habt ihr das vergessen?« »Na und? Die eichene Bohlenbrücke überstand Jahrhunderte.« Sir Louis' Augen lagen im Dunklen und niemand konnte das ge fährliche Funkeln darin sehen. »Diesen Sturm überstand die Brücke nicht. Vor einer halben Stunde brach sie zusammen«, teilte er der Ge sellschaft noch immer teuflisch lachend mit. Wie erschöpft saßen alle auf den Stühlen. Erregte Diskussionen kamen auf. Ein heilloses Durcheinander schreiender Stimmen füllte den großen Speisesaal. Sir Louis zwinkerte seinem Enkel zu. Ihn freute die Angst seiner Gäste. Morgen, dachte er, morgen ist Alva 30 Jahre tot. Ohne dass er es wollte, begann er zu zittern. »Zigarre!«, schrie er seinem Butler zu. »Ich will sofort eine Zigarre!« »Louis!« Lady Lorenza hob mahnend den Finger. »Kein Wunder, dass aus dir eine alte Jungfer wurde«, wütete ihr Bruder. »Wie sollte auch ein Mann bei deinem Aussehen anbeißen. Ha, ha, da hilft nicht mal das Vermögen der O'Finchleys.« Das meckernde Lachen des 86jährigen wurde jäh unterbrochen. Oben, an der Decke, entstand ein knirschendes Geräusch. Zwölf Köpfe ruckten erschrocken hoch, wurden angegrinst von vergilbten Engelsköpfen, die einmal von einem Stuckateur kunstvoll an die Decke gearbeitet wurden. Und inmitten der Engelsköpfe hing ein riesiger Lüster, der zitterte und bebte und die Kristallverschnörkelun gen klirrten ein aufregendes Lied. 9
»Das Todeslied«, flüsterte Donald O'Finchley. So leise, wie die Worte gesprochen wurden - jeder hatte sie ver standen. Glenna Dorington, die Jüngste mit ihren 59 Jahren der O'Finchleys, stieß einen spitzen Schrei aus. Dann polterten Stühle, rück sichtslos umgeworfen von fliehenden Menschen. Zu spät! Der Haken, an dem der zentnerschwere Lüster hing, löste sich mehr und mehr aus seiner Verankerung. Deckenputz splitterte, fiel auf die Tafel, größere Gipsteile folgten. Davon Getroffene stießen Angst schreie aus. Sekunden später krachte der Lüster auf den Tisch, alles unter sich begrabend. Im Nu war es dunkel. Die Entsetzensschreie wollten nicht enden. Schwach war die Stimme, wie aus einer Gruft kommend, die durch den großen Raum zu schweben schien. »Nun habt ihr Angst, Angst um euer Leben...« »Wer ruft da?« Lester Dorington hatte sich ein Herz gefasst und die Frage gestellt. Sofort bekam er Antwort. Es war, als könnte die Sprecherin mit ih ren Augen die dichte Dunkelheit durchdringen, sagte sie doch: »Ich, Lester.« »Wer bist du?« Die Worte tropften schwer von Lesters Lippen. »Kennst du mich nicht mehr?« Panik war in Lesters Stimme, als er zurückrief: »Alva, du elende Erbschleicherin. Zeige dich, damit ich dich zum Teufel jagen kann!« Die Stimme wurde nicht stärker, nur schärfer. »Sage deiner Glen na, sie soll die gestohlene Perlenkette zurückbringen.« »Alva! Weiß Gott, Alva...« Glenna Doringtons Worte brachen ab. Die jüngste Schwester des Earl von Finchley Castle war in Ohnmacht gefallen. »Lester«, rief die Stimme, die von überall zu kommen schien. »Hole Wasser für deine Frau und erinnere sie an die Perlenkette, ha, ha.« 10
In der eingetretenen Stille klang das Röcheln überlaut. Allmählich wurde es leiser, brach dann abrupt ab, gefolgt von einem schweren Fall. »Wer, wer reißt mir das Kleid vom Leib?«, rief voller Zorn, ohne die geringste Spur von Angst in der Stimme, Melinda Leeds. »Jason, hörst du? Jemand zerrt an meinem Kleid!« »Ich kann nichts sehen, Melinda.« Kurz klickte es. Eine kleine bläuliche Flamme geisterte umher. Do nald O'Finchley hatte sein Feuerzeug angeschnippt und suchte nun in den Trümmern des Esstisches eine der Kerzen, die vom heruntergefal lenen Lüster ausgelöscht worden war. Donner grollte draußen. Blitze zuckten und in finsterer Wut peitschte der Regen gegen die Fensterscheiben. Die kleine Flamme der Kerze verbreitete einen gelblichen Schein, der sich in den weit aufgerissenen Augen des Mr. Quentin widerspie gelte. Emely Quentin schrie auf und blickte fassungslos auf ihren Mann, der lang gestreckt am Boden lag. Nach Emely begann Mrs. Leeds zu schreien, denn sie sah, wie sich eben Mr. Quentins Hand von ihrem erdlangen Kleid löste und kraftlos herunterfiel. Die Panik brach aus, als Donald mit der Kerze nahe an den Lie genden herantrat. Aus Mr. Quentins Rücken ragte der Hirschhorngriff eines Tran chiermessers. »Arne, Arne, sag doch was«, wimmerte Mrs. Quentin fassungslos. Orville, der Butler, führte die Weinende aus dem Speisesaal. »Ihr Gatte ist tot, Mrs. Quentin. Ermordet«, sagte er dumpf. An der Tür drehte sich Mrs. Quentin noch einmal um, musterte die Anwesenden sekundenlang, bevor sie mit spröder Stimme sagte: »Das ist Alvas Werk. Die hat uns nie leiden mögen.« * 11
Inspektor Trenck ging schnellen Schrittes die Queen Street entlang. Vor einem imponierenden Sandsteinkasten aus der Gründerzeit verhielt er. Engelsköpfe und Löwenhäupter tummelten sich in paradiesischer Eintracht auf der Fassade. An verschiedenen Stellen bröckelte der Stuck schon ab. Schmutzflecken und blinde Scheiben bewiesen, dass das Haus bessere Tage gesehen hatte. »Was hat er sich dabei gedacht, als er mich hierher bestellte«, murmelte Trenck nachdenklich. Die Straße war leer und verlassen. Keine Menschenseele war jetzt hier zu sehen. Das riecht gewaltig nach einer Falle, schoss es Trenck durch den Kopf und langsam tastete seine Hand unter das Jackett, umklammerte den Kolben der 38er Spezial, die in dem Schulterhalfter steckte. Trencks Gesicht schien wie eingefroren, als er langsam und nach allen Seiten sichernd, die Straße überquerte. Es war die Zeit, in der die Nacht starb und der neue Tag geboren wurde. Das Morgengrauen zog über die Stadt mit einem feinen Dunst, der sich auf den Fenstern niederschlug und die Straßen spiegelglatt machte. Eine Nebelfront, die nach Fabrikgasen und Brackwasser stank, kroch vom Westen herüber und berührte alles mit ihren klammen Fin gern. Trenck sah sich noch einmal um und als alles still blieb, legte er seine Hand auf den geschmiedeten Türdrücker. Die Tür war verschlos sen, ließ sich trotz starkem Rütteln nicht öffnen. »Sie haben pünktlich um drei Uhr, Queen Street 13, siebter Stock, dritte Tür links, zu erscheinen. Wie Sie das anstellen, ist Ihre Sache. Nur - Sie müssen pünktlich sein!« Während der Inspektor den Spezialdietrich aus der Tasche zog, gingen ihm die Worte durch den Kopf. Die Stimme des nächtlichen Anrufers hatte sehr dringend geklungen. Trenck kannte den Anrufer. Widerspruch wäre zwecklos gewesen. Aber was hat er sich dabei gedacht? Die Frage drängte sich Trenck wieder auf, als er den Spezialdietrich ins Schlüsselloch der massiven Tür stieß. 12
Im gleichen Augenblick ließ ein Geräusch den Inspektor herumfah ren. »Ist da jemand?« Nur das Echo der eigenen Stimme schallte zwischen den hohen Hauswänden als Antwort zurück. Achselzuckend machte sich der Inspektor wieder am Türschloss zu schaffen. Gerade als die erste Sperre im Schloss zurücksprang, schep perte etwas zwischen den Mülltonnen, die übervoll drei Häuser weiter standen. Dann war Stille. Gefahr! Trenck konnte sie förmlich riechen. Sie türmte sich auf, haushoch. Es war die Stille vor dem Sturm, vor dem tödlichen Schlag. Auf der Stelle, wo Trenck gerade stand, ließ er sich blitzschnell hinfallen. Und noch im Fallen riss er die 38er Spezial aus dem Schul terhalfter. Es war eine jener Kampfsituationen, wo die angespannten Nerven zu zerreißen drohten. Mit überwachen Sinnen lag Trenck auf dem Bauch und der schnelle Schlag seines Herzens erschien ihm überlaut. Dann kam der Schatten. Trenck fühlte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Mit wenigen langen Sätzen überwand der Inspektor die Distanz und stand unmit telbar vor den Mülltonnen. Nichts war zu sehen, weder Tier noch Mensch. Aber Trenck wuss te, dass er sich nicht getäuscht hatte. Die Manipulation am Türschloss nahm volle vier Minuten in An spruch. Bevor Trenck die Tür öffnete, nahm er die 38er Spezial wieder schussbereit in die Hand. Dann gab er der Tür einen Stoß. Quiet schend schwang sie nach innen. Abgestandene Luft drang aus dem alten Haus - und der Geruch nach Moder und Fäulnis. Schwarz gähnte der Flur, drohend, unheilver kündend. Trenck zögerte nach der ersten Stufe. Noch fünf ausgetretene Steinstufen lagen vor ihm - und die Ahnung, offenen Auges in eine Gefahr zu rennen. Er hatte plötzlich das Gefühl, als presste eine Faust sein Herz zusammen. 13
Eine Stille lag über dem Haus, die fremd und unnatürlich erschien. Nach jeder Stufe verhielt Trenck. Als er die sechste und letzte Stufe überschritten hatte, bedeckte feiner Schweiß seine Stirn. »Noch nie fühlte ich mich so bedroht, wie in diesem alten Sand steinkasten«, murmelte Trenck. Morsche Dielenbretter knirschten und knackten. Die Geräusche durchbrachen die gespenstische Stille. Trencks Hand strich an der Wand entlang, suchte den Lichtschalter. Als sie ihn fand und den Knopf drückte, blieb alles dunkel. Entweder war der Schalter defekt oder jemand hatte ihn in übler Absicht... Etwas war faul. Aber was war es, das solche Beklemmungen her vorrief? Zwei Schritte machte Trenck in den dunkel gähnenden Flur. Ein qualvolles Stöhnen kam über seine Lippen. Schmerz zuckte in seinem linken Knöchel auf. Ein Dielenbrett war unter seinem Gewicht zerbro chen. Der Fuß klemmte. Mit Hilfe des Revolverkolbens schlug Trenck auf die morschen Bruchstücke ein, bis er seinen eingeklemmten Fuß freibekam. Erlöst atmete er auf. Nur wenige Schritte von Trenck entfernt fiel eine Tür hart ins Schloss. Und noch bevor das Echo des Knalls verhallt war, gellte ein teuflisches Gelächter durch den Flur. Als hätte ihn eine unsichtbare Faust getroffen, zuckte Trenck zu rück. »Höllenhund!«, kam es drohend aus des Inspektors Mund. »Nicht mit mir!« Es waren noch drei Schritte bis zur Tür, als dem Inspektor am ganzen Körper der Schweiß ausbrach. Plötzlich hatte er wieder jenes Gefühl in den Beinen, das er so oft gehabt hatte, wenn er auf jeman den zugegangen war, der eine Waffe in den Händen hielt und mit ihr auf ihn zielte. Es war eine grausame Tortour, ganz ruhig und gelassen erscheinen zu müssen. Die Beine wurden immer schwerer und lahmer. Es war, als wenn sie sich in Blei verwandelt hätten. Hinter der Tür gellte es wieder. Es war ein Lachen der wilden, bö sen Freude. Das Gelächter klang immer noch in Trencks Ohren nach, als es schon längst verklungen war. 14
Drei Tritte mit dem Absatz rissen das Schloss heraus und die Tür flog auf. Trenck klebte förmlich an der Wand, rechnete jeden Augen blick mit einem Angriff aus der nun offen stehenden Tür. Nichts rührte sich. Grabesstille umgab Trenck. »Komm schon heraus, Strolch!« In Trencks Stimme steckte ein Messer. Die Stille wurde bedrückender, lastete schwer im ganzen Haus. »Auch gut«, knurrte Trenck gereizt. Dann spannten sich seine Muskeln und er sprang mit einem gewaltigen Satz in das Zimmer hin ein. Hechtrolle vorwärts, mit dem Rücken an die Wand, dann die 38er kreisen lassen, bereit, jeden Angriff sofort im Keim zu ersticken. Nach drei, vier Atemzügen ließ Trenck den Revolver sinken. Das Zimmer war leer, wie es leerer nicht sein konnte. Bereits die Tapeten an den Wänden fingen an, sich selbständig zu machen. Es musste lan ge her sein, dass ein Mensch in dem Zimmer gewohnt hatte. * Das Licht im Flur brannte nicht. Der alte Aufzug aber stand unter Strom. Trenck drückte den Bedienungsknopf. Die Kabine kam und Trenck betrat sie mit gemischten Gefühlen. Ein Spukhaus, wie es nur in allerschlimmsten Alpträumen vorkommt, dachte der Inspektor, wäh rend er in der Kabine den Aufwärtsknopf drückte. Ratternd setzte sich der Aufzug in Bewegung. Die altersschwache Anlage knirschte, kreischte und quietschte, erzeugte einen Höllenlärm. Ein Pfeil zeigte die erreichten Stockwerke an. Trenck beobachtete, wie sich der Pfeil stetig nach rechts bewegte. Dann zeigte er auf Nummer sechs. Noch eine Etage - und Trenck hätte sein Ziel erreicht. Aber plötzlich ging ein harter Ruck durch die Kabine. Der Aufzug stand, eingeklemmt zwischen der sechsten und siebten Etage. Wütend drückte Trenck die Bedienungsknöpfe. Ohne Erfolg. 15
Auf Hilfe durfte Trenck nicht hoffen. Er musste sich etwas einfal len lassen, wollte er nicht Tage in dem eingeklemmten Aufzug verbrin gen. Zuerst musterte Trenck das Innere des Kabinendachs. Beim Be trachten reifte der Plan, das Dach zu durchbrechen und so einen Aus stieg zu schaffen. Sofort setzte Trenck den Gedanken in die Tat um. Nach den ers ten Handgriffen, Trenck gelang es mit Hilfe seines Taschenmessers, einige Bretter zu lösen, ging ein erneuter Ruck durch die Kabine, ließ sie hin und her schaukeln. Und dann sauste sie haltlos in die Tiefe. Schneller, immer schneller wurde die Fahrt. Im Aufzugsschacht pfiff der Wind, heulte und wimmerte zum Stei nerweichen. Ein Todeslied für Inspektor Trenck! Aber Trenck war zäh und besaß einen starken Lebenswillen. Die Bretter des Kabinendachs hatte er schon entfernt. Zu sehen waren jetzt die Eisenträger. Trenck schnellte sich hoch. Seine Hände um krampften einen der Träger, hielten sich an ihm krampfhaft fest. Ohrenbetäubend war der Knall, als die Aufzugskabine in voller Fahrt aufschlug. Holz zerbrach, Metall kreischte, verbog sich. Doch da sich Trenck mit seinen Armen am oberen Eisenträger festgehalten hatte, er praktisch beim Aufprall in der Luft hing, konnte er sich federnd abfangen. Nur seine Armmuskeln schmerzten von dem brutalen Ruck, der durch sie gegangen war. Fluchend befreite er sich aus den Trümmern. * Im Keller roch es noch muffiger als oben im Haus. Trenck stolperte die Treppe hinauf. Die Besichtigung des Kellers hatte nichts erbracht. Wieder im Flur angekommen, setzte er sich auf eine herumstehende Kiste und kramte sein Zigarettenpäckchen aus der Tasche. Als die Zi garette brannte, inhalierte er tief den Rauch. Noch 35 Minuten hatte er Zeit, um den vereinbarten Treffpunkt zu erreichen! 16
Wütend trat Trenck mit dem Schuhabsatz die glimmende Zigaret tenkippe aus. Als er sich erhob, nahm er vorsichtshalber die 38er Spe zial in die Hand. So gegen einen unerwarteten Angriff gewappnet, nä herte er sich der Treppe, die nach oben führte. Neun Stufen zählte jede Treppe, zwei für jede Etage. Und Trenck musste zur siebten Etage hinauf. Zähneknirschend nahm Trenck die ersten Stufen. Ein konturloser Schatten tauchte oben am Treppenabsatz auf. Abrupt verhielt Trenck, stand da und wartete. Er war schon zu vie len Menschenfallen begegnet. Der Schatten verschwand, lautlos wie er sich gezeigt hatte. Noch einen Augenblick verharrte Trenck lauschend. Dann setzte er seinen Fuß auf die neunte Stufe. Mit einem hässlichen Knirschen zerbrach das Holz unter Trenck. Staubwolken wirbelten auf. Als sich der dichte Staubschleier legte, war die Treppe verschwunden - war einfach in sich zusammengefallen. Der Aufzug lag zerschellt im Keller, die Treppe zertrümmert im Flur. Es gab keinen Weg mehr nach oben. Nachdenklich blickte sich Trenck um. Die Hintertür stand offen. Trenck trat in den Hof hinaus. Tief saugte er die frische Luft in seine Lungen. Der Morgennebel hatte sich in Regen verwandelt. Fröstelnd schlug Trenck den Kragen seines Trenchcoats hoch. Er suchte eine Möglich keit, um in die oberen Stockwerke zu gelangen. Den Hof umgab eine hohe Mauer, auf deren oberen Rand Stachel draht gespannt war. Um die hintere Hausfront besser in Augenschein nehmen zu können, musste sich Trenck der Hofmauer rückwärtsge hend nähern. Über sich konnte Trenck die Silhouette der verrosteten Feuerleiter gerade noch erkennen. Aber es würde zuviel Lärm machen, wenn er sie herunterzog. Stattdessen tappte er an der Wand entlang, fand den leeren Rahmen eines Fensters und tastete nach dem Griff. Das Fenster ließ sich schwer öffnen und Trenck musste sich auf die Fensterbank schwingen. Da sah er den Blitzableiter. Und noch be vor er die neue Möglichkeit in Erwägung gezogen hatte, hangelte er sich schon an dem angerosteten Draht nach oben. 17
Zwei Stockwerke schaffte Trenck. Seine Handflächen brannten wie Feuer. Länger konnte er sich nicht mehr am Blitzableiter festhalten. Kurzerhand trat er einen Fensterrahmen ein und ließ sich in das dahin ter liegende Zimmer fallen. Auch dieses Zimmer war leer. Nur ein einziger Stuhl stand genau in der Zimmermitte. Voller Misstrauen betrat Trenck den Flur im zweiten Stock. Die einzige Möglichkeit nach oben zu gelangen, bot die Treppe. Trenck vertraute sich ihr widerstrebend an. Sein Argwohn vergrößerte sich noch, als nichts geschah und er ungehindert das siebte Stockwerk erreichte. Der Gang machte in der Mitte einen Knick, wie Trenck im Zwielicht des verregneten Morgens erkennen konnte. Sein Ziel, die dritte Tür links, befand sich hinter dem Knick. Und von dort kam das Knarren der Dielenbretter. Es hörte sich an, als bewegte sich ein schwerer Körper darauf.
Jetzt werde ich ihn sehen, von Angesicht zu Angesicht, diesen heimtückischen Dunkelmann, der mir auf niederträchtigste Art und Weise den Zugang in dieses Haus verwehren wollte. So etwas wie Jagdfieber packte Trenck und seine schweißnasse Hand umkrampfte den Walnusskolben der 38er Spezial im Achselhalf ter. Das Knarren der Dielen brach jäh ab. Ein langer Schatten fiel in die Ganghälfte, die von Trenck eingesehen wurde.
Komm endlich! Zeige dich!
