Im Rausch der Macht
von Götz Altenburg scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Berge und Wälder. Täler und...
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Im Rausch der Macht
von Götz Altenburg scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Berge und Wälder. Täler und Hügel. Licht und Dunkel. Abends wurden die Schatten unwirklich lang. Der Winter stand vor dem Höhepunkt. Die Wälder träumten unter dickem Schnee. Bäche und Teiche und Flüsse erstarrten im Frost. Ganze Wasserfälle waren gefroren. Wenn die Sonne sank, entbrannte überall ein Feuerwerk schönster Farben. Das war ein Schwelgen in Rot und Blau, in Grün und Gelb, als lasse ein Engel Edelgestein vom Himmel regnen. Der Schnee, die Erde, sie begannen auf geheimnisvolle Art zu leben. Das Flirren und Sprühen, das Blitzen und Gleißen dauerte, bis der letzte Schimmer
Licht verschwand. Dann wurde der Schnee stahlblau. Mit der Nacht kam die Kälte. Niemand hörte den Schrei. Seit dem frühen Morgen tobte die Jagd durch die Wälder. Mit Hörnerklang, mit Hussa und Juchhei. Doch, daß da ein Braunbär, riesengroß und besonders wütend aus verschneitem Dickicht brach, das bemerkte nur die Spitze der Jagdgesellschaft. Denn der Bär fegte sie auseinander wie ein Windstoß leichte Spreu zerstieben läßt...
Die Bestie fiel brummend und grunzend über Berwin her, den Herzog von Orplid. Sie überragte Herrn Berwin um mehr als Haupteslänge. Dazu war sie breiter als jeder Schrank. In ihren Pranken, die jetzt zum Schlag erhoben waren, steckte die Kraft von einem Dutzend starken Männern. Ihre Bewegungen waren so schnell, daß Menschenaugen ihnen kaum verläßlich folgen konnten. Sie riß den blutroten Rachen auf, als wolle sie die ganze Welt verschlingen. Ihre Zähne glichen kurzen, dicken, unheimlich scharfen Elfenbeindolchen. Die im Vergleich zum Kopf winzigen Ohren spielten unentwegt, als horchten sie auf Zeichen, die aus dem Walde kamen. Herzog Berwin versuchte, sich gegen das reißende Tier zu wehren. Es blieb beim dem Versuch. Er bekam nicht einmal das Jagdmesser aus dem Gürtel. Der Bär gab Berwin eine letzte, mörderische Ohrfeige. Dann versetzte er dem unglücklichen Mann einen derart heftigen Stoß, daß der Herzog wie ein Katapultgeschoß unter seine Jagdbegleiter sauste. Er riß die meisten davon zu Boden. Der Bär benutzte die allgemeine Verwirrung, sich in die verschneiten Büsche zu schlagen. In eben jene Deckung, aus der er auch gekommen war. Entsetzt hatte die Jagdgesellschaft das Unglück verfolgt. Als erster von allen fand der erfahrene Waffenmeister Waidenhold zu vernünftigem Handeln zurück. Er warf sich die starke Armbrust über den Rücken, schnallte sein breites Schwert vor die Brust, packte die kurze Saufeder, den derben Jagdspieß, und heftete sich auf des Bären Fährte. »Ich stell ihn und bring ihn!« Das rief Waidenhold Ritter Roland zu. Der hatte im Augenblick hinreichend damit zu tun, die Damen außer Sichtweite, das heißt, heim, ins warme Schloß von Orplid zu bringen, in die Stammburg des Herzoggeschlechts. Waidenhold schien die eigenen Fähigkeiten maßlos überschätzt zu haben. In wenig mehr als einer halben Stunde tauchte er wieder auf. Allein. Mit leeren Händen. Ritter Roland hatte bestimmt, daß sein Freund Volker vom
Hohentwiel, der Sänger, Königin Ginevra samt Begleitung zurück führte. Herzog Berwin bot kein Anblick, den man Damen aussetzen sollte. Daß dem Herrscher von Orplid nicht mehr zu helfen war, bezeugte der Zustand des Schnees hinlänglich. Der winterweiße Boden sah aus, als habe ein Purpurfärber seine Farbbottiche umgekippt. Waidenhold war wieder da. Der Waffenmeister wirkte leicht verstört. »Das versteh, wer will und kann!« »Mach dir nichts draus. Morgen schon wird die Herzogin ein Generaltreiben auf Braunbären ansetzen. Da zählt es wenig, daß du seine Spur verloren hast.« Waidenhold stieg die Röte ins bärtige Gesicht. »Ich und eine Bärenfährte verlieren? Nein. Der Fall liegt anders.« »Und wie soll er liegen ... der Fall?« fragte Roland. Waidenhold stand ziemlich unter Dampf. Das wurde allein schon daran sichtbar, daß ihm der Atem wie eine kleine Wattewolke vor dem Mund hing, wenn er sprach. »Gleich hinter den nächsten Bäumen fließt ein breiter Fluß. Ein Strom fast. Er führt Treibeis in Massen. Bis zum Ufer ist die Bärenfährte klar und nicht zu übersehen. Dann jedoch bricht sie ab. So alt ich auch geworden bin, mir ist noch kein Bär begegnet, der um diese Zeit des tiefsten Schlafes ins Wasser zu bringen wäre. Außerdem habe ich gesehen, wie er entkam, der Braunbär. Es sah aus wie ein Nachen, das Ding, das ihm half. Ich sage dir, Herr, mit dem Tode des Herzogs von Orplid hat es seine eigene Bewandtnis. Wir werden noch schwer daran zu beißen und zu tragen haben. »Und dachte niemand daran, den Nachen zu verfolgen?« So fragte König Artus. »Stellen Sie mir einen Kahn, Majestät, und ich werde nicht zögern, die Verfolgung aufzunehmen.« Roland wies seine Knappen Louis und Pierre an, den verunglückten Herzog wegzuschaffen. »Wickelt ihn in Decken und bringt ihn zwischen euren Rössern heim. Die Jagd wird sowieso gleich abgeblasen. Da versäumt ihr nichts.«
Das stimmte. Denn kaum hatte Roland den Knappen ihre Befehle gegeben, da blies Rifhari, einer der Leibjäger des Herzogs, seinem toten Herrn das letzte Halali. Alle nahmen die Kopfbedeckungen ab. Mit besinnlichen Mienen lauschten sie den Tönen. Louis und Pierre taten, was Roland befohlen hatte. Man hätte glauben können, dergleichen Verrichtungen gehörten für sie zum Alltag. Gewiß, Herzog Berwin von Orplid war ihnen so gut wie fremd. Sie hatten ihn erst von Angesicht zu Angesicht gesehen, als sie hierher, in dieses wildschöne Land, kamen. Orplid war für seinen Reichtum an Wild mannigfacher Art berühmt. Deswegen hatten sie sich über alle Maßen gefreut, als es hieß, sie dürften König Artus sowie ihren Herrn, den Ritter Roland, begleiten. Gleich nach dem Jahreswechsel waren sie von Camelot aufgebrochen. Herzog Berwin von Orplid war der Mann Herzogin Ingers, der schönen, jüngeren Halbschwester Königin Ginevras. Es hieß, die Schwestern hätten sich immer glänzend verstanden. Jedenfalls hatte Königin Ginevra Ingers Einladung begeistert angenommen. Auf ihr Betreiben war es zurückzuführen, daß König Artus spontan beschloß, einen Jagd- und Erholungsurlaub daraus zu machen. Davon konnte jetzt natürlich keine Rede mehr sein. Man würde gerade so lange bleiben, um dem Herzog die letzten Ehren zu erweisen. Dann kehrten sie alle schleunigst nach Camelot zurück. Die Knappen Pierre und Louis transportierten den Herzog zwischen ihren Pferden. Die Tiere witterten den Geruch des Todes. Das machte sie nervös. Noch hielten sie sich in Hörweite der Jagdgesellschaft auf. Bestimmt führte Waidenhold jetzt den Ritter Roland und jeden anderen, der wollte, zum Fluß. »Jetzt wird große Trauer einziehen, auf der Burg. Das paßt mir gar nicht«, überlegte Pierre laut. Knappe Louis schürzte zu den Worten seines Kameraden die Lippen. »Wegen der orplidischen Magd, etwa?« Pierre widersprach so hitzig, als fühlte er sich bei etwas ertappt,
was nicht der Ordnung entsprach. »Sie ist keine gewöhnliche Magd, merk dir das!« Louis' geschürzte Lippen formten ein Lächeln. »Ich weiß«, sagte er in nachsichtigem Ton. »Ich hab' auch eine Gefährtin gewonnen auf der Burg von Orplid.« »Meine Gertruda lernt nur das Kochen auf der Burg und die Haushaltführung, wie es sich für Herrschaften gehört.« Louis nickte heftig. »Das Nämliche erzählt mir auch die Meinige. Das heißt, genau genommen ist sie noch gar nicht die Meinige, sondern verspricht mir schon seit Tagen, es zu werden. Mit deiner Gertruda wird es sich ähnlich verhalten. Weißt du, was der erfahrene Mann unter der orplidischen Tour versteht, Kamerad?« Louis brachte es immer wieder fertig, Pierre zu verblüffen. »Was hat es denn damit auf sich?« »Sie halten dich so lange hin, bis du kaum noch weißt, wie dein echter Name ist. Dann schleifen sie dich zum Burgkaplan. Und wenn der das Aufgebot verkündet hat, dann darfst du ...« Louis' Rede brach ab. Weniger, weil Pierre ihm einen heftigen Stoß gegeben hatte, sondern viel mehr, weil da dunkle Tropfen immer heftiger aus der Plane drangen. »Moment!« Pierre mißverstand die Rede seines Kameraden gründlich. »Lenk jetzt nicht ab, Louis. Das Kapitel diskutieren wir aus, das verspreche ich dir. Ich glaube, du gönnst mir meine Gertruda nicht.« »Das wäre ja ganz was Neues«, brummte Louis. »Da schau einer her! Mir scheint, wir müssen umkehren, Pierre.« Auch Knappe Pierre hatte sich aus dem Sattel geschwungen. Er sah zu, wie Louis die Plane ordnete. »Pack mit an. Wir müssen den Herrn neu einwickeln.« Es ging ihnen um nichts anderes, als darum, keine Spur zu hinterlassen. Um den Toten neu einzuwickeln, mußten sie ihn erst einmal aus der Plane heben. Dabei sah Louis etwas in dem grausam verunstalteten Körper des
Herzogs blitzen. Schnell griff er zu. Hielt ein Metallding hoch. »Weißt du, was das ist?« Knappe Pierre gehörte nicht zu denen, welche besonders schnell schalten. Außerdem ging ihm die Magd Gertruda nicht aus dem Sinn. »Ein Armbrustbolzen. Das ist doch nichts Besonderes.« »So? Und wenn ich dir nun erkläre, daß dieser Bolzen von hinten das Herz des Herzogs durchbohrte?« »Aber den Herrn hat doch der Braunbär erschlagen«, beharrte Pierre auf den ihm bekannten Tatsachen. »Dummbart«, berichtigte Louis den Kameraden. »Vielleicht hätte der Herr von Orplid die Ohrfeigen des Braunbären überstanden. Den Bolzen im Herzen aber würde er auf keinen Fall geschafft haben. Das Geschoß kam aus ziemlicher Entfernung und wurde von einer besonders starken Armbrust abgeschossen.« »Was du so alles weißt«, staunte Knappe Pierre erwartungsgemäß. Louis deckte den in der Kälte schnell erkaltenden Körper neu zu. »Wir müssen zurück.« Den Knappen Pierre zog es verständlicherweise stärker in die Burg Orplid als zu der Jagdgesellschaft, welche offenbar immer noch die nächsten Schritte beriet. Ritter Roland und Waidenhold hatten sich zu dem Fluß begeben, den Waidenhold vorhin in seiner Meldung erwähnte. Als müsse es so sein, gesellte sich König Artus zu den beiden. Jede weitere Ge sellschaft lehnte der König ab. »Wenn ich Männer brauche, werde ich sie rufen. Der Klang meines Hifthorns reicht weit.« Wie zu erwarten, stimmten Waidenholds Angaben ganz genau. Der Schnee zeigte die Fährte des Braunbären. Daneben waren des Waffenmeisters eigene Fußabdrücke zu sehen. Die Spuren führten genau zum Flußufer. Der Strom war breit wie ein See. Auch die besten Jägeraugen konnten das gegenüberliegende Ufer nur schemenhaft erkennen. Wo die Bärenspuren und auch des Waffenmeisters Fährte endeten, war deutlich im harschigen Schnee eine mit Rost gefärbte Kerbe zu
erkennen. »Da ist ein eiserner Nachen aufgelaufen«, sagte König Artus. Kaum war das Wort heraus, da schwirrte etwas durch die frostige Luft. Das Gesirr ließ an einen besonders schnell fliegenden Vogel denken. Es klirrte gegen König Artus' Kettenhemd. Ein Segen, daß die Majestät es trug. - Behende schwang sich König Artus vom Pferd. Er hob einen Armbrustbolzen aus dem Schnee. Nicht nur der König, auch Ritter Roland und Waidenhold waren getroffen worden. Doch die Rüstungen hatten gehalten. »Da«, rief Roland und zeigte zur nächsten Flußbiegung. Dort wuchs das Ufergebüsch besonders dicht. Jetzt gibt's einen Tanz, wie Ihr ihn noch nicht allzu häufig erlebt habt. Wehrt Euch!« Rasselnd fuhren drei blitzende Schwerter aus der Scheide. * Sie hatten offenbar weiße Leinentücher über ihren gewohnten Anzug gezogen. Darunter aber waren sie so bunt, wie man sich Paradiesvögel vorstellt. Blau und rot waren die vorherrschenden Farben. Doch unter den bunten Kitteln trugen sie ohne Zweifel Kettenhemden. Wahrscheinlich nicht ganz so fein geschmiedet wie die Leichtpanzer König Artus' und seiner Begleiter, dafür aber bestimmt genauso wirkungsvoll. Sie liefen zu sechst gegen die Cameloten an. Jetzt wurde deutlich, daß sie auch unter ihren schreiend bunten, sechseckigen Zipfelmützen Helme trugen. Sie schrien nicht. Sie bewegten sich mit der schnellen, lautlosen Sicherheit geübter Jäger. Doch die Schwerter in ihren Fäusten blitzen gefährlich. Seltsame Waffen, diese Schwerter. Weder gerade noch krumm. Vom Griff her blitzähnlich gezackt. Nicht besonders lang, dafür aber breit. Der Spätwintertag verabschiedete sich früh. Der Schnee im Schatten der Waldtannen wurde blau. Das Eis im Fluß war in
Bewegung. In Ufernähe landeten die Schollen. In der Strommitte floß das Wasser schneller. Da prallten dicke Eisschollen gegeneinander. Das gab jedesmal einen so dumpfen Knall, als werde ein schweres Eichentor mit einem starken, widderköpfigen Rammbock bearbeitet. Die drei Cameloten hatten sich Rücken an Rücken aufgestellt. Keiner von ihnen besaß einen Schild. Doch sie würden es den Angreifern so schwer wie möglich machen. Davon kündete der entschlossene Ausdruck ihrer Augen. Jetzt waren die grellbunten Männer am Feind. Sie tuschelten einander etwas zu. Waidenhold ordnete diese zischende und von explosiven Lauten beherrschte Sprache gleich ein. »Das sind Männer aus der Finnmark. Wie ich schon ahnte. Paßt auf! Sie schlagen entweder zwei Mal oder vier Takte lang. Dann stechen sie und kommen dabei von unten.« Jetzt prallte Stahl auf Stahl. Es ergab sich von selbst, daß jeder der Camelot-Männer zwei Gegner bekam. Die Männer aus der Finnmark griffen frontal an. Vier Schläge. Danach tauchte Ritter Rolands Gegner fort. Er versuchte, mit seinem seltsam geformten Schwert einen Stich anzubringen. Roland wich aus. Im Ausweichen aber schlug er denkbar kräftig zu. Er traf den Finnmarker. Da half dem Nordländer alle Tapferkeit nicht. Er sank stöhnend rücklings in den Schnee. Im gleichen Augenblick wurde Waidenhold beider Gegner Herr. Den einen traf er mit dem Schwert, den zweiten mit der Eisenspitze des Streitaxtstiels. Der verwundete Mann ging in die Knie und brach dann endgültig zusammen. Dabei schleuderte er sein Schwert wie ein Wurfmesser gegen Waidenhold. Doch es saß keine Wucht mehr hinter dem Wurf. Rolands zweiter Gegner war ein guter, geschickter Fechter. Immer, wenn der Ritter aus Camelot glaubte, unmittelbar vor dem entscheidenden Hieb oder Stoß zu stehen, wich der Feind wieselflink aus. Der starke Ritter aus Camelot ließ drei, vier Finten einander in
Serie folgen. Die Tricks kannte der Nordmarkmann offenbar nicht. Im Bestreben, auszuweichen und zugleich am Mann zu bleiben, trat er vor, zurück und seitwärts. Das sah aus, als tanze er. Plötzlich stolperte er. Rolands Klinge blitzte. Sie traf da, wo sie treffen sollte. Ächzend sank der Feind in den Schnee. Jetzt wandten sich Roland und Waidenhold König Artus zu. Der Herrscher von Camelot war an zwei starke Gegner geraten. Sie mochten die kleine Krone gesehen haben, welche Artus auf dem Lentner, dem Waffenrock, trug. Der König war ein geübter und eleganter Fechter. Doch allein schon die zahlenmäßige Überlegenheit der Feinde und sein Alter hatte ihn in die Verteidigung gedrängt. Er mußte alle Aufmerksamkeit anspannen, um nicht getroffen zu werden. Da trennte Rolands Schwert den König von einem Gegner. Das entsprach ritterlichem Brauch. »Ein Schwert genügt als Feind.« König Artus kam durch die Erleichterung zu einem schnellen Sieg. Das Blatt hatte sich gründlich gewendet. Waren die Nordmarkmänner erst in der Mehrzahl gewesen, so standen sie nunmehr einem überlegenen Gegner gegenüber. Mit lautem Schrei warf Roland sein Schwert auf den Gegner. Das geschah aber so, daß der Mann ohne Schwierigkeit ausweichen konnte. In der nächsten Sekunde machte Roland einen mächtigen Sprung. Er landete vor dem Gegner, duckte sich, unterlief das sausende Schwert, packte zu und hatte seinen Mann in eisenhartem Griff. Der Nordmarker versuchte, sich zu wehren. Das gelang nicht. Rolands Griff war zu fest. Der Nordmarkmann fuchtelte mit seinem Schwert herum. Offensichtlich wollte er Roland von hinten erwischen. Das Vorhaben mißlang. Rolands Griff wurde immer härter. Der Nordmarkmann wurde blau im Gesicht. In höchster Not ächzte er. »Ich ergebe mich!« Ehe Roland jedoch den Mann aus seinem Griff entließ, wandte er sich an Waidenhold. »Nimmst du sein Schwert?«
Natürlich bückte sich Waidenhold. Gleich konnte der Nordmarker frei atmen. Doch Roland ließ ihn noch nicht endgültig los. »Wir werden fragen, warum sie uns angegriffen haben.« Frage und Antwort folgten einander. »Hat von euch schon jemand etwas von einem Eulenbund gehört, ihr Herren?« Einen Eulenbund oder Bund der Eulenbrüder kannte weder der König noch Roland. »Man müßte auf Burg Orplid fragen«, schlug Artus vor. Roland untersuchte die Gefallenen. Der Gefangene hockte im Schnee, bis Roland ihn packte. »Da ist nichts mehr zu machen. Wenn ich nur herauskriegte, warum sie uns angegriffen haben. Aber da stoße ich auf Granit. Er sagt, wir wären Feinde des Eulenbundes. Wie aber kann jemand Feind von etwas sein, was er gar nicht kennt?« König Artus und Roland betrachteten den Mann, als Waidenhold ihn jetzt festhielt. Der Gefangene wirkte verschlagen. Das mochte aber auch an dem fremdartigen Gesichtsschnitt, den hohen Wangenknochen und den schrägen Schlitzaugen liegen. Außerdem trug der Mann einen ganz lang herunter hängenden Oberlippenbart. Diese Zier machte ihn auch nicht gerade anziehender. Unaufhörlich sprach Waidenhold auf seinen Gefangenen ein. Dessen Miene wurde immer verstockter. Auf der Stirn des Waffenmeisters schwoll die Zornesader. »Aus dem ist nichts herauszubringen. Nur seinen Namen sagt er. Aiko. Am Ende ist aber auch der noch falsch. Verschiedenen Nordmarkern ist nicht zu trauen. Der scheint mir zu der Sorte zu gehören. Könnt ihr vielleicht ein paar Takte woanders hinschauen, liebwerte Herren und Freunde?« Waidenhold hob die Hand. Der Gefangene duckte sich. In diesem Moment sprengten zwei Reiter aus dem Wald und zum Flußufer. Louis und Pierre, die Knappen. Was immer Waffenmeister Waidenhold vorgehabt hatte, es wurde
unterbrechen und wenigstens vorerst aufgeschoben. »Hier!« Pierre tat sein Bestes, die Pferde so zu zügeln, daß der tote Herzog keine Gefahr lief, samt den verhüllenden Decken in den Schnee zu stürzen. Louis federte blitzschnell aus dem Sattel. Er hielt seinem Herrn den Bolzen hin. Auch König Artus sah, was Ritter Rolands Knappe gefunden hatte. Mit gerunzelter Stirn vernahm er die Meldung, welche zu dem Geschoß gehörte. »Der Fall nimmt eine gar unerwartete Wendung.« Ritter Roland stimmte den Gedanken des Königs zu. »Daher die Nordmarkmänner in Orplid. Jemand hat sie gedungen, um den Herzog zu beseitigen. Und warum der Angriff auf uns?« wollte Roland noch nachdenklich wissen. »Wir störten den Ablauf des Anschlages«, vermutete König Artus. »Und wie paßt der Bär in die Geschichte?« fragte Waidenhold. Die Frage kam Roland wie gerufen. »Die nordmarkischen Jäger verstehen sich auf die Kunst, Bären abzurichten. Sie bringen den Tieren die erstaunlichsten Dinge bei.« »Bringen sie ihnen am Ende auch bei, Menschen anzufallen und gar zu töten?« fragte Waidenhold. »Alles, was einem Hunde beizubringen ist, kann auch ein Bär erlernen«, antwortete Roland. »Vorausgesetzt, jemand gibt sich genug Mühe. Daran und an Geduld für dergleichen Tücken hat's den Männern aus der Nordmark noch nie gemangelt.« Urplötzlich trat Waidenhold seitwärts und gab dem Gefangenen einen derben Stoß. Dabei entfiel dem ein kurzes Messer mit auffallend breiter Klinge. »Denkst du.« Damit hatte Waidenhold den Nordmarker wieder fester im Griff. Ebenso gewandt wie geschickt, stieß er ihn in Richtung der Knappen. »Louis und Pierre. Bindet den Kerl. Aber so, daß er sich nicht mehr regen kann.« Es war Rolands Befehl. Der Nordmarker, der vorgab Aiko zu heißen, warf ihm einen mordsbösen Blick zu. Seine verkniffenen Lippen sagten etwas, was
ganz gewiß kein Glücks- und Segenswunsch war. Dann spuckte er aus und traf Waidenhold. »So was kann ich mir unmöglich gefallen lassen.« Der Waffenmeister gab dem Nordmarkmann eine derartige Ohrfeige, daß Aiko von den Beinen gerissen wurde. Jetzt ging das Temperament des Gefangenen mit ihm durch. Er schrie und tobte. Bis Waidenhold sagte: »Wir stopfen dir einen Knebel zwischen die Zähne. Das Geschrei ist ja unerträglich.« Louis und Pierre mußten all ihre Kraft aufbieten, die Androhung in die Tat umzusetzen. Der Gefangene wehrte sich verzweifelt. Schließlich aber wurde er bezwungen. Jetzt war endgültig nichts mehr von ihm zu hören. Doch seine zornig blitzenden Augen drückten seine Meinung hinlänglich aus. Wenn Blicke töten könnten, wären die fünf Cameloten auf der Stelle tot umgefallen. Der Mann aus der Nordmark wurde gebunden und gezwungen, hinter den Pferden her zu stolpern. Burg und Ort Orplid lagen ziemlich weit von dem Jagdwald entfernt. Zum Schluß wurde der Mann aus der Nordmark mehr geschleift, als er aufrecht auf seinen Füßen lief. Das Gros der Jagdmannschaft war, ohne auf den König zu warten, zur Burg geritten. Der Bau war nicht so groß wie Schloß Camelot. Doch er legte schon auf den ersten Blick Zeugnis von der Wehrhaftigkeit seiner Erbauer und Bewohner ab. Dreifach legten sich breite, tiefe Wassergräben um den Komplex. Dreifach schützten steile Wälle die Anlage. Hinter den Wällen kamen hohe Mauern mit abgesicherten Laufgängen auf den Mauerkronen.. Erst nach den Wällen begann die eigentliche Burganlage mit Hof, Burgfried, Ställen und Wohnhaus. Herzog Berwin von Orplid gehörte einem Geschlechte an, das seit vielen Generationen über ein kleines aber finanzgesundes Land mit arbeitsamer Bevölkerung regierte. Die Kunde vom Tode des Herzogs mußte der Heimführung des Toten vorausgeeilt sein. Jedenfalls waren die Fahnen auf Burgfried und den Tortürmen auf Halbmast gesetzt.
