Inhalt: Als der norwegische Seemann Ole Sivertsen sich an der grönländischen Küste absetzen läßt, hat er eigentlich nur ...
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Inhalt: Als der norwegische Seemann Ole Sivertsen sich an der grönländischen Küste absetzen läßt, hat er eigentlich nur vor, ein Jahr lang als Pelztierjäger zu leben, um seiner Familie ein einträgliches Auskommen zu sichern. Nach anfänglichen Erfolgen stellen sich jedoch unerwartete Schwierigkeiten ein, deren Überwindung Oles ganze Kraft und Zähigkeit erfordert. Wird Ole dem arktischen Winter und zahlreichen weiteren Gefahren trotzen und seine Familie wiedersehen?
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WILHELM DEGE
IM PACKEIS GEFANGEN
Die Abenteuer eines modernen Robinson in der Arktis
VERLAG HERDER FREIBURG
Druckerei von Herder & Co GmbH, Freiburg im Breisgau 1954
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ZUR KÜSTE OSTGRÖNLANDS Die „Hoffnung“ hält ihre Nase auf Ostgrönlands Küste gerichtet. Sie tut das nicht erst seit gestern oder vorgestern, sondern, wenn man es richtig betrachtet, schon seit gut vier Monaten. So lang nämlich kreuzt sie mit ihrer kleinen Besatzung auf Seehundsjagd im wilden „Westeis“, den mächtigen Packund Treibeismassen zwischen Westspitzbergen und Ostgrönland. Während der ganzen Zeit hat sie kein Land gesehen, geschweige denn angelaufen. Die „Hoffnung“ ist nicht groß — kaum 150 Tons faßt sie — und auch nicht neu. Aber fest und stark und zuverlässig ist sie, aus Eichen- und Teakholz gefügt, der Bug mit fingerdicken Eisenplatten zum Schutz gegen das scharfkantige Eis bewehrt. Alle fahren gern mit dem Schiff. Es hat seinem Namen noch keine Unehre gebracht. Das ist bei solch einem Schiff und vor allem bei solch einem Schiffer, wie es Hansen ist, nicht verwunderlich. Auch die letzten vier Monate waren gut vorübergegangen. Ab und zu hatte es zwar gründlich geblasen, und ein paarmal war das kleine Schiff von gefährlichen Eispressungen umarmt worden, aber das alles hatte weder Schiff noch Mannschaft viel ausgemacht, zumal die Beute an Seehundsfellen immer größer wurde. Hansen und mit ihm alle an Bord sind heute daher auch in bester Laune. Es gilt nur noch, Ole Sivertsen, den Ersten Schützen, wie man auf diesen Booten den Ersten Harpunier nennt, in Grönland an Land zu
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setzen, dann geht die Reise durch weniger gefährliches Wasser wieder der Heimat zu. Hansen steht auf der Brücke beim Rudergänger. Seine grauen Augen schweifen weit über das grüne Meer, in dem ein paar Eisberge und eine Menge Kleineis mit Wind und Strömung dahinsegeln. Im Krähennest droben hängt ein Mann und hält mit dem Glas scharf Ausschau nach Westen. „Weißt du, Ole“, wendet sich Hansen an seinen Nachbarn, einen mittelgroßen, gedrungenen Mann mit einem von Wind und Wetter gegerbten Gesicht und ebensolchen harten, grauen Augen, wie er sie selber hat, „also weißt du, was ich noch sagen wollte — du hast dir da zwar einen guten Plan zurechtgelegt mit deiner Überwinterung in Ostgrönland. Aber wenn ich ehrlich sein soll: du hast dich, meine ich, in eine ganz verflucht gefährliche Sache eingelassen. Du wirst auf 40, 50 Meilen nach Süd und Nord der einzige Mensch an dieser gottverlassenen Küste sein. Hast du daran gedacht, daß das Packeis nicht jedes Jahr von diesem Küstenstreifen loskommt, daß du also, hm — vielleicht noch einen Winter hinzulegen mußt?“ Umständlich brennt Ole seine Pfeife an. „Du machst mich nicht zum erstenmal auf diese Dinge aufmerksam. Es ist auch nicht das erste Mal, daß ich selber drüber nachdenke. Aber du weißt auch, Schiffer, wie es um mich steht. Fünfzehn Winter habe ich auf Spitzbergen gelegen, am Hornsund, am Wijdefjord, in der Sorgebai. Das sind nun nicht die lieblichsten Gegenden dieser Insel, aber auch nicht die ärmsten, was Fuchs und Bär, Seehund und Eiderente anbetrifft. Nun, ich habe dort
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manches gefangen. Aber bei den heutigen Pelzpreisen — zum Leben zuwenig, zum Sterben zuviel. Ich habe fünf Mäuler zu stopfen. Das ist nicht wenig. Und das Haus da am Fjord im Tromsgau fällt uns bald über dem Kopf zusammen. Ich muß ein neues Fangfeld suchen, für mich und alle anderen, denen es grad so geht wie mir. Einer muß den Anfang machen, einer muß alles auf eine Karte setzen, und ich, ja, ich glaube nun einmal, daß ich Glück haben werde, daß mein Plan gelingt. Und wenn alle anderen die Köpfe schütteln!“ Auch Hansen schüttelt nun den Kopf und schaut den ändern schweigend von der Seite an. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Nur wenn vom Ausguck eine Meldung kommt, gibt der Schiffer dem Rudergänger ruhig seine Anweisungen. Ab und zu rumpst eine Eisscholle gegen die Planken, gleitet knirschend vorbei und dreht sich wirbelnd im Schraubenwasser. In elegantem Flug segeln ein paar Raubmöwen um die Schiffsmasten. Das Deck dünstet in der warmen Sonne Tran- und Blutgeruch aus. Aus dem Ofenrohr der Kombüse kräuselt leichter Rauch. Man hört den Koch mit Töpfen und Schüsseln klappern. Bald wird zum Essen gerufen ... Hansen räuspert sich, spuckt aus und stopft sich seine Pfeife. Den besten Tabak raucht er gerade nicht — als er die ersten Züge macht, riecht es ein wenig brenzlig. Der Rudergänger, ein junger, roter Draufgänger von den Lofoten,schnuppert hörbar wie ein junger Hund, und als er etwas vorlaut anfängt, grinst er übers ganze Gesicht: „He, Schiffer, wenn Birkenlaub und Rentierhaare so gut
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schmecken, dann geb' ich nächstens doch das Zigarettenrauchen auf. Mir scheint, es ist ...“ „Rotznase, grüne!“ poltert der Schiffer los, „binde lieber deine Hosen unten zu. Ich mein', das Rauchen bekommt deinem Gedärme überhaupt noch nicht!“ Die „Rotznase“, ein schlaksiger Hüne von achtzehn Jahren, der gar zu gern — wohl weil er meint, wer groß sei, sei auch schon erwachsen — den erfahrenen Mann spielt, wird rot bis unter die roten Haare. Die Antwort war nun doch ein wenig zu starker Tobak für ihn. „Tja, Ole“, wendet sich der Schiffer nun wieder an den Jäger, „du hast recht, natürlich, in allem recht. Ich versteh' dich auch ganz gut. Auf Spitzbergen sind für einen Fangstmann keine Reichtümer mehr zu holen. Ich will dich ja auch nicht von deinem Vorhaben abbringen. Aber schau“, er zögert einen Augenblick, ehe er fortfährt, „konntest du nicht wenigstens einen Kameraden mitnehmen? Das hätte doch alles einfacher gemacht.“ „Du weißt ja, ich fand keinen, der mitmachen wollte“, entgegnet Ole gedehnt. „Die Burschen gehen alle ihren alten Trott. Es steckt kein Unternehmungsgeist mehr in ihnen. Und überdies, wenn ich ehrlich sein will — jetzt, wo ich mich mit dem Gedanken abgefunden habe, einen Winter lang allein in Ostgrönland auf Fang zu liegen, bin ich ganz froh darüber. Ich muß sehen, daß ich aus meinen Schulden herauskomme. Eine Expedition zu zweit ist für den einzelnen nicht viel billiger, dafür geht der Fangerlös hinterher in zwei Teile.
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Außerdem liege ich nicht den ersten Winter allein in der Arktis.“ „Ich weiß, ich weiß. Du bist als Alleingänger bekannt. Und wenn hier einer ohne Hilfe zurechtkommt von all den Kerlen im Eismeer und rundherum, dann bist du es wohl. — Aber nun komm, wir wollen essen, man hat gerufen!“ Die beiden Männer gehen in die kleine Kajüte hinab. Es ist dunkel dort unten, drangvoll eng, verräuchert und verqualmt. Auch hier riecht es durchdringend süßlich nach Tran und Seehundsblut. Die Freiwache ist schon aus den Kojen gekrochen. Den ruhigen Tag heute nutzt sie weidlich aus. Es gilt viel Schlaf nachzuholen. Monatelang ist es scharf genug hergegangen, und manchmal hat es zwei Tage lang kein Auge voll Schlaf gegeben. Nun sitzen sie hinter ihren Blechtellern, wilde, bärtige Gesellen, gähnend und wie immer hungrig. Schweigend holen sie mit ihren Messern von Fett triefende Stücke leckerer Seehundsleber aus der großen Pfanne, die mitten auf dem Tisch steht, stippen ihr Brot in das Bratenfett und schlürfen brühheißen, bitter duftenden Kaffee dazu. Keiner sagt ein Wort. Nur Schmatzen und Schlürfen sind zu hören und das beruhigend gleichmäßige Arbeiten der Maschine, ab und zu das Knirschen einer Eisscholle und all die anderen gewohnten Geräusche, die zu einem Schiff in Fahrt gehören. Nach und nach wischt jeder der Männer sein Messer an der Hose ab, sagt sein „Dank für die Mahlzeit!“ und zündet sich eine Pfeife oder Zigarette an. Auch der Schiffer schiebt seine leere
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Tasse beiseite. Er weist jedem der Leute seine Arbeit zu. Das geht ohne viel Worte und ohne Widerrede. Bei Hansen herrscht Ordnung an Bord. Da gibt es kein Maulen und keine Ausrede. Hansen ist der richtige Führer im Westeis, das hat er mehr als einmal bewiesen. „Und du, Sivertsen“, wendet er sich dem Jäger zu, „kommst auf einen Augenblick zu mir in den Salon. Wir haben noch einiges miteinander zu reden.“ Der „Salon“ ist der Wohn- und Schlafraum des Schiffers, genau so eng, so dunkel und stickig wie alle Räume an Bord. Ein Seehundsfänger ist nun einmal kein Luxusdampfer. Aber die Männer darauf sind ja auch keine Vergnügungsreisenden. Es ist ein hartes Volk da oben im Eis zwischen Spitzbergen und Grönland. Der Schiffer legt seinem Ersten Schützen die Bücher vor. Die sind zwar tranig und fleckig, aber es steht genau darin verzeichnet, wieviel Seehunde, alte und ganz junge, eben geborene und daher besonders wertvolle Tiere, und wieviel Eisbären im Verlauf der Fahrt geschossen wurden. Der Schiffer hält auf Ordnung und Rechtlichkeit. „Wir müssen natürlich die letzten Preise in Tromsö zugrunde legen“, erklärt der Schiffer. „Einverstanden? Dann kannst du dir deinen Anteil jetzt selber ausrechnen.“ Ole Sivertsen überschlägt die einzelnen Posten. Es kommt ein schönes Stück Geld zusammen. Dann holt Hansen einen Zettel aus der Schublade. „Hier hab’ ich selber schon die Abrechnung gemacht. Du siehst, die Summen stimmen überein. Es ist diesmal wirklich nicht wenig.“
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Er geht an den Wandschrank, langt eine Flasche Brandy und zwei Gläser und schenkt ein. Die Männer kippen den Schnaps hinunter und schütteln sich. „Verdammt scharfes Zeug!“ meint Ole. „Tja, verdammt scharfes Zeug“, gibt Hansen zurück. Dann schweigen die beiden wieder. Der Rauch aus den Pfeifen lagert in dicken Schwaden in dem düsteren Raum. Plötzlich stiehlt sich ein schüchterner Sonnenstrahl durch das halbblinde Bullauge. Die Männer starren in das flimmernde Spiel der Staubkörnchen in dem hellen Strahl. Der eine räuspert sich, der andere tut's ihm nach. Da ist noch etwas Unausgesprochenes zwischen ihnen. Aber keiner macht den Anfang. Jeder pafft nur vor sich hin, stiert in den zitternden Sonnenstrahl oder starrt auf die Spitzen der von Seewasser, Blut und Tran grau gewordenen Gummistiefel. „Ja, ja“, seufzt Ole schließlich und fährt sich mit den rissigen, plumpen Fingern durch seinen wüsten, blonden Schopf. Da nimmt der Schiffer einen Anlauf. „Sivertsen, ich dachte nur so, nimm mir's nicht übel. Ich — wie soll ich's nur sagen? Schau, du fährst dieses Jahr zum erstenmal mit mir als Erster Schütze. Ich bin mit dir zufrieden. Und ich dachte, wenn du mit mir zufrieden bist ... Ich meine nur so“, fährt er zögernd fort, „du hast nicht schlecht verdient in diesem Sommer.“ „Ich weiß, worauf du hinaus willst.“ Sivertsen wird lebhaft und redet sich auf. „Du meinst, ich soll den Fang aufstecken, soll mit dir fahren. Nein, nein, das kann ich nicht.“ Er trommelt auf die Tischplatte, stiert wieder vor sich hin.
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„Ja, das meine ich. Bleib bei mir! Da verdienst du mehr als auf deiner Pelztierjagd. Und du bist mehr bei deiner Familie.“ Da stöhnt Sivertsen leise auf, wie einer, dem an verborgene Wunden gerührt wird. „Ja, meine Familie! Zwei, drei Monate sehe ich sie im ganzen Jahr, wenn ich im Juni, Juli nach Tromsö komme und den Fang bei Andersen abliefere. Das geht nun schon so manches Jahr. Ich hab’ eine tapfere Frau... Aber ich muß einfach immer wieder 'raus, muß Land unter den Füßen haben, durch die Wildnis streifen, den Schneesturm um eine Hütte heulen hören. Ja, ja. — Ich muß.“ Er bricht plötzlich abi Dann starrt er wieder vor sich hin, wagt nicht, den Schiffer anzusehen. Und schließlich geht er wortlos hinaus. Er schämt sich. Was er da geredet hat, wie es in ihm aussieht — was geht das den Schiffer an? Das hat er alles mit sich allein abzumachen. Man schüttet sein Herz nicht vor fremden Menschen aus. Die Hauptsache ist, daß seine Frau ihn versteht. Sie wußte, daß die Wildnis ihn sein Leben lang nicht mehr freigeben würde, und sie wurde trotzdem seine Frau. Und die Kinder? Nun, die müssen sich eben dreinschicken, daß der Vater keinen Weihnachtsabend bei ihnen weilt. Dafür sind die kurzen, hellen Sommerwochen um so schöner, wenn er ihnen von seinen Fahrten erzählt, von den Gefahren, die er überstehen mußte, oder wenn er mit ihnen auf der Wiese hinter dem Haus herumtollt. Der Jäger steht ganz vorn am Bug. Der Gischt der See schäumt weit an dem eisengepanzerten Steven hoch. Lang, gedankenvoll schaut Ole in das
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wilde Sprühen unter sich. Da reißt ihn ein Ruf aus dem Sinnen. Er strafft sich, beschattet die Augen mit der Hand, späht scharf nach Westen. Der Mann in der Tonne am Mast hat Land angekündigt. An Deck wird es lebendig. Land, Land, nach gut vier Monaten wieder Land! Langsam tauchen am Horizont dunkle Bergzacken auf, mit Schneeleisten in den Flanken und schwebendem Wolkendunst um die Gipfel unter einem stahlblauen Himmel. Höher und höher wachsen sie über die Kimm. Die weißen Mulden und Ströme der. Gletscher leuchten auf. Es ist der gleiche unvergeßliche Anblick, wie er ihn schon von seinen Fahrten nach Spitzbergen kennt: eine Perlenschnur makellos weißer Gletscher, eingebettet in die Grate und Spitzen dunkler Bergriesen. „Sivertsen“, ruft ihm der Schiffer von der Brücke aus zu, „ich glaube, es wird Zeit, daß du mal selber in das Krähennest kletterst und dir dein zukünftiges Reich durch den Kieker besiehst! Du mußt nun sagen, wo du an Land gesetzt werden willst.“ Der Mann im Ausguck ist froh, daß er auf seinem engen, luftigen Platz abgelöst wird. Geschickt klettert Ole die Strickleiter hinauf und zwängt sich in die enge Tonne. Donnerwetter! Hier weht ein scharfer Wind, hier ist nicht gerade der bequemste Platz an Bord. Es dauert eine ganze Weile, bis er sich an den schwankenden Mast gewöhnt und seine Anweisungen geben kann. Dieser Küstenstreifen vor ihm, so viel sieht er gleich, ist kein Fangplatz für ihn. Steil stürzen die Gletscher in die See, und jäh, fast ohne Vorland,
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steigen die Berge himmelan. Er weist den Rudergänger mit dem linken Arm ein. Weiter nach Süden, hart nach Süden heißt das. „Wird sind zu weit nach Norden abgekommen“, brüllt er dem Schiffer zu. „Der große Fjord, in den ich will, liegt südlich dieser Bergkette.“ „Süd acht Strich West“, gibt der Schiffer den neuen Kurs an, er hat die Seekarte mit auf die Brücke genommen. „Süd acht Strich West“, wiederholt der Rudergänger eintönig. Das Schiff zieht Stunde um Stunde auf dem neuen Kurs. Die „Nacht“ kommt, die Sonne steht noch weit nördlich, und es ist fast taghell. Die See liegt ruhig wie zuvor, und Möwen stürzen sich kreischend und zankend auf die Abfälle, die über Bord geworfen werden. Ein paar Seehunde tauchen hier und dort mit ihren ölig schimmernden, glatten Leibern aus der Flut empor und verschwinden wieder. Das Vogelleben wird reicher. Alken, Lummen und Seepapageien sind auf einmal da und schaukeln auf der leichten Dünung. Der Fangstmann hockt Stunde um Stunde im Ausguck. Seine Glieder werden vom langen Sitzen in der Enge langsam steif, aber er läßt nicht nach. Von den nächsten Stunden hängt es ab, wohin ihn das Schicksal für den kommenden Winter verschlägt, wo er sein Fangfeld finden wird. Unablässig sieht er durch das scharfe Glas. Die Bergkette ist mit einemmal zu Ende. Das Meer greift weit ins Land hinein. Da muß der Fjord sein, den er sucht. Er hat ihn nie zuvor gesehen. Er hat nur von einem Seehundsjäger gehört, der einmal an diese Küste verschlagen wurde, daß etwa in
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Höhe des europäischen Nordkaps, südlich einer zackigen Bergkette, ein gewaltiger Fjord weit ins Land hineingreife. Und an der Nordseite dieses Fjordes soll es Wild in Massen geben. Das sind die einzigen Unterlagen für seine Expedition. Aber sie genügen ihm. Neuland und reiche Fangfelder warten auf ihn! Er ruft dem Schiffer seine Beobachtungen zu und weist den Rudergänger ein. „West zehn Strich Süd.“ „West zehn Strich Süd“, kommt von dem Mann am Ruder das Echo. „Wie steht es mit dem Eis?“ fragt Hansen. „Leichtes Treibeis!“ ruft Sivertsen zurück. „Du scheinst ja Glück zu haben, Ole“, brüllt Hansen zu ihm hinauf und schickt Ablösung in die Tonne. In voller Fahrt geht die „Hoffnung“ auf die Eisfelder zu. Zunächst trifft sie nur auf einen Schleier von kleinen, segelnden Schollen, die das Schiff mühelos beiseite schiebt. Ein Mann steht mit einer langen Stange am Heck, er hat dafür zu sorgen, daß die dahintreibenden Eisstücke nicht in den Sog der Schraube kommen und sie beschädigen. Aber bald wird das Eis dicker und fester. „Maschine halbe Kraft voraus!“ befiehlt der Schiffer dem Maschinisten. Langsam drängt und schiebt der Bug des Schiffes sich durch das Eisfeld. Es knirscht und kracht. Eissplitter springen ab, und einzelne, noch freischwimmende Schollen drehen sich wirbelnd am Leib des Schiffes vorbei. Dauernd muß der Kurs der „Hoffnung“ geändert werden. Mühsam und vorsichtig windet sie sich zwischen den Feldern von Treibeis, zwischen Eisbergen und dem Gewirr von
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Kleineis hindurch. Alle Leute sind jetzt an Deck und versuchen, mit langen Stangen die schweren Eismassen abzudrängen. Schließlich klettert der Schiffer selber in das Krähennest. Erschrocken sieht er über die weit sich hinbreitenden Eismassen hinweg. „Dämlicher Esel!“ schreit er hinter dem abgelösten Ausguckmann her. „Du hast uns festgesegelt! Das Schiff ist in eine Sackgasse geraten. Zurück! Nichts wie zurück!“ Hansen fuchtelt wild mit den Armen. Aber am Ruder steht jetzt ein alter, erfahrener Mann. Der versteht dieses Fuchteln und handhabt das Ruder mit überlegener Ruhe und Sicherheit. Durch eine andere Rinne geht es zum zweitenmal dem Fjordeingang zu. Inzwischen aber ist von Land her eine frische Brise aufgesprungen. Das Eis gerät in Bewegung. Und alles kommt unheimlich schnell! Die Schollen schieben sich ineinander, pressen sich gegenseitig hoch zu drohenden Wällen und steilen Mauern, krachen donnernd und berstend zusammen und werfen haushohe Fontänen von Wasser und Eisbrocken auf. Die Lage ist gefährlich, alle Mann an Bord wissen es, alle sehen gespannt auf ihren Schiffer. Das Schiff liegt tief im Wasser. Ruder und Schraube haben kaum noch Bewegungsfreiheit in dem Eis. Und dabei kommen die Massen in immer schnellere und gefährlichere Bewegung. Eine einzige berstende Eisstauung kann mit ihren Splittern das Deck einschlagen. Kein Ausweg ist zu sehen! Rundum nur treibende, sich aufbäumende Eisschollen, Krachen und Bersten, Donnern, Knirschen und Tosen. Die Hölle ist los! Die Männer haben alle Hände voll zu tun,
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die Schiffshaut zu schützen. Der Schweiß läuft ihnen über Gesicht und Leiber, aber was ist schon ihre Muskelkraft gegen die gewaltigen Kräfte der treibenden Eismasse! Schwere Schollen krachen gegen die Planken. An Steuerbord wird die eiserne Reling weggerissen. Ein Beiboot splittert. Eisstücke krachen auf Deck. Ein Mann schreit auf, von einem scharfen Brocken getroffen. Es ist die „Rotznase“! Blutend taumelt er auf die Kajüte zu. „Hund, verfluchter! An Deck geblieben!“ brüllt der Schiffer von oben. Und der junge rote Hüne greift verzweifelt wieder nach seiner Stange und wirft sich mit letzter Kraft gleich den anderen gegen eine fast bordhohe Scholle, die an Backbord unheimlich schnell herantreibt. „Maschine äußerste Kraft voraus!“ schallt es plötzlich aus dem Krähennest. Der Schiffer weist hart in Fahrtrichtung. Entsetzt sehen die Männer auf. Der Schiffsleib bebt, die Maschine läuft auf vollen Touren. Eis splittert und scheuert. „Zwei Mann zum Schutz an die Schraube!“ Mit unheimlicher Fahrt schneidet die „Hoffnung“ durch einen schmalen Arm von Kleineis, aber da wächst auch an Steuerbord eine Pressung hoch. Ein große Scholle stellt sich unter dem Ansturm anderer Eismassen auf die Kante, hebt sich hoch und immer höher und stürzt dann krachend zusammen, gerade als das Schiff vorbeigleitet. Ein Hagel von Eisstücken prasselt auf das Achterdeck, die Wand des Ruderhauses wird eingedrückt, der Rudergänger schreit und wankt, über seine Stirn läuft helles Blut. Aber nur für einen Augenblick ist das Schiff steuerlos. Schon ist Ole dem
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Rudergänger beigesprungen, und sicher gleitet die „Hoffnung“ wieder dahin, ins freie Wasser hinaus. „So, Jungens, jetzt haben wir uns den Kaffee verdient!“ruft der Schiffer im Ausguck. Er kriecht aus der Tonne, sieht nach den Schäden an Deck und nach den Verletzten, klopft ihnen tröstend auf die Schulter. „Der Alte ist doch ein Teufel!“ meint einer, „findet doch immer den einzigen Ausweg aus der Hölle!“ „Aber er spielt auch um Kopf und Kragen dabei!“ antwortet ihm ein Kamerad. Tatsächlich, der Treibeisgürtel ist bezwungen. Als wenn nichts geschehen wäre, nimmt das Schiff seinen Weg, zum Nordufer des Fjordes hin. Die Männer räumen an Deck auf. Bald ist der Kaffee fertig. Die Luken werden geöffnet, Und Sivertsens Ausrüstung wird an Deck gehievt. Vor einer flachen Landzunge am Ausgang eines langen, schmalen, von Norden kommenden Seitenfjordes rasselt der Anker in die Tiefe. Die Maschine stoppt, und bis auf die Wache kriecht alles erst einmal hundemüde in die Kojen. Die frische Brise hat den weiten Fjordeingang vom Eis reingefegt. Nun hat der Wind sich wieder gelegt. Die „Hoffnung“ schaukelt in einer leichten Dünung. Nach und nach wird es an Bord wieder lebendig. Die ausgeruhten Männer recken in der warmen Sonne die steifgeschlafenen Glieder, schmauchen gemächlich ihre Pfeifen und spucken hin und wieder in das durchsichtige Wasser. Bald taucht auch der Schiffer auf, blinzelt in die Sonne, besieht sich den Berg von Ausrüstung für Sivertsens Überwinterung und erteilt knapp und klar
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seine Befehle. Bald schwebt das große Motorboot in die Tiefe, das Ruderboot folgt. Die Mannschaft spuckt in die Hände und greift kräftig zu, um das Motorboot zu beladen. Ole rudert mit dem Schiffer an Land. „Hier wirst du bald einen geeigneten Lagerplatz gefunden haben“, bemerkt Hansen. „Viel flaches Land, ein guter Strand, Wasserläufe, fester Baugrund, Mensch, Ole, was willst du noch mehr!“ übermütig gießt er dem schweigenden Jäger eine ganze Schöpfkelle voll Seewasser über den Kopf, lacht dröhnend, als Sivertsen sich aufgeschreckt schüttelt. „Mein Sohn, ich taufe dich mit dem Wasser deiner neuen Heimat!“ Nun muß auch Ole laut loslachen. Dieser Schiffer ist doch ein verrückter Kerl! Aber so ist er. immer: eisern und unnachgiebig in der Gefahr, fröhlich und ausgelassen wie ein Junge, wenn alles überstanden ist. Das Boot knirscht über den flachen, kiesigen Strand. Die Männer ziehen es vollends aus dem Wasser und vertäuen es an einem dicken Felsblock. Dann betreten sie das neue Land. Es ist immer ein feierlicher Augenblick, wenn ein Mann seinen Fuß auf Neuland setzt. Seit Monaten und Jahren vielleicht kreisen alle seine Gedanken um diesen Augenblick. Seit Monaten sucht er sich „sein Land“ vorzustellen. Aber meist sieht alles anders aus, als er es sich je dachte. Es gilt auf manches zu verzichten, was man sich vorstellte oder wünschte. Aber es gibt auch Enttäuschungen guter Art.
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Auch Ole findet sein Neuland anders, als es in seiner Vorstellung lebte. Hätte er es sich je so schön, wie es sich da vor ihm ausbreitet, zu erträumen gewagt? Weit dehnt sich der flache Küstensaum, umgeben von einem Kranz sanfter, weitgespannter Hügel. Und das Land ist eisfrei! Kein drohender Gletscher versperrt den Weg, keine Inlandeisdecke verwehrt die Jagdausflüge ins Innere, und Tal und Hügel sind bedeckt mit geradezu üppiger Vegetation, mit Gräsern und Blumen, mit Zwergweiden, winzigen Polarweiden und zähem Gefilz von Kriechbirken und Beerengesträuch. Die zahlreichen kleinen Moore leuchten im Weiß des Wollgrases. Mit frohen Augen schaut Ole über das weite, gesegnete Land. Sein Herz klopft wild. „Gottlob, daß ich es gewagt habe!“ sagt er ein um das andere Mal vor sich hin. Ein Bauplatz für die Hütte ist bald gefunden, und während Hansen seinem Hund pfeift und das Gewehr über die Schulter wirft, um ein wenig der Jagd nachzugehen, rudert der Jäger zur „Hoffnung“ zurück und überwacht die Ausbootung seiner zahlreichen Ausrüstungsstücke. Ladung um Ladung wird an Land gebracht und zum Bauplatz hinaufgeschafft,alle die Balken und Bretter, die Kohlen und das Petroleum, die Kisten, Kästen, Säcke und Fässer mit Lebensmitteln und Kleidung. Zum Schluß kommen zwei Paar neue Schneeschuhe und der kleine Nansenschlitten mit den blitzenden Neusilberbeschlägen an den Kufen. Das neue geklinkerte Nordlandboot mit Riemen, Steuer und Segelvorrichtung liegt nahe dem Hüttenbauplatz schon am Strand.
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Die Männer von der „Hoffnung“ lassen sich keine Mühe verdrießen. Mit Pfeifen und Singen und derben Zurufen feuern sie sich gegenseitig an. Sie alle haben den scheidenden Kameraden liebgewonnen, auch verdanken sie seiner Tüchtigkeit und unfehlbaren Treffsicherheit als Erstem Schützen ja mit den guten Anteil, der ihnen am Gesamtgewinn der Fahrt zusteht. Der Koch sorgt unermüdlich für die stets hungrigen Leute, und es ist erstaunlich, was dieser alte Geizkragen auf einmal alles an Leckerbissen hervorzaubern kann! Ab und zu macht natürlich auch die Branntweinbuddel die Runde. Das gehört nun einmal zum Eismeervolk! Die Hauptarbeit ist schon getan, als Hansen schwer beladen mit Enten, Gänsen und Schneehasen von seinem Jagdausflug zurückkehrt. Ächzend wirft er die schwere Beute ins Boot. „Alter Junge, du bist hier in ein Wildparadies gekommen“, meint er und wischt sich mit dem großen, bunten Taschentuch den Schweiß von der Stirn. „Vier Moschusochsen liegen drüben noch in einem Tal, ich hätte leicht auch zehn schießen können.“ Sie rudern zusammen an Bord, während ein paar Männer sich aufmachen, um die Moschusochsen herzuschaffen. Noch einmal schläft Ole auf der „Hoffnung“. Doch dann wird der Schiffer unruhig. „Es wird Zeit zur Heimfahrt“, meint er nachdenklich. „Du weißt ja, daß das Eis an der Ostgrönlandküste seine Mucken hat. Nur einmal im Jahr wird die Küste in diesen Landstrichen eisfrei, für acht, vierzehn Tage, vielleicht auch einmal für vier Wochen. Es kann uns aber geradesogut passieren, daß das Eis das
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ganze lange Jahr nicht ins Treiben gerät und es die Küste blockiert. Und darin — ich muß es dir noch einmal sagen! —, darin sehe ich eben die Hauptgefahr für dich. Was ist, wenn du noch ein Jahr hinzulegen mußt?“ fragt er besorgt. „Ja, was ist dann?“ Und als Ole nicht antwortet, meint er gutmütig: „Na, mein Junge, verlaß dich auf jeden Fall auf den alten Hansen und die „Hoffnung“. Wir zwei werden dich schon wieder heraushauen!“ Dann heißt es Abschied nehmen. Das geht ohne viel Worte. Die Männer schütteln sich die Hände. „Grüß meine Frau und die Kinder“, sagt Sivertsen mit rauher Stimme. „Hast du denn keinen Brief für deine Frau?“ fragt Hansen erstaunt. „Einen Brief? Nein, einen Brief hab j ich nicht. Meine Frau — versteht mich auch ohne Geschriebenes. Aber diesen Kasten hier, den kannst du meinen Kindern geben. Es ist so allerlei Schnitzwerk von den Freiwachen drin.“ „Ja, und was ich noch sagen wollte“, räusperte sich der Schiffer. „Weil du doch so allein bist, habe ich gedacht — nun, ich möchte dir dieses Hundevieh hier schenken. Viel ist zwar nicht dran, aber er ist im Tromsgau geboren, er ist doch immerhin so ein Stück Erinnerung an die Heimat.“ Ole sieht sich das „Hundevieh“ an. Der Köter hat ihm gerade noch gefehlt. Dieses kleine zottige Wollknäuel ist ein Ausbund an Häßlichkeit. Falsch ist er obendrein auch noch! Aber er kann das Angebot wohl schlecht abschlagen. Der Schiffer sieht seinen Mißmut und sagt, gleichsam entschuldigend: „Er soll von guter Rasse
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sein. Ein echter grönländischer Schlittenhund! Seine Eltern sollen beide aus Thule stammen, da oben aus dem Nordwesten Grönlands. Vielleicht wird er dir noch ein guter Kamerad?“ „Ja, ja, mag sein. Vielen Dank auch, Hansen, vielen Dank für alles andere. Komm gut 'rüber in die Heimat. Und nun — leb wohl!“ Noch einmal schütteln sich die Männer die schwieligen Hände, dann klettert Sivertsen schwerfällig von Bord und rudert stumm zum Land hinüber. Die „Hoffnung“ aber hievt den Anker, die Flagge knattert im Wind, und langsam zieht das Schiff dem Meer zu. Noch einmal heult die Dampfpfeife einen letzten Gruß über das stille, sonnenbeschienene Land, und Ole antwortet mit den üblichen drei Schüssen. Dann ist er allein inmitten seines Gepäcks. Schweigend steht er da und starrt dem Schiff nach, das kleiner und immer kleiner wird und schließlich am Horizont verschwindet. Es ist alles so rasch gegangen! Er hatte doch noch dies und jenes sagen wollen. Vielleicht hätte er doch noch einen Brief an seine Frau ... Aber nun ist es zu spät. Er fährt sich mit der harten Faust über die Stirn ... Er ist allein, ein langes, hartes Jahr auf sich allein gestellt. Was mag es ihm wohl bringen?
