ROLF MOLLER
In San Pedro de Macoris
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ROLF MOLLER
In San Pedro de Macoris
"*. *
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN
—^
Alle Rechte beim Verlag Neues Leben, Berlin 1064 Lizenz Nr. 303 (305,101,64) ES !) A Umschlag und Illustrationen: Erhard Schreier, Berlin Typografie: Walter Leipold Schrift: 7 p Primus Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland Berlin • 438
Was ist nicht schon alles über das Meer geschrieben worden, über seine Schönheit, seine Unendlichkeit. Ich habe manchen Schriftsteller in Verdacht, daß er die See nur aus der Perspektive des Strandes kennt, von der »Terrasse eines Strandhotels in Florida vielleicht, einen eisgekühlten Whisky-Soda vor und ein hübsches Mädchen neben sich. Ganz ehrlich! Ich fand es todlangweilig, allein am Ruder der „Isabella" zu stehen und Stunde um Stunde auf die leere See zu starren. Vielleicht lag es daran, daß wir nur zu zweit an Bord waren. Meist schlief der eine, während der andere Wache hielt. Ich sah Vasco immer nur wenige Stunden am Tage. Vasco war mein Freund, Kapitän und Reeder in einer Person. Darüber hinaus ein Kamerad, wie man ihn selten findet. 1958 lernte ich ihn in Santa Barbara kennen, einem gottverlassenen Hafenstädtchen in Venezuela. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, hätte er mich damals nicht an Bord genommen. Seit Wochen besaß ich keinen Cent, und meine Kleidung bestand nur noch aus Fetzen. Das fiel zwar dort nicht auf, aber wenn ich bei den einlaufenden Küstenfahrern um Heuer nachfragte, da flog ich meist schneller zur Tür der Kapitänskajüte hinaus, als ich hereingekommen war. Sie hielten auf Etikette, die Herren Kapitäne, auch wenn ihr Schiff nur noch durch Farbe zusammenhielt. Halsabschneider und Schmuggler sind sie alle, die an diesen dünnbesiedelten Küsten von Bucht zu Bucht rutschen. Letzten Endes verdankte ich meine damalige Lage einem aus ihrer Gilde.
Zwei J a h r e fuhr ich auf der „Dolores Fuentes", und es gibt kaum ein Hafenbecken in Mittel- und Südamerika, in das ich nicht gespuckt habe. Verwöhnt wurden wir an Bord nicht. Selten fuhren wir mit voller Mannschaft. Unser Quartier war ein stinkendes Loch und das Essen mehr als schlecht. Ich wollte mein Steuermannspatent machen und biß die Zähne zusammen. Der Alte, Sefior de Oranto, h a t t e mir vorgeschlagen, ihm einen Teil meiner Heuer zur Aufbewahrung zu geben. Knapp 1000 Dollar betrug mein Vermögen, und bald mußte es für die Schule reichen. Damals wußte ich noch nicht, daß man keinem dieser Biedermänner trauen darf. Wir hatten Stückgut für Santa Barbara geladen. Als wir die Fracht mit unserer primitiven Winde von Bord geben wollten, riß sich ein Schäkel los. Eine Kiste stürzte herunter. Wie alles genau passierte, weiß ich nicht. Als ich wieder zu mir kam. lag ich mit gebrochenem Bein im Krankenhaus, und die „Dolores Fuentes" war samt dem Kapitän de Oranto und meinem Geld verschwunden. Keinen Cent hatte ich in der Tasche. Natürlich merkten sie das im Krankenhaus und warfen mich mit meinem Gipsbein kurzerhand auf die Straße. Seit dieser Zeit durchfuhr ich mit Vasco auf der „Isabella" die Karibische See. Reich sind wir dabei nicht geworden. Wer vertraut schon wertvolle Ladung einer Nußschale an? Unsere Chance bestand darin, daß manche Häfen nur selten von den Küstenfrachtern angelaufen wurden. Dorthin brachten wir den von einem' Haziendero dringend erwarteten Er3
satzmotor für seine Wasserpumpe oder ein neues Kleid für die Sefiora, ohne das sie nicht zum Namenstag bei Donna Ibanory gehen wollte. Manchmal gelang es Vasco, auf eigene Rechnung Ladung zu erwerben und dann mit Gewinn abzusetzen. Das waren Festtage'für uns. Wir schwelgten auf der folgenden Fahrt in Konserven mit Früchten, fettem Schweinefleisch, fertigem Pudding und vielem mehr. Auch an jenem 31. Mai 1961 standen im Laderaum einige eiserne Fässer mit einem Düngemittel. Vasco hatte sie auf Puerto Rico billig erworben. Wir waren auf dem Weg nach J a maica und hofften dort unsere Ladung an den Mann zu bringen. Obwohl die Uhr erst die zehnte Stunde zeigte, brannte die Sonne glühheiß auf die Deckplanken. Ich hatte Wache und wartete schon eine geraume Weile auf Vasco, der nach vorn gegangen war, um das Frühstück zu holen. Er kam und kam nicht wieder. Ich rief und fluchte, doch die Tür in der Back blieb geschlossen. Dabei fühlte ich in allen Gliedern, daß sich etwas über uns zusammenzog. Seit gestern abend fiel das Barometer, und die glasige Kimm im Osten versprach nichts Gutes. War Vasco über seinen Keksdosen eingeschlafen? Schließlich band ich das Ruder fest und schlich mich nach vorn. Unsere Kajüte war ein kleiner Raum von zwei mal drei Metern, zur Hälfte in die Back eingebaut, Schlafraum, Messe, Vorratslast und. Funkraum in einem. Wenn ich vom Funkraum spreche, d a n n - m e i n e ich nicht, daß wir wirklich eine Funkstation an Bord hatten. Unsere ganze Nachrichtentechnik bestand aus einem Transistor-Radio, das gerade gegenüber dem Eingang an einigen Spiralfedern von einem alten Fahrradsattel erschütterungsfrei aufgehängt war. Vor diesem Gerät fand ich Vasco. „He, Amigo! Du hast mich wohl vergessen?" Vasco sah mich einen Augenblick
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erstaunt an, dann gestand er: „Ich habe Habana erwischt. Tadelloser Empfang!" Das entschuldigte in meinen Augen zwar nichts, erklärte jedoch alles. Vasco war von Geburt Kubaner. Immer, wenn er etwas von seiner früheren Heimat hörte, vergaß er alles um sich her. Bis 1955 wohnte er in Manzanillo, ging mit seinem Vater und seinen Brüdern auf Fischfang. Vielleicht wäre er noch heute dort, wenn er seinerzeit nicht mitgeholfen hätte, einige Castro-Leute zu verbergen. Irgendwie war die Sache ruchbar geworden, und es blieb ihm nichts weiter übrig, als Hals über Kopf auf einen mexikanischen Trawler umzusteigen und die Insel zu verlassen. Ich stellte ihm einmal die Frage, weshalb er nicht nach Kuba zurückgehe, da doch Castro und seine Leute die Handlanger der United Fruit Company ins Meer gejagt haben? Aber Vasco trug zwei Seelen in seiner Brust. Die eine gehörte der kubanischen Revolution. Ihr zu Ehren ließ er sich einen Vollbart stehen, wenn er mir gegenüber auch behauptete, das geschähe nur, um Rasierklingen zu sparen. Die andere hatte er an seine „Isabella" und an das Häuschen am Monte Avila, hoch über den Dächern von Caracas, verloren. Vielleicht galt der andere Teil seiner Seele auch nur der „Isabella", und das Häuschen wurde in seine Gefühle mit eingeschlossen, weil Sefiora Idolka, seine Frau, so sehr daran hing. Bei mir stand fest, Idolka würde nirgendwo hinziehen, wo sie das Haus nicht mitnehmen konnte. Die „Isabella" jedenfalls war sein ganzer Stolz. Er pflegte sie sorgfältiger als seinen guten m a rineblauen Anzug, den er an Land bei festlichen Anlässen trug. Lieber setzte er sich und mich auf halbe Ration, ehe er zuließ, daß eine Reparatur aus Geldmangel unterblieb. So war Vasco. Im Augenblick interessierte mich allerdings nur, wie ich zu meinem Kaffee kam.
Von vornherein überzeugt, daß Bitten und Flehen nicht helfen würde, hakte ich kurzentschlossen das Gerät aus, riß es an mich und zog mich vorsichtshalber auf das Deck zurück. Wütend stürzte Vasco mir nach. Er war fast einen Kopf kleiner als ich, schmal in den Hüften, dafür um so breiter in den Schultern. Kraft besaß er für zwei, aber ich glaube, er war sich dessen nicht bewußt. „Caramba! Warum läßt du mich nicht hören? So selten kann ich Habana empfangen. Man muß doch wissen, was dort los ist!" * . Wie er so dastand und schimpfte, tat es mir fast leid, ihm die Freude verdorben zu haben. Aber es ging ja nicht allein um meinen Kaffee. Die See gefiel mir immer weniger, und .jetzt war wirklich keine Zeit für sein Hobby. Übrigens stoppte Vasco im gleichen Augenblick den Redefluß, da sein Blick auf die fahlgelbe Wolke am Horizont fiel. Mitten im Satz brach er ab, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand wieder in der Kajüte. Der Kutter lief noch immer auf Kurs. Ich nahm die Ruderpinne wieder in die Hand und sah mißtrauisch zu der Wolke. Wer weiß, wie lange wir noch vor dem Wind laufen konnten. Sicher war es am vernünftigsten, Kurs nach Norden zu nehmen und einen Hafen auf Haiti anzulaufen. Die Küste mußte dicht unterm Horizont sein. Aber Vasco würde bestimmt nicht darauf eingehen. Also wartete ich und pfiff vor mich hin. Man tut das oft und völlig gedankenlos. Diesmal erschrak ich, als mir bewußt wurde, was ich pfiff. Es war eines der alten Soldatenlieder, die wir in der Hitlerjugend gelernt hatten und auf dem Kasernenhof brüllen mußten, bis sie uns zum Halse heraushingen. Aber was für andere Lieder sollten mir auch einfallen? Jene, die ich am 1. Mai 1946 zum erstenmal hörte, die hatten keine Zeit, sich in meinen Erinnerungen einzuprägen.