Als der Zug mit dem toten Herrscher die erste Brücke passierte, begannen im Hof dumpf klingende Luren den Trauergruß zu blasen. Blakende Pechfackeln erleuchteten den Burghof. Der Dämmerung blaue Schatten hatten sich schon hier eingenistet. Herzogin Inger war auf die breite Freitreppe getreten. Schön und groß und ohne Regung erwartete sie ihren toten Mann. Immer noch bliesen die Luren. * Wer immer die Zeremonie überwachte, er hatte alles genau aufeinander abgestimmt. Just in dem Augenblick, da Herzog Berwin an seiner Frau vorbeigetragen wurde, brach der Lurenruf ab. Der letzte Ton der Bronzehörner hing in der kalten Winterluft, als solle er gefrieren. Am Himmel glitzerte der erste Stern. Dicht hinter Inger, der schönen Herzogin, stand Königin Ginevra. König Artus winkte die Ritter Roland und Volker vom Hohentwiel zu sich. »Ehe mein Schwager Berwin aufgebahrt wird, sollte er genau untersucht werden.« Ritter Roland und sein Freund Volker nickten einträchtig. Der Fall mußte erschöpfend geklärt werden. »Damit wir alle genau Bescheid wissen, Majestät.« König Artus ging zu Königin Ginevra und zu der Schwester. Herzogin Inger sollte über alles informiert sein, was mit ihrem Manne geschah. Ohne einen Laut von sich zu geben, brach die rotblonde Frau zusammen. Das geschah so schnell, als habe ein unsichtbarer Blitz sie getroffen. Zum Glück konnte König Artus die Schwägerin auffangen. »Wer hilft mir?« Roland und Volker vom Hohentwiel waren sofort zur Stelle. »Tragen wir Ihre Erlaucht, die Herzogin, in ihre Kemenate?«
Die verwitwete Herzogin war jünger als Königin Ginevra. Auch zeigte sie einen ganz anderen Gesichtsschnitt. Dennoch stand sie der Herrin von Camelot an Schönheit nicht nach. Roland zeigte nicht, daß er genau wußte, was in dem Freund vorging. Er verstand Volker. Auch er empfand Herzogin Inger als schön. Wie sie jetzt so dalag und die langen, dichten, goldblonden Wimpern über den rosenfarbigen Wangen einen reizvollen Kontrast zu ihrer makellosen Haut bildeten, mußte ein Mann schon einen Stein in der Brust haben, um von dem Anblick unberührt zu bleiben. Königin Ginevra zeigte den beiden Camelot-Rittern den Weg. Auch die Zofen und persönlichen Dienerinnen der schönen Herzogin eilten herbei. Über mangelnde Begleitung und Anteilnahme konnte sich Frau Inger wahrhaftig nicht beklagen. Königin Ginevra wandte sich an Roland und Volker. »Ich glaube, wir könnten es jetzt den Zofen überlassen, ihre Herrin zu tragen.« Gerade in diesem Augenblick brach ein Schrei über die Lippen der Herzogin. Das hallte grauenhaft laut im Saal und in den Gängen der Burg wider. Roland erkannte entsetzt, wie es um Herzogin Inger stand. Die Frau erwartete ein Kind. Wahrscheinlich hatte der Zustand ihrer Schwester Königin Ginevra bewogen, gerade jetzt Orplid zu besuchen. »Laß Dienerinnen und Zofen ihre Herrin tragen.« Das raunte Roland seinem Freunde Volker zu. Volker vom Hohentwiel aber hätte um nichts in der Welt Herzogin Inger aus seinen Armen gelassen. Er wehrte die Frauen in einer Art ab, die nicht mehr als einen Versuch zuließ, ihn von seiner Last zu befreien. Roland blieb an der Seite seines Freundes. Für den starken Volker war die Herzogin so leicht wie eine Feder. Roland raunte: »Überlaß sie ihresgleichen, Volker. Sie kriegt ein Kind.« »Dann muß ich ihr erst recht helfen.« Volker vom Hohentwiel war nicht von seiner Meinung abzubringen. Er wurde höchstens eine Kleinigkeit schneller, als die Herzogin zum zweiten Male schrie. Das Herzogspaar hatte Ingers Zustand nur denen verraten, die
unbedingt Bescheid wissen mußten. Für Berwin gab es keine größere Freude, als sich auszumalen, wie es wohl wäre, wenn er mit seinem Sohn spielte. Bei ihrem dritten Schrei, bäumte Herzogin Inger sich so unsagbar heftig auf, daß Roland zugreifen mußte. Um ein Haar wäre die Frau Volkers Armen entglitten. Der Sänger schritt noch schneller aus. Herzogin Inger brauchte keinerlei kosmetische Mittel. Wimpern, Brauen, Lippen, Mund und Zähne wirkten so, wie sie von Natur aus waren. Es ging durch viele, verwinkelte Flure. Dann endlich betraten sie die Kemenate, darin das Bett des herzoglichen Paares stand. Der Raum besaß einen Kamin, darin prasselte ein Feuer aus besonders wohl riechenden Hölzern. Offenbar hatten sich Herzogin und Herzog heute hier einen gemütlichen Abend machen wollen. Eilfertig liefen Dienerinnen und Zofen an dem Sänger vorbei. Sie schlugen die Felldecken auf. Das breite Doppelbett hatte Bettücher aus reiner Seide. Ein kaum vorstellbarer Luxus. Die meisten der Familien, welche für die herzogliche Familie arbeiten mußten, schliefen damals noch im Stroh. »Bettet meine Schwester in ihrer gewohnten Umgebung.« Der Anweisung Königin Ginevras gehorchte der ritterliche Sänger sofort. Ingers Leib wurde hin und her geworfen. Roland mußte unwillkürlich an einen Vulkan denken, der kurz vor dem Ausbruch steht. Zofen und Dienerinnen nahmen sich ihrer Herrin an. Dabei hing dauernd ein hoher Ton im Raum, als weine jemand. Mägde schleppten Zuber, Bottiche und Kannen mit heißem Wasser herbei. »Und jetzt geht, meine Herren Ritter. Wir danken für eueren Beistand. Die Hilfe, deren meine Schwester fürderhin bedarf, können nur Frauen ihr geben.« Im Hinausgehen sah Volker noch, daß und wie Herzogin Inger von geschickten, flinken Zofenhänden entkleidet wurde. »Komm, wir besorgen uns einen Humpen Wein. Damit setzen wir uns an den Kamin in der Halle.«
Volker wehrte Rolands Vorschlag ab. »Ich werde ihr ein Lied schenken. Ihr und dem Kind.« »Mach, was du willst. Nur bleib hier nicht stehen. Du kannst ihr nicht helfen und machst dich höchstens lächerlich.« Der Herzogin setzten die Wehen zu. Ihre Schmerzensschreie erschallten in immer kürzeren Abständen. Dann gesellte sich hier und da eine Frauenstimme dazu. Das natürliche Geschehen nahm also seinen Fortgang. Plötzlich waren da noch ganz andere Geräusche in der Burg. Sie drangen dorther, wo der Saal lag. Menschen schrien lauthals. Hörner klangen. Glocken läuteten. Ritter Roland legte den Kopf schief. »Hast du eine Ahnung, ob Orplid mit jemandem in Fehde liegt?« »Es herrscht tiefster Friede.« Roland ergriff den Arm des Freundes. »Laß uns nachsehen, was es gibt.« »Da steht kein Feind vor der Burg.« Obschon er fest an seine Behauptung glaubte, folgte Sänger Volker dem Freund. Je näher sie der Halle kamen, desto deutlicher wurde ein eindeutiger Brandgeruch. War da ein Küchenjunge wieder einmal zu sorglos mit Feuer oder Licht umgegangen? Die Freunde aus Camelot kamen nicht bis zum großen Saal durch. König Artus hielt sie an. Er stand wie ein einfacher Kriegsknecht in der Menschenkette, welche Eimer auf Eimer zur Halle schaffte. Der Rempter brannte lichterloh. »Bleibt hier.« Roland hatte Einwände. »Und der Gefangene?« »Um den kümmert sich Waidenhold.« Das Feuer war aus unerkennbaren Gründen ausgebrochen. Es glich einer Naturkatastrophe. Die meisten Räume der Burg waren mit Holz getäfelt. Das sah schön aus und wärmte, doch bei Brandgefahr erhöhte es die Gefahren. Das Feuer mußte an vier, fünf Stellen zugleich ausgebrochen sein. Da waren Brandstifter am Werk gewesen! Während Roland dieser
Gedanke durch den Kopf schoß, rannte Waidenhold in höchster Aufregung herbei. »Seht her!« Der Waffenmeister zeigte zwei besonders fette Ratten vor. »Die hingen in den Ketten, welche ich selber vor noch nicht ganz zwei Stunden Aiko, dem Mann aus der Nordmark, angelegt habe.« Roland und die neben ihm stehenden Volker und König Artus, ließen zwar die Wassereimer nicht fallen, welche gerade vorbeiwanderten, doch es flammte in ihren Augen. »Er ist geflohen?« Das stellten die drei Männer wie aus einem Munde fest. Waidenhold nickte. »Ja. Das paßt alles haargenau zusammen. Der Anschlag auf den Herzog, der Überfall auf uns. Jetzt das Feuer und die Flucht des tückischen Nordmannes.« Der Waffenmeister hatte recht. Irgend jemand, den kein Mensch kannte, zog im Dunklen die Fäden dieses unheilvollen Ränkespiels. König Artus bekam schmale Lippen. »Wer das zu verantworten hat, muß dafür bezahlen.« * Was die Burg an Mannschaft und arbeitsfähigen Leuten aufzubieten hatte, war bis zur Erschöpfung mit Löscharbeiten beschäftigt. Der Einsatz war gut gemeint, aber er genügte leider nicht. Obschon die Löscheimer immer schneller an die Brandherde kamen und ihr Wasser in die lodernden Flammen spuckten, die Flammen griffen immer weiter um sich. Der Burgmeister schickte seine Männer aus. »Holt alles aus Orplid her, was Beine hat, und das schnell.« »Jawohl.« Die Menschen aus dem Dorf kamen gehorsam. Doch auch jetzt reichte die Zahl der Brandbekämpfer nicht aus. Immer weiter wurden sie von den gierig das Tafelholz fressenden Flammen zurückgedrängt. Gar bald mußten sie fürchten, die lodernden
Feuerzungen hätten sie eingekreist. König Artus erkannte die Gefahr zuerst. »Alles zurück. Der Brand schneidet uns den Weg aus der Burg ab.« Das stimmte nur zu sehr. Doch der Burgmeister widersprach heftig. »Wir können die Burg doch nicht aufgeben, Mann.« Als er erkannte, wen er da angesprochen hatte, wurde er respektvoll. »Halten zu Gnaden, Majestät, aber wir müssen unsere gute, feste Burg Orplid retten.« Ritter Roland fand, schlimmer und erbarmungsloser hätte das Schicksal nicht zuschlagen können. Arme Herzogin. Armes Kind. »Zurück!« befahl der König. Während sie wichen, bereiteten sie dem vorrückenden Feuer immer wieder neu ein hemmendes Bad. Das half, wenn auch nur für Minuten. Es war, als krieche der Brand auf den Steinen unter der Täfelung weiter. Ritter Volker brach nicht aus der Kette der Wasserträger. Doch er sprach König Artus an. »Wäre es nicht an der Zeit, Majestät, die Damen aus der Burg zu bringen?« »Richtig. Das machst am besten du mit Roland.« Ritter Roland hielt nach seinem Waffenmeister Ausschau. »Er hat doch vorhin erst hier gestanden.« Artus lachte. »Der ist längst auf der Spur des Nordmarkers, und das ist gut so. Auf denn, meine Herren, bringt mir die Damen in Sicherheit.« * Herzogin Inger hatte einen gesunden, kräftigen Knaben zur Welt gebracht. In typischer Weibermanier mutmaßten Dienerinnen und Zofen, wem wohl der Junge ähnlich sah.
»Ganz der Vater!« »Davon hat er höchstens die Statur.« »Das Gesicht hat ihm die schöne Mama vererbt.« In der Kemenate hatte man vom ausgebrochenen Brand und der damit verbundenen Aufregung noch so gut wie nichts gemerkt. Einem heftigen Windstoß ähnlich brachen die Ritter in den Kindbettfrieden. Ermattet lag die Herzogin in den Kissen und unter der Fülle ihrer Bettpelze. Sie sah zauberhaft aus. Ihr weizenblondes Haar umstand einem Heiligenschein ähnlich ihr zartes, nobles Gesicht. »Draußen rufen sie Feurio, meine Damen. Wir sind gehalten, Sie alle aus der Burg zu bringen.« Herzogin Inger erklärte, unter allen Umständen in ihrer Kemenate und im Bett bleiben zu wollen. Königin Ginevra kam zu Roland. »Steht es so, daß wir ernsthaft an Auszug denken müssen?« »Ja, meine Königin.« Die Königin kannte Roland genau. Sie wußte, daß er niemals übertrieb. Leichtfüßig ging sie zum Bett ihrer Schwester. Sie beugte sich zu Inger nieder. »Du, es muß zum Besten deines Söhnchen sein, daß ihr mitgeht, ihr zwei, wenn die Herren uns aus der Burg schaffen.« Die Herzogin lächelte ihrer Schwester voll Vertrauen zu. »Es soll alles geschehen, was du für richtig hältst, Ginevra. Du warst immer schon die Klügere von uns beiden.« Das sagte sie so, als stelle sie die einfachste und natürlichste Sache der Welt dar. »Erlaube unserem Ritter Volker vom Hohentwiel, dich zu tragen. Ritter Roland, unser wohl stärkster Degen, wird die Wiege mit deinem Sohn transportieren.« Die Wiege. Sie zeigte am Kopfende eine Herzogskrone. Darunter das Wappen derer von Orplid. Der Säugling ruhte unter einem kleine Gebirge wärmender Decken und Kissen. Roland hatte sich der Wiege bemächtigt. Er trug sie, als sei das die leichteste Sache der Welt. Königin Ginevra sah den besorgten
Ausdruck in den Augen ihrer Schwester. Sie streichelte ihr das schöne Blondhaar. »Bei Roland ist der kleine Berwin in den besten Händen. Er soll doch Berwin heißen, unser liebes Patenkind, oder?« »Wollt ihr denn Gevatter stehen, dein König Artus und du, Schwester?« Königin Ginevra lächelte fein. »Sofern du niemanden hast, dem du die Patenschaft lieber überträgst als uns, ja.« Volker vom Hohentwiel bekam das aufgeladen, was er am liebsten trug. Die junge Mutter und Herzogin. Ihre Zofen hatten sie gewaschen und hergerichtet. Sie sah wieder frisch aus und strahlend schön. Sie lächelte Volker ausgesprochen freundlich an. Der Ritter vom Hohentwiel errötete bis unter die Haarwurzeln. Roland sah, daß Herzogin Inger sich einen leichten Backenstreich verabfolgte. Er verstand, was dieses Zeichen der Strenge gegen sich selbst zu bedeuten hatte. Die Brandbekämpfer mußten derweil eine Doppelkette bilden. Sonst wäre es unmöglich gewesen, die Damen aus der brennenden Burg zu bringen. Brennende Burg? Ritter Roland gestand sich ein, daß schon ein Wunder geschehen müßte, die Burganlage von Orplid zu retten. Die goldenen Flammen ließen an äußerst bewegliche, gierige Tiere denken. Ihr zuckender Feuerbiß setzte hier knisterndes Holz in Brand und sprang dort vom Täfelungsholz auf Möbel oder Dekorationsstoffe über. Roland beschleunigte den Schritt. Bei der Brandbekämpfung fehlte jeder Mann. Volker und er mußten so schnell wie möglich an die Löscharbeiten zurück. Sie brachten die Herzogin und Königin Ginevra samt ihren Dienerinnen und Mägden in der strohgedeckten Mühle unter. Deren Räder standen jetzt still. Der Müller mit seinen Knechten war beim Löschen. Die Mühle würde voraussichtlich vom Feuer verschont bleiben. Der Wind trieb den Funkenflug von der brennenden Burg in die entgegengesetzte Richtung. Das Feuer hatte inzwischen den gesamten Baukomplex erfaßt. Es sah so aus, als läge Burg Orplid
unter einer Glocke aus gleißender Helligkeit und sprühenden Sternschnuppen, die immer wieder himmelwärts schössen. Was hatte dieser bemerkenswerte Tag der Herzogin von Orplid alles gebracht? Der Mann war verloren, sie hatte den Erben des Herzogtums geboren. Und jetzt sank auch noch die Burg in Rauch, Schutt und Trümmer. Allein jetzt zeigte sich, wie sehr Herzogin Inger an Seelenstärke ihrer Schwester, Königin Ginevra glich. Sie war bereits wieder in der Lage, Entschlüsse zu fassen. Sie wehrte sich energisch dagegen, ins Wohnhaus der Mühle gebracht zu werden. »Mein Unglück soll nicht der Anlaß sein, andere gleichfalls ins Unglück zu treiben. Der Müller ist ein braver Mann. Bis die Burg aufgebaut ist, nehme ich im Diensthaus der Mahlknechte Quartier. Das Mühlengesinde mag sich in den Stockwerken über den Mahlwerken einrichten. Sagt dem Müller, daß ich für die Unterkunft bezahle, wie es ordentlichem Brauch entspricht.« Auch Königin Ginevra hatte offenbar das Bedürfnis, der Schwester etwas Tröstliches zu sagen. »Beim Wiederaufbau werden wir, mein Artus und ich, dir nach Kräften helfen, Inger.« Es geschah alles, wie die Herzogin wollte. Das Diensthaus der Mühlenknechte erwies sich aber als eng. Die Zofen, Dienerinnen und Mägde mußten tüchtig zusammenrücken, doch es würde eine Weile gehen. Noch erfaßte niemand aus dem Kreis der Frauen den ganzen Umfang der Katastrophe. Sie gingen davon aus, daß der Brand ja gleich von Anfang an bekämpft worden war. Also glaubten sie, ein Burgflügel oder- deren mehr noch, würde wohl vor den Flammen gerettet werden. Welch grausamer Irrtun. Die Burg Orplid brannte bis auf die Grundmauern nieder. Die Flammen wüteten so schaurig wild, daß nicht einmal Herzog Berwins sterbliche Überreste aus dem lodernden Feuermeer gerettet werden konnten. Die Burg der Väter wurde für den toten Herzog zum Scheiterhaufen. Wie seine Vorfahren in grauer Zeit verbrannte
er. Damals waren die gefallenen oder gestorbenen Helden an den Mast ihres Drachenbootes, ihrer »Knorr«, gebunden worden. Mit Schwert, Helm und Brünne saßen Sie da in voller Rüstung. Die besten Freunde zündeten das Boot an. Meist wurde gewartet, bis der Südwind blies. Es galt als ein gutes Vorzeichen für eine Bestattung auf hoher See, wenn das Drachenboot nach Norden trieb. Irgendwie mußte diese Form der Beisetzung mit dem Walten höherer Mächte verbunden sein. Denn nie wurden die verkohlten Reste einer solchen »Knorr« gefunden. Rauchgeschwärzt stießen Roland und Volker zu König Artus und ihren Knappen Louis und Pierre inmitten der Löschmannschaften. Längst hatten die Männer erkannt, daß Burg Orplid verloren war. Doch sie gaben nicht auf. Immer wieder versuchten Wassergüsse, den Triumph der Flammen zu vereiteln. Die Frauen waren in den Nebengebäuden der Burgmühle gut untergebracht. Wo Roland, Ritter Volker und sogar König Artus in dieser Nacht ihre müden Glieder ausstrecken würden, wußte niemand. Waidenhold verfolgte eine Spur, die des geflohenen Gefangenen. Die Löschmannschaften von Orplid blieben tätig, bis der nächste Morgen graute. Waidenhold war in aller Eile aus Orplid aufgebrochen. Lange sah er hinter sich den Widerschein des Brandes, der den Himmel rötete. Einige Male war er drauf und dran, umzukehren. Dann aber entschied er sich dafür, den einmal eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen. »Orplid und auch dem Willen unseres Königs ist mehr gedient, wenn ich die Täter bringe.« Längst war dem Waffenmeister klar, daß Aiko aus der Nordmark nicht allein geflohen war. Sein Begleiter mußte noch raffinierter sein, als Aiko selber. - Waidenhold gönnte sich keine Rast. Die Flüchtlinge, auf deren Spur er hing, hielten es genauso. Sie benahmen sich, als wüßten sie, daß sie verfolgt wurden. Doch langsam aber stetig holte Waidenhold auf.
Er saß auf seinem Pferd, einem derbstämmigen Schlachtroß Brabanter Zucht. Daneben führte er ein Saumpferd am Zügel. Das Tier war hoch bepackt. Jetzt standen sie vor dem zugefrorenen Flußlauf. Die Pferde wollten anfänglich nicht aufs Eis. Doch Waidenhold schaffte es mit viel Zureden, daß sie ihm mißtrauisch schnaubend folgten. Der Strom brachte unter dem Eis gar unheimliche Geräusche zustande. Immer wieder scheuten die Pferde. Doch sobald der Brabanter die Hufe bewegte, folgte auch das Saumpferd dem Beispiel. Waidenhold wischte sich den Schweiß von der Stirn, als nach endlos langer Zeit das dröhnende Mahlen, Schieben, Rumpeln und Knurren unter dem Eis plötzlich aufhörte. Sie hatten Glück gehabt und die Stelle erwischt, wo an einer Flußbiegung sich das Eis staute und eine Brücke von Ufer zu Ufer baute. Waidenhold verlor Zeit. Die Spur der Flüchtigen war nicht mehr zu sehen. Der Mond hatte sich hinter bleidunklem Gewölk verkrochen. Wind kam auf. Zu allem Überfluß begann es zu schneien. Morgen früh würde auch ein so geübter Mann wie Waidenhold die Fährte nicht mehr aufnehmen können. Immer wieder versuchte der Waffenmeister sein Glück. Ohne Erfolg. Gerade musterte er das Ufer. Ob sie bei den Klippen etwa untergezogen waren und auf ihn lauerten? Ihm kam es so vor, als blitzte in ziemlicher Entfernung Licht. Ob da irgendwo in der Einsamkeit Fischer wohnten? Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, da stürmte etwas heran, als sei es aus den Wolken gefallen. Es stand auf vier starken Beinen, lief leicht schräg und bewegte sich so flink, wie man es den Wieseln nachsagt. Die Pferde wieherten in höchster Angst. Das Etwas brummte. Waidenhold begriff die Situation. Blitzschnell glitt er aus dem Sattel. Zugleich verknotete er den Zügel des Saumpferdes mit dem Zaumzeug des Brabanters. Dann klatschte er mit flacher Hand auf den breiten Rücken des Kriegspferdes.