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OLE BAUT SEINE HÜTTE Wütendes Gekläff und winselndes Heulen weckt den Jäger auf. Schlaftrunken fährt er hoch in seinem Schlafsack aus Rentierfell. Es dauert eine Weile, bis er merkt, wo er sich überhaupt befindet. Erst als er den Schlafsack fühlt und über sich das weiße Zelttuch flattern sieht, wird er richtig wach. Wütend reißt er den Zelteingang auf und wirft dem heulenden Hund einen schweren Skistiefel vor die Beine, langt nach dem zweiten — aber da verkriecht der Köter sich auch schon winselnd hinter einer Kiste. Der Ärger mit dem Hund hat Ole alle trüben Abschiedsgedanken vergessen lassen. Und als erst der Primuskocher sein vertrautes Summen hören läßt, ist bald das letzte Abschiedsweh verschwunden. Das Frühstück mundet ausgezeichnet; auch der Hund bekommt sein Teil ab. Dann schaut sich Ole wieder das weite Vorland an. Ja, der Platz für die Hütte ist nicht übel gewählt. Ein mächtiger, haushoher Felsblock schützt gegen die eisigen Winde, die aus dem Binnenland zu erwarten sind. Der Blick auf den Fjord und auf ein gut Teil des Fjordausganges ist unbehindert, der Boden ziemlich eben und steinig, frei von Moor. So kann der Jäger sich ungesäumt ans Bauen machen. Es ist nicht das erste Mal, daß Ole sich eine Überwinterungshütte erstellt, die Erfahrungen vieler Winter helfen ihm. Das Fundament aus Steinplatten
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ist bald gelegt. Dann wird ein behelfsmäßiges Balkengerüst aufgeführt, und schließlich geht es ans Zimmern der einzelnen Hausplatten. Doppelwandig soll die Hütte werden. Die einzelnen Bretter werden säuberlich auf Feder und Nut gezogen und überdies auf allen Seiten, bis auf den Wandteil zum Hütteninnern hin, mit Teerpappe verkleidet. An der Innenwand aber werden sie mit Papier winddicht verklebt. Ein Zwischenraum von 5 cm soll gegen die Kälte isolieren. Auch der Fußboden wird doppelt gelegt. Groß wird die Hütte nicht, nur 3 auf 5 m und 2 m hoch,dennoch hat sie zwei Räume. Der kleinere, nur 1,50 m breit und 1,75 m lang, wird zur Aufbewahrung von allerlei Lebensmitteln dienen. Die Regale reichen bis an die Decke. Der 1,25 m lange und 1,50 m tiefe Vorraum, in den man über die 50 cm hohe Schwelle der Außentür gelangt, ist zum Aufstapeln von so viel Kohle und Brennholz gedacht, wie beides gerade für die nächsten Tage gebraucht wird. Dort soll auch die Wassertonne stehen. Außerdem wird man im Vorraum seine Kleider abbürsten können, wenn man schneebedeckt von winterlichen Jagdfahrten heimkehrt. Noch während Ole hämmert und sägt und Balken an Balken fügt, sieht er die Hütte schon fertig vor sich. Auch im kleinen betrachtet, wird sie so allerlei Einrichtungen aufweisen, die er seiner langen Erfahrung in der Arktis verdankt. Es ist selbstverständlich, daß die Fenster Doppelfenster und fest eingelassen sind. Und daß der Fußboden und die Wände um den Ofen einen Schutz aus
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Steinplatten bekommen. Dazu erhält die Hütte an der Decke zwei Entlüftungsschächte, vier eckige Holzröhren, die über das Dach hinausragen und von unten und oben leicht zu öffnen und zu schließen sind. Sie werden von Nutzen sein, wenn in der eisigen Winternacht die Luft in der Stube so dick und stickig wird, daß die Petroleumlampe blakt und ihre Flamme zu ersticken droht. Außerdem werden nach zwei Seiten, besonders zum Fjord hin, kleine, mit festschließenden Klappen versehene Schießscharten angebracht, von denen aus Ole unbemerkt schießen kann, wenn einmal Wild, sei es ein Bär oder Moschusochsen, sich bis zur Hütte wagen sollte. Alles ist bis ins kleinste überlegt. Nicht umsonst hat Ole sich schon daheim genaue Skizzen seiner Hütte aufgezeichnet. Aber bis zum Winter hat es noch gute Weile. Es ist erst Mitte August, als das Haus fast fertig steht. Und die eigentlichen Wintervorbereitungen, die Jagd, das Anfertigen der Fallen, die Wartung der Waffen, von Kleidung und Gerät drängen noch nicht. So kann Ole seine ganze Zeit, abgesehen von kleinen Jagdausflügen und Fischzügen in die nähere Umgebung für die tägliche Verpflegung, auf Bau und Einrichtung der Hütte verwenden. Und dieser Arbeit geht er auch mit besonderer Liebe und Sorgfalt nach. Aus vielen Erfahrungen weiß er, daß eine zweite Hütte für die Lagerung von Brennstoff und Lebensmitteln und für die Aufstellung der Fässer für den Seehundsspeck zweckmäßig und eigentlich auch notwendig ist. Denn — sollte die Haupthütte unglücklicherweise abbrennen, was ihm ja trotz
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aller Vorsicht widerfahren könnte, so würde das, wenn er eine zweite Hütte hat, keine Katastrophe, die zum Untergang führt. Ursprünglich hatte er geplant, auch diese Hütte aus Holz zu bauen, aber diesen Plan verwirft er jetzt wieder. Es gibt hier genügend plattige Sandsteine, und er wird genügend gute Rasenoden, Torfstücke in Ziegelform, stechen können, aus denen er leicht eine richtige Gamme, wie er sie aus den Siedlergebieten Finnmarkens kennt, aufführen kann. Er macht sich dann auch ungesäumt an die Arbeit, sticht Rasenplaggen aus oder sucht und bricht Steinplatten. So kann er dickes Trockenmauerwerk für ein geräumiges Lagerhaus aufführen. Torf tut die gleichen Dienste wie Mörtel und Zement, und bald entsteht, gut 100 Meter von der Wohnhütte entfernt, eine zwar windschiefe und bucklige, aber schließlich doch ganz brauchbare Gamme. Als sie erst mit Balken und Brettern und einer dicken Plaggenschicht zum Schutz gegen die Nässe abgedeckt ist, kann es sich Ole nicht verkneifen, sichim Geist selber auf die Schulter zu klopfen, anerkennend immer wieder um die Gamme herumzulaufen und sich kindlich darüber zu freuen. Der Bau des Lagerhauses bringt ihn schließlich auf den Gedanken, auch die Wohnhütte bis gut zur halben Höhe hinauf durch solch ein Trockenmauerwerk besser gegen Sturm, Kälte und Nässe zu schützen. Vor allem aber gilt es, die Lücken zwischen dem Felsen, an den sich die Hütte lehnt, und der hinteren Hüttenwand mit Steinen, Torf und Rasen auszufüllen. Denn hier
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wird sich viel Schnee festsetzen, dessen Tauwasser leicht in die Hütte eindringen kann. Außerdem wird eine gehörige Schicht von Erde und Steinen rund um die Hütte herum dem Bau mehr Standfestigkeit gegen die schweren Herbst- und Winterstürme geben. In seinen früheren Arktisjahren hat Ole ja schon oft erlebt, daß eine ganze Hütte-.vom Sturm erfaßt und weggerissen wurde. „Aber die hier wird stehenbleiben!“ sagt Ole vor sich hin. Er redet überhaupt viel mit sich selber, so laut, als spräche er mit einem anderen Menschen, denn „schließlich will man ja auch mal wieder eine menschliche Stimme hören“, lacht er, verlegen über diese Eigenart, in seinen Bart. Ein Monat ist mit Sonne und Regen, gelegentlich auch einmal mit Sturm und Flockengewirbel dahingegangen. Aber die Hütten stehen, und alles hängt und liegt und steht an seinem vorgesehenen Platz, und alles glänzt und blitzt vor Sauberkeit und Frische. Nur selten und ohne große Wehmut denkt Ole an seine Heimat, an Frau und Kinder. Ja er weist die Erinnerung, wenn sie sich ihm aufdrängen will, oft gewaltsam zurück. Er hat die Einsamkeit auf sich genommen, er muß sie nun auch durchstehen. Heimweh lahmt die Kraft. Er aber muß schaffen! Und die Freude am Geschaffenen, der stille Stolz, hier der Erste zu sein, König gleichsam über eine unermeßliche Wildnis und all ihre Lebewesen, erfüllt sein ganzes Denken und Tun und entschädigt ihn für alles, was er entbehren muß.
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ERKUNDUNGSFAHRTEN WINTERVORBEREITUNGEN
UND
Mitte September macht er sich zu seiner ersten großen Kundfahrt durch sein neues Reich auf. Er wird sich nicht damit begnügen, einfach eine Fallenlinie festzulegen und im Winter regelmäßig abzugehen — nein, es ist ihm geradezu ein Bedürfnis, das pfadlose Land kreuz und quer zu durchstreifen, er will seine neue Heimat kennenlernen! Ole ist daran gewöhnt, in der Wildnis von der Wildnis zu leben. Und er findet sich, auch ohne Kompaß, bei jedem Wetter, selbst bei Nebel und im Schneesturm, zurecht. Fünfzehn und auch zwanzig Stunden kann er ohne jede größere Pause wandern. Dabei besteht sein Gepäck nur aus seinem. Gewehr, dem Fellschlafsack, einem Stück Segeltuch, einem Kochtopf, einer kleinen Eisenstange, die als Bratspieß dient, und dem scharfen Jagdmesser. An Lebensmitteln trägt er lediglich ein wenig Kaffee, Salz und Zucker bei sich. Die Sonne strahlt vom wolkenlos blauen Himmel, als Ole die Hütte verriegelt. In der Nacht hat es leicht gefroren. Die Tümpel und Ränder der schwachfließenden Bäche zeigen die ersten, glitzernden Eisnadeln. Ein wenig körniger Schnee liegt hier und da in der Heide. Ole schreitet durch das Gefilz des dichtbewachsenen Bodens dahin. Zwar sind die meisten Blumen verblüht, verwelkt
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die zahlreichen Polster der Silberwurz, der verschiedenen Steinbrecharten, die weiten Flächen des Heidekrauts, und auch die noch vereinzelt leuchtenden Blüten des arktischen Mohns lassen auf ihren zarten Stengeln die schweren Köpfe hängen. Trotzdem flammt in der Tundra eine Farbenpracht, wie sie der herbstliche Birkenwald im heimatlichen Tromstal nicht prächtiger und glühender zeigt. Die Blätter der fingerlangen Polarweiden, die kräftig entwickelten Zwergweiden und das Gefilz der fußlangen, zähen Polarbirken, die eng an den Boden angeschmiegt dahinkriechen, leuchten vom blassen Gelb über sattes Braun bis zum tiefen, brennenden Rot. Und erst der flammende Purpur der Moose! Daneben das unaufdringliche Blaßgelb und Zartgrün der zahllosen Flecken mit Rentierflechte. Ja, die Tundra ist schön! „Wie ein Teppich in den reinsten Farben!“ fährt es dem Jäger durch den Kopf. Er ist, trotz seines harten Lebens, immer auch ein kleiner Schwärmer gewesen, und die Schönheiten der Natur rühren ihm an Auge und Herz. Über den breiten Küstensaum schreitet der Jäger rüstig dahin. Hie und da findet er reife Krähenbeeren, die er im Vorbeigehen abstreift; nach dem ersten Frost schmecken sie seltsam aromatisch. Er ist nicht allein. Möwen umkreisen ihn, die frechen, ewig zankenden Seeschwalben, schnell und wendig, schießen auf den Fremdling herab, daß er sich ihrer oft erwehren muß. Aber auch nützlichere Tiere trifft er an, Schneehühner, die wohl gerade von den Bergen herabgekommen sind. Sie tragen noch das weißgraue Gefieder der
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herbstlichen Übergangszeit. Die zahllosen Schneehasen hingegen, die da herumhoppeln, sind makellos weiß. An der Mündung eines breiten Baches macht er halt. Hier, nur eine gute Stunde von der Hütte entfernt, hat er gelegentlich Lachse gefangen, wenn er vom Hüttenbau ermüdet war und eine Abwechslung in seinem Speisezettel wünschte. Erst heute sieht er sich die Gegend genauer an, und überrascht stößt er auf einmal auf einen Kranz dicker Steine, die kreisförmig angeordnet sind. Das kann nur ein alter Eskimozeltplatz sein! „Schau, schau!“ murmelt er in sich hinein. „Da heißt es immer, die Eskimos an der Küste Nordostgrönlands seien längst ausgestorben oder ausgewandert. Vielleicht stoße ich noch einmal auf dieses Volk!“ Er untersucht den Steinkranz gründlich, entdeckt auch bald noch einige andere alte Zeltringe. Und als er im Bodenschutt herumstochert, findet er schließlich allerlei primitives Gerät: Pfeil- und Speerspitzen, ein schartiges Steinmesser und eine größere Anzahl abgebrochener Harpunenspitzen mit Widerhaken, wie man sie wohl zum Fischfang brauchte. Die bestenStücke reinigt er sorgfältig und steckt sie ein. „Das Museum daheim wird sich freuen!“ Der Hund — er hat noch immer keinen Namen, er heißt einfach nur „der Hund“ — bellt ungeduldig auf und rennt das weite, sumpfige Tal hinauf, und Ole folgt ihm schließlich. Es ist ein Tal wie viele dieser arktischen Täler, mit dichtem Geröll und hinderlichen Steinblöcken, mit Sumpfstellen hier und schmutzigen Schneeflecken dort. Aber in
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einem unterscheidet es sich von allen Tälern Spitzbergens, die er kennt: es hat an sonnigen und windgeschützten Stellen einen reichen Pflanzenwuchs, darunter fast mannshohe und armdicke Weiden. Ole merkt sich diese Plätze. Treibholz gibt es hier an Grönlands Küste, an „seiner“ Küste, kaum, und Holz kann er, wird der Winter lang und hart, nie genug haben. Drei, vier Tage ist der einsame Wanderer, dem Lauf des Tales ins Innere des Landes folgend, nun schon unterwegs, und der erste Eindruck, den er von diesem Land bekommen hatte, bestätigt sich nur: es ist weit und breit frei von Eis, leicht gangbares Hügelland, reich an Wild, und für ein arktisches Land geradezu üppig bewachsen. Manchmal meint er, auf Schneehuhnjagd über die menschenleeren Vidden Finnmarkens im Norden seiner Heimat zu wandern. Wieder einmal leuchtet ein munteres Feuer aus allerlei Gestrüpp in den sinkenden Tag hinein. Die Sonne verschwindet am glutroten Himmel, aber ihre Strahlen lassen noch lange die Wolkenbänke über dem Binnenland purpurrot und sattgelb aufleuchten. Es ist ein wenig kühl geworden. Der Jäger sitzt unter seinem Windschirm aus Segeltuch, zieht behaglich an seiner Pfeife und wartet darauf, daß die beiden Schneehühner in dem brutzelnden Topf über dem Feuer endlich gar werden. Da schlägt der Hund an, so wütend und aufgeregt, daß Ole nach dem Gewehr greift und ins Freie tritt. Bei dem Anblick, der sich ihm bietet, fängt sein Herz wild zu schlagen an: auf einem Hügel, gegen das Purpurrot und Gelb des
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Horizonts, steht eine Herde Moschusochsen. Unnatürlich groß heben sich die urhaften Tiere gegen den Himmel ab. Sie verharren in Abwehrstellung, unbeweglich, schwarz, zottig und drohend, die plumpen Hörner halb gegen den Boden gewandt, die kräftigen Beine fest gegen das Geröll gestemmt — ein Bild furchteinflößender Abwehr. Vorn stehen die Bullen, dahinter, durch deren Leiber, die mächtigen Gehörne und dicken beinernen Stirnplatten geschützt, die weiblichen Tiere und die Kälber, eine wehrhafte Schlachtreihe zu jeder Verteidigung entschlossener Kreaturen. Ole, noch immer von dem ungewohnten, furchtgebietenden Anblick gefangen, entsichert sein Gewehr und geht, jeden Augenblick auf einen Ausfall gefaßt, Schritt für Schritt vor. Immer näher kommt er der seltsamen Front; die Bullen schnaufen, aber sie verharren ruhig, auch als der vorwitzige Hund einmal aufspringt, auf die Herde zutollt und einen Bullen ins Bein zu beißen versucht. Da muß der Jäger lachen. So etwas hat er noch nie gesehen: so viel geballte Kraft, so viel entschlossene Abwehr und so wenig Angriffsgeist. Zum Angriff waren diese Recken sicher noch nie gezwungen worden, nur zur Abwehr vielleicht gegen den gefährlichsten Räuber dieser nördlichen Landstriche, den Polarwolf, den reißendsten aller Wölfe. Der Jäger trollt sich, noch immer lachend. Und da macht sich auch diese mächtige Schlachtreihe der Tiere davon, langsam, würdevoll, wie im Bewußtsein einer überstandenen Gefahr. Als Sivertsen zum Lager zurückkommt, ist das Feuer
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zwar erloschen, aber das Essen gar. Hungrig schlingt er es hinunter, wirft dem Hund sein Teil vor, bindet ihn dann an einem Felsblock fest und schläft bald unter einem funkelnden, frostig klaren Sternenhimmel ein. Vier weitere Tage noch durchstreift er das Land. Dann kehrt er froh, in bester Laune, zu seiner Hütte zurück. Er hat alle Ursache, zuversichtlich zu sein. Die zahllosen Spuren, das viele Wild — in diesem Land muß es einen erfolgreichen Jagdwinter geben. Er ist dem Himmel dankbar für den Tag, an dem er sich entschloß, hier als erster weißer Fallensteller die Überwinterung zu wagen. Aber nun gilt es, keine Zeit mehr zu verlieren. Der Winter steht vor der Tür, und die letzten Vorbereitungen drängen. Die Zeit der Wintervorbereitung ist immer eine schöne Zeit für den Arktisjäger. Die Sonne scheint noch, der erste leichte Frost ist da, ein wenig Schnee wirbelt manchmal durch die Luft, und es gibt so viel zu tun, daß keine Muße bleibt zu jenem Grübeln und Sinnieren, das den einsamen Männern uneingestanden so manchen langen Wintertag schwer machen kann. Ole beginnt damit, die vielen Lachsforellen, die er während des Hüttenbaus mit Netz und Angel fing, für den Winter zu räuchern. Sie haben bisher schön in Eis verpackt im Lagerhaus gelegen. Jetzt werden sie hervorgeholt, aufgeschnitten und entgrätet, gesäubert und gesalzen. Wenn das Salz ein paar Tage kräftig in das rosige, fette Fleisch gezogen ist, kommen sie zum Trocknen in die Sonne, um schließlich in die Räuchertonne zu wandern. Ole
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hat sich ein praktisches Verfahren ausgedacht. In einen Eimer schlägt er ein rundes Loch, gerade so groß, daß ein Ofenrohr hineinpaßt. Das Ofenrohr verbindet, im Boden verlegt, den festverschlossenen Eimer mit der Räuchertonne. In der zugedeckten Tonne hängen unter dem Deckel die gesalzenen und schon leicht getrockneten Fische. Im Eimer aber glühen Späne und Sägemehl, und wenn der duftende Rauch nicht in der vorgeschriebenen Bahn abziehen will, wird der Deckel der Tonne einfach ein paarmal ruckartig hochgerissen, und schon sammelt der Rauch sich wieder in der Tonne an. In 24 Stunden hat Ole auf diese einfache Art des Räucherns, die nicht nur hier im Norden anzutreffen ist, den schönsten und dauerhaftesten Räucherlachs in Händen. Ole geht aber auch viel auf die Jagd. Ein Arktisjäger lebt ja vorwiegend von Wild. Zudem braucht er viel Fleisch als Köder für die hölzernen Fuchsfallen. 600 bis 800 Enten, Gänse und Schneehühner sind der durchschnittliche Bedarf eines Jägers für eine Überwinterung! An Schneehühnern fehlt es nicht. Selten kommt Sivertsen mit weniger als 50 bis 70 Stück von einem einzigen Tagesausflug zurück. Schwieriger ist es schon mit Enten und Gänsen, die zum größten Teil schon nach dem Süden abgezogen sind. Dafür aber gibt es wieder Schneehasen und Moschusochsen in großer Zahl, und hin und wieder kommt auf einer Bootsreise ein Seehund dazu. Schade nur, daß es hier keine Rentiere mehr gibt. Abwurfstangen liegen zwar überall herum, und bei den alten Wohnplätzen der Eskimos zeugen noch
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zahlreiche Knochen von dem ehemaligen Reichtum des Landes an Renntieren. Aber sie sind wohl ausgerottet oder fortgewandert, wie auch die Eskimos, die ihnen einst nachgestellt haben mochten. Es zeigt sich bald, wie gut es war, daß Ole das Lagerhaus :nicht nur aus Holz errichtete. So hat er trotz des Fehlens von Treibholz immer noch Planken genug, mehr hölzerne Fuchs fallen zu zimmern, als er ursprünglich geplant hatte. Denn Ole fängt wie die meisten seiner Kameraden drüben auf Spitzbergen mit selbstgebauten Holzfallen. Sie bestehen aus einem Lattengitter von etwa 50 auf 60 Zentimeter Größe, das auf Hölzer besonderer Art, die sogenannten Schlösser, aufgestellt und mit dicken Steinen belastet wird. Ein besonders zugeschnittenes Holz, auf das auch der Köder aufgespießt wird, hält die Schlösser zusammen. Wenn nun ein neugieriger oder hungriger Fuchs kommt, den Köder fressen will und daran herumzerrt, dann springt das Köderholz von den Schlössern ab, die Schlösser selber fallen auseinander, und das mit Steinen belastete Lattengerüst stürzt zusammen und erschlägt den Fuchs oder aber preßt ihn doch so fest an den Boden, daß er nicht mehr freikommt. Ole will 150 Fallen aufstellen. Das Herrichten dieser Fallen, besonders das sorgfältige Schnitzen und Glätten der Schlösser, macht viel Mühe. Doch die Tage sind damit ausgefüllt, und es kommt keine Langeweile auf. Aber das ist nicht die einzige Arbeit, die bei Regen und Schneetreiben und an den schon länger
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werdenden Abenden in der Hütte verrichtet werden kann. Auch die Munition muß noch zurechtgemacht werden, eine mühselige Beschäftigung, der sich der Jäger aber mit besonderer Geduld unterzieht. Statt der fertiggekauften Schrotpatronen aus Pappe verwendet er Messinghülsen, die, nachdem sie abgeschossen sind, wieder mit einem neuen Zündhütchen versehen und frisch mit Pulver und Schrot geladen werden müssen. Papphülsen würden, wenn sie feucht werden, zu leicht quellen. Das kann ihm; mit den Messinghülsen natürlich nicht passieren. Allerdings, bis ein genügend großer Vorrat für Oles alte, großkalibrige Remingtongewehre vorhanden ist, geht mancher Abend herum, ganz zu schweigen von der Pflege von Kleidung und Schuhwerk, vom Zerkleinern des Scheitholzes und von der Vorbereitung all der anderen Dinge, die zu einer Überwinterung gehören. Als der Jäger mit allem „klar“ gekommen ist, ist es Oktober geworden. Die Nächte werden immer länger. Spät am Vormittag erst legt sich ein trübes Tageslicht über das nun unfreundliche Land, früh verschwindet es wieder. Fast hat es den Anschein, als ob der lange dämmerige Morgen ohne Unterbrechung in das Dämmern des Nachmittags überginge. Draußen ist .es nun schon empfindlich kalt, schwere Stürme fegen über das Land und zerren an der festen, warmen Hütte. Eis treibt auf dem aufgewühlten, schwarzen Fjord, und die Brandung schlägt brüllend an die Felsen des Strandes. Zu einer festen Schneedecke reichen die kargen Niederschläge freilich noch nicht. Dafür
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bläst es auch zu stark, oft genug kommt es vor, daß der schwere, von der See herwehende Sturm Kies und Geröll gegen die Hütte wirft, so daß es klingt, als würde sie beschossen. Teiche und Seen haben schon eine feste Eisdecke. Am Strand überziehen sich Felsen und Steinblöcke mit eisigen Krusten, und dort, wo bei Flut das Wasser an den Felsen hochgischtet, bildet sich auch schon ein fester Eisfuß. An einem dämmrigen Morgen aber, als Ole vor die Hütte tritt, schimmern Berge und Täler rundum in makellosem Weiß, das gegen die bleierne Schwärze des Himmels und des Meeres um so leuchtender absticht. Es muß die ganze Nacht geschneit haben, und es schneit noch immer ohne Unterlaß. Da kommen auch schon die ersten Blau und Silberfüchse, die Ole immer getreulich fütterte und an die Hütte gewöhnte, ohne Scheu zu ihm heran und zanken sich kläffend um die Abfälle, die er ihnen zuwirft. Es sind seine „Hausfüchse“, die er beobachtet und pflegt. An ihnen kann er sehen, wann das Fell gut ist, ob Fallenstellen und Fang sich schon lohnen. Noch ist es nicht so weit. Noch sind sie zu dürftig im Pelz. Die Füchse aber gewöhnen sich bald so sehr an das fremde Wesen, das da bei ihnen haust, daß sie den Jäger furchtlos begleiten, wenn er zum Lagerhaus hinübergeht oder aus einem immer mehr zufrierenden Bach Wasser schöpft. Dabei sind sie so zutraulich, daß Ole fast über sie stolpert, wenn sie in ihrem Freßeifer oder spielerischen Raufen zu wild um ihn herumtollen. Nur Oles Hund kommt mit ihnen nicht zurecht.
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Eifersüchtig streicht er stets um seinen Herrn herum, wenn der Jäger mit den Füchsen spielt.