Ja, das war nun schon über fünfzehn Jahre her. Fietje Wagner, wir nannten ihn allerdings nur Opa, hatte mich überredet mitzugehen. Ich war damals arbeitslos, wenn man vom Enttrümmern absieht. Viel Lust hatte ich nicht, aber Opa Wagner meinte, jeder anständige Arbeiter gehöre an diesem Tag auf die Straße. So ging ich mit. Wir waren Zehntausende, die in Hamburg durch die Gassen unseres Viertels zum Zentrum zogen. Die Alten sangen Lieder vom „Kleinen Trompeter" und von der „Sonne zur Freiheit", die ich nur mit einem anderen, faschistischen Text kannte. An den Straßenrändern standen englische Müitärpolizisten mit ihren Helmen und versuchten grimmige Gesichter zu ziehen. Irgendein Funktionär hielt eine Rede, von der ich kaum etwas verstand. Lediglich die Stelle ist mir im Gedächtnis geblieben, in der er forderte, daß neue Schiffe gebaut werden müßten, die allen gehören. Was für ein Gedanke, Schiffe, die den Mannschaften gehören! War so etwas überhaupt möglich? Kurze Zeit nach jener Demonstration bekam ich Heuer auf einem Norweger, und seitdem habe ich Hamburg nicht wiedergesehen. Manchmal begegnete ich Schiffen mit der schwarzrotgoldenen Flagge, verdammt anständigen Pötten. Die „Charlotte Weygand" zum Beispiel gefiel mir ausgezeichnet. Sie lief gerade in den Hafen von La Guatra ein, als wir der „Isabella" ein neues Ruder verpaßten. Kurze Zeit spielte ich sogar mit dem Gedanken, Vasco ade zu sagen. Wer weiß, wenn die Mannschaft eine andere gewesen wäre . . . ? Das heißt, eigentlich mißfielen mir vor allem der Bootsmann und zwei Maate, die mit ihm zusammen in einer Hafenschenke saßen. Sie prahlten in einer Tonart, die mir allzu bekannt vorkam und die ich gehofft hatte, nie wieder zu hören. 5
„Jetzt geht's vorwärts! Heye ist Admiral! Sollst mal die neuen Zerstörer sehn und die U-Boote! Jetzt wird's wieder zackig wie früher. Bundeswehr und so. Offiziere mit Osterfahrung. Danzig und Breslau werden nicht aufgegeben!" Sie waren betrunken, zugegeben, aber sie waren Deutsche, und ich schämte mich für sie. Heinz Kirsten, ein Maat von der „Charlotte Weygand", ein anständiger Kerl, erzählte mir manches von zu Hause, Überall sollten sie wieder sitzen, die alten Nazis. In der Regierung, in der Justiz, in der Armee. Die Wehrpflicht bestände, und auch mein Jahrgang, zweiundzwanzig, wäre aufgerufen. Ich bin nicht prinzipiell gegen Soldaten, aber für diese Leute . . . ? Seitdem habe ich um alle bundesdeutschen Konsulate einen weiten Bogen geschlagen, wurde zum Beachcomber. Ob ich glücklich dabei war? Ich weiß es nicht. Ach was, Schwamm drüber. In Deutschland erwartete mich keine Menschenseele, und hier auf der „Isabella" ließ es sich leben. Als Vasco den Kaffee brachte, zog sich der schwarze Vorhang schon über den ganzen östlichen Horizont. Der Wind war merklich steifer geworden. Das Segel stand wie ein Brett. In den Wanten begann es zu singen, und die Wogen türmten sich wie glasige Ungetüme hinter dem Kutter auf, rollten auf ihn zu und hoben das Heck hoch empor, wenn sie unter dem Kiel entlanggischten. Wir schlugen Reffs in das Segel, aber der Wind drückte den Bug immer tiefer in die See. „Gert — aufpassen! Wir wollen beidrehen." Ich nickte. Vasco beobachtete angespannt die See. Er wartete auf eine Welle, die weniger steil war. Jetzt schnellte er herum. „Ruder hart backbord! - Großschoot los!" 6
Ich warf mich gegen die Ruderpinne, zwang den Kutter aus dem Kurs. Tief tauchte die Steuerbordseite in die Wogen. Das Segel kam frei vom Wind, killte, als wollte es jeden Augenblick in Fetzen gehen, aber schon lagen wir auf neuem Kurs. Ich holte das Großschoot steif, Vasco belegte die Fock und klarte die Tarnpen auf. Dann löste er mich am Ruder ab und reagierte mit Fingerspitzengefühl auf jede Bö, auf jede anrollende Woge. Ich kauerte in Lee unserer K o m büse und sah hinaus auf das Toben. Schaumspritzer klatschten auf Deck. Es war ungemütlich kalt. Um fünfzehn Uhr schien der Sturm seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Die Wanten, die den Mast hielten, standen auf Luv steif wie Eisenstangen. Ich befürchtete jeden Augenblick, daß sie brechen würden. Aber das Unglück erreichte uns von einer ganz anderen Seite. Eine Bö drückte das Boot mit der Steucrbordreling tief in die See, und Vasco fierte das Großschoot, um den Kutter zu entlasten. Für einen Augenblick killte das Segel, der Baum schlug über unseren Köpfen hin und her, und noch ehe Vasco das Boot wieder an den Wind bringen konnte, knallte es in der Takelage. Die Gaffel war gebrochen, zerrte wie wild am Tuch. Dann ratschte es, und ein Teil des Segels flog mit dem Holz in die See. Im Nu war der Kutter quergeschlagen, stürzten die Brecher über das Deck und drohten die „Isabella" u n ter sich zu begraben. Mit einem Hechtsprung enterte ich auf die Back und klammerte mich am Ankerspill fest. Noch ehe uns die nächste Woge erreichte, hatte ich das Vorluk geöffnet und riß den Treibanker heraus. Noch einmal gischte Wasser ü b e r mich hin, dann klatschte das reusenähnliche Gestell an seiner starken Leine über Bord. Da das Boot schneller abtrieb als das unter die Wasseroberfläche gesunkene, mit Segeltuch
verkleidete Gerät, straffte sich das Tau und zog die „Isabella" wieder mit dem Bug gegen den Wind. Jetzt erst konnte ich mich nach meinem Camerado umsehen. Vasco hatte in der Zwischenzeit ganze Arbeit geleistet. Vom Mast war der letzte Segelfetzen verschwunden. Dennoch, ein solches Gesicht, wie mein Freund zog, mochte Napoleon nach der Schlacht bei Waterloo aufgesetzt haben. Diese Runde war verloren. „Macht nichts", meinte Vasco nach einem Blick auf die Karte. „Wenn der Slurm nachläßt, laufen wir San Pedro de Macoris an und besorgen eine neue Gaffel!" und essen in einer Kneipe ein anständiges Abendbrot", ergänzte ich.
„Von mir aus, wenn es nicht zu spät wird." Es wurde nicht zu spät. Punkt zehn Uhr machten wir an der Pier von San Pedro de Macoris fest, einem Städtchen mit rund 40 000 Einwohnern an der Südküste der Repüblica Dominicana. Das Hafenbecken wurde durch die Mündung eines kleinen Flüßchens gebildet, an dessen Ufer sich die Stadt hinzog. Ohne Bahnanschluß, im Norden durch die Gebirgskette der Cordillera central vom übrigen Land getrennt, stellte sie den Hauptumschlagplatz für die Zuckerfabriken und Haziendas entlang des schmalen, fruchtbaren Küstenstreifens dar. In einer Seitenstraße fanden wir ein Lokal mit dem vielversprechen-
den Namen „Taverna Exquisita". Der Wirt, eine wandelnde Tonne, empfing uns an der Tür, als wären wir die Söhne des Schahs von Persien. „Willkommen, Senores — treten Sie ein. Wir haben herrliches Essen für die Caballeros. Dort hinten ist noch ein schöner Platz. Was darf ich Ihnen bringen?" Dabei huschten seine stechenden, tief unter Fettpolstern versteckten Augen abschätzend über uns hin. Vasco bestellte, derweil ich meine Blicke durch den Raum schweifen ließ. Es herrschte ein erstaunlicher Betrieb, kaum ein leerer Tisch. An der Stirnseite stand eine lange Tafel, an der rund ein Dutzend Jugendliche in graugrünen Uniformen saßen. Sie schienen dem Pulque, dem Zuckerrohrschnaps, schon ordentlich zugesprochen zu haben; denn von Zeit zu Zeit brachen sie in ein wildes, trunkenes Geheul aus. Die anderen Gäste mochten Seeleute oder Fischer sein. Auch einige Senoritas mit weitausgeschnittenen Blusen, die mehr offenbarten-als verdeckten, saßen an einem Tisch. Das erschien mir seltsam, denn ihre Aufgabe war es doch, zum Trinken anzuregen und sich unter die Gäste zu mischen. Noch ehe ich dazu kam, darüber nachzudenken, brachte der Wirt das Essen: Reis mit kleingeschnittenen Rindfleischstücken und einer scharfen braunen Soße. Es schmeckte nicht schlecht, und vor allem, die Portion war groß. An unserem Tisch saßen noch zwei Gäste: ein älterer Fischer mit seinem Sohn. Als wir Platz nahmen, unterbrachen sie ihr leise, geführtes Gespräch für einen Augenblick, musterten uns mißtrauisch und tuschelten dann weiter miteinander. Nach einiger Zeit fiel mir auf, daß sie immer dann schwiegen, wenn ein baumlanger Mann in einem auffallenden hellgelben Anzug an unserem Tisch vorbeiging. Das war übrigens auch an den anderen Tischen der Fall, lediglich die Uniformierten lie3
ßen sieh nicht stören. Irgend etwas schien hier nicht in Ordnung zu sein, Gerade als ich mich bei unseren Tischnachbarn erkundigen wollte, führte der Wirt eine hübsche Senorita zu unserem Tisch. Sie sah gut aus in ihrer weißen Nylonbluse, mit dem tiefschwarzen Haar und dem dunklen Teint. Ihre Lippen glänzten feucht, und wenn sie lächelte, blitzten zwei Reihen blendendweißer Zähne. Zu meiner großen Verwunderung sprach sie ein gutes Englisch, zumindest besser, als ich Spanisch beherrschte. Chabelita nannte sie sich, und wenn, mir Vasco auch geringschätzige Blicke zuwarf, so hatte ich nichts dagegen, die letzten Stunden dieses stürmischen Tages in ihrer Gesellschaft zu verbringen. Während Vasco mit seinem Nachbarn das übliche „woher" und „wohin" austauschte, unterhielt ich mich mit Chabelita. Sie mochte neunzehn oder zwanzig J a h r e alt sein, aber dafür lege ich meine Hand nicht ins Feuer. Bei solchen Senoritas verschätzt man sich leicht. Ich kenne viele Animierdamen, in Rio, Bahia, Paramaribo und wo mich sonst noch der Wind hinwehte. Überall waren sie Meister der leichten Konversation, zogen mit Lachen und Anzüglichkeiten mühelos den Matrosen das Geld aus der Tasche. Freilich, weiter als bis zur neuesten Mode, dem letzten Filmskandal, der diesjährigen Siegerin im Wettbewerb um den Titel „Miss Venezuela" durfte man bei ihnen den Bogen des Gesprächs nicht spannen. Chabelita dagegen bewies ein auffälliges Interesse an dem Geschehen in den Staaten rund um die Karibische See. „Warst du schon in Kuba? Laufen dort wirklich alle Männer mit Bär- . ten herum? Ist es wahr, daß in Habana auch die Mädchen Pistolen t r a gen und alle Menschen lesen und schreiben lernen?" Übrigens brauchte ich auf diese Fragen nicht zu antworten. Vasco tat das mit der Miene eines Sachversfän- . digen. Als die Fischer an unserem
Tisch gewahr wurden, daß sie in meinem Freund einen echten Cubano vor sich sahen, stand er augenblicklich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In vielen lateinamerikanischen Staaten hatte ich schon feststellen können, daß die Hafenarbeiter, Seeleute, Fischer und Peons der Revolution auf der Zuckerinsel offene Sympathie entgegenbrachten. In der „Taverna Exquisita" war es nicht anders. „Wir haben uns alle gefreut, als Castro die Interventen wieder ins Meer jagte", bekannte Chabelita, und der ältere Fischer meinte b e dächtig: „Das ist der Anfang vom Ende der Vorherrschaft der Yankees in Lateinamerika!" Er sagte es leise, k a u m verständlich und ließ dabei seine Augen mißtrauisch durch den Raum schweifen. Das erinnerte mich wieder an die seltsame Atmosphäre in der Schankstube. Ich fragte Chabelita, was denn die Ursache dafür sei. „Oh, du weißt nicht? Gestern ist Trujillo ermordet worden!" Das war allerdings eine Neuigkeit. Rafael Trujillo, der Diktator der Dominikanischen Republik, lebte nicht mehr. „In der Hauptstadt wird gestreikt", flüsterte der jüngere Fischer. „Die Polizei hat auf Demonstrierende geschossen und das Standrecht verhängt." „Sprich leise!" ermahnte ihn Chabelita, und zu mir gewandt: „Der lange Kerl dort ist ein TrujilloMann." „Was sind denn das für welche, die an dem langen Tisch sitzen?" wollte ich wissen. Chabelita wagte einen Blick aus den Augenwinkeln zu der gröhlenden Gesellschaft und wandte sich angewidert ab. „Das sind welche von der Trujillo-Garde, eine halbmilitärische Jugendorganisation. Sie trinken schon den ganzen Abend. Wenn sie nur keine Schlägerei provozieren!" Ihre Befürchtungen sollten leider Tatsachen werden.