»Bring dich in Sicherheit aber renn nicht so weit weg, daß ich dich nicht mehr finde.« Das brummende Etwas hatte Waidenhold erreicht. Es richtete sich auf und war ein übermannshoher, schrankbreiter, äußerst gereizter brauner Bär. »Hör zu«, sagte Waidenhold und sprach zu dem Tier wie zu einem Menschen. »Ich will dir nichts Böses. Vor allem habe ich deinen Winterschlaf nicht gestört. Sei vernünftig und laß mich meiner Wege ziehen.« Die Pferde waren in höchster Gangart dem Schauplatz allen weiteren Geschehens enteilt. Der Braunbär aber erstrebte ungeachtet der Mahnworte des Waffenmeisters nichts so sehr, wie Waidenhold an die Haut zu kommen. »Schade«, sagte der Waffenmeister. Er machte einen Ausfall mit dem Schwert. Dabei gelang ihm ein Sonntagstreffer. Er drückte im Stoß die Pranken des Bären zur Seite und fand das Herz des Tieres. Waidenholds Schwert tauchte bis zum Heft ein. Waidenhold hatte sich nicht flink genug zurückgezogen. Der Braunbär bekam ihn zu packen. Er umschloß den Waffenmeister mit beiden Pranken. Gegen die vitale Kraft dieser Umarmung half keine Menschenstärke. »Schade«, dachte Waidenhold. Die Sinne schwanden ihm. »Daß Bären mein Schicksal sind, ist mir nicht neu. Daß mich ein weißer Bär meiner nordischen Heimat eines Tages auslöschen würde, damit habe ich gerechnet. Daß ein brauner Bär aus dem fremden Orplid den Schlußpunkt hinter mein Leben setzt, scheint mir neu. Adieu, Roland. Ich wünsch dir alles Glück der Welt.« Waidenhold wurde schwarz vor Augen Das Ende war da. Es bestand aus Schmerzen, krachenden Knochen und dröhnendem Gebrüll. * 24 Stunden nach dem großen Brand, schwelte die Asche immer
noch. Von der Burg Orplid standen nur noch die Umfassungs- und die Grundmauern. Wie alle anderen Männer auch, so hatten die Knappen Louis und Pierre unentwegt geschuftet. Trotz allen Mutes und ungeachtet der Mühe, war wenig aus der brennenden Burg gerettet worden. Doch hatte das Riesenfeuer keine Menschenleben gekostet. Gemessen an der Unterbringung der Ritter Roland und Volker vom Hohentwiel änderte sich für die Knappen so gut wie nichts. Sie hatten eine Zeitlang in der gleichen Kammer gewohnt. Hier in Orplid aber schienen Eintracht und Friede gefährdet. Kam da doch Knappe Pierre am Mittag nach dem Brand mit einem gar seltsamen Ansinnen heraus. »Was muß ich dir geben oder sagen, damit du mich heute nacht allein in der Unterkunft läßt?« So fragte Pierre. Louis musterte den dicklichen Kameraden, als halte er Pierre für ungewaschen, weil er ihn riechen konnte. Er rümpfte unübersehbar die Nase. »Kriegst du etwa weiblichen ... ich meine Damenbesuch?« »Ja.« Es stellte sich umgehend heraus, daß Louis ähnliche Sorgen und auch ein ähnliches Anliegen hatte. Er spielte mit einem Golddukaten. »Die feine Münze könnte glatt ohne viel Umstände in deinen Geldbeutel wandern, wenn du die kommende Nacht irgendwo im Stroh verbrächtest.« Entrüstet blies Pierre die Backen auf. »Soll ich etwa neben Samum und unseren Pferden in die Stallstreu kriechen?« Louis schlug dem Kameraden auf die Schulter. »Nun tu doch bloß nicht so, als hätte so was noch nie stattgefunden. Bei Samum kannst du weder Flöhe noch Läuse, noch sonstwas fangen.« Knappe Pierre war zu keinem Entgegenkommen bereit. »Wenn du mir meine ... kleine Entspannung verdirbst, komme ich dir auch nicht entgegen. Gleiches Recht für alle. Ich bin genausogut Knappe unseres Herrn wie du.«
Louis' Augen leuchteten. »Hör zu! Warum halten wir es heute nicht genauso wie schon das eine und andere Mal zuvor?« »Du meinst, wir sollten ... du da, ich da ... jeder in seinem Bett die Damen ... Damit darf ich meiner Gertruda nicht kommen, Louis.« »Hast du sie denn schon gefragt?« Es stellte sich heraus, daß Gertruda, die Erkorene Pierres und Binutis, der Orplidische Wunsch des Knappen Louis, einander kannten. Gertruda und Binutis hätten Schwestern sein können, so sehr glichen sie sich. Sie waren schlank, ohne mager zu sein, hatten respektable Oberweiten und stramme, lange Beine unter beweglich breiten Hüften. Die Hinterteile waren so beschaffen und prall, daß die Männer häufig in die Versuchung gerieten, darauf zu klatschen oder in die Prachtpopos zu kneifen. Die Mägde kicherten. Sie versteckten die errötenden Gesichter hinter den Händen. »Wenn du offiziell mein Bräutigam bist, laß ich über so etwas mit mir verhandeln.« So Gertruda. Ähnlich äußerte sich wohl auch Binutis. Die Verabredung war schnell unter Dach und Fach. »Nach dem Abendläuten?« »Ja. Beschafft einen Krug Wein. Wir bringen Braten aus der Küche mit.« Die Mägde verabschiedeten sich von ihren Knappen mit einem Kuß. Dabei versäumte trotz des hellen Tages weder Louis noch Pierre, sich via Hand einen kleinen Vorschuß auf die Seligkeit der kommenden Nacht zu verschaffen. Die Mägde sprangen lachend davon. Beide waren jung und ansprechend temperamentvoll. Die Erfahrenere, die etwas ältere Gertruda, neigte sich kichernd Binutis zu. Sie eilten zur Küche. Louis und Pierre sahen den Mädchen nach. Der Anblick der wehenden Röcke und der wippenden Blusen weckte die Vorfreude auf die Nacht noch eine Kleinigkeit mehr, als das der direkte Kontakt vorhin schon getan hatte. Der Tag ging ihnen viel zu langsam dahin. Das Warten und die
Ungeduld wurden gewürzt, indem Ritter Roland die Knappen zu einem Streifzug rief. »Wir müssen herausfinden, wo Waidenhold geblieben ist.« Pierre maulte verstohlen. »Muß das sein nach so einer Plackerei, wie das Löschen gewesen ist? Kann der alte Eigenbrödler nicht für sich allein sorgen?« Auch Louis war durchaus und im Grundsatz der Meinung, es wäre jetzt schöner, irgendwo auf warmem Stroh zu liegen und zu träumen. Doch er gab nicht nach. »Tritt deinen inneren Schweinehund in den Hintern, Pierre. Dienst ist Dienst, und das sieht bei uns so aus, daß wir eben unseren Herrn zu begleiten haben. Schnaps ist Schnaps und der wird uns heute, wenn wir die Tagespirsch und das Abendbrot hinter uns haben, von den bewußten Weiblichkeiten serviert. Komm, sei kein Frosch und tu deine Pflicht.« »Tu ich das nicht immer?« Pierre machte die Pferde zurecht. Dabei ging er ein wenig ungeschickt zu Werke. Samum revanchierte sich für zu stramm angezogenes Riemenzeug auf der Stelle durch einen kneifenden Biß in Pierres Allerwertesten. Dazu wieherte der Hengst, als lache er lauthals. Volker vom Hohentwiel blieb in Orplid und in der Nähe der Herzogin Inger, die jetzt Wöchnerin war. Roland trabte mit den Knappen in den verschneiten Wald. Der Winter spielte seine Kälte voll aus. Der Schnee knirschte unter den Stollenhufen der Pferde. Bis zum Fluß zu gelangen, war es noch leicht. Von da an jedoch wurde es nicht nur schwerer, sondern glatterdings unmöglich, eine Spur auszumachen. Ritter Roland hatte darauf bestanden, drei der besten Jagdrüden mitzunehmen. Die schweren Hunde waren auch zu gebrauchen, wenn es zum Kampf Mann gegen Mann kam. Der Frost hatte den Fluß bis weit über die Strommitte hinaus zu festem Eis gemacht. Schollen waren übereinander geschoben worden und dann nahtlos gefroren. Der breite Strom sah jetzt aus wie eine chaotische Landschaft, in welcher nur Eisriesen mit wirklichem Genuß zu leben vermögen. Das Wasser strudelte nur noch in einer
Rinne von gut zwanzig Klaftern Durchmesser dahin. Die Weite vermochte kein Mensch zu überspringen. Die Pferde wären sofort untergegangen, hätte man sie in den Fluß gezwungen. Die Hunde rannten aufgeregt bellend hin und her. Das jenseitige Ufer war nur zu ahnen. Ritter Roland legte die Hände wie eine aufgebrochene Muschel vor die Lippen. »Hojohojotoho«, schallte der Jagdruf der Camelot-Mannschaft über Fluß und Land. Sie horchten der mächtigen Stimme nach. Drüben, am jenseitigen Ufer, hinter den Vorhängen aus grauem Dunst, mußten Felsen liegen. Denn das Echo beantwortete den Ruf. Sonst jedoch kam nichts. Roland wandte sein Pferd. »Wir reiten heim.« Selten hatten die Knappen einen Befehl gehört, der ihnen mehr gefiel. Sogar die rauhpelzigen Jagdhunde sahen irgendwie erleichtert aus. »Vertrauen wir auf das gute Glück und darauf, daß Waidenhold bald zurückkehrt.« Wieder begann es zu schneien. Nicht nur über dem Strom und den Wäldern drum herum, sondern auch da, wo Waffenmeister Waidenhold lag. Es war ein Bett, worin er aufwachte. Die bunt karierten Vorhänge schenkten den kleinen Fenstern eine gewisse Gemütlichkeit. Pelzwerk und Daunenkissen machten das Bettzeug aus. Vor dem Bett stand ein Schemel. In der Mitte des Raumes lud ein Wagentisch auf breiten Eichenholzstempeln zum Platznehmen ein. Das Zimmer war ziemlich groß. Waidenhold brauchte lange, bis er zu sich kam, bis er begriff, daß er zwar in fremder Umgebung, aber nicht allein war. Allmählich erinnerte er sich. Sein Aufbruch von Orplid. Die Fährte. Der vereiste Strom. Der angreifende Bär. Hatte er laut gesprochen? Jedenfalls bekam er Antwort. Eine wohlklingende, warmherzige Frauenstimme ging auf seine Gedanken ein.
»Den Bären haben meine Leute im Hof auf die Fleischleiter gespannt. Ein Wunder, daß er dich nicht erschlagen hatte. So starke Bären sind rar bei uns. Dein Schwert hat genau sein Herz durchbohrt. Auch Männer, die so treffen, sind selten. Solche, die eine Bärenumarmung von der Art überstehen, trifft man noch seltener.« Waidenhold wollte sich aufrichten. Es gab viel zu fragen und viel zu klären. Doch ein stechender Schmerz im Kopf hielt ihn von weiteren Versuchen, sich hochzuziehen, ab. Außerdem schmerzten Rippen und Schultern. Jetzt sah Waidenhold die Frau ganz deutlich. Sie hatte ein breitflächiges, aber klares Gesicht mit großen, blauen Augen und weizenblonden Haaren darüber. Die Haare trug sie offen. »Wahrscheinlich willst du jetzt wissen, wie du hierher kommst. Meine Männer haben dich gefunden. Ich ließ dich herbringen. Ich bin Dalinde, die Frau des Fischmeisters Radbod. Ich habe dich ausgezogen. Dein Zeug war patschnaß vom Geifer des Bären.« Waidenhold war dieser Umstand peinlich. * Unschlüssig kehrten Roland und seine Knappen wieder zum Strom zurück. Hier, mitten auf dem vereisten Fluß, waren Waidenholds letzte Spuren zu erkennen gewesen. Hierhin mußten sie immer wieder zurück, wollten sie das Knäuel entwirren. Bis zum Beginn der Dämmerung hatten sie in immer anderen Kreisen das Gelände durchstöbert. Dann polterte plötzlich dumpfer Hufschlag aus dem Dunst. Das Geräusch wurde schnell zu zwei Schatten. Die Schatten entwickelten sich zu Pferden. Die drei aus Camelot erkannten die Tiere sofort. »Waidenholds Brabanter.« »Und sein Saumroß!« »Da wird auch der Waffenmeister selber nicht allzu weit sein«, stellte Roland fest. »Hoffentlich!«
Die Flanken der Tiere zitterten verhalten. Sie suchten sichtlich die Nähe der Menschen. Irgend etwas mußte sie ängstigen. Bevor einer der drei Cameloten zu einer Äußerung kam, hechelte es schon aus dem grauen Dunst. Der Fall wurde klar. Wölfe schnürten heran. Sie glaubten offenbar, das Schicksal habe die von ihnen gejagten zwei Pferde auf wundersame Weise und allein zu ihrem Vorteil vermehrt. Daß sie einem grausamen Irrtum erlagen, wurde ihnen nicht mehr bewußt. Denn Ritter Roland und seine Begleiter zogen die schweren Jagddolche nicht aus Spielerei. Die Wölfe griffen an. Laut heulend, wie es ihre Art ist. Sie verloren gleich über ein Dutzend Tiere aus dem Rudel. Was die Hiebdolche nicht schafften, das erlag den Hufen der Pferde. Samum sowie die Reittiere der Knappen waren mit gutem Beispiel vorangegangen. In diesem Falle hieß das, sie wendeten den angreifenden Wölfen ihre Hinterteile zu. Sobald die grauen Vielfraße in Schlagnähe gerieten, keilten sie aus. Sie trafen bei der Vielzahl der Angreifer immer. Der schwere Brabanter sowie das Saumpferd folgten ganz ohne Aufforderung dem Beispiel. Und für jeden, der Wölfe nicht mochte, war es eine reine Freude, zu sehen, wie des Brabanters breite Hufe tätig wurden und welchen Erfolg sie hatten. Die Wölfe zogen sich jaulend zurück. Doch sie sammelten zu neuem Angriff. Der Hunger ließ sie alle Gefahr vergessen. Der zweite Sturm wurde genauso abgeschlagen wie die erste Attacke. Nach dem dritten Angriff blieben nur so wenige Wölfe übrig, daß der Rest der Tiere die Ruten zwischen die Hinterbeine klemmte und schleunigst das Weite suchte. Louis und Pierre begannen, die erlegten Wölfe abzupelzen. Waidenholds Saumpferd kam ihnen sehr gelegen. Es konnte die Felle nach Orplid schleppen. Sie waren dabei, die letzten Felle zu verschnüren, da pfiff es an Pierres Ohren vorbei. Zwei Pfeile, kurz, aber mit langen, scharfen Spitzen, steckten im Schnee. Die Richtung, aus welcher die Geschosse gekommen waren, ließ sich schnell feststellen. Ritter Roland reagierte sofort. Er marschierte
dorthin, von wo vermutlich die Pfeile gekommen waren. Knappe Louis nahm seinen Bogen zur Hand. Er legte einen Pfeil auf die Sehne. Das Tageslicht ließ mehr und mehr nach. Langsam setzte Schneefall ein. Lautlos segelten die Flocken aus den Tiefen des Himmels. Ritter Roland war darauf eingestellt, einen Pfeil des gut getarnten und mit Sicherheit heimtückischen Bogenschützen zu kassieren. Allein, nichts geschah. Knappe Louis folgte sichernd seinem Herrn. Knappe Pierre blieb bei den Pferden zurück. Er hielt die Tiere am Zügel. Unaufhörlich sprach er auf Samum ein. Dessen Stimmung war wichtig. Die restlichen Pferde richteten ihr Verhalten stets nach Samums Benehmen. Das war immer und überall so. Knappe Pierre musterte aus schmalen Augen den Waldrand. Die Gefahr kam dorther. Das war ihm klar. Zunächst geschah nichts. Gleich würden Roland und sein Schatten Louis den Wald erreicht haben. Knappe Louis wunderte sich, was sein Herr machte. Roland hatte die Andeutung von Holzrauch in die Nase bekommen. Als Köhlerssohn besaß er für so etwas eine besonders feine Nase. Die rettete ihm das Leben. Ihm und wahrscheinlich auch den beiden Knappen. Der Ritter aus Camelot griff einfach in den Schnee. Er wurde tatsächlich fündig. Ein zwar krummbeiniger aber ausgewachsener Mann zappelte in Rolands Griff, als er sich aufrichtete. Der Kerl hielt Pfeil und Bogen noch in der Faust, als er so unerwartet aus dem Versteck gezerrt wurde. Jetzt ließ er die lautlose Schußwaffe fallen. Er wollte an die Dolche kommen, die er rechts und links im breiten Gürtel trug. Am Anzug des Attentäters herrschten die Farben rot und blau vor. Genau wie bei Aiko, dem Flüchtling aus der Burg Orplid. Hatte der Zufall sie etwa das Versteck des Nordmarkers und seiner Freunde finden lassen? Knappe Louis mochte wohl glauben, vier Augen sähen mehr als
zwei, und vier Fäuste seien für reichere Beute gut. Flink tauchte Louis in den Schnee. Nicht nur das. Er war für drei, vier Atemzüge verschwunden. Unter dem Schnee entstand ein Höllenlärm. Eine keifende Stimme meckerte irgendwelche Proteste. Louis fluchte dagegen. Mit kräftigsten Ausdrücken. Dann kam der Knappe wieder zum Vorschein. Er hielt einen weiteren Zappelmann im Griff. Ganz offensichtlich gehörte auch der zu den Landsleuten des geflohenen Aiko. »Ich hoffe, wir bringen ihn zum Reden.« »Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß sich jemand in der Winterkälte so gemütlich einrichten kann.« Knappe Louis nickte zu den Worten seines Kameraden. »Darin sind die Männer aus der Nordmark die reinsten Meister. Sie bauen Schneehäuser, die einen ganzen Winter halten. Den Schnee bearbeiten sie, wie unsereins Holz herrichtet.« Louis richtete seinen Fang ähnlich wie ein Tragebündel her, während er sprach. Das wüste Reden war dem Nordmarker vergangen. Louis hatte ihm kurzerhand einen Knebel zwischen die Zähne gestopft. Waidenholds Saumpferd bekam auch die beiden Nordmänner noch zu tragen. »Wir reiten zurück.« Die Knappen nahmen diese Entscheidung Ritter Rolands erleichtert auf. Im Dorf Orplid warteten die Mädchen. Louis hatte zumindest eine vage Ahnung, welche Aufgabe ihm für die kommende Nacht zugedacht war. Seine sonst meist verschlossen wirkende Miene wurde freundlich. Ob er es zugeben wollte, oder nicht, die Vorfreude setzte ihm derart zu, daß ihm das Wasser im Munde zusammenlief. Die Pferde schnaubten. Der Geruch der Wolfsfelle regte sie auf. Das Saumroß mußte besonders festgehalten werden. Es rollte wild die Augen und war mehrmals drauf und dran, fortzurennen. Die gefangenen Nordmarker waren hinter das Saumroß gebunden worden. Der Schnee machte ihnen ordentlich zu schaffen. Doch sie torkelten unentwegt fürbaß. Pierre traute den fremden Nordmännern nicht. Ihr Leben wies so
gänzlich andere Normen auf, daß man es mit der Angst bekam. Der Knappe erinnerte sich, Waidenhold irgendwann über seine Erlebnisse mit den Nordmarkern erzählen gehört zu haben. Der Waffenmeister behauptete, so ein echter Nordmarkmann werde schon gleich nach dem ersten Schrei und noch vor dem ersten Schlaf in der Wiege und vor dem ersten Trunk aus der Mutterbrust vom Vater mit dem Schwert gezeichnet. Rechts und links im Gesicht. Daß der Kern dieser Erzählungen nicht aus der Luft gegriffen war, wurde durch die beiden Gefangenen belegt. Ihre Gesichter wiesen Narben auf. An beiden Seiten. Gut verheilte Narben zwar, aber sie hatten unter dem spitzen Schwert gelegen und waren gezeichnet worden. Waidenhold hatte viel von den Sitten, den Bräuchen und den Gewohnheiten der Nordlandleute gewußt. Das verhalf dem Knappen Pierre jetzt zu besonders genauer Beobachtung. So sah er, daß der eine Gefangene es mit grotesken Verrenkungen zuwege brachte, an ein Messer in der Stiefelfalz zu kommen. Er schleuderte das Messer durch heftige Bewegungen der Beine hoch. Dazu mußte er sehr viel Geduld aufwenden. Doch er schaffte es. Das Messer flog schnell. Der Mann aus der Nordmark hatte die Geschicklichkeit eines Akrobaten. Er fing das Messer mit der Beuge seiner gefesselten Arme auf. Sofort streckte er den Kopf vor. Trotz des Knebels mißbrauchte er den Kopf als Werkzeug. Der flotte Zockeltrab des Saumpferdes störte ihn dabei nicht wesentlich. Knappe Pierre tat so, als sähe er nichts. Er war hoch gespannt, wie weit der Gefangene seine Dreistigkeit treiben würde. Es dunkelte immer stärker. Jetzt hatte der Nordmarker eine Hand frei. Nun folgte die zweite. Ehe er damit zu Rande kam, fuhr ihm Pierre in die Parade. »Du bist jemand, den man um sein Geschick heiß beneiden könnte. Aber, was du vorhast, darf nicht sein. Her mit dem Stahl!« Der Gefangene wußte genau, was Pierre meinte. Ehe er sich gegen den Knappen zur Wehr setzte, riß er den Knebel aus seinem Mund. Ein Sturzbach unverständlicher Laute quoll über seine Lippen. Ganz bestimmt stellte keines dieser Worte ein Lob für Ritter Roland und
seine Knappen dar. »Gib das Messer her!« Der Nordmarker fuhr dem dicklichen Knappen heftig an die Gurgel. Pierre strauchelte. Doch er gewann rasch wieder Tritt. Langsam paßte er sich den Aktionen des Nordmarkers an. Der zweite Gefangene wollte dem Beispiel seines Kameraden folgen. Er begann gleichfalls, auf seltsam groteske Art zu hüpfen. Ehe diese Sprünge aber ein Resultat zeitigten, hielt Knappe Louis die Pferde an. »Mit Verlaub«, sagte er zu Roland. Sprach's und ging zu dem Gefangenen. Der ahnte wohl, was ihm blühte. Er versuchte, Louis zu treten. Der Knappe wich geschickt aus und spendierte dem tückischen Feind einen kräftigen Tritt dorthin, wo kein Mann Schmerzen schätzt. Zielstrebig setzte er nach. Bald hatte Knappe Louis den Gefangenen unter. Er drückte den Kopf des Gegners so in den harschigen Schnee, daß dem Nordmarker die Luft knapp wurde. Knappe Louis sprach auf den Gefangenen ein. »Wenn du das nochmal versuchst, dann ...« Er schlug sich die Handkante gegen den Kehlkopf. Die Geste mußte dem Nordländer klar gemacht haben, was ihn erwartete. Jedenfalls machte er eine nachdenkliche Miene und wirkte sehr still. Der Schnee dämpfte den Hufschlag der Rosse. Im eingefallenen Abend machte die Ruine der Burg Orplid einen doppelt traurigen Eindruck. Die Mägde Gertruda und Binutis drückten sich schon am Mahlhaus herum, wo die meisten weiblichen Mitglieder des Hofstaates jetzt wohnten. Beide waren festlich gekleidet. Die Gesichter ließen an gerade genossene Bäder denken. Die Augen von Gertruda und Binutis glänzten erwartungsvoll. Roland sah das. Er lächelte insgeheim. »Sobald die Gefangenen ausbruchssicher untergebracht sind, brauche ich euch nicht mehr.« Das sagte der Ritter aus Camelot laut genug, daß die Mägde es mithörten. Deren Mienen hellten sich auf. Ähnlich wie die Knappen
konnten auch sie den Einbruch der Nacht kaum erwarten. »Den Rest besorg ich allein.« Damit entließ Roland seine Knappen. Sogar der sonst immer gemäßigte Louis verfiel in Laufschritt. Roland hatte die beiden Nordländer fest am Strick. Sie waren erfahren genug, den Ritter richtig einzuschätzen. Sie wehrten sich nicht mehr. Da kam Volker des Weges. Seine Stimmung schien leicht getrübt zu sein. »Weißt du, daß wir übermorgen früh heimreiten?« »Was?« Angesichts des ungelüfteten Geheimnisses, welches den Tod Herzog Berwins umgab, kam Ritter Roland die Entscheidung König Artus, nach Camelot heimzukehren, nicht richtig vor. »Ist das amtlich?« Volker vom Hohentwiel nickte zu Rolands Frage. »Ja. Und es scheint keine Rolle zu spielen, daß Herzogin Inger sich weigert, mit nach Camelot zu kommen.« »Niemand kann die Herzogin zwingen, mit uns zu reisen.« Was Roland sachlich feststellte, mochte richtig sein, tat Volker vom Hohentwiel aber sehr weh. Volkers Meinung nach hätte König Artus sich seiner Schwägerin gegenüber durchsetzen müssen. Volker ahnte es mehr, als er es verläßlich wußte, daß auch Königin Ginevra vergeblich all ihren Einfluß aufgeboten hatte, die Schwester umzustimmen. »Gerade im Augenblick werde ich mehr als je in Orplid gebraucht. Unser Söhnchen soll hier aufwachsen. Wenn er sieben Jahre alt ist, so schicke ich ihn gerne nach Camelot. Damit er in höfischer Zucht erzogen wird.« König Artus und Ginevra hatten sich seufzend angesehen. Vielleicht verstanden sie die Entscheidung der Herzogin. * Waidenhold hätte es nie zugegeben. Doch er fühlte sich wohl in dem
großen weichen Bett. »Du warst allein mit dem toten Bären ... als wir dich fanden. Die Mannschaft muß dich im Stich gelassen haben«, vermutete die Frau. »Ich war hinter zwei Männern her. Vielleicht sind sie hier durchgekommen.« Der Waffenmeister beschrieb Aiko genau. Dalinde dachte nach. Ihr Gesicht hatte die Strenge des Ausdrucks verloren. Es wirkte entspannt und gelöst. Sie streichelte Waidenhold. Dabei war im Funkeln ihrer Augen so etwas wie Besitzerstolz. »Wenn er so aussieht, wie du sagst, muß er zu den Skiren gehören, die ...« Dalinde schwieg. Das geschah so abrupt, als fürchte sie üble Folgen, wenn sie zuviel ausplauderte. »Skiren?« Waidenhold wußte, daß es im Norden der Finnmark Nomadenstämme gab, welche sich als Skiren bezeichneten. Es handelte sich um kleine, aber zumeist sehr kriegerische Familienverbände. Dalinde, die Frau des Fischmeisters, nickte. »Ja, Skiren. So nennen sie sich. Jemand, der mit dem Bund der Eulenbrüder zu tun hat, muß sie ins Land geholt haben.« Eulenbrüder. Das Wort hatte doch auch der Finnmarker Aiko gebraucht, den er verfolgte. »Was ist das für eine Vereinigung?« »Die Eulenbrüder?« »Ja.« »Das sind Männer, denen der Ruhm und die Wohlfahrt Orplids am Herzen liegt. Es gehören Leute von Rang und Einfluß dazu.« Waffenmeister Waidenhold klopfte einfach auf den Busch. »Kennst du den Führer der Vereinigung?« »Den kann ich nicht einmal vermuten. Wir beschäftigten mal zwei Fischersknechte, denen nachgesagt wurde, sie seien Eulenbrüder.« Waidenhold richtete sich halb auf. »Frag sie aus! Stell mich ihnen vor! Ich habe Fragen an sie.« Die Frau lachte. »Sie sind längst nicht mehr bei uns. Radbod regte
sich auf, weil sie ohne Voranmeldung einfach den Dienst verlassen haben ... Aber das ist doch ...« Wieder ließ Dalinde ihre Rede unvollendet. Sie schwieg. Es mußten keine angenehmen Gedanken sein, welche ihr jetzt durch den Kopf gingen. Waidenhold sah die Frau fest an. »Woran denkst du jetzt, Dalinde? An deinen Mann?« Waffenmeister Waidenhold mußte richtig geraten haben. Die Frau vertraute ihm. Denn sie sah ihn offen an, während sie sagte: »Ich glaube, mein Mann Radbod ist im Strom ertrunken. Die meisten Fischer hierzulande lernen nie schwimmen. Damit sie nicht lange zu leiden haben, wenn sie auf See oder im Strom über Bord gehen. Radbod bildete die Ausnahme. Er kann schwimmen. Das weiß ich genau.« »Und trotzdem ist er ertrunken?« Die Frau blieb auch jetzt bei der Wahrheit. »Der Fluß gab seinen Körper nicht heraus. Er wurde nie gefunden.« Waidenhold bewegte sich, als wolle er von Dalinde abrücken. »Vielleicht lebt er noch.« »Nein. So etwas spürt eine Frau. Ich werde Radbod nie wiedersehen. Das weiß ich.« Waffenmeister Waidenhold dachte darüber nach, was er mehr und nähere Einzelheiten über die Bruderschaft des Eulenbundes in Erfahrung bringen könnte. »Weißt du, was ich mir wünsche, Waidenhold, du starker Mann?« Der Mann erriet ihre Gedanken nur halb. »Ich möchte wirklich, ich könnte hier bleiben. Doch es ist mir nicht gegeben, mich wie ein Dieb in der Nacht aus dem Dienst zu stehlen.« Die flüsternde Stimme der Frau wurde ganz leise. »Ich möchte ein Kind von dir!« Waidenhold lachte. »Auch dann, wenn ich nicht weiß, ob ich wieder hierher komme?« Ihre Antwort kam ohne Zögern. »Auch dann! Ich wünsch es mir sehr.«
»Kann man sich so etwas vornehmen? Ist das nicht allein vom Zufall und vom Schicksal abhängig?« »Ich glaube, unser Wille hat auch etwas damit zu tun. Komm! Sei lieb zu mir!« Waidenhold spürte die flammende Lohe der Liebe. Sie hüllte die Frau und ihn ein wie ein großes, ganz weiches Tuch. * Ähnliche Leidenschaften erlebten in diesen Stunden drüben in Orplid die Knappen Louis und Pierre. Es mochte kurz vor Mitternacht sein. Da kratzte jemand an der Kammertür der beiden. Blitzschnell war Pierre aus dem Bett. »Ich mach schon auf«, raunte er dorthin, wo Louis sich unter den Federbetten räkelte. Mit erwartungsvoll glänzenden Augen betraten die Mägde die Kammer. Sie kamen ohne Schuhwerk. Voran Gertruda. Dahinter Binutis. Sie trugen beide dies und jenes, welches der Mensch zu seiner Verpflegung braucht. Braten. Wurst. Gebäck. Bier. Wein. Nicht zu vergessen, Wasser. Pierre nahm die Gelegenheit wahr und schmuggelte seine Hände in und unter Gertrudas Kleid. Die junge Frau hielt still. »Zufrieden?« »Das will ich meinen«, sagte Pierre. Die Stimme des Knappen wurde vor lauter Spannung und Vorfreude heiser. »Komm!« Sie setzte ab, was sie trug. Bis zum Bett waren es nur wenige Schritte. Gertruda legte den Arm um die Hüften des Mannes. Dabei kniff sie ihn zärtlich. Die Knappen hatten die Öllämpchen so eingestellt, daß es nur dämmerig in der Kammer war. Auch Binutis setzte ab, was sie trug. Dann reichte sie Louis die Hand. Ihre Augen blieben dabei geschlossen. Die frische Haut des Mädchens wurde im Gesicht und am Nacken sowie im Ausschnitt hektisch rot und gleich wieder blaß.