Am liebsten hätte Trenck sein Wunschdenken laut hinausgeschrie en. Das Warten auf den unheimlichen Gegner zerrte furchtbar an den Nerven. Den Rücken hielt sich Trenck frei, indem er sich gegen die Korridorwand lehnte. Hinter der Wand klopfte es in unregelmäßigen Abständen, immer der gleiche monotone Laut. »Verdammte Bude«, fluchte Trenck leise vor sich hin. Der Schatten stand noch im Korridor. Eine stumme Drohung. Er tat einen Schritt nach vorn. Seine Stimme klang heiser und rau, als er rief: »Treten Sie vor, mit erhobenen Händen. Ich bin Inspektor Trenck von der Mordkommission.« 18
Unbeweglich blieb der Schatten. Kein Laut war zu hören. Sogar die Holzwürmer hatten ihr Nagen aufgegeben. Der Schatten wurde immer kompakter. »Ich komme jetzt«, drohte Trenck. »In meiner Hand befindet sich ein geladener Revolver, von dem ich Gebrauch machen werde, wenn...« Mitten im Satz brach Trenck ab. Ein scharfes Geräusch, undefi nierbarer Art, drang an seine Ohren. Dann wuchs der Schatten an - und hinter dem Knick des Ganges hervorstürzte unter frenetischem Gebrüll eine unwirkliche Gestalt. Sie hielt etwas in der Hand, die furchteinflößende Gestalt, das wie ein schwerer Trommelrevolver aussah. Da schoss Trenck und er konnte erkennen, dass seine Kugel das Monster aufhielt wie eine unsichtbare Hand. Und noch während die Gestalt nach vorn kippte, hörte Trenck das Rascheln von Stroh. Eine Attrappe! Trenck gab der Strohpuppe einen Tritt und fluchte lästerlich. Hinter Trenck quietschte eine Tür in ihren Angeln. Der Inspektor fuhr auf dem Absatz herum. Zischend entfuhr die angestaute Luft sei ner Lunge. Das Lächeln des Eintretenden dauerte nicht einmal eine Sekunde, dann war es verschwunden. Er nickte kühl und sagte: »Guten Morgen, Inspektor.« »Guten Morgen, Sir«, erwiderte Trenck verblüfft zu seinem Vorge setzten, Superintendent Lynch, der vor ihm stand. Hinter Trencks Stirn arbeitete es. Wie kommt der Alte hierher? Was, zum Teufel, soll das alles bedeuten? »Fein, Sie sind pünktlich, Inspektor. Ging Ihnen mächtig unter die Haut, der ganze Zauber, wie?« Plötzlich wusste Trenck Bescheid. Kein anderer als der Alte steckte hinter den geheimnisvollen Vorgängen, die gar nicht geheimnisvoll waren, sondern absichtlich in Szene gesetzt worden waren. Ohne auf Lynchs Frage einzugehen, erkundigte sich Trenck: »Wa rum, Sir?« 19
Lynch lachte, dann sagte er: »Ein Test. Nur ein Test, mein Lie ber.« Die angestaute Wut in Trenck kam zum Durchbruch. Er gab Lynch deutlich Bescheid, was er von dieser hinterlistigen Taktik hielt. Erst nach langer Zeit war Trencks Vorrat an präzisen Ausdrücken erschöpft. Lynchs Gesicht war weiß geworden und sein Mund verkniffen. »Fertig?«, fragte er schließlich. »Mehr fällt mir im Moment nicht ein.« »Fein. Dann lassen Sie mich mal was sagen.« »Bitte, Sir.« Lynch biss einer Zigarre die Spitze ab, spuckte den Tabakrest auf den Fußboden. Mit einem Zündholz setzte er den Torpedo von Zigarre in Brand. Nach den ersten paffenden Zügen erklärte er: »Wir mussten Sie testen, Trenck. Ein Fall besonderer Art wurde uns übertragen. Sie sollen ihn übernehmen.« »Warum dann der ganze Mummenschanz?« »Weil so einen Fall noch keiner von uns bearbeitet hat. Hier kommt es mehr auf Instinkt und Reaktion an, als vielleicht auf...« Trenck maulte: »Verstehe kein Wort, Sir.« »Langsam. Also, ich muss sagen, Sie haben sich großartig benommen. Ein besonderer Effekt in unserem Test war der nicht auf zuhaltende Fahrstuhl.« »Ich hätte mir das Genick brechen können.« »Weiß ich, weiß ich. Ich hab's per Fernsehübertragung beobach tet.« »Was? Sie hatten überall verborgene Kameras installiert?« »Ja, sonst hätten wir Ihre Reaktionen nicht testen können.« In Trenck wollte der Zorn wieder hochsteigen. Er bezwang sich, sagte lediglich: »Also alles für die Katz.« »Ganz im Gegenteil, mein Lieber. Sie sind wie geschaffen für diese Aufgabe. Sie sind intelligent, robust...« »Geschenkt, Sir«, unterbrach Trenck seinen Vorgesetzten. »Wenn Sie mir Einzelheiten sagen wollen?« »Eine heikle Sache.« Trenck rührte sich nicht. 20
»Tja, Inspektor. Glauben Sie an Geister?« Kurz überlegte Trenck, bevor er gallig erwiderte: »Bevor Sie diese Scherze mit mir machten, nicht.« »Aber jetzt könnten Sie verstehen, dass so etwas in Wirklichkeit vorkommen kann?« »In etwa. Doch fest an Geister zu glauben, fällt mir verdammt schwer.« »Auf Finchley Castle spukt es, Inspektor. Sogar mein Vater kann sich noch gut daran erinnern. Aber deshalb ist noch nie eine Behörde um Hilfe gebeten worden. Spuk gehört zu unseren alten Schlössern und Burgen, wie, wie...« »Wie Sekt zu Frauen«, warf Trenck lachend ein. Lynch lachte nicht mit, fuhr vielmehr ungerührt fort: »Wie mir der Earl von Finchley Castle sagte, spukt es seit ein paar Tagen besonders stark. Dabei ist ein Mensch ums Leben gekommen.« »Wie?« »Mit einem Messer im Rücken.« »Sir. Haben Sie schon gehört, dass Geister mit Messern stechen?« »Das ist es ja, Inspektor. Der alte Finchley behauptet steif und fest, der Geist seiner verstorbenen Frau, die vor 30 Jahren Selbstmord beging, stecke dahinter.« Trenck überlegte laut: »O'Finchley? Sitzt nicht ein O'Finchley im Unterhaus?« »Richtig, Georg O'Finchley. Er ist der Sohn vom alten Earl«, erwi derte Lynch. »Verdammt!« »Warum fluchen Sie, Inspektor?« »Wenn das nicht in die hohe Politik hineinspielt...« Jetzt war es Lynch, der einen Fluch zwischen den Zähnen zerkau te. »Egal wie, Inspektor«, sagte er dann nach kurzem Besinnen. »Der Fall muss geklärt werden. Ich verlange schnelle und korrekte Arbeit!« »Ohne Rücksicht auf die Person?« »Mann, Trenck, Sie haben doch Fingerspitzengefühl.« »Sie schicken mich in eine Löwenhöhle, Sir.« 21
Lynch lachte gekünstelt. »Nicht doch. Da spukt es ein bisschen und... Na ja, ein Toter ist vorhanden.« »Liegt der noch...« »Ja. Sie wissen, dass das Schloss auf einer Insel steht, nur durch eine alte Holzbrücke mit dem Festland verbunden. Und die zerstörte der Sturm vorletzte Nacht. Nebenbei bemerkt, als ich zurückrufen woll te, bekam ich keine Verbindung mehr.« »Also ist die Telefonleitung auch hin.« Lynch zuckte mit den Schultern und paffte dicke Wolken aus sei ner Zigarre. Mit einer Hand massierte sich Trenck sein Kinn, sagte bissig: »Ein glattes Todeskommando, das Sie mir übertragen, Sir.« * Dumpfes Grollen kündigte ein neues Gewitter an. Grelle Blitze spalte ten den Himmel, zerrissen die Schwärze und ihr Widerschein spiegelte sich auf den Dächern des Schlosses. Norma Dorington, die Tochter von Glenna, der jüngsten Schwester des Earl, stritt heftig mit ihrem Vater. »Wie kann man nur solch einen Hass auf eine Tote haben«, empörte sie sich eben. Lester Dorington, ihr Vater, sah besorgt zum Fenster hinaus. Das Meer kochte und schlug mit haushohen Wellen gegen die Steilküste. Weiße Gischt sprühte in den verwilderten Park. »Ob das Meer die Klippen bezwingen kann?« Als Lester Dorington keine Antwort erhielt, setzte er sein Selbstge spräch fort: »Wenn das geschieht, dann sind wir alle verloren. Solch eine Flut kann nichts und niemand aufhalten.« »Vater!« »Ja?« Lester wandte sich seiner Tochter zu. »Ich habe dich etwas gefragt, Vater.« Lester strich mit der Hand durch seinen grauen Knebelbart und musterte seine 21jährige bildschöne Tochter. Lester selbst war schon 62 Jahre alt, um so mehr freute er sich, solch eine Tochter zu besit zen. 22
»Du hast aber auch gar nichts von deiner Mutter«, kam es spon tan über Lesters schmale blasse Lippen. »Vater!« »Was schreist du immer Vater? Ich höre noch recht gut.« »Dann sage mir endlich, warum ihr alle Tante Alva abgrundtief hasst, noch 30 Jahre nach ihrem Tod.« Normas Vater ging zur Tür, riss sie auf und schaute hinaus auf den Gang. Als er sicher war, dass kein Lauscher in der Nähe stand, kam er zurück ins Zimmer. »Es ist gleich Frühstückszeit und du bist noch nicht angezogen, Kind. Du weißt ganz genau, dass Onkel Louis großen Wert auf Pünktlichkeit legt.« »Aber ich will...« Erschrocken hielt Norma inne. Ihr Gesicht, das vor Erregung gerötet war, wurde leichenblass. Normas Vater begann am ganzen Leib zu zittern. Auch an seine Ohren war das hohle Wimmern eines Kindes gedrungen. »Alva wollte so gern ein Kind«, kam es flüsternd von ihm. Mit den Händen hielt sich Norma die Ohren zu. »Vier Tage schon höre ich das schreckliche Wimmern, sogar nachts, wenn ich schlafen will.« »Ja, Kind. Das zerrt an den Nerven. Louis hat uns mit seiner Ein ladung die Hölle beschert.« »Aber Onkel Louis ist doch ein lieber, netter alter Mann, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann.« Giftig lachte Lester auf. »Zu dir und den Fliegen - vielleicht. Uns, seine engste Verwandtschaft, hasst er dafür um so mehr.« »So wie ihr Tante Alva hasst?« Resigniert ließ sich Lester auf einen Stuhl nieder. Mit einem gel lenden Schrei sprang er sofort wieder in die Höhe. Gerade im richtigen Augenblick, denn der Stuhl zerfiel in seine Bestandteile. Drohend reckte Lester die Faust zur Zimmerdecke. »Alva, du elen de Erbschleicherin, lass uns endlich in Ruhe!« »Tante Alva soll den Stuhl...?« Norma brach in Lachen aus. Das Lachen verkrampfte sich wenig später, fror regelrecht ein, wurde übertönt von einem höllischen Gelächter, das noch lange in den Ohren nachgellte. 23
Norma und ihr Vater waren vor Schreck wie erstarrt. Da klopfte es hart an die Tür. Im Zimmer herrschte Schweigen. Keiner wagte zu atmen. »Wenn...« »Was meinst du mit wenn, Vater?« Aufgeregt winkte Lester mit der Hand. »Leise. Wer weiß, wer draußen steht.« »Vielleicht Tante Alva?« Blaurot wurde sein Gesicht. »Herein, bitte«, rief Norma laut, mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen. Ihr Vater zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Doch bevor er protestieren konnte, öffnete sich schon die Tür. Herein trat Fanny, das Hausmädchen. Fanny knickste. Ihr hartes Gesicht blieb ausdruckslos. Lediglich ih re dunklen Augen schienen zu leben. In ihnen brannte ein Feuer, wild und verzehrend. Lester begann verlegen zu hüsteln. »Hallo, Fanny. Ist was?« »Ja, Miss. Ihr Onkel bittet, in einer Viertelstunde zum Frühstück zu erscheinen.« »Ja, schon gut.« Lester scheuchte das Mädchen hinaus. Als er sich seiner Tochter zuwandte, sagte er sich schüttelnd: »Das Weib jagt mir immer einen maßlosen Schrecken ein. Sie ist eine Hexe, glaube mir.« Während Norma letzte Hand an ihr Make-up legte, erwiderte sie lachend: »Was du hast, Vater. Fanny ist Onkel Louis treu ergeben.« »Wie das gesamte Gesinde«, schimpfte Lester weiter. »Wenn nur der Sturm nachlassen würde, dass man die verdammte Brücke reparie ren könnte. Ich will so schnell wie möglich weg von hier. Der Mord an Arne Quentin liegt mir in den Knochen.« »Ich denke, Tante Alva brachte ihn um?« »Höhne nicht, Kind. Die Sache ist ernster, als du denkst.« »Dann sage mir endlich, warum euer Hass auf Tante Alva so groß ist.« 24
»Ich hasste sie eigentlich nicht«, bekannte Lester. »Alva war schön wie eine Märchenprinzessin.« »Dann steckt Mutter dahinter!« Bevor Lester antwortete, lauschte er auf das Gewimmer, das ver stärkt durchs Haus schallte. »Als wenn ein Kind stirbt, hört es sich an.« »Bitte, Vater!« »Schon gut. Also pass auf, Kind. Die O'Finchleys sind steinreiche Leute. Dein Onkel Louis hat nochmals sehr spät geheiratet und alle dachten, sie würden nach seinem Tod erben. Aber jetzt war Alva da und jeder sah sich leer ausgehen.« »Verstehe.« Normas Stirn legte sich in Sorgenfalten. »Mutter, Tante Lorenza, Onkel Arthurs kürzlich verstorbene Frau, sie alle woll ten ihren Bruder beerben, den Earl von Finchley Castle.« »Was sollte ich tun, Kind? Du kennst ja deine Mutter.« Ihre Gedanken gab Norma nicht preis. Vielmehr hakte sie sich bei ihrem Vater unter und sagte: »Lass uns runtergehen, trotz des Ge wimmers, das nicht aufhören will.« * Dieser Morgen auf Finchley Castle glich einer Totenwache. Die Famili enmitglieder saßen am Frühstückstisch mit wächsernen Gesichtern. Kaum einer führte einen Bissen zum Mund. »Tja«, krächzte Sir Louis. »Ich musste euch ins Jagdzimmer bit ten. Im Speisesaal wird der herunter gebrochene Lüster montiert und man ist dabei, die Blutflecken zu entfernen.« »Aber Vater!« Sir Georg O'Finchleys Stimme schnitt wie Glas. »Willst du uns den Appetit verderben?« Sir Louis warf Donald, seinem Enkel, einen schnellen Blick zu, be vor er antwortete: »Euch wird noch oft der Appetit vergehen, ich mei ne deine lieben Tanten und deinen Onkel Arthur.« »Was hast du auf einmal gegen uns, Louis?«, kreischte Lorenza, seine älteste Schwester. 25
Das faltige Gesicht zog sich grinsend in die Breite, als Sir Louis erwiderte: »Ich habe nichts gegen euch. Aber Alva hasst euch wie die Pest. Und bedenkt, Ihr seid Alvas Gäste!« »Gäste einer Toten«, schrillte Lorenzas misstönende Stimme. Ihre hagere Gestalt richtete sich kerzengerade auf und aus ihren Augen zuckten Blitze. »Ja, Lady«, sagte da der alte Butler. »In Myladys Abschiedsbrief steht ausdrücklich, dass zu ihrem 30 Todestag alle noch lebenden Verwandten einzuladen sind.« »Was geht Sie das an, Orville?« Mit gekränktem Gesicht zog sich der Butler zurück. Alle langten jetzt zu. Donalds Stimme ließ wieder die Bestecke klirren. »Großvater, hast du Mr. Quentins Leiche unten in die Familiengruft legen lassen?« Sir Louis wischte sich den Mund ab. »Ja, mein Junge. Wo sollte ich sonst mit ihm hin?« Die so plötzlich zur Witwe gewordene Mrs. Quentin, stieß einen unterdrückten Schrei aus und verließ fluchtartig das Zimmer. Wütend hieb Arthur Callison mit der Faust auf den Tisch. »Schwa ger, verbiete deinem Enkel, solche Reden bei Tisch zu führen!« Donalds Vater, der kein Mark in den Knochen haben soll, Sir Louis' Worten nach zu urteilen, fauchte plötzlich los: »Und ich verbiete dir, so über meinen Sohn zu sprechen!« Im Nu war der größte Familienkrach vom Zaun gebrochen. Schmunzelnd lehnte sich Sir Louis in seinem hohen Lehnstuhl zu rück und rieb sich zufrieden die Hände. Dann wanderte sein Blick zu den alten Bildern hinüber, die eine ganze Wand bedeckten, alles Vor fahren der O'Finchleys, deren finster blickende Augen zu leben schie nen. Das letzte Bild stellte eine Frau dar - Alva O'Finchley! Aus Sir Louis Schmunzeln wurde Lachen. »Du hattest recht, Alva«, sagte er zu dem Bild seiner toten Frau. »Die ganze Blase zerfleischt sich vor lauter Gier.« 26
Jason Leeds, der mit seiner Frau eingeladen worden war, da weit läufige Verwandtschaft bestand, beobachtete die herrlichen Hirschge weihe, die an den Wänden hingen. Besonders interessierte Mr. Leeds das 22-Ender-Geweih, direkt über ihm. Zwei Dinge nahmen Mr. Leeds plötzlich den Atem. Das Geweih be gann im wahrsten Sinne des Wortes zu leben, es senkte sich zeitlu penhaft nach vorn. Und das daneben hängende Bild eines Vorfahren der O'Finchleys begann hämisch zu grinsen. Jedenfalls kam es Mr. Leeds so vor. Er sah, wie sich die dunklen und stechenden Augen von links nach rechts bewegten und böse auf ihn nieder schauten. »Melinda!« Mr. Leeds stieß seine Frau an. »Lang zu, Jason«, erwiderte die Angesprochene hastig. »Der Schinken schmeckt herrlich - und so etwas schon zum Frühstück. Wir können uns das nicht leisten. Also iss dich satt!« »Du verstehst mich nicht...« Mrs. Leeds hob den Kopf, der für ihre lange, dürre Gestalt viel zu klein war. Der Geiz saß ihr in den Augen, mit denen sie ihren Mann strafend anblickte. »Was verstehe ich nicht? Du benimmst dich son derbar. Hier kannst du essen und trinken, soviel du willst und...« Mr. Leeds Augen wurden immer größer. Vergeblich versuchte er den aus Eichenholz geschnitzten Stuhl zurückzuschieben. Es gelang ihm nicht. Der Stuhl stand wie fest geleimt. Er konnte sich nur noch nach vorn werfen, mit dem Gesicht auf den Tisch. »Melinda«, röchelte er, die Hände schützend über den Kopf hal tend. Aber da krachte schon das schwere Hirschgeweih in seinen Rü cken, rutschte ab und polterte auf den Fußboden. Völlig benommen, noch vom Schreck gezeichnet, blickte Leeds zu Sir Louis. »Das verdammte Ding hätte mich um ein Haar erschlagen. Wie kannst du das alte verstaubte Zeug so herumhängen lassen!« Sir Louis' Augen blitzten mutwillig. »Pech«, sagte er. »Der Haken wird sich gelöst haben. Kommt ja immer mal vor.« 27
Aller Blicke richteten sich auf die holzgetäfelte Wand. Lorenza O'Finchley sprach aus, was alle sahen: »Der Haken ist neu - und sitzt fest.« Mr. Leeds Hände umkrampften die Sessellehnen und seine Augen flackerten irre. »Wie kann das passieren, wenn der Haken in Ordnung ist?« Das Grinsen des alten Earl verlöschte und er fragte ernsthaft: »Ja son. Hattest du mal mit Alva Ärger?« Wie von einer Tarantel gebissen sprang Mrs. Leeds auf. »Louis! Lass die alten Dinge ruhen!« »Ja, lass sie ruhen«, echote ihr Mann, dessen stark gerötetes Ge sicht weiß geworden war. Sir Louis konnte seine Hände nur mit Mühe gefaltet halten. Un hörbares Lachen schüttelte seinen Körper. Für die anderen sah es al lerdings wie eine zittrige Alterserscheinung aus. Und wie in tiefer Erin nerung versunken, sagte er leise: »Ja, richtig. Jason, du alter Schür zenjäger, bist du nicht hinter Alva her gewesen? Hat sie nicht einmal eine Karaffe Wasser auf dein Haupt geschüttet, als sie sich deiner nicht erwehren konnte?« Einige am Tisch begannen verhalten zu kichern. Außer Norma Dorington und Donald O'Finchley waren alle alt und konnten sich an die Zeit von vor 30 Jahren erinnern. Nur Melinda Leeds sagte nichts mehr. Schon immer dürr, unan sehnlich und geizig, hatte sie damals Mühe gehabt, ihren Mann zu rückzuhalten, der sich von ihr scheiden lassen wollte. Vergessen aber konnte sie die Schmach nie. Als ihr alles in Erinnerung kam, brach es aus ihr heraus. »Louis, du bist ein ekelhaftes Scheusal«, rief sie mit scharfer Stimme über den Tisch. »Ich durchschaue jetzt alles.« »Was, meine Liebe?« Mrs. Leeds war unfähig, die Wut in ihrer Stimme zu unterdrücken. Unbeherrscht schrie sie: »Alva ist tot. Heute vor 30 Jahren starb sie.« »Morgen, meine Liebe. Ich muss sagen, sie nahm sich das Leben, euretwegen«, berichtigte sie Sir Louis. 28
»Tot ist tot, egal wie man stirbt«, geiferte Mrs. Leeds weiter und bemerkte nicht, wie eine auffallend weiße Hand von ihrem mit Milch gefülltem Glas zurückzuckte. »Da muss ich Melinda recht geben«, mischte sich Arthur Callison ein. »Wer tot ist - äh, der kann nicht mehr auf dieser Erde erschei nen.« »Alva starb aber nicht gern«, fuhr Sir Louis' krächzende Stimme dazwischen. »Sie könnte jetzt unter uns sitzen.« »Mir egal«, kreischte Mrs. Leeds. »Sie war nicht nur hinter dem O'Finchley Vermögen her, sondern dazu noch männertoll!« Nur mit Mühe konnte sich der alte Earl beherrschen. Hätte ihm Donald, sein Enkel, nicht einen beruhigenden Blick zugeworfen, der Alte wäre glatt explodiert. Mit zusammengekniffenen Lippen saß er da und hörte sich das Gekeife an. »Und noch etwas, Louis«, schrie wieder Mrs. Leeds. »Nicht Alva hat uns eingeladen, sondern du!« »Großvater erfüllte nur den letzten Wunsch seiner Frau«, warf Donald ein, dessen jugendliches, sonst fröhliches Gesicht, vor Aufre gung Falten bekam. In diesem Moment sah er seinem Großvater un gemein ähnlich. »Du und dein Großvater«, schimpfte Mrs. Leeds weiter. »Ihr zwei passt zusammen wie Latsch und Pantoffel.« Keiner konnte die aufgebrachte Frau bremsen, am wenigsten ihr Mann. Ihr runzliges Gesicht Sir Louis zuwendend, zischte sie bösartig: »Du willst Rache nehmen, Louis. Rache nach 30 Jahren. Sage uns wa rum?« Erschöpft brach Mrs. Leeds ab und trank den Rest Milch in ih rem Glas. »Alte Schachtel«, begann Sir Louis zu wettern. »Alvas Wunsch kam ich nur zu gern nach. Ihr seid Erbschleicher, sie war es nicht. Alva liebte mich und wir waren glücklich. Das alles habt ihr zerstört. Ich kann mir schon denken, was Alva dazu bewegte, euch einzuladen, an ihrem 30 Todestag.« »Dich soll der Teufel holen«, erwiderte Mrs. Leeds, musste aber abbrechen, da ein Hustenanfall sie schüttelte. 29
Der Husten verschlimmerte sich, wollte nicht mehr aufhören. Mrs. Leeds bekam keine Luft mehr. Ihr sonst graues und faltiges Gesicht rötete sich, wechselte wenig später ins Blaue über. »Trink und iss wie ein normaler Mann und schlinge nicht so«, höhnte Sir Louis, der annahm, dass sich die bösartige Alte verschluckt hätte. Aber dem war nicht so. Mrs. Leeds magerer Oberkörper wuchs empor. Mit beiden gichtge krümmten Händen hielt sie ihren Hals umfasst. Dann streckte sie die Zunge heraus und Sackte in sich zusammen, schlug hart mit dem Kopf gegen die Tischkante. Besorgt beugte sich Mr. Leeds über seine Frau, fasste sie an der Schulter. »Melinda, was hast du?« Kein Atemzug mehr, kein Röcheln. »Melinda!« Mr. Leeds Schrei hallte durch den großen Raum. Georg O'Finchley, Abgeordneter des Unterhauses, beugte sich weit über den Tisch. Eine böse Ahnung hatte von ihm Besitz ergriffen. »Was ist mit ihr?«, fragte er hastig. Sein Vater, der alte Earl, winkte verächtlich ab. »Melinda war schon immer hysterisch.« »Louis! Melinda ist tot!« »Mit so etwas scherzt man nicht, Jason!« »Aber sie atmet doch nicht mehr.« Eine eiskalte Hand griff nach Sir Louis' Herz und er wurde bleich. Weiße Finger stahlen sich auf dem Tisch Zwischen Tassen und Gläser. Dann klirrte es. Mrs. Leeds Milchglas zerschellte in viele kleine Stücke. Sir Louis' Stimme klang gebrochen, als er sagte: »Melinda ist tot? Das kann doch nicht sein. Vom Geweih wurdest du doch nur getroffen, Jason.« Donald kniete sich neben den Leblosen nieder und fühlte nach ih rem Puls. Danach hielt er einen Taschenspiegel an ihren Mund. 30
Der Puls schlug nicht mehr, auf dem Spiegel bildete sich kein A temhauch. Fassungslos schüttelte der Jüngste der O'Finchleys den Kopf. »Sie ist tot, wirklich tot.« »Mörder sind in deinem Haus, Louis«, kreischte Lorenza O'Finch ley, die älteste Schwester des Earl. Jason Leeds zuckte hoch, stierte um sich und lallte mit schwerer Zunge: »Meine Melinda wurde ermordet. Das fällt auf dich, Louis!« Einen Augenblick lang war Sir Louis' Gesicht vollkommen aus druckslos, dann hatte er verstanden. Zornig erwiderte er: »Wenn dei ne Frau ermordet wurde, kommst du nur als Täter in Betracht. Rätsel haft ist nur, wie du sie umgebracht hast.« Das Gesagte traf Mr. Leeds völlig unvorbereitet, unerwartet und die Stirn, die er im Zorn gerunzelt hatte, legte sich in Falten der Ver blüffung. »Tante Melinda wurde vergiftet«, sagte unvermittelt Norma Dorington, mit ihren 21 Jahren die Jüngste in der Runde. »Seht nur den Schäumen ihren Mundwinkeln.« Lorenza O'Finchley orakelte. »Am Ende hat sie Alva zu sich geholt, ins Schattenreich, von wo es kein Zurück gibt.« Die grauen Augenbrauen des alten Earl zuckten hoch. Ihm war ein Gedanke gekommen und er sprach ihn sofort aus: »Melinda hat an Alvas Grab geflucht!« * Die Kneipe roch Inspektor Trenck schon, bevor er sie sah. Es war eine durch Klimaanlage gefilterte Mischung aus abgestandener Luft und schalem Bier. Trenck öffnete die Tür. Ein blauer Rauchnebel schlug ihm entgegen. In einer Ecke fand er einen freien Platz und ließ sich nieder. Die Kneipe war mäßig besetzt, hauptsächlich mit Fischern, die bei einem Grog saßen. Der Wirt ließ trotzdem auf sich warten. Als er end lich kam, brachte er unaufgefordert einen dampfenden Grog mit. »Eigentlich wollte ich was anderes bestellen«, monierte Trenck. 31