Vasco war es, der unbeabsichtigt den Zündfunken zur Explosion lieferte. Er vertrug nicht viel Alkohol, und unter seinem Einfluß agitierte er munter drauflos, obwohl der lange Kerl seit geraumer Zeit um unseren Tisch herumstrich. Ich hatte midi durch meine hübsche Gesellschafterin ablenken lassen, so daß ich erst aufmerksam wurde, als das Unglück geschehen war. Der Lange hielt Vasco bei der Schulter gefaßt und versuchte ihn vom Platz zu zerren. Vasco erhob sich natürlich und wies den Kerl zurecht. Ein Wort gab das andere. Im Nu umringten uns zahlreiche Gäste, die schimpfend und gestikulierend Partei für Vasco ergriffen. Ein Seemann, gut einen Kopf größer als ich, stand plötzlich zwischen uns. Ehe sich der Trujillo-Mann besinnen konnte, hatten ihn zwei von Wind und harter Arbeit rauh gewordene Hände gefaßt und zogen ihn mit unwiderstehlicher Gewalt aus dem Menschenkreis, schleuderten ihn zwischen die Tische, daß die Gläser klirrend durcheinanderstürzten. In diesem Augenblick wurden die Uniformierten mobil. Wahllos prügelten sie laut johlend auf die um uns Herumstehenden ein. Gläser flogen durch die Luft, Tische kippten, Schreie, Stöhnen — in wenigen Augenblicken verwandelte sich das Lokal in eine tobende Hölle. Gerade als ich mich nach Chabelita umsehen wollte, erhielt ich hinterrücks einen Schlag auf den Kopf. Für Sekunden sprühte ein ganzes Feuerwerk vor meinen Augen, dann knickten mir die Beine weg. Als ich wieder zu mir kam, trug mich jemand wie ein Wickelkind auf den Armen zum Hinterausgang. Durch den Lärm der noch immer tobenden Schlägerei vernahm ich deutlich das Heulen einer Polizei-» Sirene. Dann standen wir in stockdunkler Nacht auf einem Hof. Der große Seemann bedeutete uns, die Beine in die Hand zu nehmen.
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„Wenn sie euch erwischen, Camerados, dann kommt ihr so schnell nicht wieder weg. Cubanos sind bei unserer Polizei nicht gut angesehen!" Ich wollte dem Riesen danken, aber er schnitt mir kurzerhand das Wort ab. „Dazu ist jetzt keine Zeit. Lauft, und wenn ihr wollt, dann fragt morgen auf der ,Bani' nach Jose. Dann können wir uns unterhalten!" Sprach's — und war in der Dunkelheit verschwunden. „So. das wäre geschafft!" Aufatmend nahm ich die neue Gaffel von meiner Schulter und ließ sie auf die Pier gleiten. Vasco würde zufrieden sein. Ich spähte hinunter auf das Deck der „Isabella". Er war nirgends zu sehen. Vielleicht hockte er schon . in der Kombüse, um das Mittagessen zuzubereiten. Wenn wir schnell mit der Reparatur fertig wurden, dann konn10
ten wir noch einen Sprung zur „Bani" hinüber machen. Ich ließ die Gaffel auf das Deck hinunter und sprang hinterher. „He, Vasco! Komm und sieh dir an, was ich mitgebracht habe!" Der Gerufene erschien nicht. Ärgerlich riß ich die Tür zur K a jüte auf. Der Herd war kalt und der Raum leer. Das war seltsam. Drei J a h r e kannte ich Vasco. Noch nie h a t t e er das Boot verlassen, ohne alle Schotten sorgfältig zu verschließen. Was mochte vorgefallen sein? Da ich trotz allen Nachdenkens keine Erklärung fand, tröstete ich mich mit der Annahme, daß mein Freund nur auf einen Sprung an Land war, um irgend etwas einzukaufen. Ich machte mich deshalb an die Arbeit, takelte die neue Gaffel auf, schlug das Segel an und vertäute es anschließend unter der Persenning. Unmerklich verging dabei die Zeit.
Erst als der letzte Griff getan war und ich mich aufrichtete, um a b schließend mein Werk zu betrachten, sah ich zur Uhr. Halb drei. Ein banges Gefühl stieg in mir auf. Hier stimmte etwas nicht. Der Ausspruch jenes Seemanns von gestern fiel mir wieder ein: Cubanos sind bei unserer Polizei nicht gut angesehen. Aber das war doch Unsinn! Die Schlägerei in der „Taverna Exquisita"? Dafür bezahlt man höchstens einige Pesos Strafe, wenn man gefaßt wird, weiter nichts. Sosehr ich auch überlegte, ich kam zu keinem Ergebnis. Unwillkürlich sah ich mich um, ob nicht jemand in der Nähe war, der mir helfen konnte, das Rätsel zu lösen. Mein Blick fiel auf einen Leichter, der etwa fünfzig Meter vor unserem Bug vertäut lag und auf dem ein Neger Wäsche aufhing. Ohne Zaudern enterte ich zur Pier empor, lief hinüber zu dem Schwarzen. Der schien mich beobachtet zu haben. Kaum war ich in der Nähe, da bedeutete er mir, an Bord zu kommen, und verschwand in dem Verschlag vor dem Steuerrad. „Senor suchen den anderen Mann von Ihrem Boot?" empfing er mich. „Weißt du, wo er geblieben ist?" Der Schwarze nickte. „Heute vormittag wollte ich Wäsche waschen und habe deshalb Wasser aus dem Fluß geholt. Als ich gerade den zweiten Eimer an Bord hievte, da hielt oben auf der Pier ein Auto, ein Personenwaagen!" „Und — Mensch, rede doch schneller!" „Gleich, Senor!" Der Bootsmann ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Aus dem Auto stiegen zwei Männer in Uniform und ein ganz langer Mann in Zivil. Sie kletterten auf das Deck der ,Isabella'. Dann hörte ich Ihren Freund fluchen, und die Polizisten zerrten ihn von Bord. Der
Lange stand dabei und rieb sich die Hände!" „Trug der Kerl einen hellgelben Anzug?" „Si, si, Senor!" Jetzt war mir alles klar. Was aber sollte ich tun? Zur Polizei gehen? Vielleicht w a r tete man dort nur darauf, auch mich festzunehmen. War es nicht sogar gefährlich, auf der „Isabella" zu bleiben? Über das Trujillo-Regime hatte ich drüben auf dem Festland manche Gruselstory gelesen. Es war durchaus möglich, daß die Polizei jetzt nach dem Mord Amok lief. „Es tut mir leid, Senor!" Richtig, den Bootsmann hatte ich ganz vergessen. „Danke!" Ich drückte ihm die Hand und ging wie benommen von Bord. Wohin jetzt? Was tun? Ich konnte doch nicht einfach w a r ten, bis sich die Sache von allein aufklärte. Mir fiel die deutsche Botschaft in Ciudad Trujillo ein. Die müßte etwas unternehmen. Ich hastete dem Zentrum zu. fragte mich zum Postamt durch. Wäre ich nicht so stark mit meinen persönlichen Sorgen beschäftigt gewesen, so hätte ich sehen müssen, daß in der Stadt etwas Besonderes vorging. Viele Läden waren geschlossen. Überall standen Gruppen lebhaft diskutierender Menschen. Polizisten eilten vorüber, und Jeeps mit schrill heulenden Sirenen jagten durch die Straßen. Vor dem Postamt sah ich Polizisten, die jeden Eintretenden mit kritischen Augen musterten. Sie ließen mich ohne Fragen passieren. Nach zehn Minuten hatte ich Verbindung. „Hier deutsche Botschaft!" „Ich möchte gern den Botschafter sprechen!" „Mit wem habe ich das Vergnügen?" „Hier spricht Gert Klamm aus Hamburg!" „Um was handelt es sich?" „Mein Freund ist verschwunden — 11
aber das möchte ich dem Herrn Botschafter selbst erzählen!" „Es tut mir leid, Herr Klamm, der Botschafter ist nicht zu sprechen. Sie müssen schon mit mir vorliebnehmen." Ich erzählte in kurzen Worten meine Geschichte. Zunächst blieb es am anderen Ende der Leitung still, dann erklang ein Räuspern, und der Herr in der Hauptstadt fragte noch einmal zurück: „Ihr Freund ist Kubaner?" „Ja, aber was hat das damit zu tun?" „Tut mir leid, Herr Klamm, da sind wir nicht zuständig!" Es knackte im Hörer, und dann war nur noch ein leises Summen zu hören. „Hallo! - Hören Sie noch?" Nein, der Herr in der Botschaft hatte aufgelegt. Einen Augenblick stand ich mit dem Hörer in der Hand in der Telefonzelle, und alle möglichen Gedanken stürmten auf mich ein. Nicht zuständig! Natürlich war Vasco Kubaner — aber es ging doch nicht nur um ihn. Auch ich konnte jeden Augenblick verhaftet werden. Hätte ich mich so unklar ausgedrückt, oder wollte man mich nicht verstehen? Ich trat an den Schalter, zahlte meine Pesos. Ich sah nicht die erschrockenen Augen der schwarzhaarigen Angestellten und nicht die beiden Herren, die auf mich zukamen. Erst als mich einer von ihnen ansprach, erwachte ich aus meinen Gedanken. „Se-gu-ri-dad Nacional! Sie haben soeben mit der deutschen Botschaft telefoniert?" „Si, Seftor!" „Sie sind verhaftet!" Ich protestierte, tobte, aber die beiden hatten mich mit geübten Griffen an den Armen gepackt und zerrten mich zum Ausgang. Nur zögernd wichen die Menschen zurück und gaben eine Gasse frei. Seguridad Nacional! Über die dominikanische Geheimpolizei stand auf 12
dem Festland manches in den Zeitungen. Wenn die Berichte stimmten, dann war ich Menschen in die Hände gefallen, die keine Gnade kannten. Mein erster Gedanke war Flucht. Doch die Greifer verstanden ihr Fach. Mit auf den Rücken gedrehten Armen stießen sie mich brutal durch die Tür auf die Straße. Draußen stand ein geschlossener schwarzer Wagen, aber zwischen ihm und uns Hunderte von Menschen. Die uniformierten Polizisten sah ich nicht mehr. „Auseinandergehen!" Der eine, der rechts neben mir lief, ließ mich los und zog eine Pistole. Hatte bisher tiefes Schweigen über der Menge gelegen, so brach nun ein Hurrikan von Schreien los. „Nieder!" „Den Gefangenen loslassen!" Die Menschen drängten auf uns zu, drückten uns an die Wand. Der mit der Pistole gab einen Schuß ab, doch im nächsten Augenblick hagelte es Steine. Ich wurde an der linken Schulter getroffen, merkte jedoch gleichzeitig, daß mich niemand mehr festhielt. Ohne Überlegung stürzte ich m i d i in das Gedränge, brach mir Bahn. Bereitwillig wichen die Menschen zurück, und schon war ich auf freier Straße. Ich rannte, was ich konnte, noch immer das leiser werdende Schreien im Ohr. Plötzlich rief mich jemand mit meinem Vornamen an. „Gert, so warte doch! Wo willst du denn h i n ? " Vor mir stand mitten auf dem Weg, die Arme weit ausgebreitet, ein Mädchen. Chabelita. Gehetzt sah ich mich um. „Sie sind hinter mir her, die Seguridad Nacional!" „Madre Maria!" Chabelita preßte für einen Augenblick entsetzt beide Hände auf ihren Mund, dann ergriff sie meinen Arm und zog mich durch eine Lücke zwischen zwei Gehöften
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von der Straße. „Komm schnell! Sie sollen dich nicht finden!" Sie führte mich einen schmalen Weg entlang, über einen Bach zum Hang eines nahen Hügels. Hier standen im Schatten großer Bäume eine Anzahl Hütten. Niedrig und windschief duckten sie sich u n ter die weit ausladenden Äste. Ihre „Baumeister" mochten in der Stadt alles nur Verwertbare zusammengesucht haben. Kistenbretter, Bohlen und Lehmbewurf bildeten die Wände, aufgeschnittene und glatt gehämmerte Konservendosen die Dächer. Es gab keine Straßen. Schmale festgetretene Wege führten an Buchen, hüfthohem Unkraut und stinkenden Abfallhaufen vorbei zu den Behausungen der Menschen. Zahllose Augen starrten mich m i ß trauisch an, einige halbnackte Kinder schlichen in sicherer Entfernung hint e r uns her. „Werden sie uns nicht verraten?" Chabelita schüttelte den Kopf. „Hier verrät niemand etwas der Polizei." Chabelitas Behausung unterschied sich nicht von den anderen Hütten. Von der Straße traten wir unmittelbar in den einzigen Raum, der Küche. Wohn- und Schlafzimmer zugleich war. „Setz dich, Gert", bat sie mich und deutete auf den einzigen Stuhl im Zimmer, „und erzähle." Aufmerksam hörte sie mir zu. nickte dabei einige Male mit dem Kopf. „Ja. sie haben Angst und beißen um sich." So, wie Chabelita mir gegenüber auf dem Rand ihres Bettes saß. konnte ich sie mir gar nicht mehr inmitten trunkener Seeleute vorstellen. Sie hatte auch die letzte Ähnlichkeit mit einem Animiermädchen verloren. Wie mochte sie in die „Taverna Exquisita" gekommen sein — was war sie überhaupt für ein Mensch? „Ich werde dich zu Freunden bringen", unterbrach sie meine Gedanken. 14