Trotz ihrer geschlossenen Augen mußte Binutis, wahrscheinlich durch eifriges Blinzeln, ziemlich genau verfolgen, was um sie herum geschah. So gewahrte sie zum Beispiel, daß Getruda ihr Kleid einfach abstreifte und mit nichts als Luft auf der Haut sich ins Bett legte. Auch Pierre zog sich aus. Dann gesellte er sich zu der Magd. Gertruda machte es ihm leicht. Binutis errötete so, als stünde sie gleich von Kopf bis Fuß in Flammen. Sah sie, daß Louis sich entkleidete? Ihre Hände zitterten, als sie die Verschlüsse ihres Kleides öffnete. Dann fiel die Bekleidung. Sie lag wie eine leere Hülle zu Binutis' Füßen. Louis saß auf dem Bett. Er streckte Binutis beide Hände entgegen. Sie kam zu ihm. Nicht nur das. Sie glitt in seine Arme. Der erfahrene Louis überstürzte nichts. Er begann, das Mädchen zu streicheln. Binutis hatte einen straffen, gut proportionierten Körper. Sie war nicht ganz so stämmig wie ihre Freundin Gertruda. Willig überließ sie sich Louis' Führung. Der Knappe streichelte Binutis. Zärtlich und an den richtigen Stellen. Das Mädchen bildete sich ein, in den Flammen erfüllten Glücks zu vergehen. Was immer Binutis an diesem Abend erwartet haben mochte, es war ganz anders, als es den Schilderungen nach hätte sein müssen. Da gab es keine rohe Gewalt. Nichts tat weh. Nur ein Bestreben beherrschte Binutis. Sie wollte aufgehen und eins werden mit dem Mann, der nicht verbergen konnte, daß er sie begehrte. Verschiedene Male schon hatte Gertruda so eigentümlich unterdrückt geschrien, als bekomme sie keine Luft mehr. Binutis konnte der Versuchung nicht widerstehen. Sie schielte geschwind dort hinüber, wo die Freundin und der Knappe Pierre lagen. Sekunden später wuchs das lustvolle Glück beträchtlich. Binutis hatte angenommen, nun sei keine Steigerung mehr möglich. Welch ein Irrtum. Jetzt, wo sie dem Knappen Louis wirklich gehörte, steigerte sich mit der Erfüllung der Durst des Mädchens nach Liebe ins Unendliche. Binutis wußte bestimmt nicht, daß sie genau so ächzte und stöhnte wie vordem Gertruda. Genausowenig ahnte sie, wie oft ihr diese
Nacht die Erfüllung aller Sehnsüchte schenkte. Der Hahn krähte zum dritten Male, als die Liebenden so weit ins Leben zurückfanden, daß sie für so etwas ordinär Menschliches wie Hunger und Durst aufnahmefähig wurden. Sie hüpften aus den Betten. Ohne einen Faden Kleidung auf dem Leibe setzten sie sich zu Tisch. Draußen mußte der klirrende Mittwinterfrost die Erde tüchtig beißen. Die kleinen Fenster der Kammer waren dick befroren. Getruda und Binutis kicherten. »Das war fast wie bei einer Zusammenkunft der Eulenbrüder.« War es Binutis, die das sagte? Eulenbrüder. Knappe Louis wußte sofort, woran ihn der Name erinnerte. Waidenhold hatte das aus dem entflohenen Nordmarker geholt, aber nichts damit anfangen können. »Wer ist denn das, Schätzchen?« Louis zog das Mädchen an sich. Er begann wieder, Binutis zu streicheln. Jeder, der zusah, erkannte, daß die Magd eine Gänsehaut bekam. Sie hielt Louis die Lippen entgegen. Der Mund war rot. Er erinnerte an eine aufgebrochene Frucht. Louis küßte sie. Schon strebte Binutis ihm erneut mit ihrem ganzen Körper entgegen. Gertruda gab für die Freundin Antwort. »Da müßte man den General fragen, den Herrn Ortwin Sengal.« General. Ortwin Sengal. Was immer in dieser Nacht auch noch geschehen würde, diese Angaben vergaßen die Knappen aus Camelot nicht. Mochten sie dem Streben der Mädchen jetzt auch nachgeben und wieder zu Bett gehen. Ortwin Sengal. Der erste Schritt zur Lüftung des Geheimnisses um die Eulenbrüder war vollzogen. * Bis Louis und Pierre, die Knappen, diese Zusammenhänge aber begriffen, mußte noch sehr viel Zeit verstreichen. König Artus und Gefolge nahmen Abschied von Orplid. Bei aller Wertschätzung, aber es hatte den Anschein, als sehe Herzogin Inger die Verwandten ganz gerne scheiden.
Am Abend vor dem Aufbruch erschien Waidenhold. Der Waffenmeister kam allen, die ihn kannten, verändert vor. Das lag beileibe nicht nur an seiner Verletzung, obwohl die Prellungen und die gebrochenen Rippen starke Schmerzen bereiteten. Von Dalinde hatte es einen langen und, wenn man ehrlich sein wollte, auch schweren Abschied gegeben. Waidenhold hütete sich wohl, so etwas wie Wiederkommen oder was sonst in die Zukunft wies, zu versprechen. Der Waffenmeister hatte dem erlegten Braunbären die Krallen gezogen. Auf eine Schnur gereiht, .ergaben sie einen zwar wildexotischen aber dennoch schönen Schmuck. »Für dich!« Dalinde wurde vor Freude rot wie ein junges Mädchen. Sie legte die Kette gleich um. Sie hatte gesehen, woran Waidenhold arbeitete und sich wahrscheinlich gewünscht, daß der Schmuck ein Andenken für sie sein sollte. Dalinde hatte sich denkbar große Mühe gegeben, Waidenhold in ihrem Hause zu halten. »Bleibe wenigstens so lange, bis dein Arm, die Schulter und die Prellungen abgeheilt sind.« »Das hindert einen Mann wie mich kaum. Ich muß heimreiten.« Der Brabanter und das Saumpferd hatten ihn im Stich gelassen. Das wußte Waidenhold. Er nahm den Tieren ihr Verhalten nicht übel. Jede Kreatur ist der Angst ausgeliefert. Doppelt, wenn ein Bär die Angst ausstreut. Dalinde sorgte dafür, daß Waidenhold gute Ersatzpferde bekam. Die Witwe bewohnte ein recht großes Anwesen mit viel Personal. Im Hofe sah der Waffenmeister den Bären noch gestreckt auf der Sauleiter. Mägde waren unter der Anleitung eines Mannes mit Metzgererfahrung dabei, das Raubtier zu zerwirken. Waidenhold stieg in den Sattel. Zu Dalindes Kummer wandte er kein einziges Mal den Blick. Sie stand im Hoftor ihres Anwesens, bis er das Eis des Flusses erreichte. Der Weg nach Orplid war Waidenhold genau beschrieben worden. Im Dorf um die niedergebrannte Burg roch es immer noch nach
verkohltem Holz. Es kam genauso, wie der Waffenmeister es sich wünschte. Ritter Roland lief ihm als erster von der Camelot-Mannschaft über den Weg. »Waidenhold!« Gewandt und schnell kam der Waffenmeister aus dem Sattel. Er schnallte die Bärendecke von dem Beipferd. Ein Mann mußte schon sehr stark sein, wenn er sich den noch feuchten Bärenpelz einfach unter den Arm klemmen wollte. So, wie es jetzt Waidenhold tat. Er warf das Bündel vor Ritter Roland in den Schnee. »Der Anzug wärmte den Bären, welcher den Herzog von Orplid schlug, Herr!« Auch die Knappen Louis und Pierre hatten den Waffenmeister gesehen. Sie rannten herbei. Ihre überschwängliche Freude wurde von Waidenhold voll erwidert. Die Männer um Ritter Roland waren mit diesem ganz zu einer echten Einheit zusammengewachsen. Auch Volker vom Hohentwiel gehörte dazu. Die Knappen bestaunten die Pferde, welche Waidenhold mitgebracht hatte. »Sag einmal, haben wir deinen Brabanter und dein Beipferd nicht gestern erst heimgetrieben?« Waidenhold lachte. »Wo ich herkomme, da pflegt man mit Gastgeschenken nicht kleinlich umzugehen.« Dalinde, die Fischersfrau hatte ihren Waidenhold im Stile großer Familien ausstaffiert. Roland nahm die Knappen und den Waffenmeister, welche alle drei mehr seine Freunde, als seine Angestellten waren, mit ins Haus. Beim Wein am schweren Eichentisch tauschten sie ihre Erlebnisse aus. Der Bärenpelz, welchen Waidenhold mitgebracht hatte, lag nahe beim Kaminfeuer. Man brauchte schon ziemlich widerstandsfähige Geruchsnerven, um den Duft auszuhalten. Der Waffenmeister erzählte gründlich und ließ keine Einzelheit aus. Louis und Pierre, die Knappen, sahen einander vielsagend an. Volker vom Hohentwiel nahm einen großen Schluck Wein. Der
bevorstehende Abschied von Orplid setzte ihm zu. Er hatte so sehr darauf gehofft, die Herzogin würde ein ganz persönliches Wort für ihn finden. Doch Volker hoffte und wartete vergebens. Die Unterhaltung seiner Tischgesellen rauschte an ihm vorbei. Wenn Volker sonst eine Ballade oder eines seiner Volkslieder vortrug, konnte er des Beifalls und der höchsten Achtung seitens der anwesenden Damen sicher sein. Hier in Orplid war das anders. Der Beifall war da. Doch sonst räumte die Herzogin dem Sänger keinerlei Vorrechte ein. Volker hatte als ehrenden Nachruf eine Ballade auf den Tod Herzog Berwins komponiert. Er widmete das Werk der schönen Herzogin Inger. Die junge Witwe und Mutter schickte ihm einen reich bestückten Präsentkorb und ließ ihm mit artigen Worten danken. Persönlich aber sprach sie den Sänger nicht an. Auch die Eulenbrüder spielten in Waidenholds Bericht eine Rolle. »Man müßte den Mann finden und sprechen, der in Orplid als die rechte Hand Herzog Berwins galt.« »Ortwin Sengal?« Roland und sein Waffenmeister sahen einander bedeutsam an, sobald der Name gefallen war. Waidenhold reichte die Auskunft weiter, welche ihm Dalinde mehr widerstrebend als freiwillig gegeben hatte. »Er hat ziemlichen Einfluß im Lande. Auch bei den Eulenbrüdern.« Knappe Louis mischte sich in die Unterhaltung. »Haben die Eulenbrüder ihren Namen von dem Wappenvogel Orplids?« »Wahrscheinlich«, brummte der Waffenmeister. Orplid führte die große Waldohreule, den Uhu, im Landeswappen. Die Knappen und die beiden Ritter hörten dem Waffenmeister weiter zu. »Zu den Eulenbrüdern gehören nur besonders nationalbewußte Männer. Sie behaupten von sich, niemandem läge das Wohl Orplids und all derer, die zum Herzogtum gehören, mehr am Herzen als ihnen. Gegen derartige Ansprüche sollte der Mensch immer mißtrauisch sein. Meistens sind sie einseitig ausgelegt und gelogen.«
»Hat jemand diesen Ortwin Sengal schon zu Gesicht bekommen?« Niemand hatte den Mann, der für Orplid so eine Art oberster Befehlshaber sämtlicher Streitkräfte war, gesehen. Was sie über ihn wußten, stammte aus dritter Hand und aus Quellen, deren Verläßlichkeit nicht geprüft werden konnte. Es hieß, Ortwin Sengal sei so eine Art Ziehbruder des toten Herzogs gewesen. Man erzählte sich, die beiden seien zusammen aufgewachsen. Ortwin Sengal ging der Ruf voraus, in allen Waffen und den damit zusammenhängenden Künsten wohl erfahren zu sein. Jedes Turnier in Orplid hatte bisher nur zwei Sieger gekannt. Den Herzog und Ortwin Sengal. Die beiden seien auch in der Lage gewesen, den sogenannten Königssprung zu vollführen. Dabei muß der Mann, welcher sich einen solchen Satz zutraut in voller Bewaffnung über sieben nebeneinander stehende Pferde springen, ohne eines der Tiere zu berühren und ohne bei der Landung zu straucheln. »Es juckt mich direkt, gegen diesen Wunderknaben zu buhurten.« So sprach Ritter Roland. Und die Kampfesbegier, welche ihn beseelte, färbte sein Gesicht rot. Der Abschiedsmorgen kam. Es hatte in der Nacht mächtig gefroren. Der Atem von Menschen und Pferden hing wie eine rauchgraue, durchsichtige Glocke über der Gruppe aus Camelot. Bis zuletzt hatten Königin Ginevra und König Artus versucht, die Schwester und Schwägerin zur Mitreise zu bewegen. Vergeblich. »Ich bleibe in Orplid. Mein Söhnchen und ich gehören hierhin und nirgendwo sonst.« König Artus sagte: »Laß uns wissen, wenn du Hilfe brauchst, Inger.« »Das werde ich gern tun.« Mit brennenden Augen sah Volker vom Hohentwiel immer wieder dorthin, von wo Herzogin Inger zu erwarten war. Wenn sie kam. Die schöne Herzogin erschien nicht. Doch sie schickte eine Zofe. Der folgten drei Knechte. Die Zofe knickste. »Mit besten Empfehlungen und Grüßen von meiner Herrin,
Herzogin Inger.« Sie zeigte auf die drei Knechte. Die setzten vor Volker ab, was sie schleppten. Im Schnee lag die prächtigste Parsche, welche man sich nur denken konnte. Mit Parschen werden Streitrösser ausgestattet oder vielmehr verhüllt. Das sind Lederdecken, auf welche dicht an dicht Eisenplättchen genäht sind. Sie bedecken das damit versehene Pferd vom Kopf und vom Widerrist bis zu den Hufen. Sie bieten zumindest oberflächlichen Schutz gegen Hieb- und Stichwaffen sowie gegen Pfeile. »Danke.« Mehr vermochte Sänger Volker nicht zu sagen. Seine Stimme klang rauh. Er hatte sie, die für ihn die schönste aller Frauen war, nicht Auge in Auge sehen dürfen. Volker vom Hohentwiel packte die Parsche und lud sie den Saumtieren auf. Er trug die Lederdecke mühelos. Die drei Knechte aus Orplid hatten ihre liebe Mühe gehabt, die Parsche zu tragen. Ritter Volker konnte sicher sein. Die Herzogin erfuhr das brühwarm. Die Zofe betrachtete den Sänger, als hielte sie ihn für eine Art Weltwunder. Der Zug der Cameloten brach auf. Als sie nach Orplid kamen, wehte ihnen muntere Musik voraus. Heute gab es keine Lieder. Was weder das Königspaar noch sonst jemand aus Camelot sah, hätte Ritter Volker vom Hohentwiel ohne weiteres dazu gebracht, seinen Aufenthalt in Orplid unbeschränkt zu verlängern. Die Zofe kehrte zu ihrer herzoglichen Herrin zurück. Sie knickste und wartete bescheiden neben der Tür. »Der Auftrag ist ausgeführt, Herrin.« »Und was sagte er?« Die Stimme der schönen Inger hatte einen ungeduldigen Klang. »Er hat sich bedankt, Herrin. Er war sehr bleich. Die Parsche, woran drei starke Knechte schwer zu tragen hatten, nahm er einfach auf und verlud sie.« »In Ordnung, Gerdis. Laß mich jetzt allein.« Das Zimmer im Mahlhaus der Burgmühle war heimelig eingerichtet. Man vergaß durchaus, daß es sich hier um ein
Notquartier handelte. Ein Alkoven nahm das Bett auf. Hinter einem bodenlangen Vorhang und gleich neben dem gekachelten Kamin stand die Wiege mit dem Söhnchen des Herzogspaares. Die Zofe empfahl sich. Kaum allein öffnete die Herzogin den Vorhang. Dahinter befand sich nicht allein die Wiege. Auch ein breiter, hoher Eichenschrank stand da. Die Schranktüren waren geöffnet. Einem knorrigen Gnom ähnlich kauerte ein krummbeiniger Mann in dem Schrank. Sein Gesicht hatte hohe Backenknochen, leicht schräg stehende Augen und einen dünnen, langhaarigen Schnurrbart. Auf dem Kopf trug er eine sechsfach gezipfelte Mütze. Die Hauptfarben der Mütze waren blau und rot. In den nervigen Fäusten hielt der Mann einen Hornbogen. Auf der Bogensehne lag ein Pfeil mit besonders langer und bestimmt auch besonders scharfer Spitze . Der Kerl grinste. »Es wird meinen Herrn Sengal freuen, daß du vernünftig warst, Frau Herzogin. Auch mir ist es lieber, daß ich dein Söhnchen schonen durfte. Vergiß nie, daß ihr beide unter dem Schatten meines Schwertes und meines Bogens lebt! Ihr entkommt mir nicht, so wahr ich Tesched heiße.« Die schöne Inger verzog den roten, vollippigen Mund, als empfinde sie unbändigen Ekel vor irgend etwas. »Auch du wirst eines Tages bekommen, was du verdienst, Tesched. Laß mich allein.« Der Mann kletterte aus dem Schrank. Er nahm den Pfeil von der Sehne. Ehe Herzogin Inger begriff, was der Rentiermann vorhatte, klatschte die flache Pfeilspitze schon gegen die Wange ihres Sohnes. Der Säugling wurde prompt wach. Er schrie. Herzogin Inger sah aus, als wolle sie unverzüglich über den Nordmarkmann herfallen. Tesched lachte nur. »Nimm ihn an die Mutterbrust, Frau Herzogin. Und keine Scheu vor mir. Ich sehe sowas gern.« Er wollte sich auf einen Schemel setzen. Herzogin Inger nahm zwar ihr schreiendes Söhnchen aus der Wiege, doch sie trat den Schemel geschwind und kräftig weg. Tesched purzelte zu Boden.
»Mach, daß du raus kommst!« Der Nordmarker, der zu Ortwin Sengals Leibwache gehörte, betrachtete die Frau von Kopf bis Fuß. Die Gier in seinen Augen war unverkennbar. »Du solltest deiner nicht so sicher sein, Frau Herzogin. Auch die schönste Frau kann einen Mann nicht ewig fesseln. Vielleicht ist der Tag nicht fern, wo Ortwin Sengal, der Himmel schenke ihm ein langes Leben, deiner überdrüssig wird. Wenn er dich dann an einen wie mich weiter gibt, so werde ich ihm für diese Gabe ergeben die Füße küssen. Dir aber prügele ich dann erst den verdammten Hochmut aus deinem Körper. Das verspreche ich dir.« Tesched machte eine spöttische Verneigung und ging. Kaum war sie allein, da fiel alle Sicherheit und alle Kühle von der Herzogin ab. Sie zeigte sich so, wie sie war. Ein junges Weib, das nichts so ersehnte wie Ruhe und Schutz für sich und das Kind. Dicke Tränen rollten über ihr Antlitz. »Himmel, warum hast du mich so verlassen? Warum brachte ich nicht den Mut auf, mit nach Camelot zu reisen? König Artus mit seinen Rittern hätten mich vor Sengal und der Tücke seiner Kreaturen geschützt. Wo finde ich Hilfe?« * Auf Hilfe würde sie lange vergeblich hoffen, die schöne Herzogin Inger. Über Abwechslung aber brauchte sie sich nicht zu beklagen. Denn am gleichen Tage noch kam von Ortwin Sengal die Weisung, Herzogin Inger möge sich mit Tesched und den anderen Nordmarkern, welche er ihr schickte, zu ihm bewegen. Was Sengal anordnete, war in Orplid Befehl. Daran hatte sich die schöne Inger längst gewöhnt. Ohne Klage, ohne jeglichen Einwand packte sie ihre und ihres Sohnes Sachen. Sengal hatte angeordnet, daß sie ohne Begleitung kommen sollte. Sie gehorchte. Sie reiste allein. Nur Tesched und seine Landsleute waren bei ihr.