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EINE FURCHTBARE ENTTÄUSCHUNG Es wird ein einsamer, harter Winter. Abenteuer und Gefahren fehlen nicht, aber sie sind nicht außergewöhnlich. Auch tobende Stürme und mächtige Schneeverwehungen sind nicht selten. Doch der Jäger ist an das alles gewöhnt, nicht umsonst gilt er als einer der zähesten, aber auch besten Pelztierjäger rund um das Eismeer. Was diesen Winter indessen von allen früheren Fangwintern unterscheidet, die Ole bisher erlebte, ist die unerwartet große Jagdbeute. Von Mitte November bis in den März hinein fängt er Blau- und Weißfüchse. Er trifft zwar auch auf Hermeline, aber das konnte er vorher nicht wissen. Und so fehlen ihm die besonderen Stahlfallen, die er für diese kleinen Räuber braucht. Auch Polarwölfe sieht er hin und wieder. Sie sind so scheu, daß er sie nicht einmal mit der Büchse erlegen kann, und an Selbstschüsse gehen sie nicht heran. Das leisten sich dafür im Frühjahr häufig Bären, denen ihre Neugierde zum Verhängnis wird. Auch mit dem Gewehr bringt er einige dieser schmutziggelben Gesellen zur Strecke. Zu tun gibt es immer etwas, zum Grübeln bleibt keine Zeit. Als der Fuchsfang zu Ende geht und die langen Reihen der Pelze in der strahlenden, schon warmen Frühlingssonne bleichen, da werfen die Seehunde. Auf dem brüchig werdenden Fjordeis zeigt sich munteres Leben. Die Seehundsmütter liegen auf den Schollen und an den Waken, den
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Löchern in der Eisdecke, und bewachen ihre neugeborenen Jungen, die sich wohlig die Sonne auf den seidenweichen und fehlerlos hellen Pelz brennen lassen. Es wird für Ole eine mühelose, lohnende Jagd; gerade die Pelze der jungen Seehunde werden gut bezahlt. An der Küste liegt stellenweise noch tiefer Schnee, aber weiter im Innern, wo die Frühlingssonne und laue Winde schon weite Flächen freigetaut haben, beginnt bald neues Leben. Möwen, Alken, Lummen, Seepapageien, Strandläufer, Seeschwalben, Eiderenten, Nonnenund Graugänse sind aufeinmal wieder da. Es ist ein Geschrei, ein Geschnatter und Gegacker auf den Tümpeln im Land, auf dem Eis und auf den schneefrei werdenden Tundren, wie Ole es noch nie erlebte. Ein Jagdfalke steht hoch in der Luft. Die vielen Birkenzeisige, die kümmerlich überwintert haben, leuchten in buntem Federkleid und jagen sich in übermütigem Spiel. Schließlich melden sich auch die Hummeln. Schwerfällig fliegen sie von Blüte zu Blüte. Schmetterlinge taumeln durch die Luft. Aber leider fehlen auch nicht die Mücken und Schmeißfliegen, die den Jäger auf seinen Gängen in ganzen Wolken verfolgen und ihm das Leben zur Qual machen, wenn er die Nester der Eiderenten besucht, um hin und wieder ein Ei und im übrigen die weichen, wundervollen Daunenfedern mitzunehmen. Aber Mücken hin, Fliegen her — der Jäger lebt auf wie die Natur. Er ist in diesen Tagen fast immer ausgelassen fröhlich und überglücklich beim Gedanken an den reichen Fang und vor allem an
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die baldige Heimkehr. Ja, diese Überwinterung hat sich gelohnt! Da stehen die Fässer mit Seehundstran, da liegen die Kisten mit den eingesalzenen Robbenfellen, die Säcke mit den Eiderdaunen und das Kostbarste von allem, die Säcke mit den nahezu 150 Blau- und Weißfuchsfellen. Die Eisbärenund Moschusochsendecken rechnet der Jäger gar nicht mit. Im Vergleich zu ihrem großen Gewicht ist ihr Wert nur klein. Im Juli ist der Sommer vollends ins Land gezogen. Er bringt ein Übermaß an Helle, er bringt Wärme, Blumen, neues Leben überall. Die weite Tundra ist ein einziger blühender Steingarten geworden. Darüber steht Tag und Nacht ein satter, blauer Himmel mit weißen Federwölkchen, Hummeln brummen, Möwen kreischen, und die Seeschwalben, deren Junge langsam flügge werden, zanken und lärmen wie immer. Der Fjord liegt spiegelblank, grün und blau gestreift da, nachdem erst das Fjordeis unter dem Ansturm schwerer Inlandstürme geborsten und unglaublich schnell dem Meer zu getrieben worden war. Wie ein mächtiges Abschiedslied des Winters hatte es geklungen, als kilometerlange Eisfelder sich donnernd lösten und vor dem Winde dahinsegelten, alles zermalmend, zersplitternd und beiseite schiebend, was sich an Kleineis ihnen entgegenstellte. Hochauf hatten sich die Pressungen gebäumt, tosend, krachend und splitternd waren sie wieder zusammengestürzt. Nun liegt der Fjord frei und blank im Sonnenschein. Nur einige Eisberge, Kolosse in oft bizarren Formen
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und riesigen Ausmaßen, treiben lautlos an der Landzunge vorbei oder segeln rauschend und gischtend vor dem Wind dahin. Am Horizont im Osten aber ist immer noch der Eisblink zu sehen, jener helle Streifen über dem Wasser, der mit untrüglicher Sicherheit große Eismassen anzeigt, auch wenn man sie nicht sieht. Ole kennt dieses Bild, aber eigentlich, meint er, ungeduldiger von Tag zu Tag, wird es Zeit, daß auch dort der dunkle Wasserhimmel auftaucht. Er freut sich unbändig auf die Heimkehr. Dieser Winter gab allen seinen Vermutungen recht. Er hat Neuland entdeckt, neue, reiche Fangfelder. Guten Erlös wird er aus seiner Beute erzielen und, ja, er wird seine Kameraden nun leicht überreden können, mit ihm zusammen hier Überwinterungen zu wagen. Hier ist ein Jagdreich, das für viele lohnt! Täglich steigt er auf den Wardeberg, eine gut 200 Meter hohe Erhebung hinter seiner Hütte. Er nennt sie so nach dem Steinmann, der Warde, die er dort errichtete und in der er eine Flasche mit einem Bericht über seine Überwinterung hinterlegte. Er läßt sich den täglichen langen Weg nicht verdrießen. Wieder und wieder schaut er durch das Fernglas, aber immer nur sieht er den Eisblink, niemals den ersehnten Wasserhimmel. Er wird ungeduldig, aber es beunruhigt ihn noch nicht. Der Juli ist noch nicht vergangen, und bis mindestens Mitte August kann der Eisgürtel vor der Küste immer noch aufbrechen. Es braucht nur noch einmal ein scharfer Wind aus dem eisbedeckten Innern Grönlands zu blasen, dann ist das Fahrwasser in ein paar Stunden frei undder Weg in
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die Heimat geöffnet. In die Heimat, zur Frau und zu seinen Buben, zu der Hütte am Hang. ... „Junge, Junge, was wird Andersen sagen, wenn ich ihm die Säcke mit den Fellen in den Schuppen werfe!“ malt er sich seine Heimkehr aus. „Was wird der für Augen machen!“ Er lacht vor sich hin. „Und wenn er erst die Eiderdaunen sieht, die Eisbären und Moschusochsenfelle, die Fässer mit Tran, die Säcke mit den Seehundsfellen. — Ja, ja, Herr Andersen, werde ich sagen, das ist ja alles bloß ein Anfang. Im nächsten Jahr kommt erst der richtige Fang, Der Fang, großgeschrieben, sage ich Ihnen! Davon soll der ganze Tromsgau und ganz Finnmarken noch nach Jahren sprechen, und in den Zeitungen sollen sie davon schreiben: „Ole Sivertsen brachte von seiner letzten Überwinterung auf Ostgrönland fast so viel Felle mit, wie das ganze Fangstvolk Spitzbergens zusammen!“ Als er zu seiner Hütte zurückkommt, weht eine leichte Brise. Die Sonne ist hinter dunklen Wolkenbänken verschwunden, es ist empfindlich kühl geworden. Der Spiegel des Fjords nimmt eine bleigraue und schließlich blauschwarze Farbe an, und schaumgekrönte Wellen reiten eintönig gegen den Strand. Der Jäger aber trinkt in aller Ruhe seinen Kaffee, ißt Räucherlachs mit selbstgebackenem Brot dazu, wirft sich in seine Koje und ist bald ruhig eingeschlafen. Als er erwacht, ist aus dem Wind ein schwerer Sturm geworden. Der reißt an der Hütte, schmettert die unverschlossene Außentüre krachend ins Schloß, wirft Sand und Steine gegen die Bretterwände und die blinden, kleinen
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Fensterscheiben. Ole springt auf, will vor die Hütte, doch der Sturm reißt ihm die halbgeöffnete Türe aus der Hand und wirft sie gegen die Außenwand, daß sie splittert. Am Kliff steht eine donnernde Brandung, der Gischt sprüht weit über das Vorland hinweg, wirft Tang und Eisschollen hinauf. Der Jäger kämpft sich mühsam bis zum Strand. Salziger Gischt durchnäßt ihn bis auf die Haut, beißt schmerzend in den Augen. Aber das stört ihn nicht. Nur eines läßt sein Herz stillstehen: Der Sturm kommt vom offenen Meer her und hat in wenigen Stunden, in denen der Jäger schlief, das Eis auf die Küste zu und in den Fjord hineingedrückt. Haushoch türmen sich jetzt die Eismassen rund um die Schären und auf den Untiefen. So weit er sehen kann, liegt Scholle über Scholle, Berg über Berg, und nur ein schmaler Saum von Kleineis drängt sich unmittelbar unter der Küste zusammen. Aber es dauert nur noch kurze Zeit, und kein Quadratmeter offene See ist mehr zu sehen. Die Schollen haben sich über den Strand bis auf das Vorland hinaufgeschoben, und Fjord und Meer sind zu einer einzigen, gewaltigen Eiswüste geworden. Nach Stunden erst wankt Ole steif gefroren zur Hütte zurück. Wie ein Irrer ist er am Strand herumgelaufen, immer wieder gegen die unaufhaltsam auf ihn zudrängenden Eisriesen gerannt, als könnte er sie aufhalten, zurückdrängen. „Das ist das Ende“, murmelt er dumpf, „nun komm' ich nicht mehr los von diesem Land.“ Verzweifelt wirft er sich in , seine Koje. Immer wieder rüttelt ihn
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ein jäher Sturmstoß aus trüben Gedanken auf. In der Hütte wird es kalt. Schwerfällig rafft sich Ole schließlich auf, legt Holz in den kleinen Eisenofen, gießt ein wenig Petroleum darüber und zündet es an. Das Feuer knistert, der Lichtschein geistert durch den düsteren Raum. Im Vorraum heult der Hund laut auf. Ole läßt ihn zu sich herein, krault ihn mitleidig am Hals. Es ist das erste Mal, daß er dem Tier eine Zärtlichkeit erweist. Der Hund läßt es sich gern gefallen, und gierig schnappt er nach den Brocken, die ihm sein Herr gedankenlos zuwirft. „Ja, ja“, redet Ole dann dem Hund zu, als brauche er nicht selber Trost, „jetzt müssen wir beide wohl noch einen Winter dazulegen ... Ohne Proviant, ohne genügende Ausrüstung ... Ob wir es miteinander schaffen?“ Der Hund schaut ihn verständnislos an, ihm tut die Hand des Jägers wohl, er knurrt zufrieden und würgt und schlingt an seinen Bissen, bis er sich räkelnd einen Platz am Ofen sucht. Als Ole nach langem, tiefem Schlaf erfrischt erwacht, lacht die Sonne wieder vom blauen Himmel, und die Tierwelt ist so munter wie je. Keine 300 Schritte von der Hütte entfernt zieht eine ganze Herde Moschusochsen ruhig äsend dahin, und sogar der Hund ist so friedlich gesinnt, daß er die Tiere mit seinen Angriffen verschont. Das Eis aber liegt fest, fester als je im Herbst oder im Frühling. Unübersehbare Eismassen bedecken Fjord und Meer. Ole ist wieder ruhiger geworden. „Was schnell kommt, läuft auch schnell wieder weg“, tröstet er sich. „Warum sollte nicht in den nächsten Wochen ein ebensolcher Sturm aus dem
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Binnenland blasen, gerade jetzt, in dieser Jahreszeit? Du wirst sehen“, wendet er sich an seinen Hund, „wir werden auch dieses Wunder erleben. Und dann ist der Fjord wieder so blau und reingefegt, wie wir es nur wünschen können.“ Aber ein leichter Zweifel bohrt doch in ihm. Verschwunden sind alle lichten Gedanken an die glückliche Heimkehr und die goldene Zukunft, verschwunden oder doch zumindest einmal begraben. Ole arbeitet wieder. Er muß arbeiten, um die nagenden Zweifel und Sorgen zu betäuben. Wenn er nicht zum „Lachsfluß“ geht, wie er den großen Bach getauft hat, in dem er meist fischt, wenn er nicht die gefangenen Fische räuchert, „um den Männern von der ,Hoffnung“ eine Freude zu machen“, wie er sein Tun vor sich entschuldigt, dann zimmert er an den Hütten herum, stapelt die Kisten und Fässer mit Fellen und Tran an sicherer Stelle am Strand auf, sucht strandauf, strandab nach spärlichem Treibholz, beschäftigt sich auch sonst auf alle nur erdenkliche nützliche Weise. „Denn das ist sicher“, sagt er sich immer wieder, „nach diesem Winter, den ich endlich einmal in der Heimat verbringen werde, komme ich mit Kameraden zurück. Ein Hundegespann für den Schlitten kann ich mir dann endlich auch zulegen ...“ Er ist schon wieder mitten im Planen. Wenn die Gegenwart auch nicht gerade rosig ist, kann man sich doch wenigstens eine bessere Zukunft erträumen. So faßt er nach einigen Tagen plötzlich den Entschluß, auf eine Großfahrt zu gehen, um
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einen geeigneten Platz für eine Hütte aufzusuchen, die auf dem nächsten Jagdzug ein Kamerad weiter innen im Fjord errichten könnte. Sorgfältig verriegelt er die Hütte, nachdem er auf dem Ofen einen Zettel hinterlassen hat: „Gehe am 29.7.1929 weiter in den Fjord hinein. Gehe immer am Strand entlang. Suche Hüttenplatz für nächste Überwinterung. Komme in etwa acht Tagen zurück. Solltet ihr eher durch das Eis kommen, so nehmt die Ladung schon über und kommt mir mit dem Motorboot entgegen. Sonst alles wohl. Ole Sivertsen.“ Das Eis liegt unbeweglich wie immer, als Ole in aller Frühe mit dem Hund loszieht. Mächtig schreitet er aus. Er hat den leichten, federnden, raumgreifenden Schritt, der allen Menschen eigen ist, die viel durch pfadlose Wildnis streifen. Stunde um Stunde geht es pausenlos dahin. Er spürt weder Hunger noch Müdigkeit. Der Hund trottet hinter ihm drein oder streunt in der Tundra umher auf der Jagd nach irgendwelchem Getier. Erst als er sich japsend dicht an seine Fersen heftet, merkt Ole, daß es nun wohl Zeit zu einer Rast und einem Imbiß wäre. Es dauert auch nicht lange, und er hat zwei Schneehasen geschossen, ein Feuer angezündet, den Topf aufgesetzt und den Windschirm errichtet. Müde streckt er seine Beine weit von sich und bläst mit blinzelnden Augen kleine, spielerische Ringe aus seiner Pfeife in die Luft, während ein paar Halsbandlemminge, mausgroße Nagetiere, unbekümmert um seine Füße herum spielen. Zwei Tage noch zieht er weiter fjordeinwärts. Das Land hat sich nicht sonderlich geändert, bis auf die
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Vegetation, die hier noch reicher und stärker entwickelt ist als in der Umgebung seiner Hütte. Und wildreich ist die Gegend! Noch reicher als die seine am „Langfjord“, dem steil nach Norden gehenden Seitenarm des „Großen Fjords“, wie er ihn nennt, an dem er jetzt entlangzieht. Wie das Land nun eigentlich heißt, in dem er seit fast einem Jahr lebt, kann er nicht sagen. Vielleicht hat es überhaupt keinen Namen? Der Fjord ist breiter geworden, und eisbedeckte Inselnoder Halbinseln - genau läßt sich das nicht ausmachen - stoßen weit hinein. Massen von gestrandeten Eisbergen sitzen auf Grund oder drängen sich krachend durch Schleier von Kleineis, die das Wasser bedecken. Neue und immer neue Eisberge kommen aus dem nördlichen Arm des Fjordes heran, in der Ferne erst klein und gespensterhaft lautlos, bis sie größer und größer werden, sich gewaltig lärmend Bahn brechen oder krachend stranden und stürzen und das stille, , eisbedeckte Wasser weithin aufwühlen. „Donnerwetter!“ staunt der Jäger, „da droben im Norden oder Nordwesten müssen ja riesige Gletscher sein, die solche Kälber in die Welt setzen!“ Als Sivertsen nach der dritten Rast erwacht, bläst scharfer, kalter Wind aus dem Innern des Landes. Ihn fröstelt, als er aus dem Schlafsack kriecht. Staunend und mit frohem Schrecken schaut er über den weiten Fjord. „Das Eis treibt!“ ruft er begeistert. „Merkst du das nicht, du Hundevieh?“ brüllt er ausgelassen seinem Begleiter zu, der nur erschreckt zur Seite stiebt. Das Eis treibt! Schnell
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wird ein kleiner Imbiß zubereitet. Die Suche nach dem Bauplatz für die neue Winterhütte ist vergessen, nur zurück, zurück zur eigenen Hütte! Der Sturm jagt über den Fjord, heult über die Tundra, fegt den feinen Sand der ausgetrockneten Bäche in tollem Wirbel vor sich her. Und Ole wirbelt mit. Er eilt dahin mit unsagbarer Freude im Herzen, mit der sicheren Hoffnung, ja der Gewißheit auf baldige Befreiung. Als er zu seiner Hütte kommt, hat sich der Wind gelegt. Ruhig und eisfrei liegt der Fjord, aber überm Horizont ist der Eisblink noch immer deutlich zu sehen. Also hat der Sturm doch nicht ausgereicht, den Packeisgürtel vor der Küste zu sprengen! Atemlos läuft Ole auf den Wardeberg, unruhig schaut er oben durchs Glas. Es sieht nicht gerade ermutigend aus. Aber die „Hoffnung“ — ha, „Hoffnung“, Hoffnung! Hat das gute Schiff seinen Namen je umsonst getragen? — die „Hoffnung“ würde die Sperre sicherlich bezwingen. Er trifft die letzten Vorbereitungen zur Abreise. Das Haus ist aufgeräumt, alles ist sorgsam verwahrt, bereit zu einer neuen Überwinterung im nächsten Jahr. Aber Tag um Tag vergeht. Das Packeis weicht nicht von der Stelle, und von der „Hoffnung“ ist nichts zu sehen. Ole wird nun doch wieder unruhig. Wieviel Möglichkeiten und unglückliche Zufälle gibt es nicht! Vielleicht ist das Schiff irgendwo eingefroren und nun selber hilflos? Vielleicht hat es in einer Pressung die Schraube verloren, treibt steuerlos vor dem Wind? Vielleicht hindert Maschinenschaden den Schiffer daran,
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pünktlich zur Stelle zu sein? Ach, es gibt so viele Vielleicht! Und keines bedeutet ein Unmöglich! Je mehr Ole grübelt, desto unruhiger und hoffnungsloser wird er. Aber immer wieder bäumt sich sein Lebenswille gegen alle Schwarzseherei auf. Die Tage sind qualvoll bei diesem Ungewissen Warten. Endlos schleichen die Stunden dahin. Und dann geschieht plötzlich das Unglaubliche: Wieder springt ein Sturm von der See her auf, und die endlosen Eisfelder kommen wieder in Bewegung, auf die Küste zu! Als Ole es nach schlechtdurchwachter Nacht bemerkt und vom Wardeberg aus verzweifelt den Horizont absucht, sieht er plötzlich die Masten eines Schiffes hinter dem Eis aufragen. Sein Herz schlägt wild, immer wieder fährt er sich über die Augen, wischt die Tränen ab, die ihm den Blick trüben. Die „Hoffnung“ ist da! Aber Ole weiß, daß sie dieses Eis nie bezwingen wird. Hier muß er selber helfen. Einen mächtigen Stoß von Heidekraut, Weiden- und Birkenreisig, den er schon seit Wochen hier bereitliegen hat, setzt er in Brand, gießt Petroleum darauf, daß die Flammengarben in den Himmel stieben, schüttet ein wenig Teer in die Glut, daß schwarzer Qualm in dicken Schwaden aufwallt. „Ich bin hier, wartet!“ heißt dieses Zeichen. Und „Wartet! Wartet!“ schreit Ole wild, als er zu seiner Hütte hinunterrennt. Er wirft sich einen Sack, in dem die wertvollsten Fuchsbälge verstaut sind, auf den Rücken, greift Büchse, Glas und Rucksack, treibt den Hund aus der Hütte und schiebt denschweren Riegel vor. Erst als er im Boot sitzt und mit all Kräften auf das Eis
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zurudert, schießt es ihm jäh durch den Kopf, daß im Ofen noch ein Feuer brennt, daß auf der Ofenplatte eine Seehundsleber in der Pfanne brutzelt. Noch einmal zurück? Das Feuer löschen, daß kein Brand die Hütte zerstört? Er hält mit Rudern nicht inne. Er hat nur wenig Zeit, und diese Zeit gilt es zu nützen. Er muß an das Eis herankommen und über diese Berge und durch diese Schluchten von Eis zusammen mit seinem Hund und dem wertvollsten Teil der Beute das Schiff zu erreichen suchen! Es ist der einzige Weg, der ihn in die Heimat zurückbringen kann. Eine frische Brise greift in das Hilfssegel seines Bootes, erleichtert ihm die Fahrt zum Packeis. Als sich der Kahn knirschend und scheuernd durch den Gürtel von Eissplittern und kleinen Schollen auf das Großeis zugeschoben hat, springt Ole mit dem Hund auf eine große, breite Scholle, vertäut nach alter Gewohnheit das Boot, wirft sich das Gepäck über die Schulter und arbeitet sich in das wilde Eisgeklüft hinein. Es ist nicht das erste Mal, daß er eine Schollenwanderung zu bestehen hat. Aber diese hier ist nach all den Bewegungen des Eises in den letzten Wochen doch unendlich schwierig. Rücken folgt auf Rücken, Oberhänge, Waken, lange Spalten müssen umgangen werden. Als er schließlich einen hohen Preßeisrücken findet, der einen weiten Überblick gewährt, da sieht er erst mit Schrecken, wie breit der Gürtel ist. Aber die „Hoffnung“ ist noch da, die „Hoffnung“ wartet auf ihn. Rauch kräuselt aus dem Rohr der Kombüse, und durch das Glas glaubt Ole auch einen Mann in
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der Tonne zu sehen. Ole schießt sein Gewehr ab, immer wieder, winkt mit der Mütze, reißt den Anorak herunter, schwenkt ihn wild hin und her. Aber vom Schiff kommt keine Antwort. Bis auf das bißchen Rauch liegt es wie ausgestorben am Rand der Sperre. „Hoffentlich hören sie mich! Hoffentlich sehen sie mich, fahren nicht eher ab, als bis ich bei ihnen bin...“, hämmert es in seinem Gehirn. Er rutscht den hohen Eiswall hinunter, reißt sich die Hände blutig, fällt in einen eiskalten Tümpel. Aber das stört ihn nicht. Rastlos arbeitet er sich voran, Stunde um Stunde. Er ist müde, zerschlagen, am Ende seiner Kraft. Was heißt das jetzt! Vorwärts, nur vorwärts! Dort ist das Schiff, dort ist die Rettung! Der leichte Landwind, der ihm die Bootsfahrt zum Eisgürtel hin noch erleichterte, wird stärker mit jeder Stunde. Und jetzt — jetzt kommt das Eis wieder in Bewegung! Ole hört und spürt das unheimliche Knirschen, das Knacken und Mahlen der wieder treibenden Schollen. Aber er achtet nicht darauf. Er klettert weiter über Blöcke und Schollen, keuchend und stöhnend, nur von dem einen Gedanken getrieben, das Ende der Sperre, die „Hoffnung“ zu erreichen. Da bricht der Sturm mit ungestümer Wildheit los. Pfeifend heult er über die Eisfelder, orgelt wild durch das Schollengewirr, und das Eis treibt, es treibt, bäumt sich auf, stürzt donnernd zusammen. Sivertsen muß innehalten. Die Hölle ist los um ihn! Pechschwarz ist der Himmel, die Sicht vorbei, nur das Toben des Sturmes, das Krachen, Bersten und Donnern des Eises ist zu hören. Angstvoll zieht der Hund — ja, er ist ihm immer auf den Fersen
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geblieben! — die Rute ein, heult klagend wie in Todesängsten und weicht dem Jäger nicht von der Seite. Plötzlich zersplittert über ihnen eine Scholle, ein Hagel von Splittern stürzt auf sie herunter und — einen dumpfen, schweren Schlag spürt der Jäger noch gegen seinen Kopf, dann wird es schwarz vor seinen Augen... Als er schließlich mit blutverkrustetem Gesicht und steifgefrorenen Gliedern erwacht, liegt der Hund neben ihm, flach auf das Eis gepreßt, stößt immer wieder seine nasse, kalte Schnauze ihm ins Gesicht, zerrt und knurrt. Und auf einmal heult er angstvoll auf. Mühsam, von Schmerz gequält, will sich Ole erheben. Und da begreift er mit einemmal die Unrast des Hundes: Vor ihm, kaum zwei Schritte entfernt, steht ein riesiger Eisbär, sieht ihn mit seinen kleinen Augen tückisch an und richtetsidi dann blitzschnell auf, bereit zum Angriff. Aber im Nu ist auch der Jäger auf den Füßen, seine Hand fährt zum Gürtel, und der Hund, der wackere Bursche, springt dem Riesen zwischen die Beine. Und ehe der Bär sich seiner erwehren kann, hat er auch schon Oles langes Jagdmesser im Herzen. Mit einem langgezogenen, ersterbenden Gebrüll stürzt er zusammen. Zwei-, dreimal noch schlagen seine Pranken das sich rotfärbende Eis. Dann streckt er sich, und seine Augen brechen. Noch wie betäubt steht Ole mit dem Messer da. Der Hund aber stürzt sich auf das tote Tier, leckt gierig das Blut. Da beugt sich auch Ole hinunter und schlürft, sich ekelnd, ein paar Handvoll von dem warmen
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Blut. Er ist durchfroren, hungrig, Blut aber wärmt und stärkt! Aber dann durchzuckt es ihn wie ein Schlag — die „Hoffnung“! Er taumelt auf den nächsten Eisrücken zu, jetzt, gleich muß er die „Hoffnung“ sehen. Aber da ist... Nein, vielleicht blendet nur das Eis, es ist doch nicht möglich... die „Hoffnung“ kann doch nicht ... es kann doch nicht alles umsonst ... ? Der Sturm hat das Packeis weit ins Meer hinausgetrieben, die Einfahrt in den Fjord ist freigefegt. Aber nun ist es zu spät. Die „Hoffnung“ hat dem Eis weichen müssen. Oder ist sie von ihm erdrückt worden? „Nun müssen wir doch ein Jahr dazulegen“, sagt Ole traurig zu seinem Hund, aber seine Stimme ist ganz ohne Kraft. „Noch ein Jahr..., oder zwei... oder...“
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EINE IRRFAHRT AUF DER EISSCHOLLE ABENTEUER MIT BÄREN -DAS ROBINSONLEBEN BEGINNT Die Scholle, auf der Ole Sivertsen auf See treibt, ist nicht gerade klein, aber es ist eben doch nur eine Scholle, über deren Ränder die Wellen schlagen. Weit im Westen ist noch ein Schimmer der Küste zu sehen, doch Ole kann nichts dazu tun, sie zu erreichen. Das Ruderboot ist für ihn verloren — in dem tobenden Sturm, der das Packeis von der Küste fegte, wird es zu Spänen zerrieben worden sein! Und nun treibt er hilflos, jeder Strömung, jedem Wind preisgegeben — wie lange schon? — auf dem Wasser. Ole hat sich in sein Schicksal ergben. Er ist ganz ruhig und gefaßt. „Entweder erreiche ich das Land und ich komme durch den Winter oder — oder es kommt ein Sturm und löscht mich aus. Ja, mich und dich, Gard“, sagt er zu seinem Hund, der neben ihm auf dem ausgebreiteten Bärenfell sitzt. Seit dem Abenteuer mit dem Bären hat er einen Namen. Gard heißt er, „Wächter“! „Ja, Gard, du hast mir das Leben gerettet. Das werd' ich nie vergessen!“ Und Gard blinzelt ihn an und wackelt mit den Ohren, als ob er seinen Herrn verstünde. Tagelang treiben sie auf dem Meer, rundum liegt, wie oft an dieser Küste, dicker nasser Nebel. Vorläufig leiden sie keine Not. Das Fleisch des toten Bären ernährt sie beide. Sie schlingen das rohe Fleisch hinunter, wenn der Hunger sie plagt,
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nur daß Ole es sich mit dem Messer vorher schabt. Auch Durst brauchen sie nicht zu leiden. Die Scholle, auf der sie treiben, ist hartes, blaues, vorjähriges Alteis, und in der Oberfläche bilden sich immer wieder kleine Tümpel Schmelzwassers. Bald treiben sie näher zur Küste hin, bald entfernen sie sich so weit von ihr, daß kaum noch die Bergkette zu erkennen ist, wenn der Nebel sich für eine Weile lichtet. Je nach Wind und Strömung geht es hin und her. Eintönig rauscht die leichte Brandung um das seltsame Fahrzeug. Es ist von Tag zu Tag das gleiche. Möwen fliegen kreischend um die Scholle. Die Sonne scheint, oder der Nebel lastet, oder es fegen auch einmal Schneeböen über die Treibenden hin. Manchmal ist jedes Denken in Ole ausgelöscht, er dämmert vor sich hin. Aber immer wieder drängt sich die Hoffnung, die Zuversicht vor die Trostlosigkeit dieser Tage. Und bald siegt neuer Lebensmut über die müde Entsagung. Aber nun träumt er nicht mehr von einer fernen Zukunft in der Heimat, jetzt schmiedet er ganz feste, nüchterne Pläne für den nächsten Winter. Wenn er nur erst wieder Land unter den Füßen hat und zu seiner Hütte findet! „Dann kann mir eigentlich nichts mehr passieren! Es gibt zwar einen harten Winter mit wenig Proviant, ich werde einteilen müssen und manche Wünsche fahren lassen. Aber Fleisch werde ich immer mehr als genug haben, um leben zu können.“ Er reckt sich, versetzt dem Hund einen freundschaftlichen Puff. „Was meinst du, wie uns zumute sein wird, wenn
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wir erst wieder einmal unsere Beine richtig vertreten können?“ Das kommt viel schneller, als er es je zu hoffen wagte. Ein scharfer Südost kommt auf, treibt seine Scholle auf die Küste zu. Es ist zwar eine tolle Fahrt, als er, an das Eis geklammert, durch die kochende See gejagt wird, aber als er wieder festen Boden unter den Füßen hat, kommt er sich vor wie neugeboren. Was macht es ihm schon aus, daß er weit, weit nach Norden abgetrieben wurde und sich an einer Küste befindet, die er nicht kennt! Zufrieden hockt er auf einer Felsleiste am Fuß eines steil aufragenden Berges, der weiß getüncht ist vom Dung zahlloser hier nistender Seevögel. Er glaubt, in jenem Teil der Küste Ostgrönlands zu stecken, die, wild zerrissen und zerklüftet von Gletschern, er im Vorjahr aus dem Krähennest der „Hoffnung“ sah. Ole gönnt sich keine lange Rast. Eine Ente wird geschossen, am Spieß über einem dürftigen Treibholzfeuer gebraten undverzehrt, und der Anstieg über einen von zahllosen Spalten zerrissenen Gletscher auf die Höhe der Gebirgskette beginnt; sie muß, wenn er recht vermutet, an der anderen Seite zum Langfjord abfallen. Als nach stundenlangem Wandern schließlich die Höhe erklettert und die mächtige Eiskuppe auf dem Kamm überschritten ist, da sieht er, daß er recht geraten hat. Und ohne Säumen macht er sich an den Abstieg. Immer wieder schaut er durchs Glas, späht auf die andere Seite des Fjords, der tief zu seinen Füßen
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gähnt, und einmal glaubt er den dunklen Würfel seiner Hütte zu erkennen. Aber ist das nun die Hütte oder der Felsblock, an den sie sich anlehnt? Genau macht er es auf die Entfernung hin nicht aus. Siedendheiß überfällt ihn plötzlich der Gedanke an das nicht gelöschte Feuer. Ist das nun die Hütte dort drüben oder... Es sind in der Luftlinie knapp 40 Kilometer, die ihn von seinem Lager trennen. Dazwischen aber liegt der Fjord, den er nun weit nach Norden ausholend umgehen muß. Es wird eine mühselige Wanderung. Das Vorland am Fuß der Kette ist das wildeste, das er je betrat, übersät mit Blöcken, eine einzige Steinwüste. Durch die starke, jeden Herbst und jeden Frühling auftretende Sprengung durch den Frost sind die Blöcke wie Messer scharfkantig geworden. Ole hat nur seine alten Gummistiefel an, die schon bei dem verzweifelten Marsch durch das Packeis und zuletzt beim überklettern der mehr als 1000 Meter hohen Bergkette in Fetzen gingen. Es bleibt ihm nichts übrig, als die Schäfte abzuschneiden und sie mit Bindfäden und dünnen Lederstreifen, die er aus den Rucksackriemen schneidet, wieder und immer wieder unter die Füße zu binden. Das schützt zwar einigermaßen vor den Steinen, macht aber die „Stiefel“ natürlich nicht wasserdicht. Denn diese scharfkantigen Steinmassen sind nicht das einzige Übel, das dieses elende Vorland auf zuweisen hat. Es ist geradezu gesegnet mit einer Unzahl kurzer, reißender Gebirgsbäche, den eiskalten Abflüssen der Eiskappe und der Gletscher auf der Höhe.
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Aber Ole ist ein zäher Wildnismann. Er steht auch diese Tage durch. Als er, erschöpft, zerlumpt und ausgehungert, am „Lachsfluß“ ankommt, hat er fast 200 Kilometer zurückgelegt. Bald wird er vor der Hütte stehen, bald wieder einmal unter einem Dach wohnen, an einem Herdfeuer sitzen und eine Pfeife rauchen. Aber wie, wenn die Hütte... Wenn das Herdfeuer alles vernichtete? Gottlob! Die Hütte steht! Aufatmend entriegelt er die festverschlossene Tür. Ein unsagbares Glücksgefühl fällt über ihn, als er über die Schwelle tritt — er glaubt, er hätte sich nirgends je so wohl und daheim gefühlt wie jetzt in dieser kleinen, aufgeräumten.Stube. Er legt Feuer im Ofen an und setzt den Kessel für den lang entbehrten Kaffee auf die Glut. Dann streckt er sich, von einem kräftigen Mahl gesättigt, behaglich in dem selbstgebauten Schaukelstuhl aus, langt sich Pfeife und Tabak und bläst den Rauch zufrieden vor sich. Gard liegt am Ofen und leckt seine von der Wanderung zerschundenen Pfoten. Er ist wie sein Herr stockmager geworden. Sein dicker Pelz ist zottig und ohne jeden Glanz. Ole hat ihn bei der „Festmahlzeit“ natürlich nicht vergessen. Die beiden haben sich in den letzten Wochen gut aneinander gewöhnt und sind auf dem besten Weg, Kameraden zu werden. Ein trüber, kalter Tag empfängt den Jäger, als er nach langem, bleiernem Schlaf am ändern Morgen vor die Türe tritt. Beißender Wind fährt über die herbstlich gefärbte Tundra, die aber nun im trüben Licht aller Schönheit entbehrt. Der Wind fährt über
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Land und See, jagt nasse, kalte Schneeböen vor sich her, zerzaust dem Jäger das wildwuchernde Haar und den langgewachsenen Bart. Eine leichte Brandung steht wie weißer Flaum an der Küste. Kleineis treibt auf dem Langfjord, und im Großen Fjord segeln ein paar milchiggraue Eisberge dahin. Ole gähnt laut und zufrieden. „Nur gut, daß ich mich nicht mehr auf meiner Eisscholle, diesem ungeheizten Luxusdampfer befinde!“ stellt er trocken fest. „Da hätte ich mir auf die Dauer doch noch einen Schnupfen geholt!“ In seinen großen Filzschuhen schlürft er unbeholfen — kein Wunder .; bei den zerschundenen und geschwollenen Füßen! — durch das nasse Vorland zum nächsten Bach. Gard humpelt, die Gräte seines Frühstücksflsches mit sich zerrend, getreulich hinter seinem Herrn drein. Aber die Wasserstelle hat nun, im Herbst, wo das Tauen der Schneeflecken aufgehört hat, nur noch so wenig Wasser, daß der Jäger ein Stück weiter zur Küste hinunter muß. Dort hat der Bach sich sein Bett durch ein Felsband gegraben und bildet in einer schmalen Rinne einen kleinen Wasserfall. Ole stellt den Eimer unter das Rinnsal und schlägt sich dann die klammgewordenen Hände unter die Achseln, geduldig darauf wartend, daß der Eimer endlich volläuft. Da gibt Gard vorsichtig Laut, späht angestrengt auf den Fjord hinaus. Der Jäger achtet nicht darauf. Was kann sich um diese Jahreszeit da draußen schon herumtreiben? Und außerdem will er jetzt endlich warme Hände kriegen. „Bell du nur weiter,
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mein Junge“, sagt er leichthin. „Mit der Seehundsjagd ist es aus um die Zeit.“ Aber Gard gibt keine Ruhe. Aufgeregt stößt er Ole mit der Schnauze an das Bein. Da endlich folgt der Jäger seinem Blick. „Kerl, du hast recht!“ ruft er mit unterdrückter Stimme. „Da ist ja ein Bär auf der Eisscholle.“ Im Augenblick sind kalte Hände, zerschundene Füße und Wassereimer vergessen, und Ole rennt, so rasch er kann, der Hütte zu. Gard tollt, atemlos vor Aufregung, hinter ihm drein. Die großkalibrige Remingtonbüchse, den „Bärentöter“, langt sich der Jäger, lädt und steckt hastig noch einige Patronen in die Hosentasche. Dann eilt er, von Deckung zu Deckung vorspringend, schnell zum Ufer zurück. Als er die von der Brandung auf den Strand geworfenen Rollsteine erreicht, kann er verschnaufen und sich für den Schuß sammeln. Gard, der nicht von seinen Fersen weicht, gibt keinen Laut. Der Bär, es ist ein großes, männliches Tier mit trangelbem Fell und tiefschwarz glänzender Schnauze, hat von dem Feind noch nichts gemerkt. Tolpatschig schlenkert er mit seinen Gliedern auf der großen Eisscholle herum. Er scheint ein kindliches Vergnügen zu haben, wenn das Eis hin und her schaukelt. Die Scholle ist gut 20 Meter vom Strand und von der Brandung entfernt. Ole kann kaum hoffen, daß sie dem Land zutreibt. So entschließt er sich denn, schon jetzt den Schuß zu wagen. Und als der Bär einmal dem Jäger die zottige Brust zuwendet, läßt Ole fliegen. Der scharfe Knall peitscht durch die Luft. Erschreckt
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streichen die Möwen ab. Der Bär aber sinkt ohne einen Laut zusammen. Das Blut, das seiner Wunde wie einem Brunnen entströmt, färbt Eis und Wasser rot. Und Gard, ja Gard hat seine Sprache wieder gefunden, er bellt wie toll, springt immer wieder an dem Jäger hoch, der lachend seinen Rücken klopft. Jetzt gilt es nur noch, den Koloß zu bergen. Das wird nicht einfach sein, denn die Eisscholle samt der Beute muß durch die Brandung an den Strand gezogen werden. Der Jäger läuft zum Lagerhaus zurück, schleppt einen kleinen Eisanker und Stricke herbei. Er muß klug zu Werk gehen, damit ihm die vor der Brandung auf und ab treibende Scholle zu guter Letzt nicht doch noch abtreibt. Er macht ein Seil an einem dicken Felsblock fest und wirft das leere Ende der Wurfleine, an dem der Eisanker hängt, geschickt zur Scholle hinüber. Dann bindet er sich das am Felsen festgezurrte Seil um den Leib. „Nun einmal tief Luft geholt, die Zähne zusammengebissen und hinein in die Brandung!“ befiehlt er sich selbst, springt in das hochaufspritzende Wasser und schwimmt zu dem toten Bären hinüber. Als er die schaukelnde Scholle erklettert hat, schüttelt ihn der Frost so sehr, daß er kaum die paar Handgriffe ausführen kann, die nötig sind, um den leichten Eisanker an der Wurfleine herüberzuziehen und mit dem am Felsblock befestigten Seil, das er jetzt wieder von seiner Brust löst, zu verbinden.Da schlägt Gard, der bisher unruhig am Strand auf und ab rannte und ein paar schnell wieder aufgegebene Versuche gemacht hatte, durch das eisige Wasser zu seinem
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Herrn zu kommen, so aufgeregt an, daß Ole erschreckt von seiner Arbeit auffährt. Da droht ihm auch schon das Blut in den Adern zu erstarren: Lautlos hat ein zweiter Bär die Scholle erklettert und geht nun aufrecht, mit erhobenen Pranken auf den Jäger zu. Blitzschnell stürzt sich Ole ins Wasser, im Sprung noch hört er den dumpfen Fall des Bären. Er packt das Seil, das von dem Anker an das Land hinüberführt, und hangelt sich, so schnell er kann, dem Strand zu. Aber was nützt schon einem Menschen die Flucht vor einem verfolgenden Eisbären! Schon ist er in der Brandung, aber schon; spürt er auch den heißen, stinkenden Atem des wilden Tieres in seinem Nacken. Ein paar Züge noch, und der Bär schlägt ihm die Pranken in den Rücken... Am Ufer aber wütet Gard wie toll, stürzt zähnefletschend, mit gesträubten Haaren immer wieder ins Wasser, auf den näher und näher kommenden Feind zu. Der kleine, magere Kerl gegen das riesige Untier — aber sein Toben läßt den Bären doch einen Augenblick in der Verfolgung innehalten. Dieser Augenblick ist Oles Rettung. Zwei, drei Meter nur vor seinem Verfolger erreicht er den Strand, langt nach der Büchse, die dort noch liegt, und, wie es Oles Jagdgewohnheit ist, nach dem ersten Schuß auf das erlegte Tier gleich nachgeladen wurde. Da hat auch schon der Bär das Land erreicht, fegt den tapfer angreifenden Gard mit einem Prankenhieb hinweg, geht auf den Hinterpranken hoch und stürzt sich auf den Jäger. Kein Raum, keine Zeit für Ole mehr, das Gewehr in Anschlag zu
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bringen! So stößt er es dem Bären blitzschnell in den weit geöffneten Rachen und drückt ab. Haut und Hirnfetzen spritzen in Oles Gesicht — das fast daumendicke, plumpe Bleigeschoß, von einer schweren Ladung getrieben, zerschmettert dem Bären den ganzen Schädel. Hier ist kein zweiter Schuß mehr nötig! Erschöpft sinkt Ole jetzt zu Boden. Seine Glieder zittern, und Schleier tanzen vor seinen Augen. Die Kälte aber, die ihm beißend in die Knochen dringt, treibt ihn bald wieder auf die Füße. Auch Gard ist wieder auf den Beinen, aber seine linke Flanke blutet stark, er kann sich kaum zur Hütte schleppen. Da nimmt Ole den tapferen Gefährten auf den Arm, trägt ihn heim, verbindet ihn, so gut er kann, und bettet ihn neben den warmen Ofen. Dann geht er noch einmal zum Strand hinunter, um die beiden Bären vor der steigenden Flut in Sicherheit zu bringen. Jetzt aber ist auch er am Ende seiner Kräfte, und so, wie er geht und steht, in seinen triefenden, blutbeschmierten Kleidern und den nassen Schuhen, wirft er sich auf die Felle seiner Koje. Es ist eine harte Arbeit für einen einzelnen Mann, zwei ausgewachsene Bären aus der Decke zu schlagen. Ole braucht, als er sich am nächsten Morgen an die Tiere macht, viel Zeit dazu. Aber die Arbeit lohnt sich. Mit zwei Schüssen hat er geradezu einen Berg von Fleisch erlegt. Er wird es im Winter gut gebrauchen können. Ein Teil des Fleisches hängt bereits, in dünne Streifen geschnitten, an der Luft zum Trocknen. Anderes
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hat er in seinem „Eisschrank“ zwischen Eisblöcken unter einer Felsnase verstaut. Ole hat eine Bestandsaufnahme seiner Vorräte vorgenommen. Es sieht trübe aus, trüber als er es nach der glücklichen Rettung aus dem Packeis vermutete. Da ist nur noch ein Sack Mehl, ein Faß voll Salz, Graupen, Erbsen, Bohnen, ein wenig Zucker, Milch, ein paar Kerzen, ein Rest Petroleum, Zündhölzer, eine Flasche Benzin für das Feuerzeug, zwei Flaschen Schnaps, ein paar Kilo Kaffee, eine Büchse mit einem halben Pfund Tee und etwa drei Kilo Tabak, Aber es fehlt jede Gemüse- und Fleischkonserve, es fehlen jetzt die so notwendigen Fruchtsäfte gegen den Skorbut — abgesehen von all den Dingen, die daheim zu den Alltäglichkeiten des Lebens gehören und nach denen man besonders dann verlangt, wenn sie für einen unerreichbar sind. Nüchtern und unbestechlich gibt Ole sich Rechenschaft über seine Lage. Er verzweifelt nicht. Er hadert auch nicht mit sich selbst. Oft genug hat man ihm zwar gesagt, er solle mit Rücksicht auf die unbeständigen Eisverhältnisse vor dieser Küste Lebensrnittel und Ausrüstung für zwei Jahre mitnehmen. Gute Ratschläge, ja, gutgemeinte Ratschläge! Aber wovon hätte er diese Vorräte bezahlen sollen? Schließlich ist ja auch noch die Jagd da! Herrgott, wer auf diesem wildreichen Stück Erde verhungerte, mußte krank sein oder ein Dummkopf! Es bleibt ihm die Jagd, ja! Aber... Ole schaut nach seinen Vorräten an Pulver, Zündhütchen und fertigen Patronen. Da sieht es allerdings noch
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trüber aus als bei den Lebensmitteln. Und das macht selbst Ole Sivertsen arge Sorgen. Was da noch übrig ist, reicht nicht einmal zur Herbstjagd mit ihrem großen Munitionsverbrauch, geschweige denn zu einer ganzen Überwinterung mit der ausgedehnten Seehundsjagd auf dem Fjordeis im April und Mai, wenn die Robben wieder geworfen haben. Da hilft nun einmal nichts anderes: Will er Enten, Gänse, Schneehühner und Hasen essen, dann muß er sie eben mit Steinen totwerfen oder in Schlingen fangen. Er haßt zwar diese Art von „Jagd“, aber nun müssen ihm die Erfahrungen seiner Jugendzeit, da er hin und wieder Hasen mit der Schlinge fing, zugute kommen. Für die Munition muß von nun an ein ganz einfaches Gesetz gelten: kein Schuß ohne die Gewißheit, dafür mindestens einen halben Zentner Fleisch heimzubringen. Zunächst einmal legt Ole trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit seine Netze im Lachsfluß aus, um noch so viel Lachsforellen wie überhaupt nur möglich zu fangen. Denn die sind fett, schmackhaft und, wenn sie gut geräuchert sind, schier endlos haltbar. Nur fehlt es ihm an Sägmehl und Spänen. Da errichtet er aus Steinen und Rasen eine neue Räucherkammer, versucht mit Heidekraut und dem Buschwerk der Krähenbeere zu räuchern. Und es geht, es verlangt nur mehr Wartung. Die Wintervorbereitungen sind überhaupt viel zeitraubender und anstrengender als im Vorjahr, da ihm genügend Lebensmittel, Munition und Brennmaterial zur Verfügung standen.