„In der Stadt ist der Teufel los, da wird dich niemand aufhalten. Im Ostviertel haben die Zuckerarbeiter die Polizei vertrieben, kein Betrieb arbeitet mehr, und nachher ist eine große Demonstration." Chabelita lachte. „Heute wird die .Taverna Exquisita' ohne mich auskommen müssen." Sie stand auf und strich mit einer flüchtigen Bewegung das Bett glatt. „Ich laß dich jetzt eine halbe Stunde allein. Bleib in der Wohnung. Wenn du Hunger hast, in dem Regal dort", sie deutete auf ein roh gezimmertes Gestell über dem Tisch, „steht etwas zu essen." Gewandt schlüpfte sie mit bloßen Füßen in ihre Schuhe, strich sich vor einer Spiegelscherbe neben dem Fenster mit einer Bürste über die Haare, nickte mir noch einmal lächelnd zu und verschwand. Einen Augenblick starrte ich noch auf die Tür, dann blickte ich mich im Zimmer um. Ärmlich genug sah es aus. Ein Bett, ein Stuhl, ein einfacher Holztisch, Haken an den Wänden an Stelle eines Kleiderschrankes. Neben der Tür stand ein gemauerter Herd, darüber ein Brett mit etwas Geschirr. Vor dem Fenster ein Stück billigen, gedruckten Stoffes als Gardine. Der festgestampfte Lehmfußboden war sauber gefegt, wie überhaupt alles einen ordentlichen Eindruck hinterließ. Wo mochte Chabelita jetzt sein? Für einen Augenblick kam mir der Gedanke, daß sie genausogut zur Polizei unterwegs sein könnte. Aber ebenso schnell, wie mir diese Überlegung gekommen war, schob ich sie wieder von mir. Das war lächerlich. Chabelita würde mich nicht verraten! Der Seemann, der Fischer, der Neger auf dem Leichter, die vielen vor der Post, alle halfen mir, nachdem sie sahen, daß die Polizei hinter uns her war. Ja, Chabelita verkörperte die Solidarität der von Trujillo unterdrück-
ten Dominikaner, und deshalb war ich völlig ruhig, während ich auf ihre Rückkehr wartete. Einige Zeit später führte mich Chabelita durch die engen Gassen der Stadtrandgebiete. Schon sammelten sich überall die Menschen zur Demonstration. Beim Überqueren einer Straße mußten wir warten. Eine lange Kolonne zog an uns vorüber. Tausende mußten es sein. Männer, Frauen und Kinder. Sie gingen in breiter Front. Die Gesichter waren entspannt. Im Vorübergehen hörte ich Scherzworte und Lachen. Das war ihr Tag. Wann mochten sie zum letztenmal so durch die Straßen gezogen sein? Seit über dreißig Jahren herrschte Trujillo mit brutaler Gewalt. Transparente schwankten vorüber. „Dominicana si — Yankee no", konnte ich entziffern. Endlich langten wir vor einem massiven Steingebäude an, das an einem kleinen, baumbestandenen Platz lag. Menschen eilten hin und her, kamen und gingen. In einem Raum, der sicherlich gestern noch als Wohnzimmer diente, saßen zwei Männer an einem mit Papieren bedeckten Tisch. Der eine, gegen vierzig Jahre alt, trug ein olivfarbenes Hemd, das seine dichtbeharrten Arme frei ließ. Die sehnige Gestalt, zusammen mit dem scharf geschnittenen Gesicht, gab ihm viel Ähnlichkeit mit einem Offizier. Dieser Eindruck wurde kurze Zeit später durch seine Sprechweise verstärkt. Er sprach sehr bestimmt, in kurzen Sätzen, wie jemand, der zu befehlen gewohnt ist. Der andere am Tisch war das ganze Gegenteil. Klein, untersetzt, ein rundes Gesicht mit einem Doppelkinn und Hängebacken. Seine Hauptbeschäftigung schien darin zu bestehen, ständig Stirn und Glatze mit einem großen roten Tuch abzureiben. Ein joviales Lächeln umspielte die Mund-
winkel, aber die Augen blickten von Zeit zu Zeit scharf und stechend hinter einer einfachen Nickelbrille hervor. Chabelita erklärte den beiden etwas, was ich nicht verstand. Sie musterten mich daraufhin ungeniert, und der Drahtige winkte mir, näher zu treten. Chabelita reichte mir die Hand. „Ich muß gehen, Gert. Die Caballeros hier werden bestimmt helfen. Auf Wiedersehen. Gert, und alles Gute!" Lachend eilte sie der Tür zu und drehte sich winkend noch einmal um. Ich habe sie nie wiedergesehen, leider! „Sie sind also Senor Klamm", wandte sich der Offizierstyp an mich. „Schlimm, sehr schlimm", kommentierte der Glatzköpfige diese Feststellung, wobei mir allerdings unverständlich blieb, ob er dabei meinen Namen oder mein Schicksal meinte. „Ich fürchte, wir werden wenig für Sie tun können", setzte der erste die Unterhaltung fort. „Wirklich, Ihr Fall überschreitet weit unsere Kompetenz, mein lieber Senor Klamm", sekundierte der mit der Nickelbrille. ,>Ja. aber . . .", begann ich unsicher, furchtbar enttäuscht über diesen seltsamen Empfang. Ehe ich weitersprechen konnte, mischte sich ein Dritter in die Unterhaltung. Ein baumlanger Mulatte drängte sich durch den Kreis von Menschen, der sich um uns gebildet hatte. „Was ist denn hier los? Vielleicht dürfen wir auch erfahren, was der Mann für ein Anliegen hat?" In wenigen Worten erklärte ich den Anwesenden meine Lage. Die Reaktion darauf war sehr unterschiedlich. Der Mulatte warf dem Offizierstyp mangelndes Solidaritätsgefühl vor, ein älterer Arbeiter mit einer tiefroten, flachen Narbe über dem r e c h ten Auge drückte mir die Hand und versicherte, daß dem Cubano unbedingt geholfen würde. 15
Ein junger Mann, dessen gebügelte, fleckenlose weiße Hose stark mit dem Arbeitszeug der übrigen kontrastierte, erklärte: „Das hier Ist eine rein dominikanische Angelegenheit. Wer hat Sie als Deutsche und Kubaner gebeten, Ihre Nase in unsere Angelegenheiten zu stecken? Sehen Sie zu, wie Sie damit fertig werden!" Auch der Glatzköpfige ließ sich wieder vernehmen: „Sehen Sie, wir sind die Streikleitung dieser Stadt und weder das Innen- noch das Außenministerium. Was Sie gesagt haben, kann durchaus stimmen, aber wie wollen wir es nachprüfen?" „Nachprüfen, nachprüfen!" Der Mulatte schien ernstlich wütend. „Ich glaube dem Mann. Solche Methoden haben die Trujillo-Banditen doch schon tausendmal demonstriert." „Ich m u ß doch sehr bitten!" Das Lächeln war aus dem Gesicht des Dicken verschwunden. „Wir kämpfen für die Freiheit und Unabhängigkeit unseres Landes, das heißt aber noch lange nicht, daß wir den kubanischen Bolschewisten Tür und Tor öffnen." Das hätte er nicht sagen sollen, denn n u n brach ein wahrer Hexenkessel der Empörung los. „Du bist ein schöner Gewerkschaftssekretär!" „Trujillo-Knecht!" „Ruhe, Ruhe!" brüllte der Drahtige dazwischen. „Ihr werdet doch jetzt keinen Streit anfangen? Ihr habt den Gewerkschaftssekretär völlig falsch verstanden." Tatsächlich gelang es ihm. die Gemüter wieder zu besänftigen. „Kein Mensch spricht davon, Senor Klamm der Polizei auszuliefern. Er mag hierbleiben, wo er in Sicherheit ist!" „Und was wird mit meinem F r e u n d ? " warf ich ein. „Kommt Zeit, kommt Rat. Ich bin überzeugt, daß wir nach der Demonstration mit den örtlichen Behörden in Verhandlungen kommen. Dabei werde ich Ihren Fall vortragen. Wenn sich alles so verhält, wie Sie es uns erzählen, dann werden Sie Ihren Freund bald wiedersehen." 16
Die Männer schienen mit dieser Z u sicherung zufrieden zu sein, und auch in meinem Herzen tauchte ein leiser Hoffnungsstrahl auf. „Vielleicht, Senor Klamm, gehen Sie inzwischen in jenes Zimmer und warten." Der Drahtige wies dabei auf eine Tür im Hintergrund des Raumes. Ich fand in ihm einen Mann, der mißmutig in Papieren blätterte. Bei meinem Eintritt erhob er sich von seinem Stuhl und ging mir einige Schritte entgegen. „Willkommen im Zimmer der Unerwünschten", begrüßte er mich voller Sarkasmus und reichte mir die Hand. Die war fest und schwielig wie meine. „Ich habe die Diskussion da drüben mit angehört, schöne Revolutionäre, nicht w a h r ? " Ich zuckte die Schultern. „Was soll ich schon von ihnen verlangen? Ich bin froh, vorerst in Sicherheit zu sein!" „Glauben Sie denn wirklich, daß der Herr Aridos einen Finger für Sie rühren wird? Von dem gelben Gewerkschafter wollen wir lieber gar nicht erst reden, der ist von Trujillos Gnaden. Jahrelang hat er in all seinen Reden den ,Wohltäter des Vaterlandes' in den Himmel gehoben. Auf einmal ist er beim Streik dabei. Kommt Ihnen das nicht verdächtig vor?" Ich wußte nicht, was ich antworten sollte. „Vielleicht hat der Mann Angst vor der Zukunft und will rechtzeitig den Kurs wechseln?" „Ach wo!" Der kleine, trotz seiner etwas zur Fülle neigenden Figur quicklebendige Mann machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich möchte wetten, als er heute mittag hier auftauchte, da kam er direkt von der Seguridad National. Der ist hier, um von innen den Kampf abzuwürgen." An eine solche Möglichkeit h a t t e ich nicht gedacht, aber sie war gar nicht so abwegig. „Wenn das der Fall
ist, dann kann ich mich gleich begraben lassen!" „Aber w a r u m denn? Wie sich die Sache hier entwickelt, hängt das doch nicht allein von ihm oder dem Kapitalisten Aridos ab, der da nebenan das große Wort schwingt? Warten Sie noch eine Stunde, bis meine Freunde da sind, und Sie werden erleben, wie denen die Luft ausgeht." „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ich denke, Sie sind für den Streik?" „Bin ich auch,- aber für einen, der auf Biegen oder Brechen geführt wird, und nicht für eine formale Spielerei." Ricardo Esquail, unter diesem Namen hatte er sich vorgestellt, ging mit kurzen Schritten im Zimmer auf und ab. Er sprach schnell und scharf akzentuiert. „Ich bin hier als Verbindungsmann unserer Zentrale in der Hauptstadt. Leider läßt sich das Geschehene nicht mehr rückgängig machen. Dieser Mord durch einige Bourgeoisiesöhnchen in Uniform hat im ganzen Lande zu spontanen Aktionen geführt. Ohne daß eine einheitliche Leitung besteht, ist der Kampf ausgebrochen, und keine Macht k a n n ihn mehr aufhalten. Wir besitzen genügend Erfahrungen aus dem Kampf gegen Trujillo, um uns keinen Illusionen hinzugeben. Wenn wir die einheitliche Leitung nicht schaffen, dann wird die Regierung ein revolutionäres Zentrum nach dem anderen mit Hilfe der Armee liquidieren." „Das leuchtet mir ein." „Ihnen ja. aber den Managern da draußen nicht,! Da hat man nun in jahrelanger illegaler Arbeit ein Netz gebaut, hat unter Lebensgefahr in fast allen Städten Gruppen der Partei geschaffen, und dann kommen solche Provokateure wie der Kistenfabrikant und ehemalige Colonel Aridos und organisieren ohne Verbindung mit unseren Leuten eine wilde Sache, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist." „Haben Sie mit ihm über Ihre Pläne gesprochen?"