Das runzlige Piratengesicht des Kneipenwirts zeigte keine Rüh rung, als er mundfaul sagte: »Gibt nichts anderes. Hier wird nur Grog getrunken. Verstanden?« Trenck musterte den Mann amüsiert, sagte lächelnd: »Schöne Kundenwerbung.« »Wir wollen ja gar keine Fremden.« »Das ist ja ganz was Neues. Warum denn nicht?« »Weil alle Spitzbuben sind.« »Oder weil ihr was zu verstecken oder zu verbergen habt«, kon terte Trenck. Ein bulliger Fischer stemmte sich hoch, kam mit wiegendem Gang an den Tisch und rief barsch: »Wenn du 'ne große Lippe riskierst, fliegst du raus!« Trenck kannte die Mentalität der Leute in dieser Gegend, grob ge hauene Klötze, auf die nur ein grober Keil passt. Ohne zu antworten, blickte er auf das breite, ausladende Kinn des Sprechers. »Was glotzt du so?«, fragte dieser, unsicher geworden. »Ich nehme Augenmaß.« »Augenmaß? Von was?« »Von deinem Kinn. Damit ich auch den Punkt genau treffe.« Wortlos griff der bullige Fischer an. Die Muskelstränge seiner nackten Arme schwollen an und mit großen Händen grapschte er zu. Für Trenck war es eine Spielerei, den Mann zu Fall zu bringen. Als dieser verdutzt um sich blickte, sagte Trenck in der gleichen Tonart, wie man ihm gekommen war: »Hau ab, bevor ich mich vergesse.« Das machte Eindruck. Nachtragend war keiner der Fischer und so kam es, dass Trenck an ihrem Tisch Platz nehmen musste. Nach einigen Fragen, die hin und her flogen, kam Trenck zur Sa che, zögerte nicht länger, seinen Wissensdurst zu stillen. Unverblümt begann er. »Ich muss nach Finchley Castle rüber.« Die Gesichter verschlossen sich, wurden starre Masken. Trenck fühlte, wie sich die Atmosphäre zu vergiften begann. Sie wurde auch nicht besser, als er eine Lokalrunde warf. »Gehörst du zu denen?«, fragte lauernd der Wirt. 32
»Zu wem?« »Den O'Finchleys.« Trenck steckte sich eine Zigarette in den Mund und hielt ein Streichholz dran. Während er den Rauch durch die Nase stieß, sagte er: »Nein. Ich bin kein O'Finchley, noch bin ich mit ihnen verwandt.« Ein peitschender Regensturm trommelte gegen die Fenster, bade te das Fischerdorf in Wasser, das sich auf der Straße in kleinen Wellen kräuselte. Gischtschleier fegten über den Bürgersteig. Einer zeigte zum Fenster hinaus, sagte grinsend: »Wer bei solch einem Wetter auf die Insel will, muss gute Gründe dafür haben.« »Nicht nur des Wetters wegen«, fügte ein anderer hinzu. »Und er muss gute Nerven haben«, redete der Wirt dazwischen. Trencks Lächeln vertiefte sich. »Ich habe beides.« »In den alten Gemäuern von Finchley Castle lernte schon mancher das Gruseln. Mann, mich bringen keine zehn Pferde dahin.« »Ist der alte Earl so ekelhaft?«, wollte Trenck wissen. Der Wirt schüttelte den Kopf. »Der Alte und sein Enkel - nein, die sind in Ordnung. Nur die Schwestern des Alten...« Der Wirt trank einen Schluck, bevor er fortfuhr: »Die Weiber sind die reinsten Hexen, geld gierig und machtbesessen.« »Tja, so sind die Menschen«, antwortete Trenck. »Ich dachte nur, dass andere Gründe vorliegen, warum ich nicht auf die Insel soll.« »Andere Gründe?« »Hm. Als Sie mich warnten, klang so etwas in Ihrer Stimme mit.« Verlegen kratzte sich der Wirt auf dem Kopf. Schließlich sagte er: »Sie sind 'ne komische Nummer, Mister.« »Bin ich das?« »Sie haben so 'nen glasharten Blick. Sie sind groß und können ziemlich gemein gucken. Wollen Sie mir mal die Wahrheit sagen?« Trenck stellte sein Glas ab, aus dem er getrunken hatte. »Natür lich sage ich die Wahrheit.« »Haben Sie schon mal jemanden umgebracht?« Verwundert blickte Trenck hoch. Der Wirt meinte das völlig im Ernst. Schließlich nickte er. »Ja. Mehrere.« »Ich meine nicht im Krieg.« 33
»Ich auch nicht.« »Wie haben Sie's gemacht?« »Ich habe sie erschossen«, sagte Trenck, der nicht daran dachte, seine Identität preiszugeben. Er wollte so lange wie möglich anonym operieren. Der Wirt ließ aber nicht locker, fragte weiter: »Kommen Sie in friedlicher oder in feindlicher Absicht nach Finchley Castle?« »Ich versuche neutral zu bleiben.« »Das wird Ihnen nicht gelingen. Diese bösartigen, alten Hexen werden Ihnen das Leben zur Hölle machen.« »Dem nicht«, sagte bestimmt der bärtige Fischer. »An dem wer den sich die Furien die Zähne ausbeißen.« »Die Weiber ja«, bestätigte der Wirt. »Aber da ist noch was.« Trenck unterbrach den Mann nicht. Er konnte warten. »Tja«, begann auch schon der Wirt. »Auf der Insel ist es nicht ganz geheuer. Jeder meidet sie.« »Nun sagen Sie bloß, dass es dort spukt?« »Wenn es nun so ist?« Trenck runzelte die Stirn, fragte gespannt: »Was ist es denn?« »Auf der Insel treibt der Teufel sein Unwesen. Seit vielen, vielen Jahren. Die O'Finchleys waren mal Piraten. Ihre Beute versteckten sie in Höhlen und unterirdischen Gängen, von denen es drüben auf der Insel nur so wimmelt.« »Was hat das mit dem Fluch zu tun?« Trenck brannte sich wieder eine Zigarette an und bestellte eine neue Lokalrunde. Draußen tobte das Unwetter in unverminderter Heftigkeit. Kein Fi scher konnte aufs Meer hinaus. Darum saßen sie in der Kneipe und tranken Grog und waren froh, einen Zuhörer gefunden zu haben. Finchley Castle, die alte Piratenburg, flößte allen Angst ein. Und wer Angst hat, redet gern. »Die O'Finchleys waren schon immer mit dem Teufel im Bund. Wie anders hätten sie so große Reichtümer horten können? Es ist schon so wie ich sage. Die Seelen der O'Finchleys gehörten dem Teufel!« »Wie macht sich das bemerkbar? Ich meine, an irgend etwas muss man das doch erkennen.« 34
Ein Fischer, der bisher geschwiegen hatte, sagte dumpf: »Dem alten Mylord gönnten sie sein Glück nicht. Alva, seine Frau, ging ins Wasser. Seitdem wandert ihre Seele ruhelos umher.« »Sehr mager, das alles«, räsonierte Trenck. »Damit kann keiner was anfangen.« »Wollen Sie was anfangen?« Trenck stellte eine Gegenfrage: »Bringen Sie mich rüber?« Als keiner antwortete, lenkte er ein. »Zumindest könnte mich ei ner bis ans Ufer bringen, mit einem Pferd, denn der Weg ist völlig auf geweicht.« »Man kann nur reiten.« »Dann leihen Sie mir ein Reitpferd, Wirt und einen Mann, der es zurückbringt.« »Nur wenn Sie mir sagen, was Sie auf der alten Piratenburg wol len.« Trenck überlegte. Er wusste, was die Einheimischen hören woll ten. Da er auf ihre Hilfe angewiesen war, tat er ihnen den Gefallen. »An's Leder will ich denen da drüben.« Zwei der Fischer bekreuzigten sich sofort und rückten von Trenck ab, als hätte er die Pest. Nur der Wirt zeigte ein breites Grinsen. »Das Pferd sollen Sie haben, Sir. Und ich reite mit Ihnen. Es kann durchaus möglich sein, dass man Sie gar nicht erst auf die Insel lässt.« Es goss in Strömen und die Luft roch nach Tang. Die Stille am U fer erschien gespenstisch. Etwas ratlos starrte Inspektor Trenck auf die Reste der Brücke, die das Festland mit Finchley Castle einst verbunden hatten. »Da haben Sie es schon«, sagte flüsternd der Wirt, sich nach allen Seiten umdrehend, damit keiner seine Worte hörte. »Ein paar 100 Jah re trotzte die Brücke Wind und Wetter.« »Verstehe ich nicht.« »Ist doch ganz einfach. Die alten Hexen da drüben haben erfah ren, dass einer kommt, der ihr Treiben ein Ende setzen will. Also ha ben sie einfach die Brücke verschwinden lassen.« »Merkwürdig ist das schon«, überlegte Trenck laut. »Doch von wem sollten Sie erfahren haben, dass ich komme?« 35
»Vom Teufel persönlich, Sir.« Inspektor Trenck war nicht gesonnen, noch länger die Unkereien des Kneipenwirts anzuhören. Deshalb sagte er: »Reiten Sie zurück und holen ein paar von den Fischern, die mich zur Insel hinüberrudern können. Wie ich sehe, liegt hier ein Ruderboot vertäut.« Da war Angst in des Wirtes groben Gesichtszügen. Die kleinen Augen flatterten. »Niemand wird Sie hinüberrudern. Die Leute haben Furcht.« Trenck biss sich auf die Lippen und starrte hinüber zur Insel, auf der sich Umrisse von Finchley Castle undeutlich abhoben, umtobt von Regenschauern, die wie ein Vorhang wirkten. »Ich muss hinüber«, knirschte er mit zusammengebissenen Zäh nen. Das Gesicht des Wirtes verfärbte sich. Er schüttelte heftig den Kopf. »Niemals kommen Sie da hinüber, nicht bei diesem Wetter.« Trenck hörte schon gar nicht mehr zu, etwas anderes hatte sein Interesse geweckt. Er sah einen Schatten auf dem unruhigen Wasser. In diesem Moment gellte ein Schrei auf, lang gezogen und kla gend. Trencks Gesicht verdüsterte sich, als ob eine Wolke darüber gezo gen wäre. Ungläubig fragte er: »Robben? Zu dieser Jahreszeit?« Die Augen des Dorfwirtes verdunkelten sich und er hob den Kopf. »Das war kein Robbenschrei!« »Aber auch kein menschlicher Schrei.« »Nein.« Trenck wurde ungeduldig. Er blickte auf seine Uhr. Die Zeit rannte davon. In wenigen Stunden brach die Nacht herein. »Was war es dann?«, fragte er barsch. Der Wirt schluckte schwer, bevor er ein Wort herausbrachte. »Geister, Sir.« Trenck registrierte wieder einen seiner durchdringenden Blicke und ihm wurde klar, dass die Menschen hier oben an der Nordküste mit anderen Maßstäben gemessen werden mussten. Das Moderne, die Technik, hatte wohl auch hier ihren Einzug gehalten - aber sie war an 36
den Menschen vorbeigegangen, die noch vom Althergebrachten durchdrungen waren. »Sie glauben an Geister«, begann Trenck ruhig, fast dozierend. »Ich nicht. Niemand kann den Beweis liefern, dass es wirklich Geister gibt.« »Was geschieht dann da drüben in den alten Gemäuern?«, bellte der Wirt aufgebracht. »Meinen Sie, Sir Louis zettelt das an? Nein, Sir. Noch bevor der Earl geboren wurde, spukte es schon auf Finchley Castle. Wenn Sie meine Meinung hören wollen?« »Gern.« Der Wirt schnäuzte sich, sagte dann flüsternd: »In den Gewölben liegen Tote verscharrt, deren Seelen nicht zur Ruhe kommen und die bösen Weiber in dieser Piratenburg sorgen dafür, dass es so bleibt. Vielleicht haben sie wieder welche eingesperrt, die nun dem Hun gertod nahe sind, in ihrer Verzweiflung Gott und die Welt verfluchen.« »Sie meinen, Menschen werden auf Finchley Castle gefangen gehalten?« »Ich bin überzeugt davon.« »Und was wäre dagegen zu tun?«, fragte Trenck und wartete ge spannt auf die Antwort. Mit den Händen wild in der Luft herumfuchtelnd, sagte der Wirt voller Hass: »Abbrennen, die ganze Piratenburg abbrennen. Dann müsste alles mit Weihwasser besprengt werden. Nur so wird der Fluch gebannt.« »Dass auf Finchley Castle ein Fluch lastet, höre ich zum ersten Mal.« »Dann wissen Sie es jetzt.« Unfreundlich stieß es der Wirt hervor, fasste Trencks Pferd am Zügel, das am Weg stand und graste und ritt grußlos davon. * Kraftvoll trieb Inspektor Trenck das Ruderboot vorwärts. Die hohen, vom Sturm gepeitschten Wellen, schlugen über Bord, nässten ihn bis 37
auf die Haut. Ein Glück, dass ich die 38er Spezial in einem wasserdich ten Beutel verwahrt habe, dachte Trenck. Schweiß lief dem Inspektor von der Stirn. Die ungewohnte körper liche Anstrengung forderte seine ganze Kraft. Und nur langsam rückte die Insel näher. Dann hörte Trenck wieder einen entsetzlichen Schrei, der sogar das Geheul des Windes übertönte. Trenck kam sich ziemlich verlassen vor. Ringsum Wasser, alles grau in grau. Und vor ihm Finchley Castle, dessen Türme ab und zu sichtbar wurden, wenn der Sturm die nebelhaften Regenschleier zur Seite fegte. Ein Spukschloss! Eine Geisterburg! Endlich bohrte sich der Bug des Ruderbootes in weichen Ufersand. Etwas steif stieg Trenck aus. Der Regen fiel aus dem immer schwärzer werdenden Himmel, wirkte jetzt, da kein Blitz mehr zuckte und kein Donner rollte, wie läh mendes Schweigen. Trenck lief auf die Halbruine zu, die an einen mittelalterlichen Wachturm erinnerte und nahe des Landungsstegs stand. Schmale Schießscharten starrten schwarz und drohend Trenck entgegen, als wollten sie ihm das Hier sein verwehren. Die Tür hing lose in den Angeln, öffnete sich quietschend. Frierend zog Trenck die Schultern hoch. Er sehnte sich nach tro ckener und warmer Kleidung. Bevor er auch nur einen einzigen Schritt weiterging, zog er den wasserdichten Beutel hervor und entnahm ihm die Dienstpistole. Dann entsicherte er sie und ließ sie in die Schulter halfter gleiten. Während des kurzen Aufenthaltes hatte sich Trencks Augen an die fast dunklen Lichtverhältnisse gewöhnt. Finchley Castle lag noch ein ganzes Stück entfernt und es goss noch immer in Strömen. Trenck entschloss sich unterzustellen. Das Innere des ehemaligen Wachturmes war leer. Nur Spinnwe ben hingen an den Wänden aus rohen Steinen. 38
In dem wasserdichten Beutel hatte Trenck auch seine Zigaretten, Streichhölzer und Feuerzeug trocken an Land gebracht. Genussvoll begann er zu rauchen und fühlte, wie die Spannung von ihm wich. Trenck lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Das rettete ihm für diesmal das Leben. Ohne dass ein warnendes Geräusch voran gegangen war, brach ein Teil der Decke herunter. Wo eben Trenck noch gestanden hatte, türmten sich Steine und Dreck. Der Schreck fuhr dem Inspektor in alle Glieder. »Lumpenpack!«, brüllte er. Die Wut in seiner Stimme war unver kennbar. Jemand lachte, tief und kehlig. Es war das Lachen einer Frau! Trenck war informiert, wusste von Lady Alvas verrücktem Testa ment und war beinahe davon überzeugt, eine Tote lachen zu hören. Sekunden später korrigierte er sich: Das Gerede der Leute im Dorf
hat mich konfus gemacht. Wie komme ich dazu, solch einen Blödsinn zu glauben?
Ganz geheuer war es Trenck aber doch nicht, als er rief: »Hallo, zeigen Sie sich!« Trenck lauschte. Er hörte Schritte. Sie huschten leise wie Katzen pfoten - und flink. Da sich die Schritte entfernten, ging Trenck dem Klang nach und kam an eine altersschwache Tür, durch deren Ritzen mattes Licht schimmerte. Der Inspektor hielt an. Falten zeigten sich in seinen Au genwinkeln. Dann klopfte er. Niemand antwortete. Die Stille zerrte an den Nerven. Die Tür gab sofort nach, als Trenck versuchte, sie zu öffnen. Als er in den dahinter liegenden Raum blickte, konnte er nur noch staunen. Zwei tief heruntergebrannte Kerzen spendeten spärliches Licht. Der zuckende Schein ihrer Flammen erweckte die aus großen Stein quadern zusammengefügten Mauern zu unheimlichem Eigenleben. Schatten tauchten auf und nieder und ließen den Eindruck entstehen, eine Geisterarmee hätte sich in den Mauern eingenistet. Der Raum war leer, nur der zarte Hauch eines teuren Parfüms hing in der Luft. 39
Während Trenck dabei war, den kleinen kärglichen Raum gründ lich zu durchsuchen, drangen wieder leise Schritte an seine Ohren. Alles in ihm spannte sich. Plötzlich verstummten die Schritte - und Trenck hörte das leiseste Schnappen, das je eine Pistole verursacht hatte. Dann war wieder Stille. Trencks Augen wanderten umher, suchten die Stelle, von der aus ihm Gefahr drohte. Er konnte nichts entdecken, nicht einmal einen Mauervorsprung, der als Versteck geeignet gewesen wäre, nur glatte, nackte Steinwände. War Trenck einer Sinnestäuschung erlegen? Langsam drehte er sich im Kreis. Das Gefühl der Gefahr wurde übermächtig in ihm. Die Stimme war leise, aber nicht ohne Schärfe. Sie kam hinter Trenck auf und überraschte ihn völlig. »Wenn Sie ein neues Opfer su chen... Diesmal wird es Ihnen nicht gelingen. Ich halte eine Pistole in der Hand.« Unaufgefordert hob Trenck die Arme, fragte etwas verbissen: »Darf ich mich umdrehen?« Als keine Antwort erfolgte, wandte Trenck den Kopf nach rück wärts. Zwei Dinge bewegten ihn. Er konnte die Neugier nicht unter drücken. Wer war die Frau, deren Stimme so weiblich klang? Und wo hielt sie sich versteckt? Als Trenck endlich seine Gegnerin erkennen konnte, drehte er sich vollends um, ohne die drohend auf ihn gerichtete Pistole zu beachten. Wenn Trenck bisher an einen Geist geglaubt hatte, zumindest die Existenz eines solchen nicht in Abrede gestellt hatte, so konnte er sich jetzt vom Gegenteil überzeugen. Sie war hübsch geraten, die Pistolen-Lady, mit bestechender O berweite und war überhaupt reizend anzuschauen. Das sonnen gebleichte Haar hing ihr lose auf die Schulter, die Haut war zart, doch braungebrannt. Sekundenlang lag in ihrem Blick Verblüffung. Dann wurde ihr Ge sicht wieder ausdruckslos. Die Pistole in ihrer Hand ruckte hoch. »Kommen Sie bloß nicht näher, sonst...« 40
Trenck schüttelte den Kopf und zog eine Grimasse. »Wie kommen Sie bloß darauf, dass ich Ihnen etwas tun will. Miss...« »Norma Dorington.« Sie hatte ihren Namen nicht sagen wollen und biss sich vor Ärger auf die Unterlippe. Der große, schlanke Fremde, von dem sie nicht wusste, woher er kam, hatte sie völlig überrumpelt, als er mitten im Satz abbrach. »Sie sind Norma, die Tochter von Lady Glenna, der jüngsten Schwester des Earl?« Langsam, um sein Gegenüber nicht zu erschrecken, ließ Trenck die Arme sinken. In sein Gesicht stahl sich ein kleines amüsiertes Lä cheln. Normas Fingerknöchel wurden weiß, so sehr hielt sie die Pistole umklammert. Und sie war rot geworden. Unsicher fragte sie: »Woher kennen Sie meine Familie?« Trenck rieb sich mit dem rechten Zeigefinger die Nase, in der sich ein Juckreiz bemerkbar machte, als wäre eine Erkältung im Anzug. Todernst erwiderte er: »Da ich auf der Suche nach neuen Opfern bin, habe ich mich gründlich informiert.« Wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommt, stampfte Norma mit dem Fuß auf, sagte wütend: »Nehmen Sie die Hände sofort wieder hoch und weisen Sie sich aus. Wer - wer sind Sie überhaupt?« Trenck grinste breit. »Ich heiße Trenck. Tom Trenck und ich kann mich ausweisen. Wenn ich aber die Arme hochnehmen soll...« »In Ordnung. Lassen Sie die Arme unten und weisen Sie sich aus. Aber wehe Ihnen, ich schieße ohne zu zögern!« Norma atmete bebend ein, während sie die starken Worte sprach. Trenck erkannte die Not des Mädchens, zeigte daher sofort seinen Dienstausweis und bat eindringlich: »Keiner darf davon etwas erfah ren, außer dem Earl, Ihrem Onkel. Versprochen?« Norma war zu erschrocken, einen Polizeiinspektor mit ihrer Pistole bedroht zu haben. »Versprochen«, sagte sie und hatte Mühe, das eine Wort herauszubekommen. »Wunderbar. Wenn Sie mich jetzt zum Schloss führen wollen? Ich bin gerudert. Der Sturm hat mich bis auf die Haut durchnässt.« 41
Norma lächelte endlich, sagte humorvoll: »Sie sehen wie ein Tramp aus, Sir.« »Das Sir lassen wir lieber weg, wo wir doch ein Geheimnis zu sammen haben. Aber wenn Sie gestatten, möchte ich fragen, was Sie bei diesem Wetter hier suchen?« Normas Lippen zuckten. Sie war dem Weinen nahe. »Zwei Morde geschahen innerhalb von zwei Tagen auf Finchley Castle. Mrs. Leeds wurde vergiftet und Mr. Quentin erstochen. Wir alle waren zugegen und keiner hat etwas bemerkt.« »Doch.« »Wer?«, fragte Norma atemlos. »Der Mörder. Er muss sich in Ihren, äh, Reihen aufgehalten ha ben. Aber erzählen Sie weiter. Bitte.« »Das war es schon. Aber seitdem leben wir alle in Angst und Schrecken. Vorhin, es ist allerdings schon über eine Stunde her, sah ich einen Mann durch den Regen gehen. Er trug einen Umhang. Ich erkannte ihn nicht. Also nahm ich die Pistole aus Onkels Schreibtisch und verfolgte ihn. Er ist hier im Wehrturm verschwunden.« Trenck näherte sich dem zitternden Mädchen, griff ihr unters Kinn und sagte: »Nun brauchen Sie keine Angst mehr zu haben. Wenn es der Mörder gewesen sein sollte, dann kann er sich auf einiges gefasst machen.« Normas Gesicht hellte sich auf. Dann verkrampfte sich ihr Lächeln. Die Röte wich aus ihrem Ge sicht, machte einer fahlen Blässe Platz. Heftig begann sie zu atmen, wobei sie unablässig in eine bestimmte Richtung blickte. Trenck folgte Normas Blick - und auch er begann den Atem anzu halten. Ein Stein fehlte plötzlich in der Wand. An seiner Stelle klaffte ein viereckiges Loch. Das allein hätte einen Mann wie Trenck nicht so sehr erschreckt. Aber aus dem Loch der geheimnisvoll entstandenen Wand öffnung ragte eine Armbrust. Die Sehne war gespannt - ein leichter Druck und der aufgelegte Stahlpfeil musste sich in Normas Herz boh ren. Es war ein Spiel mit ungleichen Karten. 42
Trenck blieb nicht die Zeit, nach der Schusswaffe zu greifen. Der sich hinter steinernen Wänden verbergende Gegner war in jedem Fall im Vorteil. Norma Dorington musste sterben! Da packte Trenck die kalte Wut. »Schuft, elender«, brüllte er und warf sich gleichzeitig nach vorn. Mit beiden Händen bekam er das Mädchen zu fassen und riss es mit hinunter auf den Boden aus festgestampfter Erde. Der Stahlpfeil sirrte über die zwei Menschen hinweg, prallte mit einem misstönenden Laut an der gegenüberliegenden Wand ab. Trenck zog Norma so nahe an sich heran, dass er den Duft in ih ren Haaren riechen konnte. Er gab ihr mit seinem Körper Schutz vor einem erneuten Anschlag. Gleichzeitig jedoch griff der Inspektor unter die linke Achsel und zog die 38er Spezial. Trenck wollte schießen, war bereit, sein und Normas Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Der Unsichtbare musste den Instinkt eines Wolf es besitzen, denn als Trencks Hand mit der Pistole hoch kam, schob sich der Stein vor die geheimnisvolle Wandöffnung. Völlig verstört erhob sich Norma. »Sie haben mir das Leben geret tet und ich wollte Sie...« »Vergessen Sie es«, riet Trenck. »Und versprechen Sie mir, in Zu kunft nicht mehr allein auf Jagd zu gehen. So wie ich es sehe, hat der Kerl Sie absichtlich aus dem Haus gelockt.« »Sie meinen...« »Erzählen Sie mir lieber, was auf Finchley Castle los ist.« »Der Teufel selbst.« »Und was sagen Ihre Verwandten?« »Die schieben alles auf meine tote Tante Alva.« »Die vor 30 Jahren Selbstmord beging.« »Sie sind gut informiert, Sir.« »Nicht Sir. Nennen Sie mich Tom.« Norma errötete bis an den Haaransatz, sagte verlegen: »Dann müssen Sie auch Norma zu mir sagen.« 43
»Was Ihre Mutter auf, die Palme bringen wird.« Da lachte Norma und die ausgestandene Angst schwand für kurze Augenblicke. Trenck tat es leid, weiter das schöne Mädchen aushorchen zu müssen. Aber ein Mörder lief frei umher, dem er keine Atempause gönnte. »Hinter dieser Mauer verbirgt sich ein Geheimgang. Ist Ihnen das bekannt?« »Nein.« »Dann müssen wir den Zugang suchen«, murmelte Trenck und begann die Wand abzutasten. Nach zehn Minuten gab er auf, erklärte resigniert: »Nichts zu ma chen. Wenn es einen Zugang gibt, dann nur vom Schloss aus. Ich wä re Ihnen dankbar, wenn Sie mich dahin führen würden, Norma.« * Es war später Nachmittag. Der strömende Regen hatte den Tag zur Nacht werden lassen. Der Earl von Finchley Castle saß mit seinen Gäs ten im Wintergarten beim Tee. Norma hatte vor wenigen Minuten am Tisch Platz genommen. Ihre Hände zitterten, als sie die Tasse zum Mund führte. Der auf sie verüb te Mordanschlag hatte sie stark mitgenommen. In ihrer Brust fühlte sie eine große Spannung. Ihr Mund war trocken. Sie wartete auf Inspektor Trenck, von dessen Anwesenheit noch keiner wusste. Wenn sie an den großen Mann mit den dunklen lockigen Haaren dachte, begann ihr Herz zu rasen. »Was ist, Kind?«, fragte Sir Louis und schreckte Norma aus ihren Gedanken auf. »Du bist so blass und zitterst.« »Nichts, Onkel.« Norma musste lügen. Der Inspektor hatte sie ausdrücklich darum gebeten, nichts von dem Mordanschlag in der Ruine des Wachturmes zu erzählen - auch Sir Louis nicht. Die faltige Hand des 86jährigen streichelte über Normas Arm. »Keine Angst. Dir tut Tante Alva bestimmt nichts. Als sie starb, warst du noch gar nicht auf der Welt.« 44