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Mitte September ist die Lachszeit endgültig vorüber. Der Fang mit Schlingen, mag Ole noch so viele auslegen, bringt längst nicht die schweren Bündel an Geflügel zusammen, ohne die er sonst von keinem Ausflug zurückkam. Die Jagd auf Moschusochsen nimmt — er darf sich ja nur sichere Schüsse leisten — oft viele Tage in Anspruch. Das Fleisch wird er erst im Winter heimschaffen, wenn er den Schlitten führen kann. So ist er gezwungen, überall im Land gutgeschützte Fleischdepots anzulegen. Dasselbe macht er mit dem Brennmaterial. In der Nähe der Hütte hat er bereits alles nur brennbare Gestrüpp von Weiden, Birken, Heidekraut und Krähenbeeren ausgerissen. Mit großen Steinen preßt er es zu kleinen, handlichen Bündeln zusammen. Diese „Briketts“, wie er sie nennt, brennen zwar gut, aber das Feuer und die Wärme halten nicht lange vor. Mit Wehmut denkt er oft an die vielen, offen zutage tretenden Kohlenflöze auf Spitzbergen. Auch in der Umgebung seines Lagers hat er verschiedene kohlenhaltige Gesteinsbänder entdeckt, doch diese Art von Kohle will nicht brennen. Im Lachstal, weit im Innern des Landes, dort, wo an besonnten Hängen besonders üppiger Pflanzenwuchs gedeiht, sucht er gleichfalls alles Brennbare zusammen und stapelt es in Haufen auf. Von keinem Gang über Land kehrt er zurück, bei dem er nicht einen Sackvoll abgestorbener Pflanzenreste, wie sie auf den Felsblöcken als Trockentorf oft anzutreffen sind, mit heimschleppt. Er sammelt auch die winzigen, herbstlich bunten Weiden-und Birkenblätter, weil er sich mit den
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errechneten zwei Pfeifen Tabak für den Tag nicht abfinden kann. Er hat noch nie das beste Kraut geraucht. Was macht es da schon aus, wenn er den Knaster jetzt mit Herbstlaub versetzt! Und noch an etwas anderes muß er denken! Er kennt die Gefahren des Skorbuts. Auf Spitzbergen ist er oft genug aufeinsame Gräber von Pelztierjägern gestoßen, die dieser Krankheit erlegen waren. Wenn er dem Skorbut auch nicht so viel Beachtung schenkt wie andere Jäger, vor allem, wenn sie zum erstenmal überwintern, wenn er auch weiß, daß kräftige Bewegung in der eisigen Winterluft, Zuversicht und — der Genuß von rohem Fleisch und rauchendwarmem Robben- oder Bärenblut ein vorzügliches Gegenmittel sind, so sammelt er doch eine Pflanze, eine Art von Sauerampfer, von der er weiß, daß sie dem Mangel an Vitamin C, der Hauptursache für den Ausbruch des Skorbuts, abhilft, wenn man den aus lauwarmem Wasser gezogenen Sud ihrer sorgfältig getrockneten Blätter trinkt. So hat er immer beide Hände voll zu tun. Aber kaum ist alle Arbeit getan, die er sich vorgenommen hat, da fällt auch schon es ist inzwischen Oktoberende geworden - mit beißender Kälte und tagelangem Schneesturm der Winter übers Land.
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Ein rettender Gedanke? Das Thermometer sinkt tiefer als je im Vorjahr, oft steht es auf 50, ja auf 55 Grad Celsius unter Null. Das Brennmaterial taugt nicht viel. Nie wird die Hütte warm genug, um den dicken Reif von den Wänden verschwinden zu lassen. Wenn das Feuer im Ofen einmal zu hellerer Flamme auflodert, dann glitzert alles ringsum wie in einer Gletscherhöhle. Vor allem aber lastet die lange Dunkelheit jetzt unerträglich auf dem Gemüt des einsamen Mannes. Wenn er seine Fallenlinie abgeht und die Sterne am dunklen Himmel kalt funkeln, wenn das Nordlicht am Horizont aufsteigt und über die eisige Einöde geistert, oder wenn gar der Mond in voller, runder Scheibe über die Berge steigt und alles in fahle Helle taucht und Land und Meer aussehen wie eine phantastische, unwirkliche Mondlandschaft, ja, dann ist doch immer noch Helle und Licht. Aber es kommen auch „Tage“ mit dunklen, jagenden Wolkenfetzen oder schwarzen, drohenden Wolkengebirgen. Dann ist es finster wie in einem Grab, und oft genug irrt dann sogar der erfahrene Jäger in der Öde des weiten, toten Hügellandes umher, ehe er wieder zu seiner Route zurückfindet. Kommt er dann nach Hause, erwartet ihn eine eisglitzernde, verräucherte und dumpf riechende Höhle. Das dürftige Feuer braucht lange Zeit, um den Kaffee zum Kochen zu bringen und den Rest Fleisch von der letzten Mahlzeit aufzutauen und zu erwärmen. Überhaupt dieses Essen! Fleisch, immer
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wieder Fleisch! Saft- und kraftlos, abgehangen und ausgefroren, und oft genug von üblem Geschmack. Früher, ja, da brauchte er nur in die Speisekammer zu gehen. Dort fand er alles, was er sich in seinen Verhältnissen nur wünschen konnte. Nun gähnt ihm dort fast völlige Leere entgegen. Dabei verspürt er immer stärker ein geradezu gieriges, brennendes Verlangen nach einem besonderen Leckerbissen. Ja, der Winter ist lang, hart, erbarmungslos. Um Mittwinter rast ein Sturm drei Wochen lang über das Land und begräbt die Hütte bis weit über das Dach unter Schnee. Da ist an Fang nicht mehr zu denken, und Ole läßt Füchse Füchse sein. Der Fang und die langen Märsche über Land sind sonst die einzige Abwechslung im Leben des Einsiedlers. Kehrt er schwer beladen, von seinen Fahrten entlang der mehr als 100 Kilometer langen Fallenstrecke wieder heim, dann schläft er wie ein Toter und wacht in seinem vor kurzem selbstgeschneiderten Schlafsack aus Bärenfell, den er jetzt als Ersatz für den alten, abgenutzten Rentierschlafsack gebraucht erst wieder auf, wenn ihm die Kälte in der Hütte bis in die Knochen kriecht. Dann aber kommt allemal wieder die Qual des Feuermachens, des Kochens der Speisen, vor denen er sich ekelt und die er doch hinunterwürgen muß, will er das; Leben fristen! Dazu die ewige Dunkelheit in der Hütte. Oles Vorrat an; Petroleum ist so zusammengeschmolzen, daß er ihn sich für den Notfall hier im Lager und für den Kocher auf den langen Fahrten aufsparen muß. So sitzt er meist im Dunkeln; im Schaukelstuhl zusammengekauert beim Ofen, schnitzt
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Messergriffe, Zigaretten- und Pfeifenspitzen aus den zähen, hörnernen Stirnplatten der Moschusochsen und grübelt und grübelt. Das Grübeln aber ist das schlimmste. In der Freude über das wiedergewonnene Leben nach den Schrecken im Packeis und im Eifer der Vorbereitungen für den Winter hat er kaum mehr an seine Familie gedacht. Nicht daß er sie vergessen hätte! Aber alle Gedanken bewegten sich nur um die Erhaltung des eigenen Lebens. Doch jetzt, in den sturm-durchtosten, eisigen und immer dunklen Winternächten, muß er um so mehr an daheim denken. Seine Gedanken drehen sich immer im Kreis. Er malt sich die Sorge seiner Frau und seiner Kinder um ihn in düsteren Farben aus, und immer drückender wird seine eigene Sorge um das leibliche Wohl seiner Lieben. Müssen sie hungern, müssen sie frieren den langen Winter hindurch? Oder findet sich jemand, der ihnen hilft, auch ohne daß sie bitten? Denn seine Frau, das weiß er, wird nie bitten. Vielleicht hilft der alte Hansen. Ja, Hansen ... aber lebt der überhaupt noch, er und seine Leute von der „Hoffnung“? Wurden nicht einmal Schiffstrümmer an den Strand getrieben, Wrackteile eines Seehundsfängers, gebaut aus Eichen- und Teakholz? Ist daraus nicht auch die „Hoffnung“ gebaut? Je mehr Ole grübelt, um so schwermütiger wird er. So hart ist noch kein Winter für ihn gewesen, so einsam und dunkel und voll ungelöster Fragen und Sorgen. Stundenlang wälzt sich Ole auf seinem Lager, ohne Schlaf, ohne Ruhe, während draußen der Sturm heult und an der Hütte reißt. Gard liegt
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an seiner Seite und wärmt ihn. Gard ist überhaupt die einzige Freude dieses Mannes, nachdem die beiden in Not und Einsamkeit Kameraden wurden und nachdem Gard sich auch auf der Jagd und auf den langen Fangreisen nützlich zu machen versteht. Sivertsen hat ihm einmal aus Seehundshaut ein Geschirr gemacht, und Gard, jetzt groß und stark geworden, mit mächtig breiter Brust und kräftigen Beinen, zieht den leichten Nansenschlitten mit den aus den Fallen genommenen steifgefrorenen Füchsen mit einer Leichtigkeit, als hätte er nie etwas anderes getan. Ja, Gard — lange konnte Ole ihn nicht ausstehen, und jetzt, zweimal dankt er ihm jetzt das Leben, und der Hund lauscht seinen Worten, als wüßte er, was seinen Herrn bedrückt. Eines Tages holt der Jäger im Schuppen drüben einen Stapel alter Zeitungen hervor. Vor seiner Abreise in Tromsö hatte er sie als Altpapier gekauft, um damit die Fuchsbälge, die so besser trocknen konnten, auszustopfen. Als er sie jetzt in der Hütte in die entsprechende Größe faltet, fällt sein Blick auf eine Meldung von der Rückkehr einer wissenschaftlichen Expedition aus Ostgrönland. Ostgrönland? An dieser Küste haust doch auch er! Man kann ja immerhin einmal lesen, was diese Leute da ... Er hockt sich auf den Boden vor den Ofen, öffnet die Ofentüre, daß ein wenig Licht auf die vergilbten Blätter fällt, und fängt zu lesen an. Der Bericht erzählt auf einigen Spalten von den wissenschaftlichen Ergebnissen einer Kundfahrt und bringt zum Schluß die Mitteilung, daß der Proviant, den die Expedition nicht verbraucht habe,
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sowie einige Säcke mit Kohle, eine Kiste Munition, ein Segelboot und ein Ruderboot auf einer weit vorspringenden Landzunge in der Überwinterungshütte und einem Schuppen als Depot niedergelegt worden seien mit der Bestimmung, daß Schiffbrüchige oder sonst an der Heimkehr verhinderte Eismeerfahrer Gebrauch davon machen könnten. „Da die Schriftleitung annimmt, daß vor allem die Eismeerfahrer unter unseren Lesern ein besonderes Interesse an diesem Depot haben, fügen wir die untenstehenden Kartenskizzen hinzu ...“, heißt es am Ende. Die Kartenskizzen geben tatsächlich eine gute Obersicht über den Küstenverlauf im großen und zeigen auch die Lage des Depots mit solcher Deutlichkeit, daß man es mit ihrer Hilfe ohne weiteres finden müßte. Aber Ole braucht eine schöne Weile, ehe er sich über die Tragweite dieser ihm durch Zufall in die Hand gespielten Meldung klarwerden kann. Der arktische Winter treibt den Menschen nicht nur in dumpfes, sinnloses Grübeln und Brüten, er läßt auch mehr und mehr das fruchtbare Denken einschlummern, und auch die Suche nach neuen Möglichkeiten, das Abweichen vom alten Trott verkümmert. So hatte er die Zeitung schon längst in den leidlich getrockneten Balg hineingeschoben, das Fell tüchtig geschüttelt und zu den anderen gelegt, als ihm schließlich der Gedanke kommt, daß dies doch eigentlich eine Sache sei, die näher zu bedenken sich wohl lohnen könnte. Und während er wieder ein Spannbrett vom Trockenrahmen über dem Ofen nimmt und mit der
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Zange sorgfältig die Nägel löst, die das getrocknete Fell auf das Brett geheftet halten, spielt er immer mehr mit den Aussichten, die diese Nachricht bietet. Auf einmal gibt es kein stumpfes Vorsichhinbrüten mehr, auf einmal ist er hellwach geworden. „Das wäre eigentlich gar nicht verkehrt“, meint er zu Gard, der einen Knochen in der Stube herumzerrt, „wenn wir zwei einmal zu diesem Depot zögen. Was meinst du, Gard? Schau mal, da gibt es Mehl und Zucker und Haferflocken und getrocknete Früchte, da gibt es Kohlen zum Heizen und Petroleum und Stearinlichter zum Leuchten, da gibt es Boote, mit denen wir wieder auf Seehundsfang ziehen können, da gibt es Munition, und sicher auch Kaifee und Tabak. Hörst du, Gard, Kaifee und richtigen, guten Tabak! Ach so, du rauchst ja nicht!“ Gard wedelt nur mit seiner buschigen Lunte und zwinkert seinen Herrn aufmerksam an. Wie es Oles Art ist, hat er gleich die rosigsten Vorstellungen von all den Herrlichkeiten, und seine Gedanken schießen weit über das am nächsten Liegende hinaus. Schon sorgt er sich, wie er das doch sicher recht schwere Segelboot zu Wasser lassen kann, um damit den Reichtum zu seiner Hütte zu schaffen. Und schon spielt er mit dem Plan, seine eigene Hütte aufzugeben und ganz in das verlassene Lager der Wissenschaftler überzusiedeln. „Denn das kann ich dir sagen“, redet er wieder auf den Hund ein, „die Herren Doktoren, die da überwintert haben, das waren sicher feine Leute, die hausten nicht so kümmerlich wie wir. Du wirst
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staunen, wie fein die eingerichtet waren! Und dann, weißt du, Gard, schon einmal hat uns das Packeis einen Streich gespielt. Wer weiß, ob wir nicht noch ein drittes Jahr hier leben müssen? Meinst du nicht, wir würden unsere Verbannung dort drunten besser ertragen? Nun gib mir schon einen Rat, Gard!“ ruft er unwillig. Aber was kann der Hund anderes tun, als seinen Herrn treuherzig anzubellen und mit der Lunte zu wedeln? Unruhig, in Gedanken versunken, läuft Ole in der engen Hütte hin und her. Dann aber sucht er den Fuchs aus dem Bündel der trockenen Felle heraus. Dieser da war es doch? Heraus mit dem Papier, hier, auf dieser Seite muß es stehen! Zum Teufel, wo ist die Zeitung hingeraten? Aufgeregt wirft er die Felle durcheinander, zerrt die Papierknäuel heraus, glättet die Blätter, sucht und sucht. Da — endlich, da ist die, Mitteilung, sind die Skizzen! Und nun beugt er sich wieder darüber. Etwa 200 Kilometer südlich seines Lagers, in der Luftlinie, muß das Expeditionsdepot liegen. Das bedeutet einen Reiseweg von mindestens 400 Kilometern für die Hinfahrt und noch; einmal 400 Kilometer für den Heimweg. Bei diesen Maßen; wird es Ole doch ein wenig warm. Bei offenem Fahrwasser könnte man mit einem guten Nordlandruderboot und einem Segel die Strecke von 400 Kilometern bei günstigem Wind bequem in fünf bis acht Tagen zurücklegen. Und mit einem Hundegespann und leichtem Schlitten würde die Fahrt kaum länger als acht bis zehn Tage dauern. Doch er hat ja weder Hundegespann noch Boot, ganz zu schweigen von offenem Wasser.
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„Aber ich hab' dich, Gard“, fällt es ihm plötzlich ein. „Du mußt mir helfen.“ Und dann entwickelt er dem Hund seinen Plan, mit ganz leichter Ausrüstung eine schnelle Fahrt durchzuführen. Zelt, Primuskocher, Schlafsack, Petroleum und geräucherten Lachs als Proviant soll Gard auf dem kleinen, leicht gebauten, aber festen Schlitten ziehen, während er, Ole, auf Schneeschuhen den Weg bahnen und in schwierigem Gelände ziehen helfen wird. Alle Mutlosigkeit, alle Grübelei fällt von ihm ab bei dem Gedanken an die große Reise, zu der er jetzt entschlossen ist. Aber auch alle schwärmerischen Vorstellungen verblassen. Er ist wieder der alte, in der arktischen Wildnis erfahrene Jäger, der bei allem Draufgängertum sich klar ist, was ihm bevorsteht, wenn er eine solche Fahrt allein und ohne genügende Vorbereitung antritt. Seine erste Sorge gilt der Ausrüstung. Das einzige, was einigermaßen im Stand ist, ist der Kocher. Schon an Schlitten und Zelt gilt es viel auszubessern. Und erst die Kleidung, der Schlafsack! Er sieht seinen ganzen Kleiderbestand durch: nichts, was für eine solche Fahrt geeignet wäre. Ein großer Teil ist aufgetragen und zerschlissen. Wenn seine Hosen und Joppen auch aus dicht gewebtem Wollstoff sind und seine Überanzüge aus festem dünnem Baumwollzeug — für die Strapazen, die ihn erwarten, reicht das alles nicht aus. Da braucht er Pelzkleidung und Pelzstiefel. Aber die muß er sich erst genau so anfertigen wie einen kleineren, engeren und darum wärmeren Schlafsack aus Bärenfell.
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Es ist jetzt Ende Januar, und das erste Tageslicht kündet sich, wenn auch erst nur für wenige Minuten, in einer fahlen Dämmerung am südlichen Horizont an. Aber wenn auch gerade zu dieser Zeit des wiederkehrenden Lichtes die eigentliche Winterkälte mit besonderer Schärfe einsetzt, so schafft die Aussicht auf den kommenden Tag doch eine unruhige, geschäftige, frohe Stimmung. Zunächst gilt es, für eine bessere Beleuchtung zu sorgen. Zu dumm, daß er nicht schon früher auf diese einfache Lösung verfiel: Tran besitzt er doch genug in den Fässern, die noch immer am Strand liegen. Er gräbt ein Faß aus dem Schnee und schafft es in die Hütte. Eine leere Milchdose wird mit dem aufgetauten Tran gefüllt, ein Streifen eines ausgetragenen Filzschuhs zu einem Docht gedreht und hineingetaucht, und schon ist eine neue Leuchte fertig! Zwei weitere Lampen kommen bald hinzu, und wenn der Docht auch qualmt und das verbrannte Fett süßlich-ranzig riecht — die Lampen geben Licht, und die verräucherte, im Lauf der dunklen Monate unordentlich und schmutzig gewordene Hütte sieht schon freundlicher aus, und sie wird wärmer, denn die Lampen heizen tüchtig. Als erst genügend Licht vorhanden ist, geht auch die Arbeit schneller voran. Aus den brauchbaren Resten seiner Wollhosen und Jacken flickt Ole eine neue Garnitur Unterwäsche zurecht. Die überziehhosen aber sollen aus Bärenfell sein, eine zweite Garnitur Unterwäsche aus Hasenfellen, und den Anorak wird er, wie auch die Stiefel, aus Seehundsfell zusammennähen müssen.
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Aber wie soll er nur die Häute, die bereits hart und ausgetrocknet oder noch fettig und naß sind, geschmeidig und doch trocken machen können? Ole hat zwar gelegentlich darüber gelesen, wie Eskimos und Indianer das zu machen pflegen. Aber das ist längst wieder vergessen, und er müht sich umsonst, sich jene Technik ins Gedächtnis zu rufen. „Wozu hab' ich denn die vielen Felle!“ knurrt er schließlich unwirsch vor sich hin. „Probier' ich's halt einmal!“ Mit den Fellen der Polarhasen beginnt er. Handschuhe und eine Kapuze will er sich daraus machen. Die Felle sind zwar warm, aber das Leder auch sehr dünn und wenig haltbar. Handschuhe aus Schaf-, Hunde- oder gar Polarwolfpelzen wären natürlich besser. Aber die hat er ja nun leider nicht. Und zaubern — ach, wenn er das könnte, wäre er längst daheim ... Ole versucht es zunächst mit trockenen Fellen. Er knetet das Leder, aber es bricht. Er reibt es mit Öl ein, um das Brechen zu verhindern, und beginnt erneut mit Kneten und Falten. Aber sobald das Öl richtig eingezogen ist, trocknen die Häute wieder aus und brechen von neuem. Fettet er sie aber zu stark, dann gefrieren sie in der winterlichen Kälte. Schließlich kommt ihm der Gedanke — hat er nicht auch davon einmal in einem alten Kalender gelesen? —, die Häute mit einem Brei von Gehirn und gehackter Leber einzureiben, einige Tage liegen zu lassen und dann mit dem Handballen und den Fingern tüchtig zu kneten und zu walken. Danach werden sie über Reisigfeuer geräuchert. Ole gerät schier außer sich vor Freude, als das
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hilft. Zwar gelingt es ihm nicht, das Leder so weich zu bekommen, als wenn es sämisch gegerbt wäre. Auch das Haar ist nicht besonders haltbar. Aber das ist auch nicht nötig. Fäustlinge wie Kapuze wird er ohnehin mit dem Haar nach innen tragen. Das Pelzwerk soll ihm ja nur einige Wochen von Nutzen sein. „Strümpfe und eine gute Unterjacke müßte ich mir noch machen“, überlegt sich Ole, „dieses seidig weiche Fell, auf dem Körper getragen, ist besser als jedes Wollunterzeug.“ Und da er Felle genug hat, macht er sich denn auch gleich noch eine lange, ärmellose Unterjacke, und einige Paar „Strümpfe“ — eigentlich mehr eine Art von leichten Stiefeln — kommen noch dazu. Jedes Stück wird bei dem nächsten Ausflug ausprobiert. Denn auch draußen gibt es immer genug zu tun. Wenn er in jeder Woche einmal seine lange Fallenstrecke abgehen will, muß er sich schon beeilen. Bei dieser grimmigen Kälte, in der es den Füchsen schwer fällt, ihre Nahrung an Lemmingen, Hasen und Schneehühnern zu finden, fressen sie ohne weiteres auch ihre gefangenen Artgenossen an und verderben so manchen wertvollen Pelz. Die Bewegung nach dem langen Aufenthalt in der dumpfen Hütte tut dem Jäger stets von neuem wohl. Frische Luft und gelegentlich ein Stück Wild, dessen Gehirn, Nieren und Mark er heißhungrig verzehrt, sind für ihn nun das einzige Mittel, die winterliche Müdigkeit und Abgespanntheit zu beseitigen. Hin und wieder trinkt er, wie viele alte Eismeerjäger, ein paar Hände voll Seehundsblut,
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wenn er, selten genug, gerade einmal Glück hat, an einer durch Stürme oder Brandung aufgebrochenen Stelle im Eis einen Seehund zu erlegen. Sobald er aber wieder in der Hütte ist, das Feuer in Gang gesetzt und die grimmigste Kälte aus seinen vier Wänden vertrieben hat, sobald er die Kleider gewechselt und sich gestärkt hat, stürzt er sich wieder auf die „Schneiderbank“ oder den „Schusterbock“, wie er seine Koje neben dem Ofen jetzt nennt. Aus Seehundsfellen werden Stiefel zugeschnitten und gegerbt. Zwei Arten von Stiefeln wird Ole brauchen. Einmal halblange, mit dem Fell nach außen, für trockenen Pulverschnee, die sich in Schnitt und Art kaum von den plumpen Lappenstiefeln unterscheiden. Er macht sie groß genug, um sie auch noch mit einer starken Lage Sennegras ausstopfen zu können, damit die Füße auch bei langen Märschen warm und trocken bleiben. Dazu braucht er noch schwere Überziehstiefel, die bis über die Knie reichen, für nassen Schnee, Schneeschlamm und Wasser. Auch sie werden aus, allerdings enthaarten, Seehundshäuten angefertigt. Das Enthaaren macht kaum Arbeit. Ole spannt die Felle stramm über ein Brett und schabt die Haare einfach mit einem scharfen Messer ab. Aber wie soll er die Häute geschmeidig bekommen? Er müßte die Seehundsfelle ganz sorgfältig von dem anhaftenden Fett befreien. Aber Schaben allein hilft hier nicht. Das Fett ist so fest mit der Haut verbunden, daß der Jäger Stück für Stück, Fleckchen für Fleckchen auskauen und auslutschen muß. Es ekelt ihn, würgt ihn, aber die
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unappetitliche Arbeit bleibt ihm nicht erspart. Dafür werden die Häute durch diese Prozedur weich und geschmeidig, und die fertigen Stiefel drücken nirgends. Für die Sohlen nimmt er sich das Fell der Bartrobbe vor, die die dickste und zäheste Decke unter den Seehunden hat. Stück für Stück der Ausrüstung kommt so zusammen. Jeder Teil ist sorgfältig durchgedacht, zurechtgeschnitten und mit festem Netzgarn vernäht. Und endlich kann sich Ole auch an die „größeren Stücke“ machen, zwei Anoraks aus Seehundsfellen und eine Hose aus Bärenfell. Auch diese Häute muß er erst alle mit dem Mund „gerben“. Das dauert lange genug. Aber schließlich hat er die Ausrüstung beisammen. Auch der neue Schlafsack aus Eisbärenfell ist ihm gut gelungen. Er ist zwar schwerer als der alte aus Rentierdecken, dafür ist er aber auch um so wärmer. Auf einer dreitägigen Hundeschlittenfahrt, die auch auf den Fjord hinausführt und auf der sich Gard ins Geschirr legt, als gelte es, schon jetzt die große Reise zu bestehen, erprobt der Jäger dann die Früchte seiner Handwerkskunst. Schließlich war er Gerber, Schuster und Schneider in einem! Er übernachtet bei unter 40 Grad im Zelt und holt sich keinerlei Schaden. Auch auf dem Marsch bewähren sich die Kleider gut. Sie sind geschmeidig, scheuern ihn nicht wund und sind so warm, ja, bei strammem Gehen, und wenn der Wind sich still verhält, dünken sie ihn fast zu warm. Und schwer sind sie wohl, doch daran muß sich Ole eben gewöhnen. Auf seinen früheren Fahrten waren nur
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Stiefel, Handschuhe und Mütze aus Pelz gefertigt, alles andere aus dickem Wollstoff, das Überzeug aus dünnen, wasser- und winddichten Tuchen. Aber früher konnte er sich auch auf kleine Hilfshütten stützen, jetzt wird er nur auf sein Zelt angewiesen sein. Da steckt er denn doch lieber in seinen warmen Pelzen!