Kein Mensch in Orplid erfuhr, wohin die Herzogin reiste. Doch manches wurde anders im Lande. Die Obrigkeit zog die Steuerschraube an. Orplids Heer vergrößerte sich. Für den Neubau der niedergebrannten Burg brauchte die Regierung Geld. Das sah jeder ein. Doch kein Handwerker erschien. Die Brandstätte blieb unaufgeräumt. Dafür hieß es nach einer Weile, Ortwin Sengal, der Vertraute der herzoglichen Familie, verstärke laufend seine Leibgarde. Es zögen immer mehr Finnmarker aus dem Norden nach Orplid. Die Masse der Neuangeworbenen mußte sich in den Wäldern verstecken. Im Alltag traten sie selten in Erscheinung. Bald hatten die Menschen im Dorf und in den Weilern um die zerstörte Burg sich an den bestehenden Zustand gewöhnt. Gerüchte behaupteten, Herzogin Inger habe längst irgendwo anders in freierer, schönerer und angenehmerer Lage eine neue Burg gebaut. Dort lebe sie jetzt mit ihrem Söhnchen. Alle Verordnungen, alle Erlasse waren von Inger, der Herzogin, unterschrieben und gesiegelt. Ortwin Sengal trat noch weit weniger in Erscheinung als die Herzogin. Von ihm existierte nicht einmal eine Unterschrift. Wurde schon in Orplid viel um den Verbleib der Herzogin gerätselt, so gab ihr Verhalten den königlichen Verwandten in Camelot noch weit härtere Nüsse zu knacken. Königin Ginevra war daran gewöhnt, mit der Halbschwester ständig in Kontakt zu stehen. Doch Herzogin Inger dachte offenbar nicht daran, auf die Briefe zu antworten. Der ganze Frühling ging hin. Schließlich ertrug Königin Ginevra die innere Spannung nicht mehr. Sie sagte zu ihrem Mann: »Ich habe die Briefe nicht gezählt, welche nach Orplid gegangen sind. Es waren mehr als erforderlich, um gekränkt zu sein. Was nur ist mit Inger geschehen?« Diese Frage hatte sich König Artus wohl auch schon gestellt. Er kam gleich mit praktischen Vorschlägen. Das königliche Paar erging sich an diesem Frühsommerabend in den Gärten um Schloß Camelot. Süßer Blütenduft wehte von den Rabatten her. In den Kirschbäumen,
die tüchtig Frucht angesetzt hatten, konzertierten Amseln. Am nächtlich sich färbenden Himmel flirrte der erste Stern. »Nichts wäre leichter, als uns über alles in Orplid Gewißheit zu verschaffen.« »So? Und warum tun wir das Einfache nicht?« »Weil ich nicht weiß, ob es Inger recht wäre. Haben wir nicht vereinbart, daß sie uns wissen läßt, wann sie Hilfe braucht?« »Und wenn sie gehindert wird, sich an uns zu wenden?« König Artus blieb stehen. »Wer oder was außer ihr selbst sollte sie hindern?« Königin Ginevra seufzte. »Einfach die Verhältnisse, Artus.« »So laß uns einen Ritter zu ihr schicken.« Ein Lächeln glitt über Königin Ginevras schönes Gesicht. »Etwa unseren Volker?« »Volker und Roland.« Sie sprachen nicht darüber, welche Veränderung mit Ritter Volker, dem Sänger von Camelot, vor sich gegangen war. Doch sie hatten die Wandlung beide bemerkt. »Der Sicherheit halber mag auch noch Waidenhold mit den beiden reiten. Dann werden wir sehr bald wissen, was in Orplid geschehen ist, meine Liebe.« König Artus gab seinen Entschluß nicht noch am gleichen Abend bekannt. Morgen sollten in Camelot die Sommerfestspiele beginnen. Sie galten als Höhe- und Glanzpunkte im ritterlichen Leben. Da wurde behurtet, geritten, mit allen Waffen geübt. Dem Besten in allen Übungen winkte ein Eichenlaubkranz. Diesen Ehrenkranz gab es in Gold, in Silber und im natürlichen Eichengrün. Königin Ginevra verteilte die Kränze. König Artus überreichte den Siegern der jeweiligen Klasse ein Geldgeschenk. Meistens handelte es sich dabei um frisch geprägte, blitzende Dukaten. Auf Anregung des Volker vom Hohentwiel war für die morgigen Sommerfestspiele auch eine Springkonkurrenz angesetzt. Keine Konkurrenz zu Pferde und in der Hindernisbahn, sondern ein Springen der gewappneten Ritter über Pferde. Sieger sollte derjenige
werden, der den Königssprung schaffte, den Satz über sieben nebeneinanderstehende Rösser. Als die Konkurrenz ausgeschrieben wurde, hatte König Artus versonnen gelächelt. »Weißt du noch? Am liebsten möchte ich mitmachen. Es juckt mich sehr, zu erfahren, ob ich den Sprung noch schaffe.« Er spaßte, denn sein Alter verbot ihm solche Betätigungen. Königin Ginevra legte ihre Hand auf seinen Arm und drückte ihn. »Für mich bleibst du auch ohne solche Sprünge der Größte, der Schnellste und der Stärkste.« Wie in Camelot üblich, waren die Spiele sorgfältig vorbereitet worden. Das Springen sollte die Wettkämpfe einleiten. Die Herren der Tafelrunde formierten sich. Dumpfe Paukenschläge gaben den Takt an, als sie in die Arena marschierten. Die Zuschauerbänke ringsum waren bis auf den letzten Platz besetzt. Das erste Pferd wurde in den Ring geführt. Ein hochbeiniger, temperamentvoller Schimmelwallach. Ein Raunen ging durch die Zuschauermenge. Der Glaube an die alten Götter lebte noch im Volke. Wodans Lieblingstier war der Schimmel. Es hieß, derjenige, der Haare von einem Opferschimmel in der Geldbörse trage, habe nie über fehlende Dukaten zu klagen. Nach dem Schimmelwallach kam ein Fuchs. Nach diesem ein Brauner, darauf ein Falbe. Anschließend wurde eine Rappe gezwungen, neben den anderen Pferden Position zu beziehen. Ein Schimmel beschloß wiederum den Block der Rösser, über deren Rücken der Königssprung ging. Die Ritter der Tafelrunde nahmen Aufstellung. König Artus setzte sich auf den Thronsessel. Ritter Wilhelmus ließ wieder und wieder anderen den Vortritt. Diese Bescheidenheit entsprach durchaus nicht seinem Charakter. Knappe Louis, der zu Ritter Wilhelmus' Kritikern gehörte, stieß Pier re an. »Merkst du was? Der alte Intrigant hat Grundeis in den Rüstungshosen. Ich wette, er denkt sich einen Trick aus, um am Springen vorbei zu kommen.« »Sein Alter, ich verstehe ihn.«
»Unser Roland schafft den Königssprung noch als Siebzigjähriger«, orakelte er. »Wir haben gut reden, Louis. Wir dürfen zuschauen. Müßten wir selber springen, so würde uns auch mehr als nur der Hosenboden kalt.« »Traust du mir etwa nicht zu, über die Pferde zu hüpfen?« »Im Ernst, Louis, aber das schaffst du nicht.« Ein empörter Blick überblitzte den dicklichen Pierre. »Kleine Wette gefällig?« Knappe Pierre nahm die Wette an. Dabei überlegte er, daß Kamerad Louis wohl kaum Gelegenheit haben würde, den mächtigen Sprung zu versuchen. »Um wieviel?« »Um was immer du willst. « »In Ordnung. Wenn ich gewinne, habe ich einen Wunsch bei dir frei. Einverstanden?« »In Ordnung.« Pierre war- zuversichtlich und guter Dinge. Louis hatte wohl kaum die Möglichkeit, irgendwelche Tricks anzuwenden. Ein bunt gekleideter Herold setzte eine Lure an die Lippen. Lang gezogen hallte das Signal für die Eröffnung des Springens über das Land. Ritter Ermfried lief an. In Rüstung und Waffen. Die Panzer schuhe klirrten. Sie hinderten Ermfried am freien Lauf. Ritter Volker vom Hohentwiel stand ziemlich am Ende der Schlange. Ermfrieds Absprung klappte. Der Ritter federte weit kräftiger hoch, als man ihm zugetraut hätte. Doch er mußte eine Kleinigkeit zuviel Schwung genommen haben. Im wuchtigen Sprung über die Pferde, taumelte er, schwankte, verfing sich mit Schwert und Lanze in seinen gepanzerten Füßen, kippte und stürzte neben den schnaubenden, tänzelnden Pferden ab. Er hatte dennoch Glück. Unverletzt konnte er aufstehen. Kopfschüttelnd trollte er sich. Der zweite Ritter lief an. Er schaffte den Sprung bis zum vierten Pferd. Dann hatte auch er Schwierigkeiten und verlor die Balance. Er stürzte zwischen die Pferde. Die Tiere stampften aufgeregt hin und her. Es bedurfte der vollen Aufmerksamkeit der Pferdeknechte, den
edlen Ritter vor Leibesschäden zu bewahren. Ritter Wilhelmus drückte sich so lange vor dem Sprung, bis sein Neffe Douglas Heißsporn von der Aue anlief. Douglas, übereifriger Aspirant auf einen Platz in der Tafelrunde, hatte das größte Pech aller Teilnehmer. Zwar waren sein Harnisch und sein Schild spiegelblank geputzt, doch er verfing sich mit der Schwertscheide in den Füßen. Da dies genau in der Sekunde des Abhebens geschah, kam ihm jeglicher Schwung abhanden. Nicht nur das. Er kippte, einem jählings stürzenden Baum ähnlich, einfach der Länge nach um. Er hielt sein Schwert so unglücklich, daß es flach, aber nichtsdestotrotz kräftig, auf die Hinterhand des ersten Pferdes, des Schimmels also, klatschte. Der Schimmelwallach war eine solch derbe Berührung nicht gewöhnt. Er keilte aus. Dies geschah haargenau in der Sekunde, da Douglas Heißsporn von der Aue sich, mit dem Rücken zu den Pferden, nach dem schmerzhaften Sturz aufrappelte. Der Schimmel traf mit beiden Hinterhänden die Sitzfläche des Aspiranten Douglas. Die Hufeisen prallten auf starkes Blech. Funken stoben. Douglas sauste wie ein außer Kontrolle geratener Rammbock seinem Oheim Ritter Wilhelmus, vor die Füße. Douglas erinnerte eindeutig an einen gerupften Hahn. Die Straußenfedern auf seinem Helm waren geknickt. Am Helm selbst ließ sich das Visier nicht mehr öffnen. Außerdem klemmte der Verschluß. Das Rüstungsstück ließ sich nicht mehr abnehmen. Dabei begehrte Aspirant Douglas im Augenblick nichts so sehr, wie sich des Helmes zu entledigen. Denn durch den Sturz war ihm der Helm bis weit über die Augen ins Gesicht geraten und schmerzte höllisch. Im Moment konnte Ritter Wilhelmus mit dem unglücklichen Neffen wenig anfangen. Er wehrte sich mit beiden Händen gegen den Verwandten. »Hinweg mit dir, Tölpel!« Ritter Roland hatte mehr Mitgefühl. Er half dem verunglückten Springer auf die Füße. »Einen Moment Geduld nur.« Er packte heftig zu. Volker vom Hohentwiel half dem Freund
dabei. Aspirant Douglas verlor jegliche Form und Haltung. Er heulte wie vielleicht ein Teufel heult, wenn er mit Weihwasser in Berührung gekommen ist. Kein Wunder. Denn als Douglas endlich von dem klemmenden Helm befreit war, konnte jeder sehen, daß ihm bei der Operation beinahe das halbe Haupthaar ausgerissen worden war. Roland machte eine artige Verbeugung zu Ritter Wilhelmus hin. »Ich glaube, jeder wird Verständnis dafür haben, wenn Ihr Euch jetzt Eurem Neffen widmen wollt und mir den Sprung abtretet, Wilhelmus.« Höchstens eine Natur wie Knappe Louis hörte den Stein, der bei diesem Angebot vom Herzen Ritter Wilhelmus' plumpste. »Natürlich, Ritter Roland. Selbstverständlich komme ich Eurem Wunsche gerne nach und trete Euch meinen Sprung ab. Dies fällt mir um so leichter, als ich in meinen grünen Jugendjahren mehrfach den sogenannten Königssprung vollbringen konnte.« Sprach's, stützte seinen stöhnenden Neffen und stolzierte würdevoll vondannen. Louis stieß Pierre an. »Hast du da Worte? Sieh nur, wie er seinen lieben Neffen kneift und stößt! Der und den Königssprung geschafft! Einen Pferdeapfel hat er! Der ist zu seiner Zeit genauso aufs Schnäuzchen gepurzelt wie der liebe Douglas.« Was Knappe Louis über die intime Tuchfühlung zwischen Douglas und dem Onkel Wilhelmus sagte, stimmte nur zu sehr. Ritter Wilhelmus bearbeitete die Rippen des Neffen mit spitzem Ellenbogen. »Nichts als Ärger hat man mit einem Tölpel wie dir. Aber ich kriege dich noch hin, mein Junge! Ich schaffe es, daß du wirklich ein Ritter und Herr ohne Fehl und Tadel wirst.« Die Zuschauer schrien, brüllten, jubelten und klatschten. Ritter Wilhelmus schaute sich um. So wurde er Zeuge, wie Ritter Roland als erster den Königssprung schaffte. »Nicht zu fassen«, brummte Wilhelmus. »Glückt dem Kerl denn
alles?« Ritter Wilhelmus sah aus, als bekomme er die Gelbsucht. Den aktiven Teil des Leidens aber trug Neffe Douglas. Der übergab sich nämlich, als werde sein Innenleben komplett nach außen gestülpt. Ritter Wilhelmus stieß den unglücklichen Verwandten derb. »Nichts wie heim mit dir, du Ferkel!« * Neben Ritter Roland schaffte nur noch Volker den Königssprung glatt. Auf Anregung Rolands wurde Volker der erste Preis, der goldene Eichenkranz also, zugesprochen. Roland selber gab sich mit dem Silberpreis zufrieden. Als Königin Ginevra Volker den Kranz überreichte, sagte sie: »Wir haben eine Bitte an Euch, Ritter vom Hohentwiel.« Ritter Volker zeigte sich begeistert. Er liebte nichts so sehr, wie im Mittelpunkt zu stehen. »Stets zu Diensten, Majestät!« »Wir, mein Gemahl und ich, wünschen, daß Ihr gemeinsam mit Eurem Freunde Roland nach Orplid reist. Ihr sollt Euch durch eigenen Augenschein überzeugen, wie es meiner lieben Schwester, Herzogin Inger geht.« Volker vom Hohentwiel sah aus, als werde der Tag jetzt erst richtig hell. Sein Blick suchte Ritter Rolands Augen. »Jawohl, Majestät.« König Artus schaltete sich ein. »Kommt beide vor dem Abend zu mir.« Beide Ritter verließen das Turniergelände. Volker vom Hohentwiel konnte seine Freude kaum zähmen. »Ich würde am liebsten laut singen.« Ritter Roland lächelte nachsichtig. »Das sieht man dir an!« »Ob wir morgen schon reiten?« »Der König schiebt nie etwas lange auf.« Am Sport und den Darbietungen dieses Tages hatten die Freunde kein Interesse mehr. Auch den Knappen war nicht entgangen, daß da
etwas Besonderes auf sie zukam. Louis stieß Pierre in die Seite. »Wetten, daß du Orplid viel eher wiedersiehst, als du jetzt ahntest?« »Wenn das wahr würde!« »Ich könnte eine tüchtige Portion von meiner Binutis auch ganz gut vertragen«, gab Louis zu. Knappe Louis machte, daß er in die Nähe seines Herrn kam. »Heißt das, ich darf packen?« Roland nickte. »Genauso ist es. Nimm genügend Reservewaffen und Aushilfspferde mit.« Beide Knappen zeigten sich hoch erfreut. »Für den Rest des Tages sind wir ja wohl entschuldigt.« Es verstand sich am Rande, daß sie für Volker genauso sorgten wie für ihren Herrn Roland. Wann würden sie reiten? Morgen? Später? Roland und Volker erfuhren abends Einzelheiten vom Königspaar. Die Informationen waren wichtig für ihr Vorgehen in Orplid. »Uns liegen Berichte vor, denen zufolge Orplid seine sämtlichen Nachbarn im Norden mit Krieg überzogen hat.« Solange Herzog Berwin lebte, war von militärischen Aktionen Orplids und überhaupt von Aggressivität nicht die Rede gewesen. Die Bewohner des Herzogtums arbeiteten, trieben Handel und waren froh, daß sie auf diese Weise zu bescheidenem Wohlstand kommen durften. »Und was ist Sinn und Zweck dieser Unternehmungen, Majestät?« König Artus sah seine Ritter an. »Die letzte Zielsetzung kennen wir nicht. Wir nehmen an, es geht um reine Gebietserweiterungen.« »Herzogin Inger ist die friedliebendste Person, welche man sich überhaupt vorstellen kann.« König Artus hob zu diesen Worten seiner Frau die Hand, als wolle er abschwächen, was Königin Ginevra sagte. »Jedenfalls sind leider sämtliche Einsatzbefehle, von welchen wir hörten, von der Herzogin unterschrieben.«
König Artus mußte weit gründlichere Informationen über den Fall Orplid haben, als er zugab. »Wir stellen euch anheim, wie ihr vorgehen wollt. Wir bitten nur um Diskretion.« Diskretion. Es ging dem Königspaar darum, Herzog Berwins guten Namen zu schonen. »Die Orplider sind bisher recht erfolgreich bei ihren Operationen gewesen. Die Nachbarn im Norden sind ihnen nicht gewachsen. Wahrscheinlich werden die Truppen Orplids von jemandem geführt, der organisatorische Talente hat. Ortwin Sengal. Das dachten Roland und sein Freund Volker zur gleichen Sekunde. »Habt Ihr des Herzogs besten Freund, diesen Ortwin Sengal jemals gesehen, Majestät?« So fragte Roland. Es stellte sich heraus, daß weder König Artus noch Königin Ginevra mehr als den Namen dieses Mannes kannten. Irgendwann, vor vielen Jahren, war er ihnen einmal flüchtig begegnet. »Aber damals lebte Berwins Vater noch. Ich entsinne mich, der alte Herzog hatte für Ortwin eine ausgesprochene Vorliebe.« So König Artus. Roland wollte genau wissen, was alles sie unternehmen durften, ohne sich aus dem Bereich der königlichen Wünsche zu entfernen. »Wenn er nun Dinge tut, die nicht unbedingt zum Wohle der Herzogin Witwe sind, Majestät?« »Ihr beide entscheidet völlig frei. Was immer ihr unternehmt, wird von uns akzeptiert.« »Ja«, bestätigte Königin Ginevra die Worte ihres Mannes. Sie wollte auf diese Weise zeigen, daß Roland wie Volker ihr uneingeschränktes Vertrauen besaß. Nach Abschluß der Informationen wollten sich die Ritter entfernen. König Artus aber hielt sie zurück. »Leistet meiner Königin und mir noch einen Becher lang Gesellschaft, ihr Herren. Wer weiß, wann wir das nächste Mal zusammen kommen.« Der Mundschenk brachte Humpen und die Kanne. Der gute Wein aus König Artus' Privatkeller mundete ausnehmend gut.
»Auf den Erfolg und den Abschluß einer glücklichen Fahrt.« Die ritterlichen Freunde erwiderten den Trinkspruch ihres Königs. »Auf daß in Camelot alles in so hervorragender Ordnung bleibe, wie wir wünschen.« Auch für Königin Ginevra fiel mittels Trinkspruch ein Kompliment ab. »Auf das Wohl der schönsten, klügsten und besten Dame in Camelots höfischem Bereich.« Königin Ginevra bedankte sich artig. »Auf euer Glück und Heil, meine Herren Ritter.« Während die Männer in spätestens drei Trinkzügen einen Humpen leerten, trank Königin Ginevra nur mäßig. Sie äußerte den Wunsch, Sänger Volker möge seine Laute holen und singen. »Die Ballade vom großen Jäger, der seiner Pirschleidenschaft zum Opfer fällt.« Wann hätte Ritter Volker schon jemals den Wunsch einer Dame abgeschlagen? Er holte sein Instrument und bald drangen die wohlklingenden Akkorde aus der Königskammer. Die Ballade vom großen Jäger besang und beschrieb das Ende Herzog Berwins von Orplid. Dabei stellte sich heraus, daß Volker dem Lied neuerdings noch einige Strophen mehr angefügt hatte. Nachdenklich betrachtete die Königin den Sänger. Was sie dabei dachte, verriet sie später ihrem Gemahl. Eingedenk der Tatsache, daß die Herren mit Begleitung in der Frühe des nächsten Tages aufbre chen wollten, beendete König Artus den Abend zeitig. Königin Ginevra wartete mit ihrem Kommentar zu ihren Beobachtungen, bis sie mit dem König allein war. »Ich glaube, er hat sein Herz an Inger verloren.« Dem König gingen die letzten Takte des Liedes noch durch den Kopf. -Oh, schöne, junge Herzogin. Dürft ich doch tragen das Leid für dich! - König Artus summte den Kehrreim. *
Im Gegensatz zu den Rittern Roland und Volker hatten sich die Knappen Louis und Pierre noch nicht zur Ruhe begeben. Vor den Ställen, aus denen heraus warm der typische Roßgeruch wehte, kam Louis auf das Thema des Königssprunges zurück. »Daß wir gewettet haben, weißt du genau. Bilde dir ja nicht ein, ich würde das vergessen.« Pierre wollte nicht so recht heran. Andererseits lockte ihn natürlich die Möglichkeit, etwas zu gewinnen. »Wenn du den Königssprung schaffst, dann hast du bei mir einen Wunsch offen. Ich muß dir den Wunsch erfüllen, sofern ich kann.« Louis nickte. »Richtig. Sofern du kannst.« »Und wenn du es nicht schaffst?« Louis griff in seine Taschen. Als er die Hand herauszog, klirrten vier, fünf Goldstücke darin. »Ist das etwa kein würdiges Gegenstück zu einem erfüllten Wunsch, Kamerad?« Das ließ sich nicht leugnen. In Pierres Augen glitzerten begehrliche Funken. »Wie stellen wir es an, das Springen noch vor unserer Abreise abzuhalten? Oder wollen wir warten, bis wir wieder zurück sind?« »Nichts da. Was wir heut tun können, das geschieht. Gibt außerdem wenig, was leichter war.« Louis zeigte gleich, wie er sich die Durchführung dieser gewissermaßen privaten Konkurrenz vorstellte. Er weckte die bis auf zwei Mann wohlig dösende Stallwache. »He, ihr, habt ihr Lust, etwas zu sehen, was nicht alle Tage geboten wird?« Die Frage und ein blitzendes Goldstück machten die Stallwachen mobil. Jemand, der solche Reichtümer zu verschenken hatte, mußte einfach ein großer Herr sein, wenn er im Augenblick auch nur das Gewand eines Knappen trug. »Um was geht es denn.« Louis setzte die Stallknechte ins Bild. »Es dauert nicht lange. Wir brauchen die Rösser nur für einen einzigen Sprung. Es sei denn, mein
Kamerad überlegt sich die Sache und wagt auch einen Satz.« Pierre streckte beide Hände so abwehrend aus, als sei ihm wer weiß welch übles Ansinnen gestellt worden. »Davon ist nie die Rede gewesen, Louis. Du hast springen wollen. Nicht ich.« Louis lachte. Die Stallknechte führten die gleichen Pferde, welche nachmittags als Sprunghürde gedient hatten, in einen der hinteren Höfe. Hier sorgte der Mond für Beleuchtung. Louis wappnete sich. Er lief an. Im Ansprung schon erkannte Knappe Pierre, daß sein Kamerad den Riesensatz schaffen würde. Louis schraubte sich hoch. Die Technik des Sprunges, der sowohl in die Höhe als auch in die Weite führte, beherrschte er wie die Ritter. Sicher und ohne die aufgestellten Pferdeleiber auch nur zu streifen, landete der Knappe federnd jenseits der lebendigen Barriere. Die Stallknechte brachen in laute Beifallsrufe aus. Dann führten sie die Pferde eilig fort. Louis wandte sich an den Kameraden. »Nun, Pierre?« »Gratuliere, Louis. Du hast gewonnen.« * Nicht allein die Stallknechte und die schnaubenden Pferde waren Zeugen der nächtlichen Darbietung gewesen. Als Louis hinter seinem Kameraden die Kammer betreten wollte, hatte er das Gefühl, jemand beobachte ihn. Er wandte sich um. Da stand ein heller Schatten in der Dunkelheit des Schloßflures. »Moment.« Louis schloß die Tür. Dies geschah so plötzlich, daß Pierre dümmlich hinterher kam. »Ist noch was?« »Ja, aber nichts für dich. Gute Nacht. Ich bin morgen früh zeitig zurück.«
Was Pierre sonst noch sagen wollte, ging in der Entschiedenheit unter, mit welcher Louis die Kammertür schloß. Der ehemalige Gastwirt ging auf den hellen Schatten zu. »Gilt das mir?« Eine Woge vielfältiger Wohlgerüche hüllte ihn ein. Weich sagte eine Frauenstimme: »Ja, das gilt dem tüchtigen Knappen, der den Königssprung schaffte und den ich glücklich machen will heut Nacht. Kommt.« Die Kammer war so finster wie ein abgelöschter Kohlenmeiler. Doch es roch überall so, wie die Frau duftete. Kleidung raschelte. Je länger die Augen sich an die Dunkelheit anpassen durften, desto mehr erkannte Louis. Von der prächtig eingerichteten Kammer. Und von der Frau. Sie hatte ihr langes Nachthemd abgestreift. Es lag jetzt zu ihren Füßen. Daraus wuchsen schlanke, lange Beine. Genauso beschaffen, wie Knappe Louis Frauenbeine liebte. Die Hüften darüber waren so, daß dem guten Knappen das Wasser im Munde zusammenlief. Der flache Leib mit dem unter dichtem Haar versteckten Schoß lockte Louis. Die Brüste der Frau hatten gleichfalls das genau richtige Maß. Sie schienen fest zu sein. Die junge Frau hatte kupferblondes Haar. Das fiel ihr offen und lang bis fast auf die Hüften. Das aber, was den Knappen Louis jetzt am meisten interessierte, konnte er nicht sehen. Das Gesicht der Frau steckte unter einer Samtmaske. Ihre angenehme Stimme sprach leise zu ihm. »Willst du nicht meinem Beispiel folgen und dich ebenfalls ausziehen, Held der Nacht, die uns gehört?« Louis wollte ihr die Maske vom Gesicht streifen. Doch dies war unmöglich. Sie entzog sich ihm. Auf eine Weise, die keinen Widerspruch zuließ und den Respekt verlangte. »Schwöre, daß du die Maske so lange auf meinem Gesicht lassen wirst, bis ich selber sie lüfte.« Nun, ihr Anblick hatte dem guten Louis so eingeheizt, daß er ihr unbedenklich weit schwerere Dinge versprochen haben würde, als das, was sie verlangte.