Norma hielt den Augenblick für gekommen, fasste sich ein Herz und fragte leise: »Was haben alle gegen Tante Alva? Sie ist schon so lange tot.« Sir Louis' Stimme klang ruhig wie immer, als er erwiderte: »Meine erste Frau wurde geduldet, sie brachte ja Geld mit. Bei Alva war das anders.« »Verstehe.« »Das glaube ich kaum.« »Doch, Onkel. Verstehen kann ich nur nicht, dass Tante Alvas Geist erst jetzt nach 30 Jahren ruhelos umherwandern soll - und noch weniger verstehe ich die Bösartigkeit, mit der ihr Geist umgeht. Die Zeit heilt Wunden, heißt es doch immer.« »Rache ist besonders süß, wenn sie kalt genossen wird«, krächzte Sir Louis und zwinkerte mit den Augen. »Das ist doch paradox«, empörte sich Norma. Sir Louis wurde, fast wie in einem Theaterstück, der Antwort ent hoben. Ein feines Klirren füllte den Raum, zart und angenehm. Das verstärkte sich. Plötzlich tanzten die Tassen und Gläser auf dem Tisch. Die erste Tasse, noch voll bis obenhin, kippte um. Heißer Tee floss Glenna Dorington, Normas Mutter, in den Schoß. Gellend schrie sie auf. Doch niemand bemühte sich um Sie, nicht einmal Lester, ihr Mann. Jeder war mit sich selbst beschäftigt - und das nicht zu knapp. Der große schwere Eichentisch begann zu beben, hob und senkte sich, wie von unsichtbaren Händen bewegt. In allen Gesichtern stand das Entsetzen über diesen rätselhaften Vorgang. Dann neigte sich der Tisch und alles, was auf ihm stand und lag, rutschte herunter, begrub die Personen unter sich. Ein Gebrüll hob an, das den draußen tobenden Sturm übertönte. Sir Louis, sein Enkel, sowie seine Nichte hatten nichts abbekom men. Und der alte Earl schüttelte sich vor Lachen. 45
»Wer hat den Tisch umgestoßen?«, brüllte Arthur Callison, der seine Schenkel rieb, die leicht verbrüht waren. »Aber Onkel Arthur«, entrüstete sich Donald. »Wer soll den schweren Tisch umgestoßen haben? Dazu brauchst du vier kräftige Männer und auch die hätten noch ihre Last damit.« Sir Louis nickte gewichtig seinem Enkel zu, sagte: »Ja, wer soll das wohl von uns können? Arthur, ich kann noch heute nicht verste hen, wie meine Schwester, Gott habe sie selig, solch einen Dummkopf wie dich heiraten konnte.« Callison schwieg. Hätte jemand in seine Augen geblickt, würde er das Feuer gesehen haben, das darin schwelte. * Inspektor Trenck kam aus seinem Zimmer, das ihm der Butler ange wiesen hatte. Frische Wäsche und einen trockenen Anzug trug er, äh nelte nicht mehr einem Tramp. Jetzt wollte Trenck die Bekanntschaft des Earls und seiner Gäste machen. Noch weit vom Wintergarten entfernt, hörte Trenck das Gebrüll und beschleunigte seine Schritte. Leise öffnete er, von niemandem bemerkt, die Tür einen Spalt. Einige fielen ihm sofort durch ihr übertrieben unauffälliges Be nehmen auf. Langsam und methodisch musterte er die Menschen im Wintergarten. Ein grimmiges Lächeln stahl sich um Trencks Lippen, als er die knöchernen, voller Hautfalten hängenden Gesichter sah - und die Ar roganz. Kein Wunder, dass die Fischer im Dorf von Hexen sprachen. Das reinste Gruselkabinett! Zu denken gab ihm lediglich das schadenfrohe Gelächter des Earls. Ob es das Alter war - oder... Trenck spürte den stechenden Blick. Man hatte ihn entdeckt. Voll ends stieß er die Tür auf und trat ein. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Mann, dessen Blick in ihm Unbehagen hervorrief. Ein graues, hageres Gesicht, das fast ausge mergelt zu bezeichnen war, scharfgrantige Nase, an der links und 46
rechts eng die Augen standen, dazu ein schwarzer unmoderner Anzug, zu dem die spiegelnde Glatze kontrastierte. Dem Inspektor fiel noch etwas auf: Spitz zulaufende Ohren, an deren oberen Rand kleine Bü schel von Haaren standen. Sie erinnerten an den Teufel selbst. Merkwürdige Gesellschaft, dachte Trenck und schenkte dem Mann ein grimmiges Lächeln. »Sie sind bestimmt nicht Sir O'Finchley«, sagte er dann laut, als die stechenden Blicke nicht nachlassen wollten. »Nein. Ich bin Sir Arthur Callison, der Schwager des Earls von Finchley Castle.« Die Worte kamen gequetscht, fast widerwillig zwi schen dünnen Lippen hervor. Die krächzende Stimme des alten Earl rettete Trenck aus der Ver legenheit. »Willkommen, Mr. Trenck. Mein Freund Lynch kündigte mir Ihren Besuch an. Ich sagte ihm, dass Sie des Sturmes wegen nicht rüberkommen könnten. Was sagte der alte Lynch? Louis, sagte er, der Trenck schafft alles. Well, nun hat er doch recht behalten.« »Vielen Dank, Sir.« »Wie sind Sie auf die Insel gekommen? Ich denke, die Brücke ist weggerissen?« Trenck wandte sich der Fragerin zu. Ohne sie zu kennen, wusste er sofort, dass es sich um Lorenza O'Finchley handelte. »Ich bin geru dert - und hatte unwahrscheinliches Glück, dass mich das Meer nicht verschlang. Der Sturm hat an Heftigkeit zugenommen. Jetzt wäre es unmöglich, Lady.« »Verdächtig, sehr verdächtig«, sagte spitz die älteste Schwester des Earl und wandte Trenck ihren Rücken zu. Trenck ging auf einen freien Stuhl zu, da traf ihn, wie alle anderen auch, das Gelächter. Es war ein teuflisches Gelächter, das unter die Haut ging. Und als es verebbte, klirrten die Fensterscheiben, zersprangen in tausend Scherben. Aber kein Stein, noch ein anderer fester Gegenstand folgte, den irgend jemand gegen die Scheiben geworfen haben könnte. In Finchley Castle drohte wirklich eine unsichtbare Gefahr. Jedem wurde es ganz deutlich in diesem Augenblick bewusst. 47
Auch Inspektor Trenck, der sofort an eines der Fenster gerannt war, hatte das gleiche Gefühl. Der Sturm konnte nicht die Ursache sein, sonst wären in anderen Zimmern ebenfalls Scheiben zu Bruch gegangen und nicht nur die, hinter denen die Gäste der toten Lady Alva saßen. Trenck beugte sich weit hinaus. Regen schlug ihm ins Gesicht und die lastende Dunkelheit machte es unmöglich, einen vermutlichen At tentäter zu erkennen. Also doch der Geist der Lady Alva O'Finchley? Nachdenklich zog Trenck seinen Kopf ein, wischte sich das Re genwasser aus dem Gesicht, bevor er sich an den Earl wandte. »Sir, sind Ihre Gäste alle hier im Wintergarten anwesend?« Die schalkhaften Augen des Earls glänzten wie Beeren und scharf wie Dornen, sie funkelten vor Mutwillen. Bissig sagte er: »Sehen Sie sich um, junger Freund. Die ganze Blase ist vollzählig versammelt, wie immer, wenn es was zu Essen und zu Trinken gibt, umsonst natür lich.« »Louis! Lasse diese Unverschämtheit Fremden gegenüber!« »Lorenza, wenn du mich noch einmal maßregelst, setze ich dich auf Wasser und Brot, haha...« Der Alte scheint sie doch nicht alle zu haben, dachte Trenck amü siert und fragte laut: »Und die Dienstboten?« Sir Louis warf Trenck einen seiner abschätzenden Blicke zu, bevor er mit gerunzelter Stirn die Gegenfrage stellte: »Das Personal? Ja, glauben Sie wirklich, dass ich weiß, wo sich jeder einzelne von ihnen aufhält?« »Wie viel Leute beschäftigen Sie denn, Sir?« Donald, der Enkel, übernahm die Antwort. »Mit Haus- und Kü chenmädchen, 3l.« »Dann allerdings.« »Wie bitte?« »Ich meine, bei so vielen Leuten können Sie natürlich nicht wis sen, wo sich jeder gerade aufhält.« 48
Lorenza O'Finchleys durchdringendes Organ ertönte wieder. »Wie kommen Sie dazu, solche Fragen zu stellen? Ich finde das einfach em pörend, Mister...« Trenck deutete eine Verbeugung an. »Verzeihung, Lady. Be schwerden wollen Sie bitte an den Earl richten.« Sir Louis' Lachen nahm kein Ende. Prustend schrie er vor Scha denfreude: »Nicht alle fressen dir aus der Hand, Lorenza. Bei dem da beißt du dir deine falschen Zähne aus, Schwesterchen.« * Die Bibliothek im zweiten Stockwerk war ein sehenswerter Raum. Von den Fenstern hatte man bei schönem Wetter einen wundervollen Blick aufs Meer. Es gab hohe Regale voller Bücher, einen Schreibtisch mit goldenen Intarsien und bequeme Sessel. In solch einem Sessel saß Sir Louis und erklärte Inspektor Trenck: »Das alles wächst mir über den Kopf. Der Hausgeist des Schlosses hat sich zu einem Ungeheuer entwickelt. Wir werden von ihm tyrannisiert, im wahrsten Sinne des Wortes. Um ehrlich zu sein, ich habe Angst, richtige, hundsgemeine Angst.« Der Burgunder im Glas leuchtete wie Rubin. Als Trenck das Glas zurücksetzte, fuhr seine Zunge über die Lippen. Ein köstlicher Tropfen. Die Zigarre des Earl, lang und fast schwarz, hatte er dankend ab gelehnt. Er rauchte lieber Zigaretten. Nachdenklich sah er dem Rauch nach, sagte genauso nachdenklich: »Man kann also von drei Phasen sprechen. Seit Jahrzehnten spukt es im Schloss, es poltert, ab und zu wird ein Schatten an die Wände geworfen. Wie Sie sagten, steigerte sich das. Tische kippten um, Geweihe fielen von den Wänden...« »Richtig«, krächzte Sir Louis. »Und die dritte Phase begann gleich mit Gewalttaten.« »Sie meinen die Morde an Mrs. Leeds und Mr. Quentin?« Der alte Earl konnte nur nicken. »Wo bewahren Sie die Toten auf?« »In der Familiengruft. Ich ließ provisorische Särge anfertigen, vom Gärtner, der handwerklich sehr geschickt ist.« 49
Trencks Ton änderte sich. Er wurde wieder ganz Kriminalist. »Die Ermordeten hätte ich mir gern angesehen, im Laufe des Tages.« »Tun Sie das. Wenn es Ihnen danach zumute ist, lassen Sie es mich wissen. Ich gebe Ihnen dann den Schlüssel und einen zuverlässi gen Mann, der Sie hinführt.« »Muss denn einer mitkommen?« Ein karges Lächeln erhellte für Augenblicke das sorgendurchfurch te Gesicht des Earl. »Allein finden Sie sich da unten nicht zurecht.« »Unten?« »Ja. Die Familiengruft existiert schon ein paar hundert Jahre.« »Aber das Schloss steht auf einer Insel. Dringt da kein Wasser ein?« »Alles Felsen.« »Donnerwetter!« Voller Stolz rekelte sich der Earl im Sessel. »Ja, wir O'Finchleys sind tolle Kerle.« * Mit einem gespenstischen Ächzen bewegte sich die Tür. Ganz langsam schwang sie auf, blieb auf halbem Wege stehen. Der Hauch von etwas Bösem drang in die Bibliothek. Inspektor Trenck spürte es zuerst und drehte den Kopf zu der halboffenen Tür, durch die kalter Wind geweht kam, der den Geruch von Moder vor sich hertrieb. »Orville, bist du es?«, rief da auch schon Sir Louis. Als keine Antwort erfolgte, zog der Earl die Schultern hoch. Nun fühlte auch er den eisigen Hauch. Todeskälte! Langsam tastete sich die welke Hand des Earls zur Samtkordel, die Klingel, mit der er den Butler rufen wollte. Schlagartig verlöschte das Licht. Und mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss, dass Putz von den Wänden fiel, was deutlich am Aufschlagen zu hören war. Für einen Moment blieb es dann still. Dann kam keuchender Atem auf, wie bei jemandem, der sich in höchster Erregung befindet. 50
Ein Gedanke schoss Trenck durch den Kopf. Wie, wenn der Un heimliche, der Unsichtbare, der ins Zimmer getreten war, nichts von seiner Anwesenheit wusste? Trenck sprang blitzschnell auf und tastete sich im Dunklen am Schreibtisch entlang, hinter dem der Earl eben noch gesessen hatte. Etwas stieß gegen Trenck, ein Körper. Trenck krallte sich an der unsichtbaren Gestalt fest. Deren Jacke zerriss und ein Stoffstreifen blieb zwischen des Inspektors Fingern hängen. Der Unsichtbare befreite sich mit einem Knurren und einem kehli gen Fluch und schnellte wie ein Akrobat in die schützende Dunkelheit des Zimmers. Zweimal holte Trenck tief Luft. Dann zog er die 38er Spezial. Drei, vier Herzschläge lang lauschte der Inspektor, hoffte auf das Atmen des Gegners. Als alles ruhig blieb, knipste er sein Feuerzeug an. Es war riskant, was Trenck da unternahm. Doch ohne Licht gab es keine Möglichkeit, den geheimnisvollen Eindringling zu stellen. Er musste es geahnt haben, der unheilvolle Tyrann von Finchley Castle, dessen Gewalttaten die Bewohner des Schlosses vor Angst steif werden ließ, der es verstand, Verbrechen zu begehen, ohne Spuren zu hinterlassen. Trenck war nahe dran, an einen bösen Geist längst vergangener Zeitepoche zu glauben, denn im flackernden Schein des Feuerzeuges konnte er nichts in der Bibliothek entdecken. Aber zwischen seinen Fingern befand sich noch der Stofffetzen, den er aus der Kleidung des Unsichtbaren gerissen hatte. Trägt ein Dämon Kleider? Ein wildes, teuflisches Gelächter, das nicht von dieser Welt war, riss Trenck um die eigene Achse. Er sah nur noch, wie sich ein Teil der Wandvertäfelung in ihre ur sprüngliche Lage schob. Eine Geheimtür! Trenck handelte ohne Überlegung. Von Wut getrieben, jagte er zwei Schüsse in die Wand, die sich eben hinter dem Unheimlichen ge schlossen hatte. Als den Schüssen kein Aufschrei folgte, begab sich Trenck zur Tür, neben der er den Lichtschalter wusste. Das helle Licht flutete durch die 51
Bibliothek, beschien Sir Louis, der zusammengesunken in seinem Ses sel saß. Das dritte Opfer auf Finchley Castle! Steckte Alva O'Finchleys Geist dahinter? Wohl kaum. Sie hatte ih ren Mann abgöttisch geliebt. Trenck schluckte. In seinem Beisein war das passiert... Dann sah er, wie die Augenlider des alten Mannes zu flattern begannen. Eine Zentnerlast fiel von seinem Herzen. Trenck führte das Glas voller Whisky an die Lippen des Earls. Erst zögernd, dann wie verdurstend, trank Sir Louis. Die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück. Mit einer schwachen Handbewegung rieb er sich den Hals, krächzte stockheiser: »Dieser hinterhältige Höl lenhund wollte mich doch tatsächlich erwürgen.« »Wer?« Müde sank Sir Louis im Sessel zurück. »Wenn ich das wüsste. Dem würde ich eigenhändig den Hals brechen.« »Aber Sir. Wir befinden uns nicht mehr im Mittelalter.« Der alte Earl begann spitzbübisch zu grinsen. »Die Folterkammer, unten im Gewölbe, ist noch intakt. Ich lasse die Geräte jeden Monat einmal ölen. Man kann ja nie wissen, wie man sie mal gebrauchen kann, nicht wahr?« »Dann stimmt es also doch, dass die O'Finchleys blutdürstige und raffsüchtige Piraten waren?« Sir Louis schlug sich mit den Händen klatschend auf die Schenkel. »Waren wir, junger Freund, waren wir.« Als Trenck schwieg, fragte der Alte unterschwellig: »Am liebsten möchten Sie, dass die O'Finchleys für ihre Taten bestraft werden, ja?« Trenck nickte, sagte knapp. »Die Schuldigen leben nicht mehr.« »Schade um sie, sonst wären wir noch reicher geworden.« »Mir scheint, Sir, dass Sie so gierig sind wie Ihre Verwandtschaft.« »Man kann nie genug haben«, gab der Earl zu und begann die Gläser neu zu füllen. »Zum Teufel«, sagte er, statt eines Prostes, »mit Ihnen kann man reden. Wirklich...« * 52
Eine Viertelstunde mochte vergangen sein. Wieder klappte die Tür. Doch diesmal ging nicht das Licht aus, sondern Marc Hamer, der Diener, erschien. »Sie haben gerufen, Sir?« »So ist es, Marc. Ich will, dass du Mr. Trenck hinunterführst.« Lag es am Licht oder wurde das Gesicht des Dieners um einen Schein bleicher? Marc räusperte sich mehrmals, bevor er rückfragte: »Nach unten, Sir?« »Mir scheint, dir behagt das nicht, wie?« Der Diener druckste herum. »Seit in der Gruft zwei Tote liegen, meuchlings ermordet, ist es unheimlich da unten, Sir.« »Quatsch. Tote beißen nicht.« »Trotzdem, Sir. Wenn ich die Gruft betrete, ist mir immer, als stünde einer hinter mir.« »Was ist denn los, Marc? Das kenne ich gar nicht an dir.« »Weiß ich selbst nicht, Sir. Es ist erst, seit ich Mrs. Leeds Sarg hinunter trug.« Sir Louis sah Trenck an, fragte plötzlich: »Haben Sie auch solche Gefühle?« Trenck verkniff sich ein Lächeln. »Sir Lynch, mein Chef, ernannte mich zum Leiter der Mordkommission, Sir.« »Die Morde auf Finchley Castle sind keine gewöhnlichen Morde. Was hier gespielt wird, erlebten Sie ja eben selbst. Ein unheimlicher, bösartiger Geist geht um, der uns vernichten will.« »Ein von Ihren Vorfahren zu Tode Gequälter?« Trenck konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen. Doch wenn er gedacht hatte, der alte Earl würde sie ihm übel nehmen, so sah er sich darin getäuscht. Der hutzlige Alte brach in schallendes Gelächter aus. Da wandte sich Trenck an den Diener. »Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich passe schon auf, dass uns keiner an den Kragen geht.« »Das schon, aber gegen einen Geist sind auch Sie machtlos«, gab der Diener zu bedenken. »Bestimmt nicht«, widersprach Trenck. 53
Eigenhändig löste der Earl den verborgenen Mechanismus aus, der die Geheimtür in der Wand der Bibliothek öffnete. Die Tür stand offen und Trenck zögerte unmerklich, bevor er seinen Fuß über die Schwelle setzte. Staub lag in der Luft, aufgewirbelt von dem Unsichtbaren, der den Geheimgang zur Flucht benutzt hatte. »Kommen Sie, Marc«, forderte Trenck den Diener auf. »Los, Marc, warum zögerst du? Dir ist doch da unten nichts mehr fremd«, drängte auch der Earl. Die Männer mussten sich bücken beim Laufen und an den engen Wänden festhalten, da der Gang steil nach unten führte. Kaum waren sie ein Stück vorgedrungen, klappte die Tür hinter ihnen zu. Aus ir gendeinem Grund hatte der Earl sie frühzeitig geschlossen. Trenck knipste die Taschenlampe an, die ihm der Besitzer von Finchley Castle auf den Weg mitgegeben hatte. Der Diener ging voran. Er hatte, nachdem die Tür so plötzlich zu geklappt war, von seiner Ruhe zurück gewonnen. Es war ein scheinbar endloser Gang, voller Staub, Spinnweben und Ratten. Trenck bekam einen schalen Geschmack im Mund und fragte laut: »Unternimmt denn keiner etwas gegen das Ungeziefer?« Dumpf schallte seine Stimme an den engen feuchten Wänden wi der. Der Diener verhielt, sagte abfällig: »Wenn Sie eine totschlagen, kommen drei nach.« »Aber es gibt doch Gifte.« »Sicher gibt es die. Aber die ganze Insel ist voller Ratten - und Ratten sind schlau, das können Sie mir glauben.« »Nun gut. Gehen wir weiter. Wie lange dauert es, bis wir die Fa miliengruft erreicht haben?« Knapp und präzise kam die Antwort. »Eine halbe Stunde, Sir.« »Was?« »So ist es. Eine halbe Stunde etwa. Sie können sich gar nicht vor stellen, wie viel Gänge, Nischen und Verliese es hier unten gibt. Der reinste Irrgarten.« »Da kann ja einer umkommen, wenn er nicht Bescheid weiß.« 54
»Sie wären nicht der erste, dem das passiert.« Trenck überhörte die Frechheit, fragte weiter: »Sie kennen jeden Winkel in diesem unterirdischen Reich?« »Ich spielte schon als Kind in den Gängen. Doch alle kenne ich nicht. Es gibt verschüttete Anlagen, in die ich mich nicht traue. Nie mand kennt sich genau aus. Nur die Gerüchte, dass es auf Finchley Castle noch geheime, seit Jahrhunderten vergessene Gewölbe gibt, halten sich bis heute.« »Es ist also gefährlich, allein zu gehen.« »Absolut, Sir. Als ich 15 war, fand ich das Skelett eines Verirrten. Die Knochen der Finger wären noch in die Wand gekrallt. Es muss ein grauenvoller Tod gewesen sein.« »Ich danke schön«, sagte Trenck und schickte einen Fluch hinten drein. Als sich der Gang etwas erweiterte und in drei Richtungen teilte, fühlte Trenck plötzlich wieder diese Unruhe, die ihn schon die ganze Zeit begleitete. Der Diener wies auf die rechte Abzweigung, die etwas tiefer lag, noch weiter hinunterführte. Trenck ging vor und leuchtete die Dunkel heit vor sich aus. Jemand bewegte sich dort unten, ging hin und her, ganz vorsich tig, ganz leise. Der Lichtkegel brach sich an den nackten Steinwänden, erfasste aber nicht die Person, die da hin und her lief. Trenck beugte sich weiter vor, um besser beobachten zu können. Doch seine Augen bekamen nichts zu sehen. Marc, der Diener, blieb im Hintergrund stehen, rührte sich nicht von der Stelle. Die Hände hielt er gegen die Brust gepresst. Das typi sche Zeichen für Angst. Schon im Begriff zu rufen, erkannte Trenck das sonderbare Ver halten des Dieners. Eine bestimmte Ahnung überkam ihn. »Da unten ist niemand, nicht wahr?« Stumm schüttelte der Diener den Kopf. Trenck begriff die plötzliche Furcht des Mannes, der sein ganzes Leben unbekümmert die unterirdischen Gänge durchstreift hatte. 55
»Was geistert Ihrer Meinung hier herum?«, fragte Trenck direkt, der nicht viel von langen Umschweifen hielt. »Weiß nicht, Sir. Irgendwen müssen die zwei Toten stören.« »Das gibt es doch nicht...« »Doch, Sir. Woher wollen Sie wissen, dass in der Gruft nicht ein Dämon liegt. Die O'Finchleys waren immer gewalttätig. Vielleicht, dass die vergiftete Mrs. Leeds ein kirchliches Symbol bei sich trägt. Dämo nen können so etwas überhaupt nicht vertragen.« »Ja, hat man denn die zwei Ermordeten so in den Sarg gelegt, wie sie gestorben sind?« Der Diener nickte. »Anweisung von Mylord. Ist ja nur provisorisch. Sobald der Sturm abflaut, bringen wir die Särge aufs Festland rüber.« Trenck ruckte mit den Schultern. Das Unbehagen in ihm nahm zu. Aber festen Schrittes ging er in den Gang hinein, der ihn zu der Familiengruft führen sollte, die sich, so seltsam wie es klingen mag, unter dem Schloss, in Fels gegraben, befand. Die leisen Schritte, die Trenck vernommen hatte, verstummten. Gleichzeitig wurde der Schein der Taschenlampe schwächer. Die Batterie war leer. Und im verlöschenden Licht sah Trenck die schemenhafte Silhou ette. Sie kam direkt auf ihn zu. Dann wurde es dunkel. Es war ein raues, trockenes Lachen, lang gezogen und aus weiter Ferne kommend. Sein Echo setzte sich in alle Richtungen fort - und trieb Trenck den Schweiß aus den Poren. Die nachfolgende Stille wirkte wie eine Explosion. Wieder war das Schweigen im Gewölbe, groß und schwer und fast greifbar, wie eine lichte Decke, wie ein Schleier, der sich über alles breitete. Ein Druck lag auf Trenck, dem er nichts entgegensetzen konnte. Er spürte ihn nicht körperlich, er erfasste aber sein ganzes Nervensys tem, begann es zu lähmen, bannte ihn zur Bewegungslosigkeit. Die Schweißausbrüche wurden heftiger. Trencks Herz begann zu rasen. Verhext, ich bin verhext, dachte er erschrocken. Ein Dämon hat
seine Hand im Spiel, will mich vernichten. 56
Und da erinnerte sich Trenck an das, was der Kneipenwirt im Dorf sagte: Die bösen alten Weiber von Finchley Castle haben vielleicht wieder welche eingesperrt, die nun vor Hunger und Durst schreien. Er hatte darüber gelacht. Jetzt wusste er es besser. Er selbst, Tom Trenck, Leiter der Mordkommission von ehester, sollte eingesperrt werden! Lebendig begraben soll er werden in Finch ley Castle... Es war eigenartig. Trotz der körperlichen Lähmung konnte Trenck klar denken und alles, was um ihn herum vorging, wahrnehmen. »Mister... Sir... wo sind Sie? Ist Ihnen etwas passiert? Ich kann Sie nicht sehen«, hörte er des Dieners schreiende Stimme. »Es ist so dunkel. Warum antworten Sie nicht?« Dann, nach kurzem Lauschen: »Dem ist tatsächlich was passiert. Hallo, Sir, so antworten Sie doch!« Die Rufe drangen in Trenck ein, mobilisierten seinen Selbsterhal tungstrieb und er begann gegen die psychische Lähmung anzukämp fen. Endlich schien er wie aus einem bösen Traum zu erwachen. Er presste die Hände gegen die Schläfen und seufzte: »Ein Alptraum!« »Ruft da jemand? Sind Sie es, Sir?«, fragte die angstvolle Stimme des Dieners. Nunmehr war Trenck in der Lage, zu antworten. Als er sich melde te, vernahm er das erlöste Aufatmen des Dieners. »Nehmen Sie meine Hand, Sir. Ich finde mich hier im Dunklen zurecht. Nicht weit entfernt befindet sich ein Mauervorsprung, auf den ich gestern erst eine Kerze legte. Für alle Fälle.« Vom Diener geführt, erreichte Trenck die Stelle - und Sekunden später spendete eine Kerze kärgliches Licht, aber immerhin Licht. Trenck kehrte um. »Wohin wollen Sie, Sir?«, fragte der Diener, dem nicht ganz ge heuer zumute war. »Ich will wissen, warum mich an der Ganggabelung eine Lähmung befallen hat.« »Lieber nicht. Lassen Sie uns weitergehen.« »Nein!« »Es wäre besser.« »Warum?« 57