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DIE GROSSE SCHLITTENREISE - EINE NEUE ENTTÄUSCHUNG Seit Tagen — der Schlitten steht fertig gepackt bereit — schaut Ole nach dem Wetter. Der Februar neigt sich dem Ende zu. Es ist beißend kalt. Heftige Stürme fegen den Schnee in Wirbeln oder in dichten Schleiern über das steinharte Vorland vor sich her. In dieser Gegend Ostgrönlands, wo im Sommer nur wenig Regen fällt, liegt auch der Schnee nicht hoch. Ein einziger heftiger Sturm genügt, um die dünne Schneedecke an vielen Stellen wegzufegen. Da macht dann eine Schlittenreise wenig Spaß. Eine Arbeit hat Ole vor seiner großen Fahrt noch zu tun. Er muß noch einmal die Fallenstrecke abgehen und die Fallen umlegen, denn mit dem Fang ist es für diesen Winter nun vorbei. Endlich legt sich der Sturm, doch es dauert einpaar Tage, bis wieder genug Schnee auf der Tundra liegt, daß Ole die Schneeschuhe unterbinden und mit Gard losziehen kann. Schnell kommen sie vorwärts. Aber am Abend des zweiten Tages setzt plötzlich ein Sturm von solcher Heftigkeit ein, daß es dem Jäger den Atem verschlägt. Im Augenblick ist er auch schon eingehüllt in so dichte, rasend daherjagende Schneemassen, daß er zu ersticken glaubt. Gard legt sich augenblicklich auf den Boden und deckt die buschige Lunte über die Schnauze. Ole aber verkriecht sich erschreckt hinter einem Felsblock. Dort hockt er nun, bald durchgefroren bis ins Mark,
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und hofft auf das Abflauen des Orkans. Er hofft umsonst. In kurzen, heftigen Böen stößt der Wind über das weite Land, fegt Schneewolken über den Boden, reißt selbst Kies und faustgroße Steine los. Die Luft ist erfüllt von unheimlichem Brausen, Zischen und Brüllen wie von höllischen Orgeln. Und das Schlimmste — nicht nur aus einer Richtung kommt der Sturm, immer wieder springt er um. Bald fegt er von West her, bald von Ost, von Nord oder Süd, und immer in kurzen, wilden Böen. Ole muß sich Bewegung verschaffen, will er nicht erfrieren. Wenn zwischen den einzelnen Windstößen hin und wieder Stille einsetzt und kaum ein Laut zu hören ist, dann erhebt er sich froststarr, läuft um den Felsblock herum, schlägt sich die Arme unter die Achseln und schüttelt sich ordentlich durch. Aber die Luft bleibt dunkel von Schnee. Als es auf die frühe Nacht zugeht, ist die Dunkelheit so dicht, daß er sie schneiden zu können meint. Die Kälte schüttelt den Jäger, Hunger peinigt ihn. Da bricht er in einer Sturmpause auf. Doch auf seinen besten Wegweiser in der sternenlosen Nacht, einen stetig aus gleicher Richtung wehenden Wind, ist diesmal kein Verlaß. Aber er zieht weiter. Was bleibt ihm anderes übrig? Zu gut weiß er, daß diese Art von Stürmen tagelang, ja eine ganze Woche hindurch anhalten kann. Bald genug wird ihm klar, daß er unsicher ist, nicht mit der gleichen schlafwandlerischen Sicherheit wie sonst auf seine Hütte zusteuert. Er zwingt sich zur Ruhe. Nur jetzt sich nicht ängstigen lassen, nicht in die Irre gehen... Ganz klar stellt er sich den so oft
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zurückgelegten Weg über das Vorland vor. Dazu braucht es kein langes überlegen. Er hat die Gabe, sich eine Gegend, die er einmal erwandert hat, in allen Einzelheiten wie zum Greifen sichtbar vor seinen Augen erstehen zu lassen. Er kann sie in allen Einzelheiten beschreiben, kann gleichsam mit dem Finger auf all die Talrisse, Steinblöcke, das niedrige Gebüsch, die Landzungen und Lagunen zeigen. Wenn er nur erst wüßte, wo er hier steckt! Die Hütte kann nicht mehr fern sein, darüber ist er sich klar. Aber als er in einen Talriß stolpert, gibt er das Tasten und Suchen auf und folgt dem Lauf der Rinne. Einmal muß er ja so zur Küste kommen. Und von da ... Schneller als er gedacht, wird das Heulen des Sturmes vom Brüllen der Brandung übertönt. Der Sturm hat das Eis hier aufgerissen. Wie aus dem Boden gewachsen, steht plötzlich eine weiße Gischtwand vor ihm, fällt über ihn und reißt ihn auf das Eis. „Die nächste Welle“, hämmert es in seinem Gehirn, als er sich mühsam aufzurichten versucht, „die nächste Welle wird mich in den Fjord spülen!“ Da fällt sie auch schon über ihn, reißt ihn vom Boden ... „Das ist das Ende!“ denkt er noch und... Aber nein, er hängt ja fest, da, die dritte Welle, aber er hängt fest, wie ist denn das nur... Ah, der Gewehrriemen hat sich an einem Eiswulst festgehakt. Zwei-, dreimal schlägt die Brandung noch über ihm zusammen, dann springt er auf, rennt vor der nächsten Woge in die Dunkelheit des Vorlandes hinein. Da drüben heult auch Gard, dort muß die Hütte sein! Schwerfällig, wie ein Trunkener, taumelt Ole auf das Bellen zu. Die
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nassen Kleider sind steifgefroren, und die Kälte raubt dem harten Mann fast die Besinnung. Kaum in der Hütte, entfacht er — kostbares Petroleum opfert er dafür — ein loderndes Feuer, gießt Tran darauf, daß der Eisenofen glüht und die Platten sich biegen, zündet die Tranlampe an und taut sich die Kleider vom Leib. Bald herrscht in der Hütte glühende, dunstige Hitze, gesättigt von der Feuchtigkeit der Kleider und den auftauenden Reifschichten an den Wänden. Aber da beginnen auch viele Stellen in Oles Gesicht, an den Händen und Füßen wild zu schmerzen. Erfrierungen, in die jetzt das Blut zurückkehrt! Andere Stellen, weißliche Flecken, tauen so bald nicht auf, und der Jäger muß sie lange mit Schnee und eiskaltem Wasser behandeln, bis alle Schäden beseitigt sind. Das kostet ihn Tage, die Ungeduld will ihn zerreißen. Denn der Sturm hat sich gelegt, und ein leichter Schneefall legt eine gleichmäßige Decke über das Land. Aber eines Tages, der März hat gerade begonnen, ist es soweit. Die Sonne scheint, noch etwas schwach zwar, von einem wolkenlosen Himmel. Steil zieht der Rauch des letzten Herdfeuers aus dem Kamin. Das Thermometer zeigt nur 28 Grad Kälte an. Das ist gerade die richtige Temperatur für einen Mann in Pelzkleidern, der auf Schneeschuhen seinem Gespann den Weg bahnen soll. Vergnügt fährt Ole mit dem Finger an den Kufen seines Schlittens entlang. Er hatte Wasser darübergegossen, um eine gleichmäßige, harte und glatte Eisschicht darauf zu erzielen. So wird der
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Schlitten leichter durch den weichen Pulverschnee gleiten. Das Feuer im Ofen ist gelöscht, ein Zettel mit Reiseziel und Zeit des Aufbruchs liegt in der Stube, die Türe — er rüttelt noch einmal daran —, ja, sie ist gut verriegelt. Dann pfeift er Gard, der hinter der Hütte hervorschießt, wirft ihm das Geschirr über, schnallt sich die Bretter unter und streift zuletzt die dicken Fäustlinge über die Hände. „Los, Gard, auf! Jetzt zeige, was du kannst!“ Und schon stieben Mann und Hund und Schlitten über den nächsten Hang, schon sind: sie hinter dem nächsten Hügel verschwunden, und nur eine stäubende Fahne von aufgewirbeltem Schnee steht noch für eine Weile über ihrem Weg. Ole ist guter Dinge. Er und der Hund sind ausgeruht, ihre | Last ist leicht. Hinter ihnen liegt eine schwere Zeit. Aber Not und Entbehrung sind jetzt vergessen. Eine gemütliche Hütte mit einem ganzen Warenlager von Lebensmitteln und Leckerbissen wartet auf ihn. Das lohnt schon jede Plackerei, wie jetzt gerade die über das unebene Fjordeis, mit seinen Eiswällen und Preßeisrücken, mit heimtückischen Spalten und trügerischen Waken. Schnaufend und schwitzend, aber unverdrossen, schuftet sich Ole über alle Hindernisse hinweg. Er hat ja ein Ziel! Erst als das südliche Ufer des Großen Fjords erreicht ist, schlägt er an einer geschützten Stelle das Zelt auf, um eine längere Rast einzulegen. Ganz in der Nähe des Lagerplatzes — nicht umsonst hat Ole ihn hier gewählt — ist eine offene Stelle im Eis. Und dort treiben sich Seehunde herum. Auf sie hat es der Jäger abgesehen. Denn
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frisches Fleisch für ein, zwei Ruhetage nach der strengen Fahrt und der Schufterei über den Fjord wird ihm guttun. Außerdem müssen Gards Pfoten, die durch das scharfe Eis wund geworden sind, erst wieder einmal ausheilen. Die Tiere sind seltsamerweise von ungeahnter Wachsamkeit. Durch das Fernglas folgt Ole ihrem Treiben an der offenen Stelle im Eis. Von Zeit zu Zeit tauchen die Tiere auf und schöpfen Luft. Um die Mittagszeit, als die Sonne grell und warm scheint, arbeiten sie sich behend auf das Eis hinauf, halten ein Mittagsschläfchen und lassen sich die warme Sonne auf den Pelz brennen. Es sind fast alles große, wohl 100 bis 200 kg schwere Bartrobben, aber es tummeln sich auch kleinere Robben einer anderen Art herum, sogenannte Fjordseehunde oder Ringelrobben. Während die meisten Tiere ihren kurzen, kaum eine Minute währenden Schlaf halten, äugen andere, wachsam und erhobenen Kopfes, in die Runde, unablässig, ohne Pause. Und jetzt — was ist denn das? Ole schaut angestrengt durchs Glas. Das sind doch Bärenspuren im Schnee, ganz in der Nähe der Wake? Da ist die Wachsamkeit der Robben schon verständlich. Um diese Zeit kriechen die Bärenmütter, nachdem sie ihre Jungen geworfen haben, aus ihren warmenHöhlen, und der quälende Hunger nach der langen, nur hin und wieder zur Nahrungssuche unterbrochenen Winterruhe macht sie gefährlicher denn je. Auch einige Seehunde haben schon geworfen, kleine schneeweiße Junge mit einem seidenweichen Fell. Ole ist Fallensteller genug, um
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die Werte abzuschätzen, die ihm da verlorengehen, weil er mit der Munition sparsam Hingehen muß. Aber etwas zu essen will er haben, frische Seehundsleber. Auch Gard blinzelt sehnsüchtig nach den Robben hinüber, seine Zunge fährt gierig über das Maul. Da kann nur eine List helfen! So macht sich denn der Jäger an die Arbeit. Sorgfältig löst er vom Schlitten einige Leisten los, fügt aus ihnen einen viereckigen Rahmen zusammen. Unter den Rahmen bindet er zwei andere Leisten, so daß er fest auf dem Boden steht und wie ein Schlitten hin- und hergeschoben werden kann. Schließlich spannt er das Stück weißgebleichten Segeltuchs, das sonst die Schlittenladung bedeckt, fest über das Gestell, schneidet in der Mitte ein Loch, groß genug für den Gewehrlauf und zum Visieren, hinein. Jeden Eisblock, jede Pressung als Deckung benutzend, schleicht er dann die Seehunde an. Gard bleibt beim Zelt zurück, aber in zitternder Ungeduld folgt er dem Jäger mit seinen Blicken, und seine Lunte fegt aufgeregt über den Schnee. Als nur mehr blankes Eis zwischen ihm und den Seehunden liegt, stellt Ole das stoffbespannte Gestell zu Boden, legt sich dahinter und kriecht, „robbt“ Zentimeter um Zentimeter vorwärts. Unendlich langsam geht es so weiter, immer gleichmäßig, geräuschlos, ohne eine unbedachte Bewegung. Die Wächter an der Wake haben das weiße, unbekannte Etwas auf der glatten Fläche bald erspäht. Sie werden unruhig, heben die Vorderkörper hoch auf und lassen die flinken
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Äuglein noch wachsamer als zuvor in die Runde gehen. Der Jäger liegt wie tot hinter seinem Schirm. Nicht die kleinste Bewegung verrät Leben. Erst müssen die unruhigen Robben sich an das fremde Ding gewöhnen. Und sie gewöhnen sich bald daran. Vielleicht halten sie es für einen Eisblock. Ein Bär, der einzige Feind hier, den sie kennen und zu fürchten haben, ist es sicher nicht. So kann Ole, empfindlich durchgefroren trotz der dichten Fellkleidung, endlich weiterkriechen. Bis auf 20 Meter schiebt er sich an sein Opfer heran. Denn bei dem Mangel an Munition muß schon der erste Schuß tödlich sein. Wenn auch nur noch eine Spur von Leben im Seehund ist, sucht er sein eigentliches Element, das Wasser, auf. Nur darin ist er seinen Feinden überlegen. Für Ole wäre das Tier verloren. Endlich ist es soweit. Tief holt Ole Luft, reibt sich noch einmal Leben in die froststarren Finger. Als er dann abdrückt, ist ihm die Beute, ein Seehund von mindestens 60 kg Gewicht, sicher. Kaum ist der Schuß verhallt, der Jäger liegt noch immer hinter seinem Schirm, schlägt Gard ganz mörderisch an. Als Ole hochfährt, sieht er gerade noch, wie ein zottiger Bär mit häßlich gelbem Fell keine zehn Schritte hinter ihm durch das Gewirr der Eisblöcke tappt und in einer Höhle verschwindet. „Das war wieder einmal höchste Zeit!“ lacht Sivertsen und pfeift dem treuen Wächter. Wie ein Ball kommt Gard herangesaust und nimmt die Spur des Bären auf. Aber Ole ruft ihn zurück. Er hat keine Lust, diesen alten, stockmageren Burschen zu verfolgen. Der fette Seehund ist ihm lieber. Nur
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widerwillig kommt Gard zurück, tröstet sich aber bald mit dem rauchenden Seehundsblut, das unablässig aus der Wunde rinnt, weithin das Eis rotfärbend. Es folgen drei Tage mit trübem Wetter, mit Schneefegen und Sturm. Diese Tage vertreiben sich Jäger und Hund mit nichts anderem als mit Essen und Schlafen, Schlafen und Essen. Beide fühlen sich wie im Paradies und kommen auf dem Umweg über den gefüllten Fleischtopf wieder richtig zu Kräften. Gard hat sich sichtlich überfressen. Er ist träge geworden, und sein Bauch ist unförmig geschwollen. Aber am Morgen des vierten Tages ist das Feiern zu Ende. „Du willst wohl ewig hier bleiben, alter Fresser!“ lacht Ole fröhlichauf. „Das könnte dir so passen — aber mir noch lange nicht! Ich will nun endlich weiter. Dort drunten, im neuen Lager, können wir faulenzen, solange wir wollen, bis das Wasser frei wird und wir mit dem großen Boot wieder nach Norden segeln können. Junge, Junge, das wird eine feine Sache! Nur noch fünf, höchstens sechs oder sieben Tage, dann sind wir im Schlaraffenland!“ Weiter geht es, der Küste entlang, nach Süden. Das Innere des Landes ist auch hier gebirgig und schwer zugänglich. Warum sollte er sich dort abquälen? Hier an der Küste entlang zieht sich fast ununterbrochen ein fester Eisfuß hin. Allerdings hat das Reisen auf dem Eisfuß entlang des Küstengebirges auch einen Nachteil. Man kann so gut wie gar nicht abkürzen, weil die Gezeitenspalte oft recht breit und auch das Eis auf den vielen, in das Land hineingreifenden Buchten nicht selten von
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kilometerlangen, breiten Spalten durchzogen ist. Bald kommt ein zweiter Nachteil hinzu. Der Ostwind, der während der drei Ruhetage blies, hat auf dem Eisfuß und dem schmalen, steil zur See abfallenden Vorlandsaum eine starke Decke feinen Pulverschnees angehäuft. Darin „schwimmt“ der Schlitten jetzt regelrecht, und der arme Gard rudert verzweifelt und hilflos in den immer wieder nachgebenden Schneemassen. Da muß der Jäger helfen! Mit den breiten Schneeschuhen versucht er, für Hund und Schlitten einen Pfad zu trampeln. Es gibt kaum eine Arbeit, die so anstrengend und auf die Dauer so zermürbend ist wie das Pfadbahnen vor einem Hundeschlitten im tiefen Pulverschnee. Stunde um Stunde stapft Ole schwitzend und keuchend vor Hund und Schlitten her, zieht das eine Bein mit dem langen, schweren Brett aus dem Schnee, hebt das Knie fast bis zum Kinn, beugt sich weit vor, setzt das Brett wieder kräftig auf und holt das andere Bein mit dem zweiten Brett nach. Schritt um Schritt geht das so. Aber wie viele Schritte gehören zu einem Kilometer, und was ist schon ein Kilometer auf solch einer Langfahrt! Als Ole sich am ersten Abend erschöpft neben dem Gespann in den Schnee sinken läßt, ist er nahe am Verzweifeln. Die Muskeln an den Schenkeln sind steinhart geworden, das Kreuz schmerzt unsäglich, am ganzen Körper ist er wie zerschlagen. Dabei hat er heute keine fünfzehn Kilometer hinter sich gebracht. Und es sieht nicht danach aus, als ob es in den nächsten Tagen besser werden sollte.
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Ole verflucht den Tag, an dem ihm die Zeitung mit jenem Bericht in die Hände fiel. Und den Tag, an dem er in die Brandung geriet, und wegen der Erfrierungen, die er sich dabei holte, die beste Reisezeit verpaßte. Wäre er nur zwei Wochen früher aufgebrochen, dann hätte er das glatte, blankgefegte Eis vor der Küste benutzen können. In verbissener Wut reißt er die Ladung vom Schlitten, stellt das Zelt auf, schaufelt ein wenig Schnee dagegen, um es fester zu machen, und kriecht in den Schlafsack. Erst als Gard trotz allen Schimpfens und aller Püffe nicht aufhört, sich seinen wohlverdienten Fisch aus dem Packsack zu zerren, denkt auch Ole ans Essen. Aber zum Kochen oder Braten hat er keine Lust mehr. Widerwillig kaut er an einem Stück Lachs herum, schlürft den brühheißen Kaffee hinunter. Doch als der Rauch der Pfeife in seine Nase steigt, wird er wieder ruhiger, streckt sich trotz seiner lahmen, schmerzenden Glieder wohlig in seinem Schlafsack. Die Sonne scheint schon warm und grell auf das flatternde Zelttuch, als Sivertsen am Morgen endlich erwacht. Er blinzelt in die Helle, die vom Eis widerstrahlt, und schiebt sich die Schneebrille über die Augen. Bald summt der Primus, und der Kaffeeduft zieht belebend durch das enge Zelt. Noch immer an allen Gliedern zerschlagen, mit reißenden Muskelschmerzen, bricht Ole das Zelt ab, belädt den Schlitten, schirrt Gard an, und das Spuren durch den Pulverschnee fängt wieder an. So geht es weiter, Tag für Tag. Aber mehr und mehr meistert der Jäger Unlust und Müdigkeit. Das
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nahe Ziel lockt, immer ungeduldiger treibt er den Hund. Schon malt er sich die Zukunft wieder in den schönsten Farben. Er denkt an Heimkehr und Familie, und ihn ärgert nur, daß er im Vorjahr bei der Katastrophe im Packeis den wertvollsten Teil des Fanges vom ersten Winter, den Sack mit allen Blau- und Weißfüchsen verlor. Bald muß sich alles entscheiden. Immer häufiger vergleicht der einsame Mann die sorgsam verwahrten Skizzen mit der Wirklichkeit. So ganz eindeutig sind diese Zeichnungen aber doch nicht. Der Maßstab ist nicht groß genug, daß er mit unbedingter Sicherheit sagen könnte, hier sei dieses Kap, dort jene Bucht. Jähe Unruhe steigt in ihm auf, die immer größer wird, je näher er dem Ziel zu sein glaubt. Für ihn hängt alles davon ab, diese Hütte mit ihren reichen Vorräten zu finden. All der Hunger, den er bisher überstand, und alle quälende Sucht nach den mannigfachen, langentbehrten Dingen, die daheim zum Alltag gehören, steigern sich in ihm. Die Wünsche jagen sich. Er glaubt auf einmal, einfach nicht ohne Konserven, ohne Kaffee und Tabak auskommen zu können. Zu lange hat er an diesen Dingen nur nippen dürfen. War es ein Glück oder ein Unglück, daß trotz allem ihm immer noch so viel oder so wenig zur Verfügung stand, um das Verlangen und die Gier nach mehr nicht einschlafen zu lassen? Und auf einmal — nie wird er diesen Augenblick vergessen! — auf einmal steht er vor dem Nichts! Nach langem Suchen hat er endlich den Platz gefunden, an dem das Expeditionslager — einmal stand. Schwarze, verkohlte Reste sind das einzige,
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was er unter dem Schnee hervorzerrt. Kein Proviant, kein Brennstoff, keine Munition, keine Boote, nichts! Unter einem Steinmann auf der Landzunge findet er eine verkorkte Flasche mit einem Zettel, auf dem in dürren Worten steht, daß in der Bucht ein Fangschiff einmal Zuflucht vor dem Sturm suchte und daß durch die Explosion eines Primuskochers die Hütte in Flammen aufging. Das Datum der Nachricht liegt schon Jahre zurück. Ole stiert immer wieder auf diese Zeilen, die Buchstaben tanzen vor seinen Augen. Ist das überhaupt möglich, fragt er sich immer wieder, ist das denn möglich, daß zwei Hütten an einem Primuskocher zugrunde gehen? Wurde hier nicht eine elende Räuberei verübt? Nein, Seehundsfänger sind doch Kameraden, die würden nie ... Aber wo sind denn die Boote, ja, wo sind die Boote? Die lagen doch nie in den Hütten, die waren doch irgendwo, hoch auf den Strand gezogen, sicher vertäut? Also haben doch Fahrensleute, haben doch Kameraden diese Schurkerei verübt... Nein, nein ... Einerlei! Alles ist vernichtet. Verkohlte Balken, verbogene Eisenteile starren ihn an. Verzweifelt lacht Ole auf, ja, er lacht, während ihm die Tränen über die hageren Wangen in den verwilderten Bart rinnen. Das hier wären Wände gewesen, zwischen denen er geborgen gewesen wäre, und das hier — er stößt mit dem Fuß gegen einen ausgeglühten Topf —, darin hätte er den ersten Kaffee in seinem neuen Heim gekocht. Vorbei! Alles ist vernichtet. Es ist alles zu Ende. Es war alles umsonst... Soll alles umsonst gewesen sein?
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ALLERLEI IRRFAHRTEN Nach den ersten Tagen hoffnungslosen Brütens und sinnloser Selbstvorwürfe fängt Ole an, die Lage wieder klar und nüchtern zu sehen. Er ist jetzt meilenweit von seiner Hütte, seinen bescheidenen Vorräten und Ausrüstungsstücken entfernt. Die Munition, die er jetzt mit sich führt, wird nicht mehr ausreichen, genügend Wild für seinen Lebensunterhalt zu schießen. Dabei ist er ganz auf das angewiesen, was er fangen und schießen wird. Zudem sieht es mit Wild hier schlechter aus als bei seinem Lager am Langfjord droben. Moschusochsen hat er überhaupt noch keine hier gesehen, nicht einmal Spuren davon, Seehunde und Bären scheinen rar zu sein, und ob die kleinen, reißenden Gebirgsbäche, wenn sie erst offen sind, viel Fische bergen, ist nicht gewiß. Es gibt für ihn nur einen Weg: so schnell wie möglich nach Norden zurück, zum Standlager, zurück zur Tundra am Langfjord und am Großen Fjord! Aber wie zum Hohn hält ihn das Wetter in dieser trostlosen Gegend fest. Unter schweren Seewinden schneit und stürmt es tagelang. Selbst in den Buchten bricht das Eis und gerät in Bewegung. Die schwere Brandung reißt den Eisfuß auf viele Kilometer von der Küste los. Kaum 50 Meter reicht die Sicht. Was bleibt dem Jäger da anderes übrig, als im flatternden, nassen Zelt zu bleiben, zu schlafen, zu essen und zu grübeln? Gard leistet dem Einsamen getreulich Gesellschaft. Auch für ihn ist bei diesem Wetter draußen nichts zu holen.
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Geduldig liegt der große, starke Hund mit dem dichten, warmen Pelz bei seinem Herrn und lauscht der Rede, die der Jäger wieder einmal an ihn hält. „Ja, Gard, diese Langfahrt war nicht nur umsonst — jetzt sitzen wir erst richtig im Dreck. Aber wir müssen wieder raus, und zwar so schnell wie möglich. Wir müssen heim zum Langfjord. Einfach wird das für uns zwei nicht werden. Das Eis in den Buchten ist aufgebrochen, verdammt früh, jetzt, wo der April kaum angefangen hat. Und der Eisfuß ist auch hin. Er wird nicht noch einmal fest genug werden, um uns zu tragen. Aber an dieser Steilküste können wir kaum entlang. Ganz abgesehen davon, daß die glatten Basaltfelsen kilometerweit senkrecht ins Meer stürzen, müßten wir auch zu weite Umwege machen, um alle Buchten auszulaufen... Nun paß gut auf, was ich vorhabe“, fährt der Jäger nach einer Weile fort. „Wir suchen uns hier an der Küste einen Gletscher. Den steigen wir hinauf, bis wir die Höhe der Bergkette erreichen. Die ist zwar mindestens 2000 Meter hoch, und es wird eine tolle Anstrengung geben. Aber wir zwei werden das schon schaffen. Wenn wir nur erst wüßten, wie es hinter den Bergen aussieht. Vielleicht ist da schon das weite Inlandeis, vielleicht kommen neue Bergketten? Wenn wir gleich auf das Inlandeis stoßen, brauchen wir wohl nur noch Nordosten zu gehen, um in den inneren Teil des Großen Fjords zu kommen. Denn genau dorthin müssen wir, verstehst du? Im Innern des großen Fjords ist das Eis noch fest. Da wechseln wir dann auf die andere Seite hinüber und haben nicht mehr weit zu unserer Hütte. Wenn aber hinter
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diesem Bergkamm da oben neue Ketten kommen und neue Täler, nun, dann gibt es sicher auch Moschusochsen, und dann ist uns auch schon wieder für eine Weile geholfen ...“ Endlich legt sich der Sturm. Jetzt gilt es nur noch, einen Seehund zu schießen, um genügend Proviant für die Reise bjs zum Großen Fjord zu haben. Aber es dauert noch einmal Tage, ehe es Ole gelingt, eine mächtige Bartrobbe von mindestens 200 kg zu erlegen. Neu gestärkt — die kalten Tage im Zelt und die Hungerrationen der letzten Zeit hatten den beiden schwer zugesetzt — brechen sie eines Morgens auf. Der Aufstieg über den steilen, zerklüfteten Gletscher ist doch mühseliger, als Ole es sich dachte. Beide schuften von früh bis spät, aber immer neue Eisstürze, immer neue Spalten und Abbruche zwingen zu weiten Umwegen. Schließlich versperrt ihnen ein fast senkrechter Eissturz von wohl 30 Metern Höhe den Weg. Das ist ein Schlag, den Ole nicht erwartete. Enttäuscht hockt er auf seinem Schlitten. „Das hat mir noch gefehlt“, murmelt er verzagt. „Auf jeden Tag kommt es nun an, jeden Tag kann das Eis im Großen Fjord aufbrechen. Und jetzt macht mir am Ende so eine verteufelte Eiswand noch einen Strich durch die Rechnung!“ Er springt wieder auf, läßt Hund und Schlitten zurück und sucht nach einem Weg über die Eismauer. Aber er sucht vergebens. Auch dort, wo der Gletscher an den Felsen stößt, ist keine Spalte, in der man hätte hinaufklettern können. Müde kehrt er zum Schlitten zurück, müde schlägt er das Zelt
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auf, kaut verdrossen an dem gekochten Seehundsfleisch herum und kriecht in seinen Sack. Am andern Morgen fängt er an, mit dem Beil Stufen ins Eis zu schlagen. Bald schmerzt der Rücken, der Schweiß läuft ihm in Strömen übers Gesicht, aber als er etwa zehn Meter Höhe gewonnen hat, stößt er auf ein Querband, das breit genug ist, um bequem darauf stehen zu können. Er steigt hinunter, zieht den Schlitten herauf, pfeift Gard zu sich, der munter über die Stufen hüpft. Weiter geht die Arbeit, aber noch einmal wird es Morgen, bis die ganze Eismauer be-zwungen ist. Und dann steht er zum erstenmal am Rand des Inlandeises. Fast andächtig steht er da, auf einen Skistock gestützt, krault hin und wieder Gard am Kopf und schaut unverwandt über die endlose Weite, die da im strahlenden Sonnenschein unberührt vor ihm liegt. Leicht steigt sie dem Innern zu an. Keine Spur ist zu sehen, kein Laut zu hören. Weiße, erhabene Unendlichkeit! Die Schneekristalle flimmern und funkeln im Licht der Sonne. Fern, fast am Horizont, durchbricht ein runsenbedeckter Felskopf die Eisdecke. Wie eine Insel steht er da, eine Insel in einem endlosen Meer von Eis. Ein scharfer Wind springt plötzlich auf, fegt den Schnee in leichten Dunstwellen vor sich her. Ole erschauert, er ist müde, aber noch will er das Zelt nicht aufschlagen. Er kriecht nur für ein paar Stunden in den Schlafsack, nachdem er notdürftig ein wenig Fleisch gekocht und es halbgar hinuntergeschlungen hatte. Die Unruhe hat ihn gepackt. Er darf nicht zu spät zum Großen Fjord
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kommen. Wenn das Eis schon aufgebrochen ist, ist er verloren. Er muß weiter, mag auch der warme Schlafsack noch so verlockend sein. Zitternd vor Kälte und Übermüdung steht er im scharfen Wind und packt die Schlittenlast zusammen. Stumm und verdrossen, aber in verbissener Energie, bahnt er Hund und Schlitten von neuem den Weg. Nach sechs Tagen steht Ole Sivertsen am Südrand des Großen Fjordes. Aber bereits beim Abstieg über den zerklüfteten Gletscher, der vom Inlandeis zum Meer hinunterfließt, hatte er gesehen, daß auch das Eis im Großen Fjord schon aufgebrochen und in Bewegung geraten war. Meinte er vor wenigen Tagen nicht noch, es wäre das Ende, wenn dieser Weg ihm nicht mehr offenstünde? So rasch geht Ole Sivertsen nicht unter! Nun muß er, auf Biegen oder Brechen, durch eine Wanderung über die Schollen den hier mehr als 100 km breiten Fjord zu überqueren suchen. Nur das Notwendigste seiner Ausrüstung, nur was er selber tragen kann, den Schlafsack, Gewehr, Fernglas, Fleisch für drei Tage, das Beil, einen Topf und einen gefüllten Primuskocher, wird er dabei mitnehmen dürfen. Als er jetzt am Rand des übermächtig breiten Fjordes steht und auf das Knacken und Knistern des langsam treibenden und sich drehenden Eises hört, erinnert er sich eines Abenteuers, das er als Achtzehnjähriger bestand. Damals war der Kutter, auf dem er fuhr, zwischen der Edge-Insel und Westspitzbergen im Eis verlorengegangen. Der Schiffer hatte einen guten Sommer hinter sich, aber die Seehunde wollten nicht alle werden. So wurde die Heimfahrt nach Norwegen Tag um Tag
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verschoben, bis es zu spät war, das Eis von Süden her aus der Barentssee herangesegelt kam und den Kutter mit all seinem Reichtum schon im ersten Ansturm zerdrückte. Da blieb ihnen nur noch der Weg über die schaukelnden, tanzenden Eisschollen bis zur Küste, 30 km unter steter Lebensgefahr, dann winkte die Rettung. Ole aber wollte damals nicht mit leeren Händen nach Tromsö heimkehren, er wurde Gehilfe eines Pelztierjägers, erlebte seinen ersten arktischen Winter und wurde aus einem Seemann zum Fänger. An all das denkt er jetzt wieder, als er, von Gard gefolgt, den ersten Sprung auf eine Eisscholle wagt, die vor der Brandung auf und ab schaukelt. Und weiter geht es von Scholle zu Scholle, über Spalten und Risse und dünne Decken splitternden Neueises. Oft hat er Glück, gerät auf Schollen, die fest und einige Quadratkilometer groß sind, dann aber trifft er auch auf Stellen von vielen hundert Metern Breite, in denen nur Eisbrei treibt. Und dieser Brei trägt nicht einmal einen Hund, geschweige denn einen Mann. Ole weiß sich auch hier zu helfen, sucht eine genügend große Scholle aus und läßt sich auf ihr wie auf einem Floß, mit dem Gewehrkolben rudernd und steuernd, durch den Eisbrei treiben. So ist er in vier Tagen bis auf wenige Kilometer an „sein Land“ herangekommen. Da aber ist das Eis auf einmal zu Ende. Wohl fünf Kilometer weit dehnt sich das offene Wasser zwischen den langsam treibenden Schollen und der Küste, von wahren Gebirgen von Eisbergen unablässig durchpflügt. Wenn die Strömung des freien Wassers nicht zu
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stark ist, überlegt sich Ole, müßte auch die breite Wasserfläche auf einer treibenden Scholle zu überqueren sein. Den Eisbergen wird er dabei schon aus dem Weg gehen ... Eine geeignete Eisscholle aus splitterhartem, blauem Alteis, auf dem in kleinen Tümpeln süßes Wasser steht, ist bald gefunden. In stundenlangem Mühen drückt er sie aus dem Eisgewirr heraus. Aber kaum ist sie ins offene Wasser hineingestoßen, als auch schon die Strömung sie ergreift, ein paarmal rundum wirbelt und schnell abtreibt. Soviel Ole auch mit dem Gewehrkolben zu steuern versucht oder auf der Scholle hin und her läuft, um durch die Gewichtsverlagerung die Richtung auf die Küste zu erzwingen, es ist alles umsonst. Unbeirrt treibt die Scholle dahin, und Ole muß sie treiben lassen. Noch hofft er, daß der Ausgang des Großen Fjords von Eis blockiert sein könnte. Unruhig schaut er mit dem Glas die breite Rinne, in der er treibt, hinunter. Das Glas in seinen Händen zittert, der ganze Mann zittert. Das, was er im Vorjahr so lang ersehnte, offenes Fahrwasser zum Meer hin, das hat er nun, und jetzt ist es sein Verderben. Vom Eis ungestört, verläuft die Rinne ins offene Meer. Von dort aber ist auf solch kleiner Scholle noch keiner je wieder zurückgekehrt. Da kommt auch schon die Mündung des Langfjords. Und dort drüben, ja da liegt seine Hütte. Seine Hütte, ein Dach über dem Kopf, ein Bett mit warmen, dicken Fellen, ein Ofen ... Und er fährt hier auf einer Scholle, dem offenen Meer zu ...
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Als die Scholle in schneller Fahrt um die Landzunge an der Einmündung des Langfjords vorbeitreibt, steht Ole plötzlich in einem scharfen Wind, der aus dem Fjord herausbläst. Es ist der „Langfjordwind“, wie er ihn einmal taufte. „Dieser Wind, wenn man ein Segel hätte!“ schießt es ihm durch den Kopf. Und schon zerrt er, während die Scholle auf den schaumgekrönten Wellen tanzt, seinen Schlafsack auseinander, steht fest auf einen Zipfel, breitet ihn mit den Armen aus, läßt den Wind in dieses primitive Segel greifen. Und es hilft, ja, es hilft! Nur nicht lahm werden jetzt, nur nicht die Arme sinken lassen, wenn sie auch noch so schmerzen und der Krampf in die Muskeln fährt. Mehr und mehr drängt der Langfjordwind die Scholle von dem todbringenden Kurs ab. Wird auch der Wind geringer, je weiter es auf den Fjord hinausgeht, es nimmt doch auch die Strömung nach dem Meer zu ab. Und schließlich stößt das seltsame Floß wieder krachend an den Rand der Eisschollen, die auch hier, 5 Kilometer vom jenseitigen Ufer, noch dicht zusammengedrängt liegen. Drüben aber, mit brennenden Augen schaut Ole über die kaum 3 Kilometer breite Wasserrinne, drüben steht seine Hütte! Vorbei! Nicht mehr dran denken! Er hat keine Hütte mehr. Er hat nur noch ein Zelt dort hinten am Rand des Großen Fjords. Aber vierzehn Tage dauert es noch einmal, bis sich Ole, von Scholle zu Scholle wandernd, sich von rohem Fleisch und rauchendem Seehundsblut nährend, zu seinem letzten Lagerplatz durchgekämpft hat.