„Gesprochen? Mit Engelszungen habe ich geredet, und als das nichts half, geflucht und getobt." „Und?" „Er will nicht. Aalglatt ist der Kerl. Vertröstungen, Versprechungen, leere Worte. Sie sehen ja, ich sitze hier im Raum der Unerwünschten!" „Und was soll nun werden?" „Ich sagte es Ihnen ja schon, ich w a r t e auf meine Camerados, meine Genossen. Wenn sie da sind, dann werden wir das Heft in die Hand bekommen, und ich müßte unsere Arbeiter nicht kennen, wenn sie sich nicht auf unsere Seite stellen, sobald sie den Schwindel durchschaut haben." Wir unterhielten uns an diesem Nachmittag noch eine geraume Zeit. Vieles von dem,.was ich heute weiß, verdanke ich Ricardo. Er arbeitete in einer Reparaturwerkstatt der Hauptstadt, stammte aber aus San Pedro. Als Trujillo 1947 die Sozialistische Volkspartei verbot und ihre Funktionäre verhaften und ermorden ließ, emigrierte er. Am 14. J u n i 1959 befand sich Ricardo unter der Besatzung jenes Motorbootes, das eine Handvoll Partisanen bei Nacht und Nebel in die Dominikanische Republik brachte. Er hatte die Partisanenkämpfe in der Cordilleva central bis zum bitteren Ende mitgemacht. „Die Zeit war nicht reif für unsere Aktion", meinte er. „Wohl schlössen sich viele unserem Verband an, doch die Angst vor Trujillo war damals noch stärker als der Wunsch zum Kampf." „Und wie ist das ausgegangen?" „Traurig. Mit Flugzeugen, Artillerie und Maschinengewehreinheiten wurden wir gejagt. Zum Schluß haben sie ohne Rücksicht auf die Bevölkerung die Brunnen im Operationsgebiet vergiftet, so daß wir unsere Basis verlassen mußten. Einige operieren noch heute als Partisanen im Gebirge, und viele von. uns gingen illegal in die Städte." Er schwieg einen Augenblick nach17
denklich. „Noch vor drei Tagen hätte ich Ihnen kein Wort über diese Dinge erzählt. Aber heute m u ß die Partei im ganzen Land offen vor die Menschen treten. Ich verrate Ihnen also keine Geheimnisse." Unser Gespräch wurde durch Schüsse unterbrochen, die aus der Stadt zu uns drangen. Ricardo lauschte einen Augenblick, fluchte und stürzte in das Nebenzimmer. Wütend machte er Aridos Vorwürfe, daß er in dieser Situation Demonstrationen organisiere. „Angreifen muß man, sofort die wichtigsten Stellen der Stadt besetzen. Die Polizei darf keine Möglichkeit haben, ihre Kräfte zusammenzuziehen und u n sere Camerados abzuschlachten." Aridos widersprach. Die Regierung müsse durch Aktionen gezwungen werden, demokratische Gesetze zu erlassen. Ricardo schlug mit der Faust auf den Tisch, so daß der dicke Gewerkschaftssekretär entsetzt aufsprang. „Nur Idioten können von dieser Regierung Demokratie erwarten! Vor ein Gericht gehören sie, alle Trujillos!" „Sehr richtig!'' Einige der herumstehenden Männer stimmten dem lebhaften SVP-Mann zu. „Jede Minute, die wir länger warten, gibt der Bande die Möglichkeit, Militär' heranzuführen, und dann kann keiner für den Ausgang garantieren!" „Der Camerado hat recht!" Plötzlich kam der Mulatte Ricardo zu Hilfe. „Vor einer halben Stunde kam ein Kurier. Er brachte uns die Meldung, daß in der Nacht Soldaten auf LKW hcrangeschafft werden sollen. Ich habe das Aridos und dem Gewerkschaftssekretär gemeldet. Aber bis jetzt haben sie euch diese Meldung verschwiegen!" Der Tumult, der nach dieser Mitteilung ausbrach, läßt sich nicht beschreiben. Noch einmal versuchte der Fabrikant die Gemüter zu beruhigen, aber m a n ließ ihn gar nicht mehr zu Wort kommen.
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„Hinaus mit dir!" „Verräter!" Zwei Männer packten den Gewerkschaftssekretär und schoben ihn zur Tür. Aridos ging von allein, fluchend, eine prallgefüllte Aktentasche an sich gepreßt. Mit den Augen forderte er den in der weißen Hose und einige andere auf, mit ihm zu kommen. Ängstlich schlichen sie durch die enge Gasse, die die Massen gebildet hatten, zur Tür. Nur der junge Mann raffte sich zu einem lautstarken „Bolschewistenpack" auf, bevor er die Tür von außen schloß. „Jetzt ist die Luft sauber!" Der Mulatte sah sich im Kreis der Männer um. „Ich glaube, wir kommen ohne diese Schmarotzer besser voran! Wir sind Vertreter der verschiedenen Betriebe. Laßt uns beraten, was getan werden muß. — Vielleicht", und damit wandte er sich an Ricardo, „hast du, Camerado, einige Vorschläge?" Ich erkannte meinen Gesprächspartner von vorhin nicht wieder. Sein gutmütiges Gesicht war hart geworden. Nach seinem Ratschlag entstanden Arbeitsgruppen, die sich mit der Lösung spezieller Aufgaben befaßten. Sie verschwanden in den verschiedenen Zimmern des Hauses, Kuriere begaben sich auf den Weg, um die Funktionäre der illegalen Sozialistischen Volkspartei herbeizuholen. Vor dem Hause formierten sich die ersten Stoßtrupps. Wild aussehende Gesellen waren es,, die schweren Haumesser, getreue Helfer bei der Zukkerrohrernte, in der Hand. Ricardo sprach zu ihnen, machte ihnen klar, was auf dem Spiel stand. Schweigend hörten die Männer zu, nickten mit den Köpfen und setzten sich in Marsch. Noch immer knallten vereinzelt Schüsse in der Stadt. Die ersten JVIelder kamen zurück. Das Elektrizitätswerk war besetzt, die Zuckerfabrik der Company Sugar of Domingo in der Hand der Streikenden. Am Hafen hatten sich die Polizisten
verschanzt und wehrten sich mit Maschinenpistolen. Das Zentrum war erobert, aber das Nordviertel, wo sich die Polizeikaserne, die Funkstation und der große Speicher befanden, blieb noch in den Händen der Trujillo-Leute. Um neunzehn Uhr traf die Nachricht ein, daß eine motorisierte Einheit aus Sanchez in Richtung San Pedro aufgebrochen sei Es wurde ruhiger in dem Hause. Ricardo verhandelte mit zwei Männern über die Möglichkeit, die T r u p pen aufzuhalten. „Rund hundert Kilometer von hier führt die Straße über eine Schlucht. Wenn wir die Brücke sprengen, haben wir Tage gewonnen. So leicht finden sie keinen anderen Weg über das Gebirge." Der den Vorschlag machte, schien kein Arbeiter zu sein. Seine Hände waren gepflegt, das Hemd gebügelt und die Haare sorgfältig frisiert. Der Wille, mit der Vergangenheit zu brechen, schien Menschen aller Schichten zu erfassen. Meine Gedanken begannen wieder, zum wievielten Male, die Ereignisse dieses Tages zu umkreisen. Ohne es zu wollen, war ich in einen Aufstand hineingerissen worden. Was ging er mich im Grunde genommen an? War das nicht tatsächlich n u r eine Angelegenheit der Dominikaner? Freilich, von ihrer Seite aus betrachtet, hatten sie tausendmal recht, wenn sie sich gegen die Trujillo-Diktatur wehrten. Ich bewunderte Ricardo. Mit welcher Logik traf er seine Anordnungen, und mit welcher Verbissenheit führten die Streikenden sie durch! „Scfior Klamm!" Ricardo unterbrach meine Gedanken. „Sie haben mir doch vorhin erzählt, daß Sie Düngemittel an Bord haben. Wissen sie, wie es heißt?" Natürlich wußte ich es, und ich sagte es ihm. Mir war allerdings schleierhaft, wie er in dieser Situation an unsere Ladung denken konnte. 20
Der gutangezogene Herr war aufgesprungen. „Das geht, wirklich, damit müßte es gehen!" Als Ricardo meinen verständnislosen Blick gewahrte, erklärte er mir, daß der Senor Chemiker in der a m e rikanischen Zuckerfabrik sei. „Aus Ihrem Düngemittel kann man unter Zusatz von Holzkohle einen Sprengstoff herstellen, mit dessen Hilfe wir die Brücke zerstören könnten!" „Ja, aber. . . ?" In meinem Kopf wirbelten die Gedanken. Die Ladung gehörte Vasco, und ich wußte, wie mühsam er das Geld für sie zusammengebracht hatte. Konnte ich so einfach darüber verfügen? Freilich, ohne die Sprengung der Brücke würde in dieser Nacht viel Blut fließen, unschuldiges Blut von Frauen und Kindern. Ich dachte an Chabelita. Sicherlich hätte sie nicht einen Augenblick gezögert, auch das Letzte herzugeben, um den Männern zu helfen. Wollten sie nicht auch Vasco befreien? Ach, was war ich für ein Mensch! Das Schicksal der ganzen Stadt lag in diesem Augenblick in meiner Hand, und ich hätte mich selbst h a s sen können wegen meiner Bedenken. Noch immer hing ein halbes Dutzend Augen erwartungsvoll an meinem Mund. „Nehmt euch die Ladung!" Ein Lächeln flog über Ricardos Züge. „Ich wußte es, Amigo, daß du uns nicht verläßt." Im Nu wurde ein Aktionsplan entworfen, wie die Ladung der „Isabella" in unsere Hand gelangen könnte. Noch immer stand der Hafen unter der Kontrolle der Polizei. „Willst du mitmachen?" wandte sich Ricardo an mich. Er war seit dem Augenblick zum vertrauten „Du" übergegangen, da ich mich offen auf ihre Seite gestellt hatte. Ich nickte. Nun war schon alles gleich. Wenn es nur gelang, den Polizisten Vascos und meine Verhaftung heimzuzahlen. —