»Wenn mir etwas merkwürdig vorkommt, gehe ich immer weiter, sehe gar nicht hin...« Trenck verhielt. »Dann kam Ihnen schon öfter etwas merkwürdig vor? Womöglich erging es Ihnen schon so wie eben mir?« Der Diener begann zu zittern, stammelte: »Ja, die Stelle ist ver hext. Ich sagte doch Mylord, dass ich nicht den Gang benutzen will, der seinen Anfang in der Bibliothek nimmt.« »Sie nehmen an, dass es dort vorn spukt?« »Können Sie es anders erklären?« Ohne zu antworten, leuchtete Trenck die Stelle ab, an der die schattenhafte Silhouette aufgetaucht war. Da sah er sie wieder! Schwach, fast wie Nebel, mit einem langen Gewand bekleidet, strebte sie einen bestimmten Punkt an - einen breiten Gesteinsquader in der Wand. Und die Erscheinung begann sich zu verflüchtigen, als sie den Stein erreichte. Trenck hielt den Atem an. Träumte er? Nein! Seine Zähne knirsch ten. So hart biss er sie zusammen. Und wieder war es Trenck, als zöge ihn ein Dämon in seinen Bann. Aber jetzt wusste er es besser. Kein Dämon griff mit unsichtbaren Krallen nach ihm, sondern die Angst in seinem Inneren erzeugte das lähmende Gefühl, die Angst vor dem Fremden, vor der Grabeskühle der unterirdischen Gänge, aus denen er allein nicht zurückfinden wür de. Doch sollte ihm die Angst vorgegaukelt haben, dass eine weiße Erscheinung, ein Geist, sich eben verflüchtete? »Neungeschwänzter Teufel«, fluchte Trenck und begann mit dem Kolben seiner 38er Spezial die betreffende Stelle in der Mauer abzu klopfen. Plötzlich entstand ein kreischender Laut. Vor Trenck bewegte sich ein viereckiges Wandsegment um rostige Angeln. Ein Loch wurde frei, das die Größe und Länge eines Sarges besaß. Und in diesem Loch lag ein Skelett! 58
»Da wurde vor vielen Jahren einer glatt erschlagen und beseitigt, indem man ihn in die Wand eingrub.« »Sie meinen...?« »Sicher meine ich das«, sagte Trenck zu dem Diener. »Rätselhaft ist nur, warum man eine Tür mit geheimem Verschluss anbrachte.« »O Gott...« Trenck war nicht so überrascht wie der Diener. In ihm setzte sich die Überzeugung fest, dass es noch andere Plätze und Stellen inner halb des Schlosses gab, an denen Gewalttaten begangen und ver tuscht worden waren. Doch das alles ging ihn wenig an. Morde, die vor über 100 Jahren geschehen waren, fielen nicht in sein Ressort. Die Täter lebten längst nicht mehr. Aber hatten die Ermordeten die ewige Ruhe gefunden? Doch diese grauenvollen Geschehnisse vergangener Zeiten konn ten durchaus ihre Wirkung bis heute behalten haben. Wissenschaftler behaupten sogar, dass es möglich sei, in vergangene Zeitepochen ein zudringen - und umgekehrt. Man spricht von Dimensionen, die ein Geist durchwandern muss - wenn er sich eines anderen Körpers be dient. Das und andere Überlegungen, die in gleicher Richtung zielten, gingen Trenck durch den Kopf, als er das Versteck, in dem das Skelett ruhte, wieder verschloss. Während Trenck sich von dem Diener weiterführen ließ, stellte er sich immer wieder die Frage: Wird Finchley Castle von dem Geist eines Ermordeten tyrannisiert, dessen zweites Ich zum Dämon wurde? Noch hatte er keine Antwort gefunden. * Die Familiengruft der O'Finchleys lag im Dämmerlicht. Die Wandleuch ter warfen eigentlich nur Schatten und gaben kaum Licht. Alles sah kahl und schmucklos aus, nicht wie die Grabstätte geliebter Verstorbe ner. 59
Auch Alva, die Gattin des alten Earl, ruhte hier, deren Geist einen Weg aus dem steinernen Sarg gefunden haben soll. Trenck konzentrierte sich auf die zwei langen Holzkisten, die ver schlossen inmitten der Gruft standen. Es waren die provisorischen Sär ge der jüngst Ermordeten. »Vermodert und dahin, wie alles Irdische«, sagte plötzlich der Diener, zog sein großkariertes Taschentuch hervor und schnäuzte sich. »Hören Sie auf, Mann. Die Atmosphäre hier unten ist schon be drückend genug«, beschwerte sich Trenck, dem das Orakel des Die ners auf die Nerven ging. »Helfen Sie mir lieber, die Kisten zu öffnen.« »Die sind offen, Sir. Sie brauchen nur die Deckel abzuheben.« Die Kerzen an den Wänden begannen plötzlich zu flackern. Da sich kein Fenster in der Gruft unter dem Schloss befand und die Tür zu war, erschien das mehr als merkwürdig, geradezu rätsel haft. Trenck war gerade im Begriff, zu fragen, ob sich ein derartiger Vorfall schon einmal ereignet habe, als sich eine körperlose Stimme erhob. »Du musst dieses verfluchte Schloss sofort verlassen. Irgend etwas Teuflisches geht hier vor. Etwas Drohendes liegt über diesem Haus wie ein tödlicher Nebel. Wenn du hier bleibst, wird es auch dich treffen. Wenn du versuchst, einem der O'Finchleys zu helfen, gerätst auch du in den Teufelskreis.« Wie der Widerhall fernen Donners verklang die Stimme. »Haben Sie das gehört?«, fragte Trenck atemlos. »Ja, Sir«, erwiderte kreidebleich der Diener. »Was war das?« »Lady Alva, Sir!« Trenck antwortete nicht. Er stand nur da, mit weißen Linien um die Lippen und tiefen Zornesfalten auf der Stirn. Seine Augen, leicht zusammengekniffen, suchten die Wände ab. Von irgendwo musste doch die Stimme gekommen sein. »Sir, brauchen Sie mich noch?« Total mit den Nerven am Ende, zitternd und mit weißem Gesicht, ging der Diener rückwärts zur Tür. »Wollen Sie allein weggehen?« 60
»Es gibt einen kürzeren Weg, als den durch die Geheimtür in der Bibliothek, einen schnelleren Weg...« »Und wie finde ich hier heraus?« »Sie können ja mitkommen.« Trenck sah von seinen geballten Fäusten hoch. »Sie bleiben hier, bis ich fertig bin.« »Aber was wollen Sie mit den Leichen? Die können doch nicht mehr reden.« »Schon was von verräterischen Spuren gehört?« Der Diener trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Habe ich. Aber Sie besitzen nicht mal...« »Richtig«, unterbrach ihn Trenck. »Ich habe nicht die Ausrüstung, Spuren zu sichern. Fingerabdrücke und ähnliches sind Sache der Tech niker. Ich befasse mich mit Menschen und Motiven. Trotzdem muss ich mir die zwei Ermordeten ansehen - und Sie werden mir dabei helfen, sonst...« »Schon gut, Sir. Aber wenn mir etwas widerfährt... Mein Geist wird über Sie kommen.« Mit dem werde ich fertig, dachte Trenck, während er sich zu dem Sarg hinunterbückte, in dem Mrs. Leeds vergifteter Leichnam liegen sollte. Spuren irgendwelcher Art konnte Trenck nicht finden. Er ging dar an, den starren Körper des Mr. Quentin zu besichtigen. Er betrachtete die Mordwaffe, die der Täter mit großer Gewalt gebraucht haben musste. Eine Frau schied als Täter aus. Ein gespenstisches Lächeln stand plötzlich auf Trencks Gesicht. Seine Augen hatten etwas entdeckt, was ihm den Atem nahm. In der Jacke des Toten fehlte ein Stück Stoff! Mit marionettenhaften Bewegungen griff Trenck in die Tasche sei nes Sakkos. Als sie wieder zum Vorschein kam, hielt sie einen Stoff streifen umklammert. Dann machte Trenck die Probe... Er besaß das Stück Stoff, das in der Jacke des Toten fehlte. Die Feststellung verwirrte Trenck. Eigenhändig hatte er dem Unsichtbaren, in der Bibliothek des Earl, den Stoff aus der Jacke gerissen. War der Unsichtbare Mr. Quentin? 61
Aber Mr. Quentin war doch tot, ermordet... »Sir, ich gehe jetzt!« Trenck klappte den Sarg zu und folgte gedankenversunken dem Diener. Der Rückweg führte wieder durch dunkle, modrig riechende Gän ge, die aber diesmal zu einem anderen Ausgang führten. Trenck kam aus dem Erstaunen nicht heraus, als er sich in einem Pavillon wieder fand, der inmitten des verwilderten Schlossparks stand. »Das hätte ich nicht gedacht«, sagte er verwundert. Des Dieners Gesicht verschloss sich, als er mit dumpfer Stimme sagte: »Den Pavillon liebte Lady Alva besonders.« Mit langen Schritten ging Trenck davon. Die Fäden verwirrten sich mehr und mehr. Noch hatte er nicht das richtige Ende gefunden. * Die Nacht war hereingebrochen und hüllte Finchley Castle in Dunkel heit ein. Ein grelles, teuflisches Gelächter, das überlaut durch die nächtli che Stille hallte und bis in den Speisesaal drang, ließ schlagartig die Gespräche verstummen. Norma Doringtons Kehle war wie zugeschnürt. Aus angstgeweite ten Augen blickte sie ihren Onkel, Arthur Callison, hilfesuchend an. Der kicherte heiser, fast irre und seine Lippen verzerrten sich. »Hört endlich mit dem Unsinn auf. Alva ist tot, tot...« »Ihr Geist aber weilt unter uns«, sagte Sir Louis mit seltsam scharfer Stimme. »Hüte dich, Arthur!« »Warum gerade ich?« Wieder fuhr Sir Louis' Zunge wie eine Schlange heraus und er zischte genauso giftig wie die gefährlichen Tiere: »Weil du ein drecki ger Bastard bist. Schon damals, als du meine Schwester ihres Vermö gens wegen heiratetest, hatte ich dich durchschaut. Wenn es nach mir gegangen wäre...« »Es ging aber nicht nach deinem Schädel, ha, ha...« 62
Inspektor Trenck beobachtete die zwei Kampfhähne mit wachsendem Interesse. Als Arthur Callison meckernd zu lachen begann, sah er das seltsame Blitzen in seinen Augen. Täuschte er sich, oder starrte Callison den alten Earl plötzlich mit tückischen, hasserfüllten Augen an? Stand nicht blanke Mordlust in Callisons Blick? Trenck rutschte im Sessel vor, nippte an seinem Glas, ließ seine Augen über die Gesichter der anderen Gäste gleiten - und erschrak nochmals. Außer den zwei jungen Leuten, Norma und Donald, schauten alle mit unverhüllter Wut den Earl an. Die Lippen blieben stumm, doch die Augen verrieten, auf welcher Seite sie standen. Wut und Hass, 30 Jahre und mehr aufgespeichert... Wann würde der Ausbruch erfolgen? Immer weniger verstand Trenck den Besitzer von Finchley Castle, der die Einladung zu diesem Treffen vergeben hatte. Warum, zum Teufel, hatte sich der Alte solch eine Schlangenbrut ins Haus geholt und warum schürte er den Hass mit provozierenden Redensarten wei ter an? Sir Louis' Hand donnerte auf den Tisch, dass Teller und Gläser klirrten. Seine Stimme klang wie Eisbrocken in einem Mixgetränk. »Damals ließ ich euch gewähren, weil ich mit Alva glücklich war. Ihr aber habt Alva in den Tod getrieben, mit eurem Hass und Neid, Gier und Missgunst und Ihr habt mein Glück zerstört, das auch ihres war. Heute wird Alva euch die Rechnung präsentieren...« Lorenza, die älteste Schwester des Earls war es, die atemlos her vorstieß: »Du planst etwas, Louis. Ich kenne dich.« Der Earl gab sich so unverschämt, wie er nur konnte. »In die Hölle wünsche ich euch und hoffe, dass mein Wunsch in Erfüllung geht.« Die Gesichter liefen rot an. Nur Arthur Callison saß ruhig da und schien zu lächeln. Wieder lief es Trenck eiskalt von den Schultern in die Fingerspit zen. Der Hass im Zimmer war wie sengende Hitze. Den Worten des Earls folgte ein kurzes Schweigen. Dann kamen die Proteste, laut und unmissverständlich. 63
Das also sind die feinen Leute, dachte Trenck und verzog das Ge
sicht wie einer, der ein faules Frühstücksei erwischt hat. Doch schnell wurde es wieder still, denn das Licht begann zu fla ckern. »Da hat der Blitz eingeschlagen«, sagte Jason Leeds, dessen Frau am Vortage vergiftet worden war. »Ein Blitz kann uns nichts anhaben«, erklärte Donald, der Enkel des Earls. »Auf Finchley Castle kann es einschlagen, soviel es will. Im Keller steht ein Generator, an den kein Blitz kann. Wir haben unser eigenes Elektrizitätswerk. Das Flackern des Lichtes muss andere Ursa chen haben.« »Vielleicht will Alva uns was sagen?« Der Sarkasmus in Arthur Cal lisons Stimme war nicht zu überhören. Sir Louis' Mund öffnete sich zu einer scharfen Erwiderung. Doch er kam nicht mehr dazu. Noch einmal flackerten die Lampen auf, um dann für immer zu verlöschen. Panik entstand. Schreckensrufe wurden laut. Spitze Schreie ertön ten. Nicht ohne Grund. Wenn in den letzten drei Tagen etwas Unvor hergesehenes auf Finchley Castle geschehen war, war dem meist ein Unglück gefolgt. Zwei Menschen wurden bereits ermordet! War der unheimliche Mörder wieder unterwegs? Am anderen Ende der Tafel flackerte ein Lichtschein. Jemand hat te ein Streichholz angerissen. Alsbald brannte eine Kerze, riss die schreckensbleichen Gesichter aus der Dunkelheit. Alle saßen noch auf ihren Plätzen. Keiner fehlte. Das Unheil schien noch einmal vorbeigegangen zu sein, hinterließ aber einen eisigen Hauch, den jeder zu spüren bekam. Die Wut des Orkans, der um die Mauern tobte, steigerte sich... * Trenck und Donald stiegen in den Keller hinunter. Vor ihnen her schritt
Orville, der Butler, mit einer Fackel in der Hand, deren rußiger Rauch
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die Augen beizte. Es war zehn Minuten vor Mitternacht. Immer tiefer ging es. Trenck war schon einmal in den unterirdischen Gängen gewesen. Seine Erinnerungen daran waren nicht die besten. Jetzt musste er wieder in das dunkle Labyrinth der geheimnisvollen Gänge. Der Gene rator war ausgefallen, den zu reparieren es galt. Durch die Stille des engen, feuchten Ganges hallten die Schritte der Männer überlaut in den Ohren. Und doch übertönte der feine, singende Laut das Pochen der Schritte. Der Butler wich zurück, prallte gegen Donald. »Herr, stehe mir bei«, wimmerte er. Jemand sang ein schwermütiges Lied, mit einer hohen Stimme, die an ein Kind erinnerte. »Lady Alva«, sagte der Butler und es hörte sich an, als weinte er. »Mylady sang dieses Lied immer, wenn sie traurig war. Und sie war zuletzt nur noch traurig.« Trenck, der hinter dem Enkel des Earls stand, entdeckte die durchscheinende Spukgestalt zuerst. Schon einmal hatte er Ähnliches entdeckt. Aber diese Erscheinung jetzt hatte die Form und das Ausse hen einer Frau. Unbewusst blickte Trenck auf das Leuchtzifferblatt seiner Arm banduhr. Es war kurz vor Mitternacht! Und in dem Moment, in dem der Sekundenzeiger auf Mitternacht umsprang, verdichtete sich die Gestalt, gewann Plastizität und trat mit lautlosen, schwebenden Schritten näher. Der Butler wollte fliehen. In der Enge des Ganges kam er nicht an Donald und Trenck vorbei. Da fiel er auf die Knie und begann laut zu beten, seine gefalteten Hände der Geistererscheinung entgegenstre ckend. Die Erscheinung begann sich bei dem lauten Gebet zu verflüchti gen, verschwand lautlos, wie sie gekommen war. »Das war Großvaters zweite Frau Alva!«, kam es gepresst von Donalds Lippen. 65
»Kein Zweifel möglich?«, fragte Trenck, dem alles wie ein Traum vorkam. »Nein. Das war Alva!« Am liebsten hätte sich Trenck eine Zigarette angesteckt. Er brauchte etwas für seine Nerven. Aber in dem luftarmen Gang traute er sich nicht zu rauchen. Fast knurrend sagte er: »Weiter. Wir müssen nach dem Generator schauen. Wenn es uns nicht gelingt, das Ding zum Laufen zu bringen, damit Licht wird, bricht oben die Hölle los. Ich kenne nicht die Gefühle der einzelnen Gäste und Verwandten. Aber eins steht fest - wenn ich der Earl wäre, ich möchte keinem in der Dunkelheit begegnen.« Donald begann verhalten zu kichern. »Sie sind gut«, sagte Trenck ärgerlich. »Wenn es knallt, egal in welcher Form, sind Sie mit dran. Meinen Sie, man hat übersehen, wie sehr Sie an Ihrem Großvater hängen? Wenn dem Earl etwas ge schieht...« »... passiert mir auch etwas, nicht währ?«, ergänzte Donald. »A ber keine Angst. Wir sind gewappnet.« »Na so was? Wie kommt es dann, dass gleich zwei Morde auf Finchley Castle geschahen?« Trenck runzelte die Stirn und sein Mund straffte sich, während er Donald fest ansah. Was auch in seiner Stim me gelegen hatte, es drang zu Donalds Innerem durch - und der junge O'Finchley erstarrte. »Äh, ja, die Morde. Damit hat keiner gerechnet.« »Womit nicht gerechnet? Das hört sich fast wie ein Komplott an, junger Mann. Ich werde den Verdacht nicht los, dass hier mit gezink ten Karten gespielt wird. Nun los, reden Sie schon.« »Erlauben Sie mal...« »Hoppla, Sie scheinen die Sachlage zu verkennen oder mich mit einem Ihrer Dienstboten zu verwechseln. Damit Sie es nicht vergessen - ich bin Kriminalinspektor. Klar? Und wenn es mir passt, lasse ich eu ern ganzen Verein einsperren.« Der kurze Aufschrei kam von Orville, dem Butler. Gleichzeitig ver löschte die Fackel in seiner Hand. Er hatte sie zu Boden geworfen. 66
Trenck dachte sofort an eine Falle und wich einen Schritt zurück. Noch im Zurückweichen hatte er die 38er Spezial gezogen, deren Si cherungsbügel er jetzt umlegte. Das kleine metallene Geräusch wirkte wie eine Explosion. »Um Gottes willen, nicht schießen«, kam die flehendliche Stimme des Butlers aus der Dunkelheit. »Wir wollen Ihnen doch nichts tun, Sir. Aber hören Sie doch mal. Da sind Schritte...« Tatsächlich. Die Schritte waren deutlich zu hören. Jemand entfern te sich sehr schnell. »Halt! Hier Polizei! Bleiben Sie stehen oder ich schieße!« Höhnisches Gelächter, das sich echogleich in den Gängen fortsetz te, antwortete Trencks Aufforderung. »Entkommen«, sagte Donald enttäuscht. »Ich hätte zu gern ge wusst, wer sich zu mitternächtlicher Stunde hier unten in den Gängen herumtreibt.« »Der Diener Marc weiß ausgezeichnet Bescheid.« »Marc? Unmöglich. Als wir losgingen, servierte er gerade Wein.« »Tja, wer weiß noch Bescheid in dem Gewirr der Gänge?« »Schwer zu sagen. Es können schon einige sein. Allerdings ist mir keiner bekannt. Aber egal wie. Was sucht der Kerl hier?« »Den Generator. Was sonst?« Donald fluchte innerhalb weniger Minuten zum zweiten Male. Mit Hilfe von Trencks Feuerzeug wurde die Fackel wieder in Brand gesetzt. Der Raum, in dem der Generator stand, besaß Luftzufuhr. Auf die diesbezügliche Frage Trencks wies Donald zur Decke, in der zwei Löcher angebracht waren. »Ein Einbruch, den Großvater vor vielen Jahren anbringen ließ. Oben im Park können Sie das Loch sehen. Es ist mit Eisengittern gesichert.« »Interessant.« »Hätten Sie Großvater nicht zugetraut?« »Doch, doch. Dem traue ich noch ganz andere Dinge zu. Ihnen aber auch.« »Sie fangen schon wieder an.« »Okay. Lassen wir das. Morgen ist auch noch ein Tag.« 67
»Mir recht. So, nun zeigen Sie mal, dass ein Polizeiinspektor auch technisches Wissen besitzt.« »Witzbold!« Trenck ließ sich von Orville leuchten und betrachtete die Lichtma schine. Schon nach wenigen Sekunden sah er das lose Kabelende. »Herausgerissen«, knurrte er wütend und machte sich sofort an die Arbeit. Zehn Minuten mochten vergangen sein, als der Generator wieder zu summen begann. Als der Butler zum Aufbruch drängte, fragte Trenck: »Wir hörten vorhin sich entfernende Schritte. Sicher der Täter, der die Lichtma schine außer Betrieb setzte. Wohin mag er sich wohl gewendet haben? Gibt es einen anderen Ausgang oder müssen wir damit rechnen, dass er uns auflauert, da er an uns nicht vorbei kann?« »Letzteres wäre mir lieber«, stieß Donald abenteuerlustig hervor. »Doch solch ein Kerl ist feige. Der ist abgehauen, durch die Folter kammer. Einen anderen Weg kenne ich nicht.« »Es gibt nur diesen«, bestätigte der Butler, in dessen Hand die Fackel zitterte. »Hm. Die Folterkammer. Ihr Großvater sagte mir, er ließe die noch erhaltenen Folterinstrumente monatlich pflegen.« »Eine Marotte von ihm. Wenn es nach ihm ginge, hätten wir wie der das tiefste Mittelalter.« »Das heiße Blut der O'Finchleys«, orakelte der Butler dumpf. Trenck schnitt ihm das Wort ab. »Auf was warten wir noch? Viel leicht haben wir Glück und sehen noch etwas von dem Kerl.« Fünf Schritte - dann machte der Gang eine Biegung. Trenck ging vor, mit entsicherter Dienstpistole. Für einen winzigen Moment zögerte er, spürte er wie einen Hauch die Ahnung der Gefahr und die Stimme seines Instinkts, der ihn warnte. Mit zusammengepressten Lippen ging er weiter - bis die aus rohem Holz gefertigte Tür der Folterkammer vor ihm aufragte. Die Tür war nicht verschlossen und bewegte sich leicht in den An geln. 68
Mit der schussbereiten Waffe in der Faust drang der Inspektor in den Raum ein, der früher angefüllt gewesen war mit Angst- und Schmerzensschreien Gequälter. Abrupt verhielt Trenck und zog scharf die Luft durch die Zähne. Trogen ihn seine Sinne? Gaukelte die Hölle selbst seinen Augen eine Vision des Schreckens vor - und war alles nur eine Frage der Ent schlossenheit, eine geistige Kraftprobe? Es durfte einfach nicht wahr sein, dass auf der Streckbank ein Mensch angekettet lag. Donald, der gefolgt war, gab einen komischen Laut von sich und wollte sofort wieder zur Tür hinaus. »Hier geblieben!«, donnerte Trencks Stimme. »Sie erben einmal den alten Steinkasten, also müssen Sie sich um das kümmern, was in seinen Wänden geschieht.« »Aber ich...« Trenck erwähnte mit keinem Wort seinen aufkeimenden Verdacht gegen Donald. Nicht, dass er ihm etwas Ungesetzliches zugetraut hät te, aber einige Äußerungen des jungen O'Finchley gaben ihm stark zu denken. Etwas stimmte nicht mit dem Burschen. Trenck sagte: »Sie bleiben hier. Soll der arme Kerl gefesselt auf der Streckbank liegen bleiben? Außerdem, ich kenne die Leute zuwe nig, die auf Finchley Castle leben. Sie müssen mir schon helfen, ihn zu identifizieren.« Donald warf Trenck einen wütenden Blick zu. »Identifizieren. So etwas macht man doch nur bei Toten.« »Der Mann ist tot«, erklärte Trenck. »Tot?«, fragte Donald mit einer Stimme, die leiser und schärfer geworden war. »Sie haben wohl nur unangenehme Überraschungen auf Lager?« »In unserem Beruf muss man immer auf alles gefasst sein.« »Ja, wenn der Mann tot ist, dann hat ihn einer ermordet«, sinnier te Donald gedankenverloren. Doch als er sich besann, den Sinn seiner Worte richtig begriff, rief er laut: »Ermordet? Das darf nicht wahr sein. Nein, das darf nicht wahr sein!« 69
»Der Mann ist ermordet. Das ist eine Tatsache. Leider«, fügte Trenck bitter hinzu. Wenige Augenblicke später stand der Inspektor neben der Leiche, die mit dem Gesicht nach unten auf der Streckbank lag. Ein Teufel in Menschengestalt war am Werk gewesen. Orville, der Butler, warf einen Blick zur Tür hinein. Dann zog er sich zitternd zurück. Laut begann er zu beten: »Herr, erbarme dich der Lady Alva, die in ihrer großen Not ihre Seele dem Teufel verschrieb. Erlöse sie und...« Orvilles Gebet versank in Murmeln, das keiner ver stehen konnte. In Trenck wallte Zorn auf. Seine Fäuste ballten sich. Kurz nur dauerte die Gefühlsaufwallung, dann hatte sich der In spektor wieder unter Kontrolle, quetschte durch die zusammengebis senen Zähne hindurch: »Wenn dieser Mord mit dem Erscheinen der Lady Alva zusammenhängt, will ich nicht Trenck heißen.« »Tut es auch nicht«, sagte fest und bestimmt Donald, der noch immer an der Tür stand. »Sie scheinen sehr sicher zu sein«, rief Trenck über die Schulter. Eine Verlegenheitspause entstand, in der das heftige Atmen Do nalds zu hören war. »Sicher? Eigentlich ja. Lady Alva war eine liebenswerte Frau. Sie konnte keinem Böses tun. Lieber...« »Ja?« »Lieber ging sie ins Wasser, als ewig der Zankapfel zu sein.« Nicht schlecht gelogen, dachte Trenck. Zumindest bestens aus der
Schlinge gezogen. Aber nicht gut genug. Mir machst du nichts vor, Bürschchen...