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„So, Gard“, meint der Jäger, als er, froh, wieder an Land zu sein, zu Zelt und Schlitten zurückkehrt, „nun müssen wir uns eben hier auf den dritten Winter einrichten.“
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ESKIMOLEBEN Der Juni ist schon lang ins Land gekommen und mit ihm der schöne arktische Sommer eingekehrt. Die Sonne brennt den ganzen Tag vom Himmel, die Bäche brausen vom Wasser des tauenden Schnees, überall auf den Hängen rieseln und murmeln unter den Steinen kleine Rinnsale. Erst schüchtern und vereinzelt, dann immer stärker und bunter, beginnt es zu grünen und zu blühen: über weite Flächen hin leuchten tiefviolett die Steinbrechpolster, die strahlend weißen Sterne der Silberwurz und auf schlankem Stengel die wippenden, zartgelben Köpfdien des arktischen Mohns stehen unter zahllosen anderen Blumen auf den Hängen. Auch die Tierwelt wird wieder reger. Eiderenten, Graugänse, Nonnengänse, Papageientaucher, Alken und Lummen, alle sind auf einmal wieder da und rüsten sich zum Brutgeschäft. Die Möwen brüten bereits, und Ole fordert täglich von ihnen seinen Tribut an Eiern. Die Vögel protestieren zwar heftig und fahren mit ihren Schnäbeln über seine Hände her. Aber was soll er machen? Er muß ja leben! Seine Schlingen aus ungegerbter Seehundshaut fangen nun einmal nicht genug Schneehasen, sie gleiten nicht so leicht wie die geschmeidigen Messingschlingen, die er sonst benutzte. Und auf den krummgebogenen Nagel, der ihm als Angel dient, fallen kaum Fische herein. Da sind die fetten Möweneier eine willkommene Zugabe.
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Tag für Tag streift Ole durch den schmalen Küstensaum und durch das lange, düstere Tal in der Nähe des Lagers. Er lebt wie die Sammler und Jäger der Urzeit, von der Hand in den Mund. Nur daß jene mehr Erfahrung und auch bessere Werkzeuge besessen haben mußten als er. Denn was nützt ihm schon sein Gewehr, für das er noch genau sechzehn Patronen hat? Mit Beil und Messer richtet er auch nicht viel aus, denn Hasen, Enten und Gänse sind inzwischen scheu geworden. Mehr und mehr aber macht ihm seine Gesundheit Sorge. Er wird immer müder, fühlt sich an allen Gliedern wie zerschlagen und hat oft weder zum Gehen noch zum Essen Lust. Die eintönige Fleischkost ist ihm ohnehin zuwider, aber vergebens sucht er hier nach dem Sauerampfer, den er sonst im Frühling und Sommer zu kauen pflegte. Seine zuversichtliche Stimmung ist einer düsteren Schwermut, sein Schaffensdrang einem stumpfen Sichgehenlassen gewichen. Untätig liegt er oft stundenlang auf seinem Lager aus Birken und Weidengestrüpp. Erst als sein Zahnfleisch schwillt, zu bluten beginnt und die Zähne sich lockern, wird er inne, daß er vom Skorbut befallen ist. Frisches Seehundsblut trinken! hörte er einmal einen alten Jäger erzählen. Seehundsblut könnte jetzt noch helfen. Soll er dafür eine seiner kostbaren Patronen opfern? Er wagt es, und der Schuß glückt ihm auch. Doch als er ein paar Hände voll von dem Blut getrunken hat, wird ihm davon so übel, daß er alles wieder von sich gibt. Aber den
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eklen Geschmack des klebrigen Blutes wird er nicht los. Er muß sich wieder und wieder erbrechen. In seiner Verzweiflung schlingt er glitschigen Seetang hinunter, um wenigstens den Blutgeschmack zu vertreiben. Widerwillig kaut er an den dicken, fleischigen, nach Salz und Jod schmeckenden Blättern herum, aber der Tang bekommt ihm ausgezeichnet. Täglich nimmt Ole jetzt davon und merkt zu seiner Verwunderung, daß alle Anzeichen des Skorbuts erstaunlich schnell verschwinden. Nach einer Woche schon geht es ihm merklich besser. Er ist um eine Erfahrung reicher! Ganz unbewußt hat er entdeckt, was schon den alten Isländern bekannt war und was die Eskimos noch heute wissen: daß der regelmäßige Genuß von Seetang den Skorbut verhindert. Mit der neugewonnenen Lebenskraft aber meldet sich auch wieder die Sorge um den Winter. Das Leben von der Hand in den Mund darf er sich nicht mehr länger leisten. Er kann kaum hoffen, daß das Eis des inneren Fjords vor Anfang oder Mitte Dezember so fest liegt, um ohne Gefahr hinübergehen zu können. Aber bis in den Dezember hinein kann er auch nicht mehr in seinem Zelt hausen. Er wird sich eine Gamme bauen müssen. Und Vorräte muß er sammeln, Vorräte an Holz und Nahrung. Wenn er wenigstens Angelhaken hätte! Fische gibt es in den Bächen genug. Aber er hat weder Angelhaken noch Nägel oder Draht, um sich Angeln daraus zurechtzubiegen. Seit Stunden schon sitzt er am Rand eines kleinen Beckens, das
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ein Bach im Felsen ausgewaschen hat und in dem die schönsten Lachsforellen munter hin und her schießen. „Angelhaken“, murmelt er wie ein Irrer immer wieder, stiert auf das Wasser, in dem sich zum Greifen nah die Fische tummeln. Und einmal packt er einen Stein, wirft ihn voll Zorn in das Becken. Als sich die Wellen am Rand verlaufen, sind auch die Fische verschwunden. Dafür starrt ihm aus dem jetzt klaren Wasser ein Gesicht entgegen, vor dem er geradezu erschrickt. Wild sieht er aus. Zu einem dichten Filz sind Bart- und Kopfhaare verwachsen. Wo die Haut herausschaut, ist sie vom Brand der Frühlingssonne kupferrot geworden. Und die Augen, die Entbehrung, die aus ihnen spricht, die Enttäuschung, die sie verraten, aber auch der Trotz, der zähe Wille... Sind das denn seine Augen, ist das noch sein Gesicht? Er schaut an sich herunter. Seine Kleider — er läuft seit langem nur noch im Unterzeug oder in dem zerfetzten Windanzug herum — sind zerrissen und vielfältig mit groben Stichen geflickt. Und um die Füße hat er sich als Ersatz für die Stiefel, die er schonen muß, rohe Seehundsfellstreifen gewickelt. Kreischend fährt eine Möwe über den Jäger hin. Er schrickt zusammen, fährt aus seinem Grübeln auf. Wie hat es angefangen? Was hat er? ... Ja, Angeln braucht er, Angeln. Und da hier weder Draht noch Nägel auf den Bäumen wachsen, muß er eben dorthin gehen, wo sich solche Dinge sicher finden. Er wird — auf einmal hat er sich dazu entschlossen — noch einmal nach dem Süden ziehen, dorthin, wo die Überreste jenes Lagers, das ihn schon einmal lockte, liegen...
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Für diese Fahrt bedarf es keiner großen Zurüstung mehr. Der Jäger nimmt Gewehr und Schlafsack, Beil und Kochtopf auf den Rücken, und Gard erhält ein Bündel in der Sonne getrockneter Lachse aufgepackt. Dann geht es wieder auf die Reise. Bald sind die beiden, Mann und Hund, nur mehr zwei winzige Punkte, als sie sich in der Ferne das steilwandige, sonnenlose Tal hinaufarbeiten ... Unverdrossen schreiten sie aus, waten durch zahllose Bäche, die als Wasserfälle donnernd und schäumend von den steilen, glatten Wänden fallen, arbeiten sich über weite Flächen breiiger Erde und stolpern wieder und immer wieder über zahllose Steinblöcke, die Frost und Wasser von den Felsen sprengten. Ihre scharfen Kanten dringen schneidend durch die rohen Fellstreifen, die Ole um die Füße gewickelt trägt. Aber ohne zu halten, ohne sich umzuschauen, strebt der Jäger dem Talschluß zu. Erst vor dem Gletscher gönnt er sich eine kleine Rast. Zusammengekauert sitzt er auf einem Steinblock vor dem reißenden Gletscherbach, der ihm den Weg versperrt. Früher hat er in solchen Pausen gemütlich Kaffee gekocht und eine Pfeife Tabak geraucht. Jetzt aber hat er weder Tabak noch Kaffee. Er hat, seit langem schon, auch keine Gewürze mehr, hat am Zeltplatz drunten das Fleisch mit Seewasser gesalzen. Aber warum soll er nicht fertigbringen, was ein Eskimo ganz selbstverständlich kann? Wird er nicht einen einzigen Winter ohne die Genüsse der Zivilisation überstehen können? Zivilisation, Kultur? Er lacht laut auf und schaut an sich herunter, an den
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zerrissenen Kleidern, fährt über das verwilderte Gesicht. Nicht Kaffee braucht er jetzt, und nicht Salz, kein frisches Hemd und keine Taschentücher. Draht braucht er, Eisen, um Werkzeuge zu schmieden, um Fallen legen, Fische fangen und sich ein Obdach zimmern zu können. Das alles ist jenseits dieses Baches, hinter jenen Bergen dort zu finden. Vorwärts also, weiter, immer weiter! Schon springt er wieder auf, läuft an dem Bach entlang, um eine Furt zu finden. Schwere Steine wälzt er ins Wasser, will eine Brücke schaffen. Umsonst! Da wirft er einfach seine Kleider ab, hält sie als Bündel mit seinem anderen Gepäck hoch über den Kopf und watet durch das eisige Wasser — bis an die Schultern reicht es ihm — ans jenseitige Ufer. Aber dann beginnt der Aufstieg auf das Inlandeis, zunächst über die blockreichen Moränen, dann durch die endlos hintereinander gestaffelten Klüfte der Gletscherspalten. Trotz seines langen Aufenthaltes in der Arktis ist Sivertsen noch nie das Gefühl der Beklommenheit losgeworden, wenn er im Sommer über einen Gletscher ging. Auch jetzt ist er von dieser Angst erfüllt. Die Gletscher sind ihm unheimlich. Die zahllosen verdeckten Spalten, deren Schneebrücken plötzlich einstürzen und dumpf polternd in einer immer dunkler werdenden bodenlosen Tiefe verschwinden, kaum daß man sie überschritten hat; das Knacken im Eis, das dunkle Brausen von Gletscherbächen unter der Oberfläche, der dumpfe, hohle Ton an manchen Stellen, der sich anhört, als ginge man über ein zu dünn gemauertes Gewölbe, das eine unheimliche
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Unterwelt nur notdürftig verdeckt! Und dann wieder die weiten Flächen von Schneeschlamm, in dem man bis zu den Knöcheln versinkt, in dem jeder Schritt zur größten Mühe wird! Nie hätte Ole sich auf diesen Weg gemacht, wenn nicht sein Wille zum Leben ihn immer weitertriebe. Oder ist es jetzt etwas anderes als kalter, nüchterner Wille, was in ihm steckt? Die Dumpfheit, die über ihm liegt, seit er aus den treibenden Schollen wieder an Land gefunden hatte, hat seinem Handeln etwas Instinktmäßiges verliehen. Er fühlt und wittert mehr, was er tun und lassen muß, als daß er überlegt und denkt und handelt. Und eines Tages steht er ausgehungert, abgerissen auf dem Landvorsprung, auf dem das Lager jener Expedition einmal errichtet war. Anders als im Winter sieht es jetzt hier aus. Wüstes Vorland, ein einziges Schuttfeld nur, dehnt sich vor Ole. Der Schnee ist fortgetaut, und nur ein paar wenige Gräser und Blumen haben sich zwischen den Steinen aus der Erde hervorgewagt. Aber Ole hat jetzt kein Auge für Schönheit oder Kargheit der Natur. Erregt, von Spannung durchzittert, wühlt er in der schwarzen Brandstätte herum. Es kommt wieder Leben in ihn, Hoffnung wacht auf, und die Zuversicht wächst. Da liegt ja mehr, als er vermutet hat: ausgeglühtes Werkzeug, ein alter Gewehrlauf, unbearbeitete Eisenstücke, ein zerfallener Herd, Kochtöpfe, ein alter Anker, eine Menge verrußter, zusammengeschmolzener Konservendosen. Endlich hat er wieder Werkzeug! Er muß zwar alles noch einmal neu glühen, schmieden und härten, doch was zählt diese Mühe jetzt schon.
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Am liebsten hätte er sofort begonnen. Aber zuerst verlangt der Hunger, der in den Eingeweiden bohrt, sein Recht. Eine Kugel muß er opfern — die muß sich lohnen, da die Arbeit, die ihm bevorsteht, ihn mindestens eine Woche hier festhalten wird. Als er nach glücklicher Jagd dann hinter seinem Windschirm sitzt und eine Pfanne mit Seehundsleber über die Holzkohlen von der alten Brandstelle hält, da fühlt er sich schon fast geborgen, und einmal pfeift er vergnügt laut vor sich hin, daß Gard erstaunt die Ohren spitzt. Er spitzt sie noch mehr, als sein Herr, in tiefen Schlaf versunken, zu reden anfängt, von Angeln und Fallen, von der „Hoffnung“ und der Heimat phantasiert... Aus Steinen hat sich Ole einen Herd errichtet. Der alte Anker ist der Amboß, sein eigenes Beil ersetzt den Hammer. Als erstes schmiedet er sich aus dem zerglühten Gewehrlauf ein Blasrohr, um die rechte Glut in den Holzkohlen erzeugen zu können. Und dann geht es erst richtig los. Aus Draht und Nägeln fertigt er Angel um Angel an. Nur das Härten macht ihm Schwierigkeiten. Entweder ist das Eisen nicht glühend genug oder das Abschrecken im Wasser allein genügt nicht, kurz, die Angeln und alles, was er hinterher noch schmiedet, sind zwar scharf, aber nicht hart genug. Alles verbiegt sich zu leicht, und er findet auch kein Mittel, um diesem Mangel abzuhelfen. Dafür schmiedet er aber von allem, was er brauchen wird, gleich mehrere Stücke, außer den Angeln vor allem einige Messer. Er besitzt zwar ein sehr gutes Messer, aber er will ganz sicher gehen, falls er das einzige und für ihn
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unersetzliche Stück einmal verlieren sollte. Er schmiedet auch Harpunen, so scharf, wie er nur kann. Auf sie ist er besonders stolz. Doch als er sie an dem erlegten Seehund ausprobiert, verbiegen sich die Spitzen. Sie sind zu dünn, zu weich, und er muß allen statt ihrer scharfen, speerartigen Spitze eine abgerundete, plumpe geben. Aber auch damit ist wenig anzufangen. Dabei sind die Harpunen seine wichtigsten Werkzeuge, mit denen er im Winter, wenn der Fjord gefroren ist, die Seehunde an ihren Atemlöchern jagen will. Harpunen, brauchbare Harpunen... Von allen möglichen Handwerken versteht er so allerlei, von Schmieden aber augenscheinlich doch zu wenig! Stahl braucht er statt Eisen! Eisenstücke liegen genug herum, aber wie macht man Stahl aus Eisen? Ole stellt alle möglichen Versuche an. Er schreckt das glühende Eisen in Wasser verschiedener Temperaturen ab, nimmt salziges Meerwasser an Stelle des Wassers aus den Bächen. Es ist alles umsonst. Aber hat er nicht überhaupt schon Stahl? Sind nicht die zerglühten Werkzeuge und der Gewehrlauf aus Stahl, zum Teil aus geschmiedetem Stahl, nicht einmal aus Gußstahl? Gleich nimmt er sich die Stücke vor. Aus einer kleinen Feile schmiedet er sich eine kleine Seehundsharpune zurecht. Sie gerät ihm, sie ist scharf, aber auch so spröde, daß sie splittert, als er das Seehundsaas bei seinen Probewürfen einmal verfehlt und die Harpune gegen einen Felsen knallt. Von neuem stellt er Versuche an, unermüdlich, unverzagt, bis er daraufkommt, daß man die fertiggeschmiedeten
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Stücke einfach noch einmal „anwärmen“ muß und daß sie außerdem nicht aus Gußstahl sein dürfen. Dann werden sie hart, aber nicht spröde, dann sind sie scharf, ohne schartig zu werden. Soll er sich jetzt nicht gleich auch neue, harte Angeln schmieden? Ach, er hat genug zu tun, sich drei Harpunen und eine große, plumpe Speerspitze mit breitem Blatt, die man zur Jagd auf Bär und Walroß gut gebrauchen könnte, zurechtzuhämmern. Denn mit dem Schmieden allein ist es noch nicht getan. Alles muß ja auch noch gefeilt und zugeschliffen werden. Das Schleifen hätte Ole zwar am liebsten am Großen Fjord besorgt, aber hier ist es bequemer — hat er doch bei der abgebrannten Hütte auch einen Schleifstein aufgestöbert. Eine Schaufel, eine Fuchsschwanzsäge, ein Beil, ein Hammer, ein überlanges, kräftiges Haumesser reihen sich den Harpunen an. Eine Pfanne und ein Topf dienen bereits seinem „Haushalt“. Ein zweiter Eisentopf und ein paar festere Konservendosen kommen zu dem Haufen — sie sollen später mit Tran gefüllt werden und müssen Licht und Wärme spenden. Wenn Ole müde vom Schmieden ist, sucht er die ganze Nachbarschaft der Hütte und auch den weiten Strand sorgfältig ab. Nie kommt er ohne wertvolle Funde heim: Treibholz für einen neuen Schlitten, für Stiele und Griffe am Werkzeug, Netzreste und mit Garn übersponnene Glaskugeln, „Netzschwimmer“, fischt er auf. Bindfaden und Nähgarn heißt das für ihn. Und einmal findet er bei
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der Hütte eine ganze Rolle dünnen Kupferdraht. Vorsichtig löst er die Isolierung ab: jetzt hat er ja den dünnen, geschmeidigen, leicht gleitenden Draht, so gut fast wie ein Messingdraht, den er zu Schlingen für Schneehasen und Schneehühner so notwendig braucht. Dann aber kommt der Tag, da Ole sich zuversichtlicher als je zuvor, schwer beladen, auf den Weg über das hochliegende Inlandeis macht. Alle Dumpfheit ist von ihm gewichen. Er spürt die Bürde auf seinem Rücken, aber er weiß auch den Reichtum, den er da mit sich trägt, zu schätzen. Jetzt wird er durchhalten bis zum frühen Winter, bis er zu seiner Hütte am Langfjord zurückkehren kann. Der Sommer geht dem Ende zu, als Ole im „Zeltlager“ am Großen Fjord zum letztenmal seine Last von den Schultern wirft. Er gönnt sich keine Ruhe. Wenn seine Angeln überhaupt noch ihren Zweck erfüllen sollen, muß er sofort mit dem Fischfang beginnen. Was macht es, daß er keine Angelruten und keine rechten Schwimmer hat — an diesem Mangel darf der Fang nicht scheitern. Quer über den breiten Gletscherbach, dort, wo er sich, ehe er in den Fjord verläuft, in eine kleine Lagune ergießt, zieht Ole einen langen Riemen aus ungegerbter Seehundshaut. Daran macht er dann etwa zwanzig Angeln mit hölzernen Schwimmern fest, daß sie gerade in der richtigen Tiefe hängen. Um sie zu leeren, bleibt ihm zuerst nichts anderes übrig, als jedesmal durch das eiskalte Wasser zu waten. Aber bald kommt er auf eine bessere
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Methode. Nun wirft er einfach an einem Stein einen zu einer dünnen Leine geschnittenen Streifen Seehundshaut, der an dem Angelriemen befestigt ist, ans andere Ufer. Dann geht er so weit bacheinwärts, daß er, über große Steine springend, trockenen Fußes hinüberkommt. An der dünnen Leine zieht er den dicken Riemen, an dem die Angeln hängen, zu sich her, nimmt die Fische ab, wirft den Stein wieder zurück und legt die Angeln auf die gleiche Weise wieder aus. Das kostet ihn zwar viele Wege, und einige Angeln geraten stets auch durcheinander, aber das tägliche Durchwaten und Durchschwimmen des kalten Wassers ist er los. An einer flachen,aber strömungsreichen, unruhigen Wasserstelle legt er noch einen zweiten Fangplatz auf dieselbe Weise an. Der Fang ist zwar nicht überwältigend groß, aber der Vorrat wächst. Tag für Tag wird die Beute gleich verarbeitet. Ole schneidet die Fische am Rücken auf, entgrätet sie auf die bequemste Weise, schlitzt ihren Bauch auf und holt die Eingeweide heraus. Mit eingedampftem, besonders salzhaltigem Wasser reibt er die Fische dann ein und läßt sie auf besonnten Felsen unter fleißigem Wenden trocknen — Klippfisch wird später einmal auf seinem „Speisezettel“ stehen —, oder er läßt sie ungesalzen, auf Seehundshautstreifen aufgereiht, in der trockenen Luft zu einer Art von Stockfisch dörren. Das alles macht kaum Arbeit. Schwieriger hat es Ole schon mit dem Räuchern der in eingedampftem Wasser gesalzenen, leicht vorgetrockneten Lachse. Er hat sich eine kleine Räucherkammer aus Rasenplaggen und Torf
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gebaut, aber das Feuer zu unterhalten, das zwar stark rauchen, doch nur wenig brennen soll, macht ihm Mühe. Aber schließlich geht es um seinen Räucherlachs, der ihm im Winter als „täglich Brot“ wird dienen müssen. Was zählen da vom beizenden Rauch ständig entzündete Augen viel!
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IN DER GAMME Der Sommer ist gegangen, und auch der kurze Herbst neigt sich dem Ende zu. Tage mit wenigen warmen Sonnenstunden wechseln jetzt mit Tagen, an denen es unablässig regnet, schneit und stürmt. Der Sturm schlägt dann die Fetzen des Zeltes, daß Feuchtigkeit und Kälte überall hereindringen. Das Feuer glimmt und schwelt nur noch und verbreitet beißenden Rauch statt wohliger Wärme. Frierend hockt der Jäger in seinem feuchten Schlafsack und näht mit froststarren Fingern an seiner Winterbekleidung. Nur gut, daß es in den von Menschen unbewohnten Teilen der Arktis keinen Schnupfen gibt! Dafür meldet sich immer stärker die alte Pelztierjägerkrankheit, das Rheuma, das in Oles Muskeln wie mit Zangen reißt und zerrt. Bis Ole sich eine Hütte aus Schneeblöcken, wie die Eskimos sie haben, ein Iglu, errichten kann, hat es noch gute Weile. Er braucht dazu den festen, harten Schnee, aus dem man Blöcke schneiden kann. Unter den Trümmern, die einmal sein Zelt waren, kann er indessen nicht mehr lange hausen. So bleibt ihm denn nichts anderes übrig, als eine Hütte aus Steinen und Rasenplaggen, eine Gamme, zu errichten, wie er schon eine am Lagerhaus bei seiner Hütte am Langfjord stehen hat. Der Boden ist schon leicht gefroren, als er beginnt, die Wände aufzustellen. Nur langsam geht die Arbeit voran. Das Dach will ihm schon gar nicht glücken. Was er versucht, ein rundes oder spitzes
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Dach — nichts hilft, immer wieder stürzt sein Bau zusammen. Da wird er eben statt eines festen Daches die Zelttuchreste und einige Felle über das Mauerwerk spannen müssen. Aber liegt nicht drunten am Strand ein Walskelett? „Wenn ich die mächtigen Walrippen hier hätte“, geht es ihm durch den Kopf, „könnte ich sie ja als Dachsparren benutzen! Wenn ich sie nur schon hier hätte ...“ Von Gard begleitet, macht er sich auf den Weg. Stunde um Stunde ziehen die beiden am Strand entlang — dreiStunden hin, drei Stunden zurück, das macht zwei Rippen am Tag, rechnet sich Ole aus. Die Brandung rollt weit den Strand hinauf, wirft Steine, Tang und Muscheln vor sich her. An den Klippen springt weißleuchtender Gischt auf. Schwarzgrau und drohend jagen tiefliegende Wolken dahin. Das Gerippe ist bald gefunden. Zu einem guten Drittel ist es allerdings von Kies und Sand zugeschwemmt. Mühsam legt Ole eine der mächtigen Rippen frei und löst sie mit der Axt von den Knorpelwülsten des Rückenwirbels. Da hört er plötzlich hinter sich ein lautes, tiefes Brüllen. Erschreckt fährt er zusammen, packt das Gewehr. Nichts ist zu sehen, weder im Wasser noch an Land. War das vielleicht ein Bär? Nein, dieses Brüllen konnte kaum von einem Bären kommen. Was aber ist es?... Da, auf einem Felsenriegel steht Gard, starrt mit gesträubtem Nackenhaar nach Westen hin. Und wieder läßt sich das urgewaltige Gebrüll vernehmen. Es übertönt Brandung und Wind, und auch der Schneeschleier, der vom Sturm durch die
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Luft getrieben wird, verschluckt die Töne nicht. Das können nur Walrosse sein! Nur sie haben in diesen Breiten eine solche Stimme. Schnell läuft der Jäger zu seinem Hund hinüber. Und richtig, da liegt eine ganze Herde am Strand, schwarz und naßglänzend, sich wälzend und stoßend. Der Bulle aber, ein zum Erschrecken riesiger Kerl, brüllt, daß es weithin dröhnt und das Echo sich hallend an den Felsen bricht. Schon hat Ole die Büchse hochgerissen und legt auf eines der Tiere an. Aber dann siegt doch die Vernunft über die Jagdleidenschaft. Das selbstgegebene, eiserne Gesetz! Nur wenn sein Leben bedroht ist, darf er jetzt noch eine Kugel opfern. Ob eine Kugel hier überhaupt genügen würde? Er hat Walrosse bisher noch nie mit dem Gewehr gejagt, sondern stets nur mit dem gedrungenen, kurzen Walroßspieß mit einer plumpen, aber haarscharfen Spitze. Das ist freilich lange her. Damals fuhr er noch auf einem Seehundsfänger nach Spitzbergen, und bei Graahuk, bei Verlegenhuk und an der Küste von Nordostland war er mit seinen Kameraden gelegentlich auch auf große Walroßherden gestoßen und hatte manchen Strauß mit ihnen bestanden. Wenn er jetzt einen Spieß hier hätte! Er wollte seine alte Kraft und Geschicklichkeit noch einmal probieren! Aber es wird ja nicht das letzte Mal sein, daß er die Tiere hier trifft. Leise zieht er sich wieder zurück, lastet sich die schwere Walfischrippe auf die Schulter und schleppt sie nach Hause. Kaum ist er heimgekehrt,
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holt er auch schon den Spieß hervor, den er im Süden schmiedete, und fährt prüfend mit dem Daumen über die Schneide. Er hat zwar alle Kunst aufgewandt, um ein ordentliches Blatt zurechtzuschlagen, aber nun, da er es einmal wird gebrauchen können, kommt ihm die Sache doch bedenklich vor. Der aus Treibholz geschnitzte Schaft taugt auf jeden Fall nicht viel. Drei Ellen lang wie bei einem richtigen Walroßspieß ist er wohl, er hat auch die richtige Dicke, aber er besteht aus leichtem, von langer Irrfahrt im Wasser gebleichtem und zerfasertem Tannenholz, und nicht aus saftiger Birke. „Aber Birke hin, Birke her“, tut der Jäger alle Bedenken ab. „Ich wickle einfach kreuzförmig frische, nasse Seehundshaut rund um den Schaft, dann wird er wohl auch stark genug!“ Das Dach der Gamme ist vergessen, die Jagd geht vor. Wenn der Wind in das dachlose Mauerwerk hineinfährt, dann schauert Ole wohl, aber er tröstet sich mit dem Gedanken an das Fleisch und Fett, das ihm ein einziges Walroß liefern wird. Bald ist Ole wieder auf dem Weg zum Strand. Behutsam schleicht er sich an den Felsriegel heran, unter dem am Morgen noch die Tiere lagen. Der Vorsicht hätte es nicht bedurft — der Platz ist leer. Mißmutig schultert Ole seinen Spieß, lädt sich noch eine Rippe auf und trabt zurück. Zwei Tage wartet er umsonst auf seine Beute. Aber beharrlich schleppt er den kurzen Spieß mit sich herum, bis er die Herde wieder an der alten Stelle findet. Die schwarzglänzenden Kolosse liegen schlafend auf dem Kies am Strand. Ein kurzes Zeichen, und Gard kuscht lautlos, wenn auch sichtlich
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unzufrieden. Ole aber huscht zu der Herde hinüber. An den ruhenden Leibern vorbei schleicht er den Bullen an. Alles bleibt still, nur die Brandung rauscht, und einige Möwen kreischen in der frostklaren Luft. Da stolpert Ole über eine Grube, ein paar Steine klirren, und schon fährt, aus dem Schlaf geweckt, hellwach die Herde hoch. Ole, schon wieder auf den Beinen, packt den Spieß mit beiden Händen. Er muß den Bullen kriegen! Während die Kühe und Kälber ringsum schon platschend und brüllend vor Angst und Zorn ins Wasser stürzen, springt Ole blitzschnell vor dem Bullen hin und her, weicht immer wieder geschickt den Hieben der mächtigen Hauer aus und späht nach einer Gelegenheit, dem Bullen das scharfe Speerblatt kurz unterhalb des faltigen Nackenansatzes ins Genick zu stoßen. Da kommt auf einmal Gard wie ein Strich herangefegt, springt mutig auf das unbekannte Ungeheuer los. Das Walroß läßt von Ole ab, stößt mit den Hauern nach dem zurückspringenden Hund. Da fährt ihm krachend der plumpe Spieß durch die dicke Haut, fährt hinein ins Herz, daß das Blut wie aus einem Brunnen schießt. Einen Augenblick noch steht der Riese unbeweglich da, dann zittert er — zittert immer stärker, bis er, wie von einer Riesenfaust gefällt, zusammensinkt. In wilder Freude tanzt Ole um das Tier. Ja, die alte Kraft und Wildheit steckt noch in ihm! Er hat ein Walroß erlegt, er ganz allein, mit einem selbstgeschmiedeten Spieß und ... Ja, Gard hat geholfen, Gard ist sein Kamerad. Mit seinem langen Messer schneidet Ole das Speerblatt wieder
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heraus. Dabei fällt mancher Fetzen Fleisch für Gard ab, den er, der ewig Hungrige, gierig verschlingt. Aber auch in Ole meldet sich der Hunger an. Walroßbraten, hm ... Ein wenig Treibholz hat er bei dem vergeblichen Suchen nach der Herde in den letzten Tagen ja aufgelesen. Das wird, durch Birken-und Weidengestrüpp vermehrt und zusammen mit dünnen Streifen von Walroßspeck wohl ausreichen, um einen kräftigen Imbiß zu bereiten. Ein großes, drei Finger dickes Stück schneidet Ole aus dem Rücken des toten Bullen heraus, durchbohrt es an zahlreichen Stellen mit dem Messer und zieht passende, nicht zu dicke Streifen Walroßspeck hindurch, bis ihm das Fleisch gut genug gespickt scheint. An einer windgeschützten Stelle setzt er das Holz in Brand und hält den Braten an einem Holzspieß darüber. Aber als der Duft des über der Flamme langsam röstenden, saftigen Stückes in seine Nase steigt, hält er es nicht mehr länger aus, er muß immer wieder einmal einen kleinen Streifen abschneiden und probieren, bis schließlich, noch ehe der Braten gar ist, der Spieß halbleer über dem Feuer liegt. Nach dem Essen wartet auf Ole allerdings Arbeit genug. Ein Walroß aus der Decke zu nehmen, ist eine Arbeit, die eigentlich mehr als einen Mann erfordert. Ole muß sich damit begnügen, den Bullen stückweise abzuhäuten und zu zer-legen. Stunde um Stunde vergeht. Aber dafür häufen sich Fleisch und Speck zu einem wahren Berg. Natürlich kann er diesen Vorrat jetzt nicht zum Lager schaffen. Er muß warten, bis genügend Schnee liegt, um seinen
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Reichtum mit dem Schlitten wegzubringen. Also heißt es, Vorratskammern anzulegen. Ein geeigneter Platz ist auf dem Felsriegel am Strand, von dem aus er die Walroßherde zum erstenmal sah, bald gefunden. Dorthin schleppt er das Fleisch, das in der frostigen Luft schon völlig ausgekühlt ist — es wird nicht mehr verderben können. In vier Depots, zwei für Fleisch, zwei für Speck, bringt Ole die Beute unter. Alles deckt er sorgfältig mit Steinen ab, wälzt außerdem noch Felstrümmer, so schwer wie er sie nur heranwuchten kann, dagegen. Denn Bären gibt es hier gewiß genug, für die wäre ein solches Lager wahrhaftig ein gefundenes Fressen! Müde von der Plackerei hockt der Jäger auf einem Block. Gard liegt zu seinen Füßen, läßt sich den Kopf kraulen und seufzt hin und wieder behaglich auf. Mechanisch greifen Öles Hände einmal in die Tasche, um Pfeife und Tabak hervorzuholen. Aber die Tasche ist leer. Sein Blick geht nach Osten, dorthin, wo der Fjord in das Meer übergeht. Mitte Oktober ist es jetzt, und wieder ist kein Schiff gekommen. In den letzten Wochen hat er kaum mehr an die „Hoffnung“ und ihren Schiffer gedacht. Ja, jetzt könnte er längst in der Heimat sein, bei Frau und Kindern. In dem kleinen, rasengedeckten, rot und weiß gestrichenen Haus am Fjord im Tromsgau. Aber er ist der Gefangene des Packeises geblieben. Ob er überhaupt noch einmal loskommt aus diesem Kerker? Was ist mit Hansen und der „Hoffnung“?