Eins — zwei, eins — zwei, zählte ich in Gedanken, als könnte ich damit den Camerados helfen, gleichmäßig die langen Riemen durch das Wasser zu ziehen. Ich saß im Heck des Bootes, die Ruderpinne in der Hand, und starrte über die sich im Dunkeln kaum sichtbar hin und her beugenden Rücken hinweg zur anderen Seite des Hafens. Unsere Überfahrt ging nicht ohne Geräusch ab. Die wenigsten der Ruderer schienen Seeleute zu sein. Immer wieder klatschte ein Riemen ungeschickt auf das Wasser, und ich glaubte, daß das über die halbe Stadt zu hören sei. Das andere Ufer lag in tiefer Dunkelheit. Die Camerados im E-Werk hatten die Turbinen stillgelegt, und damit waren auch die wenigen sonst brennenden Lampen am Kai erloschen. Ich hätte wirklich nicht gewußt, wo ich die „Isabella" suchen sollte, wenn ich nicht einen ortskundigen Bekannten getroffen hätte. Jose, jener Riese vom vergangenen Abend, war es. Er stand neben dem Boot, als wir mit dem LKW ankamen, und zeigte mir jetzt einige Orientierungspunkte drüben auf der anderen Seite des Hafens. Verschiedene Schiffe ließen vorschriftsmäßig ihre Lichter sehen. Die trüben Laternen gaben ausreichende Anhaltspunkte für den Kurs. Ich blickte zur Uhr. Halb elf. Jetzt m ü ß t e der andere Trupp drüben im Hafen in Aktion treten, um die Polizisten von uns abzulenken. Nichts geschah. Ging meine Uhr falsch? Eins — zwei, eins — zwei! Jeder Ruderschlag brachte uns um anderthalb Meter vorwärts. Vielleicht war die Aktion verraten, und die Polizisten warteten seelenruhig, bis wir vor den Läufen ihrer Maschinenpistolen auftauchten? Wieviel Gedanken gehen einem in solchen Minuten durch den Kopf! Ein Fernglas, ein richtiges Nacht-
glas müßte man haben. Die da drüben besaßen bestimmt welche. I m mer waren sie die besser Ausgerüsteten, wenn es zwischen ihnen und den Arbeitern zu Auseinandersetzungen kam. Für einen Augenblick erinnerte ich mich der Erzählung Opa Wagners. Es war kurz nach dem Kriege. Ich h a t t e dem Alten im „Goldenen Anker" ein Bier spendiert. Er sprach davon, wie nach dem ersten Weltkrieg die Hamburger Arbeiter zu den Waffen griffen, um die Reichswehr davonzujagen, jene Büttel der Reeder und Werftbesitzer. Einige Tage lang sollen sich die Arbeiter unter Thälmanns Führung gegen die erdrückende Übermacht gewehrt haben.. Unzulänglich bewaffnet und von der sozialdemokratischen Führung in Berlin im Stich gelassen, erlagen sie. Viele mußten in die Gefängnisse wandern. Vielleicht sind damals die Männer mit dem gleichen bangen Gefühl in den Kampf gezogen. Aber es war zumindest ihre eigene Sache, für die sie das Leben aufs Spiel setzten. Für was aber fuhr ich in die MPiGarben hinein? Ich dachte an Jose, an Ricardo, den Mulatten, an Chabelita, an die vielen Leute vor der Post. Was unterschied sie von Opa Wagner, von den Menschen, die damals in Hamburg gegen die Verhaue der schwarzen Reichswehr stürmten? Im Grunde genommen nichts. Sie hatten die gleichen Gegner, wenn die auch andere Namen trugen. Vier Minuten nach halb elf. Schüsse bellten durch die Nacht. Etwas weiter rechts blitzten Mündungsfeuer auf. „Adelante, vorwärts!" Jose hatte den Ruf ausgestoßen und sich mit aller Kraft in die Riemen gelegt. Wie ein Funke sprang es auf die Männer über. Lauter rauschte das Wasser unter dem Kiel. Angespannt starrte ich zum Kai hinüber, der sich immer deutlicher aus dem Dunkel schälte. 21
Ein langer, flacher Schatten tauchte auf. Was war das? Etwa der Leichter des schwarzen Bootsmannes? Ich riß das Ruder nach steuerbord. Noch vier Schläge. „Ruder ein!" Da lag die „Isabella". Noch immer knallte es in kurzen Abständen im Hafengelände. Wurde der Kutter bewacht? Vergeblich suchte mein Auge nach einem Lichtschimmer an Deck. Plötzlich stieß mich jemand an. Es war Jose. Er wies mit der Hand zu den Tauen, die den Kutter am Poller hielten. Verdammt! Sie waren gespannt wie eine Bogensehne. Man hatte sie bei Beginn der Ebbe nicht lose gesetzt, nun hing der Kutter mit seinem ganzen Gewicht an ihnen. Das würde ein weithin hörbares Geräusch geben, wenn wir sie k a p p ten. Gleichzeitig bewiesen sie aber, daß niemand an Bord war. „Bootshaken klar!" Der Haken knallte in das Holz. Im nächsten Augenblick enterte ich an Deck, neben mir andere dunkle Gestalten. Die nackten Füße platschten auf den Planken. Die Kajütentür war erbrochen, ein Teil der Lukenverschalung fehlte. Hier hatte man gründlich herumgeschnüffelt. Aber ich konnte nicht sofort feststellen, ob etwas fehlte. Jose erinnerte mich an das Nächstliegende. „Wir müssen die Vor- und Achterleinen kappen!" Der Werkzeugkasten befand sich noch an Ort und Stelle. Sekunden später pfiff das Beil durch die Luft, bohrte sich mit einem lautdröhnenden Schlag in die zum Platzen gespannten Fasern der Achterleine. Es gab ein Geräusch, als zerrisse Stoff, dann sackte die „Isabella" mit dem Heck tiefer in das Wasser. Noch bevor ich zum Bug eilen konnte, erklangen auch von dort Schläge. 22
„Vorleine übernehmen!" Irgend jemand gab halblaut Anweisungen, dann trappelten wieder nackte Füße über das Deck. Eine Gestalt nach der anderen verschwand in dem Ruderboot. Nur Jose und ich blieben, wie abgesprochen, zurück. Wir begaben uns zum Steuer, der Zwischenraum zwischen uns und der Kaimauer wurde langsam größer. Wir nahmen Fahrt auf. War alles gut gegangen? An Land verstummle das Schießen. Hatten die Unseren gewonnen — oder etwa die Polizisten? Niemand konnte darauf Antwort geben. Wenn wir nur nicht im letzten Augenblick entdeckt wurden! Vergeblich versuchte ich mit meinen Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Eine Stunde nach Mitternacht. Ich lag im hohen Gras am Rande einer kleinen Lichtung. Im schwachen Schein des Mondes, der nun doch noch durch die Wolken gebrochen war, zeigte sich vor meinen Augen ein langgestrecktes, niedriges Gebäude. Nichts, kein Laut und kein Lichtschimmer verriet, ob sich in seinem Innern Menschen befanden. Hier hatte die Seguridad Nacional von San Pedro de Macoris einen ihrer Stützpunkte. Das massive Bauwerk war im Kolonialstil erbaut. Um einen engen Hof gruppierten sich lückenlos die H e r r schaftswohnungen, fensterlos nach außen, aber luftig und halb offen nach dem Hof zu, dem Patio. Ich kannte diese festungsähnlichen Häuser der reichen spanischen Granden aus Nicaragua. So düster sie von außen mit ihren zinnenbewehrten Brüstungen aussehen, so bequem sind sie innen. Meist ist inmitten des Patio ein Springbrunnen zu finden, der für angenehme Kühle sorgt. Ein Arkadengang führt an der Innenseite des Hofes entlang, so daß man auch bei Regen trockenen Fußes die Zimmer erreichen kann.
Während sich die Wohnräume im ersten Hof befinden, liegen die Wirtschaftsgebäude in einem zweiten Hof, durch ein Tor mit dem ersten verbunden. Wo würde ich Vasco finden? War er überhaupt hier? Jose glaubte es. „Sie bringen die Gefangenen immer dorthin", hatte er mir unterwegs erzählt. „Im Zentrum besitzen sie ihr offizielles Dienstgebäude. Dort wird weder geschlagen noch sonst etwas getan, was die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregen könnte. Die dreckige Arbeit erledigen sie in solchen abseits gelegenen Gebäuden. Wir wissen überdies von einem Vertrauensmann, daß dein Freund dort ist." „Wird das Gebäude stark bewacht?" a „Wir rechnen mit sechs bis zehn Mann . . . " Jetzt lag der Seemann kaum zwei Meter neben mir unbeweglich im Mondschatten eines Gebüsches. Wo nahm er nur diese Ruhe her? Er wußte genau wie ich, daß das Unternehmen mit der Brücke fehlgeschlagen war. Während wir hier lagen, rollten die LKW mit den Soldaten u n gehindert der Stadt zu. Um zehn Minuten hatte sich das Ganze gedreht. Zehn Minuten früher, und nicht unsere Leute wären der Sicherungsgruppe der Armee in die Arme gelaufen, sondern sie uns. Wer weiß, was in diesem Augenblick mit dem Chemiker und den anderen Kameraden geschah. Ob sie überhaupt noch lebten? Verdammt, daß man hier so untätig lag. Maschinengewehre und Pak müßte man haben, dann würden die geschniegelten Offiziere ihre Überraschung erleben! Aber das blieben Wunschträume. Die Realität sah anders aus: Knüppel und Messer, dazu ein paar Pistolen, das waren unsere Waffen. Ricardo hatte recht. Damit konnten wir die Stadt nicht halten. Nicht auszudenken, welches Leid in wenigen Stunden die Einwohner heimsuchen wird.