Es kostete einige Mühe, die Ketten von den Hand- und Fußgelen ken des Toten zu lösen, mit denen er festgebunden war. Erst als diese unangenehme Arbeit getan war, Trenck musste sie allein ausführen, denn Donald stand nur da, drehte Trenck den Kopf des Toten so, dass er dessen Gesicht erkennen konnte. Der Tote war kein anderer als Marc Hamer, der Diener. Ein Diener diesmal... 70
Gab es auf Finchley Castle eine Bestie, die unbedingt morden musste, vom Blutrausch befallen war? Wurde Marc ermordet, weil er dem Täter im Wege gewesen war, vielleicht etwas wusste oder beobachtet hatte? Fragen über Fragen, auf die der Inspektor keine Antworten wuss te. Noch nicht... Die Nachricht über den dritten Mord ließ die Stimmung auf den Nullpunkt sinken. Keiner wagte mehr laut zu sprechen. Das Misstrauen flackerte auf, griff mehr und mehr um sich. Jeder konnte der Täter sein... Und um die Piratenburg tobte das Unwetter, schnitt die Menschen vom rettenden Festland ab. * Der neue Tag begann so grau wie der vorhergehende. Aber es regnete nicht. Um so heftiger tobte der Sturm, peitschte das Meer, ließ es auf brüllen und mit mächtigen Wellen gegen die Klippen stürmen. Am Himmel jagten tief hängende Wolken dahin. Die Windsbräute jauchz ten vor Lust, trieben ihre Spiele immer toller, knackten Bäume wie Streichhölzer ein, rissen Löcher in die Dächer, deckten sie ab. Der höchste Turm von Finchley Castle wurde von einer kohl schwarzen Wolke umschlossen. Sie schien fest zu hängen, denn trotz des Sturmes bewegte sie sich nicht von der Stelle. War es überhaupt eine Wolke, die drohend über der Piratenburg hing? Sie nahm Formen an, verwandelte sich sehr schnell, wurde zu ei nem Gesicht. Ein hässliches Gesicht, in dem die Augen schief standen und der Mund breit und offen war, als wollte er Finchley Castle ver schlingen. Rot glühte es in der Wolke auf, wie das zornige Auge des einäugi gen Höllenwächters. Ein Kugelblitz... In der großen Vorhalle brannten alle Lichter. Es gab kaum Schat ten. Die vielen Rüstungen an den Wänden glänzten wie poliert - auch der Morgenstern, eine mächtige Keule, die voller Nägel strotzte. 71
Sir Georg O'Finchley, der Abgeordnete im Londoner Unterhaus, ging mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf und ab. Quälende Gedanken folterten ihn. Er musste nach London, einer wichtigen Ab stimmung wegen - und Finchley Castle konnte keiner verlassen, war nicht einmal telefonisch zu erreichen. Aber das hätte Sir Georg viel leicht noch hingenommen. Doch da waren die rätselhaften Vorgänge, für die der Geist seiner Stiefmutter verantwortlich sein sollte, makabre Spukerscheiungen, die groben Scherzen ähnelten. Wäre es nur das... Ein anderer Geist, ein gewalttätiger Dämon, mischte mit, wie Leute sagen. Dreimal hatte er zugeschlagen. Dreimal mussten Menschen sterben. »Großer Gott, wer wird der nächste sein?«, fragte Sir Georg laut vor sich hin und zuckte heftig zusammen, als das Echo seiner Stimme von den Wänden widerhallte. Immer näher kam Sir Georg bei seiner nervösen Wanderung der lebensgroßen Büste König Georgs. Das Gesicht des Königs war bart überwuchert. Frei waren lediglich die Augen - und die begannen auf zuglühen, als der nervöse Sohn des Earls aus erster Ehe die Büste er reicht hatte. Sah Sir Georg nicht das gefährliche Glühen der Augen? Fühlte er nicht die nahe Gefahr? Doch - er sah das unheimliche Leuchten der Augen. Sein Verstand aber konnte es nicht fassen, wollte nicht begreifen, dass eine steinerne Büste Leben enthielt. Als er das Unfassbare endlich begriff, fuhr ihm der Schreck in alle Glieder. Er dachte nur noch an Flucht - und wich rückwärtsgehend der Gefahr aus. Nach zwei Schritten streckte Sir Georg beide Arme abweh rend vor und gurgelte erschreckt: »Verschwinde, du Satan, oder wer du auch bist. Lass mich in Ruhe!« »Niemals mehr sollst du Ruhe finden, denn du gönntest deinem Vater kein Glück. Unglücklich hast du ihn und mich gemacht.« Sir Georg hätte jeden Eid geschworen, dass sich die steinernen Lippen der Büste bewegt hatten. 72
Das steigerte sein Entsetzen, machte ihn blind für seine Umge bung. »Alva... Nein, ich war nicht gegen eure Ehe. Ich nicht...« Dann trat sein Fuß ins Leere. Er verlor das Gleichgewicht und fiel in ein tiefes schwarzes Loch. Schmerzen, überall Schmerzen, verspürte Sir Georg, besonders im linken Bein, das sich nicht bewegen ließ. Brüllend begann er um Hilfe zu schreien. Keine Antwort erfolgte. Niemand hörte ihn. Neue Wellen des Schmerzes jagten durch Sir Georgs Körper, als er begann, das enge, finstere Verlies abzutasten, in das er gestürzt war. Eng und rund waren die Wände, die ihn umschlossen, aber bei Be rührung abzubröckeln begannen. Lauter, verzweifelter, wurden Sir Georgs Hilferufe. Nichts erinnerte mehr an den eleganten und überheblichen Gentleman. Jetzt war er nur Mensch, ein Mensch, der um sein Leben bangte... Endlich, eine Ewigkeit schien vergangen, erklang Antwort. Sir Ge org traute seinen Ohren nicht mehr so recht und rief nochmals um Hilfe. Da hörte er eine feste, männliche Stimme. »Hallo, ist da jemand?« »Ja. Sehen Sie denn das Loch nicht?« Dumpf klang Sir Georgs Ruf nach oben. »Das Loch sehe ich, Sie aber nicht. Alles ist dunkel. Sie müssen sehr tief stecken. In solch einer Tiefe kann kein Mensch existieren.« »Aber ich stecke in dem Loch, verflucht und...« »Der Teufel ruft...« »Nein. Kein Teufel. Holen Sie mich hier raus. Ich habe mir das Bein gebrochen.« »Wenn Sie nicht der Teufel sind, ja, Herr im Himmel, wer sind Sie dann?« »Ich. Sir Georg O'Finchley.« »Heilige Maria. Sir Georg?« »Ja, zum Teufel...« 73
Das darauf einsetzende Schweigen machte Sir Georg rasend. Die Angst in ihm wurde plötzlich übermächtig. Er glaubte fest daran, dass man ihn umkommen lassen wollte. Schreien konnte Sir Georg nicht mehr. Lediglich ein heiseres Lallen kam aus seinem Mund, als er der Stimme seines Vaters antwortete, die er zu hören glaubte: »Hol mich raus, Dad. Ich bin völlig am Ende.« »Dad sagte der Kerl«, dröhnte Sir Louis krächzende Stimme auf. »Wie lange ist das schon her...« »Hol mich raus. Schnell. Die Wände bröckeln immer mehr ab.« »He, Georg, Sam sagte, er habe den Teufel sprechen gehört. Da bei warst du es. Aber ehrlich, deine Stimme klingt, als käme sie aus der Hölle.« »Dad. Du hast Sorgen. Hol mich doch endlich raus. Wo stecke ich überhaupt?« »Gleich. Sam holt Hilfe. Wir brauchen ein langes Seil. Der Brunnen ist tief.« »In einem Brunnen stecke ich?« »Ja. Ich habe gar nicht mehr gewusst, dass ein solcher noch exis tiert. Es muss lange her sein, dass man ihn benutzte. Jetzt ist er zum Glück ausgetrocknet.« »Wenn du mir Finchley Castle vererbtest... Ich ließ alles niederrei ßen. Kein Stein blieb auf dem anderen.« »Deshalb setzte ich auch Donald, deinen Sohn, zum Erben ein.« »Aah, du und Donald...« Die Männer kamen und brachten ein Seil mit, das in den Brunnen schacht eingelassen wurde. Inspektor Trenck übernahm die Rettungs aktion. Nach einer halben Stunde wurde Sir Georg aus dem Loch gezo gen. Bevor Sir Georg ins Bett getragen wurde, fragte ihn Trenck, wie es zu dem Unfall gekommen sei. Es klang unglaublich, dass der Boden unter den Füßen nachgege ben haben sollte. Doch Sir Georg schwor Stein und Bein, dass es sich so und nicht anders zugetragen habe. 74
»Alte brüchige Bretter«, krächzte der Earl. »Sind unter deinem Gewicht zusammengebrochen. Ich sage dir ja schon immer, iss nicht so viele Steaks.« »Aber, Dad...« »Schon gut, Donald. Freut mich riesig, dass wir wieder zusam mengekommen sind, wenn auch auf etwas merkwürdige Art.« »Ja. Du hast recht. Wir waren dumm.« Ein widerliches Gelächter raste durch die Halle, dem eine grausa me Stimme folgte. »Ihr verdammten Narren, versöhnt euch nur. Bald ist es zu Ende mit euch. Zu spät alles. Zu spät, zu spät...« Die letzten Worte zitterten durch die Luft, wollten nicht verklingen. Für den Bruchteil einer Sekunde schien das Gesicht des Earls zu erstarren. Schnell aber fing er sich wieder und schaute seinen Enkel an. Donald zuckte mit den Schultern. Eine beredte Geste, die Inspektor Trenck nicht entging. Neue Nah rung für Trencks Verdacht! »Himmel und Hölle, das kann doch gar nicht sein«, wetterte Sir Louis plötzlich los. »Ich habe doch...« Erschrocken hielt er inne und schlug sich mit der Hand auf den Mund. Trenck hakte sofort ein. »Was haben Sie, Sir?« Zornesröte stieg in Sir Louis' Gesicht. Mit einer fahrigen Handbe wegung winkte er ab. »Nichts. Gar nichts. Ich dachte nur an meine tote Frau.« »Aber was wir eben hörten, war eine Männerstimme, Sir.« »Wissen Sie, wie es in der Geisterwelt zugeht?« Schlitzohr, dachte - Trenck, hütete sich aber, seine Gedanken aus zusprechen. Norma, die sehr blass abseits stand, sagte schüchtern und ver ängstigt: »Wir sollten Onkel Georg ins Bett bringen. Er sieht sehr schlecht aus. Sicher hat er große Schmerzen.« Noch während Trenck sich bückte und dem Verletzten unter die Schultern fasste, sah er, wie sich Arthur Callisons Gesicht verzerrte. Dieser Mann konnte abgrundtief hassen. Trenck registrierte diese Beobachtung und baute sie in sein geisti ges Puzzlespiel ein - und siehe da, der Stein passte. 75
*
Der Reisewecker unter Trencks Kopfkissen schlug an Gähnend stieg er aus dem Bett. Eine kalte Dusche machte ihn wach. Er aß einen Hap pen und zog sich an. Trenck wartete bis Mitternacht. Dann ging er los. Zuerst blickte er in Norma Doringtons Zimmer, das er mit seinem Spezialdietrich öffnete, auch auf die Gefahr hin, überrascht zu werden. Der gelbe Schein einer Nachttischlampe hüllte das Mädchen ein. Ihre Züge wirkten entspannt, ein feines fernes Lächeln lag darüber. Das Haar schmiegte sich wie weiches Gold um ihren Kopf. Leise schloss Trenck die Zimmertür hinter sich. Niemand hatte ihn hineingehen sehen, niemand sah ihn herauskommen. Der Inspektor verstand sich ziemlich gut auf Geisterbesuche. Norma war aus dem Spiel. Keiner war froher darüber als Trenck, denn er mochte das Mädchen. Kaum war Trenck aus dem Zimmer, hörte er es wieder. Ununterbrochen geisterte es durch die Gänge, füllte sie mit komi schen Geräuschen, so, als liefe ein Skelett mit klappernden Knochen hin und her. Zwischendurch kicherte es, hinterhältig und teuflisch. Dann stöhnte ein Mensch, als läge er in den letzten Zügen. Die Geister von Finchley Castle waren in dieser Nacht besonders aktiv. Trenck nötigten die erschreckenden Geräusche nur ein karges Lä cheln ab. »Wartet, bald habt ihr ausgegeistert«, knirschte er wütend. Der Regen klatschte Trenck ins Gesicht, als er das Haus verließ und in Richtung Park lief. Den Pavillon sah der Inspektor erst, als er kurz davor stand. Dro hend wuchs das alte Gemäuer aus der Dunkelheit. Zweimal umkreiste Trenck den großzügig gebauten Bau, das schon eher einer kleinen Prunkvilla ähnelte. Trencks Vermutung, irgendwo Lichtschein zu entdecken, bestätig te sich nicht. »Dann im Keller, von dem aus eine Geheimtür in die Gewölbe führt«, sprach er halblaut vor sich hin. 76
Die Tür war, wie nicht anders erwartet, verschlossen, setzte aber Trenck keinen langen Widerstand entgegen, als er sie mit dem Spezi aldietrich anging. Der Schein seiner kleinen Taschenlampe huschte über das brüchi ge Parkett, riss frische Fußspuren ins Licht. Als Trenck die Taschen lampe ausknipste, nickte er zufrieden mit dem Kopf. Dann wartete er, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Im Pavillon war es still. Hier spukte nicht der Geist der Lady Alva herum. Trenck hatte nichts anderes vermutet. Es schien, als wären seine Kombinationen richtig gewesen. Nun musste die Entscheidung fallen. Trencks Nerven waren auf das äußerste gespannt. Die Dinge sahen bei Nacht anders aus als am Tage. Der Gang durch die Räume des Pavillons verwirrte Trenck. Überall Dunkelheit, eine Fülle von Zimmern, manche mit Täfelungen in sehr kostbarem Holz, schwere Vorhänge, zierliche Möbel und verstaubte Winkel. Die Holzvertäfelungen... Trenck hatte keine gute Erinnerung an sie, wusste er doch dahin ter verborgene Türen, die schon mehrmals von dem Mörder benutzt worden waren, ihm zur Flucht verholten hatten. Endlich meinte der Inspektor, an der richtigen Wand zu stehen, aus der er mit Marc getreten war, nachdem er die zwei Ermordeten unten in der Familiengruft besichtigt hatte. Trencks nervige Fingerspitzen glitten über geschnitzte Verzierun gen, drückten kunstvoll gefertigte Blätter und Blüten, die den Ab schluss der Holzvertäfelung verzierten. Nichts tat sich. Kein schnap pendes Geräusch war zu hören, noch knackte ein geheimer Verschluss. In aller Ruhe lehnte sich Trenck gegen die Wand, brannte sich ei ne Zigarette an und wartete. Er konnte sich nicht denken, dass die betreffende Person eine volle Nacht lang die Gewölbe einem Bett vor ziehen würde. Trenck schaute auf seine Uhr. Noch zwanzig Minuten - dann war die Geisterstunde vorbei. Dann musste sich die Geheimtür öffnen und würde... 77
Trencks Gedanken wurden jäh unterbrochen. Hinter der Wand, an die er gelehnt stand, polterte etwas und ihm war, als vernähme er einen unterdrückten Aufschrei. Ein schrecklicher Gedanke beschlich Trenck. Wie, wenn der eiskal te Mörder von Finchley Castle denselben Gedanken gehabt hatte wie er und hinter das Geheimnis der spukenden Lady Alva gekommen war? Siedend heiß wurde Trenck. Wenn das der Fall war, dann war ein weiterer Mensch vom Tode bedroht. Denke, Tom, denke, sonst ist der arme Kerl da unten tot. Aber so sehr sich auch Trenck anstrengte, er konnte den geheimen Zugang nicht finden. Eine Möglichkeit gab es noch. Er musste zurück ins Haus und die Geheimtür in der Bibliothek des Earls benutzen. Aber Marc war tot, er war der einzige gewesen, der sich in dem Unterirdischen von Finchley Castle ausgekannt hatte. Der Earl selbst... Trenck schüttelte den Kopf. Nein, der Mann war viel zu alt, um noch durch die Gänge zu hetzen. Die Vorstellung, was sich hinter der Zimmerwand alles ereignen konnte, trieb Trenck den Schweiß aus den Poren. Dann zwang er sich zur Ruhe und presste sein Ohr gegen die Holzvertäfelung. Stille, gespenstische Stille, wie in einem Grab. Tödlich erschrocken schnellte Trenck zwei Schritte zurück. Ein schabendes Geräusch hatte die Totenstille unterbrochen. Und es kam von jenseits der Wand. In gespannter Haltung lauerte der Inspektor auf das Erscheinen der Person, die sich im Geheimgang befinden musste, denn nun wur den die Geräusche lauter, näherten sich ziemlich schnell. Dann schnappte es - und ein Teil der Wandverkleidung schob sich zur Seite. Modergeruch drang aus der dunklen Öffnung. Der Kerl ist sehr vorsichtig, überlegte Trenck. Er prüft erst, ob die
Luft rein ist, bevor er sein Versteck verlässt.
Der Schatten war kaum auszumachen. Die Finsternis war zu tief. Trenck fühlte mehr die Person, als dass er sie sah. 78
»Hier Inspektor Trenck, Mordkommission. Heben Sie die Arme hoch und treten Sie an die Wand zurück. Wenn Sie eine Waffe besit zen, so lassen Sie diese fallen.« Trenck wurde plötzlich sonderbar leicht, hatte die Vorstellung, auf einer Wolke zu schweben. Dazu kam ein Wispern und Raunen, als um ringten ihn viele junge Mädchen. Eine Vision, schoss es Trenck durch den Kopf. Eine verdammte,
tödliche Vision, wie sie nur ein Dämon einem menschlichen Körper aufzwingen kann, oder einer, der über starke hypnotische Kräfte ver fügt.
»Satan«, gurgelte Trenck wuterstickt und krümmte den rechten Zeigefinger um den Abzugsbügel der 38er. Da vernahm Trenck das höhnische Kichern - und gleichzeitig brannte eine Ladung Pfeffer in seinen Augen. Die Augen tränten und schmerzten, machten den Inspektor blind und er konnte noch von Glück reden, dass kein Angriff auf ihn erfolgte. Trotzdem ärgerte es ihn, als er sich eilig entfernende Schritte verneh men musste. Während Trenck sich die Augen rieb, versuchte er mit sich ins rei ne zu kommen. Dämon, Geist oder raffinierter Verbrecher? »Ich tippe auf Verbrecher«, sagte er zu sich selbst und wischte weiter mit dem Taschentuch. Nach zehn Minuten war Trenck wieder in der Lage, seine Augen zu gebrauchen. Er näherte sich der offenen Geheimtür und rief in die dahinter liegende Finsternis: »Ist da jemand? Antworten Sie!« Tiefes Schweigen. Trencks Befürchtungen waren verstärkt, die Angst in ihm erzeugten, Angst um einen leichtsinnigen Menschen, der wohl Strafe verdiente, aber nicht den Tod. Bevor der Inspektor den Schacht betrat, zerstörte er das Schloss der Geheimtür, schaltete so das Risiko aus, eingeschlossen zu werden. Er folgte dem Strahl seiner Taschenlampe, der wie ein Pfad die läh mende Dunkelheit durchschnitt. Plötzlich endete der Gang vor einer Felswand. An dieser Stelle mündete ein Schacht in den Boden. Eine hölzerne, grob zusammen gezimmerte Leiter führte in die Tiefe. Während Trenck sich den weit 79
auseinander stehenden Sprossen anvertraute, hörte er einen erstickten Laut und dann einen schweren Fall. Wenig später die Geisterstimme der ertrunkenen Lady Alva, die immer wieder die gleichen Worte sag te: »Verflucht sollt ihr sein, bis ans Ende eurer Tage...« Trenck beeilte sich den Boden zu erreichen. Nur runter von der Leiter, auf der er jedem Angriff schutzlos ausgesetzt war. Das Prickeln in seinem Nacken verstärkte sich, denn er sah einen Lichtschein, der immer heller wurde, je tiefer er stieg.
Wo Licht ist, gibt es keine Geister. Also sind meine Überlegungen doch nicht falsch gewesen, sagte sich Trenck.
Endlich konnte Trenck seinen Fuß auf festen Boden setzen. Zuerst nahm er die 38er Spezial in die Hand, dann erst bestaunte er den er hellten Raum, in den er durch eine offene Tür blicken konnte. Doch das alles dauerte nur Bruchteile von Sekunden, denn auf der Türschwelle stand eine Gestalt - groß, wuchtig, dunkel. Trenck erschrak nicht einmal sonderlich, er hatte mit Zwischenfäl len gerechnet. »Nur keine falsche Bewegung, Freundchen, sonst hat es dich«, warnte er. Keine Bewegung. Die Gestalt schien erstarrt. Oder suchte sie ver zweifelt nach einem Ausweg? Makaber an der Situation war, dass aus der Tür Lady Alvas Stim me ertönte, wie eine Schallplatte mit Sprung - immer die gleichen Worte. Trenck rührte sich nicht von der Stelle. Einer konnte ihm entkom men. Beim zweiten wollte er nicht den gleichen Fehler begehen und sich zu nahe heranwagen. »Nehmen Sie Vernunft an«, sagte er. »Das Spiel ist aus. Lady Alva wird nie mehr durch die Gänge und Säle von Finchley Castle spuken. Das Tonband da drinnen kann abgestellt wer den.« Plötzlich bewegte sich die starre Gestalt, machte einen Schritt vor wärts, wie einer, der zu allem entschlossen ist. Trenck sah aus, als wollte er jeden Augenblick explodieren. »Ha ben Sie denn noch immer nicht genug? Wollen Sie die Sache auf die Spitze treiben?«, schrie er und brachte die 38er in Anschlag, bereit abzudrücken, falls es notwendig werden sollte.