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„Ja, „Hoffnung“ ist ein schöner Name für so ein Schiff, aber mir hat es nur Enttäuschung gebracht ... für mich gibt es keine Hoffnung mehr...“ Schwer geht sein Atem. Mit seiner rissigen Hand fährt er sich übers Gesicht. Nein, nicht nachgeben, nicht aufgeben, noch atmet er, noch lebt er, noch darf er hoffen... Im Osten, nach dem Meer zu, steigt langsam ein heller Fleck am Himmel auf. Die Wolken zeigen zarte rote Bänder. Und dann taucht, voll und groß und weithin leuchtend, die Scheibe des Mondes über einem Bergkamm auf und ergießt ihr unwirkliches Licht über das Land und über die weite, schwarze Fläche des gewaltigen Fjords. Im Westen aber, weit über dem Inlandeis, ist die Sonne vor noch nicht langer Zeit zur Ruhe gegangen. Die Berge dort liegen unter dem Puder der ersten Schneefälle. Bald sinkt die Dämmerung auch auf sie herab. Stahlblaue Wolkenbänder schweben über ihnen, gehen langsam in ein sattes, tiefes Violett und schließlich in hauchzartes Purpur über. Lange schaut Ole in dieses Spiel der Farben. Er sieht es nicht zum erstenmal, er kennt es von früher her, von herbstlichen Schneehuhnjagden auf den endlosen Vidden Finnmarkens. Indessen — noch nie hat er es jemals so bewußt erlebt, so andächtig fast, wie an diesem Abend. Hat er Heimweh? Ach ja, er hat Heimweh ... Aber bald treibt die Kälte den Jäger wieder aus seinen Gedanken auf. Müde kehrt Ole mit der letzten Walrippe und einem tüchtigen Streifen Fleisch zum „Zeltlager“ zurück. Er ist nun fast zwei
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Tage nicht mehr von den Beinen gekommen, und kaum daß er, schon im Schlafsack liegend, ein paar Happen geräucherten Fisch gegessen hat, schläft er auch schon ein. Ob er nun zehn oder zwanzig Stunden geschlafen hat — er kann es nicht sagen, als er endlich wieder erwacht. Er liegt unter einer dicken Schneedecke begraben und starrt geradewegs in das Geistern eines Nordlichtes hinein. Einzelne Sterne funkeln am Himmel, und hin und wieder dringt der Mond durch segelnde Wolken. So früh ist Ole der Schnee nun doch nicht willkommen! Es wird höchste Zeit, ein Dach über dem Kopf zu haben. Schnell springt er auf, schüttelt den Schnee von Fellen und Kleidern, facht ein Feuer an, hängt den rußigen Eisentopf mit Wasser und einem fetten Walroßfleischstück über die Flammen und macht sich an den Bau des Daches.Die Walrippen sind zwar nur ein notdürftiger Behelf, aber schließlich sind sie besser als gar nichts. Und als sie endlich mit Steinen und Rasen abgedeckt sind und nur noch ein kleines Loch zum Abzug des Rauches frei geblieben ist, da fühlt sich Ole zuerst ganz wohl in seiner Höhle. Fertig ist er allerdings noch lange nicht. Erst muß er Schnee gegen die Wände werfen, um alle Fugen dicht zu machen, und einen Fußboden aus gefrorenen Rasenstücken und Steinplatten muß er noch legen, bevor er Reisigstreu darüber breiten kann. Aber wohnlich wird es trotz allem nicht. Das Reisig im Feuer raucht so stark, daß Ole sich vor Husten kaum zu helfen weiß und oft halb erstickt ins Freie rennt. Aber wozu hat er den großen Eisentopf und
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die Büchsen von seiner Langfahrt aus dem Süden mitgebracht? Bald ist der Hafen mit geschmolzenem Walroßspeck gefüllt, aus Zeugfetzen werden Dochte gedreht, und die neue Heizung und Beleuchtung ist fertig! Langsam und stetig brennen die Flammen. Sie leuchten und wärmen zur gleichen Zeit, und Ole nimmt den süßlichen Geruch des Trans und den Ruß gern in Kauf. Die Tranlampe hat auch sonst ihre Vorteile. Wenn Ole aufpaßt und nur ab und zu ein paar Fetzen Speck neben die Dochte legt, dann brennt die Flamme unentwegt. Die Hitze sorgt von selbst dafür, daß der Speck schmilzt und immer neuer Tran in die Dochte gesogen wird. Auf diese Weise geht die Flamme nie aus, und Ole spart seine Streichhölzer. Als er vor gut einem halben Jahr zu der unseligen Langfahrt nach dem Süden aufgebrochen war, da hatte er noch reichlich Zündhölzer mitnehmen können. Inzwischen sind sie fast zur Neige gegangen. Ohne Feuer aber wäre er im arktischen Winter dem sicheren Tode preisgegeben. Nun, diese Gefahr ist jetzt, seit er den „Dauerbrenner“ in Betrieb genommen hat, gebannt. Heftige Schneestürme rasen über das tote Land. Im Fjord drunten tobt und kocht es, das Brüllen der Brandung dringt selbst durch die dicken Mauern der Gamme. Ole ist gerade mit einer schweren Schlittenlast von Speck und Fleisch von seinen Depots gekommen. Er hat sich ein wenig verspätet, weil er in der Nähe seiner „Vorratskammern“ auf Bärenspuren gestoßen war. Aber die Bären selber
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hatte er nicht zu Gesicht bekommen. Nun ist er froh, wieder in seinem Unterschlupf zu sein. Sorgfältig läßt er das Seehundsfell, das ihm als Türe dient, herunter, schichtet Reisig gegen die Türöffnung und legt ein paar Steinplatten dagegen. Mit Behagen horcht er auf das Brausen und Pfeifen, Orgeln und Stöhnen des Sturmes vor seiner Hütte. Das geht ihn nun nichts mehr an. Er hat Fleisch als Nahrung, Speck zum Heizen, und schlafen und dösen kann er tagelang, wenn es darauf ankommt. Er ist ein alter Fangstmann — Langeweile kennt er nicht. Einmal hat aber selbst ein Ole Sivertsen ausgeschlafen. Als er versucht, noch einmal eine Schlittenlast mit Fleisch und Speck heranzuschaffen, treibt ihn der Sturm, der unvermindert tobt und rast, nach wenigen hundert Metern schon in sein Loch zurück. Ausgerechnet auf dieser kurzen Strecke, in diesen wenigen Minuten, mußte sein Schlitten, über eine vereiste Bodenschwelle holpernd, in einen schmalen Felsenriß hinuntergleiten. Als er ihn wieder hochzuzerren suchte, verklemmte sich das Fahrzeug in der engen Spalte, und einige Spanten brachen. Nun, dieser Schlitten war, nach den Strapazen der Jahre hier, ohnehin ein halbes Wrack. So entschließt sich Ole jetzt, ihn sorgfältig in seine Einzelteile zu zerlegen und von neuem zusammenzubauen. Unter den wenigen Stücken Treibholz, die er im Lauf der Zeit gefunden hatte und wie kostbare Edelsteine aufbewahrt, sucht er die besten heraus, nimmt die brauchbarsten Teile
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des alten Schlittens und schnitzt alles sorgfältig mit dem Messer zu. Den vier Spanten und den beiden schneeschuhbreiten Kufen gilt seine besondere Sorge, sie haben ja die Hauptlast zu tragen. Schließlich müssen die Kufen vorn und hinten über Wasserdampf gebogen werden, damit sie nirgends hängenbleiben. Und am Ende verbindet er die einzelnen Stücke, Kufen, Steven, Spanten, mit ungegerbter, enthaarter Seehundshaut fest miteinander. Das wird den Schlitten, der nicht nur über spiegelglatte Eisfelder, sondern auch über unebenes Gelände, über Preßeis und notfalls über Steine gezogen werden muß, in den Verbindungsstücken gut federn lassen. Er ist zwar nicht aus Esche oder Hickory gebaut, aber er ist leicht und fest, daß er schon manchen Stoß vertragen wird. „November“ hat Ole jetzt über den Rußstrichen auf einer Robbenhaut stehen, mit denen er, in Siebenergruppen, die vergehenden Tage und Wochen vermerkt. An der Küste hat sich bereits ein breiter Eisfuß festgesetzt. Das Land liegt unter tiefem Schnee begraben. Die Sonne kommt schon lang nicht mehr über die Berge im Süden. Alles Leben scheint erstorben. Nur ein paar Füchse schleichen auf der Suche nach Abfällen zutraulich um die Gamme herum. Ab und zu fliegt mit lautlosem Flügelschlag eine Schnee-Eule vorüber. Gard zieht den neuen Schlitten zum Depot, wo Ole wieder Vorrat holen will. Eine böse Enttäuschung erwartet ihn: alle Depots sind aufgebrochen! Weithin im Schnee liegen Fleisch und Speck
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verstreut. Und viel ist angefressen und besudelt worden. Hier haben Bären gehaust! Und Füchse haben mitgeholfen! Er sieht es an der Losung, dem Kot der Tiere, der überall herumliegt. Die blasse Wut schüttelt den Jäger. Er liest zusammen, was zu retten ist, packt auf und fährt zur Gamme zurück. Als er dort alles in den Lagern, in denen er seine Fische liegen hat, verstauen will, zeigt sich, daß auch hier schon geräubert worden war. Von nun an legt sich Ole auf die Lauer. Und eines Nachts, der Mond scheint über das verschneite Land, sieht er einen Fuchs heranschnüren, sieht ihn sich Einlaß in sein Lager verschaffen und nach einiger Zeit mit einem geräucherten Fisch wieder zum Vorschein kommen. Vorsichtig nach allen Seiten sichernd, schleppt der Fuchs die Beute über den Schnee und verschwindet in dem Blockgewirr am Eingang des Tales. „Na warte, mein Freundchen!“ murmelt Ole durch die Zähne, greift eine Harpune und folgt der Spur des Fuchses. Bald hat er sein Versteck gefunden, hetzt Gard unter die Steine und schlägt dem Fuchs, als er herausstürzt, die Harpune über den Rücken. Als er dann das Lager des Diebes auseinanderreißt, traut Ole seinen Augen nicht! Da ist unter den Felsblöcken das reinste Warenlager. Fische, Schneehühner, Enten, Gänse, selbst Eier liegen hier über- und durcheinander, zum Teil schon angefressen und beschmutzt, zum Teil aber auch noch unversehrt und selbst für den Jäger genießbar. Nun wundert Ole sich nicht mehr, daß die Blau- und Weißfüchse
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den arktischen Winter so gut überstehen. Wenn die sich wie die Menschen Lebensmittellager halten ... Planmäßig sucht Ole in den nächsten Tagen nach solchen Fuchsverstecken, stellt auch den Füchsen selber fleißig mit Fallen aus Steinplatten und Schlingen nach. Fünf Lager findet er in kurzer Zeit, zwölf Füchse, darunter allein fünf Blaufüchse, bringt er als Beute heim. Von nun an bleiben seine Lager vor nächtlichen Besuchen verschont.
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DIE BÄRENHÖHLE UND DAS IGLU Die Bären hatte Ole inzwischen nicht vergessen. Oft war er unterwegs, aber die Spuren wären stets verweht. Als aber jetzt bei leichtem Frost ein langer Schneefall niedergeht und eine dichte Decke über das Land legt, nimmt er seine Büchse und bricht mit Gard von neuem auf. Am zweiten Tag sind die ausgelegten Köder angenommen. Jetzt kann die Jagd beginnen. Tief sind die Spuren, denen Ole folgt, in den frischen weichen Schnee getreten. Mühsam genug geht es ja. Hätte er noch seine alten Schneeschuhe gehabt, wäre er wohl besser vorangekommen. Mit den selbstgeflochtenen Schneereifen aus Weidenreisig und Seehundshaut aber wird die Verfolgung zu einem ermüdenden Treten und Stapfen. Unbeirrt folgt Gard den Spuren, auch dort, wo sie stellenweise verweht und kaum mehr zu erkennen sind. Ole hat ihn angeschirrt. Ein doppelter Riemen wie beim Schlittengeschirr geht um die Brust des Hundes, im Nacken ist der Handriemen des Jägers festgemacht. Ole muß ihn sich fest um seine Fausthandschuhe wickeln, damit ihm der Hund in seinem Eifer nicht durchgeht. Nach zwei Stunden führen die Spuren vom Ufer weg in eine enge Seitenschlucht hinein. Große, wild übereinander-getürmte Steinblöcke erschweren den Weg. An einer Stelle ist fast die ganze Schlucht von den Eissäulen und Schleiern eines breiten, erstarrten Wasserfalls versperrt. Einige der Zapfen sind von der Steilwand abgestürzt und
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haben ihre Trümmer über die ganze Breite der Schlucht verstreut. Einen versteckteren Zugang zu seiner Winterhöhle konnte sich Meister Petz kaum aussuchen! Auf einmal stutzen Mann und Hund. In einer großen, festen Schneewehe gähnt ein schwarzes Loch. Steinhart gefrorene Bärenlosung liegt davor, und überall im Schnee sind Fährten und Kratzspuren zu sehen. Aus der Höhle selber kommt scharfer, beizender Raubtiergeruch. Sie sind am Ziel! Die Höhle ist zweifellos besetzt. Gard ist wie außer Rand und Band, der Jagdeifer läßt seinen ganzen Körper zittern. Nur Ole ist ruhig wie immer, und ruhig schirrt er den Hund los. Wie ein Blitz ist Gard in dem dunklen Loch verschwunden, aber wie ein Blitz kommt er auch jaulend und kläffend wieder heraus. Aus dem Innern der Höhle kommt kurzes, unwilliges Fauchen. Ganz kurz durchfährt den Jäger der Gedanke, daß ja auch mehrere Bären in der Höhle sein könnten. Aber es bleibt ihm keine Zeit, sich diese Lage auszumalen, denn schon taucht der spitze Kopf eines Bären mit zornfunkelnden Augen in dem dunklen Schlund auf. Wieder fährt Gard mit kurzem Bellen vor, aber er verhält sogleich, als der Bär den Rachen öffnet, die fingerlangen gelben Eckzähne zeigt und ein Gebrüll von solcher Wut ausstößt, daß es in der engen Schlucht widerhallt.Ein paar Schritte vor der Höhle ist Ole auf die Knie gegangen. Jetzt reißt er das Gewehr an die Backe und — nein, er drückt nicht ab. Wenn er den Bären, der noch halb in der abschüssigen Höhle liegt, jetzt
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schießt, bekommt er ihn nie aus dem Loch heraus. Und außerdem — der Bär soll ihm gegenüberstehen, er will mit diesem Räuber kämpfen! Wild, verbissen, wie in einem Rausch, springt Ole wieder auf. Da stolpert er, stürzt rücklings über einen Stein, der Lauf des Gewehres fährt tief in den Schnee. Aber da ist der Bär auch schon aus der Höhle herausgekrochen und steht nun fauchend, mit weit aufgerissenem Radien, auf den Hinterpranken wie ein Riese vor dem Jäger. Von plötzlicher Angst gelähmt, liegt Ole am Boden, einen Arm wie schützend vors Gesicht gezogen. Es ist aus... Mit einem einzigen Prankenhieb wird ihn der Bär zerschmettern ... Die nächsten Sekunden dünken ihn Ewigkeiten. „Schluß jetzt, Schluß! mach endlich ein Ende!“ hämmert es in seinem Gehirn. Aber Gard, ja Gard ist noch da. Wie ein Ball federt er auf den Bären zu, beißt ihn so wild in die Seite, daß die Bestie vor Zorn und Schmerz laut aufbrüllt und sich dem Hund zuwendet. Doch seine Pranke fährt ins Leere — Gard ist schon wieder verschwunden. Aber dieser Augenblick hat für Ole genügt, wieder aufzuspringen und das Gewehr aus dem Schnee zu reißen. Einen Herzschlag lang sehen sich jetzt Mann und Raubtier in die Augen. Der stinkende Atem des Tieres fährt dem Jäger beißend ins Gesicht. Schon will Ole schießen, da läßt der Bär sich plötzlich auf alle viere fallen, tappt, zornig fauchend, auf den Jäger zu. So geschickt geht er vor, daß er weder Schulter noch Flanke bietet. Ole
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tritt einen Schritt zurück, noch einen, er darf nur eine Kugel opfern, und die muß tödlich sein... Oles Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Der Bär zwingt ihn dauernd im Kreis herum. Und Ole muß rückwärts gehen, jeden Augenblick kann er in dem Gewirr von Eis- und Steintrümmern von neuem stürzen. Der Bär dagegen gleitet geschmeidig federnd über alle Unebenheiten hinweg. Endlose Minuten dauert dieses Spiel bereits, als plötzlich Gard, der wie ein Luchs den Schritten der beiden folgt, dem Bären wieder an die Hinterbeine fährt. Überrascht, erschreckt fährt das Tier herum — da hat Ole auch schon die Waffe hochgerissen, der Schuß kracht, und ehe das Echo von den Wänden kommt, hat der Bär den letzten Atemzug getan. Vorsichtig kriecht Ole in die Höhle hinein. Die ersten engen zwei bis drei Meter führen leicht abwärts, dann aber geht es steil hinauf, bis Ole ein bis anderthalb Meter über dem tiefsten Punkt der ersten Strecke auf das eigentliche Bärenlager stößt, so groß, daß er ausgestreckt darin liegen und bequem aufrecht darinsitzen könnte. Herrlich warm ist es in dieser Höhle. Wenn nur der bestialische Gestank nicht wäre! Es würgt den Jäger, und Übelkeit steigt in ihm auf. Nur wieder hinaus, ins Freie! Frische Luft! Luft! Während Ole den Bären aus der Decke schlägt, gehen seine Gedanken immer wieder zu der warmen Höhle hinüber. Er ist heute zum erstenmal in seinem Leben auf das Winterlager eines Bären gestoßen — wie geschickt und warm das Lager ist! Da kann ein Weibchen selbst im strengsten Winter
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seine Kinderstube halten. Und seine Gamme, die „Höhle“? Deren Türe schließt ja nie so dicht, daß es ohne Feuer darin auszuhalten ist. Selbst bei der kräftigen Heizung mit der Tranlampe liegt immer eine kalte Luftschicht über dem Boden, während es unter dem Dach schon wärmer ist. Na, die Kälte zieht eben aus dem Boden heraus. „Aber dann müßte es in dem hochgelegenen Bärenlager ja auch kalt sein!“ ruft Ole plötzlich laut. „Da ist der Boden ja sogar aus Schnee. Und warum“, fragt er sich weiter, „geht der Höhleneingang erst in die Tiefe, während das Lager fast zwei Meter höher liegt?“ Das Denken will nicht mehr so schnell gehen wie früher. Auch in anderen Wintern ist ihm zwar regelmäßig das Gehirn „eingefroren“, aber in diesen letzten Monaten ist das doch alles schlimmer geworden. So denkt er jetzt auch kaum daran, daß Fett und Blut des Bären in der Kälte um die Schneide des Messers zu einer dicken Schicht gefrieren, und daß er das Messer schon längst wieder einmal an einem Stein hätte abstreifen müssen. Erst als seine bloßen Hände so froststarr werden, daß er das Messer nicht mehr halten kann, steckt er sie tief in den Aufbruch des Tieres hinein, oder läßt das noch immer warme, langsam rinnende Blut des Bären darüberlaufen, bis er wieder Leben verspürt. Aber die Höhle da drüben... Warum ist sie so warm? Natürlich, ja! Hätte er nicht wissen müssen, daß warme Luft nach oben zieht, die kalte, schwere aber unten bleibt. Schau, schau, da kommen die Bären also aus Instinkt auf das Spiel von warmer
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und kalter Luft und legen darum ihre Lager höher als den Eingang an. Die warme Luft verbleibt im eigentlichen Lager, wo sie nicht mehr entweichen kann, die kalte aber staut sich in dem tiefgelegenen Eingang. „Mann, was bist du für ein Trottel!“ knurrt Ole ärgerlich, „mußt von den Bären lernen, wie man nicht friert!“ Heimgekehrt, errichtet Ole gleich ein höherliegendes Lager in seiner Gamme. Das hilft! Hier liegt er munter warm, auch wenn nicht viele Dochte in dem Kessel brennen. Sitzt er hingegen auf der alten Lagerstatt, so kriecht die Kälte gleich in seine Knochen. Noch einmal muß er über seine Dummheit lachen — daß er nicht schon früher auf diese einfache Lösung verfallen ist! „Und meine Höhle hab' ich natürlich auch falsch gebaut“, dämmert es ihm. „Ich Esel glaubte, ich müßte möglichst tief in die Erde kriechen, um es warm zu haben. Natürlich ist das falsch! Jetzt sammelt sich die ganze Kaltluft gerade in meinem Kellerloch, und wenn ich nicht heize, habe ich die niedrigste Temperatur ausgerechnet da, wo ich hause.“ Die nächsten Tage haben Jäger und Hund genug damit zu tun, das Fleisch, den Speck und das wohl 50 kg schwere Bärenfell zur Gamme heimzufahren. In dem Geröll der Bärenschlucht besteht der neue Schlitten seine erste schwere Probe. Bald ist der Bär zerlegt, in einem der Depots bei seiner „Höhle“ verstaut — endlich kann sich Ole wieder einmal Ruhe gönnen. Mittlerweile ist die Polarnacht eingebrochen. Selbst in den Mittagsstunden ist auch nicht ein Schimmer von Licht am südlichen Horizont zu sehen. Meist ist
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der Himmel wolkenlos, die Sterne glitzern und leuchten, und der Mond ergießt sein bleiches Licht über das weite Land. Wenn aber der Mond nicht scheint, dann fehlen auch die Schatten, und alle Maße täuschen. Dann kann ein Schneehuhn, das übers Vorland läuft, wie ein großes Ungeheuer erscheinen, dann kann man in ein Bachbett fallen, während man über ebenes Land zu gehen meint. Alles ist jetzt unwirklich draußen, alles ist feindlich, wie eine erstarrte Mondlandschaft voll unbekannter Tücken und Gefahren. Seltsam hat sich die Natur verändert. Tot und erstarrt liegen Land und Fjord. Auf dem Wasser hat sich endlich die erste Eisdecke gebildet. Auf viele Kilometer vom Ufer trägt sie schon. Aber vor Weihnachten, das weiß Ole aus langer Erfahrung, ist nicht daran zu denken, den breiten Arm, der da vom Meer ins Land hineingreift, zu überqueren. In der Mitte und am Nordrand des Fjords, im Bereich der stärksten Strömung, ist das Eis noch immer in Bewegung.Tagaus, tagein hockt Ole in seiner Gamme, tut bald dies, ? bald jenes, schnitzt an Knochen herum, bastelt winzige Segelschiffe. Nur ein alter, erfahrener Jäger kann sich der Langeweile erwehren. Denn überfällt einen Fangstmann erst einmal die Langeweile, gerät er ins Sinnieren und Grübeln, dann ist es bald um ihn geschehen. Er findet Krankheiten, wo keine sind, fängt an, überall Geister und Trolle zu sehen und zu hören. Von mehr als einem Jäger weiß Ole, der seine erste, einsame Überwinterung im Irrenhaus beendete.
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Bei Ole Sivertsen ist da keine Gefahr. Er ist körperlich und seelisch viel zu gesund dazu. Er hat sich mittlerweile so gut in sein Eskimoleben hineingefunden, daß ihm seine sonderbare Lage gar nicht mehr so seltsam erscheint. Er denkt nicht allzuviel, ihm ist nur klar, daß er um sein Leben kämpft. Diesen Kampf führt er mehr mit Instinkt als mit wachem Bewußtsein. Nicht nur seinem Werkzeug, seinem Äußeren, seiner Lebensweise nach, auch in seinem Handeln ist er ganz unkompliziert geworden, ein Kind der Natur, äußerlich zwar etwas stumpf und sorglos gleichgültig, aber im letzten doch immer hellwach und instinktiv bereit, zuzupacken, wo eine Gelegenheit sich bietet. Die Kälte freilich macht ihm viel zu schaffen. In manchen Nächten erreicht sie wohl schon 40 Grad und mehr, und Ole friert trotz der Wärme der Tranlampen auch unter seinen Fellen jämmerlich. Zudem bedarf es keiner langen Ober-legung, um zu erkennen, daß er in seiner Gamme kaum mit dem Tran auskommen wird, wenn weiterhin so viele Dochte brennen müssen. So macht er sich denn eines Tages an den Bau einer Schneehütte. Durch die große Kälte der vergangenen Wochen ist der bisher schon reichlich gefallene und zu hohen Wehen zusammengeblasene Schnee so fest geworden, daß Ole ohne große Mühe Blöcke herausschneiden kann. Er macht sich Stücke von etwa 50 auf 40 auf 30 cm Größe zurecht. Sein Messer ist allerdings dafür nicht lang genug, aber der
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Fuchsschwanz aus dem Expeditionslager tut ihm denselben Dienst. Ole hat noch nie ein Schneehaus, ein Iglu, wie die Eskimos es nennen, gesehen. Er ist ja überhaupt noch nie mit Eskimos zusammengekommen, er ist zum erstenmal auf Grönland. Aber in einem Kalender las er einmal eine Erzählung aus dem Eskimoleben. Davon weiß er doch noch so viel, daß ein Iglu einen runden Grundriß hat, sich nach oben wie ein Bienenkorb verjüngt und im übrigen sehr warm sein soll. Außerdem ist er auch nicht umsonst in die Bärenhöhle gekrochen! Der Schnee ist hart, hat aber noch keine Eisbänder — so lassen sich die Blöcke schnell und leicht zusammensägen. Schon ist der erste Ring aus den Blöcken gelegt. Der zweite Kranz, ein wenig nach innen verschoben und leicht überhängend, so daß die äußere Kante der Mauer höher ist als die innere, damit die Wölbung zustandekommt, folgt bald, und schon sind die Stücke für den dritten geschnitten! „Ja, so ein Schnee ist eben ein glänzender Baustoff“, predigt Ole auf Gard ein, „da hast du keine Last mit Mörtel, mit kleinen passenden Stücken für fehlende Ecken. Wenn die Rundung nicht richtig herauskommt, packst du einfach ein paar ordentliche Hände voll Schnee dagegen, oder du nimmst dein Messer und schneidest ab, was zuviel ist.“ Er wird richtig vergnügt, ja er singt und pfeift dazu, als ihm die Arbeit so leicht von der Hand geht. Je höher er allerdings hinaufkommt, um so mehr sorgt er sich, ob auch die Kuppel wirklich halten wird. Aber als es so weit ist, atmet er erleichtert auf: die
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Kuppel hält — schließlich hat er ja auch darauf geachtet, daß jeder neue Ring ein Stückchen nach innen abfiel. Er braucht nur den ein wenig konisch zu-rechtgeschnittenen Schlußblock in die letzte Öffnung zu pressen, und fertig steht ein Iglu, sein Iglu, eine schneeweiße Kuppel in einem verschneiten Land unter einem Schirm glitzernder Sterne. Vorsichtig sägt er dann am Fuß des Schneehauses einengenügend großen Block heraus, und zum erstenmal seit langem tritt er wieder einmal über eine richtige Schwelle. Mit der Schaufel sticht er innen die Wände glatt. Dann sägt er zwei Löcher aus — schließlich will er ja auch einmal durch ein Fenster schauen können! —, läßt in seinem Kochtopf Schmelzwasser gefrieren und paßt die „Scheiben“ aus Eis in die Fensterlöcher ein. Das Iglu steht auf einer genügend dicken Schneeschicht, daß Ole leicht eine breite, geräumige Schlafbank herausschneiden kann, die einen halben Meter höher als der Boden zu liegen kommt. Eigentlich plante Ole in Nachahmung der Bärenhöhle einen ähnlichen Unterschlupf für sich, den er aus einer Schneewehe herausarbeiten wollte. Aber nirgendwo fand er eine Schneewehe, und in erreichbarer Nähe seiner Depots auch keine Wächten, die tief genug waren, um den Bau solch einer Höhle zu ermöglichen. So ist er gezwungen, das wesentlich schwieriger herzustellende Schneehaus nach Art der Eskimos zu bauen. Der Schlaf- und Arbeitsplatz wird nun die höchste Stelle im Boden seiner Behausung sein. Was Bären können, kann er auch! Jetzt fehlt nur noch der tief
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erliegende, röhrenartige Eingang. Ole hebt, so tief der Schnee reicht, Blöcke vor dem Eingang aus und überdeckt den Graben, der so entsteht, mit anderen Blöcken, größeren, dickeren. So entsteht ein gut zwei Meter langer Tunnel, der so hoch und so breit ist, daß Ole auch in seinen dicken Fellkleidern bequem hindurchkriechen kann. Mit einigen Schneeblöcken wird sich der Eingang innen und außen sicher verschließen lassen. Gut zwölf Stunden hat Ole bisher an den Bau des Iglus verwandt. Aber er verspürt weder Hunger noch Müdigkeit. Töpfe und Werkzeug, Tranlampe, Kleider und Waffen schafft er in seinen neuen Unterschlupf. Auf den breiten Schlafplatz, breitet er zuerst eine gut 20 cm dicke Lage von Reisig und legt Fellstücke und Schlafsack sorgfältig darüber. In dem glitzernden Haus überkommt ihn eine Freude an Ordnung und Sauberkeit — all das geronnene Blut, der stinkende Tran und der Ruß, den er seit Wochen mit sich herumschleppt, das alles will gar nicht mehr zu der weißen Pracht hier passen. Während über der Tranlampe bald ein Topf mit einem Stück Bärenfleisch kocht, kriecht Ole noch einmal ins Freie, wirft Schaufel um Schaufel Schnee gegen die Wände des Iglus und tritt ihn fest. Und dann wagt er, was auch die Eskimos tun, wenn sie ihre Hütten fertig haben: er steigt, zunächst ganz zaghaft, auf die Kuppel, um zu erproben, ob sie sein Gewicht aushaken wird. Es knirscht im Schnee und — bricht sie nicht durch? Nein, seine Decke hält! Sie hält auch noch, als Ole kräftig in den Knien wippt und als Gard, verwundert über die seltsamen Tänze seines Herrn, mit einem
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langen Satz zu ihm heraufgesprungen kommt.Zufrieden rutscht Ole auf dem Hosenboden vom Dach seines Hauses. Die Sterne sind verschwunden. Schwarze, schneeschwere Wolken hängen über dem Land. Ein leichter Wind ist aufgekommen, fegt den Schnee in tanzendem Spiel vor sich her. Das Iglu aber steht in dem Flockenwirbel fest und sicher da, und durch die kleinen Fensterscheiben leuchtet rötlich warm der Schein der Lampe.
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ÜBER DAS FJORDEIS ZUM FANGLAGER Wenn Ole kocht und alle Dochte in der Tranlampe brennen, wird ihm so warm, daß er mit bloßem Oberkörper auf seiner Pritsche hocken kann. Schon bald beschlägt der Dampf die kleinen Fensterscheiben, und von der Decke tropft tauender Schnee. Da schneidet Ole einfach aus der Schneekuppel einen kleinen Würfel aus, und Wasserdampf und Hitze ziehen ab. Leichter läßt sich die Temperatur kaum regeln. Wird es zu kalt, so braucht er nur den Schneeblock wieder einzusetzen. Gut sechs Grad Wärme hat er jetzt stets in seinem Heim. Dem reichen Schneefall, der nach dem Bau des Iglus herrscht, folgt wieder schneidende Kälte. Ole geht selten mehr hinaus. Die Vorbereitungen auf die Heimfahrt über den Fjord, die Zurichtung von neuen Fellkleidern, das Ausbessern der alten, beschäftigen ihn zudem so sehr, daß er kaum Zeit für Jagd und Fang erübrigt. Er muß für diese letzte Fahrt gut ausgerüstet sein. Er muß in diesem Winter zum Lager am Langfjord, er muß! Denn wenn im Sommer die Retter kommen und finden ihn dort nicht, müssen sie da nicht glauben, daß er irgendwo in dieser unendlichen Einöde zugrunde ging? Zehn Tage vor Weihnachten etwa — genau weiß Ole es nicht, sein „Kalender“ ist in Unordnung geraten — steht endlich der kleine feste Handschlitten fertig gepackt vor dem Iglu. Die starke Kälte und der Wind der letzten Wochen
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haben nachgelassen. Es ist die Zeit des zunehmenden Mondes. Die Sterne glitzern, Nordlichter zucken am Himmel auf. Es ist so hell, daß Ole als geübter Polarjäger seinen Weg jetzt nicht verfehlen kann. Er hat zwar keinen Kompaß, aber er hat sich schon immer nach den Sternen gerichtet. Diesmal wird er sich an den Nordstern halten. Er hat in diesem Frühwinter reichlich Fett angesetzt, und auch Gard ist ziemlich rund geworden. Sie werden ihre Kräfte auf dem langen Marsch, der sie wohl 250 km über das Fjordeis und entlang der Küste führen wird, schon ver-brauchen. 25 km nimmt sich der Jäger für den Tag vor, keine Kleinigkeit bei den „Wegen“, die ihn erwarten. Aber er hofft fest, Weihnachten, nach seinem Kalender wenigstens, in seinem alten Lager feiern zu können. Am ersten Tag kommt Ole schnell voran. Das Eis ist schneefrei und ziemlich glatt. Als sich Ole nach gut zwölf-stündigem Marsch in einer Schneewehe hinter einem Eisblock eingräbt, schätzt er die zurückgelegte Strecke auf rund 50 km. Aber sein Schlaf ist nur kurz. Die Kälte treibt ihn schon nach sechs Stunden wieder auf. Zitternd kriecht er aus seinem Schlafsack, rennt einige Minuten auf dem Eis herum, um wieder Leben und Wärme in die Glieder zu bringen. Gard liegt noch immer tief in den Schnee eingebuddelt, die dicke, buschige Rute über die frostempfindliche Nase gelegt. Er fühlt sich wohl in seinem Winterpelz, ihm raubt die Kälte nicht den Schlaf.