Ich sah noch einmal den kleinen, lebhaften Arbeiterfunktionär vor mir, wie er kurz vor unserem Aufbruch die Anordnung gab, alle Revolutionäre sollten die Stadt verlassen. Jahrelang hatte er sich auf diesen Tag vorbereitet, und nun . .. ? Die kalte Wut konnte man bei dem Gedanken an die eigene Ohnmacht bekommen. Aber noch , w a r das letzte Wort nicht gesprochen. Ricardos Plan sah vor, die Revolutionäre zusammenzuhalten, sich mit weiteren Gruppen zu vereinen und den Kampf an anderer Stelle unter besseren Bedingungen fortzusetzen. Heute morgen glaubte ich noch neutral sein zu müssen, nachmittags setzte ich meine Hoffnung auf die Gerechtigkeit, und jetzt war ich davon überzeugt, daß nur entschlossene, kollektive Selbsthilfe einen Ausweg bringen konnte. Wieder warf ich einen Blick zu Jose hinüber. Er lag noch immer als ein undeutlicher Schemen im Mondschatten des Busches. Ob ihm ä h n liche Gedanken durch den Kopf gingen? Er hatte mir flüsternd seine Geschichte auf der Rückfahrt der „Isabella" erzählt. Sieben Geschwister waren sie zu Hause, aber fünf von ihnen starben, noch ehe sie das vierte Lebensjahr erreichten. Er konnte, wie so viele in diesem Land, nicht lesen und schreiben. 1954, als der große Streik zusammenbrach, befand er sich mit seiner Frau und Dutzenden seiner Kollegen von der Zuckerrohrplantage unter den Verhafteten. Vor seinen Augen p r ü gelten sie seine Frau zu Tode, um ihn zur Aussage über einige entkommene Funktionäre der Sozialistischen Volkspartei zu zwingen. Er schwieg, aber als ihm die Flucht gelang, da schwor er bittere Rache. Heute beglich er seine Rechnung, er und all die anderen am Rande dieser Lichtung, die ähnliches erlebt haben mochten. Aber war es Haß allein, der sie trieb? 23
Nein. Dazu kam der Gedanke der Solidarität, des Einstehens des einen für den anderen, das Wissen, daß nur der gemeinsame Kampf eine neue Zeit gebiert, in der auch sie menschenwürdig leben dürften. Ein Rascheln durchbrach die Stille der Nacht. Von links kroch ein Schatt e a auf mich zu. „Befehl! Wenn der Ruf der Quichita ertönt, dann schleichst du, so schnell du kannst, zur linken Seite des Gebäudes, dort, wo der Sapotillbaum steht." Minuten später sammelten wir uns am Fuße einer Leiter. Lautlos stiegen wir zum Dach empor. Wie eine Promenade lief es, mit Steinplatten belegt, um den Hof. Einen halben Meter tiefer schimmerte im Mondlicht das Dach des 24
Arkadenganges. Der Hof selbst lag in Dunkelheit, n u r aus einem Fenster neben dem Zuguan, der Durchfahrt, schimmerte ein schwaches Licht. Eine Kerze oder Taschenlampe mochte brennen, denn noch war das Kraftw e r k außer Betrieb. Unser Führer, jener Mulatte vom Nachmittag, gab halblaut seine A n weisungen. „Acht Mann steigen in den Hof hinab, vier stürmen die Wachstube, die anderen durchsuchen die verschiedenen Zimmer. Bei Widerstand keine Rücksicht. Der Rest läßt sich in den hinteren Hof hinab. Im Hinterhof sollen sich die Gefangenen befinden. Wenn unsere Kameraden befreit sind, dann sofort im vorderen Hof sammeln. Wir ziehen uns durch den Zuguan zurück. — Wenn ihr mit der
Wachstube fertig seid", wandte er sich an die erste Gruppe, „dann öffnet sofort das Tor und deckt, wenn notwendig, den Rückzug. - Vorwärts!" Sekunden später schlich ich mit drei Kameraden zu der Mauer, die den hinteren vom vorderen Hof trennte. Jose wickelte einen Strick ab, band das Ende an eine Zinne und ließ sich hinab. Kaum berührten auch meine Füße den Boden, als Jose mich in den Schatten der Mauer zog. Aufmerksam schweiften unsere Blicke umher. Ein Schnelleinsatzwagen parkte im Mondlicht. Jose wies auf ein schwacherleuchtetes Fenster und eilte davon. Mit wenigen Sätzen War ich an seiner Seite. Der Kies knirschte unter u n seren Sohlen. Gerade wollte ich die Tür neben dem Fenster aufreißen, als im vorderen Hof ein Schuß durch die Nacht peitschte. Was mochte geschehen sein? Keine Zeit, daran zu denken. Die Pistole in der Faust, drang ich in das Zimmer. Ein Mann in Uniform stand lauschend inmitten des Raumes, die Arme auf einen Tisch gestützt, den Oberkörper leicht vorgebeugt. „Hände hoch!" Jose schlang ihm einen Strick um die Handgelenke, durchsuchte seine Taschen und nahm ihm das dicke Schlüsselbund ab. Dann erschien Alberto, ein anderer Kamerad unserer Gruppe. „Schnell, ich habe den Eingang zum Keller gefunden!" „Wo?" „Gleich nebenan!" Die Tür, zu der ein paar Stufen hinabführten, war verschlossen. Jose hatte mir das Schlüsselbund gegeben, und ich probierte. Aber wie es immer geht, wenn man's eilig hat, ich konnte den richtigen Schlüssel nicht finden. „Weg!" fauchte der Riese, nahm einen kurzen Anlauf und warf sich gegen das Hindernis. Holz splitterte, die Tür flog auf, und Jose ver-
schwand kopfüber im Dunkel. Als Albertos Taschenlampe aufleuchtete, sahen wir ihn am Fuße der Treppe an einem langen Gang hocken, der an beiden Seiten von zahlreichen Türen gesäumt war. Der Seemann sprang auf, blickte einen Augenblick triumphierend zu uns empor, eilte zur nächsten Tür, und während er mit den Fäusten dagegen trommelte, brüllte er voller Freude: „Hallo, Amigos! Aufstehen! Jetzt geht es in die Freiheit!" Ein unglaublicher Lärm erhob sich. Rufen, Schreien, Weinen erklang. Fieberhaft schloß ich eine Tür nach der anderen auf. Heraus stürzten Männer und Frauen, jubelten, umarmten uns. Einige allerdings mußten von ihren Kameraden gestützt werden. Manches Hemd war zerrissen und blutdurchtränkt. Wo aber war Vasco? Vergeblich blickte ich in die Gesichter der Männer. Kein Vollbart war dabei. „Los, Amigos, alles nach oben. Jede Minute ist kostbar!" Jose drängte die Menschen zur Treppe. Niedergeschlagen folgte ich. Mein Blick fiel auf eine Gestalt, die reglos an der Wand lehnte und mich mit brennenden Augen ansah. Der Oberkörper war nackt, mit Striemen bedeckt und das Gesicht mit Brandblasen überzogen. Mein Gott, die Gestalt, der Blick? „Vasco?" „Gert!" Hilflos hing er an meiner Brust. Ich mußte meine ganze Kraft aufwenden, um ihm über die Treppe zu helfen. Was hatten die Banditen in achtzehn Stunden aus diesem kräftigen Mann gemacht? Jose empfing mich im zweiten Hof. Mit einer Handbewegung wies er auf das Fahrzeug, das mir vorhin schon aufgefallen war. „Gert, viele der Freunde können nicht laufen. Was meinst du?" Ich nickte. Zum Glück steckte der Zünd25
Schlüssel. Wir halfen den Verletzten auf den Wagen, dann kroch Jose n e ben mich auf den Beifahrersitz, und ich startete. „Wo ist unser vierter Mann?" „Am Tor!" Langsam fuhr ich mit abgeblendetem Licht in den vorderen Hof. Richtig, da stand er zusammen mit den anderen Kameraden. Der Mulatte öffnete die Wagentür. „Habt ihr alle?" Jose bestätigte es. „Dreiundzwanzig Personen." „Los, aufsteigen!" Er zwängte sich neben den Seemann, ich gab Gas, und der Wagen rollte aus dem Tor. „Drei Mann überraschten wir im Schlaf-, berichtete der Mulatte. „Der Wachhabende schoß auf Merendez, traf aber nicht. Wir sperrten sie alle in einen festen Raum. Mag der Teufel sie holen." Im Scheinwerferlicht zeigten sich die ersten Häuser. „Wohin?" „Zur Streikleitung." Ich jagte das Fahrzeug mit Höchstgeschwindigkeit durch die menschenleeren nächtlichen Straßen. In der Nähe der Post versuchten uns mehrere Polizisten anzuhalten. Entsetzt sprangen sie zur Seite, als ich auf sie zuraste. Vor der Streikleitung war noch immer Hochbetrieb. Autos standen herum, und Leute kamen und gingen. Ricardo schritt uns entgegen. Freude überzog für einen Augenblick sein Gesicht, als er von unserem Erfolg hörte. Wie hatte er sich in den wenigen Stunden verändert! Seine Augen wirkten eingefallen und müde. Die Stimme jedoch klang genauso klar wie am Nachmittag. „Euch zur Orientierung: In einer Viertelstunde wird die Stadt vom Militär abgeriegelt sein. Deshalb übernimmt Livio den Wagen mit den befreiten Camerados und verläßt auf der Küstenstraße sofort San Pedro. Alle anderen folgen auf dem Lastwa26
gen, der draußen steht. Das Einsatzkommando bleibt bei mir!" „Und Vasco?" warf ich ein. „Der bleibt auch!" Minuten später dröhnten die Motoren durch die Nacht, und die letzten aktiven Freiheitskämpfer verließen die Stadt. Zurück blieben dreizehn Mann. Schweigen lag über unserer kleinen Runde. Der flackernde Schein einer Öllampe offenbarte im Zimmer die Spuren des eiligen Aufbruchs. In der Luft hing der Geruch verbrannten Papiers. Die Männer beobachteten mit sichtlicher Nervosität, wie Ricardo Schriftstücke und Karten in seine Aktentasche packte. Ich hatte in einer weißlackierten Kiste mit einem roten Kreuz Verbandszeug entdeckt und war dabei, Vascos Brust und Rücken mit Mull und Leukoplaststreifen zu verkleben. Einer der aufgeplatzten Striemen auf dem Rücken war stark verschmutzt. Ich mußte die Wunde mit Jod desinfizieren. Anscheinend brannte die Tinktur wie Feuer, denn Vasco stöhnte und knirschte mit den Zähnen. Nachdem ich auch sein Gesicht mit Brandsalbe behandelt und dick mit Binden umwickelt hatte, brachte Alberto ein Hemd, das er unter dem Nachlaß des ehemaligen Hausherrn entdeckte. Dann gesellten wir uns zu den anderen. Vasco zwar noch etwas schwach in den Knien, aber doch schon wieder voller Interesse für die gegenwärtige Situation. Gerade in dem Augenblick beendete Ricardo das Einpacken und sah uns mit einem langen Blick an. „Camerados, was in dieser Tasche ist, das darf auf keinen Fall dem Feind in die Hände geraten. Sollte ich nicht durchkommen, dann ist jeder verpflichtet, die Tasche an sich zu nehmen und sie zu der Adresse zu bringen, die auf dem Briefumschlag in der Tasche angegeben ist. Sollte das nicht möglich sein, dann vernichtet den Inhalt."
„In Ordnung", knurrte Jose. „Weiter, was wird jetzt?" „Jetzt werden wir die Kästen, die draußen auf unserem letzten LKW stehen, in ein sicheres Versteck bringen. Es sind Waffen, ein erbeutetes Funkgerät und andere nützliche Dinge für die Camerados, die hier im Rücken der Feinde bleiben. Sie sollen ihnen ihren Kampf erleichtern, bis zu dem T a g , an dem wir wiederkommen. Ihr beiden aber", und damit wandte er sich an Vasco und mich, „ihr werdet in der Nähe eures Kutters abgesetzt. Es wäre sinnlos, euch mit in die Berge zu nehmen. Versucht die offene See zu erreichen. Ich danke euch für das, was ihr für die Freiheit unseres Landes getan habt." Herzlich drückte er uns die Hände, Jose umarmte mich und preßte für einen Augenblick seine Wange gegen mein Gesicht. Ein heißes Gefühl stieg in mir auf, schnürte meine Kehle zusammen. Ich wollte etwas sagen, aber ich konnte nicht. Heimlich fuhr ich mit dem Handrücken über die Augen. Wie schmerzlich kann ein Abschied sein von Menschen, die man erst wenige Stunden kennt. Lebt wohl, Amigos, Freunde! Ich wünsche euch von ganzem Herzen, daß ihr aus diesem Kessel herauskommt und daß unser Kampf heute nicht umsonst gewesen ist. Die Uhr zeigte ein Uhr fünfzig, als der Wagen mit leisem Ruck hielt. Wir standen auf einem ungepflasterten Weg, beide Seiten von Bäumen eingefaßt. Zwischen ihnen hindurch schimmerte rechts im Mondlicht der silberne Spiegel des Hafenbeckens. In der Ferne knallten Schüsse. „Es geht los", seufzte Ricardo, als ich ihm noch einmal die Hand schüttelte. „Aber warum schießen sie, es kämpft doch niemand von uns?" „Sie schießen immer, mit oder ohne Grund. Und unter ihren Kugeln werden Hunderte von unschuldigen