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Die Gestalt, immer noch dunkel und drohend, angestrahlt von der Lampe im hinteren Zimmer, begann zu schwanken, taumelte hin und her, um dann schwerfällig zu Boden zu stürzen. Noch steckte Misstrauen in Trenck. Mit vorgehaltener Pistole nä herte er sich der liegenden Gestalt. Trenck wurde unheimlich zumute. In dem Gemäuer roch es nach Gruft, Fäulnis und Moder, aus der Tür drang Lady Alvas Geisterstimme und zu seinen Füßen lag ein Mensch, bewegungslos, wie tot. Er hatte sich schon in besseren Situationen befunden. Mit aller erdenklichen Vorsicht bückte sich Trenck und ließ den Schein seiner Taschenlampe über das Gesicht des Mannes tanzen, von dem ein leichtes Stöhnen kam. Trenck beugte sich tiefer - und erschrak. Aus weit aufgerissenen Augen starrte ihn Donald an, der Enkel des Earl. »Donald, Sie?« Das Stöhnen wurde lauter. »Im Verdacht hatte ich Sie ja schon lange«, erklärte Trenck, aus dem es einfach heraus musste. »Sagen Sie nur zwei Dinge, sind Sie allein hier unten und wer schlug Sie so zusammen?« »Allein - und er - vermummt. Sah - viel zu spät.« Der Kopf des jungen O'Finchley fiel zur Seite. Eine erneute Ohn macht hatte sich seiner bemächtigt. Schnell begann Trenck den Verletzten zu untersuchen. Wie er feststellen konnte, war die Kopfhaut aufgeplatzt, an verschiedenen Stellen die Haut abgeschürft, im Gesicht einige Blutergüsse. Donald musste sich heldenhaft gewehrt haben. Zwei Minuten besichtigte Trenck die unterirdische Kammer, die voll gestopft war mit den modernsten elektronischen Geräten, die der Akustik dienten. Ein Tonbandgerät war umgefallen. Aus dem Lautspre cher quäkte Lady Alvas Geisterstimme. Trenck drückte den Knopf auf Aus. Die Stimme verstummte. Für immer. * 81
Es gab keine andere Möglichkeit, als Donald nach oben zu tragen. Kraftvoll lud er sich den jungen Mann über die linke Schulter und er klomm die primitive Leiter, deren Stufen unter dem doppelten Gewicht zu ächzen begannen. Als Trenck oben angelangt war, schnaufte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann ging es weiter, den Gang hinauf, der in einem Zimmer des Pavillon endete - dachte Trenck. Die Tür war aber fest verschlossen. »Ich habe doch das Schloss selbst zerstört«, rätselte Trenck und musste seine Gedanken unterbrechen, da Donald zu stöhnen anfing. »Sir, es - es gibt doch einen Geist. Ein Untoter, der...« »Schon gut, Junge. Noch hat er uns nicht und solange ich die vollgeladene 38er in der Faust habe... Mein lieber Mann, das ist über haupt die Idee, ich werde...« Trenck brach abrupt ab, zog die 38er aus dem Schulterhalfter und jagte zwei Schüsse, knapp nebeneinander, gegen das hölzerne Hin dernis. Durch das entstandene Loch fuhr der Strahl seiner Taschenlampe und riss einen Besenstiel ins Licht, den jemand gegen die Tür gerammt hatte. »Ein Untoter braucht keinen Besenstiel, um mich unschädlich zu machen«, knurrte Trenck, in dem alles vor Wut kochte. Noch einmal zielte der Inspektor und setzte vier Schüsse genau platziert neben die zwei ersten. Mit dem Kolben der 38er klopfte er die schmalen Zwischenwände zwischen den Löchern heraus. In die so entstandene Öffnung griff er mit der Hand und zerrte den festge klemmten Besenstiel zur Seite. Erneut lud sich Trenck Donald auf die Schulter, aber erst, nach dem er seine Dienstwaffe frisch geladen hatte. Für alle Fälle... Der Weg durch die leeren Zimmer des Pavillons war an und für sich einfach, wären nicht die hohl klingenden Schritte gewesen, denen jedes mal ein teuflisches Gelächter folgte. »Verdammt und zugenäht«, wütete Trenck, der sich nicht beirren ließ und versuchte, den Ausgang zu erreichen. »Ich habe doch die 82
Anlage im Keller zerstört, vier Kabel hatte ich herausgerissen. Woher kommt jetzt das Gelächter? Sollte es doch...« Völlig außer Atem stolperte der Inspektor mit seiner schweren Last in ein Zimmer hinein, dessen Dunkelheit ihm noch drohender vor kam, als die der anderen Räume, die hinter ihm lagen. Plötzliche Helligkeit blendete ihn. Und wieder gellte das schaurige Lachen des Unsichtbaren in Trencks Ohren. Der Inspektor riss die Augen auf - und stieß einen lauten Schrei aus. Vor ihm, höchstens vier Schritte entfernt, lagen drei Bestien auf der Lauer, schwarze Panther, deren grün schillernde Augen unver wandt auf ihn und Donald gerichtet waren. Rochen sie das frische Blut, das noch immer aus Donalds Kopf wunde tropfte? Eine der Bestien richtete sich auf, langsam, reckte ihre Glieder und peitschte mit dem langen Schwanz auf die Erde. Dann riss sie weit den Rachen auf. Trenck meinte, den faulen Atem der Bestie zu riechen. Ihm wurde eiskalt. Furcht umkrallte sein Herz. Aber dann dachte er an Donald und daran, dass er noch nicht sterben wollte. Zwei Schüsse jagte er in den Schädel der Bestie. Sie aber peitsch te weiter mit dem Schwanz und kam tapsend näher. Die zwei anderen Panther erhoben sich ebenfalls und zeigten ihre langen weißen Reiß zähne. Wie Schuppen fiel es von Trencks Augen. Fester umfasste er mit der linken Hand Donald, der schlaff auf seiner Schulter lag. Dann marschierte er los – genau auf die schwar zen Panther zu und schritt einfach durch sie hindurch. Das teuflische Gelächter klang nunmehr zornig, voller Gift und Galle. »Lache nur, Strolch«, schrie Trenck. »Mit solch faulen Tricks wie Filme an die Wand werfen, kannst du mich nicht abschütteln. Wenn ich dich zu fassen kriege...« Donald bewegte sich. Er musste starke Schmerzen haben, die sei ne Ohnmacht beendeten. 83
Schneller schritt Trenck aus und erreichte den verwilderten Park. Der Wind musste die tief hängenden Wolken hinweggefegt haben, denn die bleiche Scheibe des Mondes kam zum Vorschein, tauchte die wild wuchernden Sträucher in geisterhaftes Licht. Die Nacht war voller Geräusche. Irgendwo schrie ein Käuzchen. Geheimnisvolles Rascheln aus den Gebüschen. Frösche quakten. Die Hälfte des Weges hatte Trenck hinter sich. Vor ihm ragten die Mauern der alten Piratenburg auf, um die die Nachtvögel strichen wie lautlose Todesboten. Auf der Lichtung, die früher einmal gepflegten Rasen getragen hatte, jetzt aber verödet war, wie alles um Finchley Castle, tauchte der Kopflose auf. Trenck musste zweimal hinsehen, bevor er seinen Augen traute. Tatsächlich. Ein Mann, bekleidet mit einem lang herunterfallenden schwarzen Gewand, wie es im Mittelalter getragen wurde, mit breiter weißer Halskrause - nur auf der Halskrause fehlte der Kopf. Er trug ein Schwert in der Hand. Trenck atmete tief durch und ließ Donald sanft von seiner Schulter gleiten. Dann ging er in Abwehrstellung, beide Hände gespreizt, wie es bei Karatekämpfern üblich ist. Das Schwert zischte durch die Luft, verfehlte Trenck nur knapp, der zur Seite gesprungen war. Und noch bevor sich die unheimliche Erscheinung im Mondlicht umwenden konnte, traf sie Trencks Karate hieb zwischen die Schulterblätter. Unter dem Gewand hervor kam der Schmerzensschrei, nötigte Trenck, zum zweiten Schlag auszuholen. »Habe ich dich endlich«, fauchte der Inspektor beim Zuschlagen. Doch der Schlag traf ins Leere. Wo eben noch der Kopflose ge standen hatte, lagen nur sein Schwert und das schwarze Gewand. Mit einem mächtigen Satz hatte er sich ins nächste Gebüsch gerettet. Der Fluch, den ihm Trenck nachsandte, hätte von einem früheren O'Finchley stammen können, die alle samt und sonders Seepiraten gewesen waren. An eine Verfolgung war nicht zu denken, nicht bei Donalds Zu stand. Trenck entschloss sich, die Sicherheit des Hauses aufzusuchen. 84
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Donald lag versorgt auf dem alten Sofa in der Bibliothek und stand Inspektor Trenck Rede und Antwort. »Ich kann Ihnen nichts mehr sagen, wirklich. Plötzlich, ohne dass mich ein Geräusch warnte, stand ein Vermummter hinter mir und schlug sofort auf mich ein.« »Ich glaube Ihnen ja«, beruhigte Trenck den Verletzten. »Aber etwas muss Ihnen doch an dem Kerl aufgefallen sein. Ihren eigenen Angaben nach kämpften Sie mit ihm minutenlang.« Erneut zuckte Donald ratlos die Schultern, sagte: »Bei dem Kampf ging es auf Leben und Tod. Der Kerl, wenn es einer war, wollte mich umbringen. Glauben Sie, dass ich Zeit hatte, ihn mir richtig anzuse hen? Ich wehrte mich, so gut ich konnte. Hätte er mir nicht gleich den Totschläger über den Schädel gezogen, sicher wäre der Kampf anders ausgegangen.« »Sie sagten eben - der Kerl, wenn es einer war...« Schweißtropfen traten auf Donalds Stirn und seine Augen wandten sich von Trenck ab. Sir Louis saß am Kopfende des Sofas. Als sich sein Enkel zur Seite drehte, übernahm er die Antwort. »Donald traut es sich nicht auszu sprechen, weil er befürchtet, nicht ernst genommen zu werden.« »Interessant. Wenn Sie es mir vielleicht erklären wollten, Sir?« Sir Louis versuchte es ruhig zu sagen, doch seine Stimme klang etwas rau. »Finchley Castle ist verhext und verflucht, seit einer meiner Vorfahren, 1681 war es, ein orientalisches Schiff kaperte und die Be satzung umbrachte. Auf dem Schiff soll ein indischer Priester gewesen sein, dem mein Vorfahre eine heilige Reliquie entwendete, bevor er ihn am Mastbaum aufhängen ließ. Drei Tage darnach, der Mond ging zum vierten Male auf, starb mein Vorfahr eines rätselhaften Todes. Erst verlor er die Sprache, dann das Gehör und später das Augenlicht, da nach wurde er steif. Sein Sohn ließ die Beute ins Meer werfen. Zu spät. Sein Vater starb. Als man dem Toten die Augen schließen wollte, blie ben sie offen. Die Lider ließen sich nicht herunterklappen.« 85
»Und an der Stelle, wo die heilige Reliquie ins Meer geworfen wurde, sind schon acht Schiffe gekentert«, ergänzte Donald. »Dieser indische Priester hat die O'Finchleys verflucht. Der Fluch ist noch heute wirksam.« Trenck stand auf und klopfte die Asche von seiner Zigarette. »Kommen wir auf den Vorfall im Gewölbe unterhalb des Pavillons zu rück«, sagte er. »Sie meinen also, der Kerl, der Sie niederschlug, sei ein Geist oder ein Untoter gewesen?« Der alte Earl wirkte wachsam und lauernd. Seine Stimme schlug um und eine steile Falte grub sich in seine Stirn. »Warum zweifeln Sie daran?« »Wollten Sie und Ihr Enkel nicht allen weismachen, dass Lady Al vas Geist ruhelos durchs Schloss streift?«, fragte Trenck zurück. Sir Louis' Gesichtsausdruck änderte sich. Ein ätzendes Lächeln mischte sich um die Mundwinkel ein. »Und ob wir das wollten, wo doch jeder weiß, dass es auf Finchley Castle wirklich spukt. Wir dach ten, unsere Rache sozusagen unterschieben zu können.« »Warum?« »Sagte ich doch. Aus Rache. Die ganze Blase sollte krank werden vor Angst. Donald und ich haben alles bis ins kleinste geplant. Zum 30. Todestag meiner Frau verschickte ich die Einladungen.« Trenck fügte bedeutungsvoll hinzu: »Eine Tote lädt ein...« »Richtig. Das sollte jeder denken. Sie müssen doch zugeben, dass es uns bestens gelungen ist.« Trenck schüttelte den Kopf. »Sehr gut gelungen sogar, Sir. Drei Tote. Fast wären es vier geworden.« »Aber das wollten wir doch nicht. Damit haben wir nichts zu tun. Nur einen gehörigen Schrecken sollten alle bekommen.« Donald brach ab. Er war noch sehr erschöpft. »Nur einen Schrecken einjagen...« Trenck lachte rau auf. »Was Sie, meine Herren, da angestellt ha ben, verstößt gleich gegen mehrere Paragraphen des Strafgesetzbu ches. Körperverletzung, Nötigung und was so alles noch dabei.« »Es kam ja keiner zu Schaden«, krächzte der alte Earl. »Und wenn. Mich hätte es gefreut. Dieses missgünstige, raffsüchtige Volk.« 86
»Immerhin handelt es sich um Ihre Schwestern, Sir.« »Kommen Sie mir nicht mit denen, junger Freund. Ich mag Sie ganz gut leiden. Aber wie gesagt...« »Und die Sache mit Ihrem Sohn?« »Dad erlitt einen Unfall«, antwortete Donald. »Ich habe nur die Augen der steinernen Büste präpariert. Von dem Brunnenschacht wusste keiner etwas. Ehrlich.« »Nun gut«, lenkte Trenck ein. »Sie werden dafür geradestehen müssen.« »Meine Sorgen.« »Das wollte ich damit sagen, Sir.« »Großvater. Lass doch Mr. Trenck ausreden.« Sir Louis knurrte, winkte aber auffordernd mit der Hand. Trenck räusperte sich, bevor er zu sprechen anfing: »Das meiste kann ich also abhaken als, sagen wir, als groben Scherz.« »Sehr gut. Grober Scherz ist gut«, lobte der Earl grinsend. »Bleiben drei Tote und ein Mordanschlag, Sir. Drei Menschen, die brutal ermordet wurden. Ich bin hier, um das aufzuklären. Wenn ich in meinen Bericht schreibe; als Täter käme ein O'Finchley in Frage, der 1681 auf rätselhafte Art und Weise ums Leben kam, was meinen Sie, wird mein Chef sagen?« Sir Louis' Augen begannen zu funkeln. »Der alte Lynch lässt Sie auf der Stelle in ein Irrenhaus einweisen. Ich kenne ihn.« »Genau.« Draußen heulte schaurig ein Hund. Diesen Tieren wird nachge sagt, dass sie den Tod ahnen und ihn durch unermüdliches Jaulen anzeigen. Der alte, zänkische Earl wurde still - sehr still. Er sagte kein Wort mehr. Eingefallen und grau wirkte jetzt sein Gesicht. Seine Augen, vordem listig und verschlagen, blickten stumpf. »Da ist es wieder«, flüsterte Donald. »Was? Der Hund?« »Das ist kein Hund, Trenck«, sagte dumpf der Earl. »Was da draußen heult, ist unser Gewissen, wenn man es mal so sagen darf, 87
der Alptraum, der auf uns O'Finchleys lastet, der Grund, warum mein eigener Sohn nicht mehr auf die Insel kommt.« Trenck konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Es ist spät gewor den, meine Herren. Ich denke, wir sollten ein paar Stunden schlafen. Morgen sieht alles ganz anders aus.« Sir Louis' Stimme, die sonst nur befehlen konnte, bettelte: »Blei ben Sie. Lassen Sie uns letzt nicht allein.« »Ich verstehe nicht...« »In dieser Nacht wird etwas Schreckliches passieren. Hören Sie, wie es da draußen heult?« »Aber ich sagte doch, das ist ein Hund.« »Auf der ganzen Insel gibt es keinen Hund und das Festland ist weit. Von da hört man nichts.« Trenck gab sich noch nicht geschlagen. »Ist das ein neuer Trick? Bisher arbeiteten Sie mit Lautsprechern, Tonbändern, Filmprojektoren, glühenden Augen in Steinbüsten. Jetzt soll ich Ihnen glauben, dass draußen kein Hund bellt, wo ich es mit eigenen Ohren höre?« »Ich bitte Sie.« Trenck gab sich geschlagen. Wie lange mochte es her sein, dass der Earl bitte sagte? Das Hundegekläff hatte alle nervös gemacht. Als es nun urplötz lich abbrach, wurde die Angst noch größer. »Jetzt, jetzt geschieht etwas«, prophezeite der Earl. Und richtig. Noch bevor Trenck antworten konnte, machten sich die Mächte der Hölle bemerkbar. Ein urgewaltiger Schrei ließ die Bibliothek erbeben. Mit lautem Knall flog die Tür auf. Das Licht erlosch. In die Bibliothek wehte ein entsetzlicher, süßli cher Verwesungsgeruch. Oder waren es Ausstrahlungen, die den Teufel umgaben? Das Grauen brachte Donalds Zähne zum Klappern. »Mr. Trenck. Glauben Sie uns jetzt?«, quälte er sich die Frage ab. »Wenn mich das überzeugen soll...« 88
»Niemand soll und will Sie überzeugen«, fauchte der Earl. »Wir stehen den Dingen machtlos gegenüber. Ihnen wird es nicht anders ergehen.« Die Haut über Trencks Wangenknochen spannte sich. Mit steinernem Gesicht murmelte er: »Und wenn die Hölle ein friert. Das nehme ich nicht hin!« »Ha, ha«, kicherte der alte Earl. »Geben Sie es ihm nur - wenn Sie es fassen können. Oft genug habe ich es versucht.« »Sie selbst haben...?« »Natürlich. Denken Sie, ich lasse mich so leicht einschüchtern? Aber meine Mühe war vergeblich, junger Freud. Es gibt nichts zu fas sen. Glauben Sie mir.« »Wie lange geht das schon?«, wollte Trenck wissen. »Zwei Jahre mindestens. Vielleicht noch länger. Ich müsste nach rechnen. Fragen Sie Orville, meinen Butler. Manche Nacht haben wir zusammen gewacht.« Donalds Stimme klang seltsam fern, als er erklärte: »Eben wegen dieses Spuks, oder wie man es nennen soll, kamen wir ja auf die Idee, ähnliches zu machen, um die Verwandtschaft zu erschrecken.« »Im Moment uninteressant«, sagte Trenck nachdenklich. »Ich ge he jetzt nachsehen, woher der bestialische Gestank kommt.« Sehr aufgeregt rief der Earl: »Bleiben Sie hier. Verlassen Sie nicht die Bibliothek.« Trencks fragender Gesichtsausdruck nötigte den Earl zu erklären: »Hier kann Ihnen nichts passieren nur draußen im Korridor.« »Verstehe ich nicht, Sir.« »Dann schauen Sie sich das Kruzifix an, das über der Tür hängt. Es hält das Böse fern.« »Sie müssen es wissen«, erwiderte Trenck und trat, alle Warnun gen missachtend, über die Türschwelle. Trenck schnappte hörbar nach Atem. Für den ersten Augenblick war er unfähig zu denken und zu handeln. Auf dem Korridor, genau der Bibliothek gegenüber, stand eine furchtbare Erscheinung. Sie musste direkt der Hölle entsprungen sein, denn Trenck hatte noch nie solch einen Menschen gesehen. Er trug 89
eine dunkelgrüne Kniebundhose und ein weinrotes Samtwams. Furcht bar machte sich das kurze Schwert in den Händen der Erscheinung aus, von dessen handgeschmiedeter Klinge Blut tropfte. Das Gesicht war eine hässliche Fratze, mit vorstehenden Backenknochen und ei nem brutalen Kinn. Am schlimmsten aber waren die Augen. Dunkle Abgründe, finster wie der Schlund der Hölle. Tief in ihnen glomm ein gelbes Licht wie schwelendes Feuer. Trenck gab ein misstönendes Lachen von sich und sagte dann schrill: »Dieser Trick verfängt nicht bei mir. Ihr müsst euch was Besse res einfallen lassen.« Der Inspektor war von seinen Worten überzeugt, glaubte er doch, dass der noch unbekannte Mörder, der in Finchley Castle umging, wie der mit einem Film bluffte, wie vor Stunden, als er, Trenck, plötzlich drei blutrünstigen Panthern gegenüberstand. Noch immer mit dem überlegenen Lächeln im Gesicht, griff Trenck nach dem Schwert. Er wollte damit dokumentieren, dass nichts, absolut nichts vor handen war, alles nur eine Täuschung darstellte. Der Schreck durchraste Trenck und er spürte, wie sich ihm buch stäblich die Haare sträubten. Das Schwert war real, wirklich existent! Schaudernd bemerkte Trenck den Schnitt in seinem Handballen, der zu bluten anfing. »Ich komme von Lady Alva. Sie lässt schön grüßen«, sagte die furchteinflößende Erscheinung mit kratziger Stimme, ohne sich von der Stelle zu rühren. Jeder andere wäre davongerannt, vom Grauen ge schüttelt. Eine Tote ließ grüßen! Nicht Inspektor Trenck. Seine Hand tastete sich langsam zum Schulterhalfter vor, wollte er doch mit einem schnellen Schuss der ge spenstischen Situation ein Ende bereiten. Da setzte die Erscheinung die Spitze des Schwertes auf Trencks Brust. Sie drang durch das Ober- und Unterhemd, ritzte sogar die Haut auf. Trenck spürte einen plötzlichen Schmerz und erschrak heftig. »Lady Alva will dich sprechen, Ungläubiger. Ich soll dich zu ihr bringen«, wiederholte die kratzige Stimme. 90
Trenck fühlte seinen Mund trocken werden. »Wo ist Mylady?«, fragte er, um Zeit zu gewinnen. »Komm nur. Ich führe dich ins Reich der Toten, das zu durch schreiten nur mit meiner Hilfe möglich ist.« »Donnerwetter«, entfuhr es Trenck. »Wer bist du denn?« Die Erscheinung aus dem Jenseits. Trenck wusste nicht, wie er die Monstergestalt anders benennen sollte, schien nicht den Spott aus der Stimme des Inspektors zu hören. Todernst antwortete sie: »Ich bin Woodring O'Finchley.« Aus der dunklen Bibliothek kam ein scharfer Ausruf. »Woodring O'Finchley, mein Vorfahre, auf dem der Fluch lastet, der bis zum heu tigen Tage wirkt?« »Schweig, Louis!«, fuhr die kratzige Stimme den Earl an. »Bald komme ich dich holen. Es wird ein Freudentag für mich sein.« »Schon gut«, krächzte der Lord. »Zuvor kannst du mir aber sa gen, ob du deine Augen noch immer nicht schließen kannst, Woodring. Dich hat man ja mit geöffneten Augen begraben.« »Schau mich an, Louis, dann wirst du es erfahren.« »Ha, ha, ich verlasse die Bibliothek nicht. Komm herein.« Eines musste man dem alten Earl lassen. Er besaß Schneid. Die Todesdrohung schien ihm nicht viel auszumachen. Die plötzlich einsetzende Stille war fast mit den Händen zu grei fen. Trenck fror und schwitzte zugleich. Die Schwertspitze saß auf sei ner Brust. Er war auf Gnade und Ungnade dem Besucher aus der Hölle ausgeliefert! Es war das makaberste Abenteuer im Leben des Inspektors. »Wir gehen jetzt«, befahl die kratzige Stimme und es klang unge duldig. »Warum so eilig, Bruder aus dem Totenreich. Und außerdem, der Earl hat dich eingeladen. Tritt ein.« Die Schwertspitze nagelte Trenck förmlich an die Korridorwand. Er konnte nur Hohn von sich geben - und Zynismus. Alles prallte an der unwirklichen Erscheinung ab, die monoton ihre eigenen Worte wiederholte. »Wir gehen jetzt.« 91
Trenck ließ es darauf ankommen. Er fragte dreist: »Und wenn ich nicht mitkomme?« »Du wirst mitgehen...« Trenck begann nun doch nervös zu werden. Die Aussichtslosigkeit seiner Lage zerrte an den Nerven, ging ihm unter die Haut. Ein Stoß des Schwertes und die Spitze würde ihn durchbohren... Doch Trenck gab nicht auf. Niemals. Schon im Begriff, einen Ge waltakt zu unternehmen, alles auf eine Karte zu setzen, hörte er, wie der Earl an der Samtkordel der Klingel riss. Das gab dem Inspektor Auftrieb, wusste er doch, dass auf das Klingeln hin der Butler erscheinen musste. Wie würde der Höllenbote darauf reagieren? Es dauerte auch gar nicht lange, da waren die schlürfenden Schrit te Orvilles zu vernehmen. Jeden Augenblick musste der Butler um die Ecke biegen. Jetzt würde es sich entscheiden. Stand wirklich Woodring O'Finch ley vor Trenck, ein Mann, der vor 300 Jahren gestorben war, oder... Trenck beobachtete die Reaktion seines Gegners aus schmalen Augen. Alles in ihm spannte sich. Er durfte nicht den richtigen Moment verpassen, der ihm die Chance geben sollte, dem zustechenden Schwert zu entkommen. Das diffuse Licht im Korridor erhellte das schrecklich verwüstete Gesicht der Erscheinung nur wenig. Es lag im Schatten, war undeutlich erkennbar. Und doch meinte Trenck, die Ausdruckslosigkeit darin zu erkennen. Keine Falte verzog sich, kein Muskel zuckte. Eine unnatürli che Starre hatte von ihm Besitz ergriffen. Wie eine übergezogene Maske, kam es Trenck in den Sinn. Die eiligen Schritte des Butlers dröhnten jetzt laut und deutlich. Der Druck auf Trencks Brust wurde schwächer. Lauschend neigte das Höllenwesen den Kopf zur Seite. Da handelte Trenck. Kurzerhand ließ er sich fallen und entging so nur um Haaresbreite dem zustechenden Schwert, das sich in die Holz vertäfelung der Wand bohrte, wo es zitternd stecken blieb. Woodring O'Finchley, wie sich dieses Monster nannte, gab einen Knurrlaut von sich, sah sich gehetzt um - und begann wegzulaufen. 92
Also doch kein vom Satan zum Leben Wiedererweckter... Trenck schnellte sich nach vorn und bekam gerade noch das auf dem Boden nachschleifende, mittelalterliche Gewand in seine Finger, das wie ein offener Mantel die Gestalt umschloss. Ein ratschendes Geräusch wurde laut. Das Gewand riss. »He, Woodring O'Finchley«, schrie Trenck triumphierend. »Gab es denn schon im 16. Jahrhundert lange Hosen mit Bügelfalte?« Das Monster verhielt erschrocken, sah an sich herunter. Der unte re Teil des schwarzen Gewandes fehlte, hing zwischen Trencks Fin gern. Lediglich das Gesicht des Monsters, das von sich behauptete, aus dem Reich der Toten zu kommen, flößte noch Grauen und Furcht ein. Schmal wie ein Messerrücken zog sich der Mund zusammen und aus dem schmalen Riss hervor kam die Drohung: »Hund, verfluchter! Du hast gesiegt - für den Augenblick - aber wehe dir, wenn Lady Alvas Zorn über dich kommt!« »Ich mache dir gleich Beine«, grollte Trenck und begann, für jeden sichtbar, die 38er Spezial zu ziehen. »Du bist gewarnt«, kam es keuchend, dann verschwand die er schreckende Erscheinung - sie lief glatt in die Wand hinein, die sich klickend hinter ihr schloss. »Wieder ein Geheimnis«, begann Trenck zu fluchen, der sich schon als Sieger gesehen hatte. Im Hof begann auf einmal der angeblich nicht existente Hund zu jaulen. Trenck stand da und lächelte grimmig. Langsam fielen die Mosaik steinchen auf ihre Plätze, das Muster wurde sichtbar. »Jetzt können wir aber wirklich zu Bett gehen«, rief Trenck. Von Sir Louis kam ein Schnaufen. Dann, ganz spontan: »Sie sind ein richtiger Höllenhund, Trenck. In meiner besten Zeit war ich nicht so gut wie Sie.« »Dann grollen Sie mir nicht mehr?« »Wo werde ich. Mit Ihrer Hilfe wird Finchley Castle von den bösen Geistern befreit. Ich bin Ihnen sehr dankbar, junger Freund.« 93