»Versprochen!« »Du sollst nichts versprechen, sondern schwören!« »Bei was?« »Bei deinem Schwert und bei der Lust der Minne, die du so schätzt, bei deiner Männlichkeit von mir aus.« Höchstens der Blitz bewegte sich schneller, als Knappe Louis, der jetzt ganz aus den Kleidern fuhr. Die Frau stand dicht neben ihm. Sie lachte verhalten. In diesem Lachen schwangen ausgesprochen wollüstige Töne mit. Louis trug die Frau zum Lager. Dort entzog sie sich ihm. Sie lachte gurrend. Unverkennbar stieg ihre Erwartung. »Erst wollen wir richtig zärtlich zueinander sein, nicht wahr?« »Und sie wies den Knappen ein. Sie zeigte ihm ohne Scheu, wie sie die Liebe am meisten schätzte. Louis, der geglaubt hatte, erfahren zu sein, lernte in dieser Nacht. Es dauerte lange, bis der Moment kam, welchen Louis so sehr ersehnte. Danach lagen sie ruhig nebeneinander. Sie streichelten sich und waren dankbar für den Genuß, den sie sich bereitet hatten. »Ihr reitet morgen nach Orplid, nicht wahr?« Louis sah keinen Grund, aus dem Reiseunternehmen ein Geheimnis zu machen. Sie lebten hier in Camelot. Da konnte man den Menschen vertrauen. »Ja. Interessiert es dich? Kennst du das Herzogtum?« Die Frau kuschelte sich eng an den Mann. Sie nahm Louis' Hände und legte sie auf ihre Brüste. »So hab ich's gern. Ja, ich kenne Orplid. So, wie man eben das Land kennt, in dem man geboren und aufgewachsen ist.« »Und wie heißt du? Wo kommst du her?« Wieder lachte sie. Auf diese rätselvolle, verschleiernde Weise. Louis meinte, jetzt, wo sie einander doch so gut und gründlich kannten, brauche sie aus ihrem Namen und ihrer Person kein Geheimnis mehr zu machen. »Alles zu seiner Zeit, mein starker, flinker Freund. Irgendwann will ich dir sagen, was du wissen mußt. Vorläufig jedoch ist es noch
weit bis dahin. Wen sucht ihr in Orplid, die Ritter und du?« »Da sind außer den Herren Roland und Volker noch der alte Waidenhold sowie mein Kamerad Pierre zu nennen. Ja, was suchen wir genau? Eigentlich geht es nur darum, herauszufinden, warum ihre Durchlaucht, die Herzogin Inger, die Briefe ihrer königlichen Halbschwester nicht beantwortet.« »Und weiter?« »Daneben sollen wir für Frieden sorgen in dem Land. An den Grenzen herrscht ja Krieg, wie man hört.« »Und was sollt ihr mit dem obersten Befehlshaber machen, mit Ortwin Sengal?« Für Sekunden schien Louis jegliche Liebeslust vergangen zu sein. Er wiederholte den Namen. »Ortwin Sengal?« Die Frau mußte mit König Artus und seiner Königin ganz hübsch vertraut sein, wenn sie so viele Details über Orplid wußte. Andererseits kam sie ja daher. Vielleicht wußte sie genug über die inneren Verhältnisse im Herzogstum, um Wert oder Unwert der einzelnen Machtverantwortlichen abzuschätzen. »Der war Freund und Vertrauter Herzog Berwins, als der Herzog noch lebte. Manche behaupten sogar, er wäre der Milchbruder Berwins gewesen.« Sie wußte tatsächlich genau Bescheid. Wer klug war, ließ keine Möglichkeit außer acht und bediente sich ihrer. Die Reise nach Orplid und von da aus vielleicht noch in andere Richtungen, würde eine Fahrt durch Feindesland werden. Darüber machte sich Louis nichts vor. Der Knappe hatte häufig genug für seinen Herrn Roland den Kundschafter gemacht. »Warum willst du mich aushorchen?« Louis' Frage kam plötzlich. Die Frau wich nicht aus. »Weil es wahrscheinlich so ist, daß ich euch helfen kann. Auf jeden Fall müßt ihr nämlich zum Norden hin. Herzogin Inger und ihr Söhnchen findet ihr nicht mehr in Orplid. Erfüllst du mir einen Wunsch?« Knappe Louis ließ sich nicht gerne im Bett zu Versprechungen
drängen. »Natürlich bin ich dir gern zu Gefallen. Aber ehe ich etwas verspreche, muß ich schon wissen, um was es sich handelt.« Sie sprach hauchleise in sein Ohr. »Wenn du ihn siehst, wenn du Ortwin Sengal begegnest, so stoß ihm dein Dolchmesser ins falsche Herz. Und drehe den Stahl um, wenn er bis zum Heft im Fleische sitzt.« Wie mußte die Frau diesen Ortwin Sengal hassen. Sie sagte noch mehr. »Komm zu mir. Erfülle mich mit deiner Stärke und mache die Nacht für uns beide unvergeßlich schön.« Sie weiß viel mehr, als ich jetzt ahnen kann. Ich muß heraufinden, was alles es ist und es für meinen Herrn und uns alle nutzbar machen. So ging es Louis durch den Kopf. Die Nacht war lang. Louis konnte sich nicht entsinnen, schon jemals bei der Liebe eingeschlafen zu sein. Heute erlebte er auf diesem Gebiet eine Premiere. Er hielt die ebenso erfahrene wie reife Frau noch fest in den Armen und spürte sie in jeder Faser, als bleischwere Müdigkeit, um nicht zu sagen Erschöpfung, sein Bewußtsein auslöschte. Das war wie ein Schlag mit einem schweren Streithammer. Als der Knappe aufwachte, wummerten wuchtige Faustschläge gegen die Kammertür. Nur mühsam rappelte sich Louis hoch. Der Bettplatz neben ihm war leer. Doch die feinen Leinentücher rochen nach dem Parfüm der Frau. »Verflixt!« Louis federte aus dem Bett. Er eilte zur Tür. Sein Kopf schmerzte, als habe er gestern mehr Wein getrunken, als er vertrug. »Warum hast denn du dich eingeschlossen, Louis?« Knappe Pierre stand vor der Tür. Er machte sein Anliegen dringend. »Bist du etwa wieder eingeschlafen? Du hast mir doch ganz vernünftig Antwort gegeben, als ich dich das erste Mal weckte. Mach schon auf! Diesmal geh' ich nämlich keine Ruh', bis ich dich richtig wach weiß.« Louis mußte zugeben, keinen Schlüssel zu haben.
Pierre brach in ein wahrhaft klassisches Gelächter aus. Das, was er hörte, steigerte Louis Mißmut bis zum Gehtnichtmehr. Er konnte sich plastisch vorstellen, wie Pierre herumtanzte und sich auf die Schenkel klatschte. »Wir haben nur noch eine knappe halbe Stunde bis zum Abmarsch. Die Herren sitzen schon beim Frühstück. Sieh endlich zu, daß du fertig wirst.« Louis hielt es für das Beste, weder Schlosser noch Schmied zu bemühen. Er würde sich anziehen und aus dem Fenster turnen. Da sie heute ihre Reise begannen, kam er bestimmt nicht mehr dazu, nach der verschwundenen Frau zu fahnden. Er konnte die Geschichte dre hen und wenden wie immer er wollte, sie hatte ihn hereingelegt. Das stand fest. Bitter schoß es ihm durch den Kopf, wie leicht es doch war, einen ausgewachsenen Mann zu fangen. Man brauchte ihn nur mit einem willigen Weibchen zu locken. Der Köder zog immer. Übrigens konnte er sich die Kletterpartie durch das Fenster und am Spalier hinab sparen. Er raspelte und feilte und drehte am Türschloß. Dann ging die Tür unversehens auf. Knappe Pierre schaute in den Raum. Schnüffelnd zog er die Nase kraus. »Na, was dich fortgelockt hat, brauche ich nicht lange zu raten. Ich rieche es noch.« »Wenn du weiter so viel dummes Zeug redest, wird deine Nase für die nächste Zeit komplett ausfallen. Du kriegst nämlich von mir was drauf.« Knappe Pierre entrüstete sich. »Ist das der Dank für meine prompte und schnelle Hilfe?« »Ich wäre auch so aus der Klemme gekommen«, behauptete Knappe Louis. »Roland hat übrigens schon nach dir gefragt!« »Von mir aus!« Louis zog sich fertig an. Was sein Herr über ihn dachte, war ihm beileibe nicht so gleichgültig, wie er tat. »Sind die Sachen fertig?«
»Die haben Waidenhold und ich gepackt. Auch die Reservewaffen und die Reservepferde sind ausgesucht und stehen bereit.« Knappe Pierre hatte seine Zeit wahrhaftig nicht verschlafen. Langsam kam Louis wieder zu klarem Denken. »Bist schon in Ordnung«, raunte er dem Kameraden zu. »Wie hast du die Tür aufgekriegt?« »Mit einem Dietrich!« Im Schloß waren nur die Leute wach, die zur Küche gehörten. Es roch nach Frühstück. Louis meldete sich bei seinem Herrn. »Na? Ausgeschlafen, Louis?« Waidenhold musterte den Knappen. Ein Lächeln umspielte seine bärtigen Lippen. Der Waffenmeister brauchte keine Fragen zu stellen. Er wußte auch so, womit Louis in der verflossenen Nacht beschäftigt gewesen war. »Ja.« »Und wie heißt die ... Schöne?« »Keine Ahnung!« »Was? Hast du etwa über Ziel und Zweck unserer Fahrt geplaudert?« Louis schluckte. Doch er blieb tapfer bei der Wahrheit. »Ich habe natürlich angenommen, sie sei hier aus dem Schloß! Wenn ich es richtig bedenke, so bin ich ihr auf den Leim gehüpft wie ein rechter Gimpel.« Nach und nach mußte Louis preisgeben, wie die Zusammenhänge waren. Pierre und Waidenhold wandten sich ab. Ihre Schultern zuckten, daß Roland mit dem ehemaligen Gastwirt Louis Mitleid bekam und sich auf seine Seite stellte. »Das hätte jedem von euch genauso passieren können. Wenn ihr einen wehenden Rock an hübschen Beinen gewahrt, seid ihr schon dahinter her. Eigentlich kann es jedem von uns so ergehen. Daß Louis es nicht einmal fertig brachte, ihr die Maske abzunehmen, spricht für die Durchtriebenheit der Frau. Daß sie ihn hierher in die
Gästezimmer lockte, könnte jede andere auch fertig bringen. Denn, wenn die Hofhaltung keinen Besuch hat, stehen die Räumlichkeiten ja leer. Meine Meinung ist die, daß die Dame unseren Weg nochmals kreuzen wird, und dann müssen wir dreifach gewappnet sein. Kopf hoch, Louis. Jedenfalls scheint sie keine Anhängerin des Herzogtumsverwesers Sengal zu sein. Was unter Umständen ein ziemlicher Vorteil ist. Sobald du gefrühstückt hast, brechen wir auf.« * So geschah es. Niemand aus Camelot verabschiedete sie. Das war Roland genauso recht wie Volker. Waidenhold machte den Vorreiter. Danach kam Roland auf seinem Samum. Neben ihm ritt Volker vom Hohentwiel. Die beiden Knappen bildeten den Schluß. Louis mochte sich nicht besonders wohl im Sattel fühlen. Doch seine Sinne waren in Ordnung. Er beugte sich vor, als richte er etwas am Zaumzeug. Dabei raunte er seinem Kameraden zu: »Voraus halbrechts steckt wer im Busch und verfolgt jede Bewegung von uns.« Sie hatten gerade die Grenze zum ersten Nachbarn im Westen passiert. Das Land lag zwischen Camelot und Orplid. Die Knappen musterten die Ritter und den voraus trabenden Waidenhold. Roland und Volker war offenbar nichts aufgefallen. Der Waffenmeister mußte mit seinen Gedanken ebenfalls ganz woanders sein, als bei dem augenblicklichen Unternehmen. Wahrscheinlich rechnete niemand damit, so nahe bei Camelot angegriffen zu werden. Vielleicht würden die unsichtbaren Beobachter auch gar nicht angegriffen haben. Doch Knappe Louis brachte die Dinge ins Rollen. Er hielt die Ungewißheit nicht mehr aus. »Das will ich genau wissen.« Er sprengte ohne weitere Erklärung auf den Buschrand zu. Er sah nichts. Hatte er sich etwa nur eingebildet, daß da jemand auf der
Lauer liege? Er untersuchte das kugelig gewachsene Brombeergebüsch. Und er gewahrte die leichten Druckstellen im Gras. Überhaupt, dieses Gras hatte es in sich. Es war so niedrig gehalten, als hätten verschiedene Rehrudel hier ihren Lieblingsplatz zum Äsen. Knappe Louis lächelte. Er erkannte das Quadrat im Gras. Da hatte irgend jemand, der sich auf dergleichen Dinge verstand, einen Unterschlupf gebaut. Lief der Beobachtungsposten Gefahr, entdeckt zu werden, brauchte er nur den in den Rasen säuberlich eingebastelten Deckel zu lüften, ins Versteck zu kriechen und abzuwarten, bis die Luft wieder rein war. Louis band sein Pferd an. Dann ging er auf Zehenspitzen zu dem Quadrat im Rasen. Behutsam griff er zu. Klappte dann mit energischem Griff die Abdeckung hoch und schnellte gleichzeitig mit dem Oberkörper zurück. Es brachte wenig ein, etwaigen Schützen ein Ziel für ihre Pfeile zu bieten. Die Kalkulation stimmte. Das Viereck ließ sich tatsächlich hochklappen. Treppenstufen kamen zum Vorschein. Sie waren sauber mit Holzleisten versehen. Die Konstruktion war von jemandem gebaut worden, der sein Fach verstand. »Komm raus, wer du auch sein magst, Kamerad.« Louis Stimme hallte in dem ausgebauten Erdloch wider. Dem Knappen wurde unbehaglich. Er pfiff schrill auf den Fingern. Das Signal erreichte alle, die zur Gruppe gehörten. Waidenhold verhielt auf der Stelle. Volker und Roland indes, die beiden Ritter, trabten neugierig heran. »Das kennen wir doch. Sollte man glauben, daß sich Finnmarker so nahe bei Camelot herumtreiben?« Urplötzlich fegten dicht hintereinander drei grellbunte Wollknäuel aus dem Loch. Krummschwerter blitzten um die Wette mit kurzen Jagdlanzenspitzen. Stahl klirrte gegen Stahl. Die drei vornehmlich in rot und blau gekleideten, kleinwüchsigen Männer fielen über Louis her. Offenbar glaubten sie, es nur mit ihm zu tun zu haben. Sie taten baß erstaunt, als ihnen plötzlich vier Männer gegenüberstanden.
Waidenholds Aufmerksamkeit wurde durch das, was er da verfolgen mußte, absolut gefesselt. »Gebt ihnen, was sie brauchen.« Seine Donnerstimme hallte durch den Wald. Die Drei, welche da aus dem Versteck gekommen waren, hatten Erfahrung. Das wurde den Cameloten bereits nach den ersten Schwerthieben klar. Die Buntgekleideten stellten sich so auf, daß einer den ändern abschirmte. Sie standen Rücken an Rücken. So bildeten sie eine Einheit, der schwer beizukommen war. Waffenmeister Waidenhold hielt es nicht mehr aus, nur Zuschauer zu sein. Er sprengte herbei. »Wer wird sich denn von solchem Prachervolk lang aufhalten lassen?« Sprach's und schleuderte seine Streitaxt, die Franziska. Mit Würfen dieser Waffe hatte Waidenhold stets Glück. Das heißt, er besaß hinlänglich Erfahrung im Umgang mit der Streitaxt. Es verging kaum ein Tag, ohne, daß Waidenhold übte. Das Beil wirbelte durch die Luft. Die breite Schneide blitzte im Tag. Der Stahl riß die Dreiergruppe der Finnmarker auseinander. Der Mann, auf welchen Waidenhold gezielt hatte, sank zu Boden. Die beiden übrigen kümmerten sich nicht weiter um den Gefallenen. Hitzig drangen sie auf die Cameloten ein. Sie hatten Bewegungen und Mienen, als seien sie bereit und fähig, es mit der ganzen Welt aufzunehmen. Der Strauß war so plötzlich über sie gekommen, daß keiner der Männer um Ritter Roland seinen Helm oder die Sturmhaube hatte aufsetzen können. Sogar Waidenholds Helm baumelte am Sattelknauf. Louis wurde dieser Mangel als erstem schmerzhaft deutlich. Zischend umfächelte eine scharfe Klinge seinen Kopf. Das Haupthaar wurde ihm auf Spannenlänge gestutzt. Daneben begannen seine Ohrspitzen unvermittelt so zu brennen, als seien sie loderndem Feuer zu nahe gekommen. »Meiner Seel, Louis, der ungehobelte Waldkater aus dem Norden
spitzt dir die Ohren an.« Verunstaltungen gerade der Ohren galten als denkbar großer Schimpf. So wurden unverbesserliche Betrüger dadurch kenntlich gemacht, daß der Henker ihnen Kerben in die Ohrspitzen schnitt. Nach der dritten Verurteilung wegen des gleichen Betrugsdeliktes, ging ein Ohr verloren. Begegnete man in jenen Zeiten jemandem, der keine Ohren mehr hatte, so war man schon durch diesen Augenschein hinreichend gewarnt. Auch wenn einer durch kein Zureden dazu zu bringen war, die Kopfbedeckung abzusetzen, so hieß das, daß man einen vor sich hatte, der von irgendeinem Scharfrichtersknecht zum Schlitzohr gemacht worden war. Louis brüllte wie ein Stier, den rote Wut überkommt. »Euch werde ich's zeigen.« Er drang auf die Finnmarker ein wie das Wetter, das dem Sonnentag zu Leibe geht. Und er hatte Glück. Sein Gegner wollte besonders schlau sein und Louis unterlaufen. Doch das Manöver klappte nicht. Der Finnmarker rannte voll ins Schwert des Knappen. Das verhalf Louis zu einem leichten Sieg. Roland brauchte genausowenig einzugreifen wie sein Freund Volker. Waffenmeister Waidenhold preschte wie das schwere Wetter heran. Doch auch ihm blieb nichts mehr zu tun. Knappe Pierre hatte den letzten Gegner angenommen und geworfen. Er fiel mit einem wahren Netz von Schwerthieben, Dolchstößen, Fußtritten und Flüchen über den Finnmarker her. Er sah einem Berserker ähnlich. Schaum stand vor seinem Mund. Genauso, wie man es jenen Recken nachsagt, die erst durch den Genuß von reichlich Bilsensaft in die Stimmung gerieten, die sie ihre Schlachten so siegreich schlagen ließ. Der Finnmarker ging zu Boden. Die drei Finnmarker als Bollwerk waren beseitigt. Ritter Roland sah zuerst, was da jetzt als Nächstes auf sie zukam. Als seien sie glatt aus dem Erdboden gewachsen, sperrten Reiter den Weg der Cameloten. Louis zählte die Gegner. Er kam auf zwanzig stämmige Männer. Sie hockten in der für Finnmarker typischen Weise im Sattel. Vornüber gebeugt und mit denkbar hochgeschnallten
Steigbügeln. Das gab ihnen das Aussehen von reitenden Affen. Würden sie zu Pferde angreifen? Da kamen die Herren aus Camelot hübsch ins Gedränge. Denn jeder hatte vier Gegner. Die rotblau gekleideten Finnmarker glitten aus den Sätteln. Wie verabredet nahmen sie die Hornbogen vom Rücken. Die straff gespannten Sehnen schrillten, als die kurzschäftigen, gefiederten Pfeile darauf gelegt wurden. Ritter Roland und seine Freunde verschanzten sich blitzschnell hinter den Schilden. Sirrend kamen die Pfeile an. Nur Roland und Waidenhold hielten die Schilde instinktiv so, daß die Geschosse abprallten. In die Schilde der ändern drangen die Pfeile ein. Roland und seine Freunde stapften voran. Als erster ging Ritter Roland. Dann kamen Volker und Waidenhold. Die beiden Knappen machten den Schluß. Wieder zischte eine Ladung Pfeile heran. »Schräg halten«, kommandierte Roland. Sie folgten der Weisung. Und prompt sirrten die abprallenden Geschosse himmelwärts. Sie landeten irgendwo im Wald. Dreimal noch wehrten die aus Camelot die Pfeilsalven ab. Dann waren sie am Mann. Beim ersten Klang aufeinander prallenden Stahls scherten die Knappen aus. Sie sicherten die Flanken. Roland, Volker und Waidenhold wurden tätig. Ihre Schwerter mähten über die Nordmarker. Die Finnmarker ihrerseits versuchten, aus ihrer Übermacht Kapital zu schlagen, solange sie noch in der Überzahl waren. Das Vorhaben gelang nur halb. Denn die Knappen Louis und Pierre verhinderten, daß die Nordmarkmänner den Rittern und dem Waffenmeister in den Rücken fielen. Nach dem ersten Zusammenprall standen nur noch fünfzehn Finnmarker gegen die Cameloten. Es dauerte nicht lange, da waren weitere fünf Nordleute ausgeschaltet. Dann fochten sie gleich stark fünf gegen fünf. Geschrei und Kampfeslärm erfüllten den Wald und das Land. Obschon er kämpfte und dabei alle Wachsamkeit seiner Sinne brauchte, vergaß Waidenhold nicht, die Umgebung zu mustern. So bemerkte er, daß zwei Reiter in höchster Gangart durch den Wald
sprengten. Sie mußten die Hufe ihrer Pferde so präpariert haben, daß der für Galopp typische Hufschlag fast unhörbar wurde. Waidenhold deutete mit dem Schwerte dahin. »Schau einmal nach, was es mit den Vögeln auf sich hat, Louis.« Im Nu hatte Knappe Louis erfaßt, um was es da ging. Ein gewappneter Mann und eine Frau strebten dort in sichere Weiten. Eine Frau! Siedendheiß fiel dem Knappen seine Bettgenossin ein, die sich so gekonnt empfohlen hatte. Louis schlug seinem Pferd die Zügel ermunternd auf den Hals. Er war mit einem Satz in den Sattel gesprungen. Das Pferd wieherte gellend laut, ging hoch, drehte sich auf der Hinterhand und bewegte sich dann genau in die Richtung, welche Louis angab. »Hei, die haben wir gleich.« Louis Versprechen kam etwas zu voreilig. Denn das Paar, welches er verfolgen wollte, gehörte zu denen, welche vom Reiten wirklich etwas verstehen. Außerdem waren sie listig. Sie schlugen Haken wie gescheuchte Hasen. Unvermittelt waren sie verschwunden. Louis wußte, daß Finnmarker und alle, die zu ihnen gehören, äußerst tückische Menschen sind. Der Knappe wurde langsamer und vorsichtiger. Er untersuchte den weichen Waldboden nach Spuren. Hier und dort und drüben sah er genau, wo die beiden Flüchtlinge auf ihren flinken Pferden geritten waren. Urplötzlich brach die Spur ab. Gab es hier einen Zugang zu dem Versteck, das er drüben entdeckt hatte? Oder lauerten sie etwa hinter dem Kuschelgesträuch dort am Rand der Lichtung? Ehe Louis dazu kam, einen Entschluß zu fassen, flog etwas Dunkles durch die Luft. Es taumelte wie das Verhängnis selber klobig auf Louis zu. Der Knappe wurde am Kopf getroffen. Ohne einen Laut schwankte er nach rechts, glitt nach links und rutschte aus dem Sattel. Sein Pferd beschnupperte ihn. Im Gras lag ein Streitkolben, ein Instrument ähnlich einem Morgenstern. Offenbar hatte Louis Glück im Unglück gehabt. Denn der Streitkolben hatte seinen Kopf mit dem stumpfen Stiel getroffen. Wäre die Waffe mit
dem runden, stachelbesetzten Waffenigel gelandet, niemand auf der Welt hätte Louis noch retten können. Waffenmeister Waidenhold war als erster bei dem Knappen. Er wies Pierre an. »Halt die Augen offen. Sonst fallen die noch mit Pfeilen über uns her. Von Finnmarkern ist alles zu erwarten, nur nichts Gutes.« Inzwischen hatten die Finnmarker endgültig verloren. Die letzten zwei ergaben sich. Sie konnten sich Roland und Volker verständlich machen und wußten auch genug von ritterlichem Brauch. »Wir bitten um Quartier.« Ihre Sprache war kehlig hart. Sie ließen ihre Waffen fallen und hoben die Arme hoch. Alle beide trugen hervorragend gearbeitete Kettenhemden. Da sie sich in der vorgeschriebenen Form ergeben hatten, stand ihnen schonende Behandlung zu. »Wenn wir Gefangene mit uns schleppen, belasten wir uns mehr, als die Mission verträgt.« »Wir können sie auch nicht nach Camelot zurückschaffen. Es muß irgendwo in der Nähe, im nächsten Dorf zum Beispiel, eine Möglichkeit geben, sie zu verwahren, bis wir heimreiten.« Zunächst trieben sie die beiden Nordmarker dorthin, wo Waidenhold den vom Pech betroffenen Louis untersuchte. Der Waffenmeister brummte: »Es hat ihn ziemlich derb erwischt, doch es ging nicht ans Leben. Drei Wochen Bettruhe, und er ist wie neu.« Man würde den guten Louis dort lassen, wo die beiden Gefangenen ihre Verwahrung fanden. Verwahrung. Dorf. Siedlung. Das war leicht gedacht, aber recht beschwerlich zu finden. Waidenhold half dem Knappen Pierre, die erbeuteten Waffen zu verladen. Für Louis wurde eine Trage gezimmert. Zwei Reservepferde trugen das Gestell zwischen sich. Es ging weiter. Die Sonne stand hoch am Himmel.