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Mit klammen Fingern brennt Ole die Dochte seiner Lampe an. Er hat einen kleinen Schacht in den Schnee gegraben und den Schlitten vor den Trankessel gestellt, denn von Westen weht ein eisiger Wind, der immer wieder die kleinen Flammen zu löschen droht. Endlos dünkt ihn die Zeit, bis das noch im Iglu vorgekochte Fleisch im Schneewasser auftaut, bis sich die ersten Augen auf der Brühe bilden. Ole hat einen wahren Heißhunger nach etwas Warmem, Fettem. Er holt den Topf mit zerlassenem Bärenfett vom Schlitten, schlägt ein paar Splitter des steinhart gefrorenen Schmalzes ab. Noch einmal dauert es geraume Zeit, bis auch das Fett zerschmilzt und mit der kräftigen Brühe verkocht. Aber dann langt der Jäger tüchtig zu. Hinter dem Schlitten hockend und den Schlafsack zum Schutz gegen den eisigen Westwind um die Schultern gehängt, trinkt er die heiße Suppe aus der kleinen hölzernen Schöpfkelle, die er sich einmal schnitzte. Er schlürft und schmatzt vor Wohlbehagen, fischt mit dem Messer einen Fleischbrocken um den anderen aus der Brühe. Bald ist der kurze, schlechte Schlaf, der Ärger mit der langweiligen Tranlampe vergessen, und Ole wirft schon wieder schätzende Blicke auf die unendliche, in Dunkel und Schneefegen versinkende Eisfläche, die vor ihm liegt. Da endlich rührt sich Gard. Er streckt sich, reißt das Maul zu weitem Gähnen auf und schüttelt den Schnee aus seinem dicken Fell. Auf einmal schnuppert er begierig in die Luft, und schon ist er bei seinem Herrn, der ihm den Fleischtopf mit dem
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Rest der Brühe und den letzten Brocken Fleisch vor die Nase hält. „Eigentlich schon gespült!“ lacht Ole, als er in dem sauber ausgeleckten, noch immer warmen Topf ein wenig Schnee zerschmelzen läßt. Er löscht die Lampe und stellt sie in den kalten Wind. Bald ist der flüssige Tran kalt und steif, und Ole kann den Schlitten fertigpacken. Gard wartet schon ungeduldig auf das Anschirren. Immer ist er willig und liest dem Jäger, bei dem er aufgewachsen ist, oft jeden Wunsch von den Augen. Durch leichtes Schneetreiben ziehen die beiden weiter, immer nach Norden, die Richtung, die der Polarstern weist. So unangenehm der kalte Wind auch ist, er wirbelt wenigstens nicht so viel Schnee auf, daß die Sicht verlorengeht. Dem Jäger reicht das Treiben kaum zum Gürtel, der arme Gard freilich ist ganz in die Schleier der stechenden Schneekristalle eingehüllt, die da pfeifend über das Eis getrieben werden. Rüstig geht es weiter, leicht gleitet der Schlitten über die glatte Fläche dahin. Am übernächsten Tag indessen hat die glatte Schneebahn ein Ende. Hohe Preßeisrücken türmen sich auf, geborstene Schollen und Eisblöcke liegen durcheinander. Mühsam schleppt Ole den Schlitten über die Wälle, sucht sich verbissen den Weg durch ein Chaos von verkanteten Schollen, frisch aufgerissenem Fjordeis und langen Bändern offenen Wassers, die erst kürzlich entstanden sein müssen, denn die dünne Eisschicht, die sie bedeckt, trägt noch nicht wieder. Kilometerlang sind die Umwege, die der Jäger um die offenen Wasserrinnen machen muß. Und immer wieder
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muß er den Schlitten über Blöcke und Packeiswälle zerren, die ganze Last vom Schlitten reißen, Stufen in das splitterharte Eis schlagen und Schlitten und Ausrüstung Stück um Stück hinüberschleppen. Vier Tage lang schlägt sich Ole, durchfroren, am Rande seiner Kraft, mit dem Eis herum. Schon glaubt er, nun bald am Ziel zu sein, da steigert sich der seit Tagen wehende Westwind zu einem Sturm, daß der Schütten, den Hund hinter sich herschleifend, gegen einen Eisblock getrieben wird. Im Augenblick ist auch die Sicht verschwunden, feiner Treibschnee peitscht das Gesicht des Jägers, dringt an Hals und Nacken ein. Es heult und pfeift, es orgelt, braust und dröhnt durch die Eisschluchten, als ob ein Ungeheuer zornig nach einem ihm entwischten Opfer suche. Von den tobenden Winden halb erstickt, rettet sich der Jäger mit Hund und Schlitten in eine Nische des nächsten Eisrückens. Hier ist er vorerst sicher, hier kann er das Ende des Sturms erwarten. Stunde um Stunde hockt er in seinem Windschutz. Unablässig fegt der feine Treibschnee wie eine endlose dicke Mauer an ihm vorbei. Er sieht ihn kaum aus der Nische heraus, aber er hört ihn, wie er gleich einem scharfen Messer an den Eiswänden entlangfährt. Darüber liegt das Toben des Sturmes, hin und wieder dröhnt dumpfes Krachen im Fjordeis in das wilde Konzert von Wind und Schnee. Oles Warten ist vergeblich. Er richtet sich, so gut es möglich ist, für ein, zwei Tage ein. Den Schlafsack breitet er im hintersten Winkel der Nische aus, zieht alles über, was er an Kleidung mit sich führt, polstert den Schlafsack mit den Fuchsfellen, die er
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beim „Zeltlager“ erbeutete, aus. Gard wird gefüttert, und auch Ole nimmt ein paar Lachsforellen in den Schlafsack, um sie erst einmal aufzutauen. Nach Stunden endlich sind die Fische weich, Ole beißt heißhungrig hinein. Dann zieht er die Bänder am Kopfteil seines Schlaf sackes zusammen und schläft, dem tobenden Sturm, dem knackenden Eis, der beißenden Kälte zum Trotz, bald übermüdet ein. Drei Tage lang wird Ole in der kleinen Nische festgehalten. Meist schläft er, zumindest döst er vor sich hin. Nicht nur das lange Warten zehrt an seinen Kräften, Hunger und Kälte setzen ihm am meisten zu. Vor allem die Kälte, die beißend auch in den dicken Schlafsack dringt. Das langhaarige Bärenfell, aus dem er genäht ist, und auch die Polsterung mit den Fuchsbälgen vermögen sie nicht abzuhalten. Auf der Innenseite haben sich dicke Reifschichten angesetzt. So kommt zur Kälte auch noch die Feuchtigkeit. Kein Wunder, wenn Ole bald unter schwerem Rheuma leidet. Es reißt und zerrt in Rücken und Schultern, und an den Händen bilden sich dicke Knoten. Endlich scheint die Kraft des Sturmes gebrochen. Durchfroren und von heftigen Schmerzen geschüttelt, kriecht Ole aus dem steifgewordenen Schlafsack. Gekrümmt und eingefallen steht er da. Bei jedem Versuch, sich aufzurecken, schreit er laut vor Schmerzen auf. Die Schreie aber wecken Gard, der tief in einer Wehe steckt, vom Schlaf. Von Hunger und Kälte geschwächt, taumelt er, als wäre er betrunken, auf Ole zu, macht ein paar rührende Versuche, mit dem Schwanz zu wedeln.
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Als ihn der Jäger streichelt, drängt sich der Hund ganz nah an seine Knie und leckt ihm dankbar die Hände. Mit bloßen Händen wühlt Ole den Schlitten, den er als Windschutz in den Eingang der Nische gestellt hatte und der jetzt unter tiefem Schnee begraben liegt, frei. Als er erst einmal die Schaufel, die oben auf dem Schlitten liegt, ausgegraben hat, geht es schon besser. Aber jede Bewegung wird ihm zur Qual. Der Hunger zerrt in seinen Eingeweiden, die Knie zittern ihm. Nur wieder hinliegen dürfen, nur schlafen, am besten gleich hier im Schnee ... Nein, nein, das nicht! Nicht hinliegen, nicht schlafen hier. Es würde ein Schlaf in den Tod... Endlich stößt er auf die getrockneten Lachse. Sie sind wie Glas so hart gefroren und splittern auch wie Glas, als Ole sie mit dem Beil zerkleinern will. Was auf den Boden fällt, hat Gard im Nu verschlungen. Und Ole wirft ihm reichlich zu, denn auf Gard muß er sich nun verlassen können, er selbst ist wohl zu schwach dazu, am Schlitten mitzuziehen.Schließlich hat Ole auch die Tranlampe hervorgekramt. Aber die Mühe, bis die Dochte endlich brennen! In einem Becher läßt er ein wenig Fett zerschmelzen, trinkt zwei, drei heiße Schlucke, taut einen Fisch über den Flammen auf und ißt ihn gierig hinunter. Die Wärme und das Essen tun ihm unsagbar gut. Er holt den großen Topf hervor, läßt Schnee zerschmelzen und legt ein tüchtiges Stück Fleisch hinein. Immer wieder lüftet er den Deckel, starrt in den Topf und freut sich wie ein Kind, wenn die Blasen steigen und kleine, gelbe Fettaugen sich am Rande sammeln. Auch Gard
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hebt lüstern seine Nase und sieht erwartungsvoll bald auf den Jäger, bald auf den Topf, indem es immer stärker summt und schließlich schäumend brodelt. Es wird ein Festmahl für die beiden Einsamen. „Ein richtiges Festessen, Gard!“ lacht der Jäger. „Festessen, Festessen?“ überlegt er dann. „Natürlich, heut' ist, hol' mich der und jener, heut' ist tatsächlich Weihnachten! Weihnachten, Gard, Weihnachten! Ein glückliches Weihnachtsfest, Gard!“ Aber Gard schaut seinen plötzlich so lebhaft gewordenen, wild mit dem Messer fuchtelnden Herrn nur verständnislos an. „Ach so, du weißt ja nicht, was Weihnachten ist! Na, aber merken sollst du etwas davon!“ Und er hält dem Gefährten einen Brocken hin, an dem Gard eine gute Weile sich zu schaffen macht. Einen Tag noch wartet Ole zu, obwohl Gard, satt gefressen, unruhig vor der Nische herumläuft und unternehmungslustig in die kalte, tote Eislandschaft hinausbellt. „Siehst du“, sucht Ole ihn zu trösten, „an Weihnachten wollten wir daheim am Langfjord sein. Nun, der verfluchte Sturm hat uns daran gehindert. Jetzt feiern wir halt hier, füttern uns erst einmal heraus und ziehen morgen weiter.“ Er hockt neben der brennenden Tranlampe und langt sich hin und wieder eine Schöpfkelle voll Brühe aus dem Kessel. Ah, die Wärme tut gut, die heizt das Blut, und schläfrig macht sie, träumen möchte man ... Ole döst vor sich hin. Das also ist Weihnachten, wenn er sich mit seinem Kalender nicht vertan hat. Vielleicht ist es auch schon Neujahr oder gar
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Dreikönigstag. Er weiß es nicht genau. Was tut's! Er feiert jedenfalls heute Weihnachten. Das dritte Weihnachtsfest in diesem Paradies. Ja, das war's einmal, als er noch reichlich ausgerüstet war und eine feste, warme Hütte hatte. Und Kaffee, Tabak... „Wo ist denn meine Pfeife? Zum Teufel, wer hat denn meine Pfeife...“ Ach so, er hat sie ja schon längst in den Fjord geworfen, um nicht immer wieder die Qual der Versuchung ertragen zu müssen... Wo war er grad? Ach ja, im Paradies. Nein, eine Hölle ist's, eine unbarmherzige, weiße, eisige Hölle ... Aber er ist ja bald daheim, daheim ... Sicher laufen ihm seine Buben dann entgegen, und unter der Tür steht seine Frau ... Aber dann wird er schlafen, schlafen, schlafen... Seit fünf Stunden sind die beiden wieder unterwegs. Die Kälte hat ein wenig nachgelassen. Aber es ist völlig dunkel. Schwere Wolkenmassen lassen weder Mond noch Sternenschimmer hindurch. Es ist nicht leicht, in dieser Finsternis zu wandern. Nicht einmal nach dem Wind kann er sich richten. Es ist — kein Luftzug regt sich —, als hätte er bei seinem Toben die letzte Kraft vertan. Und doch muß er dem Jäger helfen, seinen Weg zu finden. Der schwere Wind der letzten Tage kam ja beständig vom Inlandeis, vom Westen her. Nun liegen hinter allen Unebenheiten, nach Osten ausgerichtet, lange spitze Schneewächten. Es ist im Finstern zwar immer nur ein Vorwärtstasten, ein Suchen von Wächte zu Wächte. Aber es geht doch wenigstens weiter, Richtung Nord! Dort oben, das heißt mehr nach Nordosten hin, liegt seine Hütte. „Ost zwei Strich Nord“, würde da Schiffer Hansen
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von der Brücke rufen... Schiffer Hansen? Ja, und die „Hoffnung“! Vorwärts, Ole, vorwärts! Es wird ihm nichts geschenkt, weder Eisbarren, noch offene Rinnen, noch weite Flächen saugenden, zähen Schneeschlamms auf dünnem, brüchigem Eis. Immer öfter muß er den Hund, der ungebärdig vorwärtsdrängt, am Zügel nehmen, immeröfter, auf den Schlitten gekauert, eine Rast dazwischenlegen. An Stellen, wo die Fläche glatt und eben ist, klemmt er sich hinten auf den Schlitten. Dann legt sich Gard in die Riemen und schleppt die ganze Last allein. Nach zwei Tagen endlich kommen sie an Land. Diese steile, zerklüftete Küste da, die kennt er doch? Einen Tag noch, schätzt der Jäger, ist er von seinem Lager entfernt. „Ein Tag noch, Gard!“ schreit er den Hund an, packt ihn an seinen Vorderpfoten, zieht ihn zu sich herauf. „Ein Tag noch, Gard!“ Zum letztenmal wird draußen abgekocht, der Schlaf sack hinter einer Wächte ausgebreitet. Zum letztenmal, dann hat die Schinderei, das Frieren, Hungern — alles hat ein Ende. Einmal wacht Ole auf und starrt in schwarze Finsternis. Merkwürdig warm ist es, in schweren, nassen Flocken fällt der Schnee. „Ein Tag noch“, seufzt er, schläft wieder ein ... Benommen wacht er auf, er hat wohl schwer geträumt, das Blut trommelt in seinen Schläfen, der Atem — Schnee dringt ihm in den Mund. „Luft! Luft!“ Eingeschneit, tief eingeschneit ist er! Mit einem Ruck dreht er sich um, kommt auf den Bauch zu liegen. Vorsichtig bäumt er sich auf, drückt mit dem
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Rücken die schwere Last nach oben. Ha, wieder Luft. Noch einmal, so, und noch einmal! Nun ist die Höhle groß genug, um aus dem Sack kriechen zu können. Keuchend und prustend wühlt er sich aus dem nassen Schnee, jetzt, jetzt greifen seine Hände ins Leere, und jetzt, der Kopf, die Schultern ... Er steht im Freien, schaut verwundert in ein sternenübersätes Firmament. Die dunklen Wolken sind verschwunden. Tief unterm Schnee liegt jetzt das hügelige Land, unwirklich, kalt und tot. Eine Sternschnuppe flammt auf, zieht ihre kurze, leuchtende Bahn, verschwindet irgendwo weit, weit im Osten. Aber wo ist denn Gard? Wo ist der Schlitten? Ole stapft hin und her, er ruft, er brüllt, er lockt und flucht. Und schließlich taucht auch Gard aus einer Höhle auf, versucht zu seinem Herrn zu laufen, aber bei jedem Tritt versinkt er bis zum Bauch im Schnee. Endlich ist auch der Schlitten freigelegt, der Rest der kalten, nur leicht gefrorenen Mahlzeit vom Vortag wird verzehrt. Dann packt der Jäger ein paar Fische ein, hängt das Gewehr um und wirft die Schaufel über die Schulter. Den Schlitten, hat er sich entschlossen, läßt er hier stehen. „Stehlen wird ihn ja keiner!“ lacht er bitter auf, „ich hol' ihn, wenn der Schnee gefroren ist.“ Das ist kein Gehen mehr, das ist ein Waten, ein Kampf um jeden Schritt. Bis zu den Hüften sinkt Ole immer wieder in den Schnee. Der Schweiß perlt auf seiner Stirn, rinnt salzig brennend über das Gesicht. In seinem wüsten Bart hängt dicker Reif. Die schweren Felle kleben ihm am Leib und scheuern die Gelenke wund. Vorwärts, nur
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vorwärts! Nicht eher will er rasten, als bis er vor der Hütte steht. Einmal durchzuckt ihn jähe Angst. Ob er die Hütte überhaupt noch findet? Vielleicht zerstörte sie ein schwerer Sturm, oder sie brach unter der Last des Schnees zusammen, oder Bären rissen die Türe ein, verwüsteten das Innere? Nein, nein, er hat die Hütte fest gebaut. Sie steht, er weiß es jetzt ganz sicher, sie steht, sie wartet auf ihn ... Schon lang hat sich der Himmel wieder überzogen. Jäh springen Böen auf, sie künden einen neuen Schneesturm an. Ole fiebert vor Ungeduld. Vorwärts, nur vorwärts! Da, diesen Felsblock kennt er doch, und diesen Hügel da, jetzt muß doch gleich die Hütte ... „Daheim“, schreit Ole auf, „Gard, Gard, wir sind daheim!“ Und Gard springt schon voraus, rennt wie besessen bellend um die Hütte, auf die der Jäger, wie ein Trunkener taumelnd, zustürzt... Schnee wirbelt durch die Luft. Immer stärker jagen die Sturmböen daher und pfeifen um die Hütte. Ole schafft wie ein Rasender. Aber die Schneewehe vor der Türe ist hart gefroren, Schaufel um Schaufel muß sie losgestochen werden. Jetzt, ein paar Hiebe noch, dann wird er den schweren Riegel ziehen ... Da hört er durch das Lärmen des losbrechenden Sturmes plötzlich böses Knurren, ein wütendes Gebell und darin ein angstverzerrtes, jäh ersticktes Jaulen.Erschreckt fährt Ole auf und padct die Schaufel fest zur Abwehr. Fünf Schritte vor ihm, kaum sichtbar in der Finsternis, steht ein riesiger, ausgehungerter Wolf mit tückischen,
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grünschillernden Lichtern, geduckt, zum Angriff bereit. Und neben ihm, neben ihm liegt reglos Gard. „Gard!“ brüllt der Jäger auf. Schon ist das lange Messer aus der Scheide, und mit dem Messer in der Linken, der Schaufel in der rechten Hand, stürzt er sich schreiend auf den Polarwolf. Im Augenblick springt auch der Wolf — gerade in das vorgestreckte Messer! Er stürzt, schlägt mit den Beinen, schnappt nach dem Jäger, umsonst! In blindem Schmerz und Zorn schlägt Ole mit der Schaufel auf das Untier ein, bis es sich nicht mehr rührt. Behutsam zieht er dann den Hund auf seinen Schoß, krault ihn, ruft immer wieder seinen Namen. Aber Gard, der Wächter, der treue Wächter, kann nicht mehr antworten. Der weiße Wolf hat ihm die Kehle durchgebissen.
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DAS ENDE DES ROBINSONLEBENS Von Schmerz gelähmt, von Trauer überwältigt, hockt Ole in der Hütte. Tränen rinnen langsam in seinen wilden, vereisten Bart. Er schämt sich dieser Tränen nicht. Nicht zum erstenmal verliert er einen Kameraden, aber nie war der Schmerz so groß, nie trauerte er um einen Freund so sehr wie jetzt um seinen treuen Hund, der tot und steifgefroren am kalten Ofen liegt. Die Jahre, die er mit ihm verbrachte, stehen wieder auf. Die Abneigung der ersten Zeit, die Abenteuer im Packeis auf der Suche nach der „Hoffnung“, die Rettung vor dem Bären — ja, Gard hat ihn gerettet! —, die mühselige Wanderung nach der Irrfahrt auf dem Treibeis, der Kampf mit den Bären am Fjord — ja, Gard hat ihn gerettet! —, die vergeblichen Versuche, über das Eis zurück zur Hütte zu kommen, der Kampf im Bärental — ja, Gard hat ihn gerettet! Gard, immer wieder Gard! Er hat einen Kameraden verloren ... Er ist allein ... Aber er muß weiterleben. Schwerfällig und steifgefroren steht Ole auf. Er wankt zum Tisch, auf dem er die Tranlampe weiß, reißt ein Zündholz an, setzt einen Span in Brand und müht sich, Licht zu machen. Er hat einen Kameraden verloren, er ist allein... Wie lang es dauert, bis der Tran flüssig wird und der Docht Feuer fängt! Aber dann spiegelt sich der matte Schein der trübe blakenden Flamme vielfältig in den langen Kristallen, den dicken Schichten von Reif und Eis, die Wände und Fußboden bedecken und auf den Nagelköpfen wie
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Dolche stehen. Reisig legt Ole in den Ofen, gießt Tran darüber, legt Feuer an, schiebt Reisig nach und Tran. Er hat einen Kameraden verloren, er ist allein... Noch einmal Reisig, noch einmal Tran, jetzt endlich prasselt das Feuer, daß die Eisenplatte glühend wird und Reif und Eis in feinen Rinnsalen von den Wänden laufen. An die Reste der Lebensmittel, die er noch aus der Heimat hat, wagt er sich nicht heran. Sie reizen ihn, der nun seit Jahr und Tag sich nur von Fleisch und Fisch ernähren mußte, nicht einmal sonderlich, er weiß auch nicht, ob sie ihm gut bekämen. Aber einen Becher Kaffee kocht er sich doch, und hier, der Fisch, der ist für Gard. „Gard! Wo ...“ Ach, Gard! Lang ist der Winter und hart und — einsam. Ole ist unermüdlich tätig, bei jedem Wetter und zu jeder Zeit. Wenn er nach diesen schweren Jahren auch gealtert erscheint und vornübergebeugt dahingeht, mit hängenden Schultern, er hat doch nichts von seiner alten Zähigkeit verloren. Er kennt nur eine Rettung vor dem quälenden Grübeln, der tödlichen, lähmenden Langeweile: Arbeit, Arbeit, immer wieder Arbeit! Trotz Dunkelheit und beißender Kälte sucht Ole seine Fallen ab. Er findet kaum die Hälfte wieder. Aber er fängt, obwohl er Schwierigkeiten mit dem Köder hat, mehr als im ersten Jahr. Zudem bewirkt die Kälte dieses Winters, daß die Pelze besonders kostbar sind, lang im Oberhaar, dicht und fein im Unterhaar. Da wird er einmal Spitzenpreise fordern können ... Noch einen zweiten Vorteil hat die Kälte. Die Ranzzeit, die Paarungszeit der Füchse, verzögert sich um mindestens drei Wochen. So ist
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Ole bis Ende März auf seiner Fallenstrecke unterwegs. Noch nie war er so abgehärtet wie in diesem Winter. Er lebt nur von Fleisch, zuerst vom Fleisch der Seehunde, denen er, als erst die Sonne wieder scheint, auf dem Fjordeis an den Atemlöchern auflauert und die er harpuniert. Später, im März, kommt dann der eine oder andere Eisbär hinzu. Aber die Bären schießt er — er hat ja wieder Munition, wenn sie auch sehr knapp ist, und ist nicht mehr auf die gefährliche Jagd mit dem Spieß angewiesen — meist ihres Pelzes wegen. Ihr Fleisch ist um diese Zeit zu zäh und zu mager. Hasen und Schneehühner fängt er mit seinen Schlingen aus Messingdraht. Schon ist der April angebrochen. Die Sonne strahlt jetzt stundenlang mit starker Kraft vom Himmel. Eine blendende Helle liegt über dem Land, gesteigert noch durch die Milliarden von Schneekristallen, in denen sich die Strahlen brechen.Um diese Zeit ist Ole viel unterwegs. Weite Strecken legt er auf seinen Schneeschuhen zurück, die Lust am Reisen, die Lust am Leben hat ihn wieder gepackt. Dann wieder stellt er tagelang den neugeborenen, weiß oder silbern schimmernden Seehunden nach. Ihre Pelze gehören ja zu den Kostbarkeiten der nördlichen Gewässer. Es lohnt sich schon, um ihretwillen Stunde um Stunde über brüchiges Fjordeis zu wandern weite Waken zu umgehen, Eiswälle zu überklettern und sich gelegentlich auch ein kaltes Bad zu holen, wenn er im Jagdeifer die Vorsicht vergißt.
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Die Beute an Pelzwerk wird immer größer, größer als je auf einer Überwinterung zuvor. Nun ja, schließlich hat er drei Winter Zeit gehabt oder doch mindestens zwei — der größte Teil seiner Beute im ersten Winter ging ja im Packeis verloren. Zufrieden schaut Ole immer wieder über die langen Reihen von Fuchsbälgen, von Bären- und Seehundsfellen, die draußen in der Frühlingssonne zum Bleichen hängen und vom Winde leicht hin und her geschaukelt werden. Ob er in diesem Jahre, ob er überhaupt noch einmal heimfinden wird? Oft und oft denkt Ole darüber nach. Hoffnung hegt er kaum mehr. Man hat ihn sicher längst vergessen. Die „Hoffnung“? Und ihr Schiffer Hansen? Ob die beiden überhaupt noch leben? Ole denkt an das Wrackstück, das er nach der Treibeisfahrt gefunden hatte. War es ein Teil der „Hoffnung“? Ach, wenn das gute Schiff verloren ist, dann wird wohl niemand mehr kommen, um ihn zu suchen. Ein einzelner Mann mit Proviant und Ausrüstung für nur ein Jahr soll drei Grönlandwinter überstehen können? Für die Heimat weiß er sich verloren... Er hofft nicht mehr. Er glaubt auch nicht an einen Zufall. Er denkt überhaupt nicht viel. Für ihn gibt es nur mehr eine Zukunft. Der Kampf mit dieser Natur hier. Und für diese Zukunft sorgt er mit dem Instinkt des Naturmenschen, der weiß, daß nach der Fülle des reichen, strahlenden Sommers der Hunger eines totenstarren Winters kommt, und zugleich mit der Zielstrebigkeit des Europäers, der nicht von der Hand in den Mund zu leben gewohnt ist.
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Mit den selbstgeschmiedeten Waffen und Geräten hat er das aus der Heimat mitgebrachte Werkzeug vervollständigt und vermehrt. Das Gewehr braucht er nur noch für Bären. Das andere Wild jagt er mit Fallen, mit Harpunen oder mit dem kurzen, scharfen Walroßspieß. Er legt wieder Vorratslager an, für Fleisch, für Speck und Tran. Er sammelt Buschwerk, Torf und Treibholz. Er gerbt Felle für Kleidung und Schuhwerk und — für ein Kajak. Sorgfältig mustert er jedes Stück Treibholz, das er findet, auf seine Brauchbarkeit zum Bau eines Kajaks. Die besten Bretter seiner Hütte will er dafür opfern — ohne Boot ist es zu schwer, im Sommer und im Herbst den Robben beizukommen. In aller Ruhe und mit aller Sorgfalt rüstet sich Ole für den kommenden Winter. Er tut es zwar in freudloser Einsamkeit, aber ohne Müdigkeit. Er will einfach leben! Dem sonnendurdistrahlten Frühling ist ein heiterer, warmer Sommer gefolgt. Das Eis auf den Fjorden ist aufgebrochen und mit Wind und Strömung in das Meer getrieben worden. Ja, in diesem Jahr ist sogar der Packeisgürtel vor der Küste, der den Jäger nun schon so lang gefangenhält, schon Anfang Juli verschwunden. Leergefegt liegt das Meer, weggeblasen das Eis, stellt Ole verwundert, aber ohne Erregung fest, als er zufällig wieder einmal auf dem Wardeberg hinter seiner Hütte steht, von dem aus er früher so oft voll drängender, wilder Sehnsucht nach Osten, aufs Meer hinausgeschaut hatte ... „Ist das denn möglich?“ murmelt er immer wieder. Umständlich putzt er das Glas, schaut noch einmal
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ungläubig hindurch. „Tatsächlich, das Eis ist fortgeblasen. Wenn jetzt der alte Hansen noch lebte, dann könnte es wohl geschehen, daß eines Tages hier ein Schiff vor Anker geht...“ Er geht wieder zur Hütte hinunter. Er hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen Haufen Heidekraut auf dem Wardeberg aufzuschichten, um ein Signal geben zu können, wenneinmal ein Schiff am Horizont auftauchen sollte. Es wird keines auftauchen. Er hat keine Hoffnung mehr. Sorgfältig bündelt Ole das getrocknete und gebleichte Pelzwerk zusammen, näht es in gegerbte Seehundsfelle ein. Es sind viele Ballen, die er dann, vor Feuchtigkeit geschützt, in der Gamme aufstapelt. Einige prallhart gestopfte Säcke voll Daunenfedern haben dort schon Platz gefunden. An jeden Sack, an jedes Bündel heftet er mit einem dünnen Riemen ein Schildchen mit der Aufschrift „An Frau Ole Sivertsen und Kinder“, Heimat, Straße und Nummer dazu. „Wenn ich selber einmal draußen bleiben sollte“, denkt er, „dann haben wenigstens die daheim eine Erinnerung an mich, falls doch einmal ein Schiff hier ankern sollte ... Sie können ihre Schulden bezahlen und ein paar Jahre ohne Sorgen leben. 40 000 bis 50000 Kronen ist dieser Kram wohl wert.“ Mit Stürmen zieht der August ins Land. Der Regen trommelt gegen Scheiben und Wände. Ole sitzt in der Hütte und schnitzt. Harpunenschäfte und Schlösser für Fuchsfallen schnitzt er. Bald kommt der Herbst, der Winter ...
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Auf einmal hört er — sein Herz beginnt zu hämmern, in seinen Schläfen pocht schmerzhaft das Blut —, auf einmal hört er durch Regen und Sturm Stimmen und Schritte. Unbeweglich sitzt Ole da, nein, nicht träumen, nicht irre werden. Ole, du träumst mit offenen Augen... Da wird die Türe aufgerissen, und Hansens massige Gestalt steht da. „Ole, Mensch, du lebst noch!“ brüllt ihn der Schiffer an. Nein, das ist kein Traum. Die ungewohnte Stimme dringt wie ein Messer in seine Ohren. „Ja, ja, Hansen, das ist wohl so.“ Aber er bleibt sitzen, er schnitzt weiter. Und nach einer Weile: „Jetzt werden wir ja gleich heimfahren können?“ Der alte Schiffer ist auf ihn zugetreten, legt ihm beide Hände auf die Schultern. Er kann kein Wort mehr sagen. Ungläubig sieht er sich um, ungläubig schaut er auf seinen Kameraden, der da, in Pelzkleidern, mit langem, fast weißem Haar und Bart vor ihm sitzt und ruhig weiterschnitzt. „Armer Ole“, denkt er, „hast den Verstand verloren ...“ Nein, Ole hat nicht den Verstand verloren, aber das Glück, die Freude, auf einmal... Er war nicht vergessen, er darf wieder heim . .. Die Männer von der „Hoffnung“ drängen sich in der kleinen Stube. Sie schütteln ihm die Hand, hauen ihm auf die Schulter, schreien durcheinander. Einer läuft zum Boot zurück, holt eine Flasche Schnaps, bringt eine Pfeife für den Jäger mit. Sie stoßen an, fragen auf Ole ein, wollen wissen, wie es ihm ging. Ole antwortet nicht viel. Die lauten Stimmen tun ihm weh. „Wie es mir ging? Oh, gut, das seht ihr ja ...
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Was ich erlebte, was ich ... ach, nichts Besonderes ...“ Aber langsam taut das Eis in Oles Herzen auf. Und er beginnt zu reden, wirr und stockend oft, sprudelnd und sich überstürzend wieder. Wie ein Bach über die Wiesen bricht, drängt sich das in dem Schweigen dreier Jahre begrabene Erleben jetzt über seine Lippen. Die Männer in der Hütte nicken mit den Köpfen. Sie lachen nicht. Sie kennen das — ein Mann, der so lange schweigen mußte, kann nicht anders reden... Und sie geben geduldig Antwort auf alle Fragen, die er dann an sie hat. „Ja, Frau und Kinder leben ... Ja, sie haben immer gehofft... Ja, natürlich freuen sie sich. .. Doch, doch, die Buben haben immer für den Vater gebetet ... Ja, Ragnars Haare sind noch immer ungebärdig ... Ja ... Ja ...“ Nur einmal lächeln sie, als Ole aufspringt und ihnen in rührendem Eifer Lachsforellen, selbstgeräucherte Forellen, anbieten will. . . Es ist nicht leicht, Oles reiche Beute, die Ballen, Säcke und Fässer mit Tran auf dem kleinen Schiff, das vor der Brandung schaukelt, zu bergen, denn auch die „Hoffnung“ hat einen reichen Sommer hinter sich. Aber schließlich ist auch die letzte Bootsladung verstaut. Zum letztenmal knirscht das kleine Boot auf dem Kies des Strandes. Es gilt nur noch, den Jäger und den Schiffer überzuholen. Langsam schiebt Ole den Riegel vor. „Dank, Hansen“,sagt er dann mit schwankender Stimme, „hab Dank, daß du gekommen bist...“ „Ja, dieses Jahr, weißt du, da ist's uns eben geglückt. Aber nun komm schon, Ole, Frau und
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Kinder warten auf dich! Warum hast du denn immer die Hand auf dem Herzen? Was hast du denn? He, Ole, wohin rennst du denn? Was hast du ...“ Aber da rennt Ole schon zwischen den Hügeln, ein paar hundert Meter in die Tundra hinein. Dort liegt ein kleiner Hügel. Und dort erst nimmt Ole die Hand vom Herzen, die Hand, die eine kleine Tafel, ein Brettchen hält. Das setzt er jetzt fest zwischen die Steine. In ungelenker Schrift steht darauf, mit Ruß geschrieben: Hier ruht Gard. Er war mein bester Kamerad. O. S.
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WIE ICH OLE SIVERTSEN BEGEGNETE Wir atmeten auf, als wir, bis auf die Haut durchnäßt und durchkältet, in das große Stationshaus eintraten und der Sturm die Türe des Windfangs hinter uns zugeschmettert hatte. „Willkommen in der nördlichsten Radiostation der Erde!“ begrüßte uns Sivertsen, der Altmuligmann (der Mann, der alles mögliche macht), und wir tranken ein tüchtiges Glas Whisky zum Willkommen. Später versuchte ich, den alten Sivertsen zu „interviewen“. Er ist 17 Jahre lang Pelztierjäger auf Grönland und Spitzbergen gewesen, er hatte die Jagdexpedition des Franzosen Graf Miccard unterstützt und hatte auch englischen und norwegischen Expeditionen geholfen. Sivertsen war ein großer Mann im „Lande ohne Frauen“ gewesen (die Fänger auf Grönland haben keine Frauen bei sich) und hatte ganz unerhört schwere Erlebnisse hinter sich. Aber er sprach leider nie davon. Sivertsen wich stets aus; er entschuldigte sich jedesmal mit dringender Arbeit, gab mir aber den Rat, falls ich jemals in einem solchen Gebiet überwintern sollte, ja nicht zu versäumen, mich genügend mit Tabak zu versorgen. „10000 Zigaretten, sage ich Ihnen, das ist das mindeste pro Jahr“, und er zeigte mir seinen Vorrat, den er für den kommenden Winter aufgestapelt hatte. Der machte allerdings einem gutgehenden Ladengeschäft alle Ehre, genau so wie das von ihm verwaltete Lebensmittellager der Station, das auf langen Regalen bis an die Decke hinauf die
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herrlichsten Leckerbissen barg. Aber ganz zum Schluß, bei unserem Abschied von Spitzbergen, kam ich doch noch einigermaßen auf meine „Kosten“ und erfuhr Bruchstücke aus einem seltsamen Robinsonleben an der Küste Ostgrönlands, wie die Geschichte der Polarforschung nur wenige Beispiele kennt. Dies war die erste Begegnung unseres Verfassers mit dem Pelztier-Jäger Ole Sivertsen, bei der er dessen abenteuerliche Erlebnisse erfahren hat. Sie ist in dem Bach „Im Vorfeld des Nordpols“ (224 Seiten Text, 32 Bildtafeln und 3 Karten, Halbleinen 6.80 DM) enthalten, in dem Wilhelm Dege von seinen eigenen Fahrten und Abenteuern erzählt, die er auf drei Spitzbergenexpeditionen erlebt hat. — „Jeder rechte Junge wird davon begeistert sein.“ Baden-Badener Zeitung VERLAG HERDER FREIBURG
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