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Lorenza O'Finchley ging mit ihren 77 Jahren ziemlich leichtfüßig durch die große Vorhalle. Ihr Ziel war die Küche. Sie wollte Hatty, der Kö chin, Anweisungen für das Abendbrot geben. Ein leises Knarren war an ihre Ohren gedrungen. Lorenzas Schritt stockte. In die Vorhalle führte nur eine Tür - und diese stand offen, hatte sich nicht bewegt. Lorenza bemerkte nicht, wie sich eine Mar morplatte des Kamins verschob, einen geheimen Zugang freigab. Aus dem dunklen Spalt trat ein Buckliger, dessen Höcker über die Maßen hinaus groß war, genau wie seine Nase, die spitz hervorstach. Auf leisen Sohlen schlich sich der Gnom von hinten an Lorenza heran, mit gekrümmten Fingern, die Raubtierkrallen glichen. Die älteste Schwester des Earls spürte die unheimliche Ausstrah lung des Bösen. Sie drehte sich langsam um. Vor Schreck fiel ihr die Teekanne aus der Hand, die sie der Köchin geben wollte. Laut hallte das Klirren der Scherben durch das Haus. Man muss den Schrecken sehen, um ihn zu genießen. Der Buckli ge genoss ihn, bis er sein breites Grinsen einstellte und höhnisch sag te: »Schöne Lorenza, deine letzte Stunde hat geschlagen. Wenn du noch einen erfüllbaren Wunsch hast... Du wandelst schon viel zu lange auf dieser Erde. Es wird Zeit, dass du abberufen wirst. Höchste Zeit...« Lorenza bewegte sich wieder erstaunlich schnell und wich den zugreifenden Händen aus. Dabei sprach sie einen Zauberspruch, den sie als Kind einmal aufgeschnappt hatte. Der Bucklige gönnte Lorenza ein furcht erregendes Lächeln und beobachtete feixend, wie sie in sich zusammenbrach, als der Zauber spruch keine Wirkung zeigte. »Du alte Hexe«, spukte der Bucklige. »Es wird wirklich Zeit, dass du unter die Erde kommst.« Lorenzas Augenbrauen schoben sich langsam nach oben, verdros sen und etwas herausfordernd. »Ich bin eine O'Finchley«, sagte sie und versuchte, die Angst in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Die O'Finchleys kennen keine Furcht. Versuche nur, deine schmutzigen Hän de um meinen Hals zu legen, du Wicht, dann schreie ich das ganze Haus zusammen.« 94
Dann griff der Bucklige urplötzlich an, legte seine Krallenfinger um Lorenzas Hals. Vor ihren Augen wallten Nebel auf. Sie sah den Tod. Der knochige Schädel grinste sie bösartig an. Von Todesfurcht getrieben, brachte sie es fertig, einen gellenden Schrei auszustoßen. Das grinsende Totenkopfgesicht zerfloss wieder und Lorenza blick te in die hellen Augen des Inspektors. »Mr. Trenck, Sie...?« »Ja, Mylady. Wir hörten Ihren Schrei, eilten Ihnen zu Hilfe und sa hen Sie am Boden liegen.« »Lorenza, altes Mädchen, was suchst du auf dem Fußboden?«, fragte grinsend der alte Earl. »Du, du Scheusal. Ich weiß nicht, wer schlimmer ist, du oder der Bucklige, dessen Hände ich an meinem Hals spürte.« »Welcher Bucklige?«, fragte Trenck, wobei er den Hals der Schwester des Earls betrachtete, der tatsächlich blutunterlaufene Wür gemale aufwies. Verwundert schaute sich Lorenza um, sagte leise: »Eben war er doch noch da. Hat ihn keiner gesehen?« »Du hast geträumt oder suchst eine Ausrede, weil du die Teekan ne zerbrochen hast«, hetzte der Earl giftig. »Ich bitte Sie, Sir. Lassen Sie Ihre Schwester doch ausreden.« »Danke, Mr. Trenck«, hauchte Lorenza. »Ja, der Bucklige kam aus dem Kamin dort.« Fast 15 Minuten benötigte Trenck, bis er den geheimen Verschluss fand, den der Earl nicht kennen wollte. Als Trenck in den muffig riechenden Gang hineinblickte, entdeckte er einen matt glänzenden Gegenstand, der auf dem Boden lag. Schnell hob er ihn auf. Es war ein gewöhnlicher Jackenknopf. * Trenck verzichtete darauf, in den Gang zu kriechen. Der von Lorenza beschriebene Bucklige war längst über alle Berge. Er musste sich in 95
den unterirdischen Gängen auskennen, was Trenck von sich nicht be haupten konnte. Aber der Bucklige hatte eine Spur hinterlassen - einen Jacken knopf. Eine vage Spur zwar, mit der Trenck aber etwas anzufangen wusste. »Sir«, wandte sich Trenck direkt an den Earl. »Ich bitte um die Er laubnis, jedes Zimmer auf Finchley Castle durchsuchen zu dürfen.« »Jedes? Auch mein Zimmer?«, protestierte Lorenza. »Genehmigt«, krächzte der Earl. »Und bei meiner Schwester fan gen Sie an!« Wunschgemäß durchsuchte Trenck zuerst Lorenzas Zimmer, ver folgt von den funkelnden Augen des Earls. Der Zorn seiner Schwester bereitete dem Earl eine diebische Freude. Das nächste Zimmer bewohnte Noriria Dorington. Als Trenck anklopfen wollte, hielt ihn der Earl auf. »Ich habe mei nen Spaß gehabt. Die alte Schachtel war wütend, was?« »Das kann man wohl sagen. Mir war es sehr peinlich, Sir.« »Ach was. Das geht auf mein Konto. Tja, junger Freund, ich bin müde. Machen Sie jetzt allein weiter.« »Aber ich...« »Sie sollen weitermachen, allein. Auf Finchley Castle bin ich das Gesetz, verstanden?« Trenck gab dem Earl sein Grinsen zurück, sagte anzüglich: »Sie sind doch ein verdammter Pirat.« Sir Louis begann zu strahlen und entfernte sich laut lachend. Ein wenig zögerte Trenck, bevor er an Normas Tür klopfte. Das zaghafte »ja bitte« war kaum zu hören. Norma saß auf dem Bett. Tränen zogen glänzende Bahnen über ihre Wangen, sie schluchzte. »Norma, was ist mit Ihnen?« Aufgeregt fragte Trenck sie und beugte sich über das schöne Mädchen. »Ach, Tom«, entschlüpfte es Norma. »Ich weiß nicht mehr, ob ich wache oder träume. Alles ist so schrecklich und grauenhaft.« »Dann sagen Sie es mir doch. Ich helfe Ihnen gern.« 96
Norma streckte Trenck ihre Hand entgegen, der sie fasste und das Mädchen vom Bett hochzog. Er fühlte ihre Wärme durch seinen Anzug. »Keine Angst«, flüsterte er. »Es wird alles wieder gut. Sie müssen dar an glauben.« Norma begann unter Trencks Händen zu zittern, ihre Augen schlossen sich halb. »Sie meinen es gut, Tom.« »Sie müssen mir sagen, was Sie quält.« »Und wenn alles nur ein furchtbarer Traum war?« »War es ein Traum?« Norma trat zurück, sah zum Fenster hinaus, sagte über die Schul ter kurz: »Nein.« »Dann müssen Sie es mir erzählen, sofort. Sie sind nicht die einzi ge, welche gequält wird. Ich muss alles wissen. Nur so kann ich hel fen. Das verstehen Sie doch, Norma?« Norma nickte und das Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie biss sich mit ihren gleichmäßigen schönen Zähnen auf die Un terlippe und hatte ihre Hände so fest zusammengepresst, dass die Knöchel weiß wurden. »Zögern Sie nicht länger. Es könnte sonst zu spät sein. Der mir noch unbekannte Täter ist schnell. Er fühlt sich verfolgt und angegrif fen und wird in Panik geraten. Solche Leute sind unberechenbar. Wir müssen schneller sein als er.« »Es ist kein Mensch«, stieß Norma hervor. Trenck fuhr Norma mit den Fingern durch das seidige Haar. Seine Stimme klang gespannt, als er fragte: »Haben Sie etwas gesehen? Ist Ihnen jemand begegnet?« Norma nickte, schwieg sich ansonsten aus. Der Inspektor drängte, fasste Norma an den Schultern und schüt telte sie. »Sollen noch mehr sterben, Norma? Sie müssen es mir jetzt auf der Stelle sagen.« »Mir wurde verboten, darüber zu sprechen.« »Was drohte man Ihnen an, wenn Sie es trotzdem tun?« Norma hob ihr Gesicht. »Den Tod! Punkt Mitternacht!« Von einem Impuls getrieben, küsste Trenck Normas schwellende Lippen. Für Bruchteile von Sekunden erstarrte sie, doch dann wurde 97
ihr Mund nachgiebig und sie erwiderte den Kuss. »Lass mich nicht al lein, Tom«, bettelte sie, als Trenck sie kurzerhand aufs Bett setzte. »Nein, tue ich nicht. Aber jetzt erzähle.« »Ich will nicht sterben, jetzt, wo ich dich kennen lernte.« »Du wirst nicht sterben. Dein Onkel Louis dachte es auch, als die schreckliche Erscheinung vor der Bibliothek erschien.« Norma zog züchtig den Rock über die Knie, sagte dann zaghaft: »Dann hast du ihn gesehen, den bösen Geist von Finchley Castle?« Trenck lachte ein unfrohes Lachen. »Gesehen schon, Darling, aber es war kein Geist. Leider konnte der Kerl durch eine Geheimtür ent kommen, sonst hätte ich ihn entlarvt. Glaube mir, dass ist ein gewöhn licher Verbrecher. Nicht mehr und nicht weniger.« »Wenn ich dir nur glauben könnte?« »Du musst!« »Nun gut, Tom. Vor etwa einer Stunde hatte ich Besuch.« »Hier, in deinem Zimmer?« Norma nickte und begann wieder zu weinen. Trenck setzte sich neben das Mädchen, nahm sie in die Arme und fragte: »Wer war es?« Es dauerte lange, bis Norma antwortete. Sie focht einen furchtba ren Kampf mit sich aus, denn über ihrem Haupt schwebte die Todes drohung. Doch die Liebe zu Tom Trenck siegte. »Du wirst es nicht raten, Tom.« Trenck küsste Normas Wange. »Du wirst es mir sagen.« »Tante Alva!« »Tante Alva?«, echote er und war sich sicher, ein dummes Gesicht dabei zu machen. »Ja, Tom. Sie stand plötzlich in der Tür.« »Was wollte sie von dir?« »Mir sagen, dass ich zusammen mit meinen Eltern Finchley Castle verlassen und mich nie wieder hier blicken lassen soll.« Als Trenck nichts dazu bemerkte, fuhr Norma fort: »Ich erwiderte, dass es bei dem Sturm unmöglich sei, die Insel zu verlassen. Tante Alva prophezeite daraufhin, der Sturm würde in zwei Tagen nachlas sen.« 98
»Und weiter?« Norma putzte sich die Nase, bevor sie fortfuhr: »Ich soll in diesen zwei Tagen in meinem Zimmer bleiben.« »Schlau, verdammt schlau. Mir scheint, der Mörder wird von Tag zu Tag raffinierter.« »Kannst du mir das erklären, Tom?« »Kann ich schon, Darling, aber das dauert zu lange. Ich habe kei ne Zeit mehr.« »Oh, Tom, lass mich nicht allein!« Trenck nahm Norma mit und führte sie in die Bibliothek des Earl, wo Donald noch auf dem Sofa lag. »Passen Sie gut auf Norma auf«, befahl Trenck dem jungen O'Finchley. »Wenn ihr etwas zustößt, halte ich mich an Sie.« »Aber, Mr. Trenck. Wollen Sie mir nicht erklären, was...?« »Erklärungen gebe ich später. Jetzt habe ich einen Mörder zu ü berführen.« »Nehmen Sie mich mit.« »Nein.« Als Trenck die Bibliothek verließ, rief ihm Norma nach: »Ich habe Angst um dich, Tom.« Ein wundersames Gefühl zog durch Trencks Brust. Das schönste Mädchen der O'Finchley-Sippe hatte Angst um ihn... * Orville, der Butler, befand sich bei Hatty in der Küche. Als Trenck ein trat, schaute er verlegen in seine Kaffeetasse. Wortlos setzte sich ihm Trenck gegenüber und brannte sich eine Zigarette an. Stumm stellte Hatty eine Tasse Kaffee hin, der dampfte und ein duftendes Aroma verbreitete sich. Trenck blies in den Kaffee und beobachtete Orville, der immer ver legener wurde, bis er nicht mehr an sich halten konnte. »Mr. Trenck, ich habe nur auf Anweisung gehandelt.« In Trencks Gesicht machte sich nicht die Spur eines Lächelns breit, als er sagte: »Das ist vorbei. Mit den Spukgeschichten, die Sir 99
Louis inszenierte, werden sich andere beschäftigen. Ich weiß, dass Sie mitgewirkt haben.« »Dem habe ich schon gehörig den Kopf gewaschen«, schimpfte die Köchin los. »Sitzt jeden Tag hier scheinheilig herum und dabei jagt er allen Leuten Todesschrecken ein...« »Schon gut. Deswegen bin ich nicht hier.« »Nein?«, fragte der Butler, dessen Gesicht sich aufzuhellen be gann. »Ich möchte um Ihre Hilfe bitten.« »Wenn ich kann, gern.« »Sie können.« »Sir, wenn Sie gestatten, aber Ihr Gesichtsausdruck gefällt mir nicht. Ich habe das dumpfe Gefühl, als wenn etwas Furchtbares auf mich zukommt.« An dem heißen Kaffee hätte sich Trenck beinahe die Zunge ver brannt. Er setzte die Tasse schnell ab und erwiderte: »Wäre es für Sie furchtbar, mich in die Familiengruft zu führen?« Der Butler wurde blass. An seiner Stelle antwortete die Köchin: »Das ist mehr als schlimm für ihn, aber eine gerechte Strafe.« »Hatty, ich...« »Papperlapapp, du führst Mr. Trenck in die Gruft. Ich weiß nicht, was er dort will, aber er wird seine Gründe haben.« In das Unterirdische stiegen die zwei Männer vom Pavillon aus. Nach 20 Minuten hatten sie die Gruft erreicht. »Wenn ich mir erlauben darf zu fragen, Sir, was wollen Sie hier unten?« Trenck musterte die steinernen Särge. An dem von Lady Alva blieb sein Blick hängen. Mit der ausgestreckten Hand deutete er darauf. »Ich will mich davon überzeugen, dass Lady Alva hier ruht.« Orville schlug ein Kreuz und bat die Heiligen um Hilfe. Zwischen durch schaute er für kurze Augenblicke zu Trenck hinüber, der dabei war, den steinernen Sarg zu öffnen. Die Platte war zu schwer und Trenck musste Orville um Hilfe bit ten. Widerstrebend, seine nackte Angst nicht verbergend, kam der Butler heran. 100
Gemeinsam wurde die schwere Grabplatte zur Seite geschoben. Angst, Grauen und Entsetzen klangen in dem Schrei mit, den Or ville ausstieß, bevor er davonrannte. Der Sarg der Lady Alva war leer! Auch Trenck zuckte zurück, als er in das leere Sarginnere blickte, in dem eine Mumie hätte liegen müssen, denn alle O'Finchleys, die das Zeitliche gesegnet hatten, wurden mumifiziert. Ein weiteres Problem baute sich vor Trenck auf, als er die Famili engruft verließ - das Finden des Rückweges. Orville hatte die Flucht ergriffen und ihn allein zurückgelassen. Bis zu der Stelle, wo sich die Gänge gabelten, fand Trenck leicht zurück. Doch nun stand er vor einem Rätsel. Ein Gang glich dem ande ren. Besondere Zeichen, um sie voneinander zu unterscheiden, gab es nicht. Nur nacktes dunkles Felsgestein starrte Trenck entgegen und das Geräusch fallenden Wassers zerrte an den Nerven. Mit Hilfe der Taschenlampe versuchte Trenck Spuren zu finden, doch der blanke Felsen hatte keine aufgenommen. Dass er nicht auf der Stelle treten konnte, war Trenck klar. Also nahm er ein Geldstück in die Hand und warf es in die Luft. Das Orakel wies ihm den linken Gang zu. Ein seltsames graugrünes Licht umgab plötzlich Trenck. Es schien direkt aus den Wänden zu kommen. Die Stille wurde erdrückend. Trencks Hand ließ von der 38er Spezial ab, die sie eben noch um klammert hatte. Auf was sollte er schießen? Er biss die Zähne zusammen und ging weiter. Er hatte gar keine andere Wahl. Das Gefühl für die Zeit war ihm vollkommen abhanden gekom men. Um so erstaunter war er, als vor ihm steinerne Stufen nach oben führten. Zehn Stufen und alle glitschig, von Moder überzogen. Die Stufen endeten vor einer Wand aus rauen Gesteinsquadern. Doch diesmal war das Glück mit Trenck. Als er die Steine ableuch tete, entdeckte er an einer bestimmten Stelle Flecken, die davon her rührten, dass an ihr oft eine Hand entlang geglitten war. Trenck tastete den Stein ab, fühlte Kälte unter seinen Fingern, a ber auch eine unebene Stelle, gegen die er drückte. 101
Die ganze Wand schob sich zur Seite, gab den Blick frei auf das Innere eines Kleiderschrankes, der voll hing mit Herrenanzügen und Mänteln. Ein ganz raffiniertes Versteck, dachte Trenck und lauschte auf verdächtige Geräusche. Im Dunkeln tastete er nach dem Schloss und als er es fand, öffne te er die Tür einen Spaltbreit, sie knarrte überlaut. Trenck erschrak heftig. Ais sich nichts rührte, verließ Trenck mit gezücktem Revolver das dunkle und übel riechende Versteck. Jeden Augenblick rechnete er mit einem tätlichen Angriff. Ein schneller Rundblick überzeugte Trenck, dass der Zimmerinha ber nicht anwesend war. Gedankenschnell huschte er zur Zimmertür und probierte das Schloss. Die Tür ließ sich nicht öffnen. Wenn also jemand das Zimmer betreten wollte, musste er aufschließen - und das war zu hören. Ein Erker, den Blicke durch einen Vorhang verbargen, erregte Trencks Verdacht. Er konnte ihn nicht begründen, verließ sich vielmehr ganz auf seinen Instinkt, der ihn noch nie zu unrecht warnte. »Kommen Sie vor!«, befahl Trenck, den Vorhang nicht aus den Augen lassend. Nichts bewegte sich. Ruhig, ein wenig mit Staub überzogen, hing der Vorhang harmlos da. Die 38er schussbereit haltend, riss Trenck das verzierte Samtge bilde zur Seite. Kälte kroch in ihm hoch. Er fror plötzlich. Die Anspan nung wich, der Schweiß erkaltete - und dann meldete sich die Wut. Es war niemand da, den Trenck anschreien konnte - bis auf die Mumie der Lady Alva. Trenck starrte und starrte, wollte nicht glauben, was seine Augen sahen. Aber die Mumie blieb, stand stumm und bewegungslos gegen die Zimmerwand gelehnt. Als sich Trenck endlich gefasst hatte, begann er eilig, aber syste matisch, das ganze Zimmer zu durchsuchen. Er erlebte die Überra schung seines Lebens. An verschiedenen Stellen, nur flüchtig versteckt, fand er einen aufblasbaren Buckel, eine Flasche mit roter Tinte und eine Gesichts 102
maske, die das Monster darstellte, das vor der Bibliothek mit blutigem Schwert gestanden halte. Und noch etwas fand Trenck - einen Anzug, an dem ein Knopf fehlte. Den fehlenden Knopf trug der Inspektor in seiner Hosentasche, seit er ihn im Geheimgang gefunden hatte. Nun schien alles klar. Durch Zufall war das Zimmer entdeckt, in dem der brutale Mörder von Finchley Castle wohnte. Eine Frage war noch zu klären: Wer bewohnte das Zimmer, das voller Beweisstücke steckte? Ein großer Ohrensessel lud zum Sitzen ein. Trenck nahm Platz, legte die entsicherte 38er auf seinen Schoß und wartete auf den Mör der. Das dunkle Zimmer erhellte sich langsam. Vollmond stand am wolkenlosen Himmel und sandte sein silbriges Licht zur Erde. Es drang durch das große Bogenfenster und zauberte bizarre Schattenfiguren. Trenck lächelte. Ihm konnten Geister, Dämonen und Monster nichts mehr anhaben. Er hatte sie entlarvt. Das höllische Gelächter traf Trenck wie Faustschläge, trieb seinen Puls in die Höhe. Dann lächelte er wieder, sagte gelassen: »Zeige dich, Halunke, Dein Spiel ist aus.« Das Gelächter steigerte sich, wurde übermütig und endete voller Hohn und Spott. Dann sagte eine ferne, unwirkliche Stimme: »Narr, verdammter. Ich, der über Leben und Tod entscheide, bestimme, wer unters Henkerbeil kommt. Diesmal wirst du es sein!« Niemand war zu sehen und die Stimme konnte von überall kom men. Aber Trenck kannte die Tricks, mit denen der Mörder arbeitete und ließ sich nicht ins Bockshorn jagen. Fester umklammerte seine Faust den Griff der 38er. Inspektor Trenck war bereit zu schießen, falls es die Situation erforderte. Drei Morde waren mehr als genug. Zu ei nem vierten würde er es nicht kommen lassen. Aber da schnappten stählerne Bänder aus den Sessellehnen, leg ten sich um seine Arme und Beine. Die 38er entfiel. 103
Trenck konnte sie gerade noch mit den Beinen auffangen und ließ sie zwischen die Schenkel rutschen. Noch hatte er den Schreck nicht überwunden, als aus dem Klei derschrank eine geisterhafte Erscheinung stieg. »Macker«, schrie Trenck und versuchte, aus den stählernen Fes seln zu schlüpfen, was misslang. »Nenne mich, wie du willst, Erdenwurm. Ich bin über alles erha ben. Mein Ziel ist fast erreicht. Du wirst ihm nicht mehr im Wege ste hen.« Die Spukgestalt rückte näher, blieb knapp einen Meter vor Trenck stehen - und begann wie irre zu lachen. »Wenn meine Beine frei wären, würde ich dir einen Tritt verpas sen, dass dir Hören und Sehen vergeht«, drohte Trenck, der seine Wut nicht mehr unterdrücken konnte. In die Falle gegangen, wie ein bluti ger Anfänger, dachte er immerfort und war dem Platzen nahe. »So, treten willst du mich? Aber das macht mir nichts aus.« »Warum nicht? Gangster sind empfindlich, wenn es um ihre eige ne Haut geht.« »Ich bin kein Mensch.« Nach diesem scharf gesprochenen Ausruf kicherte es wieder unwirklich. Ein Geistesgestörter, schoss es Trenck durch den Kopf. Oder ei ner, der mich verrückt machen will. »Komm nur näher«, lockte Trenck. »Dann wird sich herausstellen, wer du bist.« Das Lachen wollte nicht enden. Die gespenstische Gestalt krümm te sich vor Hohn und Triumph, nahm ein Schwert in seine Hand. Und da geschah es. Das weiße Laken verrutschte, gab plötzlich den Kopf frei. Ohne sich seine Überraschung anmerken zu lassen, sagte Trenck: »Guten Abend, Mr. Callison.« Arthur Callison, der Schwager des Earl, bekam einen knallroten Kopf. Fauchend riss er sich das Laken vom Leib und trampelte darauf voller Wut herum. Trenck versuchte, die 38er zwischen seinen Schenkeln zu fassen. Zweimal fühlte er die Griffschalen zwischen den Fingern und jedes mal 104
entglitt ihm die Waffe. Erst beim dritten Versuch brachte er die starke Willenskraft auf und konnte die Waffe festhalten. Die 38er war entsichert. Trenck brauchte nur noch den Abzug zu bedienen. Fauchend fuhr die Kugel aus dem Lauf, traf Callison, der gerade das Schwert zum Schlagen ausgeholt hatte. Sekunden später sank der Mörder von Finchley Castle zu Boden, krachte schwerfällig auf den Teppich. Callison hob den Kopf und blickte Trenck aus tief liegenden Augen hassvoll an. »Damit ist nichts zu Ende«, rief er aus. »Das ist erst der Anfang. Ich komme wieder!« »Sie werden verbluten, wenn keine Hilfe kommt. Sagen Sie mir, wie ich meine Fesseln öffnen kann.« »Verfaulen sollst du in dem Stuhl!« Trenck ging nicht darauf ein, fragte vielmehr: »Haben Sie wirklich geglaubt, durch Mord in den Besitz von Finchley Castle zu kommen?« »Mord? Sagen Sie Mord? Ich bin ein Auserwählter und habe nur dem Schicksal vorgegriffen. Die O'Finchleys werden sterben, bald, sehr bald. Ich sehe es ganz deutlich...« Callisons Augen blickten zur Zimmerdecke empor. Sie schienen etwas zu sehen, das seinen Worten Überzeugungskraft verlieh. Unbehaglich zuckte Trenck mit den Schultern. Die ganze Szene hatte etwas Gespenstisches an sich. Die Stimme des Sterbenden klang so unwirklich, als würde ein anderer sprechen, ein Mächtiger aus Dimensionen, die für Sterbliche unerreichbar sind. Das fahle Mondlicht fiel auf Callison. Ein lauernder Ausdruck be schattete das bleiche Gesicht noch im Tod. Sollten Callisons letzte Worte Wahrheit werden? Unten im Hof heulte wieder schaurig der Hund. Er hatte den Tod erahnt... * Trenck war allein mit seinen schweren Gedanken - und einem Toten. Seinen Schuss hatte niemand gehört. Noch immer umschlossen ihn Stahlfesseln. 105
Der kalte Stahl der 38er unterdrückte die aufkommende Angst. Trenck bediente den Abzug solange, bis der Hammer auf eine leere Patrone klickte. Pulverdampf wogte wie Nebel und reizte die Lunge. Als sich die Tür öffnete, bemerkte es Trenck nicht einmal, ein fürchterlicher Hus tenanfall schüttelte ihn. Minuten später umringten ihn sämtliche Bewohner von Finchley Castle. Ein Knecht bemühte sich, die Stahlklammern zu durchsägen. Norma saß auf der Sessellehne und wischte Trenck den Schweiß von der Stirn. Als der alte Earl, dessen Augen verschmitzt funkelten, etwas sagen wollte, schnitt Norma ihm das Wort ab. »Tom gehört mir, Onkel. Ich meine, er hat für dich und deine gespenstische Piratenburg mehr als seine Pflicht getan.« »So ist es«, krächzte Sir Louis, der nicht zu bremsen war. »Darum werdet ihr eure Hochzeit auf Finchley Castle feiern.« Das schaffte Trenck endgültig. Müde protestierte er: »Dann will ich aber zuvor das Ehebett genau untersuchen, nicht, dass da...« »Fesseln lege ich dir an«, hauchte Norma zärtlich und vergrub Trencks Gesicht unter ihrer Haarfülle.
Ende
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