*
Sie brauchten einen vollen Tag, bis das erste Dorf in Sicht kam. Die Männer und Frauen arbeiteten gemeinsam mit den Kindern auf den Feldern. Jetzt war die Zeit, wo das Gemüse geerntet wurde. So ganz sicher mußten sich die Menschen nicht fühlen. Sie hatten jedenfalls Wachen aufgestellt. Die meldeten die Gruppe aus Camelot. Die Menschen steckten die Köpfe zusammen. Dann bildeten sie drei, vier Gruppen. Sie sahen Ritter Roland und seiner Begleitung entgegen. Roland hob grüßend die gepanzerte Hand, als er seinen Samum zügelte. Die Menschen rückten noch enger zusammen. Ihre Augen blickten ernst. Angst ging von ihnen aus. Roland trug sein Anliegen vor und bot Bezahlung aller Aufwendungen und Mühen an. Sie winkten ab. »Wenn wir etwas für euch täten, so geschähe es aus Mitgefühl und bedürfte keines besonderen Lohnes. Doch wie die Dinge liegen ...« Sie wollten nicht heraus mit der Sprache. Ritter Roland fragte ihnen ihre Sorgen geduldig ab. Es war so, daß sie die Kriegsmacht Orplids fürchteten. »Sind die bunten Krieger der Orpliden denn schon hier im Grenzland gewesen?« Sie bestaunten die Arglosigkeit, mit welcher Ritter Roland fragte. »Sie kommen regelmäßig. Und sie erheben sogar Steuern bei uns. Wer sich weigert, zu bezahlen oder für sie tätig zu werden, hat gar bald Grund, seine Haltung zu bedauern.« Es mußte Beispiele dafür geben, daß die aus Orplid mit ausgesprochener Härte gegen alles vorgingen, was sich ihnen in den Weg stellte. »Was sollten wir dagegen tun? Etwa den großen König in Camelot um Beistand bitten?« So fragten einige. Andere drückten sich noch klarer aus. »König Artus in Camelot feiert Feste und hält auf seiner prächtigen Burg Turniere ab. Der ist außerdem mit den Machthabenden in
Orplid verwandt. Er wird nichts gegen sie unternehmen.« Ritter Rolands Gesicht wurde zornrot. »Recht oder Unrecht. Danach urteilt der König, dem ich mich verschrieben habe. Niemals wird er auf Verwandtschaft Rücksicht nehmen. Das sollte eigentlich jeder wissen, der Camelot kennt.« Die Leute sagten offen, wo sie der Schuh drückte. Kein Zweifel, sie sagten die Wahrheit. Danach mußte es so sein, daß die Orplider auch hier durch Agententätigkeit und direkten Einsatz auf die völlige Besetzung des Landes hinarbeiteten. Je länger sie zuhörten, desto unwilliger wurden die Mienen Rolands und Volkers. Waidenhold, der Waffenmeister, sprach das erlösende Wort. »Gut, daß ausgesprochen ist, wohin dieser Ortwin Sengal und seine Kräfte zielen. Jetzt wissen wir, wo wir ansetzen müssen, um den Feind wirkungsvoll zu packen.« Waidenhold machte eine Geste, als werfe er irgend etwas fort. »Laßt denen hier ihre Ruhe, wenn sie fürchten, wir unterlägen gegen den Feind. Sie werden dann auch nicht an unserer Seite sein und mit uns feiern, wenn wir über die Gegner triumphieren. Im nächsten Dorf finden wir willigere Helfer.« Die temperamentvolle Art, in der Waidenhold sprach, forderte den Widerspruch der Dörfler heraus. »Wer sagt denn, daß wir denen aus Camelot Hilfe versagen? Es muß doch erlaubt sein, eins gegen das andere abzuwägen, oder?« Die Belohnung, welche Ritter Roland angedeutet hatte, lockte, mochten sie das auch noch so energisch und weit von sich weisen. Sie betonten, eigentlich mit König Artus und den Seinen stets gute Erfahrungen gemacht zu haben. Ihre Augen funkelten begehrlich. Es wollte ihnen so schnell nicht einfallen, wie sie den Ritter dazu bringen konnten, eine etwaige Belohnung wieder ins Gespräch zu bringen. »Der König aus Camelot war immer ein großzügiger Herr. Laßt den Verwundeten und den Gefangenen bei uns, ihr Herren. Wir wollen beides gut pflegen und versorgen, bis sie abgeholt werden.«
Roland nahm an. Er wählte mit Bedacht ein Hofwesen, welches mitten im Ort lag. Hier war im Handumdrehen Hilfe zur Stelle, wenn beispielsweise die Orplidkrieger auftauchten. Um ganz sicher zu gehen, versprach Roland gebührende Bezahlung, sobald Louis und die gefangenen Nordmarker abgeholt wurden. Als Vorschuß gab er dem Besitzer des Hauses einen Golddukaten. Mit einem weiteren Dukaten wandte Roland einen ganz besonderen Trick an. Er hielt die blitzende Münze hoch. Dann packte er mit beiden Händen zu. Es war ihm nicht anzusehen, ob das, was er da tat, schwer oder leicht war. Das Goldstück brach plötzlich in zwei ziemlich gleiche Stücke. Eines warf Roland dem Hausbesitzer zu. »Für den Fall, daß ich selber nicht kommen kann, wird der, den ich schicke, sich durch das halbe Goldstück ausweisen. Du brauchst die beiden Hälften nur gegeneinander zu halten. Klar?« »Vollkommen verstanden, Herr Ritter.« Es stand dem Hausbesitzer auf der Stirn, daß er diese Goldmünze, die Roland aus Camelot vor ihrer aller Augen zerbrochen hatte, niemals hergeben würde. Erstaunlich, wie sehr das Beispiel Schule machte. Jetzt boten sich immer mehr an. Sie erklärten, grundsätzlich helfen zu wollen und überhaupt mit dem Herzen auf Seiten der Cameloten zu stehen. Brot und Salz, die uralten Zeichen guter, gastlicher Aufnahme, wurden gebracht. Ritter Roland und seine Begleiter nahmen davon. »Bleibt noch bei uns. Vielleicht ist morgen schon der Zustand eures Kameraden so, daß er mit euch weiterziehen kann.« Roland winkte ab. »Schönen Dank, aber das geht leider nicht. Wir haben schon zuviel Zeit verloren. Was ich noch fragen wollte, war da in letzter Zeit eine Frau mit den Sendboten Orplids unterwegs und hat bei euch hier Rast gemacht?« Sie antworteten völlig arglos. »Eine Frau? Nie. Manchmal zogen schon Mädchen von hier und da mit den Nordmarkern. Doch das waren immer andere Begleiterinnen.«
Die Orplidischen Krieger erschienen nur, um Steuern zu erheben oder Naturalien zu beschlagnahmen. »Auch auf gute Pferde waren sie erpicht. Damit aber konnten wir leider so gut wie nie dienen. Wir sind Fischer. Die freie Zeit füllen wir mit Ackerbau aus. Der eine oder andere hält auch Kühe und Ziegen. Der Milch wegen.« Pierre trennte sich nur schwer von seinem Kameraden. »Wer soll unseren Louis pflegen? Er ist doch so gut wie hilflos.« Ritter Roland blieb bei den einmal getroffenen Anordnungen. »Louis ist zäh und weiß sich wohl zu helfen.« »Und wenn sich wer, der im Sold der Orplidischen steht, an ihm vergreift?« »Waidenhold wird es schon nicht an eindrucksvollen Mahnungen fehlen lassen, wie ich ihn kenne.« Während er das sagte, sah Roland seinen Waffenmeister bedeutungsvoll an. Waidenhold verstand. Jetzt, wo die Dörfler ziemlich komplett versammelt waren, ließ sich eine Darbietung anbringen, welche auch Übelgesinnte zu Wohlverhalten bringen konnte. Die stärksten Dörfler herauszufinden, war ein Kinderspiel, welches auf den ersten Blick gelang. Zwei davon standen zufällig dicht nebeneinander. Waidenhold ging auf die beiden zu. »Nichts für ungut!« Schon hatte er die Männer gepackt. Da half kein Zappeln und kein Sträuben. Sie wurden hochgestemmt und nach allen Seiten geschwenkt. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten, machten sie die Mienen von Männern, welche einer schweren Gefahr entronnen sind. Waidenhold aber war mit seiner Demonstration noch nicht fertig. Er zeigte auf die uralte Linde mitten auf dem Dorfplatz. Irgend jemand hatte den dicken Stamm mit einer Zielscheibe versehen. »Wetten, daß mein Speer genau den schwarzen Punkt in der Mitte trifft?« Es meldete sich niemand, der hätte wetten wollen. Waidenhold
holte aus und warf seinen Speer. Wie angesagt, fuhr die schmale Framspitze mitten ins Scheibenzentrum. Die Männer spendeten Beifall. Auf diese Weise hofften sie, den so unbändig starken und erfahrenen Waffenmeister freundlich zu stimmen. Waidenhold lachte. »Jetzt schaut genau hin. Meine Franziska wird den Ger-Schaft in der Mitte treffen und spalten.« Der Waffenmeister holte kurz aus. Wuchtig flog die Streitaxt. Sie wirbelte nicht, sondern traf mit der Schneide voran den Speer. Der Eschenschaft wurde gespalten. Die Axt fuhr noch so tief ins Lindenholz, daß keiner der Dorfmänner die Waffe herausziehen konnte. Vergeblich forderte Waidenhold sie auf, alle Scheu abzulegen und kräftig zuzupacken. Schließlich legte der Waffenmeister selber Hand an. Es war ihm keine Anstrengung anzusehen. Doch es dauerte lange, bis die Axtschneide mit einem ächzenden Laut sich vom Lindenholz trennte. Waidenhold steckte die »Franziska« an ihren Platz im Wehrgehänge. Raunen erhob sich ringsum. Die Männer beneideten Waidenhold seiner Stärke wegen, die Frauen bewunderten ihn. Die Dörfler schworen, auf Louis und die Gefangenen so achtzugeben wie auf ihren Augapfel. Die letzte Weisung, welche die Dörfler von Ritter Roland bekamen, war die, die Walstatt im Walde aufzuräumen und die Gefallenen zu beerdigen. Die Menschen gaben ihnen das Geleit bis tief in den Wald. »Glück und Segen sei mit euch!« »Kommt gesund zurück.« »Denkt an eure Freunde in Reusenbach.« So hieß das Dorf. Zwei Tage später waren sie in Orplid. Dort, wo vordem die Burg Herzog Berwins gestanden hatte. Waffenmeister Waidenhold blies die Lure. Jeder sollte wissen, daß Freunde kamen. Die Signale waren unüberhörbar. Dennoch zeigte sich kein Mensch zur Begrüßung der Gäste aus Camelot. Das
Burgdorf in Orplid schien glatt ausgestorben zu sein. Hier und dort spähten neugierige Augen scheu um Häuserecken. Die aus Camelot hielten vor dem Mahlhaus, welches Herzogin Inger als Not- und Ausweichquartier hatte dienen sollen. Die Burg sah so aus, wie sie sie vom Winter her in Erinnerung hatten. Da war nicht einmal aufgeräumt worden. Ritter Roland fiel es schwer, das Unbehagen zu zügeln, welches ihn befiel. Volker vom Hohentwiel hatte einen hochroten Kopf. »Das geht nie und nimmer mit rechten Dingen zu. Da muß irgend etwas vorgefallen sein.« Da die Menschen sich nicht blicken ließen, mußten die Cameloten zu den Einwohnern in ihre Häuser gehen. Sie wurden empfangen, als seien sie wahre Teufel oder doch mindestens mit dem bösen Blick behaftet. Die Menschen machten gar seltsame Zeichen und Ge bärden. So hielten die Orplider die gespreizten Finger der rechten Hand vor ihre Augen. Die linke Hand wies zugleich gestreckt und geschlossen zu Boden. Das sollte vor allem Ungemach schützen, wie zuversichtlich geglaubt wurde. »Affentheater.« Ritter Roland machte keinen Hehl aus seiner Kritik. »Wollt ihr uns nicht endlich sagen, wo sich eure Frau Herzogin aufhält?« Das wußte angeblich keiner. Weder im Burgdorf noch sonstwo. Ritter Roland wollte Gewißheit. Er hörte nicht auf zu fragen. Volker tat es ihm gleich. Ihn drängte es, der Herzogin zu helfen und die schöne Witwe aus allen Schwierigkeiten zu erlösen. »Wir wissen nichts.« Das ließen Roland und sein Freund Volker nicht gelten. »Es müssen doch einige unter euch sein, die früher zum Hofstaat gehört haben.« Grundsätzlich stimmte die Kombination wohl. Doch ob Zufall oder genau berechnete Absicht, es war niemand vom Burgpersonal mehr im Ort. Von der Herzogin-Witwe wußten sie nur, daß Inger samt ihrem Söhnchen kurz nach dem Brand verreist war. Was konnten einfache Menschen wie sie von den Plänen, die Absichten und
Wünschen so vornehmer Herrschaften wie der Herzogin-Witwe wissen, der doch alles Land in Orplid gehörte? Volker vom Hohentwiel begann, ganz anders zu fragen. »Wo hat Ortwin Sengal sein Hauptquartier?« Auch darüber bekamen sie nirgendwo sofort Auskunft. Ortwin Sengal mochte ein fähiger Militär sein, doch beliebt war er in Orplid auf gar keinen Fall. Ritter Roland und seine Begleiter wären noch sehr lange über die Situation in Orplid im unklaren geblieben, hätte sich nicht just in diesem Augenblick vor der Mühle und weiter weg in der Nähe der ausgebrannten Burg ein Höllenlärm erhoben. Rauhe Stimmen schrien laute Kommandos. »Zusammen bleiben!« »Wer sich entfernt, wird aufgehängt.« Neugierig sahen Roland und Volker nach draußen. * Was sie da wahrnahmen, sah zwar lustig aus, war indes von den Männern, die dadurch betroffen wurden, gar nicht lustig gemeint. Kam da ein langer Zug von Männergestalten des Weges. Sie marschierten in Doppelreihe. Jeder war mit dicken Stricken an seinen Nebenmann gefesselt. Auch verbanden raffiniert geschlungene Knoten jeden in dem Zug mit dem Vorder- und dem Hintermann. Rechts und links der Doppelreihe ritten blaurot gekleidete Reiter auf kleinen, flinken Pferden. Kaum hatten die Begleitreiter die Pferde Rolands und seiner Gruppe gesehen, da wollten sie die Tiere unbedingt haben. Roland hörte seinen Samum wiehern. »Moment. Das darf doch nicht wahr sein!« Ritter Roland sah sofort nach. Es ging inzwischen nicht mehr nur um die Pferde. Pierre sowie Waidenhold befanden sich im Gedränge. Den blauroten Reiter, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, Samum mitzunehmen, wehrte Waidenhold zunächst ab. Doch als der
krummbeinige Mann den Waffenmeister mit der langen, derben Treiberpeitsche schlug, riß Waidenholds Geduld. Er griff zu. Sobald er die Peitschenschnur einmal gefaßt hatte, zog er das Leder wie einen Strick ein. Zwangsläufig kriegte er das, was am Griff der Peitsche hing, in die Fäuste. Den zornbebenden Nordmarkreiter, der es nicht fassen konnte, daß der Graubart nicht ängstlich vor ihm kroch. Waidenhold sprach den Mann in dessen Landessprache an. Das erhöhte den Zorn des Peitschenträgers und ließ ihn regelrecht Gift und Galle spucken. Letzteres sollte wörtlich genommen werden. Waidenhold tat indes nicht das, womit der Nordmarker wohl gerechnet hatte. Das heißt, er ließ ihn nicht los. Im Gegenteil. Jetzt geriet der Mann aus der Finnmark erst richtig in Waidenholds Griff. Der Waffenmeister knurrte grimmig: »Ich sehe, du gehörst zu den bedauernswerten Geschöpfen, die mehr gefüttert, als erzogen worden sind. Das wollen wir gleich nachholen.« Sprach's und ohrfeigte den ausgewachsenen Mann, daß es seine Art hatte. Rechts und links. Dann warf er den Finnmarker so fort wie ein beschmutztes Stück Papier. »Lauf. Wenn ich dich nämlich nochmal zwischennehme, so kommst du nicht so billig davon, das sei dir versprochen.« Der Nordmarkmann, der zuvor schon sein Pferd verloren hatte, machte tatsächlich, daß er weg kam. Erst aus sicherer Entfernung hob er drohend die Faust. Schimpfte. »Ich geh dir schon noch heraus. Und was die Drohung angeht, ich würde in euer sogenanntes Heer aufgenommen, so werden eure hohen Herren wenig Freude an mir haben.« Schon war der nächste Interessent von Samum abzuhalten. Doch da erschien auch bereits Ritter Roland auf dem Plan. Er erfaßte die Lage mit einem Blick. Er trat ohne Fragen den Finnmarker, der von seinem Pferd geklettert war, um gleich Samum zu besteigen, denkbar kräftig ins verlängerte Rückgrat. »Dir werd ich Manieren beibringen und zeigen, was bei uns auf Pferdediebstahl steht.«
Waidenhold spendierte Beifall. »Zeig es ihm, Herr. Mit denen kannst du nicht hart genug umgehen. Diese Sprache verstehen sie.« Der Unglückszug, welchen die Reiter begleiteten, kam ins Stocken. Es dämmerte denen aus Camelot. Das Volk von Orplid mied heute deshalb die Straßen und Plätze, weil rekrutiert wurde. Die Armee brauchte Nachwuchs. Waidenhold fand die Lösung, die allen half. Mit einer Stimme, die laut war wie ein Sturmhorn, brüllte er. »Hände weg von unserem Eigentum und Hände weg von uns selber. Es wäre für uns ein Kinderspiel, euch Finnmarker so zu versohlen, daß euch Hören und Sehen verginge. Doch wir wollen niemanden kränken oder gar schädigen, der zu Ortwin Sengals Armee gehört.« Ortwin Sengal. Der Name, welcher anderenorts alles andere als eine Empfehlung war, wirkte hier Wunder. Die Streitlust und die diebische Gier der Nordmarkmänner war gebändigt. Sie schalteten um und waren plötzlich die Freundlichkeit in Person. Es mochte eine falsche Freundlichkeit sein, doch mit ihr ließ sich leichter und wohl auch besser leben, als wenn sie sich mit ihren Schwertern hätten durch die orplidischen Heermassen hätten durchklopfen müssen, bis sie der Zufall endlich zum Oberbefehlshaber aller Bewaffneten führte. Waidenhold machte den Dolmetscher. Alle blaurot gewandeten Finnmarker versammelten sich. Neugierig hörten sie zu. Fragen flogen geschwind hin und her. »Das sind Ritter aus Camelot?« Dem, der die Frage stellte, stand deutlich genug in den Augen, daß er dachte: Laßt nur! Auch Camelot gehört uns eines Tages. Ein anderer meinte: »Die wollen mit uns zum Oberbefehlshaber reisen?« »Laßt sie ruhig. Besser und schneller als wir, kann ihnen wohl niemand den Weg zu Ortwin Sengal zeigen.« Die Blicke, welche sie hinter dem Rücken der Cameloten einander
zuwarfen, besagten: - Das müssen ja besonders dumme Hühner sein, welche dem Fuchs den Einbruch in den Hühnerstall ersparen und selber in seine Höhle wandern! - Waidenhold wußte recht genau, was die Finnmarker dachten. Er seinerseits machte sich ebenfalls seine eigenen Vorstellungen. Man würde ja sehen, wer am Ende Recht behielt. Der Waffenmeister in seinem absolut gesunden Selbstbewußtsein setzte auf Ritter Roland und seine Begleitung. Sehr zu ihrem Nachteil hatten ein, zwei Dutzend Männer in wehrfähigem Alter ihr Versteck verlassen. Sie mochten den Lärm im Ort gründlich mißverstanden haben und der Meinung sein, sie hätten nunmehr von den Rekrutierungsmannschaften nichts mehr zu befürchten. Die blauroten Nordmarker kassierten sie sofort. Da gab es an allen Ecken lautes Wehegeschrei. Ja, Frauen und Mädchen boten sich den Nordmarkern zur Kurzweil an, wenn sie bereit wären, den Mann, um den es den Weibsleuten ging, frei zu lassen. »Ich sehe deutlich, in Orplid geht es drunter und drüber«, sagte Ritter Roland. Volker vom Hohentwiel stimmte dem Freunde zu. »Um so größere Eile sollten wir entwickeln, Herzogin Inger beizustehen. Ich kann mir nicht helfen, aber das größte Übel scheint mir für das Land Orplid von diesem Ortwin Sengal auszugehen.« »Möglich.« Hier und da wollte der Handel »schnelle Liebe« gegen Freiheit eines Mannes wohl klappen. Doch Waidenhold fuhr dazwischen. Mochte dies auch noch so sehr gegen den Wunsch und Willen der Nordmarker gerichtet sein. Er schimpfte mit den Frauenzimmern. »Nichts da. Schämt ihr euch nicht, euch mir nichts dir nichts mit solchen Teufeln einzulassen?« Ein Nordmarker mit besonders breitem Rücken und von extrem störrischem Wesen stellte sich gegen Waidenhold. Er griff den Waffenmeister an. Das bekam dem Nordmarker denkbar schlecht. Waidenhold gab ihm eine Maulschelle, daß der Mann meterweit zur Seite flog. Er rappelte sich aber unverdrossen auf und wollte nicht einsehen, daß er
verloren hatte. Er zog seinen »Pucko« diesen kurzen, starkklingigen Finndolch, und drang auf Waidenhold ein. Der Waffenmeister sah ihm gelassen entgegen. »Komm nur«, sagte er lockend. »Komm her und du wirst in zwei Minuten bei mir mehr zu lernen haben, als in den Jahren deines Lebens zuvor.« Der Finnmarker griff an. Unmittelbar vor dem Mann wechselte der Dolch in die andere Hand. Dieser Trick aber irritierte den Waffenmeister nicht. Waidenhold erwartete den Angriff. Und er fing ihn ab. Ehe der Nordmarker sich versah, hatte der Waffenmeister dem Feind schon die Waffe abgenommen. Der Finnmarker wollte immer noch nicht aufgeben. Er zog das Schwert, ein besonders schön gearbeitetes Stück. Schon hatte Waidenhold die Axt zur Hand. Die Franziska wippte in seiner Faust. »Du kannst dir auch einen gespaltenen Schädel holen, wenn dir unbedingt danach ist. Es wäre klüger, wenn du einsähest, daß du verloren hast.« Sieh einer an. Der Nordmarker war entweder kluger Einsicht fähig oder aber es handelte sich bei ihm um ein besonders durchtriebenes Stück seiner Art. Von einer Sekunde zur ändern wich jeglicher Zorn aus seinen Mienen. Er lachte so breit, als gedenke er, die eigenen Ohren zu verspeisen. Blitzschnell steckte er seinen Dolch weg. Und hielt Waidenhold gar die Hand hin. »Schlag ein, Kamerad. Als Verwandter der Herzogin ist euer König Artus ja so etwas wie ein Verbündeter für uns. Wir wollen Freunde sein. Einverstanden?« Der Stimmungswechsel mochte andere beeindrucken. Bei Waidenhold kam das weniger an. »Von mir aus.« Es stellte sich heraus, daß der Gegner des Waffenmeisters in den Reihen seiner blauroten Kameraden etwas zu sagen hatte. Jedenfalls hörten die anderen auf ihn. Waidenhold verlangte: »Ich will nicht, daß sich eure Männer am hellichten Tag und unter unseren Augen mit unseren Weibern
vergnügen. Stell das also ab und sieh zu, daß sie sich zurückhalten.« Vier, fünf Sätze in einer Sprache, die nicht einmal Waidenhold kannte. Murrend fügten sich die Finnmarker. Sie hatten hinfort für die Reize der Orplider Weiblichkeit keinen Blick mehr. Sie trieben ihre Rekruten zusammen. Dann marschierten sie weiter. Ritter Roland und Waidenhold ritten nebeneinander. »Versuch doch, herauszufinden, wie lange wir bis zu Sengal unterwegs sein werden.« Wenig später wußte Waidenhold, daß sie in drei Tagen das Hauptquartier des Heerführers erreichen würden. Rolands Neugierde stellte weitere Fragen. »Frag sie, ob sie auch schon drüben bei uns rekrutiert haben?« Arglos erhielten der Waffenmeister Auskunft. »Wir rekrutieren nicht, aber wir werben für den Bund der Eulenbrüder.« Roland nickte. Dieser Ortwin Sengal mußte eine Natur sein, die einfach an alles dachte. Was die Nordmarker sagten, stimmte. Drei Tage später zogen sie in Ortwin Sengals Hauptquartier ein. Die Ritter aus Camelot und ihre Begleitung wurden wie die wahren Wundertiere angestaunt. »Gefällt dir die Lage nicht?« Das wollten Roland und Volker vom Hohentwiel von Waidenhold wissen. Der Waffenmeister krauste die Stirn. Er streichelte seinen Bart. »Was heißt hier Gefallen? Man sollte den Herren aus der Nordmark nicht alles glauben. Sie sind falsch. Andererseits gibt es auch Ausnahmen unter ihnen. Die Ausnahmen können verdammt gute Freunde sein. Ich kenne solche. Warten wir ab, was uns die nächsten Tage bringen.« Was blieb ihnen auch sonst übrig? Von den Nordmarkern, welche den größten Teil von Orplids Heeresmacht stellten, wurden die Cameloten gebührend angestaunt. Die Kunde von ihrem Eintreffen im Lager mußte sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben. Lurensignale erschallten. Die Blauroten mußten diese Signale genau kennen. Sie nahmen Haltung an und gaben sich in jeder
Beziehung noch straffer als sonst. Immer näher kamen die Signale. Dann erschien inmitten ausgesuchter Leibwächter ein Mann, welcher eine Herzogskrone um die Helmzier trug. Er war hochgewachsen, breitschulterig und zeichnete sich durch flinke Bewegungen aus. Er hatte ein freundliches Gesicht. Die Augen darin aber glänzten wie blankes Eis. Auch dann, wenn seine schmalen Lippen lachten. Roland hörte, wie sein Freund Volker flüsterte: »Wenn das Sengal ist, dann steh ich mit dem Mann gar bald auf morgengrauer Heide.« Volker vom Hohentwiel gefiel er also nicht. Wenn Roland ehrlich seine Meinung sagte, so würde Ortwin Sengal niemals zu seinen Intimfreunden gehören. Wenn dieser Mann im Kettenzeug Sengal war. Er war es. Er stellte sich selbst vor. Sein Lächeln huschte über jeden der Cameloten hinweg. Auch über die Knappen. Nur Roland hingegen reichte er die Hand. »Laßt mich raten, ja?« Roland nickte. »Von mir aus.« Ortwin Sengal lächelte. »Ihr seid Roland, Herr Ritter! Roland, der Vertraute König Artus' und Königin Ginevras! Ist es so?« »Erraten!« Ortwin Sengal lächelte, als dürfe er jetzt sicher sein, Roland bereits voll für sich gewonnen zu haben. »Darf ich mir erlauben, Euch und Eure ... Freunde heute abend zu dem kleinen Bankett einzuladen, welches für uns angerichtet ist?« Es wäre mehr als unhöflich gewesen, eine so freundliche Einladung abzulehnen. »Aber gerne. Werden wir die Ehre haben, Herzogin-Witwe Inger zu begrüßen?« Ortwin Sengal verriet mit keiner Miene, was in ihm vorging. »Leider ist die Herzogin-Witwe samt ihrem Söhnchen nicht hier, sondern auf einer Burg im Hinterland. Doch Ihr werdet reichlich Gelegenheit finden, mit ihr zu reden. Haben der König und die Königin von Camelot Euch irgendwelche Aufträge mitgegeben, die