Menschen sterben und sei es nur darum, weil m a n mit ihrem Tod Furcht und Grauen verbreiten kann." Der Motor brummte auf. Einen Augenblick konnte ich noch den ohne Licht fahrenden Wagen zwischen den Zweigen erkennen. Die Camerados winkten uns einen letzten Gruß zu. Langsam verschluckte die Nacht das Geräusch des Motors. „Wo ist die ,Isabella'?" „Vielleicht zweihundert Meter weiter vorn!" Schweigend eilten wir durch die Nacht. Die Schüsse hallten über das Wasser, jetzt schon nicht nur aus der Richtung des Nordviertels, sondern auch aus dem Zentrum. Wo mochten die Camerados, die Genossen, sein? Offensichtlich waren sie noch nicht entdeckt, denn die Schüsse fielen nur vereinzelt. Ein Gefecht hätte sich anders angehört. „Da, die ,Isabella'!" Vasco sah sie zuerst. Sie lag noch an der gleichen Stelle, an der ich sie verlassen hatte. Mein Freund blieb stehen und umfaßte den Kutter mit einem Blick, der mehr als Freude ausdrückte. „Ich glaubte nicht sie noch einmal zu sehen", flüsterte er mir zu. „Gert, meine ,Isabella', mein stolzes, braves Schiffchen! Komm!" Alle Schwäche vergessend, eilte er die Böschung hinunter, balancierte über die Stelling an Bord. Vorsichtig, wie liebkosend, strich er mit der Hand über das Schanzkleid, über die Wanten, faßte das Ruder und bewegte es leicht hin und her. „Gert, alles scheint in Ordnung zu sein!" „Nicht ganz." Ich erzählte ihm, was aus dem Düngemittel geworden war. Er sah mich an, sagte aber nichts. Vergeblich versuchte ich festzustellen, welche Gedanken in diesem Augenblick hinter seiner Stirn kreisten. „Nun sag schon etwas!" Er schwieg, drehte sich wortlos um und begann das Segel loszumachen. „Hilf mir!" Ich ergriff das Klau- und Piekfall 27
und heißte die Gaffel auf. Vasco m u r melte etwas vor sich hin, das ich nicht verstand. Eine leichte Brise strich über das Wasser. Sie brachte den Geruch frischen Grases und das todkündende Knallen der TrujilloMeute. Zeit zum Ablegen. Wer weiß, wie lange wir brauchen würden, um bei dem bißchen Wind die Hafenausfahrt zu gewinnen. Endlich murmelte das Wasser unter dem Kiel. Von steuerbord blinzelte das Licht der „Bani". Dort voraus, der schwarze Schatten, mußte der Leichter des Negers sein. Hier hatte alles begonnen. Wie würde es enden? „Horch!" Plötzlich wurde die Nacht von MPiGarben zerrissen. Eine andere Waffe antwortete. Hart knallten die Karabinerschüsse dazwischen. Ricardo, Jose, Alberto! Mein Herz krampfte sich zusammen. Warum bin ich in diesen Minuten nicht bei euch? „Elende Verbrecher!" Vasco trat neben mich an das Ruder und starrte mit geballten Fäusten zur Stadt. „Hier stehen und nicht helfen können!" „Das Schießen kommt näher", flüsterte ich. „Ja, sie halten sich, ziehen sich zum Hafen zurück!" Eine irrsinnige Hoffnung keimte in mir auf. Wenn sie bis zum Kai kämen, könnten wir sie aufnehmen. „Vasco, nimm das Segel weg!" Einen Augenblick stutzte er, begriff und sprang zum Mast. Langsam kam die Fahrt aus dem Kutter. Fast unmerklich trug uns die Strömung des Flüßchens an der „Bani" vobei. Der Gefechtslärm wurde stärker. Hundert Meter vor der „Bani" blitzten Mündungsfeuer auf. Wer kämpfte dort? Waren es Soldaten oder unsere Freunde? „Vasco, das Segel wieder hoch! Wir müssen näher heran." Unendlich langsam schob uns die laue Brise dem Ufer zu. 28
Wieder blitzte es auf, diesmal weiter rechts. Augenblicke später zischte von der gleichen Stelle eine rote Leuchtkugel zum Nachthimmel e m por. Ricardo besaß keine Leuchtpistole, und wem sollte er auch Signal geben? „Dort, das müssen unsere Leute sein!" Ich blickte hinüber zu der Stelle, wo auf der Pier der Lagerschuppen stand, in dessen Deckung immer wieder kurze Feuerstöße aufflammten. Längst schon zeigte der Bug in Richtung Pier. Hundert Meter noch, achtzig, siebzig. Wieder riß eine Leuchtkugel für Sekunden das Ufer aus der Dunkelheit. Deutlich erkannte ich einige Gestalten, die sich eng an die Wand des Schuppens schmiegten. Ich glaubte Jose an seiner Größe zu erkennen. Sechzig Meter. Nur einige Sekunden noch, und wir tauchten in den Schatten der Pier. Vasco trat mit einem Bootshaken bewaffnet neben mich. Sein Atem ging aufgeregt, und als ich beruhigend meine Hand auf seinen Arm legte, da merkte ich, daß er am ganzen Körper zitterte, er schien, zu glühen. „Hast du Fieber?" „Unsinn!" „Halte nur noch fünf Minuten durch, dann haben wir es geschafft!" Wieder knallten Schüsse. Spukhaft tauchte eine Gestalt zwischen den Pollern unmittelbar am Wasser auf. „Amigos, wir kommen!" brüllte ich meinen Gruß zu den tapferen Freunden, daß es hohl von der Lagerhalle zurückschallte. Einen Augenblick blieb es still, dann dröhnte fragend Joses Stimme zu mir: „Bist du es, Gert?" „Si, Amigo!" „Hurra!" Schreie, trunken vor Freude, brachen durch die Nacht. Die Gestalt am Poller tanzte hin und her. Plötzlich knatterte es wieder. Merkte der Gegner, daß seine fast sichere Beute dabei war, aus den Maschen
des Netzes zu schlüpfen? Die Gestalt oben an der Pier stieß einen wilden Schrei aus, warf die Arme in die Luft, drehte sich um die eigene Achse und brach zusammen. Im Kutter klopfte es schnell aufeinander. Verdammt, man hatte uns entdeckt und unter Feuer genommen. „Vasco, Deckung!" schrie ich. Noch dreißig Meter. Wieder klopfte es im Boot, und dann spürte ich einen harten Schlag gegen meine rechte Schulter. Schmerz durchzuckte mich, als bohre sich eine glühende Eisenstange durch den KörN per. Durchhalten, h ä m m e r t e es in meinen Gedanken, aber die Glieder gehorchten nicht mehr. Rote Kreise tanzten vor den Augen, die Beine knickten ein. „Vasco", stöhnte ich und versuchte mich am Schanzkleid festzuhalten. Ich spürte, wie mich die Schwäche übermannen wollte. Schwarze Wolken jagten auf mich zu, versuchten mich unter sich zu begraben.
Rufe drangen wie durch Watte an mein Ohr. Ich darf nicht ohnmächtig werden! Noch einmal gelang es mir, die Augen aufzureißen. Vasco hing mit dem Oberkörper über der Ruderpinne und steuerte. Dann schlugen die schwarzen Wolken endgültig über mir zusammen. Als ich wieder zu mir kam, glukkerte Wasser unter dem Kiel. Das Boot wiegte sich leicht auf und ab. Ich lag in meiner Koje, und durch das gegenüberliegende Bullauge fiel ein heller Sonnenstrahl. Er zeichnete auf dem Tisch einen schimmernden Kreis, in dessen Mitte eine Waschschüssel stand und feuchte Tücher lagen. Ich wollte mich aufrichten, aber da war plötzlich Schmerz in der Schulter. Ich sah den Verband, und im Augenblick kehrte die Erinnerung zurück. Ich bin verwundet, und Vasco ist krank. Was war aus den Genos*sen auf der Pier geworden? Ich rief, aber niemand hörte. 29
Warum nicht? Der Kutter ist auf offener See, das fühlte ich an seinen Bewegungen. Es mußte jemand am Ruder stehen, der mich hören konnte. Wieder versuchte ich mich bemerkbar zu machen. Da, leichte Schritte näherten sich. Die Kajüttür wurde einen Spalt geöffnet, und Vascos Kopf schob sich herein. Seine Augen trafen auf mein Gesicht. Gleich darauf war er wieder verschwunden, und dann jubelte eine Stimme über das Deck: „Er ist aufgewacht, hurra, er ist munter!" Und da stürzten sie durch den Eingang: Jose, Ricardo, Alberto, Vasco und noch ein anderer Kamerad des Einsatzkommandos. Ricardos Kopf war wie der Vascos mit Binden umwickelt. Jose trug den linken Arm in einer Schlinge. Aber alle lachten mir zu, redeten wie närrisch durcheinander.
Tränen der Freude schössen mir in die Augen. Vasco hatte es doch geschafft. Ich suchte seinen Blick, und er nickte leicht, als wollte er sagen: Alles in Ordnung. Fünf Mann standen um mich herum. „Wo sind die anderen?" In der Runde wurde es still. Ricardo gab Antwort. „Am Ruder steht noch Gilvano. der Mulatte. Die übrigen leben nicht mehr. Sie deckten unseren Rückzug, nachdem wir den Auttrag erfüllt h a t ten. Wir werden sie nie vergessen!" Alle schwiegen, und unsere Gedanken eilten zu denen, die gestern noch an unserer Seite gefochten. „Und wo geht die Reise hin?" Vasco legte seine Hand auf meine unverletzte Schulter. „Wo soll sie schon hingehen? Zum Treffpunkt natürlich. Der Kampf hat doch gerade erst begonnen!"
Horst Boas «
Stadtpark 22.15 Uhr
Die Vergangenheit ist tot, ist längst begraben, und dichtes Gras ist darüber gewachsen. So hatte Karl Mertens gedacht, und das, was er vergessen wollte, war in den hintersten Winkel seiner Erinnerung geraten. Plötzlich ist alles wieder da, ist bittere Wirklichkeit und Gegenwart: Brauners steht vor ihm. Bernd Brauners, sein ehemaliger Tatgenosse, und man braucht kein Kriminalist zu sein, um feststellen zu können, daß es diesem Mann augenblicklich nicht gut geht. „Wenn du kein Geld hast, brauche ich dich!" Karl fährt herum. „Nein! Das ist vorbei! Hörst du, endgültig! Ich mache da nicht mehr mit, verstehst du! Ich habe meine Arbeit. Ich habe endlich wieder mein ruhiges Gewissen." Das hämische Gemecker Brauners hat einen hinterhältigen, gefährlichen Klang. „Ruhiges Gewissen, daß ich nicht l a c h e . . . " Dann stoßen seine Worte mit bissiger Schärfe zu. „Du scheinst vergessen zu haben, daß da noch ein paar nette Sächelchen ausstehen, die den Bullen damals entgang«n sind ....!"
OLGA LEPESCHINSKAJA STEPAN GIL
Begegnungen mit Iljitsch Die beiden Erzählungen dieses Bandes vermitteln ein eindrucksvolles Bild von Lenins Persönlichkeit — von seinem unermüdlichen Kampf für die Befreiung der Arbeiterklasse, von seiner rastlosen schöpferischen Tätigkeit, seiner Fürsorge für alle Menschen in seiner Umgebung, seiner Liebe zur Natur, seiner bescheidenen, schlichten Art, seiner Offenherzigkeit und Geradlinigkedt, von seinem Humor. In dem ersten Beitrag erzählt Olga Lepeschinskaja — die berühmte Biologin, deren Arbeiten über die Entstehung des Lebens weltbekannt sind — von Begegnungen mit Lenin in den Jahren 1894 bis 1905 während der Verbannung in Sibirien und während ihres Aufenthalts in der Schweiz. Den zweiten Beitrag verfaßte S. K. Gil, der persönliche Chauffeur Wladimir Iljitschs, der vom November 1917 bis zu Lenins Tod täglich mit ihm zusammen war. Beide Autoren haben viele Züge Lenins in so lebendiger Frische und Deutlichkeit in ihrem Gedächtnis bewahrt, daß man beim Lesen der Erinnerungen meint, dem unvergeßlichen Wladimir Iljitsch persönlich gegenüberzustehen. Aas dem Russischen • Mit einem Foto • 164 Seiten- Ganzleinen 3,89 DM
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Kurz nach der Mittagspause heulten die Sirenen des Heinkelwerks. Sie werden wieder nach Berlin fliegen, dachte Hans. Da packte Robert ihn am Arm. „Sieh d o c h ! " rief er und wies auf die von N o r d westen kommenden Geschwader. In steilem G l e i t f l u g kamen sie herab. Schon sausten, schlugen, detonierten Bomben ringsum, noch eine, noch eine . . . Als am a n d e r e n Tag im Werk II die A u f r ä u m u n g s a r b e i t e n b e g a n n e n , ballten sich noch immer Rauchwolken über d e n H a l l e n , und auf dem H a n g a r standen ausgebrannte Bomber. Hans kletterte in das Wrack einer He 177 und f a n d in einer unversehrt g e b l i e b e n e n Kiste ein kompliziertes Gerät. „ W a s ist das für ein D i n g ? " fragte er. „Eine Sendeanlage", antwortete Peter. „Sollte w o h l g e r a d e e i n g e b a u t werden." So begann eine der kühnsten Taten des KZ-Häftlings Hans Becker und seiner Freunde. W e n i g e Tage später d r a n g Horaceks Stimme in den Äther: „Achtung, A c h t u n g ! Hier spricht der Sender der deutschen Widerstandsbewegung. W i r senden auf W e l l e n l ä n g e 21,5 Meter jeden Mittwoch u n d Sonnabend um 20 Uhr." (304 Seiten • Halbleinen 5,40 DM)