für uns einfache Kriegsleute von Bedeutung sein könnten?« »Was wir auszurichten haben, sind ausnahmslos Dinge, welche Herzogin-Witwe Inger von Orplid angehen. Habt also Verständnis dafür, Ritter Sengal, wenn wir mit diesen Ausrichtungen warten, bis wir vor der Herzogin stehen.« Ortwin Sengal verbarg seine Enttäuschung. Sein unruhiges Temperament gestattete ihm offenbar nicht, länger bei den Fremden zu bleiben. »Nichts für ungut, die Herren, aber mir fällt ein, daß es dringende Geschäfte gibt, die ich leider vergaß. Wir sehen uns beim Bankett. Es ist eine gemütliche Runde beisammen. Sie dürfen alle ohne Waffen erscheinen.« * Roland zog Waidenhold zur Seite, als sie fertig angekleidet waren. »Willst du wirklich deine Waffen im Quartier lassen?« Der Waffenmeister lachte dröhnend. »Ist es bei euch Sitte, den Gast beim Mahle zu überfallen?« Nun, sie gingen ohne Waffen zum Bankett. Schon als sie das riesige Festzelt betraten, wollte es ihnen scheinen, einen schweren Fehler begangen zu haben. Es hielt sich eine Delegation aus einem der für Orplid gegnerischen Nordstaaten im Hauptquartier auf. Es hieß, Ortwin Sengal wäre dabei, gerade diesem Gegner seine Friedensbedingungen zu diktieren. Wohin sie auch blickten, nirgendwo sahen die Cameloten jemanden, der ohne Waffen zum Bankett erschienen war. Zurück konnten sie nicht mehr gehen. Waidenhold neigte sich seinem Herrn zu. »Sie haben die Eingänge hinter uns dicht gemacht. Das sieht nach Plan und Methode aus.« Sie machten gute Miene zum unter Umständen für sie bösen Spiel. Zunächst geschah gar nichts. Eine Musikkapelle der Nordmarker spielte Weisen, welche für finnmarkische Ohren zwar schön sein
mochten, die aber dem musikalisch so feinsinnigen Volker vom Hohentwiel wie Katzenmusik vorkamen. Die Musik verstummte augenblicklich, als Ortwin Sengal samt seinem Stab erschien. Der Oberbefehlshaber der Orplidheere begrüßte die Delegation, welche den Friedensvertrag aushandeln wollte ausführlich und würdigte ihre im bisherigen Verlauf des Feldzuges bewiesene Tapferkeit. Ritter Roland und seine Freunde erwähnte Sengal mit keinem Wort. Roland schwante Unheil. Er ließ nicht zu, daß er von seinen Freunden getrennt wurde. »Meinst du, es wäre etwas nicht in Ordnung?« So fragte Volker vom Hohentwiel. »Es ist überhaupt nichts in Ordnung, Volker. Das Schicksal muß es schon verflucht gut mit uns meinen, wenn wir den morgigen Tag erleben sollen.« »So schlimm steht es?« Roland nickte ernst. »Noch viel schlimmer.« Ortwin Sengal, der auf einer Empore saß oder besser thronte, sah die Plauderei zwischen den Freunden. Er lachte verhalten in sich hinein. Ungefähr so, als wisse er sehr genau, wann die Stunde der Wahrheit für die aus Camelot schlug. Ehe das eigentliche Bankett, die Mahlzeit aus Fleisch und Fischgerichten aller Art, begann, wurde getrunken. Vor jedem Gast stand ein fein versilberter Becher. Auch die Cameloten waren hierbei nicht vergessen. Die Tischbedienungen, schlanke, junge Pagen von angenehmem Aussehen, schenkten ein. »Bitte erst trinken, wenn der oberste Kriegsherr seinen Spruch ausgebracht hat.« Das raunten sie jedem einzelnen zu. Waidenhold schnupperte mißtrauisch an seinem Wein. Das tat er gänzlich ungeniert. Ortwin Sengal gewahrte dieses Zeichen von Mißtrauen. Das erheiterte ihn
einmal mehr. Dann stand der Mann, den sie hier im Feldlager den obersten Kriegsherrn nannten, auf. Er sagte nur wenige Worte. »Wir sind zusammengekommen, um einen Vertrag zu feiern, der in wenigen Tagen reif zur Unterschrift ist. Ich bitte alle, die mit mir einer Meinung sind, nämlich der Meinung, daß es für die Gesamtheit gut ist, das Wohl von Groß-Orplid sämtlichem anderen überzuord nen, mit mir ihr Glas zu erheben und zu leeren. Humpen ex!« Ortwin Sengal ging persönlich mit gutem Beispiel voran. Dröhnend laut wurde der Trinkspruch erwidert und erweitert. »Auf Groß-Orplid! Auf Ortwin Sengal, den obersten Kriegsherrn! Humpen ex!« Überall im Bankett-Zelt blitzten die Silberhumpen. Es gehörte mit zu den ungeschriebenen Gesetzen der Zeit, daß die Gäste so lange trinken mußten, wie auch der Gastgeber trank. Als Ortwin Sengal den Humpen absetzte, war das Trinkgefäß leer. Der Wein war gut. Keine Frage! Doch bekam er auch gut? Um hierüber urteilen zu können, mußte der nächste Morgen abgewartet werden. Wie die anderen Gäste, tranken auch Roland und seine Freunde ihre Humpen bis zur Nagelprobe aus. Zum Zeichen dafür, daß sie ehrliches Spiel trieben, kehrten sie die Silberhumpen um. Wieder tat Ortwin Sengal etwas kund. »Die Heeresleitung von Groß-Orplid gibt sich die Ehre, jedem unserer Staatsgäste den Silberbecher der heutigen Banketttafel als Geschenk zu verehren.« Brausender Beifall belohnte die Ankündigung. Ortwin Sengal verstand die Kunst, die Gemüter der Menge zu bewegen. Die Verteilung so kostbarer Gastgeschenke stellte eine gar noble Geste dar. Immer wieder suchten Ortwin Sengals Augen die Gruppe aus Camelot. - Er hat irgendwas! Er wartet auf ganz bestimmte Ereignisse! - So argwöhnte Ritter Roland. Da sah er, wie Pierre einfach zusammenbrach. »Pierre! Junge! Was fehlt dir?«
Pierre war nicht mehr in der Lage, Antwort zu geben. Ritter Roland und sein Waffenmeister Waidenhold griffen gleichzeitig an ihre Stirn. Es kam ihnen vor, als habe ihr Blick sich verschleiert. Sie griffen aus, als wollten sie sich aneinander festhalten. Doch heute konnte keiner dem andern Stab oder Stütze sein. Wie gefällte Baumriesen brachen sie zusammen. Sie streckten sich unter den Bänken. Es würde unmöglich sein, festzustellen, ob sie nun eingeschlafen oder ohnmächtig waren. Volker vom Hohentwiel ging als letzter hinüber in das Reich der grauen Träume. Der Sänger gewahrte, wie Ortwin Sengal zu ihnen kam. Dem der Ohnmacht verfallenen Mann erschien Sengal riesengroß. Auch die Stimme des Befehlshabers der orplidischen Heere schien auf unwirkliche Weise gewachsen zu sein. »Schafft sie weg! Legt sie in Eisen! Jeden für sich. Ganz so, wie es befohlen ist.« Keiner der Cameloten nahm wahr, was nun mit ihm geschah. Sie wurden in Keller geschafft, die mitten in dem Zeltlager lagen, welches als Sengals Hauptquartier fungierte. Früher hatte über den Verliesen eine Burg gestanden. Ortwin Sengal hatte sie erobert und geschleift. So kamen Ritter Roland, Volker vom Hohentwiel, Waidenhold und Pierre in festes Eisen. Man hatte sie angeschmiedet wie Tiere. Handeisen, Fußeisen, Halseisen, Leibeisen. Kein Mensch hatte Aussicht, solche Fesseln jemals loszuwerden, wenn ihm keine Hilfe zuteil wurde. Sie waren in getrennten Verliesen untergebracht. Doch die Trennung dazwischen bestand nur aus Gittern. Festen, handgelenkdicken Eisen. Sie konnten die gesamten Kellerhöhlen überblicken. Ritter Roland und Waidenhold wurden zuerst wach. »Da sind wir ja hübsch hereingelegt worden.« »Ja, Herr! Ich glaube, sie haben unseren Wein entsprechend gewürzt. Was riecht das denn hier so eigentümlich? Mir will scheinen, den Geruch kenne ich nur zu gut.« Volker und Pierre schliefen noch. Ritter Rolands Augen hatten sich
langsam an die bestehenden Lichtverhältnisse gewöhnt. »Waidenhold ... Siehst du auch, was ich dort drüben sehe? Ich meine, kann es überhaupt möglich sein?« Roland meinte den letzten Käfig im Kellerrevier. Da wanderten vier riesige, dunkle Schattenwesen auf geschmeidigen, weichen Sohlen hin und her. Immer hin und her. »Ja, Herr«, sagte Waidenhold. »Ich roch es schon gleich beim Wachwerden. Da marschieren Braunbären, wie es ihre Art ist, wenn sie Langeweile haben. Denk dir was aus für den Fall, sie lassen die Tiere zu uns herein.« Es geschah zum ersten Male, daß Ritter Roland so etwas wie blankes Entsetzen verspürte. »Sie werden doch nicht etwa ...« Roland mochte den Satz gar nicht zu Ende denken und sprechen. Waidenhold unterbrach ihn. »Doch. Sie werden! Sie werden sich sogar einen ganz besonderen Spaß daraus machen, die Bären auf uns zu hetzen. Sieh genau hin, Herr. Jedes Tier trägt .einen Nasenring und ein breites Halsband. Der Braunbär welcher den Herzog schlug, und dann der Hauptbär, der mich anfiel, stammen aus dem gleichen Käfig. Die stummen Wanderer da drüben sind ihre Kameraden ... Einen nach dem andern und dann vier hintereinander, das trau ich mir zu, Herr. Aber vier von dem Kaliber auf ein Mal! Ich fürchte, das ist auch für einen Mann wie mich zuviel. Dennoch, wir dürfen nicht aufgeben.« Schlüssel klirrten. Sechs auffallend starke Männer betraten den Keller. Sie trugen Frischfleisch. Das warfen sie in den Bärenkäfig. Brummend machten sich die Bestien über ihre Mahlzeit. Was Waidenhold gesagt hatte, stimmte. Die Bären waren halb zahm. Sie ließen sich von zwei Männern anfassen. Die menschlichen Gefangenen bekamen nur zwei Krüge Wasser. »Zum Eingewöhnen«, lachten die Kerkerbüttel. »Wie lange will man uns hier festhalten?« begehrte Ritter Roland auf. Die Antwort kam prompt. »Freiheit und Sonne sind für euch abgetan. Herren werdet ihr nie
wieder sein. 24 Tage liegt ihr hier in dem Loch. Ihr habt noch sechs Tage Zeit.« »Und dann?« Der Kerkerbüttel zeigte dorthin, wo die Bären schmatzend mahlzeiteten. »Ist das so schwer zu erraten? Die dort drüben sind die Endstation. Übrigens, es kommt noch jemand zu euch, den ihr kennt. Er wird gerade durch Herrn Ortwin, den obersten Kriegsherrn willkommen geheißen.« Wie? 24 Tage schon sollten sie in diesem elenden, stinkenden Loch sein? Unfaßbar! Roland griff an sein Kinn. Da stellte er fest, daß ihm ein kapitaler Bart gewachsen war. Die Auskunft des Büttels schien also doch der Wahrheit zu entsprechen. Wer war der Mann, der gleich zu ihnen stoßen würde? Es mochten zwei Stunden vergangen sein, da ging erneut die Tür auf. Die Büttel schleiften jemanden herein, an dessen Körper buchstäblich kein Streifen Haut ungeschlagen geblieben war. Der Neue wurde angeschmiedet wie sie. Und da erkannten sie ihn. »Louis!« Der Name schallte so laut in den Kellergewölben wider, daß Volker und Pierre wach wurden. Die Bären schreckten aus ihrem dösenden Verdauungsschlaf. Sie brüllten. In der fauchenden Weise ihrer Art. Welch Wunder! Louis antwortete. »Herr Roland. Heil und Gruß!« »Du kannst noch reden, Louis? Bist du uns gefolgt. Ortwin Sengal hat uns übertölpelt.« Louis schien wie immer guten Mutes zu sein. Die rauhe Behandlung hatte seinen Lebenswillen nicht gebrochen. Er erzählte, wie es ihm gelungen war, hierher zu kommen. Er hatte drei volle Wochen im Bett zugebracht. Und ihm war die beste Pflege zuteil geworden, die sich ein Mann nur wünschen kann. Die Pflege einer liebenden Frau nämlich. »Es war die Frau von der letzten Nacht vor unserem Aufbruch in
Camelot. Sie heißt Sante Löfdottar und sie gehört zu den Menschen, die genauso heiß hassen, wie sie lieben.« Jeder erwartete wohl, jetzt würden Pläne zum gemeinsamen Ausbruch geschmiedet. Was wirklich geschah, was gleich passierte, erriet nicht einmal die wildeste Fantasie. »Nein«, staunten Roland, Volker und die anderen. »Das ist doch unmöglich.« Was sie sahen, was sie erlebten, aber blieb. In stummer Wut hatte sich Roland gegen die eisernen Fesseln gestemmt. Jeder würde ihm beim ersten Blick gesagt haben, es sei sinnlos, sich gegen Eisen dieses Kalibers aufzubäumen. Rolands Adern auf der Stirn, an den Armen und den Beinen wurden fast genauso dick wie seine Muskeln. Er brachte das Kunststück fertig, die Eisen auseinanderzubiegen. Zuerst sprengte er seine Fesseln. Danach kam Volker vom Hohentwiel an die Reihe. Ritter Roland wanderte von einem Verlies zum ändern. Er bog die trennende Stäbe einfach auseinander. Die Keller sahen schon nach dem ersten Durchgang aus, als hätten Urweltriesen darin gewütet. Als alle befreit waren, verbog Roland das Schloß zum Bärenkäfig so, daß es ohne die sachkundige Hand eines Schmiedes wohl kaum noch zu öffnen war. Dann warteten sie auf die Kerkerbüttel. Die kamen kurz bevor sie selber zur Ruhe gingen. Sie kamen und wurden überwältigt. Dann stiegen die fünf aus Camelot nach oben. Louis, der erstaunlich frisch war, gab Ziel und Richtung an. »Wir müssen zu Sante Löfdottar. Sie und ihre Mutter Mette helfen uns weiter. Mir nach!« * Wann entdeckten die Lagerwachen, was in den Kellerverliesen geschehen war? Sie bewegten sich flink wie die Mäuse. Jede Sekunde rechneten die Ausbrecher mit Alarm. Louis hatte sich den Weg, welchen sie jetzt bewältigen mußten, genau beschreiben lassen. Dem ehemaligen Gastwirt war nichts von
aller Unbill anzumerken, der er ausgesetzt gewesen war. Im Hauptquartier der orplidischen Heere wurden irgendwelche Siegesmeldungen gefeiert. Es hieß, die Armeen des Herzogtums seien schlechterdings unschlagbar. Allem Anschein nach hatte Louis bei seinem Ritt ins große Feldlager weit mehr gesehen als Roland und seine Freunde. »Wo ich auch hinkam, überall war der Krieg schon gewesen. Er hatte das Land mit Brand und Plünderung gezeichnet. Manchmal stand kein Stein mehr auf dem ändern. Es wird viel Mühe, Zeit und Dukaten kosten, wenn die Schäden beseitigt werden.« Roland dachte an Vergeltung für das, war Ortwin Sengal seinen Begleitern und ihm angetan hatte. »Treffen wir ihn? Oder ist er bei einer seiner Unternehmungen im freien Feld?« »Mette Löfdottar weiß, wo der Diktator ist«, behauptete Louis. »Und wo steckt Mette?« »Nicht lange mehr und du wirst sie sehen. Beide Frauen, welche Löfdottar heißen!« Sie waren eine ganze Weile schon in kühlem Wald. Die Nacht spannte das blitzende Funkelwunder ihres Sternnetzes über den samtblauen Himmel. Der Weg führte steil bergan. Die Luft wurde so würzig rein, wie sie sich nur in den kühlen Nächten des Nordens atmen läßt. Voraus leuchteten Lichter. Rötlich gelb. So, wie Kerzen hinter der pergamentenen Durchsichtigkeit von Tierblasen brennen. Roland fühlte sich glänzend aufgelegt. Es war ihm gelungen, wider jede Wahrscheinlichkeit die Freiheit zu gewinnen. Er spürte einen Muskelkater wie nie zuvor im Leben. Doch mit jedem Schritt fühlte er neue Kraft. Er würde das letzte Gefecht gegen Sengal gewinnen. Dessen war er sicher. Die Lichter wurden deutlicher. Sie winkten von vier verschiedenen Stellen. Stand man ganz nahe davor, so stellte sich das Ganze als eine sehr wehrhafte Mauer um ein Bauerngehöft dar. Die Lichter brannten auf den vier Ecktürmen.
Knappe Louis legte die Hände wie eine Muschel vor den Mund. Der hohle Ruf der großen Waldohreule erschallte. Das klang richtig unheimlich. »Willst du uns etwa zu den Eulenbrüdern führen?« Roland stand ganz dicht hinter dem Knappen Louis. Der sah seinen Herrn ergeben an. »Die Eulenbrüder sind keine Kraft mehr, auf welche sich Ortwin Sengal stützen darf. Sie haben sich geteilt. Die, welche hier ihr Zentrum unterhalten, sind die schärfsten Widersacher des Usurpators Sengal.« Der Ruf des Knappen wurde umgehend beantwortet. »Schuhu... Schuhu!« Ein Tor öffnete sich. Bis über die Zähne bewaffnete Männer schwärmten aus. Sie nahmen die Ankömmlinge in die Mitte und drängten sie in die Umzäunung. Jemand in einem hellen Kleid lief geschwind Louis entgegen. Umarmte ihn. »So hast du erreicht, was du wolltest, mein tapferer Mann.« »Das ist Sante Löfdottar«, stellte Louis vor. Seine Stimme klang stolz. Roland sah ein ebenmäßiges, schönes Frauengesicht. Er fand, Louis sei zu beneiden. Sante sagte in Louis' Ohr: »Bring hinter dich, was zu geschehen hat. Um so eher haben wir Zeit für uns. Ortwin Sengal ist auf der Feste Landskron. Es heißt, er will die Herzogin-Witwe Inger heiraten. Die Herzogin wird in Landskron gefangen gehalten.« »Und wie kommen wir in die Burg?« Sante Löfdottar lächelte wie jemand, der sein Terrain gut vorbereitet weiß. »Die Wachen Landskrons bestehen aus ehrlichen, guten Eulenbrüdern. Sie stehen auf unserer Seite.« Eng umschlungen gingen Louis und Sante ins Haus. Roland und die übrigen folgten den beiden. Eine Frau von imponierender Größe trat ihnen entgegen. Sie hielt eine Lampe hoch. Mit dem Licht musterte sie jeden einzelnen. Bei Roland verhielt sie länger. »Du bist
der Ritter Roland von Camelot, nicht wahr?« In ihrem faltigen Gesicht wetterleuchtete es heftig. »Dir glaube ich, daß du den Tyrannen stürzen kannst. Der Sieg steht dir auf der Stirn. Handele schnell!« Es blieb ihnen nur knapp soviel Zeit, eine Erfrischung zu sich zu nehmen. Dann ging es zu Pferde weiter. Roland vermißte seinen Samum. Mette Löfdottar sagte tröstend: »Unsere Männer werden sich um alles kümmern, was von deinem Eigentum in Sengals Hauptquartier beschlagnahmt wurde.« Roland glaubte der Frau. Sie strahlte Zuversicht aus. Beim Aufbruch machten sich auch Mette Löfdottar und ihre Tochter Sante fertig. Sante trug ein feines Kettenhemd. Die Panzerung schützte den ganzen Körper vom Kopf bis zu den Füßen. Während des Marsches nach Landskron ritt Sante auf Tuchfühlung neben Louis. Jedesmal, wenn sich ihre Knie, ihre Beine oder die Hände berührten, lächelte sie glücklich. Als der junge Morgen den Himmelsrand im Osten rosig färbte, hielt die stattliche Reitergruppe vor der trotzigen Burg Landskron. Der Schrei der Ohreule klang von den dicken Mauern wider. Sofort kam Antwort. Neben dem großen Südtor öffnete sich eine kleine Pforte. Mäusen ähnlich, welche zu Bau schlüpften, verschwanden die Ankömmlinge in der Festung. Im obersten Stockwerk des Burgfrieds brannte noch Licht. Da sprach Ortwin Sengal seit Stunden mit Herzogin Inger. Die schöne Frau gab sich über den Mann keinerlei Illusionen mehr hin. »Du weißt genau, daß du großes Glück gehabt hast. Hätte Berwin dich auch nur ein Mal so erlebt wie ich, du hättest keinen Atem mehr gehabt. Er war viel stärker als du.« »Aber du hast ihn nicht geliebt.« Das feine, stolze Gesicht der Herzogin wurde so rot, als stünde Frau Inger vor einem Schmelzofen. Doch sie bekannte sich tapfer zum Geheimnis ihres Lebens. »Nein ... Aber wir würden aufeinander zugewachsen sein.« Der Mann lachte. Das klang unangenehm. »Du wirst mich lieben.«
»Nie.« Da griff der Mann in die Wiege, darin der junge Berwin schlief. Ohne Rücksicht zerrte er das Kind aus den warmen Decken. Hielt es an einem Fuß hoch. »Es ist lange genug geredet worden. Du wirst mich auf der Stelle heiraten, oder ... dein Sohn erlebt den kommenden Morgen nicht.« Ortwin Sengals Stimme wurde drängend. »Weißt du, daß der Burgkaplan aus Orplid Dorf bestellt ist und wartet? Weißt du, daß die Köche bei Sonnenaufgang mit der Zurichtung des Hochzeitsmahles beginnen werden? Es gibt keine Ausflucht mehr. Mein Glück gegen das Leben deines Sohnes. Entscheide dich. Du hast...« Lautlos hatte sich die Tür zum Turmgemach geöffnet. Ritter Roland stand im Raum. Louis folgte auf dem Fuß. Roland stieß Ortwin Sengal mit elementarer Wucht die Faust ins Gesicht. »Zieh verräterischer Hund. Zieh und wehre dich deines Lebens.« Es war nur ein Leihschwert, welches Ritter Roland zur Verfügung stand. Doch die Klinge war aus gutem Nordmannsstahl geschmiedet. Knappe Louis hatte den schreienden Säugling aus Sengals Faust gerettet und die Herzogin in sichere Deckung gezwungen. Von da sah Inger zu, wie Ortwin Sengal sich gegen Roland wehren mußte, wie er aber mehr und mehr auf die Verliererstraße geriet. »Wer hat dich frei gelassen?« keuchte Sengal. »Das wirst du nie erfahren, Verräter.« Stahl klirrte gegen Stahl. Funken stoben. Sengal stolperte. Er klammerte sich an sein Schwert. Roland schlug dem Gegner die Faust in den Nacken. Sein ganzes Gewicht steckte hinter dem Schlag. Sengal stürzte. Das eigene Schwert durchbohrte ihm die Brust. Vier, fünf Atemzüge lang schwieg Roland. Dann bot er Herzogin Inger den Arm. »Darf ich Euch zu jemandem bringen, der Euch Grüße und viel Wissenswertes von Eurer königlichen Schwester zu berichten hat?« Herzogin Inger schaute vertrauensvoll und lächelnd zu Roland auf. Volker vom Hohentwiel begegnete ihnen auf der Wendeltreppe im
Turm. Roland deutete auf den Freund. »Seht, hohe Frau. Dies ist der Ritter, welcher darauf brennt, Euch alles zu erzählen, was Eure Schwester ihm zu sagen aufgetragen hat.« Der Mann, dem die Herzogin Dankbarkeit zu schulden glaubte, hieß Roland. Doch das wandelte sich. Als sie alle gemeinsam nach Abwicklung aller anstehenden Verbindlichkeiten, die der Erledigung harrten, nach Camelot reisten, da hingen Ingers Blicke schwärmerisch an den Lippen Volkers, des Sängers vorn Hohentwiel. Vorher war es ihre Pflicht gewesen, die Armee Orplids aufzulösen. Die Nordmarkmänner hatten versucht, gegen die Auflösung und ihre Entlassung zu protestieren. Zwecklos. Die meisten Verhandlungen mit den Finnmarkern waren Waidenhold übertragen worden. Der kannte die Mentalität der Nordischen genau, und er wurde mit ihnen fertig. Es sollte Waidenholds letzter Auftrag sein, den er in Rolands Namen ausführte. Mette Löfdottar und ihre Tochter Sante waren gefragt worden, was sie für ihre Verdienste an Belohnung beanspruchten. »Wir wollen in Frieden und in Ruhe leben.« Das hatten beide Frauen erklärt. »Am liebsten lebten wir in Camelot. Wir werden uns schon irgendwo nützlich machen können.« Ortwin Sengal hatte ihren Haß geweckt, weil er Mettes Mann und Santes Vater sowie Santes Bräutigam aus reiner Machtgier hatte ermorden lassen. Wie Mette vorausgesagt hatte, bekamen Ritter Roland und seine Freunde all ihre Ausrüstungsstücke zurück, welche ihnen in Sengals Hauptquartier abgenommen worden waren. Samum begrüßte seinen Herrn mit freudigem Schnauben und Wiehern. Zu den Gefangenen, die aus finnmarkischen Gefangenenlagern befreit wurden, gehörte der Fischer Radbod leider nicht. Waidenhold beschloß deshalb, zu Dalinde zurückzukehren. Für immer. Er bat Roland, ihn aus dessen Diensten zu entlassen.
Volker vom Hohentwiel erhielt seine Belohnung: Das Jahr mündete in einen besonders schönen Herbst. Und an einem Abend, wo Volker seine Blicke nicht von Herzogin Ingers Schönheit hatte wenden können, klopfte es bei dem Sänger. Volker glaubte, Roland wolle ihn nochmals sprechen und sagte forsch. »Komm rein! Die Tür ist auf.« »Die Begrüßung lobe ich mir«, sagte eine leise, aber glockenhelle Stimme. Der überraschte Volker sah in Herzogin Ingers strahlende Augen. Sie trug einen wunderbaren Silberfuchsmantel, der ihr bis auf die Füße reichte. Als sie den Mantel öffnete, begriff Volker, warum sie bei ihm war. Er eilte zu ihr, umarmte sie, hob sie hoch und trug sie zum Bett. Sie küßte ihn. Und er spürte, daß weniger Dankbarkeit ihre Handlungen lenkte, als viel mehr die Sehnsucht einer Erfüllung suchenden Liebe. »Bevor du mit Roland losreitest nach Camelot, wollen wir uns den Abschied verschönern ...«
ENDE
Liebe Abenteuer-Freunde, in 14 Tagen erscheint einer der stärksten Romane, die bisher für die Serie »Ritter Roland« geschrieben worden sind. In Günther Herbsts
Das Duell um die
Grafentochter
lesen Sie von ergreifenden Schicksalen, atemberaubenden Kämpfen und prunkvollen Festen. - Dies ist eine Geschichte, die so spannend erzählt ist, daß man nicht zu lesen aufhören kann, bis man weiß, ob auch bei dem Reitervolk der Tataren Recht Recht bleibt. Sie erhalten den Band 27 bei Ihrem Zeitschriftenhändler. Schreiben Sie Ihre Meinung über den Roman an die Redaktion Ritter Roland.